SITZUNGSBERICHTE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
VIERUNDZWANZIGSTER BAND.
WIEN.
AUS DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
IN COMMISSION BEI KARL GEROLD’S SOIIN, BUCHHÄNDLER DER KAIS. AKADEMIE
DER WISSENSCHAFTEN.
1837.
SITZUNGSBERICHTE
DER
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN CLASSE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
VIERUNDZWANZIGSTER RAND.
Jahrgang 1857. Heft I und II.
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WIEN.
AUS DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
IN COMMISSION BEI KARL GEROLD’S SOHN, BUCHHÄNDLER DER KAIS. AKADEMIE
DER WISSENSCHAFTEN.
1857.
300122
►
■
INHALT.
Seite
Sitzung’ vom 10. Juni 1857.
Miklosich, Über die Bildung der Nomina im AUslovenischeu
Maassen, Beiträge zur Geschichte der juristischen Literatur des Mittel-
Is
alters , insbesondere der Decretisten-Literatur des zwölften Jalir-
4
Sitzungen vom 17. und 24. Juni 1857.
/ Aschbach, Über römische Kaiser - Inschriften mit absichtlichen aus dem
Alterthum herriihrenden Namentilgungen
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften
Sitzung vom 8. Juli 1857.
I stoegmann, Über die Briefe des Andrea da Burgo, Gesandten König Ferdi
nande an den Cardinal und Bischof von Trient, Bernhard Cles . .
■ Kenner, Die Roma-Typen (Mit I Tafel)
Sitzung vom 15. Juli 1857.
tcrgmunn, Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert, mit
besonderem Hinblicke auf das k. k. Münz- und Medaillen-Cabinet in
Wien. II. (Mit i Tafel) .
Sitzung vom 22. Juli 1857.
Phillips, Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle. I
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften. ...
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SITZUNGSBERICHTE
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOP HIS CH- H IST OR ISCHE CL ASSE.
XXIV. BAND. I. HEFT.
JAHRGANG 1857. JUNI.
l
SITZUNG VOM 10. JUNI 1857.
Das bisherige correspondirende Mitglied im Inlande, Herr Prof.
Schleicher, zeigt seine Übersetzung nach Jena als Professor der
vergleichenden Sprachkunde und deutschen Philologie an.
Prof. Mi kl osich legt eine Abhandlung vor über die Bildung
der Nomina im Altslovenischen, in welcher der Versuch gemacht
wird, das seit dem Erscheinen von Dobrovsky's Institutionen
(1822) angewachsene Material auf eine dem heutigen Stande der
Wissenschaft entsprechende Weise zu bearbeiten. Was die Anord
nung des Stoffes betrifft, so werden zuerst die aus blossen Vocalen
bestehenden Suffixe erwogen, worauf die Consonanten enthaltenden
in jener Ordnung folgen, in welcher sie in des Verfassers vergleichen
der Grammatik der slavischen Sprachen behandelt werden. Bei den
selteneren Suffixen sind alle mittelst derselben gebildeten Formen
angeführt worden; bei den häufiger vorkommenden eine Anzahl
derselben, die die Mitforscher in den Stand setzt, des Verfassers
Ansichten hinsichtlich der Bildung sowohl als der Bedeutung zu
prüfen. In einem kurzen Anhänge wird von den Suffixen der Adverbia
gehandelt.
4
F r ie d r i c h M nassen.
Beiträge zur Geschichte der juristischen Literatur des Mittel
alters , insbesondere der Decretisten - Literatur des zwölften
Jahrhunderts.
Von Hin. Dr. Friedrich Maassen,
a. o. Professor des römischen Rechts in Innsbruck.
Einleitung.
Savigny hat durch seine Geschichte des römischen Rechts
im Mittelalter in eine der anziehendsten und folgenreichsten Epochen
welche die Rechtsgeschichte aufweist, indieHeimath unserer heutigen
civilistischen Jurisprudenz, uns wieder eingeführt. Es ist auffallend,
dass trotz der unendlich bedeutenden durch dieses Werk gegebenen
Anregung ein mit dem unmittelbaren und nächsten Gegenstände
seiner Darstellung in vielfacher Reziehung verwandter Zweig der
Literargeschichte verhältnismässig so wenig Bearbeitung gefunden
hat. Der Zusammenhang der beiden Glossatorenschulen ist kein blos
äusserer. Wie das Entstehen der Schule der Legisten in Bologna
den Anstoss gegeben hat zur Bildung der Schule der Decretisten, so
haben die beiden Schulen fortwährend in der innigsten Beziehung
und Wechselwirkung gestanden. Die Schüler waren stets dieselben;
später häufig auch die Lehrer; aber auch bevor dies der Fall war,
wurden doch die Lehrfächer beider Schulen bereits als Tlieile einer
und derselben Wissenschaft betrachtet. Das eben ist das Werk
Bologna’s. Nicht blos die äussere Methode der Behandlung war
die gleiche, sondern, wie auf der einen Seite die Lehrer des cano-
nischen Rechts die juristischen Grundbegriffe und Denkformen dem
römischen Recht entlehnten und für die Wissenschaft des canoni-
schen Rechts fruchtbar zu machen suchten, so konnten anderseits
die Legisten den auf dem Grunde der Kirche erwachsenen neuen
materiellen Rechtsanschauungen, dem Geist der aequitas des canoni-
sclien Rechts, wie er genannt wurde, sich nicht entziehen. Dass
über manche Fragen ein Meinungsstreit nicht ausblieb, beweist nur
um so mehr den lebendigen Verkehr, in dem beide Schulen mit ein
ander standen.
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
s
Die Glossatoren des canonischeu Rechts haben, wenn man will,
in einer gewissen, einer äusseren Beziehung eine noch einflussrei
chere Bedeutung gehabt als die des römischen Rechts. Das römi
sche Recht ist ein abgeschlossener Stoff 1 . Die Aufgabe der Wissen
schaft ist es, diesen Stoff geistig zu durchdringen. Ist nun die
wahre Jurisprudenz freilich zugleich stets productiv, und war es
namentlich die Aufgabe der Glossatoren, die neu erwachte Wissen
schaft des römischen Rechts auch für das Leben nutzbar zu
machen und die theilweise wesentlich veränderten ^tatsächlichen
Voraussetzungen auf ihren juristischen Begriff zurückzuführen, so
ging ihnen doch ein höchst wichtiges Mittel für die Einwirkung auf
das Leben ab, welches den Canonisten zu Gebote stand. Das Organ
welches die Resultate der wissenschaftlichen Bestrebungen der letz
teren dem Leben zuführte, war die päpstliche Gesetzgebung 1 )-
Der Inhalt dieser zu jener Zeit äusserst fruchtbaren Rechtsquelle ist
das geistige Erzeugnis der Glossatorenschule zu Bologna. Übrigens
tritt auch hier der Zusammenhang beider Schulen wieder hervor.
Für alle Fragen welche das Civilrecht zugleich berühren, ist eine
Grenze zwischen dem Einfluss der Decretisten und dem der Legisten
gar nicht zu ziehen.
Die Arbeiten der Glossatoren des canonisehen Rechts haben
noch gegenwärtig auch für das Civilrecht, seine Dogmenge
schichte sowohl als seine Dogmatik, eine nicht gering anzuschla
gende Bedeutung. Da es diese Seite ist, die den Verfasser der
gegenwärtigen Beiträge zunächst zu den Studien geführt hat, von
denen er hier eine unbedeutende Ausbeute vorlegt, so wird es gestattet
sein, auf diesen Gesichtspunct etwas näher einzugehen.
Das canonische Recht ist in vielfachen Bestimmungen einBestand-
theil des gemeinen deutschen Civilrechts geworden.
Wie? ist eine interessante, aber nicht leicht zu beantwortende Frage,
auf die es hier nicht ankommt. Die Thatsache steht ausser Zweifel.
Wichtige Institute des Privatrechts sind durch den Einfluss des
canonisehen Rechts wesentlich modificirt worden, vor allem aber
beruht der Civilprocess auf Grundsätzen des canonisehen Rechts.
A ) Dass ein ähnliches Verhältnis der Glossatoren des römischen Rechts zur kaiser
lichen Gesetzgebung- wiinschenswerth oder auch nur möglich gewesen wäre, soll
gewiss nicht behauptet werden.
6
F r i e d r i c h Maassen.
Das Corpus juris canonici ist daher eine Quelle des in einem grossen
Theil von Deutschland noch gegenwärtig geltenden gemeinen Civil-
rechts. Zwei der tüchtigsten Juristen des vorigen Jahrhunderts, Chri
stian Tomasius und Justus Henning Böhmer, heben aus diesem
Grunde bei jeder Gelegenheit aufs Nachdrücklichste die Nothwen-
digkeit des canonistischen Studiums auch für den Civilisten hervor.
Die wichtigste Stelle in dieser Beziehung nehmen unter den
Bestandtheilen des Corpus juris die Decretalensammlungen ein. Man
würde sich aber täuschen, wenn man glaubte, dass der Dogmatik der
durch das canonische Recht berührten Institute des Civilrechts mit
einer blossen Kenntniss des unmittelbaren, wörtlichen Inhaltes der
Quellen genügt wäre. In viel geringerem Masse als für das römische
Recht reicht hier die Kenntniss des Gesetzes hin, aus dem einfachen
Grunde, weil hier nicht, wie in den römischen Reehtst|uel!en, der
grösste Theil selbst wissenschaftliche Entwickelung ist.
Für das Verständniss der Decretalen als Quellen des gemeinen
Civilrechtes ist erforderlich einmal das Zurückgehen auf das frühere
canonische Recht, namentlich das Decret, dann aber auch, und zwar
vor allen Dingen, auf die früheren Glossatorenschriften.
Ich glaube nun nicht zu weit zu gehen, wenn ich der Ansicht
bin, dass es für den letzteren Zweck noch an vielem nothwendigen
gebricht 1 ). Es würde mir nicht ziemen, S a rti’s grosse Verdienste
noch hervorheben zu wollen. Aber was Savigny über die Bedeu
tung seines Werks für die eigentliche Literargeschiehte sagt, das
gilt ebensowohl für die Glossatoren des canonischen Rechts als für
die des römischen. In dieser Beziehung hat Sarti den grössten Theil
der Arbeit zurüekgelassen. Für Einen Zweig, die ordines judiciarii,
ist allerdings in der neuern Zeit verhältnissmässig viel geschehen 2 ) ;
1 ) Es bedarf nicht der ausdrücklichen Erwähnung, dass es nicht die Aufgabe von Hand-
und Lehrbüchern sein kann, hier Detailforschungen zu liefern.
2 ) Sa vigny an verschiedenen Stellen seiner Rechtsgeschichte, ferner Incerti auctoris
ordo judiciarius (Ulpianus de edendo), ed. Haenel 1838. — Bartoli de Saxoferrato
Iractatus de online judiciorum, ed. Martin 1838. — Anecdota, quae processum
civilem spectant, Bulgarus, Damasus, Bonaguida , edid. Ag. W u n d e r 1 i ch 1841.
— F. Bergmann, Dissert. de libello, quem Tancredus Bonon. de judiciorum ordine
composuit. 1838. (Recension von Wunderlich in den kritischen Jahrbüchern
für deutsche Rechtswissenschaft, B. 9,1841, S. 229—233.) — Pillii, Tancredi, Gratiae
libri de judiciorum ordine, ed. F. Bergmann 1842. — W u nd e r I i c h, Beiträge zur
Literargeschiehte des Processes im XII. und XIII. Jahrhundert, Zeitschr f. geseh.
Rechtswissenschaft, Bd. 11, 1842, S. 73—98. — Rudorff, Über den Processus
Beiträge zur juristischen Literargesehichte des Mittelalters.
7
aber nicht einmal die Processliteratur ist in den ordines allein
enthalten. Es gilt auch hier, wie überall in der Wissenschaft, den
Blick auf den Zusammenhang der Theile mit dem Ganzen gerichtet
zu haben, wenn auch die Arbeit selbst sich unter Verschiedene
vertheilt.
Der Verfasser wurde bei der Beschäftigung mit einer grösseren
literarischen Arbeit auf dem Gebiete des Civilrechts, bei der die
Verbindung beider Rechte wesentlich in Frage kommt, auf die älte
sten Glossen und Commentare des Decrets zurückgeführt. Er musste
liier aber bald die Wagner’sche Entdeckung machen, dass es seine
Schwierigkeiten habe, zu den Quellen zu steigen, und dass eine er
schöpfende Beantwortung der Fragen: auf welche Werke es ankomme,
wo sie zu finden seien, und in welchem Zeitverhältnisse sie zu ein
ander ständen, soweit dieselbe überhaupt möglich, wohl gar grössere
Arbeit in Anspruch nehmen werde, als die Erreichung des ursprüng
lichen und eigentlichen Zwecks. Was von der Glossa ordinaria
rückwärts liegt, ist, sobald es sich nicht blos um einige Notizen über
diePersonen der Glossatoren, sondern auch um ihre Schriften handelt,
zum grossen Theil terra incognita 4 ). Es blieb daher nichts Anderes
übrig, wenn ich meinen Zweck nicht ganz aufgeben wollte, als den
Versuch zu machen, so gut es eben gehen wolle, mir die Hilfsmittel
lierbeizuschafFen. Ich habe sehr bald Grund gehabt, über den gefassten
Entschluss herzlich froh zu sein. So gering die Anziehungskraft ist,
welche das Studium der juristischen Literatur der meisten späteren
Jahrhunderte auf uns zu üben im Stande ist, so mächtig ist der Reiz
den die Beschäftigung mit dieser Jugendperiode unserer Juris
prudenz gewährt, in der an die Stelle eigener Gedanken noch nicht
allgemeine Denkscliablonen getreten und doch die einzelnen Leistungen
unter eine gemeinsame, objective Regel gebunden sind, welche die
Literatur vor Zerfahrenheit, die Schriftsteller vor falscher Originalität
bewahrt.
juris des Johannes Andrea, Zeitschr. f. gesell. Rechtsw. ebendas. S. 99 — 109.
— M. Ricardi Anglici ordo judiciarius, ed. Witte 1853. — F. Kunstmann. Über
den ältesten ordo judiciarius u. s. w., Kritische Überschau, R. 2, 1834, S. 10—29. —
Joan. Andreae summula de processu judicii, ed. Wun d er lieh, 1840. — L. Rock-
i n g er, Über einen ordo judiciarius, bisher dem Johannes Andrea zugeschrieben, 1833.
— Von dem Verfasser der zuletzt genannten Schrift sind umfassendere Veröffentli
chungen über die ordines judiciarii in Aussicht gestellt, die Tüchtiges erwarten lassen.
*) In Phi 11 i ps’ Kirchenrecht, ß. 4, S. 167—179, wird in gewohnter anziehender Dar
stellung eine Übersicht des gegenwärtigen Standes der Literatur gegeben.
8
Friedrich M a a s s e n.
Ich bin ermuthigt worden, was mir auf diesem Wege Mitthei-
lenswerthes begegnet ist und noch begegnet, in einzelnen Beiträgen
zu veröffentlichen und habe mich dieser Aufforderung nicht entziehen
zu sollen geglaubt.
Savigny macht in der Einleitung zum vierten Bande seiner
Rechtsgeschichte die Bemerkung: wer sich literarhistorischen Arbeiten
widme, dürfe sich nicht verhehlen, dass dieselben im Ganzen nur
wenig Ansehen genössen. Dieses Bedenken, soweit es allgemeiner
Natur, ist durch das classische Werk dessen der es aufgeworfen,
für alle Zeiten gründlich gehoben. Dafür könnte aber wiederum ein
Bedenken besonderer Art durch eben dieses Werk veranlasst zu
sein scheinen, nämlich, ob es nicht ein anmassendes und zugleich
ein undankbares Unternehmen für einen Schriftsteller sei, sieh mit
der winzigen Kraft an demselben Stoff zu versuchen, an dem der
grosse Meister so Unvergängliches geleistet hat. Beschwichtigt wird
dies Bedenken durch die Erwägung, dass es in diesem Falle nicht
mehr begründet ist, als da, wo es sich um die Erörterung rechts
dogmatischer Fragen handelt. Es würde von einer durchaus irrigen
Auffassung zeugen, wenn man die Bedeutung Savigny’s für die
Rechtswissenschaft auf ein Gebiet oder auf eine Richtung beschrän
ken wollte. Es ist schwer zu entscheiden, oh sein Einfluss auf die
tiefere historische Begründung oder auf die wahrhaft praktische
Erfassung der Aufgaben der Bechtswissenschaft höher anzuschlagen
ist. Wie beides der Idee nach nicht verschieden, sondern ein und
dasselbe ist, so sind diese beiden Seiten in seiner Persönlichkeit,
wie nie zuvor in einer andern, in wunderbarer Harmonie vereinigt.
Mit dieser grossartigen Begabung hat er unsere Jurisprudenz um-
gestaltet und neue Grundlagen für sie geschaffen. Für lange Zeit
hinaus ist jede Bestrebung auf diesem Gebiete, jeder Fortschritt
der dies in Wahrheit sein soll, nur unter der Voraussetzung mög
lich, dass sie an ihn, bewusst oder unbewusst, anknüpfen und in
seinem Geist geschehen. Wer aus Mangel an Verständniss oder
aus falschem Selbstgefühl andere Bahnen einschlägt, der wird
über kurz oder lang die Erfahrung machen, dass er Miihe und
Kunst vergeblich aufgewandt habe. Es wird nicht oft einer Wis
senschaft das Glück zu Theil, dass sich ihr Genius so erschöpfend
in eine Persönlichkeit senkt. Freuen wir Juristen uns dieses
Glücks.
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
9
Von Anmassung könnte daher nur dann die Rede sein, wenn es
sieh um etwas Anderes handelte, als um den Wunsch des geringsten
Schülers, nach Andern einige Beiträge zu dem Werke desjenigen zu
liefern, der auch das kleine für die Wissenschaft zu schätzen weiss.
Dass aber die Arbeit nicht ganz nutzlos sei, dafür ist eben dadurch
am besten gesorgt, dass es möglich ist, sie in Beziehung zu dem
Werk des grossen Rechtslehrers zu setzen.
Ich kann nicht umhin, hier der grossartigen Liberalität zu
gedenken, mit der die hohe k. bairische Regierung auf die
hochgeneigte bereitwilligste Verwendung der k.k. Gesandtschaft,
ebenso die Vorstände der Münchner und Bamberg er Bibliotheken
die Benützung der dortigen Handschriftenschätze, sowohl an Ort
und Stelle, als auch in Innsbruck, mir gestattet haben und noch
gestatten.
Nicht minder bitte ich Herrn Prof. Kunst mann in München um
freundliche Nachsicht, wenn ich der grossen Güte und seltenen Unei
gennützigkeit erwähne, mit welcher derselbe nicht blos mit seinen
bedeutenden Kenntnissen der Münchner reichen Handschriftensamm
lung mir zu Hilfe gekommen, sondern auch Handschriften, in denen
er selbst arbeitete, mir zum Gebrauch überlassen hat.
Auf der hiesigen k. k. Universitätsbibliothek befindet
sich die früher dem Stift der regulirten Augustiner Chorherren zu
Neustift gehörige schöne Incunabelnsammlung 1 ), die mir treff
lich zu statten gekommen ist. Unter den Innsbrucker Handschriften
befinden sich verschiedene auf die Glossatorenzeit bezügliche. Für
den gegenwärtigen Beitrag ist unmittelbar nur eine derselben, die
wichtigste, benutzt.
*) Sie ist beschrieben in dem Verzeichniss typographischer Denkmäler aus dein fünf
zehnten Jahrhundert, welche sich in der Bibliothek des u. s. w. zu Neustift in Tirol
befinden. Brixen 1789, 2 Bde.
in
I*' r i e (I r i c h M a as.se n.
Erste Abtheilnng.
Einzelne Glossatoren und Glossatorenschriften.
I. Die Glosse des Cardinulis.
1. Der Cardinalis ist unter den alten Glossatoren des
Decrets einer der am wenigsten bekannten. Johannes Andrea
bemerkt in seinen Zusätzen zum Speculum judiciale des Durantis
nur, dass er in der Glossa ordinaria einigemal angeführt
werde 1 ). Sarti erwähnt noch, dass Huguccio einen Cardinal
citire, dessen Name unbekannt sei 3 ). Von Neueren wird er nicht
mehr genannt.
Aus der grossen Summa des Huguccio über Gratian’s
Decret 3 ) gewinnen wir aber bald die Überzeugung, dass es sich
hier um eine keineswegs untergeordnete Persönlichkeit der alten
Glossatorenschule handle. Nicht blos dass er häufig genannt wird,
aus der Art wie er genannt wird, bald als Wortführer Anderer,
die als quidam alii bezeichnet werden, bald er allein im wissenschaft
lichen Gegensatz zu allen übrigen, vor allem aber aus dem Inhalt
der Mittheilungen aus seinen Glossen erkennen wir, dass uns in dem
Cardinalis ein in hohem Grade selbständiger juristischer Schrift
steller gegenübersteht.
Es war mir daher interessant, auf der hiesigen k. k. Uni
versitätsbibliothek eine Handschrift von Gratian's Decret mit
ziemlich zahlreichen Glossen des Cardinalis zu finden. Da ich
auf diese Handschrift häufiger zurückkommen werde, so wird es
zweckmässig sein, gleich hier ausführlicher auf sie einzugehen.
2. Cod. Oenipont. N. 90. memhr. saec. XIII. oder XIV. 277
Blätter, enthält von Fol. 10 bis Fol. 271 ein an einigen Stellen lücken
haftes Decretum Gratiani. Das hohe Alter des Texts ergibt sich
A ) Bei Savignv, G. d. r. R. i. M. B, 3, S. 634,
2 ) (Sarti et Fattorini) De Claris archigymn. Bonon. professoribus. P. I, p. 300.
Die von mir benutzten Handschriften sind Cod. lat. Monac. 10247 (Pal. M. 247)
und Cod. Bamberg. P. II, 23. Näheres über das Werk selbst und diese Handsehr.
s. m. u. §. 16—23.
Beiträge zur juristischen Literargeschiehte des Mittelalters.
1 !
aus der sehr geringen Zahl der Paieä. Die Zahl der als Paieä zu
bezeichnenden Capitel in dem uns überlieferten Text des Decrets
steht nicht ganz fest. Auch Bi ck e 11‘) und Richter 2 ) stimmen
nicht völlig überein. Wenn ich recht gezählt habe, was ich
glaube, so bezeichnet der erstere 12 Stücke nicht als Paieä,
denen Richter diese Eigenschaft beilegt 3 ); umgekehrt führt Rir-
kell 8 Stücke als Paieä auf, die von Richter nicht so genannt
werden 4 ). Wenn aber neben den von ihnen gemeinsam angenom
menen diese 20 Capitel ebenfalls als Paieä gelten, so ergibt sich
die Totalsumme von 162 Paieä. Von diesen lässt sich bei 12 nicht
mehr entscheiden, ob sie in der Handschrift waren oder nicht, weil
die Blätter fehlen 5 ). Von den übrig bleibenden 150 Paieä sind in
den Text selbst nur 10 Stücke aufgenommen, einige sind später
an den Rand geschrieben. Von diesen 10 Capiteln aber hat schon
Huguccio folgende 6 in seinem Commentar berücksichtigt: c. 7.
Dist. XXVII o), c. 82. Dist. LXIII.q, c. 12. Dist. XCV1. 3 ), c . 6. C. 1.
! ) Bickel I, De Paleis, quae in Gratiani Decreto inveuiuntur. Marburg 1827. Diese
für die Frage der Paieä unentbehrliche kleine Schrift (sie erschien in einem von
ihrem Verfasser und Hupfeid herausgegebenen Festprogramm) ist nicht in den
Tauschverein der deutschen Universitäten gekommen und daher sehr selten.
2 ) In seiner classischen Ausgabe des corpus juris canonici.
3 ) C. 3. Dist. XV. Inde a §. 17 (cf. Praef. Richter I. c. not. 19). — c. 9. Dist. XLIV.
— c. 47. Dist. L. — c. 12. Dist. XCVI. — c. 17, 23. C. II. q. 6. — c. 45. C. XI. q. 1.
Inde a v. „In criminalibus“ — „debet“. — c. 19. C. XXII. q. 5. — c. 25. C. XXIII.
q. 8. — c. 22. C. XXIV. q. 3. — c. 11. C. XXXVI. q. 2. Inde a v. „Item Cod.“ —
c. 22. Dist. IV de cons.
i ) C. 6. C. I. q. 4. — c. 29. C. II. q. 6. Inde a v. „Dies“ — „erit“. — c. 2. C. VI. q. 5.
— c. 1. C. VII. q. 1. Inde a v. „atque id.“ — „veniat“. — c. 11. C. VII. q. 1. Inde
a v. „absque“ — „conjungat“. — c. 3. C. XVI. q. 7. — c. 13. C. XX. q. 1. — c. 2.
C. XXXII. q. 7. Inde a v. „manenle“ — „viro“.
5 ) C. 2, 17, 23, 29. C. 2. q. 6. — c. 7. C. II. q. 7. — c. 14. C. III. q. 5. — c. 6. C. III.
q. 6. — c. 7. C. III. q. 9. — c. 2. C. IV. q. 2. — e. 2. C. VI. q. 5. — c. 1. C. VII.
q. 1. — C. 11. C. VII. q. 1.
6 ) Wird von Hug. commentirt, aber nicht als Palea bezeichnet. Dass dies Cap. von
Pauca palea selbst hinzugefügt ist, ergibt eine anonyme Summa des Decrets der
Bibliothek zu Bamberg (P. II. 26.), in der es heisst: „Hoc apposuit pauca
palea usque ad finem“. In dieser Summa sind noch keine Decretalen citirt.
7 ) Wird von Hug. angeführt, aber nicht als Palea bezeichnet. Steht in der Bamber-
ger Summa ebenfalls ohne diese Bezeichnung.
8 ) Wird von Hug. nicht als Palea bezeichnet. Ebenso wenig in der B amberg er
Summa, in der nur die beiden folgenden Capitel dem Paucapalea zugeschrieben wer
den mit den Worten; „Nun quam. Post hoc decretum, quod sequitur in quibusdam
libris de privilegio Constantini usque ad illud decretum Sieut quam vis etc., a
12
Friedrich Maassen.
q. 4. ‘)> c - 8- 0. II. q. 1. c. 9. C. II. q. 1. 3 ). Es bleiben noch
c. 2. Dist. LVI., c. 31. Dist. LXIII., c. 3. C. XVI. q. 7., c. 11.
C. XXXVI. q. 2. Auch diese 4 Capitel, soweit ihnen überhaupt die
Eigenschaft der Paleä zukommt, sind mindestens schon sehr früh
in den Text des Decrets übergegangen 4 ).
Fol. 1 — 10 enthält ein von derselben Hand und in derselben
Weise wie das Decret selbst geschriebenes Summarium oder
Breviarium des ersten und zweiten Theiles, welches ohne Über
schrift mit den Worten anfängt: „In prima parte agitur de justitia
naturali et positiva tarn constituta quam inconstituta“. Dasselbe Surn-
marium steht in allen Handschriften des Decrets der Münchner
k. Hof- und Staatsbibliothek, fünf an der Zahl, in denen ent
weder gar keine Glossen sind, oder in deren Glossen keine Decre-
talen citirt werden 5 ). In Cod. lat. Monac. 13004 hat es den Titel
Claves titulorum de concordia canonum discordantium.
paucapalea dicitur appositum, et quidam libri habent hoc in loco, qui-
dam alibi.“
*) Wird von Ifug. nicht als Palea bezeichnet und in der Bamberg er Summa ebenfalls
ohne Zusatz commentirt.
2 ) Wird von Ilug. mit dem vorausgehenden Cap. verbunden und nicht als Palea
bezeichnet.
;} ) Wird von II u g. als Palea bezeichnet.
4 ) Zu c. 2. Dist. LVI. wird von den Corr. Romani bemerkt, dass es in alten Hand
schriften des Decrets ohne die Bezeichnung als Palea sich finde; c. 31. Dist. LXIII.
steht nach Bickel I 1. c. auch in einer Marburger Handschrift des Decrets, die
nur fünf Paleä hat; c. 3. C. XVI. q. 7, welches Richter nicht zu den Paleä zählt,
wird in der ßamberger Summa commentirt; c. 11. C. XXXVI. q. 2 bezeichnet
Richter (theilweise) als Palea, weil es in ed. Basil. 1481 nicht steht, Bickel 1
dagegen nicht; es hat daher präsumtiv in keiner von dem letzteren unmittelbar oder
mittelbar benutzten Handschrift gefehlt.
5 ) 1. Cod. lat. 17161 (Scheftl. 161) membr. saec. XII. ohne alle Glossen, nur einigemal
zwischen den Zeilen Anführung abweichender Lesarten und am Rande einige Paleä.
Es ist dieselbe Münchner Handschrift, die Bickell für sein Verzeichniss der Paleä
benutzt hat, wie aus der Notiz zu erkennen, dass in dem Deckel dieser Handschrift
die constit. Frideric. an. 1187: „Decet fidelitati nostrae“ (jetzt Pertz, T. IV, p. 183)
sich befinde. — 2. Cod. lat. 13004 membr. saec. XIII. oder XIV. (vorzugsweise schöne
Handschr.). Die Glossen bestehen fast nur in Parallelstellen. Die Digesten werden
durch das verzogene D mit dem Querstrich bezeichnet. — 3. Cod. lat. 23351 meinbr.
saec. XIII. Bis zur C. XII sind Glossen. Von der Dist. XXV. bestehen sie jedoch nur
in Parallelstellen. — 4. Cod. lat. 18096 (Teg. 96) inembr. saec. XIII. oder XIV. mit
spärlichen Glessen, grösstentheils nur Parallelsteilen. — 5. Cod. lat. 4505 (ßene-
dictob. 5) membr. saec. XIII. mit häufigeren Glossen. Das Summarium steht hier
nicht in ununterbrochenem Zusammenhänge, sondern vor der P. I. und später vor
jeder einzelnen Causa das betreffende Stück. Auch vor P. III. de consecratione steht
hier ein Summarium.
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
1 Q
J o
Von Fol. 271 bis Fol. 273 ist ein kurzes, wie es scheint, von
anderer Hand geschriebenes Inhaltsverzeichniss zum Decret. Unmittel
bar an dieses schliesst sieh ein Anhang von Canonen und Decretalen,
deren jüngste von Alexander III. sind, den Schluss bildet das
Concil. Lateran. III. an. 1179, beide von verschiedenen Händen
geschrieben •).
Die Glossen sind (mit grosser Zierlichkeit) theilsan den Rand,
theils zwischen die Zeilen geschrieben. Die erste Glosse lautet so:
„Materia sunt canones. Intentio G. est ipsos canones in quibuslibet
locis vage passimque dispersos in concordi dispositione componere et
eorum contrarietates cum interjectis distinctionibus ad concordiam
revocare. Partitur autem opus hoc in tres partes. In prima de minis-
teriis, in secunda de negotiis ecclesiasticis, tertia desacramentis per-
tractat. Tractaturus ergo de jure canonico altius quasi rete ducto
expandit iter operi sumens initium sui operis a jure naturali, ejusdivi-
siones et subdivisiones assignans a ).
Unter den Glossen sind die Brocardica indem ursprünglichen
Sinn dieses Worts s ) sehr häufig 4 ); sie werden durch eine auf
fallende Schreibweise besonders hervorgehoben 5 ).
Für das Alter der Glossen gewährt einen, wenn auch nur
negativen, so doch sehr sicheren Anhaltspunct der Umstand, dass
1 ) Über diesen Anhang- siehe man unten g. 38—40.
2 ) Ähnliches kommt im Eingänge verschiedener alten Summa des Decrets vor. Wört
lich gleichlautend steht die Stelle von „Tractaturus ergo“ in einer anonymen Summa
der Münchner Hofbibliothek (cod. lat. 16084).
3 ) Man vergl. Savigny a. a. 0. ßd. 3, S. 367.
4 ) ß e i s p i el e: c. 18. C. II. q. 1: „Neminem accusatorem simul esse debcre et judicem.“
— c. 13. C. II. q. 5: „Ubi reus publica fama laborat, judicem accusatoris oflicio fungi.“
— c. 11. C. II. q. 3: „Oh vitandum scandalum spoliato ante judicium restitutionem
denegari.“ — c. 1. C. XV. q. 7: „Sine coneiiii examine presbyter deponi non potest.“
— c.2. C. XV. q. S: „Poena confitentis in arbitrio est praesidentis.“ — c. 12. C. XVI.
q. 1: „Proventum decimarum jure proprietatis non lolli.“ — c. 13. C. XVI. q. 3 :
„Episcopi negligentiam ecciesiae praejudicium inferre.“ — c. 3. C. XVI. q. 6: „De-
lictum personae in damnum ecciesiae non debet converti.“ — c. 9. C. XVI. q. 7:
„Columbas vendere est ecclesias indisciplinatis episcopis tradere“ u. s. w.
5 ) Der erste Buchstabe ist eine rothe Initiale, jede spätere Zeile wird gegen die unmittel
bar vorausgehende bedeutend eingeriiekt, so dass die letzte Zeile häufig nur aus
einem Buchstaben besteht; die Zuspitzung nach unten wird durch eine Arabeske
vollkommen gemacht. Ähnliches habe ich im Cod. lat. Monac. 4303 (Benediclob.
3) und Cod. lat. Monac. 18096 (Teg. 96) gefunden. M. s. v. S. . Not. 3.
14
Friedrich Maasseu.
ausser einem Canon des concil. Turon. an. 1163 i ) kein einziges
nachgratianisches Stück citirt wird. Dies wäre unmöglich, wenn die
Glosse nach dem Erscheinen des Breviarium extravaganliuin geschrie
ben wäre. Es kommt freilich einmal der Ausdruck Ex tra vagan te
vor. In dem Dictum Gratiani c. 7. C. XIII. q. 2 wird auf eine
Decretale Leo’s IX (1048—1054) Bezug genommen, die nicht im
Decret sich findet, in die Comp. I. aber aufgenommen ist 2 ). In
unserer Handschrift steht zu dieser Stelle am Rande die Bemerkung:
„Extravagans“ s ). Dass damit eine Beziehung auf die Comp. I. aus
gedrückt sei, würde nur dann nothwendig angenommen werden
müssen, wenn Ber nardus Papiensis der Erfinder jener Bezeich
nung wäre. Dies ist aber mit Gewissheit nicht der Fall. Von Glossa-
toren des römischen Rechts wird dieser Ausdruck schon früher für
die von den Vorlesungen der Rechtsschule ausgeschlossenen Novellen
gebraucht 4 ). Es lag nahe, sich desselben analog auch für die
Quellen des canonischen Rechts zu bedienen. Und so finden wir
denn in der Tliat diesen Ausdruck schon in der Summa des Sicar-
dus Cremonensis •>), womit zugleich positiv bewiesen ist, dass er
schon früher als die Comp. I vorkommt.
Die Mehrzahl der Glossen ist ohne Sigle des Verfassers, achtmal
findet sich R, einmal d, einmal p. und einigemal von anderer Hand
geschriebene Glossen mit der Sigle S 6 ). Von C. XIII. an haben aber
ungefähr 230 Randglossen und 100 Interlinearglossen die Sigle C.
Von den ersteren haben einige die Natur eigentlicher Distinctionen.
3. Dass nun die Glossen mit der Sigle C Glossen des Cardi-
nalis sind, lässt sich aus den häufigen Anführungen dieser Glossen,
1 ) Zu c. 3. C. I. q. 1 „Ut in concil. turon.“. Gemeint ist, wie der Sinn ergibt, c. 2.
(Mansi, Concil. T. XX. col. 1176. — Cf. c. 1, X. de usuris, o, 19.)
2 ) C. 4. Comp. I de sepulturis, 3. 24. Cf. c. 2, X, eod. 3, 28.
3 ) In einigen Handschriften des Decrets findet sich das in dem Dict. Grat, angeführte
Cap. kurz vorher vollständig (cf. Not. Corr. Ilom. in h. 1.). Daraus erklärt sich die
unmittelbar auf die Glosse „Extravagans“ folgende Bemerkung eines anderen Glossa-
tors: „Supra i. f. proximi cap. R e la tu m.“ Ebenso hat der Verfasser der mehr
erwähnten Barn berge r Summa dies Cap. in den von ihm benutzten Exemplaren
gefunden. Man siehe unten §. 36.
4 ) Savigny, Bd. 3, S. 601, Note b.
5 ) Sicard. Cremon. Summa (Cod. Bamb. Da. II 20, p. 231) C. XXXVI. q. 2 „ut
videtur nobis in quodam ex. v. c.“
6 ) Zu c. 2. C. XXXI. q.I wirdein Mainardus genannt. „Loquitur Gratianus ex ingenio
Mainardi.“
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
13
bei Huguccio beweisen. Ich stelle nachfolgend einige Beispiele
zusammen.
H u g u c c i o
c. 5. C. XXVII. q. 2.
„Cardiäl dicit: initiatur,
i. e. consecratur.“
c. 17. q. ead.
„Cardinalis 2 ) dicit: nuptiale
ministerium, i. e. maritalis af-
fectus, quia, ut dicit, nonpotest
intelligi de carnali copula,
cum loquatur de concubina.“
ibid.
„Item dicit (sc. Cardinalis),
quod ibi, sc. non habe ant,
non debet esse non, nee tarnen
ideo mutatur sententia cap.“
c. 34. q. ead. Dict. Grad.
„Unde Cardinal. 3 ) notaviteum
dicens: Hic Gratianus crimen
criinini addit.“
c. 2. C. XXXIII. q. I.
„et argumentatur cardinalis 4 )
sic ex verbis: retinae ul um
ergo erat vinculum , c onj Li
ga le, ergo erat conjugium,
rescindere, ergo erat inte
grum.“
Glossen mit der Sigle C
c. 35. C. XXVII. q. 2. •) verb.
i nitiatur.
„i. e. consecratur.“
c. 17. q. ead. verb. nuptiale
ministerium.
„i. e. nuptialis affectus, non
enim de carnali copula potest
intelligi, cum de quadam con
cubina loquatur.“
ibid.
„Istud non non debet hic esse,
nec tarnen mutatur decreti sen
tentia.“
c. 34. q. ead. Dict. Grat.
„Hic addit crimen crimini.“
c. 2. C. XXXUI. q. I. verb. reti
nae ul um c o n j u g a 1 e.
„Ergo vinculum, ergo erat con
jugium.“
ibid. verb. rescindere.
„Ergo erat integrum.“
Einigemal citirt Huguccio Glossen des Cardinalis, die sich
nicht in der Innsbrucker Handschrift linden, andere die er dem Car
dinalis zuschreibt, linden sich allerdings, aber ohne Sigle. Es ist
daher nicht unmöglich, dass unter den anonymen Glossen noch viele
1 ) C. J> cit, und dies Cap. sind sogen, leges geiuinatae.
2 ) Cod. lat. Monac. 10247 „Car.“
3 ) Cod. cit. „Card.“
4 ) Cod. cit. „Car.“
16
Friedrich Maassen.
ihm gehören, ohne dass aus dieser Handschrift der Beweis zu führen
ist. In den Münchner Handschriften des Decrets habe ich keine
Glossen mit der Sigle C gefunden, in Cod. lat. 10244. (Pal. M.
244) *) kommen einzelne Glossen des Cardinalis vor, aber ohne
Sigle.
So sicher das durch diese Beweisführung gewonnene Resultat
auch ist, so scheint es doch auf den ersten Blick mit einer andern
Thatsache nicht vereinbar. Es finden sich nämlich unter den Glos
sen mit der Sigle C zwei, in denen der Cardinalis selbst erwähnt wird.
I. Glossa in C. XXIX. q. 1. verb. aurichalcum.
„Immo ut videtur in illud, non tarnen in aurichalcum, quia impedit
fallacia secundum accidens. Ideo super hunc locum card. posuit
hanc glosam: Venditio quidem forte tenet. At in matrimonio
ipsae personae, quae contrahunt, sunt merx, super qua contra-
hitur Unde non est matrimonium. C.“
II. Glossa in c. 6. C. XXXV. q. 5.
. . „et secundum hanc lectionem dicit Cardinal’, quod non
debet ibi esse. C.“
Die erste Stelle macht keine Schwierigkeit. Die Glosse des
Cardinalis wird hier von einem spätem Glossator wörtlich ange
führt, das C am Schlüsse beweist nur, dass die ganze Glosse bis zu
Ende dem Cardinalis gehört. Hätte der citirende Glossator selbst
noch eine Bemerkung hinzugefügt, so würde die Sigle eben nicht
am Ende stehen, womit dann jeder Schein, dass dem letztem
und nicht dem Cardinalis die Sigle C gehöre, von selbst beseitigt
wäre.
Aber auch mit der zweiten Stelle verhält es sich, bei Licht
betrachtet, nicht anders. Auch hier ist die Anführung im Übrigen
wörtlich , nur dass das Subject hier aus dem unmittelbar Vorher
gehenden ergänzt werden muss 2 ).
Man siehe über diese Handschrift unten Note 59.
2 ) Das „quod“ vertritt bekanntlich häufig 1 das Kolon in der mittelalterlichen Latinität
bei wörtlichen Anführungen. — Übrigens ist auch der Fall nicht unerhört, dass der
Glossator, wo er die Glosse eines dritten in oratione obliqua mittheilt, doch die Sigle
des letzteren setzt. So ist in der bei Savigny, Bd. 4, S. 495, sub. 4 abgedruckten
Glosse des Jacobus zu 1. 4. C. de praescr. 30 annorum das V am Ende doch wohl
die Sigle des Hugo, dessen Meinung Jacobus referirt hat.
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
17
Das aber folgt allerdings aus diesen beiden Stellen, dass die
Glossen des Cardinalis nicht die jüngsten in der Handschrift sind.
4. Über die Person des Cardinalis geben uns die Glossen keinen
Aufschluss. Auch für die genauere Bestimmung der Zeit ihrer
Abfassung findet sich kein Anhaltspunct. Es lässt sich daher über die
Frage, welcher Cardinal dieser jedenfalls bedeutende alte Glossator
des Deerets gewesen sei, einstweilen nicht entscheiden. Der Zweck
der folgenden Bemerkungen ist denn auch lediglich, einige Gesichts-
puncte für weitere Nachforschungen zu bezeichnen.
Zuvörderst entsteht die Frage, ob die den Glossen beigefügte
Sigle auf den Namen des Verfassers zu beziehen oder eine Abkür
zung des Wortes Cardinalis ist. Ich halte das Letztere für wahr
scheinlicher, aus dem Grunde, weil es sonst ganz unerklärlich wäre,
dass Huguccio, die Glossa ordin ar ia, der Archidiakonus
u. s. w. ihn nur als Cardinalis bezeichnen. Dass die Schule ihn aus
nahmslos bei einem andern Namen nennen sollte, als auf den die
Sigle seiner Glossen weist, ist fast undenkbar.
Ist dies richtig, so würde damit zugleich feststehen, dass die
Glossen von ihm verfasst sind, als er bereits Cardinal war 1 ).
Daran knüpft sich die weitere Frage, ob die Glossen in Bologna
oder ausserhalb verfasst sind. Die Präsumtion spricht bei eigent
lichen Glossen sowohl der römischen als der canonischen Rechts
quellen allemal für das erstere. Damit ist aber nicht gesagt, dass
nicht ausnahmsweise auch ein anderer Fall vorgekommen sein könnte.
Nehmen wir an, dass ein Glossator der Rechtsschule von Bologna
auswärts nur die begonnene Thätigkeit fortgesetzt hätte. Bedenk
licher erscheint es schon, die auswärtige Entstehung für solche Glos
sen anzunehmen, die ein Gemeingut der Schule geworden sind und
mit den in Bologna entstandenen sich fortgepflanzt haben, was offen
bar vorliegend geschehen ist. Indess handelt es sich hier nur um
factische Schwierigkeiten, die in einem einzelnen Falle durch ent-
gegenwirkende Ursachen besiegt sein könnten. Es bleibt aber nur die
Wahl zwischen dieser Annahme und der andern, dass der ausser-
*) Anzunehmen, dass die Siglen erst später heigesetzt seien, was Savigny (Bd. 4,
S. 32) für I rn eriu s wahrscheinlich gemacht hat, liegt hier kein Grund vor, da der
Cardinalis aus verschiedenen Ursachen nicht für den ersten Glossator des Deerets
zu halten ist.
Sitzh. d. phil.-hist. CI. XXIV. Bd. I. Hft.
2
18
F r i e (I r i c h M a a s s e u.
ordentliche Fall einer Verbindung der Eigenschaften eines Cardinais
und Rechtslehrers von Bologna in einer Person vorgekommen sein
sollte, ohne irgend eine historische Spur zurückzulassen 1 ).
S. Unter den Cardinälen des zwölften Jahrhunderls wissen wir
von Labor ans mit Bestimmtheit, dass er sich als Canonist ausge
zeichnet hat *), Das Resultat seiner zwanzigjährigen Arbeit, eine
neue Redaction des Decrets, ist uns noch heute in einer vaticani-
schen Handschrift erhalten =). Wäre nicht an ihn zu denken? Mir
scheint, eben um der erwähnten Wichtigkeit, seiner Thätigkeit willen
an ihn am wenigsten. Schwerlich dürfte ein Canonist die Resignation
gehabt haben, das Werk Gratian’s zu glossiren, der es sich zur
Lebensaufgabe machte, ihm eine nach eigenem Plane angelegte Um
arbeitung zu substituiren. Überdies wissen wir von ihm wohl, dass
er in Paris Magister geworden ist, nicht aber, dass er die Schule
von Bologna besucht hat. Die Glossen nach Art dieser Schule
scheinen aber Paris ganz fremd geblieben zu sein.
Mit grösserer Gewissheit lässt sich für einen zweiten Cardinal des
XII. Jahrhunderts der Nachweis führen, dass er dasDecretcommentirt
bat. Huguccio führt nämlich einigemal GregorVIII. „antequam esset
papa“ in einer Weise an, die darüber keinen Zweifel lässt 4 ). Dass
aber unser Cardiualis mit ihm identisch sei, wird von vorne herein
dadurch ausgeschlossen, dass Huguccio au einer Stelle beide zugleich
nennt.
i) Unter den Scho laren hat es nllerding’s Cardinäle gegeben (man vergl. Savigny,
Bei. 3, S. 192). Dass aber ein Cardinal an der Rechtsschule auch gelehrt hätte,
davon ist, so viel ich weiss, nichts bekannt.
~) Man vergl. über ihn Zaccaria bei Galland. T. II, p. 766 sq., The in er, Disquis.
crit. p. 3 sq., Phillips, Kirchenrecht, ßd. 4, S. 173 fg.
3 ) Eine ausführliche Beschreibung- seiner „compilatio decretorum“ gibt Thein er I. c.
p. 401 sq.
4 ) Hugucc. in c. 29. C. XVII. q. 4 „Ob hoc dixit papa gg. VIII. (Cod. lat. Monac.
10247 „uni’") antequam esset papa, quod nullus ineurrebat anathema ipso jure et
quod nullus erat canon datae sententiae.“ — Idem in c. 42. C. XVI. q. 1 „Ex hoc
cap. aperte colligitur, quod decimae praediorum dandae sunt intuitu praediorum et
non personarum; ergo non omnes decimae dantur intuitu personarum, sicut dixil
card 1 . et papa Gregori’. VIII. antequam esset papa, et tales praetendebant rationes:
si quaedam decimae dantur intuitu praediorum et quaedam intuitu personarum, ergo
ecclesia censetur (censet ?) duplici jure , quod non debet esse.“ So in Cod. lat,
Monac. 10247. In Cod. Bamberg. P. 11.23 ist der Abschreiber von dem ersten
„intuitu personarum“ gleich auf das zweite übergesprungen.
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
19
6. Folgende Thatsaehen sind geeignet, auf einen dritten Car
dinal unsere Aufmerksamkeit zu lenken. Der als päpstlicher Legat in
den Streitigkeiten Roms mit Heinrich II. von England berühmt gewor
dene Cardinal Gratian, derselbe den Albericus trium fontium
mit dem Verfasser des Decrets verwechselt J ), hat mit Stephanus
Tornacensis gemeinschaftlich die Rechtssehule von Bologna
besucht a ). Dies in Verbindung mit dem ebenfalls gewissen Um
stande, dass er Magister gewesen 3 ), berechtigt uns zu der
Annahme, dass er in Bologna auch das Recht gelehrt habe. Im
Jahre 1168 war er schon S. R. E. subdiaconus et notarius und
kommt als solcher bis zum Jahre 1177 häufig in päpstlichen Schrei
ben vor 4 ). Im Jahre 1178 ist er Cardinal geworden 5 ).
Natürlich kann einstweilen nur von einer blossen Möglich
keit die Rede sein. Liesse sich aber wirklich der Nachweis führen,
dass der Cardinal Gratian und unser Cardinalis eine und dieselbe
*) Chronic, an. 1158 (hei Leihnil. Access, temp. T. II, p. 328). Man vergl. Phillips,
a. a. 0. S. 144.
2 ) „Venerabili Domino ... Gratiano Cardinali ... Stephanus . . . Reliquiae
cogitationis meae diem festum aguntmihi, quoties recolo me fuisse sociiim ves-
trum inauditorio Bulgari.“ (Stepli. T o rn a c. Epist. ed. Du Molinet. 1682
ep. XXXVIII.) Dieser Brief scheint Sarti ganz entgangen zu sein; denn er spricht
ohne einen bestimmten Grund die Meinung aus, dass Jacobus und Albericus de
Porta Ravennate Lehrer des Stephanus im römischen Recht gewesen seien, den
Bulgarus aber, für den hier der Beweis vorliegt, nennt er nicht. AuIFallender ist noch,
dass er diese Vermuthung auf Veranlassung eines Schreibens an den Ileraklius,
Erzbischof von Cäsarea, ausspricht, in dem Stephanus ebenfalls den Bulgarus seinen
Lehrer nennt, (ep. LXIII. edit. laud.) Cf. Sarti, P. I. p. 291.
2 ) „Thomae Cantuar. arcliiepiscopo magister Vivianus . . . . nec tantum deferatis
magistro Gratiano“ etc. (D. Tliom Cantuar. Epist. ed. Lupus, p. 488.—
Bei Baron, an. 1169. XX.) Vivianus war Mitlegat des Gratianus bei König
Heinrich II. im Jahre 1169.
4 ) Bei Brequigny, Table chronologique etc. ist die erste Unterschrift von ihm in
dieser Eigenschaft vom 27. April 1168 (T. III. p. 394.), die letzte vom 26. Januar 1177
(1. c. p. 525).
5 ) Oldoino, Vitae Pontif. et Cardinal. T. I. col 1096. — Giles, S. Thom. Cantuar.
Opera, 1845, T. IV. p. 342 bemerkt: „Notabit Iector Gratianum inter cardiuales
positum esse. Quod inde factum est, quod Gratiani nomini in quibusdam manu-
scriptis cardinalis litülus adhaeret. At Gratianus, ut puto, nunquam cardinalis fuit.
Sed hunc crrorem, si error sit, levem quidem et levissiini momenti, Iector facile
condonabit.“ Dieser Irrthum ist in der That nur ein vermeintlicher. Nach Jaffe,
Regesta R. P. p. 678, kommt dia conus Cardinal. SS. Cosmae et Damiani Gra
tianus seit 1. October 1178 als Zeuge in päpstlichen Bullen vor. Man vergl. auch
die Aufschrift des Briefes von S tep h a n us To rn a cen s i s an ihn oben Note 2.
20
Fried ri ch Manssen,
Person sind, so wäre damit zugleich erklärt, wesshalb nicht blos
dieser sich seihst als Cardinalis in den Siglen seiner Glossen
bezeichnet, sondern wesshalb er auch von spätem ausschliesslich so
genannt wird, so dass schon Johannes Andrea seinen Namen nicht
mehr kannte. Die Möglichkeit einer Verwechslung mit dem Ver
fasser des Decrets läge offenbar in diesem Falle zu nahe, als dass
es sich nicht von selbst empfohlen hätte, den Namen Gratianus zu
vermeiden.
7. Zum Schlüsse sollen von den Glossen des Cardinalis einige
Proben mitgetheilt werden.
A. Margin alglosscn.
c. 3. CXV. q. 8. verb. ignominia.
„Et ex ancilla. At si ex libera, filii servi non erunt. Vel forlo
ctiam si ex ingcnua nati fuerint, in detestationem criminis parentum
servi erunt, et hoc contra regulas juris civilis. Vel potest dici, quod
ab inilio liberi nascentur, quia videretur absonum ex ingenua servum
nasci. Sed sicut elericis nolentibus se per episcopum corrigere matres
per principes in servitutem devocantur, ut supra Di. XXXII. Eos 1 ),
sic per eosdem et filii servituti ecclesiae mancipentur.“
c. 4S. XVI. q. 1. Dict. Grat.
„Actionibus, non rebus praescribitur, i. e praeseriptio opponitur,
non autem actiones, sed res praescribuntur, i. e. praescriptione ac-
quiruntur vel retinentur. Quod enim quis possidet, praescriptione
acquirit vel retinet; actionem enim (autem?) alterius, quum nullus
possidet, praescribit nemo, sed contra actionem libertatem, quam sine
interpellatione quis possidet, ipsam praescribit. Unde dicitur, spatio
XXX vel XL annorum omnis actio tollitur, nusquam vero legitur, quod
spatio temporis actio acquiritur. Spatium enim temporis non est con-
tractus vel quasi vel maleficium vel quasi nee aliqua figura alicujus
acquirendae actionis. Si vero opponitur, quod jura tempore hominum
memoriam excedentia vel naturalem et continuain causam habentia
tempore acquiruntur, nec obloquitur. Hoc enim de jure praedio affixo
dicitur, non de jure, quo persona obligatur, quamvis propter jus, quod
rei principaliter, non personne adhaeret, tempore acquisitum actio
c. 10. Djst. cit.
Beitrüge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
21
postea contra personam non tempore, sed ex jure tempore acquisito
nata rationabiliter exerceatur. Si enim quod ex testamento mihi quot-
annis praestandum debetur alius XXX annis acceperit, quo jure per
sonam solventis obligavit? an habebit actionem ex testamento, in quo
nihil sibi relictum est, an aliam ? A simili propter eandem causam. Si
id ad quod pro speciali ministerio, quo parrochiano meo spiritualia
administro, si (seil.?) ad temporalia mihi praestanda, persona ejus
obligata est, alius XXX annis accipit, quomodo ejus personam sibi
obligat, cui nihil spirituale ministrat? Sed fortasse dices: jus deci-
marum praediis, non personis adhaeret. Ad quod ego: ei adbaeret, cui
ministro; sed numquid spiritualia praediis ministro, non personis?
Absit. Praediorum vectigalia regum terrae sunt, personarum vero pro
ministerio tributa regis coeli sunt. Quod autem pro personis decimae
pendantur, auu’. manifeste declarat super epistolam ad hebre.,
ubi quaeritur, quare Christus decimatus non fuerit et Levi decimatus
fuerit, cum uterque in liberis Habrae fuerit. Resp. Quia cum peccato
original!, ex quo onus decimationis provenit, Levi conceptus est,
Christus vero nequaquam. Patet ergo, quod jus, sive mavis dicere.
actio, ut quidam dicunt, condictio ex lege, vel in factum, vel officio
judicis praestandarum decimarum personis cum peccato originali
uascentibus addictum est, non praediis, quae nihil peccaverunt.
Item si parrochiarius tuus apud Indos militiam vel negotium vel pisca-
tionem vel artificium exerceat, vel praedium colat, ratione locorum,
an ratione personae exiges decimas? Item si nullam actionem perso
nalem mihi competentem alius quod mihi debetur longo tempore per-
cipiendo praescribat i. e. praescribendo acquirat, ergo nunc (num ?)
jus vel actionem decimarum per se, i. e. nisi praescribatur ecclesia
cui adhaerent, quasi videlicet, i. e. actione? Parrocbiani mei, ut pro
batem est, persona, non praedium obligatum est. Unde quod mihi
manifeste debetur longo tempore accipiendo, ipsa impossibilitate, quae
non permittit personales actiones tempore acquiri, prohibente, nullus
actionem vel jus decimarum praescribcre, i. e. praescribendo acqui-
rere potest. Si enim quod mihi nudo pacto nullo jure eivili subnixo
debetur pluribus annis accipiendo ad praestandum in futurum nullam
mihi comparem actionem, multo minus, si nec pacto, nec alio modo
debebatur, ut C. de pact. Si certis *) Nec obloquitur, quod legata
*) L. 28. c. 2, 3.
22
F r i e d r i c h M nassen.
jure civili indebita tribus annis quis solvendo in posterum obligafur,
natura enim debebantur illi cui solvebantur; nam si alii solverentur,
nunquam actio compararetur. Sic uec in decimis, cjuae nec naturali
jure nec alio debentur ei, qui praescribere nititur longo tempore vei
post, ecclesiae ad quam pertinent perceptis(?) nullum jus percipiendi
vel actio comparatur. Nec improbo illam alternam delegationem per-
cipiendarum decimarum ab alienis parrochianis consuetudine obten-
tam, generali consensu omnium fere, praeterquam in urbe, compro-
batam. Nam et cetera personalia debita possent invicem delegare.
Nec ob boc dico, quod propter praedia, sed propter personas, quibus
personalia ministrantur, temporalium decimae accipiantur. Ex qua
permutatione vel delegatione contingit, quod si omnes parrochiani
alicujus ecclesiae fierent parrochiani alterius mutando domicilium,
nihilominus penderent decimas pro personis suis de praediis, quae in
priori parrochia babebant, ipsi priori ecclesiae; tarnen de ofFiciis suis
et praediis nihil praestabunt secundae ecclesiae, quae ministret spiri-
tualia, quia talis est voluntas episcoporum permutantium. C.“ 1 ).
C. XVI. q. 3.
„Jus aliud episcopale, aliud parrochiale, aliud subparrochiale.
Jus parrochiale est jus possidendi ecclesias vel earum oblationes et
decimas et cetera ad ecclesias pertinentia, ponendi etiam sacerdotes in
ecclesiis, tarnen cum consilio episcoporum. Istud jus potest praescribi
a monachis vel a quibusdam aliis, si tarnen justo titulo et bona fule, i. e.
sine violentia vel invasione. Violenta enim vel invasa nunquam prae-
scribuntur. Jus episcopale est jus dedicandi, ordines dandi, et curam
animarum dandi etc.; quae ita adhaerent personae, quod non possunt
transferri de illa ad aliam. Quod autem cura animarum datur per
archidiaconum vel presbyteros, ita fit, sicirt per internuntium, sicut
per cartulam. Jus istud nullo modo praescribitur, sicerti sunt fines. C.“
c. 6. C. XVI. q. 3. verb. Silentium imponit.
„Si incerti sunt fines, nec jus episcopale nec jus parrochiale
petere potest post XXX annos. Si vero certi, episcopale jus potest
petere parrochiale non, si bona fide, justo titulo, sine interpellatione
po'ssedit adversarius. c.“ 3 ).
A ) Man vergl. die zweite Stelle aus dem Commentar der Huguccio oben S. 18,
Note 4, wo dieser die hier entwickelte Ansicht des Cardinalis erwähnt.
2 ) Aus Hugucc. Summa Decr. C. XVI. q. 3 erfahren wir, dass der Cardinalis mit der
in den beiden vorhergehenden Glossen entwickelten Ansicht, dass für die Präscription
Beiträge zur juristischen Literar'gWcfiifchte des Mittelalters.
23
c. 42. C. XVI. q. 7.
„Tria sunt decreta et tres sunt casus. Primus, cum quis pro-
pria devotione facit se monachum. Secundus, quando illectus a mo-
nachis reliquit heredes. Tertius, quando illectus nullos relinquit. In
primo habet locum: Cu in pro utilitate. In secundo: Constituit.
In tertio: Leo. In primo totum est monasterii quidquid offertur. In
secundo totum heredum. In tertio dimidium parrochialis ecclesiae et
aliud dimidium monasterii. Quod in primo totum sit monasterii,
Labes XVI. q. I. Cum pro utilitate 1 ), et quod in secundo totum
sit heredum, in ead. ca. q. ult. Constituit 2 ), et quod dimidium
parrochialis ecclesiae, dimidium monasterii, cap. enntineturLeonis.
C. s ).“
c. 3(3. C. XXV11. q. 2. verb. confirmat et perficit.
„Non quoad substantiam sui, sed quoad officium ex quo pro-
venit tertium honum, i.e. proles. Namfides etsacramentum comitantur
spiritualem conjunctionem, non proles, nisi sequatur carnalis copula
qua dicitur perfici eo modo, quo dicitur: virtus in infinnitate perfici-
tur-quae perfecta erat, alioquin non esset virtus-, et: quos perfectos
inveneris confirma, supra XI. q. III. Cap. Quod p r a ed e ce s s o r 4 ).
Quod perfectum sit, quamvis non adsit carnalis copula, habes supra Di.
XXVI. Deinde. Si crimen non est 5 ), ubi dicitur conjugium esse
perfectum et consummatum Deo auctore, quoniam ipse Deus Adam et
Evarn in paradiso conjunxit et eos benedixit. Quomodo ergo carnali
commixtione conjugium potest perfici sine Deo, qui dedignatur esse
praesens quando illa carnalis conjunctio geritur, ut irifra XXXII.
q. II. Connubia 6 )? C.“
der dioeceses limitatae ein Unterschied zu machen sei, zwischen den jura episcopalia
und den jura parochialia, ziemlich allein gestanden habe: „Aliter sensit cardinalis,
aliter major pars magistrorum et generalis ecclesia.“ Nachdem Huguccio die
Distinctio des Cardinalis fast wörtlich mitgetheilt und mit neuen Gründen gestützt
hat, erklärt er: „Haec sententia mihi probabilior videtur, nisi generalis ecclesia
repugnet.“
*) C. 34. C. XVI. q. 1.
2 ) C. 42. C. XVI. q. 7.
3 ) C. 7. C. XIII. q. 2. Man vgl. oben $. 2 und Note 2, S. 14.
4 ) C. 10». C. XI. q. 3.
5 ) C. 3. Bist. XXVI.
6 ) C. 4. C. XXXII. q. 2
24
Friedrich M a a s s e n.
c. 7. C. XXXV. q. ß.
„Testes matrimonii dissolvenili non minus veritati insistere de-
bentquam testes alicujus venditionis. Sed si dicerent: nos audivimus
patres nostros dicentes quod Titius vendidit Maevio equum, numquid
crederetur venditio? Sed est quod scire possunt et quod credere.
Scire possunt, quod Sempronius gerebat se pro patre Titii et Maevii
et quod Titius et Maevius gerebant se pro filiis Sempronii, credere
autem possunt, quod ipse eos genuerit. Similiter auditus quandoque
generat scientiam, quandoque tantum opinionem. Scio enim audi-
tu, quod Raimundus com es gerebat se pro patre Ildefonsiet
e converso, et credo, quod eum genuit et ita secundum Urba-
num 2 ) jurabit ita esse, seil, gestionem, seil, quod gerebat se pro
patre. Secundum Innocentium 3 ) credere geuituramjurabunt. C.“
B. Interlinearglossen.
c. 34. C. XVI. q. I. verb. ab episcopis contingantur.
„i. e. non habebit quartam nec tertiam nec dimidiam nee deci-
mas. C.“
c. 3. C. XVI. q. 6. verb. depositio confirmetur.
„Quia sine consiiio papae olim episcopi deponebantur. C.“
c. 8. C. XXII. q. 2. verb. laedat injuste.
„Ut falsus testis in crimine. C.“
L ) Die historischen Personen dieses Beispiels sind ohne Zweifel: 1. Ilaimund Beren
gar Graf von Barcelona, der im Jahre 1137 durch seine Gemalilinn Petro
nilla, Tochter des Königs Ranimirus von Arragonien, dieses Königreich erhielt, ohne
indess den Titel eines Königs von Arragonien für seine Person zu führen. Er heisst
daher stets nur Raimundus comes. Er starb 1162 in der Nähe von Genua auf
der Reise zu dem in Turin verweilenden Kaiser Friedrich. 2. Ildefons, König
von Arragonien, Sohn Raimund’s, geh. 1132, gest. 1196. (Man vergl. Histoire
generale de la Provence, Par. 1778, T. II, p. 16 sq., |>. 239, 244. — P. de Marca,
Marca Ilispan. Par. 1688, p. 494 — 517, p. 547—552.) Die Namen passen auch auf
Raimund von S. G i 1 e s , Grafen von Toulouse, gest. 1105 im heilig. Lande
und seinen Sohn Alphons Jordan, geh. 1103, gest. 1148. DerZeit nach sind
aber die beiden zuerst genannten viel wahrscheinlicher. — Für die Zeitbestimmung
der Glosse kann aus diesem Beispiele nichts gefolgert werden, was nicht ohnedies
gewiss wäre. Auf das Vaterland des Glossators aus ihm einen Schluss zu machen ist
ebenfalls unzulässig, da es sich hier um zwei zu ihrer Zeit allgemein bekannte Per
sonen handelt.
2 ) C. 3 q. ead.
3 ) C. 8 q. ead.
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
25
c. 29. C. XXVII. q. 2. verb. auctor divortii.
„i. e. corporalis separationis. C.“
c. 30. C. XXVII. q. 2. verb. neutram ex ipsis liabeat.
„Nisi ignorans fecit. C.“
e. 40. C. XXVII. q. 2. verb. nuptiarum.
„Nubere ponitur pro convenire. C.“
c. 4. C. XXXII. q. 7. verb. stupra.
„Publica. C.“
c. 5. C. XXXII. q. 7. verb. reconcilientur.
„Reconciliari, quia secimda contraxerunt matrimonia. C.“
c. 2. C. XXXIII. q. I. verb. nunquam per commixtionem.
„Propter frigiditatem perpetuam. C.“
c. 2. C. XXXV. q. 2. und 3. verb. ejiciunt.
„Ab hereditate C..“
c. 4. C. XXXV. q. 2. und 3. verb. non licebit.
„Et hoc si scienter coierint. C.“
c. 3. 0. XXXV. q. 6. verb. die uni.
„Homines per famam. C.“
II. Die Summa des Johannes Faventinus.
8. Was wir von dein Johannes Faventinus bisher gewusst
haben, beschränkt sich auf folgende Thatsachen. Johannes Andrea
nennt ihn unter denen welche noch vor dem Erscheinen der von der
Schule zu Bologna recipirten Deeretalensammlungen über das Decret
geschrieben haben *). Dass er zu den bedeutenderen unter den
allen Glossatoren gehörte, dürfen wir aus der häufigen Anfüh
rung seiner Ansichten in dem Commentar des Huguccio und
der Glosse zum Decret schliessen. Ebenfalls durch Johannes Andrea
wissen wir, dass er eine Summa des Decrets verfasst hat.
Dieser macht nämlich zu den Eingangsworten des Speeulum judiciale
von Durantis „De throno Dei procedunt fulgura, voces ac tonitrua“
etc. folgende Bemerkung: „Scias quod lianc auctoritatem et partem
prosecutionis ipsius habere potuit auctor ex Jo. Faventino, qui in
sua lectura Decreti, quae illo tempore Summae nomen arripuit et
D Bei Savigny, Bil. 3, S. 633.
26
Fri ed rieh M nassen.
hucusque servavit, in operis principio hanc auctoritatem assumsit
quam tarnen ipso plenius auctor iste prosequitur ')“• Diplovatac-
eius hat diese Summa in der Bibliothek der Franciscaner zu Faenza
noch gesehen, Sarti dagegen, der dies aus Diplovataccius mittheilt,
hat seihst in der vaticanischen Bibliothek sowohl als anderswo ver
geblich danach gesucht 2 ).
S). Den Bemühungen des Herrn Professors K u n s t m a n n in M ü n-
chen ist es gelungen, die Summa des Johannes Faventinus in der
dortigen k. Hof- und Staatsbibliothek zuerst wieder aufzn-
finden. Es war diese Auffindung dadurch wesentlich erschwert, dass
erst die zweite Vorrede in der von Johannes Andrea bezeichneten
Weise beginnt. Die Angabe der Anfangsworte, wie sie sich gewöhn
lich in Handschriftenkatalogen findet, musste daher hier, statt die
Erkennung zu erleichtern, vielmehr von der rechten Spur abführeu.
Die Entdeckung dieses in der Glossatorenliteratur eine immerhin
bedeutende Stelle einnehmenden Werkes ist für die genauere Kennl-
niss dieser als eine höchst willkommene Bereicherung zu betrachten.
Die Münchner Handschrift, Cod. lat. 3873 (Aug. eccl. 173)
rnembr. saec. XIV., enthält auf 136 Blättern unsere Summa voll
ständig. Die erste Vorrede beginnt mit den Worten: „Cum multa
super concordia discordantium canonum sint hactenus edita com-
menta prudentium“, dann folgt die zweite Vorrede, deren Eingang
Du ran tis für sein Speculum entlehnt hat. Das Werk selbst fängt so
an: „Tractaturus de jure canonico, quasi altius producto stilo expan-
dit iter operi incipiens a jure naturali, quod quidem et antiquius est
tempore et excellentius dignitate.“ Der Commentar erstreckt sich
über alle Theile des Decrets. Auch zum tractatus de poenitentia,
den Stephanus Tornacensis, Sicardus Cremonensis und
Huguccio hei Seite setzen 3 ), ist eine kurze Erläuterung. Die
1 ) So übereinstimmend in der Ausgabe Rom. 1474 per Leonhard-’ pfliegP et Georg-,
Lauer und Basil. 1574 ap. Froben.
2 ) Sarti, P. I, p. 289.
*) Steph. Tom. Summa Deer. C. XXXIII. q. 3 „Intermisso interim prolixo illo trac-
tatu de poenitentia transitum facimus ad quartam questionem“. (In München sind
zwei Handschriften dieser bisher nur in mehreren Pariser Handschriften bekannten
Summa.) Sicardus Cremonensis übergeht diesen Tractat stillschweigend. Da
er nach Stephanus Tornacensis und Johannes Faventinus geschrieben hat, wie unten
gezeigt werden soll, so fällt dies Argument von Sarti, P. II, p. 196 für die An
nahme, dass der tractatus de poenitentia erst später eingefügt sei. Die sonstigen
Gründe sehe man Phillips, Bd. 4, S. l;>9. — Wegen Huguccio s. m. u. §. 18.
Boiträge zur juristischen Literargeschiehte des Mittelalters.
27
Eintheilung des Decrets in 3 Theile, des erstenTheilies in 101 Distinc-
tionen, des zweiten in 36 Causae, des Tractats über die Bussein
7 Distinctionen und des dritten Theiles in 5 Distinctionen findet sich
auch hier.
Dieselbe Summa, ebenfalls vollständig, enthält die Bambergen
Handschrift P. II. 27. membr. saec XIV. auf SS Blättern.
iU. Johannes Faventinus wird, wie bereits bemerkt ist, häufig
von Huguccio angeführt. Dadurch wird es möglich, den Beweis seiner
Autorschaft für die in diesen beiden Handschriften vorliegende
Summa des Decrets nicht blos auf das Zeugniss des Johannes
Andreä, eines um fast ISO Jahre spätem Schriftstellers, sondern zu
gleich auf das eines Zeitgenossen zu gründen. Wir finden nämlich, wo
Huguccio die Ansicht des Johannes referirt, dieselbe regelmässig in
unserer Summa wieder, zuweilen mit denselben Worten. Diese Probe
ist in Verbindung mit der Aussage des Johannes Andreä schlechthin
beweisend. In den dennoch vorkommenden Ausnahmsfällen müssen
wir entweder annehmen, dass der ebenfalls vor Huguccio fallende
Johannes Hispanus gemeint ist, oder dass Huguccio sich auf Glossen
des Johannes Faventinus bezieht. Für das letztere findet sich ein
Beleg in einerMünchner Handschrift vonGratian's Decret. Huguccio
sagt nämlich in seiner Summa zu c. I. Dist. XXVII.: „Seeundum istum
intellectum dixit Joh’s in glossa sua: finxit, non fictione operis
sed intentionis“. Dass hier Johannes Faventinus gemeint sei,
ergibt die Glossa ordinaria zu dieser Stelle, wo er mit seinem
vollen Namen genannt wird. Ehen diese von Huguccio angeführte
Glosse findet sich aber in der erwähnten Handschrift wörtlich
wieder *).
*) Cod. lat. Mona c. 10244 (Pal. M. 244). Die am hiiuiigsten vorkommenden Siglen
der Glossen sind J o. und Bar., einmal Ba rto 1 o. Die Glossen mit Jo., welche die
bei weitem zahlreichsten sind, hielt ich anfangs ausschliesslich für Glossen des Jo
hannes Teutonicus, da mehrere Male dieselbe Glosse wörtlich in der Glossa
ordinaria vorkommt und sich in einer Glosse zu C. XI. q. 3 eine der anderswoher
bekannten des Johannes Faventinus gerade entgegengesetzte Ansicht findet.
Die oben citirte Stelle zeigt aber, dass sie nicht dem ersteren allein gehören. Die
Siglen Bar. und Bartolo passen auf Niemand anders, als auf Bartholomäus B ri-
xiensis. Unter den von mir verglichenen Glossen mit diesen Siglen habe ich aber
keine in der Glossa ordinaria wiedergefunden, was nicht befremden darf, da
nach der eigenen Erklärung dieses Bearbeiters derselben auf seine Rechnung nur
einige Hinzufügungen kommen. In den Glossen wird unter andern auch der canto r
Parisi ensis angeführt. Dies kann nur der Zeitgenosse des Stephanus Tornacensis
2S
Friedrich Maassen.
Es sollen jetzt einige Belege für die Übereinstimmung unserer
Summa mit den Anführungen des Johannes im Commentar des Huguccio
folgen.
Huguccio
c. 4. Dist. XVI.
„Magister Jo. dixit, quod
VI. synodus fuit ante Zephy-
rinum et Zephyrinus ante
Leonem.“
c. 2. C. II. q. 1.
„Et nota, quod mag. Jo.
intellexit hoc caput de illo,
qui confessus in jure con-
demnatus est, et dixit, quod
confessus in jure appellare
non potest, unde sententia
statim dehet mandari exe-
cutioni.“
c. 6. C. II. q. 7.
„Unde Joh’s talem notulam
hic posuit: hic e converso
probantur non recipiendi.“
c. 11. C. XXXV. q. 2. und 3.
„Jo. vero Faventinus et
R. legunt caput sub sensu
alio, seil, quod talis pol-
lutio, si est facta extra vas
naturae, nec est saepius
reiterata et est facta citra
maritalem affectum, non im-
pedit matrimonium.“
Anonymer Commentar
Dist. XVI.
„Prius enim fuit VI. synodus
quam Zephyrinus et prius
Zephyrinus quam Leo.“
c. 3. C. II. q. I.
„Hinc patet. quod confes-
sorum in jure nulla est ap-
pellatio. Ex quo enim patet
justa judicis definitio, rrian-
danda est executione.“
c. 6. C. 11. q. 7.
„Hic e converso probantur
non recipienti.“
c. 11. C. XXXV. q. 2. und 3.
„Extraordinaria pollutio fac
ta citra maritalem affectum,
non videtur matrimonium
impedire, . . . nisi sit sae
pius reiterata.“
Petrus cautor (Hist, litteraire de la France, T. IX) sein, der demnach, wie die
Weise der Anführung 1 dies nicht zweifelhaft lässt, auch Glossen oder einen selbst
ständigen Commentar zum Decret geschrieben hat. Von Glossatoren des römischen
Rechts werden genannt: B u 1 g a r u s, M a rti n u s, P1 ae’e n t i n u s und Johanne s
B a ss i a n us (Jo. b., einmal magister Joannes d 1 Cremona).
Beiträge zur juristischen Literargeschiehte des Mittelalters.
29
11. In den späteren gedruckten Ausgaben des Dccretes mit der
Glossa ordinaria findet sich zum Eingang der einzelnen Distinctionen
und Quästionen regelmässig in der Form einer Glosse mit der Sigle
Jo. de fan. eine Anmerkung, welche die Distinctio oder Quästio in
mehrere Abschnitte eintheilt. Jeder dieser Abschnitte wird dann an
der betreffenden Stelle durch eine Glosse mit der gleichen Sigle her
vorgehoben. Die Eintheilung seihst ist auch in die unglossirten Aus
gaben übergegangen. Diese Glossen sind aber keine ursprünglichen
Bestandteile der Glossa ordinaria. In neun von mir verglichenen
Ausgaben des Decretes, deren jüngste die Ausgabe Venet. de Tortis
1499 ist, fehlen sie *). Die älteste Ausgabe, in der ich sie gefunden
habe, ist die Ausgabe Lug dun. per Magistr. Nicol, de Benedictis,
1 SOG. 2. Mart. 2 ). Woher der Herausgeber sie unmittelbar genom
men, ist auf dem ersten Blatt angemerkt. Unter den Zusätzen, durch
die seine Ausgabe sich auszeichne, erwähnt er nämlich auch Divi-
sionesD. Archidiaconi. ln dem Commentar Guido’s a Baisio
zum Decrct finden sich denn auch in der That diese Eintheilungen. In
zwei von den Ausgaben die ich verglichen habe, kommen sie aber
ebenso häufig mit der Sigle Jo. de. als mit Jo de fan. vor, und zwar
keineswegs in beiden übereinstimmend, sondern in der einen bald die
Sigle Jo. de., wo in der andern Jo. de fan. steht, bald umgekehrt 3 );
in einer dritten Ausgabe haben sie nur ausnahmsweise die Sigle Jo.
de. fan., regelmässig Jo. de, 4 ). Zur C. IX. findet sich in allen drei
von mir verglichenen Ausgaben Jo. de Deo.— Jo. de. ist die Sigle
des Johannes de Deo beim Archidiakonus 5 ). Die regelmässige
1 ) Argentorat. Heinr. Eggesteyn , 1471. — Mogunt. P. Schoilfer, 1472. —
Venet. Nie. Jenson, 1474.— Venet. G. de Stoutenhurch, 1480. — Nurenb.
Koburger, 1483. — Venet. Bern deTridino, 1487. — Basil. Seb. Brandt, 1493.
— Venet. de Tortis, 149G. — Venet. de Tortis, 1499.
'*) Möglicherweise könnten diese Zusätze sich schon in der Ausg. Pa ris. Udalr. Gering
1505 finden, da nach Panzer, Tom. VII, p. 511, die Herausgeber sie durch die Be
merkung empfehlen: „multis admodum aptis et utilibus adjunctis.“ Ich habe diese
Ausgabe nicht gesehen.
3 ) Archidiaconi Rosarium seu super Decretorum volumen commentaria: 1. s. I. et
a. (Argentor. cf. Pa nz er, T. I, p. 72), 2. s. 1. 1481 (Venet. cf. P a n zer, T. III,
p. 1G2).
4 ) Venet. ap. Juntas, 1577.
5 ) In der von Savigny, Bd. 3, S. 503, Note e, aus dem Commentar des Archidiaconus
mitgelheilten Stelle zu c. G, C. XXIV, q. 3 haben die Ausgaben, welche ich benutzt
habe, die Sigle Jo. de. Dass aber hier Johannes de Deo gemeint ist, wird durch
30
Fr i edrio l> Maassen.
Übereinstimmung der in seinem Commentar häufig vorkommenden
Sätze des Jo. de fan. mit unserer Summa ergibt, dass dies die Sigle
des Johannes Faventinus ist.
Es sind daher zwei Fälle möglich. Entweder beide Schriftsteller
haben ganz ähnliche Eintheilungen des Decrets gemacht und der
Archidiakonus hat die Eintheilung einer Distinctio oder Quästio bald
dem einen, bald dem andern entlehnt, oder die eine dieser Siglen
beruht auch auf einem Versehen. Das erstere würde offenbar von
Guido a Baisio eine grosse Abgeschmacktheit voraussetzen. Da wir
nun ohnedies in den vielen Fällen, in denen die Ausgaben unter ein
ander abweichen, unter jeder Voraussetzung annehmen müssen, dass
die Siglen verwechselt sind, so trage ich kein Bedenken, eine dieser
Siglen stets für unrichtig zu halten. Innere Gründe scheinen für
Johannes de Deo mehr zu sprechen als für Johannes Faven
tinus. Diese Eintheilungen deuten auf eine Zeit, in der eine mehr
mechanische Behandlung der Quellen vorwiegend geworden war.
Doch gebe ich zu, dass dies Argument täuschen kann. Wäre übri
gens Johannes Faventinus der Urheber, so müsste er sie in
seinen Glossen gemacht haben, in seiner Summa finden sie sich
nicht. Johannes de Deo könnte in seinem Apparat, dessen er in
den Zusätzen zum Huguccio und anderswo gedenkt l ), dem Decret
diese Eintheilung gegeben haben. Von diesem Werk ist bis jetzt
aber kein Exemplar bekannt a ).
12. Für die Zeitbestimmung liefern zunächst zwei Formu
lare einen Anhaltspunct. Das erste ist bestimmt, die Erfordernisse
einer Urkunde zu veranschaulichen, welche der Herr eines zu ordini-
renden Selaven über seine Freilassung auszustellen hat. Es findet
sich zu c. 2. Dist. LIV., in der Münchner Handschrift mit der Jahres
zahl 11G3, in der Bamberger von 1164 datirt. Das Formular eines
Accusationslibells zu c. S. C. II. q. 8. hat dagegen die Jahreszahl
1171 3 ). Da hier beide Handschriften übereinstimmen, so ist kein
die von Savigny a. a. 0. wörtlich eitirte Stelle aus den Zusätzen des Johannes de
Deo zu Huguccio (nach Cod. Vatic. 2.280) erwiesen.
*) Sarti, T. I, p. 3154. — Savigny, Bd. S, S. 480.
2 ) Savigny a. a. 0. — Phillips, Bd. 4, S. 186.
:i ) Die übrigen chronologischen Bestimmungen beider Formulare sind sehr tumülluarisch.
Die factischen Voraussetzungen derselben beziehen sich auf Bo logna Im Übrigen
enthalten sie ausser den Jahreszahlen nichts MiltheilensWerthes,
Beiträge zur juristischen Liierargeschichle des Mittelalters.
:\\
Grund zu bezweifeln, dass diese Jahreszahl die vom Verfasser selbst
an dieser Stelle geschriebene ist. Von den beiden andern Jahreszahlen
kann freilich jedenfalls nur eine richtig sein; anzunehmen, dass beide
vom Original abweichen, weil in dem zweiten Formular ein späteres
Datum vorkommt, ist nicht nothwendig. Nur soviel erscheint gewiss,
dass die Summa nicht vor dem Jahre 1171 vollend et sein kann.
Dass die Summa, wenn überhaupt, so doch nur um wenig
später vollendet ist, wird dadurch wahrscheinlich, dass von Glossa-
toren des römischen Rechts ausser Irnerius nur Bulgarus,
Martinus und (vielleicht) Rogerius genannt werden '), während
Huguccio bereits ebenso häufig als diese den Plaeentinus und
Johannes Bassianus anführt 3 ).
13. Durch die Auffindung dieses Werkes des Johannes Faven-
tinus wird es nun auch möglich, in Verbindung mit anderen That-
sachen das chronologische Verhältnis einiger der namhaftesten unter
den alten Glossatoren des Decretes wesentlich aufzuklären. Angeführt
werden Rufinus 3 ), Gandulfus 4 ) und Stephanus 5 ). Diese
haben mithin bereits vor dem Jahre 1171 geschrieben.
*) Wegen Irnerius s. m. u. §. 47. Martinas und Bulgarus werden zu C. XVI,
q. 3 als Gegner in der Frage genannt, ob die praescriptio longi temporis eine directa
oder nur eine utilis rei vindicatio erzeuge. Huguccio nennt an derselben Stelle
als Vertreter der letzteren Ansicht neben Bulgarus auch schon Plaeentinus und
Johannes Bassianus , ebenso eine Glosse des Cod. lat. Monac. 10244 (m. s.
o. Note i, S. 27). Rogerius scheint in folgender Stelle zu c. 16. C. XXVIII. q. 1
gemeint zu sein: „ma. Ro. ctiam cum honesta conditio in contrahendo matrimonio
ponitur, dicebat distinguendum circa tempus et factum“ etc. So im Cod. lat. Monac.
3873. Cod. Bamb. P. II, 27 hat deutlich „viro“ statt „ma.Ro.“, was keinen Sinn gibt,
aber doch die Richtigkeit des „Ro.“ bestätigt. Allerdings gibt es auch einen (von
Sarti nicht erwähnten) Canon i steil Ro 1 an du s, der nach B ick eil, De Paleis,
p. 4 von Stephanus Tornacensis citirt wird, und ein von Bickell aufgefundenes
„Stroma ex decretorum corpore carptum“ geschrieben hat. Da es sich aber in der
angeführten Stelle um die Theorie der Bedingungen handelt, so dürfte eher an einen
Legisten zu denken sein.
2 ) Plaeentinus ist 1192 gestorben und sein wichtigstes Werk, die Summa zum
Codex, geraume Zeit vor seinem Tode geschrieben. M. s. Savigny, B. 4, S. 197,
247, 233, 272. Johannes Bassianus war sein Zeitgenosse. Savigny
a. a. 0. S. 291.
{ ) C. VI, q. 1: „dicebat magr, Rufinus.“ Cod. Barn b. cit. — „dicebat Magr. R.“ Cod.
M o n a c. cit.
4 ) Dist. XIII: „Magr. Gandulf.’ dicit Cod. Bamb. cit. — „Mag. dicit“. Cod.
M o n a e. cit.
:> ) 0. 17, C. VI, q. 1: „sicut magr. slephanus dicebat“. Cod. B a m b. cit. — „sicut
M. sfefn dicebat.“ Cod. Mo.naci cit. — Zu e. 1, C, XL q. 1 kommt in Cod. Bamb.
32
Friedrich Maassen.
In den zwanziger Jahren des dreizehnten Jahrhunderts kommt
in Bologna ein Decretorum doctor Rufinus vor, der in den Streitig
keiten der Universität mit der Stadt über das Rectorat als Deputir-
ter der Scholaren an Papst Honorius III. gesandt wurde *). An ihn
ist auch ein Schreiben dieses Papstes vom Jahre 1222 gerichtet 2 ).
Sarti und Phillips lassen es unentschieden, ob dieser Rufinus
identisch sei mit unserem Magister Rufinus 3 ). Durch die Anführung
des Johannes Faventinus wird das Gegentheil gewiss, wenn wir
nicht annehmen wollen, dass Rufinus als achtzig- bis neunzigjähriger
Mann noch die geeignete Person gewesen wäre für den Auftrag, die
Privilegien der Scholaren von Bologna zu vertreten.
Rufinus hat ebenfalls eine Summa zum Decret verfasst 4 ).
Dasselbe scheint durch eine Auffindung Bickell’s für Paucapalea
gewiss 5 ). Mit Einschluss der Summa des Stephanus ist somit
bereits für drei Summä des Decrets constatirt, dass sie vor das
cit. neben Stephanus ein magr. al. vor: „licet quidam non irrationabiliter, dicant
ut magr. a 1. et magr. ste., quod in pecuniaria causa ecclesiastica reguläre est,
ut actor forum rei sequatur , et clerici laicum in pecuniaria causa debeant ante
civilem judicem convenire.“ (Cod. Monac. cit. liest: magr alit et iste“.) Es muss
dahin gestellt bleiben, ob unter al. der Legist A lbericus de Porta Raven na te
oder ein Decretist Albertus, deren bei Sarti unter den nur dem Namen nach
bekannten Glossatoren des Decrets mehrere Vorkommen, zu suchen ist. Dass Gre
gor VIII., früher Albertus ßeneventanus, das Decret commentirt hat, ist oben
gezeigt worden. — Im Cod. Monac. cit. kommt zu c. IG, C. XXXII, q. 7 die Sigle
Jo. vor in folgendem Zusammenhänge: „vel secundum Jo. io. (ideo) dicit, quia
inter prohibitiones decalogi, quantum ad sec u n d a m tabulam secundum loeum
habet (sc. poena adulterii), nam cum primo dictum est, nonoccides, secundo
dictum est, non moechaberis“. Im Cod. ISamb. cit. heisst es aber: „vel secun-
d u m io. dicit“, was offenber das richtige ist. Es ist nämlich die Frage aufgewor
fen, warum Clemens I. c. 16 cit. den Strafen des Ehebruchs secundum loeum
anweise.
*) Sarti, P. I, p. 121, 288. Man vgl. Savigny, ßd. 3, S. 174 folg.
2 ) Sarti, P. II, p. llö.
3 ) S a r t i, P. I, p. 288. — P h i 11 i p s, Bd. 4, S. 170.
4 ) Man vergl. Sarti, P. I, p. 287. Note e. Diese Summa ist noch nicht aufgefunden
oder doch die Identität nicht nachgewiesen.
r °) Bickell hat auf der königl. Privatbibliothek zu Stuttgart „excerpta ex summa
pauce palee“ gefunden (1. c. p. 4). Eine Summa zum Decret mit den von Bickell
Gezeichneten Anfangsworten habe ich in zwei Handschriften der Münchner k.
Hofbibliothek gefunden. Ich werde sowohl über diese Summa als über verschiedene
den Paucapalea betreffende Daten, die ich in der mehrerwähnten anonymen
Bamberger Summa zum Decret (eine andere als die Mainzer Summa, deren
Savigny, Bd. 3, S. 316, gedenkt) gefunden habe, später berichten.
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
33
Werk des Johannes Faventinus fallen. Es ist nicht unwahr
scheinlich , dass unter den verschiedenen anonymen Summa die uns
erhalten sind, noch eine oder die andere zu den multa commenta
prudentium gehöre, deren Johannes in seiner Vorrede gedenkt. Aller
dings hat er wohl nicht hlos zusammenhängende Commentare, son
dern auch Glossen darunter verstanden.
14. Dagegen fällt die Summa canonum des Sicardus Cremo-
nensis 1 ) später als das Werk des Johannes Faventinus. Sarti
theilt mit, dass er in einer vatikanischen Handschrift der erstem zur
C. II. zwei Formulare gefunden habe, von denen das eine in die
Regierungszeit Papst Hadrian’s, das andere in die Alexander’s
verlegt sei. Er schliesst daraus, dass die Vollendung der Summa un
mittelbar nach Hadrian’s IV Tod (1159) zu setzen sei 3 ). Die Unmög
lichkeit dieser Annahme wird dadurch zur Gewissheit, dass Sicardus
bereits Decretalen Alexander’s III, des Nachfolgers Hadrian’s, noch
mehr aber dadurch, dass er den Johannes Faventinus citirt 3 ).
Es ist immer sehr gewagt, aus den Datirungen von Formeln zu fol
gern, dass der Verfasser gleichzeitig geschrieben habe. Aller
dings wird sieh aus der älteren Zeit kaum ein Fall nachweisen lassen,
in dem ein Urkundenformular vordatirt wäre, auch nicht in der
Bestimmung der Kalenderzeit, für die an sich die Möglichkeit vor
liegt; daher ist der Schluss, dass der Verfasser nicht früher
geschrieben habe, vollkommen begründet. Aber mit Sicherheit kann
auch eben nur dies geschlossen werden. In dem vorliegenden Falle
beruht nun aber überdies die thatsächliche Voraussetzung für Sarti’s
Vermuthung auf einem Irrthum. Sarti hat die eine Formel eines Accu-
sationslibells, die bei Sicardus zum Schluss der C. II. vorkommt, für
zwei angesehen. In dieser Formel ist in der vatikanischen Hand
schrift in die Regierungszeit Hadrian’s nicht die Ausstellung des
Libells, sondern das Debet verlegt, welches den Gegenstand der
Anklage bildet, das Libell wird aus der Regierungszeit Alexan
der’s III datirt 4 ).
*) Über diese Summa vergl. man Sarti, P. I. p. 284. sq. und Phillips, B. 4
S. 168. fg.
2 ) Sarti 1. c. p. 285.
3 ) Sicard. Cremon. Summa canonum, C. XXX. (Cod. Bamb. Da. II. 20. p. 212.)
„per novum c. alex. III. pt. — C. ead. (I. c. p. 213.). „Alii, ut iohs. f., ajunt.“
4 ) Die Formel lautet im Cod. Bamb. Da. 11.20. p. 159. folgendermassen: „Anno ab
incarnatione Domini, Domino A. sedente in apostolica sede, anno pontificatus ejus
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXIV. ßd. I. Hft. 3
34
Friedrich Ma essen.
Dadurch stellt sich die Sache offenbar ganz anders. Alexander III
ist erst im Jahre 1181 gestorben. Dass die Summa des Sieardus wäh
rend der Regierungszeit dieses Papstes überhaupt abgefasst sei, lässt
sich daher sehr wohl mit den oben erwähnten Thatsachen vereinigen.
Im Jahre 1185 wurde Sieardus Bischof seiner Vaterstadt Cremona ‘).
Da er sich am Schlüsse seiner Summa nennt, ohne der Bischofs
würde zu gedenken 2 ), so ist es schon aus diesem Grunde sehr wahr
scheinlich, dass er sein Werk früher vollendet hat.
15. Die Angabe des Johannes Andrea, dass Johannes Faven-
tinus keine Decretalen citire 3 ), ist nicht wörtlich zu nehmen.
Ich habe folgende Citate derselben gefunden, die ich, um die Citations-
weise im Vergleich mit der nach dem Erscheinen der Decretalensamm-
lungen üblichen zu charakterisiren, hersetze.
I. princ. C. XII. q. 1.
„Quod habetur ex quodam decreto Adriani, quod sic incipit:
Nobis in eminenti“ 4 ).
II. princ. C. XIV. q. 1.
„Honorius papa in illo cap. Inhaerentes“ s).
III. ibid.
„Ut ait Innocentius in illo c. Literas“ 6 ).
etc., regnante Friderico , anno regni ejus etc., imperii etc defero etc.
lege Julia de adulterio, quam commisit etc., cum etc., in civitate etc., in domo etc.,
mense etc., anno Domini etc., Adriano sedente in cathedra Petri, anno apostolatus
etc., imperatore etc., anno imperii etc. Ego etc. subscribo et promitto accusationem
me usque ad finem producturum.“ Wenn man hiemit die von Sarti, P. II. p. 196.
mitgetheiiten Stücke vergleicht, so bleibt kein Zweifel, dass die angeblichen zwei
Formeln Sarti’s nur zwei Stücke der hier mitgetheiiten Formel sind. — In zwei
Münchner Handschriften der Summa des Sieardus, Cod. lat. 4555. (ßenedictob.
65.) und Cod. lat. 11312. (Poll. 12.) ist nach Ph i 11 ip s, a. a. 0. S. 169, der Name
des Papstes unausgefüllt gelassen.
*) Sicard. Cremon. Chronicon. Bei Murator. Script. T. VII., col. 603.
2 ) Der Schluss im Cod. B a i.i b. cit. stimmt überein mit den bei Phillips, S. 169,
Note 30, aus Cod. lat. Monac. 11312. mitgetheiiten Worten.
3 ) Bei Savigny, ß. 3, S. 633.
4 ) c. 15. Comp. I. de decimis, 3, 26.
5 ) c. 1. X. de juram. calum. 2, 7.
6 ) Es soll Eugenius heissen, wie aus den gleich folgenden Worten : „Hoc Eugenius
non exponit“ erhellt. Die citirte Decretale steht c. 2. X. eod., hier unrichtig Hono
rius II, in den übrigen Sammlungen richtig Eugenius III zugeschrieben. Cf.
Richter in h. 1.
Beiträge zur juristischen Literargesehichte des Mittelalters.
35
III. Die Summa des Huguccio.
16. Der grosse Commentar des Huguccio zum Decret ist
ohne Zweifel die bedeutendste unter allen Arbeiten über diese Rechts
sammlung. Die altern Glossen und Summa, so anziehend sie sind
durch den Hauch der Ursprünglichkeit, der in ihnen weht, so freudig
wir in ihnen einzelne Spuren historisch - kritischen Bestrebens
begrüssen, das später ganz verschwindet, sind doch nur Aggregate
vereinzelter, durch äussern Zufall mit einander verbundener Bemer
kungen; wichtige rechtsdogmatische Fragen bleiben in ihnen gänz
lich unerörtert, sie leiden in dieser Beziehung sämmtlich an einer
gewissen Dürftigkeit. Bei Huguccio finden wir neben einer gross
artigen Fülle des Stoffs in viel höherem Grade als bei seinen Vor
gängern eine die einzelnen Theile in ihrer organischen Verbindung
erfassende Behandlung. Er benutzt die Arbeiten der frühem Glossa-
toren, wir finden bei ihm manche ihrer Bemerkungen wörtlich
wieder *), aber seine Selbständigkeit leidet noch nicht unter dem
Einfluss der Meinungen Anderer; seine Persönlichkeit tritt überall
und mitunter in sehr entschiedener Weise hervor. Mit ihm ist aber
für die Bearbeitung des Decrets der Höhepunct erreicht. Die bedeu
tenderen Kräfte wenden jetzt ihre Thätigkeit dem in den Decretalen
Alexanders III und seiner Nachfolger massenhaft sich häufenden
Stoff zu. Das ältere canonische Recht tritt gegen die neue kirchliche
Gesetzgebung welche, durch den wissenschaftlichen Geist der jungen
Schule zu Bologna angeregt, eine bisher nicht dagewesene Frucht
barkeit entfaltet, in den Hintergrund, nicht ohne das Bedauern der
älteren Glossatoren 2 ).
*) Zuweilen in einer Weise, die wir heutigen Tages als Plagiat bezeichnen würden. Es
scheint aber in der That, als wenn solche tralatitisclien Bestandtheile in den wissen
schaftlichen Arbeiten jener Zeit nicht gegen den gelehrten Brauch verstossen hätten.
2 ) Interessant ist in dieser Beziehung folgende Stelle aus einem Schreiben des Ste
phanus Tornacensis an den Papst: „Rursus si ventum fuerit ad judicia , quae
jure canonico sunt tractanda, vel a vobis commissa, vel ab ordinariis judicibus cogno-
scenda, profertur a venditoribus inextricabilis silva decretalium epistolarum, quasi
sub nomine sanctae recordationis Alexandri Papae; et antiquiores sacri canones ab-
jiciuntur, respuuntur, expuuntur. Hoc involucro prolata in medium ea quae in con-
ciliis SS. PP. salubriter instituta sunt, nec formam conciliis nec finem negotiis
imponunt, praevalentibus epistolis, quas forsitan advocant, et conductitii sub nomine
Romanorum pontificum jam prophetae in cubiculis suis confingunt et conscribunt.
3 *
36
Friedrich M nassen.
In der Glossa ordinaria zum Decret zeigt sich schon der
Verfall. Das Beste in ihr ist den früheren Commentarien und Glossen
entlehnt, häufig aber das Gute in jenen übergangen.
Der ein Jahrhundert nach Huguceio geschriebene Commentar
Guido's a Baisio, des Archidiakonus von Bologna, ist eigentlich
kein selbständiger Commentar mehr zum Decret, sondern Ergänzungen
der Glosse aus den Arbeiten des Johannes Faventinus, Huguceio,
Johannes de Deo u. s. w., ferner aus der Glosse zu Gregor’s IX
Decretalen und der Summa desGoffredus, den Apparaten InnocenzIV,
des Hostiensis u. a.
In dem gegen das Ende des vierzehnten Jahrhunderts geschrie
benen weitläufigen Commentar des Domini cus de S. Geminiano 1 )
und dem ein Jahrhundert später geschriebenen noch weitläufigem
des Cardinais Johannes Antonius de S. Georgio 2 ) wirken die
breiten scholastischen Ausführungen und die massenhafte Anhäufung
der Meinungen Anderer, hinter der die eigene Gedankenarmuth sich
versteckt, dermassen erdrückend auf den Geist, dass es grosse Über
windung kosten würde, die etwa in ihnen zu findende dogmen- und
literarhistorische Ausbeute ans Licht zu fordern.
17. Bei der höchst bedeutenden Stelle welche die Summa des
Huguceio in der Glossatorenliteratur einnimmt, ist es von Wichtig
keit zu wissen, über welche Theile des Decrets sie sich erstreckt,
und was wir gegenwärtig noch davon besitzen.
Die gewöhnliche Annahme über den ersten Punct ist folgende:
Huguceio habe seinen Commentar über das Decret nicht vollendet;
Novum volumen ex iis compactum et in schoiis solenniter
Iegitur et in foro venaliter exponitur“ etc. (ep. 241. bei Du Molinet). Das novum
volumen möchte ich doch mit Riegger, ßiblioth. jur. can. P. II. p. 98., für die
Comp. I. und nicht wie Richter, Kirchenrecht, §. 79, Note 3 für eine der früheren
Decretalensiimmlungen halten , da die Bemerkung , dass sie in den Schulen erklärt
werde, wohl auf die erste, nicht aber auf die letzteren passt.
*) Dnici de sancto geminiano commentaria . in . . decretorum volumen . Mediol.
per Leon. Pachel, 1305. Der Commentar geht nur bis zur C. XII. M. s. über seine
sonstigen Schriften 6esner. ßibl. Tigur. 1343. f. 214., wo der Commentar zum
Decret nicht genannt wird.
2 ) 1. Joh. Ant. de sancto Georgio Cardinalis . Super decretorum Volumina
commentaria. Mediol. per Ulder. Scinzinzeler, 1494. Enthält nur den Commentar
zum ersten Theil des Decrets. 2. Ejusd. commentum causarum et quaestionum com-
pilationis decretorum. Mediol. per J. A. Scinzenzeler, 1309. (Steht nicht bei Pan-
z e r.) Geht nur bis C. XII.
Beiträge zur juristischen Literargescliichte des Mittelalters.
37
später habe Johannes de Deo eine Fortsetzung unternommen;
diese sei aber ebenfalls nicht bis zum Ende des Decrets durchgeführt,
und daher das ganze Werk unvollendet geblieben i).
Es wird zweckmässig sein, zuvörderst zu prüfen, was sich
aus zwei von Sarti mitgetheilten Stellen des Johannes de Deo
über diese Frage ergibt. Der Cod. Vati c. 2280. enthält (nach Sarti's
Angabe) auf den ersten 371 Blättern die Summa des Huguccio,
nach dieser folgen bis zum letzten Blatte (fol. 388.) Zusätze des
Johannes de Deo 3 ). In welchem Verhältnis diese Zusätze zu
dem Hauptwerk stehen, erfahren wir zunächst aus der Vorrede des
Verfassers. Er sagt hier: „Noscat vestra docta prudentia, quod
magister Hugo morte praeventus non potuit ornnino perficere Sum-
mam Decretorum, sed defecit in XXIII. cap. cj. IV. etc. Quare ego
Johannes de Deo precibus et postulationibus magistrorum et schola-
rium et tuis praecipueDeodate aggressus sum opus perficere et divina
favente gratia consummavi“ 3 ). Am Schlüsse aber steht folgende
Bemerkung: „Explicit Summa Hug. Ferrariensis episcopi completa
a mag. Jo. de Deo doct. decr. canonico Ulixbonensi super IV caus.
scilicet XXIII. XXIV. XXV. XXVI., quapropter totum commentatum
est, tarn in litera, quam in sensu .... Tarnen super operis imper-
fectione veniam postulat a lectore. Alleluja“ 4 ). Aus dieser Schluss
bemerkung ergiebt sich, das die Zusätze des Johannes in einem Com-
mentar zu C. XXIII. — XXVI. bestehen»).
Es unterliegt nun keinem Zweifel, dass, wenn Johannes de Deo
in diesen beiden Stellen wirklich sagte, Huguccio habe ausser den
erwähnten vier Causä noch andere Theile des Decrets nicht com-
mentirt, dieses Zeugniss höchst beachtenswerth wäre. Er hat selbst
vielleicht kaum ein halbes Jahrhundert nach Huguccio canonisches
Recht in Bologna gelehrt; es ist nicht eben wahrscheinlich, dass er
*) Ich nehme Sarti ausdrücklich aus. Aus seiner Darstellung (P. I. p. 301. 333. 334.)
folgt bei genauerer Betrachtung das Gegentheil. — Auch Savigny (B. 3, S. 480
fg.) macht nicht ausdrücklich die obige Schlussfolgerung. Doch gebe ich zu , dass
das von ihm gesagte so verstanden werden kann.
2 ) Sarti, P. I. p. 333., P. II. p. 194.
3) Sarti, P. II. p. 194.
4 ) Sarti, P. I. p. 334.
5 ) Aus dieser Stelle dürfte auch das „XXIII. cap. q. IV etc.“ in der ersten Stelle , was
keinen Sinn gibt, zu berichtigen sein.
38
Friedrich M a a s s e n.
über eine so wichtige, die Interessen der Schule unmittelbar berüh
rende Thatsache sich geirrt haben sollte. Aber ich glaube, man wird
hei näherer Betrachtung zugeben, dass Johannes, weit entfernt dies
zu sagen, vielmehr das Gegentheil sagt. Er hat nach seiner aus
drücklichen Versicherung mit den von ihm commentirten vier Causa
das von Huguccio begonnene Werk vollendet; es ist jetzt ganz
commentirt: „totum commentatum est.“ Deutlicher konnte doch kaum
ausgesprochen werden, dass Huguccio ausser jenen vier Causae nichts
übrig gelassen habe. Allerdings würden wir trotzdem annehmen müs
sen, dass dies ein ungenauer Ausdruck des Johannes sei, wenn aus
andern Zeugnissen die Unrichtigkeit jener Thatsache mit zweifelloser
Nothwendigkeit folgte. Niemals aber würde doch Johannes selbst als
Zeuge für ihre Unrichtigkeit gelten können.
18. Diese Aussage des Johannes de Deo wird aber nicht nur
durch nichts widerlegt, es lässt sich vielmehr auch anderweitig der
positive Nachweis führen, dass Huguccio das Decret nicht blos bis
zur C. XXII., wasNiemand bezweifelt, sondern auch von C. XXVII. bis
zu Ende mit einem Commentar begleitet hat.
Die von mir benutzten Handschriften sind die bereits mehrfach
erwähnten, Cod. Bamb. P. II. 2S. und Cod. lat. Monac. 10247.
(Pal. M. 247.)
Die er stere, membr. saec.XIV. 278 fol., enthält den Commentar
des Huguccio bis zum Ende der C. XXII. vollständig. C. XXIII. bis
XXVI. fehlen. Von C. XXVII. ist wieder ein bis zum Schluss des
Decrets fortlaufender Commentar, der sich unmittelbar an das frühere
anschliesst und von derselben Hand geschrieben ist. Nur C. XXXIII.
q. 3. (de poenitentia) ist nicht erläutert. Statt dessen findet sich
folgende Bemerkung: „His breviter, intitulatur III. q. in qua pro-
lixius tractatus interseritur de poenitentia, qui quia specialem exigit
laborem, ei ad praesens supersedeo.“ Das Werk beginnt mit den
Worten: „Ad decorem sponsae, i. e. ecclesiae, post legem naturalem
secuta est lex mosaica.“ Der Schluss des Commentars zu C. XXII.
lautet: „Nullus, palea est sed promovendos compellit, ar.
Di.XXIII. Quamquam, et in extra Ego P etrus.“ C. XXVII. beginnt:
„Quidam votura. Quia senatus clericorum dignior est coetu
laicorum.“ Die Schlussworte des Werks sind: „Salvator
et ab alio dicitur procedere a filio quam cum dicitur procedere a
patre.“
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
39
Die Münchner Handschrift 1 ), membr. saec. XIV. 280 fol.,
stimmt im Übrigen völlig überein, nur fehlt der Commentar zu C. I.
und zur P. III. de consecratione.
Dass der Commentar von C. XXII. bis zu Ende, wie er uns in
der Bamberger Handschrift vollständig vorliegt, von Huguccio
verfasst ist, wird durch die Vergleichung der Glossa ordinaria
und des Commentars des Guido a Baisio zur Gewissheit. Nament
lich in dem letztem finden sich auf jedem Blatt Belege. Folgende
Proben aus beiden werden dies bestätigen.
Glosse zum Decret
c. 2. C. XXXII. q. 4. verb. area.
„Dicitur praesens ecclesia,
in qua mali permixti sunt
bonis, sieut in area palea
granis. H.“
ibid. Dict. Grat.
„Sane loquebatur magister
et bene solvit secundum H.“
Guido a Baisio
c. 2. C. XXVII. q. 1.
„De voto solenni intelligi-
tur. Hu.“
ibid.
„Viduitatis, i. e. casti-
tatis. Hu.“
c. 1. C. XXXV. q. 6. verb.
syno do.
„episcopali vel provinciali
secundum antiqua tempora,
cum causae tales in conciliis
Anonymer Commentar
c. 2. C. XXXII. q. 4. verb. area.
„Dicitur area praesens ec
clesia, in qua mali permixti
sunt bonis, sicut in area
palea granis.“
ibid. Dict. Grat.
„Sane loquitur magister et
bene solvit.“
c. 2. C. XXVII. q. 1.
„Et lmc caput similiter in-
telligitur de voto solenni vel
de praesenti.“
ibid.
„A proposito viduita
tis, i. e. a voto castitatis.“
c. 1. C. XXXV. q. 6. verb.
synodo.
„episcopali vel comprovin-
ciali secundum antiqua tem
pora, cum causae tales in
l ) Diese Handschrift würde ich entweder gar nicht oder nur mit vieler Mühe gefunden
haben, wenn nicht Herr Professor Kunstmann die Güte gehabt hätte, mir dieselbe
nachzuweisen. Sie wird nämlich allerdings von Savigny, 13. b, S. 480, Note d,
hier aber mit einer alten Nummer angeführt und ist auch in den Katalogen nicht
durch das gewöhnliche Mittel , die Angabe der Anfangsworte , kenntlich gemacht,
weil die ersten Blätter fast unlesbar sind.
40
Friedrich M nassen.
episeoporum tractabantur,
infra ead. Multorum in fi.,
et tota synodus vel conci-
lium est loco unius judicis.
Hu.“
c. 57. de consecr. Dist. IV. verb.
uniuscujusque ecclesiae.
„Hoc in multis locis fit, sed
in primo et ultimo scrutinio
omnes consueverunt venire
ad ecclesiam baptismalem.
Hug. “
conciliis episeoporum trac
tabantur, ut infra ead. Mul
torum, et tota synodus vel
concilium est loco unius ju
dicis.“
c. 57. de consec. Dist. IV. verb.
uniuscujusque ecclesiae.
„Hoc in multis locis fit, sed
in ultimo et in primo scru
tinio omnes consueverunt
venire ad baptismalem ec
clesiam.“
Auch den Commentar zu dem Tractat über die Busse, der in der
grossen Summa ad separatem verwiesen wird, bat Huguccio wirklich
noch geschrieben. In der Glossa ordinaria finden sich z. B. zu
c. 40. Dist. II., c. 24. 25. Dist. III. u. s. w. Glossen mit der Sigle des
Huguccio. In dem Apparat des Are hi diak onus begegnen wir seinen
Siglen zum tractatus de poenitentia fast bei jedem cap., bei manchen
5—6 mal.
19. Demnach hätte Huguccio über alle Theile des Decrets
geschrieben mit Ausnahme der C. XXIII.-—XXVI. Dass er diese vier
Causa nicht commentirt habe, wie Johannes de Deo positiv ver
sichert, scheint durch die beiden von mir benutzten Handschriften,
in denen übereinstimmend der Commentar zu ihnen fehlt, bestätigt
zu werden. Wie nun damit folgende Thatsachen zu vereinigen sind,
muss einstweilen unentschieden bleiben.
Erstens. Sarti bemerkt in einer Note zu seiner Biographie
des Canonisten Bazianus folgendes: „In Summa Huguccionis, quae
est in codice Vaticano 2280. Basianus appellatur .... :„„Basianus
tarnen distinguit.““ Hugucc. in c. S. Borna na. XXV. q. I. p. 254.
tit. cod. Vatic. cit.“ *). Die qu. I. cit. fängt in der That mit den
Worten Sancta Bomana an, zu c. 3. Dist. XV., welches ebenfalls
mit diesen Worten beginnt, wird Bazianus nicht genannt; es kann
daher kein Zweifel sein, dass die Zahlen richtig sind.
*) Sarti, P. . p. 293. not. d.
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
41
Zweitens. Savigny führt eine Stelle aus dem Commentar des
Huguceio an, die zu c. G. C. XXIV. q. 3. geschrieben ist 1 ). Die
Handschrift ist nicht bezeichnet.
Drittens. In dem Apparat des Arehidiakonus kommen
allerdings zu C. XXIII. — XXVI. Anführungen mit den Siglen des
Huguceio seltener vor, als in den meisten übrigen Theilen seines
Werks; aber sie kommen doch vor, und zwar einigemal in solcher
Weise, dass angenommen werden muss, der Verfasser habe diese
Bemerkung bei Huguceio an derselben Stelle gefunden 2 ).
Wie gesagt, es lässt sich zur Zeit nicht bestimmen, ob hier ein
Irrthum des Johannes de Deo vorliegt. Dieser wäre allerdings dann
möglich, wenn Huguceio diese vier Causä später mit einem Commentar
versehen, und diesen abgesondert herausgegehen haben sollte.
Daraus würde dann auch das übereinstimmende Fehlen dieses Stücks
in verschiedenen Handschriften erklärt.
20. Zu den von Savigny angeführten Handschriften der Summa,
Vatic. 2280., Paris. 3891. 3892., Florent. (Bandini IV. 24.),
bibl. Paul. Lips. 985. (Feiler, p. 228.), München bibl. Palat. VII.
1426. 3 ) Universitätsbibliothek zu Marburg, sind also noch hinzuzu
fügen Bamberg P. II. 25. und P. II. 28.
Die erste von diesen beiden ist die für die gegenwärtige Dar
stellungbenutzte. Diezweite kenne ich nicht aus eigener Anschauung;
nach den von Jäck in seiner Beschreibung der Bibliothek zu Bam
berg, Th. 1. S. 74. N. 577., mitgetheilten Anfangsworten bleibt es
aber nicht zweifelhaft, dass sie ebenfalls die Summa des Huguceio,
und nach den Endworten, dass sie auch den Theil de consecratione
enthält.
4 ) Savigny, B. 3, S. 492, Note e.
2 ) Ich will einige Beispiele anführen: c. 32. C. XXIII. q. 5.: „Ar. quod idolatrae mori
debent gladio, sed secus est in haereticis. IIu.“ — c. 1. C. XXIII. q. 7.: „Ideoque,
parentesis est hic. Hu.“ — c. 18. C. XXIII. q. 8.: „Sed bene determinat magister
infra §. proxi. secundum Ilug.“ — c. 23. C. XXIII. q. 8.: „Haec lex non est in C.
nostro, nec multum facit ad proposituin secundum Ilug.“ — c. 4. C. XXIV. q. 1.:
„Novam haeresim, utputa si quis diceret spiritum sanctum lilium patris, quia
nullus haereticorum hoc dixit. Hu.“ — c. 23. C. XXIV. q. 1.: „Mala, sc. haereti-
corum. Hu.“ — c. 3. C. XXV. q. 2.: „praeterea legunt quidam hoc de legato , sed
Hug. non sic intelligit.“
3 ) Jetzt Cod. lat. Monac. 10247. (Pal. M. 247.) Dass diese und die von Savigny
angeführte Handschrift identisch sind, wird dadurch zur Gewissheit, dass die Nummer,
welche Savigny nennt, auf der inneren Seite des Deckels mit Bleistift angemerkt ist.
42
Friedrich Maassen.
Über die vatikanis ehe Handschrift wird von Sarti Einiges
bemerkt 1 ). Es lässt sich aus diesen Angaben aber nicht mit Sicher
heit erkennen, über welche Theile der in ihnen enthaltene Commentar
sich erstreckt. In derMarburger Handschrift fehlt nach Bickell's
Angabe C. I. (wie in der Münchner) und nach der C. X. alles 2 ). Die
Pariser Handschrift 3892. bezeichnet Savigny als vorzüglich
gUt 3).
21. Es soll jetzt untersucht werden, ob sich über die Zeit der
Abfassung unserer Summa irgend etwas gewisses bestimmen
lässt.
Diplovataccius und Sarti nehmen das Jahr 1178 an auf
Grund einer Accusationsformel, in der sie diese Jahreszahl gefunden
haben 4 ). Sie folgern daraus freilich ausdrücklich nur, dass der Ver
fasser um diese Zeit in Bologna gelehrt habe. Aber ihre stillschwei
gende Voraussetzung ist offenbar doch, dass er an seiner Summa um
diese Zeit geschrieben habe. Aus diesem Umstande machen sie dann
erst jenen weitern Schluss. Ob dieser Schluss nothwendig sei, ist
freilich eine zweite Frage die nicht hieher gehört.
Dass Huguccio im Jahre 1178 bereits an seinem Werk gear
beitethat, ist nicht unmöglich: in wie weit durch die von Diplovatac
cius und Sarti gefundene Formel dies bewiesen wird, soll später
untersucht werden. Dass er es aber um diese Zeit noch nicht vollendet
haben kann, ist ganz gewiss. Er citirt nicht blos Decretalen Alexan
ders III, die mit Gewissheit schon später fallen, nämlich Schlüsse des
Conc. Lateran. III. an. 1179, sondern auch Decretalen Lucius III
(1181 —1185) und Urbans IHs) (1185 — 1187). Dass einigemal
Gregor VIII (1187) genannt wird, ist oben bereits erwähnt 6 ).
*) S ar ti, P. I. p. 353., P. II. p. 194.
2 ) Bicke 11, de Paleis, p. 6.
3 ) S avigny, B. 4, S. 456.
4) Sarti, P. 1. p. 296.
5 ) Z. B. c. 45. C.XXVII. q. 2. Dict. Grat, „sed nunc per Dei gratiam auctoritate Ä lexan-
dri et Urb ani tertii liaec pessima consuetudo abolita est per ultra montes et fere
per totam Italiain; sed adhuc inquinat ßononiam, Imolam et Mutinam, Regium et Par-
mam, ut audio. Papa etiam Lucius fuit in liac opinione pessima et pro hac dedit
sententiam reddens talem rationem, ne a pluribus cognosceretur, in illa Decretali
Q u a e s i t u m.“ (Eine Decretale Quaesitum von Lucius III, die hier gemeint sein
könnte, habe ich nicht gefunden.) Man vergleiche auch u. S. 44, Not. 1.
6 ) Man siehe §. 5.
Beitrage zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
43
Die Vollendung des Werkes ist aber noch später und zwar nacli
dem Erscheinen der Comp. I. zu setzen.
Wenn man die Summa des Huguccio mit den vor ihr geschrie
benen Commentarien und Glossen vergleicht, so fällt beim ersten
Blick der ungeheure Unterschied in der Zahl der citirten Decretalen
auf. Während in diesen äusserst selten Citate derselben sich finden,
sind sie beim Huguccio unzählig 1 ). Allerdings war zu der Zeit, wo
Johannes Faventinus und die früheren Glossatoren schrieben, auch
noch keine der uns bekannten vor die Comp. I. fallenden Decretalen-
sammlungen verfasst 2 ). Dieser Grund reicht aber zur Erklärung
jenes auflallenden Unterschiedes nicht hin. Es kommt hier nicht auf
die Frage an, ob ein einzelner Schriftsteller vielleicht die Mittel
hatte, sich die Kenntniss der neuern Decretalen zu verschaffen, son
dern darauf, ob er von seinen Lesern ein Gleiches voraussetzen
durfte. Dass ein Glossator eine Menge von Citaten hätte häufen
sollen, obgleich er von vorne herein die Gewissheit hatte, dass ihr
Inhalt der grossen Mehrzahl seiner Leser unzugänglich sei, ist denn
doch nicht anzunehmen. Nun waren aber ganz entschieden die vor
die Comp. I. fallenden Decretalensammlungen in weitern Kreisen
nicht verbreitet, und, was hier die Hauptsache ist, von der Schule
zu Bologna nicht recipirt. Sonst hätte auch Bernardus Papiensis als
einzigen Grund für die Herausgabe seiner Compilation nicht geltend
machen können, „ut . . . uherior allegationum vel judiciorum copia
praeparetur“ 3 ). Denn was die Comp. I. mehr enthält, als die drei
uns bekannten früheren Sammlungen, ist dem Umfange nach höchst
unbedeutend.
Aber nicht hlos in der Zahl der angeführten Decretalen, auch
in der Art zu ciliren ist ein grosser Unterschied. Bei Huguccio
bildet es die entschiedene Regel, die mit den Anfangsworten bezeich-
D Wenn Johanes Andrea von Huguccio sagt: „rarissime Uecretales atlegat“ (hei
Savigny, ß. 3, S. 633), so erregt dies den Verdacht, dass er die Summa desselben
nur oberflächlich angesehen habe.
2 ) Die s. g. Append. fällt nach dem concil. Lateran. III. Diese ist aber älter als die
Lips., die wieder der Cass. vorausgeht. Cf. Richter, de inedito Decretalium coli.
Lipsiensi, 1836. Man siehe über diese Sammlungen überhaupt Thein er, Disquis. p.
1—16. — Richter, l. c. — Walter, Kirchenrecht, §. 105. — Richter, Kirchen
recht, §. 74. — Phillips, B. 4. S. 214. fg.
3 ) In der Vorrede zu dieser Sammlung.
44
Friedrich Maassen.
nete Decretale zugleich als Extravagante zu bezeichnen *). Allerdings
findet die Beziehung dieses Ausdrucks auf nicht in dem Decret befind
liche Stücke sich schon vor der Comp. 1. 3 ), aber er kommt — selbst
im Verhältniss zu der geringen Zahl der angeführten Decretalen —
in so wenigen Fällen und in diesen in einer solchen Weise vor, dass
jeder Gedanke an eine bereits technisch gewordene Citirweise aus
geschlossen ist. Wenn nun plötzlich ein Schriftsteller in vielen hun
dert Fällen die Decretalen auf diese Art citirt, so muss ein objeetiver
Grund vorhanden sein, aus dem sich diese Veränderung erklärt, da
Willkür des einzelnen, ganz abgesehen davon, dass sie dem Geist
ener Zeit fremd ist, in diesem Falle schon mit der Natur des Gegen
standes nicht vereinbar ist.
Darin unterscheidet sich freilich die Citirart des Huguccio
von der später herrschenden, dass er niemals die Titelrubriken sei
nen Citaten beisetzt 3 ). Dies geschieht aber auch in andern, mit
Gewissheit nach der Comp. I. fallenden Glossatorenschriften. Die in
dem Cod. lat. Monac. 10244. enthaltenen Glossen zum Decret fal
len zum bei weitem grössten Theil schon in das dreizehnte Jahrhun
dert, Decretalen werden sehr häufig citirt; ich habe aber kein ein
ziges Citat mit Angabe der Titelrubrik gefunden.
22. Ist es somit schon durch die Zahl der angeführten Decre
talen und die Citirweise im Allgemeinen so gut als erwiesen zu
betrachten, dass dem Verfasser unserer Summa die Comp. I. bereits
Vorgelegen hat, so wird durch die besondere Natur einzelner Citate
jeder noch etwa mögliche Zweifel beseitigt.
Erstens. In den Compilationen kommen manche Decretalen
nicht als ein ganzes, sondern in mehreren getrennten Stücken unter
verschiedenen Titeln vor. Nun finden sich aber in einigen Citaten des
A ) Beispiele: c. 2o. Dist. L. „In ex Sicut Roma na“ (c. 4. Comp. I. de jurejurando,
2, 17.)— ibid. „In ex. Ex literis (c. 2. Comp. I. de consanguinitate, 4, 14).—ibid:
„In ex. I n t el 1 exi mus“ (c. II. Comp. 1. de off. jud. del. 1, 21.) — c. 4ü. C. XXVII. q.
2.: „Alex, in ex. L i e e t praeter, Significasti, Sicut Romana (c. 3. 8. 6.
Comp. I. de sponsa duorum, 4, 4.).— c. un. C. XXX. q. 2.: „Lucius tertius .... in
ex. Requisivit“ (c. 12. Comp. I. de sponsalibus, 4, 1.).
2 ) M. s. o. §. 2.
3 ) In Cod. lat. Monac. 10247. (Huguccio) sind bei vielen Citaten die Titelrubriken an
den Rand geschrieben. Diese Zusätze sind noch vor dem Erscheinen von Gregor IX
Decretalen verfasst. Der Beweis liegt darin, dass auch bei solchen Decretalen die
Titelrubriken angemerkt sind, die nicht in dieser Sammlung, wohl aber in den frühem
Compilationen sich finden.
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
45
Huguccio nicht die Anfangsworte der Decretale, sondern die eines
solchen Stückes derselben, welches in der Comp. I. ein eigenes cap.
bildet. Ein Beispiel wird dies bestätigen,
c. 20. C. XXVII. q. 2.
„Alex, dicit contra in ex. Praeterea. Ibi enim dicitur,
quod si voluntate uxoris intravit ipsa non profitente continentiam,
uxor potest eum revocare.“
Die citirte Extravagante ist c. 1. Comp. I. de convers. conjug.
3. 28. (c. 1. X. eod. 3, 32.) Dieses cap. ist aber nur derTheil einer
Decretale Alexander’s 111, deren erstes Stück („Super eo quod“)
c. 9. Comp. I. de regulär. 3, 27. (c. 9. X. eod. 3, 31.) steht. Die
Decretale ist freilich in dieselben Stücke auch schon in den drei vor
aufgehenden Sammlungen getheilt 1 ); in folgendem Falle ist aber an
keine dieser drei Sammlungen zu denken.
Zweitens. Extravaganten im ursprünglichen und eigent
lichen Sinne sind natürlich nur solche ausserhalb des Decrets befind
liche Bestimmungen des canonischen Rechts, die auf einer Gesetzes
kraft verleihenden Rechtsquelle beruhen. Das Breviarium extravagan-
tium heisst so a potiori. Dadurch haben nun aber auch die in ihm
enthaltenen wenigen Capitel die aus den Werken kirchlicher Schrift
steller entlehnt sind, den Namen Extravaganten erhalten. Das c. 1.
Comp. 1. de frigidis, 4, 16. (c. l.X. eod. 4, IS.) ist dem über poeni-
tentialis des Burchard von Worms entlehnt (üb. XIX. seiner
Sammlung). Es findet sich in keiner der drei frühem Decretalensamm-
lungen. Dieses nun wird von Huguccio als Extravagante in folgen
der Stelle citirt:
c. 3. C. XXXIII. q. 1.
„Spatium duorum mensium statutum est in ex. Accepisti.“
Diese Citinveise kann schlechterdings keinen andern Grund
haben, als weil das citirte cap. in der Comp. I. steht.
23. Huguccio ist im Jahre 1190 Bischof von Ferrara
geworden 3 ). Da nun das Erscheinen der Comp. I. ungefähr in die
selbe Zeit fällt 3 ), so muss Huguccio noch als Bischof an seiner
*) Cf. Richte r in c. 1. X. 3, 32., c. 9. X. 3, 31.
2 ) Sarti, P. I. p. 300. not. a.
3 ) Sie enthält schon Decretalen Clemens III (1187—1191), in der Vorrede nennt der
Verfasser sich noch Papiensis praepositus, im Jahre 1191 aber wurde er
Bischof von Faenza. Cf. Sarti, P. I. p. 303. — Theiner, Disquis. p. 1, 14. —
Phil I i ps, B. 4, S. 211.
46
Friedrich Maassen.
Summa geschrieben haben. Dass dies kein vereinzelt dastehender
Fall ist, zeigt das Beispiel des Bernardus Papiensis der, wie
er selbst bezeugt, als Bischof von Faenza eine Summa zu seinem Bre-
viarium extravagantium verfasst hat 1 ). Eben so scheint Vincentius
seinen Apparat zu Gregor’s IX Decretalensammlung als Bischof
geschrieben zu haben 3 ). Sinibaldus Fliscus schrieb noch als
Papst Innocenz IV seinen Commentar zu eben dieser Sammlung 3 ).
Mit diesem Ergebniss unserer Untersuchung liesse sich nun auch
sehr wohl vereinigen, dass Huguccio an seinem umfangreichen
Werke bereits im Jahre 1178 gearbeitet hätte. Durch die von Diplo-
vataccius und Sarti gefundene Jahreszahl wird aber um so weni
ger etwas bewiesen, als nicht einmal feststeht, dass sie in mehren
Handschriften sich findet.
Die Bamberger Handschrift hat an derselben Stelle 4 ) die
Jahreszahl 1183, die Münchnerll87. Aus welchem Jahre Huguc
cio sie selbst datirt hat, muss daher einstweilen auf sich beruhen.
*) M. s. bei Sarti. J. c. p. 304 die aus der Vorrede zu dieser Summa abgedruckte
Stelle.
2 ) Bei Sarti, P. I, p. 383, nach einem Cod. Barb.: »Ego Vincentius episcoporum His-
paniae minimus.“
3) Sarti, P. I. p. 346.
4 ) Nach Sarti’s Angabe verweist Diplovataccius auf c. Libellorum, Sarti selbst
verweist auf C. II. q. 7. Sie können beide nur das sich bei Huguccio zu c. 3. C. II. q. 8.
Dict. Grat, findende Formular eines Accusationslibells gemeint haben. Die in diesem
Dict. Grat, vorkommende 1. 3. D. de accusationibus, 48., 2., welche „Libellorum“ an
fängt, bildet nach der heute üblichen Zählung allerdings kein eigenes cap. desDecrets;
sie wird aber bei Huguccio als solches ausgezeichnet. Ein andres cap. mit dem Anfänge
„Libellorum“ kommt im Decret nicht vor.Dass mithin Diplovataccius diese Stelle
im Sinne gehabt hat,ist klar. Ebenso leidet es keinen Zweifel, dass Sarti das Zeichen
der q. 8. übersehen hat, oder dass es in der vatikanischen Handschrift fehlt. In der
von ihm angeführten q. 7. findet sich nämlich kein Formular bei Huguccio.
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
47
Zweite Abtheilung.
Rechtsquellcn.
I. Quellen des eanonischen Rechts.
A. Benutzung vorgratianischer Sammlungen.
24. Die Sammlung Gratian’s ist kein Gesetzbuch. Jede auf
genommene Stelle hat nur unter der Voraussetzung ihrer Überein
stimmung mit dem ursprünglichen Text und nur in sofern Anspruch
auf Geltung, als ihr diese auch ausserhalb des Decrets zukäme. Ehen
so ist umgekehrt eine nicht aufgenommene Bestimmung des canoni-
schen Rechts nicht etwa schon desshalh von der Geltung ausgeschlos
sen. In dieser Beziehung ist die Stellung der Glossatoren des Decrets
ihrem Gegenstände gegenüber eine ganz andere, als die der Glossa
toren des römischen Rechts. Für die Legisten ist in der Compilation
Justinian’s das gesammte geltende Recht enthalten, für dieDecre-
tisten ist das Volumen decretorum nur ein Hilfsmittel neben andern,
um sich die Kenntniss des geltenden Rechts zu verschaffen. Für die
Legisten hat die Interpretation die Aufgabe, die Absicht des Urhe
bers der Sammlung zu erkennen; der ursprüngliche Sinn der aufge
nommenen Stelle muss dem erkannten Willen Justinian’s im Falle
des Widerspruchs weichen; ihre Texteskritik besteht darin, den
justini anischcn Text zu finden. Für die Decretisten ist dieMeinung
Gratian’s eine ganz untergeordnete Frage; diese hat für sie keine
höhere Autorität, als die jedes andern Magisters, und ihre Textes
kritik hat vielmehr umgekehrt den Beruf, den ursprünglichen Text
den Abweichungen Gratian’s und seiner Vorgänger gegenüber her
zustellen.
Dass die Glossatoren des Decrets diese grundsätzliche Verschie
denheit der wissenschaftlichen Aufgabe beider Schulen theoretisch
erkannten, lässt sich aus vielen Stellen, mindestens indirect, bewei
sen. Eine andere Frage ist freilich, ob und in welchem Umfange diese
Erkenntniss von praktischem Einfluss auf ihre Arbeiten gewesen ist.
28. Eng damit zusammen hängt die Frage, zu deren Beant
wortung hier ein Beitrag geliefert werden soll: ob sie die früheren
4
48
Friedrich Maassen.
Sammlungen des canonisehen Rechts und welche unter ihnen sie
kannten und hei ihren Arbeiten benutzten? Für eine richtige Wür
digung des wissenschaftlichen Standpuncts der Glossatoren des
Decrets ist diese Frage nicht zu umgehen. Auf unser Urtheil über
den Werth ihrer Bestrebungen wird es von entschiedenem Einfluss
sein, wie die Beantwortung derselben ausfällt. Wir werden aber
auch in dieser Beziehung den wissenschaftlichen Verfall der spätem
Zeit gegenüber der frühem bestätigt finden. Während die Glossa
toren des zwölften Jahrhunderts auf die ältern chronologischen Samm
lungen zurückgingen, finden wir ein Jahrhundert später nur noch die
in kritischer Beziehung am aller niedrigsten stehende Sammlung des
Burehard von Worms benutzt, und auch diese vielleicht nicht
mehr unmittelbar, sondern auf Grund tralatitisch gewordener Citate.
1. Das zwölfte Jahrhundert.
Es lässt sich der Nachweis führen, dass von Glossatoren des
Decrets im zwölften Jahrhundert unmittelbar benutzt sind: a) Die
Sammlung des Dionysius Exiguus, in der Gestalt, in welcher
sie von Papst Hadrian I Karl dem Grossen überreicht worden ist;
b) eine andere, ebenfalls die historische Ordnung befolgende Samm
lung, welche das magnum corpus canonum genannt wurde,
während die Diönysio-Hadriana der über conciliorum hiess.
c) Von systematischen Sammlungen waren Ivo’s Pannormie, vor
allen aber Burchard’s Decret im Gebrauch *)•
a) Dionysio-Hadriana.
26. Der Beweis für die Benutzung dieser Sammlung liegt in
folgenden anonymen Glossen der Innsbrucker Handschrift von
Gratian’s Decret Nr. 90.
1. Glossa in c. 21. C. XII. q. 1. verb. et quibus voluerit
derelinquere.
„Tarnen de sua consanguinitate catholicis. Nam si haereticos
aut paganos aut a sua consanguinitate extraneos ecclesiae
*) Dass von den vielen systematischen Sammlungen des Kirehenrechts nicht noch einige
andere bekannt gewesen wären, soll nicht behauptet werden. So ist es z. B. gewiss,
dass Bernardus Papiensis für seine Decretalensammlung auch die coli. Anselmo
dedicata benutzt hat (in. s. u. §. 31). Ich habe hier nur diejenigen Sammlungen
berücksichtigt, für deren unmittelbare Benutzung bei der Erläuterung des Decrets
ich Belege gefunden habe.
Beiträge zur juristischen Literarg esehichte des Mittelalters. 49
suae in testamento praetulerit, ei post mortem anathema erit,
ut legitur in XLVIII. cap. affrie. coneilii.“
II. Glossa in c. 34. C. XII. q. 2.
„ln libro concif. cap. XLYIII. affrie. conciF“
III. Glossa in c. 1. C. XII. q. 3. verb. proposito.
„i. e. ut neque infideles neque a sua consanguinitate extra-
neos ecclesiae suae praeferant in testamento, ut legitur in
libro concili. c. XLVIII.“
IV. Glossa in c. 13. C. XVI. q. 3.
„Istud caput non bene respondet paragrapho. Non enim hic
de praescriptione agitur, sed in alio ejusdem coneilii cap.
seil. LXXXVI. Istud ergo non ad praescriptionem referas,
sed ad dioeceses sic conversas.“
V. Glossa in c. 4. C. XI. q. 3.
„Hinc colligitur, quod sententiam excommunicationis appel-
latio non suspendit. Verum si appellatio sententiam prae-
venit, statim ante causae principalis cognitionem absolvendus
est, sicut legitur in decretalibus epistolis ultimo cap. Leonis
in li.“
In den drei ersten Stellen wird der c. 48., in der vierte n der
c. 86. des afrikanischen Concils citirt. Dabei wird zweimal der über
coneil. oder concili. genannt. Es ist aus einem erst später anzuführenden
Grunde nicht unwahrscheinlich, dass der Glossator über concilio-
rum geschrieben hat. Dann würde der Na me einer Sammlung darunter
verstanden sein, und zwar nothwendig der einer chronologi
schen *). Soll es dagegen heissen über co ueilii, so würde dies so
viel bedeuten als Text des ganzen Concils, ebenfalls im Gegen
satz zu den eine systematische Ordnung befolgenden Compilationen, in
denen die einzelnen Canonen eines Concils an ganz verschiedenen Orten
stehen. Beides hat für die zunächst zu erörternde Frage eine voll
kommen gleiche Bedeutung. Dass afrikanische Concilien nur aus Samm
lungen bekannt waren, versteht sich nämlich ohnedies von selbst.
27. Die citirten Canonen sind in dem ursprünglichen Dionysius
c. 81. und c. 119. seiner Sammlung afrikanischer Canonen (s. g.
*) Dies Wort ist nicht strict zu nehmen; es soll hier nur den Gegensatz von syste
matisch bezeichnen.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXIV. Bd. I. Hft.
4
so
Friedrich M a a s s e n.
codex canonum ecclesiae Africanae) »), in der Hadriana führen sie als
Canonen des concilium Africanum 2 ) die in den Glossen angegebenen
Numern 3 ). Da es nun feststeht, dass diese Zahlung und Benennung
zugleich 4 ) in der Hadriana zuerst sich findet, was hier als be
kannt vorausgesetzt werden darf 5 ), so ist damit auch gewiss, dass nur
diese Sammlung den Citaten zu Grunde liegen kann. Die Frage ist nur,
ob mittelbar oder unmittelbar. Dass das letztere angenommen werden
muss, wird durch folgendes zur grösstmöglicheu Gewissheit.
Erstens. Die Verweisung auf den über concilii oder der Name
über conciliorum setzen nothwendig eine chronologische Samm
lung voraus. Nun sind alle uns bekannten nach der Hadriana fal
lenden Sammlungen systematisch geordnet mit einziger Ausnahme der
(ungedruckten) coli, trium partium, welche in ihren ersten
beiden Theilen die chronologische Ordnung befolgt«). Diese Samm
lung — in der übrigens nach Thein er’s alphabetischem Index über
die Capilel einiger wichtigen vorgratianischen Sammlungen 7 ) beide
Stücke fehlen — bat aber ihre Concilien nicht aus der Hadriana ent
lehnt. Sie hat daher wohl sieben carthagische Concilien und eines
von Moleve (wie die spanische und nach dieser Pseudiisidor) 8 ), aber
eben desshalb nicht Ein concilium Africanum. Dadurch ist auch diese
ausgeschlossen.
Es ist aber zweitens im höchsten Grade unwahrscheinlich, dass
eine nach der Hadriana neu entstandene chronologische Samm
lung bis jetzt nicht blos nicht aufgefunden sein, sondern auch keine
anderweitige Spur ihrer Existenz zurüekgelassen haben sollte. Die
seit dem achten Jahrhundert entstandenen kirchenrechtlichen Samm-
A ) Justell., ßiblioth. jur. can. vet. T. I. p. 158. 168.,' cf. p. 370. 393.
z ) „Explicit Africanum concilium.“ So bei Hartz he im, Concil. Germ. T. 1. p. 234. nach
drei kölnischen Handschriften (Walter, Kirchenrecht, §.83, Not. 9.) Cf. Ballerin.
De antiq. can. coli. P. III. c. II. n. 2.
3 ) H a r t z h e i rn, 1. c. p. 217. 226.
4 ) Dieselbe Zählung findet sich auch schon in dem Breviarium und der Sammlung des
Cresconius (Justell. 1. c. p. 457. —466., Append. p.XXXHI.— CXXII.); aber statt
allgemein als afrikanisches wird das Concil hier als ca r th a gisch e s bezeichnet.
5 ) Ich verweise hiefür auf Ballerin. 1. c. P. II. §. 8.
6 ) Man vergl. über diese Sammlung namentlich T h ei n e r, Disquis. crit. p. 141. — 196.—
Savigny, B. 2, S. 301 — 303, 311 — 317.— Wasser sc hieben, Beiträge zur
Kenntniss der vorgratianischen Rechtsquellen, S. 47—57.
7 ) T h ei ner, Disquis. Append. II.
8 ) Cf. T h e i n e r, I. c. p. 159.
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters. 51
lungen, von denen wir bis jetzt nichts wissen, sind sicher alle von
untergeordneter Bedeutung.
28. Die fünfte der angeführten Glossen enthält das Citat:
„in decretalibus epistolis ultimo cap. Leonis in fi.“ Aus
dem Zusammenhänge ergiebt sich, dass folgende Stelle aus dem
Schreiben Leo’s des Grossen an die mauritanischen Bischöfe
gemeint ist: „Causam quoque Lupicini episcopi illic jubemus audiri;
cui multura et saepius postulanti communionem hac ratione reddidimus,
quoniam cum ad nostrum judicium provocasset, immerito eum pen
dente negotio a communione videbamus fuisse suspensum“ etc. 1 ).
Dieses Schreiben ist in der Hadriana als cap. 49. der Decreta Leonis
zugleich das letzte Capitel derselben. Die citirte Stelle steht hier
ganz gegen das Ende. Das Citat passt daher vollkommen auf die
erwähnte Sammlung. Es lässt sich aber auch zeigen, dass es nur auf
sie passt.
Unter den sechzehn Sammlungen von Briefen Leo’s, in denen
die Ballerini dieses Schreiben gefunden haben, fehlt in neun das
ganze letzte Stück desselben von den Worten „in eos specialius et
propensius und mit diesem Stück auch die citirte Stelle. Die
übrigen haben allerdings dieses Stück, aber es bildet nur in zwei
von ihnen den Schluss des Schreibens, in fünf Sammlungen folgt auf
dasselbe der Theil des Briefes, welcher in der Ballerinischen Aus
gabe unmittelbar vorausgeht, von den Worten „Donatum autem“
(c. 6. 7. 8. und ein Theil des c. 9. dieser Ausgabe). Auf diese fünf
passt daher schon aus dem Grande das Citat nicht, weil die citirte
Stelle nicht „in fine“ steht, wenn auch wirklich bei ihnen das
Schreiben an die mauritanischen Bischöfe das „caput ultimum“ der
Briefe Leo's wäre. Von allen sechzehn Sammlungen kommen daher
nur zwei in Betracht. Diese sind: 1. eine Sammlung päpstlicher
Decretalen, die sich im Cod. S.Marc. 182. zu Florenz befindet, und
2. die Dionysio-Hadria na. Die erstere fällt dadurch von selbst
fort, dass unter den vierundzwanzig Briefen Leo’s, die sie enthält, der
Brief an die mauritanischen Bischöfe der achte ist 2 ). Es bleibt daher
*) S. Leo n. M. Opera ed. Ballerin. epist. XII. c. 12. (Bei M i g n e Patrol. T. LIV.
col. 655.)
2 ) Das ^tatsächliche in dieser Ausführung gründet sich auf die Angabe der Ballerini in
ihrer Vorrede zu den Briefen Leo’s (Bei Migne, 1. c. col. 551.—582.) und ihrer
Vorbemerkung zu epist. XII. (Bei Migne, I. c. col. 639. — 646.)
4°
52
Friedrich Maassen.
nur noch die Hadrian a. Diese hat den sieben Briefen Leo’s, welche
die reine Dionysische Sammlung in achtundvierzig Capiteln bringt, als
neunundvierzigstes Capitel noch das Schreiben an die mauritaniscben
Bischöfe angehängt *)•
Damit ist nun freilich erst erwiesen, dass unter den von den
Ballerini berücksichtigten Sammlungen keine andere dem Citat
zu Grunde liegen könne. Die coli, trium partium, die ihnen
übrigens bekannt war 2 ), gehört nicht unter diese. Ich habe eine Hand
schrift dieser Sammlung nicht selbst benutzen können 3 ), und muss
mich daher auf den Index Theiner’s und die von ihm zu dieser
Sammlung gegebene Inhaltsübersicht 4 ) verlassen. Hiernach steht
unsere Stelle in der coli, tripartita entweder gar nicht, oder doch an
einem Ort, auf den das Citat nicht passt 5 ).
In den von mir verglichenen gedruckten und den in Theiner's
Index berücksichtigten Sammlungen, welche eine systematische
Ordnung befolgen, findet sich die Stelle gar nicht 0 ).
Möglich bleibt es nun trotzdem, dass entweder erstens in
einer den Ballerini nicht bekannten Sammlung von Briefen Leo’s das
Schreiben an die mauritaniscben Bischöfe, und in diesem unsere
*) So auch bei J usteau, dem kein reiner Dionysischer Codex vorlag.
2 ) Cf. Ball er in. De antiq. coli. can. P. IV. c. XVIII. n. 2.
3 ) Handschriften sind angeführt bei S a vigny, B. 2, S. 301.
4 ) Th ei n er, 1. c. p. 159.
5 ) Die Sammlung hat nämlich P. I. Tit. 43. eiuundfünfzig Capitel aus Briefen Leo’s.
In dem alphabetischen Verzeichniss Theiner’s kommt aber der Anfang unseres Capi-
tels „Causam quoque Lupicini“ gar nicht vor. Dagegen ist das unserem Cap. in dem
Schreiben unmittelbar vorausgehende Stück mit den Anfangsworten: „De his autem,
quae in sacro“ nach dem erwähnten Verzeichniss in der coli, trium part. das neu n-
undvierzigste Capitel. Es wäre nun mög ich — wenn auch nicht wahrscheinlich,
da beide Stücke von ganz verschiedenen Gegenständen handeln, — dass unsere Stelle
einen Theil dieses Capitels bildete. Dann würde auf sie das Citat aus dem Grunde
nicht passen, weil es an der Eigenschaft des „ultimum cap.“ gebräche. Es bleibt
mithin nur die obige Alternative.
6 ) Die in dem Schreiben Leo’s unmittelbar vorausgehende Stelle steht bei B u r cli. 1.
VIII. c. 69., Jv. D e c r. P. VII. c. 87., C o 11. A n s e 1 m o d e d. 1. VI. c. 57. (Die letztere
lässt Theimer allerdings unerwähnt, dagegen wird sie bei Richter, Beiträge zur
Kenntniss der Quellen des canonischen Rechts, S. 61, angeführt.) Nach der äusserst
gefälligen brieflichen Mittheilung des Herrn Dr. M icha el Stenglein, k. Biblio
thekars in Bamberg, ist auch in der Coli. Anselm, ded. (C o d. B a m b er g. P. I.
12.) unsere Stelle nicht mit c. 57. cit. verbunden. Dies cap., welches hier die mit dem
Citat der Glosse ähnliche Aufschrift hat: „Leonis papae cap. XLIX. in fine,“ schliesst
nämlich mit den Worten : „quod non voluntas admittit, sed vis hostilis eripit,“ also
mit den Worten, nach denen in dem Schreiben selbst unsere Stelle beginnt.
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
53
Stelle, gerade an demselben Ort stände, wie in der Dionysio-
Hadriana, oder dass zweitens in einer nicht verglichenen systema
tischen Sammlung das citirte Capitel eine dem Citat der Glosse
wörtlich entsprechende Aufschrift hätte. Jedenfalls würde beides
aber ein ausserordentlicher Zufall sein.
Ich halte durch diese fünf Stellen der Innsbrucker Handschrift
die Benutzung der Hadriana für hinreichend erwiesen.
b) Das magnum Corpus canonum.
29. In der Innsbrucker Handschrift Nr. 90. linden sich
folgende zwei Glossen des Cardinalis:
I. Glossa in c. 9. C. XXVII. q. 1. verb. tectae.
„In magno corpore canon invenitur consecratae. C.“ !).
II. Glossa in h. 1. verb. simulaverunt.
„In magno corpore canon invenitur promisert. C.“
Die glossirte Stelle des Decrets lautet: „Hae vero, quae nec-
dum sacro velamine tectae tarnen in proposito virginali semper se
permanere simulaverunt“ etc.; sie ist dem Schreiben Innocenzl
ad Victric. Rotomag. entlehnt. Dies Schreiben steht in vielen der
älteren abendländischen Canonensammlungen bis auf Pseudoisidor
herab 2 ), das von Gratian aufgenommene Stück auch bei Burch. 1. III.
c. 12., Iv. Decr. P. VIII. c. 18., und nach Richter’s Bemerkung zu
dieser Stelle auch Polycarp. 1. IV. t. 3S. 3 ).
Für die Frage, welche dieser Sammlungen das magnum corpus
canonum sei, sind natürlich von vorne herein alle diejenigen ausge
schlossen, in denen sich die in den Glossen angeführten Lesarten
nicht finden. Zu diesen gehören Dionysius und Pseudoisidor 4 )
und nach diesen die spätem systematischen Sammlungen.
*) Dieselbe Glosse ohne Sigle steht auch in Cod. lat. Mona c. 10244. (M. s. o. S. 27, Not.l.)
2 ) Sie sind aufgeführt von den B a 11 e r i n i zu ihrer Ausgabe dieses Schreibens in der
mit Leo’s Werken herausgegebenen Q uesneH'schen Sammlung. (Bei Migne,
Patrol. T. LVI. col. 519. not. a.)
3 ) In der coli. Anselmo ded. steht es nach dem übereinstimmenden Zeugniss von
Theiner’s Index und von Richter, Beiträge, S. 61, nicht. Ebenso wenig ist in
dem genannten Index und in R i ch t e r’s Noten zu dieser Stelle bei Gratian die
coli. fr. p a rt genannt.
4 ) Sowohl in der M e r 1 i n’schen Ausgabe als in der von Co u sta nt (m. s. fg. S.Not. 6.)
und den B al le rini (cf. Not. Ballerin in h. I.) verglichenen Handschriften.
54
Friedrich Maassen.
30. Folgende fünf Sammlungen haben die Lesarten des magnum
corpus canonum: 1. die älteste unter den bekannten abendländischen
Sammlungen, welche in dem Cod. Vat. Reg. 1997. enthalten ist 1 ).
2. Die Sammlung des Cod. ßarb. 2883. 2 ). In diesen beiden Samm
lungen nach der Angabe der Bailerini 3 ). 3. Die Sammlung des
Cod. Colbert. 784. 4 ). 4. Der aus dieser und der Quesneü’schen
entstandene erste Theil des Cod. Colbert. 3368. 5 ). In den zuletzt
genannten beiden Sammlungen nach den Angaben von Coustant 6 ).
5. In der ächten Hispana, wie sie uns in der Madrider Aus
gabe gedruckt vorliegt 7 ).
Es könnte auffallend erscheinen, dass Pseudoisidor, der, wie die
meisten ächten Decretalbriefe, so insbesondere auch dieses Schreiben 8 )
aus d er Hispana entlehn t hat, in diesem einzelnen Punct von ihr ab weicht.
Die Erklärung liegt in Folgendem. Die Ball er ini haben zuerst darauf
aufmerksam gemacht, dass die in Frankreich entstandenen Hand
schriften der Hispana von denspanis ch e n namentlich auch durch viele
gleichmässige Abweichungen in den Lesarten sich unterscheiden 9 ). Eine
A ) Sie ist beschrieben B a 11 e r i n, De antiq. can. coli. P. II, c. IV.
2 ) Sie findet sich noch in cod. Vat. 1342. Die Beschreibung geben die Ball er in.
1. c. c. VII.
3 ) ln ihrer Note ad v. tectae dieses Schreibens. (Bei Migne, 1. c. col. 526. not. i.)
4 ) Dieselbe Sammlung enthält cod. Luc. 88.— Sie ist beschrieben von Coustant, De
antiq. can. coli. §. IV.— Ball er in. 1. c. p. II. c. VI.
5 ) Beschrieben von Coustant, 1. c. §. V. Cf. Bai ler in. 1. c. c. VIII. n. 3.4.
6 ) Coustant, Epist. R. P., T. I. col. 756., liest selbst einmal „tectae“ und später
„p romiserunt.“ Adv. tectae bemerkter: „In duobus mss. consecratae“,
und ad v. promiserunt: „cum duobus mss. C o 1 b ert.“ Entweder sind unter den
zuerst erwähnten beiden mss. auch die später genannten mss. Colbert. verstanden,
was ich annehme, oder es sind jedesmal andere Handschriften gemeint: nur in dem
ersteren Falle kommen sie für unsere Frage in Betracht, da natürlich eine Überein
stimmung in b ei d e n Lesarten erforderlich ist. — Unter dem in derselben Note für die
Quesnell’sche Lesart: „se permanere simulaverunt“ angeführten cod. Colbert.
ist eine von Coustant benutzte Handschrift der Q u e s n e 1 l’schen Sammlung ver
standen, früher cod. Thuan., später Cod. Colb ert. 932. Dieser ist daher nicht
mit den beiden oben erwähnten Cod. Colbert. zu verwechseln. Man vergl. neben
Coustant die Note der Ball erini adv. tectae. — Das Verständniss der Noten
der Ballerini und Coustant’s setzt die Bekanntschaft mit ihren Abhandlungen über die
alten Canonensammlungen und bezüglich der ersteren auch die Bekanntschaft mit
den verschiedenen kleinen Abhandlungen, Vorreden u. s. w. derselben in ihrer Aus
gabe von Leo’s Werken voraus.
7 ) Collectio canonum eccl. Hispanae, Matrit. 1808. — Epistolae decretales R. P. Ma-
trit. 1821.
8 ) Dies ergiebt sowohl die Eintheilung als die Rubricirung der Capitel.
9 ) Balle rin. De antiq. can. coli. P. III. c. IV. §. 5.
SK
s
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters. 53
solche Verschiedenheit der beiden Classen liegt aber in unserm Falle
vor. Bei der Madrider Ausgabe derHispana sind nur spanische Hand
schriften benutzt J ). Von sämmtlichen neun Handschriften , die ver
glichen sind, wird keine als abweichend genannt; es haben mithin
präsumtiv alle die erwähnten Lesarten. Dagegen hat Coustant für
seine Epistolae R. P. Handschriften der Hispana von fränkischem
Ursprünge benutzt 2 ). Aus seinen Anmerkungen zu unserer Stelle
ergiebt sich aber, dass er in seinen Handschriften der Hispana die
gewöhnlichen Lesarten „tectae“ und „simulaverunt“ gefunden
hat 3 ). Diese gehören also zu den erst später in fränkischen Hand
schriften entstandenen. Ihre Entstehung ist hei dem Umstande, dass
sie sich in verschiedenen anderen und zum Theil sehr verbreiteten
Sammlungen tindet, nicht eben schwer zu erklären. Diese Verände
rung ist demnach nicht erst durch Pseudoisidor, sondern schon
vor ihm durch eine andere Hand bewirkt.
31. Wenn wir nicht annehmen wollen, dass der Cardinaiis eine
uns bis jetzt noch unbekannt gebliebene Sammlung benutzt hat —
was jede weitere Erörterung überflüssig machen würde -—, so müsste
also unter diesen fünf Sammlungen das magnum corpus canonum sich
belinden.
Wenn ich der Ansicht bin, dass unter ihnen für die spanische
Sammlung am meisten spricht, so scheint mir darauf allerdings kein
Gewicht gelegt werden zu können, dass von den übrigen vier nur je eine
1 ) M. s. das in der Vorrede gegebene Verzeichniss.
2 ) Cod. Laudun. Noviom. Bellovac. Suession. (Coustant, De antiq. can.
eoll. §. IX. n. 140. Cf. Ballerin, 1. c. §. 1. i. f.) Von dem cod. Ger und., der
allerdings spanisch ist, erklärt Coustant 1. c. nur ein specimen gehabt zu haben. An
verschiedenen Stellen seines Werks werden auch noch cod. Coislin. und cod.
Colbert. 408. genannt, ohne dass erhellte, wie weit dieselben für den Text berück
sichtigt sind. Die letzten beiden halten die B allerini mehr den spanischen als den
fränkischen Handschriften der Hispana verwandt.
3 ) Adv. tectae erwähnt er die Hispana nicht; ad v. simulaverunt heisst es in
der Note: „Veteres edit. conciliorum cum mss. coli. Dion. Hadr. Hisp. et Isidor.:
semper se simulaverunt permanere.“ Ebenso die ßallerin. ad h. I. Der Cod.
Va tic. 1341. der spanischen Sammlung, den sie benutzt haben, ist auch fränkischen
Ursprungs; den wegen seines Alters berühmten cod. C. R. Vi n d o b. 41., der zur Classe
der spanischen gehört, haben sie nur für die B r i e f e L e o’s benutzt; sie nennen ihn
nicht in ihrer Vorrede zur Quesne ll’schen Sammlung, gedenken auch in ihrer Be
schreibung der spanischen Sammlung nur der Benutzung für Leo’s Briefe. Ich zweille
keinen Augenblick, dass in der Wiener Handschrift sich die Lesarten „consecratae“
und „promiserunt“ finden.
ä
56
Friedrich Maassen.
oder zwei Handschriften uns erhalten sind. Denn einerseits sind die
zufälligen Umstände, die einem einzelnen Glossator ein Exemplar
zugeführt haben können, unberechenbar, andrerseits ist die Zahl der
in Italien sich findenden Handschriften der Hispana ebenfalls eine
sehr geringe J ).
Erheblich aber ist die Übereinstimmung des Namens der Hi
spana mit der Bezeichnung, deren der Cardinalis für die von ihm
benutzte Sammlung sich bedient. In den Handschriften der Madrider
Ausgabe heisst die Hispana der über canonum 2 ). Dass sie auch das
corpus canonum genannt wurde, erfahren wir aus einem Schrei
ben Innoeenz III ad Petrum Compostell., in dem sich folgende
Stelle findet: „Emeritense vero concilium authenticum multis ratio-
nibus astruebas, tum quia cum aliis conciliis continetur in libro,
qui corpus canonum appellatur, quem Alexander papa per
interlocutionem authenticum approbavit“ 3 ). Dass hier nur die ächte
spanische Sammlung und nicht etwa Pseudoisidor gemeint sein kann,
ist, von andern Gründen gänzlich abgesehen, desshalb gewiss, weil
sich nur in der erstem das genannte Concil findet 4 ). Und dass es
sich um einen eigentlichen Namen, nicht blos um eine Gattungs
bezeichnung handelt, erhellt aus den mitgetheilten Worten aufs deut
lichste 5 ).
Der Name corpus canonum kommt zu derselben Zeit noch für
die coli. Anselm o dedicata vor 6 ). Da sie das in Rede stehende
!) Die ß allerini kannten nur drei. (De antiq. can. coli. P. III. c. IV. n. 12.)
2) Edit. Matrit. p. I. — Cf. ibid. Not. 1.
3 ) I nno c en t. III. Epist. ed. Bai uz. lib. II. ep. 133. Cf. B a 11 er i n. 1. c. P. III. c. IV.
n. 12., wo diese Stelle abgedruckt ist. Statt „approbavit“ lesen sie aber — natür
lich durch Versehen — „a p p e 11 a v i twas zu der Annahme verleiten könnte, als
hätte Alexander der Sammlung einen neuen Namen gegeben.
4 ) Cf. ß a 11 e r i n. 1. c. und c.VI. n. 14. — Das concil. Em er i t. bildet einen Bestandtlieil
der spanischen Sammlung in derjenigen vemehrten Gestalt, in der sie jetzt in der
Madrider Ausgabe gedruckt vorliegt.
5 ) Es bedarf daher gar nicht noch der Hervorhebung, dass es in jener Stelle des Schrei
bens darauf ankommt, die spanische Sammlung von dem D e c r e t, das cor
pus canonum von dem corpus decretorum zu unterscheiden. Es heisst nämlich
nach „approbavit“ weiter: „tum quia de ipso concilio sumtum est illud capitulum
Priscis quidem canonibus, quod continetur in c o rp o re decretorum.“
6 ) Sa vi gny, B. 2, S. 291, Not. b. — Richter, Deinedita de cretal. coli. Lips.p. 18. —
Man versteht daher jetzt auch die Worte aus der Vorrede Burchard’s von Worms:
„ex ipso nucleo canonum, quod a quibusdam corpus canonum vocatur,“ die man
früher auf Ps eu doisi d or bezog (Balleri n. 1. c. P. IV. c. XII. n. 5.), von der coli.
Ans elmo ded. (P hi 11 ip s , B. 4. S. 126. M. vgl. Richter, Beitrages. 33).
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
57
Capitel aus dem Schreiben Innocenz I ad Victric. Rotomag. nicht
aufgenommen hat *), so kann natürlich an sie nicht gedacht werden.
Aber es wird damit erklärt, wesshalb der Cardinalis die von ihm
benutzte Canonensammlung das magnum corpus nennt. Er unter
scheidet sie auf diese Weise yon der ebenfalls corpus canonum
genannten coli. Anselmo dedicata.
32. Trotzdem halte ich es nicht für wahrscheinlich, dass diese
Sammlung eine grössere Verbreitung unter den Glossatoren gehabt
hat. Dass ein einzelner Glossator sich eine Abschrift derselben ver
schafft habe, darin liegt nichts unwahrscheinliches, gegen eine allge
meinere Benutzung spricht aber allerdings die bereits erwähnte
höchst geringe Zahl der in Italien sich findenden Handschriften.
Eher würde ich eine ausgedehntere Kenntnniss der spanischen
Sammlung in ihrer verfälschten Gestalt hei den Glossatoren für
möglich halten. Dass Pseudoisidor einzelnen Glossatoren bekannt war,
wird durch folgende Stelle der anonymen Summa des Cod. Bam
berg. P. II. 26. 3 ) bezeugt:
c. 4. Dist. XVI.
„Composuit Ysidorus librum ex diversis canonibus, in quo
primo tractat de celebratione conciliorum, postea ponit canones
apostolorum, postea aliorum apostolorum (1. apostolicorum)
secundum ordinem successionis et illi operi praemittit Ysidorus
epistolam istam: Ysidorus etc., tamquam prologum. Liber iste
Ysidori appellatur über canonum.
Das commentirte cap. Gratian’s ist eine Stelle aus der Vorrede
zur pseudoisidorischen Sammlung, die in der ächten Hispana sich
nicht findet.
Einen noch unzweideutigeren Beweis gewährt eine Bemerkung
derselben Summa zu c. 10. Dist. XVI. Dieses cap. hat bei Gratian
keine Inscription, die Summa bemerkt aber zu den Worten desselben
„inferius annexa“ folgendes: „i. e. in libro Ysidori, unde ista
excepit G.“ In der That findet sich diese Stelle in der pseudoisidorischen
Sammlung (vor der Vorrede). -—Dasselbe ergiebt sich aus einer Notiz
des Johannes Faventinus zu c. 4. Dist. XVI. An der Spitze der
D M. s. o. S. 53, Not. 3.
2 ) Dass diese Summa, von der bereits mehrfach die Rede gewesen ist (m. s. o. S. 11,
Not. 6), ins XII. Jahrh. falle, werde ich bei einer andern Gelegenheit nachweisen.
38
Friedrich Maassen.
pseudoisidorischen Sammlung steht nämlich ein Theil der Vorrede der
ächten Hispana, mit der Überschrift: „Quo tempore concilia celebrari
coeperunt et de quatuor conciliis, “ dann folgen einige historischen Daten
über die sechs ältesten ökumenischen Concilien , darauf noch einige
andere Stücke, nach diesen die Vorrede Pseudoisidor’s, an diese
schliesst sich der ordo de celebrando concilio, den der Cornpi-
lator dem concil. Tolet. IV. entlehnt und hier vorangestellt hat. In
dem von Gratian aufgenommenen Theil der Vorrede wird eine kurze
Übersicht über den Inhalt des Werks gegeben und dabei auch des
ordo de celebrando concilio gedacht, von den der Vorrede voraus
gehenden Stücken wird dagegen nichts erwähnt. Offenbar ist es der
Zweck der folgenden Worte des Johannes Faventinns hier eine
Ergänzung zu machen:
„Primus ordo de celebrando concilio insertus
habetur, i. e. in primo ordine, hoc est, in liminari pagina
illus lihri, quem ego condidi, ubi continentur canones, inseritur •)>
qualiter fuerint celebrata vel sint celebranda concilia.“
Mir scheint daher folgende Version am meisten für sich zu haben.
Für die Frage, welche Sammlung unter dem magnum corpus canonum
verstanden sei, ist nicht auf den Un terschied der ächten spani
schen Sammlung von der verfälschten, sondern auf ihreÜberein-
stimmungGewicht zu legen. Das magnum corpus canonum ist die
jenige Sammlung, welche man zu jener Zeit dem heil. Isidor von
Sevilla zuschrieb. Dass die Sammlung in ihrer ursprünglichen Gestalt
und die später mit vielen falschen Documenten vermehrte zwei wesent
lich verschiedene Werke verschiedener Verfasser seien, wussten die
Glossatoren eben so wenig mit Sicherheit wie das ganze Mittelalter.
Allerdings wird in der zuerst angeführten Stelle der Bamberg er
Summa die Isidoriana, die hier mit Gewissheit die verfälschte Sammlung
ist, nicht corpus, sondern über canonum genannt. Dieser Name
kommt aber, wie oben bereits bemerkt ist, gerade auch für die ächte
Hispana vor. Das Bewusstsein von der wesentlichen Verschiedenheit
beider Sammlungen wird daher hiedurch am allerwenigsten bewiesen.
Liber canonum und corpus canonum ist derselbe Name. Was den Namen
ausmacht ist das canonum. Eine Analogie bietet die bei den Glossa-
*) Sowohl Cod. lat. Monac. 3873. als Cod. Bamb. P. II. 27. lesen „in se r t i.“ Mir
scheint die obige Verbesserung nicht unerlaubt zu sein.
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
59
toren übliche Bezeichnung von Gratian’s Decret, welches abwech
selnd volnrnen, corpus, über decretorum genannt wird.
Warum in dem einen Fall auf die canones, in dem anderen auf
die decreta Gewicht gelegt wird, lässt sich ebenso wenig, wie
in vielen anderen Fällen die Entstehung von Namen, aus inneren
Gründen erklären.
33. Es soll jetzt noch eine Stelle aus der Summa des Huguccio
angeführt werden, welche den Beweis liefert, dass man die dem
heil. Isidor zugeschriebene Sammlung als das corpus canonum
bezeichnete. Zur Erläuterung schicke ich folgendes voraus. In die
Etymologieenlsidor’s ist der grösste Theil der Vorrede zur spanischen
Sammlung aufgenommen, die von dieser auch in die pseudoisidori-
sche Sammlung übergegangen und hier an die Spitze des ganzen
Werks gestellt ist. In dieser Vorrede werden zuerst die vier ältesten
allgemeinen Concilien namentlich aufgeführt und dann allgemein
bemerkt, dass auch die Beschlüsse der übrigen Synoden verbindlich
seien, quarum etiam gesta in hoc opere condita continentur.“
Gratian hat diese Vorrede in seine Compilation aufgenommen. Sie
steht hier c. 1. Dist. XV. Im Eingang des cap. werden aber aus
drücklich die E t y m ol ogiee n Isidor’s als die Quelle bezeichnet: „ut
ait Isidorus lib. VI. etymol. c. 16.“ Huguccio macht nun zu den
Worten „in hoc opere“ nachstehende Bemerkung:
„seil. Ysidori, seil, in libro etymologiarum, non autem in
isto opere vel corp ore canonum , de quo opere, seil, eano-
num, facit Nicolaus mentionem infra Di.XVIIII. Si Romanorum.“
Dass Huguccio hier den Etymologieen Isidor’s ein anderes Werk
desselben Verfassers gegenüberstellt, ergiebt das zweite scilicet,
welches anders keinen Sinn hätte J ). Dabei ist es für unsere Frage
gleichgültig, dass die Annahme, die c. 1. Dist. XIX. von Nicolaus I
erwähnte Sammlung sei die Isidoriana, auf einem Irrthume beruht 2 ).
*) Johannes Faventinus hebt an derselben Stelle hervor, dass die Worte „in hoc
opere“ sich nicht auf das Decret bezögen : „non in isto volumine decretorum, sed
in libro etymologiarum.“
2 ) Der codex canonum, auf den die fränkischen Bischöfe Nicolaus I gegenüber sich
berufen hatten, ist die II a dr i a na, und nicht, wie Eichhorn in seiner Abhand
lung über die spanische Sammlung (Zeitschr. für gesch. Rechtswissensch. B. 11,
S. 182.) annimmt, eine Collectivbezeichnung für alle möglichen zu jener Zeit bekann
ten Sammlungen. Die Gründe für die Beschränkung auf die Hadriana s. m. bei
Coustant, De antiq. can. coli. §. VIII. — B al 1 er in, De antiq. can. coli. P. III.
60
Friedrich Maassen.
Um zu wissen, dass gerade diese am wenigsten gemeint sein könne,
fehlten ihm die Anhaltspuncte. Folgende Stelle aus dem Commentar
Guido’s a Baisio zu demselben cap. zeigt, dass dieser Irrthum ein
allgemeiner war:
„Hie ponit rationem eorum, quare non recipiant eas, seil,
quia in corpore canonum non continentur. Hu. . . corpore
quod fecit Ysi. secundum Ber.“ 1 ).
Worauf es ankommt, ist einmal das allein mögliche Motiv
deslrrthumes. Nicolaus I nennt in seinem Schreiben den codex cano
num, Aus dieser Bezeichnung schlossen die Glossatoren, dass
hier die Isidoriana gemeint sei. Ein anderer Grund ist nicht zu finden.
Zweitens nennt aber Huguccio selbst ausdrücklich die Isidoriana
das corpus canonum 3 ).
34. Jetzt lässt sich auch zeigen, dass die Hadriana bei den
Glossatoren der über coneiliorum hiess. Dieser Name findet sich
in folgender Stelle des Johannes Faventinus zu c. 6. Dist. XVII.
Dict, Grat.:
„Hoc contradieere videtur ei, quod est infra C. II. q. VII. Item
cum Balaam. Ibi enim dicitur, quod Symmachus papa ante
exspoliatus prius restitutus est, ut postea accusantium proposi-
tionibus responderet. Sed illud ante intelligitur in eadem synodo
factum ex humilitatis utique dispositione. Postmodum vero reve-
lata calumnia adversariorum sancti patres illud quod hic dicitur
c. III. n.4.— W asserschleben, Beiträge zur Gesell, der falschen Decretalen, S. 8.—
Dieser Ansicht sind auchW alter, Kirchenrecht §. 95, Not. 8. — Phillip s, B. 4, S. 45.
1) Wahrscheinlich Bernardus P a p iensi s oder Parmensis.
2 ) Dass Huguccio die Isidoriana aus eigener Anschauung gekannt habe, folgt nicht aus
dieser Stelle. Freilich aus dieser Stelle auch nicht das Gegentheil. Wenn man
etwas anderes in ihr suchen wollte, als eine blosse Erklärung, welche unmittelbare
Beziehung das Wort opus in diesem cap. bei Gratian habe, so würde noch viel mehr
folgen, dass Huguccio die Etymologien Isidor’s nicht gekannt habe, was gerade für
ihn entschieden unrichtig ist. Solche blossen Worterklärungen sind eben bei den
Glossatoren unendlich häufig. Dagegen scheint allerdings aus dem Commentar zu c. 1,
Dist. XIX. abgeleitet werden zu müssen, dass er das corpus canonum nicht gekannt habe.
Es heisst hier nämlich gegen Ende: „Sed qualiter ad probandum, quod decretales sint
recipiendae, allegat Nicolaus decretalem Gelasii, cum adversarii eam non recipiant,
quia non sit in corpore canonum? Sed forte erat in corpore canonum, sicut et caput
Leonis.“ Die dem Gelasius von Nicolaus 1 zugeschriebene Stelle (cf. Richter ad
h. 1.) steht bei Pseudoisidor als Gelasii papae decretum cum LXX episcopis habitum de
apocryphis scripturis (ed. Merlin, fol. CCI. Cf. B al 1 er i n. De antiq. can. coli. P. HI.
c. VI. n. 20.). Bei eigener Kenntniss dieser Sammlung war daher dieser Zweifel nicht
möglich.
Beiträge zur juristischen Literargescliichte des Mittelalters. 61
statuerunt, et hoc poteris seire, si libruin conciliorum, unde
hoc scriptum est, yolueris legere“ J ).
Das Dictum Gratiani, auf welches diese Bemerkung sich bezieht,
ist eine den Acten der römischen Synode vom Jahre 501 entlehnte
Stelle 2 ). Diese Acten stehen in der Hadriana unter den Decreten
des Papstes Symmachus und aus dieser in der p s eud oisidoris ch en
Sammlung 3 ). Ebenso stehen sie nach der Angabe der B a 11 e r i n i
auch in der Sammlung des Cod. Vat. Reg. 1997 4 ).
Da wir ohne Noth die Benutzung dieser dritten, nur in einer
einzigen sehr alten Handschrift uns erhaltenen Sammlung nicht anneh
men dürfen, da ferner die Isidor ia na nicht über conciliorum, sondern
corpus canonum hiess, da endlich, wie gezeigt ist, die Hadriana von
Glossatoren des zwölften Jahrh. gekannt und benutzt ward, so kann
kein Zweifel sein, dass der Name über conciliorum sich auf sie bezieht.
Aus diesem Grunde halte ich es denn auch für wahrscheinlicher, dass
der Verfasser der oben §.26 angeführten Glosseu der Innsbrucker Hand
schrift über concil iorum, als dass er über concilii geschrieben hatte.
35. Folgende Glossen der Innsbrucker Handschrift N. 90.
müssen ebenfalls auf eine chronologische Sammlung bezogen
werden, ohne dass sich bestimmen liesse, auf welche.
I. Glossa in c. 17. C. XXVII. q. 2.
„Infra XXXII. q. II. Non omnis. Illius capituli extremitati
inseritur hoccapitulumCum societas, ut liquet ex originali.“
II. Glossa in c. 12. C. XXXII. q. 2.
„Hujus capituli medio inseritur illud capitulum, quod est supra
XXVII. q. II. Cum societas. Continuatur autem adjecta hac
particula Unde.“
Die beiden cap. bei Gratian, auf welche diese Glossen 5 ) sich
beziehen, sind aus dem Schreiben Leo’s des Grossen ad Rustic.
Narbon. 8 ). Sie bilden hier Ein Capitel. Gratian hat, ganz wie in
den Glossen angegeben ist, c. 17. cit. aus der zweiten Hälfte des
*) In der Innsbrucker Handschrift Nr. 90. findet sich zu den Worten dieses cap.
„Ad hoc serenissimus“ folgende Glosse: „Sicut in originali legitur, non conti
nuatur hoc praemissis, sed multis interpositis subjicitur.“
2 ) Mansi, Concil. T. VIII. col. 247.
3 ) ßallerin. I. c. P. III. c. VI. n. 20.
4 ) B al 1 erin. 1. c. P. II. c. IV. n. ö.
5 ) II u g u c c i o bezeichnet sie zu c. 17. cit. als Glossen des C a r d i n a 1 i s.
6 ) Epist. CLXVII. edit. Balle rin.
62
Friedrich Mnassen.
Capitels herausgenommen und aus den übrigen c. 12. cit. gebildet.
Das „Unde“, welches im Original beide Sätze mit einander verbin
det, hat er fortgelassen.
Systematische Sammlungen sind ausgeschlossen durch die Bezug
nahme der ersten Glosse auf das Original. Unter den chronologi
schen Sammlungen findet sich aber das Schreiben u. a. hei Diony
sius, in der Hispana, bei Pseudoisidor, in der Qu es n elfischen
Sammlung und in allen vier im §. 30 ausser der Hispana genannten
Sammlungen.
c) Systematische Sammlungen.
36. Von den systematischen Sammlungen des Kirchenrechts ‘)
war Ivo’s Pannormie bekannt, wie die folgende Stelle der anony
men Summa des Cod. Bamb. P. II. 26. zeigt:
c. 8. C. XII. q. 2.
„Relatum .... Quidam libri habent rubricam prae-
missam huic decreto talem: de rapacitate monachorum,
et quidem in panormia iunonis (1. ivonis), ubi hoc decretum
ponitur haec rubrica praemittitur.“
Die in dem Dictum Gratiani c. 8. cit. erwähnte Decretale
Leo’s IX findet sich in manchen Handschriften des Decrets vollstän
dig 2 ). Daher wird sie von dem Verfasser der Summa, dem solche
Handschriften Vorlagen, als eigenes Capitel bezeichnet und commen-
tirt. In Ivo’s Pannormie, auf die er verweist, steht sie 1. II. c. 29.
mit der angeführten Rubrik.
Ebenfalls die Pannormie (1. III. prol. c. S2.) ist in einer
andern Stelle derselben Summa gemeint,
c. 1. Dist. LVI. Dict. Grat. verb. Sed hoc intelligendum.
„I-Iic dicunt quidam esse paragraphum G., et multa subdit
exempla filiorum sacerdotum, qui fuerunt surnini pontifiees; sed
in canonibus ivonis multa plura sunt exempla“ 3 ).
In weit überwiegendem Masse finden wir aber die Sammlung
des Rurchard von Worms benutzt. Sie wird in der Inns-
1) Mit grosser Vollständigkeit und zugleich mit erschöpfenden literarischen Nachwei
sungen findet sich bei W alter, Kirchenrecht, §. 100, ein Verzeichniss der zwischen
die falschen Decretalen und Gratian’sDecret fallenden kirchenrechtlichen Sammlungen,
die bis auf die coli, trium yart. sämmtlich eine systematische Anordnung befolgen.
2) M. s. o. S. 14, Not. 3.
3 ) Cf. R i c h t e r in c. 1. cit.
Beiträge zur juristischen Literargeschichle des Mittelalters.
63
brucker Handschrift N. 90. und in folgenden Münchner Hand
schriften des Decrets: Cod. lat. 4S05., 13004., 10244., 18096. !),
sehr häufig citirt. Ebenso wird „Brocardus“ bei J o h a n n e s F a v e n-
tinus und Huguccio oft genannt.
2. Die spätere Zeit.
37. Was ein Jahrhundert später die Canonisten von den älteren
Rechtssammlungen wussten, darüber gewährt eine Stelle aus dem
Rosarium Guido's a Baisio a ) zu c. 1. Dist. I. den besten Aufschluss.
Es werden hier folgende fünf Sammlungen genannt: 1. die Isidoriana,
2. eine Compilation Ivo’s, 3. ein Auszug aus dieser Compilation von
Hugo von Chalons 3 ), 4. die ßreviatio eanonum des Fulgenfius
Ferrandus, 5. die Sammlung Burehard’s. Dass die Beschreibung der
drei ersten Sammlungen aus dem Speculum historiale des Vincen-
tius Bellovacensis entlehnt sei, bemerkt der Verfasser aus
drücklich 4 ). Die Vergleichung lehrt, dass er seinen Gewährsmann
fast wörtlich ausgeschrieben hat 5 ). Daher wird für diese die Annahme
eigener Kenntniss ausgeschlossen. Von der ßreviatio eanonum des
Fulgenfius sagt er nichts weiter, als dass sie c. 34. Dist. LXIII.
genannt sei. Burchard's Decret scheint er allerdings gekannt zu
haben, da er weiss, dass es in zwanzig Bücher eingetheilt ist, und
es auch in seinem Commentar öfter citirt. Möglich ist es aber auch,
dass sowohl jene Notiz als diese Citate nur auf Überlieferung beruhen.
Er bemerkt nämlich wohl, dass die Benutzung Burchard’s durch die
antiqui decretorum magistri aus ihren Glossen erhelle, dass
er ihn seihst kenne und gebrauche, davon sagt er nichts.
D M. s. 0. S. 12, Not. 5.
2 ) Nach der eigenen Schlussbeuierkling- des Verf. ist dies Werk im Jahre 1300 vollendet.
3 ) Savig-ny, B. 2, S. 304, Not. d, hat gezeig-t, dass das vom Hugo von Chalons excer-
pirte Werk des Ivo das Decretum sei.
4 ) In den Ausgaben heisst es: „Sic scripsit Jnno. in suo historiarum libro.“ Es ist aber
Vicentius Bellovacensis genannt.
5 ) Specul. histor. Vincent. Bellovac. ed. s. 1. et a. lib. XXVI. c. 31. bis Üb. XXVI.
c. 84. In der Ausgabe s. 1. 1474. (Aug. Vind. Monaster. S. Ulr. et. Afrae, cf. Panzer,
T. I, p. 104.) ist lib. XXIV. = XXIII., lib. XXV. = XXVI. — Vincentius hat alle drei
Sammlungen selbst gekannt; er bemerkt nämlich: 1. „Exstat apud nos über decre
torum apostoücorum, quem primus compilavit Isidorus.“ 2. „Hie über decretorum
Jvonis apud nos in pluribus locis reperitur.“ 3. „Hugo Übellum legitur cora-
posuisse, qui et ipse apud nos est.“ — Man siehe übrigens über diesen gelehrten
Schriftsteller des dreizehnten Jahrh. Savigny, B. 5, S. 434 fg. und Phillips,
B. 4, S. 321 fg., wo man auch die weiteren Literaturnachweise findet.
ä
64
Friedrich Maassen.
B. Ein Anhang zu Gratian’s Decret.
38. Die Innsbrucker Handschrift N. 90. enthält von fol.
273.-—277. einen aus zwei Theilen bestehenden Anhang zu Gratian's
Decret Der erste Theil umfasst 89 Capitel, von denen die ersten
48 dem ersten und zweiten Buche Burchard’s theils wörtlich, theils
auszugsweise mit den dort sich findenden Rubriken entlehnt sind.
Die übrigen, weder chronologisch noch dem Sinne nach geordneten,
Stücke sind zehn afrikanische Canonen, als Canonen des afrikanischen
Concils bezeichnet, mit der Zählung der Hadriana 2 ), Stellen aus
Kirchenvätern, Paleä 3 ), Decretalen und ein Canon des concil. Turon. an.
1163 4 ). Die Decretalen gehen nicht über Alexander III hinaus 5 ).
*) Oder, wenn man will, zwei Anhänge. Beide Theile sind nämlich von verschie
denen Händen geschrieben und auch weiter in keine Beziehung zu einander gesetzt,
als dass sie hier äusserlich verbunden sind.
2 ) c. 60. 88. 89. 90.91. 86. 83. 82. 93. 48. Die einzige Abweichung von der Hadriana ist
die, dass in dem Anhänge c. 83. der ersteren als c. 82. und umgekehrt c. 82. der Hadri
ana als c. 83. bezeichnet wird. Man vgl. übrigens o. S. 50, Not. 4. Ich glaube, dass auch
hier die Hadriana unmittelbar benutzt ist. In keiner der von mir theils unmittelbar,
theils durch Vermittlung von Theiner’s alphabetischem Verzeichniss und den syno
ptischen Tabellen Richter’s und Wasser schiebe n’s verglichenen nachhadriani-
schen Sammlungen finden sich nämlich sämmlliclie zehn Stücke. Die coli. Anselm o
dedicata enthält die meisten, aber auch hier fehlte. 93. („Item placuit, ut quicunque
episcoporum necessitate“) nach den übereinstimmenden Zeugnissen von Theiner’s
Index, p. 82. (wo es nur statt „B. XVIII. 16.“ heissen muss „B. VIII. 16.“), von Hi c fi
ter, Beiträge, S. 61, und von Wasserschieben, Reginon. libri duo, p. 514.
vers. 10. (Eine Übereinstimmung mehrerer ist daher hier von Wichtigkeit, weil es
sich um die Bezeugung einer negativen Thatsache handelt. Das Fehlen einer Samm
lung in Theiner’s Index allein kann niemals vollen Beweis begründen, wie ich mich
in verschiedenen Fällen überzeugt habe. Den grossen Nutzen dieses Hilfsmittels wird
darum Niemand bestreiten.)
3 ) c. 4. 5. C. XXXV. q. 10., c. 14. C. XVII. q. 4., c. 7. C. XXXIV. q. 1. und 3., c. 31.
32. C. XIII. q. 2.
4 ) c. 2. Man vgl. o. Seite 14, Note 1.
5 ) Von den fünf hier enthaltenen Decretalen dieses Papstes findet sich eine nicht bei
Jaffe, Begesta R. P., ist daher, wie nicht zu bezweifeln, ungedruckt. Ich lasse sie
hier folgen: „Alexander pp. III. Dilectis Graeiop. et Vivarie. episcopis. Audivimus
pravam et enormem consuetudinem et nocivam saluti fidelium inolevisse in partibus
vestris: quod videlicet, si qui sunt, qui clericos capiunt aut in eos vel manus injiciunt
violentas, cum ipsis pacem faciantet, ne puniri possit eorum iniquitas, ab eisdem
clericis extorquent de pacis observantia juramentum. Saue , si tanta iniquitas et
praesumtio ad notitiam vestram pervenit, mirabile satis est, quod in puniendis hujus-
modi malefactoribus aliquorum querimoniam exspectastis, cum non ignoretis eos ex
ipso actu sententiam excommunicationis incurrere, qui in clericos manus injiciunt vio
lentas. Nolentes itaque, quod ex impunitate tanti facinoris sumant audaciam similia
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
65
Der zweite Theil besteht aus den Schlüssen des concil. Lateran.
III. an. 1179 ‘).
perpetrandi, f. v. p. a. s. p. ma. et raa. p. qua. (fraternitati vestrae per apostolica scripta
praecipiendo mandamus et mandando praecipimus, quatenus) si qui sunt in episco-
patibus vestris, qui ad capiendos vel alias offendendos clericos in personis manus
violentas extenderunt vei in posterum extenderint, quisque vestrum veritate cognita,
parrochianos suos talia praesumentes continuo, sublato ap. re. (appellationis reme-
dio), non obstante pace taliter extorta, publice accensis candelis excommunicatos
denuntiet et faciat sicut excommunicatos vitari, donec passis injuriam, si quid illis
violenter abstulerint, sine difficultate restituant et de illatis injuriis congrue satis-
faciant et cum literis vestris apostolico se conspectui repraesentent. Dat. F er ent. II.
kal. Februar.“ (N. 8333. bei Jaffe ist von Fereilt. 1174. Dec. 30. datirt; N.8331. von
Fer ent. 1175. Febr. 1. Da Decretalen Alexander’s III vonFerentino aus dem Januar
und Februar eines anderen Jahres nicht bekannt sind, so wird die hier mitgetheilte
Decretale mit einiger Wahrscheinlichkeit auf den 31. Januar des Jahres 1175 zu setzen
sein.) — Eine zweite Decretale Alexander’s findet sich hier zuerst als ein Ganzes.
Ein Stück derselben ist ungedruckt. Die Verbindung der einzelnen Theile ist demnach
folgende: „Alexander ep. serv. serv. Dei dilectis filiis Girardo priori et fratribus juxta
disciplinam bonae memoriae cleri viventibus sal. et apostolicam benedictionem. Ad
petitionem vestram crucem suscipiat (c. 1. Comp. I. de regul. 3, 27). Eum
vero, quem noveritis debito servilis conditionis astrictum, absque permissione domini
8ui nullo modo in consortium vestrum recipiatis et si quempiam talem per ignorantiam
receperitis, eum statim, si a doinino suo fuerit repetitus, sibi absque conlradictione
reddatis, nisi forte ipsum ad sacros ordines ex ignorantia fratrum et episcopi, a quo
ordinatus est, contigerit esse promotum (ungedruckt). Uxoratus autem
secum assumat (c. 8. X. de convers. conjug. 3, 32). Nemo vestrum depute-
tur (Append. Lat. conc. III. P. XXVII. c. 5). — Ebenso steht die anderswo in mehrere
Stücke zertheilte Decretale Alexander’s: „Sicut Roma na“ hier zuerst im Zu
sammenhänge. Die Verbindung ist folgende: „Alexander ep. serv. serv. Dei W. Senon.
archiep. apostol. sed. leg. sal. et ap. ben. Sicut Komana derogat generali (c. 1.
X. de rescriptis, 1, 3). Super eo vero literas recepisse (c. 12. X. de appell.
2,28). Praeterea super eo recipit potestatem (c. 5. X. de off. jud. dei. 1, 29). Si
vero aliquis quemquam ministrare (c. 8. X. de jurejurando, 2^ 24). Porro
si forte alium tarnen non potest in virum accipere“ (c. 1. Comp. I. de sponsa
duorum, 4, 4). Die übrigen Sammlungen lesen am Schluss: „aliam tarnen non potest
ducere in uxorem“, was weder dem Sinne noch der Construction nach passt, wie
schon Agostino bemerkt. Die Decretale ist hier datirt: „An agniae IV. Non. Junii.“
— Die vierte Decretale Alexander’s, die sich hier findet, ist c. 7. X. de haeret.
5, 7. Sie ist datirt: „Veste XII. kl.’ MAR.“ — Die fünfte ist vielleicht N. 8781. bei
Jaffe („S. Victor en Caux 38, teste Brequigny Table chron. III. 552“), sonst unge
druckt. Inscription und Anfang lauten: „Alexander ep. serv. serv. Dei dilectis filiis
abbati S. Victoris et fratribus. Ad universalis ecclesiae regimen.“ — Die übrigen im
Anhänge enthaltenen Decretalen sind: c. 1. 2. 3. X. de juram. cal. 2, 7; c. 2. X. de
jurejur. 2, 24; c. 14. 21. 15. 16. 18. 20. Comp. I. de decimis, 3, 2G; ferner ein Theil
des Schreibens Nikolaus I an die Bischöfe Galliens (m. s. fg. S. Not. 1), endlich
ein Capitel aus dem Schreiben Leo’s an die mauritanischen Bischöfe (Epist. XII,
c. 11. ed. Ballerin.).
*) Mansi, Concil. T. XXI. col. 217. — 233. Cf. Richter, De inedita decretal. coli.
L ip s. p. 3. — Die Reihenfolge der Capitel, verglichen mit dem Concil bei Mans i
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXIV. Bd. I. Ilft. B
66
Friedrich Maassen.
39. Dieser Anhang verdient aus dem Grunde Beachtung, weil
er einen Beleg liefert, wie man vor dem Erscheinen der grossen
Decretalensammlungen durch Ergänzung des Decrets sich zu
helfen suchte. Dass der Zweck nur dieser ist, erhellt sowohl daraus,
dass von vorgratianischen Stücken nur solche aufgenommen sind, die
sich nicht schon im Deeret finden, als auch insbesondere aus der
mehrfach vorkommenden ausdrücklichen Hinweisung auf das Deeret,
wenn der Theil eines Canons oder einer Decretale aufgenommen ist,
von denen ein anderer Theil im Deeret steht. Einige Beispiele
werden dies klar machen.
I. c. 53. ist der erste Theil des Schreibens Nikolaus I an die
Bischöfe Galliens t), dessen Fortsetzung c. 1. Dist. XIX. sich findet.
Das cap. schliesst hier so: „Si Romano rum, quod est primum
c. XVIHI. Di.“
II. e. 55. beginnt so: „LXXXVIII. c. (sc. African. concil.) Illius
capituli, quod est in XVI. ca. q. III. Placuit ut quicunque, pars
est quod sequitur: „Sanesiepiscopi“ etc. — c. 15. C. XVI. q. 3,
ist die erste (grössere) Hälfte des c. 88. concil. African. Das Stück,
welches Gratiari ausgelassen, bringt hier der Anhang.
III. Der Anhang fährt im c. 56. fort: „Huic continuatur illud
eapitulum A judicibus, quod est in ca. II. q. VI., cujus pars est
illud e. quisquis proba., quod est in ca. e. q. e.; post hoc sequi
tur et hoc aliud c. XC. Si autem ex die“ etc. Der erste Satz des
c. 89. concil. African. steht bei Gratian c. 33. C. II. q. 6., das weitere
c. 19. q. ead. Ein Theil des bei Gratian fehlenden c. 90. folgt hier
im Anhang.
40. Ähnliche Ergänzungen des Decrets aus vor- und nach-
gratianischen Kirchenrechtsquellen, namentlich aber aus solchen
Decretalen und Concilschlüssen, die bisher in keiner Sammlung
I. c. ist folgende: Oe nip. c. f, Conc. c. 6, — 0. c. 2, C. c. 27. — 0. c. 3, C. c. 8.
und 5. — 0. c. 4, C. c. IS. — 0. c. S, C. c. 26. — 0. c. 6, C. c. 23. — 0. c. 7, C. c.
14. (von „Praeterea quia“ bis zu Ende). — 0. c. 8, C. c. 22. — 0. c. 9, C. c. 2. —
0. c. 10, C. c. 18. — 0. c. 11, C. c. 9. — 0. c. 12, C. c. 12. — 0. c. 13, C. c. 24. —
0. c. 14, C. c. 14. (bis „sublevari“). — 0. c. IS, C. c. 1. — 0. c. 16, C. c. 7. — 0.
e. 17, C. e. 3. — 0. c. 18, C. c. 16. — 0. c. 19, C. c. 11. — 0. c. 20, C. c. 4. — 0.
c. 21, C. c. 10. — 0. c. 22, C. c. 19. — 0. c. 23, C. c. 20. — 0. c. 24, C. c. 25. —
0. c. 25, C. c. 21. — C. c. 13. 17. fehlen in 0. — Die Reihenfolge der Capitel in der
Lips. s. m. bei Richter, 1. c. Not. 8. — Rubriken fehlen hier.
*) Mansi, Concil. T. XV. col. 683.
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
67
standen, mag das praktische Bedürfnis häufiger veranlasst haben. Es
erklärt sich hieraus, wie auch die älteren Glossatoren solche Stücke
citiren und bei ihren Lesern die Möglichkeit, sich mit denselben
bekannt zu machen, voraussetzen konnten. Sowohl der in den Glossen
der Innsbrucker Handschrift Nr. 90. citirte nachgratianische c. 2.
Conc. Turon., als auch die von Johannes Faventinus citirten
Decretalen *) finden sich zufälligerweise ohne Ausnahme in diesem
Anhang.
II. ftuellen des weltlichen Rechts.
A. Verhältniss der kirchlichen Gesetzgebung zum weltlichen Rechtsgebiet.
41. Es ist eine historisch interessante Frage, welche Befug
nisse die Glossatoren des Decrets im zwölften Jahrhundert, also vor
der Regierungszeit des Papstes Innocenz III, der kirchlichen Gesetz
gebung auf dem Gebiet des weltlichen Rechts beigelegt haben. Zur
Beantwortung dieser Frage soll hier ein Beitrag gegeben werden.
Der allgemeine Standpunct der alten Glossatoren des Decrets
ist dieser:
Die weltlichen Gesetze haben für den kirchlichen Richter nur
dann verbindende Autorität, wenn sie von der Kirche gutgeheissen
sind. Umgekehrt haben aber auch die von der Kirche ausgehenden
Bestimmungen civilrechtlichen Inhalts keine Rechtsverbindlichkeit
für den weltlichen Richter. Allerdings wäre es gut, wenn die welt
liche Gesetzgebung diejenigen Modificationen der Gesetze, welche
die Kirche um des Heils der Seelen für nötbig hält, stets sich zu eigen
machte; so lange das aber nicht geschehen, ist der Richter juristisch
nicht verpflichtet, die von der Kirche getroffenen Bestimmungen
anzuwenden, da die Kirche auf dem Gebiet des weltlichen Rechts
keine Gesetzgebungsgewalt bat 3 ).
l) M. s. o. §. 15.
a ) Petr. Bl es ens. Specul. jur can. (ed. lleimarus 1836.) c. XVI. macht schon die
Unterscheidung, oh das Gesetz oder das Gewohnheitsrecht etwas vorsehreibe, „quod
importet . . . damnum tantum pecuniarum, an etiam periculum animarumin den
Fällen letzterer Art sei es richtiger anzunelimmen, dass die Canonen den Gesetzen
und dem Gewohnheitsrecht derogirten. Er fügt aber ausdrücklich hinzu: „secun-
dum meum judicium.“ Bei den gleichzeitigen Glossatoren des Decrets habe ich diese
Unterscheidung noch nicht gefunden.
5 *
68
Friedrich Maasseit.
Diese Auflassung der Glossaforen ist eine nothwendige Folge
ihrer Ansicht über das Verhältniss der geistlichen zur weltlichen
Gewalt überhaupt.
Huguccio spricht sich hierüber in seinem Connnentar sehr
bestimmt aus. „Beide Gewalten, die apostolische und die kaiserliche,
sind von Gott eingesetzt. Der Kaiser hat die Gewalt des Schwerts
und die kaiserliche Würde nicht vom Papst, sondern durch die Wahl
der Fürsten und des Volks. Beide Gewalten sind daher unabhängig
von einander, der Papst in geistlichen, der Kaiser in weltlichen
Dingen. Nur darin liegt ein Unterschied der Stellung beider, dass
der Papst die geistliche Jurisdiction über den Kaiser, aber nicht der
Kaiser die weltliche Jurisdiction über den Papst bat“ *).
4 ) Ic/i lasse die ganze für die Dogmengeschichte dieser Frage bedeutende Stelle nach
Cod. lat. Monac. 10247. und Cod. Bamb. P. II. 25. hier folgen.
Hugucc. in c. 6. Dist. XCY1. „Hine aperte colligitur, quod utraque potestas,
seil, apostolica et imperialis, sit a Deo et quod neutra pendeat ex altera et quod im-
perator gladium non habeat ab apostolico, ar. hie et infra ead. In scripturis,
Duo, Si imperator (c. 8. 10. 11.) et Di. XCIII. L egimu s (e. 24.) et. XXIV.
q. IV. Q u a e si tum (c. 45.). Ar. contra XXII. Di. c. 1. et Di. LXIII. Tibi d o mi no,
I n s y n o d o (c. 33. 23.), et XV. q. VI. A 1 i u s, N o s s a n c t o r u m, J uratos (c. 3.
4.5.), et I. q. IV. Qu ia pr a e s u 1 a tus (c. 5.), et infra ead. Duo (c. 10.), et Di. XXI.
Qu am vis (c. 3.). Ex his omnibus contrariis introductis colligi videtur, quod impe
rator potestatem gladii et imperium habeat ab apostolico et quod eum faciat impera-
torem papa et quod posset eum deponere. Ego autem credo, quod imperator potesta
tem gladii et dignitatem imperialem habet non ab apostolico, sed a principibus et
populo per electionem (M. „a principibus per electionem et populo“), ut di. XCIII.
Legimus (c. 24.). Ante enim fuit imperator quam papa, ante imperium quam papa-
tus. Item in figura hujus rei, quod discretae et diversae (B. „diverse indiscrete“)
sint illae duae potestates, seil, imperialis et apostolica, dictum fuit: ecce duo gladii
hic. Si ergo alicubi inveniatur vel innuatur, quod imperator habet potestatem gladii
a papa, sic intelligo, i. e. unctionem et confirmationem, quam a papa accipit et jurat
ei lidelitatem. Ante quidem imperator est quoad dignitatem, sed non quoad unctionem
(B. „non quoad dignitatem, sed quoad uuetionem“), licet ante non dicatur imperator;
et ante habet potestatem gladii et eam exercet. Quod dictum est papam posse eum
deponere, credo verum esse de voluntate et assensu principum, si eoram eo accusetur
et convincatur (M. „eo convincatur“). Quod tune demum intelligo , si convictus et
admonitus non vult cessare et satisfacere, tune debet excommunicari et omnis ab
ejus fidelitate removeri, ar. XV. q. VI. Nos sanctorum, Juratos (c. 4. 5.).
Si nec sic tune (ß. „non tune“) corrigatur, tune sententia percellitur et armata manu
certe expellitur et alius legitime eligitur. Sed a quo dabitur sententia ? A domino
papa, coram quo fuit convictus, vel a principibus suis, si hoc Romanus pontifex appro-
baverit. Sed quaeret aliquis, uter utro sit raajor? Et quidem in spiritualibus papa
major est imperatore (inde ab „Et quidem“ desunt omnia in B.), imperator major
papa in temporalibus, sicut aperte colligitur ex eo quod sequitur et infra ead. Duo
(c. 10.), et XI. q. I. Magnum, Sacerdotibus (c. 28. 41.), et Di. XXII. q. i. Sed
Beiträge zur juristischen Literargesehielite des Mittelalters.
69
42.Zur näheren Uiatsäehlichen Begründung der im Allgemeinen
bezeichneten Ansicht derDecretisten des zwölften Jahrhunderts über
die kirchliche Gesetzgebung in ihrem Verhältniss zum weltlichen
Rechtsgebiet wähle ich zwei Beispiele, deren eines einen Fall betrifft,
in dem die kirchliche Bestimmung zur Zeit der Glossatoren in das
weltliche Recht übergegangen war, das andere den umgekehrten
Fall.
1. Zinsenverbot.
Das canonische Recht bat Zinsgeschät'te für ungiltig erklärt
im Gegensatz zum römischen Recht, welches innerhalb gewisser
Grenzen das Zinsennehmen gestattet. Auf dies Verhältniss beziehen
sich folgende drei Glossen der Innsbrucker Handschrift Nr. 90.
I. Glossa in c. 11. C. XIV. q. 4.
„Sed novo jure usurarum petitio a saeculari judice non
admittitur, quoniam humanae leges non dedignantur sequi
sacros canones, ut in aut. coli. I. de monachis i. f.“ J ).
II. Glossa in c. cit. verb. non est quo judice repetantur.
„Saecularis judex contra leges cogere non vult, eccle-
siasticus non potest praecise, seil, captis pignoribus, sed
excommunicare jure potest.“
UI. Glossa in c. et verb. cit.
„Hodie lisurae de jure repeti possunt condictione sine
causa vel ex injusta causa, tanquam civiliter tantum debitae,
non naturäliter; quandoquidem de jure naturali indebitae
sunt, quod est divinum jus. Ex injusta causa ideo, quia
dicitur: sacras et divinas regulas nostrae non dedignantur
leges sequi. C.“
Wir erfahren aus diesen Glossen, dass das von der Kirche aus
gesprochene Zinsenverbot auch von den weltlichen Gerichten gehand-
aliter (M. add. „et aliter“) papa sic est major in spiritualibtis, quod habet jurisdictio-
nem in spiritualibus super imperatorem, ut in eis possit eum ligarc et condemnare,
ar. Di. LXIII. Valentinianus (c. 3.), et infra ead. Duo (c. 10.). Sed imperator
non sic est major papa in temporalibus, ut infra ead. D uo. Nullam enim jurisdictio-
nem vel praelationem habet imperator super papa. Sed dicitur esse major in fempo-
ralibus quam ilie, quia majorem potestatem et jurisdictionein habet quam ille, non
tarnen super eum.“ Etc.
*) Nov. 5. epilog. Wörtlich in Nov. 83. c. 1. (Coli. VI. 12.}
70
Friedrich Maassen.
habt wurde, dass namentlich Klagen auf Erfüllung eingegangener
Zinsverbindlichkeiten nicht zugelassen wurden. Ob die Rückforde
rung freiwillig gezahlter Zinsen zulässig sei, scheint in der Praxis
nicht feststehend gewesen zu sein.
Für unsere Frage kommt es hauptsächlich auf die Motivirung
an. Aus ihr erhellt, dass die Verfasser der Glossen die Befolgung
des kirchlichen Verbots als einen durchaus freiwilligen Act der welt
lichen Gewalt betrachten.
43. Klarer noch tritt diese Auffassung in dem umgekehrten Fall
hervor.
2. Bona fides continua.
Das canonische Recht schreibt vor, dass durch mala fides super-
veniens die begonnene Verjährung >) unterbrochen werde. In Gra-
tian’s Decret wird freilich dieser Satz nur in einer Stelle des heil.
Augustinus, und auch hier nur beiläufig ausgesprochen 2 ), G r a ti a n
selbst stellt noch die Lehre des römischen Rechts ohne weitere
Bemerkung dar“). Die altenGlossatoren des Decrets betrachten aber
das Erforderniss der fortdauernden bona fides bereits als unzweifel
haften canonischen Rechtssatz. So Stephanus Tornacensis,
Johannes Faventinus unddie Innsbrucker Glosse, diesämmt-
licli die Decretale Alexander’s III „Vigilanti“ 4 ) noch nicht
nennen. Um so mehr Huguccio, der dieselbe schon häufig anführt.
Sehen wir jetzt, wie dieser Rechtslehrer die kirchliche Bestimmung
in ihrem Verhältniss zum weltlichen Gesetz auffasst. Folgende Stelle
seiner Summa ist mir als eine der bezeichnendsten erschienen. Sie
findet sich zu C. XVI. q. 3., wo der Erläuterung der einzelnen Capi-
tel ein längerer Tractat über die Präscriptionen vorausgeht.
„Item ex quo quis habet conscientiam rei alienae, peccat, nisi
reddat, et a peccato non potest defendi temporis diuturnitate, nam
temporis diuturnitas peecatum non minuit, sed äuget, ut in ex. Non
satis 5 ), et XXIV. q. I. °), et veilem, ut ad hanc aequitatem injustitia
*•) Ich bediene mich absichtlich dieses allgemeinen Ausdruckes, da die dogmatische
Richtigstellung dieser Frage hier ausserhalb des Zwecks liegt.
2 ) c. S. C. XXXIV. q. 1. und 2.
3 ) c. 1K. C. XVI. q. 3. Dict. Grat.
4 ) c. 5. X. de praescriptionibus, 2, 2(i.
5 ) c. 8. i. f. X. de simonia, 5, 3.
6 ) c. 34.
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
71
legistarum reduceretür,sed difficile raditur, quoddiutius perhibetur,
et odor lucri bonus est ex re qualibet. Ulis in sua injustitia 4 ) relictis
dicimus, quod nulla res ecclesiastica sine continua bona fide prae-
scribitur a clerico vel laico vel ecclesia, nec clericus nomine ecele-
siae vel ecclesia sine hac praescribit rem ecclesiasticam vel privati.
Imo si socios haberem, crederem, quod nulla praescriptio sine bona
iide continua curreretur et quod nullus esset tutus praescriptione
sine hac. Sed quia leges aperte reclamant, dicamus , quod
completa praescriptione sine bona fide continua tutus est quis ratione
fori, non ratione poli, tutus est quanturn ad possessionem corporalem,
non quanturn ad salutem spiritualem, quantum ad leges saeculares,
non quantum ad ecclesiasticas. Unde patet, quod alia est ratio et con-
sideratio in ecclesiasticis, alia in saecularibus praescriptio-
nibus et causis.“
Je entschiedener der berühmte Canonist für die eanonische
Bestimmung Partei nimmt, um so mehr fällt es ins Gewicht, dass er
sie den Legisten nur als ein moralisches Postulat vorhält und diese
lediglich von ihrem inneren Werthe zu überzeugen sucht. Er gibt aus
drücklich zu, dass sie das Gesetz nicht aufzuheben im Stande sei.
Innocenz III hat im c. 41. Concil. Lateran. IV. an. 1215 2 )
auch die „praescriptio civilis“, welche „absque bona fide“ geschehen
sei, für ungültig und die damit im Widerspruche stehenden Gesetze
und Gewohnheiten für aufgehoben erklärt. Trotzdem erkennen wir
aus der Glossa ordinaria zu dieser Stelle, dass es noch unter
den Glossatoren des dreizehnten Jahrhunderts bestritten war, ob
weltlichen Recht damit unmittelbar präjudicirt sei.
B. Römisches Recht.
1. Kenntniss des römischen Rechts.
44. Das eanonische Recht hat in vielen Bestimmungen das römi
sche Recht zur Voraussetzung, höchst wichtige Materien desselben
sind gar nicht zu verstehen ohne Kenntniss des römischen Rechts.
Gratia n ’s Deeret enthält nach dem Beispiel früherer Sammlungen
nicht wenige den römischen Rechtsquellen entlehnten Stellen. Die
A ) Cod. lat. Monac. 10247. ,Justitia.“
2 ) e. 20. X. de praescriptionibus, 2, 26
72
Friedrich Maasseil.
Kenntniss des römischen Rechts war daher in viel höherem Masse
praktisches Bediirfniss für die Decretisten, als umgekehrt die Kennt
niss des canonisehen Rechts für die Legisten.
Dass die Erläuterung des Decrets unmöglich sei ohne vielfache
Bezugnahme auf das römische Recht, war schon den alten Glossa-
toren ein feststehender Satz 1 )- Es ist daher sehr wahrscheinlich,
dass die meisten unter ihnen auch ihren civilistischen Cursus durch
gemacht hatten. Für Stephanus Tornaeensis und Johannes
Faventinus ist es ausdrücklich bezeugt 2 ).
45. Einen auf den ersten Blick in die Augen fallenden Beweis,
dass ihre Kenntniss des römischen Rechts eine keineswegs ungründ
liche war, liefern die zahllosen Parallelstellen aus allen Theilen
der justinianischen Sammlung, die von der Schule der Legisten über
haupt erläutert wurden s). Um die Bedeutung dieses Umstandes für
die in Rede stehende Frage richtig zu würdigen, dürfen wir nicht
vergessen, dass man damals die Hilfsmittel nicht hatte, die wir
heute besitzen. Es würde jetzt nicht eben schwer sein, mit Hilfe des
nächsten Lehrbuches eine Menge passender Citate zu häufen, ohne
die Quelle selbst jemals oder doch für diesen Zweck eingesehen zu
haben. Zur Zeit der Glossatoren war das nicht so leicht. Wer citi-
ren wollte, musste sieh an die Quelle selbst wenden, er musste die
Stelle selbst aufgesucht, gelesen und, wenn er richtig citiren wollte,
auch verstanden haben.
Dass sich die alten Glossatoren des Decrets besser im corpus juris
civilis zurecht zu finden wussten, als manche der späteren Canonisten,
zeigt das Beispiel des Johannes Faventinus. In c. 6. C. XXIV.
q. 3. findet sich ein Citat (wahrscheinlich auf Julian bezüglich),
welches dem Inhalt nach auf Nov. 123. c. 11. passt. Johannes de
!) Summa Stephani Torn. prooem.: „Occurrentes in opusculo praesenti leges
exponere si proponam , jurisperitus aegre feret .... et quod sibi notum reputat,
aliis non necessarium opinatur.“— Summa Joannis Favent. prooem.: „Non im-
prudenter aggressus sum pleniorem facere in canonibus expositionem, tarn ex bis,
quae utiliora et elegantiora in praecedentium commentariis reperi, quam ex his,
quae a doctoribus audivi.“
2 ) Wegen Stephanus Tornaeensis s. m. o. S. 19, Not. 2, und wegen Johannes
Faventinus die vorhergehende Note.
3 ) ln folgenden Handschriften des Decrets mit Glossen habe ich Citate aus dem römischen
Recht gefunden: Cod. Oenip. N. 90., Cod. lat. Monac. 4503., 18096., 10244.,
13004., 23561. In allen diesen, mit Ausnahme der beiden letzten, sind die Citate
sehr häufig*
Beiträge zur juristischen Literorgeschichte des Mittelalters.
73
Deo wusste diese Stelle nicht zu finden *). Der fast um ein Jahrhun
dert früher lebende Johannes Faventinus bemerkt dagegen ganz
richtig zu „lex Justiniani“: „quae habetur in aut. coli. IX. constitu
tione de sanctissimis episeopis, c. Omnibus autem“ 2 ).
46. Auch selbständige civilistische Excurse kommen
häufig vor, in denen entweder eine Stelle interpretirt oder der Inhalt
mehrerer combinirt ist. Einige Beispiele aus der Innsbrucker
Handschrift Nr. 90., die ich folgen lasse, können hier nur den Zweck
haben, die Art und Weise zu charakterisiren 3 ).
I. Glossa in c. 37. C. XII. q. 2.
„Alienationis nomine et pignoris aut bypothecae dationem
intelligimus, ut C. de reb. ali. non ali. 1. ult. 4 ). Jus quidem
spirituale nullatenus alienari potest, nisi permutationis titulo,
qui et in ipsis ecclesiis aut monasteriis admittitur, ut infra
XVI. q. ult. Nemi. 5 ). Fructus autem perceptos alienare
cuique arbitrio suo licet. Percipiendos autem perveiulere aut
pignorare nulli auctoritate licet, adeo, ut nec ex generali
rerum obligatione stipendia teneantur, ut C. quae res pign.
S pe. 6 ). In causam tarnen judicati jure pignoris capi possunt,
ut ff. de re judi. Commo, 7 ). Quod verum est,si non alias possit
res judicata executioni mandari, ut C. de execut. r. j. Sti-
pen. ä ). Habita tarnen ratione ejus ne egeat, ut fif. de re
judi. Mil es 8 ).“
II. Glossa in c. 8. C. XVI. q. 3.
„Loquitur hoc decretum secundum sua tempora, seil, cum
nondum Zenoniana aut Justiniana in medium prodierat con-
stitutio. Aut quod XXX annorum praescriptio dicitur, ad
*) Man vgl. Savigny, Bd. 3, S. 303, Note e.
2 ) So in Cod. Bamb. P. II. 27. — In Cod. lat. Monac. 3873. fehlt „IX.“ und statt „c.“
steht „paragrapho.“
3 ) Ob die aus den Quellen entwickelten Rechtssätze vom Standpuncte der heutigen
Doctrin vollkommen richtig sind oder nicht, ist natürlich für unsere Frage gleich-
giltig.
4 ) 1. ult. C. de reb. alienis non alienandis, 4, 31.
5 ) c. 40. C. XVI. q. 7.
6 ) 1. 3. C. quae res pignori, 8, 17.
7 ) 1. 40. D. de re judicata, 42, 1.
8 ) I. 4. C. de execut. rei jud. 7, 33.
9 ) I. 6. D. de re judicata.
74
Friedrich Maassen.
■HH
proximum tantum referendum est, videlicet non ad imperia
lem largitatem, quae statim firma est, sed ad aliorum libera-
litates.“
Das Verständniss dieser Glosse erfordert die Vergleichung der
glossirten Stelle. Die bezüglichen Worte sind: „ut res et privilegia,
quae Dei ecclesiis .... et sive a divae recordationis imperato-
ribus sive ab aliis Dei cultoribus in scriptis donata, et ab eis per
annos XXX possessa sunt, nequaquam .... quaeeunque persona
saecularis subtrahat“. Der Glossator sucht zu erklären, wie damit
1. 2. 3. C. de quadr. praescr. 7, 37. bestehen könne, nach denen eine
von denfKaiser u. s. w. geschehene Veräusserung die Rechte Dritter
an dem veräusserten Gegenstände sofort aufheben soll, so dass es für
den Erwerber einer Ersitzung nicht mehr bedarf. Ob der Erklärungs
versuch ein glücklicher genannt werden könne, ist eine zweite
Frage ‘).
III. Glossa in c. 2. C. XXXV. q. 5. verb. in legibus siquidem.
„Sunt tarnen aliae quaedam causae. Nam tutelae sicut here
ditates ad proximum quemque redeunt; praeterea legibus
publicorum judiciorum contra affines et cognatos testimonium
inviti dicere non coguntur, quamobrem jurisconsultus cogna-
tionis et affinitatis gradus nosse debet, ut ff. de gradibus
et affi. Juris 3 ). Praeterea ipsarum quoque nuptiarum lex
certis graduum terminis concluditur, ut in Jnstit. de secundis
nuptiis“ 3 ).
In der glossirten Stelle ist gesagt, dass die Grade der Verwandt
schaft civilrechtlich nur für die Intesiaterbfolge in Betracht
kämen. Der Glossator stellt die verschiedenen civilrechtlichcn Bezie
hungen der Verwandtschaft zusammen.
*) Die von der Glosse versuchte historische Erklärung* wird dadurch unmöglich, dass
das glossirte Cap. nicht von Gelasius ist, dem Gratian es zuschreibt, sondern ein
Schluss des achten allgemeinen Concils von 869 (Cf. Richter in h. 1.).
Übrigens fällt auch Gelasius (492 — 496) nach Zeno (*j- 491). Auch dein Resultat
nach entschieden unrichtig ist die in einer Glosse des Cod. lat. Monac. 10244.
zu dieser Stelle ausgesprochene Ansicht: „Ilic eanon emendat legem, quae de
quadriennii praescriptione loquitur de rebus ab imperatore donatis.“
2 ) 1. 10. D. de gradibus, 38, 10.
3) J. 1, 10.
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
75
47. Wo Controversen des Civilrechts zur Sprache kommen,
werden gewöhnlich nur die verschiedenen Ansichten der Legisten
referirt. Nur wenn das kirchenrechtliche Gebiet unmittelbar berührt
ist, spricht der Canonist selbst seine Meinung aus. Ein Beispiel liefert
eine Stelle des Huguccio. Die Frage, um die es sich im Allgemeinen
in dieser Stelle handelt, ist diese: wenn Sachen oder Rechte von
Kirchen wider das gesetzliche Verbot veräussert, verpfändet oder
sonst belastet sind, hat der in mala fide befindliche Empfänger gegen
den Veräusserer oder Besteller, der selbst in mala fide war, eine
Klage? Diese Frage knüpft sich an die von Gratian in c.2.C.X.q.2.
aufgenommene Authent. Qui res C. de sacros. eccl. 1, 2., deren
letzte Worte lauten: „Sed melius dicitur omnimodo denegandas esse
actiones liujusmodi acceptori“. Ich lasse die Erörterung des Canoni-
sten folgen.
Hugucc. in c. 2. C. X. q. 2. verb. cit.
„Hoc non est de aut., quia autenticum dat bis omnibus actio-
nem adversus eos, qui eos alienaverunt, ut in aut. t. de non
alienandis aut permut. §. Si quis igitur emere 1 ); sed est
additum a guarnerio. . . . liujusmodi acceptori, seil,
emtori vel donatario vel creditori vel emphyteutae sic accipienti
remecclesiasticam. Inlioc martinus secutusest guarnerium,
sed hui. et jo. b. non. Dieebatergo mar.,quod liujusmodi emtor
vel donatarius vel creditor vel emphyteuta, si est malae fidei,
non habet actionem adversus ecclesiam vel illum, qui dedit, ut
XII. q. 2. Vulteranae 3 ). Sed melius dicitur, quod, sive sit
bonae sive malae fidei possessor, habet actionem, ut dicit
autent., non adversus ecclesiam, sed adversus eos, qui aliena
verunt. Nec est curandum, quod hic dicitur a guarnerio: sed
quomodo habebit actionem, qui est malae fidei? nonne debet
carere omni actione in odium sui? Dico, quod dafür actio ei
non sui favore, sed odio yconomi et aliorum injuste alienantium
res ecclesiasticas, ut saltem tali mein perterrili ab illicita alie-
natione cessent et abstineanf, si alias Dei timore non terrentur,
ut hic dicitur. Quidam vero dicunt et male, quod hoc habuerit
guarnerius ex autentico, sicut et praemissa, et dicunt hoc
*) Nov. 7. c. 5.
2 ) c. 15. C. XII. q. 2
76
Friedrich M nassen.
referri tantum ad creditorem — quia dieo, quod creditur non
habet actionem adversusecclesiam, sed adversus datorem pigno-
ris —: sed melius etc., et dicunt ideo potius denegari actio-
nem creditori quam emtori vel alicui praedictorum, quia rnagis
odiosus est propter usuras, quarum amore magis praesumitur
machinari in fraudem ecclesiae quam aliquis aliorum; et dicunt,
quod hic dicitur, liaberi ex litera ipsius autentici, ut in aut. de
alienat. emphyt. §. Si vero praeter ha ec 1 )» ubi dicitur:
creditor, quod debetur, perdat; sed intelligo quoad ecclesiam,
regressum tarnen habebit adversus datorem pignoris.“
Diese Stelle bezeugt zugleich die Autorschaft des Jrnerius
für die Authent. Qui res, und wird von Savigny zu diesem Zweck
auch erwähnt 3 ). Dasselbe wird durch das noch ältere Zeugniss einer
Interlinearglosse der Innsbrucker Handschrift Nr. 90. bestätigt 3 ),
wohl das älteste unter allen für die einzelnen Authentiken bisher
bekannten Zeugnissen.
48. In diesen Zusammenhang gehört auch eine Stelle des
Johannes Faventinus und eine andere des Huguceio, deren
Beziehung durch folgendes erklärt wird. Savigny hat bemerkt,
dass sich in den Schriften der Glossatoren nur äusserst wenige
Spuren einer unmittelbaren Kenntniss der vorjustinianischen Quellen
des römischen Rechts finden 4 ). Zu diesen seltenen Spuren gehören
zwei Stellen, aus denen eine Bekanntschaft mit UIp ian’s Fragmenten
oder einem anderen jetzt verlornen alten Juristen hervorzugehen
scheint. Die eine derselben ist eine (ungedruckte) Glosse zur
Comp. I., die andere findet sich in einem Werk der Turiner
Handschrift Nr. 19. de verbis quidem legalibus 5 ). Beide enthalten
mit etwas anderen Worten den §. 3 aus dem Anfang von Ulpian's
Fragmenten. Bei Johannes Fa ventinus und ebenso bei Hugu ccio
findet sich eine ganz ähnliche Stelle. Beide mögen hier folgen.
*) Nov. 120. c. 11.
2 ) S a v i g n y, Bd. 4, S. 44.
3 j „Glosa est G arnerii, non lex.“ — Johannes F av e n tin u s berichtet nur von
Hörensagen : „Quamvis qjiidam diennt haec non esse verba auctoris , sed Gral i a u i
vel Guarnerii, ideo non inulta curanda (Cod. ßarab. P. 11. 27.). In Cod. lat.
Monac. 3873. fehlt „vel Guarnerii.“
4 ) Savigny, Bd. 3, S. 304 folg.
5 ) Savigny, a. a. 0. S. 307
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
77
I. Joan. Fav. in c. 3. Dist. IV. Dict. Grat.
„Lex aut rogatur aut abrogatur aut subrogatur aut obrogatur
aut derogatur. Rogatur cum profertur; abrogatur cum aufertur;
subrogatur cum aliquid ei additur; obrogatur cum parte una
detracta alia ei additur; derogatur cum una pars ei detra-
hitur“ i).
II. Hugucc. in c. cit.
„Item nota quod lex rogatur cum profertur; abrogatur cum
tota aufertur; subrogatur cum aliquid ei additur; derogatur
cum aliquid ei detraliitur; obrogatur cum una parte detracta
alia ei additur; confirmatur moribus utentium.“
Auffallend ist, dass diese Stellen weder unter sich noch mit
einer der anderen beiden bereits früher bekannten Stellen wörtlich
übereinstimmen, die wieder unter sich verschieden sind. Die Abwei
chungen sind indess nicht gross genug, um desshalb annehmen zu
müssen, dass sie sämmtlich von einander unabhängig seien. Es ist
dies sogar unwahrscheinlich. Die Anführung scheint vielmehr trala-
titisch zu sein, was kleine von dem einzelnen Schriftsteller absicht
lich oder unabsichtlich bewirkte Änderungen nicht ausschliesst. Wie
aber diese Stelle an die Glossatorenzeit gekommen, darüber lässt
sich natürlich auch nicht einmal eine Vermuthung aufstellen, so lange
weiter nichts vorliegt. Von Ulpian weichen sie übrigens sämmtlich
ab, ohne dass sich auch sagen Hesse, welche ihm am nächsten
käme 2 ).
x ) So in Cod. lat. Monac. 3873. In Cotl. Bamb. P. II. 27 sind die Worte von „aut
obrogatur“ bis „abrogatur“ ausgefallen: statt „cum aufertur“ heisst es „cum tota
aufertur.“
2 ) Zur bequemeren Vergleichung setze ich sowohl die Stelle aus Ulpian’s Fragmenten
(ed. B ö ck i n g, Lips. 18oo), als auch die beiden bei S a vigny a. a. 0. abgedruckten
Stellen hieher. 1. Ulpiani fragm. (Tit. de legibus etc.) §.3. : „Lex aut rogatur, id
est fertur; aut abrogatur, id est prior lex tollitur; aut derogatur, id est pars primae
tollitur; aut subrogatur, id est adicitur aliquid primae legi; aut abrogatur, id est muta-
tur aliquid ex prima lege. * * * “ 2. E r s t e Stelle bei S a v i g n y (Glosse zur Comp. 1.) :
„Legi aut rogatur aut derogatur aut abrogatur aut subrogatur. Rogatur cum pro
fertur, abrogatur cum aufertur, derogatur cum una pars ei detraliitur, subrogatur
cum alia additur, obrogatur cum una detraliitur et alia additur.“ 3. Zweite Stelle bei
S a v i g n y (T u r i n e r Handschr. Nr. 19) : „Lex autem aut rogatur, aut derogatur, aut
subrogatur, aut abrogatur, aut obrogatur. Rogatur, cum profertur. Derogatur, cum
una pars ei detraliitur. Subrogatur, cum alia additur. Abrogatur , cum aufertur.
Obrogatur, cum una addicitur, alia distrahitur.“
78 Friedrich Maassen.
2. Rechtsgrund und Umfang der Geltung des römischen
Rechts.
49. Als Anklang an die Herrschaft des Systems der persönlichen
Rechte findet sich hei den ältesten Decretisten zuweilen noch der
Ausdruck lex Romana '). Dies ist namentlich da der Fall, wo es
gilt den Gegensatz zur lexLombarda hervorzuheben s ); aber
nicht ausschliesslich 3 ). Auch die Bezeichnung leges Romanae
findet sich *).
Regelmässig wird jedoch das römische Recht als das jus
civile, seine Bestimmungen als leges schlechthin bezeichnet 5 ).
Es ist den Glossatoren des Decrets das jus civile commune 6 ).
Dass in beiden Fällen nur das justinianische Recht gemeint
ist, versteht sich von selbst, da die Glossatoren kein anderes kannten.
Die Compilation Justinian’s ist ihnen das corpus nostri juris 7 ).
50. Es entsteht die Frage, einmal, wo die alten Decretisten
den publicistischen Grund für die Geltung des römischen Rechts
') Man vergl. Sa vigny, Bd. 1, S. 131 folg.
2 ) Beispiele: Jo an. Fav. in c. 7. C. XXIX. q.2. verb. secundum Hegern saecula-
re m: „non Romanam, sed Lombardam.“ — Idem in c. 8. C. II. q. 3.: „Huic
legi Lombardae derogat lex II o m a n a.“ Cf. G1 o s s a o r d. ibid. verb. legibus.
— Summa anon. cod. Bamberg. P. II. 26. in c. 4. Bist. XXVIII. verb. octavum
de c im um. „Hoc dicit secundum legem Lombard am, in qua post octavum X.
annum quod quis fecerit, ratum erit; sed secundum Romanam post vicesimum
quintum“ etc. — Cf. Petr. Blesens. Specul. jur. can. (ed. Reimar.) c. XVI. —
Über Lombarda und Capitularien in den Schriften der älteren Glossatoren
des Decrets wird später einiges mitzutheilen sein.
3 ) Glossa anon. cod. Oenip. N. 90. in c* 1. C. XIII. q. 2.: „obtineat Iricennalis
praescriptio inter ecclesias, sicut inter privatos lege Romana.“
4 ) Glossa anon. cod. Oenip. N. 90 in c. 9, C. XIII, q. 2: „Imo secundum 1 e g e s R o-
manas lis infitiando crescit in duplum.“— Hugucc. in c. 10. C. XII. q. 2. verb. in
legibus s a e c u 1 i: „seil, in Lombarda, Gothica, Salica et hujusmodi, in Romanis
enim legibus talis poena non statuitur.“
•**) Viele Beispiele in den alten Glossen und Commentaricn.
n ) Ste p h. Torn ac. ep. 240. (ed. Du Molinet) „Communi jure ci vili, cui et cano
nicum refragari non credimus in hac parte, si is qui possidet ante litem conteslatam
contumax exstiterit, actor mittendus in possessionem servandae rei causa“ etc.
7 ) Hugucc. in c. 49. C. XXVII. q. 2.: „Lex illa, quae hoc dicit, non habetur in cor
pore nostri ju ris; imo habetur in C. de raptu virginum , Rap to r e s (1. 1. pr.
C. 1, 13) et in aut. de episcopis (Nov. 123, c. 43.?), quod in sponsa committitur
raptus, licet non in uxore, et ut raptor est puniendus, qui sponsam rapit. Quare ergo
non potius posuit Gelasius, quod dicitur in codice et in aut.? Resp. Gelasius prae-
cessit J u s t i n i a n u m.“
Beiträge 7.ur juristischen Literargesehichte des Mittelalters. 79
fanden, und zweitens, innerhalb welcher räumlichen Grenzen sie
diese Geltung annahmen.
Man hat wohl behauptet, dass die Ansicht von der gesetzlichen
Geltung des römischen Rechts eigentlich nur eine Erfindung der
Kaiser des hohenstaufischen Hauses gewesen sei, die darin einen
wirksamen Hebel für ihren Plan erkannt hätten , ein despotisches
Regiment in Deutschland zu begründen. Es ist immer bedenklich,
Überzeugungen eines ganzen Zeitalters pragmatisch aus irgend einer
äusserlichen Ursache erklären zu wollen. Dass nun aber namentlich
die Theorie von der Geltung des römischen Rechts als eines gemeinen
Rechts der Christenheit im Dienste von Parteizwecken entstanden
sein soll, eine Theorie, die das Mittelalter seit dem zwölften Jahr
hundert beherrscht und umgestaltet hat, auf der in höchst wichtigen
Beziehungen noch unser heutiger Rechtszustand beruht, ist eine
entschiedene Abgeschmacktheit.
Unter den äusseren Beweisen für die Thatsache, dass es sich
hier um eine in den Verhältnissen gegründete Nothwendigkeit gehan
delt hat, ist einer der schlagendsten die vollkommene Übereinstim
mung der Legisten und Canonisten in diesem Punct. In dem
Commentar des Huguccio zum Decret findet sich eine für diese
Frage höchst bedeutende Stelle, welche der Mittheilung werth ist.
Huguccio muss in dieser Beziehung um so mehr für unbefangen
gelten, als man ihn, den Lehrer und Freund Innocenz III, am aller
wenigsten in Verdacht gibellinischer Parteitendenzen haben kann.
Die Stelle findet sich zu c. 12. Dist. I., einem aus Isidor’s Etymo-
logieen entlehnten Stück, in dem erklärt werden soll, was jus
Quiritium sei. Huguccio abstrahirt von der unmittelbaren, histori
schen Beziehung des Inhalts und wirft die Frage auf nach dem
Umfang der Geltung des römischen Rechts in der Gegenwart. Er
beantwortet diese Frage, indem er den Grund seiner Geltung erör
tert. Ich lasse die Stelle selbst folgen.
„Hoc jure soli Romani et qui subsunt Romano imperio astrin-
guntur. Sed quid de Francis et Anglicis et aliis ultramontanis,
numquid ligantur legibus Romanis et tenentur vivere secundum
eas? Resp. Utique, quia subsunt vel subesse debent Romano
imperio ; nam unus imperator in orbe, ut VII. q. I. In
*) In Cod. lat. Mo nac. 10247. fehlt „Romano imperio.
80
Friedrich Maassen-
apibus *); sed in diversis provinciis diversi reges sub eo, ut
VI. q. III. Scitote 2 ). Praeterea quicunque utuntur lingua
Latina, dicuntur Romani, unde et lingua Latina Romana dieitur,
ut de cons. Di. IV. Retulerunt 3 ), et ideo Romani hie intel-
liguntur omnes Latini. Unde et hoc jure omnes Latini astrin-
guntur. Item saltem ratione pontificis subsunt Romano imperio;
omnes enim Christiani subsunt apostolico et ideo omnes tenentur
vivere secundum leges Romanas 4 ), saltem quas approbat ecclesia.
Item quid de clerieis? numquid et ipsi ligantur legibus Romanis?
Sic, illis quae approbantur ab ecclesia et non obviant canonibus.
Sed non ideo, quia sint promulgatae ab imperatoribus, sed quia
sunt confirmatae a domino papa; ideo in causis eeclesiasticis
locum habent leges saeculares, quae non obviant canonibus,
alias autem repelluntur, ut XXXIII. q. II. 6 ). Inter liaec, et
XI. q. I. Continua 6 ). Item quid de Sarracenis? Resp. Non
ligantur legibus Romanis, quia eas non receperunt, unde secun
dum eas non tenentur vivere, licet in aliis peccent. Videtur
tarnen, quod et ipsi debeant subesse Romano imperio et ideo
teneantur vivere secundum leges Romanas. Sed quid si non
tenentur et lis est intra Sarracenum et Christianum? Judex
sequitur leges suas vel rei“ 7 ).
„Das römische Recht ist ein kaiserliches Recht": Das ist der
in den Vordergrund gestellte Gesichtspunct. Als solches ist es ein
gemeines Recht der Christenheit und verbindet auch die Franken
und Engländer. Diese Auffassung setzt aber nothwendig die Annahme
der Rechtscontinuität des neuen mit dem alten imperium Romanum
voraus, sie setzt voraus, dass die römischen Kaiser deutscher Nation
als die Nachfolger der alten römischen Cäsaren galten. Wir finden
daher hier dieselbe Theorie von einem Canonisten des zwölften Jahr
hunderts entwickelt, die zwei Jahrhunderte später in den deutschen
Reichsgesetzen wieder hervortritt 8 ).
U c. 41.
2 ) c. 2.
3) c. 86.
4 ) Cod. ßainl). P. II. 2o. „nostras.“
ß ) c. 6.
6 ) C. 1).
7 ) In Cod. lat. Monat*. 10247 fehlt „vel rei.“
8 ) Zuerst in dem H. A. K. Ludwig’s von 1342.
Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
81
51. Mit dieser Stelle des Huguccio ist übrigens eine von
Guido a Baisio zu c. 8. C. XU. q. 2. aufgenommene Glosse des
Laurentius, eines jüngeren Zeitgenossen des Huguccio, zu
vergleichen, in der sich bezüglich des Umfanges der Geltung des
römischen Rechts eine wesentlich abweichende Auffassung ausspricht.
Es heisst hier:
„Quaelibet regio potest sibi imponere legem et ita Franci et
Hispani non obligantur Romanis legibus. Rörnana ecclesia non
confirmat eas, nisi circa eos, circa quos proditae sunt. Proditae
autem sunt illis tantum, qui sub imperio Romano sunt, C. de
infanti. expo. 1. ult. Unde non circa Gallicos vel Hispanos
secundum lau“. *)■
Den Rechtsgrund der Geltung des römischen Rechts findet
Laurentius wie Huguccio indem römischen Reiche; aber er gibt
nicht zu, dass die Franken und Spanier zum römischen Reiche gehör
ten; desshalb bestreitet er die Geltung desselben für diese. Im
dreizehnten Jahrhundert verändert sich in etwas die Stellung der
Kirche dem römischen Recht gegenüber. Ihren gesetzlichen Aus
druck findet die modificirte kirchliche Anschauung zuerst in der
bekannten Decretale Honorius 111 Super specula 3 ), entschie
dener noch tritt sie in einer Decretale Innocenz IV hervor 3 ).
Laurentius war ein Lehrer des Tancred 4 ), er hat daher nicht lange
nach Huguccio gelehrt, scheint aber doch die Zeit Honorius 111
(1216—1227) erreicht zu haben 5 ). Von Geburt war er ein Spa
nier 0 ). Ob auf die in den angegebenen Glossen ausgesprochene
Ansicht seine Abstammung von Einfluss gewesen 7 ), oder ob es die im
*) Ed. Venet. ap. Juutas, 1572. „L.“
2 ) Man siehe über diese Decretale, soweit sie hieher gehört (e. 28. X. de privil. 5,33),
Savigny, Bd. 3, S. 36G folg. Der Text der ganzen Decretale ist herausgegeben
von Savigny in der Zeitschr. für gesch. Rechtswissensch., Bd. 8, S. 255 folg.
3 ) Savigny, Bd. 3, S. 370.
4 ) Tan e red. Ordo judic. Tit. 6. de in integr. rest. §. 5. (ed. B e rgma n n, p. 311.).—
Man vergl. Sarti, I*. 1. p. 316. — Savigny, Bd. 5,- S. 118, Note g.
5 ) Ptolom. Luc. Hist. eccl. lib. XXL c. XXVI. (Bei Murator. Script. T. XL, col.
1133.) Man vgl. Sarti I. c. not. c.
G ) Ptolom. Luc. 1. c.
7 ) Die in Spanien im Mittelalter herrschende Ansicht über das Verhältniss zum Reich
zeigt sich sehr entschieden in einer von Gaupp: Die germanischen Ansiedelungen
und Landtheilungen in den Provinzen des römischen Westreichs, 1844, aus Maria na,
De rebus Hispaniae lib. IX. c. 5. mitgetheilten Stelle.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXIV. Bd. I. Hft.
6
82
Friedrich Maassen.
Allgemeinen veränderte Auffassung ist, die sich in ihr reflectirt, muss
dahingestellt bleiben. Vielleicht ist beides der Fall gewesen. Die
Ansicht des Huguceio wird noch festgehalten in folgenden Gl ossen
zu Gregor's IX Decretalen: c. 34. de elect. 1, 6. verb. transtulit
in Germanos, c. 13. qui lilii, 4, 17. verb. minime rocognoscat, c. 28.
de privil. 5, 33. verb. non utuntur, wenn auch hier schon der Unter
schied zwischen dem de jure und de facto gemacht wird ‘).
52. Zum Schlüsse eine verwandte Bemerkung. Die Frage nach
dem Rechtsgrunde der Geltendwerdung des römischen Rechts ist noch
gegenwärtig für die Territorien des gemeinen Rechts von praktischer
Wichtigkeit. Durch ihre Beantwortung lässt sich allein entscheiden,
oh die justinianische Sammlung die formell verbindende Autorität
eines Gesetzbuches habe oder nicht.
Von der Ansicht, dass die Reception des corpus juris civilis auf
irgend ein Gesetz zu gründen sei, ein Gesetz Lothar’s II, wie man
vor Conring a ) allgemein annahm, oder, wie man später glaubte,
die Reichskammergerichlsordnung von 1495 3 ), ist man längst zurück
gekommen. An ihre Stelle ist die heute übliche Lehre getreten: die
Reception des römischen Rechts sei durch ein gemeines Gewohn
heitsrecht geschehen. Dieser Satz enthält auch nichts falsches. Aber
der eigentliche Kern der Frage ist damit nicht entschieden. Die
Frage ist, was den unmittelbaren Gegenstand der durch Gewohnheits
recht geschehenen Reception gebildet hat?
Es Hesse sich sehr wohl denken, dass die einzelnen Bestimmun
gen des römisch-justinianischen Rechts ihrem Inhalt nach gewohn
heitsrechtlich für uns zu Rechtssätzen geworden wären, aber eben
nur als einzelne und nur dem Inhalt nach. Es wäre damit materiell
römisches Recht recipirt — ebenso wie noch iieuligen Tages ein
Satz z. B. des englischen Rechts durch nationale Überzeugung auf
genommen werden könnte, — aber keineswegs das corpus juris als
Ganzes, auch dann nicht, wenn ohne Ausnahme alle Bestimmungen
*) Joh. Ant. de S. Geo l'gio bemerkt über diese Glossen in seinem Commentar zum De-
cret (m.s. o. S. 36, Not.2)c. cult- Dist. 1.: „Et ad istas glo.responde, quodsint suspectae,
quia erant factae a .Toh anne, qui fuerat teuthonicus et subjectus imperatori.“
2 ) Conring, l)e origine juris germanici. (Oper. T. VI. Brunsv. 1730.) Cf. B. G.
Struv. bist. jur. 1718, p. 378., wo die Geschichte der darüber geführten Debatte
ausführlich erzählt wird.
3) Diesen Irrthum hat zuerst gründlich widerlegt llatt, De pace iinperii publica, I. IV.
c. 1. §. 103. sq.
Beiträge zur juristischen Liter Urgeschichte des Mittelalters.
83
desselben in unser Rechtslehen iihergegangen wären. Darauf kommt
es überhaupt bei dieser Frage gar nicht an : — das römische Recht kann
in complexu, das corpus juris als Gesetzbuch recipirt und doch
seine Herrschaft eine durch den Inhalt anderer Rechtsquellen sehr
beschränkte sein.
Haben dagegen die Gesetze Justinian’s für die Länder des
gemeinen Rechts in der That die Bedeutung von Gesetzen, so weit
ihre Wirksamkeit nicht von vorneherein oder später ausgeschlossen
wurde, geht die Novelle dem Recht des Codex u. s. w. vor, nicht
etwa, weil sie um der Vortrefl'Iichkeit ihres Inhalts willen von dem
deutschen Rechtsbewusstsein den Vorzug erhalten hat, sondern, weil
sie das jüngere Gesetz ist, so muss auch der Gegenstand der
gewohnheitsrechllichen Reception ein ganz anderer gewesen sein.
Diese Reception ist dann nur so zu denken, dass den durch Gewohn
heitsrecht begründeten Rechtssatz die gesetzliche Autorität
des corpus juris civilis selbst bildet.
Dass diese Ansicht die Rechtsanwendung seit Jahrhunderten
beherrscht hat und noch beherrscht, ist gewiss. Die Praxis wird
dabei von dem richtigen Gefühl geleitet, dass die entgegen
gesetzte Ansicht nothwendig einen juristischen Suhjectivismus erzeu
gen müsste, der alle Rechtssicherheit zerstören würde 1 ). Aber frei
lich ist damit allein noch nichts entschieden, wo es sich wie hier
nicht de lege ferenda, sondern um ein historisches Factum handelt.
Diese Auffassung des Verhältnisses entspricht aber auch allein
den Thatsachen. Es lässt sich historisch nachweisen, dass der for
mell vermittelnde Grund der Reception des römischen Rechts das
staatsrechtliche Axiom des Mittelalters von der Rechtseinheit des
alten und neuen römischen Reiches gewesen ist. Aus ihm entsprang
die Überzeugung von der Verbindlichkeit des römischen Rechts als
eines noch fortdauernd geltenden gemeinen Rechts. Mit dieser
Überzeugung war aber die Geltung der justinianischen Sammlung als
eines Gesetzbuches von seihst gegeben 3 ).
In extremster Weise ist dieser Standpunct von Kierulff in der Einleitung- zu seiner
Theorie des gemeinen Civilrechts geltend gemacht. Sein Buch würde nicht den
Werth für die Wissenschaft haben, den es in der That hat, wenn diese Auffassung auf
die Ausführung seihst von Einfluss gewesen wäre.
2 ) Der verständige P ü 11 e r hat diese Ansicht des Verhältnisses an verschiedenen
Stellen seiner Schriften zuerst entschieden betont (namentlich in der Literatur
6°
84 Fr ie dr. M a a s s e n. Beiträge zur juristischen Literargeschichte des Mittelalters.
In diesem Sinne ist es denn auch vollkommen richtig, dass die
Geltung des römisch-justinianischen Rechts sich auf Gewohnheits
recht gründet. Und nach den im Wesen des Gewohnheitsrechts
liegenden Principien würde diese Autorität auch dann nicht erschüt
tert werden, wenn nachgewiesen werden könnte, dass jene Über
zeugung sich auf einen Irrthum gründe, ein Nachweis, der desshalb
nie gelingen wird, weil es an und für sicli verkehrt ist, eine solche
Frage anders als historisch zu betrachten.
Die Frage, ob das eorpus juris civilis nocli gegenwärtig die
Bedeutung eines Gesetzbuches habe in denjenigen deutschen Terri
torien, in dessen die unmittelbare Geltung des römischen Rechts nicht
gesetzlich aufgehoben wurde, ist übrigens ganz unabhängig von der
anderen Frage, ob es nach der Auflösung des Reiches noch ein
gemeines Recht in Deutschland gebe, eine Frage, die indess, richtig
aufgefasst, ebenfalls entschieden zu bejahen ist.
Die angeführte Stelle des Huguccio gehört unter die ältesten
Doeumente, in denen die Geltung des römischen Rechts auf ein
staatsrechtliches Princip zurückgeführt wird.
des deutschen Staats rechts, Bd. 1, S. 34 folg, und in den Beiträgen
zu in deutschen Staats recht, Th. 1, Nr. 23). Neuerdings hat Wächter (in
seiner Schrift: Gemeines Recht Deutschlands u. s. w.) über diesen Punct
viel richtiges gesagt. Es ist schwer begreiflich, dass ein so scharfsinniger Jurist
wie Gerber (in seiner Schrift: Das wissenschaftliche Princip des g e-
meinen deutschen Privat rech ts) einerseits zu der richtigen Ansicht sich
bekennt, es sei das römische Recht durch die Überzeugung von der Nothwendigkeit
seiner Geltung in complexu recipirt, und doch andererseits folgendes sagen kann:
„Worauf diese (Überzeugung) seihst sich gründe, oh auf die Ansicht, dass der
Wahrheit undinneren Vollendung ihr Recht gebühre, ob auf die Täuschung,
welche in der Annahme von der Fortdauer des römischen Reichs ausgesprochen liegt,
ist im Allgemeinen gleichgiltig.“ Durch die Überzeugung von der inneren Vortrefl-
lichkeit eines Rechtscodex allein ist dieser noch niemals in ein Ge s etz b uch ver
wandelt worden.
Aschbach. Über römische Kaiser-Inschriften etc.
85
SITZUNGEN VOM 17. und 24. JUNI 1857.
Die Classe erhält von dem wirklichen Mitgliede S. E. dem FML.
Freiherrn v. Prokesch-Osten die Fortsetzung seiner Abhandlung
(im V. Bande ihrer Denkschriften) „Inedita meiner Sammlung auto
nomer altgriechischer Münzen“ und bestimmt sie zum Abdruck im
nächsten (IX.) Bande ihrer Denkschriften.
Vor gclegts
Über römische Kaiser - Inschriften mit absichtlichen aus dem
Alterthum herrührenden Namentilgungen.
Von dem w. M. Hrn. I'rof. Aschbach.
Es kommen nicht selten römische Steininschriften vor, auf
welchen, ungeachtet ihrer sonstigen guten Erhaltung, einzelne Wörter,
besonders Personennamen, ausgetilgt sind, so dass es am Tage liegt,
dass die Verstümmelung nicht durch Zufall und durch die Zeit herbei
geführt, sondern mit Absicht und zwar schon im Alterthum gemacht
worden sei. Solche verstümmelte Inschriften beziehen sich fast
immer auf historisch merkwürdige Persönlichkeiten; gewöhnlich
betreffen sie römische Kaiser, öfters aber auch Glieder ihrer Familie
oder ihre Minister *). Waren solchen Personen zu Ehren und zur
*) Es wird nicht beabsichtigt, über Steininschriften, worin die Namen von verhassten
und gestürzten Ministern römischer Kaiser ausgemeisselt sind, hier näher zu handeln.
In die Classe dieser Inschriften gehören vorzüglich die worin die Namen des Aelius
Sejanus, des Ministers von Kaiser Tiberius , und des Fulvius Piautianus, des Giinst-
86
As ch bach.
Überlieferung ihres Namens auf die Nachwelt öffentliche Denkmäler
errichtet oder Inschriften gesetzt und fand man später auf Seiten des
römischen Senats und der neuen zur Herrschaft gekommenen Gewalt,
dass die in der angeführten Weise früher ausgezeichneten Personen
unwürdig jeder Ehre und jeder ruhmvollen Erwähnung seien, so
wurden die ihnen errichteten Denkmäler entweder ganz vernichtet,
oder doch wenigstens die darauf befindlichen Inschriften die ihrer
gedachten, in der Art verstümmelt, dass man die verhassten Perso
nennamen ausmeisselte oder sonst unlesbar machte.
Ein derartiges öffentliches Todtengericht oder Strafverfahren
gegen die welche an der Spitze des Staates gestanden und ihre Gewalt
missbraucht hatten, war bei den Römern ein ziemlich alter Gebrauch :
seine Entstehung fällt schon in die früheren Zeiten der Republik.
Gegen Hochverräther waren die schmachvolle Hinrichtung desHerab-
stürzens vom tarpejischen Felsen, das Versagen eines ehrenvollen
Begräbnisses, das Niederreissen ihrer Häuser und Bildsäulen als
Strafen angeordnet: überall wurden die Monumente zur Erhaltung
ihres Andenkens und ihres Namens vernichtet. So verfuhr man schon
gegen Spurius Cassius, den Urheber des Ackergesetzes, den die Patri-
cier als Hochverräther zum Tode verurtheilten.
In den ersten Jahrhunderten der Kaiserherrschaft wurde über
mehrere tyrannische Herrscher deren schändliche und ruchlose Regie
rungen für alle Zeiten gebrandmarkt zu werden verdienten, von Seiten
des Senats mit Zustimmung der neuerhobenen Kaiser verordnet, dass
den gestürzten Tyrannen als Hochverräthern nicht nur das ordent
liche Begräbniss versagt und ihre Gebeine in die Tiber geworfen,
sondern dass sie auch für öffentliche Feinde des römischen Staates
und Volkes, ja selbst der Menschheit erklärt werden sollten. Um
ihr schmachvolles Andenken auszutilgen, wurden ihre Statuen
umgestürzt, die für sie aufgehängten Ehrenschilde und Bildnisse auf
den Boden geworfen und vernichtet, die Münzen mit ihrem Bilde und
Namen wo möglich eingeschmolzen und in den Inschriften auf Ge
bäuden und öffentlichen Monumenten die ihrer Erwähnung thaten,
lings von K. Septimius Severus, getilgt worden. Selbst Jahresangaben auf Inschriften
finden sich dadurch verstümmelt, wie bei Gruter 1087, 1 = Mommsen J. R. N.
n. 1968, wo nach Tr CAESAR • AVG • V eine ausgemeisselte Stelle für SEIANO’COS
vorkommt.
Über römische Kaiser - Inschriften etc.
87
ihr Name ausgemeisselt oder sonst vertilgt. Wenn man sich gerade in
einem Consulatsjahre des gestürzten Tyrannen befand, so wurde sein
Name aus den fastis entfernt und an seine Stelle der Name eines
Consul suffectus in das Consuln-Verzeichniss aufgenommen. Nicht
über sämmtliche tyrannische Kaiser verfügte der Senat nach ihrem
Sturze die Namensvernichtung in den Inschriften. Es traf, so lange
der Senat noch einen Schatten der Gewalt hatte, das strenge Straf
gericht nur einige der Ungeheuer die in massloser unmenschlicher
Grausamkeit gewüthet hatten. Obschon die Claudische Kaiserfamilie
die unmittelbar dem Augustus folgte, eine ununterbrochene Reihe
von Wütherichen lieferte, so entgingen sie doch mit Ausnahme des
letzten derselben, des Nero, der Namensvernichtung auf den Denk
mälern. Der Senat wagte nicht ein kaiserliches Glied derClaudischen
Familie als öffentlichen Feind zu bezeichnen, solange dieselbe noch
im Besitze der Gewalt war. Erst als mit Nero’s Sturz und Tod
Herrscher aus andern Geschlechtern den Kaiserthron besetzten,
konnte rücksichtsloser vorgeschritten werden. Daher ist es zu erklä
ren, wie die Tyrannen Tiberius, Cajus Caligula‘) und Claudius dem
strengen Strafgerichte des Senats entgingen und ihre Namen auf
den Denkmälern und in den Inschriften nicht ausgetilgt wurden.
Mögen auch einzelne Römer manche Denkmäler dieser Tyrannen aus
Rache vernichtet oder verstümmelt haben, von Staatswegen wurde
nicht zur Vernichtung ihres Andenkens eingeschritten; im Gegentheil
es wurde nach ihrem Tode ihrer noch in Inschriften gedacht und
Claudius der das Prädicat Divus erhielt, wurde sogar apotheosirt.
Den Namen des Nero traf zuerst in Folge eines Senatsbe
schlusses allgemeine Schmach und Vernichtung 2 ). In gleicher Weise
*) Man setzt den Cajus Caligula unter die Kaiser deren Namen im Alterhum in den
Inschriften absichtlich ausgetilgt worden sind (vgl. Hagenbuch. crit. observ. in
Orelli coli, inscr. latin. sei. II. p. 366). Allerdings gibt es mehrere Steininschriften,
in welchen der Name des C. Caesar (Caligula) ausgetilgt ist: Mommsen Inscr. R. N.
n. 2272 und 2274; Gruter 180,7 = Orelli 3325 und A. Die alten Schriftsteller
geben aber nicht an, dass der Senat die Namentilgung in den Inschriften unge
ordnet habe.
2 ) Sueton. Nero c. 49; Dio Cass. LXIII, 29; Aurel. Victor Nero; Eutrop. VII, c. 15.
A senatu hostis judicatus; quum quaereretur ad poenam (quae poena erat talis, ut
nudus per publicum ductus, furca capiti eius inserta, virgis usque ad mortem cae-
deretur, atque ita praecipitaretur de saxo) e palatio fugit.
i
88
A s c h b a c h.
wurde gegen die gestürzten Tyrannen Vitellius 1 ), Domitianus s ) und
Commodus 3 ) nach ihrer Ermordung eingeschritten. Dessen unge
achtet entgingen sehr viele ihrer Inschriften der Verstümmelung, vor
züglich in den Provinzen.
Gegen Ende des zweiten und im Anfänge des dritten Jahrhun
derts wurde das Strafgericht über die tyrannischen Regierungen dem
Senat entzogen, der damals noch die letzten Reste seiner Macht an
die herrschende Soldatengewalt abgehen musste. Die Legionen
welche die Kaiser erhoben und stürzten, bestimmten, welcher von
den gemordeten Gewalthabern aus dem Andenken der römischen
Welt zu tilgen sei, und die durch die Soldaten erhobenen Kaiser
waren gefügige Werkzeuge den Willen ihrer Gebieter auszuführen.
Die grausamsten Kaiser die sich am meisten auf die Soldaten
stützten und sie mit aller Gunst überschütteten, blieben im guten
Andenken: ihr Name wurde überall, in Rom und in den Provinzen,
erhalten und verehrt. Ja selbst das Andenken des früher durch den
Senat geächteten und der allgemeinen Verachtung Preis gegebenen
Tyrannen Commodus musste wieder zu Ehren gebracht werden: es
wurden ihm von neuem Monumente mit Inschriften gesetzt und sein
Name der wenige Jahre früher auf den Denkmälern vernichtet
worden war, ward auf manchen nicht nur wiederhergestellt, sondern
*) Sueton. Vitell. c. 17; Tacit. Hist. III, 83; Dio Cass. LXV, 20 sq.; Aurel. Vict. de Caes.
Vitell; Eutrop. VII. 12. Von Vitellius der nur so kurze Zeit regiert hat, haben sich
iiusserst wenige Denkmäler erhalten. In dem Fragmente der Sardinischen Militär-
Grabschrift hei Orelli-Henzen Nr. 3417 ist der Name des Vitellius nicht ausgetilgt.
Jedoch ist die Echtheit der Inschrift verdächtig, da dem IMP. VITELLIVS nicht das
Prädicat Augustus, wohl aber das Wort CAESAR beigefügt sich findet, welchen
letzteren Namen (nach Tacit. Hist. II, 62, III. 68 und Sueton. Vitell. 8) Vitellius
entweder gar nicht führte, oder sich erst kurz vor seinem Sturze beilegte.
~) Plin. Panegyr. c. 32; Sueton. Domit. c. 23. Senatus adeo laetatus est, ut scalas
etiam inferri clvpeosque et imagines eius coram detrahi et ibidem solo affiigi jube-
ret; novissime eradendos ubique titulos abolendamque omnem
memoriam decerneret. Dio Cass. LXVIII, 1; Aurel. Vict. de Caes. Domit. R a-
d e n d u m q u e (senatus) n o m e n (Domiliani) decrevit.
3 ) Dio Cass. LXXIII, 2 : '0 K6p.p.ooos 7toXsp.to; aTteostyJb), rcoXXä yz auxöv xai Sstvä xai xtjs
ßooXxjc; xai xou o^p.oo a'jp-ßoTjaävxcov -/jilsX'rjtjav piv yap xai xo a<I)p.a auxoO aupai xai oia-
aTrdcaai, u>a-ep xai xdq eixovac. Lamprid. Commod. c. 17: Nomen eius (Commodi)
alienis operibus incisum, senatus erasit. Aurel. Victor de Caes. Commod.: Sena
tus simul plebs (Commodum) hostem deorum atque hominum appellavere raden-
dumque nomen sanxere. Eutrop. VIII, 7. Commodus quum imperasset tanta
execratione omnium, ut hostis humani generis etiam mortuus judicaretur.
Über römische Kaiser-Inschriften etc.
89
demselben sogar das apotheosirendePrädicat Divas beigefügt 1 ). Daher
ist es auch zu erklären, wie der blutdürstige Wütherich Caracalla,
der Abgott der Soldaten die er wie seine Brüder behandelte, bei
denselben in so gutem Andenken stand, dass sie seinem Namen 2 ) und
seinem Andenken alle Ehren erwiesen, selbst dann noch, als er durch
eine Partei ermordet worden war. Sie hatten ihn bei allen seinen
Grausamkeiten bereitwillig unterstützt, namentlich als er seinen
Bruder Geta, um nicht einen Theilnehmer an der Kaiserherrschaft
zu haben, umbringen liess. Geta war für einen öffentlichen Feind
erklärt worden 3 ): sein Name wurde in den Inschriften auf den
öffentlichen Denkmälern getilgt, seine Bildnisse vernichtet, seine
Münzen eingeschmolzen *).
Als der kaum aus dem Knabenalter getretene Heliogabal durch
die Soldaten auf den Thron erhoben worden war, liess er seinen
Vorgänger Macrinus als einen Usurpator bekriegen und nach dessen
Tode seinen Namen überall austilgen, ja selbst aus den Consular-
fasten entfernen 5 ). Er selbst erfuhr nach wenigen Jahren gleiches
Schicksal durch die welche ihn erhoben batten. Die Soldaten, end
lich seiner unsinnigen Tborbeiten und seiner launenhaften Grausam
keiten müde, erschlugen ihn nebst seiner Müller Soümis und ver-
*) Septimius Severus der dem römischen Senat sein- abgeneigt war, pries den Com-
modus als einen solchen Fürsten der den Senat verdienter Massen ge/.iigelt. Spar-
tian. Sever. c. 11: Iratus senatui Severus — Commodum inter divos referendum esse
censuit, quasi hoc genere se de senatu posset ulcisci: primusque inter milites divum
Commodum pronuntiavil. Und c. 12: Commodum in senatu et cohcione laudavit,
deum appellavit, infantibus displicuisse dixit. Gruter glaubt, dass Septimus Severus
dem Commodus das Epitaphium, das er 262, 2 inittheilt, habe setzen lassen, dessen
Schlussworte lauten: L. Aelio Aurelio Commodo Augusto Sarmatico | Germanico Ma-
ximo ßritannico PontificiMaximo Tribuniciae | Polestat. XVIII. Imp. VIII. Consuli VII.
Patri Patriae. Auch Kaiser Didius Julianus hatte den Prätorianern versprochen: se
Commodi memoriam restituturum. Spart. Did. Julian, c. 2. Die Soldaten gaben dem
Julianus den Namen Commodus. I)io Cass. 73, 12; Herodian. II, 6.
2 ) Hagenbuch in den crit. observalt. bei Orelli coli, inser. II, pag. 366 und Matfei Mus.
Veron. p. 113 zählen Caracalla mit Unrecht zu den Kaisern deren Namen in den
Inschriften absichtlich ausgetilgt worden seien. Man hat ausgetilgte Namen die auf
Commodus oder Ileliogabalus gehen , unrichtig auf Caracalla bezogen, der wie jene
beiden Kaiser den Namen M. Aurelius Antoninus führte.
3 ) Eutrop. VIII, 10. Geta hostis publicus judicatus, confestim periit. Spartian. Caracall.
1 sqq.; Ilerodian. IV, 4 : Ot os oxpaTtm-ai — töv Fexav xaXoöat ttoX^|mov.
4 ) Dio Cass. LXXVII, 12; cf. Gudii inscriptt. anlt. p. LIII, Maffei Mus. Veron. p. 309;
Fabretti Col. Trajan. p. 37 sqq.
5 ) Dio Cass. LXXIX, 8.
90
A s c li b a c 1).
sagten ihm ein ordentliches Begräbniss J ). Das Heer, der römische
Senat und das Volk waren diesesmal eines Sinnes, den Namen des
entmenschten Tyrannen der so viele Schmach über sich und Rom
gehäuft hatte, zu tilgen 2 ).
Verdiente auch Heliogabal’s Nachfolger, Severus Alexander,
der ebenfalls seine Erhebung den Soldaten verdankte, für seine ohne
Vergleich bessere Regierung in gutem Andenken der Römer fortzu
leben, so entging er doch nicht dem allgemeinen Schicksale welches
damals die Kaiser traf. Die Soldaten konnten ihm nicht verzeihen,
dass er ihrer Zügellossigkeit eine Schranke setzen wollte: sie erschlu
gen ihn mit seiner Mutter Mammaea welche sie als die Hauptursache
der kaiserlichen Sparsamkeit betrachteten, und tilgten die Namen der
beiden verhassten Personen in den Inschriften gleichwie die der ärgsten
Tyrannen s ). Von nun an mussten die Namentilguugen der Kaiser in den
öffentlichen Inschriften aufhören eine schmachvolle Strafe für sie zu
sein, da der Name des vortrefflichen Kaisers Severus Alexander zu den
geschmähten, der des grausamen Wütherichs M. Antoninus Carcalla zu
den geehrtesten und geaehtetsten gehörte. Zwar kam es noch vor bei
dem Kaiser Julius Verus Maximinus der, als ein germanischer Barbar
von den Soldaten auf den Thron erhoben, gegen die römische Civilisation
in grosser Rohheit wüthete, dass er von dem römischen Volke und
Senat für einen öffentlichen Feind erklärt und nach seinem Sturze sein
Name überall in den Inschriften und auf den Denkmälern ausgemeisselt
wurde 4 ): allein die Sache selbst hatte schon ihre eigentliche Kraft und
Bedeutung verloren, obschon sie nicht ganz ausser Gebrauch kam.
4 ) Herodian. hist. V, 8.
2 ) Lamprid. Heliogabal. c. 17. Nomen ejus (Heliogabali) i. e. Antonini erasum
est senatu jubente , remansitque Varii Heliogabali. Heliogabal hatte früher den Namen
seines Verwandten, des Casars Severus Alexander, in den Inschriften zu tilgen befoh
len. Lamprid. 1. c. c. 13. Misit, qui in castris statuarum eius (Severi Alexandri) titu-
los luto tegerent, ut f i e r i solet de tyrannis. c. 18. Vita, moribus et impro-
bitate ita odibilis, ut eius nomen senatus eraserit. Lamprid. Alex. Sever.
c. 1. (Antonini) nomen ex annalibus senatus auctoritate erasum est. Cf. Marini
frat. arv. p. 647 Bulletin. Napolit. I, p. 52. Memorie dell’ Instit. di corrisp. arch. p. 285.
3 ) Herodian. VI, 9. cf. Avellino opuscoli div. Napoli III, 1836 , p. 211 —214. Bulletino
archeol. Napolit. I, p. 53. Borghesi. Memorie dell’ Instit. di corrisp. arch. p. 297.
4 ) Capitolin. Maximini duo c. 25. Der Senatsbeschluss nach dem Tode des Maximinus
lautete : M a x i m i n i nomen o I i m erasum, nunc a n i m i s eradendum.
Hostis publici caput in profluentem abjiciatur, corpus eius nemo sepeliat. cf. Herodian.
hist. VII. 3; Memorie dell’ Instituto di corrisp. archeol. p. 323. Bulletin, dell’Instit.
arch. 1845. p. 172.
Über römische Kaiser - Inschriften etc.
91
Erst nach Diocletian's Zeit, im Anfänge des vierten Jahrhunderts,
als mehrere Kaiser zu gleicher Zeit auftraten und sich einander zu
verdrängen suchten, wurde es wieder gewöhnlicher nach dem Sturz
des Rivalen auch das Andenken desselben durch Tilgung seines
Namens auf den Denkmälern, in den öffentlichen Inschriften und
Consularfasten zu vernichten. Constantinus der Grosse führte vor
züglich den Gebrauch wieder ein. Man findet die Namen der Christen
verfolger Diocletian, Maximian, Galerius, Maximinus, Maxentius aus
getilgt 1 ). Der letzte Rivale Constantin’s, Licinius, der sich lange im
Osten neben ihm behauptet halte, unterlag endlich: er und seine
Familie wurden aus dem Wege geräumt und ihre Namen auf den
Denkmälern getilgt 2 ). Aber auch selbst in der Familie Constantin's
wurde bald hei dem inneren Hader der darin ausbrach, in gleicher
Weise verfahren. Constantin’s ältester Sohn, Crispus, ward aufßefehl
des Vaters hingerichtet, sein Name auf den Denkmälern ausgemei-
sselt 3 ): in der einzigen Inschrift welche sich von Constantin’s zweiter
Gemahlinri, Fausta, erhalten hat, ist mit ihrem und ihres Sohnes Con-
stans Namen in gleicher Weise verfahren, ohne dass jedoch eine
vollständige Tilgung gemacht ist 4 ). Die Christen zerstörten in den
Inschriften nicht nur den Namen des wieder zum Heidenthum über
getretenen KaisersClaudius Julianus, sondern auch seine Titel, beson
ders die Benennung Pontifex Maximus 5 ).
Indem wir aus der Menge römischer Inschriften worin Namen der
Kaiser getilgt sind, nur eine mässige Anzahl zur nähern Erörterung
herausheben, lassen wir nicht unbemerkt, dass bei den häufig unge
nauen Abdrücken der Inschriften nicht immer von den Herausgebern
die Lücken oder Rasuren auf den Steinen angezeigt sind, daher
manche Inschriften, weil der getilgte Name gar nicht in Anschlag kam,
nicht selten auf Unrechte Kaiser bezogen wurden. Namentlich geschah
dieses öfters bei den Kaisern mit dem Beinamen Germanicus,
*) Vergl. Renier Inscript t. Rom. de l’Algerie. Paris 1855, n. 103, 109, 111 ; Mommsen,
Bulletin, dell’ Instit. arch. 1852, p. 159 und Rericht der Sachs. Ges. d. W. 1852,
p. 222; Maffei Mus. Ver. p. 103, 2; Mommsen. Inscr. Reg-. Neap. n. 1104 und 6288,
2 ) Mommsen. I. R. N. n. 6281 und 6298. Orelli-Henzen n. 5572.
3 J Garucci Iscr. di Salerno, n. 4=Mommsen n. I06=0relli 1074.
4 ) Borghesi Bullet, dell’ Inst. 1845, p. 63; Garucci Bullet. Nap. nuov. Ser. II, p. 53;
Orelli-Henzen n. 5581 v
5 ) Zaccaria, excurs. lit. p. Ital. p. 50, 6.
92
Asch ba eh.
noch häufiger aber bei denen mit demNamenAntoninus, weil diese
Benennung eine ziemliche Anzahl von Kaisern führte ’).
Häufig aber wurden die Lücken oder Rasuren mit Namen die
ausgetilgt zu sein schienen, in den gedruckten Inschriften ganz will
kürlich und verkehrt ausgefüllt, ohne dass der verstümmelte Zustand
der Originalschrift ausdrücklich angeführt wurde. Dadurch geschah
es, dass falsche Interpolationen unvermerkt zum Nachtheil der rich
tigen Lesungen sich haben einschleichen können. Eine nähere Unter
suchung solcher verstümmelten Inschriften ist daher nicht eine über
flüssige in der römischen Epigraphik. Man hat diesem Gegenstände
bis jetzt zu wenig Aufmerksamkeit und Sorgfalt gewidmet.
Noch ist zu erwähnen, dass nicht ganz selten Inschriften Vor
kommen, worin Kaisernamen ausgetilgt und dafür an der ausgemci-
sselten Stelle andere, und zwar schon im Altertlmm, eingeschrieben
sind,ja dass manchmal auch die neue Überschreibung später absicht
lich ausgemeisselt sich findet, so dass an derselben Stelle eine wieder
holte Ausmeisselung stattgehabt hat. Die Worte der ursprünglichen
l ) Die Kaiser mit dem Namen Antoninus fallen in die Zeit vom J. 138—222 n. Chr.,
man könnte sie das Jahrhundert der Antonine nennen. Unter den zwölf Kaisern, welche
in dieser Zeit herrschen, führen nicht weniger als acht den Namen Antoninus, der
zuletzt fast gleichbedeutend mit Augustus wurde. (Cf. Capitolin. Macrin. c. 3; Lam-
prid. Diadum. c. 5. Sever. Alex. e. 6—10). Antoninus Pius (v. 138—161) gab
als der erste Antoninische Kaiser dem Namen seine Bedeutung; es folgte dann
Marcus Aurelius Antoninus (161 — 180), dem die spätere Zeit noch den
Beinamen Phi 1 osophus beifügte; der dritte in der Reihe ist des M. Aurelius
Mitaugustus L. A urel ius Verus Antoninus (161 —169); der v i e r t e des M.
Aurelius Sohn, M. Aurelius Commodus Antoninus (180 — 193); als der
fünfte in der Zahl erscheint M. Aurelius Antoninus (211—217), der diesel
ben Namen wie der zweite Antoninus hat, aber eigentlich Ba ssi an u s hiess und
von den Späteren gewöhnlich Caracalla genannt wird. Von seinem Vater, dem Kaiser
Septimius Severus, wurde er in eigenthiimlicher Weise in die Antoninische Familie
adoptirt, daher sein kaiserlicher Name M. Aurelius Antoninus; der sechste Anto
ninus ist des Caracalla Bruder und Mitkaiser P. Septimius G et a Antoninus
(211) ; als si eb en t er kommt vor der Sohn des Kaisers Macrinus Diadumenia-
n u s Antoninus (217 u. 218) und endlich als achter und letzter M. Au r e 1 ius
Antoninus (218 — 222), den die Schriftsteller gewöhnlich Heliogabalus oder
Elagabalus nennen, dessen kaiserlicher Name aber ganz und gar mit dem des zweiten
und fünften Antoninus übereinstimmte. Heliogabal brachte den Namen Antoninus
vollständig in Missachtung: sein Nachfolger Severus Alexander weigerte sich ent
schieden, ihn anzunehmen. Kein Kaiser führte ihn in der Folge mehr. Cf. Capitolin.
Ant. P. c. 1 sqq. M. Aurel, c. 1, 5. Macrin. c. 2, sqq.; Lamprid. Cominod. 1, 8, 11.
Diadumen. c. 1, 5. Heliogah. 8, 17 sqq. Sev. Alex. c. 3 sqq.; Spartian. Sever. 10. 16,
19 sq. Ant. Carac. 1, ö sq. 8. Geta c. 1 sq.
Über römische Kaiser-Inschriften etc.
93
Inschrift sind in diesem Fälle oft nur schwer zu ermitteln: es ist hier
besonders nothwendig den Stein genau zu besichtigen oder eine
zuverlässige Beschreibung von der Beschaffenheit seiner Oberfläche
zu erhalten.
I. Auf den Kaiser Nero bezügliche Inschriften.
1.
Q • VOLVSIO ■ SATVRN
P • CORNELIO • SCIP - COS
AVGVSTALES
QVI!!!!!! CLAVDIO
S CAESARI-AVGVST-ET
!!!!!!!! AVGVSTAE
1-O-M-ET-GENIO COLONIAE
LVDOS • FECER • XIII • XII ■ K • MART
C • TANTILIVS ■ C • C ■ L • IIYLA
10 CN-POLLIVS-CN-L-VICTOR
C • IVLIVS • C ■ L ■ GLAPHYR
CVRATORIBVS
Vorstehende Inschrift lindet sich in mehreren epigraphischen
Sammlungen: sie ist jedoch nicht immer vollständig und ganz correct
gedruckt. Panvinius in den fast, ad ann. 809 gibt nur die ersten
acht Zeilen: in der Zeile 4 setzte er an der ausgemeisselten Stelle
NERONI und in der Zeile 6 füllte er die Lacune mit dem Worte
AGRIPPINAE aus, welche beide Interpolationen dann in einige spä
tere Abdrücke der Inschrift übergingen, als wären darin gar keine
Lücken. Gruter. 9, 4 hat die Inschrift in sein Werk nach Smet.
Inscr. ant. 18, 14 und desPighius handschriftlicher Sammlung
aufgenommeu. Die correcteste Abschrift gibt Mommse nInscr. Begn.
Neap. nr. 2463, der sie aus guten Gründen auf die Colonia Puteoli
bezieht. Die Meinung Steiner’s Cod. inscr. B. Bhen. n. 886 sie
mit der Colonia Agrippinensis in Verbindung zu bringen, ist ganz und
gar irrig und verdient keine Widerlegung, eben so wenig seine spä
tere Ansicht (Inscr. lat. Danub. et Blien. II, p. 113), dass die
Inschrift eine unterschobene sei. — Durch das an der Spitze der
94
A s c h I) a c h.
Inschrift stehende Consulpaar Q. Volusius Saturninus und P. Corne
lius Scipio ist das Jahr 56 n. Chr. festgestellt, und da Nero von 54
bis 68 regierte, so unterliegt es keinem Zweifel, dass vor Claudio
Caesari August, an der ausgemeisseltenStelle NERON1 gestanden haben
muss. Dagegen liegt nicht so klar vor, welcher Name vor AVGVSTAE
in der Zeile 6 gestanden. Nach dem Vorgänge des Panvinius hat man
sich für die Annahme entschieden, dass der Name der Mutter des
Nero ausgemeisselt worden und daher AGRIPPINAE zu ergänzen sei.
Auch Uenzen im Supplementband zu Orelli coli, inscr. lat. u. 5406
ist dieser Meinung.
Gegen die Richtigkeit derselben aber lässt sich Manches ein
wenden. Zwar hatte die Mutter Nero’s, die den Ehrennamen Augusta
führte, im Jahre 56 noch nicht ganz ihren Einfluss verloren: wäre
sie aber in der Inschrift genannt worden, so hätte die Agrippina nicht
Augusta ohne einen Beisatz, wie Caesaris oder Augusti mater, genannt
werden können: so finden wir die Benennung auf einer Münze bei
Eck hei doctr. v. num. VI, 262: AGRIPP. AVG. DIVt CLAVD. NERONIS.
CAES. MATER. EXSC. (v. J. 55) und auf einer andern bei Vaillant
num. I, 20: AGRIPPINA AVG. GERMANICI F. CAESARIS AVG. M.
Mommsen der sich auch für die Ausmeisselung des Wortes AGRIP
PINAE entschieden hat, mochte doch fühlen, dass hier etwas fehle;
er bemerkt daher nachträglich im Index zu seinem grossen epigra
phischen Werke: Aug. quae jungitur cumNeronis nomine eraso, num
Agrippinae sit an Neronis uxor aliqua, ignoratur.
Wenn aber die Augusta Agrippina nicht in der Inschrift genannt
war, so kann es sich hier nicht um eine uxor aliqua Neronis handeln,
sondern nur um die Augusta Octavia welche Nero damals noch nicht
von sich entfernt hatte, obschon bereits der Freigelassenen Acte seine
Liebe zugewendet war >). Diese führte aber nie den Titel Augusta 2 ).
An die Poppaea Sabina aber, welche Nero nach der Verstossung der
Octavia zur Gemahlinn nahm und welche dann die Inschriften auch
Augusta nennen, kann hier im Jahre 56 noch nicht gedacht werden,
1) Tacit. Annai. XIII, 12.
2 ) Henzen in Oreli. coli. n. 5412, 5413 und 6525 theilt drei Inschriften mit, worin der
Acte Erwähnung' geschieht; in der erstem wie in der letzteren wird sie ACET
AVG. L. i. e. ACTE AVGVSTI LIBERTA genannt.
Über römische Kaiser-Inschriften etc.
95
indem sie erst im Jahre 59 nach des Tacitus 1 ) ausdrücklicher
Angabe begann, mit dem Kaiser bekannt zu werden. Wenn das an
der Spitze stellende Consulatsjahr nicht im Widerspruch stünde, so
würde sich die Austilgung des Namens der Augusta Poppaea sehr gut
erklären lassen, da dieses Weib dem römischen Volke überaus ver
hasst war. Ihre Bildsäulen wurden umgestürzt 2 ), aber später von
Kaiser Olho von neuem ihr wieder errichtet 3 ).
Da die Römer der Kaiserinn Octavia sehr zugethan waren, und
sie an dem harten und traurigen Schicksale der vortrefflichen Frau
die Nero zuletzt auf eine Insel verbannen und hatte hinrichten lassen,
die lebhafteste Sympathie an den Tag legten 4 ), so wird man es
gewiss auffallend finden, dass auch ihr Name, gleichwie der ihres
tyrannischen Gemahls, aus den Inschriften vertilgt wurde. Die Namens
tilgung der Augusta Octavia muss offenbar in einem andern Zusam
menhänge stehen. Sehen wir zunächst auf den Inhalt unserer ver
stümmelten Inschrift. Augustalen, d. i. Mitglieder eines Priestercol
legiums von Freigelassenen in einer Coloniestadt (vielleicht zu Pu-
teoli), veranstalteten am 13. und 12. Tag vor den Kalenden des
März im Consulate des Q. Volusius Saturninus und P. Cornelius Sci-
pio (56 n. Chr.) zu Ehren des Nero Claudius Caesar Augustus und der
Augusta dem Jupiter Optimus Maximus und dem
Schutzgeist der Colonie die Augustalischen Spiele und widmeten zur
Erinnerung daran die Inschrift ihren Vorstehern 5 ).
1) Annul. XIII, 45.
2 ) Tacit. Annal. XIV, 61.
3 ) Tacit. Hist. I, 78.
4 ) Tacit. Ann. XIV, 60—64.
5 ) Die Augristales, ein Priestercollegium von Freigelassenen, die häufig auch Seviri
genannt werden und unter einem Curator standen, bildeten in den Coloniestädten
einen besondern Ordo zwischen den Decuriones und der plebs. Vergl. darüber das
Nähere bei Zumpt de Augustalibus et Seviris ßerol. 1846 und in Pauly’s Realencykl.
u. d. WW. Augustales und Sodalitas. Sie hielten auch die Spiele welche Augustalia
hiessen, für das Heil und den Sieg des Kaisers und seiner Familie ab. Zur Erläute
rung dieser Sache dient eine Puteolanische Inschrift (bei Gruter 110, 7 Mommsen
I. R. N. n. 4268) aus der Zeit der Kaiser M. Aurelius Antoninus u. L. Verus:
PRO • SALVTE • ET • VICTORIA • AVGVSTORVM • DEO • MAGNO
GENIO • COLONIAE • PVTEOLANORVM • ET • PATRIAE • SVAE
Q * AVREL1 VS • IiERMADON • SEVIR * AVG VSTALIS • ET * CVRATOR * EORVM
EXTRVXIT • ET DONVM DAT
96
A s c h b a c li.
Die Augustalien wurden zuerst von Kaiser Augustus zur Feier
seines Geburtsfestes eingesetzt, später aber auch bei anderen kaiser
lichen Festlichkeiten gehalten. Sie sollten eine Nachahmung der
griechischen olympischen, isthmischen und pvthischen Spiele sein!).
Da solche Augustalien zu Ehren des Kaisers und seiner Familie
gefeiert wurden, so lag nahe dem Namen des Kaisers auch den sei
ner Gemahlinn beizufügen: sie war als solche schon durch den ein
fachen Zusatz Augusta bezeichnet, ohne weiteren Beisatz, wie uxor
oder conjux. Daher ist mit Sicherheit zu behaupten, dass in der
Zeile 6 unserer verstümmelten Inschrift OCTAVIAE AVGVSTAE gestan
den habe.
Nachdem das Volk in Rom aus Hass gegen die Poppaea Sabina
deren Bildsäulen umgestürzt, ihren Namen in den Inschriften aus
getilgt und Nero gewissermassen genöthigt hatte die verstossene
Octavia wieder in den kaiserlichen Palast aufzunehmen—rächte sich
später Poppaea Sabina, durch deren Bänke Octavia abermals verstos-
sen wurde. Nero der seine schuldlose Gemahlinn der Verschwörung
gegen ihn angeklagt hatte, liess sie angeblich wegen Hochverrath
hinrichten und ihren Namen auf den öffentlichen Denkmälern und in
den Inschriften austilgen, in welcher Weise schon Kaiser Claudius
gegen seine wirklich schuldige Gemahlinn, die schändliche Messaliua,
verfahren 2 ). Es wurde demnach der Name der Octavia auf unserer
Inschrift früher, als der desNero ausgemeisselt; später als der Tyrann
gestürzt worden, ward dann auch der Name des Nero ausgetilgt. Es
lässt sich nicht denken, dass, wenn seihst der Name der Agrippina
neben dem des Nero auf einem Denkmale sich befand, ersterer mit
dem letzteren zusammen vernichtet worden sei. Die Opfer der
Tyrannei und Unmenschlichkeit waren im Augenblick des Wüthens
des römischen Volkes gegen den Nero’schen Namen nicht Gegenstand
des Hasses der Römer, selbst wenn sie früher bei ihnen nicht beliebt
gewesen. Am wenigsten aber verfolgte man das Andenken einer sol
chen Persönlichkeit welche, wie die vortreffliche Octavia, die allge
meine Sympathie für sich gehabt hatte
1) üio Cass. hist. Rom. UV, 10, 14; LV, 8; LVI, 2S, 29, 46 sq. LVII, 14.
2 ) Orelli n. 709, wo in einer Inschrift des Kaisers Claudius der Name seiner Gemahlinn
VALERIAE MESSALINAE AVG. getilgt ist.
Über römische Kaiser - Inschriften etc.
97
2.
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!!!!!!!!!!!!
L • C ALP VRNIO • PISONE • COS
EX • C ■ C • P • P • VIAM • SILICE
S STERNENDAM-A-PORTA
CAMPANA • AD • FORVM
P • SPELLIVS • P • F • SPELLIANVS
SARINVS-Q
C-SATTIVS-C-F-CALATRIO II-Q
10 CVRAVERVNT
Die zweite von den den Kaiser Nero betreffenden Inschriften,
die wir nach dem Abdruck bei Mommsen I. R. N. n. 4240 mitthei-
len, ist im Jahre 1 SOS bei dem Amphitheater zu San Germano im
Königreich Neapel gefunden worden. Am Anfänge ist eine oder
ein paar Zeilen ausgetilgt, welche ohne allen Zweifel aufKaiser Nero,
den Collegen des L. Calpurnius Piso im Consulat des Jahres 57 n.
Chr., zu beziehen sind. Dass Nero sein zweites Consulat mit L. Cal
purnius Piso geführt hat, wissen wir aus Tacitus (Annal. XIII, 31)
und aus den Consularfasten. Nach einer Inschrift bei Muratori
(305, 2) welche die vollständigen Namen des Consulpaares gibt,
lassen sich die in unserer Inschrift getilgten Worte vollständig wie
derherstellen. Darnach würden sie gelautet haben : NERONE CLAV-
D10 • CAESARE ■ AVG • GERMANICO’ II. Der Anfang der vierten Zeile
in der Inschrift ist zu erklären durch Ex Conscriptorum Consulto
Pecunia Publica (Orelli-Henzen n. 6617) und II. Q. am Schlüsse der
vorletzten Zeile bedeutet wohl secundus Quaestor.
3.
OR • DE ■ PORTO • VINAR • VIX
ICALPIAE • QVARTILIAE-VXORI
S-SVI-V-A-LXXX. ..
ATO • FA CT • EST • NERONE • V- ET • TRACHA
QVI ■ AD • HOC • OFFICIVM• VENISTIS
C-OSTIO-NOLITE
Diese verstümmelte Grabinschrift welche sich jetzt in Neapel
befindet, und von Muratori 306, 2, wie auch von Mommsen I. R.
N. n. 6855 (nach eigener Abschrift) in Druck gegeben worden, ist
dadurch höchst interessant, dass wir hier von einem fünften Con
sulat des Kaisers Nero erfahren, wovon die sämmtlichen Consular-
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXIV. Bd. I. Hft.
7
m
f
98 Ascliba ch.
fasten und die Schriftsteller gänzlich schweigen. Die Zeile 4 lautete
offenbar in ihrer zweiten Hälfte: NERONE • V- ET • TRACHALO ■ COS-
Nach dem ausdrücklichen Zeugniss des Suetonius 7 ) bekleidete
Kaiser Nero nur viermal das Consulat: das erste Mal im Jahre 55,
worin er L. Antistius Vetus zu Collegen hatte 3 ); das zweite Mal
im Jahre 57 mit L. Calpurnius Piso 3 ); das dritte Mal im Jahre
58 mit M. Valerius Messala Corvinus 4 ), und das vierte Mal im Jahre
(iO mit Cossus Cornelius Lentulus 5 ). Damit stimmen auch die Fasti
consulares überein °).
So weit bietet die Sache keine Schwierigkeiten und Wider
sprüche dar. Nun erfahren wir aber aus Inschriften 7 ), Schriftstel
lern 8 ) und den Consularfasten 9 ), dass im Jahre G8, in welchem der
Sturz und Tod des Nero erfolgte, Consules ordinarii waren: C. Silius
Italicus und M. Galerius Trachalus Turpilianus.
Dieses steht mit unserer Inschrift, wonach Nero zum fünften
Male das Consulat bekleidete und sein Mitconsul Trachalus war, im
*) Vit. Neron. c. 14. (Nero) consulatus quatuor gessit.
2 ) Murat. 305, 1 ; Gruter. 184, 2; Tacit. Annal. XIII, 11.
3 ) Murat. 305, 2; Tacit. Ann. XIII, 31.
4 ) Marini Frat. Arv. p. 320; Cardinali dipl. inilit. p. 253; Tacit. Ann. XIII, 34; Sueton
Nero c. 14: gessit tertium consulatum quadrimestrein: medios duos continuavit.
5 ) Gruter 118=Marini Arv. Tav. XV; Frontin. Aquaeduct. c. 102; Tacit. Ann. XIV, 20 ;
Joh. Malalas ed. Bonn. p. 256; Sueton. Ner. I. c. consulatum gessit secundum et n o-
vissimum (quartuin) semestres.
6 ) Chrono g r. Rave nn.
J. 55: Nerone Caesare
et Vetere.
.1. 57: Nerone II. et Pisone.
J. 58: Nerone III. et Mesalla.
I d a t.
Nerone et Vetere.
C a s 8 i o d o r.
Nero et Vetus.
Nero II. et Piso.
Nero III. et Messala.
J. 60: Nerone IIII. et Lentulo.
Nero IV. et Cornelius.
Nerone II. et Pisone.
Nerone III. et Messala
Corvino.
Nerone IIII. et Lentulo.
7 ) Gruter 300, 1 LERIO TRACHALO LI* CATIO SILIO IT AL* COS.
8 ) Frontin.Aquaed. c. 102: Silio et Galerio Trachalo Cos; Plin. Epist. III, 7: Ut novis-
simus (Silius Italicus) a Nerone factus est consul, ita postremus ex omnibus, quos
Nero consules fecerat, decessit. IIIud etiain notabile, ultimus (i. e. L. Antistius Vetus)
ex Neronianis consularibus obiit, quo consule Nero periit. Liber Pontif. Liberii (Cle
mens) a consulatu Tracali et Italici. Joh. Malalas ed Bonn. p. 258 meldet von Nero’s
Tod: tt)<; uTiaxslac 'laxopixoö (leg. ’IxaXixou) xai ToXrctXXiavoO (leg. To'jpTuXtavoö)
xoD xai TpoxeXou (leg. TpayaXou).
9 ) Chronic. Paso h. C h ronogr. Rav. I d a t.
’IxaXtxoO xai TpayaXoD. Trachala et Italico. Italico et Trachalo.
Prosp. Cassiodor.
Silio Italico et Turpiliano. Italicus et Turpilianus.
■
Über römische Kaiser-Inschriften etc. 99
vollen Widerspruche mit allen sonstigen Überlieferungen. Dennoch
ist zu behaupten, dass die Worte der Inschrift:
NERONE V ET TRACHA (lo cos)
den ursprünglichen wahren Sachverhalt uns angeben. Derselbe aber
war folgender:
Nero trat an den Kalenden des Januar des Jahres 68 unserer
Zeitrechnung sein fünftes Consulat an : sein College war M. Gale-
rius Trachalus Turpilianus. Wie Nero zu thun pflegte, bekleidete er
das Consulat nur wenige Monate; er ernannte an seiner Stelle als con-
sul suffectus den Silius Italicus. Das Jahr aber wurde nach den con-
sules ordinarii in den fastis Nerone V et Trachalo coss. benannt. Als
aber der allgemein verhasste Tyrann noch in demselben Jahre, im
Juni, gestürzt und nach seinem Tode sein Name aus den öffentlichen
Denkmälern getilgt wurde, hörte man auf, das Jahr nach dem Con-
sulpaar Nero und Trachalus zu benennen. Man setzte an die Stelle
Nero's den consul suffectus Silius Italicus. So kam es, dass dieser
Name auch in die Consularfasten und in die Jahresbezeichnungen bei
den Schriftstellern überging.
Suetonius sprach daher nur von vier Consulaten des Nero: das
fünfte existirte nicht in den fastis. Anzunehmen, dass Nero viel
leicht einmal consul suffectus mit Trachalus gewesen 1 ), und dass
desshalb das fünfte Consulat nicht in den fastis vorkomme, weil die
consules suffecti nicht in den Consularfasten angeführt werden, ist
unstatthaft. Denn es widerstritt der Sitte und der kaiserlichen Würde,
dass ein Kaiser im Laufe seiner Regierung das niedere Amt eines
Consul suffectus bekleidete. Nur ausnahmsweise kommt vor, dass ein
die Regierung neu antretender Kaiser consul suffectus ward 2 ). Da
Silius Italicus für Nero als Consul eintrat, und sein Name an die Stelle
des ausgetilgten Namens des Consul Ordinarius kam, so ist daraus
auch die auffallende Erscheinung zu erklären, dass er, obschon der
jüngere Consul 3 ), doch dem Trachalus in den fastis vorgestellt
wurde.
1 ) Dieses ist die Meinung- Almeloveen’s Fast, consular. ad a. G7: coss. ördd. L. Fonfejus
Capito C. Julius Rufus. ex Kal. Jul. coss. suff.: Nero Claud. Caes. Aug;. V. sine collega.
Die Angaben Almeloveen’s sind häufig- g-anz willkürlich g-emaclit.
2 ) Csjus Caligula ward im J. 37 beim Antritt seiner Regierung- Consul suffectus.
3 ) Plin. Epist. III, 7.
7 *
100
Aschb ach.
4.
DEAE-SYRIAE SACR
VOTO SVSCEPT'PRO SALVTE
S AVG-GERMANICI
PONTIFICIS MAXIMI-TR-POT
D-VETVRIVS ANTIGON VS
D-VETVRIVS-SP-F-PHILO
D-VETVRIVS ALBANVS
10 PATER CVM FILIIS POSVIT
Vorstehende Inschrift die sich in Rom befindet, und bei Gruter
86,5; Murat. 94,9 und Orelli n. 1946 gedruckt ist, wurde bald auf
Nero, bald auf Domitianus bezogen; dass der Name des Nero aber
ausgetilgt ist, nicht der des Domitianus, dazu liegen mehrere Gründe
vor. Allerdings führten beide Kaiser den gleichen Beinamen Ger-
manicus, denselben führten aber auch Cajus, Caligula, Claudius,
Nerva, Trajanus, Commodus, Maximinus. Es würde der Beiname Ger-
manicus daher nicht allein hier entscheiden können, welcher kaiser
liche Name ausgemeisselt ist, abgesehen davon, dass sonst auch die
Namen des Claudius, Nerva und Trajanus in den Inschriften nicht
ausgetilgt sind.
TR-POT nach den Worten PONTIFICIS MAXIMI in der Zeile 6
deutet an, dass dem fraglichen Kaiser die Inschrift im ersten
Regierungsjahre gesetzt ward, da das erste Jahr der Tribunitia pote-
stas nur einfach, ohne Zahl, bezeichnet ist. Wo aber dem Namen des
Kaisers die Tribunitia potestas beigesetzt sich findet, da wird die
Angabe des Consulats nicht fehlen, es müsste denn sein, dass der
Kaiser dasselbe noch nicht im ersten Regierungsjahre bekleidet hat.
Nun hatten aber sämmtliche Kaiser mit dem Beinamen Germa-
nicus im ersten Regierungsjahre entweder bereits schon das Consulat
bekleidet oder sie bekleideten es gerade. Domitianus der hier ins
besondere in Frage kommt, bezeiehnete bei seinem Regierungs
antritte (13. Sept. 81 n. dir.) bereits sein siebentes Consulat. Nero
ist der einzige Kaiser mit dem Beinamen Germanicus, der bei seinem
Regierungsantritt (13. Oct. 54 n. Chr.) nur noch die Titel Caesar
Augustus Pontifex Maximus Tribunitia potestate hatte, ohne die Be
zeichnung für das Consulat welches er zum ersten Male im folgenden
Jahre (35 n. Chr.) antrat. Daher sind die ausgetilgten Zeilen 3 und 4
Über römische Kaiser-Inschriften etc. 101
auf Nero zu beziehen und die Worte haben wohl gelautet: neronis
CLAUDI CAESARIS.
s.
MARTI-CAM VLO
SACRVM PRO
SALVTE TIBERII
CLAVDI CAESARIS
S AVG-GERMANICI IMP
CIVES ■ REMI ■ QVI
TEMPLVM-CONSTITV
ERVNT
Obige Inschrift setzten die Bürger der belgischen Stadt Remi
(Rheims) dem gallischen Kriegsgotte Camulus in dem ihm errich
teten Tempel auf einem Altarstein der sich gegenwärtig zu Cleve
am Niederrheiu befindet. Die Rückseite des Steines enthält in einem
Lorberkranze die Buchstaben O-C-S. (Ob Cives Servatos). Die
Inschrift ist öfter gedruckt bei G ruter 56,12. Mor celli de stilo I.
N. 15. *) Lersch, Centralmus. III. 279. Zuletzt ist sie am genauesten
abgedruckt und beschrieben nach eigener Ansicht von Schneider in
den Jahrbüchern des Vereines von Alterthumsfreunden im Rheinlande.
XVIII. p. 134—138. Derselbe hat sich dahin ausgesprochen, dass der
in der Inschrift genannte Kaiser ursprünglich nicht Claudius, son
dern Nero gewesen, dessen Name ausgemeisselt worden, und später
sei die Stelle, wo neronis gestanden, mit tiberii, welches Wort
gleichviel Buchstaben wie das frühere habe, eingehauen worden.
Schneider bemerkt: Auf der völlig glatten Oberfläche des Steines
treten alle Buchstaben sehr klar ausgeprägt hervor; aber der Grund
des Wortes tiberii liegt viel tiefer als die übrige Fläche des Steines
und ist zugleich uneben, indem er nicht die Spuren des Instrumentes
verkennen lässt, womit die früheren Buchstaben ausgemerzt worden
sind, von denen noch einige wenige Reste erkannt werden können.
Auch die einzelnen Charaktere der später eingeineisselten Schrift im
Worte TIBERII sind von denen in dem übrigen Theile der Inschrift
nicht unwesentlich verschieden. Da beide Kaiser, Nero und Claudius,
gleiche Beinamen führten und sie sich in den Inschriften und ihren
1 ) Morcelii gibt mehreres an, wesshalb die Bürger von Reini dem Kaiser Claudius so
sehr Zugethan gewesen, indem er sich auf die irrige Annahme stützt, dass die In
schrift auf diesen Kaiser zu beziehen sei.
I
102
A schba cli.
Benennungen gerade dadurch unterschieden, dass ersterer vor dem
Namen Claudius N ero, letzterer aber dafür Tib er iu s setzte, so konnte,
wenn der Name Nero getilgt war, ein Späterer der die Lücke
ergänzen wollte, aus Irrthum TIBERII substituiren, indem er meinte
die Inschrift ging auf Claudius. — Dass aber nicht ursprünglich
TIBERII in der Inschrift gestanden haben kann, dazu kommen auch
ausser der auffallenden Beschaffenheit der Oberfläche des Steines, wor
auf das Wort eingemeisselt ist, noch andere Gründe formeller Art. In
den Inschriften des Kaisers Claudius wird sein Praenomen Tiberius
nicht vollständig ausgeschrieben, sondern nur durch TI. abgekürzt
angegeben (cf. Orelli N. 705—723); wenn aber der Name ausge
schrieben wurde, so musste die Genitiv-Form, ebenso wie im darauf
folgenden Worte CLAUDI lauten TIBERI, nicht TIBERII. Da in den
ersten christlichen Jahrhunderten diese Form in den Inschriften die
übliche ist, so muss schon aus der auffallenden Abweichung davon
geschlossen werden, dass die Interpolation eine nicht ganz alte ist.
II. Verstümmelte Inschriften, die Domitian betreffen.
1.
IMP • TITO • C AES ARE • DI VI
VESP•P•VESPASIANO•M
PONT -_MAX • TRIB • POT-fX
IMP-XV-P-P-COS-VÜI
3 CAESARE-DIVI-YESP-F
!!!!!!!!! COS-TIT
C-CALPETANO RANTIO
QVIRINALE VALERIO
FESTO•LEG•AVG•PRO•PR
1° VIA-NOVA-A BRAC AVG
M-P-XXXII1I
Obige bei Muratori 2007,5 gedruckte Inschrift welche im nörd
lichen Portugal auf einem Meilenstein gefunden worden, bezieht sich
auf das Jahr 80 n. Chr., worin Titus mit seinem Bruder Domitian
das Consulat führte, und zwar jener das achte Mal, dieser das
siebente Mal. Dadurch ist festgestellt, dass in der Zeile 6
DOMITIANO ausgemeisselt ist. Das Consulpaar findet sich in gleicher
Weise angegeben bei Murat. 312; Marini Frat. Arv. Tav. XXIII u.
p. 204 und 816, wo aber Domitian’s Name nicht getilgt ist.
Da die Erneuerung der tribunitia potestas des Titus am 1. Juli
statthatte, so dass in sein achtes Consulat die Bezeichnung Tribun.
Über römische Kaiser-Inschriften etc.
103
Pot. VIIII (IX) und X fallen kann (vgl. Eckhel doctr. vet. num. VI.
357 und Gruter 189,9 = Eckhel VI, 363), so dürfte wohl in der
Zeile 3 am Schlüsse richtiger X (anstatt IX) gelesen werden. Die Be
zeichnung für die Zahl 9 ist in den Inschriften der früheren Kaiserzeit
gewöhnlich VIIII, wie für 4 selten IV, fast immer IIII geschrieben wird.
Domitian hatte sein erstes Consulat im J. 71 geführt, wo er vom
I. März an mit Cn. Pedius Castus Corisul suffectus war: er trat an
die Stelle seines Vaters Vespasianus ein, der in den beiden ersten
Monaten des Jahres consul Ordinarius gewesen. Vgl. das Vespasia-
nische Militärdiplom bei Gruter 573,1; Eck hei VI, 369; Marin.
Arv. 454; Cardinali dipl. mil. Tav. V; Morcelli de stilo p. 191.
Später, wohl am 1. Juli des J. 71, gingCn. Pedius Castus als Consul
suffectus ah undfürihn tratC. Valerius Festus ein, so dass nun Domitia-
nus diesen bis zum October zum Collegen hatte. Nachweisung darüber
gibtMarini Fr. Arv. p. 129: VIDK-IVL... AESARE AVG• F■ DOM1TIANO
C ■ VALERIO FESTO COS. cf. Marini p. 142, Not. 39. dieser C. Valerius
Festus ist wohl derselbe welcher in unserer Inschrift mit seinem
vollständigen Namen bezeichnet wird: C. Calpetanus Rantius Quiri-
nalis Valerius Festus, der über zehn Jahre später, nachdem er ver
schiedene hohe Stellen bekleidet hatte, als Legates Augusti zum
Propraetor der Provinz 1 lispania (Taraconensis) ernannt wurde.
Unter seiner Verwaltung geschah es, dass eine neue Strasse von
Braeara Augusta (jetzt Braga im nördlichen Portugal) angelegt
wurde, welche in unserer Meilenstein-Inschrift erwähnt wird. Dass er
nicht als Consularis bezeichnet wird, lässt sich daraus erklären, dass
überhaupt von seinen Ämtern und Stellen die er früher bekleidet hatte,
keines genannt wird, ausser dem einzigen welches er gerade damals
bei der Widmung der Inschrift führte.
So geschieht es auch in der Inschrift vom J. 72 und 73 <) bei
Reines. 245,3oder Gruter 197,4, wo er einzig und allein als Curator
Riparum et alvei Tiberis genannt wird. Dagegen in der Inschrift die
ihm selbst gewidmet ist, werden alle die von ihm bekleideten Stellen
und Ämter mit Einschluss der beiden letzten, der Verwaltung der
Provinzen Pannonien und Hispanien, aufgezählt. Diese Inschrift ist im
J. 1842 zu Triest aufgefunden worden, und da sie arg verstümmelt
*) Ex auctoritate | Imp. Vespasiani | Aug. P. M.Trib. Pot. IIII | Imp. X. P. P. Cos. IIII * V.
Cens. | C. Calpetanus Rantius Quirinalis Valerius Festus Curator Riparum et Alvei
Tiberis etc.
104
Aschbach.
ist, so haben einige italienische Archäologen die in der römischen
Epigraphik einen Namen haben, sich bemüht, dieselbe wiederher
zustellen. Kandier hat in den esplorazioni di antichitä nell’agro
Tergestino, N. 9; der Graf Borghesi im ßulletino Neapolitan. IV,
p. 34 dieses versucht. Einen abermaligen Abdruck haben geliefert
Kandier in den Inscr. dei tempi Rom. rinv. nell’Istria. N. 27 und
Henzen bei Orelli coli. III, N. 6S9S (cf. Henzen act. litt. Jen.
1846, N. 46). 0 Für unsern Gegenstand ist die Inschrift in so fern
von Erheblichkeit, als die Fragen aufgeworfen werden können, ob in
ihrer 9. Zeile nach den Worten DONATO AB IMPER in den vier oder
fünf folgenden Buchstaben der ausgemeisselte Name DOMITiano, oder
der durch Zufall abgerissene Name VESPAS, oder gar kein Name,
sondern nur ausgeschrieben IMPERATO RE zu lesen sei, in welchem
letzteren Falle dann zu untersuchen wäre, welcher von beiden Kaisern
bei Imp eratore verstanden werden müsse. Henzen erklärt sich
mit Borghesi für den zufälligen Wegfall von VESPAS, Kandier
ergänzt keinen Kaisernamen, sondern nur das Wort IMPER in
IMPERATORE. Zwar ist durch unsere obige Inschrift festgestellt, dass
') Nach Borghesi und Henzen:
c. CALPEtano
RANtio
QVIRJNALI
vaLERIO • P • F • POMP • festo
S IlII VIR ■ VIAR • CVRAND • Tr. mil.
leg. VI • VICTR • QVAESTORI • SEviro
etjuIT • ROMANOR • TR ■ PLEB • PRAETori
sodaLI • AVGVST • LEG - PRO ■ PRAET- EXercifus
10
IS
Kandier
africAE • COS • DONATO • AB IMP -Vespas.
liasTIS • PVRIS • IIII ■ VEXILLIS • IIII • COronis
IIII VALLARI • MVR ALI • CLASSICA • Aurea
cuRATORI • ALVEI • TIBERIS • ET • RIPArum
poNTIF- LEG • AVG • PRO • PR • PROVINciae
paNNONIAE ET PROVINCiae
HISPANIAE
PATRONO
PLEBS.VRBANA
in der Zeile
» » M
n n »
» » r>
1 ergänzt p. (st. c.)
7 „ für PRAETori: PRAEF • LEG • XV.
8 „ apoLLI(naris) (st. sodaLI)
„ EXS. C. prov (st. EXercitus)
9 „ siciliAE (st. africAE)
„ IMPERatore (st. vespas.)
Über römische Kaiser-Inschriften etc.
105
C. Calpetanus Valerius Festus erst unter Titus die Verwaltung
Spaniens führte; da er aber nach der Inschrift welche Marini angibt,
unter Vespasianus Consul gewesen und sich nach Tacitus Hist. 49 u.
50 an der Spitze des afrikanischen Heeres, d.i. der Legio III Augusta
mit den dazu gehörigen Auxiliar-Truppen (cf. Plin. Epist. III, 7)
befand und Siege erfocht, so liegt die Annahme nahe, dass ihn auch
Vespasianus mit besonderen militärischen Geschenken bedachte, dass
daher bei IMPER der Name des Vespasianus abgekürzt gestanden und
derselbe wie die übrigen Endsylben der Zeilen der Inschrift durch
die injuria temporum weggefallen sei. Demnach darf hier nicht eine
Ausmeisselung des kaiserlichen Namens angenommen werden, zumal
die Zeit nicht auf Domitianus passt.
Wir haben noch eine andere dem Valerius Festus von zehn
spanischen Städten oder Staaten gewidmete Inschrift aus dem J. 79,
welche zu Aquiflaviae (jetzt Chaves in Portugal) auf einer Säule
gefunden worden sein soll. Sie ist gedruckt in der Chronik des
Vasaeus fol. 461 und findet sich auch in der Sammlung deslnschriften-
Fälschers Ligorio. Gruter theilt sie mit ex Alfonso de Castro et
Metelli schedis; auch bei Muratori 2037,8 u. bei Masdeu hist. crit. de
Espana V, N. 415 ist sie gedruckt, freilich nicht ganz gleichlautend
und auch nicht gleich abgetheilt in den Zeilen. Selbst die darin vor
kommenden Namentilgungen sind in der Weise verschieden ange
zeigt, dass bei den einen drei Zeilen, bei den andern nur zwei Zeilen
ausgemeisselt angegeben sind. Der Wortlaut der Inschrift hei G r ut er
ist folgender:
IMP•CAES•VESP • AVG•PONT^_
MAX •TRIB-POTÖT- IMP JT- COS -Ix 7 P • P
IMP • TITVS • CAES ■ A VG • F ■ PONT ■ TRIß
POT • VTTI • IMP • XlTl • COS • VI
S
!!!!!!!!!!!!!
1 I I I ! ! i i i t
10
C-CALPETANO RANTIO QVIRINALI
VAL-FESTO LEG-AVG-PR-PR
D-CORNELIO MAECIANO LEG-AVG
L-ARRVNTIO MAXIMO PROC-AVG
LEGVir-GEMFEL
CIVITATES X AQVIFLAVIENSES AOBRIGENES
BIBALI COELERINI EQVAESI
INTERAMNICI LIMICI AEBISOC
IS
1 QVARQVERNI TAMAGANI
106
Aschbach.
Bei Masdeu ist eine ganz andere Abtheilung der Zeilen gegeben;
es finden sich dort 26 Zeilen, wovon drei ausgetilgt sind: die obigen
Zeilen 3 und 4 fehlen. Nehmen wir an, die Inschrift sei echt, so
muss es aulfallen, dass nach den vier ersten Zeilen, worin das Con-
sulpaar des J. 80 der beiden regierenden Kaiser Vespasianus und
Titus angegeben ist, noch zwei ausgetilgte Zeilen folgen, die auf
Domitianus zu beziehen sind.
Wir dürfen daher die an der Spitze der Inschrift stehenden
Zeilen nicht als eine chronologische Bezeichnung aulfassen, sondern
als zur Widmung gehörig: demnach hätten die 10 spanischen
Städte im Jahre 79 1. dem Vespasianus Augustus, 2. dem Kaiser
Titus, 3. dem kaiserlichen Prinzen Domitianus, 4. dem Proprätor der
Provinz, dem kaiserlichen Legaten C. Calpetanus Valerius Festus,
5. dem kaiserlichen Legaten D. Cornelius Maecianus und endlich
6. dem kaiserlichen ProcuratorL.ArruntiusMaximns, dem Legaten der
Legio VII. Gemina Felix, die Inschrift gewidmet. Sie ist aber durch
mancherlei verdächtig, abgesehen davon, dass die vielen von den in
Spanien vorgeblich gefundenen römischen Inschriften Fabricate
späterer Zeit sind. Da im J. 79 Domitianus noch nicht Antheil an
der Regierung hatte und er zu Hispania nicht in amtlicher Bezie
hung stand, so muss es jedenfalls auffallend erscheinen, dass er ohne
Grund mit aufgenommen ist in der Widmungs-Inschrift. Würde man
aber der Lesung bei Masdeu folgen, wo Titus mit seinen Titeln
(Zeile 3 und 4) nicht vorkommt, so wäre der Name dieses menschen
freundlichen Kaisers ausgemeisselt und der Name des Domitianus
wäre ursprünglich gar nicht in der Inschrift vorgekommen; dass man
absichtlich den Namen des Titus ausgetilgt habe, davon findet sich
kein Beispiel vor, auch sprechen dagegen die Regierungshandlungen
dieses Kaisers, die ihm allgemeine Liebe erwarben.
Wollte man annehmen, dass die Inschrift die wir nur aus unge
nauen und offenbar interpolirten Copien kennen, in den beiden ersten
Zeilen sich gar nicht auf Kaiser Vespasianus bezogen habe, sondern
auf seinen Sohn Titus der mit seinem Vater gleiche Namen führte,
so würden durch geringe Veränderungen in denZalden die den Titeln
beigefügt sind, die Schwierigkeiten gelöst werden. Wie bei Eck hei
d. v. num. VI, 356 und Gr ut er, 243 wäre in den ersten Zeilen zu lesen:
IMP • C AES • VESP • A VG • PONT ■ MAX
TRIB • POT TT IMP •'W- PP- COS • VIII
Über römische Kaiser-Inschriften etc.
107
wozu dann in den beiden ausgemeisselten Zeilen zu ergänzen wäre
(ähnlich wie hei Eck hei VI, 3S7 und Murat. 2007, 8):
ET CAES-DIVI AVG-VESP-F
DOMITIANO • COS • VII.
Wir hätten damit das Jahr 80 bezeichnet, worin Titus mit sei
nem Bruder Domitianus das achte Mal das Consulat bekleidete und
worin er am 10. Juli zum zehnten Male die tribunitia potestas
erneuerte.
Wir gestehen, dass trotzdem in solcher Weise die Hauptschwie
rigkeiten zur Erklärung der Inschrift beseitigt wären, doch sie sonst
zu sehr die Spuren der Unechtheit an sich trägt, dass wir kein
grosses Bedenken tragen, sie zu der grossen Classe falscher römi
scher Inschriften zu zählen, als deren Fundort Spanien angegeben
wird. Der Fälscher hat, wie dies nicht selten in solchen Machwerken
geschieht, einige Zeilen aus echten Inschriften entnommen und seine
Zusätze beigefügt: die ersten Zeilen mit den ausgemeisselten Stellen
sind Fälschung. Die 8 Zeilen von C. Calpetano bis zu LEG. VII. GEM.
FEL. mögen aus echten Inschriften entnommen sein. Die Namen der
Civitates X am Schlüsse sind theils aus PI in. hist. nat. III, 3 (ex
quihus praeter ipsos Bracaros Bibali, Coelerini, Gallaeci,
Hequaesi, Limiei, Querquerni), theils aus Antonini Itinerar.
(Aquis Originis, Aquis Querquennis, Aquis Coelinis,
Interamnio Flavio) und Ptolem. Geogr. II, §. 40 sqq. entlehnt.
Einige Namen sind willkürlich beigefügt, die Aquiflavienses kommen
auch in der Inschrift bei Orel li n. 163 vor.
2.
ASCLEPIO ET
SALVTI
COMMILITONVM
SEX • TITIVS ■ ALEXANDER
b MEDICVS • CHO • V ■ PR
DONVM DEDIT
1 ! I l_l_il I I
AVG-VIII cos
T-FLAVIO SABINO
Durch die beiden letzten Zeilen der Inschrift welche sich zu
Rom befindet und bei Gruter 68, 1 gedruckt ist, lässt sich fest-
108 Aschbach.
stellen, dass in der Zeile 7 der Name des Domitianus ausgetilgt worden
ist. Der Medicus der fünften prätorisehen Cohorte hat den Altarstein
dem Asklepius und dem Wohle seiner Kriegscameraden errichten
lassen im Jahre 82 n. Chr., als Domitianus der Kaiser das achte
Mal das Consulat mit seinem Verwandten T. Flavius Sabinus beklei
dete. Dieses lässt sich aus den meisten Consularfasten entnehmen:
das Chronic. Paschale, der Chronogr. Ravenn. und Idatius nennen
Domitianus und Sabinus als Consuln des Jahres 82.
Durch Sueton. (Domitian c. 10) erfahren wir, dass der Kaiser
seinen Mitconsul hinrichten liess und an die Stelle desselben wurde
C. Valerius Messalinus erhoben und sein Name auch in die Fasti con-
sulares aufgenommen, nachdem daraus der des Flavius Sabinus entfernt
worden. Daher kommt es, dass in den Fastis von Cassiodor beim
Jahre 82 Domitianus et Messalinus als Consuln genannt sind. Auch
eine Inschrift bei Gruter 40, 4 bestätigt es: IIII IDVS OCTOB • IMP-
CAES • FL • DOMITIANO VIII ET C • VALERIO MESSALINO COS.
3.
NVMINI • DOMVS • AVG
SACRVM
DECVRIONES IN IIAC
CVRIA QVI CONVENIVNT
S ARAM ET AREAM SILIC
S-P-STRAVERVNT
DEDICATVM NONIS IANV
ARIS IMPERAT ! !!!
! ! ! ! CAESARE AVGVSTO
10 GERMANICO
!!!!!! MINICIO RVFO COS
IANVARIO ET TI-CLAVDIO EXCELLENTI
IMMVNIBVS TER ! ! TVIS A MAGISTERIO.
Dass die vorstehende in Rom gefundene Inschrift welche bei
Murat. 314, 1 gedruckt ist, in den ausgemeisselten Stellen sich auf
das vierzehnte Consulatsjahr des Domitian bezieht, ist durch den
Namen des Minicius Rufus der im Jahre 88 n. Chr.* des Kaisers Mit
consul gewesen, festgestellt. Die Zeilen 7—11 sind daher in fol
gender Weise zu ergänzen:
L
109
Über römische Kaiser-Inschriften etc.
DED1CATVM NONIS IANV
ARIS IMPERAT-DOMI
TIANO CAESARE AVGVSTO
GERMANICO
XIÜT'L-MINICIO rvfo cos
Marini (Fr. Arv. p. 169) hat die Inschrift ohne Lücken vorge
funden , so dass nur angegeben war:
IMPERAT
CAESARE AVGVSTO
GERMANICO
C-MINICIO RVFO COS
Unser Consulpaar wird in den Fastis consularibus nur im Chro
nograph. Ravenn. richtig mit Doinitiano XIIII et Rufo angegeben:
Idatius und Cassiodor geben die Zahlen bei Domitianus unrichtig.
Die Fasti Siculi (das Chronic. Paschale) sind ebenfalls ungenau:
Aop.£riocvoO Adyoüarou ro t aai Tirou ’Pov<pov tö ß'. Am richtigsten
bezeichnet das Jahr Censorinus (de die nat. c. 17): Septimos ludos
fecit Domitianus se XIV et L. Minucio Rufo Coss. ann. DCCCXLI.
Damit stimmt auch die Münze hei Eckhel (VI, 382): IMP • CAES-
DOMIT • AVG • GERM • P • M • TR • P • VIII + COS • XIIII • LVD • SAEC • FEC.
4.
IMP • CAES -11111111 AVG • GER • XVL COS
Q • VOLVSIVS • SATVRNINVS
P • R • C • AN • DCCCXLIIII
Die Angabe des Jahres 844 der Erbauung Roms und die Rei-
fügung des Consuls Q. Volusius Saturninus macht nicht zweifelhaft,
dass obige Inschrift eines Fragmentes von fastis consularibus (bei
Gruter 300, 1) auf das sechszehnte Consulatsjahr Domitian’s, also
auf das Jahr 92 sich bezieht. Die Worte mit den vollständigen
Ergänzungen müssen wie folgt lauten:
IMPerator CAESar DOMITIANVS AVGustus GERmanicusW
Quintus VOLVSIVS SATVRNINVS COnSuIes
Post Romam Conditam ANno DCCCCXLIIII
Ein Fragment einer Inschrift hei Cardinali dipl. mil. n. 143
nennt auch unser Consulpaar DOMITIANVS XVI• Q- VOLVSI . . . Die
Consularfasten sind in der Zahl des Consulats des Domitian nicht
110
Aschbach.
genau, nur der Chronogr. Ravenn. hat richtig Domitiano XVI et
Saturnino, Idatius gibt zu Domitiano XIII das entstellte Sturmio. Von
dem Inschriftenfälscher Ligorio rührt her: T. FL. DOMITIANO XV.
M. VOLVSIO SATVRNINO II COS. cf. Fea framment. di fast. cons.
p. XLV.
5.
LFVNISVLANO
L • F • ANI • VETTONIAN 0
TRIB • MIL • LEG ■ VI ■ VICT • Q VAES
TORI ■ PROVINCIAE ■ SICILIAE
S TRIB-PLEBPRAET-LEG. LEG. IIII
SCYTHIC • PRAEF ■ AERAR • SATVR
NI • CVRATORI • VIAE • AEMILIAE - COS
VII ■ VIR • EPVLONVM ■ LEG ■ PRO ■ PR
PROVINC • DELMATIAE ■ ITEM • PRO
10 VINC • PANNONIAE ■ ITEM ■ MOESIAE
SVPERIORIS • DONATO
BELLO DACICO • CORONIS • III]
ls MVRALI • VALLARI • CLASSICA • AVRE A
H ASTIS • PVRIS • IIII ■ VEXILLIS • IIII
PATRONO
D-D
Obige in Croatien an der Save gefundene Inschrift findet sich
bei Marini, Giorn. di Pisa III, 291; Giorn. Are. Dec. 1820. p. 361;
Cardinali dipl. mil. n. S86, p. 301, und Orelli-Henzen n. S431
gedruckt. Schon unter Kaiser Nero bekleidete L. Funisulanus Vet-
tonianus ‘) der früher tribunus militum der Leg. VI Victrix in
Spanien gewesen, eine hohe Militärstelle im Orient. Denn er war
Legat der legio IV. Scythica welche unter dem Oberbefehle des
armenischen Statthalters Caesennius Paetus gegen den parthischen
König Vologeses zu Felde zog im Jahre 63 Wann Funisulanus
Consul gewesen, ist nicht bekannt, da er als consul sutfectus in den
fastis nicht vorkommt: jedenfalls aber fällt das Consulat vor der Zeit
seiner Statthalterschaften in Dalmatien, Pannonien und Ober-Mösien,
Über einige fragmentarische Inschriften auf denselben Vettonianus. Vgl. Murat.
435, 6; Giorn. Arcad. VII, p. 376 ; Henzen-Orelli n. 5432.
2 ) Tacit. Annal. XV, 7: Paetus—duabus legionibus, quarum quartain Funisulanus Vet
tonianus eo in tempore, duodecimam Calavius Sabinus regebant, Armeniam intrat.
Über römische Kaiser-Inschriften etc.
111
wie :ius der Reihenfolge der in der Inschrift aufgezählten Ämter zu
entnehmen ist. Pannonien stand er unter der Regierung des Domi-
tianus im Jahre 85 n. Chr. vor 1 ). Einige Jahre später verwaltete er
Ober-Mösien, und damals war es, wo Kaiser Domitian den dacischen
Krieg führen liess und dem Funisulanus Vettonianus zunächst die
Leitung desselben oblag. Es ist daher klar, dass in unserer Inschrift
zwischen den Worten DONATO . . . | | und BELLO DACICO 3 )
die ausgemeisselten Namen nicht des Kaisers Nero, sondern die des
Domitian zu ergänzen sind, also:
AB ■ IMP-CAES
DOMITIANOAVG'GERM-
III. Den Kaiser Commodus betreffende Inschriften.
1.
IN-HD-D
GENIO BF-COS-G-S-ET
LOCI CONCORDI AVR
S • I • ARG • IV • I • AD YENTVS
ü BF-COS-IMP- ....
. . AVG-III-ET BVRRO COS-V-S-L'L-M
TEM-REST
Diese bei Speier gefundene Inschrift welche zu Ehren des
Antoninischen Kaiserhauses (In Honorem Domus Divinae) gesetzt worden,
ist beschrieben bei Jäger, Jahresb. f. d. Pfalz, I, 1842, p. 36:
Steiner, Cod. Inscr. Dan. et Rhen. Nr. 741; Ore11i-Henzen
Nr. 5783. Steiner und Henzen erklären die vier ersten Zeilen in
nicht ganz befriedigender Weise:
Dieses zeigt ein Militärdiplom Domitian’s vom J. 85 für 6 Alen und 15 Cohorten
„quae sunt in Pannonia sub L. Funisviano (es ist zu lesen FVNISVLANO) Vettoniano“.
Dieses Diplom ist in Ungarn 1840 gefunden und gedruckt bei Arneth, zwölf Mil.
Dipl. p. 39. Facs. n. IV.
2 ) Von Nero ist nicht bekannt, dass er mit den Daciern Krieg geführt, von Domitianus
aber geben es die alten Geschichtschreiber an. Sueton. Domit. c. 6: Gxpeditiones
suscepit in Dacos duas. — DeCattis Dacisque post varia proelia duplicem triumphum
egit. Näher spricht über den dacischen Krieg des Domitian Dio Cass. hist. Rom.
LXVII, 6 sq. : MsYtaxoe oe or] nöXep-o? 'Pu)p.cuoie tote itpöe xoüe Aaxoue eycvexo. — Von
den Auszeichnungen und Geldgeschenken, die der Kaiser den Soldaten ertheilte,
heisst es c. 7: Tote axpaxubxate xäe xip.äe xai dpYopiov iyapiaazo.
112
Aschbach.
IN Honorem Doinus DIvinae
GENIO BeneFiciariorum COnSularis Germaniae Superioris ET
LOCI CONCORDI AVRi
Pondo I ARGenti IV lulius ADVENTVS.
Die drei letzten Zeilen bedeuten:
BeneFiciarii COnSularis IMPeratore com
modo AVG.III ET BVRRO COnSulibus Votum Solventes Libentes Merito
TEMpIum RESTituerunt.
Commodus war im ,J. 181 n. Chr. Consul mit L. Antistius Bur-
rus, der den Beinamen Adventus hatte (Marini frat. Arv. p. 16G,
178, Not. 191; p. 179, Not. 97 und Marini Iscr. Alban, p. 17).
— Die Consulbezeichnung des J. 181 bei Gud. Inscr. Ant. 36, 7.
M • ANTONINO COMMODO III ET VIRIO BYRRHO COS ist ein Ligori-
sches Machwerk welches zum Theil aus der Inschrift bei Gruter
55, 3 fabricirt worden.
S
10
2.
IMP'CAEs.m.commodus an
TONINVS • AVG ■ PI VS ■ SAR • germ
BR1TT • PONT • MAX • TRIB • POT • VIIII
CON -Im • P • P • RIPAM • OMNEM • RVpibus
promOLE EXTRVCTIS ITEM PRAEsi
DIS PER LOCA OPPORTVNA AD
CLANDESTINOS • LATRVNCVLO
RVM • TRANSITVS ■ OPPOSITIS
MVNIVIT-PER
Die bei Stublweissenburg gefundene, jetzt in Pesth aufbewahrte
Stein-Inschrift ist mitgetheilt im Bullet, dell 1 Institut, arch. 1848,
p. 24 und bei Orelli-Henzen Nr. 5487. Da die Verstümmlungen
der Inschrift mehrfache sind, so könnte es wohl sein, dass der Name
des Kaisers Commodus nicht absichtlich getilgt worden ist. Commo
dus hat schon im J. 183 sein viertes Consulat geführt, als er die
tribunitia potestas zum achten Male erneuert hatte: es dürfte
daher die Ergänzung der Zahl hei TRIB. POT. mit VIII richtiger sein,
als mit VIIII, welche Uenzen gegeben und dadurch das J. 184
bestimmt hat. Gewöhnlich wird angenommen, dass der britanische
Aufstand und seine Unterdrückung ins J. 184 fallt und dass seit jener
Über römische Kaiser-Inschriften etc.
11B
Zeit Commodus erst den Beinamen Britanniens angenommen habe.
Wir haben aber Münzen aus dem J. 183, wo Commodus schon den
Beinamen Britannicus führt. Bei Mediobarb. Birag. p. 248:
M.COMMODVS ANTONINVS AVG.PIVS BRIT
VOTA DECENN. SVSC. TR. P. VIII
IMP.VI.COS IIII.P.P.S.C.
Ob Commodus im J. 184 bei der Unterwerfung der Britannier
IMP.VII, und dann erst Britannicus sich genannt habe , ist nicht
ganz sicher. Eckhel doctr. VII. p. 111 behauptet es und er führt
dafür als Beweis die Münze an (p. 112) mit der Legende: M-COMM-
ANTON -AVG • PIVS ■ BRIT f P • M • TR • P -VIIII • IMP VII- COS - IIII P P.
Diese Münze gilt allerdings für die Titel des Commodus im J. 184,
beweist aber nichts für das J. 183, wie die obige mit TR-P-VIII-IMP-
VI-COS-IUI.
3.
IMP-CAESAR
M-AVRELIVS
1 II I II I I
ANTONINVS
S AVG-PIVS.SARM
GERM-MAXIMVS
BRITANNICVS
PONT- MAX -TRIB
POT-VIIII IMP-VI
10 COS-IIII-P-P
PONTEM • HIPPI • FLVMI
NIS • VETVSTATE • COR
R VPTVM • RESTITV1T
SVMPTVM ■ ET•OPERAS
IS SVBMINISTRANTIBVS
NOVENSIBVS-DELMI
NENSIBVS • REDITIS ■ CV
ARNTE • ET ■ DEDICANTE
L-IVNIO-RVFINO-PROCV
20 LI ANO- LEG -PR. PR
Vorstehende Inschrift wurde in neuester Zeit bei Trigl in Dal
matien an der Cettina (Tilurum oder dem Flüsschen Hippus s. Equus)
Sitzb. d. phil—hist. CI. XXIV. ßil. I. Hft. 8
114
Aschbach.
gefunden: sie befindet sich gegenwärtig im Salonitaner Museum
und ist gedruckt im Bulletino dell’ Inst. arch. 1851, p. 156, im Archiv
f. österr. Geschichtsq. VI, 252 (Schrift, d. k. Akad. d. W.) und in
0relli-Henzen coli. Nr. 5282. Den Namen M. Aurelius Antoninus
führten zwar mehrere Kaiser: Antoninus der Philosoph, Bassianus
Caracalla, Heliogabal und Commodus: aber nur der letztere fügte
zwischen Aurelius und Antoninus einen Namen (Commodus) ein, indem
die drei erstgenannten Kaiser die Namen M. Aurelius Antoninus
ununterbrochen folgen Hessen. Allerdings hiess Commodus eigentlich
L. Aurelius Commodus Antoninus und so kommt seine Bezeichnung
in früheren Inschriften vor *)• Allein später, als er Kaiser geworden
(vom J. 181 an), veränderte er sein Pränomen Lucius in Marcus 3 ).
Aber auch die Beinamen und die Titel mit den dabei befindlichen
Zahlen machen es unzweifelhaft, dass der ausgemeisselte Name des
Kaisers der des Commodus ist. Derselbe stand 184, nachdem er das
vierte Consulat im J. 183 n. Chr. bekleidet hatte, im neunte n
Jahre der Erneuerung der tribunitia potestas und er hatte damals
sechs Imperatoren-Begrüssungen erhalten. Wie wir aus andern In
schriften, aus Münzen 8 ) und Schriftstellern wissen, führte er die
Titel Pius, Sarmaticus, Germanieus Maximus, Britanniens bereits
im J. 184.
Über die dalmatischen Ortschaften der Novenses, Delminenses
und Riditae, wie auch über den Fluss llippus oder Aequus verweisen
wir in Betreff des Näheren auf die epigraphischen und geographischen
Untersuchungen von Seidl im Archiv für österr. Geschichtsq. VI,
S. 252 und besonders S. 260 fg., ferner auf Bullet, dell’ instit. arch.
1839, p. 179 und die Zeitschr. f. d. Alterthumswissensch. IX. Jahrg.
1851, I, 31 fg.
*) Mommsen J. R. N. n. 271, v. J. 177, wo aber der Name des Commodus ausgetilgt ist;
Marini frat. Arv. p. 166 (v. J. 179) ; Münzen bei Eckbel VII, 108 (v. J. 179).
2 ) Eckhel VII, 109 und Marini p. 166 (v. J. 181); Morcelli de stilo I, 3ö8 meint Commo
dus habe dasPraenomen Lucius von dem Kaiser L. Verus gehallt, der ihn adoptirt.
Bei Dio Cass. 72, 16 wird Commodus im officiellen Titel L. Aelius Aurelius Commo
dus genannt.
3 ) Eckhel VII, 105. IMP • OAES • L * AVREL • COMMODVS SARM f TR • POT- COS (vom
J. 177 n. Chr.) ; — Eckhel VII, 108. L • AVREL • COMMOD • AVG • GERM • SARM • TR*
P • IIII f IMP • III • COS • II • P • P (v. J. 179). Medioharb. Birag. p. 248. cf. oben III,
n. 2.
Über römische Kaiser - Inschriften etc.
115
4.
L-RAGONIO L-F
PAP-VRINATIO
LARGIO QVINT
ANO COS-SODAL
!5 HADRIANALLEG
LEG-XETTT-GEM
DONIS
MILIT ARIB • DONAT
AB IMP-!!!!!!!
10 ANTON1NO • AVG- PRO
COS-PROVINC-SARD
IVRID ■ PER APVLIAM
PRAEF • FRVM • DAND
PRAETOR -AEDILQ~
lä PROVINC-AFRIC-
SEVIR
CHRYSOPAES EVTY
XES ....
SER VI
20 DOMINO OPTIMO
Dass in dieser von Maffei im Mus. Veron. 113, 1 (vergl.
Gruter. 1029, 1 = Orelli 2377 und 2702) mitgetheilten Inschrift
der Name des K. Commodus ausgetilgt ist, zeigt uns eine andere
Inschrift bei Gruter. 45, 9 auf denselben Ragonius: Herculi con-
servatori pro salute L. Ragoni, L. F. Pap. Vrinati Largi Quinctiani
vir. cos. sodali Hadrianal. Leg. Leg. XIII. Gern, donis milit. donat.
ab Imp. Comm o do Antonino Aug. Procos. Prov. Sardiniae juridic.
per Apuliam Praef. F. D. Praet. Aed. PI. Q. Pr. Afric. VIvir Aug. ex
testamento M. Antius Ennius Sergianus amico v. cur. Uenzen tbeilt
eine unserer Inschrift ganz ähnliche in der Orellianiscben Collection
Nr. 6492 mit und zwar ohne Lücke nach AB IMP., wo aber COMMODO
sichtbar für dasselbe früher ausgetilgte Wort später restituirt ist.
Henzen hat diese Inschrift selbst genau besichtigt. Unsere Inschrift
wurde von den Sclaven Chrysapes und Eutyches ihrem Herrn, dem
L. Ragonius Urinatius Largius Quintianus, einem Sohne des Lucius,
aus der tribus Papiria, gesetzt.
Die Ämter des Ragonius sind nach der Rangordnung in der
Weise angeführt, dass das Consulat als das höchste zuerst genannt,
8*
116
Asch ha eh.
und das niederste welches auch Freigelassenen zu Theil werden
konnte, das Amt eines Sevir Augustalis ganz zuletzt erwähnt wird.
Von diesem war Ragonius zum Amt eines Quästors der Provinz
Africa, zum Ädil und Prätor, dann zum Praefectus frumento dando
und Juridicus in Apulien avancirt; sodann ward er Proeonsul der
Provincia Sardinia, worauf er, nachdem er als Legat der XIV. Legion
mitdenmilitärischen Orden vom Kaiser Commodus Antoninus beschenkt
worden, unter die Hadrianalischen Sodalen (Priester zum Dienste
des divus Hadrianus) aufgenommen und zum Consul erhöhen wurde.
Möglich ist, dass dieses noch unter der Regierung des Commodus
geschah, da Ragonius als Legat der 14. Legion welche zu Carnuntum
in Pannonia Superior lag, im Marcomanenkrieg sich ausgezeichnet
hatte. In den Consularfasten finden wir den Namen des Ragonius
Urinatius Largius Quintianus nicht, woraus zu entnehmen ist, dass
er nicht consul Ordinarius , sondern nur suflectus gewesen. Wir
finden zwar im J. 235 das Consulpaar Severus und Quintianus, aber
es ist nicht gewiss, ob dieser Quintianus zur Ragonischen Familie
gehörte (Marini Arv. p. 355, 357, 822). Auch den Consul Ti. Claud.
Aurel. Quir. (sc. tribu) Quintianus, welchen Mommsen J. R. N. n.
3597 gibt (cf. Borghes. Mein. dell’. Inst. p. 303), möchten wir nicht
ins J. 235 setzen, indem in der damaligen Zeit nicht mehr üblich
war, dem Namen des Römers die Tribus, in welche er als Bürger
eingeschrieben war, beizusetzen. Dieses kam seit der Zeit Caraealla’s
ab. Dagegen kommt im J. 289 mit M. Macrius Bassus ein L. Ragonius
Quintianus als Consul vor (Marini Arv. p. 357; Mommsen Nr. 2558
und 3946), der wohl ein Enkel oder Urenkel unseres Ragonius
Urinatius Quintianus gewesen ist, jedenfalls doch seinerFamilie ange
hört hat.
5.
IMPERATORE ■ CAESARE • AVGVSTO • P • IIELVIO • PERTINACE TT COS
ORDO • CORPOR ATORVM -LENVNCVLARIOR • TABVLARIOR • AVXILIAR •
OST1ENSIVM
Vorstehende auf dem Capitolium zu Rom befindliche Mar
morstein - Inschrift die noch 269 Namen enthält, ist in Gudii
inscriptt. antt. p. 206 abgedruckt. Sie ist von den Corpora-
tionen des Seehafens Ostia gesetzt im Jahre, als P. Helvius
Über römische Kaiser-Inschriften etc.
1 17
Pertinax zum zweiten Mal Cons u 1 war. Dieses fand Statt im
Jahre 192 n. Chr. Zum Collegen aber hatte er den Kaiser Commodus
selbst, der damals sein siebentes Consulat bekleidete. Es geben
dieses nicht nur die Consularfasten an 1 ), sondern auch mehrere
Inschriften 2 ). Nun ist aber in unserer Inschrift das Consulat
mangelhaft bezeichnet mit dem einen Consul P. Helvius Pertinax H.
und dessen Namen sind die kaiserlichen Prädicate Imperatore Caesare
Augusto vorgesetzt, die er im J. 192 noch nicht führen konnte: erst
im Anfang des Jahres 193 gelangte er, als bereits sein Consulat
abgelaufen war, auf den Kaiserthron den er kaum drei Monate inne
hatte. Aber auch seihst, wenn man ihm als Kaiser seine früheren
Consulate zählte und seine Regierung als chronologischen Anhalts-
punct benützte, so müsste man ihm die TRIBVN. POTESTAS auch
geben und die kaiserlichen Prädicate in anderer Ordnung folgen
lassen: ImperatorCaesar müsste allerdings vorausstehen, Augu
st us aber nach dem eigentlichen Namen Pertinax folgen. Es ist schon
aus diesen Umständen zu schliessen, dass hier mit der Inschrift eine
eigenthümliche Änderung vorgenommen worden, welche Vermuthung
durch die Beschaffenheit der Oberfläche des Steines an der
fraglichen Stelle bestärkt wird. Offenbar war an der Spitze
der Inschrift das Consulspaar des Jahres 192 angegeben: es
lautete:
M• AVRELIO • COMMODO• AVG • W- P • HELVIO PERTINACE TT-COS
Als nun schon im folgenden Jahre Commodus gestürzt und sein
Name in Inschriften überall ausgemeisselt wurde; als Pertinax selbst
auf den Kaiserthron erhoben war, so tilgte man in unserer Inschrift die
Namen des Commodus vor P. Helvio Pertinace II. Cos. und füllte die
Lücke mit den Worten IMPERATORE CAESARE AVGVSTO aus, die auf
den neuen Kaiser Pertinax bezogen werden sollten.
O Fasti Oraeci u. F. Siculi: Ko[i.{jLÖ6ou Aü^oua-zoo töC' xcd FDpTtvaxo;; Chronogr. Uaven.:
Commodo VII. et Pertinace; Idat.: Cominodo VII. et Pertinace und so auch Cassiodor.
2 ) Gruter. 56, 4: IMP ■ COMMODO AVG • N ■ VU • ET P • HELVIO PERTINACE 1TER •
COS ; 184,1: M- COMMODO AVG • VII-HEL ■ PERTIN • II■ COS; Fea Fram. 18, 6:
M ■ COMMODO AVG • Vff- HEL • PEKTIN • COS
118
Asclib a c h.
IV. Verstümmelteinschriften, die den Namen des Geta
enthielten.
1.
IMP • CAES • L • SEPTIMIVS
SEVERVS PIVS PERTINAX
AVG-ARAB-ADIABENIC
PARTHIC • MAXIM ■ PONTIF
S MAXIMVS
TRIB-POT-Vllir
IMP -IT. COS TT P • P • DESIGNAT TTT
PROCOS-ET
IMP-CAES-M-AVRELIVS
10 ANTONINVS PIVS AVGVST
TRIB-POT-Hir DESIGNAT-COS
PROCOS-ET
IS MVRVM AD DEFENSION• VIAE VETVSTATE CON
LABSVM RESTITVERVNT
Vorstehende Inschrift befindet sich gegenwärtig in Neapel.
Mommsen (J. R. N. n. 6270) hat sie selbst abgeschrieben und er
bemerkt, dass in der Zeile 13 und 14 noch die Spuren von den aus
gekratzten Worten
P-SEPTIMIVS GETA NOBILISS
CAES
erschienen. Das Jahr, aus welchem die Inschrift rührt, ist nach den
chronologischen Angaben bei dem Namen des Kaisers Septimius
Severus das J. 201 n. Chr., worin L. Annius Fabianus und M. Nonius
Arrius Mucianus Consuln waren, ln einer aus ihrem Consulate her
rührenden Wiener Inschrift (Matfei Mus. Ver. 240, 7; Murat. 348, 4;
Orelli n. 938) ist ebenfalls der Name des Geta (in der Zeile 7) aus
getilgt. Die Inschrift lautet:
PRO SAL
DOM-N-N -
L.SEPTIMI SEVERI
ET
S M-AVR-ANTO
NINI ET
riiir
Über römische Kaiser-Inschriften etc.
119
CAES-AVGG
CVLT-IOVIS
10 DEDIC
W K-AVG
MVCIANO ET
PA BIANO
COS
2.
Eine grosse, auf einer ehernen Tafel geschriebene Inschrift
(hei Maffei Mus. Veron. p. 309, und Fahretti Column. Trajan.
p. 37 gedruckt) lautet im Anfänge:
IMPP• SEVERO ET ANTONINO AVGG
BRITÄNICIS P-P ET IVLIAE AVG-MATRI AVGG-ET CASTROR
C.V.II II COS i)
Die Inschrift ist sicher auf das Jahr 203 zu beziehen und man
könnte versucht sein zu ergänzen:
ET GETAE NOB-CAES- C-FVLV-PLAVTIANO
C• V•TP L• SEPTIM■ GETA TT COS
Fahretti (1. c.) nimmt ganz irrig das Jahr 203 an, worin
Caracalla mit seinem Bruder Geta Consul war. Er glaubt daher, auch
der Name des Caracalla sei ausgemeisselt worden wie der des Geta.
Allein schon die stehen gebliebenen Buchstaben und Zahlen hätten
ihn eines Besseren belehren müssen: der Kaiser oder Cäsar hatte
nicht den Beisatz C. V., d. i. Clarissimus Vir, und Caracalla war im
Jahre 205 wohl zum zweiten Male, sein Bruder Geta aber zum ersten
Male Consul. Dann kommt noch hinzu, dass der Name des Caracalla
sich nicht leicht ausgetilgt findet. Mehr Beifall verdienen die Ergän
zungen welche ßorghesi bei Kellermann Vigil. Nr. 12 (Uenzen in
Orelli n. 6752 nimmt sie auf) vorschlägt. Nach den Borghesi’schen
Ergänzungen würde in der dritten (getilgten) Zeile nicht der Caesar
Geta Vorkommen, sondern diese Zeile würde lauten mit der ersten
Hälfte der darauf folgenden Zeile:
ET FVLVIAE PLAVTILLAE AVG-C-FVLVIO_PLAVTIANO "PR PB"
C-VöT-P-SEPTIMIO GETA TT COS
!) .Maffei 1. c. bemerkt hiezu: „Utriusque Augusti et Severi et C:\racallae npo-iopcd lau-
reatae in summa tabula interque illas exiguo veluti numismnte Geta effictus: aquilae
similiter cum fulminibus plures. Versus tertius erasus fuit et in quarto
Getae iterum consulis nomen, cujus tarnen (lignoscuntur vestigia.“
120
Asc hbac h.
Da im Jahre 203 Septimius Severus und sein Sohn Caracalla
noch nicht den Beinamen Britannicus führten, den sie erst im Jahre
210 annahmen; da offenbar der Caesar Geta in der Inschrift genannt
ward, so liegt es nahe, die Ausmerzung seines Namens gerade an der
Stelle des ungeschickt eingeschobenen Beinamens zu suchen. Die
Lücke der ausgetilgten Worte ET GETAE CAES wurde ausgefüllt
durch das darüber eingeschriebene BRITANNICIS-P P J ).
Im Jahre 203 war des Kaisers Septimius Severus Minister und
Günstling P. 3 ) Fulvius Plautianus mit des Kaisers Bruder L. Septi
mius Geta, der nicht mit Caracalla’s Bruder P. Septimius Geta zu
verwechseln ist, Consul. Es ist allerdings auffallend, dass beide die
Zahl II bei ihrem Namen hatten, indem sie früher nicht in den fastis
Vorkommen. Entweder waren sie schon consules suffecti gewesen,
oder was wahrscheinlicher ist, sie wurden zum Range von Consulen
erster Classe, d. i. solcher die wiederholt das Consulat bekleidet
hatten, erhoben.
Ein gleichzeitig lebender Geschichtschreiber H e r o d i a n
(hist. III, 11) berichtet: Plautian trug ein Oberkleid mit breiten
Purpurstreifen als Patricier (er hiess daher auch vir clarissimus), er
hatte den Rang derer die zum zweiten Male das Consulat bekleidet
hatten 3 ). Wenn auch in den meisten fastis Plautianus und Geta
einfach ohne die Zahl II als Consuln des Jahres 203 angegeben
werden, so kommt doch bei Idatius Plautianus II et Geta vor. Auch
in der Inschrift bei Marini Fr. Arv. p. 544 heisst es von diesen:
C-FVLV-PLAVT-PR PRCV-COS- II (Praefect. Praetor. Clariss. Vir
Cos. II). Auch in dem Cod. Justin, bekommt Plautianus als Consul den
Zusatz II, der aber bei Geta fehlt. Möglich ist es daher, dass in
*) Kellermann 1. c., der ganz Borghesi beistimmt, fügt die Bemerkung hinzu:
Excusationem suam habet error Fabrettianus, quum liaec tabulae pars prius alia con-
tineret postea deleta, quorum vestigia adhuc apparent, ita ut nisi utriusque seri-
pturae litteras bene distinguas BHITTAN1ICA facillime legas pro BB1TTANICIS. —
In ähnlicher Weise ist in der Inschrift, welche bei Orelli Henzen N. 5077 mit
theilt, an der Stelle der ausgetilgten Worte ET GETAE CAES eingeschrieben
BRITT • MAX.
2 ) In einer Inschrift bei Marini frat. arv. pag. 544 ist Plautian's Praenomen Cajus:
C'FVLV’PLAVT-, in einer andern bei Orelli-Henzen Nr. 5498 Publius angegeben.
Panvinius gibt ihm das Praenomen Lucius. So nennt ihn auch Ilenzen n. 6920, ob
schon ohne Zweifel irrthümlich.
3 J ’Ev xois Seitepov 'J^ctxsüaajiv ^tstäxto.
Über römische Kaiser - Inschriften etc.
121
unserer Inschrift das II vor Cos. nicht richtig gelesen ist. Da der
Name des L. Septimius Geta sonst nicht ausgetilgt wurde (er starb
in seinem Consulate am 22. Januar 203) ‘), so erklärt sich die Aus-
meisselung nur durch eine irrthümliche Verwechselung mit seinem
gleichnamigen Neffen Septimius Caesar der das Praenomen Publius
hatte. Übrigens bemerkt Maffei (1. c.), dass der Name des Consuls
Geta in unserer Inschrift noch lesbar erscheine, während solches
weder von dem Namen des Plautianus, noch dem des Caesar Geta
gesagt wird. Der Minister Plautianus der bei dem Kaiser Septimius
Severus in hoher Gunst stand, aber dem Caracalla ganz verhasst
war, wurde durch des Letzteren Umtriebe gestürzt und als Hochver-
räther umgebracht 3 ). Sein Name wurde in allen Inschriften aus
getilgt 3 ). Die Verfolgung erstreckte sich auf alle Anhänger und
Freunde des gestürzten Ministers: Caracalla nahm davon nicht einmal
seine eigene Gemahlinn, die Plautilla, Tochter des Plautianus, aus. Sie
wurde im Jahre 204 verbannt und sieben Jahre später, als bereits
Caracalla allein regierender Kaiser war, getödtet: auch ihr Name
wurde in den Inschriften ausgetilgt 4 ), in gleicher Weise wie Clau
dius den Namen der Messalina, wie Nero den Namen der Octavia
hatte ausmeisseln lassen. Doch entgingen manche Inschriften in den
Provinzen der Verstümmelung, wie z. B. die in England zu Cumber-
land gefundene, welche Horsley (Brit. Rom. p. 269) mittheilt und
Grotefend (in den Jahrb. d. Vereins v. Alterthumsfr. im Rheinl.
XVIII, S. 238) zu berichtigen sucht. Die Inschrift lautet bei Horsley:
*) Dio Cass. 76, 2 (L. Geta war ein Gegner des Plautianus, daher hei Caracalla wohl
in gutem Andenken); Spartian. Sever. c. 14.
2 ) Dio Cass. 76, c. 2—4; Herodian. III, 11 und 12; Spartian. Sever. c. 14.
3 ) Cf. Gruter. 46, 9 und 270, 6-OrelIi n. 934; Orelli 5508 sq. Am merkwürdigsten
dürfte folgende in Rom in neuerer Zeit gefundene Inschrift sein (Annal. dell' Insf.
arch. 1850 p. 35 u. O'relli-Henzen n. 5498), worin die Namen nicht vollständig aus-
gemeisselt sind, so dass sie noch gut gelesen werden können:
GENIO * EQ • SING • AVGGG • NNN ET
IIERCVLI • IN VICTO • PRO • SALVTE • ET
VICTORIA • ET REDITV • IMPP • CAESS
L • SEPTIMI • S EVERI • PH • PERTINACIS ■ AVG • ET
M • AVRELI • ANTONINI • PII • FELICIS * AVG • ET
P-SEPTIMI GFTAE NOHILJSSl I CAES • ET
1VLIAE • AVG • MATRISAVGG • ET • KASTR • ET
P FVLVI • PLAVTIANI PR • P • C • V • ET • NECESSARI.
4 ) Orelli-Henzen n. 5508 und 7420 avv. Gruter 270, 6=0relli n. 934.
122
A s c h b a c h.
DEAE • NVMPHAE • BRIG ‘)
QVOD•VOVERAT•PRO
SALVTE ■ PLAVTILLAE • CO -) ■ INVICTAE
DOM ■ NOSTRI • 1NVICTI
5 IMP ■ M ■ AVRELII • SEVERI
ANTONINI ■ PII • FEL ■ CAES
AVG-TOTIVSQVE-DO
MVS • DIVINAE • EIVS
M • COCCEIVS • NIGRINVS
10 Q-AVG-N-DEVOTVS
LIBENS■SVSCEPTVM • S
LAETO II ! ! ! ! ! !
Die vier letzten Zeilen berichtigt und ergänzt Grotefend mit
Rücksicht auf Orelli n. 1355 und 1686 und auf die Zeitverhältnisse
wie folgt:
M- COCCEIVS FIRM VS
J • LEG • II ■ VOTVM
LIBENS SVSCEPTVM S
GETA II et plautiano cos.
Man hat früher LAETO II [ET CEREALE COS.] auf das Jahr 215
bezogen. Grotefend verwirft diese Lesung, weil, wenn das
Jahr 215 richtig wäre, das Gelübde viel später gelöst sei, als es
gemacht worden. Da die Plautilla schon 204 verbannt, 211 getödtet,
und der Name des Plautianus überall in den Inschriften getilgt sei,
meint er, dass sie in das Jahr 203, in welchem Geta und Plautianus
Consuln waren, besser passe. Doch steht dieser Annahme die Schrei
bung LAETO, die nicht für GETA gebraucht sein konnte, entgegen.
Wenn wirklich LAETO auf dem Steine sich befindet, so ist an unserer
Stelle nicht an ein Consulpaar zu denken, sondern es wird sich ein
anderer Sinn der Worte in den drei letzten Zeilen heraussteilen, wenn
man liest:
*) Die Dea Brigantia war eine britannische oder schottische Gottheit. Sie ist auf
einem in Schottland gefundenen Steine abgebildet, ähnlich einer geflügelten Vic
toria, in der Rechten einen Speer haltend, in der Linken eine Kugel, eine Thurm-
krone auf dem Haupte, zu den Füssen rechts einen pileus, links einen clypeus.
Vergl. Horsley I. c. p. 333.
2 ) i. e. conjugis.
Über römische Kaiser-Inschriften etc.
123
Centurio LEGionis I[- VOTVM
LlßENS SVSCEPTVM Solvit
LAETO (ANIMO).
3.
ÜEDIC • IDIB • IVL • IMP • M • AVRELIO
ANTONINO AVG-PIO FEL -II
ln vorstehender von Gruter. 487,2 mitgetheilten Perusinischen
Inschrift welche auf das Jahr 205 gellt, worin Caracalla zum zweiten
Male, sein Bruder Geta aber zum ersten Male Consul war, ist in der
Zeile 3 und 4 an der ausgemeisselten Stelle zu ergänzen:
ET P • SEPTIMIO GETA ANTONINO
NOB-CAES-COS
ln ähnlicher Weise wird das Jahr 205 bezeichnet hei Mura-
tori 351, 1:
DED IC-IMP-M-AVRELIO ANTONINO II
ET P-SEPTIMIO GETA COS-V-KAL-1VNIAS-
Die Consularfasten welche dem Geta ein zweites Consulat im
Jahre 205 zuschreiben, halten den Oheim Geta’s, den L. Septimius
Geta der im Jahre 203 Consul war, für dieselbe Person mit dem
Caesar Geta. So das Chronic. Paschale, Idatius und Cassiodor.
Richtig ist die Angabe des Chronogr. Ravenn.: Antonino II et Geta.
Die Fasti Graeci haben verstümmelte und entstellte Namen: ’Avrdiviog
rö j3' xod Tiyag KaXaap. Im Cod. Justin, werden die Gesetze des Kai
sers Septimius Severus vom Jahre 205 bezeichnet mit Antonino A. II
et Geta Caes. Conss. und Antonino A. II et Geta Conss. Merkwürdig
ist, dass daselbst I, 54, 1 auch der Irrthum sich eingeschlichen hat, als
habe damals Geta schon zum zweiten Male das Consulat bekleidet. Die
Datirung lautet dort:
V Id. April. Antonino A. et Geta Caes.
utrisque II Conss.
Übrigens führten die beiden Brüder noch einmal zusammen, und
zwar im Jahre 208, das Consulat. Merkwürdiger Weise hat sich ohne
124
A s ch b a c h.
Austilgung des Namens von Geta diese Consulatsangabe in den
Inschriften meist erhalten. So in der römischen Inschrift bei Gru-
ter. 45, 13=Foa Framm. 12, 42: VII ID. IAN. DD. NN. IMP. ANTONINO
PIO AVG. III ET GETA NOBILISSIMO CAES-II-COS. — Doch in der
Beneventanischen Inschrift bei Mommsen J. R. N. n. 1421 ist der
Name des Geta nobiliss. Caes. II. ausgetilgt:
ID VS APR-IMP-ANTONINO AVG III COS
Bei Cardinali dipl. mil. n. 490 und Gruter. 1017, 3 ist offenbar
ungenau die Abschrift genommen: ANTÖN-III-ET GETA COS heisst es
dort, anstatt GET-II-COS Die Gesetze des Kaisers Septimius Severus
im Cod. Justin, vom Jahre 208 sind alle richtig Antonino A. III et
Geta II conss. dalirt. In den Consularfasten des Jahres 208 ist
gleicher Irrthum wie beim Jahre 205, indem Geta Caesar als die
selbe Person mit seinem Oheim L. Geta genommen und seinem Namen
die Zahl 111 beigeschrieben sich findet. Nur der Chronograph. Ravenn.
hat auch hier richtig Antonino III et Geta II. Die Fasti Graeci haben
einen entstellten Namen ’Avrwvto? rö 7' xai Fet«? tö /?', die Zahl aber
genau.
4.
IVL1AE DOMNAE
AVG
MATRI AVG-N
ET CASTRORVM
Fabretti Columna Trajan. p. 38 hat diese Inschrift welche
auf die Julia Domna Augusta, die Gemahlinn des Kaisers Septimius
Severus, geht, mitgetheilt. Sie führte gewöhnlich den Titel Mater
Augustorum oder Caesarum et castrorum. Es ist höchst wahrschein
lich, dass in unserer Inschrift ursprünglich gestanden
MATRI GET-N-CAES (Getae nobilissimi Caesaris)
ET CASTRORVM
Caracalla der überall den Namen seines Bruders austilgen und,
wo es anging, andere Worte über die ausgemeisselten Stellen schrei
ben liess, befahl das Wort GET nach MATRI in AVG zu ändern, und
CAES ganz auszumeisseln; das übrige AVG. N. ging dann auf Cara
calla selbst, MATRI AVGusli Nostri i. e. Caracallae.
Über römische Kaiser-Inschriften etc.
125
In ähnlicher Weise verfuhr Caracalla mit anderen Inschriften
auf öffentlichen Denkmälern, wo er den Namen und den Titel seines
Bruders ausmeisseln und an ihre Stelle ihn selbst ehrende Prädicate
setzen liess. Auf dem Triumphbogen des Septimius Severus auf dem
Foro Boario in Rom sind in der Inschrift an der Stelle wo des Geta
gedacht war, später die Worte „FORTISSIMO FELICISSIMOQVE PRIN-
CIPI“ (auf Caracalla bezogen) über das Ausgemeisselte geschrieben.
Cf. Gruter. 265, 2 = Orelli n. 913). In einer andern Inschrift
(Gruter. 150, 5=Orelli n. 933) wird Caracalla an der Stelle der
ausgemeisselten Worte die dem Geta gewidmet waren, FORTISSIMVS
AC SVPER OMNES FELICISSIMVS PRINCEPS genannt.
Besonders merkwürdig in dieser Beziehung ist die Inschrift auf
dem Triumphbogen des Septimius Severus, der auf dem nach dem
Capitolium führenden Wege errichtet ist (Gruter. 265, 1 aus Smet
und Panvinius und bei Orelli n. 912); sie ist nach den chronolo
gischen Angaben die darin Vorkommen, in das Jahr 202 zu setzen.
Sie lautet wie folgt:
HIP CAESTVCIO SEPTIHIO M-FIL SEVERO PERTINACIAVG • PATRI PATRIAE PARTRICO ARABIGO ET
PARTHIICO ADIABEN1C0 POMIF • HAXIHO TRIBVNIC • POTEST • XI • IMP • XI ■ COS ■ III • P110C0S ■ ET
IIIP' CAES • M • AVRELIO l • F • ANTONINO AVG • PIO FELICI TRIBVNIC • POTEST • V • COS ■ PROCOS • P • P
| OPTOIIS F0RTISS1M ISftVE PRINCIPIBVS |
OB REM PVBLICAM RESTITVTAM IMPERIVIIftVE POPVLI ROMANI PROPAGATVM
INSIGNIBVS VIRTVTIBVS EORVM ROMI FORISQVE S-P- Q-R
Es ist sichtbar, dass auf dem Stein in der vierten Zeile Austil
gungen stattgefunden haben und dass die Worte, welche jetzt daselbst
gelesen werden, später über das Ausgemeisselte geschrieben wurden.
Panvinius meint, ursprünglich habe in dieser Zeile gestanden: ET P
SEPTIMIO GETAE NOBILISSIMO CAESARI OPT. Nach andern Inschriften,
worin die Titel des Geta noch vollständig erhalten sind, dürften die
getilgten Worte, wie folgt, gelautet haben:
ET P-SEPTIMIO GETAE ANTONINO NOBILISSIMO CAES
Da im Jahre 202, worin Septimius Severus mit seinem Sohne
Caracalla das Consulat führte, und zwar er selbst zum dritten Male,
126
A s c h 1) a c h.
der Sohn zum ersten Male, mit dem 1. Januar die Erneuerung der
tribunitia potestas für Septimius zum zehnten, für Caracalia zum
fünften Mal gezählt wurde, so ist in der Zeile 2 nach TRIBUNIC
POTEST. Die Zahl X anstatt XI zu lesen.
V. Auf die Kaiser Macrinus und Heliogabal bezügliche
Inschriften, die verstümmelt sind.
1.
Wirlesen hei Muratori 3o4, 2 die fragmentarische Inschrift:
DEDIC • PR • ID • MART
IMP . . . DRIANI AVG-COS-ET
OCT-LATINO ADVENTO
Sie ist genauer angegeben bei Marini Fr. Arv. p. G49:
DEDIC-PR-ID-MART-IMP . . . CRINO AVG-COS
ET OCLATINO ADVENTO
Bei Orelli lautet sie:
DEDIC-PR-ID-MART
IMP AVG-COS
ET
OCLATINIO ADVENTO
Offenbar aber muss sie mit der Ergänzung an der Lücke in fol
gender Weise geschrieben werden:
DEDIC-PR-ID-MART
IMP-maCRINO AVG cog
ET OCLATINO ADVENTO
Die Inschrift bezieht sich auf das Jahr 218, worin der Kaiser
Macrinus mit Oclatinus Adventus Consul gewesen, und zwar die
ersten Monate des Jahres hindurch (Dio Cassius 78, 37; Borghesi
Memorie dell’ Instit. p. 284). Nach seiner Ermordung am 11. Juni
218 wurde sein Name nicht nur in den Inschriften , sondern auch in
den fastis consularihus getilgt. Er kommt daher in den letztem nicht
vor. Wir können aber sein Consulat aus Münzen bei Eckhel doct.
v. num. VII. 236 und 238 (er war 217 cons. suffect. und 218 cons.
Über römische Kaiser-Inschriften etc.
127
ordinär.) 1 ), aus der Inschrift bei Ma ff ei Mus. Veron. 241, 2 und
aus Dio Cass. LXXIX, 8 nachweisen. Einige Monate hindurch war
Oclatinus Adventus einziger Consul: es wurde vorerst kein consul
suffectus ernannt 2 ). Cf. Dio Cass. 1. c.; Maffei M. V. 312, 3 =
Fabretti IV, 511; Marini fr. Arv. p. 525. Marini (p. 649) hat
nachgewiesen, dass in der Maffei'sehen Inschrift anstatt COLLATINO
gelesen werden müsse: C. OCLATINO ADVENTO COS. In den fragmen
tarischen Consularfasten (cf. Melchiori Memorie Rom. III, 91 und
Borghesi Mem. dell’Inst. p. 155; Orelli n. 6053) lautet der Name
Oclatinius. Noch in demselben Jahre aber erhob sich der neue Kai
ser Heliogabal zum consul Ordinarius, und liess seinen Namen an
die Stelle des Macrinus setzen, und obschon der kaum dem Knaben
alter entwachsene Heliogabal noch kein Staatsamt bekleidet hatte, so
ging er doch als Kaiser im Range seinem älteren Collegen vor
aus. In den lateinischen Consularfasten ist das Jahr 218 durch den
Namen Antoninus (so hiess Heliogabal als Kaiser) und Adventus
bezeichnet, auch in den Inschriften bei Fabretti IX, 315; Marin.
Fr. Arv. Tav. XLI, 6; cf. p. 648, und im Cod. Justin. II, 19, 8.
In den Fastis Graecis aber ist ’OxA«'navöj ”A/l/?£vro? eine Ver
stümmelung der Namen des einen Consuls Oclatinus Adventus. Die
im Jahre 1849 aufgefundenen Bruchstücke von Consularfasten, welche
Henzen im Bulletin dell’Instit. arch. 1849, p. 113 und bei Orelli
n. 6058 mittheilt, enthalten auch unser Consulpaar:
IMP • CAES • M • AVRELIO • [antonino] I'IO FE
. .ADVENTO COS• Ä• P■ lt• C• DCCCCLXX.
Wir lesen bei Murat. 354, 1 eine römische Inschrift, worin
unser Consul Oclatinus Adventus genannt und worin ein Name
ausgetilgt ist; sie lautet in der offenbar sehr incorrecten Ab
schrift :
IMP ■ C • M • OPEL • SEV • MACRINVS A VG f PONTIF • MAX • TP. • P • II • COS ■ II P • P.
Das erste Consulat wurde gewöhnlich nicht gezählt, weil Macrinus nur Consul
suflectus war. Vergl. Eckhel VII, 243.
2 ) Nach Dio Cass. I. c. sollte inan aber vermuthen, dass in Rom fiir Macrinus ein
consul suirectus schon früher ernannt worden, als dieser Kaiser noch in der
Herrschaft war.
128
Aschbach.
DIANA
CARICIANA
M-AVRELIVS CARICVS
AQVAR1VS HVIVS LOC
,. CVM LIBERTIS ET ALVM
NIS
M-D D-AVG-ET
DEDIC-IDIB-AVG
OCLATINO ADVENTO COS
Die Worte in der vorletzten Zeile stehen wohl nicht an ihrer
rechten Stelle; sie gehören in eine frühere Zeile. Die Inschrift dürfte
ursprünglich gelautet haben:
DIANAE
CAR1CIANAE
M-AVRELIVS CARICVS
AQVARIVS HVIVS LOC(i)
S CVM LIBERTIS ET ALVM
NIS
DEDIC-IDIB-AVG
M-AVR-ANTONINO AVG-ET
OCLATINO ADVENTO COS
Es wäre demnach der Name des Heliogabal, der in den Inschrif
ten M. Antoninus und M. Aurelius Antoninus genannt wird, in der
vorletzten Zeile ausgetilgt worden.
2.
P-P-TRIB-POT-COS
PROCONS • DIVI • MAGNI
ANTONINI • FIL • DIVI PII
SEVERI • NEPOT • ET . . .
. . MATRIS CASTRORVM
ET SENATVS
AVG_
AVGVSTI-N.
DVPLAltl LEG-lII-AVG-P-V . .
.... DEVOTI NVMINI
MA1ESTATIQVE EORVM
REGRESSI DE EXPEDITIO
NE FELICISSIMA ORIEN
TALI
Über römische Kaiser - Inschriften etc.
129
Diese in neuester Zeit zu Lainbaesa in Nordafrika gefundene
verstümmelte Inschrift ist von den Dupiariis der in Afrika liegenden
Leg. 111 Augusta Pia Victrix, die an Caracalla’s orientalischem Feld
zuge Theil genommen hatten, zu Ehren des Heliogaba! gesetzt wor
den. Eine grosse Anzahl von Namen der distinguirten Soldaten ist
auf dem Steine heigefügt. Renier hat die Inschrift in den Inscrip
tions romaines de FAlgerie. Paris 1835, n. 90 herausgegeben und
die Lücken sehr gut ergänzt; in der 0reili’sehen Collect. Inscr.
lat. n. 7420 cc/tti hat Henzen einen Abdruck davon geliefert. Re
nier ergänzt die Inschrift wie folgt:
pro salute . d . n . imp . caes.m . aureli. antonini . pii.felicis.aug.p.m.PP"
TRIB-POT-COS | PROCONS- DIVIMAGNI | ANTONINI • FIL-DIVI-PII |
SEVERI • NEPOT • ET iuliae | maesae . aug . aviae . aug. | n . MATRIS-
CASTRORVM | ET SENATVS • et . iuliae | soaemiadis . bassianac AVG |
matris AVGVSTI • N | DVPLARI • LEG ■ 111 ■ AVG I J V an [ toninianae
DEVOT1 NVMINI | MAIESTATIQVE EORVM | REGRESSI DE EXPE-
D1TIO | NE FELICISSIMA ORIENTALE
Es sind in dieser Inschrift nicht nur der Name des Heliogabal
und ein Theil seiner Titel, sondern auch die Namen seiner Gross
mutter, der Augusta Julia Maesa, und seiner Mutter, der Augusta Julia
Soaemias Rassiana, wie auch der Beiname Antoniniana, welchen die
dritte Legio Augusta führte, ausgemeisselt.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch folgende, auf einer
verstümmelten Statue befindliche Inschrift die Mommsen Inscr.
Regn. Neap. n. 4057 mittheilt, sich auf Heliogabal in der ausgemeis-
selten Stelle bezieht.
IVLIAE MAESAE
AVG-AVIAE-IMP
Wir ergänzen nicht, wie Mommsen und Avellino (Bulletin.
Nap. I. 52) SEVERI ALEXANDRI oder CAES• M• AVR• SEVERI ALEXAN-
DRI, sondern CAES-AVG-ANTONINI. Henzen in Orell. coli. III. n.
5516 gibt an, dass am Anfang der dritten Zeile noch CAES zu lesen
sei; er ist unentschieden, welcher von den beiden Kaisernamen als
ausgemeisselt angenommen werden soll.
Sitzb. (I. phil.-hist. CI. XXIV. Bd. I. Hft, 0
130
Aschbach.
Da die ausgetilgte Stelle für AVG-ANTONINI einen angemesse
neren Raum darbietet, als für AVG-SEVERI ALEXANDRI, und der Name
des Antoninus mit seiner Grossmutter Julia Maesa häufiger in Ver
bindung genannt wird, als der des Alexander, so ist wold hinrei
chender Grund vorhanden, den ausgetilgten Namen auf Heliogabal zu
beziehen.
3.
I-O-M-ARVBIANO
ET BEDAIO SANCTO
T-VL-1VVENIS_
BF-COS-LEG TT
1TAL • ANTONINIAN
V-S-L-L-MID1B-MAIS
!!!!!!!!!!!!!!!
II ET SACERDOTE
COS
Über diese zu München befindliche Steininschrift handelt Hef-
ner, Oberbair. Archiv. VI. 2, p. 218 und de Wal, Mytliol. Sep-
tentr. Monum. n. 297.
Aus den Schlusszeilen lässt sich das Consulpaar und zugleich
der Name des ausgetilgten Kaisers ermitteln. Es ist das Jahr 219
n. Chr., in welchem Heliogabal mit Sacerdos zum zweiten Mal das
Consulat bekleidete. Es lautete der Schluss der Inschrift ohne
Zweifel:
IMP • ANTONINO • AVG
II ET SACERDOTE
COS
Bei SACERDOTE sollte freilich auch II stehen, wie in anderen
Inschriften. Da Sacerdos das erste Mal nur Consul sulfectus war, so
ist zu erklären, wie die Consularfasten (Chronic. Pasch., Chronogr.
Rav., Idatius, Cassiodor) und dielnschriften beiOrelli, n. 1964und
403 das frühere Consulat unberücksichtigt Hessen.
In den Inschriften aber, worin dieses Consulpaar genannt wird,
ist gewöhnlich der Name Sacerdos mit II versehen:
Über römische Kaiser - Inschriften etc.
131
Orelli n. 6042 a : VlD-SEPT-[antonino] AVG-I1ET
SACERDOTE II COS
Gruter. 300. IMP-ANTONIN0 II ET SACERDOTE II
COS • P ■ R • C • ANN • DCCCCLXXII
Murat. 334, 3. DEDIC• KAL-IAN-DOMINO N
ANTONINO • PIO ■ FEL • AVG • 11 ET
SACERDOTE II COS.
Gruter. 987, 4. KAL-SEPT-D-N-ANTONINO AVG-Il
ET SACERDOTE II [COS],
Jedoch kommen auch Inschriften vor, worin hei Sacerdos die
Bezeichnung II fehlt, wie hei Gruter, 97, 4 = Orelli 402 und 360.
Muchar, Steiermark l,176 = Orelli 1964. Bei Orelli Inscriptt.
Ilelvet. n. 181 fehlt auch bei Antoninus die Zahl II:
IMP-DN-ANT
ET SACERDOT
COS
Der vollständige Name des Sacerdos war Q. Tineius Sacerdos.
Cf. Murator. 160, 6 und Marini fratr. Arv. p. 633:
. . . DOMINO NOSTRO AVG -II
. . Q-TINEIO SACERDOT II-COS
Der Name ANTONINO ist hier ausgetilgt.
Unsere obige Inschrift ist den in den celtischen Donauländern
verehrten Gottheiten Arubianus et Bedaius Sanctus, von welchen die
erstere mit dem römischen Jupiter zusammengestellt ward, gewidmet.
Der Fundort der Inschrift in Oberbaiern, der Name der leg. II.
Italica welche in Vindelieien und Noricum stand, und eine andere zu
Stöttham in Oberbaiern gefundene Inschrift d ie vom Jahre 223 rührt,
also nur wenige Jahre jünger ist, und ebenfalls auf dieselben Gott
heiten geht, passen gut zusammen. Letztere Inschrift welche bei
Ilefner 1. c. p. 233 und de Wa I 1. c. n. 296 gedruckt ist, lautet:
IN H-D-D I-O M-
ARVB-ET SANCTO
BED • VIND • VERVS
BF-COS-LEG IT ITAL
P-F-SEVEREX VOTO
POS-ID-MAIS
1MP-D-N-SEVE
RO ALEXANDRO
AVG.II ET MARCELLOlT COS.
9
132
Asclibach.
Wir ersehen daraus, dass im Jahre 226 am IS. Mai (also an
demselben Tage, wie in der früheren Inschrift) Verus, ein Benefieia-
rius Consularis hei der II. italischen Legion, die anstatt des antonia-
nischen Beinamens wieder ihre alten Prädicate Pia Fidelis führt, mit
dem Zusatze Severiana, nach seinem Gelübde (ex voto i. e. V. S. L.
M: Votum solvit libens merito) einen Denkstein setzte zu Ehren des
kaiserlichen Hauses dem höchsten Gotte Arubianus und dem Sanctus
Bedaius der Vindeliker (IN Honorem Divinae Domus tovi Optimo Maximo
ARUBiano ET SANCTO BEDaio VINDelicorum).
Eine von der Colonia Augusta Panhormitanorum (Palermo in
Sicilien) dem Kaiser lleliogabal gewidmete Inschrift (bei Mur at.
SSO, 1 = 0 r e 11 i n. 948) rührt aus demselben zweiten Regierungs
und Consulatsjahre 219, worin er mit Sacerdos Consul gewesen.
Diese Inschrift hat einige Austilgungen:
IMP-CAES-DIVI
MAGNI ANTONI
NI PII DIVI SEPTIMI
SEVERI ....
5
PK) FELAVG
PONT-MAX TRIB
POT-IICOS-II-COL
AVGPANHORM
10 D-D.
PII in der Zeile 3 muss offenbar FIL(io) gelesen werden: nach
SEVERI ist N(epoti) zu setzen; dann folgen die ausgemeisselten
Namen des Kaisers lleliogabal. Also haben die S ersten Zeilen der
Inschrift zu lauten:
IMP-CAES-DIVI
MAGNI ANTONI
NI FI Ir DIVI SEPTIMI
SEVERI N-M-AVR-
ANTONINO
4.
1MPM-AVRELIO
PIO FELIC • AVG • P • VALERIO
COMAZONTE II-COS
Über römische Kaiser - Inschriften etc.
133
Dieses Consulpaar gibt nach einer Inschrift Marini fr. Arv.
p. 094. Es unterliegt keinem Zweifel, dass es auf das Jahr 220 geht,
worin Heliogahal mit Comazon die Fasces führte, und dass demnach
nach M. AVRELIO der Name ANTONINO ausgemeisselt worden ist. Da
es das dritte Consulat war, welches Heliogahal bekleidete, so ist wohl
durch die ungenaue Abschrift veranlasst worden, dass wir nicht nach
AVG. vor P. VALERIO in der zweiten Zeile III lesen, wie hei Murat.
350, 2:
antonino AVG - III ET COMAzonte
P-R C-A-DCCCCLXXm
So findet sich auch in den lateinischen Fastis consularibus des
Chronogr. Ravenn., Idat. und Cassiodor übereinstimmend Antoniuus III
et Comazon angegeben.
In einem frühem Consulat war Comazon nur Consul sulfectus,
daher wird er in den fastis ohne II angegeben. Oder sollte der kai
serliche Günstling in gleicher Weise, wie Plautianus von Septimius
Severus zum Rang eines solchen Consuls der die fasces schon zum
zweiten Mal führte, erhoben worden sein?
Von diesem Freigelassenen 1 ) Comazon, der auch den Namen
Eutychianus hatte, handelt Dio Cass., der den Heliogahal fast immer
nur Pseudantoninus nennt, öfter an verschiedenen Stellen LXXVIII,
31, 32, 39. LXXIX, 4 und 21. Auch inschriftlich kommt der Name
Eutychianus hei Comazon vor. Orelli n. 4095:
IMP PIVS FELIX AVG^_. . . 7IT
ET EVTYXIANVS COMAZON II COS.
Marini 1. c. verbesserte sehr gut die hei Dio Cass. vorkom
menden verstümmelten Worte: Uhudmrwivot; zö y' xcd AoXloucdi
lvcopiä£wv durch l Psudavromvoj zo y' xcd IlovßX. OOaXs. Kwpiä£wv.
Den Namen Valerius Comazon finden wir auch in den fastis
Graecis; nur ist da der Name des Antoninus ausgefallen, und dann
aus Valerius Comazon irrthümlich das Consulpaar BäiUspios xcd
Kwp.dCwv gemacht.
*) Lamprid. Heliogab. c. 11: Fecifc libertos praesides, legatos, consul es. Der Name
Comazon (Lustigmacher) war der Beiname des Eutychianus: als römischer Frei
gelassener oder Bürger hiess er P. Valerius.
134
A sc hl» ach.
Eckliel (VIII. 43G) tlieilt aus einer Inschrift (las Consulpaar
des J. 222 mit:
IMP • CAES • M • AVlt •
SEVERO ALEXANDRO COS.
Es ist hier der Name des Heliogabal ausgetilgt und die Ergän
zungen sind in folgender Weise zu machen:
IMP■ CAES• M • AVR • antonino aug.IIIl et
SEVERO ALEXANDRO COS.
Dass Heliogabal mit seinem Vetter Severus Alexander sein
viertes Consulat bekleidete, steht fest durch die Inschriften hei Gruter.
85, 2. 528, 1. 1082, 8: durch die Schriftsteller Lamprid. Elagab.
c. 15; Herod. V. c. 7 und 8; durch die Datirungen der Gesetze aus
dem J. 222: (Antonino Aug. IV. et Alexandro Conss.) im Cod. Justin.
Auch die fasti bestätigen es: die fasti Graeci Voss. ’Avromvo? zd §'
xexi ’Ali&vdpos. Der über Pontif. Liberii hat (Callistus) usque An
tonino III (IUI) et Alexandro (Cos.).
Der Chronograph von Ravenna und Idatius haben auch richtig
Antonino IIII et Alexandro, ungenau ist das Chronicon Paschale:
’AvtwvIvou rö ß'(rö <J') v.al ’Ale^dvdpoi). Da aber nach dem Sturz und
der Ermordung des Heliogabal sein Name aus den fastis und den
Inschriften auf den öffentlichen Denkmälern entfernt wurde, so nannte
man anstatt seiner neben Severus Alexander den consul suffectus
Modestus wie einen consul Ordinarius. So heisst es in den fastis
Graeeis bei unserem Jahre 222: AOzoxpdzoip ’A)j£avrJpog xcri M63e-
aros 1 ). Cassiodor der keinen zweiten Consulnamen für das J. 222
in seinen älteren fastis vorfand, hat das sonderbare Consulpaar
Alexander et Augustus. Es findet sich auch im Cod. Justin, eine
1 ) Marini frat. arv. p. 6öl) sagt von ihm: e questo Modesto ignotissimo. Es ist wohl
derselbe Modestus, welcher mit Probus im J. 228 Consul war und in der Inschrift
hei Gruter. 300, 1 noch die Namen Ti * Manilius führt.. In der Inschrift hei Mommsen
(I.R.N.) n. 1399 führt er in Bezug auf sein früheres Consulat im .1. 222 bei seinem
Namen die Zahl II: Modesto II et. Probo Cos. Auch die fasti Graec. Voss, haben:
M68s<jto? tö ß' xai IIpößGS.
Über römische Kaiser-Inschriften etc,
135
Anzahl kaiserlicher Gesetze aus dem Jahre 222, welche bezeichnet
sind allein von Alexandro A(ugusto) Cons.*).
In dasselbe vierte Consulat des Heliogabal (222) gehört wohl
auch folgende hei Durlach in Baden gefundene Inschrift auf einem
Meilenstein, welche bei Gruter. 1078, 7, Schoepflin Alsat. 1. p. 5S8,
Orelli n. 949 und Andern gedruckt ist:
IMP • CAES • DIVI SEVERI NEPOTI DI
VI ANTONINI MAG
FIL-M-A ....
S III COS
IIII-P-P-PROCOS C-A
AQ-AB AQ-LEVG-IIII
Die ausgemeisselten Stellen sind zu ergänzen und die Notae aufzu
lösen wie folgt:
i) In das Jahr 222, wo Severus Alexander einige Zeit lang alleiniger Consul gewesen,
und nicht in das J. 226 ist auch die hei Bonn gefundene Inschrift (Gruter. 93 , 1 ;
Lersch, Centralmus. II, 20; Orelli n. 305 ; Steiner Inscr. Dan. et Rhen. 1048) zu setzen:
VICTORIAE AVG | C PVBLICIVS C-FILIVS SEPTIMIA | SISCIA PRISCILIANVS PR |
LEG • I • M... F • | I) • I) • DEDICANTE FL-APRO | COMMODIANO LEG-AVG-PR-
PR - | ET AVFIDIO CORESIN- MARCELLIN-LEG • LEG • EIVSD | D'N'SfiYERO
ALEXANDRO AVG-COS. Henzen in Orell. coli. Inscr. p. 35 ad n. 505 meint PR.
(Orelli liest PP. primipilus) könne hier nicht PRaefectus bezeichnen: qiiuin leg atu s
legionis postea commemoretur, praefecto in eadem vix locus erat. Wir sind nicht
dieser Meinung. In der Inschrift wird die zu ßonna iin Standlager stationirende Leg. I.
Minervia Pia Fidelis genannt. Septimia Siscia war eine pannonische Stadt am Einflüsse
der Culpa in die Save, jetzt Sissek geheissen. Wie Aquincum in Pannonia Inferior
den Beinamen Septimium von Kaiser Septimius Severus führt, Orelli n. 505 , so auch
ist der Beiname hei Siscia zu erklären. Wir stimmen ganz Menzen 1. c. hei, dass hier
nicht die Namen der Consuln entstellt angegeben werden, sondern nur der Name des
Severus Alexander ausgetilgt sei, qui quum consul cum Elagabalo processisset, post
mortem eius solus in saxo commemoratus est. Dass damals der ältere Gordianus mit
Severus Alexander zugleich Consul gewesen, wie man aus zwei Stellen hei Capitoli-
nus (in vit. Gordianor.) vermuthen könnte, dagegen lässt sich manches einwenden.
C. 4. (Gordianus senior) consulatum primum iniit cum Antonino Caracallo (213),
secundum cum Alexandro. c. 2: Ipse ex consul atu, quem e gerat cum
Alexandro, ad proconsulatum Africae missus est ex senatus con-
sulto. Lamprid. Alex. c. 28: Consulatum (Alexander) ter iniit tantum ordinarium ac
primo nundino sibi alios semper suflecit. Viel wahrscheinlicher ist es, dass Gordianus
im .1.229, als Alexander das dritte Consulat mit Dio Cassius bekleidete, Consul
sufl'ectus gewesen.
130
Aschlia cli.
IMPeratori CAESari DlVI SEVEIU NEPOTI DI
VI ANTONINI MAGni
FILIO M-AVRELIO
ANTONINO PIO FELICI AVG
PONTIF • MAX • TRIB • POT •
V-COnSuli
1111 Patri Patriae PROCOnSuli Civitas Aarelia
AQuensis AB AQais LEVGae IIII
Die Civitas Aurelia Aquensis ist Baden-Baden bei Rastadt, welclie
auch einfach Aquae genannt wurde.
VI. Verstümmelte Inschriften, welche sich auf Severus
Alexander beziehen
1.
. . . ERATORI-CAESARI
. . . SEVERI PII-NEPOTI DIVI
. . NINI MAGNI-PII F M AVRELIO
. ..... . . . , .
. . . F MAX TRIBVN POT II-COS P P
. . . NS -DEVOTI-NVÄIINi • MAIESTAT]Q ’EIVS
•D
Man könnte versucht sein , vorstehende Corner Inschrift welche
bei Aldini, Marmi Comensi p. 5S, Avellino, Bull. Nap. I. p. 53 und
Orelli-Henzen n. 5517 gedruckt ist, auf Heliogabal zu beziehen:
allein bei ihm würde die Bezeichnung Tribun. Pot. II. Cos. nicht
passen, in seinem zweiten Regierungsjahre war er auch zum zweiten
mal Consul. Dagegen passt sie ganz auf Severus Alexander der auch
die Namen M. Aurelius hatte und in seinem ersten Regierungsjahr
wohl schon Consul war, aber im zweiten nicht wieder das Consulat
bekleidete. Es rührt die Inschrift aus dem Jahre 223 her und man
wird wohl ganz Avellino bestimmen, wenn er die Inschrift wie folg!
ergänzt:
O Cf. Avellino apuscoli iliv. Napoli III, ISS«, pag. 211; Avellino, Bullctino arclieol.
Napolit. I. p. 53, ßorghesi, Mcmorie delC Institut, ili corr. arcli. p. 297.
Über römische Kaiser - Inschriften etc.
137
imp ERATORI • CAESARI
divi SEVERI ■ PII • NEPOT • DIVI
anto NINI • MAGNI • PII • F • M • AVRELIO
severo .alexandro.pio .felici.aug.
ponti F• MAX • TRVRVN■ POT• II• COS • P • P
come NS • DEVOTI ■ NVMINI • MAIESTATIß • EI VS
d-D
2.
IMP-CAESARI
DIVI SFPTIMI-SEVERI
PI I • NEP • DIVI • ANTONIN1
MAGNI- PII-FILIO
S M-AÜRELIO-SEVERO
AI!!!!!!! PIO FELICI
AVG-PONTIFIC-MAXIM
TR1B • POT • V • COS ■ II ■ P • P
COL-FL-AVG-PVTEOLI
Diese im Jahre 1751 zu Puteoli gefundene Inschrift ist jetzt
in Neapel. Mommsen der sie selbst abgeschrieben hat, theilt sie in den
Inscr. R. N. Nr. 2495 mit; die Ausmeisseiungen sind theihveise noch
lesbar. Auch Avellino opuscoli divers. III. p. 212 gibt die Inschrift.
Nach ihrem Inhalte hat Puteoli, die Colonia Flavia Augusta, dem
Enkel des Septimius Severus Pius, dem Sohn des Antoninus Magnus,
dem Imperator Caesar Marcus Aurelius Severus Alexander Pius
Felix Augustus, Pontifex Maximus, im fünften Jahre seiner tribunici-
schen Gewalt (i. e. a. 226 p. Chr.), als er schon zweimal Consul
gewesen, dem Vater des Vaterlandes, den Denkstein gewidmet. Zu
vergleichen mit unserer Inschrift ist die Münze bei Eekhel VII, 271:
IMP ■ SEV-ALEXANI) • AVGf P-M TR • P-V-COS-II P P. Aus diesen und
anderen Inschriften (z. B. Mommsen n. 2494) ist zu ersehen, dass
Severus Alexander auch die Namen M. Aurelius geführt hat.
Auf dasselbe zweite Consulatsjahr des Severus Alexander ist auch
das inschriftliche Fragment bei Marini frat. Arv. p. 556:
.... AVG-ET MARCELLO COS
zu beziehen.
Severus Alexander führte im Jahre 226 sein zweites Consulat
mit Marcellus, dessen vollständiger Name nach Clinton (fast. Rom.
wohl nach Lamprid. Alex. c. 67) Quintilius Marcellus, nach dem Art
de verifier los dates L. Aufidius Marcellus,nach anderen C. Marcellus
138
Aschbacli.
Quintilianus war. Dass der in der Inschrift bei Murat. 336,2 vor-
kommende AVFIDIO MARCELLO II COS. unser Consul vom Jahre 220 ist,
ist jetzt festgestellt durch die richtigen Ergänzungen der Muratori-
schen Inschrift bei Orelli n. 0052:
Imp. Seve Ro ALexand RO ■ plo | fei. aug. L • AVFIDIO MARCELLO II COS.
Vgl. ein anderes Fragment Orelli n. 0047: SeVERO alcxandro PIO FEL-
AVg II et marcELLO aufidio II cos.
Marcellus war demnach schon früher Consul suffectus gewesen
und das von ihm wiederholt bekleidete Consulat wird daher auch
bezeichnet in den fastis Graec. Voss. (Esurjpo? ro ß' xcä MdpxMog
ro ß') und in den Inschriften bei Hefner (Oberbair. Arch. VI, 2,
233): IMP-D-N-SEVERO ALEXANDRO II ET MARCELLO II COS. ln der
Inschrift bei Gruter. 84,3 : IMP ... SEVERO ALEX-IT-ET MARCELLO COS,
wie auch in den lateinischen fastis, im Chronic. Paschale und im
Cod. Justin, ist nur einfach Marcellus angegeben.
3.
In Bezug auf das Jahr kann nicht näher bestimmt werden die
folgende verstümmelte Inschrift, welche in unseren Tagen zu Lam-
baesa in Algerien gefunden und von Benier in seine Sammlung der
Inscr. Rom. de l’Alg. n. 91 aufgenommen und auch bei Orelli-Henzen
n. 7420 fa p. 524 abgedruckt ist. Sie lautet mit den Ergänzungen
Renier’s:
IMP-CAES M AVRELIO SEvero alcxandro
PIO FELICI AVGVSTO pont.max.ct.iuliae
mammaeac aug.matri aug.et castr.et senat
CVRIAE SARINAE SENIORES etc.
Mit unserer Inschrift lässt sich eine andere bei Malfei Mus.
Veron. p. 459, 1 vergleichen, worin sich zwar noch der Name des
Severus Alexander erhalten hat, aber der seiner Mutter Julia Mam-
maea ausgemeisselt ist.
4.
!!!!!!!!!!!!
!!!!!!!!!!!
!!!!!!
IMP • CAES • M ■ AVRELII
8 SEVERI!!!!!!!!
PII FELICIS AVG
COLONIA FLAVIA
AVG-PVTEOLI
Übei 1 römische Kaiser-Inschriften etc.
139
Mommsen der diese in Puzuoli gefundene, jetzt in Neapel auf-
bewalirte Inschrift abgeschrieben bat und in seinem Werke Inscr.
Regn.Neap. n. 2496 mittheilt, bezieht die drei ersten ausgemeisselten
Zeilen auf des Severus Alexander Gemablinn Sallustia Barbia Or-
biana. Es ist dieses aber nicht mit Sicherheit zu behaupten. Avellino
(opusc. div. III, p.213) lässt unentschieden, ob sie auf dieGemahlinn
oder die Mutter des Kaisers zu beziehen sei. Wir glauben, dass sie
eher auf die Mutter Julia Mainmaea bezogen werden müsse, deren Na
men auch sonst so häufig mit dem des Severus Alexander ausgetilgt
ist. Jedenfalls stand in der dritten Zeile Augustae. In der fünften ist
ALEXANDRI ausgemeisselt. Die Sallustia Barbia Orbiana wird nicht
von alten Schriftstellern als Gemablinn des Severus Alexander genannt:
wir kennen ihren Namen nur aus Münzen und Medaillons, und ist es
höchst wahrscheinlich, dass sie die Gemablinn des genannten Kaisers,
und nicht des Trajanus Decius gewesen. Vgl. Arneth, über die
Inschrift der gens Barbia zu Enns. Wien 18S6, p. 22 ff.
Hieher gehört auch die sicilianisch-tyndaritanische Inschrift
welche wir bei Avellino Opusc. div. III, 213 und in Bullet, dell’ Instit.
1845, p. 62 lesen, welche früher ungenau bei Orelli nr. 955 abge
druckt war:
1VLTAE • MAMEAE • AVG
MATRIS • IMP • CAES ....
AVRELII S EVE RI
. . . XANDRLP1I-F
AVGVSTAE FI CASTRORV
IIESP • COL • AVG • TYNDAR
Orelli vermuthete, es sei anstatt FICASTRORV zu lesen FILIAE
CASTRORVM, was ganz unrichtig ist. Avellino ergänzt und liest
die Inschrift ohne allen Widerstreit richtig:
IVLIAE MAMEAE-AVG
MATRIS-IMP-CAES
.... AVRELII SEVERI
aleXANDRI PII FELicis
AVGVSTI-ET CASTRORVm
RESP • COL ■ AVG • TYNDAR
Vor AVRELII ist Marci zu ergänzen, nach CAES. in der zweiten
Zeile scheint nichts ausgetilgt worden zu sein.
140
VII. Den Kaiser
A s c h h fi e h.
Julius Verus Maximinus betreffende
Inschriften.
i.
IMP-CAES
MINO PIO FELICI
INVICTO AVG-P-M
5 TRIB-POTEST-COS
P-P-ET C-IVL-VERO
NOBI
LISSIMO CAES
AB AVG-MP-CXXX
Vorstehende Inschrift auf einem Meilensteine welcher in den
Tiroler Alpen, in der Nähe des Brenner, gefunden worden, ist bei
Maffei Mus. Veron. p. 433, 8 gedruckt. Sie bezieht sich auf das
Jahr 236, worin der Kaiser C. Julius Verus Maximinus sein erstes
Consulat bekleidete, indem er schon im Jahre vorher nach der Ermor
dung des Severus Alexander (am 10. Februar) seine Regierung ange
treten und seinen gleichnamigen Sohn zum Cäsar erhoben hatte. Die
Ergänzungen an den ausgeineisselten Stellen haben zu lauten:
IMP-CAES-c.iu
lio vero maxi
MINO PIO FELICI
INVICTO-AVG-PM.
3 TRIB. POTEST .COS
P-P-ET C-1VL-VERO
maximino NOBI
LISSIMO-CAES
AB AVG-M-P-CXXX
Eckhel VII, 291 gibt eine Münze von Maximinus aus demsel
ben Jahre: IMP. MAXIMINVS PIVS AVG. + P. M. TR. P. II COS. P. P.
Maximinus bekleidete sein einziges Consulat zugleich mit
M. Pupienius Africanus (cf. Orelli-Henzen n. 6033 und 6038).
Die zwei leges Maximini im Cod. Justin. II, 3, 13 und V, 12, 6 sind
datirt: Maximino A. et Africano Conss. Dagegen in den meisten
fastis wird unser Kaiser Maximus genannt. Auch der über Pontificalis
Libcrii nennt ihn so (Anterus III Non. Jan. Maximo et Africano Cons.).
Über römische Kaiser - Inschriften etc.
141
Cassiodor aber bat Maximinus et Africanus. Es war im dritten
Jahrhundert sehr gewöhnlich, manche Namen auf us abwechselnd
auch auf inns endigen zu lassen, so z. B. Modestus und Modesti-
nus, Marcellus und Marcellinus, Probus und Probinus. So konnte
auch Maximus und Maximinus gesagt werden, und es scheint, dass
der Kaiser Maximinus und sein gleichnamiger Sohn abwechselnd der
langem und kurzem Form sich bedienten. Die Geschichtschreiber
Julius Capitolinus und Ilerodianus haben nur die längere
Form. Vielleicht verleitete Eitelkeit den sogenannten barbarischen
Kaiser, der seinen gothischen Namen mit einem lateinischen ver
tauschte und wegen seiner Körpergrösse den Namen Maximinus
wählte, diesen später in Maximus umzuändern: sein Sohn wenigstens
führt diesen selbst in Inschriften. Man vergl. was darüber Morcelli
de stilo p. 339 und Borghesi Inscr. B. (Annal. dell' Instit. 1829,
p. 129) darüber gesagt haben. Vaillant numism. gibt die Legende
von einer Münze unserer beiden Maximini: MAXIMINVS ET MAX1MVS
AVGVSTI GERMANICI. Inschriften, worin der jüngere C. Julius Verus
Maximus vorkommt, bei Orelli n. 3324 sq.
2.
PRO SALVTE
IMP •MAXIMINI AVG-ET
MAXIMINI CAES
tAVROBOLIVM-MO
ä VIT • PETRONIVS • MA
RCELLVS•SACERD
DE SVO
Die zu Teate im Königreich Neapel gefundene Inschrift gibt
Murat. 130, 3 und Mommsen n. 3307. Die Spuren der Namen
Maximini zeigten sich noch trotz der versuchten Austilgung derselben.
Mit Unrecht neigt sich Mommsen dahin, in unserer Inschrift nicht
die Nachfolger des Kaisers Alexander Severus, sondern die Zeit
genossen Constantin’s des Grossen zu erkennen.
3.
VOTIS
X ANNALIB
FELICITER
PRO SALVTE ET REDITV DN-IMP-CAESARIS
PIO FELICI
INVICTO AVG •DOMITIVS BASSVS i, PR-AGENS
VICE PRINCIPIS • FEREGRINORVM ■ TEMPLVM ■ IOVIS-REDVCIS C■ P- OMNI
CVLTV DE SVO EXORNAV1T
VOTIS
XX ANNALIB
FELICITER
142
Aschbach.
Obige römische Inschrift welche Gruter. 22, 3 und Orelli
n. 1236 geben, ist eine zu verschiedenen Zeiten in zweifacher Weise
verstümmelte. Wie wir sie gegenwärtig lesen, so geht sie auf den
Kaiser C. Julius Verus Maximinus, dessen Name zwischen Caesaris
und Pio ausgetilgt sind. Henzen der den Stein selbst in Rom
gesehen, bemerkt, dass noch darauf die Spuren von den Namen
C- IVLIO VERO MAXIM1NO erschienen. Aber ursprünglich war der Stein
dem Kaiser Severus Alexander und seiner Mutter Mammaea gewidmet
und die Inschrift lautete, wie Borghesi Mein. dell’Inst. arch. p. 299;
Kellermann ap. Orell. Analect. epigr. p. 37 und Henzen ad
Orelli n. 1236. III, p. 128 sie wiederherstellen, folgendermassen:
PRO SALVTE ET REDITV DN-IMP-CAESARIS M-AVR
SEVERI ALEXANDItl AVG-ET 1VLIAE MAMMAEAE AVG-MATR1S
AVG-ET CASTRDOMITIVS BASSVS t, PR-AGENS
VICE PRINCIPIS • PEREGRINORUM • TEMPLVM • IO VIS • REDVCIS
C-P-OMNI
CVLTV DE SVO FXORNAVIT
Die Worte nach Caesaris bis Domitius wurden ausgemeisselt
und darüber in folgender Weise geschrieben:
PRO SALVTE ET REDITV DN • IMP • CAESARIS I !
|(• IVQO • VERO • MAXIMINO t PK>TeLIC1|
|IWCT0TvgT] DOMITIVS BASSVS $ PR-AGENS etc.
t, wird als gleichbedeutendes Zeichen mit q. i. e. Centurio
genommen; PR. wird durch PRaetorianorum erklärt: vielleicht
ist es richtiger zu lesen FR. i. e. Centurio FRumentarius, wie bei
Gruter. 347, 1. P• AELIO — CENT• FRVM• SVß PRINCIPE PEREGR1NO-
RVM.CP wird bei Orelli durch Castra Peregrinorum erklärt 1 ).
*) Über eine in Nordafrika bei Tunis gefundene Inschrift, worin der Name des
K. Maximus bei dem Aufstande der Gordiane ausgetilgt, sp.äter aber nach der
Widerherstellung seiner Herrschaft wieder von neuem eingeschrieben wurde,
vergl. man Bulletin, dell’ Instit. arch. 1845. p. 172.
143
Über römische Kaiser-Inschriften etc.
Ylll. Auf Dioeletian und seinen Mitkaiser Maximian
bezügliche Inschriften,
i.
AQVAE DVCTVM
LEG ITl AVG DIOCLE+
ANI ET MAXIMIAN AVGG
NN MVLTORVM INCVHl
5 ADILÄPSVM ET PERLO
NGAMANNOltVM SElt
EM NEGLECTVM INVIC
TISSIMI AG RESTITVTO
RES ET PROPAGATORES
10 ORBIS SVI DIOCLF.f ANYS
ET MAXIMIN AN VS AVGG
CVRANTE AVRELIO
MAXttiANO V P P P N
ET CLODIO HONORATO
15 VE PRAEF LEG EIVSO
IN MELIVS REFOR
MATVM AD NTEGRI
TATEM RESTITVE
11VNT
In neuester Zeit gefunden zu Lambaesa in Nordafrika und
gedruckt bei Renier Inscr. Rom. de l’Algerie, N. 109 und Orelli-
Henzen n. 7420 a. Renier bemerkt dabei, dass die Namen von
Dioeletian und Maximian in den Zeilen 2, 3, 10 und 11 ausgemeisselt
sind, jedoch nicht in solcher Weise, dass sie vollständig vom Steine
verschwunden. Die Buchstaben ANI im Anfang der 3. Zeile sind
unbeschädigt. VPPPN in der Zeile 13 ist zu lesen: Yiro Perfectissimo
Praeside Provinciae Numidiae, und die IS. Zeile: Viro Egregio
Praefecto Legionis Eiusdem.
2.
PIISSIMO
!!!!!!!
!!!!!!!
AVG AC SVPEROM
5 NES RETRO PRINCI
PESFORTISSIMO
AVREL1VS
DIOGENES VP
P P N NVMINI
10 E1VS DICATIS
SIMVS
144
Asch ha ch.
Die Inschrift ist ebenfalls in neuester Zeit bei Larribaesa
gefunden und durch den Druck publicirt von L. Renier Iris’criptions
Rumaines de l’AIgerie, N. 111. Die 1. und 2. Zeile ist ausgemeisselt.
Renier stellt sie wieder her mit IMPeratori DIOCLETIANO INV1CTO.
Der Aurelius Diogenes war Vir Perfectissimus Praeses Provinciae
Numidiae, was die Buchstaben VPPPN andeuten. Die Austilgung des
Namens Diocletian ist wohl später von den Christen ausgegangen,
wegen der Verfolgungen die er über sie verhängt hatte.
3.
GENIO CASTRORVM
LEG • III • AVG • PRO
SALVTE ET INCOLVMITATE DD-NN
IMPP
S
M-AVREL DECIMVS
V P P P-N-EX PRINC
CIPE PEREGRINO
RVM VOTVM
10 SOLVIT DEVO
TVS numini majes
TATIQVE E1VS
Obige gleichfalls in neuester Zeit zu Lambaesa gefundene
Inschrift welche bei Renier Inscr. Rom. de l’Alg. 103 und bei
Orelli - Uenzen n. 7416 S gedruckt ist, muss auf Diocletian und
Maximian, deren Namen in der Zeile 4 und S ausgemeisselt sind,
bezogen werden.
Unsere Inschrift kann zur nähern Erklärung von zwei anderen
verstümmelten Inschriften dienen, welche von demselben M. Aurelius
Deeimus VPPPN Kaisern gewidmet ist. Die eine ist ebenfalls in Nord
afrika (zu Constanline) gefunden worden (Excursions dans l’Afriq.
septentr. n. 72 und Orelli-Henzen n. 6922) und lautet:
FEL1CI AVG P0NTIFIC1
MAXIMO TRIBVNICIAE PO
TESTATIS BIS CONSVLI PAT
RI PATRIAE CONSVLI I'ROCON
SVLI MAVRELIVS DECIMVS
VI P P N EX PRINCIPE PEREGRI
NO DEVOT
Über römische Kaiser-Inschriften etc.
145
Mommsen im Bulletin, dell’ Instit. auch. 1852, p, 169 und in
dem Bericht der sächs. Ges. d. W. 1852, p. 222 glaubt, dass in
den beiden ersten ausgemeisselten Zeilen die Namen des Maximianus
gestanden, und dass die Inschrift auf dessen zweites Jahr seiner
Mitregierung mit Diocletian, also ins J. 287, zu setzen sei: welche
Meinung wohl allen Beifall verdient: die Buchstaben VIPPN sind
nach den vorhergehenden Inschriften in VPPPN zu ändern.
Ebenso muss man Mommsen beistimmen in Bezug auf die Er
gänzung einer dritten Inschrift, welche von eben demselben M.
Aurelius Decimus ausgegangen und gleichfalls in Nordafrika (zu
Cirta) in neuester Zeit gefunden worden ist. Sie lautet nach dem
Drucke (Excursions dans l’Afr. sept. n. 72 und Orelli nr. 5522):
FELICI AVG PONTIFICI
MAXIMO GERMANICO
ö MAXIMO TRIBVNICIAE PO
TESTATIS BIS CONSVLI PAT
RI PATRIAE CONSVLI PROCON
SVLI M AVRELIVS DECIMVS
VI P P N EX PRINCIPE PEREGRI
10 NO DEVOT
Die Inschrift ist offenbar von demselben Steinmetz. Mit Aus
nahme der vierten Zeile MAXIMO GERMANICO, welche in der Con-
stantinischen nicht vorkommt, ist Wort für Wort, selbst die Zeilen
abtheilung und das Versehen im Anfang der Zeile 9 VI für VP wieder
holt; auch kommt die fehlerhafte doppelte Setzung von CONSVLI vor.
Wenn in der frühem Inschrift die Namen des Maximianus ausgemeis-
selt sind, und sie auf das J. 287 zu beziehen ist, so muss beides
auch von unserer letzten Inschrift gelten. Wir sehen daher keinen
Grund ein, warum Mommsen (Bericht der sächs. G. d. W. 1852,
p. 222) hier das J. 286 annehmen will. Uenzen (Orelli nr. 5522)
aber ist offenbar im Irrthum, wenn er die beiden ersten Zeilen anf
Maximinus zweites Begierungsjahr 236 bezieht und an den ausgemeis-
selten Stellen ergänzt:
imp . caes . c . iulio
vero maximino pio
Sitzb. .1. phil.-hist. CI. XXIV. Bd. I. Hft.
10
146
A s c h b a c li.
IX. Auf Galerius Maximianus und Maxentius bezügliche
Inschriften.
1.
IMP • CAES • C • VAL • DIOCLE
TIANVS • P • E • IN VICT • AVG • ET
IMP • CAES • M ■ AVREL ■ VAL • MAXI
MIAN • P • F • INVICT • AVG • ET
FL • VAL • CONSTANTIVS
5
NOB--CAES-
m-p-vTITi
Vorstehende Inschrift auf einem Meilensteine gibt Maffei Mus.
Veron. p. 103, 2. In der Zeile 6 ist der Name des Galerius, des
argen Christenfeindes, ausgemeisselt: es ist daher nach Constantius
zu ergänzen ET C • GAL ■ VAL ■ MAXIMIAN und NOB • • CAES. hat ur
sprünglich NOBB • CAESS geheissen.
Ähnliche Austilgungen haben auf dem Meilensteine stattgehabt,
der an der Via Appia im Königreich Neapel gefunden worden ist.
Mommsen gibt die Inschrift wie folgt n. 6288 (cf. Orelli 10S8):
D D N N DIOCLE
TIANI ET MAXI
MIANI AVGG-ET
CONSTANTI ! !
!!!!!! N !!!!!
CAES ! M.P.I1I
Der Schluss ist zu lesen:
ET
GALERI NOBILL
CAESS-M-P-III
2.
r\f
Ein Fragment von einer Steinschrift, das in Apulien gefunden
worden, welche Mommsen n. 1104 mittheilt. Sie geht auf Constantin’s
—
Über römische Kaiser-Inschriften etc.
147
des Grossen Gegner Maxentius, dessen Namen trotz der versuchten
Austilgung noch ziemlich lesbar sich erhalten hat.
X. Verstümmelte Inschriften, welche sich auf die
Constantinische Familie beziehen.
1.
DN
P • VALEIl • CONSTANTINO
INVICTO
AVG-BONO OMNIVM
NATVS ET
5
D-D-D-N-N-N-DELMATIO
CRISPO
ET CONSTANTINO
N N N-0 0 OB R ß-CAESSS
M-XX
10
Mommsen (Inscr. R. N. n. 6281_), der diesen nahe hei Capua
gefundenen Meilenstein nach dem Vovage pittoresq. de Naples et
Sicile III, p. 7S und Logoteta, tempio d’Iside p. 12 mittheilt,
bemerkt, dass der Caesar Delmatius nicht mit dem Caesar Crispus
(von 317 — 326) genannt werden kann, sondern dass man an diese
Stelle den Licinianus oder Licinius (den Sohn) als Cäsar mit Crispus
und Constantinus (von 317 — 323) erwarte. Der Name des Licinius
wurde später ohne Zweifel ausgemeisselt und darüber der Name des
Delmatius geschrieben J ). So finden sich noch zwei andere Meilen
steine die ebenfalls in Unteritalien gefunden wurden, mit dem aus
getilgten Namen des Licinius. Den einen gibt Mommsen n. 629 8
mit den Ergänzungen:
Bin Meilenstein, der eine unverstiimmelte Inschrift auf Licinius und seinen Sohn Lici
nianus gibt, ist gedruckt hei Mommsen 1. c.
C • FLAV ■ GALER • LICINIVS
AVG-BONO OMNIVM
NATVS
D-D-n-N-N-N
CRISPO LICINIANO
ET CONSTANTINO
NNN • 000 • BBB • CAFSSS
M-XX
10
148 Aschbach.
d D nN
coNSTANTI
NI-MAXIMI
et lieinii [patris]
3 AVGG-ET
BEATISSIMO
RVM-CAES
ARVM
B-R-P-N
10 [bono reipubl. natorum]
den andern Henzen bei Oreili 5S72:
D-N
P • VALER • CONSTANTINO
INVICTO
AVG-BONOOMN1VM
3 NATVS-ET
DvD'D'N'N'N'licinio [filio]
CRISPO
ET CONSTANTINO
NNN • 000 • BBB • CAESSS
10 M-XX
2.
DOMINAE NOSTRAE FLAVIAE AVGVSTAE
HELENAE • DI VI • CONSTANTI • CARISSIMAE
CONIVGI PROCREATRICI D • D • CONSTANTINI
MAXIMI • PIISSIMI • AC • VICT0R1S • AVGVSTl
ä AVIAE DOMINORVM NOSTRORVM 111111
1111 CONSTANTINI • ET• CONSTANTI ■ BEATISSI
MORVM • AC • FELICIVM • CAESAR VM
ALPINIVS MAGNVS V ■ C • CORR • LVCANIAE • ET
IBRITTIORVM • STATVIT DEVOTVS EXCELLEN
10 TIAE ■ PIETATIQVE • EIVS
Obige Salernitanische Inschrift findet sich bei Murat. 261, 1;
Oreili 1074undMommsen n. 106. Die beiden Lücken Zeilebund 6
sind durch CRISPI und ET. auszufüllen; man hat früher wellen FLAVI
vor CONSTANTINI ergänzen, was Henzen ad Orell. III, p. 113 mit
Recht für unstatthaft erklärt. Garucci (Iscr. di Salerno 18S1, p. 19,
n. 4) will am Ausgange der Zeile 5 noch Spuren des Namens CRISPI
erkannt haben. IBRITTIORVM statt BRVTTIORVM ist wohl durch Ver
sehen des Steinmetzen geschrieben; auf dem Steine selbst aber
befindet sich nach der ausdrücklichen Erklärung Mommsen’s der
Über römische Kaiser - Inschriften etc.
149
Fehler. Die Inschrift wurde zwischen dem Jahre 323, worin Con-
stantius zum Cäsar ernannt, und dem Jahre 326, worin Crispus hin
gerichtet ward, gesetzt.
3.
PIISSIMAE • AC • VENERAVI
LI D • N • FAVSTAE • AVG.
VXORI D-N-MAXIMI
VICTORIS-AVG
3 CONSTANTINI proc
rEatric I-D-D D-N-N-N
CONSTANTIS • CONTANTINI
eT CONSTANTI-BAEA
TISSIMORVM AC felic
10 ium caesaRVM OR
do ct populus surrentinorum
Eine am Ende nicht durch Ausmeisseiungen oder Abkratzungen,
sondern durch den Zahn der Zeit sehr verstümmelte Inschrift die
sich zu Sorrento im Königreich Neapel befindet, wo sie Mommsen
selbst abgeschrieben hat. Sie ist abgedruckt bei ihm nr. 2114. Man
hat früher sie auf die Helena, Mutter Constantin’s des Grossen, bezo
gen, und daher die Lücken mit HELENAE und MATRI ausgefüllt. Cf.
Gud. Inscr. ant. 93, 3. Mit Recht sind von Mommsen diese Inter
polationen des italienischen Archäologen Capaccio verworfen worden.
Vgl. Borghesi Bullet, dell’ Instit. 1845, p. 63 und Mai Script.
Vatic. V, p. 238. Neuerdings ist die Inschrift von Garucci in Bullet.
Napol. nuova scrie, anno II. p. 53 und Uenzen bei Orell. III, n. 5581
herausgegeben und erläutert worden.
Es ist das einzige Denkmal was sich von der Kaiserinn Fausta
erhalten hat; Borghesi und Garucci behaupten, dass es erst nach
ihrem Tode gesetzt worden sei, und schliessen dieses aus ihrem Prä-
dicate Venerabilis. Dass der Name des Constans vor den Namen der
älteren Brüder gesetzt ist, sucht Garucci dadurch zu erklären, weil
ihm die Regierung von Italien zugefallen war und eine dort errichtete
Inschrift ihm daher eine ausgezeichnete Stellung zuweisen musste.
Borghesi meint, dass es nicht wahrscheinlich sei, dass die Inschrift
noch hei Lebezeiten Constantin’s des Grossen, zu Ehren der auf seinen
Befehl hingerichteten Fausta gesetzt worden sei; da aber die Söhne
damals nicht den Namen Augustus führten, so müsste die Inschrift in
150
Aschbach. Über römische Kaiser-Inschriften etc.
einer Zeit verfasst sein, wo die Söhne nach dem Tode des Vaters noch
nicht Augusti hiessen. Constantinus der Grosse starb am 22. Mai 337,
die Söhne wurden erst am 9. September desselben Jahres zu Augusti
ausgerufen. Es fällt demnach die Errichtung des Sorentinischen Monu
mentes zwischen den Mai und September des Jahres 337. Erst
später, als Constans getödtet worden, wurde sein und seiner Mutter
Name aus der Inschrift getilgt. Diese Auffassung der Sache, welche
Borghesi, Garucei und Henzen geben, hat vieles für sich und
man wird nicht umhin können, ihr beizustimmen.
4.
. . . E-BENEMERENTMN PACE
. . . VII-M-II-DEP III-NON-FEB
AVG-II1I ET ET SALLVSTIO CONSS
Vorstehende von Maffei Mus. Veron. p. 293, 8 mitgetheilte
christliche Grabsehrift rührt aus dem Jahre 363, als Kaiser Julianus
Apostata und Sallustius das Consulat bekleideten. (Vgl. die fasti con-
sulares, Ammian. Marcellin. 23, 1. Julianus jam ter consul, adscito
in collegium trabeae Sallustio praefecto per Gallias quater ipse
amplissimum inierat magistratuin. Inscriptt. b. Mommsen n. 7150.
Maffei Mus. Ver. 310, 5 und 357, 4.) Es ist demnach vor AVG.IIII
zu ergänzen IVLIANO. Das darauf folgende ET ist durch den Stein
metz irrthümlich doppelt gesetzt. Da der Stein auch sonst sehr
beschädigt ist, so ist nicht mit Sicherheit zu behaupten, dass die Aus
tilgung des Namens im Alterthume schon mit Absicht gemacht
worden ist.
Dagegen ist die absichtliche Verstümmelung der folgenden
Inschrift (Zaccaria excurs. Iit. per Ital. p. 50, 6) durch die Hand
eines Christen nicht zu bezweifeln.
RCAESAR
. . . AX1MVS
IVJJANVS
AVGVSTVS
Hier ist der Name des Kaisers nicht ausgetilgt, sondern mit
grosser Sorgfalt ist durch den Meissei PONTIFEX M. ausgemerzt,
welchen Titel man bei dem vom Christenthuine abtrünnigen Herrscher
besonders anstössig fand.
Verzeichniss der eingeg-angenen Druckschriften.
151
VERZEICHNISS
der
EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(JUNI.)
Academie Imp. des Sciences de St. Petersbourg.Memoires Sciences
politiques, histoire etc. Serie VI. Tom. 8.
— Sciences naturelles. Tom. 9.
— Memoires, presentes par divers savants. Tom. VII.
— Bulletin Classe physico-mathemat. Tom. 12—IS.
— „ „ historico-philologique. Tom. 11 — 13.
— Compte-Rendu 18S4/SS.
Aecademia delle scienze di Torino. Memorie. Vol. 16.
Akademie, kais. Leopold. -Karo]., der Naturforscher-Verhandlungen.
Bd. XXIII, Suppl.
Akademie, k. preussische der Wissenschaften, zu Berlin. Monats
bericht. März, April.
Annalen der Chemie und Pharmacie. Bd. CLXI, Heft 123, 102,
Nr. 1, 2.
Annales des mines.
Annales des Universites de Belgique. 18S3/SS.
Annuaire de l’institut des provinces. 1857.
Annuaire des 5. Departements de l’ancienne Normandie. 1857.
Argeiander, Fr., Anzeige von einer auf der k. Sternwarte zu Bonn
unternommenen Durchmusterung des nördlichen Himmels als
Grundlage neuer Himmelskarten. Bonn 1856; 8°-
Archiv der Mathematik und Physik. Bd. XXVIII, Heft 3.
Archiv für die Holländischen Beiträge zur Natur- und Heilkunde.
Utrecht 1857.
152
Verzeichniss der
Beejapore, the Jumma Musjeed at — 3. 1. et d. Fol.
Berlin, Universitäts-Schriften a. d. J. 1856.
33i et3, @. Stlb., gauna ber 2Birbettf)iere (Siebenbürgens. gjermannftabt
1856; 8°-
Boecardo, Girol., Memoria in risposta al quesito „Considerata l’in-
fluenza morale e fisica ehe hanno avuto sull’uniano consorzio
gli spettacoli etc. Milano 1857; 8 0-
Boeck, Willi., Recherches cliniques sur la Syphilisation. (Revue
medico-chirurg. de Paris.)
ßoehm, Ludw., Der Nystagmus und dessen Heilung. Berlin 1857; S 0-
Brunii, C. Georg., Poemata, partim jam aute, partim nunc primum
edita. Londae 1857; 8°-
Cognola, Atti della fondazione scientifica Cognola dalla sua istitu-
zione in Poi. Milano 1856; 8 0-
Cicogna, Em., Relazioni dei consolati di Alessandria e di Soria per
la repubblica veneta da Lorenzo Tiepolo agli anni 1552—
560. Venezia 1857; 8“-
— Della Leandreide, Poema ne anonimo inedite. Venezia 1857.
Congres scientifique de france. Session 24. Grenoble 1857; 8 0-
Cosmos, Nr. 19—22.
Ferrari, Silvio, Calcul decidouzimal. Turin 1857; 4°-
Fiorelli, Giuseppe, Notizia dei vasi dipinti rinvenuti a Cuma nel
1856 posseduti da sua Altezza R. il Conte di Siracusa. Napoli
1856; Fol.
Flora, 1857, Nr. 1-19.
Förster, Allgem. Bauzeitung. Jahrg. XXII, Heft 4.
Foetterle, Frz., Bericht über die Durchstechung der Landenge von
Suez an die k. k. geogr. Gesellschaft. Wien 1857; 8 0,
Fortschritte der Physik. Bd. IX, X.
Foocher de Careil, A., Lettres et opuscules inedits de Leibnitz.
Paris 1854; 8»'
— Nouvelles lettres et opuscules inedits de Leibnitz. Paris 1857; 8 0-
Fournet, J., Note sur le refroidissement des 25 et 26 avril 1855
dans File de Sardaigne. Lyon 1855; 8°-
— — Sur la congelation de la vapeur vesiculaire et sur les fleches
glaciales. Paris 1856; 8°-
Fusina, Vinc., Süll' eccessivo diborcimento avvenuto in questi Ultimi
anni. Milano 1856; S 0-
eingegangeuen Druckschriften. 153
©efffen, 3ofy., Sie bamburgtfdjen nieberfacE)ft(cI)en ©efangbücfyet be§
16. 3abrb- Hamburg 1857; 8°-
Gesellschaft, deutsche morgenländische, Zeitschrift der. Bd. XI,
Heft 2.
Gesellschaft, k. k. geographische. Mittheilungen. 1857, Heft 1,
Wien 1857; 8°-
Gesellschaft, physicalische zu Berlin, die Fortschritte der Physik.
Bd. IX, X, Heft 1.
Helfferich, Ad. et Clermont G. de, Apei^u de l’histoire des langues
neolatines en Espagne. Madrid 1857; 8°-
Jahrbuch, neues, der Pliarmacie. Bd. VI, Heft 5, 6.
Istituto Veneto, Atto delle Adunanze. Tom. II, punt. 5.
Kluckhohn, Aug., Geschichte des Gottesfriedens. Leipzig 1857; 8°-
Lamont, Magnetische Ortsbestimmungen des K. Baiern. Th. II.
Lancet, Nederlandsch. Jahrg. V, Nr. 10—12.
Lenormant, Frang., Description des medailles et Antiquites compo-
sant le cahinet de M. A. Baron Belir. Paris 1857; 8°-
Magyar Törtenelmi Tär. Pest 1856; 8°-
Magyar Nyelo Rendszere. Buda 1857; 8 0-
Malacarne, Giamb. J. rapporti che i lati dei Poligoni regolari et
lianno tra essi. Vicenza 1857; 8 0-
Marianini, Stefano, Sull’azione magnetizzante delle correnti elet-
triche momentanee. Memoria 7—10. Modena 1846—52; 4 0-
— Sulla proprietä posseduta in particolar modo dai corpi umidi
di assorbire l’elettricitä dagliisolanti solidi etc. Modena 1854; 8 0-
(Nebst 6 anderen Abhandlungen mathematisch-physicalischen
Inhalts.)
Mauron y Villodas, D. Franc., Disertazione teorica sobre il modo da
producir un motor permanente etc. Madrid 1857; 8°-
Mil ne, Edwards H., Leijons sur la Physiologie et l’anatomie comparee
de l’homme et des animaux etc. Tom. I, Paris 1857; 8 U-
Merlini, Giov., II passato, il presente et l’avvenire nella industria
manifatturiera in Lombardia. Milano 1857; 8 0,
Mittheilungen der k. k. Centralcommission zur Erforschung und
Erhaltung der Baudenkmale. Jahrg. II, Nr. 6.
Mittheilungen aus Justus Perthe’s geographischer Anstalt. Jahrg.
1857; Nr. 1.
Nachrichten, astronomische. Nr. 1069.
10**
\ J) 4 Verzeichniss der
Nardo, Giov., Risposta categorica a quarto asseri il Prof. Moliu
contro il fu Dr. Oli vieri, relativamente alla struttura del cuore
dei rettili. Venezia 1857; 8 0>
Nypels, M. S., Les ordonnances criminelles de Philippe II. des 5. et
9. Jodlet 1570. Bruxelles 1856; 8 0-
Palacky, Jan, Zemepis vseobecny vedecky srovnävacl. 1. Heft.
Prag 1857; 8<"
Palmer, Aaron II., Documents and facts illustrating the origin of the
mission to Japan. Washington 1857; 8 0-
Ram, P. F. de, Notice surlelieu de näissance deGodefroid de Bouillon.
Bruxelles 1857; 8°-
— Considerations sur l’histoire de l’universite de Louvain 1425—
1797. Bruxelles 1854; 8°-
Rapport trieunal sur l’etat de Penseignement moyen en Belgique.
1852—54. Bruxelles 1856; Fol.
Rapport presentee alasociete Imp. de l’Agricultured’histoire naturelle
de Lyon sur les travaux de la Commission des soies. Lyon,
1857; 8<"
Reumont, Alfredo, Deila diplomazia italiana dal secolo 15 al 16.
Firenze 1857; S 0-
Rey, C., De l’influencedu vent sur la forme des nuages. Lyon 1856; 8 0-
Romanin, storia documentata di Venezia. Tom. V. pont. 1, 2.
Römer-Büc hner, B. J., Beiträge zur Geschichte der Stadt Frank
furt a. M. Frankfurt 1853; 8 0,
— Die Wahl- und Krönungs-Kirche der deutschen Kaiser zu St.
Bartholomäi in Frankfurt a. M. Frankfurt 1857; 8 0- (2 Ex.)
— Die Entwicklung der Stadtverfassung und die Bürgervereine der
Stadt Frankfurt. Frankfurt 1855; 8 0-
Schafhäutl, Geognostische Untersuchungen des siidbaierischen
Alpengebirges. München 1851; 8 0-
©egefjer, Slnt. iß^iLü., 9ted)tSgefd)idyte ber @tabt unb Slepubli! Sftcern.
33b. III, $eft 1.
Societe des Naturalistes de Moscou, Bulletin. Tom. 24, 1 et 4.
Tom. 29, 4°-
Societe geologique de France. Tom. XIII. feuilles 20—30.
Society R. Geographical, Journal. Vol. 26.
Society, Chemical. Nr. 34—36.
Spengler, J., Bad-Ems im Sommer 1856. Wetzlar 1857; 12 0-
eingegangenen Druckschriften.
155
Surve y, geological of India,Memoires,Vol. I.p. 1. Calcutta 1856; 4 0-
Suzzara, Gaetano, Trattati di agricoltura generale comparate coi
Sistemi della francia ecc. Verona 1857; 8°-
Thierarznei-Institut, k. k. Vierteljahrs-Schrift. Bd. IX, Nr. 1.
Tormay, K., Bevölkerung der Städte Buda-Pest und ihre Bewegung
im Jahre 18 54 / 55 . Pest 1857; 8 0-
Verein für Geschichte und Alterthum Schlesiens. Codex diplomat.
Silesiae. Bd. I.
33erein für fiebenbürgifdje SanbeSfunbe. Slrdjiü, 33b. II, |jeft 2, 3.
— 3at)re§beridjt, 1854—56.
33ereilt für oaterlanbifdje 9iatur!unbe in SBürtemberg. 3af>re§f)efte.
33b. XIII, Nr. 1, 2.
33eretn fuftorifcljer Don unb für Oberbaiern. SIrcf)io, S3b. XVI, lieft 1, 2.
3a^re§berid)t 1855.
33 er ein Ejiftorifcfjer für Slieberfadjfen. -Jladfridften, Safyrgang 20.
Verein, naturhistorisch-medicinischer zu Heidelberg. Verhand
lungen. Nr. 1, 2.
Verein, zoologisch-botanischer, in Wien. Verhandlungen. Bd. 6.
Villa, Giov., Ulteriori osservazioni geognost. sulla Brianza. Milano
1857; 4»-
Zaluski, Jan, Slovo o stosunkach handlowych mieszkaücöw scytyi
zachodniej a. t. d. Lemberg 1857; 4 0-
1
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH- BIS TORISCHE CLASSE.
f
XXIV. BAND. II. HEFT.
JAHRGANG 1857. — JULI.
i
11
159
SITZUNG VOM 8. JULI 1857.
Vorgelegt:
Über die Briefe des Andrea da Burgo, Gesandten König
Ferdinands, an den Cardinal und Bischof von Trient
Bernhard Cles.
Von Karl Stocgmann.
Unter dem ziemlich reichhaltigen Materiale welches ich wäh
rend meines Aufenthaltes in Innsbruck in dem dortigen Statthalterei
archiv 1 ) für die Geschichte des Cardinais Bernhard Cles benützen
konnte, fand ich auch die wohlgeordneten und beinahe vollständig
gesammelten Briefe des bekannten und vielverwendeten Diplomaten
Andrea da Burgo, an den Fürstbischof von Trient. Cles selbst
hatte diese Briefe mit der ihm eigentümlichen Sorgfalt für Erhal
tung alles Urkundlichen gesammelt, vielfach Tag und Ort des Empfan
ges mit eigener Hand darauf bemerkt und sie im bischöllichen Archiv
zu Trient hinterlegt. Mit dem Archive wanderten sie nach Innsbruck,
wo sie später in Folge einer aus Wien ergangenen Aufforderung aus-
gehoben und in einer ßeihe von 8 Fascikeln zusammengestellt wur
den. Allein leider starb inzwischen der tüchtige Gelehrte welcher
diese Papiere nebst anderen Actenstüeken des Archives hatte benützen
wollen (es war der der Wissenschaft zu früh entrissene Gevay) und
die Briefe blieben desshalh unbeachtet in Innsbruck zurück, wo sie
mir zur Einsicht mitgetheilt wurden.
Bei der Durchlesung dieser Briefe konnte ich mich bald über
zeugen , dass hierin des Wichtigen und Erwähnenswerthen mehr
H*
Einleitendes.
160
Karl Stoegman». '
t
geboten war, als ich für meinen nächsten Zweck, eine Biographie
des Staatsmannes an den diese Schreiben gerichtet waren, verwen
den konnte. An eine förmliche Edition konnte ich jedoch keineswegs
denken. Einmal fehlte es mir dazu durchaus an Zeit, und dann wagte
ich es auch nicht allein zu entscheiden, oh eine solche Edition
nöthig und wünschenswerth erscheinen dürfte. So beschloss ich
denn, mich vor der Hand damit zu begnügen, die historischen Resul
tate die sich aus den Briefen gewinnen Hessen, in übersichtlicher
und möglichst zusammenhängender Darstellung mitzutheilen, sie
durch Vergleichung mit anderwärts bekannten Nachrichten zu ergän
zen, zu bestätigen und durch Beifügung der wichtigsten Stellen zu
belegen. Damit hoffte ich eine dem Geschichtskundigen nicht ganz
unwillkommene Arbeit zu thun, ohne dadurch einer förmlichen Edi
tion jener Briefe, falls dieselbe jemals beabsichtigt werden sollte,
beeinträchtigend vorzugreifen.
Ich habe bereits erwähnt, dass die in Innsbruck liegende Samm
lung der Briefe ziemlich vollständig ist. Lücken die sich ergaben,
konnte ich mindestens zum Theile dadurch ergänzen, dass sich in
der Sammlung der Briefe Ferdinand’s I. an Cles im hiesigen
k. k. Haus-, Hof- und Staatsarchiv auch einzelne Briefe Andrea’s da
Burgo fanden 3 ). Nach manchem suchte ich freilich vergebens.
Übrigens sind die von mir benützten Briefe fast sännntlich unge
druckt. Nur einige wenige linden sich in dem Urkundenbande wel
cher der Geschichte Ferdinaud’s 1. von Bueholz heigegehen ist. Ich
habe um so weniger Anstand genommen, diese Briefe gleichfalls in
den Kreis meiner Darstellung zu ziehen, da sie zu denjenigen Acten-
stücken gehören, die Bueholz in seinem Hauptwerke nicht benützt
hat 3 ).
Die Briefe ßurgo's beginnen mit dem Jahre J 51 f> und reichen
bis 1533. Sie sind in diesem langen Zeiträume keineswegs überall
von gleicher Bedeutung, und die in den letzten drei Jahren geschrie
benen übertreffen an Wichtigkeit and an Anzahl die der früheren
Jahre in nicht geringem Masse. Die Erklärung dafür ergibt sich aus
der Beachtung der veränderten Stellung die Cles in den verschie
denen Zeiten dieses Briefwechsels einnahm.
Während Burgo unter Kaiser Maximilian I. bereits die wichtig
sten Gesandtschaftsposten bekleidete, wird der viel jüngere Cles erst
in den letzten Regierungsjahren dieses Monarchen (ISIS) zum
Über die Briefe des Andren da Burgo.
16!
Bischof von Trient erhöhen, und sein Einfluss bleibt auf das Land
Tirol und die nächsten italienischen Verhältnisse, in welche ihn die
ihm übertragene Statthalterschaft in Verona verwickelte, beschränkt.
Matthäus Lang, der Erzbischof von Salzburg, leitete die Angele
genheiten der Regierung, und an diesen, so wie an die geist
volle und einflussreiche Prinzessinn Margaretha hatte Burgo seine
wichtigen Berichte zu senden, während er mit dem ihm nahe befreun
deten Bischof von Trient meist nur seine Privatangelegenheiten ver
handelt und nur hie und da eine politische Neuigkeit mit einfliessen
lässt. Als dann Kaiser Maximilian starb, war zwar Bischof Bernhard’s
Bedeutung bereits so gross, dass wir ihn in der Zahl der testamen
tarisch eingesetzten Regenten finden, aber seine ganze Stellung in
dieser Regentschaft war eine durch Lang’s überwiegenden Einfluss ge
drückte, weit mehr dem Titel, als der Wirksamkeit nach bedeutende.
Wie dann später die beiden Erben des todten Kaisers aus Spanien
herüber kamen, durfte es Niemand Wunder nehmen, wenn man sie
von spanischen und niederländischen Räthen beeinflusst sah, und
wenn die deutschen Staatsmänner sich mindestens in der ersten Zeit
damit begnügen mussten, eine zwar geachtete und nicht unwichtige,
aber doch nicht tief eingreifende und vielvermögende Stellung zu
behaupten. Karl V. hat sich nie von seinen Spaniern und Niederlän
dern getrennt; Ferdinand stand im Anfänge seiner Regierung bei
nahe völlig unter dem Einflüsse Gabriel Salajuanca’s 4 ).
Wiederum sind daher Burgo’s Berichte von seiner in jene
Zeit fallenden ungrischen Gesandtschaft entweder unmittelbar an
Ferdinand oder an seinen Günstling gerichtet, und die Briefe an
Cles behalten in der Hauptsache den oben bezeiehneten Charakter.
Wenn sie dennoch reichhaltiger an politischen Nachrichten erschei
nen als die früheren, so hängt dies mit der wachsenden Theilnahme
des ehrgeizigen Bischofs an dem Gange der Politik zusammen. Cles
wünschte grösseren Einfluss und er sollte ihn auch finden. Salaman-
ca’s rücksichtsloses, Land und Leute verkennendes, und dabei
höchst eigennütziges Benehmen musste ihm, dem Spanier den man
schon desshalb mit Misstrauen und Unmuth beobachtete, den Hass
Aller zuziehen. Der Bauernaufstand in Tirol (1S25) gab in dieser
Hinsicht dem jungen Fürsten bittere Lehren; von diesen Erfahrungen
her datirt sich die merkwürdige Änderung in Ferdinand’s Charakter
und Politik. Salamanca wurde entfernt. Lang, vielfach verletzt,
162
Karl Stoegmann.
Burgo’s frühere
Verhältnisse und
sein Charakter.
mürrisch und hart geworden, hatte sich nach Salzburg zurück
gezogen; die ganze Zeit, voll Abfall und Aufruhr, widerte ihn an. Cles,
ein Mann in den besten Jahren, voll staatsmännischen Tactes und
persönlicher Liebenswürdigkeit, dem Erzherzog schon früher ange
nehm, errang nun die Stellung eines fast allvermögenden Ministers.
Damit gewinnen ßurgo’s Briefe eine weit grössere Bedeutung.
Statt vereinzelter Nachrichten und gelegentlicher Bemerkungen
erhalten wir nun förmliche, zusammenhängende Relationen, und wenn
sich das freundschaftliche Verhältniss beider Männer einerseits noch
immer in der breiten Behandlung von Privatangelegenheiten kund
gibt, so zeigt es sich von weit wichtigerem Einfluss dadurch, dass
Burgo an Cles über alle Angelegenheiten mit einer Freimüthigkeit
berichtet, wie sie einem andern Minister gegenüber kaum möglich
gewesen wäre. Dadurch erscheinen ßurgo’s Briefe an Cles wich
tiger als jene an Ferdinand; denn Manches wird dem befreunde
ten Minister vertraut, was Burgo dem König nicht recht zu sagen
wagte. Zum Glück trifft jene günstige Stellung des Fürstbischofs
gerade mit der Zeit zusammen, in der sich Burgo auf seinem wich
tigsten Posten, in Rom, befindet. Während wir demnach für die Kai
serwahl Karl’s V., für die ungrischen Verhältnisse in den letzten Jah
ren des unglücklichen Ludwig’s II., für die italienischen Angelegen
heiten in den Jahren 1525—1329 mehr zerstreute Notizen aus
Burgo’s Rriefen sammeln können, gewinnen wir vom Jahre 1529 ab
einen umfassenden, tiefgehenden Einblick in die so wichtige Politik
der römischen Curie. Darum möge man auch die vorliegende Dar
stellung entschuldigen, wenn sie in den beiden ersten Abtheilun
gen lückenhaft und weniger zusammenhängend erscheint: — es war
die Beschaffenheit des Materiales, die solches mit sich bringen
musste.
I.
Es ist nicht viel, was wir über Burgo’s frühere Verhältnisse
voraussenden können. Ein Italiener von Geburt, war er zuerst in den
Diensten Venedigs, die er jedoch bald verliess. Im Jahre 1507 finden
wir ihn schon als Gesandten Maximilian’s an seine Tochter Margaretha
in den Niederlanden, und im selben Jahre 5 ) noch als Gesandten in
Spanien. Im Mai 1509 ist er in gleicher Eigenschaft im Lager
Ludwig’s XII. und wohnt der Schlacht hei Agnadello bei 6 ). In Folge
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
163
dieser Schlacht ergab sich Verona, die schönste Stadt von ganz
Italien, wie Maximilian sie voll Freude nannte, und Burgo nahm im
Namen des Kaisers davon Besitz 7 ); 8 Jahre später musste sein
Freund, der Bischof Cles, die feierliche Rückgabe derselben Stadt
an die Venetianer vollziehen. Aus Italien folgte Burgo dem König
nach Frankreich, und verweilte dort bis zum November des Jahres
1311, wo ihn Maximilian abberief und ihn abermals nach Italien
sandte. Von neuem nach Frankreich zurückgekehrt, verliess er im
Mai 1312 dieses Land und diesmal für immer. Nach neuen Verwen
dungen in Italien finden wir ihn in den Jahren 1317 und 1319
in Ungern, um für die Wahl Karl’s V. zu wirken; seine weitern
Schicksale sollen im Laufe der folgenden Darstellung berücksichtigt
werden s ).
Er war einer der tüchtigsten Diplomaten seiner Zeit. In einem
schwachen , stets kränklichen Körper wohnte ein bedächtiger, ja
furchtsamer, aber kluger und scharfsinniger Geist. Wie wenig Andere,
hesass er die Gabe, Menschen aller Art zu ertragen, Niemand zu
verletzen, überall zu vermitteln und zu versöhnen. Mehr als einmal
fand er sich zwischen zwei Parteien und verhütete durch sein klu
ges Benehmen den Ausbruch offenen Kampfes. Darin bestand seine
Stärke: — zur Durchführung grossartiger Ideen fehlte ihm die
Energie, die Kühnheit die sich nicht an das Heer der stets auftau
chenden Bedenklichkeiten kehrt. Dem König Ferdinand und dem
Hause Österreich war er treu ergehen; mit Vorliebe bezeichnete er
sich selbst als einen guten Österreicher 9 ). Karl V. that nichts für
ihn und Ferdinand konnte nicht viel tlnin; es machte ihn zuweilen
unmuthig 10 ), aber seine Anhänglichkeit vermochte es nicht zu min
dern.
Überhaupt war die gemüthliche Seite in ihm vorherrschender,
als man es erwarten sollte, und sie zeigt sich mitunter in einer
Weise die uns lächeln macht 11 ). Noch manches Andere klebte ihm
an, was ihm den Anstrich eines Originals gab. Seine Bedächtigkeit
ging in Ängstlichkeit über; seine Art und Weise zu verhandeln oder
zu berichten, war von ermüdender Weitschweifigkeit. Er schrieb
lateinisch, italienisch und französisch, aber immer breit, ohne
Schwung oder Glanz, sich endlos wiederholend 13 ). Unwillkürlich
erinnert er an Polonius, dies Muster weitschweifiger Räthe. Das war
wohl auch Schuld, dass man ihn hie und da übersah, unterschätzte;
164
Karl Stoegmann.
aber, von seinen Fehlern abgesehen, war er ein kluger Mann und
ein treuer Diener seines Herrn. Als er gestorben war, machte sich
sein Verlust empfindlich fühlbar, — gerade auf seinem wichtigsten
Posten, in Rom, hat ihn Ferdinand nie ersetzen können.
Aber wenden wir uns nun von dem Manne zu seinen Briefen,
den Zeugnissen seiner Thätigkeit. Wir müssen mit einem völlig
vereinzelt stehenden Briefe beginnen, der jedoch an Wichtigkeit
gewinnt, sobald wir ihn mit anderen Nachrichten Zusammenhalten.
Brief aber die Dieser Brief ist vom 19. April 1319 und gibt Bericht über eine
waw Karls des v. Zusammenkunft der drei geistlichen Kurfürsten und des von der
Pfalz zu Ober-Wesel, in Angelegenheit der Wahl Karl’s V. Ranke
übergeht diese Zusammenkunft; Bucholz erwähnt ihrer, jedoch
ohne genauere Angaben 1S ). ln den von Mo ne mitgetheilten Acten-
stücken zur Wahl Karl’s V. finden sieh zwei Briefe des Herzogs
von Nassau an die Prinzessinn Margaretha vom 25. und 28. März
1319, worin dieser die Absicht ausspricht, sich nach Wesel zu
begeben, wo die drei geistlichen Kurfürsten und der von der
Pfalz Zusammentreffen wollten 14 ). Leider enthält der nächste von
Mone mitgetheilte Brief des Herzogs (vom 11. April) keine weitere
Andeutung über die stattgehabte Zusammenkunft.
Burgo berichtet nun darüber, es seien zu Wesel ausser den
Gesandten König Karl’s auch noch ein Gesandter des Papstes 15 ) und
ein Gesandter Frankreichs eingetrolfen. Der französische Gesandte
redete unehrerbietig gegen die Person König Karl’s, aber dessen
Botschafter und auch andere antworteten ihm, wie sicli's gebührte.
Wäre er in seiner Heimat, — drohte einer von Karl’s Gesandten, die
Sache sollte ihm nicht so hingehen. Der Kurfürst von Trier brachte
ihn auf gute Art zum Schweigen. Was aber die Kurfürsten unter
sich beschlossen hatten, das blieb ein Geheimniss. Nur so viel ist
klar —• schreibt Burgo — ob sie nun Gutes oder Übles beschlossen
haben — wenn sie einig sind werden sie den Kaiser erwählen
und die andern werden nichts vermögen. Wenn sie aber nicht
einig waren? Burgo's Brief zeigt uns, welche Besorgnisse die
Gemüther beängstigten und was man befürchtete. Über die Gesin
nung der Kurfürsen machte man sich wahrlich keine Illusionen.
„Wer mehr geben kann, wird sie haben, meinte Burgo ganz
trocken. Es frage sich nur, wer der Meistbietende sein würde,
dem die Kaiserkrone zugeschlagen werden sollte.“ Man fürchtete,
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
165
der König von Ungern werde sich darum bewerben, und Frankreich
ihn sogar unterstützen, wenn er sich herbeilasse, die Familienver
bindung mit dem Hause Habsburg abzubrechen, Maria auszuschlagen
und seine Schwester Anna zurückzuverlangen. Oder man dachte,
im günstigsten Falle würden die Kurfürsten einen aus ihrer Mitte
wählen, und zwar den von Brandenburg. Burgo schien es darum
das Beste, den Brandenburger zu gewinnen, und die Ehe zwi
schen König Karl und der Prinzessinn Anna abzuschliessen,
um Ludwig’s von Ungern und der böhmischen Stimme sicher zu
werden.
Noch bemerkt Burgo, die Kurfürsten von Sachsen und Trier
blieben bei ihrer Erklärung, sie wollten bei der Wahl so vorgehen,
wie es sich für rechtschaffene und unbestochene Wähler zieme 16 ).
Ich habe diesen Brief nicht ganz übergehen wollen, wie gering
auch der Zuwachs ist, der damit dem bereits so reichlich bekannten
Materiale über die Wahl Karl’s V. zugeführt wird. Grössere Aus
beute bieten schon die Briefe der folgenden Jahre, in denen wir
Burgo in einem neuen Wirkungskreise finden. Nachdem er näm
lich im Jahre 1B21 als Gesandter Karl’s V. dem Einzuge Ferdi
nande in Linz beigewohnt hatte, begleitete er zugleich mit Cles
die Prinzessinn Maria nach Ungern, um als Ferdinand’s Gesandter
an dem Hofe König Ludwig’s zu verbleiben. Es wäre gewiss inter
essant, die ausführlichen Berichte zu kennen, die er in seiner neuen
Eigenschaft an Ferdinand und Salamanca sendete: sie würden die
werthvollen Gesandtschaftsberichte Orio’s und Massario’s vervoll
ständigen und dabei den Vorzug haben, von einer minder einsei
tigen und leidenschaftlichen Anschauungsweise auszugehen, als
jene ist die wir bei dem venetianischen Gesandten finden. Seine
Stellung und seinEinfluss inUngern war nicht unbedeutend, obgleich
sich in den Werken über ungrische Geschichte (Engel, Fessler,
Horvath, Mailäth) nicht einmal sein Name genannt findet. Schon
seine milde, überall ausgleichende Persönlichkeit musste ihn bei der
im Lande herrschenden aufgeregten Parteistellung zu einem höchst
tauglichen Gesandten machen, und es scheint ihm auch wirklich unter
allen Ausländern noch am meisten gelungen zu sein, den Hass der
Ungern von sich abzuwenden. Mindestens schreibt er an Cles, man
habe ihm das Baronat in Ungern verliehen und ihn wie einen Einge-
bornen behandelt. Seine Abreise wurde bitter beklagt und viele
Gesandtschaft
Ungern von 15
bis 1523.
166
Karl S.toegmann.
schrieben ihm: Wenn er nie gegangen wäre, würden viele Dinge
nicht geschehen sein, die jetzt schwer zn heilen sein dürften 17 ). Er
selber rühmte von sich, er könne ohne Anmassung sagen, hätte er
nicht gethan, was er gethan, die Dinge wären schlimm genug aus
gegangen 4S ).
Und wie schwierig musste die Stellung eines Gesandten sein
Lage Ungarns, bei der damaligen Lage des Reiches ! Burgo schildert diese, nach
seiner Art massiger und mit minder grellen Farben als Andere; man
fühlt doch das Trostlose und Unheilvolle heraus. In den Türken droht
ein mächtiger und kriegserfahrener Feind; im Lande herrscht Zwie
tracht und Verwirrung; das Volk ist des Krieges entwöhnt und ent
behrt guter Führer; das Wichtigste fehlt, der Gehorsam. Der König
hat nicht Geld noch Einkünfte; er muss die erledigten Beneficien
unbesetzt lassen und für sich gemessen, weil er sonst nicht hat,
wovon er leben könnte! Oft fehlt es ihm an Speise und Kleidung,
ja er ist beinahe schon zu Grunde gerichtet und in steter Gefahr
Krone, Lehen, Ehre und Gemahlinn zu verlieren. Darin sind alle Ein
sichtigen einig, dass Ungern ohne auswärtige Ililfe nicht mehr zu
retten ist, und so gross ist die Muthlosigkeit und die hange Furcht
vor der nächsten Zukunft, dass viele ihre werthvollsten Güter heim
lich an sichere Orte ausser Landes bringen lassen, um doch etwas
zu retten!
Zur Zwietracht im Innern trat das Misstrauen, die Eifersucht
gegen die Fremden die vielleicht allein noch helfen konnten. Mit
Ungunst sah man auf die junge Prinzessinn Maria und suchte ihre
wirkliche Vermählung mit dem König hinauszuschieben; Fessler
hat Unrecht, wenn er die Schuld der Zögerung Ludwig beimisst;
dieser war ganz anderer Meinung und wünschte den Hochzeitstag
„lieber heute als morgen.“ Die missvergnügten Magnaten waren es,
die durch Vorbringung von mancherlei Gründen Karl V. selbst zum
Aufschub zu bewegen strebten; und Burgo leistete dem König einen
Dienst, als er sich bemühte, seinen Monarchen vom Gegentheil zu
überzeugen und ihn für die Beschleunigung zu gewinnen 49 ).
Reise nach Böhmen Der König liebte ihn und hörte gerne seinen Rath, obgleich er
ihn nicht immer befolgen konnte; als er im Jahre 1522 mit der
Königinn nach Böhmen reiste, nahm er Burgo mit und bediente sich
seiner bei den Verhandlungen mit den Ständen 30 ). Von Prag aus
wollten der König und die Königinn nach Linz zu einer Zusammen-
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
167
kunft mit König Ferdinand. Alles war bereit und der Wagen schon
bepackt, als die Königinn plötzlich erkrankte und die Reise desshalb
unterbleiben musste. Ferdinand sandte alsbald den Grafen Johann
Hardeck und den Baibus nach Prag, um über die der Zusammen
kunft vorbehaltenen Puncte zu verhandeln, unter andern darüber,
dass böhmische Gesandte nach Nürnberg kommen sollten. Auch liess
Ferdinand melden, er könne nicht leicht nach Böhmen kommen,
wie die Böhmen vorgeschlagen hatten, und es scheine besser, wenn
Ludwig, der Türkenhilfe wegen, selbst nach Nürnberg käme. Aber
diesem Vorschläge wiedersetzten sich sowohl die Böhmen als auch
die Ungern und Ludwig konnte desshalb nicht darauf eingehen 21 ).
Erst im März 1523 wurde der Landtag geschlossen, auf dem
Alles nach Wunsch des Königs gegangen war. Mit Wohlgefallen
verweilt Burgo auf den erlangten Resultaten, zu denen er nicht
wenig beigetragen. Die königlichen Schlösser und Güter sind auf
Andringen der Stände und mit Zustimmung der Gläubigen denen
sie verpfändet waren, in die Gewalt des Königs zurückgestellt, in den
Rechten und Gesetzen des Landes passende Reformen vorgenommen
worden. Der Burggraf, der Kanzler und andere hohe Beamte haben
ihre Ämter niedergelegt mit der Bitte, sie nicht wieder zu ernennen.
Der König wollte den Magister Curiae, einen Herrn von Pernstein,
in seiner Würde belassen, allein auch dieser weigerte sich um nicht
verdächtig zu werden as ).
Zwischen den Böhmen und Deutschen sollte Buhe herrschen
bis St. Martin, bis zu welcher Zeit man hoffte, dass der Kaiser einen
völligen Vergleich herbeigeführt haben werde.
Auch eine ansehnliche Türkenhilfe bewilligten die Böhmen dem
König (von je 1000 Gulden Werthes in beweglichen oder unbeweg
lichen Gütern 2 Dueaten) und obendrein gestatteten sie ihm, das
Haupt des heiligen Paulus Eremita mit nach Ungern zu nehmen.
Diesen Wunsch hatte er lange gehegt und nie erreichen können;
seine Erfüllung war ihm lieber, als wenn sie ihm nochmals 50.000
Dueaten geschenkt hätten 23 ).
Aus Böhmen reiste nun der König nach Mähren, Schlesien und
zurück nach Ungern, abermals von Burgo begleitet 24 ). Dieser
meldet nichts von der Zerrüttung, in der sie das Land trafen, nur
des merkwürdigen Reichstages der nach der Ankunft des Königs
gehalten wurde, tliut er Erwähnung. Lange schon sei kein Reichs-
Landtag in Prag.
Rückkehr nach Un
gern.
168
Karl Stoegmann.
Zusammenkunft der
Fürsten zu Neu
stadt.
tag' so giinsig ausgefallen; wenn nur auch Alles mit gleichem Glücke
ausgeführt werde, wie es beschlossen worden 25 ). Näheres erfahren
wir nicht von ihm.
Statt dessen füllt er seine Briefe mit Klagen, dass Ferdinand ihn
nicht von seinem Posten abberufe. Seine Privatverhältnisse hatten
sich so gestaltet, dass er nichts sehnlicher wünschte, als von seiner
Gesandtschaft befreit nach Tirol gehen zu können, um dort seine
eigenen Angelegenheiten zu ordnen. Nach vielfach wiederholten
Bitten erhielt er endlich im October 1S23 die Erlaubniss, Ungern zu
verlassen und bis über den nächsten Sommer in Tirol zu verweilen 36 ).
Auf der Heimreise die er augenblicklich antrat, kam er nach Neu
stadt gerade zur Zeit, als Ferdinand und Anna von Österreich dort
mit Ludwig und Maria von Ungern ihre Zusammenkunft hatten. Mai-
läth (in seiner Geschichte der Magyaren, 2. Band, S. 233) hat von
dieser Zusammenkunft gesagt, es sei dabei beschlossen worden, im
nächsten Jahre die Türken anzugreifen; aber in der That kam es
damals zu gar keinem Beschlüsse. Zwar erbot sich der König von
Ungern, 60.000 Mann zu rüsten, und Ferdinand seinerseits versprach
8000 Fusssoldaten, 1000 schwere und ebenso viele leichte Reiter,
nebst 30 Kanonen durch sechs Monate zu unterhalten, allein er stellte
dabei einige Bedingungen die den Ungern nicht gefielen, und sie
umgekehrt solche die er nicht annehmen wollte 27 ). So trennte man
sich, ohne ein anderes Resultat, als dass man sich gute Rathschläge
ertheilte und sich wechselseitig beschenkte 28 ). Nach einer gemein
schaftlichen Jagd in der Nähe Wiens kehrten Ludwig und Maria
nach Ungern zurück; Burgo eilte nach Tirol 39 ).
Er hatte gehofft, Ungern für immer zu verlassen und bestimmt
die Absicht ausgesprochen, keine Gesandtschaft mehr anzunehmen,
bei der er sich nicht an einem ruhigen Orte befinden und seine
Gemahlinn bei sich haben könnte 30 ). Statt dessen sollte er noch
einmal gerade in die ungrischen Angelegenheiten verwickelt werden,
in einer Art die ihm höchst unlieb war, während sie uns beach-
tenswerthe Winke über die Verhältnisse des Hofes in Ofen bieten.
Kaiserlicher Gesandter in Ungern war der Erzbischof Andreas
Alborgo, beliebt bei den Majestäten, verhasst bei den Magnaten, nicht
ohne Geschick, aber leichtsinnig 31 )- Es lässt sich nicht absehen,
welcher besondern Übereilungen er sich mag schuldig gemacht
haben, genug er erregte Ferdinand’s Unzufriedenheit, und man
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
169
beschloss, ihn abzuberufen und Burgo wieder an seiner Statt zu Burg-o'sabermalige
senden, obwohl Ferdinand früher die Absicht gehabt hatte, ihn als Beruf ™s , ‘ achu "-
Gesandten an seinen Bruder abzuordnen 82 ).
Burgo, aus Tirol herbeigerufen, trat alsbald die Reise an. In
Deutschland erhielt er Briefe seiner ungrischen Freunde, die ihm
den Hass und Unwillen der Ungern gegen die Ausländer als aufs
höchste gestiegen darstellten. „Sie wollten keine Fremden mehr
dulden, den kaiserlichen Gesandten verjagen, oder gar für das, was
er in Ungern gethan, zur Rechenschaft ziehen und bestrafen.“ Burgo
riethen sie, er möge jetzt nicht nach Ungern kommen, sondern abwar-
ten, bis der erste Sturm „contra Alemannos“ vorüber sein würde 33 ).
Allein König Ludwig, vielleicht persönlich gegen Alborgo verstimmt
und von ßurgo’s besonnenem Wesen Rettung in seiner bedrängten
Lage erwartend, bestand auf schleuniger Ankunft. Burgo war bereit;
— da plötzlich kam aus Ungern die Nachricht, er möge seine Wei
terreise einslellen, da man seiner nicht bedürfe, die Königinn wünsche
den früheren Gesandten zu behalten.
Burgo’s erstes Gefühl bei dieser Nachricht war das der Freude.
Das Vergnügen darüber, von einer lästigen Gesandtschaft befreit
nach seinem geliebten Enn zurückkehren zu können, wo inzwischen
seine Gemahlinn über ihn als einen grausamen, sie stets verlassenden
Gatten klagte, liess ihn anfangs die ihm zugefügte Beleidigung fast
übersehen. Ziemlich ruhig bemerkte er nur, es habe keine kleinen
Irrungen abgesetzt, und die Sache missfalle dem Erzherzoge 34 ). Bald
darauf erwachte denn doch in ihm der Unmuth über die launenhafte
Abfertigung von Seiten der Königinn, und er sandte eigens seinen
Secretär (Gaspar) nach Ofen, um den Grund jenes Benehmens zu
erforschen und darüber Klage zu führen.
Wie sich nun die Sache darstellte, war sie das einfache Resultat
einer Hofintrigue. Alborgo verlor ungern seinen Posten, auf dem er
sich wohl vergnügte 35 ), und machinirte darum gegen seinen Ersatz
mann.
Hilfreiche Hand dazu bot ihm Georg von Brandenburg, der Verhältnisse des
bekannte üble Rathgeber Ludwig’s, der Burgo persönlich nicht leiden Hofes '
mochte, weil er seinen Einfluss ungern sah und ihn obendrein im
Verdacht hatte, er trage die Schuld, dass der Kaiser ihm, dem Mark
grafen, die versprochene Pension nicht weiter auszahlen liess. Alborgo
und der Markgraf bestürmten dann vereint die Königinn die nun,
170
Karl Stoegmaun.
wie sie selber an Burgo entschuldigend erklären liess, nicht in irgend
einer hösen Absicht, sondern blos dem Gesandten zur Gunstbezeu
gung jenen Schritt that, ohne den Vortheil des Landes zu bedenken,
oder nur das Widerstreben des Königs zu achten, der den ganzen
Vorfall bitter beklagte, ohne doch die Kraft zu besitzen, ihn zu ver
hindern 30 ).
Das Interessante an diesem, seinem Wesen nach ziemlich
gewöhnlichen Handel ist eben die Betheiligung der Königinn. Die
junge Fürstinn fand sich in Ungern in einer eigenthümlichen Stellung.
Von Natur mit Lebhaftigkeit und scharfem Verstände begabt, weit
mehr durch Gaben des Geistes als durch körperliche Schönheit aus
gezeichnet, dazu die Enkelinn und Schwester eines Kaisers, war sie
weder frei von Ehrgeiz noch von Herrschsucht. Schon als sie kam, fand
sie in Ungern wenig Liebe. Diese Heirath des jungen Königs mit der
Ausländerinn, der Habsburgerinn, dies ganze gefährliche Werk von
Maximilian’s Staatsklugheit hatte mau nur ungern und mit Misstrauen
gesehen. Die Königinn that nichts, diese Stimmung zu bessern; das
oligarchische Treiben in Ungern war ihr unerträglich, und sie wandte
sich von dem Lande ab, das ganz anders werden musste, sollte es ihr
gefallen. Wäre König Ludwig der Mann zu einer energischen Oppo
sition gegen das, Krone und Reich verderbende Magnatenthum gewe
sen, er hätte in seiner Gemahlinn die kräftigste Verbündete gefunden,
und dann hätte ihr Mutli, ihr Geist zum Heile des Landes dienen
können. Allein gefährlich musste es werden, wenn es der Königinn
in den Sinn kam, für sich allein, getrennt von dem König, eine Oppo
sition durchzuführen, zu der es ihm an Kraft gehrach. Leider kam es
dahin; Ludwig verstand seine Frau ebenso wenig zu beherrschen,
als seine Unterthanen. Die Königinn stellte sich an die Spitze einer
kleinen Partei— sie agitirte gegen die Magnaten, gegen die nächsten
Freunde des Königs, im Nothfalle gegen ihn selber. So war Thurso
ihr Liebling gewesen; später verfolgte sie ihn, weil er es mit dem
Könige hielt 37 ). So liess sie Burgo fallen, weil er Extremen abhold
war, und weil Georg von Brandenburg der sie ganz gewonnen hatte,
keinen Genossen dulden wollte, der ihm zu widersprechen wagte! 38 )
Der Markgraf und Alborgo waren ihre Hauptstütze. Massaro 39 ) thut
der Königinn Unrecht, wenn er sie blos als vergnügungssüchtig schil
dert, wie er denn überhaupt nur gehässig von ihr spricht, und Alles
übersieht, was an ihr vortrefflich war. Wenn die Königinn mit den
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
171
Beiden tanzte, ritt und sich vergnügte, so war der Grund ihrer Zunei
gung doch ein tieferer, als die blosse Sucht sich zu zerstreuen. Diese
Männer bildeten die Häupter einer Partei, mit der Maria wahrlich
etwas Anderes zu erreichen suchte, als blosses Vergnügen. Das Eine
übersah sie leider, dass mit diesen Menschen nichts zu erreichen war
als Vermehrung der Verwirrung; diese wuchs denn auch von Tag
zu Tag.
Einzelne Züge aus jener Zeit der wachsenden Notli liefert uns
noch Burgo. So meldet er unterm 18. September 1524, der alte
Palatin sei wieder eingesetzt und regiere wie früher, und diese Notiz
bestätigt uns die Angabe des venetianischen Secretärs von der
Absetzung Bathori’s nach des Königs Rückkehr aus Böhmen, die
Mailäth in seiner Geschichte der Magyaren (2, 332) nur zweifelnd
anzuführen wagte. In demselben Schreiben linden wir den Namen
der acht Männer, aus denen die Ungern den Rath des Königs zusam
mengesetzt wissen wollten. Es waren der Erzbischof von Gran, der
Bischof von Siebenbürgen, der Bischof von Erlau, der Schatzmeister,
der Palatin, der Woiwode Zapolya, Johann Drappi und ein anderer
Adeliger. Auch Bornamissa wurde zum König berufen; aber er blieb
zu Hause und wollte nicht kommen.
Die folgende Scene aus dem Reichstage zeigt am besten die
Erhitzung der Gemüther.
Bei den Grossen war Paul Artandi besonders beliebt. In einer
Sitzung des Reichstages nennen ihn die Königlichen geradezu einen
Verräther an dem König und der Königinn. Ein entsetzlicher Tumult
entsteht; die anwesenden Bischöfe, voll Schrecken, ergreifen die
Flucht; blos der Bischof von Erlau hält Stand und bringt die
Streitenden aus einander. Hätten sie Schwerter gehabt, sagt der
Berichterstatter, es wären wohl über tausend Menschen erschlagen
worden!
Bei solcher Aufregung, bei solcher Erbitterung konnte es auch
nicht fehlen an ungeheuerlichen Gerüchten. So berichtete man an
Burgo, der Palatin unterstütze Meuchelmörder die dem Thurso,
Bornamissa und dein Könige nachstellen, und der kaiserliche Gesandte
sei im Einverständnisse 40 ). Es ist gar kein Grund vorhanden, in dieser
Nachricht etwas Anderes zu sehen als ein Erzeugniss der Furcht oder
der Bosheit; das Gerücht als solches ist von trauriger Bedeutung.
Die Zeit, in der das Entsetzlichste mit solcher Leichtigkeit verbreitet
172
Karl Stoegmann.
und geglaubt wird, ist sicher nicht weit davon, das Entsetzlichste zu
erleben!
Mit diesen Nachrichten schliessen ßurgo’s Mittheilungen über
Ungern. Er kam nie mehr in dieses Land zurück und fand bald
darauf einen neuen Schauplatz seiner Wirksamkeit mit völlig verän
derten Verhältnissen, auf den wir ihm nun folgen müssen. Einmal
noch in späterer Zeit kommt er in seinen Briefen auf Ungern zurück,
und spricht, wie im Rückblicke auf seine Erfahrungen in jenem Lande,
sein Urtheil über den Charakter seiner Bewohner:
„Novi ego ingenia Hungarorum; non est respiciendum ad ea,
que faciunt, nec ad suos primos motos, nec ad alia multa; sepe enim
mutantur.“
II.
Von der unterbrochenen Reise nach Ungern war ßurgo sogleich
wieder nach Enn in Tirol zurückgekehrt, neuer Aufträge seines
Fürsten gewärtig. Ferdinand bedurfte eines vertrauten Dieners, um
ihn mit einer Reihe wichtiger Vorschläge und Aufträge an den Kaiser
nach Spanien zu senden, und seine Wahl fiel auf Burgo, obgleich
der schwankende Gesundheitszustand des alten Mannes Besorgnisse
einflösste 41 )- Burgo nahm die Sendung an und Ferdinand beschied
ihn zu sich nach Innsbruck, jedocli „mit veränderter Kleidung und
nur von einem Diener begleitet; dann wolle er an einem verbor
genen Orte ein paar Tage lang mit ihm beisammen sein, und Alles
besprechen“ 4a ).
Allein Burgo der sich wirklich Ende Juni bei Ferdinand in
Innsbruck einfand, kam auf seiner weitern Reise nur bis Genua; hier
erkrankte er und sah sich gezwungen unverrichteter Dinge nach Enn
zurückzukehren. Den Rest des Jahres 1525, 1526 und einen Theil
von 1527 finden wir ihn nun in zurückgezogener Einsamkeit auf
diesem Schlosse das er selbst seine Einöde nennt, ohne einen
bestimmten Auftrag, aber mit steter Aufmerksamkeit die Ereignisse
in Italien beobachtend.
Über diese verbreiten sich nun seine Briefe. Obgleich er nicht
selbst im Lande verweilt, ist er doch stets wohl unterrichtet und mit
guten Nachrichten versehen; übrigens zeigt er sich gerade in dieser
Partie seiner Briefe mehr als rathgebender Staatsmann, denn als
Berichterstatter.
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
173
Wenden wir unsere Aufmerksamkeit auf die damalige Lage
Italiens.
Der Sieg von Pavia und die Gefangennehmung des Königs von r.;
Frankreich hatten dem Kaiser das entschiedene Übergewicht ver
schafft, zugleich aber auch die schwersten Besorgnisse gerade bei
seinen italienischen Verbündeten wachgerufen, Besorgnisse die hei
der in Italien geltenden Politik des steten Bundes der Schwächeren
gegen den Mächtigen zum sichern Abfall führen mussten. Schon in
der letzten Zeit vor der Schlacht von Pavia war das Benehmen des
Papstes fast mehr als zweideutig gewesen; wenn ihn nun der völlige
und unerwartete Sieg der Kaiserlichen zu einem neuen Vertrage
bewog (1. April 1526), so konnte man die kurze Dauer desselben
ohne Wahrsagekunst voraus verkünden. Zur Furcht vor des Kaisers
Übermacht kamen andere, zum Theile gerechte Klagen der Italiener,
besonders über das Benehmen der fremden Truppen, der Spanier und
Deutschen. „Wenn Ferdinand Mailand erhalten wolle,“ schrieb
Burgo 43 ), „so möge er doch sorgen, dass die steten Plünderungen
das Volk nicht zur Verzweiflung trieben. Er sei berichtet, die Ita
liener wären von Hass entbrannt, nicht gegen den Kaiser und seinen
Bruder, sondern gegen ihre plündernden Soldaten.“ So fanden die
Pläne der Fürsten eine Stütze in dem Unwillen des Volkes. Dennoch
scheute man noch offene Gewalt; Verrath unter des Kaisers eigenen
Leuten angezettelt, sollte vorerst die allzu gefährliche Macht dessel
ben schwächen. Hatte sich Karl V. des Bourbon gegen Frankreich
bedient, so versuchte man jetzt seinen besten Feldherrn, Pescara,
gegen ihn zu wenden. Es war ein schlauer Gedanke, den General
zum Verräther zu machen, gegen den man nicht zu kämpfen wagte,
und Morone übernahm die Ausführung. Burgo bestätigt nur
bekannte Dinge 44 ). Pescara, verstimmt gegen den Kaiser, weil
ihm seine Wünsche nicht erfüllt wurden, äusserte seinen* Unmuth
gegen den Morone, und dieser, „obgleich ein Fuchs, ging in die
Falle“. Pescara, ein Italiener seiner Geburt, ein Spanier seiner
Denkungsweise nach, verschmähte den Verrath der ihn zum Könige
von Neapel machen sollte, betrog die Gegner, nahm den Morone
gefangen, und belagerte den Herzog von Mailand in seinem Castelle.
Die Absichten der Italiener schienen gründlich vereitelt.
Aber die Aussichten trübten sich von Neuem, Pescara starb;
der Papst, durch das Vorgehen gegen Mailand noch mehr gereizt,
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXIV. Bd. II. Hft. jo
ge Italiens.
174
Karl Stoeginann.
Angriff auf Mailand.
zeigte aufs entschiedenste seine feindselige Gesinnung im Grossen
und im Kleinen. Indess bemühte sich der Herzog von Ferrara ver
geblich die Venetianer mit dem Kaiser auszusöhnen. Für den Herzog
von Mailand zeigte sich allgemeine Theilnahme, selbst unter den Anhän
gern des Kaisers. So trug der Propst von Trient aus Mailand die
Ansicht mit sich fort, der Herzog sei unschuldig, und wenn er auch
gefehlt habe, so solle man doch seiner schonen, und ihn frei lassen,
wenn auch nur mit gebundenen Händen 45 ). Voll warnender Besorg-
niss schrieb Burgo an Clos, der Himmel möge geben, dass der
französische Friede aufrichtig sei, anders wisse er nicht, wie diese
Dinge ausgehen würden. Ernsthaft rietlier, man möge doch schleunig
vorsehen, das Heer und die Provinz zu sichern, denn cs drohten
grosse Gefahren. Ferdinand möge trachten, sich vom Reichstage ios-
zumachen und nach Innsbruck eilen, um dort auf einem schleunig
berufenen Landtag Massregeln zu berathen und zu ergreifen. Am
besten wäre es wenn Ferdinand vom Kaiser Macht bekäme, selbst
einigermassen für Italien zu sorgen 40 ).
Burgo hatte sich nicht getäuscht, wenn er in dem eben
erwähnten Briefe versicherte: „Aufschub könne nichts nützen, denn
das Feuer sei in der Nähe.“ Schon am 22. Mai Unterzeichneten der
Papst, Frankreich, Venedig, Herzog Sforza und Florenz die Liga.
Der Papst befestigte Bologna, Parma und Piacenza; es ging das
Gerücht, er werde 10.0Ü0 Schweizer insLand ziehen. Auch die Vene
tianer zogen ihre Truppen zusammen, dachten daran, Lodi, Pavia,
Como und Alessandria zu besetzen, dann nach Mailand zu ziehen und
mit Hilfe der Schweizer den Herzog zu befreien, ehe noch Truppen
aus Deutschland eintreffen könnten 47 ).
Die Lage der Kaiserlichen war wirklich im äussersten Grade
misslich und hätten die Gegner mit mehr Nachdruck und Schnellig
keit gehandelt, sie hätten damals unendlich mehr leisten können, als
wirklich geschah 48 ). Aber hei allem Eifer der in Wort und Schrift
sich kund gab, gingen sie mit der That doch nur langsam und zögernd
vorwärts. Am 19. Juni hatten die Venetianer die Adda noch nicht
überschritten; nur die Päpstlichen eilten und stachelten die Andern
auf. Gegen Mailand sollte endlich ein entscheidender Schlag geführt
werden.
Den Venetianern war Lodi durch Vermittlung des Ludovico
Vistarino übergeben worden. Nachdem sie drei bis vier Tage in Lodi
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
1 75
geblieben waren, zogen sie aus, vereinigten sich mit den päpstlichen
Truppen und rückten nach Meregnano. Hier kam der Herzog von
Urbino zu ihnen und forderte sie dringend auf, sogleich gegen Mai
land zu ziehen, weil das Castell sich nicht mehr länger als 6 Tage
halten könne, ln der Stadt lagen 12.000 Spanier, die das Castell
belagerten, und zugleich sich seihst aufs beste verschanzt hatten.
Die Venetianer und die Päpstlichen unter Urbino’s Anführung dran
gen in die Vorstädte ein, und zwangen die Spanier die sich in einen
Hinterhalt gelegt hatten, zum Weichen. Aber auch sie verloren Viele
hei diesem Gefechte und der Angriff auf das Fort, an der Porta
Nuova, in das sich die Spanier geworfen, nachdem sie noch zuvor
einen Theil der Stadl geplündert, misslang völlig. Sie zogen sich
nach Meregnano zurück, und wenig Tage später, am 24. Juli, über
gab Sforza Mailand und Cremona 49 ).
Damit war nun wohl das augenblickliche Übergewicht wieder Vorschläge Bur-
auf Seite der Kaiserlichen, aber die Gegner waren noch keineswegs su s '
besiegt, der Krieg noch keineswegs zu Ende. Im Gegentheile hatte
es allen Anschein, als sollte er sehr langwierig werden, und gerade
das war es, was besonders Ferdinand und die Seinen am meisten
fürchten mussten.
In Ungern war Ludwig hei Moliacs gefallen. Ferdinand sollte
nun die Krone gegen Zapolya, das Land gegen die Türken behaup
ten 50 ). Unter solchen Umständen konnte er nicht nur seinen Bruder
in Italien nicht unterstützen, sondern er bedurfte selber der Hilfe des
Kaisers gegen die allzu mächtigen Feinde. Darum konnte er nichts
sehnlicher wünschen, als schleunige Herstellung des Friedens in
Italien 51 ), und auf dasselbe Ziel mussten Alle hinarbeiten, welche die
politischen Verhältnisse günstig für Ferdinand stellen wollten. Von
diesem Gedanken ausgehend legte Burgo dem Bischof Bernhard
einen weitläufig begründeten Plan vor, der zur Erlangung des Frie
dens führen sollte. Mit Hecht bemerkte er, der Krieg in Italien könne
nicht durch ein oder zwei glückliche Schlachten beendet werden,
denn die Gegner kämpften nicht so sehr um das Herzogthum Mailand,
als gegen die gefürchtete Übermacht des Kaisers; sie würden sich
eben darum stets von neuem erheben. Ebenso hartnäckig würde der
Krieg in Ungern werden. Zapolya habe zwar Mangel an guten Fuss-
soldaten — aber solche seien anderswo zu finden. Er könne sich mit
den Türken verbinden und auch Venedigs Hilfe werde nicht fehlen;
12 *
'riedenshoffnun*
gen.
176 Karl Stoegmann.
daher solle Ferdinand zu einem guten, tapfern und lange dauernden
Kriege rüsten, andererseits aber Alles aufbieten, mitZapolya und den
Ungern einen Vertrag zu Stande zu bringen. Nicht minder solle der
Kaiser in Italien den Frieden suchen und Ferdinand hiebei den Ver
mittler machen.
Zu diesem Zwecke sollte vor Allem ein Gesandter nach Venedig
abgehen, und mit dem Dogen heimlich und nur mündlich verhandeln
über einen allgemeinen, durch Ferdinand zu vermittelnden Frieden,
der auf einer Generalversammlung der Fürsten zu Rom (oder auch
anderswo) geschlossen werden könnte. Derselbe Gesandte sollte sich
hierauf nach Rom begehen, dann zu Bourbon, Leiva und Frundsberg,
damit diese ungeachtet der Unterhandlungen nicht von den Kriegs
unternehmungen abliessen, ferner nach Frankreich und endlich zum
Kaiser. Burgo selbst erbot sich diese Gesandtschaften alle oder
doch zum Theil zu übernehmen, während er zugleich vorschlug den
Grafen von Oldenburg nach England und an Margaretha zu senden 52 J.
Indess ging der Krieg im Felde langsam und schläfrig weiter.
Burgo beklagte es, dass die Kaiserlichen den ganzen Winter über
nichts gethan hätten als auf verschiedene Art die Zeit vergeudet. Die
Anführer waren unter sich nicht einig, das lähmte alle Bewegungen.
Inzwischen stärkten sich die Feinde, und es schien, als sollte das
Frühjahr den Krieg mächtiger beleben. Frankreich sandte Truppen
nach Italien, die Venetianer rüsteten zu einer Expedition gegen
Neapel, in Tirol fürchtete man einen Einfall des kühnen Bauern
führers Gaismair unter dem Schutze und der Mitwirkung Venedigs.
Noch Schlimmeres stand zu erwarten. Die türkische Flotte belagerte
drei venetianische Häfen in Dalmatien; man besorgte in allem Ernste,
das Ganze sei pure Spiegelfechterei und die Türken würden sich
eines schönen Tages plötzlich mit den Venetianern zum Angriff auf
Neapel vereinigen 53 ).
Mitten in diese bangen Besorgnisse, in diese trüben Aussichten
traf eine unerwartete, freudige Nachricht; der Papst, erschreckt
durch die nahe Türkengefahr, hatte am 19. März einen Waffenstill
stand mit dem Kaiser geschlossen — die Vertreter der Friedens
politik hofften das Beste.
Man weiss, wie sehr sie sich irrten. Der Sonnenstrahl der auf
einen Augenblick das dunkle Gewölk durchbrach , liess sie heitern
Himmel hoffen, und statt dessen sollte sich das Gewitter erst entladen.
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
J 77
Die Freude über die Nachricht vom Waffenstillstände hatte
Burgo so verblendet, dass er ganz übersah, welche Hiobspost er
zugleich mit dem Berichte über jenes glückliche Ereigniss an Cles
übersendete. Er meldete, ganz nebenher, und ohne besonderes
Gewicht darauf zu legen, Frundsberg habe aus dem Lager einem
guten Freunde sagen lassen : Er möge gutes Mutlies sein , weil der
Herzog von Bourbon und die Andern im Heere diesen Waffenstill
stand nicht annehmen würden 5<1 ).
Das war es was Burgo und seine Freunde übersahen, und
was alle ihre Pläne vereitelte. Im Lager des eigenen Heeres hatten
die Friedenspolitiker ihre Feinde zu suchen; in diesem Lager war
die Demüthigung des Papstes, die Vernichtung seiner Macht eine
wie instinctmässig beschlossene Sache — das konnte man bald
genug erfahren !
Leider fehlen mir nun Burgo's weitere Berichte über die folgen
den Ereignisse und die endliche Katastrophe, die Erstürmung Borns.
Er hatte den Auftrag erhalten, sich zu Bourbon zu begeben; aber
er konnte diesen nicht mehr erreichen, und ging nach Ferrara , um
von da aus den Lauf der Dinge zu beobachten und zu berichten.
Aber im Innsbrucker Archiv fehlen seine Briefe bis zum Jahre 1530;
die ergänzenden des Staatsarchivs beginnen erst mit Decembor des
Jahres 1529. Die reiche Zwischenzeit übergehend, kann ich erst hier
meine Darstellung wieder aufnehmen 55 ).
Wir finden Burgo als Ferdinand’s Gesandten in Bologna bei Burgo in Bologna-
jener berühmten Zusammenkunft Karl’s V. mit dem Papste, die
dazu bestimmt war, alle noch obwaltenden Streitigkeiten auszu
gleichen und Italien den vollen Frieden zu geben. Mit dem Kaiser
war Salines gekommen, der damalige Bevollmächtigte Ferdinand’s
bei seinem Bruder , und auch Monsignor de Breda fungirte als
Ferdinand’s Gesandter, aber mit wenig Glück und Erfolg. Er stand
nicht in Gunst beim Kaiser und heim Papst, man warf ihm Leichtsinn
und Unzuverlässigkeit vor; Salines wollte gar nicht mehr mit ihm
verhandeln, und es blieb zuletzt nichts übrig, als ihn mit einem Auf
träge von Bologna weg nach Frankreich zu senden 56 ). Dagegen war
Salines beim Kaiser sehr beliebt und hielt sich viel am Hofe auf, so
dass er mehr als Höfling erschien, denn als Gesandter 57 ). Burgo
selbst litt während seines Aufenthaltes in Bologna sehr an der Gicht
und musste oft das Bett hüten; aber auch wenn dies nicht der Fall
178
Karl Stoeg-mann.
Abschluss des Vor
trages mit Venedig.
war, zeigte er sich nach seiner Art äusserst zurückhaltend, und
ging nur an den Hof, wenn er Depeschen vorzulegen hatte 5S ). Doch
verbarg er Cles gegenüber seine Empfindlichkeit nicht, dass man
ihn so wenig beachtete, und weder der Kaiser, noch dessen Räthe
ihn zu den geheimen Verhandlungen beizogen. Es könne, schreibt
er, nicht zur Ehre des Kaisers gereichen, dass er, der Gesandte
seines Bruders, hier so zurückgesetzt werde, aber Salines belehre
ihn: Es sei so die Gewohnheit des Kaisers und seines Hofes 50 ).
Den Beweis dafür, dass Burgo sich nicht ohne Grund beklagte,
und dass allenfalls auch Ferdinand Ursache gehabt hätte, sich zu
beklagen, wird man in der Art und Weise finden, in der zu Bologna
die Verhandlungen mit Mailand und Venedig geführt wurden r, °).
Ferdinand’s Interesse war dabei in nicht geringem Masse betheiligt.
Man weiss, dass er Absichten auf Mailand hatte, und was Venedig
betraf, so handelte es sich für ihn darum, ob die Republik sich jetzt
bereit finden würde, die nicht erfüllten Bedingungen des Friedens
von 1S23 in Ausführung zu bringen, und manchen andern Beschwerden
seinerseits gerecht zu werden. Hauptsächlich dieser Verhandlungen
wegen war Burgo nach Bologna gesandt worden, und halte darüber
weitläufige Instructionen erhalten.
Es klingt seltsam genug, wenn wir hören, dass man ihn an
allen diesen Verhandlungen gar keinen Antheil nehmen liess 61 )- B> s
zum 21. December waren ihm und den beiden andern Bevollmäch
tigten Ferdinand’s durch Granvella und den Grosskanzler nur zwei
Mittheilungen ganz allgemeiner Art gemacht worden, während er
von den einzelnen Puncten der in Verhandlung begriffenen Verträge
nur einige wenige erfuhr, die ihm der Papst in vertrautem Gespräche
mittheilte, oder ihm während seiner Krankheit mittheilen liess. Ver
gebens liess Burgo den Kaiser und den Kanzler zu wiederholten
Malen bitten, man möge ihm doch von Tag zu Tag mittheilen, was
verhandelt werde; man gab stets die Versicherung, es werde
geschehen, und er erfuhr doch nichts. Auch Salines konnte vorn
Kaiser nicht mehr erhalten, als dass der Vertrag, sobald er geschlossen
sein würde, vor Allen den drei Gesandten mitgetheilt werden solle,
damit ihn Ferdinand doch wenigstens zuerst von ihnen erfahre 02 ).
Mit diesem Bescheide waren sie thatsächlich von jeder Theilnalnne
an den Verhandlungen ausgeschlossen und Burgo gab alle Hoffnung
auf, den Wünschen Ferdinand's Geltung verschaffen zu können.
Über die Briete des Andrea da ßurgo.
179
Am 23. December Morgens wurde der Friede mit Mailand und
Venedig abgeschlossen, und noch wusste ßurgo nichts Näheres über
die Bedingungen. Noch denselben Tag liess ibn der Kanzler auf-
fordern, seine Instruction vorzulegen, weil es nöthig sei, dass er
den Vertrag unterzeichne, ein Ansinnen das ihn in nicht geringe
Verlegenheit setzte. Die Instruction enthielt die Forderungen die
Ferdinand in den Verhandlungen durchzusetzen gedacht hatte, For
derungen die das Mass des muthmasslich Zugestandenen voraus
sichtlich weit überschritten. Dann aber hatte Salines dem Burgo
einen Brief Ferdinand’s an den Kaiser gezeigt, worin dieser erklärte,
sich in Allem dem Gutdünken seines Bruders fügen zu wollen.
Burgo wusste nicht, was beginnen; den Vertrag bestätigen,
schien gegen seine Instruction, von der abzugehen ihm wenigstens
kein Befehl zugekommen war; ihn nicht bestätigen, konnte ver
anlassen, dass die Venetianer den Abschluss des Friedens mit dem
Kaiser verweigerten. In grosser Besorgniss wandte sich Burgo an
Cles um schleunigen Bescheid, was er thun solle 83 ).
Aber man liess ihm nicht Zeit, die Antwort des Bischofs abzu
warten. Am 24. schickte der Kanzler noch in der Nacht zu Burgo,
er möge durch Salines sein Mandat senden, weil die Bevollmäch
tigten des Kaisers, der Venetianer und des Herzogs von Mailand bei
sammen wären, und es sehen wollten. Burgo sandte wirklich den
Salines ab, belehrte ihn aber zuvor, welche Puncte er dem Kanzler
und den kaiserlichen Räthen allein mittheilen solle. Nach einer
Stunde kehrte Salines zurück, meldete, was verhandelt worden, und
dass der kaiserliche Secretär Valdesius kommen und Burgo die
Artikel des Tractates mit den Venetianern vorlesen werde, damit er
sie sofort unterfertige. Burgo erklärte, es scheine ihm besser, dass
der Kaiser sich für seinen Bruder verbürge und Ferdinand hinterher
den Vertrag ratiticire, da man seinen Gesandten die Bedingungen zu
spät bekannt gegeben, als dass sie die Willensmeinung ihres Herrn
hierüber hätten einholen können.
Auf des Salines’ Gegenvorstellungen beharrte er zuletzt wenig
stens darauf, Salines solle zum Kaiser gehen und erwirken, dass
Se. Majestät ihm, Burgo, die Unterzeichnung des Vertrages aus
drücklich befehle. Während Salines diesem Wunsche willfahrte,
kamen zu ßurgo der Secretär, die Gesandten der Venetianer und
des Herzogs von Mailand, um der Unterzeichnung beizuwohnen.
180
Karl Stoegmann.
Salines brachte die Antwort des Kaisers: Burgo solle auf jeden Fall
unterzeichnen; andere Bedingungen seien nicht zu erlangen und es
sei zum Nutzen des Kaisers und Ferdinand’s, der guten Grund habe
sich der Notkwendigkeit der Zeitverhältnisse und dem Willen des
Kaisers zu bequemen; sonst könne auch dieser nicht thun, worauf
Ferdinand so sehr dringe. Noch etwas Anderes liess der Kaiser an
Burgo sagen, was dieser gar nicht an Cles zu schreiben wagte, das
ihn aber zumeist bewog, dem Drange der Nothwendigkeil: nachzu
geben und den Vertrag mit Venedig zu unterzeichnen 04 ). Er war
keineswegs günstig für Ferdinand, denn dieser erlangte nichts von
dem was er gewünscht hatte, und die alten Streitigkeiten vom
Wormser Frieden her blieben unerledigt 65 ).
Man muss wohl fragen, was den Kaiser zu einem solchen Vor
gehen bewegen konnte?
Vor Allem war es die missliche Lage der Dinge in Deutschland.
Des Kaisers Rückkehr war äusserst nüthig, Ferdinand selbst forderte
sie aufs dringendste; aber Karl V. konnte daran nicht denken, wenn
nicht Italien völlig beruhigt war. Das machte er auch gegen Burgo
geltend, indem er ihm bedeuten liess, wenn der Friede nicht unter
zeichnet werde, könne auch er nicht thun, was Ferdinand so drin
gend verlange. Burgo selber sah das wohl ein und sprach auch die
Befürchtung aus , seine Weigerung werde den Kaiser nur noch
länger in Italien aufhalten.
Dazu kam noch eine andere Besorgniss, die nämlich, ob Frank
reich den Frieden aufrichtig halten wolle.
Der französische Gesandte suchte beim Kaiser die Änderung
einiger Artikel des Vertrages von Cambrai zu erlangen, — Karl
schlug es ab, und wurde misstrauisch. Wenn ihm der Papst von
Frankreichs friedlicher Gesinnung sprach, antwortete er jedesmal:
„Heiliger Vater, glaubt es nicht“ 66 ). Kurz vor Abschluss des Frie
dens mit Venedig, kamen neue Nachrichten aus Frankreich. Der
König weigerte sich nicht nur, Hilfe gegen die Türken zu leisten,
er wollte nicht einmal zugeben, dass der Papst den Kirchenzehent
erhebe und die Türkensteuer in Frankreich ausschreibe. Dass man
sein Erbieten gegen die Türken ein mächtiges Heer zu rüsten, abge
lehnt, dass man eine Änderung des Vertrages von Cambrai verweigert
hatte, war für ihn hinlänglicher Grund zu wachsender Verstimmung
und sein ganzes Benehmen erregte ernstliche Besorgnisse 67 ). Um so
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
181
nöthiger erschien es dem Kaiser, Italien schleunig zu beruhigen und
Venedig zu gewinnen, auch wenn Ferdinand’s Interessen darum auf
geopfert werden mussten. Von Ferdinand’s Gesandten, besonders von
Burgo, mochte er Widerstand gegen ein solches Vorgehen befürchten,
der, wenn auch nichts Anderes, doch eine Verzögerung bewirken
konnte. Darum wurden sie von vorneherein von den Verhandlungen
ausgeschlossen, und ihre scldiessliche Zustimmung wie durch Über
rumplung, ja durch ein förmliches Machtwort des Kaisers mehr
erzwungen, als erhalten. Karl V. selbst erklärte, er hätte gerne
anders gehandelt, aber er habe sich gezwungen gesehen nachzu
geben selbst in preiudicium honoris et rerum Majestatis sue et
regis, fratris sui 08 ). Burgo, so viel Sorge ihm die ganze Ange
legenheit gemacht hatte ° 9 ), tröstete sich zuletzt damit, dass er bei
der ungünstigen Lage des Königs gegenüber den Türken und
Lutheranern und hei der Fruchtlosigkeit jedes Protestes am besten
gethan habe, dem Kaiser nachzugehen.
Am letzten December wurde der Friede publicirt 70 ), Freuden
feuer und andere Zeichen der Fröhlichkeit folgten; am andern Mor
gen war feierlicher Gottesdienst in der Capelle, dem der Kaiser und
der Herzog von Mailand beiwohnten.
Um keine Zeit zu verlieren, sandte der Kaiser augenblicklich
einen Gesandten nach Venedig, ßnrgo dachte daran, dass diesem der
Auftrag gegeben werden könne, mindestens noch etwas mehr, als in
dem Vertrage stand, für Ferdinand zu erlangen 71 )- Ein solcher Punct
der dem Könige vorzüglich am Herzen lag, war die Ausschliessung
der Rebellen vom Frieden. Auf Burgo’s Vorstellungen versprach auch
der Papst mit den venetianischen Gesandten zu reden, dass die Wie
dertäufer und andere Verwiesene aus dem Gebiete der Republik aus
gewiesen werden sollten, und Burgo übergab ein Memoriale über
diesen Punct, ohne jedoch ein günstiges Resultat erreichen zu
können 73 ).
So war die Hauptaufgabe seiner Sendung, wenn auch nicht
durch seine Schuld, nur ungünstig gelöst worden; glücklicher, min
destens zum Theile, war er in seinen Bestrebungen, so weit sie sich
auf die ungrisch-tiirkischen Angelegenheiten bezogen.
Zwar gelang es ihm auch hier nicht, mit seinem Hauptplane ungmch-umu
durchzudringen, dass sich nämlich die italienischen Fürsten verpflich- "
ten sollten, an Ferdinand Geldsubsidien gegen die Türken zu zahlen,
182
Karl Stoegmann.
entweder eine bedeutende Summe ein für allemal, oder monatliche
Raten: obgleich der Kaiser und der Papst den Plan billigten, kam er
doch nie zur Durchführung 73 ). Auch als Burgo den Papst aufforderte,
einige feste Plätze in Slavonien zu unterstützen, wie er es schon
öfter gethan, erhielt er nur die Antwort: Wenn der Papst zu andern-
malen einen derartigen Succurs geleistet habe, sei es stets mit Hilfe
der Venetianer geschehen; jetzt aber sei von diesen nichts gegen
die Türken zu erlangen. Nichtsdestoweniger werde Se. Heiligkeit,
sobald der Friede mit Venedig geschlossen sei , neuerdings hierüber
mit ihnen verhandeln 74 ). Aber neben diesen abschlägigen Antworten
erfolgten denn doch auch einige günstige. So gelang es wenig
stens, vom Papste das Versprechen von Subsidien im Betrage von
40.000 Ducaten zu erlangen. Oie Aufbringung dieser Summe machte
freilich nicht geringe Mühe. Der Papst schrieb eine Türkensteuer in
Parma aus, die auf alle Gebiete des Kirchenstaates ausgedehnt wer
den sollte, und gegen Verpfändung dieser Steuer suchte man von den
Wechslern ein Darlehen von 40.000 Ducaten zu erhalten. Dabei gab
es denn Schwierigkeiten über Schwierigkeiten, und erst als der Car
dinal von St. Quatuor und der Cardinal von Perusia, Cammerlengo
des Papstes, sich jeder für 10.000 Ducaten verbürgt hatten, wurde
es möglich, wenigstens einen Theil der versprochenen Summe zu
erhalten 75 ).
Auch dies erlangte Burgo, dass über Zapolya und seine Anhän
ger die Excommunication verhängt wurde. Zwar erklärten die mit
dieser Angelegenheit betrauten Cardinäle zuerst die Aussagen der
vernommenen Zeugen für nicht zureichend und verlangten Verneh
mung solcher Personen, die zur Zeit des Türkeneinfalles in Ungern
gewesen wären, und ein „testimonium de visu et auditu“ abgeben
könnten; aber ehe noch Burgo einen Schritt thuu konnte, diesem
Verlangen zu willfahren, liess man es von selbst wieder fallen, und
beschloss in der Sitzung des Consistoriums vom 21. Deeember die
Excommunication 73 ). Die Zapolya freundliche Partei der Cardinäle
(und diese war sonst weder klein noch unbedeutend) zog sich diesmal
zurück, durch die persönliche Gegenwart des Kaisers eingesehüeh-
tert. Der Papst, durch die Florentiner Ereignisse auf Karl angewie
sen und seiner Freundschaft bedürftig, ergriff mit Vergnügen diese
Gelegenheit, bei der er sich dem Kaiser gefällig zeigen konnte,
ohne selbst ein Opfer bringen zu müssen. Unschwer war erauch zu
Über die Briefe des Andrea da Bürgo.
183
bewegen, den Agenten Zapolya’s, Stephan Broderich, der zu Venedig
angekommen war und nach Rom reisen wollte, förmlich zurückzu
weisen 77 ), Kurz, Zapolya wurde in jener Zeit vom päpstlichen Stuhle
völlig desavouirt, als Usurpator und Feind der Christenheit behan
delt. Der einzige Vortheil den Ferdinand von dem Aufenthalte seines
Bruders in Bologna gewann, war diese Wendung der päpstlichen
Politik.
Im Übrigen wünschte in der That Niemand mehr die schnelle
Abreise des Kaisers aus Italien, als eben Ferdinand. Sein Erscheinen
in Deutschland war von der äussersten Nothwendigke.it; — noch
länger in Italien zögern, oder gar, wie Einige riethen, nach Spanien
zurückkehren, hiess Ferdinand und das Reich in der schwierigsten
Lage verlassen, ßucholz hat im dritten Bande seiner Geschichte
die in dieser Angelegenheit zwischen Karl, Ferdinand und Cles
gewechselten Briefe mitgetheilt; Burgo’s Schreiben liefern
noch einige Details, vorzüglich für die Vorgänge in Bologna
selber.
Der Kaiser zeigte sich merkwürdig schwankend und unschlüssig.
Er wünschte Italien völlig zu beruhigen, den Streit zwischen Ferrara
und dem Papste beizulegen, Florenz zum Gehorsam zu bringen, und
bestand noch obendrein mit einer Art vorurtheilsvollen Eigensinnes
auf der Krönung in Rom. Er sah es ain Ende ein, dass er nach
Deutschland müsse, aber es war ihm eine bittere Nothwendigkeit,
von der er endlosen Verdruss voraussah, und seine bequeme Art zu
sein liess ihn derlei Dinge immer hinausschieben, so lange als nur
möglich 7S ). Schlimmer noch dachten seine Räthe die am wenigsten
geneigt waren, einer deutschen Politik das Wort zu reden; sie riethen
den Weg über Rom und Neapel nach Spanien, und warnten dringend
vor einer Reise nach dem ketzerischen Deutschland. Die seltsamsten
Besorgnisse wurden ausgekramt: „es sei nicht gut, wenn beide
Brüder zugleich dein Zufall und den repentinus motibus Germaniae
sich aussetzten; Ferdinand und Cles, klagten sie weiter, trügen alle
Schuld wenn dem Kaiser ein Unglück widerfahre 79 ).“ Wer sie so
jammern hörte, musste denken, Deutschland sei eine Höhle voll Räu
bern und Rebellen; wie schlimm es auch aussehen mochte, so arg
war es noch keineswegs geworden, dass der Kaiser für seine persön
liche Sicherheit hätte zittern müssen. Gegenüber diesen Einflüste
rungen arbeitete Burgo, von Cles angespornt, unermüdet daran, dem
Verhandlungen
über die Rückkehr
Karl des V.
184
Karl Stoegmann.
Kaiser die Sache in einem besseren Lichte zu zeigen, wie er sich
denn auch an den Papst wandte, um durch ihn auf den Kaiser zu
wirken. Clemens VII. ging darauf ein, und als ihn Karl geradezu um
seine Meinung fragte, rieth er ihm dringend, nach Deutschland zu
gehen. Auch erklärte er gegen Bürge, er wolle keine Schwierig
keiten machen, wenn der Kaiser in Bologna gekrönt zu werden
wünsche.
Indess wollte der Kaiser nach Siena gehen, um die Expedition
gegen Florenz zu leiten, und von da zur Krönung nach Rom. Trotz
des Widerspruches den er fand, bestand er auf diesem Gedanken,
und die Abreise nach Siena ward auf den 22. Januar angesetzt, dann
aber, der nöthigen Vorbereitungen wegen, bis Ende des Monats ver
schoben. An Ferdinand wurden die nöthigen Briefe zur Ausschrei
bung des Reichstages abgesandt. Man hatte von der Ankunft der
Florentinisciien Gesandten endliche Beilegung des Streites erwartet
— aber vergebens. Sie boten dem Papste einen Vertrag ufiter drei
Bedingungen; man solle ihnen ihre Freiheit wahren, ihr Gebiet
ungeschmälert belassen, und die bestehende Regierung nicht ändern.
Auf den letzten Punct ging der Papst nicht ein, und so kam es zu
keinem Abschlüsse. „Ich wollte, dies Florenz läge am Ende der
Welt!“ schrieb Ferdinand an Cles.
Inzwischen ergriff den Kaiser ein leichtes Unwohlsein das ihn
nöthigte, das Bett zu hüten, und die Abreise nach Siena wurde neuer
dings verschoben. Damit war wenigstens wieder Zeit gewonnen , die
Burgo auch redlich benützte. Am 30. Januar ging er mit Salines
zum Kaiser, legte ihm des Bischofs von Trient Briefe vom 19. und
23. des Monats vor, und sprach aufs eindringlichste für die Rückkehr
nach Deutschland. Der Kaiser schien bewegt und Burgo schrieb eilig
an Cles, er habe gute Hoffnung, dass die Krönung in Bologna gesche
hen und der Kaiser bald kommen werde. Den Ausschlag gab Ferdi-
nand’s kräftiger Brief vom 29. Januar; der Kaiser beschloss die
Krönung zu Bologna und alle Vorbereitungen wurden getroffen.
In diesen Tagen kam der Propst von Feltrich nach Bologna und
hatte eine lange Audienz bei dem Kaiser. Seine Schilderung der
deutschen Zustände war so trostlos, dass nicht viel fehlte, und Karl
hätte alle seine Vorsätze geändert. Oh es nun gleich nicht so weit
kam, so stieg doch des Kaisers Misstrauen und Verstimmung. Die in
Bologna anwesenden Deutschen welche Geschäfte am Hofe hatten,
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
185
wurden schleunigst abgefertigt, damit sie nicht länger verweilen und
Kunde von den weiteren Verhandlungen nehmen könnten. Es war
eine der vielen Anomalien der Zeit— eine deutsche Kaiserkrönung —
von der man die Deutschen entfernte!
Indessen hatte Ferdinand, um seinerseits kein Mittel unversucht
zu lassen, beschlossen, den Bischof von Trient selbst nach Bologna
zu senden, um alle Bedenken des Kaisers hinwegzuräumen. Der
Gedanke wurde von Karl und dem Papste günstig aufgenommen, und
die Sendung des Bischofs, hei der wir hier nicht länger verweilen
wollen, hatte den besten Erfolg. Endlich am 22. März 1530 verliess
Karl V. als gekrönter Kaiser Bologna; Burgo der viel dafür gear
beitet, folgte Clemens VII. nach Rom.
III.
Unter allen Gesandtschaflsposten der damaligen Zeit war Rom
unstreitig derjenige, der als der wichtigste erschien und den tüch
tigsten Mann erforderte. Diese Stadt war der Sitz jener gewaltigen
Macht, die durch Jahrhunderte die geistliche und die geistige Herr
schaft geführt, die jetzt aufs heftigste angegriffen, sich zu neuen An
strengungen erhob, ihr gesunkenes Ansehen zu retten, zu liehen und
zu festigen. Noch war hier der Mittelpunct aller bedeutenden Bezie
hungen zwischen den grossen christlichen Mächten Europa’s, noch
war die Stellung zu Rom von unberechenbarer Wichtigkeit für die
Politik jedes einzelnen Fürsten.
Und hier erschien Burgo als der Gesandte Ferdinand’s, eines
Fürsten der mehr als jeder andere auf die Verbindung mit Rom
gewiesen war. Seine Stellung in Deutschland verwickelte ihn in die
religiöse Bewegung, die wichtigste Angelegenheit der Zeit, insbe
sondere für Rom. Er wollte römischer König werden und bedurfte
dazu des Papstes. Seine Rechte auf Ungern machten ihn zum
nächsten Gegenstände der türkischen Angriffe; er war berechtigt
und gezwungen, Hilfe gegen den Feind der Christenheit bei dem
geistlichen Haupte derselben zu suchen. Aber auch seine Feinde,
diejenigen welche im offenen Kampfe mit ihm lagen, als auch jene
welche im Frieden mit ihm dennoch das Wachsen seiner Macht
scheuten, feierten nicht mit Umtrieben gegen ihn am päpstlichen
Hofe und mussten dort bekämpft werden.
186
Karl S to e g'man n.
Dazu trat noch eine besondere Schwierigkeit.. Ferdinand’s Politik
krankte an dem einen Übel, dass es ihr nicht gestattet war, sieb frei
aus den ihr zu Grunde liegenden Principien zu entwickeln, sondern
dass sie sich stets beengen und ablenken lassen musste von den Forde
rungen 80 ) die des Kaisers Absichten mit sich brachten, denen sich nicht
widersprechen Hess, ln Horn trat dies mehr als anderswo zu Tage
und nicht zur Erleichterung für den Gesandten Ferdinand’s. Gerade
dort litten Ferdinand’s Vortheile nicht selten unter dem Einflüsse sei
ner Stellung zum Kaiser. Bei der überwiegenden Bedeutung die
Karl’s V. Pläne und Absichten für Born haben mussten, hatte man sich
daran gewöhnt, Ferdinand’s Wünsche und Forderungen stets in zwei
ter Reihe zu betrachten, oder ihre Erfüllung von der augenblicklichen
Stimmung abhängig zu machen, die gegen den Kaiser herrschte. Um
vorgreifend Belege aus der Zeit von Burgo’s Gesandtschaft anzufüh
ren, so war es nichts Seltenes, dass man den König auf die Macht
seines Bruders verwies, wenn er Hilfe gegen die Türken begehrte,
oder dass man ihm vorrechnete, was alles für Karl in Italien geschehen
sei, wenn er Unterstützung für den Krieg in Ungern verlangte.
So verzögerte der Papst die längst versprochene Auszahlung
der Subsidiengelder gegen den Türken zu nicht geringem Schaden
des Königs, als ihn der Ausspruch des Kaisers in der ferrarisehen
Angelegenheit übler Laune machte, und in ähnlicher Weise musste
Ferdinand mehr als einmal den Unrnuth btissen. den seines Bruders
Benehmen erregte.
Solche Schwierigkeiten und noch andere deren später Erwäh
nung geschehen wird, traten Burgo in Rom entgegen; zum Glück
fand sich ein nicht unbedeutendes Gegengewicht in seiner eigenen
Persönlichkeit.
Schon dass er ein Italiener war, leistete ihm nicht geringen
Vorschub. Kein Name war in Rom verhasster, als jener der Deut
schen oder der Spanier, sowohl bei Hofe als im Volke. Sogross
war die Erbitterung, dass der kleinste Streit zwischen den Einwoh
nern und den Fremden zu Aufruhr und Todtschlag zu führen drohte,
ja dass Deutsche und Spanier in der Nacht sich nicht auf die Strasse
wagen durften 81 )- Dies Gefühl der Abneigung, das sich beim Volke
in wilder Leidenschaftlichkeit Luft machte, empfand im Grunde
genommen auch der Papst, nur dass er es zu beherrschen und zu
verbergen wusste. Aber er war den Deutschen und Spaniern nie
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
187
recht gewogen gewesen, und seit den Tagen derNoth in der Engels
burg mochte er keinem mehr vertrauen; Burgo war sein Landsmann,
das stimmte ihn von vorne herein günstiger, als er gegen einen
andern Gesandten gewesen wäre. Dazu besass Burgo die vorsichtige
rücksichtsvolle Art deren es bedurfte, um die Empfindlichkeit des
Papstes nicht zu verletzen, und endlich war er ein gewandter Diplomat,
der Gewalt und dem Kampfe herzlich abgeneigt, aber erfahren in
politischen Ränken, vorsichtig und verschwiegen.
Das war es schliesslich, was ihn dem Papste persönlich so
werth machte, der etwas Verwandtes, ja so zu sagen, ein Stück sei
ner eigenen Natur in dem Gesandten Ferdinand’s wiederfand. Zu der
Neigung, dem Vertrauen das hieraus entstand, traten günstige äus
sere Verhältnisse, und so geschah es, dass unter Burgo’s Gesandt
schaft und durch seine Vermittlung zwischen dem Papste und Ferdi
nand sich vertrautere Beziehungen denn jemals anknüpften. Diese
Beziehungen stellen im innigsten Zusammenhänge mit der vielver
schlungenen geheimen Politik des Papstes; sie wirken über Burgo’s
Tod hinaus fort, und bilden mit ihren Vorbereitungen den interessan
testen Inhalt von Burgo’s Briefen.
Als Burgo nach Rom kam, fand er wenig Tröstliches. Die päpst
liche Curie war in zwei Parteien gespalten, die sich heftig be
kämpften; dazwischen stand Clemens VII. der es nicht vermochte
sie zu beherrschen, und es eben darum liebte sich abwechselnd bei
den zuzueignen.
Naturgemäss bildeten die deutschen und spanischen Cardinäle
in Rom die Partei des Kaisers, denen die Franzosen und Engländer
als natürliche Gegner gegenüber traten ss ). Die italienischen Cardinäle
durch kein vaterländisches Gefühl von vorne herein bestimmt, konn
ten sich nach Gunst und Neigung entscheiden. Der grössere Theil
von ihnen schlug sich zur französischen Partei; die kaiserliche, vom
Anfänge an die schwächere, verminderte sich fort und fort. So Man
ches trug daran Schuld, was oft gar nicht vermieden werden konnte.
Hauptsächlich war es die Furcht vor der wachsenden Macht der habs
burgischen Brüder, die bereits zu gross war, als dass die Vertreter
italienischer Politik sie noch ruhig hätten betrachten können. Manche
von den Cardinälen dachten gut von dem Kaiser und wollten ihm
wohl, und was Ferdinand betrifft, so war er in der That noch belieb
ter als sein Bruder. Man rühmte von ihm, er sei freigebiger, Hebens-
188
Karl Stoegmann.
würdiger, er spreche viele Sprachen, er sei energisch und mutliig,
kurz, er besitze Alles — ausser Geld 83 ); aber dennoch hielten sie
es mit den Franzosen und stimmten gegen die Brüder, wo es sich um
neue Vortheile für diese handelte. Noch andere Gründe, mehr eigen
nütziger Art, traten hinzu. Manche Forderungen Ferdinand^, welche
die Einkünfte der Cardinäle zu schmälern drohten, manche ähnliche
Schritte des Kaisers, endlich das Drängen der beiden Brüder auf das
so verhasste Concil, waren eben so viele Ursachen zur Vermin
derung der kleinen Anzahl von Freunden die man im Cardinal-Col-
legium besass s4 ). Die Franzosen benützten diese Dinge wohl; sie
hatten es immer verstanden, Proselyten zu machen.
An der Spitze der kaiserlichen Partei finden wir eine bedeu
tende Persönlichkeit, den durch seinen Einfluss auf Karl V. und sei
nen Briefwechsel mit diesem Monarchen bekannten Cardinal Garcias
Loaisa 85 ). Nachdem er 7 Jahre lang der Beichtvater des Kaisers
gewesen, wurde er 1S30 zu Bologna zum Cardinal erhoben, und
folgte von dort dem Papste nach Born 86 ), wo er in energischer, auf
richtiger aber allzu heftiger Weise die Inleressen Karfs V. vertrat.
Burgo sagt von ihm, er sei ein treuer Diener, aber ein wenig zu
freimüthig und eigensinnig 87 ). Liest man des Cardinais Briefe, so
wird man diesen Ausspruch sehr gemässigt finden. Loaisa erscheint
darin als ein freimüthiger, energischer Mann, aber ohne Tact, von
massloser Heftigkeit, rasch wechselnd mit seinen Ansichten, zu Extre
men geneigt, von einer bis ans Verletzende streifenden Bücksichts-
losigkeit 88 ). Seine Ausdrücke sind in den Briefen nicht sehr gewählt,
die Lutheraner nennt er Hunde, den französischen Cardinal Granl-
mont einen Narren, den kaiserlichen Gesandten Mai „ein Rindvieh“ 89 ).
Es konnte nicht fehlen, dass ein Mann von solcher Heftigkeit und so
rauhem Wesen den Papst beleidigte. Bei der Cardinalwahl im Mai
1S32 wollte der Papst seinen Günstling Juan Antonio Mujetula mit
dem Purpur schmücken, und da die französischen Cardinäle als Be
dingung ihrer Zustimmung die gleichzeitige Erhebung des Bischofs
von Verona forderten, so war Clemens VII. bereit ihnen zu willfah
ren. Die kaiserlichen Cardinäle aber, Loaisa an der Spitze, wieder
setzten sich aufs heftigste diesem Bischöfe. Er sei ein Bastard, rief
Loaisa, ein solcher dürfe nicht Cardinal werden! Es war die bit
terste Beleidigung die Clemens VII. geschehen konnte — wenn er
an seine eigene Abstammung dachte! Er war verwirrt, erbittert,
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
189
Hess den Plan einer Cardinaiswahl völlig fallen, und verlieh den so
sehr bestrittenen Purpur keinem. Gegen Mai aber, der ihn um den
Grund seines sichtlichen Unwillens fragte, klagte er: Die kaiserli
chen Cardinäle benähmen sich nicht so gegen ihn, wie es seine
Würde und seine Liebe zu dem Kaiser verdiene. Vor Allen sei der
Cardinal Loaisa allzu hoclimüthig und selbstüberschätzend; er, der
Papst, wolle lieber in einer Wüste leben, als solche Behandlungen
erdulden. Der Cardinal seinerseits erklärte trotzig, er habe nur seine
Pflicht getlian und werde davon nicht ablassen; lieber wolle er gar
nicht ins Consistorium gehen, ausser wenn über die englische Schei
dungsangelegenheit verhandelt werde, und wenn der Papst sich nicht
gut gegen ihn benehme, so werde er Rom verlassen und nach Neapel
gehen, bis der Kaiser komme! 90 )
So verdarb gerade der eifrigste unter den kaiserlichen Cardi-
nälen durch seine Heftigkeit die guten Früchte seiner Bemühungen,
und man könnte in der That nicht sagen, dass Loiasa dem Kaiser in
Rom von grossem Nutzen gewesen. Von den übrigen Cardinälen ist
wenig zu bemerken. Der Cardinal vom heil. Kreuz, dem Kaiser erge
ben und beim Papste beliebt, hatte sich fast ganz von den Geschäf
ten zurückgezogen 91 ); der Cardinal von St. Quatour starb in dieser
Zeit 03 ). Die Protection die er besessen hatte, erhielt der Cardinal
Salviati"). Damit sind die Namen der Freunde des Kaisers erschöpft,
die Burgo aufzuführen weiss ° 4 ).
Weit thätiger, gewandter und glücklicher zeigte sich die fran
zösische Partei. Gabriel de Grantmont, Bischof von Tarbes 95 ),
stand als Gesandter an ihrer Spitze. Als er 1530 nach Frankreich
zurückkehrte, trat der Herzog von Albanien an seine Stelle; bald
jedoch traf auch er wieder in Rom ein und arbeitete gemeinschaftlich
mit dem Herzog. Es mochte unbedeutend erscheinen, aber es trug
doch etwas aus, dass die französischen Gesandten viel Geld hatten,
ein grosses Haus führen und zahlreiche Geschenke vertheilen konn
ten, während Burgo zurückgezogen leben musste, und dabei doch in
Schulden steckte, weil Ferdinand kein Geld senden konnte. Über
haupt ward auch in den kleinsten Dingen von den Franzosen nichts
übersehen; jede Verstimmung des Papstes gegen den Kaiser wurde
augenblicklich benutzt; falsche Nachrichten die dem Gegner scha
den konnten, wurden ohne Unterlass verbreitet. Als die Türken her
anzogen, erhielt man in Rom Briefe um Briefe die Alles in Abrede
Sitz!), d. phil.-hist. CI. XXIV. Bd. II. Hft. ]3
190
Karl Stoegmann.
stellten und berichteten, der Sultan werde keinen Einfall wagen; es
geschah nur, um den Papst an der Auszahlung der Subsidien zu hin
dern. An Clemens VII. kannte man wohl die schwache Seite seines
Charakters, seine ängstliche Furchtsamkeit; und mit kluger Berech
nung wusste man ihm stets neue Besorgnisse einzutlössen, die ihn
hindern sollten, sich völlig von Frankreich zu trennen. Man stellte
ihm vor, der Kaiser und König Ferdinand hätten allzu viele und allzu
mächtige Feinde, als dass sie ihnen für die Länge der Zeit wieder
stehen könnten; auch wenn der Papst das Äusserste für sie thue,
werde er sie doch nicht vor kommendem Unglück bewahren, ihm aber
möchte geschehen, dass er seiner Hingebung an diese Fürsten wegen
von andern unterdrückt werde, ohne dass sie ihm würden helfen
können °°). Für derlei Einflüsterungen hatte der Papst stets ein offe
nes Ohr; er fürchtete in der That den Unmuth und die Rache Frank
reichs, und weil die Franzosen dies wussten, stieg ihnen der Muth,
dass sie nicht selten offene Drohungen wagten, um Clemens VII. zu
erschrecken und einzuschüchtern ° 7 ).
Am thätigsten zeigte sich die französische Partei in ihrer
Agitation zu Gunsten Zapolya’s.
Wir haben gesehen, wie eine augenblickliche Ungunst der Ver
hältnisse zu Bologna zum Nachtheile des Woiwoden ausgeschlagen
hatte; gleich nach der Rückkehr nach Rom bot seine Partei Alles
auf, die erlittene Niederlage durch einen Sieg vergessen und
unschädlich zu machen. Die Usurpation Zapolya’s fand nirgend
grössere Vertheidigung und Unterstützung, als in Rom; Massregeln
gegen dieselbe nirgends grösseren Widerstand. Von dem englischen
Gesandten Georg, de Casale, sagte Cles, „er trage für den Weyda
grössere Sorge, als für sich selber 93 )“; der Papst selbst erklärte ein
mal, als es sich um Hilfe gegen die Lutheraner handelte, „diese
würde im Cardinalscollegium leichter zu erhalten sein, als Hilfe
gegen die Türken, weil die Anhänger Zapolya’s sich der letzteren
widersetzten "). Von des Woiwoden guten und friedlichen Absichten
zu sprechen, wurde man nicht müde; alle Schuld, dass dennoch kein
Friede zu Stande kam, schob man auf Ferdinand. Das stete Geschrei
drängte diese Meinung endlich auch Solchen auf, die sonst nicht
gerade zur französischen Partei gehörten. Ein Cardinal erklärte
dem Cardinal St. Crucis ganz unumwunden: Iste vester Ferdinandus
est nimis durus et habet animum niinis altum; vult tenere totam
Über die Briefe des Andrea da Burg-o.
191
Christianitatem in confusione, quia non vult concordare cum Woi-
woda ,0 °). Ein anderer Cardinal, sonst ein Freund des Kaisers,
meinte: man müsse ja erst noch sehen, wer der rechtmässige König
von Ungern sei, Ferdinand oder Zapolya 101 ). Solche Reden konnle
man hören, nachdem Zapolya als llebell und Feind der Christenheit
excommunicirt worden war! Die Rücknahme der Excommunications-
bulle zu bewirken war nun das Hauptbestreben der ihm ergebenen
Cardinäle. Broderich dem zu Bologna die Reise zum Papste unter
sagt worden war, sandte bald darauf ein weitläufiges Schreiben an
das Cardinaiscollegium, worin behauptet wurde, der Woiwode habe
nie den Zug der Türken gegen Wien betrieben, sondern er könne
durch ein Antwortschreiben des Sultans beweisen, dass er das
Unternehmen abgerathen. Auch ward versucht, Zapolya’s Recht auf
Ungern zu erweisen, und die Cardinäle erklärten, sich darauf stützend,
man müsse die Excommunication aufheben, denn als rechtmässiger
König habe Zapolya eben so gut die Türken, wie jede andere Macht
zu seiner Vertheidigung herbeirufen dürfen. Es war ein Argument,
das den Anhängern des Königs von Frankreich freilich sehr einleuch
tend scheinen musste! Nun wurde zwar jene Absicht nicht erreicht,
aber die Stimmung nach dem Empfang von Broderich’s Brief war eine
solche, dass Burgo und Mai es nicht wagten, ihre beabsichtigte Rede
gegen Zapolya im Cardinalscollegium zu halten, um das Übel nicht
ärger zu machen 102 ). Ähnliche Wirkungen brachte ein anderes
Schreiben hervor, das Hieronymus Lasky Ende 1531 an den Papst
und die Cardinäle richtete 103 ). Theils glaubte man wirklich den Ver
sicherungen von der Geneigtheit Zapolya’s zum Frieden, theils gab
man sich um jeden Preis den Anschein daran zu glauben. Alles wurde
versucht den Papst zu bewegen, einen Gesandten Zapolya’s zu
empfangen, oder doch wenigstens einem seiner Agenten geheime
Audienz zu gewähren. Im Januar 1531 traf ein Franciscaner aus
Siebenbürgen in Rom ein, angeblich in Privatangelegenheiten, in der
That aber um durch Marsininus, den ehemaligen Gesandten Königs
Ludwig von Ungern und einen genauen Freund Zapolya’s, zum Papste
zu gelangen. Im Februar desselben Jahres erschien ein Secretär
Zapolya’s und stieg im Hause des englischen Gesandten ah, ein wohl
unterrichteter und in Sprachen bewanderter Mann, der früher im
Aufträge des Woiwoden in Frankreich gewesen war. Der Papst
liess ihm bedeuten, er möge als Privatmann auftreten, wesshalb er
13*
192
Karl S t o e g- m a n n.
sich nur in spanischen Kleidern zeigte; doch wusste man bald über
all, wer er sei. Der englische Gesandte und Marsininus führten ihn
heim Papste ein, der eine lange Unterredung mit ihm hatte, und dann
ßurgo versicherte:„Er habe gesehen, dass Zapolya den Frieden auf
richtig wünsche“ 104 ). Das war zur selben Zeit, als der Woiwode
seinejGesandten nicht auf den bestimmten Tag nach Pressburg schickte
und plötzlich erklärte, er wolle nur in Polen verhandeln, so dass
man deutlich sehen konnte, er suche nur Ausflüchte um Zeit zu gewin
nen 105 ). Die Cardinäle machten weiter kein Hehl aus ihrer Meinung;
sie sagten es ollen heraus; Ferdinand solle Ungern aufgeben, wie
Karl V. Mailand aufgegeben habe. Vergehens redete Burgo dage
gen, vergebens zeigte Cles in seinen Briefen das Unmögliche
weil Unvernünftige einer solchen Politik 10 °). Der Papst selber rieth
sie zuletzt an und verlheidigte sie. Er meinte, Ferdinand könne
Ungern doch nie unterwerfen; Zapolya aber, einmal in ruhigem
Besitz, werde sich gerne von den Türken abwenden, und sich gegen
diese mit den Christen verbinden 107 ). Doch tliat Clemens VII. in
dieser ganzen Zeit keinen entscheidenden Schritt zu Gunsten des
Woiwoden — wie sehr ihn die französische Partei auch drängte.
Die Sprache der Cardinäle aber überschritt beinahe alle Schranken
der Mässigung. Der Cardinal Farnese hielt im Consistorium eineRede
in dieser Angelegenheit, von der Mujetula sagte: Alois Gritti der
mehr als ein Türke sei, würde nichtgewagt haben,so zu sprechen! 108 )
Werfen wir einen prüfenden Blick auf alle bis jetzt aus Burgo s
Briefen mitgetheilten Züge, so ergibt sich einfach der Gedanke,
dass Ferdinand’s Partei in Rom klein und schwach war, dass er vom
Cardinalcollegium wenig oder nichts erwarten durfte, dass seine
Hoffnungen hlos auf der persönlichen Gesinnung beruhen konnten,
die Clemens VII. hegen mochte.
Wenden wir uns nun zu diesem.
Der päpstliche Stuhl war in jener Zeit kurz nach einander den
verschiedensten Charakteren zu Theil geworden; Julius 11. warein
kräftiger Soldat gewesen, Leo X. ein prachtliebender Fürst, Hadrian
VI. ein liebenswürdiger Priester — Clemens VII. war ein ausge
zeichneter Diplomat! Er war keine kräftige, energische Natur, im
Gegentheile bedächtig, über die Massen furchtsam, unschlüssig, wo
es galt, den Mann der Tliat zu zeigen. Loaisa bezeichnet 109 ) es als
eine schlechte Gewohnheit von ihm, das was er einmal beschlossen
Über ilie Briefe des Andrea da Burgo.
193
halte, stets noch zu verschieben 110 ). Dagegen hatte er sich schon
unter Leo X. als ein gewandter Leiter der Geschäfte gezeigt, klug,
begabt mit seltenem Scharfsinn, mit nicht geringem Rednertalente
ausgerüstet. Er war frei von moralischen Gebrechen; Vettori sagte von
ihm, seit 100 Jahren sei kein so guter Mensch Papst gewesen (wobei
freilich gleich sein unmittelbarer Vorgänger vergessen ist); aber
die Energie seines moralischen Bewusstseins war nicht so bedeutend,
dass sie ihn etwa gehindert hätte, die krummen Wege der damaligen
italienischen Politik zu betreten, oder dass er nicht etwa bereit gewe
sen wäre, den Interessen der Politik die Forderungen einer strengen
Moral zum Opfer zu bringen. Er scheute die Verstellung nicht, und
Niemand verstand es besser als er, Andere zu täuschen, seine wahre
Meinung zu verbergen. Loaisa äussert, der Papst sei der geheimniss-
vollste Mensch, und so voll von Chiffern in kleinen Angelegenheiten,
wie er noch nie Jemand in dieser Welt gesprochen. Als es ihm
darum zu thun war, das gefährliche ßündniss zwischen England und
Frankreich zu trennen, machte er Burgo den Vorschlag, man solle
die Königinn von England bewegen, das Verhältniss des Königs zu
Anna Boleyn zuzugeben. Der König solle seine Geliebte behalten
dürfen, nicht etwa als Gemahlinn, sondern wie er sie eben jetzt
habe 111 ). Burgo schien nicht im geringsten verwundert über einen
solchen Vorschlag aus dem Munde eines Papstes, und auch Andere
schienen es nicht. Es war der Geist der Zeit, der solche Ansichten
mit sich brachte, und Clemens VII. hatte bei aller persönlichen
Unbescholtenheit doch nicht die moralische Kraft, die sittliche Tiefe
des Charakters, die ihn von derlei Einflüssen seiner Zeit gewahrt
hätte. Darum darf es uns auch nicht wundern, wenn wir bei Clemens
über die Heiligkeit geschlossener Verträge und Ähnliches so ziemlich
dieselben Ansichten finden, wie sie eben in Italien und auch anderswo
im Schwünge waren. Wenn man von einer Politik sagen kann, sie
sei grossartig, uneigennützig oder gar aufopfernd gewesen, so war
das sicher nicht die Politik des XVI. Jahrhunderts. Clemens VII.
kannte keine andere — gerade in dieser war er ein Meister!
Er hatte es nur einmal gewagt, sich an die Spitze einer gross
artigen, bedeutenden Unternehmung zu stellen, einer Unternehmung
deren Zweck kein geringerer War, als die Befreiung Italiens! Es war
bezeichnend, dass man auch diese Tliat nicht etwa mit einer uner
warteten, gewaltigen Erhebung begann, sondern mit schleichender
USÜM
mBFBamSSSi
viflü ÜBni
194 Karl Stoegmann.
List, mit dem bekannten Versuche, Pescara zum Verräther zu machen.
Als man sich endlich doch zum offenen Kampfe entschlossen musste,
war der Ausgang der unglücklichste von der Welt; Rom wurde
erstürmt, geplündert, der Papst gefangen, sein Leben gefährdet.
Diese Tage der Gefangenschaft vernichteten den letzten Rest von
Thatkraft, der noch in Clemens wohnte; seit jener Zeit beherrschte
ihn die Furcht. Er batte einsehen gelernt, dass er der Schwächere
sei, und er handelte nun darnach. Die Politik der Zweideutigkeit und
des Schwankens, die echte Politik der Schwäche, stand von nun an
in voller Blütlie.
Die schwierige Stellung des Papstes zwischen zwei ebenso
mächtigen als unversöhnlichen Gegnern, Karl V. und Franz I. gab
dieser Politik stets neue Nahrung, ja sogar den Anschein einer
gewissen, durch die Nothwendigkeit herbeigeführten Berechtigung.
Die Zusammenkunft zu Bologna sollte die Versöhnung zwischen
dem Papste und dem Kaiser besiegeln. Beinahe ein halbes Jahr
wohnten sie in unmittelbarer Nähe, sprachen sich jeden Abend, ver
sicherten Vergessenheit des Vergangenen, unverbrüchliche Freund
schaft. Zur selben Zeit schrieb der französische Gesandte an den
Admiral Boulogne, der Papst habe ihm gesagt, „er sehe, dass man
ihn betrüge, aber er müsse tliun, als bemerke er es nicht.“ Vielleicht
bemerkte seinerseits der Franzose zu viel, wenn er wahrzunehmen
glaubte, dass der Papst seufze, so oft er sich unbeachtet wähne; aber
er irrte sich wenigstens nicht, wenn er der neuen Freundschaft die
rechte Ehrlichkeit absprach, und eine Zeit in nahe Aussicht stellte,
in welcher König Franz mit der Gesinnung des Papstes werde zufrie
dener sein können 112 ).
In gewissem Sinne liess diese Zeit nicht mehr lange auf sich
warten.
Es ist oben bemerkt worden, wie sich die französische Partei
alsbald nach der Rückkehr von Bologna lebhafter regte. Der Papst
konnte oder wollte ihr nicht wehren. Wenn er auch den Vorschlägen
der französischen und englischen Cardinäle nicht immer Folge gab,
schenkte er ihnen doch gerne Gehör; er liebte es Burgo von ihrem
Drängen, von den Versprechungen Frankreichs zu erzählen, er
brachte diesen und Loaisa zur Überzeugung, er sei ganz für Karl
und Ferdinand gestimmt und was er für Frankreich oder England 113 )
tliue, geschehe nur aus Nothwendigkeit und Furcht. Überhaupt stellte
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
195
er sich gerne, als seien ihm die Hände gebunden, als könne er nicht,
wie er wolle 114 ). Gerade dieselben Erklärungen erhielten die Fran
zosen. Der Papst versicherte beide Parteien seiner Sympathien und
entschuldigte den Mangel an offener Bethätigung derselben hei jeder
Partei mit der Furcht und Rücksicht vor der andern! 115 )
Bald jedoch traten Ereignisse ein, die den Papst persönlich
gegen den Kaiser verstimmten und eine entschiedenere Hinneigung
zu Frankreich bewirkten.
Vor Allem fühlte sich Clemens VII. verletzt durch den Aus
gang seines Streites mit Ferrara.
Zu Bologna war beschlossen worden, dass über die Ansprüche
des Papstes auf Modena und Reggio ein Schiedspruch des Kaisers
entscheiden solle. Clemens erwartete ein günstiges Resultat, die
Restitution beider Gebiete, und wies jeden Vergleich mit dem
Herzog von Ferrara von sich. Der Ausspruch des Kaisers zerstörte
seine Hoffnungen. Modena und Reggio sollten Besitz des Herzogs
bleiben, und dieser die Belehnung damit, als mit Reiehslehen, vom
Kaiser empfangen. Wenigstens das Letztere suchte der Papst zu
verhindern; er erklärte die fraglichen Gebiete für Lehen der Kirche,
und hot dem Kaiser 50.000 Ducaten, wenn er von der Belehnung
abstelie 110 ).
Burgo erkannte die Gefahr für das gute Verhältniss zwischen dem
Kaiser und dem Papst und forderte Cles dringend zur Vermittlung auf.
Man brauche dem Herzog nicht Unrecht zu thun, aber man solle
dem Papst irgend eine Entschädigung bieten — nur nicht in Geld —
denn dieses würde er niemals annehmen 117 ). In Cles regte sich an
fangs der Reichsfürst. Es stehe ihm wenig an, zu sehen wie das
Reich seine Rechte verliere, damit der Papst Vortheil daraus ziehe;
aber doch fügte er sich aus Sorge für die Zukunft und rieth zur
Nachgiebigkeit. Dasselbe that Ferdinand ohne Erfolg. Der Kaiser
schrieb ihm, er solle sich in den ganzen Streit nicht mehr einmen
gen «»). Auch Loaisa's öftere und dringende Vorstellungen waren
fruchtlos 110 ). Karl V. blieb bei seiner Entscheidung. Der Papst
war aufs Äusserste verstimmt, und gab sich wenig Mühe seinen
Unmuth zu verbergen. Die Verhandlungen wegen der Türkenhilfe,
die zu Gunsten Ferdinand’s im Gange waren, geriethen ins Stocken,
dagegen erhielten die Franzosen die Bewilligung des Kirchenzehents,
um die sie früher immer umsonst gebeten hatten, jetzt plötzlich und
196
Karl Stoegmann.
ohne Anstand 120 ). Burgo beklagte sich gegen Mujetula über
die Kälte des Papstes; er müsse von Seiner Heiligkeit Dinge hören
die er kaum glauben könne. Mujetula antwortete unter dem Siegel
der Verschwiegenheit mit einer ganzen Legion von Klagen, wie es
denn immer geschieht, wenn der Beleidigte der lange geschwiegen,
sich endlich entschliesst zu sprechen.
Mujetula erinnerte an die Eintracht zwischen dem Kaiser und
dem Papste zu Bologna. Damals habe Karl V. dem Papste verspro
chen , wenn er in der ferrarischen Angelegenheit keinen günstigen
Spruch thun könne, so wolle er gar keinen fällen. Nun habe er sein
Wort nicht gehalten, und das habe „das Herz Seiner Heiligkeit“
verwundet, obgleich er wisse, der Kaiser habe es nicht aus Ungunst
gegen ihn gethan, sondern überredet von den Seinen.
Auch sei von Seite des Papstes immer Alles geschehen, was zu
Gunsten des Kaisers und der Seinigen begehrt worden —■ wenn aber
er oder seine Freunde hinwieder etwas verlangt hätten, so hätten sie
nie etwas Anderes erreichen können, als Entschuldigungen. Dem
Cardinal von Medicis, dem Neffen des Papstes, sei bei so vielen
Vacanzen nie etwas vom Kaiser verliehen worden und auch des Papstes
Verwendung für den Herzog von Grauira habe nichts genützt. Dagegen
lasse man den Cardinal Colonna, der dem Papste so zuwider und
feindlich sei, als Vicekönig in Neapel — es scheine fast als geschehe
es nur desshalb. Dies Alles verstimme den Papst, und obgleich er
einsehe, dass ihn die politische Nothwendigkeit mit dem Kaiser und
seinem Bruder verbinde, so hege er doch nicht mehr jene herzliche
Gesinnung (cordialein animum) gegen sie, die ihn früher beseelt
habe! * 2 i)
Und bei all diesen Klagen hatte Mujetula doch gerade das
verschweigen müssen, was den Papst vielleicht am meisten drückte,
am meisten verstimmte, am meisten ihn von dem Kaiser abwendig
machte, — seine Furcht vor dem Concil dem er nicht länger aus-
weichen zu können schien. Wir müssen hier einen Blick auf den Gang
der kirchlichen Angelegenheiten seit der Zusammenkunft von Bologna
werfen; es wird sich Manches daraus ersehen lassen.
Von Bologna weg hatte sich der Kaiser zum Reichstage nach
Augsburg begeben; in Bologna selbst war wohl zwischen ihm und
dem Papst so Manches besprochen worden, für den mindestens nicht
unwahrscheinlichen Fall, dass der Reichstag keine Einigung herbei-
197
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
führen würde. Der Gedanke an Gewalt lag in einem solchen Falle
nicht ferne, und er kam auch zur Sprache. Doch blieb man bei dem
Beschlüsse stehen, zuerst den Weg der Güte, der Unterhandlung zu
betreten 133 ).
Die Resultate die man erreichte, sind bekannt; sie brachten in
Rom die übelste Wirkung hervor. Cardinal Campeggio übersandte
dem Papst die Beschwerden des Reichstages gegen den päpstlichen
Stuhl, ehe sie ihm noch vom Kaiser zu diesem Zwecke in otficieller
Weise waren zugestellt worden ; er batte eine Copie derselben von
einem Freunde erbalten 133 ). Die Lutheraner verlangten Abschaffung
des Cölibats, Communion unter beiderlei Gestalten, ein Concil. Das
Cardinalcollegium beschloss diese Artikel zurückzuweisen m )-
Am 13. September war bereits die Nachricht eingelaufen, die
Katholiken und Protestanten hätten sich über 18 Artikel geeinigt,
aber es blieben noch 10 Artikel von grösster Schwierigkeit zurück.
Der Papst war zur Nachgiebigkeit geneigt und als Faber einen
Vorschlag, betreffend die Communion sub utraque, übersandte, befahl
er dem Cardinal Campeggio, darauf einzugehen, wenn die Pro
testanten nur zugeben wollten, dass der Leib Jesu Christi unter
jeder der beiden Gestalten enthalten sei 13ä ).
Aber auch der Gedanke an gewaltsame Unterdrückung des
Lutheranismus trat wieder hervor, und zwar lebhafter als früher. In
der Sitzung des Cardinalcollegiums wurde förmlich der Vorschlag
gemacht, der Papst solle zu Gunsten des Kaisers ein italienisches
Heer ausrüsten und es nach Deutschland gegen die Lutheraner
senden. Man wollte blos neue Depeschen des Kaisers, die binnen
drei Tagen eintreffen sollten, abwarten, um eine entscheidende Reso
lution zu fassen 13C ).
Freilich zeigten sich trotz dieser anscheinenden entschiedenen
Raschheit einige Bedenken. Man fürchtete, der König von Frankreich
werde diesen deutschen Zug zu einem Einfall in Italien benützen;
man besorgte einen Angriff der Türken mit der Flotte auf Neapel,
einen Einfall des türkischen Heeres überFriaul in Italien. In Deutsch
land musste man auf einen eben so heftigen als langwierigen Krieg
gefasst sein, für den am Ende die Kräfte ausgehen mochten. Auch
des Bauernkrieges erinnerte man sich mit Schrecken; wer stand
dafür, dass nicht ein neuer Aufstand sich erhob gegen die Geist
lichkeit und den Adel? Alle diese Besorgnisse klingen in Burgo’s
198
Karl Stoegmann.
Briefen wieder an; überhaupt, berichtete er, gäbe es in Rom gar
Viele die von offener Gewalt gegen die Lutheraner wenig Gutes
erwarteten.
Auch am kaiserlichen Hofe besann man sich eines Andern.
Ranke hat durch briefliche Mittheilungen vom 4., 2S. und 30.
October 1530 gezeigt, dass der Kaiser einer Unterdrückung des
Protestantismus mit Waffengewalt nicht abgeneigt war. Auch
Loaisa predigt ihm stets davon. Er erinnerte an die Comunero’s
in Spanien, die man auch nicht mit Milde habe unterwerfen können.
„Gewalt sei der rechte Rhabarber den Lutheranismus zu curiren !“
Ebenso stimmte Cardinal Cles und dieser hielt am längsten an seiner
Ansicht fest. Bei ihm erfahren wir aber auch, dass Karl und Fer
dinand ihre Gesinnungen änderten, so dass auch er sich endlich
der Nothwendigkeit fügte. Der Kaiser und sein Bruder sahen jetzt
das einzige Mittel, die traurige Spaltung zu heilen, in der Berufung
eines allgemeinen Concils. Dazu wollte man nun Clemens VII. bewegen,
ihn der das blosse Wort Concil verabscheute, der da zu denken schien,
es gebe keinen bitterem Kelch für ihn vor seinem Tode zu trinken,
als dies Concil 127 ).
Am IS. November 1530 erschien Pedro de la Cueva, Karl’s V.
Mayordomo in Rom. Seine Instruction ging dahin, dem Papste zu
erklären, alle Bemühungen die Lutheraner gütlich mit der Kirche
wieder zu vereinigen, seien vergeblich geblieben, und es bleibe
kein anderes Mittel als das Concil. Der Papst möge „in Erwägung,
wie viel für den Dienst unseres Herrn, für die Erhaltung und Förde
rung des Glaubens, und für das Wohl der Christenheit daran gelegen,
für gut halten, Alles zu gestatten und anzuordnen, was dazu führe,
dass das Concil in der möglichst kurzen Zeit zusammenkomme, und
die Misshelligkeit und der Schaden vermieden würden, der aus einem
Aufschub erfolgen könnte.“ Mit Gewalt dürfe man jetzt nicht auf-
treten, weil der Winter schon sehr weit vorgerückt und nichts in
Bereitschaft sei 128 ). Ähnliches enthielt der Brief den Don Pedro
an den Papst zu übergeben hatte; ähnliches schrieben Bernard
Cles und Campeggio aus Deutschland. Der Papst zögerte mit der
Antwort. Einige Cardinäle gaben die Nothwendigkeit des Concils
und die Ehrlichkeit der Absichten Karl’s zu, aber sie sprachen mit
Schreck von den „Confusionen“ die daraus entstehen würden 129 )-
Endlich nachdem Clemens am 18. November einen völlig unent-
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
199
schiedenen Brief an den Kaiser gesandt, erklärte er in einem weiteren
Schreiben vom 6. December sich dem Willen des Kaisers fügen
zu wollen. Mujetula und Uberto di Gambara, Gouverneur von
Bologna, wurden bestimmt in dieser Angelegenheit zu Karl V. zu
reisen 13 °).
Cardinal Loaisa, Mai und Don Pedro bekämpften von nun an
aufs Entschiedenste den noch hie und da auftauchenden Gedanken,
mit Gewalt einzuschreiten. Das Concil, erklärten sie, müsse um
jeden Preis gehalten werden; es würde höchst gefährlich sein, wollte
der Kaiser vor demselben zu den Waffen greifen; und auch später
werde er dies nicht thun können, wenn seine Angelegenheiten nicht
besser stünden, als jetzt 131 ).
Cles, obwohl er für das Concil gesprochen, dachte noch immer
an den Krieg; der Papst war jedem Vorschlag geneigt, der ihn
von der fatalen Nothwendigkeit des Concils befreien konnte. Er
befragte Burgo, wie viel Streitkräfte der Feldzug in Deutschland
allenfalls erfordern würde, und meinte es würde so schwer nicht sein,
wenn man nur den König von Frankreich bewegen könne, mindestens
neutral zu bleiben. Dann dachte er daran, den Krieg in der Schweiz
zu beginnen, weil dort von den fünf katholischen Cantonen Hilfe zu
erwarten stünde. Aber Alles dies waren mehr Wünsche, als wirk
liche Pläne. Schliesslich erklärte er doch wieder: Er hoffe zwar
nichts Gutes von dem Concil, aber weil der Kaiser und Ferdinand
anderer Meinung seien, und mit Ausschluss der Waffengewalt
(exclusa via armorum) auf das Concil als das einzige Rettungs
mittel drängten, so wolle er dazu bereit sein 13a ).
Der Cardinal della Valle verhandelte zur selben Zeit mit Burgo
über den Ort des Concils. Er schlug Rom vor, als eine Stadt,
gegen welche der König von Frankreich nichts einwenden könne.
Sollten die Lutheraner dagegen protestiren, so solle man Mantua
vorschlagen, aber mit der Bedingung, dass die Protestanten sich von
vorne herein verpflichteten zu erscheinen und der Entscheidung des
Concils Folge zu leisten. Wollten sie dies nicht, so solle man auf
Rom bestehen; jedenfalls aber gegen die Lutheraner rüsten, sowohl
wenn sie gar nicht erscheinen wollten, als auch, wenn sie sich etwa
später den Beschlüssen des Concils nicht fügten 133 ).
Bei derlei drohendenPIänen für die Zukunft blieb es denn auch.
Es hatte nicht viel zu bedeuten, dass in der am 7. Mai im Consistorium
200
Karl Stoegmann.
verlesenen ImpositionsbuIIe ausdrücklich der Zusatz aufgenommen
war: „et contra Lutheranos“ 134 ); so lange der Kaiser den Krieg
nicht wollte, war in Rom alles Pläneschmieden vergebens. Karl V.
beharrte auf seiner Meinung. Er hatte die Vorstellungen welche
ihm der Papst durch seinen Legaten gegen das Concil hatte tliun
lassen, seinem Bruder und den katholischen Fürsten Deutschlands
zugesendet, damit sie darüber ihr Gutachten abgähen. Es ging dahin,
dass die Fürsten auf ihrer frühem Meinung der Forderung des
Concils beharren müssten, ein Ausspruch dem auch der Kaiser
sich anschloss.
Je mehr so die Hoffnung schwand, den Kaiser von dem Gedanken
an das Concil abzubringen, desto unmuthiger wurde der Papst. Er
zögerte und zauderte, der Verdacht, es sei ihm mit all seinen Ver
sprechungen nicht ernst gewesen, lag nahe genug und drängte sich
Vielen auf. Cles der alle andern Gedanken aufgegeben hatte, ver
langte in den energischesten Ausdrücken ein rascheres Vorgehen.
Burgo erschrak, als er den Unmuth, die Rathlosigkeit des Papstes
merkte, der ihm erklärte, „er wisse nicht mehr, was er beginnen
solle,“ und liess die gefährlichen Stellen in den Briefen des Car
dinal Bernhard weg. „Über das Concil,“ schreibt er an diesen,
„wollte ich kein Wort mehr verlieren, weil es doch nichts nützen
würde 135 ).“
Man bedenke nun, wie sehr alle diese bis jetzt dargelegten Dinge
dazu dienen mussten, den Papst zu ängstigen, zu verletzen und zu
quälen; man erinnere sich seines reizbaren und wankelmüthigen
Charakters, und man wird sich ein Bild entwerfen können von der
Stimmung, in die Clemens VII. nothwendig mehr und mehr gerathen
musste. Wenn wir nach den früher berührten Angaben Ranke’s die
Gesinnung des Papstes gegen den Kaiser selbst zu Bologna nicht für
ganz ergeben und ehrlich halten konnten, wenn wir uns überzeugten,
dass ein gewisses zweideutiges, schwankendes Wesen seiner Politik
nie ganz fremd geblieben, so können wir nach dem was vom Anfänge
des Jahres 1530 bis etwa zur Mitte von 1531 geschehen war, von
der aufrichtigen Freundschaft des Papstes für Karl V. nur mit um so
grösserem Misstrauen sprechen. Wenn sich ein Gegner des Kaisers
fand, der die günstige Gelegenheit zu benützen wusste, war diese
Freundschaft keineswegs mehr fest genug, der Verlockung zu
widerstehen.
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
20t
Frankreich säumte nicht; die französische Politik hatte ohne
dies einen Weg eingeschlagen, auf dem sie der Mitwirkung und
Freundschaft des Papstes dringend bedurfte.
König Franz I. hatte zwar am 20. October 1529 zu Paris den
Frieden von Cambrai beschworen, und die Vermählung mit Eleonore,
der Schwester des Kaisers, vollzogen; aber aufrichtig gemeint war
dieser Friede so wenig, als jener von Madrid. Pass dem so sei, zeigte
sich bald, und die frohen Nachrichten von der innigen Liebe zwischen
dem Könige und der Königinn, so wie von der begeisterten Auf
nahme welche die Letztere in Frankreich gefunden 13 °), konnten den
Einsichtigen kaum täuschen und ihn mit sanguinischen Hoffnungen
auf ewigen Frieden und dauernde Eintracht erfüllen. Unbekümmert
um diese schönen Dinge, verfolgte die Politik Frankreichs nach wie
vor eine dem Hause Habsburg missgünstige, ja feindselige Richtung,
und Karl V. wusste bald genug, dass dem Frieden mit Frankreich
nicht zu trauen sei 137 ). Der Umtriebe der französischen Partei in Rom,
besonders zu Gunsten Zapolya's, ist bereits ausführlich Erwähnung
geschehen. Franz 1. selbst Hess Vorschläge machen, Anträge stellen,
die über seine Gesinnung keinen Zweifel lassen konnten. Nicht durch
seinen Gesandten, aber durch den bei ihm residirenden Legaten
suchte er Clemens VII. zu überreden, die Wahl Ferdinands zum
römischen König zu hintertreiben. Es müsse ein Anderer gewählt
werden, der den Kaiser an der Ausführung von Dingen hindern
könne, welche den übrigen christlichen Fürsten zuwider wären.
Auf näheres Gefragen sagte er es auch geradezu heraus, dass er
selbst der Andere zu sein wünschte. Der Papst wies den Vorschlag
zurück und entdeckte ihn ßurgo 138 ). Weiters unterstützte der König
die scandalöse Scheidungsgeschichte Heinrieh's VllL, obgleich ihn
nun mindestens verwandtschaftliche Rücksichten hätten abhalten
sollen, blos um England für sich zu gewinnen. Dass er mit den deut
schen Protestanten Verständniss unterhielt, dass Agenten Zapolya’s
bei ihm ab- und zugingen, dass er türkische Gesandte empfing, das
waren auch in Rom bekannte Dinge 13ü ). Der Papst wusste es und
sagte es pffen, der König habe Absichten auf Mailand und Genua und
werde nicht ruhen, bis er seinen Zweck erreicht sehe. Die ausbe
dungene Türkenhilfe schlug er rundweg ab. Der Kaiser und Ferdi
nand möchten das Ihre wohl vertheidigen, er werde es bei dem Seinen
ebenso machen li0 ). Während er so jede Theilnahrne am Defensivkriege
202
Karl Stoegmann.
verweigerte, erbot er sieh, auf eigene Faust den Offensivkrieg gegen
die Türken zu führen, und hiezu eine grosse Flotte auszurüsten. Man
traute ihm bereits viel zu wenig, als dass man hinter diesen Vor
schlägen etwas Anderes gesehen hätte, denn eine blosse Finte, seine
Rüstungen gegen Italien zu verbergen 141 ), und so kam es auch hierin
zu keiner Vereinigung.
Ebenso unverhohlen zeigte sich die französische Politik in dem
Streite der fünf katholischen Cantone mit den Reformirten in der
Schweiz. Karl V. zauderte, die Katholiken zu unterstützen, um jeden
Krieg zu vermeiden; der französische König erklärte unumwunden,
er sei zur Hilfe gegen die reformirten Cantone verpflichtet, und werde
darnach handeln 142 ).
Aber wir müssen innehalten, um nicht zu sehr der Zeit voraus
zueilen, um die es sich zunächst handelt. So viel lässt sich aus dem
hier Zusammengestellten deutlich ersehen: Der König von Frank
reich war nicht länger gesonnen, den Frieden von Cambrai zu halten;
im Gegentheile, er suchte offenen Krieg dessen Schauplatz Italien
werden sollte. Zu einem solchen Unternehmen war aber das Eiindniss
mit dem Papste eine wichtige, fast unerlässliche Bedingung. Die Ver
suche, ein solches Ründniss von Neuem zu knüpfen, fielen gerade in
jene Zeit der wachsendenVerstimmung des Papstes gegen den Kaiser,
in die günstigste Zeit die man sich nur wünschen konnte.
Es war die bekannte Abneigung Clemens VII. vor dem Concil,
an die Franz I. zuerst seine Remühungen knüpfte. Man wusste es in
Paris so gut, als es Loaisa wusste, dass „der Papst und seine Cardi-
näle das Concil zu allen Teufeln wünschten“. Der König liess dem
Papste merken, er wisse wohl Mittel und Wege, das Concil zu hin
tertreiben. Man mochte am kaiserlichen Hofe etwas der Art zeitlich
genug befürchten, und darum entschloss sich Karl V., den Louis de
Praet nach Frankreich zu schicken, angeblich um der Krönung der
Königinn beizuwohnen, in der That um wegen des Concils zu ver
handeln. Der König liess zwei volle Monate auf die Antwort warten,
dann erklärte er, „das Concil könne nur mit Einwilligung aller christ
lichen Fürsten gehalten werden; man müsse also zuvor bei diesen
Umfrage thun 143 )“. „Das heisst gerade so viel, als das Concil unmög
lich machen, und wollen, dass es gar nicht gehalten werde!“ rief
Loaisa aus 144 ). Freilich hiess es das und sollte nichts Anderes heissen.
Niemand war froher darüber, als der Papst. Der Kaiser hatte es ihm
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
203
anheim gestellt, was nun geschehen solle, und seine Antwort Hess
nicht lange warten. Wenn der Kaiser, hiess es darin, den König von
Frankreich bewegen könne, sich mit dem Concile in der Art zu begnü
gen, wie Karl V. es wünsche, so wolle er, der Papst, es berufen;
wenn es aber der König von Frankreich nicht wolle, oder Schwie
rigkeiten mache, dann müsse der Papst die Abhaltung widerrathen 145 ).
Es soll nicht behauptet werden, die Antwort des Königs von
Frankreich sei im Einverständnisse mit dem Papste gegeben worden. In
Piom jedoch glaubte man daran. Während noch Louis de Praet in Paris
verhandelte, sagte man es sich im päpstlichen Palaste als ein offenes
Geheimniss, dass das Concil nicht zu Stande kommen werde. Ein
alter Cardinal vertraute dem Micer Mai, der König von Frankreich
werde die Sache des Concils nicht unterstützen und man wisse das! 14 °)
Dagegen widersprach der Papst im Gespräche mit Loaisa diesen
Gerüchten in den energischesten Ausdrücken, und that viele Schwüre,
dass er nicht Ursache sei, dass der König von Frankreich eine solche
Antwort gegeben 147 ). Loaisa Hess sich überzeugen — weniger gläubig
war der Kaiser. „Der Papst will das Concil nicht“, schrieb er an
Ferdinand, „und der König von Frankreich will sich ihm dabei
gefällig erweisen, indem er ihn durch dieses Mittel zu gewinnen
denkt 148 )“.
In dieser Art, wie der Kaiser die Sache ansah, scheint sie am
glaublichsten. Möglich, dass zwischen dem Papste und dem Könige
von Frankreich keine bestimmten Erklärungen, keine förmlichen
Verhandlungen stattgefunden haben, als deren Resultat man die Ant
wort des Königs über das Concil betrachten müsste — sicher ist doch
dies, dass der König in dem guten Glauben handelte, dem Papste
einen Dienst zu erweisen, der Dank verdiente, und ebenso sicher,
dass der König sich nicht geirrt hat.
Der glückliche Fortgang seiner Bestrebungen, den Papst für
sich zu gewinnen, konnte ihm dies bald beweisen.
Um die Nichte des Papstes, Katharina von Medicis, warb der
Herzog von Mailand und der Kaiser begünstigte diese Verbindung.
Clemens schwankte und zögerte, sich zu entscheiden. Das Herzog-
thum Mailand schien ein unsicherer, wenig beneidenswerther Besitz:
der Papst mochte fürchten, seine Nichte über kurz oder lang als Her-
zoginn ohne Herzogthum zu sehen 149 ). Da Hess ihm der König von
Frankreich einen ebenso unerwarteten, als ehrenvollen Vorschlag
204
Karl Stoegmann.
thun. Cardinal Grandmont erschien von neuem als französischer
Gesandter in Rom, und warb um die Nichte des Papstes für Heinrich
von Orleans, den Sohn des Königs von Frankreich.
Es war die glänzendste Verbindung, auf welche der Papst nur
hoffen konnte — er willigte in die Ileirath und die Bedingungen die
Frankreich an sein Danaergeschenk knüpfte.
Ranke hat die beiden Actenstücke mitgetheilt, die sich, vom
9. Juni 1531 datirt, auf diese Vermählung beziehen. Frankreich ver
langte nicht weniger als die Bildung eines italienischen Fürstenthumes
für das junge Paar, bestehend aus Pisa, Livorno, Reggio, Modena, Ru-
biera, Parma und Piacenza, womit Urliino, ja selbst Mailand und
Genua verbunden werden sollten. Mit wenigen Clausein willigte Cle
mens VII. in Alles; nur wegen Mailand und Genua gab er keine
bestimmte Antwort, erklärte sich aber zu Gunsten der französischen
Ansprüche 15 °).
Von diesem Vertrage hatte Burgo freilich keineAlmung; er wusste
nur, was der Papst über jene Ileirath ihm mittheilte, und diese Mitthei
lungen waren weder sehr vollständig, noch sehr wahrheitsgetreu 151 ).
Vor Allem erklärte man Burgo, um ihm jede Besorgniss der
Ileirath wegen zu benehmen, der König begehre dabei nichts, was
das Herzogthum Mailand berühre, noch sonst etwas Anderes das der
Ehre und Treue des Papstes zuwiderlaufen könnte. Auch hätten
sowohl der Cardinal Grandmont, als auch der Herzog von Albany den
Papst versichert, wenn er in diese Ileirath willige, so werde der
König thun, was Se. Heiligkeit ihm für das Wohl der Christenheit
anrathen werde. Das sollte Burgo gegenüber heissen, die Ileirath ist
nicht nur nicht zum Schaden, sondern zum Nutzen des Kaisers und
Ferdinand's, weil sich Franz von Frankreich von nun an nach dem
Wunsche des Papstes, also zu Gunsten der beiden Brüder benehmen
werde. Jakob Salviati kam selbst zu Burgo und redete in ähnlicher
Weise; dann fügte er noch bei, der Papst sei in Angst und Sorge
dieser Heirath wegen; denn obgleich er sich in nichts Schriftliches
eingelassen, so habe er doch dem Könige mündlich für den Vorschlag
danken lassen und erklärt, er weise denselben nicht ganz zurück.
Nun habe der Kaiser anfangs erklärt, er habe nichts gegen diese
Heirath; hinterher aber doch dem Papste zu wissen gethan, dass er
die Vermählung mit dem Herzoge von Mailand lieber sehe; da finde
sich denn jetzt der Papst wie zwischen Scylla und Charibdis.
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
205
Dieser letzte Tropus Salviati’s war in der Tliat nicht unpassend,
sondern ganz bezeichnend für die Lage des Papstes. Freilich nicht
in Salviati’s Sinne, als finde sich der Papst in Zweifel, ob er den
Heirathsvertrag schliessen solle oder nicht — wie wir wissen, war
er bereits geschlossen — aber wenn Clemens VII. daran dachte, dass
diese Bedingungen erfüllt werden sollten und wohin dies führen
konnte, so mochte er sich wohl wie zwischen Scylla und Charibdis
fühlen.
Das Einfachste wäre freilich gewesen , sich offen gegen den
Kaiser zu erklären und im Bunde mit Frankreich den Krieg in Italien
zu beginnen. Das war auch so ziemlich die Meinung in Paris! Aber
man hatte sich dort sehr getäuscht, wenn man von dem Papst ein
so energisches Auftreten, einen offenen Bruch mit dem Kaiser
erwartet hatte; eine entschiedene Politik musste man ihm nicht
zumuthen. Er hatte sich dem Btindniss mit Frankreich zugeneigt,
weil es ihm Vortheile brachte, weil er unmuthig war auf den Kaiser,
aber er wollte sich auch den Rückzug offen halten, wollte Freiheit
haben, sich bei der ersten Nothwendigkeit wieder in die Arme
Karl's V. zu werfen. Und überhaupt einen so gefährlichen Krieg mit
so ungewissem Ausgang zu beginnen, daran konnte der ritterliche
leidenschaftliche, in seiner Ehre gekränkte Franz von Frankreich
denken; nimmer aber der kluge, bedächtige, furchtsame Clemens VII.
Frankreich hatte in jenem Heirathsvertrage die Grundlage einer
neuen, französisch-gesinnten Politik des Papstes zu erblicken geglaubt,
der aber dachte anders. Er erschrak, dass er so weit gegangen sei,
er zog sich alsbald wieder ein wenig zurück und suchte die Heirath
hinauszuschieben.
Wie aber dann , wenn Frankreich sich nicht länger halten
liess; wenn es Mailand und Genua angriflf und den Papst offen auf
forderte die Hilfe zu leisten, zu der er sich in jenem Vertrage ver
pflichtet hatte ?
Ein solcher Schluss musste dem Schwanken des Papstes ein
unfreiwilliges Ende machen; er war dann gezwungen sich zu
entscheiden!
Clemens VII. begriff das vollkommen und dachte auf einen Aus
weg; er war der Mann dazu in so schwieriger Lage einen zu finden.
Wenn es ihm gelang den Kaiser und Frankreich zu versöhnen,
wenn es gelang Karl V. zur friedlichen Abtretung der Länder zu
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXIV. Bd. II. Hft. 14
206
Karl Stoegmann.
bewegen, die Franz der I. durchaus erobern wollte: dann war der
Friede gesichert, die drohende Gefahr vermieden, und Hoffnung
genug für Rom dabei nicht ohne Vortheil auszugehen.
Dieser Gedanke wurde von nun an der leitende in der Politik
des Papstes; — er führte ihn durch mit jenem seltenen Scharfsinn,
mit jener diplomatischen Gewandtheit welche die glänzendste Seite
seines Wesens bildete.
Wenn wir in dem Vorhergehenden gezwungen waren, Vieles
anzuführen, was wir nicht den Briefen Burgo’s entnehmen konnten, so
möge man uns darum entschuldigen, weil es nöthig war, die Entwick
lung der päpstlichen Politik zu verfolgen bis zu dem Puncte, wo
Burgo persönlich darein verwickelt wurde, so dass wir von da an
in seinen Briefen die wichtigsten Aufklärungen darüber finden.
Denn dies hatte Clemens VII. vor Allem eingesehen, dass er
sich mit seinen Plänen nicht geradezu an den Kaiser oder an dessen
Bevollmächtigte wenden dürfe. Karl V. und Franz von Frankreich
waren mehr als politische, sie waren persönliche Gegner. Karl V.
besonders hegte das entschiedenste Misstrauen gegen den König der
ihn so oft getäuscht, den er für völlig falsch und treulos hielt, und
es war kaum glaublich, dass er sich je herbeilassen werde, Opfer
für das Versprechen eines Friedens zu bringen, dem er eben so wenig
trauen zu dürfen glaubte, als allem Andern was Franz I. bisher ver
sprochen. In der Notli einen Vermittler zu linden, verfiel der Papst
auf König Ferdinand — ein Blick auf die Lage und die Politik dieses
Fürsten konnte ihn überzeugen, dass er geneigtes Gehör finden
werde.
Die persönliche Verstimmung gegen Franz I., die bei Karl V.
so zu fürchten war, fiel hei Ferdinand weg; von vorne herein nahm
er die ganze Sache ruhiger, leidenschaftloser, als sein Bruder.
Weiter legte Ferdinand weit weniger Gewicht auf Italien als
der Kaiser; der Schwerpunct seiner Politik fiel auf Deutschland, auf
die Vergrösserung der österreichischen Macht. Dort musste er daran
denken , sich die Kaiserkrone zu wahren , die Macht seines Hauses
durch die Behauptung Ungerns zu sichern. Die Gefahr vor den
Türken schien ihm wohl mit Recht die dringendste, der man zuerst
abhelfen müsse. Es war sehr natürlich, dass er es für ein grösseres
Unglück hielt, wenn die Horden der Ungläubigen den österreichischen
Boden verwüsteten , christliche Städte umlagerten, deutsche Unter-
Über die Briefe des Andrea da Burgo. 207
thanen in die Sclaverei schleppten, als wenn Franz I. Mailand
eroberte.
Und was hatten ihm die Kriege mit Frankreich genützt ? Er
hatte Mailand verlangt, und es nicht erhalten, er war bei den
italienischen Friedensschlüssen leer ausgegangen. Geschadet aber
hatte ihm die Feindschaft Frankreichs genug, gehemmt hatte sie
seine Politik aller Orten; den Abfall in Ungern, die Opposition in
Deutschland hatte sie unterstützt — und wie viel Nachtheil noch
daraus entstehen konnte, das war gar nicht abzusehen!
Man sieht, Ferdinand hatte Grund den Frieden mit Frankreich
zu wünschen, er hatte um so mehr Grund, wenn der Papst es war,
der diesen Frieden betrieb. Gerade damals bedurfte Ferdinand der
Hilfe des Papstes. Ein neuer Türkenkrieg stand in Aussicht 152 ) ;
nirgend war Unterstützung zu hoffen, als bei Clemens VII. der
wenigstens Geldsubsidien zugesagt hatte. Wir wissen bereits, wie
die Erfüllung dieses Versprechens unter der Verstimmung des Papstes
gegen den Kaiser leiden musste; Ferdinand konnte es von Burgo
erfahren, dass er auch in Rom nichts zu hoffen habe, wenn es nicht
gelang den Papst zufrieden zu stellen.
So ging der Papst diesmal nicht irre auf dem Wege den er
sich vorzeichnete. Er wollte sich an Burgo wenden, dem er persön
lich mehr als irgend Jemanden vertraute; Burgo sollte an Cles
berichten, diesen energischen Vertreter einer specifisch österreichi
schen Politik gegenüber der Politik des Kaisers; Cles sollte Ferdi
nand überreden; dem König blieb der letzte und wichtigste Schritt
Vorbehalten — er musste den Kaiser gewinnen.
Schon im August des Jahres 1531 begann der Papst seine
Pläne vorzubereiten; er bahnte sich den Weg zu seinen Vorschlägen,
indem er jenen Gedanken aufgriff, der Ferdinand am nächsten lag,
die Gefahr vor den Türken.
Bei allen Verhandlungen mit Burgo über die Türkenhilfe und
den bevorstehenden Krieg war das stete „Ego vero censeo“ des
Papstes, der Satz: dass man nie etwas gegen den Türken werde aus-
richten können, wenn nicht Frankreich, seine drohende Stellung auf-
gebend, zu einer festen Vereinigung mit dem Kaiser sich herbei
lasse. Er verhehlte dabei seine Meinung nicht, dass man dem König
in den beiden Friedensschlüssen von Madrid und Cambrai etwas zu
nabe gethan, und dass man nun in Einigem nachgeben müsse. Ein
14*
208
Karl Stoegmann.
Auskunftsmittel wäre vielleicht eine Heirath zwischen einer habsbur
gischen Prinzessin]] und einem französischen Prinzen mit der Zusiche
rung des Besitzes von Mailand nach dem Tode des Herzogs. Übrigens
betrieb er diesen Vorschlag nicht sehr ernstlich; es scheint, er that
ihn blos, um des Kaisers Gesinnung zu erforschen und zu sehen, zu
wie viel dieser sich allenfalls verstehen würde 153 ).
Nach dieser gelegentlichen Mittheilung liess der Papst für eine
geraume Weile die ganze Sache fallen. Der Rest des Jahres 1S31,
die ersten Monate des folgenden Jahres verflossen, ohne dass der
Papst ausser gewohnten Klagen und allgemeinen Andeutungen etwas
über das Verhältniss zwischen dem Kaiser und Frankreich geäussert
hätte.
Man erinnert sich, wie mancherlei Umstände im Monate Mai
des Jahres 1532 den Unmuth des Papstes gegen den Kaiser steiger
ten, wie gerade damals Mujetula dem Burgo lang verhaltene Klagen
erölfnete. Zur selben Zeit traf aus Frankreich ein Brief ein, welcher
die Besorgniss vor den kriegerischen Absichten des Königs nicht
wenig erhöhen musste.
Der Papst las dem Cardinal Loaisa diesen Brief theilweise vor;
er machte dabei bittere Glossen über den König von Frankreich und
schlug Mittel vor, seinen Absichten zu begegnen; aber mit keiner
Sylbe liess er sich merken, dass er Frieden zwischen dem Kaiser
und Frankreich wünsche und einen solchen vermitteln wolle.
Ganz anders sprach er mit Burgo.
Er erinnerte ihn von Neuem an die Unmöglichkeit, dass der
Kaiser und Ferdinand mit der geringen Hilfe welche der Papst
bieten könne, zu gleicher Zeit den Türken und Ungern, dem König
von Frankreich und den Protestanten in Deutschland widerstehen
könnten. Es sei höchste Zeit so drohender Gefahr abzuhelfen.
Die Hilfe aber bestehe in drei Dingen: im Frieden oder Waffen
stillstände mit Zapolya und den Türken auf mindestens drei Jahre,
in einem neuen Vertrag mit Frankreich und endlich in einem Kriege
mit Venedig.
Der Friede mit dem Woiwoden könne unter folgenden Bedin
gungen zu Stande kommen:
Ferdinand überlässt Ungern ganz oder doch zum grössten Theile
an Zapolya und seine legitimen Söhne; er behält für sich einige feste
Plätze an der deutschen Grenze, den Königstitel von Ungern und die
Über die Briefe des Andrea da Burgo. 209
Anwartschaft auf das Reich, wenn Zapolya ohne Söhne sterben
sollte.
Für den Verlust Ungerns sollte ihn der Krieg mit Venedig ent
schädigen; Treviso, Vicenza, Verona, überhaupt die Orte welche
die Venetianer dem Hause Österreich entrissen hatten, sollten ihm
zu Theil werden.
Aber ehe man an den Krieg mit Venedig denke, für den man
übrigens Zapolya durch die Aussicht auf Dalmatien gewinnen könne,
müsse man Frankreich versöhnen. Um dies zu erreichen, überlässt
man dem König Mailand, Alessandria, Tortona, Pavia, Como und
Lodi; der Herzog von Mailand erhält zur Entschädigung Cremona,
Bergamo, Crema, mit dem Herzogtitel von Cremona. Er könne es
zufriedener sein, diese Gebiete sicher zu besitzen, als Mailand zu
behalten, wie er es jetzt habe, ein Besitz der stets an einem dünnen
Faden hänge.
Gegen Venedig aber erhebe sich der allgemeine Krieg. Die
Venetianer müssen alle ihre Besitzungen auf dem Festlande abtreten;
fügen sie sich nicht, so müsse man die Republik vernichten, ihr
Gebiet unter die Verbündeten theilen, die Stadt selbst dem Johanniter
orden überlassen. Der Krieg müsse mit der Belagerung Venedigs
durch die vereinigte kaiserliche und französische Flotte begonnen
werden; so sei er leicht und schnell zu enden.
Um aber den Frieden in Italien dauernd zu machen, und die
Furcht vor der Übermacht des Kaisers oder Frankreichs auf der
Halbinsel zu beseitigen, müsse Folgendes geschehen:
Der Kaiser verpflichtet sich, seinen zweiten Sohn (wenn ihm
ein solcher geboren wird) zum König von Neapel zu machen, und
dieser solle wie ein italienischer Fürst im Königreiche bleiben.
Ebenso zu thun ist der König von Frankreich in Mailand gehalten
und sein zum Herzog von Mailand bestimmter Sohn vermählt sich mit
einer Tochter Ferdinand's. Dessgleichen überlässt der römische König
seine neuen italienischen Besitzungen unter dem Titel eines Ilerzog-
thums einem seiner Söhne, der dann gleichfalls dort residiren müsse.
Geschehe dies Alles, so sei der Friede Italiens, die Freiheit der
Christenheit hergestellt. In ein paar Jahren lasse sich dann der
gemeinsame Zug gegen den Türken unternehmen, ja am Ende könne
man auch die Lutheraner bezwingen und sie zum wahren Glauben
zurückführen!
210
Karl Stoegmann.
Wir haben hier den originellsten Plan vor uns, den der diplo
matische Geist Clemens des VII. ersonnen, und es lohnt der Mühe,
noch einen Augenblick dabei zu verweilen.
Das Auffallendste ist vorerst die Sicherheit und Kühnheit, mit
der das Ganze concipirt ist. Mit einer an poetische Licenz streifen
den Leichtigkeit sind dabei die bedeutendsten Schwierigkeiten über
sehen, ja gar nicht bestehende Verhältnisse voraus angenommen;
der Friede mit den Türken, die Einwilligung Frankreichs, die Ero
berung Venedigs, dies Alles wird wie Kinderspiel angesehen; für
Neapel wird zum König ein Sohn des Kaisers bestimmt, der noch
gar nicht am Leben ist — die sanguinischesten Hoffnungen werden
an das Gelingen geknüpft. Es ist, als ob man eine phantastische
Musik hörte, die mit einem rauschenden Siegesmarsche endigt!
Und doch, wie ist andererseits Manches so klug ersonnen, so
fein angelegt!
Der Papst wollte sich mit den befehdenden Parteien versöhnen,
weil ihr steter Conflict ihn selber bedrohte. Er gedachte der alten
Erfahrung, dass zwei Streitende sich am leichtesten und schnellsten
verbünden, wenn es gilt, über einen dritten herzufallen, und baute
seinen Plan auf diesen praktischen Satz. Er hasste die Verietianer;
die Türken und Lutheraner waren ihm lieber; seitdem er wusste,
dass sie über des Kaisers Sentenz in der ferrarischen Angelegenheit
gejuhelt hatten, war seine Abneigung gegen die übermüthige Repu
blik nur gestiegen — darum wurde Venedig auserlesen, die Kosten
jener Versöhnung zu tragen.
Es war, als hätte der Papst sieh selber ganz übersehen hei der
grossen Ländertheilung die er vorschlug. In der That verlangte er
auch nichts für sich; er gewann doch immer am meisten.
Italien und der päpstliche Stuhl litten unter dem Einflüsse der
spanischen und französischen Macht, die sich auf der Halbinsel fest
gesetzt hatten. Des Papstes Plan war zuletzt darauf berechnet, beide,
Spanier und Franzosen, aus Italien zu entfernen, ihre Bedeutung zu
vernichten; das war der Hintergedanke bei jenen Vorschlägen die
er für nötliig hielt, um die Furcht vor dem Übergewicht des Kaisers
oder Frankreichs in Italien zu beseitigen. An die Stelle der Besit
zungen Frankreichs und Spaniens sollten drei italienische Fürsten-
thümer treten, getrennt von jenen herrschenden Ländern, zwar unter
Prinzen spanischer und französischer Abstammung, die aber von
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
211
nun an in Italien residiren und jeder eine neue italienische Dynastie
begründen sollten. Kam dieser Plan zur Ausführung, so war der
Papst der Befreier Italiens von dem Joche der Fremden, seine eigene
Macht konnte und musste dabei nicht wenig gewinnen.
Solche Aussichten waren verlockend genug selbst Clemens VII.
fortzureissen. Burgo machte Ein und Anderes wider den Plan gel
tend, gegen das sich so eigentlich Nichts einwenden liess; der Papst
fragte ihn rasch, ob er ein anderes Mittel wüsste, und da Burgo mit
Nein antworten musste, bemerkte Clemens, dem Glück müsse man
in allen Unternehmungen einen Theil überlassen — eine Äusserung
die mindestens aus seinem Munde Jeden überraschen wird.
Während nun der Papst seinen Legaten in Frankreich beauf
tragte, bei dem Könige auf jene Pläne hinzuarbeiten, schrieb Burgo
augenblicklich nach Regensburg an Cles. König Ferdinand war in
Prag, und der Cardinal dem die Sache zu wichtig scheinen mochte,
sie einem Briefe anzuvertrauen, beschloss des Königs Ankunft in
Regensburg abzuwarten.
Imless erschien zu Regensburg ein französischer Gesandter, um
durch Ferdinand’s Vermittlung mit dem Kaiser zu verhandeln, natür
lich noch ohne alle Kenntniss von römischen Plänen. Ferdinand
konnte bei dieser Gelegenheit erfahren, welch" schwieriges Geschäft
man ihm zumuthe; der Kaiser blieb unzugänglich; er hatte schon zu oft
erfahren, dass Frankreichs König nicht gern halte, was er versprochen.
Anfangs Juni traf Ferdinand in Regensburg ein; erst am 16.
hatte Cles Gelegenheit, ihm die Vorschläge des Papstes mitzutheilen.
Die Sache machte den König stutzen; hei den vielen Geschäften die
er im Augenblick hatte, verschob er seine Antwort 154 ).
Erst am 29. Juni kam er dazu, mit Cles von Neuem über jene
Vorschläge zu sprechen. Er hatte Manches dagegen einzuwenden,
vor Allem die Befürchtung, dass Frankreich den Venetianern den
ganzen Anschlag verrathen und sich um so enger mit der Republik
verbinden möchte; dagegen konnte es auch nicht an Betrachtungen
fehlen, die zu Gunsten des päpstlichen Planes sprachen. So erhielt
Burgo vor der Hand einen mehr ausweichenden als annehmenden
oder auch ablehnenden Bescheid: dass nämlich Ferdinand im Gan
zen dem Vorschläge Sr. Heiligkeit nicht abgeneigt sei, dass aber
vor der Hand des Türkenkrieges wegen Alles aufgeschoben werden
müsse 155 ).
212
Karl Stoeg-mann.
Indess erwartete der Papst mit Ungeduld die Antwort Ferdi
nande, und liess durch Burgo zur Eile treiben. Auch that er Schritte
welche darauf abzielten, seine freundliche Gesinnung gegen den
Kaiser und Ferdinand zu bethätigen und besonders den letzteren zu
verbinden. Der Cardinal Hippolyt von Medicis, der Neffe Clemens VII.,
wurde mit einem Theile der langversprochenen Subsidien an
Ferdinand gesandt, um als Legatus de latere das Heer gegen die
Türken zu begleiten. Dabei unterliess der Papst nicht dem Burgo
mitzutheilen, wie übel zufrieden die Franzosen mit diesem Schritte
seien; fügte auch noch hinzu, erhübe, bevor diese Sendung beschlos
sen worden, die Absicht gehabt, seinen Neffen mit dem Kaiser nach
Spanien zu senden und ihn beständig um die Person Sr. Majestät zu
lassen, damit Alle um so deutlicher sehen könnten, der Papst wolle
bis zum Tode mit dem Kaiser vereinigt bleiben 156 ).
Die Antwort Ferdinand’s, die alle weiteren Verhandlungen auf
unbestimmte Zeit hinausschob, musste ihn erschrecken. Er wusste
recht wohl, dass das Warten nicht ganz in seiner Macht stand; die
folgende eigentlnimliche Scene konnte ihn neuerdings lebhaft daran
erinnern.
Der französische Gesandte erschien in einer Audienz vor dem
Papste und drückte seine Verwunderung aus über die zahlreichen
Gerüchte von einem Einfalle des Königs in Italien, denen er wider
sprechen müsse. Der Papst ergriff die Gelegenheit dem Gesandten
zu versichern, wenn der König von Frankreich bei dem obschweben
den Türkenkriege wirklich einen Angriff auf Italien machen wollte,
so würde er sich gezwungen sehen, Vorkehrungen dagegen zu tref
fen. Da erwiederte der anwesende französische Secretär, wenn
der König von Frankreich ein Heer nach Italien senden wolle,
um zu erobern, was mit gutem Hechte sein wäre und was man
ihm ungerechter Weise entrissen, so dürfe Se. Heiligkeit
das nicht übel aufnehmen. Ganz aufgeregt (tota commota)
antwortete der Papst: im Gegentheile wäre er in einem solchen
Falle der erste der, schon durch seine Hirtenpflicht gezwungen,
sich in Allem gegen derlei üble Bestrebungen die nur zu Gunsten
der Türken wären, erklären müsste.
Der Papst selbst erzählte diesen Vorfall in der angeführten
Weise dem Cardinal Loaisa; man konnte über die Absichten Frank
reichs sich nicht länger täuschen.
Über die Briefe des Andrea da Burgo. 213
Bald darauf traf die Antwort des Legaten aus Frankreich ein,
die Jakob Salviati alsbald dem Burgo mittheilte.
Der Legat batte den Auftrag erhalten, in der ganzen Sache
äusserst behutsam vorzugehen und ja nichts Schriftliches aus den
Händen zu geben, was compromittiren könnte, ferner sich unmittel
bar an den König zu wenden. Das Letztere schien jedoch dem Legaten
nicht gerathen. Er kannte den Einfluss des Grossmeisters auf den
König; er wusste, dass Franz I. ihm selbst Alles mitzutheilen pflege
und, um ihn nicht zu beleidigen, dass er ihn nicht seihst ins Vertrauen
gezogen, wandte er sich zuerst an diesen.
Seiner Instruction gemäss verschwieg er, dass er im Aufträge
des Papstes handle und nahm Alles auf sich. Ein Mitglied der Familie
Trivulzio, welche dem König stets ergehen gewesen, deren Glück
in Mailand von dem Glücke Frankreichs abhänge, erlaube er sich,
dem Grossmeister einen Plan vorzulegen, den er ersonnen, und der
dem König zur Erfüllung seiner Wünsche dienlich sein könnte.
Den Plan kennen wir bereits; was uns interessirt, ist die Art,
in der man ihn dem König von Frankreich annehmbar zu machen
suchte.
Der Legat berührte zuerst die Versuche welche der König
bereits gemacht hatte, Mailand zu erhalten. Charakteristisch genug
nannte er darunter auch „modos dulces erga reginam“; sie blieben
resultatlos, wie alle anderen.
Darauf hob der Legat hervor, dass der Kaiser weder je einen
Grund gehabt, noch auch jetzt einen solchen habe, der ihn bewe
gen könnte, den Herzog von Mailand zu lieben; das Herzogthum
habe er ihm gegeben nicht aus irgend einem Antrieb seines Gemü-
thes, sondern durch die Zeitverhältnisse gezwungen.
Das war jedenfalls richtig; zum Theile richtig war auch das
Folgende. Der Legat behauptete, es sei bekannt genug, dass König
Ferdinand auf die Venetianer sehr übel zu sprechen sei, dass er
jenen Vertrag zu Bologna, sich zu grosser Unehre und nicht geringem
Schaden, nur gezwungen abgeschlossen. Auch der Kaiser hahe die
sen Vertrag nicht gerne gesehen; doch hätten sich beide Brüder
dazu bewegen lassen; einmal durch die politische Nothwendigkeit
bei der drohenden Gefahr vor Türken und Lutheranern, dann aber
auch durch die Hoffnung, dass die Venetianer nach ihrer gewohnten
unersättlichen Art die stets mehr verlange, selbst diesen ihnen so
214
Karl Stoegmann.
günstigen Vertrag verletzen und so in besserer Zeit Gelegenheit
geben würden, das Verlorne wieder zu gewinnen. Das hätten die
Venetianer bereits gethan, ja noch mehr als dies; denn auch den
Frieden mit dem Papste hätten sie schon mehr als einmal verletzt,
und darum wären sowohl der Kaiser, als auch Ferdinand und der
Papst bereit, einen gemeinschaftlichen Krieg gegen Venedig zu
eröffnen, wenn sich mit den Türken und Zapolya ein Friede, mit
dem König von Frankreich eine feste Einigung erreichen Hesse.
Zum Schlüsse bat der Legat dringend, die ganze Sache geheim
zu halten; denn erführe der Herzog von Mailand davon, so würden
seine und seiner Verwandten Güter in diesem Herzogthume nicht
wenig gefährdet sein, und auch der Papst könnte sich beklagen,
dass sein Legat es wage, solche Vorschläge zu machen ohne sein
Wissen!
Auf alles dies antwortete der Grossmeister nur, er sei über
zeugt von der guten Gesinnung des Legaten und seines Hauses gegen
die Krone von Frankreich; aber man müsse sich doch hüten, ob
nicht unter dem Vorwände eines solchen Vorschlages der Papst, der
Kaiser und Ferdinand den König nur ausforschen und die Venetianer
und Andere von ihm abhringen wollten? Der Legat widersprach sol
chen Befürchtungen und versicherte von Neuem, der ganze Plan sei
nur in seinem Kopfe entsprungen.
Den Tag nach dieser ersten Unterredung erklärte der Gross
meister dem Legaten, er habe die Sache überdacht und auch mit
dem Könige davon gesprochen; er möge nun selbst den Plan Sr.
Majestät mittheilen.
Vor dem König wiederholte der Legat Alles was er mit dem Gross
meister gesprochen. Franz I. hörte ihn sehr ruhig und aufmerksam
an, kam aber dann mit nicht geringen Einwendungen. Auch er fürch
tete, man wolle ihn nur ausforschen und die Venetianer von ihm
trennen. Er sagte es offen, „der venetianisehe Gesandte in Rom habe
ihm die Äusserung des Papstes mitgetheilt.“ Man höre aller Orten,
„der König von Frankreich wolle ein Heer nach Italien senden; es ist
nöthig, dass wir uns gegen seine Bestrebungen rüsten!“ Die Vene
tianer, erklärte der König weiter, würden sich nicht leicht gegen
ihn erheben und er habe wohl Grund sich zu hüten, dass er nicht
durch eine Praktik, in welche sich die Andern am Ende doch nicht
einliessen, seine Freunde verliere.
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
215
Auch sei der Krieg nicht so leicht, wie man sich ihn vorstelle.
Dazu habe König Ferdinand kein Geld, und er selber könne eine so
grosse Auslage, als der Krieg gegen Venedig erforderte, allein nicht
machen.
Dessenungeachtet ging die letzte Entscheidung desKönigs dahin,
„er sei dem ganzen Plane nicht abgeneigt, wenn er nur heimlich und
aufrichtig betrieben werde.“
Der Legat bat den König noch, er möge das Geheimniss Nie
manden vertrauen und an seinen Gesandten in Rom nichts davon
schreiben lassen, sondern Se. Majestät möge gestatten, dass er, der
Legat, die Sache wie aus eigenem Antriebe durch Jakob Salviati an
den Papst gelangen lasse, damit auch dieser nicht merke, dass der
König von Frankreich bereits um den Plan wisse — ein Vorschlag
den Franz I. annahm.
So weit war der Legat in seinen Verhandlungen gekommen und
bat nun um neue Instructionen 157 ).
Es war in der Tliat nicht leicht, solche zu geben. So viel konnte
der Papst sehen, sein weit aussehender Plan fand nirgends die ent
sprechende Aufnahme. Die kühle, unentschiedene Antwort des Königs
von Frankreich verlor noch den zweideutigen Werth den sie hatte,
wenn man die andern Nachrichten bedachte, die der Legat zugleich
mit dem eben besprochenen Berichte übersandt hatte.
Der König hatte sich bitter beklagt über den Papst der sich
wieder ganz dem Kaiser zuneige, und seit einiger Zeit sich gegen
Frankreich über die Massen unzugänglich erweise. Er thue nichts für
Frankreichs Interessen, mache überall Schwierigkeiten, und handle
dem Könige in vielen Dingen geradezu zum Nachtheile; auch in
Hinsicht der verabredeten Heirath wäre nichts von ihm zu erlangen
als leere Worte.
Sollten wir uns irren, wenn wir glauben, der König habe den
Papst ziemlich unsanft an den Junivertrag mahnen lassen? Wir müs
sen bedenken, dass wir von dem Berichte des Legaten nur so viel
kennen, als Salviati für gut hielt Burgo wissen zu lassen. Vielleicht
gewinnt aber für uns eine zufällige Äusserung Bedeutung, deren
Gefährlichkeit Burgo und Salviati übersehen mochten. Der Legat
hatte berichtet, der König werbe ein Heer von SO.000 Mann und
suche grosse Summen Geldes aufzubringen, um den künftigen Krieg
etwa zwei Jahre führen zu können, ohne seinen Unterthanen neue
216
Karl Stoegmann.
Lasten aufbufden zu müssen. Die Meinung des Legaten ging dahin,
der König werde vor der Abreise des Kaisers nach Spanien nichts
unternehmen, dann aber seinen Zug nach Italien nicht länger auf
schieben. Und bei solchen Absichten erklärte Franz I., er wolle den
Papst wegen der Vermählung seiner Nichte nicht drängen, bis der
Kaiser nach Spanien abgesegelt sei; denn er sehe wohl, dass Seine
Heiligkeit jetzt nicht könne.
Das war wohl immer die Antwort des Papstes gewesen, wenn
ihn der König an jene Heirath erinnerte; stand Franz I. einmal mit
einem Heere in Italien, mochte er füglich eine andere erwarten.
Es war kaum eine Hoffnung, ihn von seinen Kriegsgedanken abbrin
gen zu können; im Gegentheile, die Verstimmung zwischen ihm und
dem Kaiser, das Misstrauen des Letzteren stiegen von Tag zu Tag
höher.
Der König hatte von dem Papste die Bewilligung des Kirchen
zehents verlangt und der Papst sie zugesagt unter der Bedingung,
dass er zur kaiserlichen Flotte gegen die Türken, welche unter
Doria's Oberbefehl stand, 10 Dreiruderer gegen die Türken stossen
lasse. Dessen aber weigerte sich der König. Neunzehn Dreiruderer,
unter dem Oberbefehl des Herzogs von Albany, wolle er senden, aber
nur 10, und diese unter Doria's Oberbefehl gestellt — das sei gegen
seine Ehre. Auch beklagte er sich, dass der Papst seine Schiffe zu
Doria habe stossen lassen und forderte, dass auch diese, so wie die
Dreiruderer der Johanniter unter seinem Feldherrn fechten sollten.
Übrigens wolle er die Genueser sicher stellen, dass sie keinen An
griff von ihm zu besorgen hätten, so lange ihre Flotte gegen die
Türken aus sei, und dasselbe sollten sie ihm thun. Der Papst war
geneigt, dem König zu willfahren, besonders was seine Dreiruderer
anbelangte, die schon unter Doria’s Befehl standen; aber der kai
serliche Gesandte protestirte aufs entschiedenste dagegen, und auch
Burgo wagte nicht seine Zustimmung zu geben. Nun schlug der
Papst vor, Doria solle die kaiserliche Flotte, Albany die 19 franzö
sischen Dreiruderer commandiren; er wolle seine Schiffe von den
kaiserlichen trennen und ihnen einen eigenen Admiral setzen; die
Schiffe der Johanniter sollte nicht der Grossmeister der ein Fran
zose war, sondern ein anderer Ordensritter führen. Über diese 4
Capitäne sollte der Cardinal-Legat gleichsam als General-Capitän der
Kirche den Oberbefehl haben. Auch dies Auskunftsmittel das übrigens
Über die Briefe des Andrea da Burgo. 217
ganz dazu gemacht schien, erst die rechte Verwirrung hervor-
zurufen, wurde verworfen.
Die Kaiserlichen in Rom fingen an, dies Streben des Papstes
sieh dem König von Frankreich gefällig zu zeigen, mit steigendem
Misstrauen zu beobachten. Es scheint, dass auch der Kaiser gewarnt
wurde ; mindestens begann er in jener Zeit eine energische Sprache
zu führen. Mai erhielt den Befehl, den Papst im Namen des Kaisers
aufzufordern, seine Unterhandlungen mit Frankreich völlig abzubre
chen, „quod omnino interrumpat omnes practicas cum francia“ 15S ).
Der Papst, gedrängt, beängstigt, konnte nicht anders, als einen
Schritt thun, der die aufgeregten Gemüther der Kaiserlichen wenig
stens in Etwas beruhigen sollte. Er nahm die bereits beschlossene
Bewilligung des Kirchenzehents an Frankreich zurück; dem Car
dinal Loaisa den die blosse Nachricht von dieser Bewilligung in den
heftigsten Zorn gebracht hatte, zeigte er die zerrissene Bulle, „damit
man sehe, dass er den rechten Weg gehe und den Franzosen nicht
so geneigt sei, wie Andere glaubten!“ 159 ).
Neue Briefe von Cles bestätigten nur, was der Papst täglich
von Mai hören konnte, „der Kaiser wolle von Verhandlungen mit
Frankreich nichts wissen; doch seien König Ferdinand, Granvella
und Covos dafür. Der Papst resolvirte sich daher, seinen Legaten in
Frankreich zu beauftragen, die Sache wenigstens einigermassen im
Gange zu erhalten. Er sollte dem König vorstellen, dass sich bei der
jetzigen Beschäftigung des Kaisers nicht wohl verhandeln lasse, doch
möge sich der König mit Mässigung benehmen, und den Kaiser nicht
noch mehr erbittern; dann könne die Zeit Vieles erwirken“ 10 °).
Der König zeigte seinerseits wenig Lust, derlei Ermahnungen
nachzukommen. Dem kaiserlichen Gesandten der ihn zur Hilfeleistung
gegen die Türken aufforderte, erwiderte er: Der Türke habe Deutsch
land angegriffen, das mächtig genug sei sich zu vertheidigen, und
auch des Kaisers Macht sei gross genug, dass er seiner Hilfe entbeh
ren könne. „Er wolle Zusehen, was der Türke in diesem Herbste aus-
richten werde, und wenn die Ungläubigen den Krieg noch im näch
sten Jahre furtsetzten, so werde er mit seinem Heere nach einem
andern Orte ziehen, um dort der Christenheit zu helfen.“ Das war
nicht viel besser, als eine Kriegserklärung an den Kaiser; denn man
konnte leicht errathen, dass mit dem „andern Orte“ Italien gemeint
war!
218
Karl S t o e g' m a n n.
Auch redete man laut genug von einer Zusammenkunft des
Königs mit Heinrich VIII. von England, als deren Vorwand Verhand
lungen über eine zu schliessende Familien Verbindung und gemein
same Massregeln gegen die Türken genommen waren, während
Jedermann wissen konnte, dass es sich um Unternehmungen gegen
den Kaiser handeln werde 101 ).
Und dennoch vermochten alle diese Nachrichten nicht, den
Papst von seinen Friedensplänen abzubringen. Er hatte Niemand
für seinen ersten Plan gewinnen können; gerade an dem Puncte, auf
den er am meisten gebaut, an dem Kriege gegen Venedig, hatte sich
Franz I. und auch Ferdinand gestossen. Mit seltener Ausdauer ging
er daran, neue Vorschläge zu ersinnen, ob vielleicht diesen eine gün
stigere Aufnahme zu Theil werden sollte.
Neue Nachrichten aus Frankreich Hessen keinen Zweifel mehr
über die nahe bevorstehende Verbindung des Königs mit England,
eine Verbindung die voraussichtlich schon im nächsten Jahre zu
einem Kriege führen musste. Der Papst beschloss, diese Depeschen
seines Legaten dem Kaiser mittheilen zu lassen; sie sollten ihn auf
merksam machen auf die drohende Gefahr. Jakob Salviati machte
zuerst an Burgo die bezüglichen Eröffnungen: er versicherte dabei
den festen Entschluss des Papstes, im Falle eines Krieges mit dem
Kaiser zu stehen, und forderte Burgo auf gemeinsam mit ihm die
Mittel zu überlegen, welche den drei Verbündeten, dem Kaiser,
seinem Bruder und dem Papste zu Gebote stehen würden, gegen
die Macht Frankreichs und Englands, zu der sich noch Venedig
gesellen konnte, ja im Falle, dass der Kaiser im Anfänge siegreich
erscheine, aus Furcht und Misstrauen, der mächtigste Feind —
der Türke.
Man wird es uns nicht übel nehmen, wenn wir etwas kürzer
sind, als die beiden Diplomaten die jede Möglichkeit haarscharf
erwogen; für uns genüge es zu sagen, dass sie es nach langen
Berathungen für das Beste halten mussten, den alten Plan des Papstes
wieder aufzunehmen: der Kaiser schliesse Friede mit Frankreich und
beide Mächte vereinen ihre Kräfte zum Angriffe auf eine dritte
welche dann, besiegt, die Opfer ersetzen soll, die man sich des Frie
dens wegen wechselseitig bringen musste.
Als diese dritte Macht erscheinen aber nicht mehr die Venetia-
ner, im Gegentheile hofft der Papst durch den Frieden mit Frank-
Über die Briefe des Andrea da Burgo. 219
reich sie ganz zu gewinnen; als der gemeinschaftliche Feind, gegen
den sich alle wenden sollten, wurde der Türke bezeichnet.
Wie ehedem die Besitzungen der Venetianer, so sollten diesmal
die türkischen Provinzen vertheilt werden. „Jetzt habe man die gün
stigste Gelegenheit, das constantinopolitanische Reich zu erobern,
die mohammedanische Secte zu vernichten, die Herrschaft des christ
lichen Glaubens herzustellen und zu erweitern.“ König Ferdinand
sollte ganz Ungern erhalten und andere türkische Gebiete dazu;
Venedig sollte zurückbekommen, was es bereits an die Ungläubigen
verloren. Der Papst erklärte, er wolle sich mit den geistlichen Ein
künften aus den eroberten Ländern begnügen.
Um Frankreich zu versöhnen, musste Mailand geopfert werden,
ganz oder zum Theile; für den Herzog sollte nach Möglichkeit ein
anderes Land ausfindig gemacht werden. Doch sollte Frankreich Mai
land erst nach Vollendung der Expedition gegen die Türken erhalten;
bis dorthin aber wollten der Kaiser und der Papst, „als der Freund
beider Parteien“, die Festungen Mailand und Cremona besetzen, im
Nothfalle auch gegen den Willen des Herzogs 163 ).
Dies waren die Grundzüge der neuen Vorschläge des Papstes;
ein Eilbote sollte damit und mit den französischen Depeschen an den
Cardinal von Medicis abgehen. Der Cardinal sollte den Bericht aus
Frankreich dem Kaiser vorlegen, im Übrigen aber sich gegen ihn
nur in allgemeiner Weise aussprechen; mit seinen eigentlichen
Aufträgen wurde er an König Ferdinand und den Cardinal Cles
gewiesen.
Aber ehe man noch die nöthigen Briefe an den Cardinal absen
den konnte, erhielt man die unerwartete Nachricht, er sei auf der
Heimreise nach Italien, und zwar an der Seite des Kaisers.
Die Verhältnisse und Pläne Karl’s V. hatten sich völlig ver
ändert.
Es ist bekannt, welchen Ausgang der unter so günstigen Auspi-
cien begonnene Feldzug des Jahres 1532 gegen die Türken genom
men hat. Während Salviati und Burgo in Rom Pläne entwarfen, das
Reich der Osmanen für immer zu stürzen, unterliess man es in
Deutschland, den fluchtähnlichen Rückzug des Sultans zu benützen,
um nur einen Fuss breit ungrischen Landes zu erobern.
Mangel an Geld, heisst es, bewog Karl V., weiteren Unterneh
mungen gegen die Türken zu entsagen, vielleicht auch die Besorgniss
220
Karl Stoegmann.
vor den Umtrieben Frankreichs, das Misstrauen in die Gesinnung
des Papstes, die Furcht vor Verlusten in Italien. Vergebens batte
Clemens VII. den Kaiser durch den Cardinal von Medicis dringend
auffordern lassen, diesen glücklich begonnenen Zug mit Ausdauer
und Kraft zu verfolgen; Karl V. glaubte genug gethan zu haben, wenn
sein Heer die Türken vor einem Einfalle in die deutsch-österreichi
schen Länder zurückschreckte. Er musste es bei der von Frankreich
her drohenden Gefahr für ein Glück halten, diesen Krieg so schnell
beendigt zu sehen, und für eine Thorheit, ihn ohne dringende Noth
weiter fortsetzen zu wollen 163 ).
Diese Ereignisse überraschten den Papst, aber sie bestärkten
ihn auch in seinen Vorsätzen. „Jetzt müsse man um so mehr trachten,
einen Frieden mit Frankreich herbeizuführen“, erklärte er. Die An
kunft des Kaisers in Italien schien ihm günstig; er dachte daran,
eine Zusammenkunft mit dem König von Frankreich zu bewirken; er
wünschte den Friedensvermittler dabei zu sehen, auf den er am mei
sten baute, den König Ferdinand. Er Hess den König durch Burgo
dazu aufFordern und erbot sich, selbst an den Kaiser zu schreiben,
um seine Einwilligung zu erhalten. Sollte aber Ferdinand nicht kom
men wollen, so schien es dem Papste gerathen, dass er den Cardinal
Cles sende, um an den Verhandlungen Theil zu nehmen und den
Kaiser für den Frieden zu stimmen, der auf jenen Grundlagen geschlos
sen werden sollte, die Burgo und Salviati zusammen berathen hatten.
Zum Theile gingen seine Wünsche in Erfüllung.
Der Kaiser hatte sich für Bologna erklärt, als für den Ort, an
welchem er mit dem Papste Zusammentreffen wollte; einer Zusam
menkunft mit dem Könige von Frankreich aber schien er noch wenig
geneigt.
Ferdinand seinerseits hegte wenig Hoffnung, dass ein Friede
zu Stande kommen werde; aber er willigte darein den Cardinal Cles
nach Bologna zu senden, und zeigte sich auch nicht abgeneigt selbst
nach Italien zu kommen, wenn der Papst doch vielleicht eine Zusam
menkunft zwischen dem Kaiser und Franz I. erwirken sollte.
Am 5. December erschien Karl V. zu Bologna, um das zweite
Mal mit dem Papste persönlich zu verhandeln; am IS. kam Burgo
an; bald darauf Cles.
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
22!
Hier sehe ich mich gezwungen, meine Abhandlung zu schliessen,
ehe noch die in ihr begonnenen Darstellungen alle zu einem natür
lichen Abschlüsse gelangen konnten. Es ist die Natur des mir vorlie
genden Materiales welches es mir nicht möglich macht, diesem
Übelstande zu begegnen. Für die Zusammenkunft zu Bologna, bei
welcher Burgo und Cles zugegen waren, liegen mir natürlich keine
Briefe vor. Ich muss mich begnügen, auf bereits Bekanntes zu ver
weisen, wovon das Wichtigste ist, dass die vom Papste beabsichtigte
Versöhnung des Kaisers mit Frankreich nicht zu Stande kam. Wäh
rend jener Zusammenkunft zu Bologna starb Burgo; ein Brief Ferdi
nand^ an Cles vom 9. Januar (Antwort auf sein Schreiben vom 1.)
beklagt den Tod des treuen und unermüdlichen Dieners, der also
gegen Ende Decernbers erfolgt ist.
Sitz).. d. phil.-hist. CI. XXIV. Bd. il. Hfl.
iS
222
Karl Stoegmau n.
NOTEN.
*) Dieses Archiv, die ehemalige Gubernial-Registratur, enthält noch immer
interessante und werthvolle Acten, obgleich sehr Vieles bereits nach Wien ge
bracht worden, Manches auch an Bayern verloren gegangen ist. Erst in jüng
ster Zeit hat es durch Übertragung der zu Ambras bewahrten Acten eine, wie
es wenigstens schien, nicht unbedeutende Vermehrung erhalten. Das Archiv ist
nur theilweise und nicht immer sehr zweckmässig geordnet; doch wird
die dem Forscher daraus entspringende Unannehmlichkeit aufgewogen durch die
Loyalität der Leitung und durch die seltene Dienstwilligkeit des eben so kennt-
nissreichen, als zuvorkommenden Archivars von Pfaundler. Ich ergreife mit
Vergnügen die Gelegenheit, dem wackeren alten Herrn meinen aufrichtigsten
Dank auszusprechen für die vielfache Förderung die er mir und meinen Bestre
bungen gewährte.
3 ) Mir wenigstens schien Manches dagegen zu sprechen, die weitläufige
Behandlung von Burgo’s Privatangelegenheiten die für uns ohne Bedeutung
sind, die Wiederholungen von Dingen die einmal gesagt, genug gesagt wären,
die unvermeidliche Einmischung irriger und darum werthloser Gerüchte. Ich
führe das nur an, um meine subjective Meinung zu begründen, die jedoch gerne
jeder besser begründeten weichen wird.
3 ) Sie mögen dadurch hineingerathen sein, dass Cles Burgo’s Briefe öfter
an Ferdinand sandte, der sie dann seinen eigenen Schreiben an Cles wieder
beilegte. Die Sammlung dieser Briefe Ferdinand’s I. im Staatsarchive ist beinahe
vollständig; fehlende Briefe finden sich in Innsbruck.
4 ) Man vergleiche die Vorrede zu dem citirten Urkundenbandc, p. XIII.
5 ) Bucholz geht über dieses Verhältniss ziemlich leicht hinweg; es ist
aber interessant und wichtig genug, um noch eine genauere Untersuchung zu
erfahren. Man vergleiche übrigens für das oben Gesagte die Finalrelation des
venetianischen Gesandten in Ungern, Lorenzo Orio, vom Jahre 1323, mitgetheilt
von Firnhaber in den Quellen und Forschungen, p. 73.
6 ) Maximilian an Margaretha, 23. Februar 1307, bei Le Glay, Correspon-
danee, I. 40.
Über die Briefe des Andrea da Bürge. 2 2 3
7 ) Maximilian an Margaretha, 18. Mai 1309 (1. cit. I, 139), citirt einen
Brief Burgo’s über die Schlacht.
8 ) Maxim, a. Marg., 8. Juni 1309, 1. c. I, 132.
!) ) In dem 1. Bande der „Negociations diplomatiques entre la France et
I’Autriche“, findet sich ein kurzer biographischer Abriss über Burgo (p. XVI—
XVIII). Das Geburts-und Todesjahr ist dort nicht angegeben, und es ist mir
gleichfalls nicht gelungen, das erstere zu ermitteln, ln den italienischen Wirren
verlor er seine Güter im Mailändischen, und konnte sie aller Verwendung unge
achtet nicht zurückerhalten. In Tirol hesass er die Pfandherrschaften Enn und
Caldif. Für die oben erwähnten beiden Gesandtschaften in Ungern vergleiche
man Cuspinian’s Tagebuch, font. rer. austr. I.
10 ) Als einen Beleg für seine Gesinnung in dieser Art folgende Stelle aus
einem Briefe vom 23. December 1325: „Laus Deo! Certum est, quod uxor mea
est gravida, et signa de masculo. Scio erit bonus Australis et in hoc dabo sihi
benedictionem et maledictionem illa hora, qua alius esset! Sed spero in hoc
non degenerabit a patre neca matre.
n) Aus den häufigen Klagen sei nur eine wörtlich angeführt, aus einem
Briefe vom 29. December 1529:
Si serviissem uni marchioni, vel uni parvo domino melius fuisset; et alii
secuti sunt dueem Mediolani, pauper Andreas sletit constans cum domo Austrie
et seminavit in terra arida et petrosa usque nunc et si ita ero derelictus certe
non erit ad honorem Majestatum suarum et in malum exemplum aliis servi-
toribus.
la ) Lächeln mochte wohl Cles selber bei den Stellen die sich in Burgo’s
Briefen auf seine Gemahlinn bezogen, eine Nichte des Herrn von Wolkcnstcin,
mit der er sich im Jahre 1518 vermählte. War er getrennt von ihr, so ergoss
er sich in die bittersten Klagen. Der Aufenthalt in Ungern schien ihm desshalb
eine Hölle; er versicherte ganz ernstlich, er werde sterben, wenn er noch lange
ohne seine Frau leben müsse. Als er später in Born war, nahm er sie zu sich
und der Papst selbst sagte bald darauf, „er sehe nun viel besser aus und sei
auch ganz verwandelt.“
ls ) „Burgo hat geschrieben und, wie gewöhnlich, entsetzlich lang,“ schrieb
einmal König Ferdinand an Cles. Wer sich die Mühe nimmt, die beiden im An
hänge mitgetheilten Briefe zu lesen, wird das oben Gesagte wohl bestätigt
finden.
14) Buche 1z, Geschichte Ferdinand I., I, 93. Die Angabe des Jahres 1518
ist wohl nur ein Versehen.
lä ) Mo ne, Anzeiger vom Jahre 1836, p. 287.
lö ) Bestätigt wird dies durch einen Brief Armstorf’s an Margaretha, in den
Negoc. diplom. 11, 376. Über die dem Legaten gegebene Antwort vergleiche man
den Brief der drei Gesandten an König Karl, 1. eit. II, 407.
17 ) „Ut probos et integros electores decet.“ Ähnlich, wenigstens in dem
selben Sinne, hatte sich der Kurfürst von Trier schon früher gegen Armstorf
erklärt. Man sehe Neg. dipl. 11. 356-
ls ) Burgo an Cles, 5. August 1524.
15 ‘
T
—
S
aciB**vSi
sa
5£ 2 4 Karl Stoegmann.
1!) J 2. Februarl523. Sit sine arrogantia dictum, si non focissem, quae feci,
pessime res successissent, nunc auxilio Dei in meliori sunt.
20 ) Nach Burgo’s Brief vom 1. Augunt 1521 aus Ofen. Ich citire hier die
Stelle die nebenher dazu dienen mag, die etwas übertriebenen Ansichten von
des jungen Königs physischer Beschaffenheit zu berichtigen.
Quantum ad Prolongationen» inatrimonii .... Rex non est illius opinio-
nis, qui potius vellet hodie quam cras, et est valde captus amore reginae non
solum corporis sed virtutum ejus; et Regina mutuo eum amat et ambo sunt satis
in etate. Rex est major quam Dom. Vcstra, et fortissimus, et quamvis nisi intra-
vcrit in XVI. annum. tarnen incipit crescere barba et vir est!
Zur Bestätigung übrigens der Wittheilungen B urg o’s mögen hier Frag
mente eines ganz originellen Briefes folgen, der mir im Archiv zu Innsbruck ganz
zufällig aufstiess. Der Schreiber desselben ist Hanns Schweinpeckb, ein
deutscher Edelmann aus dem Gefolge der Königinn Marie.
„Lieber Her Sun. Als ihr mir negst geschrihen. euch oft zu schreiben, war
ich willig, aber ich hab nit allweg Poten, den zu trauen ist: jedoch kann ich nit
unterlassen, muss euch ein wenig anzeigen, dass wir in keinem guten und treuen
land sein, uns das Volk gross unt klein wenig guts gönnt, und je höher, je weni
ger möchten leiden: .... sie wollten das Schwert, gerne selbs in der Hand
behalten und dem Kunig unt der Kuniginn den namen lassen unt Sy den
nuz haben, als auch ist. haben alle einkomen des Kunigs also zugericht,
das er nit zu essen, noch ein guef.en Rockh hat, die Königin hat
ihn kleiden müssen, haben tm rat sunder dem grossen turkhengesehrey
nach der kunig zu feit gezogen ist — ligt nun bei i4 Tag da, hat nit noch 1300
man peses und guts bei einander, hat kein gewalt muss tanzen, was
sie p f ei fen.
Fürwahr der Kunig ist rechtschaffen, haben einander aus dermassen lieb
das sehen die valschen liund, unt wo sy konnten davor sein, Sy lassen den
Kunig nitgehen zu meiner gnedigsten Frauen, möchten leiden, wir zugen wider
haimb ein jar oder zwei, damit sie ir sach desto pass machen kunnten, aber
wirt nit bescheben, sind noch des synns, zu nechsf und möglich bei dem Kunig
zu bleiben unt allen abenteur zu besteen.
Es ist einer, heisst parlawyss (?) ist ob 80 unt sein weih ob 70 jar alt,
duanf der Kuniginn nichts guts, dann was sie schand halber muessen; solche
sind jungfrau Barbara freunt; solche alt kortl hat den Königin ir Schul gehabt,
wallt gern mein gnedigst Frau Kuniginn auch gehabt haben unt Hofmeisterinn
sein gewesen , hat mein gnedigste Frau keinswegs haben wollen. Sy hat ihr
Zymer im Sloss (?) gehabt , die der Kuniginn zugehören, hat sy muessen räu
men, das hat sy ein grossen Verdruss empfangen; aber hilft nichts, haben den
Kopfh gespitzt, muess hindurch Maister oder knecht zu werden!
21 ) ln Prag traf Burgo mit Herberstein zusammen. Dieser erwähnt es in
seiner Selbstbiographie und führt auch den B'ief an, den ihm Burgo zu
seiner Empfehlung an den König Ferdinand mitgab. (Font. rer. austr. I.
p.256.)
22 ) Burgo an Cles, 12. October 1322, aus Prag.
■
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
225
Convcntus ille qui debebat fieri in Lyntz vcl in illis finibus Austrie versus
Bohemiam nonpotuit tune habere effectum, quod cumMajestates etomnesessent
parati et in reeessu et currus onusti, supervenit talis inlirmitas Regine, quod
non potuit fieri cum magna molestia utriusque partis. Subito Dom. Princeps
misit oratores, Comitem Job. de Hardeek et Balbum pro tractandis illis, super
quae debebat convenire, et inter cetera pro mittendis oratoribus Bohemieis ad
conventum Nurenbergensem cum jdeno mandato, et cum responso, quod Dom.
Princeps non posset commode venire Egram, civitatem ultimam versus Nuren-
berg, siculi Bohemi significaverant nomine Regis. Princeps autem existimabat
esse magis in rem Regis pro auxiliis babendis, ut Nurehberg iret, ad quod nec
Bohemi, nec Ungari consentiunt, scd si Dom. Princeps vellet venire Egram, crcdo
Rex ibit.
Man vergleiche dazu die kurze Notiz bei FI erb ers tei n, Font. rer. austr.
1, p. 262.
2S ) „Ne esset suspectus“ heisst es im Briefe — und weiter „Mirabili obe-
dientia transivit hoc tanta mutatio.“
24 ) Burgo an Cles, 8. März 1523. An diesem Tage wurde der Landtag ge
schlossen, von dem Fessler (Bd. 6. p. 72) sagt: der König habe nicht viel
ausrichten können. Der Königinn schenkte er damals „alle Confiscationen die in
Zukunft Vorkommen würden.“
2i ) Hier mögen zwei Briefe erwähnt werden, die während des Aufenthaltes
in Prag geschrieben sind und sich auf Verhältnisse beziehen, die nicht im un
mittelbaren Zusammenhänge mit ßurgo’s Gesandtschaft standen. Aus dem ersten
(vom 2. November 1522) lässt sieb ersehen, wie übel man von mancher Seite
her den jungen Fürsten Ferdinand beeinflusste und sich nicht scheute, den
Samen des Misstrauens zwischen ihn und seine Unterthanen zu säen. Burgo
sendet an Cles die Copie einer Schrift die an Ferdinand gesendet wurde.
„Videbit Domiriätio vestra, quae scripta sunt contra nostros Tyrolenscs, etccrte
non bene. Et dixi hic, quae debui, et male faciunt, qui volunt induccre talibus
modis serenissimum Principem in odio contra talem et fidelem patriam!
Der zweite Brief (vom 20. December 1522) berührt die traurige Neustäd
ter Scene. Der König und die Königinn haben an Ferdinand geschrieben und ihn
gebeten, der Witwe und den Waisen Doctor Siebenhürger’s die verhängte Con-
fiscation ihres Vermögens zu erlassen , und dem Dr. Gampus die Rückkehr in
die Stadt, so wie die Ausübung des Notariates zu gestatten. Auch Burgo be
stürmt Cles , er möge diese Bitte bei Ferdinand unterstützen, viele wackere
Männer (boni viri) haben sich dringend für die Genannten verwendet.
2(1 ) Burgo an Cles, 14. Mai 1523, aus Ofen.
. . . etiam diu non tuit tarn grata dieta, quam ista. Utinam pari felicitate
mandentur exeeutioni, que conclusa sint. ln quo laborabimus.
27 ) Ferdinand schrieb später hierüber an seine Schwester Maria unterm
28. Februar 1524. Was er dort über Burgo sagt, möge hier Platz finden.
Ceterum cum sciamus non esse necessarium nec ignoremus gratiam et
benignitatem, qua Sercnitas vestra merito complectitur prefatum Andream, et
ei non incognita. nec obseura sint lidelia et non vulg'aria merifa sna, quondam
226
Karl Stoegmanii.
diuis Cesaribus Maximiliane* Auo paterno et Ser'“" Ferdinande) Arragonum Regi
Auo materno, et Philippo Regi Castelle, Petri nostris colenelissimis preclare
memorie, ac moderno Cesari Carolo fratri nostro charissimo et sue Serenitati ae
nobis prestita, et in dies magis exhibere poterit. leeireo tamc|uam antiquum et
benemeritum servitorem nostrorum predecessorum et nostrum, et qui nunc so
exponit ad tanta servitia, quanto magis possuinus eum ac res suas v. Ser 11 eom-
mendamus, que quiequid amoris et beniuolentiae pro bono et honore suo in
ipsum contulerit in personam dignam collatum iri seiet
Der Brief findet sich in den bereits citirten Quellen und Forschungen,
p. 107.
28 ) Burgo an Cles, 23. October 1323, Neustadt (schon am 19. ist er
daselbst). Ausdrücklich heisst es: Conclusioncs in re turcica secute non sunt.
Auch die Ziffern der von Ferdinand versprochenen Truppen notirtMailath höher,
als Burgo sie angibt.
29 ) Es wurde verhandelt, „quomodo rex se deberet gubernari et quomodo
concilium; si servabuntur, de quo dubito, bene erunt.“
30 ) Bald darauf (10. Deeember) berichtet Burgo von seinem Schlosse Enn
aus eine interessante Episode. Eines Abends hört er plötzlich, Prinz Bourbon
werde durchreisen. Ganz erfreut, seinen alten Freund und ehemaligen Herrn
wieder zu sehen, eilt er hinab ins Dorf, ihn zu sich zu laden. Aber der Stall
meister der vorangecilt, sagt ihm, der Prinz wolle sich nicht verweilen, son
dern augenblicklich seinen Weg fortsetzen. Da kommt Bourbon selber und seine
Freude ist nicht geringer, als die Burgo’s. Die rasche Reise wird unterbrochen.
— Bourbon folgt seinem alten Freunde in sein Schloss als Gast für eine Nacht.
Den andern Morgen schenkt ihm Burgo, was er zur Hand hat, Fasanen und
Wein aus Verona, und gibt ihm eine Strecke Weges das Geleit. Sie hatten viel
mit einander geredet von einst und jetzt. — Bourbon, jetzt ein Verbannter, ein
Feind seines Königs, hatte viel zu erzählen. „Man müsse den Krieg mit aller
Macht nach Frankreich tragen,“ war seine Meinung, „dort werde der Sieg leichl
werden.“ So schlecht Burgo schreibt, der Brief muthet den Leser fast poetisch
an, so eigenthümlieh reizend ist die Situation.
31 ) Er schreibt an Cles (19. October 1323): lam non multi anni supersunt
vite mee; volo vivere, nec volo quod honores brevient illud parvum rcsiduum,
quod superest vite mee!
32 ) Schreiben des Secretärs Massario in den Quellen und Forschungen,
p. 80.
33 ) Man vergleiche den unter 27 citirten Brief Ferdinand’s an Maria.
34 ) Burgo an Clos, 3. August 1324. Bald darauf schrieb man ihm aus
Ungern: Nos sumus in procellis omnibus remigiis et vclis fraetis. Res sunt adeo
grandes, ut a fine inundi deberent convenire!
35 ) Burgo an Cles, 10. August 1324.
30 ) Er machte den maitre de plaisir am Hofe, und verbrachte ganzcNächtc
auf den Bällen der Küniginn. (Massario’s Brief, 1. c. p. 80.)
37 ) Burgo an Cles, 4. September und 3. October 1324, aus Enn.
3S ) Berichte aus Ungern an Burgo, 23. September 1324.
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
227
„Quod Thurso habet maiorem partem Regni cum ipso et Regina, quae
ipsum super omnes amabat, it.a perseeuta est cum, quod totum se teilet cum
Rege et Regno.
39 ) Ille (Georg v.Rrandenburg) est totus apudReginam et non vult habere
soeium, qui ei contradiceret. (Berichte aus Ungern an Burgo, 19. Septem
ber 1S24.)
40 ) Man vergleiche den mehrfach citirten Brief.
41 ) Berichte aus Ungern an Burgo, 23. September 1324.
„Quod Palatinus adiuuat secrete aliquos latrones, qui sunt contra Regem
et ßornamissam et Thursonem; et orator illis favet.“ Der letzte Punct ist ganz
unglaublich.
42 ) Ferdinand an Cles, 23. Juni 1525, Innsbruck, im k. k. Staatsarchiv.
43 ) Ferdinand an Cles, 23. Juni 1323, Innsbruck, im k. k. Staatsarchiv.
„Veniat (Burgo) mutato habito et uno dumtaxat familiari, quo cum in abscondito
loco paucos aliquot dies soli contractabimus.
44 ) Burgo an Cles, 27. December 1323.
45 ) Burgo an Cles, 23. December 1323.
40 ) Burgo an Cles, 14. Jiinner 1326. Ähnliches rieth Moncada dem Kaiser.
Man sehe Lanz’s Corresp. Karl’s V., I, p. 212, 90. Brief!
47 ) Burgo an Cles, Ende Mai 1326. Dass Karl V. ähnliche Gedanken hegte,
sieht man bei Bucholz, III, 39 u. s. f. Cles rieth Ferdinand, er möge vom Kai
ser den Titel eines Statthalters in Italien begehren, was aber dieser ablehnte.
(Ferdinand an Cles, 3. Mai 1527, im Archiv zu Innsbruck.) In Italien wünschten
die Kaiserlichen gleichfalls Ferdinand’s Ankunft. An Burgo wenigstens schrieb
man damals: „lam opus erit, ut Princeps vester veniat, si sie res transibunt;
.... verum Cesar vester quottidie magis perdit et ultra alia plena despe-
rationem, et exultant omnes de parte gallica et veneta, quia sub colore juvandi
perniciant, et introducunt ex alio latere ruinam, ut Papa et Veneti volunt. Et
Imperiales conculcantur, qui nunc sperabant venisse teinpus suum.
4S ) Bericht an Burgo aus Cremona iin Mai 1526. Übrigens hatte man einen
Einfall der Venetianer in Tirol gefürchtet und desshalb in Bozen Truppen
zusammengezogen. Auch sollte das Castell zu Trient befestigt und 1000Knechte
geworben werden.
49 ) Burgo verlor sich damals in einen seltsamen Plan. Der Kaiser solle Mai
land und das Gebiet der Venetianer den deutschen Fürsten und Völkern gleich
sam als offene Beute preisgeben. Er und Ferdinand sollten sich mit der Ober
herrlichkeit begnügen, die einzelnen Länder aber müssten den Fürsten und Ein
wanderern gehören, die sie eolonisiren würden. Die beste Kritik des ganzen Vor
schlages liegt wohl in den Worten, die Burgo selbst hinzufügt: „Dico hee in casu
desperationis.“
In demselben Briefe der diesen Plan ausspricht (er ist vom 20. Juni 1526)
linden sich auch Klagen, die mindestens einen Theil der Schuld an dem üblen
Stande der Dinge dem Kaiser und seinen Rathgebern heimessen. Hätte Karl V.
gutes Einverständniss mit seinem Bruder unterhalten und Vorkehrung für alle
möglichen Fälle getroffen, es wäre wohl nie so weit gekommen. (Sed) voluerunt
228
Karl S t. o e g m a n n.
ministri Cesaris omnia pro so spreto fratre Cesaris et bonis servitoribus.
Scbliesslicb citirt Burgo in seinem Unmuth die Worte des alten Bischofs von
Brixen an Kaiser Max: Nolite succensere bonis et fidelibus dicentibus et ex
corde veritatem, et bene operantibus et consulentibus, sed malos ministrossicuti
diabolum auertatis!
ä0 ) Burgo sendet zwei ausführliche Berichte über diesen Angriff auf Mai
land an Cles. Die Feinde benahmen sieh nicht sehr cdclmüthig. Die Spanier
wurden in ihrem Hinterhalte überrascht, etwa SO niedergehauen und ungefähr
eben so viele gefangen. Die Gefangenen schleppte man aufs freie Feld und hieb
sie dort nieder. Einige entsprangen und flüchteten sich in eine Kirche, in der
sie sieh zur Wehre setzten und den Bruder des Statthalters von Zanino
tödteten.
Der erste Bericht gibt auch Nachricht von einem glücklichen nächtlichen
Streifzug aus Cremona. Dreihundert Reiter hoben die feindliche fouragirende
Cavallerie auf, wobei eine Staffelte des Herzogs von Urbino an den Dogen in
ihre Hände gerieth.
51 ) Die Feinde benützten gar wohl diese Lage Ferdinand’s und suchten sie
zu verschlimmern. Der Papst nahm einen Bischof, den Zapolya nach Rom gesen
det hatte, äusserst gnädig auf, und entliess ihn mit grossen Versprechungen. . .
per fare, che il uainoda no se aeeorda eon re Ferdinando!
(Bericht aus Italien an Burgo, December 1520.)
5!! ) Schon in dem Schreiben, in dem er dem Kaiser die Niederlage von
Mohacz meldete, that er Vorschläge in dieser Beziehung. Man sehe den Brief
Karl’s an Ferdinand vom 30. November 1520 bei Lanz 1,224 und den Brief
Ferdinand’s an Karl, 22. September 1520, bei Gevay, Urkunden zur Geschichte
Ungerns, I, 13.
53 ) Burgo an Cles, 28. December 1520.
54 ) Burgo an Cles, 3. März 1527. Ferdinand konnte noch nicht so viel thun,
als er gern gewollt hätte; gegen Ungern musste er seine beste Kraft Zusammen
halten. Burgo hatte wohl Recht, wenn er immerfort, predigte, auch in Italien
handle es sieh nicht blos um die Sache des Kaisers — der Körper des Hauses
Österreich habe viele Glieder; ein kluger Arzt sehe überall zu und da zumeist
wo die Krankheit am grössten.“ Aber so richtig diese Ermahnungen sein moch
ten, sie schafften doch weder Geld noch Soldalen, und am Ende blieb für Fer
dinand Ungern doch stets wichtiger als Italien.
55 ) Burgo an Cles, 29.März 1527. Frundsberg’sBotschaft an seinenFreund
lautet wörtlich: Quod esset bono animo, quia Dux Burboni et alii de exercifu
non essent accepturi taics treugas — sed ita tractabunt ad bonum finem et cum
Papa putet bis mediis facerent nostri et dant. verba ut securiori modo transeant.
Übrigens dachte man schon lange an einen Zug nach Rom; auch der Her
zog von Ferrara hatte dazu gerathen. Schon im December 1520 berichtete man
aus Italien an Burgo: das Heer sei bereit, gegen Rom zu marschiren. Et se li
Cesar si ferma il consilio del Duca di Ferrara hauemo vittoria et presto. (Man
vergleiche Ranke, deutsche Geschichte, 3. Band, 282 u. s. f. und Cesar Fer
rum oska’s Brief an Karl V. bei Lanz, I, 230.
Über ilie Briefe des Andrea da Burgo.
229
5(i ) Einige wenige Fragmente jener verlorenen Briefe Burgo’s finden sich
in einem ziemlich verschollenen Buche, „Schilderungen aus Urschriften unserer
Voreltern, Innsbruck 1789“, verfasst von dem Registrators - Director Gassler.
Dieses Buch das ich auf dem Ferdinandeum aus der Di Pauli’schen Bibliothek
benützen konnte, enthalt nebst mehreren andern einen sehr gut geschriebenen
Aufsatz: „Der Zug nach Rom 1527, aus den Papieren des Freundsberg, Angerer,
Burgo und Anderer.“ Die Ausbeute aus Burgo’s Briefen ist ziemlich spärlich;
die einzige grössere Stelle ist einem Schreiben an Ferdinand vom 26. Juli ent
lehnt und möge hier Platz finden.
Papa mille nodos ponit, sicuti prius etiam posuit. Dux (Ferrarie) ordinavit
in quodain loco dominii sui, per quem transeunt illi, qui veniunt ex Roma recto
itinere, ut nullus transeat, nisi sit bene perquisitus. Venerat autem unus , qui
dicebat se esse servitorem Domini Sigismundi de Arimino; Officialis Ducis voluit
diligentius inquirere, et reperit, quod erat servitor Comitis Guidonis Rangonii,
et reperit aliquas literas; inter ceteras suas fitere oratoris Anglici, qui erat in
eastro Sancti Angeli et post egressum suum ex Castro ille orator scripsitComiti
Guidoni, quod Papa dixerat ei, ipsum scire, quod eoactus faceret. illam concor-
diam et ideo rogabat ipsum oratorem inter alia, que essent bene agenda, procu-
raret ut Parma et Piacenza omnino essent bene servate. Modum autem esse, ne
videretur ipsum Papam contrafacere promissis suis, si subito orator scriberet
Itangonio, ut ille esset, qui intraret nomine Regis Francie et quod ipse Orator
ex Roma recedebat ex Venctiis iturus in Angliam et procuraturus mirabilia aput
Regem suum et quod idem faeturi franci et Veneti erunt. Hodie autem vonit ille
orator Anglie et fuit cum Duce duas horas integras usque ad molestiam, et dixit
papam vilem mendacem, quo pejorem proditorem non creaverit Deus. Posten
dixit, quod ipse et Cardinales erant in tanto timore, quod somniabant in nocte
hispanos et Alemannos ascendere muros ad eos interfieiendos, quod nisi ora-
tores et inter eos ipse Anglus etCarpensis in primis fecissent eis animum, subito
dedissent se ad manus Cesareorum!
“ 7 ) Burgo an Cles, 21. Deeember 1529, dann Burgo’s Brief vom 28. De-
cember.
De Breda nihil mihi significat, dicens se nihil scire; dicit Salines. eum esse
levem et non gratuin Imperatori et etiam die de Breda est in expeditionem in
Franciam recessurus.
Ferdinand, durch Cles und Andere aufmerksam gemacht, beschloss seine
Abberufung. (Ferd. an Cles, 3. Januar 1530, Linz, im k. k. Staatsarchive.)
Ss ) Burgo an Cles, 21. Deeember 1529.
5!J ) Mit dem Kaiser verhandelte er durch Salines, der ihn täglich zweimal
besuchte und ihm von Allem Nachricht brachte; zwischen ihm und dem Papste
vermittelte Salviatis und der Erzbischof von Capua.
eo ) Die Bemerkung des Salines ist richtig und findet vielfache Bestätigung.
Karl V. war der Kaiser, der ältere Bruder; es war natürlich, dass Ferdinand sich
ihm gegenüber ehrerbietig zeigte. Man weiss aber auch, der Ilochmuth der Die
ner wächst mit der Macht und dem Ansehen des Herrn. Die Männer die in Fcr-
dinand’s Diensten standen, fanden sich der Umgebung des Kaisers gegenüber
230
Karl S t« e g' man n.
stets in einer gedrückten Lage. Einerseits war inan übermüthig und liess siehs
gerne merken, man diene dem hohem Herrn, andererseits war man empfindlich
und wollte um nichts geringer gehalten werden. Es war eine stete Spannung,
die oft zu Reihungen führte und mitunter tiefere Folgen hatte, als man so oben
hin vermuthen würde.
01 ) Burgo an Cles, 21. December.
° 3 ) Der Kaiser verhandelte persönlich mit dem Papste, mit dem er jeden
Abend zusammenkam. Sonst wurden noch beigezogen De Prat, Granvella, der
Erzbischof von Bari.
6;! ) Die Bulle über den Verkauf der unbeweglichen Güter war in einer
Copie nach Deutschland gekommen, ehe Ferdinand von seinen Botschaftern
das Original erhalten hatte. Durch wen es geschehen, konnte man nicht
erfahren.
631 /o) Burgo an Cles, 28. December 1529.
64 ) Burgo an Cles in dem citirten Schreiben.
° 5 ) Die Bedingungen stehen bei Bucholz, 3, 425. Cles schrieb darüber
an Ferdinand am 2. Januar 1530.
Hac hora accepi, que ex Bononia misit Burgius simul cum capitulatione
pacis concluse et cum Duce Mediolani et cum Venetis, sicut Maj. vr. videbit.
Meum non est vitio dare, vel improbare, que magni hidomini coneludenda duxc-
rint, sed quum capitulationem cum venetis conclusam aliquantisper consideravi
non multum video Majestati vr. trihutum, quin etiam quaedam inserta magis
ipsam intricabunt, quam extricabunt.
M ) Loaisa an Karl V. erwähnt, dass der Papst sich dieser Äusserungen
erinnere.
° 7 ) Burgo an Cles, 29. December 1529.
° 8 ) Hastiludii, que fuerunt hic facte(?) fuerunt ob nativitatem filii Ccsaris
sed certe Imp. de nulla accepit voluptatem, semper in camera in expeditionibus,
et sitit incredibiliter exire Italiam, sed demonstrat se non potuisse citius absol-
vere se a concordia rerum ducatus Mediolani et Venetoruin et quia voluisset
alitcr fieri pro se et pro fratre sed von potuit et adducit eausas, sed quod feit
coactus ita facere pro nunc in preiudicium honoris et rerum Maj. s. et regis fra-
tris sui, ut latius dicet ipsemet fratri. De supradictis poterit Dominatio vr. rev.
iila notificare, que sibi videbuntur, ne inter fratres abaliquo ponatur aliquid non
bonum, et etiam ut Maj. regia sciat me nihil pretermissise, sed videns cgo etiam
necessitates et errores, et pericula regis in re tureika et lutherana et quod etiam
protestando frustra etiam laborabatur opus fuit me eedere et non contendere
contra Cesarem.
69 ) Ex molestia animi magna ineidi in istain cgritudinem schreibt er an
Cles unterm 29. Dec.
70 ) Die Publication enthält unter andern! auch, dass der Kaiser per sua
clemenza dem Herzog Mailand zurückgebe.
71 ) Burgo an Cles, 29. Dec. 1529.
72 ) Burgo an Cles, 27. Januar 1530.
73 ) Burgo an Cles, 29. December 1529.
Über die Briefe des Andrea da Burgo. 231
Hier möge aucli die bittere Antwort Englands in Betrett' der Türkenhilfe
Platz finden.
De Ingliilterra Imperador ha receuuto fitere pessime; quello re ha dato
risposto alla richiesta fatale de laiuto contro il turcho pungendo Imperadore, che
tenendo tre eserciti in italia in guerra contra Christiani, domandi al Re aiuto con
tra Turca Nondimeno che quando li altri principi christiani farano il debito suo,
anchora lui non mancara.
74 ) Burgo an Cles, 23. December 1529 im Anhang.
75 ) Burgo an Cles, 23. December 1529 im Anhang, dann desselben Brief
vom 20. Januar 1530.
Ferner Burgo an Cles, 27. Januar 1530.
Endlich Burgo an Cles, 10. Februar 1530.
Tandem questa sera sedeve imponere lultime mane per Io pagamento de li
denari et spera fratre di hauernc parte ct li altri se farano poi pagar in Milano
et Venezia subito fin alla summa de li 20.000 scuti et li altri 20.000 scuti se
pagarono in fiandra.
7li ) Burgo an Cles, 22. December 1529 im Anhang. Als Hauptgrund zur
Verhängung der Excommunication wurde nämlich geltend gemacht, dass Zapolya
die Türken, also die Ungläubigen, zum Kriege gegen den rechtmässigen, christ
lichen König Ungerns aufgerufen habe. Burgo liess die Bulle in mehreren
Copien am Palaste und an den Kirchen Bolognas anschlagen.
(Burgo an Cles, 10. Februar 1530.)
77 ) Burgo an Cles, 20. Januar 1530.
7S ) Man sehe seinen Brief an Ferdinand vom 11. Januar bei Uanz, I, 3G0,
und Ferdinand’s Antwort bei Gevay, 1. Band, 3. Abtheilung, Seite 59.
79 «) Sämmtliche Stellen, die sich auf die Verhandlungen über die Krönung
zu Bologna und die Reise nach Deutschland beziehen, sehe man im
Anhang.
7B S) Es ist hier nicht der Ort das oben Gesagte weiter auszuführen; aber es
wäre gewiss interessant, die Wechselwirkungen in der Politik Karl’s und Ferdi
nand’s zu verfolgen und zu beleuchten. In Buchelz weitläufigem Werke ver
schwinden derlei feine aber nicht unwichtige Beziehungen bis zur Unkennt
lichkeit.
80 ) Burgo an Cles, 5. September 1530 erzählt eine hieher gehörige Ge
schichte. Zwischen einem Diener des portugiesischen Gesandten und einem
Maulthierführer des französischen entsteht ein unbedeutender Streit. Einige
Spanier helfen dem erstem, andere französische Diener dem zweiten. Die Fran
zosen wollen an das Thor des portugiesischen Gesandtschaftshotels Feuer legen;
die Römer greifen zu den Waffen; man ruft „Faciendum esse carnem contra
Hispanos et Alemannos. Der kaiserliche Gesandte der eben hei Burgo ist, sen
det augenblicklich an den Gouverneur von Rom und an den Papst die Nachricht
von dem Auflauf, und dieser lässt die deutsche Leibwache unter die Waffen tre
ten. Miccr Mai, der kaiserliche Gesandte, geht nach seiner Wohnung, wo er
Waffen für 200 Mann liegen hat, und heisst die Deutschen und Spanier bereit
sein. Indess gelingt es dem Gouverneur den Auflauf zu stillen und die Ruhe
232
K a r I S t o o g m a n n.
herzustellen. Diesem Berichte fügt Burgo bei Est tantum odium erga hispanos
et alemannos, quod ubi Romani nocte reperiunt aliquos, spoliant!
81 ) Während des Pontificats Clemens VII. wurden 33 Cardinäle ernannt;
darunter waren 18 Italiener, 7 Franzosen, 7 Spanier und 1 Deutscher (Clos).
Franz von Frankreich wachte eifersüchtig darüber, dass sein Königreich in der
Zahl der Cardinäle nicht geringer blieb, als Spanien.
82 ) Burgo an Cles, 20. Juni 1332.
83 ) Burgo (an Cles, 8. Juni 1531) meldet, die remissio AnnataeTreverensis
sei abgeschlagen worden, weil man eine Reihe ähnlicher Forderungen fürchte,
„quod esset ruina multorum Cardinalium et Officialium Curiae Romanac, qui
praecipue non solum ex Annatibus Germaniae sed ex aliis similibus vivunt.“ Er
warnt, der König möge sich hüten vor derlei „verhassten Forderungen“, prae
cipue nunc, quod certe in collegio parvam partem habemus recordor me satis
dixisse Dominationi v. B. Bononie, et nunc tanto minorem habemus! Weiter
nennt er die Entscheidung des Kaisers in der ferrarischen Angelegenheit und
das Consil als Ursachen dieser Erscheinung; nicht minder die Umtriebe der
Franzosen und Engländer!
84 ) Seine Briefe an Karl V. hatUr. G. H eine herausgegeben (Berlin 1848);
da sie eben die Jahre 1330 —1332 umfassen, also mit Burgo’s Briefen aus Rom
parallel laufen, werde ich oft Gelegenheit nehmen müssen, darauf zu ver
weisen.
85 ) Es war eine Art ehrenvoller Verbannung vom Hofe, deren Grund sich
nicht ersehen lässt. Übrigens war Loaisa, ausTalavera gebürtig, zuerst Ordens
general der Dominicaner gewesen, dann Bischof von Osme und Siguenza. Als
Cardinal führte er den Titel St. Susannae. Später zum Erzbischof von Sevilla
und Gross-Inquisitor erhoben, starb er im Jahre 1346 in Spanien.
8li ) Burgo an Cles, 11. Mai 1332.
(Cardinalis Osmensis) est (idelis servitor Maj. sue, sed homo nimis über et
sui capitis. Der Cardinal seinerseits nahm nicht viel Notiz von unserm Burgo;
nur einmal sagt er von ihm: „Er ist ein Mann, der gerne unnütze Dinge schreibt,
die er von irgend Jemanden hört“ — ein Urthcil das in der That ungerecht ist.
Freilich hörte Burgo so Manches, wovon derCardinal nicht viel erfuhr —! (Man
sehe Loaisa’s Briefe, p. 341.)
87 ) Ich meine hier nicht seine unumwundenen Äusserungen über das Pri
vatleben des Kaisers; er hatte als Beichtvater das Recht sie zu thun, und es ist
nur lobenswerth, dass ihm derMuth dazu nicht fehlte; aber man stösst auf man
cherlei Anderes in seinen Briefen , was stutzen macht. Ich erinnere nur an die
Äusserungen über die Ernennung der Königinn Marie zur Statthalterinn in den
Niederlanden — (p. 99), wo dem Kaiser Vorsiehtsmassregeln gerathen werden,
„wenn er ohne Furcht leben wolle, Söhne von niedrigem Vater zu Neffen zu
haben.“ Das ist doch des Freimuths ein wenig viel! Auf Anderes näher einzu
gehen verbietet hier der Raum.
8S ) Mit Micer Mai stand der Cardinal überhaupt sehr übel, während Burgo
ihm grosses Lob spendet, und auch alle Geschäfte im besten Einvernehmen mit
ihm führte. In Rom erklärte der Cardinal und mit ihm Majctula, er sei ein
Über die Briefe des Andren da Burgo.
233
gelehrter und rechtschaffener Mann, aber er verstehe nichts von den Geschäften,
und ermangle des lebendigen Geistes der nöthig wäre! An den Kaiser schrieb
Loaisa in unumwundenen Ausdrücken. Er wünschte, Mai solle abberufen, nach
Rom aber Anton de Leiva oder ein anderer Spanier gesandt werden. Mai erfuhr
dies, that aber, als oh er nichts wüsste. So wucherte das Misstrauen und der
geheime Groll! ßurgo suchte zu begütigen, auszugleichen und seiner Sorgfalt
war es zu danken, dass wenigstens der offene Bruch vermieden wurde, bis end
lich der Kaiser selbst die Sache vermittelte ! (Burgo an Cles, 18. August 1531;
dazu vergleiche man Loaisa. Br. p. 40, 52, 77. 206.)
89 ) Burgo an Cles, 25. Mai 1532. Loaisa in seinen Briefen an den Kaiser
erwähnt der ganzen unangenehmen Geschichte mit keinem Worte; er mochte
wohl fühlen, dass er Unrecht hatte. Aber die Sache wurde doch an den Hof
berichtet, undCovos schrieb dann darüber an den Cardinal. Dieser ging gerade
wegs zum Papste und fragte ihn, bei wem er sich beklagt habe; dieser erklärte,
er habe blos mit Burgo davon gesprochen. Nun ging es über Burgo her, der
Mühe genug hatte, den Cardinal zu beschwichtigen. (Burgo an Cles, 4. Juli
1532 und Loaisa Br. p. 341. )
90 ) Burgo an Cles, 18. August 1531. Franciscus Quignones, Cardinalis St.
Crucis, ein Sohn des Grafen von Luna in Spanien und Erbe der Familie Qui-
nones, trat unter dem Namen Franciscus de Angelis in den Franciscaner-Orden,
und war vor Loaisa Beichtvater Karl’s V. 1527 wurde er Cardinal und starb
am 27. October 1540.
91 ) Cles schreibt darüber an Burgo, 25. Sept. 1531 : Maxima tristitia affecti
sumus, et principes nostri maximam iacturam faciunf; bonum amicum amittimus.
93 ) Johannes Salviati, ein Florentiner, Sohn des .Jacob Salviati und der
Lucrctia von Medicis, der Schwester Leo X. 1490 geboren, wurde er, noch nicht
27 Jahre alt, Cardinalis St. Cosmo et Damiani. ITnter Clemens VII- war er als
Legat in Frankreich und in Spanien. Er starb 1553 zu Ravenna!
9S ) Hier muss der oben schon erwähnte Juan Antonio Mujetula genannt
werden. Er war eigentlich Geschäftsträger des Kaisers, stand aber beim Papste
in solcher Gunst, dass er von diesem zu allen Berathungen beigezogen wurde,
und um alle seine Geheimnisse wusste. Loaisa ertheilt ihm fortwährend das
grösste Lob; aber auch Burgo berichtet von seinen guten Diensten, besonders
in den ungrischen Angelegenheiten und fordert Ferdinand auf, ihn zu belohnen.
Weniger geneigt war ihm Micer Mai der sich beschwerte, dass er bei jeder Audienz
beim Papste gegenwärtig sei, und sich weigerte, weiter mit ihm zu verhandeln.
(Burgo an Cles, 5. Januar 1530, 18. August 1531, dann am 15. September
1532 bei Bucholz, 9, 118. Man vergleiche Loa-isa’s Brief, p. 12. 52. 89, 174
und an anderen Orten.
94 ) AlsCardinal führte er den Titel S. Joannis ante portam latinam, später
den St. Caeciliae. 1526 war er Gesandter in England, dann in Spanien; 1529
finden wir ihn zu Bologna. Er starb 1534.
95 ) Burgo an Cles, 29. April 1532 bei Bucholz, 9, 109.
9(i ) Mehr als einen Beweis dafür trifft man in den Briefen Loaisa’s!
97 ) Cles an Burgo, 21. März 1532.
234
Karl S t o e g m a n n.
9S ) Burgo an Cles, 16. October 1330.
") Burgo an Cles, letzten August 1530-
10 °) Man vergleiche dazu die Stelle aus ßurgo’s Bericht hei ßucholz, 9,
103, 13. Februar 1332.
101 ) Burgo an Cles, 13. Juni 1330.
I03 ) Burgo an Cles, 12. Januar 1332.
103 ) Burgo an Cles, 24. Januar 1332.
104 ) Burgo an Cles, 13. und 24. Februar 1332. Einen ausführlicheren Be
richt über die Unterredung des Papstes mit diesem Gesandten schickte Burgo
an König Ferdinand (bei Bucholz, 9, 103 u. s. f.). Es ist nur seltsam, wie der
Papst von Zapolya’s guter Gesinnung reden konnte! Freilich bot er den Frie
den, aber um den Preis der Überlassung von ganz Ungern; nicht einmal ein
paar Festungen und Passe an der Grenze wollte er abtreten. Das Anerbieten
eines solchen Friedens verdiente wahrhaftig kein Lob.
Auch der Brief des Joh. Marsupinus, bei Buch., 9, 33, ist zu berücksich
tigen. Marsupinus nennt dort die dem Woiwoden freundlichen Cardinäle: den
von Mantua, Ridolfi, Trivultio, Farnese, Salviati! Der letzte Name ist wohl etwas
voreilig auf diese Liste gesetzt; mindestens seit Salviati nach dem Tode des
Cardinais Santi Quantro jene Protection erhalten hatte , stand er auf kaiser
licher Seite. Gerade in Bezug auf die ungrischen Angelegenheiten schreibt
Burgo (13. Juni 1332): Multum etiam profuit contratot practicas gallicas
dedisse Cardinali Salviati illam protectionem.
105 ) Cles an Burgo, 4. März 1332.
106 ) Cles an Burgo, 23. Januar 1332.
Preterea quod multi sunt, qui vellent ltegem dominum nostrum regno Hun-
garie renuntiare, ob eo removenda bella turcharum et christianorum, sicuti efa
Cesare ob pacem Italiae de ducatu Mediolani factum est, illud quidem animabuas
nostris non conferat, quod nihil aliud esset cedere illi regno, quam patentem
viam in germaniam hostibus praebere . . . . u. s. f.
lo: ') Burgo an Cles, 12. Januar 1332.
los ) Burgo an Cles, 13. Juni 1332.
Ille Cardinalis, qui illa fuit locutus in eongregatione fuit farnesius (rogo
tarnen sit secretissimum) et dixit mihi Musetula talia fuisse loeutum, quod Aloi-
sius Guitti, qui est plus quam turcus, non dixisset talia!
10 °) Man sehe „Soriano, relazione di 1333“ bei Ranke, Fürsten und Völ
ker in Süd-Europa, 3. Bd., p. 107.
1I0 ) Loaisa, Briefe, p. 86.
ln ) Burgo an Cles, 13. Februar 1332, bei Bucholz, 9, 103. Ich kann
nicht umhin, hier der trefflichen Antwort zu erwähnen, die König Ferdinand
auf einen gleichen Vorschlag gab. „Nie werde er in die Scheidung des Königs
willigen, wenn es auch scheine, dass man ihn dadurch gewinne, so werde das
doch nicht halten! Denn wer das Band der Ehe nicht achte, der werde auch
kein anderes achten!“
113 ) Ranke, Geschichte, Bd. III,S. 222. Dort ist auch der Grund angegeben,
der den Papst zu Bologna an den Kaiser fesselte — die Verhältnisse zu Florenz!
Über die Briefe des Andrea da Burgo. 23b
113 ) Burgo an Cles, 23. December 1530; Loaisa, Briefe, p. 91, 56 und
öfter.
114 ) Burgo an Cles, 15. September 1530.
Papa ex latere suo non deest, sed video, non potest, quae vellot, nee
potest alios movere.
115 ) Man lese den oben citirten Brief des Marsupinus an Zapolya: „Pon
tifex cst optimi animi erga M. V. sed ultra quam potest, non potest; tempori
jniquo nccesse est inserviat! Das ist ganz der Ton, den er gegen jeden anzu
stimmen pflegte!
118 ) Burgo an Cles, 27. Juni 1531; an Ferdinand, 6. Juli 1531, bei Buch.
9, 100.
117 ) Burgo an Cles, 20. üctober 1530.
118 ) Cles an Burgo im Juli 1531.
ii») Karl V. an Ferdinand, 7. Juli 1531, bei Lanz, I, 490.
«0) Loaisa, Briefe, p. 82, 85, 97, 103, 107, 110, 132, 141.
m ) Bald darauf erwähnt Burgo einer Geschichte, mit der es schwer sein
dürfte, ganz ins Reine zu kommen. Der Papst beklagte sieh gegen Burgo (und
Loaisa), der Herzog von Ferrara habe einen in Chiffern geschriebenen Brief
des Papstes aufgefangen, ihn dechift'riren lassen und sich so in den Besitz der
Chifter gesetzt. Hierauf habe er mit dieser Chift'er einen Brief, angeblich vom
Papste an den König von Frankreich gerichtet, schreiben lassen, in welchem
stand, dass Clemens VII. einen neuen Bund mit Frankreich schliessen, dem
König von England die Scheidung erlauben wolle und Ähnliches.
Diesen so gemachten Brief habe der Herzog dann, gleichsam als ob er ihn
aufgefangen hätte, an den Kaiser gesandt. Der Papst beklagte sich bitter,
schwur hoch und theuer, Alles was in dem Briefe stehe, sei Lüge und der
Kaiser solle dies wissen! (Burgo an Cles, 18. Sept. 1531.) Allein der Kaiser
erklärte, der Herzog habe ihm keinen derartigen Brief zugeschickt — der Papst
hingegen blieb auf seiner Meinung. (Burgo an Cles, 24. October 1531.)
Vor Allem ist es auffällig, dass Burgo und Loaisa dieselbe Sache ver
schieden berichten; denn Loaisa (Br. 162) spricht nur von angeblich aufge
fangenen Briefen des Papstes an die Könige von Frankreich und England, in
denen diese gebeten wurden, sich dem Concil zu widersetzen. Burgo und
Loaisa berichteten doch, was sie von dem Papste selbst gehört hatten?
Nimmt man ferner den Inhalt der angeblich falschen Briefe, so sieht er der
Wahrheit viel ähnlicher, als einer Erdichtung. Was des Papstes Gesinnung in
der Scheidungsangelegenbeit betrifft, so war davon bereits die Rede. Dass der
im Brief erwähnte neue Bund mit Frankreich zu jener Zeit, September 1531
bereits in der That bestand, wird sich aus dem Folgenden ergeben; auch was
die Bitte wegen desConeils betrifft, so wäre diese nicht sehr unwahrscheinlich,
darum möchte ich der Anklage des Papstes keinen besondern Werth beilegen.
Da aber der Kaiser erklärte, er habe jenen Brief nie erhalten, so bleiben zwei
Vermuthungen ollen.
Entweder derllerzog von Ferrara fing wirklich einen Brief des Papstes von
dem oben bezeichneten Inhalt auf, den der Papst der davon Kunde erhielt, für
236
Karl S t o e g in a n n.
eine Fälschung’ erklärte, während der Kaiser den Empfang des Briefes in Ab
rede stellte, weil er einen offenen Bruch vermeiden wollte.
Oder auch, der Papst hatte Grund zu fürchten, seine Briefe seien aufge
fangen worden, obgleich dies in der That nicht geschah, und verbreitete dess-
halb jene Geschichte, um allen üblen Folgen vorzubeugen. Dafür scheint mir
auch die verschiedene Darstellung der Sache Loaisa und Burgo gegenüber zu
sprechen.
i33 ) Burgo an Cles, 8. Juni 1331, bei Buchol z, 9, 99.
133 ) Burgo an Cles, 29. April 1331, bei Bucholz, 9, 108.
Was übrigens Colonna betrifft, so wurde der Kaiser von mehr als einer
Seite um seine Entfernung angegangen. Ferdinand forderte einmal Cles auf, er
solle den Kaiser in einer guten Stunde auffordern, dem Königreich Neapel einen
bessern Vieekönig zu geben, als es an Colonna hat, qui est vir male vite et
exempli et toti Begno perosus. (Ferdinand an Cles, 16. Mai 1331, k. k. Staats
archiv.) Ganz dasselbe verlangte Loaisa (Br., p. 237).
134 ) Burgo der zu Bologna von den geheimen Verhandlungen zwischen
dem Kaiser und dem Papste bekanntlich nicht viel erfuhr, sagt nur einmal
(39. December 1329) ganz nebenher: ln puncto fidei demum existimatur posse-
eogere per vim lutheranos.
135 ) Burgo an Cles, letzten Juli 1330. Unter den Beschwerden verletzte
den Papst jene, dass er den Verkauf der unbeweglichen Kirchengüter zur Tür
kenhilfe gestattet habe, am meisten, und er erinnerte Burgo daran, wie er nur
durch das Drängen Karl’s V. und Ferdinand’s bewogen darein gewilligt.
12li ) Ranke, Geschichte. III, 237 nach Pallavicini.
137 ) Burgo an Cles, 18. September 1330. Man vergleiche dazu Bucholz,
III, 484 und so fort.
138 ) Loaisa, Briefe, p. 68. Noch an vielen andern Stellen ist von dem
Abscheu des Papstes vor diesem Concil das Loaisa das schwarze nennt, die
Sprache.
l3! >) Die Instruction steht im Anhänge zu Loaisa’s Briefen, Seite 2S9. Sie ist
datirt vom 30. October 1330; Seite 293 folgt der Brief des Kaisers an den Papst.
13n ) Burgo an Cles, 8. November 1830.
131 ) Burgo an Cles, 9. December 1330. Übrigens reiste nur Gambara ab,
und zwar am 20. December. Der Brief Burgo’s ist auch darum interessant, weil
Burgo. wohl durch den kaiserlichen Gesandten Mai beredet, dem Cardinal Cles
dringend rieth, den Frieden in Deutschland nicht zu stören. Er wies auf die
Franzosen hin, die diesen Brand nicht löschen, sondern nur noch mehr entflam
men würden. Sie möchten das Feuer lieber schon sehen, meinte er weiter, und
berichtete, er habe in einem Briefe gelesen: „qund nuntii lutherani currant ad
reigem francie secrete!“ Die beiden oben im Texte und auch von Burgo erwähn
ten Briefe des Papstes findet man im Anhänge zu Loaisa’s Br., p. 301
und 302.
I33 ) Burgo an Cles, 7. März 1331.
Don Petrus omnino est opinionis ut fiat conciliumy propter quod venit, nee
posse, nee fiebere alio modo (ieri, et Cardinalis Osmensis, et Don Petrus et
Über die Briefe des Ardrea da Burgo.
237
aliqui alii putant rem difficilem et perieulosissimam, ut Cesar ante eoncilium
tractet arma, nee etiam post, si non haberet resdispositas melius, quam nunc
habet.
133 ) Burgo an Cles, 21. April 1531.
1S4 ) Burgo an Cles, 21. April 1531, PostScript bei Bucholz, 9, 96.
135 ) Burgo an Cles, 18. Sept. 1531.
136 ) Burgo an Cles, im Juli 1532.
1S7 ) Burgo an Cles, 5. Sept. 1530. Ex francia mirabilia nova veniunt de
cordiali amore inter regem et reginam, etiam ineredibilibus honoribus sint
aecepturi Parisii ipsam et filios Regis et eum maximis muneribus ex toto regno
confluentibus ipse Regine. Dazu vergleiche man Ilugines Marmier an Karl V.,
13. Juli 1530, bei Lanz, I, 393.
13S ) Karl V. an Ferdinand, 3. April 1531, bei Lanz, I, 429; dann vom
2. Mai 1531, loc. eit. p. 450, und von Ferdinand an Karl vom 14. Mai 1531,
ebendaselbst p. 451.
13 °) Burgo an Cles, 9. December 1530.
Moneo certe quod Rex franeie non medio oratoris sui sed medio oratoris
pape, qui est apud ipsum , laboravit persuadere pape, ut non solum impe-
diret electionem regis nostri in regem Romanorum tamquam pestiferam, sed
et lam laborandum esse, ut alius eligeretur rex Rom. qui impediret ea, quae
vellet imperator facere, quae non essent ad propositum aliorumprincipum Chri-
stianorum. Et demonstravit Rex, quod haberet modum illud faciendi eum intel-
bgentia aliquorum Alemannorum ex prineipalioribus , et cum orator pape pru-
denter interrogasset, qui posset eligi Rex Rom. respondit, quod spectaret, quod
eligerent ipsum regem Franeiae et in fine commisitoratori, ut illa secrete scri-
beret pape! Papa autem eis intellectis ut verus et sincerus pastor principum
nostrorum feeit unum dignum responsum oratori suo dicendum Regi ad demon
strandum et persuadendum nihil melius esse posse, quam ut Rex noster sit crea-
tus Rex Romanorum.
14 °) Burgo an Cles, 9. December 1530, 11. Mai und 9. Juli 1532.
Lasky, der 1532 in Paris war, wurde mit Deeorationen geschmückt!
141 ) Burgo an Ferdinand, 11. August 1531, bei Bucholz, 9, 101.
142 ) Burgo an Ferdinand, 22. Januar 1531, bei Bucholz, 9, 90, und eben
daselbst am 2. März 1531. Der Papst that Vermittlungsvorschläge, der König
von Frankreich solle mit 50 Dreiruderern und 25000 Mann Alexandrien angrei
fen; so würde er von Italien abgezogen und zugleich den Türken ein Schade
beigefügt. Die kaiserlichen Bevollmächtigten gingen nicht darauf ein, weil sie
dabei Genua und Neapel gefährdet sahen. Der Kaiser batte den Vorschlag des
Herzogs von Albany als ein Ding in der Luft ohne festen Grund bezeichnet;
weil sich aber der Herzog beklagte, dass er auf sein Anerbieten weder eine
Antwort noch einen anderen Vorschlag erfahren habe, so beschloss man, mit
ihm zu verhandeln, ohne Aussicht auf Erfolg, blos damit die Zeit vergebe!
143 ) Burgo an Cles, 20. November 1531. Bekanntlich schlossen die 5 Can-
tone günstigen Frieden, mit dem man aber in Rom sehr wenig zufrieden war.
Dem Burgo zeigte man einen Brief aus der Schweiz, worin angegeben war, die
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXIV. Bd. 1. Hft. 16
238
Karl Stoegmann.
fünf Cantone hätten desshalb Frieden geschlossen, weit ihnen keine Hilfe kam,
„et quia ex diversis literis erant, admoniti, Cesarem non reete ire nee hono
animo erga Helvetios.“ Burgo sieht „artes gallicas“ in dieser Nachricht. Dem
Papste sagte man, Ferdinand habe den Frieden vermittelt, worüber er sehr
ungehalten wurde; Burgo konnte freilich beweisen, dass Ferdinand an diesem
Frieden sehr unschuldig war. (Burgo an Cles, 10. December 1531. Man ver
gleiche Ranke, Geschichte, III, 353.)
144 ) Man sehe die V. Beilage zu Loaisa’s Briefen, pag. 303, „das, was
dem Legaten und Bischof von Tortona zu Gent am 4. April 1531 über das Coneil
gesagt wurde.“
145 ) Loaisa, Br., p. 113. Der Cardinal riith dem Kaiser, auf diese Ant
wort hin gar nicht mehr an das Coneil zu denken.
l4B ) Der Brief, datirt vom 35. April 1531, findet sich als Beilage VI, A)
bei Loaisa, Br., p. 308.
147 ) Mai an Covos, 38. März 1531, bei Loaisa, Br., p. 114 und 115 in
der Anmerkung. Übrigens vergleiche man die von Ranke, Geschichte, III,
436, citirte Stelle Gregorio Casali au Grand Maistre, 5 Maggio 1531.
Questa eorte fin adesso e stata in gran timore del concilio, hora sono
alquanto assecurati, si per le ultime lettere del’imperatore, che sono state
meno furiose dolle altri, si anche per quello si opera in voi altri!
14s ) Loaisa, Br., p. 114!
l4# ) Karl an Ferdinand, 31. (u. 39.) Juli 1531, beiLanz, I, 506.
15 °) Burgo an Cles, 33. Nov. 1530. Aber auch der Herzog von Mailand war
nicht sehr erbaut von der ihm zugedachten Ehe und fügte sich eigentlich nur
dem Willen des Kaisers. Seine Wünsche gingen auf die Königinn Marie — aber
diese erklärte, im Witwenstande bleiben zu wollen!
1M ) Ranke, Geschichte, III, 438.
j53 ) Eben so wurde Loaisa getäuscht. Noch am 9. Juni (am Tage, von
dem der Vertrag mit Frankreich datirt ist) schrieb er an den Kaiser, der Papst
habe ihm versprochen, diese Heirath weder jetzt 1 noch künftig zu schliessen,
noch sie je versprechen zu wollen (p. 137). Und am 13. September desselben
Jahres heisst es in seinem Briefe an den Kaiser (p. 164):
„Der Papst hat die Heirathsangelegenheiten gelassen, ohne zu etwas ver
pflichtet zu bleiben!“
(Man sehe noch die Stellen p. 146 und 167!)
15S ) Burgo an König Ferdinand, 17. August 1531, bei ßueholz, 9, 103.
154 ) Die Absicht der Türken, einen Kriegszug gegen den Kaiser zu unter
nehmen, hatte Gritti den Venetianern verrathen, (Burgo an Cles, 31. Decem-
ber 1531.)
155 ) Burgo an König Ferdinand, 11. August 1531, hei ßueholz,
9, 101.
15B ) Loaisa an den Obercommandeur von Leon, Br., p. 318.
157 ) Burgo an Cles, 33. Mai 1533, bei Bucholz, 9, 110.
15S ) Cles an Burgo, 16. Juni 1533.
159 ) Cles an Burgo, 39. Juni 1533.
Über die Briefe des Andrea da Burgo.
239
10 °) Burgo an Cles, 20. Juni 1532. Es ist übrigens bekannt, dass den
jungen Cardinal die Lust, den Kriegsobersten zu spielen, zu thörichten Strei
chen verleitete, die den Kaiser bewogen, ihn sogar, wenn auch nur auf kurze
Zeit, verhaften zu lassen. Der Papst war sehr aufgebracht über seinen Neffen,
zeigte aber keine Empfindlichkeit gegen den Kaiser und Ferdinand.
(Burgo an Cles, 29. August 1532. Don Pedro de Ia Cueva entschuldigte im
Aufträge des Kaisers den Vorfall und erhielt günstige Antwort. 30. Oeto-
ber 1532.)
16 !) Man sehe den ganzen Brief im Anhänge.
16a ) Burgo an Cles, 13. August.
18S ) B. a. Cles in dem oben citirten Brief. Loaisa, Br., p. 255.
184 ) Burgo an Cles, 29. August 1532.
185 ) In mehreren Briefen. In einem (30. October 1532) heisst es: Dixit
postea mihi secrete s.S. se habere recentia nova exFrancia ab Oratoresuo, quod
ille conventus regum fieret vicesimo presentis et quod rex Angliae ducebat
secum illam suam Amasiam et rexFrancie etiam ducebat suam uxorem, et aliquis
prudens beno notavit, quod sit una ignominia regi Franeiae ducere unam uxorem
ubi sit una concubina.
186 ) Der Brief folgt im Anhänge.
187 ) Ferdinand’s Anhänger beklagten diesen xVusgang der Dinge aufs Bit
terste. Burgo schreibt an Cles unterm 10. November 1532: Becessum Cesaris
Salviati mecum deplorat et quod nunquam fuit ulla res peior, quam ille repen
tinus recessus Imperatoris. Tarnen qui sunt apud Cesarem scribunt multas excu-
sationes et quod postea dieent alias majores que literis commiti non possunt.
Adversarii vero bene cognoscunt omnia et hec et alia magis deterruerunt Papam
et tanto magis sitit concordiam gallicam.
16S ) Burgo an Cles, 3. u. 4. November.
16
240
Karl Stoegmann.
Beilagen.
I.
Burgo an Cles, 17. Juli 1832.
Hoc mane venit ad me dominus Jae. Salviati missus a papa et nomine S. s.
dixit se lecturum mihi solita confidentia duas literas oratoris sui in Prancia
responsivas illis, quas ipse dom. Jacobus ex mandato sue St. secrete scripserat
ipsi oratori.
Prima sunt cirea illam practicam secretam, quamD. Jac. ex mandato papae
tamquam ex se proposuerat predicto oratori. s. S., et Salv. scripserat ipsi
oratori ut prudenter tamquam ex se iilam proponeret soli regi Franeie et tali
modo, quod non possit capi suspitio, quod orator illa proponeret ex mandato
vel ex ul Io seitu papae sed solummodo procederet ex inventione et cogitatione
dieti oratoris tamquam cupientis bonum publicum et aliqualem satisfaetionem
ipsius regis Franeie, cum ipse orator, qui est Episcopus Comensis et tota familia
suaTrivultia fuerant semper affecti servitores coronae Franeie et scripserat dom.
Salv. ipsi oratori, ut caveret ita loqui de hac materia nee äliquid daret in scriptis
quod posset ostendi vel faeeret scandalum papae aut ipsi Salviati nee coram
aliquo loqueretur Rex Franeie supra hancmateriam. ßreviterper proximampostam
orator scripserat aliqua pauea generalia et quod propter egritudinem suam
non potuisset citius respondere sed quod cito convalesceret et scriberet totum,
sicuti fecit nunc per bas literas, que eontinent infrascripta. Monet ipse or.
visum sibi fuisse prius illam rem bono modo proponere secrete dom. magno
inagistro Franeie tamquam per viam colloquucionis et consultationis petendo ab eo
si ei videretur quod illam deberet proponere Regi, quia aliter taeeret et scribit
Orator se fecisse hoc propter duo, unum ut hoc modo intelligeret animum magni
Magistri et indirecte ipsum ad hoc disponeret, sed quiasi celaset hoc Magno Ma-
gistro et dixisset prius soli regi rex omnino illa comunicasset magno Magistro
sicuti solet cetera omnia et iam secretissima et magnus Magister indignatus, quod
Or. non habuisset confidentiam de eo, fortefuisset contrarius in illa materia. Scribit
autem Orator verba formalia quibus usus fuit; sed substantia est infracripta.
Quod tamquam bonus servitor Regis Fr. ex Familia trivultia cuius fortuna precipue
in ducatu Mediolani pendet a fortuna Rege Fr. pro desiderio quod habet faciendi
servitium ipsi regi et sciens quod cordi habeat recuperationem ducatus Mediolani
tarn ob utilitatem quam ob honorem et oh veram quielem Italie et Christianitis
volebat ipse or. confidenter aperire ipsi M. M. unara suam eogitationem rogans
illam ut audiret et acciperet in bonam partem et si videretur ei posse illa tractari
cum Rege et quod in eo esset spes aliquem fructum faciendi et quod loqueretur
cum Rege faeeret et ipse M, M. etiain iuvaret; si etiam videretur non esse pro-
Beilagen,
241
ponendum, laceret. Et Orator narravit ipsi M. M. ut sciebat, quam cordi habeat.
Rex illam recuperationem ducatus Mediolani et quanta pro illo dueatu fecerit et
deinde posteonclusa illa capitida cumCesare prototali liberatione filiorum quanta
teDtaverit, quanta praeticaverit et quanta laboraverit pro reforniatione illorum
capitulorum et precipue pro rebabendo eomitatu bastensi et illo dueatu Medio-
lani et quod non profuerant modi dulces erga uxorem et sororem Cesaris nec
modi dulces et oblationes erga Cesarem nec modi acres nec practice contra
Imperatorem variis modis nee aliquid aliud bonum vel malum poterat movere
Imperatorem ad tractandum cum ipso Rege scd continue videbatur ab eo magis
alienus. Poslquam ipse Orator narravit notissimum esse quod Caesar nonhabuit
nec habet causam habendi amorem erga ducem Mediolani et quod illum ducatum
illi concesserat non ex animo suo, sed fere coaetus conditionibus illorum tempo-
rum precipue inter alia ob res lutteranas et imminens bellum Turcicum.
Preterea notissimum esse, quod rex noster, frater Imperatoris, fuit et est
pessime contenlus de Venetis et coacte condescendit ad illa capitula cum magno
dedecore etiniuriact damnosuo et domus Austrieetdominiorumsuorum precipue
ob tarn ampla dominia, queVoneti iam diu tenentoccupata partim imperii et partim
domus Austrie ad que capitula mala etlmperator non libenter condescendit sed
inclinavit et etiam coegit fratrem ad hoc oh suprascriptam conditionem tem-
poris et quod consiliarii utriusqueMajestatis consuluerant cisista sub duobus fun-
damentis: unum, quod interea ipsi duo Fratresaliquo medio providerent rebus suis
cum lutteranis etTurcis et secundo quod bene talia succederent quod Veneti more
solito capitula facta cum utroque fratre, quamvis optima pro se, tarnen more
solito semper cupientes aliquid ulterius illis contrafacerent sicuti iam fecerunt
et non solum contra ipsos fratres sed apcrte contra capitula facta cum papa tali
modo, quod prefati duo fratres et non minus papa pro bono publico et pro aver-
tenda iniuria et dolis Vcnetorum aspirantium ad Usurpationen! ulteriorem
aliorum dominiorum in omnihus oecasionibus, que sibi evenire possent et quod
ipsi continue querunt prefate ambe Majestates si possent aliquam formam dare
rebusturcicis etWaiwode et ex alio latere possent devenire ad aliquem honestum
securum et duraturum traetatum cum ipso regeFrancie precipue super illum duca
tum Mediolani et ad humiliationemVenetorum illis modis quod bene reperirentur
non essse dubitandum quod prefate Majestates inclinarcnt et haberent modum
illud faciendi cum honestate et honore et ad id etiam non esse dubitandum quin
papa deberet inclinare pro bono publico et pro partieulari interesse sue
Sanctitatis.
Post que ipse Orator narravit etiam illa media, que ego scripsi D. V. R.
Preterea monet Orator, se demonstrasse m. M. quod Rex noster ut fama est
semper ostenderat se cupidum vcre et firme unionis Caesaris et Regis Fr.
et Papa simul et quod habeat odio ducem Mediolani et sic ob bonum publicum
et ob partieulare interesse rationabiliter deberet omnia operari cum Francia pro
illa partitione Ducatus Mediolani et locorum et dominiorum Vcnetorum in terra
firma et quod et Dux Med. haberet partem honestam et sic Italia esset bene
divisa et in perpetua pace et tota Christianitas quieta cum illa unione. Et quantum
ad confidentiam quam oportebat habere unam partem de altera pro faciendo
secrete ipso hoctractatu et concludendis capitulis et pro tencndis illis secretis
242
Karl S t oe g m a nn.
quousque esset tcmpus oportunum conelusa exequendi, bene reperiretur modus
agendi dummodo sint bene dispositi ad hoe animi partium.
Et postea, quantum ad modum executionis faciendi non esset impossibilitas
nee etiam res longi temporis et tanto magis si posset fieri una treuga generalis
cum Turca et Woiwoda et quod ipse Woiwoda posset esse etiam bonus minister
non aperiendum tarnen ipsi Woiwode aliquid de hac practica secreta et si fieret
treuga vel concordia cum Turca et Woiwoda, expeditio esset tanto facilior
contra Venetos et ducem Mediolani et ambo attoniti rationaliter inclinarent
ad ea, que vellent papa et tres Majestates potius quam stare in aperto
periculo perdendi totum et etiam Dux Mediolani deberet dare gratias
Deo pro illa parte quae sibi dimitteretur ex Iocis Ducatus Mediolani et ex
locis Venetorum et esset status sibi et posteris suis magis securus quam sit
Ducatus Mediolani, quem tenet et tenebit semper in futurum donec in eo stabit
tamquam pendentem in filo, quia corona francie nunquam cessabit, donec
illum vel partem habeat uno vel alio modo, nec Caesar volet stare propter Ducem
Mediolani in continua discordia cum Francia et in continuis bellis et impensis
et conturbatione continua in imperio et in tota Christianitate; similiter rex
Ferdinandus.
Postquam orator rogavit magnum Magistrum, caveret, ut ullus sciret et quod
non petebat tune ab eo responsum sed quod cogitaret et postea sibi crederet. Et
quod ipse Orator bene videbat, quod ponebat so in periculo cum propositione
talis praetice, quum si dux Mediolani illam sciret sua et suorum affinium essent
in magno periculo in illo ducatu; secundo quod si papa sciret directe vel indi-
recte talem propositionem processisse ab ipso oratore, posset merito conqueri,
quod sine seitu suo ausus fuisset tantam rem proponere, sed ipsum oratorem
sperare in Deo quod, si Rex francie bene dispositus ad hanc rem reperiretur,
modum sciret cum dexteritate proponendi pape, quicum sit sapiens et cupidus
boni puldici quod cognoscat quod non potest esse quies sine vera unione illorum
duorum fratrum et coronae Francie et quod ultra predicta posse fieri novum
matrimonium filii Regis Francie cum una filia regis nostri et cum ipse orator sciat
certissimc quod et notum sit imperatori et Regi Francie suam S tem . nihil magis
studuisse et studere, quam illam veram unionemti'iumMa tum . etsue S. et ecclesie
in qua consistit salus totius Christianitatis et si sint discordes consistit ruina ut
aperte nunc videturin tantis apertis periculis solummodo ob liancdivisionem trium
M tum . non esse dubitandum quin Rex Francie sit ad hoc inclinatus et bono modo
proponatur res sueS K . intellectis validis rationibus, que sunt circa hoc, praebebit
aures et non moleste feret et forte reperiretur modus ut Rex noster illam
ainplectetur et secrete tractet cum imperatore, quo medio cesar victus rationi-
bus evidentibus pro bono publico christianitatis et particulari suo et fratris in-
clinabit ad illud aquo hactenus fuit aversus de illo ducatu Mediolani precipue
cum iilis conditionibus honestis et bonis pro utraque parte, et cum rex noster
sine ulla jaetura et timore imo cum bonis rationibus ad illud devcnire possit
et quod hoc ct multa alia per aliquot boras fuerat locutus cum ipso magno
magistro, qui patientissime et attente omnia intellexerat et responderat pauca
dcmonstrando accipere omnia in bonam partem et quod bene cognosccbat,
ipsum oratorem et omnes de domo sua Trivultia esse bonos servitores coronae
Beilagen.
243
Francie sed quod amice dicebat nimm verbum ipsi oratori cavendum esse, ne sub
hoc Papa et Imperator et Rex noster vellent intelligere et explorare magis
animum ltegis Francie et alieuare magis Venetos et alios ab amieitia Franeie
ad quod Orater respondit oportune demonstrando quod ex capite solo ipsius
Oratoris procedebat lioc ad bonum finem.
Quod die sequenti ipse Orator fuerit reversus ad ipsum magnum magistrum
qui dixit ei quod cogitaverat super illam materiam, imo quod aliqaa et fuerat
locutus secrete cum Rege et quod ipse Orator iret ad Majestatem suam et
übere loqueretur omnia et rogaret, ut cum ullo non loqueretur nisi cum
magno magistro.
Quod die sequenti Orator ivit ad Regem et dixerat omnia sicuti dixerat
magno magistro quod rex patienter et bene omnia intellcxit et inter alia respon
dit, ut dixerat prius ipse magnus Magister Oratori, cavendum esse ne cum hoe
rex ipse se aperiret et in illis, que diceret et tractaret, fieret sibi seandalum et
perderet illos, quos laborat quocumque modo potesl tenere amicos et dixit quod
orator Venetus residens apud ipsum Regem Francie communicaverat sibi, quod
papa dixerat oratori Venctorum residenti apud suam S tom . quod nova eveniebant
undiqueRegem Francie esse venturum aut missurum exercitum pro recuperatione
Genue et aliorum locorum, quos ipse Rex pretendit esse sua in Italia et papain
dixisse ipsi oratori Vencto hec verba: opus esse, ut nos paremus contra conatus
ipsius Regis Francie; preterea dixerat ipse Rex ipsi Oratori pape quod vencti non
tarn l'acile moverent se contra ipsum regem francie et ideo cavendum esse, ne
sub una practica ad cujus conclusionem alii non essent venturi, ipse Rex Francie
perderet amicos suos et sequerentur alia non ad propositum.
Preterea dixerat ipse Rex, quod Vcneti multa habent loca bene munita et
essetforteexpeditio difficilioret quod oportcret facere magnam impensam et quod
Rex noster sit pauper et quod solus Rex non posset facere hanc impensam et
oporteret, et imperator et papa et expenderent et tractarent et fieret res
matura et in fine ipse Rex Francie ostenderat animum suumnon alienum ab hoc,
duminodo tractari posset res secrete et sineero et cum fundamento!
Et quod bene cognoscebat quod ipse orator erat suus bonus servitoret loque-
batur ad bonum finem sed cavendum esse ut dixerat ne ipse rex esset deeeptus
et perderet amicos suos.
Ad que omnia bene respondit orator pape et quod si proponeretur haec res
pape potest esse certus ipse rex francie quod tamquam bonus ejus pater et
cupiens ex corde unionem illarum Majestatum sapienlcr providerct, si videbit
posse esse fundamentum et sinon poterit prodesse sue Majestati ‘christanissime
in aliquo, non nocebit et si materiam baue probaret, sua S. bene sciret tali modo
tractare quod non posset ante teinpus aliquid ostendi, cum quo possit ipse Rex
Francie perdere amicos suos nee habere ullum damnum et quod rationabiliter
et altera pars posset dubitare de hoc et ideo si erit traetandum oportebit ut
in primis sua S. reperiat modum quod sincere recte et secrete tractetur.
Confutavit preterea ipse orator illa dicta de magna difficuUate in illa expe-
ditione et quod quantum ad impensam non erat dubium, quamvis rex noster sit
pauper, alii bene contribuerent et ipse ctiam pro parto sua posset multa facere,
precipue si haberent pacem vel longas treugas cum Turca et Vaivoda.
244
Karl Stoegmann.
Monet orator se omnia particulariter scribere pro fidelitate sua et quod
videt bonum animum in rege et in magno magistro et quod ipse dominus
Jacobus Salviatus videat nunc, quid ulterius agendum.
Monet preterea orator, quod quantum ad se et suumsecretariumfidelissimum
omnia erunt secretissima et credit, quod donec Rex francie et magnus magister
soli tractabunt hanc rem, manebit secreta sicuti promiserunt, sed si ipse rex tra-
ctaret postea cum suo consilio posset esse, quod res posita inter tarn multos non
esset secreta et ideo rogaverat regem, nulli communicare neque etiam scribere
oratori suo aut aliis ministris Rome, quod esset unum destruere totam, sed per-
mitteret quod ipse orator pape ex secrete proponeret hanc materiam medio
Domini Salviati sue S*‘. tali modo quod sua S. capcret Rlam in bonam partem
nee sciret procedere ab ipso sed quod solum procederet ex inventione ipsius
Oratoris et placuit ipsi regi ita facere.
Monet praeterea ipse orator, quod Rex Francie in illo discursu multa dixe-
rat demonstrando, papa omnino inclinet ad imperatorem et partes suas pro ipso
autem rege ab aliquo tempore citra modum se durum ostendat et nihil pro eo
faciet sed in omnibusponat difficultates etfaciatäliacontrariasueMajestati sieuti
fuit, quod misit pecunias quinque cantonibus et destinavit Verulanum ad ipsos
in magnum prejudicium ipsius Regis Francie, item noiuit coneedere decimas illis
eonditionibus propositis per suam S tem . de aliquibus triremibus contra Turcas et
multa alia fuit conquestus et de dilatione matrimonii nepotis papae se non habere
nisiverba, quod matrimonium scribit orator esse mul tum cordi ipsi regi et scribit
orator quod omnia illa confutavcrat et quod rexnon habeat causam querendi de
sua S t0 . complacebat ei semper in Omnibus possibilibus et semper faciet ubi
posset ut bonus ejus pater et rex remansit quietus Quod in illa sermone de
ducatu mediolani rex demonstraverat se ab illis et ab aliis motibus cessare et
quod intendit ad ordinandas res dominiorum suorum precipue nunc in britania
bassa et quod faeit fieri in regnis suis et exercitavit ordinationem 80 millium
peditum et boni numerosi equitatus et congregat omni studio magnam quanti-
tatem pecuniarum ita ut possit continuare bellum duos annos quum illud ineipiet
pro recuperatione dominiorum suorum et pro aliis uterit necessariuin, tali modo
quod non habeat necessitatem imponendi onera subditis suis et sperat quod
deus cum juvabit.
Scribit orator nunc nullos esse motus nec apparatus belli in francia, nec
in provinciis mari neque terra et nullibi fieri practicas magni momenti, nisi in
germania contra imperatorem et cum Vaivoda et quod ante transitum impera-
toris in hispaniam nihil tentabit, sed postquam transiverit bene credere ipsum
oratorem, quod ipse Rex Francie non abstinebit a hello in Italia.
Ft inonet quod etiam Rex Francie patienter ferret non urgere ulterius
papam in illo matrimonio nepotis quousque Cesar transiverit in hispaniam, quum
bene cognoscit, quod sua S. non potest nune et admittit excusationes suas.
Hec sunt eontenta in illis literis, que cum sint momenti, nolui parcere labori
hec saltem scribendi D. V. R. ommissis multis particularibus scriptis longius ab
ipso oratore, sed substantia erat supraseripta.
Beilagen.
245
II.
BurgoanCles, 8. October 1332.
Dom. Jacobus Salviatis venit ad me die quinta presentis et legit mihi extrac-
tum eifferarum, quas scripsit sibi orator pape apud franciam die XXI. Septembris
continentes multa et importantia tarn circa Colloquium Francie et Anglie
futurumBonnonie inBiccardia die XX. Octobris, quam circa illa que et pro colore
honesto dicti colloquii atque effectualiter sint tractaturi et postea executuri dicti
duo reges et dixit mihi, quod cum sint maxime importantie et bene conside-
randa et ponderanda pro bono publico christianitatis et etiam pro particulari
interesse Cesaris et Regis et totius Germanie et ambarum Majestatum prin-
cipum nostrorum et cum sua Sanct. et ipse dom. Jac. bene de me confidant
et experti sint animum meum sincerum et cupientem sine passione omne bonum
publicum et esse securum, voluerant more solito mihi libere omnia haec coinmu-
nicare requirentes, ut sicuti cetera hactenus coilocuta circa illam practicam
secretam et circa alia que requirunt silentium nulli dicerem et quod sua
St. erat illius opinionis, haec scripta ex Francia non legere Cesareis sed
solum dicere verba aliqua generalia neque etiam eis aperire aliquid nec
disputare cum eis de bis, que sibi obvenerant super haec nova ne res trac-
tatae cum multis divulgentur et perveniant ad aures Gallorum et aliorum,
sed voluerat sicut incepfum erat in hac materia cum me solo agere et medio
meo cum Dom. vra. et ipsius medio cum rege nro.
Super hec dom. Jac. et ego habuimus multa colloquia et disputationes et
conclusiones fuerunt quod sint estimandaet eonsideranda et quod possit esse, quod
non fient tanta, sed etiam posset esse, quod talia fierent, que essent causa
majorum perturbationum, periculorum et malorum Christianitati et ideo sapientis
esse officium, omnia timere non turpi timore sed timore ad considerandum et
providendum in tempore illis modis et mediis que judicentur utiliora tutiora et
super hoc multa etiam disputavimus; in fine illa fuit conclusio, quod s. S.
mitteret hosextractus celeriter nepoti suo Cardinali de Medicis et per nuncium
proprium cursorem et scriberet ei, ut communicaret illa solummodo regi
nostro et Dom. vre.secrete etaliqna generalia diceretlmperatori, sed ego particu-
lariter scribereni Dom. vre. colloquia nostra et alia que etiam agerem cum
papa super hanc materiam, et sola Dom. vra. declaret illa Regi nostro et rex cum
solo imperatore eo modo, ut regi et D. vr. magis videbitur expedire, ut sint
secretissima et attineantur in illam bonam partem, ad quam scribuntur.
Colloquia autem et disputationes inter dom. Jac. et me fuerunt in parte
conformia illis habitis prius super illam practicam secretam de quibus tune
monui Doin.'vram et que rex noster intellexit, et super que Dom. vra. respondit
mihi mentem bonam et responsum regis et ego etiam reseripsi D. v. illa que
non solum D. Jac. sed Sanct. s. mihi continue responderat ultra que alia
etiam fuimus collocuti; tarnen pro importantia rei visum est expedire et
breviter, quot potero, scribam substantiam dictorum colloquiorum, que
fuerunt infrascripta.
246
Karl Stoegmann.
Quod sine dubio cuedendum sit hos duos reges partim pro timore, partim quia
nonest eis grata, sedsuspecta nimia potentia et nimiafelicitas duorura priucipum
nostrorum et gravis est eis tanta unio sincera sue Sanct. cum Imp. et aperte de
illa conqueruntur, animus illorum duorum regum erit in hoc conventu conclu-
dendi et deinde omnia agendi que possint contra principes nostros et etiam et
possint in toto vel in parte pervenire ad illa que desiderant et a quibus imperator
bactenus se alienum ostendit'precipue circa ducatum Mediolani neque ullo modo
veileunumtractatum facere cum Francia, quia putat JJaj.Ces nec tuto nec honeste
posse illud agere, nec etiam posse se honeste inclinare.
Et ideo expedire ut ex uno latere pcrS.S. et principes nr. bene consideretur
ad ista et alia etiam, quejam sunt super humeros s. S ,is . et ambarumMaj. et super
alia, que evenire possent et capere illam deliberationem et facere illas provi-
siones, quas possent pro meliore et quod s.S. in omni casu perseverat et est con-
stans cum Cesare et in omni fortuna, sicuti etiam non dubitat facturas Maj tes . nr.
erga s. S tem .
Esse autem considerandum si s. S. et principes nostri. soli possint et debeant
eodem tempore sustinere tantum pondus impensarum intollerabilium malorum
et periculorum imminentium resistendi contra conatus tarn potentes Turce et
Francie et Anglie, stante etiam rationc et metu de Venetis, quos certum est,
in corde suo et etiam non possent se continere quin aliqualiter demonstrent se
nunc magis timere nimiam felieitatem duorum priucipum nr. et unionem pape
cum eis, quam potentiam Turcarum et forte si viderent duos illos reges decla-
ratos liostes contra Maj. et ex alio latere arma Turcarum anno futuro terra vel
mari et quod quasi esset in cventu una concordia et intelligentia inter Turcam et
illos duos reges, forte possent illis tribus adhaerere palam vel secrete non servata
confoedcratione sua cum s. S tc - et principibus nostris sicuti est mos ipsorum agendi
illud quod pro tempore putant magis idoneum reipublice sue.
ln hoc proposito fuimus collocuti omnes rationes propter quas cum auxilio
Dei si necessitas eveniret forte possint s. S. et principes nostri sustinere etiam
eodem tempore hos tres potentes adversarios et etiam simul Venetos, si (non)
starent neutrales et inter alia, quod oporteret principes nostri ex uno latere starent
solummodo in bello defensivo cum honestis et sufficientibus viribus et ex alio
latere totis viribus in defensivo et offensivo, videlicet quod rex noster staret
solummodo in defensivo contra Turcas et Vaiuodam ct Cesar ex alio latere
in defensivo offensivo omnibus mediis contra Gallos et Anglos et quod si non
possent ferre impensas in tantis bellis, quia quamvis sint tres principes in cITectu
opus est estimare, quod pro majori parte pondus erit super solum Cesarem,
cum S. s. et rex sint exhausti et cum difficultate, ut notum est, potuerit facere
illa, quae fecit proxime in bello Florentino et postea in sustinendo exercitu
Ccsaris et postremo in expeditione contra Turcam et in auxilio classis Cesaris
et in provisionibus locorum ecclesiae, si classis Turciea venisset et in aliis one-
ribus, que continue occurrunt ecclesie et continue ejus reditus extraordinarn
diminuuntur et ordinarii sunt pauei et magis diminuentur extraordinarii si
Francia et Anglia incipiant bellum maxime in Ilalia, in quo sua St. magis in-
digebit auxilio aliorum; rex autem noster, quam exhaustus sit simul cum subditis
suis, notum esse et s. S. satis intellexerat a ministris suis ex Germania, et etiam
Beilagen.
247
ex illis, que cgomet ostenderam, et ideo fore totuni pondus futurum super
humeros Cesaris et imperii et si pecunie deessent Cesari, ut (non?) dubitan-
dum est, in bello tarn gravi et diu duraturo oportere et imperator tentaret
extremum videlicet, quod induceret populos et prineipes et nobiles Germanos
et Hispanos et Italos ut in parte propriis impensis militarent et ea que lucra-
rentur in dominiis hostium precipue Gallorum esscnt in parte ipsorum juris-
dietiones autem et redditus ordinär» et principaliores civitates et arces essent
trium principum ad ratani impensarum, quas facerent, quamvis S. s. pro parte
sua niehil euperet, sed quum periculosum esset hac partitione satis esse
eogitandum faeere prineipes Germanos et magnos dominos, qui sunt in Hispania
potentiores, quod posset postea pro nimia potentia non esse ad propositum
domus austrie et sedis apostolice.
Et quod in omni easu sit accelerandum ad stabiliendum V. Cantones, sicuti
nunc tractatur.
Item quod esset laborandum, ut eonduceretur ad stipendia principum nostro-
rum dominus Rentis et Ceri vel saltem dominus Joannes Paulus suus filius et aliqui
alii ex domu Ursina, quod facile fieri posset et hoc modo Francia non posset
habere illam facilitatem quam putat faciendi motus in Italia, praecipue hie
Rome et in Neapoli simul cum exulibus Neapolitanis.
Item quod laborandum esset, si posscnt induci Veneti ad illud, in qno
hactenus frustra laboratum est et magis essemus eerti de eis saltem contra
franeiam et anglos si vcniantin Italiain, quamvis ob exempla praeterita dubi-
tandum sit, quod volentse magis declarare, nee obligeresed stabunt inresponso
hactenus dato et in suo malitioso animo ut videant quis eventus rerum sit.
Item quod in negotio Lutheriano providendo oportune nedum essent uecu-
pati in duobus tantis bellis aliquid pejus insurgeret.
Item cogitent et disponent necessaria pro potenti elasse tarn contra Turcam
quam contra Franeiam et Angliam ....
Item oportere ut etiam cum effectu tractetur cum aliis potentatibus Italie
ut in illis bellis juvent, quamuis parum sperandum sit, postquam hactenus pro
auxilio contra Turcam nihil eos movere potuerit.
Item quod expediat ut Maj. Caesarea rebus sic stantibus, donec fiant provi-
siones et provideantur omnia non recedat quia esset rtiina omnium rerum
recedere rebus imperfectis.
Et fuit disputatio super unum partitum si eodem tempore esset sustinendum
bellum contra turcas et contra Franeiam et Angliam, et si s. S. et duo prineipes
nostri soli possint et debcant se ponere in illo.
Secundus modus agendi esset iste videlicet vel viriliter prosequi nunc
bellum in Ungarin et parare necessaria pro anno futuro, et ex alio latere, si
verum sit, quod sit captum Modonum et creditur, quod imperator provideat, ut
capta et que capientur hoc autumno et hieme possiuf bene conservasi et
postea ulterius progredi primo vere et anno futuro; sed ex alio latere, dum rex
noster sit in prosperitate, si imper. et rex possent habere unam bonam et securam
pacem universalem vel treugam longamcum Turea et faeere aliquam tollerabilem
concordiain cum Waiwoda, qui rationabiliter nunc magis inclinaret, illud face-
248
Karl Stoegmann.
rent Majestates et converlerent arma contra Franciam et Angliam ad eos humi-
liandos ut in futurum non esset in potestate ipsorum continue quando vellent
turbare res christianitatis, vel quod omisso bello contra illos duos reges si
ipsi abstinerent a bello et imperator se abstineret et forte Francia intellectis
successibus felicibus inüngaria et in mari et de pace vel treugis factis cumTurca
magis inelinaret ad quietem et ad unam novam concordiam bonam cumCesare et
per consequens Anglia nihil posset malifacere et sic esset quies in christianitate
et abstinerent se ab illis, que essent conclusa in hoc suo conventu, videntes
etiam male condueere sibi ponere se in illo bello contra Maj lM .
Et considerandum esset in easu quod imperator facta illa pace vel treuga
cum Turca vellet omnino contra Franciam et Angliam convertere istam poten-
tiam nunc paratamsolum contra Turcam, si ita facile esset Maj*'- Ces. finire illud
bellum contra illos duos reges potentes et considerandum esse, si Turci videntes
tantum crescerepotentiam imperatoris et timentes ne postea etiam illos destruat
forte spreta concordia facta cum Cesare et Rege etiam ipsi Turci moverent
bellum contra nos facta unione cum Francia et Anglia et Veneti etiam non
baberent ratum tanlos successus principum nostrorum contra Franciam.
Et considerandum esse quanti momenti esse perdere tarn magnam oeca-
sionem, que nunc est recuperandi imperium Constantinopolitanum et destruendi
sectam Maummedieam et restituendi et ainplificandi fidem Christianam praeci-
puesiFrancia vel Anglia non impedirent, sed si possent induci ut potius juvarent,
et item Veneti faeerent sed experti sumus quod id fieri non poterit, nisi fieret
aliqua concordia, eum qua id faciendum induceretur Francia et illa facta etiam
Veneti sequerentur.
Esse autem tertium modum agendi videlicet continuando potenter bellum
mari et terra contra Turcam sed concordandi cum Francia et quod ipse juvaret
viriliter contra Turcam et non esse dubitandum quod non obstante foedere
Francie cum Anglia si antequam incipiant movere, bellum, Francia posset habere
concordiam cum Cesare in toto vel in parte ut scimus tum desiderare, bene ipsa
Francia reperiret modum illam concludendi et oporteret ut Anglia haberet
patientiam et inelinaret ad honesta.
Et etiam Veneti declarata Francia contra Turcam ipsi etiam iuclinarent
se aliis unire contra Turcam, et tanto magis inelinabunt, si otferetur eis resti
tutio locorum que oceuparunt sibi Turci.
Et hoc modo esset facillima brevis et secura ruina Turcae et quamvis per
hoc medium rex noster non esset babiturus illas terras, quas pretendit sibi spec-
tari occupatas a Venetis, sicuti fuerat prius collocutum circa priorem practicam
secretam, tarnen loco illorum haberet totum regnum Hungarie firmum etulterius
multa ex dominiis, que occupabant Turci, et hic terlius modus apud Deuin et
apudmundum esset magis gloriosus, honestus etjustus et utilior, facilior et magis
duraturus et cum minoribus periculis, quam alii modi, pleni impensis et periculis.
Esse autem in hoc tertio modo duas difficultates, unam diffidentiam, que
est inter Cesarem et Franciam; sed quod cum auxilio Dei etiam ad hoc posset
aliquod medium reperiri.
Secunda difficultas esset, quod cum illa concordia gallica Francia vellet
habere ducatum Mediolani et Cesar et papa promiserit illum conservare,
Beilagen.
249
yideretur contra honorem et fidem suam (ducem) derelinquere circa quod dictum
est, quod pro unotanto beneficio publico et (ad?) avertendatantaperieulachristi-
anitatis, si hoc non fieret, esset apud Deum et mundum bona excusatio praecipue
quod posset dividi ille ducatus inter Franciam et ipsum ducem et oportere ut ipse
dux haberet patientiam vel si Francia nolletconcordare, nisihaberet omnino du-
catum totum, posset reperiri medium de dando duci aliquo bono dominio alibi.
Quantum ad dubium, quod esset, ne more solito in prima occasione que
esset, Francia quaereret occupare Neapolim et deinde totam Italiam et quod ob
hoc Veneti non consentirent ad talem concordiam, fuit dictum quod oporteret et
haberent patientiam et quod si Francia cresceret in potentia etiam Veneti
creseerent habendo dominia sua occupata in mari aTurca, et Imp. et Rex noster
fierent etiam potentiores, habendo regnum Hungarie et alia dominia in Turcia
et si deinde in futurum Francia nollet contentari de illo ducatu Mediolani sed
contrafacere conventis, Caesar etRex noster etVeneti simulcumPapa facile eum
eiicerent ex Ralia et uiterius facerent, quae vellent contra ipsum; sed creden-
dum esse, quod ipse haberet pro bono stare quietus in illo ducatu et posset
uni filio suo dari filia regis nostri pro uxore et possent fieri alia pro bene
assecurandis et uniendis rebus omnibus.
Superesse autem hoc dubium, quia non esset tu tum quod Francia haberet
illum ducatum, antequam ipsa juvaret juxta illa, que promiserat ad destruc-
tionem Turce in toto vel in parte et antequam liabeatur aliquod dominium,
quod posset dari duci Mediolani priusquam dimittat illum ducatum*).
Post ista colloquia et disputationes cgo solus ivi heri mane ad papam ut
magis intelligerem mentem s. S lis . et quid flendum et casu reperivi cum ipsa
dominum Jacob. Salviati quod fuit mihi gralum.
Dixi sue St. quae conveniebant et dixi breviter substantiam novorum
colloquiorum.
# # * *
Dixit s. St. quod quantum ad ducem Mediolani posset fieri hoc, quod dux
teneret illum ducatum quousque haberet uuum bonuin dominium ex illis que
recuperarentur ex occupatis a Turcis et cum ego dixissem quod sua St. etiam
haberet unam partem pro se ex illis, que recuperarentur respondit mihi quod
ipsa non curaret de illo et esset contenta de suo spiritual! in illis dominiis.
Dixit autem Dom. Jac. quod forte Francia non esset eontentus quod postea
dux dimitteret sibi ducatum; fore hoc expediens, quod dux daret arces
Mediolani et Cremone in potestate Cesaris et Pape, qui esset confidens utri-
que parti, fuit dictum, quod forte dux ad id non inclinaret, sed quod dux
illum ducatum teneat tanto tempore pro majori securitate et ideo quod in hoc
easu tarnen etiam sine eo posset concludi concordia cum Francia et quod
oporteret postea et dux faceret illud etiam contra suam voluntatem.
# # # tit
ln fine s. S tas . fecit hane resolutionem, quod ipse expediret nunc unum
cursorem ad legatum nepotem suum et de his nihil omnino esse hie dicendum
*) Hier lasse ich eine Stelle weg, die nichts als leere Worte hat. Dasselbe ist (1er Fall,
wo später iin Texte mit Sternchen eine Lücke angedeulet ist.
250
Karl S t o e g'in a n n.
Caesareis propter causas suprascriptas et quod ipse mitteret Cardinali nepoti
suo illos extraetus cifferarum et soli imperatori et regi nostro illos legeret et
nomine sue S tia . diceret aliqua generalia et inter alia, quod potest esse etiam
quod illi duo reges non faeient tanta, ut continetur in illis cilTeris, tarnen
potest etiam esse, quod faeient et ideo Majestates debere bene considerare
et examinare, que agenda essent in tempore et quod ulterius non vult parti-
culariter s. St. aliquid comittere ipsi Cardinali, quia saepe declaravit animum
suum et consilium suum modeste Cesari et cum Cesar continue responderit
rogando, ut St. s. abstineat se ab omni practica cumFrancia, fecit et est factura
et in futurum, quia nihil vult praeter mentem Cesaris.
# # # #
Et quod scriberet secrete nepoti suo unum ut illos extraetus zifl’erarum
quando legeret Caesari rogaret, ut solus illa teneret secrete, et caveret nihil
super illa scribere Caesareis hic Rome, quia ob causas suprascriptas s. St. illis
non cominunicas9et nisi aliqua generalia fuissent dicta.
Secundo committet ipsi Cardinali et quando legetregi nostro illos extraetus
et dieet illa pauca, que dixerit Caesari, dieat ulterius regi nostro quod supra
hanc materiam ulterius aliqua loquetur cum JJ. V.
Et hoc s. St. scribit Cardinali, quod sit simul cum D. V. et legat etiam illos
extraetus literarum habitas ex Francia et dieat ei, quod alia particularia scri-
buntur per unum hominem secretuin ex hae Curia ex comissione s. S ü “., quam
et D. V. papa rogat, ut ipsa communicet libere et secrete dieto Cardinali,
cui Papa scribet ut loquatur cum U. V. que sibi aliqua communicabit et mandat
Cardinali ut omnia secretissima teneat, et ut nulü ex suis servitoribus, sit qui-
cumque velit, neque cum aliis faciat verbum, sed quod D. V. dieat se omnia
declaraturum regi nostro et quod ambae ü. V. prius simul consultent et delibe-
rent quid D. v. debeat consulere regi nostro agendum esse cum Cesare.
* # # *
Et de his, que tractabuntur et fient circa hanc materiam Cardinalis nihil
ipse faciat scribi per aliuin suae S 11 - vel secretarium vel alium servitorem suum,
sed D. V. post secretam communicationein Cardinali factam scribet mihi secrete
in citl’eris more solito que acta erunt et mentem regis et circa singula.
Interea autem Papa dixit ut nullo modo se intromittet in ulla practica cum
Francia, sicut Cesar instetit, se tarnen, ne totaliter interrumpatur, ut sapienter
respondit D. v. esse judicium regis nostri, dom. Jac. Salv. perseverabit
modeste, quantum poterit, medio oratoris sue St. apud Franciam inter-
tenere illam practicam quamvis credendum sit, quod ob hoc et super verba
generalia domini Jae. non differet Francia concludere cum Anglia et facere
preparationes, sed tarnen possent talia venire a D. V. et postea a Cesare
ulterius, quod Papa posset prudenter et secure secrete se intromittcre ad
tractandum absque periculo.
Beilagen.
25 J
11].
Einzelne Stellen, welche im Texte nicht berücksichtigt werden konnten.
1330, 2. Februar, Bologna.
De la remuneratione alli bene operanti per la fede ne ho parlato tanta
volte ehe non e possibile piü; la resolutione de sua St. e, che se le proue-
desse de alcunl beneficii vanti.
1329, 21. December, Bologna.
Moronus stans in exercitu Cesaris apud Florentiam, quum esset incolumis.
morte repentina obiit ex gutta sine ulla confessione.
1330, 13. Juli, Rom.
Hieronymus Baibus, Bischof von Gurk, der sieb um diese Zeit in Rom auf
halt, arbeitet an einer Vereinigung der böhmischen Utraquisten mit der Kirche.
Er gibt vor, Ferdinand wolle die Sache auf dem nächsten Landtage zu Sprache
bringen. Burgo und Mai mischen sich nicht darein. „Damus gratias Deo,
quando nos dimittit in pace!“ Überhaupt richtet Bai ho wenig aus. „De rebus
publicis Gurcensis est monitus a Cardinali St. Qualuor abstinent postea fingere
et quaercre res in aere et soluinmodo intenderct ad sua et ad suos libros!
1331, 7. März, Rom.
Dixit Cardinalis St. Quatuor, non posse haberi promotam pecuniam nisi
creatione Cardinalium non ad instantiam Principum sed illorum, qui possent
subvenire cum pecuniis ct qui etamen etiam sine pecuniis mererentur illam
dignitatem et sint probi et fideles, a qua creatione papa tarnen abhorret; dixit
preterea instantiam quam faciunt Cesarei pro creatione illorum Cardinalium
Hispanorum a qua non minus etiam Papa abhorret.
1331, 3. April, Rom.
Scriptum est hodie, quod Waida libenter daret Regi omni anno centum
millia ducatorum si dimittat ei regnum cl quod ipse Waida et Hungari timent
quia, si turcus haberet illud regnum Waida esset unus rex titularis et Turca
reduceret magnam partem Hungarie in Turchiam et duceret Tureas in Hun-
gariam, et quod Hungari amant regem nostrum sed non possent ferre nomen
Germanorum, quibus sunt bosles et polius volunt Turcam quam Germanos!
1331, 1. September, Rom.
Dux Albanie dicit, interruptam fuisse unam praeticam magnam, quam
habebat rex Franeie in Genua, et quod opus erit maioribus viribus Regi Francie
ad illam expeditionem!
1332, 6. März, Rom.
Hodie fuit factum publicum consistorium in causa Anglicana et totus quasi
dies disputationibus consuinpfus ex quibus nonnisi maior confusio et dilationes
exortae sunt!
1332, 11. Mai, Rom.
Lasky gebt von Paris durch die Schweiz nach Deutschland zum Land
grafen von Hessen. In Innsbruck bat man Befehl ihn zu fangen, wenn er etwa
durch Tirol käme. Der französische Gesandte in Deutschland Mons. Langie
arbeitet an einer Verbindung des Landgrafen mit den bairischen Herzogen!
252
Karl Stoegmaiin.
1832, 28. Mai, Rom.
Es wollen 2 oder 3 Lutheraner nach Rom kommen, um persönlich mit
dem Papst zu verhandeln. Mujetula ist dafür; B u rgo und Mai widerrathen.
1832, 18. Juli, Rom.
Der florentinische Gesandte war bei Burgo und erklärte, Florenz sei
zu erschöpft, um etwas zur Türkenhilfe beisteuernzu können.
1832, 28. Juli, Rom.
Papa dixit nobis secrete, quod ex captivis jam intellectum est, quod Car-
dinalis Columna habebat strictam practicam cum gallis ut haberet regnum
neapolitanum et ipse Cardinalis credebat fore difficile, nisi papa esset cum
rege Francie et studebat ponere dissidentiam inter Papam et Imperatorem ut
Papa inclinaret ad Franciam (?!?).
1832, 31. Juli, Rom.
Negocium est, quod unus servitor regis nostri valde intimus sue Maj. est ei
proditor; cuius nomen scribit orator Cesari et omnia secreta notiflcat Cesari
Turcarum et quod periculum sit, ne etiam detvenenum Imperatori etRegi nostro.
Cardinalis de Cesis recessit ex urbe ; dicitur ut mutet aerem; sed alii dicunt
quod excessit ut sit in tato ob practicas, quas hahuit cum Card. Columna.
1832, 39. August, Rom.
Circa practicas Columnae interrogavi heri Slaviatum; respondit, se non
vidisse processum, sed credere quod non sint tanta ut fama erat et quod inter
detentos est unus, qui aperuit, quod cum aliqui tractarent cum Columna de
faciendo et gallo (?) respondit non esse adhuc ternpus sed exspectandum quod
Imperator remoueret eum ab illo loco Viceregis et tune ipsum Cardinalem habi-
turumbonam oecasionem preterea quod ille erat finisCardinalis et in eo laborabat,
ut Papa etCesardevenirent in suspitionem et discordiam inter se, ita quod Papa
adhaereret Francie et hoc modo facile futurum, ut Cesarem excluderent ex regno
et ex ltalia et sine hoc fore difficile.
Dixit preterea esse detentum unum Archiepiscopum totum intimum Cardi-
nali qui inter alia dixerat, quod Papa non haberet vivere nisi adhuc quatuor
menses, etprobatur, quod hoc dixisset ex aliqua proditione parata contra Papam;
sed repertum est, quod ille Arohiepiseopus illa dixerat solum modo ex iudicio
Astrologorum et non ex practica ullius proditionis contra suam Sanctitatem.
Verzeichniss der über die Provision verwendeten Gelder während
Burgo’s Gesandtschaft vom 18. April 1827 an gerechnet.
Vom 18. April 1827 bis 1. Januar 1829 über dieProvision verbraucht 3000 fl. Rhn.
Im Jahre 1829
99 99
99 99
99 99
1830
1831
1832
99
99
99
99
99
99
99
99
99
99
99
99
1438
2160
3782
2728
13078 fl. Rhn.
Anmerk. Einige andere in den Anmerkungen angezogene Stellen wurden Uinweggelassen’
um den Umfaug der Beilagen nicht zu sehr zu vermehren.
Friedrich Kenner. Die Koma-Typen.
2S3
Die R o m a - Typ e n.
(Mit 1 Tafel Abbildungen.)
Von Friedrich Renner,
Amanuensis am k. k. Münz- und Anliken-Cabinete.
Die Göttinn Roma erscheint in einer Mannigfaltigkeit von künst
lerischen und mythologischen Formen, die durch die häufige Anwen
dung die sie fanden, und nach den verschiedenen Beziehungen und
Verhältnissen, unter denen dieselbe geschah, allmählig zu bleibenden
Typen erwuchsen, deren Darstellung die Geschichte der römischen
Allegorie einigermassen zu beleuchten geeignet sein dürfte.
Roma ist die allegorische Darstellung des römischen Staates
nach seinen inneren und äusseren Verhältnissen. Ihrem Ursprünge
nach gehört sie also zu jenen zwei Cultur-Bewegungen 1 ) der griechi
schen und römischen Bildung am Ausgange der alten Welt, deren
Vorgeschichte als Entwicklung, Blüte und Verfall beider Natio
nalitäten hier zu besprechen nicht der Ort ist, in deren Vereinigung
aber die culturhistorische Bedeutung Roms liegt. Diese beruht auf
der Schöpfung eines grossartigen Verwaltungs-Mechanismus, als des
Zielpunctes, in dem alles Culturleben der alten Welt zur Ruhe kom
men sollte, und als der Form, in der alle Ergebnisse dieses Cultur-
lebens einer neuen Zeit überliefert werden sollten.
Darauf zielten alle Bewegungen des Staates während der Re
publik, und darnach gestalteten sich alle Verhältnisse des Staates in
derZeit der Imperatoren. Diesem Entwicklungsgänge in der Geschichte
folgend zerfällt die Betrachtung der Romatypen in zwei Abschnitte,
von denen der erste dieselben während der Republik, also ihre Vor
bildung und Vorbereitung, der zweite sie während der Zeit der Im
peratoren, also ihre Erhebung zur Gottheit und ihre Ausbildung zu
besprechen hat; in jenem wird Charakter, Vorbild der Roma, ihre
D Vgl. die Einleitung von K. F. Her rmn ti n zur Ciiltiirgeschichte der Griechen und
Römer. I. Th. S. 10, 14 11.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXIV. Bd. II. Ilft.
17
254
F r i e d r i c h K e n n e r.
primitive Erscheinung und deren Weiterentwickelung, im zweiten der
Charakter der imperatorischen Roma, Cult und Würde der Imperatoren,
Gruppirung der Romaformen nach den Typen der herrschenden, nähren
den und wehrenden Roma und deren Nachweisung aus den Classikern,
endlich ihr Tempelcult und ihre Sonderstellung gegen die übrigen Göt
ter des Alterthums behandelt werden. — Da sich die Romaformen
auf den Münzen allein in fortlaufenden Reihen und mit ziemlich
sicherer chronologischer Bestimmung darstellen, so braucht es nicht
erst bemerkt zu werden, dass der monumentale Nachweis sich zu
nächst auf das Gebiet der Numismatik stützt, indem die anderen
Kunstmonumente an betreffenden Orten angeführt werden.
I. Abschnitt.
Die Roma-Typen während der Republik; ihre Vorbildung und
Vorbereitung.
Der Grundzug der mythologischen Thätigkeit des römischen
Volkes war Abstraction 1 ); das Ideal seiner Bestrebungen war ihm
Gottheit — Genius 2 ) schlechtweg genannt. — Daraus erklärt sich
auch die grosse Beweglichkeit und Gestaltlosigkeit seiner mytholo
gischen Schöpfungen; je verschiedener nämlich seine Bestrebungen
und je mannigfaltiger daher die Verhältnisse wurden, in die er durch
sie kam, um so veränderter, mannigfaltiger, beweglicher waren auch die
Erscheinungsformen des einen Genius; je abstracter die Gottheit und je
geringer der schöpferische Kunsttrieb des Volkes war, desto mehr ent
behrten sie der bildlichen Darstellung, der Gestalten. Es ist daher auch
bei Betrachtung der Vorbildung und Vorbereitung der Romatypen einer
seits auf das Ideal der römischen Staatenverwaltung in der Auffassung
des eigenen Volkes, als des Inhaltes derselben, andererseits auf die Art
und Weise Rücksicht zu nehmen, wie und in welche künstlerische
Formen dasselbe gekleidet wurde, oder die Form im Auge zu behalten.
*) Vgl. Morn ms en, römische Geschichte, I. Th., S. 111.
2 ) Nach Gerhard, Griechische Mythologie H. §§.993, 994 war es jener im Genius Jovi-
alis von Etrurien und Latium (hier auch Jupiter Indiges) und im römischen
Genius dargestellte Begriff einer göttlichen, das menschliche Lehen allwärts
beeinflussenden Kraft, welche nach den verschiedensten Seiten hin auf niedere Götter
und ihre Stellvertreter, auf Menschen und ihre Zustände, auf Örtlichkeiten u. s. w.
beseelend überging.
Oie Roma-Typen.
255
Aus dem Wesen der Allegorie und der historischen Auffassung
der Romatypen ergibt sicli für jeden der zwei erwähnten Puncte
ein Entwickelungsgesetz ; jenes für den Inhalt der Romatypen : der
Inbegriff aller den Staat in seinem Gedeihen fördernden Momente und die
Beziehung derselben auf den Genius, wurde nach den verschiedenen
Entwickelungsphasen des Staates verändert; jenes für die Form:
das plastische Moment, das diesem Genius Leib und Leben geben
und alle abstracten Begriffe jener fördernden Momente zu einem
lebensvollen Ganzen verbinden sollte, wurde mit jeder Aufnahme
einer neuen Cultur in den römischen Staat verändert und viel
seitiger.
1. Die ältesten römischen Verfassungen sollten im Staate die
Familie darstellen und beruhten also wie diese auf dem Ideale einer
geschlossenen Häuslichkeit, um zu erwerben oder das Erworbene zu
behaupten. AlleTugenden einer solchen Häuslichkeit: liebevolle Sorg
falt und Strenge des Oberhauptes gegen die Glieder der Familie,
Unterwerfung und Selbstbeherrschung dieser gegen jenes, ehrbare,
keusche Sitten, Tüchtigkeit in der Abwehr äusserer Feinde u. s. w.
mochten dem Genius beigelegt worden sein, sobald er als Schützer
des Staates erschien. Diese verschiedenen Attribute selbst waren, so
zu sagen, noch flüssig und zufällig, eine bleibende und feste Gestalt
konnten sie für sich erst, als die Erfahrung des Volkes reicher, die
Verhältnisse des Staates grossartiger und bedeutender wurden, und
in ihrer Beziehung auf den Genius aber erst dann erlangen, wenn
ein inneres geistiges Band sie lebhafter zusammenschloss.
Dies geschah indem nach den Kriegen mit den Samnitern und
mit Pyrrhos Rom als der politische Mittelpunct des Festlandes von
Italien in das hellenistische Staatensystem eintrat. War vordem nur
von einer Römergemeinde unter und neben den Gemeinden anderer
italischer Völkerschaften die Rede, so gab es jetzt eine Stadt Rom
gegenüber dem verbündeten und unterworfenen Italien als dessen
nothwendiges Centrum, in dem alle Fäden der Halbinsel zusammen
liefen. Zwar blieb auch jetzt noch die Familie im Staate dargestellt,
aber es ergab sich dennoch manche nothwendige Modification dersel
ben (z. B. die Stufen des Bürgerrechtes, die Verhältnisse der Muni-
cipien, Colonien, Präfecturen u. s. w.). Nebenher hatten die schweren
Tage in den Kriegen gelehrt, dass für den Bestand der Stadt beson
ders die zwei Tugenden unentbehrlich wären: Staatsklugheit und
17*
hingehende Tapferkeit 1 ); diese beiden Tugenden blieben durch alle
Zeiten gleich nothwendig und bilden daher die beiden ersten
odeiTIauptzügedesIdealesderStaatsverwaltung, die nur
zu verschiedenen Zeiten verschieden aufgefasst wurden. — Aber auch
in anderer Beziehung musste damals das Ideal an Bestimmtheit gewin
nen. In der Bildung des Staates blieb, wie gesagt, jene strenge Häus
lichkeit aufrecht erhalten, die jedeIndividualilät nur in ihrem Zusam
menhänge mit, d. h. in ihrer Unterordnung unter den Staat gelten
liess; und diesem Principe trat die griechische Bildung entgegen,
die vor allem eine freie Bewegung des Einzelnen verlangte und den
Zusammenhang desselben mit dem Staate in sittlicher, freiwilliger,
nicht äusserer, mechanischer Unterordnung fand. Daraus entstand die
wichtige Opposition der nationalen gegen die hellenistische Bildungs
partei von Appius Claudius bis Cato 3 ) und der Conservatismus des
Senates. Daher musste in der Auffassung des Ideals der römische
Genius, der früher nurim Allgemeinen die römische Gemeinde gegen
Anfeindungen nachbarlicher schützte, von nun an nicht bloss als dieser
Schützende, sondern auch als Vertreter der in Rom centralisir-
ten G esa mmtheit italisch er gegen n i chti t ali sehe Völker
— mithinalsVertreterih rer Nationalität gegenüber einem
Volkegedacht werden, das eine fremde Sprache redete, das bei all 1 sei
ner weit überlegenen Cultur im Zustand sittlicher Auflösung begriffen,
dicRömer durch den regeren Verkehr mit Ansteckung bedrohte. — Mil
dem Bewusstsein der Nationalität war der Anlass zu häufiger Verglei
chung derltaler und Hellenen gegeben und durch den Verkehr unter
stützt. Da musste es klar werden, wie sicher Rom gegenüber dem
zur politischen Unmündigkeit herabgesunkenen Griechenland im Mil-
tclpuncte von Italien, dasselbe vertretend, regiere und wie dieses
durch jene Häuslichkeit, durch strenge Centralisirung im Innern,
*) Niebu.hr römische Geschichte (Band 111, S. 3ü3) sagt: „Die Aufnahme pytha-
gorischer Sätze, wie in einem Liede des Appius Claudius eine mehr denn zufällige
Ähnlichkeit mit den pythagoräischen bestand, sowie dass in Rom, welches in der ße-
drängniss der Samniterkriege um Hilfe nach Delphi nachfragte, auf Apollon’s Rath, die
weisesten und tapfersten Griechen in Statuen aufzustellen, die des Pythagoras und
Aristomenes (nach Mo m m s e n , I, 287, des Pythagoras und Alkibiades) aufgestellt
wurden, zeigt deutlich, dass man die Tugend der Staatskunst neben jener der hin
gehenden Tapferkeit gerade damals hoch anschlug, als die väterlichen Tugenden zu
schwinden begannen.“
2 ) Moininsen I. 627 fl‘.
Die Roma-Typen.
257
durch eine kluge Politik im Äussern, Ausdauer und Glück im Kriege
möglich geworden sei. Dass dieses Ideal Anerkennung fand, bewei
sen mehrere Cultc ') die im Laufe der Zeiten in Rom eingeführt wur
den; sie sind italischen Charakters und stellen jeder ein Attribut des
Genius dar; und durch ihren öffentlich von Staatswegen so zu sagen
decretirten Cult ist ihre Beziehung auf den Genius hergestellt. For
tuna, Mens, Concordia, Salus, Honor, Virtus, Victoria waren also
in ihrer Beziehung auf den Staat Erscheinungsformen 2 ) des
einen Genius, dargestellt in den Göttern des italischen
Culturkreises den damals Rom in sich aufnahm. — Der
Genius in der Mitte all’ dieser Beziehungen ist ein Vor
bild d e r i m p era t o r i s c h e n R o m a und ihre erste Anlage, was
die Nationalität der Schöpfung betrifft.
2. Neben dem italischen Culturkreise nahm Rom seit dem Pyr-
rhoskriege auch den hellenischen auf, oder es begannen seither we
nigstens die politische Beziehung und der Verkehr lebhafter zu wer
den. In dem Begegnen der beiden Culturen musste auf Rom unter
allen von Griechenland überkommenen eben das was ihm seihst so
sehr fehlte, die Kunst, in der weitesten Bedeutung, wirken. Von
den Hellenenkamauchjenesplastische Morn ent, die For
menquelle die für die bildliche Darstellung der abstracten Begriffe
*) Diese sind: Fo rtuna. Die wichtigsten Formen sind: die der praenestinischen Jovis-
aminc als nährender Gottheit; die seit dem keltiberisehen Kriege bestehende Auflassung
als equestris, wie sie auch als wehrhafte Göttinn galt. (G e r ha r d römische Mythologie
§.979); Streu ia, mit einem Heiligthume auf dem Esquilin frühe veraltet (Gerhard
§. 953); Mens, schon in den Zwölftafelgesetzen als Gottheit anerkannt (Gerhard
§. 989, 5); Concordia, sie entspricht dem Venuscharakter als ursprünglicher
römisch, denn Venus selbst; — sie wurde fast mehr auf politische als eheliche Eintracht
wirksam gedacht; seit Camillus in Rom verehrt (Ge rhard §. 984, 1); Salus, seit
303 v. Chr. mit einem Tempel auf dem Esquilin (Gerhard §. 953. i) ; Honor und
V i rtus, seit der Schlacht von Clastidium 222 v. Chr., nach Cic. bestand schon ein
älteres Heiligthum desllonos hei dem collinisehenThore (Gerhard §.989) ; Victo
ria, theils uralte Göttinn des Palatinus, theils jungfräuliche Sicgesbotinn (nicht Sie
gesspenderinn) und als solche hei den Römern sehr beliebt und von M. Porcius Cato in
einem Heiligthume verehrt (§. 988, 10) ; Liberias, mit einem Tempel seit Sempro-
nius Gracchus (§. 989, 6).
~) Von dem Rom ziemlich ähnlichen Sparta sagt C. 0. Müller (Pallas-Athene, classi-
sche Schriften. II. B., S. 134, §. 35), dass es einen Pallas-Cult gepflegt habe, d er
ohne Sagen, ohne dunkle Mystificirung physischer Beziehungen
nur obenhin die Ideale staatlicher Verhältnisse mit nüchterner
Klarheit darstellte. Vgl. Gerhard §. 249, 6.
258
Friedrich Kenne r.
des Genius, der Staatstugenden u. s. w. das dürre Gebiet der römi
schen Kunstschöpfung befruchten sollte. Dabei entsteht die Frage, wie
die griechischen Götterformen die so individuell geschaffen waren,
dazukommen konnten, das ahstracte Ideal des römischen Staates zu
bekleiden, wie überhaupt eine solche Verbindung möglich wurde.
Es liegt der Grund in der Veränderung welche seit Alexander des
GrossenEroberungen in der griechischen Bildung eintrat. Diese wurde
in der forcirten Ausdehnung überden Orient entnationalisirt und mit
barbarischen Elementen versetzt. Die mythologischen Organismen
der olympischen Gottheiten wurden zertrümmert; denn in dem Inein-
anderfliessen der mannigfaltigsten griechischen und orientalischen
Localculte musste alles Locale sich endlich verlieren, und von all’
den Mythen, worin der Grieche, Syrer oder Ägypter ethische und
physische Erscheinungen mit den Göttern in mehr oder weniger leb
hafte Verbindung brachte, konnten am Ende nur die ihnen zu Grunde
liegenden allgemeinen Gedanken Zurückbleiben, z. B. von einer unbe
schränkt wirkenden sittlichen oder natürlichen Kraft die sich in tau
send Wirkungen offenbarte. Bei dem Übergewicht der griechischen
Kunstformen wurden diese überall wie nach einem allgemeinen Kanon
zur Bezeichnung jener abstracten Grundideen mit geringen Modifica-
tionen angenommen; es wurde z. B. die Form des olympischen Zeus
dem Gedanken jener sittlichen oder natürlichen Kraft, die der Pal
las dem Gedanken einer mit Berechnung verbundenen Tapferkeit
angepasst, abgesehen von dem was ursprünglich Zeus, Ammon, Mo
loch, Bel u. s. w., oder was Pallas, Neith, Astarte u. s. w. ihren Ver
ehrern bedeuteten. Mit diesem Abstreifen des Localen wurden die
griechischen Kunstformen ihres nationalgriechischen Geistes beraubt,
geistig todt, aber dadurch ungemein dehnsam. Dem Vorgang in der
Mythologie entspricht in der Kunst das Verschwinden der geisti
gen Charakteristik in den körperlichen Formen, welche die Gross-
meister der griechischen Kunst so sehr erhebt; dagegen tritt das
seichtere allgemein verständliche Symbol in den Vordergrund; nun
mehr lag in diesem das Hauptmoment der Formgebung. — In Folge
von Alexander des Grossen Eroberungen wurden alle Verhältnisse noth-
wendig vergrössert; die Lebensformen wurden allgemeiner, da so viele
Nationalitäten vereinigt wurden, das Verkehrsmittel, die Münze, musste
also nothwendig in seinen Typen eine gewisse Verständlichkeit
und Allgemeinheit haben; dadurch wurde jene Dehnsamkeit der grie-
Die Roma - Typen.
21)9
chischen Formen und die Symbolik häufig geübt; nebenher, aber aus
demselben Grunde — der Vereinigung so vieler Culturen — ent
wickelte sich, besonders getragen von der alexandrinischen gelehr
ten Poesie, die Allegorie, wie wir denn auf den Münzen von Alexan
dria eine beinahe vollständige Reihe aller denkbaren Allegorien haben.
Die ganze griechische Kunst war also schon um die Zeit des Pyrrlios
in dem eben geschilderten Ersterben begriffen, ihre Formen waren so
allgemein gütig und dehnsam geworden, dass sie selbst den weiten
und abstracten Gedanken eines Staatsgenius bekleiden konnten.
Unter allen griechischen Kunstformen lassen sieh auf den Mün
zen als authentischen Monumenten vor allem jene der Pallas hervor
heben, welche hei der eben dargelegten Umänderung der Kunst
dem Gedanken einer Stadtgottheit am häufigsten ange
passt wurden. In der Pallas Polias von Athen war derselbe aus
dem Lehen des athenischen Volkes entwickelt worden und gedieh zu
einer solchen Vielseitigkeit und Höhe der Ideen, durch Phidias aber
zu einer solchen Überlegenheit der künstlerischen Form, dass ihre
weite Verbreitung nicht nur in Griechenland, sondern auch in Italien
und Kleinasien, freilich mit vielen leisen Abänderungen, sehr erklär
lich wird. Es ist hier nicht der Ort, in jene Ideen 1 ) weiter einzu
gehen, nur sei darauf hingewiesen, wie sie sich in ihrer Ruhe und
ewigen Gleichheit die den unbewegt sitzenden und stehenden Göt
terbildern eigen ist, besonders ,zu Vorstellungen der Städte als
solcher, zu Repräsentationen eignete und in diesem Sinne auf so
vielen griechischen Münzen in Italien zur Darstellung einer Stadt, als
Inhaberinn des Münzrechtes, benutzt wurde. Wie die Polias von Athen
zur gleiehmässigen Repräsentation, so passte besonders die korinthi
sche Pallas (Poseidonia, llippia, Ilippodameia, Chalinitis) zur künst
lerischen Darstellung der Städte, indem sie durch ihre Verbindung
mit dem Meere ebenso sehr Lebendigkeit und Bewegung gewann,
wie jene aus der Verbindung ihres ruhigen Glanzes mit dem Äther
gotte Zeus Beharrlichkeit und Ruhe. Daher ist sie die in vielen Wen
dungen ihres Wesens von Epikern und bildenden Künstlern behan
delte uralte Heldengöttinn, der man auf den altgriechischen Gefässen
wie in der Iliade begegnet. Auch diese Pallas ging in häufiger
*) Vgl. C. 0. Müller, Pallas Athene, Kl. Schriften II. B.
260
F r ie dr icli K enne r.
Anwendung auf die Münze über, war aber dabei mehr in ganzer
Gestalt auf der Rückseite angewendet, während Polias nur als Brust
bild auf der Vorderseite erscheint. Dass der sogenannte attische
Helm der Letzteren und der korinthische der Ersteren entspricht,
ist nicht nur durch vielfache Beobachtung, sondern auch durch den
künstlerisch wichtigen Charakter des korinthischen Helmes bestätigt,
der ja, höher und schwungvoller, das heldenhafte Ansehen hei weitem
vermehrt.
Besonders wichtig ist unter den Thatsachen der Verbreitung der
Polias, dass in Italien die Sage von Odysseus und dem Palladium
weithin bekannt war; wenn auch alle jene vielen Gründungsgeschich
ten welche die Erbauer italischer Städte mit griechischer Mythe in
Verbindung bringen sollten, von keinem grossen historischen Werthe
sind, so bezeugt doch ihre Existenz, welche Anschauung man von der
Schutzgottheit einer Stadt hatte und welche Folgen diese wieder für
die Poesie und bildende Kunst nach sich zog. Die Romasagen 1 )
beweisen nun, dass diese mythologische Form einer Stadtgottheit,
nämlich die in Athen organisch entwickelte und als Vorbild von Stadt
gottheiten weithin verbreitete Polias, im Bereiche griechischer Auf
fassung auch auf die Roma, als Genius der Stadt Rom, üborgegangen
sei. Die wichtigsten Puncte aus denselben sind folgende: In den
Fabeln des Kallias (317—289 v. Chr.) heisst Rome Tochter des
Odysseus, bei Servius (ad Aeneid. I, 273) Tochter des Telemach
und Gattinn des Aeneas, hei Plutarch (Romul. 2) Mutter des Romulus
von Telemach’s Sohne Latinus, hei Klinias (hei Serv. Aen. I, 274)
und Plutarch ist sic Gemahlinn des Aeneas; bei Agatholdes v. Kyzi-
kos (Festus 1. c.) ist sie Gemahlinn des Ascanius, bei Agatholdes
L ) Nie buhr (R. G. 1, 119 IT.) gruppirt die Nachrichten über Rome (nämlich Dionysius
I, 72, 73, p.58, 59;— Plutarch. Roinul. p. 17, 18;— Servius fuld. ad Aen. I, 274; —
Festus v. Roma; — Solinus excerpt. aus Verr. Flac.) in drei Gruppen, jenachdein sie
Roma an die Siculer und den zu Morges gekommenen Sikelos knüpfen, oder mit
den Pelasgern verbinden (welche Pelasger für Griechen hielten, die deuteten den
Namen als poop//]; welche sie für Italiker hielten, sahen in Roma nur den ursprüng
lich „Valentia“ lautenden, erst mit Euander’s Einwanderung 1 hellenisirten Namen)
oder an einen Sagenkreis (den troischen, achaiischen, vermischten) anreihen.
Schwegler R. G. 1, 400 gruppirt sie jenachdein die Schriftsteller die Flucht
der Trojaner oder die Rückkehr der Griechen zum Anknüpfungspuncte machen,
oder mehrere Sagen combiniren.
Die Konia-Tvpen.
261
K;illias und Lykophron (v. 12S3) wird sie eine dem Euander weis
sagende Priesterinn, der Carmentis ähnlich. Durch die Verbindung
mit Odysseus, dem Räuber des Palladiums, und mit Aeneas, dem Über
bringer desselben nach Italien, ist die Poliasidee unverkennbar ange
deutet. Die Darstellung derRome als weissagender Priesterinn beruht
auf dem häufig vorkommenden Gedanken, den Gesetzen eine höhere
Weihe zu geben und mittelbar dadurch die bürgerliche Ordnung und
Zähmung wilder Sitten zu bewirken 4 ). Endlich bringen Kallias und
Lykophron in den angeführten Stellen die Sage, dass Rome, eine
Trojanerinn, ihre Genossinnen überredet habe, die Schiffe, auf denen
sie gelandet seien, anzuzünden, um dem Herumirren ihrer Männer
ein Ende zu machen ~). Der Zweck des Verbrennens der Schiffe,
dem die Gründung des festen Wohnortes folgte, ist zu deutlich als
Aufgeben des kleinen Nomadenlebens bezeichnet; der Beginn des
festen Bestandes einer bleibenden Wohnung, der werdende Staat
den Rome hier bewirkt, macht sie zur römischen Polias.
Freilich ist mit diesen Sagen griechischen Ursprunges nur
angedeutet, welche Auffassung man in Unteritalien und Griechenland
von der römischen Stadtgottheit oder nur von der Gründerinn Roms
hatte; aber für die bildliche Formgebung ist dies entscheidend, da
diese ja eben von den Griechen ausgehen musste; es erhellt aber aus
dem Vergleiche der Rome in den griechischen Sagen mit dem Genius
des Staates in den verschiedenen oben genannten Culten die bedeu
tende Verschiedenheit der Entwickelung der Allegorie bei den
Griechen und Römern.
3. Dass auch in künstlerischer Beziehung die Formen der Polias
auf die Roma übergingen, zeigen die Bilder derselben auf den römi
schen Consular- und älteren Familiendenaren 3 ). Es ist aber vor allem
*) Vgl. die den Camenen zu Grunde liegende Gedankenreihe hei Gerhard Gr. M.
§.987, 6 f.
2 ) Die weite Verbreitung dieser Sage an der apulischen Küste und in Sicilieu
u. s. w. siehe hei Schwegler I. c.
3 ) Es ist eine alte Streitfrage in der Numismatik, oh der auf der Vorderseite römischer
Consular- und Familiendenare vorkommende weibliche Kopf mit dem geflügelten
Vogelhelme jener der Minerva oder Roma sei. — Seit Olivierus der diese Frage
anregte (Saggi di Gort. IV, 133) , und seit Eckhel der in dem Kopfe den der
Minerva sah (D. N. V. V, 84), wurde sie vielfach berührt, aber nicht eingehender
behandelt, ausser von Aldini (Sul typo primario delle monete della Kepuhlica
Komana. Memorie di Torino Ser. II, T. III, 201 IT.), dessen Beweisgründe dafür,
262
F r i e d r i c h Ke 11 n er.
dabei festzuhalten, dass die Roma auf diesen Münzen noch nicht als
Göttinn (vgl. die Note) zu fassen ist, sondern nur als äusseres Zeichen
(lass dieser der Kopf der Roma sei, eben nicht sehr einleuchtend und überzeugend
sind. Es muss gerade dieser Punct in möglichste Klarheit gesetzt
werden, weil das Erscheinen eines R omakopfes in so früher Zeit
wesentlich für die Charakteristik der Roma wichtig ist. Ich habe
für dieselbe Ansicht welche die des Aldini ist, folgende Gründe: Das Gepräge
der Münze hat keinen anderen Zweck, als den Inhaber des Münzrechtes zu
bezeichnen; ob dies namentlich, oder sinnbildlich, oder durch Namen und Symbol
zugleich, mehr oder weniger künstlerisch geschehe, ist gleichgiltig. Nun prägte
Rom seinen ersten Denar nach und in Folge der Einigung Italiens unter seiner
Herrschaft (vgl. Mommsen R. G. 1, 294, 295). Die Benützung seines Münzrechtes
war gewissermassen eine der ersten Souverainetäts-Äusserungen Roms gegenüber
dem übrigen Italien und durch die Nachprägung des Denars nach dem Gehalte der
griechischen Drachme die thatsiichtliche Erklärung seines Eintrittes in das hellenisti
sche Staatensystem. Es musste daher dieses Münz recht Roms besonders hervor
gehoben werden. Man kann also verniiftigerweise in der Inschrift und den Typen
nichts Anderes als die Bezeichnung des Münzrechtes Roms erwarten. Ferner lässt
sich annehmen, dass Rom weder einen eigenen Typ für die Münze schuf, noch
dass es einen Vorgefundenen Typ sclaviseh annahm; dawider spricht die eigen-
thiimliclie Bedeutung der Münze. Unter den verschiedenen Ansichten über das
inuthmassliche Original des ersten Denars hat die Mommsen's darum am meisten
für sich, weil sie auf eine zugleich ihr Gewicht erklärende Thatsache gegründet
ist; er sagt ungefähr: Der Typus der Denare Du — und Tripondien, die vom
Jahre 264 v. Chr. weg erscheinen, ist der Typus von dem zugleich mit dem
Nominale nach Rom gewanderten Dupondium der Radseric (Röm. Münzw. V. 2.
S. 322; vgl. Lenormant bei Cartier numism. frang. VII. p. 251 Note 1), also des
weiblichen Kopfes mit dem Vogclhelme. Dieser Kopf ist nun bekanntlich schi-
streitig (vgl. J. G. Seidl, Altital. Schwergeld §.37). Cavedoni (in nuin. Fam.
p. 26) vermuthet die Anwendung von campanischen Künstlern bei der ersten
Miinzpräge, indem er sich auf die Ähnlichkeit der Denare mit den Münzen vonCaelium,
Cal es, Acerra beruft. Es liegt nun nach den früheren Andeutungen über die weite
Ausbreitung des Poliasculles und den mehr oder weniger durch locale Symbole
modificirten Gebrauch ihres Types als Symbols einer münzberechtigten Stadt (vgl.
die Münzen von Hyjrion, Velia, Heraclea, Thurium, Metapontum, Camarina, Syrakus
in Italien und Sicilien, Pella in Macedonien, Pcrgamos in Mysien, Amisos im
politischen Reiche, Phokaia u. s. w.) nahe, dass dieser Gebrauch in der Münzpräge
allgemein wurde, und dass im Sinne desselben der Typ des genannten Dupondium
bei der Übertragung auf den Denar eine Umänderung erlitt, mag er nun ursprünglich
von was immer für einer Bedeutung gewesen sein. Dass bei dieser Umänderung
Poliasformen angewendet wurden, zeigt der Kopf sehr deutlich. Der Bügel des Hel
mes springt in einen für den eines Greifes gehaltenen Vogelkopf vor, wodurch der
Helm das Aussehen eines phrygischen erhält. Der Greif kommt in dieser Gestalt in
etruskischer Kunstübung vor (Cavedoni Ragguaglio de precipue ripostigli antichi
not. 28. und Gerhard etrusk. Spiegel.S. 123, 167, 217). Er ist Symbol der Weltord
nung und Vorsehung (so auf Athena in Verbindung mit Apoll bezogen) und unüber
windlicher Kraft (so mit Nemesis verbunden). Vgl. Gerhard, Gr. M. 256, 4; 263, 4;
Die Rotna-Typen.
2G3
der Stadt, indem der Kopf mehr historischen als mythischen oder
ethischen Sinn hat. Nicht eine wie die Polias 7.11 Athen in Tempeln
312, 5a; 340, 4d. Durch die häufige Verbindung des Greifes mit Athene wird diese
die wahrende, hütende Göttinn; der Greif ist dann am Helme angebracht. Bei dem
oben erwähnten Ilervortreten der Symbolik in der griechischen Allegorie hindert
nichts anzunehmen, dass der griechischen Rome (der hütenden, wahrenden) der
Greif in demselben Sinne wie der Pallas zugetbeilt worden sei. Der Helm selbst
nimmt nur sehr selten die Form eines phrvgischen an (z. B. Caecilia Fig. 5); meist ist
er der mit einem künstlichen Bügel gezierte attische Helm, anliegend, mit deutlicher
Stephane und dem Nackenschild versehen. Dass übrigens der Greifkopf entweder
im Unvermögen ihn darzustellen in eine hlosse Arabeske verwandelt, oder im vollen
Unverständnisse ausgelassen wurde, zeigt beispielsweise der Denar der Cornelia
Fig. 7 und Junia Fig. (i. Der Helm ist also ursprünglich sicher das Krannon, der eng
anliegende der Polias. Eine merkwürdige Erscheinung hingegen sind die Flügel,
Eckhel bemühte sich a. a. 0. nachzuweisen, dass es geflügelte Köpfe der Pallas gäbe,
und berief sich auf mehrere Cameen (Zanetti Dactyl. nr. 2, p. 3;—Beger Thes.
Brand. I, 49), welche bald als Pallas-, bald als Alexanderköpfe ausgelegt, von Aklini
aber „vernünftiger“ auf die Roma bezogen werden, und in der Tliat Cinquecentos
sind, wie ein Blick auf die angezogenen Abbildungen und der Anblick zweier sehr
ähnlicher Cameen im k. k. Cabinete (Chalcedon, Helm ohne Flügel, vgl. Arneth,
Beschreibung des k. k. Münz- und Antiken-Cabinetes 1854, S. 85, nr. 27, und ein
Jaspis-Agath-Helm mit Flügeln, Arneth a. a. 0. nr. 33) lehrt. Der Flügel kommt an
Helmen auf griechischen Münzen nur in Italien vor, wo nämlich ein Kopf der an Pallas
erinnernden Stadtgottheit dargestellt ist (Metapont, Ileraclea, Thurium, Velia, Brut
tier, Camarina, Syrakus). Das weist darauf hin, dass der griechische Pallaskopf in
seiner Umdeutung als Stadtgottheit erst in Italien mit den Flügeln versehen wurde;
derselbe kam aus etruskischer Kunstübung, wo ja der Anschluss an die ältere korin
thische Kunst die reicher an Flügelgestalten war, enger und bleibend ist (Gerhard,
Die Flügelgestalten der alten Kunst, Berlin 1840, S. 3); schon Aldini vermuthet in
denselben das hauptsächlich bei den Etruskern bewahrte Zeichen einer schwungvollen
Kraft, das uralte Symbol göttlicher Sendung im nächsten Sinne des Wortes (a. a. 0.
p. 204). Durch die Flügel haben wir also die Begabung der Rome mit der Kraft eines
zum Schutze der Stadt herabgesendeten Genius ausgedrückt. Ohrringe und Hals
schmuck erklärt Aldini (a. a. 0. p. 205) aus dem hei den Latinern beliebten Auf-
wande mit Goldschmuck. Mag sein, dass bei der Bildung des Types diese nationale
Rücksicht einfloss; es bleibt sehr natürlich und aus den vielen Darstellungen der
Polias als Stadtgöttinn (auf den italienischen Münzen, die ffiginetische und Phidias-
Pällas) erwiesen, wie auch in vielen Gebräuchen ausgesprochen, dass man sich
bestrebte, das Bild der freundlichen ßurggöttinn mit aller Pracht des eigenen Lebens
zu schmücken, während die Künstler ihre Ileldengöttinn Pallas des Schmuckes gerne
entkleideten. Der Schmuck ist also eben ein Zeichen, dass dieser Kopf der einer
Stadtgottheit im Sinne der Polias ist. Die Formen des Kopfes lassen sich bei der allzu
schwankenden Qualität der Ausführung kaum verfolgen. Beständig bleiben folgende
Züge: der des „Kammes bedürftige Haarwurf“, der sicher von der Pallas entlehnt ist;
das feste vorstehende Kinn , das ebenfalls von derselben übertragen ward. Dagegen
abgeändert sind der in stille Betrachtung versenkte Blick der Pallas in die aufwärts
gerichteten freischauenden Augen der Roma und der Zug eiserner Strenge um den
Mund der Pallas in ein weit von dem Lächeln der hieratischen Figuren abstehendes
264
F r i e d r i c h Ke n n e r.
verehrte Göttinn, zu der man fleht, ist die Roma der älteren Münzen,
sondern zunächst nur die klare und deutliche Bezeichnung
des durch Klugheit und Tapferkeit errungenen Münz
rechtes der Stadt Rom in ganz Italien. Mochte Roma
immerhin den Helm, das Haar, den Schmuck der Pallas haben, sie
war deshalb doch nicht mehr in der Auffassung der Römer, als die
sieg-freudiges der Roma. So ist der später mit so grosser Vorliebe in der Kunst aus
geführte, mehr freie und stolze Charakter (vgl. YVinckelmann [Herausgeber] p. 303;
— Overbeck, ICunstarch. Vorlesungen p.30;— Visconti Pio Giern. II, p. 29. 30) der
Roma im Gegensätze zum strengeren der Pallas schon hier angedeutet. Wir haben
also in den genannten und dargelegten einzelnen Formen des Kopfes der Denare u n a b-
weislich Formen der Pallas P o I i a s; diese aber ebenso auffallend
abgeändert. Dass die Abänderung nicht in einer blos nationalen Verschiedenheit
der Auffassung der Pallas beruht, so dass dieser Kopf trotz den Abänderungen eine
Pallas vorstelle, geht daraus hervor, dass die römische Minerva in Statuen und selbst
auf den römischen Familienmünzeu nur selten ohne Aegis und immer ohne Schmuck
und Flügel erscheint (vgl. Clarac III, p. 1(52—194 und tables T. III, p. 437, und die
Münzen der Considia u. s. w.). Diese Abänderung muss also absichtlich und mit
bewusster Umänderung der durch die Formen ausgesprochenen Gedanken geschehen
sein. Mit Übergehung aller übrigen Puncte der Streitfrage und der Gründe der
gegnerischen Ansicht, welche nicht hieher gehören und deren Widerlegung- keine
bedeutende Verstärkung meiner Ansicht sein würde, hebe ich nur eine Behauptung
Aldini's hervor, weil sie aus dem Missverständnisse des Charakters der Roma hervor
ging und daher mehr für diesen , als die Frage überhaupt wichtig ist. Er fasst an
einer Stelle den Kopf der Denare nur als Emblem der Stadt auf, sagt aber an einer
anderen, Roma sei eine Göttinn niederen Ranges gewesen (a. a. 0. p. 206), denn sie
werde von Victoria — einer Göttinn niederen Ranges — bekrönt, also ihr von der
höheren und mächtigeren Victoria der Sieg verliehen. Ein scheinbar von der
Victoria bekrönter Kopf der Roma kommt aber nur einmal (Famil. Terentia Eckhel
D. N. V. V, 322; Riccio le monete delle famiglie antiche di Roma p. 219, Nro. 10)
vor; denn selbst auf dieser Münze ist die bekrönende Victoria nicht mit Roma in
Verbindung, sondern nur als Zeichen (Wappen) der Familie, wie so viele andere
Beizeichen ganz unabhängig von jeder weiteren Beziehung hingesetzt (ßorghesi Dec.
XVII, 033, 6; Cavedoni, Saggio di osservazione sulle medaglie di f. R. p. 283,
not. 103). Roma in ganzer Figur, sitzend dargestellt, wird von Victoria ganz unbe-
zweifelt so begleitet, dass letztere der ersteren einen Kranz entgegen- oder über sie
hält; aber abgesehen davon, dass dieses Entgegenhalten des Kranzes ebenso die
Gewärtigkeit des Befehles einer höheren Gottheit — so die Nike an des Phidias Zeus
(H. Brunn, Gesell, d. gr. Künstler I, 3, 169) — bedeuten könnte, ist auf den gedach
ten Münzen die Bedeutung der krönenden Victoria keine andere als die, den Gedan
ken der Sieghaftigheit der Roma überhaupt auszudrücken , ohne Rücksicht auf den
Rang der Gottheit; denn Victoria ist den Römern nur die Siegesbotinn und schlecht
hin nur den Sieg bezeichnend; und Roma ist, wie gesagt, nur die Stadt Rom;
die Verbindung heisst also nicht mehr als „siegreiches Rom“. Die anderen Gründe
meiner Ansicht (Stetigkeit des Types und seine Verbreitung) folgen im Texte
weiter.
Die Roma-Typen.
265
Stadl, in der sie wohnten, oder höchstens noch die Stadt Rom gegen
über von Italien, d. h. die regierende von allen Städten, der Mittelpnnct
der Halbinsel. Der Senat der ja diesen Mittelpnnct ausmachte, und
das Volk welches ja die Kriegsdienste tliat, konnten in diesem Münz
typ höchstens eine Feier ihrer eigenen Klugheit und Tapferkeit
sehen, aber nicht deren Erhebung zur Gottheit. Ehen in den Gedan
ken die im Typ der Münze ausgedrückt waren, lag jedoch die Ver
bindung, der geistige Zusammenhang zwischen der Roma und dem
Genius. Wie oben gesagt wurde, traten in demselben als dem Ideale
des Staates zu verschiedenen Zeiten Umänderungen ein, und diese
mussten auch auf den Münztyp der Roma als der allegorischen Dar
stellung des Staates übergehen. Freilich in dem Brustbilde auf der
Vorderseite, das als Repräsentation sich gleich bleiben musste, durf
ten wenig andere als die Veränderungen im Kunststile eintreten; aber
in jenen Typen, in denen die Roma gleich der Heldengöttinn Pallas
auf der Rückseite der Münze als mehr weniger künstlerische
Darstellung der Stadt in ganzer Figur erschien, ist jede Veränderung
des Ideales im Type getreu wiedergegeben und cs müssen deshalb
die Romatypen genau nach diesem Standpuncte betrachtet werden.
Für den Überblick der Schwankungen in der künstlerischen Darstel
lung habe ich einige Abbildungen des Kopfes aus verschiedenen
Zeiten (Fig. 1—4 von Consulardenaren, Fig. 3 der Farn. Caeeilia
um 11G, Fig. G der Farn. Junia um 82, Fig. 7 der Cornelia (Sulla)
um 83 v. Chr.) beigefügt *).
Die Stetigkeit, mit welcher dieser Typ sich immer wiederholt,
weist darauf hin, dass er eine Stadt repräsentire, wie in ähnlicher
Weise der Kopf der Polias auf athenischen Drachmen fortwährend
J ) In den Familienmünzen der Poblicia (1G4 v. Chr. nach der Chronologie bei Riccio le
monete delle familie antiche di Roma p. 32, 12) , Manlia (90—80 v. Chr.), Lutatia
(40 v. Chr.) erscheinen auf dem Helme des Kopfes statt der Flügel Federchen.
Borghesi (Dec. Ioss. 4; cf. Lenormant bei Cartier, nuin. frang. VII, 251 note 1) legt
vorzüglich diesen Kopfschmuck der Roma als Tochter des Mars zu, von welchem
dieses Symbol übergegangen sei. An dem Kopfe der Carisia, Manlia und Poblicia liissl
sich überhaupt aus dem Wurfe der Haare, dem deutlichen Greifkopfe des Helmes und
aus der Weichheit der Züge auf eine Roma schliessen. Auf einem zweiten Typ der
Poblicia und auf dem derLutatia halte ich den Kopf mit demselben Schmucke für einen
jungen Mars oder höchstens cineVirtus, wie die auf einer Münze der Fufia (Eckhel wie
l.c. p.220, Riccio 1. c. p. 94 n.l) dargestellt ist, da kein Kennzeichen des Romatypes,
wie er auf dem Denar erscheint, vorhanden ist, und die Züge des Kopfes (besonders
das Haar, der Kehlkopf) zu männlich kräftig sind.
266
F l* i e d r i c li K e n n e r.
gleich bleibt. Die Ausbreitung des Kopfes auf die Münzen der italischen
Republik, dann auf die barbarischen Münzen in Spanien und Gallien
ist von keiner weiteren Bedeutung, als dass die Republik der Bundes
genossen durch Nachprägung der römischen Denare den Cours ihres
Geldes über die Grenzen der aufständischen Landschaften sichern
wollte, da ihr eigener Credit noch nicht anerkannt war 1 )- Dass dabei
der Name Roma in den „Italia“ umgetauscht wurde 2 ), diene zur
Widerlegung von Olivierus der sagt, dass, wenn der streitige Kopf
die Roma hätte darstellen sollen, dieser Typ doch unmöglich bei
Roms erbittertsten Feinden Eingang gefunden haben würde. Die Auf
nahme desselben Types auf den Münzen von Spanien 3 ) (z. B. Valentin,
Carmo, Sagunt) und Gallien' 1 ) (z. B. der Petrocurier, Santonen,
Turonen, Eburonen, von Tornacum, Virodunum) beweist nur den
Anschluss dieser Völker und Städte an das römische Münzsystem,
ohne dass es also denkbar ist, dass Valentin durch diesen Münztyp
auf seine versteckte Namensähnlichkeit mit Roma hinweisen wollte,
woraus Aldini 5 ) seine Ansicht unter anderem bewies ; dass auf diesen
barbarischen Münzen bald der Flügel, bald der Greif, bald der
Schmuck weggelassen wurde, scheint wegen der Ungleiclimässigkeit
der Durchführung solcher Änderungen auf der blossen Unfertigkeit
der Präge zu beruhen, deren Tüchtigkeit gerade durch Ausführung
der feineren und complicirteren Theile auf eine allzu harte Probe
gestellt worden wäre. — Der Kopf der Consulardenare mit dem korin
thischen Helme (vgl. Fig. 1) entsprang campaniseher Kunstübung;
es erscheint darauf mit geringer Umänderung des Types Roma als
Heldengöttinn im Bereiche der griechischen Auffassung, ähnlich der
Pallas Hippia. Der Kopf der Silia 5 ), den Eckhel unbestimmt lässt,
ist nach seinen einzelnen Formen gewiss der Roma zuzuschreiben.
Wenn auch das Emblem des Schildes, der Reiter, im Allgemeinen
auf die Idee einer Heldengöttinn, als welche Roma hier gedacht ist,
*) Fr i ed I ä n der, Oskische Münzen, S. 72.
2 ) Millingen, Consideratio'ns sur Ja numismatique de Fancicnne Italie, p. 183, 3;
— Fried Länder a. a. 0. S. 71.
3 ) Vgl. Mommsen, R. G. 1, 493; 11, 280; — Florez, Medallas de las colonias ec.
de Espana t. LXV, 13; LXVIII, 5—8; — Mionnet I, SS, S. I, 110; — Ackermann,
Anc. coins Hispania p. 113. — Florez 1. c. t. XL, S. 6 ; LX1, 1. 14; — Mion net
I, 8, S. I, 18; I, 49, S. 1, 100.
4 ) 1. c. p. 203.
5 ) Eck hei D. N. V. V, p. 314; — Ricci o 1. c. p. 213.
Die Roma-Typen.
267
zu beziehen sein wird, so bleibt der Mond über ihrem Haupte selbst
durch die von Riccio gebrachte Stelle des Macrobius*) nicht hinläng
lich erklärlich, die sich offenbar auf eine spätere Auffassung der Roma
bezieht, wie aus dem Weiteren erhellen wird 2 ).
4. Die Betrachtung der anderen späteren Münztypen, in wel
chen Roma während der Republik dargestellt wurde, fordert, dass
der Faden der Weiterentwickelung des Ideales der Staatsverwaltung
vom Pyrrhoskriege an wieder, und zwar zuerst nach dem Inhalte,
aufgenommen werde. Diese Zeit zwischen Pyrrhos und Sulla ist die
wichtigste für die Bildung des römischen Weltreiches und die Aus
bildung der Romatypen. Es ist ein Beweis, wie getreu die Numis
matik als Darstellerinn der Geschichte ist, dass die Roma gerade in
dieser Zeit von den Münzen verschwindet. Wie die Idee des Staates
in der Zeit, als ihre höchste Entwickelung vorbereitet wurde, hinter
das Treiben der Parteien und ihre Verwirrung zurücktrat, um am
Ende wie neu geboren daraus hervorzugehen: so erscheint der Kopf
der Roma, als das Münzrecht von dem Staate auf den einzelnen
Triumvir oder Gewalthaber überging, nicht mehr und verschwindet
gegen die anderen Typen, freilich um dann als Göttinn wieder zu
erscheinen. Wenn also auch die Münztypen der Roma in der übrigen
Zeit der Republik wenige sind, so werde ich doch im ganzen Zusam
menhänge die Hauptpuncte der weiteren Entwickelung des Ideales
der Staatsverwaltung bis zur Vergötterung des Staates darlegen, weil
die Romatypen der Imperatorenzeit in derselben ihren Erklärungs
grund haben.
Der Grundgedanke bleibt die Stellung Roms in der Vereinigung
der beiden Culturbewegungen der griechischen und römischen Bil
dung, auf die ich im Eingänge hinwies. Mit der Ausdehnung des
Staates über das westliche und östliche Becken des Mittelmeeres war
*) Macrobius, Saturn. III, 9: „Alii Jovem esse crediderunt, alii Lun am“ (genium
tutelarem Romae).
2 ) Der Stern auf dem Nackentheile des Helmes der Roma, wie er auf einem Exemplare
der Caecilia im k. k. Cabinete erscheint (mit dem Typ Riccio I. c. p. 36, nro. 13;
Eck hei 1. c. p. 131), und oberhalb der stehenden Roma auf dem Typ der Furia
(Eck hei I. c. p. 222; Riccio p. 96. nro. 11) angebracht ist, dürfte sich auf Roms
Schifffahrt und Handel beziehen, dessen Symbole ja die Dioskuren auf der Rückseite
der ersten Denare sind.
268
Friedrich Kenner.
die Aufnahme von nicht blos landschaftlichen, wie die italischen,
sondern national verschiedenen Culturen der unterworfenen Völker
verbunden. Diese musste nothwendig auf die römische Nationalität
zerstörend wirken, besonders da die Römer längst den Kreislauf der
Entwickelung ihrer reinen Nationalität vollendet hatten und sie des
halb — wenn die von ihnen geschaffene geistige Cultur schon
ursprünglich nicht bedeutend war — in dieser Zeit ihrer Entnatio-
nalisirung durch keine nationale Cultur *) dem Einströmen fremder
Gegengewicht halten konnten. Eine Reaction aber des römischen Gei
stes gegen die Eindrücke fremder Culturen musste geschehen,— und
sie geschah auf dem Gebiete der Form. Der in die weitesten Formen
ausgedehnte Staatsmechanismus einer die bekannte Welt umfassen
den Universalmonarchie war der, wenn auch nicht allgemein klar
bewusst gewordene, Endpunct aller Bewegungen in dieser Zeit; gerade
dasjenige was jedem Staate in jener Zeit politischer Schwäche und
Unmündigkeit am meisten fehlte, das sollte in allumfassendem, gross
artigem Massstabe von den Römern ausgeführt werden. Es stand
somit der römische gleichsam als der formgebende den ihm unter
worfenen einverleibten Staaten als stoffgebenden gegenüber; darauf
beruht die in der Folge im besonderen nachzuweisende Sonder
stellung der Roma gegen die Götter weit anderer
Völker.
Um diesen Gedanken bewegt sich also die Geschichte der zwei
letzten Jahrhunderte; ich begnüge mich, die einzelnen Glieder der
Bewegung nur namhaft zu machen, in wiefern sie das Ideal der
Staatsverwaltung veränderten. Mit der Ausdehnung der Eroberungen
war es verbunden, dass die Darstellung der Familie im Staate als
Princip fast aufgegeben wurde. Es blieb nur das centrale Rom und
Beschränkung der Familie auf die höheren Kreise. Damit verschwand
die nationale Partei; statt ihres Gegensatzes gegen die hellenistische
trat mit der Verdrängung des freien italischen Bauernstandes und
mit der Benützung der Plebs als blosser Parteimasse eine schärfere
sociale Sonderung des herrschenden, nährenden und wehrenden
Standes ein, indem nur der Rathsherr, Kaufherr und Soldat Geltung
hatten; mit dieser ergab sich die neue Parteistellung zwischen der
l ) Vgl. Leo , Universalgeschichte I, 433, 434.
Die Roma-Typen.
269
Reaction und Revolution, welche zum Deckmantel ihrer gegenseitigen
Agitationen den Staat und das Wohl des Staates nahmen. So kam
es, dass nach Verdrängung des Volkes von der Theilnahme am Staate
alle Vaterlandsliebe nicht mehr war, als die evidente Nothwendigkeit,
wenigstens den Schein von Legalität für eigennützige Bemühungen
zu haben; damit verschwand nun einmal alle Innigkeit und jegliches
Gefühl vor dem Eigennutze in der Auffassung des Staates, und dann
entfernte sich der so zu sagen dichtende Theil der Nation, der niedere
Stand, der um alle Objecte seiner Wahrnehmung einen mehr oder
weniger märchenhaften Duft verbreitet, von einer naiven Auffassung
des Staates, was hinlänglich neben der oben bezeichneten Sonder
stellung erklärt, wie das officiel 1 e Moment in allen Alle
gorien auf den Staat so sehr in den Vordergrund trat.
Endlich blieb der Wehrstand und mit ihm im Ideal der Zug der
Tapferkeit im Vordergründe, besonders da er die äussere Erscheinung
für sich hatte. Wie der Triumph das sichtliche Zeichen einer neuen
Erwerbung, so blieb die Trophäe, die Waffe, die Rüstung das Sinnbild
des Unterpfandes für den Bestand und die Zukunft des Staates —
nämlich des kriegerischen Sinnes; der römische Staat der bis auf
August den Janustempel nicht mehr schloss, der immer im Krieg
oder wenigstens gerüstet war, fand auch die ansprechend ste
und passendste Mülle im Panzer. Aber gerade damals trat im
Wehrstande die Verschlechterung der Gesinnung ein; die altbürger
liche Tapferkeit, die Zucht, der kriegerische Geist wurden von der
sittlichen Schwäche jener Zeit ergriffen. Daher kommt die unge
bundene sinnliche Auffassung des Staatsideals; denn je
mehr die Tapferkeit ihr sittliches inneres Motiv — der Vaterlands
liebe, der Vertheidigung des eigenen Herdes u. s. w. verlor und nur
die blutige Kunst wurde, desto mehr änderte sich auch die sittliche Be
deutung des Sieges und seine ernste, höhere Auffassung; der Sieg war
doch nur der einer Partei, war nur Selbstbewährung der Kunst der
Tapferkeit, und nur Schuldigkeit des Legionärs. Dazu erregten die
vielen Siege, das Kriegsglück das den Römern so treu blieb, die
Ahnung einer Bestimmung des römischen Staates über den Erden
kreis zu herrschen und daher immer zu siegen, d. h. unbesiegt zu blei
ben. Sieghaftigkeit musste das stehende Attribut des
Staates werden. — Mit dem Auftauehen dieser Meinung an die
Bestimmung des Staates, die immer sicherer und nothwendiger wurde,
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXIV. ßd. II. Hfl. Jg
270
Fried rich K enner.
je grösser der Aberglaube in Folge des Eindringens orientalischer
Culte war, änderte sich endlich die Auflassung der Fortuna: jene ehr
würdige Jovisamme aus Präneste war in ihrer Wehrhaftigkeit ein Aus
druck sorgenvoller Ungewissheit der Zukunft gewesen. Diese Unge
wissheit gab es nicht mehr. Die staatliche Weltordnung lag in den Hän
den der Herrschenden in Rom, im rö mis ch en Regi men te schien
Fortuna verkörpert, sie wurde die launige Göttinn des Zufalles.
So war das Ideal des Staates und seiner Verwaltung immer mehr aus
der Sphäre der althiirgerlichen frommen Auffassung in die Wirklich
keit herab gesunken, die uns überall voll Verderben geschildert wird.
Es ist erklärlich, dass es bei dem Verschwinden seines sittlichen Ge
haltes der Ausserlichkeit der Kunst ganz preisgegeben war.
Es entstand aber diese Ausserlichkeit, um auf die Weiterentwick
lung der Formgebung der Roma überzugehen, daraus, dass der ganze
Schatz der hellenischen und hellenisch-orientalischen Götterformen
an sich schon ihres nationalen Gehaltes beraubt, bei ihrer Vereini
gung im römischen Pantheon weit Schlimmeres erlitten, indem sie bei
dieser Vereinigung alle Rereclitigung zu jeder noch so schwachen
Geltung einbüssten.
Sowie die Römer ein Volk seiner politischen Existenz beraub
ten, unterwarfen sie auch wenigstens formell die von ihm geschaf
fene Cultur, indem sie seine Götterbilder in Rom aufstellten. Dadurch,
dass sie die Fortdauer der religiösen Rcdürfnisse eines Volkes nach
seiner Unterwerfung anerkannten, hoben sie ihre Geltung für den
Staat auf, oder mit anderen Worten, unterordneten sie der Autorität
des Staates. Es ist klar, dass dieses indirecte Absetzen von Göttern
die eigene Religion untergraben und auf die Annahme einer halboffi-
ciellen Staatsreligion 1 ) hinausführen musste, deren Endzweck
der Staat und deren P r i n c ip die klugeAu fr echthalt ung
seiner Autorität war. Es fehlte eben nur noch der öffentliche
Act, wodurch diese längst vorbereiteten und privatim geübten Grund
sätze officielle Geltung erlangten. Von allen Göttern blieben die Formen
allein übrig, die mit jeder neuen Eroberung mannigfaltiger wurden,
*) Vgl. Mommsen II, 38G II'. Sie entstand, indem sieh einerseits die Gestaltlosigkeit der
stoischen Götter dem römischen Volksglauben, andererseits ihre, freilich dem Prin
cipe widerstreitende, durch die Nationalisirung gewonnene Geschmeidigkeit dem
politischen Treiben der hohem Kreise in Rom leicht anpasste.
Die Roma-Typen.
271
die, wenn auch mit hellenischem Geiste durchdrungen, sich nur
um so mehr zur allegorischen Darstellung jener Autorität des Staa
tes eigneten, als man einerseits es klug fand, den Staat mit den alten
Götterformen der einzelnen Völker zu bekleiden, umso die Anerken
nung derselben zu bezeugen, andererseits es als Act der Unterwür
figkeit nicht ausser Acht liess, dem Staate mit den Formen der eige
nen Götter ihre Attribute zu ertheilen, und somit Hochschätzung
zu bezeugen. Daraus entwickelte sich in der Folge die
offici el le Al legorie auf den Staat und den Imperator,
als der Zielpunct, in welchem die Äusserlichkeit der römischen
Kunst anerkannte Geltung fand.
Ich habe im Allgemeinen hier die zusammenhängende Entwick
lungs-Geschichte des Staatsideals und seiner künstlerischen Form
angedeutet, weil, wenn sie auch noch nicht sich in den Münztypen der
Republik im Ganzen äussern, dennoch ihr innerer Zusammenhang
und manche Erscheinung an ihnen darauf hinweist. Diese Miinz-
typen bringen die Roma in ganzer Figur und auf der Rückseite. Es
muss desshalb in Reziehung auf die Formgebung an das Früherge
sagte über Pallas hippia erinnert werden, welche in Redeutung einer
Heldengöttinn meist auf den Rückseiten der Münzen vorkommt, und
ferner darauf verwiesen werden, welchen Charakter sie in Anwen
dung auf verschiedene Städte erhielt. Wie nämlich der Kopf der
Polias hei seiner Verbreitung auf den Münzen als Emblem der mün
zenden Städte verschieden ausgedeutet wurde, indem auf dem Helme
desselben localisirende Symbole angebracht wurden, so verschwamm
bei der Anwendung der Hippia im Sinne einer als Heldinn gedachten
Stadtgöttinn dieselbe mit den von den hellenisirenden Verfassern
von Gründungsmythen so gerne herbeigezogenen Nymphen und
Amazonen, deren unbestimmte Zahl und Namenlosigkeit Gelegenheit
gab, sie nach einer Stadt zu nennen und für die Gründerinn derselben
auszugeben. In der Griechen Mythe sind ihre Städtegründungen
in Kleinasien 1 ) und Italien 2 ) bekannt; nur wurden sie nicht als die
kappadokischen Madienerinen, sondern mit Verschmelzung ihrer
D D u n e k e r’s Geschichte des Alterthums. I. 235 ff.
2 J Luynes in Nouvelles annales 1836, I, p. 417. (Die Gründung von Caulonia.)
18*
272
Fr ied r i ch Ke nner.
kriegerischen Seite mit jener der Pallas als Modification der Polias
aufgefasst. Dass nun auch auf die Roma der Amazonen-Charakter neben
dem der Pallas und besonders in der späteren Zeit, wo die mehr
sinnliche soldatenhafte Auffassung des Staates eintrat, eingeflossen
sei, ist sehr wohl erklärlich aus der kriegerischen Stimmung des
Staates und der entsprechenden Bildung seiner Jugend. Wenn man
auch in dieser Beziehung von der Sage, dass Pythagoras 1 ) habe
einen Frauenstaat inKroton gründen wollen, absieht — der doch das
Muster eines staatsklugen Mannes bei den Römern war, — so spricht
schon die Allgemeinheit des kriegerischen Ruhmes der Amazonen
über die ganze Erde, und besonders der Umstand für ihre bereit
willige Aufnahme in den Charakter der Roma, dass es der Militär-
Romantik sehr wohl gefiel, ausser den mythischen Helden auch Alex
ander den Grossen und Poinpejus 2 ) mit ihnen in Berührung kom
men zu lassen. Der von Phidias und Sosikles geschaffene Kunsttyp 3 )
der Amazone wurde das Vorbild, nach welchem die amazonenhafte
Roma gebildet ward.
Die Münztypen der Republik 4 ) welche die Roma in ganzer
Figur darstellen, theilen sich in zwei Gruppen, je nachdem sie eine
blosse Repräsentation der Stadt Rom zum Zwecke haben, oder eine
historische Erinnerung auf dieselbe beziehen. Die der ersten Gruppe
*) Luynes a. a. 0. p. 416.
2 ) Duncker a. a. 0. 1, 237.
3 ) Wiese 1 er Atlas zu K. 0. Müller, 1854. 1. Bd. Tb. XXXI.
4 ) Sie sind: Der Typ der weiblichen Figur mit den Auguralvögeln und der säugen
den Wölfinn (Fig. 9). Eck hei D.N.Y. Y 43, Ri ec io 1. c. p. 26. Die verschiedene
Auslegung dieses Types (Faustulus, Mars) kann nur auf Anschauung schlechterhal
tener Exemplare beruhen ; ferner ist der Inhalt dieses Types kein historischer,
sondern eine blosse Signatur, indem die einzelnen Figuren die Roma, die Augural-
vögel, die Wölfinn durch kein drastisches Motiv verbunden sind, sondern eben nur
ein jedes für sich die Stadt darzustellen hat. Dass diese die Roma darstellen,
beweist die Beischrift (ROma) auf dem Typ der Fufia, der in diesem Falle nicht
das Münzrecht, sondern die Figur bezeichnet. Dieser Typ der Roma kommt ferner
in grossgriechenländischer Kunstübung vor. Vergleiche die Münze der epizephyri-
schen Lokrer. E ckhel I. 176, mit der ebenfalls nur auf die Figur zu beziehenden Bei
schrift PQMH. Die Ähnlichkeit desselben Types mit der Münze von Aetolien, Eckhe 1
D.N.Y. II. 188, Mi on n et I, 86, S. III, 475;Terina Brutt. Eckhel I. c. 1,182; Mion
net I, 205, S. I, 352; der Mamertiner, M i o nn e t I, 257 mag mehr auf einer techni
schen Tradition in der Darstellung von Stadtgottheiten als auf unmittelbarer Copirung
Die Roma-Typen.
273
enthalten sitzende Romagestalten, durch welche der Charakter der
selben als der einer localen Schutzgottheit — majestätische Ruhe
und stetige Macht — bezeichnet ist, welcher den sitzenden Götter
bildern am heiligen Wege, dem der ilischen Pallas, des amykläischen
Apoll, des olympischen Zeus, der argivischen Herau. s. w. zu Grunde
liegt, sie ist als die kriegerische durch den Helm, den Cothurn und
die Schilde, durch das Parazonium und bei einigen durch einen kur
zen Chiton, endlich am unzweifelhaftesten durch Entblössung bald
der rechten, bald der linken Ernst 1 ) bezeichnet. Den Unterschied der
Auffassung des Ideales, wie er eben geschildert wurde, der altbür-
bürgerlichen von der jüngeren, sinnlichen, lehrt die Vergleichung der
Denare der Nonnia undPoplicia (Fig. 10), gegenüber dem der Vibia
(Fig. 11); in den ersten ist Roma mit einem längeren Cbiton bekleidet
und bei einer sehr leisen Bewegung von der ursprünglichen Steifheit
der Repräsentationen nicht viel entfernt; auf der letzteren scheint
sich der Figur die römische Kunst in ihrer ganzen Ausserlichkeit
bemächtigt zu haben, indem kriegerisches Feuer und sinnliche Be
wegtheit mit Vorliebe herausgehoben sind. Wie dort die Sieges-
göttinn von hoher Gestalt und auf Erden stehend gebildet ist,
des einen von anderen beruhen, wie Ca vedon i Raguaglio dei precipue ripostigli 1. c.
p. 167 meint. Der Typ der Nonnia um 82 v. Chr. Eckhel 1. c. p. 261; Ricc. p.
loi>, Nro. 1; der Pohliciaum 82 v. Chr. (Fig. 10), Eckhel p. 279; Ricc. p. 38,
Nr. 37, und der Vibia (Fig. 11) um 43 v. Chr. Eckhel p. 341, Ricc. p. 23a,
Nr. 14 auf Waffen sitzend von Victoria bekränzt; diese Typen bilden die erste
Gruppe. Ferner der Typ der Furia um 124 v. Chr. Eckhel p. 202; Ricc. p. 96,
Nr. 11, R. ein Tropaeum bekränzend; der Typ der Fufia (Fig 12) um 88 v. Chr.
Eck hei p. 220; Ricc. p. 94, Nr. 1, R. im Handschlag mit Italia; der Typ der Egna-
tia um 43 v. Chr. Eckhel p. 208; Ricc. p. 86, Nr. 2. R. mit Venus Gabina (?);
diese Typen bilden die zweite Gruppe, indem ihnen historische Motive zu Grunde
liegen; diese sind: hei dem ersten die Erinnerung an den dem P. Furius vom
römischen Volke verstatteten Triumph über die ligurischen Gallier 223 v. Chr.;
hei dem zweiten die Beendigung des italischen Krieges, hei dem dritten nach Cave-
doni (Append. al. saggio p. 93) die Bezeichnung der Herkunft des Monetarirs
aus Gabii — vielleicht aber schon mit irgend einer Beziehung auf die Stamm
mutter des julischen Geschlechts Venus.
*) Dieses Symbol beruht kaum auf einer Erinnerung an die Göttinn der Säuglinge
Rumia oder die Jovisamme Fortuna, als vielmehr auf Copirung des Amazonen-
types vor Phidias, und wurde daher nicht im Sinne von Mütterlichkeit, sondern von
kriegerischer Abhärtung angewendet.
274
Friedrich Kenne r.
erregt sie den Gedanken einer die Kraft der menschlichen Natur
überragenden, nach hohem Befehlen handelnden Gottheit. Dagegen
stellt die Victoria der Vibia nicht mehr die ernste Bedeutung und
besorgte Hoffnung des Sieges dar. Sie ist die kleine flatternde Sieges-
botinn, das tändelnde Beiwerk das sich von selbst versteht. In
vollkommener Amazonentracht tritt Borna hier den Erdenkreis *),
das ühermüthige, auf Sieg und Macht trotzende Weib. Aus diesen
Typen folgt also das Sinken des Ideals und die Auffassung der Roma
als Beschützerinn der Stadt, indem sie als solche eine siegreiche
weltherrschende, amazonenartige Pallas ist. Die Typen der zweiten
Gruppe sind darum wichtig, weil sie die verschiedene Bedeutung der
Roma aus der verschiedenen historischen Auffassung erklären; ob
wohl sie nämlich überall als die kriegerische erscheint, ist sie doch
im Typ derFuria vorzüglich die Siegreiche, im Typ der Futia vor
züglich die Friedenschliessende, im Typ der Egnatia vorzüglich die
Einträchtige. Unter ihren vielen Attributen ist also eines vor allen
anderen besonders hervorgehoben. Diese weniger ideale als reale
Auffassung, die Vielgestaltigkeit ihres Wesens, die Verschiebbarkeit
der ihr zu Grunde liegenden Gedanken, je nach der klaren und nüch
ternen Anwendung auf ein besonderes Verhältnis des Staates, mit
einem Worte diese Beweglichkeit ihres Inhaltes ist der echt römische
Zug der Romaallegorie.
Schliesslich ist, indem wir Vorbildung und Vorbereitung der
Romatypen während der Republik überschauen, zu bemerken, dass
Roma auch nach ihrer Weiterentwickelung die Geltung einer Gott
heit nicht erhielt. Sie hatte nach Aufnahme des Hellenismus zwar
eine plastische Form erhalten, mit welcher die Züge der alten Con-
cordia, Victoria, Fortuna u. s. w. vereinigt wurden, aber die Geltung
des Staates vor allen anderen Staaten, seine Autorität über jeden
andern, seine überordnende Sonderstellung gegen alle anderen Cul-
turstaaten war, wenn auch in der Geschichte klar hervorgetreten,
doch noch nicht zu officieller, allgemein verbindender Anerkennung
gelangt. Und darauf beruht die Gottheit der Roma; denn wie schon
*) Ich konnte weder aus dem Exemplare des k. k. Cabinets, noch aus den Abbil
dungen bei Morelli, Vailland, Ricoio entnehmen, welches das Zeichen auf der Erd
kugel sei.
Die Roma-Typen.
275
aus dem Sinken des Ideales bis zur Wirklichkeit herab zu schliessen
ist, war sie eine irdische Gottheit, ohne Idealität, deren Wesen in
der Überlegenheit ihrer materiellen Macht über jede andere Macht der
bekannten Erde und in der politisch nothwendigen Anerkennung und
Achtung dieser Macht lag.
II. Abschnitt.
Die Roma-Typen in der Zeit der Imperatoren.
Einordnung aller Cultureu in einen Staat und Vereinigung aller
Völker unter eine Verwaltung war das Resultat der beiden letzten
Jahrhunderte der römischen Republik. Damit kam die geistige Thä-
tigkeit des römischen Volkes zum Abschlüsse. Caesar's und Augustus’
Weltmonarchie war die officielle Anerkennung der Geltung des
römischen Staates vor allen anderen Autoritäten. In
dieser seiner Höhe muss der Staat gegenüber den Provinzen und dem
, Imperator betrachtet werden. Gegen jene war er der Inbegriff aller
geistigen Thätigkeit des Altertbumes, in sofern diese nach Rom
strömte. Das Eigenthum jeder Nation war in Rom zusammengetragen,
daher hatten Alle Ansprüche auf die Stadt die ihre Interessen barg
und vertrat, aber auch Pflichten, so dass wohl die ganze Summe ihrer
politischen Obliegenheiten Rom zum Gegenstände hatte, zumal da die
politische Stellung Roms gegenüber der unbeholfenen Lage des
Orients unerreichbar hoch geworden war. Die Imperatorenwürde
bildet den Schlussstein des Staatsmechanismus; in sofern verhält er
sich zum Staate als erhaltendes Princip zum Inbegriffe der verschie
denen alten Culturen. Auch in der Auffassung dieser Verhältnisse
des Staates traten Änderungen allgemeiner Art ein. So lange die
griechische Bildung noch mit einiger Frische wirkte, standen Impe
rator und Staat auf einer gewissen Höhe der Humanität und ihre Dar
stellung erfreute sich einer grossen Mannigfaltigkeit und Feinheit der
Formen.
Mit dem Ableben der Dynastie der Antonine flogen die ersten
Schauer über das Weltreich, die untrüglichen Zeichen, dass es mit
dem Leben desselben ein Ende habe. Philosophie und Kunst die
noch einigermassen die Öde der irreligiösen Zeit deckten, waren hin-
276
Friedrich Kenner
weg — was noch blieb, war die blinde, wehrlose Sinnlichkeit. Die
Prätorianer und die dreissig Tyrannen waren für die Gottheit der
Roma die entsprechende Menschheit, und diese Menschheit war es,
in der Roin unterging. Der strengere, nüchternere Charakter der
folgenden Zeit, die Regierungsinaximen eines Claudius, Aurelian
Probus, das Hinneigen zum Christenthume, die Gemiithlosigkeit der
Kunst gibt Zeugniss, dass das betäubende Element der „abgestan
denen“ griechischen Bildung, der Bedinguug für die Aufnahme des
Orients und für die Schöpfung des Verwaltungsmechanismus, über
wunden, das antike Culturleben zu Ende gekommen war. Es wird weiter
unten nachzuweisen sein, in welchen Typen die Roma erschien; hier
sei nur bemerkt, dass der allgemeine Charakter der sich in ihnen aus
spricht, den eben angedeuteten Veränderungen in der Auffassung des
Staates entspricht. Anfänglich ist sie die wahrhaft weibliche Bildung
einer starken, anstandsvollen und mütterlich besorgten Hausfrau; sie
wird darauf die vorwiegend kriegerische, blutige Legionsgöttinn von
freierem, rücksichtsloserem Äussern, endlich wird sie wieder das
klare und nüchterne Abzeichen, das Wappen von der grossen Stadt
Rom, nach welcher die Völker des Nordens drängen; die spärliche
Symbolik die sich bis dahin erhalten haben mag, blieb das Zeichen
eines im Meere der Zeit untergegangenen Reiches, weit in die Völ
kerwanderung hinausragend; was noch zu Tage kam, war der Schaum
wunderbarer Märchen von Roms Helden und Roms Kaisern.
1. Das Gesagte nachzuweisen, gebe ich zunächst eine gedrängte
Übersicht des Imperatorencultes, der zur Beleuchtung des Romacultes
und ihrer Typen die nothwendige Parallele bietet. Die Auffassung der
imperatorischen Würde als des Schlusssteines der Staatsverfassung
bezeugen die Beinamen, die Typen die ihnen beigelegt werden, und
die Ceremonien ihres Cultes. Die Beinamen sind Pater, Mater, Pius,
Felix 1 ); der Imperator als pater patriae, pater senatus, so wie die
Imperatrix als mater patriae, mater senatus, mater castrorum, genetrix
orbis gedacht, sind der Familien- oder Hausvater und die Hausmutter,
im Sinne jener Grundform des Staates — der Familie, — also die
Obersten. Pius 2 ) bezeichnet die Menge von zarten Rücksichten und
!) Eck hei D. N. V. VIII, p. 450 f.
2 ) 1. c. p. 453: „Piusa Romanis dicebatur, qui omnia ofiicia, quae diis, parentibus, san-
guinejunctis, amicis, patriae, principi, civibus debentur, prompte et religiöse implevit.“
Die Roma-Typen.
277
Obliegenheiten die der Imperator beobachten musste, da er in dem
Mittelpuncte von so vielen, das Wohl aller Völker seines Reiches tief
berührenden Interessen stand. Felix sollte bezeichnen, dass das Glück
das den Römern bei der Erwerbung des Reiches so hold gewesen
war, das die Ahnung einer Bestimmung Roms erregte, auch die Erhal
tung begleiten wird. Der Imperator kann kraft seiner Majestät, als
des Ausflusses der geistigen Thätigkeit des gesammten Volkes, nur
im Sinne jener Weltbestimmung handeln, und so sollten seine Bestim
mungen wie die Fügungen des Fatums gelten. Es wurde oben gesagt,
dass die officielle Allegorie auf der Äusserlichkeit der römischen
Kunst beruhe, und bezüglich dieser auf Entnationalisirung der
griechischen Formen hingewiesen. Die den Imperatoren und ihren
Gemahlinnen beigelegten Formen sind die: des Zeus des Mars 2 ),
des Hercules 3 ) und localer Gottheiten, z. B. des Gottes von Ilium 4 ),
des Zeus Akmoneus 5 ), des syrischen Sonnengottes 0 ), des Mythras 7 )
u. s. w., ferner: der Juno 8 ), Venus 9 ), Kybele 10 ), Proserpina u ). Die
Ceremonien ihres Cultes sind besonders Consecration 12 ) und vota 1S ).
Dadurch wird der Imperator als Gottheit in Tempeln und von Priestern
*) Z. B. Tiber als Zeus Nikephoros (Tiber’s Schwert in Mainz. Bul. 1849, p. 88), Dio-
cletian als Jupiter, Eck hei D. N. V. VIII, p. 9. Caligula, der des Phidias olympi
schen Zeus holen und dem Rumpfe seinen Kopf aufsetzen lassen wollte (Tranquilin.
in Calig. XXII). Iladrian's Beiname „Olympius“ (Mionn. S. V, 317; S. VI, 137).
2 ) Die Darstellung 1 von Septim. Severus als Mars.
3 ) Von Trajan, Hadrian, Commodus, Gallienus, Probus, Valerius, Maximian, Maximin
als Hercules, wohl im Sinne einer rascheren und blutigeren Zeit (C a r t i e r numis-
matique Frangoise 1843, X, p. 214) u. s. w.
4 ) Von Claudius als 0EOC lAIsmv, Mo re 11 i Imp. Tab. VII.
5 ) Von Nero als CEIJACTOC AKIVIONEVC, Haym P. II, t. XXVIII.
6 ) Von Elagabalus als „Emisenorum Syriae Deus“ (Sol), Mionn. V, 229.
7 ) Von Gordianus als Mythras in Tarsos Kilik. Mionn. S. VH, 282.
8 ) Es erscheint der Junotyp als Symbol der Herrschaft bei Livia, Messalina, Fulvia,
Plautilla. Jul. Soaemias.
9 ) Der Venustyp, wohl als Symbol versöhnender Macht und des Wachsthumes des
Volkes bei Julia, Jul. Soaemias u. s. w. In diesem Sinne heisst Julia speciell
genetrix orbis. Als eine der syrischen Mond- und Geburtsgöttinn entsprechende
Gottheit wird die Imperatrix auf dem Sechziger seit Caraealla (Mommsen, Ver
fall d. r. Miinzwesens S. 229) durch Mond und halbe Erdkugel bezeichnet, wie
den Imperator die Strahlenkrone als Sonnengott charakterisirt.
10 ) Der Kybeletyp (als Staatsmutter) bei Jul. Domna.
11 ) Der Proserpinatyp bei Faustina Junior (Mionn. II, 341, S. V, 323).
12 ) Eck hei I. c. p. 436.
,3 ) I. c. p. 473.
278
Friedrich Kenner.
verehrt, Gebete und Feierlichkeiten werden für sein geistiges und leib
liches Wohl, für glückliche Rückkehr von Kriegen und Reisen ange
stellt; dergleichen geschieht an Geburts- und Vermählungstagen, zu
Anfang des Jahres und hei erneuter Regierungsübernahme. Der
Begriff der Majestät des Imperators war die höchste Autorität, die
Person desselben die höchste und vollkommenste. Weil aber dennoch
von der physischen Wesenheit zu abstrahiren war, war eigentlich
der Genius des Imperators das höchste Denkbare des Staates
und der Erde. Der Gedanke an diesen war heilig, der Schwur bei
ihm heiliger als bei jeder andern Gottheit. Sonach ist der Imperator
gewissermassen eine Incarnation des Genius, und wie früher der
Genius des Staates in den Mittelpunct von Attributen versetzt wurde,
die alle den Staat fördernden Momente allegorisch darstellten, so
wurden diese jetzt auf den verkörperten Genius, den
Imperator, bezogen 1 )- Es lag endlich mit Beziehung auf die
*) Es ist diese Anwendung- der fordernden Momente der Staatsverwaltung als Attri
bute des Imperators der Grundzug der officiellen Allegorie, die sich um den Iinpe-
ratorencult gruppirt und in verschiedenen Situationen und Ereignissen eine lange
Reihe anwendbarer Motive zu Münztypen fand. Sie theilen sich in drei Gruppen,
deren Hauptgedanke der Conservatismus ist. In die erste gehören
jene Götter griechischen Ursprungs, die vermöge politischer Momente in ihrem
Gedankenkreise das Ideal der Staatsverwaltung oder einzelner Zweige derselben
insbesondere darzustellen geeignet waren. Es wird nämlich im Allgemeinen
Apollo, Hercules, Janus, Jupiter, Mars, Mercur, Neptun, Serapis als „Conservator“
und Juno, Diana als „Conservatrix“, ausserdem der eine und andere der genann
ten Götter als Comes, Defensor, Propugnator, Tutator, Ultor bezeichnet, natürlich
mit nächster Beziehung auf den Imperator als Münzherrn , oder es wird im Ein
zelnen ein Gott, und wieder mit nächster Beziehung auf den Imperator durch
den Beinamen: Exsuperator, Invictus, Martialis als Ideal der Wehrhaftigkeit, durch
den Beinamen: Pacator, Pacifer als Ideal der Versöhnlichkeit und Eintracht; durch
den Beinamen : Victor, Victrix als das der Sieghaftigkeit; durch den Beinamen Praeses
und Regina als das der Herrschaft gedacht. In die zweite Gruppe gehören blosse
Allegorien ohne weitere Reminiscenz an den griechischen Olymp, als das Symbol
verlangt. Sie beruhen auf Idealisirung historischer Thatsaclien und somit ist Alle
gorie und Symbolik ihr eigentliches Wesen. Es werden in denselben die Ideale
der Staatsverwaltung, z. B. (Maritas, Constantia, Magnificentia, Perpetuitas, Quies,
Religio, Sapientia, Tulela, Ubertas u. s. w. durch ein beigesetztes Augusti-orum,
Caesaris-ruin auf den Imperator bezogen, oder dessen Handlungen werden alle-
gorisirt, zum Beispiel: Adoplio, Rex datus — Adlocutio, Consensus, exercitus, signa
recepta — Consensus senatus — Decursio, Profeetus, Advenlus u. s. w. Öder es
werden die Eigenschaften des Imperators idealisirt (ähnlich dem ersteren Falle),
z. B. Abundantia, Aequitas, Annona, Bonus evenlus, Clementia, Concordia, Fecun-
ditas, Fides, Fortuna, Indulgentia, Justitia, Juventas imperii, Liberias, Moderatio,
Die Roma-Typen.
279
Formgebung in der Dualität der imperatorischen Person selbst der
Anlass, diese durch die bekanntesten Dualitäten von männlichem und
weiblichem Principe der griechischen und orientalischen Mythologien
darzustellen.
2. Obwohl der verkörperte Genius, wird der Imperator doch
meist nur indirect mit all’ den Attributen des Genius bekleidet, und
dies wohl darum, weil seine Person doch zu individuell war. Dagegen
war die Idee des Staates sehr geeignet, in den mythischen und alle
gorischen Formen zu erscheinen; dafür gab es so viele Analogien
von Stadtgottheiten u. s. w. in allen Mythologien, dafür hatte selbst
Roma schon eine künstlerische Vergangenheit. Nur diese Verände
rung ist zu bemerken, die in der Auffassung ihres Gedankenkreises
vor sich ging, dass selbst der noch so geringe ideale
Hauch aus dem Inhalte ihrer mythologischen Formen
entschwand, sowie die Idee des Genius auf den Impe
rator überging. Denn jetzt war sie der Weltstaat selbst, nicht
ein darüber waltend gesetzter Genius, nicht die Idee irgend einer
geistigen Macht die sich im Staate offenbare, sondern das getreue
Bild des Weltreiches mit seinen historischen Zuständen und realen
Kräften, in dem sich alle Veränderungen des Urbildes genau abspie
geln mussten. Ihr Verhältniss zum Genius war das des Staates zum
Imperator, ihr Verhältniss zu fremden Völkern das des öffentlichen,
ofliciellen Lebens zum Privatleben. Sie erschien in den Götterformen
aller Völker, nicht als ihre wirkliche nationale Gottheit, sondern
nur um den Staat nach allen Beziehungen zu repräsentiren, für
die jene Götterformen der idealste Ausdruck der Kunst geworden
waren. Darnach erscheint Roma in dreifacher Beziehung als die
herrschende, die nährende und wehrende. Ihr entsprechen in jeder
Beziehung mehrere Formen, die in der Grundidee für jede jener
Beziehungen je einen Typ der Roma bilden.
Ops, Pax, Pietas, Providentia, Pudicitia, Salus, Securilas, Spes, Ubertas, Utililas,
Virtus und Aeternitas, Alacritas, ßeatitudo, Felicitas. Die dri 11 e Gruppe umfasst
die Darstellungen von Ländern und Städten als blosse Repräsentationen und in
bestimmter Beziehung zu Rom und dem Imperator, so: Adiabene acquisita, Arme-
nia capta , Armenia et Mesopotamia in potestatem redacta, Asia recepta, Dacia
Aug. provincia, Germania capta subacta, Judaea capta; endlich Allegorien auf
Flüsse und Bauten. Es erhellt daraus, wie mannigfaltig das Ideal der Staatsver
waltung geworden, wie entwickelt damals schon die Allegorie war.
280
Friedrich Kenne r.
Die herrschende R o m a.
Abgesehen von den vielen rühmenden Erwähnungen der Stadt
Rom linden wir die Herrschaftsidee 1 ) bald nüchterner, bald poetischer
in den classischen Schriften von Cicero 3 ), Vergilius 3 ), Livius 4 ),
Horatius 5 ), Tibullus 6 ), Gratius Faliscus 7 ), Ovidius 8 ), Lucanus 9 ),
Martialis 10 ), Tacitus lf ), Ausonius 12 ), Rutilius 13 ); die Anwendung auf
das christliche Rom machen Optatianus 14 ),Prudentius 15 ).Als die herr
schende hatRoma, wenn nicht durchgehends die künstlerische äussere
Form 10 ), doch die Idee der Hera in sich. Es ergibt sich dieses von seihst
1 ) Vgl. hiezu die oben angeführten Götterformen der Gemahlinnen der Imperatoren
und der Beiname der Vesta als mater, die auf Ergiebigkeit des Bodens vielleicht
auch auf Wachsthum des Volkes gerichteten Namen Frugifera, Lucina, Lueifera
(vielleicht im Sinne einer lunarischen Gottheit), endlich Genelrix.
2 ) De orat. I, 44: „quae una in omnibus terris est virtutis imperii dignitatis.“
3 ) Georg. II, 634: „rerum facta est pulcherrima Roma.“ — Aen. III, 168: „impe-
riumque Vrhi dabimus.“ — Aen. VII, 603: „maxuma rerum.“
4 ) 1, 16: „Celestes ita veile, ut mea Roma caput orbis terrarum sit: proinde rem
militarem colant sciantque et ita posteris tradant, nullas opes humanas nrmis
Romanis resistere posse.“ — XXI, 30: „Romam orbis terrarum caput.“
5 ) Od. N. (4), 14: „Dominaeque Romae.“
6 ) II eleg. 6. 66: „Roma tuum nomen terris fatale regendis“ etc.
7 ) Cynegetic. 324: „— — ergo illi ex habitu virtutisque indole priscae Imposuere
orbi Romam caput.“
8 ) Trist, el. VII, 61: „Dumque suis victrix omnem de montibus orbem Prospiciet
domitum Martia Roma legar;“ — Fast. II, 683: „gentibus est aliis tellus data
limite certo; Romae spatium est Vrbis et orbis idem.“
9 ) Phars. II, 666: „Ispa caput mundi hellorum maxima merces.“
10 ) Epig. X, 118: „Terrarum dea gentiumque Roma, Cui par est nihil et nihil
secundum.“
11 ) Hist. II, 32: „caput rerum Vrbem.“ — Ann. III, 47: „Vrbs, unde in omnia regimen.“
12 ) Ordo nob. urb. I, 1, v. 9: „Rerum dominam et Latii parentem.“
13 ) De redit. suo I, 47: „Regina pulcherrima mundi Vrbem fecisti, quod prius orbis
erat.“
14 ) Organ. 16: „Jam Roma culmen orbis dat munera.“
15 ) Passio S. Laurenzii beat. mart. 418: „(Christus) qui sceptra Romae in vertice
Rerum locasti, sarciens mundum Quirinali togae servire et armis cedere.“ — 440:
„mansuetum summum caput.“
16 ) Jos. Flav. Antqq. Judaic. XV, 13 und Bell. Jud. I, 16: „'Pcop.7)<; 8s laoq xoXooctö? "Hpa
tvj xax’ 'Apyo?“ — Vgl. damit die Roma auf dem grossen Wiener Camee bei Eckhel
Choix des pierres gravees etc. pl. I; Arneth, Die antiken Cameen des k. k. M. u.
A. C. Taf. I. Ferner einen zweiten Camee ebenda Arneth a. a. 0. pl. IV.; den Mar
morkopf im unteren k. k. Belvedere mit den ausgesprochenen Herazügen, Arneth,
Beschreibung der zum k. k. M. u. A. C. gehörigen Statuen etc., S. 26, n. 166. Die Statuen
Die Roma-Typen.
281
aus dem oben Gesagten von der Dualität der imperatorischen Würde.
Wie Beispiele gegeben wurden, dass entsprechend der olympischen
Zeusform des Imperators die Irnperatrix als Hera gedacht ward,
so geschah es auch, dass dem Imperator statt der Gemahlinn die
Allegorie des Staates, nämlich Roma als .Ssä avvSpovog gestellt wurde,
in welchen Fällen sie dann die Heraform hat. Daher gehört die Ver
bindung der Roma mit dem Imperator als dem Herrschenden
überhaupt in diese Gruppe; als diese ist sie die dem Imperator Sieg J ),
Schutz a ), Herrschaft 3 ), Frieden 4 ) bringende, oder eine festliche 5 )
bei Clara c. Musee des sculptures, n. 1903, pl. 332; 1903 A, pl. 770 E; 1904,
pl.76S;892r, pl.474. Die von Monaldini (Nov. Thes.pl. 111, p.2) mitgetheilte Gemme
ist auf die mit einem Imperator verbundene (gliickwünseheiide vgl. unten), den Erden
kreis beherrschende Roma und nicht auf Pallas zu deuten, die den versagten Parisapfel
mit Verachtung tretend von einem Dichter angefleht werden soll. Als Herrschafts-
göttinn ist Roma auch in jener berühmten Freske geschildert, die Montfaucon
T. I, p. 294, pl. CXCIII. und Sickler und Rein hart im Almanach aus Rom
(Titelblatt, S. I) mittheilen. Die Zeichnung der Togaverbrämung ist leider nirgends
auszunelimen. Endlich erscheint die Idee der Herrschaft noch in den Typen, in
welchen Roma — gleichsam als politische Zeitgöttinn — allein oder in Verbindung
mit Neurom einen Schild mit der Zahl der Vota hält. So erscheint sie auf den
Münztypen von Licinius dem Alteren und Jüngeren, von Constantin dem Grossen,
Crispus Constantius dem Jüngeren, Val. Maximian, Constantius Gail. (Fig. 3). Vgl.
Admiranda Romanor. antiq. 1. 45.
*) Die für die typischen Nüancirungen der Roma in der Folge beigebrachten Bei
spiele von Miinztypen sind aus Rasche, Lexieon rei nummariae v. Roma und ver
glichen mit Mionnet, Deseription des medailles etc.; Arneth, Synopsis numorum
Romanorum, J. Ackermann A descriptive cataiogue of rare and united Romana
coins. So übergibt Roma dem Imperator eine geflügelte, auf ihrer Hand oder der Erd
kugel schwebende Victoria (Trajan, Salonina, Aurelian, Tacitus,Mauritius, Constan
tin der Grosse etc.) oder erhält eine solche vom Imperator (Trajan, M. Aurel etc.), —
2 ) oder Roma übergibt dem Imperator ein Palladium und hiemit die Machtvoll
kommenheit des Schutzes, wie in ähnlicher Weise Clunia Sulpicia in Spanien
gegenüber Galba dargestellt wird (Titus, L. Aelius), —
3 ) oder Roma übergibt dem Imperator die Weltkugel (Gordian P., Probus, Con
stantin der Grosse u. s. w.) oder erhält eine solche vom Imperator der etwa von
einer Victoria gekrönt wird (Commodus), d. h. der siegreiche Imperator gibt der
Stadt die neubefestigte Herrschaft zurück.
4 ) Roma übergibt dem Imperator einen Zweig (Hadrian), einen Kranz (Gordian P.),
Ähren (L. Verus), oder erhält vom Imperator einen Zweig (L. Verus).
5 ) Vitellius, Nerva, Hadrian, Ant. P., L. Verus, Gordian P.; auf allen, ausser bei
Vitellius, sitzt Roma (vgl. oben über die Sitzbilder), während der Imperator stellt,
bei Vitellius ist es umgekehrt. Im Handschlag erscheint Roma mit Vitellius,
Hadrian, Ant. P., L. Verus, Gordian P.; ferner wird Roma im Tempel und der
Imperator ihr opfernd dargestellt (Commodus, Alexand. Sev.), oder der Imperator
bekränzt sie (Patrai Ach. Fröhlich teilt, p. 91. — L. Verus).
282
Friedrich Kenner.
und autorisirende *), begleitende 2 ), endlich auch eine vom Imperator
unterstützte 3 ) Gottheit. Als Herrschaftsgöttinn steht sie mit Zeus in
Verbindung 4 ); wo sie allein erscheint, ist ihr Heracharakter durch
die Stola und Bekleidung der Brüste, beständiger aber durch die
Weltkugel 5 ) und die hasta pura 6 ) bezeichnet. Endlich beruht auf
diesem Gedanken der Herrschaft ihr Beiname Aeterna oder Perpetua
und gegenüber dem Imperator Colonia (Augusti), und grösstentheils
ihr Tempelcult, wovon weiter unten.
Die nährende Borna.
Ich schicke den Stellen hierüber das Princip der Formgebung
der nährenden Roma voraus. Es beruht darauf, dass mit dem Ein-
strömen der weiter oben genannten (besonders der syrischen) Göt-
terculte für die Dualität eines männlichen und weiblichen Principes
im Staate Analogien sowohl in mythologischer als künstlerischer
Beziehung gegeben waren, die durch das intensive Feuer ihrer Orien-
*) 2 ) So bei Hadrian’s Adoption durch Trajan; so eilt sie dem vierspännigen Triumph
wagen des M. Aurel, voraus und begleitet mit Mars den Wagen der Philippe.
Ähnlich ist sie auf dem Triumphbogen des Titus (Rubeis veteres arcus augusto-
rum Rom. 1G90, fol. tb. 4) und des Constanlin (admiranda Romanorum antiq. tb. 18
und 33) dargestellt, wo sie zugleich als Weih von Riesengrösse und Stärke erscheint.
3 ) So die Roma restituta und resurges von Galba (Fig. 15), Vitellius, Vespasian,
Hadrian. Es richtet nämlich der Imperator entweder eine vor ihm in die Kniee
gesunkene weibliche Figur auf, indem die behelmte Roma dabeisteht; in diesem
Falle ist jene als die Liberias des Staates zu deuten, deren Name ausdrücklich
mit diesem Typ verbunden ist (Morelli Imp. T. 2, p. 163 und p. 164); oder die
Roma als kriegerische kniet selbst flehend vor dem Imperator, der sie mit der
Rechten emporhebt, indem sie ein Kind auf dem Schoosse hält, das sich gleichfalls
gegen den Imperator wendet, und wohl nicht auf eine bestimmte Weise irgend
eines früheren Imperators, sondern im Allgemeinen als Allegorie auf die bedrängte
und hilflose Lage des herrscherlosen Reiches zu deuten ist.
4 ) Mit dem Blitze erscheint närnlich Roma bei Hadrian, wo sie zugleich die Hasta
pura hält; mit dem Adler in Tyros (Trebon. Gail, und bei Geta); ein auf ihr
Brustbild zurücksehender Adler ist in Pergamon, Mys.; auch hält die Roma in der
Rechten einen Adler, unter dessen ausgespannten Flügeln zwei Bildsäulen sind, in
Troas, Tyros (Treb., Gail.). Dass durch den Adler Roma als eine „Jovia“ zu deuten
ist, beweist die Verbindung desselben mit der Zeusform der Imperatoren (vgl. die
grosse Wiener Camee). Mit dem Blitze erinnert sie an die gleichartige Pallas.
5 ) 6 ) So bei Galba, Antonin Pius (vgl. Fig. 14), Mauricius, Tiber, Constantin dem Grossen;
so auch auf dem interessanten Diptychon des k. k. Cabinetes (vgl. Arneth, das
k. k. M. u. A. C. 1854, S. 92, und K. 0. Mül 1er 416, 1848, S. 664). Es erscheint
darauf Roma als Bellatrix, Nikephora in der Stola (rechte Brust entblösst), und
auf dem anderen Deckel Constantinopolis mit der Thurmkrone (vgl. unten als
Venus verticordia).
Die Roma-Typen.
283
talität auf die abgestumpften Sitten der letzten Zeit der Republik eine
lebhaftere Anregung als die gemässigten griechischen Formen üben
mussten und mit der Verbreitung ihrer mystischen, abergläubischen
und asketischen Ansichten dem Glauben an Roms Weltbestimmung
und der consequenten Darstellung von Roms Erdherrschaft als der
Erdenmutter eine bleibende Basis gaben. Ausserdem lagen ja in der
Venus-Concordia dieselben Ideen, nur in nüchternerer Auschauung
vor, die sich an die analogen Elemente des griechischen (Harmonia,
Aphrodite, Urania) and des syrischen Göttersystems (Kybele, Astarte,
Ma, Dido, Diana u. s. vv.) anschliessen mussten; freilich wurde durch
die Hellenisirung der orientalischen Culturen, noch mehr aber durch
Anwendung derselben auf den Staat diese Idee der Dualität gemil
dert. Den Gedanken der Allmütterlichkeit finden wir bei Claudia
nus *), Rutilius 2 ), Priscianus 3 ), Dionysius Afer 4 ); als Kybele schil
dern sie Vergilius 5 ), Rutilius 6 ); als Allamme wird sie unmittelbar
dargestellt von Rutilius 7 ), Cassiodor 8 ), Symmachus°), Corripus 10 ).
Als diese dem Inhalte nach an Venus-Concordia erinnernde Volks
und Staatsgöttinn wird Roma durch die Symbole der Thurmkrone 1 ').
i
1 ) ln sec. cons. Stilichon 502: „Haec est, in gremium victos quae sola recepit Huma-
niimque genus communi nomine fovit Matris non dominae ritu.“
2 ) De red. suo 1, 49: „Exaudi genetrix hominum genetrixque Deorum.“ — 1. c. 175 :
„Matrem regum ducumque.“
3 ) Perieg. 350: „Romam quae genetrix regum dominatur in orbem.“
4 ) Perieg. 355: » Pu)[X7jv xi^rjeauav, (xe'yav oixov dväxxmv (XYjxspa Ttaadcov 7toXi(uv
dcpvetöv e&sOXov.“
5 ) Aen. VI, 785 etc.: „ qualis ßerecyntliia mater Invehitur curru Phrygias tur-
rita per urbes laeta Deum partu.“
6 ) De red. suo I, 117: „Verticis in virides Roma reßnge commas aurea, turrigero
radient diademate cono.“
7 ) I. c. 1, 146: „Altricem suam fertilis orbis alat.“
8 ) II, ep. 1: „ut alumnos propria ad ubera sua Roma colligat.“
9 ) II, ep. 14: „pulsis omnibus exserto et pleno ubere Roma suseeperat.“
lü ) In Just. I, 289: „addidit antiquam tendentem brachia Romam Exserto et nudam
gestantem pectore mammam Altricem imperii libertatisque parentem.“
41 ) Dies Symbol erscheint wie das folgende meist in Kleinasien, wohin sich ja das
syrische Göttersystem so mannigfach verzweigte. So in Ilion, Pergamon Mys.,
Perene, Alexandria, Synnada Phryg., Synnaos Phryg., Kilbianon Lyd., Mostene Lyd.,
Ephesos Jon. (unter Nero mit hängenden Haarflechten, vielleicht Poppaea als Roma
gefasst?), Hermokapelia Lyd., Temenothyrai Lyd., Korinthos, Jaetani Sicil.; end
lich erscheint Neurom mit der Thurmkrone gegenüber dem behelmten Altrom.
284
Friedrich Kenne r.
des Scheffels *), des Palladiums 3 ) und der Mütze 8 ), ferner des Lor-
bers 4 ), des Kranzes, der Palme 5 ) und der Binde 6 ), endlich des Füll
hornes 7 ) (Symbol der Venus, Tyche), (mittelbar) des Caduceus 8 ),
des Schiffes 9 ), des Steuerruders 10 ) und der Schale 11 ) der Hygiea
1 ) Auf den Münzen von Ankyra, Synnada Phryg., Silandos Lyd. (ef. Tyche poleos auf
einer Münze der Attaiten P ellerin Rec. XLIII), Silandos Lyd. (mit einer Binde
und einem Scheffel).
2 ) Aigai Aiol., Philadelphia (Nero), Ilion, Ephesos Jon. Ilermokapelia Lyd., Phila
delphia Lyd. (Ant. P.), Flav. Neopoleos (dabei zu ihren Füssen ein Schild und ein
Löwe), hei Vespasian, Nero, Hadrian, Anton. P. (vgl. Fig. 16), L. Aelius, Macrinus,
Albinus, Probus, Constantius; im Tempel mit dem Palladium bei Probus. Auf der
ephesischen Münze des Macrinus wird sie von einer Victoria gekrönt, während
zu ihren Füssen am Tropaeum ein Gefangener sitzt. Bei L. Aelius übergibt sie das
Palladium dem Imperator. Hieher gehört auch die merkwürdige Verbindung- der
Roma rnit der selbstständig- auf vielen imperatorischen Münzen vorkommenden
Securitas, indem sie in der Stola, mit dem Helme auf dem Haupte, sitzend ohne
Waffen und den Kopf auf den rechten Arm aufstützend dargestellt ist bei Ant. P.
(vg). Fig. 17).
3 ) Bei Vespasian Roma stehend, in der Rechten einen Hut, in der Linken ein Tro
paeum haltend.
4 ) 5 ) 6 ) * n Mion, Tripolis Car., Stratonikeia Jon., Pitane, Perperene Mys., Metro
polis Phryg-., Philippopolis Arab., Smyrna; bei August. (Mor. fam. ad 462 H), Nero
und Poppaea Aeg.? Galba, Domitian, Vespasian, Hadrian, M. Aurel, Constantin der
Grosse Albin. Bei Galba (Eckhel VI, 296) hält Roma eine Friedensgöttinn auf der
Hand. Bei M. Aurel erscheint Roma sitzend, und vor ihr Pax mit einem Ölzweige
stehend. Auf einer anderen desselben Kaisers bezeugt der auf die nebenstehende
Säule abgelegte Helm denselben Gedanken. Hieher gehört endlich der von Rasche
a. a. 0. Nr. 1, p. 1158 gebrachte, mit einer Binde umwundene Kopf der Roma und
das Marmorbasrelief in der Villa Albani (Annali XVI, p. 157, T. Ntb. 4), auf
welchem Roma als Amazone mit der Rechten das Wehrgehänge von der Schulter
nimmt.
7 ) Edessa Mak., bei Hadrian (Fig. 18) Ant. P. (wo die Roma dem Imperator eine
Victoria reicht, während sie das Füllhorn in der Linken hält (d. h. durch den
Wohlstand des Staates siegt der Imperator) etc. Auch als Annona wird Roma
gedacht bei L. Verus, dem sie Ähren übergibt, und bei Val. Maximian, wo ihr Ceres
gegenüber steht, u. s. w.
8 ) 9 ) So erhält Roma von Commodus eine Weltkugel, während eine mit dem Caduceus
versehene weibliche Figur daneben steht; hieher gehört auch die an den Miinztyp
der Astarte erinnernde Verbindung Roma’s mit dem Schiffe, auf dem sie steht,
Ant. P., Alexandria (Nero) u. s. w.
10 ) Bei Nerva (Roma mit Weltkugel, Füllhorn und Steuer).
11 ) Dieser Gedanke findet sich durch die Opferschale bei Ant. P. und M. Aurel (der
Altar, an dem Roma aus der Schale opfert, ist mit einer Schlange umwunden)
und von Philippopolis (Macrinus, vielleicht nur ein Kranz statt der Schale ?) aus
gedrückt; endlich steht auf der Homonoia von Pergamon und Smyrna (Caracalla)
vor der sitzenden Roma Aesculap. Vermuthlich nur auf etymologischen Spitzfindigkei
ten (Roma pm|XY], valentia valetudo, oyieta) beruht des Marianus oder Marinus (luper-
Die Roma-Typen.
285
bezeichnet. Es wird durch diese Symbole Roma als die für die Sicher
heit und den Wohlstand im Innern des Staates mütterlich besorgte
Schutzfrau des Erdenkreises dargestellt. Die Beinamen der Roma in
dieser Beziehung sind: Felix, Beata, und gegenüber den Unterthanen
Metropolis.
Die wehrende Roma.
Als solche kommt sie vor hei Ovidius*)> Claudianus 2 ), Apolli
naris Sidonius 3 ) und Ammonianus Marcellus 4 ). Ich erinnere bezüglich
der Formgebung dieses Types an das oben wiederholt Bemerkte über
calium poeta bei Servius ecloge I) Dichtung-. „Roma ante Romulum fuit et ab ea
Romulus nomen acquisivit, sed Dea flava et candida Roma Aesculapii filia nomen
novum Latio fecit“ kam aber dem Gedankenkreise der Roma sehr unterstützend
entgegen. Ob die einer Pallas mit der Aegis vollkommen ähnliche Figur auf dem
in der histoire de l’academie des inscriptions V, 297 mitgetheilten, 1772 zu Rom
entdeckten Gemälde nicht eher auf die Pallas mit der Burgschlange, als auf eine
mit Aesculapius nach den eben citirten Worten des Marinus verbundene Roma zu
beziehen ist, mag dahingestellt bleiben.
*) Trist. III, eieg. 7: „Dumque suis victrix septem de montibus orbem Prospiciet
domitum martia Roma legar.“
2 ) In Prob, et Olyb. cons. 77 etc.: — — „famuli currum junxere volantem Impetum,
horribilisque Metus, qui semper agentes Proelia, cum fremitu Romain comitantur
anhelo Sive petat Parthos, seu cuspide turbet Hydaspen. Roma trium-
phalis quae possidet aethera regnis Assilit innuptae ritus imitata Mihervae: nam
neque caesariem crinali stringere cultu, Colla nec ornatu patitur
mollire retorto; Dextrum nuda latus, niveos exserta lacertos, Audaccm retegit
mammam, laxumque coercens Mordet gemma sinum; nodus qui sublevat ensem,
Album puniceo pectus discriminat ostro. Miscetur decori virtus, pulcherque severo
Armatur terrore pudor, galeaque minaci, Flava cruentarum praetenditur umbra
jubarum, Et fonnidato clypeo Titana lacessit luraine, quem tota sacrarat mulciber
arte.“ Vgl. Bell. Giklonicum 17 etc.
3 ) Panegyr. Jul. Val Major. August, dict. V, 13 etc.: „Sederat exserto bellatrix pectore
Roma, Cristatum turrita caput, cui pone capaci Casside prolapsus perfundit terga
capillus. Laetitiam censura manet, terrorque pudore Crescit et invita superat vir-
tutem venustas, ostricolor pepli texlus, quem fibula torto mordax dente vorat.
Tune quidquid mamma refundit Tegminis hoc patulo concludit gemma recessu,
Hinc fulcit rutilus patioso circite laevum Umbo latus (es folgt die Beschreibung
des Schildes) cuspis trabe surgit. eburna Ebria caede virüm. Propter Belona
tropaeum Exstruit et quercuin captivo pondere curvat. Consurgit solium saxis,
quae caesa rubenti Aethiopuin de monte cadunt, ubi sole propinquo Nativa exustas
afflavit purpura rupes“ etc.
4 ) 14, XIV, c. 8: „(Roma) victuru dum erunt homines.“
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXIV. Bd. II. Hft 19
28(5
Friedrich K enner.
den kriegerischen Charakter der Roma. Der ursprüngliche Zug der
Tapferkeit im Staatsideale blieb fortwährend im Vordergründe des
selben, so dass die Roma in allen ihren Erscheinungen zunächst die
kriegerische ist. Darum kommt der Typ der kriegerischen Roma von
den ersten Denaren der Republik bis Athalarich (vgl. Fig. 8), Tlieo-
dosius, Theodahat, Witiges, Theodericus und im Abendlande wie im
Morgenlande gleich verbreitet vor. Die einzelnen Symbole sind der
Chiton, dessen Länge oder Kürze an kein beständiges Motiv gebun
den ist (vgl. Fig. 18). Der ursprüngliche Sinn der entblössten Brust
fand eine doppelte Ausdeutung. Er war nicht blos die in mannigfachen
Metaphern der Allmütterlichkeit aufrecht erhaltene Erinnerung an die
syrischen Göttersysteme, sondern wurde auch das Zeichen soldati
scher Kühnheit die sich ebenso über Gesundheits- wie sittliche Rück
sichten hinaussetzt *). Der Helm ist korinthischer, später lateinischer
Ordnung, die Füsse sind nackt oder mit einem Cothurn bekleidet.
Die Waffenstücke endlich kommen in.grosser Verschiedenheit vor 2 ).
Mit der Wehrhaftigkeit ist die Sieghaftigkeit, ausgedrückt durch die
*) Vgl. die oben angeführten Stellen aus Claudianus und Apollinaris; es hindert nichts
anzunehmen, dass beide Schilderungen auf Anschauung von Kunstwerken beruhen.
Sie zeigen von einem absichtlichen Schwünge und es verräth eine hartfühlende,
stumpf gewordene Zeit, dass der Dichter sich, so zu sagen, um Reizmittel bemühen
musste, damit die Phantasie angeregt würde. Zu solchen gehören die Überladung
von verbrauchten Antithesen des Mienenspieles, der Farben, dann der pompöse
theatralische Aufzug, das viele Blut und der verschwenderische Purpur u. s. w., so
dass man auf die Ähnlichkeit mit Minerva kein grosses Vertrauen hat. Es ist auch
nicht zu wundern, wenn die Stellung des Staates zum Heere eine äusserliche
Kunstübung mehr oder weniger dahin bringen musste, die Göttinn der allgemeinen
Wehrkraft zur kühnen Soldatinn, zur blossen Legionsgöttinn und damit den Ansprü
chen der verflachten Bildung gerecht zu machen.
2 ) Meist ist es die Lanze die sie aufrecht oder verkehrt in der Hand halt, das Para-
zonium und der Schild; gewöhnlich stützt sie mit der Rechten die Lanze auf und
lehnt den linken Arm auf den Schildesrand, oder sie stützt die Linke auf ein Tro-
paeum, auch auf einen Panzer. Sie sitzt auf einem Throne oder auf Beutestücken,
Panzer, Schilden (gewöhnlich dreien, die mit ihren Höhlungen auf einander liegen).
Der eigene Schild liegt in der Nähe auf dem Boden, oder lehnt an ihrer Seite.
Wenn sie die unbewaffnete Rechte ausstreckt, hält sie in derselben ein die Bezie
hung, in der sie gedacht ist, bezeichnendes Symbol (Victoria, Adler, Lanze, Hut u.s. w.),
wie sie oben genannt wurden. Den Fuss stellt sie auf eine Erdkugel oder ein
Schiff oder einen Helm, wohl nicht als Friedensgöttinn, sondern, wie es die ihr
zum Sitze dienenden Waffen bezeugen, als Lagergötlinn.
Die Roma-Typen.
287
zu- oder entfliegende Victoria i) und durch das Tropaeum 2 ) und den
Gefangenen 5 ), enge verbunden. Durch die Verbindung von Alt- mit
Neu-Rom geschah in sofern eine Typentheilung, dass die Formen
einer amazonenartigen Pallas dem alten Rom verblieben, während
Neu-Rom als Stadt- und Handelsgöttinn mit der Thurmkrone und dem
Schiffe dargestellt wurde, da ja das alte Rom die ganze historische
Erinnerung mit allen Eroberungen für sich hatte, während Neu-Rom
nicht mehr als die blosse Stadt des Constantin und zugleich Vertre-
terinn des Orientes war 4 ). Endlich werden für locale Anspielungen
die Gründungsgeschichte (die Wölfinn mit den Zwillingsgebrüdern),
der Tiber, die sieben Hügel als Symbole in den Typ aufgenommen 5 ),
Als Siegesgöttinn kommt Roma meist in den Tempelstatuen und mit
den Beinamen Invicta, Victrix und Aeterna, ferner Invicta Aeterna
vor (vgl. unten).
*) Mit Victoria erscheint Roma am häufigsten ausser den erwähnten Consular- und
Familiendenaren in Tomi, Pautalia, Temnothyrai, Temnitae (Commod.), Edessa,
Patrai, Kyme Aiol., Temnos Aiol., Smyrna, Nikaia ßithyn., Neapolis Palast.,
Alexandria (Nero, Commod.), dann bei Nero (Fig. 19), Galba, Otho, Hadrian
(vgl. Fig. 18) u. s. w. bis Augustulus. Bei Caracalla hält Roma in der Rechten und
Linken eine Victoria, von deren letzterer sie gekrönt wird, bei Carausius erscheint
Roma im Handschlage mit einer die Palme haltenden Victoria.
2 ) Bei Vespasian, Titus, Hadrian, Ant. P., M. Aurel, Coinmodus, Macrinus. Roma steht,
sitzt oder lehnt an dem Tropaeum und hält es wohl auch. Bei Ant. P. erscheint
Roma im Handschlage mit dem Imperator, indem Victoria oben herabschwebend das
Tropaeum trägt.
3 ) Ausser dem öfter mit dem Tropaeum verbundenen Gefangenen (vgl. die grossen
Wiener Camee und die oben erwähnte Stelle des Apollinaris) findet sich derselbe
noch in Carthago nova, Plusia Sic., Tarsos Kilik., und bei Galba, Otho, Vitellius,
Titus, Hadrian, Anton P., Sept. Sev., Valerian sen. Eine amazonenartige Roma
findet sich auf einem gut gearbeiteten Intaglio des k. k. M. u. A. C. (Arneth, das
k. k. M. u. A. C., 1854, S. 108, nro. 53) eine bei l l / z Zoll grosse Büste, der auf
einem Postamente eine Victoria gegenüber steht. Dass auch anderweitig die Roma-
Typen auf Ringsteine übergingen, braucht wohl nicht nachgewiesen zu werden.
Die Büsten bei Clarac a. a. 0. 2820 D, pl. 1099, und 2820 F, pl. 1100, und 2820 E,
pl. 1100 stellen Roma als kriegerische, letztere insbesondere als Amazone dar.
Als solche erscheint Roma endlich in der berühmten thronenden Statue bei V i s-
conti Pio Clem. II, p. 29, t. XV, und Clarac 1. c. nro. 1901), pl. 767.
4 ) Bei Constantin d. Gr., Constantius d. J., Gallus, Julianus, Valens, Gratianus, Valen-
tinian d. J.; bei Gallus halten Roma und Constantinopel einen Kranz.
5 ) Bei Nero nehmen mehrere derartige Darstellungen Bezug auf die Wiederherstellung
Roms nach dem Brande. Sie kommen ferner vor bei Vespasian, Titus, Trajan,
Hadrian.
4
2S8 Friedrich Kenner.
Fassen wir das Gesagte noch einmal zusammen, so fällt zunächst
bei den literarischen Erwähnungen der Roma auf, dass sie erst ver-
hältnissmässig spät als Göttinn behandelt wird. Augustus nahm sie als
äeä auvSpovog auf, im Oriente galt sie früher als 0EA, auf den Mün
zen erscheint sie seit Nero und Galba als solche, und doch reden die
Augusteischen Litteraten von ihr nur als von der Stadt und Yergil
gebraucht noch das vergleichende qualis Berecynthia mater. Erst
Rutilius, Claudianus, Apollinaris u. s. w. schildern sie nach Formen
und Symbolen wie eine olympische Gottheit. Es mag der Grund in
jenem ofliciellen Zug ihres Wesens liegen, von dem oben gesprochen
wurde. Dem attischen Geiste der Augusteischen Zeit widersprach es
natürlich den trockenen Ernst officieller Vorwürfe dichterisch zu
behandeln, zumal da der griechische Olymp mit seinen Götter
geschichten weit gefälligere Motive bot. Es ist ebenso begreiflich,
dass erst in jener Zeit als Versuche der Regeneration des Reiches
nöthig wurden, als das Reich getheilt wurde und die Völkerstürme
begannen, als es sich seiner Schwäche bewusst wurde, dass damals
die Erinnerung an die verlorene Pracht und Herrlichkeit auftauchte.
War Rom ehedem den zur politischen Nichtigkeit herabgesunkenen
Griechen als Göttinn auf unerreichbarer Höhe über der Erde sicher 6
thronend erschienen, so musste sie als diese nicht weniger denjeni
gen die in der Zeit der Auflösung lebten, erscheinen, also gerade
damals, als die officielle Geltung ihrer Gottheit aufgehört oder sehr
geschwankt hatte; so war auch die Geschichtschreibung des deut
schen Kaiserreiches mit seiner Auflösung erst erwacht. In der Form
gebung sehen wir die kriegerische Gestaltung der Roma im Sinne
einer Pallas oder einer Amazone allen Typen zu Grunde liegen. Der
Krieg war, wie öfter bemerkt wurde, das eigentliche Element der
römischen Energie. Alle anderen Beziehungen, in denen Roma gedacht
wird, werden durch Symbole der verschiedenen Götter aller in Rom
aufgenommenen Völker bezeichnet. Es ist ein dem römischen Eklek-
ticismus auf dem Gebiete der Philosophie entsprechender Zug ihrer
mythologischen Thätigkeit, dass die Symbole, die schwimmenden
Trümmer alter Culturen, nach Verflüchtigung ihres nationalen Geistes,
in der Roma-Allegorie wie in einem Pantheon Aufnahme fanden,
sofern ihnen nur eine politische Seite abzugewinnen war. So sehen
wir, um die ganze Entwickelung der Roma-Allegorie nach den beiden
im Eingänge aufgestellten Principien zu überblicken, zuerst im Staats-
4
Die Roma-Typen. 289
ideale eine geschlossene, auf Erwerb und Behauptung gerichtete
Häuslichkeit; nach Aufnahme der Italiker tritt darin Staatsklugheit
und hingehende Tapferkeit in den Vordergrund, bei dem ersten
Zusammenstosse mit dem Hellenismus tritt die Nationalität oder das
Bewusstsein Roms als des formgehenden Principes vermöge seiner
politischen Überlegenheit in der ersten leisen Regung auf. Mit der
weiteren Vereinigung der römischen und hellenischen Bildung, mit
der Ausbreitung von Roms Herrschaft beginnt das Ideal zur Wirk
lichkeit herabzusinken. Rom wird sich seihst Sieges- und Glücks-
göttinn, das Ideal ist in Roms Bestimmung erreicht, sie ist die irdische
Gottheit, der Genius verkörpert sich im Imperator. Mit Beziehung
auf die Formgebung stellt sich der gestaltlose Genius nach Aufnahme
der Italiker als MittelpunCt italischer Culte dar, nach Aufnahme des
Hellenismus erhält er dazu Pallas- und Amazonenformen, unter denen
jene alten Culte durchschimmern; nach Aufnahme des Orientalismus
endlich kommen dazu die vielfältigen Formen des syrischen Götter-
systemes. Endlich tritt Roma als diese irdische Gottheit und in diesen
vielen italischen, hellenischen und orientalischen Formen während
der Imperatorenzeit anfänglich mehr als die herrschende und All-
§ mutter, dann als die kriegerische Göttinn auf.
3. Die thatsächliche Anerkennung als Göttinn fand Roma in einem
lebhaften Tempelcult. Ich erwähne hierüber zunächst ihre Bei
namen. Unter diesen ist der einer „Aeterna“ der ihr vor allen zukom
mende Name, indem in der äusseren Vollendung des Staates und dem
Glücke desselben, in seiner Entwickelung und der Welleroberung die
Bürgschaft seiner Dauer lag. Er erscheint von Trajan bis Pescennius
neben anderen, von da bis Constantin dem Grossen als der einzige,
und von da wieder neben anderen. Sie ist zunächst dabei als Herr
schende und Siegreiche gedacht, daher ihr die Victoria in diesem
Sinne verbunden wird ; auch in den Tempeln ist sie meist als Aeterna
bezeichnet. Besondere Symbole ihrer Ewigkeit sind der Phönix 1 ),
sowie Sonne und Mond 2 ) und die ewig strömende Urne des Tiber 3 ).
Auch das Palladium trägt sie als ewige Schutzgöttinn; als eine
i
*) Bei Aemilian.
2 ) Bei Hadrian.
3 ) Bei Trajan.
290
Friedrich Kenner.
politische Zeitgöttinn fand sie in ihrer Verbindung mit den Votis der
Regierungsübernahme des Imperators (vgl. oben) Anwendung. Der
Name Perpetua kommt selten vor. Diesem Beinamen schliesst sich
sinnverwandt der der „Victrix“ 2 ), seit Constantin dem Grossen
„Invicta“ 3 ) an, wie letzterer selbst mit Aeterna 4 ) verbunden wird. Als
ihre eigene Glücksgöltinn heisst sie „Felix“ und „Beata“ ä ). Die Bei
namen „Pia“ 0 ), „Redux“ 7 ), „Colonia“ 8 ) gegenüber dem Imperator,
und „Metropolis“ 9 ) gegenüber den unterworfenen Völkern kommen
selten vor.
Plutarchos 10 ) erzählt von einer noch in seiner Zeit gepflegten
göttlichen Verehrung des Philhellenen T. Flamininus und erwähnt des
Endes von einem Liede, in welchem die römische Treue gerühmt
wird ( [xeIkeze Mvpaa ijjva pi'yav Ptop.av re Tt'rov ze äfxa Pw-
ptzt'wv te nlonv u. s. w.). Es stimmt damit der Typ der früher
erwähnten Münze der epizephyrischen Lokrer überein. Es sind dies
die ersten Spuren des Cultes der Roma und des römischen Volkes.
Ebenso erzählen Tacitus 11 ), Livius 12 ), Sueton 13 ), dass sich Smyrnäer
und Alabandeuser vor dem Senate eines sehr frühen (zur Zeit des
zweiten punischen Krieges) Cultes der Roma rühmten. Es liegt in
der politischen Stellung Griechenlands gegenüber den Diadochen
begründet, dass sie sich an Rom hielten, und wie weit es die Griechen
*) Bei Trajan.
2 ) Bei Galba, Otho, Vitellius, Vespasian, Titus.
3 ) Bei Zeno, Anastasius, Justini I., II., Athalarich, Athanasius.
4 ) Bei Priscus Attalus.
5 ) Mit Aeterna ist Felix verbunden bei Achilleus, mit Invicta bei Alexander Tyr.;
sonst kommt der Beiname vor bei Nerva, Hadrian, Ant. P., Commodus, Gordian P.,
Alexander Tyr., Constantinus d. J., Constans, Constantius d. J.; mit anderen Namen
in Laodikeia Syr. (Caracalla). Bei Caracalla, Macrinus, Diadumenian kommt nur
dieser vor.
6 ) Bei Commodus.
7 ) Diesen sonst nur der Fortuna beigelegten Namen erhält Roma bei Trebonius,
Gallus und Yolusianus.
8 ) Colonia, Lucia, Antoniana, Commodiana heisst Roma bei Commodus. Eckhel D. N. V.
VII, 121; Anfangsgründe, p. 110.
9 ) In Nikomedia Bithyn. (Domitian) ; vgl. Eckhel D. N. V. II, p. 431.
10 ) Plut. Flaminin. XVI; vgl. Eckhel D. N. V. I, p. 176.
A1 ) Ann. IV. 36.
12 ) XLIII, 6.
13 ) Aug. 32.
Die Roma - Typen.
291
in politischer Unterwürfigkeit und Schmeichelei gebracht hatten,
beweist das Benehmen der Athener gegen Antigonos und Dernetrios
Poliorketes. Seitdem bildeten die Neokorien <) den Mittelpunct des
Romacultes der noch höher steigen musste, seit Augustus dadurch
zur Verbindung des Imperatorencultes mit dem Romaculte Anlass gab,
dass er die Tempelwidmungen nur in Verbindung seiner Person mit
dem Staate annahm, und seit Kleinasien senatorische Provinz wurde.
Darum finden sich auch in Kleinasien die meisten und wichtigsten
Monumente ihres Cultes, so die Tempel von Smyrna und Alabanda,
Kyrne 3 ) (Aetol.), Mylasa 3 ) (Kar.), Ankyra 4 ) (Gallat.), Caesarea 5 )
(Syr.), auf Münzen der Roma allein von Smyrna °), der Roma und des
August von Pergamon 7 ) (Mys.), Communitas Rithyniae 8 ) und Asiae 9 ).
Durch den Imperatorencult verbreitete sich ihr Cult auch nach
Europa, wie die Tempel zu Rom <°), Pola *‘) (Istrien), Athen 13 ), Terra-
!) Eckhel D. N. V., N. 290.
2 ) Caylus Recueil d’antiquite’s etc. II, 189. 190.
3 ) Caylus a. a. 0. 190 mit (1er Inschrift: 6 Syjijlo«; aöxoxpdxopi Kalaapt OsoO uiqi tjeßaaxqi
ap/ispst p-syIotci) xai Osa 'Pu)^.
4 ) T ex i er Description de I’Asie mineure I, 172 f., pl. Gi—71. Geweiht von des Galater-
Königs Amyntas Sohn Pylaimenes um die Zeit von Auguslus Tod mit der Inschrift:
TaXaTtov 6 87)(j.o<; lspaadp.Evos Osu> Ssßaaxcp xai Osa ‘Ptojxir]. Vgl. Mionn. IV. 377,
S. VII, 633. Er ist ein Hexastylos peripteros korinthischer Ordnung.
5 ) Jos. Flav. Antiqq. Jud. XV, 13.
6 ) Von Jul Domna, Caracalla u. s. w. M ionnet II, 240 ff. Vgl. hiemit die Münzen der
Neokorieen.
7 ) 'Pu>(x^j xai 2eßaaxu>, unter Tiber., Rom. et Aug., unter Claudius, Rom. et Aug.
8 ) Von Hadrian, Rom. et Aug. (auf dem Tympanum die säugende Wölfinn).
9 ) Von Aug., Rom. et Aug. von Nerva und Claudius mit derselben Inschrift.
10 ) Dio Cass. LXIX, 4; Spartian. Hadr. 19; Cassiodor Chron. p. 201; über sein Griin-
dungsjr.hr (138 n. Chr.?) vgl. Thillem ont Ilistoire des Empereurs (1720) II, 242,
Note 10, seine weiteren Schicksale ebenda, p. 243. Nach der Beschreibung bei
P lattner und Bimsen Th. III, 1. Abth. 299 ff. war er ein Pseudodipteros korin
thischer Ordnung. Auf dem Tympanum mochten nach einem in Pescaria entdeckten
Basreliefs (F. A. Visconti Effemeridi lelterarie, Heft 1) Scenen aus der
Gründungssage (Mars, Silvia, der Hirt und die säugende Wölfinn) dargestellt gewesen
sein. Vgl. Kugler, Gesch. d. Baukunst, I, 322.
1J ) Ein Telrastylos, Prostylos korinthischer Ordnung mit der Inschrift: Augusto et
Romae. Vgl. Arneth, Reisebemerkungen, S. 18, Tf. 1, und Lübk e, Gesch. d.Archi-
tectur, S. 107.
12 ) Es war ein Rundtempel mit 12 Säulen; vgl. Beule. L’acropole d’Athene II, pl. I,
p. 206. Auf diesem Tempel des Augustus und der Roma, der vor der Einnahme Athens
durch Muhammed II. daselbst noch bestand, befand sich folgende Inschrift: *0 8t)|ao
ösa 'Ptbp.r) xai Ssßaaxai Kaiaapi axpax/)YoövxO; ettI xou; OTtXtxa? fIa(X(j.svou<; xoö Zvjvtüvos
292
Friedrich Kenne r.
cina 9 und die Inschriften hei Mommsen-) bezeugen. Ausserdem
finden wir den Tempelcult der Roma auf mehreren Imperatorenmün
zen 3 ). Priester der Roma und des Augustus bezeugen die Inschriften
von Aquinium 4 ) den Decius, jene von Potentia 5 ) den M. Helvius, jene
von Surrentum 8 ) den L. Cornelius als „Flamen“ der Roma und des
August. Auch die angeführte Inschrift von Athen erwähnt einen
kpsug 'Pd»fjt,vjs x«t Heßxtjroü; bei Moreeil i 7 ) erscheint ein
„sacerdos ad templum Romae et Augustorum.“ Altäre kommen auf
Münzen vor'unter Tiherius, Claudius 8 ), Galba. Auf einen Altar bezie
hen sich auch Inschriften hei Gruter 9 ). Von Tempelstatuen der
Roma und des Augustus findet sich die oben erwähnte Notiz von Jos.
Flavius, in welcher Roma im Typ,der Hera und Augustus im Typ des Zeus
dargestellt ist. Die Symbole der Tempelstatuen sind nur auf einigen
Münztypen 10 ) auszunehmen. Endlich scheint die Ausbreitung der
Roma-Allegorie in den westlichen Provinzen Anlass zu ähnlichen
Schöpfungen allegorischer Art gewesen zu sein !1 ). Seit Erbauung
MapaOoviou Upitu? Oea? 'P&gnc xal Seßaaxoü 2ü)X7jpos Itt’ axpoirdXei iizl (sic) lepsias
’Atbjvai | IIoXtdoos.MsYi'crr/jc — — ap/ovxo«; ’Aprjou xoD MmpUnvo; Ilaiavt^a)?.“ ßoekh
corpus inscript. 1, nro. 478 aus dem Jahre 27 v. Chr.
*) Gruter, corp. inscript. CV, 7. Inschrift eines Tempels in Terracina: Romae et
Augusto | Caesari Divi f. | Colm. Auxurn | A. Aemilius ex pecunia | sua f.
2 ) Inscr. regn. Neapol. lat. 8 von Gerace: Jovi opti | mo maximo | diis Deabus | que
immor | lalibus et | Romae aeternae | Locrenses.
3 ) Bei Hadrian (Roma aeterna), Antonin P. (Romae aeternae), Septim. Severus (mit
vielen Statuen), Geta (Romae aeternae), Alex. Sever. (Romae aeternae), Gallus und
Volusianus (Romae reduci), Claudius 11. (Romae aeternae), Probus (Romae aeternae),
im Tympanum ein Lorberkranz (Ackerm. I. c. II, 103), Diocletian und Maximian
(Romae aeternae), Carausius (Romae aeternae), Maxentius, Alexander Tyrann.
(Romae aeternae).
4 ) Mommsen a. a. 0. nro. 4326.
5 ) Mommsen a. a. 0. nro. 376.
6 ) Mommsen a. a. 0. nro. 2321.
7 ) Lexic. epigraph. III, 64.
8 ) Rom. et Aug. Altar zwischen zwei Säulen.
9 ) Corp. inscr. CV, 10. Ein der Roma geweihter Altar hat die Inschrift: T. Laevius,
T. F. Vet. | flamen sac. Q. | col. Apul. aram | hanc Romae cons. | p. s. f. c.; auch
CVII, 6 und MXV1I, 7: Genio loci | fortunae reduci | Rome aeterne (sic) etc. gehörte
vermuthlich auf einen Altar.
10 ) Von Hadrian Roma mit der Weltkugel, von Gallus Roma als Fortuna, von Claudius II.
Roma mit der Victoria, von Prohlis Roma mit Lanze, Parazonium und Weltkugel,
von Diocletian Roma mit Victoria und Lanze, von Carausius Roma von Victoria
bekränzt.
lr ) Vgl. Lelewel, Etudes numismatiques etc. I, 378 u. 386.
Die Roma-Typen.
293
des Tempels der Fortuna Romae (vielleicht der Venus-Roma) durch
Hadrian wurden auch die „Parilia“ „Romana“ genannt und der
Geburtstag der Stadt in einem eigenen Feste und mit circensischen
Spielen gefeiert*)• Unter den angeführten Thatsachen des Romacultes
in Tempeln liebe ich den ihr von Hadrian in Rom erbauten hervor.
Der alte Streit 2 ), oh jener Tempel mit dem der Venus zu einem
Gebäude gehört habe, ist wohl durch die architektonische Zusammen
gehörigkeit 3 ) derselben entschieden. Hadrian wollte der Stadt ein
grossartiges luxuriöses Denkmal erbauen. Bei der Verschwendung
der Mittel die auf den Prachtbau verwendet wurden, lässt sich nicht
denken, dass blos eine architektonische Ökonomie, um etwa dem
Tempel durch den Anbau an den alten der Venus eine grossartigere
Erscheinung zu geben, oder blos ein locales Interesse für diesen
Anbau entschieden habe; es liegt nahe anzunehmen, dass eine
geistige Verwandtschaft zwischen dem Charakter der Venus und der
Roma, jener als der Volks- und dieser als der Staatsgöttinn, im Sinne
der alten Venus-Concordia den Ausschlag gegeben habe. Es ist
natürlich, dass die Gottheiten der Volksvermehrung 4 ) wie des inne
ren, Gedeihen und Wohlstand bringenden Friedens mit einander ver
bunden wurden; so war ja auch Harmonia Tochter des Ares, ihr
Solm Polydoros, und sie selbst zugleich der Aphrodite ähnlich. Und
diese beiden Eigenschaften waren nothwendig hervorzuheben, sobald
die Stadt als solche in einem eigenen Tempel geehrt wurde. Es
dürfte also der Sinn der Worte des Prudentius 5 ), in denen er Venus
und Roma „deas geminas“ nennt, nicht blos auf örtlicher, sondern
auf geistiger Zusammengehörigkeit beruhen.
Es ist schliesslich noch Einiges über die Sonderstellung
Roms gegenüber der Götterwelt anderer Völker zu
4 ) B i m a r d u s ad Joberti Sciences des medailles II, 183; die darauf bezügliche Münze des
Hadrian trägt auf der Vorderseite die Inschrift: ANN. DCCCLXXIUI* VRB* P. CIR.
CON. Über deren verschiedene Auslegung vgl. Eckhel D. N. V. VI, 301 fl’., und
Athenaios VIII, p. m. 361.
2 ) Nardinus Rom. Vet. III, 12, Graevius IV. 1034.
3 ) Bunsen, Platner und K ug I er a. a. 0.
4 ) Dio Cassius LXXI, 3 sagt: „ xai ßa>p.öv lopo&^vat xai dir’ aöxoD Ttdaa? xäq xopac tv
Ttp artst Yapoup-eva«; (j.stä tüjv v'J|A(piu)v Oöetv.
°) Contr. Symm. I, 221: „Urbis venerisque pari se culmine tollunt Templa, simul gern i-
nis adolenlur thura Deabus.“
294
Friedrich Kenne r.
bemerken. Der Grund derselben liegt, wie oben dargestellt wurde, in der
culturgescbichtlichen Bedeutung Roms, das als formgebendes Princip
den Culturen des Altertbums gegenüber stand. Denn die Aufnahme der
Götter in Rom konnte nur durch ihre Unterordnung unter die Autorität
des Staates geschehen, freilich nur in formellem Sinne. Als die Dar
stellung des Staates stand also Roma allen anderen Göttern gesondert
gegenüber, so dass mit Rücksicht auf den Staat in ihr alle anderen
Gottheiten vereiniget wurden. Schon die obige Betrachtung der
Typen lehrte, dass Roma mit den Symbolen fast aller Gottheiten aus
gestattet wurde, dass sie also ihnen allen in gleicher Weise gegen
über stand. Ich erwähne in dieser Beziehung noch einmal der beiden
Stellen bei Claudianus ') und Apollinaris 3 ). In des ersteren Schilde
rung des bellum Gildonicum kommt Roma in die olympische Götter-
versammlung und erhebt über Gildon solche Klagen, dass Juno, Mars,
Venus, Proserpina, Kybele weinen, und Jupiter ihr gerührt Hilfe
zusagt; sie erinnert an die homerische Thetis 8 ). Im Verlaufe der
Schilderung wird sie Jovia 4 ) genannt. Roma ist hier Olyinpierinn,
nicht zufolge eines im Volke lebenden Glaubens, sondern weil für
den epischen Dichter die homerische Götterversammlung der natür
lichste Zufluchtsort wegen der Maschinerie des Gedichtes blieb. Aber
auch da ist sie dem Jupiter zunächst gestellt und den Göttinnen
schwesterlich verbunden. Apollinaris stellt Roma als Allegorie auf
den Staat gegenüber anderen Allegorien dar. Hier ist sie vollkommen
die Herrscherinn, ihren Thron umstehen die personificirten Länder,
zu ihren Füssen kniet die hilfeflehende Afrika. Vergleicht man diese
Schilderungen, so fühlt man in der ersteren bei aller Kunst des Dich
ters die Roma mit den olympischen Göttern zu vereinen, doch dass
sie zu wenig ideal ist, um im Olymp zu thronen; eben der Grund
ihrer Klage, ein historisches Ereigniss, verräth in ihr die frostige
Allegorie. Dass alle Göttinnen gleichen Antheil an ihr nehmen,
beweist, wie die Symbolik der Romatypen, dass sie allen auf gleiche
Weise gegenüber stand. Hingegen in der Allegorie von Apollinaris
ist sie ganz die irdische Gottheit, sowie Afrika mit sehr deutlichen,
!) Bell. Gild. 17 (T.
2 ) In Prob, et Olybr. cons. 55 IT. vgl. oben.
8 ) II. I, 488—533.
4 ) 1. c. 126 etc.
li imit Dr'r . I) tu It/nnn hm<m
Sityiun^sb. d.kAkad.d.\V^philos.liistor.t’l. \M\ Hd.'Mfeft.l857.
Die Roma-Typen. 295
man möchte sagen naturalistischen Zügen als die zurückgesetzte und
misshandelte schwarze, kraushaarige Negerinn geschildert ist. Den
selben Unterschied zwischen der Leiblichkeit der nationalen Götter
anderer Völker und ihrem allegorischen Charakter lehrt die ebenfalls
schon oben angezogene Inschrift von Gerace 1 ). Es wird in dersel
ben ein Tempel oder irgend ein öffentliches Gebäude dem IOVI OPTI
MO. MAXIMO den DIIS DE AB VS Q VE „IMMORTALIBVS“ und der ROMAE
„AETERNAE“ von den Lokrern geweiht. Auch liier ist eine Tren
nung der übrigen Gottheiten von der Roma, auch liier eine Unter
ordnung der Roma unter Jupiter und die Götter ausgesprochen. Das
Hauptmoment liegt aber in den beiden Attributen „immortalibus“
und „aeternae“. Jenes bezeichnet Wesen die nicht sterben können,
die also, wie der Mensch einen sterblichen, so einen unsterblichen
Leib haben; das letztere bezeichnet körperlose Wesen die nur ver
möge Abstraction denkbar waren. Jenes verräth Götter die nach
Erscheinung des Menschen gebildet, waren; dieses eine Gottheit die
sich der Gestalt entzieht, und nur durch Allegorie anschaulich
gemacht werden kann. Und da wir nach Obigem nur diesen abstracten
Namen „aeterna“ der Roma heigelegt finden, so beweist dies, dass
die Sonderstellung der Roma als einer Allegorie auf etwas Wirk
liches 2 ) gegen die plastischen Gebilde der hellenischen Götter im
Bewusstsein des Volkes lebte.
Darnach beruht also die Sonderstellung der Roma gegen die
übrigen Götter darauf, dass sie kein rein plastisches von einer ethi
schen Idee vergeistigtes Gebilde, sondern der abstracto Begriff der
Wirklichkeit des Staates in seinem politischen Leben, eingekleidet
in die universell geltenden Formen anderer Mythologien war, aber
wie der Staat den sie darstellte, aus der Thätigkeit des Volkes her
vorging, dass sie also eine echt römische Allegorie war.
*) Mommsen Inscr. regn. Neapol. lat. nro. 8.
2 ) Vgl. Visconti Pio. Clement. V, p. 29: „cert’aria di visu piu franca e m e n o d i v i n a.“
i
296
Joseph Bergmann.
SITZUNG VOM 15. JULI 1857.
Gelesen:
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert
mit besonderem Hinblicke auf das k. k. Münz- und Medaillen-
Cabinet in Wien,
mit erläuternden Anmerkungen
von dem w. M. Hrn. kais. Rath Joseph Bergmann.
II. Abtheilung.
Von Eck he) bis zu dessen Tode (1774—1798).
Wir haben in den Sitzungsberichten der philosophisch-histori
schen Classe 1836, Bd. XIX, S. 31—108 jene zwölf Männer vom
unglücklichen Herseus') bis auf Eckbel (von 1709—1774), welche
sich um die Pflege und das Gedeihen der Numismatik in Öster
reich verdient gemacht haben, nach einander unsern Lesern vorge
führt, zugleich von S. 39 an einen geschichtlichen Abriss von den
drei Münzsammlungen des kaiserlichen Hofes dargelegt, nämlich:
A. von der alten Münzsammlung im Schlosse Ambras in Tirol, die
in den Jahren 1713 und 1784 nach Wien gebracht wurde 2 ); B. von
dem alten österreichischen Haus-Cabinete; C. von dem
modernen Münz- und Medaillen-Cabinete des Kaisers
Franz I., welche beide nach des Kaisers Hinscheiden (f 1763) zu
*) Die ausführliche Biographie Meraeus’ s. in m ei n e n Medaillen auf berühmte und
ausgezeichnete Männer des Österreich. Kaiserstaates. Bd. 11, 394 fT. und Nachtrag
S. 382.
2 ) Die 1713 überbrachten Münzen wurden der alten Ilaussammlung, die im J. 1784
theils dem antiken, theils dem modernen Cabinete einverleibt.
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
297
einem Ganzen in einem Locale— in den neuerbauten Sälen am
Augustinergange der k. k. Burg — vereinigt wurden. Die I. Abthei
lung schloss mit dem Status der Beamten sowohl des modernen
als antik en Münzcabinets, wie ihn nach E ckhel’s Eintritt der Hof-
schematismus für das Jahr 177G nach Duval’s Tode (3. November
1775) uns anzeigt.
Bevor wir aber zu Eckhel, dem Lin ne der Numismatik, und
seiner Familie übergehen, wollen wir noch das was uns über Di-
rector Johann Verot bekannt ist,hier mittheilen, um mit ihmdieältere
Duval'sche Zeit, wie ich sie nennen möchte, völlig abzuschliessen.
XIII. Johann Baptist Verot war im Städtchen Boulay 1 ) in
Deutsch-Lothringen, wie er selbst in seinem Testamente vom 24. April
1786 sagt, ums Jahr 1714 geboren und kam wahrscheinlich durch
seinen Landsmann Duval zum k. k. Münzcabinete. Im Staats- und
Standes-Kalender für 1767, S. 440 lesen wir ihn als Schreiber
dieses Institutes unter dem Director D u va 1, in dem fürs Jahr 1769 a )
S. 452 heisst er: „Garde du Cab inet der Münz und Medaillen“,
und so noch 1774.
Duval ernannte ihn,s ein en a 1 tenFr eund, zu seinem Haupt
erben 3 ) und Verot wurde nach dessen Tode auch dessen Nachfolger
im Amte. Im Hofschematismus für das Jahr 1776 finden wir S. 349:
„Herr Johann Verot, Director der modernen Münzen, log. in der
Burg“ und KarlSchreibei* als seinen Adjuncten, während E c k h e 1
die Direction der antiken Münzen hatte.
Als nach dem Hinscheiden des Kaisers F ra nz I. dessen neu
angelegte moderne Medaillen-und Münzsammlung mit dem alten öster
reichischen Hauscabinete vereinigt worden war 4 ), wurde eine neue
*) ßoulay, zu deutsch vordem Bolchen genannt, liegt am Kulzbach im Bezirke
Metz, Departement Mosel.
2 ) Leider stellt mir kein Schematismus von den nächstvorausgegangenen Jahren zu Ge
bote, um Verot’s frühere Dienstleistung nachzuweisen. Da aber die Cabinete 1765 in
e i n Locale gebracht wurden, so wurde erst um diese Zeit der Status ihrer Beamten
festgesetzt.
3 ) Oeuvres de Valentin Jamerai Duval. S. Petersbourg. 1784. Tome I. pag. 32, wo er
irrig Monsieur Veron genannt wird. Nach langem Suchen fand man nun auch
Duval’s Testament im Archive des hiesigen k. k. Landesgerichtes, wohin es wie
das von Verot vom k. k. Hofmarschallamte abgegeben wurde, im Anhänge Anmerk. I.
4 ) Vgl. Abtheilung 1. dieser Abhandlung, ßd. XIX, S. 78; in den Separatabdrücken
S. 50.
298
Joseph Berg-mann.
Zählung vorgenommen und dieselbe am 1. Juli 17G6 beendigt. Es
waren in allem XV. Armani a, Kästen oder Schränke.
I. Das summarische Verzeichniss der antiken Münzen in drei
Kästen führt den lateinischen Titel: „Numismata CimeliiCaesarei
Regii Austriaci in I. II. et III. Armario“, von S. 1—29, 2436
Stücke in Gold, 9021 in Silber und 9589 in Bronce, zusammen
21.046 Stücke. Der Titel ist von Duval’s fester Hand, alles Übrige
aber von Karl Schreiber der eine sehr schöne gleichmässige
Schrift batte, geschrieben.
Sämmtliche folgende Abtheilungen desselben Foliobandes haben
französische, von Verot geschriebene Titel, alles Übrige ist
von Scbreiber’s Hand copirt.
II. Medaillons, Medailles et gran des Monnoies en Or.
Contenus dans le 4 mc Medailler (sic), von S. 31—-65, wo es heisst:
Catalogue abrege ou Bordereau des Medaillons, Medailles et
gran d es M o n n oies en 0 r contenus dans le 4 lne Medailler du Cabi
net Imperial selon 1’Enumeration, qui en a ete faite, et finie le lf Juillet
de l'annee 1766 sous les ordres de Son Excellence Mr. le Comte
de Salm Grand Cbambellan de Sa Majeste Imperiale. Zusammen
2121 Stücke, im Gewichte von 33.892y o Ducaten.
III. Pe tit es Mo n n oies et p etit es Med aill e s en Or con-
tenues dans le 5'”. e Medailler nach derselben Zählung vom 1. Juli 1766.
Zusammen 4174 Stücke, im Gewichte von 6707 7 / 13 Ducaten, von
S. 67—127.
IV. Thalers et Florins contenus dans le 6"! e et 7“°Medailler.
In Summa 4217 Thaler, 264 Gulden und J / 4 Stück, zusammen
4472 Stücke, von S. 129—194.
V. Petites Monnoies, Medailles et Jettons tant en
Ar geilt qu’en Bi llon contenus dans le 8 me et 9 mc Medaillier (sic).
Zusammen 10.743 Stücke, von S. 195—294.
VI. Monnoies orientales en 0r, en A rg ent et en B r onzes
contenues dans le 10. Medailler. Zusammen 266 Stücke in Gold, im
Gewichte von 326 7 / 13 Ducaten, 619 in Silber und 240 in Bronce,
Summe: 1116 Stücke, von S. 296—301.
VII. Medaillons de diverses grandeurs et Medailles
en Ar ge nt contenus dans le 11., 12., 13., 14. et 16. Medailler. Wie
all die vorigen nach der Zählung vom 1. Juli 1766—-6681 Stücke,
im Gewichte von 1060 Mark 2% Loth, von S. 303—427.
Pfleg-e der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
299
Darauf folgen in demselben Foliobande ohne Paginirung ein
paar Supplemente bis 1. März 1773, unter dem Titel: Supplement
au Catalogue des Medailles antiques contenues dans le 1., 2.
et 3. Medailler (sic) du Cabinet Imperial selon , l’dnumeration, qui
en a ete faite depuis le I. Juillet 1766 jusqu’ä la tin du mois de
Fevrier de l'annee 1773 sous les ordres de S. A. Monseigneur le
Prince d’Auersperg Grand Chambellan de Leurs Majestes Impe
riales etc. etc. etc.
Als Beispiel wie Karl Schreiber, wohl nach der französischen
Aufzeichnung von Verot, der gewöhnlich in seiner Sprache Medailler
statt Medaillier schrieb, unsere deutschen Namen eingetragen habe,
diene S. 458: „Abbes de Goetwin. Barthelemi Schenleb. 1. piece,
1 Lot“ „Godefroy le Mabillon de l’Allemagne. 1 (piece) 2(4 L.
Goetwin d. i. Göttweig. Abt Bartholomä Schenleb oder Schön
leben aus der Augsburger Diöcese, f 1541; Abt Gottfried Bessel
aus dem Städtchen Buchen im grossherzoglich badischen Unterrhein-
kreise (-[- 1749) ist der Mabillon nacheifernde gelehrte Verfasser
des Chronicon Gottvicense und versah das nach dem Brande vom
18. Juni 1718 von ihm in grossartigem Stile wieder aufgehaute Stift
mit einer reichen Bibliothek und einer auserlesenen Münzsammlung.
Auch schreibt er daselbst „Nicolas Flu c (von der Fluh) revere dans
le Canton d’Unterwald f 1488, und so andere Namen.
S. 463 folgt eine Becapitulation generale sämmtlicher antiken
und modernen Münzen und Medaillen in allen drei Metallen nicht nur
bis zur Zählung vom 1. Juli 1766, sondern auch die Angabe des
Zuwachses nach derselben bis zum 28. Februar 1773, und zwar in
diesen letzten Jahren erhielt die antike Abtheilung von Ihren Maje
stäten der Kaiserinn Maria Theresia und dem Kaiser Joseph II.
18 Stücke in Gold, 30 in Silber, dann eine Suite restituirter (nicht
mehr vorhandener) Medaillen von Silber von Julius Cäsar bis auf
Kaiser Karl VI. 219 Stücke, ferner Medaillen in Mittelbronce 46,
zusammen 313 Stücke.
Zu diesem summarischen Inventare vom Jahre 1766 kam im
Jahre 1773 ein Nachtrag. Da in einem Zeiträume von achtzehn
Jahren auch das moderne Cabinet manche Abänderung erlitten und
bedeutenden Zuwachs erhalten hatte, ward ein ganz neues Inven-
tarium abgefasst und im Juli 1784 beendet, und zwar nach den
Metallen in folgendem Systeme:
300
Joseph Bergmann.
A. Goldene Medaillen und Münzen der I. Grösse (9 Stücke im
Gewichte von 1494 1 /* Ducaten), der II. und III. Grösse, mit den
päpstlichen angefangen, denen die geistlichen Fürsten in ihrer
hierarchischen Rangordnung folgen; diesen reihen sich an die welt
lichen Fürsten, als Kaiser, Könige, Herzoge, Fürsten nach ihrem
politischen Range in alphabetischer Ordnung und weiter die Regen
ten eines jeden Hauses und Staates in chronologischer Folge; hierauf
die gräflichen und freiherrlichen Familien, ohne darauf zu sehen, ob
sie münz berechtigte Reichsstände waren oder nicht, wie z. R.
Collalto, Lamberg, Polheim, Schulenburg, Tlningen etc., welche unter
die Suite der berühmten Männer gehören. Diesen sehliessen sich die
Suiten der deutschen Städte und der berühmten Leute an.
B. Ducaten-Cabiuet, welches alle Münzen und Medail
len enthält, welche nicht Uber fünf Ducaten wiegen, in der vorigen
Ordnung, zusammen 4420 Stücke, im Gewichte von 5965 1 / 2 Ducaten.
C. Thaler S320 Stücke und 9829'/ a Guldenstücke.
D. Groschen-Cabinet, welches alle kleineren Gattungen,
sowohl Münzen als Schaustücke von Silber undRillon enthält,die
unter dem Werthe eines Guldens sind, 11.435 Stücke.
E. Silber-Medaillen I. Grösse (8 Stücke), II. und III.
Grösse.
F. Orientalische Münzen von Gold und Silber, in Gold
281 Stücke, im Gewichte von 357 3 / 4 Ducaten, in Silber 483 — und in
Kupfer und Blei 249 Stücke.
Die nackten Angaben des Staates, besonders des Namens, etwai
gen Geburts- und Sterbejahres der Münzherren, wie sie im Pracht
werke Catalogue des Monnoies en Or vom Jahre 1759 und in
dessen Supplement von 1769, dann im Catalogue des Monnoies en
Argent 1756, in zweiter Ausgabe 1769 und Supplement 1770
erschienen, waren ungenügend und hin und wieder die eigenen
Namen von den französisch schreibenden Verfassern unrichtig
geschrieben, so z. B. heisst es in den Monnoies en Argent vom Jahre
1769 S. 18 von Kurmainz: Anselme Casimir Vambold d’Umstoedt
statt Wambold d’Umstatt; ferner S. 48 vom Hochstifte Chur: Jean
Flugi d’Aspremont, elu l’an 1594 f 1627, was irrig ist, da er nach
Ambros Eiehhorn’s Episcopat. Curiens. S. 175 am 1. Februar 1601
gewählt wurde und am 1. September 1627starb. In Monnoies en Or.
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
301
heisst dessen Neffe und zweiter Nachfolger Iean Flug st. Flugi
d’Aspreraont. In Monnoies en Argent S. 393 heisst es von Johann
Grafen von Montfort-Tettnang: Jean fils de Hugues et de Ieanne
Euphrosine de Truchses — Wolseeck statt Wolfeck, u. dgl.
Da in diesen beiden Katalogen jegliches Vorwort fehlt und
seit deren Herausgabe neue Stücke der k. k. Sammlung zugewach
sen waren, sollte eine neue vermehrte und verbesserte Ausgabe
besorgt werden, zu welcher die Kupferplatten von den neuerworbe
nen Stücken gravirt waren, was deren Abdrücke die in dem Cabi-
nets-Exemplare vom Jahre 1769 an den betreffenden Orten einge
klebt sind, bezeugen. Es befahl nun die Kaiserinn Maria Theresia, dass
dieser Katalog ganz neu aufgelegt werde. Sie bestimmte zu dessen
Ausarbeitung (da, wie aus allem zu seliliessen ist, der bejahrte V erot,
sei es wegen seines Alters oder wegen Mangels der hiezu erforder
lichen Kenntnisse, diese Aufgabe nicht mehr zu lösen vermochte) den
Exjesuiten Heyrenbach, Custos der kaiserlichen Hofbibliothek und
Professor der Diplomatik auf hiesiger Universität, was von Seite
des k. k. Oberhofmeisteramtes am 20. Jänner 1778 dem k. k. Hof-
bibliotheks-Präfecten Gottfried Freiherrn van Swieten zur Wissen
schaft und Anweisung des obgedachten Custodis angezeigt wurde 1 ).
Wenn vielleicht auch die Ausarbeitung einer verbesserten Ausgabe
von Heyrenbach begonnen wurde, so ist sie wenigstens nicht weit
gediehen, da er nicht, wie es in der österreichischen National-Ency-
klopädie, Wien 1833, Bd. II, 376 heisst, im Jahre 1782, sondern
schon 1779 starb 3 ). Im nächsten Jahre erfolgte der hohe Befehl, die
neuacquirirten Münzen zum Zwecke der Herausgabe nicht mehr in
Kupfer stechen zu lassen und somit unterblieb eine vermehrte Aus
gabe, wie nachstehende von Verot’s Hand geschriebene Worte bezeu
gen: Observation pour servil- de memoire. — Le premier Mars 1780
le Directeur du Cabinet Imperial des Monnoies et Medailles a refu
ordre de la part de S. Excel. Mons. le Grand Chambellan de ne plus faire
graver leDucats, les Thalers et Florins, qu’on acheteroit pour comple-
ter celle partie du Cab., commeil y en a dejä environ 400 piecesaquises
*) Nach den Acten der k. k. Hofbibliothek. Vgl. Neueste Beschreibung aller Merkwürdig
keiten Wiens. Wien bei Joseph Edlen von Kurtzböck. 1779, S. 31.
2 ) Uber den trefflichen, allzu wenig gekannten Heyrenbach s. am Ende dieser
Abtheilung die Anmerk. II.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXIV. Bd. II. Hft. 20
302
Joseph ßergmann.
(sic) et gravees depuis la derniere edition duCatal. de l’annee 1769
dont les planches sont mises ä part dans la grande armoire, on a
juge ä propos de commencer ä cömpter de la meine datte le Catalo-
gue de ceux qui ne sont pas encore gravees pour les distinguer de
ceux qui le sont, au cas qu’on voudroit ä la suite les faire graver“.
Da der talentvolle und gelehrte Heyrenbach allzu früh dahin
geschieden und Verot, ein ehrlicher, braver Mann und treuer
Hüter des ihm anvertrauten Münzschatzes, hochbejahrt und, wie sein
Adjunct Karl Schreiber, ohne höhere Ausbildung war, trat schon im
Jahre 1783 der Chorherr Franz Neumann als zweiter Director des
modernen Münzcabinetes ein.
Am 19. Februar 1785 erhielt Verot den Auftrag moderne, und
Eckhel antike Doubletten für die Lemberger Universität auszu
scheiden.
Verot hatte eine schwere und, wie es scheint, langsam schrei
bende, später etwas zitternde Hand, wie dessen Einzeichnungen der
Acquisitionen zeigen. Von dessen Verwaltung ist vorhanden: Ver
zeichniss der modernen Münzen und Medaillen, welche der k. k. Hof-
sannnlung seit 1. März 1780 bis 26. September 1786 zugewachsen
sind, zum grösseren Theile von ihm, dann von Karl Schreiber’s Hand
geschrieben. Verot starb am 26. September 1786 am Schlagflusse,
72 Jahre alt, in der k. k. Burg 1 ); sein Leichnam wurde den 28. im
Hof-Todtenkämmerchen eingesegnet, dann mit dem Trauerwagen
vor die Matzleinsdorfer Linie abgeführt 2 ).
Verot schrieb sein erstes Testament am 6. Mai 1782 mit eigener
Hand in deutscher Sprache, woraus erhellet, dass er derselben
wohl kundig war. Das zweite ddo. Wien den 24. April 1786 ist fran-
zösisch, von anderer Hand geschrieben, von ihm aber unterzeich
net und mit dem Kopfe einer Antike besiegelt. Beide habe ich jüngst
beim k. k. Hofmarschall-Amte eingesehen. Verot war katholisch und
ledig. Die Haupterben seines Nachlasses der nach allen Abzügen
17.230 Gulden betrug, waren sein Bruder Adam Verot, der zu
Minden in Westphalen lebte und ausserdem zum voraus 1000 Gulden
erhalten hatte, und seine beiden verehelichten Schwestern Ro sine
Job und Marie Coignard in Boulay zu gleichen Theilen: dem
*) S. Wiener Zeitung vom 4. October 1786, S. 2371.
2 ) Nach Mittheilungen aus dem Hof-Pfarrbuche bei St. Augustin.
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
303
Kinde seiner Schwester Margaretha Hemme!, Witwe daselbst,
vermachte er 2000 Gulden ohne allen Abzug, von denen sie lebens
länglich den Fruchtgenuss zu beziehen hatte. Dein J o h a n n Baptist
Schreiber, Sohne seines Adjuncten Karl Schreiber, legirte er
alle seine gedruckten Bücher und Landkarten, die auf 92 fl. SS kr.
geschätzt waren, endlich seinem Freunde Joseph Rupert Gärt
ner, dem von ihm ernannten Testaments-Exeeutor, 400 Gulden, die
goldene Uhr und seine Manuscripte, welche beide zu 41 fl. S2 kr.
angesetzt sind.
Nun kommen wir zu Eckhel, dem hellsten Sterne am Himmel
der Numismatik, und wollen die versprochenen Mittheilungen über
die Familie Eckhel den Verehrern des grossen Mannes nicht länger
vorenthalten.
A. Die Familie Eckhel.
Der Name Eck hei, nun im gelehrten Europa viel genannt und
gepriesen, ist gegen drei Jahrhunderte in Wien und dessen Umge
gend heimisch. Ob die Erstbenannten die hier folgen, einer und
derselben Familie angehören, lässt sich nicht mit Sicherheit bestim
men. Im Todtenbuche hei St. Stephan in Wien fand ich „Jörg Egkll“
im August 1379, und im November desselben Jahres „Magdalena
Eckhlin Anniversarius (sc. dies)“. Kaiser Matthias gab ddo. Prag
am 7. April 1617 den Gebrüdern Christoph und Georg Eckhel
einen Wappenbrief 1 ). Am S. Februar 1623 wurde Christoph
Eckhel kaiserlicher Hofmusicus und Hoftrompeter in den Adelstand
erhoben und erhielt den Titel „kaiserlicher Hofdiener“. Sein Vater
Zacharias und sein Bruder Georg hatten nach den bezüglichen
Reichsadels-Aeten in den ungrischen Feldzügen gedient, so auch er
unter weiland Kaiser Matthias als Feldtrompeter durch zehn Jahre
und unter Seiner regierenden Majestät ins neunte Jahr als Hoftrom
peter. Im Status particularis Regiminis Ferdinandi II. 1637.pag. 130
wird unter denTubicines musicales auch „Christophorus Eckel“
genannt.
1 ) Die Abbildung' dieses Wappens im Anhänge und dessen Beschreibung in
Anmerk. III.
20 *
304
Joseph Berg 1 mann.
Adam Eckliel, niederösterreichischer Regierurigs - Taxamts-
Gegensehreiber, erhielt von Kaiser Ferdinand II. ddo. Kaiser-Ebers
dorf den 9. September 1031 den Adelstand und Wappenbesserung
mit dem Titel eines kaiserlichen Dieners und anderen Freiheiten ').
Nun sind mir Aufzeichnungen über die Fa mi 1 ie Eckhe 1 von
einem Sprössling derselben, dem um Österreichs ältere Geschichte
hochverdienten k. k. geheimen Haus-, Hof- und Staatsarchivare und
Truchsesse Dr. Andreas von Meiller, mitgetheilt worden, die von
unseres unsterblichen Eckhel's Vater Johann Anton Eckhel und
dessen Sohn Johann Baptist Georg niedergeschrieben sind. Diese
Aufzeichnungen sind ein Eigenthum des Sohnes des Letzteren, des
Herrn Johannignaz von Eckhel in Triest, der sie seinem Vetter
Herrn Dr. von Meiller zur Abschriftnahme geliehen hatte.
Diese Familie in ihrer Descendenz sowohl männlicher als weib
licher Seite ist sehr zahlreich. Wir heben zu unserem Zwecke im Aus
zuge besonders das heraus, was unsern grossen Eckhel und seine
allernächsten Angehörigen betrifft. Das kleine Büchlein beginnt mit
dem Jahre 16S9 und erstreckt sich bis 1812. — Da dessen Schreiber
sich des den Adel bezeichnenden Wörtchens „von“ nicht bedient,
so habe ich auch dasselbe weggelassen.
Dem Daniel Eckliel, Bürger (f 8. April 1688) im Markte Piibra
in Unterösterreich, gebar seine Ehewirthinn Anna (-}- 26. April 1710)
am 2b. Juli 16S9 daselbst den Johann Jakob Eckhel, der sich
den 3. Juli 168S als Pfleger zu Thalheim mit Jungfrau Susanna
Clara Lambach er in in der Klosterkirche zu St. Pölten verehe
lichte.
Johann Jakob Eckliel ward am 1. November 1707 Verwal
ter zu Zwentendorf, kam den 1, April 1716 in gleicher Eigenschaft
von da nach Primmersdorf und wurde im folgenden Jahre zu St. Pöl
ten bei dem Grafen und General Althann Buchhalter. Er starb am
IS. Mai 1738 zu Murstetten und ruht in der Klostergnift zu Jeuten-
dorf, wo schon seine den 6. März 1722 verstorbene Hausfrau begra
ben wurde. Deren eilf Kinder sind :
1. Johann Ferdinand, geboren 16. September 1687, gestorben
2. März 1688, und
*) Das Original-Diplom habe ich bei Hrn. Johann Ignaz von Eckhe 1, Grosshändler
in Triest, am 8. September 1857 daselbst eingesehen.
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert. 305
2. Johann Franz, geh. am 28. October 1688, gest. den 17. April
1689, ruhen zu Kapellen.
3. Johann Joseph, geh. am 2. Februar 1690, studirte in Wien,
ward 1723 Pfleger zu Weinern bei Baron von Selb, 1729 der
Herrschaft Sirndorf beim Grafen von Gurland, zog sich später
mit seiner Hausfrau Johanna Sophia verwitweten Müller
nach Kirehberg am Wagram, wo beide starben.
Sie hinterliessen von mehreren Kindern nur eine Tochter
Namens Antonia, verehelicht mit HerrnRobrer, Verwalter zu
Oberstocksthal.
4. Maria Katharina, geh. 22. Jänner 1692.
5. Johann Anton von Padua, geh. am 29. Mai 1694 im Zeichen
des Widders 1 ), von dem später das Nähere.
6. Johann Ignaz, am 31. Juli 1696 geboren, starb unverehelicht
am 13. April 1774 in Wien als ein hofbefreiter Siegel- und
Wappensteinschneider, Nr. 168 im Schultergässl, alt 78 Jahre,
nach dem Wiener Diarium von 1774, Nr. 31.
7. Joseph Ernst Jakob, am 28. December 1698 geboren, kam
am 3. November 1709 nach Wien zum Studiren, verehelichte
sich mit der verwitweten Frau M. Anna Peutner im Jahre 1769
und starb kinderlos den 13. December 1760.
8. Joseph Lorenz Maria, geh. am 23. Mai 1701, ward erst Käst
ner zu Poisbrunn am 1. Jänner 1736, dann Verwalter in Zwen
tendorf, kaufte sich später ein Landgütchen in Vesendorf (bei
Laxenburg), wo er unverehelicht den 23. Juni 1787 starb.
9. Joseph Michael, am 27. August 1704 geboren, kam im Octo
ber nach Wien zum Studiren, ward 1731 zu Fridau Gegen
schreiber (Controlor), 1735 zu Freudendorf Pfleger, 1751 zu
Altenstein Verwalter, wo er den 28. März 1753 ledigen Stan
des starb.
10. Maria Francisca Theresia, geh. 28. Mai 1707 und gestorben den
5. August desselben Jahres.
11. Anna Maria, geh. am 27. Jänner und gestorben am 27. Octo
ber 1709.
*) So wie hier sind auch hei den andern Kindern nach dein Geiste jener die Himmels-
z eichen, in denen sie geboren wurden, dann überall auch die Taufpathen und
der taufende Priester angegeben, welche Angaben wir der Kürze halber weg-
gelassen haben.
306
Joseph Berginann.
Der unter Nr. 3 genannte Johann Anton, mit welchem wir die
v. Eckhel’sche Genealogie fortsetzen, ward am 23. Juli 1702 bei der
Frau Gräiinn von Polheim Page durch drei Jahre, später vom 1. April
1716 bei der fürstlich Montecuecolisehen Herrschaft Enzesfeld
(s. Anmerk. IV) Gegenschreiber und verblieb als solcher durch
neun Jahre daselbst, ward den 6. April 1723 Rentschreiber hei der
Herrschaft Immendorf durch vier Jahre, dann den 4. November 1728
als dortiger Pfleger angestellt, trat aber schon am 21. April 1729
als Pfleger wieder in Montecuccolische Dienste zu Enzesfeld, wo
er sich am 4. November 1730 in der Pfarrkirche mit der ein und
zwanzigjährigen (geh. 16. Nov. 1709) M. Clara, des dortigen Hof
jägers Johann Ludwig Tischler ehelichen Tochter öffentlich copu-
liren liess. Sie starb den 20. April 1772 zu Baden und ward in
der Pfarrkirche im Friedhofe zwischen der Kirche und demSacristei-
gang begraben.
Deren Kinder 1 ), vierzehn an der Zahl, waren:
1. Anna Maria Antonia Theresia, am 3. April 1732 geboren,
kam am 3. December 1744 in die fürstlich Montecuccolische
Stiftung (s. Anmerk. V), in der sie über zwölf Jahre verblieb,
verehelichte sich am 26.April auf der Cur (bei St. Stephan) zu
Wien mit Karl Winkler, gewesenem k. k. Postmeister zu
Windpassing, Witwer und Bürger zu Baden, und starb am
4. Februar 1807 in Medling.
2. Johann Georg Rudolf, am 18. April 1733 geboren, studirte
in Wien, kam daselbst am 3. Juli 1734 zum Kupferamt, ward
den 1. März 1761 Gegenschreiber zu Enzesfeld, kam 8. Sep
tember 1763 zu Herrn Stainer (s. Anmerk. VI) nach Wien in
die Wechselstube, dann am 8. April 1767 nach Wasserburg bei
St. Pölten als Gegenschreiber, wo er den 23. Jänner 1768 ehe
los starb.
3. Johann Karl Anton Donat, am II. Juli 1734 geboren, kam am
11. Juni 1743 zu Joseph Polz nach Wien in die Kost zumStudi-
ren, darauf am 9. März 1738 nach Schwechat in die Kattunfabrik
als Färberei-Beamter, übernahm im Herbste 1768 das väter-
Mit diesen Angaben der Geburtstage der Anton Ec khe l’schen 14 Kinder, nämlich
der acht Töchter und sieben Söhne, stimmt das damals lateinisch geführte Taufbuch
zu Enzesfeld vollkommen überein.
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
307
liehe Brauhaus in Enzesfeld, verehelichte sieh am 23. April 1 769
zuPerchtoldsdorf mit Jungfrau M. Anna Poschacher, Bräu
meisterstochter vom Schellenhof <). Im Jahre 1792 ging er
nach Lottowitz in Mähren in die Kattunfabrik als Director, zog
später nach Poltenstein in des Herrn Steiner's Klingenfabrik als
Director, von da weg zu seinem Sohne Joseph Melchior, Ver
walter zu Enzersdorf im Langenthal in die Ruhe, wo er den
28. Jänner 1809 starb. Er hatte nebst drei Töchtern den Sohn
Joseph Melchior, geboren 1783, der Director des Kupfer
hammer-Werkes des Herrn Melchior Ritter v. Steiner war und
am 19. Februar 1823 zu Pottenstein starb; ihm folgte seine
Gattinn Anna v. Scheuchenstuel daselbst ins Grab am
27. März 1827 ohne Kinder zu hinterlassen.
4. Mafia Eva Theresia, den 16. Jänner 1736 geboren, kam den
9. Juni 1749 in die Monteeuccolische Stiftung, die sie bis 16.
Jänner 1731 genossen hat, ward den 29. September 1733 mit
Johann Michael Sehickh, Buchhalter bei der k. k. Bergwerks-
Direction in Wien, zu Enzesfeld copulirt und starb den 3. Mai
1802 in Wien -).
3. „Den 13. Jänner 1737 um 3 Uhr Abends ist meine Gemahlin“
— so heisst es wörtlich -— „mit einem Sohn entbunden wor
den im Zeichen des Zwillings, welcher von Herrn Pfarrer Hueber
zu Enzesfeld mit dem Namen Johann Joseph Hilarius getauft,
und von Herrn Joseph Kaiser, Secretär des verstorbenen Für
sten Montecuccoli und dessen Gemahlin (aus der Taufe) geho
ben worden ist.“
„Den 11. Juni 1743 ist er nach Wien zum Studiren gekom
men. Den 20. October 1731 ist er zu Wien bei St. Anna in
den Jesuiter-Orden aufgenommen worden“.
„Den 24. September 1764 hat er zu Maria Hiezing (nächst
Schönbrunn) primicirt, id est seine erste Messe gelesen“.
„Den 30. August 1772 ist er von seinem Kloster nach Rom
zur Erlernung der Antiquität gesendet worden auf ein Jahr.
*) Nach dem Trauungs-Protokolle der Pfarre zu Perchtoldsdorf.
2) Dieser Joh. Michael Sehickh wurde am G. Juni 1793 in den Adelstand erhoben.
Dessen Sohn Joseph von Sehickh, der init seinem Vetter Andreas v. M eitler
später die Firma von Steiner und Comp, führte, ward Abbe Eckhel’s lestaments-
Executor.
308
Joseph He rgm a n n.
Den 8. Jänner 1774 ist er über Florenz, all wo er ehevor
dem Grossherzog Leopold sein aus 30.000 Stücken bestande
nes altes Münzcabinet eingerichtet hat, wieder nach Wien
zurückgekommen, und von der regierenden Kaiserin Maria The
resia unter dem Oberdirector Du va 1 mit 600 fl. jährlichem
Gehalt und Freiquartiere in der k. k. Burg angestellt, nach des
sen Tode aber Oberdirector mit 1200 fl. Gehalt, wie auch in
der k. k. Universität zu Wien Professor von der Antiquität
und Philosophie mit 400 fl. geworden, welche 400 fl. ihm der
Kaiser Joseph der Zweite nach seinem Regierungsantritte weg
genommen und ihm für all Obbemeldetes nur die Besoldung von
1200 fl. jährlich gelassen hat“.
„Den 16. Mai 1798 ist er im 63. Jahre seines Alters in Wien
gestorben. Er hat gelehrte Bücher vom alten Münzwesen heraus-
gegeben“.
6. Den 22. August 1738 ist geboren M. Barbara und am 17. Jän
ner 1768 mit Herrn Joseph Michael Rogier, k. k. Messing
factor, auf der Cur zu Wien copulirt worden. Er war Witwer,
Sie hatte Kinder und starb den 13. Juni 1798 zu Medling.
7. Den 9. December 1739 ist geboren Johann Ludwig, vom Herrn
Pfarrer Hueber zu Enzesfeld getauft und vom dortigen Brau
meister Dür im Namen Seiner Excellenz des Grafen und Herrn
Ludwig von Zinzendorf, Pottendorf, Enzesfeld, Was
serburg und seiner Gemahlinn Susanna Theresia, geb. Gräfinn
von Auersperg (Anmerk. VII) aus der Taufe gehoben worden.
Er starb am 24. September 1742.
8. Den 7. März 1741 ist geboren M. Susanna Elisabeth, gestor
ben 27. Juni 1742.
9. Den 22. Mai 1742 ist geboren M. Anna Raphaela, vermählte
sich am 2. Juli 1765 mit Hrn. Johann Meiller, k. k. Feldkriegs-
cassier in Debreczin und starb als Witwe den 11. August 1801
zu Pressburg (Anmerk. VIII).
10. Den 21. Juni 1743 istgeboren Johann Michael Alois, kam den
3. Juli 1754 nach Wien zum Studiren und 1756 nach Wiener-
Neustadt in die dritte lateinische Schule. Anno 1765 wurde
er bei der k. k. Bergwerksproducten-Direction in Wien ange
stellt, kam nach etlichen Jahren zur Münz- und Bergwesens-
Buchhaltung als RaitolTicier (d. i. Rechnungs-Oflicial) mit 700
Pflege der Numismatik in Österreich iin XVIII. Jahrhundert. 309
Gulden Gehalt, und starb hier unverehelicht den 26. März 1797
am Schlagflusse.
11. Den 17. März 1743 ist geboren M. Josepha Gertrud, ver
mählte sich den 14. Februar 1762 zu Wien auf der Cur mit
Herrn Melchior Steiner, Wechsler und Klingenfabrikanten
in Sollenau, hernach in Pottenstein. Sie vermählte sich wieder
nach ihres Gemahles Tode (1786) mit dessen gleichnamigem
Nefl’en und starb in beiden Ehen kinderlos in Wien den 3. April
1812 am Nervenschlag im 67. Jahre ihres Alters und wurde auf
dem Friedhofe zu Pottenstein beigesetzt (Anmerk. VI).
12. Den IS. December 1746 ist geboren M. Ernestina, verehe
lichte sich den 31. Jänner 1773 in Baden mit Herrn Chri
stian v. Görz, k. k. Obertaxamts-Controlor zu Wien und hatte
Kinder.
13. Den 2S. Juni 17S0 ist geboren Johann Ignaz von Lojola, der
Fortpflanzer des v. Eckhel’schen Geschlechtes.
14. Den 13. December 17S2 ist geboren M. Helena Ottilia, kam
den 21. December 1771 in die fürstlich Montecuccolische Stif
tung und vermählte sich den 6. November 1774 zu Baden mit
Johann Baptist Rockert, Tuchhändler zu Fulneck in Mähren
(Anmerk. IX).
Weiter heisst es: Anno 17S6 bat mein Vater Johann Anton
Eckhel den Verwaltersdienst bei der Herrschaft Enzesfeld aufge-
geben und das dortige Bräubaus vom Bräumeister Johann Michael
Dür käuflich übernommen und dasselbe dann seinem Sohne Karl
übergeben. Er zog sich darauf mit seiner Frau Clara zu seiner
ältesten Tochter Antonia und starb bei ihr den 19. August 1787 im
93. Jahre seines Alters.
Die folgenden Aufzeichnungen über Johann Ignaz Eckhel sind
von ihm ausführlich „in der ersten Person von sich redend“ nieder
geschrieben. Hier im Auszuge: Er kam 1761 nach Wien zum Stu-
diren, 1763 ins Convict bei St. Barbara auf der Hauptmauth in die
dritte lateinische Schule, ging 176S in der Hälfte der V. Schule wie
der nach Enzesfeld zu seinen Eltern, wo er in der Herrschaftskanzlei
unter dem Verwalter Mittermayr prakticirte. Im Jahre 1767 im
Monat Juni kam er nach Triest zu den Herren Righettini, Wagner
und Compagnie, wo er die Eisen- und Specereiwaaren-Handlung all’
310
Joseph Bergmann.
ingrosso zugleich sammt der italienischen und krainerischon Sprache
erlernt hat.
Da aber damals wegen der Salinen dieLnft alldort sehr schlecht
und er dieser wegen immer kränklich war, ging er von da nach Wien
zu Herrn Ignaz Leopold Strodl, Specereihändler, als Buchhalter, von
dem er im Mai 1773 wieder nach Triest zurückkehrte und bei Johann
Georg Scheidtenberger, Eisenhändler en gros, als Buchhalter
eintrat, der ihm im November 1774 seine jüngste Tochter Antonie
zur Gemahlinn gab und einen Gewinnst-Antheil an seiner Hand
lung versprach. Mit der Behandlung seines Schwiegervaters (gest.
6. Oct. 1788) unzufrieden, bewarb er 1782 sieh um eine Controlors-
stelle bei der k. k. Bergwerks-Producten-Versclileiss- und Speditions-
Factorei in Wien , die er auch erhielt. Aus Furcht vor dem Einfalle
der Franzosen trat er im März 1797 freiwillig aus diesem Amte aus
und lebte zu Wolfsberg in Kärnten, wo er sich an der Eisenwaaren-
handlung seines Neffen Johann Michael Offner mitinteressirte. Im
Jahre 1800 ging er wieder nach Wien, dann nach Pesth, Grätz,
Stadt Steyor und Görz, kam im April 1804 zu seinem älteren Sohne
nach Triest und endlich 1808 wieder nach Wien, ward Grosshand-
lungs-Buchhalter und starb an der Abzehrung den 27. October 1816.
(S. Wiener Zeitung v. 1816, Nr. 307, S. 1220.)
Seine Gattinn Antonia, die am 14. September 1791 starb,
gebar ihm: a) am 18. August 1780 den Sohn Johann Baptist
Georg, und b) am 16. November 1781 Johann Anton, der erst in
Görz bei den Piaristen die deutsche Normalschule besuchte , später
durch vier Jahre in der k. k. Ingenieur-Akademie in Wien erzogen
wurde. Um das Jahr 1798 trat er in das Comptoir des Banquiers
Steiner und starb als Grosshandlungs-Procuraführer am 3. April 1837
unverehlicht in Wien 1 ); dann c) am 26. Mai 1788 die Tochter
Anna Maria, welche 1836 ledig in Wien starb.
Der so eben genannte Johann Baptist Georg von Eckhel besuchte
gleichfalls die Piaristen-Schule zu Görz, erlernte in deren Collegium
zu Capo d'Istria die italienische Sprache und Mathematik und wid
mete sich dem Handelsstande, ward 1799 Buchhalter und noch in
demselben Jahre Grosshändler in Triest. Im Jahre 1812 wählte ihn
die französische Regierung zum Mitrichter bei dem Handelsgerichte
Siehe Wiener Zeitung vom Jahre 1837, Nr. 86, S. 514.
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
311
wie auch zum Mitgliede bei der Handelskammer. Am 29. Juni 1806
vermählte er sich mitFräulein Johanna von Vierendeels, Waise
von Anton von V., erstem Director hei der privilegirten Zuckerfabrik
in Fiume, welche ihm ausser fünf Töchtern, von denen zwei in ihrer
Kindheit starben, die beiden nachgenannten Söhne gebar und am
18. März 1848 starb. Ihr Gemahl folgte ihr ins Grab im Jahre 1851.
Der ältere dieser Söhne Johann Ignaz, am 19. September
1811 geboren, machte seine (selbst philosophischen) Studien in
Wien, widmete sich dem Stande seines Vaters, errichtete im Jahre
1839 ein Grosshandlungshaus unter eigener Firma, verehelichte sich
mit Fräulein Friderike Raman, das ihn mit den zwei Söhnen
Georg, geboren am 21. Juli 1841, und Isidor, geb. am 2. Novem
ber 1854, und sieben Töchtern beglückt.
Der jüngere Heinrich Melchior Anton, am 1. Februar 1823
geboren, machte seine Studien zu Grätz, widmete sich gleichfalls dem
Handelsstande und associrte sich 1852 mit seinem Bruder. Beide
führen das Grosshandlungsgeschäft unter der Firma „Fratelli Eckhel
in Triest“. Seine Gemahlinn M. Magdalena v. Ritter-Zahony
schenkte ihm am 6. März 1855 den Sohn Hektor Wilhelm Fried
rich Maria, dann zwei Töchterehen.
Wir haben oben S. 307 über unsern berühmten Jo bann Joseph
Hilarius Eckhcl nur wenige, aber die bestimmtesten Angaben über
die Zeit, wann er in den Orden der Jesuiten getreten und Priester
geworden, wie auch wann er nach Italien gereist ist, aus den Fami-
lien-Aufzeichnungen mitgetheilt. Wir knüpfen hier ans Jahr 1758
an und verfolgen weiter dessen Lebenslauf. Nach der Jenaer allge
meinen Literatur-Zeitung Bd. III, Nr. 128, S. 1067 wiederholte Eck
hel zu Leoben die Humaniora und zu Grätz studirte er Philosophie,
Mathematik, die hebräische und griechische Sprache. Sein literari
scher anonymer Erstling, den er in seinem 21. Lebensjahre schrieb,
ist: „Ex er ei ti um gra-mmaticum in Prophetiam Obadise“
im Anhang zu: Institutiones Lingufe sacrrn in Vniversitate Gramensi
SS. Theologiae Auditoribus propositse a patre Josepho Engstier e
Societate Jesu. Grsecii, Literis lueredum Widmanstadii, Anno
M.DCC.LVIII. kl. 8°., von S. 147—175 0- Somit behandelt dieser
*) Diese Institutiones Lingua? etc., besitzt die k. k. Universitäts-Bibliothek. — Engstier,
Doctor der Theologie, war nach der Aufhebung des Ordens Gustos der akademischen
312
Joseph Bergmann.
grammatische Versuch nicht den Propheten Aggaeus oder IIag-
gai, wie Millin in Eckhel’s Biographie sagt: — il publia une expli-
cation grammaticale des propheties d’Haggee“, sondern den Pro
pheten Obadja oder Abdias, von dem nur ein Capitel mit 21
Versen uns bekannt ist. — Herr Dr. Joseph Karle, Professor der
biblisch-orientalischen Sprachen an der hiesigen Hochschule, fällt
über diese Jugendarbeit folgendes Urtheil: Eckhel gibt den hebräi
schen Text mit allen Lesezeichen, wie er gewöhnlich in den gedruck
ten Ausgaben sich vorfindet, mit einer Interlinear-Ubersetzung, wel
che sich so genau an den hebräischen Text anschliesst, dass manch
mal sogar die Deutlichkeit verloren geht, z. B. im Verse 12. Die jedem
hebräischen Verse beigegebene Analyse zeigt, dass der Autor die
Formen der Zeitwörter und der Nennwörter richtig kennt. Dass in
neuerer Zeit die Behandlung der Grammatik von den Institutionen
Engstler's etwas abweicht, versteht sich von selbst“. Eckhel ward
dann als junger Priester nach den Satzungen seines Ordens zum
Unterrichte der Jugend verwendet. Erlehrte angeblich (wahrschein
lich schon bevor er Priester geworden) in den Ordens-Gymnasien
zu Leoben und zu Stadt Steyer in den lateinischen Grammatical-
Classen, nach andern auch zu Judenburg Poetik und Rhetorik und
ward Meister der lateinischen Sprache, die er mit Leichtigkeit und
Eleganz handhabte. Wohl am längsten lehrte er diese beiden Fächer
am akademischen Gymnasium in Wien. Auch war er der Poesie nicht
abhold, wir haben etliche Zeugen seiner Muse der er sich bei feier
lichen Gelegenheiten zuwandte. Er dichtete zwei Oden im gly-
konisch-asklepiadeischen Versmasse mit der Aufschrift „l'lausus
Prbis. Plausus ruris“ auf die zweite Vermählung des römischen Königs
Joseph 11. durch Procuration zu München am 13. Jänner 176b mit
seiner Cousine M. Josepha, jüngsten Tochter Kaiser Karl’s VII.,
Kurfürsten von Baiern, dann zu Schönbrunn am 22. desselben Mo
nats *), welche (Oden) mit noch sechs andern von Jesuiten verfass
ten Gedichten erschienen. Jahrelang suchte ich diese Gedichte
vergeblich, endlich nahm ich meine Zuflucht zur Wiener Zeitung
Bibliothek, dann von 1783 Pfarrer bei den Servilen in der Vorstadt Rossau und starb
in Folge eines Falles am 28. Februar 1811 in einem Alter von 8G Jahren.
A ) Sie erkrankte, wie K. Joseph’s II. erste Gemahlinn M. Is a b e 11a, Priuzessinn von
P a r in a (-j- 27. Nov. 1763) an den Blattern am 20. Mai 1767 und starb am 28. kinderlos.
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
313
und bat um deren gefällige Anzeige oder Mittheilung. Sie finden
sich nun in der Bibliothek des hiesigen Stiftes zu den Schotten, aus
der ich sie durch die Güte des k. k. Hofpredigers Herrn Othmar
Helfersdorfer, Capitularen und Bibliothekars des genannten
Stiftes, zum Abschreiben erhielt. Diese sieben Gedichte sind in einem
Hefte von 16 Quartblättern zusammengebunden mit dem Titel: Odae
quum IOSEPHUS II. Rom. Rex Augustus, et IOSEPHA BAVARIAE
Princeps Serenissima nuptiis jungerentur, editae a Csesareo Viennensi
Societatis Iesu Collegio (darunter: der schreitende Mercur mit dem
Fliigelhut, in der gesenkten Rechten den Schlangenstab und in
der Linken einen Zweig haltend). Viennte Austrite, e Typographen
Kaliwodiano. M. DCC.LXV., mit schönen grossen Lettern gedruckt.
Die Titel dieser sieben Gedichte lauten:
1. Ad Franciscum Rom. Imperatorem Augustum (der nach derVer-
mählung seines Sohnes Leopold II. [5. Aug.] am 18. des
Jahres 1765 zu Innsbruck am Schlagflusse starb).
2. Ad Mariam Tberesiam Imperatricem, ac Reginam Augustam.
3. Ad Josephum II. Rom. Regem , et Josepham Rom. Reginam,
sponsos Augustos.
4. Ad Imperium Romanum.
5. Ad Yiennam. (Unterzeichnet am Ende: a Josepho Renckld, S.
J. S.)
6. P lau sus Ur b is.
7. Plausus Ruris. (Unterzeichnet: a Josepho Eckhel S. J. S.)
I.
A. PLAUSUS ÜB BIS.
Fesf.is purior ignibus,
Fesfis, o juvenes! non temere ignibus,
Coelo candidior micat
Hesper. Continuo, quisquis ades bonus,
Et risum, atque hilares jocos,
Et quidquid subitae laetitiae cst domi,
Festa praeeipito ex die.
Cessatis? pueri, eernitis nt saeris
Cineti tempora floribus
Festivas manibus concutiunt faces
Conferti, et superis parem
IOSEPIIUM ad thalamos cum superis pari
IOSEPHA properi vocant!
314
Joseph Bergmann.
Fallor! num crepuit limen; et, o decens
Virgo Conjuge cum tuo
Expectata venis? Qualis in aequore
Quondam nata recens Venus,
Dum secura Notis unda quiesceret,
Dilectam attigerat Cyprum,
Quain pulchrae Charites cum puero nlite
Circum ludere gestiunt.
At nunc et fidium dulce sonantium,
Et mixto citharae sono
0 Hymen! tenerae dicite virgines!
0 Hymen! juvenum chorus
Alterno in numerum dicite carminc:
Quantis Graecia Pelei
Felix connubium cantibus extulit,
Cantu, quo Ionium mare,
Et pulsatus Eryx insonuit procul,
Rupcsque Acroceraunia.
0 Hymen! pueri dicite fervidi !
Salve! o magnanimum genus
IOSEPHE! Ah teneros Virginis aureae
Amplexus facilis capo.
Atque idem gemino nomine dici ames
Princeps, et placidus pater.
Sic quondam patriis clarus honoribus
Perges sideribus caput
Celsum tollere. Sie regna prioribus
Nascens, oeciduusque sol
Adjecta, et domitas aspiciat maris
Euxini furias, quod, heu!
Iam nunc terrificis ad tua nomina
Vatum carminibus tremit.
0 Hymen! tenerae dicite virgines!
0 felix ter, et amplius
Virgo! cui pietas, cui comes addita
Virtus, et patrium genus,
Et vultus teneris aptus amoribus
Quando unam invenient parem ?
Al neu, dulce decus! neu tibi patrium
Plus justo placeat solum, et
Quae desideriis tacta fidelibus
Tellus Bavara Iacrimans
Absentem queritur! Nos quoque floribus
Pictos purpureis agros,
Et colles humiles, atque hahitata Diis
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
Spectamus juga; nec tibi
Purae rivus aquae, lene fluens agris,
Nee, quae pomifer educat
Autumnus, deerunt, donaque Liberi,
Nec Titan placidum nitens.
Sic Lucina tuis partubus adsit, et
Praestans rite vocata opem,
Haeredem patrii det sobolem inaperi.
Sic circum pueri latus
Spargat purpureas Nympha decens rosas
Et mixtos violis crocos,
Et molles cytisos. Sic puerum in tuo
Ludentem roseo sinu
Cernas auspiciis surgere dexteris;
El Matrem assimilet suam
Materna juvenis nobilis indole,
Et jactans patrium decus
Ingentem meritis assimilet Patrem.
B. PLAUSUS RURIS.
At quis per liquidum aethera
Cum cantu fidiutn diditur, et lyrac
Plausus dulcis agrestium,
Quo pulsata sono saxa remugiunt?
Ite, ite, o celcres sequi,
Et furnurn, et strepitum linquite moenium.
Mecum ite in virides agros,
Silvasque, o soeii! Cernitis undique
Custodes nemorum, et gregis
letos laelitia, non alias data,
Multa connubium prece
Felix, et thalamos dicere dexteros.
Aut saxo super arduo
Pastorale lcvi carmen arundine
Cantare imparibus modis.
Assucta interea per juga montium
Fauni capripedes humum
Uirsuto quatiunt (laetitiae genus!)
Ter morem in Salium pede,
Iactantes valida pocula dextera.
Illinc Gratia candida
Nymphis, et teneris juncta Sororibus
Myrto, mollibus et rosis
Pulchra lege comas impcdit aureas,
316
Joseph Bergmann.
Et jain laeta choros agit,
Aut terram foliis spargit agrestibus,
Aut nunc connubialia
Ad cantum citharae carmina dividit.
Atque horum in medio pater
Silenus stiinulos subjieit, et procul
Cunetantes pueros voeat:
0 segnes nimium! Promite, promite
Dulcis munera Liberi,
Fragrantesque rosas non sine mollibus
Unguentis, ait: baec dies
Insanire mero, et mille jubet jocis,
Cantuque, et Saliaribus
Tuxta carminibus. Quid placidum micat
DifTusus pateris liquor ?
Iam me non melius Thracius Orpheus
Dicet carmina, quamlibet
Auritas cithara duceret arbores.
Heu! quo me rapis, Evoe
Plenum, Bacche, tui'! cur titubant pedes,
Et circum rapitur polus?
Cur lapsu quatio praecipiti solum
Pronus, quanta furoribus
Alpini Boreae pulsa ruit larix?
0 jucunda protervitas!
0 Hymen! oculos heu premit atra nox !
At me crastine languido
Titan aspicies semianimcm mero;
Quod si vita rediverit,
Non segnes pueri turgida Libero
Rursum promite pocula,
Hac pro laetitia bis moriar Iibens.
A IOSEPHO ECKHEL S. J. S.
C. In „Oden, welche hei Gelegenheit der hohen Vermählung
Seiner Majestät Joseph des II., Römischen Königs etc. mit der
durchlauchtigsten Prinzessinn Jos cp ha von Baiern etc. in dem
kaiserlichen Collegium der Gesellschaft Jesu in Wien in tiefester
Ehrfurcht verfertiget worden. Wien in Oesterreich, gedruckt bei
Leopold Johann Kaliwoda, kaiserl. Reichs-Hof-Buchdruckern. 4°“ ist
von S. 15—19 nachstehendes Gedicht in deutscher Sprache ent
halten :
Pflege der Numismatik in Österreich iin XVIll. Jahrhundert.
317
0 (1 e.
König! Welch einen Wunsch fühlt itzt des Dichters Herz,
Der den Himmel hinan stiller Betrachtung voll,
Aus vergöldtem Geschirr heiligen Rebensaft
Auf den glühenden Altar giesst?
Ist es indisches Gold, das nur den Thoren reizt?
Ist es rauschender Ruhm, nur dir unangemerkt,
Weiser! Will er vielleicht, will er dich, Vaterland!
Reich an stolzen Trophäen sehn?
Nein! So blendender Wunsch, tugendlich unerkannt,
Rührt das sanfte Gefühl frömmerer Sänger nicht!
Er wünscht (heiliger Duft steiget vom Altar auf)
Nun Dich, König! beglückt zu sehn.
Welches Redlichen Herz schlug nicht empfindlicher
In der Stunde, die Dich glänzend von Majestät
Vom Gestade des Mayes, jeder Verehrung werth,
Unsern Wünschen entgegen trug?
Welche glückliche Braut, sagt dann der Redliche:
Ihm an Frömmigkeit gleich, gross an der Ahnen Ruhm,
Wird zur Vaterlands Lust einst, vom Olymp bestimmt,
In des Königes Armen ruhn?
Und der feurige Ruf steigt schon zur Gottheit auf;
Mit gefälligem Blick winkt sie dem Hymen zu;
Freudig eilt er, und häuft Blumen, und streuet sie
Ueber Baierlands Fluren hin.
Im begeisterten Flug stimmt er die Leyer an,
Komm, Josephe! ruft er: höre mein festlich Lied,
Komm, gesegnete Braut! in der verdienten Brust
Quillt das Kaiserblut nicht umsonst.
Edel ist der Gedank’, unter des Vaterlands
Frohen Bürgern zu seyn, und sein anbethend Volk
An der Seite zu sehn; schön ist’s geehrt zu seyn
An des Fürsten und Bruders Hand.
Aber edler ist’s noch, durch ein geheiligt Band
Eine Fürstinn zu seyn, die Myriaden einst
Mutter nennen, und dann Opfer der Dankbarkeit
Mit entzündtem Gemüthe weihn.
Sitzb. fl. phil.-hist. 01. XXIV, Bd. II. Uff.
21
Sf
318
Joseph Bergmann.
So rief Hymen, und schwieg. Jeglichen frohen Ruf
Nahm der mächtige Ton silberner Saiten auf.
Mächtig fühlt ihn die Braut: heimlich durchschleicht Ihr Herz
Nie empfundener Regung Lust.
Prächtig zieht Sie nun her! Seht, wie Ihr munter Aug
Fern den redlichsten Gruss Völkern entgegen schickt;
Vom bezaubernden Mund strömen Empfindungen,
Von der Stirne der Länder Wohl.
Welch Entzücken! Wie froh schallet die Kaiserstadt
Von vielstimmiger Lust! sowie der Vögel Chor
Auf Aurorens Geburt jauchzendes Morgenlied
Hoch in wirbelnden Kreisen singt.
Ists der göldne Triumph ? Ists nie gesehne Pracht
Tausendfältiges Schmucks? Oder mit Majestät
Menschenfreundlicher Blick, Fürsten! in Euch vereint,
Den des Unterthans Freude reizt?
Er fühlt edlen Geruch blühender Hoffnungen,
Dank dir, Hymen! Er fühlt (gross ist der Ahndung Macht)
Durch das glückliche Band, das uns der Himmel flocht,
Göldner Zeiten beglückten Lauf.
Nur der Friede wird einst, sagt er, das ernste Werk
Unsers Königs seyn. Janus steht unbesucht
Dort im Tempel, und öd’; ihn schloss Theresens Hand
Schon mit ehernen Ketten fest.
Niemals zog Er ins Feld, säh Er nie Feinde dräun;
Dann ficht Vater und Held. Schrecken betäubet sie,
Und unmännliche Furcht. Seht, wie E r Tausende
Frevelschnaubender Feinde schlägt?
Nass vom edleren Schweiss nimmt I hn die Gattin auf
Im gefälligen Arm ; blicket Ihn zärtlich an,
Und wünscht Frieden; Er winkt: und das noch wunde Land
Schläft im Schoosse des Friedens ein.
Voll von rührender Lust hüpfet der Landmann her,
Froh im munteren Chor tanzender Jünglinge;
Nun schallt lauter Gesang durch den belebten Hayn,
Und der ländlichen Flöte Ton.
Stäts der Stimme getreu rufet die Echo nach ^
Aus verborgener Kluft; nachbarlich geht der Ruf
Von Gebirg zu Gebirg; schon singt der Karpathus
Ein dem Hymen geweihtes Lied.
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
319
Ister trägt den Gesang freudig dem Meere zu ;
Nun tönt Oesterreich Freud’ über den Pontus hin;
Triton horchet, und schnell nimmt er das Muschelhorn,
Und verkündt sie dem Ocean.
von
Joseph Eckhel der G. J. Priester.
In Folge meiner oben S. 312 erwähnten Bitte um Eekhel’sche
Gedichte in der Wiener Zeitung erhielt ich wider Vermuthen die
Abschrift dieser Ode durch Herrn Director Arneth vom k. Bibliothekar
Föhringer aus München, wo sich ein gedrucktes Exemplar dieser
Gelegenheitsgedichte vorfindet.
II.
Die Erzherzoginn M. Josepha, Braut Ferdinand’s IV. Königs
beider Sicilien, war vor ihrer Vermählung am 15. October 1767 zu
Schönhrunn an den Blattern gestorben. Nun warb derselbe um die
Hand ihrer jüngeren Schwester M.Caroline, die per procurationem
in der Hofpfarrkirche zu Wien den 7. April 1768 um 12 Uhr ver
mählt wurde, worauf sie gegen 3 Uhr nach Neapel abreiste. Die Ehe
ward vollzogen zu Caserta am 12. Mai. Sie starb am 8. Sep
tember 1814 im k. k. Lustschlosse Hetzendorf bei Wien. Deren
älteste Tochter M. Theresia, Kaisers Franz II. (I.) zweite Gemahlinn
(f 13. April 1807), ist die Grossmutter Seiner dermals regierenden
k. k. apostolischen Majestät. —
Eckhel’s Gelegenheitsgedicht führt den Titel:
„Auf die Abreisse Ihrer könig 1. H oheitMarienChar-
lottens, Erzherzoginn von Oesterreich.— Von Joseph
Eckhel der G. J. Priester, öffentlichen Lehrer der Redekunst an
der Universität. WIEN, gedruckt bey Johann Thomas Edlen
v. Tratteern, kaiserl. königl. Hofbuchdruckern und Buchhändlern.
1768.“ Vier Blätter in 8 Ü mit deutschen Buchstaben und verzierter
Randeinfassung. Auf des Titelblattes Rückseite:
Age cuncta nuptiali
Redimita vere tellus
Celebra toros heriles —
Veneti favete montes,
Subitisque se rosetis
Vestiat Alpinus apex,
Et rubeant pruinae.
21
320
Joseph Bergmann.
Atiiesis strepat choreis,
Calamisque flexuosus
Leve Mincius susurret,
Et Padus electriferis
Admoduletur alnis. —
Procul audiant Iberi —
Habet hinc patrem maritus.
CLAUDIAN. IN NUPT. HON.
leb sah (ihr Völker glaubt dem heiligen Gesichte)
Dort, wo in Götterpracht der Fürsten Tempel stehn,
Den Schutzgeist Oesterreichs beym heitern Mondenlichte,
Gedankenvoll, und einsam gehn.
Er gieng, an jeder Hand mit leichten Hochzeitkränzen
Geschmückt, sein lockigt Haar in Blumen eingehüllt;
Ich sah an seiner Brust mit zartem Schimmer glänzen
Den schönsten Schmuck, Theresens Bild.
Lang überdacht tönt itzt aus der entzückten Seele
Sanftfliessend (doch so mancher stiller Kummer zwang
Ihm Seufzer ab) wie in das Thal die sanfte Quelle
Hinfliesst, sein göttlicher Gesang.
Dort eilt Sie hin (ihr Welten hörts) auf Amorsflügeln
In Ihr mittägig Land, wo sich Parthenopens
Vergöldte Thürme stolz im nahen Meere spiegeln,
Die Braut, die Lust Tlieresicns.
Charlotte kömmt: so ruft des Hymens Lustposaune;
Der Wiederhall tönt nach; ihn hört das Nymphenchor
Entzückt; es fühlen ihn die ziegenfüssgen Faune,
Und munter schlägt ihr spitzes Ohr.
Komm, ländlich Göttervolk! komm von der Berge Rücken
Ins Thal herab ; streu Blumen auf die Strassen hin
Beym Flötenton, und segne Sie mit frohen Blicken
Neapels beste Königinn.
Geflügelt eilet Sie zu Ihrem Ferdinande,
Der itzt betrachtungsvoll, in Sehnsucht tief versenkt,
Der Freuden Meer, des Reiches Glück im neuen Bande
Bey langen Stunden überdenkt.
Die Fackel in der Hand, vor regen Freuden hüpfend
Führ, holder Hymen, an des jungen Herrschers Thron
Die Braut. Dann unauflösbar beyder Herzen knüpfend
Vollend, Lyäens schönster Sohn,
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
321
Xlierescns grosses Werk, die hoch im Göttersaale
Mit richterischem Aug’, entflammt vom edlen Geist
Europens Schicksal wiegt, und dann die Friedensschale,
Dem Mars zum Hohne, sinken heisst.
Charlotte! Möchtest Du noch über Oestreiehs Auen
Gefällig sehn! Bald wirst Du mit einweih’ndem Gruss
Campanien entgegenziehn, und staunend schauen
Des Lands beglückten Ueberfluss.
Bald wird Caserta Dich mit Reizen überströmen
In seinem Wunderbau, wenn Du beym nahen Wald
Im Schmelz der Blumen wandeln wirst, und sie beschämen,
Dass so, wie Du, sieh keine malt.
Bald wirst Du fern von uns — doch was soll diese Zähre?
Diess Nass, das ungeruffen meinem Aug’ entfährt?
Ach ja! Charlotte lockt sie mir — fliess Ihr zur Ehre,
Sie ist ja jeder Thräne werth.
Verlassener! Sie wird nicht mehr in süsser Wonne,
Auf Deinen Fluren, Wien! von mir geschützet gehn!
Nicht mehr wird dieser Arm Ihr wachen, und der Sonne
Verwegnen Pfeilen widerstehn.
Und ach! Wie fährt in mir mein wundes Herz zusammen
Beim Trauerbild, wenn Ihr die Abschiedsstunde winkt;
Wenn dann das letztemal Theresens Mutternamen
Von Ihren heissen Lippen klingt.
Wenn Deutschlands Haupt, die beste Schwester zu vermissen,
Der Sehnsucht schwere Macht in allen Adern fühlt;
Wenn heisse Thränenfluth bey zarten Urlaubküssen
Vom Aug’ entzückter Schwestern quillt.
So härmt der Schutzgeist sich; des Tempels goldne Zinne
Schien von dem Ton gerührt, und seufzet ihn zurück.
Auch Hymen höret ihn; er tritt mit artger Miene
Vor ihm, und rulft mit fanftem Blick:
Verdring, o bester Freund! den Schmerzen, der dich quälet,
0 lass Chai-lottens Glück, der Tugend, Lohn, dich freun!
Bald wird Sie, Göttern gleich, am Altar aufgestellet,
Noch vielmal liebenswürdger seyn.
Wenn jeder Tritt von Ihr auf neugeweihten Pfaden
Wohlthaten zeichnen wird; wenn Sie von Leid gerührt
Erbarmung fühlen, und das Glück von Myriaden
Mit ährnem Bande knüpfen wird.
322
Joseph Berg in a u n.
Dann wird das frohe Land Sie dankbar Mutter nennen;
Und sollt’ ein schwarzer Sturm sich um Charlotten drehn,
So wird das Volk für Sie bey Millionen Thränen,
Wie jüngstens für Theresen, flehn.
Dieses Gedicht ist das erste in einem Oclavbande in der hie
sigen Schotten-Bibliothek, der aussen die Aufschrift hat
„Verschiedene Werke.“ In demselben sind noch acht andere Gedichte,
Oden, Sonette, auf die Genesung der Kaiserinn Maria Theresia von
den Blattern (1767) vom Jesuiten Joseph Burkard, Joseph von
Sonnenfels, Joseph Wiihrer, und auf ihren feierlichen Zug
nach St. Stephan am 22. Juli; jedes auf ein einzelnes Blatt gedruckt,
die dann zusammengebunden wurden. Das aus sechs achtzeiligen
Strophen bestehende Gedicht: „Empfindungen des Unterthans bei
hochbeglückter Genesung Marien Theresiens. Von einem Tiroler.
Wien bey Trattnern 1767.“ Dieses ist aus allen Umständen zu
scldiessen von niemand Anderem verfasst als von dem damals in Wien
beim Grafen von Chotek als Secretär weilenden Johann Baptist
Primisser 1 ). (I. Abhandlung. Band XIX, 104, in den Separat
abdrücken S. 76.) Die fünfte Strophe lautet:
„Den Alpen, denen jüngst (Erinnerung voll Wonne)
Das Glück der Gegenwart Theresia verliehn;
Wo Ihre Majestät wie eine Mittagssonne
Im höchsten Glanz des Wohlthuns schien:
Wie Frühlingsreif zerschmolz vor Ihrem Blick
Der Armuth Angst, die Noth mit ihren Plagen! —
Welch’ Ehrensäulen lässt Theresia zurück!
An denen nur umsonst auch Ewigkeiten nagen.“
Eine verschollene Reliquie Eckhel’scher Rhetorik besitzt Herr
Vicepräsident von Karajan unter dem Titel: „Rede auf die Reise
Josephs des Zweiten, Römischen Kaisers in Italien. Ver
fasset von Joseph Eckhel der G. J. Priester, öffentlichen Lehrer
der Redekunst an der Universität zu Wien. — Zu finden bey Augustin
B er na r di, Buchhändler, 1769.“ S. 40 in Octav. Das Motto auf der
Rückseite des Titels lautet: „0 veri Principis! — velocissimi
*) Dessen Vetter Friedrich Primisser, Archivar und Gubernialsecretär zu Inns
bruck, war ein glücklicher Dichter in tiroliseher Mundart und f am 1. März 1812.
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
323
sideris more omnia invisere, omnia audire, et undecunque invo-
catum statim velut numen, adesse, et assistere. Plin. Paneg.“ Wir
geben aus dieser Rede zwei Stellen, die eine aus deren Eingänge
S. 4, welche lautet: „Wenn sich Fürsten zur Erholung ihrer stark
gespannten Kräfte mehrere Erquickungsstunden erlauben, so gehor
chen sie der Stimme der Natur, die ihnen die Sorge für ihre Selbst
erhaltung als eine der ersten Pflichten vorhält; sie gehorchen der
Stimme, und den heissen Wünschen ihres getreuen Volkes, welches
von brennender Liehe gegen sie entflammt, täglich für ihre Erhaltung
seine Seufzer vor dem Throne des Höchsten ausschüttet. Wenn sicli
aber Fürsten Erquickungen wählen, die nicht allein durch ihre
angenehme Abwechselung die beschwerliche Verwaltung ihres erha
benen Amtes erträglich machen, sondern auch zu eben der Zeit ihren
Verstand mit ächten Begriffen bereichern, ihnen die wichtigsten
Kenntnisse ihrer weitläuftigen Staaten beybringen, sie zur Liebe ihrer
eigenen Völker, zur Bewunderung auswärtiger Nationen machen, so
müssen wir sie für ausserordentliche, und wunderbare Geschenke der
Vorsicht ansehen, mit denen der Himmel nur sparsam thut, und nur
Völker segnet, die er vorzüglich liebgewonnen hat, und seiner Ach
tung würdig hält.“
Unser Panegyrist sagt weiter in seiner Rede über des Kaisers
Reise nach Rom *) und Neapel, deren Worte uns übrigens keine
historischen Daten überliefern, S. 19: „Noch verzog unser Monarch
in Rom, und ganz Italien, jeder noch so geringe Staat dieses weit
läuftigen Landes that die eifrigsten Wünsche, Josephen zu sehen,
und den Tag, das Angedenken des grössten Glückes, und Ver
gnügens in seinen Jahrbüchern verewigen zu können. Es erhob sich
in den Seelen der Völker eine Art der sichersten Hoffnung, und des
Zutrauens in die Gefälligkeit unsers Fürsten, und beynahe schienen
sie sich auf Ansprüche etwas zu gute zu thun, die sie sich in mehr
als in einer Absicht, in dem Ausbruche ihrer Freude auf den Empfang
ihres hohen Fremdlinges machten. Denn war wohl jemals ein Zeit
alter, in welchem sich Liebe und Ehrfurcht dieser Nation gegen öster
reichische Fürsten mehr ausgenommen hätte? Kann wohl jemanden
die Verfassung, Italiens, die verhältnissmässige Beziehung seiner ein
zelnen Staaten auf unser Durchlauchtiges Haus unbekannt seyir, derer
*) Über K. Joseph'» II. Aufenthalt in R o in, s. im Anhänge Anmerk. X.
324
Joseph Bergm ann.
jeder entweder vom römischen Reiche abhängt, oder unmittelbar von
österreichischen Fürsten beherrschet wird, andrerseits durch die
Vermählung seines Regenten, oder durch gemeinschaftliche Verträge
genau mit ihnen verbunden ist? Folglich musste unser Monarch allen
Völkern, zu denen er sich wandte, allen Gebieten, die er betrat, nach
ihren verschiedenen Beziehungen, entweder als ihr höchstes Haupt,
und oberster Lehnherr, oder als ihr bestimmter unmittelbarer Fürst,
oder als Blutsfreund, Anverwandter, Bundesgenoss ihrer Regenten,
auf das beste willkommen seyn, und mittels dieser glücklichen
Betrachtungen mussten die Herzen der Nationen, die schon für sich
beym Anblicke jedes gekrönten Hauptes in eine Art von Begeisterung
gerathen, in sich den ganzen Umfang der Liebe und lebhaftesten
Freude fühlen. Mit welchem unnennbaren Vergnügen sahen dann die
Einwohner Neapels f) der Ankunft Joseph's entgegen? Wenn sie
auch die Begriffe eines römischen Kaisers absonderten, dessen plötz
liche Erscheinung in dem entlegensten Theile Italiens ihre Seele mit
Erstaunung erfüllet haben muss, so hatten sie schon Ursache genug,
sich der rührendsten Freude zu überlassen, da sic den ersten Bruder
ihrer Durchlauchtigsten Königinn ansichtig geworden, durch deren
Verbindung mit ihrem theuresten Monarchen sie ihre Staaten auf den
Gipfel des Ruhmes versetzet sehen; da sie den edelsten Abkömmling
aus einem Hause vor Augen hatten, dessen sanfte Regierung noch
immer das Angedenken des redlichen Greisen mit Wonne überströmet,
und bey alle dem Glücke, das ihn itzt befahren hat, ewig verehrungs-
würdig seyn wird.“
B. Eckhcl’s Ausbildung zum Numismatiker vor seiner Reise nach Italien.
Wie Eckhel zum Numismatiker sich ausbildete, entnehmen
wir der Vorrede seines Werkes Numi Veteres aneedoti. Yiennae.
1775. Als er Priester geworden und am akademischen Gymnasium
als Professor lehrte, hatte er Gelegenheit bei dem dortigen Münz-
cabinete unter Pater Khell’s Leitung sein Talent in dieser Rich
tung zu entwickeln. Er begann die den Numismatikern bisher
*) Aus Neapel, wo der Kaiser die junge Königinn, seine Schwester Caroline (S. 319)
besuchte und die herrlichen Denkmale der römischen Vor weit bewunderte, brachte
er eine antike Mosaik „die drei H oren“ darstellend, dermals im untern k. k. Bel
vedere im Eingangssaale (Nr. 100) zur k. k. Ambraser Sammlung.
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
325
unbekannten Münzen auszuscheiden, um sie einst mit seinen An
merkungen zu beleuchten und zum Frommen der Wissenschaft
herauszugeben. Pater Karl Gräuelli legte, wie ich in der I. Abhand
lung, Band XIX, S. 38 (und in den Separatabdrücken S. 10) dar-
gethan habe, den ersten Grund zu dieser Sammlung und bereicherte
sie mit den Münzen die der Ordensbruder Christian Edschlager
als Missionär im Oriente gesammelt hatte. Dazu kamen die griechischen
Münzen, welche der gelehrte Erasmus Frölich mitErlaubniss seiner
Obern gegen römische Silbermünzen vom Grafen Ariosti (s. Anmer
kung XI) eingetauscht hatte. Durch den Sammlerfleiss dieser Männer
ward das Cabinet so reich, dass die vom gelehrten Frölich heraus
gegebenen Stücke hauptsächlich demselben entnommen sind. Es fanden
sich jedoch nicht wenige interessante Stücke die entweder seinen
Augen entgangen waren, oder an deren Herausgabe ihn der allzufrühe
Tod hinderte. Diese Stücke hatte das Geschick gnädig erhalten, damit
Eckhel daran sein Talent und seinen Scharfsinn übte. Nach der
Aufhebung des Ordens wurde diese Sammlung auf Befehl derKaiserinn
Maria Theresia, welche- die Zerstreuung und Verschleppung dieses
sorgsam gesammelten Schatzes fürchtete, mit dem kaiserlichen Hof-
Miinzcabinete vereinigt.
Dieses Verzeichniss der ausgeschiedenen und noch unedirten
antiken Münzen vermehrten die Sammlungen zweier ungrischer
Magnaten, welche unserem Eckhel die Benützung derselben bereit
willigst gestatteten. Der eine war Graf Michael I. Viczay 1 ), der
in seinem ererbten Schlosse Hedervär ein besonders an griechischen
Münzen auserlesenes Cabinet mit einschlägiger Bibliothek und eine
Sammlung ungrischer Münzen hatte. Schon um das Jahr 17G9 Hess
er durch Eckhel seine Sammlung ordnen und gab ihm auf seine
Bitte die Erlaubniss, die etwa unedirten Münzen herauszugeben. So
auch zwei Jahre später Seine Excellenz der Graf Paul F estetics 3 ),
Präses-Stellvertreter der k. ungrischen Bechnungskammer (regiarum
Hungariae rationum Praeses vicarius), der gleichfalls einen aus
gezeichneten Schatz antiker Münzen besass und ausserdem sich der
damals reichsten und auserlesensten Sammlung ungrischer Münzen
1 ) Das ist GrafM i chae I Viczay I. oder Ältere, s. Amnerk. XII.
2 ) Graf Paul Festet ics de Tollna, geh. ii. Nov. 172!», k. k. Kämmerer, war 1772 zum
Vicepräsidenten der ungrischen Hofkammer ernannt und •{* am 10. September 1782.
326
Joseph Bergmann.
erfreute. Diese beiden Sammlungen trugen wesentlich bei, sein Ver
zeichniss unedirter Münzen zu mehren.
Als er seiner schwächlichen Gesundheit wegen dem Lehrfache
entsagen musste, widmete er sich ganz der Numismatik und der
Alterthumskunde. Mit Erlaubnis seiner Ordensobern reisete er am
30. August 1772 nach Italien, dem classischen Boden der Alterthums
kunde, ab und besuchte in verschiedenen Städten die Sammlungen, so
in Bologna die des hochwürdigen Herrn Johann Chrysostomus
Trombelli, Abtes der regulirten Chorherren, ferner die Sammlung
des dortigen Institutes und die Privatsammlung des Herrn Jakob
Biancani, die er in aller Müsse besichtigen und zu seinen Studien
benützen konnte.
Geringeren Beitrag boten die Museen in R o m, welche (damals)
in Überfülle bekannte römische Münzen besassen, aber wenige
griechische, aus denen etwas Neues geschöpft werden konnte. Über
Erwartung reichliche Ernte aber bot Florenz. Raimund Cocchi,
(Anmerkung XIII), Präfect des Museums des Grossherzogs Peter
Leopold, öffnete ihm den Zutritt und auf die Bitte dieses Mannes,
welcher Eckhel’s Kenntnisse zu würdigen wusste, und auf Ermun
terung Sr. Excellenz des Herrn Tavanti, Präsidenten der Rechen-
kammer, erhielt er vom Grossherzog den Auftrag den ausgezeich
neten vom Cardinal Leopold von Medici ‘) gesammelten und nach
her mit vielem Zuwachse bereicherten Münzschatz zu ordnen. Dieses
Cabinet besass, wenn auch Norisius, Vaillant und später Gori
Mehreres herausgegeben hatten, eine schöne Anzahl von unedirten
Stücken, zumal die herzoglich Lothringische M ii n z s am m lang
auf Befehl des Kaisers Franz 1. nach Florenz überbracht worden
war. Cocchi, der unserem Eckhel und der Sache wohlgewogen
und immer enger befreundet war, rieth und förderte die Herausgabe
der gewonnenen Resultate. Leider starb dieser Mann im Februar 1773
zu Eckhel’s grossem Schmerze. Cocchi hatte unsern gelehrten
Landsmann dem Grossherzoge, und dieser ihn seiner erhabenen
Mutter der Kaiserinn Maria Theresia empfohlen.
Eckhel nahm seinen Heimweg, wahrscheinlich aus einer
italienischen Seestadt, vielleicht aus Livorno, durch Südfrankreich,
Leopold, der jüngste Sohn des Grossherzogs Cosmo II., im J. 1617 geboren, ward
1667 Cardinal und starb am 21. Nov. 1675.
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
327
wie ich aus seinen eigenen Worten in den Prolegom. general, zur
Doctrina numorum veterum, pag. LXXX1I, entnehme, wo er sagt:
„In agro Fuxensi (Foix) inventum est dolium vetus, in quo
continebantur LX millia numorum, quorum nullus Gallieni im-
perium excessit. Erant inter hos rarissimi Tranquillinae, Corn.
Superae, Pacatiani duo. Excepi haec Tolosae ex Catalogo MS.
academiae, ubi adhuc numi rariores ex omni numero selecti adser-
vantur.“
C. Eckhel nach seiner Rückkehr.
Bei seiner Rückkunft am 8. Jänner 1774 war es ihm zu seinem
grossen Schmerze nicht mehr gegönnt, seinen am 4.—K. November
1772 dahingeschiedenen Lehrer und Ordensbruder Kliell wieder zu
umarmen. Dessen handschriftlichen Nachlass hatte Michael Denis,
sein Nachfolger an der Garellischen Bibliothek, übernommen. Die
numismatischen Studien und Aufzeichnungen, wie auch die Münz
abbildungen und Abdrücke die Kliell aller Orten her, beson
ders in grösserer Anzahl vom Marchese Anton Savorgnani,
seinem gelehrten Freunde, mit dem er persönlich bekannt und in
häufigem Briefwechsel gestanden war, aus Venedig erhalten hatte,
benützte Eck hei für sein Werk und fasste dessen vielfältig allzu
weitläufige Bemerkungen in engere Grenzen, indem er stets präeisen
Styl liebte.
Da Eckhel's Name durch den seltenen Reichthum seiner Kennt
nisse, durch das Ordnen der florentinischen Sammlung und durch die
Stellung als Director des kais. antiken Münzcabinets auch über den
Grenzen seines Vaterlandes in stets weiteren Kreisen wuchs, erfreute er
sich manches Besuchs von ausgezeichneten Reisenden, so im J. 1774
von Ludwig Dutens, der im vorhergegangenen Jahre unter andern
eine Schrift über griechische und phönizische Münzen herausgegeben
hatte (Anmerk.XIV). Eckhel befestigte diesen wohlbegründeten Ruf
durch seinen numismatischen Erstling, in welchem er das System
niederlegte, das nach sorgfältigen, tiefen Studien sein durchdringen
der, ordnender Geist geschallen iiatte. Der Titel dieses Werkes, das
seiner erhabenen Gönnerinn, der grossen Kaiserinn Maria Th er es i a,
gewidmet ist, lautet:
Numi veteres anecdoti ex Museis Caesareo Viudo-
bonensi, Florentino Magni Ducis Etruriae, Granelliano nunc
328
Joseph Bergmann.
Caesareo, Vitzaiano, Festeticsiano, Savorgnauo Veneto,
aliisque. Viennae Austriae, lypis Josephi Kurzböck . MDCCLXXV, in
Quart, in II Abtheilungen mit 32S Münzabbildungen auf XVII Tafeln,
die der Wiener Künstler Jakob Adam (f 16. Sept, 1811) in Kupfer
gestochen hat.
Als Papst Clemens XIV. in der berühmten Bulle Dominus ac
redemptor noster vom 21. Juli 1773 den Orden der Gesellschaft Jesu
aufgelöst hatte, ward Eckhel gleich seinen Mitbrüdern Weltpriester
und erhielt, vom Grossherzog Peter Leopold seiner kaiserlichen
Mutter nach vollem Verdienste empfohlen, auf deren allerhöchsten
Befehl kraft IIofkammer-Decretes vom 16. Februar 1774 den Auf
trag die dem Universitäts-Collegium *) zugehörige Münzsammlung in
das k. k. Hofmünzcabinet, jedoch mit Anweisung eines eigenen Platzes,
zu überbringen. Dasselbe wurde auch dem DirectorDuval und dessen
Adjuncten Verot angezeigt, um mit dem Weltpriester Eckhel sich
in näheres Einvernehmen zu setzen. Am 1. März desselben Jahres 1774
ward er mit Decret des k. k. Oberstkämmerers ddo. 14. März zum
Director der antiken Münzen unter Duval’s Oberdirection rnit
jährl. 600 fl. ohne Carenz und Taxe ernannt, mit der Obliegenheit alle
Wochen wenigstens zwei Mal in dem k. k. Cabinete eine ausführliche
historische Explication über die Beschaffenheit und Gegenstände der
ihm anvertrauten antiken Münzen den Liebhabern zu machen (laut
Cabinets-Actenstüekes Nr. 16). Am 20. September wurde er wirk
licher öffentlicher Lehrer der Alterthümer und der histo
rischen Hilfsmittel an der Universität und bekam mit Inbegriff seines
dermaligen Genusses einen Gebalt von jährlichen 800 Gulden vom
1. November des bevorstehenden Schuljahres an, und wurde zur
Beeidigung, der Weisung wegen des Lehrbuchs und der Lehrstunden,
wie auch des Ortes an die k. k. Hofcommission in Studiensachen
angewiesen (Nr. 16).
*) Die Jesuiten hatten in Wien drei g rosse Häuser. In ihr ältestes Collegium, das Profess
haus am Hof, kam nach deren Aufhebung der k. k. Hofkriegsrath, in das Probehaus
zu St. A nna die k. k. Real- und Kunstakademie sowie die deutschen Schulen, und in
jenes nächst der Universität, das vor der Erbauung des neuen Universitätsgebäudes
(17o4) ihre vorzüglichste Lehranstalt (Collegium Academicum) war, kam zuerst das
Banco-Amt, dann 1802 das Piaristen-Convict, wo noch das k. k. akademische Gymna
sium ist. Die Bibliothek dieser drei Jesuiten - Collegien wurde am 24. Mär/. 177ü der
k. k. Universitäts-Bibliothek zugetheilt.
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
329
Nach D uval’s Hinscheiden (3. Nov. 1775) wurde Abbe Eckhel
laut Resolution vom 12. Februar 1776 Director der antiken und
Johann Verot der modernen Münzen und Medaillen mit gleichem
Range und gleicher Dafürhaftung. Er erhielt die Hofbesoldung von
1200 Gulden ohne Rücksicht auf sein öffentliches Lehramt und hatte
ein Individuum zur Abrichtung in den alten Münzen vorzuschlagen
(Actenstiick Nr. 18). Beide Directoren wohnten nach Angabe der
Hofschematismen in der kaiserlichen Burg, wie noch die späteren
Directoren von Neu mann und von Steinbüchel bis zum 28. No
vember 1828, in dem Gange, wo dermals das k. k. Oberstkämmerer-
Amt ist.
Im Hofschematismus für das Jahr 1781 lesen wir im Status des
k. k. Münz- und Medaillencabinets den Director Joseph Eckhel vor
dem Director Johann Verot gestellt, und als Adjuncten sind genannt:
„Herr Karl Schreiber, logirt auf der Wieden“ und „Herr Franz
Schild,“ von dem ich später keine Spur mehr auffinden konnte. In
dem Schematismus von 1784 und 1785 steht, wahrscheinlich wegen
der Anciennetät im Dienste, Verot wieder voran und nach ihm 1784
zum ersten Male „Hr. Franz Neumann, Canon. Regul. Lat. zu
St. Dorothe,“ und nach Eckhel, dem Director der antiken Münzen
ist gesetzt als Adjunct und Gustos: „Hr. Karl Schreiber, wohnt
auf der Wieden 90.“ — Nach Verot’s Tode (1786) geben uns die
Hofschematismen folgende Ordnung, so in dem für das Jahr 1791
bis 1795.
Münz- und Medaillencabinet.
Director der antiken Münzen:
Herr Abbe Joseph Eck hei, wohnt in der Burg Nr. 1.
Director der modernen Münzen:
Herr Abbe Franz Neumann, Can. Reg. lat. zu St. Dorothe,
wohnt in der Burg Nr. 1.
Adjunct und Custos:
Herr Karl Schreiber, wohnt in der Singerstrasse, im eigenen
Hause, Nr. 949.
Als Johann Gruber eingetreten war, finden wir in den
Schematismen für 1797 S. 362, und für 1798 S. 357 folgende
Eintheilung:
330
,1 os ep h ßei'gmann.
Director der antiken Münzen:
Herr Abbe Joseph Eckhel, wohnt in der Burg Nr. 1.
Adjunct und Custos:
Herr Johann Grub er, wohnt in der Leopoldstadt Nr. 234.
Director der modernen Münzen:
Herr Franz Neumann, wohnt in der Burg Nr. 1.
Adjunct und Custos:
Herr Karl Schreiber, wohnt in der Singerstrasse Nr. 949.
D. Abbe Eckhel als Beamter.
Als nach des Kaisers Franz I. Hinscheiden (1765) dessen
reichhaltige Münz- und Medaillen-Sammlung dem altösterreichischen
Hauscabinete einverleibt wurde, ergab sich eine beträchtliche Summe
von goldenen und silbernen Duplicaten, welche man dem nun vereinten
k. k. Cabinete unter Verrechnung des Abbe Marcy >) zur Bestreitung
der vorfallenden Ausgaben überliess. Nachdem dieser als Kanzlei 1 der
Universität zu Löwen dahin abgegangen war, kam gedachtes Geld
auf allerhöchsten Befehl vom 31. December 1772 an das geheime
Zahlamt zur Bewahrung, woraus die vorfallenden Cabinets-Ausgaben
bestritten wurden.
Diese Summe ward zum Unterhalte dieses k. k. Institutes förm
lich bestimmt, ein Fond den sich dasselbe aus eigenen Mitteln
geschaffen hat. Er war seit seiner Entstehung zu ordentlichen Aus
gaben völlig hinreichend, ohne jemals dem Ärarium um Unterstützung
*) Über Abbe Marcy s. Sitzungsberichte ßd. XIX, S. 90 Aum.X a und 6, ferner S. 95.
Diesen Anmerkungen über diesen am kais. Hofe hochgeachteten Gelehrten fügen wir
nach Mittheilungen aus Leitmeritz bei: Marcy war Erzieher, wahrscheinlich beim
Grafen Friedrich von Harr ach, der vom J. 1732 an Obersthofmeister der Erz-
herzoginn M. Elisabeth , Statthalterinn der österreichischen Niederlande, am Hofe
zu Brüssel, dann k. böhmischer Oberstkanzler war. Dieser als solcher empfahl
ihn dem Bischof von Leitmeritz, Moriz Adolf Herzog von Sachsen-Zeiz, zu
dem nach dem Tode des Duxer Decans Wagner (-{* Sept. 1745) erledigten Ehren-
Canonicate, das er auch erhielt, wie sich aus der lateinischen Vollmacht,
ddo. Bruck an der Leitha (einer Hauptbesitzung der Grafen v. Harrach) 21. October
1746 ergibt, laut welcher Marcy sich durch einen Stellvertreter in Leitmeritz
instailiren Hess.
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert. 331
anzuliegen, dessen sich vielleicht kein anderes Eigenthum Seiner
Majestät rühmen kann.
Im Jahre 1773 sind durch Umschmelzung eines Theiles der
goldenen Stücke des gedachten Depots aus dem kaiserlichen Münz
amte in das geheime Zahlamt gebracht worden . 8,632 fl. 37 kr.
Im selben Jahre 1773 sind von dem Oberst
kämmerer selbst als eine rückständige Summe
dahin gekommen 994 „ 10 „
Vor ungefähr zwei Monaten ist auf Befehl
Seiner Majestät (Kaiser Joseph’s II.) der ganze
Überrest dieser Duplieate eingeschmolzen worden,
der betragen hat 11,069 „ 23 „
Es beträgt somit die ganze Summe des für
den Gebrauch des Cabinets bestimmten Depot . 20,716 „ 10 „
Seitdem sind zum Gebrauche des k. k. Cabinets
verwendet worden 5,491 „ 31 „
Restiren also davon 15,224 fl. 39 kr.
So in einem von Abbe Eckhel am 14. Mai 1780 eigenhändig
geschriebenen Actenstücke Nr. 32 im k. k. Münz- und Antiken-
Cabinete.
Wie wir vorhin S. 328 andeuteten, ward schon im Jahre 1774
das antike Cabinet vom modernen getrennt und jedes der Aufsicht
eines eigenen Directors (wiewohl Eckhe 1 noch der Oberdirection
des ehrwürdigen Duval dem Namen nach unterstand) anvertraut,
doch so, dass beide Cabinete in demselben physischen Orte ver
blieben. Jeder Director legte eigene Rechnung, jeder hatte, wie
aus den Cabinets-Aeten Nr. 103 und 105 hervorgeht, seine eigene
Cassa; so fanden sich in der Eckhel’s nach dessen Tode 21 fl. bar
vor, die der Director Neumann in Empfang nahm. Das Geld wurde
damals beim k. k. Universal-Cameral-Zahlamte behoben.
Eckhel war, wie aus allem erhellet, ein schlichter Verwalter
des ihm an vertrauten Schatzes, ohne vieles Geräusch, ohne Osten
tation, der nur so viel schrieb als das Wesen der Sache erforderte
und auf den Kern der Dinge sah. Ausser den ganz einfachen Rech
nungslegungen und einigen Berichten aus der Zeit seiner vier und
zwanzigjährigen Amtirung finden sich sehr wenige Actenstücke im
332
J ose ph Bergmann.
k. k. Münzcabinete über die antike Sammlung. Es scheinen manche
Stücke später ausgemustert worden zu sein.
Im Stillen bereicherte er sein Cabinet. Am 18. November 1777
wurden die Suiten der alten persischen und parthischen Könige,
192 Stücke an der Zahl, aus der orientalischen Sammlung des
modernen Münzcabinets an das antike übergeben.
Auch liess K. Joseph II. die Münzsammlung seines Oheims,
des Herzogs Karl Alexander von Lothringen, der als Statt
halter der österreichischen Niederlande am 4. Juni 1780 zu Brüssel
gestorben war, dem k. k. Cahinete einverleiben. Derselbe Kaiser,
nicht zufrieden das Alte, Erworbene zu verwahren und für ange
botene Gegenstände den Preis zu zahlen, ermahnte nicht allein die
Statthalter der Provinzen dafür zu sorgen, dass all das was dem
Schoosse der Erde enthoben wird, nicht verschleppt oder durch Hab
sucht verdorben werde, sondern befahl auch seinen Gesandten und
Geschäftsträgern im Auslande keiue Kosten im Sammeln dessen zu
scheuen, was das Cabinet an alten oder neuen Münzen vermisse und
was sie zu acquiriren für würdig erachteten.
Besonders liess, wie in der Mitte des XVI. Jahrhunderts der
gelehrte Augier Ghislen de Busbecq, sich Peter Freiherr von IIer-
h ert, Internuntius zu Constantinopel (f 23. Februar 1801), die
Befehle seines Herrn und Gebieters angelegen sein, um so mehr da
er von Jugend an sich in den edlen Wissenschaften und Künsten aus
gebildet und im J. 1783 einen schönen, von ihm in Stambul seit
Jahren gesammelten Schatz von Münzen zugesendet hatte.
Vom k. k. Kämmerer und Feldmarschall-Lieutenant Grafen
Joseph von Ariosti, der ein mit vielem Eifer und grossen Kosten
gesammeltes Münzcabinet besass, hatte schon Pater Frölich griechische
Münzen(nachS.323)eingetauscht. DieGrätinn Caroline v.Ariosti
trat die von ihrem Vater ererbte Sammlung ddo. Wien 7. März 1781
aus freiem Willen dem K. Joseph II. ah, aus Dankbarkeit für die
sowohl ihrem Vater als ihr selbst vom allerhöchsten Hofe ertheilten
Gnaden, dann aus Verlangen diese so kostbaren mit so grossem Eifer
und aller Sorgfalt gesammelten Stücke auf ewig mit dem k. k. Cahi
nete vereiniget zu wissen. Sie machte an Seine Majestät gar keine
Forderungen und ilberliess es dem allerhöchsten Ermessen, was
Höchstdieselbe ihr zu ihren Bedürfnissen, und falls sie frühzeitig
sterben sollte, ihren Erben die sie bestimmte, aus freiem Willen
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
333
anzuweisen geruhen wolle. Wir finden jedoch auch in Eckhel’s Syl-
loge I. numorum veterum anecdotorum. Yiennae 1786, Vorrede S. V,
dass sicli unter Kaiser Joseph das k. k. Cahinet durch Ankauf der
Münzen vom Grafen Ariosti vermehrt habe. In Ermangelung der be
züglichen Acten lässt sich nichts Näheres angeben. Als die Gräfinn
Ariosti das Pain d’Abbaye verloren hatte, suchte sie hei Seiner Maje
stät dem Kaiser Franz II. um Aushilfe an und der Kaiser befahl am
10. Februar 1798 der Supplicantinri als Ersatz jährlich 200 Gulden
von den Duplicaten der Münzsammlung die sie dem allerhöchsten
Hofe überlassen hatte, bis auf Veränderung der Umstände zu geben
(Cab. Acten Nr. 88).
Aus den M ii n z s a mm I u n gen der aufgelösten Stifte St. L a m-
brecht, Lankowitsch und Neuberg in Steiermark ward das
Brauchbare sowohl für das antike als moderne Münzcabinet ausge
sucht, für jenes im Betrage von 227 fl. 30 kr., für dieses von 216 II.
16 kr., zusammen von 443 tl. 48 kr. (Cab. Acten Nr. 60).
Einer bedeutenden und interessanten Bereicherung erfreute sich
die Abtheilung der antiken Monumente aus einem Funde. Es
wurde nämlich im April 1790 auf dem Grunde des Herrn Anton
Pechy zuOsztropataka im Saroscher Comitate ein wichtiges Depot
von antiken Utensilien entdeckt. Der innere Werth des Goldes betrug
2180 6., den Ducaten zu vier Gulden gerechnet, der des Silbers
800 II. 48 kr., und des Erzes 11 6. 36 kr., zusammen 2962 6.21 kr.
Die bezüglichen Acten samirit dem Schatze wurden von der ungri-
schen Hofkanzlei im J. 1791 dem k. k. Oberstkämmerer eingeschickt,
ln dessen Aufträge hatte Abbe Eckhel diesen interessanten Fund zu
untersuchen und für das k. k. Antiaencabinet das Brauchbare auszu
scheiden und hiefür den Ersatz anzugeben. Die behaltenen Stücke
sind a) ein hoher Goldpocal von 7S 8 / Is Ducaten; b) ein Torques, er
innernd an jenen welchen der gefangene König auf dem mit seltener
Meisterschaft geschnittenen Steine, dem Triumphe August’s, um den
Hals trägt, von 168 Ducaten; c, cl und e) drei Fibulae, von 23 Duca
ten; f) eine Armilla von S4 1;ä / lß Ducaten; gj ein Onyx mit golde
ner Fassung 23n/ lg Ducaten, zusammen 343 15 / 16 Ducaten; dann
h) eine Fibula mit der Schrift: VTERE FELIX 1 ). Das Behaltene
1 ) Diese Gegenstände sind eine Zierde des k. k. Münz- und Antikeucahinets im V. Saale,
im Goldkasten V, von Nr. 112—118. S. Arneth’s Beschreibung dieses Cabinels.
Wien 18S4, S. 97.
Sitzb. d. phil.-hist. Ci. XXIV. Bd. II. Hft.
22
334
Joseph Bergmann.
ward mit dem daneben gefundenen Bronce gesehätzt auf 1753 fl.
59 kr., hiezu eine fünfpercentige Zugabe als pretium aflectionis von
87 fl. 42 kr., macht die Summe von 1841 fl. 41 krn. Da das Totale
des gefundenen Schatzes 3059 fl. 4 kr. betrug, wovon dem k. k.
Aerarium der dritte Theil, folglich 1019 fl. 41 ‘/j kr. zukam, waren
somit von Seite des k. k. Antikencabinets nach Abzug dieses Drittels
für das Behaltene 822 fl. zu bezahlen (Cab. Acten Nr. 70 vom
14. April 1791).
In einem Berichte vom 5. Juni 1793 an die k. k. Hofkammer
wegen Münzen die von dem Karlsburger Münzamte in Siebenbürgen
eingeliefert oder etwa einzuliefern sind, äussert sich Eckhel dabin,
dass jene Münzen, welche auf einer Seite einen unförmlichen
Kopf, auf der andern ein unförmlich es Pferd aufhaben, schon
zum Voraus keine andere Bestimmung als den Schmelzofen haben
(Cab. Acten Nr. 78). Er meint die barbarischen Münzen
welchen die neuern Forscher grössere Aufmerksamkeit widmen.
E. Ecklicl als Universitätslehrer.
Eckhel lehrte an der k. k. Universität die antike Numismatik,
sein Vortrag war sehr einfach, klar, überaus belehrend und anregend,
oft voll Humor. Er war von seinen Zuhörern hoch geachtet, wie mich
dessen Schüler, mein 1834 gestorbener Herr Collega Custos Fidelis
Wächter, Hofrath v. Kieyle, Joseph Fladung versicherten.
Eckhel bezog als Lehrer der Alterthümer (sic!) an der Hoch
schule einen Gehalt von 800 fl. von dem er voll Edelsinnes seinem ehe
maligen Ordensbruder Heyrenbach (S. 301), Custos an der Hofbiblio
thek und Lehrer der Diplomatik an derselben Hochschule, die Halb
scheid von 400 Gulden gegen dem ahtx*at, dass solche ihm (Heyren
bach) als eine Besoldung für sein Lehramt behörig angewiesen werde,
was von der Kaiserinn Maria Theresia mit der grössten Zufriedenheit
ddo. 24. Februar 1776 genehmigt wurde (Cab. Acten Nr. 20). Als
in Folge des von K. Joseph II. eingeführten Systems, dass derjenige
welcher zugleich zwei Dienste versieht, nur die Hälfte von dem
geringer besoldeten Amte zu beziehen habe, auch dem Director
Eckhel von seiner Professur nur 400 fl. verabfolgt wurden, stellte
dieser nach dessen Tode das Gesuch um den vollen Genuss des
ursprünglich mit 800 fl. bemessenen Lehrergehalts und gab nach
stehende Gründe an: Dass Seine Majestät (Kaiser Leopold II., der schon
(
I
als Grossherzog in Florenz Eckhel’s Kenntnisse zu würdigen gelernt
hatte) eine solche Gnade bereits mehreren, und kürzlich erst dem
Kammergraveur Wirth (s. Anmerkung XV) erwiesen haben; dass
der neue Studienplan eine grössere Verwendung und mannigfaltigere
Arbeiten als vormals von dem Lehrer fordere, aber auch denjenigen
die sich entweder in dieser Art oder durch andere literarische Ver
dienste auszeichnen, auf Belohnungen Anspruch zu machen gestatte,
er jedoch nur das zu erhalten wünsche, was man ihm vor siebzehn
Jahren bei seiner ersten Anstellung ausgeworfen habe.
Der diesfällige Vortrag von Seite der k. k. Studien- und
Bücher-Censurs-Hofcommission an Seine kaiserliche Majestät lautet:
Es stehet überhaupt der Bewilligung des Gesuchs die allgemeine
Vorschrift, wovon eine Abweichung für den Studienfond den man auf
alle Weise sorgfältig schonen muss, nachtheilige Folgen haben würde,
und dann der Umstand entgegen, dass Eckhel, indem seine Vorle
sungen jetzt wie vorher auf eine Stunde in der Woche beschränkt
sind, als ein ausserordentlicher Lehrer zu betrachten kommt, und er
also nach dem Besoldungs-System, wenn seine Anstellung vor zehn
Jahren erst geschehen wäre, mehr als er wirklich geniesst, gleich
anfangs nicht erhalten, noch jetzt zu fordern hätte.
In soweit demnach die von ihm angeführten Gründe auf Bei
spiele die den Studienfond nicht treffen, oder auf vermehrte Beschäf
tigung bei dem Lehramte sich beziehen, können sie nicht gelten.
Desto nachdrücklicher sprechen für ihn s eine Verd ie nst e, und
diesen Gerechtigkeit zu leisten ist für die Commission nach ihren
Grundsätzen eine jederzeit lebhaft empfundene Pflicht, wovon sie die
Erwähnung in dem neuen Studienplane gerne gefunden und zu deren
Erfüllung sie nur immer mehrere Gelegenheiten, als sich bis jetzt
ergaben, zu erhalten sehnlichst gewünscht hat. Mit Vergnügen ergreift
man also die gegenwärtige, und indem man von Eckhel, was ihm seine
Bescheidenheit anzuführen nicht erlaubte, mit der allgemeinen Stimme
der gelehrten Welt sagen darf, dass er unter die vorzüglichsten seines
Faches gezählt wird, und in mancher Bücksicht wohl auch als der
erste angesehen ist, dass ihm seine Schriften den Ruhm erworben
haben, und diesen das zum Drucke fertig liegende vollständigeWerk über
die alte Numismatik noch befestigen und erhöhen wird : indem man von
ihm auch als Lehrer bezeugen muss, dass er sein Amt jederzeit mit
warmem Eifer und seltenem Fleisse versehen, und übrigens, wie das
22*
a
33(3 Joseph Bergmann.
von ihm verfasste zweckmässige Vorlesebuch beweiset, der besten
Erwartung vollkommen zugesagt bat, so hält man ihn allerdings
geeignet und würdig in der Bewilligung seines Gesuchs ein Merkmal
der besondern höchsten Gnade für seine Person zu erlangen, und
weit entfernt unter so beschaffenen Umständen den oben gerügten,
oder irgend einen Nachtheil davon zu besorgen, will man vielmehr
die trostreiche Hoffnung nähren, dass der Anlass oft entstehen möge,
Ansprüche solcher Art auch mit solchen Gründen zu unterstützen.
Wien den 9. Februar 1791.
Kollowrat. (Anmerk. XVI.)
Gottfried Freih. van Swieten. (Anmerk. XVII.)
Zur Seite dieses Vortrages, welcher der k. k. Studien-Hofcom-
mission zur hohen Ehre gereicht und zeigt, dass sie Eckhel’s Werth
und Verdienste wohl zu würdigen wusste, ist von kaiserlicher Hand
die Resolution geschrieben: „Dem Gesuch des Bittstellers will Ich
in Ansehung seiner besonderen Fähigkeiten und Verwendung will
fahren. Leopold m/p.“ — Die betreffenden Acten verwahrt das
Archiv des k. k. Finanzministeriums, nach welchen unserem Eckhel
der ganze Gehalt mit jährlichen 800 Gulden vom 21. Hornung an
fangend bei dem Universal-Cameral-Zahlamte angewiesen wurde.
Eckhel war schon vor seiner italienischen Reise Doctor der
Philosophie und als solcher im Beginne des Schuljahres 1789 zum
Decan der philosophischen Facultät gewählt. Ganz seinen Studien
hingegeben, reichte der bescheidene Mann allerhöchsten Ortes ein
Gesuch um Enthebung von dieser Decanatswürde ein, die ihm durch
Hofentschliessung vom 27. November bewilligt wurde 1 ).
Kaiser Franz II. geruhte vermöge allerhöchsten Handschreibens
ddo. 23. November 1797 dem Abbe Joseph Eckel (sic), Director
der antiken Münzen bei dem k. k. Münz- und Medaillen-Cabinet, dann
dem Abbe Franz Neu mann, Director der modernen Münzen eben
dieses Cabinets, sowie dem Abbe Andre Stütz, Director des k. k.
Eckhel war als Professor der Numismatik Mitglied der philosophischen Facultät, nie
aber Lehrer der Philosophie, wie es oben S. 308 irrig heisst. — In der Ver
fassung der philosophischen Facultät vom 3. October 1774 heisst es: „Der De canus
wird von sämmtlichen Mitgliedern der Facultät gewählt, hat sofort bei allen öffent
lichen Actibus, auch dem Consistorio anwesend zu sein und den Examinirten die
akademischen Würden zu ertheilen.“ Kink II, 574.
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
337
Naturalien - Cabinets (Anmerk. XVIII) den k. k. Rathstitel mit
gnädigster Nachsicht der gewöhnlichen Taxen zu verleihen, was von
Seite der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei der k. k. Hofkammer,
Finanz- und Commerz - Hofstelle am 30. November eröffnet wurde,
um wegen der Nachsicht der Taxen das General-Taxamt hievon ver
ständigen zu wollen. (Im Archive des k. k. Finanzministeriums.)
F. Eckhcl als Schöpfer des wissenschaftlichen Systems der antiken
Numismatik.
Von Eckhel’s erstem vielverheissenden Werke vom J. 177b
haben wir oben S. 327 gesprochen. Dieser gelehrte Vorbote, der
uns zugleich anzeigt, welche heimische und ausländische Museen
und Sammlungen er benutzt hat, liess umfassendere Werke erwarten.
In den folgenden vier Jahren hatte er das kaiserliche Münzcabinet
ganz kennen gelernt und dessen antike Schätze nach dem geogra
phischen System völlig geordnet und beschrieben. Diese Beschrei
bung sollte nicht allein zur treuen Verwaltung und zu eigenem Hand
gebrauch, wozu sie ursprünglich angelegt war, dienen, sondern nun
auch zum Frommen der Wissenschaft im Drucke veröffentlicht wer
den, zumal die im J. 1755 unter des General - Schatzmeisters de
France Oberleitung durch Duval, Erasmus Frölich und Khell er
schienene Ausgabe 4 ) der Numismata Cimelii Caesarei Regii Austriaci
Vindobonensis wegen der gesteigerten Anforderungen, die man seit
den Publicationen von Peilerin, Eckbel und anderen machte, nicht
mehr genügen konnte. Eckhel beschloss demnach den vollständigen
Katalog der antiken Münzen des k. k. Cabinets herauszugeben. In
der Ankündigung, durch welche die Freunde der Numismatik von
Seite der Johann Paul Kraus’schen Buchhandlung zur Pränumeration
eingeladen werden, ist sein ganzes System in folgenden klaren, viel
leicht von Eckhel selbst herrührenden Worten dargelegt: „Da sich
der Verfasser einmal entschlossen hat, das ganze Cabinet in Ordnung
zu bringen, so wählte er sieb ein System, welches ihm das ein
fachste und zugleich das lehrreichste zu sein schien, und
welches man bisher, ich weiss nicht warum, vielleicht aus Hang das
*) Siehe die erste Abtheilung dieser Abhandlung in den Sitzungsberichten Bd. XIX,
S. 75 f. und in den Separat-Abdrücken S. 45 f.
338
Joseph Bergmann.
Auge durch gleichförmige Reihen von Metall und Grössen zu weiden,
theils aus Bequemlichkeit, die eine alphabetische Ordnung ver
schafft, wodurch Zeiten und Länder auf das ungereimteste vermischt
werden, zum Nutzen der unterrichtenden Numismatik zu wenig be
folgt hat.“
„Nach gedachtem Systeme zerfällt die ganze (antike) Samm
lung nur in zwei Theile, denen die verschiedenen bisher üblichen
Classen untergeordnet sind. Der erste enthält die Münzen, die
ausser Rom von den Städten nach ihren Gerechtsamen oder
ihnen vom römischen Rathe ertheilten Freiheiten geschlagen worden.
Die Ordnung geht nach der geographischen Lage der Länder.
Voraus ziehen die mit dem Bilde eines Kaisers, mit oder ohne Namen
einer Colonie. Hat das Land Könige gehabt, so werden deren Münzen
unmittelbar den Münzen der Städte angehängt.
„Der zweite Theil fasst die Münzen der römischen Herr
schaft. Voraus treten die rohen und wichtigen Asses sammt ihren
Theilen, dann die verjüngteren und alle die unbestimmten Stücke,
welche die einzige Aufschrift ROMA enthalten. Denen folgen die
Münzen der Familien und dann die weitläufigste Classe der Kaiser,
Kaiserinnen, Cäsaren, Tyrannen bis zum Verfalle beider Reiche. Man
hat ohne Absicht auf Metall und Grösse ein jedes Stück in das Jahr
gesetzt, in welchem es vermöge der darauf befindlichen Tribunate
oder Consulate der Kaiser oder anderer sicherer chronologischer
Daten geprägt worden. Die übrigen die kein zuverlässiges Datum
angeben, stehen nach einem jeden Kaiser als unbestimmte in alpha
betischer Ordnung, welche natürlicher Weise aus Abgang gedachter
Daten von Gallienus an meistens hat müssen angenommen werden.
Durch diese Methode fand derVerfasserGelegenheit unzählige Fehler,
die uns Mezzabarba ') in seinem allgemeinen Kataloge aufgedrungen
hat, zu berichtigen. Und dies war eigentlich die Hauptursache die
den Verfasser veranlasst hat, diesen Katalog zum Drucke zu beför
dern, in welchem er nicht aus fremden Bestimmungen, sondern als
Augenzeuge und nach einer langen und strengen Untersuchung von
alle dem Rechenschaft gibt, was eine so zahlreiche Sammlung in ver
schiedenen Absichten Unterrichtendes in sich enthält. Werden andere
Kenner deren Aufsicht grosse Cabinete anvertraut sind, ein Gleiches
*) Siehe Anmerkung 1 XIX.
Fliege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert. 339
tliun, so werden nach und nach viele Irrtkümer und Zweifel von
selbst verschwinden, die bisher denjenigen die das Feld der Philo
logie bearbeitet haben, im Wege gestanden sind.
„Man hat sich hei der Beschreibung der lateinischenSprache
bedient, die ohnehin allen denen bekannt sein muss, die von diesem
Werke Gebrauch machen wollen. Überflüssige Verzierungen die heut
zu Tage ein gelehrter Luxus zur Mode gemacht hat, die aber wegen
des Aufwandes die Gemeinnützigkeit verhindern, hat man geflissent
lich zu vermeiden gesucht. Aus eben dieser Ursache werden auch
nur diejenigen Münzen in reinem Kupferstiche erscheinen, die bisher
noch nicht bekannt waren, deren Zahl nicht beträchtlich sein kann,
da die meisten schon aus dem im J. 1735 in Wien gedruckten Ci
me li u m Austriacum Vi n d o b o n e n s e, aus den verschiedenen
Werken des P. Frölich, aus den Adpendicula des P. Khell, und
endlich ans den vor Kurzem erschienenen Numi veteres aneedoti
des Abbe Eckhel bekannt sind. Man wird aber nicht ermangeln bei
einem schon anderwärts gestochenen Stück das Werk anzuzeigen,
worin seine Zeichnung vorgestellt ist“ 4 ).
Dieses Werk erschien unter dem Titel: Catalogus Musei Caesa
rei Vindobonensis numorum veterum distributus in partes II., quarum
prior monetam Vrbium, Populorum, Regum, altera Romanorum com-
plectitur. Vindohonae, sumptibus Joannis Pauli Kraus. MDCCLXXIX.
in gross Folio und ist der Kaiserinn Maria Theresia gewidmet. Die
Vorrede enthält 22 Seiten, hierauf folgt Seite 23 ein allzukurzer
geschichtlicher Abriss des k. k. Cabinets antiker Münzen. Der erste
Theil zählt 292 Seiten Text und zwei Indices nebst 108 Münzabbil
dungen auf VI Kupfertafeln, der zweite 562 Seiten mit einem Index
nebst einigen Münzen als Vignette S. 1 und 27 Münzabbildungen auf
II Tafeln, vom Wiener Kupferstecher Karl Schütz (f 1800) ge
stochen, was dessen Werken in Nagler’s Künstler-Lexikon, Bd. XVI,
43 anzufügen ist.
An diesen Katalog reihen sich an: a) Sylloge II. numorum vete
rum aneedotorum thesauri Caesarei cum commentariis Josephi Eckhel
etc. Viennae, typis Joan. Thomae Nobilis de Trattnern etc. in 4° mit
i) Siehe k. k. Realzeitüig der Wissenschaften, Künste etc., Wien 1778, S. 501 f. —
Der Subscriptionspreis für ein Exemplar auf holländischem Regalpapier war 35 II.,
auf Schreibpapier 22 und auf Druckpapier 15 fl.
340
Joseph Berg 1 mann.
130 Münzabbildungen auf X Tafeln, gezeichnet und gestochen von
J. Kibler; b) Descriptio numorum AntiocbiaeSyriae, sive specimen
artis ci'iticae numariae, quod rei veteris numismaticae studiosis
exhibet Josephus Eckhel etc. Viennae, typis Joan. Thomae Nobi-
lis de Trattnern etc. 1786. Pag. XXII et S6 ohne Abbildungen;
c) das allbekannte classische Werk: Doctrina numorum vcterum etc.
Vindobonae, sumptibus losepbi Vincentii Degen. MDCCXCI1 bis
MDCCXCVIII, Yol. VIII. in 4°, mit etlichen paläographischen Tafeln,
das er Sr. Majestät dem Kaiser Franz II. widmete; der Vorrede im
I. Bande folgen die lehrreichen, inhaltscbweren Prolegomena von
S. I—CLXXXIII. — Eckbel’s Manuscript dieser Doctrina numorum
veterum verwahrt die Bibliothek des k. k. Mürizcabinets. Mit seltener
Uneigennützigkeit soll er dieses Werk ohne alles Honorar dem Buch
händler überlassen haben 1 ). Wenn es dem gelehrten und praktischen
Pell er in (s. Anm. XX) gelang, die althergebrachte unwissenschaft
liche Anordnung zu verbessern und die geographische einzuleiten, so
gebührt unserem Eckhel das grosse Verdienst, allmählich die Massen
— die rudis indigestaque moles — gesichtet und gelichtet, wie auch
ein streng wissenschaftliches System in der alten Numismatik
aufgestellt zu haben. Mit seinem Namen beginnt eine neue Aera für
die alte Numismatik. Sein System, das geographische, erscheint
als das allein allen Anforderungen genügende. Sein Katalog des
Wiener antiken Münzcabinets und besonders seine Doctrina numorum
veterum, ein ewiges Denkmal tiefen Wissens mit der gesundesten
Kritik und dem entsprechendsten lateinischen Ausdrucke, sind die
Basis, auf welcher die alte Numismatik als Wissenschaft bis auf den
heutigen Tag ruht 2 ). Eckhel, der kurz vor seinem Hinscheiden zur
Ostermesse 1798sein Meisterwerk vollendet sah, pflegte in die seinem
Handexemplare beigebundenen Blätter Anmerkungen einzutragen,
welche als werthvolle Reliquien Herr Director von Steinbüchel
herausgab unter dem Titel: Addenda ad Eckhel ii Doelrinam numo
rum veterum ex ejusdem autographo postumo, cum tabula aenea
A ) Siehe in Wieland’s neuem deutschen Merkur. Weimar 1798, Bändchen II, 26G.
2 ) Eine treffliche Übersicht der Geschichte und Literatur der antiken Numismatik s.
unter „N u m i“ in Pauly’s Real - Encyklopädie der classischen Alterthumswissen
schaft, Bd. V, 748—771.— Eckhel spricht in der Praefatio über die Ordnung’
seiner Doctrina numorum veterum.
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
341
(nämlich mit Eckhel’s Portraite). Viennae sumptibus Friderici Volke.
MDCCCXXVI in 4°, S. 88. Vorangeschickt finden wir auf XVI Seiten
jene Literar-Notiz über Eckhel’s Leben und Schriften, die Aubin
Louis Mi Hin (f 1818) in der philomathischen Gesellschaft zu Paris
am 19. Jänner 1799 vorgetragen ') und Emmerich Thomas Hohler
für diese Ausgabe in gutes Latein frei übersetzt hat (Arim. XXI).
Auch schrieb Eckhel auf Kaiser Joseph’s II. Befehl ein ausge
zeichnetes Lehrbuch : Kurzgefasste Anfangsgründe zur alten Numis
matik. Wien, bei Joseph Edlen von Kurzbek, k. k. Itofbuclidrucker,
angeblich 1787 in 8° von 133 S. und mit 138 von Mannsfeld in
Kupfer gestochenen Münzabbildungen auf VI Tafeln. Von diesem
numismatischen Abrisse sagt der gelehrte Minorite Katancsich,
Professor der Archäologie und Numismatik an der Pesther Univer
sität (-j- 1828), in seiner Vorrede zur lateinischen Übersetzung für
seine zum grossem Theile nur wenig deutsch verstehenden Zuhörer:
„De nova libri methodo quidpiam cogitare supervacaneum erat; quod
ipse über classieus, paucis praelectionuin horis, et captui juventutis
accommodatus, succinctabrevitate, et accurate legum serie, a magi-
stro hac in scientia princip e conscriptus esset; cui e libellis
hoc in genere vulgatis comparari valeat nullus.“Eine neue vermehrte
Auflage auf Kosten des Herausgebers (des Directors Franz Neu
mann) erschien in Wien im J. 1807, mit 134 Seiten. Die VI Kupfer
tafeln sind von einem anderen Meister gravirt und einige Münzen
in andere Ordnung gestellt, in allem 139 Stücke, indem auf Taf. V,
Nr. 18 eine der seltensten Münzen des Kaisers Pescennius Niger
(f 194 n. Chr.) mit dem R*. FELICITAS TEMPORVM (s. Beschrei
bung S. 114) eingereiht wurde. Die eine lateinische Übersetzung
dieses Werkchens führt den Titel: „Iosephi Eckhel etc. Ele-
menta Numismaticae Veteris ex Germanico in Latinum trans-
tulit Matth. Petr. Kat a n cs ich etc.Budae typis et ac sumptibus Typo-
graphiae regiae Vniversitatis Pestinensis. Anno 1799,“ und enthält
104 S. in 8° und die nämlichen VI Münztafeln von Mannsfeld wie in
*) Cf. Notice historique sur Ioseph-Hilaire Eckhel etc., lue la Seance pu
blique de la Societe Philomathique le 30 Nivose an 7; par A. L. Mi I lin, Conser-
vateur du Cabinet d’Antiquites de la Bibliotheque nationale a Paris. Dans le Magasin
encyclopedique etc. redige par le meme M i 11 i n. V. annee. Tome second, a Paris
an VII, p. 438—478.
342
Joseph Bergmann.
der ersten deutschen Ausgabe; die andere: Manuale doctrinae numa-
riae veteris in compendium redactum a Caronno. Romae 1808
nach: Scriptores Provinciae Austriacae societatis Jesu, operä Joann.
Stoeger, Vierinae 1855 pag. 68.
Eine französische Bearbeitung dieses Lehrbuches mit vielen
Zusätzen erschien unter dem Titel: „Traite elementaire de Numis-
matique ancienne, Grecque et Romaine, compose d'apres celui
d’Eckhel, augmente d’un grand nombre d’articles, de remarques et
observations des meilleurs auteurs modernes, avec VII planches de
medailles, contenant plus de ISO sujets graves au trait, pour servil’
ä l'intelligence du texte. Par Gerard Jacob K(olb), Associe cor-
respondant des Academies Royales des Antiquaires de France etc.
R Tonves. Paris 182S. S°“. Die Abbildungen der Münzen auf den
ersten VI Tafeln folgen nach Zahl und Ordnung wie bei Eckhel, die
neu beigefügte Tafel VII a und b enthält 17 höchst seltene, somit
in allem 1S6 Stücke.
Ferner gab Eckhel heraus: Choix des pierres gravßcs du Cabinet
Imperial, des Antiques representees en XL. planches decrites et
expliquees par M. l’Abbe Eckhel etc. A Vienne eil Autriche de
Flmprimerie de Joseph Noble de Kurzbek, Libraire-Imprimeur de
la cour. MDCCLXXXVI1I. in kl. Folio. S. X. Vorrede und S. 77. Die
Abbildungen sind von den hiesigen Künstlern Adam, Durmer, Kibler,
Ludwig Kohl, Mannsfeld, Quirin Mark, Ponheimer und Karl Schütz in
Kupfer gestochen. Sein gelehrter Freund, Alois Emmerich Freiherr
v. Locella, der seine gediegeneKennerschaft der classischen Litera
tur durch die Herausgabe von Xenophon Ephes. de Anthia et
Habrocome. Viennae 1796 bewährte, hatte die Durchsicht des franzö
sischen Textes übernommen.
Nach des Professors Friedrich Wolfgang Reiz Vorrede S.IV. zu
„Musei Francian i 9 descriptio. Pars prior comprehendens Numis-
mata et Gemmas. Lipsiae 1781“ beschrieb unser Eckhel auf Er
suchen der de France’schen Erben die Münzen v. S. 1—164, in
allem 1688 auserlesene Stücke, worunter 695 Goldstücke von römi
schen Kaisern und Kaiserinnen, und 679 Stücke in Silber von römi
schen Familien und Kaisern; auch die Praefatio „Lectori benevolo“
ist von Eckhel; die Gemmen beschrieb Reiz (f 1790).
*) Vgl. I. Abtheil, in den Sitzungsber. ßd. XIX, S. 49, in den Separatabdrücken S. 21.
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
343
Diesen inhaltschweren Werken Eckhels fügen wir zum Schlüsse
noch den kleinen Aufsatz an: „Entdeckung antiquarischen
Inhalts“ in der k. k. Realzeitung der Wissenschaften, Künste etc.,
Wien 1777, am 1. April S. 8 ff., zu dem S. 92 f. die Berichtigung
vom gelehrten W indisch in Pressburg gehört. Eckhel spricht in
demselben über etliche Münzen, die am 3. Juli zu Pressburg in der
Vorstadt gefunden und durch die k. k. Hofkammer an’s Münzcabinet
eingeschickt wurden. Es waren Numi barbari (über welche er
sich oben S. 334 ausgesprochen hat), besonders mit der Aufschrift:
BIATEC, von derselben Gattung wie jene welche man im Juni 1771
zu Podmokl 1 ) im Rakonitzer Kreise gefunden hatte. Vgl. Eckhel's
Catalog. pag. 289 fin. et. 292, abgebildet Tab. VI, Nr. IS—17, und
ausführlicher besprochen in der Doctrina numor. veter. Tom. IV, 170
seq. wie auch von Neu mann in dessen Populorum Tab. num. Tom.I,
138—142 und IV, Nr. 11.
Ein Quartheft im k. k. Münzcabinet enthält zwei von Eckhel's
Hand geschriebene Blätter mit lateinischen Anmerkungen zu: A. Mi-
nervino (Ciro Saverio) dell’ etimologia del monte Volture.
Lettera al Signor Abate D. Domenico Tata. Napoli 1778 in 8°, und
zwar zu den S. 70 und 71, 88, 90, 93 und 132; B. Testimonia
veterum de prae miis, vel poenis post mortem, 6% Bl., von
ihm verfasst; C. ferner in deutscher Sprache: „Auszug aus Platon's
Phädon. Die Citate sind nach dem I. Bande der Zweibrücker Aus
gabe,“ in fünf Blättern; endlich D. Entwürfe zu etlichen lateini
schen In s c h r ift e n 3 ). So finden wir von seiner Hand wörtlich die
Inschrift auf die im J. 1797 erfolgte Übertragung der Gebeine des
Herzogs Albrecht II. und seiner Gemahlinn Johanna Gräfinn von Pfirt
etc. aus der von ihnen im J. 1330 gestifteten und 1782 aufgelösten
Karthause zu Gaming in die dortige Pfarrkirche, wie sie Herr Dr.
Baron von Sacken im Jahrbuche der k. k. Central-Commission für
Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale, Wien 1837, Bd. 11,142
mitgetheilt hat.
*) Siehe Beschreibung der bisher bekannten böhmischen Münzen von Adauct Voigt.
Prag 1771, Bd. I, 235 ff.
2 ) Den Schluss dieses Heftes macht eine lateinische Inschrift von dem gelehrten k. k.
Hofrathe Joseph Freiherrn von Sperges auf Thomas Ignaz Freiherrn von Poek
aus Laibach (f 86 J. alt am 12. Februar 1786), die ihm seine Kinder setzen Hessen.
344
Joseph Bergmann
Eckhel’s geistigen Producten wird zum Schlüsse noch, ob mit
Recht oder Unreclit vermögen wir dermals weder zu bejahen noch
zu verneinen, beigezählt: Ad CarolumArchiducem cum laureatis
fascibus Vindobonam reversum. A Joanne Garthenio, Mantuano
1797 *).
Eckhel war nach der Herausgabe seiner classischen Doctrina
mit einer zweiten Sylloge beschäftigt, zu welcher ihm der
Schatz, der am 3. August 1797 von zwei wallachischenZiegen hüten
den Knaben zu Szil agy-Somlyo in Siebenbürgen (an Ungerns
Grenze) am Abhange des Berges Magura gefunden wurde, den Stoff bot.
Derselbe enthielt eine grosse goldene Kette, vierzehn goldene Kaiser-
Medaillons von bisher unbekannter Grösse und Schwere, nebst
anderen Goldsachen. Da Director Neumann, Eckhel's Nachfolger, an
der Herausgabe dieser so interessanten Medaillons theils durch seine
Amtsgeschäfte, theils durch die fortdauernden Kriege, deremvegen
auch das k. k. Münzcabinet eingepackt werden musste, verhindert
wurde, besorgte Director von Steinbüchel die Publication unter dem
Titel: Notice sur lesMedaillonsRomains en or du Musee imperial
et royal de Vienne, trouves en Hongrie dans les annees MDCCXCV1I
et MDCCCV. Vienne 1820 in 4°. Vorangeschickt ist eine von Director
Neumann in dessen vorerwähntem Werke S. 1 erklärte kleine Münze
vom Könige 0 doake r, die auch als Vignette auf dem Titelblatte
abgebildet ist. Dann folgt Eckhel’s Unterlassenes Manuscript in
lateinischer Sprache auf vier Quartseiten 2 ); diesem reihen sich von
Steinbüchel beide Abhandlungen in französischer Sprache an: I. Tresor
de Sziläghy Somlyo en Transiivanie, worin die XIV römischen
Goldmedaillons erklärt und auf drei Kupfertafeln abgebildet sind;
II. Tresor de Petrianez 3 ), deterre en 1805, mit VIII Medaillons
in Gold auf der Taf. IV.
Auch verwahrt das k. k. Münzcabinet einen aus mehrern Heften
bestehenden Rand: „Inscriptionesveteres collectae a Josepho
Eckhel,“ welcher angeblich ISO Stücke und 304 theils geschrie
bene, theils gedruckte Blätter enthält. Das Heft II ist betitelt:
!) Der neue Teutsche Merkur vom Jahre 1798, von E. M. Wieland. Weimar 1798,
Bd. III, 75.
2 ) Eckhel beschrieb und erklärte in seiner Doct. num. vet. Tom. VIII-, 82 nur acht Me
daillons von Marcus Aurelius Maxiinianus I. bis Valens, von 286—379 nach Chr.
3 ) In Croatien im Warasdiner Comitate.
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. .Jahrhundert.
345
„Inscriptiones variae in Turcia repertae,“ 69 Inschriften, die vom
Jesuiten Christoph Edschlager ), Missionäre in der Levante,
gesammelt, seinem Freunde Erasmus Frölich mitgetheilt, und
jüngst für Professor Dr. TheodorM om ms en abgeschrieben wurden;
das Heft 111. „Inscriptiones graecae antiquissimae“ von 3S Quart
seiten ist von Eckhel’s Hand geschrieben. In einem andern Bande mit
der Aufschrift „Varia“: Index Pellerinianus von zwölf Blättern,
dann „Cato’s Rede wider Catilina bei Sallustius“ in deutscher
Sprache, „Beurtheilungen verschiedener Werke, nebst vielen
andern kurzen literarischen Notizen.“
G. Eckkel's Corrcspondenz.
Ein Gelehrter wie Eckhel stand mit den hervorragendsten Män
nern seiner Wissenschaft in vielfachem brieflichen Verkehre. So
besitzt das k. k. Münzcabinet eine Sammlung von 166 Briefen an
ihn 3 ) von dem Jahre 1776—1797. Wir nennen: AbbeBarthelemy,
Paris, 23. August 1786; Bast, der vordem Hessen-Darmstädtischer
Legations-Secretaire in Wien gewesen war und hier viele Hand
schriften verglichen hat, aus Rastatt vom 22. December 1797; Abbe
le Blond, der über Münzen und geschnittene Steine des Herzogs
von Orleans, wie auch über die Musik von Gluck schrieb und 1809
starb; Borghese, Raimund Cocchi (s. Anmerk. XIII), Cousinery
von 1783—1797, Ludwig Dutens (Anmerk.XIV). AngeloFahroni,
der durch einige Zeit Lehrer der Durchlauchtigsten Söhne des Gross-
herzogs Peter Leopold von Toscana gewesen, Heyne in Göttingen
von 1776 —1796, Luigi Lanzi, Herausgeber der Galleria di Firenze,
Gaetano Marini, den berühmten Verfasserder Gli atti e monumenti
de’ fratelli Arvali. Tom. II. Roma 1795, -j- in Paris am 17. Mai 1815;
wir nennen ferner: Caspar Alois Oderico aus Genua, Numismatiker,
f 10. December 1804; Johann Christoph Rasche, den Verfas
ser des umfangreichen Lexicon universae rei numariae Veterum,
f 21. April 1805; einen N. Freiherrn von Seckendorf, einen
leidenschaftlichen Numismatiker, wie aus seinem Briefe ddo. Brüssel
*) Siehe Abtheilung I, ßd. XIX, S. 40.
2 ) Dasselbe Cabinet verwahrt auch Briefe an Erasmus Frölich und Joseph Khell,
die einer genaueren Durchsicht sicherlich nicht unwürdig sind.
346
Joseph ß er gm a n n.
vom 28. Juli 1788 zu entnehmen; den trefflichen Münzenkenner und
Botaniker Johann Franz Seguier, f 1784; den Gabriel Lancilliotto
Fürsten von Torremuzza aus Palermo, f 1792, und den dänischen
Archäologen und Numismatiker Georg Zoega, 1809, und andere.
Leider findet sielt in dieser Sammlung kein einziger Brief von einem
seiner Verwandten, Freunde oder irgend einem Gelehrten des Vater
landes an ihn. Sicherlich nicht ohne Interesse sind Eckhel’s Briefe,
die er geschrieben, mir ist keiner bekannt.
Ausser seinen Amtsgeschäften, die der wahrhaft gelehrte Mann
ohne Geräusch und erborgten Nimbus einfach führte und ohne un-
nöthige Zeit raubende Schreibseligkeit abthat, war er auf seinem
Gebiete schriftstellerisch rastlos thätig, was seine sämmtlichen Werke,
besonders die classische Doctrina numorum veterum bezeugen. Er
eilte in den letzten Jahren seines Lebens diese seine Doctrina zu
vollenden. Sein Diener, der ehrliche Andreas Rodler (s. Anmer
kung XXII), lobte stets mit einer Tliräne iinAuge ihn als seinen besten
Herrn. Wenn er ihn erinnerte, den schönen Tag zu einem Ausgange,
zu einer Erholung zu benützen, so verwies Eckhel auf die Dringlich
keit seiner Arbeit und die Flüchtigkeit der Zeit.
Mein Herr Collega, Fidel Wächter aus Wangen, der noch
sein Zuhörer und von 1816 bis zu seinem Tode 1834 Custos am
k. k. Münzcabinete gewesen, war voll Entzückens, wenn die Rede
auf Eckhel kam. Zum letzten Male sah und sprach er ihn auf dem
Michaeler-Platze am Abende des 13. April 1797 voll patriotischen
Zornes, als der französische Botschafter, der General Bernadotte, an
seinem Hotel die dreifarbige Fahne der Republik aufgesteckt hatte
und hierdurch einen Volkstumult hervorrief (s. Anmerk. XXIII).
Eckhel starb nicht, wie es in der Wiener Zeitung vom J. 1798
im Anhänge zu Nr. 42 S. 1369 heisst, in der k. k. Burg, wo er
wohnte, sondern nach der Aussage seines damaligen Bedienten Rodler
hielt er, obwohl sich unwohl fühlend, seine Vorlesung auf der
k. k. Universität, begab sich, von einer heftigen Kolik befallen, zu
seinem FreundeBaron vonLocella (Anmerk. XXIV), der allernächst
in der obern Bäckerstrasse Nr. 807 (s. Anmerk. XXV) wohnte. Da
das Übel schnell zu einem Gedärmbrand sich steigerte, wurden, wie
aus den Verrechnungen seiner Verlassenschaft ersichtlich ist, Wiens
erste Ärzte Freiherr von Quarin und der k. k. Leibwundarzt und
Professor von Leber zum Consilium berufen, wie auch ein Chirurg
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
347
beigezogen. Rettungslos erlag Eckhel gegen Mittag des andern Tages
den 16. Mai 1798 diesem Brande. Das Todtenbuch der betreffenden
Dominicaner-Pfarre überliefert beim genannten Tage „Nr. 807 der
wohlehrwürdige, wohledelgeborne Herr Joseph Eckel (sic), Ex
jesuit, k. k. Rath, Director des k. k. Anticen Kabinets (sic) und
Lehrer der Alterthumskunde auf der hohen Schule in Wien, am
Gedärmbrand, vor der St. Marcus-Linie am 17. Mai begraben.“ Ich
war schon im Jahre 1836, als Seine Excellenz Graf Moriz von
Dietrichstein zur Erinnerung an Eckhel’s hundersten Geburtstag
durch L. Manfredini eine Medaille verfertigen liess, bemüht auf
dem Friedhofe zu St. Marx dessen Grabstein aufzufinden oder beim
Todtengräber den Ort seiner Ruhe zu erforschen. Leider vergebens,
da ihm seine Anverwandten keinen Grabstein setzten, und das dortige
Verzeichniss der Ruhestätten der Verstorbenen erst mit dem J. 1S0S
beginnt. Er bat sich selber in seinen Werken ein bleibendes Denk
mal gesetzt.
Ungetheilt erheben Stimmen der Zeitgenossen des In- und Aus
landes unsern Eckhel mit dem grössten Lobe, das er nicht gesucht
aber vollkommen verdient bat. Die Wiener Zeitung vom 23. Mai 1798
Nr. 41 sagt: „Ganz auf seinem Platze, lebte er auch ganz für den
selben. Mehrere vortreffliche Schriften, wodurch er die Schätze der
berühmten k. k. Antiken-Sammlung bekannt machte, sind die
sprechendsten Beweise, vorzüglich dieDoctrina numorum veterum,
ein Werk, das in der Numismatik Epoche macht. Ebenso schätzbar
war er von Seite seines Herzens. Echte Frömmigkeit und Tugend,
stille Wohlthätigkeit, seltene Redlichkeit, warmer Patriotismus und
brennende Wahrheitsliebe waren die unterscheidenden Züge seines
Charakters. Stets wird sein Andenken von allen die ihn näher
kannten, geehrt werden.“
Schlichtegroll schreibt in seinem Nekrolog der Deutschen
1798, Band 1, S. 1S6 ff.: „Offen und ehrlich äusserte Eckhel seine
wohldurchdachte Meinung, ehrte fremdes Verdienst, war misstrauisch
gegen sein eigenes, bescheiden, freundschaftlich, wohlthätig, lebend
und webend im Reiche der Wissenschaften.“
Eckhel war ein Mann von festem, ausgeprägtem Charakter,
ernst-heiter, mit sarkastischem, zuweilen brennendem Anfluge
gegen Gleisnerei und literarischen Hochmuth. Bei der Fülle seiner
Kenntnisse berichtigte er tausend fremde Irrthümer und widerlegte
348
Joseph B er gm an n.
kurz, bescheiden und ohne Streitsucht (s. S. 334 und Anmerk. XX).
Er sprach wie er dachte und handelte wie er sprach. Innig befreun
det war er mit Baron Locelia, dann mit Abbe S tütz und dessen
Bruder, dem Hofarzte Dr. Franz Xaver Stütz, bei dem er öfter voll
heiterer Laune Karten spielte (s. Anmerk. XVIII).
II. Abbe Eckhcl's Testament und Nachlass.
Eckhel’s Testament, von dem ich eine Abschrift durch dessen
Grossneffen, den oben S. 304 erwähnten k. k. geheimen Haus-, Hof-
und Staatsarchivar Dr. v. M ei Iler, erhalten habe, lautet wörtlich:
„Im Namen der allerheiligsten unzertheilten Dreifaltigkeit habe ich
am untenangesetzten Tage bei gesunder Vernunft mein Testament
errichtet und mit eigener Hand geschrieben, wie folget:
Mein Leib soll nach allerhöchster Anordnung begraben werden.
Sollen für meine Seele in der Pfarrkirche zuEnzersfejd, meinem
Geburtsorte, 24 heilige Messen gelesen werden.
Dem Armeninstitute vermache ich 16 tl.
Dem Militärinvalidenhause 5 „
Der Normalschule . 5 „
Dem allgemeinen Krankenhause 6 „
Zum Universalerben bestimme ich meine Schwester in Prag
Raphaela Mailerin 1 ).
Meinem Bruder Carl vermache ich .... 2500 fl.
Meiner Schwester Barbara 2500 „
Meiner Schwester Ernestine 2500 „
Meinem Bruder Michael meine goldene Uhr und 50 Dukaten.
Meinem Bedienten zweimonatlichen Gehalt, zusammen 24 fl.,
sammt meinen Kleidern und Wäsche, nebst seinem Bette.
Zum Executor Testamenti erbitte ich meinen lieben Neffen
Joseph Edlen von Schickh, für welche freundschaftliche Handlung
ich ihm zum Angedenken meine schwerste goldene Tabatiere ver
mache. (Vgl. S. 307, Anm. 2).
Wien den 19. July 1794.
Joseph Eck h el.
*) Der seltene Kindersegen, dessen sich diese seine Schwester Raphaela zu erfreuen
hatte und vielleicht die Erinnerung, dass er deren Sohn Andreas, der ihn in seinen
ernsten Arbeiten störte, unverdienterWeise allzu harsch abfertigte, mochten sein
edles Herz bestimmt haben , sie zur Universalerbinn einzusetzen. (S. das Nähere im
Anhänge, Anmerk. VIII.)
Seine Verlas senSchaft bestand:
a) an barem Gelde in 1,013 f). 44 krn.
b) an öffentlichen Fonds-Obligationen
sammt Interessen bis 16. Mai 1798 23,369 „ 16 „ 3 Pf.
c) an Prätiosen; in zwei goldenen
Dosen zu 42y a und 45 Ducaten
im Gewichte, und einem antiken
Ringe (zu 3 Gulden), in Gold
und Silber, laut Schätzung . 377 „ 30 „
d) an Mobilien, Büchern, Kleidern,
Wäsche 400 „
Summe . . 25,160 fl. 30 kr. 3 Pf.
DerPassi vstand: 230 fl. 25 kr., d arunter für ein Consilium
medicum dem Dr. Freiherrn von Quarin, dann dem Herrn von
Leber 18 fl., ferner dem Chirurgen für den Beistand in der letzten
Krankheit 14 6. 30 kr., für Leichenkosten 61 fl., endlich für einen
noch ausständigen Schneiderconto 57 fl. 40 kr. — Somit verblieben
an reinem Vermögen 24,930 fl. 5 kr. und 3 Pfennige. Erbsteuer
wurde bezahlt: 2,440 fl. 12y 3 kr.
I. v. EcklicPs Porträte und Medaille,
Ein vortreffliches Porträt des gelehrten Eckhel, das uns
dessen geistvolle Züge vergegenwärtigt, besitzt sein Grossneffe, der
Grosshändler Ignaz von Eckhel in Triest, von Johann Georg Wei-
ckert 1 ) in Öl gemalt. Dasselbe copirte der k. k. Münz- und An-
tikencabinets-Zeichner und Kupferstecher Peter Fen di (-J-28. Au
gust 1842) für das Institut, dem jener so ruhmvoll vorgestanden.
Diese Copie, wie auch die Porträte von Erasmus Frölich, Jamerai
Duval und von Eckhel’s Nachfolger, dem Abbe Franz de Paula
Neumann, welche beide gleichfalls Copien von Fendi sind, zieren
dermals den Saal der mittelalterlichen und modernen Münzen und
Medaillen. Dasselbe Cabinet besitzt noch ein Porträt des grossen
*) Der Maler WeicKert oder Weickart, im J. 174ä zu Wien geboren, war ein
Schüler von van Meytens (f 1770) , malte die Kaiserinn Maria Theresia und ihre
Tochter Caroline, Königinn beider Sicilien, den Kaiser Joseph II., den Grossherzog
von Toscana, die Feldmarschälle Grafen von Haddik undLascy, Franz Xaver Freiherrn
von Lang und viele andere hohe Personen und Celebritäten und starb 1798.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXIV. Bd. II. Hft. 23
Joseph Bergmann.
350
Mannes in der Abbe-Kleidung von der rechten Seite, in Kellheimer
Stein, oval, zwei Zoll sechs Linien hoch und zwei Zoll breit. — Ein von
Thomas Benedetti in Kupfer gestochenes Porträt finden wir auch in
von Steinb üchel's Addenda ad Eckhelii Doctrinam num. veterum.
(Vgl. oben S. 340.)
Ein sehr gelungenes Porträt Eekhel’s en miniature verwahre ich als
Kleinod. Es gibt uns dessen geistreichen Kopf wie ihn die Abbildung
auf der Kupfertafel darstellt. Es kam imj. 1838 aus der Familie Stütz
(s. Anmerk. XVIli) an mich, worüber das Nähere in meinen Medaillen
auf berühmte und ausgezeichnete Männer des österreichischen Kaiser
staates 1837, Bd. II, 429 nacligelesen werden kann. Herr Franz
von Timoni in Wien, ein feiner Kenner von antiken Münzen und
geschnittenen Steinen, liess vonLuigi Pichler dieses Porträt in einen
Carneol zu einem Siegelringe schneiden, wovon er mehrere Gyps-
abdrücke unter seine Freunde vertheilte. —Eckhel hatte eine fesle,
gleiclnnässige und sehr gefällige Handschrift; als Beleg haben wir
unter sein Bildniss auf der Tafel ein Facsimile seines Namens gesetzt.
Zur ersten Säcularfeier (1837) von Eckhel's Geburtstage liess
Seine Excellenz Moriz Graf von D ietrichstein, damals mit der
Oberleitung des k. k. Münz- und Antiken-Cabinets betraut, durch den
ausgezeichneten Medailleur Luigi Manfredini in Mailand eine
Medaille prägen mit der Umschrift:
10SEPH0 . ECKHEL . NAT . o MDCCXXXVII . MÜßT . uo
MDCCXCV11I. Unten: l.manfredini.f. Eckhel’s Brustbild von der
linken Seite. Rv. SYSTEMATIS. BEI. NVMAR1AE . ANTIQVAE. CON-
DITORI. Im Abschnitte : MVSEVM. V1NDOB. onense MDCCCXXXVII.
L(udovicus) manfredini F. Im Felde: Minerva, sitzend, bedeckt
mit einem Lorberkranze Eckhel’s Hauptwerk, auf dem die Buch
staben D. N. V. (Doctrina Nuinorum Veterum) ersichtlich sind.
Grösse: 1 Zoll 9 Linien im Wiener Masse; Gewicht ä 1 /^ Loth
in Silber.
Wie Michael Denis zu dem in der Privathibliothek Seiner k. k.
apostol. Majestät verwahrten Porträte Eckhel’s, das bei jenem sil-
houettirt (ex umbra prototypa apud M. Denisium) wurde, nach
seines Freundes Hinscheiden eigenhändig das Distichon schrieb:
„Ecklielium brevis hora tulit, sed diva Moneta 1 )
Scripta viri secum vivere secla jubet!
O Die diva Moneta ist die Schutzgöttinn der Münzkunde.
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
35!
su verdanken wir Johann Gabriel Seidl s Muse, der von 1840 bis zu
seinei 1 Beförderung zum k. k. Schatzmeister in den Räumen, in denen
Eckhel hauptsächlich seine unsterblichen Werke verfasste, mit allem
Eifer der alten Numismatik und der alten Epigraphik oblag, nach
stehende zwei Disticha:
E c k h e 1 i o!
Palladis errantem revocasti in templa Monetam,
Et decore ornasti doctus utramque novo!
Post seclum Pallas gratae Tibi grata Monetae
Dedicat en! lauros, artis ab arte decus!
Seidl’s grösseres, deutsches Gedicht zu dieser Säcularfeier,
wie dessen Übersetzung in’s Italienische von Herrn Dr. Johann
Baptist Bol za, dermaligem Secretäre im Unterrichts-Ministerium,
siehe abgedruckt in meinem Medaillenwerke, Bd. II, 426 ff.
Zum Schlüsse fühle ich mich verpflichtet, noch der numism ati-
s chen Gesel 1schaft in Berlin zu erwähnen, welche in Verehrung
unseres grossen Eckhel seinen Geburtstag (13. Jänner) im Jahre
1843 zum ersten Male in einer Feier beging, zu der ein Programm
verfasst und gedruckt wurde. An diesem Feste nahmen die Mitglieder
der dortigen archäologischen Gesellschaft und einige andere gelehrte
Vereine Theil und im Andenken an den Verewigten wurde sein Leben,
nach einem von mir eingesandten Abrisse vom Vorsitzenden erzählt, sei
ner Werke und der grossen Verdienste um die alte Numismatik gedacht.
So gedenkt diese numismatische Gesellschaft, wie mir deren
Secretär, Herr Rechnungsrath Schliekeysen, berichtet, wenn auch
nicht in so feierlicher Weise wie 1843, noch alljährlich am genannten
Tage Eckhel's und seiner Verdienste.
Warum hat denn in unserem Wien zu Ehren unseres grossen
Eckhel kein numismatischer Verein sich gebildet? In Wien,
das eines grossartigen kaiserlichen Münzcabinets mit vollem Rechte sich
rühmt, welches seit einem Jahrhunderte auf dem Gebiete der Numis
matik eine hervorragende Stelle einnimmt und in der Wissenschaft
anerkannt Ausgezeichnetes leistete, in Wien, das einer schönen Anzahl
von gelehrten und praktischen Numismatikern und sehr bedeutenden
und werthvollen Privatsammlungen in den letzten vier Decennien sich
erfreute, die aber der Tod ihrer Besitzer in alle Welt zerstreut hat.
23
352
Joseph Bergmann
Anmerkungen.
I. S. 297. — Duval’s Testament. — Duval traf seine letztwillige An
ordnung am 27. December 1773 in französischer Sprache, laut welcher sein
hinterlassenes Vermögen 2381 fl. in Barem, 17630 fl. in Activforderungen, 280 fl.
in Bücherwerth, 370 fl. in Priitiosen, Gold und Silber, zusammen 20798 Gulden
betrug, ferner 800 Livres, die er in Frankreich ausständig hatte u. m. a. Uni
versalerbe war sein Freund Johann Vcrot, k. k. Münzcabinets-Custos. Für
11230 fl. wurde eine Stiftung errichtet für drei arme jährlich auszusteuernde
Mädchen mit je 130 fl. Der Stiefbruder des Erblassers Herr Johann Gen et,
Custos der Bibliothek zu Florenz, war im Testamente mit einer jährlichen Rente
von 90 fl. bedacht, welche er aber nur kurze Zeit bezog, indem er Zeuge des
den Acten beiliegenden Todtenscheines am 7. October 1778 starb. Madame de
Morveau erhielt 1000 fl. Legat; die Bürgerspitals-Armen 3730 fl.; für die
Seelenruhe des Verblichenen mussten hundert heilige Messen gelesen werden.
Besonders bedacht wurde noch der Bediente des Testators Albert Anthen. Das
Testament ist unterfertigt von Friedrich Albert Koch, russisch kaiserlichem
Botscbafts-Seeretäre in Wien, der auch Duval’s Werke mit dessen Porträt 1784
herausgegeben hat.
II. S. 301. A. 2. — Da Hey renbach auch auf dem Gebiete der Numis-
matik heimisch war, so erachten wir es hier nicht am Unrechten Orte, wenn
wir über diesen Gelehrten einige genauere Notizen, die wir zum Tlieile unserem
verehrten Collegen Herrn Custos Birk aus den Acten der k. k. Hofbibliothek
verdanken, den Lesern mittheilen.
Joseph Benedict Heyrenbach, am 24. Mai 1738 zu Ettal in Baiern
geboren, studirte die Humaniora zu Kremsmünster, trat 1736 in den Orden der
Jesuiten und ward nach dessen Aufhebung (21. Juli 1773) Weltpriester und ain
1. September als überzähliger Custos an der k. k. Hofbihliothek mit jährlichen
430 Gulden, dann am 7. Jänner 1774 als wirklicher letzter Custos angestellt.
Um dessen Lage zu verbessern, gab voll Edelsinnes Abbe E ckh el ihm die Hälfte
seines Gehaltes, den er als Professor der Numismatik von Seite der Universität
zu beziehen hatte (s. oben S. 328). Heyrenbach, der allzufrüh am 20. April 1779
der Wissenschaft entrissen wurde J ), besass bedeutende, für jene Zeit seltene
diplomatische Kenntnisse. Wir verdanken ihm: a) die „Abhandlungvon der
Lage des Grunzwiten-Gaues“ in den Beiträgen zu verschiedenen Wissen-
1 ) Der hochgelehrte Herr Joseph Hey renbach, wie ihn das Wienerische Diarium
vom 24. April 1779 Nr. 33 nennt, starb auf der Seilerstätte Nr. 919, dermals Nr. SOG.
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
353
schäften. Wien 1775. Ein Kärtchen dieses Gaues gab Freiherr von Hormayr
im Taschenbuch für die vaterländische Geschichte. Wien 1812, heraus. Ferner:
bj Grundsätze der älteren Staatsgeschichte von Österreich.
Linz (wo er im kaiserlichen Schlosse den 8. Oetober die Vorrede geschrieben)
1776. Ihr Zweck war, das Recht des Kaisers, als Oberhauptes des deutschen
Reiches, auf die Herrschaft Abensberg zu beleuchten. Nach der k. k. privile—
giften Realzeitung der Wissenschaften, Künste etc. Wien 1778, S. 234 hat
c) den Weiss-Kunig, den Marx Treitzsaurwein auf Kaiser Maximilian’s I.
Angeben zusammengetragen, Herr von Mart in ez, erster Custos an der k. k. Hof
bibliothek, mit Heyrenbach’s Beihilfe in Wien 1775 bei Joseph Kurzböck mit
sehr vielem Fleisse und vieler Gelehrsamkeit aus dem Manuscripte der k. k. Hof
bibliothek herausgegeben, wovon in der Vorrede zum Weiss-Kunig nichts erwähnt
ist. Weiter gab er, leider ohne Vorwort oder historische Einleitung, heraus:
dj Kaiser Friedrich’s Tochter Kunigunde, ein Fragment aus der
österrei ch-baierischen Geschichte sammt einem Codex Proba-
ti onum. Wien 1778 in klein 8°. Dieses Bruchstück ist nach S. 122 in Abschrift
vollendet worden am 31. Jänner 1537. Auf dem Titelblatte sind noch der öster
reichische und haierische Wappenschild mit der Jahrzahl 1487 ersichtlich, in
welchem Jahre Erzherzog Sigmund von Tirol Kaiser Friedrich’s 111. Tochter
Kunigunde, die bei ihm zu Innsbruck weilte, ohne ihres Vaters Wissen und Willen
an den Herzog Albrecht IV. von ßaiern vermählte. Sie starb im Kloster zu
München am 6. August 1520. Seite 122 ist eine Vignette eingedruckt, auf der
wir den letzten Herrn von Ahensperg, behelmt in ganzem Panzer und mit
angeschnalltem Schwerte auf dem Gesiebte liegend, hingestreckt sehen, vor
welchem ein anderer Ritter in gleicher Rüstung steht und in den gesenkten
Händen den Wappenschild der Herren von Ahensperg hält. Unten liest man:
ABENSPERG: VNDT: NIMMERMER: ABENSPERG: 1485. Der tapfere und
ritterliche Niklas Herr von Ahensperg in Niederbaiern, der letzte seines
Namens, ward in einer Fehde mit dem riesenmässigen Herzog Christoph, dem
baierischen Theuerdank, bei einem Überfalle vor Freising von einem Frauenberg
im Jahre 1485 erstochen, worauf Herzog Albrecht IV. des Kinderlosen Güter,
die nun dem Kaiser und dem Reiche anheimgefallen waren, widerrechtlich an
sich zog und später daraus seiner Gemahlinn , der obgenannten Erzherzogin:!
Kunigunde, ein Heirathsgut schöpfte. Styl und Form dieses interessanten Bruch
stückes erinnern gar sehr an den Weiss-Kunig von Treitzsaurwein; so heisst
auch Kaiser Friedrich III. der „alt weiss kunig“ und dessen Sohn, der römische
König Maximilian, der „jung weiss kunig“, dann der Herzog Albrecht von Baiern
der „blaw weiss kunig“ auch der „weiss blau kunig“. Dieses Fragment steht mit
der Arbeit suh b) im Zusammenhänge. Auch ist von Heyrenbach die Fort
setzung von der Germania Sacra des Jesuiten Marcus Ilansitz (-J- 1766);
dann die Abhandlung „Über die Slawen in Österreich“ in: „Neue Abhand
lungen der k. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften. Bd. II. Prag 1795,
im diplomatisch-historisch-litterarischen Theile S. 5—41, und endlich die
gediegene Recension von 531 Handschriften der Wiener Universität in drei
Foliobänden, welche die k. k. Hofbibliolhek besitzt.
-
354 Joseph Bergmann.
III. S. 303. A. 1.— Eck liel'sc lies ältestes Wappen vom J .1617.
— Im unteren rothen Felde des quergetheilten Schildes prangen drei triangels-
weise gestellte blaue Ecksteine, oben zwei und unten einer, im oberen
weissen Felde glanzt ein achteckiger Stern, der Länge nach so getheilt, dass
der hintere Theil schwarz, der vordere gelb ist. Auf dem Schilde ruht ein
gekrönter S teeh he I m, zur Linken mit rother, blauer und weisser, zur Rechten
aber mit gelber und schwarzer Heinidecke geziert. Uber dem Helme zwischen
zwei Adlerflügeln steht eine Mohrengestalt mit spitziger Haube in einem
engen Leibröckel, welche in der Rechten einen dreieckigen rothen und in der
Linken einen gleichen weissen Edelstein hält. S. die Abbildung auf der Tafel.—
Abbe Eckhel siegelte nach den Actenstücken Nr. 23 und 24, dann Nr. 28 und
29 im k. k. Münzcabinete mit zweierlei Siegeln, welche beide auf diesem älte
sten Familienwappen beruhen und jenen Eckstein führen. Sie sind vielleicht
eine Arbeit seines Onkels, des Siegelstechers Johann Ignaz Eckhel, vgl. S. 303,
Anmerk. 6.
IV. S. 306. Über das Geschichtliche der Pfarre und Herrschaft Enzesfeld
(richtiger als Enzersfeld), zwischen Raden und Wiener-Neustadt gelegen,
das in v. Meiller’s musterhaften Regesten im Jahre 1130 Engilscalchisuelde,
dann 1233 Engelschalsvelde genannt wird, s. Kirchliche Topographie von
Österreich, Abtheil. I, Bd. I, Wien 1826, S. 138 fl 1 ., wo aber nicht erwähnt ist,
dass hier der gelehrte Abbe Eck hei geboren ist. Es sei uns erlaubt über diesen
Ort, besonders aus der Zeit als die Familie v. Eckhel hier lebte, einige noch
genauere Notizen mitzutheilen. Ludwig von Tobar, der mit Erzherzog
Ferdinand I. aus Spanien gekommen war, besass diese Herrschaft und hiess
seit 23. Juni 1346 Freiherr von Enzesfeld, ward der römisch königlichen
Majestät Rath und des Erzherzogs Ferdinand (von Tirol), damaligen Statthalters
in Böhmen, Hofmeister und starb zu Prag am 3. März 1333. Zur Zeit als Johann
Anton Eckhel sich daselbst niederliess, gehörte diese Herrschaft seit 1708 der
Frau Maria J o s e p h a Antonia Fürstinn von M ont e cu cco I i. Sie war nach
Wissgrill II, 123 eine geborne Gräfinn von Col 1 ore do-Walsee, hatte sich
im Jahre 1679 mit Leopold Wilhelm, Sohne des berühmten kaiserlichen Feld
marschalls und Reiehsfiirsten Raimund von Monteeuccoli vermählt und ward
1697 kinderlose Witwe. Sie besass ansehnliche Herrschaften und Güter in
Böhmen und Niederösterreich, von denen sie die Herrschaft Enzesfeld zu
einem Fideicommissgule für die Grafen von Zinzendorf katholischer
Linie mit Substituirung der Grafen von Khevenhüller-Frankenburg bestimmte,
indem ihre Mutter M. Susanna Eleonora, geh. Gräfinn von Zinzendorf, diese
Herrschaft nebst dem Markte Loibersdorf etc. am 30. Juni 1697 von dem Grafen
Franz Karl von Hoyos um 122,000 Gulden gekauft hatte und nach deren
Testamente vom 1. October 1703 die kinderlose Tochter verpflichtet war, erst
ihren (nämlich der Mutter) väterlichen, dann ihren mütterlichen Verwandten
das Fideicommiss zu hinterlassen *). Der am 2. Jänner 1738 zu Wien ver-
1 ) Dr. Leupold’s Allgemeines Adels-Archiv der österr. Monarchie. Wien 1789, des
I. Theiles ßd. III, S. 750 uud 731, 737 f.
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
355
storbenen Fürstinn Universalerbe war ihr VetterCami 11 o Graf von C o 11 or e d o-
Walsee; die Fideicommissherrschaft Enzesfe 1 d aber bekam Ludwig Graf
von Zinzendorf, k. k. F.-M.-L. und commandirender General in Mähren, der
am 1742 kinderlos zu Bi'iinn starb. Nun konnte dieses Fideicommiss seinem
protestantischen Vetter Friedrich Christian, kursächsischem geheimen Rathe
und Kammerherrn (-[- IS. December 17S6), älterem Bruder des Grafen Nikolaus
von Zinzendorf, des Stifters der Herrenhuter Brüdergemeinde (-]- 1760), nicht
zufallen. Sein ältester, zu Nürnberg 1721 geborner Sohn Ludwig Friedrich
Julius Graf und Herr von Zinzendorf, der am 29. December 1739 katholisch
geworden war, erhielt nun den ihm von dem katholischen F.-M. Ludwig Andreas
von Khevenhiillcr-Frankenburg (j- 26. Jänner 1744) streitig gemachten Besitz
der Herrschaft Enzesfeld und starb als k. k. Staatsminister zu Wien am
4. Oetober 1780.
V. S. 306. — Die in der vorigen Anmerkung erwähnte verwitwete Fürstinn
von Montecuceoli machte in ihrem Testamente vom S. Jänner 173S eine Stiftung
zur Unterhaltung von 10 adeligen Fräulein und 10 unadeligen Mädchen, besonders
für k. k. Kriegs-, Civil-, Land- oder herrschaftl. Ofßciers- und Bürgerskinder
vom 7. bis zum vollendeten 23. Jahre beziehbar, wenn sie nicht früher heirathen
oder ins Kloster gehen, dann für 12 arme Witwen; für jedes adelige Fräulein
jährlich 300 fl., für eine Unadelige je 130 fl. u. s. w. Das Vcrleihungsrecht hat
die edle Stifterinn ihrem Universalerben Camillo Grafen vonColloredo und dessen
Nachkommen übertragen.
VI. S. 306. — Melchior Steiner zu Winterthur aus einer Familie geboren,
welche sich von jeher durch Industrie und Handel einen vorzüglichen Namen
erworben hat, kam nach Österreich und gründete unter dem Privilegium
der Niederlags-Verwandten ein Handelshaus. Er wusste unter der glorreichen
Regierung der Kaiserin Maria Theresia durch Beförderung der industriellen
Betriebsamkeit und des Handels, durch Anlegung wichtiger Kupferwerke, durch
Verbreitung der Quecksilber-Ausfuhr und Errichtung der Pöttensteiner Säbel
klingen- und einer Blaufarbenfabrik , endlich durch Verschaffung beträchtlicher
Geldanleihen in Holland zur Deckung der Staatsauslagen sich vorzüglich auszu
zeichnen. Steiner fand an dem einfachen, natürlichen Wesen der Eckhel'schen
Töchter die bei einer Frohnleichnams-Procession in Wien anwesend waren,
Gefallen und heirathete im Jahre 1762 Maria Josepha Eckhlin. Er machte
sein Testament mit gegenseitiger Beerbung am 4. Jänner 1779 und starb nach
Mittheilungen des Herrn Decans und Pfarrers Berger zu Pottenstein daselbst
kinderlos in einem Alter von 37 Jahren an der Lungensucht den 16. Mai 1786,
wo er auch ruht. Seine Verlassenscheft betrug angeblich 48,496 fl. 37 kr.
Ad VI. S.309. — Dessen gleichnamiger Neffe, Melchior von Steiner der
Jüngere, gleichfalls zu Winterthur geboren, verehelichte sich mit dieser Tante
Josepha, erwarb sich nicht minder wesentliche Verdienste um die Ausbreitung
des Handels und um den Staat, erweiterte beträchtlich die von seinem Oheim
errichteten Fabriken , besonders die Kupferfabriken unter grossem Kosten-
aufwande mit neuen Werken und vermochte die Münzämter bei den zuge
nommenen Bedürfnissen in Kupfermünzen durch Verarbeiten thätigst zu unter-
35Ö
Joseph Bergmann.
stützen. Ebenso zeichnete er sich während des Krieges im Jahre 1809 durch
Verschaffung bedeutender Geldsummen aus dem Auslände, sowohl zur Ver
pflegung der Truppen als zur Deckung anderer Bedürfnisse der Staatslinanzen,
rühmlichst aus und leistete, während AVien vom Feinde besetzt war, durch
Anstrengung seines Crcdits und durch die in Verbindung mit den Banquier-
Häusern Arnstein und Eskeles, Geymüller und Comp., dann Fries und Comp,
übernommenen Haftungen dem Staate wesentliche Dienste. In Anbetracht aller
dieser Verdienste erhob Kaiser Franz I. ihn am 20. März 1811 in den Ritter
stand. Nach der Wiener Zeitung Nr. 158, S. 3150, starb Melchior Ritter von
Steiner, k. k. pri vilegirter Grosshändler, Gouverneurs-Stellvertreter der
privilegirten österreichischen Nationalbank, dann Fabriks- und Hausinhaber, in
Wien in der Renngasse Nr. 137, den 8. März 1837 an der Lungenlähmung in
einem Alter von 74 Jahren, und ruht in Pottenstein. Dessen wohlgetroffenes
Porträt besitzt der Grosshändler Johann Georg von Eckhel in Triest.
VII. S. 308.— Diese Susanna T h er es i a, geb. Gräfinn von Auersperg, ver
mählte sich nach ihres Gemahles Tode (f 17. Juli 1742) am II. Juli 1743 mit
AVolfgang Maximilian Wilhelm Grafen von Auersperg und starb kinderlos
am 19. December (alii November) 1746.
VIII. S.308. — Johann Georg Meiller, am 14. November 1722 inWien
geboren, in zweiter Ehe mit des Abbe Eckhel vollbürtiger Schwester 1703 ver
mählt, ward als jubilirter k. k. Kriegscassa-Verwalter wegen seiner langen
erspriesslichen Dienste, besonders wegen des beträchtlichen Geldtransportes,
den er nach Italien, den Niederlanden und nach anderen Orten mit möglich
ster Sicherheit geleitet und bei dieser Gelegenheit dem k. k. Ärarium einen
nicht unbeträchtlichen Münzgewinn verschafft hatte, zugleich mit seinem Bruder
Philipp Franz, Bergwcrks-Productenverschleiss-Cassier inWien, der durch
vierzig Jahre mit unverbrüchlicher Treue gedient hatte, vom Kaiser Franz II.
am 1. Jänner 1797 in den Adelstand erhoben. Johann Georg, der in Press
burg am 12. Mai 1800 starb, hatte sich eines überreichen Segens an Kindern zu
erfreuen. Ihm waren in erster Ehe sechzehn, in zweiter mit Raphael e Eekhel,
die am 11. August 1801 ebendaselbst ihrem Gatten ins Grab nachfolgte, fünf
zehn Kinder entsprossen, von denen zwar etwas mehr als die Hälfte sehr früh
starb, die übrigen aber ein mehr oder minder hohes Alter erreichten. Es ist
daher leicht begreiflich, dass dem Kriegscassa-Venvalter, dessen Einkünfte
lediglich auf seinen Gehalt beschränkt waren, die Erziehung und das künftige
Schicksal seiner so zahlreichen Nachkommenschaft schwere Sorgen verursachte
und dass weder Söhne noch Töchter sich einer irgend bedeutenden Ausstattung
zu erfreuen hatten. Eines dieser Kinder war Andreas von Meiller, zu De-
breczin in Ungarn am 23. August 1777 geboren, und theilte in dieser Beziehung
vollkommen das Loos seiner übrigen Geschwister.
Andreas von M e i 1 I e r’s Besuch bei seinem Oheime, dem
Abbe Eckhel 1 ). — Diesen sechzehnjährigen Jüngling der drei deutsche
A ) Diese charakteristische Anekdote verdanke ich dessen gleichnamigem Sohne, dem
k. k. Truchsessen und geheimen k. k. Haus-, Ilof- und Staatsarchivare Dr. Andreas
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
357
und vier lateinische Schulen am Gymnasium zu Prag, wo damals sein Vater an
gestellt war, absolvirt und etwas italienisch und französisch gelernt hatte, über
raschte sein Vater eines Morgens damit, dass er ihm eine Fahrkarte für die
Diligence nach Wien und eine überaus bescheidene Zugabe an Geld und Kleidern
mit der Erklärung behändigte, er könne nunmehr nichts weiter für ihn thun.
Er möge nach Wien gehen, um sich dort für sein weiteres Fortkommen selbst
thätigzu bemühen und nicht unterlassen, sich den daselbst lebenden Anverwandten
— insbesondere dem Onkel Abbe der ein einflussreicher Mann bei Hofe sei—,
vorzustellen und um Rath undThat ihrerseits zu erbitten. Es war im Jahrel793,
als eines Tages an der Thüre des Arbeitszimmers Eckhel’s geklopft wurde
und auf dessen „Herein!“ schüchtern und ängstlich ein dem Knabenalter kaum
entwachsener Jüngling eintrat und auf Eckbel’s Frage „wer er sei“ sich als
dessen Neffen zu erkennen gab und, so gut als er es eben hervorbrachte, seine
Bitte um Protection und Verwendung des hochwürdigen Herrn Onkels recitirte.
Eine kleine Weile blieb der Onkel, den Neffen mit den Augen musternd, die Ant
wort schuldig und fragte dann sitzend: „Hast du was gelernt? kannst lesen?“
Ja Herr Onkel, war die verlegene Antwort. „Kannst du schreiben?“ Ja Herr
Onkel. „Kannst rechnen?“ Ja Herr Onkel. Aufstehend und dem schon ganz
ausser Fassung gerathenen Jüngling, der zu gleicher Zeit vom Herrn Onkel sich
zu retiriren begann, näher tretend, fügte Eckhel nun mit erhobener Stimme hin
zu: „Hinaus, dort hat der Zimmermann ’s Loch gemacht; wer die drei Dinge
ordentlich gelernt hat, braucht keine Fürsprache, der soll und kann sich selbst
im Leben weiter bringen.“ Mit einem Satze war der Neffe zur Thüre hinaus,
zitternd und fast in Thränen über diesen so unerwarteten Empfang. Wenige
Tage darauf erhielt der Jüngling einenPlatz in dem Grosshandlungshause seines
Schwagers Joseph Perez, eines Spaniers, in Triest, der seine Schwester Jose
phine zur Ehe hatte und reiste unverzüglich dahin ab, ohne seinen Onkel noch
einmal zu besuchen, den er auch in seinem Leben nicht mehr sah, da er erst
nach dessen Tode wieder nach Wien zurückkehrte. Er war hier später Director,
Firma- und Procuraführer des Grosshandlungshauses Steiner und Compagnie,
auch Censor der Nationalbank und starb am 15. August 1842. Seine Gemablinn
C h r i s t i n a J o s e p h a Edle von S a a e k, zu Suppanye in Slavonien 1780
geboren, zu Pressburg am 10. Juni 1802 verehelicht, gebar ihm sieben Kinder,
darunter am 22. December 1812 den S. 304 genannten Dr. Andreas v. Heil
ler, den Verfasser der mustergiltigen ßabenbergisehen Regesten, und starb
zu Währing bei Wien am 5. August 1854.
IX. S. 309. — Ein Sohn der M.Helena Eekhel und Johann Baptist R o cke r t’s
ist Herr August Rockert, bekannt durch die Herausgabe des Taschen
buches Vesta von 1831—1830 mit herrlichen Stahlstichen von Axmann, Bene-
detti, Passini etc. und sorgfältigem Texte. Von vaterländischem Ehrgefühl be
lebt, brachte Rokert bedeutende Opfer zu deren Ausstattung, bestellte eigens
v. Meiller, meinem hochverehrten Herrn Collegen, wie er sie vielmal aus dem
Munde seines Vaters erzählen hörte.
358
Joseph Bergmann.
Gemälde bei Wiens ersten Künstlern, Thomas Ender, Peter Fendi, Gauermann,
Rieder, Schwemminger, Waldmüller etc. für selbe und scheuete keine Summen,
seineVesta glänzend herzustellen. Sie enthält ausser vorzüglichen Genrestücken
Porträte mehrerer historischer Personen aus der k. k. Ambraser-Sammlung, so
der Philippine Welser, Irenens und Roxolanens, Gemahlinnen der Sultane Mu-
hamed II. (■}• 1481) und Suleiman’s 1. (-J- 1366), K. Philipp’s II. Der Jahrgang
1834 enthält „die Abbassiden“, ein Gedieht in neun Gesängen vom Grafen von
Platen-Hallermünde; der vom Jahre 1833 „Tristia ex Ponto“ von Grillparzer, in
anderen linden wir Gedichte von Michael v. Enk, Ludwig Haiirsch, v. Hermanns
thal, Rückert, Johann Gabriel Seidl etc.
X. S. 323. A. 1. — Über K. Joseph’s II. Aufenthalt in Rom. — Nach
Friedrich III., der in Rom am 16. März 1432 vom Papste Nikolaus V. als Kaiser
gekrönt wurde und nach K. Karl V., der am 6. April 1336 feierlich da
selbst einzog, hat kein deutscher Kaiser die ewige Stadt betreten. Joseph II.
kam mit seinem Bruder, dem Grossherzog Peter Leopold von Toscana, am
13. März 1769 dahin und besuchte mit demselben am folgenden Nachmittage
gegen fünf Uhr in einfachem Kleide, ohne das geringste Abzeichen seiner Würde,
nur mit dem Schwerte umgürtet, zum Erstaunen der Cardinäle das Conclave,
um das versammelte h. Collegium zu begrüssen und ward von demselben aufs
ehrerbietigste empfangen l ). Gegen halb sieben Uhr verliess er das Conclave,
welches am 19. Mai den Cardinal und Minoriten Lorenz Ganganelli als Papst
Clemens XIV. wählte, der am 21. Juli 1773 den Orden der Jesuiten, welchem
Eckhel angehörte, aufhob. Über Ostern (26. März) weilte er zu Rom , reiste
am 30. nach Neapel zu seiner Schwester, der Königinn Caroline (S. 319).
Bei seiner Rückkehr wechselte er in Rom blos die Pferde und reiste über Flo
renz, Modena, Parma und durch die Lombardie wieder nach Wien zurück.
Zu Rom malte der berühmte Maler Pompeo Girolamo Batoni aus Lucca
(-j- 1787) den Kaiser Joseph II. und seinen Bruder als Kniestück neben einander
stehend und sich die Hände reichend. Zur Seite steht ein Tisch, worauf ein Plan
der Stadt Rom und eine Statue der Minerva und im Hintergründe die Aussicht
auf die St. Peterskirche. Er erhielt dafür von der Kaiserinn M. Theresia 200
ungrische Ducaten oder 860 Gulden, ferner auch am 23. October 1769 den
Adelstand für sich und seine ehelichen männlichen Nachkommen, um den er
angesucht hatte (nach den Adels-Acten).
Der berühmte Bernardino Regoliron setzte dieses Bild im Aufträge des
Papstes Clemeus XIV. in gleicher Grösse in Mosaik, das dieser der Kaiserinn ver
ehrte. Beide verwahrt die k. k. Bildergalerie im Belvedere.
XI. S. 323. — Joseph Graf Ariosti, ein Edelmann aus Siena, im
Jahre 1723 Hauptmann im Regimente Gaier, brachte auf K. KaiTs VI. Befehl
römische Inschriften nach Wien, welche die Vorhalle der k. k. Hofbihliothek
zieren und von Scipione Maffei herausgegeben sind. Siebenzehn dieser Inschrift-
! ) Siehe das Nähere in Dr. Th ein er’s Geschichte des Pontificats Clemens’ XIV. Leip
zig und Paris 1853, Bd. I, 183.
f
Fliege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert.
359
steine sind auf der Theiss bei Szegedin mit einem Schiffe zu Grunde gegangen.
Das k. k. Münz- und Antiken-Cabinet verwahrt einen Quartband römischer In
schriften , die in Siebenbürgen (Inseriptiones Romano-Dacicae) gefunden und
1723 nach Wien geführt worden sind, geschrieben im J. 1723. Es ist das hand
schriftliche Prachtexemplar das der Graf mit der Widmung, wie die italienische
Vorrede besagt, Seiner Majestät überreichte. Der Band enthält drei Tlieile:
I. Inscrizioni condotte a Vienna, 47 Inschriften; II. Inscrizioni restate sommerse
nel Tibisco a Segedino mit 17 und III. Inscrizioni sperdute mit 32 Inschriften.
Er starb hochbetagt als k. k. Feldmarschall-Lieutenant in Activität im October
1766 *). Sein Sohn Conrad in, Hauptmann im Sincere’schen-Regimente, war
zu Reichenberg in Böhmen 1737 an seinen Wunden gestorben. Über seine
Tochter Carolina s. oben S. 332; sie starb einen Tag nach Eckhel am
17. Mai 1798, nach S. 1369 der Wiener Zeitung, wo es heisst: „Fräulein
Karolina Gräfin von A r i o s t i, pens. k. k. Generalmajors- (sic) Tochter,
alt 72 Jahre, auf der Mariahilfer Strasse Nr. 16.“
XII. S. 323. A. 1. — Graf Michaeli. Wiczay oder magyarisch Vi c zay
de Vicza war der Gründer der berühmten Münzsammlung zu Hedervar im
Raaber Comitate. Er hinterliess von seiner Gemahlinn Theresia Gräfinn von
Draskovich den Sohn Michael II., geh. 26. Juli 1736, der mit neunzehn
Jahren in den Besitz seines väterlichen Vermögens eintrat und die Sammlung
mit ungeheurem Aufwande zu einer europäischen Berühmtheit brachte, indem
sie an antiken Münzen nach der kaiserlichen in Wien als die grösste und werth
vollste in der Monarchie galt. Der Graf stand mit den ersten Numismatikern
seiner Zeit im Briefwechsel und beherbergte oft durch Monate, ja Jahre hin
durch z. B. Caroni aus Mailand, Sestini aus Florenz und andere zum Ordnen
seiner grossartigen Sammlung in seinem Schlosse. Er starb daselbst am 18. März
1831 und fand seine Ruhestätte in der dortigen Familiengruft. Vergl. dessen
Nekrolog vom Hofrathe Heinrich Hase, k. sächsischem Antiken- und Miinz-
cabinets-Inspector, in „Zeitgenossen.“ Leipzig 1831, dritte Reihe, Bd. III,
Nr. XIX, S. 79 — 84. — Er hinterliess die Söhne Michael III., geb. 22. Juni
1777, der kinderlos gestorben ist, und Franz, der durch drei Söhne sein
Geschlecht fortpflanzte. Das Miinzcabinet, mit Ausnahme der ungrischen Münz
sammlung und Bibliothek, wurde, kraft letztwilliger Anordnung verkauft, wor
über wir Näheres anzugeben vermögen. Die antike Sammlung zählte am 17. Nov.
1830 11992 griechische Münzen, 13337 römische Münzen und Medaillons, zu
sammen 23329 Stücke, zwei Diptycha und an 300 Stücke geschnittene Steine.
Nach des Grafen Tode ward die Münzsammlung, deren Ankauf für das k. k.
Münzcabinct schon im J. 1827 eingeleitet, aber wegen des hohen Preises und
der Unzahl von Doubletten, wodurch dasselbe überschwemmt und belastet worden
wäre, nicht eingegangen wurde, durch den Münzhändler Anton Promber an
den Münzhändler Roll in in Paris verkauft. Das k. k. Münzcabinet erwarb jedoch
aus derselben am 29. Mai 1833 auf Anordnung Sr. Excellenz des Grafen Moriz
f) Nach Acten im Archive des k. k. Arniee-Ohercommando’s,
360
Joseph Bergmann.
von Dietrichstein, des damaligen Oberleiters dieses k. k. Institutes, durch
Tausch gegen römische antike Münzen aus denDoubletten, eilf ungemein seltene
römische Medaillons und 183 griechische antike Münzen (worunter ß in Silber
und 179 in Bronze), welche der damalige Custos Herr Joseph Arneth mit aller 5
Sorgfalt ausgewählt hatte.
XIII. S. 326.— Ob Haimund Cocchi ein Sohn von Antonio Cocchi,
dem vielgereisten Arzte , dann Professor der Philosophie und Anatomie
zu Florenz, der auch K. Franz’s I. Antiquar 1 ) daseihst war und 1738 starb,
gewesen sei, vermag ich nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Raimund war, wie
aus seinem Benehmen gegen Eckhel erhellet, ein ausgezeichneter Mann. In
Eckhel's Correspondcnz finden sich zwei Briefe von diesem seinem Freunde vom
3. December 1774 und vom 3. Jänner 1773. ln jenem Briefe schreibt er: „Me
Magnus Dux nihil tale merentem nec sperantem aureis muneribus decoravit et
solatus est, aucto insuper XV scutis stipendio quod 400 flor. annuis circiter me
ditiorem facit.“ Im folgenden Monate war Cocchi eine Leiche.
XIV. S. 327. — Ludwig Dutcns, im Jahre 1730 zu Tours geboren,
begleitete Lord Algernon, Sohn des Herzogs von Northumberland, 1774
auf seinen Reisen in Frankreich, Italien, Deutschland und Holland und
kehrte 1776 nach England zurück. Er starb 12. Mai 1812. Er gab heraus:
Leibnitii opera omnia, Genevae. VI Vol. in 4°; dann Explication de quelques
Medailles de peuples, de villes et de rois, grecques et phenieiennes, 1773 in 4°,
und diese später 1776 a ) verbessert und vermehrt, indem Peilerin, Abbe Eckhel
und dessen Werke sie berichtigten. Auch ist er der Verfasser des Catalogue
des Medailles qu’on trouve dans le voyage de Swinburne. InEckhelsCorrespon- £
denz findet sich ein Brief von ihm aus London vom 26. August 1777. Auch sind
zwei Briefe von demselben an Ehe 11 vorhanden. In dem einen ddo. London am
24. April 1772 trägt er der Witwe Ariosti die Summe von 800 Pfd. Sterling
für ihre Sammlung der Silbermünzen an, auch hätte er gern das Cabinet der
Goldmünzen von de France gekauft; in dem anderen Briefe aus Spaa vom
1. August 1772 trat er vom Ankäufe zurück.
XV. S. 333. — Johann Nepomuk Wirth, geb. zu Wien 1733, war
der ausgezeichnetste Medailleur Österreichs in neuerer Zeit, wie alle seine
Medaillen zeigen. In Anerkennung seiner vielfachen Verdienste ward er k. k.
Bergrath, Kammer-Medailleur, Director der Kunstschule seiner Scction und
starb am 27. November 1810.
XVI. S. 336. — Leopold Graf von Kollo wrat-Krako wsky, Ritter des
goldenen Vliesses etc., war böhmischer und österreichischer oberster Kanzler,
im J. 1796 Staats- und Conferenz-Minister und starb am 2. Nov. 1809.
1 ) Auch war Antonio C. ein tüchtiger Kenner alter und neuer Sprachen. Unter anderem
gab er heraus: Xenophontis Ephesii Ephesiacorum libri V, cum adjecta versione
latina. Londini 1726 in 4°, welche Ausgabe Baron v. L 0 c et 1 a als unfleissig und
fehlerhaft erklärt, vgl. Anmerkung XXIV.
2 ) Cf. Eck hei Prolegomen. pag. CLXVIII.
Pflege der Numismatik in Österreich im XV11I. Jahrhundert.
301
XVII. S. 336. — Gottfried Freiherr van Swieten, Sohn des be
rühmten Gerhard’s (seit 1738) Freiherrn van Swieten , Leibarztes der Kai-
serinn M. Theresia, 1734 zu Leyden geboren, ward nach seines Vaters am
18. Juni 1772 zu Schönbrunn erfolgtem Tode Präfect der kaiserlichen Hof
bibliothek, dann nach Kink I, 343 am 29. November 1781 Präsident der obersten
Studienbehörde und Verfasser des Studienplanes, der im J. 1783 in der ganzen
Monarchie eingeführt wurde. Er war bei allen Prüfungen zugegen, lernte die
Lehrerpersönlichkeiten kennen und ermunterte jedes keimende Talent durch
Lob, nicht selten durch Stipendien aus seinen eigenen Einkünften. Im J. 1793
kaufte er das Haus Nr. 139 auf der Freiung (nun neugebaut und dem Baron
Rothschild gehörig), in dem er am 29. März 1803 unverehelicht starb.
XVIII. S. 337. — Abbe Andreas Stütz, zu Wien am 22. August 1747
geboren, war, wie Abbe Franz Neumann, regulirter Chorherr zu St. Doro-
the in Wien , dann Professor der Naturgeschichte und Geographie bei der
k. k. Real-Akademie, kam später zum k. k. Hof-Naturalien-Cabinet, war seit
1783 Directors-Adjunct, 1797 zweiter Director und nach Job. Ludwigs Frei
herrn von Baillou im J. 1802 erfolgtem Tode alleiniger Director. Er war ein
Freund und Amtsnachbar Eckhel’s und starb am 11. Februar 1806. Dessen
Porträt in geschabter Manier von Joseph Pacholik, dermals Cabinetsdiener
am k. k. Münz- und Antiken-Cabinete, ist in Stiitz’s (von J. G. Megerle v. Mühl
feld herausgegebenem) mineralogischem Taschenbuch. Wien und Triest bei
Geistingei'1807. Sein Bruder war der k. k. Ilofarzt Franz Xav. S t ü tz (-j-27. Mai
1818), dessen Haus auch Eckhel öfter besuchte.
XIX. S. 338. — Es waren zwei gelehrte Mezzabarba, Vater und
Sohn, Numismatiker. A. Franz, 1643 in Pavia aus patricischem Ge-
schlechte geboren und Advocat zu Mailand, hatte eine der schönsten Münz
sammlungen in Italien, ward Kaiser Leopold’s I. Fiscal in der Lombardie und
von diesem in den Grafenstand erhoben. Er starb zu Mailand am 31. März
1697. Unter anderem gab er heraus: Imperatorum Romanorum Numismata a
Pompejo Magno ad Heraclium ab Adolpho Occone olim congesta, nunc Augu-
storum Iconibus, perpetuis, historico-chronologicis notis, pluribusque additamen-
tis illustrata et aucta etc. Mediolani MDCLXXX1II, in fol., welches Werk er dem
K. Leopold 1. widmete. Die neue Ausgabe, die Philipp Argelati zu Mailand 1730
besorgte, ist K. Karl VI., dem damaligen Beherrscher der Lombardie, gewidmet
und mit Franz Mediobarbi (d. i. Mezzabarba’s) Birago’s Porträte geziert.
B. Dessen Sohn Johann Anton Mezzabarba Somasco (weil er der
Congregation der Somasker — unter der Regel des h. Augustin — angehörte),
ward wegen seiner Poesien Mitglied der Arkadier in Rom , dann Professor der
Rhetorik zu Brescia, Pavia, endlich zu Turin und starb kaum 33 Jahre alt 1703.
Auch er schrieb über Numismatik.
XX. S. 340.— Joseph P ellerin, 27. April 1684 zu Marli-le-Roi bei
Versailles geboren, war ein gelehrter, vieler Sprachen kundiger Mann.
Eckhel hatte in seinen Numi veteres aneedoti dessen Fehler verbessert und da
durch sich Invectiven von demselben zugezogen. Die Prolegomena Eckhel s
S. CLXIV erheben P.’s Verdienste um die alte Numismatik und schreiben dessen
362
Joseph Bergmann.
Schwarzgalligkeit die er gegen Abbe Barthelemy, Swinton und andere Fach
genossen ergoss, nicht dem biederen Charakter desselben, sondern dom hohen
Alter von hundert Jahren zu. Er starb am 30. August 1784. Dessen numismati
sche Werke sind in den genannten Prolegomenis aufgezählt.
XXI. S. 341.— Emerieh Thomas Hohler, zu Sehrikowitz in Böhmen
1781 geboren, fürstlich Schwarzenberg’scher Rath und Erzieher, dann Haus
bibliothekar, war ein gründlicher Kenner der lateinischen Sprache und Litera
tur, bekannt durch Herausgabe mehrerer Schulbücher und einer Sammlung
lateinischer Schulclassiker mit Erklärungen, die etwas an Überfülle leiden. Er
starb zu Wien am 13. November 1840.
XXII. S. 346. — Andreas Rodler aus der Oberpfalz, seines Handwerks
ein Handschuhmacher, war Eckhel’s Bedienter in dessen letzten Lebens
jahren. Der biedere Mann holte mit Abbe Neumann im J. 1806 die k. k.
Ambraser-Sammlung aus Tirol, ward aml. Mai 1808 bei derselben als Cabinets-
diener angestellt, begleitete und bewachte sie aufs treueste, als man sie im
J. 1809 bei der französischen Invasion auf der Donau hinab bis Peterwardein
brachte, so auch bei der Verpackung im .1. 1813, als Feindesgefahr von
Böhmen her drohte. Er starb, bis in die letzten Wochen seines Lebens stets
seinen gewohnten Dienst leistend, am 13. Juli 1842 im 90. Jahre seines Alters.
XX11I. S. 346.— Der Bürger - General Bernadotte, der nachherige
Karl XIV. Johann König von Schweden, war am 8. Februar 1798 als Bot
schafter der französischen Republik nach Wien gekommen und hatte Seiner
Majestät dem Kaiser Franz II. am 2. März sein Creditiv überreicht. Freitags den
13. April gab er Abends mehreren eingeladenen Gästen ein Souper und steckte dabei
auf dem Balcon des von ihm bewohnten Hotels Nr. 283 1 ) in der Wallnerstrasse
ganz unvermuthet öffentlich eine grosse dreifarbige Fahne aus. Diese ward,
als eine in Wien ganz ungewöhnliche Erscheinung, von dem Volke als Allarm
zeichen angesehen und brachte dasselbe in Unruhe. Als der Botschafter das
höfliche Ersuchen von Seite der k. k. Polizeistelle, die Fahne einzuziehen, hart
näckigverweigerte, wurde dieFahne, die ein kühner Lehrjunge vom Balcon her
abgerissen hatte, von dem inzwischen immer häufiger versammelten Volke in
Stücke zerfetzt und das Haus hatte mehrere Misshandlungen zu erleiden. Die
zweckmässigsten Anstalten von Seite des Militärs und des uniformirten Bürger
corps einerseits und die Folgsamkeit der gesammten Einwohner haben nicht nur
ernstlichen Auftritten vorgebeugt, sondern auch gar bald die Ruhe wieder her
gestellt. Der Botschafter fand indessen für gut, Sonntags darauf am IS. April
mit seinem Gefolge die Reise nach Rastatt anzutreten. Vgl. Wiener Zeitung
vom 18. April 1798, S. 1136.
XXIV. S. 346. — Die freiherrliehe Familie von Locella entstammt dem
Marchesate Finale. Sie war ein um diese Landschaft vielfach verdientes
*) Dieses Haus, dermals Nr. 272, gehörte seit 1697 dem k. k. Feldmarschall etc. Äneas
Grafen von Caprara, einem Schwestersohne des Ottavio Piccolomini, in dem er
am 3. Februar 1701 starb. Er ruht bei den Schotten. Im J. 1801 kaufte dasselbe der
Grosshändler Johann Heinrich Gey müIIer.
4
Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrhundert. 363
altadeliges Geschlecht, von dem daselbst eine Stiftung vom J. 1493 besteht.
Bartolomeo di Locella war des K. Karl II. von Spanien Uent- und
Schatzmeister und sein Bruder Joseph blieb für das Erzhaus Österreich in der
Schlacht bei Turin 1706. Jenes Sohn Benedict war 1721 Referendarius der
Posten durch Italien, 1727 kaiserlicher Rath und 1729 Referendarius in Schiffs
und Marinesachen quoad Litorale Austriacum, ward gleichfalls in Postsachen
im Herzogthum Mantua verwendet. Auch hier leistete er die treuesten Dienste,
wegen welcher dieKaiserinn M. Theresia am 20. October 1744 ihn in den Ritter
stand erhob und ihm das Incolat in Böhmen verlieh. Er ward Referent der ober
sten Postdirection und am 20. December 1749 in den Fr ei h e rrn s tan d für
die österreichische Lombardie erhöht.
Dessen Sohn oder Neffe war Alois Emerich Freiherr von Locella,
1733 zu Wien geboren, ein Zeitgenosse des Freiherrn vonSperges, Birkenstock’s,
v. Retzer’s etc., war ein gründlicher Kenner der classischen Literatur der Griechen.
Eine Frucht dieser Studien ist dessen Ausgabe: Xenophontis Ephesii
de Anthia et Habroeome Ephesiacorum libri V. graece et latine etc. Lipsiae
MDCCXCVIin4°. Seine lateinische Übersetzung ist neu, die fremden und eigenen
Noten sind reich und gehaltvoll (vgl. Cocchi’s Ausgabe in Anmerk. Nr. XIII t).
Die Bibliothek des k. k. Münz- und Antiken - Cabinets besitzt des Verfassers
Handexemplar mit seinen eigenhändigen nachträglichen Anmerkungen; ferner
von seiner Hand: Excerpta ex Praeleetionibus Sam. Frid. Nathan. Mori Pro-
fessoris Lipsiensis inSophoclis Aj acem flagelliferum. Adjectus est Index rerum
et verborum notabiliorum, quae in bis observationibus occurrunt. Vindobonae
MDCCLXXXII, 32 Blätter in 4°; dann eine Sammlung von 68 Briefen an den
selben, unter anderen von Alxinger, Brunck, Heyne, Marini, Morelli, May in Augs
burg, Murr, Ruhnken, Schneider, Schweighäuser, Villoison, Wolf, Wyttenbach.
Baron v. Locella war k. k. wirklicher Hofrath und Referent bei der k. k. Bücher-
censur und starb nach dem Todtenbuche bei den Dominicanern — am 27. De
cember 1800 in der oberen Bäckerstrasse Nr. 807 am Brand, 66 Jahre alt und
wurde bei St. Marx begraben.
XXV. S. 346. — Das Haus Nr. 807, dermals Nr. 761, in dem unser
Eckhel und Baron v. Locella starben, hatte der Hof- und Geriehts-
Advocat Dr. Ignaz Raab, der wegen seiner Tüchtigkeit sogar zu Berathungen
der k. k. Hof-Commission in Gesetzsachen, über die Gerichtsordnung etc. bei
gezogen wurde *), von Theresia Edlen von Schmerling im J. 1793 gekauft.
Dasselbe kam nach dessen Tode (9. Mai 1811) an seine Tochter Antonia,
Gattinn des Hof- und Gerichts-Advocaten Dr. Kaspar Wagner (-j- 1834) und
gehört nunmehr gemeinsam deren Kindern und Erben. Dieser Dr. Wagner ist ein
Sohn jenes Wagner's in Triest, bei dem Ignaz Eckhel nach S. 309 die Handlung
erlernt hat. Der Schreiber dieser Zeilen hat in dieser Familie und in dem Hause,
in welchem Abbe Eckhel dahinschied, drei angenehme Jahre von 1817—1820
als Hofmeister verlebt und daselbst den Namen Eckhel öfters nennen gehört.
1) Siehe dessen Nekrolog in Dr. Karl Jos. Pratobevera’s Materialien für Gesetz
kunde 1814, lid. I, S, 303.
364 Joseph Be rgmann, Pflege der Numismatik in Österreich im XVIII. Jahrli.
Die k. k. Obcrstkiimmercr
als oberste Vorstände der k. k. Hofsammlungen im XVIII. Jahrhundert.
Der oberste Vorstand des k. k. Münz- und Medaillcn-Cabinets, der
k. k. Hof-Naturalien-Cabinete, der k. k. Gemälde-Galerie, wie auch der k. k.
Schatzkammer im XVIII. Jahrhunderte war (wie noch dermals) der jeweilige
k. k. Oberstkämmerer, als:
I. Johann Leopold Graf und seit 1711 Reichsfürst von Trautson
ward 1694 des Erzherzogs Joseph I. oberster Kammerherr und Vice-
Ajo, 170S Allerhöchstdessen Oberstkämmerer, 1709 dessen Oberst
hofmeister, -j- 19. October 1724 zu St. Pölten.
II. Rudolf Sigmund Graf von Sinzendorf ward im J. 1709 des
Königs Karl III. von Spanien, des nachherigen Kaisers Karl VI. Oberst
kämmerer, dann am 4. November 1724 dessen Obersthofmeister,
-]- 8. Jänner 1747.
III. Johann Kaspar Graf von Cobenzl, starb in Wien am 30. April 1742.
IV. Joseph Graf, seit 30. Dee. 1763 Reichsfürst von Khevenhü 11 er,
war bis 1763 Oberstkämmerer, dann nach des Grafen v. Ulfeld Tode
(•j- 31. Dee. 1769) erster Obersthofmeister, -j- 18. April 1776.
V. Anton Graf von Salm-Reifferscheid vom 13. September 1763,
•J- 3. April 1769 in Brüssel.
VI. Heinrich Fürst von Auersperg vom 22. April 1770 bis 1773,
f 9. Februar 1783.
VII. Franz Xaver Graf, dann seit 9. Oetober 1790 Reichsfürst von
U r s i n i und Rosenberg, vom 8. April 1773, -J- 14. Nov. 1796.
VIII. Franz de Paula Karl Graf von C o 11 o r ed o, erst Obersthofmeister
oder Ajo des Erzherzogs Franz (II.) in Florenz, dann seit 16. Nov.
1796 Allerhöchstdessen Oberstkämmerer, wie auch Staats- und Con-
ferenzminister, f in Wien am 10. März 1806.
Sitzimgsl). cler pliil. hist. Classe . XXTVBd. 2 Heft.l8&7
Phillips. Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle.
365
SITZUNG VOM 22. JULI 1857.
Gelesen:
Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle.
Erste Abtheilung.
Von dem w. M. Hrn. Ilofrath Phillips.
In der nachfolgenden Abhandlung über die deutsche Königswahl
bis zur goldenen Bulle wird ein vielbesprochener Gegenstand, der
auch in den Sitzungsberichten der kaiserl. Akademie mehrfach behan
delt worden ist 1 ), abermals aufgenommen. Es kann dies wohl nur
dadurch gerechtfertigt werden, dass diese Materie überhaupt noch
nicht zum Abschlüsse gebracht und noch kein ganz vollständiger
Versuch gemacht worden ist, die Königswahlen welche im XIII. Jahr
hundert in einer veränderten Gestalt erscheinen, in ihren Zusammen
hang mit denen der früheren Zeit zu stellen. Indem hier das Letztere
nach einer nochmaligen Revision der Quellen geschieht, wird zwar
das Erstere damit keineswegs erreicht, vielleicht aber für einzelne
liieher gehörige Fragen eine richtigere Anschauungsweise vermittelt
werden.
Die freilich nicht neue Ansicht 2 ) welche hier näher begründet
werden soll, ist von dem Verfasser auch in seiner im vorigen Jahre
erschienenen deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte •'>) vertheidigt
*) Vergl. Sitzungsher. Bd. 17, S. 178 ff., Bd. ‘ZI, S. 3 ff. Siehe auch Bd. 23, S. 381 u. ff
2 ) Vergl. v. Fürth, Die Ministerialen, S. 124.
3 ) Deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte, §.99, S. 282.— Auch Walter hat in
seiner neuen Auflage der deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte, §. 267, diesen
Gegenstand von Neuem bearbeitet.
Sitzh. d. phil—hist. Ol. XXIV. Rd. If. Hft.
24
366
Phillips.
worden. Sie bestellt darin, dass das Recht, den König der Deutschen
zu wählen, seinem eigentlichen Wesen nach durchaus in keinem
unmittelbaren Zusammenhänge mit den Hofämtern gestanden, viel
mehr ein nationales der einzelnen zum Reiche vereinigten deutschen
Stämme gewesen und von den Fürsten, d. h. dem Adel derselben
ausgeübt worden sei. Aus der Zusammenstellung der für diese An
sicht entscheidenden Thatsachen dürfte auch Einiges zur richtigen
Würdigung des unläugbar verderblichen Einflusses entnommen wer
den können, welchen die Ausbildung des in sich abgeschlossenen und
auf die Siebenzahl beschränkten Kurfürsten-Collegiums auf die Ver
fassung des Reiches und somit auf dessen Schicksale überhaupt
geübt hat. Für die Erörterung dieses Gegenstandes erscheint es
geeignet, zuvörderst auf historicliem Wege gewisse Principien fest-
zustellen, insbesondere aber auch sich über die juristische Bedeu-
tung des deutschen Reiches zu verständigen. Man muss in die
ser Beziehung auch die ältere Geschichte der germanischen Völker
in Betracht ziehen, welche dadurch ein um so grösseres Interesse
gewinnt, als in ihr so Manches zum Vergleiche mit Demjenigen dient,
was späterhin im deutschen Reiche sich zugetragen hat.
I.
Das Wählen der Könige war bei allen germanischen Stämmen
uralte Sitte. Wenn wir auch nicht glauben, dass die bekannten Worte
des Tacitus: „Reges ex nobilitate, cluces ex virtute sumunt“ 4 ) einen
durchaus zutreffenden Gegensatz ausdrücken, so ist doch die Nach
richt unstreitig begründet, dass die Germanen ihre Könige aus dem
Adel genommen haben. Damit war der Königswahl in Betreff der Per
son des zu Wählenden um so mehr eine Grenze gezogen, als die Zahl
der Adelsgeschlechter bei den einzelnen Stämmen ohnedies nieht
sehr gross war 5 ). Die Geschichte der germanischen Völker belehrt
aber auch darüber, dass diese Schranke eine noch viel engere war,
indem es als Regel galt: der Nachfolger des verstorbenen Königs wird
aus dessen Familie, also aus dem unter den edeln Geschlechtern edel
sten gewählt 6 ). In diesem Sinne sprach der Ostgothenkönig Athala-
4 ) Tacit. Germ. cap. 7.
5 ) Vergl. Waitz, deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 78.
6 ) Vergl. meine Abhandlung über Erb- und Wahlrecht (Vermischte Schriften, Bd. i,
S. 104 ff.).
Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle.
367
rieh zum römischen Senat 7 ) : „Jeder Glanz des Geschlechtes weicht
dem der Amaler! Und so wie, wer aus Euch geboren, als senatori-
scher Sprössling gilt, so wird wer aus dieser Familie geboren, als der
des Reiches Würdigste anerkannt.“
Aber selbst in dem engen Kreise des einzelnen Königsge
schlechtes war für die Wahl doch kein freier Spielraum gegönnt, son
dern es war Sitte, dass der nächste Verwandte des Verstorbenen,
sein erstgeborner Sohn, wenn er anders waffenfähig war, auf den
Thron berufen wurde. Nur, wenn das bisher herrschende Geschlecht
ausgestorben war, nur wenn — wie Folkwin von Lobbes sich aus
drückt 8 ) — „die Succession der natürlichen Könige aufgehört hatte“,
schritt man zu der Wahl aus einem anderen Geschlechte, aus dem
jenigen welches nunmehr als das edelste erschien. So thaten es die
Langobarden welche nach dem kinderlosen Tode Alboin’s den unter
ihnen edelsten Mann, Kleph, zu ihrem Könige erhoben 9 ).
Demgemäss trugen die germanischen Reiche, obschon sie Wahl
reiche waren, auch den Charakter der Erblichkeit an sich, da es sich
von selbst verstand, wer König werden sollte: der nächste Blutsver
wandte suecedirte unter hinzukommender Wahl, die eine keineswegs
überflüssige Anerkennung seines Rechtes war. Dies Princip drücken
die Quedlinburger Annalen sehr bezeichnend aus, indem sie von
Otto dem Grossen sagen: ,jure haereditario paternis eligitur succe-
dere regnis“ 10 ).
Wir lassen es dahingestellt, ob man in jenen Zeiten viele Refle
xionen über die Zweckmässigkeit dieses Systems gemacht hat; zweck
mässig aber war es, denn es wurden Thronstreitigkeiten vermieden,
andrerseits des Reiches Wohlfahrt, Ruhm und Glanz befördert. Man
sah daher lieber von manchem Anderen ab, wenn nur jenes Princip
gewahrt wurde. Hatte man z. B. im westlichen Frankenreich Karl den
7 ) Cassiod. Var. Lib. VIII, ep. 2: quaevis claritas generis Amalis cedit, et sicut, qui
ex vobis nascitur, origo senatoria nuncupatur, ita, qui ex hac familia progreditur,
regno diguissimus approbatur.
8 ) Folkwin, Gesta Abbat. Lobieus. c. 16 (bei Pertz, Monum. Germ, histor. Tom. VI,
p. Gl) : — regurn naturalium — qui apud Francos semper liaereditarii habebantur,
deficiente successione etc. — Vergl. Regin. Chron. ann. 888 (s. unten Note 49).
9 ) Paul Warnefrid. d. gest. Langob. Lib. II, cap. 31:— Langobardi vero apud
Italiam omnes communi consilio Cleph nobilissimum de suis virum in urbe Ticinensium
sibi regem statuerunt.
10 ) Annal. Quedlinburg, ann. 937. (Pertz 1. c. Tom. V, p. 34.)
24*
368
Phillips.
Einfältigen trotz der Zweifel an der Echtheit seiner Gehurt und trotz
seiner persönlichen Unfähigkeit zum Könige gewählt' 1 ), so schien
sein am Hofe König Aethelstan’s weilender Sohn Ludwig, nach den
Zwischenregierungen Robert’s und Rudolfs, auch nicht die mindeste
Aussicht auf den Thron zu haben. Aber während die Fürsten wegen
der Wahl hin und her schwankten, gab, wie Richer erzählt 12 ), der
Rath des Herzogs Hugo den Ausschlag. Dieser sprach: „es werde
die für einige Zeit unterbrochene Succession des königlichen Ge
schlechtes wieder angeknüpft und indem Ihr Ludwig aus dem überseei
schen Lande zurückruft, erwählet ihn auf geziemende Weise zu Eurem
Könige. So wird es geschehen, dass deralte Adel des Königsgeschlech
tes bewahrt bleibt.“ „Diesen Worten,“ erzählt Richer weiter, „sind
die Fürsten der Franken mit wunderbarem Eifer nachgekommen.“
Ja seihst jene falsche Angabe, nach welcher Konrad I. zu einem En
kel Arnulfs gemacht wird 13 ), beweiset immer so viel, dass man einen
besonderen Werth auf das Princip legte, dass der Nachfolger der
Blutsverwandte seines Vorgängers auf dem Throne sein solle.
Demgemäss konnte also unter allen Umständen nicht nach Will
kür der erste Beste gewählt werden, sondern auch dann, wenn es
dem letzten Könige an Descendenz gebrach oder das Königs
geschlecht ganz ausstarb, sollte die Rücksicht entscheiden, dass das
Geschlecht des zu Wählenden an Glanz keinem anderen wich 14 ). Bild
lich drückte dies Graf Liulhar dem Markgrafen Eckard, der neben
Heinrich II. als Kronprätendent auftrat, also fragend aus: „Fühlst du
nicht, dass deinem Wagen das vierte Rad fehlt?“ 15 ) Dies vierte Rad
11 ) Vergl. Richer. Hist. Lib. I, cap. 12 (bei Pertz I. c. Tom. V, p. 573). — Belgicae
Principes — Karlum — quindennem regem creaut ac in urbe purpuratum more regio
edicta dare constituunt.
12 ) Rieh er. 1. c. Lib. I, cap. 2, p. 586. — Nec vero alieni generis quemquam post divae
inemoriae Rodulfum arbitror promovendum, cum ejus tempore visum sit, quid nunc
innasci possit, contemptus videlicet regis ac per hoc principum dissensus. Repetatur
ergo interrupta paululum regiae generationis linea ac Karoli filium Ludovicum a
transmarinis partibus revocantes regem vobis decenter create. Sicque fiet, ut et
antiqua nobilitas regiae stirpis servetur et fautores a querimoniis quiescant. Jam quod
potius est sequentes, a maritimis horis adolescentem revocemus.
13 ) Ekkehard. Uraug. Chron. univ. (bei Pertz I. c. Tom. VIII, tab. ad p. 2, p. 132,
p. 176).
14 ) S. oben Note 7.
15 ) Th ie t m. M e rs e b. Chron. Lib. IV, cap. 32 (bei Pertz I. c. Tom. V, p. 782). —
Hic (Ekkehardus) se paululum a regni fastigio dilatum graviter ferens erupit; 0
Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle.
369
war der hervorragende Adel des Geschlechts, den ausser anderen
Eigenschaften Heinrich II. als Nachkomme des „ersten Sachsen, der
mit freier Macht regierte“ 10 ) und Verwandter Otto’s III., vor Eckhard
voraus hatte.
Es möge diesen Beispielen noch eines hinzugefügt werden,
welches von Jornandes mitgetheilt wird und ganz besonders dazu
dient, das in Rede stehende Princip in ein helles Licht zu setzen.
Nachdem nämlich bei den Ostgothen das Geschlecht der Balten aus
gestorben war, wurde Wallia, dann Theoderich zum Könige gewählt.
Unterdessen war der Amaler Berimund, der zwar im Verborgenen
leben wollte, dessen ganzes Wesen aber den hohen Adel verrieth,
nach Spanien gekommen. „Wer hätte an der Erhebung des Amaler’s
gezweifelt“, ruft der gothische Geschichtsschreiber aus, „wenn zu
wählen noch freigestanden hätte!“ 17 )
II.
Wir kehren alsbald zu der Besprechung solcher im Falle des
Aussterbens des Königsgeschlechtes vorzunehmenden Wahlen zurück;
zunächst hat es aber für unsern Zweck ein Interesse, ins Auge zu
fassen, wer denn in jenen älteren Zeiten eigentlich die Wähler waren
und worin ihre Aufgabe bestand.
Die Geschichtsschreiber der germanischen Stämme erwähnen
bei Gelegenheit der Königswahlen fast immer nur die Völkernamen
überhaupt. „Die Gothen ordneten über sich Alarich zum Könige“,
erzählt Jornandes 1S ); „die Langobarden setzten sich Autharis zum
Könige“, sagt Paul Warnefried 19 ); „Childerich wurde in Auster von
den Franken zum Könige erhoben“, berichtet Fredegar 20 ). Aber auch
später bleibt dieselbe Redeweise; z. B. „die Ostfranken erwählten
Liuthari comes, inquiens, quid adversaris? Et ille, Num, inquit, currui tuo quartam
deesse non sentis rotam ? — S. unten Nr. VII.
16 ) Wi d ukin d. C o rb ej, Lib. I, cap. 17 (bei P ert z I. c. Tom. V, p. 43d) : qui primus
libera potestate regnavit in Saxonia.
17 ) Jornandes, de reb. Getic. cap. 33. Quis namque de Araalo dubitaret, si vacasset
eligere ?
18 ) Jornandes 1. c. cap. 29.
19 ) Paul Warnefr. 1. c. Lib. III, cap. 16.
20 ) F r e d e g. S c h o I a s t. Chron. cap. 93,
370
Phillips.
Arnulf zum Könige“ 31 ); „Heinrich wird durch die Übereinstimmung
der Franken und Sachsen zum Könige erhöhen“ 33 ).
Es entsteht demnach die Frage: ob mit diesen Ausdrücken
welche hin und wieder blos zur Bezeichnung des Adels dienen 33 ),
nun auch wirklich die Völker der Golhen, Franken u. s. w. in ihrer
Gesammtheit gemeint sind? Wir nehmen um so weniger Anstand, dies
zu bejahen, als an anderen Stellen es geradezu ausgesprochen wird;
z. B. „Ludwig (das Kind) wird von allen Völkern als König einge
setzt“ 34 ) ; „das ganze Volk der Franken und Sachsen erwählte Otto zum
Könige“ 35 ); „durch die Wahl des Volkes wurde Heinrich II. zu Mainz
zum Könige erhoben“ 30 ). Nur in so fern muss hier jedoch eine Be
schränkung gezogen werden, als unter jenen Volksnamen nur der
Inbegriff der freien waffenfähigen Männer zu verstehen ist, wie ja auch
die beiden Worte Populus und Exercitus mit einander abwech
selnd gebraucht werden; dessen nur in Voriihergehen zu gedenken,
dass es am Schlüsse des Edictes des Königs Rotharis heisst: „Cwn
felicissimo exercitu Langobardorum constituimus“ 37 ); sagt doch
noch Widukind von Corvey 38 ): Konrad I. habe dadurch, dass er dem
Herzog Heinrich Thüringen zu entziehen strebte, den Unwillen des
ganzen sächsischen Heeres auf sich geladen.
Diese Theilnahme des gesammten Volkes an der Königswahl 39 )
verliert das Auffallende, wenn man sich vergegenwärtigt, um was
es sich in den meisten Fällen dabei gehandelt hat: um die Aner
kennung eines bestehenden Rechtes. Wo dies, wie in älterer Zeit
gewöhnlich, keinem Zweifel unterlag, da war auch keine besondere
Berathung und Beschlussfassung von Nöthen. Darum konnte auch
21 ) A n na 1. Veda st. an». 887 (bei Pertz 1. c. Tom. I, p. 524).
22 ) Casus S. G a 11 i. Lib. IV, cap. 3 (P e r tz 1. c. Tom. II, p. 104).
23 ) S. deutsche Geschichte. Bd. 1, S. 438.
24 ) Liutpr. Antapod. Lib. II, cap. 1 (Pertz I. c. Tora. V, p. 288).
25 ) Widuk. Co rbej. Chron. Lib. III, cap. 1, p. 437. — Vergl. Lib. I, cap. IG. p. 425 :
Omnis populus Francorum atque Saxonum quaerebat Oddoni (illustri) diadema im-
ponere. — Lib. III, cap. 76, p. 466: Igitur ab integro ab omni populo electus in
principem (Otto. II.).
26 ) Marian. Scot. Chron. ann. 1002 (Pertz 1. c. Tom. VII, p. 555).
27 ) Walter, Corp. jur. German, antiq. Tom. I, p. 753.
28 ) Widuk. Corb ej. 1. c. Lib. I, cap. 21, p. 426. Quo factum est, ut indignationem
incurreret totius exercitus Saxoniae.
29 ) S. unten Note 34.
Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle.
371
selbst noch in der karolingischen Zeit von einer Königswahl die
Rede sein 30 ). In diesen Fällen stimmten also Alle, vornehm und ge
ring, adelig oder frei, mit einander zusammen; höchstens fand die
Verschiedenheit Statt, dass die dem Könige zunächst Stehenden, die
Fürsten oder auch nur einzelne von ihnen, den neuen König als solchen
durch ihren Zuruf hegrüssten und dass dann das übrige Heer unter
Aufhebung der Hände 31 ) mit seiner Acclamation wie aus einem Munde
einstimmte; ein Act der in den Quellen öfters mit dem Ausdrucke
collaudare bezeichnet wird 32 ). War aber ein König durch sein Erb
recht zur Herrschaft über mehrere einzelne Stämme berufen, so galt,
wenigstens im skandinavischen Norden, die Sitte, dass nicht, die ver
schiedenen Stämme sich mit einander zur Wahl versammelten, sondern
dass der König sich zu jedem einzelnen von ihnen begab, um sich
auf ihren Dingstätten die Anerkennung zu erholen 33 ). So lag in die
ser Theilnahme des Volkes keineswegs ein eigentlich demokratisches,
sondern vielmehr überhaupt ein patriarchalisches Element 34 ).
Der äusseren Erscheinung nach kommt dieses Wahlverfahren
bei zweifelloser Erbberechtigung mit der im gemeinen Rechte be
kannten Wahlform der Quasi-Inspiration 35 ) überein. Einer oder Etli
che rufen den Namen aus, die Anderen stimmen sofort zu; es wird
dort aber die zum Könige zu wählende Person gleichsam durch ihr
Recht präsentirt, ungefähr so, wie der vorhingenannte Ostgothenfürst
seine Erhebung auf den Thron dem Senate durch Cassiodor sehr
treffend bezeichnen lässt 30 ): „Wisset, dass durch die göttliche Vor
sehung es also gefügt ist, dass Uns der Gothen und der Römer all
gemeine Zustimmung zu Tlieil ward und sie ihren Willen den sie
30 ) Charta di vis. imper. ann. 806. Vergl. deutsche Geschichte. Bd. 2, S. 396.
31 ) Thiotm. Merseb. Chron. Lib. II, cap. 1 (Pertz 1. c. Tom. V, p. 743). Lib. V,
cap. 2, p. 791. — Vergl. auch Widuk. Corbej. Lib. II, cap. 1, p. 437.
.12) Reg in. Chron ann. 89S (Pertz I. c. p. 606): Omnibus assentientibus et eollau-
dantibus. Thietm. Mer» eb. I. c. Lib. II, 28. p. 757: iterum conlaudatur a cunctis
in dominum et regem (Otto II.). — Lib. V, cap. 12, p. 796.
33 ) Vergl. Konrad Maurer, Bekehrung des norwegischen Stammes zum Christenthum.
Bd. I, S. 281.
34 ) Über den germanischen König als Familienoberhaupt s. deutsche Reichs- und Rechts
geschichte §. 34, S. 93, g. 33, S. 140.
) 5 ) Cap. Q u i a p r o p t e r. 42, X, d. elect. (I, 6).
36 ) Ca ss io d. Var. VIII, ep. 2. Noveritis, divina providentia esse dispositum, ut Gotho-
rum Romanorumque nobis generalis Consensus accederet; et voluntatem suam, quam
puris pectoribus offerebant, juris etiam jurandi religione firmarent.
372
Phillips.
mit reinem Herzen darbrachten, auch durch das heilige Band des
Eides bekräftigten.“
III.
Etwas anders gestalteten sicli die Dinge hei dem Erlöschen der
regierenden Hauptlinie oder dem gänzlichen Aussterben des Herr
schergeschlechtes, so wie überhaupt dann, wenn das Successions-
recht irgendwie zweifelhaft war. Da bedurfte es freilich vor der Aner-
kennungnoch einerBerathung, mussteman ja doch seihst bei Otto’s des
Grossen Wahl vorerst darüber ins Reine kommen, oh niöht vielleicht
sein jüngerer Bruder Heinrich, als Porphyrogenitn, vor ihm den Vor
zug verdiene 37 ). Auch kam es auf die persönliche Gegenwart des
Berechtigten oder überhaupt dessen an, der die Krone ansprach. Das
Reich durfte nicht durch Ledigstehen des Thrones Schaden leiden
und während dort diejenigen welche dem Heere die Nachricht von
dem Tode des Königs brachten, zugleich dem neuen Könige Lehen zu
riefen, so sollte auch hier zwischen dem „Le Roi estmort“ und dem
„Vive le Roi“ kein zu langer Zwischenraum stattfinden. So büsste
durch seine Nachlässigkeit Herzog Robert von der Normandie zwei
mal die englische Königskrone an seine jüngeren Brüder Wilhelm und
Heinrich ein und auch Guido vonSpoleto, welcher sich neben Odo von
Paris um das westfränkische Reich bewarb, musste die Botschaft ver
nehmen: „durch langes Zuwarten ermüdet, haben die Franken, da sie
so lange nicht ohne König sein konnten, auf Begehren Aller den Odo
erwählt“ 37 ”).
Wo es sich nun, wo kein aus sich seihst völlig klares Suc-
cessionsrecht vorlag, um eine ßerathung und um Abwägung der
von Verschiedenen erhobenen Ansprüche handelte, fiel diese begreif
licher Weise den Fürsten zu. Unter diesen die als Principes,
Primates, Primäres, Optimates 371 ’) und mit anderen ähnlichen Aus
drücken bezeichnet werden, ist überhaupt der durch seine Gehurt
und Macht vor den übrigen Freien hervorragende Adel zu verstehen.
37 ) Verg- 1. meine Abhandlung-: Otto’s I. Wahl und Krönung- zum Könige der Deutschen.
(Vermischte Schriften. Bd. i. S. 304 u. fl*.)
37a ) Liutpr. Antapod. Lib. I, cap. 16 (Pertz 1. c. Tom. V, p. 286): Francorum nuntii
ei occurrunt, se redire nuntiantes, eo quod longa expectatione fatig.ati, dum sine rege
diu esse non possent, Oddonem cunctis petentibus elegerunt.
37b ) Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 446; Bd. 2, S. 371.
Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle.
373
Nocli Wippo, indem er von der Königswahl nach dem Tode Hein-
rieh’s II. erzählt, nennt im Gegensätze zu den beiden Kronbewerbern
die beratlienden Fürsten die reliqua nobilitas 3S ).
Nachdem dann die Fürsten auf pflichtgemässe Weise alle Gründe
für die zu wählende Person erwogen und über diese sieb geeinigt
hatten, so war auch auf die Zustimmung des übrigen Heeres zu zäh
len. Es geschieht daher in den Quellen der Fürsten bald ausdrück
lich als Vorwähler 89 ), bald nur ihrer allein als Wähler 40 ) Erwähnung,
ohne dass darum in den letzteren Fällen die Theilnahme des übrigen
Heeres als ausgeschlossen zu denken ist. Es lag dann in dieser Wahl
der Fürsten — um auch hier den Vergleich mit dem gemeinen
Rechte zu ziehen — gewissermassen ein stillschweigender Compro-
miss der Gesammmtheit der Wahlberechtigten auf diejenigen unter
ihnen, deren Stimmen ohnedies die gewichtigsten waren. Ein solcher
Compromiss musste sich auf ganz naturgemässe Weise bilden; denn
hatten sich die Fürsten in ihrer Berathung geeinigt, so war es begreif
lich, dass, wenn bereits eine Reihefolge derselben den nämlichen
Namen ausgesprochen, eine weitere Abstimmung unterblieb, indem
die Übrigen dann ohne Weiteres Beifall rufend beitraten. Der Com-
promiss hat aber die Bedeutung, dass die Compromittenten, nicht die
Compromissarien als die eigentlichen Wähler erscheinen 41 ). Eben
darum hatten aber auch die wählenden Fürsten eine doppelte Pflicht:
einestheils kein wirkliches Suceessionsrecht unberücksichtigt zu
lassen, anderntheils aber auch die Stimmung des Heeres zu erforschen.
Es versteht sich von selbst, dass hier an ein eigentliches Scrutinium
nicht gedacht werden darf; ohnehin bot sich in dieser Hinsicht wohl
kaum irgend eine Schwierigkeit dar, indem die Stimmung sich deut
lich von selbst zu erkennen gab.
In allen Fällen redeten also die Fürsten ein erstes Wort: bei
zweifellosem Successionsrechte begrüssten sie den „natürlichen
38 ) Wippo, Vita Chuonradi I. cap. (bei Perlz 1. c. Tom. XIIF, p. 257).
39 ) Z. B. bei der Wahl Konrad’s II. S. unten Nro. VIII.
40 ) Regin. Chron. ann. 887 (Pertz 1. c. Tom. I, p. 597): Optimales regni — Arnul-
phum ultro in regnum attrahunt. — Richer. Hist. lib. III, cap. 91 (Pertz I. c.
Tom. V, p. 626) : A duce reliquisque principibus Ludovicus (V.) rex acclamalus esf.—
Thietmar. Merseb. Chron. Lib. I, cap. 4, p. 736: Otto (illustris) ab omnibus
regni principibus in regem electus. — Lib. I, cap. 2, p. 744: Omnes reipublicae
principes — Ottonem — uno ore in regem sibi et dominum elegerunt. etc.
41 ) Vergl. Ca mar da. Constit. apost. d. elect. pontif. synops. Diss. XIV, p. 160.
374
Phillips.
König“ durch ihren Zuruf; war aber Berathung nothwendig gewesen,
so nannten sie, nachdem sie sich geeinigt, gewöhnlich einer nach
dem anderen, denjenigen dem versammelten Heere, den sie für den
Würdigsten hielten.
Fasst man dies Alles zusammen, so lässt sich daraus auch ein
Schluss auf die eigentliche Bedeutung der Königswahl bei den Ger
manen ziehen. Sie war im allgemeinen nur in dem Sinne eine Wahl,
wie überhaupt der freie menschliche Wille auch das wollen und wäh
len kann, was er nicht wollen und nicht wählen soll. Daher hat das
für alle diese Fälle gemeinsam gebrauchte Wort „Eligere“ bisweilen
weit mehr die Bedeutung eines Willensactes überhaupt, als einer
Wahl im modernen Sinne des Wortes. So erhielt z. B. Herzog Arnulf
von Baiern, als Heinrich der Sachse wider ihn mit Heeresmacht
heranzog, von den Seinigen den Rath 43 ): „es erscheint uns billig
und gerecht, dass du von den Übrigen nicht abweichend, diesen als
König erwählst.“ Dies heisst denn doch nichts Anderes, als: du
thust am besten, dich mit deinem Willen in das Unvermeidliche zu
fügen. Aber auch abgesehen von der in diesem Falle durch die äus
seren Umstände gebotenen Nothwendigkeit, wird das Wählen in den
germanischen Reichen meistens durch eine juristische oder moralische
Nothwendigkeit bestimmt. Wenn aber Alle die Freiheit ihres Willens
pflichtgemäss gebrauchen und „mit reinem Herzen“, wie König Atha-
larich sagt i3 ), diesen ihren Willen dem zu Wählenden darbringen,
so hat eine solche Wahl, da durch sie des Reiches Einheit erhalten
wird, doch einen sehr hohen Werth.
IV.
Es sind bisher nur solche Fälle in Betracht gezogen oder still
schweigend vorausgesetzt worden, wo wirklich alle Wähler in der
bezeichneten Weise getreulich ihre Pflicht erfüllt haben und über
haupt keine erheblichen Schwierigkeiten bei der Wahl zum Vor
schein gekommen sind. Allein nicht selten brachte das Aussterben
des Königsgeschlechtes oder dessen Vertreibung grosses Ungemach
über ein Reich. Es drohte unter solchen Verhältnissen eine Theilung
42j Verg-I. Liutpr. Antapod. Lib. II, cap. 23, p. 293: Aequum autem justumque nobis
videtur, ut a caeteris non dissentiens hunc regem eligeres.
43 ) Siehe oben Note 36.
Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle.
375
desselben unter mehrere Thronbewerber oder — was zuletzt auf
dasselbe hinauskam — ein Zerfallen des Stammes in einzelne Zweige.
Es traten auch anderwärts Zustände ein, wie Wilhelm von Malmes-
bury sie in der Geschichte des Königreiches Kent nach dem Ausster
ben der Nachkommen Hengist’s schildert* 4 ): „Der edle Stamm der
Könige“, sagt er, „verdorrte, das Heldenblut erkaltete und jeder
Unverschämte, der mit der Zunge Reichthümer verschaffte oder durch
Parteiung Schrecken einflösste, masste sich der Herrschaft an und
missbrauchte auf unwürdige Weise die königliche Krone.“
Vorübergehend kamen solche Zustände auch in dem Königreiche
der Langobarden und in dem der Westsachsen vor. Nach dem Tode
Kleph’s wählten jene keinen König**"), sondern standen unter vierzig
kleinen Fürsten; erst nach 10 Jahren fand man es gerathener, sich
doch wiederum zu einer Wahl zu einigen, die dann auf Kleph's Sohn
Authari, der unterdessen zum Manne herangereift war, fiel; ihm gab
bei dieser Wiederherstellung des Reiches jeder der Herzoge die
Hälfte seines Vermögens, damit er als König nebst seinem Hofe gehö
rig bestehen könne** 1 ’). Eben so lange dauerte nach Beda’s Bericht 45 )
das Zwischenreich in Wessex nach dem Tode Kenwalch’s; die Subreguli,
wie jener Schriftsteller sagt, oder Euldormen, wie Aelfred übersetzt,
theilten sich in die Herrschaft.
Ganz ähnliche Erscheinungen traten bei der Auflösung der karo
lingischen Monarchie ein. Dies Ereigniss war durch die mehrfachen
Theilungen des Reiches unter den Nachkommen Karl’s des Grossen
44 ) Wilh. Malmesb. d. ge st. reg. Aaglor. Lib. I, cap. 1, p. 11: Post illos (König
Alric und seine Brüder) nobile regum germen exaruit, generosus sanguis eiFriguit,
tune impudentissimus quisque, cui vel lingua divitias, vel factio terrorem compara-
verat, ad tyrannidem anhelare, tune regio insigni indigne abuli etc.
44a ) Paul Warnefr. d. gest. Langob. Lib. II,32: Post cujus (Clephonis) mortem Lango-
bardi per annos decem regem non habentes sub ducibus fuerunt. Unusquisque enim
ducum suam civitatem obtöiebat. Lib. III, cap. 16: At vero Langobardi cum per
annos decem sub potestate ducum fuissent, tandem cominuni consilio Authari Clepho
nis filium — regem sibi staluerunt.
44b )Paul Warnefr. I. c. Lib. III, cap. 16: IJujus(Autharis)in diebus ob restaurationem
regni duces, qui tune erant, omnem substantiarum medietatem regalibus usibus tri—
buunt, ut esse possit, unde rex ipse, sive qui ei adhaererent ejusque obsequiis per
diversa officia dediti, alerentur.
45 ) Beda Vener. Hist. eccl. Anglor. Lib. IV, cap. 12: — Cumque mortuus Cenwalch —
acceperunt subreguli regnum gentis et divisum inter se tenuerunt annis circiter
decem.
376
Phillips.
vorbereitet worden. Die verschiedenen Völker welche dieser zu einem
Reiche vereinigt halte, gewöhnten sich immer mehr daran, nicht
unter einem und demselben Herrscher zusammenzustehen. Als beson
dere Reiche traten zuerst Aquitanien und Baiern hervor, beiden hatte
schon in der merowingischen Zeit diese Bedeutung nicht gefehlt;
jenes kommt hier weniger in Betracht, dagegen ist es wichtig, dass
schon seit dem JahreSIT Baiern’s als eines eigenenRegnumBavariae
Erwähnung geschieht 40 ). Nachdem dann aus dem Vertrage von Ver
dun (843) drei grössere Reiche hervorgegangen waren , beschränkte
sich jeneparticularistischeRichtung bald nicht mehr auf das Verhältniss
dieser zu einander, sondern es hatten gerade die weiteren Zerthei-
lungen derselben eine sehr bedeutende Wirkung. Auf diesem Wege
war nicht nur ein für sich bestehendes lothringisches Reich seit 835
zur Existenz gelangt, sondern ausser Baiern wurden Schwaben, Ost
franken und Sachsen von den Chronisten sowohl als auch von den ein
zelnen Königen, die sich nach ihnen in Urkunden nannten, als eigene,
von einander getrennte Reiche bezeichnet 47 ). Das Gedächtniss hieran
hat noch der Sachsen- so wie der Schwahenspiegel mit der freilich
sehr verkehrten Deutung aufbewahrt 48 ), schon Julius Cäser habe
diesen selbständigen Reichen ein Ende gemacht. Unter ihnen wurden
die vier diesseits des Rheines gelegenen Reiche seither Regnet Orien
talin genannt im Gegensätze zu dem fünften, dem lothringischen,
welches Regnum occidentale hiess 48 “).
Als nun Karl der Dicke, zuvor König von Schwaben, nachdem
er die ganze Monarchie seines grossen Ahnherrn vereinigt, sich völ
lig unfähig zum Regieren gezeigt hatte, da ging nach seinem Tode
das grosse Reich aus seinen Fugen 40 ). Es zerfiel in mehrere einzelne
46) Vergl. meine vermischten Schriften, Bd. 1, S. 241.
47 ) Vermischte Schriften, Bd. 1, S. 246 ff.
48 ) Landr. d. Sachsens^. B. 3, Art. 53, §. 1: Jewelk diidesch lant hevet sinen
palenzgreven: sassen, beieren, vranken unde svaven. Dit waren alle konigrike;
seder wandelde man in den namen unde hiet sie herthogen, seder sie die romere
bedvungen. — Landr. d. Scliwabensp. Cap. 20, §. 1.
48a )Regin. Chron. ann. 891, p. 603.
49 ) Regin. Chron. ann. 888, p. 598: Post cujus mortem regna, quae ejus ditioni paru-
erant, veluti legitimo destituta haerede, in partes suas a sua compage resolvuntur, et
jam non naturalem dominum (vergl. oben Note 8) praestolantur, sed unumquodque
de suis visceribus regem sibi creari disponit.
Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle.
377
Bruchstücke; „da wuchsen“, wie die Annalen von Fulda 50 ) sich tref
fend ausdrücken, „die Königlein empor“. Jeder verfolgte nur seine
eigenen selbstsüchtigen Zwecke und fast sollte man meinen, Konrad
der Salier habe diese Zustände vor Augen gehabt, als er zu seinem
jüngeren Vetter die W orte sprach 51 ): „Wenn Jeder über seinen Werth
nur selbst urtheilen wollte, da würde es bald viele Könige gehen.“
Es hätten leicht deren noch mehrere auftauchen können, als wirk
lich bei jener Gelegenheit zum Vorschein kamen.
Für die deutsche Geschichte hat zunächst nur der Hergang der
Dinge in dem östlichen Tlieile des ehemaligen karolingischen Reiches
Interesse. Durch die Empörung Arnulf’s, des Herzogs von Kärnten,
und durch den Verrath des Adels 52 ) in diesen östlichen Reichen
wurde der Anstoss zur Auflösung der Monarchie gegeben und es ent
schieden sich hier die Verhältnisse, ehe noch Karl der Dicke die
Augen geschlossen hatte. Das trug sich in folgender Weise zu: Zuerst
nahmen die Baiern Arnulf, den Sohn ihres früheren Königs Karl
mann, zum Könige an und es wurde dann, wie der oben erwähnte
Folkwin die Sache richtig bezeichnet 53 ): der Baierkönig zum König
der Ostfranken gemacht. Dies geschah dadurch, dass der ostfrän
kische Adel Karl den Dieken des Thrones verlustig erklärte oder wie
einige Chronisten diese Gewaltthat kurz mit den Worten bezeichnen:
„Karolus ejectus, Arnulfus electus est“ 54 ). Den Wahlen der Baiern
undüstfranken traten dann die Sachsen und Lothringer, zuletzt, wenn
zwar mit Widerstreben, auch die Schwaben bei.
Die von jedem der fünf Stämme geschehene Erwählung Arnulfs
hatte allerdings eine factische Verbindung derselben zur Folge;
diese war aber einstweilen nur eine historische Thatsache ohne ein
rechtliches Fundament, die keinem der fünf Stämme es als eine
Pflicht auferlegte, für alle Zukunft sich dieser Verbindung nicht ent
ziehen zu wollen. Arnulf war demnach noch keineswegs ein König
50 ) Annal. Fuldens. P. V, ann. 808, p. 40a: lllo (Arnulfo) diu inorante (Ilatisbonae),
multi reguli in Europa vel regno Karoli, sui patruelis, exerevere.
51 ) Wippo I. c. cap. 2, p. 258: — In omni electione nemini licet de se ipso judicare;
licet autein de alio. Quodsi alicui de se liceret, quot regulos, non ut reges dicam,
videremus.
52 ) Annal. FuI dens. P. V, ann. 887, p. 409.
53 ) Folkwin 1. c. cap. IS, p. 61: — cum — Arnulphus rex Noricorum australis
Franciae rex ascisceretur.
54 ) Annal. Weissenb. ann. 887 (bei Pertz I. c. Tom. V, p. Si).
378
Phillips.
der Deutschen im späteren Sinne des Wortes: er war ein König der
Baiern, der Franken, der Sachsen, der Schwaben und der Lothringer.
Ein deutsches Reich existirte damals noch gar nicht, wenn gleich
diese unter Arnulf zu Stande gekommene Verbindung die territoriale
Grundlage und weitere Veranlassung dazu bot.
V.
Nachdem die vorausgehende Darstellung theils die germanischen
Principien in Betreff der Königswahl entwickelt, theils manches Mate
rial geliefert bat, das sich zur Beurtheilung der späteren Zustände
als brauchbar erweisen wird, kommt es nunmehr darauf an, die ein
zelnen nachfolgenden deutschen Königswahlen näher zu betrachten.
In den germanischen Rechtsanschauungen war, da Arnulf nun
einmal in der angegebenen Weise König geworden war und Niemand
ihm die Herrschaft streitig machte, folgerichtig Zweierlei gegeben.
Erstens lag in jenen, dass nach dem Tode Arnulf’s jeder der einzel
nen Stämme sich dessen etwa vorhandenen Sohn zum Könige wählte;
und zweitens, dass vermittelst solcher gleichmässigen, wenn auch
nicht völlig gleichzeitigen Stammeswahlen jene Verbindung der fünf
Völker erhalten blieb und somit aus einer blos factischen Vereinigung
eine juristische wurde. Dies war, wenn man in den Wahlen stets
bei demselben Geschleckte bleiben konnte, der Weg zu der allmäh
lichen Bildung eines deutschen Reiches. Dieses ist auch wirklich im
Laufe derZeit, jedoch erst nach manchen Unterbrechungen, zu Stande
gekommen.
Arnulf glaubte die Erreichung des ihm natürlich nahe am Herzen
liegenden Wunsches, die Succession seiner Nachkommenschaft, schon
bei seinen Lebzeiten sicher stellen zu müssen. Er fing daher bei den
Baiern, von welchen sein Königthum ausgegangen war, an, und diese
schwuren ihm, dass sie sich der Herrschaft seiner Concubinensöhne,
Zwentibold und Ratold, nicht entziehen wollten 55 ). Hierauf wendete
er sich auf einer nach Forchheim berufenen Versammlung des frän
kischen Adels an diesen, allein hier fand er nicht die gleiche Bereit
willigkeit. Man sagte ihm die Succession seiner unehelichen Nach
kommen nur für den Fall zu, dass er keine rechtmässigen hinterlassen
55 ) Annal. Fulde ns. ann. 889, p. 406: — ne se detraherent a principatu vel dominatu
filiorum ejus etc.
Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle.
379
würde. Nachdem ihm dann wirklich von seiner Gemahlinn Oda ein
Sohn geboren war, vergass Arnulf doch Zwentibold’s nicht und wusste
auf einer Versammlung zu Worms, zu welcher der Adel aus allen
seinen verschiedenen Reichen zusammengekommen war, die Loth
ringer dazu zu bewegen, denselben als König anzunehmen 50 ).
Als nun Arnulf im Jahre 899 starb, war sein ehelicher Sohn
Ludwig sechs Jahr alt; seine physische Unfähigkeit zum Regieren
unterlag keinem, der Successionsansprueh eines Kindes wenigstens
sehr erheblichem Zweifel 57 ). Es widersprach der Sitte der germa
nischen Stämme, Kinder überhaupt nur auf dem Throne zu sehen. So
wird auch nachmals von mehreren Chronisten ausdrücklich hervorge
hoben: es sei ganz gegen allen Brauch gewesen, dass Otto der
Grosse im Jahre 961 seinen, damals noch im Knabenalter befindlichen,
gleichnamigen Sohn (geh. 954) zum Könige habe wählen lassen 5S ).
Auch Otto dem Dritten trat aus demselben Grunde ein mächtiger
Kronbewerber in der Person seines Vetters Heinrich von Baiern ent
gegen und Friedrich II. wurde eben desshalb von derSuceession auf den
deutschen Königsthron ausgeschlossen 59 ). Damals aber wurde Ludwig
das Kind dennoch von dem zu Forchheim versammelten Adel zum
Könige gewählt und auch die Lothringer, welche schon früher an
einen Abfall von ihrem tyrannischen Könige Zwentihold gedacht zu
haben scheinen 60 ), schlossen sich an ihn an 01 ).
Für die Erhebung Ludwig’s würde die Anhänglichkeit der Baiern,
die nun bereits in der vierten Generation diesem Zweige des karo
lingischen Geschlechtes angehörten, schwerlich den Ausschlag gege
ben haben. Es wirkte ausser jenem auch für die anderen Stämme gel
tenden Grunde, dass er eben zu dem alten Königsgeschlechte gehörte,
hauptsächlich noch ein ganz anderer Factor mit; dies war der
Klerus. Hatte sich dieser zwar keineswegs an Arnulfs Usurpation
56 ) Reg in. Chron. ann. 895, p. 606.
57 ) Vergl. meine Angelsächs. Rechtsgeschichte Note 229.
58 ) Liutpr. Ilist. Otton. cap. 2, p. 340: Filium suum aequivocum contra morein
puerilibus in annis regem constituens. S. unten Note 74.
59 ) S. unten Nr. XII.
60 ) Regin. Chron. ann. 893, p. 608: Quid vero in eodem conventu (apud sanctum
Goarem) seorsum sine praesentia regis pertractatum est, postea eventus rei, luce
clarius manifestavit.
61 ) Reg in. Chron. ann. 900, p. 609.
380
Phillips.
betheiligt 68 ), so war er doch durch die Erfahrung hinlänglich belehrt,
wie die verschiedenen Reichstheilungen immer nur zum grössten
Nachtheile der Kirche gewirkt hatten. Die Bemühungen der den geist
lichen Adel bildenden Bischöfe, unter welchen natürlich der Nach
folger des heiligen Boriifazius auf dem erzbischöflichen Stuhle von
Mainz das höchste Ansehn genoss 68 "), waren daher auch für alle Folge
zeit darauf hingewendet, jede weitere Theilung zu verhindern und
somit die fünf Stämme in der einmal eingegangenen Verbindung zu
erhalten. Hatten sich doch die Bischöfe, ihrer sieben und zwanzig an
der Zahl, ehe noch Zwentibold Lothringen erhielt, aus allen fünf
Reichen zu Trihur zu einer Synode unter dem Vorsitze der Erz
bischöfe Hatto von Mainz, Hermann von Köln und Ratbod von Trier,
zur ßerathung über die gemeinsamen kirchlichen Angelegenheiten
versammelt ° 3 ). Gerade der hohe Klerus konnte am allerwenigsten
wünschen, durch Reichstheilungen wieder vereinzelt zu werden, und
wurde eben dadurch das eigentliche reichsbildende Element.
Indem nun die Bischöfe die kein nationales Interesse der ein
zelnen Stämme, sondern das allgemeine der Kirche im Auge hatten,
wesentlich dazu beitrugen, dass Ludwig gewählt wurde, so geschah
dies natürlicher Weise in der Hoffnung, dass Arnulf’s Stamm fort
blühen und nicht sobald wieder ein Wechsel des königlichen Ge
schlechtes stattfinden werde. Sie sahen daher ein neues ostfränki
sches Reich damals schon für begründet an; allein ihre Hoffnungen
sollen durch Ludwig’s frühzeitigen Tod getäuscht werden; die Gefahr,
dass das eben unter den Händen des Klerus in Bildung begriffene
Reich wieder zerfallen werde, war jetzt grösser als zuvor.
Unter den nämlichen Einflüssen und Voraussetzungen, wie
Ludwig, wurde jetzt ein von der Weiberseite her mit den Karolingern
verwandter Fürst, Konrad, zuerst von den Franken, dann von den
Sachsen gewählt 64 ). Zu einem weiteren Resultate führten die Bemü
hungen Hatto’s nicht. Die Lothringer wollten sich Konrad nicht
unterwerfen, und wandten sich dem westfränkischen Könige Karl dem
62 ) Vergl. Dümmler, De Arnulpho Francorum rege, p. 31.
62a) Vergl. Leo, Vorlesungen über die deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 485 u. f., 539 u. .
63 ) Annal. Fuldens. ann. 893, p. 410: — convenientibus itaque de toto Hluthnrico
regno, Saxonia, Baivaria et Alemannia in Francia viginti et septem episcopis etc.
64 ) Vergl. meine vermischten Schriften, Bd. 1, S. 278.
Einfältigen zu; die Schwaben fügten sich, durch Waffengewalt
gezwungen, und endlich auch die Baiern welche unter ihrem Herzoge
Arnulf dahin gestrebt hatten, sich, wie die Lothringer, gänzlich dem
im Jahre S88 gewordenen Reichsverbande zu entziehen. Als nun
bald darauf Konrad ebenfalls ohne Kinder starb, so glaubten diese
süddeutschen Stämme durch gar keine besondere Pflicht an die
beiden anderen gebunden zu sein.
Es hatte sich demnach wegen der Ungunst der Umstände im
Laufe von drei und zwanzig Jahren kein solches erbliches Wahlreich,
wie die früheren germanischen es waren, bilden können, ja der
arnulfinische Reichsverband war so gut wie aufgelöst. Somit war
wiederum derZeitpunct gekommen, wo an die Stelle des einen Königs,
jeder nur seinen eigenen Werth hemessend, leicht mehrere König
lein hätten treten können 64 “). Dies geschah nicht, es stand ein
König unter ihnen auf, welcher der beginnenden Auflösung bald ein
Ende machte, aber nicht in dem Sinne, dass er die Vereinigung der
Stämme als eine theoretische Pflicht betrachtete, sondern weil er es
als eine praktische Nothwendigkeit erkannte, dem Particularismus
entschieden entgegen zu treten, wenn er als König das Haupt eines
mächtigen Reiches sein wollte. Mit seinem guten Schwerte gründete
dieser ein neues Reich, welches ihm durchaus nicht als die juristische
Fortsetzung des früheren galt 64b ).
VI.
Dieser Fürst war Heinrich, der sächsische Herzog, welcher sich
als Sieger diejenigen Stämme die ihn nicht freiwillig anerkannten,
unterwarf. Es wird nunmehr wohl allgemein zugegeben werden 65 ),
dass die Nachricht: Heinrich sei nach dem Tode Konrad’s von allen
deutschen Stämmen einmüthig und gemeinsam zum Könige erwählt
worden, keinen Glauben verdiene; die Thatsachen sprechen zu laut
dagegen. Es ist schon oben 65 “) hervorgehoben, in welchem Sinne es
zu verstehen ist, wenn die Baiern mit ihrem Herzoge ihn zum Könige
64a ) S. oben Note 50.
64b ) Vermischte Schriften. Bd. 1, S. 288 u. ff.
65 ) So auch von G iesebre c li t, Geschichte der deutschen Kaiserzeit, Bd. 1, S. 701 :
dasselbe müsste aber folgerichtig auch in Betreff der Wahl Konrad’s geschehen.
65a ) S. oben Note 42.
Sitzb. d. phil.-hist, CI. XXIV. Bd. II. Hft. 2K
382
P li i 11 i ps.
wählten. Mit einiger Schüchternheit deutet der Biograph der Königinn
Mathilde den damaligen Hergang der Dinge an, wenn er sagt 66 ): „Ob
Heinrich dem Könige Konrad auf dem Wege des Friedens oder des
Krieges nachfolgte, ist nicht gewiss; dass es aber durch göttliche
Fügung geschehen sei, unterliegt keinem Zweifel. Christus vermehrte
ihm die Würde seiner Ehre, indem er ihm viele Völker: Dänen,
Slaven, Böhmen, Baiern und mehrere andere Reiche unterwarf, die
seinen Vorfahren nicht untergeben waren.“ Mit Heinrich begann die
Herrschaft der Sachsen; das Reich war ein sächsisches, dessen König
sich die übrigen Reiche dienstbar gemacht hatte.
Auf diesem Wege war eine sehr merkwürdige Umgestaltung
aller bisherigen Verhältnisse vor sich gegangen. Aber auch dieses
specifische Sachsenreich war von kurzem Bestände, da schon die
nächste Regierung wieder in das frühere Geleise einlenkte. Wäre
dies nicht geschehen, so hätte sich vielleicht nie ein deutsches
Reich in dem technischen, historisch gewordenen Sinne gebildet,
sondern ein Reich, dessen Schwerpunct im nördlichen Deutschland
gelegen, seine Kraftanstrengung nicht nach dem italienischen Süden,
sondern mehr gegen den skandinavischen Norden und slavischen
Osten gewendet haben würde. Heinrich aber verwarf alle karolingi
schen Verfassungsprincipien und Hess sich, um nicht für einen Nach
folger der Karolinger zu gelten, auch nicht zum Könige krönen.
Im westlichen Frankenreiche betrachtete man diese durch Heinrich
herbeigeführte Veränderung der Dinge auch gar nicht als zu Recht
bestehend, und ihn selbst, als einen Sachsen, nicht für legitim. Richer
z. B. gibt deutlich zu erkennen, dass er Karl den Einfältigen für den
rechtmässigen Nachfolger Konrad’s halte, obschon er ihn unrichtiger
Weise beim Jahre 918 als ein noch in der Wiege schreiendes Kind
bezeichnet 67 ). Auch wurden öfters die in Deutschland regierenden
Fürsten, selbst Heinrich II. noch, als die Könige der Sachsen bezeich-
66 ) Vita Ma thi 1 dis reginae cap. 4 (bei Pertz I. c. Tom. VI, p. 286J: Tune dispo-
nente Deo successit Heinricus regali solio; bello seu pace lieret, est incertum, sed
absque dispositione Dei non aceidisse non est dubitandum. — Cum autem mirum in
modum proliceret princeps laudabilis , Christus illi plus auxit honorem dignitalis,
perplurimas nationes suo subjugans dominatui, Danos, Sclavos, Boemones, Baiowarios,
ceteraque quam plurima regna, quae suis antecessoribus non fuerUnt subdita.
67 ) Richer. Histor. Lib. II, cap. 18, p. 591. — eo quod Karolus, cui rerum summa
debebatur, adhuc in cunis vagiebat.
I)i(* deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle.
388
net 68 ) und der deutsche Adel, ohne Rücksicht auf den Stamm, zu
welchem er gehörte, schlechthin „die Fürsten der Sachsen“ genannt 69 ).
Man behielt demnach auswärts diese Bezeichnung bei, während in
Deutschland selbst die Vorstellungsweise sich bereits geändert hatte.
Nach dem Tode Heinrich’s wurde, wie dies der kurz zuvor erwähnte
Biograph deutlich zeigt 70 ), die Successionsfrage durch den sächsi
schen Adel entschieden; der der übrigen Länder, denen Heinrich
auch Lothringen wieder beigefügt hatte, musste sich selbsverständ-
Iich anschliessen. Auch Thietmar von Merseburg hat zunächst nur die
Sachsen im Auge, wenn er sagt 71 ): „Alle Fürsten des Reichs wählten
dem Beschluss und der Bitte des Vaters gemäss, mit Einem Munde Otto
zum König und Herrn, mit aufgehobenen Händen ausrufend: Es lebe
und sei mächtig der siegreiche König in Ewigkeit.“ Sehr merkwürdig
ist aber in dieser Beziehung die Äusserung Widukind’s von Corvey.
Nachdem er erzählt hat, das ganze Volk der Franken und Sachsen
habe sich Otto zum Fürsten erwählt, fügt er hinzu: als Ort für die all
gemeine Wahl (uMversalis electio) habe man Aachen bestimmt 7 ~).
Er weis’t damit deutlich auf die Verschiedenheit zwischen der Wahl
der einzelnen Stämme und der allgemeinen Anerkennung durch die
Gesammtheit derselben hin. Demgemäss sprach Hildibert von Mainz
vorder Krönung zu dem versammelten Volk: „Gefällt Euch diese
Wahl, so bezeigt es durch Aufhebung Eurer Hände zum Himmel.“
Demgemäss kann man seit Otto dem Grossen das deutsche
Reich als auf dem Fundamente der karolingischen Verfassung gegrün
det ansehen; freilich hatte dieses Reich zu Anfang des folgenden
Jahrhunderts noch eine schwere Probe zu bestehen. Otto wurde
auch zum Könige der Langobarden erwählt 73 ) und als ei- im Jahre
68 ) R o d u Ip h i, Hist. Lib. 1 (beiPertz, Tom. IX, p. 51).
69 ) diron. S. Andreae, Lib. I, cap. 18 (Pertz, Tom. IX, p. 530): Tandem col-
lecti principes Saxones apud Maguntiam Conradum (II) sibi praefecerunt regem. Die
Regierungszeit der schwäbischen Kaiser hat dann für Deutschland hei den Franzosen
den Namen Allcmagne festgestellt.
70 ) Vita Mathildis, cap. 9, p. 289.
71 ) Siehe oben Note 40.
72 ) Widuk. Corbej. Res gest. Saxon. Lib. III, cap. 1, p. 437: — omnis populus Fran
corum atque Saxonum jam olim designatum regem a patre, lilium ejus Ottonem, elegit
sibi in principem; universalisque electionis notantes locum jusserunt esse ad Aquis-
grani palatium.
73 ) Landulf. Hist. Mediol. Lib. II, pap- i« (Pertz I. e. Tom. X, p. S3).
2S *
384
I*hi 11 i |> s.
961 im Begriffe stand, zur Erlangung der Kaiserkrone nach Italien
zu ziehen, liess er auf einer Reichsversammlung zu Worms seinen
Sohn Otto -—• während sein Enkel Otto, Ludolfs Sohn ausgeschlos
sen blieb — zum Könige wählen 74 ). Die Lothringer scheinen sich
hieran nicht gleichzeitig mit den übrigen Stämmen betheiligt zu
haben, sondern traten zu Aachen, nachdem der junge König dorthin
gekommen war, der Wahl bei. Als dieser nach dem Tode seines
Vaters die Herrschaft übernahm, wurde ihm abermals vom ganzen
Volke gehuldigt 75 ).
Auf solche Weise war nun in dem zuvor entwickelten Sinne
des Wortes von Neuem ein Erbreich mit hinzukommender Wahl ent
standen. So liess denn auch der junge Kaiser Otto II. auf dem gros
sen Reichstage zu Verona im Jahre 982 seinen Sohn Otto, damals
noch kaum drei Jahre alt, zum Könige wählen. Zwar machte diesem, nach
dem Tode seines Vaters Heinrich der Zänker, der Herzog von Baiern,
der auch bei den Sachsen Unterstützung fand 7(i ) , die Herrschaft
streitig; allein die Anhänglichkeit an das Geschlecht Olto’s des Gros
sen behielt doch das Übergewicht und so eröflhete sich mit dem
jungen Könige die Aussicht auf eine lange Dauer der Herrschaft die
ses Hauses. Indessen, nachdem die Linie Ludolf s mit seinem obenge
nannten Sohne erloschen war, wurde auch Otto III., ohne zur Ehe
geschritten zu sein, von dem Tode hinweggerafft (1002); ein Ereig
niss welches die Fortdauer des von Otto dein Grossen neu gegründe
ten Reiches wieder völlig in Frage stellte. Ehe jedoch die nunmehr in
Deutschland eintretenden Verhältnisse in Betracht gezogen werden
können, ist noch ein anderer Umstand der in die Regierungszeit
Otto's III. gehört, zu berücksichtigen.
Im Jahre 995 wurde dieser junge König von seinem Vetter
Bruno, dessen Wahl zum Papste er veranlasst hatte, zuia Kaiser
74 ) Liutpr. Hist. Otton. (s. oben Note 58). — Wid u k. Co rbej. I. c. Lib. III, cap. 57,
p. 462. — Reg in. Contin. ann. 961, p. 624: Otto maximam suorum lideliuin multi-
tudinem Wormatiae adunavit, ubi consensu ef unanirnitate regni proceruin totiusque
populi filius ejus Otto rex eligitur. Indeque progrediens, conniventia quoque Lolha-
riensium Aquis rex ordinatur. — Annal. Einsiedl, ann. 961 (Pertz, Tom. V,
p. 146) : Otto eligitur in regem puer vivente patre.
75 ) Widuk. Corbej. 1. c. Lib. III, cap. 76, p. 466: Igitur ab integro ab omni populo
electus in principem.
76 ) An na 1. H il d esh. ann. 984 (Pertzl. c. Tom. V. p. 66).
Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle.
385
gekrönt. Au dieses Ereigniss knüpfte die spätere Zeit den Ursprung
des Kurfürstencollegiums in seiner Siebenzahl an, ja es wurde dessen
Einsetzung von Agidius in dem seinem Meister Thomas von Aquino
zugeschriebenen Werke „de regimine principum“ geradezu vom
Papste Gregor V. hergeleitet 77 ). Die Unrichtigkeit dieser Behaup
tung liegt auf flacher Hand und es bedarf keiner weiteren Wider
legung derselben. Will man aber nicht annehmen, sie sei völlig aus der
Luft gegriffen, so wird man darauf hingewiesen, nachzuforschen, ob
sich nicht irgend ein Anhaltspunct dafür auffinden lasse. Für Zeit
genossen ist in Betreff der bestehenden Verhältnisse der baldige Unter
gang derselben nicht der zunächst liegende Gedanke, sondern man
erwartet, wenigstens im Allgemeinen, deren längere Dauer. Versetzt
man sich nun in jene Zeit, wo zwei Fürsten sächsischen Stammes,
der eine mit der päpstlichen, der andere mit der kaiserlichen Würde
geschmückt, jener die Kirche, dieser das Reich regierte, so war es
damals natürlich anzunehmen, der junge blühende Fürst werde selbst
wieder der Stammvater eines grossen Geschlechtes werden und ihm
seine Söhne und Enkel nach Wahl der Fürsten noch lange auf dem
deutschen Königsthrone nachfolgen. Es musste sich ferner wie von
selbst verstehen, dass nachdem bereits der Dritte dieses Hauses die
Kaiserkrone erlangt hatte, auch jeder spätere König aus diesem Ge-
schlechte, wenn nicht ganz besondere Hindernisse im Wege standen,
in gleicher Weise das kaiserliche Diadem aus den Händen des Pap
stes empfangen werde. Erwägt man weiter, dass Otto’s III. ganzes
Streben darauf gerichtet war, die Verbindung Deutschland’s mit Italien
so viel als möglich zu befestigen und das Kaiserthum zum höchsten
Glanze zu erheben, so dürfte die Vermuthung nicht zu gewagt er
scheinen, dass auch dieser Gegenstand zwischen ihm und Gregor V.
oder dessen Nachfolger, dem Lehrer des Kaisers, Sylvester II. zur
Sprache gekommen sei. Unter diesen Umständen wäre daher eine
Übereinkunft, dass nicht irgend ein anderer Herrscher, sondern nur
77 ) Thom. Aqu in. d. regim. princ. Lib. III, cap. 19. — Et ex tune ut historiae tradunt,
per Gregorium V. genere similiter Teutonicum provisa est electio: ut videlicet per
septem principes Alemanniae fiat, quae usque ad ista tempora perseverat, quod
est spatium ducentorum Septuaginta annorum vel circa et tantum durabit, quan-
tum Romana ecclesia, quae supremum gradum in principatu tenet, Christi fidelibus
expediens judicaverit. Vergl. Hom eyer, Über das Verhältniss des Schwabenspiegels
zum Sachsenspiegel, sub N.28, c. S. 37.
380
Phillips.
ein solcher den als den rechtmässigen Erben des Thrones die Deut
schen sich zum Könige gewählt, zum Kaiser gekrönt werden solle 77 “),
nicht unwahrscheinlich.
Indessen, dem sei, wie ihm wolle, so viel ist gewiss, dass in
nicht viel späterer Zeit eine solche Pflicht des Papstes bestand, der
selbe also nicht mehr wie vor Otto den Grossen allenfalls einen Kö
nig von Frankreich oderArelate, sondern nur den König von Deutsch
land, der damals auch bereits in der dritten Generation die Kaiser
krone trug, zum Kaiser erheben konnte.
Wenn aber dieses Princip sich auch lediglich als Gewohnheits
recht ausgebildet haben sollte, so konnte es seine Begründung aus
keiner früheren Zeit als aus der Otto's III. entnehmen, aber, da es
bereits im eilften Jahrhunderte feststand, füglich auch aus keiner
späteren.
Jedenfalls beruhte dieser Grundsatz auf einer Connivenz des
Papstes und es begreift sich , dass ein späteres Zeitalter 78 ) — über
haupt geneigt, die allmählich gewordenen historischen Erscheinungen
als durch bestimmte Persönlichkeiten begründet darzustellen — auch
das Wahlrecht der Fürsten in seiner damaligen Gestalt seinem Ur
sprünge nach an jenes innige Verhältniss zwischen Gregor V. und
Otto III. anschloss. Das Wahre an der Sache war also das: der Papst
gilt seit jener Zeit verpflichtet, keinem Anderen als nur dem von den
deutschen Fürsten erwählten Könige die Kaiserkrone zu verleihen.
Dadurch war, indem seinerseits der Papst seine frühere Freiheit in
der Auswahl desKaisers, als des Beschützers der Kirche, aufgegeben
hatte, ein Verhältniss zwischen ihm und den deutschen Fürsten entstan
den, welches man nachmals so deutete: er hat die Wahlfürsten deren
späterhin sieben waren, eingesetzt. Es verstand sich aber, dass,
nachdem die Verhältnisse sich in dieser Weise ausgebildet hatten,
doch nach der Bedeutung der Kaiserwürde ganz von seihst, dass nun
auch die Wähler um so mehr die ihnen seit alten Zeiten obliegende
Pflicht zu erfüllen hatten, nicht nach blosser Willkür den ersten
Besten, sondern nach bestimmten Grundsätzen den Geeignetsten zu
wählen.
?!,a ) Vergl. inein Kirchenrecht. Bd. 3, S. 198 u. ff.
78 ) Vergl. Tract. cum Nicolao III. Papa. ann. 1278 (bei Pertz I. c. Tom. IV.
p. 421). — Curia Nu re m b. ann. 1303 (Promissio ßonifacio VIII.; ebend. p. 484).
Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle.
387
VII.
Die Thronbesteigung Heinrich’sll. bietet mehrere für unsern Ge
genstand sehr wichtige Momente dar 79 ). Er, seines Namens der dritte
Herzog von Bäiern, war der einzige noch lebende Fürst von dem
Mannsstamme Heinrich’s des Sachsen. Er hielt sich daher für den
zur Succession in das durch den Tod Otto’s III. erledigte Reich aus
schliesslich Berechtigten; demgemäss forderte er von den deutschen
Fürsten und Stämmen zum Könige gewählt zu werden 79 “) und wurde
endlich auch wirklich als solcher allgemein anerkannt.
Ehe dies aber vollständig geschah, trat noch einmal deutlicher
als je hervor, wie das deutsche Reich eine grosse Genossenschaft
mehrerer Stämme, deren jeder ein Reich für sich bildete, sei und wie
leicht eine Veranlassung dazu sich bieten konnte, dass die einzelnen
Völker sich dieser Gemeinsamkeit wieder entzogen. Hätte Otto III.
eine successionsfähige Descendenz hinterlassen, so wären wohl schwer
lich derartige Zweifel aufgetaucht, jetzt aber konnte es geschehen,
dass neben Heinrich noch mehrere andere Kronprätendenten auftra
ten , deren jeder nur seinen eigenen Werth aus sich selbst beurthei-
lend in die Wagschale legte.
Unter diesen verschiedenen Fürsten welche sich neben Heinrich
um das Reich bewarben, sind besonders zwei hervorzuheben, von denen
der einein Sachsen, der andere in Schwaben auftrat. Einige zögerten
damit sich einem der Bewerber zuzuwenden, bevor nicht die Thatsachen
seihst entschieden hätten so ), auch wurde es von Manchem übel ver
merkt, dass Heinrich ohne weiteres, als nach dem Erbrechte beru
fen, den Thron für sich in Anspruch genommen hatte 81 )- So kamen
Augenblicke, wo es den Anschein hatte, als wolle das kaum zur
79 J Vergl. Vermischte Schriften. Bd. 1, S. 222.
79a ) S. unten Note 81, 86.
") Thietmar. Merseb. Chron. Lib. IV, cap. 31, p. 782. — Is (Arcbiepiscopus Heri-
bertus) cum Omnibus, qui huc imperatoris funus sequebantur, excepto anlistile Sig-i-
frido , duei tune non consenciebat, neque omnino denegabat, sed quo melior et
major populi tocius pars se inclinaret, libenter assensurum pronunciabat. — Lib. V,
cap. 2, p. 791.-- Theodoricus vero Liuthariorum dux, vir sapiens et militaris, quo
se pars populi major et melior inclinaret, securus expectabat.
81 ) Sigibert. Chron. aun. 1002 (bei P er tz I. c. Tom. VIII, p. 034): Heinricus, in-
juriato Heriberto Coloniensi Archiepiscopo, a cujus ore omnes pendebant, insignia
regni ab eo violenter extorsit, quasi jure haeredilario sibi competente.
388
Phillips.
Existenz gelangte deutsche Reich, wie einst die karolingische Monarchie
aus seinen Fugen gehen und als wollten wiederum -— mit den Anna
len von Fulda zu reden 83 ) — mehrere Königlein emporwachsen.
Es ist nicht uninteressant, die Ereignisse welche Heinrich II. auf
den Thron geleiteten, in ihrer Aufeinanderfolge zu betrachten. —
Der Herzog von Baiern hatte zunächst die Zustimmung seines Adels
und Volkes für sich: nicht minder erklärte sich für ihn sein Ver
wandter, der Herzog Otto von Kärnten. Da betrat der Trauerzug,
welcher die Leiche Otto’s III. nach ihrer bezeichnend genug gewähl
ten Ruhestätte neben den Gebeinen Karl’s des Grossen begleitete, die
Grenzen Baierns. Heinrich ging dem Leichenzuge entgegen, sprach
mit den einzelnen Fürsten und Herren wegen seiner Königswahl und
begehrte von Heribert von Köln die Reichsinsignien. Da der Erzbi
schof die heilige Lanze 83 ) heimlich voraufgeschickt hatte, nahm ihn
Heinrich in Haft und entliess ihn nur unter dem ausdrücklichen Ver
sprechen, ihm die Lanze zu senden. Alsdann begleitete er die Leiche
des Kaisers bis Neuburg an der Donau und ermahnte die von ihm
scheidenden Fürsten nochmals dazu, ihn als ihren rechtmässigen Kö
nig anzunehmen; zu einer ausdrücklichen Zusage liess sich nur der
Bischof Siegfried von Augsburg bewegen. Als man darauf den Kaiser
zu Aachen zu Grabe bestattete, ersah sieh Heribert den Herzog Her
mann von Schwaben zum künftigen Könige aus, welchem auch die
meisten der bei dem Begräbnisse versammelten Fürsten ihre Beihilfe
versprachen 84 ). Heribert nahm also den Standpunct. ein, dass ersieh
für berechtigt hielt, von dem Erbrechte abzuweichen, ein Standpunct
der sich für diesen Fall wohl durchaus nicht rechtfertigen lässt.
Unterdessen war der sächsische Adel zu Frosa zusammenge
kommen, um über die Wiederbesetzung des Thrones zu berathen. Es
lag auf den ersten Anblick für die Sachsen etwas Verführerisches
darin, sich ebenfalls von dem Principe des Erbrechts bei dieser Wahl
zu entfernen. Heinrich's Familie war seit den Zeiten seines Gross
vaters von ihrer früheren Heimath getrennt und leitete jener zwar
82 ) S. oben Note SO.
83 ) Vergl. Ranke, Jahrbücher der deutschen Geschichte, ßd. 1, S. 14S.
84 ) Thietm. Merseb. 1. c. Lib. IV, cap. 34, p. 783. Maxima pars procerum, qui hiis
interfuerunt exequiis, Hermanno duci auxilium promittunt ad regnüm acquirendtim et
tuendum, Heinricum mencientes ad hoc non esse idoneum propter multas causarum
qualitates.
Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle.
389
seine Abstammung von dem ersten Heinrich her, so konnte doch
gerade das Beispiel dieses Fürsten daran’ mahnen, das Reich von
Neuem an Sachsen zu fesseln. Es befand sich auch unter dem
sächsischen Adel wirklich ein Mann, der ganz dazu geeignet schien
und dem es an dem Willen nicht gebrach, sich mit seinem guten
Schwerte das er im Kampfe gegen Crescentius, gegen die Sara-
cenen und Slaven geführt, nöthigenfalls ein Königreich zu erstreiten.
Dies war der Markgraf Eckhard. Er hoffte sicher auf jener Versamm
lung zum Könige gewählt zu werden. Sein Widersacher Markgraf
Liuthar, der im Interesse Heinrichs wirkte, wusste aber den Adel zu
bewegen einstweilen von einer Entscheidung abzustehen und diese
bis zu einer Versammlung zu Werla aufzuschieben. Bei dieser Gele
genheit sprach Liuthar jene merkwürdigen Worte zu Eckhard dem,
obschon Thietmar von Merseburg ihn als eine Zierde des Reiches und
Säule des Vaterlandes bezeichnet 85 ), doch das vierte Rad am Wagen
fehlte 85 “).
Die Zwischenzeit benützte Liuthar mit vielem Erfolg für Hein
rich, für welchen insbesondere auch des verstorbenen Kaisers Schwe
stern gewonnen waren. Auf der Versammlung zu Weida, auf wel
cher Eckhard und der ihm anhängende kleinere Theil des Adels
sich nicht eingefunden hatte, rief die anwesende Schaar aus: Heinrich
soll mit Christi Hilfe kraft seines Erbrechtes regieren", und mit auf
gehobener Rechte ward dies bestätigt 86 ).
Eckhard gab indessen seinen Plan nicht auf; er lud Hermann zu
einer Zusammenkunft zu Duisburg ein, doch der schwäbische Herzog
kam nicht. Beabsichtigte jener ihn zu einem Verzichte oder einer
Reichstheilung zu bewegen? Bald darauf wurde aber der hochstre
bende Markgraf der sich Viele durch sein von keiner Selbstbeherr
schung gezügeltes Benehmen zu Feinden gemacht halte, ermordet und
so hatte Heinrich es nunmehr nur noch mit Hermann zu thun.
Beide Fürsten griffen zum Schwerte und standen sich bald
mit ihren Heeren am Rhein gegenüber; links die Schwaben, rechts
die Baiern und Franken, welche Heinrich auf seinem Zuge dort-
85 ) Thietm. Merseb. Lib. V, cap. 5, p. 792.
85a ) S. oben Note 15.
86 ) Th i e t m. M e r s e b. Lib. V, cap. 2, p. 791: Cui mox a maxima multitudine vox una
respondit: Heinricum Christi adjutorio et jure haereditario regnaturum. Hocque
dextris manibus elevatis affirmatur.
390
Phillips.
hin ganz für sich gewonnen hatte. Es gelang ihm, den Rhein zu
überschreiten und über Worms nach Mainz vorzudringen, wo ihn der
Erzbischof Willegis, unter der hinzukommenden Wahl des fränki
schen Adels, zum Könige krönte 87 ). Die Sachsen waren nicht zugegen
gewesen und da auch ohne ihr Wissen dieses Ereigniss sich zuge
tragen hatte, so begab sich Heinrich nunmehr zu ihnen. Er nahm sei
nen Weg durch Thüringen, wo ihm der Adel, den mächtigen Grafen
Wilhelm an der Spitze, entgegenkam und ihn als König begrüsste S7 “).
Zu Merseburg traf Heinrich mit dem sächsischen Adel zusam
men. Er erklärte diesem, dass er nicht wider ihren Wunsch und
Willen, sondern kraft ihrer Beistimmung und Einladung vor ihnen
mit königlicher Würde geschmückt erscheine; dass er ferner das
sächsische Recht in keinem Puncte verletzen, sondern in allen Stücken
erfüllen und so er vermöge, ihren billigen Wünschen entsprechen
wolle. Hierauf rief das ganze Volk ihm Beifall zu. Herzog Bernhard
überreichte ihm die heilige Lanze, und „übertrug ihm im Namen Aller
die Sorge für das Reich“ 88 ). Auch mit diesem Ausdrucke scheint
Thietmar welcher diesen Act als die zu Merseburg geschehene
Wahl bezeichnet, eben nur Sachsen zu meinen.
Es trug sich dieses zu am 2S. Juli des Jahres 1002, gerade
ein halbes Jahr nach dem Tode Otto’s 111. Heinrich hatte also damals
noch nicht mehr erreicht, als dass drei Stämme, die Baiern, Franken
und Sachsen, zu denen er gleich den alten skandinavischen Fürsten 80 )
hingezogen war, ihn als König angenommen hatten. Es fehlten also
87 J Annal. Quedlinb. ann. 1022(Pertz, Tom. V, p. 78): — Dehinc Heinricus,
nepos regalis, a Francis in regnum eligitur insciisque Saxonibus Moguntiae a Wil-
lechiso coronatur. Vergl. Thietm. Merseb. Lib. V, cap. 7, p. 793. — Hic 8.
Idus Junii ibidem communi devotione in regem electus, a Willegiso — coronatur.
87a ) Thietm. Merseb. L. c. cap. 9, p. 794. — Ibi tune rex a praefato comite et a
primis illius regionis conlaudatur in dominum.
88 ) Thietm. Merseb. Lib. V, cap. 9, p. 795: — Et ut certi de hiis sitis, quomodo
vobis placet salvo honore regni, aflirmo, quia non renuentibus nec contradicen-
tibus vobis, set potius quasi applaudentibus et huc me invitantibus, hac regali
dignitate honoratus appareo. Legem igitur vestram non in aliquo corrumpere,
set vita comite malo dementer in omnibus adimplere et veslrae rationabili voluntati,
in quantum valeo, ubique animum adhibere. — Taliter effatur rex et vox una levatur,
Protinus astantis plebis, regi jubilantis, Laudes et grates super has tantas pietates.
Bernhardus igitur dux, accepta in manibus sacra lanoea, ex parte omnium regni curam
illi fideliter committit.
") Siehe oben Note 33.
Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle.
391
noch die Schwaben und Lothringer, docli war jetzt an deren baldi
gem Beitritte kaum mehr zu zweifeln. Heinrich zog demgemäss zuerst
nach Niederlothringen, wo ihm hauptsächlich die feindselige Gesin
nung Heribert’s im Wege stand. Mehrere Bischöfe die ihm entgegen
kamen, „wählten ihn zum Könige“ und nachdem sie ihm den Eid der
Hulde geleistet, geleiteten sie ihn nach Aachen. Hier wurde er am
Tage Mariä Geburt von dem lothriug’schen Adel, Heribert mit ein
begriffen, als König begrüsst 90 ) und „kam auf den Stuhl“, wie nach
dem Sprachgebrauch des Sachsenspiegels 91 ) die Erhebung auf den
Königssitz Karl’s des Grossen bezeichnet wird. Nachdem dieses
geschehen, blieb auch Hermann von Schwaben nichts Anderes übrig,
als, wie einst Arnulf von Baiern Heinrich I., sich dessen gleichnami
gen Urenkel zum Könige zu „erwählen“.
Somit war Heinrich II. bis zum 1. October von allen Stämmen
als König anerkannt. Die einzelnen Stammeswahlen waren theils in
unbedingter Anerkennung seines Erbrechts, theils in Folge weiterer
Berathung, theils dadurch vor sich gegangen, dass man sich der
bereits gewordenen Übermacht des Kronbewerbers unterwarf. Ihn
wählten sich dann auch die Langobarden als König und Papst Bene
dict VIII., von seinem Eifer für die Kirche überzeugt, krönte ihn im
Jahre 1014 zum Kaiser 92 ).
VIII.
Die kräftige und glanzvolle Begierung Heinrich’s II., während
welcher die Macht und das Ansehen des Beiches bereits fast zu dem
Gipfel den zu erreichen demselben überhaupt gegönnt war, empor
stieg, übte auch auf die Verfassung einen entscheidenden Einfluss
aus. Bei seinem kinderlosen Tode hätte sich für die einzelnen Stämme
wiederum die beste Gelegenheit ergeben, die Beichsverbindung auf
zulösen. Allein unter Heinrich II. hatte sich das Princip befestigt: die
90 ) Thietm. Merseb. I. c. cap. 12, p. 796: Igitur hii confratres , episcopi scilicet,
regem pariter eligentes, fidemque sacramentis firmantes usque ad Aquisgrani eundem
comitantur. Quo in nativilate sanctae Mariae a primatibus Liuthariorum in regem col-
laudatur, et in sedem regiam more antecessoruin suorum exaltatur et magnificatur.
91 ) Landr. d. Sachsensp. Bd. 3, Art. 62, §. 1: Die düdeschen solen durch recht den
koning kiesen. Svenne die gewiet wert von den bischopen die dar to gesät sin, unde
uppe den stul to aken kumt, so hevet he koninglike walt unde koningliken namen.
92 ) Thietm. Merseb. I. c. Lib. VII. cap. 1. p. 836.
392
Phillips.
deutschen Stämme bilden Ein Reich, und die Kraft dieses Priricips
Iiess die auch damals drohenden Gefahren beseitigen.
Nach dem Tode Heinrich’s II. trat kein Fürst entschieden als
Kronbewerber auf, keiner, der bei dem Stamme welchem er ange
hörte, gewählt werden wollte, auch reiste keiner zu den einzelnen
Stämmen herum, um sich ihnen als König zu empfehlen. Im Gegen-
theil, es wurden die Fürsten aller deutschen Stämme darüber einig 93 ),
dass sie gemeinsam mit ihren Heeren sich den gemeinsamen Herrn
erwählen wollten. Sie zogen daher von allen Seiten dem Rheine zu
und lagerten dann in der Nähe von Oppenheim: rechts die aus den
vier Ostreichen, links die Lothringer. Die eigentliche Wahlstätte
war Kamp, ein nicht mehr vorhandener Ort; die Finthen des Rheines
haben diesen ersten Schauplatz deutscher Einigkeit hinweggespült.
Es wurde hin und her berathen und erwogen, es wurden Viele
als des Thrones würdig genannt, doch verengerte sich allmählich
der Kreis und man blieb zuletzt bei zweien, den beiden Konra-
den, stehen 94 ). Die offenbare Gefahr der Spaltung, die auch hierbei
sich erkennen Iiess, wurde durch eine Vereinbarung der beiden Für
sten, wie Wippo erzählt, beseitigt. Rei dieser Gelegenheit hielt Kon-
rad der Ältere an seinen Vetter die oben theilweise erwähnte Anspra
che; beide sagten sich gegenseitig zu: wer von ihnen erkennen
würde, dass der Wille des Volkes den Andern zum Herrn und König
verlange, wolle ebenfalls diesen dann um so dringender erwählen 95 ).
Hierauf erhob dann Aribo von Mainz, dessen Ausspruch vor allen
Anderen vernommen werden musste, die Stimme. Er nannte und
wählte den älteren Konrad zu seinem Herrn und König, zum Lenker
93 ) Wippo. Vita Chuonradi, cap 2, p. 258, lässt Konrad II. in seiner Anrede an Konrad
den Jüngeren sagen: Non erat nostrae potestatis hanc dignitatem ex multis inter
binos coarctare. Vota, studia, consensusFrancorum, Liutharingorum, Saxonum, Nori-
corum, Alemannorum — ad nos conferebant.
94 ) Wippo 1. c.: — cum diu certaretur, quis regnare deberet, cumque alium aetas vel
nimis immaturavel ultra modum provecta, alium virtus inexplorata, quosdam insolen-
tiae causa manifesta recusaret: inter multos pauci electi sunt, et de paucis admodum
duo sequestrati sunt (s. Note 93) , in quibus examen extremum, summorum virorum
summa diligentia diu deliberatum, in unitatis puncto tandem quievit.
95 ) Wippo 1. c. p. 259: — Si animum populi cognovero te veile, te desiderare in domi
num et regem, nullo pravo ingenio hanc benevolentiam a te revocabo, quin potius te
eligam tanto avidius caeteris , quanto me sperabo gratiorem illis. Si aulem Peus ad
me respexerit, debitam vicem mihi a te rependi non dubito.
Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle.
393
und Vertheidiger des Vaterlandes 66 ). Diesem Ausspruche traten ohne
Zögern die übrigen Bischöfe und Prälaten bei 67 ). Der jüngere Kon-
rad welcher noch mit den Lothringern verhandelt hatte, trat nunmehr
auch hinzu und wählte seinen Vetter zum Herrn und König 66 ). Hier
auf folgten die einzelnenFürsten aus den einzelnen Reichen und man
hörte stets den nämlichen Wahlausspruch sich wiederholen. Das ganze
Volk stimmte bei und die venvittwete Kaiserinn Kunigunde lieferte
an Konrad die Reichsinsignien aus 66 ).
So schildert Wippo dieses merkwürdige Ereigniss und seine
Darstellung mag auch ganz der Wahrheit getreu sein; dennoch sind
einige leise Zweifel erlaubt. Wippo ist ein Panegyriker und wollte
dem jungen Kaiser Heinrich III. die Thronbesteigung des salischen
Geschlechtes in dem glänzendsten Lichte darstellen. Auffallend ist
dabei, dass Wippo selbst erzählt: der Herzog Friedrich von Lothrin
gen, der Erzbischof Piligrim von Köln und Andere hätten, weil die Wahl
nicht auf Konrad den Jüngeren gefallen sei, unversöhnt (impacati) die
Wahlstätte verlassen 100 ). Es entsteht daher die Frage: ob denn diese
Fürsten wirklich für Konrad den Alteren gestimmt hatten ? War dies
der Fall, so war kein Grund für ihr Davongehen gegeben, wenn aber
nicht, so wird Wippo's Nachricht von der völligen Einstimmigkeit der
Wahl mehr als zweifelhaft. Man nimmt ferner wahr, dass man die Krö
nung der auch diesmal, wie bei Heinrich II., der Erzbischof von Köln
entgegen war, möglichst beeilte und zu Mainz vollzog 101 ). Die Loth
ringer waren aber dabei nicht zugegen und haben sich erst später
gefügt, insbesondere erkaufte Piligrim von Köln die Gnade des Königs
96 ) Wippo 1. c. Archiepiscopus Moguntinensis, cujus sententia ante alias accipienda
fuit, rogatus a populo, quid sibi videretur, hilari voce laudavit et elegit majoris
aetatis Chuononem suum in dominum et regem atque rectorem et defensorem patriae.
97 ) Wippo 1. c. Hane sententiam caeteri archiepiscopi et reliqui sacrorum ordinum viri
indubitanter sequebantur.
98 ) Wippo 1. c. Junior Chuono, paululum cum Liulharingis placitans, statim reversus,
maximo favore illum ad dominum et regem elegit.
") Wippo I. c. — Tune singuli de singulis regnis eadem verba electionis saepissime
repetebant: fit elamor populi, omnes unanimiter in regis electione principibus con-
sentiebant.
i°°) Wippo 1. c. p. 259: Quanquam archiepiscopus Coloniensis et dux Fridericus cum
aliis quibusdam Liutharingis, causa junioris Chuononis, ut fama fuit — impacati dis-
cederent etc.
101 ) Wippo 1. c. cap. 3, p. 260.
P hill i |> 8.
394
durch die Krönung Gisela’s loa ), deren Trennung von ihrem Gemahle
der strengere Aribo aus canonischen Gründen gewünscht hatte.
Mögen nun diese Bedenken gegen die Erzählung Wippo's
gegründet sein oder nicht, jedenfalls dient die Art und Weise, wie
Konrad auf den Thron kam, dazu, um einige Puucte bei der deut
schen Königswahl in ein helleres Licht zu setzen.
Erstens lässt Wippo’s Beschreibung sehr deutlich bei der
Wahlhandlung zwei Acte unterscheiden: die aus der Berathung der
Fürsten hervorgehende Vorwahl und die darauf folgende Abstimmung.
Gleichbedeutend mit dem Worte „Wahl“ wird auch oft ein anderes:
„Kur“ gebraucht; beide fallen auch wirklich in ihrem Sinne, den
noch allgemeiner das lateinische eligere wiedergibt 1 « 3 ), in sofern
zusammen, als “Wahl“ zu gleicher Wurzel mit „Willen“ und „Wol
len“, „Kur“ aber, wie „kosten“ (gustare), zu „Kus“ gehört und
materiell: „nach Wohlgeschmack auswählen“ 104 ) bedeutet 105 ). Dessen
ungeachtet lassen sich doch diese beiden Ausdrücke gerade in Hin
sicht auf das Wahlgeschäft von einander in einem, jedem von ihnen zu
überweisenden besonderen technischen Sinne unterscheiden, und
zwar tritt dies deutlich in dem Sprachgebrauche des Sachsenspiegels
hervor. Diesem ist „Wahl“ der Inbegriff der Handlungen welche der
endlichen Abstimmung vorangehen, „Kur“ hingegen diese Abstim
mung selbst: dasjenige was Wippo laudare nennt, wodurch auch
auf den Ausdruck collaudare ein Licht fällt 106 ). Der Sachsenspiegel
sagt bekanntlich von einigen Fürsten: sie seien die Ersten an der
Kur; aber, fügt er hinzu, diese dürfen darum doch nicht nach ihrem
Muthwillen oder Belieben küren, sondern denjenigen welchen die
Fürsten alle zum König erwählt, den sollen sie namentlich (bi namen,
also wörtlich beim Namen) zuerst küren. Wen aber diese Für
sten welche die Ersten an der Kur sind, gekürt haben, den sollen die
übrigen Fürsten des Reiches, Pfaffen und Laien, küren 107 ).
i°2) wippo I. c. cap. 2, p. 259: — Pilegrinus, quasi pro emendatione prioris culpae,
impetrabat a rege, ut sibi liceret in ecclesia Coloniensi reginam consecrare.
103 ) Siehe oben Nro. III.
104 ) Der preussische Dialekt hat das sehr bezeichnende Wort „kiessättig,“ zur Be
zeichnung eines Solchen welcher, obschon satt, doch noch von Leckerbissen isst.
i°5) Vergl. Graff, Althochdeutscher Sprachschatz v. Kus.
106 ) Siehe oben Note 32.
lü7 ) Landr. d. Sachs ensp. Bd. 3, Art. 57, §. 2. In des keiseres köre sal die erste sin
die bischop von megenze; die andere die von trere: die dridde die von kolne.
Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle.
395
Der Verfasser des Sachsenspiegels beobachtet in der Stellung
dieser Sätze eine andere Reihenfolge, wodurch eine Unklarheit in die
Sache hineingekommen ist. Indem er nämlich einmal von den Ersten
an der Kur geredet hat, lässt er gleich darauf seine Bemerkungen über
die Kur der übrigen folgen und hebt erst dann die Pflicht der zuerst
kürenden Fürsten hervor, sich bei ihrer Abstimmung nicht von dem
Resultate der vorangegangeuen Wahl zu entfernen. Demgemäss konnte,
wenn die Wahl einmüthig auf Einen gefallen war, die Kur ein Act
äusserer Formalität sein, in Fällen hingegen, wie der von Wippo mit-
getheilte, war sie mehr als das. Aus der Wald waren Zwei hervor
gegangen, aus welchen zweien — von denen nicht nach Muthwillen
abgegangen werden konnte — man wiederum Einen bei der Kur
auszuersehen hatte.
Einstweilen mag es unberücksichtigt bleiben, welche Fürsten
von dem Sachsenspiegel als die Ersten an der Kur bezeichnet wer
den; soviel ist klar, dass die Wahlform, wie er sie angibt, im We
sentlichen 107 “) mit derjenigen übereinstimmt, von welcher Wippo
Kunde gibt, mithin im Laufe von etwa zwei Jahrhunderten in dieser
Beziehung keine grosse Veränderung eingetreten ist.
Zweitens erkennt Konrad's Biograph den Anspruch des Erzbi
schofs von Mainz vor allen Andern der Erste an der Kur zu sein, aus
drücklich an 108 ).
Drittens stimmen nach dem nämlichen Berichte die Bischöfe und
die übrigen Prälaten vor den Laienfürsten 109 ).
Viertens: in dem vorliegenden Falle war unter den Laienfürsten
der Erste an der Kur: Konrad der Jüngere. Man könnte den Grund
hiervon darin suchen, dass, nachdem bereits dergesammte geistliche
Adel sich für Konrad den Älteren ausgesprochen hatte, es für diesen
Under den leien is die erste an’rae köre die palenzgrave. vonme ryne des rikes
druzte; die andere die herthoge van sassen, die marschalk; die dridde die marc-
greve von brandeburch die kemerere. Die schenke des rikes die koning von behe-
men, die ne hevet nenen köre, um me dat he nicht düdesch n’is. Sint kisen des
rikes vorsten alle, papen unde leien. Die to’me ersten an’me köre genant sin, die
ne solen nicht kiesen na iren mutwillen, wenne sven die vorsten alle lo koninge
irwelt, den solen sie aller erst bi namen kiesen.
107a ) Siehe Note 109.
108 ) Siehe Note 96.
109 ) Note 97. Nach dem Sachsenspiegel (Note 107) folgten die Laienfürsten welche die
Ersten an der Kur waren, mit ihrer Abstimmung auf die drei Erzkanzler.
396
Phillips.
Letzteren nicht geziemend gewesen sei, seine Stimme abzugeben.
Allein richtiger ist es wohl anzunehmen, dass Konrad der Jüngere
desshalb zuerst gestimmt habe, weil er für den eigentlichen Herzog von
Franken galt. Er war auch der bei weitem mächtigere Fürst als sein
älterer Vetter, welcher, noch unmündig bei seines Vaters Konrad Tode,
dem damals noch lebenden jüngeren Sohne seines Grossvaters, dem
Herzog Otto, Konrad des Jüngeren Vater, bei der Succession hatte
weichen müssen 110 ).
Fünftens: nachdem Konrad der Jüngere seine Stimme abgege
ben hatte, wurde weiter nach Stimmen gekürt, indem die singuli de
singulis regnis 411 ) darin fortfuhren, denselben Fürsten beim Namen
zu nennen, mithin der zuvor von den Angesehensten unter den Für
sten ausgesprochenen Kur beizustimmen oder in dem angegebenen
Sinne des Wortes zu collaudiren.
IX.
Mit dem Jahre 1024 war die Herrschaftim Reiche, welche die
Sachsen länger als ein Jahrhundert gehabt hatten, wiederum auf die
Franken übergegangen. Es ist auffallend, dass jene gar keinen Ver
such machten, einem ihnen entsprossenen Geschlechte den Königs
thron zu erhalten; trat ja noch bei dem TodeOtto’s III. das nationale
sächsische Interesse in den Vordergrund, welches dann durch die
Wahl Heinrich’s II. einigermassen befriedigt wurde. Mögen im Jahre
1024 die sächsischen Fürsten bei der Wahl auch einen aus ihrer
Mitte — denn Viele wurden genannt 113 ) — in Vorschlag gebracht
haben, so sind sie doch jedenfalls davon abgestanden und waren
mit dem wirklichen Resultate zufriedener als die Lothringer. Wenn
indessen die Sachsen, von deren Fürsten manche bei der Wahl gar
nicht erschienen waren, Konrad als ihren König über sich anerkannten,
so war damit doch der tiefgreifende Gegensatz zwischen ihnen und den
Franken auch nicht im geringsten gemindert. Es hätte jener grossen
Weisheit, wie der Erste der Ottonen sie in seiner Stellung zu den
einzelnen Stämmen bewiesen hatte, oder der entschiedenen Charakter
festigkeit, wie sie unter den Saliern nur Heinrich III. hatte, bei den
110 J Vergl. Arnold, Geschichte der deutschen Freistädte. Bd. 1, S. 40 u. f.
üi) Siehe Note 99.
112 ) Siehe Note 94.
Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle. 39T
Herrschern bedurft, wenn der nationale Hass der beiden Völker nicht
wieder in helle Flammen ausbrechen sollte-.
In dem fränkischen Hause machte sich ganz natürlicher Weise
das Princip der Erblichkeit der Krone wiederum geltend. Konrad II.
Hess noch bei seinen Lebzeiten seinen Sohn Heinrich III., dieser seinen
dreijährigen Sohn Heinrich IV. und letzterer seinen Sohn Konrad, dann
Heinrich V. wählen. Es scheint somit die Periode der fränkischen
Kaiser für die Geschichte der deutschen Königswahl von keinem Be
lange zu sein, und dennoch begegnet man dem Ausspruche eines
unserer bedeutendsten Geschichtsforscher und Rechtsgelehrten: das
deutsche Reich sei gerade damals zuerst für ein Wahlreich erklärt
worden 113 ). Nach der grossen Menge der hier aufgeführten Bei
spiele könnte man Eichhorn’s Meinung geradezu als eine bare Unrich
tigkeit verwerfen, wenn man nicht annehmen müsste, dass er nicht
in dem Sinne habe verstanden werden wollen, als sei der König frü
her nicht auch gewählt worden, sondern nur in der Weise, dass das
Erbrecht nicht mehr, wie zuvor, den Anspruch gewählt zu werden,
verleihen solle. Also aufgefasst liegt in jener Behauptung, wenn sie
richtig ist, um so mehr eine Bestätigung des Satzes, dass bisher die
Blutsverwandtschaft mit dem verstorbenen Könige ein wesentliches
Requisit für den zu Wählenden gewesen sei.
Eichhorn hat hei der Aufstellung jenesSatzes die Wahl Rudolfs
von Rheinfelden vor Augen. Allerdings führten die damaligen Verhält
nisse eine Erklärung der zur Wahl versammelten Fürsten herbei,
welche gegen die ausschliesslichen Wahlansprüche der Blutsverwand
tengerichtet war, Kaiser Heinrich III., kräftiger und edler als sein Vater,
hatte ganz richtig die grosse durch die Geschichte der nachfolgenden
Jahrhunderte nur zu sehr bestätigte Wahrheit erkannt, dass der gefähr
lichste Feind der Machtstellung welche das deutsche Reich einzu
nehmen berufen schien, nicht irgend ein an den Gränzen wohnendes
Volk, sondern der im Innern des Reiches zersetzend wirkende Parti-
cularismus sei. Mit sicherer Hand ergriff er jede Gelegenheit das
Ansehen des Königs den Fürsten gegenüber zu erheben und wusste
mit. Energie seineRechte zu wahren. Er wurde dabei aber nicht gelei
tet durch irgend eine nationale Abneigung, sondern er stand allen
Stämmen gleichmässig als Herrscher gegenüber. Aber wie Stenzei
113 ) Eichhorn, deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, Bd. 2, §. 231.
Sitzb. d. phil.-hist. Ci. XXIV. Bd. II. Hft. 26
398
Phillips.
sehr richtig bemerkt 114 ), „nur die That bändigte die That, nur das
gezückte Schwert in des Kaisers Hand hielt das Schwert der Fürsten
in der Scheide“. Dieser Gegensatz zwischen Königthum und Adel ist
endlich zum grossen, bis zum gegenwärtigen Tag fortdauernden
Schaden Deutschlands dahin gelöst worden, dass die Fürsten die
königliche Gewalt vernichtet haben. Dazu hat wesentlich die Regie
rung Heinrich’s IV. mitgewirkt, aber auch der Umstand, dass Hein
rich III., noch im kräftigsten Mannesalter, schon im 39. Lebensjahre
durch den Tod abberufen wurde und sein Sohn ihm als Kind auf dem
Throne folgte, hatte einen unmittelbaren Antheil an der Schwächung
der königlichen Gewalt.
In seiner Erziehung vernachlässigt war bei Heinrich IV. die
Charakterfestigkeit seines Vaters zu einem starren Eigensinn gewor
den. Adalbert von Bremen hatte allen seinen Leidenschaften geschmei
chelt und zugleich den bittersten Hass gegen die Sachsen in sein
Herz gepflanzt. Der mit diesen begonnene Krieg wurde für sie ein
Kampf um die Existenz, denn Heinrich schien es auf die Ausrottung
des ganzen Stammes abgesehen zu haben. Als nun Papst Gregor VII.
den König in den Bann gethan und ihm das Reich abgesprochen hatte,
versammelten sich die sächsischen und viele andere Fürsten zu Ulm,
dann zu Forchheim, um über eine neue Königswahl zu berathen. Ob
schon Heinrich nach seiner Busse zu Canossa wieder in die Gemein
schaft der Kirche aufgenommen worden war, so hielten sich jene
Fürsten dennoch, da der König sich unmittelbar darauf wieder mit
den siinonistischen Bischöfen in der Lombardei verbunden hatte, für
berechtigt, zu einer Neuwahl zu schreiten 114 "). Der anwesende päpst
liche Legat rieth seinem Aufträge gemäss zum Aufschub; hierauf erho
ben die Fürsten die lautesten Klagen über die ihnen von Heinrich
zugefügten Unbilden; sie erklärten bei ihm sei keine Abhilfe
mehr zu erwarten, und obschon sie mit der Aufzählung dieser Dinge
ll4 ) Stenzei, Geschichte Deutschlands unter den fränkischen Kaisern, Bd. 1, S. 169.
ll4a ) Bern o 1 d. Chron. ann. 1077. — IIoc autem juramentum nec 15 dies observavit,
captis venerabilibu8 episcopis, Geraldo Ostiensi et Anselmo Lucensi. Unde et papa
missis legatis principibus regni declaravit, se parum profecisse in eo, quod illum in
communionem receperit, cum omnes symoniaci vel excommunicati non minus tune
foverentur ab eo quam pridem. His ergo auditis, principes regni.generali colloquio
apud Forecheim 3. Id. Martii habito, egregium ducem Ruodolfum sibi regem subli-
marunt.
Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle.
399
einen ganzen Tag zubrachten, so konnten sie doch damit nicht zu
Ende kommen. Die Fürsten erklärten ferner, ihnen liege die Pflicht
oh, die Wohlfahrt des Reiches zu wahren und sie träfe aller Nach
theil aus dem Verzüge, zu welchem der Legat auf’s Neue rieth;
sie seien Heinrich keinen Gehorsam mehr schuldig, sondern sie seien
freie Männer und berechtigt, sich ihren König zu wählen. Auf diese
Vorstellungen bemerkte der Legat, ihm liege nicht die Fürsorge für
das Reich oh und gab seine Zustimmung. Unter dem Vorsitze des Erz
bischofs von Mainz wurde nunmehr von den Fürsten die Wahlver
sammlung gehalten 115 ); die Bischöfe beriethen, wie Berthold berichtet,
11.5) Yergl. Bernried. Chron. cap. 93 (bei Muratori, Script, rer. Ital. Vol. III,
p. 341): Facto igitur conventu apud Forecheim, praefati Legati literas Apostolicas
in medium protulerunt: quam parum dominus Papa de promissione Regis laetatus
fuerit, cum adversarii Ecclesiae plus audaciae, quam terroris ex praesentia Regis
acciperent. Ad hoc ajebant eum petere, ut novi Regis electionem, de qua audierat,
in adventum ejus differrent, si hoc sine periculo fieri posse perpenderent. Peracta
igitur Iegatione, Archiepiscopi, Episcopi, Duces, Marchiones, Comites majores atque
minores debitam reverentiam legatis impendentes, per consessum singuli sur-
rexerunt, et quot contumeliis et quot periculis jam ab Henrico Rege alTecti essent,
vel se afficiendos fore non dubitarent, Legatis lamentari coeperunt etc. — totaque
illa die cum hujusmodi querimoniis transacta nec medietatem injuriarum sibi illatarum
enumerare potuerunt. — Cap. 94. In crastinum vero iterum ad hospitia Legatorum
convenientes, pro sua necessitate sublevanda eos consuluerunt, suggerentes eis
periculosissimum et irrevocabile schisma in toto Regno futurum, nisi in eodem con
ventu, ut deliberaverant, in alicujus novi capitis sublevatione confoederati, illud
anticipare festinarent. Legati autem Iegationis suae non immemores, satis com-
pendiose ad haec responderunt, sibi quidem Optimum videri, si Regis constitutionem,
juxta eorum legationem, in adventum domini Papae sine perculo differre possent:
caeterum provisionem Regni non tarn in eorum consilio, quam in Principum arbitrio
sitam esse dixerunt, qui Rempublicam in manibus tenerent, ac totius Regni damnum
sive proficuum optime praenossent. Itaque Principes de adventu Papae incerti, sed
de maxima dissensione eventura et periculo, si differrent certissimi, apud Mogun-
tinum Archiepiscopum convenerunt et quid eis agendum esset singulari diligentia
invicem tractaverunt: considerantes quidem se ad nullam dilationem ab Apostolico
coactos, sed hoc in eorum arbitrio positum esse, nec alicui, nisi sibi ipsis impu-
tandum fore, si dilatio noceret. Insuper se nullius subjectionis exibendae Henrico
Regi obnoxios, immo per Apostolici banni transgressionefn damnandos, si aliquam
subjectionem Regi deinceps exiberent. Nam Papa priusquam eum anathematizaverat,
ex parte Omnipotentis Dei et Sancti Petri, et sua, illi Regnum interdixit: qui postea
ab eo cominunionem tantum, non Regnum falsa correctionis promissione, recupe-
ravit. — Cap. 9o. Hoc igitur Principes Regni diligentissime perscrutati, se quidem a
Regis Henrici potestate penitus, ut praedictum est, emancipatos, nec se illi plus
quam illum illis alicujus fidelitatis vel subjectionis obnoxios, ut liberi homincs, Ru-
dolphum Ducem Suevorum, frustra inultum renitentem, frustraque vel unius horae
inducias ad consulendum petentem, Regia dignitate sublimaverunt etc.
26*
400
Phillips.
von den Laienfürsten abgesondert 116 ). Es wurden Viele in Vorschlag
gebracht, endlich einigte man sicli über die Person Rudolfs 117 ).
Als nun nach vollendeter Wahl die Abstimmung vorgenommen wer
den sollte und der Erzbischof von Mainz den Herzog Rudolf nannte,
so folgten ihm darin zuerst die Bischöfe, dann die Laienfürsten 118 ).
Viele von diesen wollten indessen, als an sie die Reihe zum Abstim
men kam 118 "), noch die Bedingung voranstellen, Rudolf sollte jedem
von ihnen die vollständige Entschädigung und Genugthuung für die
ihnen von Heinrich zugefügten Rechtsverletzungen versprechen.
Otto von Nordheim namentlich forderte, dass ihm die Rückgabe sei
nes Herzogthums Baiern verheissen werde. Allein der päpstliche Le
gat machte darauf aufmerksam, dass durch ein solches Verfahren die
Wahl eine lautere zu sein aufhöre und zu einer simonistischen ge
macht werde. Der König sei nicht des Einzelnen, sondern Aller Herr
und es genüge, wenn er Allen insgesammt verspreche, dass er Ge
rechtigkeit üben wolle ll0 ). Es Iiessen daher die Fürsten die Be
dingung fallen; nur die Zusage wurde im Allgemeinen gemacht,
Rudolf wolle die canonische Wahlfreiheit bei Besetzung der Bisthiimer
gewähren 120 ) und das Wahlrecht der Fürsten in der Weise sicher
stellen, dass er nicht schon bei seinen Lebzeiten seinen Sohn zum
116 ) B er th oI d. Chron. ami. 1079 (P-ertz, Tom. VII, ]>. 292): episcopi seorsum et
senatorius ordo seorsum, pro constituendo rege diu multumque consiliati sunt.
117 ) Bruno d. hell. Saxon. cap. 91 (Pertz 1. c. p. 365): Ex multis, quos probitale
dignos in electione proposuerant ? tandem Rodulfum , ducem Suevorum , regem sibi
Saxones et Suevi concorditer elegerunt.
118 ) Berthold 1. c. Tandem sane totum senatorum nee non populi novarum rerum cupidi
collegium, episcoporum primum, utpote spiritualium virortim, divinum et spirituale
nominandi et eligendi regis dum expectaret attentissime sufFragium, dux Alemanniae
Ruodulfusprimum a Mogontino episcopo, deinde a caeteris in regem ab eis nominatus
et electus est. Hos sequitur sine mora totus senatus et populus, solita jurisjurandi
fidelitate sese illi omnes in id ipsum legittime subjicientes.
118a ) Bruno 1. e. — At cum singuli deberent eum regem laudare, quidam voluerunt
aliquas conditiones interponere, ut hac lege super se levarent regem, quatinus sibi
de suis injuriis specialiter promitteret juslificationem. Otto namque dux non prius
volebat eum sibi regem constituere, nisi promitteret honorem sibi injuste ablatum
restituere. Sic et alii etc.
119 ) Bruno 1. c. Quod intelligens apostolici legatus, fieri prohibuit, et ostendens, eum
non singulorum sed universorum fore regem, ut universis justum se promitteret,
satis esse perhibuit. Ait etiam, si eo modo quo conceptum fuerat promissionibus
singulis praemissis eligeretur, ipsa electio non esset sincera , sed haeresis simoniacae
veneno polluta videretur.
120 ) Bruno 1. c. — Tarnen quaedam sunt ibi causae specialiter exceptae etc.
Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle.
401
Könige machen werde 121 ). Hierauf hatte dann die Abstimmung das
durch die Wahl vorherbestimmte Resultat, indem auch alle Laienfürsten
Rudolf kürten und das ganze Yolk seinen Reifall zu erkennen gab 122 ).
Aus den verschiedenen Berichten über dieses Ereigniss lässt
sich ebenfalls so Manches zur Bestätigung der Principien entnehmen
welche, der obigen Erörterung gemäss, der deutschen Königswahl zu
Grunde liegen.
Erstens ist wiederum und zwar vorzüglich nach der Erzählung
des Bruno, in seiner Schrift über den sächsischen Krieg, klar und
deutlich, wie zwischen den beiden Acten, Wahl im engeren Sinne und
Kur, unterschieden werden muss 123 ). Von der ersteren, bei welcher
wieBerthold berichtet, die Bischöfe abgesondert von den Laienfürsten
beriethen 124 ), sagt Bruno ausdrücklich: „t andern Rudolfum. — concor-
diter elegerunt“ und fährt dann fort: „Als aber die Einzelnen ihn als
König nennen sollten“ (— at cum singuli deberent eum regem lau-
dare ■—■), wollten Manche noch ihre Bedingungen machen.
Zweitens: der Erzbischof von Mainz ist abermals der Erste an
der Kur 125 ).
Drittens: an ihn schliessen sich zuerst die Bischöfe, dann die
Laienfürsten an 12 °).
Viertens ist diese Wahl dadurch merkwürdig, dass sie die ersten
Versuche zur Aufstellung einer Wahlcapitulation enthält und dass der
König auch wirklich die oben angegebenen Zugeständnisse machte.
Ob Bruno bei der Erwähnung dieser Puncte chronologisch richtig
verfahren ist, möge dahingestellt bleiben; es hat grössere Wahr
scheinlichkeit, dass dieselben nicht erst bei der Kur, sondern schon bei
121 ) Paul. B ernried. 1. c. cap. 93, p. 342. — qui utique regnum, non ut proprium sed
pro dispositione sibi ereditum reputans, omne haereditarium jus in eo repudiavit et
vel Hlio suo hoc adoptaturum fore, penitus abnegavit: justissimo in arbitrio prin-
cipum esse decernens, ut post mortem ejus libere non magis filium ejus, quam alium
eligerent, nisi quem ad id culminis aetate et morum gravitate dignum invenissent. —
Bruno I. c. Hos etiam ibi, consensu communi comprobatum, Romani Pontificis
auctoritate est cörroboratum, ut regia, potestas nulli per haereditatem, sicut antea fuit
consuetudo, cederet, sed filius regis, etiamsi valde dignus esset, per electionem spon-
taneam, quam per successionis lineain rex proveniret: si vero non esset dignus regis
filius, vel si nollet eum populus, quem regem facere vellet, haberet in potestate populus.
122 ) Siehe oben Note 118.
123 ) Siehe oben die Noten 117, 118 a .
124 ) Siehe Note 116.
125 ) Siehe Note 118.
126 J Siehe Note 118.
402
Phillips.
der vorangehenden Wahl zur Sprache gebracht worden sind und bei
jener nur von den Laienfürten die Bedingung der Gewährung von
Entschädigung gestellt wurde.
Fünftens ist die Zusage Rudolfs, dass er nicht schon hei seinen
Lebzeiten seinen Sohn zum Könige machen wolle, allerdings von
besonderer Wichtigkeit und bedarf näherer Erläuterung. Nach der
Erfahrung welche die Fürsten an Heinrich IV. gemacht hatten, der
als Kind auf den Thron kam und schon als Jüngling ein Todfeind
eines der deutschen Hauptstämme geworden war, schien es in der
That bedenklich, das Wahlrecht ganz in den Hintergrund drängen
zu lassen. Dazu war bereits der Anfang gemacht, indem die beiden
ersten Herrscher aus dem salischen Geschlecht, seihst mit der Macht
fülle bekleidet, die Wahl ihrer Söhne leicht bewerkstelligt hatten.
Es begreift sich, dass vorzugsweise die Sachsen weder Hein
rich noch seine Nachkommenschaft auf dem Throne sehen wollten,
in dem Sohne die gleichen Eigenschaften mit dem Vater voraus
setzend. Sie gingen dabei von jener germanischen Anschauungs
weise aus, welche nachmals, als Heinrich IV. den Sachsen seinen
Sohn als König anbot, Otto von Nordheim auf derbe Weise also aus
drückte: „Schon oft sah ich von einem bösen Stier ein böses Kalb
gezeugt werden; darum trage ich nach dem Sohne eben so wenig,
wie nach dem Vater Verlangen“ 127 ).
Aber auch Rudolf, der nicht Sachse von Gehurt, hatte sich als
König noch nicht bewährt und darum wollte man es hindern, dass
er nicht durch Veranlassung der Wahl seines Sohnes, nament
lich wenn sich derselbe etwa noch im Kindesalter befinden sollte 13S ),
schon hei Lebzeiten für sein Geschlecht sorge. Man traf daher
eine solche Vorkehr, die sich etwa mit dem canonischen Insti
tute der Coadjutorie cum jure succedendi vergleichen lässt. Damit
erklärte man aber keineswegs das deutsche Reich unbedingt für ein
Wahlreich und wollte auch nicht völlig von dem Princip der Erblich
keit sich lossagen, sondern nur ein solches Erbrecht verbannen, wel
ches sich ganz unabhängig von der Wahl der Fürsten geltend machen
127 ) Bruno 1. c. cap. 125, p. 381: Cui legationi (lux Otto, sicut erat solitus jocose
magna seria nonnullo schemate ludendi velare, respondit: Saepe, dicens, ex bove
malo malum vitulum vidi generatum, ideoque nee filii nee patris habeo desiderium.
128 ) Siehe Paul. Bern ried. (Note 121).
Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle.
403
könnte. Es wurde daher in der im Jahre 1077 getroffenen Anordnung
nur das ältere Recht, wie es stets in den germanischen Reichen gegol
ten und nur durch die Ottonen und Salier eine Modification erfahren
hatte, wieder hergestellt, indem jene wie diese, eben wohl auch nicht
ohne Tadel, zweimal der wirklichen Erledigung des Thrones durch
die bei ihren Lebzeiten vorgenommenen Wahlen ihrer Söhne vor
beugten.
Sechstens ist die Wahl Rudolfs wegen der Anwesenheit des
päpstlichen Legaten und des hervortretenden Einflusses des Papstes
auf diese Verhältnisse von Wichtigkeit; ein Gegenstand der erst
weiter unten seine Erledigung finden kann.
Rudolf sass nur eine kurze Zeit auf dem Throne; in derSchlacht
an der Elster hatte er eine Hand verloren und starb dann in Folge die
ser Verstümmelung, ln der Todesstunde wurde er noch durch die
Zusicherung des um ihn versammelten Adels getröstet: und wenn er
beide Hände verloren hätte und am Leben bliebe, würde man doch
keinen Andern an seine Stelle wählen 13 °).
Nachdem Rudolf gestorben, sendete der sächsische Adel zu allen
übrigen Fürsten deutscher Zunge, Freund und Feind, und forderte
sie zu einer allgemeinen Versammlung zum Zwecke einer neuen
Königswahl auf. Die Sachsen erklärten, sie seien bereit sich Jedem
zu unterwerfen und ihn als König über sieb anzuerkennen, mit Aus
schluss Heinrich’s und seines Sohnes 130 ). Es fanden sich aber nur
die Sachsen und Schwaben zu Bamberg zusammen und wählten nach
langem Verhandeln einstimmig 131 ) Hermann von Salm, der dann in
Goslar zum König gekrönt wurde. Es ist bekannt, wie sich Hein
rich IV. auch gegen diesen behauptete und wie das salische Ge
schlecht, so lang es selbst bestand, den deutschen Königsthron be
hielt. Dann aber ging noch einmal, wenngleich auf kurze Zeit, das
Reich auf die Sachsen über.
129 ) Bruno 1. c. cap. 124, p. 381.
13 °) Bruno 1. c. cap. 130, p. 184: Principes vero Saxoniae cunctis gentibus Theutonicae
linguae, non minus inimicis, quam amicis, legatos miserunt, rogantes, ut Heinrico
filioque ejus excepto, quemlibet alium rectorem eligerent; se ei, quicumque esset,
fideliter servituros pollicentes, quatenus omnia regni membra, sicut olim fuerant, in
unum sub uno rege convenirent.
131 ) Bruno 1. c.: de communi negotio regis constituendi communi consilio tractaverunt
et post multos tractatus, ut Hermanum eligerent, unanimiter omnes consenserunt.
Verzeichniss der eingelangtcn Druckschriften.
40S
VERZEICHNIS
DER
EINGELANGTEN DRUCKSCHRIFTEN.
(JUEI.)
Academie d'Archeologie de Belgique. Annales. Bd. XIV, Heft. 1,2.
Anvers 1857; 8°-
Academie des seiences. Paris.
— Comptes rendus hebdomadaires des Sciences. Tom. XXXV—
XLII. 1852; 4°-
— Supplement a. c. r. Tom. I. 1856; 4°-
— Memoires de l’Academie. Tom. XXIV, Tom. XXVII. part. 1,
1856; 4»-
— Table generale d. c. r. (3 aoüt 1835 ä 30 decemb. 1850.) Tom.
I. 1853; 4«-
Akademie, preussiscbe, der Wissenschaften. Monatsberichte. Nr. 5
und 6. Berlin 1857; 8 0-
Annales des Mines. Serie V, Tom. X, livr. 5 et 6. Paris 1857; 8°.
Annals of the astronomical observatory of Harward College. Vol. I,
part. 1. Cambridge 1856; 4°-
Archiv der Mathematik und Physik, herausgegeben von Job. Aug.
Grunert. Greifswalde 1853.
ßaer, R.E. v., und Helmersen, G. v., Beiträge zur Kenntniss des russi
schen Reiches und der angrenzenden Länder Asiens. XIX Bände.
(BandXVIist. nicht erschienen.) St. Petersburg 1839 —1854; 8°.
Bauzeitung, allgemeine, Jahrgang XXII, 5. und 6. Heft. Wien
1857; 8°-
Blake, William P., Description of the fossils and Shells collected in
California. Washington 1855; 8 0-
20*“
406 Verzeichniss der
Brantz, Mayer, observations on mexican history and archaeology.
Washington 1856; 4°-
Bulletino archeologico Napolitano. Anno IV, Napoli; 4°'
Concours de l’Acad. Imperiale Leopoldo-Caroline des Naturalistes
de Breslau propose par le prince Anatole de Demidoff. Breslau
1857; 4»-
Conestabile, Conte Giancarlo di Giambattista Vermiglioli, de’
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Perugia. Vol. II, 1855—56.
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from 1826 to 1850. Albany 1855; 4 0-
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schen Mission in Central-Africa. Wien 1852; 8 0-
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series. Vol. III, part. 3. Philadelphia 1856; 4°-
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Lotos, 1857. Heft 3—7. Prag 1857; 8»-
Meech, L. W.A. M. on the relative intensity of the heat and light of
the sun upon different latitudes ofthe earth. Washington! 857 ;4 0-
Mitthei 1 ungen der k. k. Centralcommission zur Erforschung und
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Mittheilungen aus Justus Perthe’s geographischer Anstalt. 1837.
Heft 2 und 3. Gotha; 4°-
Mo mm sen, Th., Die Rechtsfrage zwischen Cäsar und dem Senat.
Breslau 1837; 4 0- (Aus den Abhandlungen der philos.-histor.
Gesellschaft in Breslau.)
Museum, Francisco-Carolinum für das Erzherzogthum Österreich
ob d. E. und das Herzogthum Salzburg. XI. 16. Heft. Linz; 4 0-
Orti Manara, Conte Giov. Girol. La penisola di Sermione illustrata.
Verona 1836; 4 0-
Palacky, Frantisek, Dejiny ceske. Dil IV. cästka 1. Praha; 8 0-
Palacky, F., Geschichte von Böhmen. Bd. IV, Abtlil. 1. Prag 1837.
Bangabe, A. R., antiquites helleniques. Athenes 1833; 4°-
Report, tenth annuel, of the board of regents of the Smithsonian
Institution, schowing the operations, expenditures, and condition
of the institution, up to January 1, 1836. Washington 1856; 8°-
Report of the secretary of the treasury, on the state of the finances
for the year ending june 30, 1855. Washington 1856; 8 0-
Report of the commissions of patents for the year 1854. Agricul-
ture I. Arts and manufactures II. Washington 1855; 8 0-
Report of the commissions of patents for the year 1855. Agricul-
ture I. Arts and Manufactures II. Finances I. Washington
1856; 8»-
Report of expcriments with small anns for the military service.
Puhlished hy authority of the secretary of war. Washington
1856; 8®-
Reslhuber, A., Bericht über die Kometen von den J. 975, 1264,
1556. Linz 1857; 8°-
Runkle, John, New tables for determining the valeurs of the coeffi-
cients in the perturbative function of planetary motion, which
depend upon the ratio of the mean distances. Washington
1585; 4o-
Sanford, H. S., The different. Systems of penal Codes in Europe
also, a report on the administrative changes in France, since
the revolution of 1848. Washington 1856; 8°-
Sunto, delle observazioni meteorologiche fatte nell osservatorio della
R. Marina. Napoli 1847—1856; 4®-
Wol cott, Gibbs, and Frederick Genth, researches on the Ammonia-
Cobalt bases. Washington 1856; 4°-
Verzeichniss der eingelnngten Druckschriften.
408
Ze pharo vielt, V. R. v„ Bericht über die Schürfungen auf Braun
kohle zwischen Priszlin und Krapina und ein Vorkommen von
Bergtheer zu Peklenicza an der Mur in Croatien. Wien; S 0,
(Aus dem Jahrhuche der k. k. geolog. Reichsanstalt 1856.)
Zippe, Dr. F. X. M., Geschichte der Metalle. Wien 1857; 8»-
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