SITZUNGSBERICHTE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
VIERUNDDREISSIGSTER BAND.
WIEN.
AUS DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
IN COMMISSION BEI KARL GEROLD’S SOHN, BUCHHÄNDLER DER KAIS. AKADEMIE
DER WISSENSCHAFTEN.
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SITZUNGSBERICHTE
DER
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN CLASSE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
VIERUNDDREISSIGSTER BAND.
Jahrgang 1860. — Heft I bis III.
WIEN.
AUS DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
IN COMMISSION BEI KARL GEROLD’S SOHN, BUCHHÄNDLER DER KAIS. AKADEMIE
DER WISSENSCHAFTEN.
1860.
300122
INHALT.
Sitzung; vom 7. März 1860.
Müller, Friedrich, Einiges über das v ecpeXxujxtxov im Griechischen vom
sprachwissenschaftlichen Standpuncte 3
— Zur Suffixlehre des indogermanischen Verbums 8
lluber, Über die Entstehungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe . 17
Sitzung; vom 14. März 1860.
Tomaschekf Über zwei ältere Rechtsgutachten der Wiener Universität . 58
Sitzung; vom 21. März 1860.
I Müller, Alois, Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
Eine historisch-philosophische Untersuchung als Beitrag zur
Religionsgeschichte Vorderasiens 95
^ Firnhaber, Actenstücke zur Aufhellung der ungrischen Geschichte des
17. und 18. Jahrhunderts 165
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften 243
Sitzung; vom 11. April 1860.
, Wolf, Ferdinand , Dom Antonio Jose da Silva, der Verfasser der
sogenannten „Opern des Juden“ (operas do Juden) 249
Sitzung; vom 18. April 1860.
( Haupt, Beiträge zur Kunde deutscher Sprachdenkmäler in Handschriften 279
Sitzung; vom 25. April 1860.
\_Brücke, Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache 307
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften 357
Sitzung; vom 9. Mai 1860.
v. Karajan, Bericht über die Thätigkeit der historischen Commission
der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, während des akade
mischen Verwaltungsjahres 1858 auf 1859 361
— Bericht über die Thätigkeit der Commission zur Herausgabe der Acta
Conciliorum Saeculi XV, während des akademischen Jahres 1858
auf 1859 370
Sitzung; vom 16. Mai 1860.
Pfizmaier, Die Feldherren Han-sin, Peug-yue und King-pu . . . . 371
Sitzung; vom 24. Mai 1860.
Pr eisauf gaben 436
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften 445
SITZUNGSBERICHTE
KAISERLICHEN AKADEMIE DERWISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
XXXIV. BAND. I. HEFT.
JAHRGANG 1860. — MÄRZ.
l
SITZUNG VOM 7. MÄRZ 1860.
V o r g e 1 e g t:
Einiges über das v ipsXxuauxöv im Griechischen
vom sprachwissenschaftlichen Standpuncte.
Von Dr. Friedrich Müller,
Amanuensis an der k. k. Universitäts - Bibliothek.
Unter die räthselhaftesten Erscheinungen im Griechischen
gehört unstreitig das sogenannte v ipeixuanxdv, ein Buchstabe,
der allem Anscheine nach sich an das Ende von Worten heftet, ohne
ihnen irgend eine andere Bedeutung zu verleihen, daher kein Wun
der, dass man ihm selbst keine zu vindiciren vermag. Eine Erklä
rung dieser sonderbaren Erscheinung ist mir nicht bekannt; denn
einigen hie und da zerstreuten Mutlimassungen kann man wohl das
Prädicat einer Erklärung nicht geben. — Ich versuche es, in diesen
Blättern einige Fälle dieser Erscheinung zu besprechen; ob mir die
Lösung gelungen ist, das mögen Kräfte, die sich schon längere
Zeit auf diesem schwierigen Gebiete bewegt haben, entscheiden,
und zugleich an dem Anfänger Manches, was erst längere Übung
vollkommener zu bieten vermag, entschuldigen.
Ich will gleich einen speeiellen Fall herausgreifen. Die Formen
Heye, sItzs, stu</>s erscheinen im Griechischen bald so wie ich sie
eben hergesetzt habe, bald — und zwar in der classischen Sprache
vor Vocalen und in der Pause — als sinev, irzxpev. Die
Formen sind ganz klar, nur das angehängte v bedarf einer Deutung.
Ich bin sehr geneigt, in diesem v gleich dem v in der Negation dv
(an in [anyaj alias) ein altes Erbgut, nicht etwa einen spä
teren Eindringling, anzuerkennen und es auf ein t zurückzuführen.
i*
4
Fr. Müller
Den Vorgang dieser allmählichen Entwickelung will ich zu zeigen
versuchen.
Im Sanskrit ist das Zeichen der dritten Person im Allgemeinen
c[^(t). Im Präsens und den damit zusammenhängenden Formen
tritt noch das Zeichen der Gegenwart i hinzu und die Form lautet
dann TrT (ti). Diese Form ti erscheint uns im Griechischen unver
sehrt in hart; in dtdcoai finden wir das t schon aspirirt und in
fspst haben wir gar schon eine Aveitere Entwickelung der Aspirate
s in h und Ausfall dieses flüchtigen Hauches (wie in yivoc, gen.
ysveoq [eigentl. genehos] = ysvouc) vor uns, so dass die Reihe
sich also darstellt:
<pspSTt
fipeat
tpipehi
fipet.
Warum sollen wir nicht dasselbe bei elsysv etc. voraussetzen?
— Im Sanskrit lauten diese Formen (äbliavut) ; sie lassen
im Griechischen ein ursprüngliches eXsyer denken. Für diese Form
nehme ich ohne Anstand, in Übereinstimmung mit dem oben Ge
sagten, eine Entwickelung in eXeysg, sXeysli in Anspruch. Ich lasse
vor der Hand dieses sXsyeli bei Seite und betrachte einen anderen
Fall.
Bekannt ist, dass im Griechischen der älteren organischen
Form rÜTiTopss in Übereinstimmung mit der Sanskritform H=I IGH
(bhavämas) ein späteres TÖnropev entspricht; ebenso stehen sich
fipevov und (bharathas), gegenüber,
so dass s einem n gleich, als Entartung desselben, angenommen
wird. Nebstdein kann man das präkritische 'fe (hin) = Sanskr.
ÜT?T (bliis) herbeiziehen. Wie ist der Vorgang eines Überganges
des s in n zu erklären?
Ich denke mir denselben also: Das s am Ende des Wortes
ging bald in ein Wisarga, einen dem li ähnlichen Laut, überund
wurde bald so flüchtig durch die Nase gesprochen, dass es einer
Trübung des vorhergehenden Vocales gleichsah. In dieser Eigen
schaft kann man es mit einem Nasal identificiren; daher kein Wun
der, wenn es in der Schrift als n fixirt wurde. Dass der Nasal
lange Zeit eine unbestimmte, den Vocal trübende Aussprache gehabt
habe und mehr als integrirender Theil des Vocales, denn als seihst-
Einiges über das v ecpeXxüartxov im Griechischen.
5
ständiges consonantisehes Element betrachtet wurde, beweisen For
men wie rec'vw = rev-i-cu von Vro-', denn nur dann, wenn man
zeii sprach, konnte sich rem bilden. Ich stellte also den Vorgang
so dar:
ruzrro//ec
TUTCTOjjeh
TU7TT ofte/i
TUTCTO/Jiev.
Als Parallele dieser Art Umschlagens der Aspirate in den Spi
ritus und dann in der Nasal führe ich die Verwandlung des as im
Sanskrit in 6 an. Hier ging s in h und dann in einen Nasal über,
der sich in u verdumpfte, woraus endlich a-\-u—6 erwuchs. Bei
läufig verweise ich auf das sendische W (aüro) = dem vedischen
Kßi (dasra) und das Vortreten des j (n) vor er (h) — ein Beweis,
dass dieses h schwach durch die Nase gesprochen wurde.
Wenn ich nun das v in Heyev, einev etc. organisch fasste, als
aus t entstanden, so ist es mir nicht möglich, dasselbe bei dem v
in eariv, ri&yotv, didiocuv zu thun. Hier kann man entweder ein
Hinübergreifen dieses v aus dem Imperf. Aorist etc. annehmen, oder,
was mir wahrscheinlicher dünkt, den Antritt einer Partikel, etwa vu,
Sanskr. *7 (nu), sich denken, wie es wohl in rö<pov, lüoov etc. =
Ton-aa-v(o), Xo-aa-v(o) unzweifelhaft vorliegt 1 ). Im Imperativ ist
die auffordernde Partikel am Platze, und verleiht dem Modus eine
verstärkende Kraft, während ich dem Indicativ keine solche zuzu
sprechen im Stande bin. Dies entscheidet aber wenig; denn man
weiss ja, welche schwache Kraft dieser Partikel im Sanskrit zu
kommt, so dass sie fast als expletiv, etwa wie das griechische ye
— vedisch =1 (gha), (ha) — Sanskr. (hi), send(zi)
gelten kann.
Einen interessanten Fall, wo das s einen Nasal als Überrest
seines früheren Daseins zurückgelassen, scheint das Altslovenische
zu bieten. Der Genitiv singularis, Nominativ und Accusativ pluralis
Vergl. Pott, Etymolog. Forschungen, 2. Aull. I. p. 396. Oder ist anzunehmen,
xü'Jtov, XOaov seien organisch aus xu^aOi, Xiiaath entstanden; 9t sei dann wie hei
Oes, 86? in c (ibergegangen lind habe als Spur seines ehemaligen Daseins das v
zurückgelassen? Das Sanskrit fällt zwar mit dem Mangel des Imperativcharak
ters bei den Verben der bindevocalischen Conjugation schwer in’s Gewicht, kann
aber nicht als oberste Instanz angesehen werden.
6
Fr. Müller
lautet bei den Femininen, die einen weichen Vocal oder in Folge
dessen einen weichen Consonanten vor dem Feminincharakter a
stehen haben, in a, z. B.: koaia, 3A\hia, AoyuiA, icia, toia, ia,
denen im Sanskrit Formen in äs entsprechen, z. B. toia =
cTF^TRT (tasyäs) = ta(h)yäs, y^o^mA = duyjäs (vgl.
($iväs) Nom. Acc. plur.). Miklosich hält mit Becht diese For
men mit den entsprechenden sanskritischen zusammen, sieht aber
nach Abfall des s in den nasalirten Vocalen einen Ersatz für die
Länge (ä), wie denn Lepsius Nasalirung des Vocals und Länge
als zwei sich gegenseitig vertretende Processe ansehen will. — Die
Sache ist also nicht unwahrscheinlich; falls aber unsere Vermuthung
vom Ursprünge des v bcpelxuartxöv richtig ist, so dürfte man auch
hier an eine Erklärung des Nasals aus dem s denken. Dieser Nasal
ist später ganz verhallt und hat den vorhergehenden Vocal zu u
getrübt (pxiKXi), wie wir dies an iimouz = limovq im Griechi
schen wahrnehmen.
Ein anderer, nicht minder interessanter Fall, wo das v kcpel-
xuanxov auftritt, ist der Dativ plur. ai, respective aiv. Dieses ac
geht, wie die homerischen Formen aai beweisen, auf aft zurück,
und findet in den Sendformen -"»g; (sva), -“»er (hva) seine nächste
Parallele. Diese Formen besitzen, gegenüber der Sanskritform
(su), unstreitig den Anspruch auf ein höheres Alterthum. Schon
früher, ehe ich aiv herbeizog, sah mir die Sendform sva so aus,
als wenn sie aus has verstümmelt wäre; wenn ich nun die grie
chische Form herbeiziehe, scheint mir meine Hypothese einen hohen
Grad von Wahrscheinlichkeit zu besitzen. Um mich über diesen
Punct vollständiger zu erklären, will ich meine Ansicht über die
Bildung des Locals, dem dieses Suffix su, sua, ai angehört, vor
läufig hier niederlegen, indem ich die nähere Begründung einer
grösseren Arbeit über die Casusformen Vorbehalte.
Unter den Localzeichen im Singular i, in, am, scheint mir eines,
das sich beim Pronomen dritter Person vor Palatalen etc. findet,
nämlich ins, das älteste zu sein. Ich fasse s als integrirenden Be-
standtheil der Form und bin sehr geneigt int, ant (vgl. fl TI (ant-a)
„das Ende“, eigentl. „Grenze des Inneren“) als Urform zu postu-
liren. Der Local bezeichnet darnach das Innere, z. B. (vepe),
oi'xoi „zu Hause“, d. h. „im Innern des Hauses“. Diese Form ins
Einiges über das v ecpsXxuatixöv im Griechischen.
7
finden wir schon verstümmelt in der anderen Form des Locals beim
Pronomen als in mit Abfall des s (HTF^FT tasmiri), da das Sanskrit
mit zwei Consonanten im Allgemeinen nicht schliessen darf, vgl.
(devän) = dev ans, nach dem gothischen fiskans (oder dies
aus fiskan-as?), so dass n — m das Objectszeichen und as Plural
zeichen darstellt; vgl. jedoch l'HTi^bhi-s) und (bliy-as). —
Noch weiter griff die Verstümmelung um sich in der Form i statt
in — in, die gewöhnlich in der Declination als Local sing, fungirt.
Die Femininform am scheint mir aus ans (ins) — ant hervorge
gangen zu sein, indem, nach einem ähnlichen Lautgesetze wie bei
in — ins, der auslautende Consonant abfiel und zum Unterschied
von der Masculinform eine Ersatzdehnung eintrat.
Nachdem wir nun ans, ins als ursprüngliche Form des Locals
gefunden haben, so erklärt sich die Form os im Dual — aus
ganz leicht. Ich nehme eine Weiterentwickelung des ans in us an,
wie im Griechischen ovvt = oaai und ambo — sanskr. 'HWT (ubhdu)
und o?T (us) = ÜTi (ant). Diese Form us erblicke ich auch in
der Pluralform H (su) mit Nachschlag des Yocals, wie es sonst
oft vorkommt, z. B. ^P\ (dham), (dhmä); ~)\ (darr,),
(drag); pav, jivt]; nspilco, enpadov etc. An diesen Casusexponen
ten us — su trat nun das Pluralzeichen as (wie in ans, bliis, bhyas),
so dass als das vollständige Zeichen für den Local plur. suas sich
ergibt. Im Send haben wir noch sua, während das Griechische aev
bietet. — Wenn wir oben in dem v eine Abschwächung des t — s
fanden, so können wir denselben Vorgang auch hier voraussetzen
und acv einem su-as gleichstellen. Wir gewinnen auf diese Weise
eine passende Erklärung für den ganzen Local und das sonst ganz
sinnlose v iipekxuanxuv im Griechischen.
Sollten diese Zeilen, die ein Bruchstück einer allgemeinen
Grammatik, an der der Verfasser arbeitet, bilden, einigen Beifall
sich erringen, so wird er dies als Ermunterung betrachten, mit
seiner Arbeit bald an’s Tageslicht zu treten und seine Ansichten
einer unbefangenen Kritik vorzutragen.
8
F r. M ü 11 e r
Zur Suffixlehre des indogermanischen Verbums.
Von Dr. Friedrich Müller,
Amanuensis an der k. k. Universität« - Bibliothek.
In einer der kais. Akademie im December 1857 überreichten
Abhandlung betitelt: „Der Verbalausdruck im arisch-semitischen
Sprachkreise“ — (Sitzungsb. Bd. XXV, S. 379) habe ich, ge
stützt auf eine umfassende Analyse, besonders des indogermanischen
Verbums, den Satz zu erweisen gesucht, dass der Verbalausdruck
sich in zwei Theile sondere, einen nominalen und pronominalen, —
einen prädicativen und subjectiven, entsprechend den Theilen des
Satzes, des einfachsten Gedankenausdruckes. Ich habe dort ange
deutet, dass die im Verbum sich findenden Pronominaltheile beson
ders im Präsens selbst nicht rein, ohne äussere Beimischung, auf-
treten, sondern das i in mi, si, ti, das a in ta, anta und in me =
m-\-a + i, se=s-j-«-f- i als selbstständige Elemente zu fassen seien.
— Eine andauernde Beschäftigung mit diesem, für die Sprachwissen
schaft äusserst wichtigen Gegenstände liess mich die feste Über
zeugung gewinnen, dass meine dort vorgetragene Ansicht einen hohen
Grad von Evidenz besitze, indem sie durch richtige Bloslegung des
Organismus der Verbalsuffixe ihre Bestätigung finde.
Man weiss, dass Bopp, dem wir die scharfsinnige Entdeckung
verdanken, dass am Verbum Pronominaltheile sich angefügt finden,
die mit den Formen des persönlichen Pronomens in genetischem
Zusammenhänge stehen, bei seiner Entdeckung von den Suffixen des
Präsens ausging und nothwendiger Weise dann die anderen Suffixe,
die diesen gegenüber als kürzer erscheinen, als Abschwächungen
derselben auffassen musste. Das i selbst musste ihm als Schwächung
von a erscheinen, und eineandere Erklärung der Atmanepadamsuffixe
— (m)e, se, te— als durch Wiederholung der Parasmaipadamsuffixe
und Verstümmelung — die ihres Gleichen nirgends hat — also
Zur Suffixlehre des indogermanischen Verbums.
9
me — mami, se—sasi etc. war dann nicht möglich. Dies ging wohl
so beim Singular an, beim Plural und Dual musste der grosse Sprach-
anatom selbst einen anderen Vorgang aufstellen als im Singular;
daher hat seine Theorie in diesem Theile der Grammatik wenig Con-
sequenz und man vermisst hier, wie nirgends, bitter eine Einheit in
Durchführung eines Principes, die wir doch in der Sprache überall
antreffen.
Es sei uns gestattet hier von einem anderen Gesichtspuncte
auszugehen und einestheils die kürzere Form der Suffixe, anderes-
theils ein Tempus oder einen Modus, der besonderer Accidentien so
ziemlich entkleidet ist, zum Ausgangspunct zu nehmen.
Offenbar bietet sich vor allen anderen Formen der Optativ oder
Potential dar. Eristein Modus, der durch ein eigenes Zeichen
gekennzeichnet ist, und zur Tempusbezeichnung keines Elementes
bedarf, da er ausser aller Zeit steht. — Eine Zusammenstellung mit
dem Imperfect oder Aorist und eine vernünftige Rechtfertigung der
Anwendung von, diesen beiden Formen zukommenden Suffixen geht
eben von der Voraussetzung aus, die den betreffenden beiden Zeiten
eigenthümlichen Suffixe seien hier erborgt, — kann also nicht gel
ten. Zudem fällt der noch so ziemlich stichhältige Grund einer Ver
kürzung der Form am Ende, als bedingt durch das vorne antretende
und den Ton tragende Augment weg, denn der Optativ hat kein
Augment. Der Vorwand aber, die Verkürzung der Suffixe sei durch
Vermehrung der Form im Innern, durch den eingeschobenen Modal
charakter bewirkt worden, erweist sich bei näherer Prüfung als
nicht stichhältig. Denn man kann fragen: Warum bewirken nicht
dieselbe Erscheinung die an die Wurzel tretenden Classensylben im
Präsens? — ferner warum geht der Accent über den Modalcharakter
zurück? Denn offenbar müsste das betreffende Element, gleich dem
Augmente, das es kennzeichnende und die Veränderung hervor
rufende Moment behalten, falls die Sprache von ihm solche lautliche
Veränderungen abhängig gemacht hätte. — Dies geschieht aber
nicht; folglich ist sowohl eine Erborgung des Suffixes vom Imperfect
und Aorist, als eine Rechtfertigung der Verstümmelung, bedingt durch
gewisse Elemente, unstatthaft. —
Ich will die Suffixe des Potential — die bis auf die dritte Per
son Pluralis auch den Formen des Augment-Präteritums angehören,
— aus dem Sanskrit hersetzen. Sie lauten:
10
Di-. Müller
(n )m va ma
s tarn ta
t tarn us.
Die Zusammengehörigkeit der Elemente in, s, t mit den Pro
nominalstämmen vui, tva (au), ta, sua ist sicher und anerkannt. Was
va, ma, ta betrifft, so fasse ich sie als Verstümmelungen von vas,
mas, tas (vali, mah, tah) und erblicke darin regelmässige Plural
formen der eben berührten Singularelemente. — Wie man aber
diese rein substantivischen Pluralformen rechtfertigen könne, davon
später. —- tarn und tum stelle ich mit dem im Dual erhaltenen Suf
fixe am (in bhy-dm gegenüber von blii-s, bhy-as) und dem wahr
scheinlichen Pluralsuffix am (in asmabhyam, jusmabhyam) zusam
men; eine Differenzirung von tarn und tarn darf hier nicht auffallen;
sie findet in der von s und t (vgl. a-tkus, a-tus) ihre Parallele. —
us, welches dem Optativ im Gegensatz vom sogenannten Augment-
Präteritum (Imperfect, Aorist) zukommt, stelleich mit Bopp') mit
dem ihm entsprechenden Elemente des Augment-Präteritums an,
dessen ältere Form ant lautet, zusammen, und fasse u als Trübung
von an (vgl. ou<7t = ov-n, innov; =mKovg). Daher berücksichtige ich
bei der Erklärung nur die Form ant. Im Vergleich zu t enthält sie
ein Element mehr, nämlich n; dieses habe ich schon früher als Plu
ralelement erkannt und mit dem Zeichen ni zusammengestellt s );
jetzt verweise ich nebstdem auf die Verwandtschaft desselben mit
dem oben angeführten am, am.
Auf diese Weise gewinnen wir ein einfaches und klares Bild
von den Pronominalsuffixen und der en natürlichem Zusammenhang.
Ich stelle daher als älteste Formen hin:
m v-as m-as
(tu) s t-am t-as
t t-am a-n-t.
Wenn wir von da zum Präsens übergehen und uns seine Suffixe
vorstellen:
mi vas mas
si thas tha
ti tas anti,
1 ) Vergl. Gramm. II, 304.
2) Sitzb. XXV, 388.
Zur Suffixlehre des indogermanischen Verbums.
11
so bemerken wir vorerst in den Formen mi, si, ti, anti eine Ver
mehrung der ursprünglichen Elemente m, s, t, ant um ein i am Ende,
denen sich noch mas in seiner älteren Form masi 1 ') beigesellt. Bei
vas kann man nach Analogie von masi ein vasi erschliessen, wie sich
später klar zeigen wird, und es bleiben uns noch thas, tas, tha zur
Erklärung übrig. Erstere Formen, im Gegensätze zu denen des Op
tativ tarn, tarn nach einer andern Weise gebildet, die den Plural spä
ter ausschliesslich (ausser asmabhyam etc.) in Besitz nahm, stehen,
was ihren consonantischen Grundstock anbelangt, in schönster Har
monie mit den entsprechenden Singularformen si, ti. — Ich glaube,
auch hier durch Annahme der Formen thasi und tasi der consequen-
ten Formenentwickelung nicht Gewalt anzuthun, da wir in masi und
den vier obenan aufgeführten Formen schlagende Analoga haben.
Was die Form tha betrifft, so hat sie unter allen ihren Schwe
stern die grösste Verstümmelung erfahren. In Bezug auf ihre Erklä
rung könnte man auf ta zurückgehen und den Einfluss eines ver
loren gegangenen s auf die Entwickelung der Aspirate th annehmen,
aber der offenbare Zusammenhang mit thas lässt auf denselben Vor
gang hier wie dort schliessen. Ja ich möchte eine ursprüng
lich völlige Identität beider behaupten und eine später eingetre
tene Differenzirung annehmen (vgl. lat. tis und Bopp II, 280). Wa
rum aber gerade tha, nicht aber thas von dem Unglück betroffen
wurde, in seinem hinteren Theile verstümmelt zu werden, dafür
könnte ich vielleicht den häufigen Gebrauch des Plurals im Vergleich
zum Dual, den ja ohnehin die meisten Sprachen als eine unnütze
Last über Bord geworfen haben, anführen -).
Stellen wir uns nun die von mir für das Präsens postulirten
Formen zusammen, so haben wir folgende Übersicht:
i) An masi knüpfe ich die armenischen Formen in //^> an. ^ entspricht eigentlich dem
sanskritischen su gleich dem zendischen £_(vergl. Bopp I, 63) z. B.: ./>«//» CQ°J r J
eigentlich früher gesprochen qohr „soror“ Cl u, 0 »somnusdas früher qovn
gesprochen worden sein muss, obschon dies Bopp bestreitet; in dem v ist aber
nicht das v von svapna, sondern eine Erweichung von p zu suchen. Will man
nicht an eine Verdumpfung des i zu u in masi denken, so bietet das Zend eine pas
sende Parallele, indem P* vor y dort einem sanskritischen s (im Dialekt des 2. Theils
der Yagna) entspricht. Z. B. (gpcntaqyd) „sancti“. — Eine Vermitt
lung des armenischen ify aber, wie es Bopp tliun will (II, 273) mit mas, ist nach
eranischen Lautgesetzen schlechtweg unmöglich.
a ) Anders Bopp II, 279.
12
Di*. Müller
m-i v-as-i m-as-i
s-i th-as-i th-as-i
t-i t-as-i ci-n-t-i.
In Ganzen sind diese Formen mit den oben von mir aufgestell-
ten Urformen gleich und unterscheiden sich von denselben nur durch
das hinten antretende Element i.
Es frägt sich eben um die Natur dieses Elementes. Dass wir es
nicht als Schwächung von a in dem Sinne gelten lassen können,
wie es Bopp will»), habe ich schon oben angedeutet. Eine weitere
Frage ist die, welchen Werth man dem Element, sobald man es als
ein selbstständiges fasst, zuschreiben soll? •—- Bereits früher 2 ) habe
ich i als selbstständiges Element aufgefasst und ihm die Bedeutung
gegeben, dass es das subjective Element als das im Satze und Ge
danken bedeutendste hervorhebe. Darnach wäre z. B.: tuddti =
tudd-t-i, wobei aber gerade der Theil, der hervorheben soll (ij,
ohne das Zeichen der Hervorhebung — den Accent — ausginge.
Ich glaube in diesem i ein Zeichen der Zeit, das Bopp als überflüssig
hinstellt 8 ), gefunden zu haben. Ist meine Vermuthung richtig, so
haben wir hier eine sinnvolle Bezeichnung der Gegenwart, die der
Bezeichnung der Vergangenheit diametral enlgegensteht. — Diese
hat ihr Zeichen vorne, erstere hebt das im Pronominaltheil ruhende
und als wirksam gedachte Subject als in der Gegenwart handelnd
hervor. Eine solche Anschauung der Zeit entspricht der kindlichen
Phantasie, die eigentlich nur in der Gegenwart und Vergangenheit
lebt, von einer Zukunft aber noch keine Ahnung hat. Diese, als etwas
Verhülltes, Verborgenes, schwebt ihr als Wunsch vor, — daher die
verwandten Bezeichnungen des Optativs und Futurs.
Dass in den sogenannten Classensylben nicht etwa Zeichen der
Gegenwart zu suchen seien, glaube ich in meinem citirten Aufsatze
sattsam bewiesen zu haben; denn wäre dies der Fall, so lassen sich
die Sanskritformen zweiter Classe gar nicht erklären.
Unsere hier vorgetragene Ansicht über die Entstehung der ver
schiedenen Formen der Personalelemente im Verbalausdruck wird
nicht wenig gestützt und bestätigt, wenn wir einen Blick auf die
*) Vergl. Gramm. II, 270.
2 ) Sitzungsb. XXV, 387.
8 ) Vergl. Gramm. II, 369.
Zur Suffixlehre des indogermanischen Verbums.
13
Suffixe des Atmanepadam werfen. Wir wollen hier die Suffixe des
Präsens beider Formen einander gegenüberstellen:
Parasmaipadam: Atmanepadam:
m-i v-as(i) mas-i (m)e valie mähe
s-i th-as(i) tlia-(si) se atlie dhve
t-i t-as(i) anti te ute ante.
Wenn wir, wie oben, vor allem mi, si, ti, anti, gegenüber von
(m)e, griecli. [xou, se, te, ante hervorheben, so sehen wir bei völli
ger Identität nur den Unterschied in den Endelementen i und e. Letz
teres ist als geschlossener Diphthong auf ai zurückzuführen. Der
Unterschied ruht also in dem vor das i tretenden a. Dieses a habe
ich schon früher 1 ) als selbstständiges Element erkannt und mit dem
Reflexiv-, respective Pronominalstamme sva parallelisirt, so dass wir
eine dem Latein und Slavischen gleiche Bildung vor uns haben. Das
a kann also nur Zeichen des Reflexivs sein.
Betrachten wir aus der Summe der anderen Suffixe valie und
mähe, denen unter den Parasmaiformen vas und mas (vasi, masi),
entsprechen, so finde ich erstens in dem Parallelismus derselben ein
Recht, auf die Form vasi, nach Analogie von masi, geschlossen zu
haben. Es sei mir erlaubt hier ähnliches zu versuchen. — Nachdem
im Zend die Form (maidhe) und im Griechischen (xsd-a der
Sanskritform malie entsprechen, so kann man auch analog der Form
madhe, auf eine Form vadlie schliessen. Wir haben also: malie =
madh-a-i, vadlie = vadli-a-i. Vergleichen wir damit mas-i, vas-i,
so fallen uns vor allem andern die Elemente s und dh auf, die sich
offenbar entsprechen müssen. — Der Zischlaut s ist jedenfalls aus
einem Dental t, th hervorgegangen; eine Zusammenstellung dessel
ben aber, wie im vorliegenden Falle, mit d, dh klingt ziemlich ano
mal , hat aber in der 2. Person Imperativ dhi griech. Si und si, dhve
und tlui eine schlagende Analogie.
Es bleiben uns hier noch die Formen atlie, Ate, dhve zu erklä
ren übrig. Erstere Formen, mit ihren entsprechenden Parasmaifor
men (thas, tasj zusammengestellt, wobei wir das lange ä als zum
Dual des im Verbalausdruck steckenden Nominalthema's gehörig
ansehen, scheinen sich mit denselben schwer zu vertragen. Erin
nern wir uns aber, dass wir oben mit grosser Wahrscheinlichkeit
bei tlui an eine ältere Form tlias-i gedacht haben, so wird es uns
*) Sitzungsb. XXV, 387.
14
Dr. Müller
auch hier erlaubt sein, bei tlie, te eine Form tlia, ta, aus thas, tas
ahgeschwächt, vorauszusetzen. In diesem Falle haben wir, da tha -f-
a -f-i, ta a -f- i — tliäi, täi ergeben, eine eigentümliche Anomalie.
Wir können uns entweder unregelmässige Verkürzung des Endvocales
denken, wie es oft bei Suffixen zu geschehen pflegt, oder, was mir
weniger wahrscheinlich vorkommt, annehmen, ein a habe vor dem
tli, t Platz gegriffen und es sei nach dem Gesetze der Compensation
die Länge in dthe, dte entstanden. Bei dlive im Vergleich zu tha
wäre ebenso an eine Verkürzung des Endvocales zu erinnern. Dieser
Fall macht dieselbe auch in den obigen Formen wahrscheinlicher. —
Was das dli betrifft, so könnte man an eine Entstehung desselben
durch Einfluss des v glauben, und dieses v selbst wäre ein alter Über
rest des in der zweiten Person erhaltenen «-Elementes (tu-am) *)•
Nach dieser Deduction haben wir folgende Atmanepadam-Suffixe
für das Präsens:
m-a-i v-adli-a-i m-adh-a-i
s-a-i («) th-a-i dhv-a-i
t-a-i («) t-a-i an-t-a-i
Wir gehen nun zum Augmentpräteritum und Potential über,
und wollen uns dessen Suffixe vergegenwärtigen. Diese sind:
«, i vahi mahl
thds dthdm dhvam
ta dtdm anta, ran.
Wir heben daraus besonders ta, anta hervor. Verglichen mit
den Parasmai-Formen t, ant haben sie das die Atmane-Formen kenn
zeichnende reflexive a am Ende; ihre Bildung ist eine ganz regel
rechte. Was vahi, mahi betrifft, so setzen sie vadhi, madhi voraus.
Unserer Theorie consequent, müssten die Formen eigentlich madha,
vadha lauten. Ich glaube, die Formen haben ehedem also gelautet
und sind erst durch Schwächung in ihre jetzige Gestalt umgewandelt
worden.
Die Formen dthdm, dtdm, dhvam sind formell mit den Formen
tarn, tarn zu auffallend übereinstimmend, als dass man sie nicht
zusammenstellen sollte. Ihre Bildung geht offenbar von dem Dual
suffix dm aus, das ich oben bereits berührt habe. Die Form der
selben aber gleicht eher einer activen als reflexiven, denn man ver-
4 ) Vergl. Bopp, II, 279.
Zur Suffixlehre des indogermanischen Verbums.
IS
misst an ihr das Charakterelement a. Ich nehme aber nicht Anstand,
Formen wie dthäm-a, ä-täm-a, dhvam-a vorauszusetzen und einen
späteren Verlust des schliessenden vocalischen Elements anzunehmen,
wie wir dies bei masi gegenüber von mas, bei mi gegenüber von m
in sum, pl-pLiT(perdm), bei si gegenüber von s und g im Latein und
Griechischen wahrnehmen, da überhaupt die vocalischen Elemente
zu Ende des Verbalausdrucks gerne abfallen.
Es bleiben uns nun noch die Suffixe a, i und thäs zu erklären
übrig. Was erstere betrifft, so führe ich sie auf die Form m-a zurück
(vgl. griech. p.nv); der Ausfall von m ist ebenso wie bei e statt me
zu erklären, und i = a wie in valii, mahi. — thäs macht besondere
Schwierigkeiten. Der Analogie zufolge sollte das Suffix sa oder tha
lauten; wir haben im vorliegenden Falle um as mehr. Erstere Form
sa findet sich im Griechischen ao factisch vor; in Bezug auf den
Überschuss as in thäs wüsste ich keine bessere Parallele vorzufübren,
als das griechische [xyjv im Vergleich zu (m)a. Auch hier scheint
[xr,jv = pia «p. zu sein 1 ). Was aber am, as bedeuten, darüber
könnte man verschieden rathen. Die Erklärung, welche ich hier
versuche, kommt mir ziemlich wahrscheinlich vor. Ich denke an eine
Determinirung des das Reflexiv im Allgemeinen kennzeichnenden
Elements a durch das bestimmterePronomen der betreffenden Person;
also: i-ru7tT6-[xr]v — i-rv7tr-o-[x-a-(x[x, ätudathäs = a-tuda-th-a-as,
d. h. ich schlug selbst (mich), du schlugst selbst (dich).
Wie Jedermann aus unserer Deduction ersieht, so nehme ich
bei Entwickelung der Formen einen innigen Zusammenhang der
Singular- und Pluralformen an und zwar in der Weise, dass letztere
von den ersteren durch regelrechte Anfügung des in der Nominal-
declination gebräuchlichen Pluralzeichens as (ältere Form atl) ent
standen sind. Dies könnte Manchen befremden, zumal beim Pro
nomen, dem doch die Pronominalsuffixe des Verbums formell ange
hören, eine solche Pluralbildung sich nicht nachweisen lässt. Dies
führt mich auf meine Ansicht vom Verbum als einem Nominalausdruek
mit einem denselben determinirenden Pronomen. Ich bemerke aber
im vorhinein, dass ich mir keineswegs diesen Process als rohe Agglu
tination denke und etwa mit einer Zusammensetzung eines fertigen
Substantivs mit einem Pronomen auf gleiche Stufe setze. — bodhämi
l ) Anders ßopp, II, .'114,
16
Dr. Mül ler, Zur Suffixlehre des indogermanischen Verbums.
ist nichts anderes als bodhn „erkennend“ m „ich“ -f- i „jetzt“.
Fasst man bodlia-m „erkennend-ich“ als Einheit, im Sinne eines
förmlichen Nomens, so dass ein denkendes Subject diesen Gedanken
von sich aussagen kann, so ist eine Pluralität in der Form bodhamas
eben so wenig auffallend, als wenn man bhavantas als Plural von
bhavnnt sagt. Dann stellt sich bodhdmasi so dar: bodha „erkennend“
-j- m-as „wir“ -(- i „jetzt“. Ebenso ä-bodli-a-m— damals -(- erken
nend -|- ich; d-bodha-m-a(s) = damals -J- erkennend ~j- wir etc.
Dies bemerke ich in Kürze als Nachtrag zu meinem oben ange
führten Aufsatze; ich denke durch diese Betrachtungen den organi
schen Zusammenhang der Formen mehr aufgedeckt und das Einzelne
tiefer analysirt zu haben, als es bis jetzt geschehen ist.
Huber, Über die Entstehungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe. 17
Über die Entstehungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe.
Von Dr. Alfons Iluber,
Privatdocenten an der k. k. Universität zu Innsbruck.
Wenige Urkunden haben in der deutschen Geschichte des
zwölften und dreizehnten Jahrhunderts eine solche Verwirrung
herbeigeführt, als die österreichischen Freiheitshriefe, nämlich das
Privilegium Heinrich’s IV. vom 4. October 1058, das sogenannte
Majus Friedrich’s I. vom 17. September 1156, das Privilegium König
Heinrich's VII. vom 24. August 1228, die Bestätigung des Majus
durch Friedrich II. vom Juni 1245 und die Bestätigung aller voraus
gehenden durch König Rudolf vom 11. Juni 1283 i).
Ein Fortschritt auf dem Gebiete der deutschen Rechtsgeschichte
war in einzelnen Puncten fast unmöglich, so lange der Forscher echte
Quellen in denselben sehen musste. Die Arbeiten Böhmer’s 3 ), Wat-
tenbach’s 3 ), Chmel’s 4 ) und Jäger's 5 ) haben die letzten Zweifel an
der Unechtheit derselben beseitigt und damit den Schutt grössten-
theils weggeräumt, welcher dem Forscher hemmend im Wege lag.
Anders aber ist es bezüglich ihrer Entstehungszeit, worüber
eine Einstimmigkeit der Ansichten, so wünschenswerth sie auch bei
der Wichtigkeit der Sache wäre, noch in keiner Weise erzielt ist.
*) Den besten Abdruck nach den Originalen liefert Wattenbach im Archiv für
österreichische Geschichtsquellen 8, 108—119.
2 ) Bei Wattenbach, Iter austriacum, S. 3 ff. (österr. Archiv 14, 3 ff.).
3 ) Die österreichischen Freiheitsbriefe. Prüfung ihrer Echtheit und Forschungen über
ihre Entstehung (österr. Archiv 8, 77—119).
4 ) Eine Hypothese (Sitzungsberichte der kais. Akademie 5, 806—816) und Versuch
einer Begründung meiner „Hypothese“ über den Ursprung des „Privilegium majus“
von 115G (a. a. 0. 8, 433—481).
5 ) Beiträge zur österreichischen Geschichte. Wien 1855.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXXIV. Bd. I. Hft.
2
18
II über
Während Wattenbach die schon von Anderen, besonders von
Böhmer 3 ) ausgesprochene Meinung, dass die österreichischen Haus-
privilegien „unter Herzog Rudolf IV. von Österreich im Jahre
1358 oder 1359 entstanden“ seien, worüber „Herzog Rudolf’s
Geschichte durch andere hiermit verwandte Versuche Aufschluss
gebe“, eingehend begründete, trat ihm Chmel 3 ) mit Aufbietung
einer seltenen Gelehrsamkeit entgegen, um eine gänzlich abwei
chende Ansicht durchzuführen. Dieser Gelehrte suchte Anfangs zu
beweisen, dass das Majus „ein Machwerk der Kanzlei des Königs
Ottokar II.“ und um das Jahr 1274 durch den königlichen
Notar, den Italiener Heinrich von Isernia gefälscht sei, um dem
Könige ein Recht auf Österreich, welches ihm von König Rudolf
bestritten wurde, zu verschaffen“.
An dieser Ansicht hielt Chmel wenigstens in soweit immer fest,
als er nie von der Meinung abging, dass die Privilegien schon unter
Otakar vorhanden gewesen seien. Dagegen glaubte er später ihre
Entstehung in eine noch frühere Zeit zurückverlegen zu müssen;
denn einmal meinte derselbe, sie könnten schon um 1247 fabricirt
worden sein 4 ), wie es scheint, um den Babenbergerinnen nach dem
Tode Herzog Friedrich’s des Streitbaren ein Erbrecht auf Österreich
zu verschaffen; in letzter Zeit aber stellte er, „nicht mehr als Hypo
these, sondern als Ergebniss gewissenhafter Forschung“ den Satz
auf, dass die österreichischen Freiheitsbriefe „ihr Dasein bereits in
der ersten Hälfte deä dreizehnten Jahrhunderts (und
zwar noch unter den Babenbergern) erhalten haben, nicht
aber, wie ein grosser Theil der Gelehrten in neuester Zeit behaup
tet oder annimmt, erst in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahr
hunderts“ 5 ).
Die Ansicht Chmel’s fand von einer Seite wenigstens in soferne
Beistimmung, als A. Jäger 6 ) den Beweis zu führen suchte, „dass das
1) Die österreichischen Freiheitsbriefe (österr. Archiv 8, 95—105).
2 ) Regesta Imperii 1198—1254, p. 199.
3 ) Ausser den oben angeführten Aufsätzen verfechten noch diese Ansicht die Abhand
lungen: „Zur Streitfrage über den Ursprung des Fridericianum majus von 1156“
(Sitzungsberichte 9, 616—642) und „Habsburgische Excurse V.“ (a. a. 0. 11,
231. Anm.).
4 ) Monumenta Habsburgica 1. Abth. 2, XIV ft'.
5 ) Die österreichischen Freiheitsbriefe (Sitzungsb. 23, 517—574 und 28, 91—126)
6 ) Ein Beitrag zur Privilegiumsfrage (Sitzungsb. 20, 3—16).
Über die Entstehungszeit der österreichischen Freiheilsbriefe.
19
Privilegium vom Jahre 1228, und weil dieses das Majus voraussetzt,
auch dieses im Jahre 1 336... und zwar als ein altes Privilegium
der Herzoge von Österreich vorhanden war, folglich Herzog Rudolf
weder der Fälscher des Majus, noch des vom Jahre 1228 war und
sein konnte.“
Die Ansichten gehen also, wie man sieht, in dieser Frage noch
sehr weit aus einander. Dies ist aber von um so grösserer Bedeu
tung, als, wenn eine Fälschung schon am Anfänge des dreizehnten
Jahrhunderts sfattgefunden hat, die später ausgestellten Privilegien
echt sind und auch die gefälschten durch die nachfolgenden Bestäti
gungen Rechtskraft erhalten haben. Auch ist es sowohl für öster
reichische Geschichte als auch für deutsche Reichs- und Rechts
geschichte gewiss nicht gleichgiltig, ob die Herzoge von Österreich
schon im Beginne des dreizehnten Jahrhunderts rechtlich eine
völlig unabhängige Stellung im Reiche einnahmen, oder ob sie erst
um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts einen Versuch mach
ten, die factische Selbstständigkeit in eine rechtliche zu ver
wandeln.
Eine neue Prüfung dieser Frage dürfte daher wohl nicht unbe
rechtigt erscheinen. Dabei werde icb, ohne mich von vorne herein
für irgend eine Ansicht auszusprechen, untersuchen, ob sich vielleicht
Anhaltspuncte finden, welche beweisen, dass die Privilegien zu irgend
einer Zeit noch nicht vorhanden gewesen sein können,
und dahei die Entstehungszeit möglichst heraufzurücken suchen.
Weiter werde ich prüfen, zu welcher Zeit dieselben frühestens
existirt haben müssen. Auf etwaige Umstände, welche für das
Vorhandensein derselben in früherer Zeit, als wir nach unserer
Erörterung annehmen müssten, sprechen würden, werde ich am
Schlüsse meiner Abhandlung zurückkommen, um dieselben einer
Erörterung zu unterziehen.
I.
Eine Wiederholung der Gründe, welche gegen die Echtheit der
Privilegien, besonders des Majus von 11S6, sprechen, dürfte hier
doch überflüssig sein, wenn es auch scheint, dass der eifrigste Ver-
theidiger der Ansicht, dass dieselben noch im dreizehnten Jahrhun
dert entstanden seien, nahe daran war, wieder auf den Punct zurück-
2 ö
20
Hube r
zukommen, von welchem man ausgegangen ist, auf die Echtheit!)•
Aber es ergibt sich bald, dass das Majus nicht einmal kurz nach 1156
entstanden sein könne; denn wir haben noch eine vollkommen unver
dächtige Bestätigung des Minus vom Jahre 1245 2 ), welche
die Existenz des Majus ausschliesst. Die Meinung, dass 1245 beide
Privilegien, das Majus und das Minus, bestätigt worden seien, dürfte
wohl kaum jemand sich aneignen wollen.
Wenn wir die Frage über die Entstehungszeit der Freiheits
briefe weiter untersuchen wollen, so werden wir, da das Äussere
derselben selbst Kenner täuschte 3 ), auf den Inhalt und zwar vor
züglich darauf sehen müssen, ob in denselben Begriffe und Zustände
erwähnt oder vorausgesetzt sind, welche vor einer bestimmten Zeit
gar nicht vorhanden waren.
1. Einen solchen Anhaltspunct bietet uns die Erwähnung einer
Mark ob der Enns, marchia a superiori parte fluminis Anasi
oder marchia supra Anasum, welche nach dem Majus Heinrich der
Löwe an Österreich abgetreten haben sollte.
Man konnte natürlich nicht eher behaupten, die Mark ob der
Enns sei von Baiern getrennt und mit Österreich vereinigt worden,
als bis das Land ob der Enns wirklich bei Österreich war. Es gilt
also vor Allem die Zeit zu bestimmen, in welcher die Herzoge von
Österreich in den Besitz des Landes ob der Enns gelangten.
Hierbei muss von dem Theile nördlich von der Donau, welcher
später unter dem Namen des Mühlviertels zum Lande oh der Enns
gehörte, von vorne herein abgesehen werden. Denn westlich von
der grossen Mühel lag die zu Baiern gehörige Grafschaft im Ilzgau 4 );
1 ) Ruft doch Chmel in seinem letzten Artikel aus: „Möchte übrigens doch ein Ver-
theidiger der Echtheit des Majus auftreten, denn auch mir ist der Gedanke pein
lich, dass Leopold der Glorreiche der Urheber gewesen sein sollte!“ (Sitzungs
berichte 28, 125).
2 ) Die Echtheit des Minus und seiner Bestätigung von 1245 dürfte durch Ficker,
Über die Echtheit des kleinern österreichischen Freiheitsbriefes, Wien 1857 (Sitzungs
berichte 23, 487 fT.) hinreichend erwiesen sein.
3 ) Doch soll jetzt Stumpf auch paläographisch aus den Original-Urkunden erwiesen
haben, „dass sämmtliche Majus-Urkunden aus der Kanzlei Rudolfs IV. stammen,
dass sie zwar täuschend sind, aber Merkmale von Schriftzügen des XIV. Jahrhunderts
unverkennbar an sich tragen.“ Nach einer Mittheilung von 0. Lorenz, „Die
Erwerbung Österreichs durch Ottokar von Böhmen“. 2. Auflage, S. 22, Anm. 87.
Leider sind die betreffenden Untersuchungen noch nicht veröffentlicht.
4) Mon. Boica 30, 56 und 28 6 , 297.
Über die Entstehungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe. 21
von diesem Flusse oder vielleicht nur von der Rodel bis zum grossen
Naarn dehnte sich die Riedmarch aus '). Eine Vergrösserung Öster-
reich's in dieser Richtung konnte im Jahre 1156 nicht stattfinden,
weil die Riedmarch schon in den Zeiten der österreichischen Mark
grafen, wo die Ostmark gewiss nicht weiter als bis zur Enns reichte,
im Besitze derselben war 2 ); dann aber konnte man die Riedmarch
nie als Mark ob der Enns bezeichnen, weil sie zur Enns in gar keiner
Beziehung stand. Es kommt also hier nur das Land im Süden der
Donau und im Westen der Enns in Betracht.
Man schreibt auch noch in neuester Zeit, dass im Jahre 1156
das Land ob der Enns mit Österreich vereinigt worden sei, und es
fehlt allerdings nicht an Nachrichten, dass bei der Erhebung Öster
reichs zum Herzogthum auch eine Erweiterung desselben von der
Enns bis zum Walde Rotensala bei Engelhardtszell stattgefunden
habe s ). Allein es fragt sich dabei doch, ob diese Angaben Tliat-
sachen und nicht vielmehr blosse Ansprüche bezeichnen, welche
nicht verwirklicht wurden 4 ); denn es finden sich sehr bestimmte
urkundliche Stellen, aus denen hervorgeht, dass die Gebiete west
lich von der Enns nicht unter den Herzogen von Österreich standen.
Ich möchte dabei weniger Gewicht auf jene Stellen legen,
welche zeigen, dass noch in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahr
hunderts die Enns die Grenze zwischen Baiern und Österreich bil
dete. So gewährt Herzog Ludwig von Baiern 1220 seinen Mini
sterialen das Recht, dem Kloster Gleink bei Steyer, quod situm esse
dinoscitur in inferioribus Noricorum partibus Austrie
conterminis, Güter zu schenken 5 ); 1225 gibt er dieselbe Erlaub
nis zu Gunsten des neuen Spitals, quod situm est in pede montis
! ) Diese Ausdehnung der Riedmarch ergibt sieh deutlich aus dem Rationarium Austriae
ap. Rauch, S. R. A. 2, 31 u. 47 ff., und Urkundenbuch des Landes ob der Enns 1,
477 f., vergl. 2, 202 f.
2 ) S. Meiller, Babenbergische Regesten 14, 15; 17, 34; 29, 1, und Kurz, Beiträge
zur Geschichte des Landes ob der Enns 3, 367—376 und 4, 497—522.
3 ) So die Erzählung eines Mönches von Melk ap. Pez, S. R. A. 1, 294. Hermann.
Altah. ap. Böhmer, Fontes 2, 487; vergl. Otton. Frising. ap. Muratori, S. R.
Ital. 6, 736 und Enenkel, Fürstenbuch ap. Rauch 1, 245 f.
4 ) Ich verdanke diese Erklärung der scheinbar widersprechenden Nachrichten meinem
verehrten Lehrer Herrn Professor Dr. Ficker, welcher an einem andern Orte ver
suchen wird, dieselbe näher zu begründen.
5 ) Kurz, Beiträge 3, 328; U. ß. d. L. ob der Enns 2, 621.
22
II u I) e r
cognominati Pirn positi in valle clictn Windiskegaersten,
qucte interiacet asperrimis montanis Ultimis Noricorum par-
tibus conterminis 1 ). So bestimmt die Worte lauten, so haben
sie doch offenbar mehr geographische als staatsrechtliche Bedeutung.
Aus demselben Grunde möchte ich auch den Worten einer Passauer
Urkunde von 1194: in terraAustrie infra fluvium Anasim"),
obwohl aus dem Zusammenhänge hervorgeht, dass ganz Österreich
gemeint sei, so wie einer Urkunde Kaiser Friedrich’s II. vom 28. Fe
bruar 1237, worin er universis iudicibus et mutariis suis per
Austriam et in Welse constitutis aufträgt, die Mauthfreiheit
des Klosters Wilhering zu achten 3 ), nicht zu grosse Bedeutung bei
legen, wie denn auch noch 1263, also nach dem Frieden von 12S4
zwischen Böhmen und Ungern, infra Anasum per totam Austriam
in gleicher Beziehung gesagt ist 4 ). Doch beweisen diese Stellen
jedenfalls so viel, dass Österreich als geographischer Begriff noch
im dreizehnten Jahrhundert nur bis an die Enns reichte.
Daraus würde allerdings noch gerade nicht folgen, dass dieses
auch in staatsrechtlicher Beziehung der Fall war. Indessen fehlt es
auch für eine solche Annahme nicht an Gründen.
Besonders beweisend ist in dieser Beziehung die Zusammen
kunft, welche 1176 zwischen Heinrich dem Löwen und Herzog
Heinrich von Österreich in Enns stattfand presentibus utriusque
terre principibus et multa frequentia militum 5 ). Schon an sich
ist es wahrscheinlich, dass die Zusammenkunft auf der Grenze bei
der Herzogthümer stattfand, wie es der allgemeine Brauch jener Zeit
bei Zusammenkünften Gleichgestellter mit sich brachte.
Da aber Heinrich der Löwe zu gleicher Zeit in Enns öffentlich
Gericht hielt, was er doch nur in seinem eigenen Herzogthume thun
konnte, so bleibt kein Zweifel, dass das Herzogthum Baiern noch
1176 bis an die Enns reichte.
Nach dem Sturze Heinrich’s des Löwen finden wir allerdings
keine Spur mehr, dass die Gewalt des Herzogs von Baiern sich noch
bis zur Enns ausdehnte. Da aber gleichzeitig der Markgraf von
1) U. ß. d. L. ob der Enns 2, 655.
2) M. B. 28 *, 261.
3 ) Stiilz, Geschichte v. Wilhering, S. 507.
4) M. B. 28*, 387.
5) M. B. 3, 463 ff.
Uber die Entstehungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe.
23
Steier Herzog wurde, der Begriff des Fürstenthums in jener Zeit aber
die Abhängigkeit desselben von einem andern Herzoge nicht zuliess,
so werden wir um so mehr annehmen müssen, dass der Herzog von
Steier, in dessen Besitz der Traungau sich befand, von Österreich
unabhängig war, als jeder Beweis für die entgegengesetzte Ansicht
fehlt. Im Gegentheile weisen die Zusammenkünfte, die zwischen
Leopold von Österreich und Otakar von Steier 1186 und 1190 in
Enns, welches letzterer 1190 villam nostram celebrem Ense
nennt *), stattfanden, darauf hin, dass die Enns, wie früher zwischen
den Herzogssprengeln von Baiern und Österreich, so jetzt zwischen
denen von Österreich und Steier die Grenze bildete.
Auch als 1192 Steiermark an die Herzoge von Österreich kam,
blieb der Traungau noch bei Steiermark. Denn Herzog Leopold,
welcher bei der 1195 mit seinem Bruder Friedrich vorgenommenen
Theilung dieselbe erhielt, verlieh 1197 als dux Stirie dem Kloster
Formbach die Begünstigung, ut de victualibus suis Anasum
transeuntibus nulltim ibidem tarn in ponle quam in Danubio
solvant vectigal vel teloneum 2 ), Beweis genug, dass damals Steier
mark noch bis zur Enns und Donau reichte. Als Herzog Leopold VI.
mit Eifer den Plan betrieb, in Wien ein Bisthum zu errichten, und
der Bischof von Passau dagegen besonders geltend machte, dass er
dadurch seine Gewalt im Lande des Herzogs von Österreich verlie
ren würde, so wendete dieser, wie wir aus einem Briefe des Papstes
Innocenz III. von 1208 sehen, dagegen ein, dass dem Bischöfe auch
nach Errichtung eines Bisthums in Wien diese Gewalt bleiben würde
racione medietatis Austrie ac magnae partis Styriae, quam
in dyocesi eins habet s ). Da aber die eigentliche Steiermark nicht
zum Bisthum Passau, sondern zum Salzburger Sprengel gehörte, so
kann hier unter magna pars Styriae nur das Land ob der Enns ver
standen werden.
Es dürfte somit kaum einem Zweifel unterliegen, dass der
Traungau noch im dreizehnten Jahrhundert auch in staatsrechtlicher
Beziehung nicht zu Österreich, sondern zur Steiermark gerechnet
wurde.
*) Meiller 67, 47.
2 ) Meiller 81, 4.
3 J M. B. 38 \ 281, cf. 274.
24
Huber
Gehörte aber der unmittelbar an die Enns anstossende Theil
nicht zu Österreich, so konnte, seihst wenn das spätere Hausruck
viertel, wo die Babenberger bald nach 1182 die Grafen von Rebgau
oder Beugen beerbt hatten i) und die Edlen von Schaunberg in Ab
hängigkeit von den Herzogen standen, dazu gerechnet wurde, nie
mand von einer zu Österreich gehörigen marcliia supra Amman
sprechen; denn einmal konnten jene Gebiete, da sie nicht an der
Enns lagen, auch nicht nach dieser benannt werden, dann aber
schlossen sich Mark- und Grafschaftsverfassung eigentlich aus; erst
als der Unterschied zwischen den verschiedenen staatsrechtlichen
Begriffen sich verwischt hatte, konnte man die Gaue und Grafschaften
westlich von der Enns als eine Mark bezeichnen, obwohl sie dies
nie waren, indem man den Namen der Mark, welcher einst dem
Herzogthume Österreich angehört hatte, auf das seit dem Frieden
zwischen Otakar II. von Böhmen und Bela IV. von Steiermark ge-
trennte und mit Österreich vereinigte 3 ) Gebiet im Westen der Enns
übertrug. Erst seit dieser Zeit oder seit 1254 konnte man dieses
Land auch von der Enns benennen, konnte man von einer mit Öster
reich vereinigten marcliia a superiori parte fluminis Anasi oder
einer marcliia supra Anasum sprechen, obwohl immerhin nicht
wahrscheinlich wäre, dass man in der nächsten Zeit, wo man noch
so gut wusste, wie das Land ob der Enns an Österreich gekommen
war, behauptet hätte, die Mark oh der Enns sei 1156 an Österreich
abgetreten worden.
Man wird also schliessen dürfen, dass das Majus erst nach
1254, wahrscheinlich aber erst geraume Zeit später verfertigt wor
den sei.
2. Frühestens in dieselbe Zeit weist ein anderer Punct. Das
Majus verbietet mit sehr bestimmten Worten die Theilung des
Herzogthums, indem es sagt: Nec ducatus Austrie ullo vnquam
tempore diuisionis alicujus recipiat sectionem. Die Theilung eines
Herzogthums oder eines Fürstenthums überhaupt war vor der Mitte
des dreizehnten Jahrhunderts eine in Deutschland unbekannte Sache.
Die Rechtsbücher verbieten bestimmt, dass Falmlehen und Fürsten
amt gezweit werden; so lange die deutsche Reichsverfassung noch
r j U. B. (1. L. ob der Enns 2, 414, ef. M. B. S, 133.
3 ) Kurz, Österreich unter Ottokar und Albrecht 2, 171.
Über die Entstehungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe.
25
nicht alle Kraft verloren' hatte, war ja die herzogliche Gewalt ein
Amt, welches wohl in einer Familie erblich war, aber unmöglich von
jemanden eigenmächtig getheilt werden durfte. Erst als in der letz
ten Zeit Friedrich's II. und nach dem Tode desselben die königliche
Gewalt alles Ansehen verloren hatte und die Fürsten eine völlig
unabhängige Stellung einnahmen, da wagten zuerst 1255 die Wittels
bacher in Baiern eine Theilung des Herzogthums, und ihnen folgten
noch in demselben Jahre die Grafen von Nassau, 1258 die Mark
grafen von Brandenburg, 1260 die Herzoge von Sachsen, um die
selbe Zeit die Fürsten von Anhalt, 1262 das meissnisehe Haus,
1267 die Herzoge von Braunschweig, so dass jetzt die Theilungen
in kurzer Zeit eben so häufig, als früher unbekannt waren. Man
betrachtete offenbar Anfangs das Übertreten der Reichsgesetze als
einen Vortheil; daher die häufigen Theilungen, als einmal der erste
Schritt gethan war. Das Verbot der Theilung des Herzogthums setzt
also nicht blos voraus, dass eine Theilung schon vorgenommen wor
den, sondern auch, dass man bereits zur Einsicht gekommen war,
wie schädlich diese Zersplitterungen der Besitzungen den Fürsten
häusern selbst seien; sonst würde man das Verbot der Landes-
theilung nicht als ein Vorrecht in ein kaiserliches Privilegium gesetzt
haben.
So weist auch diese Bestimmung auf das Jahr 1255 als den
Zeitpunct, wo das Majus frühestens entstanden sein kann; wahr
scheinlich aber dürfte es nach obigen Bemerkungen sein, dass zur
Zeit der Fälschung desselben schon eine ziemlich lange Zeit seit der
ersten Theilung verflossen war.
3. Ungefähr in dieselbe Zeit führt uns die Erwähnung der
Kurfürsten, Electores (im Privileg von 1228) und electores
principes (im Majus) in staatsrechtlicher Bedeutung. Es handelt
sich also um die Beantwortung der Frage, in welcher Zeit diese
zuerst Vorkommen.
Über die Kurfürstenfragö hat die letzte Zeit eine Reihe so treff
licher Arbeiten gebracht, dass dieselbe nach den Untersuchungen
von Homeyer, Böhmer, Lorenz !). Bänvald 2 ), besonders aber von
*) Die siebente Kurstimme bei Rudolf’s I. Königswahl (Sitzungsb. 7, 173 ff.).
2 ) Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde K. Rudolfs I., betreffend die bairische
Kur (Sitzungsb. 21, 3 ff.).
I
26
Hube r
Philipps 1 ) und Ficker 2 ), wenn auch noch nicht in allen Theilen
klar, doch im Wesentlichen als gelöst betrachtet werden kann. Für
meine Zwecke wird es jedenfalls hinreichend sein, wenn ich mich
auf die Ergebnisse ihrer Forschungen beziehe.
Darnach leidet es keinen Zweifel, dass seit 1198 auf die Stim
men einiger Fürsten, sei es aus was immer für einem Grunde, ein
grösseres Gewicht gelegt wurde, und zwar anscheinend gerade jener
Fürsten, welche zuerst ihre Stimme abgaben; allein eben so gewiss
ist, dass noch alle Fürsten Wähler waren. Man hat nun allerdings
behauptet, principes electores bedeute hier nicht Kurfürsten, son
dern „die ersten Wähler“, „die vornehmsten, angesehensten, einfluss
reichsten Wähler, das sind die, welche die Reichsämter bekleideten.“
Diese seien dem Herzoge von Österreich allerdings vorgegangen, er
aber gehe allen anderen Reichsfürsten vor 3 ). Allein abgesehen da
von, dass es doch noch immer sehr ungewiss ist, ob die Inhaber der
Reichsämter schon am Anfänge des dreizehnten Jahrhunderts auch
zuerst die Stimme bei der Wahl des Königs abgaben, so bedeutet
electores principes in jener Zeit gewiss nicht die ersten Wähler,
wofür jemand wohl den Ausdruck primi, primores oder einen ähn
lichen gebraucht haben würde, sondern nur Wahlfürsten, da princeps
die ganz feststehende Bedeutung von Fürst hat.
Es wird allerdings schon bei den Verhandlungen nach der
Doppel wähl Philipp’s und Otto’s von Fürsten gesprochen, ad quos
principdliter spectat imperatoris electio, häufig von principes, ad
quos de iure spectat electio u. dgl. 4 ), Ausdrücke, welche von dem
des Privilegs von 1228: Principes, quorum Jure quemque Roma
norum Regem est eligere, nicht sehr verschieden sind. Man darf
aber dabei doch nicht vergessen, dass es etwas ganz anderes ist,
ob in Schriften, in welchen man über die Giltigkeit einer Wahl strei
tet, von Fürsten gesprochen wird, welche das Recht haben, den
römischen König zu wählen, oder ob davon in einer Urkunde die
Rede ist, welche mit der Königswahl gar nichts zu thun hat. Wenn
!) Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle. Wien 1838.
2 ) Über die Entstehungszeit des Sachsenspiegels und die Ableitung des Schwabenspiegels
aus dem Deutschenspiegel. Innsbruck 1859. Vergl. dazu die Bemerkungen vonWaitz
in den Göttinger Gel. Anz, 1859, S. 641 1F.
a ) Chmel, d. österr. Freiheitsbriefe (Sitzungsb. 23, 531 1F.).
4 ) Philipps, a. a. 0. S. 89 fl’.
Über die Entstehungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe.
27
aber das Majns bestimmt, si quibusvis Curiis publicis imperii dux
Austrie presens fuerit, unus de palatinis archiducibus est censen-
dus et nihilominus in consessu et incessu ad latus dextrum Imperii
post electores principes obtineat primum locum, so ist liier nicbtblos
von Kurfürsten überhaupt die Rede, sondern von electores principes,
welche von anderen principes, zu denen doch der Herzog von Öster
reich gehörte, schon so streng geschieden sind, dass es für diesen
als eine besondere Begünstigung gilt, wenn er auf Reichstagen sei
nen Platz unmittelbar hinter denselben erhält. Dies setzt nicht hlos
Fürsten voraus, welche bei der Königswahl zuerst ihre Stimme ab-
gaben und den meisten Einfluss ausübten, sondern ein geschlossenes
Collegium von Wählern, von welchem der Herzog von Österreich
ausgeschlossen war. Nun nahmen aber diese Herzoge noch im drei
zehnten Jahrhundert ihren Platz unter den ersten Reichsfürsten ein,
und sind als Zeugen in den kaiserlichen Urkunden oft vor dem Her
zoge von Baiern (zugleich Pfalzgrafen am Rhein), von Schwaben,
Sachsen und dein Markgrafen von Brandenburg verzeichnet J), was
beweist, dass unter den Laienfürsten, von der Königswahl abgesehen,
noch keine bestimmte Rangordnung galt. Es wäre somit für die Her
zoge von Österreich keine Auszeichnung, sondern eine Zurücksetzung
gewesen, wenn sie sich immer hätten hinter jene Fürsten stellen
müssen, welche die „ersten Wähler“ waren.
Allerdings wird behauptet 2 ), dass ein Gedicht „aus dem zwei
ten Decennium des dreizehnten Jahrhunderts e. 1215“, nämlich der
Sängerkrieg auf der Wartburg, „ganz besonders diese Stellung des
Herzogs von Österreich gegen die Hauptwähler des Reiches im Auge
habe, als hätte der Verfasser gewusst um dieses Majus und sein Ent
stehen.“ In diesem Gedichte singt Heinrich von Ofterdingen, die
Vorzüge seines Herrn, des Herzogs Leopold von Österreich schil
dernd 3 ):
her lieldet oncli gein küningen wol sin teil,
er - n ist nicht ein leint,
swerz merken wil,
gein im sint siben vürsten gär ein wint.
1) S. Mein er, p. 84, 86, 102, US, 124, 137, 142 IT. und für das XII. Jahrhundert, p. 41,
64, 68, 69, 74, 80.
3 ) Chmel, a. a. 0. 533 ff.
s ) Ausgabe von E ttmii 11 er 1830. 5, 77—80.
28
Huber
Allein abgesehen davon, dass nach dem neuesten Herausgeber 1 )
statt gehl kilningen zu lesen ist gegen den vinden und statt siben
vürsten vielmehr alle vürsten, so beweist diese Stelle nichts für die
Stellung Leopold’s zu den ersten Wühlern; denn dass die folgenden
Verse 2 ):
Siben fürsten sint des wert
daz in ein römisch kiinic ist ze welene benannt:
die erlciesent niht wan des der edel gert
Rer man von Bür engen laut.
Ist danne der künec ze kurz, ze lanc
daz er dem riche und al der werlt niht schaffet
fröiden vil,
ein Dürenge her re nimt imz sunder danc
und setzet swen er teil,
sich nicht auf Leopold von Österreich, sondern nur auf Hermann von
Thüringen beziehen können und also vom „Schriber“ gesungen sind,
braucht schon nach dem einfachen Wortlaute wohl keines Beweises,
abgesehen davon, dass der ganze strophische Bau des Gedichtes die
entgegengesetzte Ansicht als unmöglich erscheinen lässt. Zudem ist
der Wartburgkrieg nicht um 1213 gedichtet, sondern, wie die scharf
sinnigen Untersuchungen des Herausgebers mehr als wahrscheinlich
gemacht haben, ist der betreffende (erste) Theil nicht vor 1231 oder
1233, wahrscheinlich aber erst nach 1243 entstanden 3 ). Erbeweist
daher weder für die Stellung des Herzogs von Österreich zu den
Beichsfürsten das geringste, noch für das Vorhandensein eines ge
schlossenen Kurfürsten-Collegiums in der ersten Hälfte des drei
zehnten Jahrhunderts.
Ein solches ist in jener Zeit schon desswegen unmöglich, weil
sowohl bei der AVabl Konrad’s IV. im Jahre 1237, als auch bei den
Wahlen Heinrich Baspe’s und Wilhelm’s von Holland noch alle Fürsten
als wahlberechtigt auftreten. Erst 1236 tritt eine geschlossene Zahl
besonders bevorzugter Wähler hervor, welche dann auch in einem
Briefe Papst Urban's IV., der ihre Zahl auf sieben angibt, erwähnt
*) Der Wartburgkrieg, herausgegeben, geordnet, übersetzt und erläutert von K. Sim
rock. 1858, St. 5.
2 ) Ausgabe von S imrock. St. G.
3) S im rock, a. a. 0. S. 279,292—294, 29G, 299 f. und 232.
Über die Entstehungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe.
29
werden. Doch lässt sich der Ausdruck principes electores in keiner
in Deutschland ausgestellten Urkunde vor 1273 nachweisen Ö-
Da also die Privilegien schon ein geschlossenes Kurfürsten-
Collegium voraussetzen, während noch 1246 und 1247 alle Fürsten
als Wähler erscheinen, so können sie nicht vor der Mitte des
dreizehnten Jahrhunderts entstanden sein. Wahrscheinlich
aber ist es, dass ihr Ursprung nicht vor die Thronbesteigung Rudolfs
von Habsburg fällt, bei dessen Wahl die alleinige Wahlberechti
gung der Kurfürsten bestimmt anerkannt wurde.
4. Eben dahin als terminus a quo weist der Eingang des Pri
vilegs von 1228, worin es heisst, der König habe dasselbe ausgestellt
Principum, quorum Jure quemque Romanorum Regem est eligere,
beneplacito, consilio et favore. Denn dieser Ausdruck setzt voraus,
dass zur Zeit der Entstehung dieser Urkunde nur jene Fürsten,
welche den König zu wählen das Recht hatten, bei der Erlheilung
von Privilegien ihre Zustimmung zu geben hatten, dass also nicht
allein nicht mehr alle Fürsten wahlberechtigt waren, sondern dass
auch das Einwilligungsrecht hei wichtigen Regierungshandlun
gen auf die Wähler allein beschränkt war. Eine solche Einschrän
kung scheint sich aber erst während des Interregnums nach und nach
ausgebildet zu haben, während früher immer die anwesenden Fürsten
um ihre Zustimmung gefragt wurden. Allerdings kommen schon in
der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts Willebriefe von ein
zelnen abwesenden Fürsten vor, aber keineswegs nur von Kurfürsten.
So sind von 1215 zur Vertauschung der Reichsabteien Ober- und
Niedermünster an den Bischof von Regensburg nur Willebriefe von
Österreich und Zähringen bekannt, während in der Urkunde selbst
von weltlichen Fürsten nur der Herzog von Meran als zustimmend
erwähnt wird 3 ). Erst im Interregnum findet man Spuren, dass ein
besonderes Gewicht auf die Zustimmung der Kurfürsten gelegt wird;
aber ein bestimmtes, ausschliessliches Recht der Kurfürsten lässt sich
vor Rudolf nicht nachweisen.
Es weist daher auch dieser Punct daraufhin, dass die Privilegien
nicht vor der späteren Zeit des Interregnums, wahrschein
lich aber nicht vor Rudolf von Habsburg entstanden sein können.
*) Böhmer, regg. 1246—1313, p. 58.
2 ) Ried, Cod. dipl. 1, 309, 310.
30
11 über
5. Bei der Frage über die Entstehung der Freiheitsbriefe kommt
auch das österreichische Landrecht 1 ) in Befracht, welches
mit den Bestimmungen derselben nicht vereinbar ist. Nach dem Majus
nämlich kann weder der Kaiser noch eine andere Macht das umstos-
sen, was der Herzog in seinen Ländern oder Gebieten thut oder fest
setzt; nach der Bestätigung des Majus von 1245 soll keiner von den
Vasallen des Herzogs, von den Bewohnern seiner Länder oder den
Besitzern von Gütern in denselben einem Andern in irgend einem
Puncte Gehorsam leisten, als dem Herzoge oder dessen Stellvertretern.
Dagegen erlaubt das Landrecht die Appellation der Grafen, Freien
und herzoglichen Dienstmannen, welche zu Recht zu dem Lande ge
hören, an das Reich, um dort Recht zu erhalten, wenn ihm des Landes
Herr Unrecht thut. Es bestimmt weiter, dass wenn ein Dienstmann
auf handhafter That ergriffen wird, aber entkommt, der Herzog ihn
ächten und darauf vor dem Reiche anklagen soll, welches allein das
letzte Urtheil geben darf, um ihm Ehre und Recht abzusprechen 3 ).
Man sieht leicht, dass die Privilegien dem Landesfürsten Rechte zu
sprechen, welche er nach dem Landrechte nicht hat, und man darf
daraus wohl schliessen, dass die Privilegien erst nach der Abfassung
des Landrechts entstanden seien.
Die Frage über die Entstehungszeit des Landrechts ist leider
noch in keiner Weise genügend beantwortet. Doch glaube ich mich
hier, wo mir eingehendere Studien über diesen Punct ferne liegen,
um so mehr der Ansicht des Herausgebers, eines der ersten Kenner
der älteren österreichischen Geschichte, anschliessen zu dürfen, je
weniger entgegenstehende Meinungen begründet sind s ). Derselbe
setzt aber in seiner Ausgabe die Entstehung der kürzeren Fassung
in die Zeit vor 1240, der längeren ungefähr auf 1280, und da die
*) Den besten Abdruck liefert Me i Iler, Österreichische Stadtrechte und Salzungen
aus der Zeit der Babenberger. Österreichisches Archiv 10, 148—172.
2 ) §. 2 u. 3, a. a. 0. p. 148 f. u. 160.
3 ) Die Meinung Zieglauer’s (Über die Zeit der Entstehung des ältesten österr.
Landrechts. Sitzungsb. 21 , 70—109), welcher auch die Ansichten der früheren
Schriftsteller anführt, dass das Landrecht, dessen beide verschiedene Fassungen er
nicht unterscheidet, unter Herzog Albrecht (1288—1295) von den Landherren,
welche dadurch ihre Rechte wahren wollten, abgefasst sei, eine Meinung, welche
schon vor ihm Rössler (Das österr. Landrecht. Sitzungsb. 11, 650) in einer nicht
veröffentlichten Abhandlung ausgesprochen hatte, hat M ei 11 er (Über eine Hypothese
in BetrelT der Entstehungszeit des sogenannten ältesten österreichischen Landrechts
a. a. 0. 21, 137—152) schlagend widerlegt.
Über die Entstehungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe.
31
betreffenden Artikel in beiden Fassungen sich finden, obwohl der
Verfasser der längeren nicht blos abschreibt, sondern selbstständig
erweitert, einiges auch weglässt, so würde die Entstehung der Pri
vilegien durch die ältere Form in die Zeit des Interregnums,
durch die jüngere wenigstens in die Zeit nach dem Sturze
Otakar’s herabgerückt.
6. Die Geschichte zeigt, dass diese Bestimmungen keineswegs
leere Worte blieben, sondern dass sowohl die Ministerialen, als auch
der Herzog und das Reich sich darnach richteten. Denn als zwischen
Konrad von Pilichdorf und Albero von Puchaim ein Streit über das
Truchsessenamt in Österreich entstanden war, wurde er 1290 vor
König Rudolf gebracht und von diesem zu Gunsten Puchaim's ent
schieden !). Wie ist nun denkbar, dass Rudolf die Appellation ange
nommen hätte, wenn sein Sohn, der Herzog von Österreich, ein Pri
vilegium besass, welches alle Appellationen vom Herzog an das Reich
verbot? Hätte er nicht die Rechte seines Sohnes damit verletzt,
welche er doch selbst 1283 bestätigt haben sollte? So dürfte dieser
Fall hinreichend beweisen, dass die Freiheitsbriefe um 1290 noch
nicht existirten.
7. Einen anderen ziemlich sicheren Anhaltspunct für die Be
stimmung der Entstehungszeit derselben gibt uns das Fehlen aller
älteren Abschriften an die Hand. Dieser Umstand an und für
sicli würde, so auffallend es wäre, dass von Urkunden von solcher
Wichtigkeit, durch welche die Interessen so vieler berührt wurden,
nie eine Abschrift genommen, daraus nie ein Citat angeführt worden
wäre, noch keinen sichern Beweis gegen die Existenz derselben zu
einer bestimmten Zeit geben, da es immerhin denkbar wäre, dass
man sich mit den vorhandenen Originalen begnügt hätte. Wenn sich
aber zeigt, dass man nicht allein keine Abschrift vom Majus und den
verwandten Urkunden kennt, sondern dass man Abschriften vom
Minus selbst dort hatte, wo man das Majus, wenn es existirte, kennen
musste, so dürfte sich daraus mit genügender Bestimmtheit abnehmen
lassen, dass man damals eben nur vom Minus wusste, das Majus aber
noch nicht vorhanden war.
So findet sich im sogenannten Lonsdorf'schen Codex, einem
auf Veranlassung des Bischofs Otto von Lonsdorf (1254 —1265)
*) Chinel., Handschriften der Wiener Hofbibliothek. 2, 148.
32
II über
zusammengetragenen Copialbuche des Stiftes Passau nicht das Majas,
sondern die Bestätigung des Minus von 1245 <). Es wäre doch höchst
auffallend, wenn der Bischof, für dessen Stellung zu Österreich die
Privilegien von grosser Bedeutung waren, nicht das Majus, sondern
die werthlose Bestätigung des Minus aufgenommen hätte 3 ).
Ferner enthält auch das „Rationarium Austritte et Styriae“
ein Verzeichniss der Einkünfte dieser Länder aus dem Ende des
dreiz ehnten Jahrhunderts, eine Abschrift des Minus von 1245 3 ),
was um so wichtiger ist, als es wahrscheinlich aus der herzoglichen
Kanzlei stammt.
8. Einen wichtigen Beweis, dass am Ende des dreizehnten Jahr
hunderts nur das Minus, nicht aber das Majus mit den verwandten
Stücken vorhanden war, liefert uns eine Urkunde vom 23. Febr.
1299, in welcher der Marschall Hermann von Landenberg erklärt,
dass er im Namen König Albrecht's, seiner Gemahlinn und Herzog
Rudolfs dem Abte und Convente Lilienfeld mehrere Privilegien zur
Aufbewahrung übergeben habe 4 ). Es sind dies dreizehn Urkunden,
welche sich alle auf die Rechte des regierenden Hauses Habsburg
auf Österreich und Steier oder auf die einzelnen Besitzungen, beson
ders Kirchenlehen in denselben beziehen. Man sollte also erwarten,
dass vor allem die österreichischen Hausprivilegien von 1058 an bis
auf die Bestätigung aller früheren durch König Rudolf von 1283 auf
gezählt sein würden. Allein von allen diesen ist keine Spur. Dagegen
wird als zweites erwähnt: priuilegiuni friderici Imperatoris secundi
sub bulla aurea, continens libertates Ducis Austrie, et Pu er or um
suorum, filiorum et filiarum.
Vergleicht man damit unbefangen die Worte des Minus: sanc-
tientes, ut ipsi et liberi eorum post eos indifferenter filii et
filie eundem Austrie ducatum hereditario iure a regno teneant
et possideant, während sich im Majus keine ähnliche Stelle findet,
so wird man kaum zweifeln können, dass hier nicht etwa die Bestäti-
1) M. ß. 28 \ 334.
2 ) Daraus entnahm es wahrscheinlich der Abt Hermann von Niederaltaich (*J- 1275),
welcher das Minus seiner Chronik einverleibte (ap. Böhmer, Fontes 2, 488).
s ) Chmel, Handschriften 1, 571.
4 ) Lichnowsky, Regesten 1, 296 vollständig. Auf die Bedeutung dieser Urkunde
für die Privilegienfrage hat zuerst Böhmer bei Wattenbach, Iter austriacum
S. 3, dann der Anzeiger f. Kunde der deutschen Vorzeit 1857, S. 179 if. aufmerksam
gemacht.
Über die Entslehungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe.
33
gung des Majus, sondern die des Minus durch Friedrich II. von 1245
vorlag, dass somit noch 1299 die Herzoge von Österreich kein ein
ziges von den Hausprivilegien, sondern nur die Bestätigung des
Minus kannten; das Minus selbst mochte in den Wirren des Inter
regnums zu Grunde gegangen sein. Selbst wenn man durch eine
gezwungene Deutung obige Stelle auf das Majus von 1245 beziehen
könnte, so wäre es jedenfalls sehr auffallend, dass dieses allein ange
führt wird und dass die Urkunden von 1058, 1156, 1228 und 1283
fehlen.
9. Auch in der nächstfolgenden Zeit scheint man in Wien vorn
Majus noch nichts gewusst zu haben. Denn in einem Formelbuche
aus dem vierzehnten Jahrhundert, welches unter dem Namen
„König Albrecht’s Formelbuch“ bekannt ist und unzweifelhaft
zum Gebrauche der herzoglichen Kanzlei diente, findet sich ebenfalls
nur das Minus !)•
Aus dem bisher Angeführten dürfte abzunehmen sein, dass am
Anfänge des vierzehnten Jahrhunderts die österreichischen
Freiheitsbriefe noch nicht existirt haben.
Andere Umstände führten uns noch weiter herauf.
10. Wer ein Privileg besitzt, wird nicht versäumen, die darin
enthaltenen Vorrechle geltend zu machen, wo sich eine wichtige
Veranlassung bietet, da er sich sonst der Gefahr aussetzt, Präcedenz-
fälle zu schaffen, welche man einmal gegen ihn geltend machen könnte.
Eines der wichtigsten Rechte des Majus ist aber, dass der Herzog
zur Belehnung nicht ausser Landes zu gehen braucht,
indem es sagt: Nee pro conducendis feodis requirere seu accedere
debet impcrium extra metas Austrie, verum in terra Austrie sibi
debent sua feoda conferri per Imperium et locari. Quod si sibi
denegaretur ab imperio, requirat et exigat littcratorie trina vice
quo facto iuste sua possidebit feoda sine offensa imperii ac si ea
corporaliter conduxisset. Wo empfingen aber die Habsburger ihre
Lehen? König Rudolf belehnte seine Söhne 1282 in Augsburg;
Herzog Albrecht liess sieh 1292 von Adolf von Nassau in Hagenau
belehnen und ertheilte selbst 1298 seinen Söhnen die Belehnung in
Nürnberg a ); Heinrich VII. lud 1309 de Herzoge von Österreich
1 ) Österreichisches Archiv 1, 220.
2 ) Böhmer, reg-", p. 118, 16;>, 20ö.
Sitzb. tl. phil.-hist. CI. XXXIV. Bd. I. Illt.
3
34
II über
nach Nürnberg 1 , und Friedrich der Schöne war nicht nur bereit, sich
dorthin zu begeben, sondern folgte, als der König sich weigerte,
ihn dort zu empfangen, demselben auf dessen Vorladung bis Speier
nach *)• Auch 1331 empfing Herzog Otto die Belehnung mit den
österreichischen Ländern in München 3 ).
Wir sehen also, dass die Herzoge bis 1331 den Freiheits
briefen stets entgegengehandelt haben; und doch wären diese nicht
etwa verschollen gewesen, sondern 1283 von König Rudolf seinen
Söhnen bestätigt worden.
11. Nicht weniger spricht die Geschichte gegen eine Ent
stehung der Privilegien vor der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts,
wenn man auf einen andern Punct Rücksicht nimmt. Inter ilaces
Austrie (sagt das Majus), qui senior fuerit, dominium habeant dicte
terre, ad cujus etiam seniorem filium dominium jure hereditario
deducatur ita tarnen, quod ab ejusdem sanguinis stipite non rece-
dat. Nach dieser Bestimmung sollte der Älteste nicht etwa blos
formell die Geschäfte leiten, sondern die „Herrschaft“ haben, also
die eigentlichen Regierungsgeschäfte führen, und diese sollte nach
dem Rechte der Erstgeburt in derselben Linie vererbt werden, so
dass Seitenlinien gänzlich davon ausgeschlossen waren.
Die Geschichte indessen zeigt uns von allem diesem das gerade
Gegentheil.
Von allen Lehenbriefen, welche uns aus der Zeit der Habsburger
erhalten sind, ist keiner, welcher von einer Alleinregierung des Älte
sten etwas wüsste. Im Gegentheile belehnt König Rudolf 1282 seine
beiden Söhne Albrecht und Rudolf mit den österreichischen Herzog-
thiimern, und nur auf Bitten der Stünde trifft er die Bestimmung,
dass Albrecht und dessen Nachkommen allein dieselben besitzen
sollten. Eben so zeigen die Lehenbriefe von 1298, 1309, 1331 und
1335, dass stets alle Brüder belehnt wurden 3 ). Noch 1348 ertheilte
Karl IV. nicht nur dem Herzoge Albrecht, sondern auch seinen bei
den Söhnen Rudolf und Friedrich die Reichslehen 4 ).
1 ) Reimchronik c. 823. Joh. Victoriens. np. Bohiner, Fontes l. 300 f. Cohtiniintio
Canonicorum S. Rudberti Salisbury. M. G. li, 819.
2 ) Böhmer, reg-g-. Lndwig-’s d. Baiern, p. 80.
3 ) Die Beweise bei Böhmer, reg'g.
Steyerer, Coinmeutarii pro historia Alberti II, addiliones, p. 148.
Über die Entstehungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe.
35
Was endlich die Führung der Regierungsgeschäfte selbst be
trifft, so ist es bekannt, dass die Herzoge von Österreich dieselbe
stets gemeinsam führten und bald in Gesammtheit, bald einzeln die
wichtigsten Geschäfte abmachten; und zwar that dies nicht etwa
blos der älteste, sondern auch die jüngeren »)• Man könnte zwar ein
wenden, die Herzoge hätten nur aus brüderlicher Liebe die Bestim
mung des Majus übertreten. Allein es zeigt sich, dass die älteren es
für ihre Pflicht hielten, die jüngeren von der Regierung nicht auszu-
schliessen. Schon die Verhandlungen König Älbrecht’s mit Philipp IV.
von Frankreich, welche 1299 geführt wurden, liefern einen Beweis
dafür. Da es sich darum handelte, Albrecht’s ältesten Sohn Rudolf
mit Philipp's Schwester Bianca zu vermählen, so hatte man den Plan,
dass Rudolf allein Österreich, Steier, Krain und Portenau erhalten,
die jüngeren Kinder eine Abfindung bekommen sollten. Nach dem
Majus war dies nur in der Ordnung und konnte keine Schwierigkei
ten finden. Allein damals hielt man die Sache für nicht so leicht.
König Albrecht hielt die Beistimmung seiner jüngeren Kinder, welche
am 5. Februar 1300 auch erfolgte, so wie der Kurfürsten für noth-
wendig a ), was doch hinreichend beweisen dürfte, dass man damals
von einer Alleinregierung des Ältesten noch nichts wusste.
Für die spätere Zeit will ich nur noch einige Beispiele aus den
Jahren 1339 — 1343 anführen, wo Albrecht II. die Vormundschaft
über seine Neffen Friedrich und Leopold führte. Gewöhnliche Re
gierungsgeschäfte erledigt Albrecht allerdings allein; hei wichtigeren
Angelegenheiten aber vergisst er nie zu erwähnen, dass dies nicht
blos in seinem, sondern auch seiner Rruderssöhne Namen geschehe:
so bei Bündnissen mit Salzburg 3 ), den Grafen von Görz 4 ), hei
Friedensschlüssen 5 ), wichtigeren Verträgen 6 ), Verpfändungen 7 ),
Verzichtleistungen 8 ), Vergabungen 9 ) und Kaufcontracten 10 ), bei
1 ) Belege anzufiihren halte ich für überflüssig', da sie sich in (len Regesten hei I. i c h-
nowsky auf jeder Seite finden.
2 ) Böhmer, regg. K. Albrecht’s, Nr. 204, 243, 266.
3 ) Lichnowsky, regg. i, Nr. 1198.
4 ) A. a. 0. Nr. 1224.
5 ) Nr. 1242.
6 ) Nr. 1202, 1271—1273. Steyerer, p. 129—131.
7 ) I, iehn. Nr. 1249.
8 ) Nr. 1284.
9 ) Nr. 1332.
10 ) Nr. 1343.
3*
36
H über
der Belehnung der Grafen von Görz mit der Pfalz von Kärnten 4 ).
Auch der Kaiser schloss 1339 ein Bündniss mit Herzog Albrecht und
dessen Bruderssöhnen Friedrich und Leopold a ).
Wie kann man hier davon reden, dass der Älteste allein die
Herrschaft hatte und diese sich nur in gerader Linie vererbte, oder
den angeführten Thatsachen gegenüber annehmen, dass eine Urkunde
vorhanden Avar, welche dieses bestimmte? Würde dann Herzog
Albrecht so eifrig bestrebt gewesen sein, die wichtigeren Verhand
lungen und Geschäfte zugleich im Namen seiner Neffen zu führen,
da er dadurch nur die Rechte seines bereits geborenen Sohnes Rudolf
beeinträchtigt hätte?
12. Der nämlichen Bestimmung des Majus widerspricht auch
das Hausgesetz Albrecht’s II. von 1 353 3 ) so entschieden,
dass dasselbe zu der Zeit, als dieses gegeben wurde, fast unmöglich
vorhanden gewesen sein kann. In diesem sogenannten Hausgesetze
verordnet Herzog Albrecht, damit dem Lande der Friede erhalten
würde und seine Söhne in brüderlicher Liebe vereint bleiben möch
ten, dass der älteste unter ihnen wie der jüngste, und der jüngste
wie der älteste in Liebe mit einander leben und keinen Zwist anfangen
und der älteste die jüngeren wie die jüngeren die älteren in allen
Würden und Ehren halten sollten. Würde einer von ihnen, der älteste
oder die jüngeren, dieses nicht halten und einer Heirath wegen ausser
Landes ziehen und mit den anderen nicht in Freundschaft leben, so
sollten die Landherren zu vermitteln suchen.
Dieses Hausgesetz beruht also durchaus auf der Ansicht, dass
alle Söhne einander gleich und völlig gleichberechtigt seien, während
ihm die Idee eines Vorzugs des ältesten, wie sie im Majus so schroff
ausgesprochen ist, noch durchaus fremd ist. Wie könnte man denn
auf den Gedanken kommen, dass der älteste wegen Streitigkeiten
mit seinen Brüdern oder wegen einer Heirath das Land verliesse,
wenn er der alleinige Regent desselben wäre?
Wir können daher mit genügender Sicherheit aunehmen, dass
die Hausprivilegien im Jahre 13 3 3, also in der letzten Zeit
Albrecht’s des Weisen noch nicht existirten.
') Nr. 1223.
2 ) K ii l* z , Albrecht der Lahme. S. 347.
3 ) ö t e y e r e r, p. 185.
Über die Entstehungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe.
37
13. Obiger Beweis wird noch verstärkt, wenn wir die Privile
gien mit dem 1356 gegebenen Reichsgrundgesetze, der goldenen
Bulle, vergleichen, mit welcher sie in mehreren Puncten so ent
schiedene Verwandtschaft zeigen, dass bei ihrer Verfertigung die
goldene Bulle nothwendig Vorgelegen haben muss, da wir nicht an
nehmen können, der Kaiser mit den Reichsfürsten habe das berühmte
Gesetz nach den Bestimmungen der österreichischen Freiheitsbriefe
gegeben.
So wurde jedenfalls die goldene Bulle, welche die Stellung der
Kurfürsten zu einander bei allen öffentlichen Vorgängen genau ord
nete ‘) und zugleich festsetzte, dass ihnen auf allen Reichstagen und
in quibuscunquc actibus cul Curiam ipsam spectantibus, eunclo,
sedendo, vel stando, nullus Princeps alias cuiuscunque
status, dignitatis, preeminencie, vel conditionis, existat, nulla-
tenus preferatur 3 ), Veranlassung zu der Bestimmung des Majus:
Si quibus suis Curiis publicis imperii dux Austritte presens fuerit,
unus de palatinis archiducibus est censendus et nihilominus in
consessu et incessu ad latus dextrum Imperii post electo-
res principes obtineat primum locum. Wenn der Herzog
von Österreich einmal keine Aussicht mehr hatte, eine den Kurfürsten
gleiche Stellung zu erringen, so sollte er wenigstens den ersten Platz
unter den übrigen Fürsten einnehmen.
Die goldene Bulle setzte, um Schwierigkeiten wegen des Wahl
rechts in den einzelnen Häusern zu verhüten, Untheilbarkeit der
Kurfürstenthümer fest s ), wodurch diese vor den zersplitterten übri
gen Fürstenthümern eine bedeutende Übermacht erlangen mussten;
dasselbe bestimmt das Majus für Österreich.
Die goldene Bulle verordnete, dass die Kurwürde ad filium
primogenitum, legitimum, laicum, in dessen Ermanglung ad ejus-
dem primogeniti primogenitum fallen, dass diesem allein Jus et
Dominium gehören sollte 4 ); auf gleiche Weise bestimmt das
Majus: int er duces Austrie qui senior fuerit dominium liabeant
dicte terre.
*) Aurea bulla. c. 3 u. 4.
2 ) Ibid. c. 6.
s ) Ibid. c. 25.
4 ) Ibid. c. 7 u. 25.
38
Hube r
Stirbt der Erstgeborene, sagt die goldene Bulle, ohne männ
liche Erben, so sollte die Kurwürde ad senior cm fratrem fallen
(devolvatur) ‘); natürlich, da eine Frau doch nicht das Wahl
recht und das Reichsamt ausühen konnte. Da aber hei Österreich
dieser Grund, keine weibliche Nachfolge zu gestatten, nicht vorhan
den war, so bestimmt das Majus: si quod deus avertat, Dux Austrie
sine berede filio decederet, idem ducatus ad senior cm filiam
quam reliquerit devolvatur.
Wie die goldene Bulle den Kurfürsten das Recht zuspricht,
Juden zu halten 2 ), so das Majus den Herzogen von Österreich.
Die goldene Bulle bestätigte nicht nur den Königen von Böhmen
das jus de non evocando et de non appellando s ), sondern ertheilte
auch den übrigen weltlichen Kurfürsten das Recht, wie es die geist
lichen schon besassen, dass niemand eine Person von was immer für
einem Stande oder Range, welche ihnen unterworfen wäre, ausser
halb ihres Territoriums vor ein Gericht rufen dürfe, und verbot
jedem, welcher ihnen unterworfen oder Einwohner ihres Landes
wäre, von den einheimischen Gerichten an ein fremdes zu appelliren,
ausser wenn sie rechtlos gelassen würden 4 ). Dasselbe Recht, und
zwar unbedingt, spricht die Bestätigung des Majus dem Herzoge von
Österreich zu, nicht nur bezüglich der Vasallen, sondern bezüglich
aller, welche dessen Länder bewohnten oder darin Güter be-
sässen.
Weiter verlieh die goldene Bulle allen Kurfürsten das Recht,
welches früher nur Böhmen besass, von jedem quascunque terras,
castra, possessiones, predia sive bona emere, comparare, seu
in donum vel donacionem ex quacunque causa aut in obli-
gationem recipere 5 ). Auch den Herzogen von Österreich spricht
das Privileg von 1228 das Recht zu, dass jeder ihnen suarum Ter-
rarum Provincias et talia cetera... Legare, Dare, Ob li g are
vendere dürfe.
Endlich sollten nach dem Majus von 124S dem Herzoge von
Österreich die Lehen umsonst, ohne alle Abgaben ertheilt
*) Aurea bulla c. 7.
2 ) Ibid. c. 9.
3 ) Ibid. c. 8.
4 ) Ibid. c. 11.
5 ) Ibid. c. 10.
Über die Entstehungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe. 39
werden, gerade wie die goldene Bulle den Kurfürsten dieses Recht
zuspricht 1 ).
Die angeführten Stellen zeigen deutlich genug, dass bei Ver
fertigung der Privilegien die goldene Bulle benützt worden sein
müsse, indem sonst eine so genaue Übereinstimmung im Inhalte, ja
theilweise selbst im Wortlaute undenkbar wäre. Ist aber dieses fest-
gestellt, so wird man auch zugeben müssen, dass dieselben vor
135 6 noch nicht existirt haben können, sondern erst nach dieser
Zeit entstanden sein können.
II.
Ist dieses negative Resultat einmal zugegeben, so dürfte über
die weitere Frage, wann die Privilegien wirklich entstanden, wem
der Ursprung derselben zuzuschreiben sei, kaum mehr eine Meinungs
verschiedenheit bestehen.
Unleugbar waren dieselben am 11. Juli 13 60 vorhanden, indem
an diesem Tage Herzog Rudolf IV. durch den päpstlichen Nuntius,
Bischof Ägidius von Vicenza, den Bischof Gottfried von Passau und
die Äbte Eberhard von Reichenau und Lambert von Gengenbach in
Wien von den Privilegien von 105S, 1228, dem Majus von 1245,
der Bestätigung aller Privilegien von 1283 (in lateinischer Über
setzung) und einigen anderen Urkunden ein Transsumpt ausfertigen
liess 2 ). Doch finden wir deutliche Spuren, dass die fraglichen Acten-
stücke schon vor dieser Zeit existirt haben. Denn am 21. Mai 1360
ertheilte der Kaiser dem Herzoge Rudolf und seinen drei Brüdern
die Reichslehen, und zwar adhibitis solemnitatibus debitis et con-
suetis 3 ), stellte ihnen aber eine Urkunde aus, dass, wenn er bei
der Belehnung aliquos actus et observantias solennes nicht beob
achtet habe, ihnen und ihren Erben daraus kein Nachtheil entstehen
sollte 4 ). Dieser Vorgang lässt sich nur dadurch erklären, dass man
annimmt, Rudolf habe die Gelegenheit benützt, um seine Privilegien
zur Geltung zu bringen, indem er nach der Bestimmung derselben
die Belehnung zu Pferde, im fürstlichen Gewände, den mit der
') Aurea Sulla c. 29.
3 ) Abgedruckt von Chrnel im Notizenblatt. 6, 99 IT.
3 ) Steyerer, ‘297. G l a f e y, Anecdotorum Colleetio p. 10.2.
4 ) Steyerer, 299.
40
Huber
Königskrone geschmückten Herzogshut auf dem Haupte, zu empfangen
verlangte; Karl aber, welcher besonders die Privilegien des Julius
Cäsar und Nero befremdend fand, dieselben nicht anerkennen wollte.
Da aber der Kaiser doch nicht im Stande war, die Unechtheit der
selben bestimmt nachzuweisen, so mögen beide für gut gehalten
haben, obigen Mittelweg einzuschlagen, welcher die Entscheidung
der Frage aufschob.
Weiter hinauf führt uns noch die bekannte Urkunde der Mar
garethe Maultasch vom2. September 13S9, wodurch sie den Her
zogen von Österreich für den Fall ihres kinderlosen Abganges Tirol
vermacht »)• Denn dieser Vermächtnissbrief citirt fast wörtlich meh
rere Puncte der Privilegien. Einmal sagt derselbe, dass die Herzoge
von Österreich sölich freyhait, und recht habent von dem heiligen
Römischen Reiche, sw ns an der herrschaft, Land, Leiit oder güeter
an sy vallent von Kauffes, Erbschaft, Gabe, geschefftes, gemecht-
nus, oder von dhainer anderer zuvallunge wegen, das sey die
nemen, und haben stillen mit allen den freyhaiten und Rechten,
als das Land ze Österreich gefürstet undgestiffl ist 3 ). Die Herzoge
von Österreich sollten die Lehen, welche sie besessen habe, fordern;
weit aber Inen der Römisch Keyser oder Könige, oder dhain geist
lich fürst, oder Prelat dieselben Lehen versagen, so sullcn und
mögen sy sew vordem an dem, von dem sew rürent, drey stund
mit ihren briefen, und mögen sew darnach doch in Lehens
weis rechtichlich innhaben, besizen und messen, nach den
freyhaiten und Rechten des Landes ze Österreich 3 ). Eine so ge
naue Übereinstimmung wäre unmöglich, wenn die Privilegien nicht
Vorgelegen hätten.
Aus noch früherer Zeit gibt es so bestimmte Beweise für die
Existenz derselben allerdings nicht; allein es fehlt doch nicht an
Anhaltspuncten, welche deren Vorhandensein schon einige Monate
früher wahrscheinlich machen. Bereits am 18. Juni 13S9 nennt
Sieyerer, 354. Die Echtheit dieser Urkunde ist allerdings noch nicht ausser allem
Zweifel; allein bis jetzt hat man doch noch nicht genügende Gründe dagegen
vorgebracht.
3 ) Vergl. das Privilegium von 1228, majus 18, Bestätigung desselben §. 4.
Vergl. damit majus §. 2. Quod si sibi denegaretur ab imperio requirat et exigat
litteratorie t r i n a vice, quo facto sua i u s t e possidebit feoda sine
olfensa imperii, ac si ea corporaliter conduxisset.
Über die Entstellungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe.
41
sich Rudolf in einer Urkunde für Melk, dem Majus gemäss, dei gratia
palatinus archidux Austrie, welchen Titel er auch auf dem anhän
genden Siegel führt*)• Es wäre nun zwar möglich, dass Rudolf die
sen Titel früher angenommen und erst dann durch die Verfertigung
eines Privilegs sich die Berechtigung zur Führung desselben zu ver
schaffen gesucht hätte; allein wahrscheinlicher ist es doch, dass er
sich denselben erst beilegte, als die Freiheitsbriefe schon vorhanden
waren.
Wir glauben sogar vermuthen zu dürfen, dass die Reise, welche
Herzog Rudolf mit seinem Bruder Friedrich im Frühlinge des
Jahres 1 3h 9 zum Kaiser nach Prag unternahm 2 ), mit dem Streben
in Verbindung stand, seinen Privilegien die kaiserliche Anerkennung
zu verschaffen; denn yon dieser Zeit an ist er unermüdlich thätig,
eine grosse Coalition gegen Karl IV. zu Stande zu bringen, was sich
am besten durch die Annahme erklärt, dass der Kaiser ihnen die
Bestätigung verweigerte, Rudolf hingegen durch Gewalt zu erzwingen
versuchte, was er mit Güte nicht erlangen konnte.
Aus dem Vorausgehenden dürfte sich mit hinreichender Sicher
heit ergeben, dass die Hausprivilegien zwischen Weihnachten des
Jahres 1356, wo die letzten Capitel der goldenen Bulle publicirt
wurden, und dem Frühlinge des Jahres 1360, wahrscheinlich aber
dem Frühlinge des Jahres 1359 entstanden seien. Man hat also nur
die Wahl zwischen der Annahme, dass der greise Albrecht II. im
Jahre vor seinem Tode, und jener, dass der junge, aufstrebende
Herzog Rudolf IV. die Fälschung veranlasst habe. In diesem Falle
dürfte niemand Anstand nehmen, letzteres für das allein Mögliche zu
halten. Dann fällt aber die Entstehung der Privilegien ziemlich sicher
in den Wintervon 1358 auf 1359, da Rudolf im Herbste 1358
zur Übernahme der Regierung aus den Vorlanden nach Wien kam 3 ).
Eine weitläufige Darstellung der Versuche Rudolfs, seine Pri
vilegien zur Geltung zu bringen, gehört nicht hierher. Eben so
wenig will ich hier einen langen Beweis führen, dass der Charakter
und die sonstige Handlungsweise desselben die Annahme, dass ihm
die Fälschung zuzuschreiben sei, nur noch verstärke, da dies nach
*) H ueber, Austria ex Archivis Mellicensibus illnslrata, p. 83 u. Tab. 18, Nr. 5.
2 ) Wir finden ihn dort am 5. Mai. L i c h n o \v s k y, Nr. 44.
®) Hier finden wir ihn das erste Mal 1358, 16. September. Ibid. Nr. 5.
42
Hube r
der ganzen Ausführung doch kaum mehr einen Zweifel erleiden
dürfte <)• Doch will ich einige Puncte hervorheben, welche beson
ders der Erwähnung werth sein dürften.
In Folge der im dreizehnten Jahrhundert geschehenen Beschrän
kung des Rechts, den deutschen König zu wählen, auf sieben Fürsten,
hatten sich in Deutschland ganz anormale Zustände gebildet. Die
Fürsten, welche damals gerade im Besitze der Kurwürde waren,
hatten diese Stellung auf das schamloseste zur Befriedigung ihres
Sonderinteresses ausgebeutet und sich für ihre Stimmen von den
Königen die wichtigsten Rechte bewilligen lassen. Der Thronstreit
zwischen Ludwig dem Baier und Friedrich von Österreich so wie
die Streitigkeiten des ersteren mit der Kirche hatten die Macht der
Krone noch mehr geschwächt und Karl IV. hielt es für das Beste,
durch die goldene Bulle den Kurfürsten alle Rechte, welche sie im
Laufe der Zeit usurpirt hatten, zu bestätigen, ja noch durch neue
Begünstigungen zu vermehren. Wie sollte dabei ein Fürst wie der
Herzog von Österreich, welcher den ganzen Südwesten des Reiches
und weite Gebiete am Rhein besass, welcher neben Böhmen ent
schieden der mächtigste Reichsfürst war, nicht empört werden, wenn
er sich unter deutschen Fürsten zweiten Ranges erblickte, während
das unbedeutende Sachsen-Wittenberg in erster Reihe stand? Nun
denke man sich einen Fürsten wie Herzog Rudolf, jung, talentvoll,
kräftig und ehrgeizig, so dass er sich sogar kaiserliche Macht
vollkommenheit a ) und das Recht beilegte, in allen seinen Ländern
zu „stifften und stören, Auf setzen und Absetzen.... als tvol als ain
Römischer Kayser oder Kunig in des Heilligen Reichs gebieten“ 3 ),
dazu im Besitze einer Macht, welche mit keinem von den Nachbarn
einen Kampf zu scheuen brauchte. Ist es nicht begreiflich, ja natür
lich, dass er daran dachte, sich dieselben Vorrechte zu verschaffen,
welche die Kurfürsten besassen, und wenn er einmal nicht mit diesen
in erster Linie stehen konnte, sich wenigstens den ersten Platz nach
denselben zu sichern? Man denke nicht, dass sein Streben Träumerei
war, welche auf dem Boden der Wirklichkeit in nichts zerging.
Wenn ein deutscher Fürst den Versuch wagen konnte, sich ein
1 ) Ich verweise indess auf Wattenbach, Die österreichischen Freiheitsbriefe
(Archiv 8, 95—105), und Kurz, Österreich unter Rudolf IV. Linz 1821.
2 ) S. die Urkunden von 1359, 11. April, für Krems, ap. R a u ch, S. II. A. 3, 363.
s ) ß r a n d i s , Geschichte der Landeshauptleute von Tirol. S. 104.
Uber die Entslehungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe.
43
abgerundetes Territorium mit Ausschluss jedes fremden Einflusses
zu schaffen, so war es Herzog Rudolf. Im Umkreise der Länder,
welche er beherrschte, gab es keine bedeutende Macht, welche ihm
mit Aussicht auf Erfolg widerstehen konnte. Da waren keine Reichs
fürsten, deren Resitzungen sein Gebiet durchbrachen, keine Reichs-
slädte, welche seinem Streben eine schwer zu beseitigende Schranke
entgegenstellen konnten. Und wie sollte der Kaiser, welcher von
vorneherein den Gedanken, die Königsgewalt wiederherzustellen,
aufgegeben hatte, gerade seinem Schwiegersöhne verweigern, was
er Anderen so bereitwillig gewährte? Nur in dieser Zeit war die
Fälschung der Privilegien keine Thorheit. Im äussersten Falle blieb
dem Herzoge noch die Berufung an das Schwert, womit er den Kai
ser stürzen und sich selbst an dessen Stelle setzen konnte, um dann
seinem Hause die wichtigen Freiheitsbriefe zu bestätigen !)■
Machen schon die allgemeinen Verhältnisse Deutschlands und
Österreichs eine Entstehung der Privilegien unter Rudolf IV. wahr
scheinlich, so sprechen auch ganz specielle Umstände und Bestim
mungen für diese Ansicht.
Wenn wir hören, dass Herzog Rudolf eine Geheimschrift erfand
new figuren vnd Buchstaben, die vormals nie cliain aug hett ge
sehen, mit denen er seinen Geliaimen seine grosse vnd heimliche
saclie, so sie nicht heg ym waren, schrieb 2 ), dass er sorgfältig
darauf sah, dass ihm aus seiner Kanzlei nichts entwendet würde, was
man zu einer Fälschung hätte benützen können 3 ); wenn wir sehen,
dass er ganz gegen die Gewohnheit jener Zeit einen grossen Theil
seiner Urkunden eigenhändig unterschrieb 4 ), so sind solche Beschäf
tigungen bei einem Fürsten, dessen Thätigkeit vorherrschend nach
Aussen gerichtet ist, jedenfalls sehr auffallend und lassen vermuthen,
dass ihm der Gedanke der Fälschung von Urkunden nicht fern lag.
Jene Puncte, welche sich nur auf Titel („Pfalzerzherzog“) und
äussern Schmuck beziehen, lassen als Urheber der Fälschung jeden
falls einen Mann voraussetzen, welcher von Eitelkeit nicht ganz frei
*) Dass Rudolf der Gedanke, die Krone an sich zu bringen, nicht fremd war, beweist
sein Riindniss mit Wirtemberg von 1359, 26. September, bei Kurz, 328.
z ) Hagen’s Chronik, ap. Pez, SS. 1, 1149.
3 ) Ebendorffer v. Haselbach. Ibid. 2, 808.
4 ) „Wir der vorgenanter Hertzog Rudolph sterken dise obgenante Sache alle mit
dieser Underschrifft unser Seibers hant -j-. ap. S t e y e r e r, 292 u. a. m. 0.
44
Hube r
war. Zeigt es aber nicht von fast kleinlicher Eitelkeit, wenn Rudolf
in der ersten Zeit seiner Regierung Gefallen daran findet, in seinen
Urkunden möglichst viele Zeugen aufzuführen *) oder an unbedeu
tende Ortschaften hochtönende Titel anzuknüpfen und sich z. B. einen
„Markgrafen von Drosendorf“ zu nennen 2 )?
Dass Rudolf die Privilegien nicht etwa vorfand und nur bona
fide die Rechte ausübte, welche dieselben ihm zusprachen, zeigt
unter andern der Umstand, dass er den Titel „Pfalzerzherzog“ oder
kurz „Erzherzog“ fast nur gegen untergeordnete Personen gebraucht,
Fürsten gegenüber aber sorgfältig vermeidet 3 ), was unerklärlich
wäre, wenn er von seinem Rechte zur Führung desselben überzeugt
gewesen wäre. Ja am 5. September 1300 verspricht er dem Kaiser den
früher unrechtmässig gebrauchten Titel eines Pfalzerzherzogs
abzulegen 4 ). Da er aber dessen ungeachtet die Rechte, welche ihm
die Privilegien zusprachen, wieder ausübte, musste er sich vom Kai
ser an sein Versprechen erinnern lassen, von gewissen Dingen abzu
lassen, als von keyserlichen und küniglichen Zierden, die einen
lierczogen von 0 st er rieh nicht angeboren, und sich
nicht anders newes ancziehen noch beginnen zu wollen, als sein
Vater und seine Vettern gethan hätten 5 ). Rudolf musste sich auch
wirklich entschliessen, sein früheres Versprechen zu erneuern f >).
Die eben ausgesprochene Ansicht wird auch dadurch unterstützt,
dass Rudolf mit auffallender, fast ängstlicher Genauigkeit darauf sah,
keine Gelegenheit vorübergehen zu lassen, wo er eine Bestimmung
seiner Privilegien zur Geltung bringen konnte. Ich erwähne nur eines
Umstandes. Es ist eine ganz feste Regel der Reichskanzlei, dass als
Zeugen zuerst die geistlichen und weltlichen Kurfürsten, dann die
geistlichen und erst nach diesen die weltlichen Fürsten verzeichnet
werden. Dagegen findet sich eine kaiserliche Urkunde, vom 13. Decem-
ber 1360, in welcher als Zeugen zuerst der Kurfürst Rudolf von
S. z. ß. Steyerer, 265, 275, 278 u. s. w.
2 ) Beispiele von langen Titeln ibid. 258, 259, 264.
3 ) Erst 1362, 29. Januar gebraucht er unsers Wissens zuin ersten Male diesen Titel
gegen den mit ihm verbündeten Erzbischof von Salzburg, von da an einige Male
gegen diesen und andere Fürsten. S. Lichnowsky, regg. Nr. 329, 334, 341,
372 f., 408, 448, 668.
4) Ibid. Nr. 219.
5 ) G 1 a f e y, 559.
6 ) P e 1 z e 1, Karl IV. Urkundenbuch 324. K u r z, 106, Anmerkung 3.
Über die Entslchuiigszeit der österreichischen Freiheitsbriefe.
45
Sachsen, Erzmarschall, dann Herzog Rudolf von Österreich und erst
nach diesem die Bischöfe von Olmiilz, Leutomischl, Augsburg u. s.w.
erscheinen *). Offenbar hatte Rudolf gegen die gewöhnliche Rang
ordnung die Bestimmung des Majus geltend gemacht, dass der Herzog
von Österreich nach den Kurfürsten den ersten Platz einnehmen
sollte.
Auch das Vorrecht, dass den Herzogen von Österreich jeder
Länder schenken, verpfänden oder verkaufen darf, weist, abgesehen
von der gleichen Begünstigung der Kurfürsten durch die goldene
Bulle, genau auf die Zeit Rudolf’s, welcher bereits in der ersten Zeit
seiner Regierung Alles für die Erwerbung Tirols vorbereitete, die
schon sein Vater stets in’s Auge gefasst hatte 2 ). Ja die Bestimmung,
dass allenfalls eine solche Erwerbung selbst ohne Einwilligung von
Seite des Kaisers oder des Lehensherrn giltig sein sollte, passt für
diesen Fall, wo man fürchten musste, dass der Kaiser, dessen Bruder
früher im Besitze von Tirol gewesen, die Belehnung verweigern
würde, zu genau, als dass sie nicht eigens für diesen Fall gemacht
sein sollte 3 ).
Auch die Bestimmung, dass der Älteste allein die Regierung
führen sollte, durfte nur Rudolf durchzusetzen hoffen, da seine Brüder
noch minderjährig waren. Dass dieses Streben bei ihm bei jeder
Gelegenheit sich geltend machte, sieht man daraus, dass er auf seine
') G III fei, 492.
2 ) S. Ficke r, Wie Tirol an Österreich gekommen. Vorlesungen, gehalten im Ferdi
nandeum zu Innsbruck. Abgedruckt in der „Volks- und Schützenzeitung.“ 1836.
Beilage 7—11 zu Nr. 22—26.
3 ) I)a Jäger (Beitrag zur Privilegienfrage. Sitzungsberichte 20, 14 f.) behauptet,
Wattenb ach, der eine ähnliche Ansicht ausspricht, habe einen „Sinn in die
Urkunde hineingetragen, der in ihrem Wortlaute nicht liegt, offenbar einer Hypo
these zu Liebe, dass Herzog Rudolf eines solchen Privilegiums bedurft habe, um
Tirol auch gegen den Willen Karl’s IV. seinem Hause zuzuwenden“, so glaube ich
obige Auffassung kurz rechtfertigen zu müssen. Allerdings sagt das Privileg von
1228, dass nur, wenn der Verkauf, die Schenkung u. s. w. sich so plötzlich ereignen
sollte, dass der König oder der Lehensherr nicht angegangen werden könnte, die
Herzoge sich nicht an diese zu wenden brauchten. Allein wenn das Privileg zugleich
bestimmt, dass weder der König noch sonst jemand die Verkäufer oder Verpfänder
daran hindern könne, so hängt factisöh die Veräusserung nicht mehr von ihrer Ein
willigung ab. Zudem gehen alle Freiheiten auch auf die künftig zu erwerbenden
Länder über; mit Österreich sind sie als belehnt zu betrachten, wenn ihnen die
Belehnung auf dreimaliges schriftliches Ansuchen nicht erlheilt wird, aiso auch mit
den neu erworbenen Ländern, mit Tirol. Dass Rudolf die Bestimmung wirklich so
auffasste, zeigt die Übergabsurkunde von Tirol von 1363 ap. Steyerer, 362.
46
Huber
Erstgeburt besonderes Gewicht iegt und nicht blos in Urkunden <),
sondern auch auf Siegeln 3 ) Jahr und Tag seiner Geburt angibt und
sich den Erstgeborenen nennt. Er erklärt auch wohl ausdrücklich,
dass er seiner Brüder allen vollen und ganzen gewalt alz der
Eltist habe 3 ), und führt selbst in Urkunden, wo alle Brüder neben
einander Vorkommen, fast immer allein den Titel Erzherzog, während
die übrigen nur Herzoge heissen 4 ).
Wir brauchen übrigens nur das Hausgesetz von 1364 5 ) mit dem
Albrecht’s II. zu vergleichen, um zur Überzeugung zu kommen, dass
die Verhältnisse und Anschauungen innerhalb dieser wenigen Jahre
sich merkwürdig geändert haben müssen. Denn während die Urkunde
von 1355 von der Idee der Gleichberechtigung und Gleichstellung
aller Brüder ausgeht, ist in der Hausordnung von 1364 dem ältesten
überwiegende Gewalt eingeräumt. Dieser soll „die oberste Herr
schaft und die grösste Gewalt“ haben, der „Vorgeher, Besorger und
Verweser“ der Übrigen sein, die Lehen vergaben und empfangen,
die Beamten einsetzen; er sollte grössere Einkünfte haben, einen
grossem Hof halten und allein nach Gutdünken Leute in den Rath
aufnehmen dürfen. Das Streben Rudolf’s ist auch in diesen Bestim
mungen noch deutlich genug sichtbar, wenn er auch seinen Brüdern
gegenüber nicht alles durchsetzte, was er, nach dem Inhalte des
Majus zu schliessen, durchzusetzen hoffte.
So viel hoffe ich jedenfalls klar gemacht zu haben, dass die
bestimmtesten Anhaltspuncte vorliegen, um anzunehmen, dass die
Privilegien um 1336 noch nicht existirten, sondern erst nach dieser
Zeit entstanden, und dass der Charakter und die Handlungsweise
Rudolf’s IV. so wie die damaligen Zustände in Deutschland die Mei
nung noch unterstützen, dass er der Urheber der Fälschung sei.
1 ) Steyerer, 29S. datum Wienne . . . anno Nativitatis nostre vicesimo I. cf. p. 326,
343 u. a.
2 ) Steyerer, 236 f. Rudolphus IV. . . . natus anno domini MCCCXXXIX. Primo-
genitus . . . Natus in die omnium sanctorum. Inschrift eines Sieg-els auf einer
Urkunde von 1359, l. November.
3 ) Steyerer, 273, 277, 288, 294 u. a.
4 ) Lichnowsky, Nr. 187. K u r z, 402, 410. Steyerer, 348, 496 f. u. m. a.
5 ) Steyerer, 401.
Über die Entstellungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe.
47
III.
Wir haben es bisher vermieden, jene Gründe, welche für eine
andere Entstehungszeit der Hausprivilegien vorgebracht worden sind,
zu widerlegen, so weit sie nicht gerade einen unserer Beweise be
rührten. Sie gehen grösstentheils darauf aus, die Entstehung in die
ser oder jener Zeit möglich oder wahrscheinlich zu machen. Wir
erkennen den Fleiss der Sammlung des betreffenden Materials, den
grossen Scharfsinn bei Verwerthung desselben, selbst das relative
Gewicht vieler Gründe, welchen man zustimmen könnte, wenn es an
Beweisen für eine andere Entstehungszeit fehlte, bereitwilligst an.
Schliesst aber unser Beweis die Möglichkeit einer anderen Ent
stehungszeit aus, so wird ihn die noch so wohl begründete Wahr
scheinlichkeit einer Entstehung in dieser oder jener Zeit nicht
erschüttern können. Man kann z. B. sehr gerne zugeben, dass sie
Leopold dem Glorreichen, Otakar von Böhmen recht wohl zur Er
reichung mancher Zwecke hätten dienen können; viele Puncte der
selben passen in den Zeiten des späteren Mittelalters für jeden,
welcher vom Reiche möglichst unabhängig sein wollte, und man
würde mit eben solchem Rechte auf eine Entstehung unter manchen
andern Herzogen von Österreich schliessen können. Aber ein solcher
Schluss ist kein zwingender Beweis; denn welcher deutsche Fürst
suchte im dreizehnten Jahrhundert nicht seine Territorialhoheit
möglichst auszubilden, das Band, welches ihn mit dem Reiche ver
knüpfte, möglichst zu lockern, ohne dass er es für nöthig hielt, sich
dabei auf gefälschte Privilegien zu stützen? Anders wäre es, wenn
Gründe vorgebracht würden, welche nicht blos eine Entstehungszeit
wahrscheinlich machen, sondern erweisen sollten, dass die Privilegien
in einer früheren Zeit existirt haben müssen: dann wäre unser
Beweis unhaltbar und einer neuen Prüfung zu unterziehen, oder man
müsste Mittelwege einschlagen, etwa eine mehrmalige Fälschung,
so unwahrscheinlich eine solche sonst scheint, annehmen. Aber ein
zwingendes Moment scheint mir in keinem dieser Gründe zu liegen.
Bei der Prüfung derselben sehe ich von jenen, welche blos die
Wahrscheinlichkeit einer Entstehung der Freiheitsbriefe vor Herzog
Rudolf IV. darthun sollen, aus den schon angegebenen Ursachen von
vorneherein ab; ich werde nur jene hervorheben, welche für die
48
Iluber
Nothwendigkeit einer Existenz derselben in früherer Zeit zu
sprechen scheinen.
1. Man hat in dieser Beziehung angeführt, dass 1232, als
Herzog Friedrich von Österreich sieh weigerte, der Vorladung des
Kaisers nach Ravenna und Agley Folge zu leisten, dieser sich nach
der österreichischen Besitzung Pordenone begab und ihm dort die
Belehnung ertheilte, wodurch der Satz des Majas, dass der Herzog
von Österreich nicht verpflichtet sei, sich ausserhalb seiner Länder
belehnen zu lassen, vom Kaiser anerkannt worden sei. Weiter habe
später der Herzog, als er wegen seiner Gewalttätigkeiten von dem
Kaiser zur Verantwortung gezogen wurde, sich geweigert, vor die
sem zu erscheinen, was nur erklärlich sei, wenn er sich auf die
Freiheisbriefe stützen konnte 4 ).
Dieser Schluss scheint indessen nicht gerechtfertigt. Was den
ersten Punct betrifft, so ist es sehr zweifelhaft, ob deutsche Fürsten
überhaupt verpflichtet waren, in Italien Hoftage zu besuchen. Die
Weigerung, in Mainz und Augsburg, wohin er zur Verantwortung
geladen worden war, zu erscheinen, konnte er allenfalls auch durch
das Minus rechtfertigen, welches ihn nur zum Besuche der Reichs
tage in Baiern verpflichtete. Ein so streitsüchtiger, länder- und geld
gieriger Herr, wie Herzog Friedrich war, bedurfte wohl überhaupt
keines besondern Freiheitsbriefes, um Gewaltthätigkeiten zu begehen
und dem Kaiser den Gehorsam zu verweigern.
2. Ein anderer Umstand soll für die Existenz des Majus in der
letzten Zeit der Babenberger sprechen, nämlich die urkundliche
Erklärung, welche Herzog Friedrich am 11. März 1241 über die
Besitzungen, die er vom Bisthum Passau zu Lehen habe, gibt,
damit es derselben nicht beraubt werde, si intestati sublati fuis-
semus de medio 2 ); denn da er hier die Absicht ausspreche, „seine
Länder testamentarisch zu vermachen,“ und ihm nur das Majus das
Recht gebe, donandi et deputandi terms snas, so müsse dieses
bereits existirt haben. Eben so soll im Entwürfe der Erhebung Öster
reichs zu einem Königreiche 3 ), indem er bestimmt: semper major
natu seu senior ex generatione tun ex te et successoribus tuis
') Ohme), Die österr. Freiheitsbriefe. Sitz.ungsb. 23, 317 IT.
s ) M. B. 28‘, 134.
3 ) Petrus de Vineis VI. 20.
Über (1 ie Entstehungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe.
49
ultimis descendentes in regno succedant, die Anerkennung des
Rechtes liegen, welches das Majus den Herzogen zuspricht, „sich
Nachfolger als Erben der Lande zu ernennen, falls der neue König
kinderlos bleiben sollte,“ da die successores Ultimi „die zu bestim
menden Erben“ seien i).
Allein ich vermag dieser Auffassung nicht beizustimmen. Was
die letztere Stelle betrifft, so scheint mir überhaupt ihre Erklärung
nicht richtig zu sein, da nirgends ausgesprochen ist, dass der
„successor“ vom österreichischen König ernannt werden dürfe: das
„intestati“ der Urkunde für Passau hingegen möchte ich lieber auf
die Alode als auf die Länder beziehen; denn da jene nach dem Tode
des kinderlosen Herzogs, wenn er nicht anderweitig darüber ver
fügte, an dessen weibliche Seitenverwandte fielen, die Alode von den
Lehen aber oft schwer, wo nicht unmöglich auszuscheiden waren,
so musste dem Bischöfe von Passau daran liegen, dass noch bei Leb
zeiten des Herzogs bestimmt würde, was Lehen seiner Kirche sei.
Aber selbst wenn wir annehmen, dass hier von den Ländern des
Herzogs die Rede sei, so folgt daraus noch nicht mit Nothwendigkeit
die Existenz des Majus, denn auch nach dem Minus hatte ja der
Herzog mit seiner Gemahlinn das Recht, ducatum affectundi cuicun-
que voluerint, d. h. das Recht vom Kaiser zu verlangen, dass er
jenen mit seinen Ländern belehne, welchen er als Nachfolger be
stimme s ), und es ist kein Grund anzunehmen, dass dies nicht auch
testamentarisch geschehen konnte.
3. Man hat wohl auch darauf grosses Gewicht gelegt 3 ), dass
in österreichischen Chroniken und seihst in Urkunden aus der Zeit
des Interregnums häufig von einem Erbrechte der Margaretha,
Tochter Leopold's VI., die Rede ist; besonders hat man auf den
1 ) Chmel, a. a. 0.
2 ) Die Bedeutung- des afTectandi wird sein* treffend durch eine Stelle aus der Lehens-
auftragung von Schonenberg durch den Grafen von Winzenburg an Mainz (vom
Jahre llöl) erklärt: Nos vero . . . praenominatum castrmn eidem Hermanno et uxori
sue Ludgardi eorumque posteritati in heneficium concessimus. Habuit etiain . . .
talem conventionein, ut si filius ei non nasceretur castrum illud, cui ipse expc-
teret, a Moguntino antistite concederetur (Guden, cod. dipl. 1, 20ö).
3 ) Vergl. ChinePs Aufsätze: Versuch einer Begründung (Sitzungsb. 8, 43;>—481),
zur Streitfrage (a. a. 0. 9, 616—642), Habsburg. Excurse. V. (a. a. 0. 11, 231,
Anm.), Die österr. Freiheitsbriefe (a. a. 0. 28, 91 —126).
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXXIV. Bd. I. Hft. 4
so
Hube r
Bericht der Reimchronik hingewiesen, welche hei Gelegenheit der
Vermählung derselben mit Otakar von Böhmen sagt ‘):
Sie gab im eigenltch
vor den waegsten und den besten,
mit gold ein hantvesten,
die sie het von dem riche
über Stire und Osterriche,
ob ir bruoder verdürbe,
daz er erben niht erwürbe,
sie sott der lande erbe wesen.
Do man die hantvest het gelesen,
sie nam sie selb in die luint
und gap hantvest unde laut
von Österlich dem herzogen.
Indessen die Nothwendigkeit der Existenz des Majus wird auch
dadurch nicht bewiesen. Dass die letzten Glieder des Hauses der
Babenberger, welche beinahe drei Jahrhunderte in Österreich ge
waltet hatten, im Lande viele Sympathien genossen, dass sie grossen
Anhang fanden, ist sehr begreiflich. Allein an ein Erbrecht der
Margaretha glaubte weder der Kaiser, welcher nach dem Tode
Herzog Friedricli's das Land als heimgefallen durch Reichsstatthalter
verwalten Hess, noch das Land, welches diese aufnahm und sich vom
Kaiser einen Herzog erbat, noch Margaretha selbst, welche sich noch
1248 und 1249 nicht etwa Herzoginn von Österreich, sondern nur
„Romanorum quondam Regina“ und „filia Leopoldi et soror Fri-
derici Austritte Ducuni“ nennt 2 ). Nur weil der Kaiser das Land
verwaist und ohne Herzog liess, wendete man sich den Babenbergerin
nen zu, in der Überzeugung, dass wenigstens keiner von den benach
barten Fürsten, welche das Land an sich zu reissen suchten, grössere
Rechte habe, als sie. Dabei konnte aber der Margaretha nicht das
Majus, welches beim Abgang des Herzogs ohne männliche Nach
kommen der senior filia das Nachfolgerecht zuspricht, etwas helfen,
da sie nicht senior filia Friedrich's II. war, und die Theorie und
*) Cap. 22, ap. Pez 3, 33 nach dem von Karajan verbesserten Texte bei Climel,
Sitzungsb. 8, 443.
Lambacher, Österr. Interregnum. Anhang p. 20 f.
Über die Entstehungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe.
51
Praxis des deutschen Lehenrechts die Erbfolge von Seitenverwandten
nicht zuliess Ö» sondern nur allenfalls das unbestimmter gefasste
Minus dienlich sein. Allerdings gab ihr auch dieses kein Recht, wohl
aber einen Vorwand, welcher bei der damaligen Rechtsverwirrung,
wie sie die Machtlosigkeit des Kaisers, das Interesse des Papstes,
welcher jedes Mittel begierig ergriff, um die Resitznahme Öster
reichs durch die Staufer zu hindern, und der Ehrgeiz der Raben
bergerinnen herbeigeführt hatten, genügen mochte 2 ). Dass man sich
hierbei nicht auf das Majus, sondern auf das Minus stützte, zeigt
schon der Umstand, dass auch Gertrud als erbberechtigt anerkannt
wurde, welche als Nichte des letzten Herzogs gewiss nicht die
„senior filia“ des Majus war.
Eben so wenig darf man aus der Angabe der Reimchronik,
Margaretha habe ihrem Gemahle das Land gegeben, auf die
Existenz des Majus schliessen, welches dem Herzoge im Falle eines
kinderlosen Ablebens das Recht ertheilt: „donandi et deputandi
terras suas“; denn abgesehen davon, dass streng genommen Mar
garetha auch nach dem Majus kein Recht auf Österreich hatte, lei
stete bei einer freieren Auslegung auch die „libertas ducatum
affectandi a des Minus dieselben Dienste, wie denn auch Gertrud,
welche sich jedenfalls nicht auf das Majus berufen konnte, ihrem
Gatten Österreich geschenkt hat 3 ).
Auch die Bemerkung, dass die dem Otakar eingehändigte Hand
veste das Majus sein müsse, weil sie eine Goldbulle trug, das
Minus aber nur ein Wachssiegel hatte, erledigt sich nicht blos da
durch, dass es, wie wir aus der Abschrift des Ebendorffer von
Haselbach 4 ) sehen, vom Minus auch eine Ausfertigung mit goldener
Bulle gab, und dass daher, wie es öfter geschah 5 ), eine doppelte
0 S. Ficker, Über die Echtheit des kleineren österreichischen Freiheitsbriefes.
S. li ff. (Sitzungsber. 23, 491 ff.)
2 ) Sehr gut handelt über diese Verhältnisse 0. Lorenz, Österreichs Erwerbung
durch Ottokar von Böhmen. Wien 1837. 2. umgearbeitete Auflage (Separatabdruck
aus der Zeitschrift f. d. österr. Gymnasien 8, 97 ff). Nur hätte Loreuz nicht Palacky
folgend behaupten sollen, auch der Kaiser habe auf das Erbrecht der Margaretha
Gewicht gelegt; denn eine darauf bezügliche Urkunde steht unsers Wissens weder
in den Wiener Jahrbüchern 1839, Anzeigeblatt p. 26, noch anderswo.
s ) S. La in ba eher, Interregnum. Anhang p. 23.
'*) Ap. Pez 2, 710.
5 ) Wattenbach, Archiv 8, 89.
4*
N u I> e r
52
Ausfertigung statfgefunden hatte, sondern auch dadurch, dass die
Bestätigung des Minus von 1243 eine Goldbulle hatte 1 )» welche
der Sänger wahrscheinlich im Auge hatte.
4. Man könnte gegen eine Entstehung des Majus und der ver
wandten Freiheitsbriefe unter Rudolf IV. vielleicht auch geltend
machen, dass ihre frühere Existenz durch die Bestätigung durch
König Rudolf vom 11. Juni 1283 bezeugt sei. Allein da einmal
so viele Verdachtsgründe gegen die früheren Privilegien vorliegen,
so müssten sehr gewichtige Gründe für die Echtheit, ja für die Un
möglichkeit einer späteren Fälschung der Urkunde von 1283 vor
gebracht werden, um das Vorhandensein der Freiheitsbriefe in dieser
Zeit zu beweisen; jedenfalls läge es nicht uns ob, die Unechtheit
der Urkunde König Rudolf’s darzuthun, sondern es wäre Sache der
Verfechter der entgegengesetzten Meinung, die Echtheit derselben
zu beweisen. Wir wüssten indessen nicht, dass zu Gunsten der
selben entscheidende Gründe vorgebracht worden wären. Was etwa
dafür geltend gemacht werden könnte, ist die Übereinstimmung der
selben mit den Forderungen der paläographischen Kritik. Indessen
erweist das entsprechende Äussere derselben um so weniger die
Echtheit, als ja auch das Majus unsere grössten Kenner täuschte,
und es war 1339 gewiss leichter, eine Urkunde vom Ende des drei
zehnten, als eine solche von der Mitte des zwölften Jahrhunderts
täuschend zu verfertigen. Statt dessen sprechen auch hier die
erheblichsten Gründe gegen die Echtheit 2 ).
So ist es jedenfalls auffallend, dass beide Herzoge, Albrecht
und Rudolf, bei Ausstellung der Urkunde als anwesend erwähnt wer
den, während dies wahrscheinlich nicht der Fall war. Entscheidend
aber ist einmal, dass die Kurfürsten in der Urkunde selbst als bei
stimmend angeführt werden, was unerhört ist, da die Einwilligung
sonst immer durch besondere Willebriefe geschieht, dann aber die
Ordnung, in der dieselben aufgeführt sind; denn der Pfalzgraf am
Rhein nahm unter den weltlichen Kurfürsten nicht, wie hier, den
letzten, sondern den ersten Rang ein, und nicht weniger auffallend
*) Privilegium . , . bulla aurea typario nostre maiestatis impressa iussimus communiri.
Iliid. p. 116.
2 ) Schon Wattenbach a. a. 0. S. 94 f. und das literarische Centralblatt 1853, Nr. 16,
haben mehrere Puncte horvorgehoben; C h m e l’s (zur Streitfrage) Rinwendungen
scheinen nur zum geringsten Theile stichhaltig.
Über die Entstehungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe. 53
ist, dass gegen die Gewohnheit jener Zeit der König von Böhmen
vor den geistlichen Kurfürsten steht. Aber schon dass der König von
Böhmen überhaupt unter den Kurfürsten genannt ist, dürfte gegen
die Echtheit der Urkunde sprechen, da 1273 die Kurwürde Böhmen
ab- und dafür Baiern zugesprochen worden war, und erst vom Jahre
1285 wieder ein Willebrief von König Wenzel sich findet !)• Eben
so verdächtig wird die Urkunde dadurch, dass König Rudolf bei
Erwähnung des Privilegs von 1243 sagt: An dem selben Brief wir
cze czeugen gesten, die iveil wir Graf gewesen sein; denn entwe
der ist der Rudolfus comes de Habspourch der Urkunde von 1243
der spätere König, dann hätte er, da über die Echtheit des Minus
von 1243 doch kaum ein Zweifel bestehen dürfte, wissentlich die
seitdem gefälschten Urkunden bestätigt; oder der Zeuge war Rudolf
von Habsburg-Laufenburg, dann liegt die Unechtheit der Urkunde
von 1283 noch offener am Tage 2 ). So dürfte dieses Privileg jeden
falls eher für eine Entstehung der Freiheitsbriefe nach, als vor 1283
sprechen.
3. Grosse Bedeutung hat man auch der Forderung Herzog
Albrecht’s von Österreich, dass der Burggraf von Nürnberg die Feste
Seefeld in Niederösterreich, welche ihm König Rudolf verliehen, von
ihm zu Lehen nehmen sollte, und der am 7. Juli 1286 erfolgten Ent
scheidung des Königs beigelegt, welcher erklärte, dass er den Burg
grafen mit Seefeld weit früher als seine Söhne mit Österreich belehnt
habe, und dass der Burggraf die Feste ohne Nachtheil so lange als
Reichslehen besitzen solle, bis er ihm auftragen würde, sich von sei
nen Söhnen belehnen zu lassen 3 ). Man hat aus dieser Urkunde ge
schlossen, dass der Satz des Majus, das Reich dürfe in Österreich
keine Lehen haben, schon damals als Regel anerkannt worden sei.
Indessen dürfte ein solcher Schluss aus diesem einzelnen Falle, wel
cher nur eine erfolglose Forderung Herzog Albrecht’s, aber nicht
einen allgemeinen Rechtsgrundsatz beweist, doch etwas zu gewagt
sein, um so mehr, als bis auf Rudolf IV. niemand mehr diese Forde-
*) B ä r w a 1 d, S. 64.
2 ) Wyss soll im Anzeiger für schweizerische Geschichte 1867, Nr. 2 bewiesen haben,
dass 1245 Rudolf der Laufenburger beim Kaiser war. Da mir aber die betreffende,
Schrift leider nicht zugänglich war, so habe ich im Texte die Sache zweifelhaft
gelassen.
3 J Mon. Zollerana 2, 170.
54
Huber
rung erneuerte. Man könnte im Gegentheile vielleicht mit demselben
Rechte behaupten, dass, wenn das Majus vorhanden war, König
Rudolf hätte erklären müssen, dass aus dieser Verletzung desselben
seinen Söhnen kein Nachtheil erwachsen sollte.
6. Man hat auch den Beweis zu führen gesucht, dass die Her
zoge von Österreich bereits 1336 vermöge eines schon vor Zeiten
ihnen allein ertheilten Privilegiums das Recht besessen haben, eine
goldene Krone auf ihrem Herzogshute zu tragen, welche Befugniss
ihnen das Privileg von 1228 zuspricht, und daraus geschlossen, dass
dieses, und weil es das Majus voraussetzt, auch das Majus im Jahre
1336 schon existirt habe *).
Diese Ansicht stützt sich auf eine Urkunde von 1336, durch
welche die Herzoge Albrecht und Otto von Österreich dem Bruzio
Visconti und der ganzen Verwandtschaft der Visconti, nämlich den
von Matteo und Uberto abstammenden Gliedern als Lehen das Recht
ertheilen, quod coronam auream possintportare super caput
Biverae in galea et bandereis et clypeis, und auf den Bericht des
Gualvaneo de la Flamma, welcher bei Mittheilung dieser Urkunde
bemerkt, Bruzio Visconti, Sohn des Lucehino, sei den Herzogen
von Österreich in ihrem Kriege gegen König Johann von Böhmen
mit zweihundert Rittern zu Hilfe gezogen, habe Geld und Burgen,
die ihm Herzog Albrecht liiefür anbot, zurückgewiesen, sed posse
coronam auream super caput Bidriae sive Briviae
deferre ex maxima gratia postulavit: quod ipsi Duces Austritte
cum magna difßcultate concesserunt, quia hoc solis Ducibus
Austritte quondam pro magno munere concessum f'uit a ).
Fragen wir um die Bedeutung des Wortes Bidria oder Brivia,
so heisst es nach Ducange Biber und caput bidriae Biber-Hut,
so dass es allerdings scheint, Gualyaneo spreche den Herzogen von
Österreich das Recht zu , auf ihrem Hute eine goldene Krone zu
tragen; allein es dürfte doch sehr zweifelhaft sein, ob wir einem
italienischen Chronisten (denn in der Urkunde der Herzoge steht
kein Wort von einem solchen Rechte derselben) hinreichende Kennt-
niss der Befugnisse der Herzoge von Österreich Zutrauen dürfen, um
darauf sichere Schlüsse bauen zu können.
1 ) Jäger, Beitrag zur Privilegienfrage. Sitzungsb. 20, 3—16.
2 ) Ap. Muratori, S. R. J. 12, 1016.
Über die Entstehungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe.
55
Indessen dürfte auch die Erklärung der bezüglichen Wörter,
wie sie Ducange gibt, nicht richtig sein. Selbst wennBidria „Biber“
heisst, bedeutet caput Bidriae doch wohl kaum „Biber-“ oder „Her
zogshut“, sondern „Biberkopf“. Dann aber gibt Ducange als Beweis
für diese Bedeutung von Bidria nichts als unsere Stelle, welche daher
nur aus sich selbst erklärt werden kann. In diesem Falle scheint
aber die Erklärung von Bivera durch Viper, Natter *) viel mehr
für sich zu haben, besonders da die Wappen der späteren Visconti
die gekrönte Viper zeigen, und die Übersetzung der Urkunde mit
dieser Bedeutung von Bivera (Wir Albreclit und Otto, Herzoge von
Österreich, gestatten dem Bruzio Visconti... auf dem Kopfe der
Viper eine goldene Krone zu tragen, und zwar auf dem Helme,
Bannern und Schildern) dürfte jedenfalls einen besseren Sinn geben,
als die bisherige Erklärung derselben. Diese Meinung, dass die Ur
kunde sich nur auf das Wappen bezieht, wird noch dadurch gestützt,
dass man auch anderweitig bei Verleihung von Wappen dieselben
Ausdrücke gebrauchte, wie wir sie in dieser Urkunde finden. So
ertheilt Karl IV. 1360 dem Theodorich von Porticz das Wappen
(armamentum) des ohne Erben verstorbenen Albreclit von L euchten-
berg, nämlich pavonem, sicut cum extensa cauda... in campo
albo... et ut armatura predicta in Banderia, quam eis lar-
gimur, similiter in Clypeo et super galea uti possint et
debeant 2 ).
So dürfte weder die Urkunde von 1336, noch die sie beglei
tende Erklärung des Chronisten das Recht der Herzoge von Öster
reich, auf dem Herzogshute eine goldene Krone zu tragen, irgend
wie beweisen können.
7. Man hat auch behauptet, die Privilegien könnten nicht unter
Rudolf IV. entstanden sein, da dieser keinen Grund gehabt hätte, die
Erbberechtigung der filia senior in das Majus aufnehmen zu
lassen. Dieser Einwand scheint aber völlig haltlos. Es ist wahr, dass
Rudolf IV. keine Tochter batte; aber er hatte auch keinen Sohn,
und wenn er überhaupt Aussicht auf Nachkommen hatte, so musste
er es wenigstens für möglich halten, dass ihm nur eine Tochter ge
boren würde. Dass dann Rudolf die Nachfolge lieber seiner Tochter
<) Ich verdanke diese Erklärung einer gütigen Mittheilung des Herrn Professor F i ck er.
2 ) ti 1 a f e y, 177.
56 Huber, Über die Entstehungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe.
als seinen Brüdern sichern wollte, ist gar nicht auffallend, besonders
wenn man bedenkt, welchen Werth er auf seine Erstgeburt legte.
Gerade bei ihm erklärt sich daher auch sehr leicht die weitere
Bestimmung, qnod (dominium) ab ejusdem sanguinis stipite non
recedat.
Da so keine zwingenden Beweise für die Existenz der Freiheits
briefe vor 1359 vorzuliegen scheinen, im Gegentheile sich ergeben
hat, dass dieselben erst nach 1356 entstanden sein müssen, da zu
dem die Zeitverhältnisse, der Charakter und das Auftreten Herzog
Rudolfs IV., welcher sie zuerst producirte und zur Geltung zu brin
gen suchte, für die Entstehung in dieser Zeit und in seiner Kanzlei
sprechen, so werden wir als das Ergebniss dieser Untersuchung
bezeichnen können, dass sie im Winter von 1358 auf 1359 auf Ver
anlassung Rudolf’s IV. verfertigt worden seien.
Das Resultat, z.u welchem wir gekommen sind, ist nun aller
dings kein neues, sondern dasselbe, welches schon Böhmer und
Wattenbach gewonnen hatten. Indessen dürfte ich doch einzelne
Puncte fester begründet, auch einige neue Gründe hervorgehoben
haben, welche bisher in die Erörterung dieser Frage nicht herein
gezogen worden waren.
57
SITZUNG VOM 14. MÄRZ 1860.
Der Classe werden vorgelegt, mit dem Ersuchen um Aufnahme
in die akademischen Schriften, oder Unterstützung der Herausgabe:
1. „Die ältesten Statuten der Stadt und des Bisthumes Trient,
in deutscher Sprache, zum ersten Male herausgegeben nach einer
Handschrift des k. k. Staatsarchives v. J. 1363, mit einer rechts
geschichtlichen Einleitung, einem Glossar und Inhaltsverzeichniss“,
von Herrn Dr. A. Tomaschek.
2. „Bibliographia del Friuli“, von Herrn Valentinelli.
3. „Homerische Studien“, von Herrn Jacob La-Roche.
58
T oma s chek
Vorgelegt:
Über zwei ältere Rechtsgutachten der Wiener Universität.
Von Dr. J. A. Tornas chek.
In der Summe der Bedingungen, von denen der Culturzustand
einer bestimmten Zeit abhängt, nehmen die herrschenden Rechts
begriffe und ihre schriftlichen Aufzeichnungen eine der wichtigsten
Stellungen ein, sie mögen nun die geltenden Rechtsregeln aus
sprechen oder ihre Anwendung auf die Verhältnisse des wirklichen
Lebens, die praktische Rechtspflege betreffen. Jene Überzeugung
hat sich immer mehr Bahn gebrochen, die die äusseren Ver
änderungen und Erscheinungen eines Zeitabschnittes als in seinen
gesellschaftlichen und rechtlichen Zuständen wurzelnd auffasst und
ihren Zusammenhang mit den inneren Gründen verfolgt. Eine der
wichtigsten cultur- und rechtsgeschichtlichen Erscheinungen, die
den Übergang des Mittelalters in die neue Zeit kennzeichnen, ist die
Verdrängung der deutschen Rechtspflege durch das römische Recht.
Durch diese grosse geistige Revolution, die vom XV. Jahrhundert
ab allenthalben in Deutschland im Stillen fortschritt und sich ohne
äusseren Zwang jedoch unaufhaltsam vollzog, machte eine Rechts
pflege , die Jahrhunderte lang dem nationalen Bedürfnisse genügt
hatte, einer Richtung Platz, die ursprünglich nur von einer geringen,
wenngleich intelligenten Fraction des Volkes getragen, immer mehr
Terrain zu gewinnen wusste, bis ihre Herrschaft als vollendete That-
sache dastand. Einzelne Erscheinungen, die von der Berührung
beider Rechte auf praktischem Boden Zeugniss geben, müssen um
so sorgfältiger untersucht werden, je mehr sie Gelegenheit bieten
den Triebfedern nachzugehen, die diesen Umschwung in der Über
zeugung derjenigen Organe vorbereiteten und herbeiführten, welche
als die Träger und Hüter des nationalen Rechtes durch Jahrhunderte
lang für seine Fortbildung sich thätig erwiesen hatten. Eine deut
liche Einsicht in die Natur und die Bedeutung dieser Umwälzung für
Über zwei ältere Rechtsgutachten der Wiener Universität.
59
das geistige Leben der Nation lässt sich nur durch die Vereinigung
vieler solcher einzelnen Züge zu einem Gesammtbild gewinnen.
In dieser Richtung sei es mir erlaubt durch die Mittheilung und
Besprechung zweier Rechtsgutachten der Wiener Universität zur
Geschichte dieser Erscheinung einen kleinen Beitrag zu liefern.
Auch für die Geschichte des römischen und canonischen Rechtes
im Mittelalter sind diese Gutachten nicht ganz ohne Bedeutung, wenn
auch ihr eigentlicher Werth wo anders als in ihrem materiellen
Inhalte zu suchen ist und mehr darin bestehen dürfte, dass sie
zeigen, wie man im Einklänge mit dem Stande der Rechtsgelehrsam
keit den in jenen Zeiten zu Gebote stehenden wissenschaftlichen
Apparat für die Auffassung und Regelung praktischer Verhältnisse
zu verwerthen versuchte.
Mit dem Erwachen der Thätigkeit der Humanisten im XV. Jahr
hundert fing die Reehtsgelehrsamkeit an frische Sprossen und Blüthen
zu treiben. Seit dem XIII. Jahrhunderte hatte sie selbst an den
italienischen Rechtsschulen und Universitäten nur ein kümmerliches
Dasein geführt. So wie die blosse Exegese der Rechtsquellen in jener
Zeit die Thätigkeit der Rechtslehrer und der Schule ausschliessend
in Anspruch nahm, so charakterisiren sich ihre Werke durch eine
endlose Anhäufung von Citaten, durch eine prüfungslose Anführung
fremder Autoritäten und Ansichten. Doch finden sich einzelne Wex-ke,
die auch in späterer Zeit ihr Ansehen beibehielten, und deren Werth
sich in dem Einflüsse gründet, den die Praxis und das wirkliche
Leben auf ihren Inhalt ausübte. Es sind dies die sogenannten Con
siliensammlungen des Oldradus, Baldus, Tartagnus, Bar-
tolus, Salicetus, Fulgosius, Fr. Aresinus u. a. m. <)
Juristen von Ruf wurden nämlich häufig, nicht blos in Privatstreitig
keiten sondern selbst in politischen Zerwürfnissen, bei Zwistigkeiten
zwischen Kaiser und Papst, zwischen Päpsten und Gegenpäpsten zu
Rathe gezogen, und ihre darüber abgegebenen Rechtsgutachten in
eigenen Werken gesammelt.
So zahlreich nun auch diese Consilien bei den italienischen
Juristen Vorkommen, so dass dieses Geschäft nach dem Ausdruck
Savigny’s in einen beinahe fabriksartigen Gang gekommen war, so
4 ) Sieh darüber von Savigny Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter.
VI. 470.
60
J. A. Tomaschek
wenige sind uns von österreichischen, insbesondere der Wiener
und der Prager Universität erhalten worden, wenn es auch nicht
an Spuren fehlt, die auf ein Vorkommen derselben Sitte vom ersten
Bestehen der Universitäten an hinweisen. Der Hauptgrund warum
sie hier seltener Vorkommen, liegt in der verschiedenen Stellung,
die das im Lehen wirklich geltende Recht gegenüber der aus-
schliessenden Pflege des römischen und canonischen Rechtes auf
den Rechtsschulen in Italien und Deutschland einnahm. Während
dort das römische Recht eine unmittelbare Geltung theils schon ur
sprünglich hatte und sie als gemeines oder subsidiäres Recht bei
behielt, theils im Leben immer mehr die einheimischen Statuten und
Rechte verdrängte, bedurfte es in Deutschland noch Jahrhunderte,
ehe das fremde Recht über das einheimische den Sieg davon trug
und die Formen des römisch-canonischen Processes die nationale
Gerichtspflege verdrängten; desshalb ist auch der Einfluss, den die
Wiener und Prager Universität ursprünglich auf die Rechtsan
schauung des Volkes und die praktische Rechtspflege ausübten, nur
ein geringer und fängt erst mit dem Anfang des XVI. Jahrhunderts
an sichtbarer zu werden. Die Rechtsschulen hielten sich vielmehr
principiell von dem wirklich geltenden Rechte fern. Schule und Praxis
waren einander fremd, ihre Berührungspuncte nur höchst dürftig,
beide verfolgten von einander unabhängig und wechselseitig unbeirrt
ihren besonderen Gang. Den Lehrern der Rechtswissenschaft an den
Universitäten galt das einheimische Recht nur als ein Aggregat
factischer und localer Gewohnheiten, die nur insofern Kraft hätten,
als sie nicht dem gemeinen Rechte widerstritten. Die Städte und
andere Corporationen wachten eifersüchtig über die Erhaltung ihrer
autonomen Gerichtspflege. Obwohl sie sich dem moralischen Ein
flüsse des fremden Rechtes auf die Dauer nicht entziehen konnten,
so waren sie doch eifrig bemüht den thatsächlichen Einfluss des
selben so lange als möglich hintan zu halten.
Eine um so grössere Bedeutung gewinnen die wenigen uns
erhaltenen Rechtsgutachten, von denen ich zwei hiermit vorzulegen
die Ehre habe.
Das ältere ist vom Jahre 1413 und wurde dem Herzog Alb-
recht V. ertheilt; das jüngere ist ein Jahrhundert später, im Jahre
1503 auf die Anfrage des Schöffenhofes der Stadt Iglau in Mähren
durch die Vermittelung der Stadt Wien erflossen. Beide fallen in
Über zwei ältere Rechtsgutachten der Wiener Universität.
61
solche Zeitabschnitte, die man als die Höhepuncte in dem wissen
schaftlichen Leben der WienerUniversität bezeichnen muss, zugleich
charakterisiren sie von einander ganz verschiedene geistige Rich
tungen, deren Eigentümlichkeit sich in ihnen getreu wiederspiegelt.
Beiden ist das römische Recht, dem älteren noch nebenbei das cano-
nische Recht zu Grunde gelegt. Beide beziehen sich auf die Jahre
der Unmündigkeit. Das erstere betrifft das Recht des Vormundes
zur Schaltung über das Vermögen des Mündels, das letztere die
Zurechnungsfähigkeit im unmündigen Alter als Moment bei der Straf
bemessung, insbesondere der Verhängung der Todesstrafe. Sie fallen
endlich beide in jene Zeit, wo die Herrschaft des fremden Rechtes
in den österreichischen Ländern noch nicht entschieden war , und
stellen sich als bedeutsame Symptome dar, die der Verdrängung des
einheimischen Rechtes durch das fremde vorangingen.
Wir wollen sie der Reihe nach einer eingehenden Besprechung
unterziehen, indem wir die Urkunden selbst im Anhänge mittheilen.
I.
Das ältere Rechtsgutachten ist einem im geheimen Haus-, Hof-
und Staatsarchive befindlichen Papiercodex f. 30 entnommen, der
die Signatur trägt: Öst. Loc. 107. Nr. 72. und österreichische
Lehen-, Pfand- und Bestätigungsbriefe aus den Jahren 1368—1454
enthält. Dasselbe findet sich zwar in seinem lateinischen und deut
schen Texte, jedoch ohne die sich darauf beziehenden Actenstücke
bereits abgedruckt im dritten Bande der Sitzungsberichte der kais,
Akademie der Wissenschaften J. 1849, S. 13 in Nr. VIII der von
Chmel veröffentlichten kleineren historischen Mittheilungen sub
Nr. 1 der Urkunden und Actenstücke zur Geschichte K.Alhrecht’s II.
aus den Jahren 1413—1439 mit einer von Chmel hinzugefügten
kurzen Bemerkung. Es schien uns jedoch unerlässlich den Text des
Originalgutachtens mit Hinweisung auf die nach der jetzt üblichen
Weise eitirten Stellen noch einmal aus der Quelle abdrucken zu
lassen und auch die anderen zum Verständniss nothwendigen Acten
stücke hinzuzufügen. Denn ohne eine solche Hinweisung ist jener
Abdruck für die Benützung weniger brauchbar, da sich nicht uner
hebliche Lesefehler in die Abschrift eingeschlichen haben, wie dies
bei dem schwer leserlichen, hie und da sogar corrupten Texte
leicht möglich war, der sich nur durch eine genaue Vergleichung
62
J. A. Tomaschek
mit dem Wortlaute der aus den römischen und canonischen Rechts
quellen angeführten Stellen richtigstellen Hess *).
Vor Allem wird ein kurzer Rückblick auf die Jahre der Unmün
digkeit H. Albrecht’s zum Verständnis derUrktinden nothwendig sein.
Albrecht V. (der nachmalige deutsche König Albrecht II.) war
bpi dem Tode seines Vaters Albrecht IV. (14. Sept. 1404) erst sieben
Jahre alt. Anfangs übernahm H. Wilhelm die Verwesung des Landes
und die Vormundschaft über ihn. Nach dessen bereits im zweiten
Jahre darauf am 15. Juli 1406 erfolgten Tode war sie ein Gegenstand
fortwährenden Zwistes zwischen seinen Brüdern Herzog Leopold und
Herzog Ernst, der selbst dann noch fortdauerte, als sie Herzog
Leopold in Folge eines am 14. September geschlossenen Überein
kommens übernommen hatte. Erst am 13. März 1409 entschied
Kaiser Sigmund als Obmann den Streit dahin, dass beide Herzoge
gemeinschaftlich die Vormundschaft über Herzog Albrecht führen,
sie jedoch am Georgitag (24. April) 1411, wo dieser 14 Jahre alt
wurde, endigen solle. Herzog Leopold schaltete als Vormund sehr
eigenmächtig und willkürlich und verweigerte dem Herzog Albrecht,
selbst als er bereits die Jahre der Mündigkeit erreicht hatte, noch
immer trotz vielfachen Andrängens die Übergabe der Regierung,
ohne dass sich gerade nachweisen Hesse, dass er die Absicht gehabt
habe seinen Mündel von dieser ganz zu verdrängen und sich selbst
zum Herrn des Landes aufzuwerfen 2 ). Als Herzog Leopold am
3. Juni 1411 plötzlich starb, erneuerten die Herzoge Ernst und
Friedrich ihre Ansprüche auf die Vormundschaft, bis Albrecht das
sechszehnte Jahr zurückgelegt hätte. Doch fand Herzog Albrecht V.
in den Ständen des Landes eine kräftige Unterstützung gegen
sie, bis endlich Kaiser Sigmund den Streit als Obmann durch
scliiedrichterlichen Ausspruch vom 30. October 1411 zwischen den
streitenden Theilen zu seinen Gunsten entschied. Darin 3 ) sagt
Kaiser Sigmund ausdrücklich, dass er sich von den Räthen Herzog
*) Zu der angegebenen Jahreszahl des Gutachtens 1413 fügt Chmel ein Frage
zeichen hinzu, insofern mit gutem Grunde, als zwar das Rescript Herzogs
Albrecht und der Revers des Waldhausener Propstes von diesem Jahre datirt ist,
das Rechtsgutachten selbst aber keine Jahreszahl trägt. Da es jedoch den ersteren
Urkunden vorangegangen sein musste, und Herzog Albrecht im Jahre 14ll die
Regierung übernahm, so könnte es höchstens zwischen die J. 1411 und 1413 fallen.
2 ) Sieh Kurz, Österr. unter Kaiser Albr. II. I. S. 151.
S J Die Urkunde bei Rauch, Script. Ilf. 491; Herrgott, Mon. III. 1. 18.
Über zwei ältere Rechtsgulachten der Wiener Universität.
63
Ernst’s und Albrecht’s habe unterweisen lassen, „daz ain gemain
Lantsrecht in Oesterreich sey, das ain Vatter seinen sün vber viert
zehen Jar, desselben Sans alter, nicht verschreiben mug.“ Wirklich
spricht sich auch schon das alte österreichische Landrecht *) über die
Jahre der Mündigkeit übereinstimmend aus: Wenn Vater und Mueter
iren chinden absterben, waz die guets irn chinden lassen in nucz und
in gewer, das sullen die mit ruew haben vor aller ansprach, uncz
daz si chomen zu irn Jarn, der Knecht hincz virczehen Jam,
die Junkfraw hincz czwelif Jarn.
Herzog Leopold hatte nun während seiner Vormundschafts
führung die Lehenschaft der Pfarrkirche zu Leutmansdorf dem Kloster
Waldhausen verliehen, wofür ihm das Stift die Lehenschaft der
Pfarren zu Grein, Kreuzen und Simonsfeld „zum Wiederwechsel“
oder wie es lateinisch heissen würde, in concambium übertrug.
Herzog Albrecht bestritt bei seinem Regierungsantritte seinem ge
wesenen Vormunde die Berechtigung hiezu und liess sich von dem
Doctoren-Collegium der Universität zu Wien ein Gutachten darüber
geben, dass der Vormund nach gemeinem Rechte nicht berechtigt
sei über die Substanz des Vermögens seines Mündels eigenmächtig
zu verfügen. Doch liess er sieh später durch die Bitten des Propstes
von Waldhausen Otto von Schweinpekh und durch die Fürbitten
Anderer dazu bewegen ihm auf seine Lebenszeit die Pfarre zu
belassen; nach dessen Tode solle aber wieder der frühere Zustand
eintreten.
Das nunmehr aufgehobene Stift der regulirten Chorherren des
heiligen Augustin zu Waldhausen liegt in Österreich ob der
Enns im Mühlkreise und wurde bereits im Jahre 1141 von Otto von
Machland errichtet 3 ). In einem Verzeichniss der Pröpste von Wald
hausen 3 ), das grösstentheils einer im dortigen Archive befindlichen,
von einem Canonicus herrührenden Aufzeichnung aus dem Anfänge
des XVI. Jahrhunderts entnommen ist, findet sich die Notiz: Otto
*) Ältere Recension a. XLVI. Von Meiller, Archiv für Kunde österr. Geschichts
quellen, Bd. X, S. 155. Neuere Recension a. LXXI. S. 169.
a ) Die Geschichte dieses Stiftes hat F. X. Pritz iin 9. Bd. des Archivs für die Kunde
österr. Geschichtsquellen. S. 342 ff. zusammengestellt. Bei Kurz, Beiträge zur
Geschichte des Landes Österreich oh der Enns. IV. S. 415—488, findet sich eine
Urkundensammlung des Stiftes.
8 ) Bei Hoheneck, Beschreihung der löhl. Stände in Österreich oh der Enns. II.
S. 754.
64
J. A. Tomnschek
fecundus, dictns Schweinpeck regnavit 29 annos et resignavitl443.“
Obiit 1449. Sub cujus regimine facta est prima destructio mona-
sterii per Hussitas a. 1428.
Nach dem Ableben Otto von Schweinpekh’s hätte die Pfarre
wieder an die Herzoge von Österreich zurückfallen sollen. Doch
erklärte Kaiser Friedrich IV. im Jahre 1451 ‘). dass er die Pfarre
Leobendorf mit päpstlicher Bewilligung dem Stifte Waldhausen ein
verleibt habe, wogegen das Stift ihm und seinem Vetter Ladislaus
die Lehenschaft der Pfarrkirchen zu Grein, Kreuzen und Simonfelden
abgetreten habe. Wirklich blieb seit dieser Zeit die Pfarre hei dem
Stifte Waldbausen bis zu dessen Aufhebung im Jahre 1790, wo sie
landesfürstlich wurde.
Leobendorf (Loibersdorf, Loimsdorf und in alten Zeiten
Leutmannsdorf) ist in Niederösterreich im V. U. M. B. in der Nähe
von Korneuburg unter dem alten Schlosse Kreuzenstein gelegen.
Die Stadt Grein und der Markt Kreuzen liegen in Öster
reich ob der Enns im Mühlkreise, dagegen Simonsfeld in Nieder
österreich im V. U. M. B. nordwärts von Korneuburg.
Die vom Herzog Leopold geschehene Einverleibung der Pfarre
Leobendorf erklärte nun das Doctoren - Collegium (doctores Vien-
ne?isesj als widerrechtlich. Unter diesem ist nichts Anderes als die
juristische Facultät der Universität zu verstehen. Denn diese wurde
eben durch die Doctoren gebildet, und unter Doctor wurde damals
im Gegensätze zu Magister derjenige verstanden, der in Folge des
erhaltenen Grades wirklich an der Universität docirte. Eine Schei
dung des Doctoren- von dem Professorencollegium gab es damals
noch nicht a ).
Obwohl bereits im Jahre 1365 von Rudolf IV. gestiftet, hatte
die Wiener Universität erst um das Jahr 1380 ihre geregelte
Thätigkeit begonnen, als Albrecht III. mehrere Doctoren von der
Pariser Universität berief und ihren Bestand durch den Stiftungsbrief
v. J. 1484 sicher stellte. Insbesondere beginnt die eigentliche
Wirksamkeit der juristischen Facultät erst mit dem Anfänge
des XV. Jahrhunderts, nachdem Albrecht IV. im Jahre 1402 den
Magister Johannes de Venetiis zum Vortrag der Decretalen nach
Die Urkunde hei Kurz a. a. 0. S. 484.
2 ) Vgl. Kink, Gesell, der Wiener Universität S. 56.
Über zwei Rechtsgutachten der Wiener Universität.
65
Wien berufen hatte, und im Jahre 1406 die Doctoren Johannes
Sindrami und Heinrich Pernstein dahin kamen. Der Vortrag be
schränkte sich anfangs bis zum Jahre 1494 grösstentheils auf das
Kirchenrecht, und viel weniger Gewicht wurde auf den Vortrag des
römischen Rechtes gelegt 1 ). Doch ging dies nicht so weit, dass das
Studium des römischen Rechtes ganz vernachlässigt worden wäre,
zu welcher Ansicht Kink's Darstellung leicht Veranlassung geben
könnte. Schon der Inhalt des vorliegenden Rechtsgutachtens , in
welchem sich in gleicher Weise, ohne dem einen oder dem andern
Rechte einen entschiedenen Vorzug einzuräumen, auf römische wie
auf canonische Rechtsquellen berufen wird, zeigt, dass das römische
Recht doch nicht in dem Grade in den Hintergrund trat, wie dies
ein Jahrhundert später beim Erwachen der Thätigkeit der Huma
nisten im entgegengesetzten Sinne mit dem canonisehen Rechte
geschah. Doch ist es sicher, dass das kirchliche Recht sich einer
vorzugsweisen Pflege erfreute, und die Verbindung der Universität
mit der Kirche eine äusserst enge war.
Auch Herzog Albrecht V. ergriff jede Gelegenheit die Univer
sität zu heben und zu unterstützen, wofür diese auch bei mehreren
Gelegenheiten sich ihm dankbar zu beweisen wusste. Daher nahm
auch die Universität unter ihm einen bedeutenden Aufschwung und
ihre Frequenz erhob sieh um diese Zeit zu einer solchen Bliithe, wie
sie später nie, selbst im Anfänge des XVI. Jahrhunderts unter den
Humanisten, nur annähernd erreicht wurde. Unbedenklich kann man
die Zeit unter Albrecht V., in welche auch unser Gutachten fällt,
als die Zeit der grössten Blüthe der Universität bezeichnen
Das Gutachten der Rechtsfacultät ist ausschliesslich aus dem
gemeinen, römischen und canonisehen Rechte geschöpft. Deun nur
diese Doctrinen waren es ja, die an den damaligen Rechtsschulen
ihre exclusive Vertretung fanden. Eigenthümlich und bezeichnend ist
der Ausdruck, den die Rechtsschule ihrer Stellung gegenüber der
nationalen Rechtsanschauung gibt. Sie erklärt ohne Zurückhaltung
dass sie das, was localer Ortsgebrauch in dieser Frage sei, nicht
kenne, und spricht diesem, obwohl sie recht gut weiss , ja merk
würdigerweise aus den Quellen begründet, dass das gemeine Recht
keine praktische Geltung in Deutschland habe, jede andere als eine
*) Kink a. a. 0. S. 100.
Süzb. d. phil.-liist. CI. XXXIV. Bd. I. Hft.
5
6G
I. A. Tomuchek
blos factische Bedeutung ab, ja eine örtliche Gewohnheit, die dem
gemeinen Rechte widerstreite, sei ungiltig, da sie wider eine solche
Gewohnheit sei, die die Kraft eines Gesetzes hat.
Dieser Standpunct der Rechtslehrer darf uns mit Rücksicht auf
die Zeitverhältnisse nicht Wunder nehmen. War es doch erst den
wissenschaftlichen Bestrebungen der neueren Zeit, ja dieses Jahr
hunderts Vorbehalten, in der Fülle von Einzelnbestimmungen, singu
lären Gewohnheiten und particulären Rechtsaufzeichnungen den aus
einer Wurzel treibenden Gedanken zu erkennen, ihn auf einen
einheitlichen nationalen Mittelpunct zurückzuführen und die Wissen
schaft des deutschen Rechtes als gleichberechtigte und ebenbürtige
Schöpfung des nationalen Rechtssinnes dem System des römischen
Rechtes an die Seite zu stellen.
Doch findet man den Grundsatz, der hier vom Standpunct des
gemeinen Rechtes aufgestellt wird, auch in einer Menge deutscher
Rechtsquellen ausgesprochen, die von dem Einflüsse des römischen
Rechtes ganz unabhängig sind. Nach diesen kann ein Kind während
seiner Unmündigkeit stattgehabte Verfügungen über die Substanz
seines Vermögens nach erreichter Mündigkeit binnen einer bestimm
ten Frist frei widerrufen , und den veräusserten Gegenstand von
Jedermann frei vindiciren. Ja die Gewere des Kindes geht jeder
andern Gewere vor, seihst wenn der Gegner die Sache während der
Unmündigkeit des Kindes so lange besessen hat, dass er zu derselben
in das Verhältniss der rechten Gewere gekommen ist 1 ).
Daher sind die Urkunden nicht selten, in denen sich der Vor
mund, der die Sachen seiner Mündel veräussert, mit seinem eigenen
Vermögen dafür verbürgt oder auch andere Bürgen stellt, dass er
nachträglich die Ratification der Veräusserung von Seite des Mündels
nach dessen erreichter Mündigkeit verschaffen werde 2 ) , oder wo
mündig gewordene Kinder ausdrücklich die während ihrer Unmün
digkeit vorgenommenen Veräusserungen ihrer Güter anerkennen 3 ).
!) Sieh darüber Kraut, Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen
Rechtes S. 7 und die in der Anmerkung- 4 zu Seite 8 angegebenen Stellen. Dazu
auch von Richthofen, Friesische Rechtsquellen S. 42. Die 24 Landrechte const. II.
a ) Sieh z. B. eine Urkunde des Cistercienserstiftes Heiligenkreuz vom 8. März 1295
(Fontes rer. austr. XI. S. 281. Z. CCCXIV).
3 ) Beispiele davon gibt Kraut S. 11. Insbesondere verweise ich auf die dort ange
führte Urkunde v. J. 1239 aus den Mon. Boic. 3. 137. n. 33, die mit unserm Fall
einige Ähnlichkeit hat.
Über zwei Rechtsgutachten der Wiener Universität.
67
Wenn aber ausnahmsweise — und solche Ausnahmen kommen
regelmässig vor — nach irgend einer particulären Rechtsquelle der
Vormund in einem besonderen Falle das Recht hatte die Güter seines
Mündels unwiderruflich zu veräussern 4 ) , so waren dergleichen
Veräusserungen nach der Ansicht jener Rechtslehrer ohne recht
liche Geltung, weil sie dem gemeinen Rechte widersprachen.
II.
Die von mir sub Nr. II vorgelegten Actenstüelce sind einer
Sammlung berg- und privatrechtlicher Weisthümer und Sehöffen-
sprüche der mährischen Stadt Iglau in einer Handschrift entnommen,
die mir durch die Liberalität des mährisch-ständischen Ausschusses
zur Benützung überlassen wurde. Eine flüchtige Beschreibung der
selben und Angabe ihres Inhaltes dürfte nicht ohne Interesse sein.
Sie ist mit der Signatur B (ocek’s) S (ammlung) Nr. 123 bezeich
net, befand sich ursprünglich im Iglauer Stadtarchiv und ist gegen
wärtig in Folge der Acquirirung des handschriftlichen Nachlasses des
mährisch-ständischen Archivars Bocek im mährischen Landesarchiv.
Es ist dies ein Papiercodex in Quart, in starke mit gepresstem
Sehweinsleder überzogene Holzdeckel gebunden, die an den Ecken
mit Messing beschlagen sind, und mit Spangen von demselben Me
talle versehen. Olfenbar gegen das Ende des XV. Jahrhunderts oder
um das Jahr 1500 angelegt, diente er durch das ganze XVI. Jahr
hundert zur Eintragung der Gerichtsacte und der Gesetzaufzeich
nungen und ist 250 Blätter stark. Die späteren Eintragungen in
theihveise schwer lesbarer Currentschrift hängen nicht mehr zu
sammen, sondern wurden von dem Schreiber, wo er gerade einen
leeren Fleck fand, eingeflickt. Er beginnt mit einer Sammlung von Eides
formeln, die dasjuramentum ßohemici notarii, der novorum scabinorum,
des Stadtrichters, Sladtschreibers, der Dorfgeschwornen und darauf die
Eide der einzelnen Gewerbe, der geschwornen Tuchmacher, Mälzer,
Hutmacher u. s. w. enthält. Daran schliesst sich unter der Überschrift:
*) Solche Ausnahmen führt Kraut S. 22 ff. an und bespricht sie eingehend z. B. um
hinterlassene Schulden der Altern des Kindes oder vom Kinde selbst gemachte
Schulden zu zahlen, wenn die Veräusserung nothwendig war um das Leben des
Mündels zu fristen, wenn von einem gemeinschaftlichen Mitbesitzer die Theilung
verlangt wird, wenn der Vormund den gelösten Kaufpreis an einem andern Gute
vorteilhaft für das Kind anlegeu konnte u. s. w.
68
J. A. T o m a s c h e k
„Registrum Lehenschaft“ ein Verzeichniss der bei dem Iglauer Berg
gerichte vom Jahre 1515—1577 begehrtenMuthungen und ertheilten
Lehenschaften, die für die Kenntniss der localen Ausbreitung des
Iglauer Silberbergwerkes sehr wichtig sind. Hierauf beginnt F. 47
mit den Worten: „Prwnie kniehykraleWaczlawa druheho“ eine böh
mische Übersetzung der eonstitutiones metallicae König Wenzel's II.
von dem Iglauer Notar Alexandrinus, dem Sohne des Severinus
v. J. 1500, in gedrängter aber lesbarer Schrift mit rothen Rubriken,
farbigen Initialen und zahlreichen Randglossen , die von einer
fleissigen Benützung zeugen. Unmittelbar darauf von demselben Notar
geschrieben eine deutsche Übersetzung dieses Bergrechtes auf
41 Blättern, die um das Jahr 1360 von dem Secretär Karl’s IV. und
späteren Iglauer Notar Johann von Geyinhausen verfasst, als älteres
deutsches Sprachdenkmal von grösserem Umfange merkwürdig ist.
Hierauf folgen Iglauer Weisthümer in böhmischer Sprache nach
Gross-Meseritsch, Caslau von den Jahren 1526, 1529, nach Collin
vom Jahre 1529; eine Sammlung wichtiger Rechtsentscheidungen
in derselben Sprache auf 29 Blättern mit der Überschrift: „Secuntur
varia rescripta in boemico et primo simplex informatio“, die älteste
vom Jahre 1487, die jüngste vom Jahre 1509 1 ); Rechtsverhand
lungen und Entscheidungen aus den Jahren 1516, 1525, 1529 aus der
Stadt Iglau selbst in deutscher Sprache. Die sich daran schliessende
Sammlung bergrechtlicher Entscheidungen auf 30 Blättern ist ge
eignet ein die Marken Böhmens und seiner Nebenländer überschrei
tendes allgemeineres Interesse in Anspruch zu nehmen. Vor nicht
langer Zeit 3 ) wurde darauf hingewiesen, dass so wie das deutsche
Bergrecht überhaupt in den bergrechtlichen Bestimmungen der
Iglauer Handfeste vom Jahre 1249 seinen Ausgangspunct hat, auch in
1 ) Es sind dies Weisthümer und SchöfFensprüche privatrechtlichen Inhalts an ver
schiedene Städte und Märkte ergangen, die mit Iglauer Recht hewidmet nach
Iglau als Oberhof ihren Rechtszug hatten. Die Städte und Märkte, die das Iglauer
als ihr Mutterrecht anerkannten, sind Collin, Chotebor, Chrudim , Caslau, Berg
reichenstein, Schüttenhofen, Eule, Gross-Meseritsch, Teltsch, Triesch, Battelau,
Pocatek, Bisenz, Bitesch , Polna , Pribislau, Wolframs, Diirr u. a. m. Besonders
stark und anhaltend ist der Verkehr mit Kuttenberg. Städte, wo sich der recht
liche Verkehr blos auf die bergrechtliche Seite beschränkt zu haben scheint, sind
Troppau, Römerstadt, Zuckmantel, Bensch, das Stift Leubus, Reichenberg, Kupfer
berg, Wartenberg, Beuthen in Schlesien; Ereiberg , Schneeberg, Annaberg in
Sachsen.
a ) Steinbeck, Geschichte des schlesischen Bergbaues.
Über zwei Rechtsgutachten der Wiener Universität.
69
seiner weiteren Entwickelung und Ausbildung durch Schöffensprüche
und Weisthümer bis weit in das XVI. Jahrhundert an Iglau als
einen Hauptmittelpunct des bergrechtlichen Lebens geknüpft war
und in den auf dieser Grundlage ausgearbeiteten Bergordnungen des
XVI. und XVII. Jahrhunderts seinen Abschluss fand. Der schon im
XIII. Jahrhundert angeknüpfte, seit dem fortgesetzte Verkehr der
schlesischen und sächsischen Gewerke und Bergstädte mit dem
Iglauer Bergschöffenstuhl, die ausdrücklich ausgesprochene Unter
stellung derselben unter diesen als das höchste Recht, die freilich
blos rücksichtlich der böhmischen und mährischen Bergstädte einen
obligatorischen Charakter rücksichtlich der anderen mehr den einer
freiwilligen Unterwerfung hatte, wird durch die in dieser Hand
schrift enthaltenen Entscheidungen für das Ende des XV. und den
Anfang des XVI. Jahrhunderts, durch einen im städtischen Archive
Iglau’s vorhandenen Pergamentcodex für das XIII. und XIV. nach
gewiesen.
Den Schluss machen später eingetragene Iglauer Processe aus
den Jahren 1S50, 1S52, 1SS4 und 15S9, eine Reihe böhmischer
und mährischer Landtagsvereinbarungen, endlich die Entscheidung
eines Streites zwischen dem Bischof und mährischen Landeshaupt
mann Kun von Kunstat und Johann von Pernstein und Helfenstein
durch Kaiser Ferdinand vom Jahre 1SS3.
Aus diesen Mittheilungen dürfte der Werth erhellen, den dieser
Codex für die Landes- und Rechtsgeschichte Böhmens und Mährens
im XV. und XVI. Jahrhunderte hat.
In dem Zeiträume, in den die mitgetheilten Urkunden fallen,
hatte das Iglauer Recht 1 ) die Hussitenkriege und die Kriegswirren,
des XV. Jahrhunderts, an denen die Stadt einen thätigen Antheil
nahm, glücklich überdauert, ohne dass seine Geltung und sein
Ansehen selbst durch das überwiegende Umsichgreifen national-
slavischer Bestrebungen gelitten hatte. In dieser Zeit finden wir
Iglau noch in vollem und ungeschmälertem Genüsse jener wichtigen
Rechte, die den Städten im Mittelalter eine so bedeutende Rolle zu
wiesen. Um so mehr Gewicht ist auf das offene Geständniss der
*) Über den Ursprung 1 , den Charakter und die Bedeutung: des Iglauer Rechtes sieh
mein Werk : Deutsches Recht in Österreich im XIII. Jahrhundert auf Grundlage
des Stadtrechtes von Iglau. Wien 1859.
70
J. A. Tomaschek
Unzulänglichkeit des eigenen Rechtes zu legen, und dieses ein
ehrenvoller Beweis der Gewissenhaftigkeit der Iglauer Schöffen, die
sie übrigens in anderer Art bereits vielfach erprobt hatten. Erst in
der Mitte des XVI. Jahrhunderts finden sich Spuren der Abnahme
seines Einflusses als Oberhof. Im Jahre 1S4S sagte die Stadt Kollin
an der Elbe der Stadt Iglau den weiteren Rechtszug auf, indem sie
sich darüber beklagte, dass sie seit Menschenangedenken noch nie
eine solche Entscheidung von Iglau erhalten hätte, so dunkel und
verworren sei diese, dass sie weder den Schöffen nach den Parteien
verständlich sei, und diese gezwungen wären an den König zu appel-
liren >). Überhaupt wurden die Appellationen der Parteien an die
Landesfürsten im Laufe des XVI. Jahrhunderts immer zahlreicher,
und wurden von diesen bereitwillig unterstützt und begünstigt. Ge
wöhnlich wurden sie der Stadt zur Rechtfertigung und Äusserung
zugeschickt. Doch berief sich diese fruchtlos auf ihre alten Pri
vilegien insbesondere auf das de non appellando und de non con-
vocando. Dadurch wurde der Kitt gelockert, der durch Jahrhunderte
das Gebäude ihrer Rechtspflege zusammengehalten und es gegen so
manche Stürme unversehrt erhalten hatte. Die Landeshoheit der
Fürsten dehnte sich immer mehr zum Nachtheil der städtischen Ge
rechtsame aus. Ihr Einfluss auf die Municipalrechtspflege und auf die
Verwaltung des Gemeindevermögens wurde immer grösser. Damit
wuchs auch das Ansehen des kaiserlichen Rechtes, mit welchem Aus
druck man schon früher das römische Recht bezeichnet findet. Das
Bedürfniss nach einer gründlichen Kenntniss desselben wurde immer
fühlbarer, und so findet man durch einen Process, der nicht singulär,
sondern allgemein in den Städten im XVI. Jahrhundert zum Durch
bruch kam, römische und canonische Rechtsgrundsätze und pro-
cessualische Formen im XVII. Jahrhunderte bereits allgemein ver
breitet, das alte städtische Recht in den Hintergrund gedrängt, viel
fach missverstanden, eben desshalb missachtet und eine neue Ord
nung der Dinge eingeführt. In dem Zeitraum, in den unsere Urkunden
fallen, ist dies jedoch mit Iglau noch nicht der Fall. Die alle
*) Die Entgegnung- der Iglauer Schöffen ist übrigens sehr gemessen und würdevoll.
Sei die Entscheidung den Kollinern dunkel gewesen, so hätten sie gewusst, wo
sie sich Raths erholen konnten. Dass die Entscheidung aber nicht nach ihrem
Geschmacke ausgefallen sei, sei der wahre Grund , warum sie die Iglauer ver
lassen hätten.
Über zwei Hechtsgutachten der Wiener Universität.
71
Municipalrechtspflege ist noch in voller Blüthe, nur leise Anzeichen,
insbesondere die rnitgetheilte Anfrage an Wien, deuten darauf hin,
dass eine neue Gestaltung der Dinge sich vorbereite. Überhaupt
brauchte es hier länger als anderswo, bis diese vollkommen den Sieg
errang. In Wien geschieht ein Hauptstreich gegen die städtische
Freiheit bereits in dem folgenden Jahrzehent, in Iglau braucht es
noch ein Jahrhundert, bis der Sieg des neuen Rechtes entschieden,
und die Aufhebung der alten Municipalrechte vollkommen durch
geführt ist.
Zu den Städten, die von Alters her ihren Rechtszug nach Iglau
hatten, gehörte auch Meseritsch.
Die Stadt Meseritsch 4 ) auch Gross-Meseritsch zum Unter
schiede von'Wal lac hi sch-Meseritsch genannt, hat ihren Namen
wahrscheinlich von ihrer Lage zwischen Flüssen (MezincI). Sie ist in
Mähren, im Iglauer Kreise gelegen, ungefähr 5 Meilen von Iglau und
6 Meilen von Brünn entfernt und hat über 4000 Einwohner, von denen
beinahe 1000 auf die Judengemeinde kommen. Sie ist der Hauptort
einer Allodialherrschaft der fürstlichen Familie von Lobkovvitz, die da
selbst ein malerisch gelegenes Schloss besitzt. Die erste Erwähnung
von Meseritsch geschieht a. 1197. Im J. 1236 kömmt ein Bodislaus
de M., 1281 dominus Bzneto de M. als Zeuge und 1300 bereits
dominus Johannes de M. als Camerarius Moraviae vor. Derselbe
erscheint auch im Jahre 1317 als Purcravius Brunensis und Olomu-
censis camerarius (VI. 88). Dieser Mann scheint eine bedeutende
Persönlichkeit gewesen zu sein. Bereits 1307 hatte ihm König
Rudolf von Polen als Belohnung für geleistete Dienste das Dorf
Testic versetzt 3 ). Sein Name erscheint in zahlreichen Urkunden als
Zeuge z. B. 1308 3 ), 1317 4 ); im Jahre 1321 unterschreibt er sich
baro J. de M., im Jahre 1322 Camerarius Brunensis et Znoymensis,
und noch im Jahre 1336 5 ) stellt er eine Urkunde in Castro nostro
de M. aus. Bis zur Mitte des XVI. Jahrhunderts befand sich die
1) Mezirice. Cod. dlpl. Mor. I. 349. 1197; Meseric II. 314. 1236; Mezeriesch IV.
267. 1281; Mezersicz. V. 77. 1297; Mezirsechs V. 122. 1300; Mezirsiecz VI.
88. 1317; in einer päpstlichen Urkunde von 1317. Mezynedi VI. 105.
3 ) C. d. M. VI. 4.
3 ) C. d. VI. 15.
4 ) C- d. VI. 48, 89, 105, 115, 142, 146, 156, 172.
s ) VU. 57.
72
J. A. Tomaschek
Stadt im Besitze eines Zweiges der mächtigen Familie der Herren
von Lomnic, der von ihr den Beinamen Mezericky führte. Die zahl
reiche, ursprünglich deutche Gemeinde, die sich am Fusse des
Schlossberges angesiedelt hatte, und wahrscheinlich aus den unfreien
Ministerialen hervorgegangen ist, wurde im Anfänge des XV. Jahr
hunderts mit einem Stadtrechte und zwar mit dem von Iglau be-
widmet. Das ihr im Jahre 1410 von Ladislaw von Krawär mit
Genehmigung des Markgrafen Jodok verliehene Stadtrecht wurde
1417 vom K. Wenzel bestätiget. Doch wurde das Band der Unter-
thänigkeit, durch welches sie mit der das Schloss bewohnenden
adeligen Familie verknüpft war, durch die Ertheilung städtischer
Bechte nicht gelöst, nur dass es in der milderen Form der Schutz
herrschaft auftrat. Im Anfänge des XV. Jahrhunderts findet sich ein
lebhafter Beclitszug nach Iglau, und es haben sich noch viele Iglauer
Weisthümer und Schöffensprüche dahin erhalten. Auch das national-
slavische Element, das kurze Zeit darauf auch in dieser Stadt den
Sieg über die deutsche Vulgärsprache davontrug, lockerte durchaus
nicht das rechtliche Abhängigkeitsband von der deutschen Stadt
Iglau, und wenngleich in böhmischer Sprache wurden die Anfragen
nach Iglau und die Vorlage von Bechtsfällen nach wie vor fort
gesetzt.
In Wien wurden bereits gegen das Ende des XV. Jahrhunderts
mit dem Wachsen und dem entschiedenen Übergewicht der Landes
hoheit die Eingriffe in die autonome Gestaltung der städtischen Ver
hältnisse von Seite der Staatsgewalt immer zahlreicher, und der
Kreis der Municipalrechte immer beschränkter. Seit Maximilian I.
nahm der Staatsanwalt, der die Person des Landesherrn repräsen-
tirte, den ersten Sitz und Rang im städtischen Rathe ein, den
zweiten der Bürgermeister, der aus dem Kern des innern Rathes
hervorging. Der Wirkungskreis des Stadtrichters beschränkte sich
nunmehr blos auf die Handhabung der Criminaljustiz , welche er mit
Räthen ausübte, die von der ganzen Gemeinde gewählt wurden.
Die Civilgerichtsbarkeit und Polizei, ferner die Verwaltung der
städtischen Vermögensangelegenheiten war in den Händen des
Bürgermeisters, der den Titel „der grossmächtigste, herrliche und
ansehnliche“ und so wie der Rector der Hochschule „Magnificenz“
führte. Ihm standen ebenfalls 12 Schöffen zur Seite, und diese traten
mit den 12 Schöffen des Stadtrichters in wichtigen Angelegenheiten
Über zwei Rechtsgutachten der Wiener Universität.
73
zu dem doppelten Schöffengerichte zusammen. Beide zusammen
bildeten den iunern Rath. Der innere Rath verstärkte sich ausnahms
weise durch den äussern, der ursprünglich aus dem Institute der
„genannten“ hervorgegangen war, am Ende des XV. Jahrhunderts
aber von den Zünften und Handwerkern gewählt wurde und 1526 aus
76 Personen bestand 1 )- Bürgermeister zu Wien war im Jahre 1503
Wolfgang Zauner, 1506 Paul Keck, 1509 Wolfgang Rieder; Staats
anwälte 1501 Hans von Guttenstein und Ulrich Stoppel, 1515 Johann
Cuspinian.
Die ersten offenen Schritte zum gänzlichen Umsturz der alten
Municipalselbstständigkeit — denn ihre Schwächung ist schon in
der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts zu bemerken — ging von
Karl V. aus. Dieser verlangte am 10. September 1520 3 ), „dass
Bürgermeister und Rath neu gekieft und bestett werden, denn auf
Bürgermeister und Gemeine bei Euch, wie die mit dem Ausschuss
neben dem Rath ain Zeither geweft, und noch sein, war uns pan und
Acht zu leihen beschwerlich und gefährlich“. Zwei Jahre später
am 4. Juli 1522 3 ) lud der Infant Ferdinand von Spanien die Wiener
zum grossen Verhörs- und Gerichtstage nach Wiener-Neustadt ein,
da unbefugte Regenten die Verwaltung an sich gerissen und grossen
Unfug verübt hätten. Endlich wurde durch die Ordnung des städti
schen Wesens zu Wien nach derUnterdrückung der eingedrungenen
Regenten und nach dem Blutgerichte zu Neustadt vom 12. März
1526 4 ) durch Ferdinand I. die Municipalselbstständigkeit gänzlich
unterdrückt. Das mitgetheilte Gutachten des Wiener Senats bietet
uns demnach eine der letzten Äusserungen der städtischen Autonomie
in einer ihrer edelsten Bethätigungen.
Auffallend ist es, dass trotz des offenbaren Zusammenhanges
anderer Stadtrechte mit dem von Wien sich nirgend ein urkund
liches Zeugniss dafür entdecken lässt, dass sich aus der Übertragung
oder Bewidmung mit dem Rechte dieser Stadt irgend ein Rechtszug
dahin ausgebildet habe. Die Stadt Wien hat daher wohl zu keiner
Zeit irgend eine Rolle als Oberhof gespielt, und wenn auch ihr Stadt-
*) Sieh Hormayr, Geschichte VVien’s VIII. Urkuiidenb. S. 347. Codex Austr. II. 478.
2 ) Sieh Honnayr a. a. 0. II. Urk. 119.
3 ) Hormayr, Urk. 120.
4 ) Hormayr III. Urk. 307.
74
J. A. Tomaschek
recht als Vorbild und Muster für viele Städte gedient hat, so zeigt
sich keine Spur, dass sie je ein solcher Mittelpunct des Rechtslebens
gewesen sei, wie die Stadt Iglau in Böhmen, Mähren, Schlesien,
Sachsen und Ungern für weite Kreise durch einige Jahrhunderte
bis über den Zeitpunet hinaus, in den unsere Urkunden fallen.
Wenn sie nun durch so lange Zeit die schwierigsten und ver
winkeltsten Rechtsfälle entschieden hatte, ohne je zu schwanken, so
erscheint die Unentschiedenheit der Iglauer Schöffen hei der Ent
scheidung eines scheinbar so einfachen Falles so seltsam, dass es
wohl am Orte ist den Gründen nachzuforschen, die sie ihnen in
einem so schwierigen Lichte erscheinen liess. Und da liegt die Ursache
wohl nur in dem Widerstreit zweier gleich starkwirkender rechtlicher
Anschauungen, die beide eine echtgermanische Grundlage haben.
Denn so wenig die Grundsätze der mittelalterlichen Rechts
quellen, was die Berücksichtigung des Willensmomentes anbelangt,
noch zur Ausbildung gekommen sind, wie dies den Standpunct des
neueren deutschen Strafrechtes kennzeichnet, so widerstrebte es
doch den deutschrechtlichen Ansichten von der Zurechnungsfähigkeit
und der Strafe gegen einen Unmündigen von 12 Jahren die Todes
strafe zu verhängen.
Schon nach der älteren germanischen Rechtsanschauung *) galt
die Ansicht, dass durch die Unfähigkeit Recht und Unrecht zu unter
scheiden, auch die Zurechnung zur Schuld und Strafe aufgehoben
werde. Das kindliche Alter schloss die strafrechtliche Zurechnung
— nicht so in der Regel die civilrechtliche — theils gänzlich aus,
theils verminderte sie dieselbe. Wenn dessenungeachtet in einigen
Rechtsquellen Unmündige wegen Todtschlags oder körperlicher
Verletzungen mit Strafen belegt werden, so erklärt sich dies
theils aus dem präventiv-polizeilichen Charakter der Bestimmungen
über den Todtschlag, theils aus der Berücksichtigung der mit dem
reifenden Erkenntnissvermögeri wachsenden Fähigkeit zur freien
Willensbestimmung. Nach altgermanischer Ansicht musste ferner
der Schade auch dann ersetzt werden, wenn er unfreiwillig zuge
fügt worden war. In der Regel wird daher nach vielen Rechts quellen
z. B. der lex Frisionum und den friesischen Volksküren 3 ) bei einer
1) Vgl. VVilda, Strafe, der Germanen. S. 550 11'. und 640 11‘.
2 ) Von Richthofen. Fries. Rechtsquellen p. XLI. S. 70. p. 66. coust, XVI u. s. w.
Über zwei Rechtsg-utachten der Wiener Universität.
75
von einem Unmündigen verübten Verletzung der Mangel der bösen
Absiebt angenommen, und es treten blosse Geldbussen an die Stelle
der Todes- und Leibesstrafen.
Die Spiegel kennen bereits ausser der Volljährigkeit gewisse
Altersstufen, denen ein Einfluss auf die Zurechnungsfähigkeit straf
barer Handlungen beigelegt wird. Insbesondere schliesst die Kind
heit die Verhängung der Todes- und Leibesstrafe gänzlich aus. Der
Sachsenspiegel II. 65, §. 1 sagt: Nen kint ne mach binnen
sinen jaren nicht dun, dar it sin lef mede verwerke . . .
swelken scaden it dut, den sal (sin Vormunde) gelden . . . mit des
Kindes gude. Der Schwabenspiegel c. 177: Wan ein kint vnder
vierzehn iaren ist. daz en mak sinen lip noch sines libes ein teil
nüt Verliesen noch verwirken. Ein kint, daz sieben iar alt ist, sieht
daz oder stichet ez einen ze tode. daz verwirket weder sinen lip
noch sines libes ein teil. c. 232: Die wile ein mensche vnder vier-
czehn iarn ist. so mak er sinen lip mit diepheit nüt verwirken, hat
es phleger unde gut. wen sol ez gelten, hat ez nüt ze geldene. wen
sol im hut vne har abslahen. Die Stelle liegt wohl auch der älteren
Brunner Schöffensatzung zu Grunde 1 ): Daz chind hinder vier-
czehen iaren nicht mag den galgen verdienen. Item, die
weil ein junglinch vierczehen iar alt volkleich nicht ist worden, die
weil verdient er nicht den galgen mit stelen: sunder hat er aigen
guet, mit dem scholl man die diephait abtragen; hab aber er nicht
aigen guet, so scholl man im mit rueten an der schraiat haut und bar
abslahen. Auch die sogenannten Maximilianischen Halsgerichtsord
nungen , welche bereits das Übergangsstadium zu dem Standpunct
des neueren deutschen Strafrechtes bezeichnen, erheben sich noch
in Beziehung auf die Grundsätze der Zurechnungsfähigkeit und des
Einflusses des jugendlichen und kindlichen Alters nicht viel über die
angegebenen älteren und mittelalterlichen Rechtsquellen 2 ).
So ist auch die Anschauung, die den Schöffen das begangene
Verbrechen in einem so grässlichen Lichte erscheinen liess, in ihrem
Wesen tief gewurzelt in den Principien, von denen das deutsche
Recht ursprünglich ausging, und in dem Gange, den insbesondere
das deutsche Strafrecht bis zu jener Periode genommen hatte.
*) Rössler, Deutsche Reichsdenkmäler II. S. 299.
i ) Vgl. von Wahlberg, Die Maximil. H. G. 0. Wien 1859, S. Jl.
J. A. T o in aschek
76
Die Fähigkeit Waffen zu führen und zu gebrauchen, die Wehr
haftigkeit war in germanischem Rechte ursprünglich die Grundlage
des gesammten Rechtszustandes, die Bedingung aller Rechtsfähig
keit. Alle die unfähig waren sich selbst zu vertheidigen standen
unter einem besonderen Schutze, beziehungsweise Mundium des
Familienhauptes, der Genossenschaft und in letzter Linie des Königs.
Ist nun die Wehrhaftigkeit ein Grundprincip, auf das sich zuletzt
die obersten leitenden Grundsätze des deutschen Rechtes zurück
führen lassen, so äusserte es auch seinen Einfluss auf die Würdi
gung der objectiven Schwere des Verbrechens und auf das ge-
sammte deutsche Strafrecht. Die Wehrlosigkeit des Verletzten wird
überall als besonders straferhöhendes Moment in Anschlag gebracht.
Die Tödtung eines Schlafenden, Badenden, Speisenden wurde als
eine That angesehen, die nicht mehr durch die Erlegung des ein
fachen Wergeides gesühnt werden konnte. Ein Gleiches gilt von
der Tödtung eines Fremden, Weibes, Greises und endlich eines Un
mündigen. Die 1. Salica 1 ) fordert, dass die Tödtung von Knaben,
die noch nicht das zwölfte Jahr erreicht haben, dreifach vergolten
werde. Der Zusatz zum c. 9. in der 1. Rib. 3 ) bestimmt, dass ein
Knabe von neun Jahren mit dreifachem, ein anderer von 11 Jahren
mit zweifachem Wergeid vergolten werden solle. Das westgoth-
Iändische Gesetz (W. G. II. Orb. II. §. 14) erklärt, dass die Töd
tung eines Unmündigen einNithingswerk und unsühnbare That sei 3 ).
In dieser Anschauung so wie auch in der Art und Weise, wie
die Todesstrafe vollzogen zu werden pflegte, spiegeln sich die cul-
turgeschichtlichen Verhältnisse jener Zeiten genau ab. Diejenigen
Verbrechen waren die häufigsten, die ihren Grund im Affecte, in der
Leidenschaft und im Missbrauche der physischen Kraft hatten, daher
Gewaltthätigkeiten aller Art und ihre Folgen, Todtschläge und die
mannigfaltigsten körperlichen Verletzungen. Verbrechen , hervor
gegangen aus einer entschiedenen Schlechtigkeit der Gesinnung,
selbst aus Gewinnsucht, gehörten noch immer zur Minderzahl. Im
ursprünglichen Iglauer Stadtrecht findet sich noch kein Unter
schied zwischen Todtschlag und Mord. Beide werden unter dem
!) XXXI. 1.
«) Pertz, p. 188.
3 J Sieh Wild» a. a. 0. S. 574.
Über zwei Rechtsgutachten der Wiener Universität.
77
Namen homicidium begriffen. Erst in der zweiten Hälfte des
XIV. Jahrhunderts bestimmt ein Schöffenspruch, der auch von den
Brünner Schöffen adoptirt wurde *). den Begriff des Mordes schärfer
und unterscheidet mortificatio vom einfachen homicidium. Nach ihm
charakterisiren vorzüglich zwei Merkmale den Mord: 1. das der
Heimlichkeit und der vorbedachte Vorsatz , der insbesondere den
wehrlosen Zustand seines Opfers, dessen Mangel an Vorbereitung zu
benützen sucht, 2. die Beraubung des Getödteten nach vollbrachtem
Todtschlage (Beraub = Beraubung eines Leichnams). Der Mörder soll
zuerst mit Pferden durch die Gassen geschleift und dann gerädert
werden, während der einfache Todtschläger enthauptet wird. Die
Strafe des Rades für den Mord finden wir auch im Sachsen
spiegel II. 13, §.4, so wie auch die charakteristischen Merkmale
des Mordes, wie sie sich schon in den Volksrechten zeigen z. B.
lex Fris. XX. §. 2, in jenem Schöffenspruche wieder erscheinen. In
dem der Information des Wiener Stadtrathes beigelegten wissen
schaftlichen Gutachten wird ebenfalls die Strafe des Rades als
„brawcli vnd gewanhait gemains landes“ bezeichnet, zugleich aber
dem richterlichen Ermessen die Verwandlung dieser Todesart in die
des Ertränkens anempfohlen. Dieser letzteren Todesart ertheilen die
Iglauer Schöffen in dem nach Meseritsch ergangenen Endurtheile
vor der Verwandlung der Todesstrafe in eine lebenslängliche Kör
perstrafe, die ihnen der Wiener Stadtrath anrieth , auch wirklich
den Vorzug. Nun war zwar auch in Böhmen und Mähren, wie allent
halben, die Strafe des Rades für den Mörder die gewöhnliche. Die
Strafe des Ertränkens als Todesstrafe ist aber daselbst ganz unge
bräuchlich. Dies mochte denn auch wohl ein Grund gewesen sein,
warum die Schöffen für den nach ihrer Ansicht so ungewöhnlichen
Fall diese im Lande nicht gewöhnliche Todesart als Strafe wählten.
Auch nach den in dieselbe Zeit fallenden Maximilianischen Hals
gerichtsordnungen: der Maxm. Malefizordnung für einen Theil Tirols
v. J. 1499 und deren Nachbildungen: der Ratolphzeller H. 0. v.
1506 und der Laibacher Malefizordnung von 1514 soll ein Mörder
mit dem Rade gerichtet, der Verräther geschleift und geviertheilt
werden, während die Strafe des Todtschlägers die Enthauptung durch
das Schwert ist. Die Strafe des Ertränkens wird verhängt auf
1 ) Sieh Rössler a. a. 0. Br. Sclib. 522.
78
J. A. T o m j s c b e k
Bigamie, Unterschlagung und Nothzucht. Auch wird der Strafe des
Stranges bei Frauen das Ertränken substitnirt. Die M. Landgerichts
ordnung für Österreich unter der Enns v. J. 1S14 spricht zwar nur
im Allgemeinen von Strafen an Leib und Leben. Doch ist es un
zweifelhaft, dass auch hier die Strafe des Rades die gewöhnliche
des Mörders war, und häufig z. B. bei Frauen die Strafverwandlung
in die mildere landesübliche Todesart durch Ertränken einzutreten
pflegte J ).
Aus diesen Betrachtungen erklärt es sich, dass die Schöffen von
Iglau in dem Morde zweier Knaben, eines von 9 , des anderen von
7 Jahren und zwar in der Absicht den ersten seines Hutes zu be
rauben, der die Habsucht des Thäters reizte, den andern aber als
Zeugen aus dem Wege zu räumen, ein noch nicht dagewesenes
unerhörtes Verbrechen sahen. Gründet sich daher der furchtbare
Eindruck, den die verübte That auf ihr Gerechtigkeitsgefühl her
vorbrachte, auf ihre deutsch-nationalen Begriffe von der Schwere
und der Strafwürdigkeit eines Verbrechens, die sie zur Anwendung
der schwersten landesüblichen Strafe auf den Mord, der des Rades
herausforderten, so wurzelt das Bedenken, das sie von der Ver
hängung der Todesstrafe zurückhielt, nicht minder in deutschen
Rechtsbegriffen, die ihnen mit gleicher Stärke entgegentraten, nach
welchen die Unmündigkeit des Thäters die Zurechnung und die
Todesstrafe ausschloss. Daher ihre Rathlosigkeit und Unschlüssig
keit, die sie dazu drängte, gewiss nicht ohne Überwindung das
offene Geständniss auszusprechen, dass ihnen das eigene Recht, das
sie bisher in den schwierigsten Fragen richtig geleitet hatte, nun
mehr in diesem Dilemma zum ersten Male seine Hilfe versage,
„seinttnmalln wir sülichen fal jn vnsern statrechten nicht mögen
finden noch mit vnser vernüfft begreyffen.“
Die Unsicherheit der Schöffen in der Beurtheilung des Rechts
falles und ihre gewissenhafte Sorgfalt in der Überlegung wird schon
aus einer Vergleichung des Datum der einzelnen Urkunden sichtbar.
*) Vgl. von Wahlberg a. a. 0. S. 9.
Über Ertränken als Strafe vom J. 1455 ab sieh Schlager. Wiener Skizzen
IV. 14—19.
Ein Fall von 1397 scheint auf Ersticken zu deuten. Sieh Feil in den Mitth.
der k. k. Central-Com. für Erf. und Erh. der Baudenkm. II. 10. (Amu. 3).
Über zwei Rechtsgutachten der Wiener Universität.
79
Die Meseritscher Schöffen hatten den Fall am 13. Octoher 1505
vorgelegt. Die Iglauer Geschwornen zeichneten sich sonst durch die
Schnelligkeit ihrer Entscheidung und durch eine prompte Justiz aus,
was zur Befestigung des Bandes mit den ihr Recht einholenden Orten
nicht wenig beitrug. So erfolgte, um das erste beste Beispiel davon zu
geben, auf eine Anfrage von Caslau v. J. 1507 octava Epiphaniae,
also vom 13. Jänner die Entscheidung sabbato ante festum sancti
Antonii, also schon am 16. Jänner; auf eine Anfrage von Triesch
feria quarta post invocavit 1511 (12. März) die Antwort feria sexta
ante dominicam Oculi (21. März) u. s. w. Hier brauchen sie über
einen Monat nicht zur Entscheidung des Falls, sondern um sich zur
Anfrage nach Wien zu entschliessen , die am 20. November ge
schieht. Vergleicht man damit die Schnelligkeit, mit der derRath der
Stadt Wien die Anfrage erledigte (30. November) und das Gut
achten der Facultät einholte, wozu er, wenn man auf die Reise der
die Bitte überbringenden Iglauer Geschwornen zwei bis drei Tage
rechnet, kaum eine Woche brauchte, so lasst sich daraus schliessen,
wie viel Überwindung es den Iglauer Schöffen gekostet haben
musste sich zu einem Armuthszeugniss über ihre eigene Rechts
pflege zu entschliessen. Auch da lassen sie sich noch über eine
Woche Zeit, um die dem Gutachten der Rechtsschule sich genau
anschliessende Endentscheidung am 10. December 1505 nach der
blos fünf Meilen entfernten Stadt Meseritsch zu übersenden.
Doch waren sie gewissenhaft genug in dieser Verlegenheit
nicht „aws aygen hawbten recht sprechen“ zu wollen, und „zu
andern rechten“ Zuflucht zu nehmen,,wie sie auch durch ihr Stadt
recht ursprünglich angewiesen wären.
Demnach wandten sie sich „ad senatum Viennensem, ubi est
copia doctorum ac legistarum“ mit der Bitte um Mittheilung
seines Rathes und um Unterweisung „als wir ein sünder vertrawn
czu ewern genaden haben.“
Auch bei dieser Bitte beobachteten sie übrigens streng jene
formellen Bedingungen, an die der Rechtszug nach Iglau selbst ge
knüpft war, und auf deren Einhaltung sie so genau zu sehen gewohnt
waren, dass sie nicht selten Schöffenhöfe und Parteien wegen Man
gels derselben unnachsichtlich zurückgewiesen hatten. Es musste
1. der ganze Verlauf der Verhandlung mit Klage, Antwort u. s. w.
der Parteien genau schriftlich aufgenommen und mit dem Siegel
80
,T. A. T o m a s c h e k
der Stadt verschlossen werden. 2. Der ganze Act durfte nicht
durch einen „schlechten B oten“, sondern musste zum minde
sten durch zwei geschworne Schöffen („Eidgenossen“) persön
lich Oberbracht werden, die angewiesen waren über den Fall auf
Verlangen auch mündliche Aufklärungen zu geben 1 ). Die Entschei
dung sollte endlich „mit schlechter Meinung und kurzen Worten“
und nicht willkürlich „aws aygen hawbten“, sondern „nach Mass-
gabe ihrer Stadtrechte und ihrer Vernunft“ erfolgen 2 ).
War es aber wirklich das Stadtrecht von Wien, von dem die
Iglauer Schöffen die Belehrung über den nach ihrer Ansicht so
schwierigen Fall erwarteten? War es diese Hoffnung, die sie be
wog sich gerade nach Wien zu wenden? Das Stadtrecht von Wien
war ausserhalb seiner Ringmauern nur wenig bekannt. Nie hatte
diese Stadt sich in ihrer Umgebung jenes Ansehen und jene Geltung
erworben, als deren Gradmesser nach den Ansichten des Mittel
alters die Thätigkeit zu betrachten ist, welche eine Stadt als Ober
hof, als Mittelpunct eines ausgebreiteten Rechtszuges ausgeübt hat.
Und hier sehen wir einen Schöffenhof, dessen Recht als Mutterrecht
für so viele Städte Böhmens und Mährens galt, dessen durch Jahr
hunderte fortgesetzte Thätigkeit als Oberhof über die Marken dieser
Länder hinaus in weiten Kreisen berühmt war, sich an eine andere
mit der Bitte um Belehrung wenden, deren rechtliches Ansehen mit
den Grenzen ihres Weichbildes erlosch. Lag es der Stadt, wenn es
ihr nur um ein anderes städtisches Recht zu thun war, nicht viel
näher und entsprach es nicht vielmehr der städtischen Rechtssitte
des Mittelalters, sich an einen angesehenen Oberhof zu wenden,
etwa den von Magdeburg oder Breslau, da ohnehin ein lebhafter,
rechtlicher Verkehr mit den ßergstädten Schlesiens zu jener Zeit
stattfand, und eine andere mährische Stadt Olrpjitz seit lange nach
letzterer Stadt ihren Rechtszug batte? Nicht die Wiener Stadt
rechte konnten es daher sein, die sie unter den „andern rechten“
verstanden , zu denen sie „mügen Zuflucht haben“, sobald sie das
J ) Diese Bedingung 1 findet sich überall, wo ein Rechtszug an einen Oberhof vor
kömmt. Vgl. z. ß. Freiburger Stadtrodel. 40. (Gaupp. d. St. d. Mittelalters II.
S. 33): Si super aliqua sententia fuerit inter burgenses orta discordia . . ex XXIV
consulibus duo, non simplices burgenses, super ea Coloniam appel-
labunt, si volnnt.
2) Vgl. das Verfahren bei Berufungen an den Oberhof zu Lübeck. Michelsen , Der
ehemalige Oberhof zu Lübeck §. 3, S. 20 ff.
Über zwei Rechtsgutachten der Wiener Universität.
81
eigene Recht insticliliess. Es war vielmehr „da s gemeine kaiser
liche Recht 1 ), unter welchem Ausdruck man das römische Recht
verstand, von dem sie Aufschluss erwarteten und auch erhielten,
es war der Hinblick auf die Wiener Universität, die neu aufblühende
Pflegestätte des römischen Rechtes, der sie bewog sich an eine
Stadt zu wenden, in deren Sehoosse die romanistischen Elemente
so stark vertreten waren, und die wohl nur als Vermittlerinn dienen
sollte, um durch sie das Gutachten der Reehtsfacultät, um das es
ihnen wohl eigentlich zu thun war, zu erwirken. Darin bestanden
wahrscheinlich auch die Instructionen, die sie ihren Rathsverwandten
nach Wien mitgaben, und Phrasen wie: „als wir ein sunder ver-
trawn czu ewern genaden haben“ — „das wollen wir vmb ewer
genaden allezeit gerne vnd williglich verdienen“ und andere ähn
liche thun dieser Annahme um so weniger Eintrag, als sie nur der
Ausdruck einer zu jener Zeit ganz gewöhnlichen Courtoisie waren,
die die Städte in ihrer Correspondenz mit einander zu beobachten
pflegten.
Ist diese Ansicht richtig, so liegt darin ein bedeutsames
Zeichen der Zeit, ein auffallender Beweis dafür, dass sich im Innern
der Organe selbst, die bisher die Wächter des nationalen Rechtes
gewesen waren, in ihrer Überzeugung und ihren Ansichten jener
Umschwung allmählich vorbereitete, dem äussere Umstände begün
stigend entgegenkamen, dass das Redürfniss und der Wunsch nach
dem fremden Rechte im Sehoosse der deutschen Genossenschaften
selbst heranreifte, und dieses in den Gemüthern schon einen empfäng
lichen Goden antraf.
Das Studium des fremden Rechtes war aber zu jener Zeit noch
ausschliessender Gegenstand der Rechtsschulen. Der Rath der Stadt
Wien' setzt selbst „vnser als der layen rat und gütbedünken“ dem
„ratslag der gelerten“ entgegen Unter den „gelerten“ oder wey-
sen, gelerten vnd recht verstendigen lewten , so hie bey vns sein“
kann wohl nur das Doctoren - Collegium der juristischen Facultät
der Universität verstanden werden. Wie eng damals der Zusammen
hang war, der die Stadtgemeinde mit der Hochschule verband, kann
man auch daraus entnehmen, dass dem Staatsanwalte, der seit Max-
miiian I. den ersten Rang und Sitz im Stadtrathe vor dem Riirger-
*) „Obecznie prawa cziesarzska“. Sieh das Endurtheil nach Meseritsch.
Silzb. d. phil.-hist. Ci. XXXIV. Bd. I. Ilft. (J
82
J. A. Tomaschek.
meister behauptete, auch die Obhut der Freiheiten der Hochschule
zukam*) dass die Stadtobrigkeit der Hochschule ohne Widerspruch
den Vorrang liess, und dass die angesehensten und gelehrtesten
Männer derselben sich beeilten städtische Würden anzunehmen. So
war z. B. Martin Copin von Hermannstadt, insgemein der Doctor
Siebenbürger genannt, der seit 1303 dreimal Decan der juristischen
Facultät gewesen war, in den Jahren 1312 —1317 Stadtrichter 2 ).
Der Ruf von dem blühenden Stande der Rechtsgelehrsamkeit an
der Wiener Universität und von ihrer innigen und freundschaft
lichen Verbindung mit der Stadtgemeinde war ohne Zweifel auch in
die Mauern der alten Bergstadt Iglau gedrungen, und darin liegt der
Grund, wesshalb diese sich im Gefühle der Unzulänglichkeit des
eigenen und des volksthümlichen Rechtes überhaupt an den Rath der
Stadt Wien wandte, mit dem sie nie bisher weder in einem recht
lichen noch andern Verkehr gestanden hatte.
Seit dem Anfänge des XV. Jahrhunderts hatte die Wiener
Universität einen glänzenden Aufschwung genommen. Der Grund
lag in dem durch die Humanisten wieder erwachten Studium des
classischen Alterthums, das wegen des innigen Zusammenhanges der
Wissenschaften unter einander seinen wohlthätigen Einfluss auch auf
das Studium der Rechtsgelehrsamkeit auszuühen nicht verfehlte.
Auch das römische Recht, das früher vor dem canonischen Rechte
beinahe gänzlich in den Hintergrund getreten war, erlangte nun an
der juristischen Facultät nicht nur eine entschiedene Pflege, sondern
fing an in so ausschliessender Weise betrieben zu werden, dass man
sogar von Seite der Regierung an die gänzliche Aufhebung der Lehr
kanzel des canonischen Rechtes dachte, was nur durch die Univer
sität selbst verhindert wurde 3 ).
Um die Zeit der ergangenen Anfrage nach Wien war die Um
wandlung der Universität bereits vollendet, und das Studium des
römischen Rechtes an ihr in voller Blütlie. Bis zum Jahre 1321 stieg
ihre Frequenz mit jedem Jahre, so dass sie beinahe jener zur Zeit
ihrer grössten Blüthe unter Albrecht V. nahe kam. Die zahlreichen
Schüler mochten wohl den Ruhm der Universität nach allen Seiten
*) Hormayr a. a. 0. S. 101.
a ) Hormayr IV. S. 156„
3 ) Sieh Kink a. a. 0. Beilage XXX. 4.
Über zwei Rechtsgutachten der Wiener Universität.
83
ragen, insbesondere die Juristen die Fürtrefflichkeit des römischen
Rechtes, seine für alle Fälle ausreichende Casuistik allerwärts in
ihrer Heimath anpreisen *). Vergleicht man damit den Zustand der
Studien an der Prager Universität, die seit dem Tode K. Georg’s
von Podiebrad in fortwährendem Sinken begriffen war 2 ), so hebt sich
die Bedeutung der Wiener Universität zu jener Zeit nur noch mehr,
und lässt es begreiflich finden, dass sich die Stadt Iglau nicht viel
mehr an Prag wandte, da doch die Hauptrichtung des rechtlichen
Verkehrs, den Iglau mit anderen Städten unterhielt, nach Böhmen
ging, und das staatsrechtliche Verhältniss der Markgrafschaft Mähren
zu dem Königreich Böhmen eine Menge Beziehungen zwischen der
Hauptstadt Böhmens und den Städten von Mähren begründet hatte.
Die veränderte Richtung in der Auffassung des Rechtsstudiums
geht auch aus der Vergleichung des Inhalts der beiden Rechtsgut
achten hervor. Mit Ausnahme der bekannten, dem canonischen
Rechte entnommenen Rechtsparömie: malitia supplet aetatem „pos-
hait thün die yar erstatten“, fehlt jede Beziehung auf dieses in dem
zweiten Gutachten. In diesem wird „der brawch vnd gewanhait
gemains lanndes“ nicht mehr in stolzer Selbstgenügsamkeit ignorirt,
wie in dem Albertinischen die Frage „quid sit de consuetudine loci“.
Die Rechtslehrer unterziehen bereits den ihnen vorgelegten Fall und
die ihn begleitenden Umstände einer sorgfältigen Untersuchung und
legen dem von ihnen besonders in’s Auge gefassten Willensmoment:
dem „fürsacz vnd poshafftigem gemüt“ ein grosses Gewicht bei.
In dem lateinisch geschriebenen Theile des Gutachtens wird
sich noch auf eine frühere Autorität berufen, dessen lectura über
den Codex fast ein solches Ansehen erlangt hatte, wie die Glosse
selbst, nämlich auf den Rechtsgelehrten Cinus (geb. 1270 zuPistoja,
gest. im J. 1336 als Professsor des römischen Rechts zu Florenz 3 ),
1 ) Nach Kink S. 222. Anm. 260 kennt das Matrikelbuch der juristischen Facultät
für diese Zeit folgende Professoren des römischen Rechtes 1493. dom. Jeronimus
Baibus Venetus 1497. dom. Joannes Silvius Siculus legum doctor Patavinus. 1300.
dom. Bolfgangus Pachaimer de Gmunden, legum doctor. 1303, Joannes Angerer de
Rosenbergk caesarei juris doctor. 1312. mag. Petrus Tannhauser ex Nörnberga,
doctor in caesareo jure. Rector der Universität war im Jahre 1503 Wolfgangus
Mosnauer. Sieh Tilmez und Mitterdorf’s Conspectus historiae Universitatis Viennae.
S. 70.
a ) Sieh Tomek. Gesell, der Univ. Prag. S. 49 ft’.
8 ) Seine ausführliche Lehensgeschichte sieh hei von Savigny a. a. 0. B. VI.
S. 71 IV.
6*
84
J. A. T o m n s c h e k
Die Stelle aus seinem Commentar über den Codex, die das vor
liegende Rechtsgutachten der Entscheidung zu Grunde legt, lautet
wörtlich *) so:
In criminibus. Oppo. ff. de mino. I. si ex causa. §. nunc
videndum vbi dicitur quod minor non restituitur in delictis.
Sol. aut minor deliquit ex animo aut praeter animum. Si ex
animo aut civiliter agitur aut criminaliter. Si civiliter non subuenitur
nisi vt habeatur pro confesso vel transigente vt 1 si ex sausa §. nunc
videndum. Si criminaliter tune aut de atrocioribus delictis aut de
communibus. Si de atrocioribus non subuenitur in aliquo scdmPet.
Si de communibus subuenitur quatenus miseratio etatis etc. vt 1 auxi-
lium §. in delictis. Vel die vt ibi no. Secundo casu quando praeter
animum tune restituitur vt hic in ff.
Das secundum Petrum und in unserem Rechtsgutachten „ex
mente Petri“ bezieht sich auf den französischen Rechtgelehrten Petrus
de ßellapertica. Die französische Schule war in ihrer dialektischen
Methode nicht ohne Einfluss auf die Werke des Cinus, und vorzüg
lich waren es die Ansichten der französischen Rechtsgelehrten Ja-
cobus de Ravanis und P. de B., die er, wie er selbst sagt, in seinem
berühmten Werke über den Codex zu verbreiten suchte.
Über die Frage, was unter dem in den römischen Rechtsquellen
vorkommenden Ausdruck proximus infantiae oder pubertati proximus
zu verstehen sei, divergiren bekanntlich die römischen Rechtslehrer 3 ).
*) Nach der in der hiesigen Hofbibliothek befindlichen Ausgabe : Cyni Pistoiensis
juris consulti praestantissimi in codicem docti commentaria excusa a Juriscon-
sulto Nicolao Cisnero. Francofurti ad Moenum. Impensis Sigismundi Feyerabendt.
MDLXXVIII. p. 101.
2 ) Die älteren Ansichten darüber sieh bei Jac. Gothofredus in Comm. ad Tit. D. de
R. J. ad L. 111.
Über zwei Rechtsgutachten der Wiener Universität.
85
Beilage I.
1. Quod dominus dm donauil ecclcsiam in tcutiuanstorf Olioni de Swcinpckh pre-
posito in Walthauscn ad d. (ics) snos.
Wir Albrecht von gots gnaden etc. Wan wol wissen ist, daz weilent der
liocligeborne furst vnser lieber vetter herzog Leupolt, herezog ze Österreich
etc. seligen gedechtnuss die pfarrkirchen ze Leutmanstorf vnder dem Grewnt-
schenstein gelegen vnser vnd vnsre furstl. Osterr. lehensebaft, vnd die er
weilent von dem yecz gen. vnserm furstentum als vnser Vormund nicht hat
mugen vergeben noch emphrembden, vnd daz wir nach dem vnd wir zu
vnsern jaren sein körnen vnd vnser furstentum selber besiczen vnd jnnhaben,
die im rechten verleihen mochten, wem wir wollten, yedoch durch pete
willen des erbern vnsers lieben Otten des Sweinpekhen, der yecz neulich zu
brobst des vorgen. gotshauses erwelt ist, vnd vnsers getrewen Hannsen des
Sweinpekhen seins vettern vnd auch anndrer seiner frewnd vnd gunner, die
vns daczemal vleizzick paten, haben wir demselben brobst die gnad getan
vnd tun auch wissen mit disem brief, daz er vnd sein conuent des vor
genannten gotshauses ze Walthausen die egenante kirchen zu len mit jrer
zugebörunge zu seinen lebtagen innehaben, nuczen vnd niessen sullen, als
die sein varuordern weilent brobst Hainrich jnngehebt hat, doch daz der
gotsdienst ordenlich volbracht vnd nicht geminnert sundern gemert werde.
Wenn aber der obgenannte brobst mit dem tod abgeet, so sol vns vod vnsern
erben die egenante kirchen ze len mit jrer zugebor genczlich wider ledig
sein also, ob wir wellen, dacz wir die denn selber leihen mugen, wem vns
Verlust, vnd sullen wir oder vnsre erben seine naclikomen, der nach jm
brobst wirt vnd der conuent dass ze Walthausen, darnach der dreyer pfarr
kirchen ze Greyn, zu Kreuczen vnd ze Symonueld, die dem vorgen. vnsern
vettern herzog Leupolten zu widerwechsl geben sind, wider nucz vnd gewer
seczen also, daz si die dann selber leiben, wem das ze schulden kumbt, mit
solhen gedingen vnd rechten, als si die vorgelihen vnd inngehabt habent.
Aber die zeit vnd der obgenannte brobst dass in leben ist, sullen wir oder
vnsre erben dieselben drey kirchen selber leihen, alsofft die ledig werden,
vnd wenn auch also der yeczgen. brobst mit dem tod abgeet, so sullen vns
viul vnsern erben sein nachkommen der brobst vnd der conuent ze Waith,
die brief, die jn vnser heiliger vater der pabst vber die egemelt kirchen
geben bat, vnd auch all mindern briefe, so sie darüber habent, vnuerezogen-
.J59W
§0 Tomasche k.
lieh vbergeben, vnd die sullen denn dhain kraft nicht haben, sunder gencz-
lich ab vnd vernicht sein. Auch mainen wir, daz der obgenannte brobst,
dieweil er lebt, vnd sein conuent diesz kirchen jnnhaben vnd sich die
gewendlichen nucz vnd rennt dauon lassen benugen, als vormalen ist her-
komen, vnd die holden vnd leut, die dat'czu gehörent, nicht verner besweren
in dhain weis an geuerde. Mit etc. Geben ze Wien an sand Luceintag 1 ).
Anno. etc. xiij°.
2. Rcuersalis.
Wir Ott der Sweinpekh brobst vnd das conuent ze Waith, b. vnd tun
kund öffentlich mit dem brief für vns vnd vnsre nachkomen. Als der hoch-
geborne furst vnser gnedige herr herezog Albrecht h. ze Osten - , etc. durch
bet vnser des brobst vnd annderer vnser frewnd vnd gunner vns die genad
getan bat, daz wir vnd der vorgen. conuent des gotsh. ze Waith, die
kirchen ze Leutmanstorf vnder dem Grewtschenstein gelegen mit jrer
zugehorunge, seinen lehenschaften zu vnser des brobst lebtagen jnnhaben,
nuczen vnd niessen sollen vnd mugen, als die vormalen weilent vnser
vorvar brobst Hainrich jnngehabt hett, doch also dasz der gotsdienst
dasz ordenlich volbracht vnd nicht geminnert sundern gemert werde
nach lautt dez brieffs , den wir von seinen gnaden darumb haben;
also haben wir demselben vnserm gnedigen herren h. Albrecht vnd seinen
erben gelobt vnd verhaissen , geloben vnd verhaissen auch wissentlich mit
kraft ditzs briefs, daz wir diesz kirchen wellen jnnhaben vnd vns der ge-
wondliehen nucz vnd renntt dauon lassen benugen, als vormalen ist herkomen,
vnd die holden vnd leut, die darczu gehörnt, nicht verrer besweren in dhain
weg, dieweil wir der brobst in leben sein, als vor begriffen ist an geuerde.
Wenn aber wir der yeczgen. brobst mit dem tod abgeen, so sol dem vorgen.
vnserm gnedigen herren h. Albrecht vnd seinen erben die egenanten kirchen
ze len mit jrer zugehorunge genczlich wider ledig sein, also ob er wil, dacz
er die denn selber leihen mag, wem jn verlusst, vnd derselbe vnser gnediger
herr, oder sein erben sullen vnser nachkomen, der nach vns brobst wirt,
vnd der conuent dasz ze Walthausen, darnach der dreyr pharrkirchen ze
Grein , ze Krewczen vnd ze Symonueld, die wir weilend dem hochgebornen
fürsten vnserm gnedigen herren h. Leupolten seligen gedaehtnuss zu wider
wechsel geben heten, wider nucz vnd gewer seczen, also daz wir die denn
selber leihen, wem das zuschulden kumbt, mit solhen gedingen vnd rechten,
als wir die vor gelihen vnd jnngehebt batten. Aber die zeit vnd wir der
obgenante brobst in leben sein, sol der yeczgen. vnser gnedige herr h. Alb
recht oder sein erben diesz drey kirchen selber leihen, alsofl't die ledig
werdent. Vnd wenn auch also wir der brobst mit dem tod abgeen, so sullen
dem yeczgen. vnserm herren vnd seinen erben vnsern nachkomen der brobst
vnd der conuent zu Waith, die brief, so vns vnser heiliger vater der pabst
vber die egemelten kirchen geben hat, vnd auch all andre brief, so wir dar
über haben, vnvcrczogcnlich vbergeben, vnd die sullen denn dhain kraft
13. Deceinber.
Über zwei altere Rechtsgutachten der Wiener Universität. 87
nicht haben, Sündern gennczlieh ab vnd vernichtet sein, vnd des zu vrkunde
geben wir den brief versigelt mit vnserm der vorgenanten brobst vnd con-
uente anhangenden jnsigeln, der geben ist an sand Nielastag. (6. December.)
Anno etc. xiij.
Eidem monasterio sunt facta vna donacio et jncorporacio super eandem
ccclesiam in Leutmanstorf per sanclitatem papam Gregorium duodecimum
de anno CCCC octauo. Anni sui pontificatus 3°.
3, Dcclaracio doctorum Wicnncnsiuiii super donacionciii et jncorporacioncm predidam.
(Die angeführten Stellen aus dem *corpus jur. civ. und can. sind durch den Druck hervorgehoben.)
Tutor sine decreto res pupilli alienare non potest. ff. de rebus eorum,
qui sub ftf(tela) uel ew(ra) sunt in rubro et in nigro '), et C. de pred
(iis) uel vrbanjs non «//(cnandis) uel obligan{dis) per totum 2 ), et non
solum donacio, ymo vendicio, transaccio et permutacio prohibita est, ut in 1.
non est 3 ), et jtem non solum prohibita est aiienacio rerum immobilium sed.
eciam mobilium ut aurj, argentj, gemmarum, vestium et omnium mobilium
preciosorum ut in I. lex, que. C. de administr (acione) tutorum 4 ). Superior
autem est proximus ordine ut in 1. lex, que ibi scilicet per inquisicionem
judicis; quod autem nomine bonorum siue rerum nedum veniant mobilia et
immobilia sed eciam incorporalia, patet de re5(us) ecc(lesie) «(on) al
(ienandis) , A(oc) consultissimo in lb° (libro) 6°. in possessiones seit jura.
etc. 5 ). Ex quibus patet, quod de jure communi non sufficit consensus eciam
omnium bonorum, nisi auctoritas superioris interueniat, sicut in aliis rei
ecclesiastice non sufficit consensus clericorum, nisi auctoritas superioris
interueniat vt in de rebus ecclesiasticis non afe'(enandis). 12. q(uestio)
ij. sine excepcione 6 ). Ex quo informatur solucio ad seeundum scilicet: quod
si tutor aliquid fecerit consensu suorum condeputatorum, quod hec non
tenent, quia eciam non tantum de jure, eciamsi de eorum consensu, tan-
tum fecerit sine auctoritate superioris. Nam priuta disposicio priuatorum
ins commune non ledit. De tesla (mentis), requisisti' 1 ). Et bec de iure
communi. Sed quia de consuetudine speciali Almania non recipit usum
legum, ut notatur in capitulo super spe(cula), de priuilegiis 8 ), quid sit de
t) D. De rebus eorum, qui sub tutela vel cura sunt (27. 9).
2 ) C. de praediis et aliis rebus tninorum sine decreto non alienandis vei obligandis
(S. 71).
3 ) Const. 2. non est. C. de praediis (5. 71).
4 ) Const. 22. lex , quae C. de administratione tutorum (5. 37). Die Steile lautet:
Lex, quae tutores curatoresque etc. — Praecipimus itaque, ut haec omnia
nulli vutorum curatorumve lieeat vendere, nisi hae forte necessitate et lege etc.
—. scilicet per inquisitionemjudicis — interpositionemque decreti. —
5 ) C. 2. de rebus ecclesiae non alienandis: in 6'“ (III. 9).
6 ) C. 52. Sine exceptione. c. XII. q. 2.
7 ) C. 15. requisisti x. de testamentis (3. 26).
B ) C. 28. x. de privilegiis (5. 33).
88 Toraaschek
consuetudine loej ignoramus, quiini sint facti et in facto consistant. De con-
sftY(utionibus) e. j. 1. vj° *). Item supposicio, quod eonsuetudo habeat, quod
alienacio rei pupillaris valeat sine decreto superioris, adhuc non valet, quod
sit contra talem consuetudinem , que vim legis habet, xj. di (stinctio) in
hijs a ); de co«sMe(tudine) , cum dilectus 3 ); ft', de Ze(gibus_). Si de inter-
pretacione^). Item si preter consuetudinis solempnitatem adicitur alia solemp-
nitas, similiter et illarn tutor seruare tenetur, si in talem modum consensit,
quod forma mandati exacta diligentia est seruanda. ff. »ia»(dati), diligen-
ier 6 ); de rescriptis, cum dilecta 6 ); de pactis c. j et ij et ult. 7 ).
ff. de pactis 6 ). Item si interueniret auetoritas superioris, et aliquid surrep-
cionis interueniret, reuocandum est, quod factum est, ut in dicta 1. lex, que.
C. de administracione tutete 9 ) et C de pred(üs) uel rebus m(inorum) non
öft(enandis) et si preses l0 ).
4. Dcclaraclo vulgaris super cftdcin. Ob ain gorliab des waisen gut cinphröuibdcn mag
mit der gunst vnd willen, die jm zu der gcrhabschaft zugeschikt sein.
Ein gerhab mag nicht empfrömden des waisen gut an des nechsten
obristen gewalt, vnd ist dem gerhab verpoten nicht alain gab, sunder ver
kauften, mit berichtung vbergeben vnd Wechsel. Auch ist nicht alain ver
poten empfrömbdung der erbguter sunder auch varunder guter, ab gelt,
silber, edls gestain, gwant vnd aller kostperr varunder hab. Der obrist ist
der nechst obrist gewaltig richter. Auch vnder dem namen gut ist inbe-
flozzen erbgut vnd varend gut vnd auch vnleibliehe recht. Aus dem ist
wissentlich nach gemainen rechten, daz in der empfrembdung ist nicht
genug aller landesherren verhengnuss, nur alain es kem darczu des obristen
gewalt. Aus dem ist geantwurtt zu dem andern, ob ein gerhab empfrombdet
mit gunst vnd willen der, die jm zugeschikt sind, daz das nicht kraft hat
von gemainem rechten an gewalt des obristen, wenn besunder ordnung be-
sunder leut laidigt nicht ein gemains recht. Das ist antwurt von gemainem
rechten. Vnd wenn dewtsche lannd von besunder gewonheit halden sieb nicht
kaiserlichen rechten, was darumb des lannds gewonhait sey, das wizz wir
nicht, wenn das leit an der tat. Auch ob das wer, daz gewonhait wer, das em
pfrömbdung der waisen gut gut kraft hiet 11 ) an des obristen gewalt, doch
1) C. 1. de constitutionibus. in G l “. (1. 2).
3 ) C. 7. in bis rebus. D. 11.
3 ) C. 8. cum dilectus. x. de consuetud. (I. 4).
4 ) Fr. 37. D. de legibus (1. 3).
5 ) Fr. 3. diligenter. D. mandati vel contra (17. 1).
6 ) C. 22. cum dilecta. x. de rescriptis (1. 3).
7 ) C. 1-, 2. et 8 x. de pactis (1. 33).
8 ) 1). de pactis (2. 14).
9 ) Const. 22. C. de adin. tutorum (3. 37).
10 ) Const. 3. et si praeses C. de prediis (3. 71).
J1 ) d. h. dass eine Veräusserung des Waisengutes gute Kraft hätte.
a
Über zwei ältere Rechtsgutachten der Wiener Universität. 89
hat chain kraft, was empfrömbdung wider solhe gewonhait beschehe, wan
solh gewonhait bat rechts kraftt. Auch ob an der gewonhait zir oder zir
wurd zugesaczt, die sol auch ain gerhab behalten, ob er die gerhabschaft
in der mass aufnymbt. Auch ab zu der empfrömbdung des obristen gewalt
kein mit versweigcn der warhait oder meldung valscher sach, so ist wider-
zeruffen, was also empfrombdt ist.
Beilage II.
Clues de Illczrzitz kabentes in vinculls detentum queudam jiiuenem iinpubcrciu
ctate duodeeim annorum, qui in campo duos alios iiiiiencs miiiorcs et iunio-
rcs se occidit peccora siiiiul pasccutcs, pctiucrunt pro informacione juridica,
virum liic juuenis tali in etate tencra sit morlc puniendus, qui eines nobis
in hcc verba scripserunt eaque per scabiuos miserunt.
Hierauf folgt die Zuschrift der Meseritscher Bürger in böhmischer
Sprache. Ihre Aufnahme erscheint überflüssig, da der Iglauer Schöffenhof
seiner Zuschrift an den Wiener Stadtrath eine wörtliche Übersetzung in’s
Deutsche beigefügt hat.
Ciucs ucro Iglauicnses täte horribllc et aput cosdein quasi inaudituni crimen
iiiagnipcndcntcs, an talis impubes nondum quatuordeciiu anuis complctus
deberet pro huiiismodi delicto inorte puneri annon dubilautes, quapropter
nonnuilos scabiuos suos ad senatum Wienneusem miserunt, vbi cst copia
doctoruui ac legistarum, pro vltcriori in hoc casu informacione, quibus data
cst infrascripta iuformacio, ex qua quidem informacione presens sentencia
calculata cst, scripta et missa ciuibus ad Mezrzicz, prout sequitur.
Pani a przatele mily! Psanie wassemu swrehupsanemu, czo se dotycze
zamordowanie dwe pacholatek: gedno w sedmi a druhe wdewiti letech skrze
trzeti pachole we dwanaezti letech vezinieneho , przitom take polozenie
vhlawnieho prohrzessenie v nas neslychaneho a neznamenateho, w zalobie y
w odpowiedi wedle rozeznanie netoliko nassich nebrz y obeczniech cziesarz-
skyeh praw se wsse pilnosti powaziwsse wyrozumieli gsme, a aezkoli wedle
psanycii obeczniech csiesarzskych praw holomudsky — to gsu ty, genz swych
rozumnych leth gesseze nedosahli — nad gine wyswobozeni bywagi a prawa
takowym w gich prohrzessenie wicze przczrziewagi kazny a trestaniem nezii
tiem, genz swa letha rozumna dosahli gsu, a to zte przieczeny, ze oni w
takowyeh swych menssieh letech swelio rozumu nemagi, a gich rozum tak
slepy, ze newiedi, czo czinie: ale wssak ze w takowyeh mladych 1 ideell,
genz swych leth gesseze nedossli, takowy rozum a zlolest (sic) nalezawa
se, tak se pak wtointo paeholeti wedle psanie wasseho schledawa , kdezdo
zlost geho letha naplniuge, a protoz takowe osoby nedospieieho rozumu pro
takowy weliky zly vezinek prohrzessenie nebudu wyniaty prawy obeczniem,
ale mohunatieley na ziwotie byti kazani a trestani, ale wssak lehezeyssiei
90
J. A. T o m a s c li e k
muku, opiet mohloby wtom pochybenie byti, mali to pachole ive dwanadezti
leteeh pro geho prohrzessenie a zly vczinek skrze to, ze gest dwe pachola-
tek zamordowa!, kazan a trestan byti, a kteru kazni nayprwe mohiby niekto
napomoez wzieti obecznie pvawa cziesarzska, genz takto prawi, ze ty, genz
gsu holomudczy: totiz nedospielech leth, newiedi, czo czinie , a tiem, genz
rozumu nemagi czinie prawa przezrzenie, tez prawie yako starym a sprostnym
gegich starzi a sprostnosti prawa ku pomoezy przichazegi, tez take mohloby
wtomto padu rzeczeno byti, ze tomute pacholeti we dwanadezti leteeh geho
mladezy a nerozumu mielaby prawa ku pomoezy przigiti a gey od smrti
zdwihnuti: ale wssak na wysserzeczene pomoezy a wymluwy newzhleduge
zda se nam, ze to pachole wtomto padu sweho prohrzessenie od naywyssie
muky nemoz wyniato byti, nebo wtomto padu nemohu geho mlada letha gey
wymluviti, nebo zadny nemoze rzeczy, aby se to stalo z sprostnosti nebo z
newiedomie, ale ze vmysla swewolnebo, wzhlednuez nato, ze gednoho pro
klobuczek a druheho, aby geho zly vczinek zamlczeny zuostal, zamordowal
gest, gessto moze tudy vznano byti, ze takowy geho zly vczinek z geho swe-
wolneho a zlostneho vmyslu possel gest, kterazto zlost geho letha naplniuge,
yakoz pak to pachole sam nase wyznawa, tez take wyznanie otcze geho ,
kteryz obyczegow a mrawow geho nade wsseczky gine swiedom gest prawicz
syna sweho zvffalym czlowiekem byti. Tez wyznawagi rychtarz a consseli tey
osady, ze to pachole wzdyczky przi gednostaynem dobrym a zdrawym rozumu
bylo gest. A die toho ma zlu pomstu muczen byti, aby se giny tez podobne
przichodie czasy buducziemi cziniti wystrziehali. Nebo poniewadcz on w swe
mladosti takowy mord a zlost vczinil gest, czo dobreho moz se czlowiek do
nieho w geho starssy nadieti nebo dovffati? A protoz, pani przatele inily,
nato warn toto za prawo rziekame a wypowiedame, ze to pachole smrti ma
byti kazano a trestano. Aczkoli wedle prawa nasseho a obyezege zemskeho
pro takowe vkrutne prohrzessenie a vczinek zly mielby byti na kolo zbit,
wssak pro geho mladez a letha nedossla takowa smrt ohawna moze gemu
promynuta byti w lechczegssie smrt totiz, aby vtopen byl. Actum Iglavie,
feria quarta ante festum sancte Lucie virginis. Anno domini M°. quingent 0 .
quinto. (10. Dec. 1505.)
Clues Iglaiiicnscs pro inforinaclonc supradlctl casus potentes scnatui vrbls
Wiennenses scripserunt in hcc verba, prout sequitur.
Ersamen, fursichtigen, hoehweysen heiTnn, besünder lieben freündt!
Vnser beraitwillig diennst ewer genaden beuor. Zu erchennen geben, wie die
burger czu Mezrzicz, vnsers genedigen herrnn hawbtman des markgrafftümbs
zu Merhern seiner gnaden vnderthan, von alter vnserm statrechten vnder-
liegen vnd bey vns recht vnd vnderweysung holen. Nün hat es sich begeben
das die bemelten burger iecz in newlicher czeit nach ordenung irer löb
lichen gewanhait czu vns vmb ein vrtayl vnd vnderweysung geschickt haben
vnd die sach des hanndels halben in klag vnd anttwort schriefftlich gegeben,
des wir ewer genaden ain nottl hieinn beslassen senden, dabey begeründ
in dorvber recht sprechen vnd eyn vnderweysung zu geben. Günstigen»
Über zwei Rechtsgutachten der Wiener Universität. 91
genedigen, lieben herrnn! lassen ewer genaden wissen: wiewol menige stet,
merkte vnd dörffer in Behmer vnd Merherlanden vnser statrecht gebrawchen
vnd bey vns vrtayl nemen, doch so ist, bey vnser gedechtnüs sulicher ader
dergleichen fal vns nie fürkomen, noch in vnsern statrechten finden mögen,
das ein knab bey czwelff yarn süliche grosse vnerhörliche tat siillt begännt
haben an czwaien kindernn, alsdann ewer genaden yn der nottl klarer werdet
vernemen; vnd da die gegenwärtigen Wenczlab Parchanndl, Niclas Vicencz
vnd Markus Pawspertl, vnsers newen vnd alten raths gesworen, weliche wir
czu ewer genaden der sachalben schicken, weiter mündtlich entrichten
werden. Dorümb wir czu ewer genaden als vnsern genedigen, günstigen
herrnn czutluchl haben, seinttnmalln wir sülichen fal jn vnsern statrechten
nicht mögen finden noch mit vnser vernüfft begreyffen, biettend ewer genaden
mit sunderm vnd ganezem vleys , gerucht vns dorum ewern rath mittaylen
vnd ein vnderweysung geben, ab ein sülicher knab bey czwelff yarnn vmb
süliche grosse that vnd mord noch ewerm rechten möge czu dem tode
gevrtaylt werden ader was dorumb recht sey, nochdem vnser statrecht jnn-
halten, wo wir domit nicht mögen gelangen, das wir czu andern rechten
mögen Zuflucht haben vnd nicht aws aygen hawbten recht sprechen, als wir
ein sünder vertrawn czu ewern genaden haben, also thun werdet, das wollen
wir vmb ewer genaden vnd die ewern allezeit yn ainem solchem vnd merern
gerne vnd williglich verdienen. Datum feria quinta post festum sanete
Elizabeth (20. November) annorum domini 150S.
Sequitur transsüuiptum ex Bocmico ln Theiitunicuiu littere ciuiuiu de Mezrzicz
scnatui vrbis Wienncnsis cum prcdicta littera missuin.
Vnser willig diennst beuor. Ersamen, weysen herren, besunder lieben
ffreundt! Wir thun ewer weyshait czu wissen. Es ist bescheen in vnserm
krays bey ainem dorff genant Raczlawicz ain vnerhörliche that also, das ein
knab yn czwelf yarnn auf der waydfiech hat ermordt mit der hacken czwen
andere knaben: ain jm newnden, den andern jm siebenden yarnn, vnd ist
dornach entloffen jn die mül gelegen bey Raczlowicz czu seinem vater,
welicher jn behalten vnd verspert hat yn die kammer, vnd da sülichs vbl
an richter vnd scheppen ist angelanngt, czu handt sie dargegangen vnd
haben auff dem weg des selben knaben vater begegnet, jn gefragt, wo sein
sun wer; hat er geanttwort, er wesst sein nicht; hat richter vnd scheppen
gesprachen: gib vns die slussl von der kammer; hat er geanttwort: nemt
hin die slüssl vnd sucht. Also haben sie gesucht vnd den morder ym pett
gefunden vnd czu dem vater gesprachen: warum!) hastu yn verspert; hat er
geanttwort: darümb sullt ich yn dornoch anderswo suchen, da habt es yn.
Auff das haben sie den knaben czuhand furgenomen vnd yn mit vleys befragt,
warumb er die czwen knaben ermördt hiet. Hat er yn gesagt: von wegen aines
huetls, wann der ain knab hat ein gemayters hüettl gehabt dann ich, hab
ich das selbig hüettl haben wellen, vnd sie haben das hüettl wider von
mir wellen haben, hab ich czu handt den eldern ym newnden yar mit der
haken erschlagen. Weyter haben sie jn gefragt, warumb er den andern
92
T o in a s c h e k
bruder hiet erslagen; hat er yn wider geanttwort: dorümb, das er sülichs
auff mich nicht sult sagen. Dorauff haben wir den knaben yn vnser ge-
fenchnüs genomen. Dörnach ist die freiintschafft der czwaier erslagen knaben
für vns komen, das recht vber den morder angcrurt't haben, nochdem sie
gehören czu der stat vnsers genedigisten herrnn sein genad von alter czu dem
gericht. Dorauff haben wir geschafft mit richter vnd scheppen des bemelten
dorffs, das sie payde tayl für vns stellen, Also haben sich paide tail für
vns gestehet: der vater desselben mörders mit seinen freündten vnd der vater
der czwaier erslagen knaben mit seinen freündten. Nun haben wir gefragt
richter vnd scheppen auch den vater desselben mörders, das sy vns bey
jren gutten trewn sagen, wie alt der selbig knab wer vnd bey welicher vor-
nüfft er sey, vnd ab er ye sein vornüfft verloren liiet. Haben die obgemelten
richter vnd scheppen auch sein vater gesagt, er sey czwelff yar alt, vnd
ist allezeit bey seiner vernüfft gewesen , sunder das er ist ein ver-
czogter püb. Dörnach hab wir geschafft die klag czu uernewen. Haben die
anklager von wart czu wart vor vnser die klag vernewet vnd, wie oben
stet, gesagt. Auch desgleichen den morder mit sein freündtn haben wir vor
vnser gegenwürtig gehabt vnd yn mit vleys befragt, was er auff die anklag
antwort mit sein freündtn. Darauff hat sein vater mit sein freündtn nichts
geantwort. Dornoch hab wir den morder jn sünderheit befragt, warümb er die
knaben erslagen. Hat er geanttwort ebengleich von wart czu wart, wie oben
stet. Weyter hab wir yn befragt, ab yn yemands doran geweyset ader ym
dorczu geraten hab, damit er die knaben süllt erslahen, ader ab sein vater ader
yemands anders dorümb gewisst. Hat er geantwort: mir hat niemands dorczu
geraten. Dorümb wir ersamen weysen liern! czu ewer weishait czuflucht haben
bittund mit sunderm vleis dorauff vmb ein vnterweysung auff söliche vnerhör-
liche that, weliche czu vns bey vnsern czeyten nie erhöret noch bescheen sein
damit suliche poshafftige that entliehen gestrafft werde. Ex Mezrzicz fferia
secunda ante sancti Galli confessoris, anno domini M°. quingentesimo quinto.
(13. October 150S.)
Senatiis vrbis fflcniiensls ail rcqiiisiclonciu et petlcioiieiu ciuiuiii Iglauiciisiuiii super
uninia prcinissa haue subscrlptam scntciiciaiu ad iiiforiuacioiieni cisdcui cluibus
transuiiscrurit.
Vnnser freüntlich willig diennst züüoran. Pürsichtigcn, ersamen, weisen,
sünderlieb vnd gut freündt! Ewer sehreyben vns jungstlich bey ewern
ratlisfreündtn gethan, auch die Werbung, so vns dieselben ewern rathsfreündt
mündtlich fürpracht, haben wir vernomen, vnd wiewol vns solcher hanndel
auch fremd vnd vnerhorlicii bey vns ist, dergleyclien val sich bey vnser
gedechtnus nie begeben hat, demnach vns swer ist dar jnn czu raten , aber
ewch czu lieb vnd freiintschafft haben wir czwischen vnserselbs ratgeslagen,
auch weyser, gelerter vnd rechtverstendiger lewt, so hie bey vns sein, rat
gehabt, vnd in rate erfiinden die maynung. Wiewol noch geschrieben ge
mahlen kaiserlichen rechten die, so vnvogtper sein vnd ir rechts alter nicht
erlanngt haben, für ander gefreyt sein, vnd die recht den selben jn jrer
Verhandlung mer vbersehüng thun mit der straffe dann den, so jre alter
Über zwei Rechtsgut achten der Wiener Universität.
93
vnd vogtpere jar erraicht haben aws vrsachen, das sie in solchen mynndern
yarnn jr verstenntüss nicht haben, vnd jr vernüfft also plynnt ist, das sy
nit wissen, was sy hanndeln: — aber yedoch, so jn solchen jungen lewten,
die vniiogtper an den yaren sein, solche vernüfft vnd arglistikait erfünden
wirdet, das sy erchennen das gut von dem pösen, als jn disem knaben nach
ewerm schreyben erfünden wirdet, so erstatt die poshait das allter, vnd werden
solch vngeüogt personen von gemainen rechten am leib vnd auch leben ge
strafft werden, doch mit ainer ringeln peen. Vnd damit Ir des noch ein
merers gewissen gewynnet, so schiken wir Ewch hier jnn beslossen auff
tewtsch vnd latein den ratslag der gelerten, daraws Ir Ewch mügt wol er-
künden. Aber vnser als der layen rat vnd gütbedünken ist, das noch vnsern
gutbedunken mit solchen vngeuogten lewtten barmherczikait mitczutailen ist
aws vil vrsachen, die Ir selbs versteen mügt. Dennoch wo sich solher val
hie bey vns begeben hiet, wolten wir den knaben yn aim ewige vengkniis
legen vnd jm allein wasser vnd prot geben so lanng, vnczt er sein leben
von jm selbs auffgebe. Doraws mügt Ir Ewch nü selbs bedennken, was Ewch
aws angesicht vnd aws andern vmbstenden des knaben sytten, vernüfft vnd
schigldikait mit jm zu hanndeln gebürt. Das wolten wir Ew nit verhalten.
Datum Wienn am süntag sannd Andrestag apostoli jm V c vnd fünfften yarenn.
(30. November 1S0S) Burgermaister, richter vnd rat der stat Wienn,
Ccilula Incltisa littcrc Wicnnensl.
Nachdem jn zweiffl wirt geczogen, ob der püeb czwelff yar alt vmb sein
mishandlung, das er czwen knaben ermortt hat, sey czu straffen vnd mit was
straff, vnd ersts angesicht möcht ainer czu behelff nemen die gemainen recht
sprechiind, das die mynnder der yaren nicht wissen, was jr thün ist, vnd
den, die nicht vernüfft haben, thün die recht vbersehen czu gleicherweis als
dem alter vnd einfältigen jres alter vnd ainflalt halben die recht czuhülff
solten körnen vnd jn von der peen enthebenn. Aber bemelt vrsaeh nicht an
gesehene las wir vns bedünken , das der knab seiner mishandlüng halb in
disem fal von der höchsten peen nicht enthebt mag werden, wann jn disem
fal mügen jn die mündern gar nicht awsreden, wann niemand mag sprechen,
das solchs aws ainfalt oder vnwissenhait sünder aws fürsacz vnd gemüt ist be-
schehen, angesehen das er den ain vmb sein giit ermortt vnd den andern, das
solch sein myshandliing verswigen belib, vom leben cziim tod bracht hat:
Aus dem wirdt verstannden, das solich sein myshandlüng aus ifürsaez vnd
poshafftigem gemüt entsprungen sey, vnd solch poshait thün die yar erstatten.
Dem gibt auch anzaigen sein aigne bekantnüs. Zu der wirdt auch gesamblt die
bekantnuss seines vater, der seiner siten vnd gemüt für all annder menschen
wissen hat, der dann seinen sün ain posen menschen erkannt hat. Dorümb sol er
pöslich gepeynigt werden, damit hinffür meniglich vor schaden leibs vnd guts
verhütt werde. Wann so er jn seiner jugent solch poshait vnd mord volbracht
hat, was güts mag man sich jn seinem alter versehen, nachdem die recht nit
klaine vermüttüng thun von vergangen czu kiinß'tigen geschickten? Czu dem
andern sprechen wir, das er auch mit dem tod gestrafft sol werden. Doch mag
der tod lindern: wann so er sünst nach braweh vnd gewanhait gemains lannde
94 Tomaschek, Über zwei ältere Rechtsgutachten d.Wiener Universität.
solt geredrt werden, mag der richter solch peen jn ain anndere verkeren, vnd
getrennkt werden, wann, so sein mishandlting awsgemütt vnd fürsacz ist
beschehen vnd der grawslichisten mishanndlung aine volbracht hat, sol er
vom tod nicht enthebt werden. Vnnd das solh vnser annttwort grundt zu
haben gesehen werde, wellen wir hernach anzaigenn der rechten thün.
(Die Citate aus dem corpus jur. civ. sind in dem nachfolgenden Rechtsgutachten durch den Druck
hervorgehoben.)
Nam Cinus in 1. j. C. Si aduersus delictum J ) ex mente Petri coneludit:
quodsi minor deliquit, ex animo aut preter animum; si ex animo, aut ciui-
liter aut criminaliter. Et cum in hoc casu nostro agatur criminaliter, et sit
de atrocioribus delictis, non subuenitur in aliquo. Nam doctores in minori-
bus ponunt hanc theoricam, quod minor aut est pubes aut impubes, et si
est impubes, aut est infans aut proximus infancie aut proximus pubertati.
Et dieitur infans minor septem annorum. C. De jure delibei-andi. 1. Si in-
fanti^j. Proximus infancie est a septem annis vsque ad vndecimum cum
dimidio masculis, ffemina uero a septem vsque ad nouem cum dimidio. Insti
(tutiones) de inutili(hus) sft'(pulationibus) C. pupillus 3 ). Et hij si delin-
quunt nullomodo puniuntur. ff. De falsis 1. Impuberem 4 ). Et ff. ad 1. Aqui-
iiam I. Sed et si quemcumque s ). Si autem est pubes vel proximus puber-
tati ff. De regulis juris. 1. pupitlum 6 ): tune regulariter omne delictum cadit
in impuberem, qui dieitur doli capax. ff. De furtis 1. Impuberem 7 ). Et in hoc
casu aut deliquit culpa, et tune minor in nichilum punitur benefieio resti-
tucionis in integrum. C. Si aduersus delictum. 1. j. 8 ). Idem in senc, qui si
culpa deliquit punitur micius. ff. De fer(mino) 1. ij. 9 ).— Aut pupillus deli
quit dolo et criminaliter conuenitur, prout est in casu nostro, ct crimen est
atrocissimum, et tune nullomodo ei subuenitur. 1. Auxilium. C. in delictis, ff.
De minoribus 1W ).
■) Const. 33. C. si ndversus delictum (2. 35).
2 ) Const. 18. pr. de jure deliberandi (6. 30).
3 ) §. 10 .1. de inutilibus stipulationibus (3. 20).
4 ) Fr. 22 pr. D. de lege Cornelia de falsis (48. 10).
5 ) Fr. 3. §. 2. D. ad legem Aquiliam (9. 2).
6 ) Fr. 111 D. de regulis juris (50. 17).
7 ) Fr. 23. D. De furtis (47. 2).
8 ) Const. 35. C. si adversus delictum (2. 35).
9 ) Fr. 2. D. de termino moto (47. 21).
">) Fr. 37. §. 1. D. de minoribus viginti quinque annis (4. 4).
Alois M ü Iler, Pharisäer u. Sadducäer o. Judaismus u. Mosaismus.
95
SITZUNG VOM 21. MÄRZ 1860.
Vorgelegt:
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
Eine historisch-philosophische Untersuchung als Beitrag zur
Religionsgeschichte Vorderasiens.
Von Alois Müller,
Amanuensis an der k. k. Universitäts-Bibliothek.
So wie wir in dem occidentaliseh-classischen Alterthume seit
seiner Berührung mit dem bildungsreichen Orient und Ägypten eine
nachhaltige Einwirkung beider auf die spätere Geistesbildung jenes
wahrnehmen können, in der Art, dass die Bekanntwerdung mit den
fremden Ideen ein mächtiges Ferment in der classischen Cultur
bildet (eine Thatsaclie, die mit dem steigenden Interesse für den
Orient und Ägypten und den gründlichen Forschungen in deren
Cultur von Tag zu Tag an Festigkeit gewinnt): eben so ist ausge
macht, dass unter den Völkern des Orients selbst seit ihrer gegen
seitigen innigeren Berührung sich nachhaltige Spuren derselben in
ihrer Geistesbildung verfolgen lassen. Wenn wir in unserer Be
hauptung auch nicht so weit gehen wollen, das Axiom aufzustellen,
dass eine directe Entlehnung stattgefunden habe, so müssen wir doch
unter jeder Bedingung zugeben, dass wenigstens eine Einwirkung
jener fremden Cultur in so ferne stattfand, als gewisse fremde Ideen
hei diesem oder jenem Volke Eingang fanden, aber eine selbststän
dige weitere Entwickelung gemäss der Anschauungsweise des influen-
zirten Volkes erfuhren. Wir brauchen jedoch dieses Aufnehmen
der Cultur eines fremden Volkes durchaus nicht auf Rechnung einer
geringen Capacität zu bringen; im Gegentheile, die Empfänglichkeit
für fremde hohe Geistesbildung verbunden mit selbstständiger Ver
arbeitung des empfangenen Eindruckes ist ein deutlicher Beweis
geistiger Regsamkeit. Und in der That gerade die Griechen, welche
jsm
p&k Jk. ■
1
für den Orient und Ägypten sich so empfänglich zeigten und diesen
fremden Eindruck dem genialen griechischen Geiste gemäss verar
beiteten, brachten es zu einer solchen Tiefe und Gediegenheit der
Cultur, dass sie für immer als die Basis echter Geistesbildung
gelten werden. Dies zugegeben, darf es uns keineswegs Wunder
nehmen, dass besonders seit den letzten Deeennien der Orient
und Ägypten, die das gebildetste Volk des Occidents so nach
haltig influenzirt, die Blicke der Forscher auf sich gezogen, um
jene Frage über die Einflussnahme auf die occidentalische antike
Cultur so viel als möglich ihrer Wichtigkeit gemäss untersuchen
und entscheiden zu können. Dem durch seine Bildung so hoch ste
henden Orient also habe auch ich meine Aufmerksamkeit zuge
wendet. Nach Vorderasien vorzüglich richtete ich meinen Blick.
Dort erregt ein Volk unsere besondere Aufmerksamkeit, gleich aus
gezeichnet durch seine in das hohe Alterthum hinaufragende sehr
bedeutende Cultur, so wie durch seine welthistorische Bedeutung.
Ich meine die Juden. Merkwürdig ist wohl ihre Geschichte in allen
Phasen, vorzüglich aber ihre Culturgeschichte seit der Aufhörung
der Existenz des jüdischen Staates durch Nehukadnezar bis einige
Jahrhunderte nach Christi Gehurt hinaus. Besonders wichtig und
nachhaltig für das ganze jüdische Schriftthum ist diese Periode durch
ihre Religionsgeschichte und es muss diese die Aufmerksamkeit
des Forschers um so mehr erregen, da sich gerade in ihr jene
fremde dem volksthümlichen Geiste gemäss aufgefassle und fort
entwickelte Influenzirung nicht ableugnen lässt. Diese fremde in
dem auf einem sehr hohen Puncte der Bildung stehenden Babylonien
dem alten Mosaismus gewordene Anschauung gab ihm den Anstoss
zur Entwickelung des durch seine speculative Tiefe und das Tradi
tionsthum charakterisirten Judaismus. Die Fortbildung der alten Reli
gion aber erzeugte aus dem Volke seihst heraus, ohne Einflussnahme
der im Orient auftauchenden griechischen Bildung, zu Gunsten jener
eine Reaction, die auf Verwerfung des Traditionsthumes und der
Speculation des Judaismus basirt war. So standen sich also wohl
bald nach dem Exile zwei Parteien als Vertreter der beiden
angedeuteten Richtungen — des Judaismus und Mosaismus, die
Pharisäer und Sadducäer entgegen. Diese hier ausgesprochene
Ansicht auszuführen und zu beweisen sei der Zweck meiner Abhand
lung. Wir beginnen daher mit dem Aufhören der Existenz Judäa’s
j
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
97
durch Nebukadnezar und begleiten die Juden nach Babylonien,
dieses für den Judaismus so wichtig gewordene bildungsreicbe Land.
„Siehe, ich nehme und schicke alle Stämme des Nordens“,
spricht Jhvh, „und den Nebukadnezar, den König Babel’s, meinen
Knecht, und bringe sie über dieses Land und seine Bewohner....
Und sein soll dieses ganze Land zu einer wüsten Einöde.“ Jer.
2h, 9 u. 11.
Diese Worte des Propheten Hessen nicht lange auf ihre Erfül
lung warten. Im J. 586 erlag Juda der Macht Nebukadnezar’s, das
selbe Schicksal erleidend, welches vor mehr als 130 Jahren die
zehn Stämme durch die Assyrer getroffen. Auch Juda hatte nunmehr
seine politische Selbstständigkeit eingebüsst; die Juden wunderten in’s
Exil. Aber so gross auch dieses Unglück für die Nation sein mochte,
so hart traf es sie immer noch nicht wie Israel, das schon längst
früher von seinem Schauplatze abgetreten war. Im Gegentheile,
dieses Strafgericht Jhvh’s war das einzige Mittel, das moralisch
verkommene Juda aufzurütteln und wieder zur Besinnung zu bringen
und zur Rückkehr zu dem ihm angestammten uralten Glauben. Und
in der That, es hat sich erhalten bis auf unsere Tage, als Träger
des zum Judenthume gewordenen Mosaismus, während Israel spurlos
verschwand. Denn gewiss, Juda wäre seiner Verkommenheit erle
gen, es hätte sich in sich selbst aufgelöst, es hätte aufgehört Juda
zu sein — Juda der Träger der Moseslehre — wäre es nicht zeitig
genug durch Nebukadnezar aus seinem moralischen Schlafe gerüt
telt worden. Treffend schildert Jeremias dieses Volk, wenn er sagt:
„Was? stehlen, morden und ehebrechen und falsch schwören und
räuchern dem Baal und nachgehen fremden Göttern, die ihr nicht
kennt? .... Die Söhne lesen IIolz und die Väter zünden das Feuer
an und die Weiber kneten Teig, um zu machen Kuchen der Ilim-
melsköniginn und bringen das Gussopfer fremden Göttern, um mich
zu erzürnen.“ Jer. 7, 9 u. 18. — Juda hatte mehr gesündigt als
andere Völker. „Denn geht hinüber nach den Inseln der Kittijim und
seht, und nach Qedhar schickt und betrachtet aufmerksam und seht
ob es gab wie dies.“ 2, 10. — Bei einem solchen Zustande also
war das über Juda hereinbrechende Unglück ein Heil für die Nation.
Und wer erkennt darin nicht das Walten der Vorsehung, des in der
Weltgeschichte waltenden Gottesgeistes, der sich hier in einem so
auffallenden Lichte offenbart? Juda musste zwar sein Theuerstes
SiUb. d. phil.-hist. CI. XXXIV. Bd. I. Hft.
7
98
Alois Müller
lassen, das heissgeliebte Heimatland mit all seinen Freuden und
Leiden; es musste das so kostbare Menschengut, die Freiheit,
opfern. Doch es verzichtete nicht umsonst auf diese edlen Güter,
wenn es galt seinen uralten Glauben, die Moses geoffenbarte
Gotteslehre, so lange treu zu bewahren, bis sie ihre Bestimmung
erfüllt hätte, bis der erschiene, der da gekommen, das Gesetz und
die Propheten nicht aufzuheben sondern zu erfüllen >)• Juda war
i) Vgl. Mt. 15, 11: „ou tö siaspxop.Evov ek tö orofjta xoivot röv avSpwTrov, aXXa
tö ixjropsvoimsvov ix toO oröpiaTog, touto xotvot töv av£pw7:ov.“ Mr. 12, 33:
„xal to a*ya^av aurov oXvjg rvjg xccpdiocg . . . xal tö a*ya7:av töv ttXyj(7lov
&g iocvzov rrXetöv sVtiv 7ravTwv twv 6XoxauTwp.aTwv xal £uc7twv.“ Mt. 9, 13.
12, 7. Mr. 2, 23 ff.' 3, 1 ff. Luc. 13, 10 ff. 14, 1 ff. Jo. 5, 1 ff. 4, 21:
„IIiotsus [mol, *yuvai, Sri ep^eTat wpa ors oute iv tüj opet toutw oute ev
f Iepot7oXup.ot? 77po<7xuvY)(7ETE tw TraTpc.“ Dagegen Gal. 4, 4 wo es von Christus
„*ysvo'p.svov uttö vo'p.ov“ heisst. Mt. 9, 14 betreffend vgl. Mos. 3, 16, 29 ff. und
3, 23, 27 ff. Mt. 13, 2 nur eine pharisäische Folgerung. Besonders bemerkens-
werth die Enthaltung von der Mos. 2, 20, 10 und 2, 31, 15, die aber
leider durch pharisäische Spitzfindigkeit wie ein Sack erweitert ward. Staunen
muss man über die pharisäische Kleinigkeitskrämerei im talmudischen Tractat über
den Sabbat! Wahrlich eine abgesehene Erdrückung des freien menschlichen Geistes!
„de<jp.Evov<TLv ds (popzicc ßocpioc xal du(iß<x(JT<xxTcc xal STTLTc^iatJLV inl voug &p.oug
twv av^pomwv u Ml. 23, 4. Wie weit es die Arroganz jener Leute getrieben
haben muss zeigt am besten Christi Frage bei Mt. 15, 3: „Ata TL xat upslg
xocpocßocivETE tyjv e’vtoXvjv toO 5soö öta tyjv nocpocdoGLV up.wv Vgl. 15, 9
und 13. Da war es endlich an der Zeit, dass ein Retter erschien um diese
schwere ßiirde — diesen pharisäischen Kappzaum — abzunehmen. „Aeute kpog
p.E TcotVTsg ol xorcLÖJVTsg xocl 7T£<popTtffp.e'vot, xa^w avarrauffw up.ag . . . xat
TÖ cpopTLOv [MOV EXa<ppöv soriv.“ Mt. 11, 28 und 30. Mit Mt. 5, 17 vgl. Act.
3, 1 und 10, 14. Besonders wichtig Christi Ausspruch bei Mt. 5, 18: „ap/^v
•yap XE7W up.tv, s'ojg av izccpiXSy 6 oupocvog xod Y) 7>7, twTa ev r? ptta
xspata ou p.ij nocpiXSy and toü vo'p.ou, ewg av 7ravTa ^svvjTat.“ Gewiss
nur mit Rücksicht auf die wahren für immer Geltung habenden vöp.oc, nicht aber
mit Bezug auf die den Geist erstickenden Pharisäersatzungen gesagt! Man bemerke
ferner den Ausdruck: „6 vo'p.og KOCLdoc t yo) t yög“ in Gal. 3, 24. Ohne dass also Chri
stus eine gewaltsame Umstürzung der mosaischen Religionsverfassung wollte, es
musste von selbst ihr Ende kommen. Das mosaische Gesetz war nach dem pau-
linischen Ausdrucke blos eine vorbereitende Erziehung für das erhabene Christen-
thum; beim Eintritte des nunmehr gereiften Zöglings in das reife Alter musste es
von selbst fallen. Charakteristisch für den Geist des mosaischen Gesetzes gegen
über der christlichen Moral ist Jesu Rede bei Mt. 5, 21 ff. Merkwürdig ist
auch Christi Urtheil über Johannes, der obwohl der grösste unter den weibge
borenen doch dem kleinsten £v rrj ßocaiXsLoc twv oupavwv nachstehe. Mt. 11, 11.
Wie Jesus über Johannes Ascese urtheilte zeigt uns Mt. 11, 18 und Mt. 9, 16 ii. 17.
Dort wird sein Ausserliehkeitsgeist, der zum Geiste des neuen Reiches nicht passe,
mit den alten Kleidern und Schläuchen verglichen.
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
99
vor Israel zum Träger und Bewahrer des zum Judaismus gewordenen
Mosaismus erkoren. Dieser Bestimmung gerecht zu werden musste
es den heimatlichen Boden mit Babylonien vertauschen, einem Lande,
das ohne Zweifel unter den Ländern Vorderasiens auf dem höchsten
Puncte der Cultur stand und für die Entwickelung des Judaismus
von ungeheurer Bedeutung ward. Wenn die Lage des Volkes bei
den Siegern auch nicht gerade die angenehmste war, schlecht müssen
wir uns dieselbe nicht denken. Sie waren zwar im Lande eines
Eroberers, hatten sich aber jedenfalls einer sehr humanen Be
handlung zu erfreuen. Wir sehen dies schon aus dem Umstande,
dass einige jüdische Knaben an den königlichen Hof gezogen wur
den. Jos. Ant. 10, 10, 1 : „'0 ds tiüv B«j3uAtovi'wv ßxai\si/g Naßou^o-
doviaopog zovg eöyevsaztxzovg Ixßthv züv ’loudaicov nxldxg xod zoi/g
Sedsxc'ou zov ßaailim? adrwv auyysvet?, ot xod rat? ä.x.p.oüg rc3v ffco-
p.ärwv xtxi rat? £Ö[xopfiaig rwv ö'peoiv f/docv nsplßXtnzoi, nouSxyoi-
•yolg xxi zy dt’ aörcüv Sspcatsia izxpxSiSutat. .. .“ Ebenso Zon. Ann.
3, 2. Sicherlich war es ein ganz anderes Lehen als im Lande
Ägypten, obwohl sie als freie Männer hingekommen. Dort waren
sie verachtete Hirten und später zu knechtlichen Arbeiten verur
teilte Sclaven. Dass also in jenem Lande unter den Israeliten gar
wenig Cultur aufkommen konnte, versteht sich von selbst. Wie
konnte sich auch bei diesem Despotendrucke ihr Geist zu etwas
Edlerem erheben, nicht zu gedenken, dass ägyptische Cultur ihnen
unzugänglich war. Anders war es in Babylonien. Abgesehen davon,
dass sie auch hier bei einem in hohem Grade gebildeten Volke leb
ten, war vor allem die gegenseitige Abneigung keineswegs die, wie
jene der Ägypter gegen die Israeliten — beide waren ja Semiten
(Knobel, Völkert. S. 166) — sondern sie werden im Gegenteile
ohne Zweifel auch Zutritt zur gesammten Cultur des Landes
gehabt haben, wie wir aus den nach dem Exile entstandenen
Schriften ersehen, in denen sich gar sehr dem ursprünglichen Mo
saismus fremde Ideen offenbaren. Wenn wir auch nicht behaupten
wollen, dass diese dem späteren Mosaismus, ich meine dem Judaismus,
eigen gewordenen Theorien, die von tiefer Speculation zeugen,
exclusives Eigentum der Chaldäer waren; wenn wir, sage ich, jene
Speculation auch nicht rein von diesen entlehnt nennen Avollen, das
müssen wir doch zugeben, dass der Mosaismus in diesem so hochge
bildeten Lande wenigstens den Anstoss zu jener rühmlichen Specula-
7“
100
Alois Müller
tion, die das Charakteristiken des Judaismus gegenüber dem Mosais-
mus ist, erhielt, wenn die Keime dazu auch längst in ihm lagen.
Vor allem aber Dank dem Volke, das, wenn auch asiatisch, also
dem rohen Despotismus zugeneigt, sich so edel gegen die Unter
jochten benahm, dass es die ihnen von Gott so reichlich verliehene
Entwickelungsfähigkeit nicht machthaberisch unterdrückte, sondern
im Gegentheil eine Bildung in ihnen aufkommen liess, welche die
Grundlage des Judaismus und seiner so “reichen und schönen Lite
ratur ward. Die jüdische Literatur ist jenem Volke ein unvergäng
liches Denkmal seiner asiatischen Humanität 1 ). So kurz auch die Zeit
der Oberherrschaft der Chaldäer über die Juden war, sie hätte hin
gereicht zu einer für ihre Zukunft nachhaltigen geistigen Unter
drückung. Über dieses für das jüdische Volk so bedeutungsvolle
Land sagt Fürst in seiner Culturgeschichte, I. Th., S. 2, treffend:
„Babylonien war das Saatfeld für die meisten Gattungen der jüdischen
Literatur; dort waren die Geisteskeime für Weiterbildung der Haggada
und Halacha, der nomokanonischen Lehre und der Sagenschöpfungen,
dort entstand die religiöse Poesie und die Gnomik, dort die Reli
gionsphilosophie und die Midraschausbildung; überhaupt wurden
dort zuerst jene Gleise skizzirt, in denen die jüdische Literatur
später einherging.“ Wir sehen also, von welcher Bedeutung dies
Land für die weitere Bildung der Juden war. Und diese Wichtig
keit blieb ihm selbst nach der Wiederherstellung des jüdischen
Staates. Wir wissen, „dass alle nachbiblischen jüdischen Studien
in Palästina nur aus Babylonien geholt werden mussten, wie ja auch
die grössten Lehrer Palästina’s nur Babylonier waren, und wie selbst
zur Begründung besonderer palästinischen Schulen, zur Entstehung
der für die Geschichte der palästinischen Gelehrsamkeit so wich
tigen Nasi-Familie nur Babylonier die Grundelemente gewesen und
das wesentlichste beigetragen. Man braucht auch nur drei berühmte
Babylonier zu nennen, um das hier Gesagte nachzuweisen, nämlich
den diese Abtheilung einleitenden Hillel ha-ßabli oder ha-Saken und
die Babylonier Rabbi Natan und Rabbi Chijja, die bekannten Grund
festen des Riesengebäudes der traditionalen Lehre.“ Fürst, S. 11.
*) Die Worte des Psalmes 137: JIM ~\b *7VW flTITOn ^33 fl3
y^Drt bx ybbty n« trw'ü new :Mb n^ajen lassen sich wohl aus dem
Schmerze eines Patrioten erklären, verdient aber halte Babel diesen Fluch nicht.
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
101
Zwar müssen wir zugeben, dass der reine Mosaismus hier mit
ihm ursprünglich fremden Ideen versetzt und der Grund zu seiner
nachherigen Corruption gelegt ward; aber erhalten wurde er uns,
wenn auch zum starren Judaismus entwickelt. Das Volk war getrennt
von seinem heimatlichen leidenschaftlich geliebten Boden. „An Ba
bels Strömen dort sassen wir und weinten, wenn wir an Zion dach
ten. Wenn ich dich vergessen werde, Jerusalem, vergesse meine
Rechte mein; es klebe meine Zunge an meinem Gaumen, wenn ich
mich nicht deiner erinnere, wenn ich nicht das Denken an Jeru
salem zu meiner Hauptfreude mache.“ Ps. 137. Bei diesem namen
losen Schmerze um das Vaterland war den Verbannten ihr gemein
samer Glaube, der Mosaismus, der einzige Trost, derjenige Baum
der Hoffnung, an welchen sie sich mit aller Macht um so mehr
anklammerten, als sie nicht wie die Israeliten in verschiedene Pro
vinzen zerstäubt waren. Zudem befanden sich unter den nach
Babylon versetzten Juden gerade die Edelsten und Vornehmsten
des Landes (Reg. 2, 2S, 12), also Leute, in denen wenigstens theil-
weise das Edle nicht erstorben war. Gewiss befanden sich Priester
unter ihnen. Diese nun waren — ich meine die redlichen unter
ihnen — ganz besonders der Trost ihrer Landsleute und machten
ihnen nach Kräften das harte Los so viel als möglich erträglich,
was bei dem gehobenen religiösen Gefühle der Juden jetzt im Un
glücke so schwer nicht war. Und in der Tliat, Juda hatte ein ganz
anderes Bewusstsein als Israel. Es hatte dieses um so viele Jahre
überlebt, es hatte eine so herrliche und grossartige Erinnerung an
den Tempel zu Jerusalem, den Sitz des wahren Jehovahcultus, sein
religiöses Leben hatte durch das Gesetzbuch unter Josias eine feste
Norm erhalten, sein religiöses Bewusstsein war unter den gewal
tigen Kämpfen der letzten Zeit und durch die Strafreden des Jere
mias, nebenbei durch das traurige Ende Israel’s bedeutend gehoben.
Der edle Keim, der in ihm steckte, war nur vom Unkraute gewaltig
überwuchert, aber nicht erstickt. Es hatte die von den Pro
pheten verkündete Züchtigung hereinbrechen gesehen — das Wort
Jhvh's war erfüllt; sollte es nicht bei seinem jetzt stark erwach
ten religiösen Gefühle auch Glauben gehabt haben an die von den
Propheten verkündete Erlösung, musste es nicht gerade jetzt um
so mehr an Jhvh festhalten, seinem einzigen Horte? Wissen wir
doch, dass eben in dieser Zeit der Noth und des Elendes der
102
Alois Müller
Prophet Ezechiel zu seinem Volke redete. Und wie tröstlich sprach er
zu seinen unglücklichen Mitbrüdern! „Und ich will euch heraus
führen aus den Völkern und will euch versammeln aus den Ländern,
in welchen ihr zerstreut seid, mit starker Hand und mit ausge
strecktem Arme und mit ausgegossener Glut. Und hineinführen
werde ich euch in die Wüste der Völker und rechten will ich mit
euch dort von Angesicht zu Angesicht. So wie ich gerechtet habe
mit euren Vätern in der Wüste des Landes Mizraim, so will ich
rechten mit euch, spricht der Ewige. Und Vorbeigehen lassen will
ich euch unter dem Stabe und bringen will ich euch in die Fessel
des Bundes. Und ausscheiden werde ich aus euch die Abtrünnigen
und die Sünder gegen mich; aus dem Lande ihres Aufenthaltes
werde ich sie herausführen, aber in das Land Israel sollen sie nicht
eingehen; und wissen sollt ihr, dass ich bin der Ewige Mit
dem Gerüche der Lieblichkeit will ich euch gütig aufnehmen, wenn
ich euch herausgeführt habe aus den Völkern und versammelt aus
den Ländern, in welchen ihr zerstreut seid; und geheiligt soll ich
werden durch euch vor den Augen der Völker. Denn nehmen will
ich euch aus den Völkern und versammeln will ich euch aus allen
Ländern und führen werde ich euch in euer Land. Und ausgiessen
will ich über euch reines Wasser und gereinigt sollt ihr werden; von
all euren Unreinigkeiten und eurem ganzen Götzengräuel will ich
euch reinigen. Und geben werde ich euch ein neues Herz und einen
neuen Geist will ich setzen in euch; denn entfernen will ich das
Steinherz aus eurem Leibe und geben werde ich euch ein Fleisch
herz. Und meinen Geist will ich setzen in eure Mitte und machen
werde ich, dass ihr in meinen Vorschriften wandelt und meine
Satzungen sollt ihr beobachten und erfüllen. Und wohnen sollt ihr
in dem Lande, welches ich gegeben euern Vätern, und sein sollt
ihr mir zum Volke und ich will sein euer Gott.“ Ez. 20, 34—39
u. 41. 36, 24 ff. Wie sollte nicht bei solchen trostreichen Worten,
bei Vorhersagungen, an deren Erfüllung die Verbannten so gerne
glaubten, das ohnedies schon in seinem nationalen religiösen Gefühle
gehobene Volk gerade hier in dem Fremdlande, in der Zeit der
Demüthigung und Erniedrigung, aber auch des, mit Israel vergli
chen, weit besseren, ja fast wunderbaren Loses, jene Idee der
Auserwählung vor anderen Nationen, des Berufenseins zu einem
besonderen Volke in Gottes Hand, des Bestimmtseins zu etwas
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
103
Grossem, was seitdem die Nationalidee des jüdischen Volkes
und sein Nationalstolz geblieben, wie sollte es, sage ich, nicht
gerade in jenem Lande diese Idee mit besonderer Leidenschaft
ergriffen und gehegt und gepflegt haben? Und Dank den Männern
— ich meine jene den Hebräern so special eigenen Propheten —
und allen anderen, welche es auch immer seien, für das unter ihren
Landsleuten segensreiche Wirken, dass diese für die Weltgeschichte
so bedeutungsvolle Idee unter ihnen Platz fand. Sie war ein sicheres
Mittel das eine so herrliche Vergangenheit hinter sich habende nun
mehr tief gedemiithigte Volk vor der mit Erniedrigung so eng ver
bundenen Gemeinheit des Aufgebens des edlen Volksbewusstseins
und den damit verknüpften nachhaltigen Folgen, kurz vor dem
Existenzuntergange des Volkes als solches zu schützen. Diese
Idee war es vor allem, welche das Volk und durch dies den
Mosaismus, wenn auch nicht mehr rein und unverfälscht, doch bis
zur Zeit seiner Bestimmung erhalten half. Nur Schade hinwieder,
dass diese für das jüdische Volk so bedeutungsvolle Idee des
Nationalstolzes nicht blos eine ruhmvolle, sondern auch eine ich
möchte sagen bedauernswerthe Erinnerung hinter sich zurück-
liess. Sie war es nämlich besonders, welche das in ihr gross
gezogene, nach Verherrlichung strebende Volk blind machte, als
die Zeit gekommen, wo der zum Judaismus gewordene Mosais
mus seine ihm von Gott zugewiesene Bestimmung erfüllt batte. Sie
war es, welche diesem Volke jenen Stempel der starren Exclu-
sivität aufdrücken half, der ihm seit jeher noch gebliehen ist und
bleiben wird, so lange die von ihm gehegte Lieblingsidee auf ihre
Verwirklichung wartet. — Von grossem Momente für die Zukunft
des Volkes waren, wie oben gesagt, gewiss auch die Priester, die
seine Begleiter in die Fremde waren. Die Juden hatten in Babylo
nien eine gewisse Beligionsfreiheit. Die Priester waren zugleich
ihre Lehrer und Richter. Bei dem Verlockenden der babylonischen
Culte und bei der Gefahr, es könnte ihr Volk leicht dem Götzen
dienste anheimfallen, mussten sie es zu ihrer besonderen Aufgabe
machen diesen Verführungen so viel als möglich entgegen zu
arbeiten. Sie mussten in Ermangelung des Nationalheiligthumes,
des so ruhmvollen Tempels zu Jerusalem, der nunmehr in Trümmern
lag, auf ein Ersatzmittel bedacht sein, um dem religiösen Leben ihres
Volkes Rechnung zu tragen, falls sie nicht Gefahr laufen wollten,
104
Alois Müller
das in demselben jetzt ganz besonders gehobene religiöse Gefühl
durch Mangel an Nahrung ersterben zu sehen. Dieser Ersatz waren
gemeinsame Versammlungen zum Zwecke religiöser Unterhaltung,
Versammlungen, die, so klein und unbedeutend sie auch in ihren
Anfängen waren, doch epochemachend für das spätere Judenthum
wurden. „An den Strömen Babel’s, fern vom geliebten Mutterlande,
ohne gesetzliches Heiligthum auf Zion, wurde das Bedürfniss nach
Stätten der Versammlung, wo man in Gemeinschaft durch Gebet
und Belehrung, ohne Opferdienst, den Gott der Väter verehren
könnte, zuerst fühlbar.“ Fürst, S. 29. Gewiss bildete in diesen
Zusammenkünften der Exilirten nebpn dem Gebete die Beschäftigung
mit dem Gesetze Mosis und gegenseitige Belehrung darüber die
Hauptsache 1 )- Dass vor dem Exile das Gesetz Mosis, die mm,
in derjenigen Fassung bestand, wie wir es jetzt vor uns haben,
ist aus gewichtigen Gründen nicht anzunehmen. Vielmehr ist
sehr wahrscheinlich, dass gerade auch das Exil mit seinen Ver
hältnissen für das Gesetz Mosis von grosser Bedeutung ward. In
Babylonien, wo nur gemeinsame religiöse Zusammenkünfte den
Tempel Jerusalem’s ersetzen mussten, Zusammenkünfte, in welchen,
wie gesagt, religiöse Unterhaltung die Hauptsache war, dort ist
mit der grössten Wahrscheinlichkeit die Heimat des Pentateuch's in
der jetzigen Gestalt zu suchen. Gewiss mussten Leute, wie Esra
und andere seinesgleichen, wenn sie sich die Lage ihres Volkes
vorstellten, dessen ganzer Stolz in dem von ihren Vätern über
lieferten Vermächtnisse, in der mosaischen Lehre und ihrer Ge
schichte, bestand, für dieses kostbare Erbgut besorgt sein, wenn sie
l ) Schön sagt Zunz in seinen gottesdienstlichen Vorträgen der Juden S. 1 über
die Synagoge: „Jahrtausende sind seitdem vergangen, die Juden haben längst
Selbstständigkeit und Vaterland verloren; aber bei dem Untergänge aller Institu
tionen blieb die Synagoge als einziger Träger ihrer Nationalität; dorthin floh ihr
(ilaube und von dorther empfingen sie Belehrung für ihren irdischen Wandel,
Kraft zur Ausdauer in unerhörten Leiden und Hoffnung auf eine künftige Morgen-
röthe der Freiheit. Der öffentliche Gottesdienst der Synagoge ward das Panier
jüdischer Nationalität, die Ägide des jüdischen Glaubens.“ Und an einer anderen
Stelle heisst es eben dort: „Als im Verlaufe der Zeiten ein eifriges Studium des
überlieferten Gesetzes und eine grenzenlose Ergebenheit für den Glauben der
Väter entstanden war, an den einzelnen Orten Synagogen, und in diesen ein
regelmässiger Gottesdienst eingerichtet wurde, musste wohl nächst dem Gebet die
öffentliche Belehrung im Glauben und im Gesetz als vorzügliches Element des
selben heryortreten.“
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus. 105
erwogen, dass alles dies theils als Tradition sich von Mund zu Mund
unter den Priestern erhielt, theils aber in zerstreuten schriftlichen
Aufzeichnungen bestand. Esra nahm also, und zwar wohl noch im
Exile, mit einigen Gefährten eine theilweise Redaction alles dessen
vor, was er als zum Gesetze Mosis gehörig, theils schriftlich, theils
traditional vorfand. So war Esra die Seele der Constituirung des
Kanons in seiner uns überlieferten Gestalt. Auf diese Thätigkeit
Esra’s deuten wohl auch die Worte „l&D Nini rthl> tot# NI fl
hxnti” mm jru mya mim mna“ und weiter „pn tm ’a
aatyai pn nahhi mtayhi mm min na mh>.“ Esra7,
6 u. 10. Jos. Ant. 11, 5, 1: „'Ynrjp^e de xai Iv Baj3uAe3vt d'ixouvg
avrjp . . . xaXovp.evog ’Eadpag • og rcäv MwOffstog' vöp.tov fcav&g
ep.netpog wv . .“ Zon. 4, 5: „i^v de evBaßv'Xüvi töte "Edvrip dya-
5ög xai rcöv v6p.cov Mtoüasw? eig ip.netptav axpißiovarog *).“ Von
nicht unbedeutendem Momente bei der Redaction des Kanon’s war
1 ) Das später von vielen sogar die Masora neben der Punctation und der Accentui-
rung der Bibel auch auf Ezra und sein Collegium zuriickgeführt ward , darf uns
nicht Wunder nehmen. Elias Lev. Seph. Masoreth Ham. (Sulzbach) Fol. *), b; „njn
Yip>jm moarr wy dto inj?»Di iDiorr tmyw sin njn
Nlpön by Ö'ttJJtöiT)*“ Don. Is. Abarb. in Praef. Nachl. Ab.: „p Qj Kntyl
So» ah»xm ovon nra» D»piDen »didi ü’ayan nmpjn hNi»>h nah
niJJBI tPIHEL“ Dazu ßuxt. Tib. c. XI: „Haec communis est Hebraeorum seutentia
Masoram a viris synagogae magnae profectam esse, quod Eliae optime notum fuit,
unde et saepe dicta praefatione 3. scribit: „ftJfT etc.“ Sic est et vix ullum quis
Hebraeum aut Judaeum inveniet Eliae astipulantem, sed contra ipsius rationes
a doclissimis Rabbinis refutatae sunt in commentario in librum Cosri et in libro
Meor enaim, Arugas habbosem et aliis. Inde inquam ab Esra Masoram ortum suum
habere et puncta quidem vocalia vel initium vel renovationem sumpsisse communis
Hebraeorum scola docet: Masoram autem ut rem infiniti studii per successores
pluribus aetatibus continuatam fuisse, donec in maximum librum creverit, qui sua
quantitate etiam ipsa Biblia superet 11t Elias scribit, qui plures Masorae libros vidit.
Utique tantum opus est Studium tamque exquisitus et immensus labor nec exigui
temporis nec paucorum viroruin nec vulgariter doctorum fuit.“ Wie die min aussah,
bevor sie die Gestalt bekam, in der sie jetzt ist, sagt El. Lev. in Mas. Ham. Praef. 3:
»idd n»n htnia* »ja »jch m»a nt» ntas minn nwn psa ia mn nax
Di»n D»Kn um« ntwo '»pioo »cid »jid »hai D»ayto »hai mpj »ha bwb
nnx na»n k''»i an« piDBa N»n minn ha nhapn »hya njn »ehi.“ Höchst
interessant für diese Frage ist die in Graetz’s Geschichte der Juden, Magdeburg
1860, S. 550 enthaltene Urkunde, welche ein Karäer Firkovitz in Daghestan in
einer alten Synagoge gefunden hat. Dort heisst es unter anderem: „‘UpHliTl
nn»ah n»n»ahnh hpnh puann nman n*n npjn maa 'n vasw (psw »bjjo
ana mpan ntmp-“
106
Alois Müller
gewiss auch der Umstand, dass bei der nunmehrigen Zersplitterung
und Zerfahrenheit des Volkes im Cultus, weil es durch kein National
heiligthum zusammengehalten wurde, das Bedürfniss wenigstens nach
einem solchen Bande von den Weisesten der Nation, von Esra und
seinen Geistesgenossen, bald empfunden werden musste. So wurde das
Land der Verbannung besonders durch die Constituirung des Kanon’s
von welthistorischer Bedeutung. Mit der Abfassung desselben war
auch die Periode des universalen Mosaismus geschlossen und mit
ihm wurde neben der hier in Babylonien entstandenen Speculation
zur Basis des Judaismus beigetragen. Bei der geistigen Thätigkeit,
welche die Exilirten in Babylonien entwickelten, ist es natürlich,
dass gar bald dem nunmehr schriftlichen Gesetze Mosis eine grosse
Aufmerksamkeit zugewendet ward. Das ist dem Kenner desselben
gleich einleuchtend, dass es in seiner gegenwärtigen Abfassung für
den praktischen Gebrauch weder eingerichtet noch ausreichend ist.
Übrigens war es auch gar nicht die Absicht des Redacteurs und seiner
Collegen ein für das praktische Leben so ganz berechnetes Gesetz
buch zu geben, sonst hätten sie unmöglich jenem Buche die nunmehr
vorliegende Fassung ertheilt. Es ist eben nur das Gesetz in kürze
ster Form für die Praxis gar sehr der Erläuterung bedürftig. Ohne
Zweifel waren jene Männer, die sich durch die Constituirung des
Kanon’s so grosse Verdienste um ihr Volk erwarben, nebenbei im
Besitze eines noch grossen Theiles von Wissenschaft, die sich auf
das Gesetz bezog (ob sie schriftlich oder auch nur traditional
bestand, lassen wir dahingestellt), die sie aber in den Kanon nicht
aufgenommen hatten, weil ihnen dieses bei ihrem Gesichts-
puncte dem Volke nur eine Norm seines religiös - politischen
Lehens zu geben gar nicht nothwendig schien. Es war also eine
Wissenschaft, die wohl zum Gesetze gehörte, aber nicht in das
Gesetzbuch aufgenommen wurde, so nothwendig sie auch zum
Verständnisse desselben erforderlich war. Gewiss mussten daher
jene Männer bei ihrer sonstigen Sorgsamkeit für das Gesetz auch
für Erhaltung jener Sorge tragen, da sie ja nothwendige Zugabe
zum geschriebenen Gesetze war. Sie pflanzten also diese zum
Verständnisse des Kanon’s unumgänglich erforderliche aber der
kanonischen Schrift nicht anvertraute Wissenschaft eben so fort
wie sie dieselbe überkommen hatten. Sie ward die Grundlage der
den Judaismus so typisch charakterisirenden mit ihm unzertrenn-
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
107
lieh verbundenen sogenannten ,id bvitiD min *) gegenüber der
min, welche erstere im Laufe der Zeit zu einem Riesen
gebäude anwuchs und mit jener im Exile entstandenen Speculation
das gewichtigste Moment in der Entwickelung des Mosaismus zum
Judaismus wurde. So spielt also auch für diesen Zweig jüdischen
Wissens wieder das Land der Verbannung, Babylonien, eine ungemein
wichtige Rolle. „In Babylonien, nächst Palästina die zweite Heimat
der Juden seit dem Exile unter Nebukadnezar, erstanden bekannt
lich schon frühzeitig Sitze der traditionalen Gelehrsamkeit und
Hochschulen zur Heranbildung neuer Lehrer des Gesetzes.“ Fürst,
S. 3. So haben wir durch diese Daten Gelegenheit gehabt, neben
bei hinzuweisen auf die grosse Bedeutung Babyloniens für die Ent
wickelung des für die Weltgeschichte so bedeutenden Judaismus mit
seiner reichen Literatur, einer Literatur, welche uns das interes
santeste Denkmal uralter Cultur des Orients und des Menschen
geschlechtes überhaupt ist. Mögen nur auch recht bald durch edlen
Forschergeist die Schätze jenes mit der Geschichte des Judenthums
so eng verbundenen Landes — ich meine Babylonien — gewiss
*) Dass diese ganze Tradition im Pharisaismusgeiste auf Gott selbst zurückgefiihrt
ward, darf uns durchaus nicht Wunder nehmen. Im achten Glaubensartikel des
Rambam heisst es:
^ pJl aW jJI mmn *bb Uul y> Jö
(Soual) jo mit’xi’Ni “ibw^sci
j b a! I—^ yo aU 1 J 1
mm m pinn mm L«U11 ä.xcUi| 4 ja J.c Xj Jy!l_,
'ID*! 0^0 'IDI Vgl- besonders die Vorrede des Rambam zum Seder
Serajim; dort heisst es gleich am Anfänge: aJJ| \ ^ öl I
1 a1 aII I Jy*s La4ulc 1 L1 1 iMi maa Jic
. pCsi-1 1 J Lj a1, j Lj Al Jj&J
2 ) Nicht umhin kann ich, bei dieser Gelegenheit auf die erst vor kurzem erschienene
interessante Schrift von Chwolson: „Über die Überreste der altbabylonischen
Literatur in arabischen Übersetzungen.“ Petersburg 18Ö9, hinzuweisen. Dort heisst
es gleich im Anfänge: „1. Ist es möglich, dass die Babylonier schon vor Nebu-
kudnezar oder gar schon vor Nabonassar eine ausgebreitete vielseitig ausgebildete
Literatur besessen haben ? 2. Ist es ferner möglich , dass die Babylonier eine hohe
Stufe der Bildung in den verschiedenen Fächern der Wissenschaft schon zu der
uam
1
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108 Alo is Mii II er
eines classischen Bodens des culturreichen Asiens eröffnet werden!
Sicher wird sowohl der Theolog und Philosoph als auch der Sprach
forscher und Historiker jenem edlen aufopfernden Forschen den
grössten Dank wissen. Möge denn dieses echt humane Unternehmen
von günstigen Erfolgen begleitet sein!
Verlassen wir nun Babylonien und kehren unsere Blicke wieder
Palästina zu. Endlich kam die langersehnte Befreiung der Juden aus
dem Exile und ihre Rückkehr in’s heissgeliebte Vaterland. Aber wie
kehrten sie zurück? In dem auf einem sehr hohen Puncte der Cultur
stehenden Babylonien waren sie mit dem alten Mosaismus ganz
unbekannten Ideen, die erst in diesem Lande durch die von chal-
däischer Gelehrsamkeit angeregte jedoch ihren dem Mosaismus
entsprechenden Weg verfolgende Speculation entstanden, bekannt
geworden, mit Ideen, welche sich zu deutlich in den nachexili-
schen Schriften offenbaren und gar sehr ein Charakteristiken des
Judaismus gegenüber dem Mosaismus sind. — Unter den nach
der Heimat zurückkehrenden Juden verdient ganz besonders ein
Mann unsere Beachtung. Es ist Esra. (S. Juchas. S. 10.) Er
war das Haupt der grossen Synagoge der n^Ufi ndJ3, welche
aus 120 Männern bestand und das Gesetz in seinem früheren
Glanze wieder herstellte. Unter ihnen waren Serubabel, Nehe-
mia, Seraja, Raalja und Mardochäus, welche waren in den Tagen
des Esra. „i\npmai n^m rpit» ronm n^un nDJd nwK
tOW 'am *)•“ Gewiss hat diese Überlieferung von der Wirksamkeit
Zeit erlangt hatten, als die Griechen noch kaum mit den Elementen des Wissens
bekannt waren? Wir beantworten diese beiden Fragen mit einem entschiedenen
„Ja“ und fügen hinzu, dass dies nicht blos möglich ist, sondern auch wirklich
der Fall war.“ Möge die fernere Forschung in diesem Gebiete die hier zwar
schon so entschieden beantworteten Fragen zu einer ganz und gar unbezweifelten
Thatsache machen.
*) »n*tnpan nrr tnp bv in ma ,ian mai mna p pro a i$>a>p uh mai torjn
manai mmn ^t?©>ai maan ^man »att^ai mnat »an am nhnan noaa >©att
a»apt DH©jn ntta m^©n nnay D<aan nami ^aann |©^a unnai m^an p
^ya© nun ^api nH©yi nttan Waa mn Nim pnsn pya© mn nna pmm
amaa na-“ Maimonides in Tract. zu Jad chaz. Rabbi Gans in Zemach David unter
»pmt'pmjn »o^piaaa nnatan ia^ aptman a>©attn n^inan nnaa >©att
naarn »att^a nnat »an an a"> an matt nbmb inanpna Sttaanatt
.paaa ana (über Bilschan s. Pirke Rabbi Elieser: ö>ya©a ym’ mn© >dmB
'm^yvnn© 'pimtim p jw tneian pan nnty (|©^a >ana ia© mm p©^
^tuaa maan na anay tpit aaami 'm^an p mana 'naya aim 'iaa neDa
a*aann ^to onasna a© nna© ayaa nt pa» Sttaanatt am ptt 'mntyi
Pharisäer und Sadduciier oder Judaismus und Mosaismus.
109
des Esra und seiner Geistesgenossen keinen andern Sinn als den,
dass Esra mit seinen Collegen, welche aus Babylonien nach Palä
stina hinaufzogen, es war, welcher sowohl das geschriebene als
auch das ungeschriebene Gesetz, sowohl die urcaty min als auch
die no byyü) min in Palästina zur Geltung brachte. Wie gleich
im Anfänge das geschriebene Gesetz mit der Tradition (ich meine
nicht den ganzen Wust derselben, wie wir sie heute vor uns
haben, sondern nur den zum Gesetzesverständnisse nothwendigen
Theil) Hand in Hand gehen musste, darauf haben wir bereits oben
hingewiesen. Auf die Sorgfalt, welche Esra mit seiner Gesellschaft
der Tradition in Palästina zuwendete, weist der Umstand, dass in
den Sprüchen derVäter die Tradition überhaupt auf jene n^Ull nDJn
zurückgeführt wird, „nbvn nDJ3 miDö n’N»3Jl.“Pirk.Ab. 1,1.
Von nun an war ganz besonders die Basis zu der im Judaismus eine
so bedeutende Rolle spielenden traditionalen Gelehrsamkeit gelegt.
Sie war ein unumgängliches Corollarium bei dem Studium des
geschriebenen Gesetzes, nicht minder wichtig als dieses selbst.
Überhaupt hatte Esra alles das, was er in dem neugewonnenen
Vaterlande that und einrichtete, meist aus Babylonien mitgebracht.
Wir führen hier besonders das Institut der Synagoge an, welches
sich im babylonischen Exile entwickelt hatte und durch Esra nach dem
Mutterlande verpflanzt worden war. Vor dem Exile bestanden die
Synagogen nicht. Vitring. de Synag. vet. p. 380 ff. Erst in dem
Fremdlande ergaben sie sich gleichsam von selbst. Dort im Unglücke
klammerte man sich mit Innigkeit an die Religion, die man früher im
Taumel des Glückes vernachlässigt und verworfen hatte. Schmerzlich
musste besonders damals der Mangel jenes so ruhmvollen National-
lieiligthumes — einst der Stolz des Volkes — des in Trümmern
liegenden Tempels zu Jerusalem empfunden werden. Er wäre nun
wenigstens das Band gewesen, welches alle diese Unglücklichen
umschlungen hätte und schon dadurch würde er ihnen ein Trost in
jener Unglückszeit gewesen sein. Man musste also auf ein Mittel
bedacht sein, theils dem religiösen Leben Nahrung zu geben, theils
|a Diii aniajn in» aiaa» iy anrm n'aan arpi’x niu anaurr
Vgl. überhaupt Buxt. Tib. c. X und Juchas. S. 10 der Lond. Ausg. v. 1857.
*) Vgl. Christian! Bornitii exercitatio de synagogis veterum Hehr, in Ugol. thes.
XXI, 495.
110
Alois Müller
auch den Unglücklichen durch einigermassen engeres Ansehliessen
einigen Trost zu gewähren. Man kam also zusammen, um durch reli
giöse Unterhaltung und durch andere gottesdienstliche Übungen dem
religiösen Bedürfnisse zu genügen und sich nebenbei gegenseitig
zu trösten. Diese Gepflogenheit der hauptsächlich religiösen Ver
sammlungen nun verpflanzte Esra bei der Rückkehr nach Palästina
und gar bald verbreitete sich bei der Zerstreuung der Juden über
die Erde dieses Institut, welches auf babylonischem Boden seine
Entstehung gefunden, mit ungeheurer Schnelligkeit nach allen Enden
der Welt. Wie alt das Institut der Synagoge in Babylonien und dass
dort die Heimat derselben zu suchen ist, geht daraus hervor, dass
die Tradition sogar von einer Synagoge auf babylonischem Gebiete
berichtet, die noch vor das Exil hinaufreicht. Es ist dies die Syna
goge von Schafjatib in der Nähe von Nehardea, deren Gründung
schon dem Könige Jechonja bei seiner Deportirung nach Babylonien
zugeschriehen wird. Fürst, S. 8. — Über den von Esra eingesetzten
grossen Senat, die J1DJ.3, haben wir bereits oben kurz ge
sprochen. Vergl. Esra, 7, 2S. — Treffend sagt Fürst von Esra und
Serubabel: „Freilich kehrten Esra und Serubabel, diese zwei Säulen
der Diaspora (so hiess Pum-Badita *) x«r’ e^o^Yiv, weil dort der
Kern der nach Babel Exilirten sich angesiedelt hatte) mit einer
bedeutenden Patriotenschar in’s alte Vaterland nach Palästina zurück;
der Tempel wurde wieder erbaut und ein grosser Senat eingerichtet
und eingesetzt. Aber bei allem Patriotismus kam doch das Edelste
und Beste, was immer und immer dem wiedergewonnenen Vater
lande zu Theil wurde, nur aus Babylonien, wo immer nur viel Edles
zurück blieb.“ S. 7. — Im Allgemeinen ist nach den Berichten, die
wir über Esra und sein Collegium haben, ausgemacht, dass er sich
gewiss um den neuaufblühenden jüdischen Staat in Palästina unge
heure Verdienste erworben. Er ist auch, wie bereits oben angedeu
tet worden, als Urheber der traditionalen Gelehrsamkeit und ihrer
Pflege in Palästina special zu betrachten. Ob er überhaupt eine
Aufzeichnung dieser zum Kanon gehörigen traditionalen Lehre vor
genommen, wie sogar überliefert ist, das lassen wir dahingestellt.
*) Beni. Tud. Itiner. (ed.Loud.) p. Ji: „Nn»13 OID N'il 13V hüb D»ü» DWÜ1
D’Tirp inj nwi i«ymru3 ibn-“ »did k».i i3ji>*N$> »am nv owoi
^»N1K»Ö D»0^N 103 DE»1 niOnDIB by NIV13,“ P- BD, Vergl. oben
bei Fürst, S. 6, Anmerkung- 4.
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
lli
Das aber ist sicher, dass seit seiner Zeit für die gewissenhafte
Erhaltung und unverfälschte Fortpflanzung derselben durch berufene
Männer Sorge getragen war. Für eine Fälschung derselben war
keine Gefahr i). Denn einerseits lag die Erhaltung und Fortpflanzung
jener traditionalen Gelehrsamkeit im Interesse der in ihrem Besitze
Befindlichen, der Esoteren, anderseits war sie gar bald gegen ein
solches Vergehen an ihr geschützt. Sie war traditional entweder
gleich bei ihrer Enstehung oder nicht lange darnach auf Gott selbst
zurückgeführt. „D'Jpn D’jpt 1 ? WlW ymi’b mDül ’JIDB '"hin hip wo
n^inn nDJn »tWNl? rmDO D’N’HJl DWOjl?Pirk. 1,1; abgesehen
davon, dass das Sanhedrin über dieselbe wachte. — Die Grundlage
der na byiV min und ihre Sanctionirung war nun da. Sie befand
sich nur in den Händen von Esoteren, von Männern, welche
zu ihrer Fortpflanzung berufen waren. Bei diesen musste die
Kenntniss derselben geholt werden. Innerhalb der Grenzen des
geschriebenen Gesetzes der arouty min und der Tradition der
HD hvilD min bewegte sich nun das ganze jüdische Leben. Die
Bahnen desselben waren von beiden strenge vorgezeichnet von dem
einen nicht minder als von dem anderen, da beide Gesetze Gottes
Wort waren und beide ein nothwendig'"zusammengehöriges Ganzes
bildeten. — Ich habe bemerkt, dass sowohl das Gesetz als
auch die Tradition nur in Händen von Esoteren waren, welche für
die Fortpflanzung dieser letzteren Sorge trugen. Sie pflanzten auch,
wir wollen es zugeben, die ursprünglich ihnen überlieferte zum
Gesetzesverständnisse nothwendige Tradition unverfälscht auf ihre
Neophyten fort, machten sie aber doch zum Gegenstände von
Discussionen, indem sie dieselbe als Basis ihrer Schulgelehrsamkeit
benützten; und so kamen auf Grundlage derselben neue Schlüsse
zum Vorscheine, eine Tradition zur Tradition. Diese hatte von
selbst Sanctionirung, sie war ja ein nothwendiges Postulat jener
auf Gott seihst zurückgeführten, also auch Gottes Wort. So musste
also, seitdem das Gesetz mit der Tradition als Schulwissenschaft
jener Esoteren betrieben ward, und zwar in dem Geiste, wie wir
ihn in dem Bepräsentanten dieser Disciplin, im Talmud, verfolgen
können, nothwendigerweise die ah initio sanctionirte Tradition mit
4 ) Dass (las Sanhedrin eine gewisse Controle über öffentliche Lehrer übte, sehen
wir aus Ml. 2t, 23 und Jo. 1, 19.
“ J . : JSm: . . ms*
I
.•-
112 Alois Müller
der Zeit zu einem Riesengebäude anwachsen. Bindender Kraft war
sich diese später hinzukommende Tradition nicht minder gewiss als
jene ursprüngliche, einerseits wegen der frühzeitigen Sanctionirung
der Tradition überhaupt und der Licenz ihrer Vermehrung seitens
der zu ihrer Fortpflanzung und Erhaltung Berufenen, anderseits
wegen des Geistes, den das jüdische Leben seit der Constituirung
des Staates durch Esra und sein Collegium angenommen hatte. Wir
kennen die ungeheure Macht, welche die Synagoga magna, die
n^nin nDJt: als Basis der ne min, dem ungeschriebenen
Gesetze gleich bei seiner Entstehung auf die Entwickelung des jüdi
schen Lebens in jeder Hinsicht begründet und für die Zukunft
gesichert hat. Gewiss hatte also die traditionale Gelehrsamkeit,
wie sie von ihren Vertretern verbreitet ward, immer und immer bin
dende Kraft. Die Autorität ihrer Vertreter war eine unbegrenzte. —
Betrachten wir nun die Basis des jüdischen Lehens seit dem Exile.
Diese war durch den Machtausspruch jener n^VUrt riDJJD das
geschriebene und das ungeschriebene Gesetz die arpUüi min und die
HO min. Mag diese hei ihrem Beginne diese oder jene Aus
dehnung gehabt haben •— das lassen wir dahingestellt — so viel ist
ausgemacht, dass sie für den Judaismus, den sie hauptsächlich begrün
det hat und so typisch kennzeichnet, vom verderblichsten Einflüsse
ward. Verfolgen wir den Geist dieser traditionalen Lehre, wie er
uns heut zu Tage im Judaismus vorliegt, so finden wir, dass dieselbe
zumeist auf das Unwesentliche der Religion, auf die Aussenseite
derselben Bezug hat. Nach der Masse derselben zu schliessen war
es also gar sehr auf das Äusserliche der Religion, auf ihre
Schale abgesehen. Es ist Thatsache, dass eine Religion, deren
Aussenseite so gehegt und gepflegt, ja zur Hauptsache gemacht
wird, in ihrem inneren Wesen, ihrem Geiste vernachlässigt werden
muss. Was Wunder, wenn man da lieber nach der Schale als nach dem
Kerne greift! So ging es der Religion des jüdischen Volkes seit der
Rückkehr aus dem Exile, dem Judaismus, dem durch das so bindende
Traditionswesen entstellten und in seinem Geiste unterdrückten
Mosaismus, kurz der „jüdischen“ Religion seit ihrer Entstehung.
Und diesen Gang musste sie nehmen, seit ihre Tradition eine solche
ungeheure Bedeutung bekommen, dass sie für Gottes Wort galt.
Oder ist jener Satz in den Sprüchen der Väter eine blosse symbo
lisch zu deutende Phrase? Ist dies der Fall, dann war es sehr ver-
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
113
derblich, solche Worte zu einem Symbole zu nehmen, da das Juden
thum andere noch mehr symbolische Worte wörtlich verstand. —
Die Tradition also war fast die Haupthasis des jüdischen Lebens und
ihre Vertreter die Vertreter des Judaismus. Aber bald gab sich
eine Opposition gegen diese Richtung religiösen Lebens kund. Sie
musste sich geltend machen; denn es wäre eine schlimme Voraus
setzung in die Individualität des jüdischen Volkes, wenn man nicht
annehmen dürfte, dass es Leute unter ihnen gab, die in ihrem ern
sten Nachdenken über diese das Volk beherrschende Religion gewal
tige Zweifel an derselben hegen mussten. Die Opposition gegen
sie mag nicht lange nach der Rückkehr aus dem Exile bei dem
umsichgreifenden ungeheuren Einflüsse der Tradition entstanden
sein. Dass sie schon zu Esra’s Zeit sich geltend machte, möchten
wir bezweifeln. Rerac. 9, 5 heisst es: „naxi D’mnp’DKn ibpbpw
n^iyn un ja onaix i>mty u'pnn “inx d^>u> j’k.“ S. dazu
die Note von Rertinoro, der diese Verordnung auf Esra und sein
Collegium zurückführt. Offenbar sind unter diesen D’Dinp’öN die
Sadducäer gemeint; aber so wie vieles andere ward auch dies schon
auf Esra zurückgeführt. Gewiss aber bestand die Opposition ur
sprünglich nur in der Negirung der dem Gesetze der min
gleichgestellten Tradition, welche wie ein Alp auf dem Volke
lastete. Aber der Natur der Sache nach konnte es bei der einfachen
Negation dieser nicht bleiben. Ohne Zweifel wird sich die angegriffene
Partei auf das geschriebene Gesetz, auf die arDif? min, als die
Grundlage der HD bv^W min, berufen haben. Der Kampf war nun
einmal begonnen. Die Waffe, mit der man sich schlug, war zunächst
die Tradition. Um sich aber mit Erfolg zu schlagen war es noth-
wendig auf das Gesetz selbst zurück zu gehen. Dies war nunmehr,
nachdem man das Rollwerk, hinter welches dasselbe verschanzt
worden war, zertrümmert, nachdem man den Zaun, der um das
geschriebene Gesetz gezogen war („min^ H’D lt£Wl“ Pirk. 1, 1), die
Tradition, durchbrochen hatte, nicht mehr schwer. Die Gegenpartei
verwarf überhaupt die Tradition; sie musste folgerichtig nur das
geschriebene Gesetz Mosis, die blosse nnOitH min, anerkennen.
Dieses war ihre Rasis, dasjenige Ruch, welches sie allein als die
Grundlage ihrer Religion gelten lassen wollte. Folgerichtig erkannte
sie auch nur das in demselben herrschende Glaubensgebäude als
Symbolum ihres Glaubens an. Es war also jetzt ein Kampf losge-
Sitab. d. phil.-hist. CI. XXXIV. ßd. I. Hft. 8
mm
.Am,
1
M
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114 AI o i s M ü 11 e r
lila
brochen, den wir am besten als Kampf des Mosaismus gegen den
jetzt sich entwickelnden Judaismus oder eines gewissen Rationalis
mus gegen die Orthodoxie bezeichnen. Wann dieser Kampf zuerst
losgebrochen, können wir in Ermangelung bestimmter Daten nicht
mit Gewissheit angeben. Das aber ist unzweifelhaft, dass er in eine
ziemlich hohe Zeit des Judenthums, wahrscheinlich in die Zeit bald
nach dem Exile hinaufreicht. Dies liegt wohl in Josephus Worten,
wenn er sagt: „’loudatoi? (pdonoyica. rpsig rjaav ix roö rcdvu dpy_odov
rwv Tcarpiutv.“ Ant. 18, 1, 2. Vergl. Zon. Ann. G, 3: „Tpiüv ydp
odacöv ix tcakcuov rot? ’loudatot? tpt'Xoaof'i.ag öStjiv. . — Betrachten
wir diesen von einer Gegenpartei begonnenen Kampf gegen die
Basis des bereits erstarkten Judaismus, gegen das ganze Juden
thum und seine Religion, so war er gewiss kein leichter. Auf der
einen Seite stand das jüdische Volk mit seinen Vertretern, den Eso-
teren der ,id byiV) auf der andern eine verhältnissmässig
ganz geringe Schaar. Wenn wir auch nicht annehmen können, dass
sich an diesem Kampfe des Judaismus und Mosaismus das ganze
Volk betheiligte, sondern nur die Vertreter des Judaismus, die
Esoteren seiner Wissenschaft, gegenüber jener Schaar von Leug
nern, so war doch der Kampf der letzteren ein ungemein gewagter
und schwieriger, da sie es mittelbar mit dem Judaismus, also fast
mit dem ganzen jüdischen Volke aufgenommen hatten. Gewiss nahm
dieser Streit allmählich einen immer ernster werdenden individualen
Charakter an, bis die Vertreter beider Richtungen, des Judaismus
und Mosaismus, als schroffe Parteien einander gegenüber standen.
Diese Schroffheit musste eintreten, wenn man bedenkt, dass das
Symbolum fidei nie ohne Bedeutung für das politische Leben ist.
Dass die Vertreter des Judaismus in dieser Hinsicht ein ungemeines
Prärogativ hatten, ist klar, da sie ja die volkstümliche Religion
vertraten. Seitdem also das Symbolum fidei eine politische Rolle zu
spielen anfing, seitdem standen auch beide Parteien als schroffe
Confessionen in abgegrenzten Formen und unter bestimmten Namen
einander gegenüber. Als solche erscheinen sie ohne Zweifel in der
bei Josephus in folgender Stelle geschilderten Zeit: „Karä Si röv
■/_povov roörov rpsXg aipiaeig rwv ’loudaicov (unter ’lwva^j??) rjacxv...
tliv.17 piv <t><xpiacdu)v r? os Saoobuxaicnv . . .“ Ant. 13, 5, 9.
Es standen also einander gegenüber die Vertreter des Judaismus,
die Esoteren der ganzen traditionalen Gelehrsamkeit, als Kämpfer
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus. 115
für dieselbe und die Leugner aller Tradition als Kämpfer für den
Mosaismus, die DW® und D'pimt. — Gehen wir auf die Bedeu
tung dieser beiden Namen zurück, so heisst der erste: „Die Getrenn
ten, die Ausgeschiedenen, die Ausgesonderten,“ von der Wurzel ttHD
„trennen, scheiden, ausscheiden, aussondern.“ Meier, hebr.
Wurzehv. S. 510. Der Grund der Beilegung dieses Namens mag
wohl folgender sein. Die Hauptopposition der Gegenpartei der Sad
ducäer bestand in der Leugnung der Tradition. Dass diese zumeist
die Aussenseite der Religion betraf, habe ich oben angedeutet. Diese
Aussenseite des Judaismus aber besteht vorzüglich in einem scrupu-
lösen werkheiligen Ceremonialgesetze, welches zumeist auf die Tra
dition basirt. Was konnten nun die Vertreter der Tradition gegenüber
den Leugnern derselben, wenn sie ihnen opponiren wollten, anderes
tluin, als gerade das jüdische scrupulöse Ceremonialgesetz mit
besonderer Betonung verfechten, gerade dieses mit besonderer Osten
tation zur Schau tragen? Zwar waren die Juden überhaupt an
dasselbe gebunden, brauchten es aber nicht mit der Scrupulosität und
Ostentation zu thun, wie die Vertreter des Judaismus, die Esoteren
der traditionalen Gelehrsamkeit. Diese also schieden sich principial
von dem anderen Judenvolke, welches das traditionale Ceremonial
gesetz nicht mit der Strenge wie sie befolgte, aus und zwar zum
Zwecke einer tendenziösen scrupulös-ostentativen Befolgung des
selben. Aruch: „}**as3 bama )ai nttttob baa taity tymoty Rin tyno
Sa^aa pnpna lJPRty pan Dyi.“ Elias Lev. inTisb.: „jny*? tyiD
nityiDj ma "jna -mR mpaa pn Rnpaa mal r^>i nty-mm nbian
n!?iyn mma D'tynon am n'tyviD tyno ixnm min la ityaty V'm
DWUn imty iaa ntn.“ Suidas: „<l>xpiaxioi. oi kpp.rivsv6p.svoi d<pw-
piapsvor nxpx to pspi^siv xxl d<popi£scv kxvTovg rwv äAXwv xxxvtuv
dg ts rd xxSxpdbrxTOv toO ßiou xxi dxpißkoTXTov xcd tx toü vöpov
kvrdlpxTx.“ S. Epiphanius: „’E^sjovto Ss Qxpiaxioi did to dipo)-
piapsvovg sivxi xvrovg dnd rcöv äXXwv dtä tyjv sSslonspKjaoSpriaxsixv
nxp' xi’/ToTg vsvopicpsvriv. <pxpsg yxp xxtx ty]v ’EßpxiSx kpprjvsvsTxi
dyopiapog.“ (Nur eine andere radix die Idee dieselbe.) Vgl. ferner
eine Notiz in Beni. v. Tud. Itin. Sie lautet: „tyiDJty tynon "ltyR ’an
Rim nya ^aiR u\ri njynai nb'bi nar noon bv nnim n^iim ’mjya
ma^na ^irn aarr.“ s. } der Lond. Ausg. Keineswegs die Vorstellung
eines antiken tyno in seiner Wesenheit, sondern wie sich ihn der
spätere Beniamin dachte. Was den Namen nmiTü betrifft, so ist
8«
116
Alois Müller
folgende Stelle bei Elias Lev. in Tisb.. „)b IM »Jty . pm
nm nnm^ m’i oin’i iaty inxi pra iaty mR niD wh dujssj«^
aroaty mim aimty na pn rrattn n^i na mim naai.“ Juchas.
S. 13 der Lond. Ausg. v. 1857: „pyatPB bip 131D WH DUJ’SäJ«
nana waty arran ’tyan rn m’a^n Dirmi pmi .D"n ruty pnitn
'131 DHaya l’nn naNa>a aan.“ Vgl. die weiteren Worte über
DUJPBJN. S. ferner in Zemach David fol. aa der Prager Ausg.
v. 1592 die Artikel DJJ’BJN und nn”at pra 1 ). Dass diese Tra
ditionsleugner von einem pnit den Namen bekommen hatten mag
seine Richtigkeit haben. Er war gewissertnassen der Hauptvertreter
dieser sich geltend machenden Traditionsopposition und der aus ihr
gefolgerten Consequenzen. Aber dieser pntf, ein Schüler jenes
DlJJiBJN, eines Zeitgenossen etwa des Ptolemäus Euergetes, ist es
sicherlich nicht. Die Entstehung dieser Secte geht in eine bei
weitem höhere Zeit hinauf. Dass die Entstehung der hier angedeu
teten Opposition von den Juden selbst in eine ziemlich hohe Zeit
hinaufgerückt wird, geht aus der oben citirten Stelle in Berac. her
vor. Das aber ist, abgesehen von obigem Argumente, entschieden in
Abrede zu stellen 3 ), dass der Ausspruch des Antigonus von Socho
»anaio i\n nbn did bipb rua by am nx ptyatyan nnaya rnn
ny>by D’aty Nna wi did bipb K^sy rua by am na ptyatyan“
Pirk. Ab. 1, 3 (vgl. Rambam zu dieser Stelle), es war, welcher den
Anstoss zu dem Symbolum der Sadducäer gab. Ihre Opposition bestand
*) Alle hier vorkommenden Citate aus Zemach David beziehen sich auf den ersten Theil.
2 ) Treffend bemerkt S täu d 1. Geschichte der Sittenl. Jesu 1. ßd., S. 444: „Wenn Antigonus
seinen Ausspruch anders verstanden wissen wollte, als Sadok und ßaithos ihn ver
standen, warum wies er sie nicht zurecht? warum Iiessen sie sich von ihm nicht
eines besseren belehren? Wenn aber Antigonus seinen Ausspruch eben so ver
standen wissen wollte, warum wird er nicht für den Stifter dieser Secte ausge
geben ? Und warum weiss Josephus gar nichts von jener Nachricht? Und warum
soll die Secte gerade von der Ableugnung der Unsterblichkeit ihren Ursprung
genommen haben, da doch die Unsterblichkeitslehre nicht einmal zum alten Glau
ben der Juden gehörte und die Secte der Sadducäer sich durch andere Behaup
tungen vom alten Glauben entfernte.“ Vgl. des späteren Abtalion Satz: „ D'ÖOn
inam ü’jnn d>» mpai> iSam mia roin lainn «aty nnrn
D'oi» a\y nsöji ima*i Dann« D’jarr D'-pa^nn.“ in Pirk. Ab. 1, n
u. Pirk. Ab. 4,13: „p-p nhy na^n nuiy® na^ro *i»fu mrt ibin min* >m.“
Es ist vielmehr am wahrscheinlichsten, dass man sich später des Ursprunges der
Sadducäer nicht mehr recht bewusst war und diesen missverstandenen Ausspruch des
Antigonus als Grund ihres Symbolums aufstellte. Undeutlich und zu einer Drehung
geeignet ist er immerhin. Ob dieser Antigonus wirklich einen Schüler hatte, der
Zadok hiess, lassen wir dahingestellt.
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
117
ja, wie oben angedeutet und wie nachgewiesen werden soll, in der
Leugnung der Tradition. Daraus erst wurde alles andere gefolgert.
Gehen wir zu den EWilö, den Pharisäern, zurück. Nach allen
oben angeführten Stellen also waren sie Leute, die sich vom Volke
ausschieden und zwar zum Zwecke und durch das Insfrumentum
ihrer tendenziösen Strenge, vorzüglich in der Befolgung des Cere-
monialgesefzes. „(PapcaaToi, avvrxjp.d u ’loudaiuv, ooxouv EÖasßsazs-
pov sivcet.“ B. J. 1, 5, 2. Sie waren die Esoteren der ganzen tradi-
tionalen Gelehrsamkeit und die eifrigsten Verfechter derselben. Zwar
waren sie vom gemeinen Volke dem ptfn Dl? 9 („ö ouroj. .
Jo. 7, 49), den Exoteren der Tradition, ausgesondert; getrennt aber
waren sie von ihm nicht. Im Gegentheile, ihre Religion war die
Volksreligion („rö Si §Yjp.ouxdv inop-Evov adroT? — ’ExSSov/.cdon;
— e^ovroav, rtöv Ss (frapiacdwv rd xlriSoi; aiip-ixa^ov iyövrwv.“
Jos. Ant. 13, 10, 6. „xai önöaa Süa stä^wv rs c/trea xai Upüv Ttoi-rj-
asoi£ ry ixsivuv zvy^d'jovai npaaa(>p.Eva.. u Ant. 18, 1, 3 2 ),
wenn auch der pNrr Dl? dieselbe nicht so ostentativ und scrupulös
übte. Sie thaten es aus Tendenz, um der Gegenpartei gerade durch
Verfechtung des am meisten angegriffenen Theiles zu trotzen und
diesen vor dem Untergange zu wahren. Dieses Streben, wenn es
dem zum Gesetze nothwendigen Theile der Tradition, wie sie etwa
ursprünglich von Esra und seinem Collegium überliefert worden war,
gegolten hätte, wäre ein ganz redliches und zu billigendes gewesen.
Aber es ist kaum anzunehmen, dass der Kampf jener Gegenpartei
gegen diese fast unentbehrliche Tradition begonnen worden wäre;
sondern es lässt sich vielmehr vermuthen, dass der Widerspruch
durch ein Traditionssystem hervorgerufen wurde, welches bereits
Über Dp Talm. B. Sota, fol. DD, a der Wiener Ausg\ v. 1808 iin 6. Bde.
»aa tmiata A p am 01? m Art aam atySt a n"n o>a>t> uh na©? mp aarm
nt An aam apy> an nok nn *nia nt An aam ma» a ma nt nn 'bn >aanj
non '»manan manyi rcnno? tt?"p mip uw bo n"y wtm n"n .... taua
A n?M n>i£'it S pnta bi 'am mty ja pSon maa um» bz K"am nma A
eenem dahn Am ma^ t^naa umi o»an S ltt?>© Sa 'att f)Di> fa |nai>“
nS mp na nt An nata nS mp n"i? ant n"n taa’ta nS nanat mip '»ox
nana j?m onx ynt nnn> rva nttt ^mna» n»a rm >nynn 'am ninan vby nata.
Die Glosse zu ata ti,jAm 0!?B l?Aa.“ Der heutige Judenjargon versteht unter
pattn DJ? einen Flachkopf, Dummkopf.
2 ) Vgl. Zon. Ann. 6, 3: „Si a roi? re dal Ki^avairaroi, xai iv sü^aij xai
noiYjaeaiv tepwv ixeivois )(pä>vrat e^vj^vjrats.“
118
Alois Müller
ein Gemisch jenes ursprünglichen vernünftigen Theiles mit einem
auf Aberwitz basirenden war. So kurz auch die Zeit seit Esra bis
zum Beginne dieses Kampfes war, sie reichte hin um auf Grund
lage der ursprünglichen Tradition andere Folgerungen zu erzeugen,
welche gar sehr Widerspruch erregen mussten. Dass die Gegen
partei nun den von ihr angegriffenen Theil, die von den Pharisäern
vertheidigte Tradition, ganz umstossen und leugnen musste, ergibt
sich aus der Sache selbst. Und dies: die Verfechtung der Tra
dition einerseits und die Verwerfung derselben anderseits war das
Cbarakteristikon der beiden streitenden Parteien. Die Tradition war
das Schiboleth des Zankes. Jos. Ant. 13, 10, 6: „vüv di drjlüaxc
ßov'Xop.xi özi v6p.tp.x noXkx zivx nxpedoaxv zü) ftrjjjiw oi (frxptaaToi ix
nxzepm dtxdoyrig, xnep odx xvxyeypxnzxi iv rot? MwOas'w? vop-oig,
xxl dix zovzo zxOzx zö Sad’olot«twv yevog ixßxXXet, leyov ixeivx delv
■hyeiaSxi vöp.i[xx zx yeypxp.p.evx, zx d' ex nxpxdöaeoig ztZv nxzepuni
p.Yj zrjpeTv.“ Ant. 18, 1, 4: „tpvlxxfig de ovdxp.div rtvcöv p.ezxnoir}<ng
xvzoTg rj rcöv vöpicov. IIpös yxg zodg didxaxxlovg aotpixg, rjv [xezixaiv,
x/xipdoyeTv xpezriv xpiS[xovaiv. u Dagegen heisst es von den Pharisäern
Ant. 18, 1, 3: „Ti/xrig ye zoTg rffoxixg nporjxovai nxpxylopoiiotv, otidev
in' xvziXe^et röiv etariyriS-evzuv zxvzx 3-pxaet inxipöixevoi.“ Vgl. Zon.
Ann. 6, 3. Jos. Gor. 4, 6: „liDa “it£>N minn lötM D^aiN PH D'tpnon
r\bz\>b rrnnn n« ltsnB D’nann ’ö bv ntmioa im u'nüit“ und
ferner „ttnvö bsbi triiDa bsb yatyj pato *6 cnaiN D'pran nuni
l^b nt£>a min^ DK '3.“ Vgl. dazu die obige Stelle aus Elias Lev. Es
war also ein Ringen des Mosaismus mit dem aufkommenden Judaismus.
— Und angenommen, dass die Pharisäer beim Beginne des Kampfes das
ganze Gebäude, wie es damals stand, gegen die Angriffe der Gegen
partei vertheidigten, wir brauchen sie desswegen noch nicht zu ver
dammen; vielleicht glaubten sie daran oder sie thaten es, um die Volks
religion zu schützen, den Scrupel des Zweifels einem höheren Motive
hintansetzend. — Aber leider musste diese in ihrem Ursprünge nicht
gar so verdammenswerthe Idee im Laufe der Zeit in’s Schlechte aus
arten und die Vertreter derselben, die Verfechter der pharisäischen
Gelehrsamkeit, in jenes Licht bringen, welches durch die gar herrlich
leuchtende Region der Evangelien seinen traurigen Schatten wirft.
Die Gegenpartei — ich meine die Juden — berufe sich ja nicht auf
die judenfeindliche Tendenz des Christenthums und seines Kanon’s
als incompetenten Richters über die so verrufenen Pharisäer; das
Pharisäer und Sadducäei* oder Judaismus und Mosaismus.
119
Gebäude der Tradition, wie wir es vor uns haben, das Judenthum
selbst, ist Bürge für jene Schilderung. Es ist gewiss, dass seitdem
gerade wie ich oben auseinandergesetzt, das Ceremonialgesetz der
Tradition, überhaupt die ganze Werkheiligkeit des Judaismus, durch
die Sadducäer einen Stoss bekommen hatte, von nun an das Tradi
tionsthum um so mehr verfochten und in den Vordergrund gestellt
ward. Die Vertreter desselben machten es sich nunmehr aus Oppo
sition gegen jene Leugner zur Aufgabe gerade die werkheilige
Tradition so viel als möglich zu stützen und zu erweitern, ein
Streben, welches, im starren Oppositionsgeiste entstanden, nur
auf Abwege führen musste. Die warscheinlich gleich nach Esra
angewandte Methode der Fortpflanzung der Tradition als Gegen
stand der Schulgelehrsamkeit kam jetzt besonders in Schwung. Dass
die Vertreter und Verfechter der Volksreligion — der jetzt noch nicht
so entwickelte, später alles frische Leben beengende und erstickende
Pharisäismus mit seinem Ceremoniale, seiner schönen Schale, aber
auch mit seiner erhabenen Speculation, kurz mit seinem dem Gemüthe
zusagenden Charakter, war, wenn auch für den Nachdenkenden
schon jetzt in manchen Puncten ein Stein des Anstosses, doch
gewiss dem Volke schon durch seine Aussenseite lieber, als der
trockene das Gemüth nicht so sehr befriedigende Sadducaismus —
gar bald die Lieblinge des Volkes wurden ist klar. Mächtig also war
der Zudrang der Schüler, um in die Tiefen der traditionalen Wissen
schaft eingeweiht zu werden. Und abgesehen davon, das Studium
der pharisäischen Gelehrsamkeit überhaupt musste einen eigenthüm-
lichen Reiz ausüben, wenn wir bedenken, welche Geister sich in die
Tiefen desselben einweihen Hessen. (Act. 22, 3 sagt Paulus: „’E^tn
piv stpt dvrip ’louooüos, napä. zotig nööag r«paAtrjA *) — eines
Pharisäers — nen<xi$eu[j.ivoj.“ Vergl. Pirk. Ab. 1, 4: „p^Nno ’im
*) |ptn p“) * Es ist Rnbban Gamliel der Greis, ein Sohn Simons ben Hiilel,
also ein Enkel Hilleis des Babyloniers oder des Alten. Er starb SO Jahre nach Chr.
als Nassi und bei dessen Leichenfeier verbrannte der bekannte Onkelos 70 Minen
Balsam sammt dem Bette und den anderen Geriithen des Verstorbenen nach königlicher
Weise. Fürst, S. 13, Not. 19. — Er heisst Act. S, 34: „vopoMxoxcdos u'ptof
navrt riä Xacö.“ Er ist bekannt durch seine gegen die Christen humane Rede.
Act. S, 33 ff. Vgl. Juchasin S. 59 der Lond. Ausgabe von 1857 und Zemach David
fol. ‘ib, b der Prag. Ausgabe, ferner J. Heinr. Ottonis hist, doctorum misnic. in
ügol. thes. XXI, 1095, die jedoch an grossen Mängeln leidet.
120
Alois Müller
“iBltt.“ 1 ) Für Esoteren musste dasselbe ein ungemeines
Interesse haben. Dass sich dieselben den Exoteren gegenüber einer
scrupulös-pompösen Befolgung des ceremonialen Wesens befleissen
mussten, lag in der Natur ihrer Tendenz. Die Schule der Pharisäer
war die Quelle der genauesten Gesetzeserklärung und der Tradi
tionsgelehrsamkeit. Jos. B. J. 2, 8. 14: „«hapwatot piv oi doaoüv-
tes psra xxpißeixg i&yeiaSai tx v6/j.i[xx.“ Ant. 17, 2, 4: „Kai
rjv yxp [xöpiöv ti ’loudai'xöiv xvSpcbnrwv in' i^xxpißüosi piya ypo-
vovv roO nxrpiov vöp.ou. . . .“B. I. 1, 5, 2: „(Pxpiaxioi, aitvrayp.ä ri
TouJaioov, ö'oxoOv . . roü? vop.ovg xxptßiarepov x<priysT<;Sxi. u Ver
gleiche die oben citirte Stelle aus Act. Dass ihre Schulen, denen sie
als Lehrer Vorständen, grosse Frequenz hatten unterliegt keinem
i) Lightfoto hör. hebr. in Evang. Luc. II, 500 zu xa3s£o'jJLgvov cv peak) rwv
(hda<jxä\(*)v: „Megillah fol. 21, 1: Tradunt Rabbini. A diebus Mosis ad Rabban
Gamalielem non didicerunt legem nisi stantes. At cum obiisset Rabban Gamaliel
aegritudo invasit mundum ita ut discerent legem sedentes. Unde et traditio: Ex
quo obiit Rabban Gamaliel defecit gloria legis. Vide et Succah fol. 49, 1 et
Juchasin fol. 53, 1. Et cum eo deventum esset post mortem Gamalielis ut sederent
discipuli dum praelegeret magister quomodo sederunt ? humi. Hinc illud
loco in Megillah citato. Rabb noluit sedere in lecto et praelegere discipulo
sedenti humi. Ubi Glossa: Aut uterque super lectum aut uterque humi. Ibid.
fol. 27, 2: Interrogarunt R. Eleazarum ben Shammua discipuli eius: Quomodo ad
hoc grandaevitatis pervenisti? Quibus ille: Ego nunquam feci Synagogam commu-
nem transitum (i. e. nunquam pertransii per Synagogam ut viam meam abbreviarem)
nec unquam incessi super capita populi sancti. Glossa: Super capita discipulorum
sedentium humi, in Beth Midrasch. Gloss. in Sanhedr. fol. 17, 2: njpf£>
Pplp^ Si non adhuc attigissent presbyteratum sederunt humi." Schoettg.
hör. hebr. p. 477 zu V. 3 ttpög zobg nodtxg: „Scilicet Rabbini sedebant in loco
excelsiore discipuli vero in demissiore.“ Dann wird die bekannte Stelle aus den
Sprüchen der Väter citirt und weiter heisst es: „Quorum verborum sensus in
Aboth R. Nathan c. 6 princ. sic exponitur: Quo tempore vir doctus urbem ingre-
ditur noli dicere te illius opera non indigere, sed abi ad ipsum et cum ipso sede
non quidem in lecto neque sedili neque scamno sed sede
coram ipso in terra et omnia verba ipsius cum honore et tremore recipe.“ Indess
schon bei dem oben citirten xa.S’s^of/.evov beruft sich sogar Strauss in seinem
Leben Jesu 1, 344 auf das Zweifelhafte der jüdischen Überlieferung mit Bezug
auf Kuinoel zu Luc. 2, 46, der Vitringa als Gewährsmann citirt „nullum posse
exemplum idoneum discipulorum coram magistris stantium e N. T. afföri“. Und
weiter „ omninoque falsam esse Rabbinorum traditionem quod post Gamalielis
demum obitum sedentes discipuli didicerint legem pluribus ostendit Basnagius
Annal. ad an. Dom. 8, §. 10, p. 206.“ Kuin. 2. Baud, S. 330. Ähnlich das sans
kritische i (upanisad), von ‘^XT (upa) + (ni) -|- (sad).
✓ %
(Schlegel zu ßhagavadgita, p. 154).
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
121
Zweifel 1 ). Mt. 22, 16: „xxi dnoaz£l\ovaiv (ot (frxptaxJoi) adrw roug
px3-rizxg adrcöv...“ Luc.5, 33: „6potug xxi ot (pxSrizai) züv <I>apt-
axiojv.Aber nur für die Esoteren war ihre Wissenschaft zugänglich.
Der spätere malitiöse Pharisäismus masste sich sogar die Gesetzes-
kenntniss als ausschliessliches Privilegium seiner Kaste an. Luc. 11,
52: „oSxi üplv zoJg vopixoTg, ozi ripxzs. zrjv xXdSa zyjg yvSjatujg • aSzol
oux da-jjkS'xzs xxi zoug dacpyopivoug exwAüaars.“ Mt. 23, 13: „Odat
St oij.tv ypap.ij.ci.TiJg xxi Oaptoatot vnoxpizxt, on xhisze zrjv ßxoikdxv
züv odpavtöv epnpooSsv rwv dvkSrpünwv • öpelg yxp ovx dpepysoSs,
oCiSi zoug daepxpfiivovg dfUzs daekSdv.“ Vergl. Jo. 7, 49: „6 öykog
oüzog 6 pd] yiyvüaxo)v röv vopov.“ „Machet einen Zaun um das
Gesetz“ war so recht eigentlich ihr Princip. — Nur die Esoteren
der ganzen Pharisaismusgelehrsamkeit waren im Besitze der Weisheit.
Jos. Ant. 20, 11, 2: „pövoig St aofixv pxpzupovai zoJg zx vopipa
oxfüg tmazxptvoig xcd zr}v züv fcpüv ypxppxzojv Svvxpiv tpprjveüaxt
Svvxpevoig.“ Vergl. Ant. 18, 3, 1: „zrjv aotpixv räiv vopojv.“ Sie
waren also die „ooyot“ xotr’ s^oyriv. Vergl. B. I. 1, 33, 2: „atxpiazai
pxhazx Soxoüvzsg äxpißovv rd nxzpix. . . “ Dieselben sind zu verste
llen unter den aotpoi in B. I. 6, 5, 4: „xat ivoXXot rcDv aojxwv tjzXxvr]-
3-naxv nspi zrjv xpiaiv.“ Ihnen gehörten an die in Ant. 17, 6, 2:
geschilderten beiden „Xoyiojzxzoi xxi jzxp' ouazivxaoöv zöjv xxzpt'wv
ÜgriyriTxi vipuv, xvSpeg xxi Srjprp Ttpoatpikdg Six nxiSdxv zov
vsojtipou • (öarjpipxi yxp Stripepevov xuzoJg nxvzcg otf npoanoi-naig
xpezfig tnszszrjSsuzo').“
In diesen Schulen der Pharisäer nun wurde die ganze Tradi
tionswissenschaft geholt; die in ihrem Besitze befindlichen zu ihrer
Verbreitung befugten Lehrer behandelten sie in einer Art, wie sie
seit Esra üblich geworden und wie wir sie im Talmud verfolgen
können. Es ist eine merkwürdige dem Occidentalen ganz fremd
artige, dem phantasiereichen Orientalen hingegen höchst interessante
Methode— leider mit Aberwitz und Klügelei durchwebt. Bei dieser
dem Pharisäismus so typisch eigenen Art mussten denn Schlüsse
*) Überhaupt scheint zur Zeit der Blütiie des malitiösen Pharisäismus ihre Geistes-
herrschaft ein ziemlich grosses Gebiet eingenommen zu haben. Vergl. Mt. 9, 3.
12, 14. Um Neophyten zu werben und ihr Heer recht zahlreich zu machen unter
nahmen sie wohl auch Reisen. Mt. 15, 1 und 23, 15. Welche Aufopferung! Aber
dafür hatten sie überall ihre Geisteszöglinge. So ist ihre ungeheure Mach*
begreiflich!
122
Alois Müller
“L_
zum Vorschein kommen, bei denen man sich, ich weiss nicht, ob
mehr über den auf die Spitze getriebenen Scharfsinn oder über die
Verirrung des Geistes auf jene im Talmud so häufig vorgezeichneten
Irrpfade wundern muss. So wuchs also die Tradition immer mehr
und mehr, bis sie zu einem Riesengebäude ward. Durch scrupulöse,
pompöse Befolgung gaben ihre Vertreter derselben einen ungemeinen
Nachdruck. So also kam es, dass die dem Judaismus so ganz eigen-
thümliche Tradition mit der Zeit zu einem bindenden massenhaften
Conglomerate heranwuchs, aus dem es sich nie wieder herausarbeiten
sollte. Und gerade dieses ist es, welches, wie wir aus der Geschichte
des Judenthums sehen, für dasselbe von den verderblichsten Folgen
ward. Das Traditionsthum mit seiner scrupulösen bindenden Werk
heiligkeit, die den Geist der Religion erdrücken und ersticken
musste, hat seit jeher wie ein Alp auf dem Judenthum gelegen, wie
eine Last, unter der es fast zwei Jahrtausende keuchte, ohne sich
je recht erheben zu können; es war für das Judenthum wie ein
Unkraut, das an einem Baume wuchert und ihm alle zur Gedeihung
und Entwickelung nothwendigen Säfte entzieht. Und merkwürdig,
während andere Nationen entweder verschwanden oder mit dem
Gange der Zeit sich fortbildeten — das Judenthum ist diesem histo
rischen Postulate durch eigenes Verschulden nicht nachgekommen.
Das von dem exclusiven starren Traditionswesen in Anspruch ge
nommene Leben dieses Volkes hat es seit jeher einem frucht
bringenden Anschliessen an die mit seinen Formen im grellsten
Widerspruch stehende fortschreitende Bildung unzugänglich ge
macht. Den Fortschritten der Zeit und den Postulaten der allgemei
nen Cultur konnte das dem socialen Leben des Christenthums und
seiner frei aufstrebenden Bildung so schroff gegeniiberstehende Tra
ditionswesen des Judenthums um so weniger zum Opfer gebracht
werden, als es seit jeher den vom Pharisäismus aufgestellten Grund
satz der Göttlichkeit seiner Tradition festhielt. Und so blieben die
Juden seit jeher ein exclusives Volk mitten unter den sie umgeben
den Völkern. Die Nation ist irregeführt durch eigene Schuld — doch
jene Schule hat viel zu verantworten!
(Ich bin weit entfernt hiemit nur irgend einen böswilligen
Angriff auf den Talmud zu üben. Er ist und bleibt ein ehrwürdiges
menschliches Denkmal der Cultur eines Theiles von Vorderasien, ein
Werk, gleich wichtig für den Theologen, Philosophen, Sprach-
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus,
123
forscher und Historiker. Freilich ist Spreu und Weizen durch ein
ander gestreut; indess der redliche Forscher wird beides mit glei
chem Interesse aufnehmen. Möge dieses Werk nur nicht, wie
bisher zumeist, auch fernerhin exclusives Gebiet jüdischer For
scher sein!)
Jene Schule hatte, ohne zu erwägen, von wie weittragenden
Folgen ihre Methode sein würde, ein Gebäude aufgeführt, welches
das Judenthum in seine beengenden, alles frische Leben im Keime
erstickenden Räume aufnahm, ja einsperrte, und so mit den Grund
zu jener Exclusivität gelegt, an der das Volk seit jeher fortkränkelte.
Erwägt man dies, so weiss man wahrlich nicht, ob man sich mehr
über das Volk, das sich in dieses beengende Gebäude einpfer
chen liess, oder über die Festigkeit seines Baues, dass er nicht
mit der fortschreitenden Cultur stürzte, wundern soll. Aber es
konnte am Ende nicht anders sein. Das Volk, vom Anfänge an
durch das Machtgebot des Sanhedrins gebunden, bald mit Ideen von
der Göttlichkeit des Traditionsthums, welche von seinen Esoteren
bei der Unhaltbarkeit des Gebäudes als Präservative gegen
jedes Rütteln an dem Baue aufgestellt und eingeprägt wurden,
erfüllt, hatte sich durch die Macht der Gewohnheit bald in jene
äusseren Formen der Religion so hineingewöhnt, dass es sie
als von Gott angeordnet betrachtete und sich fortschreitend in ihr
Joch fügte; das Gebäude selbst war durch unbeschränkten
Autoritätsglauben *) und durch die gewaltige geistige Überlegenheit
*) Vgl. folgende echt pharisäische Doctrinen:
Schir haschirim rabba fol. 13, 3 und Mechilta fol. 38, 2: MD
nJMJtt? MD i^Dptt onan • si quis recipit viros doctos idem est ac si reci-
peret Schechinam. Schoettg. hör. hehr. p. 106.
Jalkut Rubeni fol. 136, 1 ad verba Num. 12, 11: Et dixit Aaron ad Mosen:
Quaeso domine mi. Annon Aaron maior erat Mose ? cur vero ipsum dominum vocat
et quasi magistrum suum tractat? Discimus vero exinde
quod qui honorem exhibet doctori suo idem sit ac si Deo ipsi honAvem exhi-
beat. Ibid.
Ibid. fol. 140, 1: Quicunque rixam exeitat cum viro docto idem est ac si id faceret
D^lpfT n».T) "iDRttf 'ö by contra Deum ipsum. Schoettg. 106. Pirk. Ab. 4, 12: >:n
D'öü NT1Ö3 in «*118 *,T 181« J>lö® p *1»J>$>K. Ketuvoth. fol. 111, 2: Quicun-
que filiam elocat discipulo sapientum pro iis Trpa'yp.arctav exercet illisque varia
bona ex opibus suis exhibet scriptura sacra hoc idem aestiraat ac si Schechinae
s. Deo ipsi adhaereret. Schoettg. p. 107. Und ferner: Tanchuma fol. 63, 2: Ne
dicat aliquis DMp* Dlitü Ö”ptt M'R* Non observabo praecepta senioruin quia non
sunt de lege. Respondet bis Deus S. ß. Filii mei p DDR J'R aon
124
Alois Müller
seiner Vertreter und Verfechter geschützt. Überdies war der
gemüthsreiche Pharisäismus trotz der beengenden Tradition dem
kalten Mosaismus der Sadducäer, der für jene fortgeschrittene Zeit
sich bereits überlebt hatte und nicht mehr taugte, gewiss vorzu
ziehen; denn die dem Mosaismus fehlende trostreiche Speculation
des Judaismus gebührt allein dem Pharisäismus. Dies erwogen
müssen wir uns über das den Vertretern desselben im neuen Testa
mente gesetzte traurige Denkmal, über jene den Pharisäismus der
damaligen Zeit treffende Schilderung, nur um so mehr wundern. —
Wir haben bereits im Laufe unserer Abhandlung darauf hingedeutet,
dass der Widerspruch gegen die Tradition wahrscheinlich erst her
vorgerufen worden war, als auf Grundlage der ursprünglichen von
Esra und seinem Collegium überlieferten durch die Methode der
zu ihrer Fortpflanzung Befugten Schlüsse zum Vorschein gekommen
waren, die zu Widerspruch Anstoss gehen mussten. Seit dieser
Zeit wurde der Tradition als dem negirten Theile der Religion eine
besondere Aufmerksamkeit zugewendet. Das Studium des Gesetzes
und der Traditionsgelehrsamkeit wurde von jetzt an mit besonderem
Eifer betrieben. Der Zudrang solcher, die sich in die Tiefen dieser
Disciplin einweihen lassen wollten, war um so stärker, je grösser die
Gelehrsamkeit der im Besitze dieser Wissenschaft Befindlichen und
sie Verbreitenden war. Dass sie als die Esoteren der Tradition
dieselbe nach aussen hin mit einem gewissen Rigor repräsentirten
lag in der Natur der Opposition, so wie auch sicher, nachdem sich
diese Negirung geäussert hatte, die Idee der Göttlichkeit jener
habetis facultatem sic Ioquendi |»B”pB yftfi BB'i’JJ ['ItUttl ilü hi sed quae-
cuncque illi decernent vos observate, q. d. Deuter. 17, 10: „Et facies secundum
legem quam docebunt te.“ Nam etiam verba ipsorum ego confirmo q. d. Job
22, 28: „Et constitues dictum et statuminabit illud tibi.“ Hoc quoque tenendum
cum .Jacobus Manassi et Ephraimo benediceret quidnam ibi scriptum est? Gen.
48, 20:i „Et praeposuit Ephraim Manassi,“ minorem maiori natu et Deus S. ß.
decretum illius confirmavit. Schoettg. 136.
Sevaehim, fol. 101, 1: mW hüB “IfiV OnniHB p1!*n WJl D*83ni. Et sa-
pientes fecerunt robur verbis suis plus quam verbis legis. Schoettg. 138.
Maccoth fol. 22, 2: Dixit Rabba: 1DD *öpÖ >tt»p*T ’NWDtD nöD
fDI 'öpö *ö”p K^I min • Quam stulti sunt plerique hominum qui statuta
legis divinae observant statuta vero Rabbinorum non observant. Schoettg. 246.
Sanhedr. fol. 99, 2: nilflB Ö'JD ni’JBl Nlil DVHp'DN D3H T8$>n fTUBfl •
Quicunque spernit discipulum sapientum ille est Atheus et Epicureus et proterve
Jegi obloquitur. Schoettg. 278.
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
125
verfochten werden musste. Nehmen wir die Verbreitung derselben
von Seiten der dem Volke geistig Überlegenen und die Verfechtung
des damals schon entstellten Traditionsthumes nicht so übel; jene
Ansicht musste verbreitet werden als Bollwerk gegen die Angriffe
auf die Tradition und als Widerlegung des Sadducaismus, der
nebenbei jene dem Judaismus so eigenthümlichen erhabenen Lehren
leugnete, so wie nicht minder die Tradition eifrig verfochten wer
den musste. Wir brauchen also in die Redlichkeit derjenigen,
welche nunmehr dem Pharisäismus huldigten, keinen Zweifel zu
setzen; der Pharisäismus sagte denkenden Köpfen schon durch seine
Speculation zu, so wie er nicht minder das Gemüth nicht unbefriedigt
liess; für das Volk war er dem kalten Sadducaismus jedenfalls vor
zuziehen. Dass die Vertreter der Volksreligion die Achtung und
den Anhang des Volkes hatten unterliegt keinem Zweifel. Gar bald
musste sich der Widerspruch der beiden Parteien, der Pharisäer
und Sadducäer, auch im politischen Leben geltend machen. Abge
sehen davon, dass die Ersteren die Volksreligion vertraten, waren
sie auch in ihrem dem Judaismus entsprechenden gemüthlicheren
Charakter dem Volke weit lieber, als die vom kalten Mosaismus
beherrschten Sadducäer, die überdies nur aus der Gemüthsreligion
nicht so bedürftigen Reichen bestanden. Jos. Ant. 13, 10, 6: „rwv
piv Hxddovxcdoiv zotig evnöpovg pövov neiSövzuv, rö di dypozixöv
o^x inopevov atizolg i^övrwv, rcnv di cpapiffaiwv rö nlriSog oöppa^ov
ö/övrwv.“ Ant. 13, IS, S: „zovzovg ydp (die Pharisäer) suvouv xxza-
az-rjaeiv aürp rö eSvog. AvvxoScu di noXti napd rot? Toudatoi? zovzovg
e(pccaxe, ßXd'^ca ze ptoovvzag xod ipiXUog dtocxeipevovg clxpeX-tjocu.“
Ant. 20, 9, 1: „Sadd’ouxaiwv, oinep eiai nepi zag xp'iaeig wpot napd
navzag zotig ’Iovdaiovg. . . .“ Ant. IS, i, 4: „dg oXiyovg ze dvdpag
ovzog 6 Xöyog d<pixezo, zeug pivzot npoizovg d^ioipaat.“ B. J. 2, 8, 14:
„Saddouxaicov di xai npdg dXXrjXovg rö rjSog äypidzepov, al zu ini-
pi&ai npdg zotig öpoiovg dnrjvelg cLg npög aXXozpiovg.“ Ant. 13, 10, 6:
„äXXwg ze xai ftioei npog zdg xoXaoeig intstxüg exovaiv oi <Papi<7afoi.“
B. J. 2, 8, 14: Kai «Papiaafot piv <piXdXXriXoi ze xcd zrjv dg rö xolvov
öpövotav doxovvzeg...“ (Jus. Gor. 4,6 sagt von ihnen: „üb DWiOD
Dia ltJDty’.“ Dies ist jedenfalls eine übertriebene Ansicht von ihrer
Milde. Dagegen Jos. Ant. 13, 10, 6 : „Oü ydp idöxet Xoidopiag evexa
Savdzut ^rjpiovv.“ Vgl. dazu Saalschütz, Mos. Recht, S. 453 und
besonders S. 45ß, Note 572: „Darüber, dass die wirkliche Todes-
126
Alois Müller
strafe so selten als möglich zur Anwendung kommen müsse, stimmen
schon die Rabbinen mit den in neuerer Zeit vielfach verfochtenen
Ansichten überein.“) Jos. Gor. 4, 13: „man mit» ritt WT ’OJR ’3
D’am £3H mtaa’ itA'M »3.“ Dass sie bei diesem ihrem Cha
rakter und ihrer Popularität in der Politik eine grosse Rolle spielten,
ist leicht einzusehen und aus der jüdischen Geschichte bekannt.
Bei dieser Prärogative der Pharisäer mochten die Sadducäer, ihre
Antagonisten („r?j? 'Zuddovxaiuv ulpiaetag, oi zr,v ivuvziuv zoTg <t>upi-
ouioig n pouipzaiv z^ovaiv. .. “ Ant. 13,10, 6), zumeist den Vornehmen
angehörig, nicht gerne eine obrigkeitliche Stelle bekleidet haben
wegen der keineswegs besonders günstigen Stellung in solcher
Eigenschaft. Jos. Ant. 18, 1, 4: „npdaazzui zz ön' avzüv oCidiv &g
sineXv • önözz yup in’ äpx&S nupilSoizv, dxovaiug piv xui xuz' dvuyxug,
TtpoaxupoOai §' ouv olg 6 (PuptoaTog leyzi, dtu rd pr; ä’Xliüg dvsxrotig
yzvioSou zolg nknSzaiv.“ Vgl. Zon. Ann. 6, 3: „zi di ztvsg avzQv zig
dpx<xg zÄSoizv, npQff^copoöfft zoXg ziZv f&uptauioiv löyoig xui uxovzsg •
od yup ulhjig dvzxzoi doxoöat zoTg nlfiS-zaiv.“ Dass diese Präponderanz
der Pharisäer (sie galten sogar für Propheten im strengsten Sinne
des Wortes; Ant. 17, 2, 4: „npöyvuxnv de inzniazzuvzo iniipoizr,azi
zov @soö“) gar bald zu gewaltigen Reibungen mit den Sadducäern
führen musste ist ebenfalls durch die jüdische Geschichte dar-
gethan. Jos. Gor. 4, 14: „'löD^ai 'nna Wrt p nn« »31 pi
'»pnitn nt» ay.“ So sprachen dann die Häupter der Pharisäer zur
Königinn Alexandra: „~jban DR 15HD U»R 'pmn nt» DK 1JH*3 fU Hin
'n»nan n"n m mbnb run nitv i 1 ? un»i nnix pt»»#
13^1 nnnn »d by Dtaatwi p^an nbn 't»K
Dm annN opm lam 'pmn it» 'mttn dm innn a»t»nan m-“
Vergl. Jos. Ant. 13, 16, 2: „sva apuzzovai Aloyzvrj xui psr’ udzov
uXXong in uXkoig.... u und B. J. 1, 5, 2 und 3. Es wird uns von
den Pharisäern ferner berichtet, dass sie ganz besonders die Gunst
der Frauen besassen. B. J. 1, S, 2: „Tovzoig (den Pharisäern)
nzpiaadv örj zi npoozixzv r) ’AAefdvdpa, Gzßoixzvyj nzpi zö SzZov. Ot
de zrjv dnközrizu zrig dvSpuinov xuzu pixpöv ümövzsg ’Expars:
oe ziöv ij.zv u'XXoiv uuz'n, (PupiGuioi d' uuzfig.“ Ant. 17, 2, 4: „Kai
•r/v yüp pöptöv zi ’louduixiöv uvSpdtntov in’ z^uxpißchazi p.eyu tppovow
zoO nuzpiou vöp.ou, olg unfjxzo rj yvvuixuvTzig. <t>upiGuioi xaAoöv-
r«' “ Vgl. damit Jos. Gor. 4, 13 : „pikant 1’DIAM Dy p*?an a3t»’1
'»»non m topm nni3^a mdd by nmtya ’mi rann int»K rm:D3^K
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
127
D1>H bs by nbt£»B DH 1 ? jnw WittO-“ Autor Hegesipp. 1,12: „Assuerunt
se Pliarisaei mulieri genus hominum secundum legis doctrinam exer-
citatum, secundum qualitatem affectus callidum, avidum negotiorum,
pecuniae appetens.“ Vgl. damit Jos. Ant. 17, 2, 4 die Fortsetzung
der obigen Stelle: „ßaatlsDai ouvcxy-EVOi p.dhara. dvrmpdaoEiv, 7tpo[xr]-
XC« TOO TtpOUKTOV £1$ TO no’Xsp.SIV T£ X5Ct ß'XdnTfiV iKY]p[XivOl. u
Diese Frauengunst, deren sie sich ganz besonders zu erfreuen
batten, bezog sich doch wohl nur auf pietistische Seelen, deren
es unter den Frauen ganz besonders gibt. Solchen gegenüber
mussten sie bei der strengen Observanz des Ceremonialwesens in
einem gewissen Gerüche der Heiligkeit stehen. Vgl. Lightf. hör.
bebr. in Mth. vol. II, p. 271: „Ut feminis immunitatem a ritibus quam
plurimis, in quibus posita est pars magna religionis iudaicae, indul-
serint dicam? an praescripserint canories eorum infiniti esset operis
singulatim perquirere; quam innumeris vocibus apud pandectum
talmudicum occurrit illud pnao n'JBpl D’tPJ.“
Von dem Augenblicke an aber, als die Pharisäer durch ihr
Symbolum eine politische Rolle zu spielen begannen, war auch der
Grund zum moralischen Ruin des Pharisäismus und zu seiner trauri
gen Berühmtheit gelegt. Von nun an musste er sich zu dem aus
bilden, als dessen Charakteristiken uns Hegesippus angibt: „Secun
dum qualitatem affectus callidum, avidum negotiorum, pecuniae
appetens.“ Hatten früher eine Menge begabter redlicher Köpfe sich
dem Pharisäismus zugewendet, so hatten sie es wegen seines dem
Sadducaismus vorzuziehenden, wenn auch durch das Traditionsthum
entstellten Charakters und aus Begierde, in die Tiefen seines
esoterischen Wissens eingeführt zu werden, gethan. Es waren
Leute, die es ehrlich meinten, die sich der guten Sache, dem Um
sichgreifen des kalten Sadducaismus entgegenzutreten, weihten; mit
dem ostentativen rigorosen Befolgen des Traditionsthumes ver
banden sie noch nicht jene dem späteren Pharisäismus so eigene
Gleissnerei. Seitdem aber derselbe eine politische Rolle zu spielen
anfing, seitdem war der Zudrang zu ihm leider zu seinem Ver
derben gewiss noch grösser — jetzt aber begann der Eigennutz die
Hauptrolle zu spielen. Die mit dem Pharisäismus verbundenen
materiellen Vortheile lockten neben jenen redlichen geistigen Capa
eitäten sehr viele Andere an, deren Streben aber auf Egoismus
basirt war. Diese charakterlosen Pharisaismus-Zöglinge waren das
■Jgm
■mm
128 Alois Müller
Unkraut desselben. Mit ihrem Zudrange ward er von Tag zu
Tag depravirt. Indess ist nicht zu zweifeln, dass es selbst in
diesem späteren, immer mehr und mehr verrotteten Pharisäismus,
trotz der allgemeinen Corruption desselben, dennoch noch immer
Männer gab, die trotz des malitiösen Charakters dieser Corpo
ration eine ehrenvolle Ausnahme machten. Sie waren wohl auch
Säulen der immer mehr und mehr wachsenden beengenden Tra
dition — sie konnten nicht anders handeln, man hatte sich bereits
zu sehr mit der Idee ihrer Göttlichkeit und Nothwendigkeit vertraut
gemacht —; aber das müssen wir sagen, dass solche Charaktere des
Pharisäismus, die unsere Bewunderung verdienen, die Werkheilig
keit der Ceremonie gewiss nicht über den Geist der Religion setzten,
überhaupt frei waren von jenen, von Christus so gerügten argen
Gebrechen der Hauptmasse ihrer Collegen.
Durch den materialen Egoismus also getrieben schwuren eine
Menge schlechter Charaktere zur Fahne des Pharisäismus. Sie wuss
ten gar wohl worin seine mächtige Repräsentirung nach aussen
bestand. Diesen gewichtigen Hebel der Volksgunst, die Werk
heiligkeit, nahmen sie also jetzt ganz besonders in ihre Hände.
Von diesen malitiösen Seelen erst ward sie so recht eigentlich
obenan gestellt, zur Hauptsache der Religion gemacht und so
der Geist derselben in den Hintergrund gerückt — eine Krank
heit, an der der Judaismus seit jeher fortsiecht. Ich will bei
der Charakterlosigkeit seiner nunmehrigen Hauptvertreter auch
gar nicht zweifeln, dass sie es darauf abgesehen hatten, das
Volk in religiösen Aberglauben, ein gutes Antidot gegen die Ab-
schüttelung ihres Joches, und so in geistige Apathie zu wiegen.
Dazu war ihnen ganz besonders die Tradition gut. Vorzüglich durch
diesen, der humanen Moral baren Pharisäismus mag in egoistisch
berechnendem Aberwitze desselben jene so recht um eine Masse spitz
findigen Blendwerkes vermehrt worden sein. Die strenge Observanz
des Traditionsthumes hatte er wohl, vielleicht auch noch in einem
höhern Grade, mit dem alten Pharisäismus, nicht aber den Charakter
mit demselben gemein. Das Traditionswesen galt ihm über alles.
So ist es leicht erklärlich, dass die Schriftgelehrten und Pharisäer
vorwurfsvoll zu Jesu sprachen: „A 1a ri ot p.ct-S'rjrat' aou iztxpaßatvovaiv
rrjv napdctioaiv twv npeaßvripw, oii yccp vinrovrca räg «örüv
Srxv äprov iaSiuaiv.“ Matth. 15, 2. Aber treffend erwiedert ihnen
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
129
Jesus mit den Worten des Propheten (Jes. 29, 13): „Ouzog ö Xadg
zoig yziXsaiv p.z rtp.ä, 77 Se xapStcc aördiv noppw dniysi dn iixov •
[J-dzriv ä£ asßovTcd p.s didäa-MVTEg didxaxalixg ivzdlp.aza ävSpünuv.
a<p£vreg ttjv svzoXriv zoO .5s oO xpxzsTzs rrjv nxpddoan züv äv5pd)?r«v.“
Marc. 7, 6 ff. Doch sie mussten für die nxpddoatg kämpfen, da ja
auf derselben ihre ganze Werkheiligkeit, ihr ganzer Nimbus dem
pNn DJ> gegenüber beruhte. Und auf diese richteten sie, wie wir
sie aus den Schilderungen Jesu kennen, ihr Hauptaugenmerk; durch
sie suchten sie das Volk zu bethören und unter ihrer Wucht es ohn
mächtig zu machen, unfähig für jedes selbstständige Nachdenken
über Jhvh's geoffenbartes Wort, aus schmutziger Sucht, dasselbe
nur um so besser zu gängeln. „'Opärs ßUnszs xizd zrjg &p.rig züv
«Paptaatwv....“ sagt warnend Jesus bei Marc. 8, IS, wenn sie gleich
den Schein des Frommen so weit trieben, dass sie mit Sündern nicht
einmal essen mochten (Luc. 5, 30) und die Sabbatsheiligung t) mit
solcher Scrupulosität eingehalten wissen wollten, dass sie ihr alle
Anforderungen der Humanität hintansetzten. Aber gerade darin
zeigten sie, wessen Geistes Kinder sie waren und dass sie nur an
dem geisttödtenden Buchstaben des Gesetzes hingen. Ihr Herz war
bei der ganzen Strenge, bei dem zur Schau getragenen Eifer für
den Herrn der Heerschaaren eiskalt. Sie waren vollendete öixoxpizxi.
„ Oöai 61j.1v <t*xptaxToi ünoxpircd, ozi xxzEaSisze zag oi/J.ag twv yrjpüv.
dfrjxxzs zx ßxpvzspx zov v6p.ou, zrjv xpcaiv xai rö sXsog xai
zrjv niaziv e<7m,5ev §£ •ys'p.outnv xpnxyrjg xai dxpxoLxg
<t>xpioxioi öffoxpirai, ozt nxpop.oid^£ZE zdtpoig x.sx.ovixp.£voig, oiztvzg
piv <pxtvovzxi mpxloi, eaaiSsv di yspoufftv ogzsojv VExpäiv xai
nda-ng xxxSxpacxg .... 5<peig, yEvvrjp.xzx sy^idvCiv. . . .“ Matth. 23.
Umsonst waren auch Christi Worte, die Eisrinde ihres Herzens zu
schmelzen. An der Humanität haben sie gewiss gröblich sich versündigt.
„’E^eveto di xai sv izeptp axßßxztp eIoeXSetv aöröv slg zrjv (juva^co-
*) Ihren Rigor beweist unter anderem genugsam folgende Stelle: „Schabbath fol.
12, 1: JYirr ruo JYirrrr. Qui pediculum occidit Sabbatho idem
est ac si occideret camelum.“ Nach Schoettg. 120. Vgl. dagegen: „Debarim rabba
sect. 10, pr.: An licet hominem, qui auribus laborat, Sabbato sanare? Resp. Ita
docent Rabb. nostri UN rUTH filtPDJ pDD $>D. Omne periculum vitae
removet Sabbathum. Et sic quoque dolores aurium si cum periculo coniuncti sunt
Sabbatho curari possunt.“ Schoettg. 122 und „Schabb. fol. 12, 1: Nemo consolatur
aegrotos aut invisit lugentes die Sabbatho ex decreto scholae Schammaeanae, sed
Hilleliana illud licitum perhibet.“ Schoettg. 123.
Sit/.b. d. phil.-hist. CI. XXXIV. Bd. 1. Hfl.
9
130
Alois Müller
■yrjv — erzählt uns Lucas 6, 6 ff. -—• xai StSdaxscv. xai y)v ävSpamog
ixsX xai ri y_dp aözoO rj os^id fjv £spd • napizYjpovvzo. Si avzdv of
ypap.p-azeTg xai ot <I>apiaaToc d £v rw aaßßazcü dspansÖEi, iva svpwoiv
xarriyopslv aSzov “ Doch der Gottmensch kümmerte sich wenig
um solche Sabbatsheiligung und heilte; „avzoi St — heisst es
weiter — inkbaSyaav avoiag, xai Siddlovv npäg aXXri'Xovg ri av
norgasiav tü ’Ljaoö.“ Irre ich nicht, so war auch der in Luc. 10,
25 ff. geschilderte Schriftgelehrte, der Christum versuchte mit den
Worten: „AiSaaxale, ri noir,aag ^oiyjv aiuviov xAvjpovofzrjffw;“ und
nach Lösung der Frage erst klar sein wollte darüber: „Kat rig iaziv
p.ov nlziaiov;“ (echt pharisäische Engherzigkeit!) aus der Classe
jener Scheinheiligen, die Christus so trefflich bei jenem Pharisäer
male charakterisirt. Luc. 11, 37 ff. Namentlich hatten sie es darauf
abgesehen, bei ihrem gleissnerischen Pietismus in die Augen zu
fallen „ndvza St zd ipya avzüv noioöaiv npäg tö SsaSrivai zo~.g
dvpünoig“ (Matth. 23, 5), damit ja dem Egoismus Rechnung getra
gen würde. Die äusserlichen Religionsübungen verrichteten sie
gewiss genau und gewissenhaft (Matth. 9, 14; Luc. 11, 39; IS, 12),
wie es aber in ihrem Innern aussah unterliegt keinem Zweifel.
Wie mussten sie jene einfachen aber treffenden Worte Christi bei
Gelegenheit der ihm vorgeführten Ehebreeherinri (Job. 8, 3 ff.):
„'0 dvap.dpzy]zog Cip.töv, npüzog rav XiSov in aäzy ßaXizui“ berührt
haben, wenn sie hinausgingen aus dem Tempel dg xaS' dg Snö zrig
avvEtSvGeug thyxöp.evoii Von ihrer Moral 1 ) überzeugen uns hinläng
lich jene von Christus zu ihnen gesprochenen Worte: „oSai Sp.Tv
6Syyoi zvtploi oi liyovzzg “0? av 6p.6ay £v zo> vauj, oddev iaziv • Sg
d’ av 6p.6ay rtö XP ua V vaoO ofsilsi. p.wpoi xai zvipXoi, zig
yäp [xei^uv iaziv, 6 ri 6 vadg 6 ayidaag zäv ^puaöv;“ Mt. 23,
16 u. 17. Vgl. auch die folgenden und besonders Marc. 7, 11 ff.,
Matth. 15, 5: „S\j.dg St XtyszE ”Og av dny z& nazpi ri zy pwjrpi
Aüipov o idv ££ £p.ov wysAYjSyg, xai od [xyj zi[xr,asi röv nazipa avzov
! ) Treffend bemerkt Procop. Soph. Christ, in Esai., p. 240 (edit. Paris.) zu TTSV^cret
xai yj ap.Tzslog 2e/?ap.a: „££ oiv (2o£dj/.wv) Xccßovzeg 'ypap.p.ct.rzZg xat «Paptffatot
ra <T7repp.ara . . . rop.6pag k'yovreg xXyjp.artöa. diö xai ^eoip^ovai ara^tAyjv
y^oXrjg xai ßorpvv nixpiotg, 6 dk olvog avraiv Suudg dpaxovtwv xai dairl^wv
avtarog.“ Und p. 694: „v$ öi r&v *ypap.pLarewv xai $apt<ja(eov 6‘t^aaxaXla
fJ.v3<j)dqg ciuucc 7rapeixa£otro %uloig xcci XiSoig vjg v$ ev XpiGzcp roffourov
dp.slvo)v Sffov %u\ov yakxog Gi^pog re Xtöou.“
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
131
ft [XYjv TYiripa. adroö.“ Bei Marcus „Kopß&v, ö iauv düpov“ (der
0
Syrer hat an beiden Stellen Wegen der Auffassung der
Stelle s. J. Scaliger Elench. Trihaeres. C. IX und Saalschutz,
Mos. Recht, S. 366 in der Note. Bei solchen groben Vergehen
gegen die Moral ist nicht zu zweifeln, dass sie ungesehen ein ganz
anderes Leben führten, als vor dem pNif DV- Zwar berichtet
Josephus von ihnen: „Ot rs ydp «haptcratot rrjv dt'airav dievrdi&vaiv,
oddev dg ro piaXazchrspov ivdidövreg..(Ant. 18, 1, 3), vergl. Zon.
Ann. 6, 3: „oi piv ydp <Pccpiacäot eötsXcöj dtairßvTca, odd’ imx’XivovTcu
xpog tö p.a\ouÜTepov,“ während wir sie Ant. 13, 10, 5 bei Hyreanus
den Tafelfreuden fröhnend finden: „Kai dV) xalioxg aCnoug £<p' iaria-
an xcä tpäotppovojg öxoftdid[A£vog, £xd atpödpa rjSofxdoug £<i>pcc, Xiysiv
r/p^cao xpög adrod?....“ Dem pNn Di> gegenüber übten sie jedoch
Abtödtung, ja in derselben gingen die späteren Pharisäer, als der
verrottete Pharisäismus bereits seine Existenz fristete und nur noch
aus Trümmern bestand, aus Leuten, die mit dem früheren Pharisäismus
gar nichts gemein hatten, als höchstens auf die Spitze getriebene
Mortification, so weit, dass sie uns fast an die indischen Büsser
erinnern; denn nach S. Epiphanius sollen einige von ihnen zehn oder
acht oder vier Jahre in gänzlicher Enthaltung von Fleischeslust
zugebracht haben, welche Zeit sie beständigem Gebete widmeten.
Damit ja nicht einmal die Nacht demselben verloren ginge, lagen
einige auf so engen Schlafstellen, dass sie im Falle des Einschlafens
auf den Boden fallen mussten und so wieder zum Gebete geweckt
wurden. Andere unterbreiteten sich Kiesel, noch Andere sogar
Dornen (Epiph. adv. haeres. lib. I.). Entsprechend dem Gerüche
der Heiligkeit, welchen sie anstrebten, war sogar auch ihre Beklei
dung, ein nicht unwesentliches Moment dem pttn Dy gegenüber.
Epiphanius wenigstens berichtet uns, dass sie eigene Obergewänder
und eine eigene Fussbekleidung trugen. Ich gebe die corrupte
Stelle nach der Emend. in J. Scalig. Elench. c. XIII. Sie lautet:
„Sid roi Trig dp.xe)(_6vYig, xcä diä rcöv dXkoiv a/rip-dzuv xcä yuvarxtxiZv
tp.cmwv £v rcäg nltxrdoag, £v xprinTai xcä y\d>rzaig rcöv 071’odrjp.ärwv
npdiövzcg.“ f ) Besonders liebten es die Pharisäer, die durch ihre Spitz-
l ) Frauenoberkleider im eigentlichen Sinne des Wortes waren es wohl nicht. Es war
im besetze Mosis strenge verboten. AI. 5,22, 5. Vgl. Saalsch. Mos. R., S. 276. — Diog.
Laert. 3, 51 in Plato : „6 dz (vo^og) xara £3y) ‘ysvop.svog ouzog fypotyog xotkzizou,
9*
132
Alois Müller
findigkeit aus dem Pentateuch herausgeklügelten, allen Juden strenge
vorgeschriebenen Betriemen, die mit einer gewissen Ostenta
tion zu tragen. Sie wollten selbst bei diesem so allgemeinen Gebote
ein Prärogativ haben. „n’Xtxrvvovaiv y&p rä yuXaxrrjpt« adrtöv“
sagt Christus von ihnen (Matth. 23,3). Sie begnügten sich also nicht
mit der gewöhnlichen Breite der Betriemen, sondern, um recht in
die Augen zu fallen, hatten sie ungewöhnlich breite mit ziemlich
grossen Knoten. Auch trugen sie dieselben nicht blos beim Gebete,
wie das übrige Volk, das f>“iNn DP, welches zu grosse Ehrfurcht
gegen sie hatte wegen des auf ihnen so oft verzeichneten mn’,
wesshalb sie einen reinen Körper erfordern, sondern, um zu zeigen,
welche Heiligkeit immer in ihnen wohne, hatten sie dieselben immer
um. Und dies sind die in jener Stelle des Epiphanius vorkommen
den yAtöTTat rtüv Ö7rodv?pt.ärwv. „His enim nihil aeque ac calceorum
et solearum ligulae erat simile tum quod exteriorem formam tum
quoque quia phylacteria brachiis aptata ipsam quodammodo rationem
qua pedi solea alligabatur referebant.“ Wagens. Sota 405. Diesen
Betriemen schrieben sie auch wunderthätige Wirkungen zu. Vgl.
Carpz. App., p. 196. Überhaupt beruhen die j^Dn nur auf ganz
inconsequenter pharisäischer Gesetzesdeutung. Sie sind ein phari
säisches Hirngespinnst, durch Pharisaismusprincip sogar auf Jhvh
zurückgeführt. 0 Die Basis für dieselben sind: Mos. 2, 13, 9;
5, 6, 8; 5, 11, 18. Ich lasse die Stellen der Reihe nach folgen:
„ivn je bv nmtppi ."prp -p’ bv -j 1 ? rpm
ddw j’D rm om* bv mx 1 ? dpin omtppi .“prp
oTov tö *y*jp.vöv izopzvzuSca dg ty)v a»yopav pj&s ywouxelov iptanov nepi-
ßä.WEG3cu. u Es waren also Oberkleider, ähnlich jenen der Frauen, gewiss aber
kürzer. Unter den xprjKLGL sind eine Art Pantoffel zu verstehen. Diese trugen
sie („summa munditiei ipsis cura erat et e publico domum redeuntes ob metum con-
tractae forsitan labis fere semper lavabantur.. .Wagens. Sota, p. 403) wegen ihrer
Bequemlichkeit des Ablegens bei der so häufigen Fusswaschung „ f O \e\ovp.ivog
ovx e/et xpztw nodotg vttpa<j3ai“ Jo. 13, 10 und weil sie nicht geknüpft
zu werden brauchten, was besonders für den Sabbat wichtig war. Wagens. Sota,
p. 403.
1 ) Interessant ist eine Erklärung dieses Wortes, die ich in der oben eilirten Schrift
von Chwolson in einer Note finde. S. Seite 13. Die Stelle zu jenem Worte
ist aus dem Zerdr-ha-Mör des Abraham Saba, eines jüdischen Schriftstellers aus
Spanien, aus dem Ende des 13. Jahrh. S. Buxt. Bibi. rabb. p. 173. Ich gebe sie
wörtlich aus Chwolson’s Schrift. Dort heisst es: „An der zweiten Stelle (fol. 72,
rnansaer una öaaaucaer oaer Judaismus und Mosaismus.
Dass hier nur symbolisch gesprochen ist liegt klar zu Tage. Gibt
man die symbolische Deutung nicht zu, so muss man auch den ersten
Halbvers: „MtPDJ by) by '131 fiN Dnattn“ buchstäblich
fassen; nun gut, man führe es aus, wenn man kann! Vgl. Prov. 3, 3:
„■p 1 ? mb by by ni^p-pn» by natti ton;“ ferner 6,2t;
7, 3. Und nun zur Bekräftigung echt pharisäische Märchen:
„R. Samuel ben David in IDM fol. 8,1: Dixit Deus S. B. ad
Israelitas: Observate praeceptum meum de Tephilin; ego vero id ita
vobis imputabo ac si dies noctesque in lege mea sudaveritis. Mena-
choth fol. 35, 2: ’j’Da "ityp. El paulo post:
R. Simeon Sanctus dixit: Notum est quod ipse Deus S. B. Mosi osten-
derit alligationem Tephillin.“ Nach Schöttgen pag. 196. Vgl. überh.
Blasii Ugolini dissert. de phylact. Hebräor. in Ugol. thes. XXI, 687.
Dieselbe Ostentation wie mit den trieben sie auch mit den
rpsrisr *), daher Christus tadelnd von ihnen sagt: „xai [xsyaXOvovacv
tx xpxansda.“ Vgl. Carpz. p. 197. Dass sie ferner in ihrer gleiss-
nerischen Ascetik, nach Volksgunst haschend und um von bigotten
Frauen manchen Vortheil zu ziehen, an diese grossen rwji sogar
Dornen knüpften, um hin und wieder zur Mortification des Fleisches
von ihnen gestochen zu werden, möchte ich auch nicht bezweifeln.
S. Hieron. zu Mt. 23, 5. Aber gewiss gehört diese Ausschweifung
der pharisäischen Ascetik dem späteren verrotteten, seiner Auflösung
entgegen gehenden Pharisäismus an, demjenigen, der nunmehr nur
auf schwachköpfige Phantasten rechnend, durch ascetische Gaukle-
reien sein eine so wichtige Vergangenheit hinter sich habendes Da
sein fristete. Dieser war aber keineswegs mehr jener antike Phari
säismus, der die esoterische Traditionsgelehrsamkeit vertrat, son
dern ein trauriger Ausbund desselben nur auf seinen Schattenseiten
basirend. Diesen gehören auch jene in den beiden Talmuden, sowohl
im babylonischen als auch im jerusalemischen (B. Talm. Sota,
J. Talm. Berac. und Sota) Talmud angeführten Arten der an,
col. 4) bemerkt der Verfasser zur Erklärung' des Wortes JiDtDItD (Exod. 13, 16)
folgendes: pbru n>iüan rrrnjin iE3Da n'nsa mn ntttn nbomo nmaix
mso$> Drt'j’p pa D>s?J«n ia*®*© msoan o ruNsan mptn nsiaa »vtyjm
rma arnabu? aniai nataai Trub qaa a.i qtoN ia ata anx'ipj aitaa, Man nimmt
zwar gewöhnlich an, dass die Erfindung der Brillen dem 13. Jahrh. n. Chr.
angehört, hier aber siebt man, dass der Gebrauch derselben bei weitem älter ist.“
*) Vgl, Matth. Hill er i dissert. de vest. fimbr. in Ugol. thes. XXI, 613.
i
:»* _ \iv m ' dl
HH
134
Alois Müller
welche sich nur durch die Art der auf die Spitze getriebenen Ascetik
unterschieden. Von dem nailN tt>11D heisst es: „DiTl3N3 ,13nx tailü
Drn3M na.tN KniD x'i’N D^iaa 3'3n ~\b ]'N-“ Vgl. die Stellen in
den betreffenden talmudischen Tractaten und Aruch unter t£>1D. In
dieser Zeit des verkommenen Pharisäismus mögen besonders viele
Frauen zu seiner Fahne geschworen haben, um unter dem Deck
mantel der äusserlichen Ascese nur desto besser ihren bösen Lüsten
frölmen zu können. Die esoterische Gelehrsamkeit hatte er nun
nicht mehr zu vertreten; zum Zwecke der Vertretung einer gleiss-
nerischen Ascese aber waren besonders Frauen geeignet. Nach dem
Grundsätze: „Extreme berühren sich“ war in ihnen Frivolität mit
Frömmelei gepaart. Was für Charaktere diese dem Pharisäismus
angehörigen Frauen waren, sehen wir am besten aus folgender Stelle
des Talm. B. Sota (fol. 32, « der Wiener Ausg. 1 SOS): „n',1 Nin
’bw 'bin i^x m ptPVPB 'iani '»na ntyxi mit? ytan 'taittM'Dn 'in.“
Dazu die Gemara:
„i^a x^tt> jtspi jvaany rtia^Ni ti’j''^ n^ma n"n uiai wiib wx
Kan tixv ma^> pni' 'i iaxni 'j’x ea^w '^aa l^x nn wn lf?
n»att> pm’ 'n n^maa xtan nxi' rua^xa iata f?ia'pi n^inaa
nxiai py p nxia rtaai maxpi noxx '^ina xinnf?
'ja »a i^taa’ "pjö^a pari 'ir dwi nxiai n'p'iü nxia
nmaa'm stntt>'ja 'a mn rua^x Ns'nm rua^xa 'ata ^>ia'p 'ix
ab nb 'ax pni» 'rt n'tana rr’a n'püai x'jix nin xar f?a
naxp 'a >b ta' ma'ao iata x^i ’ai n' 1 ? max “jmaa'tra 'Djan n>a
'a’öi na »am» jua.“ Die Glosse zu n^ina ist: „ri'ja'at xn^ina“
d. i. „n'^na maix na'nta nVma.“ Eine andere: „n^an n^aa.“
Die Glosse zu n'aaita iuo^xi: „mpaai na^in nu'ata n^aa
motaaai maxia S4^x p*xta . a^ia '^>aa i^x 'in : i'an n'mj'ata
jn'inx 1p13' x'ntr m'JplJta jatta nixiai.“ S. ferner die Glosse
über die Joanna filia Retibi. Sie war eine gauklerische, betrü
gerische Witwe. Aus solchen Individuen, wie die hier geschil
derten Frauen, mag damals, als der Pharisäismus bereits seinem
Untergange entgegen ging, zumeist sein Contingent bestanden
haben. Der antike Pharisäismus hatte gewiss ganz andere Männer zu
seinen Vertretern gehabt. Sie trugen wohl ihre strenge Traditions
observanz aus Tendenz zur Schau, waren aber keineswegs noch
jene Heuchler, wie die von Christus geschilderten. Die späteren
Pharisäer aber waren wohl zumeist gleissnerische, scheinheilige
■
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
13o
Charaktere, die mit dieser zur Schau getragenen Scheinheiligkeit
nur einen gewissen materialen Egoismus verbanden. Auf den
DV wirkten sie gewiss ein; dieser ist für solche zur Schau
getragene Heiligkeit immer leicht zu begeistern. Überhaupt nahm
der Pharisäismus, seitdem er eine politische Rolle zu spielen begann,
immer mehr und mehr an Gehalt ab. Von da an begannen sich
Leute ihm zuzuwenden, wie die in der Rede des Königs Jannai
seiner Gemahlinn geschilderten. „’NTfin sagt er, D’tynsn ja
,-ityan jnwaty pam p ptyna p’ttty >aa
Dmaa ptt>paai nat.“ El. Lev. in Tisb.: „n'twx yaa
inx vaa n\s'iaa> bwö tpym maa Dain pxtt> aai^ nun n’ajnn
Dnp’tw D’mun ja »ja mtm »an'xn mitt>an aax pi qto naa
vaüi ititn ouiaix tstn'D o’inaun ja n’anaa gni mnw np'ttta
yataa D’tn DM Dan ’a DHN D'iittP-“ Nicht also die wahren Pharisäer,
die das pharisäische Princip aus Überzeugung seiner Vorzüglichkeit
vor dem Sadducaismus vertreten, sind gefährlich, sondern nur die
gleissnerischen, um den ursprünglichen edlen Geist des Pharisäis
mus sich nicht kümmernden, blos dem Eigennutz ergebenen. Aus
solchen Heuchlern, die aus Egoismus Heiligkeit zur Schau trugen,
bestand wohl fast die ganze Sippschaft des späten Pharisäismus.
Trefflich warnt vor solchen scheinheiligen Frömmlern der durch
tiefe Gelehrsamkeit und wahre, echte Frömmigkeit gleich ausge
zeichnete Hieronymus: „Sunt“, schreibt der grosse Kirchenlehrer,
„quippe nonnullae exterminantes facies suas, ut appareant hominibus
ieiunantes; quae statim ut aliquem viderint, ingemiscunt, demittunt
supercilium, et operta facie, vix unum oculum liberant ad videndum.
Vestis pulla, cingulum sacceum, et sordidis manibus pedibusque, ven-
ter solus, quia videri non potest, aestuat cibo. His quotidie psalmus
ille canitur: Dominus dissipabit ossa hominum sibi placentium. Aliae
virili liabitu, veste mutata, erubescunt esse feminae quod natae sunt,
crinem amputant, et impudenter erigunt facies eunuchinas. Sunt quae
ciliciis vestiuntur, et cucullis fabrefactis, ut ad infantiam redeant, imi-
tantur noctuas et bubones. Sed ne tantum videar disputare de feminis,
viros quoque fuge, quos videris catenatos, quibus feminei contra apo-
stolum crines, hircorum barba, nigrum pallium, et nudi in patientia
frigoris pedes. Haec omnia argumenta sunt diaboli. “ S. Hieron. ad
Eustoch. de custod. virg. ep. XXR. So schrieb Hieronymus, das
Muster wahrer gottgefälliger Frömmigkeit. — Überhaupt scheint
136
Alois Müller
der spätere Pharisäismus als das Endziel, als die Krone seiner Disci-
plin das angesehen zu haben, seine Zöglinge mit wenigen Ausnah
men zu geschickten Heuchlern zu machen, zu Leuten, welche unter
der Maske der Heiligkeit oft die verworfenste Seele trugen, „ndvrtx
ovv dacc tdv sthwaiv 6p.lv noirjaccrs xcd trjpslrs, xccrd di rd ipycc
«Orchv p.ri noielre. Xiyoumv ydp xcd 06 7totoüotv.“ Mt. 23, 3 sagt
treffend Christus von ihnen. Das war in der That das Svmbolum
dieser späteren Pharisäer, das war der Geit, der mit wenigen Aus
nahmen die Esoteren des spätereu Pharisäismus beseelte, das Band,
welches sie umschlang. Und wie wir aus der Geschichte wissen,
sie hatten sich mit der Kenntniss des jüdischen Volkes nicht ver
rechnet. Sie wussten es durch gleissnerische, heilige Worte und
durch scrupulöse Befolgung kleinlicher traditionaler Vorschriften,
verbunden mit ostentativer Mortilication — beides weit leichter als
innere Abtödtung und daher der Plebs auch weit lieber — dahin zu
bringen, dass der Haufe ganz der ihrige war. Dieser Popularität
und des damit verbundenen Einflusses waren sie sich auch bewusst
und scheinen sich darauf sehr viel zu gute gethan zu haben. „ytXoö-
aiv di tyjv itpUTOxfoaiccv iv rolg oänvoig xcd rdg npoiroxadsdpicxg iv
Tods auvccytayalg xcd ro6g danaapovg iv rat? dyopcdg xcd xaXsfaSat
vkö rü>v dvSpwnuiv ßccßßei fiaßßti Mt. 23, 6 u. 7. Und dies
konnten sie leicht thun; ohne Bedenken durften sie jene Auszeich
nungen für sich in Anspruch nehmen. Sie waren ja nichts' weiter als
die Äusserungen der Volksgunst, die sie in so hohem Grade besas-
sen. Dass sie sich besonders der Gunst von pietistischen Frauen zu
erfreuen hatten, darauf habe ich bereits hingewiesen. Dass sie bei
dieser Popularität das ganze Volk geistig beherrschten habe ich im
Laufe ihrer Schilderung dargethan. Ungemein mächtig und aus
gebreitet war der Einfluss des Pharisäismus durch die in seinen
Schulen herangezogenen seit seiner politischen Bedeutung leider
zumeist vom Egoismus geleiteten Schüler. Er war einige Jahrhun
derte hindurch die Lebensader des Judaismus. Frisch und kräftig
stand er da, so lange seine Esoteren edle Gesinnung leitete; seitdem
aber an ihre Stelle schmutziger Eigennutz und die mit ihm ver
bundene Geistesknechtung getreten war, seitdem ging er seinem
4 ) Vergl. Jonae Seerupii dissert. de titulo Rabbi in Ugol. thes. XXI, 1083 und Light,
hör. hebr. in Mt. II, 357.
Pharisäer und Sadducüer oder Judaismus und Mosaismus.
137
Verfalle entgegen. Selbst die wenigen Edlen, die sich in der Masse
jener Sünder am Menschengeiste befanden, selbst diese waren nicht
mehr im Stande, den Ruin der einst so mächtigen Corporation
zu hindern. Deutliche Symptome der Auflösung, welcher der
Pharisäismus entgegen ging, sehen wir in den in seiner eigenen
Mitte ausgebrochenen heftigen Divergenzen, und zwar zwischen
zwei Männern, die beide als Stützen des Pharisäismus dastanden.
Ich meine die Streitigkeiten zwischen der Schule Hillel's und
Schammai's *), von denen der eine den gemilderten, der andere
den schroffen Pharisäismus vertrat. Eine merkwürdige Erschei
nung sind uns diese zwei in dem das Judenthum xar’ reprä-
sentirenden Pharisäismus sich schroff gegenüber stehenden von zwei
mächtigen Geistern geführten Parteien. Diese Secte hatte bereits
ihren Culminationspunct erreicht, der das Judenthum repräsentirende
Pharisäismus hatte seine Aufgabe erfüllt. Er hatte dasselbe gegen
den Sadducaismus kräftig gewahrt und verfochten, bis ihm keine
Gefahr mehr drohte. Er hatte ferner dem Judenthume jene Starrheit
und Abgeschlossenheit gegeben, die seitdem sein Stempel geblieben
ist. Ging der Pharisäismus noch weiter, bestand er noch länger in
seiner früheren mächtigen Kraft, das Judenthum lief Gefahr von ihm.
Er drohte das Gebäude, welches er nicht ohne Mühe und Geistes
aufwand aufgeführt, selbst ohne esvielleicht zu ahnen, allmählich zu
untergraben und endlich ganz zu stürzen. Wir sehen es an Hillel's
und Schammai's Schule. Mit ihrem im Pharisäismus geschulten Geiste
fochten sie über kleinliche Dinge mit solcher Erbitterung, dass man
sich mehr über die Natur der Streitfragen als über die bei des edlen
und sanften Hillel Charakter hieraus erwachsende Todesfeindschaft
wundern muss. Indess es war im Pharisäismus überhaupt üblich
Mücken zu seigen und Kameele zu verschlucken („ö$rj701’ rvipXoi,
ot divli^ovTeg röv xcovwTra, rrjv Si xd^riXov xaraitivovrsg.“ Mt. 23,
24j). Der in ihm zur Maxime gewordene Geist würde sich bitter
gerächt haben — er hatte an der gesunden Vernunft viel gesün
digt. Und in der That, die Geister, des Druckes müde, regten
sich gewaltig, sie seufzten unter dem Joche, welches ihnen der
’) Über Hillel und Schammai s. Jucliasin , S. 17, Zemach David, fol. , i und beson-
ders Gothofr. Engelhard. Geiger eomment. de Hillele et Schainmai in Ugol. thes.
XXI, 1181.
138
Alois Müller
Pharisäismus aufgebürdet, sie suchten die Fessel zu sprengen,
welche er ihnen angelegt — sie sehnten sich in grosser Zahl
nach einem Retter. Und nicht umsonst. Er kam in Christus. Von
dem Umsichgreifen des Christenthums an musste allmählich das
Pharisäerthum in der früheren Bedeutung seine Rolle aufgeben;
denn seine Bestimmung als Basis des Judaismus hatte es erfüllt.
Von nun an musste ein einiges Judenthum schroff dem Christen
thum gegenüber stehen. In ihm ging der echte Pharisäismus auf;
die Esoteren der Traditionsgelehrsamkeit bestanden wohl noch fort,
aber nicht mehr als jene mächtige, schroffe, exclusive Corporation.
In dieser Zeit des Verschwindens des echten antiken Pharisäismus
mögen sich jene durch ihre übertriebene auf die Spitze gestellte
Mortification bekannten Pharisäer, welche auch viele Frauen zu ihren
Mitgliedern zählten, als Ausbund jenes alten gebildet haben. Sie
hatten aber mit ihm nichts gemein als eine übertriebene Ascese.
Gewiss jedoch bestanden Pharisäer solcher Art zur Zeit Christi
noch nicht, da sicherlich ihrer übertriebenen gleissnerischen Morti
fication im neuen Testamente Erwähnung geschähe. Auch Josephus
kennt jene in den oben angeführten talmudischen Tractaten geschil
derten sieben Arten der Pharisäer noch nicht. — Dass Christus
besonders gegen die Pharisäer zu kämpfen hatte ist leicht erklär
lich. Sie waren die Vertreter und Verfechter des beengenden Tra-
ditionsthumes. Diesem den Geist in Fesseln und Banden haltenden
Traditionswesen galt aber vorzüglich der Kampf Christi. Von die
sem allein suchte er den gedrückten Judaismus zu befreien; das
Gesetz selbst war er nicht aufzulösen, sondern zu erfüllen gekom
men. Den Geist des Gesetzes sollte das Judenthum begreifen lernen
und nicht ferner am todten Buchstaben festhalten. — Dass wir im
neuen Testamente im Vergleich zu den Pharisäern so wenige Nach
richten über die Sadducäer haben, geht aus der Natur ihrer Stellung
hervor. Um selbstständig eine mächtige Opposition gegen Christus
zu bilden, waren sie zu unbedeutend; darin scheinen sie mit den
Pharisäern gemeinsame Sache gemacht zu haben. Ihre Lehre konnte
eben so wenig wie die der Pharisäer dem erhabenen Geiste des
Gottmenschen Christi genügen. „’Opärs xcä npoai^srs and rrjs
twv «Fapiffai'wv xai Saddovxaicov“ sagt Christus warnend zu seinen
Jüngern. Mt. 16, 6. Gehen wir nunmehr zur Dogmatik der Phari
säer und Sadducäer über.
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
139
Betrachten wir das Lehrgebäude des Pharisäismus und Sad-
ducaismus, so ist das Charakteristische des ersteren eine tiefe
Speculation, deren der Sadducaismus entbehrt. Diese hatte, wie
ich im Laufe meiner Abhandlung angedeutet, in dem für das jüdi
sche Volk so wichtig gewordenen Babylonien, dem gebildetsten
Lande Vorderasiens, durch dessen Influenzirung auf den Mosaismus
den Anstoss zu ihrer Entstehung gefunden, wenn die Keime dazu
theilweise auch schon vorhanden waren. Die Auffassung und Fort
entwickelung der fremden Ideen war jedenfalls eine mehr selbst
ständige, eine dem jüdischen Geiste entsprechende. Vor dem Exile
finden wir jene Speculation des Pharisäismus wenigstens in der Form
und Vollendung nicht. Es ist also kein Zweifel, dass sie in dem
Lande des Exils durch Bekanntwerdung mit der hohen babylonischen
Geistescultur und die nunmehrige starke geistige Thätigkeit der
Juden auf Grundlage der bereits vorhandenen mosaischen Ideen
ihre Entstehung und eine dem jüdischen Geiste entsprechende Ent
wickelung fand. Als Beweis für meine hier ausgesprochene Ansicht
diene vorzüglich die erst seit dem Exile auftauchende, später immer
mehr zur Geltung, ja zum Dogma gelangende Lehre von der leib
lichen Auferstehung. Wir finden sie zuerst vorgetragen bei Ezechiel
Cap. 37: „mpm twn rum : nioity n\yi nypan -pna unum
nmf?r mpu nbv *imi anu an'by rum wtni : btt na» masut
om^jn by noim rmi mm am warn :am j»k nm nbyabn w
aariN »mWm amnmp ntt nno un nun : aa» iKa b'n
tzD'nimpa1, 7, 8, 10, 12. Hier also haben wir ganz deutlich die
leibliche Auferstehung. Gewiss erzeugte dies Bild nicht die feu
rige Imagination des Propheten, sondern es beruht unzweifelhaft auf
einer ihm in Babylonien gewordenen Anschauung. Ob sie in dieser
Fassung streng babylonisch oder bereits mit hebräischer Auffassung
vermischt ist, lassen wir dahingestellt. Wir finden sie auch bei
Jes. 26, 19: „bü 13 mit uoe> um urpn paip’ uifuu “pna rm
JiVTlN“ in einer Stelle, welche ihrer Abfassung nach gewiss in
eine viel spätere Zeit als die des Jesaias herabgeht. Vgl. De Wette
Lehrb. der hist.-krit. Einleitung, S. 284, Note c: „Gesenius und
andere setzen die Abfassung (der cc. XXIV—XXVII) gegen das
Ende des Exils, Knobel an den Anfang desselben, Ewald in die
Zeit des Kambyses.“ Ganz klar ausgesprochen finden wir ferner
das Dogma der leiblichen Auferstehung bei Dan. 12, 2: „ut£Pa U’am
140
Alois Müller
fl^Nl t&iy "fl 1 ? Tü'p 1 "löy nö“m“; in einem
Buche also, das seiner Abfassung nach einer bei weitem späteren
Zeit als der des Daniel angehört. Über die Unechtheit des Buches
s. De Wette S. 344 und bes. S. 351: „Zur Zeit des Antiochus
Epiphanes, als das Prophetenthum längst erloschen war, wollte ein
jüdischer Vaterlandsfreund seine duldenden und kämpfenden Volks
genossen aufrichten und stärken durch apokalyptische Weissagungen
von dem bevorstehenden Siege der Theokratie, die'er zur besseren
Beglaubigung und zum Ersätze der mangelnden eigenen Glaub
würdigkeit dem alten Seher Daniel, von welchem vielleicht schon
die Sage erzählte, zuschrieb 1 ).“ Dass diese Auferstehungstheorie
der vorexilischen Zeit entschieden fremd ist, bedarf keines Be
weises. Wir finden sie nirgends in den vorexilischen Büchern. Ihre
Entstehung ist unter jeder Bedingung in Babylonien zu suchen; hier
war sie heimisch. Dass dieselbe von den Griechen auf die Mager
der Perser zurückgeführt ward, darf uns nicht Wunder nehmen. Diog.
Laert.Prooem. 6: „"Os (&s6nofxnog)y.xi ävaßttiKjeaSai, xarä. roü?Ma-
yov?, <pY)oiroi>s ävSpünovt;, xod iasaSaci däavdrovg.“ Die persischen
Mager yap nexpd. piv Uspacag Mdyovg“ Prooem. 1 und
„dnö 8i rtäv Mäywv, tov äp£at Ltäpotkarpriv rov lUpayv“ Prooem. 2)
als Urheber derselben lagen den Griechen wohl näher als die Weisen
der Babylonier und überhaupt scheint man schon damals sich der
Quelle derselben nicht mehr recht bewusst gewesen zu sein. Dass
die Auferstehungslehre nicht ursprünglich persischen Ursprunges sei,
ist durch die neuesten Forschungen im Gebiete dieser Literatur so
4 ) Besonders seit den letzten Decennien des vorigen Jahrh. ward nach dem Vorgänge
des antichristliehen Porphyrius die Echtheit des Buches gewaltig bestritten. Seine
Apologie unternahmen: Hieron., Euseb. von Caesarea, Method. von Tyrus und
Apollinnr. von Laodicea in Syrien. Nicht ganz sondern nur theilweise bestritten
ward das Buch von Spinoza in seinem tract. theol. polit. Weiter ging Uriel
Akosta. Wolf. bibl. hebr. 2, 161: „Longius procedere ausus est Uriel Acosta ex
Judaeo atheus .... affirmavit librum hunc ad exemplum libri Judith et libri 3.
et 4. Esdrae confictum esse a recentioribus idque in Pharisaeorum gratiam.“
Vergl. Keil, Einleitung in das A. T. 2. Aufl. 1859. S. 396. Über die moderne
Kritik äussert sich Delitzsch in dem Artikel Daniel (in Herzog’s theol. Realencycl.
3, 272) also: „Sie steht auf dem Standpuncte des Porphyrius und schwerlich hat
sich dieser so hämisch und satyrisch über das Buch ausgelassen, wie zuletzt Hitzig
der Heinrich Heine der bibl. Kritik.“ Doch mag diese auf welchem
Standpuncte immer stehen, das Resultat der „historischen“ Forschung setzt es
mit voller Berechtigung in die Zeit des Antiochus Epiphanes. Vergl, Hilgenfeld,
die jüdische Apokalyptik , S. 17 ft'.
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
141
ziemlich erwiesen. „Die Einführung des Bilderdienstes durch Ar-
taxerxes, den Sohn des Ochus, bezeugt Clemens Alexandrinus. In
diese Zeit müssen wir wohl auch die Entstehung der parsischen
Lehre von der Auferstehung setzen. Wie die neuesten Forschungen
über das Avesta gezeigt haben, ist die Lehre von der Auferstehung
dem Avesta nicht eigenthümlich.“ Avesta von Spiegel, I. Bd.,
S. IS. Siehe ferner Zeitschr. der D. Morg. Gesellsch. I, 260 fl’.:
Über die Eschatologie der Parsen. Nach diesem also ist so ziemlich
gewiss, dass wir die Entstehung dieser Lehre in Babylonien zu
suchen haben. Von hier aus holten sie auch die Juden. Dass die
selbe, als dem alten Mosaismus nicht eigenthümlich, auch nicht
alsobald allgemeine Anerkennung fand, sondern vorzüglich spe-
ciales Gut der Esoteren des Pharisäismus war, ist aus dem Schwan
ken der auf sie Bezug habenden Ideen in den nachexilischen Büchern
oflenbar. Am klarsten finden wir sie in den späteren Schriften vor
getragen im zweiten Buche der Makkabäer. Vgl. 2, 7, 9: „6 de rov
x6ap.ov ßxaikztig dnoSxvövrxg v[J.ccg önip tüv caJroO vopicov eig xicb-
viov dvxßttofftv £a>vj? -^p-xg dvxarfiasi. u 2, 7, 14: „aol fxiv yap dvd-
arxmg sig £wvjv odx iorxi.“ 2, 12, 43 u. 44. „TzoirjodpEvög re xxr' xv-
dpaXoyt'av xxzxaxEvdoixxrx dg apyvpiov dpa^p.dg Siayji'Xixg, drdaTsi-
Aev dg 'hpoaölvjxx npoaxyxysiv nepi dp-xprixg Suaixv, ndvv xaAcö?
xxi dazdutg arpäTTtov, bnip dvxardas^g dixloyi£6p.Evog. d ydp pfj
roug npOKExrtjixÖTag dvxazijvxi npoatdoxa, nzpiaadv xv rjv xxi Ar/ptödes
önip vexp&v izpoasöxeoSxt:“ In diesen Stellen ist deutlich der
Glaube an eine Auferstehung Aller, sowohl der Guten als auch der
Bösen, ausgesprochen wie in Daniel. Man lasse sich ja nicht irre
führen von der Stelle 2, 7, 14, wonach man nur auf eine Auferste
hung der Guten schliessen könnte, „dg ^ooriv“ ist wohl nichts anderes
als das „D^ip ”n“ des Daniel. Analog ist Act. 24, 15: „ilniftx dg
röv $söv, rjv xxi xvroi ovroi KpoaSiy^ovTxi^ dvdarxaiv pellsiv zaicSxi
aixxiwv re xxi ddixwv.“ Vgl. D. Kimchi zu einer Psalmstelle: „n’nn DX1
n’aan pa npi^no nt anx bzb a’nan n”nn.“ Pirk. Ab. 4, 22: „xm
in 1 ? D”nm nrn*? a>nam ma^ am^n naix rrn nepn "ni^x *an).“
Sanhedrin Mischna 11, 1: „l^xi Man pbn anb W ^>xnt£P *?a
min j>x D*nan n”nn px naixn xan nbwb pbn an 1 ? pxt£>
tam^m n’iwrnn anaaa xnpn tjx naix xa’py n ditip*bxi a’atpn ja
’JX »a b>e>x ab anitaa ’natt» ntax n^nan f?a naixi na an bv
Pnrmxa an>n nx nmnn ejx naix ^ixt£> nax -jxain -n.“ Vgl. dazu den
142
A i o i s Müller
Comment. von Bertiuoro und Rarnbam. D. Kimcli. loc. eit.: „rp'JlD
nwi^ D’p’Tü 1 ? n’nan n”nn »a xin nabnn.“ „Taanith fol. 7,1.
Dixit R. Afhu: Dies quo pluvia demittitur maior est resurrectione
mortuorum. Haec enim ad solos iustos perlinet pa D’BtJBi
D’Utsn^ pa d’pnit^ pluvia vero ad iustos et impios.“ Nach Schoett-
gen hör. hehr. p. 47. „Bammidbar rahba sect. 10, fol. 206, 4. Dixit
R. Chanan: Vinum non creatum est in hoc mundo nisi ut detur
impiis portio sua in hoc mundo Nan o^ipa D’TDN Ont£> nam illi
perditi erunt in mundo futuro.“ Schoettg. 103. Diese nTiBH mim ‘)
bezieht sich also nur auf die Gerechten; es ist daher unter ihr nicht
die Auferstehung im Allgemeinen, sondern special die Auferstehung
zum »m zu verstehen. Natürlich bezieht sich dieses Theorem
zunächst wohl nur auf die Israeliten. Vgl. jedoch in Sanh. 11, 2.
Dazu Bertinoro: „quia statuimus quod pii gentiles mundi futuri par-
ticipes sunt.“ Nach Surenh. Ebendort sagt Cocceius: „Nam '"Port
niBlN pii e gentibus participes vitae aeternae erunt inquit Mai-
monides.“ Vgl. überhaupt Pauli Slevogti disputatio de metempsy-
cliosi Judaeorum in Ugol. thes. XXII, 277. Dort heisst es unter
anderem: „Cum enim Ebraei üma mrm resurrectionem mortuo
rum solis attribuunt piis non est ut quis inde colligat impios non
esse resurrecturos. Neque enim hoc ex eo sequitur sed illud tantum
quod impii resurrecturi non sint ad vitam aeternam. Per aman JV’irn
enim non intelligunt resurrectionem simpliciter sed eam quae ad
salutem est.“ p. 283. Welche Israeliten unter den D'l>t£>T hei Kimchi
gemeint sind geht aus der oben citirten Stelle des Talmud hervor s ).
*) Sie ist gleichbedeutend mit dem ton Über diesen heisst es: „Caeterum
tOrt mundus futurus, de quo hie sermo est, est mundus, qui post resurrectio-
nem mortuorum futurus est, quando vivi et stabiles corpore animoque resuscita-
kuntur uti sol luua et stellae, sicuti Gemara dicit ad hocce caput, mortui qui
reviviscent non redibunt in pulverem suuin; at in mundo futuro non erit esca nec
potus etsi adsint corpora; nam iusti gestabunt coronas in capitibus suis et delec-
tabuntur luce divina.“ Bertinoro zur oben citirten Miscbnastelle nach Surenhus.
Vgl. dazu Rarnbam. — Rer Autor des flp^N 1DD rechnet die D>Dön n^tlD
unter die mört.1 Dort heisst es: „Dail D’Han n”tin
IDp DÖTK In der Ausg. von Hulsius S. 159. Rarnbam rechnet sie
unter die 13 Glaubensartikel: DWÖfT
2 ) Eine sonderbare Kategorie von sind jene von dem JOil ausgeschlos
senen. Bertinoro bemerkt gleich zu den ersten Worten „p£>n Dil^
«in „etiam illis, qui ob improbitatem suam a synedrio condemnati sunt
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
143
Dieses Dogma also von der leiblichen Auferstehung ward von den
Sadducäern, nach ihrer Verwerfung der zum geschriebenen Gesetze
binzugekommenen Tradition und nach ihrer Zurückgehung auf den
blossen Pentateuch und ihrer Anklammerung an ihn, den sie sogar als
die Basis aller Dogmatik ansahen, als nicht in demselben ausgespro
chen, verworfen, während die Pharisäer es zum Glaubensartikel
erhoben hatten. Act. 23, 6: „yvoiig di 6 üccöAos' 5rt r6 'iv pepog laziv
Zxddovxxcwv rö di erepov <Pap«7atwv, expx^ev iv töi ovvedp'up ”Avdpeg
ädetyoi, iych <Pxpiaxiög ei/xc, uiäg (pxpcoxicov • irepi iXnidog xxi xvx-
arxaeoig vsxpcöv eyui xpivopxi.“ 23, 8: „SaddouxxToi piv -)xp Hyovaiv
pr) elvxi xvxorxoiv...Matth. 22, 23: „Sxddovxxloi, oi leyovreg pri
elvxi dvxarxaiv.. . “ Luc. 20, 37: „on di eyeipovrxi oi vexpoi, xxi
MoiOarig ip^vvaev. . . Die Sadducäer also leugneten die leibliche
Auferstehung des Dogma’s der Pharisäer als im Gesetze Mosis, ihrer
dogmatischen Basis, nicht ausgesprochen. Gerade desswegen, nicht
aber als ob sie die Propheten verwürfen, berief sich Jesus bei
Gelegenheit der ihm von den Sadducäern gelegten verfänglichen
Frage von den sieben Brüdern, die nach einander ein und dasselbe
Weib gehabt, „iv ry xvxarxaet, Srxv xvxariöaiv, rivog xvrüv earxi
yvvo;“ Mr. 12, 23 auf das von ihnen so sehr in Ehren gehaltene
und als Basis ihrer Dogmatik angesehene geschriebene Gesetz, um
selbst daraus diese erhabene Lehre, wenn auch nicht damals schon
in dieser pharisäischen Entwickelung und Gestalt, also doch wenig
stens in der Idee gewisser grosser Geister vorhanden herzuleiten.
Treffend also, ohne dass ihm diese mit ihren spitzen Gegenbeweisen
so Gerüsteten ein Wort erwiedern konnten, stopfte er ihnen den
mortis.“ (!) Eine saubere Gesellschaft, in der sich Mörder, Kinder, die sich an
ihren Eltern vergriffen, Menschenräuber, Ehebrecher, Piiderasten, Viehschiinder,
Lügenpropheten, Sabbatschänder, Gotteslästerer, Götzendiener, Zauberer, Wahr
sager und Insubordinate gegen das Obergericht befinden. (Saalsch. M. R. S. 453.)
Eine schöne Krone, unter diesen zu sein! Non equidem invideo miror inagis!
Jene von dem {Of7 dHv Ausgeschiedenen beruhen auf echt pharisäischer Anschau
ung. Ganz originell, der echt jüdischen Exclusivitiit aber vollkommen entsprechend,
ist die Ausschliessung des DM13£*nn D'IDDU KTIpn* Dazu ßertinorö: „Id est in
libris haereticorum, uti sunt libri Aristotelis Graeci(!) eiusque sequacium et eorum,
qui regum gentilium chronica vel poetarum carmina amatoria legunt, in quibus
nulla utilitas sed merum damnum est.“ Nach Surenhus. Wehe also den classisch
gebildeten Juden! — Mit den Anforderungen an die fHölK H'DPt mögen
sie wohl strenger sein.
jsm
mä0.
144 AloisMüller
Mund und widerlegte nebenbei ihre Leugnung des Auferstehungs-
dogma’s durch die herrlichen Worte: „kepi de twv vsxpwv, Sri iyel-
povrai, odx dviyvans iv ry ßiß^io Mwüaiwg int roö ßdrov x&g sinev
adrw d Ssog Asywv ’Eyw d .Sso? ’Aßpadp xcä Seög ’laccdx xcä Sedg
’Ia*wj3; oOx ianv Sedg vsxptZv dl\d £wvrwv • rcoAü reAaväa^e.“ Mr. 12,
26 u. 27. Vgl. die Parallelstelle bei Lucas und bemerke bes. den Aus
druck ipYjvuffev. Dieser allerdings sehr schwierige Beweis aus den
angeführten einfachen Worten des Pentateuchs, da es doch schlagende
Beweisstellen in den Propheten gibt, gab Veranlassung zu dem
Glauben, dass die Sadducäer nur das geschriebene Gesetz Mosis,
die nun, anerkannten, die Propheten aber verwarfen, da
doch sonst unmöglich Christus diesen Beweis geführt, sondern
lieber zu den klaren prophetischen Stellen gegriffen hätte. S. Hieron.
zu Matth. 22: „Hi quinque tantum libros Moysi recipiebant prophe-
tarum vaticinia respuentes.“ Tertull. de praescript. haeret. 46:
„Dositheum inquam Samaritanum, qui primus ausus est prophetas
quasi non in spiritu sancto locutos repudiare. Taceo Sadducaeos,
qui ex huius erroris radice surgentes . . .“ Dagegen Jos. Apion.
1, 8: „06 ydp pvpiadsg ßißX'iwv dal na.p' rjp.iv davpipwvwv xai puya-
pivwv dvo di pova npdg roig dxoai ßißXlcc, roO nci.vrog-E'/ovra ^povov
rrjv dvaypa<priv : rd dixodug Ssia neniareapiva. .... Iläcrt di avp-
ipvröv ianv sdSüg ix rrjg npiörrjg ysviaswg ’loudaioi? ro vopi&iv adra
0£oö döypara, xcä rovroig ippivsiv, xcä vxip adrwv, d diot, Svriaxsiv
rjüswf.“ Vgl. ferner J. Scalig. Elench. 416. Der schlagendste Beweis
aber gegen die von Hieronymus aus dem Beweisgange Christi gefol
gerte Annahme der Verwerfung der Propheten von den Sadducäern
ist folgende Stelle aus Sanhedrin, in welcher dieselben gerade aus
den Propheten und den anderen heiligen Schriften, den DWtiJ und
nmno, widerlegt worden. B. Tract. Sanhedrin in derGemara, 9. Bd.,
fol. 5t, b d. Wiener Ausg. „7Dp*7t£> JMa !?X'^aJ p7 fix ppm 1^>XI2>
top x 1 ?! n’nron ;ai awnn jai minn ja nnb 7ax n’na nvna
... Dpi -pmax ny aans> 717 7t»a f?x '7 7ax>i i’roi minn ja uaa"
Vgl. überhaupt die ganze Stelle. Genug, sie ist uns ein hinläng
licher Beweis gegen Hieronymus. Interessant ist der erste Beweis
des Gamliel aus der Torah; er zeigt uns schlagend, dass zu seiner
Zeit der Bibeltext noch nicht anders war als in jener gleich im
Anfänge meiner Abhandlung angeführten Stelle aus Elias Lev.
Mas. Ham.: „X"7 tnx plDDD m\7 77177 bs 7 J ?Dp7 >*?ya ny7 >Elbl
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
i4ä
nnK ni’n ‘). K Unmöglich hätte sonst Gamliel die Worte so zusam
menstellen können. Und richtig, die Sadducäer schlagen ihn mit der
Antwort, man müsse vielleicht sagen: „ron ntn Dyn Dpi.“ Dies ist
auch die dem Sinne entsprechende Lesung. Überhaupt ist obiger
Beweis des Gamliel ein nach pharisäischer Methode weit herge
holter und auf die Spitze gestellter. Ebenso widerlegen sie seine
anderen Beweise aus den D’N’aJ und D’UirD durch eine andere
Auffassung und Deutung der Worte. Sie leugneten also überhaupt
diese in dem geschriebenen Gesetze Mosis nicht klar und in dieser
Fassung ausgesprochene Lehre von der leiblichen Auferstehung und
conformirten auch die klaren Worte der späteren canonischen Bücher
ihrem Dogma gemäss 2 ). — Enge zusammenhängend mit dieser
Lehre von der leiblichen Auferstehung war offenbar die Lehre von
*) Zu weit getrieben ist wohl die malitiös-pharisäische Lüge, wenn sie ohne zu errö-
then zu behaupten wagt: „>J>DÖ fl^p DlplJm HlpJ, id est puncta et
vocalis acceptio sunt Mosis de monte Sinai. NT *?]) 1ö>>p »yun
motiones aceentuum firm ata e sunt omnes per manum Mosis. NÜTp
«na aaanN n$>bi mpn mma na pins bsb iTrui. non
est subsistentia aut lux ullis literis sine luce punctorum et tolumiliud tradituin est
per secretum legis in Sinai.“ Aus dem Sohar chadasch. Nach ßuxt. Bibi. rabb. p. 71.
2 ) Auf zwei über diesen Artikel handelnde sehr lehrreiche jüdische Schriften kann
ich leider nur hinweisen. Mir blieben sie, trotz all meines Bemühens sie zu erlan
gen , leider nur ein frommer Wunsch. Ich meine die beiden über dieses Thema
handelnden Schriften von Menasse ben Israel und R. Machir. Die erstere ist beti
telt: „De la resurreccion de los muertes.“ Libr. III. Drei Bücher über die
Auferstehung der Todten, das jüngste Gericht und Erneuerung der Welt, gegen
die Sadducäer gerichtet. In spanischer Sprache gedruckt. Amsterd. 1636. 12.
(BI. 187); in lateinischer Übersetzung vom Verfasser selbst unter dem Titel: „libri
tres de resurrectione etc.“ ibid. 1636. 8. (S. 346). Fürst, Bibi. iud. 2. Th.,
S. 3o5. Die letztere Schrift, die des R. Machir, ist betitelt: Dp^N
Vgl. darüber Fürst und ßuxt. Sie enthält drei Bücher. Mir war leider nur die
Ausgabe von Hulsius, welche nur das erste Buch enthält, zugänglich. Vom
zweiten Buche, welches gerade über die Seele handelt, kann ich nur den
Inhalt nach der Ausgabe des Hulsius geben. „niliWl 11 ^I^T PJttM IDDrt
Narr ahy mai rvnnn ins nauun >j*jya o*5>vm nimm tajiyi aaen a>a.jn
nya-wi» p^nnn nwnpn li'mina D*w»naan nya rua Nim u*ruiaN >aa
ruNi nvt >ab fpirt ja rrnan ihn »bjh pjya -ma» piwnn pi>nn — ,n*pi>n
p^nn — .ahyrt n?a nwai> iu>n msna^ num of>ivrr ma nass ihn “j$>n
tid nw >m rfaa bw ajm: inai naa bw Djnoa nwoan pn pjya nNa> >mn
a^iyn na pjya nN3> pi>nn —. n$>ya bv mn»J inai nbya bw ojn*J
pi>nn — .«an ab^b pbn anb ©» £>Nna> bj tidi Naa of>iy wiNnp na^i nan
t]Ua a»n DDiN a>tyn$>i nvnni» na"pn Tnyt» n>nan n>nn pjya iNa> *y>ain
D’nan n>>nn moa D>piayi d*5>vm mmD naa man» iai n^nna wnb nacui
ann am Na^y >in$> >ju> *b^n n>iy naNai >y>aty ^n tid iNan> iai.“
Hulsius p. 2.
Sitzb, d. phil.-hist. CI. XXXIV, Bd. I. Hft,
io
146
Alois M ii I I e r
der Seele lind ihrer Existenz nach der Trennung vom Leibe. Jos.
Ant. 18, 1, 3: „’A-9-dvaröv rs ia^vv rat? ipu^atg ntazig adrot? etvai,
xai v7td y_3ovog oixaicnasi? re xat zip.äg olg apezfig rj xaxiag iruzii-
devaig iv zü ßteo yiyovs, xai rat? piv eipypöv didtov npoziSeaSai,
rat? öi pavTcjjvYiv roö avaßiovv.“ B. J. 2, 8, 14: de nrätrav
piv ätpSapzov, pezaßaivetv di elg ezepov aö>pa rr)v rcöv ä^a^töv
ptovrjv, rvjv ds tojv yaüXwv atdt'tp ripwpia zoXä^d^at.“ B. J. 3, 8, S:
„Tä pe'v 7s o6>p.aza 5vr)za ffätxt xai ix (pSapzyg öAvj? dripiovpyelzai •
\]/vyjti di dSavazog dd xai 0soO pofpa rot? ffwpauiv ivoixiCezat.“ Vgl.
überhaupt diese herrliche Rede des Josephus gegen den Selbstmord.
Nach der Theorie der Pharisäer also war die menschliche Seele etwas
Geistiges, Übersinnliches, Göttliches— izveOpa und als solches natür
lich unsterblich. Dag. Act. 23, 8: „haddwxaioi piv 7dp ’Xiyouaiv pri
eivai jtvedpa, fPapiaacot di opoloyoüaiv. . . .“ Die Unsterblichkeit der
Seele also war den Pharisäern ein festes Dogma. Nothwendig damit
zusammenhängend ist die Lehre von der Vergeltung. Die Seelen
aller sind unter der Erde, und zwar Belohnungen oder Strafen erlei
dend. Aber nur die Seelen der Guten allein haben den Vorzug des
„dva(Btoüv, peraßaivsiv dg ezepov awpa.“ Die Verwerfung dieser
Theorien von den Sadducäern war innig zusammenhängend mit der
Leugnung der Auferstehungstheorie und ihrem Festhalten an der
Dogmatik des Pentateuchs. Ant. 18, 1, 4: „2addovxaloig di zag
Tp'jy.dg 6 Xo70? o-jva<pavitlEi zeig Gutpaoi.“ B. J. 2, 8, 14: „tPo^-ij? ze
zriv diapovyv xai zag xa$' adou zipwpiag xai zipäg avaipovai.“ Aber
wenn wir auch alles dieses von den Sadducäern zugehen, dürfen wir
desswegen doch noch nicht einen schlechten Schluss auf ihre Moral
machen. Die wahre, lautere Moral ist weder von Belohnungen noch
von Strafen abhängig. — Die Pharisäer also glaubten an die Un
sterblichkeit der Seele und eine Belohnung oder Bestrafung nach
dem Tode, nahmen jedoch zugleich eine pszep^vy_oiaig ‘), aber mit
der Einschränkung an, dass sie dieselbe nur auf die Seelen der
Guten bezogen. Matth. 16, 13 fragt Jesus seine Jünger: „Ttv«
’XeyovGiv oi ävSpoinot eivat röv vtöv zoii dv£pdmov; u und erhält von
ihnen zur Antwort: „Oi piv ’I«ävvvvv zöv ßanzioz-fo, äXXoi di 'HXiav,
szspoi di 'lepepiav yi iva zöiv npofr^zöivmit Rücksicht auf die im
pharisäischen Dogma liegende Metempsychose. Vgl. mit diesem
l ) Vgl. „De inigTalione nnminriini“ in Lübeck Aglaophamiis II. T9J>.
Pharisäer und Sadduciier oder Judaismus und Mosaismus.
147
Lehrsätze die Stelle bei Joa. 9, 1 u. 2: „Kai napäyon idsv ävSpw-
7rov Tinplöv iy. ■ysvsrvjs'• xai ^pcorr/aav cc’jräv oi [xaSr/rai avrov Xiyovrsg
’Pcxßßei, rtg fj[xxprsv, ovrog yj oi yovslg aüroö, iva zv'plög ■ysvvvj^'ij;“
Sie steht mit der pharisäischen Ansicht „rat? os (den Guten) j5aaTd>-
vyjv zoü dvaßiovv“ „[xszaßocivsiv di sig izspov <jüp.« ryjv rtüv ä^a^tüv
plövyjv“ geradezu im Widerspruche. Dieser schwindet ganz durch
folgende Auffassung der Stelle: „Meister, wer hat gesündigt; der
Blinde selbst, so dass er wegen seiner Sünde mit Blindheit gestraft
wurde, oder seine Altern, deren Vergehen an ihm gerächt ward, so
dass er blind zur Welt kam?“ Dies scheint mir die einzig richtige
Lösung dieser der pharisäischen Metempsychose geradezu wider
sprechenden Stelle. Dass es gleich im Anfänge heisst ropAöv ex
•yEvsTYjg, hat nichts zur Sache; dies Hysteronproteron dürfen wir
nicht so strenge nehmen. Die Jünger konnten wohl schwerlich
wissen, ob der Blinde von Natur aus mit Blindheit behaftet war,
oder erst später das Augenlicht verlor. Vgl. zu dieser Stelle
Lightf. hör. hehr, in Joa. II, 638. — Die Pharisäer also nahmen
die Metempsychose nur für die Seelen der Guten an. „Putamus
enim transanimationis doctrinam varie fuisse traditam et eam aliis
extendentibus ad brutorum etiam animas Pharisaeos restrinxisse ad
animas duntaxat bonorum, quod unum est.“ Slevogtus. Ugol. XXII,
284. Bezüglich des frspov ocZp.a siehe D. Kimchi über Elia in Reg.,
dort heisst]es? „pttmn loua tnaj nnPti> wotw at»'
tiD’ ba niD’ bs iniP>a pan Pn aty pmm idu >a.“ Aus Slev. „Ergo
to szspov etiam apud Josephum essentialem diversitatem significat non
accidentalem solum.“ Slev. Ugol. XXII. 284. Der Auferstehung wider
streitet die Metempsychose nicht. Im Buche Sohar, Parasch. mt£>
heisst es unter anderem: „pyn’l Jlölp’ pau Pa \S‘ n>prn '1 löK
bADu ’dp »an nax in: 1 » Nnn na ton Nnotwa lyajnxn jrrx
niN* t'tpna ntnts» nPiNi yainNn mp> nxnna.“ Nach Slev.
Nicht zu übergehen ist bei dieser Gelegenheit die rabbinische
Lehre über den sogenannten pp. Sie wird am klarsten aus
den Worten El. Levita’s in Tisb. „nana^ DJinar u»nian nin PP
cp-Qpjm Pxnan pxa anapjn pi i»n» sb avtan n«nna »a
iPpn»» naP nstn nPna PP -pn n^n a”n dj»n pN 1 ? nmna
nPna PjP Nipj inn i»n» nan Pob>» pN “[in n>> itpnpn nnn
natua» naif? »atsw ptP>a nayn nnn mPPi nn»an am
PuP n^apn »Pa Dnaitm na nroi ”idj> mPoai omit nmsa
to*
148
Alois M ii Iler
ibi 1 ? nün D’ayo nvbv mini natyu natyj bsw nnm matyj.i
nbx bv jn picoa -jbd pnpifri oin ua rwbv ’Dun rfo^una N’nty
jnyNin m« b& lnatyjty D’iaiN pi itu Dy vbv D’aro bs bvo
Din pi rvtya bv iam lufunn inai ^an in bw fjm n^im
l^jfon’ mi’nr bv matyjnty na« pi n’tya in din mmn ’tyxi
fu^utin inatyj isn bv Nity ’b jud uiy ’a 1 ? inü bv D”n ’^>m 'aus
kfann lnatw ty’N nw bv Nnty ’ai mui ran Ninty 'ob nanxa
"jiini ~\b m’tyN tyii’a 'bv bat u mrt’^ m’tyN in iaN la ’a^ bmv
^BJ,! ja ’tyDJ n^rn ’flNttll ma»n wa.“ Über die Auferstehung
vgl. überhaupt den B. Tract. Sanhedrin. C. 11; dort heisst es unter
anderem: „NIDU 11,1 Nil ”n UDtyi in’lBN ^N’^aj pl^ IDia ^"N
mim* uty n'b Unna njni mpaty nwa mf? maN ”ri Np ’a Niayi
^"n nanya jna nt’N mmi ja iitn inNi D’an ja itti’ ihn ui’jui ty’
’ai >ai jaty bv n 1 ? sä’tan ja nt d’ön ja !?"n o’b.i ja istrty m
natyj nn itya nna j^arty '»aiar ’^o.ia n’mar ’^aa i*p ndji ^Ni?aty’
b"K naai iaa nnN bv n"apii bv innaty an itya rupn jn*? v
”n Np ’a Niojn Niay nn Nn ”n mtyi innaN ’bn ’ai^ ’pm Ninn
may^ iBNty nn itya “j^a^ nan iam nab ^>tya ~jb ^ityaN f?"N
D’a^ iniN um ia^n iayi D’a j’Nty mpaa D’^in j’it^a 'b um vb
UN j’N i 1 ? naN d’bi iay ty’ty Dipaa iniN uai ntn an*? iaN i^dj
ty’ty ntyay. nnua iayi d’b j’Nty mpaa jn^ iaNi D.i’^y nna j’!?im
laay ,inii nypa'? nü j’bnb nnN ’N dni naai naa nnN bv iayi d’b
iaNn Naty itya i^ia ntyyji jmtyn ina^ naiN i’itm itya nan mnty
m’ ma 1 ? nnN ( J ji6n n^n la j’N Dinty ,inii inf? nbv nana jat 1 ?
mitten l^ia N^BXUl D’atym“ Talm. B. 9. Bd., fol. ü, b der Wiener
Ausg. v. 1810. Vgl.auchdas folgende. So wiedieleibliche Auferstehung
der Zeit vor dem Exile fremd ist, so verhält es sich auch mit diesen
anderen eng mit ihr zusammenhängenden Lehren des Pharisäismus.
Unzweifelhaft hat auch hieran Babylonien seinen grossen Antheil. —
Dass die Sadducäer auch jene erhabenen Lehren des Pharisäismus
über die Seele und ihren Zustand nach dem Tode verwarfen ist
vorzüglich auch aus ihrem Festhalten an dem Pentateuch, als Basis
ihres Dogmatikgebäudes, zu erklären. Gehen wir auf diesen zurück
und untersuchen die in ihm herrschende Ansicht über jene Frage.
Betrachten wir folgende Stellen des Pentateuchs: Mos. 1, 2S, 8:
„l’ay ^>NF|DN’l," 1,37,35: „i^Nty ^3N UH ^N 11N ’D,“ vgl. damit 33:
l ) Vgl. die Zoologie des Talmud von Lewysoh n, S. 280.
Pharisäer und Sadduciier oder Judaismus und Mosaismus.
149
„nrtaK ron im“ 1,94,33: „vay^fiD^i,“ 4,20,24: „}h,ik rpK'
1'ay ^>K,“ 5, 31,16: „“pnaK DJ> DDtP “pd“ und die analoge Ausdrucks
weise, wie in Sam. 2, 12, 23: ,,1'^k “j^n ’JK,“ Reg. 2, 22, 20: „'nn
“pPDK by “[DDK,“ so kann man nach diesen Stellen den Glauben an
ein Fortbestehen des vom Leibe verschiedenen Theiles des Men
schen (gewiss dachte sich Jacob einen solchen als er sprach: „Ich
will hinabsteigen zu meinem Sohne in die Unterwelt,“ da er ja früher
ausdrücklich sagt: „Ein wildes Thier hat ihn gefressen“) nach
erfolgtem Tode nicht leugnen. Dieser vom Leibe verschiedene Theil
wird nämlich nach dem Tode an einem bestimmten Orte fortbeste
hend gedacht; „n^KD> ^pk \n ^K 11K ‘’l“ heisst es M. 1, 37, 35.
Der Aufenthalt jenes Theiles ist also der ^1Kt£>, ein unterirdischer Ort.
M. 4,16, 30: „n^Kti» ö”n nvi ddk ,ij6ai n»e nK naiKi .instDi,“
4, 16, 33: „pK.i dddi n^>K» D”n nn 1 ? ia>K d,i m'i,“
1,42,38: „n^lKty nmiim “ ebenso Reg. 1,2,9: „^>lKt£> JVmm,“ Job
7, 9: ,,^lKtt> IIP,“ Ez. 31, 15 u. 17: „nf?KtP lnil“ und „,“l^Ktt> 171'.“
Die Vorstellung von ihm war keineswegs eine freundliche; Job 10,21
heisst er „ma^üt “pn pK.“ Schauerlich muss sein Bild bei den alten
Hebräern gewesen sein, da Core, Dathan und Abiron aus Strafe
lebendig von ihm verschlungen werden. Er ist unersättlich Prov.
27,20: „rwityn K 1 ? maKl V)Kt!>“, ebenso 30,16: „,7i>n» üb ^>lKtt>,“
Jes. 5,14: „pn n'D mi>D ^!Ktt>“ und lässt Niemanden mehr aus
seinem Rachen Job7, 9: k^> f?lKti> 711’ p,“ 10,21: „p^K D7C3D
DlttiK KVl,“ Sam.2,12.23: „’^K AltP’ K^> Kl.11 l’f?K “[^,7 ’JK;“ er hat
eine Pforte Jes. 38, 10: ,,^>1KD> feste Bande, die nicht zu
lösen sind Sam.2,22, 6: ,,^1K£> ’^an.“ Auch Flüsse dachte man sich
in ihm Sam. 2, 22, 5: „by’bl ebenso Ps. 18, 5. Überhaupt
war der ^lKUi ein Bild des Furchtbaren, Schauerlichen, Gefahrvollen.
In diesem Orte also war der Aufenthalt jenes vom Leibe verschiedenen
Theiles nach dem Tode des Menschen. Dieser Theil ging in den ^iKtt>
ein. — Seine Bewohner hiessen „D'KDI“ Jes. 14, 9: „“]b lliy ^1KD>
D'KDl,“^, 14: „lölp' bl D'KDI PI7' bl D'na.“ Hier im ^ke> lagen
sie alle ohne Rangesunterschied beisammen Job 3, 13 tf: „,inV ’D
:D'7D> dj> ik tpK »itJt'i D'a^a dp fb mr tK aipmi 'tiDDty
l'JINö 'tPDH 1DP1 KU DtP ^1731 |Dp,“ im Lande der Vergessenheit,
nach Ps. 88,13 : „mtM pK3“— denn „um p7*B na.71 71V DD7D! üb“
heisst es Ps. 88, 6 — in ruhigem ewigem Schlafe Job 3, 13: „nnv 'D
BlptPKl »nantp,“ Jer.51,39: ,,13TP' K^l UtP’l,“ Job. 14,12:
ISO
Alois Müller
„Drtftya rw* x*? dmh> ’jifn mj> mp» x^i satt* tmxi.“ Im
Allgemeinen scheint ihr Zustand ein Zustand der Bewusstlosigkeit
gewesen zu sein, mit dem Beschränken, dass man ihnen doch
wenigstens hin und wieder lichte Momente zuschrieb. Jer. 31, IS :
„amn^ mxa mn by naaa bm, u Job. 14,22: „nxa 1 nttM “|X
^MXn l’^i> Vgl. damit Jes. 66, 24: „man X 1 ? Dni^in M;“ die
ti>Qj also trauert und das Fleisch des Cadavers empfindet Schmerzen
durch die an ihm nagenden Würmer, durch die vor sich gehende
Verwesung 1 ). Freilich eine sonderbare Vorstellung, dass nach der
Trennung der t£?ö3, der Ursache des animalischen Lebens wie ich
zeigen werde, vom Leibe, derselbe noch Empfindung hat. Dass man
den Bewohnern des ^>ixtJ> doch wenigstens ein theilweises Bewusst
sein zuschrieb geht besonders daraus hervor, dass man ihnen sogar
Kenntniss der Zukunft zutraute. Sam. 1, 28, Mos. 5, 18, 10 u. 11 2 ).
— Wir wollen nun die Vorstellung über jenen vom Leibe verschie
denen Theil des Menschen, der in den einging, kennen lernen.
Ps.30,4: „m »Yiva ’jrmn 'tyoj ‘mxü» ja m^jM mm,“ Ps.88,4u.S:
„in hip nj> ’ratrru iy’M ”m“ und weiter: „j'xiatia mpm
^X.“ Nach diesen Stellen also war es die t£MJ, welche nach der
Auflösung des Menschen in den ^>ixti> einging, dasjenige Element im
Menschen, welches sein animalisches und zugleich psychisches Le
ben bedingte, „ljpjn »Ml,“ während der Cadaver im Grabe
oder sonst an einem Orte seinem Schicksale der Verwesung anheim
fiel. Die na »TU» sind die Cadavera; Ps. 28, 1. 30, 4. 88, 5.
143, 7 und andere. Vgl. besonders Jes. 14,19: „ixa Max *?x MTP-“
Siehe zu dieser Stelle die treffliche Note Knobel's in seinem Jesaia
S. 107. Dieser Anschauung gemäss sind auch Ausdrücke wie M. 1,
47,30: „nmapi max ay Maatm,“ Reg. 1,14, 31: „ai> aj>am aatmi
"iap’1 PnaX.“ — Die tPBJ also ging in den ^ixt£» ein, sie, die Ursache
des animalischen Lebens, wie ich oben angedeutet habe. M. 1, 33,
18: „nna »a ntttoa nxita mm,“ Reg. 1,17,22: „by "6m ta>Qa att>m
MM laip.“ Daher auch der Ausdruck des Gesetzes „tttaaa M. 5,
19, 21 und Jer. 4, 10: „£>BJM MP a"M JUfMl,“ als dem gefährlichsten
Theile des Menschen, der Ursache seines Lebens. Der Sitz der
1 ) Zu der angeführten Stelle aus Jesaia vgl. Knobel's Jesaia, 8. 467. S. auch den
Tractat von den Grabesleiden hei Jellinek Belhn-.Midrasch, 1.Th., S. XXVI (150 ff.).
2 ) Vgl. Saa I schütz, M. R., S. 510 ff.
IMiansiiei' und Sadiluuiier oder Judaismus und Alusaismus.
151
des Principes des animalischen Lebens, ist das Blut; M. 3, 17,
II: „Nin Dia D>DJ '3,“ daher auch das Verbot Blut zu essen
M. 1,9, 4: „I^Nn üb lat 113DJ3 1D>3 “|N.“ M. 1, 9, 6 : „DINM Dl “[DD>
'[DD” 131 D1N3,“ analog dem t3DJ3 t3DJ. Über das Verbot Blut zu
geniessen s. Saalschutz, Mos. Recht. S. 258 ff. Die t3Dl also war
der Sitz und die Ursache des animalischen Lebens, das Leben selbst
und daher auch der bei weitem wichtigste Theil des Menschen, ja
der Mensch selbst. Daher auch die Ausdrücke: Sam. 2, 23, 17:
„DnitaDJD DUJ^in“ „die mit Lebensgefahr gehen,“ Sam. 2, 18, 13:
„lpD> 1D>DJ3 WttJt IN,“ Reg. 1,2, 23: „HUHN 131 lt3DJ3/ c Mos. 1, 9,
5: „D>11N DD’n^DJ^ D331 DN Mos. 5, 4. 15 „INa DmDDUl
DD’DtyDJ^,“ Jos.23, 11, Reg. 1, 19, 3: „1D>DJ i?N '[ i 7 , l,“ Reg.2,7,7:
„DD>DJ IDJ’l,“ Mos. 2, 4, 19: „-[D>DJ DN D'D>p33n,“ Sam. 1, 20,
I, Sam. 1, 22, 23, Sam. 2, 14, 7: ,,1’nN t£>DJ3 lin’ajl,“ Reg. 1, 19,
10: „nnnp 1 ? ’t3DJJ fiN IDipl'l,“ Mos. 1,37,21: „D>DJ U3J üb,“ Mos. 5,
19, 6: „d>dj lraro“ und 11: „nai d>dj inam,“ M. 5, 27, 25: „man 1 ?
d>dj,“ M.5,22,26: „didj inan,“ Prov.27,7: „nun D>DJ, ,1J>3D> D>DJ,“
II, 25: „jann ,1313 didj,“ 13, 4: „jt£>in oann didji,“ 6, 30: „N^a 1 ?
an’ ’3 id>dj,“ 10, 3: „pna d>dj m,r 3’j>i’ nV,“ 25, 25: „onp D’a
HD'y t3DJ by,“ Ps. 69, 11: „’DJDJ D15£3 H33N1.“ So wird D>DJ sogar
gebraucht zur Bezeichnung des zum Leben unentbehrlich Nothwen-
digen. M. 5,24, 6: ,,^3n Nil D>DJ ’3 3311 D'm ^31’ Nf? *)•“ Aber auch
das Princip des psychischen Lebens war die t£>DJ. M. 5, 4, 29:
"|D>dj ^331 “[dd 1 ? ^33 UEnin,“ M. 5, 26, 16: „oniN n'ttwi mottti
■jtt>D3 *7331 “[DD 1 ? *733,“ Reg. 1, 2, 4: „Dt3DJ ^331 033^7 *733,“ M. 1,
34, 3: „nun nN 3,iN’i m*i3 id>dj p3im,“ Ps. 86, 4: „diqj naty
-[131\“ Ps. 6, 4: „nNa n^i13J 'DlDJI,“ Ps. 86, 4: U1N I^N »3
ND>N,“ Ps. 57,2: „'D>DJ ,TDn f3 '3,“ Ps.42,3: „DM^N^ ’DiDJ nüO'J,“
Jer. 2, 24: 'a nrONn nn ,idnd> ididj j-iin3 i3ia ia!? ne,“
M. 5, 12, 20: „id>3 *73x^7 “[D>dj niNn '3,“ M. 2, 15, 9: „lax^an
’D>DJ,“ Ps. 27, 12: „na t3D33 ’Jjnri bü.“ jer. 5, 9 „'D>dj Dpjnn üb,“
Job. 27, 2: „’D>DJ ia,1 ’lttn,“ Jud. 5, 21: „ty ’t3Dj >3m“ Jer. 4,
19: „’tPDJ *fl»at£t 1D1D> i?lp *3,“ M.2,23, 9: „Ufl t3DJ DN DnJH’ DJ7N1,“
Sam. 1,1,15: „niiT UD^7 ’t3DJ DN "]Dt3Nl,“ Job. 16, 4: „D3D>D.3 D” 1*7
’DJDJ nnn. K Nach dieser Wichtigkeit und Bedeutung der t3DJ ist leicht
erklärbar der Gebrauch von a>DJ mit Suff. pers. zur Bezeichnung der
») Vgl. Saalschutz, M. R., S. 379.
152
Alois Müller
Person selbst 1 ) und der Schwur 2 ) bei der Man bemerke ferner
den Ausdruck M. 1,12,13: „’tyoj ftjvm“ und Jud. 16,30: non.“
Die conditio des animalischen und psychischen Lebens war die ;
metaphorisch also wird für die Existenz und den Untergang des
Menschen seihst die Existenz und der Untergang der tt>QJ gebraucht,
jedoch nicht so ganz absolut gefasst, sondern eigentlich nur mit
Bezug auf ihre Verbindung oder Trennung vom Leibe.
Dem alten Hebräer schien, wenn er auch- eine gewisse dunkle
Ahnung von einem trübseligen Fortbestehen der nach dem Tode
hatte, eben wegen seiner äusserst düsteren Vorstellung vom Jenseits
und wegen seines gerade dadurch bedingten Festhaltens an diesem
irdischen Leben, das ihm allein als Leben galt, der Tod, wenn also
das animalische und psychische Leben aufhörte, fast auch ein Unter
gang der seiner Wesenheit, seines Ich. So lange die das
animalische und psychische Leben aufrecht erhielt, schien sie ihm zu
leben; mit der Sistirung beider schien ihm die fast so viel als
vernichtet. So sind wohl auch die Ausdrücke zu erklären: M. 1, 1,
24: „rrn M. 1, 2, 7: „n'n d-inh vpi,“ M. 1, 1,21:
„ronn M. 1, 9, 10: „rpnn M. 4, 6, 6: „n*? na tt>aj bv
NiG“ M. 3, 21, 11: „tn 1 N 1 ? na na>Qj bz bv),“ M. 4, 19, 13:
„nia 1 law mun tyaja naa MJH bs 3 ).“ Erwägen wir alle hier
beigebrachten Stellen, so ist das Resultat derselben: „Der Tod, die
Trennung der t£>DJ vom Leibe, erschien den alten Hebräern, wie wir
sie im Pentateuch haben, und bis zum Exile hinauf gewiss als ein
Unglück. Durch ihn hörte ihnen das Ich, das menschliche Selbst
bewusstsein, die Existenz der sich selbst wissenden Persönlichkeit
auf. Das Bestehen der nach dem Tode galt ihnen eben der trost
losen Fortdauer wegen fast so viel als ein gänzliches Aufhören, eine
totale Vernichtung derselben.“ Sicherlich dachten sie sich diese Fort
dauer als eine trostlose, unerfreuliche, nach der Vorstellung, die sie
vom dem Aufenthalte der vom Leibe getrennten batten.
Dass diese ihnen gewiss nichts Geistiges, Übersinnliches, Gött
liches war, wie die Pharisäer lehrten, kein nvsC/pia, sondern eine
1 ) Vgl. Ewald, Ausf. Lehrb. d. hebr. Spr. 6. Ausg., 314, c. 2.
®) Mos. 1, 42, IS u. IG: „njnD >17,“ Sam. 1, 1, 26: „’J7N "[WD1 'n >17« *2,“ Sam. 1,
17, ss: dm i^nn iwdj >n,“ Sam. 2, 14, 19: „i^an ’ntt "jwdj ’n,“
Sam. 1, 25, 26: „"[E1DJ >171 17117’ ’I7 “ Vgl. dazu Saalschütz., M. R., S. 61S.
3 ) Vgl. Saal schütz, M. R., S. 267.
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
153
blosse geht klar aus jenen sinnlichen Vorstellungen der alten
Hebräer von ihr hervor. Sie kannten kein nvsOpa, also auch keine
Unsterblichkeit desselben. Ja die Unsterblichkeit, wenn sie sich
welche dachten, schien ihnen nothwendig an die Fortdauer des Lei
bes, an die Existenz des animalischen Lebens, mit dessen Aufhören
sie sich so ziemlich auch alles vernichtet dachten, so nothwendig
geknüpft, dass sie den Elia leiblich sich in den Himmel empor
gehoben dachten, damit wahrscheinlich die Idee einer gewissen
Unsterblichkeit, eines Fortbestehens auch ausser diesem Leben an
deutend. Reg. 2, 2, 11: „ttw rum i3ii “f^n n’3^,1 nan *mi
D»att>n m»D3 bvi n,1Uü> j’3 ms>l Ebenso ist es
mit Henoch 1). M. 1, 5, 24: „np^ »3 UJ’N‘1 DM^NM JiN fjn '[‘rnmi
lniK.“ Vgl. Sir. 44, 16 und Hebr. 11, 5: „lUam 'Evü^
jxersre^ roö /olvj ioav Sdvocrov.“ Damit er also den Tod nicht sähe,
durch welchen den alten Hebräern so zu sagen alles aufhört, nach
welchem die Existenz der t£>DJ so ziemlich gleich ist einem gänzlichen
Untergange derselben, desswegen ward er mit Leib und Seele ent
rückt. Nach all diesem also war die Leugnung der erhabenen Lehre
des Pharisäismus über die Seele als jrvsöpa von Seiten der Sadducäer,
die den Pentateuch als Basis ihrer Dogmatik annahmen, eine ganz
und gar gerechtfertigte. — Eine nothwendige Folgerung aus dieser
Verwerfung des nvtv\m war die sadducäische Leugnung der Engel
lehre, eines ebenfalls pharisäischen Dogmas. Act. 23, 8: „'Zxddovxa.loi
,uiv yctp liyovaiv pvj eivat dva.Grex.ao> pridi «■yysXov /jwjts revsop«,
<t>a.piacüoi di op.oko^ovaiv ra. appörspa.“ Die Angelologie also, ob
gleich sie sich schon in den ältesten Büchern der Juden naclnveisen
lässt, aber durch den Aufenthalt in Babylonien eine besonders chal-
däische Färbung erhielt (vgl. Winer's Realwörterbuch), ward dem
nach von den Sadducäern verworfen. Treffend ist die Ansicht, die
Stäudlin darüber äussert: „Da man sich die Engel als geistige und
unsterbliche Wesen dachte und aus ihrer Existenz schliessen konnte,
dass auch in dem Menschen ein solches Princip existire, so leugne
ten die Sadducäer auch die Existenz der Engel und erklärten ohne
Zweifel die Stellen des alten Testaments, welche von ihnen handel
ten, wie es ja auch in neueren Zeilen oft geschehen ist, so dass sie
*) Vg-I. das Buch Henoch in II i I g e n f e 1 d "s jüdischer Apokalyptik, S. 91, und das
Leben Heuochs hei Jellinek Bet ha-Midrasch, 4. Thl., S. XI (129 ff.).
■
Alois Mülle r
1 54
nichts für die Existenz der Engel bewiesen.“ Standlin's Gesell, der
Sittenl. Jesu, 1. Bd., S. 433. — So wie sich in den bereits erörterten
pharisäischen Lehren ganz augenscheinlich die fremde Influenzirung
Babyloniens äussert, ebenso auch in ihrer Theorie über die Willens
freiheit des Menschen, welcher die Sadducäer ebenfalls widerspra
chen. Wir wollen die hieher gehörigen Stellen neben einander
stellen. Jos. Ant. 18, 1, 3: „Ilpätjascr^at re eipappevip zä ndvza
dg'.ovvzeg, odde zov dvSpiOKsiov zö ßovXöpsvov z-qg izr’ avzoXg öppqg
ätpaipovvzap doxrjffav rä) 0eä) xpäatv yeveoSat xai rä) exetvvj? ßovXev-
zrjpitp xai zötv dvd'pijjnojv rä) Selriaavzi. Kpoo'/^uJpeXv per' äpezrig yi
xaxiag.“ Ant. 13, 3, 9: „Ot pev ovv <I>aptacäot ziva xai od ndvza zrjg
eipappevrjg elvai Xsyovoiv epyov, rtvä o 1 i<p' iavzoXg önapy_eiv avpßai-
veiv re xai od yiveaS-ai.“ B. J. 2, 8, 14: „<t>apiaaXoi slp.apiJ.evri re xai
&eüi npoadnzovai ndvza, xai ro pev npazzeiv za dtzata xai prj, xazä zö
nXefffrov ekI rüg dvSpojnoig xeXoSxt, ßoqSeXv de eig exaozov xai zriv
eipappevr/v. . . B. J. 6, 1, 8: „’Edtcöxero d’ äpa xai aüzdg önö zrjg
eipappevrjg, yjv apr>)(avov dvatpvyeXv ^-v^röv övra.“ Ant. 8,13, 6 : Aoyi-
i*eo3ai ze naXiv ix räiv nepi zöv ßamXea yeyevqpevu>v ozo^aCopevovg
npoarjxe zrjv zw ;(p£ä>v ioyyv, özi prjiXe npoy.voiaxöpevov avzö diapvyeXv
eartv...“ B. J. 6, 4, 8: „peyiaz-qv Xdßoi napapvSiav zrjv eipappivrjv.
äipvxzov ouoav (bonsp £p\pO)(oig, oüzoj xai epyotg xai zönoig.“ B. J. 6,
3, 4: „Taürd ri? evvoäiv eöprjasi zöv psv 0eöv dv3-poinu>v xrjoöpevov,
xai navzoimg npoorjpaivovza rä) atpezepu) yevei zä <j(jjrr,pia, zovg d’ ön'
ävoiag xai xaxäiv avSaipezuiv dnoXXvpevovg“ und weiter: „’AAAa ydp
od duv«röv avSpoonoig zä xpeüiv diayvyeXv odde npoopcopevoig.“ Aul.
10, 11, 7 : „xai zovg ’Emxovpetovg ex zovzojv eöpiaxeiv nenXavrjpivovg,
oi zrjv zs npovoiav exßaXXovai zov ßiov xai zöv 0eöv odz dfyovaiv
snizponeveiv räiv npaypdzoov, odd’ Öko zfig paxapiag xai dipd-dpzov
Kpög oiapov'nv räiv oXojv ovalag zvßepväoSai zä ovpnavza, äpoipov
o’ rjviöyov xai ippovziozov zöv xöapov avzopdzojg tpepeoJäai Xeyov-
&iv . . Und weiter: „Tot? ovv npoeipripevoig önö Aavirjlov doxovai
poi atpödpa zrjg dX-qSovg oöfyj? oiapapzdveiv o\ rä) 0eä) pr^Sepiav
elvai Kepi räiv dvSpoJK'.vojv, dno'paivöpevoi npovoiav. Od yäp av xazä
zrjv exeivov npoyirizeiav, ei ovveßaivev aözopaziap.ü> rtvt röv xöopov
didyeiv, ndvza etoptZpev dKoßaivovza.“ Dagegen heisst es von den
Sadducäern Ant. 13, 3, 9: „HaSSovxaXoi de rvjv psv eipappevr,v
ävaipovaiv, oddev efvat zavzr/v dfyovvzeg oddä zar’ avz'nv zä dvd-pdi-
Kiva zeXog Xapßdvstv, xnavza d 1 e<p' rjpiv avzolg rt^evrat, Jjg xai räiv
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaisinus.
iS»
dyxStjjv aktoug «drou? ytvopisvou? y.cä r« napd Yipsripav
äßo’jXcav ^.ap.ßdvovTxg.“ Nach diesen Stellen also kommen gemäss der
pharisäischen Anschauung bei allen Handlungen drei Momente in
Betracht: Gott, das Fatum und der freie Wille des Menschen, nach
der sadducäischen Ansicht hingegen nur ein Moment, nämlich der
hlosse Wille. Nach der pharisäischen Lehre war die Willensfreiheit
des Menschen keine unbedingte, sondern eine beschränkte, nach
der sadducäischen hingegen war der Wille durch ganz und gar
nichts in der völligen Entfaltung seiner Freiheit gehemmt. Die
Sadducäer stellten an sie die höchsten Ansprüche. Vergleichen wir
nun diese beiderseitigen Anschauungen so müssen wir unbedingt
der sadducäischen, welche die Willensfreiheit des Menschen so hoch
hielt, den Vorzug geben vor der pharisäischen den freien Willen durch
die Annahme eines Fatums so sehr beschränkenden. Jene war auch
eine dem Mosaismus ganz und gar entsprechende. Mos. 5, 30, 19:
»rwian ’nnJ mnm D”nn pttn nat n'otstn nx nvn üdz *myn
“[J>m “jriN n»nn jVa 1 ? D”rt3 mmi n^pm“ sagt Moses, an die Willens
freiheit der Israeliten appellirend. Die pharisäische Ansicht hingegen
war eine dem auf dem reinsten Monotheismus basirenden Mosaismus
ganz und gar zuwiderlaufende, durch fremdländisches Element
getrübte; denn die Annahme eines Fatums ist dem Wesen des
Mosaismus durchaus fremd und widersprechend und beruht, wie ich
zeigen werde, nur auf chaldäischer Irifluenzirung. Die Theorie des
Pharisäismus über die Willensfreiheit war unzweifelhaft von baby
lonischen Ideen inficirt. Willensfreiheit gab er wohl zu mit Rück
sicht auf jenen den Pentateuch durchwehenden Geist, beschränkte
sie aber durch die Abhängigkeit von einem alles beherrschenden
unvermeidlichen Fatum, unter welchem er den Einfluss der Gestirne
auf den Menschen verstand •), eine Annahme, die seiner Ansicht
über das Verhältniss Gottes zum Menschen geradezu widerstreitet.
Sagt doch Josephus von Gott, er wäre „yYiSöjxsvog ävSpwTtoiv x«i
1 ) ly lj,j 1 obb-^jl ttlL ItL! 1 aäj PI .—Ir. . . .
1 Jul 1 J.XJ l öJ A.Ä.JO. ^l |P 1 , J I
L>JU'
J 1*5^1. Rambam im 8. Cap. seiner Vorrede zu den Sprüchen der Väter,
156
Alois Müller
zavToiug zpoarip.xivm rw G'pzzipoi yivsi ra aoiropix“ und nun räu
men die Pharisäer neben dieser Vorsehung auch einem unausweich
lichen Fatum die Herrschaft ein. Dadurch ist ja jene trostreiche mit
der tiefen Speculation des Pharisäismus nothwendig zusammen
hängende Lehre von der göttlichen Vorsehung, welche die Sad-
ducäer als überhaupt unvereinbar mit dem Geiste ihrer Dogmatik
und nicht nothwendig gefolgert aus dem Pentateuch leugneten, so zu
sagen wieder ganz annullirt. Wie ist es zu vereinigen, dass Gott
„xodöpsvog ävSp&zow“ ist und „zavroioig zpoavp-xhoiv rä atpsripo)
yivsi rx oonöptx“ und nun doch der eisernen „dp.app.iro yjv xp.Yiyxvov
dixipvysTv 3vvjtöv övrx“ eine so despotische Herrschaft über den
Menschen einräumt? Der Mensch muss ihr unter jeder Bedingung
seinen Tribut zahlen; „xXlx yxp od Svvazdv xvSpwzoig rö ypscov
dixtpvysTv oödi zpoopwpivoig“ sagt Josephus. Vgl. Zonaras, Ann. 6, 3:
„dpapp.ivov rs &oyp.xzi£ovzsg, xxi zolg ävSpuzoig Sioöxai p.o sixsiv
zxig] Txvrrig opp.xTg psrä azou^fig ävzizpäzzovoiv.“ Das Fatum also
übt auf jeden Menschen ohne Ausnahme seinen Einfluss aus. Über
jeden räumt Gott demselben seine Herrschaft ein, bei allen Handlun
gen der Menschen kommt es in Betracht, bei jeder fällt es in die
Wagschale. Der freie Wille ist bei jedesmaliger Entfaltung seiner
vollen Freiheit durch die sip.xppiro gehemmt. Freilich ist er jedes
mal das bei weitem überwiegende Moment, aber auch das andere
äussert seine Wirksamkeit. Das Besultat jeder Handlung ist von
beiden Momenten abhängig. Es ist die Besultirende der beiden Com-
ponenten Willensfreiheit und Fatum. Dieses liegt ausser dem Bereiche
des Menschen, ist also von ihm ganz unabhängig; jene liegt in der
Gewalt jedes einzelnen. Ihr qualitatives und quantitatives Verhältniss
hängt vom Menschen ab, während Qualität und Quantität des Fatums
ganz ausser ihm liegt; der freie Wille jedoch hat immer den bei
weitem grösseren Spielraum. Gott kümmert sich um den Menschen
und will nur sein Bestes. An dem Menschen liegt es aber, dem „zxv-
roio)g zpoar/paivoiv rcn aipszipu) ysvsi za owz-opia“ zu folgen oder
zu widerstehen. Dazu hat er die Willensfreiheit. Das Fatum ist
nur ßooSoOv; die Handlung ist xarä rö zXsigzo'j vom Willen des
Menschen abhängig. Der Wille ist also die Hauptsache, das Fatum
nur Nebensache. Das Hauptgewicht liegt in der Freiheit „zovg bz’
xvoixg xxi xaxwv avSxipizuv xzoX)>vp.ivovg.“ — Gehen wir auf den
Ursprung dieser dem Mosaismus, dessen oberstes Princip Monotheis-
■
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
157
mus ist, so stricte zuwiderlaufenden Idee zurück, so ist derselbe
unzweifelhaft in Babylonien zu suchen. Der Fatalismus hing enge
mit dem wahrscheinlich als Esoterenwissenschaft des Pharaismus
betriebenen Studium der Astronomie zusammen. Epiph. adv. haeres.
lib. I.: „aXXa xai siiJ.apiJ.ivr) xai äcxpovopia nap' adxoXg atpöopa typt)-
paxc^sv. adxixa yovv xd sXkr)vixd ovopaxa xd ix rf/C xd>v nsnXavrjpi-
vwv daxpovopiag xard xv)v ißpäida diaksxxov ixspocg dvopavt nap'
axjxolg psxwvdpaoxai..Dass die Pharisäer die Astronomie *) erst bei
den Griechen geholt, da sie ja an der Quelle derselben sassen, ist
wohl kaum anzunehmen; denn gewiss hatten es die Chaldäer bereits
zu einer sehr hohen Slufe derselben gebracht, als die Griechen
vielleicht erst sich mit ihr zu beschäftigen begannen. Vgl. Syncell.
p. 207. B.: „'And di Naßovaudpov xovg ^povovg rrjg xtZv daxiputv
x.ivrj<7$u>g XaXdaXoi r)xpi[3wu«v, xai and Xa’Xdaiutv oi nap' "EXXvm
pa^paxixoi Xaßovxsg . . in Beros. Chald. Fragm. (Fragm. histor.
graee. ed. Carol. MüllerII, 304). Vitruv. IX, 4 (7): „Cetera ex astro-
logia, quos effectus habeant signa duodecim, stellae quinque, sol, luna
ad humanae vitae rationem, Chaldaeorum ratiocinationibus est conce-
dendum, quod propria esteorum genethliologiae ratio, ut possint ante
facta et futura ex ratiocinationibus astrorum explicare...“ Ibid.510.
Plin. II. N. VII, 37: Variarum artium scientiae innumerabiles enituere,
quas tarnen attingipar sit florem hominum libantibus. Astrologia Berosus,
cui ob divinas praedietiones Alhenienses publice in Gymnasio statuam
inaurata lingua statuere.“ Ibid. Philo de migrat. Abrah. p. 415, D:
„y^a’XdaXoi xüv äXkoJv dvSpdjnmv sxnsnovrjxivai diapspdvxu>g doxovaiv
aoxpovopiav xai ysvs.d-Xtaxrjv, xd iniysta xoXg psxswpoig, xai xd odpa-
via xrig ini yrjg appo&pevoi... De Abrah. p. 359, E.: „yaldaXoi ydp
iv xoXg pahaxa dianovr,aavxsg äaxpovoptav, xai navxa xaXg xtvriasai
xüv daxepMv avaSivxsg...Edit. ex Gel. interpret. Ideler „Uber die
Sternkunde der Chaldäer“ in den Berl.Akad. Schriften v. 1814,1815:
„In der That ein ursprünglich nomadisches Volk, das die weit aus
gedehnten Ebenen Mesopotamiens und der vereinigten Ströme des
Euphrat und Tigris bewohnte, das den Himmel fast nie von Wolken
4 ) Als Esoterenwissenschaft mag- sie hei ihnen sehr irn Schwünge gewesen sein. Daher
sagt Christus hei Matth. 16, 2 ff. zu ihnen: „’Otpi’aj 7svopiv7jj Xi-'/sxs Euöta,
nufipa^ei *yäp 6 ovpavoi • xai jrp&n S^pspov ^eipchv, 7ru(5(5a£si yctp
6 oüpavo'f. xd piv npogtjmov xov oüpavoö yivdyjxsxe ötaxpivsiv . . . ,“
getrübt sah, und durch sein Klima genöthigt wurde, während der Nacht
zu reisen und seine Heerden zu weiden, musste frühzeitig auf die Beob
achtung des gestirnten Himmels geleitet werden; eine Bemerkung, die
schon Cicero macht, wenn er sagt, de divin. 1, 1: principio Assyrii
(es werden die Babylonier *) gemeint) propter planitiem magnitudi-
nemque regionum, quas incolebant, cum coelum ex omni parte patens
atque apertum intuerentur, traiectiones motusque stellarum observa-
verunt. Qua in natione Cbaldaei, non ex artis sed ex gentis vocabulo
nominati, diuturna observatione siderum scientiam putantur effecisse,
ut praedici possit, quid cuique eventurum.“ S. 200. Aus Babylonien also
stammte das Studium der esoterischen Pharisaismuswissenschaft der
Astronomie und Astrologie. Gewiss kamen sie als solche bei den Phari
säern zu ziemlicher Bedeutung. Pirk. Ab. 3, 18 : „NODn p ’ZH
nann*? niKiaiB niN’ntaaJI filDlpfi naiN.“ Besonders zu vergleichen
ist über die Bedeutung der Astronomie bei den Juden Fürst,
S. 39 ff. — Nachdem wir nunmehr das Lehrgebäude dieser beiden
einander entgegengesetzten Parteien, der Pharisäer und Sadducäer,
in seinen Hauptpuncten beleuchtet, wollen wir noch zum Schlüsse
unserer Abhandlung auf die Wichtigkeit des Pharisäismus als Träger
der Messiaslehre hinweisen. Nach der Charakteristik der Dogmen
des Pharisäismus und Sadducaismus ist es klar, dass mit der
Lehre dieses ein Messias sich durchaus nicht vertrug, die ganze
Messiaslehre also, wie sie im Judaismus sich entwickelte, nur dem
Pharisäismus angehört. Bezüglich dieser s. B. Tract. Sanhedr. im XL
Cap. Merkwürdig ist unter anderem der Ausspruch Hillel’s: „rpt^n }’N
,-pprn ’ü'n lm^ON Talm. B. 9. ßd. fol. na, b der
Wiener Ausg. Dagegen rechnet Rambam den Glauben an einen
S. in (1er citirten Schrift von Chwolson über das genethliologische Werk des
Babyloniers Tenkelüseha-eUBabili el Qüqani S. 130 11'. Dort heisst es unter ande
rem: „In der Einleitung sagt der Verfasser etwa folgendes: Die alten Chaldäer
hätten sich von jeher mit allen Wissenschaften und vorzugsweise mit der Wissen
schaft von der Himmelskunde beschäftigt, die sie für die wichtigste unter allen
Wissenschaften hielten.“ S. 148. Und weiter: „Der Verfasser spricht darauf
ausführlich davon, wie die alten chaldäischen Weisen in der ganzen Sonnenlehre
die zwölf Zeichen des Thierkreises erkannten und diese in je dreissig Grade ein-
theilten. Diese, sagt er ferner, theilten sie wiederum ein in männliche und weib
liche, leuchtende und finstere, glückbringende und unglückbringende, in heisse
und kalte, in vermehrende und vermindernde, und endlich in solche, welche die
Mitte zwischen den angegebenen entgegengesetzten Eigenschaften hatten.“ S. 149,
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
159
na^ty ^dj jai in ja "j^a
Im Commentar des 11. Cap.
des Tract. Sanhedrin’s. „At vero R. Joseph Hispanus, qui floruit
ultra an. Christi 1400, in libro Ikkarim, qui in magno pretio est apud
Judaeos-, articulum hunc de Messia cum plurihus aliis ex fide Ikkarim
seu fundamentis extrudit, istoque nomine vehementer carpit Maiemo-
nidem dicens Orat. 1 , cap. 3: npy n^B j’anf? nt£> tt>Nn nr
D2>n nr ^1D’ nr na bm. Et quamvis alium quendam istis verbis car-
pere videatur, oblique tarnen tangit Maiemonidem. Quid ergo proprie
estlkkar? Exponit hoc initio citati capitis; sicut arbor radici incumbit
et absque ea stare nequit, sic illud proprie divinae legis npp sive
fundamentum et radix dici vult, cui lex innititur, et sine quo sub-
sistere nequit; talia ergo legis nnpir statuit esse tria tantummodo
nimirum: 1. nt£>n niK'lta. Dei existentia, 2. D’atan )B min. Lex de
coelo, 3. taJW "Dty. Merces et poena. Haec tria solum statuit fun-
damenta legis et fidei, et cuique peculiarem dissertationem assignat,
reliqua ergo quae Maieinonides ponit, inter quae adventus Messiae,
excludit. Vult quidem ista omnia debere credi ab homine iudaeo sed
non tanquam D’lpjr fundamenta legis.“ Und weiter: „Si sententia
Maiemonidis vera esset, scilicet lidem de futuro Messia esse legis
fundamentum, numerandus esset bicHillel D’tMtl’m npyi D’IDian bb22
ton P^n ün^> psnp nnn bbsn inter apostatas et deficientes
a religione, quibus non est pars in seculo futuro, sed excusat ipsum
orat. I, cap. 1: ab p bjt"ni bb: nnaan nN’tn paxa nnn ab bbn ’i
ian n»a min'? npr mtaan nN’a pNtst ’o*? n’noinn bb22 nja: n’n
in^ir nnitrao vnir ma ’a oa"am anata. Non credidit R. Hillel
1ßO
A I o i s .Müller
futurum Messiam, sed tarnen ideo inter apostatas recensendus non
est, quia Messiae adventus mosaicae legis fundamentum non est, uti
scripsit Maiemonides, ut pote quae sine eo consistit.“ Aus npDN 1DD
Vsn des R. Machir (s. Buxt. Bibi. rabb. p. 25) in der Ausgabe von
Ant. Hulsius. Breda 1653. S. 9 und 12, 13. —Ober den Namen des
Messias heisst es im B. Tract. Sanhedrin, fol. nst, 6 im 9.Bd. d. W. A.:
„naN'jty tatst nb'’W na« »rni »n na n*t»a^ natt pm» »an
iaa> »m naNJttt iati> pm nnN »t«> »rni »n nbw ni' »a m?
ipk natota lata mmn nax mmn ’m »an tata pm taata 'iab
oma ’Jaa pm *a natu» lata rppm p nnja 'naiN ttm mmn d:6
Ntm kw im^n pN 'ja> lata »an »an «nmn natt pan »tarn mtaa
pm an naN nmyai dvi^n naia jma mmtsm umNi n^ao imtmaai
laapa l^taiai uaa mm* mm naxJta njn pja .sin N”n p ’s
5>ü'n pja sin s»na p \s ttmpn imm pw sin s”n p »s an nas
nnian tms-..-“ Wir lassen zum Schlüsse noch die Zeichen folgen,
die bei der Ankunft des Messias erscheinen werden. (Nach der oben
citirten Ausgabe des ^an npas nöD von Hulsius 1 ).) Sie bilden den
Inhalt des ersten Buches dieses ^ail npas 1DD. »blbl' pltasm IDDn
*?sun ns’a omp m\"6 pmnrn ninam nian^am D’naiam mmsn la
maD,n an nai nna ans 5a ^am naai mt£>a ^an ^r"n oisnpty na Dm
p^nmi ppn pjya ma^nn »aana nnasa rntpi n^isjn Q’nnsan
D’p^n ■“ — Das erste Zeichen. Es erscheinen durch Gottes
Fügung drei abtrünnige lügnerische Könige. Diese werden in ihrer
Scheinheiligkeit die Völker in die Irre führen und abfallen machen
von ihrem Glauben, so dass sogar in Israel Abtrünnige im Zweifel
an der Erlösung Gott verleugnen. Der ganze Erdkreis wird gleich
sam verkehrt sein. Eine furchtbare Noth wird über Israel herein
brechen durch jene drei gottlosen Könige, deren Tyrannenherrschaft
aber zum Glücke nur neun Monate dauern soll. Doch die Verfolgungen
während derselben überbieten einander an Grausamkeit. Dazu kommen
von den äussersten Enden der Welt Menschenscheusale, durch deren
blosses Ansehen (jedes hat zwei Scheitel und sieben feurige Augen
und schnell sind sie wie Gazellen) man sterben muss. Verkriechen
werden sich die Kinder der Israeliten unter ihre Väter und Mütter, die
sie trösten mit den Worten: „bti'iW bü> ln^lN^ D’DlöD limk nrjt."
*) Sie finden siel» auch abgedruckt in der Midrasch-Sammlung von Jellinek, 2. ThI.,
S, 58 fl*.
Pharisäer und Sadducäer oder Judaismus und Mosaismus.
161
Das zweite Zeichen. Schicken wird Gott in die Welt eine
ungeheure Sonnengluth. mit Schwindsucht und Ilitzfieher und alle
möglichen furchtbaren Krankheiten, so dass unzählige Menschen zu
Grund gehen und auch alle Ruchlosen in Israel. Die Heiden weinen
und weheklagen: „Wehe, wohin sollen wir fliehen?“ Jeder wird
sich bei Lebzeiten sein Grab graben, verbergen wird man sich in
festen Plätzen, um sich abzukühlen wird man in Höhlen und Löcher
der Erde kriechen; die Gerechten Israels wird Gott selbst beschützen
gegen jene verderblichen Einflüsse, indem er ihnen eine Arzenei
gegen sie bereitet nach Malach. 3, 20: „tpatp ’att> W’ D3 1 ? nmn
rpBMa ttaiai nput.“
Das dritte Zeichen. Herablassen wird Gott einen blutigen Thau,
welchen die Menschen in der Meinung es sei Wasser trinken und
dann sterben werden; so auch die ruchlosen Israeliten, die an der
Erlösung gezweifelt. Die Gerechten hingegen werden davon keinen
Schaden nehmen. Die ganze Welt wird drei Tage hindurch lauter
Blut sein.
Das vierte Zeichen. Herabschicken wird Gott einen heilsamen
Thau zur Heilung des Blutes. Von ihm werden trinken die Mittel-
massigen (die Rahhinen theilen ihr Volk in drei Classen: Fromme,
Gottlose und Mittelmässige), damit sie von ihren Krankheiten geheilt
werden.
Das fünfte Zeichen. Verwandeln wird Gott für dreissig Tage
die Sonne in Finsterniss, nach welcher sie ihren früheren Glanz
wieder erhält. Erbeben werden die Völker und einsehend, dass alle
diese Zeichen Israel gelten, werden sich viele heimlich zum Juden-
thume bekennen.
Das sechste Zeichen. Setzen wird Gott einen König über die
ganze Welt und zwar den König Roms. Neun Monate wird er als
Tyrann über die ganze Erde herrschen, aber besonders Israel wird
durch ihn in die grösste Noth kommen. Niemand wird ihm helfen.
Am Ende dieser neun Monate jedoch wird offenbar werden der
Messias, der Sohn Joseph's, dessen Name istNehemia, Sohn Husiefs,
mit dem Stamme Ephraim, Menasse, Beniamin und einem Theile der
Söhne Gad’s. Dies werden hören die Israeliten, aber nur wenige
werden sich zu ihm versammeln. Und kommen wird jener Messias
ben Joseph, wird in einem Kampfe jenen ruchlosen König überwin
den, ihn erdrosseln, die Gegenden verheeren und nach Jerusalem
Sitzb. (1. phil.-hist. CI. XXXIV. Bd. I. Hft. 11
162
Alois Müller
kommen, wohin die Israeliten es hörend sich versammeln werden.
Der König Ägyptens wird Frieden schliessen mit ihm, tödten wird
er auch alle Umwohner Jerusalems bis Damaskus und Askalon und
ein Schrecken wird überkommen alle Völker.
Das siebente Zeichen. Gott wird ein Wunder zeigen in der
Welt. Man sagt zu Rom sei ein Marmorstein, der die Gestalt
eines Mädchens habe, aber nicht durch Menschenhand, sondern
durch Gottes Macht so geschaffen. Zu diesem werden die Ruchlo
sesten aus den Nationen derWelt kommen, werden ihn warm machen
und sich mit ihm begatten. Durch Gottes Kraft geht aus dieser Be
gattung Armillus‘) hervor— die Völker nennen ihn Antichrist. Er ist
zwölf Ellen breit, seine Augen sind eine Spanne von einander ent
fernt, er hat tiefe, funkelnde Augen, goldgelbes Haar, graue Fuss-
sohlen und zwei Scheitel. Dieser wird sprechen zu den Gottlosen:
„Ich hin der Messias, ich bin euer Gott.“ Sogleich werden sie an
ihn glauben und ihn sich zum Könige machen. Verbinden werden
sich mit ihm alle Nachkommen Esau’s und er wird Fortschritte
machen und alle Provinzen sich unterjochen. Zu den Söhnen Esau’s
wird er sprechen: „Bringt mir hielier mein Gesetz, welches ich
*) In der Apokalypse des Elia hei Jellinek Bet ha-midrasch, 3. Theil,
S. XVII (vgl. S. 65), kommt die andere Schreibart des Namens oder Kettln
vor. Er gilt dort identisch mit Armilos oder Eremolaos d. h. Volksverwüster. So
schon Boxt. Lex. p. 224: „Philippus Aquinas exponit Dpi! vastatorein popnli
q. d. ip‘f)y.6\<xog ab desolo, vasto et \ctog, popnlns.“ Über H i t z i g’s
Ansicht, der in seinem Commentar zu Daniel unter Armillus den Caligula verstanden
wissen will, weil Sueton (Calig. c. 52) von ihm sagt: „armiUalus in publicum pro-
cessit“ heisst es ebendort S. XVIII, Note 1 : „Allerdings hat das Portrait, das Sueton
von Caligula c. 50 entwirft, viel Ähnlichkeit mit der Schilderung die von Armillus
gemacht wird; z. B. statura fuit eminenti (iKft .Tl3J Iflölp), graeilitate inaxima
crurum (D»p*T Vplltf)» oculis concavis (mplöp VJ'tf), capillo raro (mp Kitt)“.
Nach einer mir gemachten Mittheilung hält Herr I)r. Jellinek den Armillus für den
graecisirten pPÖJJ (vgl. den Todfeind der Israeliten. Buxt. Lex. p. 1625:
nomen proprium viri (len. 36, 12 et gentis Israelitis infestissimae sic dictae
quasi pb Dtf vel pi?» DJ? popnlns lambens sanguinem Israelitarum, in Pesikta“.
Landau, rabb. aram. deutsch. Wörterbuch. I. ßd., S. 199: • Romulus
7^>a ai^'a-m 'i x"» '>yty* yan n>a> vnoiy nmi oinn di^’ütn
Diai *py ,iaa> Dihan >an bv pami.“ w as die Identificirung mit Romulus
’Poip.uÄog betrifft, so vgl. man mit po<5oft«<pvvj >JD-nn (^so}}oi bei Bar
Bahlul); betreff des Spiritus lenis in epvj/Aooj dagegen ididiryg svvop.a
RÖUbT > ’lvrhxa pH-Jil» S. Lelirb. zur Spr. d. Mischna von Geiger, S. 21.
Betreff des Namens siehe auch Zu nz gottesdienstliche Vortrage, S. 282, Note d.
Vgl. auch das Buch Serubabel bei Jellinek, Bet ha-Midrascb, 2. Th., S. XXI
(54 ff.) und den Midrasch Wajoscha ebendaselbst, 1. Th., S. XVII (35 ff.).
Pharisäer nnd Sadducäer oder Judaismrs und Mosaisraus.
163
euch gegeben habe.“ Diese bringen ihm das Buch ihrer Gebete und
er sagt zu ihnen: „Dies ist die Wahrheit, welche ich euch überge
ben habe; glaubt an mich, ich bin euer Messias.“ Und sofort wer
den sie an ihn glauben. Dann wird er schicken zu Nehemia, dem
Sohne Husiel’s und zum ganzen Israel und wird zu ihm sagen:
„Bringt mir euer Gesetz und bekennt mir, dass ich Gott bin.“ Darauf
werden sie erstaunen und sich verwundern. Aber Nehemia, der
Sohn Husiel's, wird aufstehen mit 30,000 aus den tapfersten der
Sohne Ephraim’s und vor Armillus werden sie aus dem Gesetzbuche
lesen: „Ich hin der Herr dein Gott; nicht sollst du haben fremde
Götter neben mir.“ Doch dass dies im Gesetze stehe wird Armillus
leugnen und so entspinnt sich ein Kampf zwischen Armillus und Hu-
siel. Dieser tödtet 200,000 aus Armillus' Heer. Darüber entbrannt
sammelt dieser die Streitkräfte aller Völker in das Thal pnnn
gegen Israel. Dieses tödtet wieder eine Unzahl seiner Feinde; aus
ihm selbst fallen zwar sehr wenige, aber dafür wird der Messias
getödtet. Seinen Leichnam tragen Engel fort und bewahren ihn mit
den Patriarchen. Schrecken bemächtigt sich der Israeliten. Aber
Armillus weiss nicht, dass der Messias todt ist, sonst würde er aus
Israel keinen einzigen bestehen lassen. In dieser Zeit werden alle
Völker der Welt die Israeliten aus ihren Provinzen vertreiben und
nicht ferner bei sich wohnen lassen. Eine Noth und Bedrängniss
wird in Israel sein, wie sie seit dem Anbeginne der Welt nicht
gewesen ist. Dann wird stehen Michael, um auszuscheiden die Gott
losen aus Israel. Sofort werden alle Israeliten in Einöden fliehen,
aber alle, die schwankenden Herzens und zweifelhaft sind, werden
zu den Völkern zurückkehren und sagen: „Ist das die Erlösung, die
wir erwarteten, dass der Messias seihst gelödtet ist?“ Diese wer
den anhängen den Heiden. So wird Gott ganz Israel prüfen. Alle
übrigen heiligen und frommen Israeliten aber werden fünfundvierzig
Tage hindurch in der Wüste Judäas sein sich von Brennnesseln und
Baumblättern nährend. In dieser Zeit werden sterben alle ruchlosen
Israeliten, die nicht werth sind die Erlösung zu schauen. Und kom
men wird Armillus und das eroberte Ägypten in Besitz nehmen.
Dann wird er sich gegen Jerusalem kehren, um es zum zweiten Male
zu verheeren.
Das achte Zeichen. Aufstehen wird Michael und dreimal in die
Posaune stossen. Beim ersten Stosse wird offenbar werden derMessias
164
A. Müller. Pharisäer u. Sadducäer o. Judaismus u Mosaismus.
ben David und der Prophet Eiia. Dadurch werden jene Gerechten
Israels, die sich in die Wüste Judäas geflüchtet hatten, ermuthigt
und gestärkt. Aber auch alle übrigen in der ganzen Welt zerstreu
ten Israeliten werden beim Hören der Posaune erkennen, dass Gott
sie heimgesucht und ihnen vollkommene Erlösung gegeben; sie wer
den sich also versammeln und herankommen. Den Heiden aber wird
jener Posaunenschall Schrecken und Beben einflössen und sie wer
den von den schwersten Krankheiten ergriffen werden. Inzwischen
werden sich die Israeliten zum Auszuge rüsten; und kommen wird
der Messias ben David und der Prophet Elia mit den Gerechten, die
aus der Wüste Judäas zurückkehren, und mit allen anderen versam
melten Israeliten. Sie werden in Jerusalem einziehen und den ver
lassenen Königspalast wird ben David einnehmen. Sobald dies
Armillus hört sammelt er die Streitmacht der Heiden und kommt
zum Kampfe mit dem Messias. Für diesen aber kämpft Gott selbst. Er
lässt Feuer und Schwefel vom Himmel herab und nun geht zu
Grunde Armillus mit seinem ganzen Heere und ebenso alle Ruch
losen, die das Haus Jhvh’s verwüstet und die Israeliten aus ihrem
Lande weggeführt hatten. So nehmen die Israeliten Rache an ihnen.
Das neunte Zeichen. Gewaltig wird Michael in die Posaune
stossen. Dadurch werden zu Jerusalem die Gräber der Todten geöff
net, welche Gott zum Leben erweckt. Auch der Messias ben David
und mit ihm Elia werden den Messias ben Joseph, der unter den
Thoren Jerusalems aufbewahrt wurde, von den Todten erwecken.
Dann wird man den Messias ben David ausschicken zur Sammlung
der in allen Ländern der Welt zerstreuten Juden. Und sogleich
werden alle Könige der Heiden die Israeliten auf ihren Schultern zu
Gott tragen.
Das zehnte Zeichen. Michael wird von Neuem gewaltig in die
Posaune stossen. Dann wird Gott alle Stämme herausführen von den
Flüssen Gosan, Lachlach und Gabor und aus den Städten der Länder,
und kommen werden sie ohne Zahl mit den Söhnen Moses. Das
Land vor ihnen wird sein wie der Garten Eden, aber hinter ihnen
wird es sein flammicht und feurig, und nichts werden sie den Heiden
lassen, wovon diese ihr Leben fristen könnten. Und zu jener Zeit,
wo die Stämme auszieben werden, wird sie die Wolke der glor
reichen göttlichen Majestät umgeben. Gott selbst wird vor ihnen
einhergehen.
Firnhaber. Actenstiieke z. Aufhellung d. ungr. Gesell, d. 17. u. 18. Jahrh. 16!)
»
»
F
Actenstiieke zur Aufhellung der ungrischen Geschichte des
17. und 18. Jahrhunderts.
Mitgetheilt von dem c. M. Friedrich Firnhaber.
II.
Ich bin in dem ersten Theile meines Aufsatzes über Bethlen
Gabor (gelesen in der Sitzung der k. Akademie vom 6. October 1858,
abgedruckt im 28. Bande der akadem. Sitzungsberichte) bis zu dem
ersten Ruhepuncte in dem Kampfe, d. i. bis zu dem Waffenstillstände
von Pressburg, geschlossen am 16. Jänner 1620, gelangt. Ich be
strebte mich, am Schlüsse zu zeigen, dass die, jene kurze Periode von
einigen Kriegsmonaten abschliessenden Urkunden: der Waffenstill
stand, Bethlen's Biindniss mit den Böhmen, dann die beiden, Bethlen’s
Annäherung an den Kaiser andeutenden Instrumente, das Diplom vom
23. Jänner, welches Bethlen zum Reichsfürsten erhebt, und des letz
teren Erwiederung hierauf — ihrem Inhalte nach so widersprechend
seien, dass ein günstiges Resultat für den Kaiser daraus zu hoffen un
möglich erscheine. Ich sagte dort, alle diese Instrumenten hatten
den Zweck, ein momentanes Innehalten zu erreichen; von einem
Frieden, einer Ausgleichung konnte keine Rede sein — es war nur eine
Ruhe vom Kampfe, um neue Kräfte zu sammeln. Ich will nun mei
ner zuletzt gestellten Aufgabe nachzukommen trachten, um zu zeigen
wie die scheinbar gewonnene Ruhe benützt wurde, und wie lange sie
dauerte.
Gleich die ersten uns bekannten Actenstiieke zeigen die Diver
genz der Ansichten, aus denen die Unmöglichkeit entspringen musste,
zu irgend einem friedlichen Verständniss zu gelangen, und die Zähig
keit, mit welcher Bethlen trotz der oben angedeuteten Annäherung
an den Kaiser an Bedingungen festhielt, welche der letztere nie
annehmen konnte.
166
Fi r n li a b e r. Aclenstiicke zur Aufhellung'
Das erste uns hier aufstossende Actenstück ist ein Brief Bethlen’s
an den Kaiser, vom 16. Jänner, also dem Tage der Vertragsabschlies-
sung selbst. Er schreibt darin: Se. Majestät werde ohnedem durch
seine Commissäre wissen, was zwischen ihnen zur Beruhigung der
Provinzen geschlossen worden sei, er bitte inständigst und von Herzen
zu dem Gotte des Friedens, dass er den mit Sr. Majestät geschlosse
nen Versöhnungsact und die Ruhe der christlichen Lande zu einem
ewig dauernden und blühenden mache, und denselben mit seinem
himmlischen Hauche und Zustimmung so kräftige und stärke, dass er
durch Niemanden zerstört oder vernichtet werde (ne ullis unquam
quantumvis vehementium instigatorum flabellis turbari . . . valeat).
Um aber seine Rückkehr in die Gunst Sr. Majestät auch im ersten
Momente nicht ohne Frucht anzubieten, so halte er sich für verpflich
tet, Sr. Majestät mitzutheilen, dass die Gesandten der Böhmen und
der andern Provinzen, welche sich auf dem ungrischen Landtag be
fanden, sobald als sie in die Kenntniss des mit S. Majestät geschlos
senen Waffenstillstandes der Ungern kamen (nicht ohne Einwirkung
von Bethlen’s Seite auf sie) ihn anflehten, auch für sie einen ähnlichen
Waffenstillstand zu vermitteln und zwar in der Weise, dass er (Beth-
len) von S. Majestät für sie einfache Einstellung der Feindseligkeiten
nur auf die Dauer von 4 Wochen erlange, damit sie während dieser
Zeit ihre Committenten (principales suos) in Kenntniss setzen könnten.
Diese würden dann Bethlen über die Art und Weise unterrichten,
wie der Waffenstillstand abgeschlossen werden könne und nach Ab
lauf des genannten Monates der Waffenruhe (suspensio armorum)
würden sie unter seiner Vermittlung durch eigene Abgesandte Se-
Majestät angehen (requirant).
Bethlen vertraue bei dem dann folgenden Abschlüsse des Waffen
stillstandes, alles von Sr. Majestät zu erlangen, was recht und gerecht
ist. Er bitte daher Se, Majestät mit Hinblick auf den eben geschlos
senen ungrischen Waffenstillstand und in Berücksichtigung des Frie
dens, den Böhmen, Mährern, Schlesiern, Lausitzern und beiden Erz-
herzogthümern Österreich die Waffenruhe eines Monates zu gewähren;
obwohl er einsehe, dass hinsichtlich der Erzherzogtümer andere
Verhältnisse beständen, als bezüglich Böhmens und Ungerns, so for
dere doch die Gleichheit sie nicht von der gemeinsamen Waffenruhe
auszuschliessen. Während dieser Zeit können sie dann über die Art
und Weise des Waffenstillstandes und dessen weitere Benützung über-
der ungrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
167
einkommen, u. s. w. Aus den höchst geschraubten Worten dieses
diplomatischen Actenstückes kann man schon entnehmen, wo hinaus
Bethlen wollte. Er ist mit dem Kaiser in Ruhe, er hat für sei n e Per
son bedeutende Vortheile erreicht, nun sucht er dem Bündnisse mit
den Böhmen gerecht zu werden. Er will, dass der Kaiser weder ge
gen die rebellischen Böhmen noch gegen die Österreicher irgend
etwas unternehme, sondern gegen sie jede Machtentwicklung sistire.
Eine vierwöchentliche Waffenruhe soll ihnen gegönnt werden, nein,
aber um einen Frieden oder eine Verständigung anzubahnen, nicht
diese 4 Wochen sollen verwendet werden, damit die rebellischen
Staaten sich verständigen können, um nach Verlauf derselben mit
dem Kaiser zu unterhandeln („modo, quo par erit, VestramMajestatem
adeant, requirantque“. Was soll das heissen?).
Es ist ganz begreiflich, dass der Kaiser auf diese Anschauung
der Dinge nicht eingehen konnte. Mit Bethlen und Ungern war am
Ende eine Unterhandlung, eine Transaction möglich, Bethlen war ein
auswärtiger Fürst, die Ungern waren, wenigstens formell nicht im
Zustande der Empörung, das Princip der Rechte des Kaisers als
König von Ungern war durch die letzten Verhandlungen mit Bethlen
gewahrt.
Ganz anders war es in Böhmen. Hier war das ganze Land im
offenen Aufruhr von seinem rechtmässigen König abgefallen, hatte
diesen entsetzt und an seiner Statt einen Vasallen des deutschen Kai
sers, den Kurfürsten von der Pfalz, zum König gewählt. Wie sollte da
eine Unterhandlung möglich sein? Jedes Anknüpfen einer Unterhand
lung wäre ein Zugeständnis Ferdinand's zu den Vorgängen in Böhmen
gewesen, hätte also den Schein eines freiwilligen Aufgebens seiner
Rechte und Anerkennung Friedrich’s von der Pfalz an sich getragen.
Dass der Kaiser mit den Böhmen, d. i. den Böhmen als Nation
ja selbst als mit seinen missvergnügten Unterthanen zu unterhandeln
bereit war, ist bekannt, er erklärte öfters an sie und an Bethlen seine
Bereitwilligkeit zum Empfange böhmischer Deputirten, da hätte aber
vor allem der Standpunct der Rechte des legitimen Königs gewahrt
und anerkannt sein müssen.
So war auch die Anschauung der Sache von Seite des kaiserlichen
Cabinefes. Sie ist deutlich ausgesprochen in der Instruction, welche der
Kaiser im März^seinen Gesandten an Bethlen, dem Reichshofrath La-
minger und dem Rechnungsrath (?) C on raemitgab. Sie sollen, heisst
168
F i rn haber. Actenstiicke zur Aufhellung 1
es darin—-und diess wird als der Hauptpunct ihrer Mission angegeben
(scopum et finem hujus missionis esse praecipuum ut Bethlenio prin-
cipi ea quam rei exigit dexteritate insinuetur ac significetur) —
erklären, dass der Kaiser Bethlens Ansuchen für die Böhmen, so
gerne er es seinetwegen auch thun möchte nicht willfahren könne, „eo“
quo petitae sunt modo, in der Weise, wie es gefordert wird — dage
gen sei der Kaiser vollkommen bereit, die Böhmen unter gerechten
Bedingungen in seine königliche Gnade wieder aufzunehmen, und er
habe ihnen zu dem Ende freies Geleite zur Hin- und Rückreise schon
angetragen, er bestätige ihnen auch aus freiem Willen (ultro) alle
ihre Rechte und Freiheiten, ja sogar den Majestätsbrief wolle er
ihnen bestätigen. Und nun führt der Kaiser seine Gründe an, warum
er in den vorgeschlagenen Modus wegen der Waffenruhe nicht ein-
gehen könne.
Erstens weil die Böhmen den ihnen vom Kaiser schon früher
angebotenen Waffenstillstand missbraucht haben, und während dessen
die Zeit nur benützten, um ihre widerrechtlichen Pläne bei den
Feinden des Königs zu befördern, statt desselben Waffenstillstand
und Gnade zu benützen. Ferner sei es ja klar und ausgemacht, dass
diese Waffenruhe nur böswilliger und betrügerischer Weise gesucht
werde, nicht aber mit der Absicht, zu einem entscheidenden günstigen
Resultate zu kommen (non nisi malitiose et fraudulenter, non autem
animo aut ipse redeundi ad meliorem frugem et nostram deuotionem
modo quaeri), denn das gebe ja aus ihrem Ausuchen hervor, da diese
Waffenruhe auf eine ungewöhnliche, unerhörte und auf künstliche
zum Betrug ausgedachte Weise angestrebt werde, dass sie nämlich
nach Ablauf eines Monates kommen könnten, um dann wegen
eines andern Waffenstillstandes zu unterhandeln, während dem es
der Vernunft gemäss sei, bei allen solchen Fällen den Waffenstill
stand zu benützen, um über den Frieden und die Beendigung
eines Krieges zu unterhandeln, nicht aber um einen neuen Waffen
stillstand zu schliessen. Wenn der begehrte vierwöchentliche Waf
fenstillstand nicht zum Frieden führe, wie könne ihn der Kaiser zu
seinem offenbaren Nachtheil bewilligen 1
Zum Dritten habe diese Angelegenheit auf Bethlen gar keinen
Bezug und er könne wegen ihrer Verweigerung an dem mit ihm
geschlossenen Tractate nichts ändern, da den Böhmen und den andern
Rebellen darin nichts versprochen sei, indem es darin nur heisse,
der ungarischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
169
dass ihnen der Kaiser einen Waffenstillstand unter gerechten Bedin
gungen zugestehen wolle, wenn sie darum an suchen, bisher
hätten sie aber nicht angesucht 1 ).
Weiter komme hinzu, dass Bethlen diesen Waffenstillstand
nicht so, wie es eben der genannte Artikel des mit ihm geschlossenen
Vertrages fordert, für die Böhmen und die andern Provinzen ansuche,
sondern eigentlich für den Kurfürsten von der Pfalz, der Kaiser
könne es aber durchaus nicht annehmen, dass der Fürst sich als
Vermittler zwischen Kaiser und jenem aufwerfe, da er den Pfalz
grafen sowohl in Böhmen als in dieser ganzen Verhandlung als
gar nicht existirend betrachte (pro nullo plane agnoscimus), er habe
an der Sache gar keinen Antheil, und noch viel weniger würde man
mit ihm oder irgend Jemand in seinem Namen zu irgend einer Trans
action sich herbeilassen. Zu einer Unterhandlung im Namen der
Böhmen und der andern Unterthanen sei der Kaiser immer bereit.
Da die böhmischen Beheben sich einen andern Herrn gewählt
hätten, könne übrigens auf keine Weise eher über eine Pacification
verhandelt werden, bis dieser nicht aus dem Lande sei. Da dies
bisher nicht der Fall ist, so stehe dem Kaiser jedes Mittel des Krie
ges und der Waffen zu, um sein Kecht wieder zu erlangen; eine
Waffenruhe könnte diesem festbeschlossenen Zwecke nur Nachtheil
bringen.
Als weitern Grund seiner Weigerung führt der Kaiser an, dass
die böhmischen Truppen noch immer in Oesterreich stünden, welches
sie so arg verwüstet haben. Zudem wisse der Kaiser, dass die Böh
men und ihre Verbündeten nicht den geringsten Sinn hätten, frei
willig zu ihrer Pflicht zurückzukehren; sie suchten den Waffenstill
stand nur um Zeit zu gewinnen, und betrieben währenddem hei
allen seinen Feinden Hülfe und Kriegsunterstützung, ja sie suchen
sogar die Türken gegen ihn aufzustacheln. Die Drohungen Bethlens
dieserhalb wisse er wohl zu würdigen, denn leider habe die Macht
der Türken nur durch die Zwietracht der Christen zugenommen;
Bethlens Angaben seien aber im gegenwärtigen Augenblicke nicht
l ) Note Art. M. des Vertrages mit ßetlilen vom IG. Jänner 1620, auf welchen der Kaiser
sich hier bezieht, lautet: Secnndo. Quod easdem inducias simililer post requisitio-
nem Sua Majestas Caes. et Heg. Bohemis etiam et alijs incorporatis provinciis sient et
secundum statum eorum utrique Austriae iustis et aequis conditionibus conccdere
dignabitnr.
170
Fi p’nh aber. Actenstiicke zur Aufhellung
der Wahrheit gemäss, denn die Türken hätten jetzt die feste Absicht,
den Frieden unverbrüchlich zu halten, obwohl man von allen Seiten
arbeite, um sie zum Bruche zu bewegen.
Die Gesandten sollen daher den Fürsten ermahnen, sein gege
benes Wort zu halten, die verirrten Gemüther der Unterthanen des
Kaisers in Ungern ihrem rechtmässigen Herrn zuzuwenden, keine
Kriegshilfe den Rebellen aus Ungern zuziehen zu lassen, noch ihnen
selbst etwa, im Widerspruche mit seinem Schreiben vom 23. Februar,
Hilfe irgend einer Art zu gewähren, dagegen verspricht ihm der
Kaiser, wenn er seine Mühe und seinen Einfluss anwendet, auch die
Böhmen ihrem rechtmässigen König zurückzuführen, und dadurch ein
grösseres Blutbad verhindert, ihn und seine Nachkommen bei jeder
Gelegenheit zu bedenken; für alle Fälle aber werde er, wenn Bethlen
seine Versprechungen hält und auf des Kaisers Seite bleibt, auch
alles dasjenige halten, was ihm in den letzten Verträgen versprochen
wurde.
Wie wir aus den einzelnen Puncten der Instruction entnehmen,
war das kaiserliche Cabinet von allen Vorgängen wohl unterrichtet.
Um so mehr muss es auffallen, dass nicht die geringste Erwähnung
von Bethlen’s Verbindung mit dem Pfalzgrafen Friedrich und seiner
Versprechungen an denselben, so wie seiner Mithilfe an den Machi
nationen an der Pforte geschieht. Die Nichtberührung muss also ab
sichtlich sein, um Bethlen nicht zu reizen, das vollkommene Ignori-
ren sollte ihm den Weg offen lassen; man betrachtet ihn noch immer
als Freund, man schmeichelt ihm und gab ihm die schönsten, gewiss
auch ehrlich gemeinten Versprechungen, um ihn zu erkaufen, war
man doch zu schwach, ihm offen als Feind gegenüber zu treten. Beth
len seinerseits scheute sieh viel weniger seine Absichten zu ver
schleiern, seine Schritte im Gegentheil waren eher darauf berechnet,
dem Kaiser kund zu werden, um ihn mürbe zu machen. So sein
Schreiben, welches er unterm 29. Jänner 1 ), also lange nach Abschluss
seiner Verträge mit dem Kaiser, von Rima Szombath aus an den
Kurfürsten von Sachsen und den Herzog von Baiern richtete, und
in welchem er sich bestrebte, diesen die eigentlichen Ursachen der
Bewegung und der Wirren in Ungern und Böhmen von seinem Stand-
puncte aus einander zu setzen. Unmöglich konnte dieses dem Kaiser
*) S. Beilage II.
der ungrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
171
unbekannt bleiben. Er empfiehlt darin sich und seine Verbündeten
ihrer Unterstützung. Nur ihre angegriffene Religion wollten sie
schützen, und die Freiheit ihrer vaterländischen Gesetze, dazu bäten
sie um ihre Hilfe; er wolle nur den Frieden und die Herstellung der
öffentlichen Ruhe, sie möchten sich daher verwenden, dass der Kaiser
den Böhmen ebenfalls einen Waffenstillstand gewähren möchte. Hier
spricht er aber nicht von einer Waffenruhe auf vier Wochen, um
dann einen Waffenstillstand zu unterhandeln, sondern er sagt einfach:
cum imperatoria et regia majestate inducias regno Hungariae pacti
sumus, ita ut post requisitionem condignam easdem Bohemis quoque
et aliis conföderatis nostris — suo Majestas — concedere dignabitur.
Das ist ganz billig, er erwähnt aber nichts davon, dass der Kaiser
den Böhmen 4 Wochen Zeit gönnen soll, um sich während dem zu
rüsten. Natürlich ist nach seiner Angabe dann der Kaiser höchst
ungerecht, wenn er den Böhmen ihren Wunsch nicht erfüllt, und nun
lässt er die Drohung durchschimmern, dass im entgegengesetzten
Falle nur das grösste Unglück erfolgen könne, und er seine Freunde
um keinen Preis verlassen würde. Zu was waren nun die Verträge
geschlossen, wo bleibt Bethlen's Versprechen, die Gernüther der Auf
geregten zum Gehorsam gegen den Kaiser zurückzuführen?
Es ist nicht bekannt, ob und in welchem Sinne die Kurfürsten
sich über Bethlen’s Brief äusserten; haben sie geantwortet, so geschah
es gewiss in demselben Sinne, wie die Stände des deutschen Reiches
am 23. März an die ungrischen Stände sich aussprachen. (Miller,
Bethlen I, 127.)
Dass die Anschauung der deutschen Fürsten mit der des kaiser
lichen Cabinetes identisch war, können wir auch aus den Äusserun
gen der Kurfürsten von Köln und Sachsen aus ihren Originalschrei
ben an den Kaiser, der sie um ihre Meinung bezüglich der von den
Böhmen gewünschten Waffenruhe befragt hatte, entnehmen. Beide
stimmen nicht dafür, insbesondere der letztere weist darauf hin, es
sei nicht zu zweifeln, dass Bethlen hierbei nur Zeit gewinnen wolle.
Da die Gesandtschaft Lamingers von keinem Schriftsteller
weiter erwähnt wird, und gerade ihr besonderer Zweck die Trennung
Bethlens von den Böhmen war, so halte ich es für wichtig genug,
die ganze Instruction, von der ich oben nur einige Puncte im Auszüge
mittheilte, im Anhänge beizufügen !).
S. lieilage XXI.
172
Firnhaber. Aclenstiicke zur Aufhellung
Bezüglich des abgeschlossenen Waffenstillstandes und der dem
Fürsten Bethlen vorn Kaiser darin zugestandenen Vortheile dauerte
indess der Verkehr fort. Es hatten sich Zweifel hinsichtlich der
Bethlen zugestandenen Güter erhoben, wie überhaupt der Kaiser an
mehreren Puncten der von seinen Commissären geführten Verhand
lungen Anstand genommen zu haben scheint. Er schickte desshalb den
Freiherrn Maximilian v. Trautmannsdorf, seinen geheimen Rath
und Kämmerer, an den Palatin, der noch immer seine Mittlerstellung
beibehielt. Die Wahl eines so bedeutenden Mannes beweist die
Wichtigkeit, die der Kaiser dieser Unterhandlung beilegte. Max Traut
mannsdorf, früher Abgesandter zur Kaiserwahl in Frankfurt, dann
Gesandter zur Notificirung von Ferdinands Wahl in Rom, in Florenz,
Mailand und Neapel, wurde später geheimer Unterhändler mit Fer
dinands Schwager dem Erzherzog Max von Baiern und dem Kur
fürsten von Cöln, dessen Bruder.
Der Kaiser hoffte von seinen Bemühungen die günstige Beendi
gung der Angelegenheit. Er unterhandelte mit Forgacs und dem
Kanzler Bethlens Simon Pechy 1 ). Der Palatin drängte auf endliche
Entscheidung und bat den Kaiser inständigst die Beschlüsse der
Commissäre zu ratificiren, um die Gemüther des Fürsten und der
Stände nicht noch mehr aufzuregen. Die Besitzeinführung in die
abgetretenen Comitate, die Erstreckung der Waffenruhe auf Polen,
doch nicht auf die Böhmen, die Massnahmen Bethlens gegen die
Geistlichkeit und die Anhänger des Kaisers waren die Hauptanstösse.
Und doch glaubte der Palatin dem Kaiser rathen zu müssen 3 ), dem
Wunsche nach Frieden nachzugeben, denn er war überzeugt, dass
durch Mittel der Besänftigung weit leichter und mit grösserer Würde
der k. Majestät dieUnruhen besänftigt und die abgewendeten Gemüther
zu ihrem wahren Gehorsam zurückgeführt werden können.
Anders lautete das Gutachten des ungarischen Rathes 8 ). Es ist
ganz den Forderungen Bethlens und den Ansichten des Palatin ent
gegen. Freilich erklärt er sich von vorne herein unter diesen Ver
hältnissen als rathlos, „non videt consilium ungaricum, quomodo in
obscuris hisce explicationibus fundamentum solidum poni possit“, da
*) S. Beilage VIII.
2 ) S. seinen Brief vom 3. Februar, Beilage III.
3) S. Beilage VII.
der ungarischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
173
durch den mit Bethlen geschlossenen Tractat des Königs Eid: die
Kirche und ihre Diener zu schützen und die Grenzen des Reiches
nicht zu veräussern, verletzt werde. Er deutet mit Schärfe darauf
hin, dass die gemachten Auslegungen und Vermittlungen dem Sinne
der Landtags-Artikel vom 18. Jänner geradezu widersprechen, dass
alle Rechte durch Bethlen verletzt seien. Der ungrische Rath fürch
tet durch die Zugeständnisse des Kaisers nicht nur den Ruin der
katholischen Religion in Ungern, sondern auch den Verlust der
ungrischen Krone für das Haus Habsburg; er kann dem Ansuchen
um den erweiterten Waffenstillstand durchaus nicht günstig sein,
denn der Kaiser werde nie eine bessere Gelegenheit finden, weder
nach dem Schlüsse des Reichstages, noch später Ungern wieder zum
Gehorsam zurückzuführen, als jetzt, denn lasse man Bethlen und den
Malcontenten Zeit sich zu stärken, die Türken auf ihre Seite zu brin
gen, die Polen zu beruhigen, so werden sie dann ihre Pläne der
Lostrennung leichter erreichen. Die bis jetzt treuen Anhänger des
Kaisers werden denMuth verlieren, und werden sich dann in Zukunft
lange besinnen, oh sie zu ihrem Schaden wieder zu dem unwirk
samen Schutze des Kaisers ihre Zuflucht nehmen sollen.
Sollte aber Se. Majestät dennoch bewogen werden, dem Willen
Bethlen’s nachzugeben, so möge Sie doch die Lage des katholischen
Klerus in Erwägung ziehen, dessen in allen Verträgen mit Bethlen
nicht einmal eine Erwähnung geschieht. Die Räthe sprechen sich
also dafür aus, der Kaiser möge der Geistlichkeit Sicherheit der Per
son und des Eigenthumes erwirken, zweitens soll er dem Fürsten
Bethlen die in den Verträgen erwähnten Comitate nur legal, d. i. mit
Zustimmung der Stände gewähren.
Die Landtags-Artikel vom 18. Jänner sollen für null und nich
tig erklärt werden , denn bei dem Aufrechthalten dieser Artikel
können ja die Verträge mit Bethlen gar nicht existiren. Den Anhän
gern des Kaisers soll ihr Eigenthum garantirt werden.
Der Rath hielt es ferner für unumgänglich nötliig, dass von
Seite der Ungern Garantien gegeben würden, dass der projectirte
künftige Landtag den Kaiser als König auch anerkenne und gegen
alle jene, welche sich dieser Anerkennung etwa widersetzten, feind
lich vorgehe. Das war offen gegen Bethlen gemünzt, so wie die
Bestimmung, dass alle, welche am Neusohler Landtag interessirt
seien, Pässe dazu bekommen sollten. Noch mehrere derlei Anstände
174
F i r n h a b e r. Actenstiicke zur Aufhellung'
berührten die ungrischen Rathgeber und sie beschworen den Kaiser
nicht eher die Tractate zu bestätigen, bis alle diese Bedingungen
eingegangen seien, dann sagen sie: „liaec nisi praestentur, totnm
„istum tractatum induciarum et fucatum et perniciosum et raajestati
„Vestrae minime decorum existimant“. Leider hat uns die Geschichte
die Namen dieser vorsichtigen Beurtheiler der Sachlage nicht auf
bewahrt.
Der einzige Name, welcher unter dem Actenstücke steht, ist
Bucquoy, und diese Unterschrift erregt Bedenken ihrer Echtheit,
die anderen sind weggeschnitten. Möglich, dass Graf Bucquoi zur
Berathung beigezogen wurde, denn er fiel bekanntlich erst vor Neu
häusel am 10. Juli 1621; allein erstens scheint das Wort der Schrift
nach bedenklich, endlich ist nicht recht abzusehen, wie Bucquoi
dazu gekommen wäre , an der Spitze des ungrischen Rathes zu
fungiren.
Ausser diesem Gutachten der Räthe in pleno wendet sich der
Erzbischof Pazmany in einem ganz eigenhändigen Schreiben *) an
den Kaiser, ihn beschwörend, die katholische Religion nicht sinken
zu lassen und nicht eher die Verträge zu unterzeichnen, bis die von
dem ungrischen Rathe vorgeschlagenen Bedingungen erfüllt seien.
Wie wir bereits aus dem Früheren entnommen haben, drangen
weder Pazmany’s Beschwörungen, noch der ungrischen Räthe Vor
schläge durch 2 ), man musste sich auf Gnade und Ungnade ergeben,
der Kaiser musste die Verträge ratificiren. Dies gibt uns ein deutliches
Bild seiner Lage, denn gewiss musste er die Rathschläge als gut
anerkennen und ihnen beipflichten, wenn er irgend die Macht und
die Aussicht gehabt hätte, gegen Bethlen und seine Verbündeten mit
Erfolg aufzutreten. Mit mathematischer Gewissheit aber drängt sich
dieser Schluss auf, wenn man in dem Briefe des Kaisers an den
Kanzler Pechy vom 4. Februar 3 ), womit er ihm als Schlusspunct der
Verhandlungen die ausgefertigten Instrumente für seinen Herrn über
schickt, die Worte liest, „dass deren Inhalt und so wie er bona fide
et summa cum integritate“, zwischen den Fürsten, dem Palatin, den
kaiserlichen Commissären und Pechy selbst geschlossen wurde, und
nicht anders — von ihm angenommen und bestätigt worden sei.
1) S. Beilage IV.
2 ) S. auch Iloinonna’s Brief vom 18. Februar, Beilage IX.
y ) 8. Beilage V.
der ungarischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
175
An demselben Tage schrieb der Kaiser dem Fürsten selbst *),
entschuldigte sieb über die lange Verzögerung wegen der Aus
fertigung der Diplome (ein neuer Beweis, wie gezwungen durch die
Verhältnisse Ferdinand war) und theilte dem Fürsten selbst in wenigen
Worten die Bedenken und gewünschten Bedingungen mit. Er ver
spricht bezüglich der Waffenruhe neuerlich die feste Haltung des
ersten Artikels, dass überall, auch, in Polen die Waffen niedergelegt
würden. Er theilt dem Fürsten den Brief mit, den er desswegen
an den König von Polen schreibt, ebenso die Aufträge an Homonna
und seine Anhänger. Dagegen fordert er aber von Bethlen und den
Ungern, dasssie sich während des Waffenstillstandes von jederUnter-
stützung der Feinde des Kaisers enthalten. MitBezug auf den zweiten
Artikel erinnert er, dass darin nur die Ungern begriffen seien -—was
den in diesem Paragraphe erwähnten Waffenstillstand für die Böhmen
und die andern Provinzen betreffe, so wird er sich den Böhmen gnä
dig erweisen, wenn er, wie es dort bedungen ist, darum angegangen
wird, — um zu zeigen, dass ihm Friede und Eintracht das theuerste
Gut sei. Als selbstverständlich berührt er weiter, dass seine Anhänger
während der Waffenruhe in Person und Gut nicht gekränkt werden,
endlich mit Bezug auf das Gutachten des ungrischen Bathes, dass
alle zum nächsten Landtage specielles freies Geleit haben müssten.
Im weitern Verlaufe geht das kaiserliche Schreiben auf das
Diplom für Betlilen vom 23. Jänner über, indem es hier einer falschen
Auffassung oder Auslegung vorzubeugen sucht. Es stellt den Grund
satz auf, dass, ohne das kaiserliche Wort im geringsten schmälern
zu wollen , alle gemachten Schenkungen und Zusicherungen natür
lich nur nach dem Gesetze statthaben können, d. h. mit Zustimmung
der ungrischen Stände, dann erst kann die Besitzeinführung durch
den Palatin erfolgen.
Dies sind mit kurzen Worten die Richtungen, in welchen der
Kaiser die beiden diplomatischen Instrumente angesehen wissen will.
In derselben Auffassung der Sachlage sind die Gesandten Laminger
und Conrae, wie wir gezeigt, instruirt, auf diesen Puncten beruht
die Rechtsbeständigkeit dieser Verträge. Der Kaiser hat z. B. dem
Fürsten Bethlen die neun Comitate auf Lebzeiten abgetreten und ihm
dies urkundlich zugesichert, allein zur Erlangung des rechtsgiltigeu
*J S. Beilage VI.
176 Firnhaber. Actenatfioke zur Aufhellung
Besitzes ist die introductio des Palatins erforderlich: bevor diese
statthaben kann, müssen die Stände landtäglich diese Schenkung
des ungrischen Königs bestätigen; das setzt also voraus, erstens, dass
Ferdinand wieder im vollen Besitze seiner königlichen Macht ist,
und dass die Ruhe im Lande wieder hergestellt ist, denn ohne diese
beiden Bedingungen kann der Landtag und dessen Zustimmung zu
der von dem anerkannten rechtmässigen König gemachten Schenkung
nicht in’s Leben treten und zu Recht erwachsen. Der Fürst muss
also selbst trachten, das Land und die Bewohner zu beruhigen, um
zu dem von ihm gewünschten Resultate zu gelangen. Es ist nur jetz
die Frage, ob der Fürst dies auch alles thun will, jetzt nachdem die
Verträge bestätiget waren. Wir werden demnach nun zeigen, wie
Bethlen die Sachlage auffasste, wie er die Worte der geschlos
senen Verträge interpretirte. Wir stützen uns dabei auf Bethlens
Schreiben vom IS. März 1620, worin er sich auf den Brief des
Kaisers antwortend über sein Verhältniss zu den Böhmen ausspricht.
Auf den ersten Punct — die unbedingte Waffenruhe, welche
der Kaiser dahin verstanden haben will, dass die Ungern seinen
Feinden keine Unterstützung gewähren — äussert sich Bethlen fol-
gendermassen: Es sind auf dem Pressburger Landtage drei Verträge
verhandelt worden, und zum Schlüsse gelangt, sagt er , ohne jetzt
mehr irgend eine Geheimhaltung anzustreben oder zu simuliren. Der
erste ist der Watfenstillstandsvertrag mit dem Kaiser, der zweite
der Vertrag mit den Böhmen und den Conföderirten, der dritte jener
mit den Ständen von Ungern.
Er gesteht zu, sagt er nun weiter mit merkwürdiger Offenheit,
dass nach der Meinung vieler es so erscheinen müsse, dass er in die
sen einander entgegenstehenden und sich widersprechenden Ver
trägen so verwickelt sei, dass es unmöglich erscheine, ohne Ver
letzung des gegebenen Wortes seinen übernommenen Verpflichtungen
gegen jede Partei nachzukommen. Um diesen Meinungen entgegen zu
treten und den Kaiser und seine Räthe von der Wahrheit zu über
zeugen, erklärt er, dass zwischen den Böhmen und den Ungern, seine
Person mit eingeschlossen, ein ewiges Bündniss auf Lehen und Tod
gegen alle Feinde geschlossen worden sei. Keiner von beidenTheilen
kann Krieg oder Frieden mit wem immer ohne Vorwissen des andern
1) S. Beilage XVI.
der ungarischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
177
sehliessen. Nun folgt seine weitere spitzfindige Argumentation.
Dieses Biindniss war bereits geschlossen , als er mit Wissen und
Willen seiner Bundesgenossen den Waffenstillstand mit dem Kaiser
schloss. Der Kaiser dürfe also den Artikel II auch nur in diesem
Sinne auffassen: Der Waffenstillstand mit den Ungern sei zwar nicht
der Art, dass er sich sogleich auch auf die Böhmen erstrecke.
Jedoch dürfe er (Bethlen) die letzteren nicht so weit verlassen, dass
sie aus diesem Waffenstillstände gar keinen Vortheil zögen (sed nec
ita neglectos ac prorsus desertos [ßoliemos] a nohis, ut nulla ad
ipsos ex nostris redundaret inducijs commoditas). Ja weiter sei der
Kaiser verpflichtet, auf Anforderung und Verwendung Bethlen’s den
Böhmen auch einen ähnlichen Waffenstillstand zu gewähren. Thue
der Kaiser das Geforderte nicht, wage er es, eine andere Meinung zu
haben, rüste er, wie Bethlen ihm vorwirft, gegen die Böhmen, ja
wolle er jetzt schon (was Gott verhüte) von den Vertragspuncten
abspringen , dann fühle Bethlen sich und die ungrische Nation zu
keiner Verpflichtung verbunden, kein Mensch könne sie dann einer
Vertragsverletzung beschuldigen, wenn sie wieder zu den Waffen
griffen. Dies sei sein Ultimatum.
Was die Pressburger Landtagsartikel betrifft, so ist einegenaue
Unterscheidungdes Waffenstillstandes und der Conföderation gemacht
worden. Bethlen findet in dem ganzen Vorgehen der Landstände,
welches nur die innere Verwaltung betrifft, nichts (!) was die Würde
des Kaisers oder die Freiheit des Landes verletzen könnte, zudem
der letztere ihm (Bethlen) in dem Waffenstillstände die freie und
unumschränkte Verwaltung übergeben hat.
Bethlen findet also durchaus nichts, wodurch diese drei Verträge
sich widerstreiten. Natürlicher Weise subsumirt er nur das Einzige,
dass bezüglich des Waffenstillstandes der Kaiser denken und thun
müsse, wie Bethlen will, bezüglich der Landtagsartikel es den
Kaiser nichts angehe, da Bethlen Gubernator ist und also so guber-
nirt, wie die Stände beschliessen , mit denen er aber in einer
beschwornen Verbindung steht. In diesem Cirkelbeweise refutirt er
die Einwendungen des Kaisers und lässt überall gleich die Drohung
durchschimmern, augenblicklich die Gewaltlhätigkeiten zu erneuern,
wennderKaiser sich erlauben würde einen andern Gedanken zu haben.
Natürlich nur zur Erläuterung und Bekräftigung dieser Ansichten
wurde an demselben Tage, an welchem Bethlen an den Kaiser schrieb,
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXXIV. Bd. I. Hft. 12
178
Firnhaber, Actenslüeke zur Aufhellung
eine Gesandtschaft der Stände von Ungern an die Stände von Nieder-
und Ober-Österreich abgeschickt, in der Person des Emerich
Thurzo de Betlenfalva, Michael Bossany de Nagy Bossan,
Rath Bethlen’s, und Joachim Magdeburger, Rathsherrn der Stadt
Kaschau, um sie zur Beschickung und zum gemeinsamen Handeln
auf dem nächsten Landtage einzuladen.
Sie riethen freilich einzig nur zum Frieden, und ich glaube
auch, dass das ihr voller Ernst war; sie wollten den Frieden erlan
gen und das Land beruhigen, was wir ebenso aus einem vertrau
lichen Briefe des Kanzlers Pechy an die Räthe des Kaisers Meggau
und Preyner vom 23. Februar *) hören — gleicher Gesinnung ist
der Palatin (s. dessen Schreiben vom 26. Fehr. 2 ) — dasselbe sahen
wir vom Kaiser — aber kein Theil fand oder wollte die richtigen
Mittel, für jetzt drehte sich Alles um den einen Hauptpunct, um die
Auslegung des Art. II. d. i. um den den Böhmeu zu bewilligenden
Waffenstillstand. In diesem Puncte war der Kaiser unbeweglich und,
wie wir aus allem Vorhergehenden entnehmen konnten, mit Recht.
Wegen dieser Angelegenheit wendete sich neuerlich der Palatin
durch Schreiben vom 16. März an den Kaiser s )- Er beschwört ihn
den Frieden zu erhalten, das Reich vor den Türken zu retten, da
man wisse, dass der türkische Kaiser Ungern überziehen wolle 4 ), er
fügte seinem Briefe noch ein ganz eigenhändig geschriebenes Blalt
bei, und beschwört den Kaiser den Waffenstillstand zu gewähren,
da Bethlen durchaus darauf bestehe, widrigenfalls das Ausserste zu
besorgen sei. Konnte der Kaiser billiger Weise hier nachgeben, da
Jedermann einsehen muss, dass er durch diesesZugeständniss gleich
sam eine halbe Abdication und Abtretung Böhmens an Friedrich von
der Pfalz begründete?
Jetzt nachdem er, um sich Böhmen zu erhalten, bereits halb
Ungern an Bethlen abgetreten hatte?
Bethlen, ganz dem Sinne des erwähnten Schreibens an den
Kaiser entsprechend, erliess unmittelbar nach Ahsendung dieser seiner
kategorischen Antwort Aufrufe zur Insurrection an die Comitate, um
gleich die Hilfe für die Böhmen zur Hand zu haben, wenn der Kaiser
*) S. Beilage XI, s. auch Beilage X.
2 ) S. Beilage XII u. XIII.
3 ) S. Beilage XVIII.
4) S. Beilage XX a, b, c.
der ungrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
179
sich ihren Wünschen nicht füge (s. Pechy's Schreiben aus Kaschau
vom 17. März an die österreichischen protestantischen Stände) 1 )-
Das Resultat aller dieser Verhandlungen war somit wieder Null.
Man beschränkte sich wieder auf das Verzögern. Der Kaiser erliess
die gewünschten Mittheilungen an Polen, vorzugsweise anHomonna,
seinen treuen, von Bethlen gefürchteten Anhänger, der über den
Waffenstillstand höchst ungehalten war.
Ober das weitere Schicksal der Mission Laminger’s, von
welcher wir oben sprachen, ist nichts weiter bekannt, sie führte
auch zu keinem Resultate und drängte die Entscheidung nur weiter
hinaus.
Wir wissen nur so viel, dass Laminger dem Fürsten Bethlen
Aussicht eröffnete, dass der Kaiser einigermassen in die Wünsche
der Böhmen eingehen würde. Dem Grafen Haller, welchen Bethlen .
im März nach Wien schickte, um den Kaiser durch Drohungen
mürbe zu machen („paulo duriore verborum emphasi exaggerando
cesarem“) 3 ) wurden gleichfalls Versprechungen gemacht, die Mei
nung hinsichtlich des böhmischen Waffenstillstandes zu ändern.
Wenigstens rieth Bethlen in Folge des Ergebnisses der Mission Hal-
ler's dem Pfalzgrafen von Feindseligkeiten ab. Er soll eine eigene
Gesandtschaft an den Kaiser schicken, alle Mittel zum Frieden suchen
und die ganze Sache so zu stellen trachten, dass wenn auch wieder
zu den Waffen gegriffen werden müsste, die Schuld des Blutver-
giessens auf den Kaiser gewälzt werden könne. Aus diesem Briefe
wird zugleich die innige Verbindung Bethlen’s mit Friedrich von
der Pfalz klar, da er nicht nur die grössten Freundschaftsversiche
rungen macht, sondern ihm auch Alles mittheilt, was Laminger unter
handelte , was der Kaiser verspricht, und was der letztere in den
geheimen Besprechungen mit Haller geäussert.
Nur die Unterstützung von Seite des deutschen Reiches schien
Bethlen bedenklich, denn er fragte bei den Böhmen an, ob die von
Kaiser und Reich gegen den neuen König angedrohte Acht diesem
Gefahr bringen könne ?
Während dieser Verhandlungen mit dem Kaiser wurde auch
mit den Böhmen fortwährend unterhandelt. Ich berühre absichtlich
*) S. Beilage XIX.
2 ) S. den Brief ßethlen’s an Friedrich von der Pfalz vom i. April aus Kaschau hei Lon-
dorp, contin. Meyern 11,211. Katona XXX, 303.
12*
180
F i r n hoher, Actenstiieke zur Aufhellung
alle Vorgänge im Anfänge dieses Jahres in Böhmen nicht, als das
Umsichgreifen der pfälzischen Partei in Böhmen, die Huldigungen
in Mähren, Schlesien und Lausitz, die Verhandlungen mit den Kur
fürsten, speciell mit Sachsen und Baiern, weil ich sie als bekannt
voraussetze.
Von grösserer Wichtigkeit ist aber die Vollendung des böh-
misch-ungrischen Bundes, und die darauf gebauten Folgerungen. Die
bereits erwähnte Anwesenheit Thurzo’s als ungrischen Commissärs
in Prag, wo derselbe bei dem neugebornen Kinde Friedrich’s von
der Pfalz an Betblen's statt Pafhenstelle vertrat, batte den Zweck,
nicht wie allgemein angenommen wird, dasBündniss mit den Böhmen
zu erneuern, sondern die Ratification desselben, welches im Jänner
zwischen den Fürsten geschlossen worden war, durch die böhmischen
Stände und deren Verbündete zu erlangen, ferner die Detailausfüh
rungen der einzelnen Vertragspuncte durch Specialverträge in’s
Leben zu führen.
Bethlen hatte seine Hilfe im reichsten Maasse durch die phy
sische Kraft angeboten, die Böhmen sollten das liefern, was den
Ungern fehlte: Geld.
Die Verhandlungen Thurzo’s hatten guten Erfolg an dem
vereinigten Landtage zu Prag. Der zu Pressburg am IS. Jänner
1620 geschlossene Vertrag, welchen wir Nr. XXXI 1 ) ohne Datum
und dort von der böhmischen Gesandtschaft unterfertigt in extenso
mitgetheilt haben, wurde von dem versammelten Landtage in Prag,
mit König Friedrich an der Spitze, unter dem Tage St. Marcus des
Evangelisten, i. e. den 2S. April bestätiget und in die Landtafel ein
getragen.
Den Ungern wurde als Ratificationsexemplar ein mit der Be
stätigung der Landtafel und mit dem Landessiegel versehenes Exem
plar auf Pergament ausgehändiget. Dieses Instrument ist vollkommen
mit dem Präliminarvertrage vom IS. Jänner gleichlautend, nur ent
hält es nach dem Titel Friedrich’s, Nos Fridericus etc.: die Namen
der sämmtlichen Landtagsdeputirten der Conföderation, dann folgt
von den Worten: memoriae commendamus tenore presentium ange
fangen — der ganze Vertrag bis zu den Schlussworten : apponen-
daque voluimus.
1 ) Akadem. Sitzungsb. 1858, p. 453.
der ungrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
181
Nun kommt das Datum: Actum in arce Pragensi in generalibus
regni Bohemiae omniumque incorporatorum ac confoederatorum pro-
vinciarum comitijs, die Sancti Marci Evangelistae vigesima quinta
mensis Aprilis anno millesimo sexcentesimo vigesimo. Dann folgt die
Bestätigung der Landtafel in böhmischer Sprache. (Ich habe in den
Beilagen dieses Ratificationsinstrument mit Hinweglassung des bereits
gedruckten eigentlichen Vertrages abgedruckt 1 ).
Ich glaube durch diese Auseinandersetzung den Irrthum bezüg
lich dieses Vertrages aufgeklärt zu haben, welcher sich bei vielen
Schriften über diesen Gegenstand eingeschlichen hat, dass man
theils nicht wusste, wann eigentlich das Bündniss mit den Böhmen
geschlossen wurde, ob am IS. Jänner oder 25. April, theils, wie ich
oben 1. c. pag. 103 (461) erwähnte, die Vertragsurkunde vom
25. April mit der Bestätigung vom 15. Jänner abdruckte, was ein
offenbarer Anachronismus ist, der nur irreführen muss.
Durch Thurzo war also in Prag keine neue Unterhandlung zu
einem neuen Bündnisse geführt worden, sondern nur die feierliche
Anerkennung des vom Könige allein früher geschlossenen Vertrages
erfolgt. Ein ganz anderer neuer Vertrag war der , von demselben
Tage datirte, von König und Ständen sogleich ratificirte, über die
Ausführung der im ersten Vertrage principiell festgestellten Puncte
(den auch Harter 1. c. p. 371 erwähnt).
Dieser besteht, eben so wie der erste vom 15. (und resp. 19.)
Jänner aus zwei Instrumenten 2 ), der feierlichen Vertragserklärung des
Königs und der Stände, und der Entgegnung der ungrischen Ge
sandten im Namen ihrer Mandanten. Katona hat beide, aber unvoll
ständig, und ohne die von mir jetzt dargestellte Verbindung. Ich
lasse beide im Anhänge abdrucken. Da dieselben nichts Wesent
liches für unsere Darstellung enthalten, ausser der Anerkennung des
Princips der innigen Vereinigung von Böhmen und Ungern, das vor
zugsweise durch die zugesicherte gegenseitige Hilfe an Truppen
ausgedrückt, so verweise ich den Leser auf den Abdruck. Interessant
ist es übrigens, dass im II. Artikel die Böhmen den Ungern ganz
höflich die geforderten Subsidiengelder abschlagen, und im III. Ar
tikel sich nur verpflichten, die auch früher und bisher geleisteten
t) S. Beilage XXIX.
2 ) Beilage XXVII u. XXVIII.
182
Firn ha her, ActenstiicUe zur Aufhellung'
Beiträge zum Schutze der Grenzbefestigungen zu bezahlen, an deren
Repartirung sich Böhmen mit SO.000 Thalern, Mähren mit 2S.000,
Schlesien mit 23.000, Oberlausitz mit 3000, Niederlausitz mit
2000, Ober-Österreich mit 2S.000 Thalern betheiliget. — Nieder
österreich verspricht sein Ratum auf dem Neusohler Landtag zu
erklären.
Weiter wird jene im VII. Artikel des Bündnisses vom IS. Jänner
versprochene Vermehrung der genannten Gelder neuerlich zuge
sichert; und nach diesem Schema entfallen auf Böhmen 18.000,
Mähren 9000, Schlesien 8000, Ober-Lausitz 1200, Nieder-Lausitz
800, Unter-Österreich 8000, Ober-Österreich S000 Thaler.
Ein eigener Artikel dieses Vertrages bestimmte ferner die Ab
sendung einer vereinigten Gesandtschaft nach Constantinopel, um
den Frieden zu erhalten.
So standen Ende Aprils 1620 die Verhältnisse zu Böhmen; wir
können uns nicht versagen hier einen Theil des Schreibens von
Zacharias Starzer 1 ) vom 3. April anzuführen um die Anschauung
der Zeit zu charakterisiren. Er sagt am Ende seines Briefes: „Die
„Spanschaften seien mit irem Volck in die 13.000 stark in solcher
„bereitschafft, dass sie allein befelch zum ausziehen und ordinanz
„von ir fürstlichen Durchlaucht (d. i. Bethlen) erwartten. Ihr fürst
liche Durchlaucht haben 8000 Thaler hieher (nach Pressburg ver
ordnet, und bevolhen per 30.000 Thaler geistliche guetter zuuer-
„setzen, vnd lassen enthalb der Thonaw für sie vngerisch kriegsvolckh
„werben. Man sagt alhie, der Redey Ferencz cziech mit 10.000
„bereith über den Weisenburg zu vnser armada zu stossen.“ Und
weiter:
*) S. Beilage XXIV. Ich habe in dem ersten Theil dieser Abhandlung' unter den Bei
lagen das Bruchstück eines höchst wichtigen Briefes von Zacharias Starzer an seinen
Neffen Michael Starzer in Constantinopel mitgetheilt und dort Seite 453 (95) bemerkt,
es scheine ein Blatt zu fehlen. Durch einen sonderbaren Zufall ist nun die Sache auf
geklärt worden. Das Staatsarchiv besitzt nur einen Bogen d. i. die äusseren zwe
Blätter dieses Schreibens; die Einlage, ein ganzer Bogen, fehlt ihm und diese befindet
sich in den Acten des k. k. Ministeriums des Innern, ist also dort ohne Adresse und
ohne Ende und kam mir zufällig, während diese Abhandlung gedruckt wurde, zu
Gesicht. Der Inhalt erinnerte mich an jenes abgedruckte Bruchstück, eine Verglei
chung ergab die Zusammengehörigkeit. Ich glaubte das Stück für wichtig genug
halten zu dürfen, um es ganz abzudrucken, und füge es hier im Anhänge als Nachtrag
sub Nr. XXX bei.
der ungrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
183
„Herr Palatinus ist noch zu Kaschau, der promittert bey Sr.
„kays. Mayt. die indueias für Böhaimb, Mähren, Schlesien und
„Ostreich nit allein zu gueten Content zu erhalten sondern fridt zu
„schliessen vnd mit disen Verhaissungen vnd persuasionen heit er
„die Vngern von tag zu tag auf.“
So lauten die Nachrichten aus dem Munde eines Mannes, der
der Ultra-Partei angehört. Von nun an concentrirt sich alles Inter
esse auf den bevorstehenden Landtag zu Neusohl, den man für den
ersten Sonntag nach Pfingsten 31. Mai erwartete.
184
F. Firnhaber, Actenstiicke zur Aufhellung
BEILAGEN.
i.
16. J:\iinei' 1620.
Schreiben des Fürsten ßelhlen an den Kaiser.
Sacratissima Caesarea ac Regia Majestas, domine, domine clementissime.
Quibus modis atque conditionibus cum dominis Vestrae Majestatis Caesa-
reae Regiaeque ablegatis, tarn de induciarum, quam sub eo temporis decursu
regnorum secura tranquillaque permansione convenerimus, tarn ex literis eorun-
dem dominorum ablegatorum, quam etiam instrumentis ultro citroque superinde
exhibitis et transmissis, abunde Vestram Majestatem Caesaream Regiamque
intellecturam non dubito: Deum pacis ardenter atque ex animo deprecor, ut
hanc meam cum Vestra Majestate Caesarea Regiaque foelicem reconciliationem,
in perpetuam immortalemque Augustissimi nominis ipsius gloriam, regnorumque
Christianorum tranquillitatem, perennem faciat atque florentem, suoque afflatu
et assensu coelesti ita roboret ac firmet, ne ullis unquam quantumvis vehemen-
tium instigatorum flabellis, nedum turbari aut labefactari, sed nec naevis macu-
lisve quibusque meo vel posterorum tempore notari et aspergi valeat.
Caeterum ne hunc meum in favorem MajestatisVestrae Caesareae Regiae
que reditum in primo statim limine sine foetu fructuque offeram, signifleandum
eidem occasione eadem debui, quam primuin regni Bohemiae reliquarumque
provinciarum legati, in liis praesentes eomitiis existentes, meae ae gentis Hun-
garicae cum Vestra Majestate Caesarea Regiaque concordiam, pactasque ad
tempus indueias cognoverant, cum et alioqui sub isto tractatu, nunc per obliquas
nunc vero directas rationes, animos eorum cum Vestra Majestate paciscendi
tentaverim, statim ut partes meas seria cum intercessione apud Vestram Ma
jestatem Caesaream Regiamque de impetrandis induciis tali modo ac ratione
implorare ceperunt, nimirum ut simplicem armorum suspensionem, ad spatiuin
tantum quatuor septimanarum eatenus a Vestra Majestate impetrarem, ut sub
eo tempore legati praesentes suos ubique principales requirere valeant, qui
vicissim de modis pangendarum induciarum me certiorem reddentes, sub fine
unius illius mensis, qui suspensioni armorum erit dicatus, rursuni Vestram Ma
jestatem, et me intercesscre, et per proprios legatos modo condecenli requi-
rant, tuncque in pangendis induciis, quod aequitatis ac communis justitiae fuerit,
id a Vestra Majestate, me cum illis omnino impetrare posse confido.
Quapropter Vestram Majestatem Caesaream ac Regiam secundum eam,
qua semel regnis et provinciis me obtuli, stipulationem requiro, ac rogo, ut et
der ungrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
185
recenter pactarum induciarum ratione, et pacis eo, quo Vestra Majestas tarn sua
quam remotiora quaeque regna Christiana ampleeti semper ex officio debebit,
studio permota, dignetur Bohemis, simul Moravis, Sylesijs et Lusatijs, atque
utrique Austriae mensis unius armorum suspensionem eoncedere, militemque ab
omni eorum infestatione prohjbere; Austriae siquidem utrique etsi diversam
a reliquis esse rationem non ignoro, aequitas tarnen communis postulat, ut a
communi armorum respiralione communique Vestrae Majestatis clementia ne-
quaquam ipsae quoque excludantur, quo sub tempore et de modis induciarum
cum Vestra Majestate paciscendis, inter se eonvenire concordareque haec regna
atque provinciae valeant; et in fine praefixi temporis Vestram similiter Ma-
jestatem (ut jam mihi plenipotentiarij eorum legati manu stipulata sese hoc
spoponderunt facturos) quo par erit, modo adeant requirantque. Qua re, Vestra
Majestas Caesarea Regiaque post meam apud eandem singulärem intercessionem
et pactarum recenter induciarum condignum pondus condignamque rationem
habere declarabit; et in suis ac reliquis Christianis regnis post tot clades gen-
tiumque ruinas, almae tandem pacis postliminio reducendae affectu paterno stu-
diosissimam esse foreque ad oculum orbi Christiano deinonstrabit. Conservet
Deus Vestram Majestatem Caesaream ae Regiam foeliciter ac florenter diutis-
sime imperantem. Datum in libera Regiaque Civitate Posoniensi die 16 Januarii
Anno domini 1620.
Sacratissimae Caesareae ac Regiae Majestatis Vestrae
servitor obsequentissimus
Gabriel Prineeps m. p.
Simon Pechy m. p.
Cancellarius.
Von aussen.
Sacratissimae Romanorum Imperatoriae acGermaniae, Hungariae ctBohe-
miae Regiae Majestati et Domino domino clementissimo.
Original, Papier mit aufgedrücktem Siegel.
lu der Sammlung des Herrn Karl von Latour.
II.
29. Jänner 1620.
Schreiben Bethlen Gabors an den Kurfürsten von Sachsen und den Herzog von Baiern
ddo. Rima Szombath 29. Jannuar 1620.
Serenissime prineeps, domine amice nobis obseruandissime.
Non dubitamus de modernis inelyti regni Hungariae motibus, eorumque
progressu Vestrae Serenitati hactenus peroptime constituisse, de causis vero et
veris eorum rationibus non tantum varie differenterque Eandem informari, sed
quantum ad intentionem ac personam nostram ut ineptas ita minime veritat
consonas eriminationes ab aemulis circumferri.
Eas non ut vanorum commenta figmentaque hominum per contemtum
praeterire potius, quam iniuriosis ambagibus retexere volumus. Veram autem
huius intentionis causam Vestra Serenitas sic habeat.
186
F. F i r n h a b e r, Actenstiieke zur Aufhellung
Cuin persona Sacratissimae caesareae regiaeque Majestatis Ferdinandi et
antiquam nostrae religionis orthodoxae severissimam persecutionem latens quid-
dam se reposta mente premeret, adeo ut regimen ac imperium Suae Majestatis
non suspectum modo, sed invisum subditis, quibuscunque haberetur.
Primo, contectus iste et latens in animis subditorum ignis in Bohcmia
scintiliam dedit quam eum in initio, si ita maluisset, faeilitate atque clementia
antequam in tantas excresceret flammas, exiguo labore extinguere, prudentiae ac
pietatis fuisset officium. Sed cum ex onmibus etiam remotioribus orbis partibus,
tanta gentium conglobatione Bohemos, Moravosque obruerint, ut vitam cum
fortunis, libertatem cum religione, iam pene in hostium potestatem concedere
cogerentur, multis inquietorum studijs, ijsdein viribus HungariamTransylvaniam
nobis et principibus medio sublatis similiter propedicm opprimendam, palam et
absque ulla formidine minabatur, Bohemi autem, Moravi, Austriaci, alijque con-
föderati et contestari nos omnes et subsequenti jiericulo et obtestari, ut de jure
vcterum antiquorum adaeti, cum praescitu (siquidem conditio nostra id exigebat)
et annuentia, sed sine ullo Turcarum auxilio suppetias confoederatis tulimus.
Non ut vel Romano Catholicam vel ullam aliam religionem (excepto ordine
Jesuwilico) extirparemus, sed ut ab oppressione et imminenti exlinctione nostram
religionem orthodoxam aliasque regnorum libertates labefactalas et diuulsas
vindicaremus.
Vnde non aliam in bis motibus hucusque nostram intentionem fuisse, opere
ipso contestamur, siquidem cum praefata imperatoria ac regia maiestate Ferdi-
nando inducias regno Hungariae pacti sumus, ita ut post requisitionem condignam
easdem Bohemis quoque et aliis confoederatis nostris, sua Majestas Caesarea ac
Regia concedere dignetur, quas apud suam Majestatem per literas et legatum vel
iccirco sollicitari non desinimus, quo quamprimum regnorum ruinis et ulteriori
Christiani sanguinis effusioni obviam iretur, ut armis undique depositis in trac-
tationi salutari aperiretur, iustissimis aequissimisque conditionibus pars utraque
sese accomodando finis tot cladibus pace optata imponeretur:
Nos vero quantuni teneat desiderium, bene salutariter et officiosissime
de onmibus christianis principibus ac regnis mereri, sane hoc non tarn literis a
seripto, quam operibus atque factis contestari cupimus. Inter quos etiam
Vestrae Serenitatis in buiusmodi lluctuosis regnorum Christianorum casibus,
aequanimitati pluriinum tribuens, nostrum simul ac confoederatoruin oinnium
rationes, singulari quadam fiducia commendandas esse voluimus, quarum
nonnisi pax atque publica tranquillitas praecipuus scopus sit et legum patriarum
religionisque asserendae liberalitas, aequum est, ut vestra quoque screnitas ubi-
cunque et apud quoscunque interfuerit, sanctum boc nostrum Studium et pro-
positum sedulo promovcat atque iuvet: juribus et aequitati confoederatorum
nostrorum syncere foueat, nosque lali casu, sibi in Omnibus addietissimos repu-
tet atque habeat, nam si (quod nunquam speramus) praemissas iam in ipsis
pactis inducias requisita solennitate Majestas sua confoederatis nostris om-
nino denegaverit, aut (non attentata neque cognita prius per viam salutaris
tractationis partis utriusque causa aequiore et iustiore) in extremum regnorum
illorum excidium, seu sua Majestas caesarea ac regia, seu alii quicunque sua
der ungrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
187
studia converterint, non possumus nos ulla ratione cansara confoederatorum
nostrorum ita deserere, ut quicunque illos violatis inducijs impediverint, quin
illico nos quoque pro hostibus inimicisque reperiantur (?sic).
Quod ut fieri Inter Christianos minime convenit, ita quoque vestrae sere-
nitati incumbit, pacem potius et tranquillitatem regnorum Christianorum quam
belli fomenta, inimicitiasque proeurare, super que ornnia sententiam atque
voluntatem V. Serenitatis libenter intelligere cupimus.
His vestrae Serenitati omnem a Deo prosperitatem ex animo precamur.
Datum in oppido Rima Zamboth die 29. Jan. anno 1620.
Eiusdem Serenitatis Vestrae
Gabriel princeps.
Copia. Staatsarchiv. Uug>
III.
3. Februar 1620.
Schreiben des Palatins Forgacs an den Kaiser.
Sacratissima cesara regiaque maiestas domine domine elementissime.
Fidelium obsequiorum meorum in gratiam saeratissimae majestatis vestrae
humillimam subiectionem.
Benignas Maiestatis vestrae literas reddidit mihi, eiusdem eonsiliarius
intimus et cubicularius illustris et magnifieus dominus Maximilianus a Traut-
manstorff über baro, et quae in commissis habuit ea quoque fideliter retulit.
Ambiguitates itaque, quae in conclusionibus per illustrissimos commissarios
plenipotentiarios pactis motae sunt, ex iustis rationibus explicauimus, et quidem
primam et praecipuam ambiguitatem hoc modo planam reddidimus. Quod ni-
mirum, introductio illustrissimi prineipis Bethlenij per me non suscipiatur,
quoadusque in eonventu Nouisoliensi eonsensus regnicolarum non aecesserit,
quam etiam nulla ratione respectu officij mei, etiam si Maiestas vestra sacra
tissima mandaret, facere possem. Hoc idem sentiendum etiam de alijs punctis
et conditionibus induciarum, iuxta correcturam Maiestatis vestrae, nos quoque
intelügimus, et non aliter quemadmodum oretenus fusius, illustrissimo domino
ab Trautmanstorff coram exposuimus, mentemque ac sensum nostrum abunde
declarauimus, et in ipso textu correcturae satis clare appositae habentur.
Supplico itaque Maiestati vestrae sacr. domino meo clementissimo dignetur.
debita (uti par est) consideratione habita, tarn authoritatis suae, quam com-
modi, in commune totius Christianitatis bonum redundaturi, ac ne vel illustris
simi prineipis uel regnicolarum etiam magis exasperentur animi conclusionibus
per dominos commissarios suos, vigore plenae potestatis, eisdem datae, Jactis,
acquiescere, neue creditum fldesque tractandorum in perpetuam controuersiam
(quod quanti aestimandum sit, pro altissima sua prudentia faeile intelligit) ad
ducatur, permittere. Nam nobis quidem, ut quod toties hactenus repetitum est,
in unum concludamus et semel pro semper dicamus, rationes istac pacilican-
darum harum perturbationum, omnibus alijs consilijs, anteferendae adhue
videntur et omnino persuasimus nobis fore, ut his medijs pacificationis, longe
188
F. F i r n h a b e r, Actenstücke zur Aufhellung
faeilius et maiore cum dignitate Majestatis vestrac, vigentes non in hoc solum
Vngariae, sed in aliis quoque perturbatis regnis atque ditionibus motus tran-
quillitentur, auersique animi, Dei beneficio, in Maiestatis vestrae debitum obse-
quium reuocentur. Speratum itaque et finale a maiestate vcstra responsum ex-
spectandum.
Eundem salvam etc. Datum Posonij 3. Februarij anno 1620.
Sacrat. M. V.
humilimus ac fidelis servitor
Comes Sigismundus Forgach m. p.
Cop. gleichzeitig;. Staatsarchiv. Ung.
IV.
(4. Februar 1620. ?)
Schreiben des Erzbischofs von Gran an den Kaiser.
Domine Domine Clementissime.
Video Clementissime Domine, eo rem adduetam, ut Omnibus postulatis
Betlenii Majestas Vestra sit assensura.
Video una cum regia dignitate Majestatis Vestrae, religionem catholicam
et statum ecclesiasticum, penitus in Ungaria subvertendum. Nam cum de aliis
rebus varia per dominos commissarios tractata fuerint, de personis tarnen
ecclesiasticis, de religionis negotio, ne verbulo usquam mentionem factam.
Quod quantum mihi doleat, quamque mali praesagii indicium sit, explicare non
possum. Utut vero interpretationum velo aliqua occultentur, mihi tarnen, nec
tutum, nec licitum videtur, ut Majestas Vestra tarn exorbitantes Iiteras obsignet.
Quocirca Majestatem Vestram per Deum obtestor, ne aliter assensum
praebeat, nisi eae, quas Consilium ungaricum suggerit, conditiones, assecura-
tiones, declarationes habeantur. Certe si et religionis et fidelium Majestatis
Vestrae causa postposita, diplomata ista, absque praedictis assecurationibus
roborabuntur, Deum adversantem habebit Majestas Vestra, nee hominum prae-
sentis ac venturis temporis judicia effugiet. Haec ad exonerandam conseientiam
Majestati Vestrae demisse volui suggerere. Deus consilia Majestatis Vestrae
dirigat ad sui nominis gloriam.
Sacratissimae Majestatis Vestrae
Humillimus capellanus archiepiscopus Strigoniensis m. p.
Von aussen.
Sacratissimae Caesareae Regiaeque Majestati et Domino Domino clemen-
tissimo
Orig, ganz eigenhändig. Aus der Sammlung des Herrn v. Latour.
V.
Wien, 4. Februar 1620.
Schreiben des Kaisers an Simon Pechy, Kanzler Bethlens.
Ferdinandus etc. Magnifice nobis syncere dilecte.
Ex rescripto tuo sicut et relatione fidelis nostri nobis dilecti spectabilis ac
magnifici Maximiliani liberi baronis a Trautmanstorff etc. circa negotium
der (nigrischen Gescliichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
189
expeditionis diplomatum quae explieata fuerunt lucidius benigne intel-
leximus, quoruni conditione perspecta plenam corundem expeditionem differre
noluimus: Recepturus itaque es talia diplomata pro requisito expedita manibus
fidelium nostrorum cominissariorum isthic Posonij existentium, ad illustrissimum
principem transferenda, cuius tcnorein et sensum, eo quo bona fide et summa
cum integritate inter illustrissimum principem, regni item nostri palatinum, eom-
missarios item nostros, ac temetipsuin omnia acta fuere, et non aliter accipien-
dum uel a nobis acceptatum et confirmatum baberi et censeri debes. In reliquo
pro candore tuo quem de te nobis bactenus polliciti sumus, et agnouimus con-
ditioque negotij istius publici exposcit, ut in posterum quoque debitum officij
apud ipsum principem prestes, requiritur, ac de eo, quo per commissarios
nostros nomine nostro requisitus fueris, ut apud principem efficere contendas
et benigne hortamur et de euentu nihil dubitantes certa quaeuis nobis pollicemur.
In reliquo gratiam nostram dementer tibi offerentes. Datum in civitate nostra
Vienna die 4. inensis Februarii Anno domini 1620.
Orig;. Concept. Staatsarchiv.
VI.
Wien, 4. Felir. 1620.
Schreiben des Kaisers Ferdinand II. an Gabriel Bethlen.
Ferdinandus secundus etc.
Illuslrissime princeps nobis honorande. Peracto tractatu nupero, qui
superioribus diebus cum Dominatione vestra medio certorum commissariorum
nostrorum Posonij habitus fuerat, diplomata quoque et literalia documenfa,
quae expedienda erant confici mandauimus. Ea tametsi aliquot dierum spacio
interlapso cum mora aliqua expedita uideantur, negotij tarnen ipsius conditio,
quae accuratam considerationem et deliberationem exposcebat, et multarum
ctiam particularium rerum exactiones informationes, quae ad uitanda omnia ea
si quae in publicis et solemnioribus buiusmodj tractatuum artibus ambiguitatum,
scrupulositafumque impedimenta incipere (?) possent longe abesse conuenit, a
fideli nostro regni palatino et dominationis Vesfrae canceliario Simone Peehy
qui etiam eidem praefatas diplomatum literas praesentaturus est, itcratis uiei-
bus expetitae fuerant, banc qualemcumque dilationem causaverunt. Quoniam
uero in toto hoc decursu tractationis nos quidem, queuis, bona nonnisi fide et
summa cum integritate tractata et conelnsa esse repufamus ita uicissim ex illa
parte nullo praeiudicio ut laboret, intentionem quoque Dominationis Vestrae
esse ambigere nolumus. Ita quidem ut quemadmodum in diplomate de inducia-
ruin c on d i ti o n i b u s positis habent articulo primo, ut utrinque
et ubique etiam in partibus Poloniae fiat suspensio armorum et
quidem quod Serenissimus rex Poloniae super eo per nos requiri debeat. Scri-
bimus itaque serenissimo regi, quas etiam literas praefato d. v. canceliario as-
signari fecimus, quemadmodum in ipsa conditione prima nos dementer obtuli-
mus, uti etiam comiti Georgio Hornonnay et reliquis resolutionem nostram
notificauimus et ciusdem obseruationem iniungimus. Non secus tarnen etiam
192
F. Firnhaber, Actenstiicke zur Aufhellung
6. Assecurabit palatimis et Pecliy quod omnibus et singulis tarn eccle-
siasticis quam secularibus, sufficientem saluum conductum et securitatem prae-
stabunt omnes, quorum intererit, ut ad diaetam Nouizoliensem ire redireque
possint. Nam licet generalis saluus conductus intelligatur coniunctus cum
diaetae promulgatione, nunc tarnen, cum omnia jura conuellantur, specialis ad
hoc securitas videtur desiderari.
De liberatione domini Doczy tractandum uideretur. Praeterea comitatus
Cisdanubiani Betlemio concedendi non essent, ut saltem alieuius anguli Ungariae
retentione continuaretur possessio Majestatis Vcstrae in Ungaria.
Denique cum de bis omnibus, et si quae alia Majestati Vestrae uidebuntur
assecurabunt palatinus et Pecliy, promittant etiam quod similem dcclarationem
ct assecurationem intra spacium quatuor hebdomadarum a Betlemio adferri, et
Maiestati Vestrae praesentari curabunt.
Haec nisi praestentur, totum istum tractatum induciarum et fucatum et per-
niciosum et Majestati Vestrae minime decorum existimat consilium Ungaricum,
praesertim vero cum euersione religionis catholicae
(status) ecclesiastici pactan induciac, quales quales sint, bonum euentum sortir
haud possunt, sed caetera quoque in ruinam secum trahent.
Deus optimus sacratissimam Maiestatem Vestram diutissime saluum ac
feliciter imperantem eonseruet.
Viennae 4. Jan. Anno 1620.
Buquoy m. p
Von status — bis Bucquoy ist das letzte Blatt, welches von dem andern
Blatte abgeschnitten ist. Papier, Schrift, Wasserzeichen, Sinn, alles geht zusam
men, nur das Datum: 4. Jänner muss im Original ein gleichzeitiger Fehler sein,
weil im Gutachten sich auf ein Gutachten vom 22. Jänner und auf drei Land
lagsartikel vom 18. Jänner bezogen wird, es wird also heissen müssen: 4. Fe
bruar, die Echtheit des Stückes kann nicht bezweifelt werden, weil auf der
Aussenseite des zweiten Blattes des ersten Bogens, auf dessen erstem Blatte
das Gutachten anfangt, die Adresse an den Kaiser steht: Sacratissimae Caes-
Reg. M. D. D. el 1 ” 0 ' original gleichzeitig, dann der gleichzeitig darauf geschrie
bene Inhalt, am Anfänge gesetzt: Opinio u. s. w. 4. Jan. anno 1620 Viennae
exhibita, endlich das gleichzeitige Rubrum der Kanzlei: „4. Jan. 1620. Vnga-
rische Sachen und Confoederationspuncten.“
Das Datum 4. Jänner ist also von allen fälschlich nachgeschriehen worden.
Nach Bucquoy sind die übrigen Namen weggeschnitten.
Original in der Sammlung des Herrn v. Latour.
der ungrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
193
VIII.
Wien, !>, Februar 1620.
Schreiben des Kaisers an den Palatin.
Ferdinandus etc.
Spectabilis ac magnifice fidelis n'obis syncere dilecte. Ex relatione fidelis
nostri spectabilis ac magnifici liberi Baronis a Trautmans torff de traetatus
et diplomatum expeditione difficultatum et dubiorum rationibus quornm causa
eundem nuper Posonium ablegaueramus, sufficienter intellectis, noluimus ut
amplius diuturniori mora interiecta negotium prorogetur. Confecta itaque
diplomata transmittimus quorum permutatione facta, ut iuxta interpretationes et
intellectum, quemadmodum quidem et non aliter, nos quoque intellecta esse
uoluimus, ut vos etiam una cum Simone Peehy prouti semper ita et nunc
declarastis, benigne cupimus, ut de sensu et interpretatione simili ipse princeps
etiam, ad nos scribat, neque existimamus habiturum ipsum aliquam difficulta-
tem aut renitentiam, cum et publicam fidem agentis suj, vestraque et eom-
missariorum nostrorum summa cum integritate, bona fide intercedente traetatus
ullarn ob considerationem, aliqua in parte dispendio ullo laborare uelit. (?) Expec-
taturi itaque sumus eiusmodj principis scriptum ab eodem principe uti a com-
missarijs nostris intelligetis procurandum quod ipsum etiam per vos apud prin-
cipem medio prefati P ecb y diiigenti instantia et commendatione iuuandum erit.
Facto itaque huiusce tractationis et expeditis piene dipiomatibus, quid
iam statim pro ulteriori negotiorum publicorum promotione aggrediendum sit
de singulis a fidelitate vestra informationem et opinionem expectaturi sumus,
ut dispositis quibusuis negotijs accedenteque benigna resolutione nostra, id
quod susceptum atque incboatum iam extitit , debito modo dirigatur et iuxta
oblationes faetas facilitatio omnium negotiorum tempestiue preordinetur, eaque
in effectu et re ipsa prestari nos animaduertamus et fidelitati tuae eonandum
erit, et apud principem tarn per ipsum Pechium quam etiam per iiteras uel
oeeasione ferente coram, absque proerastinatione efficere debebitis, iliud pre-
cipue iurando, ut et animis regnicolarum (sine ulla nostra culpa alienatis)
reconciliatis, et ad fidelitatem deuotionemque nostram reductis, statui pacifico,
et pristino cuncta restituantur, quiesque et tranquillitas regno et regnicolis
affulgeat. Ab innouationibus uero (de quibus sicut et alijs negotijs fidelitati
vestrae medio commissariorum nostrorum fusius communicandis nunciauimus)
ut penitus omnino abstineatur sedulo fidelitati vestrae curandum erit.
De cuius quidem sollicitudine et syncero erga nos dignitatisque nostrae
asserendae studio nihil dubitamus. Atque in reliquo ad commissariorum nostro-
rum in ijs quae cum fidelitate vestra cominunicanda et tractanda babebunt
nos remiltentes; gratia et clementia nostra Caesarea et Regia vobis propensi
manemus. Datum in ciuitate nostra Vienna die quinta mensis Februarij anno
doinini MDCXX.
Orig'. Concept. Staatsarchiv. Ung.
Sitzb. (1. pliil.-hist. CI. XXXIV. Bd. I. Hft..
13
194
F. Firnhaber, Actenstücke zur Aufhellung
IX.
18. Februar 1G20.
4
Georg Drugeth de Homonna an den Kaiser.
Sacratissima Imperatoria Majestas Domine Domine Clementissime.
Ei si non ita pridem seripsi Majestati Vestrae per dominum GGugbhg-
gutgzur (Antalfi) tarnen intelligens vias jam aliquo modo sccuriores, prae-
sentium exhibitorem fortunae committere volui. De conditione Lisovianorum
Kosakorum in nuperis copiose seripsi ad Majestatem Vestram, ipsis peten-
tibns, quos et commendavi: sed illud exciderat me illos aliter ad Vestram
Majestatem ablegare non potuisse, quam eum assecuratoriis, Vestram
Majestatem illis eonveniens Stipendium ordinaturam. Licet vero a Majestate
Vestra nihil intellexerim, an illis indigeat, tarnen cum ex Cursore Majestatis
Vestrae eognovissem a Majestate Vestra Ungaros ad Bethlenium defecisse
desiderarique levis armaturae et celeres milites, hos ut probatos, me etiam
inspectante in Hungaria dignos existimavi, qui sub vexillis Majestatis Vestrae
mererent. Nescio igitur an gratam rem feeerim Majestati Vestrae eo illos
dirigenda: sed quia quavis occasione Majestati Vestrae libenter gratificari
volo, et in hoc exilio modo aliam non reperi, his ut ad illam proficiscerentur
persuasi. Libenter cum illis etiam in Hungaria ulterius Majestati Vestrae
servivissem, sed quae impedimenta fuerint, intellexit sine dubio ex literis,
quas hucusque praesentavit Majestati Vestrae dominus GGugbhggutgzur
(Antalfi) qui cum illis profectus cst. Quod si Majestas Vestra opera illorum
uti velit, si vcl duo millia gravis armaturae adjunxerit illis, Bethlenium
exigere poterit una cum suis ex Hungaria, Bethlenistae quidem spargunt,
cum Majestate Vestra Bethlenium fecisse indueias usque ad festum D. Mi
chaelis , id quod hucusque mihi persuadere non potui, causaque una ex
primariis fuit, ut ad Vestram Majestatem certum hominem mitterem, quod
si ita cst, forsitan contra factiosos in Hungaria non erunt usui. Certe hi
magna attentarunt, et ex affectu erga majestatem Vestram, contra statuum
voluntatem per Silesiam et Moraviam, etiam ferro, si aliter non possent,
viam aperire voluerunt. Ne Majestas Vestra alieno erga illos animo esse
dignetur; nam a duodecim annis talia, et tarn magna in Moseovia patrarunt,
ut merito de tarn parvo numero quivis mirari possit. Quod si hae induciae
ad festum S. Michaelis factae sunt, operae pretium fuisset, etiam me cum
Magnifico domino Nicolao Esterhasi non exduderc , quandoquidem ego, in
tribus adliuc arcibus meis sumptibus praesidium alo, et dominus Esterhasi
in arce Munkacz ut interca temporis hae munitiones extra vexationem et
periculum permansissent: nam cum illis quatuor arcibus magnum superioris
Hungariae traetum hucusque Majestas Vestra habuit. Sed jam nonnulli Betli-
lenniani versus illas munitiones directi sunt, obsidione illas territant, mune-
ribus sollicitant, comburunt possessiones, subditos et agricolas contrucidant
oppidum Homonam cum meis palatiis hisce diebus in cineres redegerunt, in
summa maximam tyrannidem exercent et exercuerunt, cum tarnen si indu-
der ungarischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
195
ciae factae sunt, etiam nos Majestatis Vestrae fideles simus cum domino
Esterhasio, et fideles Majestatis Vestrae non deceret tot injuriis et incom-
modis affici. Hoc spatio temporis adeo omnia bona mea depopulabunlur, et
desolabunt, ut postea nihil ex illis utilitatis eapere possim, nee Majestati
Vestrae, prout feci antecessoribus Majestatis Vestrae, servire possim. Quam
ob rem si Majeslas Vestra ad tempus cum Bethlenio aliquas inducias fecit
dignetur illi intimare, ut a nostris injuriis temperet; quia si praesidiarii
tarn longas inducias intellexerint, quas ego partim texi ab illis, partim non
credidi, timendum erit , ne inter tot tentationes munitiones illis tradant
Profecto Sacra Majestas bae longe induciae, quantum ego conjicere possum,
et Majestati Vestrae et Majestatis Vestrae fidelibus, qui magna damna passi
sunt,detrimento est (sie): quia etsiTureae sua studia offerant in negotio pacis,
tarnen illi semper utilitati suae intenti sunt, et quando viderint e re sua
futurum, pacta et convcnta rescindent: et frequenter bucusque sub prae-
textu pacis potius, quam armis, mulla Christianorum loea occuparunt. Cum
pacem iniverit Turcarum imperator cum Persis, nee in Asia negotium habeat,
alio exercilus suos non vertet, quam in Europam; maxime cum etiam cum
Polonis pacem eonfirmavit, et Bethlenius Tartaros praehenset, de quorum
quiele nihil pollicetur Imperator Turcarum. Bethlenius in schola Turcica
eruditus est , totusque Turca est in moribus et practicis. Quod si Turcae
Varadinum, vel similem aliquam munitionem promittat, eo illum fleetet et
trahet, quo volet. Utinam bae longae induciae non officiant Majestati Vestrae!
Melius erat tune illum comprimere, cum ad finein vix tria millia babuerit,
illaque paratiora ad fugam , quam ad pugnam; in superiorique Hungaria
profligati sint quos habuit alicujus momenti. Superioris Hungariae nobiles
post tantam cladem acceptam ita exacerbati fuerunt, quod si exorcitum
Majestatis Vestrae vidissent, aut prope adesse audivissent, ipsimet contra illum
insurexissent. Modo etiam hoc fieri posset, si hine ex Polonia aliquot millia
ad rationem Majestatis Vestrae in superiorem Hungariam erumpcrcnt, quando-
quidem robur exercitus Bethlenii ad sua rediit. P. (Transylvania) etiam
exitum duntaxat rerum illius expectavit, sicut 0 (Turcae) qui efl'ecissent, ne
in patriam reverti potuisset. Imo et Scender Passa aliquam practicam apud
illos moliebatur, cui conquerendo scripsit Bethlenius, quarum literarum
interceptarum copiam antea misi Majestati Vestrae. Sed bae commoditates
jam dilapsae sunt. Quod de bis rebus eopiose ausus fuerim Majestati Vestrae
scribere, humiliter veniam peto, cum nec occasiones habcam, saepius de
illis scribendi, submisseque supplico, ut mihi dignetur significare in quibus
terminis sint res Majestatis Vestrae cum Bethlennio, ■ quia nos liic nihil
certi scimus, et multa adversa narrantur, quibus tarn diu fidem tribuere non
audeo, donec ex aula Majestatis Vestrae intelligam.
Dum concludere veilem bas literas, intellcxi generalem hujus regni
Poloniae capitaneum D. Solkewski ad omnes partes scripsisse. Tartaros in
Poloniam veile praedatum irrumpere, ut sibi omnes prospiciant; et totum
militem, qui circa Cracoviam modo erat, in Podoliam revocare. Nemo novit,
quo spectent, sed ego suspicor a Bethlenio illos vocari, nam cum Chamo
13 *
1flß
F. Firnhaber, Actenstücke zur Aufhellunj
Tartarorum magnam familiaritatem habuit, ct etiam alias per Hungariam ad
illum profecti sunt. Brevi omnia melius intelligemus, et si opportunitas da-
bitur ad Majestatem Vestram perscribam. Hic in eonducendo milite ad
rationem Majestatis Vestrae nimis longa mora traeta est, antea multi inveniri
potuissent, modo animi dominorum Polonorum mutati sunt valde, qui Hun-
garos vel ob penuriam vini, quod libenter bibunt, et pro illo nee per suas
constitutiones egredi possunt, nee rebelles per suos invebere offendere no-
lunt. Non dubito, quin dominus comes Althann de Omnibus Vestram Majes
tatem informavit, qui etiam nunc Varsaviae est. Poloniae regia majestas cum
serenissimo archiduce et episcopo Vratislaviensi Carolo, Vilnam in Lithua-
niam recreationis ergo profecta est, quando sint redituri, certo scribere non
possum. Aliquarum vocum secretum alphabetum habet illustrissimus Dominus
arebiepiscopus Strigoniensis. Deus optimus maximus Majestatem Vestram
pro bono totius Christianitatis ad multos annos salvam et incolumem conser-
vet. ln arce Lzaski 18. Febr. 1020.
Ejusdem Majestatis Vestrae Sacratissimae
Humillimus ac perpetuus servus
comes Georgius Drugeth de Homonna m. p.
Orig-. Pap. In der Sammlung' des Herrn v. Latour.
X.
23. Februar IG20.
Bethlen Gabor an die Räthe des Kaisers, Freiherrn v. Meggau und v. Breuner.
Gabriel Dei gratia regnorum Hungariae Transylvanieque Prineeps, et Sicu-
lorum comes.
Spectabiles ac magnifici domini amici nobis observandissimi. Quantum
exemplo atque persuasione nostra, in reconciliatione regnorum, a Sacratissi-
ma Caesarea Regiaque Majestate alienatorum, hueusque profecerimus, ex
literis ad suam Majestatem datis , et praesertim relatione internuncij fidelis
nostri magnifici Stephani Haller de Ilallerkeö eomitis comitatus de Kikel-
leö et aulae familiaris uberius intelligent. Sat indultum hactenus effusioni
Christiani sanguinis, sat miserabili et integro seculo vix restaurandae regno
rum pulcherrimorum et florentissimorum vastitati. Consulat Sua Majestas eon-
scientiae, consulat conservationi regnorum Christianorum, ne ista discordia
viam majoribus funestioribusque periculis apcriat. Vestris spectabilibus
magnificis dominationibus, magis quam aliis in aula Suae Majestatis incum-
bit, ut praefato internuncio nostro, ad Suam Majestatem aditum praeparent
quam citissimum, (idem relationibus et pondus parcnt: Et ita tarn apud
Suam Majestatem Caesaream ac Regiam, quam reliquos amplissimos consi-
liarios negocium juvent ac promoveant, ut quam primum de suspensione
armorum, et foclici cum foederatis tractatus initio optata et fausta quacque
audire nobis liceat; cujus ubi prima manibus capessere lora licuerit, facilius
putabimus, rem omnem ad justiorcs aequioresque conditiones ita dirigere
ut absque strage, cladeque populorum regnorum tandem justa causa
der ungarischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
197
triumphet. Interim juxta oblationem de eonfoederatorum, et tractatum cum Sua
Majestate inire volentium propositionibus ae juribus, nos eopiose vestrae spec-
tabiles ac magnißeae dominationes informare et edoccretnequaquam intermit-
tant. Hijsque eisdem omnem a Deo prosperitatem precamur. Datum Cassoviae
die 23. Februarij Anno Domini 1620.
Spectabilium ae Magnificarum Dominationum Vestrarum
Amicus benevolus
Gabriel m. p.
Von aussen.
Speetabilibus ae magnißcis dominis Leonbardo Helffrido, comiti et libero
baroni a Rleggau et in Creuczen, eapitaneo dominiorum Forehtenstain et
Eysenstadt: aeSigifl'rido Christopboro Prainer libero baroni in Stubingh, Fladin
et in Rabenstain, domino in Slacz et Asperen, Sacratissimae Caesareae Regiae-
que Majestatis intimis consiliariis et camerariis etc. dominis amicis obser-
vandissimis.
Orig-. Papier mit aufgedrücktem Siegel in der Sammlung des Herrn v. Latour.
XI.
23. Februar 1620.
Der Kanzler von Siebenbürgen Simon Pechy an die Käthe des Kaisers die Freiherren
v. Meggau und v. Brenner.
Ulustrissimi domini mihi semper eonfidentissimi et observandissimi.
Servitiorum meorum addictissima conunendatione praemissa. Septima
praesentis mensis die profectus Posonio, decima sexta ejusdem Cassoviam per-
veni, ubi serenissimum principem et dominum meum clementissimum salvum et
incolumem offendens, diplomata sacratissimae eaesareae regiaeque Majestatis
Suae Serenitati exbibens, ea, quo deeuit bonore recepit. Quae vero ad partem
a vestris illustrissimis dominis mihi proposita fuerant, ex ipso memoriali Sua
Serenitas inlelbgens, ita, sese Omnibus aeeomodaturam promisit, ut quaeeunque
aperte publicis regni Hungariae decretis repugnare non videntur, benignae
sacratissimae caesareae regiaeque Majestatis expectationi complacere satis-
facereque studebit. Interea statim sequenti die rumor supervenit arcem Ova-
riensem a domino supremoeapitaneo Jauriensi, obsidione esse tentatam, decima
videlicet die mensis praesentis, hoc est tertia die post assecurationem et recep-
tionem diplomatum, quod quo consilio a tanto viro factum sit nescio, hoc certum
est de manifesta violatione induciarum contra Suam Majestatem hic jam ubique
conqueri et protestari. Dcinde quod milites Nadasdianos sua Majestas ex regno
Hungariae contra confoederatos educere contendat, cum Sua Serenitas status
et ordines Hungariae similiter etiam regna provinciasque alienatas, in devotio-
nem Suae Majestatis reducere studeat, ista potius fomenta, bellorumque magis
quam pacis irritamenta videntur, quae vestrae illustrissimae dominationes om-
nino praevenire studeant; nam si Nadasdiani aut alii Hungari ad rationem suae
Majestatis contra confoederatos educti fuerint; certe et adversarii suae Majesta
tis stipendia in his partibus proclamantcs, quod sollicitatur maxime, propediem
198
F. F i r n h a b e r, Actenstiicke zur Aufhellung“
ad vig-inti etiam millia HüngarorUm educent, ut ex alia parte etiam ipsa Polonia
a tergo periculo non vacabit. Hostilitates cum Bohemis et Moravis vicissim esse
renovatas non sine dolore audimus, feeit hoc subtilis disputalio conclusarum
induciarum et procrastinatio confirmationis; Austriaci ex foedere de ferendis
ipsis suppetiis regnum Hungariae sollicitant, Sita Serenitas ad resolutionem Suae
Majestatis, quod salvum conductum adire de induciis volentibus promiserit, hac
vice relegavit, qua de re cum a me quoque adhuc sub discessu praemoniti fuerint
spero bactenus de requisitione Suac Majestatis saniora consilia secutos esse.
Supervenit autem hoc tempore occasio ad pacem concordiamque non
tantum monens sed urgens partem utramque; quod Imperator Turcarum tanta
regum ac regnorum Christianorum discordia, commodam rerum suarum pro-
inotionem aucupare volens, viribus integris in persona expeditionem contra Po
lonos sumere statuerit, ita ut gentes Asiaticas in Europam traducendo, Tartaro-
rum quoque myriades concitando, si non anno praesenti, subsequentibus etiam
aliquot vires, regnumque Polonorum evertere non modo statuerit, sed publice
etiam mandato ubique promulgaverit. ln tanta igitur barbararum gentium coinmo-
tione, partim ob imminens regno Poloniae periculum, partim ob minus tutam
eorundem fidem utrum in discordia ac dissensione an pace et concordia nostra
securitas ponatur, facile vel levi judicio praeditus eonsideraverit.
Dum haec scribo legatus serenissimi prineipis domini palatini electoris
Friderici magnificus dominus Christophorus purggravius et baro a D o h n a super
venit, qui literas regis sui ad serenissimum prineipem et me qouque afferendo,
tribus in punctis totam legationem comprehendit. Primo quod prineipem ad
vigesimum quintum Martii Pragam ad baptismum filii ibidem prognati in offi
cium compaternitatis invitavit. Secundo aperuit nullum ipsis modum inveniri,
quo imperatoriam ac regiam majestatem de induciis, ac suspensione armorUin
requirere valeant; cum et enim status et ordines Bohemorum, jamsibi caput
atque regem elegerint, per se et absque rege nec requirere, nec tractare quid-
quam cum majestate siia poterunt; ut autem rex ipsorum suam majestatem
requirat, vel sola tituli exhibitio prohibet. Itaque qualiter vel ipsa requisitio
incipiatur, aut tandem literas ipsas assecuratorias in rationem suae majestatis,
exarent, tenui meo consiliö requisito, quod meae fuerit sententiae, explicavi
Nimirum ut requisitio Suae Majestatis fiat per serenissimum prineipem meum,
cujus causa statim exhibitorem praesentium magnificum dominum Stephanum
Haller de Hallerkeö comitem comitatus de Kwkeolleo, et aulae familiärem
expedivit. In literis vero assecuratoriis poterunt et debebunt titulum integrum
suae majestatis in abstracto, si non in concreto optime adhibere, cum regia
dignitas suae majestatis in Hungaria servetur adhuc integra. Tali igitur con-
tentus resolutione, eadem hora eodemque itinere cum praefato domino inter-
nuncio suae serenitatis legatus confoederatorum dimissus est; restat autem
ut optimam hanc, nostro exemplo, authoritate serenissimi, ac persuasione con
foederatorum, ad pacem cum sua majestate ineundam inclinationem nimis caute,
prudenter, sed ambabus, quod ajunt, manibus, absque ulla severitatis rei cupi-
(litatis vindictae nota, in aula suae majestatis arripiant, subtiles in verbis dis-
putationes et scrupolositates superfluae vitentur, res ipsa, quae salus regnorum
der ungrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
199
Christianorum publica est, semper spectetur et ponderetur. Certe meo non im-
probaretur judicio si Sua Majestas in isto casu, seposita aliquantulum celsioris
augustiorisque authoritatis suae rcputatione (quae tarnen suo loco temporeque
rescrvari salubriter poterit) plausibili humilitate, istorum ferocitali sese acco-
modaverit, factura id excmplo apostoli, qui astutum se, doloque corda fidelium
cepisse, haud inutiliter gloriatur: sed calamus nimis proeessit, tantae sapientiae
consiliariis superflue ista seribo.
Hoc addo me praefato confoederatorum legato inter veliquas dissertatio-
nes illud etiam insinuavisse, me ex verbis vestrarum illustrium dominationum
intellexisse, nequaquam ipsius principem et regem Bohemiae modernum cum
sua majestate caesarea ac regia, de solemnibus et majoribus induciis tractatum
inire posse, antequam non quidcm penitus regiis fascibus depositis, sed nee a
sua majestate prorsus usurpatis, pedem ex regno Bohemiae moverit, ad suum-
que propinquiorem principatum recesserit, ita ut suarum majestatum neutra,
regno Bohemiae pro se habita justitia et aequitas inter utrasque partes, per eos
quorum intcrerit decernatur, qui cum intimus consiliarius novi regis babeatur,
vix aut parum contra solidas rationes sese mihi opposuit. Sed haec ad tracta
tum majorum induciarum pertinebunt. Nunc tantum requiritur, ut armorum
suspensio particularis ad ultimum usque Aprilis diem a sua majestate conce-
datur, et legatis ad tractatum cum sua majestate ineundum suffieiens salvus
conductus.
De quibus praefatum domini serenissimi principis mei internuncium, ut
vestrae illustrissimae dominationes in aula suae majestatis caesareae ac regia
modis omnibus juvent ac promoveant, si unquam alias, nunc certe summopere
requiritur. Neque enim ulla alia ratione Europam regnaque ebristiana Turcis
vicina, nominanter autem Poloniam ab immensa Turcarum Tartarorumque ex-
undatione sua majestas salvare poterit, nisi quam primum quietem, tranquili-
tatemque regnorum dissidentum, toto orbe et praesertim in porta Ottomanica
promulgaverit, si quidem eoncordibus et quieseentibus regnis Christianis Turca
etiam procul dubio quiescet, ast cum eos discordes, et in mutua saevientes vis-
cera perceperit, impossibile est, quin arte sua peculiari, ex dissensione gentium
vicinaruin propria aueupare commoda praetermittat. De caetero amori syncero
et benevolentiae vestrarum illustrissimarum dominationum diligentissime me
commendans, easdem diu foelicissimique valere ex animo cupio. Datum Casso-
viae die 23. Februarii Anno Domini 1620.
Illustrissimarum dominationum vestrarum
Servitor addictissimus
Simon Peehy in. p.
Von aussen die Aufschrift:
Illustrissimis dominis comitibus Leonhardo Ilelfrido comiti et lihero
baroni aMeggau,ct in Creuczen, ac capitaneo dominiorum Forchtenstain et
Eysenstadt: Sigefrido Christophoro Prayner Iibero baroni in Stubingh, Flad-
nitz et Rabenstain, domino in Stacz et Asperen: sacratissimae caesareae re-
giaeque majestatis intimis consiliariis et camerariis etc. etc. dominis mihi con-
fldentissimis et observand'”'*’
Orig, in der Sammlung des Herrn v. Latour.
200
F. Firnhaber, Actenslücke zur Aufhellunj
XII.
26. Februar 1620.
Der Palatin Sigmund Forgacz an Freiherrn von Meggau.
Ulustrissime domine affinis mihi observandissime.
Praemissa salute et servitiorum meorum parata commendationo, accedit
ad sacratissimam eaesaream et regiam majcstatem praesentium cxhibitor
magnificus dominus Stephanus Haller per illustrissinium principem Transyl-
vaniae in certis quihnsdam negotiis expeditus, et uti intelligere potui, summa
legationis ejus est, ut pro Bohemis et provinciis illis adhaerentibus, menstruas
a praelibata Caesarea Majestate obtineat inducias, ut intra id tempus suspensio
armorum fiat, et ipsi de pace et mediis ad eam consequcndam consultare et
tractare, Suamque Majestatem Caesaream requirere possint.
Quia vero certo intelligimus Turcarum quoque imperatorem cum Persa de
paee transegisse, et ideo in futuram aestatem maximum exercitum parare, non
alium equidem in finem, quam ut conjici facile potest, ut nos et vicina regna
opprimat et evertat, cum Christianos principes et regna tantis inter se odiis et
tarn diuturnis bellis decertare inteliigit quorum dissensionibus ad eam quae
nunc est exercuit potentiam. Cujus validis conatibus ut conjunctis viribus ani-
misque et obviam eatur et facilius resistatur, pax et concordia Christianorum
principum et regnorum summe est necessaria.
Cum itaque memoratus dominus princeps tarn pio et saluturi proposito
legatum suum ad dictam Sacratissimam Caesaream Majestatem abiegaverit, ut
obtentis menstruis induciis de ulteriore inter ea regna et provincias pace
agere, et provinciales in quiefum statum deducere possit, illustrissimam domi-
nationem Vestram et ego studiosissime rogo, velit hoc tarn pium propositum ope
et consiiio ita apud Majestatem Suam Caesaream promovere, ut praemissas
inducias aequis conditionibus regno quoque Bohemiae cum adherentibus pro
vinciis benigne concedere dignetur, ne ex diuturniore earum provinciarum dis-
sensione et Christianorum odiis, hostis Turca majores ad opprimendam Chri-
stianam rempublicam sumat animos, et ea occasione poenitus evertat, dum vi-
cin'os Christianos tarn diutissimis mutuis armis attritos et viribus exhaustos de-
prehenderit. Accedit et illud, quod princeps Transylvaniae regnique Hungariae
status et ordines, urgentibus Bohemis vigore initae confoederationis auxiliäres
copias denegare haud quaquam poterunt. Restat itaque, ut suspensio armorum
unius mensis illis concedatur potius quam induciae initae cum gravissimo detri-
mentototiusChristianitatis dissolvantur. Erit itaque illustrissimarum dominatio-
num Vestrarum totis viribus adlaborandum ut non solum induciae, verum etiam
pax firma inter Christianos quasi postliminio reducatur; quod in emolumentum
totius Christianitatis verget maximum. Servet Deus illustrissimam dominatio-
nem Vestram diutissime salvam et incolumen. Datum in Castello meo Thavarnik
die vigesima sexta mensis februarii Anno 1620.
Illustrissimae dominationis Vestrae
Affinis ad serviendum paratissimus
Comes Sigismundus Forgacs de Gymes m. p.
der ungrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
201
Von aussen.
Itlustrissimo domino Sigisinundo Helfrido comiti a Meggau, libero baroni
in Krutten, Sacrae Caesareac et Regiae Majestatis intimo consiliario et came-
rario, ac dominiorum Forclitenstein, Niklaspurgli et Eisenstadt eapitaneo etc.
domino affini observandissimo.
Orig. Papier mit aufgedrücktem Siegel. Latour.
XIII.
36. Februar 1620.
Der Palatin Forgacs an den Kaiser.
Sacratissima Caesarea et Regia Majestas Domine, Domine Clementissime.
Fidelium servitiorum meorum in gratiam Sacrae Majestatis Vestrae per-
petuam eommendationem. Posteaquam hodierna die uberiores ad Majestatem
Vestram dedissem literas de quaerimoniis violatarum a partibus Majestatis
Vestrae induciarum, flugrantique desiderio benignam Majestatis Vestrae Sacr.
resolutionem ad frequentes meas literas praestolari, supervenit magnificus do
minus Stephanus Ha 11 er, ablegatus illustrissimi principis Transylvaniae ad
Saeram Majestatem Vestram eam ab causam missus, utBohemis etiam et ceteris
provincialibus illis adhaerentibus inducias unius mensis impetraret, quo interea
et suspensio armorum fiat, et ipsi de paee ac salutaribus mediis ad eam con-
sequendam agere, consultare et Saeram Majestatem Vestram superinde requi-
rere possint.
Certo intelleximus clementissime Domine et illud: Turcarum imperatorem
cum Persa stabile foedus et pacem iniisse, ae omnes vires suas validumque
exercitum in venturam aestatem contra Christianitatem parare : et prouti inge-
nium et mores ejus frauduientia semper notabiles fuerunt, dubio procul libidine
dilatandi sui imperii, in vicinam banc nostram patriam, vel vero Poloniam omnia
arma convertet, dum Christianos principes et regna inter se odiis et tarn diur-
turnis bellis decertare intelligit, persuasum sibi habent hac occasione, conatus
suos ad optatum finem facile deducturum, cujus hodie regnum, non nisi Chri-
stianorum dissensionibus, in tantum exereuit. Ejus conatibus ut conjunctis
animis viribusque et obviam eatur, et facilius resistatur, pax et coneordia
Cbristianorum principum et regnorum cum primis desideratur. Quapropter
Sacratissimae Majestati Vestrae tanquam domino clementissimo et ego humil-
lime supplico, cum nonnunquam iniqua pax civili bello censeatur praeponenda
dignetur intellectis Bohemorum et reliquarum adhaerentium provinciarum pos-
tulatis, ad praemissas inenstruas inducias, aequis conditionibus benigne con-
descendere: qua ipsi Majestatis Vestrae tanquam regis et domini sui clemen-
tiam agnoscentes , ad debitam obedientiam alacrioribus animis valeant redire.
Quo facto Sacratissima Majestas Vestra, et sibi nunquam intermorituram laudem
apud universam Christianitatem pariet, et receptorum in gratiam posteritas
acterna memoria reeolet. Turea etiam, qui in spem potiundorum Christianorum
regnorum exsolis eorum dissidiis erigitur, ubi conjunctionem animorum et con-
cordiam inter Christianos intellexerit, ab bostilibus suis modi intentionibus dubio
202
F. Firn haher, Actenstiicke zur Aufhellung
procul retrahetur. Quocirca ut Majestas Vestra ex innata clementia et prudentia
sua, dissensiones istas Christianorum intestinas, et bclla civilia plurimum
exitiosa tempestive sopire dignetur, ad ejusdem Majestatis Vestrae sacram
authoritatem quam maxime spectare videtur.
Occurrit ulterius et illud circa hoc negotium maxime perpendendum, quod
cum memoratus princeps Transylvaniae cum statibüs et ordinibus regni Ilun-
gariae confoederationem stricto juramento cum Bohemis et eis adhaerentibus
provinciis iniverit, adeo ut si Majestas Vestra ipsis quoque tcrminum inducia-
rum non indulserit, nullatenus auxiliäres copias denegare Bohemis poterit.
Casu vero quo subsidia Bohemis missa fuerint, qualiter induciac cum Hungaris
quoque initae subsistere valeant, sapienti Majestatis Vestrae juditio perpenden
dum demisse relinquo. Eandem Sacratissimam Majestätem Vestram diutissimo
valere exoptans. Datum in Castello meo Tavarnyk die 26. Februarii 1620.
Sacratissimae Caesareae et Regiae Majestatis Vestrae
Humilis fidelis ac perpetuus servitor
Comes Sigis. Forgacs de Gjmes m. p.
Von aussen.
Sacratissimae Romanorum Imperatoriae ac Germaniae, Hungariae, Bohe-
miae, Dalmatiae Regiae Majestati etc. Domino mihi clementissimo.
Orig. Pap. In der Sammlung des Herrn v. Latour.
XIV.
2. März 1620.
Der Palatin Forgacs an den Kaiser.
Sacratissima Caesarea et Regia Majestas domine domine clementissime.
Fidelium servitiorum meorum in gratiam Sacratissimae Majestatis Vestrae
humillimam commendationem. Appulit ad me bodie circa horam undecimam diei
tabellarius cum literis Majestatis Vestrae Sacratissimae Vienna expeditus, ex
quibus letus intellexi eam esse mentem et voluntatem Vestrae Majestatis, ut
induciarum conditiones utrinque rite ac legitime observentur, nee quidquam
contra easdem committatur, prouti super eo negocio domino quoque Thomae
Nadasdy dementerdemandavit,ut se conditionibussancte initarum induciarum
accommodet, prudenter SacraMajestasVestra pro suo sapienti judicio facit, dum
nihil contra initas conditiones 6eri permittit, sie eniin et sacram authoritatem
suam tuebitur, et regnicolas ad eas servandas reddet obligatiores.
Quod reliqua negocia, de quibus meam postulat Majestas Vestra informa-
tionem, altinet, cum itineri me Cassoviensi destinarim et jam in procinctu sim,
propter iter illud suscipiendum, non satis commodo liac vice Majestatem Vestram
possum informare, sed Deo propitio ubi primum Cassoviam attigero pleniorem-
que rerum omnium cognitionem capere potero, non praetermittam Sacratissimae
Majestati Vestrae postulatam opinionem meam illico perscribere, interim vero
supplico dignetur Majestas Vestra, lianc exigui temporis morulam benigne et
patienter ferre.
der ungrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
203
Scribit quoque Sacra Majestas Vestra aliquos contra induciarum conclu-
siones in his partibus quaedam moliri, et praeparationes bellicas facere; non
cst, quod Majestas Vestra ejusmodi inanibus famae inconstantis rumusculis se
nioveat, nec iia affectos esse regnicolas existimet, ut levibus momentis ad vio-
landas inducias adducantur quin imo debitum Sacrae authoritatis Majestatis
Vestrae respectum habentes sancte et inviolabiliter eas servare omnino in pro-
posito habent, modo ex patte M. V. eadem ratio servandarum habeatür. Sed
ncscio qüo aüthore circumfertur, milites Majestatis Vestrae Posonium obsidiohe
cingere veile. Pro avvertendis igitur gravioribus motibus, supplico Majesfati
Vestrae dignetur ubique demandarc et provisiones fferi, ne quid ejusmodi atten-
tetur, quod similitera nobis omni studio procuratur.
Literas Majestatis Vestrae prineipi Transylvaniae directas, celeri cursü
statim Cassoviam expedivi, nihil dubito quin eae ad manus ejusdem quam pri-
mum deveniant. Haec brevibus Sacratissimae Majestati Vestrae rescribere volui,
quam omnipotens diutissime incolumem servet et felieem. Datum in Castello
mco Taworniyk die 2 Martii 1620.
Sacratissimae Caesareae et Regiae Majestatis Vestrae
Humilis, fldelis ac perpetuus servitor
Comes Sigismundus Forgacs de Gjmes m. p.
Von aussen.
Sacratissimae Romanorum Imperatoriae ac Germaniae Hungariae Bohe-
miaeque etc. Regiae Majestati etc. domino domino mihi clementissi'mo.
Orig;. Pap. In der Sammlung des Herrn v. Latour.
XV.
Wien, 6. März 1620.
Kaiser Ferdinand an Ludwig Molart in Constantinopel.
(Hat die Schreiben durch den Courier Panthier, dann den Humpiss,
endlich das vom 19. October erhalten. Belobt ihn sehr. Will eine eigene Person
hineinschicken, bezüglich der Palanken „Vnsern alhieigen landts standt beschaf-
fenheit betreffendt, hat sich der Status tzwar so weit geändert zuemalen man
„durch tractation zum Friedens Anstandt in Hungern gelangt (ex inclusis
„articulis daher nur dem Sultan und Vezieren parte zu geben).“ Instruirt ihn,
wie er es dem Sultan mittheilen soll, dass einige Rebellen gegen ihn waren,
dass er aus Liebe zum Frieden nachgegeben, dass er alles auf den Landtag
verschoben, dass Ferdinand hoffe, wenn auf dem Landtag nicht alles zur Ruhe
käme, dass dann der Sultan den Rebellen nicht helfen werde. Soll auf Bethlens
„actiones u. praktiken an der porten“ Acht geben , sollte er sich falsch und
feind gegen Ferdinand zeigen, so soll er ihm kraft Artikel 6 der Friedens capit.
kein Gehör geben, und es auch beim Sultan anzeigen.
Stellt ihm die Rückreise frei, er soll aber den neuen Gesandten erwarten
und bis dabin auf alles fleissigAcht geben etc.)
Orig. Conc. Staatsarchiv. Turcica.
204
F. Fi rn ha b er, Actenstiieke zur Aufhellunj
XVI.
15. März 1620.
Schreiben ßethlen Gabors an den Kaiser (worin er sich über sein Vcrhältniss zu den
Böhmen ausspricht).
Sacratissima Caesarea Itegiaquc Majestas Domine domine mihi benignissime.
Ad utrasque meas per magnificum Stephanum Haller transmissas Iiteras,
simui et semel a vestra Majestate responsum eo tempore aceepi, quo cum
proceribus ac magnatihus super arduas inclyti regni Hungariae praesentes
neeessitates in consuitatione frequenter aderamus. Et ut meao literae occa-
sionihus interuenientibus, ad vestram Wajestatem binae simui esse debuerant,
ita bimembram iuxta negotiorum exigentiam responsionem obtinens, re statim
in maturiorem eum praesentibus regni consiliarijs considerationem uocata,
quanto praesentius in mora perieulum imminere sentio, eo citius vestram
Majestatem de ultima benignae voluntatis suae declaratione sollicitare inter"
mittere nolui. Ae primo, ubi meam super indueijs declarationem ita Vestram
Majestatem simpliciter et absolute intelligere uideo, ’quod toto pactarum in-
duciarum tempore ullum ab Hungaris auxilium Bohemis alijsque confoederatis
praestari possit, eum quaestionis istius clarifieatio et ad utrumque praesentis re-
sponsionis membrum, lucem non mediocrem adferre uideatur, requiritur utVestra
Majestas caesarea regiaque summam ordinemque rei sie, et non alitei teneat.
In conventu Posoniensi tres simui tractatus in ijsque transactiones at-
que conclusiones solo mecum eoncurrisse eaeque uarijs respeetibus firmatae.
Primus cum vestra Majestate induciae atque pacta. Alter cum Bohemis alijs
que eonföderatis prouincijs. Tertius cum statibus et ordinibus inclyti regni
Hungarie. Et sane non inficior multorum opinione, me in istis tractatibus quasi
invicem contrarijs atque pugnantibus adeo intricatum videri, ut possibile arbi-
trentur absque laesione datae fidei debitam sancteque promissam aequitatem
parti utrique, quin pars alterutra uel deseratur uel iniuria quodammodo a me
afficiatur praestari posse. Quam quidem tarn sinistre de me conceptam opinio-
nem, ut ex mcntibus bominum praesertim vero si talis cogitatio in vestra
Majestate uel consiliarijs ipsius inesset, quam primum eximere ualeam, meram
puramque rei veritatem respectusque diuersos sic a memet ipso habeat, aeter-
num foedus cum Bohemis mecum una genus Hungarica pepigit, simulque
uiuere ac mori contra omnes inimicos sancta fide inuicem spopondimus.
Ita etiam paeisei aut bellum mouere eum aliquibus sine praescitu soeiorum
neutri partium pars fore. Haee autem sponsio ac foederatio eo tempore inter me
et partes reliquas celebrata est, quando statim cum praescitu et consensu
eorundem soeiorum eum vestra majestate inducias quibus vtimur paciscebar.
Jam uero cum me tacente articulus induciarum secundus expresse soeijs
et foederatis Bohemis ae alijs prouincijs Vestram Majestatem post requisitio-
nem easdem ac nobis inducias concedere obliget (neque pacis tractatum,
studijs quibusque melioribus, armis utrinque depositis proinoventem admittere
exaudireque iustis et aequis conditionibus adstringat), ubi sanetae huic
promissioni, nulla ex parte a vestra Majestate satisfieri (sed in contrarium, ut
der ungrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
205
renouatis uiribus toti exercitui classicam ad obruendos confoederatores nostros
canerc, si vestram majestatcm ut quotidianae quaerelae me docent, praeter
spcm et expeetationem bonorum omnium a pactis iamiam (quod absit), discedere
cogitantem uidero, quis non intclliget, nulla me amplius gentemque hungarieam
vestrae majestati obligatione teneri, quin imo, nisi soeios in fidem receptos illico
iuuerimus, merito ab illis desertionis crimine accusaremus.
Bohemis igitur alijsque foederatis satisfaeio cum npud vestram majestatem
ipsorum inducias nostris similes sollicito, quas si, ut ex paeto debitas a vestra
majestate non obtinuero, uel uarijs proerastinationibus suspectissimum periculo-
sissimumque statum eorum praesensero unquam me et gentem hungarieam uel
majestas vestra, uel alius quispiam violationis reum peraget si eos, a quibus ex
paeto pax alque induciae debeantur, intensissimos nostros hostes expert! fueri-
mus. Quare vestra majestas meam super indueijs declaraeionem in articulo
secundo expresse positam, non est, quod aliter intelligat, quam quod scriptum
ipsum testatur. Has quidem nostras cum Bohemis non esse nec posse fieri
simpliciter communes inducias ut simul eodem momento aequalibus ipsis nobis-
cum indueijs frui licitum fuisset. Sed nec ita neglectos ac prorsus desertosa
nobis, ut nulla ad ipsos ex nostris redundaret indueijs commoditas. Imo me
requirente ac promouente iustis atque aequis conditionibus tenetur ex paeto
Vestra Majestas foederatis etiam nostris similes inducias coneedere, quod nisi
fecerit, non est ut amplius super hac re uerbis calamoque certetur. Veritas
super omnia uincat, si quidem iam pro soeijs et conföderatis in causa eorum
toties Vestram Majestatem requirendo tertia iam uice, et nunc quidem cum ob-
testatione laboro sudoque. Haec quoad tractatus cum Vestra Majestate ac
dominis conföderatis habitos.
Quantum uero ad articulos in diaeta praeterita Posoniensi conclusos attinet,
satis clara in illis discretio facta est, tarn induciarum cum Vestra Majestate
pactarum, quam foederum cum praeseriptis soeijs habitorum ac conclusorum.
Interna uero regnicolarumque administratio usque ad induciarum terminum uel
subsequentem iamque promulgatam diaetam generalem qualitercunque a stati-
bus et ordinibus praescripta tanti mea opinionc fieri nondebet, quae uel Vestram
Majestatem uel alios tantopere affleiat. Certe tot quaerelis et impeditis bominum
affectibus multum potius in tali rerum statu indulgendum putarem, quam needum
manu fraeno uaganti admota, alienatos subditorum animos intempesta nimis
rigiditate a longe perterrere. Quod hactenus fateor ingenue ita ex parte Maje-
statis Vestrae factitatum ut studio intentionique nostrae obuiam undiquaque
occurrendo plus rerum dissipatores quam compositores (proh dolor et nulla
mea culpa) in suo profeeisse proposito reporiantur. Sed nec ego uideo quippe
in ista administratione plane nouus, ubi uel dignitas Majestatis Vestrae uel regni
libertas usque adeo laedatur, cum iam in ipsis indueijs liberae absolutaeque
gubernationi meae Vestra Majestas benigne assenserit, neque ex mea parte
urgetur, ut ubi absolutum Vestrae Majestatis regimen supermansit, qualitcr ibi
articulos praesentes publicasque constitutiones quoque impendere habeant, mihi
vero ex officio incumbere video, eos qui leges istos tulere non aliter nisi
secundum ipsorum praescriptionem gubernare ac regere.
206
F. F i r n li all e r, Actenstiicke zur Aufhellung;
Vnde palam fit neque hanc iuxta articulos regni gubernationem meam
ne quicquam pactis et inducijs cum Vestra Maiestate initis obesse, sicque tribus
iilis tractatibus et conclusionibus quanto maiore cura dexteritate omnino satis-
fieri. Nee aliud etiam in praesentiarum agere, quam super hancce meam pro
confoederatorum inducijs tertiam maxima cum oblestatione requisitionem ultimam
verain, cathegoricamque Vestrae Maiestatis uoluntatem atque rcsolutionem,
etiam atque etiam absqoe ulla procrastinatione sollicitare urgere et expectare.
Nam quod Vestra Majestas literis praesentibus ad longam super ca re consul-
tationem ac ex suis ad me consiliarijs meo cum internuncio expedit...? relega-
verit, proculdubio ea res in animis omnium suspitionem nequaquam omni va-
cantem periculo excitabit, quae non nisi certo reali et foederatis etiam impertito
pacis gaudio ex hominum mentibus euellicabitur. Seruet Deus Maiestatem
Vestram Caesaream ac Regiam diu felicem et almae paci sedulo studentem.
Datum in libera ac regia ciuitate Cassouiensi die 13. Martij anno
Domini 1G20.
Gleichzeitige Copie. Staatsarchiv. Ung.
XVII.
IS. März 1620.
Schreiben der Stände von Ungern mit dem Palatin an die Stände von Ober- und
Niederösterreich.
Ulustrissiini, illustres, spectabiles, magnifici, generosi, strenui et nobiles,
amplissimi item prudentes ac circumspecti domini, domini amici et vicini et con-
foederati nobis obseruandissimi.
Praemissa salute et studiorum nostrorum addictissima commendatione.
Instante generalium comitiorum termino publicaque regnorum et prouin-
ciarum necessitate id ita efflagitante intermittere haudquaquam potuimus, quin
insatutiferamrenouatae,nuper uberiusexplicatae et confirmatae, confoedei’ationis
continuationem, pubticique inclytorum statuum et ordinum regni buius decreti
(quo nempe serenissimo domino domino Gabrieli, Dei gratia, regnorum Hungariae
Transylvaniaeque principi et Siculorum comiti etc. domino nostro benignissimo
et nobis nominandorum expediendorumque legatorum nostrorum prouincia de-
lata fuit, debitum complementum) praesentium exbibitores, illustrem spectabi-
lem ac magnificum dominum comitemEmericumThurzo deBettlenffalva per-
petuum de Arwa eiusdemque comitatus supremum ac perpetuum comitem, nec
nondictaesuaeserenitatisconsiliarium etc. Michaelem B oss anij de Nagy Bossan
et Joacbimum M agdeburgerum, scnatorem civitatis liberae ac regiae Casso-
vierisis, cum sufficienti instructione et iuxta eandem plenaria cum Sua majestate
regia, domino nostro benignissimo, vestrisque illustrissimis, iilustribus . .
dominationibus, agendi, tractandi et concludendi potestate ad praetacta comitia
generalia expediremus, amice easdem studioseque rogantes: suis dominacioni-
bus in omnibus ijs, quae regni huius statuum et ordinum nominibus et in per-
sonis coram dixerint et protulerint indubiam .-jdhibere fidem, nec (aequo diutius)
ibidem detenlos cum optatissima rcrum publicarum conclusipne ct peractione
der ungrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
207
remitiere inprimis a. in desideratissimae summeque necessariae pacis et tran-
quillitatis recuperationem, ita omnia consilia, acta et cogitationes dirigere
velint, ne arma paei praefercndo, reipublicae christianae bono, suae suorum-
que et consequenter nostrum omnium permansioni suaptc sponte defuissc vide-
antur. Ita rursum benefaxit illustrissimis, illustribus .... dominationihus
vestris, author et Iargitor pacis et coneordiae, Deus, cuius proteetioni easdem
commendalas bene et feliciter valere oplamus. Datum in libera regiaque civitate
Cassouiensi, die IS. Mensis, Martij anno Domini millesimo scxcentesimo vigesimo.
Illustrissimarum ....
dominationum v.
amici vicini et confoederati
N. N. Comes Palatinus, caeterique Serenissimi
principis et regni Hungariae consiliarij.
Gleichzeitige Copie. Staatsarchiv. Ung.
XVIII.
IG. März 16*0.
Schreiben des Palatin Forgacs an den Kaiser.
Sacratissima Caesarea et Regia Majestas Domine Domine Clementissime.
Pidelium humiliumque servitiorum meorum in gratiam Sacratissimae
Caesareae et Regiae Majestatis Vestrae demissam subjectionem. In ipso jam
suscepti Cassoviam versus itineris progressu, aliquot benigna Majestatis Vestrae
Sacratissimae mandata, quae debita cum reverentia accepi, ad manus meas per-
venere, unde factum, ut responsum hucusque differi debuerit. Intelicctura est
autem Majestas Vestra clementissima ex serenissimi regnorum Hungariae et
Transylvaniac principis literis, quonam in statu res praesentes tarn induciarum
quam regni publicae vei’sentur; simul etiam quaenam Suae Serenitatis circa
carundem indulsionem ve! denegationem mens sit et sententia. Mihi equidem
clementissime domine naturalis Vestrae Majestatis pietas, et Christiane man-
suctudo continuo ob ocuios posita, tanto videretur fieri iliustrior, atque allieien-
dis plerorumque animis accomodatior, si interpositione et requisilione Suae
Serenitatis hac in parte admissa, initia et media instituendae bonae pacis non
excuterentur; quin potius deposito severioris vindictae ail'eetu, omnia ea cap-
pesserentur consilia , quibus vigentes istae intestinae boiTendaeque regnorum
et provinciarum devastationes, tristissima sanguinis Christiani eft'usio, misera-
biiis ncc satis unquam deploranda Status publici ruina, ineffabilis denique tot
cruentarum caedium, direptionum, et scelestissimorum facinorum materies et
occasio, utrinque salutariter propediemque praecidatur, et modis omnibus ara-
putetur. Vice autem versa, si nullae pacis studia amantium requisitiones, nuliae
ejus insequeiulae conditiones acceptentur, spes denique deponendorum armorum
nulla afTulgeat, non poterit profecto non gravissima in animis hominum enasci
suspitio, differentiaeque semina altiores in illis agere radices, Majestatisque
Vestrae Sacratissimae innata pietas et clementia, diversorum et forte minus
dextrorum judiciorum, suggillationum et insimulationum nube obfuscari. Gra-
208
F. Firnhaber, Actenstiicke zur Aufhellung
vissime autem omnium rejcetis sane cunetis aliis rationibus, persuasionibus et
argumentis, quae unquam promovendae huic rei congrua excogitari possent,
unicum hoc ut perpendatur unice extrema videtur efflagitare neeessitas: haere-
ditarii nempe hostis ingens ciendi novi in Christianos belli apparatus: is cnim
diu aflfectatam ex hae occasione ansam nactus, omnes suas Asiaticas vires cogere
easque in aliquam Europae partium convertere veile, constanti fama perbibetur.
Qui si in hoc dissensionis statu mutuisque Christianos sese conficientes arrnis
repererit, ne is optato (quod Deus omen clementissime obruat) tyrannidis et
imperii sui fines produxerit! A quo Christianae reipublicae insanabili vulncre
inflixo, quicquid detrimenti illam perpeti contigerit, ejus culpam omnem sacri
imperii Status et ordines in solam Majestatem Vestram rejicerent, tantoque
contra eam vehementissime. abalienati, redderentur obstinaciores. Sed et ipsi
supremo rerum et actionum omnium inspectori, et vindici acerrimo gravissimae
reddendae fuerint rationes, in cujus nempe conspectu preciosus babetur sanguis
Christianus. His itaque omnibus quasi e specula tempestive praevisis Majestät 1
Vestrae humilime et quo possum majori studio supplico, Majestas Vestra sacra-
tissima dignetur in omnes vias, modos et rationes redintegrandae pacis pristinae
pientissimo corde propendere, indulsisque eonfoederatis cum regno hoc vicinis
regnis et provinciis, vel ipsius saltem sacri Romani imperii ob respectum
nostris pariformibus induciis, ctiam hac in parte clementiae et pietatis suae
fructus, ita in rempublicam Christianam exercere, ut bonis omnibus innoteseat
manifestius quanto zelo quantaque cura Majestas Vestra publici boni promotio-
nem omnibus aliis suis commodis propriis et emolumentis dignata sit praeferre,
exindeque communi applausu de patris patriae pientissimi augustissimique
amore et syncero affectu sibi invicem queant congratulari: precibus denique
ad Deum pro incolumitate Vestrae Majestatis tanto ardentius fusis , ejusdem
benedietionem super omnes Vestrae Majestatis acliones magis et magis accumu-
lare. De aliis negotiis quae pertractanda cum Serenissimo principe suis literis
benigne insinuat, summa cura et diligentia in eflectum deducere non intermittam.
Servet Deus Majestatem Vestram Sacratissimam diutissime sospilem et gloriose
imperantcm. Cassoviae die 16. Martii Anno Domini 1620.
Sacratissimae Caesareae et Regiae Majestatis Vestrae
Humilis et fidelis servitor
Comes Sigis. Forgacs m. p.
(Auf einem angeklebten Zettel:)
P. S. Cum articulus secundus expresse contineat induciarum, ut Boemis
quoque post requisitionem Majestas Vestra Sacratissima inducias concedere
dignetur non video qualiter Majestas Vestra Sacratissima denegare requisitas
inducias Boemis quoque possit, quod si autem hac ratione violari a M. V. S.
indutiae censeantur, certo Maiestas V. S. sibi persuadeat, supetias principem
Ser. et regnicolas laturos Boemis, vnde periculosissimi motus denuo grauis-
sima regni ruina suscilabuntur, quod Majestatem vestram minime permissurum
eonfido.
(Eigenhändig.)
der ungrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
209
Von aussen die Aufschrift.
Sacratissimae Romanoruin Imperatoriae, ac Germaniae, Hungariae, Bohe-
miaeque Regiae Majestati etc. Domino Domino Clementissimo.
Viennam Austriae.
Orig;. Pap. In der Sammlung' «les Herrn v. Latour.
XIX.
Caschau, 17. März 1G20.
• Simon Pechy’s Schreiben an die österreichischen Stände, worin er ihnen Bethlens
Ultimatum mittheilt.
Ulustrissimi, illustres speetabiles, magnifiei, generosi et nobiles, prudentes
item ac circumspecti domini et amici obseruandissimi, s^uitiorum meorum ad-
dictissimorum semper commendationem.
Quod serius habeant ex nosfra parte responsum quam forte sperassent,
ueras ex literis serenissimi principis et domini mei clementissimi eausas intelli
gent. Cognoseent etiam ex ijsdem quantum in impetrandis ad rationem domino-
rum confoederatorum inducijs allaboret et desudet Sua Serenitas et post eam
quantum mihi oneris sustinendum sit, perspicere poterit, quae non nisi pro-
penso illustrissimis, illustribus
dominationibus uestris et Omnibus dominis confoederatio inseruiendi studio
fieri possunt leuiora sed cum aduersum imperatoris animum in hoc nobis,
et vestris dominationibus experiamur, quam non fucate Sua Serenitas, Caes.
Majestati rescripserit, et quo in rem confoederatorum inaneat aftectu, ut notum
esse vestris dominationibus possit paria literarum Suae Serenitatis ad imperatoris
majestatem bisce meis inclusa mitto. Non est, quod fidem adbibere eunctentur,
nam nisi pro uoto Sua Maiestas se resoluat, literae Suae Serenitatis ad comi-
tatus emissae sunt, insurreetionem ad bellum iniungentes, ut illico rei eonfoedc-
ratae cum fructu succurratur. ln me quantum est, nullum sinceri animi officium
Vestris dom. quauis occasione praestandum praetermittam. Seruet Deus Dom.
Vestras diu felices. Datum in libera ac regia ciuitate Cassouiensi die 17. mensis
Martij a. 1620.
Hl««»» ete
Servitor promtissimus et amicus
Simon Pechy.
H]mi. j|jbos dominis directoribus ac consiliariis, nec
non vniuersis ordinibus statuum euangelicorum inclyti arcbidueatus utriusque
Austriae etc. dominis et amicis mihi semper obseruandissimis etc.
Praes. 26. Martij 1620.
Glcichzcitig'e Copie. Staatsarchiv.
Sitzh. d. phil.-hist. Cl.XXXlV. Bd. I. Hft.
14
210
F. Fir n h ab e r, Actenstucke zur Aufhellmi]
xx.
Wien, 28. Mürz 1820.
a. Der Kaiser an Ludwig Molart, Gesandten in Constantinopel. Bestätigt
den Empfang d. Schreiben vom 29., 30. December 1619 u. 3., 20. Jänner 1620.
Soll Acht geben auf die Kriegsrüstungen.
Will in Kürze einen eigenen Orator, den k. Rath Caesar Gallus nach der
Porten schicken, mit der Versicherung, dass der Kaiser den Frieden halten
werde, hat nichts gegen Molards Reise nach Jerusalem, und soll von da gleich
nach Wien zurückkehren.
Orig;. Concopt. Staatsarchiv.
Wien, 2G. März 1620.
b. Schreiben des Kaisers an den Grossvezier mit Friedensbezeugungen u.
Gratulation. Man wird den Frieden an den Grenzen streng halten und keine
Nachsicht mit Übertretern haben.
20. Mürz 1820.
c. Der Kaiser an den Bassa von Kanisa. Freut sich über die Nachrichten
welche der Chauss aus Constantinopel gebracht hat, Friedensbetheurungen.
Theilt ihm die Schreiben an den Vezier mit u. s. w.
Orig-. Conoept. Staatsarchiv.
XXI.
Im März 1620.
Instruction Kaiser Ferdinand’s II. für den an den siebenbiirgischcn Fürsten Gabriel
Bethlen abgesandten k. Reichs-IIofrath Wolfgang Wilhelm Lainingcr von Albernreuth
und Friedrich Hermann Connrae.
Ferdinandus secundus Dei gratia electus Romanorum imperator semper
augustus ac Germaniae Hungariae, Bohemiae, Dalmatiae, Croatiae, Sclauoniae etc.
Rex archidux Austriae, dux Burgundiae, Styriae Carinthiae Carniolae, marehio
Morauiae, comes Tyrolis et Goritiae etc.
Instructio
pro fideli nostro nobis dilecto egregio, Wolfgango Wilhelmo Lamingero ab
consiliario nostro imperialis consilij aulici ad illustrissimum
principem Gabrielem Hungariae Transylvaniae principem ae Siculorum comitem
etc. ablegatum cui etiam fidelem nostrum egregium Fridericum Hermannum
Connrae nostrum Hungarieum ration n (rationum?) magistrum adiunximus.
Quando quidem de fide fldelitate et in rebus gei'endis solertia et vigi-
lantia praefati consiliarii nostri non dubitamus, sed potius integritati eius ap-
der ungarischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
211
prime fidamus et pro comperto habeamus, ideo cum ad illustrissinram prineipem
Transylvaniae delegandum benigne censuimus, ut iuxta datam ipsi instructionem
ea quae sequuntur rite peragat et in Omnibus ea, quae in nostrum commodum
dignitatem et boni publici utilitatem eedere possunt pro sua solertia ac diligen
tia habita in omnibus actibus priuatis uel publicis deliberationibus item fraeta-
lionibus propositionibus exeipiendis et responsis dandis, cum prefato sibi
per nos adiuncto Friderico Hermanno etc. mutua intelligentia et de negotijs
incidentibus (?) atque ad hane profectionem rite expediendam spectantibus
inuicem eonferentia, procurare studeat. Vt quoniam praefatus Gabriel Betlem
Transylvaniae princeps literis suis ad nos uigesima tertia mensis ....
datis (quarum exemplar sub A l ) signatum videre poterit) ad instantiam legati (?)
palatini electoris pro se omnibusque eonfoederatis Bohemis alijsque prouincijs
sedulo rogat ae per internuntium suum syncere nobis dilectum Magnum Ste
phanum Haller de Halle ress (sic) delegatum oretenus nos pl uribus
instanter interccdendo requisivit, quatenus ex innata nostra Caesarea regiaque
clementia ijs inducias menstruas et simul armorum suspensionem ac desuper
saluum eonductum et assecurationis literas illis, quos ex praefatis regno et pro-
vincijs nostris sub finem mensis illius pro indueijs paciscendis Bohemi ad nos
missuri forent. Scient igitur prelactus (?) consiliarius noster, scopuin et finem
missionis huius hunc esse praecipuum, ut Bettlemio principi ea, quam rei magni-
tudo exigit, dexteritate insinuetur ae significetur, nos pro Caesareae regiaeque
Majcstatis noslrae dignilate et rerum nostrarum praesenti statu intercessioni et
petitioni suae quoad menstruas inducias et armorum suspensionem concedendas
(quamuis ipsius causa multa faceremus) co quo petitae sunt modo minime
satisfacere posse, prout iam illud ipsurn summariter eidem per literas nostras
signifieauimus, internuntio vero suo Hallero per deeretum, cuius sub B notatum
exemplar leget, respondimus.
Vt autem et ipsi principi Betlenio ae Bohemis reliquisque regno illi nostro
coniunctis prouincijs et subditis nostris, imo toti orbi constare possit, quam pio
Studio paterna cura et sollicitudine in regna et provincias ac subditos nostros
perditissimorum hominum perfidia et fraudibus a nostrae Majestatis obedientia
seductos afficiamur, quantoque nobis cordi sit quo ad fieri potest potius ueniae
gratiaeque nostrae aequa oblatione quam armorum terrore et in bellica sangui-
nisque effusione cos ad debitam subieetionem antiquum obsequium et fidelitatem
pristinam reducere et in obedientia continere uel hoc luculentissimum nobis
testimonium (quod nemo etiam iniquüs hostis et ipsi nostri perduelles negare
possunt, semper dabit, quod statim a principio nostri regiminis et huius inspe-
ratae rebellionis et tumultuosorum motuum ardentissimum ae paternum nostrum
pacis ac tranquillitatis Studium in eo ostendimus et palam fecimus, nos paratos
semper aequis conditionibus in gratiam nostram regiam data venia recipere
ad eumque effeetum et saluos eonductus ante haec libere ueniendi tractandi et
tuto abeundi obtulimus et omnium priuilegiorum suorum imo et majestalium
literarum confirmationem ultro et confirmauimus et Bohemiam usque
’) Die Beilagen fehlen.
14*
212
F. Firnhaber, Actenstiicke zur Aufhelluni
prout hoc ex tota actae rei serie et mandatis nostris publicatis Iiquido et
delucide constat, atque ita nos quo ad partes nostras nullum clementiae
gratiaeque genus erga illos praetermisimus, neque ullum pacificationis me
dium ad euitandam Christian! sanguinis effusionem et regnorum prouinciarum-
que nostrarum clades et ruinas, quas secum beila traherc solent intentatum
reliquimus, neque a nobis desiderari passi sumus, et licet saepe dicti rebel
les nostri omnia sana mentis consilia, et prouidentiae, ae clementiae nostrae
ineomparabilis argumenta toto hoc tempore ex coneepta se suosque et patriam
perdendi libidine obstinate et ingrate respuerint, neque ullum pacis remedium
admittere uoluerint, quin imo (in) dies magis excoecati in sua pertinacia et
rebellionis lue persistentes maiora contra Caesaream Regiamque Maiestatem
nostram et retro actis seculis (nulla subsistente causa neque offensionis mi
nima labe apparente) plane inaudita moliti et machinati sunt, scelera pro-
ditionis et violentias , siquidem non contenti se ipsos perfide ex debito
fidelitatis et obedientiae obsequio exemisse, bona cameralia nostra omnia et
propriam substantiam in Bohcinia et alijs incorporatis nostris provincijs oc-
cupasse et rapuisse etiam antiquissimum inclitac domus nostrae patrimonium
Austriam hostiliter inuaserunt ferro et flamma uastarunt et adbuc partem
armis oecupatam detinent.
Ex quibus et ipse princeps Betlem et tota Europa imo uniuersus orbis
conijcere potest et concludere debet, in nos ae nostros fideles ministros
nullum plane ne apparens quidem conijci posse offensionis indicium, aut
belli Studium, sed eos ipsos rebelles nostros horum omnium malorum, cla-
dium calamitatum, incendiorum et ehristiani sanguinis profusionis esse inci-
tamentum, ansamque dedisse quare tot exterarum nationum legiones, quae
nobis in causa, si ulla unquam fuit sub sole iustissima contra perduelles istos
perfidissimos in auxilium submissae sunt, in prouincias hasce nostras accer-
sere debuimus, unde cum nos tantum regna et prouincias nostras quae ad
nos per legitimam successionem jure divino gentium et eiuili deuenerunt,
quaeque nos in regem et dominum legitimum iniunxerunt et coronarunt,
praestitoque de more gentis uetusto fidelitatis homagio pro tali receperunt
recognoverunt iustis armis , quando sana consilia tarn inique repudiantur
repetamus atque recuperare omnino teneamur, certe neque a Bethlem prin
cipe neque quouis alio rerum aequo aestimatore nos mali ullius quod in
rebelles nostros redundat prouincias ullo modo inculpari possumus, prout
coram Deo, mundo et in conscientia nostra regia ab omni cladis et sangui
nis effusionis ratione reddenda immunes omnino simus et protestamur. Ideo-
que si tantis malis finis imponendus esf, (inem faciant illi, qui iniquissimam
causam fouentes principium dederunt, et a rebelüone desistant, non autem
nos nostro regno et prouincijs et juribus tarn manifesto et clare toti orbi
notis cedamus.
Nihil minus vero his non obstantibus ne ipsi rebelles nostri et illi qui
pro illis se apud nos intercedendo interponere cogitant, existiment nos ullo
unquam tempore pacis studia omissuros et a tranquillitatis tractatione ab-
borrere, sed magis ut manifeste uidcat ipse princeps Bettleem, ea quae nos
der ungarischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
213
illi liac super re signiflcari curamus et iam ipso effectu comprobaturos
renuneiabit illi consiliarius noster nos ex innata nostra Cae
sarea regiaque benignitate et paratos et promptos esse, Bohemis et illis, qui
cum illis ex nostris prouincijs regni et subditorum nomine uenturi sunt uel uenire
uoluerint, assecurationem et saluum conductum ad nos ueniendi et redeundi non
solum gratiose concedere, sed et benigne eos audire et (si) resipiscere uelint
aequis et iustis conditionibus in gratiam recipere. Sicuti ctiam ut huius nostrae
benignae intentionis, et regiae clementiae maius et manifestius indicium et
augmentum habere possint dictam assecurationem et saluum conductum in
optima forma internuncio — suo Hallero de facto iam consignari curauimus,
secum deferendum et principi Bettlenio exhibendum.
In inducias uero et armorum suspensionem pro tempore, petito modo
consentire propter sequentes rationes non possumus.
Primo, quia Bohemi eaeterique rebelles nostri prout supra iam dictum est
liactenus ubi a nobis tales induciae oblatae fuerunt, non solum malitiose abusi
sunt, sed et illis durantibus, res suas magis magisque apud inimicos Augustae
domus nostrae promouerunt, nobis uerba dederunt et in Omnibus omni plane
exuto pudore honestate ac fide grauius circumvenire studuerunt, in sua semper
obstinatae rebellionis eoecitate perseuerantes et inducias et gratiam nostram
semper refutarunt.
Seeundo. Bohemorum et reliquorum perduellium nostrorum, rebellio et
offensiones contra nostram Maiestatem eo usque et in tantum proeesserunt ut
non tantum uerisimiliter sed omnino necessario concludere et pro ipsissima
ueritate credere debeamus, banc armorum suspensionem non nisi malitiose et
fraudulenter, non autem animo aut ipse redeundi ad meliorem frugem et nostram
deuotionem modo quaeri, quod uel ex eorum petitione plus quam manifeste ap-
paret, siquidem bas inducias inusitato plane et apud onmes gentes inaudito et
artificioso ad fallendum exeogitato modo quaerunt, ut nempe ad finem mensis
pro illis concedendis tuto uenire possint ad traclatum pro alijs indueijs, cum e
contra liactenus in Omnibus eius modi casibus induciae pro pacis negotio trac-
tando et sie flniendo bello non autem pro alijs indueijs paciscendis inter dissi-
dentes agi consueuit. Si igitur haec armorum suspensio paci reducendae inser-
uire non debet, cur frustra cum tarn gravi nostro damno concedendae?
Tertio. Neque ipse Transylvaniae princeps moleste ferre debet, si hoc a
nobis impetrare non potest siquidem vigore inter pactarum induciarum etcapitu-
lationum ille hoc minime praetendere potest et ab ipsomet uel ipsius nomine
dum eosdem induciarum articulos nos postea declarassemus nostris extitit non
intendere se a paetatis ulla in re secedere; ideoque cum Bohemis et reliquis
incorporatis prouincijs et illis subditis nostris in his indueijs nihil tale conces-
sum sit, neque nos in illis quiequam minutare aut alterare cogitamus.
Quarto licet de Bohemis in illis aliqua fiat mentio, quod nimirum si illi
petierint inducias, nos aequis et iustis conditionibus illos audire non dedigna-
bimus, ipsi tarnen hactenus nihil horum petierunt.
Q u i n t o. Accedit, quod cum ipse Bettlern princeps, modo bas inducias non
Bohemorum et reliquarum incorporatarum prouinciarum prout induciarum cum
214
F. Firnhaber, Actenstiieke zur Aufhellung
Bettlenio initarum pacta iubcnt praecise, sed magis palatini electoris nomine
suspensionem hanc armorum quaerat, nobis antem ut qui dictum palatinum elcc-
torem, in hoc regno nostro et negotio pro nullo plane agnoscimus, neque eum
partes ullas boc loco, (sicuti et antea ex induciarum tractatu, clare percipere
potuit, et illi semper significatum fuit, ideoque illius nulla unquam ne verbo
quidem sed Bohemorum tantum facta mentio) habere minus vero cum illo, vel
illius nomine minimum quid tractare velimus, non est, quod Bettlen prinecps
(sese) inter illum et nos ulla ratione intcrponat, si autem Bohemorum et reli-
quorum subditorum nostrorum rebellium nomine quis tractare uoluerit, eum uel
eos, ut supra dictum est sufficienti assecuratione munire non refragamur.
Sext o. Cum Boherni et reliqui perduelles, alium sibi (quamvis nulliter)
quaesierint assertum dominum neque ulla ratione nisi ille prius omnino nostro
regno excedat, inter nostros super pacifieatione agi potest, hoc autem hactenus
factum non audiamus, e contra uero nos nostrum regnum et prouincias omnibus
modis, si alia non restat, armorum et bellica via omnino recuperare serio deli-
beraverimus, contra hanc nostram iustissimam sententiam modo armorum sus
pensionem in gravissimum nostri detrimentum inire qua ratione nobis consultum
foret, non videant.
Septimo. Vt et illud quod hoc loco pro septima ratione occurrit, non
omittamus, hoc etiain ex hoc capite minime conuenire, cum bis inducias pacisci,
qui non reperiuntur in patrijs suis, sed in alieno solo, scilieet in bis terris etiam
haereditarijs nostris Austriae, quam meliori ex parte deuastatam, adhuc et con-
spirationibus et armis occupafam nobis infestam reddunt, absurdum enim et
iniquum, neque hactenus auditum foret hostibus nostris in prouineijs habitatio-
num fixarum quietem permittere, eo tempore dum ipsi nos et subditos nostros
etiam in Austria omni hostilitati genere prosequuntur.
Octau o. Tantum abesf, ut Boherni et reliqüarum nostrarum prouinciarum
subditi cogilationem ullam babeant, sponte ad nostram obedientiam redeundi,
talemque ob finem has impetrare satagant inducias, ut etiam nobis exploratissi-
mum sit, eos interim apud omnes nostros inimicos et contrarios non solum Chri-
stianos auxilia et bellica subsidia quaerere, sed etiam ipsos infideles Turcas
communes Christiani nominis hostes in suam proprium perniciem et ruinam, ut
nobis maiora negotia faccssere et damnum inferre queant, modis omnibus con-
citare, quod vel ex boc plus quam dilucide eolligere est, eum illi post pactas
inter nos post menses inducias non solum Nicolspurgum tormentorum verbe-
ratione conquassatam expugnarunt sed etiam a Morauis per summum scelus
nefas et periurium pro palatino electore assertum fidelitatis homagium extor-
serunt, idem in Silesia malis artibus et dolose facere tentantes immedicabilis-
que et nisi ferro et igne domandi animi pertinaciam et perfidiam ostenderunt.
Nono notifleandum inter reliquas quoque rationes principi Bettlenio erit
d. Mathiam Caesarem praedecessorum nostrum ueneranduin non multo post
exortum istud rebellionis ineendium ipsis etiam Bohemis annuentibus, negotium
hoc totum primo tribus imperii principibus et
Bauariae duci post coronationem uero nostram Caesaream nos ipsos toti electo-
rali collegio ad ejusdem requisitionem decidendum et componendum, concredi-
der ungrisclien Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
21$
disse, quinam iis inseijs ct inconsultis, nos in aliquam cum Bohemis et reliquis
incorporatis traetationis rationem inire ualeamus, modum plane ullum qui eitra
tot electorum principum offensionem expediri possit, non yidemus, non inter-
missuri tarnen, cum illis negotium communicare et prout aequum et iustum fuerit
habita cousultatione et consilio eorundem gratiose nos declarabimus.
Decimo. Neque hoc impedimentum, quod inter alia non est minimae sed
maximae considerationis cum in nostro praesenti exercitu, magnae auxiliäres
copiae quae nobis a . Europae regibus ct principibus consangui-
neis affinibus amicis ac clientibus nostris in subsidium causae tum iustae sub-
inissae (?) sunt et submittendae sine illorum praescitu communicatione et con
silio, in re tanti judicii ad hanc deuenire armorum suspensionem, cum et ipsi
Bohemi sine reliquorum omnium perduellium nostrorum et auxilia ferentium
exterorum conuentu et consilio nihil de pacifieatione agere uolunt, inconueniens
ualde foret, prout dubium nullum nobis est, quin ipse princeps Bettlern idem pro
sua prudentia et rerum experientia omnino iudicaturus sit.
Vndecimo. Et huic haec vlterior consideratio addenda, quod cum noster
exercitus bellicosus ae numerosus sit, si undique et ubique ut (princeps) Bettlern
praetendit fiant indueiae cum regna et prouinciae nostrae sint in eo statu quem
non obscure nouit, neque illi quibus concedendae erunt indueiae iis in prouineijs
in quibus ipsi degunt militem nostrum uel in illo solo consistere minus eommea-
tum subministrare uellent, reliquum esset, cum nobis tantis alendis copiis alia
prouincia non restet nt rapto uiuerent et hostilitates contra induciarum prae-
scripta contra vicinos quosque exercere cogerentur, non igitur petendum a no
bis ut id concedamus cuius est observatio, non solum hoc tempore tarn diffieilis
maxime cum per hoc neque inducias petentes finem suum consequi neque nobis
tarn apud subditos quam etiam exteros, laus ulla parari, sed potius obtrectatori-
bus et inimicis nostris, qui etiam optima quaeque nostra facta et consilia in ma-
lam partem ad decipiendam plebem rerum ignaram interpretari et exsplicare
solent, occasio nouarum calumniarum dari posset.
Duodecimo. Quod uero ad narrata de expeditioneTurciea armorum prae-
paratione, transitu copiarum asiaticarum in Europain, bello contra Polonos Tar-
tarorum pacis studia colentium et bispanica classe a juuene quodam ignoto belli
duce, quem ut terrestribus suis copijs ineunte aestate ducendis praefecisse Tur-
carum imperator dicitur, et reliqua, quibus princeps Bettlern pro argumentis
et motiuis ad persuadendum hanc induciarum concessionem ad longum vtitur
attinet, uerum quidem est et praeteritorum temporum historijs constat, Turcarum
res semper Christianorum discordijs creuisse, attamen sicut nos dissensionis,
minus vero rebellionis causam ullam unquam subditis nostris dedimus, ut qui
statim in ipso regiminis nostri limine, neque praegustatis solitae clementiae
nostrae fructibus, perfide nullaque data causa defecerunt, ita quod ad intentio-
nem ottomanici imperatoris et Hispanicae classis deuietionem, longe et alia et
bis praedictis quidem contraria nobis certö et uerioribus nuntijs constant utpote
certiores facti Turcam pacem inter nos factam induciasque sancitas, sancte
integreque seruaturum, neque rebellibus nostris auxilio facturum, cum ab origine
mundi Omnibus mundi principibus semper rebelliones exosae et rebelles omnium
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F. F ir n li a he r, Actensliicke zur Aufhellung
M
hostes iudicati fuerint, licet et hoc quoque nos minime lateat, eundem ad detri-
menta nobis inferenda ab ipsis Christianis et rebellibus nostris, eorumque auxi-
liatoribus multis artibus et dolosis machinationibus et ingentium rerum promissis
summopere sollicitari. In omnem tarnen euentum considerabit e contra principem
(princeps) Bettlern, quod et si multos contrarios et inimicos ac rebelles habea-
mus, nobis tarnen, quae de (qua dei?) est prouidentia et benignitas, maiores
(tarnen) longequo potenciores adsunt et assistunt reges principes otamici, quo-
rum et imprimis de auxilio, bonaeque causae iustitia et nostra vigilantia, omnes
nostros hostes confundere et superare plane confidimus, ende licet dift'icultates
sint magnae, media tarnen quae prae manibus habemus nobisque a diuina beni-
gnitate subministrantur, talia sunt, quae longe praeponderant e contra uero hosti-
bus nostris omnia breui incommoda futura neque nobis potenliam et modum
nostros, fidelcs tuendi defutura. (?)
Decimo terti o.
Monere igitur illum atque in sua erga nos iam contestata fide et deuotione
constantem esse, et in ea perseuerare iubere, atque imprimis in hanc curam in-
cumbat ut sicut nobis promisit regnicolarum et subdilorum nostrorum regni
Hungariae animos ad nostram fidelitatem et obedientiam reducendos beneque ad
proxima futura comitia praeparandos omnem diligentiam et opcram adhibcat,
neque ullo modo sub quouis praetexto aut falso rationis et causae colore contra
nos in Hungariae regno militem conscribere uel edueere permittat, minus uero
ipse contra induciarum pacta et promissam fidem et proximis suis vigesima Fe-
bruarii ad nos datis literis iterato declaratam mcntem hostibus nostris auxilium
ullum uel milite uel connneatu uel quocunque alio subsidii genere, subministret,
si autem Bohemos, aliosque rebelles nostros solidis quae non desunt rationibus
ad culpam et nos regem et dominum legitimum unctum eoronatum et homagii
juramento acceptatum et susceptum, agnoscendum, sua qua apud illos pollet
autoritate et exhortationibus adducere et hac ratione maiorem cladem sanguinis-
que efiusionem auertere poterit, pergratum id nobis non solum futurum est, sed
certo sibi persuadeat, nos erga illum et eius posteros Caesarea Regiaque nostra
benignitate et propensa animi affectione omni data occasione compensaturos.
In omnem uero euentum si ipse promissis suis et in sua fidelitale indueiarum-
que obseruatione prout omnino confidimus et illum hortamur, si firmus a parti-
bus nostris perstiterit, sciat nos omnia ea, quae illi nomine nostro promissa sunt,
sancte benigneque seruaturos, ac nostra eum semper Caesarea regiaque pro-
tectione gratia et fauore cum suis semper prosecuturos.
Decimo quarto.
Et haec quidem principi Bettlenio prefatus consiliarius noster pro sua
industria et rci exigentia prudenter insinuabit. Interim uero non omittet, idem
ad partem ipsius cancellario magno Simoni Pechio haec vel similia data occa
sione conuersando ingerere simulque omnes Bettienii eonsiliarios de Omnibus
bene informare studebunt, in tota autem functione ista in hoc diligenti cura
incumbent, ne principi Bettlenio spem induciarum et armorum suspensionis
adimant, sed pro tempore donec a collegio electorum principum coeterisquo
nobis auxilia subministrantibus regibus et principibus quibuscum hanc
der ungarischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
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communicauimiis consilium et responsum habeamus, concedere non posse,
interim nero ardentissimo pacis reducendae desiderio nos teneri omniaque
tranquillitatis media nos bello semper antiposituros insinuabunt, quod uero
nostri rebelies modo de hostilitate et progressu excrcitus nostri quaerantur
sicut in alijs etiam in boe inique agunt et falso fietis mendacijs fideles et
infideles decipere sattagunt, siquidem illi ipsi omnium horum malorum causam
(prabuerunt) ut qui et rebellarunt praeter ius fasque sine omni plane causa
et simul rebellionem suam perfide et obstinate prosequuntur ac tüentur,
nobisque omnia nostra eripere conantur ut hoc iam toti orbi constat.
Vt qui procul dubio incidet sermo de tractatu induciarum earumque
conditionibus nuper a nobis confirmato, ut pro re nata totius rei seriem
scire et ad obieeta respondere et contraria replieando refellere, ac sinistrum
sensum refutare, uerumque adducere nostraeque declarationi inhoerendo,
pactis insistere, quidue modo ipsi Beltlenio responderimus scire possit, iilis
etiam literarum copiam, item omnes scripturas et acta, nuper initi posonien-
sis tractatus diplomatumquc exemplaria consignari, simulque paria literarum
nuper sub dato sexta buius currentis mensis Martij per proprium
cursorem Cassouiam ipsi Transyluaniae principi scriptarum dari curauimus
in eum finem ut ex iilis informationem sumat quomodo illa, quae ex parte
nostra in fauorem nostrum conclusa sunt defendantur et ea quae de induciarum
uiolatione calumniatores ad illum detulerunt ipsius ueritatis luce et nostrae
rectissimae mentis intentione e x fundamento dilucere queanf. In specie autem
si quid circa supremi Jauriensis capitanei factum propositum fuerit, scient
delegati nostri, informandos esse rei gestae seriem nescientes, id animo con-
trafaciendi inducijs, minus uero nostro mandato, sed ex errore contigisse,
quod ille nimirum nesciebat, a nobis induciarum diplomata esse confirmata
ubi uero a . Colocensi archiepiscopo (, nostro?) cancellario
(informatus?) extitit, illico Jaurinum uersus se contulit, neque Ouariensem
arcem uti male inculpatur, uel obsidione uel petardis intercipere minus
uero aliud quidpiam hostiliter aggredi tentauit, et ita ex parte nostra in
ulla re nostro mandato nee sine (?) quicquam .... (?) induciarum ca-
pitulationes , licet e contra aduersus nos multa et acta et attentata fuerint.
Igitur nomine nostro in praeiudicium tractatus et induciarum pactarum
actum quaerentur primo. Quod fidelibus nostris tarn ecclesiasticis quam se-
cularibus bona eorum adempta , quod Posonienses infidelissime et hostiliter
se circa nos et nostra ac nostros fideles subditos gerant.
Quod Leopoldus Peckius ad cameralium reddituum administrationem
promotus, qui ingenti acre alieno oppressus ex priorique cameralis rei ad-
ministratione plurimum regio fisco debet, neque unde soluere possit habet,
quod Emericus Thurzo omnes machinationes contra nos multis modis tarn in
regno quam extra exercere permittatur.
Quod Stanislaus Thurzo ad rebellium Morauorum falso fictos rumores,
comitatus ac regnicolas ad arma sumenda concitauerit.
Quod .... Homonnay arces dispositis a principe in pagis circum-
quaque militibus a longe ita obsidentur et exeuntes captiuantur, adeo ut
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F. F i i* n h a b e r , Aclenslüeke zur Aufhellung
cum über ultro citroque commeandi accessus prohibeatur, arces et castclla
in praeiudicium . . . ruptionem induciarum intercipiantur instandumque
ut amoto milite bona et arces Homonnaij tali obsidioni et hostiiitatis ac
interceptionis periculo liberet.
Quod status et facies cameralium nostrorum reddituum immutata, regii
nostri jurati ministri depositi, infideles surrogati et infinita circa fodinas
nostras metallicas praeiudicia et damna commissa.
Stipendia praesidiarijs militibus nulla persoluta nulla praeparatio mi-
nusque promissa bona officia praestanda ad diaetam adhuc apparent.
Neque captiui iuxta capitulationem dimissi, regnum malis et pernicio-
sis ac seditiosis hominibus qui tantum promouentur(?)repletur, boni uero fide,
lesque eijeiuntur bonis ademptis.
Haec minus querimur, quod redditus dominij . . . Altenburgij, qui
vigore pactarum induciarum nobis competunt, amotis nostris ministris, illis
quoque priuemur, quorum merito ratio et restitutio petitur.
In quo sieut et in reliquis omnibus dictis ne officio
desint gratiose eidem committimus ... de caetero gratia nostra Caesarea
Regiaque benigne propensi manemus. Datum in ciuitate nostra ....
Alte Copie. Pap. in 4°. Staatsarchiv. Ung. Abth.
XXII.
2. April 1620.
Der Palatin Forgacs an den Kaiser.
Sacratissime Imperator.
Domine Domine clementissime, fidelium servitiorum meorum in gratiam
Majestatis Vestrae Sacratissimae liumilümam subjectionem. Quando quidem
comitiorum ad ultimum dient Maji vigore transactionis et confoederationis
ad civitatem montanam Novizoliensem indictorum iam .. . instet, percontatus
de statu et eommoditate eiusdem ciuitatis, nura nimirum ea illa sit capacitate
et commeatus omnis generis num tanta abundantia illi sit provisum ut diaeta
ibi sine discommoditate et defectu victualium celebrari possit: multorum
relatione depraehendi, neque hospitiorum pro tanta frequentia sufficientiam
ibidem haberi, neque vietualibus ob sterilitatem circumvicinorum distrietuum
suft'icere posse. Et quod magis considerandum est, fodinarum cultura maximo-
pere impedietur, et insigni cum detrimento operarij a laboribus suis avo-
cabuntur, insuper vicina etiam loca, unde illis sustentatio victusque suppedi-
tantur desolationem non modicam sentient. Inde proventus fodinarum non
solum imminuentur, verum etiam forte plurimae incultae relinquentur. Quare
visum est illustrissimo principi, ut diaeta Leuchoviam transferatur, quo et
commissariis Majestatis Vestrae melius de hospitiis et aliis requisitis pro-
spici queat, et regnicolis quoque major commoditas, et satisfactio tractandi
et concludendi praebeatur. Supplico itaque Majcstati Vestrae Sacratissimae
ut Majestas quoque Vestra Caesarea et Regia praerecensitis ex causis an-
puere dignetur, quatenus diaeta Leuchoviam transferri possit: qua de re
der ungrischeu Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
219
illustrissimus quoque princeps Majestatem Vestram Sacratissimam requisiturus
est. Servet Deus Sacratissimam Majestatem Vestram caesaream et regiam
diutissime foeliciter imperantem. Datum in arce Gaach vigesima secunda
die mensis Aprilis anno 1620.
Sacratissimae caesareae et regiae Majestatis Vestrae
Servitor humillimus ac fideiis perpetuus
Comes Sigis. Forgacs m. p.
Von aussen:
Sacratissimae Romanorum Imperatoriae etc. Germaniae, Hungariae,
Bohemiae etc. Regiae Majestati etc. Domino Domino Clementissimo.
Orig. Papier mit aufgedrücktpm Siegel. In der Sammlung des Herrn v. Latour.
XXIJI.
Kaschau, 2. April 1G20.
Eigenh. unterschrieb. Schreiben des Gab. Bethien an den Grafen von
Meggau mit dem Ersuchen, dem Anton tterwaldt, „factoris nostris vices susti-
nens“ (Kaufmann von Wien), welcher Waaren zum Neusolder Landtag bringt
und zwar aromata und italienische Früchte — einen Pass zu ertheilen.
Orig, in der Sammlung des Herrn v. Latour.
XXIV.
3. April 1620.
Schreiben des Herrn Zacharias Starzer von Pressburg (an die Herren Stände
von Nieder-Österreich?).
Wolgeborne herrn herrn edle gestrenge herrn.
Gnädig vnd günstige herrn. Mein schuldig willigst dienst allezeit zuuor
vnd nach dem ich von Horn meinen weeg nach Egenburg genomben , also
hab ich alda ir fürstl. gnaden den fürsten von Anhalt mein obhabende
ambasciata vnd Verrichtung communiciert, welche ir dise absendung nit
allain gnädig belieben lassen, sondern in conversatione, dass was mier zue-
wissen vonnöthen in sondern gnaden vertraut, vnd damit meinen weeg auf
Schröttenthal, dann auf Znamb, Euboschitz vnnd Prünn verraist vnd befunden
das herr general herr graff von Thum gleich zu gutschen siezen vnd in
das lager verrücken wollen, sich aber meinethalben ein stundt versaumbt,
vnd mich zue im zue kommen, zu dem herrn eingesetzten landtshaubtmann
herren Serotizki beschieden, allda ich beeden herren die credenzionalien
überantwortt, in gleichem mein ambassada communiciert, vnd dem herren
graften vnd generaln alle guete information eingenomben. In simiii hab ich
herrn obristen von Tieftenbach hesuecht, mit demselben von dem vngeri-
sclien wessen vertrewlich conversiret vnd bey allen dissen fürnemben souil
verstanden, dass inne nichts lieberes allein wan sieh die Hungern armierten
vnd an denen gränizen gefaster hielten, vnd mit 3000 zue vnnser vnd irre
mm /fgmsam
■ jfi •• >■ W. ä&Hfek.
220 F. Firnhaber, Aktenstücke zur Aufhellung
der Herren Böhmen armada stuessen, alda hab ich mich einen tag biss ich die
800 fl. haben khünen saumben müessen, vnd weil der herr Obrist von Tieffen-
bach begert, dass ich nach Nickelspurg meinen weeg nemben soll, vnndt mich
hierzue aldort die gelegenheit vnd wass gestalt er durch die gnadt Gottes disen
orth eingenomben zuebesichtigen mit schreiben an die haubtleuth versehen, also
bab ich solche seine offerta angenomben, zue dem ende, damit ich destwegen
ir fürstl. Dchl. in Siebenbürgen auch bessern bericht geben mag, von dort bin
ich auf Veldsperg da ich einen hüpschen sauber gelerten vnd geraumbten keller
gefunden der zuuor mit 10000 Emer gefült gewesen, also auf Rafenspurg, An
gern, Marchegkh vnd den dritten diss, allhie abents glücklich Gottlob ankom-
men, niemandten alhie alss den herrn Dozi angetroffen, nimb morgen geliebls
Gott, meinen weeg nach Schinta zue herren Graft' Slanislas Turzo vnd den nech-
sten weg von ime nach Kaschaw, die vrsach, warumb ich mich den Sambstag
vnd Sontag alhie gesaumbt ist, daz ich auf die zu Horn in der canzley verblibe-
nen Sachen wartten müessen, so ich heut abents empfangen vnd ist mir von
ewer gnaden vnd gestrengen schreiben nur disser partikel zukomben, dahero
ich den inhalt nit vernemben können, vnd weiss nit wie es mit disem schreiben
zugangen weil ich sonsten am paget keinen mangel befunden. Die spannschaften
sein mit irem Volck in die 18 m starek inn solcher beraitschafft, dass sie allein
befelch zum ausziehen, vnd ordinanz von ir fürstl. Dchl. erwartten. Ihr fürstl.
Durch!, haben 8 m thaler hieher verordnet vnd beuohlen per B0 m . thalcr geist
liche güetter zuuersezen, vnd lassen enthalb der Thonaw für sie vngeriseh
kriegsvolck werben. Mann sagt alhie der Redey Ferencz zieh mit 10 m beraith
über den Weisenberg zu vnser armada zuestossen.
Herr Palatinus ist noch zue Caschaw der promittiert bey ir Kays.Mayt-
die inducias für Böhaimb Mahren, Schlesien vnd Ossterich nit allein zue guct-
tem content zuerhalten, sondern fridt zuschliessen, vnd mit disen verhaissungen
vnd persuasionen heit er die Yngern von tag zu tag auf, wir betten sonst noch
vor 14. tagen 5 m guelter Vngern bey vnser armada.
Zue Raab sein bey 300 knecbt entlüften, derobrist Preuner ist destwegen
zu Wien, der Obrist von Rciffenberg hat die Commorer wollen vnder seinen
gewaldt vnd gehorsamb in marckht herauss zwingen, drüber sich die Commor-
rer zuer wehr gestellt vnd verwachten den markht gegen die vestung, daz we
der er noch seine leuth herauss können, er hat sein sach in fässer geschlagen,
will von der vesstung abziehen, weil er kein gehorsamb mehr hat.
Der Türgk will Wazen belegern, dorumb mann von hieauss dorthin guette
Provision thuet.
Gott dem höchsten vns sambllichcn beuehlent.
Presspurg den 3. Aprilis Anno 620.
E. gnaden vnd gestrengen
gehorsamber
Zach. Starzer.
Schreibens Cop. Von Herrn Zach. Starzer von Pressburg dat. 3. Ap. a. 620.
Gleichzeit. Cop. Pap. Staatsarchiv. Ung-.
der ungrischen fieseilichte des 17. mul 18. Jahrhunderts.
221
XXV.
Der Bischof von Neutra an den Kaiser.
13. May 16S0.
Sacratissima Caesarea Regiaque Majestas Domine Domine mihi clemen-
tissime.
Servitiorum ineorum perpetuam commendationem. Quas nuper sat longas
de meo meorumque statu deplorando scripseram literas Stanislaus Thurzo
intercepit, sicque amplius nulla oceasio scribendi datur, cum in inferiori mea
civitate ducentos et amplius Haydones collocavit in obsidione arcis, ne quid
jnferri vel efferi possit contra inducias et oinnem justitiam, mirum est, quod
Omnibus in toto regno omnia liceat, ac über passus Omnibus concedatur, soli
mihi meisque via communis intercluditur, ut ne arcem quidem egredi fas sit.
Jam Omnibus bonis privatus sum, et ne unum quidem inquilinum habeo, hactenus
celeri mea industria farinam quam praeterito anno et quaedam uictualia com-
paraveram, ea i.... titaui cum meis nunc in dies deficio, nisi sua Majestas aliter
prouideat, aut deditionem facere aut fugam parare cogar, et tantum fortalicium
ita turpiter hosti tradere quam obscurum erit. Si itaque aliter usque ad comitia
futura prouideri non licet, monendus saltem princeps ut inducias conseruet et
hinc militem educat, bonis ad arcem spectantibus me uti concedat, et cum ipse
princeps Sac. Matti Vestrae peccare non cogitat facile ad mentem V. Mattis se
ipsum accommodabit, solius hoc factum Thurzonis est et forte absque scitu
principis, ego quia utile non duxi absque scitu v. Majestatis hactenus principem
meis non requisivi, licet instigatus fuerim. Quid igitur mihi sperandum, quid
expectandum humiliter Majestatem V. sacram caesaream et regiam rogo, per
praesentium latorem edoceat. Si ita uideretur Suae Majestati ut inter coetcros
suos fideles, quos missurus est ad comitia Hungarorum commissarios, me quo-
que humilem servitorem adiungere et nominare non dedignaretur non abs re
foret, erit tarnen gratiae Suae Majestatis quicquid ea in parte eonstituerit. Ego
cum me in omnibus benignae gratiae commisi ita etiam in hac. Si Majestati
Vestrae videbitur ut d. archiepiseopus exaudiat tabellarium praesentem nuntia-
bit (?) oretenus nonnulla. Atque his Majestatem vestram sacratissimam Deo
commendo, cuius gratiae me deuoueo. Nittriae 13. May 1620.
Sacrae Caes. et Reg. Majestatis
perpetuus et fidel, servus
Eppus Nittriensis m. p. t).
Von aussen.
Sacratissimae Romanorum Imperator, ac Germaniae Hung. Boh. Regiae
Majestati D. D. meo clementissimo.
Orig 1 . Papier, kleines Handbriefei, ganz eigenhändig, in der Sammlung des Herrn v. Latour.
*) Johann IV. Telegdy epi.se. Nit.
222
F. Firn haber, Actensf.iicke zur Aufhellung-
XXVI.
IT. Mai 1620.
Graf Stanislaus Thurzo an den Freiherrn v. Meggau.
Illustris ae magnifice eomes domine et frater mihi observandissime.
Salutem et servitiorum meorum paratissimam eommendationem. Licet
proxime elapsis diebus ad requisitionem illustris ac magnificae doininationis
vestrae resolveram me generoso domino Caesari Gallo per Suam Majestatem
Caesarcam ad portam Ottomanicam destinato oratorj, secundo Danubio liberum
passum admittere, cujus rei gratia literas etiam salvi passus concesseram, ad
quod quidem permittendum etiam generosi domini Menoldj Hil d e bra ndes pro-
Iixioribus postulatis fueram persuasus, verum hisce diebus cum Serenissimi
regnorum Hungariae et Transilvaniae principis domini mei benignissimi con-
siliarii, non mediocri numero Thyrnaviam pro pubiieis regni negociis convenis-
sent, communicato cum iisdem hoc hegotio, absolute intentionem hanc meani
ex senalus consulto inhibuernnt, quorum quidem dominorum consiliariorum
opinione intellecta, passum domino Caesari Gallo absque speciali Serenissimi
principis mandato permittere non possum.
Quin etiam in subministratione annonae secundo Danubio fienda, neees-
sariuni est, ut illustris ac magnifica dominatio vestra eum observari modum
curet, ut antequam naves vel currus loco moveantur, per offlciales annonarios
literae salvi passus a me expetantur, alioquin annonae deductio non permitte-
tur. ln reliquo illustrein ac magnificam dominationem vestram foelieiter valere
cupio. Datum ex arce Semptche die 17. Maij anno 1620.
Illustris ac magnificae doininationis vestrae
Servitor et frater paratissimus
Comes Stanislaus Thurzo m. p.
Von aussen:
Illustri ac magnifico domino Leonhardo Ilclfrido comiti et libero baroni
a Meggaw et in Creutzcn, sacratissimae Caesareae Regiaeque Majestatis intimo
consiliario et camerario, ac dominiorum Forchtenstain et in Eisensladt capita-
neo etc. domino fratri mihi observandissimo.
Viennam.
Orig-. Papier mit aufgodriiektem Siegel. Sammlung des Herrn v. Latour.
XXVII.
24. April 1620.
handtiflibhes Vidimus der Gegenresolution, welche die Abgesandten llelhlen Gabors und
der Ungern dem Gegenkönige Friedrich von der Pfalz und den Ständen Böhmens etc.
gegeben.
Nos comes Emericus Thurzo de B ethl emfal va, comes perpetuus de
Arwa, ejusdemque comitatus supremus ac haereditarius comes, arcium Arwa, Le-
thawa, Thokay, Hriczo et Byttcze dominus, Serenissimi principis ac domini, domini
der ungrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
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Gabrielis, Dei gratis Hungariae, Transylvaniacque principis et Siculorum eomitis
etc. consiliarius, Michael Bossany de Nagy Bossan et Joachimus Magdebur
ger etc. praclibataeSerenitatisSuae, ut et inelytorum statuum ac ordinum inclyti
regni Hungariae ad serenissimum prineipem ae dominum dominum Fridericum
dei gratia regem Bohemiae, sacri romani imperij electorem comitem palatinum
Bheni, ducem utriusque Bavariae, marchionem Moraviae, ducem Silesiarum
et Lusatiarum marchionem ete. Nee non status et ordines inclyti regni Bohemiae
cum provincijs incorporatis, marchionatus uidelicet Moraviae, ducatuum Silesia
rum et Lusatiarum marchionatus, adeoque archiducatuum Austriae tum inferior!
tum superioris etc. pro tempore in generali diaeta confoederatorum Pragae eon-
gregatos, legati plenipotentiarij etc.
Notum faciinus Omnibus pracsonlibus noticiam habituris, et quibus com-
petit, in specie vero serenissimo regi Bohemiae etc. nee non uniuersis statibus et
ordinibus ejusdem regni Bohemiae provinciarumque incorporatarum et eonfoede-
ratarum dominis legatis cum sufficientibus plenipotentialibus ad praesentem
diaetam confoederatorum expeditis: Quod cum Nos a nostris dominis principali-
bus huc ad Suam Majestatem regiam, statusque et ordines uniuersos confoede-
ratos itidem cum plenipotentialibus expediti ante solennem diplomatum con-
föderationis commutationem, diu multumque pro et contra super eonditionum
in conföderationis capitulationibus comprehensarum reali effeetuatione, in per
sona principalium nostrorum traetassemus, realemque effectuationem ipsius
eonfoederationis Posonij die decima nona mensis Januarij anno millesimo sex-
centesimo vigesimo solenniter in generali diaeta statuum et ordinum inclyti regni
Hungariae, medio ablegatorum Suac Majestatis, slatuumquc et ordinum praefa-
torum confoederatorum, vigore plenipotentiac ipsis eoncessae ad requisitionem
et petitionem eorundem dominorum principalium solenniter initae et confeetae
in quantum unquam fleri potuit, maxime ursissemus, tandem post plures tracta-
tus ultro citroque habitos,.resolutionem ad proposita per nos puncta, uigore
conföderationis eft'eetuanda, a Sua Maiestate regia, statibusque et ordinibus
uniuersis conföderatis, pro ratione temporis moderni turbulentissimi et statu
regni ae provinciarum confoederatarum medioerem et tolerabilem obtinuissemus,
Nos etiam volentes nos reciproce uigore confederationis, nomine et in persona
principalium nostrorum erga Suam Majestatem regiam statusque et ordines in
clyti regni ac prouinciarum confäderatarum juxta articulum secundum in diplo-
mate conföderationis comprehensum (ubi expresse extat de defensionis modo
formaque, in praesenti generali omnium confoederatorum regnorum et provin
ciarum diaeta, in specie conueniendum et certi quid statuendum esse) deelarare
nostrorumque principalium singulärem zelum et inclinationem amicitiamque,
erga Suam Majestatem, ut et status ac ordines uniuersos conföderatos, toti
mundo manifestare, licet pro tempore regnum inclytum Hungariae ut ob sede-
cennalem illam bellorum contra Turcos continue continuatam procellam ita
respectu aliorum etiam motuum cxbaustum propemodum fateri debeamus, sitque
periculo expositum vniuersali Christianorum hosti vicinissimum existens, atquo
adeo totius Cbristianitatis antemurale jure nuncupandum; nihilominus tarnen,
ut supra declaratum est, uigore conföderationis et reciprocae benevolentiae,
/M0S0:.
224
F. Firnhaber, Actenstiioke zur Aufhellung:
si modo sua etiarn Majestas regia, dominique uniuersi conföderati, omnia puncta,
omnes elausulas et articulos, tarn in eonföderatione ipsa quam in resolutione
praesenti in diaeta emanata, nobisque autentice assignata, de quo etiam nulli
dubitamus, obseruabit, colet et per suos obseruari et effectuari faciet, domini
que conföderati similiter realiter et cum effectu initam'conföderationem, etnobis
autentice exhibitam resolutionem, in omnibus punctis et clausulis observabunt,
realiterque effectuabunt, rebus, inquam, superius declaratis, inuiolabiliter sic
stantibus et perseverantibus, Nos etiam promittimus, a ssecuramus et pollicemur
tarn Suae Majestati regiae, quam uniuersis dominis ordinibus conföderatis, no
mine et in persona, ut saepe dictum est, principalium nostrorum, in minori
necessitate, iuxta articulum praescriptum, praeuia requisitione, hastatos equites
nostra lingua Kopiassok uocatos, mille trecentos, triginta tres, Haydones simili
ter equites totidem, et pedites similiter totidem: in maiori, eundem nurnerum
praedicto numero militum aucturi, in maxima aequalem iterum numerum priori-
bus submissuri, ita ut in maxima necessitate fiat plenus numerus militum per
nostros dominos principales dominis conföderatis subministrandus equitum
hastatorum quatuor millia, Haydonum equitum quatuor millia, peditum quatuor
millia, in toto faciat summa duodecim miilium, totius armadae. In extrema tarnen
necessitafe, uigore conföderationis, nostros principales et nos etiam uniuersos
et singulos simul uiuere et mori veile cum Sua Majestate regia et dominis con
föderatis spondemus: eandem animi promptitudinem in Sua Majestate regia et
dominis statibus ac ordinibus conföderatis (uti etiam obligare se dignata est, et
sese ultro obligarunt, tarn in ipsa eonföderatione quam in praesenti diaeta ema
nata resolutione, nobis pollicenfes, et indubitato credentes. Ad quae omnia et
praemissorum singula nostros principales clausula conditionis in praescriptis
comprehensa salua semper permanente, obligamus, et uigore plenipotentiae
instructionisque nobis coneessae Suam Maiestatem regiam et dominos eonföde-
ratos uniuersos assecuramus, affidamus, et cerlo pollicemur. Harum nostrarum
vigore et testimonio literarum mediante. Promittimus etiam in persona Serenis
simi principis Hungariae et Transylvaniae Siculorumque comitis, domini nostri
clementissimi suam serenitatem sponsionem suam pro parte statuum et ordinum
trium nationum Transyluaniae, in exordio conföderationis comprehensam, Suae
Maiestati regiae, regno Bohemiae et conföderatis ac incorporatis prouineijs, per
suam serenitatem faetam, eandem in proxime futura diaeta regni Hungariae ad-
impleturam esse et veile. In quorum omnium firmius robur ac testimonium
literas hasce nostras manuum nostrarum subscriptionibus et sigillorum appres-
sionibus communitas, Suae Maiestati regiae, statibusque et ordinibus inelyti
regni Bohemiae, nec non prouinciarum unitarum et conföderatarum extradandas
duximus et concedendas. Aetum in arce Pragensis die festo Sancti Georgij
militis et martyris, anno domini millesimo, sexcentesimo vigesimo.
Comes Emericus Thurzo.
Michael Bossany.
Joachim Magdeburger.
Tento weypis dan gest od desk zemskyeh kralowstwj lzieskeho z Rozkazu
gicli milosli wssech trzi panuwslawmv: pod peczietj zemskau: tak yakz otom
der ungrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
225
obzwlasstnie relaezy gich milosti Sniemownj z tehoz plndho sniemü ke dskam
zemskym vczinicma, a do kwaternu Relaezy noweho zeleneho krale gelio milosti
panüv gich milosti a Wladyk z plneho Saddu zemskeho, letha 1620. w Aüterey
po Nalezenj swateho krzjzic, pod Literaü. M. 12. wepsäna plniegj swiedezj. W.
Auterrey po Nedieli Jubilate Leta etc. Ssestnaczti steho dwatezateho etc.
(L - S.)
(Übersetzung der Vidimirungsclausel:
Diese Abschrift ist gegeben von der Landtafel des Königreichs Böheim
auf Befehl ihrer Gnaden aller drey herren Stände dieses Königreiches, unter
dem Landesinsigel, wie es absonderlich die landtägliche Relation ihrer Gnaden,
welche aus diesem vollen Landtage zur Landtafel geschehen, und in den neuen
grünfarbenen Quatern der Relationen Sr. Majestät des Königs, ihrer Gnaden der
Herren und der Ritterschaft, aus vollem Landrechte, im Jahre 1620 Dienstag
nach Kreuzerfindung sub Lit. M. 12 eingeschrieben worden ist, vollständiger
bezeuget. Am Dienstag nach Jubilate 1620.)
Orig-. Perg. Haus- , Hof- und Staatsarchiv in Boh. mit dem grossen Siegel des h. Wenzel.
Gut abgedruckt hei Katona XXX. XI. p. 330.
XXVIII.
25. April 1620.
Erklärung, Bestätigung und Annahme des Bündnisses vom 19/15. Jänner 1620 durch den
böhmischen Landtag.
Serenissimus et potentissimus princeps ac dominus, dominus Frideri cus
dei gratia rex Bohemiae, comes palatinus Rheni, sacri romani imperii princeps
elector, dux Bauariae, marchio Morauiae Lucemburgensis et Silesiae dux.Lusa-
tiaeque marchio.
Et ordines ejusdem regni ac caeterarum incorporatarum et eonfoedera-
tarum prouinciarum ablegati.
Marchionatus Morauiae.
LadislausVe 1 en de Zierotinin Brzetslaw, TrebowaMoravorum,Zabrzeh
et Ruda, capitancus marchionatus Moraviae, serenissimi regis Bohemiae eonsi-
liarius, cubicularius et mille cataphractorum dux.
Gvilielmus senior a Rupa in arce Znoymensi, Kiyowicz et Pettenbergk,
serenissimi regis Bohemiae consiliarius, cubicularius, et supremus camerarius
marchionatus Moraviae.
Albertus Sedlniczkyde Cholticz in Brodeck et Ottoslawiczserenissimi
regis Bohemiae consiliarius et cubicularius.
Henrieus de Zahrad ekin Wischniow, Krhow, Gemnicz et Hart, serenissimi
regis Bohemiae consiliarius et cubicularius e Daronibus.
WencesIausBitowsky de BitowinBistricz sub Hostein, serenissimi regis
Bohemiae consiliarius et supremus judex curiae marchionatus Moraviae.
WilhelmusMunka deEywanczicz in Morawecz, Novo Wofzechow et arce
Krzizianow, serenissimi regis Bohemiae consiliarius et subcamerarius marchio
natus Moraviae.
Sitzlt. d. phil.-hist. CI. XXXIV. Bd. I. Hft.
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I
226 F. Firnhaber, Actenstiicke zur Aufhellung
JohannesCzeykadeOlbramowicz inNovo Syrowicz et Bystrzicz Serenis
simi regis Bohemiae consiliarius, cubicularius ct supremus notarius marchionatus
Moraviae.
GeorgiusZahradeezkyde Zahradek,inAugezdecz et Hrotowicz, Serenis
simi regis Bohemiae cubicularius. Ex Equitibus.
Vitus Österreicher civis consularis Olomucensis.
Elias Netoliezka de Peez, civis consularis Bruneosis.
Fridericus Minrot, civis consularis Znaymensis.
Martinus Leu pold a Lewenthal, notarius Iglaviensis. e Civitatibus.
Ducatuum S i 1 esi a e.
Johannes Georgius Senior, inarchio Brandenburgensis, Prussiae, Stetin
Pomeraniae, Cassubioruin et Wandalorum nec non Silesiae Crossnensis et Car-
noviensis dux, ordinis sancti Joliannis in Marchia Saxonia, Pomerania et Van-
dalia magister, burggravius Noribergensis et Kugiae princeps ducatuumque
Silesiae generalis dux exercitus.
Andreas G e isl er in Polsdortl' et Gelsdorff, comes palatinus caesareus,
illustrissimi principis Lignicensis et Brigensis consiliarius ct ducatus Lignicensis
cancellarius, ducatuumque Silesiae Ordinarius.
Albertus ä Rhor et Stein in Seiffersdorf Serenissimi regis Bohemiae con
siliarius et cubicularius, ducatuum Swidnicensis ac Jurawiensis Ordinarius.
Christophorus He ns eher juris utriusque doctor, syndicus reipublicae
Wratislaviensis et procancellarius ducatus Wratislaviensis eidemque conjunctis
districtibus.
Casparus Reinhartt, syndicus Lembergensis.
Balthasar Wilpertus juris utriusque doctor proconsul et syndicus Glo-
goviensis.
Marchionatus superioris Lusatiae.
Adolphus de Gersdorff in Gudeborn Ruland et Rattwicz serenissimi
regis Bohemiae consiliarius, vice praeses et capitaneus in marchionatu superi
oris Lusatiae et capitaneus Budissinensis.
Johannes Fabianus de Ponika, in Elstra et Priticz, serenissimi regis Bohe
miae consiliarius et districtus Budissinensis senior.
Abrahamus deMeczerod in Malschwicz et Pliskowitz, Ordinarius
provincialis.
Christophorus de Nosticz in Ratmericz.
Ambrosius Hadamar J. U. doctor et syndicus Budissinensis.
Magister Christophorus Staude, consularis Gorlicensis.
Magister Christophorus Wisner, consul Laubensis.
Marchionatus inferioris Lusatiae.
Joachimus deKöekricz inMittvveid et Bansdorff, regii provincialis judici
assessor et Ordinarius provincialis.
Josias Ne ander, judicii provincialis prothonotarius et consul Lübensis.
Andreas Mayer juris doctor et syndicus Lukaviensis.
der ungarischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
227
Arehiducatus autem inferioris Austriae.
Andreas dominus äPuecheimb senior über haro a Rabbs et Krumpach,
dominus in Pfaffen et Reiezensehlag, archidapifer in Austria.
Johannes Erasmus aNcudeggad Wildegg.
Et Arcliiducatus superioris Austriae.
Georgius Erasmus baro a Tsc h ern embl, in Swertberg et Windegg, supre-
mus ducatus Carniolae et Marchiae Sclavonicae,pincerna haereditarius ae supe
rioris Austriae consiliarius provineialis et statuum ejusdem arehiducatus supe
rioris Austriae deputatus.
Johannes Ortolpbus Gaymon de Gailspach et Triittenegk, in Wahlen,
Freyn et Rossatz, itidem statuum arehiducatus superioris Austriae deputatus.
Et Johannes Ortolpbus Gecz, civis consularis Gmindensis.
Ad ea, quac nomine Serenissimi regnorum Hungariae Transylvaniaeque
principis et inelytorum dominorum statuum regni Hungariae, spectabilis ac ma-
gnificus comes Emericus Thurzo de Betthlenfalwa perpetuus de Arwa
ejusdemque eomitatus supreinus ac perpetuus comes, serenitatis ejus consilia
rius, nee non generosus M ichael Bossany de Nagy Bossany et prudens
ac circumspectusJoachimus Magdeburger Senator civitatis liberae regiae-
que Cassaviensis, serenitatis ejus et eorundem dominorum statuum legati,
majestati ejus regiae et dictis ordinibus ac ablegatis, circa conföderationem
utrinque sancte initam, consideranda et effectui danda, scripto proposuerunt,
seqventibus breviter respondent.
Ad primu m.
Ordines Silesiae et utriusque Lusatiae perinde ut status regni Bohemiae
et marchionatus Moraviae in specie textui conföderationis ad insinuationem do
minorum legatorum praevia requisitione ordinum Silesiae et Lusatiarum, coram
dominis legatis peracta, jussu regiae majestatis et consensu dictarum provin-
ciarum omnium insertum iri.
Idem ut fiat, quod status et ordines trium nationum principatus Transsyl-
vaniae attinet, in proxime futura regni Hungariae diaeta, faciet Serenissimus
princeps, qui pro ipsis solenniter fide jussit.
Ad secundum.
Si quando inelytum Hungariae regnum et Transsylvaniae principatum
hostiliter quis invadat, serenissimum regem cum regno et provineijs sibi subjeetis
et conföderatis, vigore conföderationis eidem regno et principatus auxiliäres
copias submissuros promittunt. Ad primam nimirum requisitionem, mille equites
et ter mille pedites: ad secundam totidem: ad tertiam totidem, et sic in summa
ter mille equites et novies mille pedites. Quod si crescat discrimen atque ad
extrema deveniri oporteat, omnibus viribus, vivere simul cum dominis conföde
ratis et mori paratos pollicentur. Vice versa Serenissimi principis et inelytorum
statuum regni Hungariae legati, regiae majestati et provineijs incorporatis ac
conföderatis, post complures et varios tractatus, firmiter polliciti sunt, Sereni-
tatem ejus, cum dictis dominis statibus necessitate urgente ad primam requisi-
1S*
228
F. Firnhaber, Actenstiicke zur Aufhellung
tionem, mille trecentos, triginta tres hastatos, mille treeentos, triginta tres
Haydones et mille trecentos triginta quatuor pedites missuros; ad secundam
totidem; ad tertiam iterum totidem; atque ita in summa quater mille hastatos,
quater mille haydones equites, et quater mille pedites. In extrema vero neces-
sitate, pariter omnibus viribus, vivere simul cum conföderatis et mori paratos.
Ordines tarnen principatus Transsylvaniae a quibus ipsi nullas plenipotentiales
habeant, in proximis comitijs Novosoliensibus vigore fidejussionis Ejus serenitatis
;n conföderationis exordio comprehensae, suam quotam sigillatim nominaturos.
Et quanquam regia maiestas cum provincijs conföderatis, nunc inclyto regno
Hungariae parata pecunia, ita ut domini legati serio et constanter multisque
rationibus urserunt, opitulari non alienae essent, quia tarnen in numerosum illum
exercitum, quem jam per continuum biennium alunt, maximas faciunt impensas,
eaeque indies augentur, itautvix majestati ejus ac provincijs conföderatis, ferro
et flamma vastatis, sumtus sufficiant; sperant serenissimum principem cum domi-
nis statibus regni Hungariae ipsos apud se hac in parte excusatos esse habituros-
Ad terti um.
Porro, quo serenissimo principi et dominis statibus regni Hungariae magis
innotescat, quam ordines regni hujus, cum incorporatis et conföderatis provin
cijs in salutem regni Hungariae propendeant, in militem praesidiarium, qui con-
finia Hungariea tutabitur, et fortalitia, cum consensu regiae majestatis
Bohemi, Quinquaginta millia,
Moravi viginti quinque millia,
Silesij Viginti tria millia,
Lusati s uperiores tria millia,
Lusati inferiores duo millia,
Aus tria ei inferiores, cum ignorent, quantumanteaeumin usumpendere
sint soliti, in proxime futura diaeta Hungariae se declaraturos promittunt,
Austriaci superi ores, viginti quinque millia talerorum; singulos taleros
in tota summa per Septuaginta cruciferos computando quotannis numerati sunt.
Et summam illam quinquaginta millium recens in confoederatione promis-
sorum ita soluturi, ut
Bohemi octodecim millia,
Moravi novem millia,
S i le s ij octo millia,
Lusati superiores mille ducentos
Lusati inferiores octingentos,
Austriaci inferiores(cumconditionedominislegatisscriptoexplicata)
octo millia.
Austriaci superiores, quinque millia talerorum, ejusdem valoris, ut
superius numerent.
Eique rei singulae provinciae, suos destinabunt commissarios, qui singulis
annis, dimidium praedictae summae, circa festum sancti Michaelis Archangeli et
residuum circa festum sancti Georgij in saepe memorata praesidia defercnt, ac
tenore confoederationis animadvertent, ne aliovorsum ejusdem pecuniae usus
der (nigrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
229
convertatur. Ut vero eaedem provinciae, tantis nunc pressae calamitatibus, in
restaurationem fortalitiorum regni Hungariae novam praeterea pecuniae summam
conierant.faetu hoc tempore tarn impossibileest, quam quod maxime. Sedcum per
Dei beneficium regno huic, ac caeteris provincijs pax fuerit restituta, atqueincolae
ab aerumnis hactenus exanthlatispauxillumrespiraverint, facient,ne ea in re etiam
serenitas ejus et inelyti status regni Hungariae habeant, quod jure inipsis desiderent.
Ad quartum.
Legationi ad portam ottomanicam obeundae, duos esse a regia maiestate
et ei subjeetis ac confoederatis provincijs cum preciosis muneribus destinatos.
Qui in mandatis habent, ut sine mora hinc recta Cassoviam eant; ibi sere-
nissimum principem salutent, legatis ejus serenitatis ac dominorum statuum se
adjungant, cum ipsis Constantinopolim profieiscantur, ex praescripto instruc-
tionis sibi a regia maiestate et provincijs datae, paeem apud Turcam sollicitent,
et in omnibus cum dictis legatis serenissimi principis et dominorum statuum
consilia communicent.
Ad quintum.
Monetae valorem communi majestatis regiae et provinciarum consensu»
hunc assignatum esse, ut
ducatus, ducentos decem
Coronatus, centum Septuaginta quinque
Rhen an us, centum quinquaginta
Tal er us centum quadraginta
Hispanicus centum quinquaginta
Sexagenarius centum viginti
Duodenarius simplex quindeeim
Duodenarius duplex triginta cruciferos per regnumBohemiae et incor-
poratas provincias valeat. Quod regia Ejus Maiestas in provincijs incorporatis
publico edicto notum faciet. Haud dubie serenissimum principem cum statibus
regni Hungariae, id approbaturum, et per regnum Hungariae ac Transsyl-
vaniae idem instituturum domini enim legati revisionem hujus articuli ad
diaetam Hungariae distulerunt.
Ad sextum.
Defensores a statibus regni Bohemiae esse jam ante in conventu generali
nominatos nempe:
Bohuchwal Berka de Duba et Lipp a, inBiela, Laukovecio Kurziwod et
Chysch supremus burggravius pragensis, serenissimi regis Bohemiae consiliarius
et cubicularius.
Wilhelmus senior de Lobkowicz, in Teynecz, Mirzkow et Czeczowicz,
serenissimi regis Bohemiae consiliarius et cubicularius ac supremus regni Bohe
miae curiae magister.
Joacbimus Andreas S clil i ck, comes de Passaunet Weiskirehen, in Swigan
serenissimi regis Bohemiae consiliarius et cubicularius ac supremus regni Bohe
miae judex.
Weneeslaus Guilhelmus de Raupowa inTrnowan etZitenicz, serenissimi
regis Bohemiae a consilijs arcanis et cubicularius, supremus regni Bohemiae
eancellarius,
230
F. Firnhaber, Actenstücke zur Aufhellung:
HenricusMatthaeus comes aThurn, dominus in Kreucz, Welisch et Loes-
dorf, burggravius areis Carolostenij sacrae regiae majestatis et regni Bohemiae
consiliarius bellicus, et generalis exercitus produx.
Johannes Litwinus de Rziczian in Horzowicz serenissimi regis Bohe
miae consiliarius.
Wenceslaus Budoweczius de Budowa in Monachogrecio, Zasadka et
Koczniowicz eis Iseram, serenissimi regis Bohemiae consiliarius, cubicularius
et curiae appellationum praeses.
e Baronibus.
Casperus Kaplerus de Sulewicz, in Neustupow Miliczin et Sulewicz
serenissimi regis Bohemiae consiliarius, cubicularius et supremus regni Bohe
miae notarius.
Proeopius Dwor^eczky de Olbramowicz in Wrschowicz et
Kystra, serenissimi regis Bohemiae consiliarius cubicularius et subcamerarius
regni Bohemiae.
Henricus Otta de Losso in Komarow, serenissimi regis Bohe
miae consiliarius, cubicularius et burggravius Carolosteinensis ac serenissimae
reginae Bohemiae civitatum dotalitiarum subcamerarius.
Bohuslaus de Michalowicz in Neusidel et Rwenicz, Sere
nissimi regis Bohemiae consiliarius cubicularius et distrietus Hradecensis
burggravius.
Christophorus Fieztum de Ficztum in Klaschterecz et
Schumburg serenissimi regis Bohemiae consiliarius.
Fridericus de Bila in Rzehlowicz et Chotomicz serenissimi
regis Bohemiae consiliarius et feudorum germanicorum capitaneus.
Johannes Wostrowecius de Ifralowicz in Wlaschim Nowo-
domaschin et Velen serenissimi regni Bohemiae consiliarius et regni
Bohemiae camerae magister.
Venceslaus Stampach de Stampach in Walecz serenissimi
regis Bohemiae consiliarius.
Martinus Fruweyn de Podoly serenissimi regis Bohemiae et sere
nissimae reginae civitatum dotalitiarum Hoffrichterus.
ex Equitibus.
Venceslaus Magrle de Sobischek.
Melchior Hai dius de Nayenbergk.
Johannes Theodorus de Ottrsdort.
Valentinus Kochan de Prachowe.
Tobias Ssteffeck de Kolodieg.
Petrus Maczer de Letoschicz.
D. Daniel Basilius de Deutschenberg.
e Civitatibus.
der ungarischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
231
A Moravis.
Pertholdus Bohubud a Lippe dominus in Kruraaw, supremus
haereditarius marescallus regni Bohemiae sae. reg. maj. consiliarius et eubi-
cularius.
Gvilielmus a Rupa in aree Znoymensi, Kiyowicz et Pelten-
berg, serenissimi regis Bohemiae consiliarius, cubicularius et supremus came-
rarius marchionatus Moraviae.
Georgius senior a Würben, dominus in Helfenstein et
Kwasycz s. r. m. consiliarius et supremus judex marchionatus Moraviae.
Ladislaus Schieinicz aSchleinicz dominus in Hosting etBlansko,
s. r. m. consiliarius.
Carolus Christophorus Sedlniczky de Choltiez dominus in
castris Diwczik et Fulstein.
Albertus Sedlniczky de Choltiez in Brodek Ottoslawicz et Czechach,
s. r. m. consiliarius et cubicularius.
Sigismundus über baro a Teuffenbach in Mayerhoffen, Dirnholz,
Rziczan.
Henricus a Zahradek in Wischniow, Krhow Gemnicz et Hart s. r. m.
consiliarius et cubicularius.
e Baronibus.
Venceslaus Bitowsky de Bitow in Bystrziez et Prusinowicz s. r. m.
consiliarius et judex curiae marchionatus Moraviae.
Wilhelmus Munka de Eywanczicz in Morawecz Nowoworzechow
et arce Krzizianow s. r. m. consiliarius et subcamerarius marchionatus
Moraviae.
Johann es Czeyka de Olbramowicz in Syrowiez etBystrzicz, s.r.m.
consiliarius, cubicularius et supremus marchionatus Moraviae notarius.
Johannes senior Kobylka de Kobylyho et in Castro Sowinecz
s. r. m. consiliarius.
Bernhardus Zastrzizl de Zastrzizl et in Manowicz.
Benedictus Prazma de Bilkowa in Lischen superiori Slatinie et
Kiyowicz.
Georgius a Zahradek in Hrotowicz et Augezdecz s. r. m. cubi
cularius.
Johannes senior Skrbensky de Hrzischtie et Drzewohosticz.
ex Equitibus.
Guilielmus L er schm ach er consularis Olomucensis.
Elias Netoliczka consularis Brunensis.
Martinus Leupold a Lewenthal, notarius Iglaviensis.
Tobias Reymund consularis Hradischensis.
e Civitatibus.
A Silesiis.
Johannes Christianus dux Lignicensis etBrigensis, supre
mus per utramque Silesiam capitaneus.
232
F. Firnhaber, Actenstücke zur Aufhellung
Johannes Georgius senior marchio Brandenburgensis, Bo-
russiae, Stetini, Pomeraniae, Cassubiorum et Vandalorum, nee non in Silesia
Crosnensis et Carnoviensis dux, ordinis S. Johannis Ilierosolymitani, per Mar-
chiam, Saxoniam, 1 Pomeraniam et Vandaliam magister, burggravius Norimber-
gensis et princeps Rugensis.
Georgius Rudolphus dux Lignieensis, Brigensis et Gold-
bergensis.
Henricus dux Münsterbergensis et in Silesia Olsnensis, eomes
Glacensis, dominus in Sternberg et Jaischwicz.
Carolus Fridericus, dux Münsterbergensis et in Silesia Ols
nensis, comes Glacensis, dominus in Sternberg et Jaischwicz.
ex Principibus■
Joachimus Maltzan Baro a Wartenberg et Penczelin, dominus
in Militsch et Freyhann.
Johannes Ulricus Sehaffgottsch, baro inTrachenberg, dominus
in Kinast, Greiflenstein et Kemnicz.
e Baronibus.
Ex ducatibus Swidnicensi et Jauraviensi.
Caspar a Warnsdorf in Gusmansdorf, capitaneus.
Ex ducatu Glogoviensi.
Johannes a Löss et Simbsehen in Gramschicz et Tribitsch
capitaneus.
Ex ducatibus Oppol. et Ratibor.
Andreas Kochtiezky baro a Kochticz et Lubüncz.
Johannes a Bucbta in Pirschen, Janka et Doineczko.
Ex ducatu Saganensi.
Philippus de Unrhue in Gorpff ibidem Ordinarius.
Ex ducatu Münsterbergensi.
Nicolaus a Burgbaus in Stolcz baro a Schiltperg Jansdorll' et
Peterwitz.
Achatius a Nafe et Büchelsdorf in Raubnicz et Raschdorff.
Ex ducatu Wratislaviensi.
Adamus a Dobschütz in Sylmenaw, capitaneus.
Ernestus a Grüts chreiber et Zopkendorff in Stabeiwitz.
Christophorus He ns eher U. J. D. Syndicus et procancellarius ibidem.
Ex civitatibus.
Elias Held Senator Guraviensis.
Nicolaus Leut er t Senator Francosteinensis.
der ungrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
233
A Luscitis mperioribus.
Carolus Magnus baro a Schellendorf in Könsberg.
Carolus Christop h o r us burggravius a Dohna in Moskow.
Adolphus a Oersdorf in Gudeborn, Ruland et Rattwitz, serenissimi
regis Bohemiae vieepraeses ac capitaneus in marehionatu superioris Lusatiae
et capitaneus Budissinensis.
Christophorus a Nosticz in Gotta, capitaneus Gorlicensis.
Johannes Fabianus a Ponika in Elstra et Priticz, serenissimi
regis Bohemiae consiliarius, et districtus Budissinensis senior.
Wolfgangus a Bolbericz in Henichen, districtus Budissinensis
senior.
Fabianus de Schenaich in Sigersdorf, districtus Gorlicensis senior.
Sigismundus a Gersdorff in Sehe item districtus Gorlicensis senior.
Abraham us a Meczerod in Malschwitz et Pliskowicz Ordinarius
provincialis.
Rudolphus a Rechenberg in Krostau Baudissen, Opach et Seland.
Nicolaus a Gersdorff in Teichnicz et Ehna.
Johannes a Lettwicz in Warta.
Elias a Nosticz in Ullersdorff et Jenkendorf.
Christophorus a Nostitz in Rattmericz.
Adamus de Kaye in Kemnicz.
Johannes Rer scheiten consul.
Ambrosius Hadamar J. U. Doctor et Syndicus.
Gregorius Mettich Doctor, Budissinensis.
David Tuchscherer J. U. Doctor et consul.
Chr istophorus Staude consularis, Gorlicensis.
Fridericus Pirnstein, consul.
Christophorus Guntherus consularis Sittaviensis.
Magister Christophorus Wisner, consul Laubensis.
Johannes Ilaberkorn, consul Kamenicensis.
Matthaeus Nossigk consul Liibensis.
A Luscitis inferiöribus.
Ex Baronibus.
Heinricus Guilielmus comes de Solms, baro in Müntzenberg,
Wildenfels et Sonnenwalda, sacrae regiae Majestatis in Bohemiae consiliarius,
quingentorum cataphractorum, et ter mille peditum dux, Lusatiae inferioris
praeses, nec non militiae produx generalis.
Heinricus Anshelmus über baro de Promnitz, dominus Plessij,
Soraviae, Tribulae, Naumburgae et Dobriluci.
Ferdinandus baro de Biberstein dominus Forstij et Pförtae,
regiae Majestatis per inferiorem Lusatiam judex provincialis, nec non ejusdem
marchionatus vieepraeses,
234
F. F i r n h a her, Actenstiicke zur Auflielltuij
Sigfridus barodcKittliczet Sprembergae, dominus Contzendorffij,
Malmitzij et Isenbergae.
Ex Equitibus.
Hiob de Bombsdorff in Seituan, Niemitseh et magno Drentzig ordinis
sancti Johannis Hierosolymitani eques, illustrissimi marehionis Brandenburgici
consiliarius, marchionatus inferioris vicepraescs nee non capitaneus Schen-
kendorffij.
Johannes Fridericus de Minckwitz in Dohena et baronatu Gil-
genbergensi, supra dicti marchionatus vicepraeses.
Johannes de Widebach, in Gosda et Jessen ejusdem marchionatus
capitaneus provincialis.
Georgius de W a 1 w i c z in baronatu Straupizensi regij judicij per saepe
nominatam Lusatiam assessor.
Joachimus de Köckricz in Mittweide et Bansdorff ejusdem marchionatus
syndieus provincialis, dictique judicij assessor.
Johannes Georgius de Drauschwicz in Gros Mhesow.
Adolphus de Panwitz in Horn.
Eustachius de Schlieben in Wetschaw.
Otto de Bombsdorff in Beerenklaw et capitaneus Rampitzensis.
Georgius de Stutternheimb in Krebiicz.
Gothofredus de Wolfersdorff junior in Bornsdorff.
Henricus a Machsen in Ihaeser.
Ex Civitatibus.
Josias Neander regii judicij protonotarius et eonsul Lubinensis.
Nicolaus Ferber consul Luccaviensis.
Christophorus Richter consul Gubinonsis.
Bartholomaeus Händler consul Caloviensis.
Ab inferioribus Austriacis.
Sigismundus Adamus Über baro a Traun, dominus ad Meissaw et Prauns-
perg collegij dominorum deputatorum praeses,
Ludovicus dominus a Stahre nberg ad Schönbühel dominus inAlbrechts-
berg, Obernpühlag, Wolffstein et Gurhoff.
Martinus dominus a Stahrenberg ad Schönbühel et in Windorff.
Andreas dominus a Puecheimb senior, über baro ad Rabbs et
Krumpach dominus in Pfaffen et Reizensehlag, archidapifer in Austria.
Erasmus über baro a Landow ad Haus et Rappoltenstein, dominus
in Zissersdorff, Dürnkrut et Ebenthal, possessor ditionis Preystadiensis.
Wilhelm a Hoffkirchen über baro in Collmücz et Drössidl dominus
n Wolfpässing et Weisenbach.
Andreas Thonrädl über baro a Thernberg et Rechberg, dominus in
Obergässing, judicij provincialis in Austria inferiori assessor.
der tingrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
235
Johannes Jacobus Kueffsteinerus über baro in Greilnstein
dominus in Spicz, statuum evangelicorum archiducatus Austriae inferioris, gene
ralis annonae praefeetus.
e Baronibus.
Helmhardus a Fridesheim in Lengenfeld.
Ferdinandus Nütz de et ad Kaddaw.
Johannes Melchior Mäschko in Niedernleiss.
Wolfgangus Christophorus Römerus a Burck Schleinicz et
Krenaw.
Matthias Wolzogen in Missingdorff.
Zacharias Starzerus judieij provincialis in Austria inferiori assessor.
Ex Equitibus.
A superioribus Austriacis.
Georgius Erasmus baro a Tschernembel in Windtegk et
Schwerdberg, supremus ducatus Carniolae et Marchiäe Sclavonicae pincerna
haereditarius, consiliarius provincialis in archidueatu Austriae superioris.
Andreas Ungnad über baro in Sonneck et Enseck in archidueatu
Austriae superioris deputatus.
e Baronibus.
Johannes Ortolphus Gaymon de Gailspaeh et Tröttenegg in
Wahlen, Freyn et Rossacz itidem statuum archiducatus superioris Austriae
deputatus.
Otto Hohenfelder de Aistersheimb in Albmegg et Peurbach, statuum
ejusdem archiducatus Austriae superioris deputatus.
ex Equitibus.
Ludovicus Hebenstreit, civis et Senator Lyncensis.
Christophorus Puechner in Oberhoff, civitatum Austriae superioris
syndicus et deputatus.
e Civitafibus.
Legatos autem a regia majestate, et iueorporatis ac conföderatis pro-
vineijs ad diaetam Novosoüensem cum eonvenientibus mandatis expeditum iri.
Ad septimum.
Ut minoris Hungaro militi annona veneat, quam Germano, facile maje-
statem ejus regiam et ordines ac ablegatos assensuros esse, si modo pari faci-
titate modum ejus rei effectus dandae, reperire possent. Nam utrum Belgae in
simili casu quid statuerint, regi et ordinibus ac ablegatis non constat.
Ad octavum.
Si qui libri regij privilegia, aut alia acta et literalia instrumenta regnum
Hungariae et Transsylvaniae concernentia, in cancellaria regia et archivis regni
hujus invenirentur, nullo labore obtenturos fuisse dominos legatos eorum resti-
tutionem. Verum quia (praeter pacta conventa inter Matthiam Hungariae et
236
F. Firnhaber, Aetenstiicke zur Aufhellung
Vladislaum Bohemiae reges et regni utriusque ordincs, anno millcsimo quadrin-
gentesimo septuagesimo nono inita (quorum aulhenticum apographum dominis
legatis est datum) nulla inveniuntur, reddi non posse. Provincias tarnen incor-
poratas et confoederatas arcliiva sua diligenter perquisituras, et si quid ejus
generis reperiant, libenter serenissimo principi et dominis statibus Hungariae ae
Trannssylvaniae transmissuras esse.
Hoc ad postulata serenissimi principis et inclytorum dominorum statuum
regni Hungariae per dominos legatos, scripto comprehensa, regia ejus majestas
cum prouincijs ei subjectis et conföderatis, dominis legatis responsum voluit.
Omni gratia et favore eos proseqvens. Quibus et ordines regni, cum reli-
quarum provinciarum ablegatis, quaevis humanitatis offlcia, pracstare sunt
parati. Assecurando tarn dominos legatos, quam eorundem dominos principa-
les, ut regia majestas, sic regnum et provinciae incorporatae et confoede-
ratae earundemque universi status et ordines, quod oinnia praemissa et prae-
missorum singula, vigore initae conföderationis, sancte, firmiter et inviolabili-
ter observabunt et effectuabunt. Ita tarnen, ut et screnissimus princeps ac
inclyti regni Hungariae et Transylvaniae domini status, omnia puncta, omnes
clausulas et articulos (am in confoederatione ipsa, quam in repromissione
a dominis legatis, serenissimae regiae majestati et saepe dictis ordinibus ac
ablegatis facta observent, colant et per suos observari et efl'cctuari faciant.
Actum in comitijs general ibus Pragae die Sancti Marci Evan-
gelistae vigesima quinta mensis Aprilis. Anno Millesimo sex-
centesimo vigesimo etc.
Folgt die Vidirung der Landtafel in böhmischer Sprache.
Tento Weypis dan gest od desk zemskych kralowstwj ezieskeho, z Roz-
kazu gich milosti wssech trzj panuw stawuvv tehoz kralowstwj. Pod Pecziet
zemskau: tak yakz otom obzwlasstnie relaezy gieh milosti z plneho sniemu ke
dskam zemskym vcziniena, a do kwaternu relaezy noweho zeleneho kräle geho
milosti,panuw gich milosti awladyk z plneho saudu zemskeho leta 1620 w Auterey
po Nalezenj swateho krzjzie swiedczj. w Auterrey po nedieli Jubilate, Letha
panie Tisyczyho Ssesti steho, dwadczateho etc.
Orig. Staatsarchiv. Abgedruckt bei Katona XXX. 354.
XXIX,
Jiü. April 1620.
Bündniss zwischen Böhmen und den Conföderirten m>t Ungern.
Landtäglich ausgefertigtes Vidimus mit der Bestätigung des Königs und
des Landtages von Böhmen.
In nomine Sacrosanctae et individuae trinitatis, Dei patris, filii et Spiri
tus sancti, moderatoris imperiorum et rcgnorum sapientissimi, aequissimi,
potentissimi, laudandi per omnia secula. Amen.
Nos Fridericus Dei gratia rex Bohemiae, comes palatinus Rheni, saeri
romani imperii princeps elector, dux Bavariae, marchio Moraviae, Luxemburgen-i
sis et Silesiae dux, Lusatiaeque marchio,
der ungarischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
237
Nec non inclyti regni Bohemiae in praesenti generali (liaeta hic in regia
et libera eivitate Pragensi congregati uniuersi Status et ordines: et incorpora-
tarum ae conföderatorum provinciarum cum plenissimis et sufficientibus manda-
tis ablegati.
Marchionatus nimirum Moraviae.
Ladislaus Velen de Zierotin, in Brzesslaw, Trzebowa Moravorum,
Zabrzeh et Ruda, capitaneus marchionatus Moraviae, serenissimi regis Bohemiae
consiliarius cubicularius et mille eatapbraetorum dux.
Guilielmus senior a Kupa u. s. w.
(Folgen dieselben Namen wie in dem Instrumente vom 25. April bis —: Jo
hannes Ortolphuss Gecz, civis consularis Gmindensis pag. 225—227.)
Dann folgt der ganze Vertrag von Memoriae commendamus J ) bis:
Nos itaque praescripti rex et status regni Bohemiae ae incorporatarum
provinciariuin, ut et inferioris superiorisque Austriae ablegati, nomine nostrorum
principalium ex plenitudine potestatis ab iis nobis datae praemissos omnes ca-
pitulationis hujus initaeque conföderationis articulos ae omnia et singula in eis
contenta, uti seilicet illa in serie eiusdem capitulationis de verbo ad verbum
scripta et inserta babentur pro ratis gratis et acceptis, perpetuaque ac aeviterna
firmitate stabilitis unanimi voto et consensu agnoscentes, eosdem et eadem
sancte, firmiter et inviolabiliter tarn nos ipsi, principales et successores ac po-
steritates nostrae, observabimus, quam per cos quoruin unquam interfuerit
observari faciemus: si quidem ista omnia in publicis comitijs regni Bohemiae,
marchionatus Moraviae, ducatus Silesiae nec non marchionatuum superinris
inferiorisque Lusatiae, ut et inferioris ac superioris Austriae communi voto ae
consensu acta et conclusa sunt, firmissima spe freti, futurum - (gleichlautend bis)
Actum in arce Pragensi in generalibus regni Bohemiae omniumque incor
poratarum ac conföderatarum provinciarum comitijs die Sancti Marii Evange-
1 is(ae vigesima quinta mensis Aprilis anno millesimo Sexcentesimo vigesimo.
Tento weypis dau gest od desk (folgt die gleichlautende Bestiitigungs-
formel der böhmischen Landtafel).
XXX.
12. December 1019 3 ).
Von Aussen: Dem edlen meinem freundl. vnd vilgcliebten vettern vnd
sohn herrn Michael Starzern residenten an der Ottomanischen Porten in seinen
selbst aignen vnd khainen andern banden. (Dieselbe Schrift wie der Brief.)
Von anderer Hand und Dinte von Aussen: Datirt Presspurg 12 xber 1619
an Ottomanischen Residenten Ermahnung.
!) Sitzungsberichte 1868 1. c. pag. 4SI (96) — 460 (102).
2 ) S. die Note vorne pag. 182 (20).
238
F. F i r n h a b e r, Aclenstiicke zur Aufhellung'
Edler.
Sonders freundlich vnd vilgeliebter vetter vnd solin Michael. Von dem
almechtigen wünsche ich dier alle wollfahrt vnd khann mich nichts mehrers
erfrewen, dann deinen guetten vnd gesundten zuslandt zuuernemen. Wolte
Gott es stundt in vnnsern geliebten vatterlandt auch also, dass ich dier vill
frewdt wüsste zuschreiben, muessens aber noch der zeit Gott befelchen, vnss
drein schickhen vnd alles mit geduit vbertragen, dass trüebe wetter fürüber
lassen vnd der göttlichen hilft - , die vnss auss dem Pharaonischen Römischen
dienst haus in die bestendtige politische vnd geistliche freyheit wie (dem
Höchsten sey es gedanckht) vor äugen ist wider bringen wierdt. Zu welchem
ende der gethrewe barmherzige Gott den christmilden löbl. fürsten vnd herrn
Herrn Bethlehem Gaborn wider aller vnsserer Widersacher der papisten synn
und gedanckhen in momento zu sagen erweckht vnd in disse christliche khönig-
reich vnd Binder zu vnser aller wollfahrt vnd hail mit ainem ansehnlichen
exercitu eingefüerth hat, dardurch vnsere feindt vnd Verfolger so von villen
jaren hero auf heuttigen tag vnss nach leib, seel, haab vnd güetter gestanden
beraith mit höchster macht angriffen vnd hoffentlichen ir letster periodus vnd
das letste zill herbey khommen wierdt.
Vnd weill dass hauss Österreich Ferdinandus vnd seine gebrüeder inen die
Spanischen process dess Papst vnd seiner Jesuiten practickhen mehrers alss
der gethrewen khönigreich vnd landen, wie auch viller cliur und fürsten des
heiligen röm. rcichs threue consilia Vermahnungen, wahrnungen vnd protesta-
tionen belieben lassen, vnd alles was zu conseruation ires lobl. hauscs ange
sehen, veracht und in den windt geschlagen, werden sie billich darunter am
maisten leiden vnd iren entliehen vndergang empfinden müessen. Wie dann dass
khönigreich Böhaimb , marggraft'thumb Mährern, die fürstenthumb Schlesien
ober vnd nider Laussnicz ieczigen khaiser Ferdinandum, vnd das ganze hauss
Österreich einmüttigclich verworfTen, den churfürsten von Heidelberg und pfalz
graften am Rhein herrn Fridericum zu iren ldionig erwählt, vnd beraith die
königlich bühaimische e.hron auf sein haubt geseezt | vnd zu iren khönig vnd
landtsfürsten angenommen, vnd das homagiuin prästiret haben. Also vnd den
selben behaimischen herrn stenden ieezt nachfolget dass lobl. khönigreich
Hungern, bey dem .dass hauss Österreich auch auf ewig reijeirt worden. Ir
fürstliche Durchlaucht herrn Bethlehem Gaborn Transiluaniae principem meinen
gnedigisten fürsten und herrn, dargegen zu iren protectorn vnd general
directorn vnd pro capite des ganzen khriegs erkhennen vnd coniunctis viribus
wider die khaiserliche armada von hier auss fort marsieren. In gleichem
werden die löblichen evangelischen land steendte des löblichen ertzherzog-
thumbs Österreich vnder vnd ob der Ennss khein andere resolution nemben.
Sintemahl Sie auf dato zu geringster remedierung irer hoehen religions vnd
anderer politicorum grauaminum mit bitt, gebett, vermahnen vnd protestiern
nit khomen khönnen, sondern noch mit öffentlichen patenten alss rebellen
ausskhündt für feindt declaricrt, die burger zu Wien disarmiert auf weeg vnd
freyer strassen angriften, gelt vnd guetts spoliert sy vnd die ierigen gefangen
genommen, vnd nach Wien wie öffentliche feindt gefüerth mit brandt, mordt,
der ungrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
239
raub und schwerdt verfolgt, vnd vmbarrnherziglichen gegen inen verfahren
wierd. Also solches dan die täglichen augenscheinlichen exempel besonders
mit herrn Paul Jacoben von Stahrnberg vnsseres verordneten bezeugen. Welchen
man auf freyer strassen gegen St. Pölden der löbl. stenndt gelt bis in
1S000 fl. hinwegkli genomben, in selbsten arrestiert, die diener so sich bey
dem gelt befunden in schwere gefenekhnus geworfen vnd euthalten vnd ier
Durchlaucht Erzherzog Leopoldus mir selbst vnlengst von Wien aus naehseczen
ross und wagen nemben, meine leith in die burckh arrestiren, vnd was bey
inen gefunden worden spolieren lassen, also dass nunmehr khein ehrlicher
patriota sicher vor dissen feindtlichen anfeilen wandern vnd raissen khan,
daher dan die lobl. euangelischen stenndte vnder der Ennss verursacht pro
necessaria defensione ad arma zu greiffen vnd haben alberaith zway regiment
khnecht, von 1000 (?) starckh vnd zwölff Compagnie rentier auf den fuess
gebracht der conföderation nach deren sie sich mit beeden Khönigreichen
Hungern vnd Böhaimb verglichen vnd verbundlen für ainen man zustehen
leib und leben hab und guetter aufzuseczen vnd khein theill dem andern in
ewigen zeiten zuuerlassen mit eörperlichen eyd zusamben verpflicht vnd
würckhlich zusamben getretten sein.
Und nachdem das löbliche khönigreich Hungern und höchstgedacht ier
fürstl. Durchlaucht Herr Bethlehem Gabor mein gnedigister fürst und herr
ainen reichstag alhero nach Pressburg auf Martini gestern verflossen aussge-
schrieben vnd nun mehr die gethrewen dess khönigreichs landsmitglieder in
grosser anzald erscheinen, auss dem khönigreich Böhaimb, marggraffthumb
Mährern, fürstenthumb Schlesien, ober vnd Nider Lausnicz, wie auch etwan
auss dem heyl. Röm. Reich von der Union dahin sieh diss werkh nit wenig
extendiret vnderschidliehe abgesandte erwarth werden. Also haben die löblichen
Evangelischen Stennde des Erzherzogthumbs Österreich vnder vnd ob der Enss
zu solchem vngerischen reichstag iren besondern gesandten zuschickhen sich
entschlossen, vnd mich auss irem collegio der herrn directorn darzu genomben,
disze ambasada aufgetra gen vnd nach Pressburg den 4. diss Monats Noueinbris
mit villen vnderschidlichen credenzionalien an Ier fürstl. Durchlaucht vnd an
das Khönigreich abgeförtigt, wie ich dan auch Gott lob den 7. eiusdem alhie
glickhlieh ankhommen den volgenden tag bey höchst gedacht ier. fürstl. Durch
laucht nit allein ein gar gnedigiste audienz gehabt, sondern zugleich an Irer
fürstlichen tafel neben derselben zu siezen gnedigist gewürdiget worden. Vnd
seithero zu mehrer conversation gnedigst bin admittiert worden, alles durch
sonderbare befürdernus vnd hilf Herrn Grafen Emerici Turzonis des in Gott
ruhenden seeligen Herrn Palatini Turzonis ainigen hinterlassnen herrn sohnes,
welcher vestigijs parentis sui inhaeriert, VnssOesterreicbern auss threwen hercz
charisiert, vnd nichts alss derselben freiheit heil vnd wolfahrt zuuermehren vnd
zuerhalten begert vnd daliero sich vnser nott vnd drangseeligkheit mit rechtem
bestendigen eyfer annimbt.
Wie dan Jer. fürstliche Durchlaucht Herr Bethlehem Gabor mein gnedigister
Fürst vnd herr an der tafel deiner so gnedigist anregung gethan, vnd befunden,
dass du bey derselben in besondern fürstlichen gnaden vnd hulden stehest, also
240
F. Firnhaber, Actenstiieke zur Aufhellung
dass mir hierdurch mein seel vnd mein gemüth erfreudt worden, vnd vrsach
geben, mit derselben deinetwegen bey jeczigen gefährlichen zeiten vnd leufften
vnd bey so merckhlichen verenderung der khönigreich vnd lender liberius
vnderthenigist zu conuersiern, deinen statum vnd wie du bisshero bey allen
deinen langwiirigen zechenjärigen sorglichen obligenden schweren diennsten
an der ottomanischen Porten, so gar vbel dargegen von dem khaiserlichen
österreichischen hof tractiert vnd verlassen worden, haben Ier fürstl. Durch
laucht zwar dessen zum thaill selbsten ein nachrichtung aber bey mehr erzehlten
vmbstanden deiner so gethrewen bestendigen vnd embsig Verrichtung sich so
schlecht darauf erfolgten erkhendnuss verwundert vnd mitleidenlich solches
von mir angehört.
Vnd alss wir mit der conuersation auch auf dissen puncten khumben, wie
du ins khunfftig bey der ottomanischen Porten werdest zauersichern, vnd heraus
zubringen sein, so haben Ier fürstliche Durchlaucht hierzue ier assistenz hilf
vnd mitel mir gnedigist versprochen, so weit du dich werdest darinen discrete
vnd in solchen terminis verhalten, dass durch dich oder auss deinen willen, rath
vnd fürschub wider diss khönigreich Vngern Ier fürstliche Durchl. vnd Ier
aigne fürstenthumb vnd liinder selbsten nichts practiciert noch disem heiligen
vnd göttlichen werckh so zu vnser aller gewissen vnd religionsfreyheit ange
sehen, nichts hinderlichs gesuecht vnd fürgenomben werde, dabero Ich dich
ermahne threwlich vnd vätterlich warnne vnd bitte, du wellest mein lieber
Vetter vnd mein lieber Sohn, Gott, dein liebes vatterlandt, dein heilige evange
lische religion, dich selbsten, mich vnd vnsere befreundte woll in acht nemben,
vnd gedenckhen, dass du in der pündtnuss der confoederierten khönigreich
vnd länder alss ein euangelischer patriot mit begrifen, Gott vnd deinen
vatterlandt mehrers alss vnssern seelen feinden vnd Verfolgern zulaisten
schuldig; dein khaisser vnd dein herr ist nunmehr todt, dissem Khaisser Ferdi-
nando bist in nichts obligiert, dein zeit vnd jugent hast du zu Constantinopel
verzehrt, kliein bezahlung, khein gnadt noch erkhandtnuss hast du zugewartten,
in schulden steckhst darinen, dauon man dich nicht begert zu liberieren, die
remuneration ist mit deinem khaisser gestorben, disse herrn von Oesterreich
sein von allen khönigreich vnd landen verworfen, darfür sie niemanden andern
alss inen selbsten denen papstischen, spanischen vnd jesuitischen riithen zu
danckhen. Zu voriger perfection khommen Sie gewiss nimermehr dan die
malediction ist vber iren khopff khommen. Ist derowegen meine vatterliche
threwe Vermahnung vnd Warnung, dass du dich zu deinen conföderirten khönig
reich vnd ländern haltest, deine weitere seruitia dahin allein wendest vnd bey
denselben dich meritierest, disen herrn abgesandten alle ehr erweissest ire
ambasada woll vnd glickblich zu beschliessen an deiner mühe vnd sorgfeltig-
kheit nichts erwinden lassest vnd gegen denselben dich also erzeigest vnd ver
haltest, damit disse löbliche conföderiertekhönigreich vnd land, vnd ire fürstl.
durchl. dein fidelitet würckblich verspüren mögen. Wann du das (wie ich nit
zweifei) thuest, so dienst du Gott rechtschaffen, deiner heiligen religion, deinem
lieben vatterlandt, dier selbst vnd vnsere ehrlichen stammen löblich vnd auf
richtig, hast dir belolmung von dem höchsten, die remuneration von diesen
&
der ungrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts. 241
lobl. khönigreich vnd landen, den rhuemb vnd das lob für sieh Selbsten zuge-
warthen vnd zu empfachen, wo aber nit (daz ich doch nit will verhoffen) vnd
du dissen khönigreich vnd landen wie auch ire fürstliche durchlaucht woltest
contrario seyn vnd dich zu vnssern feinden wenden, so wierdt dich Gott ver
lassen, dich in Verlust ehr seel leib vnd guett selbst verstürzen vnd in deinen
vatterlandt zuuerbleiben kheinen blatz finden, vnd bey den Paptisten nichts
weniger in Verachtung vnd in der Verfolgung die vberige zeit deines lebens
zubringen | muessen, darfuer dich ja nochmahlen Gott gnediglich behüetten
wolle. Vnd souil hab ich dier auss Pressburg zuezuschreiben dein glickh vnd
vnglickh für äugen zustellen vnd dass Gott vnd deinem vatterlandt mehrers
alss etwan den Jebusitischen rath zu dienen schuldig erindern sollen, dardurch
du dich wierdest zuriechten vnd zuuerhalten haben. Vnd der höchst sey mit
vnd ob vnss allen. Amen. Datum Pressburg den 12. Nouemb. Ao. 1619.
Sitzl>. d. phil.-hist. CI. XXXIV. Bd. 1. Hft.
10
Verbesserungen.
Seite 166 fehlt zur Zeile 3 von oben die Citation „Siehe Beilage I“.
„ 167 Zeile 8 von oben lies nicht statt nein.
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190
F. Firnhaber, Aetenstiiehe zur Aufhebens
perD. vestram qnam status et ordines Hungariae ctTransylvaniae sub hoc indu-
ciarum termino aduersarijs nostris quibuscunquc a ferendis suppetijs abstineri
debebit. Etquodsub inducijsprescriptis soli H u ngari comprebensi intelligantur,
nam quod ad inducias pro Bohemis, alijs item prouineijs spcctat, et in secunda
inducialium literarum conditione eius rei mentio fit, si a Bohemis et alijs itidem
prouineijs requisiti fuerimus, nos desuper benigne et ita resoluturi sumus, qua-
tenus palam sit, pace et concordia nobis nihil charius aut antiquius esse. Pre-
terea ordinaria et eonsueta induciarum lege id exigente, ut sub termino huius-
modi induciarum, fideles nostri in ipsorum bonis nullo modo turbentur uel im-
pediantur; demum uero, ut omnibus et singulis ad proximam diaetain com-
parentibus, ultra illam generalem et de lege regni consu etam saluj conductus
immunitatem speciales quoque ueniendj, immorandj et redeundj saluus conduc
tus concedatur. Kt hoc quidem quo ad diploma inducialium conditionum.
Quo uero ad diploma pro Dominationc vestra emanatum quandoquidem
certum reputarj et agnoscj debet, nos nihil penitus agere aut admittere uelle
uel debere , quod contra juramentum nostrum pracstitum uel uero leges et
statuta regnj aliqua ratione uergeret, ita etiam omnes penitus concessiones
per nos factas taliter conditionatas locum habere uolumus, si fidelium nostro-
rum statuum et ordinum regni istius nostri Hungariae consensus accesserit,
legesque regni id non prohibuerint; item ut assensu regnicolarum modo premisso
semoto introductio quoque in ea, quae per nos concessa fuissent, per fidelem
nostrum regni palatinum perageretur, dum labore studio et opera Dominationis
Vestrae, de qua nos minime dubitamus, motibus sopitis et regni nostri Hungariae
debita obedientia nobis restituta regno et incolis optata pax et alma quies, secu-
raque permansio recuperaretur et conseruaretur. Caeterum, quae pro multiplici
et bona Dominationis vestrae oblatione bactenus facta fuerunt, ut re ipsa, et in
effectu per eandem praestentur, superest eaque , ut citra procrastinationem
longiorcm bonis dispositionibus ordinentur, tametsi in persona eiusdem nullum
dubium aut difficultatem nos ponamus, nihilominus tarnen communis boni promo-
uendj erga eandem porro commonere uoluimus. Et uti uos uberioris gratiae
nostrae seationes(?) inposterum etiam erga D.V. exhiberedementer disponimur,
ita etiam de sinceritatis eiusdem studijs, quilnis nobis corresponsuros uos lucu-
lenter testamini, bene confidere non desinimus. Cui in reliquo firmam ualetudi-
nem et prospera quaeque eomprecamur. Datum in ciuitate nostra Vienna die
4. mensis Februarii anno domini 1C30.
Orig;. Conccpt. Staatsarchiv. Ung.
VII.
4. Februar 1G20.
Opinio consilii Ungarici super relatione 111. D. a Trautmanstorll' die 4. Jan. (sic)
anno 1620 Viennac exhibila etc.
Sacratissima Caesarea Regiaque Maiestas Domine Domine clementissime.
Intellexit demisse Consilium Ungaricum quae per illustrcm dominum
Traut manstorff significari Maiestas Vestra jussit. Et quidem hac dcrepluribus
der migrischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts.
191
jam vicibus Consilium Ungaricum dcmisse suam opinionem scripto declarauit
videri sibi, quod cum formula regiae obligationis de ecclesiarum ae praelatorum
defcnsione deque finibus rogni non alienandis, quamplurima in diplomatibus
transmissis contenta, consistere non possint, prout ex consilio 22 Januarij dato
ubei'ius constat, et licet verbales quaedam, et missilibus literis allatae relationes
subtilibus explicationibus lcnire omnia videantur (excepta status ecclesiastici
immunitate, cuius in loto tractatu nulla mentio habetur) tarnen cum articuli
a regnicolis editi contrarium per omnia sensum in explicatis punctis declarent, et
diplomata quoque iuxta planum sensum aliud significent, non uidet Consilium
ungaricum, quomodo in obscuris hisce explicationibus fundamentum solidum
poni possit, cum eliam clara nimis ac aperta violari a Bctlenio animadvertat.
Et (Deus optimus omen auertat) veretur Consilium ungaricum, ne hisce
inducijs, non solum religio in Ungarin penitus euertatur, uerum etiam regia digni-
tas alio transferatur. Nec existimat Consilium Ungaricum vel sub finem comi-
tiorum, vel postea, cam occasionem habituram Maiestatem Vestram ad reducen-
dam Ungariam in obedienciam quam nunc baberet: Ita enim et Betlem et alij
maleuoli Maiestatis Vestrae sese interim praemunient, Turcam complacabunt,
Polonos delinient, ut longe facilius postmodum sua eonsilia perficere possint.
Nec solum, qui adhuc fidclitatem Maiestatis Vestrae respectant abiecto animo
alienabuntur, uerum etiam in futurum excmplo eorum, qui nunc bonis spoliati
remanebunt, diu deliberabunt, an ad protectionem Maiestatis Vestrae sibi con-
fugiendum existiment.
Quodsi tarnen Maiestas vestra , non curatis ijs considerationibus, quas
22. Jan. Consilium ungaricum exhibuit, omnino voluntati Betlenij assentire
decreuit, dcmisse rogat Consilium ungaricum Maiestatem Vestram, ut status
ecclesiastici rationem habere dignetur, cuius in Omnibus tractatibus mentio nulla
est. Et tarn a palatino quam Pecliy assecuratio accipiatur, de personarum ac
bonorum ecclesiasticorum immunitate ac totali restitutione.
2do. Ut similiter ab ijsdem in forma authentica declaretur quod in diplo-
matenonintelliganturcomitatusBetleniodati, nisiaccedat Consensusregnicolarum.
3. Simili ratione in forma authentica palatinus et Pechy declarent, arti-
culos 18. Januarii a regnicolis sancitos et Betlemio exbibitos, inualidos ac nul
lius roboris esse: si enim illi pro validis babeantur, declaratio, quae nunc allata
est, contraria cum sit illis articulis, Iocum habere non poterit. Nam in illis ar-
ticulis, inprimis: Exulcs esse declarantur quicunque ad Maiestatem Vestram
recurrerunt. Deinde archiepiscopus et Hoinonnay et alij in futura diaeta pro-
scribendi declarantur. Dominus Doczy, D. Eszterhasy et alij ad judicium sub-
eundum in diaetam citantur; bona omnia ecclesiastica fisco addicuntur, confö-
deratis Bohemis auxilia mittenda statuuntur, nec tarnen pro Maiestate Vestra
permittitur educi miles, et bis similia quamplurima.
4. Assecurabunt quod nulla bona ecclesiastica vel alia bona fidelium
Vestrae Maiestatis inscribent. S. Assecurabunt quod per regnieolas Maiestatem
vestram pro legitimo rege in futura diaeta cognosci facient et si id aliqui de-
tractarint, non solum Betlem sed et palatinus ipse omni ope, consilio, auxilio
viribusque ad edomandos rebelles Vestrae Maiestatis assistent.
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften.
243
VERZEICHNIS
DER
EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(MÄRZ.)
Akademie der Wissenschaften, Königl. Preussische. Monatsbericht.
December 1859 und Jänner 1860; 8°.
— königl. zu Stockholm. Öfversigt af kongl. Vetenskaps-Akade-
miens Förhandlingar. Femtonde Argängen, 1858; 8°. — Be-
rättelse om framstegen i Fysik under är 1853. Afgifven tili
k. V. A. af E. Edlund. 1859; 8°. — Berättelse om fram
stegen i Insekternas, Myriapodernas och Arachnidernas Natu-
ralhistoria för 1855 och 1856, tili k. V. A. afgifven af C. H.
Boheman. 1859; 8°. — Kongliga Svenska fregatten Eugenies
resa omkring jorden under befäl af C. A. Virgin ären 1851 —
1853. Zoologi, III. 1859; 4».
Annalen des Vereines für Nassauische Alterthumskunde und Ge
schichtsforschung. Bd. VI, Heft 2. Wiesbaden, 1859; 8°.
Annales de l’Academie d’Archeologie de Belgique. Tome XVI.
livre 4. Anvers, 1859; 8°.
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Neue Folge. VII. Jahr
gang. Nr. 2. 1860; 4°.
Archiv des historischen Vereines von Unterfranken und Aschaffen
burg. Bd. XV, Heft 1. Würzburg, 1860; 8°.
Bericht, neunzehnter, über das Museum Francisco-Carolinum.
Linz, 1859; 8°.
Christiania, Universität. Akademische Gelegenheitsschriften für
das Jahr 1859.
244 Verzeichniss
Collonge, J. La science pour touts. Journal. Armee V. Nr. 11, 13.
Paris; 4°.
Costa, Dr. E. H., Vodnikov spomenik. Laibach, 1859; 4°.
Dulaurier, Ed., Recherches sur la Chronologie Armenienne
technique et historique. Tome I. Chronologie technique. Paris,
1839; 4°.
Ellero, Pietro, Deila pena capitale. Venezia, 1838; 8°.
Erlangen, Universität. Akademische Gelegenheitsschriften für das
Jahr 1839.
Geschichts-und Alterthumsverein zu Kassel, Periodische Blätter
Nr. 11. Wiesbaden und Darmstadt, 1839; 8°.
Greifswald, Universität. Akademische Gelegenheitsschriften für
das Jahr 1839.
Ha Ile-Wittenberg, Universität. Akademische Gelegenheitsschriften
für 1836 — 1839.
Hlubek, D. F. X., Ein treues Bild des Herzogthums Steiermark,
als Denkmal dankbarer Erinnerung an weiland Se. k. Hoheit
den durchlauchtigsten Erzherzog Johann; herausgegeben von
der k. k. steierm. Landwirthschafts - Gesellschaft durch ihren
Secretär. Graz, 1860; 4°.
Istituto Veneto I. R. di scienze, lettere ed arti. Atti. Tomo V.
Serie terza, disp. 3. Venezia, 1839 — 60; 8°.
La Roche, Dydimus über die Aristarchische Recension der Home
rischen Gedichte. Triest, 1839; 8°.
Mittheilungen der k. k. Central-Commission zur Erforschung
und Erhaltung der Baudenkmale, redigirt von K. Wei ss. V. Jahr
gang, März. Wien, 1860; 4°.
— aus Justus Perthes’ geographischer Anstalt, von Dr. A. Peter
mann. Jahrgang 1860, Heft II. 4°.
— der k. k. mährisch-schlesischen Gesellschaft zur Beförderung
des Ackerbaues, der Natur- und Landeskunde. Interim. Haupt-
redacteur H. Weher. Jahrgang 1839; 4°.
Palacky, Fr., Dejiny närodu ceskeho w Cechäch a w Morawe. Dil
IV. Wek Jifiho z Podebrad. Cästka 2. W Praze, 1860; 8°.
Reumont, Alfr., Descrizione di Firenze nell 1398 del Principe Lo-
dovico d’Anhalt. Firenze, 1859; 8°.
— Dell' introduzione del Christianesimo in Prussia e della parte
presavi dalla Santa Sede. 8°.
der eingegangenen Druckschriften. 248
Rostock, Universität. Akademische Gelegenheitsschriften für
1858 — 1859; 4» und 8».
Segesser, A. Ph. von, Die Beziehungen der Schweizer zu Ma
thias Corvinus, König von Ungarn in den Jahren 1476— 1490.
Luzern, 1860; 8°.
Theiner, Aug., Annales ecclesiastici. Tom. 1. II. III. Romae, 1856;
Fol.
— Monuments historiques de Russie. 1859; Fol.
— Vetera monumenta historica Hungariam sacram illustrantia.
Tom. I. II. Romae, 1859; Fol.
Traitteur, E. A., Neuester vollständiger Entwurf einer weit ein
facheren deutschen Schreibweise. München, 1859; 8°.
Verein für Kunst und Alterthum in Ulm. XII. Veröffentlichung.
Der Marktbrunnen zu Ulm. Ulm, 1858; Fol.
SITZUNGSBERICHTE
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PIIIL OSO Pli IS CH-HISTORISCHE CLASSE.
XXXIV. BAND. II. HEFT.
JAHRGANG 1860. — APRIL.
17
■
249
SITZUNG VOM 11. APRIL 1860.
Vor gelegt:
Dom Antonio Jose da Silva, der Verfasser der sogenannten
„Opern des Juden“ (operas do Juden).
Von dem wirklichen Mitgliede Ferdinand Wolf.
In den Jahren 1733 bis 1738 wurden auf dem Theater von
„Bairro Alto“ zu Lissabon eine ganz neue Art von burlesk-komischen
Singspielen aufgeführt, die gleich bei ihrem ersten Erscheinen Auf
sehen erregten, bald grossen Beifall fanden, in Abschriften von Hand
zu Hand unter den Habitues jenes Theaters gingen und endlich auch
durch den Druck, theils einzeln, theils gesammelt bekannt gemacht
wurden, immer jedoch ohne des Verfassers Namen anzugeben 1 );
denn dem Publicum, dem er wohl bekannt sein mochte, genügte es,
seine Stücke, an denen es so viel Gefallen fand, nur durch „die
Opern des Juden“ (Operas do Juden) zu bezeichnen.
Diese „Opern“ wurden nebst ähnlichen von anderen Verfassern,
aber sämmtlich anonym, bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts
wiederholt aufgelegt 3 ), galten aber, nachdem der französische Pseudo-
1 ) Der Herausgeber dieser Sammlung sagt in der „Advertencia“ davon: Foy tan grandc
o applauso, e aceilagdo, com que fordo ouvidas as Operas, que 110 Theatro publico do
Bairro Alto de Lisboa se representardo desde o anno de 1733, atc 0 de 1738,
que ndo satisfeitos muitos dos curiosos com as ouvirem quotidianamente repetir,
passavuo a copial-as , conservando ao depois cstas copias com uma tal avareza,
que se fazido invisiveis para aquclles, que desejaväo na leitura dellas, uns apagar
o descjo de as lerem, pelas terem ouvido , outros renovar a recreagdo, com que
110 mesmo Theatro as viräo representadas. Por satisfazer ao desejo de uns y e
oulrosj tomei a empreza de as ajuntar, e fazcl-as imprimir com 0 titulo de „Thea
tro Comico Portuguez, etc.“
2 ) Warum es wenigstens in Portugal bis zur Aufhebung der Inquisition gerathen .war,
di ese Anonymität zu beobachten, wird sieh aus der nachfolgenden Biographie des
Verfassers ergeben.
17*
250
Ferdinand Wolf
Classicismus auch in Portugal herrschend geworden war, mehr
für literarische Curiositäten, ja für Ausgeburten eines verirrten Ge
schmackes, und man begnügte sich auch dann sie insgesammt, viel
leicht in doppelt verächtlichem Sinne, die „Opern des Juden“ zu
nennen, ohne die Verschiedenheit der Verfasser mehr zu beachten,
oder sich um den „Juden“, von dem sie herrühren sollten, viel zu
bekümmern 1 ).
Ja bis auf die neueste Zeit hat man kaum den Namen dieses
Juden richtig und vollständig anzugeben, und von seinen Lebens
umständen nicht viel mehr gewusst, als dass er von der Inquisition
bei einem ihrer letzten autos da fe verbrannt worden sei 2 ).
Seit man jedoch diese „Opern des Juden“ besser kennen, un
befangener beurtheilen und insbesondere in ihrem Verhältnisse zur
Geschichte des Drama’s in Portugal würdigen gelernt hat, seit die
Portugiesen nicht mehr anstehen, sie für epochemachend zu erklären,
seit die Brasilier stolz darauf sind, den „Juden“ ihren Landsmann
zu nennen, hat man sich auch genauer um seinen Namen, seine
Lebensverhältnisse, sein tragisches Schicksal erkundigt, hat man die
Daten urkundlich zu begründen gesucht, und in neuester Zeit haben
mehrere ausgezeichnete Gelehrte Portugals und Brasiliens biogra
phisch-kritische Artikel über ihn und seine Werke bekannt gemacht,
so dass es wohl an der Zeit sein dürfte, auch den deutschen Freunden
der portugiesischen Literatur und der Geschichte des Drama’s über
haupt die dadurch gewonnenen Resultate hier bekannt zu geben.
*) So sagt z. B. noch Bouterwek (Gesell, d. Poesie und Beredsamkeit, Theil 4,
S. 359), von dem Verfasser dieser Opern sprechend: „Er soll ein Jude gewesen
sein, dessen Name, nachdem er bekannt geworden, doch selten ausgesprochen wurde,
weil sich das Publicum mit der Autonomasie begnügte , ihn schlechthin den Juden
(o Judeo) zu nennen“ ;— und bemerkt dazu: „Auch diese kleine Notiz verdanke ich
den mündlichen Belehrungen eines gelehrten Portugiesen, der mir den Namen dieses
Juden aus Lissabon verschrieben haben würde, wenn es sich der Mühe lohnte.“ —
Also ein „gel eh rte r Po rtugi ese“ hat damals nicht einmal dessen Namen mehr
gewusst, und der gute Bouterwek es nicht der Mühe werth gehalten, sich darnach
erkundigen zu lassen !
2 ) S. z. B. Ferd. Denis, Resumc de l’hist. litt, du Portuyal (Paris, 1826. 12. p. 431,
suiv.), der ihn blos Antonio Joze nennt und hei dem Auto von 1745 verbrennen lässt,
sonst aber fast nichts von seinen Lehensumständen weiss. — Ebenso in : „Osmia,
Trauerspiel .... aus dem Portugiesischen übersetzt von einem Freunde dieser
Literatur nebst vorangehender Geschichte der dramatischen Kunst in Portugal“ (Hal
berstadt, 1824, 8., S. 69 lf.).
D. Antonio Jose da Silva elc.
251
Meine Gewährsmänner sind nämlich:
(Francisco Adolpho de Varnhagen), Florilegio da
poesia brazileira (Lisboa, 1850, in 12. Tomo I, p. 201—236) ;
J. M. Pereira da Silva, Os varoes illustres do Brazil durante
os tempos coloniäes (Paris, 1858. 8., Tomo 1, p. 259—281; eigent
lich eine zweile verbesserte Ausgabe seines „Plutarco Brasileiro“);
Jose Maria da Costa e Silva 1 ), Ensaio biographico-critico
sobre os melhores poetas portnguezes (Lisboa, 1850— 1856. 8.,
Tomo X, p. 328—371);
Innocencio Francisco da Silva, Diccionario bibliogra-
phico portuguez, Estudos . . . applicaveis ä Portugal e ao Brasil
(Lisboa, 1858. 8., Tomo I, p. 176—180; — in diesem Werke sind
auch die übrigen Quellen und Hilfsmittel vollständig verzeichnet und
gewürdigt 2 ). — Ob die von Herrn Rodrigo de Souza da Silva
Pontes angekündigte Ausgabe der Werke und die Biographie
Antonio Jose’s seitdem erschienen sind, ist mir nicht bekannt
geworden).
Antonio Jose da Silva — denn das ist nun unbezweifelt
der Name des Verfassers der „Opern des Juden“ — gehörte einer
jener Familien an, die, obgleich jüdischer Abstammung, doch mit
Erlaubniss der Regierung und durch Verträge sich für gesichert
gegen Verfolgung haltend, sich in Rio de Janeiro ansässig gemacht
hatten; später aber es doch für gerathen hielten sich zum christli
chen Glauben zu bekennen (christäos novos).
Sein Vater, Joao Mondes da Silva, war daselbst ein ange
sehener Advocat und auch er soll mehrere poetische Werke verfasst
haben, die aber nur dem Titel nach auf uns gekommen sind 8 ). Mit
*) Der Verfasser des anmuthigen Gedichtes: „0 passcio“ (der Spaziergang-).
2 ) Darunter befindet sich auch eine Monographie aus neuester Zeit: „II Giudeo Porto-
ghcse, per Vegezzi Iluscalla“ (Turin, 1852. 8.), die Herrn J. F. da Silva aber so wie
mir nur dem Titel nach bekannt geworden ist. — Die von Herrn Kayserling (Se-
phardim; Leipzig, 1859. 8., S. 320—323) nach de Lara’s Aufsatz: „Antonio Joseph
the Portuguese Dramatist u (in: Jewish Chronicle; London, 1855. No. 29) gegebene
Biographie beruht aber offenbar auf einer Verwechslung mit einem anderen, An
tonio Jose genannten und von der Inquisition verbrannten Juden; denn auf unseren
passt keines der dort angegebenen Daten.
3 ) Von Joao Men des da Silva, geboren zu Rio de Janeiro im Jahr 1656, gestorben zu
Lissabon im Jahr 1736, führt Barbosa Machado, Bibliotheca lusitana , Tomo IV,
p. 186, folgende Werke an, die aber nie gedruckt, wurden und nun wohl gänzlich
verloren gegangen sind:
252
Ferdinand Wolf
seiner Frau, Louren^a Coutinho, erzeugte er drei Söhne, deren jüng
ster, unser Dichter, den 8. Mai 1705 zu Rio de Janeiro geboren
wurde.
Gerade damals begann die auch in den Ländern der Krone Por
tugal unter Joao III. eingeführte Inquisition eifriger die Neu-Chri
sten in Brasilien zu überwachen und die Juden oder des heimlichen
Judaismus Verdächtigen, trotz aller früheren Concessionen und Ver
träge, mit aller Strenge zu verfolgen.
Auch unseres Dichters Mutter hatte das Unglück, als eine Rück
fällige (relapsa) in den jüdischen Glauben verdächtigt und angeklagt
zu werden, sie wurde im Jahre 1713 aufßefehl der Inquisition in deren
Kerker nach Lissabon gebracht. Ihre Familie folgte ihr dahin und
Joao Mendes setzte auch hier mit gutem Erfolge seine Advocaten-
praxis fort. So kam Antonio Jose schon im sechsten Jahre nach Por
tugal, um es nie wieder zu verlassen. Nach zurückgelegten Vorstu
dien in Lissabon bezog er die Universität von Coimbra, um sich dem
Studium des Rechts, besonders des canonischen, zu widmen und nach
erlangten akademischen Graden trat auch er im Jahre 1726 in den
Advocatenstand und begann in Gemeinschaft mit seinem Vater zu
arbeiten.
Sei es, dass er trotz seiner als Canonist erlangten Würden
doch noch eine Anhänglichkeit an die mosaischen Lehren und die
jüdischen Gebräuche bewahrt hatte, sei es, dass er dessen nur ver
dächtigt wurde, schon am 8. August 1726 wurde auch er vor das
Inquisitionstribunal gebracht und ihm der Proeess gemacht. Die
Ablegung eines reuigen Bekenntnisses seiner Schuld und die Ab-
schwörung seiner Irrthümer, obwohl man sie angenommen hatte,
befreiten ihn nicht von den Martern der Tortur, und die Anwendung
des Wippgalgens (tratos de jioleJ hatte ihn so übel zugerichtet,
dass er längere Zeit nicht einmal seinen Namen unterzeichnen konnte.
„Officio da cruzÜbersetzung 1 in Versen; —
„Fabula de Lcandro e Ero“, in Octaven; —
Die Übersetzung eines Hymnus auf die h. Barbara ;
„Pocma lyrico : Chvistiaos
Diese von einem Neu-Christen jüdischer Abstammung zum Vorwurfe seiner Ge
dichte gewählten Gegenstände, worunter sogar eine Art vonMessiade, beweisen, dass
er entweder ein sehr eifriger Convertit oder ein sehr kluger Jude gewesen ist. Er
blieb auch in der That von der Inquisition gänzlich unangefochten , trotz ihrer Ver
folgung mehrerer Glieder seiner Familie.
I). Antonio Jos£ da Silva etc.
253
Auch bemerkte man ausdrücklich in seinem Urtheile (auto), dass
er während der Martern nur den Namen Gottes, nicht aber den der
1). Jungfrau oder eines Heiligen angerufen habe. Bei dem am
13.0ctober 1726 abgehaltenen auto da fe wiederholte Antonio Jose
feierlich und öffentlich seine Ahschwörung und erhielt seine Freiheit
wieder.
Er kehrte zu seinem Vater zurück, um in Gemeinschaft mit ihm
die Advocatur fortzubetreiben. Auch scheint es ihm Ernst mit seiner
Ahschwörung gewesen zu sein; wenigstens vermied er nun allen Um
gang mit Juden und Neu-Christen, suchte die Bekanntschaft und
erwarb sich die Freundschaft mehrerer im besten Rufe stehender
Klostergeistlichen.
Im Jahre 1734 vermählte er sich mit Leonor Maria de Carvalho,
die ihm im darauf folgenden Jahre ein Töchterchen gebar, Lourenfa,
nach dem Namen ihrer väterlichen Grossmutter getauft, welch letz
tere ebenfalls aus den Kerkern der Inquisition entlassen worden war.
Um diese Zeit war es, dass Antonio Jose sich als dramatischer
Dichter bekannt machte.
Er hatte zwar schon als Student in Coimbra sich auch mit poe
tischen Arbeiten beschäftigt und im Jahre 1729 zur Vermählungs
feier des Kronprinzen (nachmaligen Königs) D. Jose eine Sarzuela
(Vaudeville) geschrieben. Seitdem aber hatte er sich eifriger mit
dem Studium der Werke von Metastasio, Moliere und Rotrou be
schäftigt und, wohl auch durch seine Wohnung in der Nähe eines
Theaters (ao Pateo da Comedia) und dessen häufigen Besuch ver
anlasst 1 ). seinen Beruf und seine Begabung für die Bühnendich
tung erkannt und durch mehrere, seit dem Jahre 1733 rasch auf
einander folgende, mit immer steigendem Beifall aufgeführte Sing
spiele oder sogenannte „Operas“ bewährt, von denen noch während
seines Lebens in den Jahren 1736 und 1737: „0 Labyrintho de
A ) Herr v. Varn ha gen, I. c. p. 204, dem ich hierin folgte, bezeichnet dieses Theater
nicht näher; auf den Titeln des „Thcatro comico portugucz“, worin auch Antonio
Jose's Stücke abgedruckt sind, wird das „Theatro publico do Bairro Alto de Lisboa“
als das genannt, auf welchem diese Stücke alle zur Aufführung kamen; hingegen
sollte man aus einer Angabe D a Costa e Silva’s, I. c. p. 331, schliesscn, dass
seine Stücke zuerst auf einem Puppentheater aufgeführt worden seien; denn er
sagt: „e como naquelle tempo havia na Mouraria um theatro mui frequentado, ein que
representavam figuras i nanitna das. p ar a eile pmncipiou (Antonio Jose) a escre-
ver seus dramas, que foram alli muito aceitos e appluudidos“
254
Ferdinand Wolf
Creta“, „Variedades de Protheo“ und „As Guerras do Alecrim,
e Mangerona“ auch im Einzeldruck erschienen sind.
Damals verfasste er auch seine berühmt gewordene: „Glosa ao
soneto de Camoes Alma minha gentil, que te partiste, na quäl ex-
prime Portugal o seu sentimento na morte da sua bellissima Infanta
a Senhora D. Francisca“ (14 Octaven) *).
So hatte sich Antonio Jose nicht nur als Theilnehmer an der
Advocatie seines Vaters, die er nach dessen am 9. Jänner 1736
erfolgten Tode allein fortführte, ein reichliches Einkommen gesichert,
sondern durch seine dramatischen Arbeiten es auch noch vermehrt,
die ihm überdies viele Freunde und den Beifall der Menge erwarben.
Aber wer Verdienst, Freunde und Beifall findet, dem fehlt es
auch nicht an Neidern; ein komischer Dichter, dessen Beruf es ist,
die Laster und Thorheiten seiner Zeit zu züchtigen und lächerlich
zu machen, lässt sich auch manchmal von seinem Ingenium hinreissen,
bei aller sonstigen Vorsicht eine Anspielung mitunterlaufen zu lassen,
die Übelwollende auf eine gefährliche Weise ausbeuten können, um
ihm zu schaden. So lachte man über seine Stücke; aber es fehlte
nicht an Leuten, die z. B. Stellen in seinem „Amphitriäo“ auf die von
ihm in den Kerkern der Inquisition erduldeten Leiden bezogen und
diese darauf aufmerksam machten 3 ); so klatschte die Menge Bei-
‘)
2 )
Diese Glosse ist zuerst abgedruckt mit anderen Gedichten auf dieselbe Todtenfeier
erschienen in: „Accentos saudosos das Musas portuyuczas“. Parte I. Lisboa, 1736, in 4.
Herr v. Varn ha gen und Da Costa e S i I va haben sie wieder abgedruckt. Auch
soll sie das beste unter all diesen Gelegenheitsgedichten sein.
Wie diese:
R ecitati vo.
Sorte tyranna, estrella rigorosa,
Que maligna influiz com luz opaca,
Rigor tao fero contra um innocente!
Que delicto fiz eu, para que sinta
0 peso desta asperrima cadeia,
Nos horrores de um carcere penoso,
Em cuja triste, lobrega morada
Habita a confusao, e o susto mora?
Mas si acaso, tyranna, estrella iinpia
E’ culpa o nao ter culpa, eu culpa tenho!
Mas, si culpa, que tenho, nao e culpa,
Para que me usurpaes com impiedade
0 credito, a esposa, a liherdade?
A r i a.
Oh que torinento barbaro
Dentro do peito sinto!
*
\
D. Antonio Jose da Silva etc. 255
fall; aber die Stücke, denen er galt, bezeiehnete sie mit dem Namen
der „Opern des Juden“ (Operas do Juden)! —
So hatten sieb über dem Unglücklichen , dem der Himmel so
beiter zu lächeln schien, die Wolken des Ungewitters bereits gebil
det, das über ihn herein brechen sollte, und es bedurfte nur einer
geringen Veranlassung zu dessen Ansbruche. — Und diese fand sich
nur zu bald.
Es war am 5. October 1737, dass Antonio Jose im Kreise seiner
Familie das zweite Geburtsfest seines Töchterchens feierte; da
wurde die traulich-heitere Familienfeier plötzlich durch ein unheim
liches Pochen an der Thiire des Hauses gestört; eintraten die Fami
liären und Schergen der Inquisition und forderten die eben noch so
glücklichen Gatten auf, ihr wohnliches Haus, in der Nähe einer An
stalt der Barmherzigkeit (no Largo do Soccorro), die ihnen leider
nicht zu Theil werden sollte, mit den grausigen unterirdischen Ker
kern (calabouQos do Rocio) des jedem Erbarmen fremden Tribunals
zu vertauschen! —
Allerdings musste auch ihre Anklägerinn ihnen dahin folgen.
Diese war eine Negersclavinn, im Dienste von Antonio Jose's Mutter,
welche der ihres liederlichen Lebenswandels wegen gezüchtigt hatte.
Aus Rache und wohl auch von feindlich Gesinnten angehetzt, hatte
sie ihre Herren als rückfällige Juden angeklagt. Sie aber ereilte
zuerst, und zwar wohlverdient, die Strafe ihrer rachsüchtigen
Verleumdung. Denn gleich beim Betreten der Kerker wurde sie von
deren Schrecken so ergriffen, dass sie binnen wenigen Tagen den
Geist aufgab, der nicht minder schwarz war als seine Hülle.
Gegen den in Nr. 6 des sogenannten „mittleren neuen Ganges“
(Corredor meio novo) eingekerkerten Antonio Jose wurde nun der
Process eingeleitet. Da zeigte es sich, dass es an beweiskräf
tigen Gründen der Anklage fehlte; sie beruhte nur auf vagen
A esposa me desdenha,
A patria me despenha,
E ate o ceo parece
Que nao se compadece
De um misero penar.
Mas oh Deoses, si sois justos,
Como assim tyran na mente
A este misero innocente
Chegaes hoje a castigar ?
i
286
Ferdinand Wolf
Anschuldigungen, wie sie eben eine neu angekommene Negerinn
(negra bogal) vorzubringen vermocht hatte. Die Richter suchten
sich daher durch seine Gefangenschaft selbst solche Beweismittel zu
verschaffen.
Aus den Acten seines Processes, die nun in dem königlichen
Archive von Torre do Tombo sich aufbewahrt finden '), geht näm
lich hervor, dass die Gefangenwärter beauftragt wurden, durch
die in den Deckenecken des Kerkers angebrachten Spionirlöcher
Antonio Josd zu beobachten. Diese sagten zwar Alle aus, dass sie
oft gesehen und gehört hätten, wie er sich niedergekniet, bekreu
ziget und christliche Gebete mit Andacht gesprochen habe; Einige
nur fügten hinzu, dass er an bestimmten Tagen keine Speise zu sich
genommen habe. Dieses, in solchen Verhältnissen aus Mangel an
Esslust sehr erklärliche Fasten wurde nun als ein den mosaischen
Vorschriften gemäss beobachtetes gedeutet und bildete nebst den
Angaben eines absichtlich mit ihm zusammen Eingesperrten die
einzigen Beweise seiner Schuld, die man Vorbringen konnte.
Gegen solche Richter half es ihm natürlich nicht, dass er, wie
ebenfalls aus den Processacten hervorgeht, stets seine Schuldlosig
keit betheuerte; dass er sich auf das Zeugniss angesehener Männer
berief, wie des Vorstehers der königl. Münze D. Mathias Ayres Ra-
mos da Silva Epa, und des Francisco Xavier de Meneses Grafen von
Ericeira, des Dichters der „Henriqueida“, die bis zu seinem Tode
ihm treue Freundschaft bewiesen 3 ); dass ob ihrer Frömmigkeit
berühmte Geistliche, worunter sogar Dominicaner, seinen Eifer in
Erfüllung der religiösen Gebräuche und der Vorschriften der christ
lichen Kirche bezeugten; selbst die Gunst und Verwendung des
Königs Joao V. konnte den zum zweiten Mal vor die Schranken dieses
Tribunals Citirten nicht retten.
Schon am 11. März 1739 wurde das Urtheil gefällt, das ihn
dem weltlichen Gerichte zur Bestrafung, und zwar am Leben, über
antwortete (sentenga de relaxagäo ao brago secular), während der
Ärmste und seine Freunde sich noch durch sieben Monate — bis
*) Iin Jahre 1821 hat man dort die auf die Inquisition bezüglichen Documente gesammelt
hinterlegt. Daraus hat sich Herr v. Varnhagen von den Antonio Jose’s Process betref
fenden Acten genaue Abschriften verschallt und so zuerst einen authentischen Bericht
darüber gegeben.
2 ) S. P e r e i r a da Silva, I. c. p. 262 und 266.
F). Antonio Jose da Silva ete.
257
zur öffentlichen Bekanntmachung und Vollstreckung des Urtheils
(auto) — der Hoffnung überliessen, dass seine Schuldlosigkeit selbst
der Inquisition endlich einleuchten müsse.
Dieser Täuschung wurde er auf eine nur zu schreckliche Weise
entrissen, als man ihm am Abende des 16. Octobers 1739 seine Ver-
urtheilung zum Feuertode publicirte, zu einem Tode, den er, wie in
Vorahnung seines grausamen Schicksals, selbst so ergreifend ge
schildert hatte i ).
Drei Tage darnach, hei dem am 19. October 1739 (nämlich am
zweiten Tage des am 18. begonnenen) feierlich abgehaltenen auto
da fe wurde dieses Urtlieil vollzogen.
So ist der Mann, der im Leben so Viele erheitert und lachen
gemacht hatte, durch seinen grausigen Tod selbst zum Gegenstände
eines Trauerspiels geworden 3 ).
In demselben auto da fe wurden seine Gaftinn und seine Mutter
wegen wiederholten Rückfalls in den Judaismus zur Einkerkerung
auf nach Gutdünken zu bestimmende Dauer (carcere d arbitrio)
verurtheilt, nachdem sie wohl die fürchterliche geistige Tortur aus
stehen gemusst hatten, den Geliebten zu Asche verbrennen zu sehen.
Seine Mutter soll auch drei Monate darnach gestorben sein 3 ).
1 ) A niorte sempre e tormento,
Sendo breve e menos mal,
Mas e pena, sein egual,
0 morrer a fogo lento,
E este modo violento,
E e morte inais rigorosa;
De sen lim tarde se gosa,
Sendo no miiito que atura,
Por dilatada mais dura,
Por eontinua mais penosa.
Mit demselben Vorgefühl lässt Antonio Jose den Sanclio Pausa in seinem „Dun
Quijote“ sagen:
„Toda a justiga acaba cm tragedia“.
2 ) Es ist bemerkenswert!», dass die erste von einem brasilischen Dichter verfasste Tra
gödie diesen ersten brasilischen Komiker zum Gegenstände hat, dass dieser in der
Geschichte des portugiesischen Drama’s epochemachende Mann in solcher Weise von
einem in der brasilischen Literatur nicht minder Epochemachenden gefeiert wurde;
Herr v. Magalhaens, der Dichter der „Saudades e suspiros“, der „Tamoyos“,
u. s. w., hat nämlich unseren Antonio Jose zum Helden seiner im Jahre 1839 erschie
nenen Tragödie: „0 poeta e a Inquisigdo“ mit eben so viel Patriotismus gewählt als
mit Talent geschildert.
3 ) D. Inno c en c io F ranc. da Silva hat, a. a. 0., aus der gleichzeitig in Lissabon
gedruckten: „Lista das pessoas que sahir am condemnadas no auto publico da fe que
258
F e r (1 i n «i n (1 Wolf
'FT.
Antonio Jose war von mittlerer Statur, mager, hatte dunkles
kastanienbraunes Haar, kleine Gesichtszüge und wenig Bart ').
Von dem zuerst in den Jahren 1744 und 1746 und dann wieder
holt (in ü. Auflage in den Jahren 1787 —1792) zu Lissabon in vier
Octavbänden gedruckten: „Theatro comico Portuguez, ou
Collecgäo das Operas Portuguezas que se representaram na casa
do Theatro publico do Bairro Alto de Lisboa“ ä ), enthalten die
ersten beiden Bände eine Sammlung von Antonio Jose’s Stücken.
Zwar, wie bemerkt, wird weder auf dem Titel noch bei einem der
Stücke der Name des Verfassers angegeben; wohl aber ganz klar
in den zwei auf das Vorwort: „Ao Leitor desapaixonado“ folgenden
akrostic bischen „ Decimas“ 3 ).
se celebrou na igreja do convcnto de S. Domingos 18 de outubro de 1739, sendo In-
quisidor Geral o Cardeal Nuno da Cunha u , die uusern Dichter, dessen Gattinn und
Mutter betreffenden Sentenzen mitg'etheilt; sie lauten:
„(Sob o titulo): Pcssous relaxadas ein carnc. Nr. 7. Idade 34 annos. Antonio
Jose da Silva, X. n. (ehristdo novo), advogado, natural da cidadc do Rio de
Janeiro, c morador n'csta de Lisboa Occidental, reconciliado que foi por culpas
de judaismo no auto da fe, que se celebrou na Igreja do Convento de S. Domin
gos d'csta mcsma cidadc cm 13 de outubro de 1726. Convicto, negativo c rclapso
„(Sob a rubrica): Pessoas que nao abjuram, nein levam habito. Nr. 3. Annos
de idade 27. Lconor Maria de Carvalho, X. n., casada com Antonio Jose
da Silva, advogado, que vai na lista. natural da villa da Covilhä, bispado da
Guar da, c moradora n'csta cidadc de Lisboa Occidental, reconciliada que foi por
culpas de judaismo no auto publico da fe que sc celebrou na igreja de S. Pedro
da cidadc de Valhadolid, reino de Castelia, ein 26 de janeiro de 1727, presa sc-
gunda vez por rclapsia das mesmas culpas. Pcna: carcere a arbitrio. u — Nr. 6.
annos de idade 61. Lourenga Coutinho, X. n., viuva de Joäo Mcndcs da
Silva, que foi advogado, natural da cidadc do Rio de Janeiro, e moradora n'csta
de Lisboa Occidental, reconciliada que foi por culpas de judaismo no auto publico
da fe, que sc celebrou no Rocio d'esta mcsma cidadc cm 9 de julho de 1713; presa
tcrceira vez por relapsia das mesmas culpas. Pcna; carcere a arbitrio u .
Darnach sind die Angaben von ßrunet, Ferd. Denis u. A. zu berichtigen, die
unseren Dichter beim auto da fe vom Jahre 1745 verbrennen lassen, das sie noch
überdies das „letzte“ nennen ! —
1 ) V arnh agen, 1. c. p. 212.
2 ) Siehe über die verschiedenen Ausgaben dieser Sammlung und ihr Verhältniss zu ein
ander Varnhagen, I. c. p. 206—208 und darnach bei Inno c. Franc, da Silva,
I. c. p. 179. — Dazu will ich bemerken, dass die zweite Ausgabe (Segunda impres-
sdo) der ersten beiden Bünde, wovon die k. k. Hofbihliothek ein Exemplar besitzt (so
wie von der Ausgabe von 175!)— 1761 aller vier Bände), nicht den Luis Ameno als
Drucker angibt, sondern: „Lisboa, na regia officina Sglviana, e da Academia Real.
1747.“ — Die in den späteren Ausgaben weggelassene Stelle der „Advertencia do
Collector u stimmt aber ganz mit Herrn v. Varnhagen’s Angaben zusammen.
3) D. Inn. Fr. da Silva, I. c. p. 180, hat zu e r s t darauf aufmerksam gemacht und ganz
richtig bemerkt, dass das Vorwort: „.do Leitor“ und die „Decimas“ unbezweifelt vom
D. Antonio Jose da Silva etc.
259
Die übrigen im 3. und 4. Bande dieser Sammlung enthaltenen
Stücke sind, wie Herr v. Varnhagen nachgewiesen hat, irrig unserem
Dichter zugeschrieben worden und höchstens könnte man einem Paar
derselben den Einlluss seines Geistes und der von ihm eingesclila-
genen Richtung noch zuerkennen *).
Es sind daher in Einzeldrucken und in dieser Sammlung nur
acht Stücke von Antonio Jose bis jetzt durch den Druck bekannt
Verfasser seihst noch herrühren müssen; es daher der etwas vagen Anspielun
gen, die Herr v. Varnhagen angeführt hat, nicht bedürfe, um sein e Autorschaft
klar zu beweisen; die Decimen enthalten nämlich in den Anfangsbuchstaben der
Verszeilen die v o II e Angabe seines Namens:
l^migo leitor, prudente,
äjäo critico rigoroso
*5e desejo, mas piedoso
qs meus defeitos consente:
äjome näo busco excellente
wnsigne entre os escriptores;
qs applausos inferiores
C*ulgo a meu plectro bastantes,
qs encomios relevantes
(fcao para ingenhos maiores.
Ksta comica harmonia
>flassatempo e douto e grave;
gonesta, alegre, e suave
Civertida a melodia :
Apollo, que illustra o dia,
ftoberano me reparte
wdeas, facundia, e arte,
Beitor, para divertir-te,
^ontade para servir-te,
J^ffecto para agradar-te.
Der spätere Herausgeber, Luis Ameno, durfte es aber nicht wagen, den Namen
eines von der Inquisition gerichteten Juden vorzusetzen oder ausdrücklich anzuge
ben und musste froh sein, dass die beiden geistlichen Censoren, worunter ein Domi
nicaner, dessen Werke, als „nichts gegen den Glauben und die christliche Religion"
enthaltend, durchliessen.
*) So ist z. ß. „Adolonimo cm Sidonia“ eine Nachahmung von Apostolo Zeno’s „Ales-
sandro in Sidone“; „ Adriano cm Syria w eine Übersetzung der gleichnamigen Oper
Metastasio’s „Filinto perseguido“ desselben „Siroc in Scleucia“ und „Os novos Encan-
tos de Amor“ wird dem Alexandre Antonio de Lima zugeschrieben und ist
^ eigentlich eine Bearbeitung nach dem Spanischen. Auch Da Costa e Silva berichti
get, mit Beziehung auf diese Nachweisungen Varnhagen's, die früher allgemein gang
bare Annahme, die Stücke aller vier Tlieile des „Theatro comico portuguez“ einem
Verfasser, nämlich dem „Juden“ zuzuschreiben , indem er dagegen bemerkt (1. c.
p. 3U5—3öG) : „mas basta considerar a sua lintjuagem, mancira de dialoyar, e o for-
zado dos yracejos para rcconhecer, que quem compoz as operas contheudas nas dous
primeiros volumes ndo podia ser author das que compoem o terceiroj e quarto“.
Ferdinand Wolf
260
gemacht worden, nämlich: „Vida de D. Quijote de la Mancha; —
Esopaida, ou Vida de Esopo; — Os Encantos de Medea; ■— Am-
phitryäo, ou Jupiter, e Alcmena (im ersten Theile der Sammlung);
— Labyrintlio de Greta; — As Guerras do Alecrim, e Mangerona;
— Variedades de Protheo ; — Precipicio de Faetonte (im zweiten
Theile)“. Ausser diesen haben sich einige Stücke von ihm hand
schriftlich erhalten, wie nach Herrn v. Varnhagen (1. c. p. 206):
„Os Amantes de escabeclie; — S. Gongalo de Amarante“; und
minder unbezweifelt ihm zuzuschreiben: „As firmezas de Protheo“,
— und „Telemaco na ilha de Calipso“ — endlich soll in neuester
Zeit, wie mir Herr v. Magalhaens gütigst mitgetheilt hat, noch ein
Stück von ihm aufgefunden worden sein, das dem Titel nach zu
schliessen: „0 Diabinlio d mäo furada“ (das verschwenderische
Teufelchen) zu seinen eigenthümlichsten gehören dürfte.
Herr Ferdinand Denis hat in seinen: „Chefs-d’oeuvre du
Thedtre portugais. Gomes, Pimenta de Aguiar, Joze“ (Paris,
1823. 8.) als Probe von Antonio Jose’s Werken den „D. Quijote“
in französischer Übersetzung gegeben (p. 36S—496).
Man sieht schon aus den Titeln dieser Stücke, dass Antonio Jose
häufig mythologische Stoffe und altclassische Fabeln behandelt hat;
aber seine Götter und Göttinnen, seine Griechen und Hörner sind, so
gut wie sein Ritter von der traurigen Gestalt und sein Dom Gil Vaz
und Dom Fuas durch und durch Portugiesen seinerzeit, und
alle diese Stoffe sind mit so genialer Originalität behandelt, dass
seine Stücke, nächst denen von Gil Vicente, als die volkstümlichsten
in portugiesischer Sprache gelten können und bis auf die neueste
Zeit -— bis Alineida Garrett dieselbe Richtung wieder einschlug ■—
ohne Rivalen gehliehen sind. Man wird es daher nicht nur natürlich
finden, dass Antonio Jose’s Stücke in jener Zeit, wo auf den Bühnen
Portugals fast nur spanische Comedias und italienische Opern gege
ben wurden, einen ausserordentlichen Erfolg haben mussten, sondern
kann auch ohne Übertreibung behaupten, dass sie eine bleibende,
epochemachende Stelle in der Geschichte des portugiesischen
Drama’s und des Lustspiels überhaupt beanspruchen können, eine
Stelle, die ihnen freilich erst in neuester Zeit eine unbefangene
Kritik und ein besseres Verständniss wieder eingeräumt haben, wäh
rend eine bornirt-classische Schule, die Alles über einen Leisten
schlug und den Sinn für nationale Originalität verloren hatte, in
D. Antonio Jose da Silva etc.
261
ihnen nur regellose Ausgeburten, groteske Trivialitäten, oder höch
stens ingeniöse Verirrungen lange Zeit hindurch sah, woher es auch
kam, dass selbst der Name ihres Verfassers in Vergessenheit gera-
then war.
Diese Stücke, wiewohl hauptsächlich für die Aufführung berech
net, und zwar eine mit grossem Aufwand an Scenerie und Maschi
nerie, und mit Begleitung von Musik; zunächst nur für das schau-
und lachlustige Volk bestimmt ‘); und eigentlich das was wir jetzt
„Volksstücke“ nennen, haben doch eine so drastische Komik, solche
Frische und Fülle von witzigen Einfällen, dass sie selbst noch auf
den Leser der Gegenwart und den Fremden ihre Anziehungskraft
bewähren, die sie freilich in bei weitem höherem Grade von der
Bühne herab ausübten, wo sie einst mit so grossem Beifall und Jubel
aufgenommen wurden, wo sie durch die sich drängenden Überraschun
gen in der Schürzung und Lösung, durch die komischen Situationen
und die witzigen volksmässigen Couplets in ihrer ganzen Kraft wirk
ten, wenn die Darsteller ihrer Aufgabe gewachsen waren a ).
„In der Entwicklung der Handlung“, sagt Herr Pereira da
Silva (1. c. p. 273), „in der Erfindung der Abenteuer, in dem
geschickten Zusammenstoss der Leidenschaften und Intriguen, die
sich drängen, verbinden, trennen und lösen mit der Schnelle des
Blitzes, mit der Leichtigkeit des Windes, liegt Antonio Jose’s Haupt
stärke ; dadurch überrascht, elektrisirt, reisst er seine Zuschauer mit
sich fort.“
Dabei weiss er mit vielem Geschicke der Redeweise, Sprich
wörter und Witze des Volkes sich zu bedienen, so dass seine Stücke
in sprachlicher Beziehung auch wissenschaftlichen Werth haben.
*) Wie der Verfasser selbst in der ersten jener beiden Decinien gesagt hat:
Os applausos inferiores
Julgo a meu plectro basta nt es.
2 ) Ein von Herrn Denis (Chefs-d’oeuvre du Theatre portug. p. 359) angeführter
Dichter, der Professor Antonio Anas tas io Dacunha, fast gleichzeitig mit An
tonio Jose und gleich ihm von der Inquisition verfolgt, hat ihn also apostrophirt:
0 Antonio Joze, döce e faceto,
Tu que foste o primeiro que pizaste
Com mais regulär socco a scena lusa,
0 povo de Lisboa mais sensivel
Foi no tbeatro a teus jocosos ditos,
Que no rocio a voz da humanidade.
mm
262 Ferdinand Wolf
Diese Volkstümlichkeit, Freiheit lind Selbstständigkeit muss
man aber Antonio Jose um so höher anrechnen, als gerade damals
auch die Dichter der pyrenäischen Halbinsel unter dem auf ganz
Europa lastenden Drucke des französischen Pseudo-Classicismus
ihren Nationalgeist aufzugehen begannen und auch Antonio Jose
durch seinen Freund, den Grafen von Ericeira, einen Verehrer Boi-
leau's, mit dessen damals als Orakelspriiche geltenden Lehren bekannt
gemacht worden war, dessenungeachtet aber und trotzdem dass
er, wie bemerkt, die Werke von Metastasio, Moliere, Rotrou u. s. w.
eifrig sludirt halte, die Originalität seines Geistes bewahrte und der
von seinem Nationalgefühl eingegebenen Richtung treu blieb.
Wären die Richter dieses Unglücklichen, des Judaismus Ange
klagten, im Stande gewesen, mit Unbefangenheit diesen Geist in
seinen Werken zu würdigen, so würden sie erkannt haben, dass
diese von keinem im starren Mosaismus oder finster grübelnden Rab-
binismus befangenen, sondern nur von einem freien, beweglichen,
dem frischen Leben sich heiter hingebenden Geiste herrühren konn
ten, der, wenn er von fremden Traditionen inspirirt wurde, gerade
noch am ersten denen der altspanischen Comedia folgte.
So findet sich, von letzterer wohl überkommen, der Graeioso
als stehende Figur in fast allen Stücken Antonio Jose’s. Gleich der
spanischen Comedia beobachten auch seine „Operas“ keine der so
genannten drei Einheiten, in ihnen reihen sich ebenso pathetische
und komische Seenen an einander und in die Actionen der Helden
und Heldinnen greifen ihre possirlichen Diener und schelmischen
Zofen nicht minder wesentlich ein; nur ist in den „Operas“ das
parodische Element bei weitem vorherrschender als in den Comedias.
Auch hat Antonio Jose seine meisten Stücke auf eine eigenthümlicke
Weise abgetheilt, nämlich in zwei „Theile“ (Partes), nur der
„Proteo“ und „Faetonte“ haben die Eintheilung in drei Acte der
spanischen Comedia beibehalten.
Übrigens darf man durch den Titel: „Operas“ sich nicht ver
leiten lassen, an Opern im heutigen Sinne zu denken und sie hlos
als eigentliche Libretto’s, als Unterlagen für die musikalische Com-
posilion zu betrachten; sie sind grossentheils in Prosa abgefasst und
nur dann und wann werden ein Recitativ mit einer Arie, Couplets,
mehrstimmige Gesänge oder Chöre angebracht; sie sind eigentlich
grössere Sarzuelas oder Vaudevilles und haben den Titel: „Operas“
D. Antonio Jose da Silva etc.
263
wohl nur der mythologischen oder heroischen Stoffe, der complieir-
teren Fabel und des Aufwandes an Scenerie und Maschinerie wegen
erhalten <).
Um sich einen Begriff von Antonio Jose's Erfindungsgabe und
komischer Kraft zu machen, vergleiche man z. B. seinen „Amplii-
thriäo“ mit den, denselben Stoff behandelnden Stücken von Plautus
und Camoes, und man wird staunen über die neuen Seiten, beson
ders in den Scenen zwischen Alcmena und ihrem Gatten, welche der
brasilische Dichter diesem Gegenstände abzugewinnen wusste.
Eben so geschickt ist das „Leben Aesop’s“ im Nationalge
schmacke dramatisirt und z. B. die Scene, wie dieser auf dem Sclaven-
markte von seinem Herrn, dem Philosophen Zeno, feilgeboten und
von Xanto gekauft wird, zeichnet sich ebenso durch drastische Cha
rakteristik, wie durch die Lebendigkeit des Dialogs voll schlagender
Volkswitze aus 2 ); diese Scene dient zugleich zur Exposition, wie
denn unser Dichter als ein acht dramatischer sich auch dadurch
bewährt, dass seine Expositionen immer kurz, klar und mit Handlung
verbunden sind. Als Muster einer solchen Exposition führt Da Costa
e Silva (1. c. p. 345 sg.) mit Becht die des „D. Quijote“ an. Der
Barbier ist eben im Begriff den Ritter zu rasiren, der ihm empfiehlt,
diesen „geehrtesten Bart in ganz Spanien, vor dem selbst die Riesen
zittern“, gehörig zu behandeln. Natürlich fragt er den Figaro, was
er für Neuigkeiten auszukramen habe; als dieser nun erzählt, dass der
Grosstiirke wieder die christlichen Potentaten mit Krieg überziehe
*) Die jetzt so beliebten Offenbacb’schen Opern dürften noch am nächsten mit denen
Antonio Jose’s verwandt sein; ja mehrere der letzteren könnten mit geringen Ver
änderungen noch jetzt Herrn Offenbach die köstlichsten Libretti liefern. — Es kann
sein, dass, wie Bouterwek meint (a. a. 0. S. 358), die von dem Hofe in Lissabon
damals begünstigte italienische Oper diese parodistische Reaction im Sinne und Ge-
schmacke des Volks hervorgerufen habe. Übrigens hat Bouterwek mit einer an ihm
seltenen Befangenheit und Oberflächlichkeit über diese portugiesischen „Operas“ den
Stab gebrochen und, wohl von ihrer Regellosigkeit und Derbheit abgeschreckt, sich
nicht die Mühe gegeben, tiefer in ihren Geist einzudringen und sie im Verhältniss zu
ihrer Zeit und zur Entwicklungsgeschichte des portugiesischen Drama’s aufzufassen.
Hat er es doch nicht einmal der Mühe werth gehalten, sich nach dem Namen des
„Juden“ zu erkundigen, wiewohl er selbst nicht umhin konnte, ihn „einen erfindungs
reichen Kopf“ zu nennen!
2 ) Bei Bouterwek (a. a. 0. S. 3G1—362) findet man Bruchstücke dieser Scene ange
führt: „zum Beweise .... der abgeschmackten Witzelei!“ — Doch muss er selbst
eingestehen: „durch alle diese Grotesken blickt eine nicht gemeine Phantasie
hervor!“ —
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXXIV. Bd. II. Hft. 18
264
Ferdinand Wolf
und schon eine Flotte in Biscaya gegen ihn ausgerüstet werden
müsse, sagt D. Quijote: „Zu was alle diese Maschinen? ich wüsste
Rath, in weniger als einer Stunde alle Flotten und Escadren der
Türken zu besiegen!“ — Erst nachdem der Barbier ihm Verschwie
genheit zugeschworen hat, damit kein Anderer ihm zuvorkomme, ver
traut er ihm, man möge nur einige fahrende Ritter gegen den Türken
loslassen, ja einer, wie z.B. er, würde genügen, ganze Heere zu
vernichten, wobei er sich auf die in den Ritterbüchern erzählten
Grossthaten derselben beruft. Als nun die Haushälterinn, die Nichte
des Ritters und selbst der Barbier sich erkühnen, darin nur einen
Rückfall in seine Narrheit zu sehen, wendet er gegen den letzteren
ein argumentum ad hominem an, indem er ihn zu Boden wirft. —
Diese Exposition ist gewiss eben so charakteristisch als drastisch! —
Wenn Bouterwek von diesem Stücke sagt, „es fehle ihm sogar
das Verdienst der Erfindung", so hat Barbosa du Bocage, der
begabteste portugiesische Dichter in der zweiten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts (gest. 1803) ganz anders darüber geurtheilt. Da Costa
e Silva erzählt von diesem, seinem Freunde und Kunstgenossen,
folgende Anekdote (1. c. p. 348). Als er ihn einmal während seiner
letzten Krankheit besuchte, fand er ihn im Bette auf dem Bauche
liegend, ein Buch in der Hand und aus vollem Halse lachend. Auf
seine Frage, was so sehr dessen Heiterkeit errege, antwortete er:
„Die Opern des Juden sind es; ich habe hier im D. Quijote eine so
drollige, so extravagante Idee gefunden, dass ich mich verwundere,
dass sie dem Cervantes nicht eingefallen ist (que admira haver
escapado ä Cervantes)“. Hierauf las er unter Lachen die Scene,
wie D. Quijote immer mehr zu der Überzeugung kommt, dass seine
angebetete Dulcinea in die Gestalt des Sancho Pansa von den ihm
feindlich gesinnten Zauberern verwünscht worden sei und nun vor
ihm stehe (und gerade dieses Zunehmen der Überzeugung bis zur
fixen Idee ist ein feiner psychologischer Zug und trefflich ausge
drückt), bis dieser ebenfalls durch ein argumentum ad hominem ihn
von seiner Identität überzeugt. Ich will daher nach Da Costa e Silva’s
Vorgang diese Scene hier mittheilen ')•
*) In der Übersetzung- von Ferdinand Denis befindet sieh diese Stelle p. 416—419; auch
er bemerkt dazu: „toutc cettc scene scvait. d'un vrai comiquc, si eile ne finissait
jjas aU8si grossierement“.
D. Antonio Jose da Silva etc.
265
D. Quijote.
E si bem repuro agora nas feiföes deste Sanclio, lä tem alguns
Iaivos de Dulcinea; porque sem duvida Sanclio äs vezes o vejo com
o rosto mais afeminado, que quasi me persuado que estä Dulcinea
transformada nelle.
S a n c h o.
(Meu amo estä no espafo imaginario!) Ali Senhor, toca a caval-
gar que o rocinante estä sellado, e o burro albardado. Senhor! . . .
v. m. näo ouve?
D. Quijote.
Sim, ou§o! que seja possivel, prodigioso enigma de amor, ga-
lharda Dulcinea del Tohoso, que os magicos antagonistas do meu
valor te transformassem em Sanclio Pan^a?
S a n c h o.
(Ainda esta me faltava para ouvir, e que aturar!) Que diz Senhor?
estä louco? com quem falla v. m.?
D. Quijote.
Fallo comtigo, Sanclio fingido, e com Dulcinea transformada.
Sanclio.
Se v. m. algum dia tivesse juizo, dissera que o tinha perdido.
Que Sanclio fingido, ou que Dulcinea transformada e esta?
D. Quijote.
Näo sei como agora falle, si como ä Sanclio, si como ä Dulci
nea! vä como för! Saberäs que os encantadores tem transformado em
tua vil, e sordida pessoa a sem igual Dulcinea; ve tu, Sanclio amigo,
si ha maior desaforo, si ha maior insolencia destes feiticeiros, que
mascarar o semblante puro, e rubicundo de Dulcinea com a mascara
horrenda da tua torpe cara!
S a n c h o.
Ora diga-me, Senhor, por onde sähe v. m. que a senhora Dul
cinea estä transformada em mim?
D. Quijote.
Isso e que tu näo alcai^as, simples Sancho! pois sabe que nös,
os cavalleiros andantes, temos cä um tal instincto que nos e permittido
descobrir aonde estä o engano, e a transformafäo, pelos ofluvios que
exhala o corpo, e pela physionomia do rosto.
18*
266
Ferdinand Wolf
S a 11 c h o.
Basta que conheceu v. m. pela simonetria do rosto! pois, Se
nhor, que parentesco earnal tem a minha cara com a da senhora Dul-
cinea? Ora eu ate qui nao cuidei que v. m. era tao louco! Cuido que
nem na vida de v. m. se conta semelhante desaventura!
D. Quijote.
Quanto mais te desesperas, mais inculcas que es Dulcinea. Deixa-
me beijar-te os athomos animados desses pes! ja que nao permittes
tocar com os meus labios o jasmim dessa mao.
Dulcissima Dulcinea! ....
(Quer abracar Sancho).
Sancho.
Aqui d'el-rei, senhor, que nao sou Dulcinea! tire-se lä! olhe que
lhe dou uma canellada!
D. Quijote.
Ora, meu Sancho, dize-me em segredo, si es Dulcinea, que eu
te prometto um bom premio!
Sancho!
Como, senhor, lhe hei-de dizer? sou tao macho como v. m.
D. Quijote.
Sancho, nesse mesmo dengue agora confirmo que 4s Dulcinea.
Sancho.
Ora leve o diabo o dengue! que queira v. m. que a forga eu
seja Dulcinea ensanchada, ou Sancho endulcinado? Ora pois ja que
quer que eu seja Dulcinea, chegue-se para cä, que lhe quero dar
dous couces.
D. Quijote.
Tu me queres dar couces? agora vejo que nao es Dulcinea!
pois Dulcinea tao formosa, e tao discreta nunca podia ser besta, nem
ainda transformada, para dar o que me offereces com a tua grosseira.
„Nachdem Du Bocage“, fährt Da Costa e Silva fort, „die durch
Lachen mehrmals unterbrochene Lesung dieser Scene beendet hatte,
rief er mir zu: „„nun, was sagst Du dazu? ist das nicht ein sehr
origineller, sehr drolliger und sehr passender Einfall? und hat der
Jude nicht grossen Vortheil daraus zu ziehen verstanden, indem er
eine sehr komische Scene schuf? 0, auf diese Idee hätte Cervantes
selbst verfallen sollen!““
D. Antonio Jose da Silva etc.
267
Noch will ich aus demselben Stücke eine nicht minder drollige
Arie des Sancho Pansa hersetzen, worin er die Liebe mit einer Katze
vergleicht:
Viram ja vosses um gato,
Que miando pela casa,
Tudo arranha, tudo arraza,
E cagando o pobre rato,
D'ali diz-lhe a moga: „gape“,
E o gato responde: „miau“,
E a senhora grita: „xö?“
Dessa sorte Amor tyi’anno
Faz das unhas duras frexas,
Que trepando da alma äs brexas
Coragoes, forguras, bofes
Come, engole, e faz em pö.
Das mit Recht beliebteste Stück Antonio Jose’s ist aber: „As
Guerras de Älecrim, e Mangerona“, d. i. die Wettkämpfe des Ros
marins und des Majorans. In Cintra nämlich, dem reizenden Sommer
aufenthalte der eleganten Welt von Lissabon, pflegte sich diese auf
bestimmten Promenaden zu versammeln und auf den dort ange
brachten steinernen Canapes ihre Conversationen abzuhalten, wo
bei sie sich in zwei Parteien oder Cameradschaften (ranclios)
theilte, deren eine einen Strauss von Rosmarin, die andere einen
vonMaj oran als Erkennungszeichen trug. Diese galanten Guerrillas
gaben wohl unserem Dichter die Veranlassung zu diesem Stücke *).
*) Da Costa e Silva, dem diese Notiz entnommen ist, würde kaum (I. c. p. 363) es
zweifelhaft gelassen haben, ob diese Sitte das Stück, oder umgekehrt Antonio Jose’s
Einfall jene Modenamen veranlasst habe, wenn er die nachstehende Stelle des Stückes
mehr beachtet hätte, worin der Oheim der beiden Damen, der Heldinnen des Stückes,
sie ihrem eben angekommenen Vetter der eine von beiden zur Frau erkiesen soll, als
„die vom Rosmarin“ und „die vom Majoran“ vorstellt und als dieser sich über eine
solche Bezeichnung verwundert, sie ihm mit folgenden Worten erklärt, die wohl klar
auf jene Sitte hinweisen :
D. Lanserote (der Oheim). Sobrinho, näo estranheis esse excesso de minha
sobrinha; porque haveis de saber, que h a nesta terra dous ranchos, um do
Alecrim, outro da Mangerona, e fazem taes excessos por estas duas plantas, que se
mataräo umas as outras.
D. Tiburcio (der Vetter). E v. m. consente, que minhas primas sigao essas
parcialidades ?
D. Lanserote. Näo vedes, que emoda, e como näo custa dinheiro, bem se
pöde permittir (dieser letzte Zusatz ist treffend im Charakter des ge iz ige n Oheims
angebracht),
268
F e r d i n ti n d W o I f
Er lässt nämlich auf einer solchen Promenade zwei verschleierte
Damen erscheinen, gefolgt von zwei Cavalieren, die ihnen die Cour
machen und sie beschwören, ihnen ein Zeichen zu geben, dass ihre
Bewerbung angenommen werde; da gibt die eine als solches einen
Strauss von Rosmarin, die andere von Majoran, indem jede als
leidenschaftliche Anhängerinn der gewählten Lieblingsblume sich
erklärt und ihren Cavalier auffordert, durch Eifer und Gewandtheit
in der Bewerbung es dem andern zuvorzuthun und ihrer Blume den
Sieg zu verschaffen. Die beiden Cavaliere, D. Gil Vaz und D. Fuas,
beginnen daher unter diesen Feldzeichen um so eifriger ihre Wett
kämpfe (wovon eben das Stück den Namen trägt), als sie, völlig ver
armte Edelleute, erfahren, dass ihre Schönen, Dona Cloris und
D. Niz e, die Nichten und Erbinnen des steinreichen Geizhalses Dom
Lanserote sind. Dieser aber hält sie strenge überwacht, sperrt
sich in seinem Hause sorgfältig gegen jeden fremden Besuch ab und
hat überdies gerade den Sohn eines anderen Bruders, einen tölpi-
schen Landjunker, D. Tibureio, zu sich gerufen, damit er eine
seiner beiden Basen zur Frau wähle, worauf die andere dann in’s
Kloster gehen soll. Es bedarf daher vieler List, in dieses Haus zu
kommen, die Argus-Augen des Alten zu täuschen, den von ihm geru
fenen Bräutigam unschädlich zu machen, das Herz der Schönen zu
erobern und endlich auch ihre Hand vom Oheim zu erhalten. Das
ist allerdings das gewöhnliche, hundertfach variirte Thema des Lust
spiels; aber Antonio Jose hat es verstanden, diese abgedroschene
Intrigue complicirter und eigenthiimlicher zu machen, indem die
beiden Bewerber, obwohl Freunde, nicht, wie gewöhnlich, im Ein
verständnisse handeln, weil jeder den andern an Feinheit zu über
bieten und so der Blume seiner Schönen den Sieg der Ingeniosität
zu verschaffen sucht. Dadurch werden neue Verwicklungen herbei
geführt, Eifersucht zwischen den Liebespaaren selbst erzeugt und —
was ein besonders glücklicher Einfall ist — die Anschläge und Listen
die der eine entwirft und beginnt, werden von dem anderen erspäht
und für sich ausgebeutet. Der eine, D. Fuas, der keinen Diener hat,
sieht sich nämlich darauf beschränkt, D. Lanserote’s alte Haushäl-
terinn Fagurides zur Mithilfe zu gewinnen, während D. Gil Vaz in
seinem Diener Simicupio, dem Gracioso der eigentlich die Haupt
rolle spielt, einen Helfer besitzt, ebenso unerschöpflich an ingeniösen
Einfällen als gewandt in deren Ausführung, der noch überdies an der
I). Antonio Jose da Silva ete.
269
Graciosa, der schelmischen Zofe Sevadilha, in der Nähe der
Schönen selbst eine Bundesgenossinn hat, welcher er natürlich auch
den Hof macht und auch von ihr eine Lieblingsblume als Feldzeichen
erhalten hat, welche allerdings den ominösen Namen: „Malmequer“
(Ringelblume, wörtlich aber: „will mir iibel“) trägt, aber als
Symbol der Sprödigkeit nicht ernster zu nehmen ist als diese
Scheintugend an Soubretten überhaupt.
Durch diese Intriguen und Verwicklungen entsteht nun eine
Reihe von komischen Situationen und drolligen Scenen, die, durch
aus auf die Darstellung berechnet, in einem Auszug oder in einer
Übersetzung auch den Reiz verlieren würden, den sie durch den
frischen Dialog und die witzigen Wortspiele im Originale auch für
den Leser noch haben. Dabei soll nicht verhehlt werden, dass es
auch an den gewöhnlichen Auskunftsmitteln, Verkleidungen, Ver
steckungen u. s. w. nicht fehlt, dass man es mit der Wahrschein
lichkeit nicht immer zu genau nehmen darf, dass die Spässe für
unseren jetzigen Geschmack manchmal zu derb sind und dass die
Lösung eben kein psychologisches Meisterstück ist; aber trotzdem
kann man ein solches, mit billiger Berücksichtigung der Zeit und
des im Auge gehabten Publicums *), diese „Oper des Juden“ nennen,
der, wie keiner seit Gil Vicente, den Nationalgeschmack zu tretfen
verstand und insbesondere in diesem Stücke um so reiner ihm Aus
druck gab, als hierin durchaus volksthümliche Zustände und Cha
raktere auf die drastischeste Weise zur Darstellung gebracht sind und
so das in seinen meisten anderen Stücken herrschende parodische
Element wegfällt, das durch die Travestie einer fremdartigen Unter
lage immer die Reinheit des Eindrucks stört. Auch ist dieses Stück
i) Das Stück wurde zuerst imCarneval des Jahres 1737 aufgeführt und, wie alle übri
gen, im „Thcatro do Bairro Alto de Lisboaes ist also ganz eigentlich ein vo Iks-
mässiges Faschingsstück! — Im Jahre 1770 erschien eine Einzelausgabe
in 4. davon. — Almeida Garrett, der von dem Standpunct aus, den er damals
noch einnahm, als er die literarhistorische Einleitung zum: „Parnaso Lusitano“
(Paris, 1826) schrieb, gewiss nicht Antonio Jose überschätzte, sagt doch von diesem
Stücke (1. c. T. I, p. XLVIII) : „Talvez que o A lee r im e Mang e rona seja a
melhor de todas, e de certo o assumpto e emin entemente comico e portu-
gucz: hoje teria todo o merito de uma comedia historica: e se fora tractada no
genero de Beaumarchais, produziria uma excellente pega.“ — Wie würde er erst
später, als er sich völlig frei von den Fesseln der französisch-classischen Schule ge
macht hatte und, der Richtung Gil Vicente’s und Antonio Jose’s folgend, das Haupt
der neuesten nationalen Dichterschule geworden war, darüber geurtheilt haben!
270
Ferdinand Wolf
nicht nur in der Ausführung sondern auch in der Fabel ganz Pro
duct seiner Erfindungsgabe, die sich in der Tliat darin als eine
aussergewöhnliche gezeigt hat.
Obgleich daher dieses Stück, wenn auch nicht gesehen, so
doch nur ganz im Originale gelesen gehörig gewürdigt werden
kann, so will ich doch zur Probe eine Scene daraus mittheilen, die
einen Begriff von Behandlung und Sprache geben kann.
D. Tiburcio ist nämlich plötzlich von einer heftigen Kolik
befallen worden; Sevadilha wird ausgeschickt, um so schnell als
möglich einen Arzt aufzutreiben und begegnet gleich, wie sie auf
die Strasse kommt, dem D. Gil Vaz und seinem Diener Simicupio,
die eben um das Haus herumschleichen und auf ein neues Mittel
sinnen, wieder hineinzukommen und die Geliebte sprechen zu können.
Da räth Simicupio diese herrliche Gelegenheit doch gleich zu be
nützen und als Ärzte verkleidet sich Zutritt zu verschaffen. Zwar
wendet ihm sein Herr ein:
„Bist Du verrückt? Wir verstehen ja nichts von der
Medicin!“
Simicupio. Da es eine Natur-Philosophie (Filosofia natural)
gibt, warum sollte es nicht auch eine Natur-Medicin (natural Me-
dicina) geben?
D. Gil. Und wenn nun der Patient aus Mangel an Mitteln
stürbe?
Simicupio. Noch schneller wird er am Überfluss der Mittel
sterben.
D. Gil. Und was werden wir ihm geben?
Simicupio. Alles, nur kein Gift; denn was nicht tödtet, macht
fett (porque o que näo mata, engorda, sprichwörtlich).
Sie verbergen aber selbst vor Sevadilha diese List, indem Simi
cupio sich bereit erklärt, statt ihrer einen Arzt zu suchen, damit
sie schnell wieder heimkehren könne.
Als sie nun an das Bett des Kranken geführt werden, um das
sich die ganze Familie und die übrigen Hausgenossen versammelt
hatten, finden sie auch den D. Fuas, ebenfalls als Arzt verkleidet, dort,
den Fagundes dazu veranlasst hatte.
Nachdem die drei „Natur-Mediciner“ den Kranken examinirt
und jeder ein anderes Miltel ordinirt hatte — wobei es an sehr
derben Diagnosen und Reeepten, voll Wortspielen und Spässen
D. Antonio Jose da Silva etc.
271
nicht fehlt 4 ) — wollen auch die beiden Schönen und die übrigen
Anwesenden diese Gelegenheit benützen, um sich jeder gegen das
Übel, woran er zu leiden vorgibt, ein Mittel verschreiben zu lassen.
Darauf folgt die nachstehende Scene, die nur im Originale
gelesen werden muss, um von ihrer komischen Kraft nichts zu ver
lieren; auch enthält sie die drei berühmt gewordenen Sonette 2 ) auf
die drei Blumen, die in diesem Stücke eine so grosse Rolle spielen.
D. Nize.
Ora Senhores Doutores, ja que v. m. aqui se achao, bem e, que
os informemos, eu, e minha irma, de varias queixas, que padecemos.
Simicupio.
Inda mais essa? Ora digao.
D. Cloris.
Senhor, o nosso achaque e tao semelhante, que com uma so
receita se pödem curar ambos os males.
D. Nize.
Nao ha duvida, que o meu achaque e o mesmo em carne, que o
de minha irma.
Simicupio.
Achaque em carne pertence ä Cirurgia.
*) Simicupio gibt aber durch sein Recept den Ausschlag, indem er mit Salbung spricht:
Senhores meus, a grande queixa, grande remedio; o mais efficaz e, que tome umas
bichas nas meninas dos olhos, para que o humor faya retrocesso debaixo para cima.
I). T i b u r c i o. Como e isso de bichas nas meninas dos olhos?
Simicupio. E’ um remedio topico ; nao se assuste, que nao e nada.
D. T i b u r c i o. Vossa merce me quer cegar?
Simicupio. Calle-se ahi; quantas meninas tomao bichas, e mais nao cegao.
2 ) Ein anderes Sonett aus diesem Stücke, worin der gongoristische Styl parodirt wird,
will ich auch hersetzen :
Tanto te quero, oh Clori, tanto, tanto ;
E tenho n'este tanto tanto tento
Que em cuidar, que te perco, me espavento,
E em cuidar, que me deixas, me ataranto:
Se nao sabes, ai Clori! o quanto, o quanto
Te idolatra rendido o pensamento,
Digao-t’o os meus suspiros cento a cento,
Soletra-o nos meus olhos pranto a pranto.
Oh quem pudera agora encarecer-te
Os exquisitos modos de adorar-te
Que amor soube inventar para querer-te !
Ouve, Clori; mas nao, que hei de assustar-te ;
Porque e tal o meu incendio, que ao dizer-te
Ficards no perigo de abrazar-te.
272
Ferdinand Wolf
I). Cloris.
Que eomo dormimos ambas, se nos coinmunicou o mesmo acha-
que; e assim, Senhor, padecemos umas ancias no corafao, umas
melancolias n’alma, uma inquieta^ao nos sentidos, uma travessura nas
potencias; e finalrnente, Senhor Doutor, e tal este mal, que se sente,
sem se sentir; que doe, sem doer; que abraza, sem queimar; que
alegra entristecendo, e entristece alegrando.
S i m i e u p i o.
Basta, ja sei, isso e mal Cupidista.
D. Lanserote.
Oh que e mal Cupidista, que nunca tal ouvi?
Simicu pio.
E’ um mal da moda.
D. Nize.
Que remedio nos dao v. m.?
D. Fuas.
Eu dissera, que o oleo de Mangerona era excellente remedio.
D. Gib
0 yerdadeiro para essa queixa sao as fuma^as do Alecrim.
D. Fuas.
Hui, Senhor Doutor, a Mangerona e um excellente remedio.
D. Gib
Nada chega ao Alecrim, cujas excellentes virtudes sao tantas,
que para numeral-as nao acha numero o algarismo; e nao faltou
quem discretamente lhe chamasse planta bemdita.
D. Fuas.
Se entrarmos a espeeular virtudes, as da Mangerona säo mais,
que as da herva santa.
Simicupio.
D’aqui a pol-a no altar nao vai nada.
D. Fuas.
A Mangerona e planta de Venus, de cujos ramos se coröa Cu
pido, e para o mal Cupidista nao pöde haver melhor remedio, que
uma planta de Venus; pois se notarmos a perfeigao, com que a natu-
reza a revestio d’aquellas mimosas folhinas, para que todo o anno
sejao jeroglifico da immortalidade, aquelle suavissimo aroma, de cuja
fragancia e hidropico o olfato, ella e a delicia de Elora, o mimo de
abril, e a esmeralda no annel da primavera.
I). Antonio Jose da Silva etc.
273
Simicupio.
E’ verdete; nao ha duvida.
D. Nize.
(d partej Estou tao contente.
D. Gil.
0 Alecrim, Senhor, pela sua excellencia e titular na republica
das plantas, cujas flores, depois de serem bella imitagao dos eeruleos
globos, sao a do§ura do mundo nos melifluos osculos das abelhas.
Simicupio.
Toda via a materia e de apicibus.
D. Gil.
Elle e a coröa dos jardins; o lengo vegetavel das lagrimas da
Aurora; nas chammas e Fenix; nas aguas Rainha; e finalmente e o
antidoto universal de todos os males, e a mais segura taboa da vida,
quando no mar das queixas assopräo os ventos inficionados; e para
prova deste systeina repetirei traduzido em Portuguez um Epigramma
do Proto-Medico Avicena, poeta arabico.
Soneto.
Um dia para Siquesquiz Amor
Uma grinalda bella fabricar,
E, por mais que buscou, nao pode achar
Flor do seu gosto entre tanta flor.
Desprezou do jasmim o seu candor,
E a rosa nao quiz por se espinhar,
Ao girasol mostrou nao se inclinar,
E ao jacinto deixou na sua dor.
Mas tanto que chegou Cupido a ver
Entre virentes pompas o Alecrim,
Um verde ramo pretendeu colher;
Tu so me agradas, disse, pois emfim
Por ti desprezo, so por te querer,
Jacinto, girasol, rosa, e jasmim.
D. C1 o r i s.
Viva o Senhor Doutor, eu quero as fuma$as do Alecrim.
D. Tiburcio.
E morra o Senhor doente: ai minha barriga!
l ) Psyche.
274
Ferdinand Wolf
D. Fuas.
Se versos pödem servir de textos, escute uns de um antegonista
desse author ä favor da Mangerona pelos mesmos consoantes.
Soneto.
Para vencer as flores quiz Amor
Settas de Mangerona fabricar:
Foi discreta elei§ao, pois soube achar
Quem soubesse vencer a toda a flor.
0 jasmim desmaiou no seu candor,
A. rosa come^ou-se a espinhar,
No girasol foi culto o inclinar,
Ais o jacinto deu de inveja, e dor.
Entre as vencidas flores pode ver
Retirar-se fugido o Alecrim,
Que amor para vingar-se o quiz colher;
Cantou das flores o triumpho emfim,
Nem os despojos quiz, por nao querer,
Jacinto, girasol, rosa, e jasmim.
D. Nize.
Viva o Senhor Doufor, eit quero o remedio da Mangerona.
D. L a n s e r o t e.
Nao cuidei, que a Mangerona, e Alecrim tinhao taes virtudes.
Vejamos agora o que diz o Senhor Doutor.
D. Tiburcio.
Que tenho eu com isso? Senhores, v. m. vierao curar ä mim,
ou äs raparigas? Ai minhas barrigas!
Simicupio.
Callado estive ouvindo a estes Senhores da escola moderna,
encarecendo a Mangerona, e Alecrim. Nao duvida que pro utraque
parte ha mui nervosos argumentos, em que os Doutores Alecrinistas,
e Mangeronistas se fundao; e tratando Dioscorides do Mangeronismo,
e Alecrinismo, assenta de pedra, e cal, que para o mal Cupidista sao
remedios inanes; porque tratando Ovidio do remedio amoris, nao
achou outro mais genuino contra o mal Cupidista, que o Malmequer,
por virtude sympatica, magrietica, diaforetica, e dioretica, com a
quäl curatur amorem. Repetirei as palavras do mesmo Ovidio.
D. Antonio Jose da Silva etc.
275
Soneto.
Essa, que em cacos velhos se produz
Mangerona miserrima sem flor,
Esse pobre Alecrim, que em seu ardor
Todo se abraza por sahir ä luz;
Ainda que se vejam hoje a fluz
Desbancar nas baralhas do amor,
Cuido, que eilas o bolo hao de repor,
Senao negro seja eu como um lapuz.
0 Malmequer, senbores, isso sim,
Que e flor, que desengana, sem fazer
No verde da esperan?a amor sem firn.
Deixem correr o tempo, e quem viver
Vera que a Mangerona, e o Alecrim
As plantas beijarao do Malmequer.
Sevadilha.
Viva, e reviva o Senhor Doutor, e ja que e tao bom medico,
pefo-llie me eure de umas dores täo grandes, que parecem feitifos.
Simicupio.
Da cä as pulseiras. Ah perra, que agora te agarrei! Tu estas
marasmodica, e impiamatica. Ab Senhor, logo, logo, anets que se
perpetue uma febre podre, e necessario, que esta rapariga tome uns
Simicupios.
Sevadilha.
Simicupios eu? E’ cousa, que abomino.
Simicupio.
Eu desencarrego a minba consciencia, e nao sou mais obrigado.
D. Lanserote.
Ella nao tem querer, ha de fazer o que v. m. mandar.
Fagundes.
Eu tambem sou de carne, tenho annos, e tenho aebaques.
Simicupio.
Pois cure-se primeiro dos annos, logo se curara dos aebaques.
Fagundes.
Nao Senhor, que este achaque nao e annual, d diario.
Simicupio.
Se fora nocturno, nao era mäo. Pois que achaque e o seu, Sen
hora velha?
276
Ferdinand Wolf
Fagundes.
Que ha de ser? E’ esta madre, que me persegue.
Simicupio.
Hui, vosse com esses annos ainda tem madre? E o que serä de
velha a senhora sua madre! Filha, isso nao e madre e avo.
Faguudes.
Talvez que por isso täo rabujenta me persiga. E que Ihe farei,
Senhor Doutor ?
Simicupio.
A uma madre velha, que se Ihe ha de fazer? Andar, ponha-lhe
oculos, e muletas, e deixe-a andar.
D. Lanserote.
Isto aqui ä um hospital, grajas ä Deos: so eu n'esta casa sou
säo como um pero, ä pezar de duas fontes, e uma funda.
Simicupio.
Oh ditoso homem, que vires sem males!
D. Tiburcio.
Senhores, o meu mal devia ser contagioso; porque depois da
minha doenga todos adoecerao. Ai minha barriga!
D. Lanserote.
Pois em que ficamos ?
Simicupio.
Senhor meu, fallando em termos, o doente sangre-se no pe;
v. m. na bolsa; äs senhoras suas sobrinhas tres bauhos; ä mo<ja Si-
micupios; e ä velha lancem-na äs ondas, que estä damnada.
Fagundes.
Ai que galante cousa!
D. Cloris.
Eu näo quero mais remedio, que os fumos do Alecrim.
D. N i z e.
E eu os da Mangerona.
Simicupio.
Nao seja essa a duvida, ainda que naosou desse voto com tudo
cada um e senhor da sua vida, e se pöde curar como quizer; lä vai
a receita. (Canta Simicupio a seguinte)
Ar ia.
Si in medicinis
Te visitamus,
I). Antonio Jose da Silva etc.
277
Non asniamus,
Sed de Alecrinis,
Et Mangeronis
Recipe quanfum
Satis and.
Credite mihi,
Qui sum pei'itus,
Non mediquitus
De cacaracä.
D. Lanserote.
Esperem, Senhores, v. m. perdoem, lä repartao essa ninharia
entre todos, que eu näo estou aparelhado senao para um.
Simicupio.
Venha emhora, que so este e o verdadeiro simptoma da medi-
cina. (Vaise.)
Wie Gil Vicente, hat man auch Antonio Jose den „portugie
sischen Plautus“ genannt; aber abgesehen von diesen immerhin
misslichen Vergleichen und Benennungen, gebührt Antonio Jose
unbezweifelt in der Geschichte des portugiesischen Drama’s die ihm
nun eingeräumte Stelle zwischen Gil Vicente und Alm ei da
Garrett, als dem Wiederbeleber und Vermittler des volksthüm-
lichen Elements im Drama. Er hätte noch mehr unmittelbaren
Einfluss und Continuität gehabt, hätte er ihm ebenbürtige Nach
folger und nicht ebenso, wie Gil Vicente an Ferreira, an Pedro Anto
nio Correa Gar^äo einen bald auf ihn folgenden Vertreter der entge
gengesetzten Richtung und Bekämpfet- der von ihm eingeschlagenen
gefunden, in einer Zeit, in der man zwar nicht, wie im 16. Jahr
hundert, dem ächten, aber um so blinder dem französischen Pseudo-
Classicismus huldigte. So ward es Gar^ao, dem „portugiesischen
Horaz“ und ihm Gleichgesinnten leicht, den „Juden“ zu verdrängen,
vergessen, ja verachten zu machen, wiewohl Gartjao’s zwei Lust
spiele „in der Manier des Terenz“: „0 Theatro novo“ (dieses ist
zunächst gegen den „verwilderten Operngeschmack“ gerichtet) und
„A assamblea ou partida“, die längere Zeit als Muster classischer
Gefeiltheit und Correctheit galten, aber neben Antonio Jose’s
lebensfrischen „Rosmarin und Majoran“ wie Blumenskelette eines
Herbariums sich ausnehmen, nun ihrerseits der Vergessenheit
-» / ■'/•v Jk. ssm
278
Ferdinand Wolf, D. Antonio Jose da Silva etc.
anheimgefallen sind. Garfäo hatte mit Antonio Jose nur das tragische
Ende gemein; denn auch er fiel ein Opfer des Despotismus; aber
des liberalen; denn der Marquis von Pomhal liess ihn im Kerker
verschmachten! —
Aber nun, seit auch in Portugal besonders durch Almeida-
Garrett das nationale Princip — und in der Literatur hat es seine
volle Berechtigung — wieder zur Geltung gebracht und über jede
blosse Nachahmung des Fremdartigen, sei es auch des Altclassisclien,
erhoben worden ist, haben auch Antonio Jose’s Werke die ihnen
gebührende Würdigung wieder erhalten. Ja ein Mann von Da Silva
e Costa’s Reife und Ansehen, als Dichter und als Kritiker, hat sich
nicht gescheut, Antonio Jose den Dichtern der Gegenwart zum Stu
dium zu empfehlen und sie zur Nachfolge auf der von ihm einge
schlagenen Bahn anzueifern 1 ).
Wir Deutsche aber — von denen doch eigentlich diese natio
nale Revolution in der Literatur ausgegangen ist und sich über das
übrige Europa verbreitet hat — haben um so mehr die Pflicht, das
von Boutenvek und seinen vielen Nachschreibern an dem armen, in
jeder Beziehung verkannten „Juden“ begangene Unrecht durch eine
billigere Würdigung und die Verbreitung der ihm neuerdings gewor
denen Anerkennung wieder gutzumachen.
*) Er sagt nämlich (1. c. p. 371): . ... „e estou persuadido que os nossos poetas dra-
maticos tem muito que aprender dos seus escriptos, que encerram grandes belle-
zas, e muito conhecimento de scena; e de que seria mui util que alguns dos man-
cebosy que hoje scguem com muito talento a carreira tlieatral, se deixassem de
imitar os mclodramas, c vaudevillcs francezes, e se applicassem a aperfeigoar o
systema dramatico de Antonio Jose, criando a vcrdadeira comedia populär
portugueza, de que eile langou os fundamentos u .
Auch in Brasilien sollen, wie ich gehört habe, Stücke von Antonio Jose in neue
ster Zeit auch wieder zur Aufführung gekommen sein.
J. Haupt, Beiträge zur Kunde deutscher Sprachdenkm. in Handsch. 279
SITZUNG VOM 18. APRIL 1860.
Vor gelegt:
Beiträge zur Kunde deutscher Sprachdenkmäler in Hand
schriften.
Von Jos. Daupt.
I.
Mone gab im achten Jahrgänge 1839 des „Anzeiger für Kunde
der teutschen Vorzeit“, Sp. 481, mit folgenden Worten Nachricht
von einer Legende der heil. Maria Magdalena:
Leben der h. Maria Magdalena.
Es steht in Pp. Hs. des XV. Jalirh. von S. Georgen, jetzt in
Karlsruhe, fol., Bl. 17 bis 40 in gespaltenen Col., 37 Zeilen auf
jeder, am Anfang durch Ausreissen mehrerer Blätter, am Ende
durch Aufhören des Schreibers mangelhaft. Das Bruchstück hat
noch 2943 Verse, aber auch nach V. 1353 zeigt sich eine Lücke.
Die Hschr. ist mit rohen Bildern vor den Absätzen bemalt; diese
haben jedoch keine Überschriften, sondern grosse Anfangsbuchsta
ben. Das Bruchstück beginnt also:
geliehen recht alz ainen gyr
der klainen grasmuggen,
und schliesst:
das ist mir von der güttin din
uff diser fart worden schin.
Die junge Abschrift hat bei diesem Gedichte Sprache, Reim
und Vers verdorben, und von diesen Änderungen abgesehen zeigt
sich ein Werk des XIII. Jalirh., dessen Behandlung zu den besseren
gehört.. Alte und mundartliche Formen findet man wenig; die ausser
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXXIV. Bd. II. Hft. 19
280
.1 o s. H a u p t
dem Reime stehe», lasse ich dem Abschreiber, die gereimten sind
folgende: lut, nut (für niut) Vers 1404, richtiger liut, niut 1970;
eristan, man 2140; gol, gemarterot 2668, 2768; wunderunde, be-
gunde 2886; umwielb, sielb (umstürzte, ausgoss, salbte) 1879; son
(debemus), Magdalon 582. Ungenaue Reime sind auch selten: man,
gan 162; gewan, lan 2347; naesten, troesten 1372; Ion, bekrönt
1426; klam, schäm 1455; wainne (für wainende), ersehainde 1534;
got, not 2005; eilenden, underwenden 2017; warnen, krawen 2490;
was, saz 2596; hüben, ligen 2800; brüst, alsus 2840. Einige dieser
Reime werden sich bei schärferer Untersuchung nochberichtigen und
dadurch die Ungenauigkeit verringern. Die Verse mögen sich ohne
gewaltsame Änderungen wohl alle regelrecht herstellen lassen.
Eine Anspielung auf die Heimat des Dichters habe ich nicht
gefunden; er kennt die Goldwäscherei (930), und als Ideal einer
Rurg setzt er ihre Lage auf einen vorspringenden Berg an einem
schiffbaren Flusse, wo viel Handel getrieben wird, und in der Um
gebung fruchtbares Land, Gesundbrunnen, reiche Städte liegen und
ein rühriges Leben sich bewegt. Von diesem Bilde kann man nur
sagen, dass es wahrscheinlich nach der Rheingegend entworfen ist,
wohin' auch das elsässische son für sollen im Reime deutet.
Hierauf tlieilt Mone Vers 589 — 940 aus der bezeichneten
Karlsruher Hs. mit, welche die Beschreibung der Burg Magdalum
enthalten, zu welcher Stelle weiter unten ich die Lesarten der
Wiener Hs. mittheilen werde.
Eine zweite, leider auch nicht vollständige Hs. dieser Legende
wird nämlich in der k. k. Hofbibliothek zu Wien unter der Bezeich
nung 2841 aufbewahrt, und ist auch von H. Hoffmann von Fal
lersleben (in seinem „ Verzeichniss der altdeutschen Handschriften
der k. k. Hofbibliothek zu Wien. Leipzig 1841, 8.“ unter Nummer
XLVI. pag. 119) beschrieben worden. Hätte Hoffmann seiner
Arbeit wenigstens bei dieser Nummer mehr aufmerksame Sorgfalt zu
Theil werden lassen, so wäre dieselbe schon längst nach ihrem
Inhalte erkannt und gewürdigt worden, besonders da die Wiener
Hs. genau mit denselben beiden Versen abbricht, welche auch in der
Karlsruher nach Mone die letzten sind, nämlich:
(Fol. CXI recto, col. 1.)
de ist mir vo der güti din
vf dirr vert worden schin.
Beiträge zur Kunde deutscher Sprachdenkmäler in Handschriften. 281
Doch es wird gut sein, hier Hoffmann’s Beschreibung anzu
führen. An der oben bezeichneten Stelle heisst es:
N. XLVI.
Pp. XV. Jahrh. 124 Bl. spaltenw. fol. aus Ambras I.
Bl. 1»—111**-
Evangelien, frei bearbeitet im XIII. Jahrhundert:
Got ainig ewig alles gut
Sei vnd lip tut in behüt
vn alles vbel verren
beidü armen vn den Herren
den sinnriehen frowen u. s. w.
Ende:
Dü sinneelich gelihtet
jst vn doch so getihtet
Dz mit ir beden iung vn alt
Swe
Was hier Hoffmann für das Ende ausgibt, ist nichts als ein
Stück des Anfanges. Der Schreiber, wenn es nicht ein anderer war,
hat nämlich auf der Rückseite des 111. Blattes der Hs. eine Lese-
und Federprobe gemacht, und diese lautet ganz und vollständig:
ot anig
alles gut
Sei vnd
lip tu in
behüt
vnd alle*
verren
Gedurfent vnd lerren
den sinnlichen frowen
Swer E sich der frowen
du sinneelich getihtet
ist vn doch so getihtet
dz mit ir beden iüg un alt
Swe.
Dass diese Worte weiter nichts sind als disjecta membra poetae
aus dem Eingänge, leuchtet ein. Um aber den Beweis zu führen, dass
es keine Bearbeitung der Evangelien, sondern dieLegende derb. Maria
Magdalena ist, theile ich die Einleitung ganz genau nach der Hs. mit:
Got ainig ewig
alles gut
Sei vnd lip tut
in behüt
19
282
Jos. Haupt
vfi alles vbel
vcrren
beidu armen vfi
den herren
5 den sinnriehen frowen
swer sich der redd frowen
du rainechlieh gedichtet
ist vfi doch so gerichtet
daz mit in baiden ivng vfi alt
10 Swie ioch ir leben ist gestalt
Ehit witwan maeg knaben
wol loplieher mugent haben
frod vfi kurzewile,
dem diefel sus ze pile
15 zer laster vn ze schände,
sifjm in tütschen lande
wirt tihtent gedienet wol. (1. vil)
du Gottes minne twinge wil
mich vngelerten heben an
20 Beginnen dez ich nie began
So daz ich nit gelaussen mag
Swie daz ich tihten nie gepflag
durch Gottes lop vfi sei hail
Ich mus lihten vfi ain tail
25 dur des edeln herre nutz,
vfi gern für den vrdrutz
wend oft hören vfi sagen
jr gutes an der virtagen
daz si es den lesen sont
30 ob si getun it bessers mvnt
(Fol. I recto, col. 2.)
jn dörfern bürgen oder in stetten
vor siechen kinden vfi kintbette
dz wil ich sunder valschen tun (I. run)
dur got vfi och ze dienst tun
5 den edelan richan arman *)
die vs da sont erbarmen
jch main frowen vfi man
die bi in selten mugent han
die mess vnd die predien
*) ? Eine Anspielung auf F re i d a n k s :
Man sol sieh gerne erbarmen
über die edelen armen.
ed. Grimm 40, 15. 16.
Beiträge zur Kunde deutscher Sprachdenkmäler in Handschriften. 283
10 von den ewangelien,
die so die liohfart hat betrogen
dz si vs den stetten sint gezogen
vnd vf den bürgen staeteclich
Sint als si hant gevangen sich.
1.1 Sus wil ich mine sinne
in minneclicher ininne
arbaiten vn den mine lip *)
dur rainv mögt schonv wip,
durh alle tugenthaft man
20 och ich dez vnmus wil han
Nit langer wan die wil ich lep.
vn doch ain tail gar vnvergeb.
jeh wil ze miet hohen solt
dem riehen claider silber golt (l.denn riehiu claider)
2S dz edelest gestain
gelicher hart clain,
' Noch alles daz gelaislen
die richsten vn die maisten
die alten zv den ivngen
30 Mit handen zv den zvngen
weltliches gutes rumes mvget.
doch nieman hie dur sin tvget
der miet mir v’ziehen sol
wan manlich sin gelaistet wol.
(Fol. I verso, col. 1.)
Nu merkent wie dz well
Gesellen trut gesell!
den saelden richan guten
wil ich nit anders muten
5 denn daz si mir nvn schenken
ain andaehtig gedenken
zv Gotte minneclichen min
vn och dz si von mir vn in
Swa ma dis buch der saelde hört
10 jn den landen hie vn dort
wirt liorcnt vn lesent
die Got gebar magt wesent
die gnaden saelden richan
die schoenen minneclichen
IS die hobgelopten werden
des himels vnd der erden
Ursprünglich stand „sin“, das wurde unterpunctirt und „lip“ übergeschrieben.
Jos. Haupt
284
vn der erbaermde kvnigl
vn vser svnder suenerin
du zarten rainen sdessen
20 Gar trvweclichen gruessen
Mit zwain aue marien.
Sus von den ewangelien
wil ich nv tihten etewas
Swie doch genvge lute dz
2S Sprechen dz man nit enmvge
Minnen tihten ane lug
vnd fromd nüwe fdnd
vinden ane svnde.
Seht die gebursche giege,
30 all hie bewer ich liegen.
Ml herr sant augustinus giht
dz wir denn sunder (I. sunden) niht
So wir ie (1. iht) gutes stiftent
(Fol. I verso, col. 2.)
dz man in allen sriften
noch nie gehört noch gelass,
ob wir eht gutes etwas
da mit stette mainen.
5 Swer tuten vn erschaine
jch wil der hailigen geschrift (1. iht)
du löblichen vbertrift
vö schulden alle kvnst,
der sol der besten günst
3 der edelen hohgehorn han,
Sit dz sich ofte lieben kan
Sin luge die ze nihte
jst gut von Schone gedihte.
hie von mich dunket sicherlich
10 daz man wol solt löblich
oh eht dz wesen mohte
vn dem getihte tollte
mit edelem honig saime
Bestrichen billich aime
13 dz hertze zvnge vn munt
vf daz du warhait alle stunt
weltlichen hertzen suesten
vn in och lieben müesten
von des getihtes schonhait.
20 Swie dz ich noch hin vnberait
ze maisterlichem getihte
joch in der zuversihte
r
I
Beiträge zur Kunde deutscher Sprachdenkmäler in Handschriften. 285
der aellü ding mag vn kan
daz der im helf, heben an ')
(Fol. II recto, col. 1.)
In iesu cristi Gottes name
lesen hören alsamen
von Got vn Gottes tofer
der lebens vber lofer
S wil sin vn der frome (1. frowen) ml
Magdalenvn der svnderin
der leben svnder ist gewesen,
ain Vorbildung son wir lesen
den guten vn vs allen
l'O die in sund sint gevallen.
vil in latin geschribe stat
von in dz lutzel doch v*vat
vil menge frowen leren
daz si sich kvnnen seren
IS Nach irem senedem leben
dar vmb bin ich strebende
mit allen minen sinnen
dz ich dur Gottes minnen
ze trost vs armen luten
20 in rimen mvg es betüten.
Hie wider sint die viende
mit strauf mich anschriende
du weit d‘ tiefel vn der lip:
„a! anders dine zit vertrip!
2S du mäht es niht vollenden.“
vn went auch alles wenden
als si tunt vn och han getan
Swa man iht gutes hebet an.
vs leret Salomon von dv
30 hassen von allen dingen drv:
ainen lugenaren rieh
dem dv weit gelichet sich;
ainem alten tumben goch
dem ist gelich der tiefel och
r) Hier folgt ein Bild, einen Schreiber vor seinem Schreibtische darstellend, auf
welchem die beiden Verse eingeschrieben stehen:
In iesu cristi
Gottes na
men. Lesen
hören
alsamen.
Diese wiederholen sich dann Fol. II recto, col. 1.
286
Jos. Haupt
(Fol. II recto, col. 2.)
Swa wir des rede hören
die son wir bald stören,
ain hohfertig' arm man
bi dem wir sollint nv verstau
5 dez vil armen hohfart
dez libes des er nit hat von art
wan daz er erlenen müs
von dem hopt vntz an den fus
jn sich vm sieh an sieh.
10 Nu son wir stete vestenclich
den drin dingen wider stan
Sit si vs nihtes wend erlan. u. s. w.
Und so erzählt der Dichter fortwährend den Fluss der Darstel
lung durch allegorische Ausdeutungen und eindringliche Ermahnungen
an seine Leser unterbrechend das Leben Jesu und vorzugsweise das
Johannes des Täufers. Um aber von der Art seines thatsächlichen
Vorlrages eine Probe zu geben, tlieile ich folgende Stelle mit:
(Fol. XXVI verso, col. I.)
Johannes sus gevangen lag
da man sin wirs den vbel pflag
bis hotten wurden! vs gesent
hin vö heroden in de lant
(Fol. XXVI verso, col. 2.)
ain hohzit schrien,
dar kneh ritter vrien
Grafen fürsten herzogen
dur herodes willen zogen
5 Rilich sament solten
die hilf vn rates wolten,
drowen vn zarten
vm mer von im warten
hies er, vn doch sehen an
10 wie in geschaffen wz der man
vn si dar nach taetin
Gebüttin vn bettin
vii swel in nv in liessin
des soltent si geniessen.
15 er wolt in vmm’ mere
Bieten zuht vii ere
Raten helfen lihen geben
die wil si solten samen leben
wan er wolt sam er pflag
Beiträge zur Kunde deutscher Sprachdenkmäler in Handschriften.
20 Began sin gebürte tag
Mit vvnderlicher hohgezit
die gesellend e noch sit
Nie glich dekainv wart
vil bald rustent vf di vart
28 sich do begunden alle.
Mit maniger hand schalle
(Fol. XXVII recto, col. 1.)
von tamburen vn busunen
samet die lantbarunen
ze hof schon kamen,
do si du mär vernamen
S och kam mit ritterliche rotten
die herren als in wc gebotten
Gar rilich wol gezieret.
Gestochen geiustieret
wart von in allen vber al
10 so vil de es was an zal.
si tribent die malie
da herodes vn si amie
Mit hus wan gesessen
Bis de si ze abent essen
18 soltent vn wolten gan.
de beschall vn wart getan.
Die lierre kamen riche,
die andern houelich
ze hof do gegangen.
20 si wurdent schon enpfange,
vii nach der wirdi sin gesät
ward ie der man an sin stat
zu den riehen tischen,
da herodes entzwüschen
28 Gie vil wunder wolgemut
sam der will ze tisch tut
(Fol. XXVII recto, col. 2.)
der siner gest ist so gemait.
man sach da maniger han clait (I. hand)
der die gern name war (1. gern den)
vii in nach wan gevolget dar
8 sam noch die hübschen lut tunt,
vil gernder vor dem tisch stunt
die kurtzwil machetent. (I. machten)
die koch wunder trahtent (1. wunder trachten)
mit fromden bigerihten
288
Jos. Haupt
10 such man ze tisch rillten.
Do die geste wand gesessen
bi wol gemuten truhsessen
Mit wisen henden wol getwage
Man hört singen vn sagen.
iS der maister sang in ir selber liet
ze hof da die gern diet (1. gerndiu diet)
vn äugten dur des hertzen güst
da ie der man die sind kunst.
Tambur besvnen wc da vil
20 harpfen rotten saiten spil
vil giger vn zic tonen
Man hört süessen tonen
bis de herodes was gesessen
vn de man schier baib het gessen
25 do hiess herodes swigen
Mit tamburen harpfen gigen
(Fol. XXVII verso, coi. 1.)
die gerndcn all stille
dur ainer tohter willen
dii kam gegangen dort h'für
beklait mit ainen purpur
5 dar geprisen enge (1. dar in)
si was in rehter lenge
die herodiades e gewan
bi sinem bruder ir e man.
Daz killt wc zuhtig vn nit ze halt
10 Gar nah wünsch wol gestalt
vn vf berait nach welsche sitte
jm lang vil nah bi den ziten (1. lag)
ain gurtellin von siden smal.
es kam gegange in den sal
15 so rilich vn so wol beclait
de meniger iah: dis mentsch trait
ain bild als ain engel.
besenket sam ain sengel
von im da manig hertz wart.
20 es koppet in der müter art
an Worten werche manigvalt.
es waz gegen zwelf iare alt
vn des ich wenen wil
Manig all guppel spil
25 des man ze hof dik pfligt
Mit dem der ticfel angesigt
Beiträge zur Kunde deutscher Sprachdenkmäler in Handschriften.
289
(Fol. XXVII verso, col. 2.)
noch manne vn vrowen.
sus lie de kint sich schowen.
Mit ainer welschen gigen
gar minneclichen nigen
5 den gesten ez begunde,
mit lachendem munde
hies och de junkfrowelin
si sament wilkome sin.
dez ward im gnad vn dank geseit.
10 du tohter lenger nit v'meit
si lie die saiten dingen
och minnelieder singen
man hört vn süess notelin
si wilun schon zien dar in
15 als si die muter het erbetten.
Man sach sin riten vn trette (I. siu)
har vn dar vor den disch
die ivngen tohter vrische
sach man wilunt di videlun
20 hin legen vf ain sidelun
vn der rok zv ir twingen (I. den)
Für vn wider springen
sich prengen vn biegen,
bis das die tumben giegen
25 die da ze tisch sassen
jr selbes gar v’gassen
vn an sin so ergaffeten (1. siu)
de si enwistent waz si schattete.
(Bild.)
(Fol. XXVIII recto, col. 1.)
Do herodes dis ersach
er zu dem tohtelin erspeb,
wan es im was gevallen
bas denn den andran allen:
5 „Min trut bas kum zu mir!
Ich sol billich geben dir
von der hohzit gaben rieh,
zartu tohter minneclich
Mich dir ze geben nit bevilt.
10 nv aisch von mir swaz du will,
wiltu ioch halbs min l ieh
Ich gib dies aigenlich.
Daz kint kam froiiehe springe (i. springende)
290
.1 o s. II a u p t
(Fol. XXYI1I recto, col. 2.)
terent vn singen (I. derende und singende)
Mit welschen tritt® gahent (I. gehende)
vii do es im ward nalient (1. nähende)
jn Sprunge es sich vberwarf
3 vii iach: „lieb vatt’ ich bedarf
so disü red staet sin (I. so!)
de du de tust mit aiden schin.“
es traib so] vii der gogel für (1. so.)
de im der vetter tür swr
10 de er es nit entwerte
swes es von im ioch gerte.
Die herren losten alle dar
vii nam der red mit ernst war
och hetten sömelieh
IS si für ainen gemelich. u. s. w.
Aber gerade diese erbleichen am meisten, als bald darauf
(Fol. XXX verso, col. 1.)
Ddü schamlose tohter stunt
sam criemeh ilt du v’tan
wiplicher güti ane
S ain in dem sal entwüschent
enmitten gen dem tischen
daz blüt ir dur die hend’ ran
jr Gumphel für si began
teren singen aber als e
10 Mit wilden Sprünge sam ain re.
Da flüchten sich alle Gäste, Herren und Spielleute von der
Hochzeit, so schnell sie nur vermögen, und kommen erst spät wie
der zu einiger Besinnung, nachdem sie die Stadt schon weit im
Rücken haben und der helle Mond sie zur Vorsicht mahnt. Der
Dichter aber wendet seine Rede auf den h. Johannes den Täufer
zurück, und nachdem er ihn und seine Wirksamkeit als den Vor
läufer unseres Herrn mit allen neun Chören der Engel verglichen
hat, schliesst er das Buch auf folgende Weise:
(Fol. XXXVII verso, col. 1.)
4 Got kan si wol mit im begrsen
ain anväg in der mittcli
ain end ist er du titel
du Got tut stet merken
jn allen iren werken
vii niht wan Gott betütet
Beiträge zur Kunde deutscher Sprachdenkmäler in Handschriften. 291
10 svver sich sam dise v s nutet
der nahet disen proffen
Gotte den hant getroffen
die guten dort in himeirich
vn swer noch lept im gelich
15 ain werche vn an Worten
vn gar in selben störten
dur Got hie iiplich trost
mit in och wirt sus gekost:
kumen ir benedieten
20 swer svnd ägesigten
sich vn Welt versmaheten
vii si hie Got naheten
dis zwai verdrvkende
mit sei vn lip keiukende
25 si fürt Got zv im hin dar
vber vil der engel schar.
(Fol. XXXVII verso, col. 2.)
Den selben wirt och da gegeben
da mä nach so mä si hie sah lebe (1. da nach so)
von der Gottes magencraft
dort ewig gesellenschaft.
5 zu disen zil wir gaben
sont vii wir mit tugende nahen
jn vii du hertzen steken
dis sol vs stet weken
das dort ist nach kvnig dauitz sag
10 Tusent iar sam hie ain tag
der für gevarn ist gester
dis merkent bruder swester
.e. mentsch witwan rainv magt
vii arbaiten vnverzagt.
15 Das wir Got frolich vinden
Mit sinen liepsten kinden
des helf vs Gottes güte
dv rain vs nun behüte
Mit mitwishait vii gewalt
20 vii vs mit im behalt
mit sei vn dem lichame
In Gottes name. amen.
Nachdem der Dichter auf diese Weise den ersten Theil seines
Werkes, das Leben Johannes des Täufers zu „überlaufen“, voll
endet hat, lieht er den zweiten Theil also an, indem er auf den
Eingang seines Gedichtes anspielend sagt:
292
Jos. Haupt
(Fol. XXXVIII recto, col. 1.)
Wir sont in Gottes
frid gan. da wir
iesum hant gelan
da ainig ewig al
les gut der sei be-
gird engels müt
5 Mag an trösten setten.
bald allu ding vf ietten (1. vz)
wir sont vn von dem herre trome (1. herzen)
dur de wir mvgent sin bekomen.
Nu ratet mir daz hertze min
10 sit an furkome gnad sin
Nieman sin bekomen mag
vn wid* so inanigen wider slag (1. wir)
haben von svmen dingen
daz min gebet sol dringen
15 bin zv den himel porten
Nach gnadenrichen Worten
Raessen vn possen.
Mit minen siinde grossen
dur de er Got gnadeclich
20 Geruch als si furkome mich
so de ich armer vs gelegen
sö lieh red du bewegen
jm ze lob vn vs ze froinen
dii hertzen vn. vn wir sint bekome
(Fol. XXXVIII recto, col. 2.)
Wan aber wir selten dem gerich
lat nieman ab wan süene sich
dur daz ich kom ze hulde
so wil ich stan in schulde
5 Gen dir vm mine missetat.
Got hie nah gescriben stat
swie de nv si vil böser ich
doch wil ich sprechen im gelich
Got ich bin sam der sinder
10 Miner svnd kvnder
der hinder in den tempel kam
vn dich nit torst sehen an. u. s. w.
Jetzt führt der Dichter weiter aus, dass er bisher als „ein räu
diger hund sich auf der Welt haide herum getummelt habe, als ein
des Windspiel, statt auf himmlischen Spuren gleich einem leit-
Beiträge zur Kunde deutscher Sprachdenkmäler in Handschriften. 293
hunde vtid edlen brücken zu jagen“. Gelebt habe er bisher, erzählt
er weiter, so wie der verlorne Sohn, und er stellt nun dessen Ge
schichte mit allen Farben seines Zeitalters ausführlich dar, bis er
endlich die Anwendung auf sich macht und folgender Weise den
Eingang des zweiten Buches scldiesst:
(Fol. XL1I verso, col. 2.)
Sus ich der knab güdig
bin schebig vn rüdig
Gesin von miner sund.
Swa ich hilf fünd
ä dar solt ich illen, taet ich reht.
sid ich gesin ain frowe kneht
bin der bösen weit
du mich mit versen gelt
So menigen me beraiten wi).
10 Si vn der buben tüfel spil
enblozent hant mich miner hab
de ich in enwedrar hant nit enhab.
Dar vf si stalt als ich spür
wie ich die mine zit v s lur
15 so de ich si mit im vertrib.
des si mich herre schuldig gib (I. ich)
de ich vertan han mine zit
mit in de mir gar swär lit
wan cs ist ain de beste
20 dez ich die swin nu meste
dem tiefel hie dem burger
die wil ich hohvart beger
vn zerganklicher dinge.
(Fol. XLIJI recto, col. 1.)
Swi vil ieder man nv bring
ze sament, ich armer gitsak!
so sag mir doch ir aller smak (1. mag)
Niht die begird setten.
S du wellist mich denn retten
so verdirb ich vnder swinnen
du man hört rvheln vn grinen
Nach grdsehen den agswinnen (1. aswingen)
zerganklicher dingen.
10 Sie bi der weit volter tröge
jeh han gevolget dine zog
so lang vf dirr waid
dz worden mir ze laid
294
Jos. Haupt
ist bedü leben vnd lip :
IS du weit de trugenthaft wip
wil min enkain gnad han
dez mus ich als dz vih gan
genaiget de ich melde
ze haltz vn ze velde: (1. holz)
20 Ich han ze vih wirde
swen ich der sei begirdi
ker Got von dir hernider.
Sit ich daz wais so wil ich wider
zu dir keren als der knab,
25 mich tun oder ding ab
der doch mag werden niermt sat.
(Fol. XLIII recto, col. 2.)
5
10
15
20
25
vn wil dich bitten sam er bat
Mit rvwigen gedenken
jeh künstlicher kranke (? kunstloser)
Swi ich vor vn in dem himel
Gesvndet han de ich der schimel
dins frolicham nit wirdig si
sam die sint aller svnden vri
doch hilf mir de ich mit beiagt (I. mich beiage)
de ich enphalh alle tage
als ainer diner kofmanne
der mit allem de er danne
hat vri mag gewinnen
dez besten wil ich beginnen, (ich del.)
Nu haissent hie du kerubin
mit wishait claiden mine sin
die din kneht sint genant.
ain vingerlin gib miner hant
hie dirre red ich maine
mit ainem solichem staine
de wir von ir vs heften
an dich mit allen creften
sit du vs hast gemclet dich ir (1. dir)
so flieg daz von ir
min frow weit versmahet
werd vn zu dir gäbet
de daz geschehen muss
vns der begird fuesse
(Fol. XLIII verso, col. 1.)
Mit toten hiitten claide
vf dirr iamer waid
Beiträge zur Kunde deutscher Sprachdenkmäler in Handschriften.
295
de wir nit langer biten
wir durstenclichen schriten
S zu dir mit disen sehritschun
so de wir dinen willen tun.
Mit dirr red vs herre twing
de allü süntlichü ding
von ir in vns ersterben
10 vn wir mit vs ir erwerben
dich Gnadenkalb de vaist
so de si dich nv raisse
ze vatterlicher güeti
vn mach de in blüelte
IS der mut von rebter rvwe.
jn vatterlicher triiwe
so gegen dem knaben gahen
vn vs sam in enphahen.
och mach vs hie so tugenhaft
20 de wir mit im die Wirtschaft
jn frdden fro früliche
dort niessen ewencliche
Got vatler svn halige gaist
sit du die mainüg ainig waist
28 du mich zv disem büch twang
sin ende mittel anevang
(Fol. XLIII verso, col. 2.)
so hab in diner pfliht
swie du wilt es riht.
jeh tun dir vf hertz vn sin
vn wil nit wan ain stimm sin
S der in geformet vn gelait
daz ist dz si denn für baz frait.
Swaz du nv wellist dz ich sag
die güti mir ze bertze trag
vn Gib mir wishait vn mahl
10 de dis büch werd volbraht
dir ze löblich lob
vn als ain violiner clob
Für nesalan in dem mertzen
es smakent rainv hertzen.
IS Für wigolcis tristanden
jn megten witwen banden
den vsser weiten dinen
ez tu lutzellig schinen, (1. liutsaelic)
och bit ich armer menseh dich
20 dz din gnad furkomenlich
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXXIV. Bd. II. Hft.
20
296
Jos. Haupt
jn allen saclien mich vesehe.
de aber mir daz nu bescheh
dez wil ich bitten all die
die mit mir in eilend hie
25 Noch wallen vn bengeln
mit hailigen vn mi engein. (1. mit)
Nu dar mins inren hertze trost
(Fol. XLIV recto, col. 1.)
sit du mich hast dik erlöst
von noten sorgen grossen
für ander min genossen
muter magt rnarie
5 du bist gesin min verie
jn disem grvndlosen wag,
da inne ich kan dar vs ich mag
gewatten noch geschwinmen,
noch vber dz stat vf climmen
10 dez ich vil nach bin v'iag. (1. veriagt? verzagt?)
Frow mflter vn magt
es ist ze hoh ze tief ze prait
dz werch dz ich han für gclat
hie minen kranken sinne.
15 din hülf kvniginne
mir send wilosen man. (?willosen? witzelosen)
wan ich mich nit v‘richte kan
Getrvwe muter ane dich
so bevilh ich svnderlich
20 dir sam Gottes persone drin
end mittel vn beginn
8 alle minc Sachen.
och soltu frow machen
dz Got mir wishait send
25 sit er dur din hende
Git swaz er gutes eimä ^
° mag.
daz nv erlvhtet mine müt (1. erlühten)
(Fol. XLVIII recto, col. 2.)
Jesus din svn gerüch,
so de von disem buch
dir vn der trievaltikait
werd lob vn ere gesait
5 engel vn hailigen frod enpfan
vn die güten hie gestan
vn wir svnden applas
erwerben, de bescheh dz
Beiträge zur Kunde deutscher Sprachdenkmäler in Handschriften. 297
des bit ich magct mvter
10 wan swaz tu wilt de tut er
dz ich dis ander buehelin
vf gnad din die guti sin
hie 1 pflanze vn zwie
sus iesus vn marie
IS wil ich ez kunstloser man van
jn vwer baider namen an.
Hierauf erzählt der Dichter, wie Jesus in der Wüste vom Teufel
dreimal versucht ward; nur mit einer Sünde habe es der Satanas nicht
gewagt, dem Herren nahe zu treten, nämlich mit der „unkiusche“.
Indem der Dichter seine Leser aufmahnt, sich gegen dieses Laster
besonders zu waffnen und sich in die Wüste ihres Herzens aus der
Welt zurückzuziehen, entwirft er ein Gemälde von dem „unkiuschen“
seiner Zeit, das wohl auf alle Zeiten passen wird, und nennt scho
nungslos Alles beim rechten Namen. Aber auch der „git“ drängt
die Menschen aus den „Ringen der gerechtikait“, und wenn der
Dichter bei den Unkeuschen nur „Die müesigen die glatten begin
nen, vil herren, die dac erütze tragent“ und Pfaffen im Allgemei
nen erwähnt, so erhebt er jetzt seine Stimme und nennt gleich die
Päpste und Könige voran.
(Fol. XLVIII recto, col. 2.)
2 Seneca sprichet de der git
Grvnct wahset alle zit
dannoht so alle vntugende
5 altent, de er ist ivgende,
des solten vrowen herren fl. selten)
verderbent vn gederent (1. verderben vii gedorren)
munt sinen grvnne stammen,
och sint von sine flammen
10 baidü frowen vii man
windes halb gestossen an,
vn brvnnent sam ain schüre
tut vö wilden für.
Diz ist ain red nit gespelt
15 vol ist si iezent all dv weit (1. sin)
Git tut die bähst an ander van
ze tot an ander kvnig slan,
vil der beschornen fürsten
Git tut nach gut dursten
20 so de ir wenig keiner hat
liuscr in siner hobstnt
20*
298
Jos. Haupt
man siht si vs dem land vliehen.
Git lat sich weder geben noch zihen
wan de si mvgent nit gehaben
25 da siht si die Gottes gaben
den kinden frunden schaffen
vn vnwirdigen pfaffen
der dii weit noch gar genüsset. u. s. w.
Alle geistlichen und weltlichen Stände und Orden geht der
Dichter sodann durch und weist allen die schmachvollste Habsucht
als die eigentliche Triebfeder ihrer Bestrebungen nach. Nach einer
gründlichen Ermunterung sich aller „eigenschaft“ zu hegeben, er
zählt er die Berufung der ersten Jünger und die Hochzeit zu Cana.
Alles unterbrochen mit allegorischen Auslegungen, wie denn z. B.
die sechs steinernen Krüge, in welchen Wasser zu Wein verwan
delt wird, die sechs Weltalter bedeuten. Nun fahrt er weiter fort,
welche Jünger zuerst erwählt wurden, und wie das Volk unserem
Herrn nachfolgte, seine Predigten zu hören, und wie damals viererlei
dem Herrn folgten, so noch jetzt.
(Fol. LI verso, col. i.)
20 Doch vierhant lut zer p die küt (I. Noch)
der svnd daz er da gesunt. (1. Sünder)
der gut de er werde
da besser dv gevarde (?)
Gant och summelich dar
25 ob dem predier einphar
ain wort da mit si in gevan
Mun vn da mit vme gan
(Fol. El verso, col. 2.)
vil herren vn frowen
dar koment oeh dur schowen
vn de si wendent da gesehen,
swa ain Gampittel sol beschehen
5 de gottes lius sol buwen
der tüfel tut geschrvvven
dar wilunt ain turnai
er wil han den gemaine sray
an predien vn ze kappitel.
10 er vrilich in der mittel
Mit siner panier haltet
des meres tailes er denn waltet.
Swa man mit gute w'ehen sus
Beiträge zur Kunde deutscher Sprachdenkmäler in Handschriften. 299
Noch Go bvwen wil ain hus (I. Got)
iS dar gegen rihtet nv si do
der tievel vf sin ebenhoh
dez siht man frowen vn man
zer kilchen vn zer predie gan
Gegestet als an ainen tantz.
20 du claider hant so lange swantz
dz man si kvm mag getragen,
dez siht man wilüt aine wagen
sich balder vm keren
denn vrowen alze herren.
2S Ain alt krank frow gut
trug hie vor ainen kvgelhüt
für den vrost ze winter zit.
(Fol. L1I recto, col. i.)
so ist nv kome ain ander sit.
die guten die gant ane
sit hohvart dv v’tane
die ivngen machot also krank
5 de si vch kvgelhvet lank (I. och)
Tragent die grosten hitze.
Ich wenne och menge hwitze (1. waene och menge switze)
in sugin cursat mantel ve
dz es tut sei lip gut we.
So geht der Dichter die Moden und Modesitten seiner Zeit
weiter durch, bis er sich besinnt und die Wandelbarkeit des mensch
lichen Herzen als die Quelle aller dieser Veränderungen ansieht.
(Fol. LII recto, col. 2.)
25 Nu hüet ich frowen vaster (1. iuch)
wan svnd schad laster *
wabset hvr me denn vernt
(Fol. LH verso, col. 1.)
von dingen der si da begerent
Ir raine wip ir werde man
Sit hertz nit gervwen kan
in libe kain wile
5 es bald furbas ile
so son wir mit de besten
es creaturen mesten
Swen ez sich wil entwüchen (I. entwischen)
die creaturen mischen.
10 des wil ich furbas schriben
Sit niendert cs beliben
iE.
HHH
300
J o s. H aupt
kan vn an wanlung lit (1. Wandlung.)
dez hertzen frod in dirre zit
vn daz wir trurig vn vro
15 sin von natur vn leben so
de wir vns nit gedruken
Müt, vn sogar versmvken
dz hertz wel wilent varn
vn wunneclicher ding warn.
20 Nu wil ez diz vn morn de
liet lob blumen vn gras,
nach wünsch in dem gemüete
sam er in rosen wüete (1. ez)
der zit in suessem mayen
25 die Gylien viol glayen
die gelten zitlosen
bi wisen roten rosen
(Fol. LI1 verso, col. 2.)
jn garten matten owen
von dem süessen towen
dez mayen da genetzet
vn het es sich gesetzet
5 vf ainen kvlen prvnnen
der schatten vn svnnen
Gar nach dem wünsch bette
von lob vn bhiender wette
der riehsten vn die besten
10 Mit dem der maig gesten
kan berg vn dal haid vn walt
vn hört ez wise manig valt
da vogel süesse singet
vn ob es sehe dringen
IS die blumen also wunneclich
Binii. vn ver alvmbe sich
vf der haid dur das graz
vö dem füessen tow naz (1. süessen.)
dar in die svnne glentzen
20 die bollen sich engenzen
der zitlos dur den kle
die viol rosen gamandre
vn meniger lay blumelin
enpfah der liebte sunne schin.
28 Dis offen die beslossen
vö tow gar begossen
Baid haid vn anger
Beiträge zur Kunde deutscher Sprachdenkmäler in Handschriften. 301
(Fol. LIII recto, col. 1.)
dir. kurtzer vn die langer
vil maniger hand sere (1. sete)
Mit zv laus vn gerete
bi wunneclichen owen
5 Gras Grveni moht schowen
es vf dem witen velde
von diken grienen weiden
da vil der vogel svngen
vn vs den felsen klungen
10 jn der vil minneclichen zit
die Got dem süessen maye git
Vil brvnne rvnsen bechen.
wil ich die warhait sprechen
so vil der wol gemvte gibt:
1H ze langer zit es vrowt niht
so man da nit schowen (I. sol)
Rain schön frowen
wis tugenthaft man.
Des siht man riten vn gan
20 vil menigen wol gemvten
vor svnden doch behveten
zu offenen prvtlofen
den pariamenten vn den hoefen
wan si da bekome mugent
2ä Schonv wishait vn tugent (1. Schoene)
Mit den du werd mentschait
von allen dingen ist beklait.
Aber weit über den Hof des Königs Artus, über die Wunder
Alexander’s und manches andern Kaisers und Königs, zu erheben und
zu rühmen ist der Hof und der Brautlauf da zu Cana in Galilea, weil
Jesus selbst und seine Mutter Maria ihn ihrer Anwesenheit würdigten.
Vor allem strahlte die Braut auf dieser Hochzeit, eben die, von wel
cher der Dichter jetzt anhebt:
(Fol. LV verso, col. 1.)
27 Alles dez gedöne
de ie von allen saiten dank
(Fol. LV verso, col. 2.)
der lut vnd der vogel sank
Noch weder frowen grueze (I. werder)
Mir wurd nie so sdeze
So der vil minneclichen obname
Swa noch dv werd wunnesame
3Ö2
Jos. Haupt
andahteclich genemet wii’t
Man all svnd da verbirt
ze tvgent si empört
dem der si nemmet höret. (1. den)
lip vn dv sei beide
Nie besser ogenweide u. s. w.
Nachdem er sie nun abgeschildert nach allen ihren leiblichen
Vorzügen, denkt er auch daran Zusagen, wie Tugend, Schönheit
und Weisheit die Fülle an ihr waren; auch von ihrem Geschlechte
wird er versuchen zu erzählen:
(Fol. LVII recto, col. 1.)
13 Swie de ich sam ain glerieb (1. griebe)
dürr bin an rehter kvnst
IS do hat si so die minne gunst (1. doch.. mine)
dz ich ir aller eren gan.
kvnd ich swas ieman gutes kan
vn aller maister maisterschaft
de weit ich geben samenthaft
20 ane mez mag vn ane zal (1. wag.)
Mit gutem willen vberal
Ir ze seiden eren lobe.
Nu mag man spreche de ich tobe
sit ich nit so vil kvnst habe
23 sam ain maister lernknabe (I. minster)
doch tun ich ez vf den dank
de man bi süesser vogel sank
Mus hören in dem flosch
recto, col. 2.)
die monne vn die vrösch
vn die warhait bi lvge
die lerchen mit guge
der vs lat in gemaine schal
so dii liep nahtegal
büchvinken zinsel distel zwank
erschellent singent süesse sank
Mit dem werden kalendare (1. kalandere)
de nv vil maister andere
des bin ich wol verslihtet
hant die vil bas getihtet
Gesprochen vn gesungen
Mit ir gesprochene zvngen
die ich ain groser kvnste mir (I. an)
Gelichv nv sam aine gir (1. gelichc)
(Fol. LVII
S
10
13
Beiträge zur Kunde deutscher Sprachdenkmäler in Handschriften. 303
der clainen grasmvggen
doch sam des goches gugen
vn der monne in den mos
man in gedult der red los
20 vn des vil Salden riehes mers. u. s. w.
Mit dem IS; Verse dieser Spalte beginnt nach Mone’s Bericht
die Karlsruher Handschrift. Ich glaube somit genügend nachge
wiesen zu haben, dass die oben bezeichnete Wiener Handschrift
Nr. 2841 wirklich das Lehen der h. Maria Magdalena enthält. Oben
wurde versprochen, die Lesarten zu dem von Mo ne bekannt ge
machten Bruchstücke mitzutheilen; ich thue es um so lieber, um
einen Anhalt zu haben für das, was ich weiter unten von dem Ver
hältnis beider Handschriften bemerken werde. Auf Unterschiede
in der Schreibung habe ich weiter keine Rücksicht genommen; die
Zahl bezeichnet den Vers in Mone’s Bruchstück, dasselbe beginnt
in der W. H. fol. 62 verso, col 2.
591 besitzent noch betwingen. 592 man gang. 594 ob vf...
fluch. 595 lantstrasa. 597 an bruggen. 598 gewelten sfainen. 602
brugg. 603 vigenden. 608 brugg. sturn. 611 tiefer slugg. 612 ist
uf. 617 in vser. 619 bi rure. 622 Swen ie. 623 ir ains. 624 alsam
er. 627 magdalun. 631 getregtes. wol. 633 nit. 638 niedert. 640
sam ez. 642 vn swa. 648 schiffrichs. 649 Gekrumbet sam. 651 ob.
653 vol. 654 drie sum. 660 Iongner. 663 mag fehlt, mit enkainen.
664 ist so sinnewel. 665 daz rotte sneggen tumbeler. 667 fehlt.
669 Gar aigenlichen wern. 670 das zweite so fehlt. 671 wert.
674 als ie kain blid. 675 Magdalun. 677 in all der. 678, 679
knehten: mehten. 6S0 Noch mvgent minrn in geschade. 684, 685
zwrg: bürg. 685 magdalun. 686 ist fehlt. 688 nvt. 689 si iemer.
692 man sol. 693 inwendig. 696 so de. 708 so vil dik. 709 de
nieman das dar vf kome. 710 dur de der. 712 vor hinder vn ene-
bent. 713 sam. 715 selb vs. 716 fehlt. 723 Gan. 724 des. 729
dez vih lut sollint leben. 730 Daz. 732 olei. 734 Magdalun. 737
säst. 741 fehlt. 743 koch brvnne. 744 magdalvn. 745 twinget.
746 samet. 748 dar vf. 749 wig s . 753 ald. 755 gewangen. 756
visehen. 758 wiger ist so visrich. 761 lieder. 762 nie. 763 doder.
764 Gewunn. 765 waid. 769 aycliern. 771, 772 sind umgestellt
durch einen Fehler des Schreibers, die. 773 ich vindeu.
775 de. magdalü. 778 sinnelti. 779 wilunt. 782 allem lande. 783
vasande. 786 swaz. 787 es die da. 793 die. 801 derselb. 804
304
,1 o s. H n u p t
honig. 803 binf. 806 ain valtz. 813 edes. 814 es fehlt. 820 nach
wünsch. 823 sie fehlt, gelich fehlt. 824 getempert. 823 wenn
fehlt. 828 wind fehlt, beschach. 829 was wetter. 834 schönsten.
836 statt wisen steht matten. 837 velden. 838 aller. 839 vn
gälten. 842 sterki. 843 gemerki. 847 dar zv v'lvwen. 848 bürg
lehene. 849 zehene. 833 tagelich. 836 niedert. 861 da dringent.
862 mertze brvnne. 864 ald vnder. 863 wan der. 878 der neben,
vn vornen. 884 vn oder swainet. 883 verainet. 886 appenteger.
890 sund s mies. 900 da sotnme sint da fberzinet. 908 menigem.
913 knehten. 917 baitze. 919 man höret dus vh ieger schal. 920
lut fehlt. 922 edeln wilbraetes. 924 hertze. 923 Swas man darf vö
ertze. 928 da sunder twal. 929 kupfel stal. 934 wolgehafte. 933
hafen. 938 hafen ziegein. 939 ain vsserwelten spiegeln. 940 iehen.
Die Kenner werden aus den mitgetheilten Stücken auf den
ersten Blick ersehen, dass Mo ne und H offmann von Fallers
leben vollständig im Unrechte sind in diesem Gedichte, damit wir
es so nennen, ein Werk aus besserer Zeit zu sehen, dessen Sprache,
Reim und Vers nur durch die junge Abschrift verdorben sei. Beide
sehen darin eine Arbeit des XIII. Jahrhunderts, aber sie wird wohl
nach der Mitte des XIV. Jahrhunderts entstanden sein, wo nicht erst
um das Ende desselben. Den Anhalt zu dieser Bestimmung gewähren
die Verse fol. 48 recto, col. 2, Vers 15 — 22:
vol ist sin iezt al diu weit.
Git tuot die bepst einander van,
ze tod einander künege slän.
vil der beschornen vürstcn
Git tuot nach guote dürsten;
so daz ir wcnec, keiner hat
hus in siner houbetstat.
man siht sie uz dem lande vliehen.
Das ist offenbar ein Gemälde jenes Jahrhunderts, das schon in
seinem ersten Viertel die Gegenkönige Adolf von Nassau und AI-
brecht von Habsburg, im zweiten die Gegenkönige Ludwig von
Baiern und Friedrich den Schönen um die deutsche Krone in blu
tigen Kämpfen sich einander aufreiben sah. Allein nicht die Könige
allein schlagen sich aus Habsucht einander todt, auch die Päpste
fangen einander desshalb, und dies kann nur auf die Zeit nach 1378
gehen, in welchem Jahre neben dem italienischen Papste Urban VI.
von den französischen Cardinälen auch Clemens VII. erwählt wurde.
Beitrage zur Kunde deutscher Sprachdenkmäler in Handschriften.
305
Dass aber diese Legende nicht dem XIII. Jahrhundert ange
hören könne, beweist auch die Sprache, und nicht dass mir unbe
kannt wäre, wie auch zur Blüthezeit der höfischen streng mittel
hochdeutschen Dichtung die geistliche und zwar so weit sie von
Geistlichen gepflegt wurde, den angebornen Mundarten einen sehr
bedeutenden Einfluss gestattet hätte, so wird den Kennern aus den
oben reichlich mitgetheilten Bruchstücken klar sein, dass wir es hier
mit einem bereits stark alamannisch gefärbten Werke zu thun haben.
Denn auf schweizerischem Boden muss der Dichter gesucht
werden und zwar in der Nähe des Bodensees. Unter den seltneren
Worten nämlich, die ihm als auch anderen alamannischen Autoren
eigentlhimlich sind, zeichnen sich besonders einige durch ihre sehr
grosse Seltenheit aus. Vor allem rechne ich dahin: flösche = pfui,
monne = unke, zinsel = zisec und distelzwang — disfelfink.
Flosch verzeichnet Graff III, 733— 734, und zwar auf fol
gende Weise:
Flusc. m. lucus H. 4. fluxus Ib.
Framfluse. m. d. s. framfluske profluvio. Ib. Rd.
Mereflosg, aestuarium maris. Bo. 3.
floskazjan
floskenzent (sic) Ra. ) ..
Da nun Ib. — gloss. Juni; Bo. 3. = Boethius sangallensis 823;
Ra. = Glossen aus dem Reichenauer Codex (111) zu Carlsruhe(183);
Rd. = Alphab. Gloss. im Reichenauer Codex 86 zu Carlsruhe; gl. K.
aber = dem sogenannten keronischen Glossar, wird die Heimat des
althochdeutschen „flosk“ zwischen St. Gallen und Reichenau zu be
grenzen sein.
Weder Beneke-Müller’s mittelhochdeutsches noch Frisch
deutsch-lateinisches Wörterbuch wissen etwas von diesem Worte,
auch nicht Schmeller, wo er Bd. I, S. 394 die Floschen, Fisch-
floschen anführt als = mit Flossen (d. i. pinna). Schmidt im schw.
Wörterbuch führt S. 197 flösch als Adjectivum mit der Bedeutung
schwammicht, fett, von Fleisch und Menschen, als im Schwarz
walde gebräuchlich, an.
Stalder aber in seinem Versuch eines schweizerischen Idio
tikon Bd. I, S. 382 führt auf: „Flesch, Flösch, m. Grube, wo sich das
Regenwasser sammelt um das Vieh zu tränken, besonders auf einer
306
Jos. Haupt
hohen Alp, wo man kein Brunnenwasser hat, eine Art Cisterne“, als
in Unterwalden ob dem Wald und im Berner Oberlande gebräuchlich.
Wie streng auf alamannischen Grund und Boden das Wort
„flösche“ beschränkt ist, sieht man; noch strenger ist dies der Fall
mit dem Worte: mone, oder wie der Legendist schreibt: monne.
Weder alt- noch mittel-hochdeutsche Wörterbücher kennen es, auch
nicht Schmeller oder Stalder; nur Schmidt in seinem schw.
Wörterbuche hat S. 390: möhnli, n. unke, Hebel. In den Wort
erklärungen, welche hinter dem 2. Bande der sämmtlichen Werke
J. P. Hebel’s (Karlsruhe 1834. 8°.) alphabetisch geordnet stehen,
heisst es S. 280: Möhnli, Unke. Maifröschen (? Maifröschchen) von
Moen“, d. i. Mone, ein in Schwaben bekannter Geschleclitsname.
Zu zinsel = zisec schreibe ich blos die Stelle aus Schm ei
le r’s baierischem Wörterbuch Bd. 4, S. 273 her: „Das Zeinslein
(Zei'sle), schwäbisch der Zeisig, auch bei Pictorius das Zinszle“
. . .. Dagegen gibt das Cgm. 649, fol. S87, zinslin für strix noctua.
Über distelzwang — distelfink verweise ich einfach auf
Grimm’s Wörterbuch 2, 1197 unter distelzweig.
Das dürfte hinreichen, um dem Zweck dieser Anzeige entspro
chen zu haben. Über das Verhältniss der Wiener und Karlsruher
Handschrift zu sprechen scheint unthunlich, da nur ein kleines Stück
zur Vergleichung vorliegt, aber schon daraus geht deutlich hervor,
dass beide einer gemeinsamen Vorlage folgten, die aber bereits am
Ende verstümmelt war. Oder sollte der Dichter sein Werk nicht zu
Ende geführt haben? Das ist kaum glaublich, eher, dass die Ab
schreiber ermüdeten, sein auf alle Fälle umfangreiches Werk in
vollständigen Abschriften zu verbreiten.
Auf alle Fälle verdient es aber gedruckt zu werden, schon
wegen seiner Wichtigkeit für die alamannische Mundart, die wohl
wenig Denkmäler mit einer solchen Fülle seltener Worte aufzuwei
sen hat; in dieser Beziehung steht unser Leben der h. Magdalena
nur dem Leben der h. Martina Ilugo’s von Langenstein nach, über
trifft aber weit den Walther von Rheinau. Mit Hugo von Langenstein
theilt unser Dichter die Vorliebe für Allegorien und moralische Nutz
anwendungen auf seine Gegenwart, mit Walther von Rheinau eine
Reihe grammatischer Eigenheiten, deren nicht die geringste ist,
dass er „salben“ stark conjugirt.
Ernst Brücke, Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache. 307
SITZUNG VOM 25. APRIL 1860.
Herr v. Karajan zeigt als Präsident der historischen Commis
sion an, dass Herr Dr. Theodor Wiede mann an dieselbe einge-
sandt habe: „Das Nekrologium des ehemaligen Augustiner-Chorherrn-
Stiftes St. Pölten.
Vor gelegt:
Beitrüge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
Von dem w. M. Ernst Brücke.
Im Jahre 1850 habe ich eine kleine Schrift unter dem Titel
„Grundzüge der Physiologie und Systematik der Sprachlaute für
Linguisten und Taubstummenlehrer“ herausgegeben 4 ). Als ich bei
Ausarbeitung derselben die Materialien für die Behandlung der Laute
der arabischen Sprache sammelte, konnte es mir nicht verborgen
bleiben, wie sehr dieselben einer gründlichen physiologischen Bear
beitung bedürftig seien. Ich selbst war damals bei meiner völligen Un-
kenntniss der Formen jener Sprache zu einer solchen nicht befähigt
und musste mich desshalb auf einige fragmentarische Bemerkungen
beschränken, welche sich theils hei der Beobachtung und Nach
ahmung der einzelnen Buchstaben, wie sie mir vorgesprochen wurden,
darboten, theils aus den Werken Anderer, namentlich aus Wallin’s
grosser Abhandlung, gesammelt wurden.
Ich will jetzt versuchen das Versäumte nachzuholen. Es haben sich
nicht uur meine eigenen Kenntnisse durch den Privatunterricht eines
*) Wien, bei Karl G ero I<1 ’s Sohn.
geborenen Aegyptiers, des Herrn Anton H assan, Lehrers des Vulgar-
arabisclien am hiesigen polytechnischen Institute, gebessert, son
dern es ist auch neues Material zugewachsen, indem Czermak die
Mechanik der Kehlkopflaute Hamze, und 4 mittelst des Kehl
kopfspiegels direct untersucht hat 1 ); so dass unsere Kenntnisse von
ihr jetzt diejenige Genauigkeit besitzen, welche eben nur der un
mittelbare Augenschein gewährt, und welche man auf indirectem
Wege vergebens angestrebt hatte. Da wo ich mich in den folgen
den Blättern in Hinsicht auf Kehlkopfspiegelbeobachtungen auf eigene
Anschauung berufe, verdanke ich die Gelegenheit zu solcher gleich
falls diesem meinem geehrten Freunde, indem ich wegen zu grosser
Reizbarkeit meiner Rachenschleimhaut nicht im Stande hin, derartige
Versuche an mir selber anzustellen.
Meine Angaben über die Aussprache beziehen sich, so weit ich
mich auf eigene Beobachtung stütze, auf den Dialekt von Kairo, der
Vaterstadt meines Lehrers; wo ich etwas über andere Dialekte oder
die alte Aussprache aussage, geschieht es auf Grund von schrift
lichen Zeugnissen, die ich dann auch ausdrücklich anführe. Die halb
singende Aussprache der Koranleser habe ich, obgleich ich Gele
genheit hatte sie kennen zu lernen, nicht besonders berücksichtigt,
da ihre Eigenthümlichkeit offenbar nicht auf dem natürlichen Boden
der Sprache gewachsen, sondern für die Zwecke des mohammedani
schen Cultus künstlich entwickelt worden ist.
Was die Literatur anlangt, so ist Wallin’s Abhandlung,
von der unterdessen der zweite Theil sammt Nachlese zum ersten
erschienen ist, noch immer meine Hauptquelle geblieben, und ich
werde, indem ich so oft genöthigt bin, sie zu citiren, stets nur
Wallin's Namen nebst zwei Zahlen anführen, von denen die
römische den Band der Zeitschrift der deutschen morgenländischen
Gesellschaft, die andere die Seitenzahl anzeigt.
Bei dem Leser muss ich die Kenntniss meiner oben erwähnten
Schrift voraussetzen, nicht weil ich ein Recht hätte, solche zu
erwarten, sondern lediglich desshalb, weil es nicht nur unpassend,
sondern geradezu gegen die Gesetze unserer Akademie sein würde,
*) Job. Czermak, Physiologische Untersuchungen mit Garzia's Kehlkopfspiegel.
Sitzungsberichte der mathem. naturw. Classe XXIX. 007. Derselbe: Der Kehlkopf
spiegel und seine Verwerthung für Physiologie und Medicin. Leipzig 1800.
Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
309
wenn ich hier wiederholen wollte, was erst in einer Zeitschrift 4 ),
dann in einem eigenen im Handel erschienenen Büchlein gesagt wurde.
Wenn ich mich noch hie und da der Bezeichnungsweise, die
ich in demselben anwendete, bediene, so geschieht es sicher nicht,
weil ich sie für gut halte. Ich habe schon früher gesagt, dass ich
sie nur wählte, um den Druck meiner Arbeiten nicht zu erschweren,
und jetzt muss ich auf sie zurückgehen, weil ich noch nicht dazu
gelangt bin, eine bessere, die ich seit längerer Zeit vorbereitet habe,
in die Öffentlichkeit zu bringen. Dass ich mich in den Fällen, in
denen die deutsche Orthographie nicht ausreichte, nicht an eine oder
die andere der von Orienlalisten angewendeten Transscriptionsmetho
den halten konnte, wird jeder einsehen, der mit der physiologischen
Lautlehre auch nur eine oberflächliche Bekanntschaft gemacht hat.
Das was ich zu sagen habe, zerfällt in zwei verschiedene
Theile, die sich jedoch nicht vollkommen streng sondern lassen, wie
mir denn auch der Leser bei einem so complicirten Gegenstände ein
zelne Wiederholungen zu gute halten wird.
In dem ersten Theile werde ich von der Bildung der einzelnen
Consonanten handeln. Ich werde hier nur diejenigen gesondert be
sprechen, welche dem Abendländer Schwierigkeiten bereiten können;
die übrigen, welche mit bekannten Lauten europäischer Sprachen
identisch sind, werde ich nur beiläufig und wo es zum Vergleiche
nützlich ist erwähnen. In dem zweiten Theile werde ich die Eintei
lungen und Benennungen der arabischen Orthoepisten besprechen
und die Art und Weise, wie sich dieselben aus der physiologischen
Beschaffenheit der Sprachelemente verstehen und rechtfertigen las
sen. Auch hier werde ich nur das behandeln, was sich nicht jeder
ohne weiteres Nachdenken selber sagen kann. Ich strebe nicht nach
Vollständigkeit und kann somit wohl unerörtert lassen, warum
u £>, und j als ^va-oH bezeichnet werden, warum das
j jjZ.* 1| heisst, und anderes Ähnliche.
I- o°
Ich beginne mit dem u 'a, dem angeblich schwierigsten Buch
staben des arabischen Alphabets. Ich beginne mit ihm, weil Wallin
*) Zeitschrift für österreichische Gymnasien.
310
Ernst Brücke
die ägyptische Aussprache desselben ausdrücklich für die richtige
und massgebende erklärt, so dass ich hier meine Beobachtungen
unmittelbar mit den seinigen vergleichen kann, und Niemand
Wallin’s Autorität gegenüber einwenden wird, dass das, was ich
sage, wohl in Bezug auf die ägyptische Aussprache richtig sein
möge, diese selbst aber zu verwerfen sei.
Das ist ein alveolares d, d. h. das d l meiner Bezeichnung
und stimmt somit in Rücksicht auf seine Articulationsstelle mit dem
gewöhnlichen d der Deutschen, Engländer, Franzosen und Italiener
völlig überein. Auch das J der Araber wird obgleich sehr häufig
s
dental (als d*) doch unzweifelhaft auch sehr häufig alveolar hervor
gebracht und doch sind J und in der Aussprache streng von
einander unterschieden. Der Unterschied muss also in etwas anderem
liegen als in der Articulationsstelle. Er ist zu suchen in folgenden
drei Punkten:
1. In dem, was die Erthoepisten als Extension (&llkX*4) be
zeichnen.
2. In dem veränderten Lautwerth, welchen die Vocalzeichen
erhalten.
3. In einer Veränderung im Ton der Stimme, abgesehen vom
Vocallaut.
Was ist zunächst die Extension? Sie ist nichts anderes als
der eigene Ton der Media, das was man sonst auch als den Purkinje-
schen Blählaut bezeichnet.
Wenn ich den Verschluss für das d l bilde, indem ich z. B. das
englische Wort head spreche, so tönt die Stimme noch während des
Verschlusses und kann so lange tönend erhalten werden, wie nur die
Nachgiebigkeit der Weichtheile, welche meinen Kehlraum begrenzen,
und die Zusammendrückbarkeit der Luft erlauben, die letztere mit
einiger Geschwindigkeit aus der Luftröhre durch die Stimmritze in
die Mundhöhle zu pressen und dadurch meine Stimmbänder in
Schwingungen zu versetzen. Wegen dieses Nachtönens der Stimme
wird dem ^ die Extension, die Verlängerung zugeschrieben und es
wird, wie wir später sehen werden, durch den veränderten Ton be
sonders laut und hörbar gemacht. Will man sich üben, es hervorzu
bringen, so spreche man zunächst irgend ein Wort aus, das mit ^
Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
311
endigt, z. B. ^c, und lege die Finger an das Zungenbein. Man
muss dann bemerken, dass das letztere sich nach Bildung des Ver
schlusses, während die Stimme tönt deutlich vorschiebt und zugleich
ein Gefühl von Spannung im Gaumensegel eintritt. Beides die Folge
davon, dass der Kehlraum durch die hineingetriebene Luft auf
gebläht wird.
Wenn das ein Wort beginnt, so geht der Ton der Lösung
des Verschlusses vorher. Man spreche z. B. man bildet den
Verschluss lautlos, lässt die Stimme ertönen und löst ihn erst dann,
indem man zugleich in den Vocal übergeht. Steht das in der
Mitte eines Wortes, so dass ihm in der Aussprache ein Vocal oder
tönender Consonant vorhergeht und ein anderer folgt, so tönt natür
lich die Stimme während der ganzen Zeit des Verschlusses ohne
Unterbrechung. Es gibt nur einen Fall, in dem das den eigenen
Ton der Media verlieren kann, oder richtiger, wo keine Media
und mithin auch kein gesprochen wird, obgleich die Schrift ein
solches anzeigt, sondern statt seiner die Tenuis #*.
Wenn im Arabischen ein tönender Consonant, j, ,J, ., o
ausgenommen, vocallos am Ende eines Wortes steht und ihm ein
gesmirter tonloser Consonant (zu denen hier auch und J zu rech
nen) vorhergeht, so verliert er in der Vulgärspraehe von Kairo selbst
den Ton der Stimme oder derselbe wird doch in sehr auffälliger
Weise geschwächt. Die lebende Sprache besitzt dadurch tonlose
Consonanten, für welche die Schrift kein besonderes Zeichen hat,
so ein tonloses l und ein tonloses r. In der Infinitifform ist
das J ebenso tonlos wie in dem wälischem Worte Lloid, sprich
Xüid, und das j in ist ebenfalls vollkommen tonlos. Diesem
Einflüsse unterliegt auch das u 'o. So schliesst das Wort in
der Aussprache nicht mit einem d, sondern mit einem t, und lautet
Iaht, ebenso doch wurde hier das mitunter dadurch mar-
kirt, dass nach dem kräftigen Hervorstossen des ^ die Stimme
schwach und dumpf anlautete und dann, während desTönens der Ver
schluss für d gebildet wurde. Für das Ohr schob sich dabei hinter
dem ein kurzer halb lauter Vocal ein, ähnlich wie wir in Ritter,
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXXIV. Bd. II. Hft.
21
Ernst Brücke
312
auch wenn es wie gewöhnlich ritr gesprochen wird, noch immer das
e der Endsylbe zu hören glauben.
Dieser Einfluss eines vorhergehenden tonlosen Consonanten
macht sich bei verschiedenen Buchstaben in verschiedenem Grade
geltend. Absolut unterliegen ihm die Medien i_<, .> und ^ ; sie
lauten am Ende eines Wortes nach tonlosen gesmirten Conso
nanten geradezu wie p, t, k. Demnächst die tönenden Reibungs
geräusche mit Ausnahme von und L $, in denen das voealische Ele
ment, wenn auch nicht in seiner ganzen Stärke, zu Tage tritt. So
o *
lautet laks, ganz so als ob es am Ende mit ^ geschrieben
wäre. Auch der Zitterlaut j verliert in allen Beispielen, die mir
gegenwärtig sind, den Ton vollständig. Nicht so das J, es behält
nach tonlosen Reibungsgeräuschen, und nach und a deutlichen,
wenn auch geschwächten Ton, so in JsL Jiä-
Die Resonanten endlich (j> und 0) behalten unter allen Um
ständen den Ton der Stimme, weil sie gar nicht tonlos hervorge
bracht werden können.
Man mag nach allem diesen fragen, was denn darin vom J
Verschiedenes sei, denn auch das J ist eine wahre Media und
besitzt als solche den Ton der Stimme. Die Antwort lautet: Beim
ist das Tönen stärker als beim J und dauert auch länger, und
desshalb schreiben ihm die Orthoepisten mit Recht die Ausdeh
nung zu.
Wenn das $ anlautet, so geht der Durchbrechung des Ver
schlusses kein Tönen vorher, sondern man lässt die Stimme nur
eben früh genug lauten, um bei Lösung des Verschlusses die Media
d, nicht die Tenuis t hören zu lassen, und wenn •> auslautet, so tönt
die Stimme nicht nach, sondern sie hört auf, nachdem der Ver
schluss gebildet ist. Auch wenn das J mit Teschdid ») versehen in
*) Ich muss liier daran erinnern, dass das Teschdid, wie auch sein Name aussagt,
ein Verstärkungszeichen, aber kein Verdopplungszeichen ist. Da wir Abendländer,
um dasselbe auszudrücken, den Consonanten doppelt schreiben, hat sich bei vie
len die irrthümliche Vorstellung gebildet, er sei in der Aussprache wirklich dop
pelt vorhanden. Vgl. darüber meine „Grundzüge der Pliys. und Syst, der Sprach-
Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
313
der Mitte eines Wortes steht, also eine Sylbe mit der hörbaren
Lösung des Verschlusses schliessen, die andere mit der hörbaren
Lösung desselben anfangen soll, ist der Unterschied von 3 und
noch deutlich, denn obgleich auch beim erstem die Stimme auf der
Grenze der Sylben, wenn diese nicht absichtlich auseinander gezerrt
werden, forttönt, so macht sie sich doch eben so wenig geltend, wie
im analogen Falle bei dem deutschen d, z.B. in Widder. Hier sind
die meisten, die sich nicht näher mit der Sache beschäftigt haben,
der Meinung, sie setze, wie sie sich ausdrücken, zwischen den
beiden d aus, und man muss sie erst durch die Auscultation des
Kehlkopfes *) überzeugen, dass dies nicht der Fall sei. Beim
dagegen tritt der Ton der Stimme auch während des Verschlusses
deutlich hörbar hervor, und ausserdem ist durch das später zu
besprechende Timbre und die Natur des Vocals das Erkennen leicht.
Gehen wir nun zu dem zweiten Punkte über, zu der Bedeu
tung der Vocale Fatha, Damma und Kesre, wenn sie mit Vor
kommen.
Ein Fatha, welches bewegt, ist kein helles (wie Andere
sagen, hohes) A, kein reines a meiner Bezeichnung, es neigt sich
dem Laute zu, den ich in meinen Grundzügen mit a° bezeichnet
habe; wenn also ein Alif folgt, so entsteht das tiefe, lange a, wie.
wir es im deutschen Wahl sprechen. So hören wir es z.B. in dem
Namen des Buchstabens selber jlo, während das Fatha, wenn es ±
bewegt, entweder ein reines, helles a ist, oder wenn es hiervon
abweicht, in die Vocale a", e a oder e übergeht, niemals in a°.
Das Kesre, welches bewegt, ist ebenfalls kein helles 1 und
auch kein helles E, sondern der Laut zwischen i und ü, den ich mit
i“ bezeichne und den wir im Deutschen in griechischen Wörtern
für Ypsilon zu hören pflegen, z. B. in Myrthe, Physik etc. Es behält
auch denselben Charakter, wenn der Voeal durch ein nachfolgendes
<J lang wird. Das Damma bildet, wenn ein j folgt, mit diesem ein
laute“, p. 53. Ich sehe bei dieser Bemerkung natürlich ab von der grammatika
lischen Bedeutung des Teschdid, und habe lediglich seinen Einfluss auf die
Aussprache vor Augen.
l ) E.Brücke. Nachschrift zu Prof. Kudelka’s Abhandlung. Sitzungsb. der mathem.-
naturw. Classe. ßd. XXVIII (1858).
21*
314
Ernst Brücke
langes, aber unvollkommen gebildetes u, ein langes u mit dumpfer
Resonanz; folgt keiiij, so dass der Vocal kurz bleibt, so hat er in
mir bekannten Beispielen den Lautwerth eines dumpfen (unvoll-
, >
kommen gebildeten) o z. B. in LsC“ 3 -
Der Lautwerth der Vocale Fatha, Kesre und Damma wird im
Arabischen durch die Natur des Consonanten bestimmt, über oder
unter dem sie angebracht sind, d. h. also der Aussprache nach durch
den vorhergehenden; von dem folgenden sind sie aber keineswegs
unabhängig. So kann auch^ auf den ihm zunächst vorhergehenden
Vocal zurückwirken, wenn es mit demselben syllabisch verbunden
ist. So lautet das i in yuy wesentlich anders, als es lauten
würde, wenn das Wort mit einem J schlösse. Schon die Ver
änderung, welche ich mit meinen Stimmwerkzeugen vornehmen muss,
um den richtigen Ton für das y> zu treffen, macht mir das helle i un
möglich und zwingt mich, ein dumpfes hervorzubringen, ja sie wirkt
durch einen Consonanten hindurch auf den vorhergehenden^ Vocal,
denn man kann sich z.B. nicht verhehlen, dass das a in y>j\ anders
lautet, als es lauten würde, wenn das Wort mit einem J> schlösse.
Wir kommen jetzt zu dem dritten Punkte, nämlich zu der eigen-
thümlichen Veränderung, welche der Ton der Stimme bei der Bildung
des und der von ihm influencirten Vocale eingeht. Einen Klang
kann man nicht an und für sich beschreiben, man kann ihn nur durch
Vergleiche kenntlich machen oder durch die Anweisung, wie man
ihn hervorbringe. Ich will das letztere versuchen. Man bilde den
Mundhöhlenverschluss für d l , für das gewöhnliche d der Deutschen,
und bringe nur möglichst anhaltend und vernehmlich den sogenannten
Purkinjesehen Blählaut hervor, d. li. man lasse die Stimme tönen,
indem man Luft durch die Stimmritze in die nach vorn durch die
Zunge und nach oben durch die Gaumenklappe vollständig ver
schlossene Mundhöhle eintreibt. Man muss dabei vor dem Spiegel
deutlich wahrnehmen, dass sich die Kehle aufbläht und der an seinem
Vorsprunge, dem sogenannten Adamsapfel, kenntliche Kehlkopf
herabsteigt. Beides ist die Folge der Vergrösserung, welche der
Kehlraum erfährt, um die hineingetriebene Luft aufzunehmen. Hat
man dies einige Male geübt und vollständig in seiner Gewalt, so
durchbreche man den Mundhöhlenverschluss nach vorn, ohne dass
Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
3J5
die Stimme aufhört zu tönen. Man mag in was immer für einen Vocal
übergehen, man mag dda, ddo oder ddu sagen, immer wird man
bemerken, dass die Stimme mit einem zwar etwas dumpfen aber
doch kräftigen Ton von eigentlichem Timbre heraustönt. Dieser Ton,
der seine Klangfarbe wesentlich dem tiefen Stande des Kehlkopfes
und der Weite des Kehlraumes verdankt, ist der Ton des oder
vielmehr der der von ihm influencirten Vocale.
Wenn wir von hier aus auf das Frühere zurückblicken, so finden
wir die Wurzel der Eigenthüinliehkeiten des in dem, was die
Araber als Extension bezeichnen, in dem andauernden Hindurchtreiben
von Luft durch die zum Tönen verengte Stimmritze, während der
Mundhöhlen-Kehlraum sowohl gegen die Nase hin durch das Gaumen
segel als gegen die Mundöffnung hin durch die Zunge abgesperrt ist.
Um dieses Hindurchtreiben möglich zu machen, muss der Kehlraum
erweitert werden und der Kehlkopf herabsteigen. Hiedurch wird
einerseits der veränderte Klang der Stimme bedingt, andererseits aber
auch der Einfluss auf den Vocal, indem einige leichter, andere
schwieriger werden, einzelne wie das helle, reine i und das helle,
reine e geradezu unmöglich.
Ich muss hinzufügen, dass das, was ich hier als secundär auf
gefasst habe, in der lebenden Sprache mehr in den Vordergrund
tritt als das, woraus ich es ahleitete. Das Ohr des jetzigen Arabers
wird eher eine mangelhafte Bildung des Consonanten selbst ent
schuldigen als einen Missgriff im Vocal.
Es entsteht nun die Frage, wie sich die früheren Angaben über
die Aussprache und die Natur des zu den meinigen verhalten.
Ich muss hier zunächst Wallin sprechen lassen. Er sagt: „DieArti-
culation des wird als zwischen dem Anfang der Zungenränder
und den diese Stelle der Zunge berührenden Backzähnen liegend
angegeben, und in derThat muss ich, um den Laut hervorzubrin
gen, die Zungenränder gegen die obere Zahnreihe rückwärts vom
vierten Zahne von vorn an schliessen, indem ich dabei die Zungen
spitze gegen den Hintergaumen führe, um dort ein d zu articuliren;
oder ich kann es auch als ein gewöhnliches d articuliren, wenn ich
mich nur bemühe, den mittleren Theil der Zunge so viel als möglich
breit zu legen, so dass die Bänder derselben sich stark gegen die
oberen Backzähne schliessen.“
316
Ernst Brücke
Wallin beschreibt hier also zwei Arten des Jo, ein cerebrales
und ein alveolares (o? ä und d 1 meiner Bezeichnung), die er aber für
sprachlich gleichwerthig hält. Das erstere habe ich nie zu beob
achten Gelegenheit gehabt, kann es aber leicht hervorbringen. Herrn
Hassan habe ich stets nur das letztere bilden gesehen. Wall in
führt dabei als nothwendig an, dass die Zunge mit ihren Seiten
rändern fest gegen die Backzähne gestemmt sei. Ich möchte diese
Nothwendigkeit eine indirecte nennen.
Um die vorhin besprochene Extension hervorzubringen, muss
ich den Baum zwischen Zungenrücken und Gaumengewölbe gross
und frei erhalten, weil sonst der geschlossene Raum, in den die
stimmgebende Luft hineingetrieben wird, zu klein ausfällt und
dadurch das Forttönen behindert wird. Es bleibt mir desshalb nichts
anderes übrig, als die Zunge breit zu legen und mit ihren Seitenrän
dern fest gegen die Mahlzähne zu stützen, um so den nothwendigen
Verschluss zu erhalten. Die Angabe der arabischen Orthoepisten, dass
Jo am Seitenrande der Zunge articulirt werde, lässt sich in ver
schiedener Weise deuten. Man kann erstens annehmen, dass sie
darunter nichts anderes verstanden haben als Wallin, nämlich das
Anstemmen der Zungen gegen die Backzähne; man kann aber zwei
tens auch daran erinnern, dass das Jo ausgedehnterDistricte, ja der
ganzen östlich wohnenden Araber nach der Ansicht einiger arabi
scher Schriftsteller ein emphatisches J war. Wir wissen, dass bei
der Bildung das l allerdings der Zungenrand mit den Backzähnen
eine besondere Bolle spielt, indem beide mit einander die Enge bil
den, aus der die Luft ausströmt, welche das charakteristische Ge
räusch das l hervorbringt. Dies war den arabischen Orthoepisten
keineswegs unbekannt, und sie versetzten die Articulationsstelle des
J desshalb auf den Zungenrand. Diejenigen nun, die das Jo für
eine Art J hielten, mussten folgerichtig seine Articulationsstelle an
denselben Ort versetzen. Dass Jo in der Aussprache in J über
gehen konnte, ist eben nicht unerklärlich, denn der oben besprochene
Verschluss des Zungenrandes mit den Backzähnen brauchte nur un
vollkommen zu sein, so dass Luft hindurchging, dann musste sogleich
statt des Jo ein J gehört werden. Es war dies ein ebenso einfacher
Wechsel wie der jetzt so häufige in \o, der dadurch entsteht, dass
der vordere Theil der Zunge seinen Verschluss unvollkommen bildet.
Beitrüge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
317
Es muss auch bemerkt werden, dass keineswegs alle Angaben
über die Mechanik des Jo mit der jetzigen Aussprache in Einklang
gebracht werden können. So heisst es nach Wallin’s Citat in
Baidäwi, ed. Fleischer, II, p. rA“t und rt
^ Itwll ] t ~^0 ^ J^O <1 I b ^ O kJJ I A3 ' ,-Q «3 l-äl I j
und doch weiss weder Herr Hassan etwas von einer asymmetrischen
(unilateralen) Bildung des Jo > noch erwähnt Wallin einer solchen,
wozu er, wenn er sie beobachtet, sicher Gelegenheit genommen hätte,
da er in den Anmerkungen an zwei Stellen von den asymmetrisch
gebildeten Consonanten der Ehhkili-Sprache spricht.
Vielleicht hat eine solche Aussprache nie existirt. Wenn man
die seltsamen Irrthümer kennt, denen die lebenden Phonetiker
unterliegen, so wird man nicht alle verstorbenen für unfehlbar halten.
Wenn sie aber in der That existirte, so bestand sie wohl in der Bil
dung eines l, bei dem statt der zwei Seitenöffnungen des gewöhn
lichen l nur eine auf der rechten Seite gelassen wurde. Vielleicht
war dies die Aussprache des Jo als emphatisches J.
Wallin schreibt dem Jo einen Nasenton zu und sagt, er ziehe
den Laut gegen den Nasencanal hin. Ein Nasenton in unserm Sinne,
d. h. der Klang der durch Offenstehen der Gaumenklappe entsteht,
kann dem 0 o selbstredend nicht zukommen, da es hierdurch sofort in
einö verwandelt werden würde, und eben so wenig kann man im
baren Sinne des Wortes den Laut gegen den Nasencanal hinziehen.
Was Wallin zu jenen Ausdrücken geführt hat, war wohl zweierlei:
erstens die unleugbare akustische Ähnlichkeit des eigenen Tons der
Media d mit dem Resonanten (Rhinophon Czermak) n und zwei
tens das Gefühl von Spannung, das bei der Extension des Jo im
Gaumensegel vermöge des grösseren Druckes entsteht, unter den
die Luft im Kehlraum gesetzt wird. Man fühlt deutlich wie sie die
Gaumenklappe gegen die Nase hinaufdrückt.
Ich habe nun noch von der Stelle zu handeln, welche die Ara
ber dem ^o bei der Eintheilung der Buchstaben anwiesen.
Obgleich ich die von den Orthoepisten gebildeten Gruppen als
Ganzes erst im zweiten Abschnitte besprechen werde, so muss ich
doch schon im ersten bei der Beschreibung der einzelnen Buch-
318
Ernst Brücke
staben solche Eigenschaften hervorheben, die sie befähigen, zu der
einen oder der andern dieser Gruppen gestellt zu werden.
Es versteht sich von selbst, dass ^J>, weil es den Ton der
Stimme hat, zur Classe der lauten Buchstaben (äj_^) gehört und
nicht zur Classe der geflüsterten (Aw^,»), in der nur solche ver
einigt sind, die der Stimme gänzlich entbehren; aber höchst auffal
lend ist, dass es zu den schwachen (weichen, schlaffen) Buchstaben
gezählt wird. Wenn sich diese Bezeichnung, wie es wohl
angegeben wird, auf den Grad der Anstrengung bezieht, dem die
Organe unterliegen, so ist sie gewiss für das Jo höchst unpassend,
denn von diesem heisst es mit Recht:
Ö LJJ I J& U .Xil jj 1 —"äoI J 1.0
Wir finden aber auch bei Wallin die Angabe, dass dieselben
p- .
Buchstaben, die starke (ÄJuJA) heissen, nämlich: I, O, AJ, <_<,
j, Jo, bei anderen als A^J^o bezeichnet werden und
Abu-l-Bakä beschreibt sie sehr genau als solche, die jeder Ausdeh
nung unfähig, durchaus momentan und eigentlich nur Anfänge von
Lauten seien, die hörbar würden, wenn man den eingesperrten
Athem herauslässt.
Ich habe bereits in meinen Grundzügen das einseitige und
unvollständige in dieser Auffassung der in Rede stehenden Laute
beleuchtet; wenn man sie aber einmal so auffasste, so konnte man
Jo nicht zu ihnen stellen, da bei ihm das durch den Mundhöhlen
verschluss modificirte Tönen der Stimme (eigener Ton der Media,
Purkinje’s Blählaut), also ein positiver akustischer Effect durch
einige Zeit andauerte und so deutlich vernehmbar war, dass er sich
auch dem unaufmerksamsten Ohre aufdrängen musste.
Schwerer ist es zu begreifen, wesshalb die Orthoepisten u o
zu den ganz schwachen Lauten stellten, im Gegensätze zu
j, J, j>, O, welche als mittlere bezeichnet werden, und ich
finde hierfür in der von Wall in als normal betrachteten Aussprache
in der That keinen Anhaltspunct; leicht aber ist die Erklärung, wenn
man annimmt, dass die so überaus häufige Verwechselung mit \ö
hiezu Veranlassung gegeben habe. Denn die Abtheilung der ganz
schwachen umfasst die tonlosen und die tönenden Reibungsgeräusche
Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
319
meiner Classification mit Einschluss der zugleich als Vocalzeichen
dienenden ^und^, dazu noch I, ^ und ä, also die arabischen
Buchstaben: a, u o, t, J>, J>, j, O, i>, 1,
,J und j.
Ich muss hierzu noch bemerken, dass selbst in Kairo, wo sonst
das Jo im Allgemeinen normal gesprochen wird, diese Aussprache
sich nicht gleichmässig über den ganzen Wörterschatz erstreckt,
sondern gewisse Wörter mit io lauten, während sie mit Jo geschrie
ben werden, so IxU» und ioj^o*.
io
Das io wird alveolar articulirt wie das O; es ist also meiner
Bezeichnung nach wie dieses ein f 1 ; es unterscheidet sich aber von
O durch mehrere sehr wesentliche Punkte. Erstens durch den Ein
fluss, den es auf den Lautwerth des Vocals ausübt, der es bewegt,
manchmal auch auf den, der ihm vorhergeht.
Fatha ist, wenn es io bewegt, gleichviel ob es noch durch ein
nachfolgendes Elifverlängert ist oder nicht, niemals ein reines «noch
weniger cC oder e'\ sondern entspricht mehr dem a° meiner Bezeich
nung. Das Verbum JlL>, procerus fuit, stimmt mit dem englischen
Adjectiv fall, langleibig, in Herrn Hassan’s Aussprache fast vollstän
dig überein, nur ist das a weniger träg und schleppend, es setzt
vielmehr nach dem t auffallend prompt und kraftvoll ein, wovon wir
später den Grund kennen lernen werden. Bildet das Fatha mit nach
folgendem ^ Diphthong, so wird dieser hier wie anderswo von den
heutigen Arabern, wenigstens von den ägyptischen, in einen ein
fachen Vocal verwandelt, und dieser ist auf das io folgend ein ä
® -
(a e meiner Bezeichnung) mit dumpfer Resonanz, wie z. B. in ,4>.
Ebenso macht sich die dumpfe Resonanz geltend in dem Diph
thong, der mit nachfolgendem gebildet wird.
Damma behält seinen Laut als u, aber mit dumpfer Resonanz,
gleichviel ob es kurz ist oder durch nachfolgendes ^ verlängert.
Kesrehat, wo es kurz ist, denLautvon i“ wie bei Jo ; mit nach
folgenden aber hat es, ich weiss nicht ob immer, aber doch
320
Ernst Brücke
häufig, den Laut eines langen mit dumpfer Resonanz gebildeten e,
z. 6. in
Der Ton der Vocale ist trotz der dumpfen Resonanz kräftig
und hat im Gegensätze zu der Leichtigkeit der Vocale nach O etwas
Hartes, Polterndes in der Plötzlichkeit, mit der er nach denConsonan-
ten hervorbricht. Man kann wegen der Zungenstellung beim io nicht
mit dem Kehlkopfspiegel untersuchen, was bei diesem Hervorpoltern
der Stimme eigentlich vorgeht; wenn ich aber, wie ich wohl glaube,
meinem durch vielfältige Versuche geübten subjectiven Gefühle und der
Auscultation meines eigenen Kehlkopfes trauen darf, ist die Mecha
nik folgende: Während des Zungenverschlusses, der den Charakter
des T oder D überhaupt bedingt, ist beim io der Kehlkopfausgang
nicht wie beim O, J und u o offen, sondern mittelst der Giessbecken
knorpel und des Kehldeckels in der Weise verschlossen, wie dies in der
arabischen Schrift sonst durch das Zeichen Hamze angedeutet wird.
Dieser Verschluss ist von Czermak in den akademischen Sitzungs
berichten als Fig. 10 seiner zweiten Tafel abgebildet. Er kommt auch
im Deutschen vor überall, wo getrennte Vocale gesprochen werden.
Untersuche ich jemanden mit dem Kehlkopfspiegel und lasse ihn
a-a-a-a mit deutlichen und scharfen Trennungen sagen, so schliesst
sich der Kehlkopf in der oben erwähnten Weise vor jedem a und
öffnet sich zur Hervorbringung desselben.
Es werden hierbei die Stimmritzenbänder plötzlich und auf einen
Schlag in Schwingungen versetzt. Versucht man das a ohne diesen
Mechanismus hervorzubringen, so hat sein Anfang etwas Verschwom
menes. Die Ursache davon ist leicht einzusehen. Will ich die Stimm
ritze tönen lassen, d. h. also das Stimmwerk meines Kehlkopfes an-
blasen ohne vorher den Kehlkopfausgang verschlossen zu haben, so
kann sich die Differenz zwischen dem Luftdrucke unterhalb und dem
oberhalb der Stimmritze, welche eben den tongebenden Luftstrom
erzeugt, nur allmählich steigern. Schliesse ich dagegen den Kehlkopf
ausgang , so kann ich die Luft hinter demselben durch die Exspira
tionsmuskeln unter einen stärkeren Druck setzen, und nun plötzlich,
indem ich den Verschluss öffne, die ganze Druckdifferenz wirken
lassen.
Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache. 641
Dieser Verschluss nun besteht meiner Ansicht nach auch beim Jo
und wird gleichzeitig mit dem Mundhöhlenverschlusse geöffnet;
daher das plötzliche Hervorpoltern der Stimme.
Steht nun Jo im Auslaute, so wird natürlich gleichzeitig mit der
Bildung des Mundhöhlenverschlusses auch der Kehlkopf zugeschla
gen, und dadurch der Ton der Stimme abgeschnitten, so dass die
letztere also genau bis zur Bildung des Verschlusses tönt, während
sie beim O einen Moment früher verlischt, indem die Stimmritze un
mittelbar vor der Bildung des Verschlusses erweitert wird und
dadurch die Bedingungen des Tönens verloren gehen. Dagegen wird
bei J und weder der Kehlkopf verschlossen, noch die Stimm
ritze erweitert, so dass die Stimme nach Bildung des Verschlusses
noch tönt, beim .> nur einen Moment, beim u o aber länger, weil die
Luft gewaltsam aus den Lungen in den Kehlraum eingetrieben wird.
Das Zuschlägen des Kehlkopfes scheint mir wesentlich mit zu dem
harten klingenden Schlage beizutragen, den das auslautende Jo
hören lässt. Schliesst das Jo die eine Sylbe und fängt zugleich die
andere an, so ist selbstredend während der ganzen Dauer des Mund
höhlenschlusses, welcher die Sylbengrenze bildet, auch der Kehl
kopf verschlossen, so z. B. in ,.Ul, etc.
Mit dieser Mechanik hängt es auch wohl zusammen, dass Jo
von den Türken so häufig in der Aussprache mit -> verwechselt wird,
während dies, soviel mir bekannt ist, mit O nicht stattfindet. In
derThat berühren sich in ersterem Stimme und Verschluss unmittel
barer als bei letzterem, und der Schritt vom Jo zum 3 ist desshalb
kürzer, als der Schritt vom O zum
Unser deutsches t entspricht im Allgemeinen dem o, und
klingt nur bei einzelnen Individuen, zum Theil Ausländern, die das
Deutsche erst in späteren Jahren erlernt haben, dem Jo ähnlich.
Ebenso transscribirt der Araber das t der Deutschen im Allgemeinen
durch O, nur in gewissen Verbindungen bedient er sich des Jo.
So schreibt mein Lehrer seinen Taufnamen Anton oJcu\, weil mit
O das j den Lautwerth eines langen, hellen u. Antun, bekommen
würde, und der Diphthong, dessen man sich allenfalls bedienen
und öjlM schreiben könnte, nur durch die Vocale ersichtlich wird
322
E rn st Brücke
und nur in der Vulgärspraehe, also gerade da, wo man keine Vocale
schreibt, den Laut von o annimmt. Das 1» ist also hier nicht ange
wendet, um eine besondere Art des t anzuzeigen, sondern lediglich,
um den Laut des zu verdumpfen und ihn dadurch mehr dem o zu
nähern.
Ich komme nun zu einem Punkte, über den ich nicht aus eigener
Beobachtung Rechenschaft zu geben im Stande bin, nämlich zum
vocalischen Nachschlage des \z>. Unter dem Nachschlage (Dili!! o^)
versteht man nichts anders als den Laut, welcher bei der Lösung
des Verschlusses für die Buchstaben i_>, ■>, L> und Jj im Aus
laute entsteht. Es wird dies durch ein Beispiel am deutlichsten
werden. Sage ich (plicavit), so höre ich von dem Zustande
kommen des Verschlusses nichts, wohl aber vom Öffnen desselben;
will ich dem L> also hier überhaupt einen Laut zuschreiben, so kann
es nur der Öffnungslaut sein, und dieser erscheint hiermit als das Jo
selbst, so weit es hörbar ist; wenn ich dagegen z. B. ixilll (nix)
spreche, so ist das L> mit der Entstehung des Verschlusses bereits
gebildet und wenn keine Nunation hinzugefügt wird, erscheint der
nachfolgende Öffnungslaut als ein Anhängsel, das der Araber als
aIäIüM und davon oder von ihrem klappernden Laute überhaupt
(vergl. darüber de Sacy, Gramm. Arabe, 2. edition, I. p. 27) die
erwähnten Buchstaben als Dilill bezeichnet.
Dieser Nachschlag nun soll nach Wallin beim ein vocalisches
Element haben; ich kann aber über dasselbe keine directe Nachricht
geben, da sich in Herrn Hassan’s Aussprache keine Spur davon
fand. Der Öffnungslaut war vollkommen tonlos, ein blosses Geräusch.
Ich glaube indessen, dass das, was ich oben über die Mechanik des
gesagt habe, das Vorkommen eines vocalischen Nachschlages
erklärlich macht. Bei O und -li, die nicht mit zu den Nachschlags
buchstaben gerechnet werden, ist die Stimmritze bereits weit
geöffnet, wenn die Lösung des Mundhöhlenverschlusses erfolgt, diese
ist also schon an und für sich tonlos, beim h> und, wie wir später
sehen werden, auch beim J ist der Ton der Stimme zunächst nur
durch Verschliessung des Kehlkopfausganges abgeschnitten worden:
er kann desshalb auch bei Eröffnung desselben wieder erscheinen,
Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
323
wenn nicht unterdessen auch die Stimmbänder von einander entfernt
sind, so dass sie nun nicht mehr durch die herausströmende Luft in
Schwingungen versetzt werden.
Das wird von den arabischen Schriftstellern nicht wie O
zu den geflüsterten, sondern zu den lauten Buchstaben gerechnet.
Die lauten Buchstaben entsprechen im Allgemeinen denen, welche
ich in meinen Grundzügen als tönende bezeichnet habe, die geflüster
ten den tonlosen. Man darf sich nun durch die Zutheilung des h>
zu den lauten nicht etwa verleiten lassen, zu glauben, dass beim
während des Verschlusses die Stimme töne; ich habe mich durch
Auscultation des Kehlkopfes überzeugt, dass sie während desselben
durchweg und vollkommen verstummt. Dennoch finde ich es erklär
lich, dass die Araber L und ebenso Jj, bei dem die Stimme während
des Verschlusses auch nicht tönt, zu den lauten Buchstaben rechnen.
Sie sehen, wie sich dies aus dem syllabischen Charakter ihrer
Schrift erklärt, die Verschlussbuchstaben nicht als blosse Zeichen
für den Verschluss an; dieselben haben für sie so zu sagen, eine
grössere Breite und beziehen sich auch auf das, was unmittelbar
nach, ja in gewisser Hinsicht auch auf das, was unmittelbar vor dem
Verschlüsse ist. Beim O und nun hat die Stimme schon auf
gehört zu tönen, wenn der Verschluss gebildet ist, und fängt auch
nicht mit der Eröffnung wieder an zu tönen, sondern erst nachdem
dieser Act bereits vorüber ist. Hier ist also nicht nur während des
Verschlusses, sondern auch unmittelbar vor und unmittelbar nach
ihm Tonlosigkeit; bei h> und Jj dagegen wird die Stimme erst
gleichzeitig mit der Bildung des Verschlusses abgeschnitten und
gleichzeitig mit der Eröffnung desselben wieder losgelassen; hier
ist also unmittelbar vor und unmittelbar nach dem Verschlüsse
Stimme, und desshalb rechnen die Araber diese beiden Consonan-
ten mit unsern tönenden zu den lauten Buchstaben, nicht zu den
geflüsterten.
u*
Das ist seiner Articulationsstelle nach ein alveolares s, ein
s 1 meiner Bezeichnung, gerade so, wie das ^ . Es unterscheidet
sich von diesem zunächst wieder durch den Lautwerth, den es dem
Vocalzeichen mittheilt. Das Fatha hat, gleichviel ob noch ein Alif
324
Ernst Brücke
folgt oder nicht, niemals den Laut des reinen hellen a, sondern den
von a° oder o". Wenn es mit Diphthong bildet, so lautet in der Vul
gärsprache ein dumpfes a°, das sich schon dem a!” nähert, so z. B.
« ^ ft o
in Das Kesre nimmt den Laut des i“ an, wie in ,
und Damma erhält die unvollkommene Bildung, wodurch, wenn es
kurz ist, sein (7-Laut vom 0 weniger gut als beim vollkommen gebil
deten u zu unterscheiden ist. Daher erklärt es sich auch, dass das
bewegende Damma von europäischen Ohren bald als o und bald
als u gehört worden ist. Es ist aber nicht allein die Wahl des Vo-
cals, die beeinflusst wird; auch der Ton selbst, mit dem er hervor
gebracht wird, ist anders als beim ^.
Er hat eine gewisse Rauhigkeit und Härte, die ihm schon im
Kehlkopf mitgetheilt wird, ohne dass ich mit Sicherheit den Mecha
nismus beschreiben könnte, durch den dies geschieht. Nachdem was
ich mit dem Kehlkopfspiegel beim Hervorbringen verschiedener
Klangfarben der Stimme gesehen habe, muss ich glauben, dass der
Kehldeckel und die Giessbeckenknorpel dabei eine wesentliche Rolle
spielen, indem sie mehr einander genähert sind, als dies hei den
weicheren Tönen der Fall ist.
Es ist dies der harte Vocaltimbre, den Wallin als harte oder
geschlossene Aussprache der Vocale bezeichnet, weil er den geschlos
senen Buchstaben (ÄäJaU 1?, k>, folgt, ausserdem
aber auch dem ^ und meistens auch dem
Die Klangfarbe ist jedoch nicht bei allen diesen Buchstaben
gleich. Ihre Verschiedenheiten lassen sich nicht beschreiben, wie
sich Klangfarben, abgesehen von den Vocalen, überhaupt nicht leicht
beschreiben lassen; aber sie werden in der Regel ohne Schwierig
keit getroffen, weil die richtige Articulirung des Consonanten, schon
an und für sich auf die richtige Nuance hinführt. Wallin leitet den
harten Klang von einem näheren Zusammenschliessen der Kehlkopf
ränder ab und ei’wähnt beim \s, dass dasselbe äusserlich mit dem
Finger gefühlt werden könne. Ich sehe indessen nicht klar ein, was
er darunter versteht.
An und für sich und abgesehen vom Vocal ist das dem
äusserst ähnlich; nur ist sein Laut in der Regel etwas rauschender.
Wenn man ein gewöhnliches tonloses alveolares s continuirlich hervor-
Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
325
bringt und dabei die Stellung der Kiefer und der Lippen verändert, so
wird man bemerken, dass dies einen Einfluss auf den Laut hat. Nähert
man d*e Kiefer und zieht die Lippen in die Breite, wie zum hellen e
oder i, so wird das Zischen hell und scharf, aber nicht rauschend.
Verengert man den Mund und schiebt die Lippen vor wie zum hellen
u, so wird der Zischlaut geschwächt, indem die Ausflussöffnung für
den Luftstrom verkleinert wird. Entfernen wir die Kiefer weit von
einander, wie beim hellen a, so verliert der Zischlaut an Intensität,
weil nun die Reibung des Luftstroms an den Zähnen verringert wird.
Nähern wir dagegen die Kiefer einigermassen einander und schieben
die einander nicht genäherten Lippen etwas nach vorn, etwa so, wie
man es bei Basssängern so häufig im Momente der Intonation wahr
nimmt, so bekommt der Zischlaut eine gewisse Breite und Fülle mit
dem Charakter des Rauschenden, d. h., dem des rauschenden, weniger
dünn und fein zischenden s, nicht etwa des sch.
So hört man ihn beim Nun ist aber jene Stellung der
Lippen gerade auch die passende für die Hervorbringung jener
dumpfen, oder wie es nach der Ausdrucksweise der Araber heisst,
dicken Vocale, mit denen sich verbindet, so dass man bei der
Aussprache entweder sowohl dem Consonanten als dem Vocale den
richtigen Laut gibt, oder beide mit einander verfehlt.
Die grosse Ähnlichkeit, welche ^ und , abgesehen vom
Vocale zeigen, macht es, dass die Araber sich keine strenge Rechen
schaft zu geben wissen, ob das arische tonlose s ihrem ^ oder
ihrem 0 o entspreche, da in der That bald das eine, bald das andere
der Fall sein kann. So schreiben sie aofia. bald aJL> oder bald
Es gibt ferner arabische Wörter, in denen eingestandener-
massen der Unterschied zwischen ^ und nicht gewahrt wird,
indem das in denselben geschriebene ^ wie lautet. In der
Grammatik von Caussin dePerceval, 4'”' e edition, p. 7 wird aus
einem in der Pariser Bibliothek im Manuscript vorhandenen Kataloge
über die Moallakat folgender Passus mitgetheilt.
^ Ö^—1 I ^^jVäI 1 ^ I jj U2I 1 j *1 1 ^ ^ l $ *1 l l 31
ly» W— <U*J Öl J ly»JL»^»»J l»..,!»** öl ly»A l IÄ -9 I
326
Ernst Brücke
i->
Die Articulationsstelle des !•> schwankt von der Wurzel der
oberen Schneidezähne bis zum unteren freien Rande derselben. Es
wird bald als z 1 und bald als z 4 gesprochen. Keine von diesen Arti-
culationen kann als unrichtig bezeichnet werden, denn einmal heisst es:
IÜI J\Jlo\j oUM J> Cr« ^ ü (Wallin XII. 617); ein
anderes Mal heisst es: 11=11 l>l!ll oLil 1 ^»Ual! (Ibid.
635).
Doch wird Jö mit 1 und Cj nicht zu den Sibilanten
1) gerechnet, zu denen nur u <s, und j gehören.
Nach Herrn Hassan schwankt die Aussprache nicht ganz will
kürlich zwischen z 1 und zsondern ist nach den einzelnen Wörtern,
ja nach den einzelnen Formen verschieden; so spricht man nach ihm
in Kairo objUlö, mit z l dagegen o>jJlö mit z 4 .
Das i-> wird bekanntlich auch als Verschlusslaut, als d gelesen,
z. B. JJH1 oblü, addal, nadif; da dann aber seine Aussprache mit
der des zusammonfällt, so habe ich weiter nichts darüber zu
sagen. Es handelt sich hier nur um die Aussprache von Jö
als tönendem Reibungsgeräusch, als z* oder z 4 meiner Bezeichnung,
und es ist zunächst die Frage, wie es sich hier von den entsprechen
den nicht emphatischen Lauten j und J unterscheide.
Der Unterschied liegt in drei Dingen:
1. In dem Einflüsse auf den Lautwerth der Vocalzeichen.
2. Im Ton der mittönenden Stimme.
3. Im akustischen Charakter des Reibungsgeräusches selbst.
Was den Einfluss auf die Vocalzeichen anlangt, so gilt hier das
selbe, was beim und ^,o gesagt worden ist, so dass die mit
lautenden Vocale sich zu den mit j und 1 lautenden ganz ebenso
verhalten, wie die mit und lautenden sich verhalten, zu denen
die mit J und lauten. Der Ton der Stimme, welcher mit 1>
lautet, hat etwas Rauhes und Hartes fast Vihrirendes, was Wallin
bewogen hat, diesen Laut mit ^ zusammenzustellen; man muss
indessen wohl bemerken, dass heim i-> niemals das Schwirren des
Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
327
Zäpfchens (uvula) stattfindet, vermöge dessen das ^in der Aus
sprache mancher Stämme so schnarrend wird, dass es dem proven-
falischen R der Franzosen gleicht. Der akustische Unterschied des
Reihungsgeräusches selbst von dem des j und i läuft auf dasselbe
hinaus, wie der Unterschied zwischen und ^*1, und wird wie hier
durch die Stellung der Mundtheile bedingt.
3
J,' ist ein hinten am weichen Gaumen articuiirtes k. Es unter
scheidet sich also schon durch die Articulationsstelle vom aJ, dessen
Verschluss am harten Gaumen gebildet wird. Das ist aber nicht
der einzige Unterschied, Jj hat auf den Lautwerth der Vocal-
zeichen einen ähnlichen Einfluss, wie die früher besprochenen Laute
u <s, Jo, undlö; es brauchen aber hier über denselben keine
besondere Regeln gegeben zu werden, da er sich von selbst geltend
macht, indem es geradezu unmöglich ist, aus dem Verschlüsse
für J direct in einen hellen Vocal überzugehen, ja selbst aus einem
hellen Vocal direct in den Verschluss von Jj zu fallen, so dass das
letztere auch einen unmittelbar vorhergehenden Vocal verdumpft,
wenn es mit ihm syllabisch verbunden ist.
Jj ist nach den Orthoepisten Nachschlagsbuchstabe, was aJ
nicht ist, und zwar wird nach Wallin der Nachschlag als vocalisch
gehört. Ich habe niemals Gelegenheit gehabt, dies an Herrn Ha s s a n’s
Aussprache zu beobachten; wohl aber bin ich beim Jj auf eine ganz
ähnliche Mechanik gekommen, wie beim Jo, dem es darin gleicht,
dass es zu den Nachschlagsbuchstaben gerechnet wird, obgleich sein
Verschluss vollkommen tonlos *), nicht wie bei den übrigen Nach
schlagsbuchstaben i_j, J und ^ tönend ist. So weit ich dem sub-
jectiven Gefühle meines Kehlkopfs und der Auscultation desselben
trauen darf, wird beim Jj ebenso wie beim Jo und ganz in der
selben Weise gleichzeitig mit Rildung und Öffnung des Mund
höhlenverschlusses der Kehlkopf verschlossen und wieder geöffnet.
*) Ich spreche hier von der Aussprache, die als die alte und richtige angesehen
wird: jetzt hört man cs nach Wall in vielfältig als ein weit nach hinten arti
cuiirtes G.
Sitzh. d. phil.-hist. CI. XXXIV. Bil. II. Hft.
22
328
Ernst Brücke
Es erklärt sich hierdurch nicht nur das Erscheinen des vocalischen
Nachschlages, den Wallin hörte, sondern auch die jetzige Volks
aussprache in Kairo, in der Jj wie Hamze lautet. Es ist bei derselben
einfach der Mundhöhlenverschluss weggefallen und der Kehlkopf
verschluss d.i. Hamze übrig gehliehen. Es knüpft sich hieran auch der
leichte Übergang des j in den entsprechenden tönenden Verschluss
laut, das am weichen Gaumen articulirte G, ganz so wie der früher
erwähnte Übergang von 1o in J. Nichts anderes als dieser Über
gang in den entsprechenden tönenden Verschlusslaut, oder wie
man gewöhnlich zu sagen pflegt, in die entsprechende Media, ist
es, was Wallin (XII, G02) als die Aussprache der westlichen
Beduinen, ja überhaupt der meisten Araber unserer Zeit beschreibt.
Hieraus folgt dann wieder durch Unvollkommenwerden des Ver
schlusses der Übergang in das entsprechende tönende Reihungs
geräusch und somit in Nach Wallin verwechseln die Perser und
nach de Sacy auch die Araber von Maskat und die von Marokko
das J in der Aussprache mit £.
Hier sind dann auch dieselben Gründe wie bei La zur Erklä
rung der Thatsache geltend zu machen, dass die arabischen Ortho-
episten Jj mit zu den lauten Buchstaben rechnen, während sie aJ
ausdrücklich davon ausschliessen.
Hamze.
Das Hamze ist bereits von W a 11 i n in Rücksicht auf seine phone
tische Bedeutung so beschrieben worden, dass über dieselbe wohl
keine wesentlichen Zweifel mehr stattfinden können. Ich will hier an
diejenigen seiner Worte anknüpfen, welche die Hauptsache enthalten.
Bd. IX, S. 64 sagt er: „Das Hamze ist in der That nichts als ein
augenblickliches Schliessen und wieder Öffnen des Sprachorgans“
(Wallin hätte richtiger gesagt Stimmorgans. Aus dem Späteren geht
auch hinreichend hervor, dass er dieses meint) .... „Wie die
Articulation aller anderen Explosiven besteht auch die des Hamze
aus zwei Momenten: der Einschliessung oder dem Zurückhalten der
Luft und dem Hervorstossen derselben mit einer Explosion. Da die
beiden Momente in der Kehle allein ohne Beihilfe irgend eines ande
ren Organs bewerkstelligt werden, wird das Hamze zu den Kehl-
§
Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache. 329
buchstaben ^JiisLl gerechnet und seine Articulationsstelle in
den Theil des Larynx angesetzt, der den Lungen am nächsten
liegt.“
Unter den Theilen des Larynx (^IsÜ), welche überhaupt geeig
net sind, Verschluss zu bilden, liegen den Lungen am nächsten die
wahren Stimmbänder, und es ist auch kein Zweifel, dass diese mit
ihren scharfen Rändern einander genähert, respective an einander
gelegt werden, und dass dadurch die tönende Beschaffenheit des
Hamze bedingt wird; andererseits hat sich aber Czerm a k bei seinen
Untersuchungen mit dem Kehlkopfspiegel überzeugt, dass der Kehl
kopf auch nach oben zu verschlossen wird.
Dies geschieht indem sich die Giessbeckenknorpel gegen einan
der und etwas nach vorn bewegen und der Kehldeckel von vorn und
oben nach hinten und unten gegen sie angepresst wird, wie dies bei
Czermak an den im Eingänge dieser Abhandlung und in dem Ab
schnitte überk>citirten Orten durch Beschreibung und Abbildung ver
anschaulicht ist. Ich habe selbst bei gemeinschaftlich mit Czermak
angestellten Beobachtungen diesen Kehlkopfverschluss oft genug
gesehen. Er ist dem Arabischen keinesweges eigenthümlich, sondern
wird auch im Deutschen vor dem anlautenden Vocale, wenn dieser
nicht etwa durch den Ton der Stimme mit Vorhergehendem verbun
den ist, regelmässig gebildet. ,Wenn wir an, in sprechen, so tritt er
ganz so ein, als ob man uns öl, öl hätte aussprechen lassen. Im In
laute dient er zunächst dazu zwei Vocale vollständig von einander
zu trennen. Man muss zwei Grade der Trennung unterscheiden, die
uneigentliche oder unvollständige, bei der beide Vocale zwar nicht
mit einander Diphthong bilden und somit gesondert gehört werden,
aber doch durch den Ton der Stimme mit einander verbunden sind,
und die eigentliche oder vollständige Trennung, die Trennung durch
den Kehlkopfversehluss, durch Hamze. Wenn ich z. B. sage ,jy
so lautet dies knajis katii. In kuajis werden u und a einzeln gehört,
sind aber durch die Stimme verbunden, j soll hier den Laut der
J consona bezeichnen; in kaui ist au Diphthong, i wird für sich
gehört ist aber mit au durch die Stimme verbunden. Hier sind also
die Vocale zwar einzeln hörbar, aber nicht eigentlich getrennt,
indem wo der eine aufhört schon der andere anfängt; Hamze aber,
Kehlkopfversehluss, trennt die Vocale wirklich, indem er zwischen
22 *
330
Ernst Brücke
ihnen den Ton der Stimme abschneidet. Wenn ich ausspreche,
so lautet dieses sa-al, als ob es aus zwei völlig getrennten Wörtern
bestände.
Ebenso findet, wenn ein tönender Consonant vorhergeht, ein
Abschneiden der Stimme durch den Kehlkopfverschluss Statt. So
. fr
lautet in-acliad, wobei das ch wie ^~zu sprechen, den übri
gen Buchstaben aber ganz derselbe Lautwerth wie im Deutschen
zu geben ist. Wir haben auch im Deutschen ganz dieselbe Tren
nung durch den Kehlkopfverschluss, wenn wir zum Beispiel das
Wort einatlimen aussprechen.
Auch wenn ein tonloser Consonant vorhergeht, macht der Kehl
kopfverschluss seine Wirkung geltend; aber dann kann er natürlich
nicht die Stimme abschneiden, da keine vorhanden ist: er schneidet
dann nur den Wind ab, der das tonlose Reibungsgeräusch hervor
brachte. Wenn ich z. B. ausspreche, so lautet es mas-ul, und
dieselbe Trennung durch den Kehlkopfverschluss habe ich im Deut
schen in dem Worte ausatlimen.
Wenn man den Wind zur offenen Stimmritze hervortreibt (also
continuirlich h hervorbringt) und ihn von Zeit zu Zeit durch den
Kehlkopfverschluss anhält und wieder loslässt, so fühlt man beim
Schliessen einen leichten Ruck im Kehlkopfe, heim Öffnen entsteht
ein leiser ächzender Laut, der mit einem kaum hörbaren Knack im
Kehlkopfe beginnt. Es ist gut, dies Schliessen und Öffnen so als
isolirten Act zu üben, um es vollkommen in seine Gewalt zu bekom
men und leicht und sicher mit anderen Bewegungen associiren zu
können, wie dies bei der Bildung des und Jj nöthig ist.
Man wird es dann auch leicht dahin bringen eine Sylbe deut
lich mit Hamze zu schliessen und die folgende mit einem anderen
Consonanten anznfangen, z. B. llgi-na, yu-minün etc.
Steht nach dem Hamze ein vocalloser auslautender Consonant,
so bildet die tönende Explosion des Hamze, d. h. das Öffnen des
Kehlkopfausganges bei zum Tönen verengten Stimmritze und andrän
gendem Luftstrome einen kurzen vocalischen Übergang zu dem aus-
c
lautenden Consonanten, z, B. . j> lautet dä-äb.
Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
331
Das sogenannte Erhöhungshamze entsteht durch das Bestreben
den akustischen Effect des auslautenden Hamze, der an sich schwach
ist, zu verstärken. Zu diesem Ende wird unmittelbar vor dem Ver
schlüssen des Kehlkopfs die Luft durch einen plötzlichen Druck der
Exspirationsmuskeln gegen die zum Tönen verengte Stimmritze ange
trieben, um den beim Verschluss im Kehlkopfe erfolgenden Ruck
vernehmbar zu machen. Dadurch erhöht sich aber zugleich der Ton
der Stimme unmittelbar vor diesem Stosse, da bekanntlich der Ton
der Stimme bei übrigens gleich bleibenden Bedingungen und stei
gendem Exspirationsdruck in die Höhe geht.
Teschdid wirkt auf das Hamze gerade so wie auf jeden anderen
Verschlusslaut. Es verlangt, dass sowohl der Act des Verschlusses
als auch der der Öffnung deutlich hörbar gemacht werden. So
lautet lä-al, mit scharf abgestossenem kurzen a in der ersten
Sylbe.
Im Vulgärarabischen von Kairo ist das Hamze meistens wenig
oder gar nicht hörbar; dies gilt namentlich vom auslautenden Hamze,
das in der Aussprache ganz verschwindet, so lautet einfachnabi;
p * *
lli nasclia etc. Grossentheils aber gilt es auch vom Hamze in der Mitte
der Wörter. Ist Hamze hier mit Gesm versehen und schliesst seine
Sylbe, so wird der vorhergehende Vocal durch Wegfall des Hamze
lang, indem die Zeit, die früher der Verschluss in Anspruch nahm,
n
nun dem Vocal zu gute kommt; so wird aus llü- gl-na in der Vul-
£
gärsprache gena aus .Uo- gi-txi get etc. Ist dagegen Hamze durch
einen Vocal bewegt, so dass es eine Sylbe anfängt und ist der ihm
vorhergehende Consonant gleichfalls bewegt, so fällt mit dem Ver
schwinden des Hamze auch die Sylbengrenze weg, und es werden
somit zwei Sylben in eine zusammengezogen, z. B. L sa-äktubu,
vulgär säktüb.
In Rücksicht auf das 1 bemerkt schon de Sacy, dass es in der
£• «*
Vulgärsprache in J übergeht, so dass z. ß. ^Wj lautet, als ob es
geschrieben würde.
333 Ernst Brücke
t
Über das ^ besitzen wir gleichfalls Kehlkopfspiegelbeobach-
tungen von J. Czermak. „Verschliesseicb,“sagtderselbe, „denKehl-
kopf in der oben beschriebenen Weise“ (wie beim Hamze) „und diese
drei Spalten“ (eine von links nach rechts und eine von rechts nach
links verlaufende zwischen der unteren Fläche des Kehldeckels und
den oberen Stimmbändern, so wie dem oberen Rande der die Giess
beckenknorpel einschliessenden Schleimhautfalte, und eine dritte
mittlere von vorn nach hinten verlaufende zwischen den Innen
rändern der Giessbeckenknorpel) „durch Aufeinanderdrücken ihrer
Ränder und treibe die Luft kräftig gegen dieselben an, so entsteht ein
harter eigentümlich gequetschter Ton, indem die Ränder der Fissura
laryngea ganz ebenso wie sonst die Ränder der verengten wahren
Stimmritze in deutlich sichtbare tönende Schwingungen gerathen.
Es entsteht für diesen eigentümlichen Laut also gewisserm assen
eine besondere Stimmritze zwischen den an einander gelegten Rän
dern der Fissura laryngea.“
„Ich habe wiederholt beobachtet, dass während die Santorini-
schen Höcker fest und unbeweglich an einander schlossen, der untere
Theil des interarytänoiden Spalts die Luft in raschen Pulsationen
hervorbrechen liess, was ich allemal an dem Zittern der Reflex
lichter auf der feuchten Schleimhaut und zuweilen an dem Auf
treiben von Luftblasen im zähen Schleim deutlich erkannte. Auch
durch die beiden horizontalen Spalten kann die Luft tönend hervor
getrieben werden. Der auf diese Art erzeugte Ton ist nichts anderes
als das vielbesprochene arabische Am, wie ich es durch Herrn
Hassan aus Kairo kennen gelernt hatte.“
Um sich die Aussprache einzuüben, fängt man am besten mit
dem ^ an, das durch Fatha bewegt ist. Man spreche irgend ein
Wort, das mit A beginnt, z. B. aber. Hier bildet man, um den Vocal
rein und scharf hervorzubringen, den Kehlkopfverschluss Hamze.
Um nun dies Hamze in Ain zu verwandeln, Öffne man im Momente
des Anlautes den Kehlkopf nicht sofort, sondern lasse sich die Luft
anfangs gewaltsam hindurchdrängen, so dass sie dabei einen knarren
den Laut gibt, wie zum Beispiel die Luft einen knarrenden Laut gibt,
welche man zwischen den zusammengedrückten Lippen hervorpresst.
Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
333
Ich finde, dass es für den Anfang eine zweckmässige Hilfe ist,
im Momente, wo der Anlaut erfolgen soll, den Unterkiefer plötzlich
nach abwärts und die Zunge nach rückwärts zu ziehen. Herr Hassan
empfiehlt auch den Kehlkopf zwischen Daumen und Zeigefinger etwas
zu pressen und nach hinten und oben zu schieben. Hat man den
knarrenden Laut einmal gefunden, so bringt man ihn nachher stets mit
der grössten Leichtigkeit hervor, und hat nur dafür zu sorgen, dass
man ihn nicht zu lange aushalte, nicht länger als jede andere anlau
tende Continua, r, l, s, f, weil sonst eine Aussprache entsteht, die in
ähnlicher Weise unrichtig und widerwärtig ist, wie die Aussprache
des r, die man von den meisten Taubstummen hört, welche diesem
Consonanten eine viel zu grosse Anzahl von Vibrationen geben. Es
ist auch das ^ dem Organ des Abendländers keineswegs so fremd
artig, wie gewöhnlich behauptet wird. Mancher Deutsche bringt es
in seiner Muttersprache unwillkürlich hervor, wenn er sein Organ
anstrengt. Er will seiner Stimme Tragweite geben und drückt seinen
Kehlkopf zu, um einen vocalischen Anlaut scharf und kräftig her
vortreten zu lassen, aber noch ehe er ihn wieder eröffnet, drängt die
unter der Stimmritze zusammengepresste Luft sich durch die Spal
ten hindurch, und vor dem Vocal tönt ein Ain ganz gleich dem
in Js>.
Mit dem Vocal u verbindet sich das ^ nicht so innig wie mit «
und a‘. Ist desshalb £ von Damma bewegt, so macht es uns fast den
Eindruck, als ob die Sylbe aus zwei Stücken bestände: so lautet z. B.
die Pluralform als ob die erste Sylbe einen Knick hätte. Anfangs,
wenn man das ^hört, hört man noch nichts vom u, und doch hat
das £ einen vocalischen Charakter, der sich in diesem Falle dem
eines dumpfen «" am meisten nähert, das heisst, das £ erhält wie
sonst der Ton der blossen Stimme durch seine Resonanz in der Mund
höhle Vocalfarbe, und zwar hier die des dumpfen ft". Erst nachdem das
Ain gebildet ist, erfolgt scharf und plötzlich, indem das ^zugleich dem
gewöhnlichen Ton der Stimme Platz macht, der Übergang zum u.
Dem Deutschen werde ich die Aussprache am besten versinnlichen,
wenn ich äürbtin schreibe und dazu bemerke, dass ä nicht mit dem
gewöhnlichen Ton der Stimme, sondern eben mit dem gequetschten
334
Er n s t Br ii cke
Kehlkopflaute ^ hervorgebracht werden soll. Ich habe über das ä
das Zeichen der Kürze gesetzt, um davor zu warnen, dass man ihm
keine zu lange Dauer gebe, keine längere als eben nöthig um das
^hören zu lassen, weil man sonst die Aussprache gänzlich ver
fehlen würde.
Ganz ähnlich verhält sich das £^vor dem i, so dass man 0^**°
und in analoger Weise für den Deutschen schreiben könnte
sab-äln und tis-äin. Wo indessen das ^ vor einem j; durch Fatha
bewegt vorkommt, also Diphthong gebildet wird, merkt man von
dieser Discontinuität durchaus nichts. Der Laut ist einfach ai, vulgär
ä und fängt mit dem charakteristischen Kehlkopflaute an. Ebenso
wenig fühlt man Discontinuität, wenn ^von Fatha bewegt vor Wau
vorkommt, z. B. in dessen Aussprache dem Deutschen deutlich
gemacht ist, wenn ich auile schreibe und bemerke, dass der Diph
thong au mit dem Kehlkopflaute £, nicht wie im Lateinischen aude
„wage“ mit dem blossen Hamze zu beginnen sei.
Wenn das £ mit Gesm bezeichnet ist, bringt es aber wieder
einen solchen Knick in der Sylbe hervor und zwar nach allen drei
Vocalen. So würde ich für den Deutschen schreiben: Xcl dälam,
\ V— ' 0 w
pLw maalum, muäscliib, heilt'), wobei natürlich hin
zuzufügen ist, dass für die hier mit dem Kürzezeichen versehenen
Vocale der gewöhnliche Ton der Stimme stets durch den oben
beschriebenen Laut des Ain zu ersetzen sei.
Auch wenn das ^ nach einem gesmirten Consonanten im Aus
laute steht, hört man in ihm einen kurzen Vocal, bald a, bald ii,
o 8 « # A V © " ,
z. B. lautet wie scuriä wie tis’ü, wie schär ä etc.
Alle diese Erscheinungen erklären sich leicht aus der Natur des
Das ^ ist tönend und zugleich eine gutturalis vorn (vergl. meine
Grundzüge p. 7) ; der Mundcanal ist vocalisch offen, es entsteht also,
1 ) Nicht etwa biät; der Lautwerth des Kesre wird durch Rückwirkung des Ain auf
dasselbe verändert.
Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
333
so lange die Gestalt des letzteren nicht für einen bestimmten Voeal
eingerichtet ist, das ^mit der Resonanz des sogenannten unbestimm
ten Voeals. Diese geht aber, wie bekannt, je nachdem sich die Ge
stalt des Mundcanals verändert, durch die unvollkommen gebildeten
Vocale mittelst allmählicher Übergänge in die Resonanz der verschie
denen vollkommen gebildeten Vocale über. Man sieht also ein, wie
leicht durch geringe Veränderung der Gestalt des Mundcanals in
einer oder der andern Richtung das Ain eine erkennbare Vocalfarbe
annehmen oder wie leicht dem Ohr subjectiv eine solche Vocalfarbe
durch den Contrast mit der Resonanz eines andern Voeals erschei
nen kann, gerade so wie uns das weisse farbig erscheint, wenn
unser Auge durch den Eindruck einer lebhaften Farbe umgestimmt ist.
Ist nun das Ain von Fatha bewegt, so wird der Mundcanal bei Hervor
bringung des ersteren für das letztere erweitert und es erfolgt ein
allmählicher und unmerklicher Übergang in das a. Ist aber ^ von
Damma bewegt, so ist der Mundcanal nicht von vorn herein für u
eingerichtet, die Verengerung der Mundöffnung würde auch den
Laut des ^verdunkeln; erst wenn das ^ angelautet hat, wird der
Mundcanal in die Stellung für das u gebracht, und die dadurch ent
stehende plötzliche Veränderung in der Resonanz ist es, welche
gewissermassen einen Knick in der Sylbe hervorbringt. Ganz ähn
lich verhält es sich mit dem das durch Kesre bewegt ist. Folgt
auf u ein das mit Gesm versehen ist, so entsteht wiederum ein
solcher Knick, indem mit dem Beginne des ^ die Stellung für das u
aufhört und dadurch die Natur der Resonanz verändert wird.
Nicht ganz so ist dies der Fall beim a und e, welchen letzteren
Laut in der Regel Kesre annimmt, wenn ihm ein gesmirtes ^ folgt.
Hier hat das ^ selbst die Resonanz des a oder e, oder doch die
verwandte des ä, aber es setzt sich doch gegen den vorhergehenden
Vocal deutlich ab durch den Kehlkopfverschluss , der das ^ mit
Nothwendigkeit einleitet und der eben durch einen sofort verstärkten
Exspirationsdruck behufs der Bildung des specifischen Lautes des
^ periodisch unterbrochen wird.
Mit eben diesem Verschlüsse und der vocalischen Resonanz
des Ain hängt es auch zusammen, dass sich dasselbe im Auslaute
nach einem gesmirten Consonanten von diesem so deutlich isolirt
I
336
Ernst Brücke
und dem vorhergehenden gleichsam als eine eigene kurze accentlose
®- ® "
Sylhe nachklappt, wie wir dies in den Beispielen und ^ gese
hen haben.
Die Orthoepisten bemerken mit Recht, dass das Ain nicht ton
los hervorgebracht werden könne; aber es ist mir doch erschienen,
als ob es im Auslaute nach gesmirten tonlosen Consonanten, also in
den Fällen, in denen die übrigen tönenden Consonanten mit Ausnahme
von j, ^ und ö den Ton der Stimme zumeist verlieren, einen
weniger metallischen, mehr heiseren Laut habe, als in anderen Ver
bindungen. Es scheint mir dies mit dem Zustande zusammenzuhän
gen, in dem sich die Stimmbänder in dem Augenblicke befinden, in
dem das Ain anlauten soll.
Ich habe bereits in meinen Grundzügen (S. 97) erwähnt, dass
das ^ aus zwei gleichzeitigen Geräuschen zusammengesetzt ist: aus
einem tonlosen Reibungsgeräusche, das ich als hinterstes X bezeich
net habe, und aus einem r uvulare. Ich will nun hier noch die Art an
geben, wie man sich diesen Consonanten, ohne ihn von einem Araber
gehört zu haben, am sichersten einiiht. Man bringe das deutsche ch,
wie es in Wache lautet, vor dem Spiegel continuirlich hervor und
suche dann die Zunge vom Gaumen zu entfernen, aber dabei immer
noch ein ch oder doch einen möglichst ähnlichen Laut hervorzubrin
gen. Hierdurch wird man genöthigt, die Articulationsstelle immer
weiter nach hinten zu verlegen, und wenn dies bis dahin geschehen
ist, dass man im Spiegel bei passender Beleuchtung das hinterste
Ende des Gaumendaches, da wo an seinem Fh’ste das Zäpfchen auf
gehangen ist, sehen kann, so ist das Reibungsgeräusch des richtig.
Da nun die Luft im zusammengehaltenen Strom unmittelbar an dem
Zäpfchen vorüberstreichen muss, so ist es auch leicht, dies in Vibra
tion zu setzen, ja fast leichter, als es in vollständiger Ruhe zu erhal
ten. Vor allem muss man aber zuerst das Reibungsgeräusch kräftig
zu entwickeln suchen, denn dieses ist das eigentliche Hauptstück des
Consonanten, und kann ihn viel eher ohne den Zitterlaut repräsen-
tiren, als es der Zitterlaut, das blosse tonlose r uvulare, ohne Rei
bungsgeräusch, vermag. Es ist desshalb auch namentlich darauf zu
Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache. 337
achten, dass nicht, was bei Ungeübten wohl zuweilen geschieht, der
Zitterlaut früher hörbar werde als das Reibungsgeräusch.
Da beide zeitlich zusammenfallen müssen, so bedingt die Doppel
heit des Geräusches auch keine längere Dauer des Consonanten in
seinen sprachlichen Verbindungen, sie ist in nichts von der unseres cli
verschieden.
Wenn man zum ^ die Stimme mittönen lässt, so wird daraus
unmittelbar das Auch in ihm ist das Reibungsgeräusch die Haupt
sache, der Zitterlaut ist je nach dem Dialekt bald stärker, bald
schwächer hörbar. In der ägyptischen Aussprache ist er schwach;
dagegen muss er in Algier dem europäischen Ohre stärker auffallen,
indem das r im neufranzösischen razzia bekanntlich aus £ entstan
den ist.
Es gibt übrigens auch in der ägyptischen Aussprache Fälle,
in denen sich der Zitterlaut dem Reibungsgeräusche gegenüber stär-
ker geltend macht; so könnte man ^, injmiitia, nach deutscher
Orthographie fast barj schreiben, wobei man im Auge zu halten hat,
dass das r ein r uvulare sein muss. Also nach der in meinen Grund
zügen angewendeten Bezeichnung wäre zu schreiben bapy*.
Wahrscheinlich ist es das verwandte Reibungsgeräusch des
(_$, welches hier das des ^gegen das zweite Lautelement dessel
ben, gegen den Zitterlaut, zurücktreten lässt.
^ und 4
Das ist vonC zermak direct beobachtet worden. Nach ihm ist
dabei die Stimmritze nicht wie beim Tönen verengt, sondern verhält-
nissmässig weit geöffnet, aber doch nicht so, wie beim gewöhnlichen
Ausathmen. Die Giessbeckenknorpel sind nach hinten zu von einan
der entfernt, aber nach vorne zu mit ihren sogenannten processus
vocales einander mehr genähert, so dass diese einen Knick nach ein
wärts bilden, welcher die Grenze anzeigt, zwischen demjenigenTheile
der Stimmritze der zwischen den Giessbeckenknorpeln liegt, und dem
der jederseits von den Stimmbändern begrenzt wird.
Dabei ist der Kehldeckel dem oberen Theile der Giessbecken
knorpel genähert, so dass eine doppelte Enge gebildet wird, durch
338
E r n s t B r ü t» k e
welche die Luft hindurchstreicht und so das Geräusch des ^ her
vorbringt.
Es wird angegeben, der Europäer solle , um diesen Laut zu
treffen, machen als ob er vor Frost in die Hände hauche oder als ob
er eine Glasplatte durch Anhauchen mit Thau bedecken wolle. Es ist
vor allem wesentlich, dass der Hauch kein dumpfes Wehen oder
Blasen sei, sondern dass er eine gewisse Schärfe besitze, und dass
man das subjective Gefühl habe, man bilde den Consonanten rein
im Kehlkopf und nicht erst dadurch, dass man die aus demselben aus
strömende Luft gegen die Wandungen der Rachen- und Mundhöhle
anbläst. Noch mehr hat man sich natürlich zu hüten, dass man das
^ nicht mit dem deutschem ch verwechsele, wozu bei der Häufig
keit dieses Lautes in unserer Muttersprache namentlich die Deutschen
geneigt sind.
Über die Art und Weise, wie das ^ in Verbindung mit Voca-
len und ohne dieselben hörbar gemacht wird, hat sich Wallin so aus
führlich verbreitet, dass ich kaum etwas hinzuzufügen habe; nur
darauf möchte ich aufmerksam machen, dass, wie ich wenigstens nach
Herrn Hassan’s Aussprache urtheilen muss, der Araber diesem Buch
staben, wo er am Ende ohne Vocal steht und desshalb dem Hörenden
leicht verloren gehen könnte, durch die Dauer einigermassen ersetzt,
was ihm an akustischer Wirkung im Vergleich mit anderen Reibungs
geräuschen, wie ^^ und ^ abgeht. Dies gilt namentlich für
das auslautende das mit Teschdid versehen ist, wie z. B. in ^
(er hat gehustet, modern Ägyptisch). Hier schien es mir ganz deut
lich, dass das ^ etwas länger ausgehalten wurde, wie z. B. das in
Es ist dies auch aus der Mechanik des ^ erklärbar. Während
des vorhergehenden Vocals darf der Exspirationsdruck eine gewisse
Stärke nicht überschreiten, weil sonst der Vocal in einen Schrei aus
arten würde. Öffnet sich nun die Stimmritze zur Bildung des so
ist eben dieser Druck zu gering, um demselben die gehörige akustische
Wirksamkeit zu geben: man muss ihn desshalb verstärken, man
muss eigends zur Bildung des ^ noch eine stärkere Exspirations
bewegung machen. Ich werde mich für den, der sich noch nicht mit
phonetischen Versuchen beschäftigt hat, vielleicht deutlicher aus-
drücken, wenn ich sage das ^ werde der gebildeten Sylbe nach-
Beitrüge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
339
gehaucht, gleichsam als oh es für sich eine besondere Endsylbe
bilde, bei der aber sorgfältig jedes Tönen der Stimme zu vermei
den ist.
Vom a gibt schon Wallin mitAnderen an, dass es, durch einen
Vocal bewegt, ganz unserem deutschen li entspreche. Fremdartig er
scheint uns dieser Consonant nur da, wo er nicht eine Sylbe anfan
gen, sondern eine solche schliessen oder in der Mitte derselben auf-
treten soll. Hier wird der Deutsche leicht verleitet, den vorhergehen
den Vocal zu dehnen, weil hei uns das li in solcher Stellung als
Dehnungszeichen auftrilt. Man muss sich aber gerade anstrengen
den Vocal, wenn er nicht etwa an sich lang ist, recht kurz und kräf
tig herauszustossen, weil dadurch das a deutlicher wird. Sprechen
wir z. B. das Wort Jjsl, so wird zunächst der Kehlkopf fest ver
schlossen (Hamze); dann wird er eröffnet und der Vocal bricht her
vor, aber sogleich erweitert sich die Stimmritze, dadurch wird das
h gebildet und diesem folgt unmittelbar das l. Wir können also das
Wort mit deutschen Buchstaben ahl transseribiren; das all ist aber
nicht zu verwechseln mit äh, der Interjection des freudigen Erstau
nens, es ist vielmehr die Interjection des Überdrusses und der Unge
duld, die Interjection, welche, freilich auf nicht ganz attische Weise,
sagen will: Lass mich in Frieden! Dieser hängt sich das l unmittel
bar an, so wie etwa das auslautende l im englischen cattle, sprich
kiitl; oder in Rakel, im jüdischen Dialekt gesprochen rcichl.
Es gibt aber im Vulgärarabischen auch ein ganz stummesA.
Es ist das des Aflixpronomens a, wo es an Wörter angehängt ist, die
auf einen Consonanten (zu denen auch Hamze zu zählen) ausgehen.
So lautet Au ['S'kitäbii. Nach Vocalen wird es gehört, aber in der Vul
gärsprache ohne nachfolgendes «, z. B. a.a lautet fih, a^Ls lautet
hatalüh u. s. w. Das li muss hier dem Vocal deutlich unterscheidbar
nachgehaucht werden.
Das He am Ende der Wörter hat, wenn es mit zwei Puncten
versehen ist (sogenanntes weibliches Te), mit unserem Consonanten
durchaus nichts als die Form gemein. In der gelehrten Aussprache
hat es bekanntlich den Lautwerth eines t, in der Vulgärsprache ist
es meist stumm und das Fatha des vorhergehenden Buchstaben lautet
wenn ebenjener Buchstabe zu denjenigen gehört, welche die dicke
340
Ernst Brücke
Aussprache der Vocale (siehe weiter unten) nach sich ziehen, oder
wenn dies auch nicht der Pall, er aber mit Teschdid versehen ist,
wie a, sonst wie e; lässt man aber das t in der Vulgärsprache hören,
so lautet die Endsylbe stets nt nicht et.
j und ^
j und sind zwei Laute, die genau auf der Grenze der Vocale
und der Consonanten stehen. In ihnen ist gleichsam ein Consonant
mit einem Vocal vereinigt, so dass sie bald als Vocal und bald als
Consonant dienen. Man bringe mehrmals hinter einander die Com-
bination auwa hervor, und bilde dabei das w nur mit den Lippen,
also als w* meiner Bezeichnung. Man verfahre dabei so, dass man
beim Übergang von u zum w keine merkliche Veränderung in der
Mundstellung vornimmt, sondern aus derselben Position, die noch eben
den Diphthong au als Vocal geschlossen hatte, durch Übergang in
ein a die Sylbe wa erzeugt. Gerade diese Position ist es, welche
dem ^ der Araber entspricht und daraus erklärt es sich einfach, dass
^ t-
} wa, aber au (vulgär o) lautet.
Das dem j als Consonant zukommende Reibungsgeräusch (jo 1 )
ist unter allen Umständen ausserordentlich schwach, mindestens
ebenso schwach wie das des entsprechenden Buchstaben im eng
lischen Alphabet W. Es ist ebenso wie dieses ein rein labiales W,
bei dem alle Mitwirkung der Zähne, die sich beim deutschen W («i*
oder V Romanum) geltend macht, auf’s sorgfältigste ausgeschlossen
werden muss. Ja es würde sich die Ansicht derer vertheidigen lassen,
welche sagen, das ^ habe eigentlich gar kein consonantisches Ele
ment '), es würde nur der Schein eines solchen hervorgebracht,
indem man aus der Stellung für den Vocal u in die Stellung für
*) So sagt de Sacy, Gramm. Arabe 2. ed., I, 52. „C’est ici le lieu de remarqaer
que le ^ ne represente pas veritablement une artieulation. Prononce A la maniere
des Arabes, et non comme le prononcent les Turcs et les Persans, il forme
reellement une diphthongue avec la voyelle qni le suit; car la diphthongue n’est
autre chose que la reunion de deux sons prononces rapidement , en Sorte que
l’on apergoit A peine la distinction. Teiles sollt en frangais les diphthongues
$ ** **
des mots oui, dien, ciel. 11 en est de meine dans les mots arabes ;
prononcez ouA-li-don, oueledon.
Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
341
einen anderen Vocal übergeht und während der Bewegung die Stimme
lauten lässt. Diesen consonantischen Effect bringt das durch einen
Vocal bewegte stets hervor: erstens im Anfänge eines Wortes
z. B. jJj sprich iv l älad\ ferner meistens auch in der Mitte eines
Wortes, wenn die vorhergehende Sylhe auf einen Consonanten aus-
geht. So könnte man nach englischer Orthographie ^ j'J, abgesehen
davon, dass man dadurch dem Laut des Patha hier nicht völlig gerecht
würde, transscribiren tanween. Geht aber ein Vocal vorher, so lehnt sich
das ^ an diesen diphthongisch an und der consonantische Effect ver-
schwindet z. B. u ~j^ lautet küajis kaui. Dies kann selbst statt
finden, wenn der vorhergehende Vocal lang ist, wo dann nur der
— £
erste Theil des Diphthongs etwas gedehnt wird, z. B. in l. Auch
in einigen Verbindungen, bei denen ein Consonant vorhergeht, hört
man nichts von einem Consonanten im j, so in sprich lahuija.
Das gesmirte^ ist unter allen Umständen Vocal, ebenso natürlich
das, welches nur zur Verlängerung eines vorhergehenden Damma
dient. Über das nach einem gesmirten Consonanten unbewegt aus
lautende j kann ich keine sichere Auskunft geben. Ich erinnere mich
keines Beispiels, in dem es deutlich als Consonant hörbar wäre, wohl
o
aber solcher in denen es als Vocal gehört wird, z. B. y\ sprich innu
oder richtiger bezeichnet inu.
Wenn ein tonloser Consonant vorherging, so markirte in der
gewöhnlichen raschen Aussprache Herr Hassan das auslautende j
oft nur durch ein schwaches Anlauten der Stimme und gleichzeitiges
rasches Annähern der Lippen an einander, so z. B. in . Wenn
ich ihn aber dann bat, mir das Wort noch einmal deutlich vorzu
sprechen, so trat das vocalische Element wieder deutlicher hervor.
Man könnte, wenn man, wie die Meisten, Teschdid ohne weiteres als
Verdoppelungszeichen ansieht, nach dem bisherigen erwarten, dassj
überall den Lautwerth von uw 1 habe, es ist aber dies nur theilweise
der Fall, manchmal verschwindet auch hier das Consonantengeräusch
^ >
vollständig; so lautet allerdings (nach meiner Bezeichnung)
«htm 1 «»’, aber der Aussprache von J^l ist meinem Ohre nach
342
Ernst Brücke
schon genügt, wenn ich mal transseribire, wobei man sich natür
lich zu hüten hat, dass man nicht das u vom folgenden a trenne
und etwa an-al spreche.
Das entspricht dem y der Engländer wie das s dem w.
Man lindet seinen richtigen Laut, wenn man die Combination aija
(aiy'a) hervorbringt und dabei so lange am 1 und am Jot bessert,
bis man beim Übergang von einem zum andern keine merkliche
Bewegung mehr ausführt, sondern unmittelbar aus der Stellung, die
eben den Diphthong ai geschlossen hat den Consonanten Jot ent
wickelt.
Wenn das ^ von einem Vocal bewegt ist, so ist sein conso-
nantischer Laut, y 1 meiner Bezeichnung, im allgemeinen deutlich
wenn auch schwach hörbar. Selbstverständlich davon ausgenommen
sind die Fälle, in denen <_$ nur als Träger des Hamze dient. Ich finde
auch nicht, dass sich das von einem Vocal bewegte ,J an einen vor
hergehenden Vocal diphthongisch anschliesst, wie es das bewegte
j, wenn es nicht Träger des Hamze ist, tliut. Wenn ,J gesmirt ist,
ist es immer Vocal; der Diphthong ai, den es dabei mit vorhergehendem
Fatha bildet, geht in der Vulgärsprache in ein langes e oder ä über.
Natürlich hat es auch Vocalwerth wenn es zur Verlängerung eines
Kesre dient. Steht es unbewegt im Auslaute nach einem gesmirten
Consonanten, so ist es theils Consonant, z. B. in _x=~- sprich gidj,
nach meiner Bezeichnung gldy x , nicht fjidy'i oder giddi, theils ist
es Vocal, so in , nach meiner Bezeichnung stfni nicht sHny 1 zu
transscribiren.
bat gewöhnlich den Lautwerth von iy 1 meiner Bezeich
nung. Es kann aber auch das vocalische Element ganz schwin
den , so würde c-nach deutscher Orthographie transscribirt wer
den müssen tajib, nicht taijib, nach meiner Bezeichnung tay'ib nicht
taiy'ib. Die Fälle in denen j und mit vorhergehendem Fatha in
der Aussprache ein blosses a bilden sind aus den Grammatiken
bekannt.
i>
Über das i> finden sich beiWallin (XII. 649) im wesentlichen
dieselben Angaben, welche de Sacy (Gramm. Ar. I. p. 22 u. 23)
Beitrüge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
343
über die Aussprache desselben beim Koranlesen macht. Nach den
von Herrn Kellgren im Eingänge gemachten Bemerkungen scheint
es aber, dass hier das von Wall in hinterlassene Manuscript bereits
sehr defect war, so dass jene Angaben vielleicht nicht aus diesem
herrühren, sondern vom Bearbeiter der Vollständigkeit wegen ein
gefügt wurden. Auf die lebende Sprache scheinen sie nur mit grossen
Einschränkungen anwendbar zu sein , denn im Munde des Herrn
Hassan unterliegt das i> keinen anderen Einflüssen als in den
abendländischen Sprachen das n. Vor j. und vor *_« lautet es wie m.
Es ist dies der gewöhnliche Act der Assimilation, vermöge dessen
ein Resonant oder ein Verschlusslaut den vorhergehenden Resonanten
auf seinen Articulationsplatz hinüberzieht, so dass ein und derselbe
Verschluss, hier der Lippenverschluss, für beide dient, und der
Übergang vom Resonanten zum Verschlusslaute lediglich durch
Scldiessen der Gaumenklappe bewirkt wird.
Von derselben Natur ist die Lautveränderung, welche das
ö vor aJ und J erleidet. Hier geht es nämlich in die Resonanten
meiner dritten Reihe (g- und Ä-Reihe) über, die wir in singen,
sinken, Wange, Ranke etc. hören. Der Resonant wird weiter nach
vorn oder weiter nach hinten gebildet, je nachdem ein -l5 oder J,'
folgt, indem der Verschluss, den die Zunge mit dem Gaumen bildet,
erst für den Resonanten und dann auch noch für den Verschlusslaut
dient, und der Übergang zu letzterem durch Verschluss der Gaumen
klappe bewirkt wird, indem man beim -tJ zugleich die Stimmritze
weit öffnet, beim J den Kehlkopfausgang verschliesst.
Eine andere Art der Assimilation besteht darin, dass der Reso
nant als solcher ganz verschwindet, indem er von einem darauf
folgenden andern Consonanten derselben Articulationsstelle ver
schlungen wird z. B. irruere statt inruere, Hiatus statt inlatus. Diese
Assimilation tritt vor j und J auch im Vulgärarabischen ein, aber
schon nicht mehr so allgemein, wie die vorherbesprochenen Ver
änderungen. Die Assimilation vor_j und die mit der ebenerwähn
ten und der vor ^ von den Grammatikern in der Regel vom eupho
nischen Teschdid vorgeschrieben wird, iindet man nach Herrn
Hassan in Kairo nur noch im Munde der Gebildeten, welche die
23
Sitzl), (I. phil.-hist. CI. XXXIV . Bä. II. Hft.
344
Ernst ß r ii e k e
Regeln der Grammatik beobachten, nicht beim Volk. Im übrigen hat
das ö ganz den Laut des deutschen n.
II.
Die geflüsterten (Lj^U und die lauten
uchstaben. Lettres cachdes und lettres profdrdes ouver-
tement von de Sacy.
Geflüsterte sind 4, ^., .l), ^O, ^undi_j,
also sämmtlich Consonanten, denen derTon der Stimme fehlt. Alle, die
ihn haben, werden unter den lauten Consonanten aufgeführt. Die Ein
teilung entspricht also dem Principe nach der von mir adoptirten
Einteilung der Sanskritgrammatiker in tonlose und tönende. Wesshalb
die Araber und Jj trotz der Tonlosigkeit ihres Verschlusses mit
zu den lauten Consonanten rechneten, ist bereits oben bei der
Beschreibung dieser Buchstaben aus einander gesetzt worden.
Die hohen Buchstaben (LLelil und die nie
drigen Lettres dlevdes und lettres abaissdes von
de Sacy.
Hobe Buchstaben sind: Jj, h>, u 'o, iä, alle
übrigen sind niedrige. Die hoben Buchstaben haben nach Beidawy
(Wallin IX. 19) ihren Namen daher, dass sie ihren Klang im oberen
Theile des Gaumens (^J.5^1 j) erhalten. Diese Angabe ist
leicht erklärlich in Rücksicht auf Jj, £ und die ja zwischen der
Zungenwurzel und dem weichen Gaumen gebildet werden, aber es
ist nicht ohne weiteres einzusehen, was , u 'o, und mit
jenen dreien gemein haben und warum sie ihren Klang mehr vom
Gaumen her beziehen als J*, O, d>, j, j, ■>.
Ich glaube, dass der Name hergeleitet ist von einer subjectiven
Empfindung der Resonanz am weichen Gaumen, welche bei allen
jenen sieben Buchstaben entstellt, wenn sie in Verbindung mit
Vocalen ausgesprochen werden.
Ich kann die Vocale i, a, u auf zwei wesentlich verschiedene
Arten hervorbringen, verschieden für den Hörenden durch die
Klangfarbe und verschieden für den Sprechenden durch die sub
jectiven Empfindungen in der Mundhöhle. Ich kann ein u hervor-
Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
348
bringen, das mir keine besondere Empfindung am Gaumensegel, wohl
aber ein leichtes Vibriren in den Lippen verursacht, und kann zwei
tens ein u hervorbringen, bei dem ich nichts an den Lippen fühle,
wohl aber die Empfindung habe, dass die von der Stimmritze kom
menden Tonwellen gegen das Gaumensegel anschlagen. Ich kann
ebenso ein i hervorbringen, bei dem alle subjectiven Empfindungen
auf den vorderen Theil der Mundhöhle beschränkt sind, und wie
derum ein anderes, bei dem ich vorn im Munde keine besondere
Empfindung, wohl aber deutlich das Gefühl der Gaumensegelreso
nanz habe. Ich kann endlich ein a hervorbringen, bei dem ich das
Gefühl habe, als ob es mir leicht über die unteren Schneidezähne
dahinfliesse, und zweitens ein solches, von dem es mir scheint, dass
es vom Gaumensegel reflectirt werde. Diese Vocale mit Gaumensegel
resonanz sind unbeschadet eines kräftigen metallischen Tones weni
ger hell und weniger vollkommen gebildet, als die, wenn ich mich
so ausdrücken darf, vorn zum Munde herausgesprochenen, sie
scheinen dem Hörenden mehr aus der Tiefe hervorzutreten und die
Kluft zwischen den Nachbarvocalen, z. B. o und u, i und e, i und i u
ist geringer.
Hierdurch steht die Gaumensegel-Resonanz im Zusammenhänge
mit der dicken und der dünnen Aussprache der Vocale, von der wir
später handeln werden; wie denn auch alle hohen Buchstaben solche
sind, welche die dicke Aussprache nach sich ziehen, aber nicht
umgekehrt alle, welche das letztere thun, auch hohe Buchstaben sind.
Wenn man sich auf die Gaumensegelresonanz einübt, so hüte
man sich wohl, dass man sie nicht mit der nasalen, dem sogenannten
Nasenton verwechsele. Sie ist davon durchaus verschieden. Bei der
nasalen Resonanz ist die Gaumenklappe offen, bei der Gaumensegel
resonanz aber geschlossen. Ob ersteres oder letzteres der Fall sei,
davon überzeugt man sich, indem man ein Stückchen brennenden
Wachsstockes so hält, dass die Flamme vom Hauch der Nase, aber
nicht von dem des Mundes getroffen wird, und dann beobachtet, ob
sie ruhig brennt oder flackert; im ersteren Falle ist die Gaumen
klappe geschlossen, im zweiten nicht. Ein noch empfindlicheres
Mittel, das in der That auch den kleinsten Mangel im Verschluss der
Gaumenklappe verräth, hat Czermak angegeben. Es besteht darin,
dass man ein Stück Spiegelglas unter die Nase bringt und es dann
rasch entfernt um zu sehen, ob es einen Beschlag zeigt. Man hat
23*
346
Ernst Brücke
aber hierbei sorgfältig auf zwei Dinge zu sehen; erstens darauf, dass
der Spiegel nicht etwa so kalt sei, dass er schon durch die blosse
Hautausdiinstung beschlägt, und zweitens darauf, dass man ihn ent
fernt, während man den Vocal noch in ungeänderter Weise hervor
bringt, denn sonst geschieht es leicht, dass mit dem Schwinden des
Vocallauts plötzlich die Gaumenklappe sich öffnet und nun nachträg
lich der Spiegel durch einen Hauch beschlägt, der mit der Hervor
bringung des Vocals nichts zu thun hatte.
Wenn man die Gaumensegelresonanz erst an den einzelnen
Vocalen aufgesucht hat, wird man auch leicht dazu gelangen, sie den
Consonanten in ihren Vocalverhindungen mitzugeben; da sie jedoch
nur während des Tones der Stimme fühlbar ist, beim Schweigen
derselben wegen des Mangels kräftiger periodischer Impulse ver
schwindet, so wird sie auch nur bei den tönenden unter den hohen
Buchstaben als Bestandtheil des Consonanten selbst bemerkt werden,
bei den tonlosen nur als Bestandtheil ihres Vocals.
Ich kann nicht beweisen, dass die Erklärung, welche ich hier
von der bei Wallin citirten Stelle: ^ XJUim
j ly. £>yA\ gegeben habe, die richtige sei; aber das
ist für mich ausser Zweifel, dass die hohen Buchstaben mit ihren
Vocalen richtig ausgesprochen eine eigenthümliche Besonanz haben,
welche wir vermittelst der sehr empfindlichen Tastnerven unseres
weichen Gaumens fühlen.
Die geschlossenen Buchstaben (iGiall und die
offenen(Äs£- A *M Lettres conjointes und disjointes von de
Sacy. (ln der zweiten Ausgabe von de Sacy’s Gramm. Arabe:
Lettres voutees und lettres etendues ou ouvertes.') — Geschlossene
Buchstaben sind \o, und ls; alle übrigen sind offene.
Wall in führt XII. 611 eine erklärende Stelle des Alm ’l-Bakä
an, welche lautet:
Ai! ^ L> ö h-li 1 ^ LL> I
Äft-oL Jlc i i
Obgleich ich weit entfernt bin, zu behaupten, dass diese Erklä
rung die richtige sei 1 ), so lässt sieb doch aus der Natur der Dinge
l ) Bei Wall in, XII, 612 und GIB wird diese Erklärung sammt den ähnlichen der
Maroniten Gabriel Sionita und Johann Hesronita und de Saey’s bereits als
unzulänglich bezeichnet.
Beiträge zur Lautlehre Her arabischen Sprache.
347
einigermassen einsehen, wie man auf dieselbe verfallen konnte. Wir
haben gesehen, dass beim der Verschluss länger dauert als beim
.> und dass die Zunge mit einer gewissen Anstrengung in ihrer Lage
fixirt werden muss, um den Verschluss während des Eindringens der
tönenden Luft in die Mundhöhle zu bewahren. Ebenso wird auch
heim L>, um demselben einen festen klingenden Schlag zu geben, die
Zunge mit einer gewissen Gewalt in die Verschlusslage hineingetrie
ben und wohl auch etwas länger darin erhalten als beim O, und auch
beim !•> und mehr noch beim wird sie etwas stärker angepresst,
um durch gleichzeitigen stärkeren Exspirationsdruck einen stärkeren
akustischen Effect zu erzielen. All dies war freilich auffallender und
deutlicher, wenn Herr Hassan sich bemühte, mir an einzelnen Bei
spielen den Unterschied dieser Buchstaben von ihren nicht empha
tischen Doppelgängern recht handgreiflich zu machen, und ich die
Laute nachzuahmen suchte, als im gewöhnlichen Flusse der Bede;
aber eben daraus lässt sich auch schon begreifen, dass jemand, der
über die Qualitäten der Buchstaben grübelte, und mit ihnen herum-
experimentirfe, glauben konnte, in jenem Anpressen der Zunge einen
wesentlichen Charakter für die genannten vier Buchstaben gefunden
zu haben. Eine haltbare Erklärung der Ausdrücke ÄlJal! und
j) IL> ^ I i-z zu geben, bin ich ebenso wie Wallin ausser
Stande.
Nachschlagsbuchstaben. (aliUM Lettresretentis-
santes, lettres tremblantes, lettres qui produisent un claquement
von de Sacy. — Es sind dies bekanntlich J> Ja, i_< also drei
Medien >_<, nebst zwei anderen Verschlusslauten, Jj und
die wir nicht als Medien anerkennen können. Ich habe aber schon bei ihrer
Beschreibung auseinandergesetzt, was die Araber veranlasste, sie als
tönend anzusehen. Folgerichtig stellten sie dieselben nicht zu den ton
losen Verschlusslauten aJ und Cj , sondern vereinigten sie zu einer
Gruppe mit den tönenden i_j, j und Auffallend muss es uns auf den
ersten Anblick sein, hier eine Media des Alphabets, das zu vermissen,
aber das Befremdende verschwindet bei näherer Betrachtung. Nach
schlagshuchstaben waren dem Araber solche Verschlusslaute, hei
denen gleichzeitig mit der Durchbrechung des Verschlusses auch
der laute Ton der Stimme hervortrat, gleichviel, ob während des
348
Ernst Brücke
Verschlusses der Kehlkopf oben geschlossen war, wie bei Jo und J,
oder oben offen und nur die Stimmritze zum Tönen verengt, wie bei
.> und i_>. Diesen Charakter konnte man aber dem u & nicht zu
schreiben, weil schon während des Verschlusses der Ton so laut
und deutlich gehört wurde, dass derselbe mit Eröffnung des Mund
höhlenverschlusses nicht erst hervorbrach, sondern nur einen Über
gang bildete; ähnlich wie den, welchen der Laut von m und n zu
Vocalen bildet in dem Augenblicke, wo der Mundhöhlenverschluss
dieser Consonanten durchbrochen wird. Hiezu muss noch die viel
leicht schon frühzeitig ziemlich weit verbreitete Aussprache des
als Jo (* 4 meiner Bezeichnung) gebracht werden und endlich die
durch unverwerfliche schriftliche Zeugnisse verbürgte Thatsache,
dass das bei einem grossen Theil der Araber wie ein emphatisches
J lautete. (Wall in XII, 633 und 634). Diese Varianten konnten
wohl nicht dazu auffordern, das ^ in eine Gruppe zu bringen, welche
als erste Anforderung stellte, dass der Consonant eine Explosiva sei,
dass nach einer momentanen (wirklichen oder scheinbaren) Unter
brechung der Ton der Stimme mit einem Stoss wieder zum Vor
schein komme.
Diestarken Buch staben (a JoJJJ.1I i_»j|^sL|),die schwachen
Buchstaben (lI cJjjsll) und die mittleren (XjojuJ!
. Bein starke Buchstaben sind Jj, .Ü, O, Jo,j,i_)
und Hamze, also die sämmtlichen Verschlusslaute mit Ausschluss des^o.
Die Gründe, welche die Araber bewogen haben mögen, diesen Buch
staben von den starken auszuschliessen, haben wir schon früher bei
seiner Beschreibung kennen gelernt.
Mittlere Buchstaben sind J, j, p O und Diese Gruppe ist
ein ebenso buntes Gemisch, wie die von den Alten gebildete und von
unsern Grammatikern übernommene Gruppe der Liquidae, und besteht
in der That aus diesen und dem £, welches man hier, wo es an einem
bestimmten Kriterium fehlte, besser als anderswo unterbringen konnte.
Bei Wallin heisst es von den mittleren Buchstaben: „Was die
Liquiden an und für sich speciell charakterisirt und zugleich ihrer
Intonation einen eigenthürnlichen und von dem der andern intonirten
Buchstaben abweichenden Klang gibt, ist dass die Intonation, das
Beitrüge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
349
vocalische Mitsummen, durch Resonanz im Nasencanale einen eigenen
Beilaut bekommt. In ^ tritt dieser Nasalton sehr deutlich hervor, so
wie in den speciellen Nasenlauten ng oder h, n und m; aber auch beim
l und r ist er bei tieferer, mehr rückwärts gezogener Articulation
bemerkbar, wenn er auch bei höherer dünnerer Aussprache dieser
Buchstaben, besonders des r um so mehr verschwindet, je mehr sich
der Articulationsplatz von der Zungenwurzel und dem Nasencanal ent
fernt, wobei sie ihre tonantische Natur immer mehr verlieren und sich
wie besonders das hohe r einer spirantischen Aussprache annähern.“
Diese Angaben, die nach der Anmerkung auf Seite S99, Bd. XII
nicht von Wall in selbst, sondern von dem gelehrten Bearbeiter des
nachgelassenenManuscripts,Herrn H. KelIgren , herzurühren schei
nen, kann ich keineswegs in allen Puncten bestätigen.
Allgemein findet eine Resonanz im Nasencanale nur Statt bei
den von mir als Resonanten bezeichneten Buchstaben, also bei
m, n, und n, (ng), Das ^ kann man mit nasaler Resonanz bilden,
ebenso wie man die Vocale mit nasaler Resonanz bilden kann, und
es geschieht auch bisweilen, aber es ist nichts weniger als charak
teristisch für das £, indem es nach meiner Erfahrung in der Regel
mit geschlossener Gaumenklappe, also ohne nasale Resonanz ge
sprochen wird.
Ein l mit nasaler Resonanz lässt sich auch bilden, aber es ist
von dem gewöhnlichen l so verschieden und so widerwärtig auffallend,
dass eine solche Aussprache des J gewiss längst Gegenstand der Auf
merksamkeit geworden wäre, und die Grammatiker unmöglich
das so gesprochene J mit dem deutschen l, von dem es fast so
verschieden sein würde wie m von b, identificiren könnten. Ich habe
von Herrn Hassan nie ein nasales J gehört.
Das r endlich kann mit offener Gaumenklappe zwar in der Rede
markirt, aber nicht dauernd hervorgebracht werden. Der Grund davon
ist leicht einzusehen, indem es wohl schwer sein möchte, bei offener
Communication zwischen Rachen- und Nasenhöhle und zugleich bei
tönender Stimme einen Luftstrom durch den Mund zu treiben, stark
genug um die Zunge in kräftige und anhaltende Schwingungen zu
versetzen. Ich kenne ein r mit nasaler Resonanz weder im Arabischen
noch in sonst einer Sprache. Man spricht von einem solchen im Fran
zösischen, aber dies beruht theils auf einer Verwechslung mit dem r
350
Er n s t Brücke
uvulare, theils darauf, dass man den Nasenton eines mit r verbunde
nen Vocals fälschlich dem r seihst zuschrieb.
Die ganz schwachen Buchstaben sind die tonlosen Reibungs
geräusche iJ, Cj, u », J*, u *> und die tönenden Reibungs
geräuschei?, i, j und £, ferner j, c$, Alif ohne Hamze, a
und ^ und schliessen sich natürlich an die tönenden Rei
bungsgeräusche an, da ihr consonantisches Element in den tönenden
Reibungsgeräuschen w l und y l meiner Bezeichnung besteht. Es war
in der ganzen Sprache und Schrift und in der ganzen Anschauungs
weise der Araber begründet, dass da, wo ^ und eingereiht waren,
auch das Alif ohne Hamze eingereiht werden musste, obgleich es gar
kein consonantisches Element mehr enthält.
schliesst sich als Reibungsgeräusch des Kehlkopfes natur-
gemäss den übrigen Reibungsgeräuschen an, und an dieses reiht sich
wieder das a, das wenigstens mit den übrigen Reibungsgeräuschen
noch gemein hat, dass sein Laut durch das Vorüberstreichen von
Luft an festen Theilen entsteht.
Der einzige Consonant, der uns hier in seiner Aussprache als d'
ganz am Unrechten Orte zu stellen scheint, ist das undichglaube,
wie ich schon oben erwähnte, dass die Bezeichnung desselben als
rein schwacher Buchstabe nur durch die sehr verbreitete
Aussprache als z i oder z 4 meiner Bezeichnung zu erklären ist. Mit
dieser gehört es begreiflicher Weise ganz wie i? den tönenden
Reibungsgeräuschen an.
Die Sonnenhuch staben und die Mond
buchstaben Die Sonnenbuchstaben unterscheiden
sich bekanntlich dadurch von den Mondhuchstaben, dass sie, sobald
ibnen in der Schrift das J des Artikels vorangeht, in der Aussprache
dasselbe assimiliren, das heisst das J verschwindet in der Aus
sprache und dafür lautet der betreffende Sonnenbuchstabe als ob er
mit Teschdid versehen sei.
Sonnenbuchstaben sind O, J, lä , Ls, ^, j,
j, -i, J, und O die übrigen sind Mondbuchstaben.
Wenn man die aufgezählten Buchstaben überblickt, so findet
man darunter sämmtliche Repräsentanten meiner zweiten Doppel-
Beitrüge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
351
reihe (Z)- und T-Reihe) enthalten. Diese Buchstaben haben sämmt-
lich ein und dasselbe Articulationsgebiet mit dem J und daraus er
klärt sich die Assimilation desselben. Ausser ihnen ist noch Sonnen
huchstabe das u h, d. h. das sch der Deutschen. Von diesem aber
habe ich in meinen Grundzügen gezeigt, dass es in zwei Articu-
lationsgebiete, in das dritte und in das zweite hineingreift, und da
letzteres kein anderes als das derZ)- und T-Reihe ist, so erklärt sich
hier die Assimilation auf dieselbe Weise wie bei den übrigen Sonnen
buchstaben. Bei der Lehre von den Sonnenbuchstaben fallen noch
zwei Dinge in die Augen. Erstens, dass das ^ wenigstens im An
laute von Substantiven und Adjectiven im classischen Arabisch stets
als Zungen R gesprochen wurde, denn ein R uvulare würde die
Wirkung eines Sonnenbuchstabens nicht ausgeübt haben. Ich finde
überhaupt in den mir zugänglichen Stellen nicht, dass von den
Orthoepisten für irgend welche Verbindung das Zitternlassen des
Zäpfchens bei der Aussprache des j empfohlen wurde , wohl aber
warnen sie nach Wallin davor und bezeichnen den dadurch entste
henden Fehler als
Bei der Eintheilung der Buchstaben nach den Theilen, welche
sie hervorbringen, führen sie das j auch nur unter den Zungenbuch
staben (ÜiU) auf.
In neuerer Zeit scheint indessen das R uvulare im Orient ebenso
wie im Oecident häufiger geworden zu sein, denn Wallin sagt, dass
das j vor oder nach einem a ganz dem südfranzösischen r entspreche.
Dies ist aber soviel mir bekannt das r uvulare. Dafür zeugt auch
de Sacy. Gramm. Arab. 2. edit., I. 21, heisst es bei Gelegen
heit des „c’est ainsi, que les Provenfaux prononcent IV en
grassayant.“ Wallin beschreibt jenes j zwar als verschieden vom
Schnarren des das unzweifelhaft auf Vibrationen der Uvula beruht,
aber dies möchte wohl daraus zu erklären sein, dass das gleichzeitige
Reibungsgeräusch, welches das Hauptelement des letzteren Conso-
nanten ausmacht, die Identität seines Schnarrens mit dem juvulare
verdeckte.
Zweitens zeigt uns die Lehre von den Sonnenbuchstaben
wieder, dass der ursprüngliche Laut des das g der Deutschen,
d.h. der tönende Verschlusslaut (Media) meiner dritten Reihe (G- und
332
Ernst Brücke
K- Reihe) war. Wäre das wie es heutzutage von den meisten
Araberstämmen geschieht, wie englisch oder italienisch g vor e
und i (wie dzy nach meiner Bezeichnung) oder wie französisch g
vor e und i (zy meiner Bezeichnung) gesprochen worden, so müssten
wir es wie J, u a und J mit unter den Sonnenhuchstaben finden.
Es zweifelt auch wohl nach dem, was de Sacy (Gramm. Aral».
2. edition, I, 18) und andere über diesen Punct gesagt haben,
niemand mehr daran, dass die ägyptischen Araber die ursprüngliche
Aussprache des bewahrt haben. An Analogien haben wir für die
Verwandlung, welche bei den anderenArabern vorausgesetzt wird, einen
wahren Überfluss. Im Arabischen selbst ist a) in englisch ch oder
italienisch c vor e und i (ts%; meiner Bezeichnung) übergegangen,
das lateinische c (Ä) ist übergegangen im Italienischen und Engli
schen in tsy^ im Französischen in sy_, das lateinische g im Italieni
schen und Englischen in dzy im Französischen in zy etc., während,
so weit meine geringe Sprachkenntniss reicht, weder in semitischen
noch in arischen Sprachen ein wohlconstatirtes Beispiel vorliegt
dass dzy oder zy in g übergegangen wäre.
Die dicke (^“^ oderiü») oder fette (ü*«*j) und die
dünne Aussprache (Jr*y ) der Vocale.— Als die dicke oder
fette Aussprache der Vocale wird diejenige bezeichnet, welche sie
in Verbindung mit u o, Ja, \a, Ji, Jj un( l in ge
wissen Fällen auch mit j und J bekommen. Worin besteht sie?
Der Verfasser des Kämüs setzt die Imäle des Fatha dem
desselben gegenüber, wozunach Fleischer (Wallin IX, 6. Anmer
kung) schon der türkische Übersetzer dieses Werkes bemerkt, dass
in der Orthoepie <jfy der Gegensatz von ist. Der Imäle,
fügt Fleischer hinzu, scheine das entgegengesetzt zu sein. Es
liegt dies auch in der Natur der Sache, indem das eine Mal zwei
gleichberechtigte Aussprachen unterschieden werden, eine dicke und
eine dünne, das andere Mal die eine Aussprache als die dem Vocal
an sich zukommende, die zweite als Abbeugung vom ursprünglichen
Vocallaute bezeichnet wird.
Aus der Entgegensetzung der gegen das gebt aber
jedenfalls hervor, dass die Imäle dem Fatha immer den dünnen Laut
Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache. 353
gebe. Die Iinäle des Fatha nun besteht bekanntlich darin, dass es
nicht wie n, sondern ci oder e ausgesprochen wird.
Hierin liegt schon ein Fingerzeig, dass wir es bei der dicken
und dünnen Aussprache nicht mit einer blossen Klangfarbe zu thun
haben, die jedem Vocal nach Willkür gegeben werden kann, sondern
mit einer Veränderung des Vocals selbst. Um die Art derselben deut
licher zu machen, will ich hier zunächst die Vocaltafel, wie sie in
meinen Grundzügen abgedruckt ist, wiedergeben.
a
a e a°
e“ a°‘ o“
e e° o e o
i i“ u l u
Will man dem Schema die unvollkommen gebildeten Vocale,
die hier gleichfalls in Betracht kommen, hinzufügen, so muss man
sich dieselben in entsprechender Anordnung auf der Fläche des Papiers
über den vollkommen gebildeten zu einer dreiseitigen Pyramide auf
geschichtet denken, auf deren Spitze der sogenannte unbestimmte
Vocal, der indifferente durch keinerlei Vocalfarbe nüancirte Ton der
Stimme steht. Nun begreift die dünne Aussprache des Fatha die
Laute e, e a , a e , a, sobald man aber über das reine helle a hinausgeht
wird die Aussprache dick; schon das a im deutschen Wahl würde dem
Araber als dick gelten, und von hieraus dehnt sich die dicke Aus
sprache des Fatha über die Vocale a° und o“ und die analogen unvoll
kommen gebildeten aus.
Im Damma erhält der Laut des u durch die dicke Aussprache ent
weder nur eine etwas unvollkommene Bildung, die sich durch dum
pfere Resonanz kenntlich macht, oder die Unvollkommenheit der
Bildung wird so gross, dass sich nicht mehr deutlich unterscheiden
lässt ob u oder o, oder endlich drittens der Laut geht geradezu
in o über. Im Kesre erhält bei dicker Aussprache das i unvollkom
mene Bildung, oder es geht in i“ oder in e° oder in ein dumpfes,
unvollkommen gebildetes e über. Kesre entfernt sich also in verschie
denen Richtungen von dem hellen Laute, den es bei der dünnen Aus
sprache hat. Was ist nun allen diesen Veränderungen gemeinsam,
und worin besteht mithin der wahre Charakter der dicken Aus
sprache? Um diese Frage zu beantworten, muss ich den Leser
bekannt machen mit Untersuchungen über die Natur der Vocale,
3*54
Emst Brücke
die von meinem geehrten Freunde Professor Donders in Utrecht
herrühren.
Professor Donders hat die Geräusche, welche die einzelnen
Vocale beim Flüstern hervorbringen, einer näheren Untersuchung
unterworfen und gefunden, dass jedes derselben durch einen domini-
renden Ton charakterisirt ist, dessen Höhe sich mit der Natur des
Vocals ändert. Ich will im Folgenden das, was zunächst auf unsere
Frage Bezug hat, mit seinen eigenen Worten *) mittheilen.
„Eine erste Reihe unterscheide ich vom tiefen V zum hohen U'
(w). Diesehat einen ganz deutlichendoininirendenTon, denPu rkinj e
und Sie .(Brücke) auch nicht verkannt haben. Das Geräusch ent
spricht ungefähr dem Mundpfeifen ohne vollkommenes Ansprechen des
Tones. U‘, (das ü der Deutschen, das u der Holländer und der Fran
zosen) entspricht bei mir ganz genau der Octave des n d'Orchestre. Ich
bin auf weniger als einen Achtelton sicher, das a d’Orchestre so
gleich richtig anzugeben, wenn ich nur mein U‘ flüsternd gehört habe,
oder dem Ton der Stimme nachrauschen lasse. Bei verschiedenenlndivi-
duen kommen, je nach ihrem Dialekt, etwas grössere, aber doch immer
geringe Unterschiede vor. U hat einen grösseren Spielraum, ohne
dass das Gehör es leicht unterscheidet. Gewöhnlich bringe ich das
Geräusch von U eine grosse Decime tiefer, als das V‘ hervor. Das
^-Geräusch scheint mir am meisten complicirt. Es ist darum schwe
rer den dominirenden Ton darin zu fassen, was mir indessen ohne
Mühe gelingt, wenn ich A mit verwandten Vocalen, wobei der Typus
des Geräusches so ziemlich unverändert bleibt, zusammenstelle. So
bilden 0, O a , A einen grossen Dreiklang, dessen Höhe leicht zu fassen
ist. A ist fast einen halben Ton höher, als das a d’Orchestre; 0“ eine
kleine Terze, 0 eine Quinte tiefer. In dieser Reihe ist der geringste
Höheunterschied bezeichnend für den Dialekt. A, nur etwas tiefer
producirt (es handelt sich immer um die Flüstersprache), nähert
sich sogleich 0“, ebenso 0, etwas höher getrieben. Von A nach E
verändert der Typus des Geräusches sich viel mehr als von A nach 0.
Es können in E ziemlich leicht zwei dominirende Töne bestimmt
werden, wovon der höchste ungefähr eine Decime höher ist, als
*) Über die Natur der Vocale. Erste briefliche Mittheilung au Professor B rück e.
Archiv für die holländischen Beiträge zur Natur- und Heilkunde, herausgegeben
Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
355
das a d’Ochestre. Beim Endigen der Aussprache hat man die Nei
gung, die Mundstellung so zu verändern, dass das Geräusch von 1
mehr oder weniger hinzutritt.
O ae (oe in soeur) liegt eine kleine Terze tiefer als O e (Oel,
das Holländische eu in heup~); sie entsprechen e und g.
Das /-Geräusch scheint mir genetisch und physikalisch eigeri-
thümlich. Weder von U 1 , noch von E kann ich ohne scharfen Über
gang zu / kommen. Der dominirende Ton ist scharf und leicht zu
bestimmen. Er entspricht dem F, welches eine Octave und eine Quinte
höher liegt als das a d’Orchestre, und ist von noch höheren Neben
tönen begleitet.“ — So weit Prof. Donders.
Wenn man nun die verschiedenen Laute mit einander ver
gleicht, welche die Vocale Fatha, Kesre und Damma einerseits mit
den oben erwähntenConsonanten, die ich als emphatische im weiteren
Sinne des Wortes bezeichnen will, andererseits mit allen übrigen
annehmen; so wird man bemerken, dass Fatha beim Flüstern mit
den ersteren immer einen tieferen dominirenden Ton gibt, als beim
Flüstern mit den letzteren. Dasselbe beobachtet man bei Kesre und
Damma und hierin liegt das eigentliche Wesen der dünnen und der
dicken Aussprache, das gemeinsame Band, durch welche die einzelnen
für sich allein oft wenig verständlichen Fälle zusammengehalten werden.
Die Orthoepisten geben bekanntlich an, dass \o, li,
und beim Flüstern schwer, nach Einigen gar nicht, von ihren
nicht emphatischen Doppelgängern Cj , i, , -> zu unterscheiden
seien. Ein Unterschied existirt allerdings, aber man muss eben auf den
erwähnten wesentlichen Punct aufmerksam sein, um ihn leicht und
sicher fest zu halten.
Aus dem hier Erörterten erklärt sich auch, wesshalb bei ^y> und L>
der Laut des Consonanten so genau mit dem des Vocals zusammen-
hängt, dass man entweder beide mit einander richtig oder beide mit
einander unrichtig hervorbringt. Die Wandungen der Rachen-Mund
höhle mit Einschluss der Lippen bilden einen Hohlkörper, in dem das
Reibungsgeräusch des Consonanten erzeugt wird, und in dem somit
die einzelnen Impulse des Geräusches wiederhallen, secundäre Pulsa
tionen erregen, vermöge welcher der Consonant wie der Vocal durch
die Natur der Resonanz gefärbt wird. Es ist dies bei allen Conso
nanten mehr oder weniger der Fall; aber hier haben wir gerade ein
356 Ernst Brücke, Beiträge zur Lautlehre der arabischen Sprache.
Beispiel, an dem es recht auffallend wird und praktische Bedeutung
erlangt. In dieser Abhängigkeit des Cunsonantengeräusches von der
Resonanz ist es auch begründet, dass Consonanten, welche die dicke Aus
sprache nach sich ziehen, namentlich wenn sie gesmirt sind auf den
Vocal des vorhergehenden Consonanten zurückwirken, indem man,
während eben jener Vocal tönt, den Übergang in die Stellung für den
emphatischen Consonanten bewerkstelligen muss, und dabei, wenn man
dem zu bildenden Consonanten von Anfang bis zu Ende gerecht zu
werden sucht, schon die Resonanz eine andere wird, als wenn man
in die Stellung für einen nicht emphatischen Consonanten über
ginge. So ist es ganz deutlich, aber auch ganz erklärlich, dass in
den Wörtern und JölAJI die Vocale der Endsylben ganz anders
lauten, als wenn am Ende statt und Jä ^ und i ständen. Ich
muss die Wörter nach meinerBezeichnung transscribiren: nabi u s l und
«Z/S 0 * 4 . Sobald ich dies ausspreche, treffe ich aber auch wiederum den
Consonanten richtig ohne besondere Aufmerksamkeit darauf zu richten,
während mich ein helles i und ein helles a in der Endsylbe auf die
Laute ^ und i leiten würden.
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften.
357
VERZEICHNIS
DER
EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(April.)
Aceademia Pontificia de' nuovi Lincei. Atti. An. XII. Sess. V. VI.
1859. Roma, 1859; 4».
Academy of Science of St. Louis. Transactions. Vol. I, Nr. 3.
St. Louis, 1859; 8°.
Akademie der Wissenschaften, Königl. Preuss. zu Berlin. Abhand
lungen. Zweiter Supplementband zu 1854, und Jahrgang 1858.
Berlin, 1859; 4°.
— der Wissenschaften, Königl. zu München: Von der Bedeutung
der Sanskritstudien für die griechische Philologie. Festrede von
Dr. Willi. Christ. München, 1860; 4°. — Rede von Justus
Freiherrn von Liebig. München, 1860; 4°.
American association for the advancement of Science, Proceedings
of the — Vol. XII. 1858. Cambridge, 1859; 8°.
— philosophical Society, Proceedings of the — Vol. VI. Nr. 59,
60, 61. 1859; 8°. ■—Transactions. Vol. XII. part. II. Philadel
phia, 1859; 4».
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Nr. 3. März 1860.
Nürnberg, 1860; 4°.
Asiatic Society of Bengal. Journal. Nr. 5, Nr. XCIX. Calcutta,
1859; 8o.
Becker, M. A., Der Ötscher und sein Gebiet. 1. und 2. Theil.
Wien, 1860; 8».
Berlanga.R. de, Lithographirter Abdruck einer altrömischen In
schrift in Malacca. 1858, Fol.
Collection des documents inedits de l’histoire de France. XXIX
Volumes. Paris; 4°.
358 Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften.
Fickler, C. B. A., Quellen und Untersuchungen zur Geschichte
Schwabens und der Ostschweiz. Mannheim, 1839; 4°.
G a r, Tommaso, Biblioteca Trentina. Disp. XII—XV. Trento, 1860; 8°.
Hand elingen der jaarlijksche algemeene Vergadering van de Maat-
schappij der Nederlandsche Letterkunde te Leiden; gehouden
den 16" n Junij 1859in hetgehouw der Maatschappij tot Nut van’t
Algemeen te Leiden. 8°.
Istituto, I. R. Veneto di scienze, lottere ed arti, Atti. Tomo V.
Serie III. disp. 4 et 5. Venezia, 1839 — 60; 8°.
Jena, Universität. Akademische Gelegenheitsschriften für das J. 1839.
Kiel, Schriften der Universität aus dem Jahre 1838. Bd. V.1839; 4°.
La usit zisch es Magarin, Neues. Band XXXVI. Heft 1 —4. Görlitz,
1860; 8».
Miraflores, EI Marques de, Vida del general espanol D. Sancho
Davila y Daza. Madrid, 1857; 4°.
Mittheilungen der k. k. Central-Commission zur Erforschung und
Erhaltung der Baudenkmale. V. Jahrgang, April. Wien,1860; 4°.
Morlot, A., Allgemeine Bemerkungen über die Alterthumskunde.
Bern, 1859; 8».
Riedel, Dr. Adolph Friedrich, Novus codex diplomaticus Branden-
burgensis. Erster Haupttheil oder Urkundensammlung zur Ge
schichte geistlicher Stiftungen, der adeligen Familien so wie
der Städte und Burgen der Mark Brandenburg. Band XVII und
XVIII. Berlin, 1859; 4».
Romanin, S., Storia documentata di Venezia. Tom. VII. part. 4. Ve
nezia, 1859; 8°.
Schwabe v. Maisenfreund, C., Versuch einer Geschichte des öster
reichischen Staats-, Credits- und Schuldenwesens. Erstes Heft.
Wien, 1860; 8».
Verein für mecklenburgische Geschichte und Altertlmmskunde.
Jahrbücher und Jahresbericht. XXIV.Jahrg. Schwerin, 1859; 8°.
Wien, k. k. Universitäts-Consistorium. Behörden-Ausweis und Ver
zeichniss der Vorlesungen im Sommercurse 1860; 4°.
'Ypivo$ st? rot yeviS-ha rov xupiov xcti ffwrrjpo? rj[J.CL>v ’lriaov
Xpiaron Ex autographo Christ. Freii M. Passaviensis Anno
1576. Graecii, 1847; 4».
SITZUNGSBERICHTE
KAISERLICHEN AKADEMIE PERWISSENSCHAFTEN.
♦
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
XXXIV. BAND. III. HEFT.
JAHRGANG 1860. — MAI.
24
361
SITZUNG VOM 9. MAI 1860.
Gelesen:
Bericht über die Thäligkeit der historischen Commission der
haiserlichen Akademie der Wissenschaften, während des
akademischen Verwaltungsjahres 18118 auf 18Ö9.
Vorgetragen in der Classensitznng vom 9. Mai 1860 durch den Berichterstatter derselben
Dr. Theodor Georg v. Karajan,
derzeit Viee-Präsidenten.
Uleinc Herren!
Trotz der Ungunst der Zeit, die sich im Jahre 1859 überall
unerbittlich fühlbar machte , ganz besonders aber auf dem Gebiete
der Wissenschaft, ist es Ihrer Commission dennoch gelungen mit den
ihr zugewiesenen Veröffentlichungen, hinter denen des Vorjahres
nicht nur nicht zurückzubleiben, sondern diese sogar, was ihren
Umfang betrifft, um einen ganzen Band noch zu übertreffen.
Sie lieferte nämlich ausser den gewöhnlichen zwei Bänden
des Archives, diesmal den 22. und 23., einen Band, den neunten
und nach Beschluss dieser Classe vom 30. November 1859 den
letzten des Notizenblattes, endlich in der zweiten Abtheilung der
Fontes noch zwei Bände, den 19. und 20. Diese wurden allerdings
erst ziemlich spät in Angriff genommen, einer derselben ist aber im
Drucke schon so viel wie beendet, der andere dürfte noch im Laufe
dieses Frühjahres die Presse verlassen. Im Ganzen sind also fünf
Bände aufzuführen , welche über einhundertfünfzig Druckbogen
füllen.
24
302 Dr. v. Kn raj a n, Bericht über die Tliäligkeit der historischen Commission
Der Inhalt derselben gliedert sich nach den gewohnten Rubriken,
wie folgt.
Österreich unter der Enns.
Für die Geschichte der ßesitzverhältnisse und der Orts
beschreibung im Allgemeinen lieferte der schon im Vorjahre, im
Notizenblatte 1858, in Nr. 20 bis 24, begonnene jetzt fortgesetzte
Aufsatz weiland JosephCbmel’s: „DasLehenbuchHerzogAlbrecht’s V.
von Österreich“, aus einer Papierhandschrift des k. k. Haus-, Hof- und
Staats-Archives willkommenen Stoff. Er füllt heuer folgende Nummern
des Notizenblattes: Nr. 1, S. 13 bis 16; 2, S.33 bis 40; 3, S.53 bis
56; 4, S. 73 bis 80; 5, S. 93 bis 96; 6, S. 107 bis 110; 7, S. 125
bis 128; 8, S. 140 bis 144; 9, S. 156 bis 160; 10, S. 172 bis
176; 11 , S. 187 bis 192; 12, S. 204 bis 208; 13 , S. 219 bis
224; 14, S. 235 bis 240; 15, S. 257 bis 264; endlich 16, S. 280
bis 288.
Die Geschichte des Städtewesens und namentlich jene der
Reichshauptstadt Wien, erläutern die durch Albert Camesina schon
in früheren Jahren im Notizenblatte und zwar 1856 in Nr. 14 und
1858 in Nr. 8 bis 19 gelieferten „Mittheilungen aus dem Wiener
Stadtarchive“. Diesmal betreffen sie die Abgaben der Stadt unter
Ferdinand 1., dann das Spital zum heiligen Geist vor dem Kärntner
Thore, endlich allerlei landesherrliche und ständische Verfügungen
zur Heilung der Schäden, welche durch die erste ßelagerung der
Stadt durch die Türken 1529 herbeigeführt worden waren. Sie
finden sich im Notizenblatte Nr. 6 , S. 104 bis 106; 7 , S. 117 bis
123; endlich 8, S. 124 bis 125.
Auch die Kirchengeschichte des Landes hat einen kleinen
Beitrag erhalten in der Mittheilung Joseph Zahn’s: „Eine unge
druckte Urkunde König Ottokar’sll. für das Kloster Garsten“. Die
selbe gehört am wahrscheinlichsten dem Jahre 1234 an und befindet
sich im Besitze des Verfassers. Sie steht vollständig abgedruckt im
Notizenblatte Nr. 20, S. 369 bis 373.
Dem Gebiete der Kriegsgeschichte zuzuweisen, ist die
„Ordnung einer Zubereitung im Lanndt des gemainen Aufpots. 1534“
geliefert von Albert Camesina in den oben erwähnten Mitthei
lungen aus dem Wiener Stadtarchive. Notizenblatt Nr. 7, S. 123 bis
124. Das
der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften.
363
Erzherzogtum Österreich
und zwar die Recht sges ch ichte desselben betreffen die durch
F. Wirmsberger in Linz aus einer Handschrift des Musealarchives
daselbst mitgetheilten: „Freiheiten und Rechte der Märkte Sar-
mingstein und St. Nicola am Struden (in Österreich oh der Enns)
und des Gerichtes zu Hirschau (in Österreich unter der Enns)“ im
Notizenblatte Nr. IS, S. 244 bis 250; 16, S. 265 bis 273 und
17, S. 289 bis 294.
Zur Geschichte des Städtewesens lieferte Karl v. Sava
„Reiträge zur Siegelkunde der Städte Österreichs“. Sie bilden eine
Fortsetzung der bereits im Jahre 1855 im Notizenblatte Nr. 13 und
19 begonnenen Arbeit und stehen heuer ebenda in Nr. 2 auf S. 26
bis 32. Das Herzogthum
Salzburg
hat gleichfalls in Bezug auf die Geschichte seines Städtewesens
eine kleine Bereicherung erhalten, in einer Arbeit Georg Pezolt's
mit dem Titel: „Der Stadt Salzburg bauliche Vergrösserungen und
Verschönerungen während der letzten drei Jahrhunderte, nachge
wiesen aus daselbst befindlichen Handzeiclinungen, Holzschnitten und
Kupferstichen“. Sie steht im Notizenblatte Nr. 7, S. 113 bis 117;
8, S. 129 bis 133; 9, S.14S bis 150 und 10, S. 161 bis 165.
Für die Kirchengeschichte dieses Kronlandes sind aber
zwei Arbeiten aufzuführen. Erstens Ernst Dümmler’s Beiträge zur
Geschichte des Erzbisthumes Salzburg im neunten bis zwölften Jahr
hunderte, im Archive Bd. 22, S. 277 bis 304; und Karl Oberleit-
ner’s „Regesten zur Geschichte des Bauernkrieges in Steiermark
und im Stifte Salzburg in den Jahren 1525 bis 1526“; Diimmler's
Beiträge sind einer Handschrift der Münchner Staatsbibliothek ent
nommen, welche schon Mabillon benützte, Oberleitner’s Regesten den
Reichsacten des k. k. Finanz - Ministerial - Archives und stehen im
Notizenblatte Nr. 4, S. 68 bis 72 und 5, S. 86 bis 92.
Steiermark.
Für die Kenntniss des geschichtlichen Stoffes und dadurch der
allgemeinen Landesgeschichte zu beachten ist ein Aufsatz
364 Dr- v. Karajan, Bericht über die Thätigkeit der historischen Commission
des Dr. C. Sclimit, Ritters von Tavera, mit der Überschrift: „Das
Archiv am Joanneum zu Graz“, im Notizenblatte Nr. 5, S. 81 bis 86.
Die Geschichte derRömerzeit und namentlich ihrer Strassen-
züge, Colonisationen u. s. w. versehen mit neuen Belegen die durch
Richard Knabel gelieferten „Unedirte Römerschriften aus Steiermark“
im Notizenblatte Nr. 1, S. 7 bis 12.
Die Geschichte des Adels aber wird gefördert durch die
von dem leider zu früh verstorbenen Eduard Pratobevera gelieferten
„Urkunden und Regesten der gräflichen Familie von Stubenberg“.
Sie bilden eine Fortsetzung der im Notizenblatte für 1856 in den
Nummern 13 bis 19 begonnenen Mittheilungen und stehen ebenda
1859, Nr. 8, S. 133 bis 139; 9, S. 150 bis 155; 10 , S. 165 bis
171; 11, S. 183 bis 187; 12, S. 198 bis 204; 13, S. 214 bis 219;
14, S. 228 bis 235; 15, S. 250 bis 256; 16, S. 273 bis 279; 17,
S. 294 bis 304; 18, S. 326 bis 336; 19, S. 342 bis 360; 20,
S. 373 bis 384; 21, S. 395 bis 400; 22, S. 412 bis 416; 23,
S. 428 bis 432; endlich 24, S. 435 bis 438.
Die Kriegsgeschichte des Landes belegen die durch Karl
Oberleitner gelieferten, schon oben erwähnten: „Regesten zur
Geschichte des Bauernkrieges in Steiermark und im Stifte Salzburg
in den Jahren 1525 bis 1526“. Nach den Reichsacten des k. k.
Finanz-Ministerial-Archives, Notizenblatt Nr. 4, S. 68 bis 72 und
5, S. 86 bis 92.
Kärnten.
Die allgemeine Landesgescbichte wurde wie in früheren
Jahren durch des unermüdlichen, nun leider beimgegangenen Frei
herrn v. Ankershofen : „Urkunden-Regesten zur Geschichte Kärntens“
auch heuer bedacht. Die diesjährige Fortsetzung umfasst die Jahre
1215 bis 1225 und es wäre sehr zu wünschen, dass diese Arbeit von
einem tüchtigen Nachfolger fortgesetzt würde. Sie füllt für heuer
im 22. Bande des Archives die Seiten 339 bis 369 und schliesst sich
an die ebenda Band 19 abgebrochene Reihe an.
Das ehemalige Herzogthum
Friaul
wurde mit einer ähnlichen Arbeit in Bezug aufseine allgemeine
Landesgeschichte wesentlich bereichert durch Joseph Bianchi
der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften.
368
zu Udine. Dieser lieferte nämlich die Fortsetzung seiner in den vor
ausgehenden Bänden des Archives mitgetheilten „Documenta histo-
riae forojuliensis Saeculi XIII. ab anno 1200 ad 1299 summatim
regesta“. Die diesmalige Fortsetzung umfasst die Jahre 1267 bis
1275, im Ganzen 102 Urkunden und steht im Archive Band 22,
S. 371 bis 406.
Auch für das Kronland
Dalmatien
und zwar für die Römerz eit desselben und die Kenntniss seiner
Alterthümer überhaupt, findet sich ein Beitrag in des Abbate Simeone
Gliubich: „Studj archeologici sulla Dalmazia“ im 22. Bande des
Archives auf S. 233 bis 276 mit vier Tafeln Abbildungen.
Bobinen.
Die Geschichte dieses Kronlandes ist heuer besonders glän
zend vertreten. Obwohl nur zwei Arbeiten aufzuzähien sind, so
kommt diesen dafür um so grössere Bedeutung zu.
Die erste derselben füllt den zwanzigsten Band der zweiten
Abtheilung der Fontes und enthält eine Sammlung von mehr als ein
halbes Tausend zählenden Correspondenzen , sowohl von Acten-
stiicken zur Erläuterung der Verbindungen und Beziehungen Böhmens
zu den Nachbarländern in den Jahren 1450 bis 1471, somit einen
bedeutenden Beitrag zur allgemeinen politischen Landes
geschichte. Die Sammlung durch unser verehrtes Mitglied Franz
Palacky in den verschiedensten Archiven Deutschlands, Österreichs
und der Nachbarländer zustandegebracht füllt einen Band von mehreren
vierzig Bogen. Der Titel der Sammlung ist: „Urkundliche Beiträge
zur Geschichte Böhmens und seiner Nachbarländer im Zeitalter
Georg's von Podiebrad 1450 bis 1471. Aus bisher unbenutzten
Quellen gesammelt und herausgegeben“.
In ähnlicher Weise hat für die Kirchengeschichte Böh
mens Anton Gindely eine sehr reiche Ausbeute von Stoff gewonnen.
Die etwa dreissig Bogen des neunzehnten Bandes der zweiten
Abtheilung der Fontes füllen nämlich dessen „Quellen zur Geschichte
der böhmischen Brüder, vornehmlich ihren Zusammenhang mit
Deutschland betreffend“. Die hauptsächlichste Ausbeute gewährten
366 Br-v. Ka rajan, Bericht über die Thätigkeitder historischen Commission
dem emsigen Forscher dreizehn Foliobände Quellen der Brüder
geschichte , verwahrt im Archive zu Herrenhut in Sachsen.
Krakau, Galizien u. s. w.
Die Regentengeschichte dieser Theile des ehemaligen
Königreiches Polen betrifft eine im Notizenhlatte Nr. 3, S. 45 bis 53,
aus einer Abschrift eines gleichzeitigen Codex des ehemaligen ßene-
dictiner-Stiftes Wiblingen in Würtemberg durch Theodor Mayer in
Melk veröffentlichte: „Lobrede auf den ersten Jagellonen Wladis-
laus, König von Polen, bei seiner Begräbnissfeier zu Krakau am
6. Juli 1434“.
Auch das Nachbarland
Ungern
hat in Bezug auf seine Regentengeschichte aus einer Hand
schrift der k. k. Hofbibliothek zu Wien einen nicht unwesentlichen
Beitrag erhalten in dem Aufsatze Friedrich Firnhaber’s: „Die Krö
nung Kaiser Maximilian's II. zum Könige von Ungern 1563“. In der
Einleitung zählt zudem der Verfasser die Literatur auch der übrigen
ungrischen Krönungen auf. Die Arbeit steht im 22. Bande des
Archives auf den Seiten 305 bis 338.
Siebenbürgens
allgemeine und Literaturgeschichte ist durch einen Nach
trag zu dem Aufsatze Karl Schuller’s: „Georg Reicherstorffer und seine
Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte Siebenbürgens in den Jahren 1527
bis 1536“, im Bande 21, S. 223 bis 291 des Archives vervoll
ständigt. Dieser ist dem königl. haierischen Hof- und Staats-Biblio
thekar Föringer in München zu danken und gibt Aufschluss über die
Frage, wie Reicherstorffer's Gesandtschaftsbericht in die Klosterbiblio
thek zu Etal in Baiern gekommen sei?
Dieser Nachtrag steht im Archive Band 22, S. 407 bis 411,
und schliesst die Reihe der einzelne Kronländer Österreichs betref
fenden Arbeiten. Die gesammte
Monarchie
oder mehrere Kronländer zugleich betreffen folgende Veröffent
lichungen.
der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. 367
Vor Allem vier Beiträge zur Geschichte des Regenten hauses
oder einzelner Glieder desselben.
Der erste: „Über die Bildnisse des allerhöchsten Kaiserhauses
in der k. k. Gemälde-Gallerie im Belvedere“ von Anton Ritter v.
Perger, steht im Notizenblatte Nr. 20, auf S. 361 bis 368.
Der zweite: „Aufzeichnungen zur Geschichte Kaiser Maximi-
lian’s II. von Karl Oberleitner. Aus den Acten des k. k. Finanz-
Miuisterial-Arehives“ im Notizenblatte Nr. 17, S. 305 bis 312 und
18, S. 313 bis 325.
Der dritte, Kaiser Ferdinand II. betreffend, mit dem Titel:
„Carlo Caraffa, Vescovo d' Aversa, Relatione dello Stato delP Imperio
e della Germania, fatta dopo il Ritorno della sua Nuntiatura appresso
lTmperatore 1628“ herausgegeben von Joseph Godehard Müller,
Professor zu Hildesheim, im Archive Band 23, S. 1 bis 449.
Endlich der vierte zur Geschichte Kaiser Leopold's I. und des
Urhebers des angeblichen Versuches den Kaiser durch vergiftete
Kerzen zu ermorden, in dem Aufsatze: „Borri in Wien“, von Adam
Wolf. Die mitgetheilten neuen Belege sind dem fürstlich Lobko-
witz’schen Archive zu Raudnitz in Böhmen entnommen. Der Aufsatz
steht im Notizenblatte Nr. 19, S. 337 bis 342.
Die Kirchengeschichte der Monarchie und namentlich
jene der slavischen Länder derselben, betrifft eine längere Abhand
lung von Ignaz Johann Hanus, im Archive Band 23, auf den Seiten
1 bis 100. Sie führt den Titel: „Der bulgarische Mönch Chrabru
im neunten bis zehnten Jahrhunderte, ein Zeuge der Verbreitung
glagolischen Schriftwesens unter den Slaven, bei deren Bekehrung
durch die Heiligen Kyrill und Method“.
Neuen und verlässlichen Stoff zur Finanzgeschichte der
Monarchie bringt eine Arbeit Karl Oberleitner’s: „Österreichs
Finanzen und Kriegswesen unter Ferdinand I. vom Jahre 1522 bis
1564“. Mit Urkunden und Plänen. Im Archive Band 22, S. 1
bis 221.
Für die Kriegsgeschichte endlich sind drei Beiträge ein
zureihen. Vor allem die „Denkschrift des Lehrers des Kurfürsten
Albrecht von Baiern an denselben, über die Stellung Max Emanuel’s
zu Österreich im spanischen Erbfolgekriege“. Von Joseph Zahn, aus
einer Handschriit des Münchner Metropolitan-Capitels. Vergl. Notizen
blatt 1858, Nr. 22 und 23. Sie steht ebendaselbst Nr. 11, S. 177
368 ^ r> v - Ka raj a n, Hericht über die Thätigkeit der historischen Commission
bis 183; 12, S. 193 bis 198; 13, S. 209 bis 214; 14, S. 225 bis
228; endlich 15, S. 241 bis 244.
In frühere Zeiten reicht ein Patent der Stände Österreichs
unter der Enns, wegen der Türkenhilfe, 1532, in Folge Beschlusses
der Stände der niederösterreichischen Erblande zu Innsbruck, ver
öffentlicht von Albert Camesina in dessen „Mittheilungen aus dem
Wiener Stadt-Archive“ (als Fortsetzung der im Notizenblatte von
1856, Nr. 14 und 1858, Nr. 8 bis 19 begonnenen Reihe). Es steht
ebenda 1859, Nr. 6, S. 102 bis 104.
Endlich als dritter Beitrag: „Briefe und Actenstücke zur Geschichte
desPassau’schenKriegsvolkes, vom 9. JännerlölO his20.Mai 1611“.
Von Karl Oberleitner. Grösstentheils aus den sogenannten Familien-
Acten des k. k. Finanz-Ministerial-Arcliives. Im Notizenblatte Nr. 21,
S. 385 bis 394; 22, S. 401 bis 412; 23, S. 417 bis 427 und
24, S. 433 bis 435.
Baicrn,
namentlich die Geschichte seiner auswärtigen Verhältnisse
beleuchtet die oben schon erwähnte Denkschrift des Lehrers des
Kurfürsten Albrecht von Baiern an denselben, über die Stellung Max
Emanuel’s zu Österreich im spanischen Erbfolgekriege. Von Karl
Zahn , aus einer Handschrift des Münchner Metropolitan-Capitels.
Vergl. Notizenblatt 1858, Nr. 22 und 23. Im Notizenblatte Nr. 11,
S. 177 bis 183; 12, S. 193 bis 198; 13 , S. 209 bis 214; 14,
S. 225 bis 228 und 15, S. 241 bis 244.
Deutschlands
politische Verhältnisse nach Innen sowohl, wie nach Aussen
werden auf sehr eingehende und anziehende Weise erörtert in
„Carlo Caraffas, Viscovo d’Aversa, Relationo dello Stato dell’ Imperio
e della Germania, fatta dopo il Retorno della sua Nuntiatura appresso
l’Imperatore 1628“. Herausgegeben von Joseph Godehard Müller,
Professor zu Hildesheim. Abgedruckt und mit Noten versehen im
Archive Band 23, S. 1 bis 449.
der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften.
369
Überblickt man zum Schlüsse den Inhalt aller aufgeführten
Rubriken, so zeigt sich eine ziemlich gleichmässige und sorgfältige
Berücksichtigung fast aller Theile des weiten Kaiserreiches. Wenn
auch von vorne herein nicht gesucht, hat sich dieselbe dennoch
wieder eingestellt, als ein Zeichen , dass der durch beharrliches
Streben wachgerufene Sinn für ernste Geschichte nicht einseitig
auf gewisse Lieblingszweige sich beschränkt, sondern auf dem rechten
Wege vielseitiger sich entwickelt und weiter reichende Gesichts-
puncte wählt.
Mit den von der verehrten Classe bewilligten Geldmitteln wurde
übrigens, so viel bis jetzt ersichtlich ist, das Auslangen gefunden,
was sich zum Theile auch dadurch erklärt, dass einige Richtungen
der bisherigen Thätigkeit Ihrer Commission, wie die Sammlungen
für die Monumenta habsburgica, den Codex diplomaticus Austriae
inferioris, den historischen Atlass u. s. w. den spärlich zugemesseuen
Arbeitskräften gegenüber minder rasch gefördert werden konnten und
erst in einiger Zeit wieder Früchte versprechen.
370
Dr. v. Karajan, Bericht Ober die Thätigkeit der Commission etc.
Bericht über die Thätigkeit der Commission zur Herausgabe
der Acta Conciliorum Saeculi XV, während des akademischen
Jahres 1838 auf 1839.
Gelesen in der Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 9. Mai 1860
durch den Berichterstatter der Commission
Dr. Th. G. t. Karajan.
Meine Herren !
Musste ich schon hei der Fortführung von Unternehmungen
Ihrer historischen Commission über den Mangel verfügbarer Arbeits
kräfte klagen, so bin ich hierzu bei der Concilien-Commission noch
mehr berechtigt. Die Vorarbeiten des zweiten und dritten Bandes
der Acta Conciliorum waren nämlich, wie schon in früheren Berichten
erwähnt wurde, längere Zeit durch den Abgang eines verlässlichen
Copisten für das äusserst umfangreiche handschriftliche Werk des
Johannes de Segovia, lange Zeit völlig gehemmt. Als es endlich
gelang einen geeigneten Arbeiter dafür zu finden , zeigte es sich,
dass dieser die Abschriftnahme nicht so rasch fördern konnte, als
Ihre Commission wünschte. Erst im Laufe dieses Jahres gelang es
endlich noch einen zweiten verlässlichen Copisten zu gewinnen und
dadurch sind nun die Vorarbeiten bereits so weit gefördert, dass der
Druck des ersten Bandes des Johannes de Segovia im Spätherbste
des heurigen Jahres beginnen und darnach unausgesetzt wird fort
geführt werden können. Die von der verehrten Classe bewilligten
Geldmittel reichten bis jetzt vollkommen aus.
Dr. Pfizmaier, Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und King-pu.
371
SITZUNG VOM 16. MAI 1860.
Der Classe wird zur Herausgabe vorgelegt:
„Geschichtliche Darstellung der Gründung und Schicksale des
Benedictiner- Stiftes St. Lambert zu Altenburg in Niederösterreich
(V. 0. M. B.), nebst beigefügtem Urkundenbuch;“— von dem hoch
würdigen Herrn Honorius Burger, Abte dieses Stiftes.
Vorgelegt:
Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und King-pu.
Von dem w. M. Dr. August Pfizmaier.
Als derKünig von Han, der Gründer desgleichnamigen Herrscher
hauses, zur Kaiserwürde gelangte, bildete er aus den seiner Herr
schaft unterworfenen Ländern eine Menge Königreiche, welche fast
ausschliesslich den Sühnen und Brüdern des Kaisers als Lehen ver
liehen wurden. Während jedoch diese Könige, im Grunde nur die Statt
halter des Kaisers, nach Willkür eingesetzt und wieder abgesetzt
werden konnten, war es denjenigen Feldherren, welche schon vor
der Alleinherrschaft von Han als Könige aufgestanden und von dem
Kaiser in ihrer Würde belassen worden, gleich im Anfänge um die
Wahrung ihrer Selbstständigkeit zu thun. Diese Männer, grösstentheils
Waffengefährten des Kaisers, oder aus freier Wahl dessen Verbündete,
empfanden schmerzlich das Verhältniss der Abhängigkeit, in welches
sie jetzt zu Han getreten waren, und zwischen ihnen und dem Kaiser
entstanden bald Zerwürfnisse, welche, indem sie zu einem Zusammen-
stosse führten, den schnellen Untergang sämmtlicher, dem Herrscher
hause Han nicht angehürigen Künigsgeschlechter zur Folge batten.
372
Dp. P f i z m a i e r
Zur Zeit der Errichtung des Kaiserthumes durch den Herrscher
von Han zählte man im Ganzen acht Könige aus fremden Geschlech
tern, Dieselben waren Tschang-ni, U-jui, Peng-yue, King-pu, Tsang-
yü, Liü-vvan und die beiden Han-sin. Unter diesen vererbte blos
U-jui, König von Tschang-scha, der übrigens schon ein Jahr nach
seiner Einsetzung stai'b, das Reich auf seine späteren Nachkommen.
Tschang-ni, König von Tschao, starb ebenfalls kurze Zeit nach seiner
Erhebung und hinterliess das Reich seinem Sohne Tsehang-ngao,
der nach einer Regierung von wenigen Jahren auf Refehl des Kaisers
in Untersuchung gezogen und abgesetzt wurde. Tsang-yü, schon
durch Hiang-yü zum Könige von Yen ernannt, ward durch die Macht
von Han, der er Widerstand leistete, gefangen genommen und erhielt
Liü-wan, einen Jugendfreund des Kaisers, zum Nachfolger. Aber auch
Liü-wan fand sich, ungeachtet der Freundschaft, die ihn mit dem
Kaiser verband, bald bewogen, von Han abzufallen und starb, nach
dem sein Unternehmen gescheitert, als Flüchtling in dem Lande der
Hiung-nu’s. Die beiden Han-sin sind Sin, König von Hän, und Han-
sin, Fürst von Hoai-yin. Von diesen fiel der erstere, der seit der Er
hebung des Kaisers nur dem Namen nach König von Hän, in Wirklich
keit Reherrscher der nordwestlichen Grenzländer gewesen, ebenfalls
von Han ab und fand in dem Kampfe gegen dessen Heere den Tod.
Der letztere war anfänglich König von Tsi, hierauf von Tsu, verlor,
durch den Kaiser überlistet, sein Reich und wurde in dem Augenblicke,
als er im Einverständniss mit dem empörten Statthalter Tschin-hi
einen Schlag gegen den Sitz der kaiserlichen Macht zu führen gedachte,
ergriffen und enthauptet. Ein ähnliches Loos traf die Könige Peng-yue
von Liang und King-pu von Hoai-nan, welche nebst Han-sin, Fürsten
von Hoai-yin, das Meiste zur endlichen Befestigung der Herrschaft von
Han beigetragen hatten. Von diesen wurde der erstere, dem man indes
sen nur die Absicht der Empörung zuschrieb, gefangen genommen und
enthauptet, der letztere aber, nachdem er den Abfall in's Werk gesetzt
und einen unglücklichen Feldzug gemacht hatte, auf der Flucht getödtet.
Was die Nachrichten über die hier genannten Könige betrifft,
so hat der Verfasser diejenigen über Tschang-ni, Liü-wan und Sin,
König von Hän, bereits an einem andern Orte 1 ) mitgetheilt, während
*) In den Aufsätzen: „die Genossen des Königs Tschin-sching“ und „die Nachkommen
der Könige von Wei, Tsi und Han“.
Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und King-pu. 373
über U-jui nur sehr weniges in dem Buche der früheren Han, über
Tschang-yü aber an keinem Orte etwas irgend Ausführliches vor
kommt. Von den zur Würde von Königen emporgestiegenen Feldherren
erübrigen somit Han-sin, Fürst von Hoai-yin, ferner Peng-yue und
King-pu, von deren Wirken in dieser Abhandlung nach den Quellen des
Sse-ki und des Buches der früheren Han Nachricht gegeben wird.
Han-sin, Fürst von Hoai-yin.
fjp Han-sin war in Hoai yin 1 ). einer Stadt
des früheren Reiches U, geboren. Von Geburt arm und ohne Erwerb,
wurde er, da ihm keine andere Wahl übrig blieb, ein Gerichtsdiener.
Da er sich auch auf diese Weise nicht fortbringen konnte, versuchte
er es mit dem Stande eines Kaufmanns. Hierin ebenfalls nicht
glücklich, war er hinsichtlich seines Lebensunterhaltes immer auf die
Mildthätigkeit fremder Menschen, in deren Häusern er Zutritt fand, an
gewiesen. Es ereignete sich indessen häufig, dass er seinen Wohl-
thätern zur Last fiel.
Als seine Mutter starb, war er nicht im Stande, die Kosten des
Begräbnisses zu bestreiten. Gleichwohl bekundete er die Grösse sei
ner Gedanken dadurch, dass er das Grab auf einer stolzen Anhöhe
und an einer Stelle, wo zur Seite desselben noch für zehntausend
Häuser Platz war, bereiten liess.
Han-sin hatte sich unter anderen auch zu dem Wirthe des Ein
kehrhauses B Pfi Nan-tschang in dem Bezirke !^|J ”j\ Hia-
biang 2 ) gesellt und bei diesem seinen Unterhalt gefunden. Nach eini
gen Monaten ward die Gattinn des Wirthes über den Gast ungehalten.
Sie liess das Mahl am frühesten Morgen, zu einer Zeit, wo man ge
wöhnlich das Bett noch nicht verlassen hatte, auftragen, was mit dem
Namen „das Essen auf der Streu“ bezeichnet wurde. Als der Gast zu
der sonst üblichen Speisestunde erschien, war für ihn keine Mahlzeit
vorhanden. Han-sin erkannte sehr wohl, was dies zu bedeuten habe;
er ward unwillig und verliess zuletzt das Haus.
1 ) Das heutige Hoai-ngan in Kiang-uan. Die Stadt fiel zunächst anYue und nach der Auf
lösung dieses Reiches an Tsu.
2 ) Dieser Bezirk gehört zu der Stadt Hoai-yin.
■
c
374
Dr. P f i z m a i e r
Er begab sich hierauf an den Fuss der Mauern von Hoai-yin und
angelte in dem daselbst vorbeiziehenden Flusse, in dessen Wasser die
Hausmütter der Stadt rohe Seide zu klopfen pflegten. Eine dieser
Hausmütter, welche sah, dass Han-sin hungerte, erbarmte sich
seiner, und gab ihm Speise. Man klopfte Seide durch mehrere Wochen
und Han-sin, der während dieser Zeit immer betheilt ward, sprach in
seiner Freude zu der Hausmutter: Ich werde es dir, o Mutter, gewiss
reichlich vergelten. — Hierüber zürnte das Weib und erwiederte:
Du, ein Mann von grosser Gestalt, bist nicht im Stande, dir Nahrung zu
verschaffen. Ich hatte Mitleid mit dir, o Königsenkel 1 ), und verab
reichte dir Speisen. Wie hätte ich erwarten sollen, dass du mir ver
geltest?
Unter den Fleischern von Hoai-yin war ein junger Mensch, der
Han-sin beleidigte und zu ihm sprach: Wenn du auch von Gestalt
gross bist und gern an dem Gürtel trägst ein Schwert, bist du im
Grunde deiner Seele doch nur ein Feigling. — Sämmtliche Fleischer
beschimpften hierauf Han-sin, indem sie ihm zuriefen: Bist du im
Stande zu sterben, so erstich uns. Bist du nicht im Stande zu sterben,
so laufe zwischen unseren Beinen hindurch. — Han-sin blickte den
ihn Beschimpfenden fest in's Auge, bückte sich und kroch zwischen
deren Beinen hindurch. Der ganze Markt verlachte ihn und alle hiel
ten ihn für einen Feigling.
Als Hiang-liang (208 vor Chr.) mit seiner Kriegsmacht den
Fluss Hoai übersetzte, schloss sich Han-sin, der kein anderes Gut
hesass als ein Schwert, diesem Heerführer an und diente unter des
sen Fahnen. Er konnte es jedoch nicht dahin bringen, das sein Name
bekannt geworden wäre.
Nach dem Tode Hiang-liang’s schloss er sich an Hiang-yü und
ward von jj ese m zu t * er d ama ls nicht sehr bedeutenden Stelle eines
Lang-tschung (Kämmerers) befördert. In dieser Eigen
schaft begab er sich mehrmals mit der Tafel des Befehles zu Hiang-
yü, der ihn jedoch im Staatsdienste nicht verwendete.
Als der König von Han, durch Hiang-yü eingesetzt, nach Scho
gezogen war, floh Han-sin aus Tsu und unterwarf sich dem Beiche
Hän. Sein Name war auch jetzt noch unbekannt und er erhielt in Han
*) Ein Ausdruck der Höflichkeit, ähnlich dem sonst auch als Anrede gebrauchten
„Fürstensohn“.
Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und King-pu.
375
die Stelle eines jjl|| Lien-ngao, in -welcher E'g ensc haft er die
Angelegenheiten der Gäste zu besorgen hatte. Im Dienste von Han
machte sich Han-sin mit mehreren Anderen eines nicht näher bezeich-
neten Verbrechens schuldig, welches nach dem Gesetze die Todes
strafe nach sich zog. Die Verurtheilten wurden auf den für Hinrich
tungen bestimmten Platz geführt, und dreizehn derselben waren be
reits enthauptet worden. Als jetzt die Reihe an Han-sin kam, erhob die
ser noch einmal die Augen und erblickte den Fürsten von jjjptTeng *).
Er rief diesem zu: Will der Hohe 3 ) nicht losgehen auf die Welt?
Warum lässt er enthaupten die stattlichen Männer?— Der Fürst von
Teng staunte sowohl über diese Worte, wie über die stattliche Gestalt
Han-sin’s. Er gab Befehl ihn loszulassen und verbot, ihn zu enthaupten.
Indem er sich hierauf mit Han-sin in ein Gespräch einliess, fand er an
ihm grosses Wohlgefallen und verwendete sich für ihn bei dem Könige
von Han. Dieser ernannte Han-sin zu dem mit der Aufsicht über das
Getreide betrauten Befehlshaber in einer Hauptstadt, hielt ihn aber
noch immer für keinen ausserordentlichen Mann. Indessen hatte der
Reichsgehilfe Siao-ho, mit welchem Han-sin öfters Unterredungen
gehabt, eine hohe Meinung von dessen Fähigkeiten.
Von Scho begab sich der König von Han nach Nan-tsching s ),
der Hauptstadt des ihm verliehenen Reiches, bei welcher Gelegenheit
mehrere zwanzig bis dreissig Feldherren sich auf dem Wege von dem
Könige trennten und entflohen. Han-sin erwog, dass Siao-ho und Andere
sich bereits mehrmals für ihn bei dem Könige verwendet, dieser ihm
jedoch kein Amt von Wichtigkeit verliehen habe und entfloh eben
falls. Als Siao-ho die Flucht Han-sin’s erfuhr, setzte er, ohne dass er
sich Zeit gelassen, dies früher dem Könige zu melden , in eigener
Person den Entflohenen nach.
Unterdessen meldete jemand dem Könige: Der Reichsgehilfe Ho
ist entflohen. — Der König von Han gerieth auf diese Nachricht in
heftigen Zorn und glaubte sich in der Lage eines Menschen zu befin-
i ) Derselbe wird auch
Ying, Fürst von
X
Hia, genannt.
2 ) D. i. der König von Han. „Der Hohe“ bezeichnet sonst den Himmelssohn.
3 ) Der heutige gleichnamige District in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt des Kreises
Han-tschung in Schen-si.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXXIV. Bd. III. Hft.
25
376
Di*. Pfizmaier
den, der beider Arme beraubt worden. Der Reichsgehilfe kam jedoch
nach zwei Tagen wieder zurück und bat bei dem Könige um Vorlas-
sung. Dieser, einerseits zürnend, andererseits erfreut, empfing den
Eintretenden mit Scheltworten und fragte ihn: Warum bist du ent
flohen?
Siao-ho antwortete: Ich habe es nicht gewagt zu entfliehen; ich
habe nur einem Entflohenen nachgesetzt.
Der König fragte: Wer ist derjenige, dem du nachgesetzt hast?
Siao-so antwortete: Es ist Han-sin.
Hieraufschalt ihn der König von Neuem und rief: DieFeldherren,
welche die Flucht ergriffen haben, sind mehrere zehen, du hast kei
nem von ihnen nachgesetzt. Dass du Sin nachgesetzt haben willst, ist
eine Lüge.
Siao-ho entgegnete: DieFeldherren sind leicht wieder zu er
langen. Was aber Sin betrifft, so hat er unter den Staatsdienern der
Reiche nicht seines Gleichen. Bist du, o König, gesonnen, für die
Dauer als König zu herrschen in Han, so brauchst du Sin nicht zu
beschäftigen. Bist du aber gesonnen, zu streiten u'm die Welt, so ist
Niemand als Sin, mit dem du berathen könntest die Angelegenheiten.
Es kommt nur darauf an, wozu du, o König, in deiner Berechnung
dich entschliessest.
Der König erwiederte: Ich bin auch nur gesonnen, nach Osten
zu ziehen. Wie könnte ich in der Abgeschiedenheit lange Zeit hier
verweilen?
Siao-ho fuhr fort: Du, o König, bist entschlossen, nach Osten
zu ziehen, und du konntest Sin verwenden. Sin verweilte hier, und du
konntest ihn nicht verwenden. Sin hat sich zuletzt auf die Flucht
begehen.
Der König sprach: Ich werde ihn deinetwillen zum Feldherrn
ernennen.
Siao-ho erwiederte: Solltest du ihn auch zum Feldherrn
ernennen, Sin wird nicht hier verbleiben.
Der König sprach: Ich werde ihn zum grossen Feldherrn
ernennen.
Siao-ho erwiederte: Die Beglückung ist überaus gross. —Der
König wollte jetzt Han-sin zu sich berufen und ihm die Stelle über
tragen. Siao-ho bemerkte hierauf: Du, o König, bist rein übermüthig
und beobachtest nicht die Gebräuche. Du ernennst jetzt zum grossen
Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und King-pu.
377
Feldherrn, als ob du nur riefest ein kleines Kind. Dies wäre für Sin
ein Grund, sich zu entfernen. Wenn du, o König, ihn willst ernennen,
so mögest du wählen einen glücklichen Tag, beten und fasten, errich
ten Erdstufen mit einer Bühne und Vorkehrungen treffen für die
Gebräuche. In diesem Falle mag es geschehen.
Der König gab diesem Rathe seine Zustimmung und liess den
Tag, an welchem die Ernennung stattfinden sollte, im voraus verkün
digen. Sämmtliehe in Han anwesenden Feldherren freuten sich, indem
ein jeder von ihnen glaubte, dass er die Stelle eines Oberfeldherrn
erhalten werde. Als jetzt der Oberfeldherr öffentlich eingesetzt
werden sollte, war es Han-sin, dem diese Stelle zu Theil ward,
worüber das ganze Heer erschrak.
Als die Feierlichkeit der Einsetzung zu Ende, ward Han-sin der
erste Platz in dem Saale angewiesen, und der König sprach zu ihm:
Der Reichsgehilfe hat mehrmals von dir, o Feldherr, gesprochen. Auf
welche Weise wirst du, o Feldherr, mich lehren Entwürfe machen?
Han-sin dankte und fragte hierauf den König: Wenn man sich
jetzt wendet nach Osten, ist derjenige, der streitet um die Macht in
der Welt, etwa nicht der König von Hiang?
Der König erwiederte: So ist es.
Han-sin fragte weiter: Bist du, o grosser König, nach deinem
Ermessen mehr begabt mit Muth, Schnelligkeit, Menschlichkeit und
Kraft, oder ist es der König von Hiang?
Der König schwieg und antwortete erst nach längerem Besinnen:
Ich komme ihm hierin nicht gleich.
Han-sin verbeugte sich zweimal, beglückwünschte den König
und fuhr fort: So ist es. Ich halte ebenfalls dafür, dass du, o grosser
König, ihm hierin nicht gleichkommst. Indessen habe ich ihm einst
gedient. Ich bitte, sagen zu dürfen, was der König von Hiang für
ein Mensch ist. Wenn der König von Hiang zornig schreit, so sinkt
tausend Menschen der Muth. Gleichwohl kann er keinen Auftrag
geben und nichts überlassen einem weisen Feldherrn. Dies ist nur
der Muth eines gemeinen Mannes. Wenn der König von Hiang sieht,
dass die Menschen ehrerbietig, so zeigt er sich gegen sie wohlwol
lend und spricht mit ihnen freundlich. Sind die Menschen erkrankt,
so vergiesst er Thränen, betheilt sie mit Speise und Trank. Ereignet
es sich aber, dass die Menschen sich Verdienste erworben haben und
er sie soll belehnen, so dreht er das Siegel in den Händen und bringt
23 *
378
Dr. Pfizmaier
es nicht über sich, es ihnen zu geben. Dies ist, was man nennt:
die Menschlichkeit eines Weibes.
Obgleich der König von Hiang die Oberherrlichkeit übt in der
Welt und zu Dienern gemacht hat die Fürsten der Reiche, so wohnt
er doch nicht in dem Lande innerhalb des Grenzpasses, sondern hat
zur Hauptstadt erkoren Peng-tsching. Er kehrte den Rücken dem
Vertrage des Kaisers I 1 )» und indem er diejenigen, die ihm nahe
standen und die er liebte , herrschen liess als Könige und Fürsten der
Reiche, handelte er nicht billig. Als die Fürsten der Reiche sahen,
dass der König von Hiarig zur Übersiedelung bestimmte und vertrieb
den Kaiser I, dass er ihm zum Wohnsitz anwies das Land im Süden
des Stromes, vertrieben sie ebenfalls, nachdem sie heimgekehrt, ihre
Gebieter und nahmen als Könige in Besitz die vortrefflichen Länder.
An den Orten, wohin der König von Hiang gekommen auf seinem
Zuge, ist nichts, das nicht verderbt ward und vernichtet. In der
Welt herrscht gegen ihn viel Hass, die hundert Geschlechter sind
ihm nicht anhänglich. Er besitzt nur durch Raub die Macht und die
Stärke. Ist er auch dem Namen nach der Oberherr, hat er doch in
Wirklichkeit verloren die Herzen der Welt. Desswegen heist es:
die Stärke wird verwandelt in Schwäche.
Wenn du jetzt, o grosser König, in Wahrheit fähig bist, zurück
zukehren auf deinem Wege, den Auftrag zu geben den kriegerischen
und tapferen Männern der Welt, was wäre dann, das nicht bestraft
würde mit dem Tode? Wenn du mit den festen Städten und Land
städten der Welt belehntest die verdienstvollen Diener, was wäre
dann, das nicht gebracht würde zur Unterwerfung? Wenn du mit
den gerechten Waffen folgtest auf dem Fusse den Staatsdienern, die
denken an die Heimkehr nach Osten, was wäre dann, das sich nicht
zerstreuen würde nach jeder Richtung? 2 )
Auch waren die drei Könige von Thsin die Feldherren von
Thsin. Sie befehligten Söhne und jüngere Brüder von Thsin durch
mehrere Jahre; die getödtet wurden und verdarben, sind nicht zu
zählen. Jene betrogen überdies ihre Schaaren und ergaben sich
*) Diesem Vertrage gemäss sollte derjenige, der zuerst das Gebiet des eigentlichen
Thsin betreten würde, in diesem Reiche König werden.
2 ) Die Staatsdiener würden sich über alle Länder zerstreuen und sich daselbst Verdienste
erwerben.
Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und King-pu.
379
den Fürsten der Reiche. Als man gelangte nach Sin-ngan, verurtheilte
der König von Hiang zur Hinrichtung und stürzte in Gruben Krieger
von Thsin, die sich ergehen, zweihundert tausend an der Zahl, und
nur die Männer Han, Hin und I 1 ) kamen davon mit dem Leben. Die
Väter und älteren Brüder von Thsin sind von Hass erfüllt gegen diese
drei Männer; der Schmerz dringt bis in das Mark der Knochen.
Jetzt hat Tsu mit Gewalt und mit Hilfe des Schreckens vor seiner
Macht als König herrschen lassen diese drei Menschen; unter dem
Volke von Thsin ist Niemand, der sie liebte.
Wenn du jetzt, o grosser König, eintreten wolltest in den
Kriegspass 3 ), so würdest du nicht Schaden leiden so viel als betragen
die Spitzen der herbstlichen Haare, du würdest abschaffen die
drückenden Gesetze von Thsin und dem Volke von Thsin nur auf
erlegen Gesetze in drei Abschnitten. Unter dem Volke von Thsin
wäre dann keiner, der nicht wünschte, dass du, o grosser König,
als König herrschest in Thsin. Gemäss dem Vertrage der Fürsten
der Reiche solltest du, o grosser König, als König herrschen in dem
Lande innerhalb des Grenzpasses. In dem Lande innerhalb des Grenz
passes ist dies allem Volke bekannt. Dass du, o grosser König, ver
loren hast das Gedächtniss und eingetreten bist in Han-tschung, unter
dem Volke von Thsin ist keiner, der nicht darüber unwillig. Wenn
du jetzt, o grosser König, dich erhebst und dich wendest nach Osten,
so können die drei Reiche von Thsin, indess du fortlaufen lässest
die Tafel 3 ), zur Ordnung gebracht werden.
Der König von Han freute sich über diese Worte und bedauerte
nur, dass er Han-sin so spät gewonnen habe. Auf dessen Rath ver
theilte er die Rollen unter seine Feldherren, indem er einem jeden
derselben einen Gegenstand des Angriffeszuwies. Im achten Monate des
selben Jahres (206 vor Chr.) eröffnete der König den Feldzug im Osten
Thsin-
und überschritt die Grenzen bei der festen Stadt j™
thsang 4 ), worauf die drei Reiche von Thsin in kurzer Zeit unter
worfen wurden.
Im folgenden Jahre (206 vor Chr.) verliess der König von Han
den Grenzpass und zog die Reiche Wei, llo-nan, Hau und Yin>
A ) Die Feldherren Tschang-han, der älteste Anführer Hin und Tung-I.
2 ) Der Pass Wu-kuan, der von Han-tschung: nach Thsin führte.
3 ) D. i. ohne den Gebrauch der Wallen, blos durch die Aussendung des Befehles.
4 ) In der Nähe des heutigen Fung-tsiang in Schen-si.
380
Dr. Pfizmaier
deren Könige sieh ihm unterwarfen, an sich. Zugleich vereinigte er
sich mit den Reichen Tsi und Tschao zu einem gemeinschaftlichen
Angriffe auf Tsu. Nach der grossen Niederlage, welche das Heer von
Han in der Nähe des eroberten Peng-tsching, der fernen Hauptstadt
Hiang-yü’s, erlitt, sammelte Han-sin die nach der Heimath zurück
gekehrten zerstreuten Schaaren und stiess zu dem Könige in Yung-
yang. Von dieser Stadt richtete er einen neuen Angriff gegen das
Heer von Tsu, welches zwischen King und Tsi geschlagen ward und
nicht weiter gegen Westen Vordringen konnte.
Nach der Niederlage vor Peng-tsching waren Hin, König von
Si, und I, König von Thi, welche beide in dem ehemaligen Thsin
geherrscht, aus den Ländern von Hau entflohen und hatten sich dem
Reiche Tsu unterworfen. Eben so hatten sich auch Tsi und Tschao von
Han losgesagt und waren auf die Seite von Tsu getreten.
Endlich hatte auch Piao, König von Wei, der sich in dem Lager
von Han befand, unter dem Vorwände, seine erkrankten Angehörigen
besuchen zu wollen, um die Erlaubniss zur Rückkehr in sein Reich
gebeten. Kaum jedoch in seiner Heimath angekommen, sperrte er die
Überfahrt des gelben Flusses ab und erklärte sich gegen Hän,
während er mit Tsu ein Freundschaftsbündnis schloss.
Nachdem der Abgesandte Li-seng im Namen des Königs von Hän
den König Wei-piao vergeblich zur Unterwerfung aufgefordert, erhielt
Han-sin, der bei dieser Gelegenheit zum Reichsgehilfen der Linken
ernannt worden, den Auftrag, gegen Wei angriffsweise vorzugehen.
Han-sin stellte früher an Li-seng die Frage: Hat Wei nicht Tscheu-
schö 4 ) als Oberfeldherrn angestellt? — Er erhielt zur Antwort: Es
ist Pe-tschi ä ). -— Han-sin bemerkte hierauf: Der ist nur ein Knabe.
Der König von Wei legte ein Heer nach Pu-fan 3 ) und versperrte
die Zugänge von Lin-tsin, wo sich die Überfahrt des gelben Flusses
befand. Han-sin liess, um den Feind zu täuschen, seine Krieger sich
immer mehr ausbreiten und eine grosse Menge Fahnen entfalten.
D
2 )
3 )
Der Name /|\
Tscheu-schö kommt sonst nirgends vor. Zur Zeit der Erhe
bung- von Han gab es indessen mehrere Feldherren, deren Geschlechtsname Tscheu.
Pe-tschT war ein Feldherr aus den Zeiten
der kämpfenden Reiche. Diese
Stelle, in der Han-sin sieh nach dem Feldherrn des Reiches Wei erkundigt, ist übri
gens nur in dem Buche der früheren Ilan enthalten.
Das heutige Pu-tscheu in Sehan-si,
Die Feldherren Han-siu, Peng-yue und King-pu.
381
Zugleich bewerkstelligte er die Aufstellung der Schiffe und gab sich
den Anschein, als ob er den Fluss gegenüber Lin-tsin übersetzen
wolle. Unterdessen übersetzten mehrere in den Hinterhalt gelegte
Abtheilungen von der Seite von [|j^ Hia-yang *) den Fluss auf
Bäumen, an welche dickbäuchige irdene Gefässe gebunden waren.
Das Heer drang hierauf in das Gebiet von Ngan-yi, der alten Haupt
stadt des Reiches Wei. König Wei-piao gerieth in Schrecken, führte
seine Kriegsmacht vorwärts und zog Han-sin huldigend entgegen.
Dieser Feldherr nahm Wei-piao gefangen und unterwarf das Reich
Wei, welches in eine Landschaft, genannt „der Osten des Flusses“
verwandelt wurde.
Im nächsten Jahre (204 vor Chr.) schickte Han-sin atr den
König von Hän Abgeordnete mit der Bitte, ihm weitere dreissigtausend
Krieger zur Verfügung zu stellen. Er liess dabei sagen: Ich bitte,
im Norden wegnehmen zu dürfen Yen und Tschao, im Osten angreiferi
zu dürfen Tsi, im Süden abschneiden zu dürfen Tsu den Weg der
Mundvorräthe, im Westen mit dem grossen Könige mich vereinigen
zu dürfen in Yung-yang. — Der König sandte Han-sin eine Ver
stärkung von dreissigtausend Kriegern und befahl ihm, in Gemein
schaft mit Tschang-ni, dem vertriebenen Könige von Tschang-schan,
die Reiche Tschao und Tai anzugreifen. Beide Anführer schlugen die
Macht von Tai auf dem Gebiete der Stadt Ngö-yii 3 ), wobei
Hia-yue, Reichsgehilfe von Tai, gefangen und getödtet
ward.
Nachdem Wei durch Han-sin bereits zur Unterwerfung gebracht
und Tai zerstört worden, sandte Han in das Lager des Oberfeldherrn
Leute mit dem Aufträge, die auserlesenen Streiter des Heeres zu
sondern und nach Yung-yang zu führen, wo man derselben zur Ver
teidigung gegen die vorschreitende Macht von Tsu dringend bedurfte.
Han-sin und Tschang-ni verblieben mit einigen zehntausend Kriegern
in Tai, von wo sie sich sofort nach Osten wandten und, indem sie
1) Dieses Ilia-yang 1 liegt nördlich von Lin-tsin an der Grenze des heutigen Districtes
Han-tsching, Kreis Si-ngan in Schen-si.
2 ) Westlich von der Hauptstadt des heutigen Districtes Yii-sche, Kreis Liao in Schan-si.
In früherer Zeit (270 vor Chr.) ward das Heer von Thsin unter den Mauern dieser
Stadt durch Tschao-sche, Feldherrn von Tschao, geschlagen.
Dr. P f i z in a i e r
382
auf der nach Tsing-hing >) führenden Strasse herniederstiegen, in
Tschao einzufallen gedachten.
Tschin-yü, Landesherr von Tsching-ngan, jetzt König von Tai,
versammelte auf die Kunde von dem beabsichtigten Einfall an den
Zugängen von Tsing-hing eine Kriegsmacht, deren Stärke man auf
zweihunderttausend Mann angab. Unter den obwaltenden Umständen
ertheilte
Ki-tso-tsche 2 ), Landesherr von
Kuang-wu, dem Könige, Landesherrn von Tsching-ngan, folgenden
Rath: Wir haben in Erfahrung gebracht, dass Han-sin, der Feld
herr von Han, übersetzt hat den westlichen Fluss, dass er gefangen
genommen hat den König von Wei und getödtet Hia-yue. Vor
Kurzem ist er gewatet durch Blut in Ngü-yü. Jetzt findet er eine
Stütze an Tschang-ni, und seinem Entwurfegemäss will er hernieder
steigen nach Tschao. Auf diese Weise macht er sich zu Nutzen den
Sieg und entfernt sich weit von dem Reiche. Wenn wir streiten,
können die Spitzen unserer Lanzen nicht Stand halten.
Ich habe gehört: Wenn man aus einer Entfernung von tausend
Meilen herbeiführt die Mundvorräthe, haben die Kriegsmänner die
Farbe des Hungers. Wenn man sammelt das Brennholz, abschneidet
die Pflanzen und dann erst heizt die Kessel, so ist das Heer für die
Nacht nicht gesättigt. Jetzt ist es auf den Wegen von Tsing-hing für
die Wagen nicht möglich, zu bleiben in den Geleisen, für die Reiter
nicht möglich, zu ordnen ihre Reihen. Wenn man mehrere hundert
Meilen wandelt auf diesem Boden, bleiben die Mundvorräthe gewiss
zurück.
Ich wünsche, dass du, o König, mir leihest ausserordentliche
Streiter dreissigtausend. Ich werde auf schmalen Wegen abschneiden
ihre gedeckten schweren Wägen, indess du, o König, geschützt durch
tiefe Gräben, hohe Erdwälle und feste Bauwerke, ausweichst einem
Kampfe. Wenn Jene Vordringen, können sie nicht streiten; wenn sie
weichen, können sie nicht mehrumkehren. Meine ausserordentlichen
Diese Stadt, welche noch heute diesen Namen führt, liegt an dem östlichen Abhange
der die Provinz Schan-si begrenzenden Gebirge und befindet sich in dem heutigen
Kreise Tschin-ting, Provinz Pe-tsclu-li.
2 ) Das erste Zeichen dieser Verbindung wird in dem Buche der früheren ITan durch
Li ausgedrückt. Der Name dieses Feldherrn ist übrigens an keiner anderen
Stelle der Geschichte vorgefunden worden.
Die Feldherren Ifan-sin, Peng-yue und King-pu.
383
Streit er sehneiden ihnen ab den Rückzug und bewirken, dass auf
den Feldern nichts, das sie könnten erbeuten. Es sind noch nicht
zehn Tage, und die Häupter der beiden Feldherren können vorgezeigt
werden unter deinen Fahnen. Ich wünsche, dass du, o Herr, ver
weilest mit den Gedanken auf meinen Rathschlägen. Thust du dieses
nicht, so wirst du gewiss von jenen beiden Männern gefangen genom
men und getödtet.
Der Landesherr von Tsching-ngan hatte die Grundsätze eines
Gelehrten. Er sprach immer von der Gerechtigkeit seiner Waffen
und nahm niemals zur Kriegslist und ausserordentlichen Mitteln seine
Zuflucht. Er billigte auch jetzt nicht den ihm ertheilten Rath und
antwortete: Ich habe gehört, dass die Vorschrift der Kriegskunst
lautet: Ist man zehnmal so stark, so unternimmt man die Belagerung.
Ist man doppelt so stark, so liefert man die Schlacht. — Jetzt sind
die Streiter Han-sin’s vorgeblich einige Zehntausende, in Wahrheit
sind es nicht mehr als einige Tausende. Sie brachten es dahin, aus
einer Entfernung von tausend Meilen bei uns einzufallen> sie sind
auch bereits erschöpft auf das Äusserste. Wenn wir jetzt, da es
sich so verhält, ausweichen und nicht angreifen, was sollten wir
später bei einem grossen Ereignisse darüber thun können? Die Für
sten der Reiche würden dann vor mir sagen, das ich feig bin, und
Folge leistend der Aufforderung, kommen, um uns anzugreifen. —
Der Landesherr von Kuang-wu drang daher mit seinen Ansichten
nicht durch.
Han-sin hatte indessen Kundschafter ausgesandt, « eiche mit der
Nachricht zurückkehrten, dass Tschin-yü die Rathschläge des Landes
herrn von Kuang-wu verworfen habe. Der Oberfeldherr von Han war
hierüber hocherfreut und hatte jetzt erst den Muth, seine Kriegsmacht
nach Tsehao hinabzuführen. Ehe er noch die Ausgänge von Tsing-
hing erreicht, und von diesen dreissig chinesische Meilen entfernt,
machte er Halt. Um Mitternacht liess er an das Heer den Befehl
ergehen, zweitausend leichte und auserlesene Reiter, von denen ein
jeder eine grosse rothe Fahne *) zu tragen hatte, auszusenden. Diese
Schaar sollte sich auf schmalen Pfaden vorwärts bewegen, sich
zwischen den Bergen versteckt halten und das Heer von Tsehao
Das Tuch einer solchen Fahne mass fünf Klafter in der Länge und die Hälfte dessen
in der Breite.
384
Dr. Pfizmaier
beobachten. Die ihnen gegebene Weisung lautete: Wenn Tschao
sehen wird, dass wir fliehen, so wird es verlassen die Lagerwälle
und uns verfolgen. Ihr werdet dann schleunigst dringen zwischen
die Lagerwälle von Tschao, wegreissen die Fahnen von Tschao
und aufpflanzen die rothen Fahnen von Han.
Den untergeordneten Feldherren befahl Han-sin, die dem Heere
verbliebene geringe Menge Lebensmittel herbeischaffen zu lassen,
indem er sprach : Heute werden wir Tschao schlagen; hierauf sehen
wir einander bei der Mahlzeit. — Die Feldherren massen diesen
Worten keinen Glauben bei und gaben nur verstellter Weise ihre
Zustimmung.
Gegen die übrigen untergeordneten Anführer äusserte sich
Han-sin: Tschao hat sich schon früher festgesetzt auf dem bequemen
Boden und sich mit Lagerwällen umgeben. Auch haben Jene bei uns
noch nicht gesehen die Fahne des Oberfeldherrn und dessen Trom
mel; sie mögen noch nicht angreifen und vorwärts gehen. Sie fürch
ten, dass ich mich werfen werde auf die unwegsamen Stellen und
zurückkehren.
Er hiess jetzt zehntausend Krieger früher aus dem Passe her
austreten und, mit dem Rücken gegen den Fluss Ti gekehrt, sich in
Schlachtordnung stellen. Das Heer von Tschao, welches diesen Vor
gang sah, brach in ein lautes Gelächter aus.
Sobald es vollständig Tag geworden war, liess Han-sin die
Fahne und die Trommel des Oberfeldherrn sichtbar werden und
rückte unter Trommelschlag aus dem Passe von Tsing-hing hervor.
Das Heer von Tschao öffnete die Lagerwälle und schritt zum
Angriff. Es entspann sich ein allgemeiner Kampf, der längere Zeit
dauerte. Endlich Hessen Han-sin und Tschang-ni verstellter Weise
die Trommel so wie die Fahne des Oberfeldherrn im Stiche und
eilten mit ihren Schaaren schnellen Schrittes zu der an den Ufern
des Flusses aufgestellten Heeresabtheilung. Diese öffnete ihre Reihen
und liess die Angekommenen in den dadurch entstandenen Zwischen
räumen eine Stellung einnehmen, worauf sich ein neuer heftiger
Kampf entspann.
Die Krieger von Tschao hatten nämlich, wie vorausgesehen
worden, ihre Lagerwälle verlassen und, nachdem sie sich um die
Trommel und Fahne von Han gestritten, den beiden genannten Feld
herren nachgesetzt. Diese befanden sich jedoch schon bei der an dem
Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und King-pu.
385
Flusse liegenden Heeresabtheilung, und das gesammte Heer von Han,
jetzt mit Todesverachtung kämpfend, liess sich nicht zum Weichen
bringen. Unterdessen batten die von Han-sin ausgesandten zweitau
send auserlesenen Reiter nur auf den Augenblick gewartet, wo das
Heer von Tschao die Lagerwälle verlassen und seinem Vortheile
nachjagen würde. Als dies jetzt geschehen, sprengten sie sofort
zwischen die Lagerwälle, rissen die Fahnen von Tschao aus dem
Boden und pflanzten an deren Stelle zweitausend rothe Fahnen
von Han.
Als das Heer von Tschao sah, dass ihm der Sieg nicht zuTheil
werde und als es weder Han-sin noch Tschang-ni in seine Gewalt
bekam, wollte es wieder in seine Verschanzungen einziehen, fand aber
auf allen Wällen die rotheu Fahnen von Han aufgepflanzt. Grosser
Schrecken bemeisterte sich des Heeres, und indem man glaubte,
dass Han bereits den König und die Feldherren von Tschao in seine
Gewalt bekommen habe, ergriff Alles in Unordnung die Flucht. Die
Feldherren von Tschao begannen zwar damit, die Flüchtigen ent
haupten zu lassen, konnten aber dessenungeachtet die allgemeine
Flucht nicht hindern.
Das Heer von Han schritt jetzt seinerseits von zwei Seiten zum
Angriffe. Das Heer von Tschao erlitt eine grosse Niederlage, und
die Trümmer desselben geriethen in Gefangenschaft. Tschin-yü, der
einst den König Tschang-ni vertrieben hatte, ward hierauf an den
Ufern des Flusses Ti enthauptet. Ebenso ward Yä, der neu einge
setzte König des vereinigten Tschao, in der Schlacht gefangen und
getödtet.
Han-sin erliess in dem Heere einen Befehl, dass man den Lan
desherrn von Kuang-wu nicht tödten solle und versprach demjenigen,
der diesen Feldherrn lebend zur Stelle bringen würde, eine Beloh
nung von tausend Pfund. In Folge dessen erschien ein Krieger, der
den Landesherrn von Kuang-wu gebunden unter die Fahnen stellte.
Han-sin liess sogleich die Bande des Gefangenen lösen, den er mit dem
Angesicht nach Osten gekehrt sitzen liess, während er selbst, mit
dem Angesicht nach Westen gekehrt, ihm gegenüber sass und ihm
wie einem Lehrer seine Dienste widmete.
Die untergeordneten Feldherren brachten hierauf die abge
schlagenen Häupter der Feinde, so wie die Gefangenen und beglück
wünschten zuletzt, als nichts mehr zu thun übrig blieb, den Oberfeld-
286
Dp. P f i z m n i er
herrn. Bei dieser Gelegenheit richteten sie an Han-sin die Frage:
Nach den Gesetzen der Kriegskunst kehrt man die Rechte und den
Rücken gegen Berge und Anhöhen, die Stirne und die Linke kehrt
man gegen Flüsse und Sümpfe. Jetzt Messest du, o Feldherr, uns,
mit dem Rücken gekehrt gegen den Fluss, ordnen die Schlachtreihen.
Du sprachst: wir werden schlagen Tschao; hierauf sehen wir ein
ander bei der Mahlzeit. — Wir waren dieser Meinung nicht, und
haben zuletzt dennoch gesiegt: durch welche Kunst geschah dies?
Han-sin antwortete: Dies steht in den Gesetzen der Kriegs
kunst, und ich dachte mir nur, dass ihr, o Herren, es nicht werdet
untersuchen. In den Gesetzen der Kriegskunst heisst es nicht: Man
stürze sie in die Gruben des Todes, dann werden sie leben. Man
versetze sie auf den Boden des Unterganges, dann werden sie beste
hen. — Auch war es mir nicht möglich, einfach zu beruhigen die
Kriegsmänner und die Grossen des Reichs. Dies ist, was das Buch
meint, indem es sagt: Man sprenge unter die Menschen des Marktes
und lasse sie kämpfen 2 ). — Ihre Kraft versetzt man nicht auf den
Boden des Todes, sondern man lässt jeden Einzelnen aus freiem
Antriebe kämpfen. Jetzt habe ich ihnen gegeben den Boden des
Lebens, wo alle konnten entfliehen. Es ist besser, wenn ich sie noch
immer kann erlangen und verwenden.
Sämmtliche Feldherren unterwarfen sich diesem Ausspruche
und riefen: Vortrefflich! dies ist etwas, woran wir nicht gedacht.
Han-sin fragte jetzt den Landesherrn von Kuang-wu: Ich möchte
im Norden überfallen Yen, im Osten angreifen Tsi. Wie werde ich es
anstellen, dass ich mir Verdienste erwerbe?
Der Landesherr von Kuang-wu suchte sich zu entschuldigen,
indem er sprach: Ich habe gehört: die Führer eines geschlagenen
Heeres können nicht sprechen von dem Muthe, und die Grossen eines
zu Grunde gegangenen Reiches können nicht Rath schaffen für den
Fortbestand. Jetzt gehöre ich zu einem geschlagenen Heere, einem
zu Grunde gegangenen Reiche und ward gefangen; wie sollte ich
Einfluss üben können auf die grossen Angelegenheiten?
Eines der Werke über die Kriegskunst.
2 ) Man begibt sich plötzlich auf den Markt, nimmt die daselbst befindlichen Menschen
mit sich und heisst sie in den Kampf ziehen. Es brauchen keine geübteu Streiter
zu sein.
Die Feldherren Ilan-sin, Peng-yue und King-pu.
387
Han-sin erwiederte: Ich habe es gehört: Pe-li-hi 1 ) wohnte in
Yü, und Yü ging zu Grunde. Er befand sich in Thsin, und Thsin
gelangte zur Oberherrlichkeit. Es war nicht der Fall, dass er un
verständig gewesen in Yü und verständig in Thsin. Es handelte
sich blos um verwenden und nicht verwenden, um Gehör schenken
und nicht Gehör schenken. Gesetzt, der Landesherr von Tsching-
ngan hätte Gehör geschenkt, o Herr, deinen Rathschlägen, so wäre
ich auch bereits gefangen und getödtet. Bios aus dem Grunde, weil
er deinen Rath, o Herr, nicht angenommen, ist es mir jetzt möglich,
dir zur Seite zu stehen. — Indem er seine frühere Frage wieder
holte, setzte er hinzu: Ich überlasse dir mein Herz, unterwerfe mich
deinem Rathschluss. Ich wünsche, dass du, o Herr, mir es nicht
versagest.
Der Landesherr von Kuang-wu antwortete hierauf: Ich habe
gehört: Wenn der Verständige tausendmal überlegt, wird ihm gewiss
einmal etwas misslingen. Wenn der Unverständige tausendmal über
legt, wird ihm gewiss einmal etwas gelingen. Desswegen wird gesagt:
Die Worte eines Wahnsinnigen, der Höchstweise sucht sie hervor.—
In Rücksicht hierauf fürchte ich, dass mein Rath noch nicht verdient,
befolgt zu werden , und es ist mein Wunsch, an den Tag legen zu
können meines Unverstandes Redlichkeit.
Dieser Landesherr von Tsching-ngan hatte es in seiner Berech
nung abgesehen auf hundert Kämpfe, hundert Siege. Eines Morgens
war es ihm misslungen: sein Heer ward geschlagen unter den Mauern
von Hao 2 ), er selbst starb an den Ufern des Flusses Ti.
Jetzt hast du, o Feldherr, übersetzt den westlichen Fluss, ge
fangen den König von Wei, getödtet Hia-yue in Ngo-yü. Du erhobst
dich ein einziges Mal und stiegest hernieder nach Tsing-hing. Es
war nicht ganz ein Morgen, und du schlugest die Menge von Tschao,
die bestand aus zweihundert tausend Kriegern, liessest hinrichten
4 ) Pe-li-hi trat nach dem Untergänge des Reiches Yü, in welchem er Minister
gewesen, in die Dienste des Reiches Thsin. Das Nähere über denselben findet sich
in einer längeren Anmerkung zu dem Aufsatze: „Der Landesherr von Schang“.
2 ) Die Stadt Hao ist das heutige Kao-yi, Kreis Tschin-ting in Pe-tsclri-li.
Dasselbe liegt übrigens in bedeutender Entfernung südöstlich von Tsing-hing,
und der Landesherr von Kuang-wu bezeichnet die Gegend von Hao wahrschein
lich nur desswegen als den Schauplatz des Kampfes, weil diese Stadt für Tschao
von grosser Wichtigkeit war.
388
Di*. Pfizmaier
den Landesherrn von Tsching-ngan. Dein Name ist berühmt inner
halb der Meere, deine Gewalt macht erzittern die Welt. Unter den
Ackerleuten ist keiner, der nicht aufhört zu ackern, weglegt den
Pflug, sich kleidet festlich, sich freut der Speise, neigt das Ohr,
indess er erwartet den Befehl d )- Verhält es sich also, so wird dir, o
Feldherr, dadurch zu Theil die Dauer. Gleichwohl wird die Menge
angestrengt, die Krieger sind erschöpft; in Wirklichkeit ist es schwer,
sie zu verwenden.
Jetzt willst du, o Feldherr, erheben die müden Waffen und sie
abnützen unter den starken Festen von Yen. Du willst kämpfen, und
es ist zu fürchten, dass, wenn es lange währt, du mit deiner Kraft
nicht im Stande, sie zu erobern. Deine Gedanken sind dann offenbar,
deine Kraft ist gebrochen, die Vorräthe vieler Tage gehen zu Ende,
und das schwache Yen wird sich nicht unterwerfen. Tsi wird gewiss
Widerstand leisten an den Grenzen und erstarken. Wenn Yen und
Tsi einander festhalten und nicht sinken, so kann die Macht der
Häuser Lieu und Hiang 2 ) noch nicht von einander geschieden werden.
Wenn es sich so verhält, wirst du, o Feldherr, dadurch kleiner. Ich
in meiner Unwissenheit vermesse mich, dies auch für einen Fehler
zu halten. Desswegen gebraucht derjenige, der geübt in der Führung
der Waffen, nicht das Kleine zum Angriff auf das Grosse, sondern
er gebraucht das Grosse zum Angriff auf das Kleine.
Han-sin fragte: Was soll ich also beginnen?
Der Landesherr von Kuang-wu antwortete: In der gegenwärti
gen Zeit ist für dich, o Feldherr, unter den Entschlüssen, die du
kannst fassen, keiner so gut, als der, dass du in Reihen stellst die
Panzer, ruhen lässest die Angriffswaffen, niederhältst Tscliao, tröstest
dessen verwaiste Söhne. Aus einem Umkreise von hundert Meilen
werden Rinder und Wein täglich gebracht werden, damit man Feste
bereite den Staatsdienern und Grossen des Reichs, bewirthe die
Krieger. Im Norden mögest du antreten den Weg nach Yen, hierauf
entsenden einen beredten Staatsdiener, damit er überreiche ein Schrei
ben von der Grösse einer Spanne 3 ), worin kundgegeben wird, von
welcher Art der Vortritt von Yen. Yen wird es gewiss nicht wagen,
*) Dies geschieht desshalb, weil inan den Untergang der Reiche erwartet.
2 ) Lieu ist der Gesehlechtsname des Königs von Han, Hiang derjenige Hiang-yü’s.
3 ) Ein Schreiben von geringem Umfang, durch welches bedeutet werden soll, dass
Han-sin auf die Anführerstelle keinen Werth legt.
Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und King-pu.
389
keine Folge zu leisten der Aufforderung zum Anschluss. Hat sich Yen
einmal angeschlossen, so entsendest du einen lauten Sprecher, und
lässest im Osten die Meldung bringen nach Tsi. Tsi wird sich gewiss
richten nach dem Winde und sich unterwerfen. Besässe es auch
einen Verständigen, er wird ebenfalls keinen Rath wissen für Tsi.
Auf diese Weise können die Angelegenheiten der Welt sämmtlich ge
ordnet werden. Dass die Kriegsmacht zuerst habe den Ruf, dann aber
die Wirklichkeit, dies Hesse sich hier sagen.
Han-sin befolgte diesen Rath uml schickte einen Gesandten nach
Yen, welches sich sofort für den Anschluss erklärte. Hierauf schickte
er einen Gesandten nach Han mit der Meldung des Geschehenen und
zugleich mit der Bitte, dass Tschang-ni zum Könige von Tschao ein
gesetzt werde, wodurch man das Volk dieses Reiches zufrieden zu
stellen hoffte. DerKönig von Han bewilligte die Bitte, worauf Tschang-
ni, der schon früher einmal König von Tschang-sehan gewesen, zum
Könige des vereinten Tschao ernannt wurde.
Tsu liess indessen zu wiederholten Malen auserlesene Streit
kräfte den gelben Fluss übersetzen und in Tschao einfallen. Tschang-
ni und Han-sin brachten jedesmal den bedrohten Gegenden Hilfe und
zogen zuletzt, nachdem sie die Städte des Landes in Vertheidigungs-
stand gesetzt, nach dem Schauplatz des grossen, zwischen Hän und
Tsu um die Oberherrschaft geführten Kampfes.
Tsu betrieb eben mit grossem Eifer die Belagerung von Yung-
yang, wo der König von Hän sich eingeschlossen hatte. Als die Stadt
nicht mehr zu halten war, begab sich der König, der Mittel gefunden
hatte zu entkommen, zuerst in die Gegend zwischen Yuen und Sehe,
Städten des alten Reiches Tsu, wo ihm der Feldherr King-pu mit Hilfe
entgegenkam, hierauf nach Tsching-kao, wo er jedoch, da Hiang-yü
die Stadt mit Macht belagerte, abermals eingeschlossen wurde.
Im sechsten Monate des Jahres (203 vor Chr.) verliess der
König von Han auch Tsching-kao, übersetzte den gelben Fluss und
begab sich, nur von dem Fürsten von Teng begleitet, nach Sieu- wu,
wo um diese Zeit Tschang-ni und Han-sin mit ihrem Heere lagerten.
Nach seiner Ankunft in dieser Stadt übernachtete er in einer
der für Gäste bestimmten Wohnungen, erklärte sich am frühen Mor
gen für einen Gesandten von Hän und sprengte in das Lager von
Tschao, wo Tschang-ni und Han-sin noch nicht von dem Schlafe auf
gestanden waren. Der König schritt in deren Schlafzimmer, nahm
390
Di*. Pfizmaier
das ihnen anvertraute Siegel und die Abschnittstafel weg, und ver
sammelte um sich die untergeordneten Feldherren, welche er sofort
an andere Stellen versetzte. Als Tschang-ni und Han-siri aufstanden,
erfuhren sie zu ihrem grossen Schrecken, dass der König von Han in
ihrem Lager angekommen. Dieser entriss jetzt den beiden Feldherren
das Heer, indem er Tschang-ni mit der Vertheidigung des Landes
von Tschao beauftragte, Han-sin aber zum Reichsgehilfen in dem
selben ernannte und ihm den Befehl ertheilte, die noch nicht ausge
rückten Streitkräfte von Tschao zu sammeln, und mit ihnen das Reich
Tsi anzugreifen.
Han-sin führte diesem Befehle gemäss sein Heer vorwärts, war
aber im Osten noch nicht nach Ping-yuen übergesetzt, als er erfuhr,
dass der Abgesandte Li-I-ki *) im Aufträge des Königs von Han be
reits in Tsi Vorstellungen gemacht und dieses Reich zur Unterwer
fung bewogen habe. Han-sin gedachte auf diese Kunde von seinem
Zuge abzustehen, was ihm jedoch Khuai-thung, ein beredter und
scharfsinniger Mann aus Fan-yang 2 ), widerrieth, indem er sprach:
Du, o Feldherr , hast erhalten den königlichen Befehl, anzugreifen
Tsi, aber Han hat blos geschickt einen ausspähenden Gesandten,
damit er zur Unterwerfung bewege Tsi. Wäre es wohl besser, wenn
erlassen worden wäre der königliche Befehl, zurückzuhalten dich, o
Feldherr? Wie wäre es dir dann möglich, ihn nicht zu vollziehen?
Auch hat der einzige Staatsdiener Li-sengsich gelegt auf den Vorder-
theil des Wagens s ), in Bewegung gesetzt eine Zunge, die lang drei
Zoll, und zur Unterwerfung gebracht siebenzig feste Städte von Tsi.
Du, o Feldherr, hast befehligt eine Menge von mehreren Zehntau
senden und in einem Jahre zur Unterwerfung gebracht fünfzig feste
Städte von Tschao. Feldherr sein durch mehrere Jahre, sollte dies
aber nicht gleichkommen den Verdiensten eines einzigen burschen
haften Gelehrten? — Han-sin billigte diese Gründe und übersetzte
sofort den Fluss Wei.
Indessen hatte man in Tsi, wo Li-seng williges Gehör gefunden,
sich der Freude hingegeben und aufgehört, Han gegenüber die
*) D. i. LT-seng, der in dem Aufsatze: „Die Nachkommen der Könige von Wei, Tsi
und Han“ erwähnt worden.
2 ) Derselbe ist in dem Aufsätze: „Die Genossen des Königs Tschin-sehing“ vorge
kommen.
3 ) Derjenige, der in dem Wagen sitzt, tliut dies aus Hochachtung.
Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und King-pu.
391
nöthige Vorsicht zu beobachten. Diese Sorglosigkeit des Feindes be
nützte der Feldherr von Han. Er zerstreute das andemFusse des Berges
Li lagernde Heer von Tsi und besetzte Lin-thse, die Hauptstadt des
Landes. Auf die Kunde von diesen Vorgängen glaubte Tien-kuang,
König von Tsi, dass Li-seng ihn verrathen habe. Er liess diesen
Abgesandten von Han in einen mit siedendem Wasser gefüllten Kessel
werfen und flüchtete sich nach Kao-mi, während er einen Abgesandten
nach Tsu mit der Bitte um Hilfe schickte.
Nachdem Han - sin in Lin - thse die nöthigen Einrichtungen
getroffen, verfolgte er in östlicher Richtung den König Tien-kuang und
gelangte bis in die Nähe von Kao-mi. Tsu schickte den Feldherrn
Lung-tsiü mit einem Heere, dessen Stärke auf zweihundert tausend
Streiter angegeben wurde, dem bedrängten Tsi zu Hilfe. Tien-kuang
und Lung-tsiü vereinigten alsbald ihre Macht und standen dem Feld
herrn von Han kampfbereit gegenüber.
Ehe noch die beiden Heere handgemein geworden, ertheilte
Jemand dem Feldherrn Lung-tsiü den folgenden Rath: Die Kriegs
macht von Han streitet in der Ferne, sie kämpft mit Verzweiflung,
gegen die Spitzen ihrer Lanzen können wir nicht aufkommen. Tsi und
Tsu befinden sich auf ihren Boden; wenn sie kämpfen, ist ihre Kriegs
macht leicht geschlagen und zerstreut *). Du musst dich umgeben
mit starken Lagerwällen und heissen den König von Tsi aussenden seine
treuen Diener, damit sie auffordern die festen Städte, die verloren
gegangen. Wenn die festen Städte, die verloren gegangen, hören
werden, dass ihr König anwesend, dass Tsu gekommen, ihnen zu
helfen, so werden sie sich auflehnen gegen Han. Die Krieger von Han
befinden sich auf einer Strecke von zweitausend Meilen als Gäste in
Tsi. Wenn die festen Städte von Tsi sich sämmtlich gegen sie auf
lehnen, so können jene bei ihrer Stärke nirgends erlangen dieLebens-
mittel, und es mag geschehen, dass, ohne zu kämpfen, sie sich ergeben.
Lung-tsiü erwiederte hierauf: Ich habe durch mein ganzes
Leben gekannt Han-sin als einen Menschen, mit welchem leicht um
zugehen. Er war in Hinsicht der Nahrung abhängig von einer Seiden
wäscherinn. Er wusste kein Mittel, um sich etwas zu erwerben, und
er duldete den Schimpf, indem er durchkroch zwischen den Beinen.
*) Angeblich, weil die Krieger, welche ihre Wohnsitze in der Nähe wissen, an diese
beständig denken und bald auf sie zurückblicken, bald sie zu erreichen suchen.
Sitzb. d. phil.-hist. Cl.XXXIV. Bd. III. Hft. 26
392
Dr. P f i z m a i e r
Vor dem Muthe eines Menschen mit leeren Händen braucht uns nicht
zu bangen. Wenn ich ferner, indem ich Rettung bringe Tsi, jene, ohne
zu kämpfen, zwänge, sich zu ergeben, was hätte ich dabei für
Verdienste? Wenn ich aber kämpfe und sie besiege, so mag die Hälfte
von Tsi mir zu Theil werden *). Warum sollte ich davon abstehen?—
Dieser Ansicht gemäss entschloss er sich zur Schlacht.
Beide Heere standen, nur durch den Fluss 'jWei 2 ) getrennt,
einander gegenüber. In der Nacht gab Han-sin seinen Leuten den
Auftrag, zehntausend Säcke mit Sand zu füllen und mit denselben
den Fluss oberhalb der Aufstellung der Heere zu dämmen. Er setzte
hierauf mit der Hälfte des Heeres über und grifFLung-tsiü mit Ungestüm
an, wobei er sich den Anschein gab, als ob er nichts ausrichte und
sich in Eile wieder auf das andere Ufer zuriickzog.
Lung-tsiü rief jetzt freudig: Ich wusste mit Gewissheit, dass
Han-sin feig ist! — Er verfolgte sofort den Feind und setzte auf das
linke Ufer des Flusses über. Han-sin liess durch seine Leute in
die Säcke, welche den Fluss dämmten, Einschnitte machen, was zur
Folge hatte, dass die Finthen mit Gewalt herein brachen und die grös
sere Hälfte des von Lung-tsiü befehligten Heeres den Übergang nicht
bewerkstelligen konnte. Han-sin richtete einen raschen siegreichen
Angriff gegen diese abgeschnittene Kriegsmacht, die den Feldherrn
Lung-tsiü durch den Tod verlor. Ehen so ward das auf dem östlichen
Ufer des Flusses Wei stehende Heer Lung - tsiii’s geschlagen und
zerstreut, König Tien-kuang gezwungen, sich auf die Flucht zu
begeben. Han-sin verfolgte die Fliehenden bis Tsching-yang, wo
er den König Tien-Ituang samrnt den noch übrigen Kriegern von
Tsu gefangen nahm.
Nachdem Han-sin das ganze Reich Tsi unterworfen, schickte er
durch einen Gesandten an den König von Hän folgende Meldung: Tsi
ist ein betrügerisches, veränderliches, wankelmüthiges Reich. Im
Süden grenzt es an Tsu. Wenn nicht Jemand herrscht als einstweiliger
König, damit: er es niederhalte, so wird dessen Kraft nicht in ein
Gleichmass gebracht. Jetzt ist. die Gewalt daselbst gering und nicht
1) Lung-tsiü hofft, in diesem Falle die Hälfte des Reiches Tsi als Lehen zu erhalten.
2 ) Dieser Fluss entspringt in dem heutigen Districte T-schui, Kreis T-tscheu, und
ergiesst sich in das Meer unterhalb des heutigen Tschang-yi, Kreis Lai-tscheu in
Schan-tung. Derselbe nimmt seinen Lauf zuerst nach Osten, hierauf nach Norden,
wo er das nahe vor Kao-mi im Westen liegende Land durchschneidet.
Die Feldherren Uan-siii, Peng-yue und King-pu. 303
reichend, es zu beruhigen. Ich bitte, mich erklären zu dürfen zum
einstweiligen Könige.
Der König von Han, der vor Kurzem in Yung-yang und Tsching-
kao eingeschlossen gewesen und sich noch immer in bedrängter
Lage befand, ward, als der Gesandte nach seiner Ankunft den ihm von
Han-sin mitgegebenen Brief entfaltete, sehr zornig und rief im schmä
henden Tone: Ich befinde mich hier in ßedrängniss. Am Morgen und
am Abend erwarte ich, dass Jener komme und mir helfe. Siehe, da
will er sich zum Könige erklären!
Tschang-liang und Tschin-ping warfen sich zu Boden, traten
den König von Han rückwärts auf den Fuss und flüsterten ihm in das
Ohr : Han ist jetzt eben nicht im Vortheil. Sollte es wohl Sin wehren
können , als König zu herrschen? Man muss bei diesem Anlasse ihn
einsetzen, ihm gut begegnen und ihn heissen das Land bewahren.
Thut man dies nicht, so werden Veränderungen entstehen.
Der König von Han kam jetzt ebenfalls zur Besinnung und er
enviederte, obwohl noch immer im schmähenden Tone: Ein Mann von
grosser Gestalt, der die Ordnung wiederherstellt in den Ländern der
Fürsten der Reiche, ist nur ein wirklicher König. Was soll man mit
einem einstweiligen beginnen?
Er entsandte Tschang-liang, damit er Han-sin zum Könige von
Tsi einsetze. Zugleich ward der neue König aufgefordert, seine Streit
kräfte mit denjenigen des Reiches zu vereinigen und Tsu anzugreifen.
Da Tsu eben den Feldherrn Lung-tsiü verloren hatte, fürchtete
sich der König von Hiang und suchte Han-sin für sich zu gewinnen. Zu
diesem Zwecke entsandte er Wu-sche, einen Eingebornen von Hiü-I,
der dem Könige von Tsi Folgendes vorstellte: Die Welt insgesammt
war voll Erbitterung gegen Thsin schon seit langer Zeit. Man hatte
gegenseitig aufgehoten alle Kraft und angegriffen Thsin. Nachdem
man Thsin zertrümmert, berechnete man die Verdienste, zerschnitt
die Länder, theilte den Boden und herrschte daselbst mit der Würde
von Königen, um ruhen zu lassen die Kriegsführer und die gemeinen
Krieger. Jetzt hat der König von Han nochmals erhoben die Waffen,
Einfälle gemacht in die Gebietsantheile der Menschen, entrissen die
Länder der Menschen. Er hat zertrümmert die drei Reiche von
Thsin, ist heraus getreten aus dem Grenzpasse, hat an sich gezogen
die Streitkräfte der Fürsten der Reiche und im Osten angegriffen
Tsu. Er ist entschlossen, so lange er nicht gänzlich verschlungen hat
26*
394
Dr. P f i z m a i e r
die Welt, nicht zu ruhen. Dass er nicht kennt die Genügsamkeit in
einem solchen Masse, ist zu arg.
Auch kann man sich auf den König von Han nicht verlassen. Er
befand sich in den Händen des Königs von Hiang bereits mehrmals.
Der König von Hiang hatte Mitleid mit ihm und schenkte ihm das
Leben. Gleichwohl kehrte jener, sobald er entkommen, den Rücken
dem Vertrage und machte nochmals einen Angriff auf den König von
Hiang. Man kann sich mit jenem nicht befreunden, kann ihm nicht
trauen, wie hieraus zu ersehen.
Wenn du, o Gebieter, jetzt auch dafür hältst, dass du mit dem
Könige von Han eingegangen bist eine Verbindung von Erz und von
Stein, wenn du auch mit aller Kraft führst die Waffen, wirst du am
Ende doch von ihm gefangen und getödtet. Dass du, o Gebieter, nur
einen Augenblick so weit gelangt bist, wie heute, es ist desswegen,
weil der König von Hiang noch vorhanden. In der gegenwärtigen Zeit
ist bei den Angelegenheiten der zwei Könige das Gewicht in der
Wagschale bei dir, o Gebieter. Wirfst du, o Gebieter, es nach rechts,
so ist König von Han der Sieger. Wirfst du es nach links, so ist der
König von Hiang der Sieger. Wenn der König von Hiang heute nicht
mehr vorhanden sein sollte, so wird jener zunächst fassen dich,
o Gebieter.
Du, o Gebieter, bist mit dem König von Hiang aus früheren
Zeiten bekannt. Warum sagst du dich nicht los von Han und
schliessest dich an Tsu in Freundschaft, indess du in drei Theile
theilst die Welt und in ihr herrschest als König? Jetzt aber lässest
du dies ausser Acht und vertraust noch länger auf Han, indess du
Angriffe machst auf Tsu: verfährt denn auch ein Verständiger allen
Ernstes auf diese Weise?
Han-sin ging auf diese Vorschläge nicht ein und antwortete:
Als ich diente dem Könige von Hiang, war mein Amt nicht höher,
als dasjenige eines Kämmerers, meine Rangstufe nicht höher als
diejenige eines Trägers der Partisane *). Meine Worte wurden
nicht gehört, meine Rathschläge wurden nicht befolgt. Desswegen
kehrte ich den Rücken Tsu und wendete mich nach Han. Der König
von Han verlieh mir das Siegel des Oberfeldherrn, übergab mir eine
Menge von mehreren hunderttausend Kriegern. Er legte ab die
*) Die Kämmerer waren in der Nacht die Leibwache und hielten Partisanen in den
Händen.
Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und King-pu.
395
Kleider und kleidete mich. Er legte zurück die Speisen und speiste
mich. Meine Worte wurden gehört, meine Rathschläge wurden
befolgt. Desswegen ward es mir möglich, zu gelangen bis hierher.
Gegen einen Menschen, der uns ganz zieht in seine Nähe und uns
vertraut, sich auflehnen, ist nicht glückbringend. Sollte ich auch
sterben, ich werde mich nicht verändern. Es werde mir zu Theil
die Gunst, dass du mich entschuldigest bei dem Könige von Hiang.
Nach der Abreise Wu-sche’s wollte Khuai-thung, der ebenfalls
einsah, dass, um eine Entscheidung in der Sache der Weltherrschaft
herbeizuführen, nur Han-sin das Gewicht in die Wagschale zu
werfen brauche, diesen Feldherrn zu einem ausserordentlichen
Entschlüsse bewegen und lenkte früher das Gespräch auf die Beob
achtung der Menschen, indem er sich äusserte: Ich erlernte von
einem Lehrer die Kunst, die Menschen zu beobachten.
Han-sin fragte: Wie beobachtest du, o Meister, die Menschen?
Khuai-thung antwortete: Den vornehmen und geringen Stand
erkenne ich an der Bildung der Knochen. Traurigkeit und Freude
erkenne ich an den Zügen des Antlitzes. Gelingen der Unterneh
mungen und Fehlschlagen erkenne ich an der entschiedenen Haltung.
Wenn ich dies zu einander halte, irre ich mich in zehntausend Fällen
nicht Einmal.
Han-sin bemerkte: Vortrefflich! Wie beobachtest du, o Mei
ster, mich?
Khuai-thung bat, mit dem Könige ohne Zeugen sprechen zu
dürfen, und gab, als Han-sin die Menschen seiner Umgebung
entfernt hatte, zur Antwort: Indem ich, o Herr, dein Antlitz beob
achte, findeich, dass du nicht mehr bist, alsein belehnter Fürst.
Ferner bist du in Gefahr und in Unruhe. Indem ich, o Herr, deinen
Rücken beobachte, finde ich, dass man über deinen vornehmen
Stand nicht kann sprechen ‘j.
Han-sin fragte: Was hat dies zu bedeuten?
Khuai-thung antwortete: Als die Welt zum ersten Male her
vorsandte das Unheil, schufen die vorzüglichsten Führer, die durch
Gaben ausgezeichneten Männer die Ehrennamen 2 ), erhoben in Ge
meinschaft ihre Stimme. Die Kriegsmänner der Welt vereinigten
*) Wenn der Rücken entzogen ist, so bedeutet dies einen sehr vornehmen Stand.
2 ) Sie legten sich die Namen von Reichsfürsten und Königen hei.
396
Dr. Pfiz maier
sich gleich Wolken, sammelten sich gleich dem Nebel, mengten sich
unter einander gleich den Schuppen der Fische, eilten herbei wie
ein fliegendes Feuer, brachen los wie der Sturmwind. Um diese
Zeit war man bekümmert darum, wie man zu Grunde richten könne
Thsin, um nichts weiter. Jetzt liegen Tsu und Han abgesondert mit
einander im Streite. Sie bewirken, dass von schuldlosen Menschen
der Welt Leber und Galle kleben auf dem Boden, von Vätern und
Söhnen die Gebeine bleichen in der Mitte der Wildniss so viele,
dass sie gar nicht zu zählen.
Die Menschen von Tsu brachen hervor aus Peng-tsching. Sie
bewirkten, dass sich wendete der Kampf, sie verfolgten die Fliehen
den bis Yung-yang. Sie ersahen ihren Vortheil, rollten ihn zusammen
gleich einem Teppich, machten vor ihrer furchtbaren Erscheinung
erzittern die Welt. Gleichwohl wurden ihre Streiter zur Erschöpfung
gebracht zwischen King und Tsi, sie geriethen in Bedrängniss vor
dem westlichen Gebirge, und dass sie nicht im Stande vorzurücken,
sind bereits drei Jahre in diesem Augenblicke.
Der König von Han stellte sich an die Spitze einer Menge von
mehreren hunderttausend Kriegern. Er leistete Widerstand in Kung,
auf den unwegsamen Strecken des Lo, auf den steilen Höhen der
Berge und des Flusses. An einem Tage kämpfte er mehrmals und
hatte kriegerisches Verdienst nicht von der Grösse eines Fusses oder
Zolles. Er ward gebrochen, ergriff die Flucht und leistete keine
Hilfe. Er ward geschlagen in Yung-yang, verwundet in Tsehing-
kao j ). Hierauf floh er nach der Gegend zwischen Yuen und Sehe.
Dies ist, was man nennt: der Verstand und der Muth sind beide zu
nichte.
Jener kühne Geist ward gebrochen an den steilen Anhöhen und
vor den Versperrungen, aber die Mundvorräthe sind zu Ende in den
inneren Vorrathshäusern. Die hundert Geschlechter sind erschöpft
auf das Ausserste, sie blicken in die Ferne unwillig, sie wanken um
her und haben nichts, wo sie sich könnten stützen. Wie ich es mir
überlege, ist derjenige, dessen Stärke nicht die höchste Weisheit
der Welt, sicher nicht im Stande, aufhören zu machen das Unglück
der Welt.
L ) Vor Tsching-kao verwundete Hiang-yü den König von Han durch einen Pfeilschuss.
Die Feldherren Han-sin, Perig-yu'e und King-pu.
397
ln der gegenwärtigen Zeit ist das Schicksal der beiden Ober
herren in die Hände gegeben dir, o Gebieter. Wenn du, o Gebieter,
trittst auf die Seite von Han, so ist Han der Sieger. Verbündest du
dich mit Tsu, so ist Tsu der Sieger. Ich möchte zerreissen den Bauch
und das Herz, hinüberführen Leber und Galle und bieten meiner
Unwissenheit Rath. Ich fürchte, dass du, o Gebieter, nicht fähig
sein werdest, ihn anzunehmen. Wenn du in Wahrheit fähig bist,
Gehör zu schenken meinen Rathschlägen, so musst du Nutzen ziehen
von zwei Seiten und beide unversehrt erhalten. Du theilst in drei
Theile die Welt, so dass sie steht auf den Füssen eines Dreifusses:
Kraft dessen wird Niemand wagen, zuerst sich zu rühren.
Bei deiner Weisheit und höchsten Weisheit, o Gebieter, indess
du besitzest die Menge der Panzer und Angriffs Waffen, mögest du,
gestützt auf das mächtige Tsi, durch Yen und Tschao austreten in
die leergelassenen Länder und Ordnung schaffen hinter dem Rücken
beider. Wenn das Volk wünscht, sich zu wenden nach Westen, wenn
es, zum Besten der hundert Geschlechter, bittet um den Befehl *),
so wird die Welt herbeieilen gleich dem Winde, Antwort geben
gleich dem Wiederhalle: wer würde es dann wagen, nicht zu
gehorchen ?
Du trennst los von dem Glossen, schwächst das Starke und
bewirkst die Einsetzung der Fürsten der Reiche. Sind die Fürsten
der Reiche eingesetzt, so wird die Well gehorchen in Unterwürfig
keit und, sich zuwendend, dankbar sein gegen Tsi. Wenn du, dich
haltend daran, dass Tsi von Alters her besitzt das Land des Kiao 2 )
und des Sse 3 ), empfängst den Dank der Fürsten der Reiche, in
der Höhe zusammenlegst die Hände, sie wieder senkst und zuvor
kommend dich zeigst, so werden die Landesherren und Könige der
Welt einer vorangehen dem anderen und erscheinen an dem Hofe
l) D a s Reich Tsi Ing' im Osten. Dessen Volk würde um den Befehl zum Vorrücken
nach Westen bitten, damit dem Kampfe zwischen Tsu und Han ein Ende gemacht
werde.
m
2 ) Von dem D/
Kiao, einem kleinen Flusse des östlichen Tsi, führt das Uehiet
Kiao-tung (der Osten des Kiao) den Namen.
3 ) Der m Sse, von dem gleichnamigen Sse in Tsu verschieden, ist ein kleiner Fluss
des Reiches Lu. Das Buch der früheren Han setzt an dieser Stelle: „Das Land des
Hoai und des Sse“, wobei Sse der Name des eben erwähnten Flusses in Tsu, und
<lie alte (>heil|err|iclikeit des Fürsten Hoan von Tsi gemeint ist.
398
Dr. P f i z m a i e r
von Tsi. Denn ich habe gehört: Wenn der Himmel gibt und man
nicht nimmt, so ist uns dafür das Unglück bestimmt. Wenn die Zeit
gekommen und man nicht handelt, ist man dafür in's Verderben ge
wandelt. — Ich wünsche, dass du, o Gebieter, dies reiflich über
legest.
Hierauf erwiederte Han-sin: Der König von Han hat mich
behandelt mit grösster Auszeichnung. Er liess mich Platz nehmen
in seinem Wagen, er kleidete mich mit seinen Kleidern, er speiste
mich mit seinen Speisen. Ich habe Folgendes gehört: Wer steigt in
den Wagen der Menschen, lädt auf sich die Sorge der Menschen.
Wer sich kleidet in die Kleider der Menschen, trägt in dem Busen
den Kummer der Menschen. Wer verzehrt die Speisen der Menschen,
stirbt für die Sache der Menschen. Wie könnte ich mich zuwenden
dem Nutzen und den Rücken kehren der Gerechtigkeit?
Khuai-thung sprach: Dass du, o Gebieter, auf gutem Fusse zu
stehen glaubst mit dem Könige von Han und dadurch begründen
willst die Beschäftigung der zehntausend Geschlechtsalter, ich ver
messe mich, dies für einen Irrthum zu halten. Im Anfänge hatten der
König von Tsehang-schan und der Landesherr von Tsching-ngan *),
als sie noch gekleidet waren in baumwollene Kleider 3 ), mit ein
ander geschlossen einen Bund auf das Abschneiden des Halses 3 ).
Später stritten sie mit einander wegen der Angelegenheit Tschang-
yen’s und Tschin-schi’s 4 ); die zwei Menschen waren gegen ein
ander erfüllt von Hass. Der König von Tschang-schan kehrte den
Rücken dem Könige von Hiang, reichte dar das Haupt Hiang-ying’s 5 )
und unterwarf sich, nachdem er entwichen gleich einer Ratte, dem
Könige von Han. Der König von Han lieh ihm eine Kriegsmacht, und
jener stieg hernieder im Osten, tödtete den Landesherrn vonTsching-
*) D. i. Tschang-ni und Tschin-yü, deren Leben in dem Aufsatze: „die Genossen
des Königs Tschin-sching“ enthalten ist.
2 ) Als sie noch arm und unbekannt waren.
3 ) Sie verpflichteten sich, mit einander zu sterben.
4 ) Zwei Feldherren Tschang-ni’s, welche, wie in dem oben genannten Aufsätze erzählt
worden, von Tschin-yii in den Kampf geschickt, das Leben verloren.
5 ) ^Hiang-ying war von dem Geschlechte Iliang-yii’s. Dass Tschang-ni dem
Könige von Han das Haupt Hiang-ying’s dargebracht, wird sonst nirgends ange
geben. Das Buch der früheren Ilan sagt hier blos: „Der König von Tschang-schan
reichte dar das Haupt, entwich gleich einer Hatte und unterwarf sich dem Könige
von Han“.
Die Feldherren Hnn-sin, Peng-yue und King-pu.
399
ngari im Süden des Flusses Ti. Haupt und Füsse des Landesherrn
von Tsching-ngan erhielten einen verschiedenen Platz, und zuletzt
ward er verlacht von der Welt. Diese zwei Menschen waren zu
einander die innigsten Freunde der Welt; dass aber zuletzt der
eine den anderen verdarb, warum geschah dies? Die Sorge ent
steht durch vieles Begehren, und des Menschen Herz ist schwer zu
ergründen. <
Jetzt willst du, o Gebieter, üben Redlichkeit und Treue, indess
du dich verbindest mit dem Könige von Han. Du kannst dies nicht
fester, als die beiden Landesherren gegenseitig es getban; aber
unter den Angelegenheiten sind viele von grösserer Wichtigkeit als
die Angelegenheit Tschang - yen’s und Tschin-schi’s. Desswegen
halte ich dafür, dass du, o Gebieter, indem du dich darauf verlassest,
dass der König von Han dich nicht werde in Gefahr bringen, eben
falls im Irrthum.
Der grosse Würdenträger Tsehung und Fan-li J ) retteten das
zu Grunde gehende Yue und machten zur Oberherrlichkeit gelangen
Keu-tsien. Sie verrichteten Thaten kriegerischen Verdienstes, mach
ten berühmt den Namen, und der eine von ihnen starb, der andere
ging in die Verbannung. „Die wilden Thiere des Feldes sind ver
tilgt, und die Hunde der Jagd werden gesotten“ 3 ). — Will man
sprechen von Verbindung und Freundschaft, so bist du nicht so fest
verbunden, wie es Tschang-ni gewesen mit dem Landesherrn von
Tsching-ngan. Will man sprechen von Redlichkeit und Treue, so
übst du diese in nicht grösserem Masse, als der grosse Würdenträger
Tsehung und Fan-li sie geübt gegen Keu-tsien. Diese beiden Männer
verdienen, dass du, o Gebieter, an ihnen ein Beispiel nehmest. Ich
wünsche, dass du, o Gebieter, dies reiflich überlegest.
Auch habe ich Folgendes gehört: Wer durch Muth und Ent
schlossenheit erzittern macht den Gebieter, schwebt in Gefahr, und
die kriegerischen Verdienste, welche sich erstrecken über die Welt,
werden nicht belohnt. Ich bitte, sprechen zu dürfen, o grosser König,
von deinen kriegerischen Verdiensten und deiner Entschlossenheit.
Du, o Gebieter, hast gesetzt über den westlichen Fluss, hast gefangen
*) Diese beiden Männer sind in der „Geschichte des Reiches U u vorgekommen.
2 ) So lautet ein Sprichwort, welches weiter unten mit grösserer Ausführung des
Gedankens wiedergegeben wird.
400
Dr. Pfizmaier
genommen den König von Wei, gefangen und getödtet Hia-yue. Du
hast vorwärts geführt die Kriegsmacht, bist hinabgestiegen nach
Tsing-hing, hast gestraft die Verbrechen des Landesherrn von
Tsching-ngan. Du hast durchzogen Tschao, eingeschüchtert Yen, zur
Ruhe gebracht Tsi. Im Süden hast du zermalmt Streiter von Tsu
zweihundert tausend an der Zahl, hast sofort im Osten getödtet
Lung-tsiü und, gewendet nach Süden, gemeldet die Vollziehung des
Befehles. Dies ist, was man nennt kriegerische Verdienste, wie es
gibt keine zweiten in der Welt, und eine Entschlossenheit, die in
dem Zeitalter sonst nicht zum Vorschein gekommen.
Jetzt trägst du, o Herr, auf dem Haupte eine Furchtbarkeit, die
erzittern macht den Gebieter, und hältst unter den Armen kriegerische
Verdienste, für die keine Belohnung bestimmt. Wendest du dich
nach Tsu, so schenken dir die Menschen von Tsu kein Vertrauen.
Wendest du dich nach Han, so zittern vor dir und fürchten sich die
Menschen von Han. Wenn du, o Gebieter, dich willst festhalten, wo
hin wirst du dich wohl wenden? Was die Eigenschaft betrifft, sich
zu befinden auf der Stufe eines Dieners unter den Menschen, aber
dabei besitzen eine Furchtbarkeit, die erzittern macht den Gebieter,
während der Name hoch ragt in der Welt, ich vermesse mich dafür
zu halten, dass hierbei, o Gebieter, für dich Gefahr.
Han-siri entschuldigte sich hierauf und sprach: Mögest du, o
Meister, dich einstweilen zur Ruhe begehen; ich werde darüber
nachdenken.
Nach einigen Tagen erschien Khuai-thung wieder und sprach
zu Han-sin Folgendes: Gehör geben, ist die Erwartung der An
gelegenheiten. Berechnen, ist das Triebwerk der Angelegenheiten.
Indess man Gehör gibt, fehlen, indess man berechnet, irren, und
dennoch im Stande sein lange Zeit in Buhe zu verbleiben, ist selten
der Fall. Wer indess er Gehör gibt , nicht ausser Acht lässt das
Erste und das Zweite, kann nicht in Verwirrung gebracht werden
durch Worte. Wer, indess er berechnet, nicht ausser Acht lässt den
Stamm und die Spitze, kann nicht in Verlegenheit gebracht werden
durch Reden. Wer nachgeht den Geschäften eines Holzschlägers
und Abkochers der Heere, wird verlustig der Obergewalt von zehn
tausend Wagen. Wer festhält an den Einkünften nach Massen und
Scheffeln, beeinträchtigt die Würde eines Reichsministersund Reichs
gehilfen. Desswegen ist das Erkennen die Entscheidung bei den
Die Feldherren Hau-sin, Peng-yue und King-pu.
410
Beschlüssen, der Zweifelmuth ist von Nachtheil für die Angelegen
heiten. Wer untersucht die kleine Rechnung in haarscharfen Dingen,
hinterlässt als Erbtheil die grossen Zahlen der Welt. Nach dem
Verstände in Wahrheit es erkennen, und bei dem Entschlüsse
nicht wagen es auszuführen, ist das Verderben der hundert An
gelegenheiten.
Desswegen wird gesagt: Wenn ein reissender Tiger unschlüssig,
so ist dies weniger, als wenn Bienen und Skorpionen einsetzen ihren
Stachel. Wenn ein vortrefflicher Renner strauchelt, so ist dies
weniger, als wenn ein Klepper gemächlich schreitet. Wenn Meng-
fen *) misstrauisch sich fern hält, so ist dies weniger, als wenn ein
gewöhnlicher Mann sich vornimmt, etwas zu erreichen. Hätte Jemand
auch denVerstand des Kaisers Schiin, des Königs Yü, wenn er nur
murmelt und nicht spricht, so ist dies nicht so viel, als wenn ein
Taubstummer Zeichen gibt mit den Fingern. — Diese Worte, ein
Mann der vornehm, ist im Stande, ihnen gemäss zu handeln. Was
die kriegerischen Verdienste betrifft, so ist es schwer, sie zu erwer
ben, und leicht, sich um sie zu bringen. Was die Zeit betrifft, so ist
es schwer sie zu gewinnen, und leicht, sie zu verlieren. „Die Zeit!
Die Zeit! Sie kommt nicht zum zweiten Male!“ 2 ) Ich wünsche, dass
du, o Gebieter, dies untersuchest.
Han-sin war eine Weile unschlüssig, was er thun solle, konnte
es jedoch nicht über sich bringen, von Han abzufallen. Zudem glaubte
er, dass hei den vielen Verdiensten, welche er sich erworben, Han
niemals ihn des Reiches Tsi berauben werde, und er drückte daher
gegen Khuai-thung den Wunsch aus, nichts mehr in dieser Angele
genheit zu sprechen. Als Khuai-thung sah, dass sein Rath nicht an
genommen wurde, stellte er sich wahnsinnig und erwählte sich den
Beruf eines Beschwörers.
Als später (202 vor Chr.) das Heer von Han, hauptsächlich aus
dem Grunde, weil Han-sin und der Feldherr Peng-yue nicht zur
rechten Zeit eintrafen, in Ku-ling geschlagen wurde, bestimmte der
König von Han auf den Rath Tschang-liang’s alles östlich von dem
früheren Reiche Tschin bis an das Meer sich erstreckende Land, wenn
J ) Meng-fep, der früher öfters vorgekpmiuen, war durch seine Stärke sprichwörtlich
geworden.
2 ) So lautet ein altes Sprichwort.
402
Dr. Pfizmaier
dasselbe den Feinden entrissen sein würde, für das Reich Tsi. Der
thätigen Mitwirkung Han-sin’s und Peng-yue’s, welche sich mit Han
unter den Mauern von Kai vereinigten, ist es zuzuschreiben, dass
die Macht Hiang-yu s in kürzester Zeit vernichtet ward. Aber sogleich
nach erfochtenem Siege bemeisterte sich der König von Han der
Streitkräfte Han-sin’s, Königs von Tsi, und theilte dessen Reich in
vier Landschaften: Ping-yuen, Thsien-sching, Tung-lai und die Land
schaft Tsi.
Nachdem der König von Han zum Kaiser erhoben worden, ver
setzte er Han-sin nachTsu, indem er ihn zum Könige dieses Reiches
ernannte und ihm Hia-pei als Hauptstadt anwies. Sobald der neue
König in seinem Reiche, zu dem auch Hoai-yin, die Vaterstadt Han-
sin’s gehörte, angekommen war, berief er die Seidenwäscherinn,
welche ihn einst aus Mitleid beköstigt hatte, zu sich und lohnte ihr
die empfangene Wohlthat dadurch, dass er sie mit tausend Pfund be
schenkte. Dem Wirthe des Einkehrhauses Nan-tschang in Hia-hiang,
wo er einst verdrängt worden, schenkte er, um ihn zu beschämen,
hundert Loth und sprach zu ihm: Du, o Herr, bist ein kleiner Mensch;
du erwiesest mir Wohlthaten ohne Aufhören. — Er meinte damit die
Rereitung der Mahlzeit am frühen Morgen und das „Essen auf der
Streu", wodurch man ihm zu verstehen gegeben hatte, das man seine
Anwesenheit nicht wünsche.
Ebenso berief er den jungen Fleischer, der ihn einst auf dem
Markte von Hoai-yin beschimpft und ihn vermocht hatte, zwischen
den Reinen der Übrigen hindurch zu kriechen, zu sich und ernannte
ihn zu einem Befehlshaber des Heeres mit dem Titel eines „mittleren
Beruhigers von Tsu“. Gegen seine Feldherren und Reichsgehilfen
erklärte sich Han-sin hierüber folgender Massen: Dieser ist ein tüch
tiger Kriegsmann. Sollte ich wohl zur Zeit, als er mich beschimpfte,
nicht im Stande gewesen sein, ihn zu tödten? Aber wenn ich ihn ge-
tödtet hätte, so wäre dies für mich nicht rühmlich gewesen. Dess-
wegen ertrug ich den Schimpf und brachte es so weit wie jetzt.
Han-sin blieb indessen nicht lange im Besitze des ihm verliehenen
Reiches. Schon in früherer Zeit (203 vor Chr.) hatte das Heer von
Han, nachdem es vor der Stadt Tsching-kao einen Sieg erfochten,
den im Dienste Hiang-yü’s stehenden Feldherrn i* m m
Tschung-li-mo im Osten von Yung-yang eingeschlossen, fand sich
Die Feldherren Ilan-sin, Peng-yue und King-pu.
403
jedoch bei der Annäherung Hiang-yü’s bewogen, in Eile den Rück
zug anzutreten. Tschung-li-mo war in I-lu >), welches sich
in der Nähe von Hoai-yin, der Vaterstadt Han-sin’s befand, zu Hause
und stand mit diesem auf freundschaftlichem Fusse. Nach dem Tode
des Königs von Hiang begab er sich auf die Flucht und stellte sich
unter den Schutz seines alten Freundes, des nunmehrigen Königs
von Tsu.
An dem Hofe von Han war man jedoch, wahrscheinlich wegen
des Misslingens der oben genannten Unternehmung, gegen Tschung-
li-mo sehr feindselig gesinnt. Als jetzt der Kaiser erfuhr, dass
sich dieser frühere Feldherr des Königs von Hiang in Tsu befinde,
schickte er an dieses Reich die Aufforderung, den Flüchtling fest
zunehmen.
Han-sin, der erst unlängst in seinem Reiche angekommen war,
verliess um diese Zeit häufig seine Hauptstadt und unternahm
Reisen nach den Rezirken und Städten, wo er die Kriegsmacht mu
sterte. Diesen Umstand benützte Jemand, um an den Kaiser ein
Schreiben zu richten, in welchem die Anzeige gemacht wurde, dass
Sin, König von Tsu, den Abfall vorbereite.
Auf den Rath Tschin-ping’s erklärte der Kaiser, dass er in
seiner Eigenschaft als Himmelssohn eine Rundreise antreten und die
Fürsten der Reiche um sich versammeln wolle. Die Gebiete Yün-
mung 2 ) undTschin 3 ) lagen in sehr bedeutender Entfernung von
einander, das erstere in dem südlichen, das letztere in dem nörd
lichen Theile des Reiches Tsu. Der Kaiser liess die verschiedenen
Reichsfürsten durch besondere Abgeordnete aulfordern, sich mit ihren
Kriegsheeren in Tschin zu versammeln, während er selbst, wie in
der betreffenden Kundmachung gesagt wurde, sich nach Yün-mung
zu begeben gedachte. Der eigentliche Zweck dieses nach dem Muster
des Alterthums veranstalteten Zuges war jedoch ein Einfall in da s
Reich Han-sin’s, ohne dass dieser davon eine Ahnung habe.
Als jetzt der Kaiser in Tsu erschien, wusste Han-sin nicht, was
er thun solle. Entschloss er sich, zu den Waffen zu greifen und von
Han abzufallen, so war er sich keiner Schuld bewusst, um deren-
1 ) Diese Stadt lag im Süden des heutigen Hoai-ngan, Provinz Kiang-nan.
2 ) Die Gegend des heutigen Te-ngan in Hu-kuang.
3 ) Das Gebiet des gleichnamigen, in früherer Zeit selbstständigen Reiches.
404
I)r. 1* f i z ui a i e r
willen er zu diesem Schritte gedrängt, würde. Entschloss er sich,
den Kaiser zu besuchen und Erklärungen zu geben, so war zu fürchten,
dass er in eine Falle gerathen werde. Unter diesen Umständen er-
theilte ihm Jemand einen Rath mit den Worten: Mögest du Tschung-
li-mö enthaupten lassen, dich zu dem Kaiser begeben und es melden.
Der Kaiser wird sich dann gewiss freuen und nichts Arges mehr
denken.
Han-sin begab sich zuerst zu Tschung-li-mö , um mit ihm über
die Sache zu sprechen. Dieser Feldherr machte seinem alten Freunde
Vorwürfe, indem er sprach: Wenn Han nicht angreift und wegnimmt
Tsu, so ist es desswegen, weil ich bei dir, o Herr, mich befinde.
Wenn du mich willst lassen ergreifen und dich gefällig zeigen gegen
Han, so sterbe ich noch an dem heutigen Tage. Du, o Herr, bist
dann ebenfalls, wie die Hand sich umdreht, verloren. — In schel
tendem Tone setzte er noch hinzu: Du, o Herr, bist kein Ältester! —
Da er seinen Freund durchaus nicht auf andere Gedanken bringen
konnte, schnitt er sich zuletzt den Hals ah.
Han-sin reiste hierauf mit dem Haupte Tschung-li-mö’s zu dem
noch in Tschin verweilenden Kaiser, der den Angekommenen sogleich
durch Kriegsmänner binden und auf die Rückseite des Wagens setzen
liess. Han-sin rief jetzt: Es verhält sich wirklich, wie die Menschen
sagen: Wenn die listigen Hasen verendet, werden die vortrefflichen
Hunde gesotten. Wenn die hochfliegenden Vögel vertilgt, werden
die vortrefflichen Bogen verborgen. Wenn die feindlichen Reiche zer
trümmert, gehen die berathenden Diener in die Verbannung. Die
Welt ist bereits zur Ruhe gebracht; es ist gewiss, dass ich gesotten
werde. — Hierauf erwiederte der Kaiser nur die Worte: Die Menschen
sagten mir, dass du, o Herr, abgefallen.
Somit ward Han-sin, mit einem Halsjoche belegt und gebunden,
über die Grenzen seines Reiches geschafft. Als man nach Lo-yang,
der damaligen Hauptstadt der Han, gelangte, begnadigte ihn der
Kaiser und ernannte ihn zum Fürsten von Hoai-yin.
Han-sin, der erkannte, dass er seiner Fähigkeiten willen für
den Kaiser ein Gegenstand der Furcht und Abneigung, erschien,
indem er sich fortwährend für krank ausgab, weder an dem Hofe,
noch unter dem Gefolge des Kaisers. Dabei verbrachte er seine
Tage in Groll und Unzufriedenheit, und schämte sich besonders,
dass er jetzt mit den übrigen Dienern des Kaisers, wie T.scheu-po,
Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und King-pu.
405
Fürsten von Kiang, und dem Feldherrn Hoan-ying, auf gleicher
Stufe stand. Als er einst den Feldherrn Fan-khuai in dessen Wohnung
besuchte, empfing ihn dieser wie einen König, indem er sich vor
ihm zu Boden warf, und, sich einen Diener nennend, ihn mit den
Worten anredete: Du, o grosser König, hast geruht herabzublicken
auf mich, deinen Diener. — Als Han-sin das Thor des Hauses ver
lassen hatte, machte er seinen Gefühlen Luft, indem er lachendaus
rief: Ich bin dahin gekommen, dass ich jetzt mit Fan-khuai und
dessen Genossen stehe auf Einer Stufe!
Auch der Kaiser hatte sich einst mit Han-sin in ein vertrauliches
Gespräch über die Feldherren eingelassen, wobei besonders der Un
terschied der Fähigkeiten hervorgehoben wurde. Der Kaiser fragte
im Verlaufe der Rede: Was mich betrifft, wie viele Krieger bin ich
im Stande zu befehligen?
Han-sin antwortete: Du, o Kaiser, bist nicht im Stande zu be
fehligen eine grössere Menge von Kriegern als hunderttausend.
Der Kaiser fragte wieder: Wie verhält es sich, o Herr, bei dir?
Han-sin antwortete: Je grösser bei mir die Menge, um so besser
kann ich sie befehligen.
Der Kaiser erwiederte hierauf lachend: Wenn du, je grösser die
Menge, um so besser sie kannst befehligen , wie kommt es, dass du
durch mich gefangen wurdest?
Han-sin antwortete: Du, o Kaiser, bist nicht im Stande zu be
fehligen die Kriegsmacht, aber du verstehst es, zu befehligen die
Feldherren. Dies ist die Ursache, warum ich durch dich, o Kaiser,
gefangen wurde. Auch ist hei dir, o Kaiser, dasjenige der Fall, wo
von man sagt: der Himmel hat es gegeben; es ist keine menschliche
Kraft.
Auf diese Weise lebte Han-sin als Fürst von Hoai-yin mehrere
Jahre an dem Hofe von Han. Als der durch seinen späteren Abfall
bekannte Tschin-hi 1 ) zum Statthalter von Khiü-lo a ) ernannt wurde,
nahm derselbe vor seiner Abreise von dem Fürsten von Hoai-yin Ab
schied. Dieser ergriff die Hand Tschin-hi’s und schritt, nachdem er
*) Das Leben Tschin-hi’s ist in dein Aufsatze: „Die Nachkommen der Könige von
Wei, Tsi und Han" enthalten.
2 ) Tschin-hi erscheint sonst als Oberbefehlshaber der an der Grenze von Tschao zu
sammengezogenen Streitkräfte und als Statthalter des Landes Tai. Khiü-lö gehörte
übrigens zu dem Reiche Tschao.
406
Dr. P f i z in a i e i*
die Zeugen der Unterredung entfernt hatte, mit ihm in der Vorhalle
umher, wobei er seufzend zum Himmel blickte, und fragte ihn: Willst
du mit dir reden lassen? Ich möchte mit dir ein Wort sprechen.
Tschin-hi antwortete: Ja. Mögest du, o Feldherr, mir befehlen.
Der Fürst von Hoai-yin sprach: In dem Lande, welches du, o
Herr, bewohnst, befinden sich die auserlesensten Streiter der Welt,
und du, o Herr, hist der des Vetrauens am meisten gewürdigte, am
meisten begünstigte Diener des Kaisers. Wenn die Menschen sagen
werden, dass du, o Herr, abgefallen, wird der Kaiser es gewiss nicht
glauben. Kommt man zum zweiten Male, wird der Kaiser argwöhnen.
Kommt man zum dritten Male, so wird er gewiss zürnen, und sich
stellen an die Spitze des Heeres. Ich werde für dich, o Herr, im Inne
ren aufstehen, und für die Welt mag dann Ilath geschafft werden.
Tschin-hi, dem die Fähigkeiten Han-sin’s bekannt waren,
schenkte diesem unbedingtes Vertrauen und antwortete: Ich empfange
mit Ehrfurcht die Belehrung.
Als Tschin-hi später im eilften Jahre 1 ) der Herrschaft von Han
(196 vor Chr.) sich wirklich empörte, zog der Kaiser zur Unter
drückung des Aufstandes mit einem von ihm selbst befehligten Heere
in’s Feld. Han-sin, der, noch immer eine Krankheit vorschützend, an
dem Feldzuge nicht Theil nahm, schickte an Tschin-hi heimlich Ab
geordnete mit folgender Meldung: Mögest du immerhin zu den Waf
fen greifen. Ich werde dir von hier aus, o Herr, helfen.— Zur Aus
führung seines Vorhabens verabredete er mit den Dienern seines
Hauses einen Plan, dem zu Folge man in der Nacht, vorgeblich im
Einverständnisse mit der Regierung, die Knechte und Sclaven der
Obrigkeiten in Freiheit zu setzen und, nachdem man sie bewaffnet, mit
ihnen die Kaiserinn Liü und den Thronfolger zu überfallen gedachte.
Sämmtliche Rollen waren bereits vertheilt, und man wartete nur
noch auf Nachricht von Seite Tschin-hi's. Da ereignete es sich, dass
ein Hausgenosse Han-sin's sich gegen diesen seinen Gebieter eines
nicht näher bezeichneten Verbrechens schuldig machte. Han-sin liess
diesen Mann in festen Gewahrsam bringen, und war Willens, ihn mit
dem Leben zu bestrafen. Ein jüngerer Bruder des Gefangenen schickte
indessen an die während der Abwesenheit des Kaisers mit den Ge
schäften des Staates betraute Kaiserinn Liü ein Schreiben, worin er
Nach dem Buche der früheren Ilan im Winter des zehnten Jahres.
Die Feldherren Ilan-sin, Peng-yue und King-pu. 407
dieselbe von allen Umständen der gegen das Haus Han bestehenden
Verschwörung in Kenntniss setzte.
Die Kaiserinn hätte Han-sin gern zu sich fordern lassen, da jedoch
zu besorgen war, dass er nicht erscheinen werde, so kam sie mit dem
Reichsgehilfen Siao-ho überein, durch vorgeblich aus dem Lager des
Kaisers abgesandte Leute die Nachricht bringen zu lassen, dass
Tschin-hi bei seinem Unternehmen bereits den Tod gefunden. In
Folge dessen erschienen sämmtliche Minister an dem Hofe, um der
Kaiserinn ihre Glückwünsche darzubringen. Der Reichsgehilfe Siao-ho
suchte auch Han-sin zu diesem Schritte zu bereden und setzte hinzu:
Obgleich du krank bist, mögest du dir Gewalt anthun und eintreten,
um Glück zu wünschen. — Als jetzt Han-sin an dem Hofe erschien,
liess ihn die Kaiserinn Liü sofort durch Kriegsmänner binden und in
dem Glockenhause *) des Palastes Tchang-lö enthaupten.
In dem Augenblicke, als Han-sin enthauptet werden sollte, rief er
noch, der von Khuai-thung erhaltenen Warnung eingedenk: Es reut
mich, dass ich den Rath Khuai-thung’s nicht befolgt habe! Jetzt
ward ich durch ein Kind und ein Weib betrogen: wie wäre dies
nicht die Fügung des Himmels! — Die drei Verwandschaften Han-
sin’s wurden ebenfalls ausgerottet.
Als der Kaiser später von dem gegen Tschin-hi unternommenen
Feldzuge zurückkehrte und den Tod Han-sin’s erfuhr, erfüllten ihn
sowohl Freude als auch Mitleid. Zugleich fragte er, was Han-sin vor
seinem Tode noch gesprochen habe. Die Kaiserinn Liü antworteten:
Han-sin sagte, es reue ihn, dass er den Rath Khuai-thung’s nicht
befolgt. Der Kaiser bemerkte: Khuai-thung ist der verständigste
Mann von Tsi. — Er schickte sofort nach Tsi, wo sich Khuai-thung
damals aufhielt, den fiefehl, dass man diesen Mann festnehmen und
an den Hof bringen solle.
Als Khuai-thung vorgeführt wurde, fragte ihn der Kaiser: Hast
du den Fürsten von Hoai-yin gelehrt abfallen?
Khuai-thung antwortete: Ja. Ich habe es ihn mit Eifer gelehrt;
doch der Knabe hat meinen Vorschlag nicht angenommen, desswegen
brachte er es so weit, dass sein Geschlecht ausgerottet ward an diesem
Orte. Wenn jener Knabe meinen Rath angenommen hätte, wie wäre
es dir, o Kaiser, wohl möglich gewesen, sein Geschlecht auszurotten?
4 ) Das Haus , in (lern sich die grossen hängenden Glocken befanden.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXXIV. Bd. III. Hft. 27
408
Di*. P f i z m a i e r
Der Kaiser geriet!) in Zorn und rief: Man siede ihn!
Khuai-thung rief: Erlasse mir doch die Strafe des Gesotten
werdens!
Der Kaiser sprach: Du hast Han-sin gelehrt abfallen. Warum
sollte ich dir die Strafe erlassen?
Khuai-thung erwiederte: Die Netze von Thsin waren zerrissen,
und die Seile hatten nachgelassen. Die Länder im Osten der Berge
waren in grosser Zerrüttung, die fremden Geschlechter erhoben sich
vereint, die glänzenden und ausgezeichneten Männer sammelten sich
gleich Raben, Thsin verlor seine Hirsche 1 ), die Welt vertrieb sie
in Gemeinschaft. Um jene Zeit gelangten die Hochbegabten und die
jenigen, die schnell von Füssen, am ersten zum Ziele.
Der Hund des Räubers Tschi bellte auf den Kaiser Yao. Es war
nicht der Fall, dass der Kaiser Yao nicht menschlich; der Hund
hellte sicher auf den, der nicht sein Herr. Um jene Zeit kannte ich
blos Han-sin, ich kannte nicht dich, o Kaiser. Auch waren die
Scharfsinnigen und Auserlesenen der Welt, die in den Händen hielten
Lanzen, und thun wollten, was du, o Kaiser, gethan, eine überaus
grosse Menge. Nur nahmen sie Rücksicht auf ihre Kraft und fühlten
sich, dies zu thun ausser Stande. Kann man diese insgesammt auch
sieden lassen? — Der Kaiser gab, als er diese Worte gehört, Befehl.
Khuai-thung loszulassen, und begnadigte ihn hierauf vollständig.
Der hier genannte Khuai-thung hiess bei seinen Lebzeiten
ft ®'J Khuai-tsche und erhielt den Namen Khuai-thung nur von den
Geschichtschreibern, was aus dem Grunde geschah, weil Tsche, als
der Name des späteren Kaisers Hiao-wu, nicht genannt werden durfte.
Dieser Mann, der in Fan-yang, einer Stadt des früheren Reiches Yen,
geboren war, machte sich zuerst dadurch bemerkbar, dass er den
Fürsten von :j^Siü, Befehlshaber in Fan-yang, bewog, diese Stadt
an Wu-tschin, Feldherrn des Königs Tschin-sching, zu übergeben a ).
Er trat anfänglich in die Dienste Hiang-yü’s und befand sich hierauf,
wie aus dem Vorhergehenden zu ersehen, bei dem Heere Han-sin's
1 ) Hierdurch wird ausgedrückt, dass der Herrscher von Thsin der Kniserwiirde ver
lustig geworden.
2 ) Diese Begebenheit ist in dem Aufsatze: „Die Genossen des Königs Tschin-sching“
erzählt worden.
Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und King pu.
409
bis zu der Zeit, wo dieser den ihm ertheilten Rath, sich als dritte
Macht zwischen Tsu und Han aufzuwerfen, nicht angenommen hatte.
Nach seiner Begnadigung durch den Kaiser hegab sich Khuai-
Tao-
thung wieder nach Tsi, in welchem Reiche damals Ep. /nt
hoei, ein Sohn des Kaisers Kao-tsu, als König herrschte und Tsao-
tsan, Feldherr von Han, Reichsgehilfe war. Der letztere pflegte
weise Männer um sich als Gäste zu versammeln und mit grosser
Auszeichnung zu behandeln. Unter anderen war auch Khuai-thung,
der von ihm eine Einladung erhielt, dessen Gast geworden.
Als Tien-ying, der später für eine kurze Zeit König des ver
einigten Tsi geworden i), seinen Abfall von Hiang-yü vorbereitete,
suchte er alle ausgezeichneten Männer durch Drohungen zu bewegen,
mit ihm gemeinschaftliche Sache zu machen, wobei diejenigen,
welche sich ihm nicht anschlossen, gelödtet wurden. Unter der
Zahl der auf solche Weise Bedrohten haften sich auch der Meister
^ Tung-ko und der Landesherr von Liang-schi, zwei
in ihren Häusern friedlich lebende ausgezeichnete Männer von Tsi,
befunden und dieselben waren gezwungen worden, Tien-ying zu
folgen. Nach der Niederlage des neu aufgestandenen Königs schämten
sich diese beiden Männer, dass sie, obgleich wider ihren Willen,
der Empörung sich angeschlossen hatten und zogen sich in die
Gebirge zurück, wo sie in Verborgenheit lebten.
Ein Gast des Reichsgehilfen sprach jetzt im Hinblick auf dieses
Ereigniss zu Khuai-thung: Du, o Meister, liesest in deinem Ver
hältnisse zu dem Reichsgehilfen Tsao zusammen das Hinterlassene,
erhebst das Vergangene, machst bekannt die Weisheit, bringst zu
Wege Beförderung den Fähigkeiten; in dem Reiche Tsi ist Niemand,
der dir, o Meister, hierin gliche. Du, o Meister weisst, was an dem
Landesherrn von Liang-sclu und dem Meister Tung-ko für das Zeit
alter mit seinen Gewohnheiten nicht verständlich: warum empfiehlst
du sie nicht dem Reichsgehilfen?
Khuai-thung erwiederte: Ich werde es thun. Ein Weib meiner
Strasse und eine der Mütter der Strasse waren zu einander Freun
dinnen. Das Weib der Strasse verlor in der Nacht ein Stück Fleisch.
Die Muhme glaubte, dass das Weib es gestohlen; sie zürnte und jagte
1) Tien-ying; ist in dem Aufsatze: „Die Nachkommen der Könige von Wei, Tsi und
Han“ vorgekommen.
27 *
410
Dr. 1* f i /. in »ier
es aus dem Hause. Das Weib entfernte sich am frühen Morgen, ging
hinüber zu der Mutter, zu der sie eine Freundinn, erzählte ihr, was
geschehen, und nahm von ihr Abschied. Die Muttter der Strasse
sprach: Mögest du gemach wandeln. Ich werde jetzt bewirken, dass
die Menschen deines Hauses dir nacheilen. — Sofort band sie zu
sammen Flachs, und bat um Feuer hei dem Hause, wo verloren ge
gangen war das Fleisch, indem sie sprach: Gestern Abends haben
Hunde erschnappt ein Sliick Fleisch; sie stritten mit einander und
blieben todt auf dem Platze. Ich bitte um Feuer, damit ich sie zube
reiten könne. —Die Leute des Hauses, in dem verloren gegangen war
das Fleisch, eilten sofort nach und riefen das Weib. Die Mutter der
Strasse war desswegen kein redender Slaatsdiener, zusammenbinden
Flachs und begehren Feuer, ist auch nicht das Mittel, zurück zu brin
gen ein Weib; aber für die Wesen gibt es etwas, wodurch sie ein
ander anregen, und bei den Unternehmungen gibt es etwas, wodurch
angebahnt wird die Möglichkeit. Ich bitte, Feuer hegehren zu dürfen
von dem Reichsgehilfen Tsao.
Khuai-thungbegab sichhieraufzu dem Reichsgehilfen und sprach:
Es gibt ein Weib, dessen Mann gestorben, und das drei Tage nach
her sich vermählt. Es gibt ein anderes, das lebt in Verborgenheit,
bewahrt das Witwenthum und nicht heraustritt aus dem Thore. Wenn
du, o Gebieter, ein Weib suchen wolltest, welches würdest du
nehmen ?
Tsao-tsan antwortete: Ich nehme diejenige, die sich nicht
vermählt.
Khuai-thung fuhrt fort: So ist es recht. Wenn du aber suchst
einen Minister, ist es gleichsam dasselbe. Jener Meister Tung-kÖ
und der Landesherr von Liang-schi sind die durch Gaben ausgezeich
netsten Männer von Tsi. Sie leben in Verborgenheit und haben sich
nicht vermählt. Sie haben noch niemals angenommen eine niedrige
Haltung, sich gezeigt unterwürfig von Sinn und getrachtet nach einer
Anstellung. Ich wünsche, dass du, o Gebieter, absendest Menschen,
die ihnen entgegen kommen nach den Gebräuchen.
Der Reichsgehilfe erwiederte: Ich empfange in Ehrfurcht die
Befehle. — Er Hess die beiden zurückgezogenen Männer aufsuchen
und behandelte sie als Gäste ersten Ranges.
Khuai-thung hatte über das Wirken der zu den Zeiten der
kämpfenden ^Reiche aufgetretenen Redner vielfache Betrachtungen
Die Feldherren Hnn-sin, Peng-yue und King-pu.
411
angestellt und zu den Reden dieser Männer Bemerkungen geschrie
ben, welche sich auf ein und achtzig verschiedene Gegenstände
beziehen. Er gab diesem Werke den Namen 7k rft Tsiue n-yung,
d.i. das Annehmliche und Immerwährende 1 ).
Khuai-thung ward übrigens in späterer Zeit ganz so beurtheilt,
wie er es verdiente. Puan-ku, der Verfasser des Buches der früheren
Han, sagt von diesem Manne: Tsehung-ni verabscheute die scharf
sinnige Rede, die umstürzt Reiche und Häuser. Khuai-thung sprach
ein einziges Mal und verdarb drei durch Verstand ausgezeichnete
Männer 2 ). Dass er nicht gesotten ward, verdankte er nur dem
Glück.
Peng - yue.
Peng-yue, dessen Jünglingsname ^[|] Tschung, war
in der Stadt 0 |§| Tschang-yi 3 ) geboren. Derselbe beschäftigte
sich gewöhnlich mit Fischfang in den Sümpfen von Kliiü-
ye 4 ) und übte ausserdem das Handwerk eines Räubers. Als Tschin-
sching, Hiang-liang und andere Führer gegen das Herrscherhaus
Thsin aufstanden, wandten sich mehrere junge Leute jener Gegend
an Peng-yue mit der Aufforderung, an der Erhebung theilzunehmen.
Sie sprachen zu ihm : Die durch Gaben ausgezeichneten Männer
haben sich insgesammt erhoben und haben den Gehorsam aufge
kündigt Thsin. Du magst ebenfalls hinzutreten und ihr Beispiel
befolgen.
Peng-yue erwiederte: Die beiden Drachen liegen eben mit
einander im Streite; ich werde es erst abwarten.
Nach einem Jahre hatte sich zwischen den Sümpfen eine Schaar
von ungefähr hundert jungen Leuten gesammelt. Dieselben begaben
sich wieder zu Peng-yue und sprachen zu ihm: Wir bitten dich,
*) Dieses Werk scheint nicht mehr vorhanden zu sein.
2 ) Durch die Schuld Khuai-thung’s ward LT-I-ki gesotten, Tien-hung geschlagen, und
Han-hin wurde hochmüthig.
3 ) Tschang-yi, mit der heutigen gleichnamigen Stadt des Kreises Lai-tscheu in
Schan-tung nicht zu verwechseln, lag auf dem Gebiete der nachstehend erwähnten
Sümpfe von Khiü-ye.
4 ) Khiü-ye ist ursprünglich der Name des Sumpfes, bezeichnet aber auch das Gebiet,
welches dem heutigen gleichnamigen Districte des Kreises Yen-tscheu in Schan-tung
entspricht.
412
Dr. P f i z m a i e r
dass du unser Anführer seist. —Peng-yue antwortete noch immer
ablehnend, indem er sprach: Es ist nicht mein Wunsch, mich mit
euch, o Herren, zu verbinden. —Erst als die Jünglinge zu der Bitte
Gewalt zu fügen sich anschickten, willigte er ein und bestellte sie
für den folgenden Morgen um die Zeit des Sonnenaufgangs zu einer
Versammlung. Wer später als zur bestimmten Zeit eintreffen würde,
sollte enthauptet werden.
Als sich die Schaar am anderen Morgen mit Sonnenaufgang ver
sammelte, fehlten zehn Mann, welche sich verspätet hatten und von
denen der letzte erst am Mittag desselben Tages eintraf. Peng-yue
entschuldigte sich jetzt und sprach : Ich bin alt, ihr, o Herren, habt
mich gezwungen, euer Anführer zu sein. Jetzt habe ich euch bestellt,
aber viele sind zu spät gekommen. Ich kann nicht alle hinrichten
lassen; ich lasse hinrichten einen Einzigen, der unter allen am
spätesten gekommen.
Er gab hierauf dem ältesten Hiao *) Befehl, den Säumigen
zu enthaupten. Die ganze Schaar rief lachend: Warum sind wir über
haupt gekommen? Wir hätten gebeten, zu spät kommen zu dürfen,
aber wir getrauten uns nicht! —Peng-yue liess sich hierdurch nicht
beirren. Er führte den Schuldigen bei Seite und enthauptete ihn.
Nachdem er hierauf einen Altar errichtet und geopfert hatte,
ertheilte er die nöthigen Befehle. Die Schaar der um ihn versammelten
jungen Leute war von dem grössten Schrecken befallen; alle zitterten
vor dem Führer, und keiner wagte es, diesen mit erhobenem Haupte
anzublicken. Peng-yue unternahm sofort verschiedene Streifzüge
nach den benachbarten Gegenden und begann, die von den Heeren
der Reichsfürsten versprengten Krieger an sich zu ziehen, wodurch
seine Schaar um weitere tausend Mann vermehrt wurde.
Als der Fürst von Pei, der spätere Kaiser, von der Stadt
Thang 2 ) nach Norden aufbrach und Tschang-yi angriff, leistete
ihm Peng-yue Hilfe, Tschang-yi ward indessen nicht erobert, und
während der Fürst von Pei sein Heer nach Westen führte, verblieb
Peng-yue, ebenfalls an der Spitze eines Heeres stehend, in Khiü-ye,
wo er die zerstreuten Krieger des Reiches Wei an sich zog.
*) Ein Lehrmeister bei den Kriegsheeren,
2 ) Das heutige Ning-ling, Kreis Kuei-te in Ho-nan. In der Nähe dieser Stadt war
König Tschin-sching begraben worden.
Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und King-pu.
413
Nach dem Einzuge Hiang-tsi’s in das Land innerhalb des Grenz
passes und der Rückkehr der verschiedenen Könige und Reichsfürsten
bestand das Heer Peng-yue's bereits aus zehntausend Mann. Mit
dieser Macht lagerte er zwischen den Sümpfen von Khiü-ye, ohne
sich an irgend eines der seitdem errichteten Reiche anzusehliessen.
Als Tien-ying, König von Tsi, noch in dem Herbste desselben
Jahres (206 vor Chr.) von dem Könige von Hiang abliel, schickte
Han an Peng-yue Abgeordnete, welche diesem ein Feldherrnsiegel
überbrachten und ihn zugleich aufforderten, das Gebiet pjt
Thsi-yin 1 ) zur Unterwerfung zu bringen und hierauf das Land von
Tsu anzugreifen. Dieses Reich suchte dem ihm drohenden Angriffe
zuvorzukommen und schickte ߣj Kio, Fürsten 2 ) von ■|j| : Siao,
mit einem Heere nach jenen Gegenden. Zwischen diesem Feldherrn
und Peng-yue kam es zu einem Kampfe, in dem das sieggewohnte
Heer von Tsu eine grosse Niederlage erlitt. Peng-yue eroberte hier
auf den mit dem Namen Liang belegten östlichen Theil des früheren
Reiches Wei.
Im Frühlinge des zweiten Jahres der Erhebung von Han (205
vor Chr.) richtete der König von Han in Gemeinschaft mit Piao,
König von Wei, und mehreren anderen Reichsfürsten im Osten einen
Angriff gegen Tsu. Rei dieser Gelegenheit erschien Peng-yue an der
Spitze eines Heeres von dreissigtausend Mann und unterwarf sich
dem Hause Han auf dem Gebiete der Stadt Wai-hoang. Der König
von Han äusserte sich foigendermassen: Der Feldherr Peng hat an
sich gezogen das Land von Wei und erobert zehn feste Städte. Er
wollte schleunigst einsetzen die Nachkommen von Wei. Jetzt ist
Piao, der König des westlichen Wei, ebenfalls ein Bruder des Königs
Khieu von Wei; er zahlt in Wahrheit zu den Nachkommen von Wei.
— Demgemäss ward Wei-piao, der schon durch Hiang-yü eingesetzte
König des westlichen Wei und Bruder des in Lin-thsi für sein Volk
gestorbenen Königs Wei-khieu, zum Könige des gesammten Wei, und
Peng-yue zu dessen Reichsgehilfen ernannt. Der letztere erhielt
dabei den ausschliesslichen Befehl über die Streitkräfte des Reiches
und den Auftrag, die Ruhe auf dem Gebiete von Liang wieder her-
i ) Das heutige Tung-tschang in Schan-tung.
2j Die Befehlshaber der festen Städte (ein solcher war dieser Feldherr von Tsu)
wurden in der damaligen Zeit allgemein Fürsten genannt.
414
Dr. Pf iz m a i e r
zustellen. König Wei-piao verblieb indessen bei dem Könige von
Han und betheiligte sieb an dessen Zuge nach Tsu.
Als der König 'von Han in Peng-tscbing geschlagen ward und
nach Auflösung seines Heeres eine Zuflucht im Westen suchte, ward
auch Peng-yue der festen Städte von Liang, welche er einst erobert
hatte, wieder verlustig. Derselbe befehligte nur noch seine Kriegs
macht und nahm im Norden an den Ufern des gelben Flusses eine
Aufstellung.
Im dritten Jahre der Erhebung von Han (204 vor Chr.) befand
sich Peng-yue an der Spitze einer fliegenden Heeresabtheilung, mit
der er aufdieKriegsvölker von Tsu beständig Angriffe machte und ihnen
die Lebensmittel, welche sie aus dem Gebiete von Liang bezogen,
abschnitt.
Während im Winter des vierten Jahres der Erhebung von Han
(203 vor Chr.) die Könige von Hiang und Han einander vor Yung-
yang gegenüberstanden, bedrohte Peng-yue den Rücken des Feindes,
indem er siebzehn im Osten gelegene Festen, unter ihnen Sui-
yang und Wai-hoang, angriff und eroberte. Auf die Kunde davon liess
der König von Hiang den Feldherrn Tsao-khien vor Tsching-kao
zurück und wandte sich gegen die von Peng-yue eroberten festen
Städte. Dieselben wurden sämmtlich wieder für Tsu gewonnen, worauf
Peng-yue sich mit seinem Heere eiligst nach der im Norden gelegenen
festen Stadt 5=^ Ko 4 ) zurückzog.
Als im Herbste des fünften Jahres der Erhebung von Han (202
vor Chr.) der König von Hiang sich nach Yang-kia zurückzog, brachte
Peng-yue wieder zwanzig in der Gegend von Tschang-yi liegende
feste Städte zur Unterwerfung und erbeutete eine Million Scheffel
Getreide, wodurch er sich in den Stand gesetzt sah, das Heer von Han
mit Lebensmitteln zu versorgen.
Der König von Han richtete indessen gegen Hiang-yü nichts aus
und schickte einen Abgesandten an Peng-yue mit der Aufforderung,
alle Streitkräfte mit denjenigen des Königs zu vereinigen und Tsu
gemeinschaftlich anzugreifen. Peng-yue gab zur Antwort: Das Land
von Wei ist erst seit kurzem beruhigt; ich fürchte noch immer Tsu;
ich kann mich noch nicht entfernen. — In Folge dieser Weigerung
*) Das heutige Khao-tsehing, Kreis Kuei-te in Ho-nan.
Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und King-pu.
413
blieb, da auch Han-sin die verlangte Hilfe nicht gewähren wollte, die
Macht von Han vereinzelt. Dieselbe ward durch Hiang-yü in Ku-ling
angegriffen und vollständig geschlagen.
Der König von Han wendete sich jetzt an Tscliang-liang, Fürsten
von Lieu, und sprach zu diesem: Die Kriegsmacht der Fürsten der
Reiche schliesst sich nicht an; was ist zu thun?
Der Fürst von Lieu antwortete: Dass Sin, König von Tsi, ein
gesetzt worden, war nicht der Wille des Gebieters und Königs. Sin
hält sich desswegen auch nicht für gesichert. Peng-yue hat im Grunde
beruhigt das Gebiet von Liang, seiner Verdienste sind viele. Anfäng
lich hast du, o Gebieter und König, aus Rücksicht für Wei-piao ernannt
Peng-yue zum Reichsgehilfen von Wei. Jetzt ist Wei-piao gestorben
ohne Nachkommen. Ferner wird Peng-yue auch wollen herrschen als
König, doch du, o Gebieter und König, triffst hierin nicht bei Zeiten
Bestimmungen und kommst nicht überein mit diesen zwei Reichen.
Möge man, sobald man besiegt haben wird Tsu, über alles, was nörd
lich von Sui-yang bis zu der Feste Kö, als König herrschen lassen den
Reichsgehilfen Peng. Was östlich von Tschin sich erstreckt bis an
das Meer, gebe man Sin, dem Könige von Tsi. Das Haus des Königs
Sin von Tsi befindet sich in Tsu; es wird seine Absicht sein, wieder zu
erlangen die Stadt seiner Heimath. Wenn du, o Gebieter und König,
im Stande bist, wegzugeben diese Landstrecken und sie zu bewilligen
diesen zwei Menschen, so können diese zwei Menschen jetzt zu
Leistungen bewogen werden, und ob sie dann nicht sofort im Stande
sein werden, dir zu dienen, kann man noch nicht wissen.
Der König von Han schickte einen Gesandten an Peng-yue und
versprach diesem das von Sui-yang bis zu der festen Stadt Kö sich
erstreckende Land als Königreich. Gleich nach der Ankunft des
Gesandten stellte sich Peng-yue an die Spitze aller seiner Streitkräfte
und erschien zuletzt unter den Mauern von Kai, wo unterdessen Han-sin
und Lieu-ku, so wie der von Tsu ahgefallene Feldherr Tscheu-yin
ebenfalls eingetroffen waren und Hiang-yü eingeschlossen ward.
Im Friihlinge desselben Jahres, in welchem Hiang-yü den Tod
fand, dem fünften r) der Erhebung von Han (202 vor Chr.), ward
*) Als den Zeitpunct der Erhebung- von Han rechnet man die Unterwerfung des Prin
zen Tse-ying- und den Einzug des Fürsten von Pei in Hien-yang, was zwei Jahre
und zehn .Monate nach der Thronbesteigung des Kaisers des zweiten Geschlechts-
416
Dr. Pfi zma ier
Peng-yue durch den König von Han, den nunmehrigen Kaiser, zum
Könige von Liang ernannt und erhielt Ting - thao ‘) als
Hauptstadt. Im sechsten Jahre der Erhebung von Han (201 vor Chr.)
erschien derselbe an dem kaiserlichen Hofe in Tschin, wohin Han,
um einen Angriff auf Han-sin, damals König von Tsu, vorbereiten zu
können, die Reichsfürsten zu einer Versammlung berufen hatte.
Ebenso erschien Peng-yue noch in zwei folgenden Jahren, dem neunten
und dem zehnten der Erhebung von Han (198 und 197 vor Chr.) an
dem Hofe des Kaisers in Tschang-ngan.
Im Herbste des letztgenannten Jahres fiel Tschin-hi, Statthalter
des Landes Tai, von Han ab. Der Kaiser zog zur Bekämpfung des
Aufstandes persönlich in’sFeld und Iiess, nachdem er in Han-tan ein
getroffen, an Peng-yue, König von Liang, die Aufforderung ergehen,
sich mit den entsprechenden Streitkräften in dem Lager von Han ein
zufinden. Der König von Liang sandte zwar ein Hilfsheer, übertrug
jedoch, indem er sich wegen Krankheit entschuldigte, die Führung
desselben einem seiner Feldherren, der statt des Königs in Han-tan
eintraf. Darüber zürnte der Kaiser und liess den König durch einen
nach Liang geschickten Abgesandten zur Rede stellen.
Der König von Liang, der in Folge dessen besorgt ward, wollte sieb
selbst auf die Reise begeben und sich bei dem Kaiser entschuldigen.
Von diesem Vorhaben ward er durch einen seiner Feldherren Namens
tpJL Hu-tsche abgehalten, der ihm zum Abfall rieth und zu
ihm sprach: Du, o König, wolltest dich anfänglich nicht auf die Reise
begeben. Erst, nachdem du zur Rede gestellt worden, willst du dich
auf die Reise begeben. Sobald du dich auf die Reise begibst, bist
du auch gefangen. Das beste ist, du lassest sofort ausrücken die
Kriegsmacht und entschliessest dich zum Abfall. — Der König gab
indessen diesen Vorstellungen seines Feldherrn kein Gehör, sondern
begnügte sich damit, in seinem Lande zu verbleiben und eine Krank
heit vorzuschützen.
Während der König von Liang, der auch durch sein früheres
dreimaliges Erscheinen andern Hofe des Kaisers seine treue Gesinnung
alters geschah. Nach der Erhebung des Königs von Han zum Kaiser setzte man
den Anfang des Jahres wieder drei Monate später.
*) Die Hauptstadt des heutigen gleichnamigen Districtes in dem Kreise Tsao-tseheu
Provinz Schan-tung,
Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und King-pu.
417
an den Tag gelegt hatte, noch nicht an Abfall zu denken schien,
ereignete es sich, dass der erste Diener des Königs sich eines Ver
gehens gegen seinen Gehieter schuldig machte. Der König war so
erzürnt, dass er diesen ersten Diener enthaupten lassen wollte. Der
mit dem Tode Bedrohte ergriff die Flucht und begab sich nach Han,
wo er die Anzeige machte, dass der König von Liang mit dem Feld
herrn Hu-tsche wegen des Abfalls vonHan eine Vereinbarung getroffen.
Der Kaiser schickte einen Abgesandten, der den Auftrag batte,
sich ohne alles Aufsehen der Person des Königs von Liang zu bemäch
tigen. Da der König nichts Arges ahnte, war es dem Abgesandten
leicht, ihn unbemerkt festnehmen zu lassen. Der König ward hierauf
nach Lö-yang, dem damaligen Wohnsitze des Kaisers, gebracht und
daSelbst in ein Gefängniss gesetzt. Der mit der Untersuchung beauf
tragte Richter nahm das Verbrechen des Abfalls als erwiesen an *)
und bat um die Erlaubniss, das gesetzliche Urtheil fällen zu dürfen. Der
Kaiser begnadigte jedoch den König von Liang, indem er ihn im Range
zu einem Menschen des Volkes herabsetzte und ihn nach dem in dem
Lande Scho gelegenen Bezirke ^ Tsing-I, wo derselbe künftig
seinen Wohnsitz haben sollte, schaffen liess.
Als der König, auf der Reise nach seinem Verbannungsorte
begriffen, zu dem im Westen gelegenen Bezirke Tsching 2 ) ge
langte, begegnete er der Kaiserinn Liü, welche von Tschang-ngan
kam und sich nach LÖ-yang begeben wollte. Dieselbe erblickte auf
ihrem Wege den König Peng, der sich sofort an die Kaiserinn wandte
und, indem er unter Thränen seine Unschuld betheuerte, den Wunsch
ausdrückte, sich wenigstens in seiner Vaterstadt Tschang-yi nieder
lassen zu dürfen. Die Kaiserinn, welche zu der Zeit, als der Kaiser im
Felde gestanden, die Geschäfte der Regierung geleitet hatte, gab
scheinbar ihre Einwilligung und nahm Peng-yuö mit sich zurück nach
Lö-yang. In dieser Stadt angekommen, rieth sie jedoch dem Kaiser zu
ganz anderen Schritten, indem sie sprach: Der König Peng ist ein
rüstiger Kriegsmann. Wenn man ihn jetzt versetzte nach Scho, so
würde man hierdurch bewirken, dass uns zum Erbtheil würde die
Nach Einigen hätte der Richter hierin Unrecht gehabt, nach Anderen hätte der
König von Liang sich schon desswegen des Abfalls schuldig gemacht, weil er sei
nen Feltlherrn Hu-tsche, als dieser ihm zum Abfall rieth, nicht habe hinrichten
lassen.
3 ) ln der Nähe des heutigen Districtes Hoa-tscheu, Kreis Tung-tscheu in Schen-si.
418
Dr. Pfizmaier
Sorge. Das Beste ist, man lässt ihn sofort hinrichten, und ich hin
darum eigens mit ihm hergekommen.
Als jetzt die Kaiserinn Liü auch ihre Hausgenossen die Aussage
machen liess, dass Peng-yue zum zweiten Male eine Empörung beab
sichtigt habe, so trug Jpjjj Wang-tien-kuan*), der das
Amt eines Beruhigers der Vorhalle(d. i. obersten Richters) bekleidete,
darauf an, dass dem Gesetze gemäss vorgegangen und Peng-yue
sammt seinen drei Seitenlinien hingerichtet werde. Der Kaiser nahm
jetzt keinen Anstand, das Urtheil zu bestätigen, worauf Peng-yue
sammt seinen drei Seitenlinien hingerichtet und dessen Reich ein
gezogen wurde.
King-pu.
King-pu war in Lo a ), einer Stadt des Reiches
Tsu , geboren und führte den Geschlechtsnamen .äfe. Ying, wesshalb
er in der Geschichte auch Ying-pu genannt wird. Zur Zeit der Herr
schaft von Thsin, als er noch unbekannt und ein Jüngling war,
betrachtete ihn ein Gast, der es verstand, aus der Gestalt eines
Menschen dessen Schicksale vorherzusagen, und äusserte sich mit
folgenden Worten: In dem Augenblicke, wo du Strafe erleidest,
wirst du ein König werden. Sobald du erreicht hast das Alter des
Mannes, wirst du schuldig werden gemäss dem Gesetze. — King-pu
freute sich dieses Ausspruchs und rief freudig: Die Menschen
befrachten meine Gestalt und sagen: In dem Augenblicke, wo du
Strafe erleidest, wirst du ein König werden. — Dies dürfte wohl
der Fall sein! — King-pu ward übrigens von Allen, denen diese
Vorhersagung zu Ohren kam, verspottet.
Später ward King-pu von den Obrigkeiten eines Vergehens
schuldig befunden und gleich vielen Anderen zur Arbeit auf dem
Berge Li 3 ) verurtheilt. Auf diesem Berge waren bereits mehrere
In dem Verzeichnisse der hohen Würdenträger des Herrscherhauses Han führt der
jenige, der damals das Amt eines „Beruhigers der Vorhalle" bekleidete, den Namen
ft ft Tu-tien. An dieser Stelle jedoch setzt das Buch der früheren Han gar
keinen Namen, sondern nur die Würde.
2 ) Das heutige Lo-ngan, Kreis Liü-tscheu in Kiang-nan.
3 ) Über die Arbeiten auf dem Berge Li ist in dem Aufsatze: „Die Anfänge des Auf
standes gegen das Herrscherhaus Thsin“ Mehreres enthalten.
Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und King-pu.
419
hunderttausend Menschen, welche gleich ihm verurtheilt worden,
versammelt und King-pu setzte sich mit den Begabteren unter den
Führern der Arbeiter in Verbindung. Hierauf stellte er sich an die
Spitze der ihm Gleichgesinnten und floh nach dem Lande in der Mitte
der Ströme *), wo er ein Räuber wurde.
Als Tschin-selling aufstand, begab sich King-pu zu U-jui,
Landesherrn von ^ Po, der eigentlich der Befehlshaber von Po-
yang, und trat mit dessen Untergebenen auf die Seite der Empörer.
Er hatte bald mehrere tausend Streiter um sich versammelt, worauf
ihm der Landesherr von Po seine Tochter zur Gemahlinn gab.
Nachdem Tschang-han die Macht des Königs Tschin -selling
vernichtet und das Heer des Feldherrn Liü-tschin geschlagen hatte,
zog King-pu mit seinen Streitkräften nach Norden, wandte sich gegen
die zwei untergeordneten Feldherren von Thsin, welche die Haupt
stadt Tschin erobert hatten, und schlug dieselben in Tsing-po 2 ).
Als er hierauf weiter nach Osten vorrückte, erfuhr er, dass der
Feldherr Hiang-liang, nachdem er das im Osten des grossen Stromes
gelegene Land, welches die Landschaft Kuai-ki, von der Herr
schaft des Hauses Thsin befreit, den grossen Strom übersetzt und
den Zug nach Westen angetreten habe. Da zu gleicher Zeit auch
Tschin-ying in Berücksichtigung des Umstandes, dass das Haus
Hiang mehrere Geschlechtsalter hindurch dem Reiche Tsu Feldherren
gegeben, seine Streitkräfte mit denjenigen Hiang-liang’s vereinigte
und dieseMaeht nachdem Lande im Süden des Flusses Hoai übersetzte,
stiessen Ying-pu und der Feldherr J| Pu 3 ) mit ihren Heeren
ebenfalls zu Hiang-liang.
o o
*) Die Gegend des heutigen Jao-tscheu in Kiang-si.
2 ) Der Zusammenhang des hier Gesagten findet sich in dem Aufsatze: „Die Anfänge
des Aufstandes gegen das Herrscherhaus Thsin“.
3 ) Die Verbindung „Ying-pu und der Feldherr Pu“ kommt an drei verschiedenen Stellen
des Sse-ki vor, wo ihr von Einigen der Sinn: „Ying-pu, der Feldherr von Pu“
beigelegt und Pu für gleichbedeutend mit Po, dem Namen des Landes, gehalten wird.
Andere geben die mit den Worten des obigen Satzes übereinstimmende Erklärung,
die auch der immer sehr gut unterrichtete Sse-ku in seinen Anmerkungen zu dem
Buche der früheren Han als die vom sprachlichen Standpuncte einzig mögliche
bezeichnet, da, wenn hier wirklich ein einziger Feldherr gemeint wäre, der Name
desselben nicht dem Ausdrucke „der Feldherr von Pu“ vorhergehen könnte. Dass
übrigens Ying-pu, dessen eigentlicher Geschlechtsname Ying, mit Zugrundelegung
des Geschlechtsnamens King gewöhnlich King-pu genannt wird, darüber gibt das
Wörterbuch Khang-hi einige Aufklärung, indem es (ohne Angabe der Quelle)
420
Dr. Pfizraaier
Hiang-liang überschritt hierauf den Fluss Hoai, und richtete im
Westen einen Angriff gegen den an der Stelle des vermissten
Tschin-sching als König aufgestandenen King-kiü und dessen Feld-
herrn Thsin-kia J ), wobei Ying-pu immer den Vortrab des Heeres
führte, und der erste zum Angriff schritt.
Als endlich Hiang-liang nach Sie gelangte und daseihst sichere
Kunde von dem Tode Tschin-sching’s erhielt, bewerkstelligte er die
Einsetzung des Königs Hoai von Tsu, während er sich selbst den
Namen eines Landesherrn von Wu-sin, dem Feldherrn Ying-pu alter
den Namen eines Landesherrn von Tang-yang beilegte.
Nach der Niederlage und dem Tode Hiang-liang’s unter den
Mauern von Ting-thao verlegte König Hoai seinen Wohnsitz von
Hiü-I nach Peng-Isching, woselbst auch die Feldherren des Reiches,
unter ihnen Ying-pu, mit ihren Heeren eine feste Stellung nahmen.
Um 'diese Zeit belagerte Thsin die feste Stadt Khiü-15, in
welcher sich die Macht von Tschao nach einer erlittenen Niederlage
eingeschlossen hatte. Tschao hatte sich zu wiederholten Malen an
Tsu um Hilfe gewendet, worauf König Hoai ein Heer zur Rettung des
bedrohten Reiches nach Norden entsandte. Der Oberbefehlshaber
dieses Heeres war Sung-1, Fan-tseng war der letzte, Hiang-tsi der
zweite Feldherr, während auch Ying-pu und der Feldherr Pu ein
Heer befehligten, dabei aber Sung-I untergeordnet waren.
Nachdem Hiang-tsi den Feldherrn Sung-I auf dem Gebiete des
Flusses Tschang getödtet, fand sich Hoai, König von Tsu, bewogen,
Hiang-tsi zum Oberfeldherrn zu ernennen und alle übrigen Feldherren
unter dessen Befehle zu stellen.
Hiang-tsi hiess jetzt Ying-pu zuerst den Fluss Tschang
übersetzen und das Heer von Thsin angreifen. Erst nachdem Ying-pu
mehrere Vortheile davongetragen, übersetzte auch Hiang-tsi mit
dem gesammten Heere den Fluss und folgte diesem Feldherrn nach.
Die Macht von Thsin ward bald hierauf geschlagen und Tschang-han,
sagt, dass King-pu ursprünglich Ying-pu geheissen, aber später, in Rücksicht auf
die Worte der bekannten Vorhersagung: „In dem Augenblicke, wo du Strafe
erleidest, wirst du ein König werden“, den Geschlechtsnamen King, d. i. die
Strafe des Zeichnens mit Schwärze, erhalten habe.
*) Diese Begebenheit ist in dem Aufsatze: „Die Gewaltherrschaft Hiang-yii’s“ erzählt
worden.
Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und King-pu.
421
so wie die übrigen Feldherren ron Thsin, zur Waffenstreckung
gezwungen.
Tsu war somit auf allen Puncten siegreich und leuchtete durch
seine Kriegsthaten sämmtlichen damals neu erstandenen Reichen
voran, welche ihm aus diesem Grunde Unterwerfung und Anschluss
ankündigten, eine Erscheinung, deren erste Ursache darin zu suchen
ist, dass Ying-pu oft mit geringen Streitkräften eine grosse Menge
Feinde geschlagen hatte.
Als Hiang-tsi auf seinem Zuge nach Westen das Gebiet Sin-ngan
erreicht hatte, besorgte er eine Gefahr von Seite des durch Tschang-
han zur Waffenstreckung bewogenen Heeres von Thsin, und King-pu
erhielt mit noch Anderen den Auftrag, dieses Heer in nächtlicher
Stunde plötzlich anzugreifen und in tiefe Gruben zu stürzen, wo
durch im Ganzen zweihunderttausend Krieger von Thsin den Tod
fanden.
Als man hierauf zu dem Grenzpasse von Thsin gelangte, konnte
man daselbst nicht eintreten, weil eine unter den Befehlen des Fürsten
von Pei stehende Kriegsmacht bereits von dem Lande Besitz ge
nommen und die Zugänge versperrt hatte. Hier erhielt Ying-pu
wieder den Befehl, sich zuerst, in Bewegung zu setzen. Indem er auf
Seitenwegen mit einer Heeresabtheilung vordrang, zerstreute er die
ihm gegenüberstehenden Streitkräfte des Fürsten von Pei, worauf
Hiang-tsi ohne Anstand den Grenzpass überschritt und in Hien-yang
einzog. Ying-pu war dabei immer an der Spitze einer Heeresabthei
lung dem gesammten Heere vorausgegangen. Für seine ausser
ordentlichen Verdienste ward Ying-pu hei der Einsetzung der ver
schiedenen Reichsfürsten durch Hiang-tsi zum Könige von Khieu-
kiang ernannt und erhielt Lü zur Hauptstadt seines Reiches.
Als im ersten Jahre der Erhebung von Han (206 vor Chr.)
sämmtliche Reichsfürsten die unter ihren Fahnen versammelten
Krieger entliessen und sich nach den ihnen zugewiesenen Reichen
begaben, versetzte Hiang-tsi den durch ihn ernannten Kaiser I, in
dem er ihm Tschang-scha als Hauptstadt anwies. Dabei erhielten
Ying-pu und Andere, nämlich die Könige von Lin-kiang und Heng-
schan, heimlich den Befehl, auszurücken und den Kaiser anzugreifen.
Demgemäss sandte Pu, König von Khieu-kiang, einen Feldherrn, der
im Vereine mit den Übrigen den Kaiser I überfiel und in dem Bezirke
Tschin tödtete.
422
Dr. P f i l in a i e r
Im zweiten Jahre der Erhebung von Han (205 vor Chr.) ver
sagte Tien-ying, König von Tsi, dem Reiche Tsu den Gehorsam.
Der König von Hiang zog gegen Tsi und begehrte zugleich von dem
Reiche Khieu-kiang die Ahsendung sämmtlieher Streitkräfte. König
Ying-pu konnte sich jedoch nicht entschliessen, selbst in’s Feld zu
ziehen. Er schützte eine Krankheit vor und schickte einen Feldherrn
an der Spitze einiger tausend Streiter auf den Weg.
Ebenso schützte der König von Khieu-kiang auch später eine
Krankheit vor, als Han mit überlegener Macht das Reich Tsu plötzlich
angriff und dessen Hauptstadt Peng-tsching eroberte. Der König von
Diang, bei dieser Gelegenheit ganz ohne Hilfe gelassen, ward desswe-
gen über Ying-pu ungehalten. Er schickte zu wiederholten Malen einen
Gesandten, der den König zur Rede stellte und ihm die Aufforderung
brachte, in Tsu zu erscheinen. Ying-pu gab indessen der Furcht immer
mehr Raum und getraute sich nicht, der Aufforderung Folge zu
leisten. Dem Könige von Hiang bereiteten damals im Norden die Reiche
Tsi und Tschao grosse Sorge, im Westen stand ihm die Macht von
Han gegenüber, und sein einziger Verbündeter war der König von
Khieu-kiang. Ausserdem hatte er eine hohe Meinung von den Fähig
keiten Ying-pu’s, den er in seine Nähe, zu ziehen und zu verwenden
wünschte. Er konnte sich aus diesem Grunde nicht entschliessen,
gegen ihn feindlich vorzugehen.
Im dritten Jahre der Erhebung von Han (204 vor Chr.) hatte
sich der König dieses Herrscherhauses nach der Vernichtung seines
Heeres in Peng-tsching wieder auf das Gebiet von Liang geworfen
und war zu dem Bezirke Yii 1 ) gelangt. Daselbst äusserte er
sich gegen seine Umgebung: Was Jene betrifft, so ist unter ihnen
keiner, mit dem man berathen könnte in Angelegenheiten der Welt.
Der meldende Gesandte fr FI Sui-ho trat vor und sprach:
Ich verstehe nicht, was du, o König, meinst.
Der König von Han sprach: Wer ist fähig, als mein Gesandter
zu gehen nach Hoai-nan 2 ), damit er heisse dieses Reich hervor-
*) Das heutige Yü-tsching, Kreis Kuei-te in Ho-nan.
2 ) Das Reich Ying-pu’s erhielt erst in späterer Zeit den Namen H°ai-naii
(das Land im Süden des Flusses Iloai). Nach einem in Geschichtswerken öfters
beobachteten Vorgänge wird hier und in dem Folgenden der gegenwärtige Name
durch den späteren ersetzt.
Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und King-pu.
423
schicken die Kriegsmacht, abfalien von Tsu und bewirke, dass auf
gehalten werde der König von Hiang in Tsi einige Monate. Dass ich
dann Besitz ergreife von der Welt, ist durch zehntausend Mittel
mir möglich.
Sui-ho erwiederte: Ich bitte, dahin als Gesandter gehen zu
dürfen.
Sui-ho ward sofort zum Gesandten für Hoai-nan bestimmt, und
begab sich mit zwanzig Begleitern auf die Reise. Sobald die Stadt
Lo erreicht worden, übernahm es der Hausminister des Königs, ihn
bei Hofe einzuführen. Es vergingen jedoch drei Tage, ohne dass der
Gesandte dem Könige vorgestellt worden wäre.
Sui-ho sprach jetzt zu dem ersten Hausminister: Dass der
König mich nicht empfängt, geschieht gewiss desswegen, weil man Tsu
hält für stark, aber Han für schwach. Dies ist es eben, um dessen-
willen ich gesandt worden. Gesetzt, ich bekomme den König zu sehen
und habe, indem ich mit ihm spreche, Recht, so ist dies etwas, das der
grosse König möchte hören. Habe ich aber, indem ich mit ihm spreche,
Unrecht, so bringe ich es dabin, dass ich und meine Genossen, zwan
zig an der Zahl, sich niederwerfen vor der Axt und dem Hackbret *)
auf dem Markte von Hoai-nan und dadurch in’s Licht setzen, dass der
König sich losgesagt hat von Han und verbündet mit Tsu.— Der
erste Hausminister meldete diese Worte dem Könige Ying-pu, der
hierauf den Gesandten empfing.
Bei der Zusammenkunft sprach Sui-ho zu dem Könige: Der
König von Han heisst mich in Ehrfurcht überreichen das Schreiben.
Ich, der Diener des grossen Königs, vermesse mich, darüber zu
staunen, wie du, o grosser König, dich kannst mit Tsu befreunden.
Der König erwiederte: Ich bin gekehrt nach Norden und hul
dige ihm als ein Diener.
Sui-ho sprach weiter: Du, o grosser König, stehst mit demKönige
von Hiang zugleich in der Reihe und bist einer der Fürsten der Reiche.
Indem du gekehrt bist nach Norden und ihm huldigst als ein Diener,
hältst du gewiss dafür, dass Tsu stark und dass du stellen könnest
das Reich unter den Schutz von Hiang. Als der König von Hiang
angrifFTsi, kehrte er den Rücken den Breterwänden, den Mauer-
*) Der zur Hinrichtung- Verurtheilte legte sich auf (las Hackbrefc und ward mit der
Axt enthauptet.
Sitzh. d. phil.-hist. CI. XXXIV. ßd. III. Hft.
28
424
I)r. P f i z m a i e r
werken und ging seinen Kriegern voran. Dir, o grosser König, hätte es
geziemt, insgesannnt hervorzusenden die Menge von Iloai-nan, selbst
sie zu befehligen als Feldherr und zu werden die vortretende Spitze
des Heeres von Tsu. Jetzt hast du entsandt Krieger viertausend und
sie als Hilfsmacht gestellt Tsu. Verfährt denn derjenige, der gekehrt
ist mit dem Angesicht nach Norden und als Diener huldigt den
Menschen, allen Ernstes auf diese Weise?
Als der König von Han kämpfte in Peng-tsching, war der König
von Hiang noch nicht herausgetreten aus Tsi. Dir, o grosser König,
hätte es geziemt, in Bewegung zu setzen die Streitkräfte von Hoai-nan,
zu übersetzen den Hoai, Tag und Nacht dich einzufinden bei dem
Kampfe unter den Mauern von Peng-tsching. Du, o grosser König,
hattest unter deinen Befehlen eine Menge von zehntausend Kriegern,
aber kein einziger von ihnen hat übersetzt den Hoai. Du legtest in
den Schoss die Hände und sähest, wer der Sieger in dem Kampfe.
Verfährt denn derjenige, der stellt das Reich unter den Schutz der
Menschen, allen Ernstes auf diese Weise?
Du, o grosser König, trägst davon einen leeren Namen, indess
du dich wendest nach Tsu, und du willst dich dabei ganz unter
dessen Schutz stellen. Ich vermesse mich, dafür zu halten, dass du,
o grosser König, dieses nicht wirst erwählen.
Dass du gleichwohl, o grosser König, nicht den Rücken kehrst
Tsu, ist desswegen, weil du Han hältst für schwach. Ist die Kriegs
macht von Tsu auch stark, hat die Welt doch belegt dieses Reich
mit dem Namen der Ungerechtigkeit, weil es den Rücken gekehrt
hat dem beschworenen Vertrage und getödtet den Kaiser I. Trotzdem
hat der König von Tsu Vertrauen, dass er siegen werde in dem Kampfe
und hält sich für stark.
Der König von Han hat an sich gezogen die Fürsten der Reiche,
vertheidigt, nachdem er zurückgekehrt, Tsching-kao und Yung-yang.
Er sendet hernieder das Getreide von Scho und Han, umgibt mit
tiefen Gräben die Wälle von Han, vertheilt die Krieger, bewacht die
Geländer, macht sieh zu Nutzen die Versperrungen. Wenn die Men
schen von Tsu zurückführen die Kriegsmacht, liegt auf ihrem Wege
das Land von Liang!). Sie sind tief gedrungen in feindliche Reiche
auf einer Strecke von acht bis neunhundert Meilen. Wollen sie
1 ) Das Gebiet von Liang 1 befand sich /wischen Tsi und Tsu.
Die Feldherren Han-sin, Peug-yue und King-pu.
425
kämpfen, so können sie dazu nicht gelangen. Wollen sie angreifen feste
Städte, so sind sie mit ihrer Kraft dies nicht im Stande. Greise und
Schwache führen herbei Mundvorräthe aus einer Entfernung von mehr
als tausend Meilen. Wenn die Streitkräfte von Tsu gelangen nach
Yung-yang und Tsching-kao, so vertheidigt Han diese mit Kraft und
rührt sich nicht von der Stelle. Wollen sie vorwärts gehen, so kom
men sie nicht dazu, anzugreifen. Wollen sie zurückweichen, so sind
sie nicht im Stande, sich los zu machen. Desswegen sage ich: auf
die Streitkräfte von Tsu kann man sich nicht verlassen.
Gesetzt aber, Tsu besiegte Han, so befänden die Fürsten der
Reiche sich in Gefahr, sie würden sich fürchten und gegenseitig sich
Hilfe bringen. Die Stärke von Tsu reicht eben nur hin, um zu bieten
die Kriegsmacht der Welt. Dass somit Tsu nicht gleichkommt Han,
ist aus der Lage der Dinge leicht zu ersehen. Dass du jetzt, o gros
ser König, dich nicht verbündest mit Han, für das zehntausend Mitte)
in Bereitschaft, sondern dich stellst unter den Schutz des gefährde
ten und zu Grunde gehenden Tsu, ich vermesse mich, dafür zu hal
ten, dass dies, o grosser König, von deiner Seite ein Irrthum.
Ich bin nicht der Meinung, dass die Streitkräfte von Hoai-nan
hinreichen, um zu Grunde zu richten Tsu. Wenn du, o grosser König,
entsendest die Kriegsmacht und abfällst von Tsu, wird der König
von Hiang gewiss aufgehalten. Wird er aufgehalten einige Monate,
so mag Han Besitz ergreifen von der Welt durch zehntausend Mittel,
die in Bereitschaft. Ich bitte, mit dir zugleich, o grosser König,
schwingen zu dürfen das Schwert und dass du dich wendest nach
Han. Der König von Han wird gewiss zerreissen das Land und beleh
nen dich, o grosser König; um wie viel mehr wird dies auch gelten
von dem Lande im Süden des Hoai? Das Land im Süden des Hoai
wirst du, o grosser König, gewiss besitzen.
Aus diesem Grunde hat der König von Han in Ehrfurcht geschickt
als Gesandten, mich , damit ich biete meiner Unwissenheit Rath. Ich
wünsche, dass du, o grosser König, hierauf verweilest mit den Ge
danken.
KönigYing-pu willigte in die ihm gemachten Vorschläge, indem
er sprach: Ich bitte, in Empfang nehmen zu dürfen den Befehl.— Er
hatte sich jetzt zwar im.Geheimen zu dem Abfall von Tsu und dem
Bündniss mit Han verstanden, getraute sich aber noch nicht, die
Sache offenkundig werden zu lassen.
28*
426
Dr. P f i i m a i e r
Indessen befand sich in der Hauptstadt auch ein Gesandter von
Tsu, der eben den König Ying-pu scharf zur Rede stellte und ihn auf
forderte, die Kriegsmacht ausrücken zu lassen. Derselbe wohnte in
einem für die fremden Gesandten bestimmten Einkehrhause. Sui-ho
begab sich geraden Weges in den Saal, wo dieser Mann wieder mit
dem Könige eine Zusammenkunft hatte, setzte sich auf den, dem
Gesandten von Tsu vorbehaltenen Ehrenplatz und sprach: Der König
von Khieu-kiang hat sich bereits gewendet nach Han; wie könnte
Tsu erlangen, dass man die Kriegsmacht aussendet? — Der König
Ying-pu erschrack, während der Gesandte von Tsu aufstand und sich
entfernte.
Sui-ho sprach jetzt zu dem Könige: Die Sache ist bereits ange
knüpft. Du brauchst nur noch tödten zu lassen den Gesandten von
Tsu, damit er nicht heimkehre, hierauf mögest du schleunigst dich
begeben nach Han und mit ihm vereinen deine Kräfte.
Der König erwiederte: Es geschehe, wie der Gesandte mich
gelehrt. Es erübrigt nur, aufzubieten die Kriegsmacht und anzugreifen.
Der König liess jetzt den Gesandten von Tsu tödten, und schritt
sofort zum Angriffe auf das Reich Hiang-tsTs. Tsu entsandte seiner
seits die Feldherren Hiang-sching und Lung-tsiü zum
Angriffe auf Hoai-nan, während Hiang-tsi zurückblieb und seine
Angriffe gegen 0 ~|\ Ilia-yT 1 ), eine Stadt des Reiches Liang,
richtete. Nach einigen Monaten führte Lung-tsiü einen entscheiden
den Schlag gegen das Land Hoai-nan und zertrümmerte das Heer
Ying-pu’s. Dieser König war Willens, sich mit den ihm verbliebenen
Streitkräften nach Han zu werfen; da er jedoch befürchtete, durch
Hiang-tsi angegriffen und vernichtet zu werden, begab er sich, von
Sui-ho begleitet, heimlich auf den Weg und stellte sich unter den
Schutz von Han.
Als Ying-pu den König von Han besuchte, sass dieser auf dem
Rette und liess sich die Füsse waschen, in welchem Zustande er
seinen Gast empfing. Der König von Khieu-kiang zürnte über die ihm
hierdurch bezeigte Geringschätzung so sehr, dass es ihn reute, in das
Lager von Han gekommen zu sein, und er war entschlossen, sich
das Leben zu nehmen. Als er sich aber in die ihm angewiesene
Pu r£ÜT
1 ) Das heutige K V Ilia-yT, Kreis Kuei-te in Ho-nan.
Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und King-pu.
427
Wohnung begab, fand er daselbst die Vorhänge, die Speisen und
Getränke, ferner die Dienerschaft genau so, als ob alles für den König
von Han selbstbestimrnt gewesen. Der Zorn Ying-pu’s verwandelte sich
jetzt in Freude, da hierin seine Erwartungen übertroffen wurden 1 ).
Hierauf wurden Leute nach Khieu-kiang mit dem Aufträge
geschickt, in diesem Reiche die nöthigen Verfügungen zu treffen.
Tsu war ihnen jedoch zuvorgekommen, indem es schon früher den
Feldherrn Hiang-pe ausgesandt hatte, der die Streitkräfte von Khieu-
kiang an sich zog, und die Angehörigen Ying-pu’s, dessen Gattinn und
Kinder tödten liess. Der Abgesandte des Königs von Khieu-kiang
konnte mit Mühe die alten Bekannten und begünstigten Diener des
früheren Gebieters auffinden, und kehrte mit einigen tausend
Kriegern, die er in dem Reiche zusammengebracht hatte, nach Han
zurück. Der König von Han vermehrte die Streitkräfte Ying-pu’s,
und zog mit ihm, indem er auf dem Wege die zerstreuten Krieger
des Heeres von Han an sich zog , in nördlicher Richtung nach
Tsching-kao.
Im vierten Jahre der Erhebung von Han (203 vor Chr.) ward
Ying-pu zum Könige von Hoai-nan ernannt und nahm an dem Feld
zuge gegen Hiang-tsi Theil. Bei dieser Gelegenheit sandte er
auch Leute nach Khieu-kiang, von welchem Lande wieder einige
Bezirke unter die Herrschaft des früheren Königs gebracht wurden.
Im fünften Jahre der Erhebung von Han (202 vor Chr.) machte
Ying-pu in Gemeinschaft mit Lieu-ku einen Einfall in Khieu-kiang,
wo beide den Vorsteher der Pferde Tscheu-yin zum Abfall von Tsu
zu bereden suchten. Dieser Feldherr sagte sich auch wirklich von
Tsu los und vereinigte die Streitkräfte des Landes Khieu-kiang mit
denjenigen von Han, worauf die Macht Hiang - tsi's unter den
Mauern von Kai angegriffen und vernichtet ward.
Als nach der Unterwerfung sämmtlicher Reiche der König von
Han Kaiser geworden, gab er seinen Ministern und Feldherren ein
Fest, wobei er den Gesandten Sui-ho vor den versammelten Würden-
t) Der Ausleger Sse-ku gibt als Grund dieser Behandlung Ying-pu’s Folgendes an :
Der König von Han fürchtete, dass Ying-pu, der schon lange Zeit König gewesen,
einen hochfahrenden Sinn an den Tag legen werde; desswegen habe er ihn durch
den schlechten Empfang deiniithigen wollen. Später habe er für ihn kostbare
Vorhänge, eine grosse Menge Speisen und Getränke bestimmt, ferner ihm eine
zahlreiche Dienerschaft gegeben, um ihn wieder zufrieden zu stellen,
428
Dr. P f i z m a i e r
trägem herabzusetzen suchte, indem er sprach: Sui-ho ist ein
verdorbener Gelehrter. Wenn man lenkt die Welt, wozu könnte
man dann einen verdorbenen Gelehrten wohl brauchen? *)
Sui-ho stellte sich auf die Knie und enviederte: Als du, o Kaiser,
vorwärts führtest die Kriegsmacht und angriffst Peng-tsching, hatte
sich der König vonTsu noch nicht entfernt aus Tsi. Wenn du, o Kai
ser, ausgesandt hättest Fussgänger fünfzigtausend, Reiter fünftausend,
wärest du wohl im Stande gewesen, zu erobern Hoai-nan?
Der Kaiser antwortete: Ich wäre es nicht im Stande gewesen,
Sui-ho fuhr fort: Du, o Kaiser, schicktest mich mit zwanzig
Menschen als Gesandten nach Hoai-nan. Sobald ich angekommen,
geschah es, wie du, o Kaiser, gewünscht. Dies waren meine Ver
dienste : ich war weiser als Fussgänger fünfzigtausend, Reiter fünf
tausend. Warum nennst du, o Kaiser, mich dessenungeachtet einen
verdorbenen Gelehrten und fragst, wozu man, wenn man lenkt die
Welt, einen verdorbenen Gelehrten wohl könne brauchen?
Der Kaiser enviederte: Ich ziehe so eben in Erwägung deine
Verdienste. — Sui-ho erhielt hierauf die Stelle eines „mittleren
Reruhigers“ in dem Heere.
Ebenso erhielt Ying-pu, als König von Hoai-nan bestätigt, eine
kaiserliche Abschnittstafel, wobei die Landschaften Khieu-kiang,
Liü-kiang 2 ), Heng-schan und Yü-tschang 3 ) seinem Reiche
zugetheilt wurden und Lo die Hauptstadt blieb. Der König erschien
übrigens zu verschiedenen Malen an dem Hofe des Kaisers, nämlich
im siebenten Jahre der Erhebung von Han in Tschin, im achten in
Lö-yang, im neunten in Tschang-ngan, wodurch er die Oberhoheit
von Han thatsächlich anerkannte.
Als im eilften Jahre der Erhebung von Han (196 vor Chr.) der
Fürst von Hoai-yin auf Refehl der Kaiserinn Liü hingerichtet wurde,
erwachten zuerst Resorgnisse in dem Herzen Ying-pu’s. Noch im
Sommer desselben Jahres ward Peng-yue, König von Liang, hinge
richtet und dessen Fleisch, wie es in solchen Fällen Sitte war, mit
*) Der Ausleger Sse-ku erklärt dieses Verfahren folgeridermassen: Der Kaiser habe
Sui-ho belohnen wollen, habe jedoch geglaubt, dass die übrigen Minister hiermit
nicht einverstanden sein würden. Er habe ihn daher vor der Versammlung herab
gesetzt, tim ihm Gelegenheit zu geben, selbst seine Verdienste geltend zu machen.
2 ) Das heutige Liü-tscheu in Kiang-nan.
3 ) Das heutige Nan-tschang in Kiang-si.
Die Feldherren Ilan-sin, Peng-yue und King-pu. 429
Lauch eingemacht 1 ). Der Kaiser liess das eingemachte Fleisch in
Gefässe legen und schickte sämmtlichen Reichsfürsten eines derselben
als Geschenk. Eine solche Sendung gelangte auch nach Hoai-nan,
dessen König sich eben auf der Jagd befand. Als Ying-pu das ein
gemachte Fleisch des Königs Peng-yue erblickte, befiel ihn grosse
Furcht, und er gab seinen Leuten heimlich Befehl, an den verschie
denen Aufstellungsorten Streitkräfte zu sammeln, in den zur Seite
der Hauptstadt liegenden Landschaften zu warten und auf die
nahende Gefahr zu achten.
Während Ying-pu somit auf alles gefasst war und die Vorbe
reitungen zum Abfall traf, war ein an sich unbedeutendes Ereigniss
die Ui'sache, dass sein Vorhaben an den Kaiser verrathen wurde. Eine
von dem Könige begünstigte Nebengemahlinn litt an einer leichten
Krankheit und erhielt die Erlaubniss, sich zu einem Arzte begeben
zu dürfen. Das Thor des Hauses, in welchem der Arzt wohnte, be
fand sich dem Thore eines anderen Hauses, welches von
Fei-he, einem mittleren Grossen des Reiches, bewohnt war, gegen
über. Die Nebengemahlinn des Königs begab sich mehrere Male in das
Haus des Arztes. Fei-he, der dieselbe für eine Bedienstete des Pala
stes hielt, machte ihr eine Menge Speisen zum Geschenk, gesellte
sich zu ihr als Begleiter und trank mit ihr in dem Hause des Arztes
Wein.
Nach einiger Zeit befand sich die Nebengemahlinn wieder in
Gesellschaft des Königs und rühmte im Verlaufe des Gespräches die
Art und Weise, mit der Fei-he die Menschen zu behandeln wisse.
Hierüber zürnte der König und fragte, wie sie dies in Erfahrung
gebracht habe, worauf das Weib alles so erzählte, wie es sich zuge
tragen hatte. Dem zu Folge schöpfte der König Verdacht und glaubte,
dass zwischen Fei-he und seiner Nebengemahlinn Unordnungen vorge
fallen seien. Als Fei-he von dem auf ihm ruhenden Verdachte in
l) Das Bestehen einer solchen Sitte wird an verschiedenen Stellen der alten Geschichte
angedeutet. Der Ausleger Sse-ku sagt in einer Anmerkung zu dem Buche der frü
heren Han: Das Fleisch der Hingerichteten Empörer ward eingemacht, was in den
(in dem Buche der früheren Han enthaltenen) Nachrichten über die Strafen durch
die Worte: „Ihre Gebeine und ihr Fleisch werden mit Lauch eingelegt“ ausge
drückt wird. Bei der hier genannten Bereitungsart ward das Fleisch zuerst
getrocknet, hierauf zerschnitten, mit Mehl gemengt, gesalzen und zuletzt mit Wein
begossen, worauf es in einem Topfe hundert Tage liegen blieb.
1
430
Dr. P f i z m aier
Kenntniss gesetzt wurde, fürchtete er sich, vor dem Könige zu
erscheinen und meldete sich krank. Ying-pu zürnte indessen immer
mehr und war Willens, den Grossen seines Reiches festnehmen zu
lassen. Fei-he fasste sofort den Entschluss, an dem Hofe von Han
als Ankläger aufzutreten. Er begab sich auf den Weg und reiste mit
unterlegten Pferden nach Tschang-ngan, dem damaligen Wohnsitze
des Kaisei's. Ying-pu liess dem Entflohenen zwar nachsetzen, dieser
konnte jedoch nicht mehr eingeholt werden.
Als Fei-he in Tschang-ngan ankam, überreichte er dem Kaiser
eine Schrift, worin er meldete, dass Ying-pu abzufallen gedenke und
dass man, so lange der König die Kriegsmacht noch nicht ausgesandt
habe, demselben zuvorkommen und ihn strafen könne.
Nach der Durchlesung dieses Schreibens besprach sich der
Kaiser mit dem Reichsgehilfen Siao-ho. Dieser iiusserte seine Mei
nung mit folgenden Worden: Es ist nicht wahrscheinlich, dass Pu
dies zu thun gedenkt. Ich vermuthe, dass irgend ein Feind in seinem
Grolle ihn falsch anklagt. Ich bitte, binden zu lassen He und abzu
senden Leute, damit sie sich im Geheimen überzeugen von der
Schuld des Königs von Hoai-nan.
Als Ying-pu erfuhr, dass Fei-he, der bereits eines Vergehens
willen die Flucht ergriffen, in Tschang-ngan eine Anzeige gemacht,
glaubte er, dass dieser Mann die geheimen Angelegenheiten des
Reiches verrathen habe. Als jetzt noch ein Gesandter von Han ein
traf und manches von dem, das in der Anzeige erwähnt ward, bestä
tigt fand, liess Ying-pu die in Hoai-nan zurückgebliebenen Ange
hörigen und Verwandten Fei-he’s hinrichten, das Kriegsheer aus
rücken und sagte sich offen von Han los. Sobald der Kaiser durch
Briefe von diesem Abfall inKenntniss gesetzt ward, entliess er Fei-he
seiner Haft und übertrug ihm eine Feldherrnstelle.
Der Kaiser berief hierauf seine Feldherren und sprach zu ihnen :
Pu ist abgefallen; was ist hier zu thun?
Alle antworteten: Man lasse die Kriegsmacht ausrücken und stürze
in eine Grube den Knecht. Was sollte er noch ausrichten können ?
Unterdessen fragte Ying, Fürst von Ju-yin, der auch Fürst von
Hia und Teng genannt wird !), in dieser Angelegenheit seinen Gast,
^Derselbe ist in dem Aufsatze: „Die Gewaltherrschaft Hiang-yü’s“ (S. 36 und 48)
erwähnt worden.
Die Feldherren llau-sin, Peng-jue und King-pu.
431
lH
den Fürsten von |&ijk Sie, der einst Ling-yün von Tsu gewesen. Der
Ling-yün antwortete: Es hat seine Ursache, dass jener sieh auflehnt.
Der Fürst von Teng bemerkte: Der Kaiser hat zerrissen das
Land und ihn zum König gemacht. Er hat losgetrennt das Lehen und
ihn zu Ansehen gebracht. Er hiess ihn das Angesicht kehren nach
Süden und erhob ihn zum Gebieter von zehntausend Wagen. Was
für eine Ursache sollte jener haben, sich zu empören ?
Der Ling-yün erwiederte: Im vergangenen Jahre hat man
getödtet Peng-yuc. Im vorhergehenden Jahre hat man angegriffen
Han-sin. Will man sich aussprechen über diese drei Menschen, so
haben sie gleiche Verdienste und sind die Menschen eines einzigen
Leibes. Jener glaubte, dass das Unglück erreichen werde ihn selbst;
aus diesem Grunde hat er sich empört.
Der Fürst von Teng empfahl hierauf seinen Gast dem Kaiser
indem er sprach: Unter meinen Gästen befindet sich der Fürst von
Sie, der frühere Ling-yün von Tsu. Dieser Mann hat wohlberechnete
Rathschläge, und man kann ihn fragen.
Der Kaiser liess den Fürsten von Sie zu sich rufen und befragte
ihn über die Angelegenheit des Königs Ying-pu. Der Fürst von
Sie gab folgende Antwort: Dass Pu sich empört hat, darf uns
nicht wundern. Wenn Pu sich entscheidet für den ersten der drei
Entwürfe *), so ist das Land im Osten der Berge nicht mehr im Be
sitze von Han. Entscheidet er sich für den zweiten der drei Ent
würfe, so kann man die Zahl der Siege und Niederlagen noch nicht
wissen. Entscheidet er sich für den letzten der drei Entwürfe, so
wird der Kaiser ruhig liegen auf seinem Kissen.
Der Kaiser fragte: Was nennst du den ersten der drei Entwürfe ?
Der Ling-yün antwortete: Wenn er in Osten wegnimmt U, im
Westen wegnimmt Tsu, einverleibt Tsi, wegnimmt Lu, wenn er
hinüber gehen lässt die beschriebene Tafel nach Yen und Tschao,
wenn ersieh fest behauptet in seinem Wohnsitz, so ist das Land
im Osten der Berge nicht mehr im Besitze von Han.
Der Kaiser fragte: Was nennst du den zweiten der drei Ent
würfe?
*) Dieses bezieht sieh nach Einigen auf das Bieterspiel, nach Anderen auf die Vor
schriften der Kriegskunst.
432
I)r. I* f i z m a ier
Der Ling-yün antwortete: Wenn er im Osten wegnimmt U, im
Westen wegnimmt Tsu, einverleibt Hän, wegnimmt Wei, festhält das
Getreide der Speicher von Ngao, versperrt die Ausgänge vonTsching-
kao, so kann man die Zahl der Siege und Niederlagen noch nicht wissen.
Der Kaiser fragte: Was nennst du den letzten der drei Entwürfe?
Der Ling yiin antwortete: Wenn er im Osten wegnimmt U, im
Westen wegnimmt Hia-tsai, wenn er die Lastwagen ziehen lässt nach
Yue, er selbst sich wendet nach Tschang-scha, so wird der Kaiser
ruhig liegen auf seinem Kissen. Für Han gibt es dann nichts weiter
zu tliun !)•
Der Kaiser fragte wieder: Für welchen Entwurf wird sich jener
entscheiden?
Der Ling-yün antwortete: Er wird sich entscheiden für den
letzten der drei Entwürfe.
Der Kaiser fragte: Warum sollte jener aufgeben den ersten und
zweiten Entwurf, und sich entscheiden für den letzten der drei
Entwürfe?
Der Ling-yün antwortete: Pu gehörte ursprünglich zu den
Schaaren des Berges Li, und er ward der Gebieter von zehntausend
Wagen. In diesen Verhältnissen hat er nicht geblickt nach rückwärts
und seine Gedanken nicht gerichtet auf die hundert Geschlechter,
die zehntausend Geschlechtsalter. Desswegen sagte ich: Er wird sich
entscheiden für den letzten der drei Entwürfe.
Der Kaiser billigte die Ansichten des Fürsten von Sie und be
lehnte ihn mit tausend Thüren des Volkes. Nachdem er hierauf den
Kaisersohn Tschang an der Stelle Ying-pu's zum Könige von
Hoai-nan ernannt, liess er sofort ein Heer ausrücken , welches, von
J ) In der Voraussetzung, dass hier eine Anspielung' auf das Breterspiel enthalten ist,
wird das Obige folgendermassen erklärt. Bei dein ersten der drei Entwürfe bleibt
man in dein entfernten Theile des Bretes, beschreibt einen abgesonderten Bogen
und nähert sich dem Gegenstände der Einschliessung. Auf diese Weise erhält man
viele Siege, welche darin bestehen, dass man die Wege gewinnt. Bei dem zweiten
der drei Entwürfe ist man bemüht zu zerreissen, zu bedecken und zu verkürzen,
indem man um Vortheile streitet und seinen Nutzen sucht. Auf diese Weise bleibt
es zweifelhaft, wer gesiegt oder eine Niederlage erlitten hat, und man muss erst
zählen, um dies bestimmen zu können. Bei dem letzten der drei Entwürfe ver-
theidigt man die Grenzen, läuft in die Winkel, legt Fallen und sucht dadurch auf
einem kleinen Raume sein Dasein zu fristen.
Die Feldherren Han-siu, Peng-yue und King-pit. 433
ihm selbst befehligt, im Osten die Länder des abgefallenen Königs
angriff.
Zur Zeit als König Ying-pu sich zum Abfall anschickte, hatte er
sich gegen seine Feldherren geäussert: Der Kaiser ist schon alt. Er
ist der Kriegführung satt und gewiss nicht im Stande, selbst zu er
scheinen. Er wird senden seine Feldherren. Aber unter allen Feldherren
wäre allein etwas zu besorgen von Hoai-yin und Peng-yue. Jetzt sind
diese beiden schon todt; vor den übrigen brauchen wir uns nicht zu
fürchten. — Man sagte sich daher ohne Bedenken von Han los.
Unterdessen tliat Ying-pu wirklich, was der Fürst von Sie vor
hergesagt. Er wandte sich nach Osten und grill’ das Reich King
an. Dieses Reich, welches aus dem Laude im Osten des Flusses Hoai
gebildet worden, zweiundfünfzig feste Städte zählte und Lieu-ku,
einen Oheim des Kaisers, zum Könige hatte, entsprach zum grössten
Theile dem früheren Reiche U, und dessen Hauptstadt war ebenfalls
U ‘). König Lieu-ku ward geschlagen und fand den Tod auf der
Flucht in 'es Fu-ling 2 ). König Ying-pu zog alle Streitkräfte
des Reiches King mit Gewalt an sich, übersetzte den Fluss Hoai und
richtete den Angriff gegen das Reich Tsu.
Das letztgenannte Reich, welches aus dem Lande im Westen
des Flusses Hoai gebildet worden , secbsunddreisig feste Städte zählte
und von dem Könige Yuen, einem jüngeren Bruder des Kaisers,
beherrscht wurde, umfasste nur den nordöstlichen Theil des früheren
Reiches Tsu, und dessen Hauptstadt war Peng-tsching. Tsu entsandte
seine Kriegsmacht, welche, zwischen den Bezirken Siü und
^Lju Tung 3 ) lagernd, den Kampf mit Ying-pu aufnahm.
Die Macht von Tsu bildete drei Kriegsheere, welche bestimmt
waren, gegenseitig Hilfe zu bringen. Man glaubte, auf diese Weise
einen ausserordentlichen Schlachtplan entworfen zu haben. Dagegen
machte Jemand dem Feldherrn von Tsu folgende Vorstellung: Pu ver
steht sich vortrefflich auf die Kriegführung; das Volk hat vor ihm
*) Die Hauptstadt des heutigen gleichnamigen Districtes in unmittelbarer Nähe des
heutigen Su-tscheu in Kiang-su.
2 ) Ein alter Bezirk der späteren Landschaft Lin-hoai, welche die Gegend des heu
tigen gleichnamigen Districtes, Kreis Fung-yang, Provinz Kiang-nan.
3 ) So hiessen zur Zeit der Ilan zwei Bezirke, welche ebenfalls zu der früher genannten
Landschaft Lin-hoai gehörten.
434
Dr. P t‘ i z m a i e r
eine wahre Scheu. Auch heisst es in den Vorschriften der Kriegs
kunst: Wenn die Fürsten der Reiche kämpfen auf ihren Boden, so
befinden sie sich auf dem Boden der Flucht 1 ). — Jetzt bildet man
drei abgesonderte Heere. Wenn jene ein Heer von uns geschlagen
haben, werden die übrigen entfliehen; wie sollten sie im Stande sein,
einander Hilfe zu bringen?
Der Feldherr vonTsu liess diese Vorstellung unbeachtet. Bei dem
Kampfe, welcher hierauf stattfand, schlug Ying-pu wirklich ein Heer
von Tsu, worauf die beiden anderen Heere die Flucht ergriffen und
sich auflösten.
Indem Ying-pu, seinen Sieg verfolgend, weiter nach Westen
■—| I—
rückte, traf er auf dem westlich von dem Bezirke q'j/p Ki 2 ) gelege
nen Gebiete Kuai-tschuen mit dem Heere des Kaisers zu-
sammen. Die Kriegsmacht des Königs von Hoai-nan bestand aus sehr
auserlesenen Streitern, und der Kaiser war im Anfänge genöthigt, sich
hinter Lagerwällen, die er auf dem Gebiete Yung-tsching 3 )
errichtet hatte, zu vertheidigen.
Als der Kaiser von der Höhe der Lagerwälle in die Ferne blickte,
bemerkte er, dass Ying-pu sein Heer gerade so in Schlachtordnung
stellte, wie dies einst in dem Feldzuge gegen Hiarig-tsi, wo die
Macht dieses Königs in Kai eingeschlossen und vernichtet ward,
geschehen war. Dem Kaiser war dies äusserst zuwider. Er suchte mit
Ying-pu von Angesicht zusammenzutreffen und rief ihm aus der Ferne
zu: Was habe ich dir zu Leide gethan, dass du von mir abfällst? —
Ying-pu antwortete: Ich möchte nur gerne Kaiser werden. — Über
diese Worte gerieth der Kaiser in Zorn und ergoss sich in Schmä
hungen gegen seinen früheren Feldherrn.
Die grosse Schlacht, welche jetzt geschlagen wurde, ging für
Ying-pu verloren. Dieser Feldherr ward zur Flucht gezwungen und
bewerkstelligte seinen Rückzug über den Fluss Hoai. Auf seinem
1) Als Grund wird angegeben, dass die Krieger, welche sich auf ihrem heimischen
Boden befinden , das Land liehen und sich mit dem Gedanken an Ruhe tragen,
daher leicht die Flucht ergreifen und sich zerstreuen.
2 ) Zu diesem Bezirke gehörte die Gegend, in welcher Tschin-sching zuerst gegen
das Herrscherhaus Thsin aufgestanden.
Nur der Name eines Gebietes und nicht zugleich, wie nach der Verbindung geschlossen
werden könnte, der Name einer festen Stadt,
Die Feldherren Han-sin, Peng-yue und King-pu.
435
Wege öfters Halt machend und mit den Verfolgern neue Kämpfe
bestehend, blieb er jedesmal im Nachtheil und erreichte zuletzt,
nur noch von hundert Kriegern begleitet, als Flüchtling das Land im
Süden des grossen Stromes.
Ying-pu hatte einst eine Tochter U-jui’s, Landesherrn von Po,
zur Gemahlinn genommen. U-jui ward später durch Hiang-tsi zum
Könige von Heng-schan, durch den Kaiser des Herrscherhauses Han
zum Könige von Tschang-scha ernannt, war jedoch kurze Zeit nach
der letztgenannten Einsetzung gestorben und hatte zum Nachfolger
seinen Sohn, den König Ngai. Den erwähnten Umstand der Ver
wandtschaft benützte der König von Tschang-scha, um den Feind des
Kaisers zu verderben. Er schickte Leute an Ying-pu, welche diesem
betrügerischer Weise das Anerbieten machten, ihn auf der Flucht zu
begleiten und nach dem früheren Reiche Yue, wo er eine Zufluchts
stätte finden sollte, als Führer zu dienen. Der König von Hoai-nan
glaubte den Worten der Sendlinge und folgte ihnen.
Sobald man in Po-yang *) angekommen war, tödteten die
Bewohner dieses Landes den König Ying-pu in einem zwischen den
Feldern befindlichen, zu dem Unterbezirke Thse 2 ) gehörenden
Hause des Volkes.
Das Herrscherhaus Ying-pu ward sofort vernichtet und Tschang,
der Sohn des Kaisers, zum Könige von Hoai-nan eingesetzt. Fei-he
ward zum Lehensfürsten von jtj] Khi-sse ernannt und ebenso
wurden sechs Feldherren von Han, welche sich in diesem Kriege
besonders ausgezeichnet hatten, mit Lehen betheilt.
Dem Kaiser selbst kostete dieser Feldzug das Leben. Er ward
bei dem Angriffe auf das Heer Ying-pu's von einem Pfeile getroffen,
kränkelte seitdem fortwährend und starb, nachdem er in seine Haupt
stadt zurückgekehrt, noch in demselben Jahre (195 vor Chr.).
1) Das öfter genannte Po, welches von Po-yang die Abkürzung.
-) In dem alten Bezirke Kiao-yang, der seinerseits in der früheren Land
schaft Yii-tschang, der Gegend des heutigen Nan-schang, gelegen.
436
Preisangaben.
SITZUNG VOM 24. MAI. 1860.
Die Classe beschäftigte sich in dieser Sitzung mit den Preis
aufgaben.
Die kais. Akademie der Wissenschaften hat auf Antrag dieser
Classe in der feierlichen Sitzung vom 31. Mai 1858 die Ausschrei
bung der nachstehenden Preisaufgabe bekannt gemacht:
„Die Frage nach der Zeitfolge, in welcher Platon seine Dia
loge abgefasst hat, ist dadurch von eigenthiimlicher Wichtigkeit, dass
ihre verschiedene Beantwortung auf die Auffassung der einzelnen
Dialoge und der gesammten Philosophie Platon’s in mancher Hinsicht
einen entscheidenden Einfluss gewonnen hat. Die epochemachenden
Untersuchungen Schleiermacher’s über diesen Gegenstand sind
am umfassendsten und eindringendsten vonK.F.Hermann bestritten,
der von einem wesentlich verschiedenen Principe ausgehend zu
theihveise abweichenden Ergebnissen gelangt ist. Das Princip und die
Ergebnisse Her mann's haben bei mehreren geschätzten Forschern
auf diesem Gebiete im Wesentlichen Beistimmung gefunden.“
„Es werde erstens untersucht, ob für die Herrnann’sche
Anordnung der angeblich auf historischen Thatsachen beruhende
Beweis wirklich geführt ist.“
„Zweitens. Die Gefahr, unsichere Hypothesen in die Beant
wortung dieser Frage aufzunehmen, entsteht besonders dadurch,
dass jeder der Platonischen Schriften ihre Stelle in der chrono
logischen Anordnung angewiesen werden soll. Es wird für einen
sicheren Fortschritt dieser Untersuchung förderlich sein, den Anspruch
auf ein Umfassen der sämmtlichen Platonischen Dialoge zunächst
aufzugeben und diejenigen herauszuheben, für welche sich die
Abfassungszeit an sich oder im Vergleiche zu bestimmten anderen
Dialogen zu völliger Evidenz bringen lässt.“
Preisaufgaben.
437
An dem bei der Ausschreibung der Preisfrage festgestellten Ter
min, 31. December 1839, wurden bei der kais. Akademie dreiAbhand-
lungen eingereicht, jede derselben vorschriftmässig ohne den Namen
des Verfassers, jede bezeichnet mit einem Wahlspruche und mit
einem denselben Wahlspruch tragenden versiegelten Zettel, der den
Namen des Verfassers enthält. Das Gutachten der von der philo
sophisch - historischen Classe zur Prüfung dieser Abhandlungen
ernannten Commission lautet folgendermassen :
I. Abhandlung mit dem Motto:
Est quadam prodire tenus, si non datier ultra.
Die Arbeit (162 Seiten gr. Fol.) behandelt, ohne irgend durch
eine Einleitung diesen Gang der Untersuchung zu rechtfertigen oder die
Ergebnisse in einem abschliessenden Überblicke zusammenzufassen,
folgende sechs Platonische Dialoge: Charmides, Lysis, Phaedrus,
Theaetetus, Sophistes, Politikus, und dies zwar in der Weise, dass
von jedem Dialoge zunächst der Inhalt ausführlich dargelegt, sodann
aus der Inhaltsangabe und der in ihr bezeichneten Gliederung des
Dialoges Folgerungen über seinen Zweck und seine Stellung zu den
anderen in dem Bereiche dieser Abhandlung enthaltenen Dialogen
gezogen werden.
Untersuchungen der Art, wie sie in der vorliegenden Abhand
lung angestellt werden, sind zum Verständnisse der Platonischen
Dialoge, der einzelnen sowohl als ihres gegenseitigen Verhältnisses,
unerlässlich nothwendig. Ob durch die in der vorliegenden Abhand
lung gegebenen Erörterungen, trotz des unverkennbar auf sie gewen
deten Fleisses und der ziemlich umfassenden Berücksichtigung der
neueren Literatur über Platon, das Verständniss der darin behan
delten Dialoge einen sicheren Gewinn ziehen könne, muss höchst
zweifelhaft erscheinen. Die Inhaltsangaben entbehren jener strengen
Objectivität, welche allein sie zu einer festen Grundlage für weitere
Untersuchungen machen kann; in die Untersuchung des einheitlichen
Zweckes eines Dialogs und seines Verhältnisses zu anderen Dialogen
sind öfters Voraussetzungen über den philosophischen Entwickelungs
gang Platon's mit voller Zuversicht und doch ohne Erweis aufge
nommen; die sprachliche Darstellung, mehr durch neuere Werke
über Platon als durch Platon selbst bestimmt, leidet öfters an einer
Unklarheit, die es schwer macht, des Verfassers Überzeugungen voll
ständig zu fixiren.
438
I reissuifffaben.
Aber selbst wenn die Abhandlung von den angedeuteten Män
geln frei wäre und vollständig das erreichte, was auf dem einge
schlagenen Wege erreichbar ist, würde sie nicht als eine Bearbei
tung der gestellten Preisfrage zu betrachten sein. Denn die Preis
aufgabe fordert in ihrem ersten Theil Discussion der für die Auf
findung der Zeitfolge aufzustellenden Grundsätze, indem sie zur
Prüfung eines gegenwärtig zu überwiegender Geltung gelangten
Principes der chronologischen Anordnung auffordert. Eine solche
Prüfung kann nicht in gelegentlichen Erörterungen zu einzelnen
Dialogen gegeben werden, sondern erfordert nothwendig eine Unter
suchung , welche die fraglichen Grundsätze klar darlege und ihre
Berechtigung so wie ihre Durchführung würdige. Gesetzt, dass sich
dann aus derselben nur für eine so kleine Zahl von Dialogen, als in
dieser Abhandlung in Betracht gezogen sind, über die Abfassungs
zeit Folgerungen von hinlänglicher Sicherheit ergäben, so würde
dies die Abhandlung noch nicht nothwendig von der Preisbewerbung
ausschliessen; wohl aber ist dies der Fall, da statt einer vollstän
digen Untersuchung der Frage über die Zeitfolge der Platonischen
Dialoge nur Studien zu der Auffassung einiger Dialoge nebst Bemer
kungen über die Aufeinanderfolge ihrer Abfassungszeit gegeben sind.
II. Abhandlung mit dem Motto:
MlXlcov reXeoräv ivönviov eldev, toc xlixvoc yevopevog äitb
dsvdpou sic dsvdpov pevsp/erac xai raurrj mivov nXsiarov na-
pe/sc tolc ffeorafc. Olymp, vit. Plaf.
Die Abhandlung, 451 Seiten in 4., ist, der Formulirung der
Preisaufgabe gemäss, in zwei Hauptabschnitte getheilt, deren erster
kritisch-polemischen Inhalts ist, und deren zweiter positive Ergeb
nisse aufzustellen unternimmt. Im ersten Hauptabschnitte sucht der
Verfasser zunächst S. 6—19 zu erweisen, dass die von K. F. Her
mann getroffene Scheidung der echten Platonischen Dialoge von
den unechten nicht auf sicheren Kriterien beruhe; sodann prüft der
selbe die Begründung der Hermann’schen Anordnung der Dialoge
an den historischen Zeugnissen, welche Hermann für die Dialoge
Lysis, Phaedrus, Theaetetus, Symposion, die Gesetze, den Staat,
Timäus, Kritias behufs der Feststellung ihrer Abfassungszeit geltend
macht, S. 21—224; woran sich anhangsweise die Discussion der
von einigen andern Gelehrten in gleicher oder ähnlicher Richtung
geführten Argumentationen anschliesst, S. 225 — 324. Im zweiten,
Preisaufgaben.
439
der positiven eigenen Untersuchung gewidmeten Hauptabschnitte
unternimmt der Verfasser zuerst S. 332 — 380 die Grenzen zu
bestimmen, „innerhalb deren allein Platon auf dem philosophischen
Gebiete schriftstellerisch thätig gewesen sein könne“, und zwar
sucht er zu erweisen, dass Platon nicht vor der Gründung seiner
Schule und nicht nach seinem 66. Lebensjahre könne philosophische
Schriften verfasst haben. Hierauf unterzieht der Verfasser S. 381
bis 439 die Nachrichten über Platon’s Reisen einer eingehenden
Untersuchung, als deren Ergebniss er die Gründung der Schule in
einen merklich früheren Zeitpunct setzt als die verbreitetste Annahme
ist. Zuletzt geht er auf die Frage ein, „ob sich die Abfassungszeit
einiger Dialoge wenigstens im Vergleiche mit anderen durch äussere
und zwar zuverlässige Zeugnisse bestimmen lasse“, S. 440 — 431,
und gelangt zu dem Ergebnisse, dass nur für den Staat, den Timäus
und die Gesetze sich in Bezug auf das gegenseitige Verhältniss ihrer
Abfassungszeit sichere Entscheidung geben lasse.
So wenig der Ton, welcher in der Kritik namentlich gegen
K. Fr. Hermann öfters angeschlagen wird, gebilligt werden kann,
so verdient doch das in der ganzen Abhandlung sichtbare Streben
nach gewissenhafter Strenge der Beweisführung alle Anerkennung.
Aber erstens hat die Abhandlung in ihrem kritischen und in ihrem
positiven Theile die Frage in engere Grenzen beschränkt, als durch
die Stellung der Preisaufgabe gerechtfertigt und für eine erschöpfende
Bearbeitung des Gegenstandes möglich ist. Die Dialoge, von deren
Zeitbestimmung derVerfasser zur Widerlegung Hermann’s handelt,
nehmen zwar für die Durchführung des von Hermann aufgestellten
Principes eine wichtige Stelle ein; aber wenn selbst in allen diesen
einzelnen Fällen derVerfasser dieArgumenteHermann’s vollständig
widerlegt hätte, so würde dadurch doch nur ein Theil der gesammten
Beweisführung Her mann ’s überhaupt berührt sein. Durch den zwei
ten positiven Theil der Preisaufgabe war verlangt, es sollten diejenigen
Daloge herausgehoben werden, „für welche sich die Abfassungszeit
an sich oder im Vergleich zu bestimmten anderen Dialogen zu völliger
Evidenz bringen“ lasse. Welche Mittel es seien, durch die für einen
wie immer beschränkten Kreis von Dialogen diese Evidenz über ihre
absolute oder relative Abfassungszeit herzustellen sei, blieb der For
schung der Bearbeiter des Gegenstandes vollständig überlassen. Der
Verfasser dieser Abhandlung beschränkt nun die Frage dahin, dass
Sitzb. d. phil.-hist. CI.XXXIV. Bd. III. Hft. 29
440
Preisaufgaben.
er nur untersucht, „ob sich die Abfassungszeit einiger Dialoge wenig
stens im Vergleiche mit anderen durch äussere und zwar zuver
lässige Zeugnisse bestimmen lasse". Diese Beschränkung ist, wie
der Fragestellung fremd, so für die Sache willkürlich: denn der Ver
fasser hat nicht erwiesen, dass aus Inhalt oder Form Platonischer
Werke selbst evidente Folgerungen über ihre Abfassungszeit zu
ziehen nicht möglich sei. — Zweitens ist die Strenge der Beweis
führung, welche einzuhalten der Verfasser in anerkennenswerther
Weise bemüht gewesen ist, in der wirklichen Ausführung öfters zu
vermissen. Die Gründe, durch welche der Verfasser die schrift
stellerische Thätigkeit Platon's in die Zeit von der Gründung der
Schule bis zu Platons 66. Lebensjahre einschliesst, unterliegen min
destens eben so gewichtigen Bedenken, als die von ihm bekämpften
Ansichten; in den Folgerungen aus äusseren Zeugnissen ist zuweilen
auf ein einzelnes, minder erhebliches Wort ein solches Gewicht
gelegt, dass mit seiner mehr oder minder strengen Auslegung der
ganze Beweis steht oder fällt; in der gelegentlich geübten Textes
kritik sind öfters Änderungen der Überlieferung oder Weglassungen
aus ihr mit einer nicht hinlänglich berechtigten Zuversicht vor
genommen.
Wenn es hiernach nicht möglich ist, die vorliegende Abhand
lung für eine gelungene Lösung der Preisaufgabe zu erklären, so ist
doch zu bemerken, dass sich in ihr einige, zum Theil nur in ent
fernterem Zusammenhänge zu dem Ganzen stehende Abschnitte finden,
die, mit sichtbarer Vorliebe bearbeitet, eine hervorhebende Erwäh
nung verdienen, so: die Untersuchung über das gegenseitige Ver
hältnissund dieürheber der aus dem Alterthume überlieferten Lebens
beschreibungen Platon's, die Bemerkungen zur Erklärung und Textes
kritik des Diogenes von Laerte, und die eingehende Discussion der
Nachrichten über Platon’s Reisen. Durch eine nochmalige, streng
sichtende Durcharbeitung würden diese Abschnitte schätzbare ein
zelne Beiträge zu den Untersuchungen über Platon werden können.
III. Abhandlung mit dem Motto:
Sine ira et studio! Nec tarnen sine ira nec sine studio !
Die Abhandlung, 304 Seiten Fol., gibt in ihrem ersten allge
meinen Theil, S. 1 —118, eine Geschichte der Forschungen, welche
in der neuerenZeit seitTennemann über die Zeitfolge derPlatonischen
Dialoge angestellt sind; die Untersuchungen S c h 1 e i e r m a c h e r 's un d
Preisangaben.
441
Hermann’s werden am eingehendsten erörtert, aber alle anderen
Forscher auf diesem Gebiete finden an geeigneter Stelle volle Berück
sichtigung; die genau charakterisirende Darlegung der in den ver
schiedenen Forschungen leitenden Grundsätze enthält zugleich die
principielle Kritik derselben. Die Kritik der einzelnen Ergebnisse der
früheren Forscher, namentlich Schleiermac her’sund Her man n’s,
hat der Verfasser mit dem zweiten speciellen Tlieil (S. 118—304)
verbunden, der seine eigenen positiven Untersuchungen des Gegen
standes enthält. Nach der erforderlichen Fixirung einiger Haupt
momente aus Platon’s Leben, S. 119 — 135, unterzieht der Verfasser
die Zeugnisse über die Echtheit der Platonischen Schriften einer
neuen eingehenden Prüfung, S. 138—212. Um sodann für die mei
sten derjenigen Dialoge, deren Echtheit erwiesen ist, die Zeitfolge
mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, discutirt der Verfasser
zunächst die äusseren historischen Zeugnisse, und zwar nicht nur
diejenigen, welche unmittelbar auf die Schriften Platon’s sich
beziehen, sondern auch solche, die mittelbar zu gütigen Schlüssen
über die Zeitfolge derselben berechtigen, S. 213 — 236; sodann
prüft er die historischen Daten, welche sich aus Platon's eigenen
Schriften zur Bestimmung ihrer Abfassungszeit gewinnen lassen,
S. 237 — 272, und zieht endlich einige der wichtigsten inneren
Beziehungen in Platon’s Schriften in Betracht, die entweder an sich
oder in Verbindung mit den vorher untersuchten äusseren Zeugnissen
einen Schluss auf die Zeitfolge der Abfassung mit Sicherheit zu ziehen
gestatten, S. 272—304.
Die Abhandlung ist in einer Weise angelegt, dass dadurch die
Untersuchung des fraglichen Gegenstandes vollständig umfasst wird,
und zeigt in ihrer gesammten Durchführung die vollkommen freie
Beherrschung des umfangreichen Stoffes Der erste allgemeine Theil
gibt in strenger Objectivität ein scharf und rein gezeichnetes Bild
von der charakteristischen Eigenthümlichkeit der verschiedenen For
schungen auf diesem Gebiete und entwickelt ihren Zusammenhang
unter einander und mit den Bewegungen auf dem philosophischen
Gebiete; dieser Theil würde schon an sich als eine treffliche literar
historische Monographie zu betrachten sein. Die Prüfung der Zeug
nisse für die Echtheit der unter Platon's Namen überlieferten Schriften
bildet durch die Umsicht und den Scharfsinn, mit welchen sie ange
stellt ist, einen werthvollen Zusatz zu den über diesen Gegenstand
29*
442
Preisangaben.
vorhandenen gründlichen Arbeiten. Die Untersuchungen des Ver
fassers über die Zeitfolge der Platonischen Schriften sind unver
kennbar aus dem philosophischen Interesse für eine treue Repro-
duction der Gedanken Platon’s hervorgegangen, und die Frage nach
der Zeitfolge der Schriften wird mit diesem philosophischen Zwecke,
dem ihre Beantwortung zu dienen hat, stets in genauem, die Sache
wesentlich förderndem Zusammenhänge gehalten. Dadurch ist aber
keineswegs eine Zurücksetzung des literarischen Apparates der Unter
suchung veranlasst; vielmehr ist das gesammte, über diesen Gegen
stand vorhandene literarische Material verwerthet (man vermisst fast
nur die Berücksichtigung des von Spengel untersuchten Verhält
nisses zwischen Isokrates und Platon), und dies mit einer Sicher
heit, dass dadurch der Selbstständigkeit der eigenen Forschung
nirgends Eintrag geschieht. — Vor der Publication der Abhandlung
durch den Druck würde allerdings, wie der Verfasser selbst im Vor
worte bemerkt, eine nochmalige Überarbeitung wünschenswerth sein,
da die beschränkte Zeit den Verfasser gehindert hat, manchen
Abschnitten die letzte Feile zu geben. Aber diese unerheblichen,
leicht zu beseitigenden Mängel kommen gegen den wirklichen Werth
der Arbeit nicht in Betracht.
Die Commission hat unbedenklich und einstimmig die vorliegende
Abhandlung als eine gelungene Lösung der gestellten Aufgabe aner
kannt und darauf angetragen, dass derselben der ausgeschriebene
Preis zuerkannt werde.
Dieser Antrag der Commission wurde von der Akademie in ihrer
Gesammtsitzung vom 26. Mai d. J. zum Beschlüsse erhoben, und
demgemäss der Abhandlung mit dem Motto: „Sine ira et studio
etc.“ der Preis zuerkannt.
Bei der Eröffnung des mit demselben Motto bezeichneten ver
siegelten Zettels in der feierlichen Sitzung vom 30. Mai d. J. ergab
sich als Verfassei': Dr. Friedrich Ueberweg, Privat-Docent an
der Universität zu Bonn.
Die Classe beschloss ferner die Ausschreibung einer neuen
philologischen Preisfrage, nämlich der nachstehenden:
Von dem Vulgärlatein oder dem sermo plebeius ist in Autoren,
bei Grammatikern und Glossographen und auf Inschriften eine beträcht-
Preisaufgaben.
443
liehe Summe von Thatsachen erhalten, theils in eigenen Wörtern,
theils in Formbildungen und Structuren solcher Ausdrücke, deren
sich auch die Schriftsprache bediente. Eine umfassende, quellen-
massige Sammlung und Bearbeitung dieses Materiales dürfte einen
erheblichen Beitrag zur Bereicherung der lateinischen Grammatik
und des lateinischen Lexikons ergeben.
In der Untersuchung muss derGesichtspunct möglichst strenger
Sonderung des vulgären von dem Schrift-Gebrauch massgebend
sein; und in dem Vulgären selbst, neben dem was überhaupt als
plebejisch zu gelten hat, auch Rücksicht genommen werden auf das,
was etwa nur einzelnen Provinzen des römischen Reiches eigentüm
lich war. Als Grenzscheide für die Heranziehung von Autoren ist
die Zeit des Justinian zu nehmen.
Eine Umfassung des ganzen hieher gehörigen Materiales würde
für die Sache selbst am wünschenswertesten sein; jedoch kann
unter Umständen auch eine nur auf die Autoren sich beschränkende
Bearbeitung als Lösung der Preisfrage angesehen werden.
Der Termin der Einlieferung ist der 31. December 1862; der
Preis von 126 k. k. Münzducaten wird in der feierlichen Sitzung am
30. Mai 1863 zuerkannt.
Auf Antrag der Classe ist die Ausschreibung dieser Preisfrage
von der Akademie in ihrer Gesammtsitzung vom 26. Mai beschlossen
und in der feierlichen Sitzung vom 30. Mai verkündet worden.
Verzeichntes der eingegangenen Druckschriften.
44S
VERZEICHNISS
DER
EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(MAI.)
Academie imperiale des Sciences, arts et belles-lettres de Dijon,
Memoires. 2 mc serie. Tome VII me . Annee 1858—1839. Dijon
et Paris, 1839; 8°.
— imperiale des Sciences de St. Petersbourg, Memoires. VII“. serie,
Tomei. Nr. 1 —13. St. Petersbourg, 1839, 4°. — Bulletin,
Tomei. Feuilles 1—9. St. Petersbourg, 1839; 4°.
Accademia, Reale, delle scienze di Torino, Memorie. Serie se-
conda. Tome XVIII. Torino, 1839; 4«.
Amsterdam, Verhandelingen der Koninklijke Akademie von Weten-
schappen. Zevende Deel. Met Platen. Amsterdam, 1839; 4°.—-
Afdeeling Letterkunde, Eerste Deel. Mit Platen. Amsterdam,
1838; 4°. — Verslagen en Mededeelingen der Koninklijke
Akademie van Wetenschappen. Afdeeling Natuurkunde. Achtste
Deel, 1838.NegendeDeel, Eerste, tweede, derde Stuk, 1839.—
Afdeeling Letterkunde. Vierde Deel. Eerste Stuk. 1838. Vierde
Deel. Dweede & derde Stuk, 1859. Amsterdam, 1858 & 1859;
8°. —Jaarboek van de Koninklijke Akademie van Wetenschappen.
Gevestigd te Amsterdam. Voor 1858; 8°.
Annuairede 1’ universitö catholique de Louvain, XXI 0 annee, 1857,
XXII 0 annee, 1858, XXIII 0 annee 1859. Louvain; 12».
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Neue Folge. VII. Jahr
gang, Nr. 4. Nürnberg, 1860; 4°.
Archiv des Vereines für siebenbürgische Landeskunde. Neue Folge.
IV. Band, 1. Heft. Kronstadt, 1859; 8°.
446 Verzeichniss
Bern, Universität, Akademische Gelegenheitsschriften. Bern, Lau
sanne und Neuchatel, 1858, 1859 und 1860; 4° und 8°.
Biblioteca di fra Innocenzo Ciulicli nella libreria de’ RR. PP. Fran-
cescani di Ragusa. Zara, 1860; 8°.
Bi er e n s de Haan, D., Geschiedkundige Aanteekening over zoogenaamd
onbestaanbare Worteis. (Overgedrukt uit Verslagen en Mede-
deelingen der Koninklijke Akademie van Wetenschappen, Af-
deeling Natuurkunde. Deel VIII, bladzijde 248.) 8°.
Bonn, Universität, Akademische Gelegenheitsschriften für 1859.
Bonn, 1858 und 1859; 4° und 8°.
Codex diplomaticus Silesiae. II. Band. Breslau, 1859; 4°.
Gesellschaft der Wissenschaften, königl. böhmische in Prag,
Sitzungsb. Jahrgang 1859. Juli bis December. Prag, 1859; 8°.
— Deutsch - Morgenländische , Abhandlungen für die Kunde des
Morgenlandes. I. Band, Nr. 1 und 2. Leipzig, 1857; 8°. —
Zeitschrift. XIV. Band, 1. und 2. Heft. Leipzig, 1860; 8°.
Giessen, Akademische Gelegenheitsschriften der Universität aus
den Jahren 1858, 1859 und 1860.
Göt tinge n, königl. Gesellschaft der Wissenschaften, Abhandlungen.
VIII. Band, von den Jahren 1858 und 1859. Mit 1 Tafel. Göt
tingen, 1860; 4°.
Istitut o Lombardo R. di scienze, lettere ed arti, Atti Vol. I. Fase.
XIII.—XX. Milano, 1860; 4». — Memorie. Vol. VIII. Fase.
I. Milano, 1859; 4«.
Jahresbericht, Sechster, des germanischen Nationalmuseums zu
Nürnberg. Nürnberg, 1860; 4°.
Löwen, Universität, Akademische Gelegenheitsschriften aus den
Jahren 1857, 1858 und 1859; 8».
Martin, Rene d'Angers, Memoire sur le Calendrier Musulman et
sur le Calendrier Hebraique. l re Partie. Paris, 1857; 8°.
Mittheilungen der k. k. Central-Commission zur Erforschung und
Erhaltung der Baudenkmale. V. Jahrgang.—Mai. Wien, 1860;4°.
Morlot, A., Recherches sur les habitations lacustres des environs
d’ Estavayer. (Extrait des Memoires de la Societe des antiquaires
de Zürich. Tome XIII.)
Müller, Johannes,Dr., Über Alterthümer des ostindischen Archipels,
insbesondere die Hindu-Alterthümer und Tempelruinen auf Java,
Madura und Bali. Mit 21 Kunstbeilagen. Berlin, 1859; 8°.
der eingegangenen Druckschriften.
447
Ram, De, Considerations sur l’histoire de l’universite de Lauvain.
(1425—1797.) (Discours prononce a la seance publique de
la classe des Lettres de l’Academie royale de Belgique,
le 10 Mai 1854.)
Romanin, S., Storia documentata di Venezia. Tomo VRI.— Parte
I. & II. Venezia, 1859; 8».
Societe litteraire de l'Universite catholique de Louvain, Choix de
Memoires. VII. Bruxelles & Louvain, 1857; 8°.
Society, Royal asiatic, of Great Britain and Ireland, Journal. Vol.
XVII. Part. 2. London, 1860; 8».
Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens.
II. Band, 2. Heft. Breslau, 1859; 8°.
Zimmermann, Dr. Robert, Schiller als Denker. Ein Vortrag zur
Feier seines 100jährigen Geburtstages, in der ausserordentlichen
Sitzung der k. böhm. Gesellsch. der Wissensch. am 10. Nov. 1859.
Prag, 1859; 4».
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