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SITZUNGSBERICHTE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
SECIISUNDDREISSIGSTER BAND.
WIEN.
AUS DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
IN COMMISSION BEI KARL GEROLD’S SOHN, BUCHHÄNDLER DER KAIS. AKADEMIE
DER WISSENSCHAFTEN.
1861.
DER
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN CLASSE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
SECHS UNDDREISSIGSTER BAND.
Jahrgang 1861. — Heft I bis III.
(Hit 3 Cafeln.)
WIEN.
AUS DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
IN COMMISSION BEI KARL GEROLD’S SOHN, BUCHHÄNDLER DER KAIS. AKADEMIE
DER WISSENSCHAFTEN.
d
INHALT.
Seite
Sitzung vom 2. Jiinner 1861.
Mülleri Friedrich, Über die Stellung des Ossetischen im eranischen Sprach-
kreise
Sitzung vom 16. Jänner 1861.
f Pßzmaier, Der Abfall des Königs Pi von U
Sitzung vom 23. Jänner 1861.
Reinisch, Über die Namen Ägyptens in der Pharaonenzeit und die chrono
logische Bestimmung der Aera des Königs Neilos
Sitzung vom 31. Jänner 1861.
Stark, Das Wiener Weichbildrecht
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften
Sitzung vom 6. Februar 1861.
Feifalilc, Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V
Sitzung vom' 20. Februar 1861.
[ Jäger, Vorlage des zur Herausgabe vorbereiteten Codex Strahoviensis .
, Kanitz, Die römischen Funde in Serbien. (Mit 3 Tafeln.)
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften ....
Sitzung vom 6. März 1861.
( Feifalik, Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur VI . . .
Sitzung vom 13. März 1861.
Aschbach, Die Consulate der römischen Kaiser von Caligula bis Hadrian
Sitzung vom 20. März 1861.
Wolf, Le Roman de Renart le Contrefait. (Nach der Handschrift der
k. k. Hofbibliothek Nr. 2562, früher Hohendorf, Fol. 39.) . . .
I Sickel, Beiträge zur Diplomatik. I. Die Urkunden Ludwig’s des Deutschen
bis zum Jahre 859
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften
17
47
86
113
119
192
195
205
211
247
327
329
403
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISE ULK HEN AKADEMIE DER WISSENSCÜAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSR.
XXXVI. IUNI). I. HEFT.
JAHRGANG 1861. — JÄNNER.
SITZUNG VOM 2. JÄNNER 1861.
Vor gelegt:
Über die Stellung des Ossetischen im entwischen Sprach kreise.
Von Dr. Friedrich Müller,
Docent für die allgemeine Sprachwissenschaft an der k. k. Wiener Universität.
Mit dem Idiome der Osseten im Kaukasus haben sich in neuester
Zeit besonders zwei Gelehrte beschäftigt: der russische Akademiker
Sjögren, dessen Sprachlehre und Wörterbuch im Jahre 1844 in
Petersburg erschienen, und Georg Rosen, der 1844 und 184o
eine Grammatik und ein Wortverzeichniss der ossetischen Sprache
der Berliner Akademie vorlegte, wobei er besonders dasjenige, was
Klaproth in dieser Richtung gesammelt, berücksichtigte und gründ
lich verbesserte. Beide Gelehrte arbeiteten von einander unabhängig
und erwähnen einander gegenseitig gar nicht: Sjögren hatte die
beiden nördlichen Dialekte, den Tagaurischen und Digorischen
bearbeitet, während Rosen die Dialekte von Südossetien seiner
Arbeit zu Grunde legte.
Schon vorher und ganz besonders durch das nun gebotene
Materiale ist man über die sprachwissenschaftliche Stellung des
Ossetischen so ziemlich in’s Reine gekommen. Man hat bald nach
einer nur einigermassen treuen Untersuchung, die aber Niemand,
meines Wissens, näher ausgeführt, gefunden, dass die Sprache eine
indogermanische ist und zunächst demjenigen Kreise angehört, den
man den medopersischen oder eränischen nennt. Mit dieser Bestim
mung reicht man zwar für allgemeine, etwa ethnographische Fragen
1*
4
f>r F r i e d v i e h M ül I e i*
aus; sie ist aber für den Sprachforscher im engeren Sinne und ganz
besonders für den, der sich mit den eränischen Sprachen beschäf
tigt, nicht hinreichend. Daher wird man es heut zu Tage, wo die
Gründzüge einer iranischen Philologie immer mehr und mehr her
vortreten, nicht für überflüssig erachten, — wenn ich hier auf
dieses Idiom näher eingehe und demselben im Kreise der eränischen
Sprachen einen bestimmten Platz anzuweisen mich bemühe, zugleich
auch dasjenige, was es näher kennzeichnet, hervorhebe.
Übersieht man den Sprachschatz des Ossetischen, so findet man
schon hier Ausdrücke, die sich als eränische verrathen, d. h. entweder
nur in dieser Form oder Bedeutung im Eränischen sich nachweisen
lassen, oder sich jetzt noch in dieser Form vorfinden. Man könnte
dieselben auf den ersten Anblick, als aus den verwandten eränischen
Sprachen entlehnt betrachten: dies ist aber einerseits wegen der
geographischen Stellung der Osseten nicht recht möglich, anderer
seits sind sie so eigenthümlich und übertreffen an Alter die noch
jetzt erhaltenen eränischen, dass man diesen Gedanken bald aufzu
geben genöthiget wird. So findet ^lo6 (k'usin) „arbeiten“ zunächst
im Neupersischen O-XijT (kusiden) „allaborare, operam dare“
seinen nächsten Verwandten, ebenso tur^nü (sugin) „brennen“ in
(socliten) praes. pj\y* (sozemj. — (binad) „Zuflucht“,
ist ganz das neupersische (pindh). aber weit entfernt etwa aus
demselben verstümmelt zu sein, übertriift es dasselbe in Erhaltung
des auslautenden Dentals statt des dort nur mehr übrig gebliebenen
Hauchlautes an Alter. Dasselbe Verhältniss haben wir zwischen dem
ossetischen (6ug66l (rubas) „Fuchs“ und dem neupersischen
(rübäh), wovon das erstere der Urform r-TUTIVT (lomägd), hindust.
i_SJ*J (lomri), griech. äilwffvj'f — von (toman) „Haar“,
also „der Haarige“ — sich viel mehr nähert als das letztere, gugl
(qus) „Ohr“, bgugrS (stur) „Lastvieh“, ^0863 (dimag) „Schweif“,
96(margli) „Vogel“ kommen nur im Eränischen in diesen Bedeu
tungen vor und finden in den send, (gauslia), Pehlewi tt>lJ
(gos), neupers. Jüjf (gos), send. (gtauru), neupers. jO
(dum) und ^ (murgli), send, (mereglia) ihre Parallelen.
Dabei kann bei an eine Entlehnung absolut nicht gedacht
werden, da das Wort aus den neueren persischen Dialekten ganz
Übe»* die Stellung des Ossetischen im englischen Sprachkreise.
verschwunden und besonders aus dem Send in dieser Bedeutung be
kannt ist, während 95^ sowohl die neupersische als die Sendform, ja
auch die Sanskritform qrf (mrga), die aber nicht „Vogel“, sondern
„Wild“ bedeutet, an Erhaltung des Vocals d vor r bei weitem iiher-
trifft. Wörter wie (charag) „Esel“ — neupers.^:»- (char),
.Sanskr. t§[T (khara); fcögn (nalj „Mann“ = neupers. j (ner),
Sanskr. qp - (narn); rj6gn9 (Halm) „Kriechendes“ = Sanskr. qfq
(krmi) „Wurm“; 6^LoiS (aclisir) „Milch“, Pehlewi -pty (sh) =
neupers, (sh), Sanskr. (ksira); (achsaw) „Nacht“
= Pehlewi rjty (saf), neupers. (seb), Sanski'. qqq (ksapas);
(firt) „Sohn“ = neupers.(puser) — Sanskr. q~q (patra)
können unmöglich vom Westen her dem Osseten zugekommen sein,
sondern weisen bestimmt auf Osten und hier zunächst auf Erän.
Das Ossetische erweist sich auch als eine echt eranische
Sprache dadurch, dass es an allen den Eigenthüinlichkeiten, die
diese Sprachen kennzeichnen, Theil nimmt. Diesen ist allen das
gemeinsam, dass sie eine Consonantenerweichung mittelst Aspiration
darstellen; und es sind dies besonders folgende drei:
I. Der Übergang eines Dentalen vor einem andern Dentalen in
die harte Spirans, vgl. send. (bagta) „gebunden“ — Sanskr.
(baddha), neupers. (besteh); neupers. (mest)
„berauscht“ = Sanskr. qff (matta), z. B. 66bQ.rrv6 (baston) „ich
band“, 5ö66l@> m~6 (babaston) „ich band an“ von 66er,n6 (batin) =
Sanskr. bandli. Jedoch ist dieses Gesetz im Ossetischen nicht so
durchgreifend wie anderswo, und es finden sich Formen wie ac&TTVH
„abbrechen“, Tag. ßarryH, öadaTTyii „anbinden“, ^jcttvh „geben.“
(vgl. auch Schl eicher, zur vergleichenden Sprachgeschichte
Seite (>8).
II. Die Entwickelung einer weichen Spirans dort wo das Sans
krit einen reinen Hauchlaut entwickelt hat, während andere ver
wandte Sprachen noch die Aspirata oder Muta zeigen, z. B. 66<fi%m-6( 5 >
(barzonä) „hoch“ = send. (berezat), Sanskr. sT^fipT (brhat)
von vrh — vrdli „wachsen“, 6% (az) ich = send, (azem),
Sanskr. (aham), in den Keilinschriften aber adam —vgl. send.
(zaeta) „Hand“ = Sanskr. qqq (hasta), neupers. aber
^.*0 (dest) — %5<%i6 (zarda) „Herz“ = send, (zeredhaim),
Sanskr. (hrdaya), aT (hrd). armen, nfcm (sirt), neupers.
aber (di/), während griecli. xapd-itx, Int. cord; 9o%o6 (mizin)
= sen<h_) j c (miz), Sanskr. (mih), grieeh. otiiylri, lat. ming-o,
%o96g (zimag) „Winter“ = send. -"£■>£ (zima), Sanskr. (lihna),
griecli. y_Eiga>v, Pehlewi aber jKDDaT (damestän) = neupers. j
(zemi-stän).
III. Fortgesetzte Schwächung des im Sanskrit erscheinenden
s in h und endliche Verhärtung desselben durch darauf folgendes w.
Dass dieser Proeess so zu denken und zu erklären sei, beweisen das
neupers. \y>- (cliFa), Pehlewi Nin (chwa) gegenüber dem sendi-
schen armenischen^ und sanskritischen sv; vgl. (cliFab)
„Schlaf“, Pehlewi riNin (chwdb), send. (qafna), arm. .p"J>
(qün)'), Sanskr. (svapnct), z. B. (cho) „Schwester“
Dig. xope = (qojr), neupers. (chFaher), send. •"ey! J, £6
(qttnlia), Sanskr. cjjTjj' (svasar); (ched) „Scliweiss“ =
arm../_>/ , /"" / ' (qirtn) = Sanskr. (sveda); ^<6 (chur) „Sonne“
= send 1 . s^»ey (livcire), Pehlewi aber n’E’nn (chorset), neupers.
Juiyy>~ (cliorsed) — send, hvare kshaeta (Spiegel Tradit. Litt, der
Parsen, p. 382) = Sanskr. (svar); ^nv6o6 (chonin) „rufen“
= Sanskr. (svan) „tönen“.
Ein weiteres Merkmal des eränischen Charakters der ossetischen
Sprache ist die Anwendung von Formen, die mittelst des Suffixes nk
gebildet werden, das dem Diminutivsuffixe ka im Sanskrit entspricht,
im Eränischen aber von dieser Bedeutung zum grössten Theile nichts
in sich enthält. Man kann entweder annehmen, dass dieses Suffix
als weiterbildendes Element ohne alle Bedeutung angewendet wurde,
oder dass die Diminutiva, wie etwa im Slavischen und besonders im
Litauischen, so sehr beliebt wurden, dass sie in gemüthlicher Rede
selbst die anderen, ohne das Diminutivsuffix auflretenden Formen
verdrängten.
Beispiele davon sind: ^66^63 (fandag) „Weg“ = Sanskr.
(panthan), %o9ög (zimag) „Winter“ = Sanskr. figrp
(hima), <0661563 (dandag) „Zahn“ = Sanskr. ~ri (danta), dens.,
öoovr-; bg>6g (stag) „Knochen“ == Pehlewi not* (ast), send. ■ u '? ;oi!
!) Vgl. meine Bemerkungen darüber bei Kuhn Beiträge II, Seite 483.
Über die Stellung- des Ossetischen im erAnischen Sprachkreise.
7
(agta), Sanskr. ITRlrT (asthan), latein. os = ost (wie lac — lact),
(charag) „Esel“ = neupers.^»- (char), Sanskr. (khara),
$nS6g (dimag) „Schweif“ == neupers. ^ (dum), y^g (QUfj) «Kuh“
= neupers.% (gao), Sanskr. jfj (gö), 6m- 3 6g (nowag) „neu“ =
Sanskr. (nava), viog, novus etc.
In Bezug auf dieses Suffix steht dem Ossetischen das Neuper
sische bedeutend nach; denn es hat dasselbe bereits in h abge
schwächt und lässt es nur noch im Inlaute in seiner ursprünglichen
Form hervortreten, z. B. iXi (bendeh) „Sclave“, (mädeh)
„Mutter“, plur. O iT-Xh (bendeg-än) (mddeg-dn). Das Osse
tische steht in dieser Hinsicht mit dem Armenischen, z. B. *TtitJi/iul^ (na-
mak) „Brief“ = (nämeli), (hreschtak) „Engel, Bote“
= iC^s (firisteh) —auf der Stufe des Pehlewi, das hier den Stumm
laut unverändert überall zeigt,— z. B. (mdhik) „Fisch“
(mäht), Sanskr. (matsya), "pntO (yätü/c) =jAo. (gädu),
send. ><?■“yC (yätu) „Zauberer“, “]ttriDn (rustäk) =
(rustä) „Land“, “|UNt (zänuk) „Knie“ = neupers. (zänü)
-piNnD (stärak) „Stern“ = ijL-j (sitäreli), “jn'd (siyälc) „schwarz“
== 4Uw (siyäli) in (warak) Widder = t>y (bereit). Vgl. Spiegel
Trad. Litt. d. Parsen, Seite 454.
Wenn wir in diesem Puncte das Ossetische unter den lebenden
eränisehen Sprachen zunächst mit der rauhen Sprache Armeniens
zusammen stellen müssen, so rückt es auch noch ein anderer Punct
demselben näher als dem Persischen.
Das Armenische hat nämlich die Eigenthiimlichkeit den anlauten
den Labial in vielen Fällen zu aspiriren und diese Aspiration bis zur
Verflüchtigung des festen Elementes fortzusetzen, so dass zuletzt von
dem Labial nichts als der Hauch übrig bleibt — eine Eigentüm
lichkeit, die das Armenische mit keiner indogermanischen Sprache
theilt 1 ), z. B. V',7/' (hajr) „Vater“ = ntxrrip, pater, sf 1 "/ (hing)
„fünf“ = (panöan), S*"'/' (hur) „Feuer“ = nvp,
*\ .
(hraman) „Befehl 44 — ff er man), (hreschtak)
„Engel, Bote“ = (firisteh).
Das Ossetische bietet uns gleichsam den Übergangspunct zu
dieser Erscheinung, indem es zwar den Labial aspirirt, aber noch
Vergl. damit das gothische h gleich einem alten indogermanischen Je.
8
Dr. Friedrich Müller
nicht so weit, wie das Armenische verflüchtiget hat, z. B, ^örfiljnfc
(farsin) = . pg .Jj,L L (huryinel) „fragen“ = o^y (purstden)
Sanskr. qr?T (pracch); ^ (fid) „Vater“ = s''W' (hajr); —
^0^0637)006 (fiel alt a) = TTTtT^TT (jßitavasf) j t^oßo6 (ficiuj „backen“,
vgl. armen. v«y (ha%) „Brod“ und Sanskr. qq (pac), neupers.
" x
u(puchten), £m-69 (fbndz) „fünf“ = tyn?. (hing) = qqq
‘ *S
(pandan).
Was nun die Eigenthümliehkeiten des Ossetischen anlangt, so
haben wir in demselben vorerst eine eigenthümliche Erscheinung zu
betrachten, die wir im Armenischen antreffen in dem Worte fry/iiy ( ,
(egbajr) „Bruder“ = tfTrTJ’ (blirätar) — ossetisch 0^6^ (ervoad)
dig. „Bruder“, tag. und südossetisch aber „Genosse“ (vgl. das
ungrisehe barat „Freund“, aus dem slavischen, wo es „Bruder“
bedeutet, und den Sprachgebrauch.bei den Semiten, wo ^-1 (ach)
„Bruder“ oft wie „Freund“ gebraucht wird). Wir haben im vorlie
genden Falle eine Umstellung der Lautgruppe blir in rbli mit Ver
änderung beider Elemente. Eine solche Umstaltung findet sich in
Formen wie \nd,v> (firt) „Sohn“, Dig. «>ypi; = Sanskr. q=[
(putra), neupers. (puser); 5rficn (art) „Feuer“ = Send. -*o'}
(dtars), neupersisch j (Ader); 5ii>cn6 (arta) „drei“ = Send. »1<4
(thri); ärft^ng (arfig) = Dig. ap<i>yK „Augenbraue“ = 6fpü-g
Sanskr q (bhrü); au»ce „Stute“ = Send. (agpa), Pehlewi
( ,ts P)’ neupers. (esp), Sanskr. trpsg (agwa), op^a „dort“
= Sanskr. (atra).
Das Ossetische liebt im Gegensätze zum Send, dem das l ganz
fehlt, dieses wieder so, dass es manchmal auch dort, wo alle ver
wandten Sprachen des indogermanischen Kreises ein r zeigen, dafür
ein l eintreten lässt, z. B. 1^6^ (stal) „Stern“ = Send.
(gtdre), neupers. JjU- (sitdreh), griech.äarrip, Sanskr.^p[(Ved);
36^9 (k'ahn) „kriechendes Thier“ = qqq (krmi) „Wurm“ vermis,
— fe6gn (nal) „Mann“ = y (ner), qj (nara) ävhp; ^6^6
(fidalt'a), im Dig. „Väter“ sonst „Eltern“ = fqq~q (pitaras),
während im Singular nur ^ (fid) eintritt. 96^06 (malin) „ster
ben“ = (wurden) = Sanskr. q (mr) mor-i, 95<ra5cn (malut)
Über die Stellung <ies Ossetischen im entnisehen Sprachkrelse, 9
„Tod“ = armen. -Pu) (muh), Send. (mahrko). Tag. CTvp,
Dig. CTyp „gross“, Comparat: Tag. cTv-i^sep, Dig. cTyp^ep.
Dem abgeschliffenen Baue des' Neupersischen gegenüber
erscheint das Ossetische in einigen Puncten im Vortheile. Da es
überhaupt gleich dem Armenischen gegen härteren Anlaut nicht so
spröde ist, n ie die verweichlichte Sprache Persiens, so hat es schon
dadurch manchen Anlaut vollständiger gerettet als diese, jedoch
hat es auch noch zu anderen Mitteln gegriffen um die organische
Form so viel als möglich zu wahren: nämlich zum Vorschlägen eines
Vocals, wie wir dies in (erwad) — ifTrTT (bhrätar), viel
leicht auch in ö^ugg (afrug) — '^(hhritj — vgl. jedoch oippb-g—
gesehen haben. Darauf beruhen die Formen (achsaw) „Nacht“,
Tag. axcmB. Dig. axc®Be = Sanskr. (ksapas). neupers. aber
(seb); 5^bn<6 (achsir), Tag. axcip Dig. axuiip „M Ich“ =
Sanskr. THy (ksira) , neupers. aber jCj (sir); ö^li6% (achsaz)
„sechs“ = Send. (kswas), arm. ’/h) (ive^), Sanskr. aber
WJ (sas).
*\
Der reine Hauchlaut ist im Ossetischen äusserst selten
(Sjögren Seife 7 und 30), da es den festen Laut nicht so weit
verflüchtigt (vgl. ö ä%o (qazi) „Gans“ = Sanskr. (hahsa),
griech. ^v;V, lat. unser = hanser), dort aber wo wir den Hauchlaut
nach Analogie der anderen eränischen Sprachen erwarten sollten,
denselben zum grössten Theil aufgibt, z. B. 0 3 %ög (etvzag) „Zunge“
= Send, (hizwa), Sanskr. fffc^T (gihvd), wo zio in wz um
gestellt, wie in a«i>ce = ■“£)>’“ (agpa), und das Suffix ak (vgl. oben)
an die Form getreten ist; -— (awd'), Dig. a*i>T, Tag. anp
„sieben“ = Sanskr. VTfFT (sagtan), neupers. (lieft), inrä;
aM — Sanskr. (sam), Peblewi OH (hum), neupers. c*» (hem)
audapyri „begreifen“ = sam -j- bhar, andypp „Sammlung“. —
In einigen Fällen wird das h zu eh verhärtet, z. B. Tag. xi/\, Dig.
xex, das sowohl „Schweiss“ (Sanskr. sveda), als „Brücke“ —
Sanskr. setu bedeutet und in letzterer Form einem sendischen
(haitu) entspricht. — Vielleicht gehört auch xe.iarc „Schlange“
hieher, von Sanskr. sr, der Grundform von srp, wovon (sarpa)
„Schlange“.— Hieher ziehe ich auch xoapa „gut“ = Send, hu-f-
griecb. fepy-, ferner Dig. xojyn „nähen“, Sanskr. ftfcf^
varez,
10
Di*. F r i e d r i c h M ii 11 e i\
(siv) vgl. (siitra) „Faden“, lat. suo. In Bezug auf reine Aus
sprache der Vocale steht das Ossetische dem Pehlewi und Parsi am
nächsten: es hat sich ebenso von einer Verflüchtigung derselben, wie
das Neupersische (ähnlich dem Neuhochdeutschen), von einer
einseitigen Erweichung und Ausstossung, wie das Armenische, fern
gehalten. In manchen Puncten hat es mit bewunderungswürdiger
Zähigkeit manches was selbst die älteste Tochter der indogerma
nischen Sprachmutter, das Sanskrit, eingebüsst oder verdunkelt
hat, bewahrt. Man vergleiche Formen, wie \66bnb (farsin) „fra
gen“ mit pei's. O^j (-purstden), Sanskr. q^TFT (prdchämi) ;
$6rffs») (dnrgh) „lang“ mit (dirgha), griech. 'lür/ig; 9S.%>
(mard) „todt“ mit Sanskr. Tjff (mrta), griech. ßporög; 166 (sar)
„Kopf“ mit Sanskr. (Qiras), neupers. (sar), jedoch
griech. xapx; %6^6 (zarda) „Herz“ mit Sanskr. (lird), aber
griech. xapiJ-ta, lat. cord-, — 96^ (margli) „Vogel“ mit Send.
(mereglia), neupers. (margh), Sanskr. rfip (mrga)
„Wild“; ^6^)9 (Malm) „Wurm“ = Hptfrf (krmi), 96^06 (malin)
„sterben“ = Sanskr. 77 (mr) mor-i.
Jene Erscheinung des Neupersischen, dass in vielen Fällen der
noch im Parsi auftretende Anlaut wa in U (gn) verwandelt wird,
z. B. neupers. aVj (gundh) „Schuld“ = Parsi ey"’) 1 !? (winäh),
(wanah), armen, (imm (wnas), iS (gustach) „frech“ =
Parsi (wastalc), armen. i(u,uu„ul t (wastak); J\j> (gardz)
„Eber“ = armen. (waraz), Sanskr. (wardlia) findet
sich im Ossetischen nicht. — Dasselbe ist also in dieser Beziehung
dem Neupersischen gegenüber auf einer älteren Lautstufe und ist mit
dem Parsi und Pehlewi zusammenzustcllen.
Ebenso hat das Ossetische noch einige Spuren des im Neu
persischen ganz und gar verschollenen, im Parsi und Armenischen
aber oft gebrauchten Negativpräfixes a, an (vgl. Sjögren 347).
Was nun die Formen dieser merkwürdigen Sprache betrifft,
sö sind sie im Ganzen nicht so reich, als man nach den sonstigen
alterthümlichen Zügen denken sollte. Die Geschlechtsbezeichnung
fehlt der Sprache ganz, gleich dem Neupersischen und Armenischen,
ebenso die damit Hand in Hand gehende Motion der Adjectiva und
die Congruenz. In einzelnen Fällen müssen ebenso wie dort die
Über die Stellung- des üsseliseheeu im eninischen Sprnchltreise.
11
Wörtchen Tag. yc, Dig. occe „Weih" und bei Thiernamen die
Wörter Tag. Haa, Dig. Ha^e „Männchen" = neupers. j (her) und
Tag. cva, Dig. nji.ie „Weibchen“ aushelfen, z. B. Ha.iapc „Bär“,
vgl. Sanskr. üvf (rk?a), armen. »>/■£ (ardsch), griech. apxro?,
mi^apc „Bärin“.
Die Declination ist sehr einfach: der Plural wird mittelst m 6
(t'a), das an das Singularthema tritt, z. B. (fiel) „Vater“,
plur. (fidta) „Väter" gebildet. Auf den ersten Anblick
scheint dieses Suffix nicht indogermanisch zu sein; es lässt sich
aber auch nicht etwa aus den kaukasischen Sprachen erklären, wo
bi, pi den Plural bildet. Ich glaube in unserem OT ö (ta) die alte
Form des indogermanischen Pluralzeichens as, das gleich dem
Neutralzeichen = cts auf nt in ältester Form zurückzugehen
scheint, zu finden und sehe davon noch Spuren im sendisclien
jocs>»6 (maidhe), griech. psScc = madh-a-i, Reflexiv-Form zu
mas-i '). Freilich scheint dieses Suffix nicht so lebendig gefühlt
und organisch verwerthet worden zu sein, sondern ist wohl schon
frühzeitig wie das armenische .p als Zeichen des Plurals schlecht
weg angesehen worden, an das sich die Casuszeichen des Singular
hintendrein anlehnten.
In Bezug auf diese scheinen entweder die südossetischen Dia
lekte mehr oder weniger von der ursprünglichen Zahl derselben
eingebüsst und eine Form für die andere sübstituirt zu haben, oder
es hat Rosen seihst dabei manches übersehen oder verwechselt;
denn während er vier Formen anführt, nämlich Nominativ, Accusativ
und Vocativ; -— Genitiv und Local; — Dativ; — Ablativ und Instru
mental und auf diese Weise den Accusativ ohne irgend ein Zeichen
hinstellt, zählt Sjögren acht Casus mit fünf Formen auf, worun
ter er statt des Rosen'schen Instrumentals einen Localis exterior
nennt, und ihm für Singular und Plural dasjenige Zeichen zuschreibt,
das Rosen dem Dativ pluralis gibt (am, maej, und lässt den Dativ
pluralis in Übereinstimmung mit dem Singular auf en ausgehen.
Ebenso gibt er die Form des Accusativ gleich dem Genitiv und Local
interior an.
Die einzelnen Casusformen, die dem Ossetischen den Charak
ter eines urthümlichen Idioms aufdrücken, genügend zu erklären,
') Vgl. Sitzb. ßd. XXXIV, 13.
12
Di*. F r i e d rieh AI ii Iler
ist ziemlich schwer. Das i des Genitiv-Locativs (fidi) „des
Vaters, im Vater“, Tag. .i;e f 0j Dig. Jianj „des Mannes, im Manne“,
^oipcnn (fidti) „der Vater, in den Vätern“, Tag. jiasrijvj Dig.
•larijij „der Männer, in den Männern“] scheint dem letzteren
anzugehören; der Dativ auf en und der Local interior hei Sjögren
auf mu, mä, am, äma, ebenso der Dativ plur. in am hei Rosen
[^o£>06 (fielen), <^0£)ot58 (fieltam), .lamMie, aarwa, amr^aew,
aaer^seivia] scheint mit Sanskr. bhi wie im Slavischen der Instru
mental singularis, Dativ Dualis (Miklosich, Altslav. Forml. 9) Dativ
und Instrum, plural. (Miklosich, ehend. 10) zusammenzuhängen.
Was den Ablativ betrifft, der in Oo (ei) ej, aej ausgeht [z. ß. £ 0jS oOn
(fidei) „vom Vater“, ^o^mOo (fidtei) „von den Vätern“, Jiaerej, jiarej
„von dem Manne“, jiaer’ijsej, .lariej „von den Männern“], so glaubt
ßopp (vergl. Gramm. I. S. 120) ihn auf dt zurückführen zu können,
indem er einen Übergang des t in i annimmt. Aus dem Ossetischen
ist mir kein weiterer Fall eines solchen Überganges bekannt, man
kann aber hier passend auf armenisches j — t, s hinweisen *).
Die Steigerung der Adjective, die, wie in den anderen
manischen Sprachen mit dem Substantiv verbunden nicht flectirt
werden, wird für den Comparativ mittelst ^örn (dar) vollzogen,
z. B. (darglidar), „länger“; beim Superlativ wird dieses
dar doppelt angehängt z. B. (darghdardar), oder er
wird mittelst der Wendung „von allen“ entweder einfach durch den
Comparativ umschrieben, z. ß. kOäöoOn (sepateidargh-
dar) a ) oder das Zeichen des Comparativs dabei wiederholt , z. B.
cenrise^sei, cay^aep^mp „am schwärzesten von allen“ 3 ).
Die Pronominalstämme sind gut erhalten. Von der ersten Person
bat das Ossetische dem Neupersischeu gegenüber den Nominativ,
der äusserlich anderen Stammes als die obliquen Casus ist, gerettet.
Er lautet 6% (az) — arm. Z« (es), Send, ctj" (azem), altpers.
adam, Sanskr. (aham), slav. a.'SX (azü), grieeb. sytöv. Den
anderen Casus liegt der Stamm ma zu Grunde, der auch im Plural
auftritt, hier aber nicht derselbe, sondern aus asma abgeschwächt
zu sein scheint. 86^ (mach), Max entspricht dem neupersischen
*) Vgl. meine Bemerkungen bei Kuhn Beiträge. II, 487.
ä ) Rosen S. 7.
3 ) Sjögren S. 04.
Über die Stellung - des Ossetischen im eramsehen Spraclikreise.
13
U (ma), ebenso wie (simach), csiax dem Ir" (sumä), wor
aus hervorgeht, dass wir in beiden die Formen (asma-
kam), ZltSWI^FUT (ynsmakam), Genitive pluralis, oder eigentlich
starre Adjectivformen suchen müssen.
Der Singular der zweiten Person lautet (di), 4V, 4y, für
die obliquen Casus ^6 (da), 4*, 4a, 40 = Sanskr. pjTq' (tvam),
pers. y (tu). Ein Zeichen hoher Alterthiimlichkeit des ossetischen
Idioms ist die Erhaltung der kürzeren enklitischen Formen der
ersten und zweiten Person Pluralis Tag. nee, Dig. Ha, Tag. b®, Dig.
Ba — Sanskr. (nas ), cftT (vns), die wir in den eränischen
\ %
Sprachen sonst nirgends antreffen.
In der dritten Person begegnen wir zwei Themen u und a,
wovon ersteres in dem Sendischen (ava), neupers. (6),
letzteres in dem sanskritischen 5;^ (a-tra), (a-sya), seine
Erklärung findet. Als Reflexiv fungirt ^Ä^oSg (chadag), augen
scheinlich das neupersische 3y>~ (cliod) — Sanskr. (sva-
yam).
Unter den Zahlwörtern sind besonders hervorzuheben 03 (iw),
Tag. ly, Dig. jeye „eins“, das an das sendische -“»ns" (aiwa) sich
anschliesst und ihm viel näher steht als das Parsi (yak),
neupers. (yek); 6ao>5 (art'a), Tag. ;ep-^;e, Dig. ap'jpi „drei“,
das der Übergang vom sendischen »1&~(thri) zum armenischen bpp
(err), /.«- (er) bildet (vgl. meine Bemerkungen darüber in Sitzb.
Bd. XXXV, 197), 6^16% (achsaz). Tag. axc®3. Dig. axca3 „sechs“,
das unter allen lebenden eränischen Sprachen einzig die Sendform
(kswas) wiederspiegelt, während arm. (b g (ive%), neupers.
(sei) davon nur einseitige Verstümmelungen sind.
Was die Verbalsuffixe betrifft, so sind sie ziemlich gut er
halten, z. B. Singul. 1. Person <]56o6 (k’anin) „ich thue“ = präkr.
(kunomi) = neupers. £(kunem), armen. pt.pl.J'(berem)
„ich trage“; 2. Person j|66ob (k'anis) „du thust“, armen. ptr L ,b„
(bereit) „du trägst“, aber neupers. ^ (kund); 3. Person 3560
(k’ani) „er tliut“, armen, pt-pk (bere) „er trägt“, neupers.
(kuned). Plural. 1. Person ^6669 (k'anam) „wirthuen“, neupers.
^(kunem), armen. pbpbJ), (beremq) „wir tragen“ = bhardmasi;
14
Di*. Friedrich Mülle r
2. Person <]66ugcn (k’anut’J „ihr timet“, neupers. (kuned),
armen, plrpkg (bereq) „ihr traget“; 3. Person 356066 (k'aninö) 1 )
„sie timen“, neupers. (kirnend), armen. /;/■/>t/i, (bereu) „sie
tragen“.
Durch die Perfectbildung mittelst ta z. B. lg>ö3g>m-6 (stawton)
„ich habe gelobt“, von 6016306 (stawin) „ich lobe“, Sanskr.
(stu), erweist sich das Ossetische als echtes eränisches Idiom,
indem es sich dabei unmittelbar an das persische (sutüdem)
„ich lobte“, praes. jcUlo (sitdyew) „ich lobe“ anscldiesst. Die
Futurbildung hingegen bg.53^0666 (stawginan) „ich werde loben“,
mahnt sehr an s Armenische, z. B. /■/.///.uyL- (beresqes) „du wirst
tragen“, obsclmn sie gleich der letzteren ziemlich schwer zu erklären
ist. Im übrigen ist die ossetische Conjugation so eigenthümlich und
mannigfaltig, dass sie einen förmlichen Contrast zu der ganz ein
fachen Declination bildet, und das eigenthiimliche Walten des osse
tischen Sprachgeistes uns am besten offenbaret. Merkwürdig ist das
mittelst der Wurzel Sanskr. kur „machen“ umschriebene Imperfect,
z. B. yw)bgö3m-gim-6 (qusgakoton) „I was hearing“ von der Wurzel
yugl (qus) = neupers. oaJjJT(gostden) — l'G’ 6 33 5 £jm-@ , ">-b (staw-
gakoton) „ich lobte“, indem es an einen im Sanskrit häufigen Vor
gang erinnert bei schwachen Verben, die kein perfeclum redupli-
catum bilden können, dieses mittelst eines Absfractnomens und des
Perfectum der Wurzel kar zu umschreiben: z. B. cfr^ZfTWöFTr^"
(doruydncakdrn) „er stahl“.
Das Verbum substantivum as, von dem alle indogermanischen
Sprachen mehr oder weniger ganz deutliche Spuren aufweisen, ist
im Ossetischen bedeutend zertrümmert und ziemlich schwer zu
erkennen. Hingegen haben wir das Verbum bhü, griech. fu-, hier
so gut erhalten, wie man es im Eränischen nirgends und selbst in
den anderen indogermanischen Sprachen selten findet, z. B. ^öug
(faii) „sei“ — vföf (bhava) (fallt) = (bhavata),
<i>aoM = vjdf' l'ART (bhavdmas) <i>aoni( = (bhavanti), gewiss
im Zug, der das Ossetische zu seinem Vortheile auszeichnet.
= kaninti, vgl. Sjögren S. 40 und 47 und Schleicher. Zur vergl. Sprach
geschichte. S. 71.
Über die Stellung- des Ossetischen im (iranischen Sprachkreise.
lö
Nebstdem hat die ossetische Sprache treu dem Triebe ihrer
edlen Mutter die Compositionsfähigkeit bewahrt, z. B. Tag. cayap-
<i*vr, Dig. cayap«nyK = neupers. aLu (siyäli-cubru) [J.elav6fpvg;
Dig. aaraap30H „Menschenliehe“; Tag. caymaecT, Dig. cayuqsecTe
„schwarzäugig“, neupers. aLj (siydh-öesm); Tag. aHaeiviae-
.ueij, Dig. aiieuauTe „unsterblich“, arm. •uhJ'u.c, (anmalt), Sanskr.
JJTfff (amrta).
In diese Kategorie gehört auch das im Neupersischen zum
Suffix gewordene O ILj (stein) — Sanskr. (sthaha), Ob
(dein) — Sanskr. ypq (dhäna), das im Ossetischen unter der Form
ßOH, toh, Dig. ^ohc, Tone auftritt (Sjögren S. 7ä), z. ß. Tag.
ruH^OH, Dig. roH^OHe „Kornspeicher“ von toh = neupers.
(gendum) und ^oh; ijapxoHßOH, Dig. ljapxoH^OHe „Gerichtshof.“
Ferner gehört hieher das Suffix 6vh Dig. öyH (Sjögren S. 7S)
das bei wachsenden Bäumen angefügt wird, um einen Compiex der
selben zu bezeichnen, und dem neupers. ,_y (bun), Pehlewi jn (wun)
Pai ’si (wan), Sanskr. (vana), vgl. Spiegel Trad. Litt, der
Parsen, S. 45S entspricht, z. B. axcaepövH, Dig. axcapeöyH „Obst
baumwald“ ijffipAOÖvH Dig. ijmpTTyöyH „Birnbaumwald.“
Von den im engeren Sinne wortbildenden Suffixen erwähnen
wir ßiH, tih oder /fVH, tvh, Dig. rm, itm, bisweilen ryH, nyii,
welche Adjectiva bilden, die eine Menge, im Versehensein mit etwas
bezeichnen (Sjögren 69). Sie entsprechen genau dem persischen
üy (Vullers I, p. 164), z. B. ^yp Dig. ^op „Stein“, davon flyp^m
Dig. gopiiiu „steinig“, msbct Dig. aiacT „Zorn“, davon msbcttih
Dig. MaCTKyH „zornig“, vergl. damit neupers. 0^-0 3 (derdgin)
„doloreplenus“ (sermgvn) „pudibundus“. (gamgin)
„moestus“.
Das Suffix oh bildet Adjectiva der Beziehung, z. B. qaBOH Dig.
bauen „zum Dorf gehörig“, von qay Dig. fiay „Dorf“, xaxoH Dig.
xohxoh „zum Gebirge gehörig“, von xox Dig. xohx „Gebirge“,
neupers. aJT(koh), Pehlewf spo (kof). Damit kann verglichen wer
den das persische Suffix an, das Adjectiva possessiva oder Substan
tivs relativa bildet (VullersI, 164), z.B.Obb*- (gänän) „amatus“
von Ob- (gan) „anima“, OU^c (garmän), „iracutidns“ von
(garm) „ira u .
l(j Dr. Friedrich Müller, Üb. d. Stell, d. Ossetisch, im eranisch. Sprachkreise.
Aus dieser kurzen Skizze ersieht man, dass das Ossetische eine
echt indogermanische, speeiell eränisehe Sprache ist; dass es mit
den eränischen Sprachen alle Eigenthümlichkeiten derselben theilt
und unter ihnen die Mitte hält zwischen dem Armenischen und Per
sischen, sich aber zunächst dem Pehlewi und Parst anschliesst,
ferner sich wie jede Ungeschriebene und also nicht verfeinerte
Sprache durch gewisse alterthümliche Ziige vor mancher ihrer
Schwestern vortheilhaft auszeichnet.
Dr. Pfizniaier, Der Abfall des Königs Pi von U.
17
SITZUNG VOM 16. JÄNNER 1861.
Gelesen:
D e r Abfall des Königs Pi von U.
Von dem w. M. Dr. August Pfizmaier.
Der gefährliche und lange vorbereitete Abfall des Königs Pi
von U steht mit vielen anderen Ereignissen der Geschichte in engem
Zusammenhänge und ist ausserdem in den tadelnden Schreiben
Tseu-yang’s und Mei-sching’s >) besprochen worden. Die ersten
Nachrichten über den König Pi bringt das Sse-ki, welche Nach
richten das Geschichtswerk der früheren Han , wie dies bei vielen
Gegenständen der Fall, in einer selbst bis auf den Ausdruck überein
stimmenden Weise, wobei nur stellenweise eine kürzere Fassung
vorkommt, in einem „eigenen, nebstdem nur noch Einiges über die
Könige von King und Yen enthaltenden Abschnitte wiedergibt. Durch
Benützung des gesummten in dem erwähnten Werke vorhandenen
Stoffes entstand diese Abhandlung, in der sowohl die Ursachen als
die näheren Umstände dieses denkwürdigen Abfalls ihre Beleuchtung
finden.
i Pi, König von U, war der Sohn jl jl ,|?lj Lieu-tschung’s,
eines älteren Bruders des höchsten Oberherrn Kao. Nachdem der
höchste Oberherr Kao, Gründer des Herrscherhauses Han, in sämmt-
lichen Landen die Ruhe hergestellt, ernannte er im siebenten Jahre
seiner Einsetzung (200 v. Chr.) Lieu-tschung zum Könige von Tai
*) ln der Abhandlung' „Worte des Tadels in dem Reiche der Han‘ f .
Sitzb. d. phil.-hist, Ci. XXXVI. ßd. I, Hft. 3
18
Dr. Pfizmaier
Die Hiung-nu’s griffen indessen Tai an, Lieu-tschung, ausser Stande
sich zu vertheidigen, kehrte seinem Reiche den Rücken und floh auf
Seitenwegen nach Lo-yang, wo er sich unter den Schutz des
Himmelssohnes stellte. Dieser, der gegen seinen Bruder nicht die
Strenge des Gesetzes geltend machen wollte, begnügte sich, ihn
als König abzusetzen und ihn zum Fürsten von 'pj} Ho-yang
zu ernennen. Pi, der Sohn Lieu-tschung’s, erhielt das Lehen eines
Fürsten von Pei.
Als im eiiften Jahre des Herrschers Kao (196 v. Chr.) der
frühere Feldherr Ying-pu, König von Hoai-nan, sich empörte, das
Reich King, dessen Kriegsmacht er der seinigen einverleibte, eroberte,
hierauf, den Fluss Hoai übersetzend, das Gebiet von Tsu, wo sich
das Lehen Pei befand, angriff, zog der höchste Oberherr selbst zur
Unterdrückung des Aufstandes in’s Feld. Pi, Fürst von Pei, war
damals zwanzig Jahre alt und besass Muth und Thatkraft. Er machte
an der Spitze einer Reiterschaar den Zug des Heeres von Han mit,
welches auf dem im Westen des Bezirkes Ki gelegenen Gebiete
Kuai-tschuen*) das Heer Ying-pu’s entscheidend schlug und diesen
König, der bald hierauf seinen Tod fand, zur Flucht nöthigte.
In dem erwähnten Kampfe gegen Ying-pu war Lieu-ku,
König von King, gefallen ohne einen Nachfolger zu hinterlassen.
Der höchste Oberherr der Han erwog nicht ohne Bekümmerniss,
dass die Einwohner der Landschaften U und Kuai-ki vor seiner
Macht geringe Achtung hatten , überdies verwegenen Geistes seien,
und dass in jenen Gegenden kein künftiger König, der die Bewohner
niederhalten könne, seinen Sitz aufgeschlagen'habe. Seine eigenen
Söhne waren aber noch jung. Er ernannte daher, als er auf dem
Gebiete Pei eintraf, Pi zum Könige von U. Dessen Reich bestand aus
drei Landschaften und enthielt drei und fünfzig feste Städte.
Nachdem die Ernennung bereits stattgefunden und der neue
König das Abdruckszeichen seiner Würde erhalten, berief ihn der
höchste Oberherr zu sich, beobachtete ihn, wie erzählt wird, gemäss
der damals sehr gepflegten Kunst, aus der äusseren Gestalt eines
Menschen dessen Lebenslauf im voraus zu bestimmen, und sprach zu
ihm: An deiner Gestalt lässt sich der Abfall beobachten. Ich fühle
O Der Name dieses Gebietes ist in der Abhandlung: „Die Feldherren Han-sin, Peng-
yue und King-pu“ vorgekommen.
Der Abfall des Königs Pi von U.
19
Reue im Herzen; allein es ist Thatsache, dass du bereits ernannt
bist 1 ). — Hierauf streichelte er dem neuen Könige den Rücken und
setzte hinzu: Die Empörung, von der Han heimgesucht werden wird
nach fünfzig Jahren im Südosten 2 ), wie könntest du wohl deren
Urheber sein? Gleichwohl bilden diejenigen, die in der Welt von
gleichen Geschlechtern, ein einziges Haus. Hüte dich, dass du nicht
abfällst. — König Pi neigte das Haupt bis zur Erde und antwortete:
Ich werde dies nicht wagen.
In den nächstfolgenden Zeiten des höchsten Oberherrn Hiao-
hoei und der Reichslenkerinn Kao herrschte in ullen Ländern von
Han Ruhe, und sowohl in den Landschaften als in den Lehenreichen
bestrebte man sich, das Volk zufrieden zu stellen. In dem Reiche U,
und zwar auf dem Gebiete der Landschaft ^ Yü-tschang 3 )
befand sich der sogenannte Kupferberg. König Pi ermunterte alle
Menschen, welche sich in irgend einem Lande den Befehlen ihrer
Gebieter durch die Flucht entzogen hatten, zur Einwanderung in
sein Reich und liess durch dieselben unbefugter Weise Geldstücke
giessen. Ferner liess er im Osten seines Reiches durch das Sieden
des Meerwassers Salz bereiten. Er konnte daher seinen Völkern alle
Abgaben erlassen, da der aus dem Kupfer und dem Salze erwach
sende Gewinn für die Bedürfnisse des Landes vollkommen hinreichte.
Das Verhältniss des Königs Pi zu Han war durch eine Reihe
von Jahren kein feindseliges, und den ersten Anlass zu einem Zer
würfnisse gab folgender Vorfall, der sich zu den Zeiten des höchsten
Oberherrn Hiao-wen (179 v. Chr.) ereignete. Der zum Nachfolger
bestimmte Sohn des Königs von U hatte sich nach Tschang-ngan
begeben, wo er den zum Nachfolger bestimmten Sohn des höchsten
1 ) Der höchste Oberste theiit seine Beobachtung 1 Niemanden mit. Da Pi bereits zum
Könige ernannt ist und alle Diener des Reiches diess wissen, soll es nicht geän
dert werden.
2 ) Es wird angenommen, dass man die hier erwähnten fünfzig Jahre durch Wahrsa
gung herausgebracht, und dass man die Wiederholung dessen, was nach dem Tode
des höchsten Oberherrn des Anfangs sich ereignete, befürchtete. Übrigens zählt man
von dem ersten Jahre der Erhebung von Han bis zu dem im fünften Jahre des
Herrschers King wirklich erfolgten Abfalle des Königs Pi drei und fünfzig Jahre.
3 ) Wie Sse-ku angibt, ist die Setzung des Zeichens Ä Yü in dieser Verbindung ein
Irrthum. Es solle nur heissen: Landschaft Tschang, welche zu Sse-ku’s Zeit „Ku-
tschang“ (das alte Tschang) geheissen. Die Gegend entspräche somit den heutigen
Bezirken Ngan-ke-tscheu und Tschang-hing, Kreis Hu-tscheu in Tschu-kiang.
2*
20
Di*. P (’ i /- m a i e i*
Oberherrn besuchte und, indem er ihm seine Aufwartung machte, in
dessen Gesellschaft trank und das Bretterspiel spielte. Der Lehrer
und die Begleiter des Königssohnes von U waren aus Tsu gebürtig,
daher, wie es den Bewohnern dieses Reiches nachgesagt wird, leicht
fertig, hitzig und ausserdem noch stolzen Sinnes. Bei dem Bretter
spiele gerieth man über die Weise des Spieles in Streit, wobei sie
es an der schuldigen Ehrerbietung fehlen Hessen. Der Herrschersohn
von Han ergriff das Gehäuse des Bretterspieles und schleuderte es
gegen den Königssohn von U, der, getroffen, todt zusammenstürzte.
Han entsandte die Trauerleute und Hess den Leih des Getödteten
nach U zurückbringen, damit daselbst die Bestattung erfolgen könne.
Hierüber zürnte der König von U und äusserte sich: -In der Welt
haben wir gemeinschaftlich die geweihten Hallen der Ahnen 1 ). Da
er gestorben ist in Tschang-ngan, so werde er begraben in Tschang-
ngan. Wozu schickt man ihn hierher und heisst ihn hier begraben
werden? — Er schickte seinerseits die Trauerleute zurück und Hess
den getödteten Sohn in Tschang-ngan bestatten.
Der König von U fasste in Folge dieses Vorfalles einen Groll
gegen Han und Hess es allmählich an den Aufmerksamkeiten fehlen,
welche ein „Diener des Geheges“ dem Himmelssohne schuldig ist. Er
meldete sich krank und erschien nicht mehr an dem Hofe des Lehens
herrn. In der Hauptstadt des Himmelssohnes wusste man indessen
recht gut, dass der König diess nur seines Sohnes willen tliue. Man
zog, um sich zu überzeugen, Erkundigungen ein und fand, dass der
König wirklich nicht krank sei. Sämmtliche Abgesandte, welche aus
U in Tschang-ngan ankamen, wurden ohne Umstände gebunden und,
indem man gegen sie das gerichtliche Verfahren einleitete, zur Rede
gestellt.
König Pi hatte in Folge dessen Furcht und befasste sich mit
immer weiter gehenden Entwürfen. Als später der König von U einen
Abgesandten schickte, der statt seiner die herbstliche Aufwartung in
Tschang-ngan machen sollte, liess der höchste Oberherr diesen Ab
gesandten wieder zur Rede stellen. Der Abgesandte von U antwortete:
Der König ist in Wirklichkeit nicht krank. Weil Han binden und vor
die Gerichte stellen liess Gesandte von mehreren Abstufungen, dess-
wegen meldete sich jener sofort krank. Auch ist erspähen und be-
Oer Himmelssohn und der König von U haben gleiche Geschlechtsnameü,
Der Abfall des Königs Pi von U.
trachten in dem Abgrund der Wasser die Fische, nicht glückbringend i).
Jetzt war der König anfänglich verstellter Weise krank. Als man
dies merkte und er zur Verantwortung gezogen ward, ist er eilig
genesen. Er verschliesst sich noch mehr und fürchtet, dass der Hohe
ihn hinrichten lassen werde. Seine Berathung hat jetzt keinen Halt.
Nur der Hohe möge die Sache hei Seite setzen und es ihm möglich
machen, dass er verändere den Anfang 2 ).
Der Himmelssohn verzieh hierauf sämmtlichen Abgesandten von
11 und Hess dieselben nach ihrer Heimath abreisen. Zugleich
beschenkte er den König mit einer Bank und einem Stabe, wodurch
er ihn als einen solchen Lehensfürsten der seines vorgerückten Alters
willen nicht mehr an dem Hofe des Himmelssohnes erscheinen kann,
betrachtet wissen wollte.
Nachdem König Pi von seiner Schuld freigesprochen worden,
ging er in seinen Entwürfen immer weiter. Wie schon gesagt, ent
richtete das Volk in seinem Reiche, des daselbst gewonnenen Kupfers
und Salzes willen, keine Abgaben. Aber er suchte auch noch auf
andere Weise sich der Anhänglichkeit seines Volkes, das er für seine
Zwecke gebrauchen wollte, zu versichern. Er verabreichte allen den
jenigen, welche, sobald an sie die Reihe für die öffentlichen Arbeiten
kam, diese Arbeiten, ihrer Armuth willen, selbst zu verrichten ge
zwungen waren, einen angemessenen Lohn 3 ). Zur Zeit der Ernte
erkundigte er sich nach geschickten und brauchbaren Menschen,
denen er in den Durchwegen und Strassen Belohnungen und Ge
schenke zukommen liess. Wenn die bei den Gerichten fremder
Bezirke und Reiche angestellten Leute nach U kamen und die
daselbst lebenden Flüchtlinge festnehmen wollten, verbot ihnen dies
der König und lieferte die Flüchtlinge nicht aus. Auf diese Weise
*) Es bringt dem ilimmelssohne kein Glück, wenn er die besonderen Angelegenheiten
seiner Untergebenen erforscht.
2 ) Er möge für eine vergangene Sache Verzeihung angedeihen lassen.
3 ) An alle Menschen eines Reiches kam abwechselnd (in den alten Zeiten monatlich
einmal) die Reihe für die öffentlichen Arbeiten. Die Arbeit, die Jemand selbst
TTT p-£-
verrichtete, hiess Tsien-keng „die Abwechselung, in welche man tritt“.
Die Arbeit, von der man sich gegen Erlag von dreihundert Loth Kupfergeldes
loskaufte, hiess Kuo-keng „die Abwechselung, welche man übergeht“.
König Pi liess den zur Arbeit verpflichteten Menschen durch die Obrigkeiten einen
entsprechenden Lohn verabfolgen, gerade so, als ob sie die Arbeit an der Stelle
Anderer verrichteten.
22
Dr. P f i z m a i e r
handelte er durch dreissig Jahre, so dass es sein Volk am Ende zu
Allem verwenden konnte.
Zu einem offenen Bruche mit Han kam es übrigens erst in sehr
später Zeit. |||' Tschao-tso *) war Vorgesetzter in dem Hause
des bestimmten Nachfolgers von Han und erfreute sich der besondern
Gunst dieses seines Gebieters. Er hatte bei verschiedenen Gelegen
heiten die Meinung geäussert, dass man von U, welches sich mancher
Übertretungen schuldig gemacht habe, Gebietstheile lostrennen
könne. In gleichem Sinne hatte er auch an Hiao-wen, den Himmels
sohn, mehrmals Schreiben gerichtet. Der Himmelssohn war jedoch
grossmüthig und brachte es nicht über sich, etwas, das als eine
Strafe betrachtet werden würde, über U ergehen zu lassen. Die
Folge davon war, dass König Pi mit jedem Tage ungefügiger wurde.
Als der höchste Oberherr Hiao-king (187 v. Chr.) zur Nach
folge gelangte, ward Tschao-tsö, zugleich mit der Würde eines
Grossen des Reiches bekleidet, Geheimschreiber des Himmelssohnes,
und er benützte diese Stellung, um an seinen Gebieter in der An
gelegenheit des Reiches U Worte zu richten, welche im Wesent
lichen lauteten: Einst hatte der höchste Oberherr Kao erst
zur Ruhe gebracht die Welt. Seine Brüder waren wenige, seine
Söhne schwach; er belehnte in grossem Massstahe diejenigen, die
trugen den gleichen Geschlechtsnamen. Desswegen liess er herrschen
seinen unechten Sohn, den König Tao-hoei, als König über siebzig
feste Städte 2 ) von Tsi. Seinen jüngeren Stiefbruder, den König
Yuen, liess er herrschen als König über vierzig feste Städte von Tsu.
Den Sohn seines älteren Bruders, den König Pi, liess er herrschen
als König über fünfzig feste Städte von U. Indem er belehnte drei
unechte Sprösslinge, betheilte er sie mit der Hälfte der Welt. Jetzt
hatte der König von U früher das Zerwürfniss wegen des Nach
folgers. Er meldete sich verstellter Weise krank und erschien nicht
an dem Hofe. Nach den Vorschriften der alten Zeit gebührt ihm um
dessentwillen die Strafe. Der höchste Oberherr Wen brachte diess
nicht über sich und er beschenkte ihn desswegen mit Bank und Stab.
Die Wohlthat, die jenem dadurch erwiesen ward, ist überaus gross.
D Ui eien Büchern der früheren Han wird der Geschlechtsname dieses Mannes durch
Tschao ausgedrückt.
2 ) ln den Büchern der früheren Han: zwei und siebzig feste Städte.
Der Abfall des Königs Pi voll U.
23
Er hätte verbessern sollen seine Fehler und von Neuem beginnen.
Statt dessen wird er immer stolzer, begibt sieh öffentlich zu den
Bergen, giesst Geldstücke, siedet das Wasser des Meeres und be
reitet daraus Salz. Er lockt herbei die Flüchtlinge der Welt und
sinnt auf Empörung. Wenn man jetzt von seinem Reiche ein Gebiet
lostrennt, so wird er sich auch empören. Wenn man es nicht los
trennt, so wird er sich ebenfalls empören. Wenn man ein Gebiet
lostrennt, so erfolgt sein Abfall schnell und das Unglück ist klein.
Wenn man es nicht lostrennt, so erfolgt sein Abfall spät und das
Unglück ist gross.
Nach einiger Zeit, im dritten Jahre des Herrschers Hiao-king
(134 v. Chr.) erschien Mo, König von Tsu, Sohn des Königs
Yuen, an dem Hofe von Han. Tschao-tso machte die Anzeige, dass
König Mo einst bei Gelegenheit der Leichenfeier der Herrscherinn
Po, der Mutter des höchsten Oberherrn Hiao-wen, in der aus
Lehm erbauten Trauerhütte heimlich Unzucht getrieben habe und
verlangte dessen Hinrichtung. Es wurde ihm jedoch Verzeihung an
gekündigt und nur zur Strafe von seinem Reiche die Landschaft des
östlichen Meeres losgetrennt. Zu gleicher Zeit verfügte man auch
die Lostrennung der Landschaften Yü-tschang und Kuai-ki von dem
Reiche U. Auf ähnliche Weise wurde von dem Reiche Tschao,
dessen König Sui sich im vorhergehenden Jahre eines Vergebens
schuldig gemacht, die Landschaft Ho-kien, und von dem Reiche
Kiao-si, dessen Könige Ngang man den Verkauf der Würden vorwarf,
sechs Bezirke losgetrennt.
Während die Reichsdiener von Han noch in der Vorhalle des
Herrschers wegen der Verkürzung des Gebietes von U berathschlagten,
besorgte König Pi, dass man Gebietslostrennungen ohne Ende vor
nehmen könne. Er gedachte daher, mit seinem Entwürfe hervorzu
treten und den lange vorbereiteten Abfall in’s Werk zu setzen. Zu
nächst zog er in Betracht, dass keiner der Reichsfürsten Fähigkeiten
genug besitze, um sich mit ihm in gemeinschaftliche Berathungen
einlassen zu können. Bios der König von Kiao-si stand in dem Rufe
eines muthigen und kriegerischen Mannes, der sämmtlichen Reichen
von TsiEhrfurcht einflösste. König Pi schickte jetzt jSj
A ) Tsi war damals in sechs Reiche: Tsi, Thsi-pe, Thse-tschuen, Kiao-tung, Kiao-si
und Thsi-nan getheilt.
24
Di*. P f i l m a i e r
Ying-kao, den mittleren Grossen des Reiches, an den König Kiao-si
mit dem Aufträge, denselben auf eine verdeckte Weise zur Theil-
nahme zu bewegen.
Ying-kao, der seiner Weisung gemäss nichts Schriftliches
brachte, richtete an den König von Kiao-si mündlich folgende Worte:
Der König von U ist entartet. Er hat den Kummer langer Nächte, er
wagt es nicht, sich selbst nach aussen zu begeben. Er schickt als
Gesandten mich, damit ich verkündige, woran er Wohlgefallen hat
im Herzen.
Der König fragte: Womit wirst du mich belehren?
Ying-kao fuhr fort: In der gegenwärtigen Zeit bringt der Ge
bieter und höchste Herr in Aufnahme den Verrath, schmückt heraus
das Unrecht. Die Diener des Reiches verkleinern gern das Gute. Er
schenkt Gehör Verleumdern und Mördern 1 ), er verändert eigen
mächtig Gesetze und Vorschriften, er besetzt und entreisst das Land
der Fürsten der Reiche. Seine Forderungen und Begehren werden
immer mehr, mit den Hinrichtungen und Bestrafungen der Vortreff
lichen und Guten treibt er es täglich ärger 2 ).
In den Strassen hat man ein Sprichwort, welches lautet: Wer
leckt die Kleie, gelangt zu den Körnern 3 ). — U und Kiao-si sind
Reichsfürsten, deren Name berühmt geworden. Werden sie einmal in
Untersuchung gezogen, so ist zu fürchten, dass sie nicht die Ruhe
und die Nachsicht erhalten. Der König von U hat eine innerliche
Krankheit, er ist nicht im Stande zu erscheinen an dem Hofe im
Frühling und im Herbst durch zwanzig Jahre. Er ist immer beküm
mert darüber, dass man ihm misstraut und dass er nichts hat, wo
durch er sich könnte rechtfertigen. Es werden ihm jetzt zusammen
gedrückt die Schultern, gebunden die Füsse, und er fürchtet noch
immer, nicht losgelassen zu werden. Ich vermass mich, in Erfahrung
zu bringen, dass du, o grosser König, in der Angelegenheit der
Würden dich eines Fehlers schuldig gemacht hast. Die Schuld, von
*) I» den Büchern der' früheren Han lautet diese Stelle : In der gegenwärtigen Zeit
verwendet der höchste Herr und Gebieter verderbte Diener. Er schenkt Gehör
und glaubt den Verleumdern und Mördern.
2 ) In den Büchern der früheren Han gibt dieser Satz den Sinn: Die Strafen sind in
der That schwer, sie werden täglich ärger.
3) Wer anfänglich nur die Kleie leckt, wird später das Getreide verzehren. Von dem
Kleinen gelangt man zu dem Grossen.
Der Abfall des Königs Pi von U.
25
der ich gehört, dass lim ihretwillen über die Fürsten der Reiche
verhängt worden die Lostrennung von Land, erstreckt sich nicht so
weit. Es ist hier zu fürchten, dass es nicht sein Bewenden haben
wird bei der Lostrennung des Landes.
Der König enviederte: So ist es. Was Avirst du aber dabei thun?
Ying-kao sprach: Die gemeinschaftlich hassen, leisten einander
Hilfe. Die gemeinschaftlich lieben, bleiben bei einander stehen. Die
gemeinschaftlich haben die Neigung, führen mit einander zu Ende.
Die gemeinschaftlich haben die Wünsche, eilen mit einander vor
wärts. Die gemeinschaftlich haben den Nutzen,'gehen mit einander
in den Tod. Jetzt ist der König von U der Meinung, dass er mit dir,
o grosser König, gemeinschaftlich hat den Kummer. Er hat den
Wunsch, seinerzeit sich zu richten nach der Grundbeschaffenheit
der Dinge, aufs Spiel zu setzen seinen Leih und zu befreien von
ihrer Sorge und ihrem Schaden die Welt. Kann er hierüber auch
beruhigt sein?
Bei dieser Frage fuhr der König vonKiao-si erschrocken empor
und enviederte: Wie kann ich etwas dergleichen wagen? Wäre
jetzt der Gebieter und höchste Herr auch in Bedrängniss, ich brauche
sicher nur zu sterben. Wie käme ich dazu, ihn nicht auf dem Haupte
zu tragen?
Ying-kao fuhr fort: Der Geheimschreiber des Herrschers, der
grosse Würdenträger Tschao-tsö umzieht mit einer Mauer und bringt
in Verwirrung den Himmelssohn. Er besetzt und entreisst das Land
der Fürsten der Reiche. Er verdeckt die Redlichkeit, verschliesst
die Weisheit, in der Vorhalle des Hofes ist man gekränkt und grollt,
sämmtliche Fürsten der Reiche sind gesonnen abzufallen. Die An
gelegenheiten der Menschen sind gelangt an das äusserste Ende.
Die Schweifsterne kommen zum Vorschein, Heuschrecken erhoben
sich mehrmals in die Lüfte. Hierdurch sind zehntausend Geschlechts
alter zu gleicher Zeit erfüllt von Kummer, und die höchstAveisen
Menschen erheben sich aus diesem Grunde. Der König von U avi 11
daher im Inneren für Tschao-tsö zu Wege bringen die Bestrafung,
nach aussen folgt er, o grosser König, der Rückseite deines Wagens
und zieht hier und dort umher in der Welt. Dasjenige, wohin er
sich Avendet, wird sich dann ergeben. Dasjenige, worauf er mit dem
Finger zeigt, wird unterliegen. In der Welt Avird Niemand es wagen,
sich nicht zu unterwerfen.
26
Dr. P f i i m a i e t
Wenn du, o grosser König, in Wahrheit ihn beglückst und es
gewährst, so brauchst du nur auszusprechen ein Wort, und der
König von U geht voran dem Könige von Tsu, streift zu dem Eng
wege von Han-ko, bewahrt Yung-yang und das Getreide der Speicher
von Ngao, stellt sich entgegen der Streitmacht von Han, richtet her
die Einkehrhäuser an den Standorten und wartet auf dich, o grosser
König. Wenn du, o grosser König, ihn beglückst und auf ihn herab
blickst, so kann die Welt mit den Händen zusammengefasst werden.
Dass die beiden Gebieter sie theilen und Länder von ihr lostrennen,
wäre dies dann nicht auch möglich ?
Der König von Kiao-si hiess diese Vorschläge gut, worauf Ying-
kao heimreiste und seinem Gebieter die Meldung brachte. Der König
von U fürchtete übrigens noch immer, dass der König von Kiao-si
nicht mit ihm gemeinschaftliche Sache machen werde. Er begab sich
daher selbst als Gesandter nach diesem Reiche, sah daselbst den
König von Angesicht und traf mit ihm die nöthigen Verabredungen.
’ Unter den Reichsdienern von Kiao-si war einer, der, nachdem
er von dem Vorhaben seines Königs Kenntniss erlangt, ihm dagegen
Vorstellungen zu machen suchte. Er gab ihm folgendes zu bedenken:
Unterstützen einen einzigen höchsten Oberherrn ist eine ungetrübte
Freude. Wenn du jetzt, o grosser König, dich mit U wendest nach
Westen und du die Sache auch bringst zum Gelingen, so werden die
beiden Gebieter streiten wegen der Theilung, und die Sorge wird in
diesem Augenblicke erst geknüpft. Das Land der Fürsten der Reiche
ist nicht bedeutend genug, um vorzustellen den zwölften Theil der
Landschaften von Han, aber Aufruhr beginnen und Kummer bereiten
der Königinn <), ist keine Berathung für die Dauer.
König Ngang gab diesen Gründen kein Gehör. Er schickte
sofort einen Gesandten, damit derselbe die Reiche Tsi, Thse-tschuen,
Kiao-tung, Thsi-nan und Thsi-pe zu einem Bündnisse bewege. Diese
sämmtlichen Reiche, welche gleich Kiao-si aus dem früheren einzigen
Tsi entstanden, gaben ihre Zustimmung, und es erübrigte von den
Ländern des früheren Tsi nur noch Tsching-yang a ), wel
ches damals von dem Könige j|| Hi 3 ), einem Sohne des Königs Tp
*) Die Gemahlinn des Königs von Kiao-si.
2 ) Das spätere ^ Lui-sclu, welches südöstlich von dem heutigen Pö-tscheu,
Kreis Thsao-tscheu in Schan-tung.
s ) Derselbe erhielt nach seinem Tode den Namen König & Kung.
Der Abfall des Königs Pi von U.
27
King, beherrscht wurde. Da König King einst durch die Ausrottung
der Mitglieder des Geschlechtes Liii (180 v. Chr.) seinen Gerech
tigkeitssinn bewährt, so glaubte man, dass dessen Sohn sich nicht
anschliessen dürfe und man gedachte erst dann, wenn alles bestimmt
sein würde, ihm eine Rolle zuzuweisen *).
In dem ersten Augenblicke, als die Reichsfürsten die als
Strafe über sie verhängte Lostrennung von Gebietstheilen erfuhren,
empfanden sie blos Furcht und Unwillen. Als aber das Schreiben,
in welchem die durch Tschao tsö verfügte Lostrennung der Land
schaften Kuai-ki und Yü-tschang kundgegeben ward, nach U ge
langte, grill'König Pi der Erste zu den Waffen und liess sämmtliche
bei den Gerichten von Han angestellte Männer, deren Einkünfte
weniger als zweitausend Schetfel betrugen, hinrichten. Zu gleicher
Zeit fielen die Reiche Kiao-si, Kiao-tung, Thse-tschuen, Tbsi-nan,
Tsu und Tschao von Han ab und schickten ihre Streitkräfte nach
Westen. Nur den König von Tsi reute seine den Verbündeten gege
bene Zusage. Er weigerte sieb, an dem Kriegszuge Theil zu nehmen
und schloss sich in seiner festen Hauptstadt ein 2 ). Von der Haupt
stadt von Thsi-pe waren die Stadtmauern zerstört. Ehe dieselben
noch in Stand gesetzt waren, nahm der Anführer der inneren Leib
wache, indem er von AVaffengewalt Gebrauch machte, den König in
Verwahrung, und hinderte ihn, die Kriegsmacht ausrüeken zu lassen.
Unterdessen stellten sich die Könige von Kiao-si und Kiao-tung
an die Spitze eines Heeres und belagerten in Gemeinschaft mit der
Macht von Thse-tschuen und Thsi-nan die Hauptstadt Lin-thse, in
der sich der König von Tsi eingeschlossen hatte. Zugleich schickte
der ebenfalls abgefallene Sui, König von Tschao, heimlich einen
Gesandten in das Land der Hiung-nu’s zu dem Zwecke, eine Vereini
gung der Streitkräfte dieses Volkes mit den seinigen zu bewirken.
Der König von U selbst sandte alle seine Kriegsmänner aus
und erliess in seinem Reiche eine Verkündung, worin er sagte: Ich bin
alt zwei und sechzig Jahre. Ich befehlige in Selbstheit junge Söhne,
die alt sind vierzehn Jahre, und sie sind ebenfalls Kriegsführer und
i) In den Büchern der früheren Han wird Tsching-yang bei diesem Anlasse gar
nicht erwähnt.
3 ) Das Sse-ki sagt, dass es den König reute und er sich durch Gift tödtete. Dieser
König nahm sich allerdings das Leben, aber erst später und aus einer anderen
Ursache.
28
Dr. Pfi « m « I er
Streiter. Ich gehe voran Menschen, die zählen jegliche Menge
von Jahren. Diejenigen mit der höchsten Zahl sind mit mir zu ver
gleichen, diejenigen mit der niedrigsten Zahl stehen mit den jungen
Söhnen auf Einer Stufe. Sie alle sind ausgerückt, ich lasse ausrücken
zwanzigmal zehntausend Menschen. Im Süden schickte ich einen
Gesandten nach Min und dem östlichen Yue. Min und das östliche
Yue lassen ebenfalls ausrücken die Kriegsmacht und schliesseu sich
mir an.
Als der König von U, was noch in dem dritten Jahre *) des
höchsten Oberherrn Hiao-king (1154 v. Chr.) geschah, von seiner
Hauptstadt jltl Kuang-ling 2 ) auszog, hierauf den Fluss Iloai
übersetzte und sich mit dem Heere von Tsu vereinigte, schickte
er durch einen Gesandten an die Fürsten der Reiche den nachfolgenden
Aufruf:
Ich Lieu-pi 3 ), König von U, fragte ehrfurchtsvoll den König
von Kiao-si, den König von Kiao-tung, den König von Thse-tschuen,
den König von Thsi-nan, den König von Tschao, den König von Tsu,
den König von Hoai-nan, den König von Heng-san, den König von
Liü-kiang 4 ), den Sohn des Königs von Tschang-scha 5 ). Sie beglück
ten mich und belehrten mich darüber, dass Han besitzt einen schädli
chen Reichsdiener, der keine Verdienste hat in der Welt. Er dringt in
Länder und entreisst die Gebiete der Fürsten der Reiche. Er heisst
Angestellte der Gerichte sie anklagen, binden, untersuchen, richtenund
macht es sich zur Aufgabe, sie zu beschimpfen. Er begegnet nicht
nach den Gebräuchen, die gelten für die Fürsten der Reiche und die
Herren der Menschen, den Knochen und dem Fleische des Geschlech
tes Lieu. Er unterbricht die Reihenfolge der verdienstvollen Diener des
*) Mit genauer Zeitbestimmung wird der erste Monat und erste Tag des sechzigthei-
ligen Kreises angegeben.
2 ) Das heutige Hoai-nan in Kiang-nan.
3 ) Lieu ist der Geschlechtsname des Königs Pi.
'■> ^rf Liü-kiang ist das heutige Liii-tscheu in Kiang-nan.
5 ) U-jui, Feldherr von Han, war König von Tschang-scha. Dessen Urenkel, König
m Tsing, war im siebenten Jahre des höchsten Oberherrn Wen (173 v. Chr.),
ohne rechtmässige Nachkommen zu hinterlassen , gestorben, worauf dessen Reich
eingezogen wurde. Ein unrechtmässiger Sohn des Königs Tsing ward zum Lehens
fürsten ernannt. Da derselbe nicht die Nachfolge des Königs erhielt und sich so
mit in seinen Erwartungen getäuscht fand, soll er zur Theilnahme an dem Aufstande
verleitet werden.
Der Abfall des Königs Pi von U.
29
früheren höchsten Oberherrn. Er bringt empor und verwendet zu
Ämtern den Verralh im Innern, den Verrath nach Aussen. Er belügt
und setzt in Verwirrung die Welt. Er will in Gefahr stürzen die Lan
desgötter. Derjenige, vor dem wir stehen unter den Stufen *)> ist
häufig krank, seine Vorsätze werden vereitelt, er ist nicht im Stande
zu untersuchen. Wir wollen greifen zu den Waffen und jenen be
strafen.
Ich hörte mit Aufmerksamkeit die Belehrung. Ist mein Reich
auch beengt, so hat dessen Gebiet doch im Umfange dreitausend
Weglängen. Sind meine Menschen auch wenige, so kann ich von
auserlesenen Kriegern doch stellen fünfzigmal zehntausend. Ich habe
aufrichtig gedient dem südlichen Yue durch zwanzig Jahre. Dessen
Könige und Landesherren weigern sich nicht, auszutheilen ihre
Streifer, um mir zu folgen. Ich kann so ebenfalls erhalten dreissig-
mal zehntausend Menschen.
Bin ich auch ein Entarteter, ist es doch mein Wunsch, in Selbst-
beit mich anzuschliessen särnmtlichen Königen. Das südliche Yue,
welches gränzt an Tschang-scha, wird durch den Königssohn die
Bestimmung erhalten von Tschang-scha aus im Norden 3 ). Im Westen
eilt er nach Scho und Han-tschung, verkündet es in Yue 3 ). Der
König von Tsu und die drei Könige von Iloai-nan 4 ) kehren mit mir
das Gesicht nach Westen. Die Könige von Tsi und der König von
Tschao stellen fest die Länder Ho-kien und Ho-nei. Einige treten in
den Engweg von Lin-tsiu 5 ), einige treffen mit mir zusammen in Lo-
*) Dies ist die Bezeichnung- des höchsten Oberherrn.
2 ) Das südliche Yue grenzte im Norden an Tschang-scha. Dieser nördliche Theil des
südlichen Yun sollte durch den oben erwähnten Sohn des Königs von Tschang-scha
für die Sache des Abfalls gewonnen werden.
3 ) Der Sohn des Königs von Tschang-scha wird sich, nachdem er das an Tschang-
scha grenzende Gebiet für die Sache des Abfalls gewonnen, in Eile nach Scho und
Ilan-tschung begeben und, nachdem er auch diese Länder gewonnen, einen Gesandten
nach dem südlichen Yue mit der Meldung des Geschehenen schicken. Nach einer
anderen Meinung, welche jedoch von dem Sse-ku für unrichtig gehalten wird, hätte
diese Stelle den Sinn, dass der Königssohn einen Aufruf an das östliche Yue
erlassen und dasselbe für die Sache des Abfalls gewinnen werde.
4 ) Die drei Könige von Hoai-nan heissen die drei Söhne des Königs Li: nämlich die
Könige von Hoai-nan, Ileng-san und Thsi-pe.
5 ) Der Engweg von Lm- ts m heisst später der Engweg der Furt von
yjj Pu. Derselbe befindet sich in der Gegend des heutigen Tschao-yt, Kreis
Tung-tscheu in Scheh-si.
BO
Dr. Pfizmaiei*
yang. Der König von Yen und der König vonTschao haben ursprünglich
mit dem Könige von Hu geschlossen ein ßündniss. Der König von
Yen stellt im Norden fest die Länder Tai und Yün-tschung, erfasst
die Menge von Hu *), tritt in den Engweg von Siao 2 ), eilt nach
Tschang-ngan und gibt eine gerade Richtung der Welt 3 ), um zu
beruhigen die den Ahnen geweihten Hallen des Herrschers Kao. Ich
wünsche, dass die Könige sich dessen bestreben.
Unter den Söhnen des Königs Yuen von Tsu, der drei Könige
von Hoai-nan haben einige nicht gewaschen Kopf und Füsse durch
zehn Jahre 4 ). Der Groll dringt bei ihnen bis in das Mark der Knochen,
sie wünschen sich nur einmal eine Gelegenheit, ausrücken zu können,
schon seit langer Zeit. Ich kannte noch nicht die Absichten sämmt-
licher Könige, und ich wagte es noch nicht. Gehör zu schenken. Jetzt
sind sämmtliche Könige sofort fähig, das Vorhandensein zu erwirken
dem Entschwundenen, fortzusetzen das Zerrissene, zu stützen das
Schwache, anzugreifen das Grausame und dadurch zu beruhigen das
Geschlecht Lieu. Dies ist, was die Landesgötter begehren.
Ist mein Reich auch arm, ich habe beschränkt die Bedürfnisse
an Kleidern und Nahrung, habe aufgehäuft Erz und Geldstücke, in
Stand gesetzt AngrifTswaifen und Lederpanzer, gesammelt Getreide
und Lebensmittel Tag und Nacht ununterbrochen bereits dreissig
Jahre. Alle sind hierbei thätig: ich wünsche, dass ihr, o Könige, euch
bestrebet und davon Gebrauch machet.
Wer im Stande ist zu enthaupten oder zu fangen einen grossen
Feldherrn, erhält zum Geschenk Erz fünftausend Pfund und wird
belehnt mit zehntausend Thüren des Volkes. Ist es ein Feldherr der
Reihe, so sind es dreitausend Pfund und ein Lehen von fünftausend
Thüren des Volkes. Ist es ein aushelfender Feldherr, so sind es
zweitausend Pfund und ein Lehen von zweitausend Thüren des
Volkes. Ist es ein Angestellter mit zweitausend Scheffeln, so sind es
tausend Pfund und ein Lehen von tausend Thüren des Volkes. Ist es
ein Angestellter von tausend Scheffeln, so sind es fünfhundert Pfund
In den Biichefn der früheren Han: wälzt herüber die Menge von Hu.
Der Engweg von Siao befindet sich im Norden und zwar in dem Lande Tai.
Sonst wird über die Lage desselben nirgends etwas angegeben.
8 ) In dem Sse-ki: gibt eine gerade Richtung dem Himmelssohne.
4 ) Da sie Groll im Herzen tragen, denken sie nicht daran, sich Kopf und Füsse zu
waschen.
Der Abfall des Königs Pi von U.
31
und ein Lehen von fünfhundert Thüren des Volkes. Alle treten sie
in die Reihe der Lehensfürsten. Wer mit einem Meere oder einer
Stadt sich ergibt, wird, wenn die Krieger sind zehntausend Menschen,
oder die Stadt in sich fasst zehntausend Thüren des Volkes, gleich
geachtet demjenigen, der in seine Gewalt bekommt einen grossen
Feldherrn. Sind es Menschen oder Thüren des Volkes fünftausend,
so wird er gleichgeachtet demjenigen, der in seine Gewalt bekommt
einen Feldherrn der Reihe. Sind es Menschen oder Thüren des
Volkes dreitausend, so wird er gleichgeachtet demjenigen, der in
seine Gewalt bekommt einen aushelfenden Feldherrn. Sind es
Menschen oder Thüren eintausend, so wird er gleichgeachtet dem
jenigen, der in seine Gewalt bekommt einen Angestellten von zwei
tausend Scheffeln.
Die kleinen Angestellten erhalten sämmtlich nach Abstufungen
ihre Einkünfte, Erz anderweitig. Die Lehen und Belohnungen
betragen das Doppelte dessen, das üblich bei dem Heere 1 ). Wenn
Jemand alte Einkünfte oder Städte besitzt, wird bei Vermehrungen
hierauf nicht Rücksicht genommen 2 ). Ich wünsche, dass sämmtliche
Könige deutlich den Auftrag gehen den ausgezeichneten Männern
und den Grossen des Reichs; mögen sie es nicht wagen, mich zu
hintergehen.
Mein Erz und meine Geldstücke, welche sich befinden in der
Welt, sind aller Orten vorhanden, ich habe es nicht nöthig, sie zu
nehmen aus U. Sämmtliche Könige haben sie Tag und Nacht im
Gebrauche, sie können nicht alles vorräthig haben. Wenn sie be
schenken wollen, mögen sie mir es melden, ich werde umgehend es
ihnen senden. Ich bringe dies ehrfurchtsvoll zu Ohren.
Als die Schriftstücke, durch welche die sieben Reiche ihren
Abfall ankündigten, zur Kenntniss des Himmelssohnes gelangten,
entsandte dieser eine Anzahl Feldherren nach den Gegenden, von
welchen die Gefahr herannahte. ^ t[£j fiEJ Tscheu-ya-fu, Fürst
von Tiao, der „grosse Beruhiger“ des Heeres ward mit sechs
und dreissig Feldherren, welche unter seinen Befehlen standen, zum
Angriffe gegen U und Tsu ausgesandt. Li-ki, Fürst von
1 ) Der König von U verspricht das Doppelte dessen, was bei dem Heere von Han
üblich gewesen.
3 ) Die alten Einkünfte sollen belassen und ausserdem noch vermehrt werden,
32
Dr. P f i z m a i e r
Tffi
Khio-tscheu, sollte das Reich Tschao, der Feldherr
Luan-pu das Reich Tsi angreifen, während der „grosse
Feldherr“ Ipl Up Tü-ying ein Heer in Yung-yang zusammen
ziehen und die Streitmacht von Tsi und Tschao beobachten sollte.
Zur Zeit, als die Schriftstücke, durch welche U und Tsu ihren
Abfall ankündigten, zwar bekannt, aber die Streitkräfte dieser
Reiche noch nicht ausgerückt waren, sprach Tü-ying, der sich eben
falls noch nicht auf den Weg begeben hatte, bei dem Himmelssohne
von Yuen-yang 1 ), einem früheren Reicbsgehilfen von U.
Dieser Yuen-yang war aber, von Tschao-tso des Einverständnisses
mit U beschuldigt, aller seiner Würden verlustig geworden und batte
sich, um einer neuen Untersuchung zu entgehen, an Tü-ying gewandt.
Derselbe ward jetzt aufgefordert, vor dem Himmelssohne zu er
scheinen. Als Yuen-yang an dem Hofe eintrat, war der höchste Ober
herr eben damit beschäftigt, in Gesellschaft Tschao-tsö's die Waffen
in Stand setzen zu lassen und die Menge der für das Heer bestimmten
Lebensmittel zu berechnen. Der höchste Oberherr wandte sich an
den Eintretenden mit den Worten: Du, o Herr, warst Reichsgehilfe
von U, du weisst wohl, was Tien-lo-pe 2 ), der Reichsdiener von U,
für ein Mensch ist. Jetzt sind U und Tsu abgefallen: was will dich,
o Herr, dabei bedünken?
Yuen-yang antwortete: Man braucht darüber keinen Kummer zu
empfinden. Sie werden jetzt geschlagen.
Der Himmelssohn sprach: Der König von U geht in die Rerge
und giesst Geldstücke. Er siedet das Wasser des Meeres und bereitet
Salz. Er lockt an sieb die durch Gaben ausgezeichneten Männer der
Welt, noch mit weissem Haupte beschliesst er ein Unternehmen. Da
es sich so verhält, sollte er, ohne dass in seiner Rerechnung hun der
fache Gewissheit, wohl ausrücken? Wie kann man sagen, dass er
nicht im Stande, etwas auszurichten?
Yuen-yang enviederte: U hat Kupfer und Salz, und den Nutzen
allerdings hat es. Wie käme es zu den durch Gaben ausgezeichneten
*) Yuen, der Geschlechtsname dieses Mannes, wird auch durch yC/ Yuen aus-
gedrückt.
ä )
Tien-lö-pe war Feldherr von U.
Der Abfall des Königs Pi von U.
33
Männern, dass es sie sollte an sich locken? Hätte man in Wahrheit
bewirkt, dass U gewonnen hätte die durch Gaben ausgezeichneten
Männer und dass diese auch unterstützt hätten den König in dein
Üben der Gerechtigkeit, so wäre es nicht abgefallen. Diejenigen, die
U an sich gelockt, sind Söhne und jüngere Brüder ohne Unterhalt,
Menschen, die sich durch die Flucht entzogen haben den Befehlen,
die giessen Geldstücke, Verräther, desswegen geht einer dem andern
voran, um abzufallen.
Tschao-tsö bemerkte zu diesen Worten: Yuen-yang entwirft die
Sache gut.
Der Hiinmelssohn fragte wieder: Wo soll man mit den Ent
würfen beginnen?
Yuen-yang hat, dass die Leute der Umgebung des Herrschers
entfernt werden. Dies geschah, und nur Tschao-tsö blieb noch zurück.
Yuen-yang bemerkte ferner: Was ich spreche, darf derjenige, der
ein Diener unter den Menschen, nicht wissen. — Der Himmelssohn
hiess jetzt auch Tschao-tsö sich entfernen. Dieser war hierüber
äusserst ungehalten und begab sich in die östliche Seitenhalle.
Als hierauf der Herrscher seine Frage wiederholte, antwortete
Yuen-yang: U und Tsu haben einander zugesandt Schriftstücke,
worin sie sagen: Als der höchste Oberherr Kao als Könige herrschen
liess seine Söhne und jüngeren Brüder, erhielt jeder ein ihm zuge-
theiltes Land. Jetzt verurtheilt der schädliche Diener Tschao-tsö
eigenmächtig die Fürsten der Reiche, er trennt Gebiete los und ent-
reisst ihnen das Land. Aus diesem Grunde fallen wir ab. — Ihr
Vorgehen ist, dass sie sich nach Westen wenden und gemeinschaftlich
zur Strafe ziehen wollen Tschao-tsö. Sobald sie wieder erlangt haben
werden die alten Gebiete, werden sie die Feindseligkeiten einstellen.
In dem gegenwärtigen Augenblick besteht der Entwurf blos darin,
dass man enthaupten lässt Tschao-tsö, abschickt einen Gesandten
und Verzeihung angedeihen lässt U und Tsu. Wenn die sieben
Reiche wieder erlangen das alte Gebiet, das man losgetrennt, so
können die Streiter, ohne dass sie mit Blut befleckt haben die
Schwerter, gegenseitig die Feindseligkeiten einstellen.
Hierauf enviederte der Himmelssohn nach längerem Schweigen:
Wie soll ich die Wahrheit berücksichtigen? Ich würde nicht schonen
einen einzelnen Menschen und würde mich entschuldigen bei der
Welt.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXXVI. Bd. I. Hft.
3
34
Dr. P t' i z in a i e r
Yuen-yang setzte noch hinzu: Der Rath meiner Unwissenheit
geht hierüber nicht hinaus. Es ist mein Wunsch, dass der höchste
Oberherr dies reiflich überlege.
. \ I |
Yuen-yang erhielt jetzt die hohe Würde eines rft A Thai -
tschang (grossen Beständigen), während der Fürst von Te •)»
der Sohn eines jüngeren Bruders des Königs von U, zum IE 75
Thsung-tsching (Steller des Hauses der grossväterlichen Ahnen)
ernannt wurde. Zugleich traf Yuen-yang die Vorbereitungen zur
Reise. Zehn Tage, nachdem die obenerwähnte Verabredung statt
gefunden, ward Tschao-tso im Aufträge des Himmelssohnes zu dem
Beruhiger der Mitte (d. i. dem obersten Richter) bestellt. Dieser
liess Tschao-tso durch List in einen Wagen setzen und zu dem
östlichen Thore der Stadt, dem Orte der Hinrichtungen führen.
Sobald man daselbst angekommen, ward Tschao-tso, der sich noch
in seinen Hofkleidern befand, enthauptet.
Hierauf ward Yuen-yang nach U mit dem Aufträge geschickt,
dem Könige Pi die Verständigung hinsichtlich des Hauses der gross
väterlichen Ahnen zu überbringen. Ihn begleitete der Fürst von Te,
der in U die Bedeutung der Verwandtschaften kundgeben und das
jenige, worüber man mit Yuen-yang früher übereingekommen, melden
sollte.
Als die Gesandten in U ankamen, bestürmte die Kriegsmacht
dieses Reiches bereits die Lagerwälle des Heeres von Liang. Der
Fürst von Te, als naher Verwandter des Königs, trat zuerst bei
diesem ein und meldete, dass der König von U eine Beförderung
erhalten und eine Verkündung von Seile des höchsten Oberherrn in
Empfang zu nehmen habe. Als König Pi hörte, dass Yuen-yang ange
kommen sei , errieth er sogleich, in welcher Angelegenheit dieser
Gesandte mit ihm sprechen wolle, und er entgegnete lachend: Ich
bin bereits der höchste Oberherr des Ostens: wen sollte man da
noch befördern wollen? —Er weigerte sich nicht allein, Yuen-yang
zu empfangen, sondern behielt ihn auch in dem Lager zurück, indem
er ihn durch Drohungen zur Übernahme einer Feldherrnstelle zu
>)
In dem Verzeichnisse der
To-ngai. Der
thung.
Lehensfürsten
Name des hier
von Han hat dieses
erwähnten Fürsten
Lehen den Namen
Der Abfall des Königs Pi von U.
35
bewegeu suchte. Als Yuen-yang sich dessen weigerte, liess ihn der
König durch Krieger einschliessen und ging damit um , ihn tödten
zu lassen. Dem Gesandten gelang es jedoch, in der Nacht zu ent
kommen, und derselbe flüchtete sich, zu Fusse weiter eilend, in das
nahe Lager von Liang. Von dort kehrte er an den Hof des Himmels
sohnes zurück und berichtete über den Erfolg seiner Sendung.
Unterdessen hatte Tscheu-ya-fu, Fürst von Tiao, sechs Wagen
bespannen lassen und war mit unterlegten Pferden inYung-yang ange
kommen, wo er ein grosses Kriegsheer versammelte. Auf dem Wege
dahin hatte er Lo-yang berührt und daselbst zu seiner Freude den
Kriegsmann ^|j Khie-meng *) getroffen. In dem Umstande, dass
die Verbündeten diesen sehr verwendbaren Mann nicht aufgesucht,
erblickte der Fürst von Tiao eine Bürgschaft für den glücklichen
Ausgang des Feldzuges, und er gab seiner Überzeugung Ausdruck
mit den Worten: Die sieben Reiche sind abgefallen, leb habe
bestiegen Wagen mit unterlegten Pferden und bin gelangt bis hier
her. Ich hätte selbst nicht geglaubt, dass mir dies gelingen würde
mit unversehrtem Leibe. Ferner hielt ich dafür, dass die Fürsten der
Reiche bereits gewonnen haben Khie-meng. Aber Khie-meng rührt
sich nicht von der Stelle: ich werde mich stützen auf Yung-yang a ).
Östlich von Yung-yang ist nichts, um dessen willen ich in Sorge zu
sein brauchte.
Von Yung-yang zog der Fürst von Tiao nach Hoai-yang (dem
Lande im Norden des Flusses Hoai) und fragte daselbst einen frü
heren Gast des Fürsten von Fu-kiang, den „Beruhigei"'
(Befehlshaber) der Hauptstadt Teng um Rath. Der Gast äusserte
sich über den Entwurf des bevorstehenden Feldzuges folgender-
massen: Die Streitmacht von U ist sehr auserlesen; es ist schwer,
mit ihr zu wetteifern in der Spitzigkeit der Waffen. Die Kriegs
macht von Tsu ist leicht; sie ist nicht fähig lange auszudauern. In
der gegenwärtigen Zeit ist für dich, o Feldherr, der beste Entwurf
dieser, dass du wegführst die Streitmacht nach Nordosten, dich mit
A ) Dieser Mann war, gleich mehreren anderen seiner Zeit, eine Art irrender Ritter.
2 ) Da Khie-meng- sich nicht von der Stelle gerührt hat, wird sich der Fürst von Tiao
auch auf das östlich von Lö-yang gelegene Yung-yang- stützen können.
3*
36
Dr. P f i z in aier
Lagerwällen umgibst in Tschang-yi l ) und Liang überlassest an U.
U wird gewiss mit seinen sämmtlichen auserlesenen Streitkräften es
angreifen. Du, o Feldherr, lassest, umgeben von tiefen Wassergräben
und hohen Erdwällen, durch leichtes Kriegsvolk verschüessen die
Mündungen des Iloai und Sse, abschneiden den Weg der Mund-
vorräthe von U. U und Liang werden dort einander aufreiben, und
die Lebensmittel werden zu Ende geben. Hierauf mit ungeschwäch
ter Kraft bringst du zurecht die Kampfunfähigen derjenigen, die zu
dem Äussersten gelangt, und dass du U schlagen wirst, ist gewiss.
Der Fürst von Tiao befolgte diesen Rath. Er bezog ein festes
Lager auf dem Gebiete von Tsehang-yi, während seine leichten
Kriegsvölker in Süden den Weg, auf welchem U sich mit Lebens
mitteln versorgte, abschnitten.
Diesen Anstalten gegenüber war U nicht zur richtigen Wahl der
Mittel geschritten. Als König Pi in's Feld rückte, war Tien-lo-pe 2 ),
Reichsdiener von U, zum Oberfeldherrn ernannt worden. Dieser
gab dem Könige folgenden Rath: Wenn die Kriegsvölker sich sam
meln und nach Westen rücken, ohne dass man anderwärts erötfnet
ungewöhnliche Wege, ist es schwer, Thaten kriegerischen Verdien
stes zu verrichten. Ich wünsche zu erhalten fünfzigtausend Krieger,
damit ich mit ihnen abgesondert umherziehe an dem Strom und dem
Hoai, hierauf, emporsteigend, zusammenraffe Hoai-nan und Tschang-
scha, eintrete in den Engweg Wu und mit dir, o grosser König, mich
vereinige. Dies wäre ebenfalls etwas Ungewöhnliches.
Dagegen machte jedoch der zur Nachfolge bestimmte Sohn des
Königs Pi Vorstellungen, indem er sprach: Du, o König, hast dich offen
zum Abfall bekannt. Dadurch ist es schwer, den Menschen eine Streit
macht zu leihen. Wenn man sie den Menschen leiht, und diese dann
auch abfallen, was wirst du dann, o König, beginnen? Wenn ferner
Jemand im ausschliesslichen Besitze der Streifmacht und abgesondert
viele anderweitige Thaten verrichtet, so kann man den Nutzen oder
1) E s Tschang-yT als Landschaft erhielt diesen Namen erst unter der Lenkung
des folgenden Herrschers Hiao-wu, wo es zugleich zu einem Lehenreiche umge
schaffen wurde. Früher hiess dasselbe dt di San-yang. Als Hauptstadt eines
Kreises entspricht Tschang-yi dem heutigen Khiü-ye, Kreis Yen-tscheu in Schan-
tung.
2 ) Dieser Feldherr ist schon oben in der ßerathung Yuen-yang’s mit dem Himmels-
sohne erwähnt worden.
Der Abfall des Königs Pi von U.
37
den Schaden davon noch nicht wissen. Die Krieger werden dabei
nur Einbusse erleiden. — Der König ward durch diese Worte auf
den Gedanken gebracht, dass ein Theil seines Heeres zu Han über
treten könne und ging auf die Vorschläge Tien-lö-pe’s nicht ein.
Zu derselben Zeit hatte ein junger Feldherr von dem Geschlechte
l|>0 Hoan dein Könige den Rath ertheilt, sich mit seiner ganzen
Macht nach Lö-yang zu werfen, indem er folgendes vorstellte: U hat
viele Streiter zu Fusse. Die Streiter zu Fusse sind von Nutzen bei
steilen Anhöhen. Han hat viele Wagen und Reiter. Die Wagen und
Reiter sind von Nutzen auf ebenem Boden. Ich wünsche, dass du,
o grosser König, die festen Städte auf deinem Wege, welche sich
nicht unterwerfen, geradezu aufgebest und, von ihnen abziehend,
schnell im Westen dich stützest auf die kriegsmässig eingerichteten
Rüsthäuser von Lö-yang, zehren lassest von dem Getreide der
Speicher von Ngao, dich aufstellest vor den steilen Anhöhen der
Berge und Flüsse und Befehle ertheilest den Fürsten der Reiche.
Solltest du auch nicht eintreten in denEngweg 1 ), die Welt hat sicher
schon ihre Bestimmung erhalten. Du, o grosser König, ziehst hierauf
gemächlich gegen die festen Städte, welche noch zu unterwerfen
übrig. Wenn die Wagen und Reiter von Han daherkommen, wenn
sie schnellen Laufes dringen in die Weichbilde von Liang und Tsu,
so ist unser Unternehmen bereits gescheitert.
Der König von U fragte die älteren Feldherren um ihre Meinung.
Dieselben äusserten sieb wegwerfend über die Ansichten des jungen
Feldherrn, indem sie sprachen: Dies können nur sein die Entwürfe
eines jungen Menschen und Lanzenstechers. Wie sollte er kennen
die grosse Überlegung? — In Folge dieses Ausspruches machte der
König auch von dem Rathe des Feldherrn von dem Geschlechte Hoan
keinen Gebrauch.
König Pi führte demnach in Selbstheit den Oberbefehl über sein
Heer. Noch vor dem Übergang über den Fluss Hoai Latten sämmt-
liche Gäste des Königs die Stelle eines Feldherrn, eines Hiao
(Unterbefehlshabers),eines Jfpj' Yö (Beruhigers), Heu (War
tenden für den Verkehr) oder Vorstehers der Pferde erhalten. Bios
A ) Der Engweg Ilan-kö, von dem man nach Tschang-nga, der Hauptsladt des Him
melssohnes, gelangte.
38
Dr. Pfiz maier
ein gewisser JJ- J3j-J Tscheu-khieu war zu gar keiner Stelle in dem
Heere befördert worden. Dieser Tscheu-kliieu stammte aus Hia-pei,
wo er sicli einst dem Befehle durch die Flucht entzogen hatte. In U
ward er ein Weinverkäufer, hatte aber sonst keine Beschäftigung.
König Pi hielt wenig auf ihn und hatte ihn aus diesem Grunde bei
den Beförderungen übergangen.
Tscheu-khieu überreichte das mit seinem Namen berilzte Brett
chen hei dem Könige und sprach zu diesem: Weil ich keine Fähig
keiten besitze, brachte ich es nicht dahin, warten zu können, bis ich
geziehen werde einer Schuld, inmitten der wandernden Schaaren. Ich
wage es nicht zu begehren, dass ich erhalte etwas, das ich als Feld
herr befehligen könnte. Ich wünsche zu erhalten eines der Abschnitts
brettchen 1 ) von Han, die in deinem Besitze, o König. Ich werde gewiss
dir, o König, etwas zu melden haben.
Der König war hiermit einverstanden und gab ihm das Verlangte,
Sobald Tscheu-khieu sich im Besitze des Abschnittsbrettchens befand,
reiste er ab und eilte nach Hia-pei, wo er in nächtlicher Stunde ein-
traf. In dieser Stadt war der Abfall des Königs Pi bereits bekannt
und Alles dachte an die Besetzung und Verteidigung der Stadt
mauern. Tscheu-khieu bezog sogleich eine der für Gesandte bestimm
ten Wohnungen und Hess, da der in seinen Händen befindliche Ab
schnitt ihm als Vollmacht diente, den Befehlshaber der Stadt zu sich
rufen. Sobald dieser die Schwelle der Thüre überschritten hatte,
befahl Tcheu-khieu einem seiner Begleiter, den Befehlshaber, den er
als eines Verbrechens schuldig bezeichnet, zu enthaupten. Hierauf
liess er seine in der Stadt wohnenden Brüder so wie die begabteren
kleineren Angestellten, mit welchen er befreundet war, zu sich rufen
und sprach zu ihnen: U ist abgefallen, und seine Streitmacht wird
sofort ankommen. So bald sie ankommt, wird sie alles niedermetzeln
in Hia-pei so plötzlich, dass sie dazu nicht länger brauchen wird, als
zu einer Mahlzeit. Die sich jetzt früher unterwerfen, deren Häuser
erhalten gewiss Festigkeit. Diejenigen unter ihnen, welche Fähig
keiten besitzen, werden belehnt als Fürsten. — Als die Leute wieder
austraten, erzählten sie in der Stadt, was sie gehört, worauf ganz
Hia-pei sich unterwarf.
1 ) Ein solcher Abschnitt aus Rohr diente zur Beglaubigung oder auch als Geleit
schein.
Der Abfall des Königs Pi von U.
39
Tsclieu-khieu, der sich somit in einer einzigen Nacht in den
Besitz eines Heeres von dreissigtausend Kriegern gesetzt hatte,
schickte einen Gesandten mit der Meldung des von ihm errungenen
Vortheils an den König von U und zog sofort an der Spitze seiner
Streitmacht gegen die weiter nordwärts liegenden Städte, welche
er ebenfalls einzeln unter seine Gewalt brachte. Als er nach ^
Sching-yang *) gelangte, zählte sein Heer bereits hunderttausend
Streiter. Mit dieser Macht schlug und zerstreute er ein unter den
Befehlen des „mittleren Beruhigers“ von Sching-yang stehendes
Kriegsheer von Han. Als später die Niederlage und Flucht des Königs
von U bekannt ward, erwog Tsclieu-khieu, dass er in Verbindung
mit dem Könige nichts mehr ausrichten könne und führte sein Heer
nach Hia-pei zurück. Ehe er noch diese Stadt erreichte, brach an
seinem Rücken ein Geschwür aus, woran er starb.
Die Ereignisse des von dem Könige Pi eröffneten Feldzuges sind
in ihrem Zusammenhänge folgende. Die Könige Ngang von Kiao-si,
Hiung khiu von Kiao-tung, ^ Hien von Thse-tschuen und
Pi-kuang von Thsi-nan belagerten Lin-tbse, die Hauptstadt
des Reiches Tsi. Sui, König von Tscliao, hielt mit einem Heere an
der westlichen Gränze seines Landes und wartete auf den Augenblick,
wo die Macht der Reiche U und Tsu nach Norden vorrücken würde.
Zugleich hatte er einen Gesandten nach Norden geschickt, damit
derselbe mit dem Volke der Hiung-nu's ein Bündniss zu Stande
bringe. Während Tsclieu-khieu, wie oben erzählt worden, sein
Unternehmen gegen Hia-pei ausführte, übersetzten die Könige Pi
von U und Mo von Tsu an der Spitze ihrer Heere den Fluss Hoai
und drangen in das Reich Liang. Die Macht von Liang, die sich ihnen
1 ) Sching-yang entspricht dein heutigen Bezirke Pö-tscheu, Kreis Tsao-tscheu in
Sehan-tung, befand sich also in ziemlich bedeutender Entfernung' nordwestlich
von Hia-pei. In dem Sse-ki steht statt Sching-yang- mit Versetzung der Zeichen
der Name Yang-sching, was offenbar unrichtig und auch in den Büchern der
früheren Han verbessert ward; denn Yang-sching, welches in dem erdbeschrei
benden Theil der Bücher der früheren Man vorkommt und welches zu der alten
Landschaft Ju-nan gehörte, liegt in eben so bedeutender Entfernung südwestlich
von Hia-pei und ist das heutige Ying-tscheu in Ngan-hoei. Übrigens war Sching-
yang ein Königreich, welches bereits an einer frühem Stelle vorgekommen, ln
dem genannten erdbeschreibenden Verzeichnisse findet sich die Schreibart
Sching-yang.
40
Dr. P f i z m a i e r
auf dem Gebiete /p rj^jf Ke-pT entgegenstellte, ward geschlagen
und verlor durch den Tod mehrere zehntausend Streiter. König
Hiao von Liang bezog hierauf ein festes Lager in mm Sui-yang l ).
Als Tscheu-ya-fu, Fürst von Tiao, sich anschickte, nach
Tschang-yT zu ziehen, ertheilte ihm einer seiner Freunde den Rath,
den Weg nach Lo-yang statt in östlicher in südöstlicher Richtung
über Lan-tien und durch den Engweg Wu, also durch feindliches
Gebiet einzuschlagen, indem dann bei dem Eintreffen in Lo-yang
die Reichsfürsten so erstaunt sein würden, als ob die Macht von Han
vom Himmel gefallen wäre und dennoch der Unterschied der grös
seren Entfernung nur einen oder zwei Tage betragen würde. Zugleich
ward er auf die Wahrscheinlichkeit aufmerksam gemacht, dass sich
auf diesem südöstlichen Wege ein feindlicher Hinterhalt befinden
könne. Der Fürst von Tiao befolgte diesen Rath. Er schlug den
angegebenen Weg ein und stiess, indem er durch seine Anführer
Nachforschungen anstellen liess, wirklich auf eine Kriegsmacht von U,
welche in den Gebirgen zwischen Hiao und Min-tschi im Hinterhalte
lag und jetzt, durch das unerwartete Erscheinen der Macht von Han
überrascht, gefangen genommen wurde. Von Lo-yang zog Tscheu-
ya-fu nach Yung-yang, hierauf nach Tschang-yi, wo er sich auf dem
Gebiete g Hia-yi 3 ) hinter hohen Lagerwällen vertheidigte.
Unterdessen hatte der König von U seinen Sieg in Ke-jff benützt
und war mit grosser Übermacht vorgedrungen. Der König von Liang
entsandte sechs Feldherren gegen U, dieselben wurden jedoch zum
zweiten Male geschlagen, und nur zwei Feldherren von Liang kehrten
mit ihren Streitern fliehend nach der Hauptstadt zurück. König Hiao
liess an den Fürsten von Tiao mehrmals die Aufforderung ergehen,
mit seinem Heere Hilfe zu bringen; dieser Feldherr beschränkte sich
indessen auf die Verteidigung seiner Lagerwälle und gab der Auf
forderung durchaus kein Gehör. König Hiao wandte sich hierauf an
den höchsten Oberherrn Hiao-king und erwirkte von diesem einen
Befehl, durch welchen dem Fürsten von Tiao bedeutet ward, mit
seinem Heere unverzüglich dem Reiche Liang zu Hilfe zu kommen.
1 ) Das heutige Kuei-te in Ho-tinn.
i=i
~) Das heutige p3 ^Mlia-yi, welches östlich von der Hauptstadt des Kreises
Kuei-tc in Ho-nan.
Der Abfall des Königs Pi von U.
41
Aber Tscheu-ya-fu trotzte selbst dem Befehle des Himmelssohnes und
trat aus seinen Verschanzungen nicht heraus. Liang ernannte jetzt
Tschang-yü, den jüngeren Bruder
Tschang-schang’s, desselben, der als Reichsgehilfe von Tsu
seiner Rathsehlage willen hingerichtet worden, zu Feldherren, wor
auf Liang endlich einige Vortheile über U davontrug.
Das Heer von U wollte nämlich nach Westen vorrücken, hielt
dies aber wegen der Macht von Liang, welche sich in der Feste von
Sui-yang eingeschlossen hatte, nicht für räthlich. Es wandte sich
sofort gegen den Fürsten von Tiao, der sich seinerseits in Hia-yi
eingeschlossen hatte und ebenfalls seine Lagerwälle nicht verliess.
Der' letztgenannte Feldherr von Hau entsandte, wie es in seinem
Entwürfe des Feldzuges gelegen, leichte Reiterschaaren, welche
unter den Befehlen des Fürsten von |aj ^ Khiung-kao und anderen
Feldherren sich im Rücken des Feindes aufstellten und den Heeren
von U und Tsu die Zufuhr der Lebensmittel abschnitten.
Als die Heere von U und Tsu bereits empfindlichen Mangel an
Lebensmitteln litten, gedachten sie den Rückzug anzutreten, wollten
jedoch früher das Heer von Han bewegen, seine Verschanzungen zu
verlassen; aber der Fürst von Tiao blieb aller Herausforderungen
des Feindes ungeachtet in seiner festen Stellung, Die Verbündeten
machten einen letzten verzweifelten Versuch. Sie überfielen in nächt
licher Weile das Lager ihrer Feinde, die Macht von Han ward plötz
lich aufgeschreckt, so dass innerhalb der Lagerwälle die Krieger
eines und desselben Heeres einander bekämpften, während die Ver
wirrung sich bis zu dem Zelt des Feldherrn fortsetzte. Tscheu-ya-fu
blieb unbeweglich auf seiner Lagerstätte und stellte, ohne aufzu
stehen, die Ruhe augenblicklich wieder her. Die Macht von Er
stürmte nämlich gegen die südöstliche Seite der Lagerwälle von Han,
der Fürst von Tiao traf jedoch an der nordwestlichen Seite der
Lagerwälle die Vorkehrungen zur Abwehr des Angriffs. Als hierauf
der Angriff erfolgte, stürmten die auserlesenen Krieger von U wirklich
gegen die nordwestliche Seite der Lagerwälle, konnten aber das
Innere des Lagers nicht erreichen. U, durch den Fürsten von Tiao
angegriffen, erlitt jetzt eine grosse Niederlage, und viele seiner
Krieger fanden den Tod durch Hunger.
Im zweiten Monate des Aufstandes, nachdem der König von U
bereits geschlagen worden, erliess der Himmelssohn an seine Feld-
42
Dr. P f i ?. m a i e r
lierren folgende Kiindinaclmng: Ich habe erfahren: Wer Gutes timt,
dem vergilt der Himmel durch Glück. Wer Böses timt, dem vergilt
der Himmel durch Unglück. Der höchste Oherherr Kao hat in
Selbstheit als Denkmale aufgestellt Verdienste und Tugenden, hat
eingesetzt die Fürsten der Reiche. Die Könige Yen und Tao-hoei
wurden verlustig ihrer Reiche, vererbten die Herrschaft nicht auf
ihre Nachkommen. Der höchste Oherherr Iliao-wen empfand Mitleid
und liess ihnen zu Theil werden seine Gnade. Er liess als Könige
herrschen Sui, den Sohn des Königs Yeu, Ngang, den Sohn des
Königs Tao-hoei und Andere. Er hiess sie huldigen den Ahnen
hallen der ihnen vorhergegangenen Könige und vorstellen die um-
hägenden Reiche von Han. Die Wohlthat dessen ist gleich zu achten
dem Himmel und der Erde, das Licht dessen gesellt sich zu der
Sonne und dem Monde.
Aber Pi, König von U, hat den Rücken gekehrt der Wohlthat,
sich aufgelehnt gegen die Gerechtigkeit. Er hat zu sich gelockt und
aufgenommen alle Menschen, die in der Welt sich durch die Flucht
entzogen haben den Befehlen, die Verbrecher. Er hat Verwirrung
gebracht unter die Werthgegenstände der Welt 1 ). Er meldete sich
krank und erschien nicht an dem Hofe durch zwanzig Jahre. Die
Vorsteher baten mehrmals hinsichtlich der Schuld Pi's. Der höchste
Oberherr Hiao-wen übte gegen ihn Grossmuth, und wollte, dass jener
bessere seinen Wandel und sich wende zum Guten.
Jetzt hat jener mit Mo, König von Tsu, mit Sui, König von
Tschao, mit Ngang, König von Kiao-si, mit Pi-kuang, König von
Thsi-nan, mit Hiao, König von Thse-tschuen, mit Hiung-khiü, König
von Kiao-tung, geschlossen ein Bündniss und sich verschworen zum
Abfall. Er beging Widersetzlichkeiten und Ruchlosigkeiten. Er griff
zu den Waffen und brachte dadurch in Gefahr die geweihten Stätten
der Ahnen. Er mordete die grossen Diener und die Gesandten von
Han. Er bedrängte und bedrohte die Zehntausende des Volkes.
Er bekriegte und tödtete die Unschuldigen. Er verbrannte und zer
störte die Häuser des Volkes. Er durchgrub dessen Erdhöhen und
Grabhügel. Er übte in grossem Masse Grausamkeit und Bedrückung.
Aber Ngang und die Übrigen verdoppeln noch die Widersetzlichkeiten
und Ruchlosigkeiten. Sie verbrannten die geweihten Stätten der
*) Weil der König- von U eigenmächtig Geldstücke giessen liess.
Der Abfall des Königs Pi von U.
43
Ahnen, sie rauhten die Gegenstände des Himmelssohnes*). Ich der
Himmelssohn empfinde darüber grossen Schmerz. Ich der Himmels-
sohn habe mich in schlichten Kleidern zurückgezogen in die nach
der Richtschnur angelegte Halle.
Mögen die Feldherren ermahnen die vorzüglichen Männer und
die Grossen der Lande, dass sie angreifen die Abtrünnigen und sie
gefangen nehmen. Indem sie angreifen die Abtrünnigen und sie
gefangen nehmen, mögen sie starke Einfälle machen und vieles
Tödten für verdienstlich halten. Mögen sie abschlagen Häupter und
festnehmen Gefangene. Unter diesen werden diejenigen, deren Ge
halt dreihundert Scheffel und darüber, sämmtlich getödtet und werde
keiner von ihnen losgelassen. Die es wagen sollten, zu Rathe zu
gehen über diese Verkündung und dabei nicht handeln gemäss
dieser Verkündung, werden sämmtlich bei den Lenden entzwei
gehauen 3 ).
Während das Heer von U in der Auflösung begriffen war, begab
sich König Pi mit tausend entschlossenen Kriegern, welche unter
seinen Fahnen verblieben waren, in der Nacht auf die Flucht, über
setzte den Fluss Hoai und eilte nach Tan-tu 3 ), wo er das
östliche Yue zu behaupten suchte. Die Streitmacht des östlichen
Yue belief sich auf zehntausend Krieger, und der König entsandte
überdies Leute mit dem Aufträge, die flüchtigen Krieger seines
Heeres zusammen zu lesen und zu sammeln. Han schickte jedoch
Gesandte nach dem östlichen Yue, welche dieses Reich durch Zusi
cherung von Vortheilen dahin brachten, dass es den König von U hin
terging. Als König Pi auszog, um sich das Heer vorstellen zu lassen
und sich dasselbe geneigt zu machen, entsandte Yue Leute, welche
den König mit Hellebarden erstachen. Man verpackte hierauf dessen
Haupt und Hess durch einen Eilboten das Vorgefallene an dem Hofe
des Himmelssohnes melden. -J- Tse-hoa und ^ Tse-kiü,
1) Die in den Stätten der Ahnen aufbewahrten Kleider und Geräthe. Was sich in den
Landschaften und Bezirken befand, war Eigenthum des Himmelssohnes.
3 ) Diese "schon in dem früheren Reiche Thsin übliche Strafe wird in dem Buche der
Strafen, einem Theile der Bücher der früheren Han, nicht näher bezeichnet. Wie
aus einigen Angaben hervorgeht, wurden die Lenden des Verurtheilten mit der
Axt durchhauen, so dass dessen Leib in eine obere und untere Hälfte zertheilt
wurde.
3 ) Das heutige Tsehin-kiang in Kiang-nan.
44
Dr. Pfizmaier
die Söhne des Königs von U, retteten sich durch die Flucht, und
zwar der erstere nach Min, der letztere in das südliche Yue.
Als der König von U sein Heer verlassen und die Flucht ange
treten hatte, löste sich dieses Heer sofort auf und ergab sich allmählich
dem Fürsten von Tiao und der Kriegsmacht von Liang. Mo, König
von Tsu, dessen Heer ebenfalls geschlagen wurde, tödtete sich selbst.
Die drei Könige 1 ) des frühem Tsi batten Lin-thse, die Haupt
stadt von Tsi, durch drei Monate belagert, ohne im Stande gewesen
zu sein, die Stadt zur Übergabe zu bewegen. Als jetzt die Macht von
Han heranrückte, zogen die Könige von Kiao-si, Kiao-tung undThse-
tschuen mit ihren Kriegsvölkern ab und kehrten in ihre Lande zurück.
König Ngang von Kiao-si, in seine Lande zurückgekehrt, suchte
das ihm drohende Verderben abzuwenden, indem er äusserlich die
tiefste Reue über seine Handlungen bezeugte. Er ging barfuss, be
diente sieh einer verfaulten Matte, trank Wasser und entschuldigte
sich gegen die Königinn, seine Gemahlinn. ^^Te, der zur Nachfolge
bestimmte Sohn des Königs, ermahnte vergebens seinen Vater zum
Widerstande gegen die Macht von Han, indem er sprach: Die Krieger
von Han stehen fern ~). Ich habe sie gesehen und gefunden, dass sie
bereits kampfunfähig. Man kann auf sie eindringen. Ich wünsche,
dass man zusammenlese die Krieger, die übrig geblieben dir, o
grosser König, und jene angreife. Wenn wir sie angreifen und nicht
siegen, so mögen wir fliehen und uns stürzen in das Meer: es ist
noch immer nicht zu spät.
Der König erwiederte hierauf: Meine Kriegsmänner sind sämmt-
licli zu Grunde gerichtet; ich kann sie nicht aussenden und nicht
verwenden. — Er gab den Rathschlägen seines Sohnes kein Gehör.
Alsbald übersandte der Fürst von Kiung-kao, Feldherr von
Han, dessen eigentlicher Name i||j Han-thui-thang, dem
Könige Ngang ein Schreiben, welches lautete: Ich habe erhalten die
höchste Verkündung, dass ich hinrichten lassen solle die Ungerech
ten. Diejenigen, die sich unterwerfen, werden freigesprochen von
ihrer Schuld und wieder eingesetzt in die frühere Würde. Die
jenigen, die sich nicht unterwerfen, werden vernichtet. Auf welche
1 ) waren eigentlich vier Könige, dieselben werden jedoch, da der König von Tlisi-
min nicht mitgeznhlt wird , gewöhnlich die drei Könige genannt.
a ) D. i. fern von ihrer Heimath.
Der Abfall des Königs Pi von U.
45
Weise willst du, o König, in Ruhe verweilen? Ich werde warten und
mich befassen mit der Angelegenheit.
König Ngang warf sich hierauf mit entblössten Schultern vor
den Lagerwällen des Heeres von Han zu Boden und sprach flehend:
Ich, der Diener Ngang, habe entgegen genommen die Weisung ohne
Sorgfalt, ich habe erschreckt die hundert Geschlechter. Hierdurch
habe ich Ungemach bereitet dem Feldherrn, dass er auf weiten
Wegen gelangt ist zu meinen verlassenen Landen. Ich wage es zu
bitten wegen eines Verbrechens, das bestraft wird durch das Ein
machen des Fleisches ')•
Der Fürst von Kiung-kao hielt, während er den König empfing,
in den Händen eine eherne Trommel und sprach: Du, o König, hast
dir Ungemach bereitet in der Angelegenheit des Heeres. Ich wünsche
zu hören, auf welche Weise du, o König, ausgesandt hast die Streit
kräfte.
König Ngang senkte das Haupt zu Boden und antwortete, indem
er auf den Kriieen vorwärts ging: In der gegenwärtigen Zeit ward
Tschao-tso von dem Himmelssohne verwendet bei den Angelegen
heiten. Er als ein Diener veränderte die Grundgesetze und Erlässe
des höchsten Oherherrn Kao. Er betrat und entriss die Länder der
belehnten Fürsten. Ich Ngang und die Übrigen hielten dafür, dass
dieses nicht gerecht. Wir fürchteten, dass er zu Grunde richten und
in Verwirrung setzen werde die Welt. Die sieben Reiche schickten
hervor ihre Kriegsmacht und gedachten, hinrichten zu lassen Tso.
Jetzt aber hörten wir, dass Tso bereits hingerichtet worden. Ich
Ngang und die Übrigen Hessen ehrfurchtsvoll die Waffen ruhen
und kehrten zurück in die Heimath.
Hierauf entgegnete der Feldherr von Han: Wenn du, o König,
unzufrieden warst mit Tso, warum hast du dies nicht gemeldet? Ehe
noch vorhanden eine höchste Verkündung, das Abschnittsrohr des
Tigers, sandtest du eigenmächtig hervor die Streitkräfte und schlu
gest los gegen die gerechten Reiche. Hieraus lässt sich ersehen,
dass es deine Absicht nicht gewesen, hinrichten zu lassen Tso.
Mit diesen Worten zog der Feldherr von Han aus seinem Kleide
die Verkündung des Himmelssohnes und las sie dem Könige vor.
1 ) Hierüber ist in der Abhandlung: „Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und Kiug-
pu“, und zwar bei den Nachrichten über King-pu, eine Aufklärung zu finden.
46
Dr. P f i l in a i e r
Nachdem er zu Ende gelesen, setzte er hinzu: Mögest du, o König,
dir selbst hierbei rathen.
Der König erwiederte: Menschen wie ich Ngang und die
Andern sterben, sie haben ein Übermass von Schuld. — König
Ngang tödtete sich sofort seihst. Dasselbe tliaten die Königinn, des
sen Gemahlinn, und der zur Nachfolge bestimmte Sohn Te.
Auf gleiche Weise gaben sich auch die Könige von Kiao-tung,
Thse-tsehuen und Thsi-nan den Tod, während deren Länder einge
zogen und mit Han vereinigt wurden.
Die Hiung-nu’s waren mit dem Könige von Tschao übereinge-
kommen, beim Ausbruche des Kampfes in die Länder von Han einen
Einfall zu machen. Als aber die Hiung-nu’s die Niederlage des Königs
von U erfuhren, verhielten sie sich ruhig, und der beabsichtigte
Einfall kam nicht zu Stande. Li-ki, Feldherr von Han, belagerte indes
sen die Hauptstadt von Tschao und zwang dieselbe nach zehn Monaten
zur Unterwerfung, worauf auch der König von Tschao sich selbst den
Tod gab.
Bios der König voriThsi-pe, der gegen seinen Willen sich an dem
Aufstande nicht betheiligt hatte,erhieltVerzeihung und blieb amLeben 1 ),
Er ward jedoch versetzt und zum Könige von Thse-tschueu ernannt.
Der gefährliche Aufstand hatte somit ein schnelles Ende
erreicht. Im ersten Monate des Jahres hatte sich König Pi an die
Spitze der sieben Reiche gestellt, und schon im dritten Monate waren
sämmtliche Verbündete, mit Ausnahme von Tschao , dessen Haupt
stadt erst später erobert wurde, überwältigt.
In Tsu, das mau als Lehenreich fortbestehen Hess,- ward Ü Li ’
Fürst von |pjc -p Ping-lo, der jüngste Sohn des Königs Yuen, zum
Könige eingesetzt. Man halte dabei die Absicht, die Nachkommen des
Königs Yuen, Vaters des in dem Aufstande zu Grunde gegangenen
Königs Mo, über Tsu herrschen zu lassen. Zum Könige des alten
Gebietes von U ward Fei, König von Ju-nan, mit dem Namen
eines Königs von 4|R Kiang-tu ernannt.
P) Der König- von Thsi-pe erhielt seine Verzeihung’ ddrch die Bemühungen Han-ngan-
kue's und des Fürstenenkels KT. Uber das Vorgehen des letzteren ist in der
Abhandlung: „Worte des Tadels in dem Reiche der Han“, und zwar hei den
Nachrichten über Tseu-yang, Mehreres enthalten.
Dr. Heinis cli, Über die Namen Ägyptens in der Pharaonenzeit eie. 47
SITZUNG VOM 23. JÄNNER 1861.
Vor gelegt:
Uber die Namen Ägyptens in der Pharaonenzeit und die
chronologische Bestimmung der Ära des Königs Nei/os.
Von Dr. S. L. Heini sch.
Nachfolgende Zeilen schliessen sich an meine im Märzhefte des
Jahrganges 1859 der Sitzungsberichte der philosophisch-historischen
Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften (Bd. XXX,
Seite 379 ff.) abgedruckte Abhandlung: „Über die Namen Ägyptens
bei den Semiten und Griechen“ an, und soll in der vorliegenden eine
Erklärung derjenigen in den Hieroglyphen vorkommenden Namens
gruppen versucht werden, welche zufolge bilinguer Inschriften als
Bezeichnungen Ägyptens zu betrachten sind. Es sind dies folgende
Namensgruppen: ^, g^f», g^.gm, g|-
Die ersten zwei Gruppen sind bereits lautlich und etymolo
gisch (KaM, «.hau, das dunkle Land, hehr, nn, griechisch Zyuiu)
bestimmt 1 ) und wurden nur der Vollständigkeit wegen wieder be
rührt; hier handelt es sich demnach nur um Ermittlung der drei letz
teren Nameusbezeichnungen Ägyptens.
findet sich als Bezeichnung Ägyptens häufig in Inschriften
auf den Denkmälern des alten und neuen Reiches; die Beweisstelle,
‘dass diese llieroglyphengruppe eine Bezeichnung Ägyptens sei, ent
hält bekanntlich die Tafel von Rosette. In der 38. Zeile des
griechischen Theiles dieser Inschrift wird berichtet, es hätten die
Priester des Landes beschlossen, aufzustellen Poyopioroo eixova
bv ixdoTOj tepep bv rep i7Ti<po.[vsazär(p zorrwj vj np oaovopa-
*) Vergl. meine angeführte Schrift S. 2 ff. (379 ff.).
48
Di*. R e i n i s c h
cn^Tjaerac IlTo),e/j.aiou roü i tc ajiüv av z o g rfj Aiy6nT(p.
Die entsprechende Stelle des hieroglyphischen Textes lautet folgen-
Katu ran.f Ptolmis
I &2
5)q
CD
der Massen:
^ Ss>. l i0 ptisch: 2C.0T0TT pcnq nioÄciiMOt [pfiqJ-^-iVOAv ii
som n
O
khau, man solle nennen seinen Namen Ptolemaios, den Rächer 1 )
Ägyptens.
Es fragt sich nun welches der Lautwerth der fraglichen Gruppe
sei. Nach den bisherigen Erklärungen wurde dieses Auge
ucat gelesen, ein Wort, das wenigstens nach unserem gegenwär
tigen koptischen Wortschätze gänzlich unverständlich ist. Aidass
zu dieser Lesung gab die im Todtenbuche an mehren Stellen vor
kommende Hieroglyphengruppe ^ ^ uöat oder ucat,
welche dem pp vorangehend gefunden wurde; man betrachtete daher
diese Gruppe als die phonetische Schreibung von Die vollstän
dige Schreibung der obigen Gruppe ist aber ()ö|) an-cat oder
syllabarisch I ()^jl au-cat, so z. B. Todtenbueh 140, U: J_
ppp Qq^°i und eine Parallelform zu ist so
Todtenb. Cap. 140, 4: f Die Gruppe ist von Vct.
de Rouge als «jott, ujotuji, ujottust ermittelt worden 2 ), die Zei
chen bilden demnach in dem letztem wie im obigen Beispiele
eine Gruppe für sich mit gesonderter Bedeutung, und ist diese wie
eine Vergleichung der Stellen im Todtenbuche lehrt ein Synonym
als ich sehe darin das koptische eenr, coo
ir,
sowohl zu
gloria, ein Synonymen zum koptischen ujotrujos-. Vgl. Todtenbueh
Cap. 19, 4:
au Hesiri hot amente, koptisch «w «
•j-eipj n^oiriT ft ^AvtuTt, Preis dem Osiris dem Herrn im Amente.
Von Kp isl die vollere Form ^ pa, z. B. im Todtenbueh 99, 31 :
* f iL 1 1 sp m Ui sebi m tu hl: nicht bekämpfte ieli die Feinde, wendete
ich meine Macht an gegen die Feinde. Der grammatische Gebrauch von <p
entspricht demnach etwa dem griechischen dp-uveiv ttvi, cptkoic, rjj adXst u. s. w.,
anderseits <5t(ju6vtv xouc upfn^ovTots, tov dSixouvxa u. s. w.
2 ) Journal asiatique, annee 1856, toin. VIU, pag. 2.25 et 1857, tom. X, pag. 154. Vergl.
den Namen des ägyptischen Religionsreformators Amenophis IV: Su-n-
aten, Diener der Sonnenscheibe.
Über die Namen Ägyptens in der Pharaonenzeit etc.
49
Todtenb. Cap. 19, 6 wird Osiris genannt ir^p'tL -ö-cipi ft s'coqT ft
utqas.&as.OD', ebenso 19, 11: ’.'a PtL ixcipi [er] cp-ir'ejqT ft ueq-
stcvatoD-, Osiris welcher bewältigt seine Feinde; — und unmittelbar
darauf heisst es von ihm ^|I eou- [ft ex ep-]<r'ojqT ft neq-
2£.&2«.oir, Preis dem Besieger seiner Feinde. Da dieser Erörterung
zufolge ^ ^ ein Wort für sich ist, so bleibt von der ersten oben
angeführten Gruppe nur mehr 1^ oder () ca, cat übrig, ent
sprechend dem koptischen «jjoir, ujou-t, welche letztere Form im
Koptischen nur durch ein potentiales uj zu ujots-ujt verstärkt wurde,
im Grunde also dasselbe Wort und mit der nämlichen Bedeu
tung, wie das oben nachgewiesene Aus den obigen Bei
spielen des Todtenb. Cap. 140, 4 und 5 ist ersichtlich, dass die
beiden Gruppen ^ und in ihrer Stellung vor ^ wech-
se *"’* cann demnach nicht phonetische Schreibung von
sein i) und muss dessen Laut und Bedeutung auf einem andern
Wege erst ausfindig gemacht werden.
Ein weiterer Versuch zur Erklärung dieses Zeichens ist mir
nicht bekannt ausser etwa nach der von Uhl ein an n, dessen Deduc-
tion ich der Vollständigkeit wegen noch berühren zu müssen glaube.
Uhl ernann erklärt dieses Auge für camera, fornix; köpf. iumc
und substituirt sonach für dasselbe den Lautwerth KP. Mit Herbei
ziehung des determinativen o aus der Gruppe wird das
Consonantengerüste KPT gebildet und aus demselben das Wort
Land des Ptah, herausgelesen. Dagegen ist zu bemerken,
dass Selbst wenn das Wort, welches dem Zeichen zu Grunde
*) Dies geht auch daraus hervor, dass y sowohl selbstständig, ohne nachfolgen
des als auch vor anderen Götlernamen vorkonimt; als Verbum z. B. Todtenb. 10J,
8; 109, ß-.A.^ ferner: g f ^ I d Ä oi »
tu nie. cat-cat neteru ntu netcru-ncbu nrferu-nebu; der Himmel, welcher ist das
Land der gepriesenen Götter, der Herren und der Göttinnen, der Herrinnen.
(Todtenb. Cap. 134, 7.) ö Der preiswürdige Dienst der Göttinn Nut.
ILÜL. <x> a n
(Todtenb. Cap. 133, 10); ebenso vor Osiris: p Y ^ (todtenb. 161, b. 4.)
4
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXXVI. Bd. I. Hft.
J)Q Dp. R e i n i s c h
liegt, das Consonantengerüste KPT enthielte, dieses nimmer
bedeuten könne, da die einzig mögliche hieroglyphische
Schreibung für ha^i-ht^o se * n würde; indem ferner bhu«
nur die Consonanten KP enthält und T dem determinativen ^ an
gehört, fällt auch noch die letzte Möglichkeit weg, aus selbst
wenn es KHne bedeuten würde, ein KPT herauszulesen, ln seinem
Handbuch der gesammten ägyptischen Alterthumskunde, Bd. IV,
S. 269 f. schlägt Uhiemann eine andere aber ebenso haltlose
Erklärung dieser Hieroglyphe vor. Ich setze hier seine eigenen Worte
an: „Dieses Bild [q^] bedeutet, wie die zweisprachigen Inschrif
ten Jeden überzeugen können, häufig (sic!) Ägypten (Inschr.v.Ros.
VI. Todtenb. 140 (sic!)) und zwar syllabarisch ZoR (vgl. hebr.
Ma-zor und Mfaraim), weil die Wange koptisch und altägyptisch
kour (vgl.se-en-kour) hiess. Dass das Bild dieses Auges aus
Stein oder aus anderem Materiale angefertigt, häutig von den alten
Ägyptern als Amulet getragen wurde, spricht nicht gegen diese
Erklärung, es würde (!) in der Bedeutung von „Ägypten“ an einem
Bande um den Hals getragen, etwa unsern Nationalcocarden (sic!)
entsprochen haben.“ Wie gesucht und unhaltbar diese neue Interpre
tation sei, braucht kaum erwähnt zu werden; es ist auch fast unbe
greiflich, wie man bei offenem Blicke das Bild eines Auges als das
einer Wange ansehen kann. Uhiemann beging diese böse Augen-
teuschung daher offenbar nur, um für das koptische notrp zur
Erklärung heranziehen zu können und bei alledem ist diese Calcu-
lation eine gänzlich verunglückte, da für das koptische noirp die
Bedeutung Wange nicht erweisbar ist.
Wir wollen nun den Faden unserer eigenen Untersuchung wie
der aufnehmen. Aus dem bereits oben angeführten Beispiele des
Todtenbuches, Cap. 140, 4: »f Preis der Anbetung
dem^, dem Könige“ ist ersichtlich, dass das Bild des Auges die
Darstellung irgend einer Gottheit sein müsse und aus der Ermittlung
dieser wird sich denn auch die Lautung und Bedeutung unserer frag
lichen Hieroglyphe erweisen lassen.
Eine nähere Beschränkung der Angabe über den Charakter
dieser Gottheit erlaubt die auch bereits oben mitgetheilte Stelle aus
dem Todtenbuche Cap. 140, S: f 3 p j 3 ^ au-fyt n
Cher die Namen Ägyptens in der Pharaonenzeit etc.
51
^p misi-moh h tgru ngtgru. Koptisch: cos- ft ujots-ujt ft ^p hauci
eq-woiy ft TiipoT; gloria adorationis rw ^jp patri plenitudinis
omnium deorum, da dieses Epitheton „Vater aller Götter“ nur
einigen wenigen Gottheiten des ersten Götterkreises'zukommt. Des
selben Inhalts mit der angeführten Stelle ist die Inschrift auf dem
einen Ramses-Obelisk zu Luqsor (Ippolit. Rosselini I monumenti
storici, tom. 1, pl. CXVII): Vater der Götter
u. s. w. An mehren Orten des Todtenbuchs wird auch des Tempels
Erwähnung gethan, in welchem dieser Gott, der durch das mystische
Auge ausgedrückt wird, seine Verehrung geniesst: (Todtenb.
Cap. 42, 13 u. a.) Dieser Tempel befindet sich zu On, der Sonnen
stadt, daher (Todtenb. Cap. 123, Ä), dessgleichen kehrt
sein weibliches Gegenbild an zahlreichen Stellen des Todten-
buches wieder: sprechende Beweise, dass dieses Bild des Auges die
Darstellung, die sinnbildliche Bezeichnung einer göttlichen Persön
lichkeit sei. Ein fast stereotypes Attribut dieses Gottes ist neben dem
schon erwähnten mgs (generator) auch moh -vom, kop
tisch eq-woty n 2c.oai, xpdroz ivepyoüv, gleichfalls hinweisend auf die
ithyphallische Natur dieses Gottes. Schon nach den erörterten Stellen
wäre zu schliessen, wessen Gottes Bild dieses Auge sein müsse. Alle
die angegebenen Epitheta: „König, Vater der Götter, der
Kraft erfüllte, der Zeuger, der Herr von On“ sind Epitheta
die letzteren drei fast stereotype Attribute dieses Gottes. Eine andere
Darstellung des ^p ist E^’ oder auch verdoppelt; dieses Zeichen
wird nun förmlich durch die gewöhnliche Schreibung des Osiris
determinirt ^ ^ gUy (Todtenb. Cap. 17, 60 u. a). Besonders
merkwürdig ist folgende Stelle (Todtenbuch Cap. 17, 24 p.):
iß f ^ <j[ ß au mgh-cgm n Hesivi-Aufauch
semni-semni pou Hgsiri, koptisch: cot a «te .woo ft m* ircipi
Js,irq-ivii2.n6T-c6w.ni-C6Auii &qnioHe [4] ^: „Ruhm dem Krafterfüll
ten i): Osiris-Aufanch der gerechtfertigte, verherrlichte ist hinüber-
Epitheton des Osiris, cf. Hermaios Üb. I. de Aegyptiis in Plutarchos de lside ed. Parthey
pag, 65. ö[xßpt(j.6v (pYjvi ( ( Hp|Aaio;) ' (i.s&£p|J.r)V£uö|A5vov eTvoci tov w Ocnptv. Piutarch ib*
4 *
52
Dr. R e i n i s c h
gewandert zu ^p-Osiris“. In diesem Satze ist, wie der Augenschein
es lehrt, der Verstorbene, der Selige, welchem, nachdem er das
Todtengericht gut bestanden hat, auch der Name Osiris zukommt,
durch ^ bezeichnet, während der Gott Osiris xar von
dem Menschen-Osiris, dem Verstorbenen, durch das Auge unterschie
den wurde.
Bekanntlich wurde Osiris auch als Min (Jläv), eben so unter
dem Namen Uonnofre (Wohlthäter dyaftcmoiüv Plutarch.) verehrt;
beide Bezeichnungen sind nach dem Todtenbuche aber auch Attribute
des.Gottes, der durch jenes mystische Auge bezeichnet ist. So lautet
Todtenb. Cap. 125 A 12:
hör pgt-ui n hos pat-hbos
G TloÄS 1 oLHÄ (I jjBo m
i o
9 1
)p m On vi [Mechir] hör moh-hor mes
neb-to pu au Min mgli-cgvi ^p m On; koptisch: 4ooot itct oi n
(=4) 4 ncoT-^fiwc. ii ^jp ft (= efioAäen) on A Ate^ip A ni
e^ootr mvo^ (sc. A ni tu 4^oo«• A iimici utv nitHfi ft «o
ttvt oi 4 ni 4oir A Min liTV ne« mo^ n svom ^jp u con — der Tag,
welcher bestimmt ist zur Besingung (beim Ablegen des Kleides?) 3 )
des ^p von On im Mechir der letzte Tag, der da ist der des Zeugers,
des Herrn der Welt, welcher (Tag) da bestimmt ist zur Verherr
lichung des Min, des krafterfüllten ^p von On“. —Todtenbuch 125
A. 1 enthält eben dieselbe Stelle, nur mit dem Unterschiede, dass
am Orte, an welchem im obigen Satze das Auge gesetzt war, hier
dafür die Bezeichnung steht: Üpo mgs uon-nofre, q>Mici vt
pag. 74: Totlvopa (’Ojfpiüot) noXXÄ (ppdiica oüy ijxioxa öe ipdio; ivspyoüv (££^)
xcti iyzbomw* Richtiger drückt sich Jamblichus aus (de rnisteriis über, ed.
Vv 4IWVMX
Parthey p. 264) : „iyMt de irorrjxixit rnv "Otnpoi xexXijTca xai äXX«? St' äXXas Suva-
|xeis rs evepYeta? ditto vu|ju'a<; e^ei.“
\ cs 2iOTq JA in, es spricht Min; ib. 59:
1 ) Todtenb. Cap. 17, 59: *
KtL ^ es ‘ r ‘“^ n * 63. ^ ^ der Tempel des Min; ib. Cap. 86, 3:
> es spricht Min; Cap. 92,5 :
Min, der grosse Gott.
) ^1* Plutarch de Isid pag. 38: -yj S’ ’OatpiSo? (axoXij) oüx ey^ei axtäv oü8d irotxiX(xöv
dXXoc sv aitXuuv xö cpajxoetSe?. axpaxov yctp rj dpyrj xai d|xuY£<; xö itptbxov xai vorjxöv.
69ev aita£ xaöxYjv avaXaßovxec dttoxtösvxai xai cpoXäxxoucnv aöpaxov xai a'jiauaxov.
Über die Namen Ägyptens in der Pharaonenzeit. etc.
53
ottoh noqpe der wohithätige Vater“. Wir wollen hier jedoch etwas
länger bei der Betrachtung der zweitvorangegangenen Stelle des
Todtenbuches (Cap. 125 .412) verweilen. Es fragt sich vorerst, was
war dies für ein Fest, welches im Todtenbuche als am letzten Tage
des Mechir begangen angeführt wird und in welchem Zusammenhang
steht dasselbe mit dem Osirisculte ? Diese letztere Frage ist für
unseren Zweck hier im Grunde die bedeutendste.
Aus den Nachrichten der Griechen ist uns ein Fest, gefeiert
am letzten Mechir zwar nicht überliefert; es ist dieser Tag aber
der Vorabend zum ersten Phamenoth, An diesem genannten Tage
nun begingen nach Plutarchos Angabe (de Isid. ed. Parthey, pag. 75
sq.) die Ägypter das Fest des Frühlingsanfanges, welches der Ein
tritt des Osiris in den Mond genannt wird: eri de rrj vouprjvia tob
0apevib& pijvoc eoprfyv äyooaev epßaoiv 'Ooipidoz ek rrjv oekfjvrjv
dvopdCovzec; eapoz äpxty obaav.. oSrcu zrjv ’ Ootpidot; dmap.iv Iv
r/j ae):/jv7j zibevzai xa'i zrjv ’ I<uv auzw yeveaiv obaav aovecvac
leyooaiv. Es wurde demnach am letzten Mechir der Vorabend zum
Feste des Frühlingsanfanges gefeiert, oder um ägyptisch die Sache
zu bezeichnen, zum Feste des Eintrittes des Osiris zur Isis. Das
ganze Capitel 140 des Todtenbuches handelt von den Gebräuchen
und Verrichtungen, welche an diesem Vortage beobachtet und
vollbracht zu werden pflegten. Ich setze den Anfang dieses Capi
tols hier an, weil derselbe noch manches zur Vervollständigung
des Beweises bezüglich der Identität des Osiris und desjenigen
Gottes, der durch das fragliche Auge bezeichnet wird, beitragt:
o o ii £& 14 S-fr o o ii
m Mechir hör moh-hor soft moli-com au cat ^ m Mechir lior
o o o< o o O zJ\
moh-hor *); koptisch: itastcoAt ft KI ipe A we^cip A ni e^ooir
4«^ jtte^ ft 4£OOw A nwr <TtoqT A tti Ato^-astOAt 4ooir ft ujottujt ft
* A Ate^ip A nt coooiv e* Ate<y ft 4§ooir. Für das tiefere Verständ
nis dieses Satzes ist es nöthig, dass wir uns länger bei dem Worte
verhalten. Eine Bedeutung desselben wurde bereits oben bei
O
Erörterung der Stellen des Todtenbuches Cap. 19, 6 und 11 ermit
telt: cVcoqT = trepidare, dpabetv; zu diesem Stamme gehörig ist
<3>
I I I K»
com moh iritu
i ) Vgl. hierüber Lepsius über die Apiskreis (Zeitschrift der deutseh-morg-. Gesellschaft.
Jahrg'. 1853, S. 436).
54
Dr. R e i n i s c h
jedenfalls auch aj<»q« pugnus und cT'&.qn fiducia als Causalbedeutung;
ferner uicoq oder uj,\qe, tumescere, aufschwellen, tropisch: in lei
denschaftlicher Erregung aufwallen; dessgleichen 2c.oq und redupli-
cirt 2c.0q2ff.eq, ardere, fernere. Für das hieroglyphische ® bestehen
demnach die Bedeutungen n) kräftig sein, b) überwältigen, zer
schmettern, c) aufwallen. In der Bedeutung sub b) fanden wir
ff in Todtenb. Cap. 19, 6, 11; in der Bedeutung suh a) vergl.
Todtenb. Cap. 147, 4: P ,3-» der kräftige Sonnengott, die Sonne
in ihrer vollen Kraft; eben so der Mond in seiner vollen
Kraft, Vollmond. In der Bedeutung suh c) ist das 3- für den obi-
gs CS
gen Satz (Todtenb. Cap. 140) zu fassen, also g aufwallen
Fülle der Kraft, ein epcou xaisadac, welche Bezeichnung hier
ganz vorzüglich ihre Bestätigung findet, man berücksichtige eben
nur den Tag, in Beziehung dessen dieser Zustand von Osiris ausge
sagt wird, den letzten Mechir als den Vorabend zum Tage der wirk
lichen iußaan; ’ Üolpcdoc efc ttjv’ Iitcv am ersten des Phamenoth.
Fast unbezweifelt hängt mit und zwar in dieser letztem Bedeu-
tung der Name des Pyramidenbauers Cheops zusammen
oder Chufu, koptisch ujcoq, uji\qe. Eratosthenes in sei
nem Verzeichniss der thebäischen Könige übersetzt diesen Namen
durch xwpaorqz, welches Wort denn auch wirklich ein Attribut des
Dionysos ist, mit welchem von den Alten Osiris identificirt wird; so’
ruft ihn der Clioros in Aristophanes Wolken V. 603 ff. an:
IJa.pvaa'iav iP 8c xuts/cov
nsrpav abv Tteuxais ashiysl
Baxycuz Aelwimv kpnpsruDv,
xmpaaTrjz Acdvuaoc.
Wir werden demnach den oben mitgetheillen Anfang des 140.
Capitels des Todtenhuches folgendermassen zu übersetzen haben:
„Das Buch (Capitel), welches enthält die Verrichtungen (Cäremo-
nien) am letzten Tage des Mechir (dem Tage, an welchen!Osiris)
aufwallt in Fülle der Kraft; Preis der Anbetung dem Osiris am letzten
Tage des Mechir“ oder mit Hinweglassung des zweiten Relativs, das
ja auch in den Hieroglyphen nicht gesetzt ist: „aufwallt er in Fülle
der Kraft“. Vgl. hiemit die mitgetheilte Stelle des Todtenbuehes
Cap. 125, A. 12, in welcher Osiris am 30. Mechir als Min-Osiris
Über die Nameu Ägyptens in der Pharaonenzeit etc.
55
angerufen wird, und Todtenbueh 125 A. 1: als der zeugende Gott
Uonnofre-Osiris.
Nachdem nun wie ich glaube die sachliche Identität von
und testgestellt ist, fragt es sich nur noch, welches denn der
Laut sei, der diesem letzteren Zeichen zu Grunde liegt. Dasselbe
ist wie der Anblick lehrt das Bild eines Auges. Zieht man den
koptischen Wortschatz zu Rathe, so gelangt man zu keinem befrie
digenden Resultate bezüglich dieses Punctes, das Auge heisst hier
ß&A, ßeA., ein Laut, der mit dem des Namens Osiris nicht die ent
fernteste Verwandtschaft oder Ähnlichkeit hat. Wir wissen aber aus
griechischen Nachrichten, dass das Altägyptische für Auge auch
eine andere Bezeichnung besass, nämlich iri. So sagt Diodoros von
Sicilien (üb. I, 11), der Name Osiris überselzt elg zdv EXXyjvcxöv zrjg
diaXexznu zpozzov bedeute noXouipfXaXpov und deutlicher bezeugt
dasselbe Plutarchos (1. c. pag. 16.) evcoi de xat zouvopa (zoü ’Oot-
pidog) diepprjveboucn noXoufdaXpov, (og zoö pev og rb noXu, zoü
de cpc ziiv dpdxXpbv Alyanzia yXcüzzrj tp pd^ovzo c. Ob
die hier gegebene Etymologie des Namens Osiris richtig sei oder nicht
darauf kommt es Uns gar nicht an: so viel kann man aus dem obigen
Zeugniss als Factum festhalten, und das genügt unserem Zwecke,
dass im Altägyptischen das Auge auch ii'i geheissen habe.
In Bichard Lepsius epochemachender Schrift über den ersten
ägyptischen Götterkreis wurde der bestimmteste Nachweis geliefert,
dass der ursprüngliche Nationalcult der Ägypter der Sonnencult
gewesen und der früheste mythologische Ausdruck oder doch der
früheste Ausfluss desselben in dem Localculte des Osiris zu This
und Abydos wieder zu erkennen sei. Meiner Überzeugung nach
ist nun jene älteste Bezeichnung für Osiris, entstanden in jener
Vorzeit des ägyptischen Glaubens, in welcher Osiris noch als Sonnen
gott Ra, Re oder Iri angerufen wurde, ln der Form iri kommt auch
der Name des Gottes Ra im Todtenbuche vor: (Cap. HO a,
16); in dieser Form bringt nun dasselbe auch den Namen des in Abydos
verehrten Gottes Osiris (3 CH 1L (Todb. 109, 8), so wie die
^ 0_^ TIQ
Göttinn Muth (Isis) daselbst den Namen ^ ^ (Iri) führt (ibid. Cap.
164, 11). Jener uralten Glaubensphase, in welcher Osiris noch vor
züglich als Sonnengott galt, gehört auch die auf den Denkmälern
56
Dr. R e i ii i s c h
nur mehr selten vorkommende Namensschreibung für Osiris in der
■CT>
Form ^ an, da in dieser Gruppe das hesi fehlt, also fiir den Laut
nur Ra oder Iri übrig ist, das Scepter aber als Zeichen der gött
lichen Herrschaft nur als Attribut „Herrscher, König“ zu betrachten
ist. Für diese Auslegung spricht Plutarchos (1. c. pag. IG): vbv
yap ßaadsa xa'i xuptov ’'0<npiv öy^alpip xac axifjnrpcp ■ypücpoucnv.
Bisweilen wechselt gerade zu mit ® . So kommt z. B. in Burton’s
Excerpfa hieroglyphica plate IX, wo der König Sesosre Amenmeri-
Ramessu dargestellt erscheint, wie er seinem verstorbenen Vater
Su-Menephre Seti-Miamen (sonst Seti-Mienptah) „in dem
Hause seinesVaters Amen“ opfert, aufderZeile rechts dieSchreibung
des Amen-Ra in der Form
gesetzt wird.
Die thebäische Mythologie lässt noch die Spuren erkennen, wie
die Emanation von Gottheiten aus dem einen Ra vor sich gegangen
war. Die ursprüngliche Religion der Ägypter war ein Dvotheismus,
man verehrte nur die Sonne und den Mond als Gottheiten. Allmählich
fing man an, die Sonne als aufgehende und als untergehende Sonne
zu scheiden, .so entstanden aus dem einen und ersten Ra die zwei
Sonnengötter Mentu (d/mv# kopt. auiottt janitor) und Atmu (Toup
kopt. TtoAv. claudere); an diesen schloss sich dann der Gott Su (2'mc)
an. Das Todtenbuch enthält eine Stelle, in welcher in der Götter
rangordnung noch denjenigen Platz behauptet, den in der späteren
Lehre der Gott Sü inne hat. (Cap. 134, G): ® (af ? ^ jJ
r (■££[
au-cut m hot.f, Ra neter Atmu neter, au- rat ^p ero, Sa, Sr//
neter, llesiri suteni, Hör-Ment neter, kopt.: Cot ü uron-ujT ü «otit
'|>nCT pev m hott^, fi no^Hf, 4ott ü ujoiriaT fi ^ m ou-po
cod-, ciifi in iiod-Ä", ircipi cots-tcu, §wp-Ä6iiT m non"^-. Preis der An
betung dem ersten, der da ist der Gott Ra und Atmu, Anbetung dem
^P dem Könige, Su, Seb, dem göttlichen Herrscher Osiris und
dem Gotte Hor-Ment. Damit in Übereinstimmung ist die Angabe
auf der astrologischen Stele Metternich’s, welche Heinrich
Brugsch mittheilt (Geogr. Inschriften Bd. I, Tafel X. Nr. U8I):
iZs ? HAI (Ti 23St &*) ST &. 1Tor « me ° nt iri - k m sä >
v 0r wofür sonst bekanntlich
J r iO r
Über die Namen Ägyptens in der Pharaonenzeit etc.
57
abt iri-k m Tefngt, mgsu pu-ent Ra. kopt. oyop m c.mcut nre tcu-
fieuV cots- ne, m eifiT ätc TeR-ÄNA Tö-quoirT tc, n&.i m auci ne n
piv. Horos, der Westen deines Auges ist Su.der Osten deines Auges
ist Tafnut, dies sind die Kinder des Ra *). Von diesen Horos-Augen
und ihrer Bedeutung berichtet auch Plutarchos (I. c. pag. 92): ’Ev ds
toic cepocz upvoiz toü ’Oolpidcx; ävuxuXoovraL rbv ev rabt; dyxdXait;
xponrbpsvov rot) rjXioo xal rfj rpcaxddc xoü ’Enap'c p-/jvu<; eoprd£oucriv
ötpdaXpüv "Qpou ysvedXaov, ors asX’fjvvj xal ijXios im ptu? ebdeiat;
ysyövaocv, ob pbvov rvjv aeXvjvvjv dXXd xal rbv rjXtov
bppa rob'ßpou xa\ <pu><; vjyoupsvoi.
Wir haben darnach den Su gleichfalls als Sonnengott zu be
trachten und zwar zu Folge des obigen Textes der Metternich-Stele
als die Sonne des Westens. Als solche kennen wir bereits den Gott
Atmu welcher in der thebäisclien Lehre dem Su im Range vorangeht.
Demnach repräsentirt Su ein weiteres Stadium der Sonnenbahn, er
ist die zur Rast sich neigende Sonne, sein Name erklärt sich leicht
aus dem koptischen s-to (cessare, mansionem facere). Während Ra,
Mentu und Atmu den priesteflichen Schemen zufolge keine weib
lichen Gegenbilder haben, ist Su der erste, dem ein solches in der
Tafnut (Mond) gegenüberstellt: erst mit dem Untergang der Sonne
kommt des Mondes Licht zu Kraft; wenn Su im westlichen Horizonte
sich neigt, erhebt sich im östlichen die Tafnut, das sind die zwei
Horosaugen. Endlich das letzte Sonnenstadium, die gänzlich unter
gehende Sonne und Sonne der andern Hemisphäre, Hesiri. Der erste
Bestandtheil dieses Namens findet sich noch im koptischen o:\cie
(subinergere) das mit (fatigare) in etymologischem Zusammen
hänge steht. In der Fortbildung der Götterlehre wurde dem Sonnen
gott Osiris in Seb (Kpovoc; kopt. «von* tempus) ein Vater gegeben,
der als solcher denn auch in der Rangliste dem Osiris vorangehen
*) Brugseh übersetzt hier freier: „Horns dein linkes Auge ist Mu (soll heissen Sü,
welche letztere Lesung- Brugseh selbst ermittelt hat), dein rechtes Auge ist Ta-
fnut etc.“ Vgl. nocli die von demselben mitgetheilte Stelle der Neapler Tafel:
YVWHV (
O
□ >
„sein rechtes Auge das ist die Sonnenscheibe
und sein linkes Auge das ist der Vollmond“ und Sextos Empeir. Tcpiq xoös p.a{>Tjp.a-
Tixoüq ßiß. E r (ex recens. Imm. Bekker. pag. 733, 22.) ot AlyoTmoi ßajtXet p.sv xal
8s£i«p 6cp&aAp.o"> äitsixä^ooai xov *?jXtov, ßaaiXeta os xal äpiaxspip 6cp&aXp.üj xyjv ctsXyjvtjv.
Über die Bestimmungen der Weltgegenden bei den alten Ägyptern vgl. Plutarchos
I. c. pag. 31): Aifüimoi fäp oiovxai xä p.sv ed)a xoD xöap.oo Tcpöatorcov etvai, xä 6s Trpöc;
ßoppav 8ssjiä, xä 8s izpbq vöxov äptaxspä.
Dr. R e i n i s c h
musste. Hiedurch zerfiel der erste Götterkreis in zwei Geschlechter,
von denen das erste die Repräsentanten der leuchtenden Sonne des
Tages in ihren verschiedenen Stadien, das andere aber das Osiris-
geschlecht enthielt.
Als Resultat unserer obigen Auseinandersetzungen können wir
demnach festhalten, dass ^ ursprünglich eine Bezeichnung des
obersten Sonnengottes Ra war, später auf dessen Emanationen aus
gedehnt und zuletzt vorzugsweise als theologische Bezeichnung des
Osiris festgehalten wurde; es lässt sich vermuthen, dass diese
Wanderung bereits einer Zeit angehören muss, in welcher die ver
schiedenen Sonnengötter mythologisch noch nicht so scharf und
bestimmt von dem ersten Ra abgegrenzt waren. Der Laut, welcher
dem Zeichen ^ zu Grunde liegt, ist demnach Ra und nach dessen
Variirungen Re, Ire (p(\,pH,ipH), dies ist denn auch die der Gruppe
zu Grunde liegende Lautung, da q als determinative nicht
gesprochen werden; die Bedeutung derselben „Land des Ra,
respective: Land des Osiris“. Bestätigung für diese Auslegung
gewährt einelnschriftvonEdfu, welche B r u gsch (Geogr. Inschriften,
Bd. I, Taf. X, Nr. 383) mittheilt: Ra m Ra ah
tu Sgti, „Sonne im Sonnenlande, Mond im Lande Seti 1 )“ eine
Huldigungsformel an die Pharaonen. War Kam der älteste volks-
thümliche Landesname Ägyptens, wie ich in meiner angeführten
Schrift dargelegt habe, so scheint die älteste theologische
Bezeichnung desselben gewesen zu sein. WennHerodotos (II, iS) be
richtet, dass to Ttälo.1 ac Oijßai AtyimzoT ixaheero 2 '), so wird dies'e
Aussage, welche derselbe von den ägyptischen Priestern empfing,
vermuthlich auf den eben besprochenen Namen zu beziehen sein, für
welchen Herodotos den ihm geläufigeren Aiyunros gesetzt haben mag.
Im oberen Lande war die ursprüngliche Cultusstätte des Ra, hier die
Entstehung des Osiriscults zu This-Abydos, der Residenz der zehn
Yormenischen Thiniten und dem Sfammorte des Menesgeschlechtes:
gehört die Entstehung des < ~jp‘ dem Oberlande an, so dürfte wohl
*) Uns Land Seti, wovon noch weiter unten die Rede sein wird, ist das nämliche am
arabischen Golf gelegene Landesgebiet, das in der koptischen Zeit unter dem Namen
A.p&.fiidk vorkommt.
2 ) Cf. Aristot. Meteor. I, 14.
59
Über die Namen Ägyptens in der Pharaonenzeit etc.
auch da seine Wurzel haben. In einer Legende bei W i 1 k i n s o n
(The manners and customs of the anc. Egypt. vol. IV, pag. 395.
plat. 37.) erscheint diese Gruppe in der Form des doppelten Auges
geradezu als determinativ vor einem hieroglyphischen Stadtnamen,
welchen Lepsius in seiner Karte Ägyptens (Denkmal, aus Ägypten
und Äthiopien, Abtheil. I, Bl. 2) dem oberägyptischen Ombos zu
schreibt; die erwähnte Legende lautet: „Harueris
(ßApoor]pt<;, ßpos TtpeaßuTspOir) der Herr von Ombos“. Auch hier
erscheint das Auge zum Lichtgotte Horos in Beziehung gesetzt;
dass das Stadtsymbol von Ombos das Krokodil war und dort also
der Gott Sebak hauptsächlich verehrt wurde, thut unserer Erklärung
keinen Eintrag: Sebak wurde hier als eine Manifestation des Osiris
angebetet, wie aus dem Todtenbuche (Cap. 111, 1) hervorgeht:
t , So -.gs?jj/j Uonnofre-Sehak, der Gott von Ombos <).
Ich habe in meiner erwähnten Schrift „über die Namen Ägyp
tens bei den Semiten und Griechen“ dargethan, dass der von
Stephanos Byzantinos angeführte Name Ägyptens mit der noch im
Koptischen erhaltenen Benennung des Flusses Nil i^po, iepo in ety
mologischem Zusammenhang stehe; hier wage ich es auszusprechen,
dass ’Aepla mit in Laut und Bedeutung Zusammenfalle. Zur
Begründung dieser Behauptung möge noch Folgendes anzuführen
gestattet sein.
Bekanntlich wurde Osiris nicht blos in der Sonne, sondern
auch im Nil verkörpert angesehen. So berichtet Plutarchos (I. c.
pag. 54) als Angabe einiger weiserer Priester „<&c nup Alyunrlois
NsiXov stvat ruv ,r Oacpiv ’'I<rtdi oi>v6vra rjj fjj“; dasselbe pag. 57,
ingleichen pag. 64, dass den Ägyptern der Nil als Ausfluss des
Osiris gelte „a»c dk Neftov 'Oaiptdog dnopporjv . . .“ Dieser letztere
Name für den Nilstrom „’üaipidoi; uTtopporj“ ist in so fern sehr be
achtenswert!:, als derselbe gewissermassen die Umschreibung oder
Übersetzung einer ägyptischen Bezeichnung des Nil anzusehen ist,
welche Sipts (koptisch ci-ipi) lautet. Diesen Namen gibt der Perie-
pete Dionysios an in seiner nsptYjyrjai^ ohoupivTjs v. 221 an:
1 ) Plutarchos (I. c. p4ig. 7Ö) führt aus Hermaios einen Beinamen.des Osiris an, welcher
Ojxcpic lautet.
i
60
Dr. Hein i s c h
sv&ev ncdvÜTOto xarip/evai udo.-a Netkou
oc dy toi Acßurjüev ix’ dvroXirjv xoXbq ipxcov
Eiptq bri Altiioxiov xcxXXjffxszac J ).
Hier wird freilich angegeben, dass der Nil von den Äthiopen
Eiptg genannt werde, der Name ist aber echt ägyptisch, auch Era
tost henes in seinem Verzeichniss der thebäischen Könige führt
einen Herrscher Namens Eiptoq an, welchen er durch vidg xbpqc,
Sohn der Pupille, übersetzt, allerdings eine wörtliche aber entschie
den von Eratoslhenes falsch verstandene Interpretation; der Name
dürfte hieroglyphisch etwa [gffioder si-iri geschrieben
worden sein. Möglich ist nur noch, dass Sipig eine verderbte Form
für ’'Offcp:g ist, wie denn auch Plutarchos die Form lelptoq für
'Ooipiq anführt 2 ); in beiden Fällen aber entspricht die koptische
Bezeichnung des Nilstromes i;\po iepo der älteren Form des Namens
Osiris: ß, Ijff.
Von diesen Erörterungen aus glaube ich sei es möglich einen
Grund aufzuweisen, wesshalb in den abgeleiteten Quellen der ägyp
tischen Zeitrechnung die Geschichte Ägyptens abgetheilt wurde in
drei grosse Perioden, welche nach den Namen dreier Völkerschaften
benannt wurden, die einander in der Herrschaft über das Nilthal
folgten, nämlich die Aeriten, Mesträer und Ägypter. Es hat sich
oben herausgestellt, dass ’Aspia (q^) d‘ e älteste theologische
Bezeichnung Ägyptens war und dieser Name seine Entstehung im
oberen Lande habe; es repräsentirt uns sonach das Volk der Aeriten
die Dynasten des alten Pharaonenreiches, das mit einem oberägyp
tischen Herrscherhause begann, mit einem thebäischen schloss. Es
folgt hierauf die Zeit der Hyksoskönige, welche von dem nordöst
lichen Grenzlande Ägyptens aus, das in der späteren Zeit den
Namen Ramesse (identisch mit Mesra) führte, ihre Herrschaft
über das ganze Nilthal ausübten. Vom Beginn der XIX. Dynastie an,
nachdem die Hyksos und Israeliten, deren letzterer Auszug mit dem
Schlüsse der XVIII. Dynastie zusammenfällt, Ägypten geräumt hatten
1 ) Vgl. hiezu Eustathios in d. Scholien zu diesem Verse; denselben Namen führen an
Plinius Nat. Hist. lib. V. cap. 9. Soliuus in Polyhist. cap. 32 und Stephan. Byz. suh
2'jvjvy).
2 ) Pint. I. c. pag. 94, cf. Diod. Sic. I, 11: tojv os Ttap’ "EXXvjat KaXcaiov (a.u&üX^Ymv xive?
xöv OtJipiv Atovujov 7cpo?ovopä(iotjat xai üstpiov Trapmvjpoji;.
61
Über die Namen Ägyptens in der Pharaonenzeit etc.
und alles Land von Libyen bis zum Mittelmeer und dem arabischen
Golf der Fremden entledigt worden war, datirte man eine neue und
dritte Periode, welche xaz s^o/rjv die Zeit der Herrschaft der
Ägypter bezeichnet wurde. Ich habe bereits an einem andern Orte
dargethan, dass Alyunzos ursprünglich das Deltaland bezeichnete
und mit dem biblischen Namen ninDD’K Zusammenfalle. Auch hier
trifft die Analogie der Benennung dieser neuen Periode und des
Namens jenes Landesgebietes, welches von nun an den Mittelpunct
der Herrschaft bildet, vollkommen zu; an die Stelle von Theben
trat im neuen Reiche Memphis als Residenzstadt ein; auch die Städte
Bubastis Tanis Sais sahen nach einander aus ihrer Mitte Herrscher
über das gesammte Ägypterland hervorgehen.
Wichtiger jedoch als die eben angezogene Schlussfolgerung
aus unserer Bestimmung der Hieroglyphe scheint deren Anwen
dung zu sein auf die chronologische Feststellung und Ermittelung
des Königs Neilos, welchen Dikaiarchos beim Scholiasten zu
Apollonios Rhodios (Argonautica IV, 276) anführt. Die besagte
Stelle lautet nach Bunsen’s Urkundenbuch, pag. 71 also: Aixalapyos
ev npcözaj perä zhv ''Iaidos xa.'c ’ Oaipidos Opov ßaatXia yeyovevai
Xsady/coaiv Xsysi. atazs yiyveo&ac und zvjs Seooy/cdoidos ßaaiXeias
ps/pi zrjs NeiXou izrj diayiXta cp', dno de rljs NeiXou ßaai
Xeias piypi zyjs npcdziys oXopniudos ezy uXs, cos eivai
za ndvza opoö ezrj ikayikia evvaxoaia Xs.
Bunsen identificirt diesen Neilos mit dem letzten König der
XIX. Dynastie, dem Thuoris, welchen Namen derselbe in Phuoris
(doocopis-tfoucopis) verändert und als c|>ii,po (Nil) erklärt, ganz
nach dem Vorgänge des Eratosthenes, welcher den 37. thebäischen
König (ßounpcd durch NstXog übersetzt. In Dikaiarchos Angabe be
zeichnet des Neilos Regierungsantritt den Beginn einer neuen
Epoche; nach Bunsen ist diese nun die kv&änd zljs ’JXiou äXcdoecog,
welche Manethos in des Thuoris Zeit setzt: Qoücopig 6 no.p''Oprypcp
xaXoöpevos üoXußos, 'ÄXxävdpas d.vrjp, icp' oo zo "IXiov sdXco.
Bunsen’s Comhination scheint sich zu bestätigen durch den neuen
Text der oben angeführten Stelle des Dikaiarchos, mitgetheilt in den
von Keil besorgten Scholien zu Merkel’s Ausgabe des Apollonios
Rhodios, wornach dem König Neilos sieben Regierungsjahre zuge-
62
JDr. R e i n i s c h
schrieben werden; eben so viele zählt der Manethonische Thuoris;
das Schlussjabr des Neilos fällt nach diesem revidirten Text mit
der Eratosthenischen Ära and zr/c ’/Xlou dlcdaewc zusammen, auch
Böckh setzt in des Thuoris letztem Regierungsjahre die Einnahme
Troja’s an. Die ganze Stelle lautet folgendermassen: yivezac de dno
Neady/ecoc in'c zrjv NeiXoo ßaocXeiav ezrj ßcp , (dnö de zrjt; NeiXoo
ßaadetaz in'c zrjv ’IXcoo dXcoacv C) dno de zrjz 'lXioo dXcöaecot; in'c
zXjV d dXojincdda uXc, o/ioü ßXpy. Wir wollen nun sehen, ob diese
Identificirung des Thuoris und Neilos eine Glaubwürdigkeit habe.
Es ist hier nicht nöthig zu untersuchen, ob bei Dikaiarchos
die Olympiadenzählung auf des Koroibos oder Iphitos Ära beruhe;
wenn Neilos und Thuoris ein und dieselbe Person sind, wie ange
nommen wird, so haben wir den chronologischen Anhaltspunct in
der Eratosthenischen Ära dno zyj<; ’lXiov aXwcrecoz 1184 v. Chr. Von
diesem Zeitpuncte an bis zur ersten Olympiade zählen nun nach dem
obigen revidirten Texte des Dikaiarchos 436 Jahre. Differenzirt man
aber die beiden Jahresangaben 1184—436, so kommt das Jahr
748 v. Chr. als erstes Olympiadenjahr zum Vorschein, eine Zeitbe
stimmung, welche weder zu der des Koroibos Ära (776 v. Chr.),
noch zu der der Ära des Iphitos (884/888 v. Chr.) passt. Die
Identificirung des Neilos und des Thuoris ist demnach eine unge
rechtfertigte Combination, dessgleichen sind auch die Worte der
letztangeführten Stelle des Dikaiarchos nach Keil's Edition: „and de
zy}<; 'IXcoo dlcdaeoK z. z. a.“ (vor denen Keil noch ergänzte: „and
de zYj<; NeiXoo ßu.aiXeio.q in'c zrjv ’IXloo äXcoacv C) als Randglossen
irgend eines Codex zu betrachten, welche von einem spätem Ab
schreiber dem Texte einverleibt wurden. Wir haben uns daher nach
dem von Bunsen mitgetheilten Auszug zu halten, wornach zwischen
Neilos Regierungsantritt und dem Anfang der ersten Olympiade ein
Zwischenraum von 436 Jahren liegt.
Den richtigen Weg zur chronologischen Ermittelung des
Königs Neilos hat unstreitig Lepsius eingeschlagen. Derselbe
sieht in der Epoche, welche des Neilos Regierungsantritt begrün
det, die ägyptische Ära dno Mevöcppeu)?, welche im Jahre
1322 v. Chr. eintrat. Rechnet man von da 436 Jahre herab, so
gelangt man zum Jahre 886 v. Chr., welches nur um zwei Jahre
von der Ära des Iphitos (888/884 v. Chr.) entfernt ist. Nach Ideler's
Berechnung fällt der Beginn der Ära des Iphitos in’s Jahr 883 v.
Über die Namen Ägyptens in der Phnraonenzeit etc.
63
Chr., diese Bestimmung würde in unserem Fall eine Differenz von
nur einem Jahre ausmachen. Wenn Lep sius dieses vonDikaiarchos
erwähnte erste Olympiadenjahr für den Anfang der Ära des Iphitos
erklärt, so ist dies sein Verfahren kritisch durchaus gerechtfertigt.
Dikaiarchos war ein Schüler des Aristoteles; von letzterem wissen
wir aber aus Plutarchos (Lycurg. cap. I, 1.), dass er die Olympiaden
einrichtung dem Iphitos, dem Zeitgenossen des Lykurgos zuschrieb.
Man ist hiernach vollkommen berechtigt anzunehmen, dass auch
Dikaiarchos die Olympiaden nach des Iphitos Ära rechnete, zumal
die Zählung der Olympiaden nach der Ära des Koroibos erst durch
Timaios von Sicilien in Gebrauch kam. Es unterliegt demnach wohl
keinem Bedenken, die Ära dnb rrjc; Ne'doo ßuadsiag und die dnb
Mevotppecoc für gleichbedeutend zu halten.
A. Scheuehzer identificirt in einer Abhandlung „Nilus und
Ägyptus“ (Monatsschrift des wissenschaftlichen Vereines in Zürich,
Jahrg. III, S. 313 ff.) den König Neilos mit dem Manethonischen
Sethosis (lifXwg-'Pap.eaarjg'), dem ersten König der XIX. Dynastie,
von welchem Manethös (Jos. Flav. cont. Ap. I, 15) berichtet, dass
er auch den Namen Aigyptos geführt habe: „Zettajacg ixalaho
Aij-unrog“; dass Aiyunvoc den älteren Griechen nicht hlos das Land,
sondern auch den Fluss desselben (= Nedog') bezeichnete (vergl.
Odyss. 8. 477. 581. f. 257. p. 427, cf. Strab. p. 29. 36. 69. Paus.
IX, 40. 6) ist bekannt und hiernach würde Seheuchzer’s Combination
viel für sich haben, wenn es sich bestätigen würde, dass 1. jener
Manethonische Zusatz wirklich zu Sethosis gehörte (in Eusebios
Auszug steht diese Bemerkung bei Ramesses, dem Vorgänger Ame-
nophis IV. der XVIII. Dynastie) und dass 2. die Sothis von 1322
v. Chr. sich unter jenem Sethos erneuert habe. Übrigens ist der
Beiname Sethosis für Ramesses, den Begründer der XIX. Dynastie ein
ganz ungerechtfertigter und basirt wahrscheinlich nur auf einer Ver
schreibung Manethös. 2e#a>g und Seftioocg entspricht der hierogly-
phischen Form Seti, ein Name, den wohl Ramesses Nachfolger
Seti-Meneptah, sowie der vierte König dieser Dynastie, Seti II. führ
ten. In der Tafel von Abydos heisst Ramesses „Sot“ (der Name ist
ausgedrückt durch den Hundskopf, kopt. cuow, c<wc, neben welcher
heiligen Bezeichnung $oop nur als die vulgäre zu betrachten ist). Die
ser Name Sot wurde nun gleich Seti im Griechischen durch 2£&a>g
ausgedrückt, obwohl diese letztere Form linguistisch nur dem hierogl.
64
Dr. R e i n i s c h
Seti allein entspricht. Ich habe an einem andern Orte (Sitzungsber.
d. kais. Akad. d. Wissensch. 18f>9, XXX, S. 38G) die Vermuthung
geäussert, der gräcisirte Pharaonenname Aiyumos sei eine Über
tragung des ägyptischen Mesra, der Bezeichnung des nordöstlichen
Grenzlandes von Ägypten, welche Amenophis IV. Vorgänger Ram-
ses, der seinerseits auch Mesra hiess, an die Stelle ihres frühem
Namens to-Seti, das Land Seti (Brugsch, Geograph. Inschriften
Bd. I, Taf. LIII, Nr. 1557, cf. Zeüpioir/js vopoc) gesetzt hatte. Von
dieser Ansicht bin ich abgekommen, seit ich aus den Denkmälern
ersehen habe, dass Seti I. den Beinamen Iri J\ führte (Lepsius
Königsh. Taf. XXXI, M. 0., welches Zeichen eben nur eine Abkür
zung von ist; auch wechselt jenes erstere sowie dieses letztere
mit <■> ibid. lit. n.), von welchem Worte wir oben gesehen haben,
dass es mit dem koptischen iepo, der Nil, gleich sei; der Herodo-
teische König (Pspdx; (Herod.II, 111), welcher dem Seti-Meneptah I.
entspricht, ist hinsichtlich seines Namens = ^>iepo, üpiepco (iep<o mit
dem memphit. Artikel), der Nil. Wir werden demnach den König
Neilos mit dem Seti-Menaptah I. zu identificiren haben; ist dies der
Fall dann muss diesem Könige auch der Menophres das Theon ent
sprechen, nach dem die Sothiserneuerung von 1322 v. Chr. ihren
Namen trägt.
So bestimmt das Anfangsjahr der Sothisperiode u.nb Dlsvofpeax;
für das Jahr 1322 vor Chr. ermittelt ist, so wenig hat man sich bis
jetzt darüber definitiv geeinigt, unter welchem Könige Ägyptens und
in welchem Regierungsjahre dieses fraglichen Königs dieselbe ein
getreten sei: ßöckh stellt ihren Anfang mit dem vierten Regierungs
jahre Sethosis I. zusammen, Bunsen und Lepsius halten den Regie
rungsantritt des Menephthes (Mienptah II. Hotephimat) für den Anfang
der Epoche ino Mevbippecog, Brugsch dagegen glaubt das letzte
Regierungsjahr desselben Menephthes als Anfangsjahr der Hunds
sternperiode von 1322 vor Chr. ansehen zu müssen. Es sei gestattet
in diese für die Chronologie der Ägypter so wichtige Frage tiefer ein
zugehen.
Aus der Angabe des Alexandriners Theon, dass von Menophres
bis zum Ende der Augusteischen Ära 1605 Jahre verflossen seien,
ersieht man nur so viel, dass der König, unter welchem die Hunds
sternperiode von 1322 vor Chi', begann, den Namen Menophres
geführt habe. Welchem Manethonischen König der XIX. Dynastie
i
Über die Namen Ägyptens in der Pharaonenzeit etc. 65
(denn dass die erwähnte Sothis während, dieser Dynastie eintrat,
darüber herrscht wohl kein Zweifel mehr) entspricht nun dieser
Menophres des Theon ? B u n s e n und L e p s i u s sehen in diesem Namen
eine corrumpirte Schreibung und conjiciren MENO09HC für MENO-
0PHC. Diese Conjecfur würde wohl dann eine Berechtigung haben,
wenn Menophres eine sinnlose Form wäre, welcher Fall hier nicht
stattfindet. Wenn Menophthes auf dem hieroglyphischen
basirt, so kann der Form Menophres ebenso gut ein oder
zu Grunde liegen. Auf den Werth einer Emendation wenigstens
darf die erwähnte Conjectur nicht Anspruch machen.
Unter den Königen der XIX. Dynastie sind es nur die beiden
ersten Herrscher Ramses - Sethos und Seti-Menephthah welche in
ihrem ersten Thronschilde auch den Beinamen Menephre führen
und zwar ist der volle Name des ersten zufolge den Denkmälern
Sot-Menephre Ramessu <), der des zweiten Su - Menephre Seti-
Menephthah 3 ). Ob und welcher von diesen beiden Königen der
Menophres des Theon sei, wird sich vielleicht auf chronologischem
Wege ermitteln lassen.
Nach Manethös Angabe bei Georg Synkellos (ed. Bonn,
pag. 97, 17 sqq.) fällt des Menes Regierungsantritt in das julianische
Jahr 3892 vor Chr. Zwischen Menes erstem Regierungsjahre und
dem Beginn der Sotliisperiode von 1322 vor Chr. liegt demnach ein
Zeitraum von 2370 julianischen Jahren; Dikaiarchos (a.a.O.) gibt
in runder Summe 2500 Jahre an. Da wir die bestimmte unmittelbare
Succession und die Namen der drei ersten Könige der XIX. Dynastie
aus der Tafel von Ab y dos und ihre Regierungsjahre aus Manethös
genau anzugeben im Stande sind, so bliebe uns zu bestimmen übrig,
wie gross der Zeitraum sei von Menes bis zum Beginn der XIX.
Dynastie, um zu ersehen, oh die Sothis d.no Mevixppewq während
Im ersten Namensschilde, das eigent-
, rtikel in der Aussprache hinzuzufügen:
Mene-ph-re = Mavötpprjs. Ähnlich wurde auch der Name des Pharao Ilophra hiero-
glyphisch nur I-Ia-ra ^^)Q geschrieben, aber mit dem Artikel gesprochen, vgl.
'Anp(rjq (llerod.) Ouä<ppi? (Maneth.) piDH (Bibel).
Sitzb. d. phil.-hist, CI. XXXVI. Bd. I. Hft. 5
I
66
Dr, n 8 i n I s e h
der Regierungszeit der beiden ersten Herrscher des XIX. Königshauses
eingetreten sei oder nicht. Ich habe in meinem Vorbericht zur
Chronologie der Ägypter (Zeitschrift der deutsch-morgenländischen
Gesellschaft, Jalirg. 1861, S. 254 ff.) dargethan, dass Eratosthenes
letzter König Amuthartaios und Amenemes, der vorletzte König der
XII. Manethonischen Dynastie, identisch sind. Unter diesem Könige
brachen die Hyksos ein, entthronten oder tüdteten denselben, nach ihm
führte seine Schwester Skemiophris eine vielleicht nur nominelle
Regierung von vier Jahren, mit ihr schliesst das alte Reich der zwölf
Dynastien. Da zufolge der Eratosthenischen Angabe von Menes bis
zum Abgang des Amuthartaios 1076 Jahre verflossen, und die
Regierungszeit der Skemiophris vier Jahre beträgt, so erhalten wir
als Umfangssumme der Regierungsjahre der zwölf ersten Dynastien
die Zahl von 1080 Jahren.
Im mittleren Reich succedirten die Dynastien XIII, XIV und XVII
unmittelbar auf einander, die Dynastien XV und XVI als Hyksos-
herrschaften sind als gleichzeitige mit den Pharaonendynastien
XIII, XIV und XVII auszuscheiden. Hiernach erhalten wir nach
Manethos folgende Ansätze von Dynastiesummen :
XIII. Dynastie von 453 Jahren,
XIV. „ „ 484 „
XVII. „ „ 151 „
XVIII. „ „ JI48 ^
1436 Jahre.
Rechnet man zu dieser Summe von 1436 Jahren die 1080 des
alten Reiches, so erhalten wir für die Dauer von Menes bis zum
Anfang der XIX. Dynastie 2516 ägyptische Jahre. Wir ersehen
hieraus so viel, dass mit dem Regierungsantritt des ersten Königs
der XIX. Dynastie, Sot-Menephre Ramessu, die Hundssternperiode
von 1322 vor Chr. nicht eintrat. Dieser eben erwähnte König
regierte nach Manethos 55 Jahre; zu den ermittelten 2516 hinzu
gerechnet, ergeben sie die Summe von 2571 ägyptischen oder
2570 julianischen Jahren, also dieselbe Zahl, welche wir oben als
Umfangssumme der Jahre für die Zeitdauer von Menes (3892 v. Chr.)
bis zum Eintritt der Solhis von 1322 vor Chr. durch Differenzirung
gefunden haben. Wir können hiernach die Behauplung wagen, dass
im ersten Jahre des Su-Menephre Seti-Menephthah die erwähnte
Über die Namen Ägyptens in der Pharaonenzeit etc.
ö7
Sothiserneuerung aTtoMevocppsug eingotreten, dass also Seti-Meneph-
thah I. der Mevtxpprjg des Tlieon und der Nsclng des Dikaiarchos sei.
Das Resultat dieser Untersuchung wird bestätigt durch eine
hieroglyphische Inschrift an der Aussenwänd des grossen Tempels
von Karnak, abgedruckt in Lepsius „Denkmäler aus Ägypten und
Äthiopien“ (III, 128 «). An erwähntem Orte werden die Kriege,
welche Seti-Menephthah gegen die Schasu und Kanaaniter führte,
beschrieben; als Zeit des Anfanges dieses Feldzuges wird nun da
selbst das erste Jahr der Erneuerung oder der Wiedergeburten ange
geben. Ich theile als wesentlich für unsern Zweck diese Stelle mit,
sie bildet den Anfang dieses Textes und lautet: /| j 1 7^ III
II
A
wwuv
MvlvM
&
*i
■""" vvww
Sat-re I uhem-mesu suten slol neb to-to „Su-Mgnephre“ ti-anch
tnmi ntu-iu-er, ent n eqtero nun eher (öaeu) n Sam. Koptisch : «en
TpOAUii n fi ui on-coiyeAi-Auci Xi (non-po) irre hi uiiWA Xi nnHfi n
neu wo fi C0T-AiCvii'l>pH nee^'-i^niS fiTOir-epicooir ei.q2£0
Xi m ujotfujt on-po li iioem 4 ujeveip fi hi 2äLö.Ds.eoir ü ujs,coir. Im
Jahre 1 der Wiedergeburten •) unter dem Könige des Volkes dem
Herrn der beiden Länder Su-Menophre, dem Lebengebenden, rüstete
man, um in den Krieg zu ziehen. Und es befahl Sr. Heiligkeit der
König, dass man sich rüste um zu schlagen die feindliche Schasu“.
Dass dieses erste Jahr der Wiedergeburten unter Su-Menephre
der Anfang der Hundssternperiode and Mevofpscug sei, ist wohl
nicht zu bezweifeln. Abgesehen von der vollkommenen Überein
stimmung der beiden Königsnamen Menephre und Mevo<fp7]<;, unter
welchem letztem der Mathematiker Tlieon die Sothis beginnen lässt,
ist auch der Ausdruck oircöoeAl-Aiici (Wiedergeburt) für die Er
neuerung der Hundssternperiode ein ganz bezeichnender Ausdruck,
sie ist die Wiederkehr eines neuen Kreislaufes himmlischer und
irdischer Erscheinungen; es entspricht diese ägyptische Bezeichnung
oi5-iäo6Ai-Auci auch ganz genau dem Ausdrucke d.Tzoxazdazu.aig, wo-
I) Brug’seh hat auf diese, Inschrift und ihre Wichtigkeit zuerst aufmerksam gemacht in
dem IX. Bande der Zeitschrift der deutsch-morgenl. Gesellschaft und daselbst auch
die HierOgiyphengruppe
philologisch richtig ermittelt. Unbegreiflich ist es
darnach, wie derselbe in seinem neuesten Werke: Ilistoire d’Egypte den Pharao
der Sothiserneuerung so unrichtig angeben konnte.
68
|)r. Reinisch
mit die classischen Autoren den Eintritt einer neuen Sothis bezcich-
nen: „Mille qradringentorum sexaginta unius diroxuzdazamv vo-
cant studiosi rerum caelestium“ sagt um nur ein Beispiel anzu
führen Columella (III, 6). Beweisgründe, welche wir weiter unten
anführen werden, leiten darauf hin, auch die vielbesprochene
Stelle bei Herodotos (II, 142) auf die Erneuerung der Sothispe-
riode unter Su-Menephre Seti-Menephthah zu beziehen. Derselbe
berichtet an gedachtem Orte eine Angabe, welche ihm ägyptische
Priester gemacht, dass vom ersten menschlichen König bis Sethos,
dem Priester des Hephaistos (Phthah), gegen welchen Sancherib
zu Felde zog, 341 Menschengeschlechter vergangen und in dieser
Zeit eben so viele Könige und Erzpriester*) gewesen seien.
Für die erwähnte Anzahl von Menschengeschlechtern errechnete
sich Herodotos 11.340 Jahre. An diese seine eigene Berechnung
schliesst er nun folgende ihm von den Priestern mitgetlieilten Worte
an: iv zolvov zoözqj zu>'/pöv<p zevpdxK; eleyov iß Xj&icov zov -/jltov
dvazeclac evfta ze vöv xazadöezat, evzeöS-ev d'iß inava-
zeclai, xa.'i sv&ev vüv ävarellet, ivzaüda d'a; xazadbvar
xut obdev zwv xaz 3 AHyonzov bno zaüza ezepouo&Yjvac, olize za ix
zrjc; yTjz olize zu ix zoü nozuuoü uipc yevdpeva, olize zu. äpip't voboooß
olize za xazu zobß Aavdzouß. Mögen auch hier die Anfangsworte
etwas dunkel erscheinen (sie gestatten aber eine ganz befriedigende
Interpretation, wenn man die astronomischen Anschauungen der alten
Ägypter in Betracht zieht, wie ich darzutlnin weiter unten es ver
suchen werde), so weist doch gewiss die diesen Worten unmittelbar
folgende Erklärung „evHa ze vüv xazaduezai, ivzetj&ev d'cg inavu-
zei'kai, xai ev&ev vüv uvazeklet., ivzaüAa dl? xazaüüvai“ ganz
bestimmt auf zwei Sothisperioden hin, welche vom Anfang der ägyp
tischen Menschenherrschaft bis Sethos abgelaufen waren. Rechnet
man nämlich von 1322 v. Chr. zwei Sothisperioden zurück, so gelangt
man zum Jahre 4242 v. Chr. dem Anfang jener proleptischen Hunds
sternperiode vor Menes, welche die Götterdynastien abschloss und
durch die 330 Jahre der zehn vorhistorischen Thiniten mit den
Cap. 143 wifl jedoch die Zahl der Priester auf 345 angegeben vom Anfang des ägyp
tischen Reiches bis wie es scheint zur Zeit, in der Hekataios nach Ägypten kam; es
wäre wirklich auch sehr merkwürdig, dass in einer so umfangreichen Zeit gleich
viel Könige und Erzpriester gewesen wären : die Zahl 341 haben wir sonach auf die
Könige zu beschränken.
Über die Namen Ägyptens in der Pharaonenzeit etc.
69
geschichtlichen Sothisperioden in Verbindung gesetzt wurde. Be
kanntlich lässt Herodotos wie auch Diodoros den König Menes unmit
telbar aut die Götter folgen und kennt demnach die Heroenzeit der
10 vonnenischen Thiniten gar nicht. Stellt man diesen Herodoteischen
Setliös mit dem Könige der Hundssternperiode Seti- Menephthah I.
zusammen, so kommt auch die angegebene Zahl von 341 Königen
genau zum Vorschein, wenn man eben nur diejenigen Könige rechnet,
welche nach Manethös den Thron von Memphis innehatten und hiezu
noch die zehn vorhistorischen Thiniten zählt. Die unmittelbare Suc-
cession in Memphis bildeten aber die Dynastien III—VIII; mit der
VIII. Dynastie endet die politische Unabhängigkeit von Memphis und
wurde Unterägypten von Amenemes, dem letzten König der XI.
(einer thebäischen) Dynastie dem oberen Lande einverleibt: die
weitere legitime Folge machen nun der genannte Amenemes, dann
die folgenden Dynastien XII — XIV, XVII — XXX. Wir erhalten
sonach folgende Liste von Königen für die bezeichnete Periode:
Vorhistorische Thiniten 10 Könige,
III. Dynastie
IV.
v. -)j
vi. 9
VII.
VIII.
XI.
xii. 9
xm.
XIV.
XVII.
XVIII.
XI. 1: Sot-Ramessu
9
16
3
70
27
1
9
60
76
43
16
1
341 Könige,
i ) Diese Dynastie wird in den Listen bei Afrikanos eine Elephantinische genannt, es hat
aber bereits Lepsius nachgewiesen, dass sie als eine Memphilische zu betrachten sei.
3 ) Afrikanos gibt hier sechs Könige an, davon sind aber die drei ersten als Elephantiner
auszuscheiden, wie die Vergleichung der Manetlionischen Listen mit Eratosthenes
Verzeichniss der thebäischen Könige lehrt.
3 ) Zwischen Mares und dem letzten Amenemes sind zwei Könige in den Manetlionischen
Listen ausgefallen ; ihre Namen sind nach dem thebäischen Königsverzeichniss Sipli-
thnh und Phuorö; vgl. meine Abhandlung: „Zur Chronologie der alten Ägypter“
S. m.
I
70
Dr. R e i n i s c h
welche von 4242—1322 v. Chr. in einer Zeitdauer von zwei Hunds
sternperioden nach Manethös und Herodotos die legitime Königs
reihe bildeten 1 ). Eine Verwirrung des Seti-Menephthah mit dem
spätem Pthahpriester-König Sethös 2 ) konnte hei Herodotos sehr leicht
stattfinden, sind doch die begleitenden Umstände beider Erzählungen
des Herodotos über Sethös und der ägyptischen Nachrichten über
Seti-Menephthah ganz dieselben: wie jener Herodoteische Sethös
ein Priester des Hephaistos genannt wird, so führt auch der König
Seli den Beinamen Menephthah (fiko<; ' Utpalazou) ; wie jener He
rodoteische Sethös gegen den ßaoäebt; ’dpaßuuv re xa'i ’Atraupuov
(Sava/äpcßozß zu Felde zieht, so führt auch Seti-Menephthah
Krieg gegen die östlichen Feinde, gegen die (Sasu)
□ (Piurt, Araber), (Kar, ’nn im südlichen Pbilistäa
vgl. 2 Kön. 11, 4, 19), (Kanana.t),
(Käst (Retenn, Assyrer); wie hei Herodotos Sethös
dem östlichen Feinde hei Pelusion (koptisch nepe-won-n) im Felde
gegenüberliegt, so ist es im ägyptischen Texte, welcher Setis Kriegs
zug gegen Asien schildert, die Feste ^ (Pele), von wo aus
der König seinen Feldzug eröffnet, die Sasu sassen „von der Feste
Pele bis hin zum Lande Kanana“.
Nachdem ich nun durch die angeführten bestätigenden Um
stände den Nachweis geliefert zu haben glaube, dass jene dunkle
Stelle bei Herodotos nichts anderes besage als: vom Anfang der Men
schenherrschaft, vom ersten König der 10 vorhistorische Thiniten bis
auf Seti Meneptah I. haben 341 Könige in einer Zeit von zwei vollen
Hundssternperioden geherrscht, will ich nur noch versuchen, den
Wortsinn der Stelle selbst in wenigen Zügen zu erläutern. Von
vorneherein ist es wohl schon einleuchtend, dass dieAVorte: ev&a
re vüv xaradusvat, ivreüttev dis inavareckac x. r. a. unmöglich so
') Vgl. hierüber die chrono!. Tafel zu meiner Abhandlung: „Zur Chronologie der alt
Ägypter.“ Z. D. M. a. a. 0.
~) Dieser letztere Sethös ist der erste König der XXVI. Dynastie, in den Listen
Stephinates genannt, welcher Name eine griicisirte Form fiir SeTfccvln); ist (ceT-
^)ex-UiT Set, Diener der Neith). Bestätigend für diese Erklärung ist auch noch
der weitere Zusatz, den Herodotos zu diesem Könige macht: „xai vuv obzoz 6
ßaciXzuz SGTYjXZ iv Tot tow tou Utfulazou XUXiyoz, iyot't in - ! t7;t ^scpbz p.uv, Xiyutv
dtä ypa.pp0.zojy zäds' sc ips tct bpiujy sbasßXjz *ozut. Bekanntlich war die Maus
auch der Neith heilig.
Über die Namen Ägyptens in der Pharaonenzeit etc.
71
gedeutet werden können, es sei jemals die Sonne im Westen auf
gegangen. Es kann daher hier selbstverständlich nur von der vier
maligen verschiedenen Stellung der Sonne zu einem andern Himmels
körper während dieser angegebenen Zeit die Rede-sein, wir nehmen
an z. ß. zum Sirius. Am 20. Juli 4242 v. Chr. (dem Tage der ersten
Sothiserneuerung) ging die Sonne mit dem Sirius auf, während
ein gegenüberliegendes Sternbild z. B. der Adler unterging (dies
gilt namentlich für Ägypten annährungsweise). Nach einer halben
Sothisperiode geschah das Umgekehrte: die Sonne ging am nämli
chen Tage mit dem Adler auf, während der Sirius unterging (also
erste verschiedene Stellung der Sonne zum Sirius). Wiederum nach
einer halben Sothisperiode am 20. Juli 2782 v. Chr. dem Tage der
zweiten Sothiserneuerung traf der Aufgang der Sonne und des Sirius •
zusammen, während der Untergang des Adlers erfolgte. Im Jahre
1032 v. Chr. ereignete sich am genannten Tage wieder Folgendes:
Sonne und Adler gingen auf, während der Sirius unterging und am
20. Juli 1322 v. Chr. gingen Sonne und Sirius auf, während der
Adler unterging. So hatte also die Sonne während jener Zeit der
Herrschaft der angegebenen 341 Könige bis Seti I. viermal die Stel
lung bezüglich ihres Aufganges geändert (rerpaxic sf rjttiwv
[irap]aversdsj, indem sie zweimal mit dem Sirius aufging, während
der Adler unterging und zweimal mit dem Adler aufging, während
Sirius unterging. Diese vier verschiedenen Aufgänge repräsentiren
uns daher zwei Sothisperioden von 4242/2782 bis 1322 v. Chr. vom
ersten Menschenkönige bis Sethös (Seti Meneptah 1. 4 ).
Auch Clemens von Alexandrien scheint, indem er den Auszug
der Juden aus Ägypten 343 Jahre vor der Sothisperiode ansetzt
„yiverai rj s^odoz xaru ”Ivu'/ov npb riyc Haid-caxijs Trspcddou,
itovroc; äiz AiyuiTTOo Mxouaian-,. izeoi npovspov rptaxoaiotc
zsaaapdxovra nivrs“ (Strom. I, pag. 143) dieselbe unter
Seti-Menephthah beginnen zu lassen und diesen als zweiten König
der XIX. Dynastie zu betrachten. Es ist hier kaum nöthig zu erin
nern, dass Clemens an erwähnter Stelle den Auszug der Juden
mit dem der Hirtenkönige verwirrt, anderseits den wirklichen Abzug
t) Das tiefere Verständnis dieser fraglichen Stelle Herodot’s, wenn mir ihre Erklärung
gelungen sein sollte, verdanke ich f heil weise auch den mehrmaligen Unterredungen
über diesen Gegenstand mit meinem Freund Dr. Tschermak, dem ich hier dess-
wegen meinen Dank ausspreche.
72
Dr. li e i n i s c h
der letztem aus Ägypten unter Thutmösis 111. mit ihrer Vertreibung
nach Auaris durch Amösis verwechselt. Indem nun Clemens von
Amösis bis zur Sothiserneuerung 345 Jahre rechnet, so scheint daraus
hervorzugehen, dass er die XVIII.Dynastie dem Afrikanos folgend von
Amösis Tod an zu 263 Jahren rechnet; zählt man hierzu noch die
26 Jahre (eigentl. 25 Jahre 4 Monate) des Amösis und die 55 Jahre
des Sot-Ramessu, des ersten Königs der XIX. Dynastie, so erhält man
344 Jahre, eine Abweichung von der Angabe des Clemens (345
Jahre), welche kaum der Rede werth ist. Zu demselben Resultate
führt die Angabe des Flav. Josephos (cont. Ap. I, 16) „orc oc xolou-
psvoc xoiudves, yjpirepoc de rtpdyovoc, rpca'c xal evevrjx ovto.
xal rpcaxooio rrpdaäev ezerrcv ex tt)<; Acjutttoo dnu)da-
ysvt£<; T7j\? ’/iupav raur/jv änajxrjaav, yj Javadv ecc "Apyoc
dfcx ioftac“, dass die Hirten „unsere Vorfahren“ (!) 393 Jahre
vor Danaos Ankunft in Argos aus Ägypten gezogen seien. Josephos
rechnete die XVIII. Dynastie zu 333 Jahren und einigen Monaten,
wir können also sagen zu 334 Jahren, dem Eethoocc; 6 xal Papecrarji;
aber gibt derselbe 59 Jahre; diese zu den 334 gezählt geben die
Summe von 393 Jahren vom Auszug der Hirten unter Amösis bis zum
Regierungsantritt des zweiten Königs der XIX. Dynastie. Die Erwäh
nung der Flucht des Danaos können wir hier füglich ausser Betracht
lassen; wenn dieselbe auch nicht völlig ein hellenisches Gefasel sein
dürfte, so war sie sicherlich für Ägypten nicht von so grosser Be
deutung, war sie wenigstens kein epomachendes Ereigniss, dass man
mehrere Jahrhunderte an ihr gemessen hätte; wir halten also nur
daran fest: die Angabe bei Josephos führt auf eine Epoche, die sich
an den Regierungsantritt des zweiten Königs der XIX. Dynastie
knüpft und diese bildet, wie Avir oben gesehen haben, die Erneuerung
der Sothis.
Nachdem wir nun das erste Regierungsjahr des zweiten Königs
der XIX. Dynastie, des Seti-Menephthah der Denkmäler, als das
Jahr der Sothiswiederkehr nachgewiesen haben, entsteht die Frage,
Avelcher König der Manethönischen Listen ist der Pharao der
Sothiserneuerung? Da die Auszügler des Manethös als ZAveiten
König der XIX. Dynastie einen Pa</>äxyc oder 'Papc/ijs angeben,
dieser Name aber mit Su-Menephre Seti-Menephthah auch
nicht im Geringsten eine Ähnlichkeit oder gar Verwandtschaft hat,
so folgt hieraus eben nur, dass der erwähnte Pu.cpuxqq oder Pup.<fiy]s
Über die Namen Ägyptens in der Phnrnonenzeit etc.
73
(Rumses) an Unrechter Stelle sich befinde. Schon Böckh hat nach
gewiesen, dass derselbe als vorletzter König in die XVIII. Dynastie
gehöre. Indem in 2s#aic 6 xat ’Pa./iiaarji; durch die Liederlichkeit
der Abschreiber das 6 ausgelassen wurde, ist leiciit begreiflich, wie
aus diesem einen König zwei werden konnten. Weisen wir den
Doppelgänger als Eindringling hinaus, so rückt ’Apevsy)#vom
Platze y an den von ß' und wir erhalten somit Apevetpttrj<; = Seti-
Menephthah I. als König des Hundssternperiodenanfanges.
Aus der oben mitgetheilten Stelle des Flav. Josephos ist er
sichtlich, dass Sethosis, indem Danaos dessen Bruder genannt
wird, mit Ramesses identifieirt worden sei, die Angabe der
393 Jahre aber, welche mit dem Solhisanfang unter Seti-Menephthah
abschliessen, in diesem letzteren König ihn erkennen lasse. Es
wäre nun noch zu zeigen, wie diese Verwirrung welche sich auch
hei anderen Autoren wieder findet, veranlasst worden sei (wie
Ramses zum Beinamen 2e#wc kam, wurde schon oben angegeben;
nach der Wolf’schen Ausgabe des Theophilos kamen auch in der
X VIII. Dynastie zwei Siftcut; anstatt 'Paplaar^ vor, vgl. hierüber aber
Otto's Edition des Theophilos. Corpus apoll. Christ, vol. VIII. üb. III.
pag. 238 sq.); da ich aber über diesen Punct an einem passenderen
Orte ausführlicher handeln werde, so erlaube ich mir für diesmal
hierüber zu schweigen.
Fassen wir jetzt die Resultate dieser letzteren Untersuchung
zusammen, so sind diese folgende:
1. Der Name des Neilos bei Dikaiarchos findet sich im
ägyptischen Namensschilde des Su-Menephre(-Iri) Seti-Menephthah.
2. Dieser letztere König ist der Mevoippyji; des Theon.
3. Die Ära dnb rvj<; Nsllou ßaudeiaq; entspricht nicht der
hellenischen dnb vfjZ ’P.iou ölwoeux;, sondern der ägyptischen
dnh Mevbippsci)? und dem ersten Jahre der Wiedergeburten unter
Menephre Seti-Menephthah.
4. Die Herodoteische Epoche des Hephaistospriesters Sethös
ist dieser letztgenannten Ära gleich.
5. Diese Ära begann im ersten Jahre des zweiten Königs der
XIX. Dynastie.
6. 'Paipüxrjt; oder ’Papipvjt;, nach den bisherigen Listen zweiter
König der XIX. Dynastie, befindet sich an Unrechter Slelle, an
74
Dr. U e i n i s c h
diesen Platz gehört ’A/xeve<püyj<;, der bisherige dritte König der
selben Dynastie.
Ein weiterer Name Ägyptens ist ^fU- Er findet sieb unter
anderen in der Inschrift des Obelisks von Pliilii, wo es von
Ptoleinaios Epiphanes heisst, er sei ^ py' J T s C~ n §f r S to qIU,
cvenoqpe A n«o fi (xhm-0> cultor bonus Aegypti; der griecliiscbe
Text gibt dafür „xaTaoTTjoipevot; Aijutttom. “
Dr. Uhlemann, welcher eine eigene Vorliebe zu haben scheint,
alle möglichen auf den Denkmälern vorkommenden Namensbezeich
nungen Ägyptens auf Kali-Pta h ('Hipaioriu) zurückzufiihren,
sieht in dem Zeichen (TJ die Darstellung eines Fadens (!), für
welche Bezeichnung er das koptische ivs.q substituirt (obwohl
nebenbei gesagt K*.q nicht einen Faden, sondern einen Klotz
bedeutet), mit Beiziehung des determinativen u^qT bildet und
dieses letztere Wort als (Land des Ptah) erklärt. Da das
Unkritische dieser Erklärungsweise heim ersten Anblick in die
Augen fällt, so finde ich es unnöthig, hierüber weiter zu reden.
Welchen Gegenstand oder Begriff das Zeichen (jj darstellen
soll, ist aus seiner Form nicht zu ersehen, man würde demnach
den Laut, der diesem Zeichen zu Grunde liegt, zu ermitteln nicht
im Stande sein, wenn uns nicht die phonetische Schreibung des
selben vorläge; diese ist uns aber glücklicher Weise in einer
grossen Anzahl von Texten gegeben, und lautet ^ mgrg oder jj^
mgra. So: t° m g r §> das Land Mere (Rosellini,
I monum. stör. IV, 207 u. a.). Ich glaube dieses mgrg, mgra mit
dem koptischen jA.Hpe (inundatio, nU/ppupa.') zusammenstellen zu
dürfen, to mgra = «o A Avnpe wäre demnach „das Land der
Überschwemmung“, eine für Ägypten wenigstens sehr pas
sende und wahre Bezeichnung. Anstatt des Zeichens f]J findet sich
und
in verschiedenen Texten auch ^ oder a l s:
<z> 1
^ ers ' c hfi' c h> dass diese beiden gegebenen
Zeichen eine Composition zweier Elemente sind, einerseits aus
□ + { und o + j 1 oder umgekehrt. Die beiden ersteren Zeichen
sind bekannt als p und r, das letztere lässt sich ermitteln aus
folgenden Vergleichen: ^(Todtenb. 122, 1) und o 1 ] satu
v« '
V .
Über die Namen Ägyptens in der Pharaonenzeit etc. 7 J)
(Todtenb. 110 a. 1), °^ ( | sgtfw (ibid. 111, 3.), hieraus folgt
j 1 = ( ]=s. Es wird dieses Zeichen auch bekanntlich angewendet,
um hieroglyphisch ein Jahr auszudrücken, sat-re. Die alt-
ägyptische Bezeichnung für Jahr und Monat ist im koptischen
durch zwei Ausdrücke anderen Stammes poM.ni und c^fioT ersetzt,
das altägyptische sat scheint sich aber noch im koptischen cro,t, <vot
in erweitertem Begriffe mtas und vielleicht auch im peq-cnT,
astrologus, erhalten zu haben. Das Zeichen j 1 stellt nach llorapollon
(I, 3) eine Bahne (cpoivc^ divdpov') dar, also vielleicht koptisch
= enjv^. Da nach llorapollon (1, 4) hieroglyphisch auch der Monat
durch dieses Zeichen ausgedrückt wurde, derselbe aber koptisch
ö,fioT lautet, so substituirte Uh lern an n für den Laut pt aus dem
koptischen £ht nach dem Hoinonymprineip. Dagegen ist zu bemerken,
dass dieses Verfahren, altägyptische Worte aus dem Koptischen
abzuleiten, der philologischen Methode ganz zuwiderläuft, und im
Altägyptischen gewiss eine grosse Anzahl von Wörtern vorhanden
war, die sich in der koptischen Sprache nicht mehr nachweisen
lassen. Wir halten also an unserer Ermittlung des Zeichens j 1 = s
fest. Für die obige Verbindung ^ ergibt sich sonach der Laut
sgr, entsprechend dem koptischen cep, dilatare, distribuere. Die
ganze Gruppe lautet demnach: to mcra srr = kopt.
»o-MHpe fi cup, terra aqua: distributce, eine Bezeichnung, welche
der Natur des Deltalandes (vgl. ß ß'i? Unterägypten 1 )
Papyr. Sali.) entspricht. Der Verbindung des srr mit nigra entspricht
noch im Koptischen eine ähnliche zwischen cep und moott (aqua);
vergl. Zoega, Catalogus codd. Copticor. pag. 5S7: pcoMe mim on eq-muj
e fi ihm i«.T4 tei^e, ig;s,pjpiN.i en£TiiCkCep-MOOTr et iuote e ne cnrnr
e Tpeqei*. neq^iae. ,«.uiTq»ej-*ooir, nur dass in diesem Beispiele
cep activ steht.
Für die zweite Verbindung 2» falls der erste Laut hier der
Basis zukommt, erhalten wir dieselbe Bedeutung wie die eben an
sgr nachgewiesene; wir haben hier pgs, entsprechend dem kopti
schen nocv und den variirten Formen iu\uj, no«j, iuouj, distribuere,
dividere und daher für die ganze Gruppe: to nigra pes
1 ) Vgl. Emm. de Rouge, Memoire sur l’inseription dans le tombeau d'Ahmes etc. (Mem.
des inscript. et bell, lettres. 1851, pag. 17o).
76
Dr. R e i n i s c h
= kopt. «o-.vv.npe S\ i\h3 / , terra inundationis divisae — terra aqua-
rum divisdrum. Ich glaube dieses mera-pes für den bei den arabi
schen Autoren uns erhaltenen Namen des Deltalandes jj£~‘ (Basmur)
anseheu zu dürfen; dass dieser letzterwähnte Name eine Bezeich
nung des Deltalandes sei, ist von Zoega (Catalog. codd. Copt.
pag. 140), Quatreinere (Recherches crit. et historiques surlalangue
et la litterature de l’Egypte. Paris 1808, pag. 152 sqq.) und zuletzt
von M. Schwartze in seinem alten Ägypten (S. 1036—1039) hin
länglich erwiesen worden, so dass es überflüssig sein würde, hieran
neue Beweise zu schliessen. Hierzu gehörig ist auch der von
Stephan. Byzantinos angegebene Name des Deltalandes nrspup'.z =
koptisch neve-Mupe seil, ukö-oi neTe-^mpE, womit ohne Zweifel
Mareotis oder Mareanon zusammenbängt, welcher Name beim
Geographen von Ravenna eine Bezeichnung Unterägyptens ist. Gram
matisch sind bekanntlich die Verbindungen mrra-pgs und pes-mera
einerlei Bedeutung, da pes im Sinne eines Adjectivums oder Parti-
cips steht. Vgl. ov ac&sti ft pcoAu, ’iyjlpoz avApomoz (Matth. 13, 28),
ott proMi w uvdpamcK; ohodsoTcÖTyz (ibid. 13, 52.), ’Ä tuii
Xv mrAit, 7j (bpaia TtuXrj (Act. 3. 10), eecöpei m tuuj'Ä w
&CRHTHC und äcwkthc m. ni iuuj’Ä (Zoega, Catal. 109 u. a.). Ge
stützt auf diese und andere dergleichen Verbindungen werden wir
demnach auch mera-pes und jjf zusammenzustellen berechtigt sein.
In der Rosettana wird der Name Äljunroq im hieroglyphischen
Theile des Textes (Iiu. XI.) auch durch das Sinnbild eines Baumes
ausgedrückt. Uhlemann liest auch dieses Zeichen für „11&9-
(AfyyunTos“, es hat aber bereits Champollion darauf aufmerk
sam gemacht, dass die phonetische Schreibung für diese Hieroglyphe
n & li se ‘- entspricht dieser Laut dem koptisch Koir^e,
noir^i, die Sykomore, an welcher Baumgattung Ägypten bekanntlich
eine grosse Fülle hatte; den grössten Reichthum an Sykomoren
scheint im Alterthum der Gau Arsinoites, das heutige Faium, be
sessen zu haben, da die Sykomore als Determinativ dieses Gaues in
den hieroglyphischen Nomoslisten erscheint. Nachdem bereits
Brugsch in seinen geographischen Inschriften altägyptischer Denk
mäler (Bd. I, S. 74) die Namensgruppe richtig durch „das
Über die Namen Ägyptens in der Pharaonenzeit ete. 77
Sykomorenland“ übersetzt hat. so sind darüber weitere Erörterungen
überflüssig.
Eine weitere Bezeichnung Ägyptens, welche in Jas graueste
Alterthum hinaufreicht, ist^£[^j^. Sie findet sich schon auf den
Denkmälern der XII. Dynastie so wie im Turiner Todtenbuche.
Der Laut ist wie die phonetische Schreibung lehrt beit; Ägypten
heisst also hiernach „das Land des Bekbaumes“. Sam. ßirch und
H. Brugsch erklären diesen Bekbaum für eine Palmgattung, F. Unger
für die Dattelpalme (Botanische Streifzüge auf dem Gebiete der
Culturgeschichte. Theil IV: die Pflanzen des alten Ägyptens, S. 9.
Aus den Sitzungsb. d. mathem. CI. d. kais. Akad. d. Wissensch.);
vielleicht bängt der Name brk mit dem koptischen fieuj, fieeuj zusam
men, von welchem Worte wir freilich nur die Bedeutung oAuv#o?,
grossus, nachzuweisen im Stande sind.
So anerkennend in den literarischen Blättern meine Schrift
„Über die Namen Ägyptens bei den Semiten und Griechen“ beur-
theilt wurde!), so machten sich doch gegen meine Erklärung des
Namens D^ltö (Mizrajim) mehrfache Einwendungen geltend; da
ich aber au der Richtigkeit derselben noch festhalten zu müssen
glaube, so erlaube ich mir zu ihrer Begründung noch fernere Belege
hier im Nachträge beizubringen.
Ich habe in meiner angeführten Schrift nachzuweisen gesucht,
dass der Name D’IVQ , arabischbei Stephanos von Byzanz
Moopa, ursprünglich eine Bezeichnung der nordöstlichen Grenz
provinz war, welche in der koptischen Bibelübersetzung den Namen
p^jAeccii führt. Es unterliegt wohl keinem Bedenken, dass sowohl diese
Provinz, so wie auch die Stadt DDüIM (hieroglyphiseh
Pe-Rcnnessu, die AVohnung Ramessu’s) nach einem Pharao gleichen
Namens und zwar wie ich glaube nach Ramessu Miamun I, dem
vorletzten König der XVIII. Dynastie, unter welchem die Bedrückung
der Israeliten begann, benannt worden sei. Wenn nun D’Hta aus
Ramessu entstanden ist, so kann von jenem die rein ägyptische
Form nur Mes-ra lauten gleich dem iVuapa bei Stephanos von
*) Kecensionen hierüber sind erschienen: Von Alfr. v. Gutschmid in Zarnke’s liier.
Centralblatt. Jahrg. 18159, S. 710; Von M. Uhl em an n , in den Göttinger gelehrten
Anzeigen, Jahrg. 1859, S. 207 ff. Von Friedr. Mül ler in der kath. Literalurzeilung
Jahrg. 1860, Nr. 12.
78
Dr. II e i n i s c h
Byzanz, während als Flexion auszuscheiden ist, eine Dualform,
welche nachdem der Provinzname zur Bezeichnung des Landes sich
verallgemeinerte aus der Zweitheilung Ägyptens in das obere und
untere Land ihre natürliche Erklärung findet. Gegen diese Auslegung
wurden hauptsächlich folgende Einwände erhöhen:
1. Eine willkürliche Versetzung der Wortelemente ist kein
methodisches Etymologisiren und kann auf keine Evidenz Anspruch
machen, mögen hiedurch noch die schönsten und überraschendsten
Resultate zu Tage gefördert werden.
2. Soll Mesra aus Ra messe entstanden sein, so muss sich
auch jener Name als Landes- oder Provinzname nachweisen lassen.
3. Wenn ein König Raines oder Ra in essu jener nordöstlichen
Grenzprovinz Ägyptens, weichein der koptischen Bibelübersetzung
pa..M.eccH lautet, seinen Namen verliehen hat und dieses pa,M.eccH dem
Mesra entsprechen soll, so muss auch ein König Mesra neben
Ramessu nachgewiesen werden.
4. Gegen eine Ableitung von onao aus dem Ägyptischen spricht
die rein hebräische Form Titf», welche in den Propheten als Bezeich
nung Ägyptens vorkommt.
ö. Es ist kaum denkbar, dass ein Personenname ohne
weiteren Zusatz habe auf einen Landestheil oder eine Provinz über
tragen werden können. Man würde in unserm Falle dann das Land
doch wenigstens Kahi-em-Mesra (Land des Sonnensohns) genannt
haben, ebenso wie man eine Stadt wohl FriedricJisstadt oder
Lud wigsb urg, aber nicht Fried rieh oder Lu d w ig nennen wird.
Es sei gestattet auf diese angeführten Puncte nachfolgende
Bemerkungen zur Entgegnung hier anzuschliessen:
Ad 1. Dass eine willkürliche Versetzung der Wortelemente
nicht das richtige Verfahren auf dem Gebiete der Etymologie sei
und sein könne, ist ganz und gar auch meine Überzeugung und es
fiel mir niemals bei, nach dieser gewiss sehr tadelnswerthen Methode
Worterklärungen zu versuchen. Die Formen Ra-mes und Mesra
sind, wie ich in meiner Abhandlung angab, zwar begrifflich aber
nicht grammatisch einander gleich zu stellen, jene Form erklärte
ich als eine passive Participialconstruction (sole genitus), diese,
Mesra, für eine Nominalcomposition (filius solis). Dass Ramessu
eine Passivparticipial-Construction sei, dafür dient als Beleg die
■
Über die Namen Ägyptens in der Pharaonenzeit etc.
79
vollere Form Ra-mesüt <), welclie eine augenscheinliche
Passivform ist, wie koptisch täxphott von Ts.2c.pe (firmarv),
ToirfinoTT von totüo (sacrificare), jawott von aiotp (mori) u. a.
Ramessü ist demnach eine abgeschwächte Passivform für R a-
messüt, ganz wie im koptischen die angeführte Form ts.2cphottt
auch in der abgeschwächten TAstpuT vorkommt. Vgl. Matth. VII,
23: tiApe Teqeen^ oAp TAstpHO-s-T ne ^i2cen ^ nev^A, wofür im
Sallidischen : n*.pe Teqceir^ oAp TA2c.pH'3' ne ^I2cen TneTpA (erat
enim eins fundamentum jirmatum etc.). Gleiche Formen sind caAho-t
für caAhott aus caAo, cmr und chott für chottt aus co, oht für
^hoit und dies für ^hott aus u. a. Grammatisch möglich wäre
zwar bei Ramesü auch die Erklärung: Ra-mes-u = sol genuit eum,
wie ich sie in meiner ersten Schrift vorgoschlagen habe, doch gehe
ich dieselbe hier nun preis, nachdem mir die Form Ra-mesüt
bekannt geworden ist. Dass im Altägyptischen das passive Verbum
seinem Nomen nachgesetzt und ohne eine verbindende Partikel enge an
das letztere angeschlossen wurde, dafür zeugt eine zahllose Reihe von
Fällen; vgl.^ jf)'Apcoatg (lundgenitus), Toudpwaig
(a Thot genitus), ^ □ 2,'^w ? Amen-Step (ab Ammone electus),
° Ptah-mni (uPtali dilectus), so wie die aus den bilinguen
Papyrus bekannten Namen: ! 'Adupuc (AeHop-j-^-), Nirgrcg (neiT+-\-),
ab Atlior, Neit datus u. a., während dasselbe Verbum dem Nomen
unmittelbar vorangehend entweder verbal als Verbum regens wie
^§2$ ° ')TJ 3 mai-Ptah, ^ ® ’-jy* mai-Re, den Ptah, den Ra liebend,
MAc-noT^-, Bei para (Psalm. 488), — oder nominal als Nomen
regens (mit oder ohne verbindendes fi) zu betrachten ist, wie aiac
ja AAeAv.ni, hoedus (Genes. 27, 9), -wac .w aiot-v, catulus leonis
(Zoega, Catal. 633), jaac fi erpoAuu, pullus columbae (Levif. S, 7);
owp-ci-nei, (Horus filius Isidis, Zoega 83, 372, 373 u. a.)
Apoigatg, 'Isvüo'jp, lupd-dg u. a., welche Fügungen ganz den obi
gen mit ja, fi entsprechen. Gleich dieser letzteren Formation istMesra
für Aiec fi pA, filius solis; das Mes in diesem Falle verbal zu fassen
„die Sonne erzeugend“ dürfte doch etwas zu widersinnig erscheinen.
Hiemit glaube ich mich nun hinsichtlich des mir von Dr. Uhlemann
*) Etüde sui* une stele egyptienne, appartenant ä la bibliotheque imperiale. Par Mr,
le Yete. Emm. de Rouge', Journal asiatique. Ser. V. tom. VIII. pag\ 252,
■
80
Dr. R e i n i s c h
(in den Gotting, gelehrten Anzeigen, Jahrg. 1860. Nr. 24)gemachten
Vorwurfes eines willkürlichen Etymologisirens betreff der Identi-
ficirung von Ra-mes und Me-sra gerechtfertigt zu haben.
Ad 2. Die Existenz irgend einer Wortform einer todten Sprache
kann auch durch Inductionsbeweise erschlossen werden, wenn auch
die betreffende Form in der vorhandenen Literatur nicht mehr nach
weisbar sein sollte. Ich habe dieses Verfahren in der Erklärung des
Namens d'“iüö eingeschlagen und für denselben einen ägyptischen,
Mesra substituirt, nachdem ich die Identität der beigebrachten
Königsnamen Mesphres (.Mec-q>-pn), Mestres (mcct-ph) und Mesres
(Aeee-pn) mit Ramses, 'Papkaztjz und Ramessu hinsichtlich ihrer
Etymologie dargethan hatte. Wenn nun der Provinzname pa.-M.eccn,
der Volksname der Ramisi bei Plinius, der Name der Stadt DDötn
auf den eines Königs Ramessu zurückführen, so kann auch dem.Muapa,
Meazpa-ia, D’lüa ein Mesres oder Mestres zu Grunde liegen.
Indessen findet sich der Name Mesra auch wirklich auf den ägyp
tischen Denkmälern vor. Brugsch theilt diesen Namen in seinen
geographischen Inschriften altägyptischer Denkmäler (Band. I,
Taf. L1II, Nr. 1557) in folgender Verbindung mit: ^ |
Sati nrb.l Mesra, Sati die Herrinn von Mesra“. Es waltet nun wohl
kein Bedenken ob, in diesem Mesra den Namen jener nordöstlichen
Grenzprovinz Ägyptens zu sehen, den wir früher aus mehren ange
führten Gründen bereits erschlossen haben. Indessen mögen hier
noch einige Bemerkungen hinsichtlich der eben angeführten Stelle
Platz finden. In der von Rüppel 1 entdeckten Katarakteninschrift
(Letronn. Inscript, graec. I, pag. 390) wird die Göttinn Sati mit der
griechischen Hera identificirt: lazet rfj xaV/Ipa (lin. VII.). Über
den Dienst der letzteren findet sich aber bei Porphyrios (de abstin.
II, 55.) folgende sehr beachtenswerthe Nachricht Manethös:
Kaziloae Sk xat ev ’WAou izoXet zrjz Alyonvou zbv zvjz dvSpioTcn-
xzoviaz vöpov ’ Auto atz, duz papzupsc Maveßibz iv zw nsp\ äpjrat-
apoö xat eboeßeiaz. ’ESüovzo Sk zfj'll pa. Ähnliches über Menschen
opfer in Ägypten erzählt Plutarchos (de Isid. ed Parthey.
pag. 129.) ebenfalls nach Manethös, nur mit dem Unterschiede,
dass hier die Stadt Eileithyia angegeben wird, in der die zur Opfe
rung bestimmten Menschen verbrannt wurden , auch fügt derselbe bei,
dass man diese Unglücklichen Typhonische Menschen nannte
(cf. Porphyr. 1. c. pag. 380. D. Theodore!. Therap. VII, pag. 109.).
Über die Namen Ägyptens in der Pharaonenzeit etc.
81
Hiernach sind wir zur Annahme berechtigt, in der Göttinn Sa'ti das
weibliche Gegenbild des Gottes Set zu sehen, der in der nordöst
lichen Grenzprovinz Ägyptens besondere Verehrung genoss und
dem vopb: Zedptuirq: die Benennung gab. Der armenische Eusebios
(Venetianer Ausgabe von Aucher 1818, pag. 108) nennt diesen
Nomos Methraites: „Kdeal orinocq zmetrajitide qagkaqn hojagap..
wor gotscher ,. . Awarim etc.—Nactus itaque in nomo Metliraitide
tirbem nobilem. . . Avarim appellatam“. Diese Leseart ist sehr
merkwürdig und scheint hier ein öarspov npbvspov, der spätere
Name des Sethroitischen Gaues zu sein. Als nämlich die Pharaonen
die Hyksos aus dem Lande vertrieben hatten, wurden in den öst
lichen Districten, welche die Hauptsitze der Hyksos waren, sowohl
religiöse als nationale Reformen vorgenommen, durch deren Druck
denn auch nachher die Israeliten zur Räumung des Landes sich
genöthigt sahen. Der Name des Gottes Set, des Hauptgottes der
Hyksos, wurde aus den Inschriften getilgt und dafür der Name des
Gottes Ra gesetzt und der reine Sonnendienst auch im nordöstlichen
Ägypten zur Geltung gebracht, der Name Ra wurde ein integriren-
der Namensbestandtheil der meisten Pharaonen dieser Periode. In
diese Zeit fällt die Erbauung der Stadt Ramses durch die Israeliten
und die Namensänderung des Sethroitischen Gaues in den von
Ramesse pa„M.eccH, der seinerseits identisch ist mit Herr
Dr. Friedrich Müller hat in der kathol. Literaturzeitung (Jahrgang
1860, Nr. 12) die sehr glaubbare Vermuthung ausgesprochen, dass
wir in dem methraitisehen Nomos (MeSpat:, # =? c) das arabische
&.>Ja* Matarijjeh zu suchen haben und hält eine Zurückführung
dieses Wortes auf^u matar (Regen), wornach die Provinz Ra
messe „das Regenland“ wäre, für einen nur vom arabischen Stand-
puncte plausiblen Einfall. Ein ähnliches Bewandtniss hat es mit dem
arabischen Worte timsäch (Krokodil), das Frey tag unter
die Wurzel masacha stellt; das Wort ist aber nichts anderes
als das ägyptische mit dem weiblichen Artikel Ä, also A
Dem früheren Namen der Provinz Mesra in der Zeit vor
Ramses Miamun scheint der im Todtenbuche vorkommende „7^^^
to-Sati, das Land Sati“ zu entsprechen (eine Göttinn von Heliupolis
nennt die Sati Manet hös in der oben mitgetheilten Stelle des Por-
phyrios), in welcher Benennung wir vielleicht die ursprüngliche des
SiUb. d. phil.-liist. CI. XXXVI. Bd. I. Hft. 6
82
Di*. Rein i s e h
Is&pcuizrji: vo/juk vor uns haben. Noch aus der koptischen Sprach-
periode wissen wir, dass dieses nordöstliche Grenzland nicht mehr
zu Kemi, sondern zu Arabien gerechnet wurde, sein Name in der
koptischen Zeit ist seihst ^ In einem ähnlichen Verhältnis
scheint dieses Land auch in der alten Pharaonenzeit zu Ägypten
gestanden zu haben: in diesem Lande waren die Silze der Herak-
leopolitischen Dynasten, deren von der Pharaonenherrschaft unab
hängige Macht über ein halbes Jahrtausend währte, hier die der
Hyksos, welche über ein ganzes Jahrtausend von diesem Lande aus
Ägypten unter ihrer Botmässigkeit erhielten; seihst während der
XIX. Dynastie, in der Zeit Seti Meneptah I, hatten sich hier die
Hyksos festgesetzt, die Schasu sassen „von der Feste Pele (nepe-
Avoim, Pelusion) bis hin zum Lande Kanana“ (Lepsius, Denkm.
a. a. 0.). Die Feldzüge der Pharaonen nach Arabien, welche uns
von classischen Autoren berichtet werden, scheinen nicht viel mehr
gewesen zu sein, als Kämpfe gegen die Stämme in diesem nord
östlichen Grenzlande. Nur vereinzelt ist die Nachricht, dass der
ägyptische König Sisire bis in die Gegend von Mekka vorge
drungen sei (Chroniken von Mekka, hg. von F. Wüstenfeld II,
pag. ro). Auf diese exceptionelle Stellung der nordöstlichen Provinz
zum eigentlichen ägyptischen Stammlande scheint auch die Huldi
gungsformel an die Pharaonen Bezug zu haben: "
Sonne im Sonnenlande, Mond im Lande Sati“. (Brugsch geogr.
Inschr. I, Taf. X, 383.)
Ad 3. Für den Wechsel in der Aussprache des Königsnamen
Ramessu und Mesra sprechen nicht nur die Namen Mesres, Mestres
und Mesphres bei Plinius verglichen mit den aus den Denkmälern
und den Griechen uns bekannten Namen Ramessu, ' Pupsacrrji; und
‘Pafiiarrjs, sondern auch ein hieroglyphisches Namensschild Ramses
Miamuns, welches Mariette (im Serapeum de Memphis livrais.
deuxiem. part. III, planch. 22) mittheilt: Amen-Ra-mai-Messu-Ra.
A
Über die Namen Ägyptens in der Pharaonenzeit etc.
83
Beaehtenswerth in Betreff dieses Punctes ist eine Notiz bei
Plinius (Lib. XXXVI, cap. 8, 69) über die obeliskenbauenden
Könige: „Et alii duo (obelisci) sunt Alexandrise ad portum in
Cses.aris templo, quos excidit Mespbres rex quadragenüm binüm
cubitorum.“ Beide dieser Obelisken befinden sich noch in Alexan
drien, der eine noch aufrecht stehende heisst die Nadel der
Kleopatra, bei den Arabern Ahmud-el-Bahri die Säule des
Meeres, weil sie dicht am Ufer steht; daneben liegt halb verschüttet
der zweite Obelisk. Beide dieser Obelisken tragen nun folgende zwei
Königsschilde:
Sesosre Amenmai-Bamessu, welcher letztere Name also dem des
Mesphres bei Plinius entspricht.
Ad 4. Da das Wort naa fast nur als 3.7tAeyuuevov (2 Kön.
19, 24; Jeshaja 19, 6 = 37. 2S) gegen das sonst allgemein
gebrauchte Dnaa vorkommf, so beweist es eben nicht viel gegen
unsere Erklärung desselben aus dem ägyptischen Mesra. Es scheint
dieses ifoto aus der aramäischen Form Mezar bervorgegangen zu
sein, wie die Bezeichnung Ägyptens in den Keilschriften lautet;
„ana Mezar, bis nach Ägypten“ (Inschrift auf dem nordwestlichen
Palast zu Nimrud in Rawlinson's On the Inscript, etc. p. 2ö, so auch
in der babylonischen Übersetzung der Inschrift von Behistun vgl.
Brandis, über den historischen Gewinn aus der Entzifferung der
assyrischen Inschriften S. Sl, 59). Dafür spricht auch das Vor
kommen des Tiica in den angeführten Schriften der assyrischen Zeit
periode. Hier liegt es nun wohl sehr nahe anzunehmen, dass die
ägyptische Form Mesra von den entfernteren Semiten als so
genannter Status emphaticus aufgefasst und auf ein “i2ta zurück
geführt wurde, das man mit einem in der Sprache vorhandenen
Stamme "iüb vermittelte. Gleich der aramäischen scheint auch die
“ T
phönikische Namensform Ägyptens gelautet zu haben. Dioskorides
IV, 152 und Apuleius Medicam. herbb. 113 erwähnen, dass die
6 *
84 Dp. Reinisch, Über die Namen Ägyptens in der Pliaraonenzeit etc.
Panier die Gurke xou<jifj.e&p, cassimezar (also Tta-’ltp) genannt
hätten, wo das phönikische T£B sicher nichts anderes, als das
arabische und das dein hebräischen D’TtB zu Grunde liegende
Thema ist. Fürst gibt zwar in seinem hebräisch-chaldäischen
Handwörterbuch als phönikischen Namen Ägyptens "I2ta an; in wie
weit diese Form urkundlich beglaubigt sei, konnte ich aber nicht
ermitteln. Näher an den eigentlich hebräischen Namen grenzt die
Bezeichnung Ägyptens im Obelisk von Xanthus (IV, 2o), welche
Madraeme lautet. Dass die Form Tina eben nur als ein etymologi
scher Versuch anzusehen sei, zeigt der Dual D’TfB» welcher wenn
Tina die ursprüngliche Form wäre DTi'na lauten müsste.
Ad 5. In ist das Apellativum durch die beigefügten
determinative ausgedrückt, welche von den Semiten natürlich durch
jJj oder px übersetzt wurden; dass mit dem Eigennamen auch der
Gattungsname unverändert in fremde Sprachen übergehen soll, ist
eine von Dr. Uhlemann doch etwas zu hochgespannte Anforderung,
welcher schwerlich von irgend einem Volke Rechnung getragen
werden dürfte.
M i k 1 o s i c h. Abhandlungen über die slavischen Elemente etc.
8ä
SITZUNG VOM 31. JÄNNER 1861.
Professor Milclo sich überreicht eine für die Denkschriften
bestimmte Abhandlung über die slavischen Elemente in der rumu-
nischen oder walachischen Sprache. In der Einleitung werden die
verschiedenen Namen erklärt, mit welchen das rumunische Volk sich
selbst bezeichnet oder von andern Völkern bezeichnet wird; eswerden
ferner die Elemente, aus denen die rumunische Sprache besteht,
nämlich das alteinheimische, das lateinische, das griechische und das
slavische, in Erwägung gezogen. Der Anhang ist den Rumunen
Istriens gewidmet: es werden ihre Wohnsitze angegeben, Proben
ihrer wenig gekannten Sprache mitgetheilt und die einzelnen Wörter
erklärt. Die Abhandlung soll zunächst der Erforschung der rumu-
nischen und der slavischen Sprache zu Gute kommen; sie dürfte
jedoch auch einen Beitrag liefern zur Lösung der oft behandelten
Frage über den Ursprung des rumunischen Volkes, das selbst Nie-
bulir ein räthselhaftes nannte und das schon durch seine imposante
Stärke — an acht Millionen — auf eine eingehende Untersuchung
Anspruch hat.
Das Wiener Weichbildrecht.
Nach einer Handschrift der'Grazer k. k. Universitäts-Bibliothek verglichen mit dem Texte
bei Rauch und mit dem sogenannten Schwabenspiegel.
Von Dr. Franz Stark.
Von den Handschriften der. Stadtrechte Wiens gibt Homeyer
„die deutschen Rechtsbücher des Mittelalters und ihre Handschriften“
(Berlin 18S6) S. 174 Nachricht; er nennt neben der Handschrift,
vormals (1794) Frh. Franz von Prandau, früher (1792) J. G.
Schwandtner, die von Rauch im Bd. 3 abgedruckt wurde, jetzt
aber verschollen ist, noch acht, von .denen je eine in Berlin, Giessen,
München und Wolfenbüttel, vier in Wien sich befinden. Dass auch
die Grazer k. k. Universitäts-Biblioihek eine Handschrift von Wiener
Stadtrechten besitzt, wurde bereits im „Archiv der Gesellschaft für
ältere deutsche Geschichtskunde“ (Hannover 18S1) Bd. 10, S. 623
erwähnt. Da ich glaube, dass diese Handschrift Beachtung verdient,
so will ich über sie ausführlich berichten.
4°, 34, 19. Papierhandschrift IS. Jhd. zählt in 12 Lagen, deren
fünfte zwei Blätter mehr enthält als die übrigen, 14S ungezählte
Blätter mit breiten Rändern. Der letzten Lage letztes Blatt, wahr
scheinlich unbeschrieben, fehlt. Dass auch vorn die ursprünglich ersten
zwei Blätter fehlen, davon später. Am Schlüsse der Register, die den
Stadtrechten folgen, nennt sich auf der ersten Seite des Blattes 138
der Schreiber, von dessen Hand die unten bezeichneten Stücke 1—3,
also der Haupttheil des Buches geschrieben sind, in folgender Weise:
„Finitus est ille über sub anno domini milesimo quadragintesimo
vicesimo nono dez Samcztags vor sand Barbarba tag percise sub
vesperis per me Wolfgangus Amelstorffer Pataviensis“. Abkürzungen,
Lese- und Schreibfehler fehlen nicht, sind aber selten. Die Über
schriften und Zahlen der Capitel sind, wie die Initialen, in dem von
Das Wiener Weictybildrecht.
87
Amelstorffer geschriebenen Theile roth. Der Einband besteht aus
Holz, das mit rothem gepressten Leder überzogen ist. Von den zwei
ledernen Bändern, die, mit Messingblech beschlagen, das Buch ge
schlossen haben, ist nur eines erhalten. Auch von den messingenen
Knöpfen, deren je fünf den Vorder- und Hinterdeckel zierten, sind
auf jedem dieser nur je zwei noch übrig.
Den Inhalt der Handschrift bilden
1. Bl. 1 —105'. Das Wiener Weichhildrecht (Rauch III. 144—
258).
2. „ 105'—131'. Wiener Stadtrecht und die Handfeste des Herzog
Albrecht II. vom J. 1340 (Rauch III. 37—60).
„ 132—138. Das Register zu den voranstehenden Rechts-
büchern.
3. „ 138'—142. „Das ist der pekchen recht zeWyenn ze pachen“.
142' unbeschrieben.
4. „ 143 . 144. „Das sind die gesetz und dy zöl auf dem wasser
in der Stat ze Newnburgkloster halben“.
5. „ 145 „Receptum contra pestilenciam“.
6. „ 145' „Vermerkcht die dörffer die in das geeicht
gehörnt gen klosternewnburg“.
Da Nr. 1 keine Überschrift trägt und Nr. 2, in 93 Capitel
getheilt, die mit Nr. 1 fortlaufend (c. 148—240) gezählt sind,
gleichfalls ohne besondere Überschrift sich an Nr. 1 unmittelbar
anschliesst, so darf angenommen werden, dass die Handschrift
ursprünglich vorn zwei Blätter mehr gezählt hat, deren erstes
unbeschrieben Avar, zAveites den Titel für die vereinigten Rechts
bücher trug. Auch ist es nicht ZAveifelhaft, dass bei der Anfertigung
der Handschrift nur auf die Abschrift der beiden Rechfsbücher
Bedacht genommen und von dem Schreiber der beiden ersten
Nummern die folgende beigefügt wurde, weil noch Raum zu Aveitefen
Einschreibungen geblieben Avar. Die Nummern 4—6 sind von anderen
drei verschiedenen Händen geschrieben, die aber alle dem 15. Jahr
hundert angehören.
Aus den oben angegebenen Theilen der Handschrift Avähle ich
für eine besondere Betrachtung Nr. 1 das Wiener Weichbildrecht.
Während Nr. 2 durchgängig mit dem Texte bei Rauch stimmt,
Aveicht Nr, 1 nicht nur in der Folge der Capitel, sondern auch im
88
Dr. Stark
Texte an mehreren, wenn auch nicht vielen, Stellen von Rauch’s
Ausgabe wesentlich ab, so zwar dass diese mehrfach berichtigt und
zugleich bereichert wird.
Vorerst mag die Capitelfolge, wie sie in der Handschrift und
bei Rauch sich darstellt, durch nachfolgendes Verzeichniss ver
anschaulicht werden. Zur grösseren Verdeutlichung des Unter
schiedes habe ich die bei Rauch unbezifferten Capitel gezählt, so
jedoch, dass ich der Grazer Handschrift folgend die zwei ersten
Artikel als einleitende Vorstücke betrachtete und unbezeichnet liess.
Die Handschrift beginnt Bl. 1, wie Rauch S. 144, „Got vater
almechtiger seyt dw dew weit weschaffenn hast ze lob deinem
namen“ etc. Daran schliesst sich mit rother Initiale „Alle weishait dy
ist von got und ist in got und was ye mit got“ etc. Vgl. Rauch
S. 145.
Hierauf folgen die gezählten Capitel:
Hs.
R.
Bl. 1', c. 1. Von den vorsprechen . .
„ 3, „ 2. Von den vorsprechen . .
„ — „ 3. Von gericht
„ 3', „ 4. Von der chlag
„ 4, „ 5. Von der chlag . . . , .
„ 5, „ 6. Von gelt
„ 5', „ 7. Von purgel
„ 6, „ 8. Von gelt etc
„ 6', „ 9. Wer gelts verlangent . .
„ 7, „ 10. Von geltschuld . . . .
„ 8, „ 11. Von geltschuld . . . .
„ 8', „ 12. Wecldagen umb gelt . .
,, 9, „ 13. Von frawen chauffen . .
,, 9', „ 14. Junkfrawen recht . . .
„ — „ 15. Von Junkheren recht . .
„ 10, „ 16. Von gelt etc
„ 10', „ 17. Gelt das entphuert wirt .
„ 11, „ 18. Von gelt das enphurt wirt
„ 11', „ 19. Von chlage
„ 12, „ 20. Gestchlag
„ — „ 21. Chlag über gest umb gelt
145,
147,
148,
149,
150,
161,
153,
154,
155,
156,
157,
242,
c. 1.
„ 2.
w 3.
. 4.
M S-
„ 6.
» 7.
„ 8.
m 9.
- io.
» 12..
„ 13.
„ 14.
- Iß.
» 16.
. 17.
» 18.
„ 19.
„ 20.
„ 132.
» 133.
Das Wiener WeichbWdreeht.
89
„ 247,
55
55
„ 248,
„ 158,
55
„ 159,
„ 159,
» 160,
55
„ 161,
55
» 162,
55
55
„ 163,
„ 141.
„ 142.
» 143.
„ 144.
- 145.
„ 22.
12', c. 22. Wann ein gast verpoten wirt S. 238, c. 126.
13, „ 23. Sol ein priester gelten . . . „ 239, „ 127.
14, „ 24. Von schueler recht .... „ 240, „ 128.
— „ 25. Klosterleut recht — „ 129.
14', „ 26. Chlag ze varunden leuten . „ 243, „ 134.
— „ 27. Von gelt edler leut in der stat „ — „ 135.
15, „ 28. Von tod liegen etc „ 244, „ 136.
— „ 29. Gelubderfrawobirmanstiribt „ — „ 137.
15', „ 30. Witibn man wellent nemen . „ — „ 138.
16, „ 31. Von den witiber „ 245, „ 139.
16’, „ 32. Von gelt „ 246, „ 140.
17, „ 33. Sol ainer gelten aus der scheff-
strass
17', „ 34. Von schedleichen leuten . .
— „ 35. Von alten Tuenawer recht .
18, „ 36. Wer chamergelt lauget . .
— „ 37. Von chamer guet ....
18', „ 38. Ze westen umb zins . . .
19, „ 39. Von haus westen ....
19', „ 40. Von haus oder chamer besten
20, Von ausziechen ....
— „ 41. Von hauszins recht . ._ .
20', „ 42. Von georntem Ion etc. . .
21, „ 43. Von taglon
21', „ 44. Von spil und von wetten .
— „ 45. Von dem spil
22, „ 46. Von dem spil
22', „ 47. Von spil
23, „ 48. Dass niemant mag äugen
noch nasen verspielen . .
Wer mit ungeleichen Wiirf-
fel spilt
23', „ 49. Von spil — „
24, „ 50. Von choberen 165, „
24', „ 51. Von phant der leitkeben . . „ —• „
— „ 52. Von fuer recht 166, „
23.
24.
25.
26.
27, 28.
29.
30.
31.
32.
33.
34.
„ 164, „ 35.
36.
37.
38.
39.
90
Dl'. Stark
Bl.
Rs,
25, c.
25', „
26, „
26', „
27', „
28, „
28', „
29, „
29', „
30, „
30, „
31', „
32, „
n
32', „
33, „
33', „
35, „
35', „
36, „
37, „
37', „
38, „
39, „
39', „
41', „
43', „
45, „
46, „
53. Von unrecht
54. Von unrecht
55. Von purgl
56. Wer auf ein tag purgel wirt
57. Von purgel recht ....
58. Chaufmanschatz
59. Chaufschatz
60. Chaufschatz
61. Chaufschatz
62. Chaufmanschatz etc. . . .
63. Visehchauf
64. Von chaufschatz
65. Von waitz und chorn . . .
66. Von getraide
67. Wein chauffen ......
68. Von vassen
69, Von gewant
70. Von chorn chauffen ....
71. Von rozz chauffen und'roz
tauschen
72. Rozz chauffen
73. Von deup vachen ....
74. Von gezeugen
75. Von chauf
76. Von verpieten verstolens
guet etc .
77. Von chauffen
78. Von chauffen
79. Von purkrecht etc
80. Von erih das ein man geit zu
seiner tocliter
81. Von erb das ein man geit zu
tochter
82. Von hausfrawen
83. Wer ein hausfrawn nimbtetc.
84. Von hausfrawn nemen . . .
S. —
„ 167,
„ 175,
» 176,
„ 177,
» 178,
»
» 179,
„ 180,
55
„ 181,
M
„ 182,
„ 183,
n ~~~~
„ 167,
„ 168,
R.
c. 40.
„ 41.
„ 53.
„ 54.
„ 55.
„ 56.
„ 57.
„ 58.
„ 59.
60,
61.
62.
63.
64.
65.
66.
67.
42.
43.
„ — „ 44.
„ 169, „ 45.
„ 170, „ 46.
„ 171, „ 47.
„ 172, „ 48.
„ 173, „ 49.
„ — „ 50.
„ 174, „ 51.
,, 175, „ 52.
„ 183, „ 68.
„ 185, „ 69.
„ 187, „ 70.
„ 189, „ 71.
„ 190, „ 72.
Das Wiener Weichbiidrecht,
91
Bl.
Hs.
47', c.
48, „
81, „
54, „
55', „
56, „
57', „
58', „
59, ,,
60, „
60', „
85.
86.
87.
88.
89.
90.
91.
92.
93.
94.
95.
96.
97.
61', „ 98.
— „ 99.
- „ 100.
62', „ 101.
63, „ 102.
63', „ 103.
64, „ 104.
65', „ 105.
67', „ 106.
68, „ 107.
69, „ 108.
69', „ 109.
71', „ 110.
73, „ 111.
75', „ 112.
76, „ 113.
Von weib nemen
Von weib nemen
Von verchauffen erib und gut
dem vater
Chinder pringen ze einer
hausfrawn
Von weslaffen
Dreyerlay chind recht . . .
Von chinden und von sippe .
Von hausfrawen
Von schaiden der frawen von
den mannen ......
Von margengab
Fu ersten margengab . . .
Von pawern margengab . .
Des Ramischen chunigs
margengab
Von verzeichen der mar
gengab
Von margengab etc. . . .
Von leibgeding etc
Verchauffen leibgeding , .
Wer leibgeding verchauft .
Von leibgeding
Daz ein chind seins vater erb
und seiner mueter mag ver-
bürichen
Wer zeug müg sein . . .
Von wider treiben ....
Von purkrecht der Weingarten
Von purkrecht
Von gewanheit der purkhern
Von zechent
Von chlag auf perkrecht etc.
Von zymmer
Von phant setzen Weingarten
oder heuser
R.
S. 192, c. 73.
„ - » 74.
, 195, „ 75.
„ 198, „ 76.
„ 200, „ 77.
„ 201, „ 78.
„ 202, „ 79.
„ 203, „ 80, 81.
„ 204, „ 82, 83.
« 205, „ 84.
„ - * 85.
» — „ 86.
„ — „ 87.
„ 206, „ 88.
„ 207, „ 89.
„ 208, „ 90.
„ 209, „ 91.
„ 92.
„ 210, „
„ 211, „
„ 213, „
93.
94.
95.
„ — « 96.
„ 214, „ 97.
„ 215, „
„ 217, „
„ 218, „ 100.
„ 220, „ 101.
98.
99.
„ 221, „ 102.
92
Dr. Stark
Hs. R.
Bl. 76', c. 114. Von perkrecht phant etc. . S. — c. 103
„ 78, „ US. Von phant setzen .... „ 223, „ 104
78', „ 116. Von leichen — „ 105
„ — „ 117. Phant setzen 224, „ 106
„ 80, „ 118. Von phant setzen mit purk-
heren hant 225, „ 107
„ 81', „ 119. Von phant setzen .... „ 226, „ 108
„ 82, „ 120. Von phant setzen die man
tragen und getreiben mag . „ 227, „ 109
„ 82', „ 121. Von phant setzen ■— „HO
„ 83, „ 122. Von rain hin hawn und frid
prechen 228, „ 111
„ 83', „ 123. Von überlegen Weingarten . „ — „112
„ 84', „ 124. Wer sein perkrecht versetzt „ 230, „ 113
„ 85', „ 125. Von chlage ze perkrecht . . „ — „114
„ 86', „ 126. Von junkfrawen ehlag
„ 87', „ 127. Von purkrecht
„ 88', „ 128. Wer perkrecht oder purk
recht wil verchauffen . . . „ 231, „ 115
„ 89', „ 129. Wer purkrecht versetzt
„ 90', „ 130. Von purkrecht
„ 92, „ 131. Purkrecht chlag
„ 93, „ 132. Wer sein purkrecht meren wil
„ 93', „ 133. Purkrecht ze verchauffen
„ 96, „ 134. Wer sein purkrecht versetzt
„ 96', „ 135. Von über zymern ain man den
andern 232, „ 116.
„ 97, „ 136. Von wasser reichen .... „ 233, „ 117.
„ 97', „ 137. Von mauren zwischen heusern „ — „ 118.
„ 98, „ 138. Von mauren zwischen den
heusern „ 234, „ 119.
„ 99, „ 139. Von phant setzen
„ 100, „ 140. Phant setzen „ 235, „ 120.
„ 100', „ 141. Von essunden phanden . .
„ 101, „ 142. Von erb versetzen .... „ — „ 123.
„ 102, „ 143. Phant setzen . .
„ — „ 121.
„ 236, „ 122.
Das Wiener Weichbildrecht.
93
Hs. R.
Bl. 103, c. 144. Dy roz leichent umb Ion . . S. 237, c. 124.
„ 103', „ 143. Wer messer, swerter leicht . „ —• „ 123.
„ 104', „ 146. Von ros leichen und wagen
recht „ 241, „ 130.
„ 103, „ 147. Von churzweilichen phanden >) „ 242, „ 131.
Wird die eben gegebene Vergleichung zusammengefasst, so
ergibt sich folgende Gruppirung:
Hs. 1- 10
11— 19
20. 21
22— 23
26— 37
38— 34
33— 69
69— 79
80—123
126. 127
128
129—134
133—138
139
140—142
R. 1— 10
11
12— 20
21
132. 133
126—129
134—145
22— 41
53— 67
42— 52
68-114
115
116—119
120—123
l) Professor Heinrich Siegel hat über die zwei Rechtshandschriften des Wiener
Stadtarchives die von Senckenberg in den „Gedanken von dem jederzeit lebhaften
Gebrauch u. s. w.“ (1759) S. 17 erwähnt hat, in einer kleinen Sylvester-Spende
(1858) die nicht in den Buchhandel gekommen ist, ausführlichen Bericht gegeben,
und bei der Beschreibung der zweiten Handschrift vom Jahre 1435 kl. Folio be
merkt, dass das Wiener Weichbildbuch abbricht mit Artikel „Ob einer dem andern
leicht kurtzweilige pfant als puch in deutsch“ (Rauch 242). Da die Grazer Hand
schrift mit demselben Artikel schliesst, so liegt, falls Professor Siegel die
Capitelfolge in der Handschrift mit der bei Rauch nicht durchgehends verglichen
hat, die Vermuthung nahe, dass die Wiener Handschrift die Capitel nur in einer
von der bei Rauch verschiedenen, etwa mit der Grazer Handschrift stimmenden
Anordnung folgen Hisst. Der Umstand, dass das Weichbildbuch in der ersten
Wiener Handschrift SO, in der zweiten 44 Blätter umfasst, spricht wohl, bei
gleichem Format und gleicher Schrift, für eine Kürzung in letzterer, lässt aber
ohne Einsicht in die Handschriften keine Sicherheit hierüber zu.
94
Dr. Stark
Hs. 143 R
144. 14S 124. 123
14G. 147 130. 131
.... 146. 147
In der Handschrift fehlen demnach 4 Capitel des Rauch’schen
Textes: 11 S. 152, 21 S. 157, 146 S. 248, 147 S. 25G, während
10 Capitel der Handschrift: 126, 127, 129—134, 139, 143 bei
Rauch vermisst werden, ein Ergebniss, das schon allein diese Hand
schrift beachtenswerth macht.
Der Unterschied, der sich dadurch für die Gesammtzahl der
Capitel in der Handschrift ergibt, gleicht sich jedoch äusserlich
wieder aus, indem sechs Capitel der Handschrift, 39, 41, 69, 92,
93, 141, bei Rauch in zwölf getheilt sind. Wir begegnen somit, trotz
der nicht geringen Verschiedenheit der Handschrift und des Rauch-
schen Abdruckes, in beiden dennoch derselben Anzahl von Capiteln,
die auch nicht geändert wird, dass Capitel 87 bei Rauch in der
Handschrift in zwei Capitel (97, 98) zerfällt, da andrerseits ein bei
Rauch beziffertes Capitel (26) in der Handschrift ungezählt dem
Capitel 40 angefügt ist.
In Bezug auf Capitel 11 und 21 bei Rauch muss nachträglich
bemerkt werden, dass ihr Abgang in der Handschrift nicht als ein
Mangel betrachtet werden darf, denn ersteres ist eine Wiederholung
des Capitels 8 (S. ISO), das andere nur eine Hinweisung auf
Capitel 9 (oder 11 mit Hinzuzählung der zwei ersten Artikel).
Ob.die Capitelfolge bei Rauch oder in der Handschrift die rich
tige oder vielmehr ursprüngliche ist, dies kann erst eine Verglei
chung der übrigen Handschriften lehren. Ich unterlasse desshalb jede
Muthmassung darüber und wende mich der Betrachtung des band-
schriftlichen Textes zu, doch dies nur insoweit, als er mit dem Ab
drucke bei Rauch im entschiedenen Widerspruche steht.
Zwar ergeben sich aus dieser Betrachtung nur wenige wesent
liche Berichtigungen und Verbesserungen für den Rauch’schen Text,
diese wenigen sind aber von solcher Wichtigkeit, dass sie, in Ver
bindung mit der oberwähnten Bereicherung durch neue zehn Capitel,
die auf die Vergleichung der Handschrift verwendete Mühe kaum als
eine vergebliche werden erscheinen lassen.
- 1. Bei Rauch, S. 242 schliesst Capitel 133: „Chumbt der gast in
denselben vierzehen tegen, er geit dem richter alles das gewert
Das Wiener Weichbildrecht.
93
wirt, das man im gelten sol“. Die Worte „alles das gewert wirt, das
man im gelten soll“ stehen hier irrthümlich; sie gehören dem Capitel
120 (Rauch, S. 240) an, wie aus folgender Nr. 2 zu ersehen ist. —
Die Handschsift bringt statt des obigen Satzes in dem entsprechen
den Capitel 21: „In den selben virzehen tagen er geit dem richter
sein recht und verantburt sein gut als recht ist in dem nächsten tai-
ding. Chumbt er aber in den nächsten vierzehen tagen nicht, so sol
der richter dem chlager des guts also vil antburten mit der gewissen,
daz er seines gelts wol gewerdt werd, das sind auch zway wandel:
das ain ist, das in der wirt aus (lies an) Urlaub, das ander ist das,
daz es behabt ist.“ Auch diese Stelle findet sich von „verantburt sein
gut“ bis zu Ende bei Rauch, aber gleichfalls an Unrechter Stelle, im
Capitel 125, S. 238. Vergl. Nr. 5.
2. Im Capitel 129, Rauch, S. 240 stimmen die zwölf ersten
Zeilen bis „vindet und anchumbt als lang, unz daz er“ mit dem Capitel
25 der Handschrift. Die folgenden siebenzehn Zeilen sind dort wieder
durch ein Versehen angefügt. Das Unzusammenhängende dieser
beiden Theile kann bei aufmerksamer Lesung nicht entgehen. Die
Handschrift dagegen schliesst kurz und passend: („als lang, unz daz
er) alles des gewert wirt, das man im gelten sol“ (Vergl. 1), und
ihr zufolge gehören die siebenzehn Schlusszeilen im Capitel 129 zum
Capitel 125, S. 237 (Hs. c. 145).
3. Bei Rauch stimmt Capitel 41, S. 167 bis Zeile 4 v. u. „das
bah er recht und redleich gewert“ mit Capitel 54 der Handschrift;
aber statt des folgenden „und bewärt das mit warer gezeugnuss“ etc.
setzt diese fort: „und hab seinen purgel schon erledigt, und wo er
das nicht engech, das welle er pringen als ze recht er schull, der
mag mit recht des zeuges nicht laiten, wann liinz im nieman taidingt
noch sprichet und der da purgel warden ist, und mues das pringen,
daz in sein purgel schon erledigt hab alles des, des er purgel für in
sey gewesen liinz dem man, und wenenet auch den, oder er pringe,
daz er in redleich gewert hab alles, des da man in umb ansprach und
des purgel sey gewesen und sey ledich.“
4. Capitel 100, Rauch, S. 218 stimmt mit Capitel 111 der
Handschrift, doch diese fügt Bl. 75 noch hinzu: „Ist daz in den
Zeiten die selber maur niderget und er chlaget, und der chlager sein
recht voilichleichen erlanget, allen den schaden, den er di weil nimbt,
den mues im der antburter ablegen recht als er stat an im vindet, er
96
Dp. Stark
hab denn seinen geweren ze pieten, der im das haus und auch die
maur leichet. anders hat er ze chauffen gegeben, denn es mit altem
recht herchomen ist, und daz auch der ze rechten Zeit gewert sey
waren und im die antburter für in gestanden, so mues der selber
gewer an enes stat paidenthalben pessern dem chlager seinen scha
den, dem richter das wandel, ist daz im an behabt wirt mit den zeu
gen als recht ist.“ Dieser Beisatz gehört offenbar nicht hielier; ob er
einem der dem Inhalt nach verwandten Capitel zugetheilt werden
muss, oder aber vielmehr als Theil eines selbständigen, in der
Handschrift und bei Rauch fehlenden Capitels anzusehen ist, darüber
wird vielleicht eine Vergleichung der übrigen Handschriften Auf
klärung gewähren können.
5. Capitel 125, Rauch, S. 237 stimmt mit Capitel 145 der Hand
schrift bis auf die letzten acht Zeilen, die, wie 1 erwähnt wurde,
zum Capitel 133, Rauch, S. 242 gehören. Was dafür, und zwar ganz
richtig, die Handschrift bietet, findet sich bei Rauch wieder irrig
dem Capitel 129, S. 240 angehängt. Nach der Handschrift lautet
diese Stelle: „und weberent deu denn das, daz in aides *) gesworen
hab, als ir hernach geschi'iben vindet in dem Capitel von wider
treiben. wirt er dann uberchomen also recht ist, so soll der den
todslag pessern dem richter und den leuten, der der freunt gewesen
ist und der da erslagen ist a ), und dar über die zungen ledigen vor
dem richter mit zehen phunten. hat er des gutes nicht, so sol man
in uberwinden als recht ist und darnach enthaupen, und als er über
wunden wirt in der schranne, so sol man in zu der schayat 3 ) fueren
ee daz man in enthaupt, und sol im einen stuel setzen under di fuezz
und die zungen slahen oben an einen haken und den stuel darnach
zuken, so daz die zunge weleibt an dem haken und puess den manaid
den si gesworen habent, und darnach sol man (in) aller erst ent
haupten und über in richten als todsleg recht ist.“
Die Verwechslungen der Capitelschlüsse im Rauch’schen Texte
stellen sich nun einfach so dar:
Der Schluss des Capitels 125 (S. 237) gehört zum Capitel 133
(S. 242),
*) Rauch: mainaides.
2 ) Rauch: den leuten allen, der freunt er da gewesen ist, der da etc.
3 ) Rauch: schrait. Vergl. Schmeller Wtb. 3, 503.
Das Wiener Weichbildrecht.
97
der Schluss des Capitels 133 gehört zum Capitel 129 (S. 240),
der Schluss des Capitels 129 gehört zum Capitel 125.
Noch verdient bemerkt zu werden, dass im Capitel 20, Rauch
S. 157 der Schlusssatz: „Beclagt ain gast ain purger, den mues er
vier Stund fuer laden“', nur durch ein Versehen des Schreibers an
gefügt ist. Diese Worte bilden den Anfang des Capitels 132, S. 242,
und dass er sich an das Ende des Capitels 20 verirren konnte, lässt
eine früher unmittelbare Berührung dieser beiden Capitel vermuthen,
die, freilich nur für diesen einzelnen Artikel, zu Gunsten der hand
schriftlichen Capitelfolge sprechen würde.
So viel über die Grazer Handschrift der Wiener Stadtrechte und
über ihr Verhältniss zum Rauch’schen Texte.
Schliesslich will ich noch für den s. g. Schwabenspiegel einige
Zeilen in Anspruch nehmen. Dass er hei der Abfassung mehrerer
Stadtrechte als Quelle benutzt worden ist, wurde längst erkannt und
nachgewiesen: dass er auch beim Niederschreiben des Wiener
Weichbildrechtes nicht unbenutzt gelassen wurde, veranschaulicht
folgende Vergleichung. Ich citire einerseits nach Rauch, anderseits
nach Wackernagel’s Ausgabe.
Weichbildrecht
Sehwabenspiegel
19.
81 (S. 203) c. 8, Z. 1—13.
82. 83 (S. 204) 25. 24,
84. 85. 86 (S. 205)1
87.Z.1 —5(S.205)j
87. Z. 6 etc „20.
89 Z. 1—5(S. 207) „21.
89. Z. 5 etc. 90. 91. 92 „ 34.
93 „16.
94. Z. 1-8 (S. 211) „14.
94. Z. 8—23 74. Z. 1—10.
146 (S. 248 fg.) 345.
Diese wenigen Quellennachweise weiter auszudehnen muss
ich dem künftigen Herausgeber der Wiener Rechtsbücher des Mittel
alters überlasen, und hoffentlich wird sich in Berücksichtigung ihrer
Wichtigkeit für die Rechtsgeschichte Österreichs ein solcher bald
finden.
Sitzb. (1. phil.-hist. CI. XXXVI. Bd. I. Hft.
7
98
Dr. Star k
Im Anhänge folgen die zehn Capitel der Handschrift, die bei
Rauch fehlen und überdiess die Nummern 3, 4 und 6, die in der
Handschrift dem Rechtsbuche zugefügt sind. Das vorwiegend cultur-
geschichtliche Interesse, das den beiden grösseren Nummern kaum
abzusprechen sein wird, rechtfertigt vielleicht ihre Mittheilung.
ANHANG.
l.
c. 126. (Bl. 86'.) Von Junkfrawen chlag.
Chlagt ein Junkfraw auf ein haus oder auf einen Weingarten als
lang das pitzaig erget, und chumbt auf di ebenteur, di sol auch eben-
teur tuen, und sol man ir dann antburten als recht ist. daz si dar über
an der stund wider für chumbt, als si einen man genimbt, und elilagt
wider als vor und haisset dar umb fragen, was si junkfrawen weis
ertaidiget hab, ob das chain chraft mug gehaben oder an iren rechten
icht gescliaden mag, das ertailt vil leicht der junkfrawen vorsprecli: es
müg ir nichtes nicht geschaden. da enkegen sol der antburter vor
sprech den ertailen: wer ein aigen rueg (87) oder chlag, es sey man
oder weib, witib oder hausfraw, junkfraw oder alt, geistleich oder
weltleich, und nicht volfiirt in jar und in tag mit seinem recht, er hab
alles sein recht an dem selben gut verloren, mag der antburter denn
pringen, als er ze recht sol, daz er daz perkrecht oder das purkrecht
hab gehabt in rechtes purkrechts gewer jar und tag und mer pey ir
unusproclienleieh in rechtem gericht nach der zeit, und di junkfraw
dez erst geruegt und geehlagt hab und auch mit frag und mit urtail ir
in rechtem rechten taiding enprosten sey, so ist er ze recht ledich,
wann es macht ein junkfraw oder süst ein fraw oder ein man oder ein
cliind rügen oder chlagen auf ein erbgut, und wenn der antburter für
ehern und wolt antburten, so wolten si sich willichleichen samen auf di
red, daz si di weil vil leicht ir chlag nit möcht volfueren als si geren (87')
teten, und wolten auch damit nicht mer Verliesen denn ir tag, und
wolten den armen man also immermer umb treiben, der da ist an der
gewer: dez mag nicht gesein, wann da muest der arme man pei ver
derben. dafür ist das erfunden , als ich vor gesprochen han: wer auf
Das Wiener Weichbildrecht. 99
ein erb gilt rueget oder chlagt und volfürt nicht inner jar und tag mit
seiner chlag, als er ze recht sol, der hat furbas allez sein recht dar an
verloren.
e. 127. Von purkreeht.
Purehrecht hat vil nahen das recht, das perkreeht hat mit taiding,
wann daz man das purkrecht mues verantburten ze virzehen tagen, so
verantburt man das perkreeht in rechtem taiding; es sey, daz es nicht
perkrechtes taiding habe , so mues man es verantburten ze virzehen
tagen als das purkrecht, was nu purkrecht sey, das wil ich euch
chunden: das sind häuser, tischstet, fleischpenk (88) pratpenk, hofstet
und was darzu gehöret, darnach müllen, paumgärten und werd, wismad,
ekcher, chrautgarten und mairhof und phenig gelt, wo das leit auf der
erb ainem. wo und wie man das verantburten sulle , das wil ich euch
sagen, was purkrechts gelegen ist in der stat und aussen umb die stat,
das man Verlosung r ) und versteurt mit der stat, das sol man verant
burten vor dem statrichter, als haüsser, tisehstet, fleisclipenkj chram,
und was solich aigen ist. was denn in dem gew gelegen ist, als ekcher,
wismad, mairhöf, das sol man verantburten vor den purkhern, dem das
purkrecht dient, hat aber ein purger ein purkrecht daussen in dem
gäw, es sey auf ekchern oder auf wismad, und das ein ander purger
von im hat, der auch hie ze Wien ist in der stat gesessen, (und) ver
setzt der selb purger sein purkreeht also (88') daz er es zu dem
rechten tag nicht engeit, denn sol man auch chlagen vor dem stat
richter. ist aber daz ein paur seinem herrn sein purkrecht nit endient
als er ze recht sol, den phendet der herr wol oder sein ambtman mit
recht auf zwispild also lang ze virzehen tagen, unz daz das purkrecht
nicht teur ist oder, unz daz der gepaur des herren huld gewinnet;
doch durch ein weschaidenhait mag der herr wol einen man setzen an
sein stat und chlagen gegen dem purkrecht als er ze recht sol.
c. 129. (Bl. 89'.) Von purkreeht versetzt.
Ber sein purkreeht versetzt zu dem rechten tag, da sol der
purkeher hin chlagen vier taiding nach der stat recht, und ist daz
denn der antburter für ehumbt in den vier taidingen einen, es sey das
erst oder das lest, und giclit dem purklierrn seines purkrechtes dan-
*) Ein folgendes „hat“ ist durchstrichen.
7*
100
Dr. Stark
noch, so mues er das purkrecht mit zwispild geben darumb, daz er
sich hat lassen bechlagen. ist aber daz der man, der das purkrecht da
versessen bat, nicht für cliumbt an dem vierden taiding, so sol der
purkherr pringen seiner tag envollen (90) also recht ist, und sol man
dennoch dem purkcherrn ertaillen zwispild seines purkreclits ze virzelien
tagen, und wenn di virzehen tag dann aufchomen, so sol der purkherr
wider für gericht gen und sol auch pringen, daz die vierzehen tag aus
sind seines ersten zwispildes. als er denn das pringet, so sol (man) im
aber erlailen sein anders zwispild ze virzehen tagen und sol das als
lang tuen mit recht, unz daz das purkrecht nicht teur ist. darnach sol
der richter das schaffen, vier erber mann, di das achten, ob das ver
sessen purkrecht di zwispild getragen müg oder nicht, sagen das di
erbern leute, daz er mer getragen mug denn mit zwispild dar auf
erlanget sey, so sol der purkcherr nach zwispild chlagen als vor;
sagent si aber, daz es nicht teur sey und nicht mer zwispild getragen
mug, so sol der (90') purkherr desselben versessen purkrecht sich
under winden mit dem geeichte und sol seinen frumen da mit schallen
lediehleich ze versetzen und ze verchaufen und geben, wem er wil,
und sullen im das di purger schermen als der stat recht ist.
c. 130. Von purkrcclit.
Chlagt ein man hinz dem andern umb ein perkrecht, das hab er
im versessen, und benennet auch das, der antburter cliumbt für und
pit dar über fragen, der chlager sull wol offen, von wen man im das
purkrecht dienen sulle, dez er nicht engecli, und der chlager der
ofient, von einem haus oder von einer chram, und der antburter vodert
zehant piczaig, weder sol man das piczaig tuen oder nicht, es wellen
di purger, daz man umb purkrecht iclit piczaig tue, wann nach der
piczaig so wolt ein igleicher ebente(u)r vordem, der sein purkrecht
versezzen, und wer (91) das denn, daz dem purkherrn der ebenteur
ieht abgieng, so wolt der perggenoss ledich sein, da von sol man umb
chain versessen purkrecht weder piczaig noch ebenteur tuen, wann
manig piderman hat purkrecht und perkrecht, das im dient und sein
vordem lassen liabent, und hat nicht mer eribes den selben dienst, ob
man in den selben dinst versessen und darauf wolt ze clirieg tuen, das
man wol weste, daz er nicht ebenteur gehoben möcht, und wolt den
purkherrn oder den perkherrn damit von seinem recht schaiden, das
wer ungerecht, und dar über so liabent di purger und auch der rat ze
Das Wiener Weichbildrecht.
101
Wien das erfunden: wer ein purkrecht oder ein perkrecht versezzen
auf einem laugen als verr, daz man mit ehlag ab im gewinnen mueste,
da sol anders nicht umb ertailet werden, denn also mag der purkherr
das pringen, (91') als er ze recht sol, daz dasselb purkrecht emollen
mer verdient sey denn jar und tag. zu allen den zeiten und man das
pnrkrecht verdienen sol, des sol er geniessen zu der gewer und er hat.
wann er das erb inne hat und das purkrecht davon di(e)nt, der mag
gegen seinen purkherrn chain gezeug nach der gewer gelaiten also,
daz er den purkherrn genzleieh damit von dem purkrecht schaidet,
wann der purkherr an der gewer seines gepurkrechtes ist, davon get
sein gezeug nach der gewer dar und des purkgenossen nicht, es sei
denn also, daz der purkherr vergessen hab, als man im das sein purk
recht geh, und wolt leicht darnach jehen, es wer im ze recht nicht
gegeben und wolt den purkgenossen also schaiden mit zwispild von
seinem eribe, so pringt der purkgenosse wol gegen dem purkherrn,
(92) daz er im ze rechter zeit allez sein perkrecht verdient hab, wann
mit den gezeugen schaidet man den purkherrn von seinem recht noch
von seiner gewer nicht, wann daz der gezeug das purkrecht zwischen in
paiden pricht. aber wer der ist, der einen man an spricht, aber ein fraw
uml) das, das si in gewer und in gewalt wesessen habent mer denn
recht tag und verdient habent in rechter purkrecht gewer, da geet
des wesitzer gezeug nach der gewer für, aber gegen den purkherrn
nicht, wann sein perkherre der mues in gegen allen leuten des rechtes
zu legen.
c. 13i. Purkrecht clilag.
Chlagt dar über ein purkherr, im sey sein purkrecht versessen,
und der antburter chumbt für und gicht des, er hab in sein purchrecht
ze hof und ze haus getragen ze rechten tagen und das hab er gewidert,
(92') oder er gicht des, er hab im ze rechten tagen alles das purkrecht
verdient, da er in heut umb anspricht, und hab auch das für wol
genomen, und wo der purkherr des nicht entgeeh, das well er pringen,
mag der antburter der zwair ains pringen, aindweder daz der purkherr
das purkrecht gewidert hab oder daz er im redleichen und recht aller
ding gebert hab, des geneuss er an seinem recht; ist daz der purkherr
dar über sein purkrecht widert, als man in das anpeutet, so soll es der
riehter versigeln und also lang behalten, unz daz es der purkherr gar
gerne nimbt. geschiecht aber dem man di weil des purkrechts dürft ze
102
Dr. Stark
versetzen oder ze verkauften, und daz in der purkherr des irren wil, so
sullen die purger nemen oblcite und anleite und sullen das legen ver-
sigelt zu dem (93) vodern purkrecht und sullen auf nemen von dem
hingeber und dem chauffer aufgeben und auch schermen seinen chauf
mit der stat insigel.
c. 132. Wer sein purkrecht meren wil.
Ist daz ein mann sein purkrecht meren wil, daz man im dienen sol,
oder einer minner wil oder es da dienet, und chlagen paid gegen ein
ander, welichs gezeug sol für gen, des purkherrn gezeug oder des,
der das purkrecht da dienet? wir wellen daz der purkherrren gezeug
an aller stat für gee umb sein purkrecht, wann es sein rechter dinst
und auch sein gelt ist. wann solt igleich purkgenoss da bringen gegen
seinen purkherrn, daz er im nicht mehr solde denn als er walde, so
wurd manig perkrecht dem purkherrn abgezeuget da von, wer der ist
der minner purkrecht gicht, den der purkherr an in vordert, (93') mag
der purkherr pringen, daz man im und seinen vordem oder seinen erben,
ob er es gekauft hat in der mazz, als es enem her gedient hab ze allem
dem recht, und er des tags offent, daz man im dienen soll, des sol er
geniessen zu der gewer und er hat an seinen rechten purkrecht ze
chauffen.
c. 133. Purkrecht ze verkauffeii.
Was man purkrechts versetzen oder verkaufen wil, das sol man
tuen vor dem gruntherrn, dem man das grunthrecht da dient, wann
alle Stiftung wirt des ersten auflassen mit etleichem gruntrecht und dar
nach und es gestift wirt; was man dann geltes darnach dar auf setzet
oder verkaufet, das haisset unter sich gestiftet und damit verlieset der
gruntherr seines rechten nichts nicht, wann das erdreich sein ist ge
wesen, da di Stiftung aufstet, wann so die Stiftung abgieng (94) von
fewr oder von andern schaden also, dasz der grünt 1er westiind und
ungezimmert, so züg sich der gruntherr mit recht an seinem grünt,
und wer der uberzins aller verloren; es wer dann als vil, daz man im
sein gruntrecht vollichleieh ze rechter zeit dint, so möcht er sich des
grunts nicht undenvinden, er leg öd oder nicht, was rechtes nu der
gruntherr hab und darnach der uberzins, das wil ich euch wescheiden.
hat ein man ein haus oder ein ander purkrecht, welicherlei das ist, der
dient davon das recht grundrecht mit deu und es des ersten gestift und
auflassen ist, und der selb man wil verchaufen auf dem selben haus ein
Das Wiener Weichbild recht.
103
phiint geltes oder mer, das mag er wol getuen an des purkherrn wissen;
aber dureh ein wescheidenheit sol der chanfer dem gruntherrn kund
tuen, daz er solieh gelt auf dem haus geehauft hab, darumb (94') ob
dem chaulfer sein recht auf dem hause versessen wurd, daz der grunt-
herr sein recht wissen und der chaufer das sein, als ich euch hernach
wescheide. ist daz ein mann sein purkrecht hin geit, es sey ein haus
oder anderley, an phening zu einem werenden dinst, es sey umb ein
phunt gelts oder mer, das haisset under sich gestiftet, und das selb
haisset dann ein uberzins, es wellent aber die purger, was der mann
auf seinem purkrecht gelts verchaufet oder under sich stiftet ze ehauf-
reclit, das haisset purkrecht, und ist auch also lang herkommen mit
altem recht, daz si nur das wehertet habent und wellent, daz, wer den
selben uberzins versitzt, daz man den pesser mit zwispild als purk-
rechts recht ist. von derselben gewa(n)heit mug wir nu nicht chommen,
doch was rechtes nu der grunther und der purkherr dann hab, di der
paider gilt von einem (95) haus wartent also, daz ir aintweder sein
recht icht Verliese, ob man ir ainem sein recht versetzet, des wil ich
euch churzleich weschaiden. versetzet ein man ein grundrecht als lang
daz dem gruntherrn sein zwispild darauf ertailet wirt, und desselben
zwispild wirt also vil mit vrag und mit urteil also, daz das haus nicht
teur ist, so sol der gruntherr vil recht achten, ze welicher zeit er
sieh desselben erbes underwinden süll, so daz das dem purkherrn sein
uberzins nicht abget, darnach dem gruntherrn auf demselben erib ver
chaufet und gestiftet ist, und wil euch sagen wie. ist (daz) das erbgut
dreissig phunt wert ist, daz man demselben erib dient dreissig phening
gruntrechts und ein halbs phunt purkrecht und daz dem gruntherrn sein
gruntrecht als lang versessen wirt, daz in das haus mit zwispild vor
rechten gericht ertailt wirt, so sol er im poten haissen geben (95') auf
das selb erbe, die da schetzent und sol das enzeit tuen, daz des zwi
spild icht ze vil auf dem erib werd, so daz er dennoch so vil uberteurung
darauf hab, ob im des erbes beleihe, daz er dem purkherrn von der
selben uberteurung alle jar [sein] sein halbes phunt purkrecht müg
verdienen zu allem dem recht und es euer verdient hab, der grunt
recht da hat versessen, ist aber daz dem purkherrn sein halbs phunt
purkrechts versessen wirt, der sol mit seinem zwispild auch nicht zu
verre jagen also weschaidenleich. ob im das haus ertailet werd mit
recht in sein gewalt, daz er dennoch wol als vil hab an demselben hause,
daz er das gruntrecht wol davon verdienen mug, so verleuset ir aint-
104
Dr. Stark
weder seines rechten nicht, wenn das linder in paiden versessen wirt,
es sey der grnntherr oder der perkherr; wurd aber ir ainem sein purk
recht auf einem erbgut als lang versessen, (96) so daz es im mit zwi-
spild ertailt werd in sein gewalt und wol dapey dem andern sein recht
da mit enphrömden, das wer allen leuten schade an irem eribgüt, wann
so gestattet chain gruntherr des, daz man auf seinem gruntrecht iclit
purkrechts verchaufet dar umb. ob dem purkherrn sein purkreeht würd
versessen, so daz im das haus mit zwispild ertailet wurd, daz der grunt
herr sein recht damit hiet verloren oder, ob dem gruntherrn sein recht
wurd versessen, daz denn der purkherr sein recht hiet verloren, das
wer paidenthalben ungevelligleichen, davon sullen sie gelich mit ein
ander tragen, als vor geschriben ist: ob man ir ainem sein recht ver-
sesse, daz der ander seines rechten damit nicht verliesse.
c. 134. Wer sein purkreeht versetzt.
Ist daz ein man sein purkrecht versitzet und dient das gruntrecht
etwo zu einem kloster und das purkrecht anderswo umb das (96') selb
purkreeht, sol man in bechlagen vor dem statrichter also weschaiden-
leichen ist, daz das haus oder das erb in purkfrid gelegen ist, und das
gerichte umb andrer sach auch ze recht dar geraicht. ist aber daz ein
purkreeht versessen wirt von einem haus oder von einem paumgarten
und das selber erib gelegen ist auf des abtes gut von den Schotten
oder auf andern herren gut, die wesunder ir gericht habent und gült,
und umb ander sach in diesem purkfrid, vor dem selben herrn sol man
chlagen umb das versessen purkreeht als recht ist; aber umb alles
gruntrecht, das man versitzet und gelegen ist in dem purkfriden, sullen
die gruntherrn chlagen vor dem statrichter in der schrannen, es sey
geistleich oder weltleich, denn ir gruntrecht versessen wirt.
e. 139. (Bl. 99.) Von phant setzen.
Setzt ein man ein phant hinz einem wein oder sust, da niemant ist
denn er oder der, dem man das phant setzet, so löst er sein phant als
teur als er es versetzet hat, und als er das phant gelöst, so gicht der
leitgeb, es ste in noch mer, und wil im des phandes nicht geben und
choment darnach paid für gericht, und diser des das phant da ist, der
clilagt hinz dem leitgeben, er (90') (halte) im sein phant vor und be
nennet auch das vor recht, das er ledichleichen und recht erlöst hab,
und dieser der das pant da hat, der gicht im des nicht, daz er es erlöst
I
Das Wiener Weicbbildreeht. 105
hab, so mues er das pringen, daz er es erlöst hab, oder er mues es
ziechen an des trew, der das phant da inne hat. Ist aber daz der des
gicht, dem das phant da stet, er hab es versetzt hinz den Juden oder
er hab es verchauft oder verloren: hat er es denn versetzet an die
Juden, da mues er es lösen als teur als es dann stet, und geit im ener
anders nicht, des das phant da ist, dann die phennig, da er ez des
erstem umb versetzet hat; ist aber das phant verloren oder verchauft,
so mues es der, des das phant gewesen ist, sagen bei seinem trewen,
wes das phant wert wer, da er es versatzet, und was er denn saget
bei seinen trewen, wes das phant wert sei gewesen, als teur muez ims
der gelten, der es da verchauft (100) oder verloren hat, er müg denn
den vinden, dem er es verchauft hat, und pringen also recht ist, daz es
nicht teur verchauft sei oder das wewären mag mit zwain, daz er sein
gut da mit verloren hab, so wird er aller erst mit recht ledieh.
143. (Bl. 102') Pliant setzen.
Setzt ein man und sein hausfraw ein erbgut mit gesampter hant
und habent chinder mit einander und derselben chind enlebt noch und
der frawen vater, und darnach stirbt der wirt und ist das erb unerlost,
der ene underwindet sieh der frawen , seiner tochter und auch der
chind seiner eninklein, di selben sind zu iren jaren nicht chomen, und
di muter noch die chind haben des eribes nicht ze lösen, darnach so
pittet di fraw iren vater der chind ene daz er das erb löz, si gönn im
sein paz wann andern leuten, seind si sein nicht enlosen mag und auch
darumb, daz er es gegeben hab des ersten zu irem wirt, der chinder
ene erlöst das erib oder er chaulfet ez von dem, dem es da versetzet
ist, und hat die chind und auch di mueter in seinem prat, und darnach
wirt dem ene dürft, daz er (103) dasselber erbgut verchauffet und
stirbt darnach der chinder ene und auch ir mueter, und als si darnach
zu iren jaren choment und vogtpar werdent, so sprechent si wol mit
eren und recht nach dem erb, das ir engelost hab und darnach ver
chauft, wann ir muter mocht niemant das erb mit recht erlauben ze
losen noch chauffen davon daz der chind vater tod was, und wer es
darüber hat in gewer und in gewalt, dem gewinnent dieselben chinder
mit recht das erib wol an; war es aber in des gewalt beliben, dem es da
versetzt warde mit gesampter hant, da muesten ez die chind davon gelost
haben, wann der gelter was je der nächst erib, oder si muesten ims also
lang haben lassen, unz es sich ab gedienet hiet als vor geschriben stet,
106
Dr. Stark
2.
Bl. 138'. Das ist der peken recht ase Wien »e paclien 1 ).
Wenn der müt waitz gilt ein halb pliunt wiener phening, so sol
das phenwert prates wegen dreizehen mark und sechzehenthalb löt 3 ).
umb funfthalben Schilling dreizehen mark und dreu lot 3 ).
umb fünf Schilling zwelif mark.
umb sechsthalben Schilling aindlef mark und sechsthalb lot.
umb sechs Schilling aindlef mark und anderthalb lot 4 ).
umb siebenthalben Schilling zehen mark und ein halben
vierdung.
umb sieben Schilling neun mark und ain vierdung.
umb achthalben Schilling neun mark und anderthalb lot 5 ).
umb ein pliunt neunthalb mark und anderthalb lot 6 ).
BI. 139. umb neunthalben Schilling acht mark und dritthalb lot 7 ).
umb neun Schilling acht mark.
umb zehenthalben Schilling achthalb mark und vierthalb lot.
umb zehen Schilling achthalb mark.
umb aindlefthalben Schilling siben mark und dreu lot.
umb aindlef Schilling siben mark ain lot.
umb zwelifthalben Schilling sechs mark und drei firdung.
umb zwelif Schilling sibenthalb mark und dreu lot.
umb dreizethalben Schilling sibenthalb mark.
umb dreizehen Schilling sechs mark und fünf lot.
Dieses Beckenrecht ist aus einer Handschrift in der Bibliothek des Servitenklosters in
der Vorstadt Rossau zu Wien bereits im Notizenblatt für das Jahr 1853, Seite 183 fg.
durch von Meiller mitgetheilt, weil aber der Text in den beiden Handschriften an
vielen Stellen von einander absteht, so wird der vorliegende Abdruck nicht als unge
rechtfertigt erscheinen, und dies uin so weniger, als nachfolgende Lesearten, dem
Abdruck im Notizenblatt entnommen, die Herstellung des richtigen Textes erleichtern
werden.
2 ) vj. Lot.
3 ) xiij. march.
4 ) fehlt.
5 ) iij. Lot.
6 ) vm. schillinch statt i. phunt.
7 ) viij. Lot.
Das Wiener Weichbildrecht.
107
umb virzehethalben Schilling 1 sechs mark und dritthalb lot.
umb vierzehen Schilling sechs mark.
umb funfzethalben Schilling sechsthalb mark und ein halben
vierdung.
Bl. 139'. umb funfzehen Schilling sechsthalb mark und ein septem *).
umb sechzethalben Schilling fumf mark und sechsthalb lot.
umb zwai phunt fumf mark und dreu lot.
umb sibenzethalben Schilling fumf mark ein halben vierdung.
umb sibenzehen Schilling fünf mark,
umb achzethalben Schilling fünf mark und dreu lot 2 ).
umb achzehen Schilling fünf mark und einen vierdung 3 ).
umb neunzethalb enschilling funfthalb mark und anderthalb lot 4 ).
umb an fun(f)zehn dritthalb phunt funfthalb mark und ein lot 5 ).
umb dritthalb phunt vierdhalb mark und fünf lot 6 ).
umb funfzehen und dritthalb phunt vier mark dreu lot.
umb dreissig und dritthalb phunt vier mark anderthalb lot.
Bl. 140. umb fünf und dreissig und dritthalb phunt vier mark und ein
halbs lot 7 ).
umb an sechzig drei phunt vier mark.
umb an dreissig dreu phunt vier mark an ein </ 2 vierdung 8 ).
umb dreu phunt vier mark an ein vierdung.
umb 30 und 3 phunt 3 !/ 3 mark ein halben fierdung.
umb 60 und 3 phunt 3 1 /., mark ein septem 6 ).
umb 3 Schilling und 3 phunt 3 mark 1 vierdung und 2‘/ 3 lot.
umb 3 J / a phunt 3 mark fünf lot.
umb 30 und 3 1 /« phunt 3 mark 2*/, lot.
umb an 60 4 phunt 3 mark i / 2 virdung.
umb an 30 4 phunt 3 mark ain lot 10 ).
umb 4 phunt 3 mark.
*) i. fert ein statt i. septem.
2 ) an iii. Lot.
3 ) jv. march und j. ferto.
4 ) hierauf folgt: Umb xix. schillinch jv. march und ij. Lot.
5 ) jv. march.
6 ) iiii. march.
7 ) xlv. und iij. phunt.
8 ) an j. ferto.
9 ) i. fertein.
10 ) umb an xxx. iiii. phunt. (das Folgende fehlt.)
108
Dr, Stark
umb 30 und 4 phunl 2 mark drei vierdung ein septem *)•
umb funfthalb phunt 2 mark 3 virdung.
Bl. 140'. umb dreissig und funfthalb phunt 2*/ a mark 3 lot.
umb 60 und funfthalb phunt 2 1 / a mark 2 lot.
umb an 30 fünf phunt 2 t/a mark ain lot.
umb fünf phunt 2*/ 2 mark.
umb 30 und 5 phunt 2 1 / 2 mark und ein septem 3 ).
umb 60 und 5 phunt 2*/ 2 mark und ein lot.
umb drei Schilling und fünf phunt 2 mark 1 l / z vierdung.
umb S*/ z phunt 2 mark 5 lot.
umb 30 und 5>/ ä phunt 2 mark und ain vierdung.
umb 60 und 5‘/ 2 phunt 2 mark und dreu lot.
umb an 30 6 phunt 2 mark und 2 1 / 2 lot.
umb 6 phunt 2 mark '/ 3 vierdung.
umb dreissig und 6 phunt 2 mark anderthalb lot s ).
umb 60 und 6 phunt 2 mark 1 lot.
Bl. 141. umb drei Schilling und 6 phunt 2 mark ain quintem 4 ).
umb dreissig und Q l / Z phunt 2 mark,
umb an 60 7 phunt 2 mark ain lot 5 ).
umb 7 phunt 2 mark i / z vierdung.
umb 30 und 7 phunt 2 mark und 3 lot.
umb 60 und 7 phunt 2 mark an ein virdung.
umb 3 Schilling und 7 phunt 7 virdung an ein septem 6 ).
umb 71/ 3 phunt 7 virdung an ein lot.
umb 30 und 7 J / a phunt l 1 /. mark und 2*/ 2 lot.
umb an 60 8 phunt 6'/ a virdung.
umb an 30 8 phunt 1 i/ a mark und 11/ 2 lot.
umb 8 phunt l‘/ 2 mark l f / a lot.
umb 30 und 8 phunt 1 </, mark und 1 lot.
umb 60 und 8 phunt 1 1 / 2 mark '/ 2 lot 7 ).
*) i. fertein hierauf umb Ix. und iiii. phunt ii. march nnd ij. ferto. umb iii. chilling- und
iiii. phunt und ii. march und i. Lot.
2 ) i. fertein.
3 ) anderthalb lot fehlt.
*) i. Quartein statt i. quintem. hierauf umb vij. phunt ii. march und i. Quintein.
hierauf folgt: umb an xxx. vii. phunt ii. march und ij. Lot.
6 ) i. fertein.
7 ) i. Lot.
Das Wiener Weichbildrecht.
109
nmb 3 Schilling- und 8 pliunt 1 y 2 mark 1 septem *).
umb 8 '/a phunt iy a mark 1 septem 2 ).
Bl. 141'. umb 30 und 8‘/ 2 phunt iy a mark und ain quinten.
umb an 60 9 phunt l 1 / 2 mark 1 quintem.
umb an 30 9 pliunt 1 y 2 mark,
umb 9 pliunt 1 */ 2 mark,
umb 30 und 9 pliunt 1 y 2 mark an ein quintet.
umb 60 und 9 phunt 1 y 2 mark an ein septem 3 ).
umb 3 Schilling- und 9 phunt 1 */ 2 mark an 1 */ 2 Iot.
umb zehenthalb phunt S*/ 2 virdung und ain quinten.
umb 30 und zehenthalb phunt S‘/ 2 vierdung 1 quintem.
umb an 60 10 phunt äy a virdung.
umb an 30 10 phunt Sy a virdung.
umb 10 phunt ä J / 2 virdung an 1 quintem.
umb 30 und 10 phunt 5y a virdung an ein septem 4 ).
umb 60 und 10 phunt 1 mark 5 lot und 1 y> quintem.
umb 3 Schilling und 10 phunt ain mark 3 lot.
Bl. 142. umb IO 1 /, phunt 1 mark fünf lot 5 ).
umb 30 und 10 1 /* phunt 3 virdung ain quintem a ).
umb an 60 11 phunt fünf virdung.
umb an 30 11 phunt 5 virdung an ein quintem.
umb 11 phunt 5 virdung an */ 2 quintem.
umb 30 und 11 phunt 1 mark und 3 ‘/ a lot.
umb 60 und 11 phunt 1 mark 3 */ 3 lot.
umb 3 Schilling und 11 phunt ain mark 3 lot.
umb 11 y 2 pliunt 1 mark und 3 lot.
umb 30 und ll’/ 2 phunt 1 mark und 2y 2 lot.
umb an 60 12 phunt 1 mark 2*/ 3 lot.
umb an 30 12 phunt 1 mark ain 1 / 2 virdung.
umb zwelif phunt ein mark ein y 2 virdung und ein quintem 7 ).
Deo gratias.
1 ) i. fertein.
2 ) i. fertein.
3 ) i. Quintein statt i. septem.
4 ) i. Quintein statt i. septem.
5 ) umb xij. phunt i. march und x. Lot.
6 ) xj. phunt.
7 ) j. ferto, an j. quintein.
110
Dr. Stark
3.
Bl. 143. Das sind die gcsetz und die zöl auf dem wasser
in der Stat ze Newnburg'kloster halben.
Was man fürt auf sehiffung oder auf flössen, das ge st sind, wel-
herlay das ist oder wie vil sein ist das man aus tret, geit der podem
zwen phenning; tret er aber nicht aus, so geit er nicht. Welich schif-
fung wider das wasser get, die man hie ladet mit wenig oder mit vil,
das gest sind, so geit der podem zwen phenning ze stegrecht und
nicht mer; awer chain purger hie von der stat der geit weder steg
recht noch ehalt maut in dem lande ze Österreich chain ander purger,
wo der sitzet in der Fürsten steten.
So ist der zol auf dem mark: was man zu unser stat fürt auf
wasser, auf land , das man verkauft, das gest sind, di irn jarsehilling
nicht geheilt je zu der liochzeit ein wiener phenning, ez sey wolleins,
leineins, lior oder woll, der aus verpint und verkauft sein' nicht, vil
oder wenig, so geit jeder man dem zolner zwen phenning und nicht
mer und von jedem pachen ain dem zolner, ob er verkauft am markt,
(143') und nicht mer; wer aber daz man seu inner hauss verkauft, so
geit der pachen nur ein helbling und nicht mehr. Es geit auch ain
igleich wagen von obs, von kraut, von zwival, pharren, knofleich, von
strab, von hey, das man verkauft, nur ain phenning ze zol und nicht
mer, und ein past wagen vier phenning und ain karren zwen phenning,
ob si auf pintent, sust nicht, und von einer luie ain phenning, von
ainem swein ain phenning und von ainer gaiz ain phenning, von ainem
schoff ain helbling, von dem chitz auch alsvil, ob si hin gebent, sust
nicht. Item von fürzicht brief und bestant brief ist von den insigel ain
phenning dem perigmaister.
Von der herung tunnen zwen phenning, von dem Zentner peclis
ain phenning, von dem zentner smeribs zwen phenning, von dem Zentner
unslid zwen phenning, von der chuehaut ain mark ain phenning, inner
hauss ein helbling, und was man an dem markt verkauft von gensen,
endten, liürren, kes, smalz, harnen, lionig oder ayr, da geit man von
(144) ze zol hinder drein Schilling phenning ain helbling, von dreissig
ein phenning, von sechzig zwen phenning, von 3 Schilling 3 phenning,
von einem halben pliunt 4 phenning und furbas desselben tags nicht
mer, wie tewer ainer geit, denn vier phenning, und als wildpret ist
frei auf dem mark und geit nicht zol und als obs, das mau in mültern
Das Wiener Weichbildrecht.
111
oder in zistlen auf dem nake an den mark tret, das geit niemand nicht
zol, und was auf dem mark von gewant verkauft wirt, das geit von
zwainzig plienning ain helbling, von 30 ain phenning, von 60 2 plien-
ning, von 3 Schilling 3 phenning, von ainem halben phunt 4 phenning
und fürbas wie tewr er geit, so geit er nicht mer. So ist das sak mark
zol: di weil der waiz oder karren hinder zehen phenning get, so geit
man dem zolner von zwain metzen ain helbling, get aber der metz über
10 phenning, wie tewr das ist, so geh ain metz ain helbling von
gersten, von habern von zwain metzen ain helbling, von dem metzen
magen 1 phenning, von hiers, von pan, von arbaissen, von hamf, von
linsen, von penich je von dem metzen (144') ain helbling und nicht
mer. So ist das des metzen recht: von ainem ain ay, von zwain zwai,
von drin dreu, von vier metzen ain helbling unz auf ainen halben mut
von jedem menschen besunder, und was über ain halben mut geht, geit
man ainen phenning unz hinz ainen mut. So ist das unser Burger Recht:
Ez sol cliain Burger, der traid verkauft, der schol den selben traid
senden an den mark pei sein selbs poten und nicht bei andern under
cliäuflern, und wer mit der stat leidet und steur geit 32 phenning, er
sey burger oder imman, der sol haben mit uns burger Recht, und wer
aigen Ruk hat, der geit nicht char und zol und hat auch alle Burger
Recht mit uns.
So ist das der prat zol: von newnpachen prat geit jeder man dem
zolner von ainem sehuss ain phenning, wie oft er es aus traidt. welicli
gest di prat her fürent oder kleiben, so geit der wagen ain phenning
und der barren ain helbling und nicht mer, und wer traid messen wil,
ab wegen oder ab züllen, den er zainzing wider kauften wil, er sey
burger oder gast, der hin geit, der sol geben dem messer zwen phen
ning; der da kauft geit nichts.
4.
Bl. 145'. Vermerkt die dörfer, die in das geeicht gehörnt
gen klosternewnburg.
Hofflein
Obrenkrazendorf
Nidernkrazendorf
Kirichling
Weiding Grinzing Newstift
Kallnperg Süfring Töbling.
Nussdorf Obernsüfring
Heiligstat Salmansdorf
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften.
113
VliHZEKHMSS
DER
EIN GE GAN GEN EN DRUCKSCHRIFTEN.
(JANUAR 1861.)
Akad emie der Wissenschaften, königl. Bayer., zu München, Sitzungs
berichte. 1860, Heft 3. München, 1860; S 0, — Grenzen und
Grenzgebiete der physiologischen Forschung. Festrede von
E. Harless. — Einleitende Worte zur Feier des allerhöchsten
Geburtsfestes Sr. Maj. des Königs Maximilian II., gesprochen von
Justus Freih. von Liebig. — Rede auf Sir Thomas Babington
Macaulay, den Essayisten und Geschichtschreiber Englands. Vor
getragen von Georg Thomas von Rudhart. — Gedächtniss-
rede auf Friedrich von Thiersch. Vorgetragen von Georg
Martin Thomas. —■ Verzeichniss der Mitglieder der k. Bayer.
Akademie der Wissenschaften. München, 1860; 4 0-
— der Wissenschaften, königl. Preuss., zu Berlin, Abhandlungen
aus dem Jahre 1859. Berlin, 1860; 4 0, -— Monatsbericht,
August, September und October 1860. Berlin, 1860; S 0-
Annales de l’Academie d’archeologie de Belgique. Tome XVIP, 4“
Livraison. Anvers, 1860; 8 0-
Annuaire de l’universite catholique de Louvain. Annee hissextile
1856. — XK e Armee. Louvain; 12°-
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. N. F. VII. Jahrgang,
Nr. 11 & 12. Nürnberg, 1860; 4°-
Austria, XIII. Jahrgang, I. — IV. Heft. Wien, 1861; 8°-
Boletin hibliogralico Espanol, Ano I. Nr. 23 & 24. Madrid,
1860; 8°'
Sitzb. (1. phil.-hist. CI. XXXVI. Btl. I. Hft.
8
1 14 Verzeichnis« der eingegangenen Druckschriften.
Christiania, Universität, Akademische Gelegenheitsschriften aus
den Jahren 1859 und 1860. Christiania und Throndhjem, 1869
und 1860; Folio, 4° & 8°'
Gesellschaft der Wissenschaften, königl. Dänische, Oversigt over
det königl. danske Videnskabernes Selskabs Forhandlinger ag
dets Medlemmers Arbeideri Aaret 1859. Kjöbenhavn; 8° -
—- k. k. mähr, schles., des Ackerbaues, der Natur- und Landes
kunde, Schriften der historischen Section. XIII. Band. Mit
1 lith. Tafel. Brünn, 1860; 8°-
Kandier, P., Inscrizione in Rozzo d’Istria dell’anno 541. Trieste,
1860; 8°-
Lanza, Francesco, Viaggio in Inghilterra e nella Seozzia passando
per la Germania, il Belgio e la Francia, durante la esposizione
della industria universale in Parigi. Trieste, 1860; 8°-
La Roche, Jacob, Homerische Studien. Der Aceusativ im Homer.
(Mit Unterstützung der k. Akademie der Wissenschaften heraus
gegeben.) Wien, 1861; 8°-
Lohde, Ludwig, Die Skene der Alten. 20. Programm zum Winekel-
mannsfest der archäologischen Gesellschaft zu Berlin. Mit
1 Bildtafel. Berlin, 1860; 4°-
Marburg, Universität, Akademische Gelegenheitsscbriften aus den
Jahren 1859 und 1860. Marburg und Hanau, 1859 & 1860;
4» & 8°-
Marien-Verein zur Beförderung der katholischen Mission inCentral-
Afrika. Neunter Jahresbericht. Wien, 1860; 4°-
Mittheilungen aus J. Perthes’ geographischer Anstalt, XII. Heft.
Gotha, 1860; 4 0,
— der k. k. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der
Baudenkmale. VI. Jahrgang, Januar. Wien, 1861; 4°-
Osenbrüggen, Eduard, Das Alamannische Strafrecht im deutschen
Mittelalter. SchafFhausen, 1860; 8 0-
Pamätky archaeologicke a mtstopisne. Redaktor K. Vlad. Zap.
DR IV. Sesit. 1. & 4. V Praze, 1860; 4»-
Schleicher, August, Die Deutsche Sprache. Stuttgart,
1860; 8°-
Schüller, Johann Karl, Das Todaustragen und der Muorlef. Ein
Beitrag zur Kunde sächsischer Sitte und Sage in Siebenbürgen.
Sylvestergabe für Freunde und Gönner. Hermannstadt, 1861; 8°-
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften. 11S
Society, Royal Geographical of London, Proceedings of the—.
Vol. IV, Nr. 5. London, 1860; 8 0-
— , TheRoyal—, Proceedings. Vol. X, Nr. 40. London, 1860; 8°-
Verein für Geschichte und Alterthum Schlesiens, Zeitschrift.
III. Band, 1. Heft. Breslau, 1860; 8 0- — Codex diplomaticus
Silesiae. III. Band. Rechnungsbücher der Stadt Breslau. Breslau,
1860; 4»-
— für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde, Jahr
bücher und Jahresbericht. 25. Jahrgang. Schwerin, 1860; 8°-
— historischer, für das wirtembergische Franken, Zeitschrift.
V. Band, 1.Heft. Jahrgang 1859. Kunzelsau und Mergentheim; 8 0-
— historischer, zu Bamberg, 22. und 23. Bericht über das
Wirken und den Stand desselben in den Jahren 1858/59
und 1859/60. Bamberg, 1859 und 1860; S«-
— historischer, im Regierungsbezirke von Schwaben und Neu
burg, 24. und 25. Jahres-Bericht. Augsburg, 1860; 8°- —
Die ältesten Glasgemälde des Domes in Augsburg mit der
Geschichte des Dombaus in der Romanischen Kunstperiode.
Von Theodor Herberger. Mit 1 Tafel in Stein- und 5 in
Farbendruck. Augsburg, 1860; 4°'
SITZUNGSBERICHTE
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
P III L OS 0 P IIIS CII - IIIS T 0 RI 8 CIIE C l A S S E.
xxxvi. um. ii. iieft.
JAHRGANG 1861. — FEBRUAR.
.
Julius Feifalik, Studien z. Geschichte d. altböhm. Literatur V.
119
SITZUNG VOM 6. FEBRUAR 1861.
Vorgelegt:
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur.
Von Julius Fcifalik.
V.
Die altböhmischen Gedichte vom Streite zwischen Seele und Leib. Nebst
Beiträgen zur Geschichte der Vagantenpoesie in Böhmen.
Icii habe im dritten Hefte dieser Studien auf S. 31 ff. (Sitzungs
berichte der phil.-hist. Classe der k. Akademie der Wissenschaften,
Bd. 32, S. 713 ff.) nachzuweisen gesucht, dass das altböhmische
Gedicht vom Kampfe des Wassers mit dem Weine 1 ), welches man
bisher dem Herrn Smil von Pardubic zuzuschreiben liebte, nicht nur
diesem bedeutenden Manne nicht zugehöre, sondern dass es vielmehr
eine vielleicht durch ein deutsches Mittelglied hervorgerufene Bear
beitung und Übersetzung eines lateinischen Vagantengedichtes und
ebenso wie das gleichfalls dem edlen Herrn von Pardubic zu frei
gebig beigelegte Gedicht vom Stallmeister und Schüler (Podkonie a
zak) mit aller Wahrscheinlichkeit in jenen untergeordneten Kreisen
*) Zu den in meiner Abhandlung 1 S. 3i (Sitzungsber. Bd. 32, S. 713) Anm. 39 zusamrnen-
gestellten Gedichten über den Kampf des Wassers mit dem Weine will ich noch
vier deutsche aus dem 16. und 17. Jahrhundert nachtragen, von denen das
eine (Nun hört jr herren allgemein) zu Nürnberg hei Kunegund I-Iergotin, das
zweite (Rin newes lied wir singen her) 1630 in Strassburg erschien: Goedeke
9*
120
Julius F e i f a 1i k
studentischen Lebens entsprungen sei, welchen jene lateinischen
Dichtungen am nächsten lagen und deren Treiben das eine der
erwähnten böhmischen Gedichte so frisch und lebendig schildert;
mit einem Worte: dass wir in beiden genannten altböhmischen
Gedichten Producte der Vagantenpoesie in der Volkssprache vor
uns haben.
Dass Böhmen und Mährern das Lehen und das Institut der
Vaganten 2 ) nicht unbekannt waren, ist mit genügenden Gründen
Grundr. S. 237, §. 139, 68 1 * Anm.; das erste davon steht im Wunderhorn 4, 179—183
abgedruckt, wo man auch 4, 183—186 ein drittes (Nun lost, ihr Christen , allge
mein), ursprünglich zu Basel hei Johann Schröter 1607 erschienen, und 4, 186—188
ein viertes Lied (Was wollen wir singen und heben an?) über den Streit von Wasser
und Wein, nach einem Augsburger Drucke des Marx Anthoni Hannas (um 1657),
mitgetheilt findet. Auch Hans Sachs hat (Werke, Nürnberg 1558, 1, 417 b — 419 1 » )
den Stoff bearbeitet: Kampff Gesprech zwischen Waszer vnd Wein (3. Januar
1535). — Von italienischen Bearbeitungen bemerke ich: El contrasto de
Lacqua c dcl Vino. con ccrtc altre canzon bellissime, Stampata in Bressa (Anfang
des 16. Jahrhunderts), und: Incomincia la nobilissima llistoria de la disputatione
delVino: et de Lacqua: Cosa bellissima da ridere: Composta nuouamentc. Stam-
pata in Firenze A. 1550; Colomb de Batines, Bibliografie delle antiche rappresen-
tazioni italiane saere e profane stampate nei secoli XV e XVI, Firenze 1852 (aus dem
Journal Etruria 1852 besonders abgedruckt), pag. 80; vgl. auch P. Emiliani Giudici,
Storia del Teatro in Italia, Milano e Torino 1860, vol. I, pag. 168. Aus den
Schätzen der k. k. Hofbibliothek kann ich auch eine italienische Bearbeitung
in der Mailänder Volkssprache hinzufügen. Es ist ein fliegendes Blatt in Oetav, acht
gezählte Seiten; der Titel auf S. 1 lautet: Noeuvv Dialog tra l'aequa el vin che per
diverlis fa chi 7 bosin. In Milan. La se vend dal stampador Tambovin. Das Gedicht
hat nach einer Introduzione von 8 Zeilen 13 Strophen zu 14 Zeilen. Die Int ro-
duzione beginnt S. 2:
Gent d’ogni razza, e d’ogni tust
Vegnii a senti 7 famos contrast
Che fa in adess VAcqua, cot Vin
Bel solet lenguace de meneghin, u. s. w.
In der 10. Strophe, S. 7, kommt folgende Stelle vor:
Vinum bonum letißcat
El coeur di Savi, a pü di Mat;
Acqua te disen: nain, nain
A mi pias bon trinche vain.
2 ) Über Vaganten und Vagantenpoesie sieh: J. Grimm, Gedichte des Mittelalters
auf König / Friedrich I. den Staufer und aus seiner so wie der nächstfolgenden
Zeit, in den Abhandlungen der k. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1843,
S. 143 — 254; und W. Giesebrecht, Die Vaganten oder Goliarden und ihre
Lieder, in der Allgemeinen Monatschrift für Wissenschaft und Literatur, Braun
schweig 1853, S. 10—43. 344—381; man vergleiche auch G. Fr ey tag, De initiis
scenicae poeseos apud Germanos, Berolini 1838, S. 18—32 und M. Bii dinge r, Über
einige Beste der Vagantenpoesie in Österreich, in den Silzungsber. der ptail.-
Studien zur Geschichte der althöhmischen Literatur V.
121
nachzuweisen und es lässt sich sogar, worauf ich nocli zuriick-
komme, ihre selbständige Betheiligung an lateinischer Vaganten
poesie, wenigstens in späterer Zeit, darthun. Mussten ja doch jene,
welche dem geistlichen und überhaupt dem gelehrten •") Stande sich
widmeten, was freilich für die ältere Zeit zusammen fällt, in’s Aus
land ziehen, wie wir denn auch in der That von Studienreisen nach
Frankreich und Deutschland, nach den Niederlanden und nach Italien
ziemlich zahlreiche Nachrichten 4 ) aus früheren bis herab in spätere
Zeiten besitzen. Dort an den ausländischen Schulen erwarben sich
die Reisenden nicht blos die gesuchte Bildung, sondern sie wurden
auch mit dem dort herrschenden Treiben bekannt — und sie scheinen
kein Missfallen daran gefunden zu haben; dort lernten sie fremde
Denkart und die in jenen Kreisen beliebten Dichtungen kennen,
welche sie heimbrachten und hier nachahmten und in die Mutter
sprache übertrugen. Ich habe an einem andern Orte 5 ) zu beweisen
versucht, dass sich schon frühe Nachrichten über Vaganten aus
Böhmen und Mähren finden: in jener humoristischen Exemtions
urkunde für die Salzburger Kirche 6 ) aus dem Jahre 1209 werden
solche ans Mähren genannt und der Aussteller nennt sich im Ein
gänge Surianus diutina fatuorum fauente demencia per austriam
Stiriam Bawariam et Morawiam presul et archiprimas uagorum
scolarium: und in einem höchst interessanten Vagantenliede aus
dem 13. Jahrhundert werden ausser Slawen im Allgemeinen auch
hist. CI. der k. Akad. d. Wiss. Bd. XIII, S. 314—339. — Ohne besonderen Werth
in literarhistorischer Beziehung ist ein älteres Schriftchen, welches aber für die
spätere Periode des Vagantenthums manches ßemerkenswerlhe beibringt: Discursus
historico - philologicus de vagantibus scholasticis sive Von Fahrenden Schülern,
quem . . . moderante . . . M. Jacobo Thomas io . . . defendet J. U. Mayer,
s. I. et typ. 1673, 4°.
3 ) So sandle König Wenzel II. einen gewissen Konrad nach Orleans um die Hechte
zu studiren: (Venceslaus II.) adolescentem quempiam , Conradum nomine, Aure-
lianis ad Studium destinavit, quatenus ipse in legum scientia ibidem studendo
proficeret et quandoque reversus ipsarum legum tenorem proul rex comperat, in
regno Bohemiae instauraret: Chron. Afflf reg. pag. 103 ; die Stelle lehrt zugleich,
dass die Rechtsschule zu Orleans schon am Ende des 13. Jahrhunderts berühmt
gewesen sein muss.
4 ) Vgl. F. F. Prochazka, De snecularibus liberalium artium in ßohomia et
Moravia fatis commentarius, P.agae 1784, pag. 106 sqq.
5 ) Über die Königinhofer Handschrift S. 70 f.
6 ) Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen 6, 316 ff.
122
Julius F e i f aIik
Böhmen insbesondere als Glieder der heiteren Genossenschaft
(secta) erwähnt 7 ):
Secla nostra recipit
iuslos et iniustos,
claudos atque debiles.,
senio conbustos,
bellosos, pacificos,
mites et insanos,
Boemos, Teutonicos,
Sclavos et Romanos,
stature mediocres,
gigantes et gnanos,
in personis humiles,
et e contra vanos.
Aber auch zu Hause, in Böhmen selbst, entstunden Schulen,
allerdings zunächst für die Zwecke der Ausbildung der Geistlichen,
und demnach meist an Capiteln und in Klöstern: ich will nur an die
Schulen auf dem Vysehrad und auf dem Strahov zu Prag, an die zu
Doksan, wo Mädchen Unterricht erhielten, u. a. erinnern 8 ). Welches
Ansehens die Prager Schule schon zu Ende des 13. Jahrhunderts
genoss und wie ausgebreitet bereits damals der Kreis der hier
vorgetragenen Gegenstände war, so dass Lernbegierige nicht blos
aus Böhmen, sondern auch aus den benachbarten Ländern herbei
strömten, dafür bietet uns ein wichtiges Zeugniss eine Stelle in
dem Briefe des Abtes von Admont Engelbert an den Magister
Ulricus, scholasticus Viennensis. Es heisst darin D ) : Sed anno domini
MCCLXXI tribus annis ante celebrationem Generalis Concilii Lug-
dunensis sub Gregorio Papa X transtuleram me ad Studium versus
Pragam, ubiper illiul tempus sub magistro Oscono et magistro
Bohemilo in Castro Bragensi legentibus Grammaticam et Logicam
studui et profeci in tantum, quod inter socios non fui minimus
reputatus. Et ibidem tune etiam primo audivi Libros Naturales a
Magistro Gregorio tune Canonico et Scholastico Bragensi, post-
modum Episcopo facto ibidem. Et cum celcbrato Concilio praedicto
7 ) Carmina Burana pag..2ö2, Str. 0.
8 ) Prochazka 1. I. pag. 67 sqq. H. Ungar’s Gedanken von dem Zustande der Schulen und
der lateinischen Literatur in Böhmen vor Errichtung der hohen Schule zu Prag, in
den Abhandlungen einer Privatgesellschaft in Böhmen, Bd. 6 (1784), 127 — 217; vgl.
auch die sogleich anzuführenden Werke Tomek’s.
9 ) Pez, Thesaurus Anccdotorum, Tom. I, pars 1, col. 429 —430.
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V. * 123
rumor publicus venisset Brngam de Rege Rudolpho electo, et per
Apostolicum confirmato, statirn oportebat nos omnes scholares de
Austria et Stiria Bragae stiulentes de terra recedere et exire.
Ebenso war Volcmar 1278 seiner Studien wegen nach Prag gekom
men 10 ) und der Prager Scholaren und des dortigen Studium generale
geschieht in dieser, so wie in der vorangehenden und nachfolgenden
Zeit öfter Erwähnung. Es ist vorauszusetzen, dass nach der Art und
Gewohnheit des Mittelalters ein Zusammenleben derStudirenden statt
fand und hier konnte es an Mittheilung dichterischer Productionen
nicht fehlen, wozu sich möglicher Weise eigene poetische Thätigkeit
gesellte, anfangs natürlich blos in lateinischer Sprache.
Als dann Karl IV. zu Prag 1348 die Universität gründete, deren
Einrichtungen jenen der berufensten Anstalten dieser Art im Mittel-
alter nacligebildet war, entstund ein um so regeres Leben. Zahlreiche
Wissensdurstige, aus allen Landen der Christenheit fast, aus allen
Ständen, hohe, niedere, arme und reiche, drängten sich heran und
eine Anzahl von Collegien und Bursen nahm sie auf 11 ). Aus ihren
Reihen entsprossen die Vaganten oder Goiiarden, über deren Lebens
verhältnisse und deren Treiben, so wie der Prager Studenten über
haupt, es uns an Nachrichten nicht gebricht. In lehrreicher und
heiterer Weise geschildert finden wir dieses Treiben namentlich in
dem schon erwähnten Gedichte Podkonie a zak la ).
Der Dichter, wie ich oben vermuthet habe, selbst ein Clerc oder
zäk 13 ), fällt eines schönen Tages in eine Kneipe, wo er zwei Gesellen
10 ) Oefele, Herum boicnrum Script., Aug. Vinci. 1763, 2, 332.
14 ) Genaueres nach jeder Richtung' hin findet man in W. Wl. Tomek's Geschichte der
Prager Universität, Prag 1849, und in desselben ausführlicheren Deje university
Prazske, Dil I, v Praze 1849, worauf ich hier verweise.
12 ) Über die Handschrift XVII. F. 30 der Prager Universitätsbibliothek (Pap. 4°. vom
J. 1409), worin sich das Gedicht findet, sehe man auch Ilanslik’s Geschichte und Be
schreibung der Prager Universitätsbibliothek, Prag 1831, S. 622 f. Hanslik meint
das betreffende Gedicht sei 'unstreitig eine Übersetzung oder Nachbildung’ des Dijalo-
(/us Magistri Pauli Niauis in quo literarum Studiosus cum beano quarumuis precepcio-
num imperito loquitur (Hain Repert. 2, 1, 4841», Nr. 11737 ff.); diese sinnreiche Zu
sammenstellungfällt durch den leidigen Umstand in nichts zusammen, dass P. Niavis
erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, also um 100 Jahre später als der Dichter
f des Podkonie a zäk, lebte und 1317 starb; Jöeher 3,892, Rottermund 3, 604 — 606.
Auch im Inhalte beider Stücke findet sich natürlich kein Zusammenhang.
,3 ) Zäk, von diaconus, welches jetzt Schüler überhaupt bedeutet, ist ursprünglich der
Schüler geistlicher Schulen und es heisst so oft genug der Geistliche selbst, wie
zäkovstvo im Sinne von Clerisei steht.
.
124
Julius F e i f aI ik
trifft, welche ihn freundlich grüssen und zu denen er sich, wie das
in der 'krcma’ Üblich ist, setzt, indem er ruft: Frau, Bier her!
worauf sie sich dann gegenseitig zutrinken. Das Aussehen seiner
beiden Genossen, von denen uns vor allem der erste interessirt,
schildert der Dichter nun folgendermassen: Der eine, sagt er, war
ein noch junger Mensch und keine Spur von einem Barte! Er hatte
ein dunkles und langes, ziemlich schäbiges Gewand mit einer dunkel
grünen Gugel 14 ), die auch schon verschlissen war; um den Hals trug
er eine Tasche, worin er Bücher, auch Brot, hatte, am Gürtel hing
ihm ein Täfelchen und anderes (Schreibe-) Geräth. Es war eine
richtige Studentenfigur 15 ). Das Gegenstück zu diesem bildet der
zweite Gast: er war älter, mit einem etwas stutzerhaften Air und
strich sich immer den Bart; seine Bekleidung war ein kurzer enger
Bock, dazu Schuhe, welche glücklicher Weise um die Löcher
herum ganz waren, sonst aber die Fiisse in ihrer angebornen Freiheit
wenig beschränkten; daran waren Sporen. Auf dem Kopfe trug er
eine (runde?) Mütze von der Art, welche man tocenka nannte
(vgl. Jungm. 4, 60S): es war allem Anscheine nach ein Hofbedienter.
Dieser Hofbediente, von dem sich nachher herausstellt dass er
Stallmeister (podkonie = satrapa in den mittelalterlichen Voca-
bularien) ist, beginnt nun den Zank; er blickt entzückt auf die Spitzen
(seiner Schuhe ?) und fängt ziemlich anzüglich den Dienst am Hofe
zu loben an und was das für ein gottvolles Leben sei und wie jeder,
14 ) Über die Kleidung der Mitglieder der Prager Universität s. Tomek, Deje univ. Pr.,
1,86. Das lange Gewand, sukne, ist geistliche Tracht; einer solchen gleichfalls
in dunkeln Farben, braun oder schwarz, mussten sich auch die Studenten der
Wiener Universität bedienen: vgl. Karl von Sava in den Berichten und Mittheilun
gen des Alterthumsvereins zu Wien, Bd. 3, S. 149 f., wo auch von den Abbildungen
mehrerer Studenten in einem Codex der Wiener Hofbibliothek gehandelt ist.
15 ) Ich setze die ganze Schilderung (Vybor i, 943, 15—26) hieher:
Z tech joden clovek biese mlady,
nejmiese znamku brady;
na nemz sukne sera, unilena,
a k tomu kukla zelenä,
ta take zedräna biese
mosnu na hrdle jmejiese,
v nizby vlozil, coz mu treba,
innim ze knihy, take cbleba ;
a destky jmiese u pasa,
jakz je vidiech toho casa,
i jinii k tomu pripravu:
vset biese skolsku postayu.
Studien zur Geschichte der altböhinischen Literatur V.
125
der es nur einmal versucht habe, sich gewiss ewig nichts anderes
wünsche. Der Studiosus fühlt sich natürlich unsanft berührt und
meint, für Herrren und Ritter sei das allerdings ein prächtiges Dasein,
aber für Dienende weniger; besonders ihr Stallmeister, es gibt gar
keine ärgere Hunzerei als eure Existenz, nur versteht ihr's nicht
so und habt nie etwas edleres kennen gelernt. Dagegen will ich dir
aber unser Studentenleben schildern. Wir haben vollkommene Be
quemlichkeit und Freiheit in essen und trinken, nie gibt es Mangel,
nie Hunger. Wenn sich die Gesellen zu Tische setzen, nehme ich
mir gleich mein Stück heraus; es gibt gar keine Brotkrume so
trocken und hart, dass ich sie nicht mit etwas Brühe endlich den
noch erweichte, zur grossen Freude meines Magens. WTr werden
vollständig satt und haben dabei zu trinken zu genüge: manchmal
trinken wir der Gesundheit wegen auch Wasser, denn es hält den
Kopf helle. Fleisch und Hühner gibt es im Überflüsse, das heisst zu
jeder Kirchweihe; an nichts fehlt es uns und wenn uns Jemand
besucht, gibt es auch Bier genug. Ihr aber, was habt ihr? Statt des
Frühstücks am Morgen Ohrfeigen und so geht es den ganzen Tag fort,
Hunger und Prügel!
Was, schreit der Stallmeister empört, du lügst, Kerl, dass wir
nur Hunger und Schläge bekommen. Armseliger Brotkrumenesser!
Das ist freilich eine saubere Existenz, die ihr habt, wenn ihr euch
nie Brodes satt esst. Da lauft ihr von Haus zu Haus ,e ) und bettelt
l6 ) Hei diesem Betteln von Haus zu Hause, von dem auch die von mir in der Beilage
mitgetlieilten Lieder berichten, z. B. Nr. XXI, Vers 17:
dum pro panis vadit edes,
oder Nr. XXIV, Vers 49 ff. :
Minores girant cucculum,
guerentes panis pabulum,
domos pervagantes,
pflegten die Studenten Lieder abzusingen (vgl. Anh. Nr. XXIV, Vers 37 f.: quidam
pro comedcre alta voce solent canere) ; ein böhmisches Lied dieser Art auf den Tag
des heil. Martin hat aus der Handschrift VIII. J. 13 (VIII. G. 23 bei Tomek ist Druck
fehler) der Prager Universitätsbibliothek, wo es auf Bl. 120 steht, Tomek im ersten
Bande seiner Deje university Prazske S. 80—81 Anm. abdrucken lassen. Bemerken
will ich, dass der heil. Martin auch später Schutzpatron der Sodalitas literaria war:
vgl. F. Prochazka, Miseellaneen zur böhm. und mähr. Literatur S. 423 ff. Der Anfang
jenes böhmischen Martinsliedes lautet:
Svateho Martina
vselika dedina
dnes stedrost zpominä,
126
Julius F e i f n 1 i k
um ein bisseben fette Brübe; dann geben sie euch ein Stückchen Rog
genbrot und jagen euch mit Hunden fort; oder wenn ihr besonderes
Glück habt, so kriegt ihr ein wenig kraftloser Wassersuppe und es
dünkt euch weiss Gott wie wohl euch geschehen sei. Ihr eilt in die
Schule und meint, nun wolltet ihr einen rechten Festtag begehen. Da
nehmen euch aber die älteren Brod und Suppe freundlichst ab und
ihr müsst noch dafür biissen,dass sie nicht recht satt geworden sind.
Es ist ja ein altes Sprichwort, dass bei Studenten Kochen selten
sei. Darum lass das zanken mit mir, denn ich weiss auch etwas von
eurer Noth zu erzählen. Wir aber! Und nun geht es an eine neue
Schilderung der eigenen Herrlichkeit in Speise und Trank, des Über
flusses an Brod, dessen sie so viel haben, dass sie auf einander damit
werfen, an Wildbraten und an allem andern. Dagegen sticht freilich
euer Leben sehr ah. Ich bedaure, fährt der Stallmeister fort, euch
arme Teufel, dass euch die Mutter mit Schmerzen zu so viel Jam
mer geboren hat und mich wundert nur, dass ihr vor lauter Prügel
leben könnt: denn bei euch ist das Prügeln gewissermassen Mode
und immer neue Qualen werden für euch ersonnen, auch der Birken
ruthe nicht geschont.
Bruder Studio fährt nun in höchster Entrüstung über seinen
Gegner los und will ihn einmal durch seine Gelehrsamkeit besiegen.
'Aus den Büchern’ erzählt er ihm einen Schwank, welchen er dort
gelesen hat, wie einst der Teufel sich hei einem Herrn als Stall
knecht verdingt und was der arme Dulder da alles auszustehen
gehabt hätte. Die Schinderei wäre aber so gross gewesen, dass sie
dem Teufel selber zu arg ward und er sich schleunigst wieder aus
dem Staube machte. Das ist euer Leben. Ich aber, wenn ich unter
den Schulknaben und Beanen sitze, welche ich unter Aufsicht habe,
so regiere ich sie mit der Ruthe und kann mich für meine eigenen
Schläge entschädigen; an Feiertagen fürchte ich mich davor ohne
dies nicht. Wenn aber die Fastenzeit, diese goldene Zeit kommt,
das ist erst eine Freude! wenn ich einmal draussen bin, da geht alles
nach meinem Willen; ich weiss nichts mehr von Armuth und bin
was in merkwürdiger Weise an die Anfänge jener Gesänge erinnert, welche die
Schüler in Böhmen und Mähren, wenn sie am Gregorius- oder Blasiustage in die
Häuser um Gaben bittend gehen, abzusingen pflegen ; man sehe über dieses Schüler-
fest und die dabei gebräuchlichen Lieder einen Aufsatz von mir im Notizenblatte der
historisch-statistischen Section zu Brünn, 1859, Nr. 7 und 8.
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
127
mein eigener Herr. Wie ich nur zu einem Dorfe komme, kämpfe ich
zuerst mit den Hunden und schlage sie mit meinem Stocke in die
Flucht. Sobald mich die Bäuerinnen erblicken, laufen sie freundlich
heran und sind nicht faul; sie fallen auf die Knie und küssen meine
Bilder, versprechen mich zu beschenken und fragen was ich befehle.
Ich ersuche um ein paar Eier: sie läuft sogleich zu dem Korbe und
zu den Hiihnerstangen und kriecht zu den Nestern, in allen Winkeln
sucht sie, und lässt mich nicht leer fort. Voll Freuden gehe ich
weg, Eier habe ich die Fülle; wo ich dazu eine Henne oder eine
Gans erwische, die muss mit mir in die Schule gehen; der Bauer
aber, wenn er sich auch noch so ärgert, darf mir nicht ein Wörtchen
sagen, da er sich fürchtet nach Passau belangt zu werden. Wir
Studenten nämlich und auch die schon geweihten Priester geniessen,
was nicht gering anzuschlagen ist, des Vortheiles uns nicht vorm
Hängen fürchten zu müssen, wohin wir auch kommen: euch aber
stehen die Haare zu Berge, sobald ihr nur bei einem Galgen vor
beikommt; ihr habt nöthig, sehr nöthig, euch umzusehen und ein
Kreuz vor euch hin zu schlagen.
Wieder ist der Stallmeister über diese stachelige Rede des
Vaganten höchlich erbost und meint: Armseliger Junge, ewig
fürchtest du die Ruthe, kaum fristest du das Leben und musst dich
mühsam durchbringen, dazu hast du auch noch sehr lebensmüde
Kleider. Und wie steht es erst mit deinem Nachtlager! Jetzt frei
lich liegst du auf dem Ofen; aber lass nur den Winter kommen, da
erlauben sie dir nicht mehr dort zu bleiben. Du kannst dich noch
glücklich schätzen wenn sie dir gestatten auf dem Boden zu lie
gen; da ruhest du dann ziemlich hart, vor Frost zitternd und mit
Zähnen klappernd und dazu das Aufstehen am Morgen. Wenn auf
dich dann alle deine Collegen kommen , da geht die Notli erst recht
an: alles musst du thun, die Schule kehren und heizen und nichts
darfst du versäumen. Wo aber kannst du dich ausruhen? Was
9
im Gegentheile mich betrifft, .... und abermals schildert der gute
Stallmeister jetzt seinen eigenen Glanz im Gegensätze zu dem
armen und armseligen Schülerleben. Welch vortreffliches Lager
er habe und wenn er auch manchmal auf dem Miste schlafe, so
geschehe das nur wenn ihm der Regen das Kleid nässt, um es
bis morgen austrocknen zu lassen und es dann fein gebürstet
wieder anziehen zu können; welches Ansehens er geniesse und wie
128
Julius F e i f aIik
er Schlüge nur höchstens aus Versehen erhalle. Er spricht dann von
seiner Jugend, die freilich gegen seine jetzige Lage ganz jämmer
lich gewesen sei, und von seinen Aussichten, wie er hoffe dass sein
Herr ihn zum Jäger machen solle, wo er dann keinen Sack mehr
sondern eine Armbrust an der Seite tragen werde und reine Schuhe
an denen zum mindesten 300 Heftchen sich befinden sollten, so dass
man ihn dort, wo er unbekannt sei, ganz gewiss für einen Herrn
ansehen müsste. Er schliesst mit einer Ermahnung an seinen Gegner
von dem Streite abzulassen, da dieser, welchem nur Elend das ganze
Leben hindurch bestimmt sei, sich ja doch mit ihm nicht messen
könne.
Der gekränkte Goliard beginnt nun von seinen Aussichten zu
sprechen, nachdem er den andern armen, der nur Mist aufladen
müsse, noch nach Möglichkeit schlecht gemacht hat. Du armseliger
Wicht, sagt er, kannst dich mit einem Zak ja gar nicht messen, denn
wir haben eine ganz andere Zukunft als ihr dummem Knechte. Aus
Schülern werden, wenn einem Gott auf den meine ganze Hoffnung
steht wohl will, Bischöfe. Schenkt mir Gott das Leben, so bekomme
ich auf St. Wenzel, der nächstens fällt, meine erste Weihe; gleich
lasse ich mir eine Glatze scheeren, und wer mir dann etwas in den
Weg legt, den belange ich vor Gericht , da soll er es mir theuer
genug bezahlen und soll in Prag mit mir Kuchen (calty, Zelten)
essen. Und wenn ich dann Priester oder Prälat bin, dann gehe ich
stolz in einem goldenen Messgewande, während du wie ein Kalb in
deinem sehäbichten Sommerkittel dastehst und mich kaum anzusehen
wagst. Zum Schlüsse gibt er dem Stallmeister den guten Rath,
seinen Hofdienst zu verlassen und lieber irgendwo auf dem Dorfe
hei einem Bauer einzustehen, um wenigstens dem Galgen zu ent
gehen.
Über diese Worte entbrennt der Stallmeister in lichterloliem
Zorne, schüttelt wüthend mit dem Kopfe, droht seinem Gegner
mit der Rechten und ruft: Das dulde ich nicht länger, und wäre
es auch in der Kirche; du sprichst da von mir lauter erlogenes
Zeug. Zu voreilig rechnest du auf deine Glatze, bevor es noch
dazu kommt, ersäufen sie dich in einem Sacke, wie dies auch
noch anderen geschieht. Hoffst du auf dergleichen? Statt dass
du Prälat wirst, bringst du es noch eher zum Henker oder höch
stens zum Ausrufer, denn die Scharfrichter pflegen ja alle gelehrte
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
129
Leute 17 _) zu sein. Du entgehst dem auch nicht und in Kurzem bist
du Henker. Desshalb rathe ich dir, sieh dich vor, so lange es Zeit
ist, ich will dir mit Unterstützung guter Leute zu einem Handwerke
verhelfen, da magst du dich etwas von deinem Jammerdasein erholen
und hernach kannst du dich hängen lassen.
Damit gibt er dem Vaganten einen Schlag und die Prügelei ist
eingeleitet; sie wird auch mit aller Energie und mit so viel Kunst
fertigkeit fortgeführt, dass es dem Dichter endlich zu viel wird und
er sich nach Hause begibt, indem er denkt: Rauft euch ihr zwei so
lange ihr wollt.
Das Gedicht hat aber wie so manches andere seine gute Lehre
und zwar nach unserem Dichter folgende ziemlich philisterhafte : man
könne zwar in der Kneipe allerhand sehen und Neuigkeiten erfahren,
besonders wenn man sich etwas benebele, passirten einem manchmal
Dinge, von denen man zu Hause zu erzählen hätte, im Allgemeinen
sei es aber besser, sich dergleichen nicht auszusetzen, sondern des
Nachts ordentlich in seinem Bette zu schlafen und die Neuigkeiten
lieber'zu Hause abzuwarten.
Es gibt also dieses interessante Gedicht, obwohl es manchmal
zu gedehnt und etwas schwerfällig wird, doch im Ganzen eine sehr
lebendige und charakteristische und nicht ohne wirklichen Humor
1? ) Vybor 1, 933, 23. 24:
neb najviec birici, kati
vse bywaji literati;
li lernt ist hier noch einfach als gelehrter Mann, homo literatus, und nicht in der
späteren Bedeutung des Literaten zu fassen. Die älteste Erwähnung der Literaten,
wo sie als Genossenschaft auftreten, finde ich zum Jahre 1439 (Start letopisove cestf
str. 116) : Na jehozto mieslo (mistra Kristana z Praehatic) v stredu po narozeni matky
bozie uveden jest mistr Petr Mladenovic skrze mistry a konsely k sv. Michalu, a zvla-
ste do domu knezskeho, kdezto byli mnozi osadni mestane znnmeniti a li teratove;
doch kann möglicherweise auch hier noch das Wort einfach als homo doctus zu neh
men sein. Sicher in späterem Sinne und bereits Gesang übend treten die Literaten
1612 hei Einsetzung einer neuen Brüderschaft auf (a. a. 0. S. 332): Tehoz leta bra-
trstvo jakes novezamysleno,ati vectvrtekna sv. Vincencia zacalisobe take novou pro-
'€essi v Tejnskem kostete vnitr okolo sloupuv a tu farar knez Jakub über nesl inon-
stranci s telem hoziin, zacav literatum Homo quidam fecit etc. Im Jahre 1619 neh
men sie wieder an einer Procession Theil (a. a. 0. S. 437) : tu pred tou processi
literati sli napred. Man vergleiche über die Literatenbruderschaften einen Aufsatz
von mir in den Schriften der historisch-statistischen Section zu Brünn, Bd. 12, S. 1
bis 17, wo man auch die Statuten einiger mährischer Genossenschaften dieser Art
abgedruckt, so wie weitere Nachweisungen findet.
130
Julius F e i f n 1
vorgetragene Schilderung des Lebens der Prager Studenten, beson
ders der ärmeren, aus dem Ende des 14. Jahrhunderts,und schondess-
halb wird man, wie ich hoffe, diese gedrängte Inhaltsangabe desselben
hier entschuldigen, der deutsche Leser sie gewiss gut heissen. Dass
die Dichtung in die angegebene Zeit, in den Schluss des 14. Jahr
hunderts fallen muss, ergibt sich aus jener Stelle, wo der Stall
meister dem Schüler Hoffnung macht, er werde, bevor er noch zu
voller geistlicher Würde gelange, in einen Sack gesteckt und ersäuft
werden, wie dies ja auch no ch andern geschehe, Vybo'r 1,
955, 17—19:
Drieve nez docekäs plese,
budes ty utopen v mese,
jakozseijinymdeje.
Es ist dies eine, wie ich denke, ziemlich deutliche Anspielung
auf die Ertränkung des Prager Vicars Johannes vonPomuk am
20. März 1393 in der Moldau ls ), und nach diesem Jahre wird also
das Gedicht fallen müssen, andererseits jedoch auch wieder kaum
lange darnach, und keinesfalls zu spät in den Anfang des 15. Jahr
hunderts, weil sich von den gewaltigen Bewegungen, welche mit
Husens Auftreten begannen, aber schon lange vorbereitet waren,
noch keine Spuren darin finden.
Es ist diese Zeitbestimmung aber zugleich ein neuer Beweis für
meine früher schon geäusserte Ansicht, dass dieses Werk nicht
Smil’s Eigenthum sein könne; in jenen Jahren, in welche die Abfas
sung von PodIronie a zäk lallen muss, war Herr Smil bereits ein
gesetzter, ruhiger Mann, der in Amt und Würde stund und welchen
die mannigfaltigen Begebenheiten und das Parteitreiben im Lande
vielfach in Anspruch nahmen, so dass man ihm die Abfassung eines
Gedichtes wie das vorliegende, welches ganz aus den Umgebungen
die es schildert hervorgegangen sein muss, kaum wird zumuthen
können; auch hätte sich der Gegner Wenzel’s IV. bei Erwähnung
der Ertränkung Johann’s von Pomuk schwerlich irgend einer bittern
Bemerkung enthalten, während sie hier nur gewissermassen als
18 ) Die Legende vom heiligen Johannes von Nepomuk. Eine geschichtliche Abhandlung
aus. dem Nachlasse von Dr. Otto Abel, Berlin 1855, S. 23; Geschichtschreiber der
husitischen Bewegung in Böhmen. Herausgegeben von Dr. K. Hüller, Wien 1856,
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
131
humoristisches Beiwerk benutzt ist. Die kecke Lust und der jugend
liche Übermuth, welcher die ganze Dichtung so charakteristisch
durchzieht, musste dem gereiften Manne damals sicher schon ganz
mangeln. Nicht fehl gehen wird man aber, wenn man den Verfasser
von Podkonie a zäk in jenen studentischen Kreisen der Vaganten
und Goliarden sucht, deren Treiben hier so frisch gezeichnet ist,
und welches der Dichter so genau bis in die kleinsten Details kennt,
während er von der Lebensweise des Gegenparts nur in mehr allge
meinen Umrissen und blos wie vom Hörensagen zu berichten weiss.
Denselben Lebensverhältnissen entsprungen ist aber, um es nochmals
zu wiederholen, meiner Ansicht nach auch das zweite, dem Herrn
Smil voreilig zugeschriebene Gedicht vom Kampfe des Wassers mit
dem Weine.
Aber auch noch eine Reihe anderer Dichtungen weist auf
gleiche Entstehung hin. Dass lateinische Poesie schon frühe und
emsig an der Prager Schule gepflegt ward, ist leicht erklärlich.
Der schon erwähnte Eberhard, als er von Prag nach Admont zu
rückkehrte, und bevor er sich zur Fortsetzung seiner Studien nach
Padua begab, verfasste ein lateinisches Gedicht in Hexametern gegen
König Pfemysl Ottacker II., das uns aber verloren ist 19 ); er musste
also auf der Prager Schule die Dichtkunst erlernt haben. Und aus
späterer Zeit, nach der Gründung der Universität ist uns eine Anzahl
von lateinischen Dichtungen bekannt, welche zum Theile fremdes
Ursprungs und blos durch Zugewanderte nach Böhmen verpflanzt,
zum Theile aber hier selbst entstanden, von dem lebhaften Antheile
böhmischer Studenten an dieser Art von Producten Zeugniss ablegen.
Proben davon gebe ich in dem beigefügten Anhänge, Proben, von
denen besonders die aus der Mitte böhmischer Vaganten selbst ent-
,9 ) Primo ergo, antequam Paduam veni ad Studium, adhuc domi manens occasione se
offerente per adventum tum electi regis Rudolphi in Austriam, composui ad instan-
tiam domiui Johannis tune Chiemensis episcopi, cancellarii ipsius regis Rudolphi.
primum mann opusculum de eleetione ipsius regis Rudolphi, quod incipit:
Sclavica qui tmnidi eonfreg-it cornua sceptri.
Et cum de proelio et victoria ipsius regis contra regem Bohemiae Ottakarum ince-
pissem secundam partem eiusdem operis de eodem proelio et conflictu, obtulit se
Casus, quo me cum nliis sociis expectare non volentibus ire ad Paduam oportebat.
Pez, Thesaurus Anecd. 1, 1, col. 432. Noch einmal erwähnt Eberhard dieses Gedich
tes in der Aufzählung seiner Werke, a. a. 0. col. 434: Item de eleetione regis Rudolphi
qui incipit: Sclavica qui tumidi confregit cornua sceptri.
132
Julius Feifallk
sprungenen, wenn sie auch nicht besonderen dichterischen Werth
besitzen, doch in culturgeschichtlicher Beziehung einige Aufmerk
samkeit verdienen, denn sie führen uns, interessante Seitenstücke zu
Podkonie a zäk, mitten in das Leben jener Classen hinein,
welches sie in auffallender Übereinstimmung mit dem böhmischen
Gedichte schildern, so dass man manchmal fast wörtlich gleichlau
tende Stellen findet 20 ); eine weitere Bekräftigung für meine Ansicht,
dass jene böhmischen wie diese lateinischen Dichtungen demselben
Geiste, den gleichen Anschauungen und den nämlichen Lebensver
hältnissen entsprungen sein müssen. An diese lateinischen Poesien
welche sich bis in späte Zeiten herab fortsetzen, mögen sich bald
ähnliche Versuche in der Volkssprache geschlossen haben, sobald
jene Leute bei näherer Berührung mit dem Volke das Bedürfniss
fühlten, von diesem verstanden zu werden und hei ihm Gefallen zu
finden. Von den Überresten böhmischer Lyrik des 14. und IS. Jahr
hunderts wird man so manches hielier zählen müssen, worüber ich
das Nöthige in der Einleitung zu meinen Altböhmischen Leichen,
Liedern und Sprüchen des 14. und IS. Jahrhunderts beibringen
werde. Endlich aber möchte ich in dieselbe Beziehung eine Anzahl
2 .°) Ausser den oben Anm. 16 angeführten Stellen will ich hier noch auf einige andere
aufmerksam machen. Vybor 1, 946* 20 schilt der Stallmeister den Vaganten :
ach pfehuhena parteko,
Anh. Nr. XXI, Vers 56 f. heisst es:
ipsum omnes inclamare:
tu es partecar in;
vgl. auch Vybor 946, 30 f.:
tut vam dadie parteku rzenü
a ß tiein väs pesky vyzenü,
mit Nr. XX, Vers 43 f. des Anhanges:
Confratres ununimiter
partecas rodunt acriter,
und dazu Nr. XXI, Vers 29 ff. 37 ff. Mit Vybor 947, 3. 4:
Tut vas pak starsl omytie
i chleb i jichu vam vzckytie,
hat Nr. XXIV, Vers 52—54 im Anhänge einigermassen Ähnlichkeit:
hy defraudant senior es,
dum comedunt albiores,
nigras presentantes.
Und noch andere ähnliche Übereinstimmungen wird man in grosser Anzahl linden
können, wobei ich auf die Texte selbst verweisen muss.
Studien zur Geschichte der allböhmischen Literatur V.
133
von Gedichten setzen, welche lateinischen Vorlagen mehr oder
minder unmittelbar entsprossen, einen beliebten Gegenstand der
Vagantenpoesie behandeln; die Gedichte von dem Kriege zwi
schen Leib und Seele, deren uns in der altböhmischen Lite
ratur nicht weniger als drei verschiedene erhalten sind a1 )-
Von diesen drei Gedichten zieht vor Allem jenes unsere Auf
merksamkeit auf sich, welches aus einer Pergamenthandschrift in
21 ) Zu den von Th. G. von Karajan, Fruhlingsgabe für Freunde älterer Literatur,
Wien 1839, S. 130—1(54, Th. Wright, The latin poems commonly attributed to
Walter MVpes, London 1841, p. 321—324, und Edelestand du Merii, Poesies Iatines
populaires anterieures au douzieme siecle, Paris 1843, p. 217—219 aufgezählten
Behandlungen dieses Stolfes mag man ausser den drei altböhmischen noch von
deutschen das Gedicht des Hans Witzstat von Wertheim: Der Gaystliche
Buehszbaum, Von dem Streit des Fleischs wider den Gayst (vgl. Ileyse ßiicherschatz
Nr. 1047; Wackernagel, Kirchenl. 277; Schade im Weimar. Jahrb. 4, 466—468;
Goedeke, Grundr. S. 237, §. 139, 68h) und die von Goedeke, Grundr. S. 419, §. 172, 26
angeführte Comödie von diesem Streite (Strassburg 1608) fügen. — Von i tal ieni-
schen Bearbeitungen dieses StofTes führe ich an: Contasto che feee 1'anima cot
corpo, il quäle contasto ehbc in visione Santo Bernardo, hei der Ausgabe der Etica
d’Aristotile compendiata da ser ßrunetto Latini, con due Leggende di autore
anonimo, Venezia, Societa de’ ßibIiofili,. 1844, pag. 121, vgl. F. Zamhrini, Catalogo
di opere volgari a stampa dei secoli XIII e XIV, Bologna 1857, pag. 32—33; ferner:
Dva contrasti, vno del vivo e del morto, e V altro de Lanima et del Corpo, ueduto
in uisionc da San Bernardo. Con una canzone a hallo de Morti, Firenze 1368 und
öfter gedruckt, vgl. Colomb de Batines, Bibliografia delle antiche rappresentazioni
italiane, Firenze 1832, pag, 79; eine andere Rapprescntazione deli anima c del corpo
spirituale, von Frate Bonaventura Veniero (-{- 1627), führt C. de Batines a. a. 0.
S. 66 an; vgl. übrigens auch P. Emiliani Giudici, Sloria del Teatro in Italia, Milano
e Torino, 1860, Vol. I, pag. 168. — Uber eine spanische Bearbeitung des 13. Jahr
hunderts sieh F. Wolf, Studien zur Geschichte der spanischen und portugiesischen
Nationalliteratur, Berlin 1839, S. 34 ff. — Vgl. auch das III. Heft meiner Studien S.<10
(Sitzungsher. der phil.-hist. CI. der k. Ak. d. W. Bd. 32, S. 712), Anm. 37 und 38.
wo zu den dort angeführten b ö hmi s eben. Bearbeitungen des Stoffes noch zu fügen
ist des Andreas Pisecky Rozmlouvani tela rozkosein oddaneho a duse kaji'ci.
W Praze u J. Cerneho 1383 (Jungmann, Hist. lit. c., 2 vyd., S. 230b,Nr. IV, 1832 «)
und vielleicht des Georg Di castus Dialog neb rozmlouvani pobozne ducha s
dusi. V Praze 1602. 1609 (Jungmann a. a. 0. S. 2301>, Nr. IV, 1831). Auch in pol
nisch er Sprache gibt es nebst dem sogleich anzuführenden Gedichte eine: Rozmowa
dusze potepiouey z Ciatem svvoim. W Krakowie w drukarnie Marcina Filipowskiego,
R. P. 1634, 4° (W. A. Maciejowski, Pis'miennictwo Polskie, Warszawa 1831 ff. 3,
144); die Urheberschaft des lateinischen Originals wird auch in diesem Gedichte dem
h. Bernhard zugeschrieben, wozu man von Karajan a. a. 0. S. 133 f. vergleiche.
Und seihst im russischen gibt es mehre geistliche Volkslieder, welche den
Gegenstand behandeln; ich erwähne hier für den Augenblick jenen Cthxt, 0 pa3-
CTaßaHtH ^yuiH ct» T'fcjiOM'L, über welchen St. Sevyrev in seiner Literatur-
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXXVI. Bd. II. Hft. 10
134
Julius F c i f a I i k
Quarto, aus dem 14. Jahrhundert auf der k. öffentlichen und Uni-
versitätsbihliothek zu Prag 22 ) im Vybor z ceske literatury, und zwar
im ersten Bande, auf Spalte 337 — 380 unter dem Titel: Spor
duse s telem abgedruckt ist as ). Das Gedicht ist in der Überlie
ferung, woran wohl, wenn auch nicht einzig, die eigenthiimliche
Strophenform mit zum Theile sehr kurzen Versen, dann der Umstand
schuld sein mögen, dass sieh darin vielfach alterthiimliehe Wörter und
Formen finden, welche dem jüngeren Abschreiber nicht mehr ge
läufig waren, über Gebühr verwahrlost erhalten, so dass man an einer
vollständigen Herstellung desselben vor Hinzukommen einer neuen
Handschrift verzweifeln muss, wie denn auch die Ausgabe im Vybor
weit davon entfernt ist auf den Ruhm einer solchen vollkommen rei
nen Herstellung Anspruch machen zu dürfen 24 ). Nicht nur ist durch
die Abschrift der Reim sehr oft verkümmert, es sind Strophen unvoll
ständig erhalten, andere wie sich aus dem Zusammenhänge errathen
lässt, müssen ganz ausgefallen sein, so dass sich grössere Lücken
finden und am Schlüsse bricht das Ganze vorzeitig ah. Der Inhalt
und Gang ist der allen den verschiedenen Bearbeitungen dieses
Stoffes gemeinsame. Nach einer längeren Einleitung von 66 Versen,
welche beginnt:
geschickte (HcTOpin pyccisoft caonecHOCTii, Mociraa 1840, I, 1, 244) han-
delt. — Über das Allgemeine endlich sehe man noch Graesse’s Literaturgesch. III,
136 f. und L’Ahhe Migne, Dictionnaire des Legendes du Christianisme, Paris 1855,
col. 1077—1081.
22 ) Uber den weiteren Inhalt der Handschrift sehe man Dobrovsky, Geschichte derböhm.
Sprache ti. Literatur, Prag 1818, S. 170 f. und Jungm., Historie literat. ceske, 2 vyd.,
S. 31»-* Nr. II, 60, und S. 43 f., Nr. II, 168, so wie den Vybor 1, 357 und die Ab
handlungen der k. böhm. Ges. der Wissensch., V. Folge, Bd. 2 (1841), S. 146—149.
23 ) Fine Abhandlung über den Spor duse s telem von W. Nebesky findet man im
Casopis cesk. mus. 1847, Bd. 1, S. 584—595.
24 ) Da der verderbte Text oft Besserungen nöthig machte, so ist gerade in diesem
Falle zu bedauern, dass die Abweichungen von der Handschrift nicht überall und
nicht immer mit der wünsehenswerthen Genauigkeit angegeben wurden. Der grund
losen Annahme einer bestimmten Sylbenzahl für die Verse zu Liehe ist auch hie
und da sehr zur Unzeit geändert worden; so steht Vyb. 1, 376, 15:
ilosehamt pekelne rlse,
wo überliefert ist:
dosehat mne pekelna liriesc;
Pie sogleich folgenden Zeilen 16—18, wo das Subject dasselbe bleibt, zeigen
(lass die Lesart der Handschrift die allein richtige ist.
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
13li
Slys, jakz bylo nekdy vzacno,
nicby mi nebylo pracno
clsti ot boha mocneho
moci, i ot syna jeho
i ot svateho duchu cinu,
tfera jednomu hospodinu.
Mnozi se v torato svete clivale
(ale radejse se v Kristu chvalme),
a jakz toho nie netbaji.
Slys kazdy coz pöviedaji:
tohot mi je velmi o men;
smrt ny skroti, na to zpomen.
Mnozi na to nie netbaji,
sveta viece poslüchaji;
und in welcher der Dichter nach allgemeinen Bemerkungen über die
Unvermeidlichkeit des Todes und den Leichtsinn der Menschen den
Inhalt seines Werkes, die Aufmerksamkeit seiner Hörer heischend,
mit den Worten angibt (Vybor 3S9, 5 — 18):
Slys to stary jako mladv,
by poslüehal teto vady.
S svu se dusi vadi telo,
dusi pfehddati chtelo.
Proto duse k bohu vzdycba,
neb ji silnä strast upiehä,
zbudüci sveta, v hofi byti:
proto by chtela prijiti
k milosti boha praveho,
Jesukrista nebeskeho.
Telo se proti nt zpierä,
proto duse slz utierd,
radieei telu na pokdnie,
a telo se tomu zbranie;
kommt der Dichter zur Darstellung des eigentlichen Krieges.
Er schildert, wie dies gewöhnlich ist, den Jammer der Seele
über ihr bevorstehendes Elend, welches der Lohn ihrer Sünden sein
wird, ihre Klagen darüber, dass sie sich dem Körper zu eigen
gegeben und Gottes Huld verloren habe, so wie ihr Streben den
Leih zum besseren zu wenden, während dieser hei seinem Hange
nach irdischem Gut und weltlicher Freude verharrt und seinerseits
alle Schuld auf die Seele schiebt, welche als die vernünftigere ihn
hätte leiten sollen. Je näher der Tod herantritt, desto grösser wird
die Angst der Seele und dieses Gefühl erfasst zuletzt auch den
10*
136
Julius F ei f a1ik
Körper. Die Seele verlässt ihre Hülle und wird von den Teufeln in
Empfang genommen, welche sie auf die Wage setzen, wo sie natür
lich zu leicht befunden wird. In höchster Nolh wendet sie sich an
Marien und diese erhört das Flehen, nimmt die Sündige in Schutz
und sucht auch ihren Sohn zu erweichen, welcher aber nichts von
der Seele, die seine Feindinn gewesen, hören will. Die Höllengeister
sind über jene Einmischung natürlich sehr entrüstet und fordern bei
Jesu ihr Recht, während Maria ihre Fürsprache bei ihm erneuert.
Der Herr setzt sich auf seinen Richterstuhl und das Gericht beginnt.
Maria, die Wahrheit (Pravda), die Gerechtigkeit (Spravedl-
nost) und der Friede (Pokoj) treten nach einander für die Sache
der Seele ein, der Friede führt die Seele endlich vor Christus, wo
mit das Gedicht abbricht (Vyb. 380, 30 — 3i>):
Pojem (Pokoj) dusi pi : ed boh veile j
Jezi's na dusicku vzlilede,
ana na hfiese stoje ti'epece.
Pro hnev bozi Pokoj vece :
Tys, Jezisi, za vrahy,
jenz tvöj zivot kfizovali,
wie sich aus 379, 13 ergibt:
Pravda, Pokoj, Spravedlnost s Milosrdenstvim pfijide,
sollte auch noch das Mitleid für die Seele einstehen, und der Schluss
wird wahrscheinlich gewesen sein, dass sich Christus zuletzt zum
Erbarmen bewegen liess.
Trotz der Gleichartigkeit im allgemeinen Gange der Handlung
mit Gedichten dieser Art in anderen Literaturen stimmt sie doch
mit keinem der bekannten und selbst mit keinem der bis jetzt ver
öffentlichten lateinischen 25 ) im Einzelnen überein, sondern zeigt
sich vielmehr von allen durchaus abweichend. Und dennoch wird
irgend eine lateinische Rearbeitung dieses Streites die Vorlage
unseres Dichters abgegeben haben; dafür spricht seine ganze Per
sönlichkeit. Er ist ein Mann, in kirchlicher und profaner Gelehr
samkeit wohl erfahren, man könnte fast sagen damit übersättigt,
25 ) Auch mit II i Ide b e r t’s Schrift:Zte querimonia et conflictu corporis et Spiritus (Hil
deberti Cenomanensis Episc. Opera, labore et studio D. Ant. Beaugendre. Paris 1708,
p. 943—938; cf. Histoire litteraire de la France, 11, -357—359) bat der Spor
(1 u s e s telem nichts gemein.
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
137
und sein Werk strotzt von Citaten und Anspielungen aller Art.
Was seine weltliche Gelehrsamkeit betrifft, so erwähnt er Achil
les 365, 3, Pyrrhus (AchiU's Sohn) 365, 18 und Helena 365,
23, welche er aus irgend einem Trojanerkriege, wie ich jetzt viel
leicht mit mehr Recht vermuthe aus Guido de Columna und zwar im
lateinischen Urtexte, und Dido 365, 25, welche er aus Virgil
haben wird; er citirt dazu Aristoteles 366, 17, Horaz oder
Ovid 20 ) so wie Virgil 366, 18. Von kirchlichen Schriftstellern
führt er an: Augustinus, Johannes (Chrysostomus), Beda
und Gregorius 366, 22, dann Hieronymus, Bernhardus
und Ambrosius 366, 23. Die Bibel scheint er genau zu kennen;
er nennt von biblischen Personen Samson 365, 2, Saul undJona-
than 365, 4, David und Nathan 365, 5, Absalon 365 , 19,
Esther und Bethsabe 365,23, Judith und Rachel 365, 24
und Dalila 365, 26; auf die heilige Schrift im Allgemeinen beruft
er sich 360, 10. 366, 25, so wie auf das Evangelium oder die Apo-
calypse des Johannes 368, 7. S, wo aber eine Lücke folgt. Wenn
er 368, 12— 14 sagt:
Svöj km vezma,
voll otejma,
näsledujz Jezlse pana,
so übersetzt er damit eine Stelle, aus dem Evang. Matth. 16, 24
(vgl. 10, 38): Si quis vult post me venire, ablieget semetipsum,
et tollat crucem saam et sequatur me; eben so wie 371, 9. 10:
Skrlpenie zuböv i plakanie,
to bude me strastne Ikanie,
auf Matth. 25, 30: Et inutilem servum eiicite in tenebras exteri-
ores, illic erit flatus et stridor dentium anspielt.
Der Dichter war also ein lateinisch Gelehrter 2, )und wie sich aus
Allem zusammen ergibt, ein Geistlicher 28 ). Trotzdem ist sein Gedicht
26 ) Vgl. meine Studien, Heft II, S. 4, Anm. ü.
27 ) Ein lateinisches Wort kommt in dem Gedichte 359. 26 vor:
BenedicX rac poüehnati
ten, jenz racii ilusi dati u. s. \v.
28 ) Jimgmanu behauptet (Historie lifc. ceske, 2 vyd., S. 31a, Nr. II, 60), dem Style und
den Versen nach scheine der Spor duse s telem von demselben Verfasser wie
die Pra vda (Vybor 1, 381—384), die Kecjinocha mladeh o (Vyb. i, 385 f.)
und die Ilec kniete stareho. Das Wahre daran ist, dass die drei letztgenannten
138
Julius F e i f a I i k
in mancher anderen Beziehung lehrreich und wird ansprechend
durch volksthümlich lebendigen Ausdruck in Stellen, welche sich
fast dem Spriclnvorte nähern, wie gleich in der Einleitung 338,
1—14:
Ved osliei na üzkü brev,
nez pfevedes, spadnes s nie dfev;
poloz svini safier, zlato 29 ),
s druhe strany kydni mlato:
spiese se mldta pfiehväti,
nemözt drahycli vect znäti.
Tez jakz kremen na bystfeni,
po nemz prudkä voda chfenf,
tepet ven voda ve dne i v noci,
vsak ho proto nerozmoci;
dreve se jeho chyle prichvati,
pod ni'mz kremen kräsu trat!.
Techz pnkladöv ukratim,
na svoj umysl se vratim;
oder geradezu Sprichwörter oder sprichwörtliche Redensarten sind,
wie beispielsweise 361, 3:
jako havran vezdy kyaccs;
oder 362, 2 — 4:
peniez v mesee
i ve vsi ceste
najvetcf prietel, vez jiste 30 );
oder endlich 364, 1:
telo, pozde zajec honis!
Nicht minder lehrreich sind andere Stellen für Kenntniss da
mals üblicher Vorstellungen und selbst für slawische Mythologie.
Bereits in meiner Abhandlung über die Königinhofer Handschrift
S. 42 habe ich auf die bedeutsamen Verse 369, IS IT. aufmerksam
gemacht, wo von den Prophezeiungen des Kukuks über die Lebens
dauer gesprochen ist. Der Tod ist dem Dichter ein Sensenmann,
Gedichte möglicher Weise einem Dichter nngehören (vgl. in der Prnvda die Verse
Vyb. 1, 381, 7 ff.), der aber viel reiner und besser reimt als der des Spor duse
s tele in.
29 ) Dieser Vers erinnert an Matth. 7, G: ncque mittatis maryaritas vcstrus ante porcos.
30 ) Man vergleiche damit gleich den Anfang der einem Prager ßaccalaureus Namens Smil
Flaska zugeschriebenen altböhmischen Sprichwörtersammlung Vyb. 1, 841,4: Pan
peniez vsady jest, to pocatek jest. v
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
139
welcher den Menschen enthauptet (370, 23—27. 373, 4), den
Teufel stellt er sich als hellenden Höllenhund vor (373, 3 — 7);
nach dem Tode des Körpers wird die Seele von den Teufeln erfasst
(373, 14, ff.) und auf die Wagschale gesetzt und gewogen (375,
24 ff., 377, 13. 14. 28); die Hölle selbst, unergründlich tief und
Flammen speiend (376, 34. 35), ist der Ort, wo Schwefel und Pech
ohne Ende dem Sünder bereitet sind (378, 19—21).
Das Gedicht ist zum Theile in Reimpaaren, zum Theile in fünf
zeiligen Strophen abgefasst: im Reimpaaren sind die Einleitung und
wahrscheinlich auch der fehlende Schluss, und solche unterbrechen
auch gegen das Ende zweimal (378, 23—379, 1 und 379, 12—16)
die Strophenreihe. Die Reimfolge der einzelnen Strophen ist a. a.
b. h. b, die erste und zweite Zeile haben vier, die dritte und vierte
je zwei und die fünfte Zeile fünf Hebungen. So wie uns das Gedicht
jetzt vorliegt, sind die Reime oft höchst unrein, was nicht einzig
und allein Schuld des späteren Abschreibens sein mag, sondern
woran gewiss auch die eigenthümliche Strophenform, welche bei
kurzen Versen drei gleiche unmittelbar auf einander folgende Reime
verlangt, so wie die Ungeübtheit des Dichters Antheil haben werden.
Es kommen vor an vocalischen Ungenauigkeiten a: d vzäcno: pracno
357, 1. zlato: mläto 358, 3. pfichväti: trat! 358, 11 und noch sehr
häufig; c: e moeneho: jeho 357, 3. o men: zpomeii 357, 11. bfev:
d?ev358,1 und oft; e: i cestu: jistü 360, 6. ceste: jiste362, 3. sede:
pfijide 379, 12; e (mit vorangehendem j): ie jeti: vzieti 368, 28;
e: e pfade: rade 357, 19. bezpecen: dlüliovecen 358, 15. cele:
tele: vesele 362, 34: dospele 366, 7 u. ö.; i: i niti: pfijiti 357, 21.
pfichväti: znäti 358, 5. v noci: nerozmoci' 358, 9 u. o.; i: y vzdychä:
upichä 359, 9. pfiehytek: uzitek 361, 16. Dida: Dalida: zkyda 365,
25 u. s. w.; i: y vyskaj: nestyskaj: pfitiskaj 367, 27; i: y sila:
zbyla 363, 5; i: y byti: pfijiti 359, 11. styste: ziste 362, 11. pravy:
dävi 364, 31. stystes: nezisles 372, 27. vyse: fise 376, 14; i: u
Jezisi (wo aber vielleicht zu lesen ist Jezusi): nnisi 379, 32; ie: e
deli: pospieli 359, 3. telo: dospelo: dielo 359, 28. specliä: smiecha
362, 18 u. o.; o: 6 vymöze: zhozie 364, 8. pokoj: mdj 368, 19.
vzhöru: vzdoru: zboru 375,31; o: e mnoho: neho: nikoho 360,19; u :ü
cestu: jistii360,6. ztulas: omldväs: ufäs 362,29.rucho:bfucho369, 1
und sehr oft; y:y mlady: vädy 359, 5. vlny: plny 368, 33. pychal:
neslychal: pykal 369, 11 u. s. w. Von consonantischen Unreinheiten
140
Julius F e i f a I i k
bemerke ich libo: nemilo 359, 21. vnoci: nerozmocf 358, 9. sece:
viece: plece 364, 33. kväces: päses 361, 3. vzpomfnaj: znfmaj
361, 34. pan: jmäm: nepoddam 364, 28. nalezli: pfivedli 378, 33.
pychal: neslychal: pykal 369, 11. chvale: chvalme 357, 7. dävno:
zvestoväno: psano 360, 8. pravda: zädä: otklädä 360, 35. zajtra:
tapa 361, 5. Rehof: Ambroz 366, 22. rozpäcna: dann 367, 30.milost:
truchlost 369, 31. pravda: liada 370, 19. pleskces: plesces 373, 7.
brzce: viece 373, 21. brocen: v noci 378, 7. sudce: klekce 378, 25.
hrozna: vrovnä 378, 29. tesilo: smiesilo 378,27. vraby: krizovali
380, 34. Oft genug wird der Reim ganz regellos und es tritt in dem
zweiten Theile der Strophe der Fall ein, dass jeder der drei einander
folgenden Reime consonantiseh ungenau ist; hrozf: mnozf: tvorf 361,31.
mesce: ceste: jiste 362, 2. ztuläs: omlüvas: ufas 362, 29. byvas:
slyehäs: znynäs 364, 2 und noch sehr häußg: doch wird man hier
öfter blos stumpfen Reim annehmen müssen. Rührender Reim ist
über Gebühr zahlreich, was für die Ungelenkheit des Dichters zeugt;
dreisilbiger kommt mehrmals vor, ebenso der Fall dass zwei Wörter
den Reim bilden, o men: zpomen 357, 11. na to: toto 360,17. Jese:
je se : klvese 362, 13. za to: nevzato: zlato 363, 26. pro tu: rötu: slotu
364, 17. se del: vedel 367, 4. se mnü: nade mnü 368, 16. za to:
zlato 369, 4. zase: lmeva se 377, 24. kfivote: pro te: rote 380, 2.
Wie bei dem Gedichte von Podkonie a zäk oder in dem
Fragmente der altböhmischen Judaslegende (Vybor 1, 169 ff.), so
ist auch bei diesem Gedichte vom Streite zwischen Seele und Leib
die Abfassungszeit mit ziemlicher Sicherheit zu bestimmen, was um
so höher anzuschlagen ist, weil man sonst in der böhmischen
Literatur älterer Zeit bei Feststellung der Daten bekanntlich meist
nur auf ziemlich vage und Jahrhunderte umschliessende Vermuthungen
beschränkt bleibt. Auf die Klagen der Seele über die Vergänglichkeit
und Hinfälligkeit des Lebens enviedert der Körper, er kenne wohl
geschickte Arzte genug, welche ihm durch ihre Weisheit und ihre
Arzeneien seine Tage schon fristen sollten; worauf hoffst du doch,
antwortet die Seele: wo ist jetzt Petrus von Mainz, ein Meister
welcher die Heilkunde so wohl verstund, wo sind so viele andere
Götter der Erde, welche alle der Tod hingerafft hat? Vybor,
367, 4 — 8 :
Petr Mohucky kam se del,
mistr, jenz leknfstvie vedel?
Studien zur Geschichte der nitböhmischen Literatur V.
141
jini mnozi
jalto bozi
slovieehu, vsak vse smrt zmori.
Dieser Peter von Mainz, dessen hier als eines bereits Verstor
benen gedacht wird, ist aber Niemand anderer als der hochgelehrte
Mainzer Erzbischof dieses Namens, der Freund und Rathgeber König
Johann’s, zu verschiedenen Malen sein Statthalter in Böhmen, dessen
grosse medicinische Kenntnisse in diesem Lande wohl bekannt
waren. So berichtet der Königsaaler Abt Peter von Zittau von ihm
bei Erwähnung seines Todes zum Jahre 1320 mit Worten, welche
auffallend an die oben angeführten Verse gemahnen: Eodem anno
(1320) nonas Junii reverendus dominus Petrus natione Treueren-
sis Moguntinus archiepiscopus, expertus et excellens medicus,
sapiens principum consiliarius, vir in omnibus eventibus mundane
conversationis fortunatissimus, presenti seculo valefaciens, etate
senili confectus, de carnis ergastulo spiritum exhalavit extre-
mum 3i ). Das Gedicht muss also nach dem Jahre 1320 verfasst sein
und zwar kurz darnach, zu einer Zeit wo der Eindruck, welchen
der Tod des berühmten Mannes hervorbrachte, noch frisch und
lebendig war. Wir werden also berechtigt sein, den Spor duse
s telern ungefähr zwischen die Jahre 1320 — 1330 zu setzen.
Ich will hier noch an ein polnisches Gedicht aus dem Anfänge
des 16. Jahrhunderts erinnern, welches mancherlei Anknüpfungs-
puncte mit unserem eben besprochenen altböhmischen bietet und
welches W. A. Maciejowski in seinem Pismiennictwo Polskie,
Warszawa 18S1, und zwar in den Dodatki zu diesem Werke 33 ),
S. 160 als Nr. 37 veröffentlicht hat. Maciejowski nennt es ein
'Gespräch des Sünders mit Gott’; aber schon der blosse Umstand,
dass darin von Gott und von Christo als von einem dritten gesprochen
wird, zeigt das Irrige dieser Ansicht, und man wird vielleicht nicht
irre gehen, wenn man es in die Reihe jener Gedichte über den
Wortkampf von Körper und Geist stellt, obwohl sich auch hier
Abweichungen von der sonst üblichen Auffassung des Gegenstandes
31 ) Chron. Anlae Regiae in Dobner’s Mon. 3, 377 f. An anderen Stellen nennt der Chro
nist den Mainzer Erzbischof, von dem er sehr oft handelt, blos Petrus Moguntinus
Archiepiscopus oder Petrus Moguntinus. Der Erzbischof Peter Aichspalt war bekannt
lich ans Basel.
32 ) Vgl. auch dessen Pismiennictwo 1, 37G.
142
Julius Feifalik
zeigen. Der zweite ungenannte der Redenden, also vermuthlich der
Körper, hat hier nämlich ganz ungewöhnlicher Weise die Aufgabe, zu
Besserung undGottvertrauen zu mahnen, während die Seele ihre Sün
den beklagt. Was uns von dem Gedichte übrig bleibt, einige wenige
Strophen, weist, worüber ich genaueres nächstens in meiner Abhand
lung über den Einfluss der altcechischen auf die altpolnische Lite
ratur berichte, auf Benutzung eines cechischen Originals hin, und
dieser Umstand wirdes hoffentlich rechtfertigen, wenn ich dieses
Bruchstück im Folgenden wieder abdrucken lasse, wobei ich jedoch
die strophische Form herstelle und die Schreibweise der Handschrift
welche man hei Maciejowski a. a. 0. nachsehen mag, mit der jetzt
üblichen vertausche. Die Strophe, aus sechs Zeilen mit der Reim
folge a. h. b. c. c. d bestehend, mahnt in einigem an die in dem
Gedichte Pravda (Vybor 1, 381—384) und selbst an die im
Spor duse s telem angewandte; dabei scheinen auch in dem
ganzen Gedichte je zwei Strophen durch den gleichen Reim der
letzten Zeile (....: nadzieje. dawasz: dasz. pocieszona: nadzieja)
gebunden gewesen zu sein. Das Fragment lautet:
1 — Pomagaj ss ) bög, duszo moja, czernu tak .... 84 )
uznajze pana
boga, jcgo syna,
ducha swietego,
boga jednego,
miejze w panie nadzieje.
2 Odkupit eie syn bozy
z wysokosci
swojej dowcipnosei:
pan sie uzatit,
ciebie wybawit,
ty si§ djabl'u w moc dawasz.
.‘t ■—• A coz tedy, mity panie, czyiiic mam,
gdyzem zgrzeszyta,
ztosci petnita,
swiat mituwata,
bogam gnicwata,
coz mi za nauke dasz?
33 ) Die Handschrift hat: Pomaga.
Hier ist eine Lücke, welche aber in der Handschrift nicht angezeigt ist, es fehlt etwa
narzekasz.
I
Studien zur Geschichte der allböhmischen Literatur V. 143
4 — Widzi mi sie, duszo nioja, trafii) 35 ),
w to jedno mi§ sluchaj,
a nie rozpaczaj:
bogu cliwai(j daj,
zl'osei swe wzpominaj,
tak bedziesz pocieszona.
6 — Zawzdym ci harda byta mijzewi sß ),
ktory jest z piekla,
bom sie go wyrzekta,
nczynköw jego,
neprzyjaciela mego;
w panie moja nadzieja.
Ein zweites etwas späteres altböhmisclies Gedicht von dem
Kriege des Leibes mit der Seele hat Herr W. Hanka nach einer
Papierhandschrift aus der zweiten Hälfte des IS. Jahrhunderles,
welche sich in der Bibliothek des Prager Domcapitels befindet, im
Casopis musea krälovstvi ceskeho, Jahrgang 18SS, S„ 57— 60,
und zum Überflüsse noch ein zweites Mal im Jahrgange 18S9,
S. 480-—-483 derselben Zeitschrift herausgegeben. Von grossem
Interesse ist dieses Gedicht dadurch, dass es eine Übersetzung und
zwar eine ziemlich getreue, oft fast wörtliche Übersetzung der
bekannten und öfter gedruckten 37 ) Visio.Fulberti darbietet und uns
35 ) Die Handschrift hat hier : thraphye; vielleicht zu lesen: trapisz sie?
36 ) So liest die Handschrift, wie Maciejowski sehr annehmbar vermuthet statt wezowi.
sr ) In neuerer Zeit ist das lateinische Gedicht nach verschiedenen Handschriften öfter
herausgegeben worden: in G. Th. von Ivaraj an’s Frühlingsgabe S. 85— 98, dann
von Th. W right in The Latin poems commonly attributed to Walter Mapes, Lon
don 1841, p. 95 —106 und von Edelestand du Merilin den Poesies populaires
latines anterieures au douzieme siede, Paris 1843 , p. 217 — 330: über eine Hand
schrift des 15. Jahrhunderts in der Vaticana, worin aber gleich wie in den von
Wright benützten Manuscripten zu Anfänge zwei Strophen fehlen, berichtete. Du-
dik, Itcr Romanum 1, 193. Es gibt jedoch auch einen alten Druck des 15. Jahr
hunderts von dieser Vision, welcher von J. d e Sarto ri, Catalogus hihliographicus
lihrorum in hibliotheca caes. reg. et equestris academiae Theresianae extantium,
Viennae 1801, Vol. 1, pag. 99, Nr. 181 und darnach in Panzer’s Annales typogra-
phici 11, 350, Nr. 1281 beschrieben ist. Ich will, weil diese Beschreibung Manches
zu wünschen übrig lässt, das Exemplar in der Bibliothek des Theresianums aber,
welches auch ich benützen konnte, wahrscheinlich das einzige erhaltene ist, eine
genauere Nachricht von diesem Wiegendrucke hier beifügen. Er ist in klein Octav ,
enthält 12 Blätter, die vollständige Seite zu 36 Zeilen, ohne Signatur und Custoden
I
a
144
Julius F e i f a 1 i k
so über das Verfahren der wenig selbständigen Bearbeiter fremder
Stoffe aus dem Ende des 14. Jahrhunderts belehrt, zugleich auch
einen neuen Beleg für die Verbreitung gerade jenes mittellateinischen
Gedichtes bei den verschiedensten Völkern gewährt. Ich will zur
Charakterisirung des Verfahrens unseres altböhmischen Über
setzers den Anfang des lateinischen und des cechischen Gedichtes
hieher setzen, und zwar beide einander zur Seife.
Vir quidam exstiterat dudum heremita Jeden clovek dobry bese,
Fulbertus Francigena, cuius dulcis vita ten svöj zivot eine vedesc;
dum in mundo viveret, sc deduxit ita:
nam verba quae protulit fuerunt perita.
Istc vero fuerat filius reg (dis,
toto suo tempore se subtraxit malis,
dum in mundo degeret et fuit vitalis;
visio nam sibimet apparuit talis.
Noctis sub silentio, tempore brumali,
somno parum deditus, visu spiritali
ohne Angabe von Druckort, Drucker und Jahr; das Gedicht ist in vierzeilige Stro
phen, deren erste Zeile eingerückt ist, gelheilt. Die ganze Vorderseite des ersten
Blattes nimmt ein grosser Holzschnitt ein, welcher am Schlüsse auf Blatt 12b wie
derholt ist, es zeigt oben links einen Eremiten betend vor seiner Hütte im Walde,
ihm rechts zur Seite den Leichnam in einem Sarge, auf dessen Bande die Seele sitzt,
welche zwei Dämonen ergreifen; unten ist die Seele dargestellt, wie sie von Teufeln
mit Ketten zur Höllenpforle geschleppt wird. Ausser diesem Holzschnitte linden sich
in dem Drucke noch drei andere: einer auf Blatt lb, wiederholt 3b, 4b, 3», 6 a , 6b
und 7b stellt den Leichnam im Sarge dar, auf dessen Rande die klagende Seele sitzt;
auf dem zweiten Blatte 8» und 8b sieht man die Leiche im Sarge, während zwei
Dämonen die Seele fortziehen; der dritte endlich auf Blatt 11», der Darstellung in
der untern Abtheilung des Titelbildes ganz gleich, zeigt die Seele, welche von einer
Anzahl böser Geister zur Pforte der Hölle geführt wird. Der Text beginnt Blatt lb
oben: Incipit visio lamentabilis cleuoti cuiusdam heremite ifra | scripti super lugubr
disceptacione anime contra corpus |
(V) Ir quidam extiteral dudum heremita
Fulbertus francigena, cuius dulcis vita.
Dum in mundo viueret, sese gessit ita
Quod verba que protulit, fuerunt perita.
Schluss Blatt 12a unten :
De morte dum cogito, contristor et ploro
Vnum est q, moriar, et tempus ignoro
Tercium q, nescio, quorum iungar ehoro
Sed ut suis merear iungi deum oro Deo gracias Amen.
Auf Blatt 12b steht, wie gesagt, abermals der Titelholzschnitt; Blatt 0 und 10 feh
len jetzt in dem Exemplare des Theresianums.
Studien zur Geschichte der nltbühmischen Literatur V.
145
corpus careng video spiritu vitali,
de quo mihi visio fit sub forma tali.
Cum dormirem paululum, vigilando fcssus,
ecce quidam Spiritus, noviter egressus
de praedicto corpore, vitiis oppressus,
corporis in gemitu plangebat excessus.
Iuxta corpus Spiritus stetit et ploravit,
in bis verbis acriter corpus increpavit:
o caro miserrima, quis te sic prostravit,
quam mundus tarn prospere praediis ditavit.
Nonne tibi'pridie mundus subdebatur?
nonne te provincia tota verebatur?
ubi nunc familia quae te sequebatur?
cauda tua florida iam num amputatur?
Non es nunc in turribus de petris quadratis,
sed nec in palatiis magnae qualitatis;
quae deleta feretro parvae quantitatis
nunc iaces in tumulo breviore satis.
Quid tibi palatia prosunt vel quid aedes?
vix nunc tuus tumulus septem capit pedes.
quemque false iudicas, amodo non laedes;
per te nobis data est in inferno sedes.
Ego quae tarn nobilis fueram creata,
ad similitudinem domini formata,
et ut fructum facerem tecum ordinata,
per te sum criminibus nimis deformata.
tomu se jednu noc uda,
jsa na svem pokoji z truda,
ano dusicka jednoho
bohatee velmi lifiesneho,
s hfiesnym telem rozvod cinf.
Stojec nad telem je vim,
mluviec s pläcem takto diese:
o tvoj preveliky hriese!
o najhubenejsie telo,
cot jest se tak vndhlc zdelo?
Nedavnos bylo bohato,
kezt eo spomoz tvoje zlato?
bdset se chudina tebe,
jiz lezfs necije sebe.
Kam se panose podeehu,
jizto po tobe chodiechu?
ICde tva mesta, kde tve hrady,
kde tve vsi, na ne naklady?
kde sü tve siene kamenne,
kde tve ptaetvo kratochvilne?
Jiz odpocivas na kratkyeh
na nosidläch velmi nizkyeh:
jednak te v mensi döm vlozie,
tot vse s prävein pomsta bozie.
Sirokeho domu nemäs,
velmi v malern otpocivas,
jenz jest na tri lokty ledva,
kam se podela pycha tvä?
A ten vida nas ki'ivy süd
v hori byl s tebii dobry lud.
Pro te ja duse hubenä
jizt jsem k peklu prisuzena.
Jat sem byla tvar sleehetna,
k samemu bobu podobna,
ocistena byla vseho
hrieelia moei krta svateho,
a pro te, hubene telo,
mne dusici zle se delo,
zet sem tebu naprznena,
vse dobroty otlücena;
bez lianbyt to rieei mobil,
toho bud zel meimi bobu,
ze sem se kdy narodila,
a mym telem v kriech vstiipila!
0 caro miserrima, mecum es damnata,
si scires supplicia nobis praeparata,
vere posses dicere: heu, quod fui nata!
146
Julius F e i f ai ik
utinam ad tumulum fuissem translata !
Non cst minim, fateor, quia, dum vixisti,
quidquam boni facere non me permisisii,
sed semper ad scclera pessima traxisti;
unde semper erimus in dolore tristi.
In poenis acerrimis sum et semper cro;
nullae linguae saeculi dicerent pro vero
unam poenam minimam, quam infelix gero;
sed quod magis doleo, veniam non spero.
Bych se byla nenarorlila,
bylat bych tu höre zbyla,
radejset bych tomu byla.
I nynie bych to zvolila,
a protoz trpeti, telo,
pro te musi'm, zes nechtelo
nynie dobreho co ciniti,
protol te musi'm viniti,
zet inusitn vdy v hori byti
s tebu, jehoz nelze zbyti.
Coz jest po svete Iidi vsech,
nevypravilitby muk teeh,
kterakt jsu velmi silne
i trpeti hrozne trudne;
a vsak najvetsf muku mam,
a to ja tiemto behem znam:
bozi oci nevideti,
navek veköm v hori byti.
In ähnlicher Weise geht nun die Übersetzung fort; bald ziem
lich genau an den Wortlaut des lateinischen Originales sich an
schliessend, bald, wo entweder der Reim oder ein Gedanke, welcher
jenen Übersetzer ansprach, dazu bewog, ausgeführter und in grös
serer Weitschweifigkeit. Die Strophenabtheilungen des lateinischen
Textes sind dabei eben so wenig beobachtet, als etwa in der mittel
hochdeutschen Übersetzung des 14. Jahrhunderts in von ivarajan’s
Frühlingsausgabe S. 98 ff., welche sich ähnlicher Genauigkeit be-
fleisst wie die böhmische Bearbeitung und mit dieser überhaupt
interessante Vergleichungspunkte bietet; oder in den meisten
älteren Übertragungen des Gedichtes in andere fremde Sprachen.
Ich will nun noch den Schluss der böhmischen Dichtung hiehör
setzen, mit der entsprechenden Stelle des lateinischen Textes (Ede-
lestand du Meril, a. a. 0. S. 226; von Karajan a. a. 0. S. 94,
Vers 225 — 236).
Et scio praetcrea quod sum surreclura
in die novissimo tecum, sum passura
tecum mortc perpeti; heu, mors illa dura,
mors interminabilis, fine caritura.
I vicint zet v südny den vstanu
a s tebu vecne ostanu
v hori, jehozt ndm nelze zbyti,
jedno veky vekom v nem byti.
Ad hoc clamat anima voce tarn obscura:
heu, quod unquam fueram in rerum natura!
cur permisit dominus ut sim creatura,
Anima respondct.
Düse zalostive zvola:
höre, zet jsem kdy stvofena!
proe jest boh dopustil toho,
at bych ja byla tväf jeho,
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
147
qimm praestita fnerim esse perilura? a to dobfe veda o mne,
ze mi zahynüti veene?
0 felix conditio pecorum brutorurn! Iilazc kazde tvai-i hlupe,
cadunt cum corporibus Spiritus eorum, kdyz z toho sveta vystüpie,
ze duse s telem zahyne,
nee post mortem subeunt locum tormentorum; a nikdy muk pak necije:
tälis esset utinam finis impiorum! volilt bych to hriesny clovek,
atbych ja skonal tak svöj vek!
Hiemit aber bricht das allböhmische Gedicht ab und alles was
in dem lateinischen Originale auf jene Strophe noch folgt, somit der
ganze Schluss uud die Lösung des Streites, fehlt in der cechischen
Bearbeitung, welche demnach unvollständig ist, sei es nur zufällig
in der Handschrift, oder schon ursprünglich von dem Verfasser so
belassen. Was die Behandlung seihst anbetrifff, so zeichnet sie
sich durch keinerlei besondere, dichterische Eigenschaften aus: das
Verdienst des Dichters ist eine im Ganzen getreue und ansprechende
Übersetzung geliefert zu haben, ohne dabei seiner eigenen schöpfe
rischen Kraft zu viel zuzumuthen. Die Behandlung des Reims, welcher
bald klingend, bald stumpf ist, lässt eine gewisse Ungeübtheit des
Verfassers nicht verkennen. Unreine Reime sind in diesem nur 294
Verszeilen umfassenden Gedichte häufig genug. So finden sich«: d
ledva: tvä Cas. cesk. mus. 18öS, S. S7 I \ huhena: prisuzena 57 b .
vlädne: upadne S9 a . postäti: hädati 59 b . zädost: radost 59 b : zalost
60". slova: zadostivä 60 b ; a: y byla: dala 59"; e: e vseho: svateho
S7 b ; e: o toho: jeho 60 1 ’; e: o tomu : svatemu 59 1 ’. jednoho : hfiQs-
rieho 57"; e : ie hlupe : vystüpie 60 b ; e : o vede : vevode 60"; e: y
telo : bylö 59 b : pokrylo 59 b . byvsi : vedevsi 60 b ; e : y nevideti: byti
58"; e :ie podechu : chodiechu 57". tela : diela 59". 60 b . mela: diela
59 b . mieti: pameti 60"; e :je beeil: mejech 60"; i : i zvefina : vina
58". mluviti : jfti 58 b : odjiti 59 b . dotet: oci 58". eine : hline 59 b .
panujtci : robotnici 59 b ; i:y nenarodila : zbyla 58". byla : zvolila
58": nekrotila 59". neshresilo : nebylo 59". ucinilo : nebylo 59". bylo:
ucilo 59 1 '; o : ö svöj : pokoj 58"; o : ii rüse : grose 58 b ; u : ü sdd :
lud 57 b . sude : trude 58 b . robu: dobu 59". pravü : bolni 60 b . ne-
pfipudil : vliidil 60 b . Von consonantischen Eigenthümlichkeiten will
ich bemerken dotei: oci 58". metes : kleveces 59". vetsf: dosvedsi 59".
vladlo: tählo 59 b . dävä: zadä 60". smrti:zbyti 60". zädost: zalost 60".
zahyne: necije 60 b , wo doch wohl überall klingender Reim anzuneh
men ist, obgleich unser Dichter sehr oft stumpfe Reime blos auf
148
Julius F e i f a 1 i k
der Endsylbe ruhend sich in Fällen gestaltet, in welchen bessere
Dichter klingend gereimt hätten, z. B. pravü : boliu 60 b . moje: tobe
59 b . kainenne: kratochvilne 57 b ; ja to auf na to findet sich S. 59 a und
ciovek auf svöj vek S. 60 b gereimt. Rührender Reim trifft sich oft
genug, byti: zbyti 58 a . 60 b . prebylo : zhylo 60". pomoei : moci 58 b .
necijes: pocijes 5S b . zbozie : bozie 58 b . dal : poddal 59". (mluviece :
viece 59 b .) smyslem: rozmyslem 60 a . vstanu: ostanu 60 b . Von Reim
häufung will ich S. 58" sechsmal widerholten Reim auf — ila, vier
maligen auf iti und viermaligen auf — e anmerken.
Für die Erforschung der Persönlichkeit des Verfassers bietet
das Gedicht durchaus keine Anhaltspuncte; einmal, S. 60", wird
zwar der Bibel Erwähnung getlian:
pismot pravi a zjevno jest,
ktoz na svete md vetsl cest.
a komuzt böli dary ddvd,
od tohot vzdy viece zada,
aby jemu viec cti cinil,
a viec nezli jinj' slüzil,
wo im lateinischen Texte (E. du Meril S. 225, von Karajan S. 93,
Vers 198—201) blos steht:
A sensato quolibet hoc non ignoratur,
iura clamant, ratio pariter testatur,
cui maior gratia virtutum donatur,
ab eo vult ratio quod plus exigatur.
Aber man wird auch ohne dieses, dem Tone der Ganzen, sowie
dem Umstande nach dass ein lateinisches Werk zu Grunde liegt,
geneigt sein als Urheber der böhmischen Übersetzung einen Mann
anzunehmen, der seihst dem geistlichen Stande angehörte oder doch
diesen Kreisen nahe stund. Betreffs der Abfassungszeit wird man
dem Herausgeber beistimmen können, welcher unser Gedicht in das
Ende des 14. Jahrhunderts setzt.
Aus der nämlichen Handschrift in der Bibliothek des Domcapitels
zu Prag endlich hat gleichfalls Herr 11 a nka ein drittes, oder wenn man
das vermuthete cechische Original jenes polnischen Fragmentes hinzu
rechnen will, ein viertes altböhmisches Gedicht über diesen Gegen
stand im Casopis musea krälovstvi ceskeho 1855 auf S. 304—307
veröffentlicht. Der Dichter erzählt einleitend, wie er dahin wandelt
und wünscht, es möchten die Todten auferstehen und den in der
Studien zur Geschichte der althöhmischen Literatur V,
149
Welt Lebenden Warnung gewähren. Vor Hunger ohnmächtig ge
worden 38 ) findet er sich am Fusse einer Burg und hat hier eine
Vision von einem Menschen der stirbt und welchem die Seele zur
Seite steht:
Kdyz pojidech jednü blüde,
svetskü mysl na mysli süde,
jednol mi na mysli tanu,
kterak mrtvi z hrobov vstanu,
by ndm neco povedeli,
bychom se stfieci umeli,
bychme sc svetem pfebyli.
Tehdy ihned na te chvili,
kdyz bech jednü omdlel hladem,
uzrech se pod jedniem hradem,
na nem zjide lemna zäfe.
A tu bech pri jednom sväfe,
ze se tak smutne svariechu,
tu stystech sobe pobfiechu,
uzrev ze tu clovek mrese,
nad nlm dusicka stojiese.
Schon will der Verein von Leib und Seele sich scheiden, da bittet
jener die Seele, sie möchte bei ihm bleiben in der Wohnung
wo sie es so wohl gehabt. Nun beginnt der Streit zwischen beiden,
die gewöhnlichen gegenseitigen Klagen und Anklagen, bis der Kör
per stirbt und man ihn aufbahrt:
Nepromluvi telo viece,
podachu mu v ruku sviece,
spievachu jemu nektefi.
Die Seele, den Qualen der Ewigkeit hingegeben, beweint ihren
Zustand und fleht zu Gott und zu Marien um Rettung und Erbarmen.
Das Gedicht läuft auf eine Belehrung und Aufforderung zu gottseligem
frommem Leben aus und schliesst:
Ten strati svü dusi milü,
jenii jie nestfeze vsi situ.
Protoz stfeztez toho klenota
jiz za zdraveho zivota.
Necinte mu muky pekelne, -
38 ) Es war bei Dichtern des 14. und 13. Jahi'hunderts ein sehr beliebter Eingang, zu
erzählen, dass dieser oder jener spaziren gegangen 'und unter einem Daume u. s. w.
entschlafen sei, und dann das übrige als Traum oder Vision vorzuführen.
Sitzb. d. phii.-hist. CI. XXXVI. ßd. II. Hft. M
150
Julius F e i f aIik
stfezte se propasti vecne.
Jesu Christe, mocny pane,
potvrd nds v dobrem stave,
bychom vsickni einili prdve,
byü vedeni do rdje.
Amen.
Man sieht, dieses Gedicht, wenn es sich auch an die bei dem
vorigen besprochene Visio Fulberti mittelbar gleichfalls anschliesst,
steht derselben doch schon ferner und setzt irgend ein Zwischen
gliedvoraus. Für die Zeitbestimmung bieten sich keine Züge, welche
genaue Feststellung erlaubten. Doch trügt mich vielleicht mein
Gefühl nicht wenn ich diese Dichtung in spätere Zeit, etwa
schon in’s IS. Jahrhundert setze; es gemahnt an die Denkmäler der
böhmischen Literatur, welche um diese Zeit nach deutschem Vor
hilde und unter deutscher Einwirkung entstunden. Ehen so wenig
sicheres ergibt sich für die Erkenntniss der Person des Dichters und
ich muss es hei diesem Stücke wenigstens unentschieden lassen, ob
es in eine Reihe mit jenen früher besprochenen zu stellen sei. Die
Behandlung des Reimes zeigt von ziemlicher Gewandtheit; ungenaue
Reime finden sich unter den 280 Versen welche das ganze zählt,
ziemlich selten. Ich will sie schliesslich hier zusammenstellen. Es
reimen natürlich wieder a : d vlästi: strasti S. 304 b und noch fünfmal;
e : e peci: reci 30S";e :e pane : stave 307 b ; e': ie fieci: uteci 306“;
i:i hlfnu: vinu 30S b und noch viermal; i:y pobyla : libila 304 b .
pil : byl 30S 1 ’; i : y sticlia : pycha 304 1 ’; i: ie kraji: cakajie 306 b ;
i: y prebyli: chvfli 304"; i : y ujfti : skryti 305 1 ’; i : ie chvili: vzkvie-
li 304 1 '; ie \y umfieti: skryti 306 1 ’; o : 6 boze : röze 306 1 ’. völi : koli
306 1 ’; u : ü tanu : vstanü 304". nemohu : mnohu 305 1 ’ und y : y
tuhy : dlühy 306". Von consonantischen Ungenauigkeiten bemerke
ich nakratce : prace 304". skonäm : poznäm 306". nepfijme : mine
306' 1 . zameskän : säm 307”. pane : stave 307 1 '. präve : räje 307”.
Rührender Reim findet sich neunmal, Reimhäufung von je vier
gleichen Reimen zweimal; die Reime sind bald klingend, bald stumpf,
auch dreisilbiger kommt sechsmal vor.
Es sind dies die uns erhaltenen altböhmischen Bearbeitungen
des in ganz Europa so ausserordentlich beliebten Gegenstandes, und
wir ersehen aus der verhältnissmässig grossen Anzahl derselben bis
in's IS. Jahrhundert hinein, dass auch in Böhmen das Volk, dessen
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
151
Geist überhaupt zu Betrachtung und lehrhafter Tendenz hinneigte,
an der Darstellung des Krieges von Körper und Seele nicht minderes
Behagen fand als in anderen Ländern. Dass dieses Wohlgefallen auch
späterhin sich nicht verlor, lehren cechische Schriften über diesen
Gegenstand aus jüngerer Zeit, welche ich oben in der Anmerkung
21 und im dritten Hefte dieser Studien, Seite 30 (Sitzungsberichte
der philosophisch-historischen Classe, Band 32, Seite 712) in der
Anmerkung 58 aufgezählt habe.
Anhang“.
Ich biete in diesem Anhänge dem Freunde mittellateinischer
Poesie acht und zwanzig Lieder und Briefe, meist aus den Kreisen
studentischen Lebens im 14. und 15. Jahrhunderte herrührend, wel
che vielleicht nicht ganz ohne Interesse sind. Sie lehren einestheils, wie
fremde Dichtungen nach Böhmen herübergenommen und umgeändert
wurden; anderestheils zeigen sie jene fahrenden Schüler selbststän
dig poetisch thätig. Und lassen schon jene durch ganz Europa, über
all wo gelehrte Schulen und Schüler sich fanden, verbreiteten Lieder
einen tiefen Einblick in das Leben und Treiben, in das Denken und
Fühlen jener Classen uns thun, so ist dies in noch hei weitem höheren
Grade der Fall hei den anderen, welche unmittelbar aus der nächstem
Anschauung, aus den bestimmtesten Verhältnissen und aus dem drin
gendsten Bedürfnisse heraus geflossen sind: ich meine jene Bettelbriefe
und Sendschreiben von Prager und anderen wandernden Studenten,
in welchen sie sich mit Bitten um Unterstützung an ihre Gönner, an
Geistliche und Pfarrer, an den Kaiser selbst wandten. Nichts gibt
ein so klares Bild von den Verhältnissen und Umständen, von dem
Sinnen und Trachten jener Leute als diese Briefe 89 ), welche bald in
9S ) Bruchstücke eines ähnlichen gereimten Briefes, wie die von mir herausgegebenen,
führt Tomek Deje university Prazske 1, 80 Anm. aus der Handschrift I. 40 der Prager
Capitelbibliothek an. Dieser Brief beginnt:
S c o I a s t i c a 1 e in dedicatione.
Discretis ad literas viris et honorem,
quihus inest charitas, Christi oh amorern
praemittunt servitia doiuinis praelatis
11*
132
.1 u 1 i u s F e i i' a I i k
den Tönen der Verzweiflung klagen, bald in wilder Lustigkeit all
diese Noth noch scherzhaft finden. Der Student welcher an die neue
Hochschule gekommen ist, um von dem aufgehenden Licht seinen
Tlieil zu empfangen, und welcher hier Gelehrsamkeit und eine Zukunft
zu gewinnen hofft, er lässt die Bibel und Aristoteles und alles liegen
und zieht singend und bettelnd durch die Strassen der Stadt, denn er
ist arm und ihn hungert; er kommt dann mit seiner Beute nach Hause
auf die Burse, da gibt es Streit und Zank und der Ältere und Stärkere
nimmt dem Schwächeren weg was er sich etwa besseres erbettelt
hat. Besitzt er aber einmal Geld, da wird es in sorglosem Leichtsinn
verprasst, beim Biere oder bei den Weibern. Es schildern diese
Dichtungen das ganze Leben des Studenten, sowol das äussere,
als das innere auf der Burse: nur öine Richtung desselben bleibt
uns ferne gerückt — seine Studien. Es ist ein keineswegs ganz
erfreuliches Gemälde, ein Bild voll Kampf mit Noth und Entbeh
rung, mit Verachtung und Schmähung von Seite der anderen Classen,
ein Bild der Verkommenheit, welche sich sogar in der Sprache
kundgibt, wofür die erschreckende Barbarei von Nr. XXI, mag
sie auch wie ich annehme des comischen Effectes wegen beabsich
tigt sein, ein merkwürdiges Beispiel bietet. Dieselbe sittliche
Verkommenheit zeigt sich zum grossen Theile in den Liebesliedern.
Der Schüler gehörte dem geistlichen Stande an; mochte er in Zukunft
als Priester wirken wollen, mochte er als Lehrer an der Universität
oder an einer andern Schule auftreten, mochte er als Schreiberseinen
Unterhalt gewinnen,-immer stund ihm ein eheloses Leben bevor:
scolastici, socii suae paupertatis;
simul scribunt omnibus vobis literatis,
Christi nos intuitu omnes audiatis.
Ecclesiae iubilo plebs omnis laetatur,
altisonis vocibus hodie cantatur,
missae post officium dives epulatur,
sed pauper esuriens multum contristatur.
Der Schluss lautet:
Pauperes scolastici, qui in scolis Student,
et prae magnitudine mendicare pudent,
humide literulam modo vobis scribunt,
detis ipsis aliquid, quod aquam non bibunt.
Ausser der eben angeführten Capitelhandschrift enthält auch der Codex C. 1 im
Wittingauer Archive eine Anzahl Briefe und Formeln, welche sich auf das innere
Leben der Prager Studenten beziehen. Tomek a. a. 0. S. 82.
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
153
es ist also eine eigentümliche Liebe mit welcher er liebt, es sind
eigentümliche Frauen denen er seine Gefühle, und was die Haupt
sache ist, sein Geld schenkt, und er hat sonderbare Erfahrungen an
ihnen gemacht. Dieser Umstand erklärt vollkommen die Leichtfer
tigkeit der meisten Liebeslieder und die so häufigen Klagen über
die Verworfenheit des Weibes: echte Frauenliebe haben diese Leute
ja nicht kennen gelernt. Aber trotz allem was ihn beengt und drückt,
was ihm sein Leben schwer und kummervoll macht, verliert der
Clericus, der Goliard, seinen frohen Muth, seinen Humor nicht; und
es ist dies ein Humor der sich vor dem Heiligsten nicht scheut, der
des hohen so wenig als des niederen und seiner selbst schont, der
bitter werden kann bis zur schärfsten Satyre. Es ist natürlich dass
dabei auch die Zeitereignisse Berücksichtigung finden, wodurch
diese Dichtung zum Theile auch historischen, nicht blos cultur-
geschichtlichen Werth erhält. Die wichtigen Begebenheiten deren
Schauplatz im 15. Jahrhundert die Universität, die Hauptstadt,
das ganze Land waren, riefen eine Menge nicht blos cechischer son
dern auch lateinischer Lieder, Spott- und Klagegedichte von beiden
Seiten hervor; die lateinischen rühren meist von Vaganten und Schü
lern, oder von Geistlichen her, mit welchen ja jene im nächsten
Zusammenhänge stehen, also von Leuten welche bei den Ereig
nissen nahe betheiligt, das Wahre wissen konnten, wenn sie es frei
lich auch nicht immer sagen wollten.
Alle nachfolgenden Stücke sind aus Handschriften geschöpft.
A und B nenne ich zwei Handschriften welche ich unter derselben
Bezeichnung in meinen altböhmischen Leichen, Liedern und Sprü
chen näher beschreiben werde; sie sind um 1459 in Prag und zwar
im Collegio regis Wenceslai durch den bekannten Frater Crux de
Telex, geschrieben. Mit C bezeichne ich die HS. I. 4°. 466 der Bres
lauer Universitätsbibliothek. Beschreibung davon findet man in Hoff-
mann’s Monatschrift von und für Schlesien 1S29, Bd. 2, S. 738 ff.
und im Cas. cesk. mus. 1858, S. 392 f. Die Handschrift rührt von
Nicolaus de Cosla her und weist als Ursprungsort auf Schlesien,
Jägerndorf und Olmütz, die Lieder aber führen uns nach Prag.
Abschrift der aus dieser HS. entlehnten Stücke verdanke ich der Güte
des Herrn Archivars W. Wattenbach in Breslau. D endlich ist der
Codex Nr. 1652 der k. k. Hofbibliothek zu Wien, in klein Quart aus
dem 14. Jahrhundert: nach Einzeichnungen auf Bl. 3 h . 4 a und 156 1 ’
154
.1 u I i u s . F e i f a I i k
war er Eigenthura der domus beute marie in Axpach ordinis car-
thusiensis: das hieraus entnommene und später als der übrige Text
aufgeschriebene Lied weist mit seinen eingeflochtenen Anfängen
unzweifelhaft böhmischer Lieder auf Böhmen zurück.
Die einzelnen Stücke habe ich so geordnet dass die ernste
Gegenstände behandelnden und die historischen Lieder (Nr. I—III)
vorangehen, dann folgt das Gedicht über die Bedeutung des Hahns
auf den Kirchthürmen (IV), hierauf von Weibern und von Liebe
(V — X), darnach Trink- und Kneipenlieder (XI und XII); an diese
schliessen sich scherzhafte Lieder und Parodien (XIII — XV) und
den Schluss macht was sich auf Vaganten- und Studentenleben
bezieht (XVI — XXVII).
Was das Alter der einzelnen Nummern betrifft, so ist es natürlich
sehr verschieden. Die von auswärts übernommenen Lieder reichen
zum Theile in weit ältere Zeit zurück als jene der Aufzeichnung
ist, in’s 12. und 13. Jahrhundert; die meisten der Stücke aber,
welche in Böhmen selbst entsprungen sind, gehören in nicht frühere
Zeit als das XV. Jahrhundert. Nr. III ist nach Husens Auftreten, aber
noch vor seinem Tode geschrieben, Nr. II vielleicht etwas später als
das vorige; Nr. XX, nach der Gründung der Prager Universität ver
fasst, richtet sich noch an Karl IV. selbst, muss also vor 1378 gehören;
die Bettelbriefe aus A werden um 1450 fallen müssen: denn in der
selben Handschrift befindet sich ein ähnliches lateinisch-böhmisches
Bettellied, welches ich in den Altböhmischen Leichen-Liedern und
Sprüchen mittheile und welches von 1451 ausdrücklich datirt ist 40 ).
I
Ad errorem omnium surgam locuturus,
omnis clerus audiat, simplex et maturus,
nihil est quod timeo, valde sum securus.
40 ) Es ist überschrieben: Ex lithomierzicz Socij composuerunt ad plebanos und begient
mit folgender Strophe:
Nos expertes fere labe
bydlime u same Labe,
mundamur inedia,
Noueräis christicole,
zet jest nedostatek v skole
et quam mtilta tcdia.
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
155
Sermo meus percutit velud ensis durus,
S vniendo presulos atqae cardinales,
monaehos, presbyteros, nee non moniales.
Sunt velud ydropiei quorum membra crescunt,
dura plus bibunt, siciunt, sic magis inardeseunt,
sic auari miseri nunquam requiescunt.
10 Quid est auaricia nisi vilis cultus,
vanitalum vanitas et cordium tumultus:
pereunt diuicie, perit homo stultus.
Quando diues moritur, statim fit sepultus,
in sepulcro ponitur in regali tegumento,
IS postea deponitur in miseri (?) tormento.
In tormento patitur velud arundo vento,
nee redimi poterit nee auro, nee argento.
quando vos in prandio, domini, sedetis,
Hostium pauperibus claudere iubetis;
20 pauper elamat vocibus nee audire wltis,
nee ei de ferculis detis que liabetis.
.... transit, omnia transeunt que liabetis,
psalmistam lcgite et invenietis;
verum vobis nunccio quod preeipietis.
21! Ibi nihil proderit dignitas papalis,
sed fetorem senciunt poene iehennalis,
siue sit episcopus, siue cardinalis.
Ibi non erit dominus iudex vt vos estis,
sed idem erit dominus deus atque testis:
30 iudicabit iudices deus (et) scolares.
Artifex, qui condidit hominem ex luto,
et liniuit oculos eeci saero sputo,
vestras saluat animas: miseros saluto.
= A 157 1 ’ — 15 mife’i die Hs., vielleicht inferni zu lesen?
22 Quta transit die Hs. — 26 pene die Hs. — 33 saluet?
II
Alia cancio.
Ordo catholicus
et apostolieus
vergit noster penitus
atque eoruptus
S destruitur eunctus.
156
Julius F e i f a1ik
Regno Boemorum
nam fundilus horum
latet iusticia,
patet astucia
10 cunctorum malorum.
Ignis et spolia,
fraus, homicidia,
cetera nocencia,
clerum inpugnancia
IS patescunt in terra.
Sanctorum Corpora,
fidei robora,
que erant pollita,
gemmis insignita,
20 hec sunt in auita.
Per prauos homines,
in fide debiles
et Christo rebelles
atque invtiles,
23 et sunt spoliata.
Quorum reliquias
tulerunt alias
longas prouincias
et despexerunt eas
30 fide post terga.
Archiepiscopi,
sinlul episcopi,
• abbates, priores,
monaehi minores,
33 insignes rectores.
Electi cantores
et predicatores,
periti lectores,
legis zelatores,
40 fidei cultores.
Omnes katholici
et ewangelici,
subtiles loyci,
scriptores, clerici,
43 ferunt ethnici.
Legati, prelaii,
barbati, signati,
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
137
monachi nigrati
atque candidi,
SO cuncti prelati.
Doctores, legales,
atque cardinales,
una reguläres,
ahne inoniales
SS sprete per letales.
Herrores peiores,
immenses terrores
heresiarcharum
que Viklefistarum,
60 lutum peramarum.
Nil valet religio,
profunda accio,
per quam saluacio,
sit liberaeio
65 Christi personarum.
Yiget pestifera
gwerra mortifera;
o cohors misera
tua per opera
70 spreta 6des vera.
Non pretermittitur
ordoque nittitur
Christo famulari,
6de roborari,
7S 6rma s'pe armari.
Nam latrocinia,
furta, incendia,
et homieidia
absque clemencia
80 patrantur in terra.
Iam latet v.crilas,
patet iniquitas,
eessat iustieia,
regnat astueia,
85 fraus VikleOstica.
Cuius per vicia
sunt mortificia,
dolus, malicia,
et violencia
90 fert cum ruina.
158
Julius Feifalik
Vt quondam pueros
occidit teneros
Herodes crudelis,
Zyzka infidelis
9S transmisit tot celis
Animas iustorum,
iustus vltor quorum
erit in futuro
iudicio divino
100 iudex mortuorum.
Iudicans breuiter,
regnans perhenniter,
iustis dans premia,
sedis examina
105 iuxta seruimina.
Electis ! venite’,
maledictis 'ite
in ignem eternum,
habente premium
110 letum sempiternum.’
Qui vobis offerat,
cuncta qui superat,
idem vos conterat,
a nunquam erigat,
US qui sine fine regnat.
Amen.
= A 157 1 ’—158“ Die hier und in Nr. III angewandte Strophen
form scheint im 13. Jahrhundert sehr beliebt: wir treffen sie auch
in der Cancio de autoribus bohemici scismatis bei C. Höfler,
Geschichtschreiber der husitischen Betvegung in Böhmen 1, 558
bis 560, so tvie in einer Reihe anderer noch ungedruckter lateini
scher Lieder; und auch in böhmischen Liedern gerade aus jener
Zeit und namentlich in solchen historischen und Streitliedern findet
sie sich äusserst häufig. Vgl. meine zweite Abhandlung über die
dreitheilige lyrische Strophe im Altböhmischen. — 44 srpt ccs die Hs.
— 69 t 9 die Hs. — 97 castus die Hs. — 99 dno Hs.
III
Omnes attendite,
animaduertite,
quid nam sit plangite
ÜBÜÜ
Stadien
5
10
18
20
28
30
38
40
48
zur Geschichte der altböhinischen Literatur V
et mentes auertite
ab errore tali.
W° Strenue fortiter
Imperator noster,
moderni regis pater
(requiescat duleiter),
erat fraetor mali.
W 9 Hic auxit eciam
sanctam ecclesiam,
quam paciens liberam
peruenit ad patriam
iniperii ueri.
W° Exponens copiam
auri et argenti,
simulque lapidum,
dictum dauiticum
volens adimpleri.
W 9 Voluit eciam
propter elemeneiam,
lieresis demenciam,
romanam ecclesiam
vereri et augeri.
W 9 Post eius obitum,
felicem transitum,
per manus principum,
regum et comitum
conatur deleri.
W 9 Ulis temporibus
multis honoribus,
virtutum floribus,
nunc iam doloribus
fertur adimpleri.
W 9 Insurgunt undique
mine, insidie,
fides destruitur,
clerus opprimitur,
papa deridetur.
W 9 Dei laus decrescit,
dolus,fraus succrescit,
presulatus vilescit,
doctoratus tumescit,
vulgus deum nescit.
160
Julius Feifalik
W 9 Monachis, fratribus
ac monialibus,
Christi virginibus,
ceteris fidelibus
bO uiucre uilescit.
W 9 Nam status militum,
clientum, ciuium,
falsis docmatibus
ac peruersitatibus
bb resistere nescit.
W 9 Clerici non nulli,
laycales populi,
facti sunt scismatici
per libros beretiei
60 Wycleff condcmpnati.
W 9 Pastores legales
modo sunt exules,
oues fiunt debiles,
quas reguntinhabiles:
6b sicplebs est orbata.
W e Ululant claustrales,
plangunt moniales,
omncs quasi mortales
facti sunt spiritales,
70 lex est desolata.
W 9 Rex audit et tacet,
nam sibi hoc placet;
ach ubi iusticia?
committuntur spolia,
7b nonestquidefendet.
W 9 Terrarum principes,
reges, eardinales,
duces ac eomites
nos faciunt exules
80 sua regione.
W 9 Consules antiqui,
bohemi perfidi,
moderni theutunici,
gaudent mechanici
8b statuta noue legis.
W° Facti sunt timidi
omnes operarij
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
161
90
95
100
10»
HO
11S
120
125
ob quod aurifabri
fuerunt ineipati
ex mandato regis.
W 9 Rex malum perpendit,
nemo qui defendit;
Romana Ecclesia,
fidcs katholiea
per ipsum destructur.
W 9 Oremus dominum
patrem et filium,
sanetum paraclitum,
ut nostrum omnium
status dirigatur.
W 9 Coniungat ciuibus
suis celestibus
ac nos ab omnibus
oppressorum manibus
semper tueatur.
W 9 Hoc totum construxit
quidam et indixit,
ut pateat omnibus
illud decantantibus,
fidem fluctuare.
W 9 Licet ipsa fluctuet,
rata semper permanet;
audi tu, scismatice,
et tu heretiee,
non tarnen mergetur.
W 9 Plures erant scismatici
atque heretici
eandem inpugnantes,
fraudes, dolos cudentes,
et sunt condempnati.
W 9 Omnium domine,
nos velis invisere,
fidem rectam saperc,
ne Hus virus wippere
intret corda nostra.
Amen.
= C, fol. 3iJ; von den fünfteiligen Strophen sind meist je zivei
durch den Reim der fünften Zeile gebunden. Über die Strophen
form selbst siehe meine zweite Abhandlung über die dreitheilige
162
Julius F e i f n1 i k
lyrische Strophe im Altböhmischen, ivo ich ausführlich auf den
Gebrauch derselben in Böhmen während des ld. Jahrhundertes
zurück komme. — 20 adimplere Hs. — 42 dolos Iis. ■— 101 Coniun-
get die Hs. — Strophe 17. 18 und 19 (Zeile 87-—93^ sind am
Rande nachgetragen; ebenso Sh\ 21 (Zeile 101—103).
IV
De Gallo.
Multi sunt presbyteri, qui ignorant quare
supra domum domini gallus solet stare:
quod propono breuiter vobis propalare,
si wltis beniuole aures mihi dare.
3 Gallus est mirabilis dei creatura
et recte sic presbyter illius figura,
qui preest parochie animarum cura,
stans pro suis subditis contra nocitura.
Supra crucem positus gallus contra ventum
10 rostrum diligeucius dirigit extentum:
sic sacerdos vbi seit demonis adventuni,
illic se obviat pro grege bidentum.
Gallus regit plurimam turbam gallinarum
et solicitudinem magnam habet harum:
13 sic sacerdos cupiens salutem animarum
ffaciat et dobeat quod sit deo carum.
Quasi rex in capite gallus eoronatur,
in pede calcaribus ut miles armatur,
quanto plus sit senior pennis decoratur,
20 in nocte dum coneinit, leo conturbatur.
Sic sacerdos bene seit populo preesse,
pigros cum calcaribus monet indefesse,
confortando debiles invicem dei in esse,
post laborem aureus vt rex debet esse.
23 Gallus suas feminas solet verberare,
bos que cum extraneis solent ambulare:
sic sacerdos subditos debet castigare
contra legem domini qui solent peccare.
Gallus granum reperit,.conuocat vxores
30 et illud distribuit inter cariores:
tales discant clerici pietatis mores,
dando suis subditis scripturarum flores.
Studien zur Geseliichte der allböhmischen Literatur V.
163
Basiliscus nascitur ouis de gallorum:
sic vis crescit demonis de presbyterorum
35 multa negligencia, quum de subditorum
non curant sceleribus, nee de spe ceiorum.
Gallus nunquam negligit tempus vespertinum,
quando cum suis subditis volat ad supinum,
vt in nocte media tempus matutinum
40 seruus dei precinat ad opus diuinum.
Sic est bonus presbyter respuens terrena,
ducit suos subditos ex inferni pena,
prebens iter celicum celi ad amena,
dum sponsus aduenerit cum turba serena.
45 Hec vobis sufficiunt de gallo notata,
et in audiencium corda sint locuta
tenaci memoria, quia nux muscata
plura reddit aromata bene masticata.
= A 160“ — 160 b . Einen iveit umfangreicheren, aber zum Theile
sehr verstümmelten Text theilt Edelestand du Meril, Poesies po
pul air es latines du mögen äge, Paris 1847, p. 12 sqq. mit. — 12
bibetum die Hs. — 26 extraneas die IIs.
V
Cancio de mulieribus.
Recedite, recedite,
ne mulieri credite!
Die tu, Adam, primus homo,
qui deceptus es in pomo. —
5 sum priuatus dei dono,
ne mulieri credite!
Eram fulgens quasi stella,
paradisus mich! cella,
sum deceptus a puella,
10 ne mulieri credite!
Vxor mea me fraudauit,
dum me pomo saciauit,
paradiso me priuauit.
ne mulieri credite!
15 Die tu, Loth, dulce verum,
quanta fraus sit mulierum. —
heu, deceptus sum per merum,
ne mulieri credite!
164
Julius Feifnlik
Me decepit naia mea,
20 cum miscebam me cum ea,
fraudulenter querens rea;
ne mulieri credite!
Die tu, Sampson, et fatere,
quid sentis de muliere? —
28 sum per eam lapsus vere,
ne mulieri credite!
Pilis meis sum priuatus,
veniamque spoliatus,
sic sum ipse defraudatus;
30 ne mulieri credite!
Die tu, Dauid manv fortis,
qui deceptus es in scortis. —
fuit causa mee mortis,
ne mulieri credite!
38 Patet teste Salomone,
mulieres raro bone,
plene sunt decepcione,
ne mulieri credite!
Id quod scio tarnen verum,
40 capio testem totum clerum,
mille fraudes mulierum;
ne mulieri credite!
Mulieres sunt fallaces,
et in ore sunt loquaces,
48 et in corde sunt mendaces,
ne mulieri credite!
= A 157“. — 11 mea fehlt in der Hs.
VI
Audite alpliabetica
cantica sopliistica,
cuius sit amor generis
et fauor mulieris.
8 Bilingwis mulier,
instabilis ut aer,
decipit quam plures,
velud in nocte fures.
Cruenta bestia
10 tendit ad terrestria,
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
165
delusio, destructio
Status personalis.
Biolosa, valida,
ad omne malum valida,
IS derisio, decepcio
fame, claritatis.
Ewam pronunccians
viri fallatricem,
eius caue presenciam
20 velud dampnatricem.
BTurtiue subtrahit,
fugias saltatricem,
eius caue presenciam,
agnosce meretricem.
2S Cäarula et fatua,
omnis honoris vaeua,
gerula mendacij,
rerborum comportatrix.
Habentem, non egentem,
30 facit mendicantem,
dominum superbum
transmutat in seruum.
Ignis infernalis,
pena gehennalis,
3S ira et invidia
ipsam comitantur.
Karitas deifica
per ipsam obfuscatur,
chaos creans malefica:
40 desiste, amator.
liustrat per plateas,
pompas et cboreas,
visitat parrochias,
scolas et thabernas.
4S Mediatrix mamone
miseri mecliantis,
mors carnis et anime
lit non penitentis.
Neutrum vult diligere,
SO quemque vult amare,
clericum decipere
et laycum fraudare.
Sit/,!,, d. ptiil.-hist. CI. XXXVI. 1S<1. II. Oft. 12
Julius F e i f a 1 i k
1(56
Omnes fallit homines,
papales, eardinales,
55 monachos, presbitcros,
decipit prelatos.
Plu res parlt filios,
ab lege faeit spurlos,
vult esse heriles,
60 seruos faeit viles.
Querit es et obulum,
" grossum et florenum,
non querit honorem,
sed tendit ad pudorem.
65 Itectrix senis, iuuenis,
pauperis et diuitis,
ipsa lutibundum
totum faeit mundum.
Sorbet sapienciam,
70 deglutit prudeneiam,
ut fecit Sampsoni,
Platoni, Salomoni.
Tondet tua, teilet sua,
turpet, torquet animuni,
78 friuolum, zelotipum,
ipsum faeit beniuolum.
Vacua vaeuitas,
vanitatum vanitas,
honorem deo demus
80 et eum eo viuemus.
Amen.
= C, fol. 32; nach Strophe 2. 3. 6. 7. 10. 11. 14. 13. 18
und 19 steht in der Hs. 11°. — 13 llolosa valida Hs.; vielleicht zu
lesen Dolosa, fallida?
VII
Alia cancio de rna mutiere.
Fuit vna domina,
valde pulcra femina;
dum vir eius laborat,
clericum sibi advocat.
8 r O tu bone clerice,
scis quid debes facere:
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
167
mecum debes iacere,
nemini debes dicere.’
Gerte hoc non faciam,
10 quia perdam graciam
a domino quem diligo,
fide sibi teneor.
r Emam tibi tunicain,
bracam et camisiam,
IS ocreas et caligas,
ut tu mecum iaceas.’
Audiens hoc clerieus,
versus ab hominibus
intrauit ad cameram,
20 et plagauit dominam.
Venit hospes ad domum,
pulsat ad hostium:
clerieus perterritus
bracas fuit oblitus.
2S Miserere mei deus,
miserere mei deus!
iste lectus non estmeus,
venit cuius est proprius.
A 157“
VIII
Alia cancio.
Si vis ad amasiam letus introire,
manu noli vacua bostium aperire;
precio non precibus fauorem acquire,
occurrens tibi cicius dicet benevenire.
S Si nichil attuleris, sedet et tristatur,
si dona porrexeris, gaudet et letatur;
audit, plaudit, diligit, te et osculatur,
et te propter munera eeneies amplexatur.
Si dicis: non diligis me? mox incipit flere,
10 vt te per fletum cicius possit detinere;
dum a te non poterit nummos extorquere,
dicet: vade garcio, te non noui vere.
Erit nowus melior, letus et iocundus,
pulcer, audax, nobilis, opere facundus;
15 dominarum regula sic docet et mundus,
nam qui primus fuerat, hie erit sec.undus.
12*
Julius F e i f u 1 i k
Multa possemus dicere, sed finem faciamus,
quod nos mulieres capiunt vt piscem capit hamus:
earum exercicijs nos semper resistamus,
20 vt vnam ex millibus castam inveniamus.
= A 148". — 12 garcö die Hs. — 18 über quod steht ut.
IX
Monialis ad Clericum.
Me tibi, teque mihi, etas et deeor equanl:
cur ergo non sumus sic in amore pares?
Clericus respondet.
Non hae veste places, alijs nigra vestis amatur;
que nigra sunt, fugio: candida semper amo.
Monialis dicit.
>
ä Sub hac veste nigra niueam tarnen aspice carncm;
que nigra sunt, fugias, candida membra petas.
Clericus.
Nupsisti Cristo, quem non offendere phas est:
hoc velum sponsam te facit esse dei.
Monialis.
Deponam velum, deponam cetera queque,
10 intraboque thorum nuda puella tuum.
Clericus.
Si careas veste, tarnen alia non potes esse:
vestibus ablatis non mea culpa minor.
Monialis.
Culpa tarnen, sed culpa leuis, sic esse fatetur:
est quoque peccatum, sed veniale tuum.
Clericus.
13 Vxorem violare viri, graue crimen habetur;
sed grauius sponsam zelotipare dei.
Monialis concludit.
Vicisti nostrum sancta racionc feruorem,
gaudeo quod vcrbis sum superata tuis.
= A 164“ — 164". — SS. h. v. nigra in meam tarnen aspice
(darüber: tu niueam inspicej carnem die Hs. — 17 V. iterum,
darüber nostrum.
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
1G9
x
Filia, si vox tua (?)
veilem te laudare,
carnalem soeium
veilem tibi dare.
5 Filia, vis militem
bene equitantem?
'Nolo mater cara,
nolo mater cara,
quia non sum sana.
10 Milites in bello,
nunquam sunt in domo,
et eorum gladij,
et eorum gladij,
semper sunt acuti.’
15 Filia, vis monachum
bene kukulatum?
'Nolo mater cara,
nolo mater cara.
quia non sum sana.
20 Monachi post primam
currunt ad coquinam,
panes eis dantur,
panes eis dantur,
caseum furantur.’
25 Filia, vis rusticum
nigrum et turpissimum?
'Nolo mater cara,
nolo mater cara,
quia non sum sana.
30 Rustici quadrati
semper sunt irati,
et eorum corda,
et eorum corda
nunquam Ietabunda.’
35 Filia, vis clericum
bene literatum?
'Nolo mater cara,
nolo mater cara,
quia non sum sana.
40 Clericorum pueri
semper sunt superbi,
170
Julius F e i f a 1 ik
et eorum matres,
et eorum matres
dicuntur meretrices.’
45 Filia, vis scolarem
bene literatum?
r VoIo mater cara,
volo mater cara,
quia iam sum sana.’
= B 408 b . — 1 vox: so steht in der Iis. — Nach der letzten
Strophe dieses Liedes hat eine keusche Hand zwei weitere Strophen
durch Überstreichen mit Tinte unlesbar gemacht.
XI
Cancio sequitur de thaberna.
Qüicunque delectatur thabernam introire,
prius se debeat cruee premunire;
nam ibi cognita et ineognita solent audire,
quid sit mundus poterit ibi sentire.
5 In ea nulla disciplina demonstratur,
liomo non quiescit, donec inebriatur,
inde diabolus (?) nimis exaltatur.
Cognoscere volentes clerieorum mores,
ad tliabernam ipsi stent et ante fores,
10 et intus respiciant, vt audiant rumores.
Muiieres vident osculum portare
viro alieno se volonte nectare,
post hoc homo potest mirabilia notare.
Vnus cantat,
15 alter saltat,
tereius orat,
quartus plorat,
quintus ridet,
sextus studet,
20 septimus confitelur,
octauus irridetur,
nonus wlt dormire,
decimus wlt garrire,
vndecimus vituperare,
25 duodecimus verberare,
tredecimus est ioeundus,
et sic rotatur mundus.
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
171
Multus esset mirus,
qui vellet
30 tum occupare,
sed volo cessare,.
paulo plus narrare.
0 cleriei dilecti, diseite vitare
thabernam horribilem, qui cupitis regnare ;
3a nec audeant vos rustiei plagis verberave.
Rusticus dum se sentit inebriatum,
clericum nec reputat militem armatum.
Vere plane consulo vt abstineatis,
ne vnquam cum rusticis thabernam ineatis.
40 In thabernis quando sumus,
nescimus quid sit humus;
ibi nullus timet mortem,
sed pro Bacho mittunt sortem.
ßibunt semel pro uiuis,
43 ter pro captiuis,
quarto pro defunctis,
■ quinto placet cunctis.
Qui sentit . . . mortem,
gailine quod est in . . . .
30 Bibit vnus, bibit secundus,
bibit istc, bibit illa,
tum iste, tum illa,
seruus iacet et ancilla.
Die nocteque tota
öS non cessat hoc vanum poto;
Poto bibunt tarn pro papa,
quam pro rege, quam pro cappa:
bibunt omnes sine lege
et sic sine fine.
= A 1E5S,,— 159“. Dieses Lied, ein Gemenge von Bruch
stücken aus mehreren Liedern, ist in der Hs. nur sehr verderbt
erhalten und ich darf nicht hoffen, dass es mir hier gelungen ist, es
vollkommen herzustellen. ■— 4 ibi fehlt in der Hs. — 7 dia 1 . 9 Hs.
— 10 respiciunt vt audiunt Hs. — 29 qui vellet fbus Hs. •— 40 bis hü
vgl. Carm. Bur. S. 23S, Nr. 173, Str. 1. — 44 bis 47 Carm. Bur.
S. 236, Str. 3. — 48 Qui s. efus (?) mortem IIs. — 49 galline q. e.
in p9 lc . Hs. — SO bis S3 Carm. Bur. S. 236, Str. S.
172
Julius Feifalik
XII
I
Referam miracolum quoddam curiale,
futuris, presentibus sit memoriale:
a mundi principio non extitit tale,
usque ad finem seculi uix erit equale.
5 Dura abbas et inonacus essent uinolenti,
dicit abbas monaco circa sc sedenti
'uolum uoui domino et deo uiuenti;
Romam iro cupio boc anno presenti.’
Quo audito monacus plausit et saltauit:
10 zila baba sibila canticum cantauit,
versum sudram sudracum letus incoauit,
ymnum hobri pomozi sua recitauit.
Cifum tenens manibus dicit ad abbatem
'bibe, bibe, rebibe, propter sanitatem,
15 qui spirata gracia cupis sanitatem,
vias tuas dirigat, det prosperitatem.’
Bibabal’.
= 2) IS 7“. Es ist dieses Lied vorzüglich dadurch interessant,
dass in der dritten Strophe offenbar Anfänge böhmischer, wahr
scheinlich volksthümlicher Lieder erhalten sind; freilich weiss
ich blos Z. 10 zu erklären, wo es heissen wird Zila baba Sibila:
dagegen ist mir die Bedeutung des Versus sudram sudracum in Z.
11 und des Ymnus hobri pomozi in Z. 12 unklar. — 1 rniracula quiodä
die Hs. — 4 ad fehlt in der Hs. eriit die Hs.—Seet uinoleli die IIs.
— 10 zilab’ba sibilacäticü cantatui die lls.— 11 sudrä sudracum Ils.
— 1 6 tuas tuas Hs.
XIII
Alia cancio de. Azello.
Rusticus dura asinum
vidit suum mortuum,
fleuit eius obitum:
ofe, ofe, ofe,
5 inoriens asclle,
veilem mori pro tibi!
Si te sciuissem, asine,
raoriturum frigore,
non caruisses indui.
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
173
10 Emissem tibi tunicam,
bracam et camisiam,
cingulum, bursieulam.
0 tu bone presbyter,
fac sibi pulsare ter,
IS cantare solempniter.
Ad eeclesiam ibimus,
requiem cantabimus,
asinum seruabimus.
Caro datur vermibus,
20 cutisque sutoribus,
aniina demonibus.
0 vos cuncti bauari,
sumite eaudam asini,
cum ea suspendimini!
= A IS7" — 1S7".
XIV
Passio cuiusdam nigri monaelii secundum luxuriam.
In ilüs temporihus erat quidam monacbus mentis elate et nimia seductus
ebrietate. et post nimiam ebrietatem iniuit quandam ciuitatem vt aliquam in-
veniret que suis langworibus mederi sciret. Tandem processit ante domum
cuiusdam merctricis, que inter suos conciues pauci erat honoris. Et inter-
spiciens domum vidit ibi pulcram sedentem feminam, specie et decoro multum
nitentem, et que erat stipata et fulcita malis fulgoribus diwlgata circumainicta.
Et simulabat eam esse virginem castam, super quam nullus hominum sedit, nisi
centum et quadraginfa et quatuor milia virorum et in vigilia palmurum turba
muita, que convenerat ad dient festum. Et in vigilia ascensionis omnes gentes
sieut dicit psalfnista: Quicunque tvlt saluus esse. Et in Donato Septuaginta
octo vel paulo plus. El in eodem rclique pene omnes Et ex omni nacione que
sub celo est. Monacbus vcro cum vidisset eius alba crura, tune statim commota
sunt omnia viscera eius in t) et statim memorabatur sicut dixit in
scriptura: Dilexi te domina in tua t'aetura. Et accedens ad eam dixit: 0 domina
mea pulcerrima, non dilexi te in factura; Sed postquam vidi te, factum est cor
meum tanquam cera liquescens ; et in medio ventris succurre michi in hijs
materiis, quia amore tuo langtveo. At illa subridens dixit: quid vis, inquit;
muncra non despieiam, Vota libenter exaudiam. Redeas in crepusculo, noctis
sub silencio, Et verba tua non despieiam sed exaudiam. Monacbus vero magno
commotus gaudio accepit licenciain et festinanter cueurrit ad claustrum suum.
Et furtiue infrans claustrum suum in crepusculo noctis. Et arripuit docein mar-
carum pondus. Et reuersus est ad lecturn mulieris dicens: vbi es? At illa respon-
dens ait: Ecee assum, quid voeasti me? Monacbus vero ail: Inprime mihi oscu-
174
Julius F e i f aIik
lum requies (so) letieie et amicicie. et ainica donec optata veneiat 2 ) et oseulatus
cst eam. et dato thesauro ascendit super feinur eius potentissime. Qui eum
aseendisset 1°, 2°, 3°, 4° etc. requieuit ab omni loco opere suo quod patra-
uerat. Et dixit: Hec requies mea in seculum seculi. Hie habitabo quoniam elegi
eam. Media autem nocte clamor factus est: Ecce sponsus venit, exite obuiam
ei! Et ministri precurrcntes volebant apprehendere monachum. Monachus vero
audiens strepitum veniencium festinanter cucurritad angulum et abscondit totum
corpus eius pretermittens coronain capitis eius. Ministri vero quidem querentes
eum per loca diuersa; nouissime invenit eum seruus et ait: Hic qui non posuit
(in) deum adiutorium suum. Accesserunt ad eum omnes et percusserunt eum
fortitcr et abstraxerunt eum viriliter, et abstractis Omnibus capillis capitis sui.
Midier vero sedens confraetis cruribus aparuit in globato, quod est interpre-
tatum caluarie locus vsque in bodiernum diem. Ilospes vero ait: Amice, ad
quid huc venisti non Habens vestem nupcialem? Monachus vero ait: domine,
Dilexi (lecorem domus tue et locum habitacionis pulcerrime vxoris tue. Hospes
ait: blasphemauit. Quid adhuc egemus testes? audistis blasphemiam. Quid
vobis videtur? At illi dixerunt Respondentes: Reus est mortis. Hospes ait ad
Monachum: Amice, nonne scriptum est in lege, si pes tuus aut manus tua scan-
dalizauerit te, abscide et proice abs te? At circumstantes dixerunt: Domine,
non tantum manus, sed eciam pedes et caput. Hospes vero ait: Manus nolo quia
ad clauslra seeutae sunt. Caput nolo propter religionis formain. At vnus ex illis
dixit: Domine, non sic; sed abscindatur ei modicum id retro pendens, ut fiat
liomo iustus et timens deum. Ac hospes ait: Vere recte iudicasti. et dixit vni
seruo nequam: abscide ei unum testiculum, et si perseuerauerit pulsans, abscide
ei et reliquum. Et factum est illud. Et abseiderunt ei testiculos diccntcs: Vade.
Et tu aliquando conuersus confirma fratres tuos, ne et ipsi veniant in hunc
locum tormentorum. Et ex illa hora perdidit monachus sua inferiora. Cum autem
sero factum fuissel, hospes ait ad monachum: Amice, non facio tibi iniuriam;
tolle quod tuum est et vade. Monachus per 3 ) plantare ficulneas fecit
sibi labruscas (?) saliens sibi per pomerium sicut ceruus. Vbi dolor immanus.
Vox in rama audita est ploratus et vlulatus. Monachus vero inccpit plorare
testiculos. noluit consolari quia non sunt. Et per aliam viam renersus cst in
regionem suam. Et euaginato gladio emisit spiritum etc.
Et sic est finis passionis huius Monachi.
— A 146“—147“. Ähnliche Parodien wie in dieser und der
nächstfolgenden Nummer siehe in den Carmina Bur. S. 22 f. und
bei E. du Meril, Poesies pöpulaires latines ante'rieures au 12. siede,
Paris 1843,pag. 407. — 1) I t’nf die Hs. — 2) veniant die Hs. —
3) p. lates fte die Hs.
XV
Ciucuhdederunt me lusorcs et bibuli, lalrones pincerne circumdederunt
me. Vcnite vos über vini socij, ad huius festivitatem oeij, ibi eoncurrunt iluo
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
17 !>
falsi testes, qui deponunt nobis erines et vestes, et nos iubilemus eis. Circum.
Quoniam deus non est contentus, vbi rusticorum est conventus, sed clericorum
cetus debet esse semper letus: bunc semper infunde. Latrones. Quoniam ipsius
est thaberna, et ipso est fraus eterna, ibi eapita confranguntur et vestes depo-
nuntur, ipse conspicit. Circum.
Hodie si thabernam intrauoritis et in nomine ocij luseritis, ibi omnia per-
dideritis quicquid habueritis, oues et boues pascue eius. Latrones.
Quadraginta annis in thaberna fui, ibi bibi et eomedi; postquam mihi
pecunia defeeit, hospes me per erines in angnlum iecit in requiem meam.
Circum.
Requies mihi mala fuit; cum in angulum proiectus fui, vidi bibentes et
comedentes et omnia possidentes; luceat eis. Latrones Circumdederunt me.
Versus. Ostende nobis, domine, bonam thabernam, Et bonam ceruisiam
da nobis. Iniquos odio habui, et eorum vxores dilexi.
Collecta. Potemus! Deus, qui bunc liquorem ex aqua et humulo perfecisti
et tuis Bohemis et Morauis ad hauriendum percepisti, da vt de sero
bibant, et de mane eapita doleant. et sic ad futuram bibicionem semper sint
pares per cifum et ollam nostram.
Secunda collecta. Deus qui nos non fecisti ribaldos, sed dominos, da nobis
de eorum vxoribus vti et de eorum seinpilerna atque perpetua confusione gau-
dere per ciphum et ollam nostram. Amen.
A 147“ — 147 b . Der Eingang ist (bis z. Versus, dann die erste
Collecta) Reimprosa; ähnlich in der vorangehenden Nummer.
XVI
Regola bursalis est omni tempore talis:
si sint presentes plures quam deficientes,
nunquam presentes debeant exspectare absentes;
absentes careant, presentes omnia tollant.
= A 159“.
XVII
Lex datur a sutnmo, quod nullus bibat sine nummo;
nummus emit villas et nummus destruit illas,
nummus dat splendorem vestibus atque deeorem,
nummus et formosas vestes gerit et preciosas,
S nummus dulce potat, quod cum gens tota salutat:
cuius bursa sonat, bunc totus mundus honorat;
dum mea bursa sonat, hospes mihi fercula donat.
= A 163“; vgl. ein ähnliches nur weit mehr ausgeführtes
Gedicht Curm. Bur. S. 43 ff. — 5 tota gens Hs.
Julius Fc i f a1 ik
XVIII
Mi fili, sis maliuolus,
neque velis disccre.
nam nulli sis boniuolus,
bonis resipiscere.
8 Sis tritus in nequicia,
sis fetens liuoris vas,
esto celer ad vicia
ct virtutes fugias.
Nullius amiciciam,
10 care fili, liabcas,
Super fornacem sterne te,
tuus über sit paries,
18 librum vagorum repete,
maniamque varies.
Iura culpare veterum
tuum sit propositum,
sic habebis in posterum
20 finem persuppositum.
A 162 1 ’. — Zeile 11 und 12 fehlen in der Hs.
XIX
Plenitudo temporis, venite'txultemus,
licet rainos nemoris caluari videmus,
quamuis promptuaria tanta non habemus,
venite ergo, socij, fortiter bibemus.
8 De vagorum ordine dicam vobis iura,
quorum ordo nobilis, dulcis est natura,
quos amplius delectat tritici mensura,
vcl quos benefaciat pingwis assatura.
Igitur ad poculum mane transeamus,
10 et vsque in crepusculum fortiter bibamus,
donec in parietibus lucem videamus
et prostratis manibus stratum capiamus.
Audiui sero bibulum valde conqucrentem,
vt leonis eatulum valde rugientem:
18 quid est hoc quod video neminem bibentem
vinum, quod facit hominem omnia scientem?
Studien zur Geschichte der althöhmischen Literatur V.
177
Si tu nummis careas, hoc est veniale;
pone si quid habeas in memoriale,
tunicam vel iopulam, si quid habes tale,
20 pincerna totum capict, tandem fenioraie.
Si tu nummis careas, iubeas taxillum
fortiter in tabula gerere vexillum;
si tune sors supervenerit, quod tu vincas illum,
letus et intrepidus curras ad ducillum.
23 Porta nostri hospitis nitet margaritis,
et apertis hostijs clamat: vnde sitis?
liic non est ieiunium, fames neque sitis,
ymmo totum gaudium, quare non venitis?
Noster ordo probibet mututinas ire,
30 sunt quedam fantasmata, que insurgunt mane,
vnde nobis veniunt visiones vane;
si quis tune surrexerit, non est mentis sane.
Nostra docet regula valde manifeste,
nullum inter socios vti dupla veste,
33- tuniea vel iopula non inceste (so),
in sola camisia, sic sedes honeste.
Nostrum est propositum in thaberna mori,
vbi potus non deest sicionti ori,
vbi sonant citbare ct resonant chori,
40 decantantes duleia mihi potatori. Vel aliter:
Nostrum est propositum in thaberna mori,
vbi sonant cithare et resonant chori,
vbi potus non deest sicienti ori,
deus sis propieius mihi potatori!
43 Omnibus postpositis diligo tbabernam,
quam in nullo tempore spreui neque spernam,
donec sanctos angelos venientes cernam,
canfantes pro bibulo reqüiem eternam.
= A 147 b — 148 a . — 4 bibemus die Hs.: über dem e ist ;i
gebessert. — 6 bis iS vgl. Carm. Bur. S. 262 Sir. 7, und Grimm, Ge
dichte des Mittelalters auf K. Friedrich I. den Staufer S. 233 /'. —-11
videainus aus habeamus gebessert.— 12et««sac. —26 über vnde silis
gebessert: lute eatis — 29 bis 32 Carm. Bur. S. 262, Str. 8. — 33 bis 36
vgl. Carm. Bur. S. 263 Str. 11. — 37 jf. vgl. Edelestanddu Meril,
Poe'sies populaires latines du mögen dge, Paris 1847, p. 206 sq.
178
Julius F e i f a I i k
XX
Viro clementissimo,
Christo dilectissimo,
iustieia fulcito,
Coronarum flosculis
S virtutumque rosulis
mire redimito;
Karolo dei gracia
romana pallacia
tenere potenter,
10 Et a sede celiea
turbaque angelica
defendi frequenter,
Caterua studencium,
in scolis iacencium
IS raartyris stephani,
studia sequendo,
opus diligendo
pii adonay,
Capucijs depositis,
20 manibus conpositis,
vestre maiestati
Honoris reuerenciam
et precum constanciam
prestat pietati.
2S Vobis in opusculo,
presenti codiculo,
nos notificamus
Nostram egestatem,
defectus grauitatem,
30 sincere declaramus:
Quod nostri eonuentus
predia, prouentus
sunt depauperata,
Per erumpnavum agmina,
3S pessima tentamina,
dire saueiata.
Sicque nostrum cenobium
nullum rite gaudium
potest nunc habere,
40 Sed in completorio
summoque diluculo
tenet miserere.
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
179
Confratres unanimiter
partecas rodunt acriter,
45 potum non habendo;
Nam ipsol'um potus
lymphaticus totes
est in hauriendo.
Iacent sine stramine,
SO lecto, lintheamine
in vertice fornaeis,
Vitam ducunt nobilem,
sed parum laudabilem,
sepe carent braeis.
33 Vnde cesar digne,
pie et benigne,
plenus largitate,
Clemens, generöse,
florum flos speciose,
60 repletus caritate:
Vos preeamur preeibus
maximis, humilibus,
nos respiciatis
Aliquo iuuamine,
63 muneris consolamine,
amore deitatis.
Quod si hoc feceritis,
consors Christi eritis
in regno celoruni;
70 Quod vobis concedere
dignetur in etbere
rector angelorum.
C, fol. I I.
XXI
Sekmo noster audiatis,
quid petimus faeiatis.
quod vos deus assumatis
ad celestem curiam.
3 Quando erit in aduentus,
noster male stat eonuentus,
nichil habet comedenlus,
sed habet miseriam.
Quidam iacet in fornaeis,
10 sed hoc loquit salua pacis,
Julius Feifalik
totum nudus sine bracis,
quod est mirabilia.
IUe iacet paradisum
et ad fornax habet visum,
IS si videres esset risum:
non sunt lectisternia.
Dum pro panis vadit edes,
omnis habet nudos pedes,
et se ad lapis multum ledes,
20 quod erit flebilia.
Et si ultra succursabit,
canis ipsum momordabit,
laieus sibi nil non dabit;
o magna tristicia !
23 Quando exit super vicus,
nullum videt suum amicus,
ipsum mordit magnum frigus,
quod dentes concucia.
Et si stubam quis intrabit.
30 et se ad fornax calidabit,
ipsum extra pepulabit
iratus familia :
Nolo furem quod hic stabis,
quod tu nobis nil furabis,
33 vel ego te verberabis
usque ad sangwinea.
Et sic exit confundalus,
sibi pauper nil non datus,
canis currit cum latratus,
40 quando vadit hostia.
Si se unus infirmabit,
alter eum consolabit
super eum mendicabit,
panis et ceruisia.
43 Bone frater, cum te stabo,
quid non vis tibi dabo,
si vis panis aportabo
et aquam de flumine.
Quando simul sedent isti
30 et non habent quid comedisti
magni cantant, parui tristi
flent propter csuria.
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
181
Et quando magnum est scolare
et vadit inter populäre,
Sä ipsum omnes inclamare :
tu es pai'tecaria!
Et si parum respondabit,
iaycus se magis irabit,
tale verbum sibi dabit:
60 vadis ad discolia.
Sanete deus trinitatis,
tu seis omnis cogitatis,
nos nil eis faciatis,
tarnen nos semper odia. „
6ä Hoc credere potuetis,
nam semper extra metis
posuerunt nostrum habitetis
extra cimiteria.
Sed vos boni dominorum
70 estis que nostrum fautorum
ad vos mittit clericorum
rogando uestra gracia.
Quid uos nobis datis,
quod libenter comedatis,
7ä et si datis, da hoc satis,
erimus leticia.
lam volumus appendare,
nostrum magnum sigillare,
ut vos nobis hoc credare,
80 quod non est failacia.
— C 32 b ; je zwei der vierzeiligen Strophen sind durch den
Reim der vierten Zeile gebunden. Ein Lied in ähnlich schlechtem
Latein hat Th. Wright in den Reliqniae antiquae 1, 149 ff', mit-
getheilt. — 8 miseria Hs.
Scolarium littere ad plebanos de Lithomierzicz.
XXII
Vmuersis dominis plebanis ceterisque dominis reuerendis, in quorum pre-
sencia presens cartula perlegatur, tot salutes oecurrant, quot radiosis si-
derum splendoribus celcstis maehina illustratur. Vos estis vas electionis,
quos optimus donator cetcris dignitate preferendo dono sue seiende plenius
predotauit, quod in simplicibus, tanquam leo in fetu suo vitam, igniculum deuo-
cionis suscitantes et salutiferis dogmatibus edocentes, ipsos ad pafriam cclestem
Sitzt). «1. phil.-hist. CI. XXXVI. Bd. II. Illt. 13
182
Julius Feifalik
informando perducatis. Et quia tot muneribus estis insigniti, que ncc littera
cxprimere, ncc animus enumerare valet seculo in presenti, vestram immensam
largitatem imploramus de celesti ope confldentcs, Quod ad gremium celestis
patrie decurrentes, si nobis vestra discrecio munera confcrat largiflua iuuamine
porigendo, Attendentes dictum poeticum assertiuum: Est aneilla dei sancta
elemosina, mortis antidotum, celi porta, salutis via. Date vt premia capiatis.
= A 288 a .
XXIII
Oracionum premissa constancia, devotorum continua vbertate, cum salu-
bcrrima felicitatis adopcione perhenniter possidcnda, Vestre probitati presen-
tibus declaramus, Quia anxietate J ) penuriarum et cordis amaritudine 2 ) sau-
ciati miserie calicem cottidie haurimus modo non cessanti.
Nain fortuna variabilis s ),
null! astans stabilis,
nobis alienabilis,
Iam sollcmpne claustrum
fecit tarn exbaustum,
quod nostri maiores
deterius liabent quam minores:
' mendicare erubescunt,
ct sine comestione sepe quiescunt.
Qua propter ad vestre probitatis aulam, in qua spei anchora seolarium
firmissime est constricta, iinmensarum precutn modulainina destinamus, Qua-
tenus amore illius, de cuius saeratissimo fonte liquor sanguinis preciosissimi
pro nobis redimendis in crucis aculeo emanauit, Et qui de summe influencie
bonitatis vnicuique sue magnificencie donaria Iibertate inpertitur, Ad preccs
nostras aures veslre benignitatis benigniler indinantes, nobis in profundo nau-
fragantibus auxilium porrigatis, Malhei in hoc dicta notantes, vbi dicit:
Date et dabitur vobis regnum celorum,
vbi est mansio angelorum,
Vbi virtus non palescit,
et vila terminum nescit,
hoc est super ethera,
vbi reviuiscunt vetera.
Et alibi: Hylarem datorem diligit deus. Et ideo supcrcilio 4 ) auxilij nos
respicere velitis clementi atque grato, vt per vestram largitatis elemenciam
eterne brauium vite ennsequi valeatis, Quia inter cetera caritatis opera, que
humane fragilitatis fonte emanant et procedunt, sola elemosine errogacio pre-
clarius commendatur. Hec enim fugam abstergit lacrimarum 5 ) ct vitam eternam
parturit et perducit. Valete, felicitas et gaudium vos conscquatur.
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
= A 288" — 288”. 1) anxietatem die Hs. — 2) amaritu-
dinem Hs. — 3) venerabilis IJs. — 4) supercilij Hs. — S) la-
crimorum IIs.
XXIV
!
Scribere clericulis
verisquo Christi famulis
nostrum est intentum,
vt nos iuuent ferculis
S et si planet poculis
per Christi aduentum.
0 quam leta facie
vestre iminus graeie
omnes expectamus;
10 nam spem firmam gorimus,
quod exauditi erimus
ad uos cum clamitamus.
Ecce dies veniunt
qui nos ietificabunt
13 et nostrum conuentum:
o si vestrum quilibet
dicat nunc vbilibet
'salus vestra ego sum!’
Veni redemptor gencium,
20 exeita vires inencium
horum quos rogamus,
ut ipsorum omnium
dant. . . . nobis subsidium,
fiat iarga manus.
23 A solis ortus cardine
hoc usque seruato ordine
laieus spernit clerum;
sed vos solaeium
nostrumque estis refugium
30 et est (ita) verum.
Dum suprema melodia
in ehoro nostra canti’ea
alle decantamus,
in scola parva gaudia,
33 sed infinita miseria,
sie est vt narramus.
.
13
184
Julius Feifalik
Quidam pro comedere
alta voce solent canere,
semper et letari;
40 alii iocosa promere,
nulli volentes credere,
maiori neque pari.
Et si quis habet obulum,
statim vocat famulum
45 voce clamorosa;
‘curre pro cereuisia,’
tanquam haberet omnia,
sed in bursa nulla glosa.
Minores girant cucculum,
50 querentes panis pabulum,
domos pervagantes;
hij defraudant seniores,
dum comedunt albiores,
nigras presentantes.
55 Atque panem denuo
tanquam scissum thonitruo
de capsis exponunt;
colligentes velud flores
et eligunt meliores
60 quas qui sibi volunt.
Sic ampliant delicias,
nii timentes insidias
mane quoque sero;
atque bone semper mentis,
65 tanquam marcis cum ducentis,
gaudet, nil tristatur.
Multa possemus dicere,
si possint proficere,
sed finem faeiemus:
70 appareat benignitas,
vestra simul largitas,
iuuando nostrum genus,
Pro vietu magis petimus,
quenradmodum quondamfecimus
75 detis habundanter;
et retribuet vobis
retributor omnipotens
in celesti premio.
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V. 185
Juxta dictum Saluatoris: Date et dabitur vobis regnum cetorum. Et alias:
Pauperis in specie,
cum Christus vencrit ad te,
Inpartire sibi,
quod ipse dedit tibi.
= A 289“ — 289 1 ” — 1 Vgl. zu diesem Verse die Bemerkung
zu der Überschrift von Nr. XXVII. — 13 Vielleicht Anspielung
auf ein lateinisches Kirchenlied, vgl. Daniel, Thesaurus hymnolo-
gicus 2, 71. 17. 5, 194. — 14. 13 cjui nos et nostriim conuentum
letificabant die IIs. — 19 Äs ist dies bekanntlich Anfang einer lat.
Kirchenhymne, Daniel Thes. 1, 12 ff 4, 4 ff. 353, Mono Lat. Hym
nen des Mittelalters Nr. 417. — 23 dantis? dantes? die IIs.
25 Gleichfangs Anfangszeile einer lateinischen kirchlichen Hymne,
Daniel Thes. 1, 21 ff. 4, 58 ff. — GS si prosint Hs.
XXV
Intellectu scite sano,
quid seripsimus hic stilo plano:
in B. (Braga?) sumus seolares,
serui seruitores.
Quis est homo qui non fleret,
cctum nostrum si videret
in tanto periculo ?
. nam patimur infinita,
5 non fallimus, sed est ita
malum in hoc seculo.
lsta nobis ennarrare,
non est opus, neque quare,
vt ligna siluis addere,
10 nam hee cuneta bene scitis,
memoresque nostri sitis
cum cantate fidei.
Aurum, gemmas preciosas,
neque vestes speciosas,
15 si veiitis credere,
hoe a vobis non optamus;
pro hijs magis imploramus,
que valent pro comedere.
De hijs detis habundanler,
20 accipimus nam gratanter
a paupere et diuite;
186
Julius Feifalik
23
30
33
40
43
30
33
= A 289'-
S fallimur IIs. —
zeilen fehlen. •—
vestris Hs.
atque dare si voletis
o quantum nos turbaretis,
saitem tarnen conccdite.
Quum acomodata persoluemus,
dum culturas exeolemus,
virtutem vero seminamus ....
Cumque fruges nobis creseent,
segetesque maturescent,
et messis erit proxima,
in banc falcem dum mittemus,
ad horrea deducemus,
titubantes omnia.
Pisum vobis mox reddemus,
sed ad panem dum molemus
triticum cum siligine;
atque pisto pulcro pane
persoluemus vobis sane
tune seiente nemine.
Quando porcos nec non oues
mactabimus atque boues,
simul et altilia,
vobis lardum et assaturas
tune reddemus per mensuras,
certa sunt hec omnia.
Quod si in hoc dubitatis,
nobisque sic nolletis
firmiter credere,
volumus eertifieare
priuilegioque firmare,
nostre patent littere.
Quo si certefierelis,
vt nummos vestros queretis,
sparsos in Danubio,
si hoc prius nesciuistis,
o quam vtile consilium aquisistis
in regni palacio.
— 290". -— 2 si semper videret die IIs. —
27 femis die Hs.; darnach müssen drei Vers-
33 t’tulantcs IIs. — 48 fmip 1 ’. IIs. — 33 numnius
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur V.
187
XXVI
Viris providis et circumspectis et honoraiilibus dominis plebanis ad quos pre-
sens bulla venerit.
Vos genus regale, sacerdocium Christi, quoniam 1 ) domini psalmista Dauid
asserit, vos inquam generosi domini, vos summi dei viearij, salutem intime
vestre pietatis aurieulis dictum hoe subsequens ad virtutes; vaeuus autem
ante infrat deum, qui ad oracioncm venientis nullam elemosinam prestat: Nam
quippe elemosina racionabiliter de propriis distributa maius in futuro recipiet
incrementum; Ob hoc enim dispergitur, vt in celestibus horis fructus milenus
afferatur erroganti. sed cui sit erroganda? omni vtique pro Christi nomine pe-
tenti. tanquam s ) moralista:
Pauperis in specie 3 )
cum j Christus venerit ad te,
inpertire sibi,
quod dedit ipse tibi.
Speeialiter vero hijs, quos vencrabilis de disciplina scolarium doetor Boe-
cius nomine inquiens taliter manifestat: Que melior errogacio natureque sua-
uior, quam veris sollaribus racione studij in scola commorantibus? Nos igitur
sociolli eommensales paupertatis conventus in B., Nil proprium possidentes,
sed ex aliorum viuentes beneflcijs, ob perpensius Studium defectus tollentes
quam plurimos, vestre generositatis supplicamus auxilium, Quatenus nobis vestri
iuuaminis manus porrigere velitis adiutrices, vt vestri adiuti subsidijs pro vobis
deum constaneius rogittemus. Igitur date de datis vobis a fonte pietatis , Et vt
habeatis donum vtriusque sospitatis, videlieet presentis et future. Circa bec
psalmista: Beatus vir qui intclligit super egenum et pauperem. Et alibi, Date et
dabitur vobis regnuin celorum. etc.
Clericorum bulla quorum (?) possident nulla.
—A 290"—290' 1 . — 1) quomoclo? die Hs. hat 93. —
2) tm Hs. — 3) spem die Hs.
XXVII
Seribere clericulis paro doctrinale nouellis.
Summates egregij,
nobis bene venistis,
digni honore regij,
quia meruistis,
5 sacre crvcis gerere
signum iuxta pectus:
forte wltis querere,
si sit ordo rectus.
si autem qua devia
10 a vobis scrutaremur,
Julius Feifalik
(f
188
confratrum alia leuia
vt mox eliderentur.
prelatorum opus est,
domos visitare,
15 si aliquid absurdum est,
in bonum transmutare.
hic ordo est prestancior,
cuius tenent vigorem,
Nobis ellegancior,
20 Dat thartaris timorem;
Christi fidom flrmiter
ibi defendendo,
trans marina acriter
illos prosternendo.
25 Ergo nos scolipete
vos mire commendamus,
venerabiles celipete,
pensate quid optamus.
Nam petimus presidia
30 vestra hijs largire,
Quos ingens elegia
affligi sitit dire.
De cetero mecbanici
nolunt nobis prestare,
35 Quia seui rustici
non solent nos amare.
Oportet nos penesticis
libros invadiare,
Yester si decreuerit
40 bonor non denegare.
viris venerabilibus
nunc supplicamus,
qui summis gratibus
deum imploramus;
45 Qui vos hoc benigniter
dignetur custodire
Et cum capitis iter,
secure pertransire.
hoc prostet omnipotens
50 pater natus flamen,
hec poscit vobis nostra gens,
nunc et per cwum Amen.
Littera clericorum scolipetarum.
Studien zur Geschichte der altbühmischen Literatur V.
189
= A 285 1 ’ . Es sind ivol vierzeilige Strophen mit iiberschla-
gcndem Reime. Die Überschrift ist der Anfangsvers des im Jahre
1209 verfassten Docirinale des Alexander Gallus, de Villa dei,
welches im Mittelalter sehr häufig zum Unterrichte in der lateini
schen Grammatik und als Lesestoff auf Schulen benutzt ward,
und welches begann:
Scribere clericulis-paro docirinale novellis
Pluraque doctorum sociabo scripta meorum,
Iamque legent pueri pro nugis Maximiani
Quae voteres sociis nolebant pandere caris, etc.;
das ausführlichere darüber sehe man in: Sebastian Brant's Nar-
renschiff, herausgegeben von F. Zarnclce, Leipzig 1854, S. 346 ff.
Vgl übrigens auch oben XXIV, 1; es muss demnach dieses Buch
auch auf der Prager Universität im 15. Jahrhundert benutzt
worden sein. — 11 alia: a die Hs. — 15 aliquid : aq, Hs. — 41 vene-
rabilibus viris Hs. — 51 genus Hs.
XXVIII
Endlich mag sich hier noch ein Gedicht ansehliessen, welches
zwar nicht in die Classe der früher besprochenen gehört, das aber
den Abdruck, von anderem abgesehen, schon der historischen Be
deutung wegen verdient: die Prose nämlich auf den Tod des Königs
Karl von Ungern. Es ist damit natürlich jener Karl von Anjou
gemeint, welcher nach kurzem Besitze des Thrones, den er usurpirt
hatte, im Jahre 1386 von einem Dienstmanne der Königinn Margarethe
ermordet ward. Ich gebe diese Prose hier wie sie in der Handschrift B
auf Blatt 398 a steht, ohne Abtheilung der Verse und mit Beifügung
der Sing weise.
Versiculus.
Ineipit cancio bona pro rege mterfecto.
Ecce de trans mare quidam gallicus equitando properabat cito currens
napuliam. w’. Transfretato tiberi venit ytaliam, intrans napuliam accessit reginam
eiquo intulit tristem propheciam. Ro. 0 tu regina napfilie. id. In eiuitate terre
vngarie interfecerunt virum tu um, dominum ineum, regem Karolum. w. Si tu non
vis credorc, regina, eccc tibi littera ciuitatis, iube perlegere tuo notario. w' a .
Et perlecta notario subito littera, suspirans grauiter emisitlacrimas atque voce
flebili dixit astantibus. w . Inclitc rex karole, spes mea vnica, iam nos circum-
<1
190 Julius Feifalik
rolat inagna tristicia; per te nobis pereunt multa solacia. w’. Ffilij dileetissime,
spes mea vnica, mortem patris vindica, super 1 ) obtine. atque voce flebili dixit
astantibus. w' d . Tune incepit flere regina, tune incepit plangere tota napulia,
choors militanea, turba virginea. it». 0 tu regina napulie. to' 9 .
1) sp die Hs.
Nachtrag zum zweiten Hefte.
Im zweiten Hefte dieser 'Studien’, welches 'Über das Bruch
stück eines altböhmischen Marienlebens’ handelt, wies ich auf S. 11
(Sitzungsberichte der phil.-hist. Classe der k. Akad. d. VV. ßd. 32,
S. 308) auf die merkwürdige Übereintimmung des altböhmischen
Gedichtes mit Wernher's 'Driu Liet von der Maget’ hin, rieth aber
damals vor der Hand und bis sich bessere Beweise gefunden hätten,
selbst sehr auffallende Ähnlichkeiten in beiden Gedichten auf Ge
meinsamkeit der Quelle zurück zu führen, weil mir zu jener Zeit
nähere Anzeigen für eine Entlehnung fehlten. Jetzt hin ich zu der
Ansicht gekommen, dass das altböhmische Marienlehen wirklich nur
nach Wernher’s Werke verfasst und daraus entstanden sein könne.
Meine Gründe für diese Annahme sind folgende.
Bereits a. a. 0. S. 9 (306) gedachte ich des sonderbaren Um
standes, dass in Zeile 40 des altböhmischen Bruchstückes
uzfie v b rusce hnezdo rrabie
der Dichter uns Annen vorführt, wie sie im Garten die Sperlinge
ihren Jungen die Ätzung auf einen Bim bäum zutragen sieht, während
der lateinische Text hat: vidit nidum passerum in arbore lauri. Es
ist nun undenkbar, wie aus dem lateinischen laurus, sei es auch
durch einen sehr groben Lesefehler pirus, ein Birnbaum werden konnte.
Wernher hat an dieser Stelle, dem lateinischen folgend, in der
Wiener Handschrift A (Zeile 477 ff. meiner Ausgabe):
si gähten ze einem neste,
du si die jungen westen,
unt brühten in die spisc
ilf einem chicinen rise
üf einem lorboume;
auch die Berliner Handschrift (//) hat ähnliches, Holfmann’s Fundgr.
2, 146, 2. 3:
Jul. Feifalik, Studien z. Geschichte d. altböhm. Literatur V. 191
si gAliten ze einem neste
üf eines boumes vcste,
die frouwe nam des goume,
uf einem lorboume.
Jedermann sieht nun ein, dass der böhmische Bearbeiter hier,
besonders wenn seine Vorlage nicht sehr deutlich geschrieben war,
statt lorboume leicht birböume lesen konnte; bestätigt wird diese
Vcrmuthung und sehr bedeutsam unterstützt durch den Umstand, dass
der Abschreiber der Bartschischen Bruchstücke, von mir C bezeich
net, in dem bezüglichen Verse in der That birnboume las; es lauten
nämlich hei ihm jene Zeilen:
si gable zu einem neste,
da sie ire kint weste,
vnd bracht in di spise
uf eime deinen rise
üf eime birnboume.
Es ist somit offenbar, dass der altböhmische Dichter nicht nach
einer lateinischen Vorlage gearbeitet haben konnte, er muste eine
deutsche Quelle benutzt haben; weil sein Werk aber im übrigen auf das
auffallendste mit Wernher’s Gedichte übereinstimmt, so ergibt sich, dass
ihm gerade dieses vorliegen musste, wobei gleichgültig bleibt, ob sein
Original bereits ähnlich wie C die Lesart birnboume hatte, oder ob das
v hrusce erst durch einen Lesefehler von seiner Seite entstanden
sei. Die Benützung der Dichtung Wernher’s mag aber zugleich be
stätigen, dass jenes altböhmische Marienleben in die früheren Jahre,
etwa in die Mitte des 13. Jahrhunderts fällt, weil späterhin Wernher’s
Drei Lieder von der Jungfrau sich verloren und von anderen dem
lüsternen Zeitgeschmäcke mehr entsprechenden Mariendichtungen
selbst in Deutschland überboten wurden.
192
Ül»er den Codex Strahoviensis.
SITZUNG VOM 20. FEBRUAR 1861.
Vor gelegt:
Herr Prof. Jäger legt vor den von den Herrn Tauschinski
und Pangerl, Zöglingen des Instituts für österreichische Geschichts
forschung, zur Herausgabe vorbereiteten Codex Strahoviensis, welcher
auf seinen Antrag zum Abdruck in den Fontes rerum austria
ca rum bestimmt wird.
Der Strahower Codex, welcher aus dem Anfänge des 13. Jahr
hunderts stammt, enthält ausser einer Abschrift der liistoria
Anglorum des Beda Venerabilis drei für die deutsche und böhmische
Geschichte höchst wichtige Quellen, nämlich die Chroniken des
Domherrn Vincenz von Prag (ab a. 1140 —1167) und des Abtes
Gerbach von Mühlhausen (ab a. 1167—1198), und den ausführ
lichen Bericht über den Kreuzzug K. Friedrich des Rothbartes (1189
und 1190), welcher einem österreichischen Geistlichen Namens Ans
bert zugeschrieben wird.
Die beiden Chroniken gab Dobner in seinen Monumenta liisto-
rica Boemiae im 1. Bande nach einer sehr schlechten und unzuver
lässigen Abschrift des vorigen Jahrhunderts heraus, da der Straho
wer Codex selbst damals verloren gegangen war und erst in neuerer
Zeit wieder aufgefunden wurde. Auf die bedeutenden Mängel dieses
Abdruckes, welche Dobner in seinen gelehrten Noten vergeblich zu
beseitigen suchte, hat besonders Palacky in seiner Würdigung der
böhmischen Geschichtschreiber hingewiesen und das Bedürfniss einer
neuen Ausgabe, die sich auf die Originalhandschrift stützen müsste,
ausgesprochen. —Das Werk des Ansbert veröffentlichte der um die
Über den Codex Strahoviensis.
193
Erforschung der Geschichte seines Vaterlandes hochverdiente Abbe
Dobrowsky. Eine Vergleichung dieser Ausgabe mit dem Strahower
Codex zeigt, dass sie ebenfalls nicht sehr verlässlich ist und dass
sich ihre Mängel besonders bei einer kritischen Untersuchung der
Quelle hie und da recht fühlbar machen.
Von sehr achtbarer Seite hiezu angeregt, fassten daher die Her
ausgeber den Plan, eine den heutigen Anforderungen der Kritik
möglichst entsprechende Ausgabe dieser drei Quellen zu unterneh
men. Das h. k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht ermöglichte
die Ausführung durch eine gnädigst gewährte Unterstützung und die
beiden hochwürdigen Herrn P. P. Erwin Weyrauch in Kloster Strahow
und Gregor Wolny in Raigern leisteten der Arbeit allen möglichen
Vorschub.
Wie die neue Ausgabe eingerichtet ist, zeigt die folgende
Skizze. Sie beginnt mit einer ausführlichen Geschichte und Beschrei
bung des Codex, welch’ letztere umständliche Auskunft über die
innere Anordnung und die verschiedenen Hände gibt, von denen der
Codex geschrieben wurde. Hierauf folgen verschiedene Bemerkungen
und Andeutungen über die Abschriften desselben. Die sogenannte
Wok^un’scbe Abschrift, welche sich einst zuLeitmeritz befand, konnte
daselbst nicht mehr gefunden werden. Dies war aber zu einer Prü
fung ihres Werthes nicht unumgänglich nöthig, da sie ja in dem
Dobner’sehen Abdrucke vorliegt.
Auf diese Geschichte und Beschreibung des Codex folgen die
drei Quellen selbst; zunächst der Bericht über den Kreuzzug K.
Friedrich I. Die demselben vorausgeschickte Einleitung beschäftigt
sich mit den Lebensverhältnissen des Verfassers, dein Inhalte seines
Werkes und der Vergleichung desselben mit anderen gleichzeitigen
Quellen. Die darin gewonnenen Resultate sind in Kürze folgende:
Der Verfasser gehörte wahrscheinlich dem Stifte Zwettl an und nahm
vielleicht persönlich an dem Kreuzzuge Theil. Mit mehr Sicherheit
jedoch lässt sich behaupten, dass er die Geschichte des Kreuzzuges
nicht aus eigenen Erinnerungen niederschrieb, sondern das ausführ
liche Tagebuch des Domdechants Tageno von Passau, welcher dem
Kreuzzuge beiwohnte, umarbeitete und mit eigenen Zusätzen berei
cherte. An die Geschichte des Kreuzzuges knüpfte er noch die Er
zählung der Begebenheiten während der Jahre 1190 — 9G und er
scheint hier ganz als Originalquelle, — Hieran reihen sich die beiden
194
Über den Codex Strahoviensis.
schon oben genannten Chroniken. Wie der früheren Quelle gehen
auch jeder von diesen Einleitungen voraus, die sich mit den Verfas
sern und ihren Werken eingehend beschäftigen. Die hier gewonne
nen Resultate sind im Wesentlichen dieselben, welche bereits Palacky
in seiner Würdigung der böhmischen Geschichtschreiber nieder
gelegt hat.
Hinsichtlich des Textes sind die Herausgeber den für die Monu-
menta Germanise historica aufgestellten massgebenden Grundsätzen
möglichst genau gefolgt. Da durch ein widriges Schicksal, welches
den Strahower Codex betraf, eine bedeutende Anzahl von Blättern
verloren ging, so musste der Text an den betreffenden Stellen aus
den vorhandenen Abschriften ergänzt werden. — Der oben angezeigte
Titel endlich wurde desshalb gewählt, weil die Handschrift, welche
ihrem Entstehen nach eigentlich dem Kloster Mühlhausen angehört,
durch Dobrowsky’s Schenkung an das Stift am Strahow überging und
daselbst aufbewahrt wird.
F. Kanitz, Die römischen Funde in Serbien.
195
Die römischen Funde in Serbien.
Von F. R an i t z.
Die türkische Herrschaft in den Ländern zwischen der Dorian
und dem adriatischen Meere war und ist auch heute archäologischen
Forschungen ungünstig gestimmt.
Die Denkmäler früherer Perioden sind den Osmanlis nur ge
fährliche Erinnerungszeichen an eine ruhmreichere Periode für die
von ihnen beherrschten Völker, und sie nach Möglichkeit zu zer
stören erscheint ihnen als ein Gebot politischer Nothwendigkeit.
Cznren- und Königssitze, Orte, an welche sich die ruhmreich
sten Erinnerungen der Rajah knüpften, wurden der Erde gleich
gemacht, und wenn die Kirchen und Klöster nicht gleiches Schicksal
erfuhren, so geschah dies aus Furcht, dass die christliche Bevöl
kerung zum Aussersten schreiten könnte.
Aber auch in diesen geweihten Stätten wurde Alles, was an
einstige politische Macht und Unabhängigkeit erinnern Jsonnte, ver
nichtet.
Die Votivbilder mit den Porträten der königlichen Stifter wur
den übertüncht, die Urkunden mit den fürstlichen Insiegeln wurden
verbrannt, die kunstreichsten Kirchengeräthe und Glocken einge
schmolzen u. s. w.
Aber nicht nur den Verlust der Monumente des byzantinischen
und altserbischen Reiches hat der Forscher zu beklagen •— Fana
tismus und Unwissenheit kennen keine Unterschiede — es wurden
auch die Denkmäler der Römerzeit, soweit sie den Verwüstungen
der Avaren und Bulgaren entgangen waren, nun vollends zerstört.
Nur geringe Überreste haben sich von den zahlreichen monu
mentalen Römerhauten erhalten; aber auch bei diesen erschwert die
consequent durchgeführte Zerstörung der Inschriften dem Forscher
deren nähere Bestimmung.
196
F. K a n i t z
Dank der Anregung, welche von verschiedener Seite ausging,
wurde auch dieses Gebiet der Archäologie in den Kreis der Cultur-
bestrebungen des jungen Serbiens einbezogen und von den Herren
Scbafaftk, Gavrilovitsch und Andern lebhaft gepflegt.
Unterstützt von den Andeutungen dieser Herren und dem mo
ralischen Beistände der serbischen Regierung war es auch mir
beschieden, auf meinen mehrmonatlichen Reisen in Serbien, welche
ich zur Sammlung des artistischen Materials für ein ethnographi
sches Werk über dieses Land unternahm, einige nicht uninteres
sante Funde auf archäologischem Gebiete zu machen.
Der folgende kurze Abriss verzeichnet meine auf die römische
Epoche bezüglichen Entdeckungen, und findet in einem kurzen
Überblicke über die nach bewährten Angaben in Serbien oder an
dessen nächsten Grenzen bisher bekannten Funde, dann in einigen
Zeichnungen und Karten, eine vielleicht nicht unwillkommene
Ergänzung.
Wien, im März 1861.
Verzeieliniss
der Orte in Serbien und dessen nächsten Grenzen, an welchen
römische Funde gemacht wurden.
1. Belgrad (Singidunum). Hier sind verhältnissmässig nur
wenige Überreste der Römerzeit zu Tage gefördert worden; man
müsste denn annehmen, dass aufgefundene Steine u. s. w. heim
Baue der Festung oder hei Privatbauten in den Grundvesten ver
schwunden wären; so befindet sich rechts von einem Thore der
unteren Festung ein Stein mit Inschrift.
Das kleine Museum ßelgrad’s, welchem Herr Prof. Dr. Scha
farik vorsteht, enthält viele interessante Funde aus dem Innern
des Landes; darunter ein sehr schöner Kopf in Bronze von einer
männlichen Statue, viele Waffen, Schmuck und andere Gegen
stände; ferner eine reiche Münzensammlung.
Im Hofe des fürstlichen Konaks, mehrere Votivsteine; dar
unter einer mit einem Basrelief, eine Jagd der Diana vorstellend.
Die römischen Funde in Serbien. 197
2. Avala. Mittelalterliche Burg, wahrscheinlich auf den Grund
resten eines römischen Forts errichtet, auf dem Avalaberge (mons
aureus) bei Belgrad. Hier wurden zwei Votivsteine gefunden, welche
Hase in seiner, in Ami Boue’s „Turquie d’Europe“ 2. Bd„ S. 339,
mitgetheilten Entzifferung, in die Jahre 272 und 278 setzt.
3. Maidanpelc. Faun mit langem Barte. Mitgetheilt yon
Boue. „Turquie d’Europe“ 2. Bd., S. 338.
4. Manassia. Münzenfunde. Mitgetheilt von Manjanovitsch,
Lehrer daselbst.
5. Tschupria an der grossen Morava. In dieser türkische
Brückenpfeiler. Ob die Unterlage derselben wirklich römisch sei,
wie behauptet wird, war mir bei dem damals hohen Wasserstande
zu untersuchen unmöglich. Münzenfunde.
6. Kragujevatz. An der linken Ecke der Hauptfacade des
fürstlichen Konaks, auf einem Piedestale ein Löwe, ein Lamm hal
tend. In der Umgebung Kragujevatz’ wurden manche Funde gemacht.
Eine schöne Vase von Bronze befindet sich gegenwärtig im Besitze
des Herrn Viquesnel in Paris.
7. Mitrovitza an der Save, gegenüber dem österreichischen
Orte gleichen Namens (Sirmium). 300 Klafter von ersterem, Reste
eines römischen (?) Bollwerks. Mitgetheilt von Herrn Dr. Matschay.
8. Trojanovgrad. Schlossreste auf einem hohen Berge.
An diese Ruine knüpft sich eine viel verbreitete serbische Volks
sage, aus welcher ich nur erwähne, dass hier ein fabulöser Prinz
Trojan residirte, welcher sehr oft (er hatte Flügel und drei
Köpfe) nach Mitrovitza über die Save flog. Die Verbindung der
Ruine mit dem Namen Trojan, wie Kaiser Trajari von den Slaven
genannt wird, und mit Sirmium lässt wohl die Vermuthung zu, dass
Trojanovgrad der Sitz eines römischen Grossen gewesen sein dürfte.
9. Loschnitza nahe am Drin. Reste alter Bauten. Mitgetheilt
von Dr. Vuk Karadschitsch.
10. Bara-Banja. In der Nähe, Ruinen auf dem Berge Tirabo
und ein Kirchhof mit vielen unförmlich behauenen grossen Steinen.
Das Volk nennt sie „latinske kämenj'“. Die Steine dürften wohl alt-
slavische sein.
11. Liübovia,
12. Bukovitsch. Beide am Drin, Strässenreste und Gräber.
Mitgetheilt von Bouc. „Turquie d’Europe“ 2, Bd., S. 338.
Sitzb. (1. phil.-hist. CI. XXXVI. Bd. II. Ult. 14
i
198
F. K a n i t z
13. Zvornik (ad drinum) in Bosnien. Münzenfunde. Das
Misstrauen der türkischen Behörden machte mir hier jede weitere
Forschung unmöglich.
14. Srebernik in Bosnien (argentaria?), heisst so im Ser
bischen von Srebro: Silber. Zahlreiche Münzenfunde. Mitgetheilt
vom Mudir in Zvornik.
15. Taschlitza in Bosnien. Überbleibsel von vier Marmor
säulen, zwei Büsten auf Votivsteinen. Mitgetheilt in Engel’s
„Geschichte des Freistaates Ragusa“. S. 332.
16. Uschize. Serbische Stadt mit türkischer Veste. Zahl
reiche interessante Münzenfunde.
In weiteren Nachforschungen wurde ich von den Türken be
hindert. Hier erhielt ich jedoch von verschiedenster Seite Nachricht
über zahlreiche römische Überreste bei Poschega. Schon am Wege
dahin bei
17. Vranjani, welches eine Stunde seitwärts der Haupt
strasse liegt, fand ich im freien Felde einen grossen Votivstein,
dessen Inschrift ganz unkenntlich geworden. Die Figur des Attis ist
ganz wohl erhalten. Der Stein stand früher auf einer kleinen
tumulusartigen Anhöhe. (Taf. III, Fig. 3.)
18. Vizibaba. Dorf, zwei Stunden rechts ab von der Strasse
nach Poschega. Hier wurde ein Stein gefunden, welcher besagte,
dass sich daselbst der Senat der Stadt befunden habe. Der
Stein wurde in der Apsis der Kirche zu Poschega eingemauert.
Vergehens suchte ich ihn dort. Bei einer Renovirung wurde er
höchst wahrscheinlich von einem tzinzarischen Baukünstler mit
Mörtel überdeckt.
19. Poschega. Hier fand ich auf dem Marktplatze einen
grossen Votivstein mit vielen arg verstümmelten Figuren en relief,
der gegenwärtig einem Kaufmanne als Kaffeemörser dient. Ferner
einen Löwen in ruhender Stellung.
20. Arilje. Älteste Kirche Serbiens am Einflüsse des Rsav
in die Morava. Die antike, mir auffallende Profilirung der zum Altar
führenden Steinstufe, brachte mich zur eingehenderen Untersuchung
des Altars selbst. Mit Erlaubniss des mich begleitenden Prota von
Uschize entfernte der Pope die Altargeräthe und die Decke, und
wirklich zeigte sich zu meinem und der Anwesenden nicht geringem
Erstaunen, die Stütze der rohen Altartischplatte als ein römischer
Die römischen Funde in Serbien,
199
Votivslein, welcher somit nahe an 1000 Jahre der Verherrlichung
der Christus-Religion dient. (Taf. III, Fig. 1.)
21. Gr obilj e (Gräberstätte) ist der Name eines zwei Stunden
von Poschega entfernten Ortes an der Morava, in dessen Nähe ich
unter Bäumen, zwischen einigen auf Pfählen ruhenden Koliba’s, an
zwölf meist gut erhaltene Grabsteine mit Sculpturen und Inschriften
fand. (Taf. III, Fig. 2.) Die Inschrift wurde von Herrn Ingenieur
Sellenyi copirt.
Auffallend und gewiss nicht ganz zufällig ist es, dass hier wie
in Vranjani, Arilje und in
22. Krem na hei Uschize, sich stets nur ein Stein mit dem
Bilde des Attis findet. Derselbe ist gewöhnlich grösser als die übri
gen, und die Type der Figur bleibt stets dieselbe. Die Mütze, der
erhobene Arm, der lange Stab, die gekreuzten Füsse, wiederholen
sich immer, auch bei dem Attis in Kremna, welcher im Profile
dargestellt ist. Kremna soll ein Leichenfeld mit hunderten von
Grabsteinen besitzen.
23. Bela Zrkva. Einige Votivsteine. Mitgetheilt vom Prota
Janitsche in Uschize.
24. Tschatschak an der Morava. In dessen Nähe sollen erst
jüngst die Ruinen eines Vestatempels auf einem Berge aufgefunden
worden sein. Mitgetheilt vom fürstlich serbischen Finanzminister
Herrn Gavrilovitsch.
25. Brzetje am Fusse des hohen Kopauniks. Reste eines
alten, wie behauptet wird, römischen Bergbaues.
26. Alexinatschka-Banja, mit einer 46 Grad Celsius starken
Gesundquelle, welche im Lande sehr berühmt und auch schon den
Römern bekannt war. Diesen wird auch, und mit Recht, der Unter
bau des Bades, dessen Oberbau türkisch ist, zugeschrieben.
27. Ni sch in Bulgarien. Im Bauhöfe der dortigen neuen
Kirche fand ich einen Votivstein mit den Büsten einer Frau, eines
Mannes 'und Kindes en relief; ferne!’ ein kolossales Säulencapitäl,
welches in einem nahen Dorfe gefunden wurde.
28. Knaschevatz (früher Gorgussovatz). Zahlreiche Münzen
funde, aus welchen der kunstliebende Kreisarzt, Herr Dr. Matschay,
höchst werthvolle in eine kleine Sammlung vereinigt hat.
Aftishilder auf römischen Grabdenkmälern, von A. Haakh. Stuttgart 18tf7.
J4*
200
F. Kunitz
29. Zaitschar. Zahlreiche Münzenfunde.
30. Gamsigrad. Zwei ein halb Stunden von Zaitschar ent
fernt, auf einer kleinen Erhöhung am grossen Timok. Diese Schloss
ruine, in der Form eines gleichseitigen Quadrates, ist wohl eine der
grössten Europas, und erregt in hohem Grade das Interesse des
Forschers.
Jede Seite derselben zählt sechs runde Thürme von dem bei
läufigen Durchmesser des Drususthurmes zu Mainz; sie werden
durch geradlinige Mauern von kolossaler Stärke unter einander ver
bunden. Im Mittelpuncte des Quadrates fand ich unter Schutt, die
Grundveste eines fünfundzwanzigsten Thurmes, welcher, dem gros
sem Durchmesser nach zu schliessen, der Hauptthurm des Schlosses
war. Nicht gelingen wollte es mir irgend einer Inschrift oder auch
nur eines gestempelten Ziegelsteines ansichtig zu werden, und ich
muss mich darauf beschränken die Gründe hier mitzutheilen, welche
annehmen lassen, dass dieser kolossale Bau ein römischer sei.
Es ist nämlich höchst wahrscheinlich, dass die Römer bei der
grossen Zahl ihrer Niederlassungen längs der Donau, eines grösse
ren befestigten Waffenplatzes mehr im Innern gelegen bedurften,
und dass ein solcher auch wirklich auf den römischen Kartenquellen,
nahe am Timok, angedeutet erscheint; ferner die Ähnlichkeit des
Mauerwerkes mit jenem des Drususthurmes zu Mainz, endlich dass
weder in der Geschichte des letzten Jahrtausends, noch in den
Liedern, Heldensagen und Gesängen dieses einst so mächtigen
Schlosses hei den Serben gedacht wird.
Der heutige Bestand der Ruine ist auf meiner beigelegten Auf
nahme ersichtlich. (Taf. II.) Es befinden sich gegenwärtig auch noch
zweifellose Spuren auf umliegenden Bergen, welche anzeigen, dass
das Schloss noch weiter durch einzelne Vorwerke verstärkt war.
Üppiger Baumwuchs und mehrere Felder bedecken das grosse
Terrain im Innern der Veste.
31. Bregovo (Bulgarien). Reste einer alten römischen (?)
Stadt. Mitgetheilt von Boue. „Turquie d’Europe“ 2. Bd., S. 337.
32. Praovo (aquis). Zwei Stunden von Negotin, hart an der
Donau, auf einer Anhöhe gelegen. Letztere wird von einem römischen
Steinwalle von 20 Klafter Ausdehnung und 2 Klafter Höhe noch
heute gegen die Landseite begrenzt. In den wohlgebauten Häusern
dieses walachischen Ortes sind jedenfalls sehr viele interessante
Die römischen Funde in Serbien.
201
monumentale Steine verbaut worden; doch war ich so glücklich,
hier zwei, leider nur zur Hälfte vorhandene, auf die Kaiser Trajan
und Nerva bezügliche Steintafeln aufzuflnden. (Taf. III, Fig. 3, 6.)
33. Dschanievo. Reste einer Wasserleitung, welche nach
dem zwei Stunden entfernten Praovo führte. Mitgetheilt vom Popen
zu Praovo.
34. Brsa-Palanka. Alte Mauerreste und Münzenfunde. Ein
sehr schöner grosser Silberreif mit geschnittenem Steine im Besitze
des dortigen Popen.
33. Kladova. In der Nähe hei dem Dorfe Kostelj, gegenüber
dem walachischenTurn-Severin dieReste der grossenTrajanshrücke.
Siehe P. Aschbach’s Abhandlung in den „Mittheilungen der k. k.
Central-Cornmission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenk
male.'« Nr. 8. 1838.
36. Sip an der Donau, zwei Stunden von Kladova, Reste eines
römischen (?) Forts.
37. Trajansfels mit der Trajanstafel, gegenüber dem öster
reichischen Orte Ogradena.
Siehe die Abhandlung von J. Arneth, „Jahrbuch der k. k.
Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenk
male.“ 1836.
38. Poretsch. Nahe demselben, Reste einer alten Stadt. Mit
getheilt von Boue. „Turquie d’Europe“ 2. Rd„ S. 338.
39. Golubatz an der Donau. Reste eines Forts. Zahlreiche
Votivsteine und Münzenfunde.
40. Gradis chte. Am Einflüsse des Pek in die Donau. Nach
den sehr schätzbaren Forschungen des Herrn Prof. Dr. Aschbach
über die „Trajanshrücke“ in den „Mittheilungen der k. k. Central-
Cornmission zur Erforschung und’Erhaltung der Baudenkmale.“ Nr. 8,
1838, hätte sich an dieser Stelle das römische Fort „Picnus“ befun
den, welches mit Cuppi und Novae zum Schutze einer von Trajan bei
Kostolatz errichteten Schilfbrücke erbaut worden wäre.
„Dieser Befestigungslinie gegenüber“, fährt Herr Prof. Aseh-
bach fort, „lag auf dem linken Ufer die Veste Lederata (daselbst
liegt heute llj-Palanka), welche Proeopius nicht ganz genau als
Novae gegenüberliegend angibt, anstatt sie schon bei Viminacium
oder vielmehr bei Picnus anzuführen ; denn streng genommen lag
sie eigentlich diesem Castelle gegenüber.“
202
F. K» n i tz
Ist die letztere Behauptung richtig, so entsteht die Frage:
warum setzt Herr Prof. Dr. Aschbach Lederata nicht Picnus, d. i.
Gradischte gegenüber? sondern an die Stelle des heutigen Uj-
Palanka, welches überdies nicht Kostolatz (Viminacium); sondern
Rarn gegenüberliegt, und basirt darauf, sich selbst widersprechend,
die Flussüberbrückung bei Kostolatz?
Lässt weiter der verehrte Forscher die Angabe der Peutin-
ger'schen Tafel fortbestehen, dass eine römische Heerstrasse von
Lederata in das heutige östliche Banat, gegen Sarmizegethusa führte,
wäre dann nicht auch diese Strasse bei dem Fort Picnus am Pek
„dem doch eigentlich Lederata gegenüberlag“, das ist bei dem
heutigen Gradischte, anzunehmen?
Lag aber überhaupt Picnus am Pek und nicht Novae, wie dies
nach Procopius von anderen Forschern angegeben wird?
Siehe die Donaukarte von Kostolatz bis Golubatz. (Taf. I.)
Gradischte ist ganz aus dem Schutte und auf den noch theil-
weise wohlerhaltenen Grundvesten des römischen Forts entstanden.
Von einem der drei grossen Votivsteine im Hause des Stojan Marja-
novitsch, siehe das Basrelief. (Taf. III, Tig. 4.) Im Schutte an der
Donau fand ich Ziegel mit dem Stempel der VII. Legion. Zahlreiche
Münzenfunde, grösstentheils aus der Periode Trajan-Constantius,
werden hier fast täglich gemacht.
41. Bain. Ruinen eines mittelalterlichen Schlosses, Grund
veste römisch? Münzenfunde.
42. Kostolatz (Viminacium). Zahlreiche Gräber, Votivsteine
u. s. w.
43. Poscharevatz. Auf dem grossen Platze ein ausgehöhlter
Votivstein als Wassertrog benützt. .
44. Semendria. Einige römische Inschriftsteine in den
Mauern der türkischen Veste. .
45. Semlin (Taurunum). Mauerreste und Münzfunde.
Sowohl die früher, als die von mir gemachten Funde, habe ich
der wohlwollenden Obsorge der bezüglichen Orts- und Regierungs
behörden zur Verhütung weiterer Zerstörungen empfohlen. Der
gegenwärtig regierende, der Wissenschaft sehr geneigte Fürst
Serbiens, dürfte gewiss auch diesem für die Geschichtskunde seines
Landes so wichtigen Gegenstände, seine Aufmerksamkeit zuwenden
Die römischen Funde in Serbien.
203
uad die Männer der Wissenschaft in Serbien dem gegenwärtig wohl
vollständigen Verzeichnisse römischer Funde dieses Landes baldigst
neue Daten einfügen.
Tafeln.
Taf. I. Karte der Donau von Kostolalz bis Golubatz.
„ II. Ansicht von Gamsigrad.
„ III. Fig. 1. Abbildung des Votivsteines zu Arilje.
» n » w » jj » Grobilje.
„ „ „ 3. „ „ „ „ Vranjani.
4.
3.
6.
„ Basrelief zu Gradischte.
der Trajanstafel zu Praovo.
„ Nervatafel „ ,,
Palattha
Tafl.
Aus i.k.ic.Kof.u. Sta,a,tsdricckerei.
SitZjUngsl).(l.k.Akad.4.W! philos.histor. Cl.XXXYI.B (L. 186 L.
KauilZi. Die römischen Funde in Serbien.
ll!
Kauil'/.. Dir römischen Funde in Serbien.
Taf.JI.
.SilT.nng’sb. d.k. Akad.d W. philos. hislor. 01.XXXVI II d. 1861.
Gantttiejratf bet /ttt/se/tttr.
Kauitzi. Die römischen Funde in Serbien.
Tat’. 111.
iSit'/.un^sb.iLTc Alcad.il. W. pliilos. bis tos. Cl.XVXVr Bd. .1861
Verzeichn iss der eing-egangenen Druckschriften.
205
VERZEICHNISS
DER
EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(FEBRUAR 1861.)
Akademie, König!.Preuss. zuRerlin,Monatsbericht.November 1860.
Mit 3 Tafeln, fierlin, 1860; 8°-
A11erthums-Verein zu Wien, Berichte und Mittheilungen. Rand II,
Abth. II. Wien, 1860; 4«-
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. N. F. VIII. Jahrgang,
Nr. 1. Nürnberg, 1861; 4»-
Austria, XIII. Jahrgang. V. — VII. Heft. Wien, 1861; 8°-
Boletin bibliografico Espanol, Aiio II, Nro. 1 & 2. Madrid, 1861; 8«-
Erlangen, Universität, Akademische Gelegenbeitsschriften aus den
Jahren 1869 & 1860. Bamberg, Berlin, Erlangen, Leipzig,
Neuburg, und Neustadt, 1869 — 1860; 8° & 4«-
Gesellschaft, Schleswig-Holstein-Lauenburgische, für vaterlän
dische Geschichte, Jahrbücher für die Landeskunde der Herzog
tümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Band II, Heft 2 und
3; Band III. Heft 1 und 2. Kiel, 1869 & 1860; 8«-
Greifswald, Universität, Akademische Gelegenheitsschriften für
das Jahr 1860. Greifswald, 1860; 8° & 4°-
Halle, Universität, Akademische Gelegenheitsschriften aus dem
Jahre 1860. Berlin, Göttingen, Halle, Leipzig & Weimar, 1860;
8°, 4° und Folio.
Istituto, R., Lombardo, di scienze, lettere ed arti, Atti. Vol. 11.
Fase. IV, V e VI. Milano, 1860; 4 0-
— I. R., Veneto di scienze, lettere ed arti, Atti. Tomo VI«, serie 3,
disp. 1" e 2". Venezia, 1860—61; 8 0,
14»«
206
Verzeichnis* der eingogang-enen Druckschriften.
K önigsberg, Universität, Akademische Gelegenheitssehrifteu aus
dem Jahre 1860. Königsberg, 1860; 8° & 4°-
Lund, Universität, Akademische Gelegenheitssehrifteu aus den
Jahren 1859— 60. Christiania, Kopenhagen, Lund und Upsala,
1869 und 1860; 8», 4» & Fol.
Ministöre de l’instruction publique et des cultes de France, Archi
ves des missions scientifiques et litteraires. V e . Vol. 8°— 12*,
caliier. Paris, 1856. Tome VI. Paris, 1867; 8°- — Bulletin du
comite de la langue, de l'histoire et des arts de la France.
Tome III, No. 8— 12. Annees 1866 — 1866. Tome IV,
No. 1 — 12. Annee 1857. Paris 1856 & 1857; 8«- —Instruc-
tions ä l’usage des voyageurs en Orient. Monuments de l’ere
chretienne, par M. Albert Lenoir. Paris, 1856; S 0, — Collection
de documents inedits sur l’histoire de France. — 3° serie, histoire
politique. Journal d’Olivier Lefevre d’Ormesson et extraits des
memoires d’Andre Lefevre d’Ormesson publies par M. Cheruel.
Tome P, 1643 — 1650. Paris 1860; 4»-
Mittheilungen der k. k. Central-Commission zur Erforschung und
Erhaltung der Baudenkmale, VI. Jahrgang, Nr. 2. Februar.
Wien, 1861; 4°-
— aus J. Perthes’ geographischer Anstalt, Jahrgang 1861, Heft I.
Gotha, 1861; 4°-
Rostock, Universität, Akademische Gelegenheitssehrifteu aus den
Jahren 1859 und 1860. Rostock, 1859 und 1860; 8", 4° und
Folio.
Stern, M. E. Kochbe, Jizchak. Eine Sammlung ebräischer Aufsätze,
literarhistorischen, philologischen, exegetischen und poetischen
Inhalts, zur Förderung des ebräischen Sprachstudiums. 26. Heft.
Wien, 1861; 8'"
Verein, historischer, für Niedersachsen, Zeitschrift. Jahrgang
1858, 1. und 2. Doppelheft. Jahrgang 1859. Mit einer Stamm
tafel. Hannover, 1859 und 1860; 8 0, — Urkundenbuch, Heft V.
Urkundenbuch der Stadt Hannover bis zum Jahre 1369.
Hannover, 1860; 8 0- — 23. Nachricht über den histori
schen Verein für Niedersachsen. Hannover, 1860; 8°- — Die
Entwickelung der Stadt Hannover bis zum Jahre 1369. Vortrag
gehalten vom Archivsecretair Dr. C. L. Grotefend. Hannover,
1860; 8°'
Vorzeichniss der eingegangenen Druckschriften.
207
Verein, Serbisch-literarischer, zu Belgrad, Glasnik, XII. Band.
Belgrad, 1860; 8 0- — Serbische Denkmäler von 1395' bis
1423. Belgrad, 1858; 8°- — Dometian, Leben des heil. Sabba.
Belgrad, 1860; S 0,
Zillner, F. V., Die Pöschlianer oder betenden Brüder in Ober-
Österreich. (Separat-Abdruck aus der allgemeinen Zeitschrift
für Psychiatrie. 17. Band. 5. und 6. Heft.) Berlin, 1860; 8°- —
Ein kurzes Vorwort zur Gründung der Gesellschaft für Salz
burger Landeskunde. Salzburg, 1860; 8»-
SITZUNGSBERICHTE
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH -HISTORISCHE CLASSE.
XXXVI. BAND. III. HEFT.
JAHRGANG 1861. — MÄRZ.
211
SITZUNG VOM 6. MÄRZ 1861.
Vorgelegt:
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur.
Von Julius Feifalik.
VI.
Der altböhmische Cato. Altbölimischc Reimsprüche.
Wie im gesammten Abendlande *) , so waren natürlich auch in
Böhmen die Disticlui moralia des sogenannten Dionysius Cato das
ganze Mittelalter hindurch und bis in späte Zeit eine höchst beliebte
und besonders als Erziehungs- und Unterrichtsbuch mit Vorliebe ge
brauchte Lecture. Ausser den Übersetzungen vonPaulus Aquilinas
(Jungmann, Historie literatury ceske, 2vyd., S. 144 b , Nr. IV, 277;
Hanus, Literatura pfislovnictvi slovanskeho a nemeckeho, S. 6) und
von Johann Amos Co menius(Junginann, a. a. 0., S. 270 f. Nr. V,
254; llanus, a. a. 0., S. G f.; die neueste Ausgabe besorgte W. Ro-
zurn im ersten Rande seiner Staroceskä Biblioteka, v. Praze, 1853),
welche beide einer jüngern Epoche angeboren und das Streben
zeigen, ihr Original nicht blos dem Sinne nach, sondern auch in
l ) Die Distichen des Cato sind bekanntlich in fast alle europäische Literaturen iiberge-
gangen. Über die altfranzösischen, deren es mehrere gibt, sehe man die Histoire
litteraire de la France 13, 67. 18, 826—830, über jüngere französische Übersetzungen
Brunet, Manuel de Libraire, Paris 1842, vol. 1, p. 584suivv., wo auch p. 586 von späte
ren en g I i sehen die Bede ist. In italienischer Sprache gibt es im XIII. und XIV.
Jahrhunderte drei verschiedene Versionen in Prosa, in späterer Zeit kommen mehrere
andere in Prosa und Versen hinzu: Vinc. Nannucei, Manuale della letteratura del primo
secolo della lingua italiana , Firenze 1858, Vol. 2, p. 93—114; jene erschienen unter
dem Titel: Libro di Cato, o tre Volgarizzamenti del libro di Catone, de 1 Costumi: due
pubblicati ora per la prima voltn, l’altro ridottoa miglior lezione con note e con indici
io 0
212
Julius F e i f a I i k
metrischer Beziehung möglichst genau wieder zu geben, besitzt die
altböhmische Literatur auch eine Übersetzung und Bearbeitung jener
Distichen, welche allem Anscheine nach in die erste Hälfte des
14. Jahrhunderts zurückgeht und die uns in nicht weniger als sechs
mehr oder minder vollständigen Handschriften erhalten ist, ein Be
weis für ihre grosse Beliebtheit und ihren häufigen Gebrauch im
Mittelalter zu den oben angedeuteten Zwecken.
Diese Handschriften nun sind folgende:
A. Eine Handschrift in der Bibliothek der Prager Domkirche, auf
Papier in Quarto, aus dem 14. Jahrhundert, worin der Cato 25 Blätter
einnimmt: Dobrovsky, Geschichte der böhmischen Sprache und Lite
ratur, Prag 1848, S. 149; W. Hanka, Starobylä Skladänie 1, Ein
leitung S. XXIX.
B. Eine Handschrift im Besitze des Ritters von Neuberg, auf
Pergament in Duodez, 120 Blätter, nach Dobrovsky um 1470 ge
schrieben; der lateinische Text mit rother, die Übersetzung mit
schwarzer Tinte. Auf den Cato folgen Dicta Senecae Cordubensis
und eine Vita Senecae, beide ohne böhmische Interpretation:
A. Voigt, Acta literaria Bohemiae et Moraviae, Pragae 1775, 1,
132—153; Dobrovsky Slavfn, Prag 1808, S. 39 f. Anm.
C. Eine Handschrift im mährisch-ständischen Landesarchive zu
Brünn, Cerronis Sammlung, Abtheilung II, Nr. 232. Der Codex ist
in Quarto, von verschiedenen Händen des 15. und 16. Jahrhunderts
auf 557 Seiten geschrieben und enthält 1) S. 1—36 Liber medicus;
S. 37 ist leer. 2) S. 38—53 die Disticha Catonis; S. 54—60 leer.
3) S. 61—98 Altböhmische Reimsprüche; S. 99—150 sind heraus
gerissen. 4) S. 151—204 De Vrynis, dazu S. 204—207 ein jün
gerer Anhang; S. 208—214 leer. 5) S. 215—422 Oswicenij Le-
karze. Zrcadlo wohledowanij wod lidskych, Klicz k otwiranij Bran
pulsuw etc. S. 425—430 leer. 6) S. 431—502 Druhe oswicenij
lekarske o pulsych; S. 503 und 504 sind herausgerissen. Endlich
7) S. 505—557 Tuto se wypisugi rozlyczna Lekarstwj o wsselyga-
delle voci piu notahili; Milano 1828. In Polen waren diese Sprüche schon im
XIV. Jahrhunderte gleichwie in Böhmen bekannt, aus dem XV., XVI. und XVII. Jahr
hundert haben sich mehrere Versionen erhalten: A. Jocher, Obraz bibliografi-
czno-hystoryezny literatury i nauk w Polsce, YVilno 1840, 1, 42—43, Nr. 342 — 350
(vgl. auch Nr. 357) und 1, 150—151 ; VV. A. Maciejowski, Pismiennictwo polskie, War
szawa 1852, 1, 529. 3, 76 sq. Eine mngya rische Prosaversion aus dem XVII. Jahr
hunderterschien neuerlich im ersten Rande der: Magyar prözair 6k a 16 es 17 s/.azadbol.
Kiadja Toldy Ferenez, Pest 1858.
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur VI.
213
kyeli Nemocech etc. Nr 1, 2 und 3 stammen aus dem 13., Nr. 4, 3
und 6 von verschiedenen Schreibern aus dem 16. Jahrhunderte.
D. Eine Papierhandschrift der k. k. öffentlichen und Universi
tätsbibliothek zu Prag, signirt XVII. F. 30, in Quarto, vom J. 1409:
J. A. Hanslik, Geschichte und Beschreibung der Prager Universitäts-
Bibliothek, Prag 1851, S. 622 f.
E. Eine zweite von Neubergische Handschrift auf Papier in
Folio, vom Jahre 1445; Dobrovsky Gesch. der böhm. Spr. S. 152.
Endlich F, ein Text jener böhmischen Übersetzung, welcher
sich auf der Strahöwer Bibliothek zu Prag am Rande eines lateini
schen gedruckten Cato befindet: Dobrovsky, a. a. 0. S. 151.
Nach A ist der Text dieser Distichen abgedruckt in des Herrn
W. Hanka Starob. Skläd. 3, 174—251 ; aus B findet man die Ein
leitung mifgetheilt von A. Voigt in den Acta literaria 1, 133 ff., wo
auch auf S. 135 ff. über die Orthographie der Handschrift gespro
chen ist; ebenfalls nach B sind die Übersetzung der kurzen ein
leitenden Sprüche, sowie von Buch 1 die Distichen I bis XIII in Do-
brovsky's Slavin, Prag 1808, S. 39—40, 56, 70—72, 88, 137—
140 und 235—240 abgedruckt, während der vollständige Text auf
S. 419—469 der zweiten von Herrn Hanka zu Prag 1834 besorgten
Ausgabe dieses Buches ein unbrauchbares und unverständiges Ge
misch aus A und B bietet. Die Handschrift C konnte ich selbst aus
dem mährisch-ständischen Landesarchive benutzen; die Übersetzung
des Cato beginnt darin auf S. 38:
Catlio Mudrzecz weliky
Wida hlupych iidy zwyky
Czinij mrawy mornost (sic) take
nesslechetenstwij negednake
Myslil take oliio osobnie
Chtie ge trestatij podobnie
Gych mrawy y czinij hlupe
Promluwene skutky krupe u. s. w.
Darauf folgt die gereimte Übersetzung der zwei prosaischen
Einleitungen Cum animadverterem etc. und Nunc te fili etc. und
darnach die Übertragung der kurzen einleitenden Sprüche, welche
den Distichen voranzugehen pflegen, in folgender Ordnung: 1. 3. 2.
5. 6. 7. 8. 9. 10. 11 + 12. 14. 13. 15. IS. 16 + 17. 52. 19. 21.
25. 22+23. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 35. 37. 38. 39. 43.
44. 46 + 47. 45. 48. 53. 41. 37. 50. 54. 55. 56; mit + zeige ich
f
hier an, dass zwei Sprüche des lateinischen Textes in einen einzigen
zusammengezogen sind. Auf S. 46 beginnt das erste Buch:
Deus e an19 110b vt carmia dicTit
Hie tibi precipuc sit pura mente colendO
Poniewadz gest wssemohuczy
Buoh nawieky wzdy buduezy
Gakz nam pismo wssetiyake
Svviedczy vczy ktomu take
Toho slussy naprzed cztiti
Czystu myslij wzdy chwalilij;
und es kommen nun die Distichen I bis XV in der gewöhnlichen Ord
nung; nach S. SO, welche schliesst (Dist. I, XV):
Pomni wzdy chwalitij toho
Kdot zgewuge przizni mnoho
Pakly vezyniss bliznimu,
müssen mehre Blätter fehlen, denn die folgende Seite S1 hebt mit
dem zweiten lateinischen Verse des XXX. Distichons ersten Buches
an and darauf folgen Lib. I, Dist. XXX — XXXIII. XXXV — XXXVIII.
XXXIV. XXXIX und XL. Auf S. 53 schliesst das erste Buch:
Dapsilis interdum sis notis et caris (sic) amictis
Cum ffueris ffelix semper tibi proximus esto
Vtiessyly kdy pan buoh koho
Zie gemu wrucze pugde mnoho
materz przately znamenie czty
a ssezedrost gim zwlasscze zgewiti
neczyn sie pto gynym Iepssy
bud sam sobie nayblissy
telluris si forte velis cognoscere cultus
Virgilius (sic) legito quod si mage nosse labor (sic)
herbarum vires macer tibi carmine dicit
Si romana cupis et punica noscere bella.
Mit diesen Eingangszeilen des zweiten Buches bricht aber das
Manuscript ab und S. 54 — 60 sind, wie gesagt, leer; was dann auf
S. 61 ff. steht, gehört nicht mehr zum Cato und werde ich darauf
sogleich zurückkommen.
Was das Verhältniss der einzelnen Handschriften zu einander
betrifft, so gehören sie sämmtlich einer Beai’beitung an und es lässt
sich auch, so weit ich sie kenne, noch keine mehrfache Recension
feststellen, wenigstens scheinen alle auf einen einzigen gemeinsamen
Urtext zurückzuleiten; dafür spricht schon der Umstand, dass von
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur VI.
215
den kurzen Sprüchen der 20. 24. 34. 36. 40. 42. und 49. in allen
Handschriften 2 ) eben so wie das Distichon III des zweiten Buches
fehlen; ferner dass z. B. zwischen B und C in der Anordnung der
Einleitungssprüche die merkwürdigste Übereinstimmung herrscht:
ähnlich nämlich wie in C folgen diese in B in nachstehender Reihe
1. 2. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11 + 12. 4. 14. 13. 15. 18. 16+17. 52.
19. 21. 25. 22 + 23. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 35. 37. 38.
43. 44. 46 + 47. 45. 48. 53. 41. 57. 50. 51. 54 und 56. Die Ab
weichungen der Texte zwischen ABC sind höchst gering und ebenso
stimmen auch nach Dobrovsky’s Urtheile (Geseh. d. böhm. Sprache,
S. 151) DF meist mit A, während sie von B nur in einigen Aus
drücken abweichen: auf solche kleine Änderungen bei einzelnen
Worten, deren meist schon veraltete durch jüngere und mehr gang
bare ersetzt werden, beschränkt sich im Allgemeinen der Unterschied;
selten dass ein ganzer Vers oder ein Verspaar geändert erscheinen 3 ).
Immerhin aber ist es möglich, dass es neben der uns erhaltenen voll
ständigen Übersetzung der catonischen Distichen in älterer Zeit noch
eine zweite abweichende Bearbeitung derselben gab, worauf wenig
stens einzelne Spuren und vielleicht sogar Bruchstücke hinweisen. So
sagt der geistliche und sehr gelehrte Verfasser des Gedichtes von den
fünf Quellen der Sünde (0 peti studniciech), die vierte Quelle
sei böse Gesellschaft (Starob. Sklad. 3, 118):
Ctvrtä (sturlniee jest) soba zla a tovafisstvo necne,
to jest dobreho jmene ztrata, potupenie vecne,
2 ) Herr Ilanka hat in seiner Ausgabe den Versuch gemacht, das Fehlende nach seiner
Art zu ergänzen; die 36. von den einleitenden Sentenzen lässt sich aus der
unten initgetheilten Spruchsaminlung hersteilen, wo sie als Nr. 192 aufgenommen
ist, freilich in einer Fassung, welche für Hanka’s Ergänzungsversuche nicht eben
sehr spricht.
s ) So heisst es z. B. von den kurzen Sentenzen Nr. 35 in B:
Varuj se Izi, novin take,
drz se pravdy vselikake;
und Nr. 57:
Neposuzuj izädneho,
ni dobreho, ni hriesneho.
ln C lauten diese zwei Sprüche mit unbeträchtlichen Abweichungen von A :
Nenij sskodnieyssy nesrairy
Kdo rad lze nenij prawey wiry;
und
Ne&ud tot znameuij
Swe dussy nazatracenij.
216
Julius F e i f a I i k
to kazdemu cnemu vadi,
protoz mistr Katon pravi:
'Sdobrym vezdy chod
a zlych nikdy nedochod:
byllis drieve dobry a cny,
jakz se nahle ke zlym privines tak budes necny.'
Es sind die vier letzten hier angeführten Verse aber eine Übersetzung
der siebenten Sentenz Cum bonis ambula, welche in den uns erhal
tenen Handschriften folgendermassen wiedergegeben wird:
Drz se dobrych, chode s nimi,
zlych se chovaj, min se s nimi;
allerdings kann es hier zweifelhaft bleiben, ob jener altböhmische
Dichter wirklich eine zweite Übersetzung des Cato vor sich hatte
oder ob er nicht selbst blos jenen einen Spruch, den er lateinisch
kannte, in böhmischen Versen umschrieb.
Über den Ursprung der altböhmischen Übersetzung des Cato
hat Dobrovsky (a. a. 0. S. 131) die Meinung ausgesprochen, dass
dieselbe 'vermuthlich nach dem deutschen: Ein meister Cato was
genant’ verfasst sei und eben so haben es natürlich Jungmann
(Hist. lit. c. S. 32“, Nr. II, 72), Sembera (Deje feci a literatury
ceskoslovenske, 2 vyd., 1, 110) und Sabina (Dejepis literatury
ceskoslovenske 1, 267) wörtlich nachgeschrieben und übersetzt.
Dobrovsky liess sich hier durch den allerdings verführerischen Um
stand irre leiten, dass in einigen Recensionen der jüngeren Bearbei
tung des deutschen Cato 4 ) in Handschriften und Drucken der Eingang
wirklich lautet:
Ein meister Katho was genant,
sein nam noch wol ist bekant,
der hub an und sprach
do er so vil leute sach
verirret durch ir tumme siten,
ich wolt in wol faren mite,
ab ich in nu gebe rat,
das sy lissen missetat 5 ),
4 ) Die gründlichsten Untersuchungen über die verschiedenen Recensionen der deutschen
Catoversionen und über deren Fortbildung finden sich bekanntlich in : Der deutsche
Cato. Geschichte der deutschen Übersetzungen der im Mittelalter unter dem Namen
Cato bekannten Distichen bis zur Verdrängung derselben durch die Übersetzung
Sebastian Hrant's am Ende des IS. Jahrhunderts. Von Dr. Fr. Zarncke. Leipzig 18S2.
Die Übersetzung durch S. Brant ist abgedruckt in: Sebastian Brant’s NarrenschilT,
herausgegeben von Fr. Zarncke, Leipzig 1834, S. 131 — 137.
5 ) Zarncke a. a. 0. S. 10S, 114, 116.
Studien zur (jeschichte der ulthöhmischen Literatur VI.
217
was einigermassen an den Anfang der altce chischen Übertragung
(Starob. Skläd. 3, 174 f.) erinnern kann:
Katho mistr byi veliky,
vida lilupych lidi svyky,
ciny, nravy, marnost take,
neslicenstvie nejednake,
myslil na to tak osobne,
chteje tresktati podobne
jich nravy i ciny hlupe,
promluvenie, skutky krupe,
chte v cest obiätiti slicne
to poradne a tak klicne, etc.
Diese Übereinstimmung ist aber eine blos scheinbare und man
darf dabei nicht übersehen, dass jene deutschen Verse Übersetzung
des lateinischen Vorwortes Cum animadverterem, quamplurimos
homines u. s. w. sind und somit eigentlich den böhmischen Zeilen
(Starob. Skläd. 3. 176):
Kdyz sem vnitrne jaz pomyslil,
lidske nravy tak obmyslil,
vida hldpost, svyeej jiny,
marnost, nepodobne ciny,
mel sem peci i myslenie,
chte staviti jich bluzente,
najviece by cest plodili,
nravy se cti pösobili;
ktoz cti nema, nravi skodie,
pro cest cbudi' cti dochodie,
entsprechen; während jene früher angeführten böhmischen Verse
einer allgemeinen Einleitung von 32 Reimzeilen angehören, welche
der ceehischen Catobearbeitung eigenthümlich und eine Paraphrase
der später folgenden Übersetzung der lateinischen Prosavorreden
sind. Auch sonst findet sich kein irgend fester Anhaltspunct, um für
die böhmische Übertragung die Vermittelung irgend einer deutschen
Vorlage in Anspruch zu nehmen, wenn sieb auch nicht leugnen
lässt, dass der deutsche Cato in jüngerer Recension wenigstens in
Mähren, vermutblich auch in Böhmen, bekannt war 6 ). So auffallend
6 ) Bruchstücke aus dem 14. Jahrhundert der zweiten jüngeren Stufe der (üesammtiiber-
tragung, welche ich zu Znaim als Umschlag einer lateinischen Handschrift fand, habe
ich im Notizenblatte der historisch-statistischen Section zu Brünn, 18ö5, Nr. 7,
S. 59 f. mitgetheilt. Eine andere vollständige Handschrift derselben Bearbeitung,
218
Julius Feifalik
manchmal die Übereinstimmungen scheinen mögen, so lassen sie sich
dennoch sämmtlich auf die gemeinsame lateinische Urquelle zurück
führen; selbstständige Ausführungen in dem deutschen Cato jünge
rer Recension vermissen wir in der cechischen Übertragung und
diese ist wieder in ihren Erweiterungen des Textes, wie sich bei
spielsweise in der langen Einleitung zum zweiten Buche deutlich
zeigt, vollkommen von den deutschen Versionen unabhängig. Glei
ches gilt von der äusseren Form: während die kurzen Sentenzen
im deutschen durch je einen Vers wiedergegeben sind, dehnt der
Ceche jede zu einem Reimpaare, die erste sogar zu 10 Versen aus;
die Distichen selbst, weichein den jüngeren deutschen Übersetzun
gen in je vier Zeilen übertragen werden, müssen im Böhmischen Stoff
zu 6 Versen von 4 Hebungen oder zu 3 Reimpaaren hergeben. Man
sieht schon hieraus, dass in der böhmischen Übersetzung alles ziem
lich breit ausgeführt ist, dass der Übersetzer den Gedanken, welchen
er vorfand, weiter in seinem Sinne ausspann, wodurch freilich hie
und da Ungehörigkeiten sich ergeben, wie es demselben denn auch
ein oder das andere Mal widerfuhr, dass er sein lateinisches Original
missverstund ’).
Es ist demnach augenscheinlich, dass bei der böhmischen Über
setzung des Cato keinerlei deutsche Bearbeitung desselben Vorgele
gen habe, sondern dass sie im Gegentheile unmittelbar nach dem
Lateinischen selbst, durch irgend einen unbekannten dieser Sprache
kundigen Dichter verfasst worden sei, was um so wahrscheinlicher
ist, wenn man die weite Verbreitung jener Distichen und ihre An
wendung im Mittelalter bedenkt, welche zu einer Übertragung der
selben auch in Böhmen um so mehr auffordern mussten, als der Sinn
Papier, Quarto, 14. Jahrhundert, befindet sich zu Nikolsburg in der fürstlich Dietrich-
steinischen Bibliothek unter der Signatur 30 / 1 ; ich behalte mir vor, auf diesen Codex
gelegentlich zurück zu kommen.
7 ) Manchmal finden solche Missverständnisse ihre Erklärung allerdings in der Beschaffen
heit der lateinischen Handschrift, welche dem Übersetzer vorlag; so lautet die Sen
tenz 37:
Nebud clovek zloreceny,
ac chces byti hohem cteny,
wo zloreceny durch den Pieim gesichert ist; in der That lesen auch die Hand
schriften den Spruch lateinisch Maledictus ne esto. Es ist dieser durchgehende Über
setzungsfehler ein weiterer Beweis für meine obige Behauptung, dass sämintliche
Handschriften des Cato auf einer einzigen Urquelle beruhen müssen.
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur VI. 219
und die Begabung dieses Volkes so sehr zu didactisclier und lehr
hafter Dichtung hinneigt.
Diese Distichen und ihre Übersetzungen waren nämlich im Mit
telalter, wie ich dies bereits früher erwähnte und wie dies auch
noch in viel späterer Zeit der Fall war, für den Unterricht be
stimmt. Dem gleichen Zwecke diente noch eine Anzahl ähnlicher
Sammlungen, welche das Mittelalter liesass, wie der Facetus, More-
tus, Tischzuchten 8 ) u. a., und in ähnlicher Absicht wird auch die
Sammlung und Übertragung jener kurzen böhmischen Reimsprüche
unternommen worden sein, welche ich auf den nachfolgenden Seiten
mittheile und auf deren didactische Absicht schon der Umstand hin
weist, dass einige davon sich geradezu an den Sohn wenden: synäcku
Nr. 42. synu 122. 211. 222. 239. 241. synu mily 224. 240. 2SI. dfte
89. Diese kurzen böhmischen Sentenzen und Reimsprüche, welche
bisher noch nicht herausgegeben und nur gelegentlich von Dobrovsky 9 )
erwähnt sind, stehen wie gesagt in der Handschrift C auf Seite 61 bis
98; die lateinischen Sprüche, welche ihnen zu Grunde liegen, stam
men aus den verschiedensten Quellen und enthalten zum Theile all
gemeine Wahrheiten oder Sittenregeln und Glaubenswahrheiten,
oder sind zum Theile auch aus classischen Schriftstellern genommen;
eine bedeutende Anzahl davon ist der Bibel entlehnt: vier endlich
von ihnen sind Wiederholungen aus den Einleitungssentenzen zum
Cato 10 ). Bei genauerer Betrachtung bemerkt man, dass die lateinische
Sammlung, welche dem Übersetzer vorlag, ursprünglich alphabetisch
angeordnet war und es müssen sich die noch vorhandenen Sprüche
in nachstehender Weise folgen:
Ä = 141 bis 173.
B = 174 „ 202.
C = 28 „ 68.
8 J Eine Art Tischzucht mögen die moralischen Verse enthalten haben, mit welchen
Bischof Johann IV. von Prag- um 1301 die Wände seines Speisesaals schmücken liess :
Palatium vero siue eoenaculum scripturis et picturis exstat repletum; multi quidcm
versus doctrinules et morales sunt ibi notati: Chron. Franc, in Script, rer. boh. 2, 63.
°) Gesch. d. böbm. Spr., Prag, 1818, S. 132 f., wo aber die Zahl 304 irrig ist: es sind
der Sprüche im Ganzen nur 294 und vom 293sten blos der lateinische Text erhalten.
10 ) Es sind die3 nachstehende :
Nr. 14 = Cato Sent. 13.
„ 46 = „ * 51.
„ 191 = „ 41.
„ 192 = „ „36.
220
Julius F e i f :i I i k s
D= 69 bis 120.
E = 121 „ 140.
F = 203 „ 224.
G = 223 230.
H = 231 „ 242.-
I = 243 „ 260 und
271 „ 281.
0 = 20 „ 27 und
261 „ 264.
P = 1 „ 10 und
263 „ 270.
R = 11 „ 19.
5 = 289 „ 293.
V. V = 282 bis 288.
Es fehlen also die Buchstaben L, M, N, Q, T und X — Z, und
auch andere, welche hier nur mit wenigen Sprüchen vertreten sind,
mögen unvollständig erhalten und sie alle mit den ausgerissenen
Seiten 99 — ISO der Handschrift verloren gegangen sein. Die
jetzige Zerstörung der ursprünglichen Ordnung aber mag daher
rühren, dass der Abschreiber ein durch den Gebrauch schadhaft
gewordenes Exemplar in einzelnen Blättern vor sich hatte, welches
er nach Gutdünken und so gut es eben gehen wollte, zusammen
stellte; in einem Blatte, welches mit Primum querite regnum dei
begann, glaubte er natürlich den Anfang der Sammlung gefunden
zu haben. Man darf daher bei dieser Entstehungsweise in dem
Ganzen weder nach der ersten alphabetischen Anlage ^und noch
weniger in seiner jetzigen Gestalt irgend eine systematische Anord
nung suchen: in der That laufen Sprüche der verschiedensten Ten
denz bunt durch einander; so manche wiederholen sich in mehr oder
minder ähnlicher Gestalt und Fassung. Die Zeit der Übersetzung
wird vielleicht die zweite Hälfte oder das Ende des XIV. Jahrhun
derts sein.
Die cechisehe Übersetzung und Bearbeitung der Sprüche selbst
ähnelt in ihrem Verfahren in merkwürdiger Weise der schon bespro
chenen altcechischen Version jener kurzen moralischen Sentenzen,
welche man im Mittelalter den catonischen Distichen voran zu sen
den pflegte. Die Übersetzung ist im Ganzen ziemlich frei, wobei es
auch hier an Sonderbarkeiten oder Missverständnissen (z. B. Nr. 5.
23. 58. 100. 237. 268 u. s. w.) nicht fehlt, ja manchmal sogar das
Gegentheil dessen wiedergegeben erscheint, was der lateinische
Studien zur Geschichte der althöhmischen Literatur Vf.
221
Text ausspricht (z. B. Nr. 4. 11. 218 u. s. f.); hie und da ist der
Dichter wieder unmässig sclavisch in der Übersetzung der lateinischen
Worte und Formen, wie wenn er in Spruch 7 Promissum solvere
debes durch Slibenü vec mäs zaplatiti, Spr. 28 Christus est
semper laudandus durch Christus jest vzdycky cten, Nr. 286
Virtuosus semper est laudandus mit Cnostny jest vzdycky
pochväleny, oder Nr. 217 Famam stude retinere bonam mit
Uc se zachovati dobre povesti überträgt. Im Allgemeinen
wird man der Begabung des Übersetzers nicht zu hohes Lob spen
den: er ist ungeschickt, trocken und hausbacken, nicht selten ge
radezu hölzern. Seine Verfahrungsweise bei seinem Werke ist diese,
dass er in der ersten Zeile meist den lateinischen Text nach seinem
Vermögen und mit wechselnder Geschicklichkeit übersetzt, im zwei
ten Verse aber den Gedanken desselben weiter ausführt und erläutert
oder ihm sein Widerspiel entgegenstellt, oder aber, was häufig genug
eintritt, der blossen Eingehung des Reimes sich überlässt. In Hin
sicht auf die äussere Form ist jeder Spruch gleich den Einleitungs
sentenzen zu Cato durch zwei Reimzeilen wiedergegeben; nur Nr. 5
dehnt sich zu vier Versen aus.
Noch muss ich ein Wort über den nachfolgenden Abdruck dieser
Sentenzen sagen. In dem lateinischen Texte habe ich alle Abkür
zungen aufgelöst und die vorkommenden unbedeutenden und immer
leicht und mit Sicherheit zu bessernden Fehler berichtigt, ohne es
erst jedesmal zu bemerken. Die böhmischen Verse habe ich genau
in der Schreibweise und mit den Abbreviaturen der Handschrift
wiedergegebeu, blos die Interpunclion ist hinzugefügt und das im
Anlaute und Inlaute regelmässig erscheinende lange f durch s ersetzt
worden; ferne musste mir natürlich die kindische Spielerei bleiben,
in jedem einzelnen Falle zu bemerken, ob das i oder das y einen
Punct oder ein Strichelchen, oder keines von beiden habe: es ist
dieser kleinliche Zeitvertreib ohne jeglichen Werth und Nutzen und
ohne alle Bedeutung, da bekanntlich alle drei Formen in dieser Zeit
neben einander Vorkommen und durchaus keinerlei Lautunterschiede
bezeichnen. Dass ich aber gegen den herrschenden Gebrauch die
Orthographie der Handschrift beibehielt, statt sie mit der jetzt übli
chen neuen zu vertauschen, geschah aus mehrfachen Gründen, über
welche ich mich hier zu erklären habe. Einmal schmeichle ich mir
keineswegs mit der eitlen Hoffnung, dass diese Blätter in zu weite
222
Julius F e i f n 1 i k
Kreise dringen werden, und diejenigen, für welche sie bestimmt sind,
wissen ohnedies , wann sie cz als c oder c, wann a als a oder d zu
lesen haben. Dann aber scheint es mir räthlich, vor der Hand noch,
besonders aber bei ersten Drucken und bei Fragmenten, oder wo man
nicht über mehrere Codices zu verfügen hat, an der Schreibweise
nichts zu ändern, um so mehr, als es überflüssig ist, noch erst dar
auf aufmerksam zu machen, wie mannigfache Mängel die jetzt hei
Herausgabe altcechischer Denkmäler beliebte Schreibung besitzt.
Während z. B. jene, welche man für Ausgaben mittelhochdeutscher
Schriftwerke eingeführt hat, aus der Schreibweise alter Handschrif
ten in ihrer reinsten Gestalt abgezogen ist; während man bei spä
teren deutschen Schriftstellern, wo man nicht Gründe hat, sie unver
ändert abzudrueken, alle Eigenthümlichkeiten sorgfältig bewahrt und
nur überflüssige Häufungen von Lautzeichen hinweglässt: muss die
für altböhmische Schriftdenkmäler jetzt angenommene Orthographie
als das Gegentheil eines solchen vernunftgemässen und historischen
Verfahrens angesehen werden, indem sie nicht auf den besten alten
Handschriften basirt ist und in dieser Weise zu keiner Zeit geltend
war, indem sie vielmehr neue orthographische Regeln und Zeichen
auf eine frühere Zeit anwendet, manche Eigenthümlichkeit verwischt
und dennoch nicht, wenigstens bisher und besonders was die Vocale
angeht, den alten Laut mit voller Sicherheit wiedergibt. Trotzdem
liegt es mir ferne, die jetzt durchgeführte Schreibung in Fällen zu
verdammen, wo es sich darum handelt, wichtige Literaturdenkmäler
allgemeiner lesbar und leichter zugänglich zu machen, oder wo man
ausschliesslich literarhistorische Zwecke verfolgt: in solchen Fällen
wird sie vielmehr mit einigen nöthigen Verbesserungen geboten sein
und die vielleicht einzige Zuflucht bleiben.
Die in unserer Handschrift und zwar in den nachfolgenden Reim
sprüchen derselben angewandte Orthographie ist die im XV. Jahr
hunderte allgemein gangbare: cz gilt für c und für c, doch steht
statt c auch einige Male dc z (dczo 113.191. dcznostny 132) oder tcz
(wrutcze 145. ottcze 289); ebenso gilt z für * und z gleichmässig, ss
für s, rz für r; ie bezeichnet sowohl ie als e, y, i und ij stehen wech
selnd für i und i, y und y, und ein Vorwiegen des y ist nicht zu bemer
ken; v und w werden im Anlaut und Auslaut für u und ü neben u
gebraucht; 6 sprach und schrieb der Abschreiber uo und er wendet
dieses letztere, vermuthlich in Folge eigenthümlicher Aussprache,
Studien zur Geschichte der altböhmischen Literatur Vf.
223
auch in Fällen an, wo o (buoha, buohu, buohem, buozij, buozijm)
oder u (miluoy) gefordert ist. G, welches neben y natürlich gleich
j ist, schlägt manchmal an ungehörigem Orte vor: gda = cid, gsie
= se; eigentümlich ist die Bezeichnung des n durch in: bazein 5.
88. 3. zazein 111.
Sehr häufig kommen Abkürzungen vor und zwar neben den
allgemein gebrauchten auch solche, welche seltener und weniger
gebräuchlich sind. Ich stelle sie hier zusammen.
Der Name Christus findet sich geschrieben: crist9 28. xpus 59.
82. 104. xps 102. xp9 93. 186'. xpa 90. 170. xpu 163. 186.
gt ist natürlich gest in unzähligen Fällen.
Ein Strich über der Zeile ist gleich n: zakö 36. poznä 139.
korunowä 210. te 290; oder gleich m: smluwny 29. smoczny 31. nä
36. gy 92. wssy 63. skrusseny 63. mrawo dobr = mraxoom dobrym
31. natöto 73 und sehr oft.
~ über der Zeile bei p bedeutet ra: zpwuge 13. pwu 36. pweho
66. pwe 91. pczugiczi 1 ' 100. spwadliwym 117 u. s. f., oder auch blos
r: spawedliwy 140; in anderen Fällen iva: nemi~ 34. 134. hnietti 151.
p ist selbstverständlich pro: ,p 9. 13. 24. usw. pstorzeczny 11.
pspiwagij 18. ptiwniky 77. j)westi 89. pwinij 110 und noch sehr
häufig.
’ bezeichnet r: ma’nost 58. nada’mo 283.
0 über der Zeile = ho: bozi“ 1. dobre 0 34. 59. mno°41. 143.
nynieyssy“ 45. 54. sprawedliwe 0 71. ge° 38. 77. 87 swe° 72. und
sehr oft; oder = eho: welik” 14. dobr 0 275; noch stärkere Abkür
zungen sind: nemi 0 = nemileho 59. wiecz“ = tvieczneho 121.
oslawe 0 == oslaweneho 137.
v über der Zeile mu: twe v 18. ge v 21. 26. 88. to v 43. wietssy’
60. menssy v 60. pokr v = pokrmv 127 und sehr häufig; oder = nu
koru v 73. nesmir v 85. pa v 186; andere Kürzungen: sprawedli v =
sprawedliioemv 199. bo v = bohv 63. 213.
' h über der Zeile bezeichnet meist Auslassung mehrer Buch
staben: py ch — pyssnycli 74. sprawedly ch = sprawedlywych 112.
wiecz' h = wiecznych 139. nerpilo ch = nemilostiwych 162. spawed ch
= sprawedlywych 274; ebenso sprawe ych 153; wnehe ,ch = wnebe-
sicli 173. czno c,h = cznostech 193.
* = st, li = sti: milo li 1. wpocztiwo* 1 91. dorado* 1 238; noch
mehr gekürzt: mud‘ = mudrost 177. mi‘ = milost 56. 82. mi* 1 =
224
.1 u '1 i u s F e i f o I i k
milosti 30. 8a. 112. 147. 162. ge° li == gelio milosti 102. 188; “ über
der Zeile in Verben: kralo u = kralowati 76. nenawi*' = nenawi-
dieti 154.
ie = stwie: kralow ie 42. 190; = nie vstawicz'" 102; ebenso
o = nij: myssle ij = mysslenij 86.
w = chuow: hrzi w 55. 153.
Andere bemerkenswerthe Abkürzungen sind noch: czlo 11 = czlo-
iviek 214. czlo ka = czloivielcu 54. chwa' = chwaleny 189. S v =
stvatv 117. by gij = bywagij 175.
Dass endlich auch die Reihenfolge der Sprüche beim Abdrucke
nicht geändert und die alphabetische nicht gewählt ward, geschah
aus dem Grunde, weil diese Sammlung einerseits, wie sie uns vor
liegt, nur fragmentarisch erhalten ist, andererseits bei dem Mangel
einer systematischen oder logischen Anordnung die ursprüngliche
Folge der einzelnen Sentenzen doch kaum wäre herzustellen gewesen.
1 (P)Rimum querite regnum dei. pag. 6i
Nayprwe hledayte kralowstwie bozi 0 ,
* Chczeteli bytij nasyczeni milo li geho.
2 Parentes in lionore habeas.
Miway we czti swe przately starssy,
Chczessli bytij s buohem wnebeske rzyssy.
3 Preceptum dei itnple.
Przikazanij buozy gmass czinitij,
Chczessly z buohem przebywatij.
4 Pecc 'atores non exaudit deus.
Pan buoh oslyssuge hrzyssniky,
Protij sobie welike winniky.
ij Paciencia est uirtus magna.
Trpieliwost ma bytij welika,
a ktomu czest, cznost, stud dobra;
nebo czest, cznost, stud a bazein,
kdoz ty wieczi ma ncnit blazen.
6 Peccatum malorum non delebitur.
Hrzychowe zlych lydij
nebywawagi buobu nikdy milij.
7 Promisswn sohiere debes.
Slibenu wiecz masss zaplatij (sie),
kteruz gsy komu slibil datij.
S Principium sapieticie est timor domini. pag. 6a
Poczatek inudrosti gt bazein buozij,
Tat trwa nadewsseczka gina zhozij.
Studien zur Geschichte der böhmischen Literatur VI.
225
9 Prudens prudenti placet.
Mudry mudremu gsie Iibij,
p mudrost a p radu geho cztij.
10 Peccatum necat animam.
4F>
Hrzych dussy zabigij,
ale pan buoh gy obzy wij.
11 Raro düigitur qui multum. loquitur.
Nerad ten milowan bywa,
kteryz pstorzeczny bywa.
1.2 Regnat deus in perpetuum.
Pan buoh nawieky kraluge,
kdoz naniem Zasluzu kra!ow e slibuge.
13 Regit deus omnia.
Pan buoh zpwuge wsseczky wieczij,
ptoz hrzissnij magij sie kniemu vteezij.
14 Rem tuarn custodi.
Choway zbuozy sweho
Tak maleho yako welik”.
IS Reciores tuos obedias. l ,a g-
Mistruow swyeh poslussen bud,
A nieyaky przinich gmiey stud.
16 Remissio dafür penitenti.
Odplatha bywa dana kagyczymu,
Kazdemu ezlowiku (sic) hrzissnemu.
17 Reuerere doctorem tuurti.
Miway weczti mistra sweho,
Bud poslussen wzdiczky geho.
18 Res age que prosunt.
Wieczy czin kteresst pspiwagij
A twe v dobremu tie ochranugij.
19 Redde vnicuique quod suum est.
Nawrat kazdemu czo ezi gest,
Chczessly gmiti wssady czest.
20 Omnis sapiencia est a deo.
Wsseezka od buoha gt mudrost,
Dana gt skrze buohy (sic) milost.
21 Omnis inmundicia displicet deo.
Wsseliyaka neczistota nelibij se buohu,
T wsseliczy brzichowe nelibij se ge v .
22 Omnia mundana peribunt.
Switske (sic) wieczy zahyuu, pag. 64
Nebo wtomto swietie neostanu.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXXVI. Bd. III. Hft.
16
226
Julius F eif a I i k
23 Omnia mala odit deus.
Buoh tieeli lidij nenawidij,
Kdoz sie geho stidij.
24 Oda dant vicia.
Praznostij hrzichy dawagij,
ptoz mudrzy wzdy vsylugij.
23 Omni hora deum adora.
Wsseliku hodinu modl sie bohu,
A ont tobie gda milost swu.
26 Omnis stultus est corri(pi)endus.
Wsseliyak blazen ma bytij trestan,
Zadny ge f nerozkazug ani Pan.
27 Omnis superbus displieet den.
Wsseliyaky hrdij nelibi sc bohu,
Neb takowij od nieho odluczeni budu.
28 Crislus est semper laudandus.
Pan crist9 gt wzdiezky cztien,
A od nas krzestianuow pochwalen.
29 Cum verboso non litiges.
Smluwny syie czlowiekem neswarz,
Aniz snim nikdy nekwas.
30 Cor mundum diligit deus. p a g. 63
Czyste srdcze pan huob nhluge,
a swu mi“ ge nawssczywuge.
31 Cum potenti non litiges.
Smoczny nebudess sie swarzitij,
Ale l’adssy od nieho przizni hledatij.
32 Contra mortem non est remedium.
Proti smrtij zadneho lekarstwi nenij
wswietie tranku ani korzenij.
33 Castiga pro crimine corpus.
Tresezy tielo swe kdobremu,
At nenij nachylene kezlemu.
34 Cor nequam cognouiturr (sie).
Kdoz gt srdeze nepraweho,
ten wniem niez nemt dobre”.
52 ) Tgl. Smil im Vybi i, 854, 27. 2S eoz koli v swete küfi-nie, nikdy bezpecen sinrti nenie;
Starob. Skldd. i, 132, 131 f. k sinrti neuiä ziidneho korcnie, i v zalir adueh jelm nenie; lieut
zu Tage lautet das Sprichwort bekanntlich; Proti sinrti neni liiku n proti Morcne neuikofeiie;
Celakovfilty Muilroslovi p. 311.
UPS
s
Studien zur Geschichte der böhmischen Literatur VI.
ui’ Cum sancto sanctus eris, cum, peruerso peruerteris.
Pomnij zie (s)swatym swaty budess
a snesslechctnym przewraczen budess.
36 Confessio mundat liominem.
Prwe (sic) wyznanij hrzichuow czlovvieka czisti,
To nä swiedezy pisma y zakfl bozi gisti.
37 Cibus est causa leticie.
Pokrm ezlowieka obweselugie
A srdcze ki’adostij zbuzugie.
38 Concordia facit amorem.
Swornost ezinij milost
A zabanij neprawu zlost.
39 Celum regit omnia (vgl. 13).
Nebe wsseezko sprawugij
y take obnowugij.
40 Consilium a sapiente require.
Hleday rady od mudreho
A opussczey neopati'neho.
41 Cum stullo non habeas consilium.
Nenmvay rady zblazniwymi,
ani slidmi mno” mluwiczymi.
42 Cor tuum teile munde.
Ty synaczku, choway srdce czistie,
Danot bude kralow 1 * gistie.
43 Consilium sapientis prodest.
Rada mudreho Prospiessna byvva
To v kdoz gy wswem vuiyslu mivva.
44 Cum potentibus non litiga (vgl. 31).
Radimt, newad sie slidmi mocznymi,
Wswietie vrozenymi a take sgynimi.
43 Cura nimia debilitat liominem.
Przilissna peeze vmdliwa ezlowieka
A vkraczugie gemu nynieyssy” wieka.
46 Coniugem recte ama.
Milug wiernie zenu swogij,
■ Acz cbezess bytij przi pokogij.
47 Celum nutrit omnia (vgl. 39).
Nebe krmi dobree
Y take wsseezky zlee.
48 Consilium sapientis non dispicias.
Nezhrzey rady zadneho mudreho,
Pro swe lepssy drz sie geho.
10’
■SH
227
pag. 66
pag. 67
228
Julius Feifalik
49 Conuersio peccatorum est gaudium angelorum.
Zagiste zobraczenij lidij brzyssnych
Gest andielom radost wnebesyeb.
SO Custodi legem atque Consilium.
Strzyhay prawey rady take,
A zbudess strasty wsseliyake.
S1 Cum doctus fueris, discas mores.
Budessly wtipny, vcz sie mrawö dobr
Y take ginym skutkom czostnym.
S2 Cogitacio stultipeccatum est. pag. 68
Mysslenij blazniwa hrzich p,
Neb od nieho nepoehazy zadna czest.
S3 Confessio iustificat homines (vgl. 36).
Hrzichuow prawe wyznanie
p dosti zanie vczinienie.
54 Cura ffacit canos homines.
Przilissna peczie ssediny czini czlo k "
Tohoto giz nyaeyssy 0 wieku.
So Caritas recta odit delicta.
Prawa laska hrzi"' nemiluge,
Aniz sie wnich kdy raduge.
S6 Caritas non ficta est deo dilecta.
Laska neomylaa buohu lyba bywa,
Kdoz kbliznimu pwu mi‘ miwa.
S7 Cum iustis non gere bella.
Neczin hogie (s)sprawedliwymi,
Ani take slidmi pokoynymi.
55 Cole bonum, sperne malum.
Czty dobre wieezy, nechage zieho,
Opust swiet y take ma’nost ge”.
S9 Corr inmundum non diligit deus (vgl. 30).
Pan xpus nemiluge srdeze nemi”,
Neb znieho nepoehazy niez dobre”.
60 Cedere maiori est honestum. p«g- 69
Postupiti inista mass wiefssij'’,
A neezin ptiwenslwi menssij'.
61 Confessio peccatorum est merces eorum.
Wyznanie lidij hrzissnych
Tot bude za odplatu gich.
62 Cor iusti letatur in bono opere.
Srdeze czlowieka sprawedliweho
Raduge gsie skutku dobreho.
Studien zur Geschichte der böhmischen Literatur VI.
229
63 Corde cOntrito accede ad deum.
Czlowiecze, swym vmyslem wssy
Przistup kbo v y srdezem skrusseny.
64 Caritas est radix omnium virtutum.
Laska zagistie gynicli eznostij
Gest korzen bez ossemetnostij.
63 Cristus semetipsum obtulit pro peecatis nostris.
Pan gezyss zo hrychy nasse
Obietowal sam gt gsie.
66 Cor contritum non despieit deus.
Pan buoh srdeze skrusseneho
Nezawrzie nizadneho pweho.
67 Cum stulto ne multum loquaris.
Radimt, nemiway obezowanij (s) nizadny
Sczlowiekem blazniwy amno° mluweny.
68 Custodi lingwam tuam a mendaeio.
Ostrzyhay gazyka sweho, psg- 70
At nemluu'ij niez zleho.
69 Deus creauit omnia.
Pan buoh stworzyl wsseezky wieezy,
Od wiecznosti sposobi! to swu raoezy.
70 Deus est summum bonum.
Pan buoh gl swrehowane dobre,
Ont sam od lidij odhanij wsse zle.
71 Deus est iustus Iudex et misericors.
Pan buoh gl srdeze spravvedliwe”
Y take milostiwebo.
72 Dilige deum ex toto eorde.
Milug. pana buoha z czelcho srdeze sweho,
A blizniho swe" gako sehe sameho.
73 Deus corrigit quem diligit.
Kohoz pan buoh treseze natöto swietie,
Potom da gemu koru v vwieezne ziwotie.
74 Deus omnipotens resistit superbis.
Pan buoh wsseeh wieezy py“ h nenawidij,
Ale milostiwie vstrziha wsseeh wiernych lidij.
73 Deus odit luxuriosos. pag. 71
Pan,buoh nenawidij smilnikuow
Y wsseeh hrzissnych czyzoloznikuow.
76 Deo seruire est cum eo regnare.
Panu buohu wssemohuczimu sluzyti
Gest snim vwiecznem zywotie kralo".
230
Julius F e i f a 1 i k
77 Deus'odit peccatores.
Pan buoh ma wnenawisti hrzissniky
Y wsselyke pti prawdie ge“ .ptiwniky.
78 Deus saluat in se sperantes.
Pan buoh ty spassenij czynie
Ktoz wnieho sylnie dauffagij.
79 Deus dirigit viam luslortmi.
Pan buoh zagistie czesty swyeh
Zprawuge lidij sprawedliwych.
SO Deus dat omne bonum.
Pan buoh dawa wsseezko dobre,
A zahanie swu moczy wsseezko zlee.
81 Deus iuste iudicat.
Pan buoh sprawedliwie sudij,
neb wsseezko moczne widij.
82 Deus dat mansuetis graciam. P a S-
Pan xpus dawa dobrym swu mi“,
A zahanij od nich tesklywu Zalost.
83 Disciplina ffugat maliciam.
Bazein mnoho zloslij zahanij,
Kdoz zle wieezy od sehe odhanij.
84 Dilige sapienciam et viuificabit te.
Miluoy mudrost bozy a obziwil tebe,
A dowieczneho zywotha prziwede tebe.
83 Dextera (sie) dei regit iustos.
Prawicze bozie sprawedliwe obranuge,
Neb gy swu nesmir v mi“ nawsseziwuge.
86 Deus seit cogitationes hominum.
Pan buoh wie lidska mrzka myssie 11 gych,
Nebo nepoehazy niez mi]le° znicb.
87 Deus diligit ff deles.
Pan buoh wsseezky wierne vstawicznie miluge,
Kdoz ge” przikazanij nasleduge.
88 Deus dat omnia gratis.
Pan buoh wsseezky wieezy darmo dawa,
Kdoz gl toho wdieczen a ge v diky wzdawa.
89 Disce puer, dum tempus habes. pan-,
Vcz gsie, ditie, dokudz ezas muzess mitij,
Aby vmiel swu hlupost sueze"' pwesti.
90 Dilige proximum tuum sicut te ipsum (vgl. 72).
Milug naprzed xpa, potö blizni” swe“,
Mieg to napamietij, yako sebe same“.
Studien zur Geschichle der böhmischen Literatur VI.
231
91 Doctorem semper debes Honorare (vgl. 17. 97).
Pomni mistra swe” wpocztiwo li miti,
Cbczessli milosti od nie" pwe dogiti.
02 Dominus dat auxilium Iustis.
Pan buoh lidem sprawedliwy
Dawat swu swatu pomocz gy.
93 Deus diligit veritatem.
Pan buoh prawdu miluge,
Y (o kdoz swe“ blizni” vtiessuge.
04 Deum liniere esl radix sapiencie (vgl. 8).
Korzen mudrosti gt pana buoha se batij,
Zakon gebo plniti a swych se hrziehuw (katij).
93 Deus est misericors. sapientibus.
Trpieliwy xp9 mylosi'dny bywa,
Ktoz gebo przikazanij wsrdezy miwa.
96 Deus considerat gressus hominum. pag. 74
Pan buob krokuow lidskycli pozoruge
A swu milosti hoynie wsseezko zprawuge.
97 Doctorem twum debes venerare (vgl. 17. 91).
Miey vczite(le) swe' wpoeztiwosti
A warug sie brziehu, przidrz se cznosti.
98 Disce bene ffari (vgl. 114).
Vcz sie prawie mluwitij,
Pomni se zleho wystrzibatij.
99 Dulda verba decipiunt multos.
Sladka slowa mnohe oklamawagie,
Kteryz sie wtö neopatrnie miwagie.
iOO Dignus esl mercenarius mercede sua.
Ty, czlowiecze, day pokrm pczugiczi\
Nezadrzug nikdy mzdy gemu.
101 Desideria carnis noli perficere-
Zadostij ozelestnyeh nechtiey dokonatij,
Ale pomni vtmicze v (vmuczenie?) bozie wpamieti mitij.
102 Donum bonum relribuit deus.
Pan iips za dobry dar odplatu dawa,
Kdoz ge“ 11 vstawicz 10 diky wzdawa.
103 Deus saluat in se credentes. pag. 73
Kdoz prawu wiru wpana boha wierzy,
Ten wiecznie smrtij nawieky neuzrzy. .
104 Deus non audit peccatores.
Xpus hrzissniky zanita a gicb neslyssy,
Neb takowj nebywagi panu boliu tissy.
232
Julius Feifalik
103 Deus est vbique potenter.
Pan buoh gt mocznie wkazde mistie,
Warug sie zle°, on to widij, wiezto gistie.
10(i De terra facta sunt omnia.
Zemie wsseczky wieczy(z) sebe wydawa,
Nebo to moezy bozsku sie stawa.
107 Dies hominis breites sunt.
Dnowe czlowieka yako stin pominu
A wkratkostij yako wiek letnij zhynu.
108 Disce compescere lingwam.
Vcz sie skroczowatij yaziku swe°,
A warug sie slowa vtrhawcho.
109 Deus exaltat humiles.
Pan. buoh porvissuge pokornych,
A nenawidij wssech lidij pyssnych.
110 Deus seit actus liominum.
Pan buoh wie kdo czo czinij, pag. 76
A protij geho milosti pwinij.
111 Diligc Iusticiam.
Milug sprawedlywost,
Zazein wsseliku zlost.
112 Deus confirmat iustos.
Pan buoh potwrzuge sprawedly' 1 ,
Swu mi" wssech swych swatych.
113 Deum placa prece deuota.
Prowinissly dezo proti stworziteli swe',
Snaboznu modlitbu vtecz sie knie” saine'.
114 Disce loqui sapienter (vgl. 98).
Vcz sie opatrnie mluwitij,
Chczessli hanby nedogitij.
113 Declina a malo et fac bonum.
Czin dobrze ostana zleho,
Przidrz sie skutku poeztiweho.
116 Debes frui bonis moribus.
Chezessly dobrych mrawuow vziti,
Mass k panu buohu ezasto wzywatij.
117 Deus odit iniquitatem.
Pan buoh nenawidij nesprawedliwost, pag. 77
Ale spwedliwym da swu S’ milost.
118 Deus hmniliat snperbos (vgl. 109).
Pan buoh pyssne a hrde ponizuge,
Ale swe chude a powolne sobie powyssuge.
Studien zur Geschichte der böhmischen Literatur VI.
233
119 Dei mandata tene firmiter.
Buozie przikazanij pilnie zaehoway,
A wsrdcy a wpwem vmyslu miway.
120 Dilige veritatem et viues in eternum.
Czlowiecze, tnass prawdu milowatij,
Acz chczess nawieky zyw bytij.
121 Elemosina data extinguit peccata.
Almuzna dana hrzichy vhassuge
A od zatraczenij wieez” wyswobozuge.
122 Esto humilis in oracione.
Ty synu bud na modlitbacb pokorny,
Neby\v(a)y yako onen zakonik pissny.
123 Ebrietas sapientem facit stultum.
Opilstwie opatrneho mudreho
Cz(i)ni powsse czasie czasie (sic) blazniwe”.
124 Exempla bonorum despiciunt stulti.
Blazniwij zhrzegij prziklady dobry(mi3
Y wssemi cznostmi pocztiwymi.
123 Errant qui operantur malum. pag. 78
Ten czlowiek kazdy bludij,
Genz ezinij zlee a wetmach ehodij.
126 Expeclacio est iusti leticia.
Oczekawani czlowieka sprawedliwe"
Gest radost y vtiessenij dussy ge°.
127 Egestatem operatur manus remissa.
Nedbaliwa ruka cbudobu miewa,
Kdoz sie oblenuge a pokr v nedobywa.
128 Elatos despice seruos.
Zamitay sluzebniky naduthe
Y wsselike lidij pyssne.
129 Efj'itge res viles.
Warug gsie wieczy mrzkych,
Neehezessli stratiti nebeskych.
130 Est homo res fragilis.
Czlowiek p krzechke” przirozenij,
Tot vkazuge gednoho kazde" rozenij.
131 Elemosina pro te orat.
Almuzna za toho sie modly,
Kdoz wpokani a whrzie' h nedly.
pag. 79
Julius F e i f a1ik
m
132 Esto paciens et ffidelis.
Bud pokorny, trpieliwy y pokoyny,
Dcznostny. mudry, poeztiwy y skrowny.
133 Exiguum munus ne despicias.
Nezamitay ani zhrzey daru male“,
Chezessly potom dogitii welike”.
134 Ebryetas est radix malorum.
Opilstwie bywa korzen wsseho Zle",
Kohoz gsie przidrzy, teil nemi~ nicz dobre".
133 Ebrietas facit animum i , iijuum.
Opilstwie czinij rozum nesslechetny,
Tot nani aposstol S. pawel pwij.
136 Egenum noli spernere.
ßadimt, nezhrday nikdy ehudy bozy,
Neb radyt nesmirna nebesa bywagi osazena takowy.
137 Elemosina facit hominem bealum.
Almuzna jiwa czinj czlowieka blähe 0 ,
Przed buohem y przed lidmi osUnve“.
138 Elemosina hominem ornat.
Zagiste almuzna czlowieka ozdobuge,
Ivdoz gsie zle” waruge y ochotnie vdieluge.
139 Elemosina liberat hominem a pena.
Almuzna od muk wiecz lh wyswobozuge P a g- 80
A kupanu bohu do wieczn(u) radosti ykazuge.
140 Esto seruilis in domo dei.
Kazdy czlowiek ma byti spawedliwy,
Take pwym srdezem milosrdny.
141 Anime iustorum gaudent in celis.
Düsse lidij sprawedliwych
Radugi gse spane buohe wnebesych.
142 Ama deum omni tempore.
Milug pana buoba powsseezky ezasy
Y take nadewsseezky gine wieezy.
143 Amor verus vincil omnia.
Prawe milowanij przemaba mno“ zle“,
l^doz sie waruge Zlosti a przidrzy se dobre 0 .
144 Ars preualet aurum.
Umienij przemaba poklady mnohe,
Zlato, strzibro y kamenij dralie.
Studien zur Geschichte der höhmischen Literatur VI.
235
145 Anima iusti est in manu dei.
Dusse spwedliwe" wrutczo bozi p,
Neb czoz od boba pochazie wsse dobre p.
146 Anima hominis est mortalis.
Dusse czlowiecze p kazda smrtedlna,
Kteraz whrzyssych obywa.
147 Auarus nunquam saciatur. P ;, o- 8i
Lakomy nikdy nasyczen nebywa,
Neb mi“ od pana huoRa nemiwa.
148 Auaricia congregat pecuniam.
Lakomy shromazdiuge poklady y penize,
Neb tu panuge diabelske knize.
149 Auarus semper eget.
Lakomy ezlowiek wzdyczky ehudy bywa,
Nebo nadiege ku panu buohu nemiwa.
ISO Auarus non implebitur pecunia.
Lakomy nikdy nemiwa peniez dostij,
Neb diabel oslepij geho zlostij.
1S1 Auarus nulli est earus.
Lakomebo ezlowieka nei'od nikdy hnieti,
Neb milost bozy y swe° blizni“ potrati.
1S2 Ars semper durat.
Vmieny wzdy panuge,
Kdoz ge° prawie nasleduge.
1S3 Aput deum est merces iustorUm.
Vpana buoha p odplata lidij sprawe ,,h ,
Iitoz sie hrzie"' kagij a warugi (sic) sie gich.
154 Argue sapientem et diliget te.
Trescy mudre" a budet tie milowati,
Ale ezlowiek nemudry budet tie nenawi“.
155 A sapientihus disce libenter.
Od mudrveh vez sie rad raudrosti, pag. 82
A tudy przidess kwelike cznosti.
1S6 Aspera virga faeit bonos pueros.
Zydka metla dietky skroczuge
Agich dusse zpekla zprossezuge.
1S7 Audaces fortuna iuuat.
Sczesti spomaba statecznostij,
Srdezem zmuzylT. a dostoczne' - (sic).
236
Julius Feifalik
138 Arbor bona facit fructus bonos.
Po dobre skutku czlowiek poznan bywa,
lako ehutny ström chutne owocze miwa.
139 Arbor mala facit malos fructus.
lako zly strö nemitva owocze dobre“,
Tak zly czlowiek poznä bywa zsrdce nepwe”.
160 Aliena laus est nobilis.
Gyneho chwala moczna bywa,
Ktot sladcze mluwij pochlebenie przikryta.
161 Adora vnum deum.
Modi sie a klanieg sie bohu prawe“,
Ivromie nielio zadne v ginemu.
162 Ami impiorum breuiabuntur.
Letha nemilo' h vkraczena budu,
Neb oni mi li buozij zbaweni budu.
163 Amicus fidelis est protector.
Wierny przitel prawy obrancze bywa,
Kdyz zadne Istij wsrdczy nemiwa.
164 Amor falsus non est perpetuus. pag. 83
Kdoz ffalessne“ milowanij bywa,
Ten gidasse wsrdczi miwa.
163 Ad uitam ibit qui bene uiuit.
Kdoz plni (plnie?) przikazanij bozij pwie zyw bywa,
Ten wpanu xpu prawu wiru miwa.
166 Angelt gaudent, dum homo penitet.
Angele ztoho miewagi radost weliku,
Kdyz hrzyssny hrzyebuow pwie zuostanu.
167 Audi uerba sapientum.
Posluchay slowa rad od mudreho,
A dogdess skrze to mnoho dobre“.
168 Audiens sapiens sapienciam sapiencior erit.
Slysse mudry mudrost mudrzeyssy“,
Zbawen bilde nemudrosti y wsse“ zle".
169 Abstinencia gignit castitatem.
Zdrzelywost plodij czystotu
A zahanij ziu neczystotu.
170 Ama cristum toto cor du.
Milug pana xpa zsrdcze jjweho,
Zewsseeh syl a (z) smysla dobreho.
Studien zur Geschichte der böhmischen Literatur VI.
237
171 Age quod iustum est et honestum.
Czyn czoz gt sprawedliweho,
Klomu take y pocztiweho.
172 Amor clomini repellit demonium. ] ,a g- 8^
Kdoz gsie bogij pana buoha,
Zahanij od sebe diabelstwie mnoha.
173 Anime iustorum requiescunt in pace.
Dusse sprawedlivvych lidij
Radugi sie spanem buohem wnebe ic \
174 Beati qui ambulant in lege domini.
Blahoslawenij kterzyz wzakonie schodij
A swe mysly odzleho odwodie.
173 Beati qui inveniuntur sine macula.
Blahoslawenij kterzyz bez posskwrny by' iJ ,
Neb wkristu plnu nadiegij magij.
176 Beatus homo qui sufert temtacionem.
Tij lide gsu blahoslawenij,
Kterzyz snassegij pokussenij.
177 Beatus qui invenit sapienciam dei.
Blaboslaweny kteryz gt nalezl mud' bozij,
A pokladagij sobie nad poklady y nadzbozy.
178 Breuis oracio penetrat celum.
Kratka modlitba nebe plamuge
A przed pana buoha ochotnie wstupuge.
179 Bene orat qui corde plorat. pag. 8b
Ten sie kazdy panu buohu dobrze modly,
Kdoz nad hrzycky placze a tieffl nedly.
180 Benediccio dei dabitur iustis.
Pozeb(n)anij buozij dano bude dobrym,
Ale zlorzeczen(i)e przide wssem zlym.
181 Bonos mores libenter disce.
Vcz sie rad mrawuom dobrym
A kazdym skutkem milosrdnym.
182 Bonus homo audit verbum dei.
Kazdy ezlowiek dobry
llad slyssy slowo bozy.
183 Bonus homo mala abicit.
Zle wieezy zamita ezlowiek dobry
Y teto wiek bidny posiednij.
238
Juli u s F i‘ i (' :i I i k
184 Beatus houno qui timet deum.
Blahoslawenj' kdoz sie bogi pana boha swe“,
Neb geho nepotka nicz zleho.
1 83 Blandus sermo decipit hominem.
Kdoz p lahodneho prziliss mluwenij,
Tent p hadoweho pokolenij.
186 Beatus qui manet in domino.
Blahoslaweny kto wpa v bohu zuostawa,
Nebt oa wpa v xpu a xp9 wniem bywa.
187 Beatus qui corrigitur a domino.
Blahoslaweny ktoz od pana boha trestan bywa,
Neb wnebeskem kralowstwij czastku miwa.
188 Bonum est sperare in domino. pag. 86
Wpana buoha wzdy dobrze p duffatij
A wnedostat ch kge”" gsie vtikatij.
189 Bona facta sunt laudanda.
Dobry skutkowe magij chwa ! byti,
Kdoz kolwiek chcze Zlee powiestij vgiti.
190 Beati obtinent regnum dei.
ßlahoslawenij dosahugy kralow 1 “ bozi°
A newymluwne okrasy radosti geho.
191 Benefieii accepti memor esto.
Kdozsst vczini dczo dobreho,
Mieg wzdiezky napamieti geho.
192 Bonis bcnefacito.
Dobrym dobrze mass cziuitij
A zlych sie neprzidrzietij.
193 Beatus homo qui perseuerat in bono.
Blaze to v kdoz trwa wdobrych ezno" h ,
Wdobrem pspiwa a neni wmrzkostech.
194 Bene pugnat qui semper orat.
Kdoz gsie pwie modly, ten dobrze boguge,
Ten diablu y swietu sylnie odskakuge.
193 Beati mundo corde, quoniam ipsi deum videbunt.
Blahoslaweny ktoz czisteho srdcze bywa,
Neb ten nebeske kralowstwi wsobie miwa.
196 Bona opera placent deo.
Zagiste kazdy skutek dobry
Dobrze sie panu bohu liby.
pag. 87
Studien zur Geschichte der höhmischen Literatur VI.
197 Beatus homo qui implei mandata dei.
Ten czlowiek gt blahoslaweny,
Kteryz czini buozy prikazanij.
198 Beatus homo qui agit penitenciam.
Czlowiek gt ten blahoslaweny,
Kteryz gyz czinij pwe pokanij.
199 ßenediccio dei dabitur Iusto.
Pozehnani bozie dano bude spwedli"
Y temu wuoli ge” czinienemu (ezinieziemu?).
200 Bonus mala spernit.
Dobry zle wieczy zhizugie,
Ale zly wzdy zlee nasledugie.
201 Beattis vir qui timet dominum (vgl. 184).
Blahoslaweny muz kteryz sie bogi pana boha,
Tent vgde pekelneho wraha.
202 Boni sunt in regno celorum.
Dobrzy su wnebeskem kralowstwie,
Ale zly pugdu dowieeznych ppastie.
203 Ffrequens Studium acint ingenium.
Czaste vczenij rozum pewny dawa,
Kdoz przilom bohu ehwalu wzdawa.
204 Ffugias consorcia malorurn.
Warug sie wsseho towarystwa zleho,
Snimi obezowanij wsselikebo.
203 Ffur odit llucem.
Proto zlodieg swietla nenawidij,
Neb swe” blyzniho sskody hledij.
206 Ffae bene egenis dum viuis.
Spomohay nuzne” natomto swietie,
A tak sebe y ge" obraniss wssyczkey psotie.
207 Ffuge mala ffacta.
Warug sie zleho vczinku,
phleday kdobre” poezinku.
208 Ffuge miseram vitam.
Warug sie bidneho zywota,
At potora tobie neusskodij psotha.
209 Ffidelis amicus preualet aurum.
Wierny przitel nad zlato y strzibro bywa,
Blaze lomu ktoz takoweho giniwa.
«i'i> mi IHM II
239
pag. 88
240
Julius Feifnlik
2/0 Ffidelis coronabitur in celis.
Wiei'ny kazdy korunowä bilde wnebesyeb,
Ktoz czini przikazanij bozij a nestogij ■whrzissych.
211 Ffilij, disciplinam non abicias.
Synu muoy, ltaznie nezamitay,
Ale radiegij gy zachowaway.
212 Ffides sine operibus mortua est. P a £- 89
Wiera bez skutkuow mrtwa bywa,
Kdoz wswem srdezy krista nemiwa.
213 Ffama bona decorat hominem.
Dobra powiest czlowieka ozdobuge,
Ktoz sie wmiletn bo v rad raduge.
214 Ffalsus homo caret honore.
Ffalessny czlo k zadno cztij nemiwa,
Neb wessken den odedne plewa.
21S Ffilius non portabit iniquitatem patris.
Syn neponese oteze swe° neprawostij,
Ale geden kazdy vmrze wswe zlostij.
216 Ffama non cito quiescit.
Powiest nebrzo przestawa,
A tot sie czastokrat stawa.
217 Ffarnam stude retinere bonam.
Vcz sie zachowatij dobre powiestij,
A warug sie lidske nepwe zlostij.
218 Ffama hominis est instabilis.
Powiest czlorvieczy bywa vstawyczna
Tako trest od wietru klaezena.
219 Ffallere querit iniquus.
Zklamatij hledij neprawy,
Neb sam nebywa prawy.
220 Ffama cito crescit.
Powiest Tudyz sie rozmnoze, pag. 90
Komuz cheze (omut pomuze.
221 Ffidelis in Omnibus esto.
Wewssech wieczech bud wiei’ny,
A zadnemu nebyway neprawy.
222 Filij, sine consilio nihil facias.
Synu, bez rady nechtiey nicz czinitij,
A po vczinku nebudess toho zeletij.
Studien zur Geschichte der böhmischen Literatur VI.
241
223 Fuge luxuriarn quae damnat.
Warug sie smilstwa powsse czasy,
A neupadness skrze to (w) pekelne kwasy.
224 Filij care noli peccare.
Synu mily, nerod hrzessytij,
Chczessly do zywota wieczne" przigitij.
223 Gracia dei repellit maliciam.
Kazda zagiste buozij milost
Zahanij ona wsseliku zlost.
226 Gracia huius mundi augmentat peccata.
Swietha tohoto radostij
Rozmnoziugij mnoho Zlostij.
227 Generacio rectoruni benedicetur.
Pan buoh sprawedliwe v pokolenij
Dat on wieczne pozehnanij.
228 Gracia spiritus sancti habitat in corde iusti.
Milost dueha swateho pag. 91
Przebywatij bilde wsrdczy spwedliwe”:
229 Gaudia multa sunt in celis.
Mnohe radostij su wnebesych,
Neb tarn gl przibytek wssech swatych.
230 Gaudium celeste non uidet peccator.
Zadassly nebeske radostij dogiti,
Mass sie hrzichuow warowatij.
231 Homo pudicus est anime amicus.
Czlowiek zagiste stydliwy
Gestit dussy przitel mily.
232 Homo virtuosus est deo carus.
Kazdy czlowiek pocztiwy
Gest buohu y lidern welmi mily.
233 Homo iustus placet deo.
Kazdy czlowiek sprawcdliwy
Welmi sie panu buohu lidij (sic; l. Jibijj.
234 Hostie impiorum sunt abhominabiles deo.
Obieti nemylostywych lydij
Gsut ohawne przed twarzy bozy.
23.) Homo detractor est abhominabilis deo.
Kazdy czlowiek vtrhawy
Gestit buohu y lidem ohawny.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXXVI. ßd. III. Hft.
17
242
Julius Feifalik
236 Homo Iiistus est deo dilectus.
Kazdy ezlowiek sprawedlywy
Milowan bywa od bolia y od lydy.
237 Ilonora doctorem si cupis honorem.
Klekarze mass cztitij ppotrzebnost swu,
Nebt on zazene od tebe zalost twu.
238 Habe ffiduciam in domino.
Mieg douffanij wpanu baobu sylnee,
A ont tobe prziwede dorado" wieczne.
239 Humilia te in horacionem.
Synu, gmasss sie namodlitbie pokorzitij,
A pvkym sie srdczem buohu raodlitij.
240 Ilonora personam senioris.
Synu mily, kamz by kolwiek ssel,
Pomni aby stavssyho weeztij miel.
241 Habeas in honore parentes.
Synu, cztiti mass przately swe,
A tak naplniss przikazanij buozie.
242 Homo sapiens uitat peccata.
Mudry ezlowiek zamita hrzichy
A przidrzy gsie cznostij wzdiezky.
243 Ivsti per penitenciam inveniunt graciam.
Zagiste lide sprawedliwij
Skrze pokanie milost bozy nalezagij.
244 Iustns iudex placet deo (vgl. 233).
Kazdy Sudcze sprawedliwy
Welmit se panu buohu libij.
243 Iusti cum gaudio expectant graciam dei.
Sprawedliwij lidee sradostij
Oczekawagij wzdy buozy milostij.
246 Inicium leiunij est vexacio corporis.
Poezatek postu pvaweho
Gest trapenie tiela sweho.
247 Iusticia custodit uiam innocentis.
Sprawedliwost czlowieka kazdeho
Ostrziha newinnost gebo.
248 Ieiunia debita debes seruare.
Czlowiecze, masss zaehowatij
Puost hodnie a gey drzetij.
Studien zur Geschichte der böhmischen Literatur VI.
243
249 Iustum deducit dominus ad uitam etemam.
Pan buoh czlowieka sprawedliwcho
Üowede dozywotha wiecznebo.
230 lustus homo confidit in domino.
Sprawedlywy czlowiek kazdy
Dovfl'a wpana buoha wzdy.
231 In timore dei crescere debes.
Synu mily, wbozi kaznij inass ruostij,
A tak doydess wieczne radostij.
232 Iesu cristi passio est nostra redempcio.
Pana Gezysse vmuczenij
gistie? p nasse wykupenij.
233 In verbo dei uiuit ornnis homo.
Kazdy zagistie czlowiek pag. 94
wslowie buozim ziw gl.
2S4 In multis sermonibus imenitur stulticia.
Kdoz rad mnoho mluwj
Toho lide za blazna miwagj.
233 Inicium Sapiencie est timor domini (vgl. 8. 49).
Poczatek wssy mudrostij
Gestit batij gsie buozy miiostij.
236 lusticia domini iudicabit pevcatores.
Sprawedliwost pana Gezysse
Suditij bude hrzyssne dusse.
237 In corde prudentis requiescit sapiencia.
Mudrost czlowieka opatrneho
Odpocziwa wsrdczy geho.
238 lusti ffulgebunt ante faciem dei.
Wssyczknij sprawedliwij buozy
Budut sie sktwietij (sic) przed ge' twarzy.
239 Ieiunium perfectum est placens deo.
Czlowieka puost dakonaly
Gestit buohu welmi mily.
260 Iustum et impium iudicabit deus.
Czlowieka zagiste sprawedlyweko
Pan buoh suditij bude y nemilostiwe".
261 Oculus cupidi non est saciabilis (vgl. 147.) pag- 95
Öko lakomeho czlowieka
Czoz widij, wsseezko chcze by bylo ge“.
17
244
Julius Feifalik
262 Omnis labor est grauis.
Wsselike dilo p tiezke
A nedielnym welmi vkrutne.
263 Omnia tempora suum tempus habent.
Wssychnij czasowe swuog czas magij,
Czas gedeni, czas diela, czas vczenie.
264 Oculus est inimicus cor dis.
Öko gt neprzytel srdczy,
Czoz widij wsseczko gmitij chcze.
26 o Per maluvn socium cades in uieium.
Skrze zleho towaryssc
Prziprawiss przately chkambie (sicj y sam sie.
266 Per oracionem pecunie deum non derelinquas.
Skrze penize neopussczcy pana buoha,
At sie tebe neprzime hrzichowa sraaha.
267 Per rapinam damnas animam.
Skrze penize zle dobythe
Stratiss dussy y sam sie.
268 Per vincula mortis terra transiet fortis.
Skrze zalarze smrtij wieczne
Doyde kazdy sylny radosti wieczne.
269 Per malos mores perdes res et honores.
Skrze zle mrawnostij
Stratiss swe wieczy y cznostij.
270 Precium perdit qui iniquo seruit.
Ten mzdu ztraczuge
Kteryz nesslechetnemu przisluhuge.
271 Inuidia necat animam.
Zradne lakomstwie zabigij dussy,
A p zawist zatraczcn byti musy.
272 Inprudentes odiunt scientes.
Nemudrzy zawidij vmielym,
A vmiely zawidij nemudrym,
273 lra sapientis breuis est.
Hniew mudreho kratkyt gl,
A kdoz to czini tent gma czest.
274 Iusti ambulant in uia recta.
Sprawedliwij budu chodijtij po cze' h spwed' h ,
Nasledugyez sslapiege krystowyeh.
Studien zur Geschichte der höhmischen Literatur VI.
245
273 In nomine dei uiuit homo.
Wegmeno buozy zyw p czlowiek,
Czoz dobr° vczini timt p gist.
276 Ira odium generat.
Hniew plodij weliku zawist,
A ktomu weliku welmi zlost.
277 Iustus homo placet deo (vgl. 233. 244).
Sprawedliwy ezlowiek welmi sie bohu libij,
A p gemu po wsse czasy welmi mily.
278 lusti in eternum viuent. pag- 9?
Sprawedliwij nawieky zywi budu.
Kterzyz sie ku panu krystowi dostanu.
279 lusti ffulgebunt sicut soll.
Sprawedliwy sie budu stkwietij
AVnebeskem kralowstwij yako kwitij.
280 In inferno nulla est redemcio.
Wpekle nenij zadneho wykupenij,
Kterzyz sie tarn dostanu ty su zlorzeezenij.
281 lusti habebunt regnum celorum.
Sprawedliwy lidee kralowstwie dogdu,
Ale pohane zatraczenij budu.
282 Unum crede deum.
AVgednoho buoha gmass wierzitij,
Gestly zie nechezess zatraczen bytij.
283 Verba dei non transibunt.
Snaze nebe y zemie zhyne,
Nez crystowo slowo naymenssy nada’mo pug(de).
284 Via malorum est tenebrosa.
Czesta zlorzeczenych lidij p tmawa,
Ale ezesta sprawedliwych p swietla.
283 Veritaiem diligit dem.
Pan buoh prawdu miluge,
Ale krziwdu zahlazuge ge (sic).
286 Virtuosus semper est laudandus.
Cznostny p wzdyczky pochwaleny,
A nemudry p wzdy pohanieny.
287 Ubi humilitas ibi sciencia.
Kdez p pokora tut p vmienij,
Nebo bez pokory niez spaseno nenij.
pag. 98
246 Julius Feitnlik, Studien zur Gesehiehte der böhm. Literatur VI
288 Vir ffidelis coronabitur in celis.
Zagiste kazdy czlowiek wierny
Koronowan bude wneby.
289 Sapiens filius letificat patrem.
Mudry syn otteze obweseluge,
Ale nemudry wzdy gey smuezuge.
290 Sepe menfitur qui muttum loquitur.
Czasto ten lze kdoz mnoho mluwij,
Ale kdoz malo mluwi, te, czasto jiwdu nemluvyj (sic).
291 Sapiens vbique llaudatur.
Mudry jp wzdy pochwalen,
Ale blazen gt wzdy pohanien.
292 Superbia destruit omnia.
Pycba skazuge wsseczky wieczy,
Protoz sie gy mass wzdycky strziczy.
293 Superbia est inicium peccati.
Zagiste wsselika pycha
Gest poczatek kazdeho hrzicha.
294 Serena dies letiffcat homines.
Yasny den lidij obweseluge,
Ale den mraczny smuezuge.
29 o Scire aliquid laus est, per der e aures fraus est.
Joseph Asch hach, Die Consulate der römischen Kaiser etc. 247
SITZUNG VOM 13. MÄRZ 1861.
V o r g e 1 e g t :
Die Consulate der römischen Kaiser von Calignla bis
Hadrian.
Von dem w. M. Dr. Joseph Aschbach.
Durch die Alleinherrschaft des Augustus, mehr aber noch
durch die despotische Regierung des Tiberius hatte der römische
Freistaat sein Ende gefunden; aber es bestanden doch noch fort
während die meisten republikanischen Ämter, wenigstens der Form
nach. Als das höchste und ehrenvollste galt immer noch das Con-
sulat, das die Nachfolger der Kaiser Augustus und Tiberius zu
bekleiden nicht verschmähten, durch dessen öftere Führung sie den
Glanz ihres kaiserlichen Namens zu verherrlichen glaubten.
In welche Jahre die Consulate der römischen Kaiser von Cali-
gula bis Hadrian fallen, unterliegt bei dem Reichthume der Nach
richten, welche Münzen und Inschriften, Fasti und Schriftsteller
darüber liefern, im Ganzen keinem Zweifel; nur hinsichtlich des
einen oder des andern Kaiser-Consulats waltet in dieser Beziehung
einige Unsicherheit, wie über das fünfte Trajan’s und das erste
Hadrian’s. Dagegen erheben sich nicht selten Schwierigkeiten, wenn
man nachzuweisen versucht, wie lange Zeit des Jahres die Kaiser
die Fasces führten, welche Mitconsuln sie hatten, welche consules
suffecti in den kaiserlichen Consulafsjahren in’s Amt traten.
Die Kaiser beachteten nicht die gesetzlichen Bestimmungen der
früheren Zeit bezüglich der höchsten Magistratur; es bildete sich
durch ihr eigenmächtiges Eingreifen in den Staatsorganismus nach
248
Joseph Asehbach
und nach ein sehr willkürliches Verfahren. Wenn anfänglich auch
noch die Wahlen in den Comitien stattfanden, so war dieses im
Grunde nur Schein: in Wahrheit war der Wille des Herrschers
Consul zu sein, ein unabweisbares Gebot, dem man sich nicht wi
dersetzen konnte, dem man vielmehr entgegen kam. Aber dies galt
nicht nur hinsichtlich der kaiserlichen Person, sondern auch in
Bezug auf die Mitconsuln und die consules suffecli. Später fiel auch
der Schein einer Theilnahme des Volkes an den Wahlen der höch
sten Magistrate weg. Die Ernennung ging unmittelbar vom Kaiser
aus; nur höchst selten gestatteten einzelne Kaiser dem Senat eine
geringe Theilnahme daran. Auch in Beireff des Alters und der Zeit
gab es für den Herrscher kein Gesetz und kein Hinderniss. Der
Kaiser konnte in jeglichem, selbst in unnyindigem Alter und in jedem
Jahre das Consulat bekleiden. Nero hatte noch nicht das zwan
zigste Jahr erreicht, als er sein erstes Consulat antrat. Spätere
Kaiser im dritten Jahrhundert führten die Fasces im Knabenalter. Es
geschah nicht selten, dass das Consulat mehrere Jahre hinter einan
der von demselben Kaiser bekleidet wurde, wie dieses ja auch schon
bei Augustus vorkam. Domitian reihte von seinen 17 Consulaten
sieben an einander.
Im Grunde waren es weniger die Consular-Befugnisse, welche
die Kaiser bei der Führung des Consulats zu erlangen suchten —
denn die kaiserliche Gewalt gab ohnehin weit grössere und ausge
dehntere — als vielmehr der Ehrentitel Consul war es, der zur
Annahme des Amtes bestimmte. Der Kaiser bekleidete in der Regel
im Beginne des ersten Jahres nach seinem Regierungsantritte das
Consulat; er führte es bei der Begehung der grossen Festfeier der
Quinquennalien, Decennalien, Säcularspiele etc.; er trat es an vor
der Eröffnung eines Feldzuges oder zur Abhaltung eines Triumphs
oder bei Annahme eines Mitregenten.
Zwar besorgten die Kaiser die beim Antritt der höchsten Magi
stratur üblichen Opfer und Festlichkeiten, sonst aber gaben sie sich
wenig oder gar nicht mit den eigentlichen Consulargeschäften ab.
Sie hatten mit dem Antritte des Consulats ihren nächsten Zweck
erreicht: sie gaben es daher gewöhnlich schon nach wenigen Mo
naten, Wochen oder Tagen wieder ab und consules suffecti traten
an ihre Stelle, welche die eigentlichen Amtsgeschäfte besorgten.
In den Consularfasten aber wurde das Jahr nach den Consuln
Die Consulate der römischen Kaiser etc. 249
benannt, die im Anfang desselben die höchste Magistratur ange
treten batten.
In der nachfolgenden Untersuchung werden 65 Consulatsjahre
behandelt, wovon aber eigentlich nur 43 als wirkliche Kaiser-Con-
sulate zu befrachten sind. Es werden nämlich auch die Consulate,
welche von Kaisern vor ihrem Regierungsantritte bekleidet wurden,
mit in den Kreis der Untersuchung gezogen. Wenn Caligula, Nero
und Otho ausgenommen werden, haben alle Kaiser, von Tiberius
bis Hadrian, ehe sie den Thron bestiegen, die Fasces geführt.
Die Consulate des Caligula.
Cajus, der Sohn des Germanicus, Enkel des Drusus, in der
Reihe der Kaiser gewöhnlich nach seinem Beinamen Caligula auf-
geführt, folgte dem Tiberius am 16. März des Jahres 790 d. St.
(37 n. Chr.) in der Regierung. Er bekleidete viermal das Consulat.
Das erste Mal führte er als consul sutfectus die Fasces im J. 37 n. Chr.,
dann war er vom J. 39—41 drei Jahre hinter einander consul Ordi
narius. Mit Ausnahme des einen Jahres 38 war er während der
ganzen Dauer seiner Regierung in jedem Jahre Consul. Das erste
Consulat führte er zwei Monate und zwölf Tage; das zweitedreissig
Tage; das dritte nur zwölf Tage, und endlich das vierte blos eine
einzige Woche.
Erstes Consulat des Caligula.
Tiberius war am 16. März des Jahres 37 n. Chr. aus dem Leben
geschieden, indem Cn. Acerronius Proculus und C. Pontius
Nigrinus das Consulat führten (). Als Caligula die Regierung antrat,
*) Sueton. Tib. 73. Tiberius obiit — XVII Kal. April. Cn. Acerronio Proculo C. Pontio
Nigrino cos. Tacit. Annal. VI, 43. Supremi Tiberio consules Cn. Acerronius C. Pon
tius magistratum occepere. Dio Cass. LVIII, 27. Tw sVtovrt Tjpt ixslvog (Tibe
rius) ircl Vvodov Upox'ko'j xcd ini IIovuou Nt«yptvou frsXeui'Yjo’FV. Gruter. 18, 8.
XVI • KAL • MART • CN • ACERRONIO ET PONTIO NIGRINO COS. Orelli coli, in-
scriptt. n. 3663 und 6443 (aus dem Calendar. Antiatin. cn. acerroNIO C. PONTIO
COS). Die verschiedenen Fasti (Chronogr. Ravenn., Idat. Chron., Chron. Paschal.,
Prosper., Victor., Cassiodor.) haben einfach Proeulus und Nigrinus. Muratori
304, 2 liest in der obigen Gruterischen Inschrift NIGRO statt. NIGRINO. Cle-
mente de aera vulgat. emendat. p. 84 u. 147 behauptet, Pontius habe ursprünglich
Niger, nach seiner Adoption durch einen Petronius aber Nigrinus geheissen. Der
Art de verifier les dates gibt ihm den Gentilnamen Petronius.
250
Joseph A s c h b nch
fehlten ihm zum 25. Lebensjahre noch fünf Monate und vier Tage.
Er schien anfänglich eine der grausamen Regierung seines Vorgän
gers ganz entgegengesetzte milde und freisinnige führen zu wollen.
Den Comitien wurden auch die entzogenen Magistratswahlen wieder
zurückgegeben. Aus Dankbarkeit beschlossen Senat und Volk, dass
die zeitigen Consuln Proculus und Nigrinus noch vor dem Ablaufe
ihrer Amtszeit abzutreten hätten und Caligula nicht nur sogleich
das Consulat übernehmen, sondern auch in Zukunft jedes Jahr Con-
sul sein sollte 1 ). Caligula gab diesen Beschlüssen keine Folge: jedoch
legte er sich sogleich alle Titel und Rechte, die Augustus gehabt
hatte, bei 2 ). Erst nach Ablauf der sechs Monate, auf welche Zeit
die beiden Consuln ernannt waren, trat er am 1. Juli das Consulat
an 3 ) und nahm sich zum Collegen seinen Oheim, den nachherigen
Kaiser Tib. Claudius, Bruder des Germanicus, welcher bis zu
jener Zeit nur dem Rifterstande angehörte 4 ). Erst durch die Erhe
bung zum Consul ward derselbe auch zugleich Senator. Es wurde
als etwas ganz Ungewöhnliches angesehen , dass ein regierender
Kaiser als consul suffectus die höchste Magistratur bekleidete 5 ). Es
führte sie Caligula nur zwei Monate und zwölf Tage, bis zum
12. September 0 ). Mit den Idus des September traten die früher für
die zweite Hälfte des Jahres Designirten als neue consules sufFecti
in’s Amt 7 ). Die Namen derselben finden sich nicht aufgezeichnet.
*) Dio Cass. L1X, 6.
2) Inschrift aus dem J. 37 bei Orell. nr. 3397. S • P • Q • R • C • CAESAR • AYG • GERM •
P • M* TR • POT * COS. Nur den Ehrentitel Pater Patriae hatte er anfänglich nicht
angenommen: doch legte er ihn sich auch sehr bald bei. Dio Cass. LIX. 3. Mommsen
J. R. N. nr. 2212: in honoreM cai caESARIS AVGVSTI german. IMP • PONTIF.
MAX ’ p. p. trib. poteSTATE CONSVLIS. Den Titel Imperator führte er nicht immer;
übrigens nahm er nicht wie die andern Kaiser mehrere Imperatoren-ßegriissungen an.
3 ) Sueton. Calig. c. 17.
4 ) Dio Cass. LIX, 6. Sueton. Calig. c. 13. Patruum Claudium collegam sibi in consulalu
assumpsit. Sueton. Claud. c. 7.
5 ) Der Fall hei Claudius im J. 43 war ein ganz anderer. (Sueton. Claud. c. 14). Es war
da nur eine Verlängerung des gewöhnlichen Consulats, so dass kaum von einem con
sul suffectus die Rede sein konnte.
6 ) Dio Cass. LIX, 7. Ta03-’ ovTO)g s'v rj? vkoczslcc eVrpa^e, duo re piYjffi xai vjpic'pa?
doiftsxcc aurvjv Weniger genau lauten die Angaben des Sueton. Caligul.
c. 17. Consulatum gessit (Caius) primum ex Kal. Julii per duos menses. Claud.
c. 7. Claudius consulatum gessit una (cum Caio) per duos menses.
7 ) Dio Cass. 1. c. Tov Xot7rov r>5? e^afAvjvou %povov rot? TrpoaTrodefter/pievois e$
avTYjv (uTräretav) akeöojxs.
Die Consulnle der römischen Kaiser etc. 251
Es ist eine blosse Vermuthung eines neuern Schriftstellers, dass sie
Ti. Vinicius Quadratus und Q. Curtius Rufus geheissen J ).
Zweites Consulat des Caligula.
Caligula hatte abgelehnt, im zweiten Jahre seiner Regierung
wiederum das Consulat zu führen: er duldete, dass es in diesem
Jahre (38 n. Chr.) M. Aquilius Julianus und P. Nonius
A s p r e n a s bekleideten.
Aber im dritten Regierungsjahre (792 d. St. = 39 n. Chr.)
führte er wieder die Fasces 3 ) und er hatte zum Collegen den L.
Apronius Caesianus 3 ). Das Cognomen des Mitconsuls findet
sich in einigen Fastis corrumpirt als Cestianus, Celianus und Cer-
sianus 4 ).
L. Apronius Caesianus war der Sohn des L. Apronius, der im
J. 8,n. Chr. eonsul suffectus gewesen und im J. 20 einen Aufstand
in Afrika als Proconsul unterdrückte 5 ). Damals focht auch der junge
Caesianus in Afrika, später kam derselbe als Propraetor nach Ger
mania inferior und focht unglücklich gegen die Friesen 6 ).
Caligula führte sein zweites Consulat nur 30 Tage 7 ); den Mit-
consul liess er im Amte für die Dauer der bestimmten Zeit bis zum
1. Juli; an seine Stelle aber erhob er den Stadtpräfecten M. San-
*) Pighius gibt diese beiden als consules suffecti vom 1. September an.
2 ) Murat. 444,2. Inschrift auf einem in Spanien zu Cordova gefundenen Meilenstein. Nach
Laborde voyage de l’Espagne fase. 31 und Orelli nr. 3201 vollständiger: C‘CAESAR•
GERMA | NICVS GRRMANJCI | CAESARIS F • TI • AVG • N | DIYI AVG • PRON • DIVI
| IVL • ABN • AVG • PAT • PATR | COS II • IMP • TRIB • POTE | STATE II • PONTIF .
MAX | A BAETE ET IANO AVGVSTO | AD OCEANVM | LXXX1II.
3 ) Murat. 303, 3. Orell. 6445 (Calend. Antiatin.) C. CAESARE AVG. GERMANICO
L • APRONIO • CAESIANO COS. Es ist auffallend, dass nach Germanico nicht die Zahl
11. steht. Den Mitconsul nennt Dio Cass. LIX. 13. Aou'/aog ’Anpöviog, der Auctor
Vitae Lucani L. Caesianus (Lucanus natus est III. Non. Nov. C. Caesare Augusto
Germanico II. L. Caesiano Cos.) Chronogr. Ravenn. C. Caesare II. et Caesiano;
Idat. Chr. Caesare II. et Caesiano. So auch das Fragm. fastor. Cuspin. Victorius,
Prosper und Cassiodor haben hier das unrichtige Consulpaar Publicola und Nerva,
welche Almeloveen als consules suffecti beim J. 40 angibt.
*) Der Index Consul. bei Dio Cass. üb. LIX: I\ Kuicrap reppavixog zo ß' xal A.
’Ajrpovto? A. öl. Kskmdg r t Keortavd?. Chronic. Pasch. KXau&tou Kaiaupog
■/.ui Kspoxavoti.
5 ) Tacit. Annal. IV, 73.
6 ) Tacit. Annal. III, 21. XI, 19.
7 ) Suet. Calig. c. 17 (consulatum gessit) secundum ex Kal. Januariis per triginta dies.
Dio Cass. LIX, 13. 'XxuTivau; Tptäxovv« ds dr] vjps'pa; ^p?£.
252
Joseph A s c h haeh
guinius Maxiraus *), der schon früher einmal und zwar vor 32
consul suffectus gewesen. Er befehligte später Truppen in Germania
inferior, wo er gegen die Chauken unglücklich kämpfend bald nach
her starb (47 n. Chr.) s ).
Die beiden Consuln traten am 1. Juli vom Amte ab und an ihre
Stelle kamen Cn. Do mit ins Corbulo und ein dem Namen nach
uns Unbekannter. Sie hatten ursprünglich für die zweite Hälfte des
Jahres 39 im Amte bleiben sollen. Allein die Laune des Kaisers ent
fernte sie schon nach zwei Monaten. Sie hatten seinen Unwillen in
doppelter Weise erregt; denn sie hatten seinen Geburtstag, den
31. August 3 ), nicht mit Spielen gefeiert, und hatten den Jahrestag
der Schlacht bei Actium, den 2. September, festlich begangen.
Caligula nahm letzteres als eine ihm zugefügte Beleidigung auf, da
er mit der Familie des Antonius verwandt war. An demselben Tage
noch liess er beide Consuln vom Amte abtreten und ihre Fasces
zerbrechen 4 ). Das nahm der eine von ihnen sich so zu Herzen, dass
er sich selbst tödtete 5 ). Sein College Domitius Corbulo batte früher
in grosser Gunst des Caligula gestanden. Derselbe batte die für die
Unterhaltung der öffentlichen Strassen bestimmten Gelder unter
seiner Verwaltung gehabt, die er dem Kaiser zu seiner unsinnigen
Verschwendung überliess. Gerade desshalb batte ihn Caligula zur
Belohnung zum Consul erhoben 6 ). Freilich hatte es den Anschein
gehabt, als habe das Volk, nicht der Kaiser den Consul gewählt.
Denn bereits hatte Caligula dem Volke das ihm von Tiberius ent
zogene Recht, die Magistratspersonen in den Comitien zu wählen,
zurückgegeben. Desswegen fanden aber doch keine eigentlichen
freien Wahlen Statt: denn nur solche, die der Kaiser gewählt haben
wollte, traten als Bewerber um die Ämter auf, andere wagten den
Candidatis Caesaris gegenüber nicht um das Amt nachzusuchen und
!) Dio Cass. LIX, 13. Atiuxcw ’Ajrpovi'o) tü auvap/ovu sc p.vjvas sVtrps^aj xai
avröv Mafip.oc 7roXiap)(toV fttsös'^aro. Das Pränoinen Marcus bei
Sanguinius isl nicht ganz sicher. Almeloveen nennt ihn unrichtig Sabinus Maximus
2 ) TacLt. Anu. VI, 4. 7. XI, 18.
3 ) Suetou. Calig. c. 8. C. Caesar natus est pridie Kal. Sept.
4 ) Sueton. Calig. 26. Consulibus oblitis de natali suo edicpre , abrogavit magistratum
fuitque per triduum sine summa potestate respublica. Cf. Dio Cass. MX, 20.
5 ) Dio Cass. LIX, 20.
6 ) Dio Cass. LIX, lii.
Die Consulate der römischen Kaiser etc.
253
traten zurück. So blieben die, welche der Kaiser gewählt haben
wollte, ohne Mitbewerber, und von einer eigentlichen Wahl konnte
da keine Rede sein. Aber es war doch die äussere Form einer repu
blikanischen Einrichtung gewahrt, die aber den Römern so unwürdig
erschien, dass sie es ohne Unwillen ertrugen, dass dieses scheinbare
Wahlrecht den Comitien wieder entzogen ward und auch die Consuln,
wie unter Tiberius, vom Kaiser ernannt wurden 4 ).
Was den Domitius Corbulo hinsichtlich seiner weiteren Lebens
schicksale angeht, so ist in der Kürze zu bemerken, dass er unter
Kaiser Claudius im J. 47 n. Chr. in Germania inferior commandirte
und gegen die Friesen und Cbauken Krieg führte. Er erhielt wegen
seiner siegreichen Kämpfe vom Kaiser die Insignien des Triumphs.
Unter Nero ward ihm als kaiserlichen Legaten der Oberbefehl im
Kriege gegen die Parther und Armenier anvertraut, und er führte
darin grosse Kriegsthaten aus. Dessen ungeachtet liess ihn Nero
hinrichten 2 ).
Von den beiden neuen consules suffecti, seit dem 2. September,
welche Caligula ernannte, ist nur der eine, der berühmte Redner
Domitius Afer bekannt. Ob er das Pränomen Sestus gehabt, ist
nicht ganz sicher. Statt Afer wird ihm auch das Cognomen Africanus
beigelegt. Domitius Afer hatte sich durch Schlauheit und Schmei
chelei bei Caligula in Gunst gesetzt. Der Redner war angeklagt,
auf einem Rildnisse des Kaisers in der Inschrift sich darüber aus
gelassen zu haben, dass derselbe in seinem siebenundzwanzigsten
Jahre schon zum zweiten Male Consul sei. Caligula lud daher den
Domitius vor den Senat und beschuldigte ihn, sich gegen die kaiser
liche Majestät verfehlt zu haben. Indem Domitius wusste, wie eitel
Caligula auf sein eingebildetes Rednerlalent war, so gab er jede
Vertheidigung auf, scheinbar besiegt von der unüberwindlichen Kraft
der kaiserlichen Beredtsamkeit, die er in überschwenglicher Weise
bewunderte; er flehte demüthigst den Kaiser an, ihn durch die Kraft
seiner Rede nicht gänzlich niederzuschmettern. Dieser plumpe Kunst
griff glückte. Domitius wurde vom Kaiser begnadigt mit den Worten:
„Gehe, aber lass dir nicht mehr beikommen, ein guter Redner zu
,>) Dio Cass. L1X, 20.
2 ) Tacit. Ann. III, 31. XI, 18 — 20. XIII, 8, 3S, 37, 41. XIV, 24. XV, 3, 9, 12, 17, 2S.
Hist. II, 76. Dio Cass. LX, 30. LXII, 19 — 23. LXIII, 17.
254
Joseph A s e h b ach
sein“, und kurz darauf ward er von ihm zum Consul erhoben. Er
starb unter Nero 59 n. Chr. *).
Wer der College des Domitius Afer in den letzten Monaten des
J. 39 gewesen, kann nicht mit Bestimmtheit angegeben werden. Ob
es Q. Curtius Ruftis 2 ), wie Almeloveen meint, war, der schon beim
J.ihre 37 von Pighius als consul suffectus genannt wird, dürfte höchst
zweifelhaft sein. .
Drittes Consulat des Caligula.
Unmittelbar nach dem zweiten Consulate führte Caligula im
J. 793 d. St. (40 n. Chr.) zum dritten Male die Fasces 3 ) .ln In
schriften 4 ), bei Schriftstellern 5 ) und in den Fastis 6 ) wird Caligula
als alleiniger Consul des benannten Jahres bezeichnet. Er trat das
Amt, von Rom abwesend, zu Lugdunum (Lyon) in Gallien an. Aller
dings war ihm ein College designirt worden, der am 1. Januar das
Amt antreten sollte; dieser aber starb plötzlich, ehe er mit dem
Consulat bekleidet wurde 7 ). Bei der Abwesenheit Caligula’s wagte
kein Volkstribun, kein Prätor, den Senat zu versammeln. Die Prä
toren, welchen in der Abwesenheit der Consuln oblag, ihre Stelle zu
vertreten, hätten eigentlich das Nöthige zur neuen Consulwahl ver
fügen sollen. Sie wollten aber dem Kaiser nicht in’s Amt greifen,
und unterliessen daher jeden Schritt, der ihnen vom Kaiser übel
gedeutet werden konnte. Zwar versammelte sich einigemale der
*) Dio Cass. LIX, 19, 20. Tacit. Ann. IV, 52, 66. Ann. XIV, 19. Quintil. Instit. Orat. X,
1, 118.
2) Tacit. Annal. XI, 20 und 21.
3 ) Die Münzen bei Eckhel doctr. numism. vet. VI, 224: C • CAESAR DIVI AVG • PRON.
A VG • S • C + COS • DES • III • PON • M • TR • P • III • P • P • R • CC • (i. e. Remissa Du
centesima). VI, 225: C • CAESAR AVG • PON • M • TR • P • III • COS • III + S • P • Q *
R • P • P • OB • C • S (i. e. Cives Servatos). C • CAESAR DIVI AVG • PRON • AVG + R •
CC • COS • TERT • PON • M • TR • P • III • P • P.
4 ) Murat. 303, 3 = Orelli 6445. Calend. Antiatin. c. CAESARE AVG. GErmanici III cos.
5 ) Tacit. Agricol. c. 44. Natus erat Agricola Caio Caesare tertium consule.
6 ) Index Cons. Dio Cass. T. Katcap tg •)' p.6vog. Cbronogr. Ravenn. C. Caesare
III. solo. Das Chronic. Pasch, irrthümlich KXaudtou Kodaapog to ß’ p.o'vov (to ß'
statt to •)', weil das erste Consulat, wo Caligula die Fasces als consul suffectus
führte, nicht gezählt wurde). Iaat. Chr. Caesare III. et Solo verkehrt statt Cae
sare III solo.
7) Sueton. Calig. c. 17. Tertium (consulatum) autem Lugduni iniit solus, non ut qui-
dam opinantur, superbin negligentiave, sed quod defunetum sub Kalendarum (sc.
Januariarum) diem coilegam rescisse absens non potuerat. Dio Cass. L1X, 24.
Die Consuiate der römischen Kaiser etc.
255
Senat zu den am Anfänge des Jahres üblichen Opfern und feierlichen
Gelübden, wozu durch sämmtliche Prätoren vorher eine öffentliche
Anzeige erlassen worden war, aber es wurde von dem Senate nicht
irgend ein Beschluss gefasst 1 ). Endlich gelangte die Nachricht von
Lugdunum nach Rom, dass Caligula am 12. Januar die Consulvvürde
niedergelegt und den Befehl gegeben habe, dass die für die spätere
Zeit (wohl für die Zeit vom 1. Juli an) Designirten sogleich in’s Amt
treten sollten 2 ). Sie bekleideten dann wahrscheinlich das Consulat
bis zum Schlüsse des Jahres.
Weder der Name des designirten Mitconsuls des Kaisei’s, noch
die Namen der beiden consules'suffecti, die im Januar noch in’s Amt
traten, werden uns bei den Schriftstellern genannt. Der Name des
designirten Mitconsuls konnte natürlich nicht in die Fasti aufgenom
men werden, da er ja das Consulat nicht angelreten hatte. Yictorius,
Prosper und Cassiodor, die einander ausschrieben oder eine gemein
schaftliche Quelle benützten, bezeichnen das Jahr mit Caesar (ohne
Zahl) et Julianus. Julianus kann jedenfalls nicht der vor dem
I. Januar gestorbene designirte Mitconsul sein, der Name muss auf
einen der beiden consules suffecti bezogen werden. Zur Ermittlung
der Namen derselben zeigt sich Frontinus sehr dienlich. Nach einer
chronologischen Angabe bei ihm, die man auf unser Jahr 40 n. Chr.
zu beziehen berechtigt ist, waren damals Sex. Julius Celer und
Nonius Quintilianus Consuln. Da Frontinus die Jahre sonst nur
nach consules ordinarii angibt, so ist zu vermuthen, dass er beim
J. 40, wo er in den Fastis entweder nur den einen Consul Cajus
Caesar fand, oder wo vielleicht auch dieser Name getilgt war,
sich einer besonderen Bezeichnung für das Consulatsjahr 40 be
dienen und die consules suffecti nennen musste. Damit aber auch
Anderen das wirkliche Jahr verständlich sei, knüpfte Frontinus
an das Jahr 38 an, worin Aquilius Julianus und Nonius Asprenas
Consuln waren und drückte sich daher in solcher Weise aus, dass
er sagte: Im dritten Jahre nach den Consuln Aquilius Julianus und
Nonius Asprenas, als Sextus Julius Celer und Nonius Quintilianus
Consuln waren s ).
*) Üio Cass. LIX, 24.
2 ) Dio Cass. 1. c. Ms'xpt ou 6 Tatoc ypepct ry?v apyrjv aneuzo» y-flekäv).
totc *yap 7rapaXa/3ovre? aur^v oi ig ro zkeitoi xc^stpowj/jisvot.
s ) Frontin. de aquaed. c. 102. Aquilio Julian« Celere et Nonio Quintiliano coss. —
256
Joseph A s c h h a c h
Es ist offenbar, dass durch die theihveise Namenstilgung des
Caligula in den Fastis, durch sein alleiniges Consulat im J. 40, durch
die Aufnahme von consuies suffecti in die Reihe der consules ordi-
narii, und durch gleichlautende Consulnamen, wie Julius und Julia
nus, Nonius Asprenas und Nonius Quintilianus, eine arge Verwir
rung in die Fasti, hinsichtlich der J. 39—41 gebracht worden ist.
Dieses ist recht aus den Angaben des Prosper und Cassiodor zu
ersehen, wo folgende Reihenfolge der Consuln, nach Julianus und
Asprenas, mit einem ganz neuen vierten Consulpaar gegeben ist *):
Publieola et Nerva,
Caesar et Julianus,
Caesar II. et Saturninus,
Secundus et Venustus.
Viertes Consulat des Caligula.
An das dritte Consulat des Caligula reihte sich im folgenden
Jahre, 794 d. St. = 41 n. Chr., das vierte **), welches er nur eine
einzige Woche (bis zum 7. Januar) 3 ) führte. Sein College im Amt
war C n. S e x t i u s Saturninus 4 ).
post annum Sex. Julio Celere et Nonio Quinliliano. Für post annum ist zu lesen
post annü III, i. e. post annum tertium s. v. a. anno tertio post.
!) Almeloveen fast, consul. pag. 216 gibt nach seiner willkürlichen Combination fol
gende Consuln für das J. 40:
C. Caesar Caligula Aug. sine collega abdicavit pridie Id. Jan.
L. Gellius Poplicola,
M. Cocceius Nerva,
ex Kal. Jul. Sext. Junius (Nonius) Celer,
Sext. Nonius (Junius) Quintilianus.
L’artde verifier les dates: Cajus Aug. III. seul. Quelqu’uns lui joignent mal L. Gel
lius Poplicola.
2 J Eckhel doctr. VI, 226. C • CAESAR • AVG • PON • M - TR • POT • 1111 • COS • 1111 und
C • CAESAR DIV1 AVG • PRON • AVG • SC + COS ■ QVAT • PON • M • TR • P • IUI • P •
P • R • CC.
3 ) Sueton. Calig. c. 17. Consulatum gessit — quartum usque in VII idus easdem (Ja-
nuarias). Ex oranibus duos novissimös eonjunxit. Genauer hätte Suetonius sageu
müssen: tres novissimos eonjunxit.
4 ) Uber dieses Consulpaar gibt es weder eine inschriftliche noch eine unbestrittene
schriftstellerische Angabe. Der leunclavische Index Consul. des Dio Cass. hat I\
Kaiaap xd xal Tv. levrtog, Tvatou ut. Zaropvtvog. Der Chronogr. Ravenn.
gibt Caesare IIII. et Saturnino. Cassiodor. hat wie Victorius und Prosper eine
unrichtige Zahl : Caesar II. et Saturninus. Idatius hat zwar Caesare IIII. richtig,
aber den Namen des Collegen unrichtig et Antonino, was als Schreibfehler für et
Die Consulate der römischen Kaiser etc.
257
Als Caligula vom Consulate abging, trat für ihn Q. Pomponius
Secundus ein. Es war ein niedriger Schmeichler, der den Aus
schweifungen des Kaisers und seiner Schaulust immer wieder neue
Gegenstände zuzuführen bemüht war 1 ). Während eines Schauspiels
im kaiserlichen Palaste sass dieser Consul zu den Füssen des Kaisers
und bedeckte sie von Zeit zu Zeit mit seinen Küssen 2 ). Als wenige
Tage später (am 24. Januar) Caligula ermordet worden war, so
wurde zwar die Regierung des wahnsinnigen Tyrannen nicht im
Allgemeinen verworfen: er wurde nicht für einen Vaterlandsver-
räther erklärt, sein Leichnam auch nicht durch die Strassen
geschleift und in die Tiber geworfen, aber man unterliess doch
seine Apotheose, entfernte seine Bildsäulen und tilgte seinen Namen
auf den öffentlichen Monumenten und . in den Fastis. Namentlich
bezeichnete man das Jahr 41, worin er ermordet war, nicht weiter
mit seinem Namen. In allen weiteren öffentlichen Erlassen mit Dati-
rung wurden als die consules ordinarii Cn. Sextius Saturninus und
Q. Pomponius Secundus aufgeführt 3 ). Auch die Schriftsteller 4 )
bezeichnen das Jahr mit diesen Consuln.
Ob dieselben bis zum Schlüsse des Jahres im Amte verblieben,
ist nicht gewiss. Dass C. Clodius Licinus ein consul suffectus dieses
Jahres gewesen 5 ), ist eben so wenig sicher, als die Annahme, dass
Saturnino 7.11 betrachten ist. Noch ungenauer ist das Chron. Pasehal. ICXauötou
Koa'aapoj xd 7' (fiir tö 8') xai ’Avrwvivou (für üaropvt'vou). Ein doppelter
Irrthum und eine mehrfache Corrumpirung der Namen linden sich hei Johann. Ma-
lalas Chronogr. ed. Bonn. p. 216, wo des K. Claudius Regierungsantritt (im J. 41)
bestimmt ist: inl TYjg vn<xreiotg Kccffi'ov xoci SoXcovoc:,* entweder hat Malalas das
Jahr verwechselt und aus Caio III. solo gemacht Tatou xal SoXcovos, oder wenn
er wirklich das Jahr 41 nannte, so ist Tctiov xcd Sevrtou oder Fcdov xal Sarop-
vtvou zu lesen.
1 ) Tacit. Ann. XI, 13. Auch in der dramatischen Dichtkunst war er ausgezeichnet. Quin-
tilian Instit. Orat. X, 1, 98.
2) Dio Cass. LIX, 29.
3 ) Mommsen I. R. N. nr. 6779. — ID1B • MAIS CN • SENTIO SATVRNIN ... Q • POM-
PONIO SICVND • COS. nr. 7223. — CN • SENTIO Q • POMPONIO COS.
4 ) Joseph. Flav. hell. Judaic. II, 11, 1. Twv vitäzow Ssvrtou Saroypvtvou xal
najfATrwvtou Sexouvöou. Cramer Anecdot. Paris, p. 23. Xs'vrtog rs xal Xsxoövöog
ol Ükolvol. Dio Cass. LIX, 29. riop.7romog Xg'xouv^o? 6 tote (kurz vor Caligula’s
Ermordung) U7rarsuwv.
5 ) Nach der Behauptung von Elemente (de aer. vulg. emendat.), welche aber Marini
(frat. arv. II, 840) bestreitet; E una supposizione mera (di Elemente) che Licino
(C. Clodio) fosse messo nel luogo dell’ altro suffetlo Secondo.
Sitzh. d. phil.-hist. CI. XXXVI. Bd. III. Ilft. )8
258
Joseph Asch b a ch
vom i. Juli Venustus entweder für Sextius Saturninus oder für Q.
Pomponius Secundus in’s Consulat getreten sei').
Noch soll nicht unerwähnt gelassen werden, dass der wahn
sinnige Caligula sein Lieblingspferd Incitatus zum Consul machen
wollte. Nach der Erzählung des Dio Cassius Hess er ihm vergoldete
Gerste und Wein in goldenen Pocalen vorsetzen. Er schwor bei dem
Lehen und Glücke desselben. Wenn er länger gelebt hätte, würde
er es zum Consul ernannt haben, wie er schon gelobt hatte 2 ).
Da die Kaiser in ihren Titeln, sowohl auf Münzen wie in
Inschriften, angeben wie oft sie das Consulat bekleidet hatten, so
können die Kaiser-Consulate häufig zur chronologischen Führung
dienen, namentlich dann, wenn, wie bei Caligula der Fall war,
das Consulat einige Jahre ununterbrochen nach einander bekleidet
wurde. In den Jahren, wo die Kaiser nicht dieFasces führten, zähl
ten sie doch die bereits von ihnen bekleideten Consulate, daher
diese Zählung keineswegs immer ein bestimmtes Jahr bezeichnet.
Einen durchgehenden genauen chronologischen Anhaltspunct liefert
die Angabe der Tribunitia Potestas und die Zählung ihrer Erneuerun
gen, welche mit den Regierungsjahren der Kaiser von Caligula bis
Nerva ganz und gar zusammenfallen. Der Tag des Regierungs
antrittes ist zugleich der Anfang der Tribunitia potestas! Bei Cali
gula ist er der 16. März 37. Da in seiner fast vierjährigen Regierung
(vom IG. März 37 bis 24. Januar 41) vier Consulate Vorkommen und
er jedes Jahr, mit Ausnahme von 38, die Fasces führte, so ergehen
sich folgende chronologische Anhaltspuncte:
Im J. 37: Cos. (vom 1. Juli) Trib. Pot. (vom IG. Mürz).
„ „ 38: Cos. Trib. Pot. (Trib. Pot. II. vom IG. März bis 31. Dcc.).
„ „ 39: Cos. II. Trib. Pot. II. (Trib. Pot. III. vom 16. März bis 31. Dec.).
„ „ 40: Cos. III. Trib. Pot. III. (Trib. Pot. IV. vom IG. März bis 31. Dcc.).
„ „ 41: Cos. IV. Trib. Pot. IV. (bis 24. Jan., dem Todestage Caligula’s).
D Prosper, und Cassiodor. schieben heim J. 41 das irrthündiche Consulpaar Secundus
et Venustus ein, Victorius gibt dafür Saturnino II et Vennsto. Almeloveen p. 117
nennt vom 1. Juli den Venustus als consul sufieetus, ohne zu bestimmen, oh er für
Saturninus oder Pomponius Secundus in’s Amt getreten.
2 ) Bio Cass. LIX, 14.
Oie Consulate der römischen Kaiser etc.
259
Die Consulate des Claudius.
Der Kaiser Tiberius Claudius, Bruder des Germanicus und
Oheim des Caligula, führte fünfmal die Fasces. Einmal war er
consul suffectus zugleich mit dem K. Caligula im J. 37 n. Chr., vier
mal consul Ordinarius und zwar bekleidete er zwei Consulate nach
einander im J. 795 und 79G d. St. (42 und 43 n. Chr.). Die beiden
folgenden jedes nach einem Zwischenraum von 3 Jahren im J. 800
und 804 d. St. (47 und 51 n. Chr.). Im letzten Consulat verblieb
er ein halbes Jahr im Amt: in allen übrigen jedesmal nur zwei
Monate; nur im dritten Consulate verlängerte er es sich in ausser
ordentlicher Weise als consul suffectus auf sechs Monate <).
Erstes Consulat des Claudius.
Das erste Consulat führte Claudius vor seiner Kaiserherrschaft
als römischer Ritter, noch ehe er im Senate sass, mit seinem Neffen,
dem Kaiser Caligula, im J. 790 d. St. (37 n. Chr.), im Consulats-
jahre des Cn. Acerronius Proculus und C. Pontius Nigrinus, als consul
suffectus, zwei Monate hindurch, vom 1. Juli bis zum September 2 ).
Vgl. darüber das Nähere heim ersten Consulate des Caligula.
Zweites Consulat des Claudius.
Nachdem vier Jahre 3 ) seit seinem ersten Consulate ver
flossen waren, führte Claudius (795 d. St. = 42 n. Chr.) sein
zweites 4 ), zwei Monate hindurch 5 ). Zum Collegen hatte er den
C. Caecina Largus 6 ), der das ganze Jahr hindurch im Amte
*) Sueton. CI aut]. c. 14. Consulatus super pristinum quatuor gessit: ex quibus dnos
primos juuetim: sequentes per intervallum, quarto quemque anno, semestrem novis-
simum, bimestres ceteros.
2 ) Sueton. Calig. c. 15. Patruum Claudium equitem Romanum ad id tempus (Caligula)
collegam sibi in consulatu assumpsit. Claud. c. 7. Consulatum gessit una (cum
Caio) per duos menses. Dio Cass. LIX, 0. Avzog (Caligula) virazzuas rdv KXau-
&tOV TÖV 3cf0V XpOSXoLßdw.
3 ) Sueton. c. 7.
4 ) Eckhel VI, 239. TI • CLAVDIVS CAES • AVG. -f COS • II • PON • M • TR • P • IMP • P •
P- SC. Murat. 225,6. Gruter. 166,4. TI • CLAVDIVS DRVSI F*CAESAR AVGVSTVS
GERMAN1CVS PONT • MAX • TRIß • POT • II • COS • II DESIG • III • IMP • III • P • P.
5 ) Sueton. Claud. 14. Dio Cass. LX, 10.
6 ) Murat. 305. ti . CLAVDIO CAESARE AVG . . CAECINA LARGO COS. Cf. Orelli
6445. Tessera gladiatoria bei Marini fr. arv. p. 823 = Cardinali dipl. n. 213 :
PINITVS | ALLEI | SP . K. FEB . TI . CL. CAES | C . CAEC. COS. Dio Cass. LX, 10
18*
260
Joseph A s c h b a c h
verblieb J )- — In diesem Jahre ertheilte der Kaiser dem jüdischen
Fürsten Agrippa consularische Auszeichnung 3 ) und er selbst empfing
die zweite und dritte Imperatoren-Begrüssung in Folge der Siege,
welche Sulpicius Galba über die Chatten und P. Gabinius über die
germanischen Marsen erfocht.
Da der Kaiser mit dem letzten Februar vom Consulat abgetre
ten war, so musste an seine Stelle ein consui suffectus kommen.
Mau glaubt 3 ), dass es C. Yibius Crispus (oder Crispinus) gewe
sen, der wenige Jahre später (44 n. Cbr.) zum zweiten Male die
Fasces, aber als consui Ordinarius führte. Dieser Römer stand mehr
durch seinen Reichthum und durch seine glänzenden Geistesgaben
als durch seine Rechtlichkeit in Ansehen. Unter Nero und Yespa-
sianus befand er sieb am Hof in der kaiserlichen Umgebung, und
seine witzigen Reden waren vielfach verbreitet 4 ).
Drittes Consulat des Claudius.
Unmittelbar an das zweite Consularjahr des Claudius reihte sich
sein drittes [79G d. St. = 43 n. Cbr.] 5 ), worin er ebenfalls nur
zwei Monate hindurch die Fasces führte«). Sein Mitconsul war L.
Vitellins, der Vater des nachherigen Kaisers A. Vitellius 7 ). Er
nennt den Mitconsul Caius Largus: das Chron. Pasch., welches bei KXavÖiov
Kaitjccpog die'falsche Zahl vd rj' angibt, hat auch den Namen Largus: in dem
andern Fastis ist er unrichtig angegeben: Chron. Rav. Tito (st. Tiberio) Claudio
II. et Longo (so auch das fragm. ex fast. Cuspinian.); Idat. Chr. Claudio II. et
Larbo. Auch Ascon. ad Cic. Or. pro Scauro ]>. 1073 gibt Longus Caecina consui
cum Claudio. Ob der von Plin. hist. nat. XVII. 1 envähnte Caecina Largus, in dessen
Hause Plinius in seiner Jugend oft gewesen zu sein versichert, unser Consui C.
Caecina Largus gewesen, lässt sich nicht mit Sicherheit behaupten.
1 ) üio Cass. LX, 10. r O IQauöto? vjraveve de p.era Tcaou Aup^jov xat sxetvw
[j.iv di 3 k'vovg ap!-at sy^xsv, avrog de ovo p.vjal xat z6re r^v etj^ev.
2 ) Dio Cass. LX, 8.
3 ) Almeloveen und Muratori.
4) Plin. hist. nat. XIX, 1. Taeit. Annal. XIV, 28. Hist. II, 10. IV, 41,42, 43. Dialog, de
orat. 8. Dio Cass. LXV, 2. Quintil. lib. X, 1, 119. Suet. Domit. c. 3. Juvenal. Satyr.
IV, v. 81 sqq.
5) Gruter. 188,4. TI • CLAVD1VS CAESAR AVG • GERMANICVS PONT -MAX • TR1B • POT-
III • COS • III • IMP -III • P • P-DD. So auch Grut. 188,8 = Murat. 444,5. Murat. 225,9.
2006,6 und 7. Orelli nr. 4343 [Murat. 304,2: PRO SALVTE TI • CLAVDI CAESARIS
AVG • PONT • MAX • TR • POT • III • COS • III • DES • 1111 — geht auf das J. 46 und es
ist daher bei TR • POT nicht III, sondern VII zu lesen].
6 ) Sueton. Claud. c. 14.
7 ) Murat. 304, 1. K. FEBR . TI. CLAVDIO CAES . III. L . VITELLIO II. COS. Murat.
305 = Orell. 6445 nach dem Calend. Antiat. TI. CLAVDIO CAESARE AVG..L.
Die Consulate der römischen Kaiser etc.
261
hatte schon früher (im J. 34 n. Chr.) mit Paullus Fabius Persiens
das Consulat bekleidet J ), und später führte er es nochmals mit
Claudius (im J. 47 n. Chr.) a ). Hinsichtlich seiner Sitten und seines
Charakters war L. Vitellius in früheren Jahren in ziemlich schlechtem
Ruf gestanden. Später aber zeigte er sich tüchtig in den Staats
geschäften; doch hatte er an den Intriguen der Kaiserinnen Messalina
und Agrippina, welche am Hofe des Claudius herrschten, grossen
Antheil 3 ). Dabei wusste er sich in der Gunst des Kaisers in dem
Maasse zu behaupten, dass derselbe nicht nur zweimal mit ihm das
Consulat theilte, sondern ihn auch zum Censor ernannte und ihn
wie seine Familie auf jegliche Weise auszeiehnete 4 ). — Auf die
Nachricht, dass der nach Britannien zur Eroberung der Insel abge-
sandte Aulus Plautius ansehnliche Hilfsvölker bedürfte, machte der
Kaiser seihst dahin einen Feldzug 5 ). Claudius überliess während
seiner Abwesenheit von Rom seinem Mitconsul Vitellius die Führung
der Reichsgeschäfte; er hatte demselben wie sich seihst das Con
sulat auf volle sechs Monate verlängert 6 ), da einer der designirten
consules suffecli, welcher im März oder April hatte in’s Amt treten
sollen, gestorben war 7 ).
Dass es vom 1. Juli an consules sulfecti gegeben habe, ist kei
nem Zweifel unterworfen; es lässt sich aber nicht mit Sicherheit
nach weisen, wie sie geheissen hahen 8 ).
VITELLIO COS. Dio Cass. LX, 17 u 21. Die Fasti geben das Consulpaar hinsicht
lich der nähern Bezeichnung ungenau. Des Chron. Pasch. KXau&tou Kaiactpog zd
e' xal BtrsXXcou; Chron. Rav. Tito Claudio III. et Vitellio ; Idat. Chr. Claudio III.
et Vitellio. Prosp., Victor, und Cassiod. haben ganz unrichtig: Tiherio et Gallo
oder Gallio.
l ) Tacit. Annal. VI, 28.
а ) Vgl. viertes Consulat des Claudius.
3) Tacit. Annal. VI, 32. XI, 3, 33. XII, 5, 42.
4) Tacit. Annal. XII, 4. Histor. I, 9. Vgl. I, 52. III, 6. Ann. XIV, 52. Sueton. Vitell. c. 2.
5 ) In diesem Jahre erhielt Claudius zwei weitere Imperatoren-Begrüssungen (die vierte
und fünfte. Muratori 2007, 1) wegen der britannischen Eroberung. Dio Cass. LX, 21.
б ) Dio Cass. I. c. '0 KXau&iog ra ph otxot ren OuireXXtw rw <7t>vap)(ovu ra zi
aXXa xal zovg orpariwra? ivs^sipuis (xal *yap iE, strou avröv lauxa) i^apjvov
oXov unrareucrat S7rolyj(7£V). Sueton. Claud. c. 14.
7 ) Sueton. a. a. 0. Consulatum gessit tertium novo circa principem exemplo in locum
demortui suffectus. Wenn Claudius sogleich im Anfang des Jahres
für einen vor Antritt seines Amtes mit Tod abgegangenen designirten Consul einge
treten wäre, so hätte er nicht als consul suffectus bezeichnet werden können. Clau
dius war in einem und demselben Jahre consul Ordinarius und consul suffectus.
8 ) Almeloveen (fast. cons. p. 117) lässt im Widerspruch mit Dio Cassius den P. Valerius
262
Joseph A s c h I) n c h
Viertes Consulat des Claudius.
Um die feierlichen Säcularspiele abzuhalten, führte Claudius
im vierten Jahre nach dem dritten Consulat sein viertes *), zwei
Monate hindurch 3 ), im J. 800 d. St. (== 47 n. Chr.). Sein College
war wiederum L. Vitellius, der die Fasces nun zum dritten Male
führte 3 ).
Dass es in diesem Jahre consules suft’ecti gab und zwar vom
1. März an, ist unzweifelhaft, aber es lassen sich mit Sicherheit
nicht ihre Namen angeben. Almeloveen hat in sein Verzeichniss den
Tib. Plautius Silvanus Aelianus aufgenommen 4 ).
Fünftes Consulat des Claudius.
Im vierten Jahre nach der Führung seines vierten Consulats
bekleidete Claudius sein fünftes 5 ), im J. 804 d. St. (bl n. Chr.),
Asiaticus am 1. März für Claudius in’s Amt treten; Pighius (Annal. III, 573) und
Muratori 305 nennen vom 1. Juli an als consules siiITecli den Q. Curtius Rufus und
Vipsanius Laenas.
1) Gruter. 113,1. PRO SALVTE TI-CLAVDI CAESARIS AVG• GERMANICI PONT*MAX*
TRIB • POT • VII • COS • IIII • IMP • XV -P • P • CENSOR1S. Mommsen I.R. N. nr. 6205.
TI • CLAVDIVS DRVSI F * CAESAR AVG. — TR • POT * VII • COS • IIII ' IMP • XI. Plin.
II. N. VII, 49: Saecularibus Iiidis — quos Claudius Caesar consulatu suo quarto fecit.
Tacit. Ann. XI, li. Iisdem consulibus (Claudio Caes. IIII L. Vitell. III im verlorenen
Buche X angegeben) ludi saeculares spectati sunt.
2 ) Sueton. Claud. c. 14.
3) Mommsen I. R. N . G303, 2 [= Orelli 7317] TI . CLAVD . CAES. AVG . . . L . VITEL •
III . COS, und ebenda TI. CLauDIO CAeSAR . AVGuS . IIII . L. viTELLlO III. COS.
Münzen mit der Legende: L. VITELLIVS COS. III. CENSOR. — Die fasti ausser
Idat. Chr. Claudio IIII. et Vitellio III. ungenau. Chron. Pasch. Tito Claudio IIII.
etVitellio; Prosp. et Vict. Tiberio II. et Vitellio; Cassiodor. Tiberius II. et Vitel
lius. — Sueton. Vitell. 2 (L. Vitellius) cum Claudio principe duos insuper ordinarios
consulatus gessit. Cf. Tacit. Hist. 111. 66 u. Annal. XIV, 56. Vitellio ter consuli.
Üio Cass. LX, 29. tö zizoepzov xod BircXXtog zd zpizov, oxraxcKTtooroit
zy 'Poip/y k'zovg ovzo5 UTrazeveav. Censorin. de die natal. c. 17. Sextos ludos
(saeculares) fecit Ti. Claudius se IIII. et L. Vitellio III. cos. ann. DCCC.
4 ) Eine Inschrift bei Grut. 453 und Fea Frammenti cos. p. CIII auf diesen Plautius:
TI • PL A VT IO M * F . . . SILVANO AEL1ANO — TI • CAESAR • LEG • LEG • V • IN
GERMANIA . . COMITI CLAVDI CAESARIS IN BRITANNI * CONSVLI... Orelli n. 750 •
TI• PLAVTiyS M • F • A -N* SILVANVS AELIANVS. Ein zweites Consulat des Tib.
Plautius Aelianus fällt in’s J. 76, fünf Jahre früher wird derselbe bei Tacit. Ilist. IV. 53
als Pontifex angeführt.
5 ) Eckhel VI, 243. TI • CLAVD • CAESAR AVG • P • M • TR • P • XI • IMP • P • P • COS • V
+ PACI AVGVSTAE. Murat. 1041,1 IMP • XXVI \ COS • V • P * P.
Die Consulate der römischen Kaiser etc.
263
sechs Monate hindurch 4 ). Sein Amtsgenosse war Ser. Cornelius
Orfitus 3 ).
Am 1. Juli traten consules suffecti in’s Consulat. Man glaubt,
auf inschriftliche Nachricht gestützt, dass es C. Minucius Funda
nus und C. Vettenius Severus gewesen 3 ). Freilich lässt sich
dagegen Manches einwenden, und man hat sogar behauptet, dass
dieses Consulpaar vielmehr in’s J. 102 n. Chr. gehöre 4 ); jedoch
dürfte dieses noch keineswegs festgestellt sein. Jedenfalls aber ist
gewiss, dass die am 1. Juli in’s Amt getretenen Consuln nicht bis
zum Schlüsse des Jahres darin verblieben.
In den letzten Monaten des Jahres führten wieder neue consules
suffecti das Consulat, von welchen aber nur einer, nämlich T. Fla-
vius Vespasianus, namentlich bekannt ist 5 ). Dieser war damals
als Legat einer Legion in Britannien gewesen. Es ist derselbe Ves
pasianus, der später den Kaiserthron bestieg. Er führte die Fasces
den November und December hindurch 6 ).
*) Sueton. Claud. 14..Claudius consulatus gcssit sequentes per intervallum quarto quem-
que anno : semestrem novissiinum.
2) Fea Frammenti p. XLII. TI • CLAVDIO CAESARE AVG * GERMANICO V • SER • COR
NELIO OREITO COS. Gruter. 300,1. ebenso, nur mit einigen kleinen Lücken bei den
Praenominibus und mit dem Zusatz P. R. C. (i. e. post Romam Conditain) ANN.
DCCCCI11I. Cf. Orelli 714 u. 713. Orelli nr. 6443. TI • CLAVDIO AVGVSTO V SER *
CORNELIO ORPHITO COS. Plin. Hist. Nat. II, 31. Trinos soles nostfa aetas vidit
Divo Claudio principe consulatu eius Cornelio Orfito collega. Tacit. Ann. XII, 41.
Ti. Claudio quintum, Ser. Cornelio Orfito Cos. Die Fasti haben Claudio et Orfito oder
Orphito (ohne Zahl bei Claudio) : nur der Chronogr. Rav. hat: Tito (für Tib.) Clau
dio V et Orfito. Die Orfiti und Crassi waren ein verwandter Zweig von der gens
Cornelia. Tacit. Ilist. IV, 42. Es ist wohl unser Ser. Cornelius Orfitus, welchen Tac.
Ann. XVI, 11 unter Nero’s Regierung (66 n. Chr.) erwähnt.
3 ) Gruter. 63, 1. 188, 6. Orell. nr. 1388 liest: C. MINICIVS FVNDANVS ET C.
VEITENNIVS SEVERVS.
4 ) Marini frat. Arv. p. 142 behauptet es und er bestreitet die Echtheit der Inschrift,
welche Gruter. und Orell. nicht anzweifeln. Marini meint, schon die Verbindung der
vollständigen Consulnamen durch ET in der Zeit des K. Claudius widerstreite dem
gewöhnlichen epigraphischen Gebrauch : auch käme es vor, dass zu echten Inschrif
ten später falsche Consuln zugesetzt worden , cf. S. 644. Clemente de aer. vulg.
emend. p. 149 und 131 und die Neueren, welche Marini’s U ntersuchungen nicht ken
nen, geben Minicius Fundanus und Vettenius Severus als consules suffecti des J. 31.
5 ) Sueton. Domit. Domitianus natus est IX Kal. Nov. patre consule designato inituro-
que mense insequenti honorem. Domitian war hei seinem Tode, im J. 96, fünfund
vierzig Jahre alt, er war daher im J. 31 geboren.
6 ) Sueton. Vespasian. c. 4. Vespasianus consulatum quem gessit per duos novissimos
anm menses.
264
Joseph Asch hach
Da Claudius in seiner fast vierzehnjährigen Regierung (vom
24. Jan. 41 bis 13. Oct. 34) nur fünfmal die Fasces geführt hat, so
können uns seine Consulate, mit Ausnahme des zweiten, worauf
unmittelbar das dritte folgte, keine feste chronologische Führung
abgeben, wenn nicht noch andere genauere Arilialtspuncte hinzu
kommen. Claudius, der sich nicht des Pränomens Imperator bediente,
empfing doch eine grosse Anzahl Imperatoren-Begrüssungen, gegen
das Herkommen selbst in einem und demselben Kriege mehrere, wie
im britannischen; daher hatte er schon im J. 52 bei seinem Titel
COS V-TRIB • POT • XII beigefügt Imperator XXVII. Durch die
Zahlen bei der Erneuerung der Tribunitia Potestas wird wie folgt
die Chronologie in der Regierung des Claudius festgestellt:
Im J. 41: Cos. Trib. Pot. vom 24. Jan. an.
„ „ 42: Cos. II. Trib. Pot. (nach dem 24. Jan. Trib. Pot. II).
„ „ 43: Cos. III. Trib. Pot. II. (nach dem 24. Jan. Trib. Pot. III).
„ „ 44: Cos. III. Trib. Pot. III. (nach dem 24. Jan. Trib. Pot. IV).
„ „ 45: Cos. III. Trib. Pot. IV. (nach dem 24. Jan. Trib. Pot. V).
„ „ 4G: Cos. III. Trib. Pot. V. (nach dem 24. Jan. Trib. Pot. VI).
„ „ 47: Cos. IV. Trib. Pot. VI. (nach dem 24. Jan. Trih. Pot. VII).
„ „ 48: Cos. IV. Trib. Pot. VII. (nach dem 24. Jan. Trib. Pot. VIII).
„ „ 49: Cos. IV. Trib. Pot. VIII. (nach dem 24. Jan. Trib. Pot. IX).
„ „ 50: Cos. IV. Trib. Pot. IX. (nach dem 24. Jan. Trib. Pot. X).
„ „ 51: Cos. V. Trib. Pot. X. (nach dem 24. Jan. Trib. Pot. XI).
„ „ 52: Cos. V. Trib. Pot. XI. (nach dem 24. Jan. Trib. Pot. XII).
„ „ 53: Cos. V. Trib. Pot. XII. (nach dem 24. Jan. Trib. Pot. XIII).
„ „ 54: Cos. V. Trib. Pot. XIII. (nach dem 24. Jan. bis 13. Oct. Trib.
Pot. XIV).
Die Consulate des Nero.
Ti. Claudius Nero, der Adoptiv-Sohn des Kaisers Claudius,
führte während seiner fast vierzehnjährigen Regierung nicht viermal,
wie gewöhnlich angegeben wird *), sondern fünfmal 2 ) das Con-
sulat; das erste 808 d. St. (33 n. Chr.), das zweite 810 d. St.
(37 n. dir.), das dritte 811 d. Sl. (58 n. Chr.), das vierte 813
d. St. (60 n. dir.), und endlich das fünfte 821 d. St. (68 n. Chr.).
Er blieb im zweiten und vierten Consulat 6 Monateaim Amte; seine
Collegen meistens auch so lange 3 ). Nur das erste Consulat legte er
*) Sueton. Nero 14. Consulalus (Nero) quatuor g-essit.
2 ) Vgl. unten das fünfte Consulat.
3 ) Sueton. Nero 15. Consulatus in senos plerumque inenses dedit.
i,
■
Die Consulate der römischen Kaiser etc.
265
schon nach 2 Monaten >), das dritte nach 4 Monaten 2 ) nieder; von
dem fünften ist die Dauer nicht bekannt; jedenfalls konnte es kein
halbes Jahr dauern, weil er schon im Juni mit Tode abging. — Da
Nero nach seinem Sturze vom Senate für einen Vaterlandsfeind
erklärt lind sein Andenken verflucht worden war, so wurde sein
Name auf vielen öffentlichen Monumenten und sein letztes Consulat
auch in den Fastis getilgt s ).
Erstes Consulat des Nero.
Nero führte zum ersten Male 4 ) die Fasces und zwar zwei
Monate hindurch 5 ), SOS d. St. (55 n. Chr.), als er noch nicht
20 Jahre alt war «). Zum Collegen hatte er den L. Antistius
Vetus 7 ), der länger im Amte verblieb. An die Stelle des
Nero trat als consul suffectus L. Junius Annaeus Gallio,
der Bruder des berühmten Philosophen Seneca 8 ), der durch
seine witzigen Reden 9 ) und kriechende Schmeichelei 10 ) gegen
*) Sueton. Suet. Nero 14. Consulatum prim um bimestrem gessit.
2 ) Suet. 1. c. (Consulatum) tertium gessit quadrimestrem.
3 ) Aschbach, üb. Röm. Kaiser-Inschriften mit absichtl. aus d. Alterthume herrührenden
Namenstilgungen. Wien, 1857. S. 11 folg.
4) Eckhel VI, 262. NERO CLAVD ■ DIV • F • CAES • AVG • GERM • IMP • TR • P • COS +
AGRIPP • AVG • DIV • CLAVD • C • NERONIS CAES • MATER EXSC. Murat. 445,4. TI.
CLAVD • NERO IMP • AVG • PONT • M • TR • P • COS.
5 ) Suet. Nero c. 14.
6 ) Tacit. Ann. XII, 41. Caesar adulalionibus Senatus libero cessit, ut vicesimo aetatis
anno consulatum Nero iniret: atque interim designatus, proconsulare iinperium extra
urbem haberet ac princeps juventutis appellaretur.
~) Murat. 305,1. NERO CLAVD • CAES • L • ANT • VETVS COS. Grut. 184. CLAVD10
NERONE ET L • ANTISTIO COS. Tacit. Ann. XIII, 11. Claudio Nerone L. Antistio
Coss. Die Fasti haben Nerone et Vetere, der über Pontilical. coss. Nerine et Vero,
wofür andere Lesarten Nerva et Vero und das richtige Nerone et Vetere bieten
L. Antistius Vetus commandirte unter Claudius über die Legionen am Rhein. Tacit.
Annal. II, 53. Unter Nero regte er seinen Schwiegersohn Plautus zum Aufsfand an
Tacit. Ann. XIV, 58: später wurde er Procurator Asiae XVI, 10. Von seinem Tode
spricht Tacit. Ann. XVI, 10 und 11.
8 ) Dio Cass. LX, 33. Aovxtog ’Ioüvioj raMa'wv, 6 toö Ssvs’xa ä.fisk'jiög. Pliu.
Hist. Nat. XXXI, 33. Proxime Amiaeum Gallionem feeisse post consulatum meini-
nimus.
9 ) Dio Cass. LX, 35.
10 ) Dio Cass. LXI, 20. Gallio machte, als Nero im Theater auftrat, dessen Herold, indem
er sein Auftreten namentlich verkündigte. — Später als Nero in griechischen Städten
im Wettkampf auftrat, gebrauchte er den Claudius Rufus, der Consul gewesen, als
Herold. Dio Cass. LXI1I, 14.
266
Joseph A s c h b a c h
Nero bekannt ist. Andere consules suffecti lassen sich nicht
nachweisen *).
Zweites Consulat des Nero.
Das zweite Consulat 3 ) führte Nero 810 d. St. (57 n. Chr.),
im zweiten Jahre nach dem ersten, 6 Monate hindurch a ). Sein Amts
genosse war L. Calpurnius Piso 4 ), der Vater jenes Cn. Cal-
purnius Piso, der von Valerius Festus in Afrika getödtet wurde 5 ).
Unter Claudius, dessen Tisch- und Trinkgenosse er gewesen, war
ihm die Stelle eines Stadtpräfecten übertragen worden «).
In diesem Jahre hat es sicher consules suffecti gegeben. Dass
es von Anfang Juli Ducennius Geminus und Pompejus Paul
linus 7 ), für den Schluss des Jahres L. Caesius Martialis 8 )
gewesen, wird vermuthet.
1 ) Almeloveen fast. cons. p. 120 vermuthet ohne hinreichenden Grund, es sei in diesem
Jahre ein gewisser Pompejus consul suffectus gewesen.
2) Eckhel.VI, 263. NERO CAESAR AVG • IMP + PONT • MAX • TR • P • III • COS • II •
EX S • C.
3 ) Sueton. Ner. c. 14.
4) Murat. 303, 2. NERONE CLAVDIO CAESARE • AVG * GERMANICO II • L • CALPVRNIO
PISONE COS. Mommsen 4246 = Orell. 6817 L • CALPVRNIO P1SONE COS.
wo der Name des Nero ausgetilgt ist. Vgl. Aschbach, Rötn. Kaiserinschriften S. 15.
Die Fasti haben übereinstimmend Nerone II et Pisone. Tacit. Anual. XIII, 31. Nerone
secundum L. Pisone Cos. Tacit. I. c. c. 18. L. Piso, designatus consul.
5 ) Plin. Epist. III, 7. Nuper L. Piso pater Pisonis illius, qui a Valerio Festo — in Africa
occissus est, dicere solebat, neminem se videre in senatu quem consul ipse senten-
tiam rogavisset.
6 ) Plin. Hist. Nat. XIV, 28. Ea commendatione credidere L. Pisonem urbis Romae curae
ab eo (Claudio) delectum, quod biduo duabusque noctibus perpotationem continuasset
apud ipsum principem. — Er war später Proconsul von Afrika. Tacit. Hist. IV, 38.
Über seinen Tod ibid. c. 48, 49 und 50.
7 ) Tacit. Annal. XV, 18. Tris deinde (63 p. Chr.) consulares L. Pisonem, Ducennium
Geminum, Pompejum Paullinum vectigalibus publicis (Nero) praeposuit. Dass die drei
genannten consulares in einem und demselben Jahre Consuln gewesen, ist eine zu
weit gehende Folgerung aus ihrer gleichzeitigen Verwendung bei der Erhebung der
Staatszölle. Aber Almeloveen und Muratori nehmen es an, Marini fr. arv. pag. 799
setzt den Ducennius Geninus als consul suffectus in*s J. 63.
8 ) Spon. Miscell. p. 278 = Orell. 4037. NERONE CLAVDIO CAESARE II. CAESIO MAR-
TIALE COSS. Diese Inschrift hat Mansi bewogen, das 2. Consulat Nero’s gegen Sue-
ton’s bestimmte Angabe bis zum Schlüsse des Jahres zu verlängern. Wenn L. Piso
früher als Nero vom Amt trat, und für ihn Caesius Martialis zum consul suffectus
ernannt wurde, so konnte er mit Nero gemeinschaftlich das Amt führen. L’art de
verifier les dates gibt dem Caesius Martialis das Praenomen Lucius.
Die Consulate der römischen Kaiser etc.
267
IMitlcs Coiisulat des Nero.
Das dritte Consulat J ) des Nero folgte unmittelbar. 2 ) auf das
zweite. Der Kaiser führte es 811 d. St. (S8 n. Chr.) vier Monate
hindurch 8 ) mit M. Valerius Messala Corvinus 4 ), der zwei
Monate länger im Amte verblieb.
Jedenfalls muss es in diesem Jahre consules suffecti gegeben
haben, deren Namen aber nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden
können 5 ).
Viertes Consulat des Nero.
Im zweiten Jahre nach dem dritten Consulate bekleidete Nero,
813 d. St. (60 n. Chr.), sein viertes 6 ), 6 Monate hindurch 7 )-
Mitconsul war Cossus Cornelius Lentulus 8 ).
!) Moinmsen i. U. N. n. S709. IMP • CAESAR D1VI CLAVD1 F-AVGVST-TI-NERONE-
PONTIF • MAX • TRIß • POT • IUI • CON • III • D • D. Murat. 44S, S. NERO CLAVDIVS
— TP. • POT • 1III • IMP • IT • COS • III.
2 ) Sueton. Ner. 14. Consulatus medios duos continuavit.
3 ) Sueton. Ner. 14.
4 ) Marini fr. arv. p. 320. D • KAL • IVN • NERONE TERT • ET • M • VAL • MESSALA
CORVINO COSS. Cardinal, dipl. n. 253. NERONE III MESSALA COS. Tacit. Annal.
XIII, 34. Nerone tertium consule simul iniit consulatum Valerius Messala. Die
lateinischen fasti haben Nerone III et Messala: das Chron. Idat. fügt noch Corvino
hinzu.
5 ) Almeloveen p. 121 gibt als cons. sufT. ex Kal. Maji den C. Suetonius Paullinus an,
Moinmsen nach J. R. N. nr. 3599 (= Orell. 5425) vermuthdt, dass Ti. Clodius Eprius
Marcellus in diesem Jahre consul suffectus gewesen. Vgl. Borghesi Bull. Inst. arch.
1831. p. 147.
6 ) Eckhel VI, 264. NERO CAESAR AVG -IMP + PONTIF • MAX* TR -P ‘VI • COS*1111 •
P • P • EXS • C — NERO CAESAR AVG • IMP + PONTIF • MAX • TR • P • VII * COS • IIII *
P P EX S-C.
7 ) Sueton. Ner. c. 14.
8 ) Gruter. 118 = Marini fr. arv. T. XV._NERONE_CLAVDIO CAESARE AVG • GFR-
MANICO PONT* MAX * TRIB • POT • VH- IMP-VII • COS-IV COSSO LENTVLO COSSI
FILIO COS. K. IANVAR.
[Eine ähnliche Datirung in einer Inschrift bei Gud. 33, 9 (Pro salute Neronis
Claudi — Caesaris Aug. Germanici Pontif. Max. Trib. Pot. VII. Cos. 1III. P. P. Dedic.
Kal. Januar. Cosso Lentulo Cossi filio Cos. et pro collega suo) erklärt Marini fr.
arv. p. 101 für una impostura raera del Ligorio.j Die lateinischen fasti geben
Nerone 1III. et Lentulo: Cassiodor. hat für Lentulus den Namen Cornelius. Tacit.
Ann. XIV, 20. Nerone quartum Cornelio Cosso Coss. Frontin. de aquaed. c. 102.
Nerone Claudio Caesare IV. et Cosso Cossi filio Coss. Joh. Malalas Chronog. p. 256
ed. Bonn, setzt die Hinrichtung von Paulus: 7rpo r j' xaXav<5d>v ’IotAteov irrt
r9jg viravuctg Nepwvog xai AevrouXoi».
268
Joseph A s c h b a c h
Mit dem 1. Juli traten in’s Amt als consules suffecti Cn. Peda-
n i u s S a I i n a t o r und L. V e 11 ej u s Pa t e r c u 1 u s *).
Fünftes Consulat des Nero.
Das fünfte Consulat des Nero, welches weder die alten Fasti
eonsulares und die Schriftsteller 3 ), noch die neueren römischen
Consular-Verzeichnisse angeben 3 ), führte er im Jahre seines Sturzes
und Todes 821 d. St. (68 n. Chr.), wahrscheinlich vier Monate hin
durch. Sein Mitconsul war M. Galerius Trachalus Turpi-
lianus 4 ). Als Nero vom Consulat abtrat, ernannte er an seine Stelle
als consul suffectus den Dichter C. Silius Italicus 5 ). Da aber
Nero nach seinem Tode für einen Vaterlandsfeind erklärt und in
den Fastis sein Name nach dem Beschlüsse des Senats getilgt
worden war 6 ), so bezeichnete man auch nicht weiter das Jahr mit
dem Namen des Nero, sondern man substituirte dafür den des C.
Silius Italicus, so dass dieser mit M. Galerius Trachalus Turpilianas
als ein consul Ordinarius des Jahres 68 erscheint 7 ).
*) Nach einem Milit. Diplom Nero’s. Arneth, zwölf M. Dipl. p. 27 = Orell. 5407. (Cf.
Borghesi Bull. Inst. arch. 1846, p._174). NERO CLAVD1VS CAES • AVG * GER
MAN • FONT • MAX • TR Iß • POT • VH - IMP • VH* COS • iTTT. AD • VI NONIVL*
CN • PEDANIO SALINATORE L • VELLEIO PATERCVLO COS. Die Annahme Mu-
ratori’s 318, 1, dass Corvinus Messala im J. 60 für Nero consul suffectus geworden,
die schon Marini p. 102 bestritten hat, ist eben so falsch, als die Ansicht des
letzteren, dass damals M. Aponius Saturninus für Nero in’s Amt getreten sei.
2 ) Suetou. Ner. c. 14 ausdrücklich dagegen: Nero consulatus quatuor gessit.
3 ) Auch Clinton in den fastis Romanis erwähnt nicht des 5. Consulats des Nero. Er hat
im J. 68 die consules ordinarii: Galerius Trachalus ... und C. Silius Italicus. Alme-
loveen fast. cons. p. 123 hat die ganz verkehrte Behauptung ausgesprochen, es habe
Nero im J. 67 (820 d. St.) vom 1. Juli an als consul suffectus ohne Mitconsul die
Fasces geführt: dieses bezeichnet er als das fünfte Ner o n i a n i s ch e Con
sulat.
4 ) Murat. 306,2. Mominsen 6855 . . . NERONE V ET TRACHA . . (COS). Murat. 309, 3
= Mominsen 4195 GALERIO TRACHALO COS. Über den Consul Galerius Tra
chalus Murat. 306, 1. Tacit. Hist. I, 90. II, 60.
5 ) Plin. Epist. III, 7. (Silius Italicus) ut novissimus a Nerone factus est consul, ila
postremus ex omnibus, quos Nero consules fecerat, decessit. Illud etiam notabile,
ultimus ex Neronianis consularibus obiit, quo consule Nero periit.
6 ) Aschbach, üb. Röm. Kaiserinschriften. S. 15.
7 ) Gruter. 300, 1 ALERIO TRACHALO ET CAIO SILIO ITALICO. Frontin. de
aquaed. c. 102. Silio et Galerio Trachalo Cos. Die Fasti haben übereinstimmend
unser Consulpaar und zwar Italicus an erster Stelle: nur der Chr. Rav. hat Tra-
chala et Italico; das Chron. Pasch. IraXtxoO xat Tpa^aXou, das Chr. Idat. Ita-
lico et Trahalo, Cassiod. Chr. Italicus et Turpilianus, Prosper: Silio Italico et Tur-
Die Consulate der römischen Kaiser etc.
269
Silius Italicus führte später noch zweimal, das letzte Mal im
Jahre 94 als consul suffectus, die Fasces. Er erreichte ein hohes
Alter und starb erst unter Nerva's Regierung !).
Es ist wahrscheinlich, dass Silius Italicus und Trachalus Tur-
pilianus nur bis zum 1. Juli im Amte verblieben, da für die zweite
Hälfte des Jahres schon consules suffecti designirt worden waren.
Diese traten dann in’s Consulat. Almeloveen behauptet, dass 'der
Redner Cinconius Varro zu diesen designirten Consuln gehört habe;
er war aber vor Antritt seines Amtes auf Galba’s Befehl hingerichtet
worden 2 ).
Muratori meint, M. Plautius Silvanus und M. Salvius Otho seien
vom 1. Juli an consules suffecti gewesen, und am 1. September hätten
dann C. Bellicius Natalis und P. Cornelius Scipiodas Con
sulat übernommen. Nur das letztere Consulpaar kann mit Sicherheit
als dem J. GS angehörig nachgewiesen werden s).
Bei dem vollständigen Titel des Nero lässt sich aus den fünf
Consulsjahren nur zu geringem Theile das Regierungsjahr ermitteln.
Nero hatte in seiner fast vierzehnjährigen Regierung (vom 13. Oct.
34 bis 11. Juni G8) 14 Erneuerungen der Trib. Pot. und 11 Impe
ratoren-Begrüssungen. Jede Tribun. Potestas, welche mit dem
piliano. — Der über Pontificalis gibt (Clemens) a eons. Tracali et Italici; Job.
Malalas p. 238 setzt Nero’s Tod : iicl ty}c vnoLvsiotg 'lavopixov [i. e. ’lraXixoO]
xal ToXttiXXiocvoö zov xai Tp&^sXou [für ToupTriXtavoö Tpa^aXot»]. Die Con-
suln, welche Plutarcb vit. Galb. c. 8 erwähnt, ohne ihre Namen zu nennen, waren
wohl Silius Italiens und Galerius Trachalus.
*) Martial. VII, 63 und besonders VIII, GG; an letzterer Stelle wird er tertius consul
genannt, das dritte Consulat wird in’s J. 94 gesetzt. Er kommt aber in den Fastis
als consul suffectus nicht vor.
2 ) Plutarcb. Galb. 14 und 13.
3 ) Murat. 30G, 2 u. 3 = Maffei Mus. Ver. 98 u. 483. Marini fr. arv. 449. Cardinali dipl.
T. II. u. III. Orell. 737 und 738. SER-GALBA IMPERATOR CAESAR AVGVSTPONT
MAX TRIB POT COS DES II — XI K 1AN C BELLICO NATALE P CORNELIO
SCIPIONE COS. Dasselbe Consulpaar erscheint auch in der Inschrift bei Murat. 307,4.
XVI • KAL • OCTOB • C • BELLO VERO NATALE ET P • CORNELIO SCIPIONE ASIA-
T1CO COS. Die Inschrift ist vielleicht in den ersten Worten etwas corrumpirt: Ma-
rini fr. arv. p. 819 erklärt sie für unecht, für ein ligorianisches Machwerk. Bei
Murat. 307,3 = Orell. 2373 kommt vor ein Consul: C. BELLICVS NATALIS TEBA-
NIANVS. Marini p. 484 not. 146 erklärt die Schreibung Bellicus für allein richtig.
Almeloveen schreibt Bellicius. Consuln dieses Namens, die im .1. 124, 143 und 148
Vorkommen, gehören einer andern Familie an.
270
Joseph A s e h b a c li
23. October 54 beginnt, gehört zu ungleichen Theilen immer zwei
Jahren an. In's erste Consulat (55 n. Chr.) fällt vom 13. October
schon die Trib. Pot. II; Trib. II und III gehört dem Jahre 56 an;
57 wird bezeichnet mit Cos. II, Design. III, Trib. III oder IV; 58 mit
Cos. III, Trib. IV oder V; 59 mit Cos. III und Trib. V oder VI;
60 mit Cos. IV und Trib. VI oder VII; 61 mit Cos. IV und Trib. VII
oder VHI u. s. w. bis 67 mit Cos. IV und Trib. Pot. XIII oder XIV;
68 endlich mit Cos. V und Trib. Pot. XIV bis zum 11. Juni.
Oonsulate des Galba.
Servius J ) Sulpicius Galba führte zweimal 3 ) die Fasces.
Das erste Consulat bekleidete er lange vor seiner Kaiserherrschaft
785 d. St. (33 n. Chr.), das andere trat er an 822 d. St. (69 n. Chr.),
nachdem er etwas mehr als ein halbes Jahr die Kaiserwürde geführt
hatte.
Erstes Consulat des Galba.
Das erste Consulat führte Galba 785 d. St. (33 n. Chr.)
6 Monate hindurch mit L. Cornelius Sulla Felix 3 ). Damals war
er dem Cn. Domitius Ahenobarbus, dem Vater des Kaisers Nero, im
Amte nachgefolgt, ihm selbst folgte als consul suffeclus C. Salvius
>) So war das ursprüngliche Praenomen Galba’s. Im ersten Consulate gebrauchte er
daneben auch das Praenomen Lucius, das er als Kaiser wieder ablegte, und er
kehrte dann zu dem alten Namen zurück. Suet. Galb. c. 4. Galba mutato prae-
nomine — Lucium mox pro Servio usque ad tempus imperii usurpavit. Vgl. unten die
tessera gladiatoria. Almeloveen gibt dem Galba bald das Praenomen Servius, bald
Sergius. Clinton in den fast. Rom. hat nur Servius.
2 ) Eutrop. VII, 10 ungenau: Servius Galba — saepe consul.
3) Gruter. 1087, 1 = Mommsen 1. R. N. n. 1968 = Orell. 4033. SER • SVLPICIVS GALBA
L-SVLLA FELIX COS. Murat. 303, 1 gibt eine tessera gladiatoria: MYRTILVS |
ATTIAE | SP • III • NON • IVN | L-SVLL* L • SVLP. Tacit. Annal. VI. c. 13. Servio
Galba L. Sulla Cos. c. 20. Non omiserim praesagium Tiberii de Ser. Galba, tum
consule. Dio Cass. LVIII, 20. Die fasti haben meist Galba et Sulla (Sylla): Cas-
siodor, Prosper, Victorius geben Sulpicius et Sulla. Malalas Chron. p. 241 gibt
beim Todesjahr Christi an: sv UTrama IovXkixlov xcä lojla [für 2u),Xa]. Über
den Consul SERVF-GALBA COS. Cf. Bullet. delPInst. Arch. Rom. 1842, p. 98 y.
Orelli — Henzeü Nr. 3413. Seltsam lautet die Bemerkung bei Plutarch vit. Galb.
c. 3, dass Galba, der mit der Kaiserinn Livia verwandt gewesen, durch deren Ein
fluss zum Consulat befördert worden. Im J. 33 n. Chr. aber lebte Livia schon lange
nicht mehr.
Die Consulate der römischen Kaiser etc.
271
Otho, der Vater des Kaisers Otho, welche Stellung des Galba
zwischen den beiden Kaiservätern als eine Vorbedeutung für seine
spätere Erhebung auf den Kaiserthron angesehen wurde *)•
Zweites Considat des Galba.
Nachdem Galba im Juni 68 n. Chr. zum Kaiser erhoben worden,
trat er am 1. Januar des folgenden Jahres (822d.St.) sein zweites 2 )
Consulat an. Zum Mitconsul hatte er den T. Junius 3 ), den manche
T. Vinius 4 ) nennen. Auch unter dem Namen T. 0vi n ni us 5 ) kommt
er vor, und man gibt ihm den weiteren Beinamen Rufus oder Rufinus 0 ).
Der richtige Name ist wohl T. Junius Vinius 7 ).
*) Sueton. Galba c. G.
2 ) Cardinali dipl. imp. p. XYI = Matfei Mus. Yer. p. 98 = Orell. 737, vom 23. Dec. 68.
SER. GALBA IMPERATOR CAESAR PONTIF • MAX • TRIB • POT • COS • DES • 11.
und ebenso Cardinal. I. c. p. XVI11, Marini Arv. p. 450. Eckhel VI, 98. P • M •
TR • P • COS II. Sueton. Vespas. c. 5. Comitia secundi consulatus ineunte Galba.
s ) Murat. 309,3. IMP. sei*. GALBA II T*IVNIO COS nach der Lesung des Ciampinius.
Muratori liest VINIO. Mommsen I. R. N. 4195. T. IVNIO COS.
4) Gruter. 189,4. SER. GALBA II T. VINIO COS. Murat. 307, 5 = Orell. 1756. T. VINIO
COS. Maffei M. V. p. 471, 2. T. VINIO COS. Tacit. Hist. I, 1. Galba iterum T. Vinio
(alia lectio: T. Junio) Coss. 1,11. cum Ser. Galba iterum T. Vinius Consules inchoavere
annum. c. 13. Potentia principatus divisa in T. Vinium consulem et Cornelium Laco-
nem Praetorii Praefectum. Sueton. Galb. 14 und Vitell. 7. T. Vinius und T. Junius
Varianten der Codices. Der Chronogr. Rav. bat Galva II. et Vinio, die übrigen fasti
nennen weder Vinius noch Junius als Consul dieses Jahres.
5 ) So Plutarcb. vit. Galb. c. 21. ( f O FaÄ/3a$) aKoddtgoig rV aurov vkcitov xou cuv-
ap^ovra röv ’O/Jtvviov. Cf. c. 4, 10, 13, 20, 26, 27.
6 ) Chron. Paschal. TaXßa xc« Tirol» f Pou^tvou und Idat. Galba II et Tito Rufino.
Cassiodor bat das Consulpaar Sylvanus et Otho.
7 ) Da die Inschriften den Namen als Junius und Vinius geben; da die Lesarten
in den Handschriften des Suetonius und Tacitus zwischen Junius und Vinius
variiren; da Plutarcb immer ’O/Stwlog hat, was eben so gut aus ’louvto? als aus
Oviviog entstanden sein kann, so ist es schwierig, die Richtigkeit des Namens
festzustellen. Marini Arv. p. 344 erklärt sich für die Lesung IVNIO in den In
schriften: er meint, aus Ungeschicklichkeit des Steinmetzen sei in der Inschrift
bei Gruter 189, 4 durch eine Versetzung der Buchstaben in dem Worte IVNIO das
unrichtige VINIO entstanden. Allein da das Wort VINIO auch in anderen Inschriften
bei Murat. u. Maflei II. cc. vorkommt, so ist Marini’s Ansicht nicht stichhaltig.
Tacitus berichtet (Hist. I. c. 48), die Vorfahren des Consuls Vinius [oder Junius]
hätten keine höheren Ämter als die Prätur bekleidet. Dieses passt nicht auf die
Junier, die häufig das Consulat geführt hatten. Vielleicht hat ein jüngerer Zweig
der Junier den Namen Vinius angenommen; und er führte ihn abwechselnd mit
dem alten Gentilnamen. Unser Consul hätte dann vollständig den Namen T. Vinius
Junius Rufinus gehabt. — Der Name Vinius kommt übrigens in jener Zeit auch sonst
vor: z. B. bei ITorat. Ep. I, 13. Epist. ad C. Vinium Frontonem Asellam, bei Dio
272
Joseph Aschbach
Galba bekleidete das Consulat nur zwei Wochen (bis 15. Januar).
Er wurde durch einen Soldatenaufstand gestürzt und ermordet *)•
Dasselbe Schicksal hatte der Mitconsul s ), der zu den treuesten und
vertrautesten Anhängern Galba’s gehört hatte 3 ), dessen Charakter
und Sitten aber als durchaus schlecht geschildert werden 4 ).
Das Consulat des Kaisers Otho und die übrigen consules
suffecti im J. 69 n. Chr.
Das Jahr 69 n. Chr. (822 d. St.), worin Kaiser Galba und T.
Yinius (T. Junius) consules ordinarii gewesen, ist merkwürdig durch
die darin vorkommende grosse Zahl von consules suffecti. Lucan’s 5 )
Ausspruch
Careat tantum ne nomine tempus,
Menstruus in fastos distinguit saecula consul
passt auf kein Jahr besser als auf 69, worin die Zahl der Consuln
grösser war, als die der Monate des Jahres; denn es gab darin ausser
den zwei consules ordinarii noch dreizehn consules suffecti, ohne die
designirten zu zählen, die nicht zur Antretung des Amtes gelangten.
Zur Übersicht diene folgende Tabelle:
Consules ordinarii: Ser. Sulpicius Galba II, T. Vinius Junius Rufinus 1. Jan.
bis 11». Jan.
Consules suffecti: M. Salvius Otho, L. Salvius Otho Titianus IS. Jan. —
1. März.
L. Virginius Rufus II, Pompejus (Poppaeus) Vopiscus
Silvanus 1. März — 30. April.
M. Caelius Sabinus, T. Flavius Sabinus 1. Mai — 30. Juni.
T. Arrius Antoninus, P. Marius Celsus II. 1. Juli — 31. Aug.
Cass. XLVII, e. 7, wo von einem T. Vinius [Ti'vos Outvtoc] die Rede ist, der
durch die Triumviri proscrihirt und durch die List seiner Frau gerettet wurde.
Dieser könnte der Grossvater unseres Consul T. Vinius gewesen sein.
*) Tacit. Hist. I, 41, 49. Sueton. Galh. Plutarch. Gatb. c. 26 sq.
2) Tacit. Hist. I, 42. Plutarch. Galh. c. 26 u. 27.
Plutarch. Galb. c. 4. Vinius veranlasste den Galba sich gegen Nero zu erheben, c. 7.
Er war es, der ihm auch seine Erhebung zum Kaiser durch den Senat mittheilte.
Er war ein Feind des Virginius Rufus c. 10 und leitete ganz Galba c. 13. Tacit.
Hist. I, 1, 9, 11, 13, 42. Sueton. Galb. 14. Vitell. 7.
“) Tacit. Hist. I, 6, 37, 42 und 48. Plutarch. Galb. c. 12, 20, 26 und 27.
5 J Lucan. Pharsal. V. v. 398.
Die Consulafe der römischen Kaiser eic. 27 3
C. Fahius Valens, A. Caecina Alienus 1. Sept. — 31.0elb.
Roscius Regulus 31. Oetober.
Cn. Caecilins Simplex, C. Quinctius Attieus 1. Novbr. —
31. (21.) Decbr.
Die meisten dieser consules sult'ecti waren noch theils von Nero,
tlieils von Galba für bestimmte Jahresabschnitte designirt worden;
freilich waren auch einige von den Designirten durch Galba, Otho und
Vilellius nicht zum Amte zugelassen und es waren andere an die
Stelle der Zurüekgewiesenen ernannt worden. Man könnte daher
auch die grosse Anzahl der consules suffecti in neronianische und
galbianische, in othonianische und vitellianisehe gruppiren. Otho
zeigte sich noch ziemlich nachsichtig, indem er die meisten der von
Nero und Galba designirten bestätigte *). Vitellius aber verfuhr
strenger; mehrere liess er nicht zum Amte gelangen und schob an
ihre Stelle andere von ihm bestimmte ein »).
Galba und Vinius hatten das Consulat zwei Monate hindurch
bekleiden sollen. Ihre Ermordung (am IS. Januar) erledigte die
höchste Magistratur schon sechs Wochen früher. Der neue Impe
rator M. Salrius Otho, den Galba schon zu seinem Nachfolger im
Consulate für die Monate März und April designirt batte 3 ), trat es
zugleich mit der Kaiserregierung schon am IS. Januar an, und nahm
zum Mitconsul seinen Bruder L. Salvius Otho Titianus *). Da
beide schon am letzten Februar die Fasces abgaben, so ernannte
Otho für die beiden nächsten Monate März und April als neue con
sules suffecti den L. Virginias Rufus und Pompejus (Pop-
paeus) Vopiscus Si 1 vanus■">).
Noch vor dem Ablaufe des April war Otho nicht mehr unter
den Lebenden. Er tödtete sich selbst am 16. dieses Monates nach
der Niederlage bei ßedriacum durch das vitellianisehe Heer 6 ). Der
1 ) Plutarch. Otho c. 1.
а ) Tacit. Hist. I, 77.
S) Plutarch. Halb. c. 21. Otho c. 1.
4 ) Tacit. Hist. I, 77. Plutarch. Oth. c. 7. Almeloveen schreibt seinem Namen die
Zahl II bei, lim sein zweites Consulat damit zu bezeichnen; das ist aber nicht
richtig-, denn der Consnl L. Salvius Otho Titianus im J. 52 war nicht unser Con-
sul Titianus, sondern dessen gleichnamiger Vater. Das bei Cassiodor für Galha et
Vinius vorkommende Consulpaar Sylvanus et Otho geht wohl auf Salvius (Otho)
et Otho Titianus.
5 ) Tacit. Hist. 1, 77.
б ) Tacit. Hist. II, 43, 46, 47 und besonders 49.
Sitzb. d, pfcil.-hist. CI. XXXVI. Bd. III. Hft. j9
274
Joseph A s c h b aeh
Sieger schonte das Leben des kaiserlichen Bruders Titianus, da
von seiner unbedeutenden Persönlichkeit nichts zu befürchten
schien 1 ).
L. Virginius Rufus 3 ), der schon früher das Consulat im J. 63
n. Chr. geführt hatte 3 ), war von Otho zur höchsten Magistratur
erhoben worden, um den Rheinlegionen, die derselbe früher com-
mandirt und ganz für sich gewonnen hatte, zu schmeicheln. Aller
dings hatte Virginius nicht wenig zum Sturze Nero’s beigetragen,
dessen Andenken Otho wieder zu Ehren bringen wollte. Die germa
nischen Legionen hatten dem Virginius selbst die Kaiserwürde ange-
boten, als er den Vindex besiegt hatte 4 ). Seitdem aber Vitellius vom
römischen Heere am Niederrheine zum Kaiser ausgerufen worden
war, hielt es Otho für nöthig, einen so einflussreichen Mann wie
Virginius zur Seite zu haben. Sein Ansehen lässt sich auch aus dem
Umstande erkennen, dass nach Otho's Tode dessen Heer ihn auf den
Kaiserthron erheben wollte r >). Er aber wies dieses Anbieten der
Übertragung der Gewalt entschieden zurück, und der Sieger Vitellius
liess ihn nicht nur weiter das Consulat führen, sondern zog ihn auch
in seine nähere Umgehung und schenkte ihm ganz besonders sein
Vertrauen c ).
Während das flavisehe Kaiserhaus herrschte, lebte Virginius
in Zurückgezogenheit ohne Amt. Erst nach Domitian’s Sturze zog
ihn Kaiser Nerva wieder hervor und nahm ihn (97 n. Chr.), als er
zum dritten Male das Consulat bekleidete, zum Collegen. Damals stand
Virginius im 83. Lebensjahre, als er zum dritten Male die Fasces
führte. Er starb in diesem Consulate seihst. Der Geschichtsschreiber
Tacitus, der ihm als consul suffeclus folgte, hielt ihm die Leichen
rede 7 ).
1 ) Taeit. Hist. II, c. 00.
2 ) Muratori gibt ihm das unrichtige Praenomen Publius, das Chronicon Paschale nennt
ihn ebenso falsch Titus Virginius.
:} ) Sein Mitconsul im J. 63 war C. Memmius Regulus nach den Fastis.
4 ) Taeit. Hist. I, 8. 9, 52. Dio Cass. LXIII, 23. LXIV, 4. LXVIII, 2. Die Grabschrift
auf Virginius lautete: Hic situs est Rufus, pulso qui Vindice quondam Imperium ad-
seruit, non sibi, sed patriae.
5 ) Plutarch. Oth. c. 18. Taeit. Hist. II, 49 und 51.
6 ) Taeit. Hist. II, 68.
0 Vgl. die Fasti und Frontin. de aquaed. e. 102. Plin. Epist. II, 1. Dio Cass. LXVIII, 2.
Die Consuiate der römischen Kaiser etc.
27IJ
Den Collegen des Virginius im Consuiate des ,1. C9 nennt Taci-
tus Poppaeus Vopiscus; er war ein alter Freund des Olho und
stammte aus der gallischen Stadt Vienna i). Die Lesart Poppaeus
verdient vor der anderen Pompejus Berücksichtigung, weil Otho
durch seine Gemahlinn Poppaea (Nero’s Geliebte und spätere Frau)
mit den Poppäern in Verschwägerung stand und daher wohl einen
Poppaeus bei seinem Regierungsantritte zum Consul ernennen konnte.
Es kommt auch ein Vopiscus Pompejus mit dem Beinamen Silvanus
vor a ) ; Vopiscus muss dann wie’Cossus, Paullus, Sisenna als Prae-
nomen genommen werden. Dagegen gab es damals auch einen Pop
paeus Silvanus als Legaten von Dalmatien. Im Anfänge von Vespasian’s
Regierung wird er Consularis genannt 3 ). Sonst führten die Plautier
den Beinamen Silvanus. Dass unser Pompejus Vopiscus dieselbe
Person sei, welche um jene Zeit als Consul mit dem vollständigen
Namen L. Pompejus Vopiscus Arruntius Catellius Celer verkommt*),
dürfte wohl noch zweifelhaft sein.
Das Consulpaar für die Monate Mai und Juni, M. Caelius
Sabinus und T. Flavius Sabinus, war von Nero designirt
worden, und Vitellius änderte nichts an dieser Anordnung, nachdem
er sich der Herrschaft bemächtigt hatte 5 ). Von M. Caelius Sabinus
lässt sich hinsichtlich seiner sonstigen Lebensstellung nichts angeben,
desto mehr von seinem Mitconsul. T. Flavius Sabinus war ein älterer
Bruder des naehherigen Kaisers Vespasianus. Er war bereits zweimal
Stadtpräfect gewesen; zuerst hatte ihn Nero, dann Otho dazu erho
ben «). Letzterer vertraute ihm auch ein Truppencorps gegen Vitel
lius, zu dem er überging und als Stadtpräfect die Truppen dem neuen
Herrscher den Eid der Treue schwören liess. So war es gekommen,
dass Vitellius ihm nicht nur in das Consulat, wozu er schon von Nero
designirt worden, einzutreten gestattete, sondern ihm auch nach
Ablauf des Amtes von neuem die Stadtpräfectur übertrug 7 ). Erst auf
die Nachricht, welche aus den östlichen Gegenden nach Rom gelangte,
)) Tacit. Hist. I, 77.
2 ) Der Consul suffectus Pompejus Silvanus im .1. 45: Joseph. Flav. Antiq. XX, 1, 2.
3 ) Tacit. Hist. II, 80. III, 50. IV, 47.
*) Marini (Arv. p. 149 u. 152. T. XIX, XXII und XXIV) behauptet dieses. Er verwirft
die Lesart Poppaeus und den Beinamen Silvanus.
5 ) Tacit. llist. I, 77.
6 ) Taeit. llist I, 46. II, 63.
7 ) Tacit. Hist. II, 36, 51, 55.
t!)
276
Joseph Aschbach
dass Vespasianus von den syrischen Legionen zum Kaiser ausgerufen
worden und die pannonischen und mösisehen Kriegsheere sich für
ihn erklärt hätten, änderte sich das gute Vernehmen zwischen Vitel-
lius und Flavins Sabinus. Letzterer machte alle Umtriebe in Rom zum
Sturze des Vitellius, zog von demselben den tüchtigen Feldherrn
A. Caecina ab, gewann die cohortes urbanae und cohortes vigilum,
und war im Begriffe, dem Bruder die Herrschaft in Rom zu ver
schaffen, als die Vitellianer sich erhoben und ihn nöthigten, auf das
Capitolium mit seinen Anhängern zu flüchten <). Jedoch auch dahin
wurde er verfolgt. Das Capitolium wurde erstürmt und ein Theil der
Gebäude daselbst niedergebrannt. Flavius Sabinus wurde ergriffen
und der gefesselte Stadtpräfect von der zügellosen Menge verhöhnt
und endlich niedergestossen. Den verstümmelten Leichnam schleifte
man dann durch die Strassen und stürzte ihn von den gemonischen
Treppen am tarpejischen Felsen hinab 2 ). Später aber liess Vespasian
seinem Bruder, der wie ein Hochverräther das ehrliche Begräbniss
batte entbehren müssen, eine überaus prachtvolle Leichenfeier ver
anstalten 3 ). So hatte Flavius Sabinus bald nach dem Abtritte vom
Consulate geendigt. Er wird als ein sehr ehrenwerther, gerechtigkeits
liebender und uneigennütziger Charakter gepriesen. Sieben Jahre
hatte er die Provinz Mösien verwaltet, zwölf Jahre hindurch war er
Stadtpräfect von Rom gewesen 4 ).
Consules suffecti für die Monate Juli und August waren T.
A r r i u s A n t o n i n u s und P. Marius C e 1 s u s, welch letzterer schon
im J. 62 die Fasces geführt batte 5 ). Sie waren noch von Nero
designirt worden °.) und Vitellius batte sie bestätigt 7 ). T. Arrius
Antoninus war der mütterliche Grossvater des nachherigen Kaisers
Antoninus Pius 8 ); er war später noch einmal Consul suffectus, viel-
1) Tacit. Hist. II, 99. III, 65, 70.
Tacit. Hist. III, 73 und 74.
3) Tacit. Hist. IV, 47.
4 ) Tacit. Hist. III, 75.
5 ) Tacit. Anna!. XIV, 48. Sueton. vit. Persii: Persius decessit VIII. Kal. Dec. Publio
(al. Iect. Rubrio) Mario Asinio Gallo Coss.
r> ) Tacit. Hist. I, 14.
7 ) Tacit. Hist. I, 77. II, GO.
8 ) Capitolin. Antonin. Pius c. 1. Avus malernus Arrius Antoninus bis consul. — Seine
Tochter Arria Fadilla war die Gemahtinn des Aurelius Fulvus, des Vaters von T.
Aurelius Anloninus Pius.
Die Consulate der römischen Kaiser etc. 27 7
leicht im J. 9£> n. Chr., wo er für den ermordeten Flavius Clemens
in’s Amt getreten wäre.
Der andere Consul P. Marius Celsus war eine bekanntere Per
sönlichkeit. Er wusste es mit allen Parteien zu halten; er war eifriger
Neronianer, schloss sich eng an Galba, hielt sich an Otho, und es
gelang ihm, sich die besondere Gunst des Vitellius zu erwerben.
Unter Nero war er Legat der Legio XV Apollinaris erst in Pannonien,
dann in Armenien *), dann bekleidete er sein erstes Consulat. Nach
dem Sturze Nero’s betraute ihn Galba mit einer besonderen militä
rischen Mission nach Illyrien 2 ). Bei der Ermordung desselben
schwebte er in grosser Gefahr, von den Soldaten umgebracht zu
werden. Otho rettete ihn mit List und es währte nicht lange, so
schenkte ihm dieser Kaiser sein besonderes Vertrauen. Hätte Otho
seinen Rath befolgt und den Krieg gegen Vitellius in die Länge
gezogen, er würde wohl nicht so schnell gestürzt worden sein 3 ).
Obschon Celsus einer der Hauptführer der olhonianischen Partei war,
so vergass Vitellius doch diese seine früheren Verhältnisse und nahm
ihn sogleich nach Otho’s Tode unter seine Vertrauten auf. Daher
wies er die Versuche der Feinde des Celsus, ihn zu verderben, zurück,
und erlaubte gern, dass er das ihm früher für die Monate Juli und
August bestimmte Consulat antrat 4 ). Die weiteren Schicksale des
Celsus nach seinem Abgänge vom Amte sind unbekannt; wahrschein
lich endete er noch in demselben Jahre beim Sturze des Vitellius.
Um seinen Anhängern die höchsten Staatsämter verleihen zu
können, überging Vitellius die zum Consulate designirten Othonianer
Marcius Macer und Pedanius Costa und schob das von Galba dem
Valerius Marinus bestimmte weiter hinaus 5 ). So wurden die Monate
September und October frei, in welchen die Fasces zu führen dem
C. Fa bi us Valens und A. Caecina Alienus übertragen wurde,
da sie für ihn die Schlachten gewonnen hatten.
Fabius Valens stammte von einer Ritterfamilie aus Anagnia.
Unter Nei'o suchte er sich in dessen Gunst zu setzen und stieg bis
zum Legaten einer niederrheinischen Legion empor. Dessen unge-
•) Tacit. Anna!. XV, 25.
3 ) Tacit. Hist. I, 31, 39, 43.
s ) Tacit. Hist. I, 71, 87, 90. II, 23, 32, 33. Plutarch. Oth. c. 5 und 7 — 9.
4 ) Tacit. Hist. I, 77. II, 60. Plutarch. Oth. c. 13.
5 ) Tacit. Hist. 11, 71.
278
Joseph Aschbach
achtet gehörte er zu den ersten, welche sich gegen den Tyrannen
erhoben, offenbar mehr aus Selbstsucht als aus Liebe zum gemein
samen Wohle des Staates. Er wechselte dann schnell in seiner Partei
nahme; erst war er für Virginius Rufus, dann gegen ihn; er erklärte
sich für Galba, nicht lange aber währte es und er gehörte zu denen,
die denselben verriethen und den Vitellins, den Befehlshaber der
niederrheinischen Legionen, zum Kaiser ausriefen *). Von Vitellius
an die Spitze der einen Heeresabtheilung gestellt, indessen A.Caecina
Alienus die andere beleidigte, drangen die beiden Feldherren in
Oberitalien gegen Otho vor und entschieden bei Bedriacum den
Kampf für Vitellius a ). Dieser belohnte die grossen Verdienste der
beiden hochstrebenden rivalisirenden Feldherren mit ausserordent
lichen Gunstbezeigungen und mit Ertlieilung des Consulates 3 ). Bei
dem neuen Kriege gegen Vespasianus, den die östlichen Legionen
auf den Kaiserthron erhöhen batten, wurden die beiden Consuln, die
in ihrem Amte bald gegen einander ii.triguirten, an die Spitze der
Vitellianischen Streitkräfte gestellt. Indem Caecina’s Treue sich bald
wankend zeigte, hielt Fabius Valens fest zu Vitellius. Aber dieser
hatte das Unglück, den Feinden auf dem Marsche in die Hände zu
fallen, die ihn zu Urbinum tödteten 4 ).
Der andere Consul A. Caecina Alienus, aus Vicetia stammend,
der früher wie Fabius Valens auch am Niederrhein commandirt
hatte, zeigte sich im höchsten Grade treulos und unzuverlässig.
Schon hatte er sich durch die Umtriebe der vespasianischen Partei
gewonnen zum Abfalle von Vitellius bereit gemacht; aber er wusste
den beabsichtigten Verrat!) so gut zu verbergen, dass ihm Vitellius
die Hauptmacht seiner Streitkräfte, welche er gegen die vespasiani
schen Feldherrn abschickte, anvertraute. Die eigenen Truppen ver
hinderten Caecina's Abfall; sie legten ihn in Fesseln. Aber die vespa-
sianischen Legionen besiegten das vitellianisehe Heer und sie erober
ten unmittelbar darauf Cremona, wo auch der eingekerkerte Caecina
in ihre Hände fiel 5 ). An die Stelle des umgekommenen Fabius Valens
war kein Consul ernannt worden, aber für Caecina, dessen Umtrieben
1 ) Tacit. Hist. I, 7, 52, 57. Cf. III, 62.
2 ) Tacit. Hist. I, 61 und 66. II, 14, 27, 30, 34, 41, 55.
S) Tacit. Hist. II, 59, 71, 92, 95 etc
4 ) Tacit. Hist. II, 99. III, 43 und 62.
5 ) Tacit. Hist. III, 31, 37.
Die Consulate der römischen Kaiser ete.
279
Vitellins das ganze Kriegsunglück zuschrieb, ernannte der Kaiser
einen neuen Consul, obschon nur noch ein Tag von dessen bestimm
ten Amtsdauer übrig war. Roscius Regulus erschmeichelte sich
die besondere kaiserliche Gunst, um einen einzigen Tag (31.0ctober)
die Fasces zu führen. Kaum hatte er den Eid geleistet, so musste er
wieder vom Amt abtreten; indem man sich in vielem Gespötte erging
über den lächerlichen Ehrgeiz des nicht zur Amtsführung gekommenen
Consuls 1 ). Es war bis dahin in Rom nie geschehen, dass ohne
Abspreclning des Amtes und ohne einen besonderen Gesetzesantrag
Jemand an eines Andern noch nicht erledigte Stelle trat 2 ).
Caecina wusste sich auch bei dem neuen Kaiser Vespasian in
Gunst zu setzen; dieser nahm ihn, wohl zu Relohnung seiner früheren
Verrätherei, in seine nächste Umgebung unter seine vertrautesten
Freunde auf. Aber der treulose Charakter des Mannes blieb sich auch
in der neuen Stellung gleich. Ungeachtet Vespasian ihn mit so vielen
Gunstbezeigungen überhäuft hatte, legte Caecina doch gegen ihn
eine Verschwörung an. Sie ward aber noch zeitig entdeckt. Am Tage
vor der Nacht, in welcher Caecina mit seinen gewonnenen Prätorianern
seine hochverräfherischen Pläne ausführen wollte, war,er zur kaiser
lichen Tafel geladen worden. Als er sich erhöh, um sie zu verlassen,
ward er auf Befehl des Caesar Titus niedergemacht s ).
Als consules suß'ecti für die beiden letzten Monate des Jahres
hatte Vitellins den Cn. Ca ecilius Simplex und C. Quinctius
Atticus ernannt. Schon früher hatte sich Caecilius Simplex an die
Stelle des Marius Celsus in die höchste Magistjratur eindrängen und
das Amt um Geld erkaufen wollen. Doch damals wies Vitellius den
Bewerber zurück. Später gab er ihm das Consulat, ohne dass der
selbe nötliig hatte, es sich zu erkaufen 4 ).
Unter der Amtsführung dieser beiden Consuln, von denen
Caecilius Simplex schon vor der bestimmten Zeit (am 21. December)
das Consulat und wahrscheinlich zugleich dabei auch das Leben
1} Taeit. Hist. III, 37.
2 ) Bei dem auf einen Tag- in der Zeit des C. Julius Caesar ernannten Consul Cauinius
Bebilus war es ein ganz anderer Fall. Rebilus war an die Stelle eines gestorbenen
Consuls getreten. Plin. Hist. Nat. VII, 54. Q. Fabius Maximus in consulatu (709
a. u.) suo obiit pridie Kal. Jan. in cujus locffin Rebilus paucissimarum horarum con-
sulatum peliit. Cf. Cic. ad Div. VII. ep. 30. Sueton. Ner. c. 15. Macrob. Sat. II, 2.
3 ) Sueton. Tit. c. 6. Dio Cass. LXVI, 17.
4 ) Tacit. Hist. II, 60.
280
Jose |» li A s e h 1» a c h
verlor, erfolgte die Katastrophe des Sturzes des Vitellins. Die sieg
reichen vespasianischen Truppen bedrängten den Vitellius in Rom
immer mehr; er wollte durch eine zeitige Niederlegung der Herr
schaft seinem gänzlichen Verderben entgehen. Er überreichte sein
Schwert, das Symbol der höchsten Gewalt über Leben und Tod der
Unterthanen, demConsul Caecilius Simplex, der es aber nicht annahm.
Die eifrigen Vitellianer drängten ihren Kaiser zur WeiterregierungQ.
Mittlerweile war der andere Consul Quinctius Atticus abgefallen und
hatte sich der flavianischen Partei angeschlossen. Er flüchtete mit
Flavius Sabinus auf das Capitolium, nachdem er an’s Volk Aufrufe
erlassen hatte, zu Gunsten Vespasian's und mit Schmähungen gegen
Vitellius. Als die Vitellianer das Capitolium erstürmt, einen Theil
der dortigen Gebäude niedergebrannt, und den Flavius Sabinus
gefangen und getödtet hatten, fiel auch der abtrünnige Consul in ihre
Gewalt 2 ), ln Ketten vor den Kaiser gebracht, sollte er auf Verlangen
des Volkes hingerichtet werden. Doch rettete ihn Vitellius vom Tode,
da Atticus sich zu der lügnerischen Aussage verstanden hatte, dass
auf seinen Befehl die Brandstiftung auf dem Capitolium veranlasst
worden sei. Damit war das Gehässige dieser Sache von den Vite!—
lianern abgewälzt 3 ). Bei dem bald nachher (am 21. Decemher)
erfolgten Sturz und Tod des Vitellius ward Caecilius Simplex nicht
nur aus dem Amte gedrängt, sondern er fand auch seinen Untergang.
Dagegen führte der aus dem Kerker befreite Quinctius Atticus als
alleiniger Consul die Fasces bis an das Ende des Jahres 4 ).
Das Consulat des Vitellius.
Aulus Vitellius, der als Kaiser den Beinamen Germani-
cus 5 ) führte, aber die Benennung Caesar verschmähte 6 ), bekleidete
nur einmal, und zwar ehe er den Kaiserthron bestieg, 861 d. St.
(48 n. Chr.), das Consulat, sechs Monate hindurch 7 ). Sein College
1 ) Taeit. Hist. III, 68. Uio Cass. LXV, 17.
2 ) Tacit. Hist. III, 73.
3 ) Tacit. Hist. HI, 74 und 75.
4 ) Tacit. Hist. HI, 84 und 85. IV, 1 arid 2.
5 ) Plutarcli. Galb. c. 22. Tacit. Hist. II, 70.
«) Tacit. Hist. III, 58.
7 ) Sueton. Vitell. c. 3. Tacit. Hist. III, 86. Plutarcli. Galli. 22.
I)ie Consulate der römischen Kaiser etc.
281
war L. Vipsanius (oder Vipstanus) *), dessen Beiname wahr
scheinlich Publicola gewesen 2 ). Für die zweite Hälfte des Jahres
trat des A. Vitellins jüngerer Bruder L. Vitellins als consul suffec-
tus ein 3 ). Der Vater der beiden Viteliier, L. Vitellius, der damals
noch lebte und selbst schon dreimal das Consulat bekleidet hatte 4 )
(34, 43 u. 47 n. Chr.), hatte die Freude, in demselben Jahre seine
beiden Söhne die Fasces führen zu sehen 5 ).
Wer mit L. Vitellius consul suffectus gewesen ist, lässt sich
nicht mit Sicherheit ermitteln °). Da ausdrücklich gesagt wird, dass
L. Vitellius sechs Monate ilie Fasces geführt habe, so ist anzunehmen,
dass auch der andere consul suffectus so lange im Amte verblieben
ist und es daher keine weiteren consules suffecti in diesem Jahre
gegeben hat 7 ).
Da in der Regel jeder Kaiser im Beginne des ersten Jahres nach
seinem Regierungsantritte das Consulat führte, so ist mit Sicherheit
zu behaupten, dass der Imperator A. Vitellius sich dieses Amt für den
Anfang des Jahres 70 vorbehielt. Er hatte schon für eine Reihe von
Jahren hinaus die consules, sowohl die ordinarii wie suffecti de-
signirt 8 ). Für den Anfang des Jahres 70 n. Chr. sollte sein Schwie
gersohn Valerius Asiaticus °) mit ihm seihst in’s Consulat treten.
Sein Sturz und Tod, zehn Tage früher (21. December), vernichtete
dieses Vorhaben. Münzen von Vitellius mit Cos. Design. 11 sind nicht
bekannt <°).
*) Taeit. Annal. Xi, 23. A. Vitellio L. Vipstano coss.
2 ) Sämmtliche fasti haben Vitellio et Publicola: nur der Chronogr. Rav. fügt beim Namen
Vitellio keine Zahl bei; Cassiod. Prosper und Victorius geben dabei II, Idat. sogar
llll, letzterer zählt die Consulate des Vaters und Sohnes zusammen.
3) Sueton. Vitcll. c. 3.
4 ) Taeit. Hist. 1, c. 9. Inferioris Germaniae legiones diulius sine consulari fuere, donec
missu Galbae A. Vitellius aderat, censoris Vitellii ac ter consulis lilius. Plutarcb.
Galb. e. 22.
5 ) Sueton. Vitell. c. 3. L. Vitellius nee ignobili familia editos consules vidit et eodein
ambos totoque anno, quum majori minor in sex menses successisset.
6 ) Alineloveeii fast. cons. p. 119 nennt den Miteonsul C. Calpurnius Piso nach einer
Panviniscben Inschrift. Marini Arv. p. 73 bestreitet die Echtheit derselben.
7 ) Nach der Inschrift hei Reines. 475, 477 nennt Almeloveen noch als weitere Con
sules sufT. dieses Jahres Cn. Hoslidius Gela und L. Vagellius.
8 ) Taeit. Hist. III, 55. Comitia, quibus consules in inultos annos destinabat.
9 ) Taeit. Hist. IV, c. 4 u. 6 sqq.
10 ) Es scheint, dass Vitellius nicht viel neues Geld mit seinem Namen und ßildniss
schlagen liess, da er erlaubte, dass das von Nero, Galba und Otho ausgegebene iin
Umlauf blieb. Dio Cass. LXV, 6.
mänrni —WT-—^lilnMBg
282 Joseph Aschbiich
Die Consulate der drei flavischen Kaiser.
Vespasianus bekleidete das Consulat neunmal 1 ). Ehe er
Kaiser war, hatte er schon als consul suffectus im J. 5 t die Fasces
geführt; die übrigen acht Consulate fallen in die Zeit der Kaiser
herrschaft von 823—832 d. St. (70 — 79 n. Chr.), so dass er in
jedem Jahre, mit Ausnahme der Jahre 73 und 78 n. Chr. Consul war.
Sein Sohn Titus führte die Fasces achtmal, und zwar als
Caesar oder Mitregent siebenmal mit seinem Vater gemeinschaftlich 2 )
von 823 — 832 d. St. (70 — 79 n. Chr.), mit Ausnahme der Jahre
71, 73 und 78; als Kaiser einmal im J. 80.
Dessen Bruder Domitian us führte sieh z eh n ma I die Fasces;
siebenmal vor seiner Kaiserherrschaft (fünfmal als consul suffectus
71, 74, 73, 76 und 77 n. Chr. und zweimal als consul Ordinarius
73 und 80 n. Chr.). Die zehn Kaiserconsulate, die dann folgten, fallen
in die Zeit von 82 — 95, die sieben ersten ununterbrochen nach
einander von 82 — 88, die drei letzten gehören in die Jahre 90,
92 und 95 3 ). Da Domitian wegen seiner despotischen Regierung
nach seinem Tode für einen Feind des Vaterlandes erklärt worden
war, dessen Andenken überall zu vertilgen sei, so findet sich sein
Name auf Monumenten und in den Consulatsangaben häufig entfernt 4 ).
Wenn das erste, in die frühere Zeit fallende Consulat Vespasian’s
nicht in Anschlag gebracht wird, so führten die drei Flavier in ihren
27 Regierungsjahren zusammen drei und dreissigmal die
Fasces.
A. Consulate des Vespasianus.
Das erste Consulat des Vespasianus.
Titus Flavius Vespasianus führte zum ersten Male die Fasces
804 d. St. (81 n. Chr.) als consul suffectus in den beiden letzten
Monaten des Jahres, als der Kaiser Claudius (zum fünften Male) und
Scr. Cornelius Orfitus Consuln waren. Über das Nähere vgl. das
fünfte Consulat des Kaisers Claudius.
*) Sueton. vit. Vesp. c. 8. Vespasianus consulatus octo veteri addit.
2 ) Sueton. Tit. c. 6. Eidein (Vespasiano) collega (Titus) in septera consulatibus fuit.
3 ) Suet. Domit. e. 13. Consulatus cepit XVII, — ex quibus septem medios (82—88)
continuavit. Plin. Panegyr. 58, 1. Continuis consulatibus fecerat longum quendam et
sine discrimine annum. Dio Cass. LXVII, 4.
4 ) Sueton. Domitian, c. 23. Aschbach, üb. Rom. Kaiserinschrilten etc. S. 20 flg.
Die Consulate der römischen Kaiser etc.
283
Das zweite Consulat des Vcspasianus.
Vespasianus trat sein zweites Consulat an 1 )» als er bereits
ein halbes Jahr auf den Kaiserthron durch die syrischen Legionen
erhoben worden war. Am i. Juli des J. 822 d. St. wurde er zum
Kaiser ausgerufen, und vom 1. Jänner 823 d. St. (70 n. dir.) an
führte er mit seinem Sohne Titus das Consulat 2 ). Beide waren beim
Antritt ihres Amtes von Born abwesend; der Vater befand sich in
Ägypten, der Sohn stand an der Spitze eines Heeres vor Jerusalem 3 ).
Eigentlich waren für dieses Jahr der Kaiser Vitellius und Valerius
Asiaticus zu Consuln designirt worden; aber der Sturz und Tod des
Vitellius war schon vor dem Schluss des Jahres G9 erfolgt. Domi-
tianus, der Sohn Vespasian's und dessen General Mueianus besorgten
während der Abwesenheit des Kaisers in Rorn dieRegierungsgeschäfte.
Sie hatten es veranstaltet, dass die Designation des Valerius Asiaticus
als nichtig verworfen und er nicht zum Antritt des Consulats zuge
lassen ward 4 ); dass Vespasianus und Titus nicht nur Consuln wur
den, sondern der Senat dem neuen Kaiser auch durch ein besonderes
Gesetz alle bisherigen Kaiserrechte und Titel übertrug; dass er die
Söhne zu Cäsaren erhob und dem Domitianus die Prätur mit consu-
larischer Gewalt bis zur Ankunft seines Vaters verlieh 5 ).
Es lässt sich nicht nachweisen, wie lange das Consulat des
Vespasianus und Titus dauerte; jedenfalls drei Monate, vielleicht
Eckhel VI, 321. IMP • CAESAR VESPASIANVS AVG • P ■ M T • P-COS • 11 • DES • 111 +
AETERNITAS P R-S-C. — VI, 337. Grut. 433 = Orell. 730.
2 ) Mural. 308, 2. IMP • CAESARE VESPASIANO aug. II. T • CAESARE AVG • F • VES-
PASIANO COS. 308, 1. FL • VESPASIANO AVGVSTO II. ET TITO VESPASIANO
CAES* COS. Marini fr. arv. p. 452 = Cardinali dipl. mil. p. XIX A*D* MART* IMP •
VESPASIANO CAESARE AVG. II. CAESARE AVG-F*VESPASIANO COS. Mommseu
I. R. N. 4195 0 11. TITO FILIO COS. Die Fasti haben Vespasiano II. et
Tito. Auffallend ist im Chron. Pasch, und bei Idat. Vespasian allein als Consul
angegeben: 0*J£<77ra<7iavoö ocvvoxpixropog [jlovov und Vespasiano II. solo.
3 ) Tacit. Ilist. IV, 38. Vespasianus iteruui ac Titus consulatus absentes inierunt. Dio
Cass. LXVI, 1. Tyjv re vncaov ap^v ® Ouec77ra<7iav9S xai 6 Tiros fkaßov, 6
[xsv iv rjj Ai*yu7rrw, 6 ds iv ryj llaXatortvyj wv.
4 ) Tacit. Ilistor. IV, 4 u. 47. Dio Cass. LXVI, 2.
5 ) Tacit. Hist. IV, 3. Ipsi (Vespasiano) consulatus cum Tito filio, Praetura Domitiano
et consulare imperium (a senatu) decernuntur. Sueton. Domit. c. t. Domitianus
post victoriam demum progressiv et Caesar consalutatus, honorem praeturae urbanae
consulari potestate suscepit titulo tenus : «am jurisdictionem ad collegam proxi-
inum transtulit.
284
.1 o s e p h As c li 1» a c li
auch länger liis zum 1. Juli. Die consules suffecti wurden nicht von
Vespusianus, sondern von Domilianus und Mucianus ernannt 1 );
dieses beweist, dass Yespasianus vor seiner Rückkehr nach Rom das
Consuiat niedergelegt hatte. Die Ansicht, dass Domilianus und
Mucianus selbst zuerst als consules suffecti eingetreten seien, ist
ebenso unrichtig als die Behauptung, dass P. Valerius Asiaticus zu
den consules suffecti dieses Jahres gehört habe. Dio Cassius sagt
ausdrücklich, dass Domitianus und Mucianus Consuln ernannten, aber
nicht, dass sie es selbst waren. Das einzige sichere Ersatz-Consul-
paar dieses Jahres ist L. AnniusBassus und C. Caecina Paetus,
welche in den letzten Monaten die Fasces führten a ).
Drittes Consuiat des Tcspasianus.
Unmittelbar nach dem zweiten Consulate führte Vespasianus das
dritte s ), 824 d. St. (71 n. Chr.). Sein Amtsgenosse war M. Coc-
ceius Nerva 4 ), der zwanzig Jahre später unter Domitian im
*) Dio Cass. LXVI, 2.
2 ) Alineloveen bestimmt als consules suffecti des J. 70 :
ex Kal. Jul. T. Flavius Domitianus und M. Liciniiis Crassus Mucianus II.
ex Kal. Sept. P. Valerius Asiaticus,
ex Kal. Nov. L. Annius Bassus,
C. Caecina Paetus.
Muratori p. 308 und L’art de verifier les dates IV, p. 139 nennen nur vier con
sules suffecti: sie nennen nicht Domitianus, und machen den Mucianus zum Collcgen
des Valerius Asiaticus. — Das Consulpaar L. Annius Bassus und C. Caecina Paetus
lässt sich aus einer Inschrift, die dem Vespasianischen Hause gewidmet ist, nach-
weisen. Grut. 239, 3 = Orell. 740 u. Mommsen I. I». N. G7G9. DEDIC • XV • KAL •
DEC * L • ANNIO BASSO C* CAECINA PAETO COS. Nach dieser Inschrift hat Li-
gorio eine falsche gemacht, welche hei Murat. 308, 3 abgedruckt ist. Cf. Orell.
3098. Über die politische Bedeutung des Annius Bassus, legatus leg. XI Claudiae,
spricht Tacit. Mist. III, 30. Oh unser Caecina Paetus der Caecina Tuscus ist, wovon
Tacit. Ilist. III, 38 spricht, dass er während der Krankheit des Vitellins ein fröh
liches Gastmahl gegeben habe, dürfte zu bezweifeln sein.
3) Eckhel VI, 323. IMP • CAES • VESP • AVG • P • M + TRI * POT • II COS • III • P • P;
Gruter. 17G. IMP • CAESAR VESPASIANVS • AVGVS • PONT • MAX • TR1B • POT • II •
IMP • VI. [dafür 134, 3. IMP VII] COS * III • DESIG • IIII (134, 3 noch P • P hinzu-
fügend). 243, 3. IMP • CAESARI VESPASIANO AVG • PONT • MAX • TRIB • III • IMP *
IIX (189,7: VIII) P • P • COS* III * DES • IIII.
4 ) Gruter. 300 => Eckhel VI, 332. IMP • CAESARE VESPASIANO AVG • III • M • COCCEIO
NERVA COS • P• R• C* AN• DCCCXXIIII. Maffei Mus. Ver. 307, 2 = Orell. 1634. IMP*
CAESARE VESPASIANO III M* COCCEIO NERVA COS. Murat. 309, 2 = Mommsen
4193. imp. uespasiaNO III M* COCCEIO COS. Frontin. de aquaed. c. 102. Vespasiano
III. et Cocceio Nerva Coss. Die lateinischen Fasti haben Vespasiano III. et Nerva.
Die Consulate der römischen Kaiser etc.
28li
J. 90 n. dir. zum zweiten Male (vgl. das fünfzehnte Consulat des
Domitian), und als Kaiser 97 und 98 zum dritten und vierten Male
das Consulat bekleidete (vgl. das dritte und vierte Consulat des
Nerva).
Vespasian führte mit seinem College» nur drei Monate die Fasces.
Am I. April (raten als consules suffecti ein des Kaisers Sohn Domi-
tianus und Cn. Pediu s Castus *). Letzterer ging noch vor dem
1. Juli vom Amte ah und es trat an seine Stelle C. Valeri usFest.us 2 ),
der auch die weiteren Namen Calpetanus Rantius Quirinalis führte 3 ).
Die Consules sufleeti C. Arruntius Catellius Celer und M.
Arruntius Aquila, welche man in die letzten Monate des Jahres
setzt, gehören wohl in’s Jahr 72 4 ).
Viertes Consulat des Vespasianus.
Auf das dritte Consulat Vespasianus folgte sogleich im nächsten
Jahre, 825 d. St. (72 n. Chr.), sein viertes 5 ), worin er seinen
Sohn Titus abermals zum Mitconsnl hatte n ).
Da das Chron. Pasch, das erste Consulat Vespasian’s nicht zählt, so gibt es dieses
als das zweite an: OuscTrauiavoO A'j r /ovazov ro ß’ xai Nspova.
*) Nach einem Militärdiplom hei Marini fr. arv. 434 u. Cardinali dipl. Tav. V. IMP •
CAES • VESPASIANVS AVG • PONT • MAX * TR • POT • II • IMP • VI • P • P • COS • III • DES •
IUI. — NON • APRIL - CAESARE AYG • F • DOMITIANO CN • PEDIO CASTO COS.
2) Marini fr. arv. p. 129 (cf. p. 142, not. 39) VII • K • IVL AESARE AVG . F •
DOMITIANO C• VALERI0 FESTO COS.
8 ) ßorghesi: Bullet. Neap. IV, p. 34. Orell. (1493. Kandier antichita Tergest. c. CAL-
PEtano RANtio QVIRINALI vaLERIO P • F • POMP • Festo cos. Näheres über diesen
Valerius Feslus findet sich hei Aschbach, üb. Rom. Kaiserinschriften. S. 21.
4 ) Nach Orell. n. 4031. Cf. Murat. 1091 u. 2004,2. Marini p. 149 u. 132. Vgl. S. 286 Not. 2.
5 ) Eckhel VI, 331. IMP • CAES • VESPAS • AVG • P • M • TR • P • IIII • P • P • COS • IUI.
Gruter. 189, 8. IMP • CAES • VESPASIAN • AVG • P • M • TR • POT • III • IMP • VIII
PP- COS • IIII. 244. IMP • CAESAR1 VESPASIANO AVG • PONT • MAX • TR • POT •
IIII • IMP • VI1II • COS • IIII • P ■ P • CAESARI AVG • F • DOMITIANO COS • DES • II • PRIN-
C1PI • 1VVENTVTIS.
6 ) Die lateinischen Fasti haben übereinstimmend Vespasiano IIII. et Tito II. In Plin.
hist. nat. II, 13 ist hei Imperatoribus Vespasianis patre III. filio iterum die Zahl III
in IIII zu ändern. In den Inschriften bei Orell. 437 u. 3026 IMP * T • VESPASIANVS
CAESAR-AVG-II ist statt II zu lesen F (filius). Bei Mommsen n. 2401 IMP • T •
VESPAS . . CAESARI AVG. . TRIB-P - COS * II ist nach AVG. zu ergänzen F. Freilich
ist es ungewöhnlich, dass 1MP-T* an die Spitze gesetzt ist, was sonst nur hei
den kaiserlichen Inschriften geschieht: da aber Titus seine beiden Kaiserconsulale
(eigentlich war es nur eines) nirgends besonders zählt, so kann COS. II. nur in
die Zeit der Mitregentschaft fallen, wo Titus Caesar aber nicht Augustus, wohl aber
Augusti filius hiess. Unzweifelhaft auf Titus (schon wegen des fehlenden Augustus
und des PON (Pontifex) nicht PONM- (Pontif. Max.) beziehen sich die Münzen
286 Joseph Aschbach
Da Vater und Sohn nur einige Monate im Consulate verblieben,
so mussten consules suffeeti Vorkommen. Man vermuthet, es seien
vom 1. Juli an L. F1 avius Fimbria und C. Ati 1 ius Barbarus *),
später vom 1. October an C. Arruntius Catellius Geier und
M. Arruntius Aquila als consules suffeeti eingetreten 2 ).
Fünftes Consilia! des Yes|iasiauus.
Vespasianus fünftes Consulat 3 ) folgte dem vierten nach einem
Jahre Zwischenzeit, 827 d. St. (74 n. Chr.). Sein College war wieder
sein Sohn Titus, der die Fasces nun zum dritten Male führte 4 ).
Beide waren in diesem Jahre zugleich Censoren.
Ihr Consulat dauerte nur drei Monate. Am 1. April trat Domi
tian iri’s Consulat, der es nun auch zum dritten Male führte 5 ); sein
College ist nicht bekannt. Vom 1. Mai an gab es neue consules
suffeeti, Q. Petilius Cerealis Caesius Rufus und T. Clodius
Eprius Marcellus, welche beide schon früher einmal die Fasces
geführt hatten 3 ). Q. Petilius Rufus ist vielleicht der Vater des gleich-
bei Eckhel VI, 353. T • CAESAR ■ VESPASIAN • IMP ■ 111 [auch mit INI] PON • TR •
P • II • COS.
•) Cf. Falcone storia di S. Jennaro p. 372. ’Ejtl uirärmv Aeuxi'cu 4>Xaj3i'ou
ßpia xai ’AvstXiov Bapßapov. Darnach haben Murat. 295, 1 u. 811,13. Carili-
nal. dipl. n. 214. Borghesi Giorn. Arcad. LIV. p. 72 das Consulpaar auf einer tes-
sera gladiatoria SALVIVS | CALPVRNI | SP * XIII * K • AVG | L • FLAYIO FIM • C *
ATI verstanden.
2 ) Murat. 1091, 1 u. 2004, 2 gibt eine aus der ersten Regierungszeit Vespasian’s her-
riihrende Inschrift, worin das Consulpaar III IDYS OCTOBR vorkommt. Auch bei
Gruter. 3G6, 1 wird ein Consul MARRVNTIO M • F • TER • AQV1LA — COS ge
nannt. Marini I. c. p. 149 u. 152 glaubt, C. Arruntius Catellius Celer sei derselbe,
der unter den fratres arvales Tav. XIX, XXII u. XXIV mit dem vollständigeren Namen
L. Pompeius Vopiscus Arruntius Catellius Celer genannt und beim J. 69 als Vopi-
scus Pompeius Silvanus unter den consules suITecti erwähnt werde. Wäre dieses
richtig, so müsste er hier als zum zweiten Male Consul bezeichnet werden. Orelli
n. 4031 setzt unser Consulpaar in*s Jahr 71.
3 ) Eckhel VI, 333. IMP • CAESAR VESP • AVG - COS • V• CENS. Murat. 445, 8. IMP.
CAESAR VESPASIANVS AVG • PONTIFEX MAXIMVS TR1B • POT v. imp. XIII • COS •
V • DES • VI * CENSOR. Mommsen 4195. IMP • VESPASIANO V.
4 ) Eckhel VII, 355. T - CAESAR IMP • PONT + TR • POT-COS -III • CENSOR. Almelo-
veen p. 39 aus Gud. MS. IMP • CAES • VESPASIANO ET TITO CAESARE III COS.
(scheint nicht echt zu sein). Frontin. de aquaed. c. 102. Vespasiano V et Tito III
Cos. Censorin. de die natal. c. 18. — Die lateinischen Fasti haben meistens Ves
pasiano V e^t Tito III. Cassiodor. hat unrichtig Titus IV.
5 ) Eckhel VI, 370. CAES • AVG • F • DOMIT • C08 • 111 + PR1NCEPS 1VVENTVTIS.
6 ) Militärdipl. Vespasian’s bei Cardinali T. V. p. XX11I. = Arneth p. 39. = Orell. 5418.
IMP CAESAR VESPASIANVS AVGVSTVS PONTIFEX MAXIMVS TRIBVNIC POTE-
Die Consulate der römischen Kaiser eie.
287
namigeri Mitconsuls Domitian im J. 83. Von Eprius Marcellus wissen
wir, dass er aus Capua gebürtig gewesen und sieh vom niederen
Stande durch seine juridischen Kenntnisse und Beredtsamkeit zum
grossen Ansehen, Reichthume und zuletzt in die Gunst Vespasian’s
erhöhen hat 1 ). Er liess sich aber mit A. Caecina Alienus in eine
Verschwörung gegen den Kaiser ein, und als sie entdeckt war und
er zur Untersuchung gezogen wurde, schnitt er sich mit einem
Sehermesser die Kehle ah.
Sechstes Consnlat des Vespaslamis.
Unmittelbar an das fünfte reihte sich das sechste Consulat 2 )
des Vespasian, 828 d. St. (7S n. Chr.), worin er wieder seinen Sohn
Titus zum Mitconsul hatte 3 ). Nach wenigen Monaten trat Domi-
tiarius als Consul suffectus in’s Amt. Beide Söhne führten in diesem
Jahre zum vierten Male die Fasces 4 ). Der College des Domitianus
war L. Licinius Crassus Mucianus, der das Consulat nun zum
dritten Male bekleidete 5 ). Dessen erstes Consulat setzt man, jedoch
nicht ganz sicher, in's J. 70, es fallt wohl später; das zweite in’s
J. 73, wo er mit T. Flavius consul suffectus war. Mucianus war einer
der ausgezeichnetsten Feldherren des Vespasianus, der ihm wesent-
STAT • V • IMP • XIII PP- COS • V • DESIGNAT • VI • CENSOR — A • I) -107• KAL •
IVN • Q • PET1LI0 CEREALE CAESIO RVFO II T • CLODIO EPlilO MARCELLO
II COS.
Tacit. de Oral. 5, 8, 13 und Hist. IV an verschiedenen Stellen: im ,1. 70 halte er
wohl noch nicht das erste Consulat bekleidet, sonst würde ihn Tacit. in den Ilist.
als consularis angeführt haben. Von seiner Verschwörung und von seiner Selbst—
entleibung spricht üio Cass. LXVI, 17. Cardinal: Dipl. n. 123 u. Mommsen n. 3G01
(cf. Borghesi Bullet. delP Instit. 1836, p. 147) theilen auf ihn die Inschrift mit:
T'CLODIO M * F * FAL * EPRIO MARCELLO COS - II auguri sodali augustali, pr. pr.
procos. Asiae lli provincia Cypros.
2 ) Eckhel VI, 333. IMP • CAESAR VESP • AVG • COS • VI. Mommsen n. 4195. IMP '
VESPASIANO "VL . . . . Murat. 446, 1. IMP • CAESAR VESPASIAN VS AVG • PONT •
MAX • TR1B • POT • VI • IMP XIII [Xllll] COS VI • DES VII CENSOR.
*) Gruter. 109, 7. IMP • VESPAS • VI • CAESAISE TITO III1 COS. Gl ut. 223, 3. IMP •
CAESARE VESPAS • VI • T ■ CAES A VG • F • IUI. Murat. 309, 1. DEDIC • XIIII KAL •
IVL • IMP 'VESPASIANO AVG • VI • TITO FLAVIO CAESARE IUI COS (ob echt?).
Die lateinischen Fasti haben Vespasiano VI et Tito IV. Cassiodor unrichtig Titus V.
Dio Cass. LXVI, 15.
4 ) Eckhel VI, 370. DOMITIANVS COS • 1111.
5 ) Plin. hist. nat. VIII, 3. Mucianus ter consul auctor est, XIX, 1. Mucianus ter consul.
Marini fr. arv. p. 129. Borghesi di tre consolati di Muciano. Bibi. ital. 1840. T,
XCVII, p. 12. Vgl. das Jahr 73 n. Chr. S. 294, Not. 4.
288
Joseph Asehliaeh
liehe Dienste beim Sturze des Vitellius geleistet und viel zur Grün
dung der Herrschaft des flavischen Kaiserhauses beigetragen hatte.
Beim Tode des Nero stand er als Statthalter von Syrien an der Spitze
der dortigen Legionen, die er bald auf die Seite Otho’s, dann Vespa-
sian’s hinüherzog. Indessen er Vespasianus zum Kaiser ausrufen liess,
übernahm er es auch, nach Italien zu eilen, um den Slurz des Vitel
lins zu vollbringen. Er war es, der in Rom die Ordnung aufrecht
erhielt, his Vespasian aus dem Oriente eintraf 1 ). Vespasian wollte
ihn anfänglich zum Mitregenten machen, was er jedoch nachher
unterliess. Muciarius begnügte sich mit der Ehre, dreimal das Con-
sulat zu führen. Auch als Schriftsteller trat er auf; er schrieb Denk
würdigkeiten aus seinem Zeitalter, welche der ältere Plinius in seinem
grossen Werke öfter benützte.
Siebentes Gonsnlat des Vespasianus.
Auch das sieb en teConsulat 2 ) Vespasian’s 829 d. St. (76 n. Chr.)
reiht sich an das vorangehende; Titus war wiederum Mitconsul 3 )
und zwar das fünfte Mal 4 ). Vater und Sohn blieben wohl 6 Monate
im Amt, worauf dann Domitianus und Ti. Plautius Silvanus
als consules suffecti eintraten 5 ), und zwar bekleidete jener das
fünfte, dieser das zweite Mal das Consulat.
1 ) Tacit. Hist. lih. III et IV pass, Dio Cass. LXVI, 2 u. 13. Plin. 1. c.
Eckhel VI, 344. IMP • CAES • VESP • AVG P • M • T * P • COS • VII. und 343 : IMP *
CAES • VESPASIAN VS AVG • PONT • MAX TRIB • POT VII • IMP XVII • P • P • CEN-
SOR COS • VII • DESIG * VIII. Murat. 1992,7 ebenso: nur ist da bei der Trib. Pot.
nicht V sondern VII zu lesen.
3 ) Spartian. Hadrian, c. 1. Hadrianus natus est Hoinae IX Kal. Fehl’. Vespasiano sep-
ties et Tito quinquies cos. Die Fasti haben Vespasiano VII et Tito V: nur Cassio-
dor gibt unrichtig Titus VI.
4 ) Eckhel VI, 333. T • CAESAR • IMP • VESPASIAN + COS • V. Murat. 228, 3 = Mommsen
I. R. N. 2384. TIT CAESARI AVG • F • VESPASIANO IMP • PONT TRIB • POT VI
COS [V] DES • VI • CENSORI. Plin. Hist. nat. II, 22. Quinto consulatu suo Titus
imperator Caesar.
5 ) Dieses ist durch Combination zu ermitteln : Domitian war im Jahre vorher (73) zum
vierten Male Consul, im J. 77 führte er zum sechsten Male die Fasces,' also muss sein
fünftes Consulat in’s J. 76 fallen. Eckhel VI, 371. CAESAR AV G * F • DOMITIAN VS
-f COS -v. Ebenso wird durch Combination der andere Consul suITectus in dieses
Jahr eingereiht. Orell. 730. TI PLAVTIVS M • F • A N * SILVANVS AELIANVS II.
Das erste Consulat des Plautius Silvanus fällt in’s J. 47: er war consul suffectus im
vierten Consulatsjahr des Claudius. Alnieloveen gibt ihm unrichtig das Praenomen
Titus statt Tiberius,
Die Consulale der römischen Kaiser etc.
289
Achtes Consnlat des Yespasianus.
Yespasian's achtes Consulat 1 ) folgte unmittelbar auf das
siebente 830 d. St. (77 n. Cbr.). Mitconsul war wieder Titus, der
nun zum sechsten Male die Fasces führte 2 ). Die Dauer des (Konsulats
war wahrscheinlich eine sechsmonatliche. Sodann traten Domi-
tianus, der nun zum sechsten Male die Fasces führte 8 ), und Cn.
Julius Agricola, der Schwiegervater des Geschichtschreibers
Taeitus*), in’s Amt.
Neuntes Consulat des Yespasianus.
Vespasian’s neuntes 5 ) Consulat (es war sein letztes) 8 ) wurde
832 d. St. (79 n. Chr.) einige Monate hindurch geführt. Mitconsul
war wie gewöhnlich sein Sohn Titus, der zum siebenten Male das
Consulat bekleidete 7 ). In dem unmittelbar vorausgegangenen Jahre
D Eckhel VI, 336. IMP • CAESAR VESPASIAN • COS -VIII. Grat. 243. IMP • CAE8ARE
VESPASIANO AVG • PONTIFICI MAXIMO TRIBVNICPOTEST-VIIl-IMP-XVII-P-
P-COS-VIII - DES -IX' CENSORI. Murat. 2007, 4. IMP • CAES • VESP • AVG • PONT •
MAX-TRIB POT-IX • IMP • XIIX P P COS • VIII. Cf. Mommsen I. R. N. 3575,
6247 ii. 6262.
2 ) Mommsen 6303, n. 3 = Oi ell. 7318. IMP ■ VESP • AVG -TlX T • IMP • AVG • V Ti
COS. Eckhel VI, 336. T • CAEÖAR IMP • VESPASIANVS + COS-VI. — Die Easti
haben theilweise ungenaue und unrichtige Angaben: Cassiodor: Vespasianus VIII
et Titus VII (statt VI). Der Chron. Rav. und das fragm. ex fast. Cuspin. geben un
richtig Vespasiano VIII et Domitiano V und Idatius Vespasiano VIII et Domitiano III.
Domitianus war nicht ein einziges Mal zugleich mit seinem Vater im Consulat.
3) Eckhel VI, 373. CAES • AVG • F • DOMITIANVS COS • III (corrig. VI) + PRINCEPS
IVVENTVTIS. Sueton. Domit. c. 2. In sex consulatibus non nisi unum ordinarium
gessit.
4 ) Tacit. in der berühmten Vita Agricola ist hier einzige Quelle: es ist aus dem Zu
sammenhänge seiner Erzählung zu oombiniren, besonders c. 9. (Statim ad spem
consulatus revocatus est. Consul egregiae tum spei filiam juveni mihi despondit
ac post consulatum conlocavit), dass dieses Consulat in’s J. 77 n. Chr. lallt. Uber
Agricola ist auch zu- vgl. Dio Cass. LXVI, 20.
5 ) Eckhel VI, 337. IMP* CAESAR VESPASIANVS AVG + COS • VIIII TR-P X. Murat.
228, 4. IMP • VESPASIANO CAESARI AVG • PONTIF • MAXIMO TRIB * POTEST • X •
IMP-XX* COS VIIII • P P.
6 ) Sueton. Vespas. c. 8. Vespasianus consulatu suo nono — extinctus est IX Kal. Julii.
— Orelli n. 6770 hat eine Inschrift mit VESPAS *X • COS, wo X in IX zu corri-
giren ist. Cf. Bulletin Inst, arcli. 1844, p. 127.
7 ) Gruter. 243. IMP • CAES • VESPASIANO PONT • MAX • TR • POT • X IMPXXPP*
COS IX ET IMP • VESPASIANO CAESARI AVG • F TR • POT • VIII • IMP XIIII • COS •
VII. Über die verdächtige oder doch jedenfalls ungenau copirte Muratori’sche
Inschrift (2037, 8) mit Vesp. Aug. Cos. IX und Titus Caes. Cos. VI vgl. Aschbach,
üb. Rom. Kaiserinschriften, S. 23. Die lateinischen Fasti haben ungenau entweder
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXXVI. Bd. III. Ilft. 20
290
.1 o s e p li Asch hach
78 hatte weder Vespasian noch einer seiner Söhne die Fasces
geführt, was ein ganz ungewöhnlicher Fall war.
In dem Jahre 79 müssen jedenfalls consules suffecti vorge
kommen sein, denn schon für Vespasian musste ein consul sutfectus'
in’s Amt treten, da der Kaiser noch vor der Mitte des Jahres am
23. Juni mit Tod abging. Manche zwar meinen, dass in diesem Jahre
keine consules suffecti ernannt worden seien; Titus sei bis zum
Schluss des Jahres im Amte verblieben und sein Bruder Domitianus,
der schon für das folgende Jahr zum consul Ordinarius designirt war,
habe mit seinem Bruder die Fasces geführt, jedoch ohne dieses Con-
sulat zu zählen 4 ). Andere aber lassen den Domitianus als consul
suffectus am 23. Juni in’s Amt treten a ).
Nach der gewöhnlichen Annahme waren M. Titius Frugi und
T. Vinius Julianus die consules suffecti dieses Jahres 3 ); jedoch ist
dies falsch, da diese beiden Consuln nachweisbar in's folgende Jahr
80 gehören.
Da Vespasianus in seiner fast zehnjährigen Regierung achtmal,
das Consulat geführt hat, so lässt sich schon aus der Consulatsangabe
meist das Jahr ermitteln. Nur Cos. IV gilt für zwei Jahre 72 und 73
und Cos. VIII für 77 und 78. Findet sich aber, wie das gewöhnlich
der Fall ist, die Designation für das folgende Jahr dabei, so ist natür
lich das Jahr 73 oder 78 gemeint. Da die Erneuerung der tribunicia
potestas vom 1. Juli (09) an zählte, so gehört gewöhnlich jedes
Vespasiano IX et Tito VI oder Vespasianus IX et Titus VIII. Letzteres hat Cassiodor.
— Auf das siebente Consulat des Titus nach dem Tode des Vespasianus beziehen
sich die Münzeninschriften bei Eckhel VI, 336. IMP • TITVS CAES • VESPASIAN •
AVG P M + TR • POT ■ VII1I • IMP * XIIII * COS * VII und + TR • P V1III • IMP -XV •
COS • VII • P • P.; dann die Muratorische Inschrift bei Eckhel VI, 433. Ttrw Kai-
(Ja.pi XsßaoTO) OveanotGiavo) U7rarw rö avroxpoTopog Ous<77ra<7iavoö uito.
Gruter 1068, 3. IMP ■ T • VESPASIANVS CAES - AVG • COS • VII. Suetom Tit. c. G.
Eidern (Vespasiano) Collega (Titus) in septem consulatibus fuit.
l ) Almeloveen und die ihm folgen nehmen für dieses Jahr keine consules suffecti an.
3 ) Mansi behauptet dieses: er stützt sich dabei auf das Chronic. Pasch., welches für
das J. 79 als consules anführt: Ttrou ro <;' xai Aop.enavoO ro ß\ Wichtiger
ist die Münze bei Eckhel VI, 374. T • CAES • VESPASIAN * IMP • PON • TR • P • COS •
VII + CAES • DOMITIAN • COS • DES • II ■ S * C. Da hier Titus noch nicht die Titel
Augustus und Pontifex Maximus führt, so muss diese Münze vor Vespasian’s Tod
geschlagen worden sein.
3 ) Muratori p. 312 und Part de verifier les dates etwas abweichend in den Namen:
M. Titus Frugi und T. Vinius (Vinidianus) Julianus.
Die Consulate der römischen Kaiser etc.
291
Consulatsjahr zu gleichen Hälften zwei verschiedenen Jahren derTrib.
Pot. an. Für G9 ist Trib. Pot. einfach, für 70 Trib. Pot. einfach und
nach dem 1. Juli Trib. Pot. II, für 71 ebenso Trib. Pot. II und Trib.
Pot. III und so fort bis 79, wo aber nur Trib. Pot. X Vorkommen
kann, da Vespasianus den 1. Juli nicht mehr erlebte, also auch Trib.
Pot. XI nicht mehr bezeichnet werden konnte. — Imperatoren-
Begrüssungen hatte Vespasianus in Allem 20 erhalten.
B. Die Consulate des Titus.
Von den a eilt Consulaten, die Titus bekleidete, führte er sieben
gemeinschaftlich mit seinem Vater 1 ); sie fallen daher vor seiner
eigenen Kaiserherrschaft. Diese sieben Consulate sind nach der
Reihenfolge der Jahre:
Erstes Consulat 822 d. St. (70n. Chr.)vgl. zweites Consulat
des Vespasian.
Zweites Consulat 825 d. St. (72n.Chr.) vgl. viertes Consulat
des Vespasian.
Drittes Consulat 827 d. St. (74n. Chr.) vgl. fünftes Consulat
des Vespasian.
Viertes Consulat 828 d. St. (73n. Chr.) vgl. sechstes Consulat
des Vespasian.
Fünftes Consulat 829 d. Sl. (76n.Chr.)vgl.siebentes Consulat
des Vespasian.
Sechstes Consulat 830 d. St. (77 n. Chr.) vgl. achtes Consulat
des Vespasian.
Siebentes Consulat 832 d. St. (79n.Chr.) vgl. neuntes Con
sulat des Vespasian.
Achtes Consulat des Titus.
Das achte Consulat 3 ) bekleidete Titus als Kaiser 833 d. St.
80 n. Chr. und er nahm zum Collegen seinen Bruder Domitian an,
den noch Vespasianus für dieses Jahr zum Consul Ordinarius designirt
Sueton. Tit. c. 6.
a ) Eckhel VI, 357. IMP'TITVS CAES • VESPASIAN'AVG ' P • M + TR-P-IX • IMP-XV-
COS-VIII-P-P. Gruter 1082. IMP'TITVS CAESAR DIVI VESPAS • F 'AVG • PONT •
MAX-TRIB ' POT • IX • COS 'VIII • IMP XV'P' P. Ähnlich Gruter. 189, 9 = Eckhel
VI, 363, «her mit TRIB POT'X. Gruter 173, 8 = Murat. 228, 6. TITOS KAIZAP
0TE2IIA2IAN02 2EBA2T02 IKII2 EH0T2TA2T0 I' . . . . 02
mAT02 TO H'TEIMHTHS.
20
292
Joseph A s c h h a ch
hatte. Öbsehon derselbe schon sechsmal die Fasces geführt hatte, so
war er doch nur einmal Consul Ordinarius gewesen , daher zählte
er das mit Titus gemeinschaftlich geführte Consulat als das zweite j ) ;
bringt man aber alle insgesammt in Anschlag, wo Domitian auch nur
consul suffectus gewesen, so war es sein siebentes 3 ).
Titus und Domitianus traten in der ersten Hälfte des Jahres
vom (Konsulate ab, wahrscheinlich schon vor dem 1. April 3 ); im Juni
treffen wir schon als consules suffectiL. Lamia PlautiusAelianus
undC. MariusMarcellusOctaviusPubliusCluviusRufus 4 ).
Der letztere legte das Amt früher nieder oder ging vielleicht mit Tod
ab vor Ablauf der Amtszeit und es trat an seine Stelle Q. Pactum ei us
Fronto 5 ) ein. In den letzten Monaten des Jahres finden sich als
consules suffecti M. TitiusFrugi und T. Vinius Julianus 6 ).
1) Eckhel VI, 374. Caes. Vespnsian. Imp. Pont. Tr. P. Cos. VII + CAES • DOMITIAN •
COS • DES • II • S ■ C.
Mural. 2007, S. IMP TITO CAESARE DIVI VESP • F • VESPASIANO M [AVG] PONT •
M • TRIB • POT • IX • IMP • XV • P • P • COS • VIII CAESARE DIVI VESP • F
COS’VII. Hier ist DOMITIANO ausgetilgt. Vgl. Aschbach, üb. Rom. Kaiserinschr.,
S. 20. Zell delect. Inscriptt. 138. Dedic. V. Id. Oct. Vespasiano VIII et Domitiano
VII, wo vor Vespasiano wohl T. (Tito) zu ergänzen ist. Orell. 753 bat freilich auch
VESPASIAN ‘VIII DOMITIAN * VII, aber in einer Inschrift von zweifelhafter Echt
heit. Eckhel VI, 375. CAES • DIVI AVG • VESP • F • DOMITIANVS COS • VII + S • C.
Die Fasti bezeichnen das Jahr ungenau: sie nennen zwar alle Titus und Domitia
nus, aber sie fügen unrichtige Zahlen hei: Chron. Ravenn. Tito VII et Domitiano
VII, Idat. Chr. Tito VII et Domitiano IV, das Chronic. Pasch. Ttrou Av'jOUGTOv rd
xai Aop.ertavoö rd «j r . Cassiodor hat Domitianus II et Rufus II.
3 ) Sueton Domitian, c. 13.
4 ) Arneth, zwölf Mil. dipl. p. 33. T1TVS CAES. divi VespasiaNI F • VESPASIAN VS AV-
GVSTVS pontif. maxiMVS TRIBVNIC • POTESTAT • YÜ1T imp. XV. p. p. censOR C08 •
VnT IDIBVS IVNIS L • LA MIA PLAVTIO AELIANO C MARIO MARCELLO OC-
TAVIO PVBLIO CLVVIO RVFO COS.
5 ) In der Inschrift zur Einweihung des Coloseums für die Bezeichnung der Plätze im
Amphitheater. Murat. 312. Marini frat. arv. Tav. XXIII. p. CXXX. Orell. 2357.
L • AELIO PLAVTIO Q PACTVMEIO FRONTONE COS. Marini p. 221 fügt die Be
merkung hei: Anche senze l'autorita di Dione e delle medaglie resta fissato Panno
. preciso della dedicazione del coloseo e dell consolato sufTetto di Lamia e Fron
tone. Murat. p. 313 setzt dieses Consulpaar in’s J. 116 n. Chr.; er stimmt Noris,
Pagi und Stampa hei, welche in dieses Jahr die consules suffecti L. Aelius Lamia
und Aelianus Vetus setzen — meint aber, letzter Consul sei durch Tod oder sonst
eine Ursache früher abgegangen und für denselben Q. Pactumeius Fronto einge
treten.
6 ) Murat. 312 u. Marin, fr. arv. Tav. XXIII. Cf. p. 204 u. 816. PRO SALVTE IMP’
T1TI CAESARIS DIVI F VESPASIANI AVG • PONT * MAX • TRIBVNIC • POTES • COS •
VIIII ET CAESARIS F • DOMITIANVS “VH — M • TITIO FRVGI T • VINIO IVLIANO
Die Consulale der römische» Kaiser etc.
293
Aus den Consulatsjahren des Titus lässt sich bei dessen kurzer
Regierung von etwas über zwei Jahre die Zeit leicht ermitteln:
Cos. VII gehört iu's J. 79, Cos. VIII mit der Trib. Pot. IX und X
in’s J. 80. Aber Cos. VIII mit der Trib. Pot. X kann auch noch
iu’s J. 81 his 1. Juli fallen. Dagegen Cos. VIII mit Trib. Pot. XI
gehört der Zeit vom 1. Juli bis 13. September 81 an.
Tilus war schon im Jahr 70 wie sein Bruder Domitianus zum
Caesar erhoben worden; die Trib. Potest. erhielt er erst im J. 71
am 1. Juli und damit zugleich die Mitregentschaft. Es wurde des
Vespasianus und des Titus Tribunitia Potestas demnach an demselben
Tage erneuert; nur war Vespasianus um zwei Jahre voraus, daher
zählte dieser in seinem Sterbejahre 79 am 1. Jänner Trib. Pot. X
und Titus Trib. Pot. VIII. Da Titus am 13. September 81 starb, so
konnte er seinem Titel noch Trib. Pot. XI beifügen.
Imperatoren-Begrüssungen hatte Titus in Allem 13 empfangen;
es werden ihm wie bei Tiberius auch die während der Mitregent
schaft erhaltenen hinzugezählt.
C. Die Consulate des Domitianus.
Ehe Domitian den Kaiserthron bestiegen, hatte er schon
siebenmal die Fasces geführt, zweimal als consul Ordinarius, fünf
mal als consul suffeetus. Daher lässt sich die Verwirrung hinsicht
lich der Zahlenangabe in den Fastis erklären; indem manche Consu
late nicht in Rechnung gebracht wurden, stimmen nicht die Zahlen.
Darin aber lauten die Angaben von Schriftstellern gleichlautend, dass
Domitian in Allem siebzehn Consulate geführt hat, wovon zehn auf
seine Kaiserschaft entfallen 1 ). Da er diese alle als consul Ordinarius,
und schon früher zwei in solcher Eigenschaft geführt hat, so musste
sein Name zwölfmal in den Consular-Fasten Vorkommen, wenn auch
die fünf Consulate, wo er nur Consul suffeetus war, nicht gezählt
wurden.
Erstes Consulat 824 d. St. (71 u. Chr.) als consul suffeetus
mit Cn. Pedius Castus. Vgl. drittes Conslilat des Vespasianus.
COS VII IDVS DECEMBU. Maiini liest: M • T1LL10 FliVGl T ' VINICIO IV-
LIANO COS.
*) Ungenau ist die Nachricht von Dio Cass. LXVII, 4, dass Domitian als Kaiser sich
auf zehn Jahre hinter einander zum Consul und zum lebenslänglichen Censor
habe ernennen lassen.
294
Joseph Aschbach
Zweites Consulat 826 d. St. (73 n. Chr.) als consul Ordi
narius 1 ). Sein Amtsgenosse war Valerius Messalinus, dem man
nach einer unechten Inschrift das Pränomen Caius gibt 3 ). Da
der Name des Domitianus später aus den Fastis entfernt wurde,-so
bezeichnet man dieses Jahr auch manchmal nur mit dem Namen des
Mitconsuls Valerius Messalinus 3 ). Wie lange Domitianus im Amte
verblieben, findet sich nirgends mitgetheilt, jedenfalls nicht bis zum
1. Juli, da schon im Juni consules suffecti Vorkommen; nämlich C.
Eicinius Crassus Mucianus und T. Flavius, welche beide
das Consulat wiederholt bekleideten 4 ). Wie der Beiname T. Flavius,
der wohl ein Verwandter des flavischen Kaiserhauses gewesen,
gelautet habe, ist nicht bekannt.
Drittes Consulat 827 d. St. (74 n. Chr.) als consul suffectus.
Vgl. fünftes Consulat des Vespasianus.
Viertes Consulat 828 d. St. (73 n. Chr.) als consul suffectus
mit Licinius Mucianus. Vgl. sechstes Consulat des Vespasianus.
i) Eckhel VI, 3S3. T • CAES • VESPASIAN ■ IMP • PON • TB • POT • COS • II + CAESAR
DOMITIAN-COS 'DES ■ H. Gi-ut. 244. CAESARI AVG • F • DOMITIANO COSDESII.
Eckhel VI, 370. CAESAR AVGVSTI F + DOMITIANVS COS • II. Mm-at. 309, 3 =
Moramsen I. R. N. 4195. DOMITIANO II CAES. . . . Momuisen Inscr. Helvet. n. 78.
Orell. 5030 = 6770. DOMITIANO II COS. Bulletin, dell’ instit. arch. Rom. 1844,
p. 127. Sueton. Domit. c. 2. In sex consulatibus non nisi unum ordinarium gessit.
Das Chronic. Pasch, hat Aojj.enavoO xal MspffaXtvou j das Chron. Rav. Domitiano
et Messalino; Idat. Domitiano II et Messalino , wo das frühere Consulat Domitian’s
mitgezählt ist; bei Cassiodor fehlt das Consulpaar.
3 ) Cuper ap. Almeloveen fast. cons. p. 34 ex fiud. MS. D • D • KAL * MART * EL • DOMI
TIANO AVG. III (legend. II • F.) ET C VALERIO MESSALINO COS. Schon die in
der Inschrift erwähnte leg. II. Italica , die erst nach 150 n. Chr. errichtet wurde,
verräth das spätere Machwerk.
3 ) Frontin. de aquaed. c. 102. Valerie Messalino Cos. Panvin. in d. Fast, bemerkt
dazu: Frontinus, omisso Domitiani nomine ex S. C. abolito, Valerium Messalinnm
tantum alterum consulem nominal.
4) Marini fr. arv. p. 129. VII • K • IVL C* LICINIO MVCIANO . . X T * FLAVIO . . . Th
p. 142. Si sa che Licinio Muciano — fu tre volte console suffetto, ma non in quali
anni, e sola per via di argomentazioni si pone la terza volta con Domiziano, che
lo era per Ia quarta nel 75. Dal marmo abbiamo il di lui prenome (Marco si
era detto insino ad ora) ed un T. Flavio collega nel consolato suo seconda o
terza volta : non par e che si sia a Domiziano, nominatovi giä prima solamente Caesar
Aug. f. Domitianus, ma forse altri della famiglia imperiale, Ia quäl’ si sa aver ono-
rato i Fasti con T. Flavio Clemente et T. Flavio Sabino. — Almeloveen, Muratori
u. Part de veri.fi er les dates geben dem Mucianus unrichtig das Praenomen Marcus.
Cf. Borghesi, di tre consolati di Muciano. Bibi. Ital. 1840. T. 97, p. 12.
\
Die Consulate der römischen Kaiser etc. 295
Fünftes Consulat 829 d. St. (76 n. Chr.) als consul suffectus
mit T. PJautius Silvanus. Vgl. siebentes Consulat des Vespasianus.
Sechstes Consulat 830 d. St. (77 n. Chr.) als consul suffectus
mit Cn. Julius Agricola. Vgl. achtes Consulat des Vespasianus.
Siebentes Consulat 833 d. St. (80 n. Chr.) als consul Ordi
narius mit Kaiser Titus. Vgl. achtes Consulat des Titus.
Achtes Consulat des Douiitiauus«
Sein erstes Consulat als Kaiser führte Domitianus 835 d. St.
(82 n. Chr.). Wenn man die von ihm früher geführten Consulate in
Anschlag bringt, so war es nun zum dritten Male, dass er als consul
Ordinarius, und zum achten Male 4 ), dass er überhaupt die Fasces
führte. Sein College im Amte war der Sohn seines Oheims Flavins
Sabinus; er hiess Titus Flavius Sabinus 2 ). Da derselbe ihm
aber verdächtig geworden war, so Hess der misstrauische Kaiser den
Mitconsul bald nach Antritt seines Amtes hinrichten 3 ) und seinen
Namen aus den Fascis streichen. An die Stelle desselben erhob er,
nicht als consul suffectus, sondern als consul Ordinarius, den C. Vale
rius Messalinus 4 ). Erst nach Domitian’s Sturz wurde T. Flavius
Sabinus wieder in die fasti eonsulares aufgenommen und C. Valerius
Messalinus unerwähnt gelassen.
Domitianus trat jedenfalls vor dem 1. Mai vom Consulate ab 5 ).
Wer ihn im Amte ersetzte, ist nicht bekannt 6 ).
1) Eckhel VI, 377. IMP • CAES • DOMIT1ANVS AVG • P • M + TR • POT ■ IMP • II • COS •
VIII; DES-1X-P-P. G luter. 181. IMP • CAES • D1VI VESPASIANI FDOMITIANVS
AVGVSTVS PONTIFEX MAX • TRIB • POTEST • IMP • II • COS -VIII • DES • VIIII • P • P.
S) Gruter. 68, 1 AVG • VIII ■ T• FLAVIO SABINO COS, wo der Name DOMI-
TIANO ausgetilgt ist. Vgl. Aschbach, Röni. Kaiserinschr., S. 25. Die Fasti sind in
den Zahlen ungenau: Chron. Pasch. Ao^ertavoö rö cT xai JZecßivov, Chron. Idat.
Domitiano V et Sabino. Nur das Chron. Rav. ist genau: Domitiano VIII et Sabino.
Sueton. Domitian, c. 10. Domitianus occidit — Flavium Sabinum alterum e patrue-
libus, quod eum comitiorum consularium die destinatum perperam praeco non con-
stilem ad populum, sed imperatorem pronuntiasset.
4 ) Gruter. 40, 4. IIII IDVS OCTOB • IMP • CAES * FL • DOMITIANO VIII ET C * VALERIO
MESSALINO COS. Auch bei Cassiodor findet sich im Consulnverzeichnisse Domi
tianus et Messalinus, aber bei dem unrichtigen Jahre 79, worin Vespasianus starb.
5 ) Sueton. Domit. c. 13. Omnes (consulatus) paene titulo tenus gessit: nec quern-
quam ultra Kal. Maji, plures Idus usque Januarias. Dieses geht nur auf die Con
sulate, die er als consul Ordinarius und zwar besonders als Kaiser geführt hat.
°) Almeloveen fast. cons. p. 127 vermutliet, es sei P. Valerius Patruinus in diesem
Jahre consul suffectus gewesen. Cf. Gruter. 1081, 2. Orelli 3118.
296
Joseph A s e h 1) a c h
Neuntes Cousiilat des Domitian*
Domitian's neuntes Consulat'), sei 11 zweites Kaiser-Consulat,
im J. 836 d. St. (83 n. Chr.) reiht sicli unmittelbar an sein achtes.
Sein Miteonsul war Q. Petilius Rufus, der schon einmal die
Fasces geführt hatte *).
Da Domitianus nicht über den letzten April hinaus im Amte ver
blieb und er dem Collegen wohl nicht das ganze Jahr hindurch im
Consulate zu hleiben gestattete, so müssen jedenfalls consules suffecti
im J. 83 vorgekommen sein. Man vermuthet, jedoch ohne hinreichen
den Grund, dass C. Valerius Messalinus dem Q. Petilius Rufus suhsti-
tuirt worden sei 3 ). Die Vernfuthung, dass das Cousulpaar S everus
und Arrianus in dieses Jahr gehört, beruht nur auf dem Umstande,
dass es überhaupt in Domitian’s Regierungszeit fällt 4 ).
Das zehnte Consulat des Domitian.
Auf das neunte Consulat des Domitian folgte 837 d. St.
(84 n. Chr.) das zehnte 5 ) — als Kaiser-Consulat das
dritte 6 ). Miteonsul war Appius (oder vielleicht Oppius) 7 )
1) Eckhel VI, 378. IMP • CAES • DOMITIANVS AVG • P M + TR • P ■ II • COS • IX DES •
X. oder + TR ■ P ■ III ■ IMP ■ V • COS • VIIII P P.
3) Mural. 313. ATTOKPATORI KAiSARI EEBA2TSJ TO 0' KOINTS!
riETTIAIÖ POTTSä TO B'TIIATOIS. Hier ist der Name des Kaisers (AOMI-
TIANÖ) ausgetilgt. Phlegon. Mir. c. 24. 'Tjrarsuo'vrcov sv 'Pwp.vj Aop.Euavoü
ICatcrapof rö evarov xai riertXtou 'Poixpov ro ösörepov. Das erste Consulat des
Petilius Rufus hisst sich nicht nachweisen: er war früher consul suireclus; daher
zählen die Fasti das frühere Consulat nicht: Chronogr. Rav. Doinitiano VIIII et
Rufo, so auch der über Pontificalis: Cletus — usque Doinitiano IX et Rufo; Chron.
Pasch. Aop.euavoö ro e' (ungenau) xai Ttrou 'Pou^ou,* Idat. Chron. Doinitiano
VI (statt VIIII) et Rufo; Cassiodor. Domitianus II (das Kaiserconsulat nur gezählt)
et Rufus II. Almeloveen I. c. p. 127 gibt, auf Reines, ln sei*. 238, 221 sich stützend,
unrichtig den T. Virginius Rufus als Miteonsul des Domitianus im J. 83 an.
3 ) L’art de verifier les dates.
4 ) Fea Framment. |>. 18. n. 71. SEVERO ET ARRIANO COS EX FIGL • DOM • DOM1T.
Dieselben Consuln wohl wie bei Marini fr. arv. p. 129 in den fast. Alban. AR . . . NO
. II . . . . COS.
5 ) Eckhel VI, 378. IMP • CAES • DOMITIAN * AVG * GERMAN1CVS + P • M * TR PHI-
IMP-V-COS X • P • P.
6 ) Cassiodor. Chron. Domitianus III et Sabinus.
7 ) Almeloveen, der dem Sabinus willkürlich den Gentilnamen Junius gibt, erklärt sich
für Appius , so auch Marini fr. arv. p. 262, der sich auf die Inschrift einer Basis
stützt, worin vorkommt. . . . APPIO SABINÖ ordinARIÖ COS, welche auf unsern
Miteonsul bezogen wird. Noris, der ohne Beweis das Praenomen Cajus beifügt,
hat Oppius aufgenommen. Clinton fast. Roman, hat Oppius Sabinus, wie die Schrift-
Di« Consulate der römischen Kaiser etc- 297
Sa bin us »)> welcher im Kriege gegen die Dacier ein römisches
Heer befehligte, unglücklich stritt und darin seinen Tod fand a ).
Da Domitian nur kurze Zeit das Consulat führte, so kann das
Jahr nicht ohne Consul suffectus gewesen sein; doch kann über den
Namen nichts nachgewiesen werden.
Eill'tcs Consulat des Domitian.
An das zehnte Consulat Domitian’s reiht sich 838 d. St. (85 u.
Chr.) sein eilftes 3 ) — das vierte Kaiser-Consulat 4 ) —, dessen
kurze Dauer auch nicht genau angegeben werden kann. Mitconsul
war T. Aurelius Fulvus 5 ), Grossvater des nachherigen Kaisers
Antoninus Pius.
Consules suffecti waren in diesem Jahre D. AburiusBassus
und Q. Julius Baibus.*),
steiler haben. Die Inschrift hei Almeloveen nach Gud. MS. p. 36: III IDVS MART*
IMP * FL * DOMITIANO CAES*X ET T * AVRELIO SABINO COS erklärt Marini p. 272
mit Recht für eine unechte.
1 ) Die Easti nennen den Mitconsul nur mit dem einen Namen Sabinus; Idatius fügt
dem Sabino noch II bei, weil er ohne Zweifel unsern Sabinus mit Flavius Sabinus
identisch gehalten hat. Er wusste nicht, dass diesen letztem Domitianus in dessen
Consulatsjahr 82 hatte hinrichten lassen. Der Chronogr. Rav. und der über Ponti-
ficalis zählen die Consulate Domitian’s richtig: Domitiano X et Sabino; das Chron.
Pasch, hat die ungenaue Angabe: Aop.ertavoö tö q' xai Saßtvou.
2 ) Sueton. Domit. 6. Expeditiones suscepit (Domitianus) — in Dacos duas, primam
Oppio Sabino consulari oppresso. Eutrop. VII, 15. A Dacis Oppius Sabinus con-
sularis et Cornelius Tuscus — occisi sunt.
3 ) Eckhel VI, 396. IMP * CAES * DOMIT * AVG * GERM * P * M * TR * P * IUI. mit dem Avers :
+ IMP * VII COS XI *P*P oder IMP * VIII* COS XI * P *P oder IMP * VI1II * COS *XI
CENSORIA POTEST * P P. Auch eine Münze mit der TR * P * V + IMP * VIIII * COS *
XI * CENS * POT * P * P. Malfei Mus. Ver. 82, 2. Orell. 1494. IMP * CAESAR * DOMI
TIANO AVG * GERMANICO XI COS.
4 ) Cassiodor. Chron. Domitianus IV et Rufus III. Rufus ist aus Fulvus corrumpirt.
Die beigefügte Zahl ist offenbar unrichtig.
5 ) Die Inschriften schreiben Fulvus nicht Fulvius; cf. Fea Framment. p. LXXVIII*
Orell. 2782 u. 3124. Dieser Schreibung folgen Almeloveen, Muralori und Clinton.
Die Fasti und Schriftsteller aber haben Fulvius : nur der Chronogr. Rav. hat den
Namen corrumpirt: Domitiano XI et Furvo (st. Fulvo) ; Chron. Pasch. Aop.sriavoO
Av^ovgtov to (st. iol') xcd <f>ov\ßiov. Idat. Chron. Domitiano VIII (st. XI) et
Fulvio. — Bei Capitolin. vit. Antonin. Pii c. 1 wird der vollständige Name gelesen
(avus Antonini) T. Aurelius Fuivius, qui per honores diversos ad secundum con-
sulatum (89 p. Chr.) et praefeclurain urbis pervenit.
6 ) Arneth, zwölf Mil. dipl. p. 39 = Orell. 5430. IMP* CAESAR D1VI VESPASIANI F*
DOMIT1ANVS AVGVSTVS GEBMANICVS PONTIFEX MAXIMVS TRIBVNIC * POTEST*
298
Joseph A s c h b a ch
Zwölftes Consiilat des Domitian.
Auf das elfte Consulat Domitian’s folgte unmittelbar sein zwölf
tes 1 ) 839 d. St. (86 n. Chr.) — es war das fünfte Kaisercon-
sulat 2 ). — Seine Dauer war sehr kurz; vielleicht ging es nicht über
den Jänner hinaus. Sein Mitconsul war Ser. Cornelius Dolabella
Petronianus 8 ), der länger iiri Amte verblieb; wir finden, dass der
selbe schon am 20. Februar den eonsul suffectus C. Secius Cam
panus zum Collegen hatte 4 ). Im Mai kommen die consules suffecti
Sex. Octavius Fronto und Ti. Julius Candidus Marius
Celsu s vor 5 ).
Dreizehntes Consulat des Domitian.
An das zwölfte Consulat des Domitianus reihte sich unmittelbar
das dreizehnte 0 ) 840 d. St. (87 n. Chr.); es war sein sechstes
1111 ■ IMP COS XI CENSORIA POTESTAT ■ P ■ P. — NONIS SEPTEMBU • D • ABVRIO
BASSO Q IVL10 BALBO COS.
*) Eckhel VI, 381. IMP ■ CAES • DOMIT • AVG-GERM« P-M-TR-P • V + IMP • XI [auch
mit IMP XII und IMP XIII] COS • XII • CENS- P- P- P. oder mit TR- P- VI + IMP-
XIIII COS XII ■ CENS • P P - P.
2 ) Cassiodor. Domitianus V et Dolabella.
3 ) Gruter. 5, 2 = Cardinali dipl. mil. p. 107 = Grell. 5773. IMP CAESAR.
AVG • XlT SER • CORNELIO DOLABELLA COS. (Es ist daselbst der Name des Kai
sers Domitian o ausgetilgt.) Capitolin. Antonin. Pius c. 1. Antoninus Pius natus est
XII Kal. Octobres sub Domitiano XII et Cornelio Dolabella Coss. Censorin. de die
natal. c. 18. Ludus agonum (Jovi) Capitolino primus a Domitiano institutus est
XII ejus et Ser. Cornelii Dolabellae consulatu. Die Fasti sind ungenau in der Zahl
hei Domitian’s Namen; das Chr. Paschal. hat rd vj f , die Chr. des Idat. IX: richtig
ist die Angabe des Chron. Ravenn. XII. Sie benennen alle einfach den Mitconsul
Dolabella.
4 ) Nach einem Mililärdiplom hei Marini fr. arv. p. 456 = Cardinali dipl. Tav. VII. p.
XXV. IMP-CAESAR DIVI VESPAS1ANI F • DOMITIAN VS GERMANICVS PONTIFEX
MAXIM VS TRIBVNIG • POTESTAT • V- IMP • xT- CENSOR PERPETVVS COS Ttt-
P P. — AD- XÜT K • MART • C • SECIO CAMPANO SEX • CORNELIO DOLABELLA
PETRONIANO COS. Statt SEX - ist zu lesen SER(vio), wie bei Orelli 5773. Der
Beiname Petronianus ist allein aus diesem Diplom zu entnehmen. Der Ser. Corne
lius Metilianus Pompejus Marcellus, der Ururenkel eines Dolabella, der quaestor
divi Trajani und Consularis genannt wird, kann nicht unser Cornelius Dolabella
sein; cf. Murat. 313, 2 = 1041, 2. Mommsen n. 5359. Orell. 5999.
5 ) Nach einem Militärdiplom Domitian’s b. Orell. 5433. Rhein, Jahrb. XIII, 28. Bullet
Inst. Arch. 1848, p. 24. Die Titel Domitian’s wie oben bei Marini p. 456. A * D • II
IDVSMAIAS SEX-OCTAVIO FRONTONE TI • IVLIO CANDIDO MARIO CELSO COS
6 ) Eckhel VI, 382. IMP • CAES • DOMIT • AVG • GERM • P • M • TR • P • VI [oder VII] +
IMP XIIII-COS-XIII CENS-P P P.
Die Consulate der römischen Kaiser etc.
299
Kaiserconsulat *). Er scheint es anfänglich allein ohne Collegen
geführt zu haben, und zwar his in den März ~); dann nahm er zum
Mitconsul den Saturn in ns an 3 ), welchem man noch die Namen
A. Volusius beilegt, freilich nach einer ziemlich verdächtigen
Inschrift 4 ).
Consules suffecti von diesem Jahre, die es ohne Zweifel gegeben
hat, sind dem Namen nach nicht bekannt.
Vierzehntes Consulat <lcs Domitian.
Domitian’s vierzeh ntes Consulat 6 ) — es war das siebente,
das er als Kaiser führte — ist das letzte von den sieben Consulaten,
die er ununterbrochen nach einander bekleidete. Es war im J. 841
d. St. (88 n. Chr.). Sein Mitconsul war C.(L.) Minicius Rufus 6 ).
In diesem Jahre Hess Domitian die feierlichen Säcularspiele halten 7 ).
*) Bei Cassiodor, der die Kaiserconsulate Domitiau’s zählt, ist das Consulat ausge
fallen.
2 ) Dieses behauptet Marini fr. arv. p. 292 nach zwei Inschriften, die als Jahresbe
zeichnung nur Domitiano XIII Cos haben. Reines. Inscr. X, 4. III NONAS MAR-
TIAS DOMITIANO XIII COS u. Murat. 313, 3. D-V• 1 • MAR-1 • D • XIII • COS, i. e.
Decessit V. Idus MARtias Imperatore Domitiano XIII COS; cf. Orell. 3039.
3 ) Die Fasti nennen den Mitconsul nur einfach Saturninus. Der Chron. Ravenn. hat
richtig Domitiano XIII; Idat. gibt die falsche Zahl X, das Chron. Pasch, den unrich
tigen Beisatz rd (IX st. rd 17').
4 ) Gud. 32, 8. XII • KAL • SEXTIL • IMP * CAES • DOMITIANO AVG *ET A • VOLVSIO
SATVRN1NO COS. Die Benennung des Monates Sextilis anstatt Augustus und das
Fehlen der Zahl XIII bei dem Kaisernamen machen die Inschrift verdächtig. Marini
p. 292 betrachtet sie als ein ligorianisches Machwerk. Almeloveeu hat aber nach
dieser Inschrift Domitian’s Collegen im 13. Consul als A. Volusius Saturninus be
zeichnet.
5 ) Orelli 1323. IMP • DOMIT • CAES • AVG • GERMAN • X1I1I. u. 6770. DOM IT • XilÜ COS.
6 ) Murat. 314, 1. Marin, fr. arv. p. 69. DEDICATVM NONIS IANVARIS IMPERAT
CAESARE GERMANICO (XIIII) C-MINICIO RVFO COS. Der Name des Kaisers
DOMITIANO ist in der Inschrift ausgetilgt. Vgl. Aschbach, Röm. Kaiseriusehr. S. 26.
Censorin. de die natal. c. 17. Sep'timos ludos fecit Domitianus se XIV et L. Mi-
nucio Rufo Coss. Marini vertheidigt das Praenomen Cajus bei dem Mitconsul. Alme-
loveen und Clinton, auf Censorinus gestützt, adoptiren Lucius. Das Chron. Pasch,
hat das falsche Praenomen Titus: Aop.snavoO Au^gOotou rd 1 (st. t$') xai Ttrou
'Pou^pou rd ß'. Die Inschriften geben den Geutilnamen Minicius, nicht Minucius,
wie die Schriftsteller haben. Der Chronogr. Rav. hat richtig Domitiano XIIII et
Rufo; ungenau in der Zahl ist Idatius Domitiano XI et Rufo ; ganz verkehrt ist die
Angabe Cassiodor’s: Domitianus VI et Rufus II.
7 ) Eckhel VI, 382. IMP • CAES • DOMIT * AVG • GERM • P • M TR • P • VIII + COS • XIIII.
LVD SAEC FEC; cf. Censorin. I. c.
300
J o a e p li A s c li b a c h
Dii der Kaiser das Consulat nicht über den vierten Monat des
Jahres bekleidete, so muss jedenfalls an seine Stelle ein consul
suffectus getreten sein. Bis jetzt sind aber von diesem Jahre keine
consules suffecti bekannt geworden.
Fünfzeltnles Consulat des Domitian.
Nachdem Domitianus ausnahmsweise ein Jahr vorübergehen
liess, ohne die Fasces zu führen, bekleidete er iin J. 843 d. St.
(90 n. Chr.) wieder das Consulat, und zwar als Kaiser zum achten
Male, überhaupt aber zum fünfzehnten Male *). Sein College
war M. Coccejus Nerva a ), der schon im J. 71 mit Vespasianus
das Consulat bekleidet hatte, und der es später als Kaiser (97 und
98) noch zweimal führte.
Man meint, dass zu den consules suffecti dieses Jahres L. Nera-
tius Priseus gehört habe 3 ).
Sechzehntes Consulat des Domitian.
Sein sechzehntes Consulat 4 ) überhaupt, oder sein neuntes
Kaiserconsulat bekleidete Domitianus 845 d. St. (91 n. Chr.); sein
College im Amt war Q. Volusi us Sa t u rni n u s 5 ).
Da der Kaiser schon am 7. Jänner das Amt niederlegte, so trat
für ihn als consul suffectus ein L. Venuieius Apronianus. Vom
1. Mai an waren L. Stert in ius A vitus und Ti. C elsus Polomeus;
i) Eckhel VI, 388. IMP • CAES • DOM1T ■ AVG • GERM • P • M ■ TR • P • VIII! [und Xj +
IMP • XXI • COS ' XV • CENS • P • P • P.
~) Chfonogr. Rav. Domitiano XV et Nerva. Idat. Chr. Domiliano XII (st. XV) et Nerva
II; Cassiodor. Domitianus VII (st. VIII, nämlich als Kaiserconsulat) et Nerva. Das
Chronic. Pasch, hat hei dem Kaisernamen die falsche Zahl rd ta' (XI) statt zö ie'.
:i ) Es ist dieser Meinung- Borghesi; cf. Mommsen I. R. N. 4921) — 4932, besonders
wichtig’ n. 4931: L * NE RATIO PRISCO — COS • LEG - PR • PR • IN • PROV • PANNONIA.
•i) Eckhel VI, 390. IMP • CAES • DOMIT • AVG ; P • M • TR • P • XI [auch X — XI Vj + IMP •
XXI [auch XXII] COS • XVI • CENS • P • P • P. Maffei Mus. Ver. 257, 17. IMP • DOMIT •
AVG • GERM • XVI • COS. Cf. Marini fr. arv. p. 303.
ä ) Gruter. 300, 1. IMP -CAES AVG • GER XVI - COS • Q • VOLVSIVS (sic) SATVR-
NINVS P * R • C * AN -DCCCXLIIII. Orell. 3698. IMP CAESARE XVI; Q VOLV-
SIO SATVRNINO COS. In beiden Inschriften ist der Kaisername Domitian ausge
tilgt. Vgl. Aschbach, Röin. Kaiserinschr. S. 27. Bullet. Inst. Arch. 1842, p. 2. —
Die bei Fea Framm. di fast. cons. p. XLV gegebene Inschrift mit T • FL * DOMI
TIANO XV • M * VOLVSIO SATVRNINO II COS ist ein ligorianisches Machwerk. Die
Fasti haben Domitiano mit zum Theil richtiger, zum Theil unrichtiger Zahl (XIII,
XII, VIII) et Saturnino. Bei Idatius ist dafür Sturmio corrumpirt.
Die Consulate der römischen Kaiser etc.
301
vom 1. September an C. Julius Siläuus und Q.'Arruntius con-
sules suffecti ')•
Siebzehntes Oonsulat des Domitian.
Im vierten Jahre nach dem sechzehnten Consulate bekleidete
Domitian 848 d. St. (95 n. Chr.) sein siebzehntes 2 ) — es war
sein zehntes Kaiser-Consulat. Mitconsul war T. Flavius Cle
mens 3 ), jüngerer Sohn seines Oheims Flavius Sabinus. Da der
selbe sich als Christ bekannt hatte, so Hess der Kaiser ihn noch wäh
rend seines Consulats hinrichten 4 ). So endigte dieser Mitconsul in
gleicher Weise wie früher sein Bruder T. Flavius Sabinus, Mit
consul des Domitianus in dessen achtem Consulat.
Von den consules suffecti dieses Jahres ist keiner namentlich
bekannt: dass T. Arrius Antoninus, der mütterliche Grossvater
des nachherigen Kaisers Antoninus Pius, der schon im J. 69 die
Fasces geführt batte, für T. Flavius Clemens in’s Consulat getreten
sei, wird vermuthef.
Höchst wichtig 1 für die Feststellung- der consules suffecti dieses Jahres ist das zu Ostia
gefundene Fragment Fea framm. p. 8, n. 19. Cardinali dipl. n. 143. Orell. 6446:
— domitianvs”xvT - Q • VOLVSI . . .
. . — JDIR ’IAN \L * VENVLEIVS • A ...
— K • MAI • L • STERTINIVS • AVITVS TI . . .
. . — K 1 SEPT • C * 1VLIVS SILANVS Q • ARV . .
Zur Ergänzung dieses Fragments dienen: Marin! fr. arv. Tav. XXIV, p. CXXXIV r .
Q-VOLVSIO SATYRN INO LVENVL . . . VII- K-MAIAS; Marini fügt zu VBNVLeio
Aproniano nach Tav. XXIII bei. Gruter. 376, 1 = Marini p. 462 = Cardinali T. VIII.
IMP • CAES • DIVI VESPASIANI F * DOMITIANVS AVGVSTVS PONTIFEX MAXIM VS
TRIBVNIC* POTESTAT XI IMPERATOR XXI • CENSOR PERPETVVS CONSVLI XVI
P • P. — A D • XVI KAL • IVLIAS • ti • CELSO POLOME . . NO • L * stertinlO AVITO
COSS.
2) Eckhel VI, 391. IMP • CAES • DOM IT • AVG * GERM • P M • TR • P XIIII [auch XV und
XVI] + IMP • XXII • COS • XVII • CENS P P P. cf. Orell. 6306. Letronne, Inscr. de
l’Egypte II, 339.
3 ) Die Fasli haben nur den Namen Clemens; der Chron. Rav. richtig Domitiano XVII
et Clemente, so auch der über Pontific. Anaclitus — usque Domitiano XVII et Cle-
mente. Ungenau in der Zahlbezeichnung Idat. Domitiano XIV et Clemente. Cassio-
dor u. das Chronic. Pasch., die darin auch ungenau sind, fügen hei Clemens noch
rö ß' oder II hinzu; sie haben wohl an T. Flavius Sabinus gedacht, den sie mit
T. Flavius Clemens identificiren.
4 ) Sueton. Domitian, c. 16. Flavium Clementem patruelem suum — in ipso eius con-
sulatu interemit. Ausführlich Dio Cass. LXVII, 14. tov <P\ccßiov KXy?p.evra rov
UTrareuovra. Euseb. Hist. EccMHI, 18. Syncell p. 344. KXyjp.vj£ «PXautos vnkp
Xpeotov avaipsirai.
302
Joseph Asch 1> n c h
Es ist gewiss, dass das siebzehnte Consulat das letzte des
Domitianus war *). Es soll sich aber eine Münze Domitian’s vorfinden
mit der Bezeichnung Cos. XVIII. Man glaubt darnach, dass der
Kaiser die Absicht gehabt im J. 97 sein achtzehntes Consulat anzu
treten und er die Münze voraus habe schlagen lassen. Noch ehe das
J. 96 ablief, wurde er am 18. September ermordet. So habe er sein
achtzehntes Consulat nicht antreten können a ). Da aber Domitian's
Münzen vom J. 96 nicht die Bezeichnung Cos. DESIGN. XVIII haben,
auch die Schriftsteller nichts von seinem beabsichtigten achtzehnten
Consulate erwähnen, so ist wohl das Wahrscheinlichste, dass falls
die fragliche Münze wirklich echt ist, die Zahl darauf durch ein nicht
selten vorkommendes Versehen unrichtig angegeben wurde. Anstatt
Cos. XVIII sollte es Cos. XVII heissen.
Da Domitianus in seiner fünfzehnjährigen Kaiserherrschaft zehn
Consulate geführt hat, so kann durch dieselben die Hälfte seiner
Regierungsjahre bestimmt werden, auch wenn keine Trib. Pot. bei
gefügt ist, welche mit dem 13. September 81 beginnt. In den sieben
Jahren von 82—88 bekleidete er eben so viele Consulate ununter
brochen nach einander; daher kann bei Cos. VIII bis Cos. XIII nicht
zweifelhaft sein, welches Regierungsjahr gemeint ist; so auch nicht
bei Cos. XV (90), weil unmittelbar darauf Cos. XVI (91) folgt. Die
übrigen Regierungsjahre aber werden durch die der Trib. Pot. bei
geschriebene Zahl näher bestimmt. Seit dem J. 8S (Cos. XI) nahm
er in seinen Titel auf CENSOR. P. P. P. (Censoria potestate Pater
Patriae). Imperatoren - Begrüssungen halte er in Allem 22 erhalten.
Zur chronologischen Übersicht diene die Tabelle:
Jahr 8t. Anfang der Regierung 13. Sept., dann Cos. VH. Trib. Pot.
„ 82. Cos. VIII. Trib. Pot. bis 13. „ „ Cos.VIH.Trib.Pot.lt.
ii. s. w. bis Ende 87. Cos. XIII. Trib. Pot. VII.
l) Sueton. Domit. c. 13. Consulatus XVII cepit, quot ante eurn nemo. Stat. Silv. IV.
Praef. Primo autem septimurn decimum Germanici nostri consulatum adoravi. Über
schrift I: XVII consulatus imp. Aug. Germanici Domitiani. — Auson. ad Gratian. p.
289. Scis XVII Domitiani consulatus, quos ille invidia alteros provehendi conti-
nuando conseruit.
a ) Memoir. de l’Acad. des helles lettr. XII, 313. L'art de verifier les dates p. 141,
not. 3. Le P, Chamillart avait dans son cabinet une medaille, qui portait la marque
d’un XVIIIieme consulat de Domitien. On pourrait croire que cette medaille avait
ete frappee d’avance.
Die Consnlate der römischen Kaiser etc.
303
Jahr 88. Cos. XIV. Trib.
89.
90.
91.
92.
93.
94.
93.
96.
XIV.
XV.
XVI.
XVI.
XVI.
XVI.
XVII.
XVII.
ot. VII bis 13. Sept., dann Cos. XIV. Trib. Pot. VIII.
VIII ,
IX ,
X ,
XI ,
XII ,
XIII,
XIV ,
XV ,
XIV.
XV.
XVI.
XVI.
XVI.
XVI.
XVII.
XVII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
\ 18. September 96.
Consulate des Nerva.
Von den vier Consulaten, welche M. Coeceius Nerva führte,
waren nur zwei kaiserliche, welche nach einander in den beiden
Jahren SSO und SSI d. St. (97 u. 98 n. Chr.) bekleidet wurden;
keines von ihnen wurde das ganze Jahr hindurch geführt, das letztere
nicht einmal einen ganzen Monat. Von den beiden früheren Consu
laten führte er das erste 824 d. St. (71 n. Chr.) als Amtsgenosse
des Kaisers Vespasianus in dessen drittem Consulate drei Monate
hindurch (vgl. drittes Consulat des Vespasianus), das andere
18 Jahre später, 842 d. St. (90 n. Chr.), als College des K. Domi-
tianus in dessen fünfzehntem Consnlate, auch nur einen Theil des
Jahres hindurch (vgl. fünfzehntes Consulat des Domilianus).
Drittes Consulat des Nerva.
Das dritte Consulat trat Nerva, der den Beinamen Germa-
nicus führte, in seinem ersten Regierungsjahre an '), und führte
es vom 1. Januar wohl nur die ersten Monate des J. SSO d. St.
(97 n. Chr.) hindurch. Als Mitconsul wählte er sich den berühmten
hochbejahrten L. Virginius Rufus 3 ), der schon zweimal, im
Eckhel VI, 406. IMP • NERVA CAES • AVG • P ■ M • TR ■ POT ■ COS ■ III • P ■ P (aus der
Zeit vom 18. Sept. 96 bis 17. Sept. 97) IMP • NERVA CAES ■ AVG • GERM • P • M • TR •
P • II + IMP • II • COS • III • DES * IUI • P • P (aus der Zeit vom 18. Sept. bis 31. Dec. 97).
Inschriften, die des dritten Consulats von Nerva erwähnen: Orell. n. 2781. IMP*
NERVA III-COS. Mommsen I. R. N. n. 6234, 6235 u. 6254.
2 ) Die Fasti sind in der Bezeichnung’ des Consulpaares nicht genau, nur Idat. Chr. hat
die ganz richtige Angabe: Nerva III et Rufo III; dagegen der Chronogr. ltavenn.
ist ungenau bei der Zählung von den Nerva’schen Consulaten: Nerva II et Rufo III.
Cassiodor. Chr. bringt die früheren Consulate des Rufus nicht in Anschlag: Nerva
II et Rufus. Umgekehrt zählt das Chronic. Pasch, die Consulate des Rufus, aber
304
HKHi MB! ibmhS
Joseph Asch 1» n c li
J. 63 i) und 69 2 ), das Consulat bekleidet hatte und nach dein Sturze
des Nero zum Kaiser ausgerufen worden war 3 ).
Ruftis stand, als er zum dritten Male mit Nerva die Fasces führte,
schon im 83. Lebensjahre. Er starb bald nach Antritt seines Amtes
durch einen unglücklichen Fall, in Folge dessen er sich eine Rippe
zerbrach 4 ).
Für Rufus trat als consul suffectus in’s Amt der Geschicht
schreiber C. Cornelius Tacitus, der seinem Vorgänger die
Leichenrede hielt 5 ).
Dass Tacitus nicht der einzige consul suffectus im J. 97
gewesen, ist höchst wahrscheinlich. Wer aber für Nerva und Tacitus
in's Consulat getreten, lässt sich nicht mit Sicherheit nachweisen.
Das C. Salvius Liberalis (Nonius) Bassus zu den consules sufFecti des
nicht die des Nerva: NepöüK Av'jOvaTov xal Trrou 'Pouyou to 7'. Über das
dritte Consulat des Rufus, das mit Nerva zugleich von ihm geführt wurde, spre
chen in bestimmter Weise die Schriftsteller. Frontin. de aquaeduct. c. 102. Nerva
III et Verginio Rufo III Cos; Plin. epist. II (Verginius Rufus) perfunctus est lertio
consulatu etc., Martini. XI, 4. Et qui purpureis jam tertia nomina fastis, Jane,
refers Nervae; Dio Cass. LXVIII, 2. Dieser sagt, dass Nerva hein Bedenken gelra
gen, den Verginius Rufus zum Mitconsul anzunehmen , ohschon er einige Male zum
Kaiser ausgerufen worden war. Es sei auch auf ihn die Inschrift gesetzt worden,
dass er als Besieger des Vindex die Obergewalt nicht behalten, sondern dem Vater
land zurück gegeben habe. Vgl. das Consulat Otho’s im .1. G9. — Das Pracnomen
des Verginius Rufus war nicht wie Muratori und Almeloveen angeben Publius, son
dern Lucius. Gruter. 8, 3. 1806, 5. Orell. 1603. Das Chronic. Pasch, gibt den
unrichtigen Vornamen Ttrog. Über des Verginius Rufus politische Wirksamkeit in
der Zeit des Nero und nach dessen Sturz handeln Dio Cass. LXIII, 25 u. LXIV, 4.
Tacit, Hist. 8 u. 9.
*) Das erste Consulat führte Verginus Rufus mit C. Memmius Regulus im .1. 816 d. St.
(63 n. Chr.). Gruter. 8, 3. 1806, 3. L • VERGINIO RVFO C ■ MEMMIO REGVLO
COS. Tacit. Ann. XV, 23. Memmio Regulo et Verginio Rufo Coss. So auch Frontin.
aquaed. c. 102. Seneca Ouaest. nat. VI, 1 und die Fasti heim Chron. Rav. und Idat.
haben nur Regulo und Rufo. Oh Rufus, der als consul Ordinarius am 1. Jan. in’s
Amt getreten war, das ganze Jahr die Fasces führte, ist nicht gewiss; wir können
nicht einen consul suffectus, der an seine Stelle getreten, angeben.
~) Das zweite Consulat führte L. Verginius Rufus mit Pompejus Vopiscus Silvanus
822 d. Sl. (69 n. Chr.), vom 1. März bis 1. Mai, als consul suffectus für den Kaiser
Otho, der vorher die Fasces getragen hatte, unmittelbar nach dem Tode des Kaisers
Galba. Vgl. das Consulat des Otho im J. 69.
3 ) Tacit. Hist. II, 49, 51, 68.
4 ) Plin. Epist. II, 1.
5 ) Plin. Epist. II, I. (Rufus) laudatus est a consule Cornelio Tacito: nam hic supre-
mus felicitati ejus cumulus accessit, laudator eloquentissimus. — Tacit. Hist. II, 6
sagt von Verginius Rufus: Manebat admiratio viri et fama.
Die Consulate der römischen Kaiser etc.
305
J. 97 zu zählen sei *), muss als ebenso wenig festgestellt betrachtet
werden, als dass C. Julius Proculus damals die Fasces geführt hat 3 ).
Eher zu begründen ist, dass Sex. Julius Frontinus und Sex. Pompo-
nius Collega im J. 97 consules suffecti gewesen, wenn sie nicht etwa
schon im Jahre vorher die Fasces geführt haben 3 ).
Viertes Consulat des Nerva-
Unmittelbar nach dem dritten Consulate bekleidete Nerva 851
d. St. (98 n. Chr.) sein viertes 4 ) bis zum 28. Januar 5 ), an wel
chem Tage er starb. Sein Mitconsul war sein Adoptivsohn und Mit
regent M. Ulpius Trajanus 6 ), der die Fasces zum zweiten Male
führte. Für Nerva trat als consul suffectus ein T. Flavius Li ho 7 ).
Consulate des Trajanus.
M. Ulpius Traja n tis, der alsAdoptiv-Sohu seines Vorgängers
Nerva noch dessen Namen führte, bekleidete sechsmal das Con
sulat. Sein erstes Consulat fällt vor seiner Kaiserherrschaft in’s
Jahr 844 d. St. (91 n. Chr.); das zweite führte er gemeinschaftlich
mit Nerva 851 d. St. (98 n. Chr.), das dritte 8153 d. St. (100 n. Chr.),
das vierte 854 d. St. (101 n. Chr.), das fünfte 857 (104 n. Chr.)
und endlich das sechste SG5 d. St. (112 n. Chr.). Wie lange er in
jedem Consulate das Amt bekleidet hat, lässt sich nicht genau nach-
l ) Cardinali dipl. mil. ». 280 und p. 151 schliesst es aus einer Inschrift, worin C.
SALVIO C F* LIBERAL1 . . . BASSO COS. Yorkommt; jedoch ist es unentschieden,
oh diesem Consul Salvius nicht besser das J. 100 anzuweisen sei.
3 ) Muratori 315, 2 (Orell. 2273) nach einer Inschrift: C * IVLIO M F * VOLT PRO-
CVLO COS. Almeloveen nimmt in unserin Jahre den Vettius Proculus als consul
sufTectus an.
3 ) Plin. Paneg. c. 61. Vgl. drittes Consulat des Trajan.
4) Eckhel VI, 409. IMP • NERVA CAES • AVG • P * M * TR * P * II + IMP * II * COS * IIII • P * P.
Murat. 315, 4. NERVA IIII COS.
5 ) Clinton fast. Rom. setzt den Tod Nerva’s, auf den 25. Jan. Dagegen spricht Dio
Cass. 68, 4, der die Dauer seiner Regierung vom 18. Sept. 96 auf 1 Jahr, 4 Monate
und 9 Tage angibt (also bis 27. Jan. 98).
6 ) Idat. Chr. Nerva IV et Trajano II. Ungenau der Chron. Rav. Nerva III et Trajano II,
Cassiod. Nerva III et Trajanus III. Das Chronic. Pasch, erwähnt nicht den Nerva,
sondern nur den Trajanus als alleinigen Consul. — Tacit. Germ. c. 37. Si ad alterum
Imperatoris Trajani consulalum computamus u. Pli«. Panegyr. c. 59. — Eckhel IV,
412. TRAIAN * AVG. TR * POT • COS * II.
7 ) Orelli n. 6774
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXXVI. Bd. III. Mft,
21
306
Joseph Aschbach
weisen; sicher ist es aber, dass in jedem dieser Consulatsjahre con-
sules suffecti vorgekommen sind.
Erstes Consulat des Trajanns.
Noch ehe Trajan Kaiser war, führte er im J. 91 n. Chr. als
consul Ordinarius die Fasces, unter der Regierung des Domitian.
Sein College war M’Acilius Glabrio *)• Beide blieben nicht das
ganze Jahr hindurch im Amt; sie gaben es wahrscheinlich am 1. Juli
ab an die consules suffecti Q. Valerius Vegetus und P. Metius
(oder P. Metilius) a ).
Zweites Consulat des Trajanns.
Kaiser Nerva nahm in seinem vierten Consulate SSt d. St.
(98 n. Chr.) den Trajan zum Mitconsul an 3 ), den er damals bereits
adoptirt und dem er auch die Mitregierung durch Ertheilung der
tribunicia potestas übertragen hatte. Nach dem Tode des Nerva
(28. Jänner) war Trajan alleiniger Consul 4 ); erst einige Zeit später
ward an Nerva’s Stelle T. Flavius Libo 5 ) zum Mitconsul ange
nommen. Es ist nur Vermuthung, dass in demselben Jahre Licinius
Sura 8 ) und A fr an ius Dexter 7 ) die weiteren consules suffecti
gewesen seien.
*) Dio Cass. LXVH, 12. Tpcti’avcp di di) reo OuXtum xai ’AxiXtw rXaßptam vrea-
vevGOMJi tovs. Die Fasti haben theilweise ungenaue und falsche Angaben; nur der
Chronogr. Rav. hat die richtige: Glabrione etTrajano; Chron. Pasch. Accßpioivog
•/.cd TpaüGtvoö; Idat. Glabrione et Gratano; Cassiod. Trajanus II et Glabrio. Durch
den Scholiasten ad Juvenal. Satir. IV, 92 erfahren wir Glabrio’s Pränomen Manius.
Almeloveen, Muratori u. Part de verif. les dates gehen dafür das unrichtige Marcus.
Domitian liess den Glabrio hinrichten, weil er wie ein Gladiator öffentlich aufge
treten war und mit wilden Thieren gekämpft hatte. Sueton. Domitian, c. 10. Dio
Cass. LXVH, 14.
2 ) Marini frat. arv. Tab. XXIV, p. LXXX1V. Q • VALERIO VEGETOPMET . . . NON •
NOV. Ein Metius Pomposianus war unter Vespasian Consul, ein Metilius Secundus
unter Hadrian ein hoher Beamter.
3 ) Vgl. Nerva’s viertes Consulat. Plin. Panegyr. 39. Gessisti alterum consulatum. Tncit.
German, c. 37.
4 ) Plin. Panegyr. c. 39. Te omne onus consulis ohiisse. Chron. Pasch. Tpai’avoö
Av'jgvgtqv p.dvov.
5 ) Giornal. Arcad. LV, 1832. p. 132. Grell. 6734. IMP • CAESARE TRAIANO aug. II
ET FL LIBONE COS.
6 ) Marini fr. arv. p. 716.
7 ) Plin. epist. VIII, 14. 1—12.
Oie Consulnte der römischen Kaiser etc.
307
Drittes Consulat des Trajaims.
Zum dritten Male 1 ) führte Trajan die Fasces 853 d. St.
(100 n. Chr.) mitSextus Julius Frontinus 2 ), der ebenfalls
zum dritten Male 3 ) Consul war. Frontinus war früher Aufseher über
die römischen Wasserleitungen (curator aquarum) gewesen; er
schrieb über die Wasserleitungen ein Buch wie auch eine Schrift
über die Kriegslisten. Er starb 103 oder 106 n. Chr. als Augur.
Trajan blieb vielleicht bis zum Juli im Amt, Frontinus trat früher
davon ab; anseine Stelle kam Sextus Pomponius 4 ) Collega,
der ebenfalls zum dritten Male die Fasces führte 5 ). So hatte Trajan
in seinem dritten Consulatc zwei Collegen, die zum dritten Male Con-
suln waren und die das zweite Consulat gleichzeitig von Kaiser Nerva
erhalten hatten.
Dass um die Mitte des Jahres Julius Ferox und Acutius Nerva
als consules suffecli eingetreten seien, behauptet Muratori 6 ). Sicherer
ist es, dass in der zweiten Hälfte des Jahres C. Julius Comu-
tus Tertullus 7 ) und der Epistolograph C. Caecilius Plinius
!) Eekhel VI, 413. IMP • CAES • NERVA TRAIAN • AVG • GERM • P • M • TR • POT + COS •
III *PP. (da 'die Zahl der Trih. Pot. mit der des Consulats iibereinstimmt, so wird
sie nur einmal gesetzt). Murat. 31 5, 5. TRAIANVS TRIB’ POT III DES (ist
vielleicht zu lesen: COS • III oder COS III-DES INI).
*) Orell. 0545. IMP * NERVA TRAIANO • CAESARE • AVG • GER-III* SEX • IVLIO FRON-
TINO TiT* COS. Von den Fastis hat nur der Chronogr. Rav. das richtige Consul-
paar Trajano III et Frontino; Idatius»gibt Trajano et Pontino; das Chronic. Pasch,
noch unrichtiger TpaiocvoO AdyovffTou rd ß’ xai Ilovnavoö. Cassiodor hat Tra-
janus IV el Fronto. Diese Angabe und Gesner, fasti ad Plin. Panegyr. haben Clinton
bestimmt, Trajan’s Amtsgenossen M. Cornelius Fronto zu nennen, welcher Consul nach
obiger Orellisehen Inschrift nicht richtig sein kann. Über einen Consul Fronto
unter Kaiser Nerva vgl. man Dio Cass. LXV1II, 1. Es ist derselbe, welcher als consul
suffectus in einem Militärdiplome des Kaisers Nerva vom J. 90 vorkommt bei Car-
dinali diplom. Tav. X, p. XXIX. A'D-VI Idus Octobris TI * CATIO fronTONE M*
CALPVRnio IlacCO COS. Bei Plin. Ep. II, 11 wird er Fronto Catius genannt.
3 ) Plin. Panegyr. c. 60. (Trajanus) recepit tertium consulatum, utdaret; noverat mo-
derationem hominuin, noverat pudorem, qui non sustinerent tertio consules esse,
nisi cum ter consule. Cf. c. 61 u. 64.
4 ) Plin. Epist. II, 11.
5 ) Plin. Panegyr. c. 61. Ut sit nemini duhium, hanc tibi praecipuam causam fuisse ex-
tendendi consulatus tu!, ut duorum consulatus amplecteretur et collegam te non
uni daret. Uterque nuper consulatum alterum gesserat a patre tuo — datum. Es
ist aus dieser Stelle zu entnehmen, das Frontinus wie Pomponius Collega unter
Nerva consules (suiFeeti) waren.
6 ) Muratori 315.
7 ) Plin. Panegyr. c. 90. Orell. 3659; cf. Marini fr. arv. p. 150, 177, 656.
21*
308
Joseph A s c h I) a c h
Secundus ») das Consulat geführt haben, wie wir von dem letz
tem selbst erfahren. Er gibt uns aber keine Nachricht über die
Dauer seines Amtes. Gegen Schluss des Jahres waren L. Ros-
c i u s A e I i a n u s M a e e i u s C e 1 e r 2 ) und T i h. C1 a u d i u s S a c e r-
dos 8 ) Consuln. Somit wären im J. 100 n. Chr., wenn nicht sieben,
doch wenigstens fünf consules suffecti vorgekommen.
Viertes Consulat des Trajanns.
Das vierte Consulat 4 ) reihte sich unmittelbar an das dritte;
Trajan bekleidete es 834 d. St. (10t n. Chr.) mit Q. Articuleius
Paetus 5 ), der früher schon consul suffectus gewesen war; jedoch
kann von dieser frühem Führung des Amtes nicht das Jahr nach
gewiesen werden.
Ohne Zweifel hat es in diesem Jahre consules sutfecti gegeben;
wie sie geheissen, lässt sich nicht mit Sicherheit angeben. Man ver-
*) Plin. Panegyr. c. 90. Orell. 1172.
2 ) Orell. 3569 =4932. Fea framment. p. LXXYI. Morcell. de Styl. p. 110 setzt den L.
Roscius unrichtig in’s J. 223.
3) Murat. 313, 3. TRAIAN • TRIB • POT • 111 • DES I1II KAL • IAN • L • ROSCIO
AELIANO TI * CLAVDIO SACERDOTE COS. Marini (I. c. p. 177) stellt den Cor-
nutus Tertullus und den Roscius Aelianus als Consulpaar für den Schluss des Jahres
100 zusammen, was nicht richtig sein kann.
4) Eckhel VI, 412. IMP * CAES • NERVA TRAIAN * AVG • GERM -f P • M •TR * P• COS •
IIII P P. Gruter. 246,7. IMPERATORI CAESARI DIVI NERVAE FILIO NERVAE
TRAIANO AVG • GERM • PONT * MAX • TRIB • POT • IIII * COS • IIII. 246, 3. (Ex aucto-
ritate imp. caesaris divi nervae fil. nervae trajani aug. germ. pontificis maximi)
TRIBVNIC • POTESTAT • V • COS • IV • P • P. Murat. 316, 1. CAES * TRAIANO N •
IIII COS.
5 ) Giornal. Arcad. LVI, 1832. Annal. Instit. arch. 1844. p. 93. Orelli 3938. ANNO IMP •
CAES • NERVAE TRAIANI AVG * GERMANICI Wl • Q • ARTICVLEI • PAETI H * COS-
Darnach ist eine verstümmelte Inschrift zu ergänzen Orell. 6664: imp. caes. NERVA
TRAIANO AVG-germanicO 071 q • ARTICVLEIO PAETO II cos. Cf. Borghesi Inst,
arch. 1833, p. 143. Uenzen Annal. Instit. arch. 1844, p. 3. 1843, p. 81, 233. 1847,
p. 3. Mommsen I. R. N. 1334. — Die Inschrift hei Casauhon. ad Spartian. Hadrian,
p. 7. M-VPIO TRAIANO AVG-IIII SEX • ARTICVLEIO PAETO ist nicht echt.
Murat. 498,23. OPDOL EX FIGOCM CAEN PAET COS liest Fabretti: OPDOL-
EX*FIGVLINIS OCM (?) CAESARE NOSTRO PAETO COS. Marini p. 240 aber
bezieht die Inschrift auf den Consul Paetinus des J. 123 und liest: opus dol. ex
figulinis Oceanis Majoribus Caesaris nostri Paetino consule. Die fasti consul. geben
von dem Mitconsul nur entstellt den Namen Petus statt Paetus an: TpatavoO
Av'yovarov. vd xoci Ilerouj Chronogr. Rav. Trajano IIII et Peto, ebenso Idat. —
Cassiod. hat Trajanus et Orphitus, letzterer Namen aus Q. Paetus entstellt. — Die
Stelle bei Spartian. Iladr. c. 3 Hadrianus quaesturam gessit Trajano quater et Arun-
culeio Cos. gibt den Namen des Mitconsuls corrumpirt.
Die Consulate der römischen Kaiser etc.
309
muthet es gehörten in dieses Jahr das Consulpaar Rubrius Gallus
und Caelius Hispo 1 ). Manche setzen auch in dieses Jahr als con-
sules suffecti Orphitus (weil bei Cassiodor dieser Name erscheint),
Bebius Macer, der unter Hadrian praefectus urhi war, und M. Vale
rius Paullinus 2 ).
Fünftes Consulat des Trajanus.
Im dritten Jahre nach dem vierten Consulat 8S7 d. St. (104
n. Chr.) 3 ) bekleidete Trajan sein fünftes. Er hatte zum Mitconsul
den M\ Laberius Maximus 4 ), der schon früher ungewiss in welchem
*) Bei Ulpian 40, 3. 16. 5. SC quod factum est temporibus divi Traiani Rubrio Gallo
et Caelio Hispone conss. Murat. 316, 2. M-EPPVLEIO PROCVLO L • F • CLAYD •
CAEPIONl HISPONI COS.
2 ) Art de verifier les dates.
3 ) Der Index consulum bei Dio Cassius, Noris, Mansi, auch selbst Clinton setzen
Trajan’s fünftes Consulat unrichtig'in’s J. 103, und weisen dem Consulpaar des J.
103 die Steile vom J. 104 zu. Münzen Trajan’s bei Eckhel VI können uns zur Er
mittelung des richtigen Jahres führen. S. 413 werden zwei Münzen, angegeben,
deren Legenden sagen, dass sie geschlagen worden sind im vierten Consulat im
Jahre vor dem fünften, COS *1111 * DES • V. Die eine ist aus der Trib. Pot. VI,
die andere aus der Trib. Pot. VII. Da Trib. Pot. II vom 28. Jan. 98 beginnt, so
muss die Trib. Pot. VI mit dem 28. Jan. 102 ihren Anfang nehmen und am 27. Jan.
103 endigen; es folgt sodann für das J. 103 weiter bis zum Schluss die trib. pot.
VII. Es unterliegt daher keinem Zweifel, dass die beiden nachstehenden Legenden
auf das J. 103 gehen : IMP * CAES ■ NERVA TRAIAN * AVG • GERM • P • M * TR • P • VI
4- IMP • IIII • COS * IIII • DES • V * P • P • SC und IMP • CAES • NERVA TRAIAN • AVG •
GERM • DAC1CVS • P • M + TR • P • VII • IMP • IIII * COS • IIII • DES * V * P • P. Würde letz
tere Legende auf das J. 102 gehen, so müsste Trajan auch schon in diesem Jahre
den Titel Dacicus geführt haben, den er aber erst Ende 103 oder Anfang 104 an
nahm nach der glücklichen Beendigung des ersten dacischen Krieges. Den Beweis,
dass das fünfte Consulat in’s Jahr 104 gefallen, vervollständigt eine andere Münze
bei Eckhel VI, 417 mit der Bezeichnung Cos. V: IMP CAES - NERVA TRAIAN-AVG.
GERM • DACICVS • P * M + TR • P • VII • IMP • IIII • COS • V * P • P • S • C. Fiel das fünfte
Consulat in’s J. 103, so müsste diese Münze aus der Zeit von 28. Jan. bis 31. Dec.
103 sein. Es würde aber dann wenig zusammenstimmen, dass obige Münze mit
TR • POT * VII • COS • IIII- DES • V auch in’s J. 103 fiele; denn für das Vorjahr (COS •
IIII -DES-V) könnte nicht die TR- POT -VII angegeben sein, sondern es müsste
dann TR-POT-V oder VI bestimmt worden sein. Ein in neuerer Zeit gefundenes
trajanisches Militärdiplom (Cardinali Tav. XI, p. XXX. ßorghesi, annali dell’instig.
arch. 1846, p. 343. 1832, p. 13. Orelli 3442) liefert dann die Vervollständigung
des Beweises: IMP • CAES • DIVI NERVAE F NERVA TRAIAN VS AVGVSTVS GER-
MANICVS DACICVS PONTIFEX MAXIMVS TRIBVNIC • POTESTAT • VII ; IMP • IIII •
COS-V-P-P. — A-D-XIIII- K-FEBR M’ LABERIO MAX1MO II Q QLITIO ATILIO
AGRICOLA II COS. (Es ist dieses Diplom datirt vom 19. Januar [104].)
4 ) Der Name steht vollständig- im Militärdiplom Trajan’s (vom J. 104, vgl. oben), ver
stümmelt aber in einem Fragmente von einein trajan. Milit. Dipl, bei Cardinal. dipE
310
Joseph Aschbach
Jahre die Fasces geführt hatte. Trajanus trat noch im Jänner vom
Amt ab, so dass er nur wenige Wochen, vielleicht nur wenige Tage
das Consulat geführt hat. Länger im Consulat blieb sein College,
der mit dem für Trajan gewählten Consul suffectus Q. Glitius Ati-
lius Agricola 1 ). der schon früher einmal Consul gewesen, jeden
falls vom 19. Jänner an, das Consulat weiter bekleidet hat.
Es ist unbekannt, welche andere consules suffecti in diesem
Jahre vorgekommen sind.
Sechstes Consulat des Trajanus.
Im achten Jahre nach dem fünften Consulate bekleidete Trajan
sein sechstes ä ) 865 d. St. (112 n. Chr.); es war das letzte Mal,
dass er die Fasces führte. Die Dauer dieses Consulates, das jeden
falls nicht das ganze Jahr hindurch währte, kann nicht näher
bestimmt werden. Es blieb der Kaiser wohl nur wenige Monate im
Amt. Sein Mitconsul war T. S e xtius A fric anu s s ), den man früher
fälschlich C. Julius Africanus 4 ) genannt hat.
mil. i). 181: NerVA trajano caesaRe aug. gERM • dac • V * M’ LAberio II COS. Die
Fasti meistens ungenau; nur der Chron. Rav. richtig: Trajano V et Maximo II;
Chronic. Pasch. Tpai'avoö rö d' xal Ma£i'p.ou, Idat. Chr. Trajano V et Maximo.
Cassiod. in der Zahl falsch: Trajan. VI et Maximus. — Laberius Maximus wird unter
Hadrianus als suspectus imperio auf eine Insel verbannt. Spartian. Hadr. c. 5. —
Der leunclavische Consular-Index bei Dio Cass. gibt dem Trajan in seinem fünften
Consulat zum Collegeu den Q. Messius Maximus II.
1 ) Vgl. das oben angegebene Militärdiplom Trajan’s vom J. 104 bei Orelli 5442. Unser
Q. Glitius Atilius Agricola wird in mehreren Inschriften erwähnt: Cardinali u. 282,
p. 155. Gruter. 357, 1. Mallei Mus. Ver. 213, 3—5. Murat. 310, 3 und 311, 1 u. 3.
Örell. 5449 u. 4915. Er war früher Tribun der Leg. I Ital., dann Legat der Leg.
VI Ferrata, später kaiserl. Legat der Provinzen Belgien und Pannonien. Vgl. Bor-
ghesi Annali dell’ institut. arch. 1846, p. 343, 1852, p. 13.
a ) Eckhel VI, 418. IMP - TRAIANO AVG • GER - DAC ■ P M • COS.- VI* P • P. Mommsen I.
R. N. n. 2487. TRAIANO AVG TRIB • POT • XV • IMP • VI • COS • VI. Fea frain-
ment. p. 8. n. 21. TRAIANO AVG. TR1BVN1TIA POTESTAT • XVT* IMP *”vT*
COS* VI. Die Trib. Pot. XV und XVI fällt mit dem sechsten Consulatsjahre Trajan’s
zusammen. Folgende Inschrift gehört nicht in unser Jahr 112: Gruter. 247, 3.
IMP • CAES * NEU • TRAIANO AVG * GERM • DAC * PARTH • PON * MAX * TR * P • XV • COS •
VI*P-P. Mit Recht bemerkt Clinton fast. Rom.: The title Parthieus inarks this
inseription for a later year. Statt TR-P-XV dürfte zu lesen sein TR*P*XX.
8 ) Orell. 1595. IMP • CAES • NERVA TRAIANO AVG * GERM • DACICO vT T • SEXT10
COS. Phlegon. Mirac. I, 25. 'YTrareuovrenv sv Tpaiavou ro exrov xal
Tivou Xc^rtou ’A^ptxavou. Die Fasti haben beim sechsten trojanischen Consulat
nur den Namen Africanus, ohne weitere Beifügung. Cassiodor hat Trajanus VII et
Africanus.
4 ) Der leunclavische Consular-Index zu Dio Cass. hat C. Julius Africanus, wofür Clin-
Die Consulate der römischen Kaiser etc. 311
Consules suffecti von diesem Jahre können namentlich nicht
angeführt werden.
Aus der blossen Angabe eines Consulatjahres lässt sich ein
trajanisches Regierungsjahr nicht ermitteln; es ist nothwendig, dass
dabei auch die Anzahl der Erneuerungen der Tribunitia Potestas
bemerkt wird. Aber von welchem, Tage und von welchem Jahre
diese beginnt, ist eine streitige Frage, wodurch ziemlich abweichende
Berechnungen veranlasst worden sind >)• Entweder gegen Ende
October, oder vielleicht auch schon am 18. September 97 (n. Chr.)
hatte Nerva den Trajan adoptirt und ihm zugleich die Tribunitia
Potestas ertheilt; einige Monate später, am 28. Jänner 98 starb
Nerva. Von diesem letztem Tage an, welchen man den dies imperii
Trajani nannte 8 ), zählte Trajan die zweite Erneuerung der Tribunitia
Potestas, so dass die erste nur für den Zeitraum von drei oder vier
Monaten zu gelten hat, und er für seine Regierung vom September
oder October 97 bis 9. oder 11. August 117 einundzwanzig Erneue
rungen der Trib. Potest. zählen konnte. Zur Übersicht wird folgende
chronologische Tabelle dienen, wozu hinsichtlich des Jahres 97 noch
zu bemerken ist, dass er in den letzten Monaten desselben, wie im
Anfang des Jahres 98 bis 28. Jänner seinem Namen Nerva Trajanus
Germanicus nur Cos. Trib. Pot. beifügte, aber noch nicht Augustus
Pontifex Maximus, welche Titel er erst nach dem Tode des Nerva
annahm s ).
ton mit Recht T. Sextius Afrieanus aufgenommen hat. Marini fr. arv. p. 105 11. 119
handelt über die Abstammung: des T. Sextius Afrieanus von Julus Antonius.
*) Eckhel VI, 412 setzt die Adoption und den Anfang der Trib. Pot. in den October
9G n. Chr. Borghesi (annal. dell’instit. arch. Rom. 1846, p. 330), auf Plin. epp. Lib.
X, 49 u. 102 sich stützend, behauptet, dass Trajan erst gegen Ende October 97
adoptirt worden sei und vom 28. Januar 98 die Trib. Pot. II gezählt habe, so dass
die erste nur drei Monate in sich begriffen habe. (Trajano rinnovava i suoi tri—
bunati non alla fine di Ottobre — ma si bene neil’ intervallo fra il 19. gennaro e
il 17. febbraro). Mit dieser Borghesi’schen Ansicht stimmt Henzen (Orell. coli,
inscript. III, p. 8) ziemlich überein auf Grund von chronologischen Angaben in
zwei trajanischen Militärdiplomen (bei Orell. 5442 u. 5443). In der Note zu Orell.
n. 795 bemerkt Uenzen: Trib. Pot. XXI (Trajani), quam Eckhel VI, 457 frustra
conatus est explicare, minime dubia est: nam si Trib. Pot. a. d. IV vel V Kal. Febr.
renovabat, XXI. euin assecutum esse temporum ratiö docet, quum primis Augusti
diebus decesserit.
a ) Plin. Epist. Iib. X, 49 u. 102.
3 ) Eckhel VI, 412.
Joseph A s c h b a c li
312
Jahr 98. Cos. II.
, 99. „ II.
„ 100. „ III.
„ 101. „ IV.
„ 102. „ IV.
„ 103. „ IV.
» 104. „ V.
105.
106.
107.
108.
109.
110.
111.
112.
113.
114.
115.
116.
117.
V.
V.
V.
V.
V.
V.
V.
VI.
VI.
VI.
VI.
VI.
VI.
Trib. Pot. I.
„ „ II.
•„ „ HI-
„ „ IV.
n „ V.
„ „ VI.
„ „ VII.
» „ VIII.
„ „ IX.
„ » X.
„ „ XI.
„ „ XII.
„ „ XIII.
„ „ XIV.
„ „ XV.
„ „ XVI.
„ „ XVII.
„ „ XVIU.
„ „ XIX.
„ XX.
bis 28. Jan., darnach Cos. II. Trib. Pot. II.
33 33
33 33
n II-
„ UI.
III.
IV.
33 35
„ IV. „ „ V.
„ IV. „ „ VI.
„ IV, „ „ VII.
„ V. „ „ VIII.
[Dacicus] *).
„ V. Trib. Pot. IX.
V X
33 T * 33 33
„ V. „ „ XI.
„ V. „ „ XII.
,, V. „ „ XIII.
„ V. „ „ XIV.
„ V. „ „ XV.
,, VI. „ „ XVI.
„ VI. „ „ XVII.
[Optimus] ~).
„ VI. Trib. Pot. XVIII.
[Parthicus] 3 ).
„ VI. Trib. Pot. XIX.
VI.
VI.
XX.
XXI 4 ).
Consulate des Hadrianus.
Obschon P. Aelius Hadrianus 21 Jahre hindurch die Regie
rung führte, so bekleidete er doch nur einige wenigemale das Con-
sulat. Von seinen drei Consulaten 5 ) gehören nur zwei der Kaiserherr
schaft an; das erste führte er als consul sulfectus unter Trajan’s
Regierung 6 ), wahrscheinlich 109 n. Chr. 7 ). Sein Mitconsul war
!) Orell. 5440 u. 5442. Dorghesi ann. dell’ Inst. areh. 1846, p. 343. 1852, p. 13.
2) Orell. 6857 a.
3) Orell. 718.
4 ) Orell. 795 u. 796. Titel Trajan’s nach dem 28. Jan. 117 n. Chr. Imperator Caesar
Nerva Trajanus Augustus Pontifex Maximus Pater Patriae, Germanicus, Dacicus, Par
thicus, Optimus Maxumusque princeps, Trib. Pot. XXI, Iniper. XIII, Cos. VI.
5 ) Spartian. Hadrian, c. 8. Tertio, consules, quum ipse ter fuisset, pluriinos fecit.
6 ) Spartian. Hadrian, c. 3. Oh hoc (nachdem er legatus Praetorius in Pannonia infe
rior gewesen) consul (sulfectus) factus est. Dio Cass. LXTX, 1. „Hadrian war unter
ihm (Trajan) nicht einmal consul der ersten Ordnung geworden.“
7 ) Nach Panvinius, [Muratori (318) u. dem art de. verifier les dales war Hadrianus
mit L. Publilius Celsus für A. Cornelius Palma II und C. Calvisius Tullns II 109 in’s
Die Consulate der römischen Kaiser etc.
313
M. Trebatius Priscus 1 ). Die zwei andern Consulate, dieHadrianus
während seiner Kaiserherrschaft als consul Ordinarius führte, fallen
in seine erste Regierungszeit 871 d. St. (= 118 n. Chr.) und 872
d. St. (= 119 n. Chr.).
Zweites Consulat des Hadrianus.
Aelius Hadrianus war nach dem Tode des Kaisers Trajanus
(11. August 117 n. Chr.) durch die Bemühungen der verwitweten
Kaiserinn Plotina auf den Thron erhoben worden. Es ist zweifelhaft,
oh Trajan den Hadrian wirklich adoptirt hat; man behauptet, dass
seine Witwe Plotina die Adoptions-Urkunde unterschoben habe 2 ).
Auf die Adoption aber stützte Hadrian sein Recht an den Kaiser
thron. Noch in seinem ersten Regierungsjahre am 1. Jänner 871
d. St. (oder 118 n. Chr.) trat Hadrianus sein zweites Consulat 3 )
an und er scheint es das ganze Jahr hindurch geführt zu haben.
Dass er noch zu Lebzeiten des Trajan zu dem zweiten Consulat
von diesem Kaiser auf Betreiben seiner Gemahlinn designirt worden,
ist aus einer Stelle des Spartianus zu.schliessen 4 ). Sein Mitconsul
war Salinator 5 ), dessen vollständiger Name Ti. .Claudius Fuscus
Salinator 6 ) gelautet haben soll. Unrichtig dürfte es sein, den
Amtsgenossen des Hadrianus Alexander zu nennen 7 ).
Consules sutfecti von diesem Jahre sind nicht bekannt.
Consulat getreten. Marini p. 143 bestreitet dieses; er nimmt zwar auch das Jahr
109 an, aber bestimmt als zweiten consul sufiectus (p. 129) dem M. Trebatius
Priscus. So auch Cardinaii dipl. n. 403. aelio hadriANO TREBATIO PRISco COS.
*) Marini fr. arv. p. 129 nach den fastis Albanis Tab. LI:
P-AELIO HADRIANO
OOS
M TREBATIO PRISCO
2 ) Dio Cass. LXIX, 1.
s ) Die Münzen bei Eckhel VI, 476 mit dem Avers: IMP • CAESAR • TRAIANVS HADRIA-
NVS AVG. haben den Revers: ADVENT VS AVG • PONT • MAX • TR • POT • COS • II •
S. C. oder P• M • TR• P• COS • II • AET • AVG. oder LIBERALITAS AVG • PONT* MAX •
TR-POT II COS- II-S. C. Die Inschrift bei Gruter. 10 u. 154, 6. IMP• CAES • DIVI
TRAIANI PART11ICI FD-NERVAE NEP • TRAIANO HADRIANO AVG• PONT• MAX-
TR • POT • II • COS * II. Nur der Chronogr. Rav. setzt bei Hadrianus im J. 118 das
zweite Consulat: (Adriano II et Salinatore), alle übrigen Fasti lassen die Zahl II
weg, weil sie das Jahr, worin Hadrian consul sufiectus war, nicht berücksich
tigen.
4 ) Spartian. Hadrian, c. 4. Hadrianus secundo consul favore Plotinae factus.
ö ) So nennen ihn einfach alle Fasti.
6 ) Der ieunclavische Consular-Index zu Dio Cass.
7 ) Murat. 319, ohne Zweifel durch das bei Cassiodor, Prosper u. Victor eingescho
bene Consulpnar Clarus et Alexander verleitet.
314
Joseph A s c h b a c h
Drittes Consulat des Hadrianus.
Unmittelbar an das zweite Consulat Hadrian’s reihte sich sein
drittes 1 ) (im J. 119 n. Chr.), das er nur vier Monate bis
Ende April führte 2 ). Sein Mitconsul war Q. Junius Rusticus 3 ),
der berühmte stoische Philosoph, der zugleich ein ausgezeichneter
Kriegsmann war, und unter den Lehrern des nachherigen Kaisers
M. Aurelius genannt wird.
Consules suffecti gab es in diesem Jahre sicher, doch sind
ihre Namen nicht mit Bestimmtheit nachzuweisen. Nach Marini 4 )
trat für Hadrianus in’s Amt Q. Flavius Tertullus. Muratori 5 ) nennt
als consul suffectus dieses Jahres M. Catius Priscus Messius Rusticus
Aemilius Papius Arius.
Um ein Jahr von der 21jährigen Regierung des K. Hadrianus
zu ermitteln, reichen die beiden Kaiserconsulate, welche in die
ersten Regierungsjahre fallen, natürlich nicht aus. Hauptführung
muss sein die Erneuerung der Tribunitia Potestas, welche vom
11. August 117 diren Anfang genommen hat. COS. und TRIß.
POT. ohne Zahl deuten auf das Jahr 117 vom 11. August bis
1) Gruler. 249, 9. 1MP-CAESARI DIVI 'l'RAIANI PARTH ■ F • DIVI NERVAE NEP.
TRAIANO HADRIANO AVG -PONT • MAX- TRIB POT • III COS-UI. Mommsen I. R. N.
n. 313. — HADRIANO AVG— TR • POT * III * OOS • III. Die Inschriften hei Murat.
3)9, mit Hadriano III • COS oder Iladriano N* III* COS sind unecht; sie sind ligo-
rianischen Ursprungs. Die Bezeichnung Hadrian. — Trib. Pot. II Cos. III bei Marini
fr. Arv. Tav. 49, meint man, könne nicht echt sein; es müsse entweder Trib. Pot. II
Cos. II oder Trib. Pot. III Cos. III heissen. Cf. Clinton fast. Roman. I, 107. Das
inschriftlich vorkommende IMP *N* III et Severo II bezieht Marini (frat. Arv. p. 407,
Not. öl) auf die Jahre 119 (auf Kaiser Hadrian Cos. III) und 120 (auf den Consul
L. Calilius Severus) und verwirft die Ansicht derer, die es auf Kaiser Septimius
Severus bezogen und es in die Jahre 194 und 202 setzten.
2 ) Spartian. Hadrian, c. 8. Tertium consulatuin quatuor mensihus tantum gessit.
3 ) Junius Rusticus war der Lehrer des M. Aurelius in der stoischen und peripateti
schen Philosophie. Dio Cass. 71, 3ö. Capitolin. Antonin. phil. c. 3. (Junius Rusti
cus) domi militiaeque pollehat, Stoicae disciplinae peritissimus, cum quo omnia
communicavit publica privataque consilia: cui etiam ante praefectos praetorii sem-
per osculum dedit: quem et consule»m iteruin designavit.
Die Fasti, welche nicht das erste Consulat des Hadrian berücksichtigen, sind
ungenau und nennen den Mitconsul nur einfach Rusticus. Chronogr. Rav. Adriano
II et Rustieo; Idat. Chron. fügt dem Hadriano IV (statt II) bei. Das Chron. Pasch,
hat ADdoy ’AfynavoO Av^ovazov rö ß' xccl 'Povanxtou.
4 ) Marini fr. arv. p. 6ö6.
5 ) Murat. 120, 1.
Die Consulate der römischen Kaiser etc.
315
31. December; COS. II. THIB. POT. auf das Jahr 118 bis 11. August;
COS. II. TRIB. POT. II. auf 118 vom 11. August bis 31. December;
COS. III. TRIB. POT. II. auf 119 vom 1. Jänner bis 11. August;
COS. III. TRIB. POT. III. auf 119 vom 11. August bis 31. December;
COS. III. TRIB. POT. III. auf 120 vom 1. Jänner bis 11. August. In
der Folge (es ist ungewiss in welchem Jahre) änderte Hadrian den
Tag der Erneuerung der Tribunitia Potestas: es ward dafür der
erste Tag des Jahres bestimmt. Daher lässt es sich erklären, dass
dieser Kaiser, der von 11. August 117 bis 10. Juli 138 zwanzig
Jahre und eilf Monate regierte, zwei und zwanzigmal die Trib. Pot.
erneuern konnte, wie in seiner Grabinschrift angegeben ist *).
<) Orell. n. S4S9. TRIB • POT-XXII-IMP-II • COS-III. Panvinius erlaubte sieh eigen-
mächtig hei TRIB. POT. die Zahl in XXI zu ändern; Gruter. 256, 5 «her stellte
die alte Lesung wieder her. Eckhel VIII, 44 hielt an der Ansicht fest, dass Ha
drian die Trib. Pot. nur ein und zwanzigmal erneuert habe. Borghesi im Giornal.
Arcad. CX und in einem Schreiben an Ilenzen in Orell. Coli. Inscr. lat. III. ad n.
5459 spricht die richtige Behauptung aus, dass Hadrian zuerst den Gebrauch ein
geführt habe, die Trib. Potest. am ersten Tage des Jahres zu erneuern, und daher
während seiner Regierung die Erneuerung zwei und zwanzigmal hätte staltfinden
können.
BBMB
Tabellarische Übersicht der Kaiser-Consulate von Caligula bis Hadrian.
790
791
793
794
795
796
n. Chr.
37
38
792 39
40
41
42
43
Coiisules ordiiiarii
Dauer
des Consulates
Cn. Acerronius Proculus.
C. Pontius Nigrinus.
M. Aquilius Julianus.
P. Nonius Asprenas.
CAIVS GERMAN. (CALIGVLA) AVG. II.
L. Apronius Caesianus.
CAIVS GERMAN. (CALIGVLA) AVG. III.
CAIVS GERMAN. (CALIGVLA) AVG. IV.
Cn. Sentius Saturninus.
TI. CLAVDIVS AVGVSTVS II.
C. Caecina Largus.
TI. CLAVDIVS AVG. III.
L. Vitellius II.
30 Tage
12 Tage
7 Tage
2 Monate
6 Monate
Coiisules suffecti
CAIVS GERMAN. CAES. AVG.
TI. CLAVDIVS CAES.
N. N.
N. N.
M. Sanguinius Maximus I.
Cn. Domitius Corbulo.
N. N.
Domitius Afer.
N. N.
Sex. Julius Celer.
Nonius Quintilianus.
N. N.
N. N.
Q. Pomponius Secundus.
N. N.
N. N.
? C. Vibius Crispus.
? Q. Curtius Rufus.
? Vipsanius Laenas.
Antritt
des Consulates
1. Juli.
1. Juli.
13. Sept.
13. Sept.
30. Jan.
1. Juli.
3. Sept.
Jan.
7. Jan.
1. März.
1. Juli.
316
n. Chr.
Consulcs ordinarii
Dauer
des Consulates
Consulcs sufl'ccti
A n t r i tt
des Consulates
797
798
799
800
801
802
803
804
803
44
43
46
47
48
49
30
31
32
L. Quinctius Crispinus.
M. Statilius Taurus (II?)
M. Vinicius II.
T. Statilius Taurus Corvinus.
P. Valerius Asiaticus.
M. Junius Silanus.
TI. CLAVD1VS AVG. IV.
L. Vitellius III.
A. VITELLIVS.
L. Vipsanius.
Cn. Pompejus Longus Gallus.
Q. Veranius.
C. Antistius Vetus (II.)
M. Suillius Nerullinus.
TI. CLAVDIVS AVG. V.
Ser. Cornelius Orphitus.
Faustus Cornelius Sulla Felix.
L. Salvidienus Rufus Salvianus.
2 Monate
6 Monate
6 Monate
? Ti. Plautius Silvanus Aelianus.
N. N.
L. Vitellius.
? C. Minucius Fundanus.
? C. Vettenius Severus.
T. FLAVIVS VESPASIANVS.
1. März.
1. Juli.
1. Juli.
1. Juli.
1. Nov.
Die Consulate der römischen Kaiser etc. 317
d. Erb. Roms n. Chr.
Consules ordinär!!
Dauer
des Consulates
Consules sufTccti
Antri tt
des Consulates
806
807
808
809
810
811
812
813
814
53
84
55
56
57
58
89
60
61
Dec. Junius Silanus Torquatus.
Q. Haterius Antoninus.
M. Asinius Marcellus.
M’ Acilius Aviola.
TI. CLAVDIVS NERO AVG.
L. Antistius Vetus.
Q. Volusius Saturninus.
P. Cornelius Scipio.
TI. CLAVDIVS NERO AVG. II.
L. Calpurnius Piso.
TI. CLAVDIVS NERO AVG. III.
M. Valerius Messala Corvinus.
C. Vipsanius (Vipstanus) Apronianus.
C. Fonteius Capito.
TI. CLAVDIVS NERO AVG. IV.
Cossus Cornelius Lentulus.
P. Petronius Turpilianus.
L. Caesennius (Caesonius) Paetus.
2 Monate
6 Monate
4 Monate
6 Monate
L. Junius Annaeus Gallio.
? N. N.
? Ducennius Geminus.
? Pompeius Paullinus.
? L. Caesius Martialis.
? Suetonius Paullinus.
? Ti. Clodius Eprius.
Cn. Pedanius Salinator.
L. Vellejus Paterculus.
1. März.
? 1. Juli.
1. Mai.
1. Juli.
1. Juli.
1. Juli.
318 Joseph Aschbach
Consules ordinarii
Dauer
des Consulates
Consules suffecti
Antritt
des Consulates
815
816
817
818
819
820
821
822
62
63
64
65
66
67
68
69
P. Marius Celsus
L. Asinius Gallus.
C. Memmius Regulus.
L. Verginius Rufus.
C. Laeeanius Bassus.
M. Licinius Crassus Frugi.
A. Licinius Nerva Silianus (Silius).
M. Vestinus Atticus.
C. Luccius Telesinus.
C. Suetonius Paullinus.
(L.) Fonteius Capito.
C. Julius Rufus.
TI. CLAVDIVS NERO AVG. V.
M. Galerius Tracha 1 us Turpilianus
SER. SVLPICIVS GALBA AVG. II.
T. Vinius (Junius) Rufinus.
4 Monate
15 Tage
C. Silius Italicus.
C. Bellicus Natalis
P. Cornelius Scipio.
M. SALV1VS OTHO AVGVST.
L. Salvius Otho Titianus.
1. Mai.
1. Sept.
1. Sept.
15. Jan.
Die Consulate der römischen Kaiser etc. 319
Cousulcs ordinär!!
d. Erb. Roms
823
69
823
70
T. FLAVIVS VESPASIANVS AVG. II.
TITVS FLAV. VESP. CAESAR.
824
71
T. FLAV. VESPASIANVS AVG. III.
M. COCCEIVS NERVA.
Dauer
des Consulates
Cousulcs sulfecti
Antritt
des Consulates
3 (?6) Mon.
3 Monate
L. Virginius Rufus II.
Pompejus (Poppaeus) Vopiscus
Silvanus.
M. Caelius Sabinus.
T. Flavius Sabinus.
T. Arrius Antoninus.
P. Marius Celsus II.
C. Fabius Valens.
A. Caeeina Alienus.
Roscius Regulus.
Cn. Caecilius Simplex.
C. Quinctius Atticus.
N. N.
N. N.
L. Annius Bassus.
C. Caeeina Paetus.
FLAV. DOMITIANVS CAESAR.
Cn. Pedius Castus.
C. Valerius Festus.
N. N.
1. März.
1. Mai.
1. Juli.
1. Sept.
31. Oct.
1. Nov.
1. April.
1. Juli.
1. Nov.
1. April.
320 Joseph A s c h b a c h
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXXVI. Bd., III. Hft.
d. Erb. Roms n. Chr.
IC
IC
825
826
827
828
829
830
831
832
Consules ordinarii
72 T. FLAV. VESPASIANVS AVG. IV.
TITVS FLAV. VESP. CAES. II.
73 FLAV. DOMITIAN VS CAES. II.
(C.) Valerius Messalina.
74 T. FLAV. VESPASIANVS AVG. V.
TITVS FLAV. VESP. CAES. III.
75 T. FLAV. VESPASIANVS AVG. VI.
TITVS FLAV. VESP. CAES. IV.
76 T. FLAV. VESPASIANVS AVG. VII.
TITVS FL. VESP. CAES. V.
77 T. FL. VESPASIANVS AVG. VIII.
TITVS FL. VESP. CAES. VI.
78 P. Cejonius Commodus.
Dee. Novius Priscus.
79 T. FL. VESPASIANVS AVG. IX.
TITVS FL. VESP. CAES. VII.
Dauer
des Consulates
Consules suffecti
6 Monate
4 Monate
3 Monate
? 6 Monate
? 6 Monate
? 6 Monate
fast 5 Monate
6 Monate
L. Flavius Fimbria.
C. Atilius Barbarus.
? C. Arruntius Catellius Celer.
? M. Arruntius Aquila.
C. Licinius Crassus Mueianus II.
T. Flavius ... II.
FLAV. DOMITIANVS CAES. III.
N. N.
T. Clodius Eprius Marcellus II.
Q. Petilius CerealisCaesius Ruf. II.
FLAV. DOMITIANVS CAES. IV.
M. Licinius Crassus Mueianus III.
FLAV. DOMITIANVS CAES. V.
T. Plautius Silvanus II.
FLAV. DOMITIAN. CAES. VI.
Cn. Julius Agricola.
'? N. N.
Antritt
des Consulates
1. Juli.
1. Oct.
1. Mai.
1. April.
1. Mai.
1. Juli.
1. Juli.
1. Juli.
1. Juli.
so
tc
d. Erb. Roms j n. Chr.
Consules ordinarii
Dauer
des Consulates
Consules suffecti
Antritt
des Consulates
833
834
835
836
837
838
839
840
80
81
82
83
84
85
86
87
TITVS FL. VESP. AVG. VIII.
FLAV. DOMITIAN. CAES. VII.
L. Fiavius Silva Nonius Bassus.
Asinius Pollio Verrucosus.
T. FLAV. DOMITIANVS AVG. VIII.
T. Fiavius Sabinus.
FLAV. DOMITIANVS AVG. IX.
Q. PetiiiusRufusII.
FLAV. DOMITIANVS AVG. X.
Appius (Oppius) Sabinus.
FL. DOMITIAN. AVG. XL
T. Aurelius Fulvus.
FL. DOMITIANVS AVG. XII.
Ser. Cornel. Dolabella Petronianus.
FL. DOMITIANVS AVG. XIII.
Saturnin us
? 3 Monate
? 4 Monate
? 2 Monate
? 2 Monate
? 1 Monat
? 4 Monate
L. Lamia Plautius Aelianus.
C. Marius Marcell. Octavius Publ.
Cluvius Rufus.
Q. Pactumeius Fronto.
M. Titius Frugi.
T. Vinius Julianus.
C. Valerius Messalinus.
? N. N.
? Severus.
? Arrianus.
? N. N.
Dee. Aburius Bassus.
Q. Julius Baibus.
C. Secius Campanus.
Sex. Octavius Fronto.
Ti. Julius Candidus Marius Celsus.
? N. N.
1. April.
? Jan.
Sept.
Febr.
1. Mai.
322 Joseph Aschbach
tZZ
Jahre
d. Erb. Roms n. Chr.
Cousules ordinär!!
Dauer
des Consulates
Consules suffedi
Antritt
des Consulates
841
842
843
844
845
846
847
848
88
89
90
91
92
93
94
95
FL. DOMITIANVS AVG. XIV.
C. [L.] Minicius (Minucius) Ruf us.
T. Aurelius Fulrus II.
Aträtinus.
FL. DOMITIANVS AVG. XV.
M. COCCE1VS NERVA II.
M. VLP1VS TRAIANVS.
M’ Acil ius Glabrio.
FL. DOMITIANVS AVG. XVI.
Q. Volusius Saturnin us.
Pompejus Collega.
Cornelius Priscus.
L. Nonius Torquatus Asprenas.
T. Sextius Magius Lateranus.
FL. DOMITIANVS AVG. XVII.
T. Flavius Clemens.
? 4 Monate
? 4 Monate
? 6 Monate
7 Tage
? N. N.
? Neratius Priscus.
N. N.
Q. Valerius Vegetus.
P. Metius s. Metilius.
L. Venuleius Apronianus.
L. Stertinius Avitus.
Ti. Celsus Polomeus.
C. Julius Silanus.
Q. Arruntius.
1. Juli.
15. Jan.
1. Mai.
1. Sept.
? 4 Monate
? N. N.
? T. Arrius Antoninus.
Die Consulate der römischen Kaiser etc. 328
Consules ordinär!!
d. Erb. Roms n. Chr.
849
850
96
97
C. Manlius Valens.
C. Antistius Vetus.
M. COCCEIVS NERVA AVGVSTVS III.
851
98
L. Verginius Uufus III.
M. COCCEIVS NERVA AVG. IV.
M. VLPIVS NERVA TRAIANVS AVG. II.
852
853
99 A. Cornelius Palma.
C. Sosius Senecio.
100 M. VLPIVS NERVA TRAIANVS AVG. III.
Sex. Julius Fro ntin us III.
854
101
M. VLPIVS NERVA TRAIANVS AVG. IV.
Sex. Articuleius Paetus II.
C. Sosius Senecio II. (III.)
L. Licinius Sura II.
Dauer
des Consulates
Consules sulfedi
Antritt
des Consulates
? 3 Monate
4 Wochen
? 6 Monate
C. Cornelius Tacitus.
? C. Salvius Liberalius Bassus.
T. Flavius Libo.
? Licinius Sura.
? Afranius Dexter.
Jan.
?
6 Monate
Sex. Pomponius Collega III.
'? Julius Ferox.
? Acutius Nerva.
C. Julius Cornutus Tertullus.
C. Caecilius Plinius Secundus.
C. Roscius Aelianus Maecius Celer.
Ti. Claudius Sacerdos.
vor dem 1. Juli.
nach dem 1. Juli,
gegen Ende d. J.
C0
o
? 2 Monate
? Rubrius Gallius.
? Caelius Hispo.
N. N.
324
d. Erb. Roms n. Chr.
Consules ordinarii
Dauer
des Consulates
Consules suffecti
Antritt
des Consulates
856
857
858
859
860
861
862
863
864
865
103
104
105
106
107
108
109
110
111
112
Suburanus II.
P. Neratius Marcellus.
M. VLPIVS NERVA TR AI AN VS AVG. V.
M’Laberius Maximus II.
T. Julius Candidus II.
A. Julius Quadratus II.
L. Ceionius Commodus Verus.
L. Cerealis.
C. Sosius Senecio IV.
L. Lieinius Sura III.
Ap. Annius Trebonius Gallus.
M. Atilius Metilius Bradua
A. Cornelius Palma II.
C. Calvisius Tullus II.
Ser. Scipio Salvidienus Orphitus.
M. Peducaeus Priscianus.
C. Calpurnius Piso.
M. Vettius Bolanus.
M. VLPIVS NERVA TRAIANVS AVG. VI.
T. Sextius Africanus.
einige Tage.
Q. Glitius Atilius Agrieola II.
N. N.
Im Jan.
P. AELIVS HADRIANVS.
M. Trebatius Priscus.
?nachd. l.Juli.
? 3 Monate
N. N.
Die Consulate der römischen Kaiser etc. 325
ConsuJes ordinarii
d. Erb. Roms n. Chr.
866
867
868
869
870
871
872
113
114
US
116
117
118
119
L. Publilius Celsus II.
C. Clodius Crispinus.
Q. Ninnius Hasta.
P. Manilius Vopiscus.
L. Viptanus Messala.
M. Vergilianus Pedo.
L. Aelius Lamia.
Aelianus Vetus.
Q. Niger.
C. Vipslanus Apronianus.
P. AEL. TRAIANVS 1IADRIANVS AVG. II.
Ti. Claudius Fuseus Salinator.
P. AEL. TRAIANVS HADRIANVS AVG. III.
Q. Junius Rusticus.
Dauer
des Consulates
? 12 Monate
? N. N.
? N. N.
Consules suflccti
Antritt
des Consulates
4 Monate
? Q. Flavius Tertullus.
? M. Catius Priscus Messius Rustic.
Aemil. Papius Arius.
1. Mai.
326 Joseph Aschbach, Die Consulnte der römischen Kaiser etc.
F erdiinnd Wolf, Le Roman de Renart le Contrefait.
327
SITZUNG VOM 20. MÄRZ 1861.
Vorgelegt.
fj
Le Roman de Renart le Contrefait.
(Nach der Handschrift der k. k. Hofbibliothek Nr. 2562, früher Hohendorf,
Fol. 39.)
Von dem w. M. Ferdinand Wolf.
(Abhandlung' für die Denkschriften.)
Dieses dem Cyklus von Renart angereihte Gedicht war bisher
nur aus zwei Handschriften der kais. Bibliothek von Paris bekannt
geworden; man wusste nur aus der kurzen und ungenauen Notiz
in dem gedruckten Kataloge der Bibliothek des Baron Hohendorf, dass
auch die k. k. Hofbibliothek zu Wien eine Handschrift davon besitze,
aber weder, dass dies dieselbe Handschrift sei, die Menage in
Händen gehabt, noch kannte man ihr Verhältniss zu den Pariser
Handschriften, und das der beiden in diesen enthaltenen Bearbeitun
gen zu einander.
Herr Wolf gibt daher eine genaue Beschreibung und Inhalts
übersicht nebst Auszügen von dieser Wiener Handschrift, vergleicht
sie mit den von jenen beiden Pariser Handschriften gegebenen
Beschreibungen, Analysen und Auszügen, und gewinnt daraus das
Resultat, dass die ältere Pariser Handschrift die ursprüngliche
Bearbeitung dieses Romans, die Wiener Handschrift aber den ersten
Theii, die jüngere Pariser Handschrift den zweiten der späteren
Umarbeitung enthalte und dass die beiden letzteren Handschriften
328
F e r d i n a n d W oll', Le Roman de Renart le Contrefait.
nicht nur die zusammengehörigen Theile oder Bände Eines Werkes,
sondern sogar Eines und desselben Exemplares sind.
Zugleich lösen sich durch diese Untersuchung alle bisherigen
Zweifel über die Identität des Verfassers der beiden Bearbeitungen,
indem sich diese nun klar herausstellt und alle in den drei Hand
schriften gegebenen chronologischen und autobiographischen Daten
nun als vollkommen erklärbar und zusammenstimmend erscheinen.
Di*. Sickel, Beiträge zur Diplomatik.
329
Beiträge zur D i p l o m atik.
I. Die Urkunden Ludwig’s des Deutschen bis zum Jahre 859.
Von Dr. Th. Sickel.
VORWORT.
Die folgende Arbeit ist aus dem Versuche entstanden, die
Kanzlerreihen der ostfränkischen Könige festzustellen, ein Versuch,
der mich mit Nothwendigkeit darauf führte, die Mehrzahl der Urkunden
einer eingehenden Kritik von diplomatischem, zuweilen auch von
historischem Standpunct aus zu unterziehen. Unter den Händen
erweiterte sich mir dabei die Aufgabe. Aus der Vergleichung der
Diplome nach allen Seiten hin ergaben sich so vielfache Regeln, dass
ich mich hätte versucht fühlen können, eine neue Urkundenlehre für
die Karolinger zusammenzustellen, wenn ich nicht überzeugt wäre,
dass die Vorbedingungen zu einer solchen Arbeit noch fehlen. Es ist
ein leichtes heutigen Tages z. B. Heumann’s Urkundenlehre für die
Karolinger zu übertreffen, aber unmöglich ganz den Fehler dieses
und anderer diplomatischer Werke des vorigen Jahrhunderts zu
vermeiden, dass Regeln aufgebaut werden auf der höchst unsichern
Grundlage der in den Drucken vorliegenden Überlieferung der
Urkunden.
Ich verkenne zwar nicht den Werth mehrerer neueren Urkunden-
biicher. Aber, wie jüngst Waitz trefflich dargethan hat, lassen die
meisten noch vieles zu wünschen übrig. Speciell erschwert die
Ungleichheit der Druckmethode den Gebrauch zu diplomatischer
Vergleichung. Endlich ist es immer noch eine verhältnissmässig
geringe Anzahl von Königsurkunden der ältern Zeit, welche in
330
Dr. S i c k e 1
correcteren Abdrücken soweit möglich aus noch erhaltenen Originalen,
sonst aus den möglichst nahe stehenden Abschriften vorliegt. Wie
unzuverlässig aber die älteren Drucke sind, wie in ihnen die Diplome
bald aus Nachlässigkeit, bald absichtlich verfälscht sind, werde ich
in den folgenden Blättern wiederholt nachzuweisen Gelegenheit
haben. Dem gegenüber sind nun nur wenige in der glücklichen Lage
wie FIuillard-Breholles oder L. Deslisle (abgesehen davon,
dass mit der Zunahme der Anzahl von Diplomen eines Fürsten es
auch leichter wird von einer gewissen Anzahl in Original oder in
zuverlässigen Abschriften benutzter Urkunden auf die übrigen zu
schliessen) wenigstens einen beträchtlichen Theil in der Urform
einzusehen und darauf eine Urkundenlehre für das specielle Gebiet
zu gründen. Wer wie ich in Bezug auf die Karolinger-Diplome
zumeist auf die bis jetzt vorliegenden Drucke angewiesen ist, wird
sich, um die Regeln der Kanzlei festzustellen, noch grösserer Mühe
unterziehen müssen, als wenn ihm schon alle Urkunden in der besten
Form der Überlieferung vorliegen würden, und doch wird die Richtig
keit und Stichhaltigkeit der von ihm erlangten Resultate allüberall
durch die sehr zweifelhafte Zuverlässigkeit des von ihm benutzten
Materials bedingt sein.
Zweitens, auch die besten Drucke werden dem Diplomatiker
Sicherheit zunächst nur für die inneren Merkmale (ich halte trotz
Schönemann an dieser Unterscheidung fest, weil sie sich mir als
die noch am meisten praktische bewährt hat) darbieten; höchstens
dass gute Beschreibung in Bezug auf einzelne äussere Merkmale
Ersatz für die Einsicht des Originals gewähren kann. Insofern muss
wer eine nach allen Seiten hin erschöpfende Urkundenlehre schreiben
will, Gelegenheit gehabt haben, eine grosse Anzahl von Original
diplomen zu prüfen. Auch diese Vorbedingung habe ich noch nicht
in genügender Weise erfüllen können.
Das sind die Gründe, wesshalb ich trotz vielfacher mühsamer
Vorarbeit, die ich unternommen habe, der wiederholt an mich
gestellten Aufforderung eine Diplomatik zunächst für die Karolinger
zu schreiben nicht Folge leisten mag, und ich verwahre mich aus
drücklich gegen die Annahme, dass die folgenden Beiträge etwas
sein sollen, was sie nach meiner eigenen Ansicht nicht sein können.
Etwas anderes ist es, dass ich doch diese Beiträge der Öffent
lichkeit übergebe. Die Aufgabe, die ich mir ursprünglich gestellt
Beiträge zur Diplomatik.
331
habe, die aber nur einen Theil einer Urkundenlehre bildet, nämlich
die Feststellung der Kanzlerreihen, wird sich im Grossen und Ganzen
auch schon bei dem heutigen Stand der Urkundenveröffentlichung
lösen lassen. Eine Schwierigkeit besteht hier zwar noch: die mehr
oder minder grosse Unzuverlässigkeit der überlieferten Ziffern, von
denen die chronologische Anordnung ausgehen muss, und durch die
allerdings in einzelnen Fällen die richtige Feststellung der Kanzler
perioden bedingt wird. Indem ich aber jedem mir in dieser Hinsicht
aufsteigenden Zweifel auch Ausdruck gegeben habe, wird es leicht
werden, je nach den zu Tage kommenden Verbesserungen der Ziffern
die letzte Revision der Kanzlerperioden vorzunehmen. Die wesent
lichen Puncte der Einrichtung in der Kanzlei, wie ich sie festgestellt
habe, werden dadurch nicht berührt werden.
Worauf sollte ich mich nun aber hei der kritischen Sichtung
der Urkunden, die vorausgehen musste, stützen und berufen? Seit
Heumann’s für seine Zeit recht verdienstvollem, heute aber nicht
mehr genügendem Werke ist, abgesehen von der Untersuchung über
vereinzelte Urkunden, für Diplomatik der Karolinger nichts geschehen.
Ich musste also mir selbst, soweit es heutigen Tages möglich ist,
Regeln zusammenstellen und musste sie als den Massstab, mit dem
ich gemessen, darlegen. Indem ich dies mit grossem Vorbehalt thue.
stets mit specieller Aufführung der Diplome, aus denen ich die Regel
ableite, stets was hypothetisch ist als solches bezeichnend, suche
ich den trügerischen Schein zu vermeiden, als wäre hiermit schon
die Urkundenlehre abgeschlossen, gebe aber doch was bis heute
anzustreben möglich ist: eine umfassende Vorarbeit für eine Urkunden
lehre. Je weniger in dieser Richtung in unserm Jahrhundert geschehen
ist, das sich bisher mit Vorliebe der Sichtung der erzählenden
Quellen zugewandt hat, desto willkommener, meine ich, ist jeder
Versuch die Diplomatik wieder in Angriff zu nehmen und auch auf
die Urkunden die Grundsätze der neuern Kritik und die mannigfaltigen
Ergebnisse der historischen und hilfswissenschaftlichen Studien
anzuwenden. Speciell in der Ui’kundenlehre Ludwig’s des Deutschen,
für die ich zunächst Reiträge liefere, glaube ich in einzelnen Puncten
zu genügendem Abschlüsse gelangt zu sein, in anderen habe ich den
Stand der Fragen so dargelegt, dass jeder, dem das urkundliche
Material in besserer Gestalt vorliegt, mit Leichtigkeit anknüpfen und
die Fragen zur Entscheidung bringen kann.
332
Dr. S i c k e I
Übrigens bin auch ich schon einigermassen in der Lage gewesen
von sicherer Grundlage auszugehen. Es ist selbstverständlich, dass
ich alle neueren und correcteren Drucke benutzt habe. Dann habe
ich die in Wien, Kassel und Fulda aufbewahrten Originale nach allen
Seiten hin prüfen können. Von dem reichen Vorrath Karolinger-
Diplome in München kann ich leider bis jetzt nicht dasselbe sagen.
Zwar habe ich, als eine andere Arbeit mich in das dortige Staats
archiv führte, die Gelegenheit wahrgenommen sämtntliche dort
befindliche Königsurkunden des neunten Jahrhunderts einzusehen
und mir aus ihnen einiges, was mich damals gerade beschäftigte, zu
vermerken; aber indem ich zu der Zeit noch nicht die Absicht hatte,
diese Arbeit auszuführen, prüfte ich die Urkunden nicht nach allen
Seiten hin und war seitdem nicht wieder in der Lage, dies nach
zuholen. In Bezug auf einzelne Puncte, namentlich die Tironischen
Noten, bin ich daher im Stande, mich auf die Münchner Originale
berufen zu können, während ich in anderen Puncten mich nur auf die
Abdrücke zu stützen vermag. Es ist meine Absicht für die Fortsetzung
dieser Beiträge eine möglichst grosse Anzahl von Originaldiplomen
noch zu untersuchen, um eine immer festere Grundlage für die
allseitige diplomatische Erörterung zu gewinnen; ich werde dann
auch nachtragen, was hei Urkunden Ludwig’s des Deutschen, über
die ich jetzt noch nicht endgültig entscheiden kann, die Untersuchung
der 0. ergeben hat.
Den folgenden ersten Beiträgen habe ich eine allgemeine Ein
leitung über die Königsurkunden, ihre Eintheilung, ihre inneren und
äusseren Merkmale voranschicken müssen, weil, was darüber in älteren
Lehrbüchern gesagt ist, mir nicht genügte; es war um so nothwen-
diger, eine solche systematische Übersicht vorangehen zu lassen,
weil ich im weitern Verlauf eine vorherrschend chronologische
Anordnung zu wählen für gut befand. Den Schluss der Einleitung
bildet eine Darlegung der Grundsätze, von denen ich bei der
Reduetion der Daten ausgehe. Dann lasse ich die Besprechung der
Urkunden in der Weise folgen, dass ich die von einem Schreiber
ausgefertigten zusammenstelle, nach ihren Merkmalen charakterisire
und dann, was über einzelne Diplome in Bezug auf historischen
oder Rechtsinhalt, auf Form, Datirung, Echtheit oder Unechtheit
u. s. w. zu bemerken ist, erörtere; bei diesen kritischen Erörterungen
ist je nach dem Bedarf von der chronologischen Reihenfolge abge-
Beiträge zur Diplomatik.
333
wichen und sind aus irgend einem Grunde zusammengehörige
Urkunden in ihrem Zusammenhang untersucht. An dieser Weise halte
ich zunächst auch im zweiten Heft dieser Beiträge fest, welches den
Schluss der Erörterungen über die Diplome Ludwig's des Deutschen
und eine Gesammtübersicht über die Einrichtung seiner Kanzlei
enthalten wird. Diesem Heft füge ich eine bisher ungedruckte Urkunde
dieses Königs hei. Als Anhang des zweiten Heftes werde ich eine
tabellarische Übersicht der Diplome Ludwig’s zur Ergänzung der
Böhmer’schen Regesten geben.
Die einzelnen Urkunden möglichst kurz anführen zu können,
habeich die Bezeichnung nach Böhmer’s Nummern gewählt, und
nur, wo es einen bestimmten Druck zu citiren galt, oder bei den von
Böhmer noch nicht verzeichneten Stücken ist das betreffende Werk
namhaft gemacht. Mit BO will ich besagen, das ich das Original,
mit BF, dass ich ein Facsimile benutzt habe. Ist das letztere schon
in Böhmer verzeichnet, so bedurfte es keines weiternHinweis.es.
Wo sich erst später veröffentlichte Abbildungen befinden, ist aus den
Anmerkungen und aus der Schlusstabelle ersichtlich. Dabei benutze
ich auch eine Anzahl von U. F. Kopp gestochener Schrifttafeln,
die allerdings ausser in wenigen Exemplaren (in Karlsruhe, Kassel,
wohl auch in Berlin) noch nicht Gemeingut sind. Diese Tafeln sind
mit allem, was die Enkel Kopp’s noch von seinem wissenschaftlichen
Nachlass besassen, vor zwei Jahren dem Institut für österreichische
Geschichtsforschung in Wien geschenkt worden und werden noch im
Laufe dieses Jahrs von mir als „Schrifttafeln aus Kopp's Nachlass“
veröffentlicht werden; ich habe mich daher schon jetzt auf sie
berufen zu können geglaubt.
Einleitung;.
Schon in den ältesten Urkunden der Merovingischen Fürsten
erkennt man eine stets wiederkehrende Disposition derselben, welche
sich allmählich weiter entwickelnd endlich in der Kanzlei Karl’s des
Grossen in einer für Jahrhunderte massgebenden Weise festgestellt
wird. Sie besteht zunächst darin, dass eine gewisse Anzahl von For
meln dem eigentlichen Inhalt des Diploms in bestimmter Reihenfolge
.334
Dr. S i c It e I
vor- und nachgesetzt wird. Einige dieser Formeln sind unbedingtes
Erforderniss für jede aus der königlichen Kanzlei hervorgegangene
Urkunde, andere können eben so wohl eingeschaltet als ausgelassen
werden, noch andere sind nur für gewisse Urkundenkategorien bestimmt.
Die Mehrzahl dieser Formeln nun erhält wieder unter jedem
König oder auch in den einzelnen Regierungsperioden desselben
Fürsten eine besondere Fassung, so dass sich für die Urkunden jedes
Regenten als von seiner Kanzlei gebraucht ein Urkundenformular
feststellen lässt, eventuell mehrere Formulare, je eins für die durch
den Inhalt bedingten besonderen Arten- von Schriftstücken.
In solchem Formular kann zumeist die weitere Unterscheidung
gemacht werden, dass einzelne Formeln sich in allen Urkunden einer
Periode auch in der speciellen Fassung gleich bleiben, dass es
dagegen für andere zwei, drei und mehr Fassungen gibt, die zwar
stets denselben Gedanken ausdrücken, sich auch in traditionellen
Schranken des Styls bewegen, aber doch von der Wahl des Verfassers
abhängen. Jedoch ist auch diese Wahl nur in Bezug auf wenige
Formeln frei geübt, hinsichtlich anderer erscheint sie wieder durch
verschiedeneUmstände beeinflusst. Erstens, wenn wir eine Regierungs
zeit noch nach den in der Kanzlei beschäftigten Personen in Kanzlei
perioden eintheilen, so ergibt sich zwar eine Verschiedenheit einzelner
Formeln innerhalb der Regierungszeit, aber doch vollständige oder
grössere Conformität innerhalb derselben Kanzleiperiode. Zweitens
viele Urkunden, welche oder insoweit sie nur Bestätigungen von
Diplomen vorausgegangener Fürsten sind, sind nicht frei concipirt.
sondern nur den altern zu bestätigenden Urkunden in meist sehr
strenger Weise nachgeschrieben, nicht allein in dem Hauptinhalt,
sondern auch in denjenigen Formeln die sonst dem Verfasser frei
steht verschieden zu stylisiren.
Bei durchgehend gleicher Disposition der Königsdiplome dieser
Jahrhunderte unterscheiden sie sich also in Bezug auf die Formeln
in mannigfaltiger Weise, und inwiefern die Gleichmässigkeit oder
Ungleichrnässigkeit der in Worte ausgedrückten Formeln einen Anhalt
geben kann zur diplomatischen Beurtheilung der einzelnen Stücke,
hängt wesentlich davon ab, dass sich die Untersuchung über alle
verschiedenen, sich zum Theil sogar kreuzenden Umstände, welche
die bestimmte Fassung beeinflusst haben, erstreckt. Es genügt jedes-
falls für die Urkundenlehre Ludwig’s des Deutschen nicht, wie
Beitrüge zur Diplomatik.
333
bisher geschehen ist, Formulare für die zwei Perioden seiner
Regierung, als König in Baiern und als König von Ostfraneien fest
zustellen: auf diesem Wege ergaben sich nur zumeist sehr dehnbare
Regeln, dass das eine oder andere oder auch das dritte Kanzlei
gebrauch gewesen sei. Es gilt die Unterscheidung weiter durch
zuführen: einerseits nach Kategorien der Urkunden, andererseits
nach Kanzleiperioden, zum Tlieil auch nach Gruppen von Diplomen,
wie sie ein und derselben (zumeist moralischen) Person von den ver
schiedenen Fürsten ausgestellt sind. Auch bei dieser Art von Ver
gleichung werden noch manche Fragen offen bleiben, weil die
Anzahl der zusammengehörigen Urkunden zu gering ist, um aus
ihnen eine Regel zu entwickeln, oder weil die Überlieferung bei
vielen Stücken zn unzuverlässig ist. Aber einige Fragen werden sich
zum Vortheil der Kritik auf diesem Wege genügend beantworten
lassen. —
Die Reihenfolge der Formeln, die hier zunächst in Betracht
kommen, ist folgende:
I. Die Anrufung, invocatio, oder zur Unterscheidung von der
monogrammatischen Anrufung (chrismon) invocatio verbalis, ist in
der kaiserlichen Kanzlei Karl’s des Grossen zur Regel geworden;
sie bleibt innerhalb einer Regierungsperiode stets gleich.
II. Name und Titel. Auch der letztere ist zumeist innerhalb
einer Regierungsperiode unveränderlich.
III. Das Vorwort, prologus, arenga, prooemium, kann gesetzt
oder auch ausgelassen werden und wird in gewissen Schriftstücken
regelmässig unterdrückt oder erst nach der nächsten Formel ein
geschaltet. Zumeist ist es ein ganz allgemein gehaltener Gedanken
über die Pflichten des Regenten, über sein Verhältniss zur Kirche
u. s. w.; zuweilen nimmt aber das Vorwort auch schon Bezug auf
den besonderen Inhalt der Urkunde. Die specielle Fassung bleibt
dem Verfasser überlassen.
IV. Die Veröffentlichung, formula publicationis oder intimationis,
ist ein unerlässlicher Bestandtheil jeder Urkunde, wechselt aber in
dem Wortlaut erstens je nach dem Charakter des Schriftstückes,
zweitens je nach dem Belieben des Schreibers. Ist das Schriftstück
an einzelne, oder an bestimmte Classen von Staatsangehörigen
gerichtet, so beginnt diese Formel mit der Aufzählung derselben in
der herkömmlichen Rangordnung (Adresse, inscriptiö) und zwar in
Dr. S i c k e I
336
unmittelbarem Anschluss an Formel II, so dass Formel III ganz unter
drückt oder erst nach Formel IVgesetzt wird. DieMehrzahl derUrkunden
wird aber für alle veröffentlicht und ist demgemäss in den allgemeinsten
Ausdrücken gehalten: sie folgt in diesemFalle erst nach Formel III. —
Indem hier zunächst die am häufigsten angewandten Formeln aufgeführt
werden sollen, gehe ich gleich zu den den Schluss bildenden über:
IX. Die Ankündigung des Siegels und eventuell der Unterschrift,
die wie ausdrücklich hervorgehoben wird, zur Beglaubigung der
Urkunde dienen. Bestimmte technische Ausdrücke und eigenthiimliche
Construction wurden in dieser Formel festgehalten, im übrigen hängt
die Fassung von dem Belieben des Schreibers ab. Häufig schliessen
sich in den Diplomen der ersten Karolinger an diese Formel kurze
Bemerkungen in Tironischen Noten an, welche über*die geschäftliche
Behandlung der betreffenden Angelegenheit so wie über die Aus
fertigung der Urkunde Aufschluss geben.
X. Die Unterschrift des Königs, bestehend aus dem mono
grammatischen Namenszug (Ilandmal) des Königs und aus begleiten
den Worten, welche denselben als Zeichen des betreffenden Fürsten
erklären. Diese subscriptio regis wird jedoch gewissen Arten von
Urkunden nicht beigefügt: alsdann findet auch keine Erwähnung
derselben in Formel IX Statt.
XI. Die Unterschrift des Kanzleipersonals ist stetes Erforderniss
der Vollziehung. In der Regel, namentlich in der besser geordneten
Kanzlei der ostfränkischen Könige, unterschreibt der untergeordnete
Beamte, der mit der Ausfertigung beauftragt ist, für sich und anstatt
des Vorstehers der Kanzlei mit den Worten: N (mit dem etwaigen
Zusatz seines Titels) advicem N (eventuell Titel) recognovi et
subscripsi, Worte, die bis zu einer gewissen Zeit noch einmal im
Recognitionszeichen in Tironischen Noten wiederkehren.
XII. Die nie fehlende Datirungszeile, welche zumeist Tag und
Monat nach römischem Kalender, ferner je nach dem Gebrauch der
Zeit das Jahr in mehrfacher Weise, dann den Ausstellungsort angibt
und mit einem kurzen Schlussgebet (apprecatio) die ganze Urkunde
abschliesst. In der Regel lässt sich für jede einzelne Kanzleiperiode
eine bestimmte Anordnung der Theile dieser Formel und eine
bestimmte Fassung nachweisen, namentlich auch ein feststehender
Gebrauch für die hier, so wie in Formel X und im Context des Diploms
dem Fürsten beigelegten Ehrentitel (tituli compellatorii, honorifici).
Beiträge zur Diplomatik.
337
Auch der zwischen den Eingangs- und Schlussformeln befind
liche Theil der Urkunde könnte nach Ausscheidung der speciellen
Beziehungen auf Personen, Sachen und Verhältnisse je nach den
Kategorien in bis zu einem gewissen Grade feststehende Formeln
aufgelöst werden. Die Formelsammlungen mit ihren Probestücken
für verschiedene Rechtsgeschäfte verdanken ja eben ihr Entstehen
dem Umstande, dass für die urkundlichen Zeugnisse über dieselben
bestimmte Formulare aufgestellt und von Geschlecht zu Geschlecht
überliefert wurden *). Einzelne Beispiele dieser traditionellen Fassung
werden sich später darbieten; hier möge die allgemeine Angabe
über die Disposition genügen, dass auf die Formel IV die Darlegung
des Sachverhalts, der zur Ausstellung der Urkunde Anlass gibt,
zumeist in Form einer Bitte folgt, dann eine kurze die Gewähr der
Bitte aussprechende Formel, weiter die ausführliche Darstellung des
durch das Diplom zu bezeugenden Rechtsverhältnisses, woran sich
häufig noch eine Einschärfung der betreffenden Willensäusserung
des Königs (auctoritas, praeceptum u. s. w., in alten Übersetzungen:
Gebot unsers Gewalts) ansehliesst, deren kanzleimässige Bekräftigung
dann in Formel IX ausgesprochen wird.
Für die Beurtheilung in sprachlicher Hinsicht hat, wie schon
mehrere seiner Vorgänger, Schönemann eine diplomatische
Sprachkunde nötliig erachtet und aufzustellen versucht 3 ). Und
jedesfalls kann die Urkundenkritik namentlich für die Karolingerzeit
wesentlichen Nutzen aus der Berücksichtigung der vielfachen sprach
lichen Momente ziehen. Aber das erste Erforderniss für derartige
Arbeit wären bis in alle Einzelheiten zuverlässige Drucke oder sehr
umfassende Prüfung von Originalen S J. Und andererseits wird der
1 ) Um etwa bei ähnlichen Arbeiten auch diese Formeln des Contextes, sowie später
hinzukommende Formeln des Einganges und des Schlusses (z. B. die Befürwortung,
die Strafandrohung u. dgl.) zählen zu können, habe ich bei der obigen Zahlen
bezeichnung der Formeln eine Lücke gelassen, so dass auch bei Einschaltung
neuer Nummern die oben aufgeführten Formeln immer mit der gleichen Ziffer
bezeichnet werden können.
2 ) Versuch eines Systems der Diplomatik, 1, 318 ff. und Lehrbuch der allgemeinen
Diplomatik, 22 ff.
3 ) Ich habe Gelegenheit gehabt, viele königliche und Privaturkunden des VIII. und
IX. Jahrhunderts, aus deren Drucken Schönemann seine Beispiele entnimmt, im
Original zu vergleichen und viele seiner Beispiele als Lesefehler zurückzuweisen,
ohne dass allerdings desshalb die Sprache und Schreibweise der Originale correcter
erscheint.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXXVI. Bd. III. Hft.
23
338
Di*. S i c k e 1
Sinn für diese Dinge immer mehr durch aufmerksame Lecture als
durch Erlernung von Regeln geschärft werden. Dagegen wäre es
förderlicher, wenn in lexicalischen Werken noch mehr als bisher
geschehen ist, der einer bestimmten Zeit eigenthümliche Wort-
vorrath berücksichtigt würde, namentlich die besonderen technischen
Ausdrücke für Rang- und Rechtsverhältnisse, die Ehrenbeiwörter,
die speciellen Benennungen für die Urkundenarten u. s. w.
Neben den inneren Merkmalen oder Formeln werden bei Diplo
men, die im Original erhalten sind, stets auch die äusseren Merkmale
oder die Form des Schriftstückes in Betracht zu ziehen sein; in
vielen Fällen wird von ihrer Untersuchung die Entscheidung über
die Echtheit abhängen. Soweit sie sich beschreiben lassen, mögen
die wesentlichsten äusseren Merkmale der Urkunden Ludwig's des
Deutschen hier erwähnt und erklärt werden.
Die Kanzlei dieses Königs bedient sich als Schreibmaterials
ausschliesslich des Pergaments 1 ), zumeist in mehr breiter als hoher
Form, so dass die Schriftzeilen den längeren Seiten parallel laufen.
Im Vergleich mit den gleichzeitigen Privaturkunden und den Diplomen
der späteren Zeit zeichnet es sich durch starke Bearbeitung, Fein
heit und Weisse aus. Der ersten Schriftzeile 2 ) geht in vielen Fällen
Mindestens für die Ausfertigungen. Was Ratpert (Mon. SS. 2, G9) erzählt:
„praecepit (rex) primitus tantummodo dictatam (scriplui am) et in aliqua scaeda
conscriptam sibi praesentari. Et cum Ille causam comproharet, tune demum can-
cellario praecepit, in legitimis cartis conscribere . . coufirmalionem“ bezieht
sich offenbar nicht auf das Schreibmaterial allein, sondern auf alle bei der Aus
fertigung zu beobachtende Formen. Scaeda bedeutet hier wie sonst in dieser Zeit
auch Pergament. Daneben mögen Urkundenentwürfe wie andere Entwürfe (siehe
die Erzählung von Willibald in Mon. SS. 2, 357) auch auf Wachslafeln geschrieben
worden sein. — Das auf dem Pergament gezogene Linienschema hat bei Urkunden
keineswegs die Bedtutung, die man ihm bei Handschriften beilegen muss. Die
Linien sind in der verschiedensten Weise gezogen. Nur das ist festzuhalten, dass
es stets blinde Linien sind. Bleifarbene Linien wie in BO 275 stammen sicherlich
von späterer Hand. Und dass schon um 900 mit Tinte gezogene Linien Vorkommen,-
wie Palacky in den ältesten Denkmälern der böhmischen Sprache 33 behauptet
hat, bedarf noch des Beweises.
a ) Es ist eine für die Diplomatik müssige und höchstens in die Archäologie zu ver
weisende Frage, über die man sich früher (siehe Nouveau traite de dipl. i, 536)
oft gestritten hat, ob die Urkundenschreiber sich des Rohrs oder des Federkiels
bedient haben und wann der Gebrauch des letztem beginnt. — Als Flüssigkeit hat
man nur schwarze Tinte gebraucht. Über einen ganz vereinzelten Fall von Anwen
dung rother Tinte in einem Diplom dieses Jahrhunderts siehe Mab. de re dipl.
editio II, 1709, p. 43. Dass Schriftsteller wie der Anon. Haserensis (Mon. SS. 7,
Beiträge zur Diplomatik.
339
die monogrammatisehe Anrufung oder das Chrismon ‘) voraus, das
ausserdem vor die Formeln X, XI, XII gesetzt werden kann. Die
erste und die zwei Unterschriftszeilen sind, wenige Fälle ausgenom
men, durch längere Schrift ausgezeichnet 3 ), deren Buchstaben aber
wesentlich demselben Alphabete angehören, wie die der übrigen
Zeilen. Ein Rückblick auf die Merovinger Diplome erklärt hinlänglich
die Entstehung dieser verlängerten Schrift. Die betreffenden Zeilen
sollten für das Auge durch Vergrösserung hervorgehoben werden.
Indem nun die Buchstaben der Merovingercursiv an und für sich
gestreckt und durch nahes Aneinanderrücken schmal sind, geschah
die Vergrösserung in perpendiculärer Richtung, so dass alleLängen-
tlieile der Buchstaben vielfach vergrössert, die in die Breite gehenden
Theile dagegen fast unverändert gelassen wurden 3 ). In dieser ver
längerten Gestalt hat sich das cursive Element länger als in der
übrigen Schrift der Diplome erhalten. Denn für die übrige Schrift
der Diplome tritt gerade in der Zeit Ludwig’s des Deutschen eine
merkliche Wandlung ein. Seine ersten Schreiber gehören noch
derselben Schreibschule an, aus der die Kanzlei Ludwig’s des
Frommen hervorgegangen war; die Schrift der späteren dagegen
lässt einen grossen Fortschritt nach zwei Seiten hin erkennen: die
cursiven Verbindungen und Verschränkungen nehmen stark ab und
die einzelnen selbständig gewordenen Buchstaben, mögen einige
auch noch dem cursiven Element entnommen sein, erscheinen breiter
und runder.
Aus der zweiten Hälfte dieser Regierung datiren die Anfänge
der diplomatischen Minuskel, die sich in der Behandlung der Schäfte
mit Oberlänge 4 ), in dem Festhalten an einigen Cursivbucbstaben
256; eyrographo aureis litteris inscripto von einer Urkunde Arnulf’s) von anders
farbiger Schrift reden, ist Euphemismus.
1 ) Die beste Erklärung in Kopp Pal. crit. 1. 424. — Vierfaches Chrismon findet
sich in B 293, Wirtemb. Urkundenbuch, 1, 90.
2 ) Wie das allerdings viel spätere syntagma dictandi in Mab. de re dipl. 619 sagt:
„solet autem prima linea praeceptorum longis et aequalibus litteris figurari“ und „ex
utraque autem monogrammatis parte longioribus et aequalibus litteris scriptum eritete.“
8 ) Dieselbe Vergrösserung behufs Auszeichnung der ersten Zeile, aber in entgegen
gesetzter Richtung findet in den Schriftstücken der päpstlichen Kanzlei Statt: die
an und für sich mehr breite und gerundete römische Cursiv wird dort vollends
in die Breite gezogen, während die Höhe der Buchstaben minder zunimmt.
4 ) Es ist hier nicht der Ort, den Unterschied in der Schrift dieser zwei Perioden in
seinen Einzelheiten darzulegen. Die bisher bekannten Facsimlles würden auch nicht
23*
340
Dr. S i c k e I
u. s. w. an die frühere Merovingisehe Urkundenschrift anlehnf,
andererseits aber von der Bücherschrift beeinflusst, mit ihr die
Selbständigkeit der Buchstaben und speciell im IX. Jahrhundert die
unten leicht nach links gebogenen und fein zugespitzten kurzen
Schäfte gemein hat *). In derselben Schrift wie der Haupttheil der
Urkunde ist auch die Datirungszeile geschrieben, die darauf berech
net ist den untersten Theil des Pergaments in seiner ganzen Breite
auszufüllen: daher die Zwischenräume zwischen den einzelnen
Worten der Formel. Indem für Tag und Monat zunächst von dem
Schreiber eine Lücke gelassen zu sein scheint, die erst bei der
Vollziehung des Diploms ausgefüllt werden sollte, ist es zuweilen
geschehen, dass auch nachträglich die Eintragung der betreffenden
Daten unterblieben ist 3 ).
Über die vorausgehenden verlängerten Unterschriftszeilen ist
noch einiges zu bemerken. Die Stellung, welche das Handmal des
Königs in der Formel X erhält, ist in der Regel bei ein und demselben
Schreiber dieselbe. Ludwig der Deutsche hat stets dasselbe nur den
Namen enthaltende Monogramm geführt und zwar in der schon
von seinem Vater angenommenen Gestalt. Je entschiedener sich
Ta ss in 3 ), eine allerdings wunderliche Meinung Mabillon’s
genügen, die unterscheidenden Merkmale zu veranschaulichen. Nur insofern der
allgemeine graphische Charakter sich aus ihnen erkennen lässt, vergleiche man
BF 730 mit BF 788.
*) Die die diplomatische Minuskel charakterisirenden langen und später mannigfach
verzierten Schäfle, apices haben sogar Anlass gegeben die Königsurkunden apices
zu nennen: „proinde nostrae auctoritates apices inde fieri decrevimus“, „per hos
serenitalis nostrae apices“ u. s. w. heisst es sehr häufig. Im XI. Jahrhundert spricht
man auch von „apostolici apices“.
2) Über die Interpunction gilt von den Diplomen dieser Zeit, was Ko pp 1, 231, 276,
zusammenstellt. — Correcturen finden sich oft und sind, wenn sie von der Hand
des Schreibers selbst stammen, unbedenklich, cf. Kopp 1, 382.
Nouveau traite 5, 24 — 34. — Mabillon 111, hatte in vielen Namenmonogrammen,
besonders in solchen die Karolus bedeuten, ein von anderer Hand gemachtes Y unter
schieden und war geneigt, dies speciell bei Karl dem Grossen für das deutsche
Ja (Ya) zu erklären. Über den letztem Punct macht sich nun Tassin mit Recht
lustig und fragt wie es zugehe, dass dies Y in vielen anderen Monogrammen fehle.
Es ist seltsam dass ihm, der so viele Originale zu sehen Gelegenheit hatte und
dessen Scharfblick sonst alles wahrnahm, es ist seltsam dass ihm entgangen ist,
dass sich zwar nicht immer das angebliche Y, aber doch je nach der Gestalt des
Handmals ein anderer Zug als von anderer Hand gemacht unterscheiden lässt.
Ohne hier entscheiden zu wollen, wie lange sich der betreffende Gebrauch erhalten
hat (ich habe ihn in einzelnen Fällen noch unter den Staufern gefunden, mag
Beiträge zur Diplomatik.
341
bekämpfend, dagegen ausgesprochen hat, dass ein Theii des Hand-
mals Yon dem Fürsten selbst gezeichnet sei, so dass er je nach dem
Wortlaut von Formel IX das Monogramm entweder ganz von der
Hand des Fürsten oder ganz von der des Kanzlers gemacht annimmt,
um so mehr muss ich hervorheben, dass mich die Prüfung von mehr
als 200 Originaldiplomen der Karolingerzeit überzeugt hat, dass in
allen Fällen ein Theii des Handmals sich von den übrigen Zügen
dieses Zeichens unterscheiden lässt, dass es also einen besonderen
Vollziehungsstrich im Monogramm gibt. Bald wird man diesen Strich
an der Unsicherheit des Zugs gegenüber den festen und breiten
Zügen des ganzen Zeichens, zuweilen auch an der etwas andern
Farbe der Tinte erkennen können. Dass der König selbst in früherer
Zeit diesen Vollziehungsstrich gemacht hat, wird durch den zumeist
gebrauchten Ausdruck in Formel IX: „manu propria nostra subter
eam (auctoritatem) firmavimus“ wenigstens wahrscheinlich gemacht.
In dem Handmal Ludwig’s des Deutschen nun (sowie der anderen
gleichnamigen Karolinger) ist der den Mittelbalken von H bildende
Zug als solcher Vollziehungsstrich anzusehen. Es liegt nahe, dass
aber aus wenig- Fällen noch keine Regel für die späteren Jahrhunderte feststellen)
constatire ich ihn doch mit aller Bestimmtheit für die Karolingerzeit Mau gebe
nur auf. in diesen Zug eine Buchstaben- oder Wortbedeutung hineinlegen zu
wollen; die einzige Bedeutung dieses Striches ist, dass durch ihn die Urkunde
neben anderen Solemnisationsarten vollzogen werden soll. Je nach der Gestillt der
im Monogramm verschränkten Buchstaben des Namens ist bei der aus freier Hand
vom Schreiber gemachten Zeichnung des Monogramms ein Zug noch ausgelassen
und dieser ist dann nachträglich, sei es vom Fürsten selbst (was mir wahrschein
licher ist), sei es vom nusfertigenden Kanzler gemacht worden. Im Monogramm
KarPs des Grossen besteht er in dem gebrochenen Balken der das 0 darstellenden
Mittelraute, deren obere Schenkel mit diesem gebrochenen Balken zusammen A
bilden. Indem der rechte Theii des gebrochenen Balkens über den linken hinaus
verlängert wurde, entstand die Figur, welche Mabiilon für Y hält. Aber dies
scheint selbst in den Diplomen KarPs des Grossen nicht immer der Fall gewesen
zu sein: in BF 101 (in dem Kopp’scheu Nachlass; das Original ist jetzt in Kassel
nicht mehr zu linden) ist der rechte Theii des gebrochenen Balkens nicht über
den Vereinigungspunct mit dem linken hinaus verlängert (siebe auch die Urkunde
KarPs III. in Nouveau traite pl. 9ö). Es hätte endlich wohl auch statt des gebro
chenen Balkens ein geradliniger gesetzt werden können, wie später im Namenszug
Arnulfs (Erhard, Reg. Westph. Taf. 2, Nr. 6 und 7). Denn nicht die specielle
Gestalt, sondern das Vorhandensein des Vollziehungsstriches ist das entscheidende.
Wohl haben ihn Fälscher auch nachgemacht, wie in BF (Ko pp) 86, aber auch
oft übersehen, so dass das Fehlen desselben in BF (Kopp) 123, 124 mit unter
den Gründen der Unechtheit aufzuzahlen ist.
342
Dr. S i c k e I
bei etwaigen Fälschungen auch dieser Mittelbalken gezeichnet wurde,
ohne den kein H im Monogramm erschienen wäre; aber es ist mir
auch ein Fall bekannt, dass in dem Zeichen eines falschen, aber die
Originalform nachahmenden und noch für Original angesehenen
Diploms Ludwig’s des Deutschen dieser Vollziehungsstrich nicht
gesetzt ist *).
Ein geübtes Auge wird endlich auch an dem Reeognilionszeiehen,
dessen Grundzug das S des Wortes subscripsi in der Formel XI bildet
und das desshalb mit Recht in subscripsi aufgelöst wird, die Echtheit
oder Unechtheit eines Diploms prüfen können. Zunächst ist es
Fälschern selten gelungen die Freiheit und Sicherheit des Zuges
nachzuahmen, mit der die Kanzleischreiber die willkürlichen, aber
ihnen doch geläufigen Linien dieses Zeichens machten. Ferner kehrt
bei ein und demselben Schreiber eine im wesentlichen gleiche Gestalt
des Recognitionszeichens wieder und gibt einen sichern Anhalt für
die Beurtheilung. Endlich bei den erst nach dem X. Jahrhundert
gefertigten Fälschungen verrathen sich dieselben sehr oft durch den
Umstand, dass die ursprüngliche Entstehung des Zeichens aus dem
S und die damit zusammenhängende enge graphische Verbindung
des S mit dem vorausgegangenen cursiven „et“ nicht mehr bekannt
waren und dass in Folge davon die Fälscher bald subscripsi in
Buchstaben ausschrieben, bald das signum recognitionis von den
Worten der Formel XI trennten 3 ). Inwiefern die Tironischen Noten
in dem Reeognilionszeiehen, welche in den Diplomen der ersten
Karolinger nie fehlen und welche im Allgemeinen die Worte der Formel
XI wiederholen, ein sicheres Kriterium für die Urkuudeu Ludwig’s
des Deutschen bilden, wird später ausführlicher zu erörtern sein.
In Bezug auf die Siegel verweise ich auf Heineceius und
Heumann 3 ), auf die von Böhmer bei einzelnen Diplomen ver-
zeichneten Abbildungen, zu denen noch eine Abbildung Römer-
Büchner’s 4 ) hinzuzufügen ist. Jedoch hat eine neue Revision der
1 ) Erhard, Reg’. Westph. 433, Urkunde 23. —Die weiteren Gründe der Unechtheit
werden später angegeben werden.
2 ) Beispiele in Kopp Pal. crit. 432 = BF 207; iin Kopp’schen Nachlass BF 86, 123,
124; BF 391 in Schöpf! in Als. dipl. 1, 81 u. s. w.
3 ) H e i n e cciu s de veteribus Germanorum — sigillis — syntngma. — Henma n n, 2,197.
Die Siegel der deutschen Kaiser u. s. w. 14. — Das Siegel von BO 733, das in
Mon. Boic. XI, Taf. I und besser in den historischen Abhandlungen der haierischen
Akademie, 3, 309, abgebildet ist, ist entschieden falsch.
Beiträge zur Diplomatik.
343
Originale noch festzustellen, ob die in Bild und Umschrift verschie
denen Siegel verschiedenen Perioden angehören oder ob zu gleicher
Zeit mehrerlei Stempel angewandt worden sind.
Uber die chronologischen Merkmale in den Urkunden Ludwig’s
des Deutschen ist, was als allgemeines Gesetz zu gelten hat, noch
hier in der Einleitung festzustellen. Nämlich so verbreitet auch schon
unter Ludwig dem Deutschen die Kenntniss der Dionysischen Aera
war, so dass die Rechnung nach derselben in den verschiedensten
Gegenden bereits in Privaturkunden häufige Anwendung fand, so
entschieden steht es doch fest, dass sich die Kanzlei dieses Königs,
und eben so die seiner Brüder, enthalten hat, diese Neuerung in die
von ihr ausgehenden Urkunden einzuführen. Nicht der sonstige
Gebrauch, sondern was einmal die Kanzlei eines Fürsten in dieser
Hinsicht festsetzt, entscheidet in Bezug auf die königlichen Diplome,
so dass sich für die Anwendung der Incarnationsjalire in denselben
ganz scharfe Grenzen angeben lassen. Wie die des Vaters, so schliesst
auch die Kanzlei Karlomann’s diese Zählung noch aus. In den Diplomen
seiner Brüder dagegen findet sie regelmässig Anwendung. In West-
francien ist Odo der erste, in dessen Urkunden die Jahre Dionysischer
Aera gebraucht werden *).
Diese Regel wird weder durch die vereinzelte Ausnahme des
Diploms Karl’s des Grossen für Metz B 119, die schon Mabillon ")
richtig erklärt hat, noch durch das Vorkommen dieser Zählung in
einigen Capitularien umgestossen. Sie kann hinsichtlich der Urkunden
Ludwig’s des Deutschen nicht streng genug festgehalten werden.
Ich habe noch keine Originalurkunde desselben gesehen, in welcher
von erster Hand ein Incarnationsjahr eingetragen wäre und zweifle,
wenn dasselbe nicht nachträglich eingeschaltet ist, daran dass
B. 839 mit solcher Ziffer Original ist, wie Erhard Urkundenbuch
Nr. 28 angibt. Dass Abschreiber sich häufig diesen Zusatz erlaubt
haben, kann hei dem später allgemeinen Gebrauch dieser Zählung
nicht Wunder nehmen 3 ).
Das Jahr wird also in den Diplomen Ludwig’s des Deutschen
nur durch die Indiction und durch das Regentenjahr bezeichnet.
*) Wailly, elements de paleographie, liste alphabetitjue des prinees souveraius.
2 ) De re diplom. 190.
3 ) Siehe B. 788, in Neug-art, 1, 354.
344
ör. Sick el
Während wir von den Epochen des letztem erst unter den einzelnen
Notaren handeln können, wird es gut sein gleich hier die Frage zu
beantworten, welche der beiden Zählungen am meisten Glauben
verdient und in welcher speciellen Weise die Indiction berechnet
worden ist.
Es scheint so nahe zu liegen, dass man sich in der Kanzlei
Zeittabellen angelegt habe, um aus ihnen in jedem einzelnen Falle
auf die einfachste Weise die eorrespondirenden Ziffern zu ent
nehmen. Aber in diesem wie auch in den folgenden Jahrhunderten
sind, auch wo die Ziffern noch im Original vorliegen, der Verstösse
so viele und oft so arge, dass sie unerklärlich wären, wenn die
Kanzler besondere Jahrestafeln zur Hand gehabt hätten. Entweder
hat man sich gar keiner Hilfsmittel bedient oder höchstens der in
jenen Zeiten allgemein bekannten: einer Ostertafel und eines
Kalenders nach römischem Vorbild. Beide konnten keinen Anhalt
für die Berechnung des Regentenjahres darbieten, aber wohl für die
der Indiction. Und überhaupt spielt die Indiction eine so grosse
Rolle in der Zeitrechnung jener Jahrhunderte, dass wer immer sich
mit dieser befasste, die einfache Regel dieselbe zu berechnen und
die Indictionszahl des laufenden Jahres kennen musste. Darauf allein
beruht es, dass man in zweifelhaften Fällen, in denen die einzelnen
chronologischen Merkmale nicht übereinstimmen und in denen ander
weitig verbürgte historische Daten keinen Anhalt gewähren, der
Indiction den Vorzug gegeben hat und geben muss. Man ist wohl
zuweilen bei Urkunden dieser Periode so weit gegangen, dass man
sie aus dem einzigen Grunde, weil die noch vorhandenen Originale
für die Indiction und die Regierungszeit Ziffern enthalten, welche
nicht in Einklang zu bringen sind, hat anfechten wollen; entschieden
mit Unrecht, da sich durch mehrere Jahrhunderte hindurch zu viele
Belege beibringen lassen, dass einzelne Kanzler sei es im Berechnen,
sei es im Schreiben der Ziffern, sehr nachlässig gewesen sind. Wenn
aber überhaupt ein Versuch gemacht werden soll, derartige Fehler
zu berichtigen, so ist für die Zeit, in der die Diplome noch nicht
nach Dionysischen Jahren datirt werden, die einzig richtige Methode,
von der Indiction als Norm auszugehen und nach ihr die Urkunden
chronologisch zu ordnen.
Da drängt sich dann aber die weitere Frage auf: welcher
^ndiction haben sich die Kanzler zu Ludwig s Zeiten bedient? Die
Beitrage zur Diplomatik.
345
ludiclion mit der Neujahrsepoche *) kommt entschieden in dem
ostfränkischen Reiche nicht in Betracht; es gibt nur ganz vereinzelte
und in der Überlieferung der Ziffern unzuverlässige Urkunden,
welche auch in den letzten drei Monaten die bis zum September
angewandte Indiction beibehalten. Dagegen ist es noch nicht ent
schieden, ob die Indiction im IX. Jahrhundert nach griechischer und
ursprünglicher Weise mit dem 1. September oder wie später zumeist
in Kaiserurkunden mit dem 24. September gewechselt hat. Bekannt
lich lässt sich die letztere Rechnungsweise vor Beda nicht nach-
weisen 2 ), in dessen Schriften plötzlich die Angabe auftaucht:
„incipiunt indictiones ab VIII Kalendas octobris ibidemque terminan-
tur“, wörtlich dann wiederholt in einem 820 verfassten, zumeist
dem Hraban zugeschriebenen über de computo. Beda’s Autorität,
meint Id eler, war im Mittelalter so gross, dass sie wohl auf damalige
Kanzleien eingewirkt haben kann; dennoch hält er den Gebrauch
dieser Iudietionsepoche für sehr problematisch. Aber zunächst nach
den Kalendarien zu urtheilen, ist gerade in diesem Puncte, seit
überhaupt Beda’s Arbeiten auf die Kalendarien des Continents ein
wirkten, die Satzung des Angelsachsen massgebend geworden. In
dem Kalendarium Florentinum von etwa 817 s ) ist mit grüner
Schrift zum VIII Kal. oct. eingetragen „hic indictiones incipiunt et
finiuntur“; in dem Kalendarium Augiense 4 ) um 8S0 findet sich, durch
rothe Gapital und grünen Strich ausgezeichnet, derselbe Satz;
Ich gehe absichtlich von den gang und gälten Bezeichnungen: kaiserliche oder
eonstantinische — römische oder päpstliche — griechische oder constantinopolita-
nische Indiction die zwei ersten auf, weil sie ganz willkürlich und stets zu Irrthümern
Anlass gegeben haben. Nur die Benennung griechische Indiction für die am 1. Sep
tember beginnende ist richtig, indem sie von allen sich zur griechischen Kirche
bekennenden Völkern und so weit griechischer Einfluss oder der Verkehr mit dem
Morgenland (wie in Venedig) gereicht hat, angewandt worden ist. Statt päpstlicher
sage ich: Neujahrsindiction, denn sie beginnt nicht nothwendig, wie noch oft ange
geben wird, mit dem 1. Jänner, sondern nur da wo der Jahresanfang auf circumcisio
angesetzt wird; wo dagegen das Jahr, wie Jahrhundertelang im grösseren Theile
Deutschlands, mit der nativitas beginnt, setzt auch die Indiction am 25. December
um. Die dritte schon von Ideler vorgeschlagene Benennung nach Beda wird durch
das oben Gesagte gerechtfertigt.
2 ) Ideler, Handbuch der Chronologie, 2, 361. — Beda de temp. ratione ed. Giles.
6, 244. — Hrab uni, lib. de computo in Baluzii miscell. ed. 1078, I. 62.
3 ) Bnndini, catal. cod. lat. hihi. Laurent. I, 284.
4 ) Cod. Vindobon. 181 .
346
Dr. S i c k c 1
endlich auch in dem jüngeren Kalendarium Coloniense um 889 1 ).
Dass er in den zwei sonst noch bekannt gewordenen Kalendern
desselben Jahrhunderts von Corbie und Mailand fehlt, erklärt sich
hinlänglich daraus, dass diese zwei nur Angaben des Kirchenjahrs
enthalten und auch die Momente des Naturjahres nicht verzeichnen.
Somit ist, späterer Kalender nicht zu gedenken, durch die drei
genannten Exemplare der Beweis geliefert, dass der Ansatz Beda’s
schon im IX. Jahrhundert als massgebend nachgeschrieben wurde.
Prüfen wir nun auch die Urkunden um zu erfahren, ob in ihnen
die Indiction nach älterer griechischer Art am 1. September, oder
nach der Anweisung B e d a’s am 24. September wechselt. Die Diplome
Ludwig’s des Frommen B222—226 vom3. —11. September 814 3 ),
B 286 vom 2. September 816, B 333 vom 17. September 820
sprechen alle für die griechische Indiction. Aber das entgegengesetzte
Resultat liefern die Urkunden der späteren Regierungsjahre: B 350
vom 11. September 823, B 398 vom 11. September 829, B 459 vom
10. September 835, B 485 — 487 vom 7. September 838 sind noch
mit den bis zum September laufenden Indictionen versehen, während
vom 24. September an zumeist die Indiction umsetzt 3 ). Somit scheint
es dass die Beda’sche Neuerung, welche seit Anfang des Jahrhun
derts in den Kalendarien Eingang findet, etwa seit 820 auch in der
kaiserlichen Kanzlei angenommen worden ist 4 ). Wir werden später
sehen, wesshalb die drei Urkunden Ludwig’s des Deutschen B 734,
747, 753, welche zwischen dem 1. und 24. September ausgestellt
B interim, Kalendarium Coloniense. — Dass diese drei Kalendarien auf Beda
beruhen, lässt sich sowohl aus ihrem Festverzeichnisse als aus ihren Satzungen für
das Naturjahr ersehen. Cf. Piper, Karl’s des Grossen Kalendarium und Ostertafel.
Dies letztere Kalendarium von 781 — 783 und das noch ältere von Luxueii, welche
die Puncte des Naturjahres noch nach Isidor ansetzen, verzeichnen auch die
Indictionsepoche Beda’s noch nicht, deren Verbreitung- auf dem Festland also erst
gegen 800 begonnen hat. Während des Druckes habe ich Gelegenheit gehabt noch
zwei ungedruckte Kalendarien aus der ersten Hälfte des IX. Jahrhunderts einzusehen,
welche auch die Indiction nach Beda ansetzen: ein Kal. Salisb. von c a 809 und ein
Kal. Autiossod. von c a 840.
2 ) B. 220 vom 1. September 814 hat nach dem vorliegenden Druck noch ind. VII,
während schon VIII zu erwarten wäre.
s ) Die Zahl der Urkunden, welche auch nach dem 24. September noch die frühere
Indiction beibehalten, ist sehr gering. Wie viel dabei den Fehlern der Überlieferung
zuzuschreiben ist, muss ich dahin gestellt sein lassen.
4 ) Es lohnt sich nicht Beispiele aus Privaturkunden anzuführen, da die Ziffern in ihnen
zu unverlässig sind, um einen Beweis zu bekräftigen oder zu entkräften.
Beiträge zur Diplomatik.
347
sind, an und für sich nicht entscheiden. Aber für die Zeit seiner
Nachfolger wird sich im Verlauf dieser Arbeiten als unzweifelhafte
Regel heraussteilen, dass ihre Kanzler die Beda’sche Epoche fest
gehalten haben. Und aus diesen drei Umständen: dem Ansätze in den
Kalendarien, dem Vorkommen dieser Indiction in den letzten Jahren
Ludwig’s des Frommen und unter den späteren ostfränkischen Karo
lingern halte ich mich berechtigt den Schluss zu ziehen, dass auch
die Kanzlei Ludwig’s des Deutschen die Indiction mit dem 24. Sep
tember begonnen hat, und ordne ich demgemäss die Urkunden an ‘).
Diplomatische Erörterungen über die Urkunden Lndwig’s des
Deutschen.
In erster Linie sollen hier die Urkunden nach Kanzleiperioden
geordnet untersucht werden, nach Perioden die sich am füglichsten
nach der Unterschrift in Formel XI bezeichnen lassen.
Adallcodns diaconus ndvicem Gnnzbaldi S30 — 833.
Die mit dieser Unterschrift versehenen Diplome zeichnen sich
durch grosse Gleichmässigkeit der Formeln aus, selbst derer in
denen sonst der Conception freier Spielraum gelassen wird. Voll
ständig gleich lautet in allen echten Diplomen Formel I: „in nomine
domini nostri iesu christi dei omnipotentis“ und zwar ohne Chrismon.
Formel II wechselt: „hludouuicus diuina largiente (oder fauente)
gratia (oder clementia) rex baioariorum“. Gleichlautend ist Formel IX
in B 723, BO 721, 724, 725, 727. Mon. Boic. 31, 68. 70, 72: „et
ut haec auetoritas . . . per curricula annorum inuiolabilem atque
inconuulsam obtineat firmitatem, manu propria subter firmauimus et
anuli nostri impressione signari iussimus“. In allen noch erhaltenen
Originalen schliesst sich daran eine Bemerkung in Tironischen Noten
wie in BO 725: „idem domnus rex scribere iussit“. Formel X ist stets
wie in BF 730: „signum (M) hludouuici gloriosissimi regis“. Vor
A ) Für die Diplome Karl’s des Kuhlen gibt Wailly elements de paleographie 27i an,
dass in ihnen die Indiction bald vom 1. September, bald vom Neujahr berechnet
werde. Die Beda’sche Indiction wird also gar nicht in Betracht gezogen, obgleich
sie z. B. in den Urkunden von 867 offenbar angewandt ist. Auch in der Diplomatik
von Westfraneien bedarf es zur Feststellung dieses und anderer Puncte einer neuen
umfassenden und gründlichen Untersuchung.
348
Dr. S i c k e I
Formel XI wird das Chrismon gesetzt; die Tironischen Noten des
Recognitionszeichens lauten zumeist wie in BO 725: „Adalleodus
diaeonus aduieem Gauzbaldi recognoui et subscripsi“. Ganz gleich
in der Anordnung ist endlich Formel XII, nämlich wie in BO 721:
„data (XIII Kls. julias) anno christo propitio (XVIII) imperii domui
hludouuici serenissimi augusti et anno (VI) regni nostri, indictione
(VIII), actum (Randestorf palatio nostro), in dei nomine feliciter
amen“; nur „christo propitio“ scheint zuweilen unterdrückt zu sein.
Bei diesen Zeitangaben wird man mit Sicherheit von der Epoche
der kaiserlichen Regierung 28. Jänner 814 und von der Beda’schen
Indiction ausgehen können. Ordnet man nun danach die Urkunden,
so ergibt sich dass die Epoche für die Jahre Ludwig's des Deutschen
zwischen den 27. III. (B 724) und den 27. V. 828 (B 727) fallen
muss; als annähernder Tag mag also der 1. V. 826 angenommen
werden i). Bei dieser Setzung stimmen alle Ziffern, während die
Böhmer’sche Epoche zu mehrfachen Verbesserungen nöthigt, und
auf diese Richtigkeit der von mir meist den Originalen entnommenen
Ziffern ist um so mehr Werth zu legen, da, wie sich später zeigen
wird, auch in den folgenden Jahren die Rechnung des Adalleod
durchaus zuverlässig ist.
Lässt sich nun vielleicht auch aus Privaturkunden eine Bestäti
gung für diese Epoche beibringen? Ich will gleich hier bemerken,
dass ich die oft gemachten Versuche aus den Ziffern dieser Urkunden
die verschiedenen in der Kanzlei angewandten Regierungsepochen
Ludwig’s des Deutschen festzustellen als resultatlos ein für alle Mal
verwerfe 3 ). Es würde hier zu weit führen, den Beweis dafür durch
Besprechung aller einzelnen Urkundensammlungen zu liefern, und
so mögen nur zwei Bücher erwähnt werden, deren Urkunden früher
in diesem Sinne benutzt worden sind: der Codex diplomaticus Ale-
*) Auch Mabillon supplem. 42 entschied sich ohne nähere Gründe anzugeben für die
Epoche 826.
2 ) Ganz anders verhält es sich mit der Feststellung von localem Gebrauch gewisser
Epochen. So hat schon Lamey in der Vorrede zum Cod. Lauresh. gezeigt, dass die
Lorscher Mönche den Regierungsantritt Ludwig’s des Deutschen erst vom Tode des
Vaters an berechneten. Dasselbe lässt sich von den Mönchen in Fuld, Weissenhurg
u. a. 0. nach weisen. Jedesfalls wirft das ein eigenthiimliches Licht auf die Verhält
nisse nach 833 und beweist, dass Ludwig in den westlichen Landeslheilen noch
keineswegs die volle und ausschliessliche Anerkennung fand, die er als König in
Ostfrancien beanspruchte. Aber für den von seiner Kanzlei beobachteten Gebrauch,
um den es sich hier handelt, lässt sich nichts daraus schliessen.
Beiträge zur Diplomatik.
349
manniae von Neugart und die Historia Frisingensis von Meichel-
beck. In den St. Gallener Urkunden bei jenem sind zumeist die
Wochen- und Monatstage angegeben, aus denen sich das bestimmte
Ausstellungsjahr berechnen lässt. Will man aber von den so gewon
nenen Aerenjahren ausgehend aus den mitangeführten Regierungs
jahren deren Epoche bestimmen, so wird man fast bei jeder einzelnen
Tradition ein anderes Resultat erlangen *)■ Und zum Theil würden
es Jahre sein, die durch kein hervortretendes geschichtliches Moment
Anlass zu besonderer Rechnung geben konnten und die auch nur
vereinzelt und nie in Diplomen der königlichen Kanzlei nachgewiesen
werden können. In den Meichelbeck’schen Urkunden dagegen
finden wir ziemlich häufig neben dem Jahr der Regierung das der
Inearnation und die Indiction verzeichnet. Aber indem die letzteren
in der Mehrzahl der Fälle nicht übereinstimmen, wird es schon frag
lich, ob wir das Regierungsjahr durch die Römerzinszahl oder durch
das Aerenjahr controliren sollen, und stimmen sie dann und wann
überein, so ergeben sich ebenfalls ganz verschiedene Epochen. Es
lässt sich daraus nur schliessen, dass entweder die Schreiber der
Privaturkunden sehr ungenau waren in der Berechnung der Regie
rungsjahre oder dass die Ziffern schlecht überliefert sind. Und es
hat daher gar keinen Werth, ein vereinzeltes richtiges Datum, dem
sich eine grössere Anzahl unrichtiger gegenüberstellen lässt, aus
diesen Sammlungen für die eine oder die andere Epoche beizubringen.
Etwas anders steht es in Bezug auf die Epoche von 826 mit
einigen Freisinger Urkunden, in denen es sich nicht um eine blosse
Ziffer handelt, sondern um beigefügte Notizen über den Regierungs
antritt. So hat schon Heumann 2, 199 für diese Epoche aus den
Urkunden bei Meichelbeck Nr. 495, 496, 498, 499 angeführt,
dass sie „primo anno quo filius eius (imperatoris) Hludouuicus
rex in Baiouuariam uenit“ ausgestellt sind. Aber alle diese Stücke
sind vom Juni 826, schliessen also noch gar nicht aus, dass wie
Böhmer annimmt der Regierungsantritt etwa vom September 825
berechnet worden sei 2 ). Eher möchte ich Werth auf das Datum in
1 ) Siehe die Angaben in den Noten hei Neugart. I, 215 IT.
3 ) Meichelbeck Nr. 501 vom 11. März. „a. Hlud. imper. XIV (=1 827) ipso anno
quo filius ejus Illud. rex in ßaiouuaria venit“ würde ein besserer Beleg- sein und
beweisen, dass die Epoche erst nach dem 11. März begonnen hat. Aber es steht auch
noch die Indiction III dabei, die in V verwandelt werden müsste, um 827 zu ent-
Dr. S i c 1t e 1
350
Nr. 493 legen: „a. inc. dom. 826 ind. VI Lud. imp. a. XIII in ipso
anno quo filius ejus Lud. in Bauuarium uenit“, denn das klingt, als
wollte der Schreiber damit weniger eine Berechnung andeuten, als
ein nahe liegendes eben in 826 fallendes Ereigniss aufzeichnen.
Allerdings stimmen nun die ezählenden Quellen *) darin überein,
dass der Kaiser seinen Sohn im Herbst 825 nach Baiern geschickt
habe. Aber es ist sehr wohl möglich, dass nicht die erste Ankunft
im Lande, sondern irgend ein uns nicht überlieferter Act als Regie
rungsantritt angesehen und dass von letzterem aus, d. h. mehrere
Monate nach der Ankunft, die Jahre berechnet worden sind. Das
übereinstimmende Zeugniss der richtig angeordneten Diplome gibt
hier den Ausschlag.
Es würde demnach als die älteste auf uns gekommene Urkunde
B 723 vom 6. X. 830 und in Regensburg ausgestellt anzusehen sein;
denn an den drei übereinstimmenden Daten sollte man nicht rütteln 3 ).
Mit den Nachrichten von dem im Oclober zu Nimwegen versam
melten Reichstage 3 ) würde sich dies Datum wohl noch vertragen:
Ludwig wäre erst nach dem 6. October nach Nimwegen zu der
schon vor seiner Ankunft zusammengetretenen Reichsversammlung
aufgebrochen.
In die Zeit, in welcher Adalleod für Gauzbald unterfertigt, wer
den nun auch einige Diplomata spuria gesetzt. Zunächst B 726. Will
man auch hier das Aerenjahr als vom Abschreiber zugesetzt fallen
sprechen, und mit demselben Rechte könnte ein anderer a. imp. XII = ind. 111 = 825
als Verbesserung: vorschlagen und aus dieser Urkunde eine Epoche vor dem März
825 herleiten.
*) Ann. Einhardi, Vita Illud., Ann. S. Ruodb. in Mon. SS. 1, 214; 2, 629; 9, 770.
2 ) Böhmer nennt wegen der chronologischen Merkmale diese Urkunde zweifelhaft,
wenn sie überhaupt echt ist. Diesem Zweifel stimmt Waitz Verfassungsgeschichte
3, 434 bei. Aber ich finde nicht, dass jemand ausser den von den Daten hergeuom-
menen Verdachtsgründen andere angegeben hätte. Das Original ist zwar nicht erhal
ten, aber mit der Überlieferung steht es bei dieser und anderen Urkunden für Nieder-
altaich besser, als bisher bekannt geworden ist. In den Mon. Boicis sind die nicht im
Original erhaltenen Diplome für dieses Kloster aus dem Cod. Hermanni abbatis
saec. XIII. mitgetheilt. Aber es gibt viel ältere Abschriften. In Niederaltaich sind
nämlich auf der Rückseite mehrerer Originalurkunden kurze Zeit zuvor ertheilte
Diplome abgeschrieben. So finden sich auf der Rückseite von BO 1129 (K. Arnulf
897) Copien von Diplomen Karl’s des Grossen ß 196 und Ludwig’s des Deutschen
B 723 von einer Rand des X. Jahrhunderts. Die ZilFern unserer Urkunde in dieser
Abschrift stimmen nun ganz mit denen des Codex Hermanni überein.
s ) Ann. Berlin, in Mon. SS. 1, 424 und Thcgani v. Hlud. in 2, 598.
Beiträge zur Diplomatik. 351
lassen, so ergibt sich schon aus den Formeln I, II, dass diese Urkunde
nicht in dieser Kanzleiperiode, sondern erst nach 833 (s. S. 353)
ausgestellt sein kann. Aber auch der spätem Zeit entspricht die
Fassung des Datums nicht und Indiction XI ist, wie man auch die
Epochen ansetze, mit dem Regierungsjahr VII nicht in Einklang zu
bringen. — Noch weniger lässt sich von diplomatischem Stand-
puncte aus (in wiefern der Historiker auch aus einem anerkannt
fehlerhaften Diplome noch ein Zeugniss für die in demselben erwähn
ten Thatsachen entnehmen zu können glaubt, ist eine-ganz andere,
hier nicht zu erörternde Frage) die Urkunde in Mon. Boic. 31, 56
vertheidigen. Formel I und II sind falsch. Ein Notar Angelmar kommt
unter Ludwig dem Deutschen nicht vor *). Die Fassung von For
mel XII ist durchaus fehlerhaft: das Mondalter wird eben so wenig
als das Aerenjahr in Diplomen angegeben, die übrigen Daten stimmen
nicht. Indem die Herausgeber der Mon. Boic. dies alles zugestehen,
versuchen sie die Urkunde dadurch zu retten, dass sie sie für eine
Art Protokoll ausgeben. Aber wer hat bisher ein aus der königlichen
Kanzlei hervorgegangenes Protokoll nachgewiesen, an dessen For
mular wir dieses Stück messen könnten? Es hätte noch eher einen
Sinn die Urkunde für ein Placitum zu erklären. Ein solches ist uns
allerdings von diesem König auch nicht erhalten. Aber einiges was
in diesem Diplome anstössig ist, Hesse sich allenfalls aus der Form
der Placita, wie sie uns von Karl dem Grossen überliefert sind,
ableiten: Placita sind nicht mit dem Monogramm versehen, sind
vielfach von anderen Notaren ausgestellt, weichen auch in der Dati-
rungsformel zuweilen ab 3 ). Doch stehen auch dem Formel I und II
und die ganze Fassung entgegen, indem in Placiten eine ausführliche
Darstellung der Verhandlung gegeben wird. Somit ist diese Urkunde
unter keiner Voraussetzung zu vertheidigen 8 ).
Von Adalleod wird später noch die Rede sein. Über Gauzbald
sei gleich hier bemerkt 4 ), dass sein Name zuletzt in der Unterschrift
Ein Diacon Engilmar erscheint in ß 840 und in den letzten Jahren Ludwig’s wird
Engilmar Bischof von Passau: beide erscheinen aber nie in Verbindung mit der
Kanzlei. Noch weniger kann an Lothar’s Kanzler Agilmar von Vienne gedacht werden.
2 ) Siehe Placitum B 199 in Mabillon 512 und die dort hinzugefügte Bemerkung.
3 ) Über B 720 s. S. 394.
4 ) Es ist weder hier, noch wo später im Zusammenhang von dem Kanzleipersonal
gehandelt werden wird, meine Absicht möglichst vollständige Biographien über die
I
i
352
Dr. S i c k c 1
des Diploms vom 27. V. 833 vorkommt und der Nmne seines Nach
folgers Grimold zuerst in dem Diplome vom 19. X. 833. In den
Unterschriften wird ihm, der damals Abt von Niederaltaich war, nie
ein Titel beigelegt, dagegen nennt ihn der König im Text von B 723
„sacri palatii nostri summus capellanus“. Aus der Zeit nach 833 liegt,
obsehon er bis 8S5 lebte und mit dem Hofe in gutem Verhältnis
stand, keine Nachricht vor, dass er noch mit der*Kanzlei in Verbin
dung gewesen sei.
Adallcodus advlcem firimaldi 833 — 837 and einmal Adallcodus
advicem Radlcici 838.
Die wesentlich andere Stellung, die Ludwig der Deutsche seit
der Erhebung gegen den Vater 833 einnimmt, findet auch in einem
neuen Titel ihren Ausdruck und mit dem Titel wurden zugleich die
wesentlichsten Formeln der Urkunden geändert. Als Formel I wurde
für die ganze Folgezeit „in nomine sanctae et individuae trinitatis“
angenommen. Formel II lautet fortan „Hludouuicus diuina fauente
gratia“. Ich muss es dahin gestellt sein lassen, ob dies die aus
schliesslich richtige Fassung ist. Entschieden falsch sind dieFormelnll
in B 746: „diuina ordinante prouidentia rex“, in B 844: „propiciante
clementia dei rex“, inDronke 270: „diuina fauente clementia rex
Francorum et Longobardorum ac patricius Romanorum“, in Lacom-
blet 1, 37: „gratia dei rex“. Die Frage ist nur, oh auch „diuina fauente
clementia (oder providentia) rex“ zulässig ist, das sich, ausser in
einigen Urkunden mit auch sonst abweichenden Formeln, nur in
B 783, 811,819, Wirt. Urkundenbuch 1, 149, Erhard 1, 21 findet,
also sehr selten; es gilt die erste, zweite und vierte Urkunde, die
noch im Original erhalten sein sollen, genau zu untersuchen. In der
Datirungszeile wird fortan stehender Titel: „rex in orientali Francia“,
und dem entspricht es endlich, wenn die Kaiserjahre des Vaters
fortan nicht mehr erwähnt werden, sondern ausschliesslich nach
einzelnen Mitglieder der Kanzlei zu geben und ihre gesaminte politische, literarische
o.ler sonstige Thätigkeit darzustellen. Ein in der Gesamintliteratur dieser Zeit besser
IJewanderter bat diese Aufgabe zum Theil schon gelöst und wird sie in erschöpfender
Weise in nächster Zukunft lösen. Ich beschränke mich desshalb auf die Zusammen
stellung der Nachrichten, welche sich direct oder inilirect auf das Verhältniss der
einzelnen Personen zu der Kanzlei beziehen.
Beiträge zur Diplomatik.
3S3
Jahren der nun beginnenden neuen Regierung gezählt wird. Die
besondere Fassung dieser Zeile zeigt in den einzelnen Kanzlei
perioden einige kleine Abweichungen.
Dem speciellen Formular des Adalleod seit 833 gehört folgendes
an. Vor der Formel I unterlässt er auch jetzt das Chrismon zu setzen,
wendet es aber vor Formel XI an: B 728, BF 730, 733, BO 732,
736 — 738 <). Die Formeln III. IV. IX. behandelt Adalleod in dieser
Zeit mit grösserer Freiheit. Auf die letzte lässt er zuweilen noch
Tironische Noten folgen wie in B 732 (Kopp I, 394), in BO 735
(Kopp 1, 396), in BO 736; sie fehlen dagegen in BO 737, 738.
Für allein richtige Fassung von Formel X halte ich „signum (M) Hlud.
gloriosissimi regis“, wie in BF 730, BO 737, 738 3 ). Stets gleich
finde ich Formel XI: „Adalh diac. aduicem Grimaldi recognoui et
subscripsi“ 3 ) nebst Recognitionszeiehen mit Tironischen Noten, die
’n den mir bekannten Originalen genau mit denen von B 732 über-
einstimrnen, welche Kopp I, 394 erklärt. Als Beispiele für die
constante 4 ) Formel XII wähle ich BO 737: „data (VI Kid. mar.) anno
Christo propitio (quarto) regni domni hludouuici regis in orientali
Francia indict. (XV.) actum (Otingas pal. regio) in dei nomine feli-
eiter amen“. Es verdient besonders beachtet zu werden, dass Adalleod
in dieser Zeit die Zahl für das Regierungsjahr regelmässig in Buch
staben ausschreibt, was bis auf B 752 auch die alten Abschriften
und ireuen Drucke genau wiedergegeben haben.
Mit Ausnahme von B 752, das besser im Zusammenhang mit
anderen Diplomen zu besprechen ist, zeigen sich nun die von Adalleod
nach 833 ausgestellten Urkunden in den chronologischen Merkmalen
ebenso zuverlässig als die früheren, sobald das Gesetz der Datirung
richtig festgestellt wird. Ich gehe auch hier von der Beda’schen
Indiction aus. Ordnet man nach ihr die Diplome, so fällt gleich ein
bestimmtes arithmetisches Verbältniss auf, dass nämlich das Regie
rungsjahr = Indiction — 11 (oder = Indiction -)- 15 — 11) ist,
also ein paralleles Fortschreiten der Zahlen stattfindet. Und bei
1) Nicht angegeben ist es vor Fl. XI in Wirt. Urkundenbuch 1, 109 aus Original.
2 ) So gut Kleinmayr aus BO 738 fälschlich herauslas: s. domini glor. (M) Lud. regis,
nehme ich dies auch für B 734 an; in B 739 mag gloriosissimi vom Abschreiber aus
gelassen sein.
8 ) Denn recognovi mpra (wohl manu propria) in B 731 ist offenbar Lesefehler. #
4 ) Nur in B 732 Cop. ist regis ausgefallen.
Sitzh. (1. phil.-hist. CI. XXXVI. Bil. III. Hft. 24
354
Di*. S i c k e 1
weiterer Berücksichtigung der Monatstage ergibt sich, aus B 734
und Wirt. Urkundenhuch 1, 109, dass die Epoche des Regenten
jahres zwischen den 23. und 30. September fallen muss. Da wir nun
keine Nachricht haben, welche die Annahme des neuen Titels u. s. w.
an ein bestimmtes Datum knüpft, sondern nur wissen, dass die letzte
Urkunde nach älterem Formular vom 27. V. 833 ist und die erste
nach neuem Formular vom 19. X. 833, was vollständig zu den
Ereignissen des Sommers passt, so steht nichts dieser Epoche
zwischen dem 23. und 30. September im Wege. Und zieht man
endlich die auch unter den folgenden Kanzlern wiederkehrende
parallele Bewegung beider Zahlenreihen in Betracht, so wird es sehr
wahrscheinlich, dass das Kanzleipersonal selbst den 24. September
als Indictionsepoche, zugleich als Epoche jenes Jahres angesetzt hat.
Wie sich aber auch die Schreiber die Sache vorgestellt haben mögen,
für uns ergibt sich aus den zuverlässigen Zahlen des Adalleod folge
richtig nur die in die letzte Septemberwoche fallende Epoche, und
indem auch keine Urkunde der späteren Jahre engere Grenzen
angibt als die vom 23. — 30. September, können wir in allen Fällen
einen gleichzeitigen Wechsel der Indiction und der Regierungsjahre
am 24. September als Regel annehmen. Wie viel besser als nach
dem von Böhmer willkürlich angenommenen 29. Juni, sich viele
Urkunden nach diesem System einreihen lassen, wird sich später
zeigen 2 ).
Ober einzelne Diplome und ihre Setzung ist Folgendes zu
bemerken 3 ). Die im Wirt. Urkundenbuch I, 109 abgedruckte Urkunde
wird dort zu 30. IX. 836 gesetzt, was sehr wohl dazu passt, dass
im September 836 eine Reichsversammlung zu Worms stattfand, der
auch Ludwig der Deutsche beiwohnte 4 ). Aber es widerspricht auch
1 ) B 734 setze ich also zu 837. — Bei der Unzuverlässigkeit Kleinmayr’s bin ich
geneigt, statt Ohoberg, das ich nicht nachweisen kann, Oberberg zu lesen, ein Orts
name, der allerdings zu oft vorkommt, als dass sich ohne weitere Angabe bestimmen
Hesse, wohin dieses Oberberg zu verlegen sei.
2 ) Wie D uni ge in allen Fragen der Chronologie faselt, so auch hier: seine Behauptungen
bedürfen keiner Widerlegung.
3 ) Das Rundschreiben B 739 werde ich später im Zusammenhang mit ähnlichen Schrift
stücken besprechen.
4 ) Ann. Bertin. in Mon. SS. 1, 429 und Thegani vit. Hlud. in 2, 603; die Erzählung der
*vita Hlud. in 2, 640 11‘. ist hier zu verwirrt, um in Bezug auf die Zeitfolge in Betracht
zu kommen.
Beiträge zur Diplomatik.
355
nichts der Ansetzung nach obigem System zu 833: nach Thegan
befand sich Ludwig der Deutsche mit seinem Vater 833 in Lyon
und kehrte von dort nach dem Ostreich zurück; indem nun Ludwig
der Fromme nach B 438, 439 sich auf der Rückreise von Lyon
schon Ende August in Kiersy und am 10. September in Prüm befand,
kann auch der Sohn im September schon in Worms gewesen sein.
B 735 , ). — Die wesentlichen Formeln sind durchaus richtig,
und das seltsame Siegel mag, da die von den Herausgebern versuchte
Erklärung wohl niemand befriedigt, später um das echte verloren
gegangene zu ersetzen aufgeklebt sein: es kann dieser häufig
wiederkehrende Umstand keinen Verdacht begründen. Aber zweierlei
fällt bei dieser Urkunde auf: dass sie nicht mit königlicher Unter
schrift: versehen ist und dass ihre ganze Fassung von „propterea
praesentem auctoritatem . .“ an eine unter Ludwig dem Deutschen
ungewöhnliche ist. Beides hängt jedoch eng mit einander zusammen.
In B 733 liegt ein meines Wissens für diese Zeit einziges Beispiel
einer besondern Art von Urkunden, eines Schutzbriefes ohne Immu
nitätsrechte in älterer Fassung vor. Die gewöhnliche Annahme ist
allerdings, dass die Verleihung des Mundium schon alle oder mehrere
der Rechte, welche als Immunität zusammengefasst werden, in sich
begriffen habe 3 ). Aber aus einer Anzahl von Urkunden ergibt sich
ein anderes Verhältniss, nämlich dass die Mundeburdis zwar im
Vergleich zu der alle umfassenden Schirmgewalt einen besonderen
Schutz, aber an und für sich noch keine Sonderstellung in Bezug
auf Rechte gewährt. Der dem König besonders Empfohlene wird
häufiger und leichter als der in gar keiner näheren Beziehung zum
König stehende auch mit besonderen Rechten begnadigt werden,
und insofern folgt häufig auf die Gewähr des Mundiums die Ertheilung
gewisser Begünstigungen oder es wird wohl auch gleichzeitig und
durch ein und dasselbe Privilegium Mundium und Immunität verliehen,
ja seitdem die letztere fast allen Klöstern u. s. w. schon zu Theil
geworden ist, scheint im IX. Jahrhundert letztere sofort und ohne
vorausgegangenen Mundeburdebrief bewilligt worden zu sein, so dass
*) Statt des fehlerhaften Abdruckes in Mon. Boic. 11, 420 ist der in den historischen
Abhandlungen der haierischen Akademie der Wissenschaften 5, 309 zu benutzen, dem
auch ein Facsimile beigefiigt ist. Die Abhandlung des P. Greg. Geyer, die sich dort
findet und hauptsächlich von dem Siegel handelt, ist ganz werthlos.
2 ) So Waitz, deutsche Verfass. 2, 576. — Walter, Rechtsgeschichte, § 103.
24*
Dr. S i e k e 1
33G
Diplome, die nur den besonderen Königsschutz und nicht auch
zugleich Immunitätsrechte Zusagen, eine Seltenheit werden. Aber
an und für sich sind nach den Urkunden zwei Verhältnisse zu unter
scheiden, so dass sogar der Fall eintreten kann, dass zuerst Immu
nität oder wenigstens ein Theil von Sonderrechten verliehen wird
und dann nachträglich noch eine Schirmgewalt zugesichert wird.
Für alle hier unterschiedenen Fälle lassen sich Beispiele beibringen,
die um so mehr die Unterscheidung zwischen Schutzhrief und
Immunität anempfehlen, als sich auch in der Fassung und Beglau
bigung der betreffenden Urkunden ein bestimmter Unterschied nach-
weisen lässt *).
Als ältestes Beispiel gilt der Schutzbrief Childebert’s für das
Kloster Anisola 546 a _), als älteste Formel Marculf i, 24, der sehr
bezeichnend die emunitas (lib. 1, 3) voranstellt und erst später die
charta de mundeburde folgen lässt; zu weiterer Vergleichung mögen
der Schutzbrief Karl's des Grossen für den Presbyter Arnaldus 8 )
und für den Abt Anian B 151 herbeigezogen werden. In allen diesen
Stücken kehrt eine bestimmte Fassung wieder, die in ihrem wesent
lichsten Theil in B 151 lautet: „propterea has litteras . . . dedimus
per quas omnino iubemus, ut nullus quislibet de vobis neque de
juriioribus vestris (oder de junioribus aut suecessoribus) praedicto . .
nec rebus vel hominibus (oder hom. qui per eum sperare videnlur) . .
contangere nec inquietare aut contra rationis ordinem calumniam
generare non praesumatis, nisi cum omnibus rebus . . sub nostram
tuitionem valeant quieti vivere vel residere . . . et si aliquas causas
adversus eos . . surrexerint aut ortas fuerint quas in provincia absque
illorum gravi dispendio diffinire non potueritis, usque in nostra
praesentia reserventur, quatenus ante nos secundum legis ordinem
accipiant finitivam sententiam“. Nur in dem letzten Satz erscheint
als Ausfluss des besonderen Schirmverhältnisses ein positives Becht,
das aber weit entfernt von den Immunitätsrechten ist. In ganz ähn
licher Fassung erhielt Lorsch von Karl dem Grossen einen Schutz
brief und dann erst als eine neue Begünstigung ein Immunitäts-
D Auch Scliönemonn, Vorfluch eines Systems der Diplomatik, 2,290 hat diese Unter-
sclieidtmg aufgeslellt.
2 ) Brequig-ny, dipl., ed. nova (Pardessus) 1, 144.
s ) Trad. Sangall. p. 38.
I-
Beiträge zur Diplomatik. 30 T
diplom *)• Fälle, dass Mundium und Immunität in derselben Urkunde
verliehen werden, sind sehr häufig, und es findet dann in der
Fassung eine Mischung von Wendungen aus den Formularen beider
Urkundenarten Statt. So bewilligt Ludwig der Fromme dem Kloster
Ellwangen a ) die Aufnahme: „sub sermone tuitionis nostrae . . .
sub nostra defensione atque sub emunitatis nomine“: ebendaselbst
erinnert die Stelle: „nee aliquid exinde abstrahere . . contra rationis
ordinem“, welche nicht der Immunitätsformel eigenthümlich ist, an
die Fassung der Schutzbriefe. Deutlicher tritt die Mischung in dem
Diplome Ludwig des Deutschen BO 743 hervor, wo allerdings schon
Immunitätsrechte verliehen werden, aber die Worte: „neque uos
neque juniores aut successores uestri praesumatis“ 8 ) olfenbar dem
Formular eines Schutzbriefes entnommen sind. Wo, wie so häufig
geschah, ein Kloster durch Tradition des Besitzers in das Eigenihum
und das Mundium des Königs kam, mag zuweilen die Verleihung
von Immunitätsrechten, das heisst mehr als Schirmgewalt, die
Bedingung der Übertragung gewesen sein 4 ). Endlich kann einem
schon längst eximirten Kloster noch einmal besonderer Schutz
zugesagt werden: so erhielt Kempten von Ludwig dem Frommen
B 212 die schon von seinem Vater bewilligte Immunität in der
gewöhnlichen Fassung bestätigt und als es verarmte, wurden ihm
zwanzig Jahre später B 444 weitere Befreiungen und ausserdem
noch die besondere Mundeburdis des Kaisers zugesprochen 5 ).
Beachtet man nun, wie auch hei anderen Urkundenarten die
Kanzlei für jede derselben ein besonderes Formular aufstellt und an
Cod. Lauresh. 10 und 13. — Die Immunität ist B 46 vom Mai 772, der Schutzhrief
ist nicht datirt. Oh die Kanzlerunterschrift: Witingowo recognoui richtig ist und sich
durch sie das Jahr bestimmen lässt, kann ich nicht entscheiden. Wailly zählt diesen
Notar noch auf unter dem Kanzler Lulpert, der den ersten Regierungsjahren des
Königs angehört; Waitz 3, 427 scheint dagegen den Namen als unrichtig ans«
zuscheiden.
2 ) Wirt. Urkundenbuch, 1, 79.
3 ) Denn so steht im Original, wonach Wenck 3, 22 zu berichtigen. Ausführlicher wird
von diesem Diplome S. 369 gehandelt werden.
4 ) Ludwig der Deutsche B 788 für Rheinau: „(Woluene monasterium) ex iure et
potestate sua in ius et dominalionem nostram a t q u e munde b u r d i u m
o in n i a tradidit ea videlicet ratione, ut ab hac die et deinceps sub nostra
defensione et iminunitatis tuicione consistant“.
5 ) In den früheren Privilegien ist wenigstens von Mundium nicht die Rede, während es
in B 444 heisst: „complacuit celsifudini nostrae.. sub nostro mundeburdo et
defensione conslituere et ah omnibus functionibus i m m u n e m facere“.
I
a
358
Dr. S i c k e I
derartiger traditioneller Unterscheidung eine Zeit lang streng fest
hält, so kann man nicht umhin, auch in diesen Fällen aus der ver
schiedenen Fassung auf zwei von einander zu sondernde Kategorien
zu schliessen, deren jede wieder auf ein besonderes Verhältnis
hinweist, so dass wie Schutzbrief und Immunitätsdiplom sich im
Wortlaut unterscheiden, auch die Stellung eines in Mundium treten
den Klosters noch verschieden erscheint von der eines mit Immunität
begnadigten. Übergänge von einem Verhältnisse in das andere sind
dabei um so weniger ausgeschlossen, als auch in den Urkunden sich
eine Mischung aus den beiden Formularen nachweisen lässt.
Für einen blossen Schutzbrief in älterem Sinne und in älterer
Fassung ist nun ß 735 das einzige aus der Zeit Ludwig’s des
Deutschen auf uns gekommene Beispiel. In dem ersten Theil dieses
Diploms und in den Schlussformeln erkenne ich auch an dem gram-
maticalisch richtigem Styl die Conception eines Schreibers dieser
Zeit, während der zweite Theil offenbar aus der demKönig vorgelegten
Urkunde Karl’s des Grossen wörtlich und mit Beibehaltung aller
Sprachfehler abgeschrieben ist *)> s0 dass el ' m der Fassung genau
den früheren Schutzbriefen wie B 151 entspricht. Es hängt endlich
mit dem Inhalt und der sonstigen Fassung zusammen, dass B 735
nicht vom König unterschrieben und demgemäss das Handmal auch
in Formel IX nicht angekündigt ist. Zwar heisst es in der Formel
Marculf’s: „quam praeceptionem propria manu subscripsimus“ 2 );
aber nach den Schutzbriefen Karl’s des Grossen zu urtheilen, scheint
die Unterschrift nicht erforderlich gewesen zu sein. Und nur wo sich
an die Verleihung des Mundiums die besonderer Vorrechte anschliesst,
wird wie in den Immunitäten, die feierlichere Form der Bekräftigung
durch Siegel und Monogramm angewandt 3 ).
Nun ist es wohl nicht Zufall, dass aus Ludwig's des Deutschen
Zeit keine grössere Anzahl von Schutzbriefen in dem Sinne und der
*) Charakteristisch ist besonders: „non praesumatis, nisi liceat“ statt „sed liceat“; „et
si aliquas causas . . . o rtas fuerint . . . usque in presentia nostra sint suspensas
vel reservatas“ — so schreibt man nicht inehr in der Kanzlei Ludwig’s des
Deutschen.
2 ) Bei Marculf sind überhaupt die beiden Urkundenarten in der Fassung noch nicht so
streng geschieden: die unter den Merovingern an und für sich häufigere directe
Anrede ist auch in der emunitas regia noch beibehalten u. s. w.
3 ) Es gibt eine zu geringe Anzahl von aus Originalen stammenden Urkunden dieser
Kategorien, um mit Bestimmtheit entscheiden zu können. Ausnahmen von den oben
Hei träge zur Diplomatie.
359
Fassung der früheren Zeit auf uns gekommen ist. Denn die Sicherung,
welche ein solcher Brief Klöstern und Kirchen bot, wurde in noch
höherem Grade durch die nun häufiger gewordene Immunität gewährt,
so dass nur in vereinzelten Fällen, wie in B 444, nach der Immunität
noch besonderes Mundiurn zugesagt wurde. Andererseits kam nun
häufiger vor, dass die Gewährleistung des Güterbesitzes, wie sie in
den älteren Schutzbriefen inbegriffen ist, in anderer Form von dem
Könige ausgesprochen wurde: in Bestätigungsurkunden für den
gesummten Besitzstand. Als Beispiel möge B 787 für Salzburg dienen,
in einer sich allen anderen Urkundenarten anschliessenden Fassung,
in der nichts mehr an die besondere Stylisirung der Schutzbriefe
erinnert und in der sich auch die den letztem eigenthümlichen tech
nischen Ausdrücke „sub mundeburdis, sub seimione, sub nomine
regis“ u. dgl. nicht mehr finden. Diese neue Form mag die ältere
verdrängt haben. Jedoch wird auch hier die Unterscheidung zwischen
einfacher Bestätigung und Immunitätsverleihung insofern noch fest
gehalten, dass diese wohl jene einschliesst, aber jene gleich den
Schutzbriefen noch keine Art von Vorrechten verleiht. So erhält
eben Salzburg gleichzeitig die Bestätigungsurkunde B 737 und das
Immunitätsdiplom B 738, letzteres in der damals üblichen Fassung
und mit den in diese Urkunden übergegangenen Ausdrücken: „sub
defensione et immunitatis tuicioue“. ■
BO 730, ebenfalls ohne Monogramm, gibt mir Anlass die Frage,
inwiefern die königliche Unterschrift wesentliches Erforderniss der
Vollziehung eines Diploms ist, gleich noch weiter zu erörtern. Dass
das Fehlen dieser Formel X bei gewissen Urkunden Regel ist, ist
schon von anderen hervorgehoben worden; aber was die Diplomatiker
bisher über diesen Punct bemerkt haben, ist zu allgemein gehalten,
als dass sich daraus ein Anhalt für die Urkundenkritik gewinnen liesse ‘)-
aufgestellten Regeln würden sein: der Schutzbrief für Lorsch aus Copie mit nicht
angekiiudigtein und erst auf die Kanzlerunterschrift folgendem Monogramm, vielleicht
also erst von dem Abschreiber hinzugefügt, der das Recognitionszeichen so gedeutet
haben mag, und andererseits B 444 für Kempten Schutz- und Immunitätsdiplom aus
Original ohne Formel X und ohne Ankündigung derselben.
*) Z. B. Nouveau traite de dipl. 4, 041 und etwas ausführlicher 5, 21: Les mono
grames n’etaient pas indiferemment admis dans tous les diplomes royaux. Ils n’avaient
pas lieu dans les mandats, jugements et arrets ou le roi parloit. Ils etaient rares,
quand les diplomes portoient les signes ou les souscriptions des grnnds ou des
prelats; mais ordinaires, quand ils n’etaient que eoutresignes par des notaires ou des
360
Dr. S i e k e I
Es ist zunächst festzuhalten, dass hier weniger das Vorhanden
sein oder Fehlen der Formel X entscheidet, als der Umstand ob sie
in Formel IX angekündigt wird oder nicht. Ich kenne kein Original
diplom, in dem Formel X angekündigt und nicht gesetzt wäre, und
dass Abschreiber sie trotz der Ankündigung ausgelassen haben, kann
nicht massgebend sein. Andererseits gibt es allerdings einige Bei
spiele, dass ohne vorausgegangene Ankündigung das Monogramm
beigefügt ist: B 739, 827, 846, 847 — aber dies sind lauter Fälle,
in denen der Regel nach Formel X nicht erwartet werden kann, bei
denen es also als eine leere Formalilät erscheint, dass die königliche
Unterschrift hinzugesetzt ist.
Wesentliches Erforderniss der Vollziehung ist nun die Unter
schrift bei allen Urkunden, in denen der König Immunität verleiht
oder bestätigt, von seinem Eigen schenkt oder tauscht, von fisca-
lischen Leistungen befreit oder fiscalische Rechte überträgt ‘).
Dagegen unterbleibt in der Regel die Bekräftigung durch das Mono
gramm, wie wir sahen in Schutzbriefen, ferner in Rundschreiben,
Freilassungsbriefen und solchen Urkunden, in denen Rechtsgeschäfte
dritter Personen, die dazu nicht besonderer Licenz des Königs
bedürfen, bestätigt werden 2 ). Von mehreren dieser Gruppen wird
im weitern Verlaufe zu handeln sein (siehe S. 380). Beispiele von
Freilassungsbriefen sind ß 816 und Züricher Mittheilungen 8, Bei
lage p. 9; dass in dem gleichen Brief in Mon. Boic. 31, 72 die
Unterschrift doch hinzugefügt wird, hat seinen Grund in der dem
Freigelassenen zugleich gemachten Schenkung. — Wenn der König
Rechtsgeschäfte Dritter, welche dieselben abzuschliessen gesetzlich
befugt sind, bestätigt, so thut er dies offenbar lediglich in seiner
Eigenschaft als Schirmherr: wie er einen Gesammtbesitz durch einen
chanceliers. — Über die Benennung der Unterschrift und des Monogramms in For
mel IX siehe Nouveau traite 4, 644 ff.
*) Ausnahmen unter Ludwig dem Deutschen sind nur: Neugart 1, 294 Tausch des
Königs mit dem Presbyter Otulf, und Wirt. Urkundenhuch 1, 149 Tausch zwischen
seiner Tochter und Reichenau, bei dem der König dem Kloster von seinem Eigen
gibt. — Die an die Stelle der früheren Schutzbriefe tretenden Bestätigungsurkunden
für den Gesammtbesitz sind auch mit dem Monogramm versehen.
2 ) Unter den anderen Karolingischen Fürsten sind noch die Placita hieher zu zählen,
wie unter Karl dem Grossen B 1S4, 191, 201 u. s. w., für die es ein besonderes For
mular gibt. Da von Ludwig dem Deutschen kein Placilum erhalten ist, ühergehe ich
liier das Formular dieser Urkundenart.
Beiträge zur Diplomatik.
361
Schutzbrief in besonderes Mundium nehmen kann, so kann auch ein
einzelner neu erworbener Besitz durch eine solche Bestätigungs
urkunde unter Königsschutz gestellt werden. Wie nun in jenen
Schutzbriefen, so wird auch in den Bestätigungsurlainden dieser
Art die Unterschrift des Königs nicht erfordert. Dahin gehören z. B.
die Bestätigungen von Precarieverträgen B 722, 779, 783, 785, alle
ohne Formel X; denn die Verleihung von Kirchengut als Precarie
ist längst gesetzlich geregelt und die königliche Bestätigung hat
daher nur den Zweck, wie es in B 722 heisst: „ut firmius et quietius
absque alicujus contrarietate ipsas res tenere et possidere valerent“.
Es verhält sich ebenso mit B 809 und 842, in denen Schenkungen
dritter Personen bestätigt werden >).
Darf man nun auch die Bestätigungen von Tauschverträgen zu
den Diplomen zählen, in denen die Unterschrift nicht Erforderniss
ist? Es sprechen dafür B 731, 736, 748, 824, die nicht mit Mono
gramm versehen sind und in denen die zumeist sich wiederholende
Formel III: „si enim ea quae fideles regni nostri pro eorum opor-
tunitatibus inter se commutaverint, nostris confirmamus aedictis,
regiam exercere consuetudinem et hoc in postmodum jure
firmissimo mansurum esse volumus“ 2 ), so wie die weitere
gleichfalls ziemlich constante Fassung nur denselben Gedanken aus
sprechen, den wir in den Bestätigungen von Precarien fanden, dass
die königliche Bestätigung grössere Sicherheit gewähren soll. Andere
Beispiele sprechen dagegen. Bei einigen der letzteren liegt wohl die
Erklärung für die Bekräftigung der Urkunde durch das Monogramm
nahe, wie wenn in B 766 für den durch Tausch erworbenen Besitz zu
gleich Immunität verliehen wird. Bei anderen Tauschbestätigungen ist
dies nicht der Fall, so dass nur die Frage sein kann, ob etwa in Bezug
auf das bestätigte Tauschgeschäft selbst noch ein Unterschied besteht,
der den Unterschied in der Beglaubigungsform begründen könne.
Es ist schon von Haeberlin bemerkt 8 ), dass der Tausch
vertrag in Deutschland erst seit der Mitte des IX. Jahrhunderts
Dass in der Traditionsbestäligung B 808 das Monogramm angekündigt und gesetzt
wird, mag seinen Grnnd darin haben, dass der König zugleich über die Verwendung
der neuen Erwerbung verfügt.
Schon die Kanzlei der Vorgänger gebraucht diese Formel, z. B. B 333; Mon. Boic
31, 34. 63 u. s. w.
3 J Systematische Bearbeitung der in Me i c h e 1 b e c k’s Hist. Frising. enthaltenen Urkun
den 41 IT. — Dasselbe stellt sich bei Durchsicht anderer Urkumlensaunnlungen heraus.
362
Dr. S i e k e I
häufiger wird, dass aber die Bestätigungen nicht im Verhältniss zu
den Tauschurkunden zunehmen. Der letztere Umstand möchte sieh,
wenigstens für die Zeit Ludwig’s des Deutschen, daraus erklären,
dass das Recht zu tauschen nach mehreren Seiten hin beschränkt
erscheint und dass die königliche Bestätigung nur in gewissen Fällen
eintrat, nämlich in denen, in welchen das Recht gütige Tausch
verträge einzugehen noch bestritten oder zweifelhaft war. Solche
Beschränkung muss man voraussetzen, wenn sich der Erzbischof von
Salzburg (B 762 und in ganz gleicher Fassung B 763 für Passau)
bewilligen lässt „ut sibi liceret a viris nobilibus eorem res
proprias et maneipia cum rebus ecclesiae . . commutare“. Noch
lehrreicher ist die Lorscher Urkunde B 7S4, in der dem Abt eben
falls gestattet wird mit Edlen zu tauschen: „in mancipiis et territoriis
usque ad mansos tres licentiam habeant; si vero plus fuerit
ad commutandum, ad nostram interrogatio nem veniat“. Ver
gleicht man damit die grosse Anzahl von Tauschverträgen mit den
Kirchen seit etwa 840, so leuchtet es ein, dass die hier aufgehobene
Beschränkung sich nicht auf das Recht der Kirchen, sondern auf
das Verfügungsrecht der andern Partei bezieht: dass die Edelleute
ohne königliche Einwilligung nicht tauschen sollten. Entweder mochte
nun zu Gunsten einzelner Kirchen eine allgemeine Erlaubniss ertheilt
werden oder in speciellen Fällen eine ausdrückliche Licenz. Dazu
fügt es sich wohl, dass in den uns vorliegenden Bestätigungen
Ludwig’s des Deutschen die andere tauschende Partei als Grafen,
Hofbeamte oder Lehensleute des Königs *) und dass in den meisten
Fällen der Tausch als „per nostram licentiam“ vollzogen bezeichnet
wird. Vielfach wird in den Diplomen auch die Eigenschaft des
Tauschobjects angegeben, ln B 748 gibt Graf Hessi hin: „de rebus
berieficii sui quod proprietas regis erat“ und erhält dafür andere
Besitzungen „ad partes regis tenendum“. Dagegen tauscht in B 786
der Schenk Wippo „de rebus proprietatis suae“ u. s. w. Aber von
diesem zweifachen Unterschied (besondere Erwähnung der Erlaubniss
oder Nichterwähnen, Lehen oder Eigen) scheint der Unterschied in
der Vollziehungsform der Urkunden nicht bedingt gewesen zu sein;
denn in B 824 ist der Licenz gedacht, in B 736 nicht und doch fehlt
Nur in B 731 ist der Personalstand desHagilo nicht angegeben: „ex suo proprio . . •
quicquid ibidem ex beueficio regis habere visus esl“.
Beiträge zur Diplomatik.
363
beiden die Unterschrift, in B 786 wird Eigen, in B 84S Lehensgat
getauscht und beide sind mit des Königs Handmal versehen u. s. w.
Auch entscheidet hier nicht, welche Kirche als tauschende Partei
auftritt; denn in der St. Gallener Urkunde B 843 ist das Monogramm
angekündigt und gesetzt, in B 846, 847 für dasselbe Kloster ist es
nicht angekündigt, aber doch beigefügt !)■ Es ergibt sich also in
Bezug auf die diplomatische Form der Bestätigungen von Tausch
verträgen nur, dass die Beglaubigung durch Unterschrift nicht
wesentliches Erforderniss war, daher bald stattfindet, bald unter
bleibt. Im Übrigen hat offenbar auch für diese Urkundenart ein schon
aus früherer Zeit überliefertes Formular vorzulegen. Ihm entspricht
auch das Salzburger Diplom B 736, von dem ich hier ausgegangen
bin: eine specielle Bestätigung, während vierzehn Jahre später in
B 762 dieser Kirche eine Generallicenz mit Edlen zu tauschen
gewährt wurde.
Für B 752 lagen dem Verfasser der Begesten nur die von
Schaten mitgetheilten Daten vor; nach Erhard lauten sie in der
Abschrift, in der die Urkunde überliefert ist: „data XVIIII Kal. jan.
a. christo propitio VII regni d. Hlud. in Orient. Francia ind. IIII actum
Bosbah villa etc.“, d. h. Ziffern, von denen die eine oder andere
verbessert werden muss, um die chronologischen Merkmale in Ein
klang zu bringen. Wir haben zwischen 14. Dec. a. r. VII == ind. III
= 839 und a. r. VIII = ind. IV = 840 zu wählen. Der Ausstellungs
ort, der in einer Ottonischen Urkunde von 963 B 289 als curtis
regia in pago Hassorum bezeichnet wird, liegt nördlich von Frankfurt
unweit Friedberg. Nach den dürftigen Nachrichten über diese Jahre
erscheint der König sowohl Anfang 840, als Anfang 841 in Frank
furt und es steht nichts im Wege auch schon für Ende 839 und
Ende 840 einen Aufenthalt in dieser Gegend anzunehmen 2 ). Somit
entscheidet allein der Umstand, dass wie wir später sehen werden,
Ludwig sich am 10. December 840 in Paderborn befand, also schwer-
Auch aus den Benennungen, die sich die Diplome selbst geben, lässt sich kein Ein-
theilungsgrund gewinnen, zumeist heissen sie schlechthin auctoritas, in anderen Fällen
auctoritas confirmationis, jussionis, concesiionis.
2 ) Allerdings sagen die Aun. Fuld. zu 840: „Hludowieus . . per Alamanmnm facto
itinere venit ad Franconofurt“, aber so genau unterscheidet der Annalist die Zeiten
nicht, dass wir nicht den Aufbruch aus Alemannien in den Winter 839 setzen könnten.
Es ist sogar wahrscheinlicher, dass Ludwig* der Deutsche nach dem im Spätsommer
erfolg ten Rückzuge seines Vaters möglichst schnell nach Franken zurückgekehrt ist.
364
J)r. Sichel
lieh vier Tage später schon in Rossbacli sein konnte. Ich setze die
Urkunde demgemäss zu 839 als die letzte, die Adalleod und als die
einzige die er anstatt Radleic unterfertigt hat.
Die Unterschrift Adalleodus aduicem Grimaldi findet sich nun
noch in B 775. In der ersten Form, in der dieses Diplom von
La Guille aus einer Abschrift des Zaberner Archivs (von Bouquet
wohl nur nachgedruckt) und vonSchöpflin aus derselben Abschrift
bekannt gegeben wurde, machte es wegen der chronologischen
Merkmale: „a. r. XXIII ind. IIII“ Schwierigkeiten; denn im Jahre 856,
zu welchem die Urkunde gesetzt werden musste, hatte Ludwig der
Deutsche nicht über den Eisass geherrscht. Schöpf!in glaubte
allerdings einen Ausweg gefunden zu haben: er erklärte dass sich
die hier verliehene Immunität auf die im ostfränkischen Reich
gelegenen Besitzungen der Strassburger Kirche beziehe und dass
sie in dieser Beschränkung von Ludwig dem Deutschen habe ertheilt
werden müssen. Fälle der Art liegen in der That vor, wie dass der
ostfränkische König in B 815 dem Kloster St. Denis ein Diplom für
dessen alemannische Besitzungen gibt. Aber der Wortlaut von
B 775 lässt diese Deutung nicht zu, indem es von der früheren
zur Bestätigung vorgelegten Immunität ausdrücklich heisst, dass sie
für die Gesammtbesitzungen der Strassburger Kirche „tarn infra
civitatem quam foras“ verliehen sei. — Da veröffentlichte Gran
didier die Urkunde wieder aus derselben Copie in Zabern und
versicherte, die Ziffern lauteten ganz anders, nämlich „a. r. VIII
ind. IV“. Das ergab 841 und mit dieser angeblichen Verbesserung
wurde nun das Diplom sofort als Zeugniss dafür benutzt, dass sich
der Bischof von Strassburg in dem Kampf der Brüder auf die Seite
Ludwig’s gegen Lothar gestellt habe <). Es ist wahr, dass die
Urkunde ihrem Hauptinhalte nach für 841 möglich wäre, dass sie
auch in das Itinerar passen würde. Aber ich kann mich des Gedankens
nicht erwehren, dass wir es hier nur mit einer willkürlichen Correctur
Grandidier’s zu thun haben, die eben diese Möglichkeit bezweckte.
La Guille's und namentlich Schoepflin's Zeugniss gilt mir
mehr a ). Es kommt dazu, dass bei genauerer Betrachtung sich noch
*) Grandidier, Histoire de l’eglise de Strasbourg-2, 1S3.
2 J Uin so mehr, da sich Grandidier auch andere Verbesserungen erlaubt hat. In den
Beiträge zur Diplomatik.
3Öä
einige Anstände ergeben. Dass Adalleod möglicher Weise noch bis
841 in der Kanzlei gewesen sei, lässt sich nicht bestreiten, aber
nach B 752 seit 839 oder sicherer nach B 750, 751 seit 840 ist
Badleic und nicht Grimald Vorsteher der Kanzlei und erscheint als
solcher ununterbrochen mehr als zehn Jahre hindurch. Ferner
weicht Formel X (s. domni Hlud. serenissimi regis) von der
unter Adalleod gebräuchlichen Fassung ab und in Formel XII wird
ein seinem Formular fremdes serenissimi eingeschaltet. Ich verwerfe
desshalb diese Urkunde sowohl für 841 als für 856.
Endlich begegnen wir in einer Achner Urkunde einmal der
Unterschrift Adalecdus (oder Adalerdus) aduieem Grinaldi. Quix
hat dies Stück zu 852 gesetzt, während La com bl et es Ludwig
dem Frommen zugeschrieben hat *). Offenbar haben wir hier an
Adalleodus aduieem Grimaldi zu denken. Aber Formel II und XII sind
entschieden falsch. Die beiden Jahresangaben lassen sich in keiner
Weise in Übereinstimmung bringen, indem die von Quix angenom
mene Begierungsepoche vom Tode des Kaisers an der Kanzlei ganz
fremd ist. Endlich gehört Kloster Inden, für welches das Diplom
ausgestellt ist, vor 870 nicht zum Beich Ludwig’s des Deutschen,
ein Umstand der durch die von Quix erfundene Mitregentschaft im
Reich nicht beseitigt wird.
Adalleod erscheint also bis zum Jahr 839 2 ) unter Gauzbald,
Grimald und Radleie in der Kanzlei, stets mit dem Titel diaconus.
Das ist das einzige, w r as wir von ihm wissen. Den Namen in dieser
oder in der deutschen Form Edilleoz treffen wir allerdings häufig in
bairischen und alemannischen Urkunden an, aber ich finde nirgends
eine Beziehung der gleichnamigen Personen zu dem Diacon.
quiddam conferimus et necessitates ecelesiasticas . . . imperiali tuemur munimine
infra ditionem imperii nostri“ und später „et nostro fideliter parere im per io“.
An den zwei letzten Stellen lässt sich Imperium sehr gut verlheidigen und aus unver
fänglichen Urkunden belegen. Aber „imperiali munimine“ wäre auffallend. Gran
didier nun kommt der Kritik zuvor und setzt „regali munimine“ u. s. w.
1 ) Quix, Geschichte der Stadt Aachen 1, 2b und Cod. dipl. Aquensis Nr. 84.— Lacom-
blet, Urkundenbuch für Geschichte des Niederrheins 1, 37. — Die Urkunde unter
Ludwig den Frommen zu setzen ist ebenso unrichtig wegen Formel II, XI, XII.
2 ) Oder falls jemand doch vorziehen sollte B 7ö2 zu 840 zu setzen, bis 840. Wie ich
ß 7b2 einreihe, hätte nach den uns bekannten Diplomen Adalleod allein als Schreiber
fungirt und wäre ihm Dominio nachgefolgt. Im andern Fall dagegen hätten in dem
letzten Jahr Adalleod und Dominic gleichzeitig der Kanzlei angehört.
366
Dr. S i c k e 1
Dominicas notnrius advicem ltndlcici 840 — 841.
Nur drei Urkunden B 750, 751, 740 tragen diese Unterschrift.
Nachdem für B750 Erhard ans dem Original die richtige IndietionIV
angegeben und dieselben Ziffern für das an gleichem Ort, an gleichem
Monatstag und von gleichem Notar ausgestellte B 751 vorgeschlagen
hat, sind die drei Urkunden offenbar nebeneinander zu 840 und 841
zu setzen; doch macht die bestimmte Anordnung derselben noch
Schwierigkeiten.
Ich schicke voraus dass an der Echtheit dieser Diplome nicht
zu zweifeln ist. Das Formular des Dominic ist dem des Adalleod ganz
gleich. Nur hinsichtlich des Chrismon scheint er nach B 750 zu
schliessen darin abzuweichen, dass er dasselbe vor Formel I und XI
setzt. In B 750 fällt allerdings eine besondere Stylisirung auf, die aber
ebenso wie Formel III in B 740 nur beweist, dass sich Dominic in der
Abfassung des Contextes freier bewegt als seine Amtsgenossen *).
Die Echtheit sehe ich bei diesem Stück besonders durch die an
Formel IX anschliessenden Tironischen Noten verbürgt, die von
Erhard allerdings ungenau nachgezeichnet sind, aber leicht berich
tigt werden können, nämlich:
A \— i 3 ^ 7
d. h. Ratleicus suam aduicem scribere jussit 2 ). — BO 740 verräth
einen wenig geübten Schreiber, trägt aber alle Kennzeichen der
Echtheit an sich; die Eigenthümliehkeit, dass das Siegel von einem
ausgezackten Metallring umschlossen .wird, kehrt fast bei allen Nieder-
altaicher Urkunden dieses und der folgenden Jahrhunderte wieder:
diese Ringe sind offenbar in späterer Zeit zur besseren Erhaltung
der Wachssiegel angelegt worden.
In Bezug auf die Datirurig entsteht nun die Hauptschwierigkeit
dadurch, dass die Zahlen von ß 750 und 740 aus den Originalen
mitgetheilt sind und beide die gleiche Abweichung von der bisher
üblichen Rechnung aufweisen: wir haben es also offenbar nicht mit
1 ) Auch in B 751 lautet die Arenga , wie sie Schaten mittheilt, absonderlich und ist
zum Theile sogar sinnlos. Ich halte den Abdruck für ungenau und würde nach einer
häufig wiederkehrenden Formel verbessern: „si de rebus terrenis quas diuina sumus
largitate consecuti loeis sanctorum propter amorein dei“.
2) Siehe Ko pp Pal. crit. I. § 135, 119, 93, 260, 137, 415 und 11, pag. 329, 191.
Beiträge zur Diplomatik.
367
einem Schreibfehler *), sondern mit besonderer Berechnung des
Dominic zu thun. Erhard’s Vorschlag B 750 (und 751 von gleichem
Tage) zu 841 zu setzen, verwerfeich schon desshalb, weil dann
sowohl die Indiction als das Regierungsjahr verbessert werden
müssten. Es scheint mir nur die Frage sein zu können, ob man die
Angabe für die Indiction oder die für das Regierungsjahr als mass
gebend betrachten soll, und ich entscheide mich in allen solchen
Fällen für das erstere. Allerdings w'eiss ich dann keine Erklärung
dafür zu geben, wesshalb Dominic das Jahr um eine Einheit zu
niedrig ansetzt: VII statt VIII. Aber das Ergebniss würde sich gut
in die allerdings dürftigen Itinerarangaben der Annales Fuldenses
fügen: am 10. XII. 840 würde Ludwig in Paderborn und 841 nach
der Schlacht bei Fontenaille und auf dem Wege nach Salz ») am
18. VIII in Heilbronn gewesen sein.
Über die Person des Notars Dominicus habe ich keinen Auf
schluss gefunden; denn der unbestimmte Ausdruck „cuidam pres-
bytero nomine Dominieo“ in der Schenkungsurkunde B 747 kann
wohl nicht auf einen am Hofe bediensteten und bekannten Mann
bezogen werden.
Comcatus adviccm Ratlcici (später advicem Grimaldi) 843 — 854.
(— 8581)
Formel I und II lauten wie bei den Vorgängern; vor jene pflegt
Comeat noch die monogrammatische Invocation zu setzen 3 ). Der
Wortlaut Yon Formel IX wechselt, sehr oft 4 ) folgen auf ihn Tiro
nische Noten, fehlen aber auch in unzweifelhaft echten Urkunden 5 ).
In BO 762 lauten diese Noten: „domnus Ludouicus fieri iussit et
Ratleicus magister scribere precepit“; ähnlich in den anderen Urkun
den. In Formel X wird jetzt zumeist „domni“ eingeschaltet (ohne
diesen Zusatz sind B 744, 746) und zwischen den Beiwörtern
„gloriosissimi“ und „serenissimi“ gewechselt. Das Handmal wird nach
1 ) B 750 hat „septimo“, wie bei Adalleod in Buchstaben ; BO 740 hat dagegen die Ziffer VII.
2 ) »Quasi mediante niense Augusto“ in den Ann. Fuld. würde dann als in der zweiten
Hälfte des Monats zu nehmen sein.
s ) So in allen von mir eingesehenen Originalen. — Unter den in den Mon. Boie. 28
abgedruckten Urkunden ist nur hei B 744, 766, 767, das Chrismon nicht angegeben.
4 ) ln BO 743 (2 Urkunden von gleichem Tage), 744, 743, 759, 762, 766. Die Erklärung
gibt Kopp, 1, 401 — 407.
5 ) Wie in BO 767; hei Erhard 1, 15 ist wenigstens vom Herausgeber nichts bemerkt.
368
Dr. S i o k e l
„signum domni“ oder gleich nach „signum“ gesetzt. Der Formel XI
wird das Chrismon vor und das Recognitionszeichen naehgesetzt.
Die Tironischen Noten des letztem wiederholen zumeist genau die
Worte der Formel XI; etwas abweichend enthalten sie in BO 745:
„recognoui et scripsi“ und in BO 746 nur „recognoui“. Anordnung
und Fassung von Formel XII sind wie früher, nur dass häutig dem
Namen des Königs noch die Beiwörter „serenissimi“ oder „gloriosis-
simi“ beigefügt werden.
Comeatus ist ausser aus den Unterschriften, in denen er sich
stets notarius nennt, nicht bekannt.
Dasselbe gilt (denn von dem fleissigen Reichenauer Bücher
schreiber desselben Namens, der schon 846 stirbt, ist er natürlich
zu unterscheiden) von des Comeatus Amtsgenossen:
Iteginbertus advicem Ratleici 845 — 852,
der sich in den ersten Jahren subdiaconus nennt, dann ohne jeden
Titel erscheint, endlich seit 851 in ß 760, 765 als diaconus auftritt.
Wie Reginbert und Comeat zu gleicher Zeit in der Kanzlei
fungiren, so haben sie auch ein gemeinsames Formular. An einem
eigenthümlich gestalteten Chrismon, wie es BF 763 abgebildet ist
(ganz gleich BO 767, 760), werden sich die meisten *) von Regin
bert geschriebenen Urkunden erkennen lassen. In der Darstellung
der Tironischen Noten erlaubt er sich manche Abweichung von dem
überlieferten Schriftsystem (BO 747 und 760) oder unterlässt es
wohl auch sie im Recognitionszeichen zu setzen (BO 753, 767);
dass Ko pp Unrecht hat, desshalb 767 und 760 zu verwerfen, wird
im weiteren Verlauf dieser Beiträge nachgewiesen werden.
Im Allgemeinen beruhen auch bei Comeat und Reginbert die
chronologischen Angaben auf derselben Grundlage wie bei Adalleod,
nur dass Reginbert dieselben mit grosser Nachlässigkeit behandelt.
Ohne Schwierigkeit lassen sich B 743 zu 843, ß 746, 744, 746,
748 zu 844, B 749, 747 zu 846, B 758 zu 849, Erhard 1, 15 zu
851, B 763, 765 zu 852, B 766, 767, 769 zu 853, B 771 und
Wiener Sitzungsberichte 14, 161 zu 854 einreihen, indem auch
hier der 24. September 833 als Epoche anzunehmen ist, also das
i) Von einfacherer Gestalt ist es in BO 747; in beiden Fällen ist das Tironische „amen*
(Ko pp 2, 22) deutlich zu erkennen.
Beiträge zur Diplomatik.
369
Regierungsjahr stets lim 11 kleiner ist, als Indictionszahl + 13 oder
Indictionszahl + 30. In den anderen Diplomen dieser Kanzleiperiode
herrscht dagegen mehr oder minder Verwirrung. Zunächst ist fest
zustellen, dass Reginbert unzweifelhaft Rechenfehler begangen hat.
In BO (Wien) 733, in dem keine Spur von späterer Correctur wahr
zunehmen ist, steht: „anno regni XIV, ind. VIII“, während XII und
VIII, oder XIIII und X zu erwarten wäre. Eben so wenig können die
Ziffern in BO 737, 760 in Einklang gebracht werden. Ja wir ver
mögen bei Reginbert nicht einmal die Indiction als massgebend zu
betrachten, da die dem Ausstellungsort nach offenbar zusammen
gehörigen B 733 mit a. r. XV und ind. IX ') und die Verdener
Urkunde in Pertz’s Probedruck p. 3 mit a. r. XV und ind. XII eben
in der Indiction differiren. Indem nun B 733 nur zu 848 passt, muss
bei diesem Schreiber ausnahmsweise das Regierungsjahr als Norm
angenommen werden und nach ihm, unter Berücksichtigung des
Itinerars und des Inhalts, die Einreihung der Urkunden erfolgen, ln
denselben Jahren sind nun auch in den von Comeat unterschriebenen
B 791, 734, 739, BO 762 die Ziffern nicht in Ordnung, so dass
auch diese Nummern nur nach dem Itinerar und dem Inhalt versuchs
weise angesetzt werden können. Die Begründung der von mir
angenommen,en Daten wird sich aus der Besprechung der einzelnen
Urkunden ergeben.
BO 743 und die im Anhang aus dem Original mitgetheilte
Urkunde, die ich BO 743 a bezeichne. — Es ist sehr lehrreich beide
an einem Tage ausgestellte Diplome in Bezug auf ihre äusseren und
inneren Merkmale zu vergleichen. Die Gleichheit desLinienschema's,
der verlängerten und Textschrift, des monogrammatischen und des
Recognitionszeichens, die gleiche Anwendung von Tironischen Noten:
alles beweist dass beide Urkunden von derselben Hand geschrieben
sind. Es lässt sich somit genau feststellen, wie weit bei gleicher
Hand die Conformität in Gestalt und Zug der Buchstaben geht und
inwieweit innerhalb dieser Conformität doch einzelne Abweichungen
Vorkommen. Die Tironischen Noten am Schluss der Formel IX in B 743
hat schon Ko pp erklärt 2 ) : „dornnus Ludouicus ipse sapientissimus rex
Unter den Verbesserungen zu dein Abdruck in Würdtwein, welche in der Zeitschrift
für Geschichte des Oberrheins 11, 6 gegeben werden, findet sich keine, welche die
Ziffern berührt.
2 ) Pal. crit. 1, 406.
Sitzh. d. phil.-hist. CI. XXXVI. Bd. III. Hft.
25
370
Di*. S i c k e 1
fieri jussit et Ratleicus magister scribere praecepit“. In der zweiten
vielfach zerrissenen Urkunde lässt sieh nur noch erkennen: „dom-
nus —leicus magister scribere praecepit“. Im Recognitionszeichen
enthalten beide Diplome dieselben Tironischen Noten: „Comeatus
notarius advicem Radleici recognovi et subscripsi“. Es sind also auch
dieselben Personen an der Ausstellung der Urkunden betheiligt und
wie wir später sehen werden, ist der recognoscirende Notar zugleich
auch der Concipient beider gewesen. Daraus lässt sich weiter ent
nehmen, wie weit die Freiheit der Conception in denjenigen Formeln
ging, die nicht unabänderlich durch däs Formular vorgeschrieben
waren. Die letzteren, nämlich I, II, X, XI sind hier wie sonst ganz
gleich; in Formel XII wenigstens die Anordnung. Dagegen setzt in
Formel XII der Schreiber einmal ein Ehrenbeiwort und lässt es in dem
andern Fall aus. Und Formel 111, IV, IX drücken zwar denselben Gedan
ken aus, aber in ganz freier, daher von einander abweichender Weise.
Indem beide Urkunden alle Kennzeichen der Vollziehung (Strich
im Handmal, Recognitionszeichen und Siegel tragen, ist jeder
Gedanke dass eine der Urkunden etwa nur Entwurf oder nicht
vollzogene oder nach der Vollziehung verworfene Redaction oder
gar eine Fälschung sei, ausgeschlossen: sie sind beide in bester
Form und vollgiltig ausgestellte Originaldiplome. Es drängt sich
daher die Frage auf, wesshalb die Kanzlei in diesem Falle, wo es
sich doch um einen Complex gleichartiger Rechte zu handeln scheint,
der sonst in eine Urkunde zusammengefasst zu werden pflegt, zwei
gesonderte Urkunden ausgefertigt hat. Die Antwort ergibt sich aus
der Vergleichung mit den früheren Diplomen für Uersfeld.
In BO 63 s ) hatte Karl der Grosse das ihm tradirte Kloster von
der gräflichen und bis zu einem gewissen Grade von der bischöflichen
Gewalt eximirt und ihm die freie Abtswahl zugestanden.
Ganz abgesehen von der schlechten Stylisirung der Urkunde,
die sie mit allen Urkunden dieser ersten Jahre Karl’s gemein hat,
fällt an ihr auf, dass sie sich zwar in den Eingangs- und Schluss
formeln dem damals bestehenden Formular der Kanzlei anschliesst,
in dem Haupttheil aber von allen sonst üblichen Fassungen abweicht
*) 0. h. B 743 a war mit Siegel versehen, dasselbe ist jetzt nicht mehr erhalten.
2 ) Im Abdruck bei Wenck 3, G ist zu verbessern: z. 3 haireulfisfelt, z. 8 sub nostram
tudicionem, z. 21 spiritaliter elegere voluerint, z. 34 cariciaco.
Beitrage zur Diplomatik.
37t
und zwar, weil in ihm zweierlei mit einander vermengt wird: privi-
legium und emunitas. Vergleichen wir damit die drei ersten Formeln
Marculf’s, die sich schon durch ihre Überschriften kennzeichnen:
1. de privilegio, 2. concessio regis ad hoc privilegium, 3: emunitate
regia. Diese Reihenfolge entspricht ganz dem gewöhnlichen Vor
gänge; denn in der Regel werden einem Kloster die auf die kirch
lichen Verhältnisse bezüglichen Vorrechte durch bischöfliches oder
päpstliches Privilegium verliehen = Marc. 1, 1, der König gibt nur
seine Zustimmung dazu = Marc. 1,2, und fügt eventuell eine
Immunität hinzu, d. h. Vorrechte weltlicher Art = Marc. 1, 3. Ganz
in dieser Weise fanden die Verleihungen für Fulda Statt. Rei Hersfeld
dagegen scheint kein päpstliches Privilegium vorausgegangen zu
sein, denn einer damals vorliegenden Rulle hätte wohl Karl gedacht,
und was Voelkel für eine Originalbulle hielt (Jaffe sp. 31S), ist
ein späteres Machwerk. Karl der Grosse hat vielmehr hier wie in
einigen anderen Fällen aus eigener Autorität die kirchliche Stellung
von Hersfeld geordnet: in diesem Sinne nennt sich auch R 63 selbst
ein privilegium.
Als das Kloster nun Ludwig den Frommen um Bestätigung
seiner Gerechtsame hat, wurden offenbar beide Verleihungen getrennt
und wurde für jede derselben eine besondere Urkunde ausgestellt.
Die emunitas dieses Kaisers wird in ß 743 ausdrücklich als Vorlage
genannt, ist aber nicht bis auf uns gekommen, denn B 207, das man
als solches ansehen könnte, ist aus inneren und äusseren Gründen als
falsch zu verwerfen *)• Dagegen liegt uns in BO 331 (F in Kopp's
Nachlass) Ludwig’s Bestätigung des in B 63 mitenthaltenen Privi
legiums noch vor und zwar in gut stylisirter, die Verhältnisse klar
bezeichnender Fassung: dem Kloster wird die freie Abtswahl vor
behaltlich der kaiserlichen Bestätigung zugesprochen; die bischöfliche
Gewalt über Hersfeld wird auf die im canonischen Recht enthaltenen
Bestimmungen beschränkt und sowohl den weltlichen als den kirch
lichen Beamten wird untersagt irgend welche Leistungen von dem
Kloster zu beanspruchen. Dies zuletzt genannte Recht bildet nun
aber den geringsten Theil der in der Immunität, wie sie damals den
*) Den Schriftzügen nach ist das von mir in Kassel eingesehene angebliche Original
(F in Kopp Pal. crit.) nicht vor dem X. Jahrhundert angefertigt. Wie im echten
B 63, werden auch in dieser Fälschung Immunität und kirchliche Vorrechte vermengt,
aber im Interesse des Klosters erweitert,
2ö
372
Dr. Sichel
meisten Reichsabteien schon verliehen wurde, inbegriffenen Rechte,
und insofern bedurfte B 331 einer Ergänzung durch eine ausführ
liche Emunitätsurkunde, durch jenes uns nicht überliefertes Diplom.
In gleicher Weise hat die Kanzlei Ludwig's des Deutschen
beide Verleihungen getrennt. Wie schon gesagt wurde, gibt ß 743
sich selbst für eine Bestätigung einer emunitäs Ludwig’s des From
men aus. Dem entspricht es, dass in diesem Diplome die Sonder
stellung der Abtei gegenüber Mainz gar nicht erwähnt wird; ebenso
wenig das Recht der Abtswahl. Nur die weltlichen Verhältnisse
werden durch dieses Diplom geordnet und zwar im Allgemeinen in
der für Immunitätsdiplome üblichen Fassung, die aber mit einzelnen
dem Formular für Schutzbriefe entnommenen Wendungen vermischt
ist. — B 743 a dagegen beruft sich ausdrücklich auf ein dem König
vorgelegtes Privilegium und scldiesst sich in seinem Wortlaut genau
der Privilegiumsbestätigung Ludwig’s des Frommen B 331 an.
Es ist hier der Ort näher darzulegen, in welcher Weise die
Kanzlei bestätigende Urkunden den zur Bestätigung vorgelegten
nachgebildet hat. Zwar haben einige Diplomatiker, wie z. B. Bou
quet, Diplome beanstandet, weil sie als wörtliche Wiederholungen
demselben Kloster u. s. w. früher verliehener Urkunden erscheinen.
Aber es lässt sich vielmehr, so lange die Karolinger herrschten, als
vorwiegender Gebrauch der Kanzlei feststellen, dass die Urkunden,
insoweit sie sich auf die Bestätigung schon zuvor verbriefter Ver
hältnisse beschränkten, den früheren Urkunden möglichst genau
nachgeschrieben wurden. Als sehr schlagenden Beleg wähle ich hier
die Reihenfolge der für Fulda ausgestellten Immunitäten *); ähnliche
Gruppen lassen sich mit Leichtigkeit aus fast jeder Urkundensamm
lung zusammenstellen.
Die älteste auf uns gekommene Immunität für Fulda ertheilte
Karl der Grosse B 60 in einer sich streng an Marculf 1, 3 anschlies-
An den linmunitätsdiplomen lässt sich das Verhältniss am besten nachweisen. Doch
bemerke ich ausdrücklich, dass ich hier nur die Fassung- der Urkunden und zwar
in den ein und demselben Kloster verliehenen Urkunden in Betracht ziehe, daher
zwei sich daran anknüpfende Fragen hier unberücksichtigt lasse. Die Frage zu beant
worten, was sich aus der Gleichheit oder Fortbildung der Immunitätsformeln für die
Entwickelung des Immunitätsverhältnisses folgern lässt, überlasse ich den Rechts
historikern. Dagegen wird, wie sich die Fassung des einem Kloster verliehenen
Diploms verhält zu der Fassung der Urkunden für ein anderes Kloster, dessen Immu
nität dem ersteren verliehen wird, später von mir erörtert werden.
Beiträge zur Diplomatik.
373
senden Redaction. An demselben Tage verlieh der König dem Kloster
in einer zweiten Urkunde das Recht der freien Abtswahl (Dronke
Nr. 47). Unter Ludwig dem Frommen nun fand keine Berufung auf
die Verleihungen des Vorgängers Statt, sondern der Aht bat, dem
Kloster ein Schutz- und Immunitätsdiplom auszustellen, wie es den
anderen Klöstern des Reiches gewährt wurde. Es entspricht dem
dass die Fassung der Urkunde Ludwig’s BO 273 im Vergleich zu
B 60 durchaus selbsländig ist. Die Kanzlei dieses Kaisers hat über
haupt ein besonderes Formular für die Immunitätsverleihungen auf
gestellt, das zwar in der Sache und speciell in der Aufzählung der
den Klöstern übertragenen Rechte nichts Neues enthält, nicht mehr
als schon Marculf 1, 4 angibt, aber doch in dem eigenthümlichen
und dann ziemlich stetig festgehaltenen Wortlaut als neue stylistische
Arbeit betrachtet werden muss. An und für sich schliesst nun die
Immunität die freie Abtswahl keineswegs in sich, so dass auch häufig
jene ohne diese zugestanden wird, aber bei den Abteien, die sich
schon beider Vorrechte erfreuen, war es doch bereits Regel gewor
den, beide in ein und derselben Urkunde zu verleihen oder zu
bestätigen. Insofern erhielt also das Formular für Immunitätsverlei
hung einen weitern auf die Abtswahl bezüglichen Zusatz in ebenfalls
constanter Fassung. Und nach diesem erweiterten Formular, das in
den Diplomen fast aller mit beiden Vorrechten ausgestatteten Klöstern
wiederkehrt, ist auch die Fuldaer Urkunde BO 273 concipirt 1 )-
Die zunächst folgende Urkunde Ludwig’s des Deutschen B 730
a. 834 beruft sich auf B 273 und schliesst sich demselben in den
Formeln für die Immunitätsrechte und die Verleihung der freien
Abtswahl ziemlich genau an, ist aber sowohl in Formel III und IV,
als in der Einleitung des Contextes frei stylisirt. Die von der kaiser
lichen Kanzlei Lothar’s 841 ausgestellte Bestätigung B 370 ist
dagegen, soweit nur möglich, eine wörtliche Wiederholung von
B 273: es weichen nur ab die dem speciellen Formular Lothar’s
*) Dronke, cod. dipl. Fuld. Xr. 322 spricht von einer doppelten Ausfertigung A lind B.
Aber nur A (F in Schannat vind. tab. A) ist Original. B ist eine sich schon durch die
Unsicherheit des Zugs verrathende Nachahmung, in der jedoch das Recognitions-
zeichen und die Tironischen Noten (bis auf die Auslassung des Tironischen sa im
Namen Helisacar) sehr geschickt nachgezeichnet sind. Endlich sah ich in Fulda noch
ein drittes Stück gleichen Inhalts, eine Abschrift, die gleichfalls das Original nach
ahmen will, aber sehr schlecht ausgefallen ist und auch ein falsches Siegel trägt.
374
Dr. Sicke!
entnommenen Formeln 1, II, X, XI, XII und der erzählende Theil
der Einteilung; aber Formeln III, IV, IX und der Context von „cujus
petitioni“ an sind einfach abgeschrieben.
Für die weiteren Bestätigungen wurde nun ein Jahrhundert
hindurch die Fassung von B 730 Muster. Ihm sind die weiteren
Königsurkunden in derselben Weise nachgebildet, wie die Kaiser
urkunde B 570 der Kaiserurkunde B 275, d. h. mit Ausnahme der
den einzelnen Fürsten speciell angehörenden Formeln II, X und zum
Theil XII, ferner mit Ausnahme der dem einzelnen Kanzler ent
sprechenden Formel XI, endlich mit Ausnahme der erzählenden
Einleitung lauten alle Diplome vollständig gleich, namentlich auch
in den Formeln III, IV und IX, deren Conception sonst dem freien
Ermessen des Schreibers überlassen bleibt. Was die ganz mecha
nische Art des Abschreibens noch besser beweist, sind die dabei
hie und da untergelaufenen und dann von den nachfolgenden Schrei
bern wiederholten Fehler. Aus dem Satze von B 730: „in ecclesias
uillas loca uel agros seu reliquas possessiones quas . . . possidet“
Iiess Wolfher, der Schreiber von B 886, die Worte „seu reliquas“
aus, und so fehlen sie denn auch in den Bestätigungen Karl's des
Dicken, Dronke Nr. 622, Arnulfs B 1026 und 1095 (die letztere
nämlich für den neuen Abt Huoki), Konrad’s B 1236 *). Ebenso,
nachdem der Schreiber der Urkunden Karl's des Dicken die noch in
B 886 befindlichen Worte „libenter accomodavimus“ übersehen hatte,
ohne welche der betreffende Satz nicht abgeschlossen und geradezu
unverständlich ist, werden sie auch in den nachfolgenden Bestätigun
gen ausgelassen.
Anden allmählichen Wandlungen der Verhältnisse fand allerdings
dieserBrauch seine Schranken: wenn neue Rechte erworben oder ältere
erweitert wurden, wurde es nothwendig die bestätigende Urkunde mit
neuem Zusatz zu versehen (wie die Fuldaer Urkunde B 1236) oder
neben dem einfach wiederholenden Diplom noch ein zweites auszu
stellen oder endlich die überlieferte Fassung ganz aufzugeben und
durch eineandere den neuen Verhältnissen entsprechende zu ersetzen.
An einigen Beispielen mag noch der Nutzen dargethan werden,
der sich aus der Zusammenstellung von Urkundengruppen dieser
t) Dasselbe gilt auch von der Urkunde Ludwig’s des Kindes, Dronke Nr*646, die
aber nur in sehr schlechter Abschrift überliefert ist.
Beiträge zur Diplomatik.
375
Art ziehen lässt. BO 743 a ist stellenweise zerrissen und vermodert,
so dass ganze Sätze ergänzt werden müssen. Indem nun was erhalten
ist, sich als wortgetreue Abschrift von BO 331 ergibt 1 ), lassen
sich die Lücken aus der letzteren Urkunde mit aller Sicherheit
ausfüllen. In gleicher Weise lassen sich verderbte Stellen der
Abschriften aus besser überlieferten sei es früheren oder späteren
Diplomen derselben Gruppe wiederherstellen. Zuweilen ergibt sich
die Erklärung für unverständliche Ausdrücke der Originale aus der
einfachen Vergleichung mit vorausgegangenen und als Muster
gebrauchten Urkunden. So haben sich die Herausgeber bisher
vergebens bemüht, eine Stelle in dem Diplome Konrad's für Seben
B 1261 in befriedigender Weise zu verbessern 3 ). Sie lautet im
Original: „addidimus etiamsirie hoc nostri uigoris solid amen tum
vt . . . eidem aecclesiae id ipsum in omnibus emendatione digna
restituat“ und wird hinlänglich erklärt durch die entsprechende
Stelle von BO 1225, das als Vorlage gedient hat: „addidimus etiam
sine hoc nostri uigoris so 1 idamento vt . . . id ipsum in omnibus
emendando restituat“: d. h. der Schreiber von B 1225 hat hier statt
praeter sine mit dem ihm zukommenden Casus gebraucht, der
Schreiber von B 1261 wiederholt das sine, fügt aber den dem
praeter entsprechenden Casus hinzu. Auch ohne die Originale ein
zusehen, hätte man diese Erklärung durch Vergleichung des Abdrucks
von B 1225 bei Resch geben können.
Endlich werden manche kritische Bedenken beseitigt werden,
wenn man die Beeinflussung des Styls durch derartige Nachbildung
in Anschlag bringt. Die eben genannlen Sebener Diplome lassen sich
A ) Um an dem einen Beispiele die möglichst getreue Nachbildung zu veranschaulichen,
habe ich in den Noten zu meinem Abdruck von B 743 a alle Abweichungen von BO 331,
die nicht blos orthographisch sind, vermerkt. Unter den letzteren ist bezeichnend,
dass in B 743 a gesetzt „ist o. f. s. d. e. cognoscat industria“ statt des „cognoscite“ in
BO 331. Ein neuer Beweis, dass die den Schreibern Ludwig’s des Frommen noch
ziemlich geläufige zweite Person in der Kanzlei Ludwig’s des Deutschen möglichst
vermieden und nur noch in gewissen Schriftstücken gebraucht wurde. So ist sie in
B 743 a trotz der sonst genauen Nachbildung durch die dritte Person ersetzt worden,
in B 743 dagegen, dessen Fassung auch noch andere den Schutzbriefen eigenthiimliche
Wendungen aufweist, noch beibehalten worden.
2 ) Resch, ann. Sabion. 2, 373: „addimus etiam sive hoc . . solidamentnm ut . . id
ipsum omnibus emendatione digna restituat“. Böhmer, acta Conr. 30: „addimus etiam
per hoc solidamentum ut. . . id ipsum cum emendatione digna restituat“; von Waitz
in der historischen Zeitschrift 1860, 441, mit Recht beanstandet.
376
Dr. S i c k e 1
noch weiter zurückführen (mit Ausnahme des Zusatzes addidimus etc.)
auf die Urkunde Ludwig’s des Deutschen BO 753. Dass nun in
dieser vorkommt: „infra ditionem imperii nostri . . . nostro parere
imperio . . . pro incolumitate totius imperii nostri exorare“ ist
jedesfalls anstössig. Indem aber die ganze Fassung verräth, dass
dieses Stück einem Diplom Ludwig’s des Frommen oder wenigstens
dem von den Kanzlern des Kaisers aufgestelltem Immunitätsformular
nachgebildet ist, erklärt sich die Aufnahme dieser ungehörigen
Ausdrücke durch gedankenloses Copiren i).
Ja es kommt vor, dass sich die Nachbildung des Musters sogar
auf solche Formeln erstreckt, die sonst als unveränderlich bezeichnet
werden müssen, dass z. B. die Anrufung, welche dem Formular des
bestätigenden Fürsten eigenthümiich ist, durch die der Vorlage
entnommene Anrufung verdrängt wird. So wird an und für sich jede
Arnulfinische Urkunde, welche von der üblichen Fassung der For
mel I: „in nomine sanctae et indiuiduae trinitatis“ abweieht, Verdacht
erregen, und doch gibt es mehrere unzweifelhaft echte Diplome
dieses Königs für das einst der Linie Lothar's, dann dem westfrän
kischen Geschlecht unterworfene Gebiet, welche Formel I in anderer
Fassung enthalten, weil die ganzen Urkunden bis auf die aller-
nothwendigsten Abänderungen älteren Urkunden nachgeschrieben
sind. Man vergleiche die Prümer Diplome Ludwig’s des Frommen
und Lothar's B 380 a. 82G, Lothar’s II. B 686 a. 856, Ludwig’s des
Stammlers B 1831 a. 878 und Arnulfs B 1040 a. 888: die eine ist
der andern nachgeschrieben, B 686 und 1831 jedoch so, dass
Formel I dem speciellen Formular des bestätigenden Königs entnom
men ist, während in dem Arnulfinischen B 1040 auch die Invocation
aus B 380 wiederholt ist a ). Man ginge zu weit, wenn man aus
diesem allerdings anstössigenUmstande sofort auf Fälschung schliessen
wollte. Wenn durch den wesentlichen Inhalt und dessen Fassung die
Nachbildung bezeugt wird, muss man auf das eine und andere dem
*) ln den nachfolgenden Diplomen für Sehen ist dann richtig regni 11. s. w. gesetzt.
2 ) Beyer, Urkundenbnch für den Mittelrhein, hat desshalb bei den späteren Urkunden
die gleichlautenden Stellen gar nicht wieder abgedruckt, sondern auf Nr. 57 = B 380
verwiesen. Hontheim dagegen druckte alle diese Diplome vollständig ab. Die
dabei vorkommenden Felder in einer Urkunde nun lassen sich sehr wohl aus den
anderen verbessern. So ist in B 1831 statt „nullus judex predictus“ zu setzen „n. j.
publicus“, in B 1040 ist wie in B 1831 zu lesen: „ad causas judiciario more
audiendas“ u. s. w.
Beiträge zur Diplomatik.
377
Formular des betreffenden Fürsten zu entnehmende Kriterium ver
zichten, wird aber doch noch in anderen äusseren und inneren Merk
malen genug Anhalt finden, um über die Echtheit zu entscheiden.
Die Fortsetzung dieser Beiträge wird noch oft Gelegenheit darbieten,
ähnliche Fälle anzuführen und zu untersuchen. —
Wir müssen noch einmal zu den beiden Hersfelder Urkunden
zurückkehren. Sie sind im Kloster selbst und wie die übereinstim
menden chronologischen Merkmale besagen, am 31. X. 843 aus
gestellt. Wie verträgt sich damit, wms die aus Hersfelder Aufzeich
nungen entstandenen Annalen in Mon. G. h. 5, 46 — 47 erzählen?
Die zwei ausführlichsten Redactionen enthalten nämlich unter dem
Jahre 845:
Lamberti Aun.
845. Ludowicus venit ad He-
rolfesfelt 2 Kal. Novembris et
privilegia monachis dedit suoque
sigillo munivit. Monachi quoque
eiusdem Herveldensis monasterii
reconciliati sunt cum Otgario ar-
chiepiscopo de decimis frugum et
porcorum ex terra Thuringorum
per fideles legatos domni Ludo-
wici augusti, episcopos scilicet
et praesides.
Für die Vereinbarung mit Mainz wird uns das Jahr 845 noch
durch eine bei Wenck hess. Urkundenbuch 2, 24 abgedruckte notitia
bestätigt, und indem die Annalen von Hildesheim auf die Erzäh
lung von dieser Ausgleichung die von der Anwesenheit des Königs
am 31. October in Uersfeld folgen lassen, kann nach dieser Redac
tion die letztere nur auf 845 bezogen werden. Wie steht es aber
mit der Überlieferung dieser Nachrichten? Wenn auch zwischen
der ersten offenbar in Ostertafeln eingeschalteten Aufzeichnung und
dem Codex saec. X., in dem die nicht mehr an Ostertafeln gebun
denen Hildesheimer Annalen vorliegen, kein Mittelglied nachweisbar
ist, so erklärt sich schon bei einmaliger Übertragung die Verwirrung
der Notizen. Et eodem anno Ludowicus . . . kann sich sehr wohl
ursprünglich an die Bemerkung zu 843: hoc anno facta est pax . .
Ann. lüldesheim.
845. hoc anno monachi de
Herolfesfelde cum Otgario epis-
copo reconciliati sunt, et eodem
anno Ludowicus imperator ad
idem monasterium venit in 2. Kal.
Novembris, et privilegia et mu-
nitates monachis donavit et si
gillo munivit.
378
Dr. Sick e I
angeschlossen haben. Vermuthlich liegt aber eine Abschrift dazwi
schen, aus der die schon in ihr vollzogene Verschiebung der Nach
richten in alle uns erhaltenen Redactionen, auch in die noch am
Rande von Ostertafeln eingetragenen Weissenburger Annalen über
gegangen ist. Jedesfalls berechtigt uns hier das unzweifelhafte
Datum der Urkunden den scheinbaren Widerspruch durch Änderung
der Anoi'dnung in den Jahrzeitbüchern zu lösen und unter 843 den
Friedenschluss der Brüder und die Anwesenheit Ludwig's in Hersfeld
anzusetzen J ), die Vereinbarung mit Mainz dagegen jener notitia
entsprechend bei 845 stehen zu lassen.
B 741, dessen Formel XI zu emendiren ist: aduicem Ratleici,
kann nicht nach der Indiction V zu 9. I. 842 gesetzt werden, weil
Humbert, der Vorgänger des hier erwähnten Bischofs von Würzburg
Gauzbald erst am 9. III. 842 stirbt 2 ). Es ist also von dem Regie
rungsjahre auszugehen und mit Umänderung der Indiction in VII. 844
anzunehmen, wozu der Ausstellungsort Frankfurt passt; denn nach
ß 743 ist Ludwig im Spätherbst 843 in Hersfeld und nach ß 744
im April 844 in Regensburg. In dieselbe Zeit versetze ich dann die
zweite Urkunde für Würzhurg R 745, in der 3 ) nur die Indiction
VII von erster Hand herrührt, während III. non. jul. a. ehr. prop. XIII
regni auf späterer Correctur beruht; es ist statt dessen wegen der
wahrscheinlichen Zusammengehörigkeit beider Diplome wieder her
zustellen: III. non. jan. a. XL In der Redaction des unbestreitbar
echten B 745 fällt auf, dass auf das sehr speciell dargelegte
Gesuch der nach der Regel zu erwartende Satz: „quorum petitioni
assensum praebentes hoc praeceptum fieri jussimus“ nicht folgt, son
dern sich unmittelbar an die Erzählung des Gesuches die Formel IX
anschliesst.
Um zu begründen, wesshalb ich B 791 zu demselben Jahre
844 setze, muss ich hier zunächst von den königlichen Briefen han
deln. — B 836 nämlich gibt uns einen willkommenen Aufschluss
über die Art und Weise, wie Gunstbezeigungen, welche Ausnahmen
von dem allgemein gütigen Rechte bildeten, zur Kenntniss der
Erst unmittelbar zuvor kann Ludwig in sein Reich zuriiekgekehrt sein; denn noch
am 14. October ist er in Kiersy und setzt dort dem Diplom KaiTs des Kahlen
B lo4i> seine Unterschrift bei.
z ) Ann. Wirzib. in Mon. SS. 2, 241.
s ) Ko pp, Pal. crit. 1, 40d.
Beitrage zur Diplomatik.
379
Behörden gebracht wurden. Wie der König hier seinem Sohne
schreibt: „abbati nostro (s. Galli) . . nostrae auctoritatis praeceptum
fieri jussimus et manu propria rohoravimus“; nämlich ein praeceptum,
in welchem dem Kloster die Begünstigung eines besonderen Rechts
verfahrens, deren sich auch schon andere Klöster erfreuten, zuge
standen wurde. Durch mehrere 4 ) Rundschreiben nun wurden die
betreffenden Beamten von dieser Entscheidung in Kenntniss gesetzt
und in eindringlicher Weise derselben nachzukommen aufgefordert.
Es ist also hier und wahrscheinlich in allen ähnlichen Fällen ein
mit Monogramm versehenes Diplom 2 ) für den Begnadigten ausgefer
tigt und daneben sind besondere Bekanntmachungen in Form von
Briefen erlassen. Von den letzteren sind aber nur wenige bis auf
uns gekommen: aus Ludwig’s Zeit kenne ich nur noch B 739 und
791, beide Zollbegünstigungen für Kempten betreffend.
*) Neugart, 1, 383 druckt das speciell an des Königs Sohn Karl gerichtete Rund
schreiben ab, bemerkt aber in der Note, dass in der Haller’schen Sammlung ein
ziemlich gleichlautendes Schreiben über denselben Gegenstand an die Grafen Ato
und Odelrich gerichtet erhalten ist.
2 ) Was für die folgenden Jahrhunderte möglich ist, die Schriftstücke nach den in
ihnen seihst vorkommenden Namen zu bezeichnen, lässt sich für die Karolinger
Zeit nicht durchführen. Denn es ist verhältnissmässig selten, dass die Kanzlei
die speciellen Bezeichnungen: emunitas, commutatio, complacilatio u. s. w. anwen
det; zumeist heissen alle Stücke ohne Unterschied auctoritas, praeceptum, con-
scriptio, litterae, apices u. s. w. Wir müssen also uns selbst die technischen
Ausdrücke schaffen. Wenn man nun häufig für die Vorrechte gewährenden Urkunden,
die es hier zunächst auszuscheiden gilt, das Wort „Privilegium“ gebraucht, so
spricht dagegen die specielle Bedeutung, die demselben bis zum Ende des IX. Jahr
hunderts in den Diplomen selbst beigelegt wird: privilegium bedeutet damals in
erster Linie im Gegensatz zu praeceptum eine päpstliche Bulle (Pipin, B 3; Lud
wig der Fromme bei Dronke 233; Ludwig der Deutsche B 839 u. s. w. — Cf. auch
Dronke, trad. praef. 5 die von Eberhard gemachte Unterscheidung: „privilegia
apostolicorum“ und „praecepta regum“), in zweiter Linie, wie wir zuvor sahen,
eine die kirchlichen Verhältnisse betreffende Königsurkunde. Desshalb bezeichne ich
jene Kategorie lieber mit dem allgemeinem, auch die Schenkungen u. dgl. umfas
senden Namen Diplom. Zwar hat das Alterthum darunter gerade Schriftstücke minder
wichtigen Inhalts verstanden und das Mittelalter dies Wort gar nicht gebraucht.
Für mich ist das entscheidende, dass die ersten, welche sich mit der wissen
schaftlichen Betrachtung der Urkunden befassten und zunächst diese Classe in
Betracht zogen, für sie die Benennung Diplom aufbrachten. Den Diplomen stelle
ich dann die Briefe gegenüber. Diese Unterscheidung lässt sich im Allgemeinen für
alle Jahrhunderte durchführen, für die Schriftstücke der königlichen wie für die der
päpstlichen Kanzlei; ob sich aber überall scharfe Grenzen zwischen beiden Classen
ziehen lassen, mag ich noch nicht entscheiden.
380
Dr. S i c k e 1
Königlicheßi'iefe können natürlich des verschiedensten Inhalts *)
sein; was sie von den Diplomen unterscheidet, ist die Bestimmung
und die besondere Fassung 3 ). Sie haben mit den Diplomen nur die
Formeln I. II. XI. XII und zum Theil IX gemein. Formel III scheint
regelmässig unterdrückt zu werden. In Formel IV werden die Namen
der Adressaten (inscriptio) vorangestellt, an welche sich bei vertrau
licherem Verhältniss ein Gruss anscldiesst, dann in jedem Falle eine
Veröffentlichungsformel. Die Empfänger werden in der in Diplomen
dieser Zeit nicht mehr gebräuchlichen 3 ) zweiten Person angeredet,
und zwar der Sohn des Königs noch im Singular, während dem
einzelnen Bischöfe schon in Marculf 1, 6 das vos beigelegt wird.
Die vertraulicheren Briefe schliessen mit einem Gruss ab. Dagegen
wird in den an Untergebene gerichteten der Inhalt zuweilen noch
mals als Befehl eingeschärft und dem Ungehorsamen gedroht, zur
Bechenschaft gezogen zu werden. In allen Fällen schliesst der Con-
text mit Formel IX ab, d. h. nur Ankündigung des Siegels: denn
Unterschrift und Handmal den Briefen beizufügen, scheint nicht
Brauch gewesen zu sein 4 ). Es folgen dann endlich wie in den
Diplomen Formel XI und XII.
Diesem Briefformulare entspricht nun aufs Genaueste B 791,
so dass gegen die Fassung nichts einzuwenden ist. Was gegen die
ses Stück vorgebracht worden ist, beschränkt sich auf die chronolo
gischen Merkmale, welche 8o9 ergeben würden, d. h. ein Jahr, in
welchem die drei in dem Briefe genannten Personen nicht mehr am
Leben sind 5 ). Meichelbeck’s Versuch 6 ) mit Beibehaltung der
Ziffer für das Regentenjahr (die Indiction hat er nicht gekannt oder
doch nicht berücksichtigt), die Urkunden dadurch möglich zu machen,
*_) Zum Vergleich wegen der Fassung hei ganz verschiedenem Inhalt mögen dienen:
aus Marculf 1, 6. 8. 9* Weisung, Ernennung, Beglaubigung; von Karl dem Grossen
der Erlass in Mon. LL. 1, 81 und die Zollbefreiung B 111; von Lothar Empfeh-
lungs- und Geleitsschreiben in Mon. SS. 2, 677. — Dass der an lelzterm Orte
mitgetheiltc Brief an den Papst nach besonderem Formular verfasst ist, bedarf
keiner weiteren Erklärung.
2 ) Nur um der analogen Fassung willen habe ich auch von den chartae de mundehurde
die Benennung Schutzbrief gebraucht.
3 ) Siehe die Bemerkungen zu B 733 und 743.
4 ) B. 739 ex cartulario saec. XI hat jedoch signum (M) Iliudouici regis, aber ohne
Ankündigung in Formel IX.
5 ) Siehe Anmerkungen zu Mon. Boic. 31, 93.
6 ) Hist. Frising. 1, 127.
Beiträge zur Diplomatik.
381
dass er von der Epoche von 826 ausgeht, scheitert einfach daran,
dass diese Epoche nach 833 nicht mehr angewandt wird. Aber wie
die neuesten Herausgeber bemerken, ist ja die ganze Datirungszeile
von späterer Hand geschrieben: wir können sie also ganz verwerfen
oder doch nach Umständen verbessern *). leb entscheide mich für
das letztere und setze: „data XVI Kal. mai. anno ehr. prop. XI regni
d. Hlud. regis in or. Francia ind. VII actum Reganesburc pal. nostro
i. d. n. f. a.“ Es fallen dann alle aus den Angaben über die Personen
abgeleiteten Bedenken, und der Brief fügt sich durchaus in das
durch B 744 festgestellte Ilinerar.
BO 746 fällt auf den ersten Anblick sehr auf, indem der Con-
text bis adsignari jussimus nicht in de? von der Kanzlei gebrauchten
diplomatischen Schrift, sondern in der gewöhnlichen Handschriften
minuskel des IX. Jahrhunderts geschrieben ist. Die Urkunde ist
nichts desto weniger echt, sei es, dass in diesem Falle ausnahms
weise das Concept der Kanzlei gleich für die Originalausfertigung
verwandt ist, sei es, dass ebenso ausnahmsweise in Verhinderung
des Kanzleisehreibers die Ausfertigung einem mit der Diplomschrift
nicht vertrauten Schreiber übertragen worden ist. Ihre Beglaubigung
besteht darin, dass die verlängerte Schrift für Formel X und XI, so
wie das Handmal und Recognitionszeichen, wie ich nach Vergleichung
*) Ohne das Münchner Exemplar gesehen zu haben, stehe ich nicht an, dasselbe für
Original zu erklären. Anders die Herausgeber der Mon. Boica, die den Brief in
die apographa einreihen. Sie selbst sagen aber: „characteres ipsius instrumenli
aetati Lud. omnino conveniunt (besser wäre angegeben worden, ob sie auch der
Kanzleischrift Ludwig’s entsprechen); non autein illi qui habentur in ultimis dua-
bus lineis: data etc“. Und was entscheidet: eine mir vorliegende Durchzeichnung
des Becognitionszeichens mit Tironischen Noten von B 791 stimmt bis in die
kleinsten Züge mit dem Zeichen des Comeatus in ß 743 und anderen von ihm aus
gefertigten Diplomen. Ich denke mir, der untere Rand des Pergaments mit der
ursprünglichen Datirung wird beschädigt und schliesslich abgeschnitlen worden
sein. Statt dessen ist diese Zeile von späterer Hand ersetzt, wobei „in orientali
francia“ unrichtig gestellt und zugleich an den Ziffern geändert worden ist. Und
zwar muss dies spätestens im XI. Jahrhundert geschehen sein, da der dieser
Zeit angehörige Lib. eop. Campidon., den M eich elb eck benutzte, schon die
verderbte Datirungszeile wiederholt. — Dass für B 791 keine Bestätigung der
folgenden Könige vorliegt, wie sie Arnulf Mon. Boic. 31, 128 für die Kemptner
Zollbefreiung B 739 gab, kann nicht in Betracht kommen. Und was noch speciell
gegen eine Fälschung spricht ist, dass ein Kemptner Mönch, der solche Absicht
gehabt hätte, wohl zunächst darauf hätte verfallen müssen, die Kanzlerunter
schrift aus der dem Inhalt und der Fassung nach so nahe stehenden Urkunde
B 739 zu entlehnen.
382
l)r. S i c k e I
mit anderen Originalen bestimmt versichern kann, von der Hand des
Comeatus sind. Dem entsprechen auch die Tironischen Noten: „Comea-
tus notarius recognovi“, statt des sonst gebräuchlichen „recognovi et
scripsi“ 1 ). — Der Aufenthalt in ßaiern bis zum Juli würde sich
mit den Berichten der Annalisten vertragen. Nach Baiern müsste der
König auch gleich nach der Zusammenkunft in Diedenhofen 3 ) zurück
gekehrt sein, indem er nach B 748 schon am 28. October wieder in
Regensburg erscheint s ).
In BO 747 treffe ich Formel XII in abweichender Fassung an,
als: „actum ad Rotachin XVH Kl. octbr. anno cliristo propitio XII
regni d. hludouuiei regis in orientali francia i. d. n. f. a.“ — eine der
vielen Nachlässigkeiten, die siJli Reginbert zu Schulden kommen lässt,
die aber nach Einsicht des Originals kein Bedenken gegen die Echt
heit des Diploms zulässt 4 ). Nach dem Regierungsjahre, wie ich es
berechne, ergibt sich das Jahr 845. Rotachin wird in dem zwischen
Rott und Inn gelegenen Rotagau zu suchen sein, also unweit der
Königshöfe, in denen sich der König am liebsten aufhielt 5 ).
In B 754 wäre entweder a. r. XVI oder ind. XI zu erwarten.
Der Aufenthalt in Frankfurt im Januar passt sowohl zu 847 als zu
848, indem Ludwig im Februar 847 in Marsen und im Februar 848
in Coblenz erscheint 6 ). -— Für B® 753 mit den offenbar von Regin
bert falsch angesetzten Zahlen, die auf 847 oder, 849 hinweisen,
1 ) Einen analogen Fall aus der Zeit Konrad’s I. habe ich hei Fuldaer Originalen
constatirt. Von den an gleichem Tage ausgestellten ß 1236, 1237 ist die letztere
Urkunde von Kanzlerhand geschrieben; in ß 1236 dagegen hat diese Hand nur die
verlängerte erste Zeile und die gleichfalls verlängerten Formeln X und XI geschrie
ben; das übrige zu schreiben wurde einer mit der diplomatischen Minuskel nicht
vertrauten Person überlassen, die den unglücklichen Gedanken hatte, diese Schrift
nachzuahmen und auf diese Weise seltsame Buchstaben gemacht hat, etwa so wie
wir sie in Fälschungen sehen. Auch hier entscheidet für die Echtheit, dass die
Untersehriflen von Kanzlerhand sind.
2 ) Im October: Prudent. ann. in Mon. SS. 1, 411.
3 ) Über die Echtheit von ß 749 kann ich wie über alle nur in Kremer orig. Nass,
abgedruckten Diplome bisher nicht urtheilen, indem ich mir jetzt dies Buch nicht
verschaffen konnte. Ich kenne von diesen Urkunden nur die Schlussformeln, die
ich mir einmal in früherer Zeit abgeschrieben habe.
4 ) Es ist eines der wenigen Originale dieser Zeit, in denen die Höhe des Perga
ments die Breite übertrifft.
5 ) In den Urkunden von Freisingen, das dort mehrere Besitzungen hatte, finde ich
allerdings nur die Namensform „Rota“.
6 ) Mon. LL. 1, 393, und Ann. Fuld. in SS. 1, 365.
Beiträge zur Diplomatik.
383
ziehe ich des Aufenthaltsortes wegen jenes Jahr vor *). — B 755
kann frühestens im Regierungsjahre XV, dem lud. XI (statt IX) ent
sprechen würde, ausgestellt sein, da in dieser Urkunde Hraban als
Erzbischof von Mainz genannt wird, der nach den Ann. Fuld. erst
am 26. VI. 847 ordinirt wurde 2 ). Das Verdener Diplom in Pertz's
Probedruck 3 würde sich selbstverständlich hier anschliessen. —
Für B 757 ist zwischen 847 und 849 zu wählen: gegen jenes scheint
die Zeit der Marsener Zusammenkunft zu sprechen, während unter
849 sich diese Urkunde an B 758 mit gleichem Ausstellungsort
anschliesst 3 ). — B 762. 759. 760 lassen sich, da in jedem Falle
eine Ziffer zu emendiren ist, zu verschiedenen Jahren setzen; aber
mit Rücksicht auf die folgenden Diplome empfiehlt es sich sie alle
in den Winter 850/1 einzureihen.
Mit dem Herfurder Diplom bei Erhard 1. 15 aus Original beginnt
wieder die Reihe von Urkunden, deren chronologische Merkmale sich
vollständig in das von mir vorgeschlagene System einfügen. Es ergibt
sich somit für den Aufenthalt in Herfurd der 8. Dec. 851. Für 852,
wie Erhard setzt, könnte man versuchen, die Ann. Fuld. 4 ) anzu
führen, welche zu diesem Jahre eine Reise des Königs nach Sachsen
verzeichnen. Indem aber diese Quelle Ludwig Weihnachten 852 in
Regensburg feiern lässt, nachdem er zuvor den Harzgau, das Schwa
benland und Thüringen, überall Gericht haltend, durchzogen hat,
wird es eben dadurch unmöglich, sich den König am 8. Dec. des
selben Jahres noch in Herfurd zu denken. Überhaupt, wie schon
Pertz bemerkt hat 6 ), müssen wir, was dieser Annalist unter 852
vereinigt zum Theil auf das vorausgehende Jahr 851 verlegen.
Nach dem Feldzuge gegen die Sorben wandte sich Ludwig nach
*) Wäre das Datum für eine verloren gegangene Urkunde, die in der Conv. Bagoar.
in Mon. SS. 11, 1.3 erwähnt wird, wie es Wattenbach feststellen will: 11. Oct. 847
in Regensburg zuverlässig, so wäre allerdings BO 733 besser zu 849 zu setzen.
2 ) Bestätigt durch das Todesdatuin für Otgar: 21. April 847 nach Böhmer, Font.
3, 139. 141.
3 ) So unzuverlässig ich einigemale die Ziffern in Grandidier’s Drucken gefunden
habe, so halte icli hier an den von ihm mitgetheilten a. r. XVI, ind. XII = 849
fest, selbst gegenüber der von Mohr cod. dipl. Rhaet. 43 aufgestellten Behaup
tung, dass im Original a. r. III stehe. Denn zu letzterer Zahl, die von der einzig
richtigen Epoche des Septembers 833 ausgehend Juni 836 ergeben würde, passen
weder die Indiction, noch die Namen in Formel XI.
4 ) Mon. SS. 1, 368.
5 ) Mon. LL. 1, 410.
384
Di\ S i e k e 1
Thüringen zurück und wohnte im October 851 der Synode zu Mainz
bei; die erste gut verbürgte Angabe für das fernere Itinerar bietet
(da B 762 eben sowohl zu 850 als zu 851 gesetzt werden kann ‘)
B 763, wonach der König am 16. Januar 852 in Begensburg ist:
die Zwischenzeit genügt um auch 851 eine Beise nach Sachsen und
einen Aufenthalt in Herfurd zuzulassen.
Die Setzung der folgenden Urkunden B 763, 765, 766, 767,769,
771 und Wiener Sitzungsberichte 14, 161 macht keine Schwierigkeit.
Als falsche oder doch verdächtige Urkunden, die mit der Unter
schrift des Comeatus oder Reginbertus in diese oder spätere Zeit
gesetzt werden oder in dieser Zeit mit anderen Kanzlernamen Vor
kommen, sind folgende auszuscheiden.
Aus B 756 ist als anstössig hervorzuheben: 1. „Egibertus sere-
nitatis nostrae clementiam . .. arguendo increpando obse-
crando et iuuentutem nostram non parum incusando
adiit.“ — 2, „cujus reclamationern assensum nostro solo con-
silio praebere non censentes prefato episcopo suisque ad-
versariis franconofurt ubi principibus nostris convenire sta-
tutum est . .“ — 3. „ita ut nullus judex publicus dux vel
comes neque alia judiciaria potestas.“ -— 4. „manu nostra subtus
eam (auctoritatem) roborantes anulo nostro jussimus sigillari.“
Satz 1. passt wohl zu einem Diplom Heinrich's IV. von 1079, in dem er
gleichfalls vorkommt, aber nicht in ein Diplom Ludwig’s. In Satz 2.
findet sich eine Vorstellung von Beirath, die ebenso den Urkunden des
IX. Jahrhunderts noch fremd ist, ferner das Wort principes, das in
der Kanzleisprache der Karolinger noch ausschliesslich den Gliedern
des königlichen Geschlechtes Vorbehalten ist 2 ). Satz 3. führt, ab
gesehen von der ungewöhnlichen Immunitätsformel die Beamten in
falscher Reihenfolge auf. Satz 4. enthält eine zu Ludwig’s Zeit in
Formel IX noch ungebräuchliche Participialconstruction s ). Wenn
*) Der Annalist lässt Ludwig von Mainz nach Baiern, dann aber ohne Verzug nach
Cöln gehen; insofern könnte man die in Regensburg ausgestellte Urkunde B 762
vom 15 November allenfalls auch zu 851 ansetzen.
2 ) Ficker, Reichsfürstenstand 1, 43. — Ich bin bei Durchsicht der Urkunden des
IX. Jahrhunderts zu demselben Resultate gekommen, das ich vielleicht bei anderer
Gelegenheit einmal näher begründen werde.
3 ) Auch „subtus“ ist ungewöhnlich. Zwar haben Abschreiber sehr oft „subtus“ aus
„subter“ gemacht, aber in Originalen Ludwig’s des Deutschen ist es sehr selten:
ich erinnere mich nur es in BO 786 gefunden zu haben.
Beiträge zur Diplomatik.
385
daneben die Formeln I, II, X, XI, XII richtig sind, so lässt sich daraus
höchstens schiiessen, dass man in Osnabrück ein Diplom Ludwig’s
des Deutschen aus den Jahren des Comeatus hat benutzen können i).
B 787 gibt zu einigen Bedenken Anlass. Als Rundschreiben ahmt es
das betreffende Formular wohl in einigen Puncten nach, weicht aber
in anderen ab. So fällt es auf, dass die Anrede nicht in der hier zu
erwartenden zweiten Person statfflndet, ferner dass in der Formel IV
auch die abatissae aufgezählt werden 3 ). Aus Formel IX hebe ich her
vor: „de s i gil 1 o nostro subter eam jussimus sigillari“. Heumann 2,
193 sagt von den Diplomen Ludwig’s des Deutschen: sigilli vocem
ignorant, und ich bin sehr geneigt dies zu unterschreiben. Denn ich
.finde sigillum nur in den entschieden unechten B 774, 844, in den
auch andere Abweichungen enthaltenden B 779, 784 und in dem
sonst unbedenklichen B 837 3 ), so dass es höchstens als Ausnahme
zugelassen werden kann. In der Unterschrift stösst auf, dass Grimald
als Erzkanzler genannt wird, während sonst in diesem Jahre Witgar
als Vorsteher der Kanzlei erscheint. Ferner hat dieses Rundschrei
ben mit der Speirer Urkunde bei Dümge 72, (von ihm und Rem-
Iing zu 859 gesetzt, gehört aber, wenn überhaupt echt, zu 858) den
Namen des Comeatus als recognoscirenden Notars gemein, der seit 854
in keinem Diplom mehr vorkommt. Es wird sich später zeigen, dass
die Einrichtung der Kanzlei allerdings die Möglichkeit nicht aus-
scldiesst, dass Comeat noch bis 858 fungirt habe; aber die sehr ver
dächtige Urkunde B 787 kann nicht als' Beweis dafür angesehen
werden, so dass sich diese Annahme nur auf das Speirer Diplom stützen
würde. Es fragt sich unter diesen Umständen, ob nicht auch die
letztere Urkunde um dieses Notarnamens willen zu beanstanden ist,
und ich trage Bedenken, sie bis zu neuer Untersuchung des Originals
als echt gelten zu lassen 4 ).
*) Vergl. auch Erhard’s Bemerkungen zu reg. 428.
2 ) Clusarii können hier nicht wie im Reisepass der Mon. SS. 2, 677 lind a. a. 0.
(s. Waitz, Verf. 3, 341) Klausenwächter sein, es sind hier Schleusen- oder
Deichmeister gemeint: clusa gleich dem französischem escluse.
3 ) ß 837 ist zwar nur einer Bestätigung Karl’s IV. von 1356 inserirt, so dass dies
Wort als eine vermeintliche Verbesserung der Abschreiber angesehen werden
könnte; aber es findet sich auch schon in der aus Original milgetheilten Urkunde
Ludwig’s des Frommen ß 415, welcher B 837 genau nachgebildet ist.
4 ) Die mannigfachen Schreibfehler, die auch Dümge hervorhebt, und das falsche
Siegel — denn ein Siegel Ludwig’s des Deutschen ohne Uschrift kenne ich
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXXVI. Bd. III. Hft. 26
386
Dr. S i c k e I
Dronkc 254 Nr. 560 ist sehr verderbte Form, nach der sieh
nicht mehr entscheiden lässt, ob ein echtes Diplom Vorgelegen hat.
Die Verstösse sind am ärgsten in den Schlussformeln: in dem Zusatz
(interminatio excommunieationis) zu Formel IX, in der Verstümme
lung von Formel X und XII, im Wortlaut von Formel XI, indem die
Unterschrift nie mit ego beginnt, und indem Reginbert nie cancella-
rius war i). — Gleiches gilt von Dronkc 249, Nr. 456, dessen Fehler
schon Heu mann 2, 224 zusammengestellt hat 3 ). — Endlich findet
sich bei Dronke 247, Nr. 554 noch eine Tauschurkunde zwischen
dem König und dem Abte Hatto (ohne Kanzlerunterschrift), die in
der überlieferten Form nicht aus der Kanzlei hervorgegangen sein
kann; aber indem die entsprechende von Hatto ausgestellte, mit voll
ständigem Datum 3 ) versehene Urkunde der Form nach keinen Anstoss
erregt, wird es wahrscheinlich, dass eine echte Königsurkunde über
diesen Tausch am 18. VII 846 in Frankfurt ausgefertigt worden ist.
Es werden ferner in die Kanzleiperiode des Corneatus und Regin-
bertus zwei Diplome mit der Unterschrift des erst später eintretenden
Hadebertus gesetzt, welche aus diesem und aus anderen Gründen zu
verwerfen sind: ß 764 und 770. In jener sind nämlich die Formeln
I, II falsch, III ist von ungewöhnlicher Fassung, in IV stösst als
noch nicht gebräuchlich der Titel metropolitanus für Hraban 4 )
auf, in V und XII das Wort principes, der Inhalt ist an sich und
durch die Stylisirung verdächtig, Formel XII erscheint um des Aeren-
jahres und um der Anordnung willen falsch. •— R.770 ist in besseren
Formeln abgefasst, aber doch nicht ohne kleine Abweichungen.
nicht — begründen für sich noch kein verdammendes Urtheil, fordern aber doch
zu genauer Prüfung auf. In den Formeln I — IV ist die Urkunde übrigens ganz
gleich ß 788.
1) Schon Ileu mann hat diese Urkunde, die ihm in dem elw r as abweichenden Abdrucke
in Schannat hist. Fuld. 193 vorlag, verworfen. In dem getreuen Abdrucke
Dronke’s aus dem Cod. Eberh. ist sie um nichts besser.
2 ) Dennoch ist diese Schenkungsurkunde für den Fuldaer Schulvorsteher Rudolf ihrem
Inhalte nach noch von Pertz in Mon. SS. 1, 338 und von Watten b a ch,
Geschichtsquellen 123 benutzt worden.
3 ) Schannat trad. Fuld. Nr. 470: „actum Franconofurt pal. regio sub die XV Kal.
aug. anno Chr. prop. XIII regni d. Hludouici gloriosissimi regis in orientali
Franeia ind. IX. i. d. n. f. a.“; dort fälschlich auf 845 bezogen.
4 ) Es wird zwar Mainz schon oft metropolis genannt wie in Mon. SS. 1, 367 und LL. 1,
410. — Stellen die der Verfasser dieser Fälschung benutzt zu haben scheint, aber
metropolitanus ist der Kanzleisprache noch fremd. — Siehe auch Ileu mann 2, 236.
Beiträge zur Diplomatik.
387
Wichtiger ist dass, wie man auch die nicht übereinstimmenden chro
nologischen Merkmale deuten mag (Böhmer nach der Indiction zu
845, das Regierungsjahr ergäbe 862, Miraeus ganz willkürlich zu
876) die Urkunde entweder in eineZeit fallen würde, in der Ludwig
der Deutsche nicht über Utrecht geherrscht hat oder in eine Zeit, in
welcher der hier erwähnte Bischof Hunger nicht mehr lebte.
Vorsteher der Kanzlei in dieser Zeit ist also, die letzten Urkun
den ausgenommen, Ratleic. Als Notar und Freund Einliard’s, als
Nachfolger desselben in Seligenstadt, als Freund Hraban's u. s. w.
wird er oft von den Zeitgenossen erwähnt. In die Kanzlei sehen wir
ihn, nachdem bis zum September 839 die Unterschriften im Namen
Grimold s lauten, zuerst Ende 839 (B752) treten und ununterbrochen
bis zum Juli 853 (zuletzt B 769) in derselben verbleiben, so dass
der Reihe nach Adalleodus, Dominicus, Comeatus und Reginbertus
als ihm untergeordnete Schreiber erscheinen. Vom Mai 854 (B 768)
an werden dann die Diplome wieder im Namen eines andern, des
Abtes Balderic unterfertigt. Es werden dadurch die früheren Anga
ben über das Todesjahr Ratleic’s i) berichtigt: sein Tod kann erst
nach dem Juli 833 und muss wohl vor den Juli 854 gesetzt werden.
Es stimmt dazu, dass der 856 verstorbene Hraban ihm noch eine
Grabschrift verfasst hat 3 ). In der Formel XI wird Ratleic nie ein
Titel gegeben, dagegen heisst er in den beigefügten Tironischen
Noten regelmässig magister.
Hadebertns ndviccin Bnldrici — tirimaldl — Witgarii 854—858.
Hadebert, den ich ausser den Urkunden nicht erwähnt finde,
beginnt die Diplome zumeist mit Chrismon 3 ) und behält Formel I, II
in früherer Fassung bei. Aus Formel IX ist die ältere, unter den Vor
gängern noch häufige Wendung „de anulo nostro“ verbannt; es heisst
1 ) Mab. nnn. ßened. I. 34, cap. 34 zu 831; Eckhart comm. de Franeia or. 2, 384
zu 832; Pertz in Mon. SS. 2, 430 bald nach 844.
2 ) Hrabani, opera ed. Colon. 1626; 6, 20:
. . . presbyter hic fuerat . . .
officium abbatis et bene gessit opus . . .
is ex Colonia adveniens regi en Ludovico
conjunctus valde, utilis huicque fuit . . .
s ) Es wird angegeben in B 772, 782, 783, 811 ; Wirt. Urkundenbuch 1, 149; Erhard
1, 19; es fehlt in BF 788.
26
388
Di*. Sickel
fortan stets „anuli nostri impressione adsignare (sigillare, roborare)“.
Dass sich daran Tironische Noten anschliessen, wird nirgends mehr
vermerkt. In den besseren Drucken wird Formel X angegeben;
(Chr.) signum (M.) Hlud. serenissimi regis“. In Formel XI nennt sich
Iladebert stets subdiaconus. Für Formel XII führt er eine Neuerung
ein: „regis in orientali Francia regnante *),“ so dass als Norm an
gesehen werden muss: „data . . . anno . . . regni Hlud. serenissimi
regis in or. Fr. regnante, ind. . . . actum etc." 2 ). Desselben For
mulares bedient sich Liutbrand, der eine einzige Urkunde B 786
in dieser Zeit ausstellt, uns aber noch später begegnen wird.
Überblicken wir nun die von Hadebert recognoscirten Urkunden,
so springt bei den chronologischen Angaben ein ganz constantes Ver-
bältniss in’s Auge; nur die blos abschriftlich überlieferten B 768, 783
machen eine Ausnahme, dagegen weisen selbst die falschen Diplome
dieser Zeit, als beruhten sie auf echten .Vorlagen, dasselbe Zahlen-
verhältniss auf: die Indiction differirt nämlich um zwanzig von dem
Regierungsjahre. Es entspricht dies nicht der früher von mir fest-
gestellten Epoche vom 24. IX. 833, sondern würde, indem auch hier
Indiction und Regierungsjahre stets zu gleicher Zeit umsetzen, auf
denselben Tag im Jahre 832 hinweisen. Was könnte aber über
zwanzig Jahre nach dem Regierungsantritte in Ostfranken plötzlich
Veranlassung gegeben haben, ein anderes ein Jahr früher fallendes
Ereigniss als Ausgangspunkt anzunehmen oder mit anderen Worten
den Regierungsantritt zurückzudatiren? Es scheint mir diese so
häufig wiederholte Annahme, man habe in verschiedenen Zeiten den
Regierungsantritt verschieden angesetzt, ganz sinnlos: es kann nur
ein historischer Moment als solcher angesehen worden sein und man
wird hei Hofe wohl gewusst haben, in welches Jahr derselbe gefallen
war. Es leuchtet mir vielmehr ein, dass wir es hier nur mit einer
differirenden Rechnung zu thun haben, welche doch die historische
Epoche an sich nicht hat umstossen sollen. Erklärungen dafür lassen
sich allenfalls finden. Indem mit dein 24. September 832 ein neuer
x ) Es fehlt unter den unzweifelhaften Diplomen nur in B 780 aus Copie; „regnantis“
in einigen Drucken ist fehlerhaft und daher auch in B 772 die Ergänzung zu ver
bessern, wo wahrscheinlich auch noch „regni“ einzuschalten ist.
2 ) „Anno christo propitio . . findet sich unter Hadebert ausser in entschieden
falschen Urkunden nur in B 784, 811, die auch durch andere Abweichungen auf
fallen. Das Epitheton „piissimi“ in B 78o beruht wohl auf Lesefehler.
Beiträge zur Diplomatik.
389
Iridictionscyklus und zugleich das 20. Regierungsjahr begonnen
hatte, war an die Stelle des früheren als arithmetisches Verhältniss
getreten: annus regni — 19 = indictio, dem dann in der Folge
entsprach: a. XXI = i. II, a. XXII = i. III n. s. \v. Möglicherweise
war es eine absichtliche Vereinfachung der Berechnung, dass statt
dessen fortan gesetzt wurde: a. — 20 = i. Oder stellen wir uns
vor, ein Schreiber der Kanzlei, der das Regentenjahr für 834 =
ind. II habe finden wollen, habe 833 (als richtiges Anfangsjahr, aber
ohne Berücksichtigung des Epochentages) = a. I gesetzt, so kam
es fortzählend zu dem Resultate: 834 = a. XXII, = ind. II. Richtig
genommen begann freilich das a. XXII erst am 24. September 834,
wo die Indiction umsetzte in III; statt dessen berechnete man nun in
der Kanzlei, weil man schon für 834 schlechtweg a. XXII gefunden
hatte, vom 24. September 834 an a. XXIII = ind. III. Wie dem auch
sei, das ist unverkennbar, dass dieses arithmetische Verhältniss von
Hadebert consequent festgehalten worden ist, in der Regel auch von
seinen Nachfolgern <)• Und wir haben desshalb bei der Reduction
des Regierungsjahres auf Aerenjahre, von dem 24. September 832
auszugehen, ohne dass damit diesem Tage irgend welche Bedeutung
für den Regierungsantritt zugeschrieben werden darf.
An die Spitze dieser Reihe setze ich als in der nicht mehr
erhaltenen ursprünglichen Form wohl zu 22. V. 834 gehörig die
Corveier Urkunde B 768, welche in die Jahrhunderte hindurch
geführten Zehentstreitigkeiten zwischen den Äbten und den Bischö
fen von Osnabrück eingreift. Wie in allen ähnlichen Fällen wird die
letzte Entscheidung über solches streitige Rechte betreffendes Diplom
erst nach Prüfung aller von beiden Parteien vorgebrachten Urkunden
zu fällen sein. Indem aber solche Prüfung über die Aufgabe dieser
Untersuchungen hinausgehen würde, beschränke ich mich, nur die
Puncte zu erörtern, vvelche speciell für B 7G8 in Betracht kommen,
und bemerke sonst nur im Allgemeinen, dass in diesem Streit sowohl
Osnabrück alsCorvei neben echten Diplomen theils falsche theils inter-
polirte vorgewiesen haben. Es ist nämlich die Unechtheit von B768 in
dem Diiilome Ueinrich’s IV. vom 10. März 1079 ä ) behauptet worden.
1 ) Einen gleichen Ansatz finde ich in der Vita s. Willehadi, Mon. SS. 2, 383: „anno
inc. doininicae 860 regni vero domni nostri serenissimi principis Illiidovici XXVIII
ind. VIII«.
2 ) Möser. Osnnhriickische Geschichte 2, Urkunde Nr. 30.
390
Dr. S i c k e I
Auf einerti Tage zu Worms sollten damals diese Streitigkeiten zum
Austrag gebracht werden und wurden zu diesem Behufe von Bischof
und Abt die betreffenden Urkunden vorgelegf. Von diesen Urkunden
wird nun gesagt: „ex abbatis scripto quod attulit nulla regali auc-
toritate confirmato (d. h. wohl: durch kein späteres Diplom bestätigt)
juniorem Ludouuicum quandam cellain Corbeiensi ecclesiae nomine
Meppiam, Herifurdensi autem ecclesiam nomine Bunede cum deci-
mis sibi pertinentibus in episcopatu O-nebruggensi concessisse in-
tellexerimus (was sich offenbar auf B 768 bezieht). Ad liaec infrin-
genda et adnihilanda eiusdem junioris Ludeuuiei cartam proferebat
; episcopus), in qua idem Lud. aui patrisque sui statuta super eisdem
decimis praefatae Osnabr. ecclesiae stabilivit et in earumdem deci-
marum traditionibus quicquam derogasse, ut abbatis scripta referunf,
denegavit. Abbate autem et abbatissa (Hervord.) propter (lies: prae
ter) hoc solum quod ibi videbatur fictieium, aliquid quo inniti pos-
sent non habentibus . .“ während der Bischof eine ganze Reihe von
späteren Bestätigungen vorbringt. Sollte mit dem hier angeführten
Diplom für Osnabrück B. sp. 756 gemeint sein, so stände dem schon
im Wege, dass dieses seinen Daten nach vor B 768 gehören würde.
In jedem Falle ist das 200 Jahre später über die Echtheit der Corveier
Urkunde gefällte Urtheil nicht massgebend für uns; für den Mangel
an Kritik bei derartigen Verhandlungen, für die ungerechtfertigte
Verwerfung unzweifelhaft echter Diplome, für die naive Anerkennung
entschiedener Fälschungen liegen zu viel Beispiele vor. Noch nichts
sagender ist es dann, wenn B. Egilmar von Osnabrück in seiner an
den P. Stephan V. gerichteten Klagschrift 0 die Urkunde Ludwig's
den Deutschen als wie er hört falsch bezeichnet. Gegen beide Darstel
lungen sprechen die Diplome Arnulf's B 1025, in dem beiden Klöstern
mit Berufung auf die früheren Diplome der Zebentgenuss bestätigt
wird 2 ), und B 1067, in welchem dem Bischof in Anbetracht, dass ein
Theil des Zehenten ihm zu Gunsten von Corvei entzogen ist, besondere
Begünstigungen zugesagt werden 3 ). Sie wiegen gewiss mehr als
*) Erhard, Urkundenbuch 36: „praeceptum ut ajunt a Hludouuico rege . . . statu-
tum, sed non eertis testificationibus fidei accomodatum , quia fraudulenter dici-
tu r ab i p si s f ict u m . .“
2 ) „Decimas dent ad portam monasterii nee alibi eas dare cogantur“.
s ) „(Episcopus) se reclamavit magnam sibi destitutionem habere de decimis . . .
maximae scilicet et quantitate et numero partis ad eandem sedem ex debito per-
Beiträge zur Diplomatik.
391
das viel spätere Urtheil in der Urkunde Heinrich’s IV., so dass wir
das in B 768 enthaltene Factum als hinlänglich bezeugt ansehen
können ‘).
Was die auf uns gekommene Form anbetrifft, so liegt eine alte
Abschrift in Urkundenform 2 ) und eine Abschrift in der YitaWaltgeri
vor. Formel I, II sind richtig, Formel III, IV finden sich in dieser
Fassung sehr häufig, gegen den Styl der ganzen Urkunde ist nichts
einzuwenden. Formel X ist in Ordnung, ebenso Formel XII bis auf
die Wortstellung, die gewöhnlich lautet: „domniHIud. glorios, regis.“
Dagegen ist in Formel IX „et ut omnis liinc dubietas tollatur“ unge
wöhnlich und „roborantes“ wider den damaligen Brauch; es mag
dies eine Abänderung des Abschreibers sein, die damit zusammen
hängt, dass der zweite Theil der Urkunde etwa von „quod iuxta
peticionem . .“ an interpolirt erscheint. Ich erinnere mich nämlich
keines Diploms dieses Jahrhunderts, in welchem in der Art speciell auf
gezählt würde, was der Bischof auf seinen Visitationsreisen für seinen
Unterhalt (expensae, procuratio) zu fordern berechtigt sein soll. In
diesem Falle wird die betreffende Stelle um so anstössiger, weil
Arnulf, indem er in B 102S dasselbe Verhältniss regelt, nur auf
allgemeine Bestimmungen hinweist 3 ). Aus diesen Gründen nehme ich
hier eine erweiterte Abschrift an, bei der dann endlich auch die
Ziffern in Formel XII eine Abänderung erlitten haben können. Die
Unterschrift nämlich in Formel XI, wie sie in der Vita Waltgeri
richtig erhalten ist, kommt allerdings mit diesen zwei Namen, aber
doch nur zu 8SS vor, während die von Böhmer angegebenen Ziffern
tinentes inter monachos Huxorienses et inter puellas Herifurdenses . . . divisas
esse“. Siehe auch Erhard, Regesten 477. — Auch in der Schenkung' B 772 für
Corvei ist der Zehent inbegriffen. Die Berufung' auf B 1067 ist nicht stichhaltig,
da diese Urkunde, was ich früher übersehen hatte und erst bei der Correctur
bemerke, falsch ist.
J ) So auch Waitz Yerf. Gesell. 3, 127, Note 1, der natürlich dort keinen Anlass
hatte sich über die Form der Urkunde auszusprechen. — Mabillon in Acta SS.
0. Bened. saec. IV, l, 527 nimmt weder an der Form noch an dem Theil, der
mir interpolirt scheint, Anstoss.
2 ) Es ist doch offenbar ein und dasselbe Stück das Böhmer und Erhard als in
Berlin befindlich bezeichnen; dass jener es für Original hielt, lässt mich auf
Abschrift des IX. Jahrhunderts und die auch äusserlich das Original nachahmt,
schliessen.
3 ) „Et episcopi . . . non exigänt majores sumptus ad sua mansionatica, quam primuin
statutum fuerat et in capilulari libro descriplum habetur“.
392
Dr. S i c k e 1
auf 853 hinweisen. Hadebert könnte allerdings als subdiaeonus schon
an die Slelle des nur bis 852 nachweisbaren Reginbert getreten sein
und wie dieser unter dem Notar Comeatus stehen. Aber der Abt
Baldric würde daun schon zu einer Zeit als Kanzler erscheinen,
nach der noch einmal in B 769 vom 21. VII. 853 Radleic als solcher
genannt wird, während sonst nie zu gleicher Zeit zwei Kanzler Vor
kommen. Etwas anders verhält es sich mit der Unterschrift in B 771,
die „aduieem Grimaldi“ lautet; wie wir später sehen werden, steht
nichts im Wege, dass neben dem Erzkanzler ein anderer als Kanzler
genannt wird. Ist aber um des Kanzlernamens willen B 768 nach
dem Juli 853 anzusetzen, also die Ziffern der Abschrift zu emendiren,
so empfiehlt sich mehr die Urkunde zu 854, als zu 855 einzuceiben;
denn in letzterem Jahr finden wir den König im März in Baiern
(B 772), dann auf dem Feldzuge nach Mähren, so dass ein dazwischen
liegender Aufenthalt in Frankfurt unwahrscheinlich wird, während
er 854 wohl zur Fahrt nach Aachen passt!).
Datum und Ausstellungsort von B 772 werden durch die Urkunde
bei Meichelbeck I, 350 bestätigt. Somit ist auch Abt Baldricus als
Vorsteher der Kanzlei genügend bezeugt.
In B 779 stösst Formel II und in Formel IX „sigillo nostro
sigillari“ auf: entscheiden lässt sich um so weniger, da die Urkunde
nur in Copialbüchern vorliegt und die Änderung möglicher Weise
auf Rechnung des Abschreibers zu setzen ist. Den Aufenthalt in
Worms in den Fasten 857 bezeugt der Fuldaer Annalist 2 ). Wie schon
Böhmer gethan hat, muss dann das Datum von B 780 verändert werden,
am einfachsten ist III. id. mai. zu lesen; so dass die Reihenfolge wird
B 779; B 781; Wirt. Urkundenbuch 1, 149; B 780; B. 782 u. s. w.
In B 780 begegnet uns zum ersten Male, dass, wie es in Formel
IX lautet: „manu propria nostra ac filiorum nostrorum subter
eam (auctorilatem) firmavimus.“ Die Frage zu beantworten, ob
1 J Ann. Fuld. a. 854. 855. — Ein anderer Umstand könnte allerdings dafür geltend
gemacht werden , dass Hadebert erst nach Comeat in die Kanzlei eingetreten sei,
ß 768 also nach B 771 und zu 855 zu setzen sei. B 768 hat nämlich Formel XII
schon in der Hadebert eigenthümlichen Fassung mit „regnante“, und es fällt auf,
dass der untergeordnete Subdiacon eine Änderung im Formular vorgenommen hat,
so lange der höher stehende Notar noch in der Kanzlei fungirte. Es kann dies
aber auch Folge der Abänderung sein, die jcdcsfalls bei der Abschrift in Bezug
auf Formel XII stattgefunden hat.
2 ) Mod. SS. 1, 370.
Beitrage zur Diplomatik. 393
diese Mitunterzeichnung eine besondere Bedeutung hat, stelle ich
die Urkunden Ludwig's, in denen sie sich findet, zusammen.
B 780 a. 857 betrifft Schenkung in Alemannien, Monogramm
der Söhne angekündigf, in der Abschrift ist Formel X nicht erhalten.
B 782 a. 857. Schenkung in Alemannien, angekündigt und s.
Hludovici, s. Karlomanni, s. Karoli.
B 799 a. 861. Schenkung in Alemannien, nicht angekündigt,
s. Karoli.
B SOS a. 863 dessgleichen.
B 813 a. 863. Schenkung u. s. w. in Baiern, angekündigt !),
s. Karlomanni.
B 813 a. 866. Bestätigung in Alemannien, angekündigt, s. Karoli.
B 833 a. 873. Schenkung in Lothringen, angekündigt, s.
Hludovici.
B 849 und 830 a. 873. Schenkung in Alemannien, nicht ange
kündigt, s. Karlomanni, s. Hludovici, s. Karoli und in B 849 noch
s. Arnolfi serenissimi regis.
B 831 a. 873. Schenkung in Alemannien, nicht angekündigt,
s. Hludovici, s. Karoli.
Zunächst ist zu bemerken, dass die Mitunterzeichnung sich
hier von der in den Diplomen Ludwig’s des Frommen zur Zeit der Mit
regentschaft Lothar’s (B 511—534) wesentlich unterscheidet: als Mit
regent wird letzterer auch in Formel II und XII genannt u. s. w. Sie
hat auch nichts gemein mit dem Theilungsentwurfe von 865. Denn
einerseits findet sie schon früher Statt, andererseits setzen hei Ur
kunden, die für das Karl bestimmte Alemannien ausgefertigt wurden,
auch Ludwig und Karlomann ihre Namen bei. Dass einige Mal Karl
in alemannischen Schenkungen, Karlomann in einer haierischen
u. s. w. ohne die Brüder mitunterzeichnen, scheint Zufall: vielleicht
erbaten es sich die Empfänger der Diplome, weil sie sie schon als ihre
zukünftigen Herrscher kannten. Auch was Neugart zu B 799 be
merkt: Karl habe als Graf im Hegau, in dem die verschenkten
Güter lagen, sein Monogramm beigefügt, ist unhaltbar, denn für
mehrere andere Diplome liegt kein solcher Grund vor. Am wenigsten
Zwar etwas abweichend von der Ankündigung- in B 780, nämlich: „manu propria
nostra subter eam firmauimus et anuli nostri iinpressione assignari jussimus, nec
non per manus Karlomanni roborari fecimus“. Dies Nachsetzen macht aber sach
lich keinen Unterschied.
394
Di\ Sichel
kann die Sache dahin gedeutet werden, dass sie seit der eventuellen
Theilung mit hätten unterschreiben müssen; es sind doch nur ver
einzelte Fälle, in denen es geschieht. Somit glaube ich die Mitunter
zeichnung als nicht von wesentlichen Umständen, sondern nur vom
Zufall bedingt ansehen zu dürfen.
Waren nun die Prinzen, wenn ihre Unterschrift beigefügt ist,
auch jedesmal bei der Ausfertigung zugegen? Ich meine, dass, wenn
ihre Mitunterfertigung angekündigt wird, daraus ihre Anwesenheit
gefolgert werden kann. Findet aber keine Ankündigung Statt, so bleibt
es zweifelhaft. Denn gewisse Unterschriften wie die Arnulfs mit dem
Königstitel in B 849 sind otfenbar nachträglich zugesetzt, um in
kürzester Weise eine Bestätigung zu geben *). Und so kann auch
hei B 799 und 805 Karl sein Handmal gelegentlich und nach dem Aus
fertigungstage heigefügt haben. In sofern muss es auch dahin gestellt
bleiben, ob wie Böhmer bei B 720 gethan hat, aus B 380 eine
Itinerarsangabe für Ludwig den Deutschen entnommen werden darf.
Über B 784 vermag ich ohne genaue Prüfung des Originals nicht
zu entscheiden. Nach einer mir vorliegenden Abschrift lauten die im
Abdruck fehlenden Formeln X, XI: „signum hludouuici (M) Serenis
simi regis. [hade-]bertus subdiacorius aduicem grimaldi archicapel-
lani recognoui et subscripsi (S. R.)“ — also richtig. Dagegen bemerkte
ich schon früher die kleinen Abweichungen (sigilli und anno Christo
propitio) in den Formeln IX und XII. Das Fehlen der Tir. Noten,
welches Ko pp 1, 431 bestimmt, dieses Diplom zu verwerfen, ent
scheidet in dieser Kanzleiperiode nicht mehr.
B 785 ist die einzige Urkunde Hadebert's, deren übrigens nur in
Abschrift überlieferte Zahlen eine Correctur erfordern, um sich in
die von mir aufgestellte Rechnungsart einzufügen; mit der Verbes
serung a. r. XXV = 857 passt sie vollständig in das Itinerar.
B 788 2 ) von Neugart aus einem Rheinauer Chartular saec. X,
von Gerbert als Facsimile mitgetheilt, zeigt uns, wie willkürlich
oft die Abschreiber mit dem Wortlaut umgegangen sind. Hier kom
men besonders die Abänderungen der Datirungszeile in Betracht,
welche Neugart veranlasst haben, die Urkunde zu 846 zu setzen.
*) Gleiches gilt von BO 867, wo die Unterschrift Arnulfs sich auch durch Schriftzug
und Tinte von der ursprünglichen Unterschrift unterscheiden lässt.
z ) Über den Inhalt vergl. Stalin, Wirt. Gesell. 1, 375.
Beiträge zur Diplomatik.
395
Am gewichtigsten scheint unter seinen Gründen, dass dies Diplom
erst nach der S.338, Nr. 417 mitgetheilten Traditionsurkunde, für die
er 863 feststellt, gesetzt werden könne. Es lohnt sich um so mehr,
seiner Berechnung nachzugeben, als sich aus der letzten Urkunde
(„actum Ulma palatio regio anno XX11I regis gloriorissimi Ludewici
regis in or. Fr. mense februario, XI Kal. eiusdem mensis, dieSaturni,
ipso rege praesente ... VI anno Nicolai papae , .“) eine genaue
Itinerarsbestimmung für Ludwig ergibt. Zunächst ist zu bemerken,
dass nach den Neugart’schen Drucken die verschiedenen, aber
wohl alle auf eine Sammlung des IX. bis X. Jahrhunderts zurück
zuführenden Rheinauer Chartularien eine eigenthtimliche Überarbei
tung der Daten in der Weise erfahren haben, dass den Urkunden
Pontißcatsjahre beigefügt sind 4 ), die sicher nicht von der könig
lichen Kanzlei herstammen und die wohl auch bei alemannischen
Privaturkunden dieser Zeit nicht nachgewiesen werden können.
Dennoch hat Neugart seltsamer Weise gerade die Ziffern des
Pontificatsjahres, die durchaus keine Berücksichtigung verdienen,
seinen Berechnungen zu Grunde gelegt. Eben so wenig ist die In—
carnationszahl 868 in der Abschrift von B 788 zu beachten. Die bei
den ursprünglichen und dem Kanzleigebrauch entsprechenden An
gaben in BF 788 ergeben 8S8. Demgemäss muss^ nun auch die
Traditionsurkunde datirt werden, bei der offenbar die unrichtige
Bezeichnung des Tages Schwierigkeiten macht, und für die ich zu
lesen vorschlage: „mense februario XI Kal. martii (woraus der
Sammler, weil es ein Februarstag ist, ejusdem mensis machte), die
Saturni anno XXVI (durch Lesefehler entstand XXIII) regis Lud. Cf —
somit gleichfalls 8S8, dessen Sonnlagsbuchstabe B ist, folglich der
19. Februar ein Samstag. Es fügt sich das trefflich in alle sonstigen
Itinerarsangaben. Der König ist nach B 786 am 2. Februar noch in
Regensburg. Daran schliesst sich die Erzählung Rudolfs 2 ) an:
*) Vergl. Neugart I, Nr. 347, 438, 462, 500 u. a.
2 ) Mon. SS. 1, 371 ; Note 40 daselbst, nach welcher der König vor dem 23. April nach
Coblenz gekommen wäre, gibt mir zu der Frage Anlass, ob unter dem „dies letania-
rum“ des Annalisten auch wirklich die „letania major“ zu verstehen ist, welche
Karl als gebotenes Fest einsetzte (LL. 1, 162. 289) und die nach Bened. Capit. 1. 2.
cap. 74 (in LL. 2, app. 77) „more Romano in septimo Kal. maii“ gefeiert werden
sollte. Denn mit „dies letaniarum“ oder „rogationum“ wird wenigstens später
die dreitägige „litan. minor“ bezeichnet, die Bischof Mamertus von Tours zuerst
aufgebracht und die das Conc. Arel. I. von 511 allgemein angeordnet hatte. Diese ist
396
Dr. S i e k e 1
„mense autem februario rex. . . in Forahheim colloquium liabuit;
inde . - in uilla Alamanniae quae voeatur Ulma Notingum . . suseepit
(= Traditionsurkunde vom 19. II. 858); post mediam vero quadra-
gissimam venit in Franconofurt.“ In diesen Aufenthalt fallen B 788
und 789 vom 12. und 16. IV und in den zweiten Aufenthalt daselbst,
nach der Rückkehr von Cobleuz, B 811 vom 13. VI. 858 >). Eine
einzige Urkunde Hadebert’s, die letzte desselben, nachdem bereits ein
anderer Subdiacon Waldo in die Kanzlei eingetreten ist 2 ), fällt noch
in das folgende Jahr: B 814 vom 25. IV. 859. Wäre die Speirer
Urkunde bei Dümge 72 doch echt, so verschwänden fast gleich
zeitig sein Name und der des Notar Comeat aus den Unterschriften
der Diplome.
B 773, 774, 777. — Gegen die letztere Urkunde für B. Samuel
von Worms ist geltend gemacht, dass sie später fallen würde, als
der Todestag desselben, für den sich aus den Annalen Fuldenses,
dem Diptychon Fuld. und dem Necrol. Lauresh. der 6. (oder 7.)
Februar 856 ergibt. Aber dieser Einwurf liesse sich wohl beseitigen
durch Veränderung von XIII Kal. sept. in XIII Kal. febr., wie es in
B 773 u. 774 heisst, so dass alle drei Urkunden für Worms an dem
gleichen Tage (20. Januar 856) ausgestellt wären, oder vielmehr
• dass sie an gleichem Tage ausgestellt erscheinen sollen. Denn Inhalt
und Form machen sie sehr verdächtig. In B 774, 777 sind
nicht einmal die Formeln I, II richtig; der in der Arenga von B 773
aber ein Wandelfest, zwischen Dominica vocem jucunditatis und Ascensio und würde
858 auf den 9. — li. Mai gefallen sein. Auch diese dreitägige Feier erwähnt nun
Bened. Capit. 1, cap. 150 (1. c. pag. 54), freilich unter dem Namen „litnnia major“.
Er gehraucht also denselben Namen für zwei verschiedene Dinge. Was ist dann unter
der „litania major“ in den Kestordnungen Karl’s des Grossen zu verstehen? Die auch
' später so genannte, wofür wohl die erste Stelle ßenedict's spricht, oder die „dies
rogationum“, für die sich Benedict’s andere Angabe anführen lässt, sowie die Stel
lung welche die „letania major“ in den kaiserlichen Verordnungen zwischen pascha
dies octo und ascensa domini einnimmt?
*) Nach den von Erhard, 1, 18 aus dem Original mitgelheilten ZilTern. Das Jahr 8G5,
wohin Böhmer auf Grund der von Schaten gefälschten Zahlen die Urkunde
einreihen musste, ist auch wegen der Unterschrift Iladehert’s unmöglich.
2 ) Es ist nicht möglich eine scharfe Grenze zwischen Hadebert und Waldo festzustellen,
sie müssen gleichzeitig in der Kanzlei gedient haben, wie früher Luitbrand in B 78G
neben Hadebert vorkommt. Denn die von Erhard 1, 19 aus dem Original mit-
getheilten Ziffern von B 814 weisen übereinstimmend auf 859, während das „actum
Atiniaco“ in der ersten Urkunde Waldo’s trotz der nicht kanzleimässig richtigen
Ziffern bestimmt auf 7. XU. 858 hinweist.
Beiträge zur Diplomatik.
397
enthaltene Gedanke kommt zwar häufig vor, ist aber hier in zum
Theil ganz ungebräuchliche Ausdrücke eingekleidet. Andere anstössige
Worte im Context hat schon Heu mann 2, 223 ff. zusammengestellt.
Ich möchte hier vor Allem den Rechtsinhalt in B 777 als dieser
Zeit nicht entsprechend hervorheben, um so mehr, da diese Urkunde
als Ausgangspunkt für die Entwickelungsgeschichte der bischöflichen
Städte genommen worden ist. Arnold hat dieses Diplom anstands
los benutzt. Stälin a ) sagt wenigstens überden in B 777 seinen
Grenzen nach genau bestimmten Immunitätsbezirk: „besonders merk
würdig ist das hier gegebene frühe Beispiel, dass der Abrundung
wegen ganz Freie und nicht unter die homines ecclesiae gehörende
Anwohner zu der Immunitätsgerichtsbarkeit vom König hinzugegeben
werden“. Und in der Tliat muss es auffallen, dass diese Urkunde uns
die Immunität in einem Stadium der Entwickelung zeigt, das wir an
anderen Orten erst geraume Zeit später naclizuweisen vermögen.
Nach den sonstigen Immunitätsdiplomen Ludwig’s des Deutschen und
nach den Formulae Salomonis, welche auf diese Zeit zurückweisen,
erscheint die Immunität um die Mitte des IX. Jahrhunderts in dem
hier in Betracht kommenden Puncte noch als das was sie unter den
Merowingern war 8 ). In der massgebenden Formel werden als
gefreite Besitzungen bezeichnet: „ecclesiae aut loca aut agri seu
reliquae possessiones memoratae ecclesiae quas moderuo tempore .. .
legibus possidet vel quae deiuceps in jure ipsius loci voluerit divina
pietas augere“. Zufälliger Weise können solche Besitzungen ein
factisch geschlossenes Territorium bilden, wie etwa die Einhard’sclie
Schenkung in der Descriptio marchae pertinentis ad Michienstadt 4 ),
zufälliger Weise kann es daher einen geschlossenen Immunitäts
sprengel geben. Aber in B 777 ist das Verhältniss ein anderes. Die
Ausdrücke: „in rebus ac locis (ecclesiae Wormatiensis) ad Wimpinam
respicientibus“ u. dgl. und der Umstand, dass die königlichen Beamten
in Wimpfen Rechte auszuüben versuchten, lassen vermuthen, dass
die Besitzungen der Kirche von anderen Besitzungen durchbrochen
waren. Dennoch wird allem Brauch der Zeit zuwider ein gefreiter
Sprengel geschaffen (quae emunitas in eo loco incipit — folgt eine
1 ) Verlassiingsgeschichte der freien Städte 1, 16 ff.; ihm folgen Walter u. A.
2 ) Wirtemh. Geschichte 1, 360.
3 ) Waitz, deutsche Verfassungsgeschichte, 2, 291 ff.
4 ) Cod. Lauresh. 1, 49.
398
Di*. S i c k e I
Grenzbeschreibung), innerhalb dessen alle von dem Grafen aus
geübten Rechte auf den Bischof übertragen werden. Noch deutlicher
tritt der Unterschied im weiteren Verlaufe hervor. Nach der allge
meinen Formel würden dieser Art von Schutzhoheit unterworfen
sein: „die homines ipsius ecclesiae tarn ingenui quam et servi super
terram ipsius commanentes“, aber stets nur die homines ecclesiae.
Ausdrücklich anders in B 777, wo auch die, welche „in bis viliis qua—
tuor vel tres vel duas hobas possident“, dem Advocaten anhefohlen
werden. Es bedarf keines weiteren Beweises, dass die Wormser
Urkunde eine Abweichung von allen uns sonst aus dieser Zeit be
kannten Füllen und eine wesentliche Neuerung hinstellt. Dürfen wir
aber als vollgiltiges Zeugniss für eine solche ein Diplom gelten
lassen, dessen Formeln entschieden falsch sind?
In Bezug auf B 773 mag, ausser dem, was Ileumann schon
als anstössig bezeichnet hat, noch bemerkt werden, dass auch diese
Urkunde in der uns vorliegenden Fassung von der Vorstellung eines
in jeder Hinsicht eximirten geschlossenen Sprengels in praedicta
civitate infra vel extra ausgeht. Nun ist aber wahrscheinlich erst unter
Konrad I., frühestens unter Arnulf *) alles Königsgut in und bei Worms
in den-Besitz des Bischofs übergegangen, und so lange dies nicht
geschehen, kann nicht von geschlossenem Territorium, noch weniger
von geschlossenem Immunitätssprengel die Bede sein. Dass endlich die
in B 773 ausgesprochene Verleihung des Münzrechtes an den Bischof
grosses Bedenken erregt, werde ich bei B. sp. 838 nachweisen 2 ).
Dass B 776, 778 und Dronkc 270, Nr. 602 falsch sind, hat
schon Heu mann 2, 224 ff. zur Genüge bewiesen 3 ); eine schärfere
Fassung der von ihm geltend gemachten Gründe ergibt sich schon aus
den früheren Bemerkungen über die Formeln dieser Kanzleiperiode.
*) B 1249 a. 913 beruft sich darauf, dass Arnulf „omne praedium suum quod liabuit
intra et extra Wormatiam“ dem Bischof von Worms geschenkt habe. Die Arnulfinische
Urkunde ist nicht bekannt und es spricht allerlei dafür, dass die Konrad vorgelegte
Urkunde nicht unverfälscht gewesen.
2 ) Nach B 773 hätte der König zugleich der Kirche geschenkt „quicquid ad nostruin
usum et jus pertinet“. Ob dies im weitesten Sinn zu nehmen, muss allerdings dahin
gestellt bleiben. Sonst könnte noch darauf hingewiesen werden, dass dem geradezu
durch das Diplom Arnulf’s ß lioö widersprochen wird, laut dem sich noch bis 897
(oder vielleicht noch bis 913 nach B 1249) Fiscushörige in Worms befanden.
3 ) Einzelne Bemerkungen Heumann’s wie „nec ista aetate . . Ludovicus in Alsalia
juris quidquain habuit“ zu B 77G sind zwar nicht am Platze, denn Weissenburg gehört
zum Reich Ludwig’s und ebenso der Ufgau, in welchem die dem Kloster bestätigte
Beiträge zur Diplomatik.
399
Mit Ausscheidung dieser Urkunden stellt sich also in Bezug auf
die Vorsteher der Kanzlei seit dem Tode des Ratleic heraus, dass
zunächst auf ihn (B 768 vom 22. V. 834), der sonst nicht bekannte
Abt Baldric folgt, in dessen Namen auch B 772 vom 20. III. 833 aus
gefertigt ist. Dazwischen wird in B 771 Grimold in der Unterschrift
genannt, der dann auch in den folgenden Jahren bis B 783 vom 26.
VIII. 837 wieder in Person die Leitung der Kanzlei übernimmt. Es
fällt auf, dass während er früher in der Formel XI kurzweg Grimol-
dus heisst, ihm zuerst in der Urkunde vom 16. VI. 836, dann aber
auch in allen in seinem Namen ausgestellten Diplomen der späteren
Jahre regelmässig der Titel archicappellanus gegeben wird. Aber
Neuerung ist dies nur in Bezug auf die Titulatur in der Unterschrift,
denn schon 833 nennt ihn der König summus cancellarius noster und
834 archicapellanus noster *)• —Vom 2. Februar 838 B 786 an bis in
die zweite Hälfte des Jahres 860 führen dann die Urkunden wieder
eine andere Unterschrift, die des cancellarius Witgar, der Abt von
Otteribeuren, dann Bischof von Augsburg war 2 ). Es wird am Schluss
der zweiten Beiträge gezeigt werden, was sich aus diesem Wechsel
der in den Unterschriften genannten Personen für die innere Ein
richtung der königlichen Kanzlei ergibt.
Privilegium Ludwig’s des Deutschen für Dersfcld 3 ).
Uersfeld 31. October 843.
(Chr.) In nomine sanctae et individuae trinitatis.
Hludowicusdivina favente gratia res'). Cum petitionibus
Besitzung liegt; dennoch lassen sich weder diese, noch die andern Urkunden irgend
wie vertheidigen. — Der liber feudorum, aus dem Zeuss 267 B 776 mittheilt, leistet
in Incorrectheit das möglichste, wie „veniens in manum ac proceruni nostrorum
provinciam“ statt „in nostram . . . praesentiam“; auch viele der dort abgedruckten
Privaturkunden erfordern wesentliche Ernendationen.
1 ) Wirt. Urkundenbuch, 1, 109. 141. So auch in der Weissenburger Urkunde bei Zeuss
trad. Wizenb. 146 von 865: „summus capellanus“. Vergl. B 786, 798, 799 u. s. w.
2 ) Seit 868 soll er Bischof gewesen sein. Wenn sich dies Jahr aber nur auf das Datum
von B 786 stützt (wie bei Braun, Geschichte der Bischöfe von Augsburg 1, 146), so
ist es schlecht verbürgt. Witgar könnte auch als Abt Kanzler oder schon lange vor
dem Eintritt in die Kanzlei Bischof geworden sein.
3 ) Siehe Seite 370 die Beschreibung der Urkunde, die Erklärung der Tironischen Noten
u. s. w.
a ) B 331: „In nomine doraini dei et salvatoris nostri Jesu Christi Hludowicus divina
ordinante providentia imperator augustus“.
400
Dr. S i c k e I
sacerdotum justis et'rationabilibusdivinicultusamore
favemus, super na gratia nos muniri non dubitamus. Idcirco
notum fieri volumus omnibus fidelibus sanctae dei ecclesiae ac nostris
praesentibus scilicet et futuris, qualiter vir venerabilis Brunwardus“)
abba ex monasterio Herolvesfeld, quod est situm in pago Has-
sense super fluvium Fulda construclum in honore beatorum aposto-
lorum Simonis et Tathei, veniens in procerum nostrorum prae-
sentia praesentavit obtutibus nostris privilegium b ) in quo contine-
batur, qualiter antecessor suus Lullus quondam episcopus in suo
proprio ipsum monasterium aedificasset et domni Karoli *) avi nostri
nee non et genitoris nostri Hludowici piissimis imperatoribus sub
eorum tuitionem 0 ) ac defensionem tradidisset, et abbatem ipsi
monacbi de praedicto monasterio sibi licentiam eligendi habuissent
et, si ibi reperire non potuissent, in quocumque monasterio infra
ipsa parrocbia, qui sub regula sancti Benedicti repertus fuisset,
licentiam liabuissent sibi abbatem eligere, et episcopus seu archidia-
conus in ipso monasterio nullam potestatem habuissent nisi secun-
dum sacros canones et instituta patrum illorum ministerium 2 ) pera-
gere, et neque comes neque ulla judiciaria potestas in villis eorum
vel rebus aliquid exactari praesumerent. Sed pro integra firmitate
ac securitatis studio venerabilis vir Brunwardus abba et monacbi
ibidem deo famulantes postulati sunt magrtitudinem nostram, ut in
elemosina nostra ipsum monasterium, sicut a piis principibus con-
cessum atque confirmatum esse dinoscitur, ita deinceps sub nostra
defensioue vel tuitione recipiremus. Quorum petitionem d ) pro mer-
cedis nostrae augmento vel pro animae nostrae remedium seu pro
reverentia ipsius sancti loci denegare noluimus, sed sicut dive me-
mor'iae ac pie recordationis domnus Karolus avus noster nec non et
genitor noster Hludowicus imperatores ipsum monasterium sub eorum
tuitione vel defensioue habuerunt, ita et nos libenti animo praedicto
Brunwardo abbati et monachis ibidem consistentibus pleniter con-
*) Zuerst war geschrieben „domno Karolo“.
2 ) Im Original „ministerurn“.
a ) V. v. ßunus a.
b ) S. et Tathei conslructum. Ostendit nobis per monachos suos Ileimulfo videlicet et
Erluino privilegium.
c ) Edificasset et domno ac genitori nostro Karoli piae recordationis sub sua tuitione.
d ) Postulantes clementiam regni nostri ut in nostra aeiimosina ipsum monasterium more
paterno sub nostra defensioue vel tuitione reciperemus. Cujus petitioni.
Beitrage zur Diplomatik.
401
cessisse atque in omnibus confirmasse omnium fidelium sanctae dei
ecclesiae eogn[oscat] industria“). Praecipientes ergo jubemus ^ ut
neque episcopus Mogonciae civitatis aliam sibi in praedicto mona-
stei'io usurpet potestatem, nisi secundum quod in sacris canonibus
est constitutum, scilicet praedicare et ordinäre atque confirmare
vel c ) ea quae ad suum pertinent [mini-]sterium legaliter peragere 4 );
similiter neque archidiaconus ejus, extra quod prae-[dic-]ti sacri
canones jubent, ullam sibi vindicet potestatem. Insuper etiam neque
comes neque quislibet judiciaria [potestas in villis eorum vel aliis 1 )]
rebus aliquid exactare ullo umq-[uam tempore praesumant 0 ) neque
mansiona-Jticum neque aliud ullum impedim-[entum praedictis mo-
nachis facere temptent, se-]d in futurum sub nostra defensione vel
[tuitione semper] per banc nostram auctoritatem securi persistant f ).
Et quando quidem abbas de ipso [monasterio de hac luce] migra-
verit, volumus ut ex nostra auc-[toritate licentiam habeant monachi
de ipso monasterio secundum g ) sacros] canones et reg-[ulam sancti]
Bene-[dicti sibi abbatem eligere 11 )], et si ibi minime reperire nequi-
verint 1 ), tune sibi ipsa congregatio de quocumque monasterio [infra
ipsa parr-]ochia abbatem regulärem eligere voluerint per hanc
nostram autoritatem lic-]entiam habeant eligen-[di. Et quando deo
volente electus fuerit], ad nostram usque' 1 ) perdueant praesentiam,
ut ibi examinetur si dignus sit tali ordinari officio, et si a nob-[is
probabilis] esse videtur, eorum consentiam-[us voluntati, ut meli-]us
illis de-[lectet pro nobis ac conjuge] proieque nostra atque pro
st-[abilitate] regni nostri [domini misericordiam] alacriter exorare 1 ).
Hanc quoque auctoritatem, ut pleuiorem in dei nomine obtineat vigo-
Nacli den noch sichtbaren Schäften hatte das Original „alliis“.
a ) Sed sicut domnus et genitor noster ipsum monasterium sub sua t. v. d. habuit juxta
petitionem Lulli quondam episcopi, ita et nos praedicto Buno abbati concessisse atque
in omnibus confirmasse cognoscite.
b ) Praecipientes jubemus.
Ordinäre vel.
d ) Ministerium peragere.
e ) Aliquid exactare praesuinant.
f ) Sed sub n. d. v. t. securi persistant.
g ) Habeant secundum.
h ) Eligere de ipsa eongregatione.
') Potuerint.
k } Ad nostram perdueant.
] ) Misericordiam exorare.
Sitzh. d. phil.-bist. CI. XXXVI. Bd. III. Hft. 27
402
Di*. Siokol, Beiträge zur Diplomatik.
rem et a lidelibus nostris verius cercius-[que cre-]datur, manus
[nostrae signaculo subter eam firmavimus] et anuli nostri inpressione
adsignari jussimus (Notae Tir.)
Signum (M) domni Hludowiei gloriosissimi regis.
(Ciir.) Comeatus notarius advicem [Radleici] reco-
gnoyi et subscripsi. (S. recognitionis. — Notae Tiron. —
Sigillum.)
Data II Kal. novembris anno Christo propitio XI regni domni
Hludowiei regis in orientali Francia, indietione VII, actum in Eherol-
vesfeld monasterio, in dei nomine feliciter amen.
a ) Manu proprin subter firmavimus et anuli nostri impressione signari jussimus.
Verzeichntes der eingegangenen Druckschriften.
403
VERZEICHNIS
DER
EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(MÄRZ 1861.)
Aceademia Pontificia de’*Naovi Lincei, Aüi. Anno XIII, Sessione
V 1 . Roma, 1860; 4°-
Akademie der Wissenschaften, König!. Bayer., zuMünchen, Quellen
und Erörterungen zur Bayerischen und Deutschen Geschichte.
Herausgegeben auf Befehl und Kosten Sr. Majestät des Königs
Maximilian II. Quellen VIII. Band. München, 1860; 8°-
— der Wissenschaften, König). Schwedische, zu Stockholm,
Handlingar. Ny Följd. II Bandet, 2 1 Haftet. 1868; 4 0, —
Ofversigt of Köngl. Vetenskaps - Akademiens Förhandlingar.
XVI da Argängen, 1869; 8 0- — Meteorologiska Jakttagelser
Sverige, of Er. Edlund. I“ Bandet, 1869. Stockholm, 1860; 4°-
— Eugenies Resa. Zoologi. IV. Stockholm, 18S9. 4°- — Mit-
gliederverzeichniss. Maj 1860; 8°-—Friesen, Johan Otto voni
Ofversigt of Sveriges Ornithologiska Lilteratur. Akademisk
Afhandling. Stockholm, 1860; 8°-
American Journal of Science and Arts, Vol. XXX, Nr. 89 — 90
Vol. XXXI, Nr. 91. New Haven, 1860 u. 1861 ; 8°-
Anzeiger für Kunde der deutschen-Vorzeit. N. F. VIII. Jahrgang,
Nr. 2. Nürnberg, 1861; 4°-
Austria, XIII. Jahrgang, VIII. — XI. Heft. Wien, 1861; 8 0-
Boletin hibliogräfico Espanol, Ano II, Nr. 3 «& 4. Madrid, 1861. 8°-
Cicogna, Emmanuele Antonio , Delle inscrizioni Veneziane. Fasci-
colo 24. Contenente la chiesa di San Giobbe e contorni. 4 0-
Gesellschaft, k. k. mähr, schles., zur Beförderung des Acker
baues, der Natur- und Landeskunde in Brünn, Mittheilungen,
Jahrgang 1860. Brünn; 4 0-
Ge Seilschaft der Wissenschaften, König!., zu Göttingen, Göttin
gische gelehrte Anzeigen. Band I — III auf das Jahr 1860.
Göttingen; 8 0, ;—Nachrichten von der Georg-Augusts-Univer-
404
Verzeichuiss der eingegangenen Drucksehriften.
sität und der König]. Gesellschaft der Wissenschaften.zu Güt
tingen. Vom Jahre 1SG0, Nr. 1 — 29. Göttingen; 8°-
Istituto, R., Lombardo di scienze, lottere ed arti, Memorie. Serie
II. Vol. VIII. Fase. IV. Milano, 1861; 4»'
— I. R., Veneto di scienze, lettere ed arti, Memorie. Vol. IX.
Parte II. Venezia, 1861; 4°- — Atti. Serie 3 a , tomo 6°, disp.
3\ Venezia. 1860—1861; 4 0-
Jahresbericht und Mitglieder-Verzeichniss der Deutschen Gesell
schaft der Stadt New-York, am 16. Januar 1860. New-York,
1860; 8°-
Merret, J. King, Report on the Huacals, or ancient Graveyards of
Chiriqui. 8°-
Du Mesnil-Marigny, Les libres echangistes et les protectionnistes
concilies, ou solution complete des principales questions eco-
nomiques. Paris, 1860; 8°'— Reponse aux objections faites ä
la theorie sur la richesse des nations. S 0-
Meyer, .loachim, Neue Reitrage zur Feststellung, Verbesserung und
Vermehrung des Schill er’schen Textes. Nürnberg, 1860; 8 0-
Mittheilungen der k. k. Central-Commision zur Erforschung und
Erhaltung der Baudenkmale. VI. Jahrg.Nr. 3. März. Wien, 1861; 4°-
— aus J. Perthes’ geographischer Anstalt. Jahrgang 1861,
Heft II. Gotha, 1861; 4»-
Revue orientale et Americaine, 3 m ° Annee, Nr. 27. Paris, 1860; 8 0,
Statistik der Stadt Wien. Herausgegeben von dem Präsidium des
Gemeinderathes und Magistrates der k. k. Reichshaupt- und
Residenzstadt. 2 Heft. Mit 2 Übersichtskarten. Wien, 1861; 4°-
Stern, Max. Em., Zeitstimmen der Dreiuneinigkeit an die Zions
wächter im Judenthume. Nebst einem Anhänge: Die Rabbiner-
wahl zu Bummessel. 2. Auflage. Leipzig, 1861; 8°-
Verein für siebenbürgische Landeskunde, Archiv. N. F. IV. Band,
2. Heft. Kronstadt, 1860; 8 0- — Trauschenfels, Eugen von,
Deutsche Fundgruben zur Geschichte Siebenbürgens. (Neue
Folge.) Kronstadt, 1860; S 0- —Wittstock, Heinrich, Beiträge
zur Reformations-Geschichte des Rösnei’gaues. Wien, 1838; 8°'
— für hessische Geschichte und Landeskunde, Zeitschrift. Band
VIII, Heft 2, 3 u. 4. Kassel, 1860; 8°- — Mittheilungen des
Hanauer Bezirksvereins, Nr. 1 u. 2. Hanau, 1860; 8°- —
Periodische Blätter, Nr. 13 u. 14. Kassel; 1860; 8°-
BIBL ÖAW
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