SITZUNGSBERICHTE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
EINUNDZWANZIGSTER BAND
WIEN.
AUS DER IC. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
LN COMMISSION BEI KARL GEROLD’S SOHN, BUCHHÄNDLER DER KAIS. AKADEMIE
DER WISSENSCHAFTEN.
1857.
SITZUNGSBERICHTE
DER
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN CLASSE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
EINUNDZWANZIGSTER BAND.
Jahrgang 1856. Heft I — III.
(ltit 2 Cnfrln.)
WIEN.
AUS DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
IN COMMISSION BEI KARL GEROLD’S SOHN, BUCHHÄNDLER DER KAIS. AKADEMIE
DER WISSENSCHAFTEN.
1857.
300122
INHALT.
Seite
Sitzung; vom 4. Juni 1856.
Baerwald, Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde König Rudolfs I.
betreffend die baierische Kur. Ein Beitrag zur Entstehungs
geschichte des kurfürstlichen Collegiums 3
Sitzung; vom 11. Juni 1856.
v. Zieglauer, Über die Zeit der Entstehung des sogenannten ältesten öster
reichischen Landrechtes 71
Sitzung- vom 18. Juni 1856.
Detlefsen, Über eine Cicero-Handschrift der k. k. Hofbibliothek .... 110
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften 131
Sitzung vom 2. Juli 1856. '
v. Meitler, Über eine Hypothese in Betreff der Entstehungszeit des soge
nannten ältesten österreichischen Landrechts 137
Sitzung vom 9. Juli 1856.
v. Meiller, Eine Abhandlung für die Denkschriften: Die Herren von Hind-
berg und die von ihnen abstammenden Geschlechter Ebersdorf
und Piliehdorf 154
Pfizmaicr, Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche von der
Versammlung der Reichsfürsten in Schin bis zu der Versammlung
von Ping-khieu. (Vom Jahre 537 bis 529 vor Christo.) .... 156
Sitzung vom 16. Juli 1856.
Hopf, Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros und ihrer
Beherrscher in dem Zeiträume von 1207 bis 1566 221
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften 263
Sitzung vom 1. October 1836.
Schmidt, Aus Wiener Handschriften. (Den Herren v. Karajan und Wolf
gewidmet.) 267
Sitzung vom 8. October 1836.
Rafn, Bemerkungen über eine nordische Runen-Inschrift an einem Marmor
löwen aus dem Piraeus . U 290
Zappert, Epiphania. Ein Beitrag zur christlichen Kunstarchäologie. (Mit
1 Tafel.) Jf 291
Sitzung vom 13. October 1836.
Hammer - Purgstall, Fortsetzung des für die Denkschriften bestimmten
Auszuges aus encyklopädischen Werken der Araber, Perser und
Türken 373
Hammer-Purgstall, Bericht über die Fortsetzung der osmanischen Reichs
geschichte 375
Sitzung vom 29. October 1856.
Zappert, Wiens ältester Plan. (Mit 1 Tafel.) 399
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften 445
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
XXI. BAND. I. HEFT.
JAHRGANG 18S6.
Jl'NI.
SITZUNG VOM 4. JUNI 1856.
Vorgelegts
Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde König
Rudolfs I. betreffend die baierisclie Kur.
Rin Beitrag- zur Entstehungsgeschichte cles kurfürstlichen Collegiums.
Von Dr. üermaoi Baerwnld.
I. Die Urkunde König Rudolfs I. vom 15. Mai 1275 über die
baierischc Kur.
Eine der wichtigsten Quellen für die Wahlgeschichte der Könige
Richard von Cornwallis und Rudolf von Habsburg ist die von dein
letztem Könige am 15. Mai 1275 auf dem Reichstage zu Augsburg
ausgestellte Urkunde über die baierische Kur.
Bei der entscheidenden Bedeutung welche die Wahlen der
genannten Könige für die Entwickelungsgeschichte der deutschen
Königswahl überhaupt haben, verdient jede sie betreffende urkund
liche Nachricht eine vorzügliche Beachtung; unsere Urkunde nimmt
ein noch erhöhtes Interesse in Anspruch. Sie theilt uns nicht blos
wichtige, jene Wahlen betreffende Thatsachen mit; durch ihren
Hauptinhalt, wie durch Einzelheiten die in ihr Vorkommen, bezeich
net sie einen überaus wichtigen Moment in der Entwickelungs
geschichte der deutschen Königswahl. Denn aus ihr erfahren wir
zuerst von einem unterFürsten des Reiches stattgehabten Streit „über
den Besitz des Rechts den römischen König zu wählen“: vor ihrem
Erlass hat niemals irgend ein deutscher Fürst seine Theilnahrne an
der Königswahl sich besonders beurkunden lassen, sei es, um darauf,
wie hier, den Besitz des Rechts einen König zu wählen zu begründen,
oder zu irgend welchem anderen Zwecke: sie ist die erste in
4
Hermann B a e rw a 1 d.
Deutschland ausgestellte Urkunde, in welcher die Ausdrücke „princi-
pes electores“ ohne weiteren Zusatz und „pnncipes coelectorcs“
Vorkommen, und endlich, was bei Weitem das Wichtigste ist, hier
wird zuerst in Deutschland urkundlich eine „Siebenzahl der Fürsten
die das Recht bei der Wahl des römischen Königs haben“ (septem
principum jus in electione regis Romani habentium minierus)
erwähnt.
Genau aus dem Lateinischen übertragen ist der Inhalt der Urkunde
folgender:
Wir Rudolf durch Gottes Gnade König der Römer, alle Zeit
Mehrer des Reiches, thun Allen die diesen Brief einsehen werden,
für alle Zeit kund, dass, als Wir dem zu Augsburg am 15. Mai feier
lich abgehaltenen Hoftage präsidirten, und daselbst, in Unserer
Gegenwart der durchlauchtigsten Fürsten: Otakars, des Königs von
Böhmen, Boten und Heinrichs, des Herzogs von Baiern, Bevollmäch
tigte anwesend waren, und unter ihnen eine Streitfrage so zu sagen
über den Besitz des Rechts den Römischen König zu wählen sich
erhob; von den Bevollmächtigten des genannten Herzogs Heinrich
und dem durchlauchtigsten Ludwig, Pfalzgrafen des Rheins, Herzoge
von Baiern, Unserem vielgeliebten Sohne, vorgestellt worden ist: auf
Grund des Herzogthums Baiern gebühre ihnen dieses
von Alters her. Und es hat derselbige, Unser Sohn Ludwig, in Unserer
und der gesammten Fürsten, Prälaten, Barone, Ritter und des ganzen
Volkes, welche Alle eben jenem Hoftage beisassen, Gegenwart, öffent
lich bezeugt, dass der erwähnte Herzog Heinrich, sein Bruder, einst
der Wahl des ruhmwürdigen Königs der Römer Richard, Unseres
Vorgängers, zugleich mit ihm selbst gegenwärtig, sammt den
übrigen Mitwahlfürsten , beigewohnt, und dass jeder von Beiden
auf ihn gesetzlich seine Stimme gerichtet habe, um zugleich mit den
anderen Mitfürsten die dazu ein Recht haben, eben denselben zum
König der Römer zu wählen. Hernach aber, zur Zeit Unserer zu
Frankfurt von allen Fürsten die ein Recht bei der Wahl haben , ein-
müthig abgehaltenen Erwählung, geschah von den Boten und Bevoll
mächtigten eben desselben Herzogs Heinrich, nämlich von Heinrich,
Propst von Oetingen, und Friedrich, dem Kirchherrn von Landshut,
die dessen Abwesenheit wegen gesetzmässiger Hindernisse gesetz-
mässig entschuldigten, in Gegenwart des Bevollmächtigten des
erwähnten Königs von Böhmen, des ehrwürdigen Berthold, Bischofs
Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde K. Rudolfs I.
5
von Bamberg, der zwar jenen Bevollmächtigten widersprach, dessen
Widerspruch jedoch von allen Wahlfürsten, den geistlichen wie den
weltlichen, nicht zugelassen wurde, zugleich mit allen andern Für
sten die ihre Stimme Uns zugewandt hatten, und gemäss dem Auf
träge den die schon erwähnten Bevollmächtigten erhalten hatten,
einmüthig ein Compromiss auf den erwähnten Ludwig, den Pfalz
grafen des Rheins, Unsern Sohn, der auch, einen solchen Auftrag auf
sich nehmend, in seinem und des genannten Herzogs Heinrich, seines
Bruders, und aller andern, bei der Wahl berechtigten Fürsten Auto
rität und Namen, feierlich Uns zum Römischen König erwählte, indem
die Stimmen derselben Brüder, der Herzoge von Baiern
Pfalz grafen des Rheins, auf Grund des Herzogthums für
Eine in der Zahl der sieben bei der Wahl des Römi
schen Königs berechtigten Fürsten mitgerechnet
wurde, wie Wir das auch jedem von ihnen Beiden auf dem er
wähnten Augsburger Hoftage mit Unserer lauten Stimme Aus
spruch in Gegenwart der Boten des erwähnten Königs von Böhmen,
nämlich des ehrwürdigen Bischofs Wernhard von Sekkau, des Mei
sters Heinrich, Propstes zu Werden, des N„ Comthurs des deut
schen Hauses durch Ostreich, und des Wolfingus, Hospitalmeisters
von S. Johannes zu Mauerberg, und allerübrigen dort anwesenden
Fürsten, Prälaten und Barone erkannt haben und öffentlich erkennen.
Zum Zeugniss dieser Sache und zum ewigen Gedächtniss des hier
Mitgetheilten haben Wir ihnen gegenwärtigen, mit Unserem Siegel
und mit den Siegeln der beigeschriebenen Zeugen gefesteten Brief
geschenkt. (Es folgen 26 namentlich angeführte Zeugen) 4 ). Gesche
hen und gegeben zu Augsburg im Jahre der Menschwerdung des
Herrn 1275, im zweiten Unserer Regierung.“
Man hat nun die Echtheit dieser Urkunde, gleich nachdem sie
von Gewoldus zuerst bekannt gemacht wurde, angezweifelt und,
*) Diese sind: die Bischöfe Hartmann v. Augsburg, Hiltebrand von Eichstädt und
Heinrich von Trient; die Äbte: N. von St. Gallen, von Reichenau, Rudolf, der
königliche Kanzler; Ludwig, Pfalzgraf des Rheins Herzog von Baiern, Philipp,
Herzog von Kärnten, Meinhard, Graf von Tirol, Friedrich, Burggraf von Nürn
berg, Heinrich, Markgraf von ßurgau, die Grafen Ulrich von Helfenstein, Ludwig
von Oetingen, Albrecht und Burghard von Hohenberg, Heinrich von Fürstenberg,
Theobald von Pfirt und Ludwig von Homberg; Heinrich und Berchthold von Nei-
fen, Albrecht von Bruckberg, Hermann von Hagenberg, Volkmar von Kemnaten
und Markward sein Sohn, Winhard von Rorbach und Heinrich von Preisingen.
6
Hermann Baerwal <1.
obgleich sie demungeachtet von sämmtliclien Schriftstellern die seit
dem 17. Jahrhundert die Wahlen Richard’s und Rudolfs behandelten,
als glaubwürdige Quelle benutzt wurde, so hat man doch nicht auf
gehört die Bedenken gegen dieselbe zu erneuern. Noch Johannes
Merkel in seiner 1849 erschienenen Schrift „de republica Alamanno-
rum“ hat die Möglichkeit, sie sei erdichtet, im Auge und will ihrem
Inhalt nicht recht trauen J ), und erst ganz vor Kurzem ist daraufhin
gewiesen worden , dass zur Aufrechthaltung der schon in früheren
Zeiten angezweifelten Echtheit dieses so wichtigen Documentes noch
immer nichts geschehen sei 2 ).
Wie man die Echtheit der Urkunde von Anfang an in Frage
gestellt hat, so hat man ferner ihren Inhalt von jeher auf das Ver
schiedenste gedeutet. Während Gewoldus aus ihr und einigen andern
Urkunden bewiesen hat, die Kurwürde hafte von Alters her auf dem
Herzogthum Baiern und das in der goldenen Bulle Kaiser Karl's IV.
dem Pfalzgrafen des Rheins zuerkannte Kurrecht bestätige lediglich
eine ganz unrechtmässige Usurpation 3 ), hat Frelier diese Deutung
eifrig zurückgewiesen und den Inhalt der Urkunde so gewendet, dass
er seiner Behauptung , die Kurwürde hafte von Alters her an der
Pfalzgrafschaft des Rheinsund nicht an Baiern, durchaus nicht wider
sprach 4 ); und beider Gelehrten Ansicht erhielt zahlreiche Ver
fechter 5 ). Im vorigen Jahrhundert haben namentlich Mascow und
J. P. Ludewig in dem Inhalt der Urkunde eine Entscheidung gegen
Böhmens Kurrecht erblickt 6 ), und in demselben Sinne hat Lambacher
auf Grund dieser Urkunde behauptet, Rheinpfalz und Baiern haben
A ) M er ke 1, De republica Alamannorum. Berolini 1849, pag. 120 : aut confictumaut
errorum cerle fons erat diploma illud, quo Rudolfus a. 1275 controversiam inter
regem Bohemiae et duces Bavaricos de suffragii jure ortam ita fertur disceptasse,
ut etc. Auch der treffliche Karl Theodor Gemeiner (Berichtigungen im deutschen
Staatsrecht, Bayreuth 1793, S. 100) glaubte gegründete Zweifel gegen die Echt
heit der Urkunde hegen zu müssen.
2 ) Lorenz in den Österreichischen Blättern für Literatur und Kunst, Jahrgang
1855, Nr. 30.
3 ) Vgl. Gewoldus, Antithesis ad Freherum S. 5, 9 squ. und de septemviratu
S. 174 und 189.
4 ) Fr eh er, Epistola responsoria ad Gewoldum, p. 20 squ. und derselben: ad epistolam
monitoriam de susceptu sive Recepisse, p. 15.
5 ) Siehe unten S. 26, Anm. 2 u. S. 27. ff.
6 ) Mascovius, De originibus officiorum aulicorum R. J. Ilalae 1718, p. 23 squ. und
Ludewig, Erläuterungen zur goldenen Bulle, Bd. II, 659 und 662.
Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde K. Rudolfs I.
7
bei Rudolfs Königswahl zusammen zwei Stimmen geführt 1 ). Adrian
Rauch wiederum und Lichnowsky verstehen die Urkunde so, dass
nach ihr bei den Wahlen Richard's und Rudolfs, Baiern nur eine
Theilstimme an der pfälzischen gehabt, dass also Baiern und die
Pfalz zusammen nur Eine Stimme geführt haben, und Böhmens Kur
recht durch unsere Urkunde keineswegs angetastet wurde, dass dem
nach Rudolf, da Böhmen ihm seine Stimme verweigert, nur von sechs
Stimmen gewählt worden ist a ). Noch weiter geht Palacky. Dass
Böhmens Kurrecht weder im Jahre 1273 noch auf dem Reichstage zu
Augsburg, am IS. Mai 1275, angefochten wurde, ist ihm eine aus
gemachte Sache und ebenso steht es bei ihm fest, dass Baiern und
die Rheinpfalz zusammen nur Eine Stimme geführt haben; er liest
aber auch aus unserer Urkunde heraus, dass die Kurstimme welche
Pfalzgraf Ludwig bei Rudolfs Wahl ausübte, zwischen ihm und seinem
Bruder, dem Herzog Heinrich von Baiern, noch streitig gewesen sei
und dass der Letztere seine Theilstimme damals nicht, wie einst bei
König Richard’s Wahl, auf Ludwig übertragen, dass im Gegentheil
seine Procuratoren zugleich mit dem Procurator des Königs von Böhmen
am Wahltage selbst eine Protestation gegen die Wald Rudolfs ein
gelegt haben, die demnach nur durch fünf vollgiltige Stimmen und
die Theilstimme des Pfalzgrafen Ludwig vollzogen worden sei s ).
Dagegen hat Ko pp der sich in neuester Zeit neben Böhmer und
Chmel das grösste Verdienst um die Geschichte Rudolfs erworben
hat, aus dem einfachen Wortlaut der Urkunde, zusammengehalten
mit dem was sich sonst aus glaubwürdigen Quellen für das Kurrecht
der Rheinpfalz ergibt, die Überzeugung geschöpft, Rudolf sei von
sieben Stimmen gewählt worden 4 ). Allein auch diese Ausführung
der auch wir uns aus bester Überzeugung anschliessen zu müssen
geglaubt haben 5 ), ist neuerdings wieder von Ottokar Lorenz der
die rechtliche Existenz der böhmischen Kur zur Zeit der WahlRudolf’s
nachzuweisen sucht, als eine durchaus irrige bezeichnet worden 6 ).
*) Lambacher, Österreichisches Interregnum, S. 122, 140 und 281.
2 ) Rauch, Österreichische Gesch., Bd, III, 419 IF. und 491—508; Lichnowsky,
Gesch. des Hauses Habsburg, Bd. I, 98 IF.
3 ) Palacky, Gesch. von Böhmen. Bd. II, 1, 231 und 232.
4 ) Ko pp, Gesch. der eidgenössischen Bunde, I, 9, Anm. 9 und S. 20, Anm. 1.
5 ) In der Dissertatio de electione Rudolfi I. Regis. Berolini 1855.
6 ) In der Abhandlung: „Die siebente Kurstimme bei Rudolfs I. Königswahl“,
Sitzungsb. der philos.-hist. Classe der kais. Akad. der Wiss. Bd. VII» S. 175 squ.
8
Hermann Baerwal d.
Es ist also der Mühe wertli, endlich genau zu untersuchen:
einmal, wie es sich mit der Echtheit der Urkunde verhalte, und dann,
wenn dieselbe für echt befunden wird, zuzusehen, ob eine und welche
der vielen Deutungen die sie hat erfahren müssen , die richtige ist.
Für die Untersuchung der Echtheit der Urkunde fehlt uns freilich ein
Hauptheweismittel: das Original der Urkunde liegt uns nicht vor.
Wir hoffen indess, so sehr wir dies auch aus vielen Gründen bedau
ern, auch so auf sicherem Wege zu einem bestimmten Resultate zu
gelangen.
II. Über die Echtheit der Urkunde.
1. Beweis der Echtheit.
Unsere Urkunde welche Büchner als in dem königlich baieri-
sclien Staatsarchive vorhanden anführt 1 ), die sich aber jetzt dort
nicht vorlindet s ), ist zuerst von Christophorus Gewoldus im An
fang des Jahres 1612 aus dem Original, wie er sagt, „bona fiele
ad verbum“ veröffentlicht 3 ) und darnach vielfältig abgedruckt
1 ) Gesch. v. Baiern Bd. V, S. 174 c) „Rudolfus Rom. rex recognoscit, quod per
Ludovicum Comitem palat. Rh. Duc. ßav. vi compromissi omnium principum jus
electionis habentium suo et fratris sui Heinrici Ducis Bav. nomine , Romanorum
rex electus fuerit, vocibus eorundem fratrum rat io ne ducatus pro una computatis.
Act. et dat. Augustae a. 1275.“ Staatsarchiv. — In den „Auszügen aus den Acten
des Münchener Archives“, welche Fried. Christ. Jon. Fischer Kleine Schriften
aus der Geschichte, dem Staats- und Lehenrechte, Bd. I, Halle 1781 , S. 88—94
mittheilt, ist unsere Urkunde als in dem dortigen Archive im Original „im Regi
ster R. 1057, 183 vorhanden, angeführt. — Lang, Regesta Boica Monaci 1825,
Bd. III, S. 460 führt die Urkunde gleichfalls an, aber freilich ist er sehr ungenau
und unrichtig , wenn er sagt: K. Rudolf habe den Streit zwischen Böhmen und
Baiern so entschieden „ut vox utraque Palatino-Bavarica pro una inter septem
computetur“.
2 ) Herr Professor Hofmann in München hatte die Güte, meinem Freunde, dem
Bibliothekar am germanischen Museum in Nürnberg, Dr. Karl Bartsch, der sich
in meinem Aufträge an ihn wegen der Urkunde gewendet hatte , im Januar d. J.
die Auskunft zu ertheilen , dass, nach seinen sehr genau angestellten Nachfor
schungen, die Urkunde in dem Münchener Reichs-Archive nicht vorhanden ist.—
Befindet sie sich vielleicht in dem königlich baierischen Hausarchiv?
3 ) Gewoldus Antithesis ad Marquardi. Fr eher i assertionem de Palatino - Electoratu.
Monachii 1612.
Über die Echtheit und Bedeutung- der Urkunde K. Rudolfs I.
9
worden)). Aber schon zwei Jahre vorher finden wir sie erwähnt.
Der gelehrte Jesuit Gretser erzählt in seiner 1G09 abgefassten
Schrift: „Commentariolus de Imperatoren), Regum ac principum in
sedem apostolicam munificentia“, urn zu beweisen, dass das Collegium
der sieben Kurfürsten schon vor den Zeiten Gregor’s X. existirt habe :
Vidi etiam apograplium cujusdam diplomatis Rudolfi hoc nomine
primi, quod datum cst Augustae a. d. 1275 regni Rudolfi II", in
quo asseritur im eligendi Romanorum regem competerc ducibus
ßavariae ex antiqtio“~f. Dieses ist die früheste uns bekannte
Erwähnung unserer Urkunde.
Die erste Frage nun die bei unserer Untersuchung zu ent
scheiden ist, ob nämlich die Urkunde in das Itinerar König
*) Folgendes ist die chronologische Reihenfolge der mir bekannt gewordenen Werke,
in denen die Urkunde vollständig abgedruckt ist:
1616. Gewoldus de septemviratu. Ingolstadii 1616.
1620. Mund Metropolis Salisburgensis ed. Gewoldus, Tom. I, öl (den früheren
Schriften des Gewoldus entnommen).
1627. G o 1 d a s t de Bohemiae regni incorporatarumque provinciarum juribus. Frankf.
1627. Appendix S. 29. (Ohne Angabe, woher?)
1634. Nicolaus Burgundus Apologia de Electoratu Bavarico p. 20 (dass die
Urkunde hier abgedruckt ist, weiss ich nur aus der Anführung bei Rousset
Supplement I, 130 ; mir war diese Schrift nicht zugänglich).
1639. Ableinung des Pfalzgrafen Karl Ludwig’s Manifesti. Getruckt im Jahr 1639.
S. 134—138; lateinisch mit deutscher Übersetzung (aus Gewoldus).
1700. Toi ne r, historia Palatina Cod. Palatinus, S. 75 (aus Gewoldus).
1712. Lünig, Reichsarchiv. Part, special. Contin. II, Abth. IV, Absatz I, S. 4.
Leipzig 1712. (Ohne Angabe, woher ?)
1713. Goldast, Collectio Constit. Imperialium Tom. I, 311 und 312. (Ohne An
gabe, woher?)
1721. De origine et progressu archipincernatus Bohemici. Lipsiae 1721, p. 106
(mir nur aus dem Citat bei Falkenstein bekannt).
1739. Rousset, Supplement au corps universel diplomatique. Amsterdam 1739,
Tom. I, 130 (aus Goldast Constitutiones).
1758. 0 etter Gesch. des Burggrafen von Nürnberg, Bd. III. 117 (aus Tolner,
unvollständig).
1766. Oienschlager, Erläuterungen zur goldenen Bulle, Urkundenbuch, S. 38 ff.
(aus G o I d a st).
1769. Petr. Lambecius Comment. de Bibi. Caes. Vindobon. ex lib II, cap. 8,
S. 681—682 der zweiten, von Ad. Fr. Kollar besorgten, Ausgabe (aus
Gewoldus).
1773. Lambacher, Österreichisches Interregnum, S. 76 (aus Gewoldus).
1776. Joh. Heinr. v. Falkenstein. Vollständige Geschichte des Herzogthums
und ehemaligen Königreichs Bayern, Bd. III, 190 (aus der Dissertatio de
orig, archipincernatus ßohem.).
2 ) Jacobi G r etseri opp. omnia ed. Ratisb. 173H. Tom. VI, p. 640, cap. VIII.
10
Hermann Baerwald.
Rudolfs passe, muss zu Gunsten der Urkunde beantwortet werden;
schon ein Blick auf die Regesten Rudolfs zeigt, dass des Königs
Aufenthalt in Augsburg vom 14. Mai bis zum 20. Juni 1275 urkund
lich feststeht. Der Hoftag zu Augsburg, auf welchem die Urkunde
ausgestellt ist, ist überdies derjenige zu welchem Otakar, nach
dem er vergeblich nach Nürnberg und Wirzhurg vorgeladen war,
endlich zum dritten Male zu erscheinen aufgefordert worden war 1 ).
Was ferner die Sprache der Urkunde betrifft, so bietet
sie nichts Auffallendes. So merkwürdig es für uns auch ist,
hier den Ausdrücken „principes electores“ und „septem principes
electores“ zu begegnen, so können diese doch das Aetenstück
keineswegs verdächtig machen. Denn, wenn es auch allerdings her
vorgehoben zu werden verdient, dass jene Ausdrücke hier zuerst in
einer in Deutschland erlassenen Urkunde Vorkommen , so waren
doch weder die Wörter noch die dadurch ausgedrückten Begriffe
im Jahre 1275 neu. Schon Papst Urban IV. in seinem berühmten,
am 31. August 1263 an König Richard gerichteten Briefe spricht
ohne Weiteres von principes electores und in eben demselben Schrei
ben finden wir auch überhaupt zuerst von den zur Wahl des
römischen Königs berechtigten Fürsten gesagt, sie seien sieben an
Zahl („qui sunt septem numero“) ä ). Dieses päpstliche Schreiben ist
der Kanzlei König Rudolf s sicherlich nicht unbekannt gewesen. Aber
man braucht nicht einmal anzunehmen , die erwähnten Ausdrücke
seien jenem päpstlichen Briefe direct entlehnt. Denn schon das Zeug-
niss des Thomas von Aquino beweist, dass in der Zeit welche zwi
schen den WahlenRichard’s von Cornwallis undRudolf’s von Habsburg
liegt, die Vorstellung, dass sieben Fürsten ausschliesslich zur Königs
wahl berechtigt seien, in Deutschland geläufig wurde 3 ). Nur die
A ) Ann. Scti. Radberti Salisb. M. G. SS. IX. 801. ad a. 1275. Johannes Victoriensis
ap. ßoehmer Fontes I, 304.
2 ) Raynald Annales ecclesiastici Tom. XIV. ad a. 1263. Qui coelum-expedire. — Auf
den unmittelbar nach seiner Wahl von Rudolf an Gregor X. geschriebenen Brief
(bei Gerbert Cod. epistol. Rudolfi I., pag. 383), in welchem ebenfalls die Bezeich
nung principes electores vorkömmt, haben wir uns absichtlich nicht berufen , weil
gegen die Echtheit desselben Bedenken erhoben worden sind.
3 ) Thomas von Aquino (f 1274), in seiner Schrift: de regimine principis sagt:
ut historiae tradunt per Gregorium X. . . . provisa est electio, ut nimirum per sep
tem principes Alamanniae fiat , quae usque ad ista tempora perseverat, quod est
spatium 270 annorum vel circa. Vgl. Homeyer. Über die Stellung des Sachsenspiegels
zum Schwabenspiegel. Berlin 1853, S. 36 IT. „
Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde K. Rudolfs I.
11
Bezeichnung „principes coelectores“ haben wir vorher sonst nirgends
gefunden. Indess wird Niemand gerade desshalb gegen unsere
Urkunde misstrauisch sein dürfen, denn, wenn einmal der Ausdruck
principes clectores geläufig war, so lag es nahe die gleich
berechtigte Stellung der Mitglieder des geschlossenen Wähler-Colle
giums mit dem Worte coelector zu bezeichnen , ebenso wie man
fortan auch von „Conprincipibus jus in Romanum regem haben-
tibus eligendo“ sprach.
Der Inhalt der Urkunde wird durchweg von durchaus glaub
würdigen Quellen bestätigt. Schon in dem am 29. Mai 1276 zu
Regensburg besiegelten Sühnebrief der Brüder Ludwig und Heinrich,
Pfalzgrafen des Rheins Herzoge von Baiern, ist die Rede von „der
brieflichen Urkund uns H. Heinrichen gegeben zuAugspurg von Herrn
Rudolf Ro. Kaiser und den Fürsten, so dazemal entgegen gewest
sind, von wegen der Chur der ha Iben zwischen unser
H. Heinrichen und Herrn König von Böheim sichstrit
gehalten hat“ 1 ). Ohne Zweifel ist hier auf unsere Urkunde hin
gewiesen und schon dieser Hinweis allein könnte die Echtheit der
selben verbürgen. Allein, da uns jener Sühnebrief nur in einer
Übersetzung aus dem 16. Jahrhundert vorliegt, und der oben ange
führte Artikel desselben im Folgenden uns unverständlich ist, so
müssen wir uns noch nach anderen Zeugnissen für die Echtheit unse
rer Urkunde umseben.
Im Wesentlichen sind es drei Puncte welche den Hauptinhalt
ausmachen. König Rudolf beurkundet:
1. Dass auf dem von ihm präsidirten Hoftage zu Augsburg zwi
schen den Boten des Königs Otakar von Böhmen (Bischof Wernhard
von Seckau u. A.) und den Bevollmächtigten Herzog Heinrich's von
Baiern über den Besitz des Rechts einen römischen König zu wählen
Streit ausgebrochen sei;
2. dass bei diesem Streite die Bevollmächtigten des genannten
Herzogs Heinrich und der Pfalzgraf des Rheines, Ludwig, behauptet
haben , es gebühre ihnen jenes Recht von Alters her auf Grund
des Herzogthums Baiern; und endlich bekundet der König
M Fischer, Erbfolgegeschichte des Herzogthums Baiern unter dem Wittelshachischen
Stamme. S. 264, ürk. Nr. VII.
12
Hermann Baerwald.
3. die Thatsaclien welche der Pfalzgraf Ludwig zur Begründung
seiner Behauptung anführt.
Die gleichzeitigen Salzburger Annalen erwähnen nun den Augs
burger Hoftag, zu dem der König von Böhmen und der Herzog von
Baiern vorgeladen worden seien, und zu welchem bedeutende Män
ner sich eingefunden hätten, von den Wählern aber (de electori-
bus vero) nur Herzog Ludwig. Dann fahren sie fort: Ibi misst sunt
pro parte regis Bohemie venerabilis vir dominus Wernhardus
Seccowensis episcopus, ex parte Henrici, illustris ducis Bavarie,
H. prepositus Ottingensis cum lionesto comitatu. Et propo-
sitis qucstionibus de iure electionis imperii, nuncii principum
predictorum, si non discordes, tarnen non pariter curiani exie-
runt, positis prius sujficienter allegationibus super juribus imperii
quoad electionem ex utraque parte ] ).
Es ist leicht ersichtlich, dass diese gleichzeitige Quelle den
Hauptinhalt unserer Urkunde sogar noch ergänzt 2 ). Doch dar
auf kommt es uns hier nicht an. Wir constatiren nur, dass auch hier:
1. Mit namentlicher Erwähnung der beiderseitigen Bevollmäch
tigten der in der Urkunde angeführte Streit zwischen ihnen über
liefert wird;
2. dass die Bevollmächtigten Heinrich’s und der Pfalzgraf
Ludwig die Behauptung aufgestellt: es gebühre ihnen das Wahlrecht
von Alters her, ist allerdings in den Salzburger Annalen nicht mit-
getheilt. Dagegen wird in denselben des Pfalzgrafen Ludwig
Anwesenheit auf dem Hoftage ausdrücklich hervorgehoben und fer
ner ausdrücklich gesagt, der ofterwähnte Streit auf dem Hoftage
habe eine Spannung zwischen den Bevollmächtigten des Königs Otakar
von Böhmen und des Herzogs Heinrich von Baierri zur Folge gehabt,
eine Mittheilung die unbedingt auf eine Geltendmachung und
Anerkennung des baierischen Wahlrechts, wie sie unsere Urkunde
enthält und involvirt, schliessen lässt. Endlich wird
3. ausdrücklich bemerkt, dass von beiden Seiten Rechtsaus
führungen (allegationes) niedergelegt wurden. Die Rechtsausführung
*) M. G. SS. IX, 801 ad a. 127S.
2 ) Wir erfahren aus ihr z. B., dass der Bevollmächtigte Herzog Heinrich's auf dein
Hoftage, Heinrich, Propst von Oettingen, gewesen ist, der als solcher in der
Urkunde nicht genannt ist, der aber von Johannes Yictoriensis (Boehmer, Fon
tes I, 304) erwähnt wird. Vgl. auch Boehmer, Fontes II, Vorrede p. LIX.
13
Über die Echtheit und Bedeutung 1 der Urkunde K. Rudolfs I.
Baierns bewahrt unsere Urkunde. Diese haben wir jetzt ins
Auge zu fassen.
Zwei Thatsachen führt in unserer Urkunde Pfalzgraf Ludwig
an, um seine Behauptung, seinem Bruder Heinrich und ihm
gebühre ein Wahlrecht auf Grund des Herzogthums Baiern , zu
begründen:
1. Bei der Wahl König Richard's sei sein Bruder Heinrich mit
ihm und den übrigen Mitwahlfürsten zugleich anwesend gewesen
und jeder von ihnen Beiden habe seine Stimme dem Richard zuge
wendet.
2. Zu König Rudolfs Wahl habe Herzog Heinrich den Propst
Heinrich von Oettingen und den Kirchherrn Friedrich von Landshut
als bevollmächtigte Boten abgesandt. Diese haben ihres Herrn Abwe
senheit gesetzmässig entschuldigt und trotz dem, ohnehin von kei
ner Seite zugelassenen, Widerspruch der Boten des Königs von
Böhmen, ihrem Aufträge gemäss, auf den Pfalzgrafen Ludwig com-
promittirt, der dann in seinem und seines Bruders Heinrich und
aller übrigen wahlberechtigten Fürsten Namen Rudolf feierlich
erwählte.
Ad 1. Die Theilnahme Heinrich's an König Richard’s Wahl wird
uns von dem berühmten Abt Hermann von Nieder-Altaich, der bereits
am 31. Juli 1275 starb, bestätigt 1 ).
Ad 2. Dass Herzog Heinrich zu König Rudolfs Wahl eine feier
liche Gesandtschaft abgeordnet und seine Genehmigung gegeben habe,
erzähltuns Hermann’s Nachfolger und Fortsetzer, der Abt Eberhard von
Nieder-Altaich 3 ). Von dem Widerspruch, denseine Boten bei der Wahl
Rudolfs erhoben haben, spricht Otakar selbst in seinem, unmittelbar
nach der Wahl an Papst Gregor X. gerichteten Beschwerdebriefe.
Darin beklagt er sich über die Wahlfürsten, „qui contradicentibus et
reclamantibus nostris procuratoribus, concorditer convenerunt in
quendam comitem minus idoneum in gravamen imperii nostrumque
*) Herrn. Altah. Boehmer, Fontes II, 572 ad 1257 . . . Mogontinus et Coloniensis
archiepiscopi et Ludovicus comes Palatinus Rheni ac frater suus, dominus H. dux
ßavarie, in Rychardum, fratrem regis Angliae, convenerunt.
2 ) Eberh.Altah. ßoeh mer, Fontes II, 526 ad a. 1273 principes imperii ad eiigendum alium
regem in Franchenfurt convenerunt. Et dum omnes, qui vocandi erant, Interessent
praeter Heinricum, ducem ßavarie, qui et solempnes miserat nuncios, et per rati-
habitionem suam electioni eidem prebuit consensum, electus est Rudolfus etc.
14
Hermann Baerwald.
praejudicium“ *) — Kaum ist es nun noch nöthig anzuführen, dass
selbst die in der Urkunde erwähnte Übertragung sämmtlicher
Stimmen auf den Pfalzgrafen Ludwig von dem späteren Johannes
Victoriensis bestätigt wird 2 ). Denn dass alle übrigen in der
Urkunde angeführten, der Zeit nach weit auseinan
der liegenden Ereignisse in verschiedenen, jedesmal
gleichzeitigen, und durchaus glaubwürdigen Quellen
überliefert werden, verbürgt wohl hinreichend die Echtheit der
Urkunde, so weit sie überhaupt aus dem Inhalt bewiesen werden
kann.
Dem gegenüber verliert einUmstand der bei Merkel vorzugsweise
Misstrauen gegen unsere Urkunde erregt hat, jedes Gewicht. Merkel
nämlich meint, dass dem Heinrich von Baiern, dem Gegner Rudolfs,
ein Vorrecht, wie es die Urkunde für ihn enthalte, unmöglich an
demselben Tage an welchem er in die Acht erklärt wurde, habe
zuerkannt werden können 3 ). Allein, dass Heinrich mit Otakar zugleich
auf dem Reichstage zu Augsburg geächtet wurde, berichtet nur der
viel spätere Geschichtschreiber Johannes von Victring 4 ), und wenn
wirklich die Anerkennung der baierisehen Kurstimme mit der Ächtung
Heinrich’s unmöglich als an einem Tage vollzogen angesehen werden
kann, so müssen wir der, durch so vielfache gleichzeitige Nach
richten beglaubigten Urkunde gegenüber unbedenklich den Bericht
des spätem Victringer Geschichtschreibers für unrichtig halten. In
der Tliat liegen auch Gründe vor zur Annahme, dass Rudolf erst im
Juli des folgenden Jahres 1276 Otakar in die Acht erklärte 5 ); den
Herzog Heinrich aber ächtete Rudolf auf jenem Hoftage sicherlich
nicht. Vielmehr ging des Königs Bestreben erwiesenermassen dabin,
*) Do 11 in er, Codex epistolaris Ottocari II. p. 16—19.
2 ) Johannes Victor. Bo eh me r, Fontes I, 301 . . . principes, unanimes elFecti, con-
sensum omnes in Rudolfum sine obsistentia aliqua transfuderunt. Pronunciationis
verbum super hoc in ore statuunt Palatini etc.
3 ) Merkel, de rep. Alamannor. pag. 102. Heinrico quidem, Rudolfi adversario tale
beneficium eodem die, quo proscriptus est, tribui nequivit.
4 ) Joh. Vict. 1. c. p. 305. In seinem Bericht über den Augsburger Reichstag': Otto-
karus enim et Heinrious dux in suis juribus, officiis et feodis ab imperio depen-
dentibus, communi omnium sententia sunt dampnati. Johannes starb zwischen 1343
und 1348 und schrieb jedenfalls erst in seinen späteren Lebensjahren. Vgl. Boeh-
mer, 1. c. Vorrede XXVI.
5 ) Vgl. Kopp. Eidgen. Bände I, 152. Boehnier, Reg. Rud. p. 70.
Über die Echtheit und Bedeutung 1 der Urkunde K. Rudolfs 1.
15
Heinrich von dem Bündnisse mit Otakar abzuwenden und für sich zu
gewinnen *). In diese anderweitig bekundete Politik des Königs passt
der Inhalt unserer Urkunde sehr wohl. Durch die Vergünstigung die
er hier dem Herzog Heinrich zuerkannte, gelang es dem Könige in
Wirklichkeit, wie die Salzburger Annalen hier vortrefflich ergänzend
berichten, das Einvernehmen Heinrich's mit Otakar einigermassen zu
stören 3 ). Ausserdem aber gewann seine eigene Wahl die ja fort
während und ganz besonders auf dem Augsburger Hoftage von
Otakar als ungiltig angegriffen wurde 3 ), durch die in der Urkunde
enthaltene Kundmachung eine grössere, ja eine unbedingte Gil
tigkeit.
Es bekräftigt somit der Inhalt der Urkunde sowohl im Ganzen
wie im Einzelnen die Glaubwürdigkeit derselben, und diese erhebt
sich endlich vollends zur Evidenz durch die Betrachtung der Zeugen
welche wir unter ihr verzeichnet finden.
Eine nähere Untersuchung führt uns nämlich zu dem interes
santen, für uns so wichtigen Ergebniss, dass von den sechs und zwan
zig der Urkunde beigeschriebenen Zeugen vierzehn zum Gefolge
König Rudolfs gehören, während die übrigen zwölf, meist baierische
und schwäbische Herren, gewöhnlich in der Umgebung des Pfalzgra
fen Ludwig und seines Bruders Heinrich, und zwar in der Regel,
wenn Ludwig in Augsburg weilt, zu linden sind. Es ist nicht nöthig
die Zeugen aus sämmtlichen zahlreichen, vor und nach dem Jahre
127S erlassenen Urkunden nachzuweisen; die Richtigkeit des Gesag
ten erhellt zur Genüge aus dem folgenden Nachweis.
a) Als Zeugen in Urkunden König Rudolfs finden wir
auch sonst: die Bischöfe Hartmann von Augsburg, Hiltebrand
*) Die vielfachen, andauernden Bestrebungen des Königs und seiner Freunde den
Herzog Heinrich mit seinem Bruder Ludwig, dem eifrigsten Anhänger Rudolfs,
auszusöhnen, beweisen das aufs Bestimmteste. Man erwartete mit Recht, dass die
Ausgleichung der zwischen den Brüdern waltenden Streitigkeiten, welche der Ver
bindung Heinriclfs mit Otakar Vorschub leisteten, eine Annäherung Heinrich’s an
Rudolf nach sich ziehen würde, wie das nachher wirklich geschah. Vgl. Ray na Id
ad a. 1275, §. 43. Ann. Scti. Rudb. Salisb. M. G. SS. IX, 801 ad a. 1275 et 1276.
Cont. Vindob. ib. 707 ad a 1276. Büchner, Gesell, von Baiern 1. 177 tf. und ganz
besonders Ko pp a. a. 0. S. 108, Anm. 2 und 3 und S. 149 u. 150.
2 ) S. oben S. 12.
*) J°h- Vict. 1. c. 304 (der hier wie überall um diese Zeit, der Reimchronik folgt)
Surgens Vernhardus in medio procerum, electiönem Rudolfi multis verborum phaleris
nisus est quantum poterat viciare.
16
Hermann B a er w a I d.
Eiclistaedt, Heinrich von Trient, den Abt Rudolf von Kempten, des
Königs Kanzler, den Pfalzgrafen des Rheins, Herzog von Baiern
Ludwig, den Herzog Philipp von Kärnten, den Grafen Meinhard von
Tirol, den Burggrafen Friedrich von Nürnberg; die Grafen : Theo
bald von Pfirt, Heinrich von Fürstenberg, Ludwig von Oettingen 1 ),
ferner die Grafen: Albrecht von Hohenberg und Burghard von Hohen
berg, so wie endlich den Grafen Ludwig von Homberg 3 ).
b) In der Nähe des Rheinpfalzgrafen Ludwig ganz
besonders, und seines Bruders Heinrich finden wir gewöhn
lich : Die Äbte von S. Gallen und von Reichenau, den Markgrafen Hein
rich von Burgau, den Grafen Ulrich von Helfenstein, die Herren Heinrich
von Neifen, Berchtold von Neifen, Albrecht von Bruckberg, Hermann
von Hagenberg, Volkmar von Kemnaten und Marquard seinen Sohn, Win-
hard von Rorbach und Heinrich von Preisingen 3 ). — Wir bemerken,
*) Diese eilf Zeugen finden wir, mit Ausnahme des Abtes Rudolf, des königlichen
Kanzlers, neben anderen in der am 17. Juni 1275 zu Augsburg dem Kloster Ebers
berg gegebenen königlichen Urkunde bei Hund, Metrop. Salisb. II, 275. Boehmer
Reg. Rud. Nr. 180. Des königlichen Kanzlers Anwesenheit zu Augsburg wird bezeugt
durch den ihm daselbst am 14. Mai 1275 verliehenen Bestätigungsbrief, Reg.
Rud. Nr. 172.
2 ) Diese beiden Grafen von Hohenberg, Schwäger K. Rudolf’s , erscheinen oft in
dessen Umgebung, zugleich finden wir sie mit dem Grafen Ludwig von Homberg,
dem Pfalzgrafen Ludwig, dem Burggrafen Friedrich von Nürnberg, den Grafen Theobald
von Pfirt u. A., während Rudolfs Zusammenkunft mit Gregor X. zu Lausanne, im
October 1275. Mon. Germ. IV, 404. Reg. Rud. Nr. 207. Vergleiche übrigens von
Lassberg: „Die Herren und Grafen von Haigerloch“ in dem Wirtemberg. Jahrb. Jahrg.
1836, S. 14 (T. — Übrigens finden wir einige der bisher genannten 14 Zeugen,
namentlich in Conradinischen Urkunden, auch mit dem Pfalzgrafen Ludwig zusam
men ; am häufigsten den Bischof Hartmann von Augsburg (vgl. nament
lich Mon. ßoica 30 a , 337, 31 a , 590 , 33 a , 84—143); sehr oft den Burggrafen
Friedrich von Nürnberg — und am 24. October 1266 zu Augsburg mit ihm
zugleich den Markgrafen Heinrich von Burgau und den Grafen M e inh a r d
von Tirol, des Pfalzgrafen Schwager (Mon. Boica 30 a , 350) zu Chadolsburg
am 28. Mai 1267 den Grafen Ludwig von Oettingen und zu Constanz am
16. August 1262 den Grafen Albert von Hohenberg (M. ß. 30 a , 361
und 590).
3 ) Neben vielen anderen Urkunden Konradin’s sind namentlich diejenigen , welche zu
Augsburg am 3. und 24. October 1266 (Mon. ßoica 33 a , 344 und 350) und zu
Innsbruck am 6. November desselben Jahres (Jaeger, Gesch. Konrad’s II., p. 109)
ausgestellt sind, in denen mit dem Vormunde Konradin’s, dem Pfalzgrafen Ludwig,
die genannten Zeugen Vorkommen. Die späteren Urkunden der Brüder Ludwig und
Heinrich seit dem Jahre 1272, in denen dieselben Herren off; genannt werden, siehe
bei Fischer Erbfolgegesch. des Herzogthums Baiern unter dem Wittelsbachischen
Stamme. Urkundenbuch S. 23 ff.
Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde K. Rudolfs 1.
17
dass die erwähnten Zeugen in dieser Zusammensetzung in
keiner uns bekannten Urkunde Vorkommen.
Dagegen entspricht diese eigenthümliehe Zusam
mensetzung der Zeugen, in der wir deutlich das Gefolge
des Ausstellers und das der Empfänger der Urkunde
unterscheiden, durchaus der Eigenthümlichkeit des
Moments, in dem die Urkunde verfasst ist, und des
Gegenstandes, von dem sie handelt. In den von Rudolf
während seines Aufenthaltes in Augsburg ausgestellten Urkunden
erscheinen neben anderen vornehmlich diejenigen Namen die wir als
zum Gefolge des Königs gehörend bezeichnet und nachgewiesen
haben; die anderen fehlen. Nur unter unserer, den herzoglich
baierischen Brüdern, ihrem Landesfürsten, ertheilten Urkunde erschei
nen auch jene baierischen und schwäbischen Herren als Zeugen, um
für alle Zeit jeden Zweifel an der Echtheit der Urkunde über die
baierische Kur zu beseitigen.
2. Wie es kam, dass man die Echtheit der Urkunde in Zweifel
gezogen hat.
Wie ist man überhaupt zuerst darauf gekommen unsere Urkunde
für unecht zu halten? Es mussten doch ganz besondere Gründe vor
liegen, ein Actenstück das keineswegs den Stempel der Unechtheit
an der Stirne trägt, dessen Echtheit im Gegentheil so leicht fest
zustellen war, gleich bei seinem ersten Erscheinen anzuzweifeln? An
den Ausdrücken principes electores, coelectores und an der Erwäh
nung von sieben ausschliesslichen Wahlfürsten die darin Vorkom
men, konnte man doch im XVII. Jahrhundert, wo es geläufig war den
Ursprung der sieben Kurfürsten von Kaiser Otto III. und Papst
Gregor V. herzudatiren, keineswegs Anstoss nehmen.
Es waren die Umstände unter denen unsere Urkunde zuerst
bekannt gemacht wurde, welche Bedenken gegen dieselbe erregten.
Diese Umstände kurz zu bezeichnen dürfen wir uns um so weniger
ersparen, als wir in ihnen zugleich die Quelle finden für die irrtlnim-
liche Auffassung welche die Urkunde erfahren hat.
Erinnern wir uns, dass es Zweige ein und desselben Wittels-
bachischen Stammes waren, welche im Beginn des XVII. Jahrhunderts
die rheinische Pfalz und Baiern getrennt regierten. In der rheinischen
Pfalz herrschte der ältere Zweig, er übte das Kurrecht, ihm gebührte
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXI. ßd. I. Hft. o
18
Hermann Baerwald.
so oft der römisch-deutsche Kaiser starb , die Reiclisverweserschaft
in den Gegenden am Rhein und in Schwaben und im Lande fränkischen
Rechts, kraft der goldenen BulleKaiser Karl’s IV.; der jüngereZweig
besass Baiern und war von der Kurwürde gänzlich ausgeschlossen.
Nicht immer war das so gewesen. Freilich die Zeit in der einst
Otto der Erlauchte, welcher Baiern und die Pfalzgrafschaft am Rhein
vereinigt regierte, von seinen zwei Stimmen bei der römischen
Königswahl reden konnte 1 ), war längst vorüber; von ihr wusste man
im Anfänge des XVII. Jahrhunderts eben so wenig wie davon , dass
auch noch im Jahre 1275 das baierische Kurrecht ganz unabhängig
von dem pfälzischen feierliche Anerkennung erhielt. Denn seit
dem König Rudolf Böhmens Wahlrecht anerkannte 2 ) und wieder
holt verbriefte 3 ), war in dem geschlossenen Kreise der sieben Kur
fürsten den Wittelsbachern nur Eine Stimme gehlieben. Diese
Stimme aber sollte, nach dem Vertrage von Pavia (1329, August 4.)
und nach der ausdrücklichen Bestimmung des zwischen Kaiser Lud
wig dem Baier und den pfälzischen Prinzen zu Frankfurt am 1. Juli
1338 geschlossenen Hausvertrages, für alle Zeit abwechselnd einmal
von der ältern Linie, den Pfalzgrafen des Rheins, und dann von der
jüngeren, den Herzogen von Baiern, geübt werden 4 ), und es war ein
eigenmächtiger Umsturz dieser beiden feierlich geschlossenen Haus
verträge, wenn Kaiser Karl IV., um die rheinpfälzische Linie der
Wittelsbacher für ihre seinem Hause zugewandte Politik und für die
Abtretung eines Theils der Oberpfalz zu belohnen, im J. 1356 erklärte:
„Wahl und Stimme seien auf dem Fürstenthume und den Ländern der
*) In den Excerpten aus Albert von Behaim bei Oefele SS. Her. Boicar., Tom. I, 788,
heisst es: Dominus dux (Bavariae Otto) leniter et pure mihi respondit . . . veilem
utrique voci renunciare, videlicet Palatii et Ducatus.
2 ) Vergleiche König Wenzel’s Willebrief gegeben Prag 16. April 1286, Boehmer
Reg. Rud. Nr. 846 mit der Stelle in K. Rudolfs Eormelbuch im Archiv für
Kunde österr. Geschichtsq., Bd. XIV, 323.
3 ) 1289, März 4. zu Eger und 1290, September 26. zu Erfurt Oienschlager. Erläu
terungen zur G. B. Urkunde 114. Reg. Rud. Nr., 980 und 1076.
4 ) Im Vertrage zu Pavia (bei Aettenkh o ve r Gesch. des Herzogthums Baiern S. 226)
heisst es: „auch suln si (die Rheinpfalzgrafen) den ersten Roemischen Chung we-
len für sich und für iren tail, so suln unser Chint Ludwig und Stephan, oder ir
Erben den andern Römischen Chung welen, und also sol di Wechslund der
Wal d e z R i c h s zwischen in und iren Erben und unsern C h i n d e n
und iren Erben fürbass e wie hl ich bleiben.“ Uber den Vertrag zu Frank
furt siehe Buchner’s Gesch. von Baiern ßd. V, S. 487.
Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde K. Rudolfs I.
19
Rheinpfalz und dem Erztruchsessamte so gegründet, dass Eines ohne
das Andere nicht bestehen könne“, und wenn in diesem Sinne in der
goldenen Bulle der baierischen Wittelsbacher mit keinem Worte
Erwähnung geschah !). — Wohl fühlten die baierischen Wittelsbacher
die Zurücksetzung die sie dadurch erlitten, schmerzlich, aber weder
im XIV. noch im XV. Jahrhundert waren sie stark genug, die durch
die goldene Bulle festgesetzte Ordnung anzutasten 2 ). Da brachte die
Reformation eine für sie günstige Wendung.
Dem Papst und bald auch dem Kaiser musste daran liegen, der
katholischen Partei im kurfürstlichen Collegium ein möglichst gros
ses Übergewicht zu bewahren. Die baierischen Herzoge hielten fest
an dem alten Glauben; nicht so die Pfalzgrafen des Rheins. Und so
finden wir denn, dass in demselben Jahre (1S46) in welchem zu
Heidelberg zuerst der Gottesdienst nach protestantischer Weise
gehalten wurde, Kaiser Karl V. dem Herzoge Wilhelm von Baiern
in einem feierlich geschlossenen Vertrage die Zusicherung gab: Falls
die Pfalzgrafen zur wahren und katholischen Religion und zu dem
dem Kaiser und dem heiligen römischen Reiche schuldigen Gehorsam
zurückzukehren sich weigern sollten, ohne jegliche andere Rechts
erwägung ihn , den Herzog Wilhelm und seine Erben, mit der
kurfürstlichen Würde zu bekleiden 3 ).
1 ) Diploma Caroli IV. imp. de jure successionis Com. Palat. S. R. J. Electorum dat.
Norimbergae 1356, quinta feria post Epiphanias Dom. bei Tolner (Cod. dipl. Pala-
tinus S. 90. „Quia nos cum jure et per sententiam invenimus, quod electio et vox
super principatum et super terras Palatinatus et super Archi-Dapiferiam taliter
fundatae sunt, ut una sine alia persistere non possit. Sed oportet ea simul in
omni impetitione tarn in damno quam in Iucro inseparabiliter permanere. Vgl.
übrigens noch Haus s er, Gesell, der rheinischen Pfalz Bd. I, S. 164 fl', bis 171 u.
Büchner a. a. 0. Bd. VI, 45.
2 ) An Versuchen hierzu Hessen sie es allerdings nicht fehlen. Vgl. Häussera. a. 0.
S. 273 und 597.
3 ) Aretin , Baierns auswärtige Verhältnisse seit dem Anfänge des 16. Jahrhunderts
Bd. I, S. 30 fl'. Der Vertrag ist geschlossen zu Regensburg im Juni 1546. Es heisst
darin.: Et si eomites Palatini ad veram et Catholicam Religionein obedientiamque et
fidelitatem Caes. Majestati sacorque Romano imperio debitam redire recusarent et
sine Bello et Armis reduci non possent vel concilio jam indicto seu indicendo cum
assensu suae Majestatis se submittere et audire nollent, tune statim absqueaiia
juris discussione caes. Majestas ipsum Ducem Giiilielmum Haeredesque suos
de tali Electoratus dignitate iuvestiet. Si vero dicti Palatini sua sponte resipiscere
et ad veram pristinam religionem redire vellent nihilominus caes. Majest in contro-
versia, quae nunc inter ducem Fridericum Palatinum et illustrissimum ducem
2 *
20
Hermann Baerwald.
Wohl (lauerte es noch sehr lange bis diese Zusicherung zum
Voi’theil Baierns sich erfüllte; denn nicht so leicht werden durch
Jahrhunderte gefestete Ordnungen umgestossen. Aber seit jenem
Vertrage wurde die Frage, ob den Pfalzgrafen des Rheins oder den
Herzogen von Baiern die Kur gebühre, lebendig, und die Herzoge von
Baiern benutzten jede Gelegenheit das wichtige Recht für sich zu
gewinnen.
Unter dem Eindruck dieser immer wieder sich erneuenden
Ansprüche Baierns auf die Kurwürde, geschah es, dass der pfälzische
Rath Freher in seiner 1611 für Johann's von Zweibrücken Vormund
schaftsrecht über Friedrich V. gegen Philipp Ludwig von Neuburg
erschienenen Deductionsschrift () mit Nachdruck die Behauptung auf
stellte und zu begründen suchte: „Amt und Würde eines Kurfürsten
seien mit der rheinischen Pfalzgrafschaft ihrer Natur nach so eng
verknüpft, dass nur der Besitzer dieser Pfalzgrafschaft Kurfürst sein
und heissen könne.“-— Herzog Maximilian von Baiern, der entschlossen
war, die schon so lange schwebende Streitfrage über die Kurwürde zu
seinen Gunsten zu Ende zu führen, veranlasste seinen gelehrten Rath
und Archivar Gewoldus auf wissenschaftlichem Gebiete gegen
Freher Baierns Recht zu verfechten, und noch im Jahre 1611 unter
nahm es Gewoldus Freher’s Behauptung umzustossen und in direetem
Gegensätze zu derselben darzuthun: „Das Kurrecht, das Amt des
Reichsverwesers und des Erztruchsessen oder die kurfürstliche Würde
hänge zusammen und sei verknüpft mit dem Herzogthum Baiern, so
dass lediglich den Herzogen von Baiern das Recht den römischen König
oder Kaiser zu wählen und alle übrigen mit der Kur verbundenen Rechte
gebühren und zwar auf Grund des Herzogthums Baiern!“ 3 ). Und wäh-
rendFreher sich vorzüglich auf die Urkunden und besondersauf die
goldene Bulle Kaiser Karl’s IV. berufen hatte, in denen es heisst: den
Pfalzgrafen gebühre die Kurwürde ratione palatinatus 8 ), suchte
Guilielmum super Electoratus dignitate vertitur, auditis partibus et juribus eorundem,
diffinitive pronunciabit, eidemque permissum erit omnia et quecunque ex Dominiis
ab antiquo ad domum ac familiam comitum Palatinorum vel ducum Bavariae juxta
praedictos contractus pertinentia occupare ac sibi retinere.
*) De legitima tutela curaque electorali Palatina. Heidelbergae 1611.
2 ) Antithesis ad clarissimi viri Marq. Freheri assertionem de Palatino Electoratu auc-
tore Christophoro Gewoldo Monachii 1611.
3 ) To ln er, Cod. Palat. S. 89 und 90.
Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde K. Rudolfs I.
21
Gevvoldus seine entgegengesetzte Behauptung vornehmlich dadurch
zu stützen, dass er unsere bis dahin unbekannte, über 80 Jahre ältere
Urkunde ans Licht brachte, in der ausdrücklich steht: den Pfalzgra
fen des Rheins Herzogen von Baiern gebühre das Kurrecht von Alters
her ratione ducatus.
Es begann nun eine lebhafte literarische Fehde. Fr eh er suchte
trotz dieser Urkunde seine Behauptung aufrecht zu erhalten. Bald aber
bezeichnete er das ihm unbequeme Actensttick als apokryph 1 ) und,
obgleich er nicht ernstlich versuchte es als falsch zu beweisen, so
wiederholten doch nachmals fast Alle die in jenem Streite seine
Ansicht verfochten, diese Behauptung und sprachen es aus, dass
die Rechtsausführungen die Gewoldus in Scene gesetzt und dessen
Anhänger fortgespielt hätten, auf lauter lügenhaften Erdichtungen
beruhe a ).
Solche, ohne jegliche Begründung vorgebrachte Anfechtungen
haben nun zwar genügt, die Tradition von der zweifelhaften Echtheit
der Urkunde bis auf unsere Zeit zu erhalten, sie waren indess schon
für ihre Urheber nicht bedeutend genug, um das verdächtigte Acten-
stüek ganz unberücksichtigt zu lassen. Diese versuchten vielmehr auch
ihrerseits die Urkunde in ihrem Sinne zu deuten und haben dadurch,
ebenso wie ihre Gegner, nicht wenig dazu beigetragen das Verständ
nis derselben zu verwirren.
UI. Über die Bedeutung der Urkunde.
Wie verschiedene Erklärungen unsere Urkunde von jeher erfah
ren hat, haben wir bereits in der Einleitung angeführt. Der Ver
such jeden Zweifel, wie die Urkunde aufgefasst werden müsse, zu
*) Freher ad Gewoldi epistol. monitoriam de suscepta sive Recepisse Heidelbergae
1614, S. 16. Quod autem ex apocrypho quodam Rudolfi Regis diplomate a L o-
jolitis du dum ostentato (vergl. oben S. 9) contra Caroli Catholicam bullam
et communem fere orbis sententiam tentatur et praetenditur etc.
3 ) In der mit vieler Leidenschaftlichkeit geschriebenen, 1637 in London erschienenen
Streitschrift: Pomi Paiatini evaporatio hoc est Enodatio responsorum et rescriptorum
in causa Palatina nuper datorum (von Volradus a Frubach) heisst von Burgundus,
einem Parteigänger des Gewoldus: fabulae lusae sunt a Burgundo, artifici commento,
a Gewoldo primum in scenam productae. Ähnliche Äusserungen finden sich in ande
ren pfälzischen Schriften in derselben Sache.
22
II e r m a n n Baerwal d.
beseitigen, eine einzige Erklärung derselben als die ausschliesslich
richtige zu begründen und soden seit mehr als dritthalb Jahrhunderten
noch immer nicht beendigten Streit über dieselbe endlich zum
Abschlüsse zu bringen, kann uns nur dann gelingen, wenn wir die
verschiedenen Auffassungen und die Gründe, mit welchen dieselben
von ihren vorzüglichen Vertretern unterstützt wurden, in ihrem
geschichtlichen Zusammenhänge betrachten. Auf diese Weise wird
sich am besten der Mafsstab für die Beurtheilung jener Auffassungen
ergeben und so dürfen wir hoffen den einzig sichern und richtigen
Standpunct zu gewinnen, von dem aus die Urkunde zu betrach
ten ist.
Wir haben es schon hervorheben müssen, wie die Zeitverhält
nisse welche die Urkunde ans Licht brachten, man kann sagen,
verhängnissvoll für dieselbe wurden. Wie sie dazu beitrugen sie in
Misscredit zu setzen, so verhinderten sie auch von vorn herein, eine
unbefangene, vorurtheilslose Auffassung ihres Inhaltes. Wie nämlich
die politischen Verwickelungen zwischen Baiern und der katholischen
Partei auf der einen und der ßheinpfalz mit der protestantischen
Partei auf der andern Seite seit der Mitte des XVI. Jahrhunderts die
Frage, ob Baiern oder der Rheinpfalz die Kurwürde zukomme, in
den Vordergrund gestellt hatten, so waren auch die Gelehrten die,
freiwillig oder aufgefordert, bald auf beiden Seiten hinzutraten,
um die Frage geschichtlich zu beleuchten und nach dem Rechte
theoretisch zu entscheiden, von vorn herein in der Meinung
befangen, dass das Kurrecht der Rheinpfalz und Baierns von jeher
sich gegenseitig ausgeschlossen haben. Was sieb demnach in alten
Urkunden und Chroniken für das baierische Kurrecht vorfand, das
sprach gegen das Recht der Pfalz und ebenso umgekehrt. Wenn
es also in unserer Urkunde heisst, „das Recht einen König zu wählen
gebühre den beiden Brüdern Heinrich und Ludwig, Pfalzgrafen bei
Rhein, Herzogen von Baiern, von Alters her auf Grund des Herzog
thums,“ so war Gewoldus überzeugt, es liege in diesen Worten eine
Entscheidung für Baiern gegen die Pfalz und das in den späteren
Urkunden Kaiser Karl’s IV., namentlich in dessen goldener Bulle, der
Rheinpfalz zuerkannte Kurrecht beruhe auf einer Usurpation *).
l ) Gewoldus Antithesis ad Freherum p. 9 squ. und Commentarius de S. R. J. Septem-
viratu Ingolstadii 161G, p. 160 ff. u. 174 ff. 178 : Immo verba ista „ratione ducatus
Über die Echtheit und Bedeutung 1 der Urkunde K. Rudolfs I.
23
Fr eh er der das Recht der Rheinpfalz vertheidigte, hätte hingegen
geltend machen können, dass in der Urkunde von einem Streite zwi
schen Raiern und der Rheinpfalz gar nicht die Rede sei, dass es viel
mehr ausdrücklich darin heisse: „zwischen Böhmen und Baiern sei
ein Streit über den Besitz des Kurrechts ausgebrochen“ und zu
Gunsten des Letzteren entschieden worden, dass man also mit der
Entscheidung für Baiern doch nur das böhmische Kurrecht verneint
haben konnte. Allein Böhmens altes Kurrecht durfte Fr eher unter
keinen Umständen anzweifeln; die goldene Bulle führte den König
von Böhmen als den ersten der weltlichen Kurfürsten auf, und dieses
Fundamentalgesetz durfte Fr eh er durchaus nicht antasten, weil auf
dieses ja vornehmlich seine Deduction für dieRheinpfalz sieh stützte.
Auch Freher also hatte nur die Alternative entweder für Baiern oder
für die Pfalz sich zu entscheiden, und ihm der das Recht der Rhein
pfalz vertheidigte, blieb nichts übrig, als unsere Urkunde so zu
deuten, dass aus ihr kein Recht Baierns hervorging 1 ). Das war nicht
Bavariae ab antiquo“ ideo addita fuerunt in diplomate Caesaris, ut omnibus testatum
fieret, Bavariae duces Ludovicum et Henricum Electores esse eisquejus eligendi
competere tarn quam Bavariae ducibus et respectu Ducatus ab
antiquo; nallatenus vero ratione Palatinatus Rheni, recens acqui-
siti et per matrimonium ad patrem illorum devoluti; und p. 189 : Ex quibus praemissis
omnibus, eum probatae fidei scriptoribus tum publicis documentis, quorum autho-
grapha in Archeivis extant hactenus adductis, qui Übet facile animadvertere potest,
quae sit vera et propria origo hodierni Palataino-Eleetoratus ; quem demum tem
pore Caroli IV. Imp. et promulgatae ab eodem Aureae Bullae Rudolli Palatini
Rheni Bavariaeque ducis, Caesaris Ludovici fratris soboles, favente , adnuente,
aspirante eisdem Carolo IV. nec non aliis principibus et exclusis Ludovici Caesaris
liliis ac posteris, contra ejusdem Imp. Ludovici divisionem, nec non contra utrius-
que partis expressa pacta conventa juramento pacificentium firmata , sibi tune
de facto arrogarunt et in hodiernum usque diem usurpant.
*) Ottokar L o r e n z in seiner Abhandlung über die siebente Kurstimme etc. (Sitzungs
berichte der kais. Akad. der Wissensch. zu Wien , philos.-histor. Classe 1855,
Bd. XVII, S. 176) hat den Zusammenhang des Freher-Gewoldus’schen Streites mit
den damaligen politischen Zeitverhältnissen völlig ausser Acht gelassen , sonst
würde er richtiger erkannt haben, warum weder bei Freher noch bei Gewoldus
das böhmische Kurrecht in Frage gestellt ist. Das kam nicht daher, weil jene
Gelehrten „den ursprünglichen Verhältnissen um Vieles näher standen,“ denn in
Wahrheit hat man ja seit dem XVII. Jahrhundert in der Erforschung des Mittelalters
überaus grosse Fortschritte gemacht; es hing vielmehr, wie wir oben gezeigt
haben, auf das Engste sowohl mit den von Freher und Gewoldus verfolgten
Zwecken, als auch mit der irrigen Ansicht zusammen, dass das Collegium der sieben
Kurfürsten, wie es die goldene Bulle aufführt, schon lange vor dem XIII. Jahr
hundert bestanden habe.
24
Hermann Baerwald.
leicht, denn nur zu deutlich stand in der Urkunde: ratione ducatus
hoc eis competere ex antiquo '). Fr eher musste also die wunder
liche Ausflucht nehmen zu sagen: Da in der Urkunde von einemStreit
zwischen den durch untheilharen Zusammenhang verknüpften Ländern,
Rheinpfalz und Baiernauf der einen, und Böhmen auf der andern Seite
zu entscheiden war, so wäre es im Wesen doch gleich gewesen, ob
der Spruch für Baiern oder für die Rheinpfalz ausfalle. Rudolf habe
nur desshalb gesagt auf Grund des Herzogthums gebühre den
Brüdern Ludwig und Heinrich, Herzogen von Baiern, Pfalzgrafen des
Rheins, das Kurrecht, weil es ein von Vaterseite ererbtes, beiden Brü
dern gemeinsames Besitzthum gewesen sei, während die Rheinpfalz,
welche der ältere der beiden Brüder, Ludwig, allein besass, ihren
alten Herrscherstamm damals schon längst eingebüsst gehabt hätte.
In Wahrheit aber könne Rudolf nur gemeint haben, den Brüdern
Ludwig und Heinrich komme die Kurstimme zu auf Grund des Her
zogthums, ihres gemeinschaftlichen Erblandes, dem Herzogthum aber
auf Grund der Pfalzgrafschaft des Rheins. Denn dass der Rheinpfalz
ursprünglich das Kurrecht gebühre, sei schon aus der hervorragen
den Rolle welche dem Besitzer derselben, Ludwig, eben nach unserer
Urkunde bei der Wahl Rudolfs zufiel, ersichtlich, und wie das Her
zogthum nur durch die Rheinpfalz die Kurwürde als Zuwachs erhalten
habe, so sei auch mit der Pfalz das Kurrecht von Baiern ablösbar
gewesen und in Wirklichkeit auch schon bei Lebzeiten des jüngern
der genannten Brüder, Heinrich’s, wieder abgelöst und ausschliess
lich von dem ältern Bruder, dem Pfalzgrafen Ludwig, geübt worden.
Gegen diese Meinung könne man auch nicht geltend machen, dass es
ja in der Urkunde heisse: es komme den oft genannten Brüdern das
Kurrecht auf Grund des Herzogthums Baiern von Alters her zu,
denn als Rudolf das schrieb, sei die Rheinpfalz sammt allen ihr
anhaftenden Rechten (also auch dem Kurrechte) schon 60 Jahre lang
mit Baiern vereinigt und gleichsam zu Einem Körper verwachsen
gewesen 3 ). — Schon das Resultat zu welchem Fr eh er kömmt, dass
A ) Die Schwierigkeit die diese Worte seiner Sache machen, fühlte Fr eh er sehr
wohl, er nennt sie ein „grande graveque telum in causam nostram“ Epistol. moni-
toria ad Gewoldum, p. 20.
2 ) Fr eh er. Ep. responsoria p. 20 sqq. sagt: Quod si inter Palatino-Bavaros ex una
et alium quempiam vitiligatorem ex altera partibus controversia super Electoratu
Imperii inlercessit; salva res nostra est. Quid enim refert, utrum ratione Bavariae
Über die Echtheit und Bedeutung’ der Urkunde K. Rudolfs I.
25
nämlich König Rudolf etwas ganz anderes gemeint, als er gesagt
habe, muss Misstrauen gegen seine Auseinandersetzung erregen. In
der That beruht dieselbe auch auf lauter falschen Sätzen. Es ist eine
Fabel, dass im Jahre 1275 Baiern und die Rheinpfalz untrennbar mit
einander verknüpft gewesen seien ; schon um Ostern 1255 hatten die
Brüder Ludwig und Heinrich, allerdings gegen die in Deutschland
herkömmliche Sitte, das väterliche Erbe getheilt: die Rheinpfalz mit
den ihr anhaftenden Vorrechten sammt Oberbaiern kamen an den
ältern der Brüder, Ludwig, und wurden von Niederbaiern getrennt,
welches dem jüngern, Heinrich, zuliel *)• Es ist ferner falsch, dass der
beregte Streit zwischen Böhmen einer- und der Pfalz und Baiern
andererseits stattgefunden habe, denn ausdrücklich heisst es in der
Urkunde: „zwischen den Boten des Königs von Böhmen und den
Bevollmächtigten Heinrich 1 «, des Herzogs von Baiern“ sei er entstan
den 3 ); das Kurrecht der Rheinpfalz wurde bei jener Gelegenheit
nicht angefochten, von ihm ist in der Urkunde gar nicht die Rede
und, wenn wir in diesem Streite den Pfalzgrafen Ludwig auf die
Seite der Bevollmächtigten seines Bruders treten und für das Recht
des Herzogthums Baiern das Wort ergreifen sehen, so geschieht das,
weil mit dem Rechte Baierns zugleich das seinige angegriffen wurde,
indem er ja Oberbaiern besass. Und wen endlich wird Freher
«an Rheni competere pronunciatum fuerit? si duo ea unius erant et indiviso nexu
cohaerebant . . . Bavaris igitur atque adeo Bavariae Electoratus cum Rheno com-
petebat, sed jure successionis maternae ab Agnete Palatina partus, vel, ut dicam
clarius, Ducibus fratribus ratione Bavariae competebat, Bavariae autem ratione
Comitatus Palatini recens adquisiti . . . Rudolfo quidem regi aptius visum Ducatum
Bavariae hoc loco exprimere, utpote ea tempestate (qua jam extincta erat pro-
sapia Palatina) notiorem et clariorem, addo etiam paternum avitumque Boiorum
principatum et utrique principi fratri cummunem, quam Ilhenum longius dissitum,
et jam Bavaricae familiae dotali titulo insitum, insertum et coalitum addo etiam
soli Ludovico in divisione tributum et adquisitum. Vgl. noch desselben ad Gewoldi
epistolam monitoriam suscepta sive Recepisse S. IS—19.
1 ) Hermannus Altahensis Boelimer Fontes II, Sil. Dass Ludwig die Vorrechte des
Rheinpfalzgrafen allein übte, ist aus der Urkunde ersichtlich, mit welcher er
dem Burggrafen Friedrich von Nürnberg weibliche Succession sichert. Ludwig sagt
darin: „Cum vacante imperio omnium feudorum collationes sive ordinationes iure
dignitatis officii nostri quod ab imperio tenemus ad nos pertineant indifferenter etc.“
0 ette r, Geschichte der Burggrafen von Nürnberg, II, 475 und Böhmer, Wittelsb.
Reg. S. 31.
2 ) Der Titel Comes Palatinus Rheni, den Heinrich auch manchmal führt, fehlt, ganz
charakteristisch, an dieser Stelle der Urkunde.
26
Hermann ßaerwald.
überreden können, König Rudolf habe nur desshalb nicht ratione
palatinatus, sondern ratione ducatus gesagt, weil Baiern mehr
bekannt gewesen sei, als die Rheinpfalz, weil es das von Vaterseite
ererbte, beiden Brüdern gemeinsame Besitzthum gewesen sei ? Als ob
es nicht eben so reichskundig gewesen wäre, es gebe in Deutschland
eine Rheinpfalz, als ob es, noch dazu nach 60 Jahren, und gerade bei
einer solchen Gelegenheit wie die vorliegende, berücksichtigenswerth
gewesen, dass die Rheinpfalz durch Agnes von Staufen an die Wittels
bacher gekommen, als ob endlich nicht gerade der Umstand, dass die
Rheinpfalz in dem ausschliesslichen Resitze Ludwig's war, hier, wo
nach Frelier’s Meinung den Brüdern zusammen das der Rheinpfalz
anhaftende Kurrecht zuerkannt wurde, die ausdrückliche Erwähnung
derselben nothwendig gemacht hätte !
Was also unsere Urkunde betrifft, so wird man dem Gewoldus
insofern beipflichten müssen, als in derselben allerdings ausdrück
lich für das Herzogthum Baiern das Kurrecht in Anspruch genommen
und begründet wird. Dagegen beruht desselben Gelehrten Meinung,
dass die Urkunde zugleich eine Entscheidung gegen das Kurrecht
der Rheinpfalz enthalte, auf der Voraussetzung, dass das kurfürstliche
Collegium schon seit den Zeiten Gregors V. in der Zusammensetzung,
wie es später in der goldenen Bulle erscheint, bestanden und dass
demnach das Kurrecht Baierns und der Rheinpfalz von jeher sich
gegenseitig ausgeschlossen haben, eine Voraussetzung die durchaus
irrig ist*).
Auf diese Weise blieb sowohl dem Fr eh er als auch dem
Gewoldus das richtige Verständniss der Urkunde fremd. In den
nun folgenden zahlreichen Streitschriften aber wurden von beiden
Seiten fast nur dieselben Ansichten wiederholt 3 ).
*) Seit K. Th. Gemeiner (Berichtigungen im deutschen Staatsrecht Bayreuth 1793)
ist jene Ansicht vom frühen Ursprünge des kurfürstlichen Collegiums gründlich
beseitigt. Dass übrigens Baiern und Pfalz früher, obwohl Einem gehörend, dennoch
zwei Stimmen führten, das beweist das Beispiel Otto’s des Erlauchten. Vgl. oben
S. 18, Anm. 1.
2 ) Die meisten dieser Schriften, welche man bei S i eb en ke e s Deductionsbibliothek
für Deutschland, Bd. IV, S. 1972—1981, verzeichnet findet, waren mir zugänglich.
Es ist aber nicht nöthig einzeln auf dieselben einzugehen, da wesentlich neue Gesichts-'
puncte in ihnen nicht geltend gemacht werden. Auch im Folgenden beschränke ich
mich auf die Berücksichtigung der bedeutendsten hielier gehörigen Geschicht
schreiber.
~
Über die Echtheit und Bedeutung- der Urkunde K. Rudolfs I. <& (
Mit dem westphälischen Frieden der sowohl Baiern als auch der
Rheinpfalz ein Kurrecht zuerkannte, verlor der Streit das praktische
Interesse*).
Man kam von der Meinung, als ob das pfälzische und baierische
Kurrecht von jeher sich gegenseitig ausgeschlossen hätten , zurück.
Das Kurrecht der Rheinpfalz konnte als früher zu Recht bestehend
nachgewiesen werden; in unserer Urkunde war es so wenig ange-
fochten, wie das Kurrecht der geistlichen Wahlfürsten oder das der
Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg. Dagegen fand man in die
ser Urkunde einen Streit zwischen Böhmen und Baiern, der zu
Gunsten des Letztem entschieden worden war, und man trug kein
Bedenken es auszusprechen, dass das in der goldenen Bulle dem
Könige von Böhmen an erster Stelle zuerkannte Kurrecht weder
1273, bei der Wahl König Rudolfs, noch auf dem Augsburger Hof
tage 1275 ein unbestrittenes gewesen sei, dass es vielmehr damals
nicht ihm, sondern Baiern als von Alters her zukommend erkannt
worden sei. Vorzüglich Mascov 3 ), Johann Peter Ludewig 3 ) und
*) Man würde übrigens irren, wollte man den Deductionen der Publicisten , welche
in den vorhandenen Streitschriften niedergelegt sind, irgend welche bedeu
tende Einwirkung auf die Übertragung der Kurwürde an Baiern (im Febr. 1621)
zuschreiben. In den umfangreichen darüber zwischen Kaiser Ferdinand II., Herzog
Maximilian von Baiern, der päpstlichen Curie und den Höfen von Madrid und
Brüssel gepflogenen Verhandlungen (siehe dieselben bei Londorp Acta publica,
Tom. I—IV) wird auf das von den baierischen Publicisten behauptete alte Recht
Baierns an der Kur kaum zurückgekommen. Die beim Beginn des 30jiihrigen Krie
ges waltenden politischen und religiösen Interessen waren allein die massgebenden,
wie aus den bezeichneten Verhandlungen zur Genüge hervorgeht. Darin ist von einer
„Restitution Baierns in sein altes Recht“, als welche jene Publicisten die Über
tragung der Kurwürde von der Pfalz auf Baiern ansahen, nirgends die Rede. Viel
mehr stellte auf dem Collegialtage zu Regensburg am 15 / 2 5* Februar 1623 der
Reichs-Vice-Kanzler dar: „was gestalt der gewesene Churfiirst Friedrich, Pfalzgraf
bei Rhein als ein Rebell. . .in die Acht erklärt worden und Ihrer Majestät dieErsetzung
solches churfürstlichen officii h e i m g e f a 11 e n.“ Die Übertragung geschah aus aus
drücklich angegebenen Gründen der Politik und Religion, dann auch , „dieweil der
Herzog von Baiern aus dem Geblüt des fürstlichen Hauses Pfalz entsprossen“ und zwar
ward sie „ex plenitudine potestatis Caesareae“ vollzogen. Londorp, T. I, 1083.
2 ) J. J. Mascow de originibus officior, aulicor, S. R. J. Halae 1718 p. 23. „Nam
ipse Rudolfus a. 1275 in comitiis Augustanis testatus est duces Bav. Liulw. et H
publice contra ßohemum quod sibi ratione ducatus Bavariae ex antiqua consuetu-
dine suflragium in electione competat, quodque illud in electione Richardi et ipsius
Rudolfi electione, excluso a reliquis electoribus Bohemiae legato, tulerint, asseruisse.
3 ) Erläuterungen zur gold. Bulle, Bd. II, 659 und 662.
28
Hermann B a e rw a1 d.
Lambacher vertheidigten diese Ansicht‘) und der letztere Hess
folgerichtig den König Rudolf von sieben Stimmen gewählt werden 3 ).
Indem man aber der Urkunde K. Rudolfs vom IS. Mai 127S
diese Auslegung gab, konnte man nicht leugnen, dass damit die
Urkunden vom 4. März 1289 und 26. September 1290, in welchen
derselbe König erklärte, dem Könige von Böhmen und dessen Erben
stehe, wie deren Vorfahren, das Schenkenamt und das Kurrecht zu,
sich in directem Widerspruch befinden. Thomasius erklärte diesen
Widerspruch aus der verschiedenen Stellung welche Rudolf im Jahre
1275 und fünfzehn Jahre später gegen den König von Böhmen ein
nahm: 1275 sei dieser (Otakar) sein Feind, 1289 dagegen und
1290 Otakar’s Sohn, König Wenzel, sein Schwiegersohn gewesen 3 ).
Ähnlich sprach sich Ludewig aus, der daneben in seiner hochfahren
den Weise nicht unterlassen konnte, dieses Verfahren als eine Par
teilichkeit und Rechtsverwirrung von Seiten König Rudolfs zu
geissein 3 ).
Der um die österreichische Geschichtsforschung hochverdiente
Adrian Rauch hatte einen viel zu hohen Begriff von der Gerechtig
keitsliebe König Rudolfs, um einer solchen Meinung beizustimmen;
auch mochte er es nicht zugeben, dass das böhmische Kurrecht noch
in den Jahren 1273 und 1275 sollte angezweifelt worden sein. Seine
umständliche Auseinandersetzung über unsere Urkunde hat also eine
doppelte Tendenz: einmal den Vorwurf des Widerspruchs von dem
Könige fern zu halten, sodann die Behauptung, als enthalte die
Urkunde eine Entscheidung gegen Böhmens Kurrecht, zu entkräften.
Das Erste gelingt ihm , indem er hervorhebt, dass die Urkunde
„gar keine Gestalt oder Eigenschaft eines UrtheilSpruches
habe“, dass sie vielmehr lediglich „eine Kundschaft oder ein
Z eugniss sei“ darüber, dass zwischen den Boten des Königs von
Böhmen und den Bevollmächtigten des Herzogs Heinrich von Baiern
auf dem Augsburger Hoftage ein alter Streit erneuert und wie
*) Schon Tolner Hist. Palatina S. 118 hat den Gegenstand des Streites richtig als zwi
schen den beiden Brüdern auf der einen und Böhmen auf der andern Seite statt
findend, erkannt; wenn er jedoch behauptet, Baiern habe nur dann das Wahlrecht
gehabt, wenn der König von Böhmen kein deutscher Mann war, so ist das eine blosse
Fiction, für die sich gar kein Beleg findet.
2 ) Österreichisches Interregnum S. 122 IT., S. 140 ff. und S. 281 ff.
3 ) Vergl. darüber Schroetter-Rauch, Österreichische Geschichte, ßd. III, S. 497.
Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde K. Rudolfs I.
29
derselbe im Jahre 1273 von den Wahlfürsten entschieden worden sei.
Diese Entscheidung, selbst wenn sie, was Rauch nicht zugibt,
den Urkunden über die böhmische Kur widerspräche, könne denn
doch durchaus nicht dem Könige zugeschrieben werden und somit
habe Rudolf in den Urkunden vom IS. Mai 127S und vom 26. Sep
tember 1290 sich keineswegs widersprochen. Dass aber durch die
Urkunde vom IS. Mai 127S das böhmische Kurrecht durchaus nicht
erschüttert worden sei, sucht Rauch darzuthun, indem er als den
eigentlichen Gegenstand des in der Urkunde beregten Streites etwas
ganz anderes, als alle bisher von uns angeführten Schriftsteller
bezeichnet. Nicht darüber habe sich nämlich, nach der Rehauptung
Rauch’s, bei der Wahl Rudolfs und auf dem Augsburger Hoftage
zwischen den böhmischen und baierischen Abgeordneten Streit
erhoben, ob Rohmen oder Baiern das Wahlrecht gebühre : der Zwie
spalt habe vielmehr darin bestanden, dass Herzog Heinrich von Baiern
eine Theilnahme an der Königs wähl beanspruchte und erhielt,
während des Königs Boten sich dem widersetzten „indem sie die
von dem Herzoge von Baiern verlangte Zulassung zur Wahlstimme
als eine der festgesetzten Zahl der sieben Kurfürsten widerstrebende
Sache ansahen, und von nachtheiligen Folgen zu sein glaubten,
wenn man gleichsam einen achten Kurfürsten mit eindringen liess“.
Dieser Umstand sei zwar in der Rudolf sehen Zeugnissurkunde nicht
mit ausdrücklichen Worten angeführt, sei jedoch dem wesentlichen
Verstände nach aus folgenden Worten zu entnehmen: „dass die
beiden Stimmen des Pfalzgrafen und des Herzogs gleichwohl nur
für eine in der Zahl der sieben Wahlfürsten Stimmen sei gerechnet
worden, was so viel heisse, „dass ungeachtet der geschehenen Zulas
sung des Herzogs Heinrich von Baiern zur Wahlstimme, dennoch
hierdurch derselbe für keinen wirklichen Kurfürsten erkannt und
dessen Stimme für keine besondere und ordentliche Wahlstimme
geachtet, sondern als eine ungezählte blosse Beistimme zu seines
Bruders pfalzgräflichen Wahlstimme gerechnet und zugeschlagen,
folglich die festgesetzte Zahl der sieben wirklichen Kurfürsten und
ordentlichen sieben Wahlstimmen keineswegs überschritten und ver
mehrt worden sei 1 )“.
^Schroetter-Rauch, Österreichische Geschichte Bd. III, 49t—508. Hier findet
sich die ausführlichste Untersuchung 1 über die Urkunde, die trotz des vielen Irrthüm-
lichen das sie enthält, immer doch beachtenswert!! bleibt. In Betreff der böhmischen
30
Hermann Baerwald.
Wäre diese Auffassung des in der Urkunde beregten Streites
und der Urkunde überhaupt wirklich die richtige, so wäre sie nicht
sowohl zu Gunsten Ludwig’s und Heinrich’s, der Pfalzgrafen des
Rheins, Herzoge von Baiern, als zur Beschwichtigung des Königs von
Böhmen erlassen, und man sieht nicht ein, warum König Rudolf mit
derselben jene herzoglichen Brüder und nicht vielmehr den König
von Böhmen beschenkte. Auch versteht mail gar nicht, warum in der
Urkunde der Pfalzgraf Ludwig das Wort ergreift, um etwas zu sagen,
wodurch er einerseits seiner rheinpfälzischen Wahlstimme die Selbst
ständigkeit entzieht, ohne doch auf der andern Seite seinem Bruder
Heinrich ein wichtiges Recht einzuräumen. Denn nichts anderes
erklärt, nach Rauch, in unserer Urkunde der Pfalzgraf als : Eure
Besorgniss, es könnte durch die Theilnalime meines Bruders Hein
rich an der Königswahl das Kurfürsten-Collegium eine dem Reiche
schädliche Erweiterung erhalten, ist nicht gerechtfertigt; es verbleibt
auch fürderhin bei sieben Kurfürsten, denn meines Bruders Stimme,
die baierische, wird nicht besonders gezählt; gezählt wird nur meine
rheinpfälzische Stimme, zu welcher die meines Bruders, als unge
zählte Beistimme, hinzutritt.
Aber steht das denn wirklich in unserer Urkunde ? Behauptet in
derselben der Rheinpfalzgraf nicht vielmehr ausdrücklich: ratione
ducatus Bavariae komme ihm und seinem Bruder das Stimmenrecht
zu? und führt er nicht aus, wie hei König Rudolfs Wahl seine und
seines Bruders Stimme ratione ducatus als eine der sieben berech
tigten Wahlstimmen gerechnet worden sei? Allerdings! Allein
Rauch der sonst die Urkunde richtig übersetzt, lässt an der ent
scheidenden Stelle die wichtigen Worte „auf Grund des Herzogthums“
(ratione ducatus) weg!
Durch diese unverzeihliche Verstümmelung der Urkunde ge
langt Rauch dahin aus derselben zu beweisen, den beiden Brüdern
Kur adoptirt Rauch, wie mir aus den von Lorenz daraus angeführten Stellen her
vorgeht, hauptsächlich die Ansicht des unbekannten Verfassers der Abhandlung: De
origine et progressu Archipincernatus Bohemici in sacro Romano Imperio ac summis
inde derivandisjuribus. Lipsiae 1721. Ich habe aber vorgezogen Rauch als Vertre
ter dieser Ansicht hinzustellen, weil mir jene Dissertation, als deren Verfasser F a I-
k e ns te i n Gesell, v. Baiern Bd. III, 190, den königl. baierischen Hofrath von Jordan
bezeichnet(Lorenz a. a. 0. führt aus einigen Katalogen Fr. W. Panitz als solchen an)
uicht zur Hand war und weil Raue lus Geschichte doch im Allgemeinen leichter zugäng
lich ist als jene Dissertation.
Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde K. Rudolfs l.
31
Ludwig und Heinrich habe zusammen überhaupt nur EineWahl-
s tim me zugestanden. Ganz im Widerspruche mit dem Wortlaut
der Urkunde deutet er dann diese eine Stimme als die rheinpfälzische,
von der in der Urkunde gar nicht die Rede ist, und ganz willkürlich
behauptet er, zu der rheinpfälzischen Stimme sei die baierische als
ungezählte Beistimme hinzugetreten, obwohl auch davon in der
Urkunde nichts steht, und es sogar schwer sein würde zu bewei
sen , dass der Begriff einer ungezählten Beistimme damals überhaupt
schon vorhanden gewesen sei.
Und wozu diese Ungerechtigkeit gegen den Text unserer
Urkunde, diese Kette unbegründeter, willkürlicher Behauptungen?
Rauch konnte den Sinn der sich aus dem einfachen Wortlaut der
Urkunde ergibt, mit seinen sonstigen Ansichten nicht vereinbaren.
Ihm stand des Königs von Böhmen Kurrecht im Jahre 1273, sowohl
wegen seiner Theilrialime an König Richard’s Wahl als auch aus den
Urkunden König Rudolfs von 1289 und 1290 fest; eben so wenig
bezweifelte er das Kurrecht der Rheinpfalz; er war überhaupt der
Meinung, das kurfürstliche Collegium habe zur Zeit der Wahl
Rudolfs schon in der Zusammensetzung zu Recht bestanden, wie es
nachmals in der goldenen Bulle fixirt wurde. Somit konnte er nicht
zugeben, dass im Jahre 1273 den Brüdern Ludwig und Heinrich auf
Grund des Herzogthums Baiern ein Wahlrecht zuerkannt wurde,
denn dann würde man in der That zu der damals (1273) unmög
lichen Zahl von acht Kurfürsten kommen. Entweder musste er also
die Urkunde als falsch bezeichnen, oder, da er das nicht mochte, zu
jener gezwungenen Deutung seine Zuflucht nehmen, dass der in der
Urkunde beregte Streit durch die Befürchtung Böhmens in Betreff
einer achten Kurwürde hervorgerufen gewesen sei, und dass sich aus
der Urkunde kein besonderes baierisches Kurrecht ergebe. Diese
Deutung haben wir als unverträglich mit dem Wortlaute und ein
fachen Sinne der Urkunde erkannt, denn ganz unzweifelhaft wird in
unserer Urkunde für Baiern ein besonderes Kurrecht in Anspruch
genommen, bewiesen und bekundet. Zugleich steht nach ihr die
ausschliessliche Zahl von sieben Wahlfürsten fest. Nothwendig muss
also Rauch’s Ansicht von der Zusammensetzung des kurfürstlichen
Collegiums, wie sie in den Jahren 1273 und 1273 war, falsch sein.—
Es finden sich nun in jener Zeit neben den drei geistlichen Kurstimmen
auch die sächsische, brandenburgische und rheinpfälzische nirgends
32
Hermann B a e r w a 1 d.
angefochten; dagegen lesen wir in unserer Urkunde von einem
zwischen Böhmen und Baiern über das Kurrecht stattgehabten Streit.
Baierns Kurrecht hinwiederum wird in unserer Urkunde anerkannt;
wir werden uns also darüber Gewissheit verschaffen müssen, ob Böh
mens Wahlstimme damals wirklich schon so durchaus unantastbar
gewesen sei, wie Rauch annimmt.
Wir können nicht sagen, dass Lichnowsky und Palacky
welche in Betreff der böhmischen Kurstimme derselben Ansicht sind
wie Rauch, etwas Neues herbeigebracht haben, sei es, um diese
Ansicht zu begründen, sei es, um den Widerspruch zu lösen, in wel
chen sie, wie wir gesehen, mit unserer Urkunde tritt.
Der Fürst Li c hno wsky hat unsere Urkunde weder ihrem Haupt
inhalte nach richtig verstanden, noch auch im Einzelnen sorgfältig
benutzt 4 ). Rücksichtlich des böhmischen Kurrechtes behauptet er,
dasselbe sei bei der Vereinigung derRheinpfalz mit Baiern sammt dem
Erzschenkamte von Baiern an Böhmen übergegangen. Dafür führt er
freilich nur Cr o lliu s als Gewährsmann an, und er wäre auch nicht wohl
imStande gewesen das Zeugniss einer ursprünglichen, glaubwürdigen
Quelle dafür aufzuweisen. Da es nun aber einmal seine Ansicht war,
das baierisehe Kurrecht sei an Böhmen übergegangen, so hätte man
erwarten können, er würde, da in unserer Urkunde wieder ein baieri-
sches Kurrecht auftaucht, den Widerspruch der darin gegen seine
Ansicht liegt, aufzulösen versuchen, oder ihn als einen unerklärbaren
bezeichnen. Das tluit der Fürst indess nicht und so vermehrt er
durch seine Unklarheit nur die Verwirrung.
Ungern sieht man, wie auch der berühmte böhmische
Geschichtschreiber Palacky unsere Urkunde so gar schlecht
A ) Lichnowsky, Gesch. des Hauses Habsburg I. S. 98, behauptet mit Bezugnahme
auf unsere Urkunde, dass bei Rudolfs Wahl die Frage entstanden sei, ob Ludwig
oder Heinrich von Baiern die Truchsessstimme zu führen habe, dass Heinrich
behauptet habe, die Stimme gebühre ihm mit seinem Bruder gemeinschaftlich, jedoch
hinzugesetzt habe, er überlasse demselben, als dem altern, für dieses Mal die Führung
derselben; davon findet sich jedoch weder in unserer Urkunde noch in irgend einer
andern gleichzeitigen Quelle eine Spur. Während der Fürst so zum Nachtheil der
Wahrheit die in der Urkunde enthaltenen Nachrichten verändert und erweitert, hält
er es für unerwiesen, dass Otakar zur Wahl Rudolfs Gesandte abgeordnet habe und
glaubt dem in der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts lebenden Albertus Argen-
tinensis mehr als unserer gleichzeitigen Urkunde, in der ausdrücklich der Bischof
Berthold von Bamberg als Bevollmächtigter Otakar’s bei Rudolfs Wahl genannt wird.
Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde K. Rudolfs I.
33
benutzt. Wenn er annimmt, Ludwig und Heinrich hätten überhaupt
nur Eine Stimme zu führen gehabt, so mag er das vielleicht aus den
Worten der Urkunde : „vocibus eorundem fratrum Ducum Bava-
rine Comitum Palatini Rheni ratione ducatus pro una in septem
principum jus in clectione regis Romani habentium numero com-
putatis“ herausgedeutet haben, obgleich doch nur mit der grössten
Willkür aus dieser Stelle auf eine Beseitigung des rheinpfälzischen
Kurrechtes zu schliessen ist. Jedenfalls hätte dann die Genauigkeit
es erfordert anzugeben, es sei die baierische Stimme welche beide
Brüder führten. — Die Behauptung aber die Palaeky ausspricht,
dass diese eine Stimme bei Rudolfs Wahl zwischen Heinrich und
Ludwig streitig gewesen sei, ist nirgends berichtet, und dass die
Bevollmächtigten Heinrich’s mit den Boten Otakar’s am Wahltage
eine Protestation gegen die getroffene Wahl Rudolfs einlegten, ist
etwas wovon unsere Urkunde in Übereinstimmung mit dem gleich
zeitigen Eberhardus Altahensis das gerade Gegentheil berichtet. Für
die damalige Unantastbarkeit des böhmischen Wahlrechtes führt
P alaeky gar nichts an.
Es ist somit hegreiflich, wie Ko pp der überall selbstständig,
unbefangen und mit gesunder Kritik zu Werke geht, durch die her
gebrachte, keineswegs genügend begründete Ansicht von dem zur
Zeit der Wahl König Rudolfs unangreifbaren Zurechtbestehen der
böhmischen Kurwürde zu einer künstlichen, gezwungenen Deutung
unserer Urkunde sich nicht verleiten liess, wie er vielmehr die
Urkunde so verstand, wie cs ihr Wortlaut gebietet und, indem er ein
fach ihrem Berichte folgte, jene hergebrachte Ansicht von dem böh
mischen Kurrecht berichtigte.
Das lässt sich nachweisen und wird von keiner Seite, auch nicht
von Rauch, Lichnowsky und Palaeky bezweifelt, dass, wie wir
bereits hervorgehoben haben, neben dem Wahlrecht der drei geist
lichen Kurfürsten auch das Sachsens, Brandenburgs und der Rhein
pfalz im Jahre 1275 zu Recht bestanden. Es handelt sieh also
lediglich um die siebente Kurstimme. Diese weisen Rauch, Lic li
tt o w sky und Palaeky unbedingt dem Könige von Böhmen zu.
Folgen wir aber dem Berichte unserer Urkunde, so erfahren
wir, dass am 15. Mai 1275 auf dem Hoftage zu Augsburg zwischen
den Bevollmächtigten des Herzogs Heinrich von Baiern und den
Boten des Königs von Böhmen über den Besitz des Rechtes den
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXI. Bd. I. Hft. 3
34
Hermann B a erwa 1 d.
römischen König zu wählen Streit ausgebrochen sei. In diesem Streite
stellten, wie unsere Urkunde weiter berichtet, die Bevollmächtigten
Herzog Heinrich’s und der anwesende Bruder desselben, der Rhein
pfalzgraf Herzog von Baiern, Ludwig, die Behauptung auf, „auf Grund
des Herzogthums Baiern gebühre ihnen jenes Recht von Alters her“.
Und Ludwig (um diese Behauptung zu begründen), bezeugte öffent
lich: 1. dass sein Bruder mit ihm zusammen bei der Wahl Richard’s
anwesend gewesen sei und dass jeder von ihnen Beiden im Verein
mit den übrigen Mitwählern seine Stimme dem Richard zugewendet
habe; 2. dass bei König Rudolfs Wahl Heinrich, ungeachtet des von
dem anwesenden Bevollmächtigten des böhmischen Königs dagegen
erhobenen Widerspruchs, der jedoch weder von den geistlichen noch
von den weltlichen Fürsten zugelassen worden war, durch legitime
Boten und Bevollmächtigte welche ihres Herrn Abwesenheit mit
gütigen Gründen entschuldigten, seine Stimme, wie das von sämmt-
lichen Wählern Rudolfs geschehen, ihm, dem Rheinpfalzgrafen, über
tragen , der dann, in seinem und seines Bruders und aller übrigen
Wahlfürsten Namen, den Rudolf erwählt, indem dabei die Stimmen
der beiden Brüder, Herzoge von Baiern, Pfalzgrafen des Rheins, auf
Grund des Herzogtliums für Eine unter den sieben berechtigten
Wahlstimmen mitgerechnet wurden.
Indem König Rudolf diese Vorgänge zu Gunsten eines jeden der
beiden Brüder auf jenem Augsburger Hoftage öffentlich vortrug,
und (als wahr) erkannte und die darüber ausgestellte, durch sein
und der zahlreich unterschriebenen Zeugen Siegel gehörig gefestete,
königliche Urkunde den beiden Brüdern schenkte, drückte er sowohl
als auch die zahlreich Unterzeichneten geistlichen und weltlichen Für
sten, Grafen, Barone und Herren damit unzweifelhaft aus, dass er die
in dem zwischen Baiern und Böhmen über den Besitz des Kurrechtes
ausgebrochenen Streit vorgebrachte Behauptung des baierischen
Kurrechtes sowie die zur Begründung desselben angeführten That-
sachen für richtig anerkenne.
Wie nun überall Jeder welcher ein zwischen zwei Parteien
streitiges Recht als der einen Partei zukommend anerkennt, sich
damit gegen die andere Partei entscheidet, so schliesst die von König
Rudolf geschehene Beurkundung des baierischen Kurrechtes von
selbst eine Entscheidung gegen das böhmische in sich und da , wie
wir gesehen haben, die dergestalt Baiern zuerkannte Kurstimme die
Über die Echtheit und Bedeutung: der Urkunde K. Rudolfs I.
38
allein noch übrige siebente Stimme war, so ist klar, dass nach König
Rudolfs und sämmtlicher unter der Urkunde verzeichneter geist
licher und weltlicher Fürsten, Grafen, Barone und Herren Urtheile
auf dem zu Augsburg am 15. Mai 1275 feierlich abgehaltenen Hof
tage Böhmen als überhaupt nicht zur Kur berechtigt erkannt
wurde.
Anlangend nun die in unserer Urkunde berührte Wahl König
Riehard’s, so ist wohl zu beachten, dass hier weder angegeben wird,
wie bei derselben der beiden Brüder, Heinrich und Ludwig, Stimmen
gezählt wurden, noch auch sieben ausschliessliche Wahlfürsten
erwähnt werden; es wird lediglich constatirt, dass Herzog Heinrich
von Baiern hei der Wald gegenwärtig gewesen und, wie sein Bruder
Ludwig, für Richard gestimmt habe. Die überaus wichtige Theil-
nahme des Königs von Böhmen an derselben Wahl die, wie wir
anderweitig wissen, für König Richard von entscheidender Bedeutung
war, wird hier gar nicht erwähnt, also auch nicht geleugnet.
Dagegen erscheint bei der Erwähnung von Rudolfs Königs
wahl hier zuerst in einer in Deutschland erlassenen Urkunde eine
Siebenzahl der Kurfürsten. Herzog Heinrich’s Theilnahme an der
Wahl wird nicht blos einfach constatirt, sondern mit directer Bezie
hung auf den auf dem Augsburger Hoftage „über den Besitz des
Rechtes den römischen König zu wählen“ zwischen Böhmen und
Baiern stattgehabten Streit, wird erzählt, dass des Böhmenkönigs
Bevollmächtigte gegen Herzog Heinrich’s Theilnahme an der Wahl
Widerspruch erhoben, dass aber dieser Widerspruch von sämmt-
lichen Wahlfürsten, geistlichen und weltlichen, nicht zugelassen
worden sei, und dass damals das Recht, welches Herzog Heinrich’s
Bevollmächtigte und dessen Bruder Ludwig jetzt Böhmen gegen
über „auf Grund des Herzogtlmms Baiern“ für sich in Anspruch
nahmen, thatsächlich von ihnen schon aüsgeübt worden sei, indem
bei Rudolfs Wald „auf Grund des Herzogthums“ Ludwig's und
Heinrich’s Stimmen als Eine der sieben Wahlstimmen mitgezählt
wurden. Während also die Wahl Riclmrd’s erwähnt wird, um zu
beweisen, dass Herzog Heinrich sich von jeher an der Königswahl
betheiligt habe, folglich zu derselben von jeher berechtigt gewesen
sei, hat, was von Rudolfs Wahl erzählt wird, eine viel umfassendere
Bedeutung. Es soll den Beweis enthalten, dass der auf dem Augs
burger Hoftage zwischen Böhmen und Baiern stattgehabte Streit über
3 *
36
II e r m a n n II a e r w a 1 d.
den Besitz des Kurrechtes oder, wie wir nach unserer Auseinander
setzung sagen können , dass die Frage ob Böhmen oder Baiern die
siebente Kurstimme zukomme, thatsächlich bereits in der am
29. September 1273 zu Frankfurt abgebaltenen Wahlversammlung
zu Gunsten Baierns entschieden worden sei. Unzweifelhaft ergibt
sich somit aus unserer Urkunde, dass nach dem Urtheile König
Rudolfs und sämmtlicher Zeugen, Baiern bei Rudolfs Königswahl
die siebente Stimme geführt habe. Es erscheint durch den Ausschluss
Böhmens Rudolfs Wahl als eine einstimmige. Als eine solche wurde
sie auch auf dem Augsburger Hoftage von Rudolf und den Mit
sieglern seiner Urkunde angesehen, was uns die Worte, mit denen
Rudolf in unserer Urkunde von seiner Wahl als von einer „von
sämmtlichen zur Wahl berechtigten Fürsten einmü-
thig abgehaltenen“ spricht, ausdrücklich bestätigen.
Eine solche Auffassung unserer Urkunde, die noch dazu durch
den ältesten Text des Sehwabenspiegels, in welchem der Herzog
von Baiern als der vierte unter den weltlichen Wahlfürsten genannt
wird, während des Königs von Böhmen gar keine Erwähnung
geschieht 1 ), unterstützt wird, hat ohne Zweifel Ko pp, wenn er
auch nicht für nöthig befunden hat sie weitläufig darzuthun, ver
anlasst, Rudolfs Wahl, wie schon Lambach er gethan, als eine
einstimmige hinzustellen 3 ). Chmel der zu den tiefsten Kennern
*) Wackernagel, Das Landrecht des Schwabenspiegels cap. 110, p. 106. Derherzoge
von Beiern hat die vierden stimme an der kür unde ist des rieh es schenke, unde
söl dem kiinige den ersten becher tragen. So lautet diese Stelle in der ältesten
(Ambraser) H. S., die nach Wackernagers Zeugniss „wahrscheinlich noch aus dem
XIII. Jahrhundert stammt, deren Text aber noch vor dem Jahre 12.76, wahrscheinlich
von einem Geistlichen in einer schwäbischen oder haierischen Stadt zuerst abgefasst
worden ist“. Wackernagel a.a. 0. Vorrede. — Wenn Lorenz a.a. O.S. 24 ff. selbst auf
Wackernagel’s Autorität hin sich nicht entschliessen kann zu glauben, der ursprüng
liche Text des Schwabenspiegels habe an dieser Stelle so gelautet, so kömmt es ledig
lich daher, weil er leider nur zu ungläubig ist gegen Alles was seiner Behauptung
über die böhmische Kur widerspricht; haltbare Gründe führt er gegen W. nicht an.
Dass in den zahlreichen Handschriften dieses Rechtsbuches Abweichungen von dem
ältesten Texte gerade an dieser Stelle Vorkommen, ist sehr natürlich. Schon 1289
wurde Böhmens Kurrecht ausser Zweifel gesetzt, und es ist natürlich, dass man
nach 1289 den ursprünglichen Text dahin corrigirte. Um so mehr muss man sich
dann da, wo es sich um die Beurtheilung eines in das Jahr 1273 gehörenden
Ereignisses handelt, an die älteste Handschrift (vor 1289) halten.
2 ) Vgl. Kopp, Geschichte der eidgenössischen Bünde I, 5 not. 2, 20 not. 1 und 107.
Wenn Lorenz a. a. 0. S. 29, Anm. 2, S. 31 und 40, Anm. 1, angibt, Kopp sei
Über die Echtheit und Bedeutung: der Urkunde K. Rudolfs I. 37
jener Geschichtsepoche gehört, ist, wie aus einer gelegentlichen
Äusserung hervorgeht, derselben Überzeugung»). Boehmer, früher
anderer Ansicht 2 ), hat sich in seinen Wittelshachischen Regesten
ganz in demselben Sinne entschieden 3 ). Mich selbst hat die oben
dargelegte Auseinandersetzung bewogen, es auf das Bestimmteste
auszusprechen: Rudolf sei, nach der Meinung wenigstens des Aus
stellers und der Zeugen der Urkunde vom 15. Mai 1275, von
sieben Stimmen gewählt worden, unter denen der Rheinpfalzgraf
Herzog von Baiern, Ludwig, unbeschadet seiner rheinpfälzischen
Stimme, mit seinem Bruder, dem Herzog Heinrich von Baiern, auf
Grund des Herzogthums, Eine Stimme führte, dass also Böhmen am
29. September 1273 factisch von der Kur ausgeschlossen worden sei 4 ).
durch den in der Urkunde von 1275 über Rudolfs Wahl vorkoramenden Aus
druck „concorditer celebrata“ dazu bewogen worden anzunehmen, Rudolf sei von
siimmtlichen sieben Wahlfürsten gewählt worden, so thut er ihm Unrecht die eben
von uns aus Kopp bezeichneten Stellen zeigen, dass K. noch andere Gründe hatte.
Übrigens steht in der betreffenden Stelle der Urkunde ja nicht blos „concorditer
celebrata“, wie Lorenz a. a. 0. S. 29 anführt, sondern ausdrücklich „Electio-
nis nostrae ab omnibus Principibus jus in Electione habenti-
bus concorditer celebratae“, so dass also, wenn es nöthig wäre, aus
dieser Stelle allein die Theilnahme sämmtlicher sieben Kurfürsten an
der Wahl gefolgert werden könnte , auch wenn concorditer fehlte. Schliesslich
aber müssen wir gegen Lorenz noch bemerken, dass er sich mit seiner Defini
tion des concorditer, nach welcher dieses Wort schon von einer Wahl gebraucht
werden könne, bei der „sich nur zwei geeinigt haben und die Andern zu keiner
Einigung gekommen sind,“ etwas zu sehr beeilt hat. So nämlich definiren in dem
Schreiben Urban’s IV. an König Richard, dat. 1263, August 31, die beim päpstlichen
Hofe bevollmächtigten Boten K. Richard’s dieses Wort, offenbar, wie schon Ray-
nald ad a. 1263, §. 63, bemerkt, um die von dem Erzbischof von Cöln und dem Rhein
pfalzgrafen , also von zwei persönlich anwesenden Fürsten vollzogene Wahl ihres
Königs als eine einmüthige darzustellen. Die anderweitig bekannte Anwesenheit und
Betheiligung Herzog Heinrich’s von Baiern bei dieser Wahl wird in diesem Schreiben
(wir werden unten S. 48, 31 u. 32 sehen , aus welchen Gründen) verschwiegen. Darf
man eine so ausschliesslich im Parteiinteresse geschaffene Definition für eine allge
mein giltige ausgeben? Wir glauben, dass Lorenz sehr mit Unrecht das wiederholt
getlian hat.
*) Habsburgische Excurse V. Sitzungsb. 1833, ßd. XI, S. 199 sagt Chmel: „Dass gegen
seinen (Otakar’s) Willen ein unbedeutender Graf gewählt wurde, dass die übrigen
Reichsfürsten seinen Widerspruch nicht beachteten, ja die siebente Wahlstimme,
durch Andere ausüben Hessen (Baiern), das war in seinen Augen nicht blos
Verletzung seiner Würde, sondern auch seines Rechtes.“
2 ) Regesta imp. inde ab a. 1246—1313, S. 37.
3 ) Wittelsbachische Regesten, S. 37.
4 ) De electione Rudolfi I. regis p. 17. not. 47.
38
Hermann B a e r w a I d.
Demungeachtet hat Lorenz neuerdings diese Interpretation der
Urkunde als eine „ganz willkürliche“ bezeichnet und hat im Gegentheil
gefunden, dass die ganze Fassung der Urkunde vollständig für das un
verletzbare Bestehen des böhmischen Kurrechtes zur Zeit der Wahl
Rudolfs spreche. Von derWahl Rudolfs heisst es nämlich in derUr-
kunde: Deinde vero electionis tempore apud Franchenfurte denobis ab
omnibus principibus jus in eleetione habentibus concorditer celebratae
pernuncios et procuratores ejusdem ducis Henrici videlicet Henricum
Praepositum Oetingensem, et Fridericum, Rectorem Ecclesiae de
Landtshudt, ipsius absentiam propter impedimenta legitima legitime
exeusarites, praesente venerabili Berchtholdo Babenbergensi Episcopo,
procuratore praedicti regis Bohemiae et contradicente quidem ipsis
Procuratoribus, sed ipsius contradictione a Principibus Electoribus
omnibus, tarn Ecclesiasticis quam saecularibus non admissa, in dictum
L. Comitem Palatinum Rheni, nostrum filium, una cum aliis Principi
bus omnibus, qui in nos direxerant suavota, prout jam dicti procura
tores in mandatis receperant, concorditer extitit compromissum, qui
commissum hujusmodi in se recipiens, suo et dicti H. Ducis fratris
sui ac omnium aliorum principum, jus in eleetione habentium, auctori-
tate et nomine, in Romanum regem solemniter nos elegit, vocibus
eorundem fratrum ducum Bavariae Comitum Palatini Rheni ratione
ducatus pro una, in septem principum jus in Eleetione regis Romani
habentium numero computatis.“
Lorenz findet nun die Bemerkung, „qui in nos direxerant
8ua vota“ nur dadurch verständlich, dass eben die Voraussetzung
gemacht ist, eine Stimme habe nicht beigestimmt, sonst wäre es, nach
seiner Meinung, vollkommen hinreichend gewesen zu sagen „una cum
aliis principibus omnibus“. Rudolf spricht aber doch in demselben
Satze von seiner Wahl, als von einer von allen wahlberechtigten
Fürsten einmüthig geschehenen; es ist also ganz unzulässig ihm die
Voraussetzung unterzuschieben, eine Wahlstimme habe ihm gefehlt.
Wäre also auch der Zusatz „qui in nos direxerant sua vota“ über
flüssig, so könnte er hier doch nicht, wie Lorenz will, gedeutet
werden. In Wahrheit aber ergibt sieb der Zusatz als ein durchaus
nothwendiger. Denn wäre, wie Lorenz für genügend hält, nur
gesagt: „von den Bevollmächtigten des Herzogs Heinrich von Baiern
geschah im Vereine mit allen übrigen Fürsten, wie die genannten
*) A. a. o, s. 30 ir.
Über die Echtheit und Bedeutung- der Urkunde K. Rudolfs I.
,39
Bevollmächtigten dazu beauftragt waren , einmüthig ein Compromiss
auf den Pfalzgrafen des Rheins, Ludwig, der solchen Auftrag über
nahm, und in seinem und seines herzoglichen Bruders und aller
anderen wahlberechtigten Fürsten Namen und Ansehen feierlich Uns
erwählt hat“, so wäre nicht klar, ob die von dem Rheinpfalzgrafen
geschehene Erwählung Rudolfs auch wirklich im Sinne der Fürsten
vollzogen worden sei, es wäre die Deutung zulässig, der Rheinpfalz
graf habe den auf ihn geschehenen Compromiss dazu benutzt, um
selbständig, ohne Berücksichtigung der Wünsche seiner Auftraggeber,
den Rudolf zu erwählen. Es war also nothwendig ausdrücklich hinzu
zusetzen, dass die Fürsten schon vorher ihre Stimmen dem Rudolf
gegeben hatten, um darzuthun, dass die in Folge des Compromisses
von dem Plalzgrafen ausgesprochene Wahl auch wirklich die von allen
Wahlfürsten verlangte gewesen sei.
Wenn dann Lorenz, wieder, um zu Gunsten des böhmischen
Kurrechts darzuthun, Rudolf sei nur von sechs Stimmen gewählt wor
den, die Worte vocibus . . . computatis so deutet, dass beide Brü
der Ludwig und Heinrich überhaupt nur Eine Stimme gehabt
haben und zwar ratione ducatus Bavariae, so wundern wir uns, dass
er nicht Alles was er zur Rechtfertigung dieser Deutung vorbringt,
sich selbst widerlegt hat; das die Widerlegung enthaltende Material
war ihm vollständig bekannt. Er kennt den Sachsenspiegel, den Brief
Urban’s IV. an König Richard vom 31. August 1263 und den Schwa
benspiegel. In allen diesen Quellen und in noch vielen anderen ist das
Kurrecht der Rheinpfalz als das erste und bevorzugte unter denen
der Laienfürsten ausdrücklich genannt, in keiner Nachricht des XIII.
Jahrhunderts ist es geleugnet, oder auch nur in Zweifel gezogen.
Wie konnte Lorenz also noch fragen, woraus es folge, dass die
Rheinpfalz eine besondere Kurstimme gehabt habe? Er kennt fer
ner die Äusserung des Vaters der beiden Brüder Ludwig und
Heinrich, Otto’s des Erlauchten (f 12S3, Nov. 29), in welcher der
selbe von seinen zwei Stimmen, der rheinpfälzischen und der baieri-
sclien spricht, er musste sich also auch sagen, dass selbst wenn die
Rheinpfalz staatsrechtlich zu Baiern gehörte , neben dem rhein
pfälzischen auch ein baierisches Kurrecht bestehen konnte. Schon
aus diesen Gründen hätte er endlich es unterlassen müssen, aus dem
zwischen Ducum Bavariae Comitum Palatini Bheni fehlenden „et“
eine Folgerung für seine Behauptung zu ziehen. Und hätte Lorenz
40
Herrn a n n B a e r w a 1 d.
sich dann nur noch die Urkunden Otto's des Erlauchten angesehen,
so würde er gefunden haben, dass auch dieser Fürst, unbeschadet
seiner zwei Wahlstimmen, der rheinpfälzischen und der baierischen,
von denen er uns erzählt, immer als (lax Bavariae Comes Palatini
Rheni ohne et urkundet und sicherlich wären wir dann des
Geschäftes überhoben ihn zu widerlegen.
Was also Lorenz über die Urkunde vom IS. Mai 127S sagt,
kann unsere Überzeugung, dass nach ihr bei Rudolfs Wahl Baiern
und nicht Böhmen die siebente Kurstimme geführt habe, keineswegs
erschüttern !)•
Nichts desto weniger steht fest, dass in dem oft erwähnten
Briefe P. Urban’s IV. vom J. 1263, in dem zuerst sieben Kurfürsten
genannt werden, der König von Böhmen unter denselben erscheint,
der Herzog von Baiern aber gar nicht genannt wird. Dass ferner
der König von Böhmen schon seit dem Jahre 128S kurfürstliche
Rechte übt 2 ), dass endlich König Rudolf am 4. März 1289 und aus
führlicher am 26. September 1290 dem Könige Wenzel von Böhmen
bekundet, dass nach geschehener Nachforschung erkannt worden sei:
„dass der König von Böhmen und dessen Erben das Schenkenamt
besitzen und bei der Wahl eines römischen Königs gleich anderen
Wählern Wahlrecht und Stimme haben sollen, wie solche Rechte
schon im Besitze der Vorfahren des Königs waren 3 ).
Was hat es also für eine Bewandtniss mit dem haierischen und
dem böhmischen Kurrecht ? Wie konnte es geschehen, dass König
Rudolf im Jahre 127a die Behauptung und Begründung des baieri
schen Kurrechts beurkundete, und schon zehn Jahre später das
böhmische Kurrecht anerkannte, da diese beiden Kurrechte sich
damals gegenseitig ausschlossen?
*) Um Alles zu erledigen, bemerken wir noch, dass wenn Lorenz a. a. 0. S. 41, Anm. 1,
um zu erklären, warum Otakar die Theilnahme des Herzogs von Baiern an den Wahlen
als widerrechtlich bestreiten liess, sich auf die von dem unbekannten Verfasser der
Schrift de origine et progressu Archipincernatus ßohemici aufgestellte Meinung
beruft, er durch das, was oben S. 28—32 gegen Rauch der desselben Verfassers
Meinung sich angeeignet hat, gesagt worden, widerlegt wird. —Dass aber der. von
Palacky zuerst hervorgehobene und von Lorenz S. 39 Anm. 4 wiederholte
Umstand, dass doch die böhmischen Gesandten zu der Wahlverhandlung zugelassen
wurden, durchaus nicht beweise, dass man Böhmens Wahlrecht am 29. September 1273
anerkannt habe, wird sich aus dem Folgenden zur Genüge ergeben.
2 ) Vgl. oben S. 18, Anm. 2.
3 ) Boehmer Reg. Rud. Nr. 980 und 1076.
Über die Echtheit und Bedeutung; der Urkunde K. Rudolfs I.
41
Die Beantwortung dieser Frage, indem sie uns lehren wird, wie
die in unserer Urkunde enthaltenen Überlieferungen, im Einzelnen
wie im Ganzen, in der Reihe der Begebenheiten jener Zeit ihre
natürliche Stelle finden, wird vonNeuem die Echtheit unserer Urkunde
aus inneren Gründen bekräftigen, sie wird den untrüglichen Prüfstein
für unsere Auffassung derselben bilden , sie wird uns zur richtigen
Würdigung ihrer Bedeutung für die Geschichte und das Staatsrecht
hinleiten, so wird sie, wie wir hoffen, das volle Verständniss unserer
Urkunde eröffnen.
IV. Der Inhalt der Urkunde iin Zusammenhänge mit der Geschichte der
Kurfürsten während der letzten Hälfte des XIII. Jahrhunderts.
1. Der Abschluss der Bildung des kurfürstlichen Collegiums.
Epoche des Schwankens der siebenten Kurstimme zwischen
Böhmen und Baiern. (1263—1283.)
Den letzten Grund des in der Urkunde vom IS. Mai 1275
beregten Streites zwischen Böhmen und Baiern hat man in der
Beschränkung des Wahlrechtes auf sieben Kurfürsten zu suchen i)-
Dem Ursprünge dieser Beschränkung haben wir hier zunächst nach
zugehen.
Der Sachsenspiegel, der „durchgehends aus lebendiger Kennt-
niss der bestehenden Rechte und Verhältnisse durch Erfahrung
erworben“, schreibt 2 ), lehrt uns die Normen kennen, welche in den
ersten Jahrzehnten des XIII. Jahrhunderts, etwa um 1230, nach der
gemeinen Ansicht bei der Königswahl in Deutschland als giltig
betrachtet wurden.
Danach ruht das Recht den König zu wählen noch bei der
Gesammtheit der deutschen Fürsten, der geistlichen sowohl wie der
weltlichen, jedoch treten schon drei geistliche und drei Laienfürsten,
als in erster Reihe zur Kur berechtigt, hervor. „In des keiseres köre“
heisst es im Sachsenspiegel, „sal die erste sin die bischop von
megenze; die ander die von trere: die dridde die von kolne. Under
den leien is die erste an’me köre die palenzgreve von’me rine des
1 ) Diese Ansicht spricht auch Boehmer aus. Wittelsbachische Regest. S. 37.
2 ) Ei chhorn, Staats- und Reehtsgesch , ßd. II, S. 274 der 5. Ausgabe und die dort
angeführte Stelle der rhythmischen Vorrede. V. 13 ff.
42
Hermann Baerwald.
rikes druzte; die andere die herthoge yan sassen die marschalk; die
dridde die marcgreve von brandenburcli die kemerere“. Ausdrück
lich wird alsdann hervorgehoben: „Die schenke des rikes die koning
von behemen, die ne hevet nenen köre, umme dat he nicht düdesch
n’is. Sint kisen des rikes vorsten alle, papen und leien. Die to’me
ersten an’me köre genant sin, die ne solen nicht kiesen na iren
mutwillen, wenne sven die vorsten alle to koninge irwelt, den solen
sie aller erst bi namen kisen“ *).
Betrachten wir nun die nach der Abfassung des Sachsenspiegels
vorgekommenen Wahlen, so finden wir, dass bei der am 22. Mai 1246
zu Hochheim stattgehabten Wahl Heinrich Raspo’s anwesend sind: die
Erzbischöfe von Mainz , Trier, Cöln und Bremen; die Bischöfe von
Wirzburg, Naumburg, Regensburg, Strassburg und der Erwählte von
Speier; die Herzoge Heinrich von Brabant und Albrecht von Bran
denburg und mehrere Grafen 3 ) und dass nach Heinrich’s Tode der
Graf Wilhelm von Holland am 3. October 1247 von denselben vier
Erzbischöfen und vom Herzoge Heinrich von Brabant gewählt wird 3 ).
Von einer geschlossenen Zahl von sieben Wahlfürsten ist also
noch keine Spur. Erwägt man aber, dass diese beiden Wahlen, da
A ) Ssp. III, 57, §. 2. Lorenz a. a. 0. S. 19 und ff. deutet diese g’anz unzweifelhaft älte
ste Fassung des Ssp. so lange bis er dahin gelangt darzuthun , die den König von
Böhmen betreffende Stelle müsse verstanden werden: „Der König von Böhmen hat
keine Kur, wenn er kein Deutscher ist.“ Dass Albertus Stadensis der schon 1241
seine Chronik zu schreiben begann, übereinstimmend mit dem Ssp. sagt: rex Bohe-
mie qui pincerna est non eligit, quia non est teutonicus, darüber sucht er in seiner
Weise hinwegzukommen. Dagegen ist derselbe Albertus Stad., wenn er bei derselben
Gelegenheit mittheilt: Palatinus eligit, quia dapifer etc. etc. glaubwürdig genug, um
im Verein mit einer Äusserung des vielfach von später Hand erweiterten Martinus
Polonus bei Lorenz die Überzeugung, dass „dasPrincip der Königswahl auf den Reichs-
erzämtern beruhe“ so fest zu stellen, dass er darauf eine ganze Beweisführung
gründet, und dass er S. 41 sogar ernstlich geneigt ist in der Urkunde v. 15. Mai 1275,
in der doch von einem Wahlrecht r ati o n e duc a tus (also nicht archiofficii!) die
Rede ist, diesen dort zweimal vorkommenden Ausdruck in ratione dapiferatus zu
corrigiren! Wenn wir so nach unserem Belieben ein und demselben Schriftsteller
glauben, was zum Beweis unserer Meinung dient, und das Gegentheil ausser Acht
lassen, umdeuten oder verwerfen; wenn wir echte Urkunden nach unserer Ansicht
zu corrigiren suchen und nicht vielmehr das Umgekehrte thun, wenn wir endlich
die von den bewährtesten Autoritäten , wie Homeyer und Wackernagel, als die
ältesten bezeichneten Texte durch anerkannt spätere Fassungen verdrängen (vgl.
oben S. 30. Anm. 1) wo bleibt uns dann jegliche Basis für unbefangene
Forschung ?
2 ) Boehmer, Reg. imp. inde ab a. 124G—1313, S. 1.
3 ) Ebendas. S. 3 und 4.
Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde K. Rudolfs I.
43
Kaiser Friedrich II. und sein Sohn König Konrad IV. noch lebten,
ausschliesslich von der päpstlichen Partei vollzogen wurden, so
widersprechen sie keineswegs dem im Sachsenspiegel aufgestellten
Grundsätze, sie bestätigen denselben vielmehr, insofern wir hier die
dort aufgeführten drei geistlichen Wahlfürsten in erster Reihe
finden.
Der am 13. December 1250 zu Foggia erfolgte Tod Kaiser
Friedrich’s II. brachte einen gewaltigen Umschwung in der Partei
stellung der deutschen Fürsten hervor. Innocenz IV. der des Kaisers
Tod als ein Ereigniss begrüsste, über welches sich Himmel und Erde
freuen müssten *), unterliess nicht dasselbe zu Gunsten des ihm
gehorsamen Königs Wilhelm auszubeuten. Wir besitzen noch drei-
unddreissig Briefe die er im Februar 1251 an verschiedene deutsche
Fürsten und Fürstinnen schrieb , um sie für die Kirche und den ihr
ergebenen König Wilhelm zu gewinnen 2 ); aller Orten in Deutschland
entfalteten die päpstlichen Legaten die rührigste Thätigkeit. Schon
nach Verlauf eines Jahres zeigte sich der Erfolg. Als Wilhelm zu
Braunschweig, wo er sich am 25. Januar mit des Herzogs Tochter
vermählt hatte, Hof hielt, wurde er am 25. März 1252 „von dem
M ar k gr af en vo n Bra n den bürg und dem Herzoge von Sach
sen und allen übrigen Magnaten dieses Landes feierlich als römischer
König anerkannt“ 3 ). „So“ — fährt der gleichzeitige Erfurter Chronist
der uns das berichtet, nachdem er noch ein Beispiel demüthiger
Frömmigkeit Wilhelm’s lobend hervorgehoben, fort — „erlangte er
durch Gottes Gnade, vermittelst des päpstlichen Legaten, fast aller
Fürsten Gunst, mit Ausnahme nur des Herzogs von Baiern
(des Rheinpfalzgrafen Otto), der seinem Schwiegersöhne Konrad
hartnäckig anhing. Auch der König von Böhmen ehrte ihn mit
kostbaren, königlichen Geschenken zum Zeichen der Wahl (in
signam elecdonisj“ 4 ).
4 ) Vergleiche den Brief Innocenz IV. an die Erzbischöfe und Bischöfe des König
reichs Sicilien vom 1. Februar 1251. Laetentur caeli et exultet terra — cum stabil!
plenitudine gaudiorum. Raynald ad a. 12ol, §. 3.
2 ) Siehe die Briefe bei Meermann Geschidenis van Graf Willelm von Holland. Anhang
S. 72—108.
3 ) (In Romanum solemniter electus est principem) „Zu derselben Zeit thaten die Bürger
von Goslar dasselbe“. Chron. Erphord.
4 ) Chronieon Erphordiense Boehmer, Fontes rer. Germ. II, 411 und 412 und Reg.
imperii inde ab 1246 etc. S. 19.
44
Hermann ßaerwal d.
Bei der nachträglichen Anerkennung Wilhelm’s treten also jene
im Sachsenspiegel genannten weltlichen Fürsten auf das Deutlichste
hervor 1 ). Zu beachten aber ist, dass neben dem Markgrafen von
Brandenburg und dem Herzoge von Sachsen auch die electio der
ceteri hujus terre magnates und der civesgoslarienses erwähnt wird
und dass zuletzt auch noch der Theilnahme des Königs von Böhmen
gedacht ist.
Von ganz besonderer Wichtigkeit sind die nach König Wilhelm’s
Tode (f 1256, Jan. 28.) vorgenommenen Wahlen. Es war, da auch
KonradIV. bereits längst gestorben war, eine wirkliche Erledigung des
Thrones eingetreten; beide Parteien, die päpstliche wie die stautische,
schickten sich zur Theilnahme an der Wahl an.
Bekanntlich kam es zu einer Doppel wähl. Am 13. Januar 1257
vereinigten sich auf dem Felde vor Frankfurt, nach vorangegangener
Berathung mit den Prälaten, Herzogen und anderen dort Anwesenden,
der Erzbischof von Cöln, der zugleich im Aufträge des damals von
dem Herzoge Albrecht von Braunschweig in Gefangenschaft gehalte
nen Erzbischofes von Mainz handelte, Ludwig der Pfalzgraf des
Rheins und dessen Bruder Heinrich Herzog* von Baiern, nachdem
sie wiederholt vergeblich die innerhalb der Stadt sieh befindenden
Wahlfürsten, den Erzbischof von Trier nämlich und den Herzog von
Sachsen, zur Theilnahme an der Wahl aufgefordert hatten, zur Wahl
des Grafen Richard von Cornwallis. Dieser Wahl traten nach einigen
Tagen die Boten des Königs Otakar von Böhmen bei 2 ).
4 ) Man wird wohl nicht einwenden, dass in dem von uns mitgetheilten Berichte des
Erfurter Chronisten der Herzog von Baiern und nicht wie im Ssp. der Pfalzgraf
des Rheins genannt wird , denn Otto d. Erlauchte vereinigte ja beide Würden,
und wir wollen ja nur, abgesehen von der Stimmenzahl, constatiren, dass er (als
fehlend) erwähnt wird.
2 ) Am 31. Aug. 1268 schrieb P. Urban IV. „dem erwählten König Richard“, wie des
sen Bevollmächtigte ihm vorgetragen hätten: quod vacante Rom. imperio die per
omnes praedictos principes (es sind entweder alle sieben Wahlfürsten gemeint,
oder der Erzbischof von Mainz und der Pfalzgraf des Rheins, denen nach den
von denselben Bevollmächtigten vorangeschickten „consuetudines circa electionem“
es zukömmt „ad electionem istam celebrandam diem praefigere ac electores prin
cipes convocare“) pro celebranda regis Romani in imperatorem postea promoveiuli
electione statuto in octavis Epiphaniae a. d. 1256 apud memoratum oppidum de
Franchenfurt quinque tantum de dictis principibus tum per se tum per alios vide-
licet bonae memoriae Coloniensis archiep. (qui) ea vice in hoc commiserat vices
suas et dilectus filius nobilis vir Com. Palatinus apud Franchenferd: bonae memo
riae vero Trevirensis archiep. et dilectus filius nobilis dux Saxoniae intra dictum
Über die Echtheit und Bedeutung’ der Urkunde K. Rudolfs I.
45
Dagegen erwählten am 1. April desselben Jahres in Frankfurt
der Erzbischof von Trier, kraft der ihm vom Könige von Böhmen,
dem Herzoge von Sachsen und dem Markgrafen von Brandenburg dazu
ertheilten Macht, im Beisein der Bischöfe von Worms und Speier den
König Alfons von Castilien zum römischen König !)•
oppidum convenerunt. Cumque iidem Trevirensis archiepiscopus et dux Saxoniae
praefatos, archiep. Coloniensem et Comitem, nec ipsum oppidum intrare permitte-
rent nec ad eos exire yellent, super hoc saepius requisiti archiep. Colon, et Comes,
attendentes ex lapsu temporis periculum imminere, si forsan non fieret electio ilia
die, quae ad hoc fuerat peremtorie constituta , praesertim cum de anno et die
post vacationem Imperii quindecim dies solummodo super essent, infra quos nullo
modo potuissent propter locorum distantiam et alias facti circumslantias praefati
principes iterum convenire, cum praelatis, ducibus et aliis ibidem praesentibus
deliberatione praehabita de ipsorum communi consilio et assensu ad electionem pro-
cedere decreverunt: et tandem praefatus Coloniensis pro se ac dictis Maguntino,
cuius vices gerebat, et Comite praesente et consentiente, divino nomine invocato,
te in regem Rom. elegit et mox electionem hujus modi magnatum et aliorum
astantium copiosae multitudini publicavit. Cui electioni per charissimum in Christo
filium nostrum regem Bohemie illustrissimum per paucos dies consensu praestito,
demum tu ad tuorum electorum et aliorum imperii optimalum — instantiam — eidem
electioni consensisti. Raynald. ann. ecclesiastici, Tom. XIV, ad a. 1263, §§. 64 et 66.
Der hier erwähnte Beitritt der böhmischen Boten wird bestätigt; durch den Brief
Wilhelm’s an den päpstlichen Legaten, Johann von Messina vom 22. Januar 1267
bei Gebauer, Leben Richard’s, S. 336 — durch den Brief Clemens IV. an Otakar vom
7. Nov. 1268, hei Raynald, 1. c. ad a. 1268, §. 43, cum in utrumque tuorum
electorum tua vota, licet suecessive, direxeris etc.— endlich durch die Relation
Bruno’s von Olmätz aus dem Jahre 1273. Abhandlung der baierischen Akademie der
Wissenschaften. Jahrg. 1846, S. 20 IT. Dagegen ist hier die Theilnahme des Herzogs
Heinrich von Baiern an der Wahl, die der gleichzeitige Hermannus Altahensis (vgl.
d. Stelle oben S. 13, Anm. 1) die Annales Scti. Rudberti Salisb. M. S. SS. IX. 494,
ad a. 1267. Ludovicus com. palatinus Reni et H e i n r i c u s d u x ß a v a r i a e, frater ejus
cum episcopis Maguntino et Coloniensi fratrem regis Anglie in regem Rom., accepta
ab eo magna quantitate pecunie, elegerunt (die Summen welche die einzelnen
Fürsten erhielten, gibt Thomas Wikes Boehmer, Fontes 11,461 ff.an) und die Urkunde
Rudolfs vom 16. Mai 1276 berichten, nicht erwähnt. Der Grund dafür dürfte sich
aus dem unten S. 48 ff. Gesagten ergehen.
*) Nach dem Berichte der Bevollmächtigten K. Alfons’ in dem erwähnten Briefe
P. Urban’s IV.: dictus Treverensis archiep. a rege ßohemiae, duce et marchione
sibi super hoc potestate commissa, dictum regem Castellae — in Rornanorum Regem
et imperatorem elegit. — Herrn. Allah, ap. Boehmer Fontes II, 610. Dominus autem
Treverensis episcop. cum aliis quibusdam principibus consentire nolens electioni
predicte in media quadragesima fretus literis et auctoritate regis Boemie, ducis
Saxonie, marchionum de Brandenburch et multorum principum elegit dominum
Alfonsum regem Hyspanie, qui electioni de se facte consensit persuasus a regibus
et principibus et amicis. Die Annales Scti Rudb. Salisb. l.c. bemerken nach der Wahl
Richard’s: Marchio Brandenburgensis cum ceteris electoribus imperii et principibus
et nobilibus totius Swewie, de consilio domini pape ac aliorum principum Romano
imperio subjectorum, regem Cestellie de Hyspania in regem Romanorum elegerunt.
46
Hermann Baerwald.
Sehen wir nun auf die Persönlichkeiten deren Theilnahme als
Wähler bei beiden Wahlen zusammen ausdrücklich erwähnt wird,
so weicht die auf das Bestimmteste hervortretende Betheiligung des
Herzogs von Baiern und des Königs von Böhmen von der im Sach
senspiegel aufgestellten Norm ab; anderseits überschreitet die hin
reichend verbürgte Theilnahme des Herzogs von Baiern die geschlos
sene Zahl der späteren Kurfürsten 1 )- Rückwärts (auf den Ssp.) und
vorwärts (auf die nachmaligen sieben Kurfürsten) gesehen, liegen
also die Schwierigkeiten in der bei der Wahl Richard's nicht zu leug
nenden Wählerschaft Baierns und Böhmens.
Dass Böhmen zu denjenigen hinzugetreten ist, die nach dem
Sachsenspiegel in erster Reihe wahlberechtigt sind, scheint uns
wenigstens noch auffallender, als dass dasselbe von Baiern gesche
hen. Für Baierns Wahlstimme nämlich haben wir ein merkwürdiges
Zeugniss in der schon erwähnten, um das Jahr 1240 geschehenen
Äusserung Otto’s des Erlauchten: veilem utrique voci renunciare,
videlicet Pcilatii et Ducatus; für Böhmen aber fehlt nicht blos ein
solches Zeugniss, sondern im Sachsenspiegel ist im Gegentheil aus
drücklich hervorgehoben: Der König von Böhmen wählt nicht, weil
er kein deutscher Mann ist.
Unter solchen Umständen ist es doppelt auffallend, dass im
siebenten Jahre nach der Wahl Richard’s und Alfons’, in dem von dem
PapstUrban IV. am 31. August 1263 von Orvieto aus an K. Richard
gerichteten Briefe von den stimmberechtigten Fürsten beiläufig
bemerkt wird „deren sind sieben an Zahl“ a ), dass dann eben
1 ) Otto der Erlauchte führte zwei Stimmen und es liegt nichts vor, das uns bewe
gen könnte anzunehmen, seine Söhne Ludwig und Heinrich hatten im Jahre 1257,
vier Jahre nach ihres Vaters Tode, eine derselben eingebiisst gehabt. Sonach
treten im Jahre 1257 aus der Zahl der deutschen Fürsten acht als vorzugsweise
das Wahlrecht ausübend mit eben so viel Stimmen hervor. Noch ist also von
sieben Kurfürsten nicht die Rede und es verdient, wie wir oben S. 35 gethan,
hervorgehoben zu werden, dass auch in der Urkunde vom 15. Mai 1275 bei
Erwähnung der Wahl Richard’s der Siebenzahl der Wähler, die ebendort bei
Rudolfs Erwählung genannt wird, durchaus nicht gedacht wird.
2 ) Raynald ad a. 1263 P. Urban IV. an den erwählten König Richard, dat. ap. Urbem
Veterem31. Aug. 1263. Qui coelum—expedire. —Etquidem venerahilisfrater noster
Laurentius Episcop. et dil. filius Willelmus archidiaconus RofFensis ac Robertus
de Baro procuratores et nuntii tui a te plenariam potestatem liabentes, ut in
nostro consistorio tua proponerent negotia et peterent cum solemnitate qua con-
veniret, vocationem tuain solemniter ad coronam —coram nobis et eisdem fratribus
Über die Echtheit und Bedeutung- der Urkunde K. Rudolfs I.
47
dort die Wahlen Richard’s und Alfons’ zusammen als nur von sieben
stimmgebenden Fürsten vollzogen dargestellt werden und zwar so,
dass neben den sechs im Sachsenspiegel als in erster Reibe zur Kur
berechtigt hingestellten Fürsten, der König von Böhmen als sieben
ter den Kreis der allein noch berechtigten sieben Kurfürsten
scbliesst.
Jene in dem erwähnten Briefe Papst Urban’s IV. ganz beiläufig
zu principes vocem in electione novi regis Romani in imperatorem
postea promovencli habenies gemachte Bemerkung: „qui sunt septem
numero“ enthält die erste Kunde von dem fortan in der deutschen
Geschichte so bedeutsamen kurfürstlichen Collegium *).
Verweilen wir, wie es die Wichtigkeit der Nachricht erheischt,
einen Augenblick bei derselben, so erscheinen uns vornehmlich drei
Umstände sehr beachtenswerth:
1. dass diese Nachricht von einem Institute, durch welches die
für die Kirche wie für das deutsche Reich gleich wichtige Königswahl
proponere curaverunt quasdam consuetudines circa electionem novi regis in
imperatorem postea promovendi apud principes vocem hujusmodi habentes , qui
sunt septem numero pro jure servari et fuisse hactenus observatas a tempore
cujus memoria non extitit, secundum quas etc.
*) Lorenz hat den Nachweis versucht „dass die Rechte der sieben Kurfürsten durch
aus nur in der päpstlichen Gewalt wurzeln.“ Er bezeichnet zu dem Zwecke den
Brief Papst Urban’s IV. vom 31. August 1263 als eine Bulle, in der der Papst
„durch seinen Richtersprucli (die gelegentliche Bemerkung- „qui sunt
septem numero“ ist gemeint!) die ausschliessliche Wahl der sieben Kurfürsten
begründet.“ Diese „Bulle Urban’s IV. bildet die Grundlage des kurfürstlichen
Rechtes“. „Der Verlauf und die Entstehung des fraglichen Rechtes“ ist Lorenz
völlig klar und „stellt sich ganz einfach dar. Seit Innocenz III. bildete sich die
Ansicht aus, dass die Wahl des Königs von einem beschränkten Kur-Collegium
geschehen müsse. Der Sachsenspiegel zeigt uns die Meinung, welche in Deutsch
land darüber herrschte, während von anderer Seite die wir Matthäus Paris treu, als
die päpstliche bezeichnen wollen, ein anderer Entwurf für den Wahlvorgang gemacht
wurde ... Da aber von Seite der Deutschen, nach der Versicherung des Matthäus
Paris, der Entwurf welcher vom Papste ausging zurückgewiesen wurde, s o fa n d der
Sachsenspiegel allmählich in Rom Eingang (!!!). Durch die
Bulle Urban’s IV. (Lorenz meint damit den Brief des Papstes an K. Richard)
sehen wir den Sachsenspiegel legitimirt und zum Rechtsgrund
satze erhoben“ (! ! !) a. a. 0. S. 18 ff.— Wir bedauern aufrichtig, Lorenz überall
entgegen treten zu müssen. Allein die gegebenen Proben mögen beweisen, wie sehr
wir dazu gedrängt wurden, sie mögen uns zugleich entschuldigen, wenn wir nicht
für nöthig gehalten haben, Alles zuwiderlegen, was in der erwähnten Lorenz'sehen
Schrift nach unserer Ansicht falsch ist.
a
48
H ermann Baerwal<1.
endlich fest geregelt wurde, sich zuerst in einem päpstlichen Briefe
vorfindet;
2. dass die hier zuerst sich vorfindende, das Wahlrecht auf
sieben Fürsten beschränkende Regel als schon bei Wahlen in Anwen
dung gezeigt wird, an denen sich in Wahrheit noch acht Fürsten
mit eben so viel Stimmen betheiligen. Während nämlich thatsäch-
lich acht Fürsten an den Wahlen Richard’s und Alfons' Theil haben,
werden diese Wahlen in dem Briefe Urban’s IV. als von nur sieben
Fürsten vollzogen dargestellt;
3. dass zu dem Zwecke Baierns Theilnahme an Richard’s Wahl
gar nicht erwähnt wird, dagegen Böhmen im Verein mit den sechs
im Sachsenspiegel als in erster Reihe berechtigt genannten Kurfür
sten das allein berechtigte kurfürstliche Collegium bilden.
Darf man aus dem an erster Stelle hervorgehobenen Umstande
den Schluss ziehen , zu dem man Angesichts der von den Päpsten,
namentlich seit Innocenz III., der deutschen Königswahl gegenüber
eingehaltenen Politik, ohnehin gedrängt wird, dass nämlich die
Beschränkung des Wahlrechtes auf sieben Fürsten von dem Papste
ausgegangen ist, so ist das was wir zum Zweiten angemerkt haben,
ohne Zweifel in dem Streben begründet, die neue, beschränkende
Veränderung als schon durch den Gebrauch sanctionirt erscheinen zu
lassen. Dass aber nicht Baiern, sondern Böhmen welches nach dem
Sachsenspiegel ehedem, in der ersten Hälfte des XIII. Jahrhun
derts, kein Wahlrecht in erster Reihe hatte, jetzt wo dieses
Recht durch die Beschränkung auf eine kleine Zahl von Fürsten eine
ungleich höhere Bedeutung gewann, dasselbe erhielt, dafür bietet
die veränderte Stellung welche der König von Böhmen seit der
Mitte des Jahrhunderts sowohl zum deutschen Reiche als auch zum
Papste gewann, eine ausreichende Erklärung.
Bis zur Mitte des XIII. Jahrhunderts erstreckte sich des Königs
von Böhmen Macht lediglich über die slawischen Länder Böhmen und
Mähren. Da eröffneten ihm die Zustände welche seit dem Aussterben
der Babenberger (1246, Juni IS) in den östreichischenLändern Platz
griffen, die Aussicht auf Erwerbung deutschen Gebietes. Wie nämlich die
Besetzung des Babenberg’schen Erbes durch die bei seiner Erledigung
zwischen Kaiser und Papst waltenden heftigen Kämpfe ganz natürlich
zwischen dem Kaiser der es als dem Reiche heimgefallen betrach
tete , und dem Papste der es unter keinen Umständen in staufische
Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde K. Rudolfs I.
49
Hände kommen lassen wollte, Gegenstand eines verderblichen
Streites geworden war, durch welchen jene Länder fast vier Jahre
herrenlos geblieben und ein Schauplatz des Elends geworden waren;
da benutzte der König von Böhmen die durch den Tod des vom
Papste begünstigten zeitweiligen Beherrschers von Österreich und
Steiermark, des Markgrafen Hermann von Baden (f 1250, Oct. 4.)
und des Kaisers Friedrich II. (f 1250, Dec. 13.) ihm günstigen
Verhältnisse jene Länder zu erwerben.
Gegen Ende des Jahres 1251 entsandte König Wenzel 1.
von Böhmen seinen und seiner deutschen Gemahlinn Kunigunde von
Staufen Sohn, den Markgrafen von Mähren Otakar, mit einem Heere
nach Österreich und wirklich gelang es diesem, begünstigt von eini
gen Grossen des Landes und durch Glück, Geschicklichkeit und
Gewalt unterstützt, zunächst von dem Herzogthume Österreich und
einem Theile Steiermarks Besitz zu ergreifen und sich darin, vor
nehmlich durch das Wohlwollen des Papstes der durch diese Occu-
pation eine Besitzergreifung von staufischer Seite unmöglich gemacht
sah, zu behaupten.
Als nun Otakar nach seines Vaters Tode (1253, Sept. 22.) auch
die böhmische Krone erlangte, gab es im ganzen Reiche keinen mächti
geren Fürsten, als den zugleich durch ritterliche Tapferkeit und hohe
Herrschergaben hervorragenden König von Böhmen, Herzog von
Österreich und Markgrafen von Mähren. Wie hätte ein solcher Fürst
einer so wichtigen Reichsangelegenheit, wie die Königswahl war,
fern bleiben mögen! Wir wissen nicht, in wie fern das neu erwor
bene Herzogthum Österreich ihm ein Wahlrecht gab, denn das Zeug-
niss des Thomas Wikes, welches den Herzog von Österreich zu
den sieben Kurfürsten zählt, kann uns nicht bestimmen das ohne
Weiteres zu behaupten ')• Jedenfalls war die Theilnahme an der
Königswahl für Otakar von wesentlicher Bedeutung. Abgesehen von
*) Thomas Wikes (Augustiner-Chorherr zu Osneye bei Oxford schrieb etwa in
den 80er Jahren des XIII. Jahrhunderts) bemerkt schon zum Jahre 12H7 bei
Gelegenheit der Wahl Richard’s von Cornwallis: Sunt autem septem principes
Alemanniae ad quos potestas eligendi regem specialiter pertinere dignoscitur, vide-
licet tres ecclesiastici et quatuor seculares. Primus ecclesiasticorum archiep. Ma-
guntii, secundus Archiep. Colon, tertius archiep. Treverii. Primus secularium dnx
Bavarie , secundus dux Saxonie, tertius dux Aus tri e, quartus marchio Bran-
denburgie.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXI. Bd. I. Hft. 4
so
Hermann ß ae r w a 1 d.
der Wichtigkeit des Rechtes selbst, so hing ja auch die Beibehaltung
seiner neuen Erwerbung von dem deutschen Könige ab, der ihn damit
zu belehnen hatte.
Wir finden daher schon ein Paar Monate, nachdem sich Otakar
in den Besitz Österreichs gesetzt hatte, im März 1252, die Boten des
alten Königs von Böhmen Wenzel bei dem Könige Wilhelm mit
Geschenken zum Zeichen seiner Wahl*) und als im Jahre 1256 wie
der eine Vacanz eintrat, da musste auch selbst dem Papste daran
liegen, dass der ihm eng verbündete König von Böhmen, Herzog von
Österreich und Markgraf von Mähren, Otakar, der Königswahl nicht
fern bleibe. Ohnehin war er ja schon seiner bedeutenden Machtstel
lung wegen schwer zu übergehen. So scheint auch schon bei den der
Wahl Riehard’s vorangegangenen Vorverhandlungen eine besondere
Rücksicht auf Otakar genommen worden zu sein. Im Sommer 1256
weilt der Erzbischof Konrad von Cöln mehrere Wochen bei dem
Könige zu Prag und schon der zeitgenössische böhmische Chronist
vermuthet mit Grund, der Kirchenfürst sei gekommen „um mit dem
Könige über das Reich zu berathsehlagen“, d. h. hei der damaligen
Thronerledigung über die Königswahl a ).
Bei den nun folgenden Wahlen Richard’s und Alfons' spielt der
König von Böhmen eine sehr eigenthümliehe Rolle. Seine Boten
finden wir an dem allgemein festgesetzten Wahltage innerhalb
der Stadt Frankfurt bei dem Erzbischof von Trier, dem Parteigänger
des Königs Alfons von Castilien. Als aber der Erzbischof es nicht zum
Vollzug der Wahl bringen konnte, erklärten sie sich einige Tage
nach der am 13. Januar 1257 stattgehabten Wahl Richard’s für
diesen und trotzdem bezog sieb der Erzbischof von Trier, als er am
1. April 1257 dennoch den Alfons erwählte, auf eine Vollmacht des
Königs von Böhmen 3 ). Wollte Otakar vielleicht durch seine Theil-
nahme nach beiden Richtungen für jeden Fall eine feste Grund
lage seiner Wahlberechtigung gewinnen? Wir wagen nicht diese
*) S. oben S. 43.
2 ) Cont. Cosm. M. G. SS. IX, 176 ad a. 1256. Eodem anno XVI. Kal. Augusti Con-
radus archiep. Colon. Pragam venit et in monte Syon hospitatus est pluribus die-
bus et a principe terre decenter receptus et in expensis procuratus est, ut
credimus cum principe de imperio tractaturus. Tandem pluribus ac variis xeniis
ab eodem principe remuneratus copiose IV. Id. Augusti ad sua reversus est.
3 ) S. oben S. 44, Anm. 2 u. S. 43, Anm. 1.
Über die Echtheit und Bedeutung- der Urkunde K. Rudolfs I.
51
Vermuthung mit Bestimmtheit auszusprechen. Schien doch seine Macht
ihm für immer ein solches Vorrecht zu sichern. Und diese Macht breitete
sich noch fortdauernd mehr aus. In Folge seines glänzenden Sieges
überdieUngern bei Kressenbrunn (1260, Juli 16.) gewann er im Frie
den zu Pressburg zu Österreich auch noch Steiermark ‘). So scheint
denn 1262 selbst derjenige unter den deutschen Fürsten, der sein
natürlicher Gegner war, der Pfalzgraf des Rheins Ludwig, sein
Wahlrecht anerkannt zu haben. Zum Wenigsten berichtet Otakar
dem Papste Urban IV.: der Rheinpfalzgraf und der Erzbischof von
Mainz haben ibn aufgefordert, sich an der von ihnen beabsichtigten
Königswahl zu betheiligen. Diese Wahl sollte , während Richard in
England weilte, den jungen Konradin auf den von seinen Ahnen so
lange ruhmvoll behaupteten römischen Kaiserthron erheben. Indern
Otakar, den Papst von diesem Vorhaben unterrichtend, es vereitelte,
zeigte er sich als einen treuen Sohn der Kirche und als eine mächtige
Stütze König Richard’s 2 ). Der Lohn blieb nicht aus.
Es war eines der ersten Regierungsgeschäfte K. Richard’s, die
uns nach seiner dritten Ankunft in Deutschland bekannt sind, dass er
den Otakar und seine Erben nicht blos mit seinem väterlichen Erbe,
dem Königreiche Böhmen und der Markgrafschaft Mähren, sondern
auch mit seinen neu erworbenen Besitzthümern Österreich und
Steiermark belehnte 3 ). Und als nunmehr Papst Urban IV., wohl
durch jene Wahlbewegung in Deutschland dazu veranlasst, den schon
lange bei der römischen Curie schwebenden Process der beiden
Gewählten, Richard und Alfons, wieder aufnahm, und unter seiner
Hand der Wahlmodus sich so veränderte, dass nur sieben aus
schliesslich berechtigte Wahlfürsten anerkannt blieben, da konnte
es nicht zweifelhaft sein, dass der König von Böhmen zu diesen
sieben Wahlfürsten mitgehören müsse. Wir haben schon hervor
gehoben, dass bei den Wahlen Richard’s und Alfons’ neben den sechs
anderweitig als in erster Reihe zur Wahl berechtigten Fürsten auch
der König von Böhmen und der Herzog von Baiern namentlich als
*) Palacky, Gesell, v. Böhmen II, 1, 180 11‘.
2 ) Vgl. den Brief Urban’s IV. an Otakar, dat. Viterbo 1262, Juni 3. bei Raynald a. a. 0.
z. Jahre 1263, §. 3 und Boehtner, Reg. Richard’s Nr. 70; Palacky II, 1, 190,
Anm. 238.
3 ) S. d. Urkunde (dat. Aachen 1262, Aug. 9.) bei Lambaclier Interregnum. Anhang.
S. 91—93. ßoehmer, Reg. Rieh. Nr. 73.
4
32
Hermann Baerwald.
Mitwähler genannt werden. Es lässt sieh nicht denken, dass die Bevoll
mächtigten König Richard’s die Thatsache, dass der Herzog von
Baiern für ihren Herrn mitgestimmt, nicht besonders werden hervorge
hoben haben, zumal ja Alfons für sich geltend machen liess, er sei von
der Majorität gewählt worden. Wie aber hätten sie versuchen mögen
ernstlich etwas zu behaupten gegen die Ansicht und den Wunsch des
Papstes, gegen den Vortheil des Königs von Böhmen! Leiteten nun
Wunsch und Ansicht des Papstes zu jener Beschränkung auf sieben
Fürsten, so muss man gestehen, weiser konnte die Veränderung
nicht bewirkt werden, als indem jenen sechs im Sachsenspiegel
genannten Fürsten der König von Böhmen beigesellt wurde. Dem
Hergebrachten sich anschliessend, zugleich aber auch, in Betreff
Böhmens , den durch die Zeit veränderten Verhältnissen Rechnung
tragend, enthielt die Veränderung selbst die Bürgschaft der Dauer
haftigkeit. Auch durfte man hoffen, die durch den Gang der Dinge
ohnedies längst vorbereitete Veränderung werde leicht Eingang
finden. Dass dieses aber ohne jeglichen Widerstand geschehen würde,
wird wohl schon damals Niemand geglaubt haben.
Baiern welches noch bei Richard’s Wahl, neben den sechs in
erster Reihe berechtigten Wählern, sein altes Wahlrecht ebenso gut
wie Böhmen geübt hatte, war in dem päpstlichen Briefe gar nicht
erwähnt; nach der Ansicht des Papstes galt seine Stimme also nicht
mehr, wie die der anderen Herzoge, Prälaten und Barone, mit
denen die eigentlichen Wahlfürsten, wie im päpstlichen Schreiben
erwähnt wird, vor der Wahl zu Ratlie gingen. Durfte man nun
erwarten, dass Herzog Heinrich von Baiern und dessen Bruder Ludwig
der Rheinpfalzgraf, der Oberbaiern besass, diese Rechtsschmälerung
ohne Weiteres hinnehmen würden? War es gewiss, dass die deut
schen Fürsten unbedingt die Ansicht des Papstes zu der ihrigen
machen würden ?
Zunächst musste sich das bei der folgenden Königswahl zeigen.
Am 2. April 1272 starb König Richard. Das ganze Jahr 1272
verlief, ohne dass die deutschen Fürsten Anstalten getroffen zu haben
scheinen für die Wiederbesetzung desThrones zu sorgen. Wenigstens
ist uns nur die Eine Nachricht erhalten, dass der Erzbischof Engelbert
von Cöln wieder, wie einst nach dem Tode König Wilhelm’s sein
Vorgänger Konrad, im Sommer 1272 sich nach Prag begab, um mit
dem Könige von Böhmen über die Königswahl zu unterhandeln.
Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde K. Rudolfs I.
53
Da geschah es, dass der von den Päpsten auf die Königswahl
gewonnene Einfluss sich einmal recht heilsam für Deutschland
erwies. Papst Gregor X. von dem heiligsten Eifer für das Wohl der
Christenheit erfüllt, liess an die Wahlfürsten den dringenden Befehl
ergehen, in der Person eines in Eintracht gewählten Königs der
Kirche einen Schutzherrn zu gehen. In Folge dessen begann gleich
im Anfänge des Jahres 1273 eine lebhafte Wahlbewegung. Diese
wurde durch den Beschluss der rheinischen Städte, nur einen ein-
müthig gewählten König anzuerkennen, in dem vom Papste anem
pfohlenen Streben nach einer einmüthigen Wahl festgehalten und
angespornt. In wiederholten Zusammenkünften vereinigten sich die
Wahlfürsten über ihr Verhalten bei der bevorstehenden Wahl und
festigten ihre Verabredungen durch förmliche Verträge. Die Seele
aller Verhandlungen waren der Erzkanzler des Reiches in Deutschland,
der Erzbischof von Mainz, und der Pfalzgraf des Rheins. Zu ihnen
gesellten sich die Erzbischöfe von Trier undCöln und durch Vermit
telung des, hei den Vorverhandlungen als Unterhändler iungirenden
Burggrafen Friedrich von Nürnberg, traten auch der Herzog von
Sachsen und der Markgraf von Brandenburg hinzu.
Weder den König von Böhmen noch den Herzog von Baiern finden
wir zu den wichtigen Vorverhandlungen herangezogen; nur jene
sechs Fürsten welche der Sachsenspiegel als in erster Reihe hei der
Königswahl berechtigt nennt, treten hervor und unter ihnen der erste
geistliche und der erste weltliche Wahlfürst in der hervorragenden
Stellung welche auch der Brief P. Urban’s IV. vom 31. August 1263
als nach alter Sitte ihnen zukommend überliefert.
So empfindlich auch diese Zurücksetzung dem Herzoge Heinrich
von Baiern sein musste, tiefer musste sie jedenfalls den König Otakar
von Böhmen verletzen. Trotz des grossen Einflusses den seine Macht
stellung seit 20 Jahren ihm in Deutschland verschafft hatte, trotz
seines freundschaftlichen Verhältnisses zum Papste, ungeachtet seines
Vaters und seiner eigenen Theilnahme an den Wahlen Wilhelm’s,
Richard’s und Alfons', ungeachtet endlich des ganz unzweifelhaften
Rechtes das sich für ihn aus jenem päpstlichen Briefe ergab, in
welchem zuerst das Wahlrecht auf sieben Fürsten beschränkt
erscheint, drohte jetzt eine Wahl zu Stande zu kommen, zu deren
Meister sich sein langjähriger Gegner, der Pfalzgraf des Rheins,
gemacht hatte, bei deren Berafhung man ihn, den mächtigsten
54
Hermann B a e r w a I d.
Fürsten, den kräftigsten Beschützer der östlichen Marken des Reiches
gegen die Einfälle kumanisclier Horden, den thätigsten Förderer deut
scher Cultur und Bildung in seinem slawischen Königreiche, gänzlich
überging.
Otakar war nicht gemeint, das ohne Weiteres hinzunehmen.
Neben seiner Stellung als Reichsfürst hatte er zugleich eine europäi
sche Stellung. Längst schon hatte er mit dem Ruhme seiner Thaten alle
Länder von der Ostsee bis zum adriatischen Meere erfüllt, ebennoch, als
in Deutschland die Vorverhandlungen zur Königswahl gepflogen wurden,
hatte sich seine Macht siegreich gegen die Ungern bewährt. Wohl war
es wahrscheinlich eben diese ganz ungewöhnliche Stellung des Böhmen
königs, welche den ersten unter den weltlichen Wahlfürsten, Lud
wig, den Pfalzgrafen des Rheins bewog, seine eigene, auf Erlangung
der Königswürde gerichteten Pläne aufzugeben, um nur eine von
Otakar’s Einflüsse freie Einigung der Wahlfürsten herbeizuführen.
Auf der andern Seife aber hielt sich Otakar in dem, durch das Gefühl
seines weit verbreiteten Ruhmes gehobenen Bewusstsein seiner
Macht stark genug, sich der Einigung der deutschen Wahlfürsten
entgegen zu stellen.
Je ungünstiger sich die Beziehungen zwischen Otakar und den
Wahlfürsten nothwendig gestalten mussten, desto mehr durfte Herzog
Heinrich von Baiern hoffen, die Stellung unter den Wählern wieder
zu erlangen, aus der er durch den Brief Urban’s IV. vom 31. August
1263 verdrängt war.
Seitens der deutschen Fürsten konnte ihm die Anerkennung
seines Wahlrechtes kaum zweifelhaft sein. Bei ihnen war des Rhein
pfalzgrafen Ludwig Einfluss überaus wirksam und dass dieser für das
vom Vater ererbte, dem Herzogthume Baiern anhaftende Wahlrecht,
an welchem er selbst Antheil hatte, eintreten würde, war gewiss.
Man war aber in Deutschland nun einmal gewöhnt in Angele
genheiten der Königswahl auf das zustimmende Wort des Papstes
ein grosses Gewicht zu legen. In einem in dem Formelbuch Peter’s
von Hall aufbewahrten Briefe wendet sich ein deutscher Fürst an
Gregor X. mit der Bitte: „ihn wieder unter seine und der römischen
Kirche gehorsamen Söhne zu setzen“. „Erzogen von gottesfürchti-
gen, ehrwürdigen Geistlichen, habe er niemals etwas gethan oder zu
thun beabsichtigt, das dem apostolischen Stuhle missfallen könnte.
Daher werde sein durch den Tod seines überaus theuern Neffen
Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde K. Rudolfs I.
S5
Konrad betrübtes Herz nur dann wieder aufathmen können, wenn es
durch den süssen Trost und durch die apostolische, liebevolle Gnade
des heiligen Vaters erleichtert würde. Diese Gnade allein wisse und
vermöge so grosser Schmerzen Tröstung zu verleihen, wenn sie,
mütterlich ihn umschlingend, ihn wie einen Sohn hege, und seinen
Stand unter den übrigen Wahlfürsten des römischen
Reiches mit väterlichem Segen leite, seine Bitten
erfülle und den Berichten seines Nebenbuhlers kein Gehör
gebe“. Nichts scheint gerechtfertigter, als die Annahme, dass dieses
ein Brief sei, den Herzog Heinrich von Baiern zur Sicherung seines
seit dem Jahre 1263 zweifelhaft gewordenen Wahlrechtes vor
Rudolfs Wahl au Gregor X. geschrieben 1 ).
Der Tag dieser Wahl nahte heran. In die für dieselbe am 29. Sep
tember 1273 festgesetzte Versammlung entsandte Otakar, der König
von Böhmen, seine Boten; aber auch der Herzog Heinrich von Baiern
unterliess es nicht ebendorthin seine Bevollmächtigten zu schicken.
Wieder waren also wie zur Zeit der Wahlen Richard’s und
Alfons’ getrennt, so jetzt zusammen, acht Wahlfürsten, theils per
sönlich, theils durch Bevollmächtigte vertreten, anwesend. Damals
hatten noch sämmtliche acht Fürsten, nach vorangegangener Bera-
*) Friedr. Firnhaber, Summa de Iiteris missilibus Petri de Hallis. Fontes Rer. Austria
car. II. Abtheil. Bd. VI, S. 67, Nr. CIX. Sanctitati igitur vestre nos humilem
filium ac devotum sancte ecclesie oflerentes, rogamus suppliciter et obnixe quate-
nus nos inter vestros et sancte ecclesie Romane devotos filios reponatis, et si
forte, quod non optamus, fatentis vestris auribus quidquam devocioni et subjec-
cioni contrarium malorum fuerit insinuatione sug’gestum , hoc non ex fonte veri-
tatis et justicie, sed ex odii fomite procedere cogmoscatis, presertim cum discre-
cione virorum timentium dominum et honorabilium et religiosorum, sub quorum
sumus manibus educati constet liquidius , nos nihil unquam egisse in opere vel
consilio fore conatos, quod merito possit sedi apostolice displicere , unde etiam
super amaritudine nostri charissimi quondam Ch. nepotis nostri cor nostrum non
poterit respirare, nisi per vestre paternitatis consolatoriam dulcedinem et aposto
lice benignitatis clementiam releventur , que sola novit et potest tantorum con-
ferre solatia lamentorum , si maternis nos uberibus amplexata dignetur, ut filium,
confo vere, nostrumque s t a t u m inter ceter os Rom. i m p e r i i e 1 e c-
tores paterna benedictione dirigere et petitiones nostras a licito et honesto nullo
modo discrepantes effectum prosequentem complere nec accomodare de facili audien-
tiam relatibus emulorum. Super quibus plenius proponendis ad presenciam tales
ducimus destinandos, potentes humiliter ac devote, ut ipsorum relatibus aures
benivolas et gratum favorem dignemini adhibere. — Boehmer, Wittelsbachische Rege
sten S. 37, nimmt ohne Weiteres den Herzog Heinrich von Baiern als Schreiber
dieses Briefes an.
thung mit den Herzogen, Prälaten und Baronen, ihre Stimmen abge
geben. Inzwischen war aber, wie wir wissen, vom Papste als ausge
machte Sache hingestellt worden: sieben sei die Zahl der wahl
berechtigten Fürsten; Baiern war ausgeschlossen worden. Sollte
man nach dem Beispiel der letzten Wahlen alle acht Fürsten an der
Wahl Theil nehmen lassen ? oder sollte man sich die in dem päpstli
chen Schreiben herrschenden Ansichten aneignen ?
Es bezeichnet die Wichtigkeit der Urkunde K. Rudolfs vom
IS. Mai 1273, dass sie allein uns darüber belehrt, wie die Wahl-
fürsten diese wichtigen Fragen im entscheidenden Momente erledigten.
Der Bevollmächtigte des Königs von Böhmen hatte den Auftrag,
der Wahl, über welche sich schon vorher sechs Wahlfürsten ohne
Zuziehung des Königs von Böhmen geeinigt hatten, nicht beizustim
men. Dagegen waren die Bevollmächtigten des Herzogs Heinrich
von Baiern beauftragt, sich den Wählern Rudolfs anzuschliessen.
Demgemäss erschienen sie, wie unsere Urkunde überliefert, in der
Wahlversammlung, entschuldigten gesetzmässig, wegen gesetzmässi-
ger Hindernisse, ihres Herrn Abwesenheit und compromittirten, ihrem
Aufträge gemäss, zugleich mit allen andern Fürsten die ihre Stimmen
dem Rudolf zugewendet hatten, auf den Rheinpfalzgrafen Ludwig.
Der Widerspruch den der anwesende Bevollmächtigte des Königs
von Böhmen, der Bischof Berthold von Bamberg, gegen ein solches
Beginnen der baierischen Bevollmächtigten erhob, wurde von allen
Wahlfürsten, sowohl geistlichen als weltlichen, nicht zugelassen. Viel
mehr übernahm der Rheinpfalzgraf den ihm gewordenen Auftrag und
erwähltein seinem und seines Bruders, des Herzogs Heinrich, und
aller übrigen zur Wahl berechtigten Fürsten Namen feierlich den
Rudolf zum König. Dabei wurden die Stimmen derselben Brüder,
Herzoge von Baiern, Pfalzgrafen des Rheins, auf Grund des Herzog
thums für Eine in der Zahl der sieben zur römischen Königswahl
berechtigten Fürsten mitgerechnet.
Baiern . das durch das päpstliche Schreiben vom 31. Aug. 1263
aus der Zahl der Wähler verdrängt worden war, war so wieder in
dieselbe aufgenommen. In dieser Hinsicht wurde das was bei der
Wahl Richard’s in Übung war, berücksichtigt. Anderseits wurde der
in dem päpstlichen Briefe zuerst sich findende Grundsatz der sieben
Wahlfürsten festgehalten. Im Ganzen war jetzt die Sachlage so,
dass der Grundsatz welcher am 31. August 1263 durch P. Urban IV.
Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde K. Rudolfs I.
57
zuerst zum Vortheile Böhmens und zum Nachtheile Baierns einge
führt erscheint, nunmehr umgekehrt zum Nachtheile Böhmens und
Vortheile Baierns beibehalten wurde 1 ).
Für die Wahl Budolf’s war dadurch, dass man eine Stimme auf
Grund des Herzogthums Baiern mitzählte, die Zustimmung von sieben
Wahlfürsten erlangt. Daher konnte der Erzbischof von Mainz von
dieser Wahl dem Papste berichten: de communi consensu
omnes et singuli oculos nostros injecimus eum (sc. Rudolf um)
in regem Romanorum imperatorem futurum una voce votoque
unanimi autliore altissimo eligentes 2 ) und Budolf konnte, wie wir
schon hervorgehoben haben, von seiner Wahl als von einer „von sä mm t-
Iichen zurWahl berechtigten Fürsten einmüthig abgehal
tenen“ sprechen 3 ); Böhmen das allein gegen ihn war, war ja durch
Zulassung Baierns zur Kur von derselben thatsächlich ausgeschlossen.
Otakar aber wandte sich beschwerend an den Papst und
obgleich er ganz besonders darum dessen Beistand anrief, weil
„jenes Beich, vordem einst die ganze Welt erzitterte, dessen Regie
rung sonst nur den Hervorragendsten übertragen zu werden pflegte,
jetzt Menschen anvertraut werde, die aller Macht haar und von Armuth
gedrückt seien, deren Ruf das Dunkel derVerborgenheit nicht durch
dringe“, obgleich er so seine eigene Unzufriedenheit mit der gesche
henen Wahl hinter der Sorge um dieWohlfahrt des Reiches verbarg;
unterliess er es doch nicht beim Papste zugleich auf das Unrecht hinzu
weisen, das ihm persönlich bei der Wahl zugefügt worden, indem die
Wahlfürsten „ungeachtet des Widerspruches und der Re
el amation seiner Bevollmächtigten einstimmig einen
gewissen, wenig dazu geeigneten Grafen gewählt hätten zurBeschwe-
rung des Reiches und mit Verletzung seines Rechtes“ 4 ).
*) Ob es den Wahlfürsten zugestanden habe, die in dem Briefe P. Urban’s IV. festge
haltene Ansicht, wie geschehen, zu verändern, ist eine Frage, die hier zunächst
gar nicht in Betracht kommt. Hier haben wir nur festzustellen , was geschehen
ist. Schwerlich wird man aber so weit gehen dürfen zu behaupten, der Papst
allein habe das Recht gehabt, den Wahlmodus für den römischen König zu
bestimmen.
8 )Stobbe, Formelbuch Rudolfs I. und Albrecht’s I. Archiv für Österreich. Gesch.
Bd. XIV.
3 ) Vgl. oben S. 36 u. 37.
4 ) Dolliner Codex epistolaris Ottocari II. p. 17. cum principes alemannie, quibus
potestas est Caesares eligendi, qui livoris veneno, nolumus plura dicere, nec more
58
Hermann Baerwald.
Wie Gregor X. über Rudolfs Wahl dachte, erkennen wir deut
lich aus einer Instruction die er am 11. September 1274 seinem
Legaten an dem Hofe des Königs Alfons zugehen liess. Der Legat,
heisst es dort, möge dem Könige eröffnen: Recht undThatsache
verbieten dem Papste den König Alfons in seinem Gesuch um die
Kaiserkrone zu begünstigen, zumal da ein Anderer nach des Reiches
bisherigem Herkommen zu Aachen die deutsche Königskrone empfan
gen habe und unterstützt von sämmtlichen Wahlfürsten
mit Ausnahme eines einzigen und den übrigen Fürsten und
Herren in ruhigem Resitze des Reiches sei“ *). Gregor also hielt an
dem Wahlrecht des Königs von Böhmen fest, er kümmerte sich nicht
darum, dass die Wahlfürsten am 29. September 1273 den Herzogen
von Baiern ein Wahlrecht ratione duccitus zuerkannten, denn das war
ja eine Abweichung von den Normen die sich aus dem ihm unzweifel
haft bekannten Schreiben seines vorletzten Vorgängers, P. Urhan’s IV.,
für die deutsche Königswahl ergaben, und es ist ganz natürlich, dass
diese Normen für sein Urtheil massgebend waren und nicht die davon
abweichende That der deutschen Fürsten.
regio detractio locum habet — concorditer in quendam comitem minus ydoneum,
soleinnibus nostris nunciis, quos wrauenwrt, ubi celebrari debebat eleccio, nostros
procuratores miseramus, contradicentibus et reclamantibus, evidenter vota sua
direxerunt et eundem in gravamen imperii nostrumque prejudieium, postquam solem-
niter appellavimus ad sedem apostolicam, sacri dyadematis insigniverunt majestate,
ad vos velut inexhaustum scaturientis justicie fontem et interminabile pietatis
asilum una cum Imperio recurrimus irracionabiliter regravati, sanctitatem vestram
suppliciter exorantes, quatenus nos non permitatis, in iure nostro , quod prefati
principes manifestis deprimere conantur iniuriis et infestis aliquatenvs conculcari
piumque Sancte mentis intuitum (lectere dignemini ad Imperii statum flebilem.
1 ) Raynald ad a. 1274, §. 48. Gregorius magistro Fredulo cappellano nostro cano-
nico Magalonensi: „Volumus quod ei (Regi Alfonso) sicut constituto in nostra
praesentia expressimus et ipsi safis per alias nostras literas aperimus exponas
qualiter ex causis variis imperialis provisionem culminis quam totius orbis et nego
tiorum Dei, quae imminent evidentes necessitates instanter exposcit nec debemus nec
possumus ulterius prorogare, quodque j u st i t i a et facti qua li täte vetan-
tibus, sibi ad imperiale diadema, vel idem Imperium obtinendum favere nequimus;
praesertim alio juxta ejusdem imperii consuetudines hactenus observatas apud
Aquisgranas regni Alemanniae coronam adepto et regnum ipsum cum favore
omniura vocem in electione Imperatoris babentium, uno dum-
taxat excepto caeterorumque regni ejusdem principum , magnatum et aliorum
pacifice obtinente. Und im Verfolg: Si enim- -a prosecutione deslstat per concor-
dem ipsius ordinationem imperii quae in necessitatibus praedictis et justitiae
rigore cogentibus — impediri non potest amplius aut differi etc. Vgl. Kopp
a. a. 0. I, 83.
Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde K. Rudolfs I. 59
Nichts desto weniger erkannte er, wie wir'sehen, Rudolfs Wahl
als eine rechtmässige an ; sie war ja auch, selbst wie er sie ansah,
von der grösstmöglichen Majorität der Wähler geschehen.
Neben den Gründen seiner, von den edelsten Absichten für das
Wohl der Kirche und des Reiches geleiteten Politik waren es also
auch Gründe des Rechtes, die den Papst von Anfang an veran-
lassten, Otakar zur Anerkennung Rudolfs zu bewegen.
Als er seine wiederholten darauf gerichteten Remühungen schei
tern sah, schritt er selbst am 26. September 1274 zur förmlichen
Anerkennung Rudolfs *).
Jahr und Tag vergingen indessen seit Rudolfs Wahl und Otakar
erschien nicht vor dem Könige, um seine Lehen von ihm in Empfang
zu nehmen. Vielmehr verbündete er sich mit dem ihm benachbarten
Fürsten, Herzog Heinrich von Baiern, verharrte in Ungehorsam gegen
den König und bei der grossen Macht die ihm zu Gebote stand, be
drohte er durch ein solches Verhalten das ganze Bestehen des Reiches.
Rudolf, nunmehr auch vom Papste anerkannt, säumte nicht gegen
die trotzigen Vasallen nach den Gesetzen des Reiches zu verfahren.
Auf den 11. November 1274 berief er einen grossen Hoftag nach
Nürnberg und lud Otakar sowohl als Heinrich ein, dort vor ihm zu
erscheinen. Sie kamen nicht; ebensowenig fanden sie sich zu dem
zweiten ihnen bestimmten Termine am 23. Januar des folgenden
Jahres auf dem Hoftage zu Wirzburg ein. Als letzter Termin wurde
ihnen jetzt auf den 15. Mai 1275 zu Augsburg ein Hoftag angesetzt
und hier endlich erschienen sie, zwar nicht persönlich, aber doch
durch Bevollmächtigte vertreten.
Streitfragen von dem grössten Umfange harrten ihrer Entschei
dung. König Rudolf der als Wiederhersteller und Ordner des Rei
ches auftrat, hatte das Recht und die Pflicht Rechenschaft von Otakar
zu verlangen über den Rechtstitel seiner grossen, während des
Zwischenreiches gemachten Erwerbungen — er hatte die Pflicht
diejenigen zu schützen, die in ihrem Rechte von Otakar gekränkt
wurden. Dass er gesonnen sei, das ihm zustehende Recht zu hand
haben und diese Pflicht zu erfüllen, davon hatte er bereits thatsäch-
liche Beweise geliefert 3 ). Seinerseits hatte Otakar bereits auf das
*) Kopp a. a. 0., S. 96 ff. und meine Dissertation, S. 26—38.
2 ) Ganz besonders durch seine an den Erzbischof Friedrich von Salzburg gerichteten
Befehle — durch den Iloftag zu Nürnberg — und durch die Belehnung des ehemaligen
60
Hermann B a e r w a l d.
Unzweideutigste den Entschluss zu erkennen gegeben, nichts von dem
was er erobert hatte, herauszugeben — unter keinen Umständen
seine unabhängige Stellung zu verlassen. Fast zwei Jahre war
Rudolf König und immer noch hatte Otakar es verschmäht, in directe
Verhandlung mit ihm zu treten. Da war es doch kein unbedeutendes
Ereigniss , dass er endlich einmal eine Gesandtschaft zu dem könig
lichen Hoftage nach Augsburg abordnete. Man durfte gespannt sein,
wie der König von Böhmen durch seine Boten über die grossen,
schwebenden Fragen sich würde vernehmen lassen.
Die so gespannte Erwartung wurde indessen getäuscht. Zur
Erörterung jener Frage über den Besitzstand des Königs von Böhmen,
die mit dem Tage der Wahl eines auf Wiederherstellung des zerfal
lenen Reiches ausgehenden Königs nothwendig sich beleben musste,
kam es gar nicht. Auf die Wahl Rudolfs lenkten die böhmischen
Gesandten wieder ihre Beschwerden und dabei entzweite man sich.
Im Grunde war das natürlich. Keinen andern Grund konnte
Otakar, zumal in seiner Eigenschaft als Herzog von Österreich und
Steiermark, für seine fortdauernde Weigerung vor dem Könige zu
erscheinen, angeben, als den, dass nach seiner Ansicht Rudolf gar
nicht König sei, weil seine Wahl keine rechtmässige gewesen.
Womit aber konnte Otakar seine Behauptung der Unrechtmäs
sigkeit jener Wahl begründen? Das Princip, dass die Majorität der
Wähler entscheide, war ja schon ehedem, in dem Briefe Urban’s IV.
geltend gemacht worden und so gut wie Papst Gregor X. musste
nothwendig auch Otakar zugeben, dass Rudolf von der grösstmög-
lichen Majorität gewählt worden sei; dass er allein dem Rudolf nicht
die Stimme gegeben, machte doch dessen Wahl noch zu keiner
unrechtmässigen. Aber Otakar’s Beschwerde lag tiefer. Indem man
trotz des Widerspruches seiner Boten die Bevollmächtigten Herzog
Heinrich’s von Baiern zuliess und unter den sieben Kurstimmen auch
eine baierische mitzählte, hatte man ihn in seinem Wahlrechte
gekränkt, hatte man das Princip, nach welchem, seiner Ansicht nach,
das kurfürstliche Collegium unabänderlich festgesetzt war, verletzt.
Deutlich genug erkennt man das aus der schon erwähnten Beschwerde-
Salzburger Erzbischofes Philipp mit Kärnten. Vgl. Kopp a. a. 0. I, 91 ff. und
S. 106 1F. Boehmer, Reg. Rud. Nr. 100, 101, 132, 136, 139 und 157 und meine
Dissertation p. 39—46.
Über die Echtheit und Bedeutung- der Urkunde K. Rudolfs I.
61
schrift Otakar’s an den Papst: Unrecht sei ihm geschehen von den
Wahlfürsten „qui contradicentibus et reclamantibus nostris pro-
curatoribus concorcliter votnsua direxerunt in quendnm comitcm
minus idoneum in gravamen imperii nostrumque praeiudicium“ ')■
Dass man also trotz seines Gegenspruches und seiner Reclamation
einmüthig wählte, das war der hauptsächliche Grund seiner Be
schwerde. Und worauf bezog sich dieser Einspruch? Nicht darauf,
dass man Rudolf wählte, denn das hätte er dadurch zu erkennen gegeben,
dass er ein dissentirendes Votum abgegeben hätte. Speciell gegen
Baierns Theilnalnne richtete sich bei der Wahl Rudolfs der Einspruch
der böhmischen Bevollmächtigten. Und dass dieser Einspruch desshalb
erhoben wurde, weil mit Zulassung einer baierischen Kurstimme die
böhmische aufgehoben wurde, das beweisen nicht nur mehrere Stellen
aus Otakar's Briefen, sondern ganz besonders der Vorgang auf dem
Reichstage zu Augsburg.
Der Herzog Heinrich von ßaiern war der einzige deutsche Fürst
der mit Otakar verbündet war. Otakar wusste, wie viel dieses Bünd-
niss werth war: mit schwerem Gelde hatte er es erkauft; er suchte es
auf alle Weise zu erhalten“). Wie unlieb musste ihm da ein Conflict
mit Heinrich sein, der diesen dem Könige Rudolf näher brachte!
Indem aber Bischof Wernhard von Sekkau, das Haupt der Gesandtschaft
Otakar’s, auf dem Augsburger Hoftage nothgedrungen wieder auf
Rudolfs Wahl zurückkommen musste, konnte er, so unerwünscht es
ihm auch gewesen sein wird, wie wir sehen, einen Conflict mit dem
Bevollmächtigten Heinrich’s von Baiern nicht vermeiden. Der Bischof
Berthold von Bamberg, Otakar’s Bevollmächtigterbei Rudolfs Wald,
hatte damals der Theilnalnne der Bevollmächtigten Herzog Heinrich’s
von Baiern an derselben widersprochen. Daran musste Wernhard von
Sekkau anknüpfen, und so kam es zwischen ihm und dem Propst Hein
rich von Oetting, dem Bevollmächtigten Herzog Heinrich’s an dem
Hoftage von Augsburg, zum Streit „über den Besitz des Rechtes
einen König zu wählen.“
Am 29. September 1273, bei dem Waldacte selbst, widersetzte
sich Böhmen der Theilnalime Baierns an der Wahl, jetzt,
am IS. Mai 127S in Gegenwart des Königs, des obersten irdischen
Richters, machte es ihm den Besitz des Rechtes den König zu
*) Vgl. die ganze, wichtige Stelle oben S. 57 und 58, Anm. 4.
2 ) Ygl. Dolliner Cod. epist. p. 44 ff. Eberhardus Altall. a. a. 0., S. 527.
62
H e l* m a n n ß a e r \v a 1 d.
wählen streitig. Gewiss, wäre nicht mit der Zulassung Baierns sein
eigenes Wahlrecht aufgehoben worden : Otakar wäre nicht wieder
holt in seinen Briefen an den Papst auf dieses sein Beeilt zurückge
kommen, er hätte der Zulassung der Boten des Herzogs Heinrich zur
Wahl nicht widersprochen, er hätte vor Allem jetzt nicht mit die
sem Fürsten dessen Bündniss ihm so wichtig war, Streit erhöhen.
Aber es handelte sich für Otakar um sein Wahlrecht, es handelte sich
darum geltend zu machen , die Königswahl in deren Gefolge sich
so grosse unabwendbare Gefahren für seine Machtstellung und bis
herige Unabhängigkeit zeigten, sei eine unrechtmässige, weil nach
einem falschenPrincip vollzogene; denn nimmer mehr besitze Baiern
eine Stelle in dem kurfürstlichen Collegium, sondern Böhmen!
Wie aber am 29. September 1273, trotz Böhmens Widerspruch,
die geistlichen und weltlichen Wahlfürsten Baiern die Theilnahme an
der Wahl gestatteten und seine Stimme, als eine unter den sieben,
mitzählten; so wurde am 15. Mai 1275 die rechtliche Existenz der
baierischen Wahlstimme, Böhmen gegenüber, von dem Rheinpfalz
grafen Ludwig behauptet und begründet, und dass solches gesche
hen von dem Könige Rudolf in einer besonderen Urkunde, mit der
er die beiden Brüder Heinrich und Ludwig, Pfalzgrafen des Rheins,
Herzoge von Baiern, beschenkte, kund gethan. Der König gab damit
unzweideutig zu erkennen, er schliesse sich der Ansicht, Baiern sei
zur Kur berechtigt, an, er sanctionirte das was die geistlichen und
weltlichen Wahlfürsten am 29. September 1273 für Baiern gegen
Böhmen gethan *)•
Ebenso wie mit der Zulassung Baierns zur Wahl Böhmen fac-
tisch von dem kurfürstlichen Collegium ausgeschlossen wurde, so
wurde mit der rechtlichen Anerkennung der baierischen Kurstimme
am 15. Mai 1275 Böhmen rechtlich von der Kur ausgeschlossen.
Und so findet man auch, vielleicht auf Grundlage der Urkunde
vom 15. Mai 1275, jedenfalls aber in Übereinstimmung mit derselben,
in dem bis jetzt als ältesten bekannten Text des um jene Zeit abge
fassten Landrechts des Schwabenspiegels sieben Kurfürsten, unter
ihnen den Herzog von Baiern, der in der Reihe der Laienfürsten die
vierte Stimme führt; des Königs von Böhmen geschieht keine
Erwähnung.
l ) Darauf hat schon Adrian Rauch hingewiesen. Vgl. oben S. 28 lf.
m
Über die Echtheit und Bedeutung- der Urkunde K. Rudolfs I. 63
Im Jahre 12S7, beiden Wahlen Richards und Alfons’, hatten, wie
wir gesehen, neben den sechs im Sachsenspiegel genannten Kurfürsten,
auch noch Böhmen undßaiern Wahlstimmen; von sieben Kurfürsten war
damals in Deutschland noch gar nicht die Rede. Bei der Wahl Adolfs
von Nassau, so wie bei allen folgenden Wahlen, führte Böhmen seine
Wahlstimme, in deren rechtmässigem, herkömmlichem Besitz es
bereits 1289 förmlich anerkannt wurde; Baiern hatte kein selbst
ständiges und seit der goldenen Bulle bis auf die Zeiten Kaiser
Ferdinand’s II. überhaupt kein Wahlrecht. Dazwischen liegt die Wahl
Rudolfs von Habsburg. Bei ihr kam der Grundsatz von sieben aus
schliesslich berechtigten Wahlfürsten in Deutschland zum ersten Male
in Anwendung, bei ihr allein wurde unter sieben Stimmen eine
baierische mitgezählt.
Hat man es also in dem, dem dreizehnten Jahrhundert entstam
menden Landreeht des Schwabenspiegels nicht mit willkürlich
aufgestellten, bodenlosen Theorien zu thun, sind vielmehr die dort
enthaltenen Sätze dem lebendigen, zur Zeit in Übung gewesenen
Rechte entnommen, so zwingt uns die dort dem Herzoge von
Baiern unter den sieben Kurfürsten zugewiesene Stelle auf das
Bestimmteste zu der Annahme, dass die Normen welche der Schwa
benspiegel als die für die römische Königswahl gütigen aufstellt,
speciell und einzig dem entnommen sind, was bei der Wahl Rudolfs
von Habsburg in Übung gewesen ist. Dieser Annahme kann nichts
entgegengestellt werden, sie wird neben Anderem auch noch durch
den Rang und die hervorragende Thätigkeit welche der Schwaben
spiegel dem Erzbischof von Mainz und dem Pfalzgrafen des Rheins
bei der Königswahl zuweist, und die den Vorgängen bei Rudolfs
Wahl entspricht, bestätigt 1 ). Wie uns also die Urkunde König
*) In dem oft erwähnten Briefe P. Urban's IV. vom 31. Äug. 1263 heisst es nach der
Relation der Bevollmächtigten König Richard’s am päpstlichen Hofe in Betreff der
„consuetudines circa electionem noviRegis Rom. in imperatorem postea promovendi“:
et ad archiep. Maguntinum et Comitem Palatinum Rheni vel ipsorum alterum, altero
nequeunte vel forsitan non volente, pertinet ad electionem istam celebrandam
diem praefigere ac ceteros eleclores principes convocare. Ähnlich das Landrecht
des Schwabenspiegels, Wackernagel, cap.110: unde swenne si wellent kiesen, sö
sullen sie gebieten eine spräche ze Frankenfurt. Die söl der Bischolf von Meinze
gebieten, bi dem banne, unde der phalzgrave von Rine bi der achte, si sullen dar
gebieten ir gesellen ze dem gespraeche, die mit in da welent unde der andern
fürsten als vil als si ihr gehaben megen. Vgl. damit die hervorragende Thätigkeit
64
Hermann B a e r w a l d.
Rudolfs über die baierisclie Kur auf die Zeit und die Thatsacben
hinweist, aus welcher der Schwabenspiegel in seiner ältesten Fassung
seine Lehre: „wer den künic kiesen sol,“ hergeleitet hat, so können
wir mit Sicherheit von dieser Lehre wiederum zurück auf die Fürsten
schliessen, welche an Rudolfs Wahl Theil hatten. Dass der König
von Rohmen im Schwabenspiegel unerwähnt bleibt, beweist, dass er
an Rudolfs Wahl nicht Theil hatte. Auch der Schwabenspiegel
bestätigt also die von uns festgehaltene Auffassung der Urkunde vom
IS. Mai 1275, nach welcher Rudolf von sieben Kurfürsten erwählt
und Böhmen damals von der Wahl ausgeschlossen worden ist.
2. Festsetzung des böhmischen Kurrechtes (1285 —1290).
Kaum zehn Jahre nach dem Erlass der Urkunde König Rudolfs
über die baierische Kur, durch welche Böhmen indirect von der
Kurwürde ausgeschlossen wurde, sehen wir den Sohn Otakar’s,
den König Wenzel II. von Böhmen, eine kurfürstliche Prärogative
ausühen.
Am 16. April 1285 ertheilte der genannte König der sich drei
Monate vorher mit König Rudolfs Tochter Guta vermählt hatte,
seinem „Herrn und Vater,“ dem Könige Rudolf, seinen Consens zur
Schenkung der Patronatsrechte zu Augst und Zeyningen an die Bas
ler Kirche 1 ). Es war ein Vorrecht der Kurfürsten, dass der römische
König bei Ertheilung von Patronatsrechten ihre Zustimmung einliolen
musste a ), und wir wissen, dass zu eben jener Basler Schenkung
ausser dem Könige von Böhmen auch noch die Erzbischöfe von Mainz,
Cöln und Trier, sowie der Pfalzgraf des Rheins , Herzog von Baiern
des Rheinpfalzgrafen und des Erzbischofs von Mainz bei den Vorverhandlungen zur
Wahl Rudolfs und bei der Wahl selbst. Ko pp a. a. 0., ßd. I, S. 10—26 und meine
Dissertation pag. 7 u. ff.
*) Die Urk. dat. Prag 1285, April 16. Siehe ßoelimer Reg. Rud. Nr. 846. Vgl. noch K o p p
a. a. 0., S. 378 u. 490.
2 ) K. Rudolf ertheilte die erwähnte Schenkung zuLucern 1285,October 18. „de consensu
majoris partis principum, quorum Consensus in hoc fuerat requirendus“. Boehmer
Reg. Nr. 486. Man vergleiche damit die im Formelbuche K. Rudolfs I. und Albrecht I.
in einer Confirmatio privilegii super donacione et Iranslacione Juris patronatus enthal
tenen Begründung: Potissime quum hujusmodi donacioni et translacioniPrincipesElec-
tores Imperii prout in literis eorum vidimus suum consensum exhibuerint et assensum.
Archiv für österr. Geschichtsquellen, Bd. XIV, 323.
Über die Echtheit und Bedeutung- der Urkunde K. Rudolfs I. 65
Ludwig, der Herzog yon Sachsen und der Markgraf von Brandenburg
ihre Willebriefe gaben 4 ).
Es ist kein Zufall, dass nicht auch ein baierischer Willebrief
vorhanden ist, man muss es vielmehr als sicher ansehen: es wurde
„auf Grund des Herzogthums Baiern“ kein Kurrecht mehr gerechnet:
schon im Jahre 1285 erkannte man in Deutschland diejenigen sieben
Fürsten als Kurfürsten an, welche in dem Briefe Papst Urban IV. vom
31. August 1263 zuerst als solche erschienen.
Der thatsächlichen Ausübung jenes kurfürstlichen Vorrechtes
folgte bald die wiederholte, feierliche Anerkennung der böhmischen
Kurwürde durch König Budolf.
Am 4. März 1289 erklärte König Rudolf zu Eger urkundlich:
„Treu dem Grundsätze Niemand zu verletzen und jedem zu geben,
was ihm gebühre,“ habe er, „damit des Königs von Böhmen Rechte
deutlicher offenkundig würden, in umsichtiger Prüfung untersuchen
lassen, welches und wie viel Recht im römischen Reiche dem Könige
Wenzeslaus von Böhmen, seinem Fürsten und Reichsmundschenken,
und dessen Erben zustehe, und habe, nach gemeinem Zeugnisse und
einstimmiger Versicherung gefunden, dass dem Könige und dessen
Erben Recht und Amt des Schenken im römischen Reiche zukomme
und dass sie bei der Wahl eines römischen Königs, wie die übrigen
Kurfürsten, gleiches Recht und gleiche Stimme haben“ 2 ).
Damit begnügte man sich noch nicht. Um auch durch Hinwei
sung auf das Alter jenes Rechtes die sichere Grundlage desselben zu
zeigen, „weil ja die Veranlassung zum Streit für die kom
men den Geschlechter um so zuverlässiger beseitigt werde , je
klarer die Kenntniss derReehte derPersonen ans Licht trete“, bekun
dete König Rudolf am 26. September 1290 zu Erfurt wiederholt die
Umsicht und Sorgfalt seiner Nachforschung und Prüfung und dass
er in Folge dessen „nach der Fürsten, Barone, Edeln und anderer
Reichsgetreuen, so wie alter Leute gemeiner Versicherung und
einmüthigem, gleichlautendem Zeugnisse in Erfahrung gebracht,
dass der König von Böhmen selbst des Reiches Schenk sein müsse,
und dass das Recht und Amt eines Schenken ihm und seinen
*) Boehmer, Reg. Rud. Nr. 846.
2 ) Goldast de regni Bohemiae iuribus ed. Sehminkius Supplementum p. 260. Ko pp
a. a. 0., S. 490.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXI. Bd. I. Hft. 5
66
Hermann Baerwald.
Erben nach Erbrecht gebühre. Es sei ferner deutlich erklärt wor
den, dass genannter König von Böhmen und seine Erben hei der Wahl
eines römischen Königs, künftigen Kaisers, gleich den übrigen Kur
fürsten volles Wahl- und Stimmrecht (eligendi plenariumjus et
vocem) haben müssen. Diese Rechte des Schenkenamtes und der Kur
aber gebühren, wie er belehrt worden sei, nicht hlos dem genannten
Könige und seinen Erben, sondern sie haben auch schon seinen Vordem,
Vor- und Urvorvordern mit vollstem Rechte zugestanden. Indem er
also Rechtsminderungen des genannten Königs und seiner Erben ver
hüten wolle, gehe er deutlich zu erkennen, genehmige und mache er
unter dem Zeugniss der Anwesenden bekannt: Recht und Amt eines
Schenken im Reiche gebühre ihm (dem Könige von Böhmen) und
seinen Erben und nicht An der en *).
Fortan war Böhmens Kunviirde unzweifelhaft sicher gestellt, sie
wurde bei allen folgenden Wahlen unbestritten ausgeübt. Dagegen
findet sich bis zur Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts keine Spur,
dass man jemals wieder wie einst hei Rudolfs Wahl „auf Grund des
Herzogthums Raiern“ eine besondere Stimme mitgezählt hätte, so
dass es klar ist: mit der Anerkennung des böhmischen Kurrechtes,
wurde Baiern aus dem kurfürstlichen Collegium gedrängt, wie zehn
bis fünfzehn Jahre vorher mit der Zulassung und Anerkennung der
baierischen Kurstimme Böhmen aus der Zahl der sieben Kurfürsten
ausgeschlossen worden war.
Man hat Anstand genommen zu bekennen, dass König Rudolf
so Entgegengesetztes beurkundet habe. Da Rudolf am 26. September
1290 bekundete, er habe gelernt, das Sehenkenamt und die Kur haben
mit vollstem Rechte den frühesten Vorfahren des Königs von Böhmen
gehört, so konnte er, wie man meinte, mit der Urkunde vom
15. Mai 1275 unmöglich haben Böhmen ausschliessen wollen. Man
suchte also, wie wir oben gesehen, die Urkunde über die baierische
Kur so zu deuten, dass Böhmens Kurrecht dadurch unangetastet blieb.
Dadurch entfernte man allerdings den Widerspruch, der zwi
schen den Urkunden König Rudolfs von 1275 und 1290 besteht,—
hätte man sich damit nur nicht zugleich von der Wahrheit entfernt!
Denn in Wahrheit schwankte seit der Beschränkung
des Kurrechts auf sieben Fürsten, das Kurrecht
1 ) Gewoldus de Septemviratu S. 152 und 153. Kupp a. a. 0., S. 491.
Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde K. Rudolfs I.
67
zwischen Böhmen und Baiern: am 31. August 1263, in dem
Briefe Papst Urban's IV. erscheint der König von Böhmen als Kur
fürst, am 29. September 1273, bei der Wahl Budolf’s von Habsburg,
erklärten sich die geistlichen und die weltlichen Wahlfürsten gegen
Böhmen für Baiern. Noch bevor also Rudolf das Gewicht seiner
königlichen Autorität in dieser Frage geltend machen konnte,
schwankte das Wahlrecht zwischen Böhmen und Baiern, waren
entgegengesetzte Entscheidungen in dieser Frage getroffen worden.
Als dann am IS. Mai 127S die Boten des Königs von Böhmen
in Augsburg erschienen und, statt dem Könige Rudolf die nur schon
zu lange ihm vorenthaltene Huldigung zu bringen, dessen Wahl als
eine unrechtmässige angriffen, indem sie dem Herzog von Baiern das
Kurreeht bestritten, da bekundete K. Rudolf die, von dem Rheinpfalz
grafen Ludwig Böhmen gegenüber aufgestellte Behauptung und
Begründung des baierischen Kurrechtes und entschied sich damit,
wie seine Wähler gethan, für Baiern und gegen Böhmen. Man
braucht, um den König zu rechtfertigen , gar nicht darauf hinzu
weisen, dass die Gefahren welche ihm seihst und dem Bestehen des
Reichs durch Otakar’s Weigerung ihn anzuerkennen drohten, ihn zu
dem Erlass der Urkunde drängten, durch welche jeder Zweifel über
die Vollgiltigkeit und Einstimmigkeit seiner Wahl beseitigt und
zugleich auch das gefährliche Bündniss zwischen Herzog Heinrich
von Baiern und Otakar gelockert wurde. Denn indem König Rudolf
allerdings durch die Urkunde vom 15. Mai 1275 Beides bezweckte
und erreichte, wich er doch auch keinen Finger breit von der Wahr
heit und dem Rechte ab. Denn wahr war, dass auf dem Reichstage
zu Augsburg, als über den Besitz des Kurrechtes zwischen den baieri
schen und böhmischen Gesandten Streit sich erhol), der Rheinpfalz
graf behauptete, das Wahlrecht gebühre seinem Bruder und ihm auf
Grund des Herzogthums Baiern von Alters her, und die Gründe die
der Rheinpfalzgraf für seine Behauptung beibrachte, waren richtig.
Und nichts weiter that Rudolf, als dass er jene Behauptung und
Begründung zu Gunsten Baierns bekundete.
Die thatsächlich von seinen Wahlfürsten geschehene Ausschlies
sung Böhmens wurde dadurch freilich von dem Könige anerkannt,
dennoch aber hütete er sich ausdrücklich hervorzuheben, Böhmen
habe kein Kurrecht, könne kein Kurrecht begründen ; so weit ging
der König seihst nicht in jener Zeit, wo ein einseitiger Rechtsspruch
68
Hermann B a e r w a 1 d.
gegen Böhmen in der reichsgefährlichen Haltung Otakar’s eine Recht
fertigung hätte finden können.
Wollte man die Siebenzahl der Kurfürsten beibehalten, so musste
man entweder Böhmen oderBaiern übergehen. Zur Zeit P. Urban’s IV.
hatte man zu Gunsten Böhmens das baierische Kurrecht ausser Acht
gelassen. Es kam eine Zeit, in der Rudolf für nützlich und gerecht
erachtete, dasselbe zu thun.
Als in Folge der denkwürdigen Schlacht auf dem Marchfelde
Böhmen wieder in sein altes Verhältnis» der Abhängigkeit vom deut
schen Reiche zurückversetzt war, musste es nützlich erscheinen, die
alten Beziehungen Böhmens zu Deutschland, die Otakar in den letz
ten Jahren seiner Regierung durch Erweckung des nationalen Gegen
satzes zwischen Böhmen und Deutschland, so wie durch sein Bünd-
niss mit den benachbarten polnischen Fürsten im Volke selbst
gelöst hatte, wiederherzustellen: der König von Böhmen musste
wieder für die Interessen des deutschen Reichs gewonnen werden.
Besser und nachhaltiger konnte das nicht geschehen, als wenn man
ihm den Platz wieder einräumte, den seine Vorfahren unter den
Wählern des römischen Königs eingenommen hatten. Gründe des
Rechtes konnten für die böhmische Kurstimme ebenso gut vorge
bracht werden, wie für die baierische. Die Zeit aber war vorüber, wo
für die Beibehaltung des baierischen Kurrechtes zu den Rechtsgründen
auch noch gebieterische politische Motive getreten waren. Auch die
persönlichen Verhältnisse hatten sich geändert: der jetzige König
von Böhmen war der Schwiegersohn König Rudolfs geworden, dage
gen hatte der Herzog Heinrich von Baiern die Schuld wiederholten
Verraths gegen seinen König auf sich gezogen. Da mochte denn auch
die Erwägung Platz greifen, dass ja das wittelsbachische Haus schon
eine Kurstimme führe, die rheinpfälzische, dass es doch keine
zweckmässige Vertheilung des so wichtigen Rechtes sei, wenn auf dem
durch die Theilung zwischen zwei Brüdern zerrissenen Herzogthum
Baiern eine Wahlstimme ruhen, Böhmen aber des Wahlrechtes über
haupt nicht theilhaftig sein sollte. Genug, Rudolf erkannte das von
dem Papste immer anerkannte böhmische Kurrecht auch seinerseits an.
Dass er aber unter allen Kurfürsten allein dem Könige von Böh
men dieses Recht verbriefte, dass er wiederholt versicherte, sich
durch sorgfältige Nachforschung über die Existenz dieses Rechtes
vergewissert zu haben, dass er gerade in derjenigen Urkunde (vom
Über die Echtheit und Bedeutung- der Urkunde K. Rudolfs I.
69
26. September 1290), in welcher er auf Grund des Zeugnisses alter
Leute erklärt, das Wahlrecht habe schon den frühesten Vorfahren des
Königs von Böhmen gehört, erwähnt: er ertheile die Urkunde, „um
Veranlassung zum Streit für die kommenden Geschlechter zu
beseitigen“, und ferner: „demK öni ge vonBÖhmen und keinem
Anderen“ gebühre das Kurrecht; dass endlich nach dem Erlass dieser
Urkunde von einem selbstständigen baierischen Kurrechte, wie es
doch bei der Wahl Rudolfs unzweifelhaft geübt worden, nicht mehr
die Rede ist — das Alles bestätigt die Auffassung der Urkunde vom
15. Mai 1275, die wir als die einzig richtige darzulegen versucht
haben.
V. Resultate.
Das Ergehniss unserer ganzen Auseinandersetzung lässt sich in
folgenden Sätzen zusammenfassen:
1. Die Urkunde König Rudolfs vom 15. Mai 1275 ist unzweifel
haft echt 1 ).
2. Im Jahre 1257, bei den Wahlen Richard's von Cornwallis und
Alfons’ von Castilien, ist von sieben Kurfürsten noch nicht die Rede;
neben den sechs im Sachsenspiegel als in erster Reihe zur Kur
berechtigten Fürsten erscheinen auch der König von Böhmen und
die Herzoge von Baiern als Theilnehmer an der Königswahl.
3. Gleichwohl betrachtet P. Urban IV. im Jahre 1203, indem er in
einem Briefe an den König Richard ganz beiläufig und überhauptzum
ersten Male bemerkt, sieben sei die Zahl der zur Kur berechtigten
Fürsten, jene Wahlen des Jahres 1257 als nur von sieben Fürsten
geschehen, und zwar von den sechs im Sachsenspiegel genannten
Fürsten und dem Könige von Böhmen; die Herzoge von Baiern als
solche haben nach seiner Ansicht kein Kurrecht.
4. Wie diese, Baiern benaehtheiligende, Auffassung der Wahl
verhältnisse von Seiten des Papstes mit den wirklichen Vorgängen
bei den Wahlen Richard’s und Alfons’ im Widerspruche stand, so
4 ) Ich muss nachträglich bemerken, dass ich nur der Kürze wegen unsere Urkunde
als die vom IS. Mai 1275 bezeichnet habe; genau hätte ich sagen müssen: die
Urkunde K. Rudolfs über den am 15. Mai 1275 auf dem Hoftage zu Augsburg
zwischen Böhmen und Baiern stattgehabten Streit über den Besitz des Kurrechtes.
70 h. Baerwald. Über die Echtheit und Bedeutung der Urkunde K. Rudolfs I.
schlossen sich die deutschen Fürsten jener Auffassung keineswegs
ohne Weiteres an. Denn :
5. Im Jahre 1273, bei der Wahl Rudolfs von Habsburg, nahmen
zwar die deutschen Fürsten zum ersten Male den Grundsatz von sie
ben ausschliesslich berechtigten Kurfürsten, in Übereinstimmung mit
jener Äusserung Papst Urhan’s IV., als feststehend an , dagegen
erkannten sie, im Widerspruche mit dem Papste, ein Kurrecht der
Herzoge von Baiern als solcher an, und schlossen somit den König
von Böhmen von der Zahl der Kurfürsten aus.
6. Rudolf von Habsburg wurde einstimmig, d. h. von
sämmtlichen sieben damals von den deutschen Fürsten als ausschliess
lich zur Kur berechtigt angesehenen Fürsten zum Könige erwählt.
7. Papst Gregor X. hielt jedoch an dem böhmischen Kurrechte
fest, und betrachtete K. Rudolf als nur von sechs Stimmen gewählt.
8. Dagegen bekräftigte K. Rudolf durch seine Urkunde vom
15. Mai 1275, in Übereinstimmung mit den deutschen Fürsten, das
baierische Kurrecht zum Nachtheile Böhmens.
9. Die widersprechenden Ansichten welche auf diese Weise
zwischen dem Papste auf der einen und dem Könige Rudolf sammt
den deutschen Fürsten auf der andern Seite in Betreff der siebenten
Kurstimme walteten, wurden erst ausgeglichen, als K. Rudolf am
3. März 1289 und am 26. September 1290 Böhmens Kurrecht aus
drücklich anerkannte und somit der Ansicht beitrat, welche die
römische Curie seit dem Jahre 1263 festgehalten hatte.
10. Die in der ältesten uns bekannten Fassung des Landrechts
des Schwabenspiegels enthaltene Lehre: „Wer den kunic kiesen sol“
enthält die Theorie welche bei Rudolfs Königswahl zur Anwendung
kam, und ist wahrscheinlich von den Vorgängen bei jener Wahl
hergeleitet.
I
v. Zieglauer. Über die Zeit der Entstehung des ältesten österr. Landrechtes. 71
SITZUNG VOM 11. JUNI 1856.
Der Präsident der Classe, Hr. y. Karajan zeigt als Referent
der historischen Commission an, dass zur Aufnahme in deren Schriften
ein Aufsatz unter dem Titel: „Briefwechsel des Freiherrn Sigismund
von Herberstein mit dem Herzog Albrecht von Preussen“, von dem
c. M. Hm. Joh. Voigt zu Königsberg eingesendet worden sei.
Gelesen:
* Uber die Zeit der Entstehung des sogenannten ältesten öster
reichischen Landrechtes,
Von Hrn. Ferdinand v. Zieglauer.
EINLEITUNG.
Es war zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, als der Kanzler Peter
von Lud ewig in einem ihm durch den Grafen von Wurmbrand
übermittelten Codex die Aufzeichnung einer Reihe von Rechtsbestim
mungen für Österreich, die gleich sehr durch Eigenthümlichkeit wie
durch Mannigfaltigkeit des Inhaltes das höchste Interesse bieten,
vorfand und dieselben im vierten Bande seines Werkes: „Reliquiae
manuscriptorum omnis aevi“ im Jahre 1722 herausgab 1 )- Sie führen
— gleichsam als Überschrift — die Eingangsworte „Das sind die
Recht nach Gewonheit des Landes.bei Herezog Liu-
polten von Österreich“, beziehen sieh vorzugsweise auf öffent
liches Recht, aber auch auf Criminal-, Civil-und Lehenrecht, und
kündigen sich gleich bei der ersten Durchsicht als Gesetze für den
Stand des Adels und der Ministerialen an.
l ) Seite t—23.
72
v. Z i e g* 1 a u e r.
Peter von Luclewig hält sich nun in Bezug auf die Zeit und
Art der Entstehung dieser Satzungen ohne die leiseste Ahnung, dass
dieselben vielleicht doch nicht ein Ausfluss der legislativen Gewalt
sein könnten, unbedingt an die bereits erwähnte Eingangsformel; ihm
ist zweifellos ein babenbergischer Herzog Leopold der Urheber der
selben, und er ist geneigt, ihn in Leopold YI. zu finden und die
Ausübung dieses legislativen Actes ohne alle weitere Begründung in
das Jahr 1190 zu setzen 1 ).
Die Bedenken welche die sprachliche Beschaffenheit erregt,
beseitigt er durch die Meinung, es habe ein Schreiber einer etwas
späteren Zeit manch’ Rauhes und Hartes entfernt, und des leichtern
Verständnisses wegen Abänderungen getroffen, übrigens, fügt er
hinzu, dürfe man nicht vergessen, dass die Sprache der Süddeutschen
wegen der Nähe des feiner gebildeten Italiens auch in der ältesten
Zeit viel weicher gewesen sei als die der nördlichen Sachsen 2 ).
Seit diesem ersten Urtheil über Zeit und Art der Entstehung des
österreichischen Landrechtes hat die Geschichtschreibung fort und
fort diese Frage bald mit mehr, bald mit minderer Ausführlichkeit
in den Kreis ihrer Besprechung gezogen.
Franz Schrötter hat als der nächste, in seinen Abhandlun
gen aus dem österreichischen Staatsrechte 8 ), mit lebhaftem Interesse
diesem Rechtsdenkmale seine Aufmerksamkeit zugewendet. Ihm scheint
es unzweifelhaft, dass dieses Provinzialrecht nicht über die Zeit der
babenbergischen Leopolde weder hinauf noch herab gesetzt werden
könne, weil ihm für diese Meinung — wie er sagt — „ein auf der
k. k. Bibliothek befindliches Manuscript von den Zeiten Kaiser
Albrecht’s I. ein unleugbares Zeugniss ablegt“. Dieses bietet ihm
eine in der That inhaltsschwere Stelle aus den Gedichten des Seifried
Helbling, durch deren Herausgabe im Jahre 1844 Herrv.Karajan
das gelehrte Publicum sich zum grössten Danke verpflichtet hat 4 ).
*) Reliquiae manuscpt., tora. IV., praefatio, pag. 3.
2 ) L. c. pag-. 6. „Nescio tarnen annon amanuensis aliquid in scriptura et literarum ele-
mentis mutaverit in gratiam recentioris aevi, ut indoles sermonis intellectn esset
facilior, relicto loquendi et scribendi more vetustiori, horridulo illo et prorsus
inculto. Jlliid praeterea omittendum non est, meridionales Germanos — cultioris
Latii vicinos — vetustissimo etiam tempore molliora idiomata habuisse, quam Saxo-
nes septemtrionales“.
3 ) Fünfte Abhandlung: Vom Ursprünge der Landeshoheit. S. 101 u. d. f.
4 ) Zeitschrift für deutsches Alterthum, herausgegeben von M. Haupt, IV. Bd., 1844.
Über die Zeit der Entstehung 1 des ältesten österr. Landrechtes.
73
Diese von den Historikern 1 ) bei der Behandlung unserer Frage nun
oft angezogene Stelle lautet:
„bi einem Liupolt ez geschaeh,
„der disse landes herre was ;
„sich fuogte daz man vor im las
„des landes reht; ez was sin bete,
„man nante im dri stete
„da er gerillte niht solde sparn,
„Niunburc Tuln Mut am,
„da sold er haben offenbar
„driu lantteidinc in dem iar“.
Welcher Sinn und welche Tragweite diesen Worten des Dich
ters beizulegen sei, werde ich selbstverständlich im Verlaufe ausführ
lich zu erörtern Gelegenheit nehmen müssen.
Bald darauf öffneten sich aber der Forschung neue Gesichts-
puncte welche Licht über die dunkle Landrechtsfrage zu verbreiten
versprachen; indem nämlich Freiherr von Senkenherg das öster
reichische Landrecht nach einem neuen Exemplar, dem ihm vom
Grafen Harr ach mitgetheilten Codex entnommen, herausgab 2 ).
Die Paragraphe der Ludewig’schen Ausgabe finden sich mit
wenigen Ausnahmen fast durchgehends in wörtlicher Übereinstim
mung im Harrach’schen Codex wieder; der Unterschied besteht
darin, dass im letztem bedeutungsvolle auf das öffentliche Recht
bezügliche Zusätze sich vorfinden, die den Glauben an ein so hohes
Alter unseres Rechtsdenkmales mächtig erschüttern, und zur Annahme
einer späteren Entstehung hindrängen.
Zum ersten Male hat denn daher auch Senkenherg, in der
übrigens ganz kurzen Vorrede 3 ), im Hinblick auf den eigenthümlichen
fast oppositionellen Geist des Adels, der uns aus diesen Rechtssätzen
durch das scharfe Hervorheben der Standesrechte und Freiheiten,
entgegenweht, das hohe Alter des Landrechtes in Zweifel zu ziehen
gewagt und die Meinung ausgesprochen, dasselbe sei dasWerk einer
*) Schrott er, Staatsrecht, V. Abth., S. 10. Rauch, Geschichte Österreichs, Bd. II,
S. 361. Hormayr, Geschichte Wiens, B<1. II, S. 80. Haupt, Zeitschrift, Bd. IV,
S. 39 und 238.
2 ) Visiones diversae de collectionibus Ieg-um germanicarum. Lipsiae 17G3, p. 213—26G.
3 ) L. c. Prologus, §. VII.
74
v. Zieglauer.
Privatunternehmung und jener Zeit angehörig, wo Österreich, noch
ohne selbstständigen Landesfürsten, von Albert und Rudolf im Namen
des Reiches verwaltet worden ist 1 ); damals habe man vor der Ein
setzung eines neuen Herzogs die Rechte des Landesfürsten und des
Adels in scharfer Trennung aussprechen wollen.
Die nächstfolgende Zeit hat aber, ohne im geringsten die mit
richtigem Tacte aufgefundene Fährte zur Wahrheit zu verfolgen, zur
frühem Ansicht mit einer überraschenden Flüchtigkeit sich zurück
gewendet. Adrian Rauch vertheidigt in seiner österreichischen
Geschichte mit hoher Zuversicht wieder die mehrfach erwähnte
Ansicht, dass unser Landrecht ein Ausfluss der legislativen Gewalt
und einem babenbergischen Herzoge Leopold zuzuschreiben sei 3 ).
„Aller S e n k e n b e r g’scher Muthmassungen ungeachtet“ findet er den
entscheidenden kräftigen Beweis in der bereits angeführten Stelle
des Helbling’schen Gedichtes. Dass der siebente Leopold dieses
legislative Werk vollbrachte, wird ihm dadurch höchst wahrscheinlich,
weil derselbe der Residenzstadt Wien ein Stadtrecht verlieh, dessen
Satzungen jenen sehr gleichförmig sind, welche man in der angeführ
ten Landordnung findet 3 ).
Seitdem blieb die Meinung, es verdanke unser Landrecht sicher
einem babenbergischen Leopold seinen Ursprung, in den österreichi
schen Geschichtswerken lange die vorherrschende. So hat Freiherr
v. Hormayr in seiner Geschichte Wiens 4 ) die Mittheilungen
Sehrötter’s und Rauch’s treu nacherzählt, nur mit etwas anderen
Worten.
Selbst als die Auffindung eines drittenExemplares unseres Land
rechtes im Hohenfurter Codex bekannt wurde, übte dies auf die
Weiterentwickelung der fraglichen Puncte nur geringen Einfluss.
Franz Kurz theiltenämlich in seinem Werke über „dieösterreichische
*) „Audemus illud huic tempori vindicare ubi Austria, duce proprio orba, ab Alberto
et Rudolpho fratribus nomine imperii administrabatur. Hic vetera jura, antequam
novus dux constituebatur, colligenda omnino erant, quo quid duci, quid proceribus
competeret, sciretur... Sed et ipsius monimenti habitus, et lingua, qua illud exa-
ratum, germanica, et reliqua omnia probant, tarn canam aetatem legi
nostrae tribui non posse, sed potius illud hoc, de quo disserui, aevura ubique
prodere“.
2 ) Adrian Rauch’s österreichische Geschichte, 1780. II. Bd., S. 359—367.
3 ) L. c. S. 363.
4 ) Wien, seine Geschichte und Denkwürdigkeiten 1823, II. Bd., S. 79.
Über die Zeit der Entstehung- des ältesten österr. Landrechtes.
75
Militärverfassung *)“ mit, es sei ihm durch den Prior des Klosters
Hohenfurt ein neues Exemplar des österr. Landrechtes übermittelt
worden; es erscheine der Text an manchen Stellen viel reiner als bei
Ludewig und Senkenberg, der Eingang laute ebenso wie bei
Lud ewig: „Das sind die Recht nach Gewonheit des Landes bei
Herezog Liupolten von Österreich“ und die Paragraphe seien in eine
andere Ordnung als bei Ludewig und Senke nb erg gestellt. Dar
aus erhellet ihm zur Genüge, dass diese Sammlung vaterländischer
Gesetze und Rechtsgewohnheiten ein blosses Privatunternehmen
gewesen, das von Zeit zu Zeit neue Zusätze erhalten habe. Nach
einer Reihe aufgestellter Vermuthungen fühlt er sich schlüsslich
gerade im Rezug auf unsere zu entscheidende Frage doch nur zum
Ausspruch bewogen : „wer der Verfasser dieser Sammlung gewesen,
und wann sie unternommen worden, wissen wir nicht.“
Mit derselben Hoffnungslosigkeit haben in neuerer Zeit manche
österreichische Historiker die Möglichkeit der Restimmung des Alters
und der Entstehungsweise geradezu verneint; so sagt Schlager 2 )
in der Einleitung zu seinen Eeriehten über das „Fronpuch“, dass das
eigentliche Alter jenes österreichischen Landrechtes aus dem XIII.
Jahrhundert, welches Senkenberg und Ludewig in ihren Wer
ken abgedruckt haben, weder sie noch die Nachwelt zu bestimmen
im Stande seien.
Übrigens hielt selbst in neuerer Zeit noch ein ausgezeichneter
Historiker fest an der Ansicht einer Entstehung unseres Rechtsdenk
males zurZeit der Babenberger. Albert von Muchar, stets bestrebt
alle das Stammland Österreich betreffenden Ereignisse auch auf die
Steiermark auszudehnen , erklärt in seiner Geschichte derselben 3 )
Leopold VII. von Babenberg als den Urheber des Landrechtes
und fügt mit wirklich überraschender Sicherheit hinzu, was ich
hier nicht übergehen zu dürfen glaube: „Diese vom Herzog Leopold
dem Glorreichen für seine Länder Österreich und Steiermark schrift
lich festgesetzten Gewohnheitsrechte seien in den Majestätsbriefen
K. Friedrich’s II. von 1237 und Rudolfs I. von 1277 vom Kaiser
1 ) Linz 1825. S. 260 u. f. — Siehe auch Jahrbücher der Literatur, XXXIX. Bd., 1827.
Anzeigeblatt, S. 13.
2 ) Wiener Skizzen, 1836, II. Bd., S. 66.
3 ) Geschichte des Herzogthums Steiermark, Gratz 1845, II. Bd., S. 254 u. V. Bd., S. 117.
76
v. Z i e g 1 a u e r.
und Reichswegen bestätigt worden“. Dieser Ausspruch stellt unsere
Frage über die Entstehungszeit des Landrechtes als ganz entschieden
hin, und könnte durch seine Zuversicht wohl irre führen, wenn nicht
vom Wortlaut der erwähnten Urkunden Einsicht genommen wird 1 ).
Dann zeigt sich aber klar, dass diese beiden Majestätsbriefe nichts
anderes als eine Bestätigung jener bekannten Erbvertragsurkunde
vom 17. August 1186 2 ) sind, wodurch Ottokar Leopold VI. zu
seinem Nachfolger in der Steiermark ernennt. Die einzig mögliche
Stelle in den Freiheitsbriefen Friedrich’s II. und Rudolfs I., die
Muchar zum Glauben verleiten konnte, als sei sie eine Bestäti
gung des Leopoidinischen Landrechtes kann nur die folgende sein:
„confirmamus eis (den Steiermärkern) omnes consuetudines approba-
tas et jura, quae praedicti quondam Ottacarus, Styriae, et Leopoldus
Austriae et Styriae duces ipsis literaliter conßrmarunt.“ Nun ist gleich
im folgenden Satze auf das Klarste ausgesprochen, was unter diesen
„consuetudines approbatas et jura, quae propriis capitulis duximus
exprimenda“ zu verstehen sei: denn es werden nun die Rechte und
Gewohnheiten aufgezählt und keine anderen genannt als die welche
in wörtlicher Übereinstimmung in der Erbvertragsurkunde von 1186
erscheinen. Es sind also in diesen zwei Freibriefen Friedrich’s II.
und Rudolfs I. lediglich jene Vorrechte des steierischen Adels
bestätigt, welche man in der Erbvertragsurkunde schriftlich nieder
gelegt wissen wollte, und der in der angezogenen Stelle genannte
„Leopoldus“ ist also nicht der Glorreiche, dem Muchar die
Urheberschaft des Landrechtes zugedacht hat, sondern Leopold der
Tugendhafte, seines Namens der sechste.
In jüngster Zeit wurde von den Forschern wohl mehrmals ent
schieden die Ansicht ausgesprochen, dass die Annahme der Entstehung
des Landrechtes unter der Regierung der Babenberger mit dem
Inhalte desselben unvereinbar sei und man hat bald dieZeit des Inter
regnums, bald die der Regierung Albrecht's I. als Zeitpunct der
Entstehung bezeichnet; aber eine Durchführung und Begründung
einer ausgesprochenen Ansicht ist meines Wissens nirgends in die
Öffentlichkeit gelangt.
^Urkunde Friedrich’s II. v. 1237 in der steierischen Landhandfeste v. 1697, p. 10;
Urkunde Rudolfs I. v. 1277 bei Ludewig', reliq. manuscript., toin. IV, p. 238.
2 ) Muchar, IV. Bd., S. 321. Caesar Annales Styriae, toin. I, p. 783—84.
Über die Zeit der Entstehung des ältesten österr. Landrechtes.
77
So schreibt Kaltenbäck 1 ) in der Einleitung zu seinen „Pan-
und Bergtaidingbüchern“, wo er nur im Vorübergeben des sogenann
ten österreichischen Landrechtes mit wenigen Worten gedenkt, dass
dasselbe unstreitig von einem Ministerialen zur Zeit des Interregnums
zusammengetragen sei; und Dr. Würth setzt in seinem „Stadtrecht
von Wiener-Neustadt“ a ) die Entstehung des Landrechtes in die
Regierungsperiode Albrecht’s I.
Dieselbe Ansicht wurde von Dr. Emil Rössler in seinem am
12. October 1853 vor der kais. Akademie gehaltenen Vorträge aus
führlicher dargelegt. Ihm stellt sich diese Rechtsquelle — zu deren
bekannten Handschriften er die noch nicht benützten in Lübeck,
Giessen und Pesth hinzufügt, -— weder als ein Gesetz oder Rechts
buch noch als eine Landhandfeste, sondern als der Entwurf einer
Rechtsurkunde in zwei Fassungen dar, deren Ursprung in den Zeit
raum von 1295—1298 bis zurZeit der Regentschaft Herzog Rudolfs
fallen müsse. Die Durchführung und Begründung seiner Ansicht kenne
ich nicht, da die akademischen Sitzungsberichte 3 ) als Nachricht
seines Vortrages nur einige Andeutungen desselben, in wenige Zeilen
zusammengedrängt, mittheilen. Dabei fiel mir nur der Widerspruch
auf, dass einerseits die aus Seifrid Helbling angezogene Stelle als
wahrscheinlich dem Denkmale selbst entnommen bezeichnet, ander
seits aber behauptet wird: das Material des Landrechtes sei aus den
Verhandlungen der Landherren zuTribensee und Stockerau gezogen.
Nun fallen die letztem bekanntlich in das Jahr 1295, während
die Abfassung von Helbing’s zweitem Gedichte in welchem die
bekannte StelIe erscheint, die nach Dr. Rössler's Annahme
eben dem Landrechte selbst entnommen sein soll, nach den
Nachweisungen 4 ) des Hrn. v. Ka rajan ohne Zweifel schon in das
Jahr 1292 fällt.
Anlangend bei den gefeierten Verfassern deutscher Rechts
geschichte, haben die meisten, wie: E i c h h o r n 5 ), P h i 1 i p p s n ) und
Die Pan- und Bergtaidingbiicher in Österreich unter der Enns. Wien 1846, Vor
wort, S. 9 und 10.
z ) Das Stadtrecht von Wiener-Neustadt. Wien 1846, S. 27, Anm.
3 ) XI. Bd., 2. Abth., S. 649.
4 ) H aup t’s Zeitschrift, IV. Bd., S. 249.
5 ) Rechtsgeschichte, II. Bd., §. 264.
6 ) Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechtes, S. 122.
78
y. Z i e g 1 a u e r.
Walter 1 ) rücksichtlich unserer provinziellen Reclitsquelie bei der
Fülle ihres zu behandelnden Stoffes diese Specialität keiner ausführ
lichen Erörterung unterzogen, und nur im Allgemeinen sie als dem
Ende des XIII. Jahrhunderts zugehörig erklärt. Nur Zöpfl 2 ) widmet
diesem Rechtsbuche eine erhöhte Aufmerksamkeit, und seine
Ansicht muss hier um so mehr berücksichtigt werden, da ich später
zu ihr zurückzukehren veranlasst sein werde.
Zöpfl erklärt, wie schon so manche vor ihm, das österrei
chische Landrecht als eine Privatarbeit, bei deren Abfassung eine
directe Thätigkeit des Landesherrn durchaus nicht ersichtlich sei,
weicht aber von der Anschauungsweise Aller die über diesen Punct
bisher geforscht und geschrieben haben, darin ab, dass er die Ent
stehung dieses provinziellen Rechtes einer viel jüngeren Zeit zuweist,
indem er behauptet: das österreichische Landrecht schliesse sich
schon an die Theorien Ruprecht’s von Freisingen an, dessen Rechts
huch bekanntlich im Jahre 1328 zur Vollendung gebracht wurde,
und zeige überhaupt das Recht bereits theilweise in einer modernen
Fortbildung, so dass seine Abfassung nicht wohl vor die Mitte oder
vielleicht erst in den Ausgang des XIV. Jahrhunderts gesetzt werden
dürfe. Als Beispiel der oben angedeuteten Verwandtschaft hebt nun
Zöpfl die Bestimmungen über das Verbrechen der Nothzucht aus
dem österr. Landrechte (§. 0) und aus dem Rechtsbuche Ruprecht's
(§. 134 u. 135) hervor und will ohne Zweifel vorzüglich dadurch
die Übereinstimmung der Theorien ersichtlich machen, dass nach
beiden Rechtsquellen nicht blos Männer, sondern auch Frauen zur
Zeugenschaft des von der Genothzüchtigten erhobenen Klagerufes
zugelassen werden.' Nun ist es zwar Thatsache, dass nach den mei
sten Rechtsquellen des XIII. Jahrhunderts 3 ) stets Männer als derar
tige Zeugen gefordert und erst nach den Rechtsquellen des XIV.
Jahrhunderts auch Frauen dazu berechtigt werden; allein es findet
sich doch auch in Rechtsquellen die bald nach der Mitte des XIII.
Jahrhunderts entstanden, so z. B. im Altprager Stadtrechte welches
von Ottokar II. im Jahre 1269 gegeben wurde 4 ), in der Bestimmung
*) Deutsche Rechtsgeschichte, §. 305.
2 ) Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, II. ßd., I. Abth., S. 152.
3 ) Stadtrecht von Wiener-Neustadt von Dr. Würth, S. 81.
4 ) Über die Bedeutung und Behandlung der Geschichte des Rechtes in Österreich,
von Dr. Emil Rössl er, Anhang, S. 9—27.
Über die Zeit der Entstehung des ältesten österr. Landrechtes.
79
über das Verbrechen der Nothzucht, ganz dieselbe Theorie, wie sie
im österreichischen Landrechte und im Rechtsbuche Ruprecht’s
erscheint, ausgesprochen (§. 32) : dass nämlich Männer wie Frauen
zur Zeugenschaft des von der Genothzüchtigten erhobenen Klage
rufes gleich berechtigt seien *).
Auf Grundlage einer Übereinstimmung von criminal-
und civilr echt liehen R e Stimmung e n lässt sich wohl nur mit
grösster Vorsicht auf dieNachbildung und sofort auf die Entstehungs
zeit eines Rechtsdenkmales im XIII. und XIV. Jahrhundert scliliessen,
denn bei umsichtsvoller Retrachtung „wird man sich“ wie Zöpfl
ja selbst an einem andern Orte 2 ) so schön sich ansspricht, „immer
mehr zu dem Glauben an eine Gemeinschaftlichkeit der Grundansich
ten desRechtes unter den Stämmen des deutschenVolkes hingezogen
fühlen, und die Übereinstimmung derselben nicht für ein Werk des
Zufalls halten, sondern dieselbe vielmehr als das Product einer wah
ren echten Nationalität und eines gemeinsamen Volkscharakters.. . .
erkennen lernen“. Wie unzureichend aber, vorzüglich für unsere
Frage, diese Schlussweise ist, hat sich wohl klar dadurch gezeigt,
dass zwei Autoren die sich des eben besprochenen Reweismittels
bedienten, zu total verschiedenen Schlussfolgerungen gelangt sind;
so glaubtR auch 3 ), weil die Gesetze die Leopold der Glorreiche der
Stadt Wien gab (1221), jenen „sehr gleichförmig“ sind, die sich im
österreichischen Landrechte finden, „billig scliliessen“ zu können,
dass beide Rechtsdenkmale dem nämlichen Urheber entstammen, die
Entstehung des Landrechtes also in den Anfang des XIII. Jahr
hunderts falle, während Zöpfl durch die Übereinstimmung der
Theorien Ruprecht's von Freising mit denen unseres Landrechtes sich
veranlasst sieht, dessen Abfassung nicht wohl vor die Mitte oder
vielleicht erst in den Ausgang des XIV. Jahrhunderts zu setzen.
Dergestalt beschaffen, führt uns die Literatur über die Land
rechtsfrage eine Menge sich widersprechender Ansichten vor, doch
zeigt sich, dass die Urtheile der jüngsten Zeit darin übereinstimmen,
4 ) L. c. S. 13, §. 32. Uon notgeezoge. Ist das ein frauwe oder iunefrauwe ubir
einen, das er si genotezogit habe, mac si des irczugen mit wibin oder mit
mannen, di ir geschrei gehorit habin, uolbregin si das alz recht ist, man siet
im abe daz haupt.
a ) Bamberger Stadtrecht als Quelle der Karolina. Heidelberg 1839, S. 46.
3 J Österreichische Geschichte, II. Bd., S. 364.
80
V. Zieglauer.
dass die Annahme der Entstehung zur Zeit der Babenberger mit
dem Inhalte der Quelle unvereinbar sei, wobei wir nicht selten die
Meinung hervortreten sehen, dass eine gründliche Lösung der
Frage nur durch eine genaue Prüfung und Vergleichung des
Inhaltes der Quelle mit den p oIiti scli en Verhältn issen der
verschiedenen Zeiträume des XIII. Jahrhunderts ermöglicht
werd e.
Daher finde ich mich veranlasst, vor Allem die Aufmerksamkeit
auf die das öffentliche Recht behandelnden Normen, auf die
Verhältnisse des Adels und der Ministerialen zum Landesfürsten, und
auf die Gerichtsverfassung die, wie in vielen anderen Territorien, so
ganz vorzüglich in Österreich, im Laufe des XIII. Jahrhunderts in
einer Umbildung begriffen war, zu lenken.
Aus den Normen die im österreichischen Landrechtc die Ver
hältnisse de s öffentli eben Rechts bestimmen, tritt nun eine
unverkennbare Opposition des Adels und der Mini
sterialen gegen den Landesfürsten hervor; es zeigt sich ein
unverkennbares Streben errungene Freiheiten und Vorzüge, in
deren Vollbesitz wir Adel und Ministerialen zur Zeit der letzten
Babenberger sehen werden, dem Landesfürsten gegenüber zu behaup
ten ; es zeigt sich ein Bemühen in der Zeit, wo Adel und Ministerialen
durch Hintansetzung ihrer Vorrechte sich gekränkt fühlten, dem
jenigen dieselben klar auszusprechen, der ihnen entgegenzutreten
gewillt ist. Vorzüglich ist der Blick auf jenes Recht des Adels und
der Ministerialen gerichtet, vermög welchem sie durch Rath und
Zustimmung sowohl bei gerichtlichen als hei Regierungs
handlungen einen Einfluss übten. Dieses Recht, einst zumTheil
auch bei den Landesversammlungen —den Landteidingen — zur Zeit
der Babenberger genossen, wird in unserem Landrechte, wie sich
zeigen wird, wiederholt mit scharfer Betonung hervorgehoben.
Diese bedeutungsvolle Färbung, dazu der Umstand, dass eine
Abfassung des Landrechtes zur Zeit der Babenberger und Ottokar’s
schon aus dem einen augenfälligen Grunde nicht erfolgen konnte,
weil bis hinab zum Jahre 1276 in mehreren Quellen die offen
bar die Priorität vor dem Landrechte für sich haben, Bestimmungen
aufzufinden sind, welche von den Sammlern bei der Abfassung des
Landrechtes wortgetreu in dasselbe übertragen wurden, und endlich
die Thatsache, dass Gesetzsammlungen, — in diesen Zeiten
Über die Zeit der Entstehung des ältesten österr. Landreehtes. 8 I
des Mittelalters nur äusserst selten ein Ausfluss der legislativen
Gewalt, in der Regel Aufzeichnungen von Gewohnheitsrechten, —
nur dann unternommen wurden, wenn sich eine Veranlassung, eine
Nothwendigkeit geltend machte; dies Alles drängt zur Annahme, es
müsse die Aufzeichnung dieser Gesetze zur Zeit der Regierung
des Landes Österreich durch Her zog Alb rech 11. gesche
hen sein. Er war der Mann, in welchem das monarchische P rincip
der Übermacht des Adels mitKraft und mit vollem Rewusstsein
eines Planes gegenüber trat; und der diesem, wie es sich zeigen
wird, zurZeit der Rahenberger überwiegend gewordenen Einfluss
des Adels Schranken setzte und dessen Vorrechte schmälerte.
Hierin allein sind die Motive zur thatsächlichen so nachhaltigen
Opposition des Adels gegen Albrecht zu suchen. Die Gährung beginnt
um 1287 und dauert fort, bis endlich 1295 die offene Revolution
gegen ihn in Österreich Iosstürmt.
ln diesem Zeiträume nun der dem Ausbruche der
Revolution vorangeht, von 1287—1295, in einer Zeit des
Ringens des monarchischen Principes mit der Adels
übermacht, haben nach meiner Meinung Adel und Ministe
rialen sich gedrängt gefühlt, die angefochtenen Rechte
aufzuzeichnen und so ein Bild ihrer seit der Zeit der babenber-
gischen Herzoge nach Gewohnheitsrecht innegehabten bevorzugten
Stellung zu geben, und haben dabei aus mehreren königlichen und
landesherrlichen Verordnungen criminal- und civilrechtliche, so wie
manche das Recht des Landesfürsten feststellende Bestimmungen
aufgenommen.
Ich versuche nun zuerst die Begründung meiner Ansicht,
dass die der Revolution (1295) vorausgegangene Gährung und
Opposition des Adels und der Ministerialen im Einklänge
stehe mit der aus dem Landrechte hervorleuchtenden Opposition;
und dann werde ich den Nachweis liefern, welche Quellen es
waren, aus denen die Sammler bei der Abfassung so manche
Bestimmungen wortgetreu entlehnten; und endlich soll aus dem im
k. k. geh. Archive befindlichen „Fronpuch“ der Hofteiding
aus dem Jahre 1370 noch insbesondere die Zöpfl’sche Ansicht von
der Abfassung des Landrechtes im XIV. Jahrhundert widerlegt wer
den. Aus diesen drei Beweisführungen wird sich die genaue Bestim
mung der Entstehungszeit unseres Landrechtes ergeben.
Sitzb. (]. phil.-hist. CI. XXI. Bd. I. Hft. 0
82
v. Zieglauer.
i.
Um klar zu machen, von welcher Beschaffenheit der Geist der
Opposition sei, der aus jenen Normen des Landrechtes uns entgegen
tritt, die für die öffentlichen Rechtsverhältnisse gelten, sollen hier
die darauf bezüglichen Bestimmungen zusammengestellt werden; sie
sind folgende:
Der Landesherr hat die Pflicht, von 6 zu 6 Wochen „taidinge“
(Landteidinge) zu halten und zwar nur zu Neuburg, Tuln und Mau-
tern 1 ), ordnet er statt seiner einen Stellvertreter ah, so ist derselbe
nach dem Rat he der Landherren zu erwählen und erhält jähr
lich für seinen Dienst 300 Pf. Pfennige 3 ).
Sowohl Edle als Ministerialen können, wenn es auf Leih,
Ehre oder Eigengut geht, nur vor einem öffentlichen, aus Landherren
zusammengesetzten Gerichte belangt werden, will ihnen der Landesherr
Unrecht thun, so sollen sie mit gutem Recht an das Reich appel-
lir en und dort Recht holen s ). Keinen Ministerialen soll der Landes
herr wegen irgend einer That als Land und Leuten schädlichen Mann
erklären (vbersagen), er soll ihn nach des Landes Gewohnheit rich
ten, wie es Recht ist. Spricht er die Acht über ihn aus, so soll er
ihn beim Reiche verklagen, und der Kaiser und das Reich
sollen das letzte Urtheil über ihn haben 4 ). Ferners soll weder
*) Archiv für Kunde österr. Geschichtsq. X. Bd. Österreichische Stadtrechte und
Satzungen aus der Zeit der Babenberger. Zusammengestellt von Dr. Andreas von
Meiller. — S. 159, §. 1. Wir seczen vnd gepieten, das kain Landes Herre sol kain
taiding haben nur vber sechs Wochen, vnd nicht darhinder, vnd sullen die tai-
ding sein nur ze Newnburg, ze Tulln vnd ze Mautarn.
2 ) L. c. S. 172, §. 85. Es ist auch recht, wann der Landesherr ein Landgericht
(?Landrichter) seczet nach rat seiner Landherren, das er dem geh III C. tl. dr.
das er kost mug gehaben zu den taidingen.
3 ) L. c. S. 100, §.2. So sol auch kain Graf, noch freye, noch dinstman, die
zu recht zu dein land gehörnt, weder auf ir Leib, noch auf ir ere, noch auf
aigen ze Recht steen, nur in offner schrann vor den Lantherrn. Wil aber Im
der Landes herr vnrecht tun, so sol er wol mit Recht dingen an das Reiche, vnd
davon sein Recht pringen, als Im ertailt wirt.
4 ) L. c. §. 3. Es sol auch des Landes Ilerre kainen dinstman nicht vbersagen vmb
was er tut. Er sol vber In richten nach des Landes gewonhait, als Recht ist
nach der Echt, so sol er In beklagen vor dem Reiche.... Davon sol der Chai-
ser vnd das Reiche die leczst trtail vber In geben, damit Im sein ere
vnd sein Recht benomen wirt.
Über die Zeit der Entstehung des ältesten österr. Landrechtes.
83
der Landesherr, noch sein Richter einen unbescholtenen Landsassen
wegen einer Inzicht festsetzen. Er soll ihn, wie es nach des Landes
Gewohnheit Recht ist, am Gerichte vorfordern; und weder der Landes
herr noeh ein anderer Richter dürfen allein gegen einen unbeschol
tenen Mann bei Verbrechen die an Leib und Ehre gehen, Wort und
Recht sprechen; es müssen 21 seiner Standesgenossen und im
Stande Höherer beigezogen werden, und das Urtheil muss nach
ihrer Aussage, wie es Landesgewohnheit ist, gefasst werden 1 ).
Überhaupt sollen nur Standesgenossen und im Stande Höhere
berechtigt sein, als Gerichtsbeisitzer Wort und Recht zu sprechen,
wenn es auf Leib, Ehre, Eigen und Lehen geht, und nur Stan
desgenossen sollen gegen Jemand bei Gericht Zeugniss gehen
können 2 ).
Der Landesherr soll nicht von Amtswegen Jemand anklagen,
es ist ihm nur nach eingeholtem Rathe der Herren in dem
Lande richterliche Anklage auf gemeinschädliche Leute zu halten
gestattet a )-
Kein Landesherr darf sich auf dem Gute eines Grafen, Freien
oder Ministerialen eine richterliche Handlung erlauben; ist daselbst
Jemand der den Tod verdient hat, den soll der Richter von dem
Gutsherrn fordern , soll nur über den Mann richten und dem Herrn
das Gut unbehelligt lassen 4 ).
*) L. c. §. 4. So sol auch der Lanndes Ilerre, noch kain Richter kainen vnbesprochen
man, vnd der gesessen ist, vmb kain Inczicht nicht aufhaben. Er sol in vordem
in der schran nach Lanndes gewonhait, als Recht ist So sol auch dehain
Landesherre, noch dehain Richter auf ain vnbesprochen man nicht pringen noch
erczeugen, was im gen seinen Leib gee, oder gen seinen eren. Man sol Im nemen
ain vnd zwainczig seiner vmbsessen vnd seiner genossen vnd seiner vbergenossen,
vnd sol (sich) daraus bereden nach des Lands gewonhait, als Recht ist.
2 ) L. c. S. 161, §. 8. Es sol auoh kain man gen dem andern kain vrtail geben, noch
kain volig tun, er sei sein hausgenosse oder sein vbergenosse, das Im an sein lehen,
oder an sein er odor an sein aigen, oder an sein Lehen (geet) S. 168,§. GS .... und sol
auch niemand auf den andern sagen, er sey dann sein Hausgenoss oder vbergenoss.
3 ) L, c. §. 64. Es sol der Landesherr kain frag haben, wann das ist nicht Recht...
Er mag aber wol nach rat der Herren in dem Lande ain frag haben auf
schedlich leut.
4 ) L. c. S. 154, §. 40. Es sol dehain Landes Herr auf dehaines Grafen guet, auf
deliaines freien guet, noch auf dehaines Dienstmannes guet.... niht ze schaden
haben. Ist aber auf dem vorgenanten guet ieman, der den tod verdienet hat,
den sol der Lantrichter an dem Herrn vodern, auf dez guet er gesessen ist....
und sol dem Herrn daz guet lassen und sol nur $ber den Man richten.
6 *
84
v. Zi eglauer.
Der La ndesherr kann den Adel nicht verpflichten, mit
ihm über die Grenze der Mark hinauszuziehen, nur durch Sold
oder durch Bitte kann dies bewirkt werden 1 ).
Wenn der Landesherr seine Standesgenossen aus Übermuth
oder Gewaltthätigkeit angreifen will, so soll ihm weder ein
Graf, noch ein Freier noch ein Ministerial noch irgend Jemand
im Lande Hilfe leisten ausser seinen Leibeignen 2 ).
Der Landesherr soll ferner ohne des Adels Einwilligung
Niemanden den Bau einer Festung gestatten s ).
Kein edler Mann soll zu Wasser oder zu Lande eine Mauth zu
bezahlen haben. Was er an Speise und Trank zu Hause braucht, das
soll er dem Landesherrn mit seinem Kriegsdienste abdienen 4 ).
Fassen wir nun, nach dieser Charakterisirung des oppositionellen
Geistes der angeführten Bestimmungen des Landrechtes jene Periode,
die dem Sturme der Bevolution des Adels und der Ministerialen gegen
Albrecht voranging, schärfer ins Auge; untersuchen wir, was den
Adel zu dieser nachhaltigen Opposition veranlasste, wodurch er
sich verletzt und beeinträchtigt glaubte, ob seine im Land rechte
scharf hervorgehobenen Vorrechte damals wirklich vom
Landesfürsten angegriffen wurden, und ob damals eine Änderung
der Gerichtsverfassung und der damit in naher Verbindung stehenden
Provinzialversammlungen stattgefunden habe.
Die österreichischen Chroniken 5 ) geben uns über die Motive
die Adel und Ministerialen leiteten, einen äusserst kargen Aufschluss;
sie erzählen zum Jahre 1295 oder 129G in gedrängtester Kürze den
Ausbruch der Rebellion und die schnelle Unterdrückung derselben.
*) L. c. S. 165, §. 40. Wir seczen vnd gepieten, das der Lanndesherr die Herren
von dem Land nicht dringe, ze varn hcrvber das gemerkch, er tue es dann
mit gut oder mit pete.
2 ) L. c. S. 169, §. 67. Ist das der Landesherr sein Hausgenosse wil angreuffen
von gewalt oder von vbermut, so sol Im weder graf, noch frey,
noch dinstman nicht helffen, noch niemand in dem Land, wann sein aigen
Leut
3 ) L. c. S. 165, §. 36. Wir seczen vnd gepieten, das kain Landesherr Jemant kain
vest erlawb ze pawen an der Lantherrn Rat.
4 ) L. c. S. 172, §. 81. So sol auch kain edlman nicht maut geben, weder auf
wasser, noch auf Land. Was er in seim Haus essen oder trinken wil, das sol er
vmb den Landesherren dienen mit seinem schilt.
5 ) Annales Austriae. Pertz, Monumenta, tom. XI, p. 479 et seqq.
Über die Zeit der Entstehung- des ältesten österr. Landrechtes.
85
Die meisten *) erzählen den Aufruhr ohne auch nur einen einzigen
Grund wodurch derselbe herbeigeführt wurde, anzugeben. (Nur
die „continuatio Vindobonensis“ 3 ) führt als einen solchen die über
grosse Begünstigung des schwäbischen Adels von Seite Albrecht’s
an.) Selbst Ottokar’s Reimchronik welche dreizehn Capitel hin
durch 3 ) den Aufstand der österreichischen Ministerialen vom Jahre
1295 4 ) erzählt, lässt ebenfalls nur den, die heimischen Adeligen ver
letzenden Einfluss der Schwaben deren Entfernung stürmisch ver
langt wird 5 ), als bestimmt ausgesprochenes Motiv erscheinen, Doch
treten an manchen Stellen klare Andeutungen hervor c ), dass die Ver
letzung alter Rechte, die Hindansetzung hergebrachter Gewohnheiten
A ) Continuatio Zwetlensis tertia, Pertz, tora. XI, pag. 568.
Annales Zwetlenses, 1. c. p. 679.
Continuatio Florianensis, 1. c. p. 750.
2 ) Pertz, tom. XI, p. 718 et 19.
3 ) P e z , tom. III, p. 572—583.
4 ) Die Chronik setzt denselben (Cap. 619 am Ende) irriger Weise in das Jahr 1296.
5 ) Reimchronik, Cap. 625.
6 ) Cap. 621:
„Ains daweht sew so gut,
Daz man durich Bescliaidenhait
Dem Fürsten unverczait,
Herezog Albrecht
Pate dez Lanndes Recht
Und Gewonhait behalten,
Die in die Alten
Und der Kayser Fridreich
Ileten gelassen ze Österreich,
Und dem Lannd gegeben".
Cap. 622 (aus der Rede der Gesandten an Albrecht):
„Si haben Ew dikch gemant,
Daz Ir vns und daz Lant
Hiet geeret damit,
Daz Ir nach dem alten Sit
Und nach der Gewonhait,
Dew Ew dikch ist vorgesait,
Der alten Fürsten ye,
Die vor Ewr warn hie
Und daz Lant innen heten,
Dikch seit Ir gepeten,
Daz Ir vns wäret siecht
An des Lanndes Recht“.
86
v. Zieglauer.
den Adel zur Unzufriedenheit und sofort zur bewaffneten Auflehnung
fortgerissen habe. Welche Rechte es waren, denen Herzog
Albreclit entgegen zu treten für nöthig erachtete, und welche
Gewohnheiten nun keine Berücksichtigungen mehr fanden, dies
suchen wir in den angeführten Quellen vergebens.
Aber eine, wie bereits erwähnt, durch Hm. v. Karajan zugäng
lich gemachte, von den Historikern aber wohl noch zu wenig gewür
digte Quelle, nämlich die Gedichte von Seifried Helhling 1 ) werfen
auch auf diese so unklaren Puncte bedeutendes Licht. Helhling ist in
der Thatein bedeutungsvolles Organ jener Tage; er lebte und schrieb
zur Zeit Herzog Albrecht’s, er hatte seine Heimath und seinen Auf
enthalt im Lande Österreich 3 ), selbst dem Ritterstande angehörig
lebte er in seiner Jugend wie im Alter im Verkehr mit den hervorra
gendsten Familien des Adels und der Ministerialen 3 ). Er kannte also
die Stimmung der Landherren, ihre Klagen, ihren Unmuth über die
Massregeln Albrecht’s, so wie das oppositionelle Streben, ihre Rechte
und Privilegien dem Monarchen gegenüber zu wahren. Nun bringt
Helhling gerade in seinem zweiten Gedichte das, wie Hr. v. Kara
jan auf das Entschiedenste nachgewiesen hat 4 ), ohne Zweifel im
Sommer, höchstens Herbste 1292 abgefasst wurde, also in einer Zeit
wo die Haltung des unzufriedenen Adels einen stets oppositionelleren
Charakter annahm 5 ), wiederholte Klagen über die Aufhebung der
„lantteidinc“ über die von Albreclit eingeführten „hofteidinc“, kurz
über eine Umbildung der Gerichtsverfassung, und gerade jener Gerichts
verfassung die in unserem Landrechte als die allein festzuhaltende
hervorgehoben wird. Ich halte es für nothwendig hier einige Bemer
kungen über die Entwickelung der Gerichtsverfassung in Österreich,
Cap. 624:
Si (Ländhel’ren) fragten fleissichleich
Die Herren all vir,
Waz in der Fürst Zir
Herczog Albreclit
Uinb dez Lanndes Recht
Ze Antwurt het gegeben.
*■) II a up t’s Zeitschrift, IV. Bd., S. 1—241.
2 ) Ebenda, S. 243, 244, 246.
3 ) Ebenda, S. 244.
4 ) Haupt’s Zeitschrift, IV. Bd., S. 249.
5 ) Pertz, tom. XI. Gontinuatio Florianensis, S. 749.
Über die Zeit der Entstehung des ältesten österr. Landrechtes.
87
vorzüglich aber über die Bedeutung und Bestimmung der Landteidinge
eiuzuflechten, damit klar werde, warum dem Adel an der Aufreeht-
haltung derselben, wie sie in den Tagen babenbergiscber Herrschaft
im Lande Österreich beschaffen waren, so vielgelegenwar, und
welchen Einfluss dort Adel und Ministerialen bei gerichtlichen
und Regierungshandlungen an der Seite des Fürsten auszuüben
lange gewohnt waren.
Wie in vielen anderen Ländern des deutschen Reiches finden wir
auch in Österreich zur Zeit des XII. und XIII. Jahrhunderts Landes
versammlungen J ) unter dem Namen Landteidinge („placita provin-
cialia“); auf welchen hauptsächlich gerichtliche Handlungen vor
genommen wurden 2 )- Eine Schilderung der Beschaffenheit der in den
deutschen Landen üblichen Landteidinge im Allgemeinen ist
durchaus nicht zulässig, denn eine genaue Vergleichung derselben
zeigt, dass in den verschiedenen Territorien auch deren Gestaltung
eine verschiedene war. Es lässt sieh daher über ihre Bestimmung,
über die Theilnahme an denselben, über Competenz und Einrichtung
nie ein allgemeines Bild entwerfen, und es können, um die Verfassung
des Laridteidings in einem bestimmten Territorium klar zu machen,
nur allein die von dort herrührenden Urkunden als Leitfaden der
Forschung dienen.
In welche Zeit die ersten als Landteidinge namentlich bezeich-
neten Landesversammlungeu i n Österreich zu setzen seien, dürfte
sehr schwer zu bestimmen sein; es begegnen uns, wie wir gleich
sehen werden, schon in der ersten Hälfte und um die Mitte des
XII. Jahrhunderts Landesversammlungeu, an welchen wir den Charakter
der Landteidinge kaum in Zweifel ziehen können; nicht zu bestreiten
ist es, dass im Jahre 1181 diese Art von Landesversammlungen als
ein schon ausgebildetes Institut im Gebrauche war, denn in einer von
Leopold VI. 1181 ausgefertigten Urkunde 3 )> in welcher das Schotten
kloster in Wien von dem Gerichtszinse der zu jedem Gerichtstage zu
zahlen war, befreit wird, ist diese Befreiung ausdrücklich eine
*) Walter, Rechtsgeschichte, §. 2G4. — T i 11 ni a n n, Heinrich der Erlauchte, I. Bd.,
S. 115—133.— Unger, Landstände, I. Bd., S. 179.
2 ) Walter, §. 264. — Tittmann , I. Bd., S. 104, 115—120. — Unger, I. Bd.,
S. 179.
3 ) Hormayr, Gesell. Wiens, I. Bd., Urkundenbuch, Nr. 14. — Meiller, Regesten,
S. 59, Nr. 15 .
88
v. Zieglauer.
Befreiung „a placito prouinciali, quod uulgo lanteidinch
dicitur“ genannt.
Das Landteiding in Österreich war unstreitig eine Landes Ver
sammlung die als oberstes Gericht des Landes thätig war. Adel und
Ministerialen sowie Stifterund Klöster, insofern dieselben mit den vorge
nannten in Rechtsstreitigkeiten verwickelt waren, hatten dort unter dem
Vorsitze des Landesfürsten ihren Gerichtsstand und konnten belangt
werden, und zwar nicht blos in Civilsachen, sondern auch bei Criminal-
fällen. So entscheidet Herzog Leopold VII. auf einer Versammlung zu
Tuln ‘), die ausdrücklich als Landteiding bezeichnet wird(„tuoln in
placito nostro“) einen Streit zwischen dem Stifte Kloster-Neuburgund
dem Ministerialen Poppo von Spangberch. Die vom Stifte angestrengte
Klage war doppelter Art, tlieiis Criminalanklage über die von Seite
Poppo’s verübte Verwundung eines seiner Grundholden, tlieiis Klage
über angemasste Vogtei.
Ferners wird in einer von Leopold VII. 1209 für das Kloster
Baumgartenberg ausgestellten Urkunde 3 ) auf eine ebenfalls als Land
teiding bezeichnete Landesversammlung in Mautern hingewiesen 3 ),
wo der Spruch gefällt wurde 4 ), dass alle Cistercienser-Klöster nach
altem Gewohnheitsrechte 5 ) keinen andern Vogt als den Landesherrn
anzuerkennen haben. So wird auf dem grossen Landteiding °) das von
Leopold VII. im April 1209 zu Neuburg gehalten wurde, unter dem
Vorsitz des Herzogs der Rechtsstreit entschieden 7 ), der in Folge der
Klage der Gebrüder von Altenburg über Beeinträchtigung ihres
Besitzthums durch die stattgefundene Dotirung des Klosters Lilienfeld
angestrengt wurde.
Diese urkundlichen Belege geben hinreichendes Zeugniss für
die Bestimmung des Landteidings zu gerichtlichen Handlungen.
Seine Bestimmung zu gerichtlichen Zwecken war aber nicht d i e
einzige, es zeigt sich eine solche auch zur Theilnahme an
1) Fischer, Gesell, v. Klosterneuburg-, S. 171. — Meiller, Regesten, S. 90, Nr. 39.
2 ) Kurz, Beiträge, III. Bd., S. 403—410.— M ei 11 er, S. 100, Nr. 73.
3 ) „In placito nostro Mutarn“.
4 ) „Ex sententia perquisitum atque inuentum est“.
5 ) „Tale ius ex antiquo habere“.
6 ) Meiller, Regesten, S. 100 und 101, Nr. 74 und 75.
7 ) Meiller, Regesten, S. 101, Nr. 75: „coram rainisterialihus nostris in placito nostro
Niuenburch“. — „Nos tarnen pro .. minister ja 1 in m nostro rum favore..
mitius cum eis agendum putavimus“.
Über die Zeit der Entstehung' des ältesten österr. Landrechtes. 89
Regierangshandlungen, bei deren Ausübung Adel und Ministe
rialen beigezogen werden.
Diese zweite Bestimmung wird zwar bei der Darstellung der
Landteidingsverhältnisse anderer Länder in Abrede gestellt; so
behauptet eben Titt mann i), wo er die Zustände des Landdings
in Thüringen und Meissen schildert, es finde sich keine Spur von
einer Bestimmung des Landdings zur Theilnahme an Regierungs
bandlungen; und wenn die Zuziehung und Einwilligung der Vorneh
men, der Vasallen, Ritter und Ministerialen, in die Angelegenheiten
der Regierung erwähnt werde; so gehöre dies nicht zur Landdings-
Verfassung; auf das Landding, behauptet er weiter, würden durchaus
die Ausdrücke nicht passen, dass die Vornehmen, die Angesehenen,
die Ministerialen zur Berathung gezogen oder zu ziehen seien. Mag
es sich in andern Ländern um die Landteidingsverfassung so verhalten
haben; im Lande Österreich war sie eine andere, dafür zeugt
die von Leopold VII. am 7. April 1209 auf dem Landteidingzu Neu
burg ausgestellte Urkunde 3 ). Sie liefert den unbestreitbaren Beweis,
dass auf den Landteidingen auch Regierungshandlungen voll
zogen wurden, hei deren Ausübung — ebenso wie hei gerichtlichen
Handlungen — die Edlen und Ministerialen heigezogen
wurden.
Mit Zuziehung der Ministerialen 3 ) wird auf diesem Landteiding 4 )
das Kloster Lilienfeld dotirt, wird diesem Kloster die Befreiung von
der weltlichen Gerichtsbarkeit ertheilt, die Leistung der Abgaben
erlassen und die Mauthfreiheit verliehen.
Diese Theilnahme der Edlen und Ministerialen bei der Ausübung
von Regierungshandlungen kann um diese Zeit wohl nicht
befremden, da eine Durchsicht jener Urkunden die über die Regie
rungshandlungen Leopold’s VII. Zeugniss gehen, uns zur Kenntniss
führt, dass damals die Edlen und Ministerialen in Österreich auf
einer solchen Stufe der Macht und des Einflusses standen, dass bei
der Vollziehung so vieler, vielleicht der meisten Geschäfte
ihre Theilnahme ersichtlich ist, dass hei so vielen bedeutenden
*) Tittmann, Heinrich der Erlauchte, Bd. I, S. 116 und 117.
2 ) Meiller, Regesten, S. 100, Nr. 74.
3 ) „Coram ministerialibus meis w .
4 ) „In placito meo Nivenburk“.
90
v. Z i e g 1 a u e r.
Regierungshandlungen iln* Rath („consilium“) , ihre Zustimmung
(„consensus“), ihre Anregung („ammonitio“) oder Befürwortung
(„fauor“) sich Geltung verschaffte.
So nimmt Herzog Leopold in einer Urkunde von 1202 das Stift
S. Florian in seinen besondern Schutz „fauoreetconsensuministerialium
et lidelium nostrorum“ *); so ertheilt er 1212 das Stadlrecht für Enns,
„iuxta consilium et ammonitionem lidelium ac ministerialium nostro
rum“ 2 ), bezeugt in einer Urkunde von 1222, dass er mit dem Kloster
Lambach einen Vertrag „de consilio magnorum 3 ) nostrorum“
geschlossen habe.
Ich habe absichtlich nur solche Fälle hervorgehoben, wo der
Rath und die Zustimmung der Edlen und Ministerialen zu Regierungs
bandlungen ersichtlich ist, noch viel mehr liessen sich für die Zuzie
hung derselben bei gerichtlichen Handlungen anführen 4 ).
Dergestalt war also die Macht und der Einfluss der Edlen
und Ministerialen in jener Zeit (vorzüglich unter Leopold VII.)
beschatten, dass ihr Rath fast stets der Ausübung der Landeshoheits
rechte zur Seite ging; und damit steht nun im Einklänge jene Aus
nahmsstellung des österreichischen Landteiding, dessen
Verfassung in den übrigen Territorien freilich eine ganz andere
gewesen sein mag 5 ); damit stellt im Einklänge die Bestimmung zur
Theilnahme an Regierungshandlungen und die Zuziehung der Edlen
zur Berathung.
Ich glaube sogar, dass in dem Landteiding die Macht der Adeligen
und Ministerialen durch den Einfluss bei gerichtlichen und Regierungs
handlungen theilweise wurzelte, und dasselbe mit ihrer Machtstellung
in eine Verbindung getreten war; sonst würde es unerklärlich sein,
warum damals in der Zeit Albrecbt’s der Wunsch und das Verlangen
^Meiller, Regesten, S. 88, Nr. 33.
2) Ebenda, S. 109, Nr. 99.
3 ) Ebenda, S. 131, Nr. 180.
4 ) Ebenda, S. 113, Nr. 113; S. 132, Nr. 181; S. 140, Nr. 220.
5 ) Tittmann, Heinrich der Erlauchte, I. ßd., S. 118. „Nur selten wird in den
Urkunden der Rath (consilium), nicht die Einwilligung, der Edlen und
Ministerialen erwähnt. Und dann könnte auch ein besonderer Grund obgewaltet
haben.... oder es kann willkürliche Befragung und Rath sein. Man hörte Vasallen,
Ritter und Ministerialen so weit, als man ihrer Mitwirkung und ihres guten Willens
bedurfte. Und gewiss geschah dies nicht auf einem Landdinge“.
Über die Zeit der Entstehung' des ältesten österr. Landrechtes. 91
nach den Landteidingen so lebhaft hervortrat, wie ich weiter unten 1 )
nachzuweisen versuchen werde.
Was die Landteidingsstellen anbelangt, so scheint vor der Regie-
rungszeit Herzog Leopold’s VII. die Abhaltung des Landteiding nur
an bestimmten Orten nicht üblich gewesen zu sein; so sehen wir
Landesversammlungen im Jahre 1137 zu Tuln 2 ), („ubi conuenerat
conuentus principum“); ferner 1163 zu Neuburg 8 ) („coram duce et
optimatibus austrie“); 1170 zu Neuburg unter dem Vorsilz Hein-
rich’s II. 4 ); ferners 1171 zu Krems 5 ) („agente Duce multis coram
nobilibus et ipsius Ducis ministerialibus“), dann zu Fischau 1194 6 )
(„facta conuentione prope Vischa cum ministerialibus suis“). Diese
Landesversammlungen werden zwar nicht ausdrücklich placita (Land-
teidinge) genannt, tragen aber den Charakter derselben vollkommen
in sich, indem sie entweder als oberste Gerichte des Landes tliätig
waren, oder dazu dienten, Veräusserungen und Vergabungen von
Grundstücken zu bestätigen, was nach altem germanischen Ge
brauch’ 7 ) der sich sicher bis tief in das XIII. Jahrhundert erhielt,
vor Landesversammlungen vollzogen werden musste.
Aber unter der Regierung des glorreichen Leopold scheinen
die damals ausdrücklich als placita (Landteidinge) bezeichneten
Landesversammlungen an bestimmten Orten gehalten worden zu sein,
nämlich zu Tuln, Mautern und Neuburg s ), die auch Seifried H e 1 b 1 i n g
in seinem zweiten Gedichte anführt 9 ) und die das Landrecht beson
ders hervorhebt 10 ).
Diese Verhältnisse gingen aber, wenigstens in etwas, einer
Veränderung entgegen, als der böhmische Prinz Ottokar im Jahre
1251 von dem österreichischen Lande Resitz nahm. Schien es gleich
Anfangs bei seinem Einzuge, als ob er die Gerichtsverhältnisse der
0 Siehe S. 95.
2 ) M e i 11 e r, Regesten, S. 24, Nr. 1 und 2.
3 ) L. c. S. 46, Nr. 62.
4 ) Fischer, Geschichte von Klosterneuburg, I. Bd., S. 60 und II. Bd., Nr. 117.
5 ) M e i 11 e r, Regesten, S. 50, Nr. 79.
°) Ebenda, S. 76, Nr. 73.
7 ) Unger, Landstiinde, I. Bd., S. 240. — Tittmnnn, Heinrich der Erlauchte, I. Bd.,
S. 115—120.
8 ) Meiller, Regesten, S. 90, Nr. 39; S. 100, Nr. 73, 74; S. 101, Nr. 75; S. 85, Nr. 21.
9 ) Haupt’s Zeitschrift, IV. Bd., S. 59.
10 ) Archiv für Kunde österr. Geschichtsq., X. Bd., S. 148, §. 1 und S. 159, §. 66.
92
v. Zieglauer.
babenbergischen Zeit vollkommen beibehalten wollte, indem er in
einer zu Klosterneuburg ausgestellten Urkunde die ihm vorgebrachten
Klagen auf ein allgemeines Landteiding verwies, das er im Beisein
aller österreichischen Edlen und Ministerialen zu Neuburg zu hal
ten beschlossen hatte *); so sprach doch das bald darauf erlassene
Landfriedensgesetz 3 ) eine etwas veränderte Gerichtsverfassung aus 3 ).
In denTagen der Babenberger hatte bei den höchsten gerichtlichen
Versammlungen — den Landteidingen •— nach allen mir bekannten
Urkunden der Landesherr selbst den Vorsitz, umgeben von einer
grossen Zahl Edler und Ministerialen; Ottokar führt hingegen als
Stellvertreter bei den höchsten Gerichten — wo nämlich die Edlen
und Ministerialen ihren Gerichtsstand hatten, wenn es ihnen auf
„Leib, Eigen und Lehen“ ging — zwei Vorsitzende, judiees provin-
eiales 4 ), ein, und gibt ihnen zwölf Beisitzer an die Seite. Diese
Bestimmungen stehen aber der Annahme, dass diese Gerichte mit
dem Charakter eines Landteiding ins Leben traten, durchaus nicht
entgegen, so war auch auf den Landdingen in Meissen und Thü
ringen — wieTittmann wiederholt nachweist 5 ) — der Land
graf oder sein Stellvertreter („iudex provincialis“) im Verein mit
zwölf Beisitzern Recht zu sprechen berufen und nicht alle Anwe
senden und Theilnehmer.
Die Gerichte unter Ottokar wurden zum Tlieil an den alten
babenbergischen Dingstätten, zum Tb eil auch an anderen Orten abge
halten; die Behauptung, dass die Einführung der Hofgerichtstage
in Wien und die Aufhebung der alten Landteidinge in Ottokar’s Zeit
A ) Rauch, österr. Geschichte, III. Bd., S. 94 und 98.
2 ) Archiv für Kunde österr. Geschichtsq., I. Bd., S. 55.
3 ) „Wir wellen auch und setzen vier Lantrihtaer, zwen enhalb tunowe, zwen dis
halb, di suln rillten alle chlag di für si chomcnt, an über dienstman leib
und aeig-en und leben. Wirt aber aein dinstman umb grozze schulde bechleit,
den sol der landrihter bringen in den furban, di acht sol man uns behalten
Wir haben auch unsern (Rihter?) mit zwelf herren auz dem lande. Wir wellen
auch daz zwen lantrihier bei anander sitzen an dem gerihte, so si mugen.
4 ) Dieselben waren in kluger Begünstigung des inländischen Adels durchgehends aus
den ersten und angesehensten Familien des Landes genommen, so Otto v. Haslau
und Heinrich v. Lichtenstein (monumenta boica, XXIX. Bd., S. 133), Otto von
Meissau (Fontes rerum austriacarum, II. Abth., I. Bd.: diplomataria et acta, S. 47),
Heinrich Graf von Ifardeck und Albero Truchsess von Veldsperch (1. c. S. 93).
5 ) Heinrich der Erlauchte, I. Bd., S. 124.
"
Über die Zeit der Entstehung- des ältesten österr. Landrechtes. 93
falle, weil er „überhaupt für maschinenartiges Centralisiren wie für
gewohntes Allein- und Vielregieren Vorliebe“ gehabt habe 1 ), diese
Behauptung ist im Angesichte von Urkunden die unzweideutiges
Zeugniss von der Abhaltung dieser höheren Gerichte auch an anderen
Orten geben, nicht haltbar.
Wir haben zwar urkundlichen Beweis, dass Ottokars Stellver
treter -—• seine „iudices provineiales“ — auch in Wien zu Gerichte
süssen, wie die auf Befehl des Königs gehaltene öffentliche Gerichts
sitzung unter dem Präsidium des Grafen Heinrich von Hardek und
Albero von Veldsperch am 28. November 1267 uns zeigt 2 ), aber
wir haben auch Beweise von einem feierlichen ßechtstage in
Tuln am 11. Februar 1259 3 ) und einer öffentlichen Gerichtssitzung
in Mautern am 7. Mai 1259 4 ). Es sind dies hinlängliche Belege,
dass unter Ottokar’s Herrschaft mit Berücksichtigung der alten
Sitte und Gewohnheit die babenhergischen Dingstätten noch in
Übung waren, und unter ihm durchaus nicht ein Centralisiren der
Rechtspflege durch Errichtung von Hofgerichten in der Hauptstadt
stattfand.
Nach König Ottokar’s Untergange ist sowohl unter Rudolf wäh
rend seines Aufenthaltes in Österreich, als auch unter der Regierung
des Herzogs Albrecht die Abhaltung mehrerer feierlicher Gerichts
sitzungen in Wien ersichtlich, im Juli 1280 5 ) und im Mai 1281 °),
beide unter dem persönlichen Vorsitze König Rudolfs, und im Mai
1283 unter dem Vorsitze Herzog Albrecht’s 7 )> doch wurden noch
in den ersten Zeiten des letztgenanntenRegenfen wenigstens anEin er
der seit den babenbergischcn Herzogen üblichen Dingstätten — an
der der Residenz zunächst gelegenen — solche als oberste Gerichte
thätige Landesversammlungen abgehalten, denn es liegen drei
*) H a ii p t ’s Zeitschrift, IV. Del., S. 2S8.
2 ) Fi r n h a b e r in seiner Monographie: Heinrich Graf v. Ilardek, judex provincialis
in Österreich. Archiv für Kunde österr. Geschichtsq., II. ßd., S. 173.
3 ) Monumenta boica, XXIX. Bd., S. 133, „presidentibus in iudicio provinciali apud
Tulnam provincialibus iudicibus Ottone de Haselowe et Ileinrico de Lichtenstein“.
4 ) Fontes rerum austriac., II. Abth., I. ßd., S. 47, „in foro iudieiali in Mautarn,
domino Ottone de Meissawe et domino Ottone de Ilaslawe iudicio presidentibus.“
5 ) Lichno wsky’s Regesten, S. 314, Nr. 603.
6 ) Hanthaler, Recens. I. ßd., S. 167.
7 ) Lichno wsky’s Regesten, S. 97, Nr. 783.
94
v. Z i e g 1 a u e r.
Urkunden vor, die uns von einem im Jänner 1287 zu Neuburg 1 )
gehaltenen Landteiding Kunde geben.
In den folgenden Jahren verstummen aber meinesWissens
die Nachrichten, dass Landteidinge an den altherkömmlichen mehrfach
erwähnten Gerichtsplätzen gehalten worden seien 2 ), und dies ist
allerWahrscheinlichkeit nach der Zeitpunct, in welchen
die Aufhebung der Landteidinge fällt und in welchen, da der Herzog
die Ausübung der Gerichtsbarkeit über Edle und Ministerialen
ausschliesslich an seinen Hof ziehen wollte, die Einführung
eines „hofteidinc“ in Wien gesetzt werden muss, das die
Bestimmung der alten Landteidinge nur in so fern zu erfüllen hatte,
als es den persönlichen Gerichtsstand für die Edlen und Mini
sterialen, wenn es „auf Leib, Eigen und Lehen geht“ bilden
sollte.
Diese Ansicht wird nun in höchst bedeutender Weise durch
den Zeitgenossen Seifried Helbling unterstützt, indem dieser in
seinem zweiten Gedichte das im Jahre 1292 niedergeschrieben
wurde, wiederholt bittere Klagen einerseits über die Auf
hebung der „lantteidinc“ die er lebhaft zurück wünscht, anderseits
über die Einführung der Hofgerichte ertönen lässt. Wir hören ihn
ausrufen 3 ):
*) Erste Urkunde Albrecht’s vom 7. Jänner 1287 im k. k. Archiv („presidentibus
nobis in crastino Epiphanie domini proxime nunc transacto generali et curiali pla-
cito in Newenburga“).
Zweite Urkunde Albrecht’s vom 10. Jänner 1287 im k. k. Archiv („in proximo
placito, quod Newenburge celebravimus“.... per fidelium nostrorum nobis assi-
stencium comunem sententiam“).
Dritte Urkunde Albrccht’s, ebenfalls vom 10. Jänner: („presidentibus nobis in
crastino Epiphanie domini proximo nunc transacto generali et curiali placito in
Newenburga „fidelium nostrorum nobis assistencium diclante sententia“).
2 ) Die in den „Regesten zur Geschichte der Grafen von Schaunberg im Lande ob
der Enns, mitgetheilt von Jodok Stiilz“ (Notizenblatt v. Jahre 1851, Seite 318)
befindliche Urkunde Herzog Rudolfs vom 27. Februar 1303, worin auf ein Land
teiding in Neuburg hingewiesen wird, bildet wohl keine Widerlegung meines
Ausspruches, indem mir aus dem Auszuge (das Original war mir nicht zugänglich)
hervorzugehen scheint, die Urkunde beziehe sich auf eine frühere Gerichtsent
scheidung. Sollten sich aber wirklich urkundliche Spuren von noch später gehal
tenen Landteidingen in Niederösterreich finden, so wird es äusserst schwierig sein,
diese Erscheinung mit den Aussprüchen des Seifried Helbling: in Einklang zu
bringen.
8 ) Haupt’s Zeitschrift, IV. ßd., S. 60.
Über die Zeit der Entstehung; des ältesten österr. Landrechtes.
95
„iz kostent mangen pfenninc
ze Wienne diu hofteidinc,
der ist niulieh gedaht,
er hat sie hovelieh dar b r aht,
der si hat getihtet“.
und weiter unten spricht er laut das Verlangen nach den Land-
teidingen und den Wunsch der Aufhebung der Hofteidinge aus 1 ).
„der gerilltes waere bereit
driu lantteidinc in dem jar
und lieze diu hofteidinc gar“
Nun ist H e 1 h 1 i n g mit so vielen Edlen und Ministerialen
jener Zeit in Verbindung und Verkehr gewesen , kannte ihre Denk-
und Gesinnungsweise, kannte ihre Klagen gegen Albrecht, so dass
er hier unstreitig als Organ der Unzufriedenen betrachtet wer
den muss.
Wenn auch das Landteiding jene hohe Bedeutung für die Edlen
und Ministerialen vielleicht schon längst nicht mehr hatte, die wir
unter Leopold VII. ihm beizulegen durch urkundliche Belege berech
tigt werden, so konnte der Adel durch die Aufh ebung eines so alten
Institutes das sicher noch immer einen wesentlichen Bestandtheil
seiner bevorzugten Stellung ausmachte, nicht anders, als im
hohen Grade verlet zt und zu Klagen und zur Opposition fort gezo
gen werden, indem er in diesem Verfahren einen Stoss für seine
Macht und eine sehr fühlbare Beengung seiner Rechte erblicken musste.
Dazu kam noch, dass am Hofe Albrecht's, an den die gerichtliche
Thätigkeit gezogen wurde, seit längerer Zeit der inländische Adel
mehr hindangesetzt wurde und der meiste Einfluss bei den schwä
bischen Edlen sein mochte 2 ).
Klagend über diese Neuerungen hob man gerade in Bezug auf
die Landteidinge das hohe Alter dieser Einrichtungen hervor, berief
sich auf die Zeit der babenbergischen Herzoge, unter welchen sich
O L. c. s. 02.
2 )Ottokar’s Reimchronik, cap. 245, 625. Johannes Victoriensis hei Böhmer,
Pontes, I. Bd. S. 317.
96
v. Z i e g 1 a u e r.
diese Verfassung ausgebildet hatte und hob die Rechte hervor, die
man in jenen Tagen genoss. Diese Bedeutung und keine andere hat
nun die schon so oft angezogene Stelle von Seifried Helbling 1 ).
„hi einem Liupolt ez geschach,
der disse landes lierre was;
sich fuogte, daz man vor im las
des landes relit; ez was sin bete,
man nante iin dri stete
da er gerillte niht solde sparn,
Niunburc, Tuln, Mutarn,
da sold er haben offenbar
driu lantteidinc in dem iar.“
Die oft ausgesprochene Ansicht, als erzähle der Dichter hiemit,
dass das uns vorliegende Landrecht wirklich einen Herzog Leopold
zum Urheber habe, kann sich unmöglich länger behaupten; man
erwäge nur die zwei dieser angezogenen Stelle vorausgehenden
Verse
„noch habent uns die alten
ein maere her behalten“
und es wird klar sein, dass der Dichter nur auf die Tradition hin
weist, auf den Ursprung der Landteidingsverfassung, auf das hohe
Alter dieses Rechtes dessen Ausbildung die Edlen und Ministerialen
in die Zeit der Herzoge Leopold zurücksetzen. Es kann dieser Stelle
nicht der Sinn eingeräumt werden, als behaupte der Dichter,
unzweifelhafte Kenntniss zu haben, dass das Landrecht unter einem
babenhergischen Herzog Leopold verfasst worden sei, sondern sie
kann nach meiner Meinung nur als Zeugniss betrachtet werden, dass
damals unter den Adeligen, wo man vielen ihrer Vorrechte entgegen
zutreten für nöthig fand, die Tradition lebendiger auftrat, und dass
sie ihren Vorrechten durch das hohe Alter, durch ein Hinaufrücken in
die Babenberger Periode gleichsam eine Weihe geben wollten. Denn
es ist eine der menschlichen Natur so eigenthümliche immer wieder
kehrende Erscheinung, dass Corporationen nach einem erfolgten
Angriff auf ihre Vorrechte vor Allem bemüht sind, diesen ein hohes
4 ) II a u p t ’s Zeitschrift, IV. Bd., S. 59.
Über die Zeit der Entstehung’ des ältesten österr. Landrechtes.
97
Alter zuzuschreiben und auf eine durch Generationen gepflogene
Gewohnheit hinzuweisen.
Bei diesen Klagen über Neuerungen, bei diesem Verlangen,
den früheren Rechtszustand wieder herzustellen, lag für den
Adel und die Ministerialen die Veranlassung so nahe, die her
gebrachten Rechte und Gewohnheiten zu sammeln,
zusammenzustellen und aufzuzeichnen; hat man ja in diesem
Zeitabschnitte eine Aufzeichnung der Rechte und Gewohnheiten
grösstentheils nur dann unternommen, wenn irgend ein Bedürfniss,
eine Veranlassung sich bot, eine Nothwendigkeit dazu drängte.
Und nun finden wir in unserem vorliegenden Landrechte gerade
jene Rechte und Einrichtungen die Alhrecht in diesen Tagen
angegriffen hat, so scharf hervorgehoben; es wird nämlich eben
jene von Albrecht beseitigte Gerichtsverfassung als allein
gesetzlich hingestellt, und die Abhaltung der „taiding“ (Landtei-
dinge) gefordert; es werden die alten babenbergischen
Gerichtsstätten als Landteidingsstellen bezeichnet; es wird die
bevorzugte Stellung der Edlen und Ministerialen bei Gericht
gewahrt, die Entscheidung bei richterlichen Handlungen auch mit
an ihre Aussprüche geknüpft und die Ausführung von Regie
rungshandlungen bei vielen Gelegenheiten auf das Bestimmteste
von ihrem Ratlie („nach rat der Herren in dem Lande“)
abhängig gemacht. Ja noch mehr, man findet in unserem Rechtsdenk
male Vorrechte für den Adel in Anspruch genommen, deren Besitz
man selbst zur Zeit der blühendsten Macht der Edlen und Ministeria
len für dieselben nicht blos nicht erweisen kann, sondern im Ange
sichte urkundlicher Belege geradezu leugnen muss.
Einen schlagenden Beweis dafür liefert §. 8t‘)> welcher
bestimmt, dass kein Edler weder zu Wasser noch zu Lande eine Mauth
zu bezahlen habe; was er zu Hause an Speise und Trank bedürfe,
soll er dem Landesherrn mit seinem Kriegsdienste abdienen 2 ).
Erwägt man aber den Inhalt der Urkunde Herzog Friedrich’s II.
vom 27. October 1241 s ) , worin dem Gundaker von Starchenberg
i ) Archiv für Kunde österr. Geschichtsq., X. Bd., S. 172.
®) „So sol auch kain edlman nicht niaut geben , weder auf Wasser , noch auf Land.
Was er in seim Haus essen oder trinken wil, das sol er vmb den Landesherren
dienen mit seinem schilt“.
3 ) Meiller, Regesten, S. 169, Nr. 93 und Lud ewig, Reliq. raanuscr. iV, p. 216.
Sitzb. d. pliil—hist. CI. XXI. Bd. I. Hft. 7
98
v. Zieg-lauer.
das Recht der Mauth und Zollfreiheit zu Wasser und zu Lande für den
Hausbedarf an Lebensmitteln bestätiget wird, und ferners den Inhalt
jener Urkunde H. Friedrich’s II. vom Jahre 1243 ‘), worin er dem
Heinrich Piber und seinem Bruder, dann dem Ulrich von Lobenstein
die Mauthfreiheit für alle Lebensmittel „que pro domibus suis habue-
rint necessaria“ gewährt; so erscheint es mir als eine unzweideutige
Thatsache, dass diese Befreiung kein allgemeines Privilegium des
Adels war, sondern eben nur an Einzelne ob besonderer Treue oder
ausserordentlicher Dienste ertheilt wurde. Solche Umstände
sind aber jedenfalls geeignet, meine Hypothese zu unter
stützen, dass diese Satzungen in einer Zeit der Opposition nieder
geschrieben wurden, in welcher es nicht befremden darf, wenn auf
erwünschte Vorrechte, auch wenn man keinen Rechtstitel dafür
geltend zu machen im Stande ist, Anspruch erhoben wird.
Weil man aber der ganzen Sammlung das Gepräge geben
wollte, als enthalte sie längst zum Gewohnheitsrechte ausgehildete,
gesetzliche Bestimmungen, nach welchen der Adel schon vor einer
Reihe von Jahren gelebt und gehandelt hat, gab man dem Landrechte
gleichsam als Inschrift die Eingangsworte: „Das sind die Recht nach
Gewonheit des Landes bei Herezog Liupolten von Österreich“ ; sie
können also nur die Bedeutung haben, dass die hier verzeichneten
Satzungen ihre Wurzel und ihren Ursprung in jener frühen Zeit
haben, nicht aber, dass sie unter einem babenbergischen Leopold
niedergeschrieben wurden 3 ).
Die Betrachtung der so eben ausführlich besprochenenVer
hält nisse, drängte mich nun zur Ansicht, dass die un zufrie
denen Edlen und Ministerialen zurZeit, als in Alhrecht
das monarchische Princip ihrer bevorzugten Stellung
entgegentrat, die alten Rechte und Gewohnheiten einer fü r sie
Heiller, S. 177, Nr. 127.
2 ) Schon Senkenberg hebt dieses in seinem Werke: Visiones diversae de
collectionibus legum germanicarum“ prolog. §. VII hervor, indem er sagt: „Meo,
etiam sensu Ion ge aliud est, aliquam constitutionem ad Leopoldi ducis t em
por aprovocare, et longe diversum, illum ut auctorem laudare“. Ebenso in
neuerer Zeit: Zöpfl in seiner Rechtsgeschichte. II. Bd., I. Abth., S. 152, Anm. 4.
„Die Erwähnung des Herzogs Leopold hat hier wohl eben so viel Bedeutung
als die Erwähnung Karl’s des Grossen oder des Kaisers Friedrich in den
Rubriken des Schwabenspiegels“.
Über die Zeit der Entstehung des ältesten österr. Landrechtes.
99
besseren Zeit, mit vorzüglicher Berücksichtigung des öffentlichen
Rechtes, ohne aber Privat-, Criminal- und Lehnrecht auszuschliessen,
sammelten und aufzeichneten.
Dass die verschiedenen Exemplare in so fern nicht übereinstim
men , dass manche Satzungen des einen Exemplares im andern nicht
erscheinen, beweist eben nur, dass es eine Privatarbeit war, bei der
selbst nach vorausgegangener Verständigung der Betheiligten, die wohl
angenommen werden muss, Abweichungen immerhin leicht eintreten
konnten. Dass aber zwischen den in den verschiedenen Exemplaren
vorhandenen Satzungen grösstentheils eine sehr genaue Übereinstim
mung herrscht, lässt sich eben dadurch erklären, dass die Sammler
bei der Abfassung dieselben Quellen benützten. Dies führt mich auf
die Erörterung des zweiten oben angegebenen Punctes, nämlich auf
die Untersuchung, welche Quellen für die Zusammenstellung und
Ausarbeitung des Landrechtes benützt, wie viel daraus entlehnt wurde,
und welche Folgerungen man sofort in Bezug auf die Zeit der Ent
stehung des Landrechtes zu ziehen berechtigt wird.
II.
Bei genauer Durchsicht der Satzungen unseres Landrechtes
erregen manche 4 ) durch gewisse Eigentümlichkeiten den Verdacht
nicht blos ihrer Rechtsansicht, sondern ihrer ganzen äusseren Fassung
nach irgendwo entlehnt und treu übertragen zu sein. Eine sorg
fältige Vergleichung der Landrechtsartikel mit den verschiedenen
Denkmälern des Rechtes im XIII. Jahrhundert liess daher die Gewin
nung eines darüber Aufschluss gebenden Resultates erwarten. Und
in derThat finden sich in denverschiedenenLandfrieden des
XIII. Jahrhunderts die Quellen für sehr viele Paragraphe unseres
Landrechtes.
Einmal ist es das auf dem feierlichen Reichstage zu Mainz am
15. August 1235 vom Kaiser FriedrichII. erlassene Landfriedens
gesetz 2 ) welches die Sammler vor sich hatten, und benützten und
manche Satzungen wörtlich übertrugen.
Dass dieses Friedensgesetz die Priorität für sich hat, unterliegt
keinem Zweifel, weil nicht angenommen werden kann, dass Kaiser
*) Z. B. §§. 32, 51, 69 (Archiv für Kunde österr. Geschichtsq., X. Bd., S. 165, 167,169).
2 ) Pertz, Monuinenta, tom. IV, p. 313.
100
v. Z i e g I a u e r.
Friedrich auf dein Reichstage zu Mainz ein kleines Particularrecht
hei sich geführt habe, um daraus wortgetreu Satzungen zu entlehnen,
und weil dieser Landfriede der selbstständig und nicht aus der
Nachbildung eines andern entstand, später das Muster und die Quelle
für die meisten wichtigeren Landfrieden des XIII. Jahrhunderts
geworden ist. So ist bekanntlich Rudolfs Landfriede für Franken
vom 25. Juli 1281, dann der Mainzer Land friede vom 13. December
1281 und der Landfriede von Würzburg vom 24. März 1287 treu
dem Fridericianischen nachgebildet<).
Der grosse Streit, ob das Original dieses Landfriedens in
lateinischer oder deutscher Sprache abgefasst wurde, ist durch
Schönemann 3 ) wohl endgiltig dahin entschieden worden, dass das
Original lateinisch ausgefertigt, g 1 e i c h z e i t i g aber zum Gebrauche
der Richter von Amtswegen deutsche Übersetzungen verfasst und
vertheilt worden sind 3 ).
Ein derartiges deutsches Exemplar 4 ) des Fridericiani
schen Landfriedens, wenn nicht gar ein es jener viel späte
ren von Rud olf errichtetenLandfrieden, hatten dieSamm-
ler nun unstreitig vor sich; denn sie haben die Rubriken die über
das Verbrechen der öffentlichen Gewaltthätigkeit des Sohnes gegen
den Vater in ausführlicher Weise handeln, fast durchgehends wört
lich in das Landrecht übertragen 5 ).
Ich stelle zur Vergleichung nur die ersten Sätze dieser Rechts
bestimmung aus beiden Documenten neben einander.
Friedrich’s Landfrieden. Landrecht.
§. 78.
Es ist recht nach gewonhait
Pertz IV, p. S72 u. f.
Swelch sun sinen vater von
sinem eigen, oder von sinem erbe, des Lands, welich sun seinen vater
oder von sinem gut verstozet, oder von seiner purg oder von anderm
1) Ebenda, tom. IV, S. 433, 436, 448.
2 ) Schönemann, Diplomatik, I. Bd., S. 300.
3 ) Damit ist nun auch die Mittheilung des Chronisten Gottfried von Cöln in Einklang
gebracht, der zum Jahre 1235 sagt: „curia celeberrima in assumtione b. Mariae
apud Maguntiam indicitur, ubi fere Omnibus principibus regni Teutonici convenien-
tibus pax iuratur, vetera iura stabiliuntur, nova statuuntur, et Teutonico ser-
mone in membrana scripta omnibus publicantur.“
4 ) Pertz, Monumenta, tom. IV, p. 571.
5 ) Vergleiche: Pertz, Monumenta, tom. IV, p. 572, Nr. 1, und §. 78 und 79 des
Landrechtes (Archiv für Kunde österr. Geschichtsq., X. Bd., S. 170 und 171).
Über die Zeit der Entstehung des ersten österr. Landrechtes.
101
brennet oder roubet, oder wider
in ze sinen vienden swert, mit
eiden, daz uf sins vater ere gat,
oder uf sine verderbnusse, beziu-
get ez sin vater ze den heiligen
vor dem rihter, mit zwein sent-
barn mannen, der sun sol sin ver
teilet eigens und lehens, und
varends gutes, und berlichen
alles des gutes, des er von vater
und von muter erben solde ewich-
liche, also daz im weder rihter
noch der vater wider geholfen
mag, daz er dehein reht ze den
gute gewinnen muge etc.
seinem gut stosset, oder prennet,
oder rawbet, oder zu seins vater
veinten sich chert mit aiden oder
mittrewen, das auf seins vater ere
get.oder auf sein Verderbnis, vber-
kumpt In des sein vater vor seim
Richter mit zwain vnuersprochen
Mannen, dem Sun sei widertailt
aigen und lehen, vndvarund gut,
und alles das guts, des er im von
seim vater vnd von seiner muter
erbe solt sein ewigcleich, also,
dacz Im der Richter noch der vater
nicht wider gehelfen mag, das er
zu demselben gut kain Recht
nimermer gewinnen muge etc.
Eine wörtliche Übereinstimmung zwischen dem Landfrieden
Friedrich's und dem Landrechte findet ferners in Bezug auf die
Satzungen über Verletzung des „hantfrid“ und der dafür auszu
messenden Strafe Statt 1 ).
Friedrich’s Landfrieden.
L. c. p. 375.
An swem der hantfrid gebro
chenwirt, erziuget er daz zen hei
ligen vor sinem rihter , mit dem
der den hantfride gemachet hat
und mit zwein andern sentbaren
mannen, die ir reht behalten hant,
daz der frid an im gebrochen si,
der rihter sol ienen ze aht tun,
der den frid gebrochen hat, und
sol in niemer etc.
Landrecht.
§. 76.
Es ist recht nach gewonhait
des Lands, an wen der Hantfrid
zebrochen wirt, erczeugt er das
auf den heiligen vor dem Richter
mit dem, der den hantfrid gemacht
hat, oder enplumgen mit zwain
vnversproclien manen, die Ir recht
behalten habent, das der Frid an
Im zeprochen sey, der Richter
sol ienen ze echt tun, der den
frid zeprochen hat, vnd sol in
nimmer etc.
t) Man vergleiche Nr. 3 des Fried. Landfriedens. — Pertz, tom. IV, p. B7ä
und §. 76 des Landrechtes (Archiv, X. ßd., S. 170).
102
v. Z i e g 1 a u e r.
Weiter ist jene Satzung welche den Vögten den Schutz und
Schirm der ihnen ühergehenen Gotteshäuser zur strengsten Pflicht
macht, fast wortgetreu aus dem Landfrieden in das Landrecht
aufgenommen worden i).
L an d fr i eden.
1. c. p. 579.
Er gebiutet daz aller gotes-
huser vogiten, daz si den gotes-
husern vor sin, und beschirmen uf
ir vogitei, als ez gegen gote wol
geste, und och sine huld behal
ten, und sich an der gotes huser
gute und vogitei also behalten,
daz dehein groz chlage von in
chome. Swer des niht entut etc.
Land recht.
§. 73.
Es ist recht nach des Landes
gewonhait, das aller der gotsheu-
ser vogt den gotsheusern vor sein
vnd si schermen auf ir vogtey, als
es wol ste nach got, vnd als sew
vnser huld damit behalten, vnd an
der gotsheuser gilt, das Ir vogtey
ist, also behalten, das uns kain
klag von in kom. Wer das nicht
tut — etc.
Findet sich bei den angeführten Stellen eine wörtliche Überein
stimmung, so schliessen sich andere Paragraphe unseres Landreehtes
in überraschender Ähnlichkeit an einige im Landfrieden ausgespro
chene Bestimmungen dergestalt an, dass die Muthmassung nahe liegt,
die Sammler seien auch hier dem Musterhilde gefolgt. Dahin gehört
ganz vorzüglich das Verbot einen „Muntman“ zu haben und die Sat
zung, den Bau einer Burg oder Festung ohne der Landleute geringste
Beeinträchtigung oder Erpressung zu führen 3 ).
Der Mainzer Landfriede Friedrich’s, dieses Vorbild für so viele
und wichtige Landfrieden des XIII. Jahrhunderts, diente auch dem
von Ottokar fürÖsterreich beiläufig um 12S1 aufgesetzten Frieden 3 )
als Grundlage. Die erste Hälfte des letzteren ist mit wenigen Ände
rungen dem Mainzer Landfrieden entlehnt worden. Nur die Satzung
über das Verbrechen der öffentlichen Gewaltthätigkeit des Sohnes
gegen den Vater ist ausgefallen.
0 Friedrich’s Landfriede, Pertz, tom. IV, p. 379 und §§. 73, 74 des Landrechtes
(Archiv, X. Bd., S. 169 und 170).
s ) Landfriede Friedrich’s, Pertz IV, p. 576 und 578, Nr. 6 u. 8. Landrecht, §§. 35
und 59 (Archiv, X. ßd., S. 165 und 167).
3 ) Archiv für Kunde österr. Geschichtsq., 1. Bd., S. 55.
Über die Zeit der Entstehung des ältesten österr. Landrechtes. 103
Für meinen Zweck ist es nun von nicht geringer Bedeutung,
dass eine genaue Vergleichung zur Überzeugung führt, die Sammler
haben bei der Abfassung des Landrechtes nicht nur den Landfrieden
Friedrich’s als Quelle vor sich gehabt, sondern müssen auch unzwei
felhaft den Ottokar’schen Landfrieden gekannt und benützt haben;
denn erstens findet sieh im letzteren bei der Satzung über die Pflichten
des Vogtes, welche von beiden dem Landfrieden Friedrich’s entlehnt
wurde, ein Zusatz *) welchen der Landfriede Friedrich’s nicht
enthält, den Ottokar als Ergänzung hinzuzufügen für nöthig fand,
den aber auch unser Landrecht (§. 73. Schluss) der erwähnten
Satzung beigefügt hat.
Zweitens nahm das Landrecht auch einige, wie es scheint, selbst
ständige Bestimmungen des Ottokar’schen Landfriedens, die der
Landfriede Friedrich’s nicht in sich schliesst, aus jenem her
über, so das Verbot, aus Kirchen feste Plätze zu machen 2 ), und die
Bestimmung, dass der Bau einer Burg Niemanden gestattet werde, der
zum Baue nicht 30 Pfund Gülten hat 3 ).
Die angeführtenThatsachen berechtigen unleugbar zum Schlüsse,
dass auch der Ottokar’sche Landfriede von circa 1251 als Vorbild
benützt wurde.
Aber selbst ein noch späteres Rechtsdenkmal glaube ich als eine
von den Sammlern bei der Abfassung des Landrechtes benützte Quelle
bezeichnen zu können. Diese ist der am 3. December 1276 von
K. Rudolf für Österreich errichtete Landfriede 4 ), er liegt uns nur in
lateinischer Fassung vor, doch glaube ich annehmen zu dürfen, dass
gleichzeitig auch Übersetzungen desselben von Amts wegen ausge
geben und an die Richter vertheilt wurden, ein Verfahren welches
schon auf dem Reichstage zu Mainz 1235 beobachtet und von Rudolf
im Landfriedensgesetze auf dem Tage zu Regensburg am 6. Juli
1 ) Wann wer sein vogtei selb raubt, die er pillich schermen solt, der hat die mit
recht verlorn. Landrecht §. 73. Schluss. (Archiv, X. Bd., S. 170.)
wan swer sin vogtay selbe raubet, di er billich schennen sol, der hat billich die
vogtay verlorn. Ottokar's Landfrieden (Archiv, I. Bd., S. 57). Vergleiche
Landfrieden Friedrich’s, Pertz, tom. IV, S. 579, Nr. 11.
2 ) Vergleiche Ottokar’s Landfrieden (Archiv I, S. 59) und Landrecht (Archiv, X. Bd.,
§. 44, S. 166).
3 ) Ottokar’s Landfriede (Archiv, I. Bd., S. 60) und Landrecht (Archiv, X. Bd., §. 35,
S. 165).
4 ) Pertz, Monumenta, tom. IV, p. 410 etc.
104
v. Z i e g 1 a u e r.
1281 ‘) zum Grundsätze erhoben wurde, indem (§. 42) jedem Rich
ter hei Strafe von 5 Pfund Pf. zur Pflicht gemacht wird, wenn er
zu Gerichte sitzt, den deutsch geschriebenen Friedbrief yor sich
zu haben 3 ).
Ein solches Exemplar des Landfriedens scheinen nun die Samm
ler bei der Abfassung des Landrechtes vor sich gehabt zu haben;
denn abgesehen davon, dass an mehreren Stellen sich eine unzweifel
hafte Übereinstimmung zeigt, ging vorzüglich jene Satzung des latei
nischen Originals, die sich auf den Streit zweier Landsassen über
das Eigenthumsrecht auf einen Grundholden bezieht, dergestalt in
das Landrecht über 3 ), dass sie uns eine Übersetzung zu sein scheint.
Zur Vergleichung seien die bezüglichen Stellen vorgelegt:
Landfrieden Rudolfs.
Perz IV, 411.
Item nullus recipiat et terieat
homines proprios alicuius . . .
Et si receptus non inficiatnr se
domino attinere, receptor dimit-
tat et restituat sine mora per
iudicem ad instantiam domini
requisitus; alioquin receptor
pene nomine solvet decem libras
et iudici nichilominus quinque
libras, et iudex compellet ad
solutionemhuiusmodi receptorem.
Si vero negaverit conquerenti
domino attinere, receptor pro
ipso coram competenti iudice
respondebit iuris ordine pro
recepto; et si in utroque casu
causa pendente domino occurre-
rit, tenendi eum vel eaptivandi
habebit liberam facultatem, et
Landrecht.
Archiv X, S. 162.
§. 16.
Es sol niemant dem andern
seinen aigen man Vorhaben, der
doch seins rechten herren nicht
enlaugent. Antwurtet er in dem
rechten herren nicht wider, so sol
er in vordem mit dem Richter.
Geit er in im darüber nicht wider,
so sol er geben dem herren X tl.
vnd dem Richter V tl. vnd sol
der Richter dem herrn das gut
intwingen. Laugent aber der aigen
man, das er des herren nicht sey,
der nach Im clagt, so sol Im iener,
der in ingesessent, verantwurten
vor aim Richter. Ob aber in der zeit
der aigen man seinem rechten Her
ren widervert, des er da laugent,
das er sein herre nicht sei, vnd
dannoch nicht vertaidingt ist, noch
4 ) Pertz, tom. IV, S. 427.
2 ) »Er hab den fridbrief bi im teuscb geschriben.“
3 ) §. 16 Landrecht (Archiv, X. Bd„ S. 162).
Über die Zeit der Entstehung des ältesten österr. Landrechtes.
propter hoc penam aliquam non verrichtet vmb in, vnd in der herr
incurret. begreifet, wo er im widerfert,
der mag in wol valien, das er des
nicht entgiltet gegen dem gericht.
Dass dieser Rudolfinische, so wie der von mir früher erwähnte
Ottokar’sche Landfriede für Österreich die Priorität gegenüber dem
Landrechte für sich haben, und dass die Meinung, als sei bei der
Abfassung der Landfrieden das österreichische Landrecht benützt
und ausgebeutet worden, unzulässig ist, ergibt sich wohl aus der
Betrachtung der Bedeutung und des Zweckes der Landfrieden. Es
wurden eben jene Bestimmungen und Normen im Landfrieden nieder
gelegt, die man, weil sie sich in einem geschriebenen Rechte gar
nicht oder nicht erschöpfend vorfanden, klar aussprechen, den
Staatsangehörigen vor Augen halten und die strenge Bestrafung der
Übertreter hervorheben wollte.
Gewiss hätte man die Normen, wenn sie sich bereits in einem
geschriebenen, allgemein bekannten Rechtsbuche vorfanden, nicht
aufgenommen und fast wörtlich abgeschrieben; sondern in diesem
Palle würde man dieses Umstandes sicher Erwähnung gethan haben,
um so mehr, da die Friedbriefe vorzüglich für die Richter bestimmt
waren, in deren Händen das Reehtsbuch sich befunden hätte.
Ausser den von mir angezogenen Gesetzesstellen des Landrech
tes, deren Ursprung ich nacbzugehen vermochte, finden sich noch
mehrere die das Gepräge, irgendwo entlehnt worden zu sein, nur zu
deutlich an sich tragen, deren Heimath zu finden ich jedoch nicht im
Stande war; so ist der Paragraph: (32) *)
„Wir setzen vnd gepieten, das kain Richter fürbas kain
puesse nicht nem von niemant, der ee deliain inczielit auf Im
gehabt hat; das hab wir ablassen von vnserm kunigkleichen
gewalt“.
fast ohne Zweifel eine Rudolfinische Verordnung; eben so ist
der Paragraph Sl 2 ), nach welchem: die Stellung des Rosses und
Harnisches bis zur nächsten Sonnwendzeit zu geschehen hat, sicher
*) Landrecht (Archiv, X. Bd., S. 1G5).
2 ) Ebenda, S. 167: „Der sacz vmb Ros vnd Harnasch sol g'eschechen sein zu den
nagsten Sunnwenteu, di nu koinent; wer sein dann nicht enhat etc.
106
v. Zieglauer.
eine entlehnte Heerfahrtsbestimmung. Auf die Zeit der Entstehung des
Landrechtes lässt sich aber aus dieser Stelle, wie man vielleicht öfters
glauben mochte, gewiss kein Schluss ziehen, denn die Sonnwend
zeit scheint damals allgemein eine Musterungszeit, ein bestimmter
Termin für Vollendung der Bewaffnung und Ausrüstung gewesen zu
sein; so lesen wir auch im Landfrieden Erzbischofs Rudolf von
Salzburg vom 20. April 1287, dass derjenige der die vorgeschrie
bene Rüstung noch nicht besitzt, sich dieselbe bis zur Sonnwend
zeit verschaffen möge J ).
Drängen nun einerseits die aus dem I. und II. Abschnitte gewon
nenen Resultate zur Annahme, dass die Abfassung des Landreclites
nicht vor den letzten Decennien des XIII. Jahrhunderts gesetzt
werden könne, so lassen sich andererseits auch entscheidende Belege
anführen, welche die in neuerer Zeit vorzüglich von Zöpfl hervor
gehobene Meinung von einer Abfassung des Landrechtes in der
Mitte oder am Ende des XIV. Jahrhunderts unhaltbar machen; der
Beweis soll im Folgenden geliefert werden.
III.
Das k. k. geheime Archiv bewahrt unter seinen Schätzen auch
ein Gerichtsbuch 3 ) aus dem XIV. Jahrhundert unter dem Titel:
„Fronpuch 1370“ 3 ). Auf den ersten Blättern (5, 6, 7) erscheinen
uns mehrere Satzungen gemischten Inhaltes, die von den Richtern
als Erfahrungen aus ihrer Gerichtspraxis niedergeschrieben wur
den. Hierauf folgt die Aufzeichnung der Hoffronsitzungen von 1386
bis 1397.
Dieses Fronbuch zeigt nun auf das Klarste, dass damals für das
Land unter der Enns als Gerichtsstelle für die Adeligen nur Ein
*■) Über die Bedeutung und Behandlung der Geschichte des Rechtes in Österreich von
Dr. Emil Ross ler. Anhang, S. 8: „der sol noch nach sinen staten hin umbe
sand Johannes messe ze sunnewenden eigen harnasch gewinnen
2 ) Auszüge theilt Schlager in seinen Wienerskizzen mit. II. Bd., S. 65—158.
3 ) Eine Hand aus der letzten Hälfte des XV. Jahrhunderts schrieb dann weiter unten
hinzu: „land Österreich under der Enns. — Das ist das fronpuch der Hofteiding
und Ilofschrann des lannds Österreich, und darin im anfang verzeichnet etlich
sprüch und Recht derselhen Hofschrann und nachmals vermerkt die piechzen, so
von dem Hofrichter von einem Hofteiding zu dem andern zu thun haben , ange
fangen anno 1370.“ Nach dem Originale.
Über die Zeit der Entstehung des ältesten österr. Landrechtes.
107
Gericht und zwar das Hofgericht in Wien bestand *). Eine Durch
sicht der Hoffronsitzungen, die Reihe der Kläger und Geklagten, die
aus allen Theilen Niederösterreichs nur hie her zusammenströmen;
die Lage der gefronten Immobilien, alles zeigt uns, dass der
gesammte Adel Niederösterreichs nur bei diesem Hofgerichte seinen
Gerichtsstand hatte, und belangt zu werden pflegte.
Es war also die frühere Gerichtsverfassung, nach der zu Neu
burg, Tuln und Mautern Gerichte gehalten werden mussten, bereits
verschwunden, und für die Edlen und Ministerialen (Landherren) im
Lande unter der Enns nur mehr ein Gericht, das Hofteiding zu Wien.
Dass die Thätigkeit dieses Hofgerichtes nicht etwa erst um das Jahr
1370, in welchem das Fronhuch angelegt wurde, sein Beginnen hatte,
sondern damals schon mehrere Decennien hindurch bestanden hatte,
beweist gleich die erste im Fronhuche aufgezeichnete Satzung: Daz
sind di drey gewalt, di Wilhelm der Zehentner, der wol dreizzig
iar in der H ofschrann ein Vorsprech gewesen ist vor den
Lantherrn alle zeit in den hoftayding gemeldet hat, und auch mir
pertholten von Pergau di zeit hofrichter in Österreich der Hofschrann
daselbns geschriben gegeben hat in aller der mazze, als hie in dem
fronnpueeh geschriben stet und das ist geschehen in dem neun vnd
sechtzigs ten iar nach Christes gepurd drewzehen hundert
iar. (Nach dem Originale.)
Wie lässt sich also mit Grund behaupten, die Abfassung des
Landrechtes welches die alte Gerichtsverfassung mit den Dingstät
ten: Neuburg, Tuln und Mautern so nachdrücklich hervorhebt, falle
in die Mitte oder den Ausgang des XIV. Jahrhunderts, wenn das Fron
huch von 1370 den Beweis liefert, dass das Hofgericht in Wien
damals schon mehrere Decennien hindurch in Kraft stand und thätig
war. Ja es ist sogar Angesichts der von mir früher besprochenen
Verhältnisse höchst wahrscheinlich, dass dieses Hofgericht in Wien
vom Herzog Albrecht ins Leben gerufen wurde, und damit jenes
„hofteidinc“ gemeint, über dessen Einführung Hel bl in g in seinen
*) „Ich Pertholt von Pergau di zeit hofrichter in Österreich vergich offen-
leich an dem fronnpueeh, also daz ich saz an dem Rechten in dem hofftai-
ding ze Wien an Gotzleichna ahnt, do man zalt von Christes gepurd drewzehn
hundert iar darnach an dem neun und sechtzigisten iar.
Nach dem Originale, 5. Blatt, 2. Seite.
108
v. Zieglauer.
Liedern klagt, dessen Aufhebung er wünscht, und das er durch die
alten „lantteidinc“ ersetzt sehen möchte.
Wenn nun aber jene Gerichtsverfassung die sich uns im öster
reichischen Landrechte zeigt, um die Mitte des XIV. Jahrhunderts
im Lande Österreich sicher längst verschwunden war, was sollte bei
einer Abfassung des Land rechtes in diesem Z eit raume
einen Beweggrund gebildet haben, seit Decennien verklungene
Gewohnheiten und längst nicht mehr übliche Rechte aufzuzeichnen,
gegenüber einer nicht mehr neuen, sondern bereits schon fest ausge
bildeten Gerichtsorganisirung. Man müsste nur annehmen, dass diese
Zusammenstellung eine historische Studie sei, hervorgerufen durch
den Wunsch, den friiheren Rechtszustand in einem Bilde darzu
stellen. Dies wäre aber der Denk- und Handlungsweise jener Tage
ganz fremdartig und fernliegend, denn man pflegte das ganze Mittel-
alter hindurch nur dann, wenn sich eine Veranlassung bot oder eine
Nothwendigkeit geltend machte, und nur das bis dorthin übliche und
noch geltende Gewohnheitsrecht aufzuzeichnen; und abgesehen davon
würde es dann immer höchst räthselhaft bleiben, dass dieselbe histo
rische Studie in so grosser Übereinstimmung in mehreren ganz ver
schiedenen Codices niedergelegt wurde , und warum denn dem Adel
eine äusserst einflussreiche und bevorzugte Stellung zugesprochen
wird, warum das Sammelwerk ein Geist der Opposition durchweht,
die bereits so weit geht, Vorrechte aufzuzeichnen, die der Adel nie
bes a ss.
Die in dem III. Abschnitte dargelegten Verhältnisse widerspre
chen also der Annahme einer Abfassung des Landrechtes in den
mittleren oder gar letzten Decennien des XIV. Jahrhunderts, während
uns im II. Abschnitte die Betrachtung der von den Sammlern benützten
Quellen die Entstehung des Landrechtes nicht vor den letzten
Decennien des XIII. Jahrhunderts setzen liess.
So deuten also schon diese Grenzen auf die Regierungsperiode
Herzog Albrecht’s hin. Lässt sich dann noch wahrnehmen, dass aus den
Vorrechten und Privilegien die das Landrecht für die Edlen und Mini
sterialen fordert, derselbe Geist der Opposition hervorweht, der uns
beim Adel in seinem Kampfe gegen Albrecht begegnet; so musste
sich in mir die Überzeugung bilden: das Landrecht sei zu keiner
andern Zeit, als gerade zur Zeit der Opposition des Adels gegen
jenen Fürsten, in welchem das monarchische Princip
Über die Zeit der Entstehung 1 des ältesten österr. Landrechtes.
109
der zu mächtigen Stellung des Adels entgegentrat, aufgezeichnet
worden, und zwar von den „Lantherrn“ die, geängstigt
durch Alhreeht’s Massregeln, sich beeilten, in einem Gesamrritbilde
der Rechtsverhältnisse ihrer Corporation s ch arf hervor treten zu
lassen, was einst ihr Stand in seinen besseren Tagen an M acht
und Einfluss errungen habe, und was sie für die Zukunft
gewahrt wissen möchten.
110
Detlefsen.
SITZUNG VOM 18. JUNI 1856.
Yorgelegts
Über eine Cicero-Handschrift der k. k. Hofbibliothek.
Von Dr. Detlefsen.
In Schneidewin’s Philologus sind vor Kurzem (1855, Jahr
gang X, S. 116—125) kritische Bemerkungen zu Cic. Paradoxis
von 0. Heine in Pforta erschienen. In denselben wurde besonders
auf den Werth aufmerksam gemacht, welchen für die Kritik dieses
und mehrerer anderer philosophischer Schriften Cicero’s eine Wiener
Handschrift (^|, in Endlicher’s Catalogus unter Nr. LV) habe,
die bisher „noch durchaus nicht zur Genüge verglichen und benutzt“
sei. Diese Angabe bewog mich, die Handschrift einer näheren Ver
gleichung zunächst für die Paradoxa zu unterziehen, und ich fand
dabei, dass auch die Ileine’sche Collation deren Ursprung im
Philologus nicht angegeben wird, in dem Masse ungenügend sei, dass
unter den etwas über 30 mitgetheilten Lesarten 16 ungenau oder
fehlerhaft mitgetlieilt sind. Von einer vollständigen Vergleichung der
ganzen Handschrift hielt mich jedoch dieRiicksicht ab, dass eine solche
in den letzten Jahren schon einmal, und zwar von Dr. Sehen kl und
Ludwig für dieHalm’sche Cicero-Ausgabe gemacht ist (s. Halm,
zur Handschriftkunde der Ciceronischen Schriften im Münchner Pro
gramm von 1850, S. VII). Ausser jener Collation zu den Paradoxa,
welche theils die Heine’sche berichtigt, theils vielleicht auch die
H alm’sche ergänzen mag, da die Änderungen späterer Hand genau be
rücksichtigt sind, geben wir'daher im Folgenden nur noch einige kri
tische Bemerkungen zu jenem Buche und eine sorgfältige Beschreibung
der Handschrift. Letztere scheint uns desshalb am Platze zu sein,
weil die Endlicher’sche in mancher Beziehung unzureichend und
I
Über eine Cicero-Handschrift der k. k. Hofbibliothek. 111
fehlerhaft ist, Halm aber in jenem Programm sich auf diese zu stützen
scheint, so dass seine Collatoren die bei einer so alten Handschrift
höchst wichtige Arbeit ihrer Beschreibung nicht genügend ausgeführt
zu haben scheinen. So gut wir es vermochten, haben wir uns bemüht,
hierin den Mangel der Autopsie, welchen Halm so sehr beklagt, zu
ergänzen. Wir beginnen aber mit dieser Beschreibung.
Die Handschrift der k. k. Hofbibliothek in Wien , welche
nach Endlicheres von M. Haupt bestätigter Annahme im zehnten
Jahrhundert geschrieben ist (s. Ovid. Halieut. ed. Haupt p. XIX),
gehörte früher dem Holländer Poelmann 1 )- Auf dem oberen Rande
der ersten Seite derselben steht in der Ecke links aufgeschrieben:
Sum Theodori Poelmäni
Cranenburgensis,
dann rechts etwas unterhalb dieser Worte:
Ioanni Sambuco Theodorus Pulmannus
amicitiae ergo D. D. III. Cal. Ianuar.
Anno M. D. LXHI.
und auf dem unteren Rande der letzten Seite wieder:
Sum Theodori Poelmanni
Cranenburgensis.
Von derselben Hand, also von der Poelmann’s, ist auch auf
der ersten Seite auf dem unteren Rande links folgendes Inhaltsver-
zeiehniss der Handschrift angegeben:
De natura Deorum
De divinatione
Timaeus
De fato
Paradoxa
Lucullus
und ebenda auf dem oberen Rande rechts die Überschrift des ersten
Werkes:
M. Tullij Ciceronis de Natura Deorum Lih. II.
Von einer andern Hand, die wahrscheinlich nur um weniges älter
ist, rühren auf dem untersten Rande der letzten Seite folgende Worte:
Naest falkons clooster Antwerpen 502.
*) Hat Poel mann vielleicht in seinem über variarum lectionum Miltheilungen aus
dieser Handschrift gemacht? Leider habe ich das Buch nicht auftreiben können.
112
Detlefsen.
So wie 502 vermuthlicli die einstmalige Laufmimer der Hand
schrift war, finden sich noch zu demselben Zweck oben auf der ersten
Seite Nr. 56Phil, und ebenda unten dieNumer CCVIII beigeschrieben;
letztere wenigstens ist erst für den Wiener Katalog bestimmt.
Aus jenen Über- und Unterschriften von der Hand Poelmann’s
gebt hervor, dass der Codex schon, als er diesem Gelehrten gehörte,
in demselben defecten Zustande war, in dem wir ihn jetzt haben;
sonst wären uns dieselben mit den vorne und hinten fehlenden Blättern
verloren gegangen. Auch tragen die jetzige erste und letzte Seite
deutliche Spuren, schon recht lange, und zwar noch vor Poelmann’s
Zeit, den Einhand ersetzt zu haben. Jetzt hat die Handschrift noch
128 Blätter, jede Seite 2 Columnen und 24 mit einem Griffel vorge
ritzte Zeilen. Seitenüberschriften fanden sich nicht; die Schrift ist
klein, aber sehr regelmässig und deutlich. Jene Blätter sind in
Quaternionen zusammen geordnet, die je auf ihrem letzten Blatte
numerirt sind, Fol. 8 mit IIII, Fol. 128 mit XX. Es fehlen also zu
Anfang 3 Quaternionen oder 24 Blätter, am Schluss eine ungewisse
Anzahl, ausserdem an verschiedenen Stellen in der Mitte 8 Blätter.
Fol. 1 beginnt mit den Worten de nat. deor. I. II, c. 36, 92
terris rebusq. terrestribus, von wo an sich Alles in gehöriger Ord
nung findet bis auf Fol. 11 pag. recta col. 2 med., wo mitten in einer
Zeile ohne weitere Andeutung eines Versehens nach den Worten
c. 62, 156 leguminum ge|nere quae cum maxima plötzlich, gewiss
durch Versetzung einer oder mehrerer Lagen des archetypus, die
Partie von I. II, 6, 16 &enl si di' non s | quid esse bis c. 33, 86
intellegat eäq 11 eo ferant aliquid eingeschoben wird. Darauf folgt
auf Fol. 22 p. versa col. 2, in der Mitte der ersten Zeile die Fort
setzung von c. 62, 156 largitate fündige 1 ) | ea ferarumne. Lib. II
seliliesst mit Fol. 24 p. v. col. 1 med., das darauf folgende 1. III mit
Fol. 40 p. v. col. 1. Am Anfang der Handschrift fehlen also volle
3 Quaternionen oder 24 Blätter, welche genau das fehlende erste
Buch de nat. deor. sammt dem Anfang des zweiten bis c. 6,16 und das
Stück von c. 33, 86 bis c. 36, 92 gefasst haben, wie sich leicht aus
einer Vergleichung anderer Theile der Handschrift berechnen lässt.
Nach den Büchern de nat. deor. folgen die beiden de divin.,
welche bis Fol. 82 p. v. col. 1 med. reichen. Bis Fol. 64 ist hier
*) Hier und in der folgenden Collation bezeichnen die schrägen Lettern in der Handschrift
durchstrichene Buchstaben.
Über eine Cicero-Handschrift der k. k. Hofbibliothek.
113
Alles in Ordnung; dies Blatt hat noch die richtige QuaternionenzahlXI.
Von der nächsten Lage sind aber nur noch die beiden äusseren
Blätter Fol. 65 und 66 erhalten, letzteres mit der Quaternionen-
zahl XII bezeichnet. Es fehlen zwischen ihnen also 6 Blätter, eine
Lücke welche wahrscheinlich schon zu Poelmann’s Zeit da war;
denn von seiner Hand scheint am Schluss von Fol. 65 das Wort hin ei
beigeschrieben zu sein; andere Andeutungen derselben finden sich
nicht. Dieses 65. Blatt schliesst mit den Worten de div. II, 5, 17
& si haec ipsa fortuita sunt, das 66. beginnt mit c. 21, 48 consistere
primum nescio cur non possint. Was dazwischen liegt ist also in
der Handschrift verloren und auch nicht nachgetragen.
Von der 13. Lage fehlen die beiden mittleren Blätter welche
ursprünglich diese Stelle einnahmen; dafür sind indess von anderem
Pergament und mit anderer Schrift die nach Herrn von Karajan’s
Bestimmung etwa der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts angehört,
zwei andere Blätter wieder eingefügt, welche mit Fol. 70 und 71
bezeichnet sind. Sic enthalten die Worte von de div. I. II, §. 71 runt.
Parendum enT bis §. 83 partim srsticiüe multa.
Von der 14. Quaternion fehlt dann das letzte Blatt welches
zwischen Fol. 81 und 82 seinenPlatz hatte. Auch dies gehörte noch ins
zweiteBuch de div. und umfasste die Worte von c. 69, 142 somniorum
intellegi posse dieunt bis c. 72, 148 oppressit omnium fere animos.
Bei der 15. Quaternion ist das letzte Blatt an das erste angenäht;
jedoch ist es das ursprüngliche und echte, von derselben Hand wie
die übrigen geschrieben und mit der richtigen Quaternionenzahl XV.
Von der 16. Lage fehlt das erste Blatt welches zwischen Fol. 89
und 90 gehörte. Dadurch ist uns der Schluss des freilich ohnehin
am Ende defecten Timaeus verloren gegangen. Fol. 89 geht bis zu
den Worten des Tim. c. 14: machinatae sunt & spatiü teporis; dar
unter ist von weit jüngerer Hand geschrieben: li deficiüt | 4 or lfnee|
/ exeplar, was, wie Endlicher auch im Catalogus angibt, zu lesen
ist: Hic deficiunt quatuor linee seeundum exemplar. Diese 4 Zeilen
und, wofern der verstümmelte Timaeus eine solche hatte, die sub-
scriptio bildeten also gewiss den einzigen Inhalt des verlorenen
Blattes; denn auf Fol. 90 beginnt das Buch de fato mit dem bisher
bekannten Anfang. Und zwar ist dieser mit einem grossen Anfangs
buchstaben in der Art geschrieben, dass man sieht, der Abschreiber
hatte schon den echten Anfang des Werkes nicht mehr vor sich. Auch
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXI. Bd. I. Hfl. 8
114
D e 11 e f s e n.
hat dies Buch von erster Hand keine Überschrift, sondern eine solche
ist erst von weit späterer am oberen Rande beigeschrieben. Dass sie
ursprünglich fehlte, ist gewiss aus dem Mangel des echten Anfanges
zu erklären; auf dem vorhergehenden, jetzt verlorenen Blatte befand
sie sich schwerlich. Letzteres wurde, weil es so viel unbeschriebenes
Pergament bot, von einem dessen bedürftigen Besitzer sammt den
Rändern und Stücken auch einiger anderer Blätter abgeschnitten.
Die Handschrift schliesst endlich in ihrem jetzigen Zustande auf
Fol. 128 mit den Worten: Acad. II, c. 32, 104 aut occur | rat aut
deficiat aut &iam aut non. Berechnet man wie viel Raum der jetzt
fehlende Theil dieses zweiten Buches der Academica in der Handschrift
einnehmen musste, so ergibt sich, dass ungefähr eine Quaternion
genügte; ob aber mit dieser, der einundzwanzigsten, die Handschrift
abgeschlossen war, oder ob noch die Bücher de legibus, wie in dem
so ähnlichen cod. Leid. 84, mit darin enthalten waren, lässt sich
mit Bestimmtheit nicht mehr sagen. Wenn Heine (a. a. 0. S. 116)
mit Recht nur die Bücher de nat. deor., de divin., de fato, Timaeus,
Parad. als eine in den Handschriften ursprünglich zusammengehörige
Abtheilung der philosophischen Schriften Cicero’s angibt, so wäre
dies unwahrscheinlich und schon das zweite Buch der Academica eine
besondere, vielleicht im Archetypus nicht enthaltene Zugabe unserer
Handschrift *).
Ein in dieser enthaltenes Verfahren haben wir bisher noch uner
wähnt gelassen, um daraus zum Schluss noch einige weitere Folge
rungen von Wichtigkeit zu ziehen. Auch im Timaeus hat nämlich
der Abschreiber einige Unordnung angerichtet, indem er die Stelle
e. 11: qui« de suis notis reb; videntur bis c. 12 ad cultum deorü
aptissumü erst am Schluss von c. 13 anfügt 3 ). Diese Partie
umfasst 47 Zeilen der Klotz’schen Ausgabe und die von jener
*) Jedoch enthält auch der Leid. 84, I. II der Acad. und erst darnach die Bücher de legg.
Im Übrigen gibt er dieselben Bücher und in derselben Reihenfolge, nur schiebt er vor
den Paradoxa noch die Topica ein.
2 ) Bei der Stelle von c. 11, wo plötzlich abgebrochen wird (Fol. 88 p. r. col. 1 med.)
findet sich hinter dem Wort oratio das Zeichen ^ und von jüngerer Hand am
Rande beigeschrieben: oh ab i‘° signo | us; ad o | simile sig m | ex a a p‘ e | fol
defic 1 | i novo li°'| | e‘ exepla | ri, das heisst: ab isto signo usque ad consimile signum
ex altera parte folii deficit in novo libro et ejus (?) exemplari. Dem entspricht dann
am Schluss von c. 13 (Fol. 88 p. v. col. 2 init.) dasselbe Zeichen, neben dem
von weit jüngerer Hand das Wort defic geschrieben steht.
Über eine Cicero-Handschrift der k. k. Hofbibliothek. 111)
Stelle in c. 12 bis zum Schluss von c. 13 SO Zeilen. Es ist also
wahrscheinlich, dass jede von beiden Partien gerade 1 oder 2 Blätter
des Archetypus ausmachte, durch deren Versetzung dann die Unord
nung entstanden ist‘). Nun wird aber die Partie von c. 11—12 gerade
am Schluss von c. 13 eingeschoben, welches mitten in einem Satze
abbricht und hinter dem eine grössere Lücke im Text ist. Daraus lässt
sich mit Sicherheit schliessen, dass sich diese Lücke im Archetypus
ursprünglich nicht fand. Mit c. 13, wie es jetzt ist, endete gerade
ein Blatt desselben, hinter dem dann das jetzt fehlende folgte. Wenn
schon diese Handschrift aus einer älteren stammte, in der sich die
Lücke fand, wäre es ein undenkbarer Zufall gewesen, dass gerade das
Ende von c. 13 wieder mit dem Ende einer Seite zusammengefallen
wäre; und sonst hätte es dem Abschreiher nicht in den Sinn kommen
können, gerade da die ausgelassene Partie nachzuholen. Also derselbe
Archetypus in dem die Versetzung jener Blätter stattgefunden hat,
hatte noch nicht die Lücke nach c. 13 des Timaeus, hatte also ver-
muthlich noch dies ganze Buch ohne Lücken. Wenn nun sehr wahr
scheinlich ein oder mehrere Blätter dieses Archetypus 47—SO Zeilen
der K lotz’schen Ausgabe entsprachen, so können wir vielleicht eine
weitere Bestimmung für diese Handschrift aus den Versetzungen in
1. II de nat. deorum gewinnen (s. oben). Von §. IG—SG sind es im
Cod. Vind. 43>/ a Columncn, von §. 92—1S6, dann 41 y a Columnen,
die Partie von §. SG—92, welche jetzt in der Handschrift verloren ist,
füllte etwa 4 Columnen. Es entspricht also der Raum welchen §. IG
bis 86 dieser Handschrift einnehmen, genau dem welcher §. SG—136
umfasst. Nun aber enthalten §. 16—86 in der Klotz’schen Ausgabe
ungefähr 783 — 790 Zeilen. Vergleichen wir diese Zahl mit der
jenigen welche wir für den Raum eines oder mehrerer Blätter des
Archetypus oben erhielten, so ergibt sich, dass die umgesetzten Partien
in 1. II de nat. deor. gerade das lGfache des letzteren ausmachen.
Ist daher im Timaeus je ein Blatt des Archetypus umgesetzt, so wird
es im höchsten Grade wahrscheinlich, dass in dieser selben Hand
schrift in 1. II de nat. deor. je 16 Blätter oder 2 Quaternionen ver
setzt waren, wenn im Timaeus je 2 Blätter, so hier je 4 Quaternionen
und so entsprechend weiter. Dieselben Lücken aber, welche die
*) Auch das Stück von c. XX, 9, dem eine Lücke vorausgeht, bis zu jener Stelle in
c. 11 entspricht dieser Rechnung'; es umfasst 93 Zeilen der Klotz‘scheu Ausgabe.
8 *
116
Detlefsen.
Wiener Handschrift im Timaeus und im über de fato (ebenso in 1. III
de nat. deor.) bat, finden sich in allen übrigen; und unter denen
welche Orelli benutzte, bieten zu dem die Rhediger’sche und
Creuzer’sebe im Timaeus dieselbe Versetzung mit jener. Von diesen
ist es also an sich gewiss, dass sie aus demselben Archetypus mit dem
Vindob. stammen; aber auch diejenigen Handschriften welche diese
Umstellung nicht haben, müssen der Lücken wegen aus derselben
Quelle stammen. Wenn sie im Text auch die richtige Reihenfolge
haben, so ist das durch die verbessernde Hand irgend eines Gelehrten
bewirkt, wie ja auch im Vindob. eine berichtigende Note von zweiter
Hand am Rande beigefügt ist; oder vom Archetypus ist auch einmal
eine Abschrift genommen, als er noch oder als er wieder die richtige
Ordnung der Glätter hatte. Dies aber glauben wir als sicheres Resultat
unserer Untersuchung ansehen zu dürfen, dass in jenem Archetypus
sowohl die Lücken als auch die Versetzungen im Timaeus und in 1. II
de nat. deor. zu einer und derselben Zeit entstanden sind. Diese
Urhandschrift, aus der alle übrigen entsprangen, war also damals in
einem elenden Zustande, indem durch die Auflösung des Einbandes
ganze Lagen in Unordnung gekommen, andere oder doch einige
Glätter derselben verloren gegangen, endlich auch einzelne Blätter
in verkehrter Ordnung wieder zusammengelegt waren. Der ursprüng
liche Umfang der Handschrift lässt sich nicht berechnen, weil wir sie
nur in ihrem lückenhaften Zustande kennen.
Aus dem Zustande des Vindob. Hessen sich aber vielleicht noch
einige weitere Schlüsse auf das Aussehen des Archetypus machen, in
dem man aus den kleineren Lücken und Wiederholungen in jenem den
Anfang einer Zeile in diesem und dadurch die Anzahl der Zeilen auf
einer Seite kennen lernen könnte. Der Vindob. bietet indess nur
selten solche Fehler, ein Umstand der nicht nur die Güte der Hand
schrift beweist, sondern auch darauf schliessen lässt, dass entweder
gar keine oder nur wenige Zwischenglieder zwischen den Archetypus
und ihn fallen. Um jene Schlüsse ziehen zu dürfen, muss man jedoch
einen grösseren Theil der Handschrift verglichen haben als von uns
verglichen ist. Wir haben bisher nur folgende Lücken gefunden,
die alle am Rande vom Corrector der Handschrift ausgefüllt sind.
Parad. III. §. 2S: in patris vita violanda multa peccant.
Lucull. 3, 9: quä apud catulü fuissemus.
ib. 7, 19: aut deducimus multaq. facimus.
Über eine Cicero-Handschrift der k. k. Hofbibliothek. 117
Aus diesen wenigen Daten lässt sich um so weniger etwas schliessen,
als diese Lücken durch Homoeoteleuta entstanden sind.
Um die Beschreibung unseres cod. Vindob. vollständig zu
machen, müssen wir endlich noch Einiges über die verschiedenen
Hände hinzufügen , welche denselben corrigirt haben. Deren sind
gewiss 6 oder 7, welche überall zu unterscheiden, so wiinschens-
werth es auch wäre, doch kaum möglich ist. Zuvörderst hat dieselbe
Hand welche den Text schrieb, sich nur sehr selten verbessert. Dann
aber hat die Handschrift wahrscheinlich gleich nach ihrer Abfassung
eine Correctur von einer Hand erfahren, die der des Schreibers
selbst sehr nahe verwandt ist. Wenn nicht einige Züge, besonders
beim g, von letzterer verschieden wären, würde man beide leicht für
eine und dieselbe halten. Von dieser Hand rühren die meisten der
Nachträge am Rande der Handschrift her, wodurch die in den Text
eingeschlichenen Lücken ausgefüllt werden. Diese Hand hatte also
gewiss noch den Codex vor sich, aus welchem der unsrige abge
schrieben ist. Ausserdem sind von ihr manche Einzelheiten ver
bessert, indem sie die unrichtigen Buchstaben durch Puncte bezeich-
nete und die richtigen darüber setzte. Doch haben in derselben Art
auch mehrere spätere Hände manches verbessert. Ob die ziemlich
häufigen zwischen den Zeilen geschriebenen Correcturen ganzer
Wörter oder Sylben, denen meistens ein i = vel vorgesetzt ist, von
jener zweiten Hand, oder noch von der ersten sind, wagen wir nicht
zu entscheiden. Jedenfalls scheint die Handschrift welche unmittel
bar die Quelle der unsrigen war, sie schon gehabt zu haben. End
lich sind von demselben Corrector eine Reihe von Verbesserungen
gemacht, wo die erste Hand am Schluss der Zeilen eine falsche
Sylbenabtheilung gemacht zu haben schien; er hat dann den Schluss
buchstaben der einen Zeile ausgestrichen und in die folgende über
tragen. Die 5 oder mehr jüngeren Hände, von deren jeder nur wenige
zerstreute Verbesserungen und Randbemerkungen sind, haben wir
nicht für lohnend gehalten im einzelnen Fall zu unterscheiden. Nur
eine derselben glaubten wir genauererBeacbtung werth, da sie durch
Form und Dinte mit den in den oben angeführten Über- und Unter
schriften Poelmann’s identisch zu sein scheint. Von ihr sind beson
ders eine Anzahl nach orthographischen Regeln der damaligen Zeit ge
machte Änderungen. Wir bezeichnen im Folgenden die Hand desCor-
rectors mit corr., die Poelmann’s mit m. 3, alle anderen mit m. 2.
118
D etl efsen.
Hiernach geben wir also die Collation der Paradoxa mit dem
Texte der Klotz'sehen Ausgabe (Lips. Teubner. US).
M TÜLLI1 CICERONIS | PARADOXA STOICORÜ ] 1NCIPIT FELI-
C1TER.
Prooem. §. 1. phylosophya.
§. 2. pbylosopbia discrepent | opinione beresi argumentü
minujtis (in mg. corr:) cü effecit (m. 2 efficit).
o
1 loqr (corr.)
§. 3. loquimur de diis ego tibi illa ipsa |
§. 4. paradoxa (sic et infra) quo mihi ista.
m
§. 5. genus exercitationü earum| |quib; ( m a m. 2.) | in sc/zolis
•l kn (corr.) • . possessiva (in. al.) \ aptü (corr.)
(/ m. al.) ©OTIkmC, ad nrm hoc in acceptum non
1 ce (corr.)
enl esf tale ut in arca quasi minerva illa fidie [ex eadem
offlcina exisse appareat/ - (in mg. a corr:) /• in hac
eade ligura ex|isse appareat.
Parad. I. OTI | MONONTOkAAON ATA0ON-2- (Signo ? respon-
dent haec in infima pag. a correct. scripta): l qd honestü sit
id solü bonum esse.
•I stoico2£ (corr.)
§. 6. vrm exoticorum deprö|pta (alt. p am. 3.) dicä qd
sentio | taTn & dici | potest Numquä bercule maxu'me
astricti videre|reb; bis eircö fluentib; et tarn desi-
derajre Aabundarent enl umquam expletur nee sa-
ciatur (m. 3 pro c scripsit t.) Iibidine ( m. 2.)
amitendi.
öru (corr.)
§. 7. maiorum nrm sepe inbe | cilla pecuniae membra |
ko (corr.)
ver« bona inprobi.
§. 8. inrideat si qui s yult supellec|etilem (/et alt. ca corr;
sic semper in huiusmodi voce.) nec non biantem
cu (corr.)
(m. 2. hi...) cuius quom priennä coepiss& secum
om. cum (sic semp).
§. 9. dicitur qd rectum & hones|stum.
t obscuria (corr.)
§. 10. possunt odiosiora inlustrata sunt suptilius (erat
antea: subt..) num illä hi (erat: ii) qui hanc rem
tarn| prpclare ( c a corr., ut saepe, quod addere in reliquis
voce, omisimus.) reliquer autjargenti ad.
Über eine Cicero-Handscliriffc der k. k. Hofbibliothek.
119
! v (corr.)
§.11. voltis a roinulo vultis ab bis (erat: iis) eam om.
.n (corr.)
tandem romulus gradib; ascendit a reb;| gestis
i (corr.) . -X*
dis inmortalibus | cupedines (in mg. a corr.: capu-
dines) urnulas felicatas (in mg. sinistro ab alia m.
repetitum: felicatas et in dextro a corr.: fe; in textu
t
enim fuerat: filic..) omito.
s(corr.) n (corr.)
§. 12. si qui roget quid egerit quid expectaverint Num-
.ex t (utrumque a corr.)
quid iste. voluptas. | Num quid divitiae cui deniq. pter
.o (corr.)
offi|cium quicquä prosennae devotavit inmisit vic-
tus.fo.curii carthaginiensium interiectos cogitas-
ne
sene (m. 2:..sent ) quicquam sibi esse expetendum
re (m. 2.)
vid& ?
r (in. 3.) \ opib ; (corr.)
§. 13. iwrisores qui celato auro operib; nihil babuit
eorum| si (m. 2: sg) similes mali fif |
§. 14. ut in bonis rebus tu cui tibi dederunt (m. 2:. .int.)
O- 2 0
animum abicies atq. inter quadrjpede| quicquam |
bonü e me | liorem non facit.
§. IS. üt enl e quisq. ita& laudabilis Neq. est ullum bo-
i v (corr.)
num in potiendis volup | ptatib; gloriando se & predi-
ndo (corr.) f f
catjone ecfert. ( m. 2.) ex sua sede.
Parad. II. OTYAYTAPKHC HAPeTlinPOC CYAAI | AYONIAN-
In quo virtus ? sit ei nihil de ee|ad beate vivendum.
§. 16. animi cruciabatur jeius.
§. 17. certi e nihil qd: nawctus istis mortis aut exilii |
c (corr.)
quir/quid evigilarunt labe factar&.
§. 18. exilium terri | bilis iis quorü extin | guntur exiliu
autem illis quib; premunt|omnes qui te libidines tor-
quentui'l nec sat est [ ne non diuturnü sit| futurü con-
sciencip te suspirare non|
§. 19. | vir et sapiens& fortis miser ee nemo ] potest Nec vero
CU (m.2.)
quo ius virtus quidquid (m. 3: quicq..) videri dec&.
120
De tief sen.
Parad. III. OTICATA | AMAPIHMATA KAITAKATOP0«>A\ATA •
(Vv: Aequalia — facta om.')
§. 20. Parva inquit res est. at magna | culpa (tanquam haec
k tu (corr.) /. ipsius (corr.)
esset versio latina) rerü eventis lapsa est/. lubido
ac (corr.)
gene | rosa </nobili semel transieris ad augendä trän-
\ v (m. 3.)
seundi | culpam nascantur.
•n (corr.)
§. 21. sunt pares inter se | temperatiorem| facillume potest||
pspici si idem in dece | milib; pondo auri non idem
fecerit.
k entis (m. 2.) k huc (m. 2.) k qm (m. 2.)
§. 22. consentiens Nihil hie addi quiequä quando a vir-
tutib;
§. 23. A phylosophis ne a lenonibus (haec a corr. in ra-
v (m. 2.)
sura.) utrü bonis est baipli afferant (prima f in
ras.) eandem.
§. 24. quis nec& anne servü facile possim quae qm utro
con (m. 2.)
si utroq. ad 11 iuncta est.
§. 25. semel peccatur/. violat|is (in mg. a corr:) /. in patris
V , ('“• 3 )
vita vio|landamulta peccant conloeavit quiequid (bis.)
§. 26. paulii pnuntiatus exsibilatur exploditurj In vita tua
quae deb& in | syllaba sua | si visa sint breviora
leviora videantur [ | quo possint videri cum quiequid
(c in ras.) pec|e&ur.
Parad. IV. OTITIACA | <&Pü>NMAINETAI • Oms stultos insanire
(Versio latina a corr.)
•§. 27. inp|bum sed dementem insanire | reb; ad victuin (in
mg. a m. 2. add:) al. li. s; ömte i isa|nü reb; addicä|
necessaris T; | Sapien. 2 c. invictum | putem sapientis
quidem | potest (corr. in mg. add:) pelli ferarum
prodonum (corr. pred..)
§. 28. accersitus populi über eet vincla repe&e a memo
ria tale (corr. supra a scripsit e et e matavit in a)
in missam reuere.
Über eine Cicero-Handschrift der k. k. Hofbibliothek.
121
o« (m. 2.) -0-.
§. 29. quoius qua si mihi eripuisses divinawi ani | mi mei
.11
eonstantiam meis curis vigiliis | cosiliis stare te invitis-
simo remp. si | huius (Signor, respondent liaec verba
I, i
supra columnam am. 2. scripta:) al. li. Si m eripuisses
divinä animi mei qstantia j meas curas vigilias qsilia. si
m rep. si jhui’ etni. inmortalem nec|fecisti ego ego
semp nationib; civis optümi potes ac tu naturae
ac loco fac|ctisq.
§. 30. spartachus autem esse tu civis civitas uon fuit (in
mg. a corr:) F /. civitas exulasse remp. nec (c fere
erasa) quid facias exilium iter ad prela|rissimas.
§. 31. leges exilio | |adfici volunt exules oms te leges exu-
lem ee | iubeant non appelle& 1 ' inimicus aedis (m. 2:..
des) | nimpharum manu tua (inter ultima duo voce,
rasura).
t
§. 32. exul (sic semp.) ate legib: eiect’ | in exilium in-
v (m. 2.)
quit in | porto fuisti tenebat (m. 2:.. bit).
Parad. V. OTIMONOCOCO j <I’OCeAe Y0GPOC kAITTACA|OP<uN
AOYAOC. (A correct. addita liaec versio:) OiiTs sapientes
liberos ee et stul | tos oins. ser | vos.
§. 33. pu|tetur imperator quomodo aut cui tande11 c&eras.
non sint cur me quid in
§. 34. potes|stas ut volt (m. 3: vult) qui recte vivit qui
(vox : vivit in ras.) qui ne legib; quidem ppt|metum
par& sed eas (s a corr.) sequitur & colit qd 11 qd üd
salutare ee maxime iudicat lubenter eodemq. ferunt
nec est quidem om, si ut sapiens fungitur morib;
v (m. 3.)
§. 35. improbi servi; Nec nexo animi & abiecti arbitrio
s (m. 3.-) ^
carenti suo
§. 36. qd (in mg. a corr. add : quomodo) | vid&ur venien-
dum eicit|abeundum minatur extimescendü | ego fami-
t
Iia stul | torü sunt servi atrienses ac uparii | (in mg.
m. 2.:) al. acto pari. 8 sic ii pari om. stultitiae suae
122
Detlefsen.
quos signae quos eelatum ma(/|gnifica &sum’|in-
quit principes civitatis (m. 2. in mg:) al. 1. e sümis
inqiint sum’ pncipib; civitatis nec conservoruro.
e (corr.)
§. 37. sed ut tergent liones|stissimum optinent actionis
, a (corr.)
tabula d&in& ut signü polycl&i sustuleris quo
modo inepti (ti a coit.) |#iarum.
i (m. S)
§. 38. sunt illa festiva sunt vincla oblec | ctamenta m.
f (m. 2.)
curius pter ipso bartulos 11 (in mg. am. 2:) al
barbatulos & por | tantem (m. 2 suprascripsit:) l
uo
Jptctantc murenarum alio (corr.: aliqo) negotio.
t numat (m. 2.)
§. 39. spe quid denuntiatü | sit facit mune | rat de | niq.
servi non inertis.
fer (m. 2.)
§. 40. praeci,e (in mg. corr: pu) deniq. quae vif | est
cupiditatis dominatus ad|ulescentib; paulo.
e (corr.) u
§. 41. illa loquentissimi debilitas& fracta volt (bis) tu
si posse (ultima lit. in ras.) 11 edicito potest debere
h (m. 2.)
haec actenus.
Parad. VI. OTYMONOCCO^OCn^ | OICYOC (corr. add. Versionen»
lat.:) Quod solus sapiens | dives.
i (in. 2.)
•§. 42. pro di immortales audisse intellegim’ alt hoc
v cui (m. 2.)
( in. 2.) quoi.
§. 43. tuus se iudic& sermone quae putaat curat bo-
a (corr.)
nes | stus fraudes amicorü expec|ctas quidem.
•§. 44. pluri (m. 2. I.. »'es) &iam si ut danaum sint filia
(m. 2:..iae) bunc quando ego.
rat’ (m. 2.)
§. 45. re(ici& v exobtas (m. 3 : .. opt..)
i \ iu(m. 2.)
•§. 4G. hones|ste inteljlegim’ partem accusatorü atq indicü
d (corr.) s (corr.)
te actore qui tuas intercidas ||pecuniarum ad de
in (in. 2.)
fenerandas diripiendasque proscrip|ptiones locuple-
tum subiectä tot qüi | sublatos cui quesito aute un-
quam
Über eine Cicero-Handschrift der k. k. Hofbibliothek.
123
t v (m. 2.)
§. 47. est fructus in eopia es tlives futurus volgi
e (corr.)
§. 48. nobis sit atq. aestiman|da rus utrum samni|tium
•m- curii - 1 - pauli ditissimus.
§. 49. 0 dii inmortales non intellegurvT par|simonia sola-
a (corr.)
murmore, facienti et shy | gna tabulas ad frue | ctum
ille est sumptus sed & iä ad fenus[ |exiguum divitior
habundat cui possessio qd est.
§.50. ipse (se a corr ) |se .cn. manilius Nrm memoria | (in
mg: nroru a corr.) labicano (in mg. m. 2. lavicano,
u (m. 3.)
quod postea mutavit in: lab..) divitiores verum j
e (ra. 2.) e A i ni (m. 2.)
§.51. pecunia st emacem (priores em in ras.) magno | eripi
nec| | subripi potest neq. naufragio neq. incendio |amit-
titur nec tempestatum nec teporumj
§. S2. soliy. quod| conten ti st | (inter n et tras. est, ut antea
fuisse videatur: tempti) ad (m. 3: ap.)|p&unt (sic et
cui (m. 2.)
infra) quoq qft.
Subscriptio haec est: • A\• TULLI | CICERON : PARADOXA STOI-
CORÜ | EXPLIC: FELIC1TER : |
Nach dieser Collation stellt sich zunächst im Allgemeinen für
die Bedeutung der Handschrift heraus, dass dieselbe in Bezug auf
Orthographie noch eine Anzahl von alten echten Wortformen bewahrt
hat, die sich in den anderen Quellen nicht mehr linden. Wir machen
auf folgende aufmerksam:
§. 6. rnaxume.
i v (corr.)
§. 13. potiendis
§. 34. lubenter
§. 34. volt (m.3: vult)
cü (corr.)
§. 8. quom
cui (in. 2.)
§. 42 u. S2. quoi
§. 23. baioli" 3)
§. 42. di'
§.21 facillume
§. 7. libidine(’in.2.)
§. 40. adulescentib;
§. 41. volt (bis.)
cu (m. 2.)
§. 19. quo ius
§. 12. interiectos
u (m. 3.)
§. 14. quadripede
§. 14. abicies
§. 29. optumi
§. 20. lubido
\ u (corr.)
§.11. voltis
i u (m. 2.)
§. 47. volgi
ru (m. 3.)
§. 29. quoius qua
u (in. 2.)
§. 50. verom
i (corr.)
§. 11. dis
§. 36. eicit
124
Detlefsen.
§. 42. intellegim’ §. 46. intellegim’ §. 28 u. 38. vincla
§. 17. nawctus §.Sl.contenti(s.o.)
Unter den Compositen sind zu bemerken:
1 (m. 3.)
§. 2S. conlocavit
§. S2. ad p&unt (in.
3: app...bis.)
§. 43. expectas
§. 10. inlustrata
§. 29. inmortalem
§. 27. inpbum
§. 37. optinent
an Casusendungen:
§. 18. extinguntur
§. 12. inmisit
§. 49. inmortales
§. 8. inrideat
§. 51. subripi
f (m. 2.)
§. IS. ecfert
§. 7. inbecilla
§. 28. inmissam
§. 7. inprobi
r (m. 3.)
§.13. wrisores
i
§. 44. pluri (m. 2:.. res...aec.) §. 46. locupletum
§. 48. samnitium §. 31. aedis (m. 2:.. des. nom.)
e (m. 2.)
und endlich noch die Elision §. Sl. pecuniast.
Diese nicht unbedeutende Anzahl von unzweifelhaft echten,
älteren Formen, welche wir noch durch manche gleiche oder ähnliche
aus den anderen in unserer Handschrift enthaltenen Ciceronischen
Werken vermehren könnten, bekundete schon deutlich genug, welchen
Werth dieser Codex im Verhältnisse zu allen übrigen (ausser dem
Leid. 84.) hat, in denen jene Spuren des Alterthums fast gänzlich
verwischt sind. Jedoch lässt sich nicht leugnen, dass sich imVindob.
zugleich auch schon mehrere apokryphe Formen finden, wie §. 6
hahundarent, 49. habundat, S. fidie(= Pliidia), 6. saciatur (m. 3.
sat.), 18. consciencie; doch gehören auch diese schon den früheren
Jahrhunderten an.
Im Folgenden fügen wir nun noch einige Vermuthungen bei,
welche sich aus der obigen Collation für die Textesrecension ergeben
könnten. Leider fehlt uns eine genaue Vergleichung des Leid. 84,wie
wir sie wohl bald in der Hai m’schen Ausgabe finden werden; auch die
Bor gers’sche haben wir nicht zur Hand gehabt, von der wir nur ken
nen, wasOrelIi und I! eine aus ihr mittheilen. Wenn wir daher auch
erwarten, dass manche unserer Conjecturen an der Auctorität dieser
vortrefflichen Handschrift scheitern wird, so hoffen wir doch, dass
vielleicht einige die Probe an derselben mit Glück bestehen werden.
Über eine Cicero-Handschrift der k. k. Hofbibliothek.
125
Proein. §. 2. Der Vind. hat discrepent | opinione populari. Mit
Recht schiebt Heine ab aus den interpolirten Handschriften ein. gibt
aber in seiner Collation den Indicativ statt des Conjunctivs an. Letz
teren der sich noch in zwei Handschriften des Manutius findet,
hat auch Victorius aufgenommen, und gewiss ist er vorzuziehen;
denn die Gattung von Meinungen „welche nicht abweichen von der
gewöhnlichen“, ist ihrer Natur nach unbestimmt genug.
sed fehlt im Vind. wie im Leid. 84, vor minutis; erst in einigen
jüngeren Handschriften findet es sich. Schon der Corrector des Vind.
scheint das Unerträgliche des Asyndeton gefühlt zu haben ; denn von
seiner Hand steht am Rande des Codex cü beigeschrieben , das, so
leicht es auch nach argumenta ausfallen konnte, doch an diesem
Platze nicht genügt. Auch scheint es in keine der jüngeren Hand
schriften übergegangen zu sein, sed füllt die Lücke am besten aus.
§. 5. Die ursprüngliche Lesart des Vind., welche auch der
Oxon. 6 bei Gernhard bewahrt hat, ist genus exercitationü earum;
erst von späterer Hand ist ein m hinzugefügt, um mearum daraus
zu machen, was sich noch in den meisten jüngeren Handschriften
findet. In zwei Ma nut ianischen fehlt es ganz, und desshalb wollte
Gernhard es streichen. „Etenim mearum molestum est propter qui-
bus uti consuevi et earum propter hoc, quasi liaec pars sit exer-
citationum earum, quibus uti consuevi. Sunt vero hae ipsae exerci-
tationes, quibus u. c.“ Diese Schwierigkeiten fallen weg, wenn man
sich dem ursprünglichen Text des Vind. eng anschliesst, also hoc
streicht, wofür sich auch Heine ausspricht, und earum statt mea
rum liest.
§. 5. In den beiden letzten Sätzen des Prooem. bietet der Vind.
einige eigenthümliche Lesarten, neben acceptum apertum, neben
arce arca. Die echten sind offenbar acceptum und arce. Jene
wird erfordert wegen des Verbum referas und des Ausdrucks nihil
postulo, diese wegen der Minerva des Phidias. Durch den Begriff
des acceptum ist ein Abschreiber offenbar auf das Wort arca gelei
tet, und umgekehrt durch die Form arce zu apertum. Im Vind.
kreuzen sich die richtigen und die falschen Lesarten in und über dem
Texte, arca scheint sich in keiner andern Handschrift zu finden.
Unklar ist uns, was die völlig entstellende Variante zu den letzten
Worten des Prooemium in hac eade figura exisse appareat bedeuten
soll. Man trifft sie auch im Oxon. E und bei Gernhard.
126
D c 11 ef s eil.
§. 8. secum fehlt vor asportarent im Vindol)., wie im Berns.,
Basil. und den meisten Handschriften bei Gernhard. Es wird im
Satze nicht nur nicht vermisst, sondern ist auch wegen des präg
nanten mecum in der Antwort des Bias unerträglich.
§. 11. Vind. und, wie es scheint Leid. 84, haben: quibus tan-
dem Romulus gradib; ascendit in caelum; gewiss richtig. Orelli
und Klotz schreiben escendit mit dem Leid. 10, dessen Lesart
auch Borgers jener verbürgteren vorzieht. Orelli stützt sich auf
eine Lesart des Regius in Tuscul. (gewiss I, 29, 71), wo er schreibt
verum in caelum videretur escendere. Dagegen führt er selbst aus „de
legg. II, 8“ (ein falsches Citat) die sichere Lesart adscensus in cae
lum an Dieses selbe Verbum findet sich aber in derselben Verbin
dung bei Cicero recht häufig, pro domo 28, 75 pro Mil. 35, 97, de
amic. 23, 88. — Ibd. Vind. hat urnulas, was also jedenfalls besser
beglaubigt ist, als das zwar alterthümlichere hirnulas, welcher Name
übrigens auch, wie Gernhard mit Recht betont, bei Festus speciell
einem Opfergefäss gegeben wird.
§. 13. Vind. hat si (von zweiter Hand corrigirt in se, wie auch
Berns., Basil. und Oxon. EINUv?^ lesen.) similes maliN; es fehlt der
Infinitiv esse. Zwar kann dieser hinter similes ausgefallen sein;
doch ist es einfacher in si oder se einen Rest desselben anzuerken
nen, so dass zu schreiben wäre eSse similes malint. Klotz schreibt
tautologisch se similes esse malint; denn se steht ja schon nach
ulrum am richtigen Orte.
Parad II. §. 17. Nach Vind. ist zu lesen: Eum tu hominem ter-
reto si quem eris nanctus, istis mortis aut exilii minis, wie auch in
neuerer Zeit die gewöhnliche Lesart war. Klotz hat statt istis wie
der aus älteren Ausgaben istius modi hervorgezogen und setzt ein
Komma danach. Wegen des vorhergehenden eum ist diese Lesart
völlig inconcinn.
§. 18. Est fehlt im Vind. mit Recht nach terribilis; denn dadurch
erhält der Satz mehr Nachdruck.
Ibd. Auch Vind. bat die bisher nur aus dem Pithoean. und Oxon. 6
bekannte Lesart tuae libidines torqueritur, die jedoch durch keine
Parallelstelle gerechtfertigt wird.
Parad. III. §. 24. Die Lesart enecet stützt sich nur auf fünf
Oxforder Handschriften, den Guelpherb. und vielleicht einige andere
interpolirte, deren Auctorität durch den Vindob. wenigstens aufge-
Über eine Cicero-Handschrift der k. k. Hofbibiiothek.
127
wogen wird, in welchem sich necet findet. Cicero gebraucht auch
enecare gar nicht als verb. finitum, sondern nur im Partie, enectus
= confectus, exhaustus.
§. 26. Zwischen exsibilatur und exploditur ist in den meisten
Ausgaben ein et eingeschoben, das jedoch jüngeren Ursprungs zu
sein scheint. Es fehlt im Vind. wie im Bern., Basil., Guelpherb.,
Oxon und vermindert nur die Lebendigkeit der Argumentation.
Parad. IV. §. 29. Die sich dem Vindob. eng anschliessende
Vermuthung Heine’s, in dem Satze si mihi eripuisses etc. zu schrei
ben conscientiam, meis curis vigiliis consiliis stare te invitissimo rem
publicam ist vortrefflich. Zu ängstlich scheint uns sein Bedenken,
conscientiam könne wegen des Zusatzes divinam animi mei nicht an
Stelle von constantiam, der gewöhnlichen Lesart treten, wesshalb er
dieses Wort behält und dann noch jenes mit et einschiebt. Aber man
liest de dar. orat. 71, 250, consoletur se cum conscientia optimae
inentis, tum etiam usurpatione et renovatione doctrinae, welche Ver
bindung gewiss jene divina animi mei conscientia rechtfertigen wird.
Dass dieser Ausdruck an sich etwas überschwänglich ist, kann bei
Cicero nicht befremden.
Parad. V. §. 35. Die meisten Ausgaben lesen: illud tarnen et
breve et eonfitendum est, welche Coordinirung von zwei so völlig
verschiedenen Begriffen hier etwas sehr hartes hat. Weit passen
der scheint uns daher folgende Fassung: illud tarnen breviter confi-
tendum est.
Der nächste Satz lautet in einigen Handschriften und Ausgaben:
Igitur omnes improbi servi, in andern: Servi igitur omnes improbi.
Der Vindob. liest nun gar mit dem Palat.2, servi igitur omnes improbi
servi, was man zwar auch beibehalten könnte, indem man nach omnes
ein Komma setzte. Indess finden sich in unserer Handschrift mehrere
Lesarten, aus denen hervorzugehen scheint, dass im Archetypus dersel
ben ein im Text vorkommendes Wort zu irgend einem Zwecke noch
mals am Rande beigeschrieben war, wie §. 30 civitas (welches im
Vind. ebenfalls am Rande vom Corrector beigeschriebene Wort jedoch,
zur Einschiebung in den Text hinter civitas bestimmt gewesen zu sein
scheint; darauf deuten wenigstens die Zeichen /:) und §. 33 impe-
rator (das zweimal im ersten Satze steht). Auch an unserer Stelle
wird das eine servi aus diesem Ursprung zu erklären sein. Welches von
heidenzu streichen sei, hängt davon ab, dass man sowohl der Conjunction
128
De tl efseu.
igitur ihre gewöhnliche Stelle im Satze anweist, als auch den Hauptbegriff
an die Spitze desselben stellt, dem dann inprobi am Schlüsse noch den
gehörigen Nachdruck gibt. Liest man dagegen Igitur omnes inprobi
servi, so würde das vorangestellte inprobi dem Hauptbegriffe servi
viel von seinem Gewichte nehmen. Wer aber zwischen inprobi und
servi ein Komma setzt bedenkt nicht, dass diese beiden Begriffe keine
richtige Steigerung enthalten können.
§. 36. In dem Satze Atque ut in magna familia etc., der in den
Parad. in kritischer Beziehung wohl am meisten besprochen ist,
scheint uns Heine zwar den richtigen Weg der Emendation einge
schlagen zu haben, doch glauben wir, hat er einige wichtige Puncte
ausser Acht gelassen. Zunächst ist der Gebrauch des alii in diesem
Satze ganz ungewöhnlich, ihm fehlt jeder seinem Begriffe doch
unentbehrliche Gegensatz. Schon Lambin fühlte das, wusste sich
aber nicht zu helfen als durch Einschiebung eines ganzen Satz
gliedes mit einem zweiten alii. Am einfachsten und daher gewiss
richtig liest Lange..sunt aliis alii lautiores“. .ihm scheint aber
Niemand bisher gefolgt zu sein. Die fast unheilbare Wunde dieses
Satzes folgt aber erst in den Worten, die der Vind. liest: sed tarnen
t
servi, atrienses ac uparii (m. 2 in mg: al.acto pari ö) | stultitiae suae
quos signae etc. Erst in jüngeren Handschriften (oder auch im Leid.
84?) kommt die Form ac toparii vor, welche demnach wohl nur ein
t
Verbesserungsversuch jener corrumpirten Stelle ist. In ac uparii wird
also vielmehr ein Rest der echten Lesart stecken, und es ist nicht auf
dieselbe Stufe mit atrienses zu stellen, das freilich einem Glossem
sehr ähnlich sieht. Wir möchten daher ganz in dem Sinne, in welchem
Heine vorging, schreiben, sed tarnen servi, sic parent stultitiae suae,
quos signa etc. Das Verbum parere ist ganz in derselben Weise
gebraucht de Fin. I, 16, S3, quae (cupiditates) inanes sunt, iisparen-
dum non est; ad Alt.II,21,4, timeo.. .ne omnianimi impetu dolori et
iracundiae pareat; in Verr. II, 1, 31, 78, nisi libidini tuae cupidita-
tique paruerit; ebenso Ibor. Sat.II, 7, 111, parere gulae. Der Vorschlag
Hein e's zu schreiben... .lautiores, ut sibi videntur, servi, sed tarnen
servi, servi stultitiae suae etc., scheint uns wegen der dreifachen Wie
derholung des Wortes servi unannehmbar. Diesem Missldange wäre
Cicero gewiss ausgewichen, und das konnte er nur auf eine Art, wie
die vorgeschlagene. So wird jedenfalls ohne gewaltsame Veränderung
Über eine Cicero-Handschrift der k. k. Hof-Bibliothek.
129
ein völlig genügender Zusammenhang hergestellt, und es fehlt kein
Glied in der Darstellung. Wenn im ersten Satztheil hervorgehoben
ist, dass jene Sclaven nur sich selbst besser als andern erscheinen,
so entspricht dem zwar im selben Satze Nichts. Aber nur in der
Form mangelt hier der Parallelismus welcher dem Sinne nach her
gestellt wird durch das sogleich folgende: At sumus, inquiunt, prin-
cipes civitatis. Dadurch wird dann die Verbindung mit den nächsten
Sätzen gewonnen, in denen Cicero ausführen will, dass diese Kunst
liebhaber noch weit niedriger und in ihrem Übermass von Thorheit
mit der untersten Gattung von Sclaven auf eine Linie zu stellen seien.
Parad. VI. §. 46. Der Vind. hat defenerandas, welches Compo
situm also doch vielleicht anzuerkennen wäre, obgleich Facciolati es
nur hei Apul. (Apol. ed. Elmenh. 1621. p. 322, 21) Gronov bei
den Kirchenschriftstellern fand. (S. seine Observv. in Scriptt. Eccles.
p. 10.) Indess kommt es auch beim Schob Ambros, zu einem Frag
ment der Rede in Clodium p. 92 ed. Beier vor.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXI. ßd. I. Hft.
9
Verzeichniss der eingegang-enen Druckschriften.
131
VERZEICHNIS
DER
EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(JUNI.)
Aeademie d’Archeologie de Belgique. Annales T. XIII, liv. 2.
Aeademie des Sciences de Dijon. Memoires 1S53. Supplem.
Aeademie des Sciences etc. de Montpellier.
Section de lettres. T. I, II. Iivr. 1.
„ de Medecine. T. I, II. Iivr. 1, 2.
„ des Sciences. T. I, II, III. Iivr. 1.
Akademie, k. bairische, Abhandlungen der mathem.-physic. Classe.
Bd. VII, Ahtheil. 3.
— Almanach für 1833.
Annalen der Chemie und Pharmacie. Bd. 98, Hft. 2.
Archiv der Mathematik und Physik von Grüner t. Bd. 26, II. 2.
Austria. Jahrg. VIII, Nr. 21 — 24.
D’Avezac, Notice sur le pays et le peuple des Yebous en Afrique.
s. I. et d. S 0,
— Grands et petits Geographes grecs et latins etc. Paris 1856; 8 0-
Bursian, K., Über das Vorgebirge Taenaron. München 1855; 4 0-
Canova, Ant., Lettera intorno ad una Madonna etc. scolp. da lui
circa l’anno 1770. Venezia 1854; 8 0-
Cicogna, Em., Delle iscrizioni veneziane. Vol. VI, fase. 22. Venezia
1836; 4»-
Ci ment o, il nuovo, Giornale di fisica. Dec. 1853, Nr. 1 — 4.
1856.
Congres scientif. de France. 21. Session. Dijon 1S55; 8 0-
Cosmos. Vol. 8, Nr. 22 — 25.
Fischer, Beitrag zurKenntniss der Ostracoden. München 1855; 4°-
9 s
132 Verzeichntes der
Frei, Christ., ’Yp.vog s(g ra TeveSXicc roö Kupiou y.cci 2wrppog
v s /fxwv ’Iyigov XpiOToü. Graec. 1847; 8 0-
Gallo, Vine., Metodo dei minimi quadrati e sua applicazione al
cronometro. Trieste 1855; 8°-
— Metodo di Do u wes per determinare la latitudine della mare.
Trieste 1855; 8 0,
— Analisi completa del metodo con cui si determina la latitudine
della nave. Trieste 1855; 8 0-
®er3borf, 3-, ©ntgeSlctenftücfe $ur®efd)td)te beü fädjftfdjen grinsen*
raubeg. 2t(tenburg 1855; 8°-
®efdjidjtgblätter aug ber @d)Weij. 33b. II, •£>. 4.
® efeitfdjaft, ®efd)id)tg- ltnb 3lttertljumgforfd)enbe beS £>ftertanbeS 51t
Ottenburg. Stttenburg 1850, 33b. IV, 2.
$atm, ÜberSicero’gSftebe proC.RabinioPostumo. ©lüudjen 1855;4°-
Harless, E., Beiträge zu einer wissenschaftlichen Begründung der
Lehre vom Mienenspiel. München 1855; 4 0,
— Theorie und Anwendung des Seitendruckspirometers. München
1855; 4o-
Istituto Veneto, Atti. T. I, part. 4, 5.
Istituto Lombardo, Giornale. Nr. 45, 46.
Jahrbuch, neues, für Pharmacie etc. Bd. V, Nr. 3, 4.
Journal d’Agriculture. Annee 18. Dijon 1855; 8 0,
Äarmarfdj, ^eftrebe $ur $eter beb 25jdljrtgen 33eftet)en§ ber potpted).
Schute ju £annoöer. £auno»er 1856; 8 0-
Kunst mann, Friedr., Valentin Ferdinand’s Beschreibung der
Westküste Afrika’s bis zum Senegal. München 1855; 4°-
Ladrey, Rapport sur le sucrage des vendanges. Dijon 1854; 8°'
Samont, ©enfrebe auf beit Slfabemtfer £t>eob. @iber unb ®. £>t)tn.
SMündjen 1855; 4°-
La nee t, nederlandsch. Jahrg. V, Nr. 3, 4.
Lueae, Job., Christ., Schädel abnormer Formen in geometrischen
Abbildungen. Frankfurt 1855; Fol.
— De Symmetria et Asymmetria organorum animalitatis imprimis
cranii. Marburg 1839; 4°-
Michiel, Giuseppe, Co. et Baffo, Ant., laureantisi in matematica.
Venezia 1855; 8°-
Mühry, A., Die geographischen Verhältnisse der Krankheiten oder
Grundzüge der Noso-Geographie. Leipzig, 2. Thl., 1856; 8°-
eingegangenen Druckschriften.
133
Nachrichten, astronomische. 1026, 27, 29, 30, 32.
Observations meteorolog. faitesäNijne—Taguilsk. 1840—1853.
Paris 1842—54; 8°-
Romanin, S., Storia documentata di Venezia. Vol. IV, p. 2, 3.
Schoenbein, C. F., Über die nächste Ursache der spontanen
Bläuung einiger Pilze. München 1855; 4°-
©djuler, ». Si6to9, @tebenbürgifd)e 9tedjt§gefd;td)te. 33b. I, II,
Sief. 1. $ermannfiabt 1855 — 56; 8°-
Schüller, Joh., Zur Frage über die Herkunft der Sachsen in
Siebenbürgen. Hermannstadt 1856; 8 0, (2 Exempl.)
Seidel, Ludw., Bemerkungen über den Zusammenhang zwischen
dem Bildungsgesetze eines Kettenbruches und der Art des Fort
ganges seiner Näherungsbrüche. München 1855; 4°-
Society Chemical, quarterly journal. Nr. 33.
Society, geographica], Proceedings. Nr. 1, 2.
Societe, Imp., des Sciences d’agriculture ect. de Lille. Memoires
1853. suppl.
Spengel, Leonh., Isokrates und Platon. München 1855; 4°-
— Über das erste Buch der Annalen des Tacitus. München
1855; 4«-
©pteget, $vau&,Übetbte tranifdje ©tammöerfaffung. ©Junten 1855; 8°-
Stillfried, Rud., Freiherr v. und Maerker Traug., Monumenta
Zollerana. Bd. 2. Berlin 1856; 4 0-
Streber, Franz, Die ältesten in Salzburg geschlagenen Münzen.
München 1855; 4 0-
Tafel, Gottl. und Thomas, Der Doge Andreas Dandolo und die
von demselben angelegten Urkunden- Sammlungen zur Staats
und Handelsgeschichte Venedigs. München 1855; 4 0-
Styierfdj, grtcb. o., Siebe über bte ©renjfdjeibe ber äBiffenfcfyaften.
Sffiündjen 1855; 4°-
Valentinelli, Gius., Bibliografie della Dalmazia e del Montenegro.
Zagrab. 1855; 8 0-
— degli studi sul Friaul. Prag 1856; 4°-
V erein für Geschichte und Alterthum Schlesiens. Zeitschrift. Heft 1,
Breslau 1855; 8°-
3Setein für ftebenbürgtfdje Saitbeäfunbe. 33b. 2, .§>eft 3. (2 (Srempl.)
33erein, ffiftorifcper, für tarnten, 5lr«T)tt> für raterlcinbtfdje ©efcfyicpte.
Saprg. 3.
134 Verzeichuiss der eingegangenen Druckschriften.
33 er ein, fuftorifdjer für Sfiteberfia^ern- Sßerljanblungen. 23b. IV, §eft 4.
(2 ©rempl)
33 er ein, btftortfdjer für 3tteberfad)fen. 19. Safyreäbertdjt.
Verein, naturhistorischer, der preussischen Rheinlande und West-
phalens. Jahrg. 13, Bd. I.
23 er ein, ju granffurt a.
Vogel, Aug., Beitrag zur Kenntniss der Oxalsäuren Salze. München
18SS; 4«-
— Über die Zersetzungen salpetersaurer Salze durch Kohle.
München 18S5; 4°\
2Bartinger, 3>of., QlMöfungen ber Urbarialbienfte im XIV. unb XV.
3«^. ®raj 1849; 8<"
— Äurjgefafte ©efdjidjte ber ©teiermarf. 3. 3lu8g. ©ras; S 0,
— IJJrtötlegten be§ SWarftesl Süffer. ©ras 1841; 8°-
— „ „ „ 33orbernberg. ©ras 1841; 8 0,
— i, „ „ ©tfeners.
— „ ber ÄreiSftabt SSrucf. „ 1837; „
„ „ &aubtftabt ©raj. „ 1836; „
Wittmann, Über die Stellung der agilollingischen Herzoge nach
aussen und innen, München 18SS; 4 0,
3
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
XXI. BAND. II. HEFT.
JAHRGANG 1856. — JULI.
i
SITZUNG VOM 2. JULI 1836.
Gelesen:
Über eine Hypothese in Betreff dev Entstehungszeit des
sogenannten ältesten österreichischen Landrechts.
Von dem w. M., Hrn. Dr. y. Meiller.
Wir haben vor Kurzem in unserer Mitte eine Ansicht „über
die Zeit der Entstehung des sogenannten ältesten öster
reichischen Landrechts“ vortragen gehört. Forschungen
über die Verfassungs- und Rechtsverhältnisse Österreichs im XIII.
Jahrhunderte und über die dieselben normirenden Gesetze bilden
einen so wichtigen Theil jener Vorstudien, die nach dem Ausspruche
Sachkundiger ein endliches Zustandekommen einer gründlichen
Geschichte Österreichs zu jener Zeit erst ermöglichen werden, sie
greifen in den Kreis meiner speciellen Bestrebungen so scharf ein,
dass ich denselben, wo sie mir begegnen, meine besondere Aufmerk
samkeit zuzuwenden mich berufen fühle. Ich bin daher auch der
Entwicklung jener Ansicht mit Interesse gefolgt. — Ich stehe nicht
an zu erklären, dass ich meinerseits dem Ergebnisse dieser Unter
suchung nicht beifreten kann, — dass mir die demselben zu Grunde
gelegten Daten eines Theils nicht beweiskräftig genug er
scheinen zu den Schlussfolgerungen welche daraus abgeleitet werden
wollen, andern Theils auch selbst nicht als genügend er
wiesen.
Ich finde mich hierdurch veranlasst und aufgefordert, schon jetzt
in Kürze die Gründe zu entwickeln, welche mich jener Ansicht ent
gegen zu treten bestimmen. Eine ausführliche Darstellung meiner
10 *
138
Dr. v. M e ille r.
eigenen Meinung über das fragliche Rechtsdenkmal, seinen Inhalt,
seine Entstehung liegt im Bereiche meiner im Zuge begriffenen Ar
beiten über dieRechtszustände in Österreich zur Zeit der Babenberger.
Bevor ich zur Beleuchtung der gegentheiligen Ansichten und
Behauptungen übergebe, muss ich folgende Bemerkung voraus
schicken. Es handelt sich im vorliegenden Falle um eine Com
pilation, eine Zusammenstellung von in Österreich und zwar theil-
weise zum Mindesten schon seit Anbeginn des XIII. Jahrhunderts
Geltung gehabten Gewohnheitsr echten, von welcher in meh
reren Sammelhandschriften von Rechtsdenkmalen Abschriften auf
gefunden worden sind. So viel mir bekannt ist, sind solcher bisher
sieben zu Tage gekommen, nämlich: 1. die (jetzt verschollene)
Wurmbrand’sche; 2. die im Museum zu Linz; 3. die gräflich
Harrach’sche, jetzt in der kaiserl. Hofbibliothek; 4. die im
Stifte Holienfurt, 5., 0., 7. die vonRössler und Wattenbach in
Lübeck, Giessen und Pesth aufgefundenen. Alle sieben
Handschriften stammen aus dem XV. Jahrhundert; die Wurmbrand’sche
ist von Peter Ludewig, die Linzer von mir, die Harrach’sche von
Senkenberg und mir edirt worden. Die beiden Letzteren enthalten
nicht wenige offenbar durch die Schuld der Abschreiber entstandene
mehr oder weniger fehlerhafte, ja ganz unverständliche Stellen; die
erste oder doch ihre Ausgabe durch Ludewig ist daran überreich.
Argumentationen aus demTexte dieser drei Handschriften sind daher
in den betreffenden Stellen unsicher, und nur mit den nöthigen Cau-
telen zu führen. Von den vier Letzteren ist noch keine veröffentlicht
worden. — Aus den bisher edirten Handschriften ergibt sich nun
meinem Dafürhalten nach augenfällig und unbestreitbar, dass zwei
verschiedene, selbstständige Compilationen der öster
reichischen Gewohnheitsrechte bestehen — eine der Ver
fassungszeit nach ältere und eine jüngere •—-wie ich sie mit
voller Überzeugung bezeichnen zu müssen glaube. In vielen Bestim
mungen ganz oder doch fast gleich, sind sie aber auch in nicht minder
vielen wesentlich von einander abweichend und verschieden. Ich
habe in meiner Ausgabe der österreichischen Stadtrechte und Satzun
gen aus der Zeit der Babenberger (Archiv, Bd. X., pag. 89 — 173)
diese beiden Compilationen neben einander edirt; die ältere nach
dem Ludewig'schen Abdrucke und der Linzer Handschrift, die jüngere
nach der gräflich Harrach'schen, jetzt Hofbibliotheks-Handschrift.—
I
Über die Entstehungszeit des österr. Landreclits.
139
Die ältere Compilation enthält 66, die jüngere 86, respective 90§§.
Die jüngere entlehnt aus der ältern 60 §§., jedoch häufig mit mehr
oder minder wesentlichen Änderungen. Sechs §§. der älteren
Compilation, nämlich: §§. 25, 26, 29, 30, 40 und 43 hat die jün
gere nicht mehr aufgenommen; sechs andere aber, nämlich: §§. 13,
21, 23, 46 und 63 nur theilweise. Dreissig §§. der jün
geren enthalten neue, der älteren ganz fehlende Normen.
Von diesem Sachverhalte nimmt jene Untersuchung keine Notiz.
Für sie besteht nur eine Compilation, von d ieser spricht sie, diese
bildet ihr Substrat. Ihren Citaten zufolge ist es diejenige Com
pilation , welche ich oben als die jüngere bezeichnet habe. —
Ich halte jedoch die Berücksichtigung dieses Sachverhaltes — ent
weder ihn zugebend oder begründet negirend — bei einer Unter
suchung über die Verfassungszeit dieses Rechtsdenkmales aus
inneren Gründen, wie es jene ist, für unerlässlich, das Gegen-
theil für einen wesentlichen Mangel. — Oder soll etwa der in den
Bestimmungen des Landrechts angeblich wehende Geist der Opposition
auch zu verschiedenen Zeiten und gegen verschiedene Landesfürsten
genau derselbe gewesen sein?
Anlangend nun die gegentheiligen Behauptungen über die Ent
stehungszeit des sogenannten Landrechts , so lassen sich selbe
folgendermassen präcisiren.
Um das Jahr 1287 hatte sich unter dem Adel und den herzog
lichen Ministerialen eine Misstimmung gegen Herzog Albrecht I. ent
wickelt, welche, nach und nach sich steigernd , bekanntlich im
Jahre 1295 bis zu bewaffneter Auflehnung und offener Feindseligkeit
ausartete. Derllauptgrund, die wesentlichste Ursache dieses
Zwiespaltes soll der gegentheiligen Ansicht zufolge, in einer von dem
genannten Herzog, dem kräftigen Vertreter des monarchischen Prin-
cipes gegenüber den Anmassungen des Adels, vorgenommenen wesent
lichen Veränderung der bisherigen österreichischen Ge
richtsverfassung zu finden sein. Herzog Albrecht I. habe nämlich
die sogenannten „L andtei din ge“— auf denen Adel und Ministeria
len eben jene wichtigen Rechte des Beirathes und der Zustimmung
(selbst bei blossen Regierungshandlungen) ausgeübt haben, in deren
Vollbesitz sie zurZeit der Babenberger gewesen — ganz und
gar aufgehoben und dafür die zu Wien am herzoglichen Hof
lager abzuhallenden Hofteidinge eingeführt; und zwar sei dies
140
Dr. v. M e i 11 e r.
um das Jahr 1288 geschehen. — Hierdurch hätte sich der Adel und
die Ministerialen in ihrer Machtstellung empfindlich geschwächt und
daher zur lebhaftesten Opposition gegen den Landesfürsten veran
lasst gefunden. — Weil nun aber auch aus sä mm fliehen im Land
rechte enthaltenen, das „öffentliche Recht“, die Landes- und
Gerichtsverfassung betreffenden Normen unverkennbar die
entschiedenste Opposition dieses Standes gegen den
Landesfürsten hervorleuchte, ein mächtiges Streben sich unver
kennbar herausstelle, alte jetzt geschmälert werden wollende
Rechte gegen ihn, als den Urheber dieser Schmälerung zu behaup
ten — weil ferner in dem Landrechte eben jene von dem Herzog
Albrecht beseitigte Gerichtsverfassung als allein
gesetzlich hingestellt und die Abhaltung der Landteidinge an den
alten Babenberg’schen Gerichtsstätten gefordert werde — so sei
klar und erwiesen, dass die in Frage stehende Sammlung der Rechte
und Gewohnheiten des Landes Österreich vom Adel und den Mini
sterialen zur Zeit ihrer Opposition und Empörung wider Herzog
Albrecht I. veranlasst und ausgegangen, also in dem Zeiträume von
1288 —1295 verfasst worden sei.
Ich wiederhole, dass ich diesen Argumentationen und ihrem
Ergebnisse ganz und gar nicht beipflichten kann, und dasselbe
für nicht mehr anerkenne, als eine ernsthaften Angriffen nicht
Stand haltende Hypothese. Zur Begründung möge Folgendes
dienen.
Aus den Urkund en und Chroniken jener Zeit, den Haupt
quellen aus denen eigentlich für Fragen, wie die vorliegende, die
Antwort zu schöpfen wäre, lassen sich (nach der gegenteiligen
Untersuchung) die Ursachen jenes Zwiespaltes des Adels mit
dem Herzoge Albrecht I. mit Sicherheit nicht nach weisen, weder
ihrer Totalität noch dem Grade ihres Einflusses nach. — Im Allge
meinen zugestanden. —Jedenfalls nicht nachweisbar ist darin
(der gegenteiligen Untersuchung zufolge) der oberwähnte Haupt
grund. — Quellen einer dritten Art, Quellen von für solche specielle
Fragen jedenfalls minder berechtigter Geltung, nämlich Stellen
aus den Dichtungen Otokar Hornek’s und Seifrid Helbling's sind
es , auf welche sich die gegenteilige Untersuchung diesfalls stützt,
die ihr hierüber sichere Auskünfte gewähren, sie unverkennbar
darbieten. Der Hauptbeweis wird aus zwei Stellen in Seifrid
Über die Entstehungszeit des österr. Landrechts. 141
Helbling’s zweitem Gedichte (der Karajan'schen Ausgabe) geführt,
nämlich:
„iz kostent mangen pfenninc
ze Wienne diu hofteidinc.
der ist niulich gedäht;
er hat sie hovelich dar bräht,
der si hat getihtet.“
und jene zweite:
„der gerilltes wsere bereit
driu lantteidinc in dem jar
und lieze diu hofteidinc gar.
In diesen Worten soll nun Seifrid Helbling laut und bitter
über die Aufhebung der früher bestandenen Landteidinge
klagen, ihre Wiedereinführung lebhaft beanspruchen. Mir scheinen
diese Worte des Dichters zu solcher Schlussfolgerung nicht beweis
kräftig genug. Durchgeht man das ganze zweite Gedicht Helbling’s, aus
dem jene Stellen entnommen sind, ja auch alle seine andern Gedichte
noch so genau, so wird man finden, dass er an keinem Orte von
einer wirklich erfolgten Aufhebung, einer Abschaffung der Landtei
dinge spricht. Man muss zugeben, dass er es auch in den ange
zogenen Versen nicht ausdrücklich thue, und dass selbe jedenfalls
auch noch eine andere Auslegung zulassen. Es liegt in jenen Versen
nichts, wornach z. B. die Auslegung als logisch unstatthaft erklärt
werden müsste: es seien zu Helbling's Zeit sowohl Land- als Hof-
Teidinge abgehalten worden, er halte die überdies so viel Geld
kostenden Hofteidinge in dem theuren Wien für unnöthig; drei Land-
Teidinge im Jahre schienen ihm Gerichtes genug, um allen an die
Rechtspflege zu stellenden Anforderungen zu entsprechen. Ihm sind
nur die Hofteidinge zu viel, die könnte man allenfalls entbehren, über
eine Abschaffung der Landteidinge klagt er nicht. — Und für eine
solche Auslegung der Worte Helbling’s und wider die gegentheilige
sprechenaber gewichtige Fürsprecher, Thatsachen, Urkunden.
Seifrid Helbling konnte seinen Zeitgenossen gegenüber eine solche
Klage nicht erheben, daher sie in seinen Gedichten auch nicht zu
finden, nicht zu suchen ist. Was nämlich von einer Abschaffung
der Landteidinge durch Herzog Albrechtl. vorgebracht
wird, entbehrt derthatsächlichen Begründung. Die gegentheilige Unter
suchung weiss für diese von ihr oft und in den b estim mtesten
Ausdrücken wiederholte Behauptung keine andere Begrün
dung zu geben, als dass, so weit ihre Forschungen reichen,
nach dem Jahr 1288 die Urkunden darüber verstummen und kein
Zeugniss mehr ablegen für die Abhaltung von Landteidingen. — Dem
ist aber nicht so. Unverdächtige Urkunden erweisen die Fortdauer
dieses Bechtsinstitutes zum Mindesten bis in die Mitte des XIV. Jahr
hunderts hinein.
Nachfolgende Belege mögen für heute genügen.
Am 7. November 1297 vergleichen sich die Brüder Weigand
und Gundold die Beintaler mit dem Abte von Altenburg wegen eines
Hofes zu Molt. „Diez ist geschehen vnd ist der prief gegeben dacz
Neunburch dacz dem Landetaidinge vber tousent iar, zwaihundert
iar in dem sieben vnd niunezgisten iar, des phineztages vor sant
Merteinstage.“ — (Orig. Urkunde im Archiv des Kl. Altenburg.
Als anwesend beim Landteiding erscheinen darin 31 Zeugen, von
denen drei dem Ministerialen-Stande angehören, die übrigen sämmt-
lich Bitter, rittermässige Knechte und Bürger sind.)
Am 21. März 1300 beurkundet der Landrichter „iudex pro-
vincialis Austriae“ Herr Ulrich von Wolfkersdorf die vor ihm
im Landteidinge zu Neuburg erfolgte Beilegung eines Streites
zwischen den Erben eines gewissen Otto’s Wersenschlager und dem
Kloster Zwetl. (Archiv von Zwetl. Conf. Fontes III, 281.)
Am 6. November 1301 verkauft Weichard von Baumgarten
dem Kloster heiligen Kreuz Gülten zu Hedreinsdorf. — „Dacz ist
geschehen nach Christes gehurt vber tousent dreu hundert iar, in
dem ersten iar, dacz Newenburch in dem Lanttaiding, vor sant
Merteinstag des Montags.“ —• (Orig, im Archive des Kl. h. Kreuz.)
Am 27. Februar 1303 beurkundet Herzog Rudolf, dass Elsbeth,
Grafen Bertram’s Witwe von Mertersdorf, gegen die Klage welche
Ulrich von Walsee und ihre Neffen wegen der Veste Rorau gegen
sie „vor vnser in dem Lanttaidinge ze Nevnbureh“ angestrengt
haben, ihr besseres Recht „in der schranne recht vnd redleich mit
vrag vnd mit vrtail“ behauptet habe. — (Orig im Archive zu Effer-
ding. — Conf. Notizenblatt 1851, p. 318.)
Am 6. November 1312 beurkundet Gottfried Bischof von Frei
sing, dass erReinprecht von Ebersdorf, seinem Burggrafen und Pfleger
zu Enzersdorf, vollen und gantzen Gewalt gegeben habe, ihn, sein
Gotteshaus, Leut und Gut, die er besitzt in Österreich, „ze verant-
Über die Entstehungszeit des österr. Landrechts.
143
wurten und ze versprechen vor unserm lieben Herren dem edeln
Hertzog Friederich von Österreich, vor seinen Lanttaeidingen,
vor sinen Hoftaeidingen, und auch vor einem iegleichen
Richter und vor einem iegleichen gerillt, daz gelegen ist in Öster
reich, an aller der ansprach, die vor in anget vns, unser gotshaus,
laeut oder gut, daz er dar an unser stat uns gewaltichleich und
gsenezleich gen einem iegleichem chlager versprechen und verant-
wurten mug, ze gewinne und ze Verluste. Wir geben im auch ge-
walt mit diesem brief, daz er an unser stat vor dem vorgenanten
unserm herren dem Hertzogen und auch vor einem iegleichen
Richter, als oben anzgenomen ist, uns, unsern Lseuten und
gut daz relit vordem und genemen müg von einem iegleichen
mann, swie der genant ist, da wir, unser gotshaus oder unser L;cut
iclit bin ze sprechen haben“ etc. (Orig, im n. ö. ständischen Archive
zu Wien. — Conf. Meichelbeck Hist. Frising. Tom. II. Ps. II.
pag. 118.)
Am 13. Jänner 1338 zu Wien beurkundet Herr Weichard
von Toppl, als Hofrichter in Österreich, es sei den Nonnen zu
Minnbach über ihre Anfrage „von den lantherren im rechten
hoftaiding mit vrag vnd mit vrtail“ zu Recht der Rescheid ertheilt
worden, dass, wenn irgend Jemand sie wegen ihren Holden oder ihren
Weingärten zu Lengenfeld aus was immer für einem Grunde zu
klagen vorhabe, dies nicht bei dem Hofteiding zu geschehen habe,
„des sol man si (id est die Nonnen) in einem rechten Landtaiding
ansprechen.“ — (Orig. Urkunde des k. k. II. II. u. St. Archives.)
Wenn ich diesen Beispielen noch hinzufüge, dass in einer sein'
grossen Anzahl von Urkunden des XIV. Jahrhunderts die „Judices
provinciales Austriae“ Ulrich von Wolfgersdorf, Albert der
Stuclis von Trautmannsdorf, Konrad von Sommerau, Weichard von
Toppei (seit April 1330 Hofrichter), Hadmar der Stuclis von Traut
mannsdorf als Siegelzeugen bei allerlei Rechtsgeschäften einschrei-
ten, so glaube ich für den gegenwärtigen Zweck genug Belege
meiner obigen Angabe über den Fortbestand des Institutes der Land-
teidinge beigebracht zu haben.
Ist aber das Landteiding nicht aufgehoben worden, bat
es auch nach dem Jahre 1288 fortbestanden, dann ist selbst
verständlich jene Auslegung der Worte Seifrid Ilelbling’s unstatthaft
und unzulässig, dass wir darin eine laute und bittere Klage über die
144
Dr. v. Meiller.
Aufhebung dieses Rechtsinstitutes, eine eindringliche Forderung seiner
Wiedereinführung zu erkennen haben. Damit fällt aber auch der
ganze erste, der wesentlichste Theil der oben mitgetheilten gegen
teiligen Argumentation. — Diese hat übrigens auch einen weiteren
und, wie mir dünkt, für ihren Bestand unumgänglich n o th w en
dig e n Beweis zu führen vergessen. Um uns überzeugen zu können,
dass der Adel und die herzoglichen Ministerialen es waren,
die die Abschaffung der Hofteidinge und die Wiedereinführung der
Landteidinge principiell und im Interesse ihrer Machtstellung
gefordert, muss jedenfalls nachgewiesen werden, dass sie auf den
Hofteidingen jenes Recht des Beirathes oder der Zustimmung nicht
ausüben konnten, dessen Geltendmachung den innersten Kern ihrer
Machtstellung gebildet habe. Diesen Beweis ist man uns schuldig
gebliehen und wird es, wenn ich nicht irre — wohl noch lange
bleiben. — Folgende Sätze möchte ich aber als zu erörternde Tlieses
aufstellen. Das Hofteiding war seinem Entstehen nach der Per
sonal-Gerichtsstand, hei welchem allein Grafen, Freie und
die herzogli ch - österreichische n Ministerialen als
solche sowohl unter einander sich zu belangen hatten, als auch von
jenen die nicht ihre Standesgenossen waren, geklagt werden konnten.—
Für sie bestand ursprünglich auch die Appellation ans Reich
von diesem Gerichte.— Ritter, rittermässige Knechte, freie
Landsassen („sentmaessige männer“), ja auch Bürger freier Städte
und Märkte, wo sich diese noch nicht eigener Stadtrechte und Stadt
gerichte erfreuten, waren als Kläger und Beklagte an die
Landteidinge gebunden. Erstere, die Ritter und rittermässigen
Knechte, fanden nur nach und nach und in dem Masse, als eben nach
und nach der staatsrechtliche Begriff dos Adels auch auf sie ausge
dehnt wurde, Zutritt zu diesem privilegirten Gerichtsstände. —
Seine Wurzeln, seine Anfänge reichen noch über die Zeit der Habs
burger hinaus. Der Sache nach ist derselbe bereits in Otokar’s
beiläufig 1252 erlassenem Landfriedensgesetze für Öster
reich zu finden. Auch die §. II. und III. des Landrechts halten der
Sache nach den privilegirten Gerichtsstand der Grafen, Freien und
herzoglichen Ministerialen welche nur vor dem Landesherrn, aber
nicht vor einem Landrichter zu Recht zu stehen haben, aufrecht. —
Die Gerichtsbarkeit über die übrigen Landsassen ist dem Landrichter
im Landteiding zugewiesen.
Über die Entstehung-szeit des österr. Landrechts.
145
Fleissiges Forschen in den Urkunden aus dem Zeiträume von
1252 angefangen und zunächst bis zum Schlüsse des XIV. Jahrhun
derts fortgesetzt, wird zuverlässig entscheidendes Licht über diese,
für heute als Theses hingestellten Sätze verbreiten. -— Aber auch
nur dieses allein. Und zu solchen Forschungen möchte ich aber
nebenbei bemerkt insbesondere Jene einladen, denen, ihrer Meinung
nach, des urkundlichen Materiales schon viel zu viel puhlicirt ist. Viel
leicht würde ihnen der Nutzen dieser Publicationen einleuchtender
werden — vielleicht würden sie dann sogar die Meinung jener theilen,
die da glauben, es seien noch zu wenig Urkunden zur Beantwortung
solcher speeieller Fragen veröffentlicht.
Es sei mir gestattet, noch einmal auf SeifridHelbling, die Haupt
stütze der gegenteiligen Beweisführung, zurükzukommen. Wenn
man die ganze Stelle des zweiten Gedichtes, die jene citirten Verse
enthält, in ihrem vollen Zusammenhänge prüft (sie reicht von Vers
G47—766), so stellt sich nicht die Frage: oh Land- oder Hof-Teiding
sondern etwas ganz Anderes als der Hauptgedanke heraus,
den Helbling damit ausgesprochen. Die ganze Stelle erscheint als
eine Rüge der zu seiner Zeit ins Unmässige ausartenden Streit-
und Processlust seiner Zeitgenossen. Die Einkleidung dieser Rüge
ist folgende: Der Knecht, mit welchem Helbling in sinnigem Frag-
und Antwort-Spiele die Gebrechen seiner Zeit und die dagegen allen
falls zu ergreifenden Heilmittel bespricht, hält ihm ein Spiegelbild
vergangener und gegenwärtiger Zustände vor, indem er ihm nach
stehende „maere“ erzählt. Vor Zeiten einmal, es war hei einem
Herzog Leopold, wo man nur dreimal im ganzen Jahre Gericht
hielt, war ein Landteiding nach Tuln von diesem ausgeschrieben
worden. Als nun der Herzog in der Schranne niedersass mit seinen
Mannen, um Recht zu sprechen, da geschah’s, so schlichte stand
damals des Landes Art, dass gar Niemand kam zu klagen. Auf
Einrathen seiner Landherren blieb der Fürst drei Tage lang in der
Schranne sitzen, wartend ob etwa doch noch Jemand erscheinen
würde. Allein vergebens. Es kam Niemand. — Da sei der Fürst
in laute Freudens-Ergiessungen, in Worte innigsten Dankes gegen
den Allmächtigen ausgebrochen, dass „miniu Lant stent so eben,
daz nieman des andern“ klage, und dass ihm dies hier und jenseits
zu unvergänglicher Ehre und Ruhm gereichen müsse. — Nu — fährt
hierauf der Knecht fort— nu will ich Euch sagen Herr, wie es jetzt
146
Dr. v. M e i 11 e r.
bei Gericht aussieht im Lande. Jetzt haben wir (per paren-
thesim supplire ich auf Grund der citirten Urkunden die Worte:
sogar auch) Hofteidinge, die noch dazu den Parteien sehr viel
Geld kosten — und was sehen wir da? — „je mehr daselbst wird
gerichtet, desto mehr und mehr wird geklagt. Als klagent (in dem hof-
teiding nämlich) hundert, so sind dannoch tusent, die umb die schranne
müsent (d. h. wohl, wie die Bienen summen), und klagten gerne
(darin), ob’s möchte sin.“ Dass der gute Herzog darüber nicht
fast verzagt werde, das wundere ihn eigentlich am Meisten. — Und
um dem Bilde noch mehr Färbung zu geben, fügt Ilelbling unmittel
bar darauf ein Beispiel an, wie leichtsinnig sich die Leute in Gerichts
händel stürzen. Es vermisst einer im Wirthshaus beim Weine sitzend
seinen Leibgürtel. Alsbald droht er dem Wirtlie der ihm auch nichts
schuldig bleibt an Worten, ihn als Dieb zu klagen, und ihm ein
„fürpot“, eine Vorladung, auf den Hals zu schicken, wenn gleich dies
allein schon ihm mehr kostet, als vier Gürtel werth sind.
Jeder Unbefangene wird mit mir zugeben, dass Seifried Helbling
in dieser Stelle nicht über die Gerichtsverfassung und „ob Land
oder Hofteiding zu halten sei, in prima linea spricht, sondern dass
er hier die Processlust seiner Zeitgenossen im Auge hatte und rügen
wollte , wenn er auch dabei die sich ganz ungezwungen darbietende
Gelegenheit nicht unbenützt Hess, auf die ihm und seinen Standes
genossen nicht zusagenden Hofteidinge zugleich einen Hieb zu führen.
Für die Beantwortung der Frage, welches der wahre Grund der
Gereiztheit Helbling's und seiner Standesgenossen — Grafen,
Freie und herzoglich-österreichische Ministerialen
waren dies aber nicht — gegen die Hofteidinge war, Hessen
sich (urkundliche Beweise gut unterstützende) Belege in Ilelbling’s
Dichtungen nicht wenige nachweiscn. Man lese, um eine anzuführen,
die Stelle in Helbling's viertem Gedichte, wo die Wortführer der her
zoglichen Ministerialen dem II erzöge ihre Hauptbeschwerden vortragen,
und zwar den fünften Klagcpunct derselben. (Vers 7S9—709.)
Aber auch der zweite Th eil der gegentheiligen Argumen
tation — abgesehen davon, dass er mit dem ersten Theile in einem
solchen inneren Zusammenhänge sich befindet, dass er mit diesem
besteht oder fällt — nämlich jene Beweisführung die aus dem
Inhalte, aus dem Geiste der Bestimmungen des fraglichen Rechts
denkmales selbst begründet wird, erscheint mir nicht stichhaltend. —
Über die Entstehungszeit des östcrr. Landreehts.
147
Es wird nämlich behauptet, dass aus sämmtlichen im Landrechte
enthaltenen, das öffentliche Recht betreffenden Normen unver-
keunbar eine entschiedene 0 ppo sition des Adels und der
herzoglichen Ministerialen gegen den Landesfürsten hervorleuchte, —
und dass darin die von Herzog Albrecht I. beseitigten (sic)
Lan dt ei dinge als allein gesetzliche Gerichtsverfassung
erklärt und daher deren Wiederherstellung gefordert w er de.
Die letztere dieser beiden Behauptungen kann Angesichts unseres
Rechtsdenkmales einfach negirt werden. Eine solche Erklärung,
eine solche Forderung ist darin nirgends enthalten, und lässt sich
ohne Zwang und Gewalt auch nicht heraus deduciren. Man kann nur
zugeben, dass das „Wort“ Ilofteiding darin nicht gebraucht wird.
Das Landrecht spricht aber auch nicht von Landteiding allein.
Es spricht von T a i d i n g e n schlechtweg und von Landtaidin-
gen. Ob das Hofteiding, wenn auch nicht dem Namen, so doch
der Sache nach sich darin nicht nachweisen lasse, ist eine noch
offene Frage, die mir übrigens nicht zweifelhaft erscheint.
Fast wäre ich geneigt, auch die erstere der obigen Behauptun
gen, nämlich die aus den Landrechtsbestimmungen hervorleuclitende
Opposition gegen den Landesfürsten einfach zu riegiren. Das Land
recht enthält circa 13 §§., welche als das öffentliche Recht betref
fende Normen anzusehen sind, nämlich die §§. 1, 2, 3, 4, 8, 36,
40, 64, 65, 67, 81 und 85. Worin aber jener Geist der Opposition
in ihnen liege, finde ich schwierig anzugeben. Auch die gegen-
theilige Untersuchung belehrt uns darüber nicht näher. Sie
begnügt sich zu sagen, die und die hier folgenden Bestimmungen
sind oppositionell, und fährt nach ihrer Aufzählung in ihrem Gange
weiter fort. Ich bin daher gezwungen den Inhalt dieser Paragraphe
der verehrten Classe vorzutragen.
§. 1. „Wir seczen vnd gepieten, das kain Landes Herre sol
„kain taiding haben nur vber sechs wochen, vnd nicht darhinder,
„vnd sullen die taiding sein nur ze Newnburg, ze Tulln vnd ze
„Mautarn.“
Wo ist hier eine Opposition? — Es hiesse auch den Sinn dieses
Paragraphs ganz missverstehen, wollte man ihn dahin erklären, er lege
dem Landesherrn die Pflicht auf, alle sechs Wochen Landteiding zu
halten. Der Sinn ist einfach der, dass von einem Teiding zum
andern mindestens eine Zwischenzeit von sechs Wochen sein müsse.
Diese Bestimmung ist aber eine nothwendige, wegen der vom Land
rechte in mehreren Fällen angeordneten gesetzlichen Fristen.
§. 85. „Es ist auch recht, wann des Landesherr ein Landgericht
„(? Landrichter) seczet nach rat seiner Landherren, das er dem geh
„III. C. tl. dr. das er kost mug gehaben zu den taidingen. So sol auch
„alle die püss vnd die wanndl, die da ertailt werdent, anschreiben,
„vnd sol sy für den Landsherren pringen, vnd sol der damit tun, was
„er welle, vnd sol der auch derselb Landrichter weder gen graven,
„noch gen freien, noch gen Dinstman, nur vmb gewalt, vnd vmb sein
„gepot, vnd vmb varend gut nicht richten. Was ander clag ist, die
„sol der Landsherr richten ze recht.“
§. 2. „So sol auch kain Graf, noch freye, noch dinstman, die zu
„recht zu dem land gehörnt, weder auf ir Leib, noch auf ir ere, noch
„auf aigen ze Recht steen, nur in offner schrann vor den Lantherrn. Wil
„aber Im der Landesherr vnrecht tun, so sol er wol mitRecht dingen an
„das Reiche, vnd davon sein Recht pringen, als Im ertailt wirt, vnd sol
„auch daz gedinge wider pringen inner sechs wochen, in irre dann
„ehafft not, das er wol mit seinem Aide besteten mag, so er wider-
„chumpt nach der elrafften not. Wenn er zu dem Land kumbt, so sol
„er vor dem Lanndes Herren vnd vor seinen Hausgenossen in offner
„Schrann antwurten vber sechs wochen, vnd nicht dahinder, als Recht
„ist nach gewonhait des Lanndes.“
§. 3. „Es sol auch des Landes Ilerre kamen dinstman nicht
„vbersagen vmb was er tut. Er sol vber In richten nach des Landes
„gewonhait, als Recht ist. Begreufft er In an der hannthafft, so sol er
„vber In richten mit dem tode, entrint er Im, so sol er in in die Echt
„tun, vnd nach der Echt, so sol er In beklagen vor dem Reiche. Vnd
„sol man vor dem Reiche vber In vrtail tun, als Im ertailt wirt. Vnd
„sol Im sein ere vnd sein Recht nyemand benemen, nur das Reich,
„wann Si von dem Reich des Lanndes Herren Lehen sind. Dauon
„sol der Chaiser vnd das Reiche die Ieczst vrtail vber In geben, da-
„mit Im sein ere vnd sein Recht benomen wirt.“
§. 4. „So sol auch der Lanndes Herre, noch kain Richter
„kainen vnbesprochen man, vnd der gesessen ist, vmb kain Inczicht
„nicht aufhaben. Er sol in vordem in der schran nach Lanndes ge-
„wonhait, als Recht ist. Chumbt er dann nicht für an dem virden
„taiding, so sol er alles das schuldig sein, da In der Richter vmb
„gefordert hat. Vnd sol in darnach ze echt tun. Ist aber, das er
Über die Entstehungszeit des österr. Landrechts.
149
„furkumbt, vnd gieht, das Im die taiding nicht kund sei getan, darumb
„er in der echt ist, vnd seinsol, des sol er sich bereden mit seinem Aid,
„vnd sol in der Richter aus der echt lassen, vnd sol da drew taiding
„antwurten nacheinander, des ersten mit dem Richter in die schrann,
„vnd des Lesten mit Im daraus. Es sei dann das eehaft not irre, des
„sein aigen man, oder sein Hausgenoss wol in der schrann bereden
„mügen vor demRichter. Wenn er sich aus der echt swert hinder sechs
„Wochen, so sol er dem Richter kains wanndls schuldig sein. Ist er
„aber vher sechs wochen in der echt, so sol er dem Richter wanndl
„gehen nach des Landes gewonhait als Recht ist, dem Landesherren
„zehen phunt ze wandl, vnd in den Grafscheften dem Lantrichter
„sechs Schilling. So sol auch dehain Landesherre, noch dehain
„Richter auf ain vnbesprochen man nicht pringen noch erczeugen,
„was im gen seinen Leih gee, oder gen seinen eren. Man sol Im ne-
„men ain vnd zwainczig seiner vmbsessen vnd seiner genossen vnd
„seiner vbergenossen, vnd sol (sich) daraus bereden nach des Lands
„gewonhait, als Recht ist.“
§. 8. „Es sol auch kain man gen dem andern kain vrtail gehen,
„noch kain volig tun, er sei sein hausgenosse oder sein vbergenosse,
„das Im an sein leben, oder an sein er, oder an sein aigen, oder an Le-
„hen (geet).“
§. 63. „Es sol niemand gegen dem andern sagen, er swer e einen
„aid, vnd sag dann bei dem aide, das Im da kund vnd gewissen sei; vnd
„sol auch niemand auf den andern sagen, er sey dann sein Hausgenoss
„oder vbergenoss, vnd sol die frag (? sag) offenbar geschehen.“
§. 64. „Es sol der Landesherr kain frag haben, wann das ist
„nicht Recht. Irrt (?) yemand icht, der sol das elagen in offner
„Schrann mit vorsprechen, vnd sol man richten, als recht ist nach des
„Landes gewonhait. Er mag aber wol nach rat der Herren in dem
„Lande ain frag haben auf schedlich leut, davon das Land gerainigt
„werd. Wann man des ze rat wirt, so sol auch die frag sein über
„sechs wochen vnd nicht dahinder, vnd sol auch die frag künden in
„dem Lantgericht, vor den pharren, auf den merkten, also das alles
„das darkäm, das aigen rucke habe, vnd wer darüber nicht kümbt,
„den sol man dafür haben, das er das Gerücht flieche, vnd nicht für
„Recht getar; man bered In dann, das in eehaft not Irre.“
Die §§. 2 und 3 enthalten die Norm über den privilegirten
Gerichtsstand der Grafen, Freien und Ministerialen, d. h. dass sie
150
Di', v. Meiller.
vor Niemand anderen als dem Landesfürsten zu Recht zu stehen
haben. — Dieses Vorrecht wurde den Genannten schon in Otokar's
Landfrieden vom Jahre 1252 zugestanden. Eine Kränkung desselben
durch Herzog Albrecht I. (der ja eben die Hofteidinge eingeführt
haben soll) müsste nachgewiesen werden, wollte man der Aufnahme
dieser Bestimmungen ins Landrecht irgend wie eine oppositionelle
Tendenz unterlegen. — Die Appellation der Gr a fen, Freien
und herzoglichen Ministerialen an Kaiser u n d R e i ch,
bestand wirklich zu Recht, mindestens bis zu jener Zeit, zu
welcher landesfürstlicher Seits die Geltendmachung der österreichi
schen Hausprivilegien in ihrer ganzen Tragweite versucht und nach
und nach durchgeführt wurde. Ich erinnere z. B. an die Entscheidung
des bekannten Streites zwischen den beiden herzoglich österreichi
schen Ministerialen Konrad von Pilichdorf und Albero von Puchaim
wegen des Dapiferates in Österreich, welcher in letzter Instanz
vor König und Reich, vor König Rudolf I. auf dem Reichstage zu
Erfurt 1290 geschlichtet wurde. — Ich gestehe frei, dass ich für
meinen Theil die oppositionelle Tendenz der Bestimmungen der
§§. 4, 8, 64, 65 und 85 nicht herausfinden kann. Die Bestimmungen
des §. 4 betreffen zudem Grafen, Freie und herzogliche Ministerialen
gar nicht, die des §. 8 und 65 aber wenigstens nicht ausschliesslich.
Sie beziehen sich überhaupt auf jeden Mann der vor Gericht Red
und Antwort geben durfte.
§. 40. „Es sol dehain Landes Herr (? Lantrichter) auf dehaines
„Grafen guet, auf dehaines freien guet, noch auf dehaines Dienstmannes
„guet, diezeRecht ze demLant gehörent, ob sie ez inUrbar haben, oh
„sie ez verlihen, ob sie ez in Vogtei haben, nilit ze schaffen haben. Ist aber
„auf dem vorgenanten guet ieman, der den fod verdienet hat, den sol
„der Landrichter an dem Herrn vodern, auf dez guet er gesessen ist,
„und sol in davon gewinnen, als recht ist nach Gewohnheit des Lands,
„und sol dem Herrn daz guet lassen und sol nur vher den Man
„richten.“
Dieser Paragraph ist aus der älteren Compilation entnommen;
der jüngeren fehlt er gänzlich. — Das Wort „Landesherr“, auf
das es hauptsächlich ankömmt, wenn man schon von einer opposi
tionellen Tendenz dieses Paragraphs sprechen wollte, steht zwar in
der That in der Handschrift. Allein der unmittelbar folgende Satz mit
dem Wörtchen: „aber“ zeigt, besonders im Zusammenhalte mit den
Über die Entstehungszeit des österr. Landrechts. 151
Bestimmungen der §§. 2, 3 und 85, unstreitig, dass hier und zwar
offenbar aus Verschulden des Copisten Landherr statt Land
richter geschrieben sei. Ich habe auf diesen Umstand durch Ein
schaltung dieses Wortes am betreffenden Orte meiner Ausgabe auf
merksam gemacht. Ich erinnere wiederholt an die mannigfaltigen
Fehler ähnlicher Art in den drei bis jetzt veröffentlichten Hand
schriften, und dass besonders in Ludewig’s Ausgabe an einigen Orten
die Worte: Landesherr und Landesherren, Landherrn
unsicher gebraucht werden.
§. 40. „Wir seczen vnd gepieten, das der Lanndesherr die
„Herren von dem Land nicht dringe, ze varn hervber das gemerkch,
„er tue es dann mit gut oder mit pete, wann dicz Land ain
„recht march ist.“
Auch in dieser Bestimmung kann ich keine besondere Feind
seligkeit gegen den Landesfürsten erkennen. Ein solches Gewohn
heitsrecht zu Gunsten der Grafen, Freien, ja seihst der herzoglichen
Ministerialen kann ja bestanden haben. Österreich war ja auch
wirklich eine Marke des deutschen Reiches. Vollständiger Klarheit
über die Verfassungsverhältnisse der Marken können wir uns aber
bis jetzt noch immer nicht erfreuen. Man könnte beinahe sagen,
dass die Hausprivilegien eine Art Analogon zu Gunsten des Landes
fürsten Österreichs dem Reiche gegenüber enthalten.
§. 67. „Ist das der Landesherr sein Hausgenosse wil angreuffen
„von gewalt oder von vbermut, so sol Im weder graf, noch frey,
„noch dinstman nicht helffen, noch niemand in dem Land, wann sein
„aigen Leut, vnd die er erpiten mag vnd erkauften mit seim Gut.
„Wil aber In sein Hausgenosse angreuffen mit gewalt vnd mit vnreeht,
„so sullen Im alle, die in dem Land sind, das Land helfen ze weren,
„vnd das gemerkch, als verr als sein Leib vnd gut wert.“
Erstens ist es wohl nicht ganz sicher, dass es in diesem Paragraph
mit Recht heisse: der Landesherr. Wie, wenn etwa zu lesen wäre:
ein Landesherr. Der Landesherr , der Landesfürst hat als solcher
wohl keinen Hausgenossen, Standesgenossen im Lande; man müsste
darunter nur allenfalls Glieder seiner Familie selbst verstehen. Aber
zugegeben auch, Wortlaut und Sinn des §. 67 wären wirklich in
jener Art richtig , so verschwindet wohl der Gedanke, seine Bestim
mungen könnten von, vom Oppositions-Geiste erfüllten Vasallen aus
gegangen sein, wenn man seinen Schlusssatz berücksichtigt.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXL Bd. II. Hft. H
152
Dr. v. M ei Mer.
§. 36. „Wir seczen vnd gepieten, das kain Landesherr Jemant
„kain vest erlawb ze pawen an der Lantherrn Rat.“
Auch hier ist nur von einem anzuhörenden Rat he der Landherrn
die Rede. Allein dieser Paragraph ist an und für sich nicht ohne
Redenken als Relegstelle zu gebrauchen. Der folgende §.70 stellt
nämlich sein ganzes Gewicht in Frage, indem in diesem die Bewilli-
gung zum Rau einer Burg oder Veste (idem nach §. 35) ganz
allein als von dem Landesfürsten abhängig erwähnt wird. Über
haupt zeigt sich in den Bestimmungen des Landrechts über den
Bau von Vesten im Lande durch die Ministerialen,
dieser Hauptvehikel zum Widerstand , zur Opposition gegen den
Landesherrn, eine Tendenz welche jeder allzufreien Bewegung sehr
praktisch und wirksam entgegentritt. — Es ist hierzu nämlich vor
Allem die Bewilligung des Landesfürsten erforderlich (zugegeben
den Beirath der Landherren) §. 70 und 36.— Eine neu zu erbauende
Veste muss mindestens eine Raste weit von jeder andern entfernt
sein, sonst lässt der Landesherr sie brechen. (§. 34.) (Eine Rast
nach Schmeller zwei Meilen oder drei Gehstunden.)-— Wer als Bitt
steller um den Bau einer neuen Veste einschreitet, muss naclnveisen,
dass er in der Gegend 30 Pfund Pfennige jährliches Einkommen von
Grund und Boden besitze. — Keine geringe Summe damals. — Beim
Baue selbst darf er die Landleute (Bauern) auf keine Weise schädigen
(§. 35). —Alle Burgen und Vesten endlich, die seit den letzten
20 Jahren von wem immer erbaut worden, sollen ohne Weiteres
abgebrochen werden. (§. 53.) — Ebenso auch überhaupt
alle und jede Befestigungen an Kirchen, mit einziger Ausnahme jener
an Kirchen, welche unmittelbar an der Landesgrenze stehen. (§.44.)
Solche gesetzliche Bestimmungen können doch ihren Ursprung, ihre
Entstehung nicht im Lager oppositioneller, ihre Machtstellung dem
Landesfürsten gegenüber zu erweitern, ja selbst nur zu behaupten
suchender Vasallen genommen haben ?
§. 81. „So soll auch kain edlman nicht maut geben, weder auf
„wasser, noch auf Land. Was er in seim Haus essen oder trinken
„wil, das sol er vmb den Landesherren dienen mit seinem schilt.“
Auch deroppositionelle Geist dieses Paragraphsist mir nicht recht
einleuchtend. Für dieses Vorrecht leisten ja die Ministerialen etwas
entgegen — sie bekennen sich zur Pflicht der Heeresfolge. Welche
Kosten für sie damit verbunden waren, das möge man aus Seifrid
Über die Entstehungszeit des österr. Landrechts.
IÖ3
Helbling's 6. Gedichte entnehmen, wo er die Ministerialen des Landes
Österreich durchgeht, und ihnen, sie nach ihrem Einkommen ab
schätzend, vorschreibt, mit wie viel Mann bei des Herzogs Aufgebot
ein jeder zu erscheinen habe.
Wenn ich zu den so eben gemachten Bemerkungen schliesslich
noch erinnere, dass in keinem einzigen Paragraphe des
Landrechts von einem den Landesfürsten beschränkenden Bewil
ligungsrechte, einem von ihm einzuholenden Consense der
Ministerialen die Rede ist, ja dass nur in drei Fällen (§. 8S, 64
und 36) der Beirath derselben erwähnt werde, so muss man zugeben,
dass diese Opposition eine sehr zahme genannt werden müsste. Ich
wenigstens finde den oppositionellen Geist der fraglichen Bestim
mungen des Landrechts nicht heraus, sie scheinen mir im Gegentheil
mit den im heiligen römischen Reiche deutscher Nation bis dahin
zur Entwicklung gediehenen staatsrechtlichen Verhältnissen und
Begriffen in ganz gutem Einklänge zu stehen.
Dies sind demnach im Wesentlichen die Gründe, welche mich
zu der Erklärung bewogen haben, dass ich dem Ergebnisse der
gegentheiligen Untersuchung über die Entstehungszeit des Land
rechts nicht beitreteu könne — dass ich die ihren Schlussfolge
rungen zu Grunde gelegten Daten zum Theil als nicht beweiskräftig
genug, zum Theil aber auch nicht als erwiesen ansehen könne.
SITZUNG VOM 9. JULI 1856.
Vorgelegt:
Das wirkliche Mitglied Dr. von Meiller legt für die Denk
schriften eine Abhandlung vor, betitelt: „Die Herren von Hin db erg
und die von ihnen abstammenden Geschlechter Ebersdorf und
Pilichdorf“.
Unter den verschiedenen Aufgaben deren Lösung den vater
ländischen Geschichtsforschern obliegt, ist es, wie der Verfasser
bemerkt, die Geschichte der österreichischen Adels-
geschlechter, sowohl der noch dermalen blühenden, als der
bereits erloschenen, welcher sich bisher verhältnissmässig noch am
wenigsten der Fleiss gründlicher Bearbeitung zugewendet habe.
Die Hauptursache davon liege wohl in den hierzu unerlässlichen, Zeit
und Geduld so sehr in Anspruch nehmenden genealogischen
Studien welche durch ihre Trockenheit und überdies so häufige
Erfolglosigkeit manche Forscher eher abschrecken als anlocken. Die
Grundlage jeder Geschichte eines Adelsgeschlechtes sei unstreitig
die Feststellung der Genealogie, des Stammbaumes desselben, welche
ins Reine gebracht werden müsse, bevor man in irgend einer Rich
tung weiter Vorgehen könne. Wie könnten Wachsthum an Grund
besitz und Vermögen, Einfluss und Stellung im Staate eines Ge
schlechtes genügend erklärt und gewürdigt werden, bevor nicht jenes
Fundament so sicher als möglich gelegt sei. Dieses Ziel sei aber
begreiflich nur dann zu erreichen, wenn hunderte, ja tausende von
Urkunden durchforscht werden, um bruchstückweise den Stoff zu
solchem Bau aufzufinden.
Die Herren von Hindberg.
155
In neuerer und insbesondere neuester Zeit sei nun aber das zur
allgemeinen Benützung bereits zugänglich gewesene urkundliche
Materiale so bedeutend vermehrt worden, dass es nachgerade die
Mühe lohnen dürfte, die Ergebnisse der Forschungen früherer genea
logischer Schriftsteller durch das aus diesem Zuwachse dafür Ge
winnbare zu ergänzen und zu berichtigen. Dass insbesondere
Letzteres Notli thne, bedürfe für den Kundigen keiner Rechtfer
tigung.
Als ein Versuch dieser Art möge die überreichte Abhandlung
angesehen werden. Sie zerfalle in zwei Abtheilungen. Die
erste behandelt das Geschlecht der Herren von Hindberg, eines
der ältesten österreichischen Adelsgeschlechter, dessen Stammsitz
das zwei Meilen südöstlich von Wien gelegene Himberg war, von
ihrem ersten Erscheinen um das Jahr 1120 bis zu dem Zeitpuncte,
als die beiden Brüder Konrad und Ulrich von Hindberg dieses ihr
Stammschloss an Herzog Friedrich II. von Österreich, den Streitbaren,
verkauften, was im Jahre 1243 geschah.
Jeder dieser beiden Brüder, genöthigt sich eine neue Heimath
zu gründen, wurde in Folge dessen der Stammvater einer eigenen
Linie, oder da sie den alten Familiennamen mit einem neuen ver
tauschten, eigentlich besser gesagt der eines eigenen Hauses.
Ulrich von Hindberg wurde der Stammvater des von der
Veste Pilichdorf (V. U. M. B.) sich nennenden, eine Zeit lang das
Erbland-Truchsässen-Amt von Österreich bekleidenden Edel
geschlechtes. Es theilte sich im Laufe der Zeit in drei Linien,
welche sich nach ihren Wohnsitzen Pilichdorf (V. U. M. B.),
Watenstein (V. 0. W. W.) und Rauhenstein bei Baden (V. U.
W. W.) nannten, und von denen die erstere mit Herrn Reimprecht
von Pilichdorf im Jahre 1361, die zweite um das Jahr 1345 mit den
beiden Vettern Ulrich und Hartneid den Pilichdorfern von Waten
stein, die dritte endlich im Jahre 1386 mit Heinrich dem Pilich-
dorfer von Rauhenstein ausstarb.
Konrad von Hindberg dagegen wurde der Stammvater des
noch weit angeseheneren, mächtigen und einflussreichen Hauses der
Herren von Ebersdorf (Kaiser-Ebersdorf im V. U. W. W. bei
Wien) Erbland-Kämmerer in Österreich, welches bis in
die zweite Hälfte des XVI. Jahrhunderts als eines der ersten des
Landes blühte, und mit den beiden Brüdern Reinprecht, Comthur
156
Di*. Pfizmaier.
des Johanniter-Ordens, gestorben im Jahre 1554, und Sigmund,
gestorben am 3. Oetober 1556, zweien in der Friedens- und Kriegs
geschichte Österreichs ihrer Zeit ruhmvoll genannten Männern
erlosch.
Die zweite Abtheilung behandelt das Haus Pilichdorf bis
zum Erlöschen aller seiner drei Linien, das Haus Ebersdorf aber
nur in seinen beiden ersten Generationen ausführlich, jedoch mit
Beigabe eines vollständigen Stammbaumes des Letzteren.
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche von der
Versammlung der Reichsfürsten in Schin bis zu der Versamm
lung von Ping-khieu. (Vom Jahre 337 bis 329 vor Christo)
Von dem w. M., Herrn Dr. Pfizmaier.
VORWORT.
Während des neunjährigen Zeitraumes von der Versammlung
der Reichsfürsten in Schin (538 vor dir. Geb.) bis zu der Ver
sammlung von Ping-khieu (529 vor dir. Geb.) wurde die anfänglich
zwischen den Reichen Tsin und Tsu getheilte Oberherrschaft that-
sächlich von dem letzteren geübt. Das von dem Geschichtschreiber
Gelieferte besteht daher vorzugsweise in Beiträgen zu den Verhält
nissen des Reiches Tsu, so wie zu der Charakterzeichnung des für
deren Gestaltung massgebenden Königs Ling, des „Ärgsten unter
den Treulosen“, wie Scho-hiang ihn nennt.
Zu den grösseren politischen Ereignissen dieses Zeitabschnittes
gehören der (537 vor Chr. Geb.) misslungene Angriff auf das erst
seit Kurzem organisirte Reich U und die Vernichtung der Reiche
Tschin (534 vor Chr. Geb.) und Tsai (531 vor Chr. Geb.) durch
Tsu. König Ling erfuhr übrigens den Abfall seines eigenen Volkes
und endete (529 vor Chr. Geb.) durch Selbstmord, worauf Tsin
zur Wiederherstellung seiner früheren Oberherrschaft die Reichs
fürsten zu einer Versammlung nach Ping-khieu berief, der letzten,
welche dieses Reich vor seiner bald nach der Periode des Tscliün-
tsieu erfolgten Zerstückelung zu bewerkstelligen im Stande war.
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
157
=f EP 1. Das Jahr desCyklus (537 vor Chr. Geb.). Fünftes
Regierungsjahr des Fürsten Tschao von Lu.
In diesem Jahre starb King, Fürst von Tschin, ihm folgte
sein Sohn, Fürst Ngai.
Der Yorsteher der Pferde Heu spricht über den Fürsten Tschao.
„Der Fürst reiste nach Tsin. Von dem Empfange an dem
Weichbilde bis zu der Beschenkung liess er niemals ausser Acht die
Gebräuche“.
Bei dem gegenseitigen Besuche der Reichsfürsten bildet der
Empfang an dem Weichbilde der Hauptstadt den Anfang der Feier
lichkeiten, die Beschenkung deren Schluss.
„Der Fürst von Tsin sprach zu Niü-scho-tsi: Der Fürst von
Lu, ist er nicht auch bewandert in den Gebräuchen?“
„Jener antwortete: Wie sollte der Fürst von Lu die Gebräuche
kennen?“
„Der Fürst sprach: Wie ist dieses zu verstehen? Jemand, der
von dem Empfange an dem Weichbilde bis zu der Beschenkung nie
mals zuwiderhandelt den Gebräuchen, warum sollte er sie nicht
kennen ?“
„Jener antwortete: Es sind die Formen. Es lässt sich nicht
sagen, es seien die Gebräuche.“
„Die Gebräuche sind dasjenige, wodurch man bewahrt das
Reich, führt die Regierung und nicht verliert das Volk.“
„Jetzt befindet sich die Regierung bei den Häusern. Er ist
nicht im Stande sie zu führen.“
Die Regierung des Reiches Lu war damals in die Hände einiger
Grossen des Reiches übergegangen.
„Es gibt einen Mann wie Tse-kia-khi. Er ist nicht im Stande,
ihn zu verwenden.“
Üi Tsi-kia-khi ist I-pe, der Urenkel des
Fürsten Tschuang von Lu. Fürst Tschao verstand es nicht, diesen
weisen Mann in seinem Dienste zu verwenden.
„Er verletzt den Vertrag der grossen Reiche.“
158
Dr. Pfizmaier.
Der Vertrag ist der zwischen den Reichen Tsin und Tsu
geschlossene Friedensvertrag von Sung.
„Er beschimpft und behandelt grausam das kleine Reich.“
Im ersten Jahre der Regierung des Fürsten Tschao hatte Lu
das Reich Khiü angegriffen und die Stadt Yün erobert.
„Er macht sich zu Nutzen das Unglück der Menschen.“
Im vorhergehenden Jahre hatte Lu wieder das Reich Khiü
angegriffen und die Stadt '|||'|} Tsing erobert.
„Er kennt nicht seine persönlichen Angelegenheiten. Das
Haus des Fürsten ist getheilt in vier Theile.“
Die drei Reichsminister von Lu hatten das Land und dessen
Einkünfte in vier Theile getheilt, von denen sie einen Theil für den
Fürsten, drei Theile für sich selbst bestimmten.
„Das Volk wird ernährt von Anderen.“
Da der Fürst von Lu hinsichtlich seines Unterhaltes selbst auf die
Häuser der drei Reichsminister angewiesen und von den Menschen
des Volkes nicht verschieden ist, so wird dieses nicht von ihm ernährt.
„Die Gedanken richtet Niemand auf den Fürsten. Man sorgt
nicht für dessen gutes Ende. “
Da die Gedanken der Minister nicht dem Fürsten gelten, so
sorgen sie auch nicht dafür, dass er ein gutes Ende nehmen werde.
„Er ist der Herr des Reiches. Wenn Unglück erreichen soll
seinen Leib, so kümmert er sich nicht um seinen Wohnplatz.“
Fürst Tschao trägt in diesem Falle keine Sorge für das Reich
und kümmert sich nicht um das Volk.
„Die Wurzel und die Spitze der Gebräuche sollen hierin
bestehen.“
Die Gebräuche bestehen in den eben angegebenen Dingen: der
Sorge für das Reich und in dem Kummer um das Volk.
„Er aber hat sich allmählich gewöhnt an die Formen, und ist
dann hastig.“
„Du sagtest, dass er bewandert in den Gebräuchen: ist er
ihnen nicht auch ferne?“
„Die Weisen hielten dafür, dass Scho-heu hierdurch an den
Tag gelegt seine Kenntniss der Gebräuche.“
/ j^ /Jsj£ Scho-heu ist Niü-scho-tsi. Das Reich Tsin litt um
diese Zeit an ähnlichen Gebrechen wie das Reich Lu, indem Fürst
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
159
Ping von Tsin ebenfalls die Regierung aus den Händen gelassen
hatte. Indem daher Niü-scho-tsi den Fürsten von Lu zu tadeln vor
gibt, tadelt er eigentlich den Fürsten von Tsin.
Scho-hiang achtet nicht auf Tsu.
„Han-siuen-tse von Tsin reiste nach Tsu als Begleiter der
Tochter. Scho-hiang war dessen Genosse.“
Im vorigen Jahre hatte Tsiao-khiü für den König Ling von Tsu
um eine Tochter des Hauses Tsin angehalten. Nachdem der Fürst
von Tsin in das Begehren gewilligt, entsandte er in diesem Jahre
die Tochter nach Tsu in Begleitung der zwei genannten Abgesandten.
-J- / j=|* Han-siuen-tsi ist Han-khi, erster Reichs
minister von Tsin.
„Tse-pi und Tse-tai-scho von Tsching bewillkommneten ihn
in So-sehi.“
So-schi, ein Gebiet des Reiches Tsching, durch
welches der Weg nach Tsu den Gesandten führte. $£ ~f Tse-pi
und f Tse-tai-scho, Prinzen von Tsching.
„Tai-scho sprach zu Scho-hiang: Der König von Tsu ist schon
übermiithig im höchsten Grade: mögest du dich vor ihm hüten.“
„Scho-hiang sprach: Wenn er schon übermüthig ist im höch
sten Grade, so ist dieses das Verderben seines Leibes: wie könnte
er noch den Menschen etwas anhaben?“
„Wenn ich darreiche meine Seidenstoffe, wenn ich überwache
meine Würde, meinen Anstand, wenn ich es bewahre durch die
Treue, wenn ich es übe durch die Gebräuche, wenn ich ehrerbietig
bin im Anfang und denke an das Ende, dann ist am Ende nichts,
das nicht verrichtet.“
„Ich folge, aber lasse nicht ausser Acht den Anstand. Ich bin
ehrerbietig, aber lasse nicht ausser Acht die Würde. Ich leite
es durch Worte der Belehrung. Ich überreiche es gemäss den alten
Vorschriften. Ich untersuche es nach der Weise der alten Könige.
Ich erwäge es nach Massgabe der zwei Reiche. Dann, wie über
müthig er auch sein möge, was kann mich dieses angehen?“
„Als er in Tsu ankam, versammelte der Fürst von Tsu an dem
Hofe die Grossen seines Reiches und sprach: Der Landesherr von
160
l)r. Pfizmaier.
Tsin ist unser Feind. Wenn ich nur meine Absicht erreichen
könnte, ich kümmerte mich um nichts anderes.“
„Diejenigen, welche ankommen, sind der erste Reichsminister,
der erste Grosse des Reichs.“
„Wenn ich Han-khi machen könnte zum Thorwächter, Yang-
sche-he machen zum Vorsteher des Palastes, so genügte dieses,
um Tsin zu beschimpfen. Ich würde dann auch meine Absicht errei
chen. Lässt sich dieses ausführen?“
Yang-sche-he ist Scho-hiang. Indem der König dieses sagt,
will er Han-siuen-tse die Füsse abschneiden und ihn das Thor des
Palastes bewachen lassen, ferner will er Scho-hiang der „Strafe
des Palastes“ unterziehen und ihn zum Haupte der Eunuchen machen.
„Die Grossen des Reiches antworteten nicht.“
„Wei-khi-khiang sprach: Es lässt sich ausführen.“
Wei-khi-khiang, ein Grosser des Reiches Tsu.
Er will seinen Tadel aussprechen und stellt sich, als ob er dem
Könige beistimmte.
„Wenn du dich nur dabei vorgesehen hast, warum sollte es sich
nicht ausführen lassen?“
„Einen gemeinen Mann kann man nicht beschimpfen, ohne sich
vorgesehen zu haben: um wie viel mehr gilt dieses, wenn man
beschimpfen will ein Reich!“
„Desswegen Hessen die höchstweisen Könige es sich angelegen
sein, zu üben die Gebräuche. Sie trachteten nicht, zu beschimpfen
die Menschen.“
„Rei den Erkundigungen am Hofe hatte man Steintafeln. Bei
dem Erscheinen zum Empfange hatte man Halbtafeln.“
Der Gesandte, der sich an dem Hofe des Himmelssohnes erkun
digte, hielt in den Händen eine runde Tafel von weissem Edelstein,
welche er dem Könige überreichte. Bei dem Empfange eines Gastes
Hess der Himmelssohn Wein und Speisen auftragen, wobei der Gast
die Hälfte einer runden Tafel von weissem Edelstein in den Händen
hielt.
„Der Kleinere berichtete, was seines Amtes. Der Grössere
machte Rundreisen um die Verdienste.“
Die Kleineren heissen die Reichsfürsten, welche bei der Auf
wartung an dem Hofe des Himmelssohnes über die Geschäfte ihres
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
161
Amtes Bericht erstatteten. Der Grössere ist der Himmelssohn, der
Rundreisen machte, um die Verdienste der Reichsfürsten kennen
zu lernen.
„Man stellte eine Bank, aber man setzte sich nicht. Die Becher
wurden gefüllt, aber man trank nicht.“
Dieses geschah bei dem Empfange. Man gab dadurch zu ver
stehen, dass es sich hier einzig um die Gebräuche handle.
„Bei dem Feste hatte man Güter der Freundschaft. Für die
Speisen hatte man doppelte Dreifüsse.“
Bei dem zu Ehren des Gastes veranstalteten Feste bezeugte der
Himmelssohn dem Gaste seine Freundschaft durch das Geschenk
kostbarer Güter. Indem er eine grössere Anzahl Speisen in dreifüs-
sigen Gefässen auftragen liess, bezeugte er dem Gaste seine Auf
merksamkeit.
„Für den Eintretenden hatte man die Bewillkommnung an dem
Weichbilde, für den Austretenden hatte man die Besehenkung.“
„Dieses war die Ausbildung der Gebräuche. Der Untergang
der Reiche und Häuser hat seine Ursache in der Gewohnheit, sie
ausser Acht zu lassen. Unglück und Unordnung erheben in diesem
Falle ihr Haupt.“
Bis hierher die Begründung des Ausspruches, dass die höchst
weisen Könige sich die Gebräuche angelegen sein Hessen. In dem
Folgenden wird gezeigt, dass derjenige, der Andere beschimpft,
für alle Fälle vorgesehen sein müsse.
„Nach der Waffenthat von Tsching-po war Tsin ohne Vorsicht
gegenüber Tsu. Desswegen wurde es geschlagen in Pi.“
„Nach der Waffenthat von Pf war Tsu ohne Vorsicht gegenüber
Tsin. Desswegen wurde es geschlagen in Yen.“
Yen ist Yen-ling, das Gebiet, auf welchem Tsu durch das Heer
von Tsin seine letzte Niederlage erlitt.
„Seit den Tagen von Yen hat Tsin nicht auser Acht gelassen
die Vorsicht. Es verband vielmehr mit ihr die Gebräuche, es ver
doppelte sie durch Eintracht.“
Die Eintracht bezieht sich auf das Verhältniss zwischen dem
Landesherrn und dessen Ministern.
„Desswegen war Tsu nicht im Stande, sich zu helfen, und es
trachtete nach einer Verbindung.“
162
Dr. Pfizmaier.
„Jetzt, nachdem die Verbindung durch die Vermählung bereits
erfolgt, wenn man es noch wollte beschimpfen und dadurch herauf
beschwören die Feindschaft, wie verhielte es sich dann mit der Vor
sicht? Was fiele wohl schwerer in die Wagschale als dieses?“
„Besitzt man die rechten Menschen, so lässt es sich tliun, dass
du es beschimpfest. Besitzt man die rechten Menschen nicht, so
mögest du, o Herr, es auch bedenken.“
Die rechten Menschen sind weise Männer, welche als Gegner
des Reiches Tsin auftreten können.
„In wie fern Tsin dir jetzt dient, o Herr, kann ich vollständig
dir sagen.“
„Du begehrst die Fürsten des Reichs, und sie kommen zu
dir in Schaaren. Du begehrst die Vermählung von ihm, und es bietet
dir die Tochter. Der Landesherr begleitet sie in eigener Person. Der
erste Reichsminister und der erste Grosse des Reichs bringen sie
herbei.“
„Wenn du es dessenungeachtet willst beschimpfen, so hast du
dich dabei auch vorgesehen. Ist dieses nicht der Fall, wie wäre es
wohl ausführbar?“
„Die Menschen von Tsin, wenn sie verlieren sollten Han-khi
und Yang-he, so werden sie den Zügel schiessen lassen ihrem krie
gerischen Zorn und rächen diese grosse Schmach.“
„Pe-hoa steht ihnen bei mit seinem Rathe, Tschung-hang-pe
und Wei-schü stehen an ihrer Spitze: es ist nichts, was sie nicht
ausrichten. “
äp: Pe-hoa ist Yang-sche-tschhi, der ältere Bruder Scho-
hiang’s. ffitr I 1 Tschung-hang-pe ist der Sohn fSfli Siün-
u.
yen’s, Namens U.
Wei-schü ist IM m
Wei-hien-tse, der Sohn Wei-kiang’s.
„Du, o Herr, wirst die Annäherung verwandeln in Hass. In der
That, durch die Ausserachtlassung der Gebräuche beschleunigst du
die Feindschaft und hast dich dabei noch nicht vorgesehen. Du heis
sest uns Minister hingehen und uns überliefern als Gefangene, damit
wir durchsetzen helfen deinen Willen, o Herr. Warum sollte dieses
sich nicht ausführen lassen?“
„Der König sprach: Hierin habe ich gefehlt. Mögest du, der
Grosse des Reichs, mich nicht beschämen.“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
163
„Man behandelte Han-tse mit Auszeichnung.“
„Der König wollte Scho-hiang zum Besten haben mit Dingen,
welche dieser nicht wusste, aber er vermochte es nicht.“
Scho-hiang wusste alles, um was ihn der König fragte.
„Man behandelte ihn ebenfalls mit Auszeichnung.“
Kiue-yeu fürchtet nicht das Bestreichen der Trommel mit Blut.
„Der Fürst von Tsu bekriegte U. “
Im Winter dieses Jahres richteten Ling, König von Tsu, die
Fürsten von Tsai, Tschin, Hiü, ijjJ| Schön, Schin, ferner die Be
wohner der Reiche Siü und Yue einen Angriff gegen das
ßeich U. Derselbe war die erste eigentliche Verletzung des Vertrages
von Sung, jedoch wird dagegen geltend gemacht, dass U als ein
barbarisches oder halbbarbarisches Reich in diesem Vertrage nicht
einbegriffen gewesen.
„Der Fürst von U hiess seinen jüngeren Bruder Kiue-yeu das
Heer bewillkommnen.“
j^j ]Kiue-yeu ist der jüngere Bruder des Fürsten I-moei
von U. Die Bewillkommnung pflegte bei dem Anrücken eines be
freundeten Heeres oder eines solchen, dessen Absicht zweifelhaft
war, nicht aber bei einem offenbaren feindlichen Einfalle stattzu
finden.
„Die Menschen von Tsu ergriffen ihn. Sie wollten mit seinem
Blute die Trommel bestreichen.“
Der König von Tsu war im Begriffe, ihn wie einen Gefangenen,
der keine Gnade findet, zu behandeln. Ein solcher wurde nämlich
getödtet und man bestrich mit seinem Blute die Kriegstrommeln.
„Der König liess ihn fragen: Als du die Schildkrötenschale
branntest wegen deines Kommens, war das Ergebniss glücklich?“
„Jener antwortete: Es war glücklich. Unser Landesherr hörte,
dass du, o Herr, dich üben werdest in den Waffen gegen unsere
niedrigen Städte. Er brannte desswegen die Schale einer Schild
kröte der Bewahrung.“
Die Schildkröte der Bewahrung heisst eine Schildkröte, deren
Schale gebrannt wird, wenn es sich um die Bewahrung des Reiches
handelt.
164
Dp. Pf i zm ai e r.
„Es hiess: Wir lassen eiligst einen Menschen bewillkommnen
das Heer und bitten um den Kriegszug, damit wir sehen, ob der
Zorn des Königs heftig oder schwach und diesem gemäss treffen
können unsere Vorkehrungen. Wir können es wohl erfahren.“
Dieses die Worte, welche durch das Brennen der Schildkröten
schale zum Vorschein kamen.
„Die Vorhersagung durch die Schildkröte lautete also günstig.
Es heisst: Wir können es erfahren.“
„Wenn du, o Herr, grossmüthig und in Freundschaft entgegen
gekommen wärest dem abgesandten Minister, so hättest du wachsen
lassen bei ihrer Gefahr die Sorglosigkeit unserer niedrigen Städte,
und sie hätten vergessen auf das Loos ihres Todes. Der Untergang
wäre erfolgt in kurzer Zeit.“
„Jetzt, da du, o Herr, aufbrausend, donnernd und blitzend dich
überliessest deinem Zorne, da du ergriffest mich abgesandten Mini
ster, da du mit meinem Blute bestreichen willst die Trommel, so
weiss U, gegen was es Vorkehrungen zu treffen hat. Sind unsere
niedrigen Städte auch unansehnlich, wenn wir bei Zeiten sie befe
stigen, so können wir aufhalten euer Heer.“
„Gegen schwere und leichte Zufälle haben wir getroffen die
Vorkehrungen, es lässt sich sagen: Das Ergebniss war glücklich.“
„Auch wurde wegen der Landesgötter von U gebrannt die
Schildkrötenschale: wie wäre es allein wegen eines einzelnen
Menschen ?“
„Ich der abgesandte Minister werde gefangen und man be
streicht mit meinem Blute die Trommeln des Heeres, aber unsere
niedrigen Städte wissen, wogegen sie ihre Vorkehrungen zu treffen
haben und können sich rüsten gegen das Unvorhergesehene: welches
Ergebniss ist wohl glücklicher?“
„Die Schildkröten für die Bewahrung der Reiche, in welchen
Angelegenheiten wird ihre Schale nicht gebrannt ? Man ist einmal
glücklich, das andere Mal unglücklich. Wer könnte es hier zu einer
Beständigkeit bringen ?“
„Die Vorhersagung von Tsching-po wurde vergolten durch Pf.“
Vor der Schlacht von Tsching-pö erhielt Tsu durch das Bren
nen der Schildkrötenschale ein günstiges Ergehniss und wurde gleich
wohl geschlagen. Die Vorhersagung wurde jedoch erfüllt durch die
Schlacht von Pf, in welcher Tsu siegte.
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. 165
„Jetzt, für den gegenwärtigen Kriegszug haben wir fortwährend
die Absicht der Vergeltung.“
„In Folge dessen tödtete man ihn nicht.“
„In diesem Kriegszug traf U bei Zeiten seine Vorkehrungen.
Tsu kehrte zurück ohne kriegerisches Verdienst.“
„Sie zogen heim mit Kiue-yeu.“
Kieue-yeu wurde nach Tsu gebracht. Im neunzehnten Jahre
des Fürsten Tschao von Lu wurde derselbe in seine Heimath U ent
lassen.
* L*- Das Jahr desCyklus (536 vorChr. Geb.). Sechstes
Regierungsjahr des Fürsten Tschao von Lu.
Sclio-kiang sendet Tse-tschan einen Brief.
„Die Menschen vonTsching gossen das Strafgesetzbuch in Erz.“
Tse-tschan, welcher damals der Regierung des Reiches Tsching
Vorstand, Hess dreifüssige Gefässe mit dem Texte des Strafgesetz
buches giessen. Der Inhalt desselben erhielt dadurch die Geltung
von Reichsgesetzen.
„Scho-hiang schickte Tse-tschan durch einen Abgesandten
einen Brief. Dieser lautete: Im Anfänge rechnete ich auf dich. Jetzt
hat dieses ein Ende.“
Scho-hiang von Tsin hatte früher immer geglaubt, dass er Tse-
tschan von Tsching werde zum Muster nehmen können.
„Die früheren Könige in früheren Zeiten schafften Rath bei
Vorkommenheiten durch Verordnungen. Sie verfertigten keine
Strafgesetzbücher.“
Die alten Könige richteten ihr Augenmerk auf die Vorfälle und
verordneten die Strafen nach ihrem Ermessen. Sie erklärten sich
nicht im Voraus durch Anfertigung von Strafgesetzbüchern.
„Sie fürchteten, dass das Volk fassen werde ein Herz zum
Streite, und dass man ihm dann noch weniger werde können wehren.“
Wenn die Gesetze früher bekannt geworden wären, so hätte
das Volk wegen deren Auslegung streiten können. Es wäre daher
noch weniger möglich gewesen, die Streitigkeiten zu verhindern.
„Desswegen zogen sie ihm eine Schranke durch die Ge
rechtigkeit. Sie richteten es empor durch die Regierung. Sie behan-
166
Dr. Pfizmaier.
delten es nach den Gebräuchen. Sie bewahrten es durch die Treue.
Sie huldigten ihm durch Menschlichkeit.“
„Sie erliessen Verordnungen in Bezug auf Gehalte und Eliren-
stufen, um aufzumuntern zum Gehorsam.“
„Sie entschieden mit Strenge in Sachen der Strafe, um abzu
schrecken von Übertretungen.“
„Sie fürchteten, dass dieses noch nicht Alles. Desswegen
belehrten sie die Menschen durch Aufrichtigkeit. Sie ermunterten sie
durch Beispiele. Sie unterrichteten sie mit Anstrengung. Sie leisteten
ihnen Dienste mit Freuden. Sie überwachten sie mit Achtung. Sie
regierten sie mit Kraft. Sie richteten sie mit Strenge.“
„Ausserdem suchten sie höchst weise und verständige oberste
Würdenträger, scharfsinnige Obrigkeiten, treue und redliche Älteste
des Volkes, wohlwollende und gütige Vorsteher. Dem Volke kann
man auf diese Weise Zutrauen schenken, und es heisst nicht ent
stehen Unglück und Unordnungen.“
„Wenn das Volk weiss, dass es Gesetze gibt, so fürchtet es
nicht die Höheren.“
Wenn das Volk weiss, dass die Vorgesetzten nicht das Mass
des Gesetzes überschreiten dürfen, um schuldig zu sprechen, eben
so wenig wie sie von dem Gesetze abweichen dürfen, um Gnade
angedeihen zu lassen, so wird das Ansehen, in welchem früher die
Personen standen, auf das Gesetz übertragen und das Volk verliert
die Furcht vor seinen Vorgesetzten.
„Alle haben ein Herz zum Streite. Sie suchen die Bestätigung
in dem Buche und rechnen es sich zur Ehre, etwas durchzusetzen.
In diesem Falle lässt sich nicht regieren.“
Da das Gesetzbuch Stellen von zweifelhaftem Sinne enthält,
so wird das Volk geneigt, in Bechtssachen zu streiten. Es glaubt,
Verdienst erworben zu haben, wenn die Lüge zur Wahrheit wird
oder der Schuldige der Strafe entgeht.
„Die Hia hatten eine unordentliche Regierung, und man verfasste
das Strafgesetz des Yü.“
Als die Dynastie Hia sich schon zum Verfalle neigte, benützte
man die unter dem König Yü von Hia vorgekommenen Fälle zur Aus
arbeitung eines Strafgesetzbuches.
„Die Schang hatten eine unordentliche Regierung, und man
verfasste das Strafgesetz des Thang.“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
167
Auf ähnliche Weise bildeten die unter der Regierung des
Königs Thang von Scliang zur Entscheidung gekommenen Fälle die
Grundlage eines zweiten Strafgesetzbuches.
„Die Tsclieu hatten eine unordentliche Regierung, und man
verfasste das Ruch der neun Strafen.“
Die Grundlage dieses Ruches bildeten wieder die zu den Zeiten
der Könige Wen und Wu von Tseheu vorgekommenen Fälle.
„Der Ursprung dieser drei Gesetzsammlungen fällt durchaus
in die Zeit der mittleren Geschlechtsalter.“
Das erste Geschlechtsalter einer Dynastie ist das Aufblühen
derselben, das letzte deren Verfall und Untergang. Das mittlere
Geschlechtsalter liegt also zwischen Aufblühen und Untergang.
„Jetzt stehst du, mein Sohn, zur Seite in der Regierung des
Reiches Tsching. Du errichtetest Erdwälle und zogest Wassergräben.“
Dieser Abmarkung der Felder durch Tse-tschan wurde im
dreissigsten Jahre des Fürsten Siang von Lu Erwähnung gethan.
„Du gründetest eine geschmähte Regierung.“
Im vierten Jahre des Fürsten Tschao von Lu belegte Tsehe-
tschan das Land mit einem neuen Tribute, wofür er von den Bewoh
nern desselben geschmäht wurde.
„Du bearbeitetest die drei Gesetzsammlungen.“
Tse-tschan hatte seinem Gesetzbuche die Gesetze der oben
genannten drei Dynastien zu Grunde gelegt.
„Du gossest das Strafgesetzbuch in Erz und willst dadurch
beruhigen das Volk: ist dieses nicht auch unmöglich?“
„In einem Gedichte heisst es:
Ein treffliches Gesetz die Tugend König Wcn’s:
Alltäglich schenkt sie den vier Gegenden die Ruh’!“
„Es heisst ferner:
Ein treffliches Gesetz ist König Wen,
Zu ihm zehntausend Länder voll Vertrau’n!“
„Wenn es sich so verhält, wozu bedürfen wir der Gesetze?“
„Wenn das Volk einmal kennt die Ausgangspuncte des Streites,
so wird es hintansetzen die Gebräuche und die Bestätigung suchen
in dem Buche.“
„Mit der Spitze scharfer Schwerter wird es streiten auf das
Ausserste. Unordnungen und Streitigkeiten werden dann überhand
nehmen. Geschenke und Bestechungen kommen an die Tagesordnung.“
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXI. ßd. II. Hfl. \%
168
Dr. Pfizmaier.
„Wenn zu Ende sein wird dein Geschlechtsalter, wird das
Reich Tsching verderben.“
Das Ende des Geschlechtsalters ist hier die Zeit, in welcher
Tse-tschan aufhören wird das Reich Tsching zu regieren.
„Ich He habe es gehört: Wenn Reiche zu Grunde gehen sollen,
so haben sie viele Gesetze. Dieses lässt sich hier sagen.“
„Jener beantwortete den Brief wie folgt: Es ist, so wie du
sagst. Ich Kiao besitze keine Gaben. Ich hin nicht im Stande, zu
sorgen für die Söhne und Enkel, ich komme zu Hilfe meinem Zeit
alter.“
„Indem ich mich nicht richte nach deinem Befehle, darf ich
wohl vergessen deine grosse Güte?“
Scko-kiang bittet, dem Prinzen von Tsu entgegen zu ziehen.
„Han-siuen-tse begab sich nach Tsu. Die Menschen von Tsu
zogen ihm nicht entgegen.“
Dieses geschah im vorhergehenden Jahre. Tsu hatte keinen
Abgesandten geschickt, ihn an der Grenze zu empfangen.
„Der Prinz Khi-tsf gelangte an die Grenzen von Tsin.“
Khi-tsf ist der Sohn des Königs Kung von Tsu.
„DerFürst von Tsin wollte ebenfalls nicht entgegen ziehen lassen.“
„Scho-hiang sprach: Tsu hat Unrecht, wir haben Recht.
Warum sollten wir nachahmen das Unrecht?“
„In einem Gedichte heisst es:
An das, was ihr uns lehrt,
Das ganze Volk sich kehrt.“
„Man richtet sich nach uns einfach: warum sollten wir nach
ahmen das Unrecht der Menschen?“
„In dem Buche heisst es: Die Höchstweisen sind das Muster.“
Dieses kein Citat aus den Schu-king, sondern aus einem andern
unbekannten Buche.
„Es ist immer besser, man nimmt zum Muster die guten Men
schen. Aber sollte man zum Muster nehmen können das Unrecht der
Menschen?“
„Wenn der gewöhnliche Mann Gutes thut, so nimmt ihn das
Volk lieber zum Muster: um wie viel mehr wird es dieses bei dem
Gebieter des Reichs?“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
169
„Der Fürst von Tsin billigte dieses. Hierauf zog man Jenem
entgegen.“
ft pq 3, das Jahr des Cyklus (535 vor Chr. Geb.). Sie
bentes Regierungsjahr des Fürsten Tschao von Lu.
Schin-wu-yü ergreift einen entlaufenen Thorwiichtcr.
„Als der Fürst von Tsu noch Ling-yün war, verfertigte er eine
königliche Fahne und jagte.“
Prinz Wei, Regierungsvorsteher von Tsu, der spätere König
Ling, hatte die Anmassung, sich auf der Jagd einer königlichen Fahne
zu bedienen.
„Der Thsien-yün Wu-yü zerschnitt sie und sprach: Ein Reich,
zwei Landesherren, wer könnte dieses ertragen?“
-'f- 4m Wu-yü ist der Name 4m ft) Schin-wu-yü’s,
des Thsien-yün's von Tsu.
„Als jener den Thron bestieg, baute er den Palast der glän
zenden Rlumen.“
-1- | - __I_-
König Ling gab diesem neuen Palaste den Namen EEE ipj
Tschang-hoa (die glänzenden Rlumen).
„Er gewährte die Aufnahme entlaufenen Menschen und füllte
ihn mit ihnen an.“
Er machte den Palast zu einer Freistätte, indem diejenigen,
welche sich wegen eines Verbrechens geflüchtet hatten, daselbst
Aufnahme fanden.
„Der Thorwächter Wu-yü’s trat daselbst ein.“
Die Thorwächter wurden damals aus der Zahl der Personen
genommen, welchen zur Strafe die Füsse abgeschnitten worden
waren. Ein solcher Verbrecher, der bei Scbin-wu-yü den Dienst
eines Thorwächters versah, hatte sich ebenfalls in diesen Palast
geflüchtet.
„Wu-yü ergriff ihn.“
Er nahm den Flüchtling in dem Palaste fest.
„Der Aufseher gab ihn nicht heraus und sprach: Einen Men
schen ergreifen in dem Palaste des Königs, dieses Verbrechen ist
ein grosses.“
12
170
Dr. Pfizmaier.
„Er ergriff ihn und führte ihn vor den König.“
Der Aufseher des Palastes nahm seinerseits Schin-wu-yü fest.
„Der König wollte eben Wein trinken. Wu-yü hielt einen Vor
trag wie folgt: Der Himmelssohn ordnet die Grenzen der Welt. Die
Reichsfiirsten berichtigen die Grenzen ihrer Lehen. So sind die An
ordnungen der alten Zeit.“
„Innerhalb der Lehensgrenzen und der Weltgrenzen, was ist
nicht das Land eines Landesherrn?“
„Von denen, die verzehren das Haar der Erde, wer ist nicht
der Diener eines Landesherrn?“
Das Haar der Erde sind die Erzeugnisse des Bodens.
„Der Himmel besitzt zehn Tage.“
Zehn Tage sind die aus zehn cyklischen Zeichen bestehende
Decade.
„Der Mensch besitzt zehn Rangstufen.“
Von dem Himmelssohne bis zu dem Arbeiter der Terrasse werden
hier zehn gleich unten verzeichnete Rangstufen angenommen.
„Die Niederen dienen somit den Höheren. Der Höchste huldigt
somit den Göttern.“
Der Höchste dient Niemanden, als den Göttern des Himmels.
„Desswegen hat der König zu Dienern die Fürsten.“
Die Fürsten sind die fünf Classen der Reichsfürsten.
„Die Fürsten haben zu Dienern die Grossen des Reichs.“
„Die Grossen des Reichs haben zu Dienern die Staatsdiener.
Die Staatsdiener haben zu Dienern die Vollzieher.“
Von den zwei hier genannten Classen haben die Ersteren die
Anordnung der Geschäfte, die Letzteren die Vollziehung derselben.
„Die Vollzieher haben zu Dienern die Zwischenträger. Die
Zwischenträger haben zu Dienern die Boten.“
„Die Boten haben zu Dienern die Gehilfen. Die Gehilfen
haben zu Dienern die Knechte. Die Knechte haben zu Dienern die
Arbeiter der Terrasse.“
Dieses die aufgestellten zehn Rangstufen der Menschen.
„Die Pferde haben Hüter. Die Rinder haben Hirten. Alles
damit besorgt werden die hundert Angelegenheiten.“
„Jetzt gibt es einen Aufseher, der sagt: Warum ergreifst
du einen Menschen in dem Palaste des Königs?“
„Wo sollte ich ihn denn sonst ergreifen?“
Notizen «aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
171
„In den Vorschriften des Königs Wen von Tscheu heisst es:
Wo einer entläuft, veranstalte man eine grosse Jagd.“
König Wen will, dass man die Menge aufbiete, um eines ent
laufenen Verbrechers habhaft zu werden.
„Hierdurch gelangte er in den Besitz der Welt.“
„Unser früherer König Wen erliess eine Vorschrift hinsicht
lich der versteckten Menschen.“
Dieser König war König Wen von Tsu.
„Diese lautet: Der Hehler, bei dem der Räuber sich versteckt,
hat mit dem Räuber gleiche Schuld.“
„Hierdurch wurde er belehnt mit dem Ju.“
Unter König Wen von Tsu wurde die Grenze dieses Reiches im
Norden bis an die Ufer des Flusses Ju vorgeschoben.
„Wenn ich mich richten wollte nach diesem Aufseher, so könnte
ich nirgends festnehmen meinen entlaufenen Diener.“
„Wenn man die Entlaufenen frei lässt, so wird es keine Haus
diener geben und keine Arbeiter der Terrasse.“
Einer würde dann das Beispiel des Andern nachahmen und man
könnte die Menge der Entlaufenen gar nicht mehr festnehmen.
„Erleidet dann die Sache des Königs nicht auch Schaden?“
„Einst verzeichnete König Wu die Verbrechen des Königs
Tschheu und meldete es den Fürsten des Reichs.“
Dieses geschah in dem Capitel des grossen Schwures.
„Er sprach: Tschheu ist der Beschützer aller Entlaufenen unter
dein Himmel. Sie sammeln sich bei ihm wie in einem Abgrund der
Wasser, wie in einem Dickicht.“
Alle Verbrecher schaaren sich um den König Tschheu, gleich
Fischen, welche dem Abgrund zuschwimmen, oder gleich wilden
Thieren, welche in die Dickichte fliehen.
„Desswegen wagten die Menschen gegen ihn das Leben.“
„Der Herr und König begehrt jetzt das erste Mal die Fürsten
des Reichs, und er nimmt zum Muster den König Tschheu: es kann
nicht anders als misslingen.“
„Wenn ich ihn nehmen wollte gemäss dem Gesetze der beiden
Wen, so ist der Räuber bereits geborgen.“
Die Könige Wen von Tscheu und Wen von Tsu befehlen, den
entlaufenen Verbrecher aufzugreifen. Indem König Ling den Räu
ber bei sich versteckt, ist er selbst ein Räuber.
172
Dr. Pfizmaier.
„Der König sprach: Nimm deinen Diener und entferne dich.
Ich der Räuber habe ein Vorrecht. Du kannst meiner nicht habhaft
werden.“
„Hierauf verzieh er ihm.“
Der Fürst kommt zurück aus Tsn.
„Der Fürst von Tsu vollendete die Terrasse der glänzenden
Blumen.“
Diese Terrasse gehörte zu dem in dem vorigen Abschnitte
erwähnten Palaste der glänzenden Blumen.
„Er wollte mit den Reichsfürsten die Eröffnung feiern.“
Er wollte die Reichsfürsten in Tsu versammeln und bei dieser
Gelegenheit die Vollendung des Baues durch ein Opfer feiern.
„Der grosse Haushofmeister Wei-khi-khiang sprach: Ich bin
im Stande, den Fürsten von Lu herbeizuschaflfen.“
„Wei-khi-khiang kam und berief den Fürsten.“
„Er hielt einen Vortrag wie folgt: Einst gab euer früherer Lan
desherr Fürst Tsching einen Befehl Ying-tsi, unserem früheren Gros
sen des Reichs, indem er sprach: Ich werde nicht vergessen die
Freundschaft unseres früheren Landesherrn. Ich werde heissen
Heng-fu überglänzen das Reich Tsu, beruhigen dessen Landesgötter,
zufrieden stellen euer Volk.“
Dieses geschah im zweiten Jahre des Fürsten Tsching von Lu.
Fürst Tsching hatte Ying-tsi, Prinzen von Tsu, bei seiner Zusammen
kunft mit ihm versprochen, einen Grossen seines Reiches Namens
Heng-fu nach Tsu als Gesandten zu schicken.
„Ying-tsi empfing den Befehl in Scho.“
Scho ist ein Gebiet des Reiches Lu. Nach der Schlacht
von Ngan, in welcher das Heer von Tsi geschlagen wurde, richtete
Ying-tsi, Prinz von Tsu, einen Angriff gegen die Reiche Wei und Lu.
Der Fürst von Lu hiess Meng-siin das Heer von Tsu durch Ge
schenke beschwichtigen, worauf Heng-fu als Geisel gestellt ward
und Tsu mit Lu und den übrigen damals betheiligten Reichen in Scho
einen Vertrag schloss.
„Seit der Zeit, wo wir dieses vollendet, wagten wir nicht, es
fallen zu lassen, und wir meldeten es in den Tempeln der Ahnen.“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
173
„Vor Tagen streckte unser früherer Landesherr, König Kung,
den Hals aus und blickte nach dem Norden. Tage und Monde ver
brachte er mit Hoffen.“
„Es wechselten den Rang und überliessen einander den Platz
bis auf den heutigen Tag vier Könige.“
Die vier Könige sind die Könige Kung, Kharig, der Regent
Kia-ngao und der gegenwärtige König Ling.
„Die ausgezeichnete Gnade ist noch nicht erfolgt.“
Tsu hat von dem Fürsten von Lu noch keinen Resuch erhalten.
„Rlos Fürst Siang beschämte uns und blickte herab auf unsere
Trauer.“
Als König Khang von Tsu starb, reiste Fürst Siang von Lu
allerdings nach Tsu, um den Trauerfeierlichkeiten beizuwohnen.
„Der Verwaiste mit seinen zwei oder drei Ministern war
betrübt im Herzen und bar der Überlegung.“
„Nicht einmal für unsere Landesgötter hatten wir Zeit: um wie
viel weniger konnten wir im Innersten denken an die Tugend eures
Landesherrn?“
„Wenn du jetzt, o Herr, in eigener Person einherschreiten
wolltest mit deinem kostbaren Fusse, wenn du mit deinem Resuche
beschämen wolltest unseren Landesherrn, wenn du deine Gunst und
deinen Geist übertragen wolltest auf das Reich Tsu, damit zur Wahr
heit werde die Dienstleistung von Scho und geübt die ausgezeichnete
Gnade des Landesherrn, so wird unserem Landesherrn schon zu Theil
die Verleihung: wie dürfte er erst hoffen auf Scho? Die Geister
eurer früheren Landesherren würden in derThat gütig dir vertrauen :
wie wäre es allein unser Landesherr?“
„Wenn du aber, o Herr, nicht solltest kommen, so bitte ich,
der abgesandte Minister, fragen zu dürfen um die Zeit, wo wir
sollen anrücken.“
„Unser Landesherr wird darreichen Seidenstoffe und Seide und
dich besuchen in Scho, damit er bitte um die Verleihung des früheren
Landesherrn.“
Wei-khi-khiang gibt zu verstehen, dass Tsu in diesem Falle das
Reich Lu angreifen werde.
„Der Fürst reiste nach Tsu. Der Fürst von Tsching bewill-
kommnete ihn an der Heerbrücke.“
174
Dr. Pfizmaier.
Fürst Tschao reiste aus Furcht nach Tsu. Sein Weg führte ihn
durch das Reich Tsching, woselbst Fürst Kien von Tsching ihn bei
dem Thore der Hauptstadt bewillkommnete.
„Meng-hi-tse war der Genosse. Er konnte die äusseren Ge
bräuche nicht beobachten.“
r^n Meng-hi-tse ist ^11 ^ cjü Tschung-sün-khio,
der Sohn Hiao-pe's. Dieser in den Gebräuchen gänz
lich unbewanderte Mann begleitete den Fürsten von Lu auf des
sen Reise.
„Man gelangte nach Tsu. Er konnte nicht antworten bei der
Rewillkommnung an dem Weichbilde.“
Er bekundete hier wieder seine Unkenntniss der Gebräuche.
Tsc-tschan überlässt die Felder von Tsehhen an Tsin.
„Tse-tschan gab im Namen Fung-schi’s die Felder von Tschheu
zurück an Han-siuen-tse.“
Die Felder von Tschheu lagen an der Grenze der Reiche
Tsin und Tsching. Im dritten Jahre des Fürsten Tschao von Lu hatte
Tsin diese Felder dem Fürstenenkel Tuan zum Geschenk ge
macht. Im gegenwärtigen Jahre war Tuan gestorben. Dessen Sohn
Ö Fung-schi liess jetzt durch Tse-tschan dieselben Han-
siuen-tse, dem ersten Reichsminister von Tsin, anbieten.
„Er sprach: Einst hielt euer Landesherr diesen Fürstenenkel
Tuan für fähig, sich zu unterziehen seinen Geschäften, und er
beschenkte ihn mit den Feldern von Tschheu.“
„Jetzt hatte dieser kein Glück, und er ging zeitlich heim bei
den Geschlechtsaltern. Es war ihm nicht vergönnt, lange zu gemessen
die Wohlthat eures Landesherrn.“
„Sein Sohn getraut sich nicht, sie zu behalten. Er getraut sich
auch nicht, um Gehör zu bitten euren Landesherrn. Er bietet dir aus
eigenem Antrieb sie dar.“
„Siuen-tse weigerte sich, sie anzunehmen.“
„Tse-tschan sprach: Die Alten hatten ein Sprichwort: Das
Holz, welches der Vater spaltet, ist der Sohn nicht im Stande zu
tragen.“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
175
„Schi wird sich fürchten, dass er nicht im Stande zu ertragen
seines Vorfahren Glück: um wie viel weniger ist er im Stande zu
ertragen das Geschenk eines grossen Reiches?“
Schi ist Fung-schi’s Name. Fung-schi, ohne Tugend,
fürchtet, dass er nicht im Stande sein werde sich in der Würde
seines Vaters zu behaupten, so wie der kraftlose Sohn nicht für
seinen Vater das Brennholz tragen kann.
„Gesetzt, du, mein Sohn, führst die Regierung, so wäre es
noch möglich.“
So lange Han-khi der Regierungsvorsteher in Tsin, liesse es
sieh noch thun, dass Fung-schi die Felder von Tschheu nicht zurück
gebe.
„Die nachfolgenden Menschen, wenn sie mit uns reden sollten
ein Wort hinsichtlich der Grenzen, so würden unsere niedrigen
Städte verwickelt werden in Schuld, und das Geschlecht Fung würde
anheimfallen einer grossen Strafe.“
Die künftigen Regierungsvorsteher von Tsin würden Tsching
die Felder wieder wegnehmen und dieses Reich zur Rede stellen.
Ebenso würde das Haus Fung-schi wegen seiner Anmassung gestraft
und vernichtet werden.
„Wenn du, mein Sohn, annehmen wolltest Tschheu, so wür
dest du entkommen heissen der Schuld unsere niedrigen Städte und
einsetzen das Geschlecht Fung. Ich wage es, darum zu bitten.“
„Siuen-tse nahm sie an.“
Tsc-tschan erhebt Liang-tscbhi, om das Volk zu beruhigen.
„Die Menschen von Tsching schreckten einander mit Pe-yeu.“
6 Pe-yeu ist der Jünglingsname Liang-siao’s,
Sohnes des Fürstenenkels ijpj[ Tschf von Tsching. Im dreissigsten
Jahre des Fürsten Siang von Lu floh Liang-siao, der als hochmüthig
und dem Trünke ergeben geschildert wird, in Folge eines Streites
mit dem Fürstenenkel He in das Reich Hiü, drang von dort in
das Reich Tsching und machte einen Angriff auf das Haus des Für
sten, der die Vernichtung des Reiches zum Zwecke batte. Der Angriff
misslang und Liang-siao wurde im Kampfe getödtet. Die Einwohner
von Tsching fürchteten sich seitdem von dessen Geist.
176
Dr. P f i z m a i e r.
„Wenn Jemand sagte: „Pe-yeu ist gekommen,“ so ergriffen
Alle die Flucht, ohne zu wissen wohin.“
„Im zweiten Monate des Jahres, in welchem das Strafgesetzbuch
gegossen ward, träumte Jemanden, dass Pe-yeu gepanzert einher
ging und sprach: Am Tage neun und vierzig bringe ich den Tod
über Tai. Das nächste Jahr, am Tage neununddreissig bringe ich
wiederden Tod über Tuan.“
^ Tai ist Sse-tai, der Liang-siao im Vereine mit
=? Tse-si getödtet hatte. Der Fürstenenkel Tuan
hatte mit Sse-tai an dem Kampfe gegen Liang-siao theilgenommen.
„Am Tage neun und vierzig starb Sse-tai.“
Der Traum ging in Erfüllung. Dieses geschah im dritten Monate
des vorhergehenden Jahres.
„In dem Monate, in welchem Tsi und Yen Friede schlossen, an
dem Tage neununddreissig starb der Fürstenenkel Tuan.“
Dieses geschah im ersten Monate des gegenwärtigen Jahres.
Tsi hatte kurz vorher das Reich Yen angegriffen und hierauf mit
ihm Friede geschlossen.
„Die Menschen des Reichs fürchteten sich jetzt noch mehr.“
„Tse-tschan erhob den Fürstenenkel J und Liang-tschhi, um
sie zu beruhigen.“
Der Fürstenenkel I ist der Sohn des Prinzen Vtj Kia,
dessen Jünglingsname JL T Tse-khung. Tse-khung wusste
von dem Überfalle des westlichen Palastes, wobei die drei Reichs
minister von Tsching getödtet wurden, unterliess jedoch, davon die
Anzeige zu machen. Später bewegte er das Heer von Tsu zu einem
Einfalle in Tsching zu dem Zwecke, die Grossen dieses Reiches zu
beseitigen. Im neunzehnten Jahre des Fürsten Siang von Lu stellten
sich Tse-tschan und Tse-sf an die Spitze des Heeres so wie der
Rewohner des Reiches und tödteten ihn. jfcJt Liang-tschhi ist der
Sohn Pe-yeu's. Tse-tschan erhob den Fürstenenkel I und Liang-
tschhi zu der Wurde von Grossen des Reiches, um die Manen Tse-
khung’s und Pe-yeu’s zu versöhnen.
„Hierauf hatte alles ein Ende.“
Pe-yeu erschien jetzt nicht mehr als Geist.
„Tse-tai-scho fragte ihn um die Ursache.“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
177
Tse-tai-scho ist Yeu-ke.
„Tse-tschan sprach: Wenn der Verstorbene weiss, wo er
einkehren soll, so erscheint er nicht als böser Dämon. Ich ver
schaffte ihm eine Einkehr.“
Indem Liang-tschhi in die Rechte der Familie eingesetzt wurde,
erhielt Pe-yeu einen Platz in dem Ahnentempel, woselbst seine Nach
kommen ihm opferten. Der Ahnentempel ist daher der Ort, wo der
Verstorbene einkehren kann.
„Tai-scho sprach: Wie verhält es sich aber mit dem Fürsten
enkel I?“
Tse-khung war niemals als Dämon aufgetreten, gleichwohl
wurde dessen Sohn, der Fürstenenkel I, wieder eingesetzt.
„Tse-tschan sprach: Hierdurch erkläre ich mich.“
Er will seine Handlungsweise gegenüber dem Volke recht-
fertigen.
„Dort, wo mangelt das Recht, sorge ich für eine Erklärung.“
Pe-yeu war im Leben ungerecht und trat nach dem Tode als
böser Dämon auf. Indem man dessen Nachkommenschaft einsetzte,
war zu befürchten, dass das Volk hierdurch der Herrschaft des
Aberglaubens unterworfen werden würde. Da aber zugleich der
Fürstenenkel I eingesetzt wurde, so erklärte man hierdurch, dass
man Gerechtigkeit üben und die Nachkommen eines dem Untergange
geweihten Geschlechtes erhalten wolle.
„Die sieh wenden zu der Regierung, haben Gelegenheit zurück
zukehren.“
Sowohl Pe-yeu als I waren Regierungsvorsteher von Tsching.
Indem man den Nachkommen eines dem Untergange geweihten Ge
schlechtes, wie den Fürstenenkel I wieder einsetzt, wird es den
Leitern der Regierung möglich, auf den rechten Weg zurückzu
kehren.
„Ich erwerbe mir hierdurch das Wohlgefallen.“
„Wo kein Wohlgefallen, ist keine Treue. Wo keine Treue,
ist das Volk nicht gehorsam.“
„Als Tse-tschan in Tsin ankam, fragte ihn Tschao-king-tse:
Ist Pe-yeu noch immer im Stande, als Dämon aufzutreten?“
. f I I Tschao-king-tse ist Tschao-tsching,
der zweite Anführer des mittleren Heeres von Tsin.
178
Dr. Pfizmaier.
„Tse-tschan sprach: Er ist es im Stande.“
„Bei der Geburt des Menschen, im Anfänge seiner Umbildung
sagt man: die Seele.“
Die körperliche Seele ist Sehen, Hören, Bewegung undÄhnliches.
„Nachdem die Seele bereits entstanden, heisst deren Lichtstoff:
der Geist.“
Die körperliche Seele gehört zu dem Princip der Finsterniss.
Dieselbe enthält das Princip des Lichtes, welches in Bezug auf die
Seele: der Geist. Der Geist ist das Geistige, das Göttliche, der
Verstand, das Gedächtniss und Ähnliches.
„Wenn an den Dingen, welche zu Gebote stehen, vieles gei
stig, so werden Geist und Seele stark.“
Durch hohe Würden und den Genuss vorhandener Dinge er
starkt die körperliche Seele. Durch die Aufnahme des in diesen
Dingen enthaltenen Geistigen erstarkt die höhere Seele oder der
Geist.
„Desswegen steigern sich das Geistige und das Klare bis zu
dem Göttlichen und Erleuchteten.“
Durch die Ausbildung des Geistigen gelangt man zu dem Gött
lichen, durch die Ausbildung des Klaren gelangt man zu den Er
leuchteten. Das Geistige ist der Zustand des Göttlichen, welches
noch nicht zum Vorschein gekommen, das Klare der Zustand des
Erleuchteten, welches noch keinen Glanz von sieh gibt.
„Der gewöhnliche Mann, das gewöhnliche Weib, wenn sie
sterben eines gewaltsamen Todes, so sind ihre Seelen im Stande
sich zu stützen auf die Menschen und zu erscheinen in der Gestalt
böser Dämonen.“
„Um wie viel mehr Ling-siao, der Abkömmling unseres früheren
Landesherrn, des Fürsten Md.“
Der Sohn des Fürsten Md von Tsching war Prinz
Khiü-tsf mit dem Jünglingsnamen B f Tse-liang. Von diesem
stammte Pe-yeu, der Urenkel des Fürsten Md.
„Der Enkel Tse-liang’s.“
Der Sohn Tse-liang's war der Fürstenenkel jpj[ Tschhimit dem
Jünglingsnamen Tse-ni.
„Der Sohn Tse-ni’s.“
Der Sohn Tse-ni’s ist Liang-siao mit dem Jünglingsnamen Pe-yeu.
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
179
„Der Reichsminister unserer niedrigen Städte. Die sich wen
deten zur Regierung, sind drei Geschlechtsalter.“
Tse-liang, Tse-ni und Pe-yeu waren Reichsminister von Tsching
und vererbten einer auf den andern das Amt eines Vorstehers der
Regierung.
„Ist Tsching auch ein unbedeutendes Reich, so sagt dennoch
das Sprichwort: Klein ist euer Reich, aber drei Geschlechtsalter
halten in den Händen seine Regierung.“
„Die Dinge, welche jenem zu Gebote standen, waren gross
artig. Des Geistigen, das er aufgenommen, war vieles. Sein Ge
schlecht ist ebenfalls gross. Dasjenige, worauf er sich stützt, ist
etwas Gewichtiges, und er starb auch eines gewaltsamen Todes:
ist es nicht auch in der Ordnung, dass er im Stande, als Dämon
aufzutreten?“
Meng-hi-tse lässt seine Söhne die Gebräuche lernen.
„Der Fürst kam zurück aus Tsu. Meng-hi-tse kränkte sich,
weil er nicht im Stande gewesen, die Gebräuche zu beobachten.“
Wie unter den Regebenheiten dieses Jahres zu ersehen, war
Meng-hi-tse, obgleich erster Reichsminister von Lu, in den Ge
bräuchen gänzlich unerfahren. In Tsching verstand er es nicht, sich
zu benehmen, in Tsu konnte er nicht antworten.
„Er trachtete, sie zu lernen. War Jemand, der die Gebräuche
verstand, so richtete er sich nach ihm.“
„Als er sterben wollte, berief er die Grossen des Reichs und
sprach: Die Gebräuche sind die Seitenbalken des Menschen. Die
Endbalken ohne die Gebräuche lassen sich nicht aufstellen.“
Rei dem Rau einer Wand oder Mauer ward die Grundlage durch
Balken gebildet. Zu diesem Zwecke wurden Balken zu beiden Seiten,
andere wieder an den beiden Enden der Mauer aufgerichtet.
„Ich habe gehört: Es wird geben einen Verständigen Namens
Khung-khieu.“
Der die Ordnung der Dinge vollkommen verstehen wird, ist ein
Mann von der Familie -il Khung, Namens R Khieu, d. i. Con-
fucius. Meng-hi-tse sagte dieses siebzehn Jahre später, da sein Tod
erst im vier und zwanzigsten Jahre des Fürsten Tschao von Lu
erfolgte, zu welcher Zeit Confucius vierunddreissig Jahre alt war.
180
Di*. Pfiz m;i ier.
Zur Zeit der hier erwähnten Ankunft des Fürsten von Lu aus Tsu
zählte Confucius siebzehn Jahre.
„Er gehört zu den Nachkommen eines höchstweisen Mannes,
welche vernichtet wurden in Sung.“
Die Familie Khung gehörte zu den Nachkommen des Königs
Thang. Im ersten Jahre des Fürsten Hoan von Lu tödtete der Haus
hofmeister Hoa-tu von Sung den Anführer der Streitwagen Khung-
fu-kia. Der Sohn des Getödteten floh nach Lu, daher Confucius,
der Abkömmling Khung-fu-kia’s in sechster Linie in diesem Reiche
geboren ward.
„Sein Vorfahr Fe-fu-ho besass das Reich Sung und trat es ab
an den Fürsten Li.“
n & % Fe-fu-ho ist der Ururgrossvater Khung-fu-
kia’s, der Sohn des Fürsten Min und älterer Bruder des Fürsten Li
von Sung. Als ältester Sohn sollte er die Regierung antreten, ver
zichtete jedoch auf den Thron zu Gunsten seines jüngeren Bruders,
des Fürsten Li.
„Weiter abwärts Tsching-khao-fu stand zur Seite den Fürsten
Tai, Wu und Siuen.“
JE Tsching-khao-fu ist der Urenkel Fe-fu-ho’s
und Vater Khung-fu-kia’s. Er war Minister zur Seite der Fürsten
Tai, Wu und Siuen von Sung.
„Er empfing dreimal den Befehl und zeigte jedesmal grössere
Ehrfurcht.“
Durch den dritten Befehl des Landesherrn erfolgte seine Er
nennung zum ersten Reichsminister. Je höher er im Range stieg,
desto ehrfurchtsvoller zeigte er sich.
„Desswegen lautet die Inschrift auf seinen Dreifüssen: Bei dem
ersten Befehle neige ich mich. Bei dem zweiten Befehle beuge ich
mich. Bei dem dritten Befehle bücke ich mich bis zur Erde.“
Bei dem ersten Befehl ernennt der Landesherr zum Staatsdiener,
bei dem zweiten zum Grossen des Reichs, bei dem dritten zum
Reichsminister. Je höher also die Stufe, zu der man erhoben wird,
desto ehrerbietiger die äussere Haltung. Die hier erwähnten Drei-
füsse befanden sich in dem Ahnentempel Tsching-khao-fu’s.
„Ich winde mich vorbei an der Mauer und entfliehe. So wagt
auch keiner mich zu beleidigen.“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
181
Wenn man auch die Ehrfurcht zu weit treiben sollte, indem
man längs der Mauer entflieht, so hat man doch den Vortheil, dass
man von Niemanden beleidiget wird.
„Dicke Grütze war hier enthalten. Dünne Grütze war hier ent
halten. Es war die Grütze für meinen Mund.“
Dass Tsching-khao-fu sich von der in diesen Dreifüssen enthal
tenen Grütze nährte, zeigte von der äussersten Ehrfurcht und Spar
samkeit. Hier das Ende der Inschrift.
„Eine solche Ehrfurcht war hei ihm vorhanden.“
„Tsang-sün-ho pflegte zu sagen: Die höchstweisen Männer,
welche besitzen die glänzende Tugend, wenn sie nicht ihren Platz
finden unter den Geschlechtsaltern, so sind ihre Nachkommen gewiss
verständige Menschen.“
Wenn Männer wie Tsching-khao-fu nicht zu der Würde von
Landesherren gelangen, so gibt es unter ihren Nachkommen Männer,
welche das Tugendgesetz vollkommen verstehen.
„Diese werden jetzt vorhanden sein in der Person Khung-khieu’s. “
„Wenn ich erreicht haben werde mein Ende, müsset ihr Yue
und Ho-ki bringen zu dem Meister.“
Yue und St fr Ho-ki sind Meng-hi-tse’s Söhne.
„Man heisse sie ihm dienen und von ihm lernen die Gebräuche,
damit sie sich behaupten in ihrer Würde.“
Die zwei Söhne mögen Confucius als ihrem Lehrer dienen.
„Desswegen dienten Meng-J-tse und King-scho von dem süd
lichen Palaste Tschung-ni als ihrem Lehrer.“
-J- g|? Meng-J-tse ist Ho-ki, King-scho der
Sohn Yue. Der Letztere bewohnte den südlichen Palast, in Rück
sicht dessen später der Geschlechtsname fsf Nan-kung (der
südliche Palast) gebildet wurde.
„Tschung-ni sprach: Wer verbessern kann seine Fehler, ist
ein Weiser.“
„In dem Gedichte heisst es :
Als Muster wohl mit Recht der Weise dient.“
„Meng-hi-tse lässt sich jedenfalls zum Muster nehmen.“
.. Iß t 4, das Jahr des Cyklus (534 vor Chr. Geb.). Achtes
Regierungsjahr des Fürsten Tschao von Lu.
182
Dr. Pfizmai e r.
Der Meister Khuang spricht über einen redenden Stein.
„Zu Wei-yü in Tsin redete ein Stein.“
'tjfli Wei-yü, ein Gebiet des Reiches Tsin.
„Der Fürst von Tsin fragte den Meister Khuang: Warum redet
der Stein?“
Der Meister
Khuang war ein Meister der Musik.
„Jener antwortete: Ein Stein kann nicht reden. Vielleicht ist
etwas, das ihn einnimmt.“
Vielleicht ist es irgend ein Dämon, der auf dem Steine sitzt und
redet.
„Ist dieses nicht der Fall, so sind die Ohren des Volkes über
spannt.“
„Jedoch habe ich ihn ebenfalls gehört. Er sprach: Man unter
nimmt Dinge zur Unzeit.“
„Wenn Hass und Schmähworte gang und gäbe sind unter dem
Volke, so gibt es Dinge, welche keine Sprache besitzen und reden.“
Da bei der Unzufriedenheit des Volkes die Welt sich in einem
Zustande der Unnatur befindet, so können auch Dinge, denen sonst
die Sprache versagt ist, die Rede der Menschen hervorbringen.
„Jetzt sind Palast und Haus übergross und von verschwenderi
scher Pracht. Die Kraft des Volkes wird verbraucht und erstirbt.
Hass und Schmähworte machen sich geltend überall. Niemand kann
bewahren die Eigenschaften seiner Natur. Ist es nicht auch in der
Ordnung, dass der Stein redet?“
„Um diese Zeit baute der Fürst von Tsin den Palast von Khi-khi.“
Khi-khi, ein Gebiet des Reiches Tsin.
„Scho-hiang sprach: DieWorteTse-ye’s bekunden einen Weisen. “
-p Tse-ye ist der Jünglingsname des Meisters Khuang.
„Die Worte des Weisen sind wahr und finden ihre Bestätigung.
Darum bleibt der Hass fern seinem Leibe.“
„Die Worte des kleinen Menschen sind falsch und finden keine
Bestätigung. Darum kommen über ihn Hass und Unglück.“
„Wenn dieser Palast vollendet sein wird, werden die Fürsten
des Reichs abfallen, der Landesherr wird in Unglück gerathen.
Der Meister weiss dieses im Voraus.“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
183
^jf 5, das Jahr des Cyklus (533 vor Chr. Geb.). Neuntes
Regierungsjahr des Fürsten Tschao von Lu.
Der König von Tschcu heisst Tschen-hoan-pc dein Reiche Tsin einen
Verweis geben.
„Die Menschen von Kan in Tsclieu stritten mit Yen-kia von Tsin
um die Felder von Yen.“
Unter den Be\vohnern*von Kan wird ^ Siang, ein gros
ser des Reiches Tscheu, der das Gebiet Kan in Tscheu besass,
.—l— •—1 pj
gj Yen-kia ist ein Grosser des Reiches Tsin,
verstanden, f
7JP I
dessen Eigenthum das Gebiet Yen. Der Gegenstand des Streites
waren die Felder des Gebietes |g| Yen.
„Liang-ping und Tschhang-thf von Tsin stellten sich an die
Spitze der verborgenen Barbaren des Westens und bekämpften Ying.“
Die Pä (die verborgenen westlichen Barbaren)
sind die schon in dem dritten Jahre des Fürsten Siuen von Lu vor
gekommenen westlichen Barbaren von Lu-hoen, welche an die Ufer
des Flusses I versetzt worden waren, j^j Liang-ping und
Tschang-thf, zwei Grosse des Reiches Tsin, kamen Yen-
kia zu Hilfe, indem sie Ying, eine Stadt des Reiches Tscheu,
angriffen.
„Der König hiess Tschen-hoan-pe eine Rede halten in Tsin.“
Der König King von Tscheu liess dem Reiche Tsin durch J%-
'fÖ Tschen-hoan-pe, einen Grossen von Tscheu, einen Ver
weis geben.
„Diese lautete: Als wir ausgingen von den Hia durch Heu-tsf,
waren Wei, Tai, Jui, Khi und Pf unser Gebiet im Westen.“
Heu-tsf, der Gründer des Hauses Tscheu lebte im Anfänge der
Dynastie Hia. Er erhielt wegen seiner Verdienste von dem Kaiser
Schün die Reiche Wei, f|A Tai, j^j Jui, (|j£ Khi und
lp Pf.
„Als König Wu besiegte die Schang, waren Pu, Ku, Schang
und Yen unser Gebiet im Osten.“
Sitzb. rt. phil.-hist. CI. XXI. Ild. H. Hfl
a
184
Dr. P f i z; in a i e r.
Die Reiche ^ Pu, Ku, jtcj Schang und ^ Yen
befanden sich in der Nähe des Ostmeeres.
„Pa, Po, Tsu und Teng waren unser Gebiet im Süden.“
Die Reiche p Pa, Po, Tsu und ^ Teng bil
deten die südliche Grenze des Gebietes der Tscheu.
„Su, Schin, Yen und Po waren unser Gebiet im Norden.“
Die Reiche Su, /|i^ Schin, JpK Yen und ^ Po hil-
deten die nördliche Grenze des Gebietes der Tscheu.
„Wie hätte es für uns geben sollen eine Annäherung an den
Grenzen?“
Die Herrschaft der Tscheu erstreckte sich damals über alle
Länder, daher an den inneren Grenzen keine Rerührungen stattfin
den konnten.
„Die Könige Wei, Wu, Tsching und Khang setzten ein die
jüngeren Brüder von gleichen Müttern, damit sie Gehäge seien und
Schirme von Tscheu.“
„Es war auch für den Fall des Abschaffens und des Aufgebens.
Wie hätten sie gleichen sollen den bläulichen Mützen und den herab
hängenden Haaren, so dass man sie alsbald bei Seite gelegt hätte?“
Indem die genannten vier Könige ihre jüngeren Brüder in die
Lehen einsetzten, wurde auch Bedacht genommen, dass spätere
Geschlechter die Einrichtungen der früheren Könige abschaffen
könnten. Es wurde gehofft, dass die Lehenfürsten in einem solchen
Falle einsehreiten würden, und dieses war der vorzüglichste Grund
ihrer Einsetzung gewesen. Bei der Feierlichkeit, welche stattfindet,
wenn bei dem Eintritte in das männliche Alter die Mütze aufgesetzt
wird, bedient man sich den Gebräuchen gemäss einer Mütze von
blaurothem Tuche. Nachdem das herabhängende Haar zusammen
gebunden und dreimal aufgelegt worden, nimmt man die Mütze weg,
von welcher fortan kein Gebrauch gemacht wird. Das Haus des
Königs soll hier nicht als eine blaurothe Mütze und herabhängendes
Haar betrachtet werden, welche man einmal zu einem gewissen
Zwecke braucht und dann für immer aufgibt.
„Der frühere König hiess den Baumstumpf wohnen an den vier
Säumen und Zusammentreffen mit den Kobolden der Wälder.“
Der Baumstumpf ist der Staatsdiener Kuen, einer der vier
Schlechten, welche, wie im siebzehnten Jahre des Fürsten Wen von
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
185
Lu zu ersehen, durch den Kaiser Schiin an die äussersten Enden der
vier Weltgegenden verbannt wurden. Der eine der vier Schlechten
stellt hier für alle.
„Desswegen wohnten die Yerräther der Familie Yün in Kua-
tscheu.“
Die Barbaren von Lu-hoen sind die Abkömmlinge der Familie
Yün. Dieselbe wurde zugleich mit San-miao, dem vierten der
vier Schlechten, nach zu San-wei verbannt und bewohnte
seitdem das Gebiet Kua-tscheu.
„Der Oheim und Vater Fürst Hoei kehrte zurück aus Thsin und
verleitete sie zum Anzuge.“
Diejenigen Reichsfürsten, welche den Familiennamen des Him
melssohnes führen, werden von diesem „Oheim und Vater“ genannt.
Im fünfzehnten Jahre des Fürsten Hi von Lu nahm Md, Fürst von
Thsin, den Fürsten Hoei von Tsin gefangen, liess ihn aber wieder
heimkehren. Später, im zweiundzwanzigsten Jahre des Fürsten
Hi von Lu, verpflanzten Thsin und Tsin die Barbaren von Lu-hoen an
die Ufer des Flusses 1.
„Er liess sie bedrängen die Mitglieder unserer Familie Ki, ein-
dringen in unsere Weichbilde und Feldmarken : wie hätten wir sie
also aufgenommen?“
„Wenn die westlichen Barbaren sich festgesetzt haben in dem
mittleren Reiche, wessen Schuld ist dieses?“
„Heu-tsf überzog mit Grenzen und bepflanzte die Welt. Jetzt
aber herrschen in ihr die westlichen Barbaren: ist dieses nicht auch
unmöglich ?“
Heu-tsi, der Ahnherr der Tscheu, gewann die Welt, indem er
den Ackerbau einführte. Die westlichen Barbaren wollen sie gewin
nen, indem sie nur Viehzucht treiben, was ihnen gewiss unmöglich
sein wird.
„Möge der Oheim und Vater dieses überlegen. Ich gehöre zu
dem Oheim und Vater, so wie zu Kleid und Mantel die Mütze und
die Tiara gehören.“
Tsin ist gleichsam das Kleid, der Himmelssohn ist die Mütze.
„Die Bäume haben eine Wurzel, die Wasser eine Quelle. Die
Menschen des Volkes haben einen Vorsitzenden im Rathe.“
13
186
Dr. Pfizmaier.
„Der Oheim und Vater, wenn er die Mütze zerreisst, die Tiara
zerstört, wenn er die Wurzel auszieht, die Quelle verstopft, wenn
er eigenmächtig verlässt den Vorsitzenden in demRathe, wie könnten
dann selbst die westlichen und nördlichen Barbaren anders behandeln
mich, den einzigen Menschen?“
„Scho-hiang sprach zu Siuen-tse: Fürst Wen war ein Reichs
fürst dritter Classe: wie konnte er verändern die Dinge ?“
Das Verhältniss des Fürsten Wen von Tsin zu dem Himmels
sohne war ein untergeordnetes, er war daher nicht im Stande, Dinge,
wie die Zeitrechnung, die Kleider, die Farben, abzuändern.
„Er huldigte dem Sohne des Himmels und nahte ihm mit
Ehrfurcht.“
„Von dem Fürsten Wen abwärts haben die Geschlechtsalter
die geschwundene Tugend. Dennoch beleidigen sie und verachten
den Stammhalter Tscheu und stellen öffentlich zur Schau ihren Hoch-
mutli. Wenn die Reichsfürsten sich neigen zum Abfall, ist dieses
nicht auch in der Ordnung?“
„Ausserdem hat der König in seinen Worten Recht: mögest du
es wohl überlegen.“
„Siuen-tse billigte dieses. Man übergab die Felder von Yen
und sandte zurück die Gefangenen von Ying.“
Thu-khuni bittet, den Mundschenken helfen zu dürfen.
„Siün-ying von Tsin starb und sollte begraben werden in Kiang.“
Sßj Siün-ying, ein Reichsminister von Tsin, der Sohn
Tschi-ying’s. Kiang, die Hauptstadt des Reiches Tsin.
„Der Fürst von Tsin trank Wein und freute sich.“
„Der Küchenmeister Thu-kuang kam schnellen Schrittes herein,
und bat, helfen zu dürfen denjenigen, welche der Fürst für den
Weinkrug bestimmte.“
Der Name ijjjjj Thu-khuai wird in dem Li-ki durch
Thu-khuai ausgedrückt. Der Fürst hatte eben die Per
sonen bestimmt, welche den Weinkrug halten und den Gästen Wein
einschenken sollten.
„Es wurde ihm erlaubt. Sogleich schenkte er ein und gab zu
trinken den Künstlern.“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
187
Die Künstler sind die bei dein Fürsten angestellten Tonkünstler.
„Hierbei sprach er: Ihr seid die Ohren des Fürsten und sollt
vorgesetzt sein der Schärfe des Gehörs.“
„Wenn die Gestirne stehen in dem Zirkel bei eins und vier, so
nennt man dieses schmerzhafte Tage.“
das erste Zeichen des Cyklus von je zwölf, m das
vierte desselben. Die Combination mit dem ersten Zeichen des Cyklus
von je zehn ist T EP eins, die Combination mit dem zweiten
Zeichen desselben Cyklus ist # L zweiundfünfzig. Beide Tage
sind für die Reiche von schlimmer Vorbedeutung. An dem Tage
eins des Cyklus starb nämlich König Tschheu von Schang, an dem
Tage zweiundfünfzig des Cyklus verlor König Khie von Hia den
Thron.
„Der Landesherr unterdrückt alle Festlichkeit und die Musik.
Die lernenden Menschen unterbrechen ihre Beschäftigung. Es ist
wegen der Schmerzhaftigkeit.“
„Der Reichsminister und Genosse eines Landesherrn, ihn nennt
man die Schenkel und die Arme. Wenn die Schenkel und die Arme
einmal abbrechen, welcher Schmerz ist zu vergleichen mit diesem?“
Der Verlust des Reichsministers, der für den Landesherrn die
Schenkel und die Arme, bringt grösseren Schmerz, als die oben an
geführten unglücklichen Tage.
„Ihr habt dieses nicht gehört und macht Musik: ihr besitzt kein
scharfes Gehör.“
Thu-khuai gibt den Künstlern hiermit einen Verweis und schenkt
ihnen Wein zur Strafe.
„Er gab ferner zu trinken dem äusseren Günstling Pi-scho.“
J§£ Pi-scho war ein in einer auswärtigen Stadt wohnen
der Grosser des Reichs.
„Hierbei sprach er: Du bist das Auge des Landesherrn und
sollst vorgesetzt sein der Scharfsichtigkeit.“
Weil Pi-scho ein auswärtiges Amt bekleidete, sollte er sich mit
Sehen und Untersuchen befassen.
„Durch die Kleider gibt man kund die Gebräuche.“
Die Gebräuche für die Anfertigung der Kleider sind verschieden, je
nachdem Glück oder Unglück sich ereignet. Die Kleider geben also das
Dr. Pfi zmaie r.
188
Ereigniss kund, was in Bezug auf lederne Mützen, bläuliche Mützen,
hänfene Trauerkleider und Ähnliches der Fall ist.
„Durch die Gebräuche verrichtet man die Dinge.“
Sn bedient man sich der bläulichen Mützen für das Opfer, der
ledernen Mützen für die Aufwartung an dem Hofe.
„Die Dinge haben ihre Sachen.“
So sind die Thränen Sache der Traurigkeit, Gesang und Tanz
Sache der Freude.
„Die Sachen haben ihre äussere Erscheinung.“
So ist bei dem Tragen hänfener Trauerkleider die äussere
Erscheinung traurig, bei dem Tragen der bläulichen Mütze ist die
äussere Erscheinung ehrerbietig.
„Jetzt ist die äussere Erscheinung des Landesherrn nicht die
jenige seiner Sache.“
Der Fürst trinkt Wein und zeigt in der äusseren Erscheinung
Freude, während seine Sache die Traurigkeit sein sollte.
„Du aber siehst dieses nicht: du bistdesshalb nicht scharfsichtig.“
Er gibt ihm hier zur Strafe Wein zu trinken.
„Auch trank er selbst und sprach: Durch den Geschmack wird
erhalten der Lebensgeist.“
Durch Bereitung von Gegenständen des Geschmackes wird der
Mensch ernährt und dessen Lebensgeist erhalten.
„Durch den Lebensgeist werden verwirklicht die Gedanken.
Durch die Gedanken werden verwirklicht die Worte. Durch die
Worte werden kundgegeben die Befehle.“
„Ich bin in der That vorgesetzt dem Geschmack. Die zwei
Classen der aufwartenden Menschen lassen ausser Acht ihr Amt,
jedoch der Landesherr erlässt keinen Befehl: hiervon liegt die
Schuld an mir.“
Die zwei hier genannten Menschenclassen sind die Tonkünstler
und der Günstling Pi-scho. Die ersteren besitzen kein scharfes
Gehör, der letztere ist nicht scharfsichtig, sie vernachlässigen daher
ihr Amt. Der Fürst erlässt jedoch keinen Befehl hinsichtlich ihrer
Vergehen, wovon einzig Tsu-khuai die Schuld trägt, da dem hier
vorangestellten Syllogismus zufolge das Erlassen der Befehle seinen
ersten Grund in der Herstellung des Geschmackes haben würde.
Thu-khuai straft sich daher selbst, weil er als Küchenmeister sein
Amt vernachlässigt.
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
189
„Der Fürst billigte dieses. Er Hess den Wein fortschaffen.“
„Anfänglich wollte der Fürst ahsetzen das Geschlecht Tsehi
und einsetzen seinen äusseren Günstling.“
Zu dem Geschlechte /pp Tsehi gehörte Siün-ying, dessen
posthumer Name -p /|d|i Tao-tse. Der Fürst wollte den äusseren
Günstling Pi-scho zum Reichsminister ernennen. Aus diesem Grunde
hatte er der Trauer um Siün-ying nicht geachtet.
„Jetzt besann er sich eines Besseren und liess ab.“
Der Fürst ernannte Siün-lf, den Sohn Siiin- ying’s,
zum Reichsminister. In dem Kiung-than des Li-ki ist die nämliche
hier erzählte Begebenheit, jedoch mit etwas verschiedenen Neben
umständen enthalten.
p 1 p* 6 , das Jahr des Cyklus (532 vor Chr. Geb.).
Zehntes Regierungsjahr des Fürsten Tsehao von Lu.
In diesem Jahre starb Ping, Fürst von Tsin. Ihm folgte sein
Sohn I, genannt Fürst JJjT? Tsehao. Ferner starb Ping, Fürst
von Sung. Ihm folgte sein Sohn ^" Tso, genannt Fürst 7t Yuen.
lVgan-tsc ermahnt Hoan-tsc zur f bergabe der Städte.
„Luan und Kao, die Geschlechter des Fürsten Hoei von Tsi
waren dem Weine ergeben.“
Die Geschlechter Luan und |öj Kao waren Nachkom
men des Fürsten Hoei von Tsi.
„Sie schenkten Glauben im Inneren und nährten vielen Groll.“
Glauben im Inneren schenken bedeutet: den Worten der Wei
ber glauben.
„Sie waren mächtiger als die Geschlechter Tschin und Pao und
hassten diese. Tschin und Pao waren einträchtig.“
Die zwei Geschlechter ßjjä Tschin und Pao hatten mit
einander Freundschaft geschlossen.
„In Folge dessen bekämpften sie die Geschlechter Luan und Kao.“
„Tse-liang sprach: Wir gewinnen zuerst den Fürsten: wohin
sollen dann Tschin und Pao sich wenden?“
190
Dr. Pf izm aier.
R T Tse-liang war der Sohn Tse-wei’s, der
aus einer Seitenlinie des Geschlechtes Kao. Er rieth, in dem Kampfe
gegen die zwei feindlichen Geschlechter sich vor Allem des Beistan
des des Fürsten von Tsi zu versichern.
„Hierauf richteten sie einen Angriff gegen die Tigerpforte.“
Die Geschlechter Luan und Kao wollten bei dem Fürsten King
eintreten, erhielten jedoch kein Gehör, worauf sie das Thor des
Palastes angriffen. Das Thor eines fürstlichen Residenzschlosses
enthielt Abbildungen von Tigern, daher der Name: Tigerpforte.
„Ngan-ping-tschung in einem verbrämten Kleide und mit her
abhängender Mütze stand ausserhalb des Tigerthores.“
„Die vier Geschlechter riefen ihn zu sich. Er ging zu keinem
von ihnen.“
Jede der kämpfenden Parteien wollte Ngan-ping für sich ge
winnen.
„Seine Leute sprachen: Wirst du helfen Tschin und Pao?“
„Er sprach: Was ist wohl an ihnen Gutes?“
„Wirst du helfen Luan und Kao?“
„Er sprach: Sind diese etwa besser?“
„Also wirst du dich zurückziehen?“
„Er sprach: Der Landesherr wird angegriffen: wohin sollte ich
mich zurückziehen?“
„Der Fürst berief ihn zu sich, dann erst trat er ein.“
„Es entstand ein Kampf bei dem Altäre des Getreides.“
Der Fürst befahl 1?^! I- Weng-he, die Geschlechter Luan
und Kao an dem Orte, an welchem Heu-tsf, dem Ahnherrn der
Tscheu, geopfert wurde, zu bekämpfen.
„Luan und Kao wurden geschlagen. Tschin und Pao theilten
sich in deren Haus.“
Die Geschlechter Luan und Kao entflohen, Tschin und Pao
theilten sich in das Besitzthum der Besiegten.
„Ngan-tse sprach zu Hoan-tse: Ihr müsset es dem Fürsten über
geben.“
„Die Verzichtleistung ist die vorzüglichste der Tugenden. Die
Verzichtleistung nennt man eine liebreiche Tugend.“
„Alles, was mit Blut begabt und mit Odem, hat eine Neigung
zum Streite. Desswegen kann man sich des Nutzens nicht mit
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
191
Gewalt beineisten). Es ist besser, man denkt an die Gerech
tigkeit.“
„Die Gerechtigkeit ist die Grundlage des Nutzens.“
Wo Gerechtigkeit geübt wird, entsteht der Nutzen von selbst.
„Wo man den Nutzen abscliliesst, entsteht Unheil. Wollt ihr
nicht vorerst bewirken, dass es keine Abschliessung gebe? So habt
ihr noch die Möglichkeit des Wachsthums und der Dauer.“
„Hoan-tse übergab alles dem Fürsten.“
¥ 11 Hoan-tse ist ¥11 m Tschin-hoan-tse aus dem
Geschlechte Tschin.
^ |pj- 7, das Jahr des Cyklus (531 vor Chr. Geb.). Eilftes
Regierungsjahr des Fürsten Tschao von Lu.
Scho-hiang macht Vcrnunftschlüssc hinsichtlich des Königs ling von Tsn.
„Der Prinz Khi-tsi stellte sich an die Spitze eines Heeres und
belagerte Tsai.“
Als Ling, König von Tsu, im Sommer dieses Jahres sich in
Schin aufhielt, entbot er den Fürsten von Tsai zu sich. Dieser, der
Warnungen seiner Grossen nicht achtend, leistete Folge. Der König
von Tsu legte gepanzerte Krieger in den Hinterhalt, welche den
Fürsten von Tsai bei dessen Ankunft in Schin festnahmen und tödteten.
Der Tschün-tsieu erzählt dieses mit den Worten: „Sommer, vierter
Monat, Tag 54. Khien, Fürst von Tsu, verlockt Puan, Fürsten von
Tsai, und tödtet ihn in Schin.“ Der Fürst von Tsai war, wie gleich
unten zu ersehen, keineswegs schuldlos, über die That selbst be
zeugt der Tschün-tsieu seinen Abscheu durch die Setzung von
Khien, was der kleine Name des Königs von Tsu. Ebenso ist
Puan der kleine Name des Fürsten von Tsai. Gleich nach dieser That
befahl der König dem Prinzen Khi-tsf, das Reich Tsai anzugreifen.
„Han-siueri-tse fragte Scho-hiang: Wird Tsu siegen?“
„Jener antwortete: Es wird siegen. Der Fürst von Tsai ist
eines Verbrechens schuldig gegen seinen Landesherrn, und er vermag
nichts über sein Volk.“
Im dreissigsten Jahre des Fürsten Siang von Lu hatte der ge
genwärtige Fürst Ling von Tsai seinen Vater, den Fürsten King
192
Dr. Pfizmaier.
getödtet und von dem Throne Besitz genommen. Der neue Fürst
konnte die Zuneigung des Volkes nicht gewinnen.
„Der Himmel wird leihen seinen Arm Tsu, damit er ihn ernie
drige. Warum sollte es nicht siegen?“
„Jedoch habe ich He gehört: Zu einem Glücke kommen ohne
Treue, ist nicht zweimal möglich.“
„Der König von Tsu führte ein den Enkel U und strafte Tschin.“
Der Enkel U ist der Thronfolger /|>Ep Tao, Sohn des
Thronfolgers m fi Yen-ssi und Enkel des Fürsten Ngai von
Tschin. Im ersten Jahre des Fürsten Tschao von Lu hatten die
Prinzen ^77 Schao und Ko den Thronfolger Yen-sse getödtet
und in dessen Würde den Prinzen Lieu eingesetzt, worauf Ngai,
Fürst von Tschin, sich aus Kummer das Leben nahm. In demselben
Jahre entsandte Lieg, König von Tsu, den Prinzen -Yjf- Khi-tsi
mit einem Heere, damit er den Sohn des Getödteten, den Prinzen
U, als Fürsten einsetze.
„Er sprach: Ich werde beruhigen euer Reich.“
„Die Menschen von Tschin gehorchten dem Befehle, er aber
verwandelte es sogleich in einen District.“
Die Einsetzung des Prinzen U war blos der Vorwand. Die Be
wohner des Reiches Tschin, welche den Worten des Königs glaubten,
leisteten keinen Widerstand, worauf Tschin vernichtet und in einen
District des Reiches Tsu verwandelt wurde.
„Jetzt wieder hat er verlockt Tsai und getödtet dessen Landes
herrn. Er sucht sein Reich heim mit einer Belagerung.“
„Sollte er auch so glücklich sein zu entkommen, er wird gewiss
noch ereilt werden von dem Verderben. Er besitzt nicht Fähigkeit
zur Dauer.“
„Khie besiegte Yeu-min und wurde verlustig seines Reiches.“
König Thang verbannte ihn nach Nan-tschao.
„Tschheu besiegte die östlichen Barbaren und ging zu Grunde
mit dem Leibe.“
Er gab sich den Tod durch Feuer. Dieser zwei Ereignisse
wurde schon in dem vierten Jahre des Fürsten Tschao von Lu
Erwähnung gethan.
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
193
„Tsu ist klein, seine Rangstufe niedrig.“
Tsu ist ein Lehen vierter Classe und im Verhältnisse zu ! dem
Reiche der Könige Khie und Tschheu nur klein.
„Aber es handelt oft grausamer als diese zwei Könige. Kann es
sich wohl entschlagen des Verderbens?“
„Wenn der Himmel Hilfe angedeihen lässt dem nicht Guten,
so verleiht er ihm dadurch keinen Segen. Er heisst erstarken dessen
Bosheit und sendet ihm herab die Strafe.“
„Auch lässt sich hier vergleichen mit dem Himmel: Es sind
vorhanden fünf Grundstoffe, und man will sich ihrer bedienen.“
Die fünf Grundstoffe sind Metall, Holz, Wasser, Feuer und
Erde, von welchen die Menschen Gebrauch machen.
„Nachdem man aufgeboten alle Kräfte, wirft man sie bei Seite.“
„Desswegen ist hier nichts zu erreichen. Es gibt keine Rettung
von dem Versinken.“
Der Himmel bedient sich des Reiches Tsu, so wie die Menschen
sich der fünf Grundstoffe bedienen.
Sclio-hiang spricht über Tan-tse.
„Tan-tse hatte eine Zusammenkunft mit Han-siuen-tse in Thsi.“
-p- Ej3 Tan-tse ist der Fürst Tsching von j|3 Tan,
einer der drei Fürsten des Hauses Tscheu. Thsi", ein Gebiet des
Reiches Wei.
„Er blickte zu Boden und sprach leise.“
„Scho-hiang sprach: Tan-tse wird gewiss sterben. Bei der Auf
wartung an dem Hofe gibt es Stufen der Thronhalle. Bei einer Zu
sammenkunft gibt es Flaggenstangen.“
Eine Zusammenkunft geschieht im freien Felde. Es werden zu
diesem Zwecke Glockenfahnen aufgestellt und dadurch ein Raum zum
Sitzen oder Stehen abgegrenzt. Am Hofe ist ein solcher Raum von
den Stufen der Thronhalle umschlossen.
„Die Kleider haben einen Halskragen. Der Gürtel hat einen
Knoten.“
„Die Worte bei einer Zusammenkunft und bei der Aufwartung
am Hofe müssen gehört werden in dem Raume der Flaggenstangen
und der Stufen der Thronhalle. Hierdurch beleuchtet man die Ord
nung der Geschäfte.“
194
Dr. Pfizmaier.
„Der Blick schweift nicht hinaus über den Raum zwischen dem
Gürtelknoten und dem Halskragen. Hierdurch beherrscht man seine
Haltung.“
„Durch die Worte ertheilt man die Befehle. Durch die Haltung
setzt man in das Licht. “
Auf diese Weise werden hinsichtlich der Geschäfte bei Hofe und
bei der Zusammenkunft Befehle ertheilt, ferner die Geschäfte in das
Licht gesetzt.
„Lässt man dieses ausser Acht, so erfolgt ein Fehlschlagen.“
„Jetzt ist Tan-tse der Älteste der königlichen Obrigkeiten, und
er gibt Befehle hinsichtlich der Geschäfte bei der Zusammenkunft.“
„Sein Blick erhebt sich nicht bis zu dem Gürtel. Seine Worte
hört man nicht weiter als einen Schritt.“
„Äusserlich beherrscht er nicht die Haltung, und seine Worte
können nichts beleuchten.“
„Ohne Beherrschung ist keine Ehrfurcht. Ohne Beleuchtung
ist kein Gehorsam. Er besitzt durchaus nicht das gesicherte Leben.“
Der Tod Tan-tse’s erfolgte noch im Winter dieses Jahres.
Die grosse Frühlingsjagd in Pi-pn.
„Tsi-kuei starb.“
Tsi-kuei ist die Mutter des Fürsten Tschao von Lu.
„Es war eine grosse Frühlingsjagd in Pi-pu. Dieses war gegen
die Gebräuche.“
y'fjt Mu Pi'P 11 e ' n Gebiet des Reiches Lu. Dass diese Früh
lingsjagd mit dem Beginn der Trauer nicht sogleich abgeschafft wurde,
war ein arger Yerstoss gegen die Gebräuche.
„Man begrub Tsi-kuei. Der Fürst zeigte keine Betrübniss.“
„Scho-hiang sprach : Das Haus des Fürsten von Lu wird er
niedrigt werden !“
Der Leichenfeier hatten auch Männer des Reiches Tsin beige
wohnt, desswegen konnte Scho-hiang von Tsin über das Geschehene
sprechen.
„Der Landesherr hat eine grosse Trauer, das Reich schafft
nicht ab die Frühlingsjagd.“
„Er hat die Trauer dreier Jahre, aber er zeigt nicht die
Betrübniss eines einzigen Tages.“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. 195
„Das Reich kümmert sich nicht um die Trauer: es hat keine
Scheu vor dem Landesherrn.“
„Der Landesherr zeigt nicht die Miene der Betrübniss: er
nimmt keine Rücksicht auf die Seinen.“
„Das Reich hat keine Scheu vor dem Landesherrn, der Landes
herr nimmt keine Rücksicht auf die Seinen: kann hier wohl ausblei-
ben die Erniedrigung? Er dürfte verlustig werden des Reiches.“
Schiu-wu-yü tadelt die Wertkschiitzung der auswärtigen Gebiete.
„Der Fürst vonTsu baute die Stadtmauern vonTschin und Tsai,
ohne etwas abzuändern.“
Ling, König von Tsu, hatte die Reiche Tschin und Tsai, das
letztere erst in dem gegenwärtigen Jahre, vernichtet und dieselben
in Districte des Reiches Tsu verwandelt. Die Haupstädte wurden
Städte seines Reiches, wobei jedoch die Mauern der übrigen Städte
nicht abgetragen wurden.
„Er machte Khi-tsf zum Fürsten von Tsai.“
Khi-tsf war der jüngste Sohn des Königs Kung von Tsu, der
spätere König Ping. Derselbe wurde Statthalter von Tsai und masste
sich, so wie alle Statthalter in Tsu, den Fürstentitel an.
„Der König fragte Schin-wu-yü: Was sagst du dazu, dass
Khi-tsf sich befindet in Tsai?“
„Jener antwortete: Den Sohn wählt am besten der Vater. Den
Minister wählt am besten der Landesherr.“
Der Vater kann den Sohn, der Landesherr den Minister am
besten beurtheilen.
„Fürst Tschuang von Tsching baute die Stadtmauern von Lf
und liess daselbst wohnen den Prinzen Yuen.“
Fürst Tschuang hatte dem Fürstensohne Yuen die Stadt
1« Lf als Lehen überlassen und /j]f| Tan-pe bestimmt, ihm
als Grosser der Lehenstadt zur Seite zu stehen.
„Er bewirkte dadurch, dass Fürst Tschao sich nicht festsetzte.“
Im fünfzehnten Jahre des Fürsten Hoan von Lu floh Fürst Li
von Tsching nach Tsai, der in der Verbannung lebende FürstTschao
kehrte aus Wei zurück. Noch in demselben Jahre drang Fürst Li,
nachdem er den Tod Tan-pe’s herbeigeführt, von Tsai in die Stadt
Lf und setzte sich daselbst fest. Fürst Tschao konnte sich in Folge
196
Dr. Pfizmnior.
dessen nicht auf dem Throne behaupten und wurde im siebzehnten
Jahre des Fürsten Hoan von Lu getödtet.
„Hoan, Fürst von Tsi, baute die Stadtmauern von Kd und Hess
daselbst wohnen Kuan-tschung.“
Im zweiundzwanzigsten Jahre des Fürsten Tschuang von Lu
erhielt Kuan-tschung, Minister des Fürsten Hoan von Tsi, als Lehen
die Stadt Kd.
„Bis auf den heutigen Tag ist man noch hierauf stolz.“
Durch die Erhebung Kuan-tschung’s zum Minister erlangte Tsi
die Oberherrschaft. Von den zwei hier erwähnten Wahlen war die
erstere unglücklich, die letztere glücklich.
„Ich habe gehört: Die grössten unter den fünf Obrigkeiten
dürfen nicht wohnen in den Grenzstädten.“
Es ist zu befürchten, dass der Besitz einer solchen Stadt ihnen
die Mittel gewährt, sich gegen den Landesherrn auflehnen zu können.
„Die kleinsten unter den fünf Obrigkeiten dürfen nicht sitzen
in der Halle.“
Wenn die kleinsten und schwächsten obrigkeitlichen Personen
sich an dem Hofe des Fürsten befinden, so ist zu fürchten, dass die
Befehle nicht vollzogen werden.
„Die Verwandten wohnen nicht in den auswärtigen Gebieten.“
Wenn die Verwandten des Landesherrn sich in solchen Gegen
den befinden, so tritt der Fall ein, dass die grössten unter den fünf
Obrigkeiten in den Grenzstädten wohnen.
„Die Menschen der Halfter wohnen nicht in dem Inneren.“
Wenn die von dem Landesherrn unbedingt abhängigen Personen
sich in dem Innern des Reiches befinden, so tritt der Fall ein, dass
die kleinsten unter den fünf Obrigkeiten in der Halle sitzen.
„Jetzt befindet sich Khi-tsf in einem auswärtigen Gebiete.“
Khi-tsfist ein Verwandter des Königs und wohnt in dem Reiche Tsai.
„Tsching-tan befindet sich im Inneren.“
43- HP Tsching-tan ist von dem Könige unbedingt abhängig
und lebt im Innern des Reiches. Derselbe war im neunzehnten Jahre
des Fürsten Siang von Lu nach Tsu als Flüchtling gekommen.
„Du, o Herr, bist wenig auf deiner Hut.“
„Der König sprach: Was sagst du dazu, dass das Reich im
Besitze starker Festen?“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
197
Durch den Bau der Stadtmauern von Tschin und Tsai gewann
Tsu zwei starke Festungen.
„Jener antwortete: King und Lu in Tsching tödteten in der
That Man-pe.“
46 § Man-pe ist der oben genannte Tan-pe. Fürst Li von
Tsching setzte sich zuerst in den Besitz der Stadt Lf, fügte hierzu
noch die Stadt King und tödtete in Folge dessen Man-pe.
„Siao und Po in Sung tödteten in der That Tse-yeu.“
Im zwölften Jahre des Fürsten Tschuang von Lu tödtete ^
Wan von Sung den Fürsten Min und erhob den Prinzen 'jj^ -J-
Tse-yeu. Die übrigen Prinzen Hohen nach der Stadt Siao,
der Prinz Yü-yue floh nach 'dg* Pd. Dieselben griffen
hierauf den Prinzen Tse-yeu an und tödteten ihn.
„Khiü-khieu in Tsi tödtete in der That Wu-tschi.“
fp J^|i= Khiü-khieu ist die Stadt ^|jP Yung-lin’s vun
Tsi. Im neunten Jahre des Fürsten Tschuang von Lu tödtete der Prinz
Wu-tschi den Fürsten Siang von Tsi und wurde seinerseits durch
Yung-lin getödtet.
„Pu und Tsi in Wei vertrieben in der That den Fürsten Hien.“
Im vierzehnten Jahre des Fürsten Siang von Lu vertrieben
jj| Ning-tschi und ^ ^ Sun-lin-fu von Wei den
Fürsten Hien. y'pjj Pu ist die Stadt Ning-tschhfs, Tsf die Stadt
Sün-lin-fu’s.
„Wenn man es diesem gemäss betrachtet, so bringen sie dem
Reiche Schaden.“
Nach den oben angeführten Beispielen sind grosse feste Plätze
den Reichen verderblich.
„Die Spitze, die gross ist, wird gewiss brechen. Der Schweif,
der gross ist, wird sich nicht bewegen. Dieses ist dir bekannt,
o Herr.“
Auf ähnliche Weise bricht eine grosse ßaumspitze, und der
grosse Schweif eines Hausthieres wird abgehauen. Übrigens em
pörten sich im dreizehnten Jahre des Fürsten Tschao von Lu die
Reiche Tschin und Tsai wirklich gegen den König Ling.
198
Dr. Pfizmaier.
* ¥ 8, das Jahr des Cyklus (S30 vor Chr. Geb.). Zwölf
tes Regierangsjahr des Fürsten Tschao von Ln.
Hoci-pe spricht über den Satz: Das gelbe Unterkleid ursprünglich
glücklich.
„Ki-ping-tse wurde eingesetzt.“
yHr Jp Ki-sün-I-ju übertrug -p Ki-
ping-tse die in der Familie Jp Ki erbliche Stelle eines Reichs
ministers von Lu.
„Er beobachtete nicht die Gebräuche gegen Nan-lchuai.“
Nan-khuai ist der Sohn
m
Nan-I’s, das Haupt
des Geschlechtes jljEj Nan.
„Nan-khuai fiel ab mit Pi und begab sieb nach Tsi.“
Nan-khuai war der Statthalter der dem Geschlechte Ki gehörigen
Stadt Pi. Er empörte sich jetzt gegen Lu und unterwarf sich
mit der Stadt Pi dem Reiche Tsi.
„Als Nan-khuai sich empören wollte, wusste dieses einer der
Genossen seines Districtes. Er ging an ihm vorüber und seufzte.“
„Zugleich sprach er: Wie bedauerlich! Wie drangvoll! Wie
gefährlich!“
„Tiefe Gedanken, aber seichte Pläne. Die Person nahe, aber
die Absicht auf das Entfernte. Der Minister eines Hauses, aber die
Entwürfe eines Landesherrn. Einen solchen Menschen gibt es!“
„Nan-khuai zog aufs Geradewohl dafür die Wahrsagerpflanze.“
Er zog das Loos wegen des Gelingens seines Unternehmens,
ohne jedoch die Sache zu bezeichnen, derentwillen er dieses that.
„Er traf die Annäherung der Erde.“
Das ursprüngliche Diagramma war Khuen (die Erde), die
Combination desselben it Pi (Annäherung).
„Dieses lautete: Das gelbe Unterkleid ursprünglich glücklich.“
Dieses die bezügliche Stelle in den Verwandlungen der Tscheu.
„Erhielt die Vorbedeutung für sehr glücklich.“
„Er zeigte es Tse-fo-hoei-pe und sprach: Ich möchte sogleich
die Sache unternehmen, was sagst du dazu ?“
4Ö Ä M "f Tse-fo-hoei-pe ist ^ Meng-tsiao,
der Enkel Meng-hien-tse's.
t
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
199
„Hoei-pe sprach: Ich habe dieses Buch studirt.“
„Ist es eine Sache der Redlichkeit und Treue, so kannst du.
Ist es dieses nicht, so gehst du gewiss zu Grunde.“
„Das Äussere schroff, das Innere mild, dieses ist die Redlichkeit.“
Das äussere Diagramme ist hier die „Schlucht“ mit ihren steilen
Abhängen, daher der Begriff der Schroffheit. Das innere Diagramma
ist die „Erde“ mit ihrer Willfährigkeit, daher der Begriff der Milde.
„Sich vereinigen und sich leiten lassen zu dem Geraden, ist die
Treue.“
Die Wasser in der Schlucht vereinigen sich, die Erde ist eben
und gerade. Die Wasser werden hier nach ihrer Vereinigung auf
den geraden Weg geleitet.
„Desswegen heisst es: Das gelbe Unterkleid ursprünglich
glücklich.“
„Gelb ist die Farbe der Mitte.“
Die Mitte bezieht sich auf die Erde, deren Farbe gelb.
„Das Unterkleid ist der Schmuck eines niederen Gegenstandes.“
Das Oberkleid ziert die obere Hälfte des Körpers, das Unter
kleid die untere Hälfte desselben.
„Der Ursprung ist der Älteste des Guten.“
„Wenn die Mitte nicht redlich, so erlangt man nicht ihre
Farbe.“
Die Mitte ist hier das Herz. Wenn in diesem keine Redlichkeit,
so verliert das Wort „gelb“ seine Bedeutung.
„Wenn der niedere Gegenstand nicht ehrerbietig, so erlangt
man nicht dessen Schmuck.“
Wenn derjenige, der auf einer niederen Stufe steht, nicht ehr
erbietig ist, so verliert das Wort „Unterkleid“ seine Bedeutung.
„Wenn die Sache nicht gut ist, so gelangt man nicht zu ihrem
Abschluss.“
Wenn die Sache, welche man unternimmt, nicht gut ist, so
verliert das Wort „Ursprung“ seine Bedeutung. Wo nämlich der
Ursprung gut ist, muss man mit dem Höchstguten den Beschluss
machen.
„Nach innen und aussen Treue und Eintracht, ist die Redlichkeit.“
„Sich stellen an die Spitze der Angelegenheiten durch Treue,
ist die Ehrerbietigkeit,“
„Ehrerbietig pflegen die drei Tugenden, ist das Gute.“
Sitzb. (1. pbii.-hist. CI. XXI. ßd. II. Hft. 14
200
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
Die drei Tugenden sind Rechtlichkeit, Härte, Sanftmuth.
„Wo jene drei Dinge fehlen, trifft es nicht zu.“
Das obige Diagramma verliert seine glückliche Bedeutung,
wenn Redlichkeit, Ehrerbietigkeit und Treue nicht vorhanden sind.
„Auch kann man aus diesen Verwandlungen nicht wahrsagen
hinsichtlich der gefährlichen Dinge.“
„Was für eine Sache willst du unternehmen? Kannst du dich
ihrer auch als Schmuck bedienen?“
HoeUpe fragt, ob dieses eine Sache der Ehrerbietigkeit, welche
der Schmuck des Niederen.
„Wenn die Mitte trefflich, kann sie vorstellen das Gelbe.“
Das vortreffliche Herz, welches die Mitte einnimmt, kann mit
der gelben Erde verglichen werden.
„Wenn der höhere Gegenstand trefflich, so zeigt er sich als
Ursprung.“
Der Ursprung ist zugleich das Haupt. Die Höheren, welche
vortrefflich sind, erscheinen als die Ältesten des Guten.
„Wenn der niedere Gegenstand trefflich, so bildet er das
Unterkleid.“
Bei diesem und dem Obigen behalten die Worte des Diagramma’s
ihren Sinn nur in Verbindung mit den entsprechenden vortrefflichen
Eigenschaften.
„Bei der Vollendung dieser drei Dinge lässt sich brechen die
W ahrsagerpflanze. “
Nur wenn die drei genannten Vortrefflichkeiten ausgehildet
sind, kann die hier erlangte günstige Vorhersagung erfüllt werden.
„Ist aber an ihnen noch ein Mangel, dann, wenn man auch
glücklich war bei dem Brechen der Wahrsagerpflanze, es ist damit
noch nichts gewonnen.“
„Als jener sich nach Pi begeben wollte, bewirthete er die
Genossen des Districtes mit Wein.“
„Ein Genosse des Districtes sang auf ihn ein Lied. Dieses lautete:
Wir haben einen Garten,
Er ist bepflanzt mit Karten.
Wenn du uns folgst, bist du ein Mann, der handelt recht,
Wenn du uns aufgibst, bist du schlecht.
Verlassen s<\ine Nachbarn, welche Sehmach!
0 lasse nach! 0 lasse nach !
Du bist zu uns nicht der Genosse!“
Dr. Pfizmaier.
201
Statt des hier gesetzten Wortes „Karten“ steht im Chinesischen
Khi, ein Baum, der, ohne irgend eine essbare Frucht hervor
zubringen, gleichwohl in einem Fruchtgarten wächst. Es wird hier
durch angedeutet, dass Nan-khuai, indem er auf Empörung sinnt,
etwas Unangemessenes thut. Der letzte Vers besagt, dass Nan-khuai
nicht mehr zu den Districtsgenossen zurückkehren werde. Im fol
genden Jahre wurde nämlich die Stadt Pi durch Scho-kiung von Lu
belagert und genommen.
TscMng-tau tadelt mit Hilfe eines Gedichtes.
„Der Fürst von Tsu hielt eine Winterjagd in Tscheu-lai. Er
bezog das dritte Nachtlager in Kien-khi.“
^ Tscheu-lai und Kien-khi, Gebiete des
Reiches Tsu.
„Der Minister der Rechten Tse-ke machte ihm die Aufwartung
am Abend.“
5 Tse " ke ist fl- iS Tsching-tan, der
Yeu-yün (Minister der Rechten) von Tsu.
„Der König unterhielt sich mit ihm und sprach: Einst weihten
sich unser früherer Landesherr Hiung-yi mitLiü-ke, dem Königsenkel
Meu, Si-fu und Khin-fu gemeinschaftlich dem Dienste des Königs
Khang. “
König Khang ist der Sohn des Königs Tsching von Tscheu.
0 v }i Hiung-yi ist der erste Landesherr des Reiches Tsu. ^
Liü-ke ist der Sohn Tai-kung’s, des ersten Landesherrn von Tsi,
der Königsenkel ijp Meu der Sohn Khang-scho’s, des ersten Lan
desherrn von Wei, ’}0$i Si-fu der Sohn Thang-scho’s, des
ersten Landesherrn von Tsin, Khin-fu ist Jgjj Pe-
khin, der Sohn des Fürsten von Tscheu und erster Landesherr von Lu.
„Die vier Reiche erhielten alle ihren Antheil, wir allein erhiel
ten nichts.“
Die Reiche Tsi, Wei, Tsin und Lu wurden von dem Könige
Khang mit Kostbarkeiten betheilt.
„Wenn ich jetzt Menschen entsendete nach Tscheu und be
gehrte die Dreifüsse, damit sie seien unser Antheil, wird der König
sie mir geben?“
14 *
202
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
Dieses waren die von Yü gegossenen neun Dreifüsse, deren Be
sitz von drei Dynastien als Unterpfand der Weltherrschaft betrachtet
wurde.
„Jener antwortete: Er gibt sie dir, o Herr und König!“
„Einst war unser früherer Landesherr Iliung-yi versenkt in das
Gebirge King.“
Fürst Hiung-yi wohnte eine Zeit lang in dem von tiefen Thälern
und Schluchten durchschnittenen Gebirge ^l| King.
„Auf Wagen von Baumästen, in zerrissenen Kleidern weilte er
zwischen Gräsern und Pflanzen. Er brach sich Bahn durch die Berge
und Wälder, um zu dienen dem Sohne des Himmels.“
„Nur die Bogen von Pfirsichholz, die Pfeile von Hagedorn wur
den von ihm gereicht als Abwehr für die Sache des Königs.“
Die hier genannten Bogen und Pfeile dienen zur Abwehr unheil
bringender Gegenstände. Der Fürst yon Tsu befasste sich während
seines Aufenthaltes in dem Gebirge mit der Herbeischaffung des
Tributes für den Himmelssohn.
„Tsi ist der Schwäher des Königs.“
Kiang-sclii, die Mutter des Königs Tsching, war die
Tochter des grossen Fürsten von Tsi.
„Tsin sammt Lu und Wei sind Mutterbrüder des Königs.“
Thang-scho, der erste Landesherr von Tsin, war der jüngere
Bruder der Mutter des Königs Tsching, der Fürst von Tscheu und
Khang-sclio, der erste Landesherr von Wei, waren jüngere Brüder
der Mutter des Königs Wu.
„Tsu erhielt desswegen keinen Antheil, aber jene erhielten ihn.“
Tsu allein stand dem Hause des Königs ferne, die vier hier ge
nannten Reiche waren mit ihm nahe verwandt und wurden dess
wegen mit kostbaren Gegenständen betheilt.
„Jetzt ist Tscheu sammt den vier Reichen unterworfen und
dienstbar dir, o Herr und König. Du wirst nur brauchen zu befehlen,
und es wird gehorchen. Wie sollte es wohl sparen die Dreifüsse?“
„Der König sprach: Einst hatte mein hehrer Ahn, der Oheim
und Vater Kuen-ngu, in dem alten Hiü genommen seinen Wohnsitz.“
Lu-tschung, der Urenkel des Kaisers Tschhuen-hiu
hatte sechs Söhne, von denen der älteste
Di*. Pfizmaier.
203
jüngste Ki-lien. Der letztere wurde der Ahnherr der
Fürsten von Tsu, wesshalb Kuen-ngu hier der Oheim und Vater
genannt wird. Derselbe bewohnte das Gebiet des späteren kleinen
Reiches |j^p Hiü, das zur Zeit dieser Erzählung bereits vernichtet
und dessen Volk nach Süden übersiedelt war. Aus dem Grunde dieser
Übersiedlung heisst der Wohnsitz Kuen-ngu"s hier das alte Hiü.
„Jetzt halten die Menschen von Tsching an seinen Feldern fest
mit Habsucht und geben sie mir nicht.“
Das Gebiet des früheren Reiches Hiü gehörte damals zu dem
Reiche Tsching.
„Wenn ich sie jetzt begehre, werden sie mir sie geben?“
„Jener antwortete: Sie geben sie dir, o Herr und König! Tscheu
spart nicht die Dreifüsse, wird es Tsching wagen, zu sparen die
Felder?“
„Der König sprach: Einst hielten sich die Reichsfürsten von
mir ferne und fürchteten Tsin.“
„Jetzt habe ich mit grossen Stadtmauern versehen Tschin und
Tsai, ohne etwas zu zerstören. Die Kriegsmacht, die man mir stellt,
beträgt tausend Wagen, du selbst erwarbst dir dabei Verdienste.
Werden die Fürsten des Reichs mich fürchten?“
„Jener antwortete: Sie fürchten dich, o Herr und König!“
„Diese vier Reiche sind an sich schon furchtbar.“
Die vier Reiche sind Tschin und Tsai, wozu noch zwei Lehen
städte kommen, deren Mauern der Fürst von Tsu nicht abtragen liess.
„Du gesellst noch zu ihnen Tsu: wie sollten jene nicht fürch
ten dich, o Herr und König?“
„Der König zog sich zurück. Si-fu sprach zu Tse-ke: Du, mein
Sohn, bist die Hoffnung des Reiches Tsu. Jetzt aber sprichst du mit
dem König wie ein Echo: wie verhält es sich da mit dem Reiche ?“
& t/f Si-fu, ein Grosser des Reiches Tsu.
„Tse-ke sprach: Ich schleife indessen und warte, bis der König
herauskommt. Mein Schwert wird ihn dann abkippen.“
Tse-ke will nur die Zurückkunft des Königs abwarten, um dann
wie mit einem Schwerte dessen Unmuth das Haupt abzuschlagen.
„Der König trat heraus und unterhielt sich mit ihm von Neuem.“
„Der Geschichtschreiber der Linken I-siang kam mit eiligen
Schritten und ging vorüber.“
204
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
$ I-siang ist der kleine Name des Geschichtschreibers.
„Der König sprach: Dieser ist ein vortrefflicher Geschicht
schreiber. Er kann lesen die drei Erdhügel, die fünf Muster, die
acht Messschnüre, die neun Anhöhen.“
Die drei Erdhügel heissen die Bücher Fo-hi’s, des göttlichen
Ackermannes und des gelben Kaisers, die fünf Muster sind die Bü
cher der Kaiser Schao-hao, Tschhuen-hio, Kao-sin, Yao und Schün,
die acht Messschnüre sind die Erklärungen der acht Diagramme, die
neun Anhöhen die Beschreibung der neun grossen Provinzen.
„Jener antwortete: Ich habe ihn befragt um Folgendes: Einst
wollte König Md befriedigen die Wünsche seines Herzens. Er
wanderte umher in den Ländern unter dem Himmel.“
Auf dieser Beise bediente sich König Md von Tscheu der
/ \ ' iL
berühmten acht schnellen Pferde, welche Tsao-fu, der
berühmte Wagenführer, lenkte.
„Er wollte, dass überall seien die Badspuren der Wagen, die
Hufspuren der Pferde.“
„Meu-fu, der Fürst vonTsai, verfertigte das Gedicht Khi-schao,
um Einhalt zu thun den Wünschen des Königs.“
Sk Meu " fu war Reichsminister von Tscheu, dem die
Stadt Tsai zum Unterhalte angewiesen war. ^71 j^Jy Khi-schao
ist Äff Khi-fu, der Anführer der Streitwagen von Tscheu,
dessen Name Schao. Der Fürst von Tsai wollte die Lustreisen
des Königs tadeln und verfertigte zu diesem Zwecke ein Gedicht,
welches von dem in dessen Eingang erwähnten Anführer der Streit
wagen den Namen führt.
„Dem Könige ward hierdurch zu Theil ein gutes Ende in dem
Palaste Tschi.“
Tschi, der Name eines abgesonderten königlichen Palastes.
Der König Mo, der auf den Tadel achtete, besserte sich und starb
ruhig in seinem Palaste, indem er von dem Unglück der Empörung
und des Fürstenmordes verschont blieb.
„Ich fragte ihn nach diesem Gedichte, er aber wusste von ihm
nichts. Wenn man ihn fragen wollte nach etwas, das ihm ferne,
wie könnte er es wissen ?“
„Der König sprach: Weisst du es?“
Dr. Pfizmaier.
205
„Jener antwortete: Ich weiss es. Dieses Gedicht lautet:
Die Seele Khi-schao’s, welche Reine!
Sein Streben, dass die Tugend hell erscheine.
Er denkt an uns’res Königs Mass und Ziel,
Im Wirken gleich dem Edelsteine,
Im Wirken wie des Goldes viel.
Er bringt in eine Form des Volkes Kraft,
Dann nimmer herrscht des Schweigens Leidenschaft.“
Während der Vorsteher der Streitwagen sein Amt verwaltet,
beleuchtet er die Tugend des Königs. Er ist in seinen Handlungen
fest wie der Edelstein, gewichtig wie das Gold. Wenn er sich des
Volkes bedient, so berücksichtigt er dabei dessen Kräfte und bringt
es in eine gewisse Form, welche ihm bei der Verwendung als Mu
ster vorschwebt. König Md strengte auf seinen fernen Wanderungen
die Kraft des Volkes übermässig an und veranstaltete Feste und Trink
gelage ohne Mass und Ziel, Fehler, auf welche er in dem Gedichte
aufmerksam gemacht wird.
„Der König grösste und zog sieh zurück.“
„Er hielt Tafel und ass nicht, er legte sich zu Bette und schlief
nicht mehrere Tage.“
Die Worte Tse-ke’s machten einen solchen Eindruck auf den
König, dass er sich augenblicklich zurückzog und sich durch mehrere
Tage in einem Zustande der grössten Aufregung befand.
„Er war nicht imStande zu besiegen sich selbst und fiel anheim
dem Unglück.“
„Tschung-ni sprach: Die Alten hatten ein Buch der Denkwür
digkeiten, welches sagt: „„Besiegen sich selbst, zurückkehren zu
den Gebräuchen, ist Menschlichkeit““.
„Wie wahr und wie vortrefflich! Wenn Ling, König von Tsu,
dieses im Stande gewesen, wie hätte er die Schande erlitten in
Kien-khi?“
Dieses noch Worte des Confucius. Im nächstfolgenden Jahre
fiel das Volk von Tsu von dem König Ling ab, worauf dieser sich in
Kien-khi erhängte.
das Jahr des Cyklus (529 vor Chr. Geb.). Drei
zehntes Regierungsjahr des Fürsten Tschao von Lu.
I
I
it||
Dieses Jahr ist das erste Regierungsjahr der Fürsten
Hoei von Tschin, 2p Ping von Tsai und ^ Ting von Tsching.
Khiü-fu ergreift keine Menschen von Pi.
„Scho-kiung belagerte Pi.“
Scho-kiung ist ^ ^ /j^ Scho-lao-tse. Das
Geschlecht Ki entsandte Scho-kiung gegen Nan-khuai, dessen An
gelegenheiten in dem vorhergehenden Jahre vorgekommen.
„Er besiegte es nicht. Ping-tse zürnte. Er befahl, wo man an
sichtig würde eines Menschen von Pi, ihn zu ergreifen und zum
Gefangenen zu machen.“
„Ye-khiü-fu sprach: Dieses ist nicht gut.“
^ Ipp >£ Ye-khiü-fu, ein Grosser des Reiches Lu.
„Wenn man eines Menschen von Pi ansichtig wird und ihn
friert, so kleide man ihn. Wenn ihn hungert, so speise man ihn.“
„Man sei für ihn ein edler Gebieter und sorge für ihn bei Man
gel und Erschöpfung.“
„Pi wird dann kommen, als kehrte es zurück in seine Heimath,
und das Geschlecht Nan ist verloren.“
„Das Volk wird von ihm abfallen, wer würde mit ihm bewoh
nen wollen die Stadt?“
„Wenn wir es schrecken durch Waffenmacht, wenn wir seine
Furcht wecken durch unseren Zorn, so wird das Volk Hass empfinden
und von uns abfallen. Wir bewirken, dass es sich um Jenen schaart.“
Das Volk würde sich in diesem Falle um Nan-khuai schaaren.
„Wenn die Fürsten des Reichs ein Gleiches tliun, so bleibt
den Menschen von Pi keine Heimath. Wenn sie sich nicht anschlies-
sen an das Geschlecht Nan, wohin sollten sie sich sonst begeben?“
„Ping-tse befolgte dieses. Die Menschen von Pi fielen ab von
dem Geschleehte Nan.“
Im nächstfolgenden Jahre floh Nan-khuai, nachdem Pi von ihm
abgefallen, in das Reich Tsi.
Scho-hiang macht Vernunftschlüssc hinsichtlich Tsc-yü’s von Tsu.
„König Kung hatte keine Söhne des ersten Hauses.“
Der frühere König Kung von Tsu hatte von seiner Hauptgemah-
linn keine Söhne.
Dr. Pfizmaier.
207
„Er besass fünf Söhne von begünstigten Nebengemahlinnen und
hatte noch keinen eingesetzt.“
Er wusste nicht, welchen unter diesen Söhnen er zum Thron
folger ernennen solle.
„Er veranstaltete ein grosses Opfer für die Götter des Gesichts
kreises und betete: Ich bitte die Göttei', dass sie einen wählen unter
diesen fünf Söhnen und ihn vorstehen heissen den Göttern des
Landes.“
Die Götter des Gesichtskreises sind die Götter der in dem Um
fange des eigenen Reiches sichtbaren Berge, Flüsse und Sterne.
„Hierauf zeigte er nach allen Seiten gewendet einen Edelstein
den Göttern des Gesichtskreises und sprach: Derjenige, der über
dem Edelstein zur Erde fällt, wurde eingesetzt von den Göttern.
Wer dürfte wohl diesem zuwider handeln?“
„Hierauf vergrub er mit Pa-ki heimlich den Edelstein in dem
Vorhofe des grossen inneren Hauses.“
■w e Pa-ki ist die Nehengemahlinn des Königs. Das grosse
innere Haus heisst der königliche Ahnentempel.
„Er hiess die fünf Söhne opfern und eintreten nach ihrem Alter
und zur Erde fallen.“
„König Khang schritt über ihn hinweg. König Ling berührte
den Ort mit dem Ellbogen.“
Diese zwei Söhne waren die späteren Könige Khang und Ling
von Tsu. Als der letztere vor den Göttern zur Erde fiel, berührte er
die Stelle, wo der Edelstein vei’graben lag, mit dem Ellbogen.
„Tse-yü und Tse-sf blieben ihm fern.“
Tse-si, zwei andere Söhne
des Königs.
„König Ping befand sich in zartem Alter.“
Khi-tsi, der spätere König Ping, war damals noch ein Kind.
„Er wurde auf dem Arme hereingetragen. Er fiel zweimal zur
Erde und drückte jedesmal die Schnur.“
Als man den Edelstein vei’grub, liess man, um die Stelle kennt
lich zu machen, die Schnur desselben ein wenig über dem Boden
sichtbar werden.
„Teu-wei-kuei glaubte fest, dass es so geschehen werde.“
Teu-wei-kuei, ein Grosser des Reiches Tsu.
208
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
„Zugleich sprach er: Entweder man verletzt die Gebräuche,
oder man widersetzt sich dem Schicksal. Das Reich Tsu ist in
Gefahr!“
Wenn man den jüngsten Sohn einsetzen wollte, so verletzt man
die Gebräuche, denen zu Folge der älteste eingesetzt wird. Wenn
man den König Kliang einsetzt, so handelt man gegen den Befehl
der Götter.
„Tse-yü kehrte zurück.“
Tse-yü ist der Prinz Pi. Derselbe war in dem ersten Jahre
des Fürsten Tscliao von Lu nach Tsin geflohen. In dem gegenwär
tigen Jahre berief ihn ein gewisser ^ !j|j^ Kuan-tsung auf Be
fehl Khi-tsPs, Fürsten von Tsai, zurück. Bei seiner Ankunft wurde er
zum Thronfolger ernannt, worauf das Heer von König Ling abfiel
und dieser sich erhängte.
„Han-siuen-tse fragte Scho-hiang: Wird Tse-yü etwas aus-
richten?“
Weil Tse-yü sich früher in Tsin aufgehalten, wurde dessen
Rückkehr in diesem Reiche besprochen.
„Jener antwortete: Es ist unmöglich.“
„Siuen-tse sprach: Sein Hassen ist dasselbe, das Streben
gemeinschaftlich. Es ist wie bei den Kaufleuten des Marktes: was
wäre wohl hier unmöglich?“
Prinz Khi-tsf hasste so wie Tse-yü den König Ling, das Ziel
beider war der Abfall. Es war wie auf einem Markte, wo Käufer
und Verkäufer ihren Vortheil finden.
„Jener antwortete: Wo nicht gemeinschaftlich ist das Lieben,
wie könnte dort gemeinschaftlich sein das Hassen?“
Khi-tsf und Tse-yü waren ursprünglich keine Freunde.
„Die Besitznahme eines Reiches wird unmöglich durch fünf
Dinge.“
„Die Gunst besitzen, aber keine Menschen, dieses ist das eine.“
Die Gunst ist die Gunst eines grossen Reiches, die Menschen
sind weise Männer.
„Menschen besitzen, aber kein Haupt der Familie, dieses ist
das zweite.“
„Ein Haupt der Familie besitzen, aber keine Überlegung, dieses
ist das dritte.“
Di*. Pfizmaier.
209
„Die Überlegung besitzen, aber kein Volk, dieses ist das vierte.“
„Das Volk besitzen, aber keine Tugend, dieses ist das fünfte.“
„Tse-yü befand sich in Tsin dreizehn Jahre. Unter denjenigen,
welche ihm folgten in Tsin und Tsu, hat keiner den Ruf eines ver
ständigen Mannes. Dieses lässt sich nennen: keine Menschen.“
Der Aufenthalt Tse-yu s in Tsin spricht für das Vorhandensein
der Gunst.
„Die Seitenlinien sind erloschen, die Verwandten fallen ah.
Dieses lässt sich nennen: kein Haupt der Familie.“
Tse-yü hat in Tsu weder Seitenlinien noch nahe Verwandte.
„Er setzt sich in Bewegung, ohne eine Blosse zu wissen. Die
ses lässt sich nennen: keine Überlegung.“
Als Tse-yü zurückberufen wurde, hatte Tsu den Feinden noch
keine bedeutende Blosse gegeben.
„Er war ein Mensch der Halfter sein ganzes Lehen. Dieses
lässt sich nennen: kein Volk.“
Tse-yü hatte keine Stütze in dem Volke von Tsu, sondern lebte
in Abhängigkeit von Tsin.
„Als er in die Verbannung ging, zeigte sich für ihn keine Liehe.
Dieses lässt sich nennen: keine Tugend.“
„Der König war grausam und scheute nichts. Tsu betrachtete
als Landesherrn Tse-yü. Dieser watete durch die fünf unmöglichen
Dinge und tödfete den alten Landesherrn. Wer könnte es hier zu
Stande bringen?“
„Derjenige, der besitzen wird das Reich Tsu, ist Khi-tsi!“
„Er ist Landesherr in Tschin und Tsai.“
Khi-tsi als Fürst von Tsai regierte zugleich das Reich Tschin.
„Ausserhalb der Stadtmauern ist man ihm zugethan.“
Die Anhänger Khi-tsi’s befanden sich vorzugsweise in dem
offenen Lande der Reiche Tschin und Tsai. Kuan-tsung hatte sich um
diese Zeit an deren Spitze gestellt.
„Bedrückung und böse Thaten kommen nicht zum Vorschein
Diebe und Räuber haben sieb zurückgezogen.“
„Kein selbstsüchtiges Begehren stellt sich bei ihm entgegen.
In den Herzen des Volkes ist kein Groll.“
Khi-tsi setzt sich nicht in Widerspruch mit der Sache des
bisher von ihm regierten Volkes.
210
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
„Die vorhergehenden Götter ertheilten ihm den Befehl. Das
Volk des Reiches haut auf ihn.“
Den Befehl der Götter erhielt Khi-tsi durch den in dem Ahnen
tempel vergrabenen Edelstein.
„Wenn in der Familie Mi Empörung herrscht, so wird der
Jüngste in der That erhoben: also ist es gewöhnlich in Tsu.“
Die Fürsten von Tsu gehörten zu der Familie Q Mi. Unter
den hier genannten Verhältnissen pflegte in Tsu sonst immer der
jüngste Sprössling des regierenden Hauses zur Herrschaft zu
gelangen.
„Er gewann die Götter. Dieses ist das eine.“
„Er besitzt das Volk. Dieses ist das zweite.“
„Er ist von edler Tugend. Dieses ist das dritte.“
Dieses die Folgerung des Satzes: Bedrückung und böse Thaten
kommen nicht zum Vorschein.
„Er ist begünstigt und geschätzt. Dieses ist das vierte.“
Er ist der Sohn einer hochgeschätzten Gemahlinn.
„Sein Platz ist das Gewöhnliche. Dieses ist das fünfte.“
Das Gewöhnliche ist die oben angedeutete Nachfolge des
Jüngsten.
„Er besitzt fünf Vortheile, um zu entfernen die fünf unmögli
chen Dinge. Wer wäre im Stande, ihm zu schaden?“
„Was das Amt Tse-yü’s betrifft, so ist er ein Minister der
Rechten.“
Tse-yü war eigentlich ^ Yeu-yün (Minister der Rech
ten), was in Tsu keine besonders hohe Würde.
„Rechnet man seinen Adel und begünstigte Stellung, so ist er
ein gemeiner Sohn.“
Er ist der Sohn einer Gemahlinn von gemeiner Herkunft.
„Nimmt man dasjenige, was befohlen ward durch die Götter, so
ist er ihnen ebenfalls fern geblieben.“
Dieses bezieht sich auf die Kundgebung durch den vergrabenen
Edelstein.
„Sein Adel ist gar nicht vorhanden. Aus seiner begünstigten
Stellung ist er herausgetreten.“
Da sein Vater bereits gestorben, so ist er nicht mehr der be
günstigte Sohn.
Dr. Pfizmaier.
211
„Das Volk hat zu ihm keine Neigung. Das Reich hat mit ihm
nichts zu thun. Wie könnte er wohl eingesetzt werden 1“
Dieses die Folgerung der zwei Sätze: Keine Tugend, kein Haupt
der Familie.
„Siuen-tse sprach: War dieses nicht auch der Fall bei den
Fürsten Hoan von Tsi und Wen von Tsin?“
„Jener antwortete: Hoan von Tsi war der Sohn Wei-ki’s. Er
wurde begünstigt von dem Fürsten Hi.“
eine Tochter des regierenden Hauses Wei,
war die Gemahlinn des Fürsten Hi von Tsi und Mutter des Fürsten
Hoan.
„Er besass Pao-scho-ya, Pin-siü-wu undSf-peng, damit sie ihm
stehen zur Seite.“
Unter diesen drei Ministern wird Im
hier das erste Mal genannt.
„Er hatte Khiii und Wei zu Häuptern der Familie nach aussen.“
Wei-ki war eine Tochter des Reiches Wei. Fürst Hoan flüchtete
sich in das Reich Khiii. Die Fürsten beider Reiche waren für ihn
auswärtige Familienhäupter.
„Er hatte Kue und Kao zu Häuptern der Familie im Inneren.“
Die Stellen erster Reichsminister wurden in Tsi von Personen
aus den Geschlechtern |^j Kue und jsj Kao bekleidet.
„Er folgte den guten Menschen wie ein Messendes Wasser. Er
liess sich herab zu den guten Menschen weihevoll und ehrerbietig.“
„Er barg in den Kammern keine Güter. Er überliess sich nicht
seinen Begierden.“
„Er erwies Wohlthaten ohne zu ermüden. Er forschte nach den
Guten ohne Überdruss.“
„Wenn er hierdurch erlangt hat das Reich, war dieses nicht
auch in der Ordnung?“
„Unser früherer Landesherr, Fürst Wen, war der Sohn Ku-ki’s.
Er wurde begünstigt von dem Fürsten Hien.“
Hierüber das achtundzwanzigste Regierungsjahr des Fürsten
Tschuang von Lu nachzusehen.
„Er war lernbegierig und nicht doppelherzig.“
„In seinem siebzehnten Lebensjahre besass er fünf Männer des
Staates.“
212
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
Fürst Wen, von Li-ki verleumdet, wurde von fünf Staatsmän
nern: Ku-yen, Tschao-tschuei, Tien-hie, Wei-vvu-tse und Ki-tse
in die Verbannung begleitet, wie in dem fünften und dreiundzwanzig
sten Jahre des Fürsten Hi von Lu zu ersehen.
„Er besass die früheren Grossen des Reichs Tse-yii und Tse-
fan, damit sie seien sein Bauch und sein Herz.“
j§^ Tse-yü ist der Jünglingsname Tschao-tschuei’s, Tse-
fan ist Ku-yen.
„Er besass Wei-tschheu und Ku-to, damit sie seien seine
Schenkel und Arme.“
„Er hatte Tsi, Sung, Thsin und Tsu zu Häuptern der Familie
nach aussen.“
Der Fürst von Tsi gab dem Fürsten Wen seine Tochter zur
Gemahlinn, der Fürst von Sung beschenkte ihn mit Pferden, der
Fürst von Tsu empfing ihn und gab ihm das Geleite nach Thsin, der
Fürst von Thsin setzte ihn in Tsin ein.
„Er hatte Luan, Khie, Ku und Sien zu Häuptern der Familie
im Inneren.“
Fürst Wen hatte vier Minister aus den Geschlechtern Luan.
Khie, Ku und Sien.
„Er war in der Verbannung neunzehn Jahre und hielt an seinen
Grundsätzen um so fester.“
„Die Fürsten Hoei und Hoai setzten hintan das Volk. Das Volk
folgte ihm und machte mit ihm gemeinschaftliche Sache.“
„Fürst Hien hatte keinen andern Sprössling. Das Volk hatte
keine andere Hoffnung.“
Fürst Hien von Tsin hatte neun Söhne, von denen Fürst Wen
um die Zeit seiner Rückkehr allein noch am Leben war. Den Fürsten
Hoei und Hoai war das Volk abgeneigt.
„Der Himmel liess Hilfe angedeihen dem Reiche Tsin: was
könnte man wohl setzen an die Stelle des Fürsten Wen?“
„Diese zwei Landesherren waren verschieden yon Tse-yü.“
„König Kung hat einen begünstigten Sohn.“
Dieser Sohn ist Khi-tsf, der ebenso wie Tse-yü von dem frü
heren Könige geliebt wurde.
„Das Reich hat ein Haupt der Familie in dem Südwestwinkel
des inneren Hauses.“
Di\ Pfizmaier.
213
Dieser Sprössling des inneren Hauses ist ebenfalls Khi-tsf.
„Jener erweist keine Wohlthaten dem Volke. Er gewährt keine
Stütze nach aussen.“
„Er entfernte sich aus Tsin, und man gab ihm nicht das Geleite.
Er kehrte zurück nach Tsu, und man zog ihm nicht entgegen. Wie
könnte er hoffen auf das Reich?“
Tse-yü durch Khi-tsi und das Heer gewaltsam eingesetzt, wurde
gleich nachher durch denselben Khi-tsi, der sich mit der Stelle eines
Anführers der Streitwagen begnügt hatte, getödtet. Khi-tsi nahm
hierauf von dem Throne Besitz und hiess König ¥ Ping. Der
Tschün-tsieu verzeichnet diese Begebenheit wie folgt: „Sommer,
vierter Monat. Pi, Prinz von Tsu, kehrt aus Tsin zurück nach Tsu. Er
tödtet seinen Landesherrn Khien in Kien-khi.“ Ferner: „Khi-tsi
Prinz von Tsu, tödtet den Prinzen Pi.“
Der Fürst erscheint bei der Versammlung der Reichsfürsten in
Ping-khieu.
„Tsin versammelte die Reichsfürsten in Ping-khieu.“
Seit der Fürst von Tsin den Palast von Khi-khi erbaut hatte,
neigten sich diejenigen Reichsfürsten, welche an dem Hofe von Tsin
erschienen und sich angeschlossen hatten, zum Abfall. Gleich nach
dem Tode des Königs Ling von Tsu berief daher Tsin eine neue Ver
sammlung nach U 2p Ping-khieu, einem Gebiete des Reiches
Wei.
„Scho-fu wünschte von Wei ein Geschenk.“
Scho-fu ist der jüngere Bruder Scho-hiang's von
Tsin.
„Er hiess die Futterschneider das Mass überschreiten.“
Um seinen Zweck zu erreichen, liess Scho-fu so viel Gras und
Pflanzen zur Feuerung sammeln, dass das Land dadurch belästigt
wurde.
„Die Menschen von Wei entsandten Thu-pe, damit er Scho-
hiang als Geschenk reiche Fleisch mit Brühe und eine Kiste voll
Seidenstoffe.“
yfjjj J|| Thu-pe, ein Grosser des Reiches Wei.
„Hierbei sprach er: Die Fürsten des Reichs weihen ihre
Dienste Tsin und wagten es noch nicht, sich zu sondern oder zum
214
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
Abfall zu neigen. Um wie viel weniger Wei, welches sich befindet
unter dem Hausdache eures Landesherrn, und es wagen sollte, an
deren Sinnes zu werden?“
„Die Futterschneider benehmen sich anders als in früheren
Tagen. Wir wagen es, ihretwegen zu bitten.“
„Scho-hiang behielt das Fleisch mit Brühe und gab zurück die
Seidenstoffe.“
Er gab hierdurch zu verstehen, dass er gegen die Absicht des
Gebers nichts einzuwenden habe, jedoch den Vortheil verschmähe.
„Zugleich sprach er: Es gibt einen Mann Namens Yang-sche-
fu. Er trachtet nach Gütern und ist unersättlich.“
§fr # ¥ Yang-sche-fu ist Scho-fu.
„Er wollte zu ihnen auch ferner gelangen und erwies euch die
sen Dienst.“
Der Bruder Scho-hiang’s liess durch die Futterschneider das
Land zu dem Zwecke verwüsten, dass ihm von Seite des Beiches
Wei Geschenke geboten werden.
„Wenn du ihn beschenkst im Namen deines Landesherrn, so
hat die Sache ein Ende.“
„Der Gast befolgte dieses. Er hatte sich noch nicht zurückge
zogen, so gebot jener Einhalt.“
Thu-pe beschenkte Scho-fu mit den Seidenstoffen, worauf die
ser sogleich die Futterschneider abhielt.
„Die Menschen von Tsin wollten den Vertrag erneuern. Die
Menschen von Tsi weigerten sich.“
„Der Fürst von Tsin hiess Scho-hiang die Meldung bringen
dem Fürsten Hien von Lieu.“
Der Fürstjjäj^ Hien von der Familie J^lj Lieu war Beichs-
minister von Tscheu. Derselbe war bei der Versammlung als Abge
sandter des Himmelssohnes erschienen.
„Er sprach: Wenn die Menschen von Tsi den Vertrag nicht
schliessen sollten, was wäre dann zuthun?“
„Jener antwortete: Durch denVertrag bethätigt man die Treue.
Besitzt euer Landesherr die Treue, so neigen sich die Beichsfürsten
nicht zum Abfall. Warum solltet ihr euch kümmern?“
„Wenn ihr ihnen die Meldung bringt in geschmückter Bede,
wenn ihr sie in Ordnung haltet durch die kriegerische Menge, dann
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. 215
mag Tsi immerhin es nicht zugehen, euer Landesherr bleibt ewig
siegreich.“
„Ich der alte Mann des Himmelssohnes werde bitten, mich
stellen zu dürfen an die Spitze der königlichen Macht.“
„Gewalt’ge Wagen zehn dort rollen an,
Sie geh’n voraus, sie brechen sich die Bahn.“
„Ob früher, oder später steht bei eurem Landesherrn.“
Die obigen Verse sind aus dem Siao-ya, Abschnitt: „Im sechsten
Monat.“ Die zehn Wagen sind die vordersten zehn Streitwagen
in dem Heere des Himmelssohnes, welches der Fürst Hien gegen
Tsi führen will, sobald der Fürst von Tsin es wünschen sollte.
„Scho-hiang meldete nach Tsi: Die Fürsten des Reichs be
gehren den Vertrag und sind bereits hier eingetroffen. Jetzt will
euer Landesherr davon keinen Nutzen ziehen: unser Landesherr stellt
darob die Bitte.“
„Man antwortete ihm: Wenn die Fürsten des Reichs bestrafen
die Abtrünnigen, so erneuern sie hierdurch den Vertrag. Wenn Alle
dem Befehle gehorchen, wozu dann die Erneuerung des Vertrages?“
„Scho-hiang sprach: Reiche und Häuser gehen zu Grunde
durch Folgendes: Man hat Angelegenheiten, aber keine Beschäfti
gung. In diesem Falle ist bei den Angelegenheiten nicht die Dauer.“
Die Angelegenheiten sind hier der freundschaftliche Verkehr.
Die Beschäftigung ist die Herbeischaffung des Tributes.
„Man hat die Beschäftigung, aber keine Beobachtung der
Gebräuche. In diesem Falle ist bei der Dauer keine Rangordnung.“
„Man hat die Beobachtung der Gebräuche, aber keine Furcht
barkeit der Macht. In diesem Falle ist bei der Rangordnung nicht die
Ehrfurcht.“
„Man hat die Furchtbarkeit der Macht, aber nicht die Offen
kundigkeit. In diesem Falle ist bei der Ehrfurcht keine Beleuchtung.“
Wo man den Göttern nichts offenkundig meldet, wird die Ehr
furcht nicht in das Licht gesetzt.
„Es ist keine Beleuchtung, man setzt hintan die Ehrfurcht:
die hundert Angelegenheiten gedeihen dann zu keinem Ende.“
Wo die Ehrfurcht hintangesetzt wird, ist keine Furchtbarkeit
der Macht. Wo keine Furchtbarkeit der Macht, ist keine Beobachtung
der Gebräuche. Wo keine Beobachtung der Gebräuche, ist keine
Sitzb. (I. phil.-hist. CI. XXI. Bd. II. Hft. 15
216
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
Beschäftigung. Wo keine Beschäftigung, kommen die Angelegenheiten
nicht zu Stande.
„Durch dieses stürzen sie über den Haufen.“
Reiche und Häuser gehen auf diese Weise zu Grunde.
„Desswegen trafen die erleuchteten Könige ihre Anordnungen
wie folgt: Sie heissen die Fürsten des Reichs jährlich einmal sich
erkundigen, um ihnen ins Gedächtniss zu rufen die Beschäftigung.“
Die Reichsfürsten entsandten jährlich einen Grossen ihres Rei
ches an den Hof des Himmelssohnes, um sich nach dessen Befinden
erkundigen zu lassen. Da bei dieser Gelegenheit Geschenke gebracht
wurden, so war der Zweck, die Reichsfürsten an die Herbeischaffung
des Tributes zu erinnern.
„Jedes zweite Jahr erschienen sie an dem Hofe, um sich zu
üben in den Gebräuchen.“
Jedes zweite Jahr erschienen die Reichsfürsten in eigener
Person an dem Hofe des Himmelssohnes.
„Nach zweimaligem Erscheinen an dem Hofe war eine Ver
sammlung, um ihnen zu zeigen die Furchtbarkeit der Macht.“
Nach Ablauf der genannten Zeit veranstaltete der Himmelssohn
eine allgemeine Versammlung der Reichsfürsten.
„Nach einer zweimaligen Versammlung erfolgte ein Vertrag,
um zu bekunden die Erleuchtung.“
Der Vertrag wurde beschworen und war eine Bekanntmachung
gegenüber den Göttern.
„Man rief ins Gedächtniss die Beschäftigung durch die Freund
schaft.“
Desswegen die Erkundigung an dem Hofe.
„Man übte sich in den Gebräuchen durch die Unterschiede.“
Desswegen das Erscheinen an dem Hofe, welches einen Unter
schied des Ranges voraussetzte.
„Man zeigte die Furchtbarkeit der Macht durch die Menge.“
Desswegen die Versammlung der Reichsfürsten.
„Man bekundete die Erleuchtung durch die Götter.“
Desswegen die beschworenen Verträge.
„Von den ältesten Zeiten bis auf die gegenwärtige hat dieses
noch Niemand ausser Acht gelassen.“
„Die Wege des Fortbestandes und des Unterganges sind immer
von hier ausgegangen.“
Dr. Pfizniaier. 217
„Tsin ist durch die Gebräuche der Herr des Vertrages. Es
fürchtet, dass sie nicht werden geregelt.“
„Wir empfangen den Tribut, bringen in Ordnung die Opferthiere
und legen dieses dar eurem Landesherrn. Wir trachten zu Ende zu
kommen mit der Angelegenheit.“
„Jetzt sagt euer Landesherr: Ich werde diese Dinge abschaffen.
Was sollte es hier wohl zu ordnen geben?“
„Nur euer Landesherr gehe hier mit sich zu Rathe. Unser
Landesherr hat den Befehl vernommen.“
„Die Menschen von Tsi fürchteten sich.“
„Sie antworteten: Das kleine Reich hat darüber gesprochen.
Das grosse Reich hat es angeordnet. Dürfen wir anders als gehor
chen? Wir haben den Befehl vernommen.“
„Wir huldigen in Ehrfurcht und begeben uns auf den Weg. Ob
früher oder später, steht bei eurem Landesherrn.“
„Scho-hiang sprach: Die Reichsfürsten haben eine schwache
Seite. Man kann nicht anders, als zur Schau stellen die Menge des
Heeres.“
„Im achten Monat, dem Tage acht veranstaltete man eine
Waffenübung. Man pflanzte dieFahnen, aber man entrollte sie nicht.“
„Am Tage neun entrollte man sie wieder.“
Man bekundete hierdurch eine kriegerische Absicht.
„Die Reichsfürsten fürchteten sich.“
Der Fürst nimmt nicht Theil an dem Vertrage von Fing-khieu.
„Die Menschen von Tschü und Khiü führten Klage in Tsin.“
„Sie sprachen: Lu richtet gegen uns Angriffe am Morgen und
am Abend. Wir sind so gut wie verloren.“
„Wenn wir den Tribut nicht reichen, so liegt die Schuld davon
an Lu.“
„Der Fürst von Tsin liess den Fürsten nicht vor.“
Der Fürst ist Fürst Tschao von Lu. Derselbe war bereits in
Tsin angekommen, wurde jedoch wegen der Beschuldigungen der
Reiche Tschü und Khiü nicht vorgelassen.
„Er hiess Scho-hiang kommen zu uns und die Entschuldigung
bringen mit den Worten: Die Reichsfürsten werden an dem Tage
eilf schliessen den Vertrag.“
io *
218
Dr. Pfizmaier.
Dieser Tag des Cyklus gehörte noch zu dem achten Monate des
Jahres.
„Unser Landesherr weiss, dass er in nichts dienen kann eurem
Landesherrn. Er bittet euren Landesherrn, sich nicht zu bemühen.“
Der Fürst von Lu wird hierdurch von der Theilnahme an dem
Vertrage ausgeschlossen.
„Tse-fo-hoei-pe antwortete: Euer Landesherr glaubt die
Beschuldigungen der Barbaren und verlässt das brüderliche Reich.“
Das Reich Khiü war unter den östlichen Barbaren gegründet.
„Er setzt zurück die Nachkommen des Fürsten von Tscheu.
Es geschehe ebenfalls nur der Wille eures Landesherrn. Unser Lan
desherr hat den Befehl vernommen.“
„Scho-hiang sprach: Unser Landesherr besitzt Streitwagen
viertausend, die zur Hand. Wollte er sie auch in Bewegung setzen
für das Unrecht, er wäre gewiss furchtbar. Um wie viel mehr, wenn
er sie voranschickt für das Recht ? Wie könnte ihm wohl ein Gegner
erwachsen?“
„Ist ein Rind auch mager, wenn es sich legt auf ein Ferkel,
wird dieses vor Furcht nicht sterben?“
Tsin wird hier mit dem mageren Rinde verglichen, Lu mit dem
Ferkel.
„Der Kummer wegen Nan-khuai und Tse-tschung, lässt er wohl
in Ewigkeit sich hintansetzen?“
# f Tse-tschung ist Tse-yin, der Genosse Nan-
khuai’s. Reide hatten sich im vorhergehenden Jahre gegen das Ge
schlecht Ki von Lu verschworen. Nan-khuai empörte sich in der
Stadt Pi, Tse-tschung floh nach Tsi.
„Wenn wir anbieten die Heeresmacht von Tsin, wenn wir
Gebrauch machen von den Heeren der Fürsten des Reichs, wenn wir
uns halten an den Zorn der Reiche Tschü, Khiü, Khi und Thsing und
strafen die Verbrechen von Lu, wenn wir uns zu Nutzen machen
seinen doppelten Kummer: was sollten wir dann anstreben, ohne dass
wir es zu thun im Stande?“
„Die Menschen von Lu fürchteten sich. Sie gehorchten dem
Befehle.“
Lu verzichtete auf die Theilnahme an dem Vertrage. Der
Tschün-tsieu enthält über dieses Ereigniss blos die Worte: „Der
Notizen nus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
219
Fürst nimmt nicht Theil an dem Vertrage.“ Er übergeht somit, was
die Zeitgenossen genau wussten, dass nämlich Lu zur Strafe von
dem Vertrage ausgeschlossen wurde. Auch über andere Vorfälle die
ser Art, welche dem Fürsten von Lu zur Schande gereichten, pflegte
Confucius einen Schleier zu ziehen.
Tsc-tschan streitet wegen der Darreichung des Tributes.
„Als man den Vertrag schloss, stritt Tse-tschan wegen der
Darreichung des Tributes.“
Prinz Tse-tschan von Tsching verlangte von Tsin, dass der von
diesem Reiche in Anspruch genommene Tribut in Bezug auf dessen
Menge nach der Rangstufe der Reichsfürsten festgesetzt werde.
„Er sprach: Einst ordnete der Himmelssohn nach Classen den
Tribut.“
„Leichtigkeit und Schwere richteten sich nach dem Range.
Bei denjenigen, deren Rang hoch, war der Tribut ein schwerer. So
sind die Anordnungen der Tscheu.“
Den Reichsfürsten erster und zweiter Classe wurde ein hoher
Rang zugeschrieben. Ihr Land war ursprünglich gross, daher ent
richteten sie den meisten Tribut.
„Dasjenige, dessen Rang niedrig, aber der Tribut schwer,
waren die unterworfenen Gebiete des Himmelssohnes.“
Die dem Himmelssohne in einem Umkreise von fünfhundert Li
unterworfenen Landschaften entrichteten wegen ihrer Nähe einen
höheren Tribut.
„Tsching gehört in die Reihe der Reichsfürsten der dritten bis
zur fünften Classe, aber man heisst es sich richten nach dem Tribute
der Reichsfürsten erster und zweiter Classe.“
Das Reich Tsching war ein Lehen dritter Classe. Die Reichs
fürsten dritter, vierter und fünfter Classe entrichteten nach den frü
heren Anordnungen dem Himmelssohne einen geringen Tribut.
„Ich fürchte, dass er nicht werde dargereicht werden. Ich
wage es, in dieser Hinsicht zu bitten.“
Da das Reich Tsching klein ist, so dürfte der von ihm gesam
melte Tribut der Darreichung nicht werth sein.
„Als die Fürsten des Reichs ruhen Hessen die Waffen, machten
sie die Freundschaft zu ihrer Angelegenheit.“
Dieses bezieht sich auf den Vertrag von Sung.
220
Notizen aus (1er Geschichte der chinesischen Reiche etc.
„Der Befehl der Mahner hinsichtlich des Tributes, es gibt
keinen Monat, wo er nicht zu uns gelangt.“
Tsin entsandte besondere Menschen Hang-li genannt,
welche an den Tribut erinnerten.
„Entweder der Tribut besitzt keine vorzüglichen Eigenschaften,
oder das kleine Reich bleibt damit im Rückstand: hierdurch wird es
verwickelt in Schuld.“
„Als die Reichsfürsten ordneten den Vertrag, wollte man erhal
ten die kleinen Reiche.“
„Wenn der Tribut ohne Grenzen, so kann man erwarten ihren
Untergang.“
„Ob Erhaltung angeordnet werde oder Untergang, wird ent
schieden an dem heutigen Tage.“
„Man stritt von dem Mittag bis zu dem Abend. Die Menschen
von Tsin gewährten es.“
„Nachdem der Vertrag geschlossen, verargte es ihm Tse-tai-
scho und sprach: Wenn die Reichsfürsten strafen sollten, können wir
wohl gleichgiltig bleiben?“
Yeu-ke fürchtet, dass Tsin mit Hilfe der Reichsfürsten das
Reich Tsching angreifen werde.
„Tse-tschan sprach: Die Regierung von Tsin hat viele Thore.“
Die Regierung dieses Reiches befindet sich in den Händen
mehrerer Familien.
„Für die Beschäftigung mit Doppelherzigkeit und Wankelmuth
bleibt ihm nicht die Zeit: wie hätte es wohl Zeit zu strafen?“
„Wenn unser Reich nicht gestritten hätte, so wäre man gegen
uns ebenfalls angedrungen. Wie hätte sich dann das Reich behaupten
lassen?“
„Tschung-ni hielt dafür, dass Tse-tschan bei diesem Hinzuge
sich würdig gezeigt, zu sein das Fussgestell der Reiche.“
Tschung-ni ist Confucius.
Dr. Karl Hopf. Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros etc. 221
SITZUNG VOM 16. JULI 1856.
Vorgelegti
Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros und
ihrer Beherrscher in dem Zeiträume von 1207 bis 1366.
Von Dr. Karl Hopf,
Privatdocenten der Geschichte an der k. Universität zu Donn.
Nachdem das Aprilheft 1855 der Sitzungsberichte meine Ab
handlung über die Geschichte der Insel Andros und ihrer Beherrscher
initgetheilt hat, erlaube ich mir heute, der hohen k. Akademie
die in derselben versprochenen Urkunden und Zusätze vorzulegen.
Sind letztere an Anzahl auch nur gering, so wird man doch einzelne
Stücke dieser Nachlese nicht gerne vermissen, und wie notlnvendig
die Mittheilung der Urkunden selbst zur näheren Motivirung der
angeführten Thatsachen ist, weiss ja Jeder. Am wenigsten aber kann
man sie auf einem Gebiete entbehren, das bisher fast gar nicht ange
baut war. Bei Forschungen, wie die meinigen sind, die ein in zahl
lose kleine Dynastien getheiltes grosses Reich betreffen, ist es be
kanntlich vor allen Dingen nöthig, erst das Material mosaikartig
zusammenzufügen; erst dann lässt sich eine feste Basis gewinnen, auf
der allein sich eine historische Darstellung aufbauen lässt. Bisher
war die Chronologie der fränkischen Staaten Griechenlands, die
Genealogie ihrer occidentalischen Herrscher über Gebühr vernach
lässigt und entstellt, wie uns ein Blick auf Buchon's schonredne
rische Fabeleien undFinlay’s geistreich-unkritischen Hypothesen
wust zur Genüge lehrt; unmotivirte Ansichten, schöne Phrasen und
zahlreiche gefälschte Urkunden spielten auf diesem Gebiete die Haupt
rolle. Einen neuen festeren Grund und Boden kann man erst durch
222
Dr. Karl Hopf.
die in Wien und Venedig aufbewahrten authentischen Aetenstücke
gewinnen. Um diesen aber nach Gebühr zu befestigen, bedarf es
ohne Zweifel zunächst kleinerer Monographien die zuerst die äussere
Geschichte durch strenge Sichtung der Thatsachen feststellen; so
erhalten wir erst den Rahmen, in den sich hernach leicht ein klares
Gemälde der inneren Verhältnisse einspannen lässt. Solche Vorar
beiten zu einer umfassenderen Geschichte des ganzen fränkischen
Griechenlands waren meine Abhandlungen über Karystos und Andros,
die, auf ungedruckte Urkunden basirt, einerseits Monographien für
sich sein sollten, in denen eine Menge neuer, lang vergrabener That
sachen wieder auferweckt wurde, andererseits aber eine sichere
Grundlage für eine zusammenhängende, nicht mosaikartig zusammen
gefügte Darstellung abgeben sollten. Zu solchen kritischen Forschun
gen eignet sich freilich ein ganz anderer und etwas trockenerer Styl,
als der Plutarchischen Anekdotenkrams; allein in das lieblich roman
tische Dunkel das bisher diese Blüthezeit occidentalischen Ritter
thums umnebelte, mit der bellen, oft sehr entnüchternden Fackel
wahrhafter Kritik hineinzuleuchten, ist nicht immer das angenehmste
Geschäft. Darstellende Entwickelung der inneren Verhältnisse ist
jedenfalls lohnender; allein bei solchen kleineren kritischen Mono
graphien verschwinden letztere ganz natürlich gegen die Masse ein
zelner äusserer Facta und Verhältnisse die doch auch eben so gut
wie jene, der Geschichte angehören. Urkundenbände liefern uns nur
selten anschauliche Bilder vom Hof- und Volksleben das wir ja weit
besser aus Chroniken kennen lernen; von der Lebensweise der
Dynasten Griechenlands finden wir in jenen nur höchst spärliche Zeug
nisse, die uns Sanudo's Geschichte von Romania und die Chronik von
Morea *) nur theilweise ersetzen können. Curtius hat in seinem Naxos
freilich recht schön die Hofhaltung der Inselherzoge geschildert;
allein was er uns darüber sagt, findet sich leider nur bei Sauger
und in keiner Quelle vor. Das mag ganz hübsch ausgedacht sein,
kann aber durchaus keinen Anspruch auf historische Wahrheit machen,
und nach der Entlarvung jenes Schwindlers wird Curtius schwerlich
D Ich habe diesem von Buchon mit dem Namen Livre de la Conqueste belegten Werke
seinen alten und richtigen Namen wiedergegeben; denn das während des ganzen
Mittelalters so oft citirte, so viel gelesene „Liber conquistös“ ist ein ganz anderes,
vor 350 Jahren zum ersten und letzten Male edirtes Werk.
Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros etc.
223
mehr mit Bestimmtheit auf seinen Hypothesen beharren. Weit mehr
Hesse sich über Administration, Steuerwesen, rechtliche, sociale,
kirchliche Verhältnisse jener Zeiten sagen. Um diese darzustellen,
standen mir allerdings die genauesten Materialien zu Gebote, wenn
auch nicht immer solche Kataster und Berichte, wie sie Ranke bei
seiner Darstellung der venetianischen Herrschaft in Morea im sieb
zehnten und achtzehnten Jahrhundert zur Hand hatte, doch
wenigstens ebenso detaillirte Nachrichten, wie wir sie nur über irgend
einen Staat Europa’s aus dem Mittelalter besitzen mögen. Allein
für die innere Geschichte von Andros boten mir die Archive weiter
nichts, als was ich hie und da in meine Abhandlung gelegentlich ein
gewebt habe. Aber selbst im Falle, dass darüber die Quellen reich
licher geflossen wären, würde ich es vorgezogen haben, diese Ver
hältnisse hier nur kurz zu berühren. Sie fordern eine zusammen
hängende Darstellung: man muss da alle Kleinstaaten Griechenlands,
in denen wir ja während der fränkischen Periode fast überall gleichen
Zuständen begegnen, zusammenfassen, um aus denzerstreutenNotizen
ein klares, übersichtliches Bild des ganzen inneren Lebens, der
fränkisch-byzantinischen Culturgeschichte zu entwerfen. Nun liegen
zwar über die innere Geschichte von Achaia, Athen, Negroponte,
Naxos u. s. w. mir die vollständigsten Nachrichten vor; das ganze
Wesen der venetianischen Administration in Griechenland während
des Mittelalters lässt sich bis ins kleinste Detail verfolgen; wir be
sitzen sehr genaue Steuerrollen über einzelne Theile; die in der
Marciana aufbewahrten Handschriften der Assisen von Romania ent
halten des Wichtigen noch weit mehr, als was wir aus Canciani's
Ausgabe in denLeges barbarorum kennen; Lequien's Fragmente zur
griechischen Kirchengeschichte sind nur eine unbedeutende Kleinig
keit im Vergleiche mit den im venetianischen Archive enthaltenen
Materialien: allein, wenn wir auch zu der Annahme hinlänglich berech
tigt sind, dass dieselben oder wenigstens sehr ähnliche Verhältnisse
auf Andros ohgewaltet, so kann es doch nicht der Zweck einer kri
tischen Monographie sein, dieselben gerade für diese Insel aus der
Analogie heraus zu construiren. Alle diese Verhältnisse sollen in
meinem später erscheinenden Werke, das die ganze „Geschichte des
fränkischen Griechenlands und seiner Inseln in dem Zeiträume von
1203 bis 1566“ umfassen soll, ihre verdiente Würdigung finden.
Dasselbe soll alle jene Staaten berücksichtigen, die aus dem grossen
224
Dr. Karl Hopf.
Zersetzungsprocesse des byzantinischen Reiches in Europa und in
Asien hervorgingen, also eben so gut das Reich der Gross-Komnenen
von Trapezunt und die anderen Reste griechischer Herrschaft in Klein
asien, wie das lateinische Kaiserthum in Konstantinopel, seine Le
hensstaaten in Thessalonich, Achaia, Athen, im Archipel u. s. w. und
die griechischen Despotate in Epiros und Thessalien. Cypern das
schon lange vor der fränkischen Eroberung sich vom Reiche der An-
geloi abgetrennt hatte, habe ich aus dem Kreise meiner Forschungen
ausgeschlossen, da Herr L. de Mas Latrie sich gerade jetzt mit sehr
umfassenden Studien über die Geschichte der Lusignan beschäftigt,
und, wenn er auch in Venedig weit mehr noch von wichtigen Mate
rialien hätte entdecken können, als er daher mitgetheilt hat, doch
wenigstens die hauptsächlichsten jener Quellen die mir zu Gebote
standen, benutzt hat. Ebenso liess ich Rhodos abseits liegen, dessen
mittelalterliche Geschichte zu eng mit der des Johanniterordens ver
wachsen ist, um die zahlreichen in Malta noch liegenden Libri bul-
larum für sie entbehren zu können. Weit schwerer fiel es mir, die
wichtige Insel K a n d i a, Venedigs erstes Emporium in der Levante,
übergehen zu müssen; allein nur zu bald sah ich ein, dass ohne ein
jahrelanges Studium in den Archiven dieser Insel, die leider heute
noch unausgepackt in den unteren Räumen des Archivs ai Frari mo
dern, sich nur Stückwerk und keine ordentliche Geschichte der
selben liefern lasse. Da Kandia überdiess mit den übrigen griechi
schen Staaten, selbst mit den anderen venetianischen Resitzungen im
Archipel und inMorea, in fast gar keinem oder nur sehr losem Zusam
menhänge steht, so habe ich mich vorläufig mit Flaminio Cornaro’s
Creta sacra begnügen müssen und nur einzelne Zusätze zu derselben,
namentlich aus verschiedenen Relazioni, sammeln können. Somit mag
denn die Ausschliessung dieser Insel wohl eine Entschuldigung finden.
Haben wir für das griechische Festland wenigstens einzelne
vollständigere Notizen bei Buchon, so fehlte über die Inseln und
namentlich über die venetianischen Herrschaften des Archipels bisher
alles Material. Höchstens kannte man aus Dandolo und anderen die
Namen der ersten Eroberer und diese nicht einmal vollständig; über
die Vererbung der kleineren Staaten war gar nichts bekannt. Voll
ständigere Naclnüchten hat zuerst Professor R o m a n i n in seiner treff-
lichenStoria documentata di Venezia (II. 184) geliefert; allein da er
nur von den Conquistadores, nicht von deren Erben handelt, möchte
Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros etc.
225
eine kurze Übersicht der griechischen Inseln und der Familien die
sie beherrschten, mit genaueren chronologischen Angaben den
Geschichtsforschern nicht unerwünscht sein und hier wohl einen
Platz um so eher verdienen, als alle Notizen lediglich auf urkundliche
Quellen basirt sind.
Korfu.
Kefalonia, Zante,
Ithaka.
Santa Maura.
Paxo.
Cerigo.
Cerigotto,
Salamis.
Ägina.
Delos, Gyaros, )
Kythnos.Pathmos.J
Tinos und Mikonos.
Andros.
Syra.
Zia.
Venetianisch 1207 bis um 1214. Despoten von
Epiros um 1214 — 1259. König Manfred und
Filippo Chinardo 1259 —1267. Neapolitanisch
1267—1386. Venetianisch 1386—1797.
Despoten von Epiros 1205—1337. Byzanti
nisch 1337—1357. Tocchi 1357—1482.
Despoten von Epiros 1205 —1331. Giorgi
1331—1362. Tocchi 1362—1482.
Bei Kefalonia 1205 —1357. St. Ippolyto 1357
bis 1484. Ugoth (Gotti) 1484—1527. Bei Ca-
rigotto 1527—1797.
Venieril207—1269. Monojannil267—1309.
Venieri 1309—1797.
Viari 1207—1655. Foscarini und Giustiniani
1655—1797.
Bei Athen.
Bei Karystos 1205—1317. Aragon 1317 bis
um 1400. Cavopena um 1400—1451. Vene
tianisch 1451—1537.
Bei Naxos.
Ghisi 1207 —1390. Venetianisch 1390 bis
1718. (Venetianische Lehensgrafen aus den Häu
sern Bembo, Quirini und Falier 1407—-1429.)
Dandoli 1207 — 1233. Ghisi 1233 bis um
1250. Sanudi um 1250—1384. Zeni 1384 bis
1437. Sommaripa 1437—1566.
Bei Naxos (öfters Apanage).
In J / 4 : Giustiniani 1207—1366. Da Coronia
1366—1464. Gozzadini 1464—1537.
In y 4 : Michicli 1207—1355. An dicPrema-
rini.
226
Seriphos.
Thermia.
Sifanto, Sikino,
Polykandro.
Milos und Kimolos.
Santorin.
Namfio.
Nio.
Paros und Nausa.
Antiparos.
Naxos.
Skyros, Skiatlios,)
Chelidromi. (
Dr. Karl Hopf.
in i/ 2 : Ghisi 1207 — 1328. Premarini 1328
bis 1373, seit 1335 in s / 4 ; dann getheilt:
in °/ 10 : Premarini 1375-—-1537;
in s /io: Sanudi 1375 —1405. Gozzadini
1405—1537.
In i/ 4 : Michieli 1207—1537;
in i/ 4 : Giustiniani 1207 bis um 1412. An die
Adoldi u. s. w.
In y 2 : Ghisi 1207—1334. Bragadini 1334
bis 1354. Minotti 1354—1373. Adoldi 1373
bis 1432. Michieli 1432—1537.
Sanudi 1207 bis um 1320. Castelli um 1320
bis 1331. Gozzadini 1331—1537.
Sanudi 1207—1269 (dem Titel nach bis 1341,
dann Grimani, Titularbesitzer 1341—1537).
Byzantinisch 1269—4307, da Coronia 1307 bis
1464. Gozzadini 1464—1617.
Sanudi 1207—1376. Crispi 1376—1566.
Barozzi 1207—1350. Bei Naxos 1350 bis
1477. Pisani 1477—1487. Bei Naxos 1487 bis
1537.
Foscoli 1207—1269. Byzantinisch 1269 bis
1307. Gozzadini 1307—1420. Crispi 1420 bis
1469. Barbari 1469—1528. Pisani 1528 bis
1537.
Sanudi 1207—1269. Byzantinisch 1269 bis
1292. Schiavi 1292 bis um 1320. Bei Naxos um
1320—1420. Nebenlinie der Crispi 1420 bis
1508. Pisani 1508—1537.
Bei Naxos 1207—1389. Sommaripa 1389 bis
1516. Venieri 1516—1531. Sagredi 1531 bis
1537.
Bei Paros 1207—1439. Loredani 1439 bis um
1490. Pisani um 1490—1537.
Sanudi 1207—1362. Dalle Carceri 1362 bis
1383. Crispi 1383—1566.
Ghisi 1207—1269. Byzantinisch 1269 bis
1455. Venetianisch 1455—1537.
Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros etc.
227
Skopelos.
Negroponte.
Karystos.
Lemnos.
Lesbos.
Chios, Samos.
Nikaria.
Kos.
Stampalia.
Amorgos.
Nisyros, Piskopia,
Kalchi.
Ghisi 1207—1262. Tiepoli 1262—1310.
Byzantinisch 1310—1454. Venetianisch 1454
bis 153S.
In ‘/ 3 : dalle Carceri 1205—1254. Da Verona
1254.—1383. Sommaripa 1383—1470.
In y 3 : Peccorari 1205—1214. Dalle Carceri
1214 bis um 1300. Ghisi um 1300—1390.
Venetianisch 1390—1470.
In y 3 : da Verona 1205— 1383. De Noyer
1383—1470.
Dalle Carceri 1205 bis um 1254. Cicons um
1254—1292. Da Verona 1292—1317. Aragon
1317—1365. Venetianisch 1365 —1386. Giu-
stiniani 1386 —1404. Venetianisch 1404 bis
1406. Giorgi 1406—1470.
Navigajosi (mit ihnen hernach Gradenighi
und Foscari) 1207 —1269. Byzantinisch 1269
bis 1453. Gattilusj 1453—1462.
Byzantinisch (d. h. erst unter Nikäa) 1205 bis
1355. Gattilusj 1355—1462.
Bei Konstantinopel 1205—1247. Bei Lesbos
1247—1303. Zaccaria 1303—1333. Byzanti
nisch 1333—1346. Die genuesische Adelszeche
der Giustiniani als Aetiengesellschaft, in 14 und
mehr Linien, 1346—1566.
Beazzani 1205 —1333. Bei Chios 1333 bis
1481. Johanniter-Orden 1481—1521.
Bei Lesbos 1205—1309. Johanniter-Orden
1309—1521.
Quirini 1207—1269. Byzantinisch 1269 bis
1310. Quirini und Grimani 1310 —1537.
Ghisi 1207—1269. Byzantinisch 1269 his
1296. Ghisi 1296—1368; getheilt:
in y a : Quirini 1368—1537;
in y a : Grimani 1368-—4446. Quirini 1446
bis 1537.
Bei Bhodos 1205 —1306. Assanti 1306 bis
1385. Bei Rhodos 1385—1521.
228
Di*. Karl Hopf.
Rhodos.
Gavala 1204—1246. Byzantinisch 1246 bis
1283. Aidinoghlü 1283 — 1309. Johanniter-
Orden 1309—1521.
Skarpanto.
Bei Rhodos 1204—1306. Moreschi 1306 bis
1309. Cornari 1309—1521.
Kandia.
Montf'errat 1203—1204. Venetianisch 1204
bis 1669.
Die übrigen kleineren Inseln gehörten grösstentheils zu Naxos
oder zum byzantinischen Reiche, einzelne auch, z. B. Imbros und
Samothrake, bis 1261 den lateinischen Kaisern von Konstantinopel.
Znsätze
S. 35. Andros war eigentlich einer der ersten Puncte des
byzantinischen Reiches, in dessen Besitz sich die Kreuzfahrer setzten.
Auf ihrem Zuge von Korfu nach Konstantinopel landeten sie (gegen
den 15. Juni 1203) auf Andros und durchstreiften bewaffnet die
Insel. Sie begnügten sich jedoch diesmal damit, den kaiserlichen
Prinzen Alexios (IV.) dort als Herrn anerkennen zu lassen *), und
setzten dann ihren Weg weiter nach Abydos fort; erst 1207 ward
Andros faetisch den Venetianern unterthan.
S. 51. DieHerzoge des Archipels müssen häufig auf dem Schlosse
von Andros residirt haben; diese Insel war abwechselnd mit Naxos
Hauptsitz der Sanudi. So stellte z. B. dort am 1. Mai 1336 3 ) Herzog
Nicolö I. Sanudo eine Acte aus, durch die er den Francesco Goz-
zadini aus Bologna, Herrn von Thermia mit dem Schlosse La
Ponta auf S anto rin und verschiedenen Leibeigenen auf Santorin
und Polykandros begabte.
S. 55, n. 6. Über Pietro Reeanelli finden sich ausserdem
noch zahlreiche Urkunden in einer Handschrift der „Conventiones in-
sulae Chii“, die zu Mailand in der Bibliothek des Fürsten Emilio
*) La Chronique de Geoffroy de Villehardouin (Buchon Recherches et materiaux. Paris
1840. Tom. II. ) pag. 58 et 229 a. „Si ariverent en une isle kiestoit apelee Andre. Et
descendirent a terre et s’armerent et coururent par la terre; mais les gens dou pais
vinrent a merchi au fil Pempereour de Constantinoble et li donnerent del leur taut
que pais fisent ä lui. Et puis rentrerent en lor vaissiaus et coururent par mer.“
2 ) Bologna. Archivio Gozzadini. Cartone di diverse cose.
Urkunden und Zusätze zur Geschiehte der Insel Andros etc.
229
Belgiojoso liegt und deren sorgfältige Collationirung mit den anderen
chiotischen Urkunden ich der Güte meines Freundes, Herrn Profes
sors Joseph Müller in Pavia, verdanke. Auch sie bestätigt das Jahr
1380 als das Todesjahr Recanelli’s.
S. 65, n. 4. Francesco da Verona bekleidete später das
Amt eines Schatzmeisters (thesaurarius) der venetianischen Republik
in Nauplia; er ist daselbst im Jahre 1427 1 ) gestorben.
S. 71. Der vollständige Titel der hier angegebenen Diseursus
historici über Lodi lautet: Lodi difendente. Discorsi istorici in ma-
terie diverse appartenenti alla cittä di Lodi. 1628. 4; sie enthalten
jedoch weiter nichts, als was uns dal Pozzo aus ihnen mitgetheilt
hat.
S. 83. Wie eifrig Herzog Pi etr o Zeno bemüht war, die Dyna
sten des Archipels zum gemeinsamen Widerstand gegen die Osmanen
zu vereinigen, geht u. a. auch aus einem Decret des venetianischen
Senates vom 39. August 141S 2 ) hervor. Damals hatte der Bailo von
Negroponte durch den Sopracomito del golfo Zanachi Pasqualigo
eine Aufforderung an die Dynasten des Archipels ergehen lassen,
welche nicht Venedigs Oberhoheit huldigten. Die Giustiniani von
Cliios, Fürst Francesco II. Gattilusio von Lesbos und die
Johanniter, die ausser Rhodos noch manche Inseln inmitten der Ky
kladen, wie z. B. Kos und Delos, besassen, waren eingeladen worden,
mit Venedig eine Liga gegen die immer mehr anwachsende Macht
der Osmanen einzugehen. Alle Vorstellungen, dass sie selbst ihre
Länder lediglich durch einträchtiges Zusammenwirken mit der Gross
macht Venedigs erhalten könnten, waren fruchtlos geblieben; die
nationale Eifersucht zwischen Venedig und Genua blendete die Herren
des Archipels. Da bedurfte es denn wiederum der eifrigen Vermitte
lung Pietro Zeno's, um zu einem Abschlüsse zu kommen. Die
übrigen Dynasten trauten ihm schon mehr, als der Republik, da er
sich so oft schon als einen wackern Vorkämpfer griechischer Inter
essen bewährt hatte; sie erboten sich ihm gegenüber, je eine Galeere
zum Schutze des ägeischen Meeres halten zu wollen, und stellten sie
ihm zur Disposition. Venedig genehmigte gern diesen Vertrag; es
meldete damals an Zeno, dass sich auch Kaiser Manuel Palaeologos
*) Notatorio. Tom. VI. Fol. 46, a.
D Misti. Tom. LI. Fol. 172, a.
230
Pr. Karl Hopf.
dieser Liga angeschlossen, und forderte ihn auf, nach Kräften den
Osmanen zu widerstehen. Die Folge seiner Rüstungen und Raub
züge in Kleinasien war der erste Seekrieg zwischen Venedig und
den Osmanen. Andros stellte übrigens auch noch unter der Regie
rung des Crusino I. de Sommaripa eine Galeere gegen die
Osmanen; so sehen wir z. R. im Jahre 1444 die Galeeren von
Naxos, Andros und Tinos unter dem Commando des Yenetianers
Luigi Loredano, Vaters des Giovanni vonAntiparos, gegenSultan
Muräd II. vereinigt. — Eine andere Probe seiner Tüchtigkeit legte
Pietro Zeno im Jahre 1423 ab, als er durch geheimes Decret des
Senates vom 2. Juli a ) zum Rerichterstatter über die Verhältnisse
von Thessalonich ernannt ward, die er der so viel in der Levante
verkehrt, wohl am besten kennen mochte. Seiner Refürwortung ist
vornehmlich die Erwerbung dieser Stadt zuzuschreiben, die ein
Hauptsitz venetianischer Colonisation in der Levante geworden wäre,
hätte nicht übergrosse Sparsamkeit, verbunden mit dem Streben nach
Landbesitz auf dem italienischen Festlande —• der Hauptfehler des
grossen Dogen Francesco Foscari — Venedigs Augen allzusehr von
seinen griechischen Resitzungen abgelenkt.
S. 90. Eine Orange als Lehenszins findet sieh auch in einer
Acte des AngeloGozzadini vonThermia vom21. Januar 1418 3 )
durch die er seinen Verwandten Francesco da Bologna mit
Gütern auf Zia begabt, sowie in einem Privileg des Herzogs
Jaeopo III. Crispo vom 23. Juni 1476 4 ) mit dem er den Nicolö
G ozzadini, Herrn vonThermia, Sifanto und einem Theile
von Zia, mit Lehensgütern auf Naxos beschenkt.
S. 102. Giovanni Loredano, Herr von Antiparos, lag
im Jahre 1468 schon seit langer Zeit im Processe mit Herzog
Jaeopo III. von Naxos. Bei Loredano’s zweiter Vermählung (mit
Valenza Crispo) im Jahre 1446 war nämlich bestimmt worden, die
Familie Crispo sollte ihm, anstatt dass er Lehensgüter im Archipel
erhielte, jährlich eine bestimmte Abstandssumme zahlen. Herzog
Francesco II., Loredano’s Schwager, hatte dieselbe auch anfänglich
*) Secreti. Tom. XVI. Fol. 101, b.
a ) Misti. Tom. LI. Fol. 127, b.
3 ) Bologna. Archivio Gozzadini. F. 8, Nr. 12.
4 ) Bologna. Archivio Gozzadini. F. 24, Nr. 31.
Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros etc.
231
gezahlt; da aber die Vermögensverhältnisse der Crispi sich von Jahr
zu Jahr verschlechterten, so hatte er zuletzt die Zahlung unterlassen
müssen. Die geschuldete Summe war auf 938 Ducaten angewachsen;
vergeblich forderte sie Loredano von Francesco und dessen Nach
folger Jacopo ein. Erst als er sich an Venedig wandte und der Senat
durch Decret vom 18. Januar *) dem Capitano del mar Auftrag gab,
auf jede Weise diese Summe einzutreiben, ward Loredano von seinem
Neffen befriedigt.
S. 108. Unter Crusino’s I. Regierung besuchte auch der be
kannte Reisende Cyriacu s Pizzicolla aus Ancona den Archi
pel. Die Berichte über seine griechischen Wanderungen sind, gleich
den von ihm gesammelten Inschriften, sehr zerstreut; einzelne sind
von Moroni, andere von Mehus, wieder andere von Compagnoni
herausgegeben. Ein Exemplar seiner Reisebriefe, aus den letzten
Jahrzehnten des XV. Jahrhunderts stammend, befand sich vordem
unter den Handschriften eines Geistlichen zu Florenz, Namens Co tani,
der dasselbe an den Doctor Tozzetti verkaufte. Letzterer hat nun
in seiner Reise durch Toscana 2 ) eine Anzahl dieser Briefe abgedruckt
und von den anderen ziemlich genügende Auszüge geliefert; sie sind
fast sämmtlich an den reichen Genuesen Andriolo di Nicolö Giu-
stiniani Banca, Mitbesitzer der Insel Chios, gerichtet. Aus einem
derselben, datirt aus Paros den 25. December 1444 3 ), ersehen
wir, dass er auf seiner Reise auch Paros zweimal besuchte. Sein
erster Aufenthalt daselbst scheint nur von kurzer Dauer gewesen zu
sein; er begab sich von da nach Naxos, wiederholte aber bald wieder
seinen Besuch auf dem „schneeigen, marmorglänzenden“ Paros.
„Denn“ heisst es in seinem Briefe, „es genügt nicht, nur einmal die
trefflichen und edlen Denkmäler seines ganzen Alterthums gesehen
zu haben, sondern man möchte gerne immer sie bewundern. In Ge
sellschaft seines Fürsten Cursino besah ich froh Manches was ich
schon früher kannte, wieder; ausserdem aber betrachtete ich noch
einige Marmorköpfe und Statuen aus Marmor, die, mit wunder-
*) Mar. Tom. VIII. Fol. ISO, a.
2 ) Nelacioni d'alcuni viaggi fatti in diverse parti della Toscana dal dott. Giov. Targioni
Tozzetti. Firenze. Tom. V. 1773. 8. pag. 408 sq. Notizie di alcune lettere odeoporiche
di Ciriaco Anconitano.
3 ) Epist. XIII. pag. 423—424. (Urkunde Nr. XX; hier mitgetheilt, weil Tozzetti’s Werk
wenigen Archäologen bekannter ist.)
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXI. Bd. II. Hft.
16
232
Dr. Karl Hopf.
samen Abzeichen geziert, dort jüngst durch Cursino's Bemühungen
ans Tageslicht gefördert waren, mit grosserFreude. Von besonderem
Interesse jedoch war es für mich, hier den Namen des Urhebers von
Bildsäulen und manchen anderen trefflichen Zierraten eines einst so
gewaltigen Tempels, des Thrasyxenos*), zu lesen. Auch sah ich
mit Freuden im Hafen von Paros ein Schiff, beladen mit panischen
Marmorplatten, die Eurer herrlichen Colonie von Chios sicher zu
unendlichem Schmuck und zur Zierde gereichen werden.“ Cyriacus
übersandte dem Andriolo von da aas durch einen gewissen A. Ga-
laphatos ein Haupt und ein Bein aus Marmor und theilte ihm die An
fänge zweier von ihm neu entdeckten Inschriften mit. Nach längerem
Aufenthalte auf Paros besuchte er auch And ros, „berühmt durch
den Namen von Apollon’s Sohne Andros“ und setzte von dort aus
seine Reise nach Chios fort, von wo aus er am 12. Januar 1445 2 )
seinen folgenden Brief an Giustiniani schrieb. — Abgesehen davon,
dass wir aus diesem Briefe ersehen, dass Crusino 1. de Sommaripa
zuweilen auch auf Paros seine Residenz hatte, ist dieser Brief auch
darum sehr interessant, weil er dazu beiträgt, die herrschende Mei
nung, als seien die fränkischen Eroberer von der classischen Ver
gangenheit Griechenlands ganz unberührt geblieben, gründlich zu
widerlegen. Es lässt sich vielmehr leicht nachweisen, dass die in
Griechenland herrschenden Franken weit mehr für Erhaltung antiker
Denkmäler, für Ausgrabungen von Statuen und Tempelüberresten
gethan haben, als die Byzantiner, denen doch eigentlich diese Trümmer
heiliger Vergangenheit näher liegen mussten. Hier ist nicht der Ort,
alle diese Bemühungen der fränkischen Dynasten für Wiederbelebung
griechischen Geistes und althellenischer Kunstforschung zu einem
Bilde zusammenzustellen; ich bemerke hier nur, dass zu Cyriacus’
Zeiten nicht etwa Crusino I. als ein vereinzeltes Beispiel der Art
dastand, sondern dass mit ihm die epirotischen Herrscher Carlo I.
und Carlo II. de’Tocchi, die Herzoge Antonio I. und Nerio II. von
Athen, die Giustiniani von Chios, Fürst Dorino Gattilusio von Lesbos,
Francesco Nani, venetianischer Statthalter von Tinos und Mykonos,
t ) Ist dies vielleicht der Thrasymedes, Arignotos’ Sohn, der, nach Pausanias Zeugniss
(II. 27, 2) ein Parier, die Äsculapsstatue zu Epidauros aus Gold und Elfenbein ver
fertigte ?
2 ) Epist. II. pag. 425.
Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros etc.
233
und viele Andere in der Vorliebe für das classische Alterthum wett
eiferten. Cyriacus preist desshalb auch den Crusino in einem dem
Briefe beigefügten Sonette das Tozzetti leider wegen der schlechten
Verse nicht mitgetheilt hat i). Auch desshalb ist endlich dieser Brief
interessant, weil er uns zeigt, dass damals die weltberühmten Marmor
brüche auf Paros noch viel fachbenutzt wurden. Dieselben scheinen
überhaupt während des ganzen Mittelalters sehr fleissig ausgebeutet
worden zu sein. In der vor einigen Jahren herausgegebenen Reise-
heschreibung des Paters Felix Fab er finden wir 2 ), dass derselbe
am 22. November 1483 die Insel „die ehedem Minoia hiess“, be
suchte. Er bemerkt, dass dort sehr glänzender Marmor gebrochen
werde, der Parischer (Parinum) heisse und nach Venedig ausgeführt
werde. Auch finde man dort den sardischen Stein der dem Marmor
noch vorzuzieben sei. Sonst erwähnt Faber nichts von der Insel,
ausser dass sie zwar einen Hafen, aber einen nur sehr unbedeutenden
habe. Der geringe Umfang desselben wird schon von Buondelmonte
der 6S Jahrejfrüher die Insel besuchte, bemerkt. Letzterer erwähnt 3 )
auf Paros ausserdem noch die Burg und den Molo, den Piratenhafen
im Osten der Insel, von dem aus sich eine weite Ebene erstrecke,
das wohlbefestigte Städtchen Kefalo auf einem steilen Felsen und
einen fabelhaften Mühlbach der weisses Linnen und Leder schwarz
färbe.
S. 114. Zu den angesehensten Vasallen des Nico 15 de Som-
maripa, Herrn von Paros, gehörte die Familie de Leuda, die,
auf Naxos wohnhaft, dort das Lehen Piskopiana besass. Als
jedoch Simonello de Leuda im Jahre 1469 die Güter seines
Vaters und Grossvaters auf Paros in Besitz nehmen wollte, hinderte
ihn der Beherrscher der Insel daran. Simonello wandte sich mit
Bitten an die gewohnte Zufluchtstätte bedrängter griechischer Va
sallen, nach Venedig. Die Republik schrieb wiederholt an Nieolö und
forderte ihn auf, dem getreuen de Leuda nicht länger sein Lehen
vorzuenthalten: er gelobte sich zu fügen, allein er lohnte sieben
Jahre lang den Simonello nur mit leeren Worten. Erst als der Senat
‘j Tozzetti gibt daraus die erste Zeile: „Nivea Paros di marmor candentc“.
2 ) Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart. Band IV. Fratris Felicis Fabri
Evagatorium in Terrae sanctae, Arabiae et Egypti peregrinationem ed C. D. Kassier.
Tom. III. Stuttgart 1849. 8. pag. 264 et 299.
3 ) Buondelmontii Liber insularum ed. Sinner. Cap. 34.
16
a
234 Dr. Karl Hopf.
am 20. November 1476 1 ) seinem Capitano del mar den Auftrag gab,
auf jede Art, sei es nun durch gute Worte, sei’s mit bewaffneter
Hand, den Nicolö zum Gehorsam zu zwingen, fügte sicli derselbe,
und fortan blieb das Haus de Leuda im Besitze seiner parischen Lehen
bis zur türkischen Eroberung.
S. llä. Auch in einer venetianischen Staatsacte vom 3. Januar
1480 ~) wird Giorgio Sommaripa nebst seinem Sohne Gio
vanni , seinem Bruder Pierfrancesco und seinem Neffen Antonio
erwähnt.
S. 116. Von der Absicht des Nicolo I. von Paros, seine Insel
den Venetianern zu überlassen, zeugt auch ein geheimer Beschluss
des Senats vom 10. September 1490 s ). Am S. Juni hatte der Prove-
ditor der venetianischen Flotte Nicolö Pisani an den Batli der Zehn
geschrieben und gleichfalls am 8. dem Senate ein vom vorherge
henden Tage datirtes Schreiben des Erzbischofs Nicolö von Paro-
naxia übersandt. Die Einwohner von Naxos und Paros fühlten
sich unter der Regierung ihrer kleinen Dynasten damals recht un
glücklich, weil Sultan Bajasid II. gar häufig seine Flotten im Archi
pel kreuzen liess, und Herzog Giovanni III. von Naxos und Nicolö I.
von Paros nichts zu deren Abwehr thaten oder vielmehr beim besten
Willen nichts zu thun vermochten. Daher boten die Einwohner dem
venetianischen Proveditor an, sich der Republik zu ergeben. Pisani
wollte jedoch nicht eher auf ihren Antrag eingehen, als bis er darüber
die Gesinnung Venedigs erforscht hätte. Der Senat befahl ihm nun,
unter dem ersten besten Vorwände nach Naxos zu gehen und dem
Herzog seine verzweifelte Lage vorzustellen, jedoch sollte er sich
ja stellen, als habe er von der Republik keinen Auftrag dazu erhalten.
Fände er dann Crispo zur Abtretung seiner Inseln geneigt, so sollte
er ihm eine Pension auf Lebenszeit aussetzen; was er aber auch
immer nur thäte, sollte er schleunigst nach Venedig melden. Wirsehen,
dass Nicolö von Paros nicht abgeneigt war, seine unsichere fürst
liche Existenz mit einem ruhigen Privatleben zu vertauschen; der
Grund, wesshalb man Paros nicht einnahm, lag wohl darin, dass
Herzog Giovanni III. nicht bereit war, so wohlfeilen Kaufs seiner
*) Mar. Tom. X. Fol. 102, I>.
2 ) Raspe. Toni. XV. p. I. Fol. 21, a.
3 ) Secreti. Tom. XXXIV. Fol. 75, a.
Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros etc.
235
Souverainetät zu entsagen. Dass letzterer übrigens nicht im J. 1487,
wie uns Sauger (S. 287) vorscliwindelt, sondern erst 1494 ermordet
ward, zeigt ausser den Berichten glaubwürdiger venetianischer Histo
riker, namentlich Navagero’s und Bembo’s und zahlreichen in den
Secreti und Mar. enthaltenen Staatsacten, die jüngst vom Herrn Grafen
Giulio Porro in Mailand veröffentlichte Reise des Casola, der zufolge *)
Giovanni’s Tod um den 20. September 1494 zu setzen ist.
S. 124. Crusino III. de Sommaripa erscheint auch in
Staatsacten aus den Jahren 1534 und 1535 als Beherrscher von
Andros. Ein Schiff des Girolamo da Vegia, der von Venedig mit Ein
kauf von Getreide in der Levante beauftragt gewesen, war bei Milos
gestrandet, seine Güter waren theils von Herzog Giovanni IV. von
Naxos, theils von Crusino III. von Andros aufgefunden worden. Da in
dem fränkischen Griechenland von Strandrecht natürlich keine Rede
war, gab Crusino sofort die gefundenen Waaren dem Gestrandeten
zurück; um aber Herzog GiovannilV. zur Nacliahmungseines Beispiels
zu bewegen, bedurfte es vielfacher Ermahnungen von Seiten des vene-
tianischen Senates. Schon im Juli 1534 war ihm desshalb geschrie
ben worden, allein vergeblich; er schien keine Lust zu haben, Cru
sino zu folgen. Da bedurfte es denn wieder einer energischen Er
mahnung unter Androhung eines bewaffneten Angriffes 3 ), um ihn zur
Genugthuung zu zwingen ; eingeschüchtert durch Venedigs Flotte,
fügte er sich endlich.
S. 125. Sehr interessante Notizen über die Eroberung von
Pa ros durch die Osmanen liefert uns auch die von Andrea q. Gio
vanni Cornaro verfasste Geschichte von Candia 3 ). Nach derselben
landete Khaireddinim December 1537 auf Paros. Von den beiden
Festungen der Insel war die eine, Agusa, von dem Herrscher Ber-
nardo Sagredo, der wohl einsah, dass eine Vertheidigung zweier
Puncte nur seine ohnehin schwachen Kräfte zersplittern müsse, ver
lassen worden; sie fiel daher ohne Schwertstreich in die Hand der
Osmanen und ward geschleift. Sagredo hatte sich in die Festung
Kefalo (Chiefalo) geworfen, wo er sich tapfer vertheidigte, und von
wo aus er einige glückliche Ausfälle gegen die türkische Übermacht
*) Viaggio di Pietro Casola a Gerusalerame. Milano 1855. 4. pag. 96.
2 ) Decret des Senats vom 8. Februar 1535. Mar. Tom. XXIII. Fol. 63, b.
3 ) Historia di Candia. Cod. Marcian. Ital. CI. VI. Cod. 286. Tom. II. Fol. 92, b.
236
Dr. Karl Hopf.
wagte. Ihm stand dort ein verbannter florentinischer Kaufmann,
Sigismondo, zur Seite, der ihn an Tüchtigkeit fast noch überbot;
allein Mangel an Munition, wie auch die anderen Quellen melden,
zwang ihn zur Übergabe. Seiner Gattinn Cecilia Venier ward
freier Abzug nach Venedig bewilligt, er selbst holte sie bald ein.
Vergeblich blieben seine Bemühungen, die Insel wieder zu erlangen;
Venedig selbst zog es vor, sich mit den Osmanen zu einigen, und trat
in dem Frieden der am 2. October 1540 mit der Pforte abge
schlossen ward, letztere ausser den meisten anderen Inseln des Ar
chipels, auch Paros sowie Andros mit seinen beiden Festungen ab. —
Interessante Nachrichten über den Abenteurer Heraklides enthalten
auch die Köhne’sche Zeitschrift für Münzkunde 2 ), die uns ver
schiedene Münzen desselben mittheilt, und die seltene Monographie:
Ant. Mariae Gratiani de Joanne Heraclide Despota, Vallachorum
principe, libri III etc. Varsoviae 1759. 8. Ebenso ist hinsichtlich
des jüdischen Herzogs Miquez von Naxos auf Charriere’s grosse
Urkundensammlung 3 ) zu verweisen, wo er häufig in Gesandtschafts
berichten erwähnt wird, sowie auf verschiedene jüdische Quellen.
S. 126.Über das Bisthum von Paros ist in der Abhandlung nicht
weiter gehandelt worden, weil es schon sehr früh mit Nax os zu dem
Erzbisthum Paronaxia vereint worden ist. Lequien's ziemlich
dürftige Notizen lassen sich durch die von mir entdeckten urkundlichen
Quellen bedeutend erweitern; des Beispiels halber erwähne ich hier
nur den Pantaleo, „Archiepiscopus Niziensis et Pari ensis“, def
in einer Acte vom 29. November 1440 4 ) als Testamentszeuge des
Nicolö Gozzadini von Thermia auftritt, und den Francesco
„Arcivescovo di Nixia e di Pario“, der am 20. September 1456 6 )
den Ehecontract zwischen Marie tta, der Tochter des verstorbenen
JanuliHI. da Corogna von Sifanto und dem Nicolö Goz
zadini, Sohn des Angelo von Thermia, unterzeichnet, so wie auch
den obengenannten Ni c o 1 ö , der am 7. Juni 1490 Venedig einlud,
*) Commemoriali. Tom. XXII. Fol. 131, b — 133, b.
2 ) B. Köhne, Zeitschrift für Münz-, Siegel- und Wappenkunde. Berlin, Posen und
Bromberg. Band I. 1841. 8. S. 33S lf.
3 ) E. Charriere Ne'gociations de la France dans le Levant. Paris 1848 — 18S3. 3 Voll.
4. Tom. II, pag. 707, 733, 773; Tom. III, pag. 61, 63 et 88.
4 ) Bologna. Archivio Gozzadini. F. 11, Nr. 48.
5 ) Bologna. Archivio Gozzadini. F. 14, Nr. 33.
Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros etc.
237
von Naxos und Paros Besitz zu ergreifen. Genaueres über diese Insel-
bisthümer in einem später erscheinenden grösseren Werke.
S. 130. Die Familie della Grammatica scheint im XVI.
Jahrhundert sich auch mit den Sommaripa verschwägert zu haben.
Der Bruder der hier genannten Taddea Gozzadini, Angelo q. Ni-
colö, der erst im Jahre 1617 durch die Osmanen aus seinen zahl
reichen Besitzungen im Archipel, d. h. aus der Herrschaft über
Sifanto, Thermia, Kimolos, Polymolos, Polykandros,
Gyaros und Sikinos, verdrängt war, vermählte sich mit einer
Tochter des Jacopo della Grammatica , die in dem uns erhal
tenen Stammbaume 4 ) der Gozzadini als „prima parente delli
Somaripa“ bezeichnet ist. Durch diese Ehe scheint wohl auch der
Name Crusino in die Familie Gozzadini gekommen zu sein. Ein
Crusino Gozzadini Unterzeichnete eine auf Naxos am 10. April
1G17 3 ) vom Erzbischöfe Angelo von Paronaxia, seinem Ver
wandten, ausgestellte Urkunde; und ebenso ward am 14. Juni 1632 3 )
zu Naxos ein Sohn des Nieolö Gozzadini und der Fiorenza Bianchi ge
tauft, der den Namen Chrysanthos (Crisanto=Crusino) erhielt. Dieser
letztere Name findet sich übrigens häufig auch bei anderen Familien
des Archipels, z. B. den Coronello, Kastri u. A. im XVII. Jahrhundert
vor; er scheint da überall auf eine Verschwägerung mit den ehe
maligen Herrschern von Andros hinzudeuten.
Genealogie Nr. II. Jene Tochter des Jacopo Sommaripa
vonNegroponte, die sich 1464 mit Pietro Barbarigo vermählt
hatte, befand sich zur Zeit der türkischen Eroberung mit ihrer Tochter
aufNegroponte und ward mit letzterer von den Osmanen nach Smyrna
fortgeschleppt. Als die venetianische Armada diese Stadt im Jahre
1472 eroberte, erlöste man jene aus der Sclaverei, ihre Tochter
dagegen, die wohl für den Harem irgend eines türkischen Paschas
bestimmt war, wurde dort nicht wiedergefunden, wie dies Magno
in seinen Annali 4 ) bezeugt.
*) Bologna. Archivio Gozzadini. MS. •{• 1458. Nr. 12.
2 ) Erzbischöfliches Archiv auf Naxos. Original.
3 ) Libro del battesimi im erzbischöflichen Archive auf Naxos.
4 ) 1. 1. Tom. V. Fol. 514, b.
238
Dr. Karl Hopf.
Liber Commune I. Fol. 104, a.
MCCXLI11. die undccimo intrante mensis Augusti indictione prima *).
Capta fuit pars in hoe maiori consilio, ut statim dcbeant intromitti a ) per
dominum ducem et consilium totum mobille et stabille 3 ) domini Yeremie Gysi 4 ),
quod habet in Veneciis. Et quod dominus dux mittat ei pr^cipiendo, ut 5 ) us-
que ad festum pasc^ domini resurectionis primo venturum per secundam indic-
tionem idem dominus Yeremia debeat reffutare et assignare in manibus Baiuli
Nigroponti vel missi alicuius domini dueis sine aliqua condictione Casteilum
Andre cum tota insula et cum toto habere, quod fuit u ) ablatum tarn de castello
quam de insula suprascriptis in capeione ipsius castelli Nobili Viro Domino Ma
rino Dandulo defuncto et nobili mulicri 7 ) domin§ Marie Dauro sorori cius;
habere autem dicti Marini Dandulo fuit triginta sex milia yperperorum et qua-
dringenta quinquaginta yperpcra sine bcstialiis et equis et massaratico ipsius,
secundum quod scriptum est in catastico Communis. Et habere supradicte
Marie Dauro fuit yperpera mille et quadringenta cum animalibus et bestialiis
eius, secundum quod eciam scriptum est in eodem catastico Communis. Item
quod usque ad festum Sancti Petri primo venturum sub eadcm indictione ipse
dominus Yeremia personaliter veniat Venecias ad obediendum precepta domini
ducis et sui consilii, et si iusto et manifesto impedimento obstante venire non
possit, possit mittere suum missum et procuratorem cum plena commissione ad
obediendum precepta suprascripti domini ducis et sui consilii, sicut ipsemet per
sonaliter faceret. Et si dictus dominus Yeremia reddiderit et assignaverit Ca-
stellum et insulam suprascriptam cum suprascripto et protaxato habere ad illum
terminum sicut, dictum est superius, tune dominus dux et suum consilium pro-
videbit de istis causis omnibus inde petentibus et habentibus racionem tarn pro
CommuniVeneciarum, tarn pro Nobili Viro Jacobo Quirino et Maria Dauro, quam,
ut dictum est, pro omnibus ius habentibus in eisdem. Et si contingeret, quod
ipse dominus Yeremia non redderet et assignaret supradicta in manibus supra
scripti Baiuli Nigroponti vel alicuius missi domini ducis ad terminum
r) An demselben Tage erging gleicher Beschluss gegen Andrea Ghisi; die ebenfalls
fol. 104 a erhaltene Urkunde ist fast ganz gleichlautend, die wenigen Abweichungen
bemerke ich unten. 2 ) interdici. 3 ) et suum consilium totum habere. 4 ) Andreae
Gysi (so stets statt Yeremia). 5 ) quod. 6 ) cum tota insula, si habebit illud, et cum
toto habere, si habebit quod, fuerit. 7 ) mulieri fehlt darin.
Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros etc.
239
suprascriptum, aut quod non veniret Venecias per se vel mitteret specialem
missum vel procuratorem cum plena commissione in Venecias ad obediendum
precepta domini ducis, a festo Sancti Petri in antea debeat forbanniri in habere
et persona hic in Veneciis et in omnibus partibus, ubi Venecia dominium habebit,
et de habere mobili et stabili intromisso erit ad voluntatem domini ducis et
consilii tarn pro Communi Veneciarum, tarn pro Jacobo Quirino et Maria Dauro
supraseriptis, quam pro omnibus ius habentibus in eisdem.
II.
Liber Commune I. Pol. 8i, a, b.
MCCLII. die quarto exeunte mensis Marcii indictione decima.
Capta fuit pars in consilio maiori super facto insule et castri Andre , quod
precipiatur Andree Gysi per saeramentum, quo tenetur de observandis pr^cep-
tis domini ducis suique consilii, quod fecit in manibus Nobilium Virorum Domi
norum Johannis Permarini et Bartholomei Baroci ambaxatorum domini ducis et
communis Veneciarum in partibus Romanie, sicut constat publico instrumento,
quod idem Andreas det operam et favorem toto posse, ut insula et castrum
Andre cum rusticis et bonis eiusdem insule reddantur et deveniant in potestate
et dominio ducis et communis Veneciarum seu nunciorum domini ducis et com
munis Veneciarum, qui ad hoc fuerint constituti, usque ad festum omnium sanc-
torum proxime futurum, salva racione omnium personarum. Si autemdicta insula
cum Castro et rusticis et bonis eiusdem insul§ usque ad dictum festum vel ante
reddita et tradita fuerit domino duci et communi Veneciarum seu nunciis eorun-
dem, tune peccunia et bona dicti Andree Gysi, que per dominum ducem et Con
silium intromissa olim fuerunt et deposita sunt aput procuratores Sancti Marci,
reddi et restitui debeant dicto Andrej Gysi vel eius nuncio, ita tarnen quod tune
dare debeat ydoneam plezariam de tanta quantitate, quanta tune valuerit ipsa
peccunia et bona, ad voluntatem domini ducis et consilii standi in racione et
respondendi per se vel nuncium suum tarn super facto raubariarum, quam omni
bus aliis, de quibus erit deposita querimonia contra cum coram domino duce et
consilio et in curia Veneciarum, quam racionem faeere teneatur eciam super
omnibus aliis bonis suis, que quidem plezaria durare J ) debeat per unum annum
a die, quo data fuerit, computando. Item ordinatum fuit, quod interim usque
ad dictum festum omnium sanctorum, si dictus Andreas voluerit, possit per se
et nuncios suos investire et disinvestire dictam peccuniam et bona cum con-
sensu et notieia dominorum et procuratorum Sancti Marci vel maioris partis in
hiis mercibus, videlicet pipere, cera, seta, auro et argento, que deveniant et
stent in manus dictorum procuratorum Sancti Marci. Item ordinatum est, quod
pr^dicta peccunia et bona eiusdem Andrej, qu^ sunt apud dictos procuratores,
sint propter hoc obbligata et stent apud ipsos procuratores tali modo et con-
dictione, quod, si dicta insula cum Castro et rusticis et bonis eiusdem insul§
usque ad dictum festum omnium sanctorum reddita et tradita non fuerit domino
’) Hier beginnt Seite b.
240
Dr. Karl llopf.
duei et communi Veneeiarum seu nunciis eorundem, pr^dicta peccunia et bona
deveniant in dominio et potestate domini ducis et communis Veneeiarum ad
faciendum inde, quod sibi placuerit, salva racione in ipsa peccunia et bonis om-
nium personarum, et idem Andreas sit ab inde in antea banizatus in persona et
rebus, ut erat occasionedicti facti insul^et castri Andr^, antequam idem Andreas
iuraverit mandata domini ducis et consilii in manibus pr^dictorum Nobilium Jo
hannis Permarini et Bartholomei Baroci ambaxatorum domini ducis et communis
Veneeiarum. Item ordinatum est, quod ipse Andreas pro facto insul§ Andre et
castcllo et havere non teneatur, infra dictum terminum alicui respondere, nec
ab aliqua persona debeat in causam duci vel conveniri. Et si non exiverit de
Veneciis, dictusAndreas teneatur, omnibus de eo conquerentibus facere racionem,
excepto pro facto insule Andri, castri et havere.
Post hec die quarto exeunte suprascripto mense Marcii presentibus Nobili
bus Viris Johanne Barbadico, Johanne de Canali, Leonardo Venerio, Petro Geor-
gio, Phylippo Beligno consiliariis domini ducis et Marino Gysi et Jacobo Con-
tareno Sancti Silvestri S. Dominus Marinus Maurocenus Dei gracia Veneeiarum
dux per se et suum consilium precepit suprascripto Andree Gysi secundum for-
mam consilii suprascripti et fecit totam formam consilii legi coram eo, ut ipsi
suprascriptum consilium per sacramentum, quo tenetur, libeat observare.
III.
Liber Commune I. Fol. 103, a.
MCCLIII. die decimo tercio exeunte mensis Marcii indictione undecima.
Capta fuit pars, ut omnes homines, qui habent de denariis domini Andree
Gysi, qui fuerunt intromissi pro communi Veneeiarum et depositi aput procura-
tores Sancti Marci, tarn per colleganciam quam per mutuum, de quo muttuo sunt
pignora apud dictos procuratores deposita, debeant ipsa pignora cxcutere et
denarios dare procuratoribus Sancti Marci, et denarios colleganti^ cum prode
similiter dare debeant procuratoribus Sancti Marci et excutere cartas suas amodo
usque ad unum mensem sub p^na duorum soldorum pro libra.
Post h^c dictus terminus fuit elongatus usque ad dies quattuordecim.
Item post hec fuit elongatus dictus terminus a die dominico proximo usque
ad diem dominicum, quod erit decimo octavo infrante mensis Madii.
Item post hec die decimo intrante mensis Aprilis, indictione undecima,
capta fuit pars in consilio maiori et elongatus fuit terminus Nobili Viro Laurentio
Teupulo comiti Vegl^, quod usque ad octo dies, postquam venerit ad (leg. «)
Mediolano, debeat excutere pignus suum, quod est in procuratia, et solvere illo3
denarios, quos debeat dare de denariis, quos habet dicti Andre§, et quod poni
debeat pro dicto Laurentio pignus ducentarum librarum in manibus procura-
torum Sancti Marci, tali condictione, quod, si non solverit usque ad dictum ter
minum denarios, quos dare debet, perdat dictas ducentas libras.
Post hec die decimo exeunte mensis Maii elongatus fuit terminus illorum,
qui debent de dictis denariis, usque ad quindecim dies cum condictione predicta
sub p^na soldorum duorum pro libra.
Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros etc.
241
IV.
Liber Commune I. Pol. 106, &.
MCCLVin. die decimo intrante mensis Januarii indictione prima.
Ego Marinus Gysi de confinio Saneti Moysi paratus suin vobis dare pleza-
riam per virtutem commissionis carte, quam habeo de Andrea Gysi et eeiam pro
eo et suo nomine de librarum denariorum Venetorum triginta milibus, et adhuc
vobis totum, quod commune Veneciarum intromisit et habet de bonis eiusdem
Andreq Gysi, trahere ipsum de banno Veneciarum, in quo est, et quod habere
debeat licenciam, ut secure venire posset Veneeias cum suis rebus et stare, qui
iurare debeat omnia precepta domini dueis et facere ei omnem reverenciam
que expedierit; in Veneciis vero stare debet per unum annum et diem, ex quo in
Veneeias intraverit, racionem facturus et racionem recepturus omnibus, qui de
eo querelam deponere voluerint, vel ipse de aliquo vel aliquibus, tarn eoram
domino nostro duce, quam in eius curiis sive officialibus suis. Etsecundum quod
iudicatus fuerit per racionem tarn per eundem dominum nostrum ducem et eius
consiliarios, quam per suas curias sive per offieiales suos, satisfacere, cui vel
quibus iudicatus fuerit. Et de eius filio Bartholomeo Gysi talem racionem pro
eo faciet, qualem patres faeiuntpro filiis suis, tarn de maleficiis, quam de debitis.
In hiis per annum et diem stare debeat Veneciis, postquam in Veneeias intraverint
facturus et observaturus omnia, que superius dicta sunt, et racionem recepturus
post ipsum terminum. Veneciis ipse permanere debet, racionem facere et
racionem recipere, secundum quod Venetiei faciunt. Et hec omnia debet facere
per se vel per suum missum, si impeditus fuerit, quod personaliter Veneeias
venire non poterit.
V.
Liber Commune I. Fol. 107, a.
MCCLIX. die quarto exeunte mensis Marcii indictione secunda.
Capta fuit pars, quod dominus Andreas Gysi sit tractus de banno, qui est
et possit venire in Veneeias ad faciendum et recipiendum racionem illis, qui
reclamabunt se esse raubatos in mari, cum illo ordinamento, quod est scriptum
supra. Item quia homines forte non haberent testes, volumus, quod iudices in
hoc habeant arbitrium. Salvo, quod illud de Andre vadit per racionem secundum
usum Veneciarum, et de filio suo Bartholomeo volumus, quod debeat esse per
racionem facere, cui vel quibus pecierint, sicut patres pro filiis faciunt.
VI.
Liber Commune I. Fol. 120, 6.
MCCLXXX. die decimo septimo mensis Octobris indictione nona.
Fuit capta pars, quod nobiles viri Nicolaus Quirino et Jeremias Gysi et
reliqui, q U i debent recipere de denariis, qui fuerunt olim nobilis viri Andrej Gysi,
habeant a festo Saneti Martini nuper venturo in antea redditus Rivoalti, donec
242
Dr. Karl Hopf.
eis fuerit integre satisfactum de toto eo, quod debent recipere a Communi;
attamen illa solueio, que debet fieri ab illis de Rivoalto de ipso Rivoalto in pr§-
senti festo Saneti Martini, deveniat in Commune et debeant recipere istam solu-
cionem seeundum quantitatem cuiusdam seripti tracti ex autentieo, quod erat in
procuratia Saneti Marci de havere et bonis nobilis viri Andrej Gysi olim, quod
havere fuit expensatum in servieio nostri Communis, secunduin quod invenitur.
Et hoe voluerunt dominus dux et nobiles viri Johannes Julianus, Andreas de Mo
lino et Marinus Gradonico et Dominieus Michael. Alii vero duo aberant, nam do
minus Marcus Badoarius propter parentellam ibi stare non poterat, et dominus
Andreas Geno erat ad suum placitum.
VII.
Liber Commune I. Pol. 122, b.
MCCLXXXII. die duodecimo mensis Marcii indictione decima.
Fuit capta pars, quod seribatur nobili viro Marco Sanuto recitato negocio
tarn pro Communi Veneciarum, quam pro nobili viro Nicolao Quirino, quam pro
aliis personis, quod usque ad festum Saneti Michaelis primo venturum compa-
reat apud Venecias coram domino duee per se vel per nuncium suum sufficien-
tem instructum cum commissione ad respondendum tarn Communi, quam domino
Nicolao, quam quibuslibet aliis personis super negocio supradicto; quod si non
eomparuerit vel non miserit, ut est dictum, tune procedatur contra eum, prout
tarn pro Communi, quam pro domino Nicolao et quam pro aliis personis vide-
bitur convenire.
VIII.
Pacta Fcrrariac. Pol. 96, b.
Exemplum cuiusdam littere Domini Marei Sanuti Duchatus
Nicoxie et Andrie Dominatoris, per quam respondet Domin o
Joanni Dandulo Duci et Communi Venetiarum super faetoJu-
rium sibi spectantium in dictis Insulis. (Datum fehlt, doch sicher
aus dem Jahre 1282.)
Hoc est exemplum unius littere, in qua continentur sic:
Excellentissimo et potentissimo domino Johanni Dandullo Dei gratia Vene
tiarum, Dalmatie atque Chroatiae Inelito Duci et dominatori quarte partis et
dimidie totius Imperii Romanie Marcus Sanutus Duchatus Nicoxie et Andre do-
minator se ipsum semper ad omnia beneplacita preparatum. Litteras domina-
cionis vestr^ recepimus etipsarum tenorem intelleximus continentes, quod usque
ad festum beati Michaelis primo venturum coram vobis per nos vel nostrum
nuncium specialem comparere debeamus ad monstrandum, si qua Jura nobis
competunt in Insula nostra Andr$ memorate, et ad respondendum tarn dicto
vestro communi et aliis personis super dicta Insula volentibus Jura aliqua postu-
lare; imprimis etiam nobili viro domino Nicolao Quirino. ad quas litteras magni-
tudini vestr^ per presentes de Juribus, quibus in Insula Andre pr^dicta nos
habemus, taliter duximus respondendum. Videlicet quod dominus noster Avus
Urkunden und Zusätze zur Gesebichte der Insel Andros ete. 243
Insulam predictam Andr§ et Insulam Nicoxie ae etiam omnes alias Insulas Agyi-
pelagi, qu§ pertinent Ducatus Niehoxie et Andre, Omnibus suis expensis et
illorum, qui fuerunt cum ipso, concostavit tempore, quum Imperium extitit con-
costatum, et concostando Insulas pr^dictas idem noster avus per Imperatorem,
qui tune erat, de predietis Insulis extitit investitus libere et franchiter plus,
quam aliquis baronus, qui tune erat in Romania: cum Omnibus suis iuribus,
racionibus, honorificenciis ac iusticiis predietis ducatus pertinentibus, et de ipsis
Insulis Imperatori, qui tune erat, illud humagium et servicium, quod facere ’),
ipse fecit sua vita, et non per Venetiam nee per aliquem Ducem, qui tune esset,
de dicto humagio et servicio nunquam fuit ei aliquo tempore dovetatum 2 ). qui
dominus noster avus habende Insulas supradictas facte etiam humagio, ut dictum
est superius, fuit in Venecia ae etiam in Venecia Nobilis vir Dominus Marinus
Dandullo, qui in insulam predictam ab ipso domino nostro avo tenebatur, nee
per Veneciam nee per ducem aliquem, qui tune esset, petitio aliqua vel molestia
eis facta non fuerat, sed per Veneciam magnum honorem etplacitum receperunt,
et donee ipse dominus avus noster vivit, dictas Insulas cum omnibus Juribus,
racionibus, honorificenciis et Justieiis 3 ) supradictas paciffice et quiete habuit,
tenuit et possedit; post vero decessum dicti avi nostri dominus pater noster
Imperatori Roberto, Imperatori Joanni et Imperatori ßalduino, qui tune erant,
illud humagium, quod debebat, eis fecit cum illa eadem condicione, qua dictus
dominus avus noster fecerat, ut superius dictum est. Postea vero predictus do
minus pater noster illud idem humagium domino principi fecit de mandato lm-
peratoris Balduini, qui tune vivebat, et eo vivente dictas Insulas paciffice habuit,
tenuit et possedit; post vero mortem pr^dicti domini patris nostri illud huma
gium, quod facere debebamus, domino principi fecimus cum illa eadem condi
cione, qua dominus avus noster et dominus pater noster fecerant, ut superius
continetur. Mortuo vero principe illud humagium, quod debebamus, fecimus do
mino nostro Regi cum illa eadem condicione, ut superius continetur. et cum ho-
nore domini Regis et domini principis existamus, ex hoc non remansit, quia
corum nostra et voluntas fuit, tenere non solum Insulam nostram Andr^, sed
personam et havere et omnia, que in mundo habuimus, ad ponendum in eo, quod
honori et magnitudini persone vestr^ ac communi Veneciarum atineret, et tem-
poribus retroactis nos monstravimus nostris operibus, sicut extitit manifestum,
de eo, quod nobis in dictis vestris litteris dicendo mixistis, quod mirabimur de
eo, quod dominacioni vestr^ non miximus respondendo super Juribus, quibus
dicitis commune vestrum pr^dictum in pr^nominata Insula nostra Andre habere
pro Imperii particione. de hoc salvo honore et reverentia dominacionis vestre
admirari non debebatis nec debetis. quia aliquod non veritate dominacioni vestrij
non potuimus nec possumus mittere respondendo, cum de hoc aliquod nescie-
bamus nec scimus. et quandocumque cum veritate nos sciemus et per personas,
quij facere debebunt de iure, nobis factum erit mandatum. tune parati erimus,
dlud humagium et servicium facere, quod debemus. etiam si scierimus, quod
*) Zu ergänzen: „debebat“. 2 ) So der Codex, wollt statt devetitum. 3 ) Hier beginnt
fol. 97, a.
I
prqfata nostra Insula ad commune Vcneciarum devencrit in particionc, tarn
libenter ipsam nos a commune vestro Veneciarum tenebimus, quam ab aliquo alio
domino, qui sit in mundo. Item de eo, quod in predictis vcstris litteris continc-
batur, quod eoram vobis per nos vel nostrum nuneium sufi'icientem usque ad
dietum terminum comparere debeamus ad respondendum, si qua persona vellet
ius aliquod in dicta Insula postulare, ad hoe sic dominationi vestre rcspondemus
quod nescimus nec credimus, quod (persona) persona aliqua in dicta Insula ius
aliquod habeat ullo modo, et quandocumque coram nobis comparebit persona
aliqua, que super ipsam Insulam Andrq velit ius aliquod postulare, tune ei vel
eis plenam racioncm faeere erimus parati et non credimus, salvo honore et reve-
rentia vestrq dominationis, quod prqdicta et infrascripta mandata per vos nobis
mitti potuissent ex hoc, quia dominacioni vestrq credimus esse manifestum, quod
tempore, quum treugua inter Venecias et Paleologum fuit facta, nos in dieta
treugua secundum quod alii Veneti positi fuere, positi non fuimus, sed positi
fuimus cum condicione, ita quod, si per nos aliquod, quod contra treuguam
fuisset, fecissemus, bailiam Paleologo ad nos iustiflcandum dederunt. dicentes
ipsi et se excusantes, quod, si per nos dictum vel factum fuisset aliquid, quod
contra dictam treuguam fuisset, nos nec terras nostras non possent iustificare,
nec de nobis nec de ipsis terris nostris faeere racionem sicut rem, quam a prin
cipe habebamus et tcnebamus, qui tune dominus noster erat, et cum hoc sit veri-
tas, faciatis formam treugue predictq scrutari et etiam per ambaxatores, qui ad
dictam treuguam fuerunt, et tune invenietis, quod talis est veritas. verum videtur,
quod antecessores nostri et nos pro supradictis racionibus Omnibus omnes dictas
nostras terras habuimus et tenuimus, ut supra continetur. Item de eo, quod nobis
dicendo misistis, quod ad vos venire deberemus vel mittere nuneium nostrum
sufi'icientem ad respondendum nobili viro Nieolao Quirino, ad hoc sic respon-
demus, quod non credimus nec scimus, quod dictus nobilis ius aliquod habeat in
prqdicta Insula memorata. cum dicta insula pro defalta requisite heredum prq-
dicti domini Marini Dandoli, tarn dicti domini Nicolai, quam aliorum heredum,
qui potuissent habere domino nostro patri eo vivente discazavit secundum usum
et consuctudinem Imperii Romaniq. et cum lioc sit veritas, quod ipse nobilis nul-
lum ius habeat super Insulam memoratam occasionibus supradictis. ex hoc non
remansit, quod quum ipse nobilis coram nobis comparuit, ei plenam racionem
faeere nos oferimus et adhuc faeimus illud idem, quia quandocumque eoram nobis
comparebit, sicut debet et ubi debet, tune parati erimus ei plenam faeere racionem
sine aliquo defectu. adhuc nobis dicendo et precipiendo mandastis, quod ad
dictum terminum coram vobis comparere debeamus vel mittere nostrum nuneium
sufficientem ad respondendum predicto domino Nicolao Quirino et aliis rebus
onmibus supradictis, pro quo, salvo honore et reverencia dominacionis vestre
non credimus, quod predicta mandata per ius nobis mitti potuissent secundum
usum Imperii Romanie hac de causa; quia, si dictus nobilis crcdebat, se habere
ius aliquod in Insula Andre nominata, quod non habet, coram nobis et nostra
curia comparere debebat et per nos et nostram curiam debebat questio difiniri,
et data sententia tune si dicere vellet, quod ei de racione defalcemus. tune, ubi
debebat, poterat et debebat reverti, et tune per illum dominum, qui de iure
faeere debet, dictum preceptum faeere poterat. Quatenus dominacionem vestram
Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros etc.
245
rogamus, quam plus possumus, quod ad indictum alicuius persone non placcat
vobis rem aliquam incipere, ita quod ex ipso ineepto aliquo discordia nee briga
inter dominum Regem et Veneciam possit oriri et cciam quod in iuribus nostris
non minuamur, sed pocius nos in nostris Juribus conservare velitis, sicut de domi-
nacione vestra ac de vestro communi nominato plene confidimus et speramus.
IX.
Marino Sauudo Torseila istoria dcl Regno dl Romania. P. I, pag. 8—9.
Miser Nieoiö Quirini*) dalla Casa Malta 3 ) si partl del Bailado d’Aeri e
venne in Romania a dimandar la mitä delf isola d'Andri a Miser Marco Sanudo,
la quäl Madonna Jelisa, che fü Moglie de Miser Marin Dandolo, che fü Signor
d’Andre, che avea tenuto e posseduto, offerendosi far la fedeltä e omaggio ad
esso Miser Marco, e dacsso riceve la detta mitä d’Andre. Miser Marco li rispose,
che esso non dovea far questo, che li richiedeva, e quanto lo dovesse far, lo
faria volentieri, e che non volea mancar de Rason, e che era pronto a rispon-
derii anco in la Corte del suo Principe. EL detto Miser Nicolö Quirini li protesto
esi parti, e vennuto a Vinegia fece tanto con suoi Parenti c Amici del Doge
Miser Zuan Dandolo, cittö Miser Marco Sanudo come Cittadin Venezian a rispon-
der ad esso Miser Nicolö circa la mitä d‘Andre, che fü de Miser Marin Dandolo
e che esso Miser Marco li tenea. Miser Nicolö Quirini non dimandava tutta l’Isola,
perche avea perso la mitä per dilfetto della dimanda, cioe come penso, perche
aneora stato intempo, ma dimandava la mitä, la quäl tenivaMadonna Jelisa come
erede de Miser Dandolo predetto. El detto Miser Nicolö Quirini fece gran pra-
tica in Vinegia per esser eletto Railo di Negroponte, e la Cittä non lo volea;
finalmente fü nominato facendosi la elettione, suo fiol Miser Maffio, e suo con-
corrente fü nominato Miser Marco Michiel, e li continuato il Conseglio, restarono
li Elettori a Palazzo, li quali avevano eletto Miser Maffio, e quando la elettione
fü presentata al Dogä Dandolo, allora che diviava, ebbe a dir: „II Figiio sare,
ove non hä potuto essere il Padre“, presuponendo, che il Conseglio approvasse
Miser Maffio; mä il Conseglio approbbö Miser Marco Michiele, e Miser Mafl'io
andö giuso aneora che’l fosse degno di quel Magistrato. Dappoi sotto il Ducato
de Miser Piero Gradenigo, che suecesse a Miser Zuan Dandolo, la Cittä di Vine
gia non volse decider questa lite. Dappoi andö Bailo a Negroponte Miser Nicolö
Justiniano, el quäl ebbe dal detto Miser Nicolö Quirini, da far concordio con
Miser Marco Sanudo; e Miser Marco Sanudo finalmente, per star bene con i
Veneziani in pace, sappendo, die questi Quirini erano grandi Huomini in Vinegia
e che avevano gran potere, consent! de dar per la mitä lire cinquemilade grossi
in cinque anni, e cosi si fece il concordio e li pagö. E Miser Marco intendendo,
l ) Der Codex liest durchgehende „Gi'itti", was durch die Urkunden corrigirt wird;
bei dem alten Originale war Qui durch ein Zeichen abgekürzt; der unwissende
Abschreiber machte daraus ein G, sowie aus dem n ein tt.
®) Derselbe Zweig der Quirini, später im Besitze der Inseln Stampalia und Amorgos,
schrieb sich nachher Quirini dalli zii. Barbaro Genealogie. Tom. 11. fol. 353;
Capellari Campidoglio Veneto (Cod. Marcian. ftal. Class. VII. Nr. 17) T. III und
Muazzo famiglie di Candia (ebenda Nr. 124) unter der Familie Quirini.
246
Dr. Karl Hopf.
ehe, quando Miser Nicolö Quirini comparse avanti di lui, mancava soiamente due
giorni da la morte de Madonna Jelisa sopradetta, e ehe se esso avesse voluto
andar altrove, si che Miser Nicolö non avesse trovato in tempo, averia perso
tutte le sue ragion e distrutto la dimanda, se essa Madonna Jelisa avesse aleuna
ragione; ma esso per conscienza, che’l se facea, e perche Dio non volea, che
se l’avea ragion aleuna, non la perdesse, non volse far questo 4 ).
Correndo l’anno del Signor 1286 occorse, che li Corsari tolsero da la Terra
de Miser Bartolameo Gisi 2 ), Avo di questo Miser Bartolameo, che vive a pre
sente, un Asino bellissimo bollato e Stallon delle Giumente e lo condussero a Ni
cosia e lo venderono a Miser Guglielmo Sanudo, fiol de Miser Marco Duca di
Nicosia e Andre; Miser Bartolameo si lassö talmente trasportar da lo sdegno
di questa offesa inferitali, che armö i suoi Navilii, ch’avea, e andö con massime
bellicose ad espugnar il Castello sopra l’isola della Suda, e drittö le Machine e
trabuciö contra il Castello, che avrebbe alla fin avuto, mä volse Iddio, che giunse
in quello all’ isola di Milo due Gallee e un legno di Puglia diMiserNarzi diTorzi
Armiraglio del Re Carlo, le quäl andavano per la Principessa d’Antiochia sua
Moglie, alle quali il Re avea commesso, che passassero per le Terre de i figlioli
de Miser Mareo Sanudo, ch’erano suoi Consobrini, e che facessero provision alle
dette, se per Sorte avessero di bisogno; per il che partendosi da Milo, la Moglie
de Miser Francesco Sanudo, Madonna Cassandra, ch’era fiola de Miser ZulTredo
de Tornaj, andö ad esse Galleo ed espose il bisogno suo alli Capitani delle dette
Gallee e il pericolo del Castello della Suda, e che volesscro soccorerlo. Essi
vennero in Andre, e commandandoli Miser Marco Sanudo e mandando la Gente
sua, andarono a Suda e fecero, che l’espugnatione fü rimmota. Dappoi Miser
Marco Sanudo e Miser Bartolameo Gisi andarono a Negroponte, e i Veneziani
s’interposero e li paeificorono assieme. Nondimeno la cosa dell’Asino costö all’
una e l’altra parte piö di trenta mila soldi di grossi. E quel ch’io dico e posto
per buon’ essempio e per la conversazione, ch’io ebbi con Miser Marco Sanudo
Duca di Nicosia e Andre e per suo fiol Miser Guglielmo e per Miser Marin suo
Fratello 3 ) c per li suoi Huomini d'Andre e sopra tutto per Miser Piero da Millo
e piü giustamente, eh’hö inteso dirla da Miser Jacomo da Bergomo e per Argo
Genoese e per Zuan de Mazello e da Francesco da Verona 4 ), fiol de Miser
Guglielmo e da Madonna Simona Nipote del Principe Guglielmo; e per li Huo
mini della Isola e per Miser Piero Perion e per Miser Andrea Gaffore Genoese c
per alcuni altri, ch’erano Vecchissimi 5 ).
*) Hier beginnt pag. 9.
2 ) Codex: Bonagisi, obgleich der richtige Name gleich folgt; ebenso irrig heisst
sein Enkel ßoniP.; im Originale war der Name Bart", abgekürzt.
3 ) Dieser Marino fehlt in allen gedruckten Genealogien der Herzoge von Naxos,
Sanudo gibt ihn pag. 1 in seiner kurzen Übersicht derselben; Capellari (Cninpi-
doglio, T. IV; famiglia Sanudo), der ihn irrig zum Sohne Herzog Marcos II. macht,
nennt ihn signore di Antipario und bemerkt, dass er 1270 Procurator von S. Mareo war.
*) Vergl. über ihn: Livre de la Conqueste pag. 41S; Liher Albus fol. 104, b. u. s. w.
5 ) Derselbe Andrea GalFore aus Genua war in seinen früheren Lebensjahren einer der
berüchtigtsten Korsaren, die im griechischen Archipel ihr dort so einträgliches Piraten-
I
Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andres etc. 247
X.
Sccreti Liber VIII. Fol. Hl, a.
MCCCCXXII. die vigesimo primo Aprilis.
i Cum aecedentibus et comparentibus valde humiliter coram presentia nostri
dominii Egregiis dominabus Maria Sanuto et Florentia cius filia Civibus nostris
eum summa pietate et devotione pro iusticia obtinenda supplicando reverenter
quod circa privationem et spoliationem sibi factas de Insulis etaliisquibuscunque
bonis suis dignemur pro favore Juris debite ministrandi subveniresibi cum nostris
remediis opportunis fuerit provisum et deliberatum per hoc consilium audita
querela et iusta supplicatione pr^dictarum dominarum de scribendo domino
Ducli^ Egeopelagi et fratribus ac Nobili Viro ser Petro Geno quod mitterent ob
dictam causam ad presentiam nostri dominii unam aut plurespersonas dejuribus
suis informatas cum libertate ad plenum ct quod deliberabimus superinde illud
quod nostro dominio videbitur fore secundum deum et honorem nostrum delibe-
randum. Et missis literis nostris vigore dicte partis capto; in hoc consilio huc
accesserit Nobilis Vir scr Petrus Geno pro respondendo circa predicta nomine
pr^dictorum et suo iuxta deliberationein predictam in hoc consilio factam, Et
comparentibus dictis dominabus et ipso ser Petro Geno ob dictam causam coram
nostro dominio pro faciendo de pleno si fuisset possibile executionem in pre-
i dictis fuerint per dominium dati eisdem partibus pro amicabilibuscoinpositionibus
Nobiles Viri ser Bertucius Quirino procurator et ser Jacobus Trivisano qui non
valuerunt de assensu partium amicabiliter quiequam decidere neque terminare
nec aliter superinde aliquam libertatem habebant. Et consideratis considerandis
nostra intersit pro iusticia debite ministranda providere per modum quod super
inde fiat et ministretur cum effeetu debitum et complementum Juris et iusticie
ut iam deliberatum et provisum est per hoc consilium, sicut prefertur debere
fieri:
Vadit pars quod eligantur quinque sapientes per scruptinium in hoc con
silio non possendo eligi aiiquem de aliquo sensu nec de aliquo officio pro non
impediendo res sibi commissas nec possint refutare sub pena ducatorum centum
pro quoque eorum in suis propriis bonis, qui Sapientes debeant partes predictas
et quamlibet earum seu eorum commissos vel procuratores sive connnissum vel
procuratorem in Juribus suis bene et diiigenter audire et superinde se inforinare
veniendo postea cum suis oppinionibus notatis circa provisionesfiendas superinde
Handwerk trieben. Schon 1269 spielte er dort eine sehr bedeutende Rolle und
that namentlich den Venctianern Ungeheuern Schaden; er stand, wie sein minder
berühmter Bruder Stefano, im byzantinischen Solde. Processus super damnis etc.,
vom März 1278. (Cod. Cicogna, Nr. 2G86), fol. 1 r. §. 14; v. §. 7, 10; fol. 3 v.
§.2; fol. 4 r. §. 2, 6; fol. 6 r. §. 15; fol. 7 r. §. 20; v. §. 13—17; fol. 8 r. §. 3.
Er befand sich im October 1308 zu Athen, woselbst er als „Andre Gafors“ die
Urkunde über den Tod des Herzogs Guido II. de la Roche unterzeichnet. St. Genois
Droits primitifs etc. de Haynaut. Tom. I. Paris 1782. fol., pag. CCCXXXV1II. (Ar-
chives de Mons. Layette J. n. 59).
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXI. Bd. II. Hft. 17
I
248
Dr. Karl Hopf.
ad hoc consilium, Possendo in premissis ponere partem et partes prout eis
et cuilibet eorum videbitur, Et id quod superinde per hoc consilium fuerit ter-
minatum et captum, debeat observari et mitti executioni, Possendo etiam partes
et quamlibet earum et seu Advocatos et procuratores suos interesse consilio
vestro allegando et dicendo Jura sua prout videbitur. Et possint dicti Sapientes
tempore quo erunt ad hoc factum, refutare omnia, ad que per hoc consilium eli-
gerentur sine aliqua pena.
XI.
Littcrae sccrclae,
MCCCCXXXVII.
Duche Cret§ et consiliariis suis.
Si ab illo nobile, quem de nostro mandato misistis ad accipiendum domi
nium et gubernationem Insul^, Andri, vos eritis informati, ducem Egeopelagi
aut communitatcm Andri noluisse dare dominium illius insul^ eidem nostro
nobili nomine nostri dominii, sicut ordinavimus, mandamus vobis cum nostro
consilio rogatorum et additionis, quod dictum ducham Egeopelagi, terras et
loca sua subditosque omnes suos tractare et habere ac tractari et haberi facere
debeatis ab omnibus, qui dominio nostro commissi sunt, pro Inimieis nostri
dominii. die XI. Maii.
XII.
Littcrae secrctae.
MCCCCXXXVII.
Domino Johanni Crispo duche Egeopelagi.
Mandavimus Nobili nostro latori pr^sentium, quem ad Magnificentiam
vestram mittimus, ut vobis super Insula Andri aliqua referre debeat nostri parte,
Eiusque relatibus, qui de mente nostra provenerunt, placeat tamquam nostris
propriis fidem plenissimam adhibere.
die XI. Maii.
XIII.
Secrcti Liber XIV. Fol. 32, b.
MCCCCXXXVII. die undecimo Maii.
Cum dominatio nostra fuerit pluribus litteris certificata Magnificum dominum
ducham Egeopelagi post mortem nobilis civis nostri Andree Geno domini Andri
occupavisse dominium dictp Insule Andri et propterea a nobis providendum sit
respectu iurisdictionum, quas semper habuimus in Egeopelago et etiam respectu
illorum nostrorum civium qui in eaInsula pretendunt Jus habere:
Vadit pars quod mandetur Itegimini nostro Crete quod cum omni celeritate
et studio possibili armare debeat illam galeam quam armari iussimus, et statim
eligere unum nostrum nobilem, qui non sit propinquus alicuius qui pretenderet
ius habere in Insula Andri, sed sit neutralis, cum illo salario et familia, que dicto
Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros etc. 249
Regimini rationabilis et conveniens videbitur, qui ire debeat ad presentiam duche
Egeopelagi et sub nostris literis credulitatis exponere:
Quod dominatio nostra informata Magnificentiam suarn post mortem Nobilis
civis nostri Andree Geno olim domini Andri fecisse provisionem, quod consili-
arius loci nostri Nigropontis, qui pro conservandis Jurisdietionibus nostri do-
minii et etiam Juribus illorum qui in Insula Andri pretenderent Jus habere, ac-
eesserat Andrum, non fuit permissus intrare terram, Et Nobilis domina consors
quondam domini Andri et omnis eius familia ita retenta ut in libertate sua non
fuerit, Et denique dominium illius Insul^ Andri occupavisse, magnam displicen-
tiam et admirationem babuit et habet, quod in diminutionem honoris nostri do
minii idem ducha fecerithuiusmodi novitatem, Et propterea intendentes et om-
nino volentes ut illa Insula in manus nostras perveniat, ut illam dare possimus,
cui de Jure spectare eognoverimus, Et etiam quod uxor et omnis familia dieti
quondam nostri civis domini Andri in libertate dimittatur, requirere et hortari
debeat Magnificentiam suam, ut ab oecupatione dominii illius Insule prorsus se
removeat et illam in munibus illius nomine nostro dare velit, Et si Jus aliquod in
illa Insula pretendit habere, dominatio nostra eum in suis Juribus eonservabit.
Et si cum his aut aliis rationibus ad materiam pertinentibus inducet illum dueam
ad Intentionen! nostri dominii, dicere debeat ipsi duche nostro nomine cum ver-
bis pertinentibus, quod dominatio nostra bene sperabat ab eo habere talem
responsionem et talem effectum, Et quod de hoc dominatio nostra remanebit
bene contenta, et inde recedat et vadat ad gubernationem et regimen illius Insule
nomine nostri dominii et de Omnibus qu^ fuerit executus debeat nos informare
mittendo galeam Cretq Corfoy et usque in nostrum Culfum, ubipervenietnostrum
mandatum.
Si vero ducha predictus recusaret dare sibi dominium illius Insule, quia
diceret dictam Insulam ad se spectare respectu sui ducatus Egeopelagi, ad quem
illa Insula per mortem nostri civis devolveretur, aut respectu nuptiarum quas
contraxisse dicitur cum filia dicti quondam domini Andri, sibi dicere et hortari
cum debet, quod si pro huiusmodi causis in illa Insula aliquod Jus habere pr$-
tendit, tanto securius assentire potest et debet voluntati nostri dominii, quia nos
nolumus illam Insulam pro nobis, sed pro conservatione Jurisdictionum , quas
dominatio nostra in Egeopelago seinper babuit, ct ut illam Insulam dare possimus,
sicut disponimus, cui eognoverimus eam de Jure spectare, Et si factis adhorta-
tionibus et instantiis possibilibus dictus ducha sibi dabit dominium Insulq pre-
dictq: nomine nostro, vadat ad regimen et gubernationem, sicut sibi supra dicitur.
Quando vero Ducha predictus denique recusaret, nec omnino dare vellet
dicto nostro nuntio dominium illius Insule, nec obedire huic nostre iustissirmj
requisitioni, sibi dicere debeat, quod in hoc casu ipse habet mandatum a nostro
dominio tractare illum dueam, loca et subditos suos pro Inimicis, et similiter
mandatum habet Regimen nostrum Crete, Nigropontis, Neapolis Romanie et re-
liquorum locorum nostrorum Levantis, ct quod non velit incurrere indignationem
nostri dominii pro bono suo et status sui, Et si bis dictis dictus dux faciet sicut
est nostre intentionis, vadat ad regimen Insult; sicut supra dicitur, Quando vero
non, debeat se conferre Andrum et ab illis qui regerent illam Insulam, eam
petere debeat nomine nostri dominii, nuntiando eis et aliis illius Insulq, quod si
17 *
250
Dr. Karl Hopf.
illa terra non sibi dabitur nomine nostri dominii, ipsi traetabuntur ab eo et ab
omnibus terris et locis nostris tamquam Inimiei, et quod velint sue saluti provi-
dere, utendo pro observanda intentione nostri dominii omnibus illis modis qui
sibi videbuntur prodesse ad causam, Et si illa Insula sibi dabitur, gubernare de-
beat eam sieut supra dieitur, quando autem non, tractare etfacerc debeat contra
eos et contra omnes alios subditos Ducis Egeopelagi tamquam contra Inimieos,
et mittere Iiteras Regimini Crete, Nigropontis, Neapolis Romanie et aliis Reeto
ribus, et ipse etiam seribere debeat eis, ut ducha Egeopelagi et eius subditi
omnes ubicumque locorum nostrorum tractentur pro Inimicis.
Et ex nunc sit captum, quod scribatur nostris Rectoribus Levantis, quod eo
casu a nostro nobili informati ita facere debeant et observare.
Et mandetur dicto nuntio, quod de omnibus qu§ fecerit de tempore in tem-
pus informare debeat suis literis nostrum dominium et Regimen Nigropontis
mittat Mothonum per terram Iiteras, ut inde nostro dominio transmittantur.
Et mandetur Regimini nostro Crete, quod mandare debeant Supracomito,
quod sit ad obedientiam dicti nostri nobilis quousque secum fuerit ad execu-
tionem huius nostri mandati.
Verum ex nunc declaretur, quod omnis expensa, que pro huiusmodi causa
facta fuerit tarn in hae galea, quousque stabil, ad executionein huius rei, et in
nostrum nobilem predictum, fieri debeat et restitui nostro dominio de Introitibus
illius Insul§ Andri.
XIV.
Secrcti Liber XV. Fol. i, b.
MCCCCXXXIX. die quarto Decembris.
Conzosia che del 1437 adi XI mazo el fosse messo per i Savii del conseio
nel conseio de pregadi et prexo cliel dominio del ixola dandre fosse tolto in
poder de la nostra signoria per Conservation de le raxon de quelli che in la dita
Isola pretendese raxon haver, azo che quella se podesse dar achi de raxon sera
cognosudo quella aspetar, chomo in la dita parte plui largamente se contien, E
la dita Isola sia ne le man de la nostra signoria per la caxon e condition predita,
E perche cl comparse a la presentia de la nostra signoria miser Crusi fio che fo
e primogenito de la Egregia Madonna Maria Sanudo da una parte, e i heriedi che
fo de miser Piero Zen da laltra, chadauna de le parte exponando la dita Isola
dandre aspetarli de raxon, e supplicando che debito de zustixia li fosse admi-
nistrado, Unde vezudo la nostra signoria la parte soradita, respoxe ä le dite
parte, che lor dovessero comparer al conspeeto di Savij del conseio a uxar suo
raxon, per che li haveva commesso la dita causa ali diti Savij, azo che aldide ed
intexe le raxon de chadauna de le parte, li podesseno vegnir al conseio con le
soe opinion per dar la dita Isola achi sera cognosudo quella de raxon aspetar,
segondo la continentia de la parte predita, E chonzosia chel sia zercha anni do
chel comparesse plui et plui fiade le parte predicte a la presentia de i savij pro-
dugando chadauna de quelle quello i volse per favor de le soe raxon, E i diti
savij quamvis divixi siano stadi al conseio de pregadi do fiade, la prima adi XIX
avosto 1438, la segonda adi XXV setembre del dito millesimo, per dar spazainento
Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros etc.
251
a Ia dita causa chomo per quelli consegli apar, ne Ii quäl non habiando prexo fin,
da quel tempo in qua chon grandissimo senestro e spexa de le parte, el non
Ii sia sta dado mai el conseio per concluder Ia dita caxon, Et honor de la nostra
signoria sia dare unicuique quod suum est: Landera parte chel sia chiamado
questo conseio per marti proximo XV del presente a petition di Savij del conseio
e de chadaun de loro, per expedir Ia dita caxon, soto pena de soldi C per cha-
daun, e lezerase el conseio Aliqui savii e chadaun de lor non possa esser impa-
zado el dito conseio soto pena de soldi C perchadaun ehe obviase le dite chose,
e tante fiade a chadaun contrafesse, La quäl pena sia schosa per lavogadori de
chomun habiando parte choino de le altre del so officio; Veramente sei ocho-
resse chel bexognase el dito conseio per i fati de la terra possasse tuor ma non
per altro raxon, Intendando *) chel di de zuoba$equente XVII el se intenda esser
chiamado el conseio per expedition de la dita causa fin tanto che laseraspazada,
Romagnando ferma la dita parte chon tute streture e pene in essa contegnude.
E perche solo de i diti savij hano fin mo messo parte, de fin da mo sia tegnudi
etiam i altri quatro soto pena de libre C per chadaun vegnir el sorascrito di
chon la so opinion a questo conseio, non se possando algun de lor schuxar per
altra caxon che per infermitade.
XV.
Secretl Liber XV. Fol. 7, b.
Privilegium Insule Andres.
Franciseus Foscari dei gratia dux Vcnetiarum etc. Ad res puhlicas bene
regendas potissimum necessarioque pertinere dignoscimus, Justiciam ministrare.
Ea quidem est, que unicuique tribuens, quod suum est, aliena surripere non per-
mittit et consequenter discordia tollit, odia removet, Utes sedat etpopulos inter
se pacifice ac quiete vivere docet. Hane igitur virtutem .... predecessores
nostri summo cum studio multaque cum solennitate semper colluerunt, Et nos
eos immitari disponentes, Cum de anno elapso ad nostram pervenisset notitiam
Egregium et nobilem civem nostrum dominum Andream Geno, qui Insule de
Andre dominabatur, debitum carnis exolvisse relieta coniuge et una filia puerilis
§tatis, multique in ea Insula Jus habere pretenderent, ne ipsius dominium quis-
cumque surriperet vel indebite occuparet et ipsa puella suis bonis spoliaretur,
Eam Insulam intromittere deliberavimus et habere in manibus nostris, quodque,
si quis Jus in ea habere pretenderet, coram nobis comparere deberet, quoniam
Jus sibi ministraretur, vigore cuius editi nostri comparuerit ad pr^sentiam
nostram Magnificus dominus Guielmatius Crispo patruus Magnifici Dueh^ Egeo-
pelagi ac prudens vir Marcus Bellegno ipsius domini Duch^ procuratores preten-
dentes ipsam Insulam habere vigore matrimonii contracti cumpr^dicta filia supra-
scripti quondam domini Andree, Nee non Spectabilis dominus Crusinus Suma-
ripa filius etheres quondam doinin^ Marie Sanuto, cui etheredibus suis alias per
dominum Nicolaum de le Carcere olim verum Ducham Egeopelagi fratrem suum
*) Fol. 2, a .
252
Dr. Karl Hopf.
data fuit in pheudum Insula suprascripta et preterea vir nobilis Marcus Geno
frater ipsius quondam domini Andree; nos vero commisimus hanc causam
audiendam nostris Sapientibus consilii, qui post longam sufficientemque datam
partibus audientiam, Eam causam introduxerunt ad nostrum Consilium rogatorum
et additionis, In quo citatis dictis partibus ac viris nobilibus .... procura-
toribus nostris Ecclesi^ Sancti Marci tutoribus filie suprascripto quondam domini
Andree, pro qua comparuit vir nobilis Dominicus Georgius quondam ser Vinci-
guerre, Et dictis et allegatis Juribus quorumcumque lectisque multis Instru
ments ac legibus Imperii Romanie variisque partibus in nostris consiliis in di-
versis temporibus caplis et specialiter de millesimo quadringentesimo vigesimo
tercio sub die ultimo mensis Maii Et nonnullis literis per nos emanatis et auditis
et intellectis omnibus, que per unumquemque predictorum dici, produci et alle-
gari voluerunt et plene discussa causa suprascripta Terminavimus et delibera-
vimus cum nostro consilio suprascripto, quod Insula de Andre predicta debeat
libere dari et assignari suprascripto domino Crusino heredi predicte quondam
domine Marie eius matris tamquam illi, cui de Jure spectat et pertinet, tenenda
pro se et heredibus suis iuxta formam concessionis ipsi quondam domine Marie
fact§ per prefatum quondam dominum Nicolaum de le Carcere olim fratremsuum
et verum ducham Egeopelagi, üt predixiinus, Rescrvato tarnen quod supra-
seriptus Marcus Geno habeat id, quod solitus est habere. Verum, quia multa
restarunt in dicta Insula spectantia filie suprascripti domini Andree Geno, que
idem quondam dominus Andreas babebat, si illi, quibus hoc facere spectat, pre
dicta ipsi domino Crusino dare voluerint, tencatur idem dominus Crusinus pro
ipsis rebus dicte filie quondam domini Andree dare ducatos tresmille in annis
decem, vz. singulo anno ducatos trecentos usque ad intcgram dictorum duca-
torum trium millium solutioncm. Mandamus igitur cum dicto nostro consilio Uni-
versis et singulis Nobilibus et Sapientibus Viris .... Duche Crete et ... .
consiliariis suis ac . . . . Capitaneo ibidem, Necnon Baiulo et Capitaneo Nigro-
pontis et ... . consiliariis suis Ac . . . . Regenti nomine nostro Insulam
suprascriptam de Andre, Ceterisque Rectoribus, Capitaneis et patronis galearum
provisoribusque et ... . officialibus nostris ubicumque constitutis tarn presen-
tibus quam futuris, ut suprascriptam nostram determinationem et deliberationem,
in quantum ad eos spectat vel spectare potest, penitusobservent et faciant invio-
labiliter observari. In quorum fidem presentes fieri iussimus et bulla nostra
aurea pendente muniri. Datum in nostro ducali palatio die quinto mensis Janu-
arii indictione tercia MCCCCXXXVIIII 0 .
XVI.
Coiumemorlali Liber XIII. Fol. Sä, b.
In Christi nomine amen. Anno nativitatis eiusdem millesimo quadringente
simo quadragesimo Indictione tertia die quarto mensis Januarii. Cum hoc sit
quod per Illustrissimum ducale dominium Venetiarum cum suo consilio Roga
torum et additionis deliberatum et terminatum fuerit sub die vigesimo secundo
mensis Decembris prope preteriti, quod Insula Andres Egeopelagi spectare
debeat Spectabili et Egregio domino Crusino Sumarippa filio et heredi quondam
Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros etc. 253
domine Marie Sanuto tanquam illi, cui de iure spectat et pertinet tenenda pro
sc et heredibus suis, Juxta formam coneessionis faete ipsi quondam domin§
Mari^ Sanuto per quondam dominum Nicolaum de Carceribus quondam eius
fratrem, olim verum ducham Egeopelagi, reservato tarnen quod egregius et no-
bilis vir dominus Marcus Geno quondam domini Petri habeat id, quod solitus est
habere, et idem dominus Marcus habeat duo privilegia sive Instrumenta ei et
heredibus suis concessa per quondam Egregium et nobilem virum dominum
Petrum Geno olim patrem et dominam Petronilam olim matrem ipsius domini
Marci. Primum vz. die quodam pleudo de la Galdia e del Castel alto et de Ju-
mentis viginti duabus scriptum per Rambaldum de Rambaldis millesimo quadrin-
gentesimo vigesimo primo die vigesimo quarto Aprilis, cuius tenor est talis:
ln nomine de Christo Amen in 1421 a di 24 de Aprile. Nuy Piero Gen
Signor de Andres et Petrinelle nostra consorte femo manifesto a cadauna per
sona che vederano et aldirano el predieto Instrumcnto haverlo enperpetuo per
autentico patente et valevelle, chome demo et donemo et perpetualmente con-
cedemo al nostro predilecto fio Marco et a tut! li suoi heredi legitimi discendenti
la parte del fio de la Gridia e del castello de Alto, che fo del nobel homo Peru-
lachi Sanudo, che tegniva et possedeva dona Simona, moier che fo del dito Pe-
rulachi Sanudo nominado Nicuola per raxon de suo doario che era el quarto del
dito feo et apresso tegniva l’altro quarto che pervene in man de la Signoria el
quäl donessemo ad Orio Magrio che fo rnarido de la dita Simona, et da puo la
morte de quello confermessemo a la dita dona Simona in fina in vita soa la quäl
parte del dito feo che e la mitade, volemo chel dito Marco nostro fio possa haver
et tegnir e posseder et usufructar perpetualmente lui e soi heredi a feo et nome
de feo de laqual cum volunta et confermation del signor miser Zuane Crespo
ducha delarcipelago nostro cugnado e fradello de nuy Petrenela havemo messo
in sasiva etcorporal possession per luy e per li suoi heredi siando tegnudi a nuy
et ali nostri heredi che signorizera la dita Insula per recognoscenzia de la dita
donationde darne ho farne dar ogno anno pomo uno de naranzio a nostra requi-
sition de nuy e de li nostri heredi e per mazor fermeza e certitudine *) de la
vcritate e de la dita donation e possession havemo pregado cl nobel homo ser
Zorzi de la Gramatichi e ser Piero Crespo che sia testemonij et qui de soto scri-
vesse de sua man propria. E per che ser Zorzi predieto non saveva scrivere
messe la soa bulla chomo par qui desoto pendente et si lavemo bullada cum la
nostra bulla pendente. Ancora femo donation al dito Marco nostro fio zumente
vintido de tine cum tuta sua raxon che se atrova et atrovera, li quäl non e in la
parte del gaurio e de lo exomarea e parte de le corte e de la provato, le quäl
zumente et raxoni volemo chel possa dar donar alienar vender etimpegnar come
cossa soa propria. Et Jo Rambaldo de Rambaldi scrivam de la corte de Andre
de comandamento del suprascripto signor dandre et de madona Petrenelia sua
consorte scripsi et roboravi el dito Instrumento de mia man propria.
Aliud vero de ducatis centum in anno super ratione tertii Insul^ supra-
scripte de Andre suprascriptum per suprascriptum Rambaldum de Rambaldis
MCCCCXXI°. die primo Maii cuius tenor talis est:
254
Dl-. Karl Hopf.
Nuy Piero Gen Signor de Andre et Petrenella nostra consorte femo Mani
feste acadauna persona che lo presente Instruniento vederano et aldirano ha-
verlo perpetuo e olinthicho e patente fermo e rato e valevelle. Conzossia cossa
cum voluntade e confirmation de miser Zuan Crespo duca del Arcipelago nostro
eugnado e fradello de nuy Petrognella demo et donemo al predicto nostro fio
Mareo et ali soi heredi del suo corpo legitimi descendenti sovra la raxon del
terzo de questa Insula dandre el quäl nuy podemo donar a chi ne piaxe tanto de
questa Insula nostra, che sia ducati cento doro ogni annoethaver, tegnir, gauder
et usufructar a feo e a nome de feo lui e li suo heredi perpetuamente siando
tegnudi de darne a nuy e a li nostri heredi per rccognoscentia de la dita dona
tione per dar ogni anno pomo uno de naranzio ad ogni nostra requisition el quäl
Marco nostro fio fin damo el metemo in Saxiva et corporal possession per nuy e
per li nostri heredi a lui e ali soi heredi in testimonianza de nohcl homani ser
Zorzi de la Gramatiehi et ser Nicuola da Chorogna e ser Piero Crespo che qui
desoto scrivesse con so man propria. Et per che ser Zorzi non saveva scrivere
messe la sua bulla pendente, chomo apar qui desoto. Et Jo Nicola da Choronia
testis subscripsi. Et Jo Piero Crespo testis subscripsi. Et Jo Rambaldo de Ram-
baldi scrivam de la corte per comandamento de suprascritto Magnifico Signor
dandre et de Madama Petrenella sua consorte scripsi et roboravi el dito Instru
mente de mia man propria.
Ad tollendem omnes differentias, scandala et errores, quepossent insurgere
occasione reservationis facte per prefatum Illustrissimum dominum et eius Con
silium rogatorum antedictum, de qua reservatione in principio pre,sentis Instru-
menti fit mentio, prefatus dominus Crusinus ex una parte et predictus dominus
Marcus Geno ex altera, medio et interpositione Spectabilium et egregiorum
virorum dominorum Francisci Lauredano quondam domini Georgii et Pauli Truno
quondam domini Donati ad infrascripta pacta et conventiones nullo ducti errore
sed sponte libere et ex certa seientia devenerunt, vz. quod idem dominus Cru
sinus per se et heredes suos quousque habebunt, tenebunt et possidebunt supra-
scriptam Insulam de Andre libere dare promisit ac promittit et se obligat a die
vigesimo secundo mensis Deeembris proxime preteriti in antea anno singulo ei-
dem domino Marco et suis heredibus et descendentibus ab eo et eis legitime
descendentibus ducatos CL boni auri et iusti ponderis in Nigroponte cum hoc
quod idem dominus Marcus per se et heredes ac descendentes suos libere tradit
cessit transtulit remisit et relasavit ac dat cedit transfert et libere relaxat ac
pleno titulo renuntiat omnia et quecumque sua Jura et actiones reales et perso
nales, utiles et directas, tacitas et expressas, mixtas, pretorias et ypothecarias,
civiles et anomales, pheudales et omnes alias qui; et quales sint et quant^ ac
quantas habeat ac quibuscumque nominibus censeantur nec non dicto domino
Marco et heredibus ac descendentibus suis quomodlibet competere et spectare
possent tarn vigore suprascriptorum privilegiorum etlnfrascriptorumquam aliter
quocumque Jure titulo ratione vel causa vel aliter quomodocumque nact§ vel
acquisit^ tarn super suprascripto pheudo de la Galdia et Castro de alto ac supra-
scriptis viginti duabus Jumentis in primo suprascripto instrumento contenlis et
nominatis etiam si diet^ Jument^ non reperirentur nec haberentur, quam de du-
catis centum, quos annuatim super tertio dict§ Insul§ de Andre habere debebat
Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros etc. 255
iuxta continentiam secundi Instrumenti siiperius annotati, Ita quod supraserip-
tum pheudum et Jument^ si haberi et reperiri poterunt ac omne Jus supra-
seripti tertii prefato domino Crusino et heredibus suis libere debeant remanere
hoc attamen apposito et declarato, quod Idem dominus Crusinus et heredes sui
nullo unquam tempore possint predictam Insulam de Andre dare, donare ve)
aliter in alios transferre vel aliqualiter alienare nisi tali conditione et modo,
quod suprascriptus dominus Marcus Geno heredesque suprascripti et descen-
dentes sui habeant continuis temporibus singulo anno predietos ducatos centum
quinquaginta auri in Nigroponte ut superius est expressum 1 ). Que omnia et
singula supraseripta et infrascripta dicte parteset qualibet ipsarumper solennem
stipulationem sibi invicem et vicissim promiserunt et convenerunt ac michi no-
tario infrascripto tamquam publice pcrsone stipulanti et recipienti vice et no
mine earum heredum et successorum suorum et cuiuslibet earum et eorum et
aliorum quorum interest vel interesse poterit, in perpetuum rata grata firma et
valida tenere attendere ct observare et non contrafacere vel venire per se vel
per alium seu alios aliqua ratione vel causa de Jure vel de facto, tacite vel ex-
presse, seu alio quovis quesito colore sub ypotheca et obligatione omnium
suorum bonorum presentium etfuturorum cum refectione omnium et singulorum
damnorum expensarum et interesse litis et cetera. Et nichilominus omnia et
singula supraseripta et infrascripta firma perdurent et inviolabiliterobserventur.
Renuntiantes dicte partes et quelibet earum omni Juri seu eonsuetudini tarn Im-
perii Romanie quam aliter, per quod vel per quam ipse partes seu heredes et
descendentes sui possent aliqualiter se tueri ac renunciantes sibi invicem et vi
cissim exceptioni non sic factarum promissionis et eonventionis ac pheudalis re-
nunciationis et relaxationis omnium predietorum non sic vel aliter gestorumpro-
missorum ac factorum ut supra, exceptioni doli mali, metus causa et in futurum
actioni, condieioni sine causa vel ex iniusta causa sive ob turpem causam, fori
privilegio omnique alii Juris consuetudinis exceptioni et defensionis legum et
constitutionum auxilio dictis modis et nominibus vel legibus dicentibus generalem
renunciationem non valere. Et insuper dicte partes sponte ct ex certa scientia
iuraverunt ad sancta dei evangelia omnia et singula supraseripta attendere et
adimplere et effectualiter observare bona fide et ad sanurn bonum et purum sen-
sum et intellectum omni cavilatione et absurditate mala interpretatione dolo
fraude et concessione cessantibus penitus et amotis et prout supra promiserunt
continetur et scriptum est. Mandantes ut unum et plura conficiam Instrumenta
eiusdem tenoris et continenti^.
Actum Venetiis in contrata Sancti Augustini in domo prefati domini Marci
Geno in quadam eius camera pr^sentibus venerabili domino presbytero Nicolao
Venerio plebano Sancti Augustini et presbytero Francisco Gaffaro beneficiato
m eadem ecclesia et Magistro Augustino quondam Marci eiusdem contrat^ et
aliis ad hoc specialiter habitis et rogatis.
Ego David Jacobi de Tedaldinis etc.
*) Fol. SG, b.
256
Dr. Karl Hopf.
XVII.
Coinineuioriall Liber XV. Fol. 129, b.
Consilium famosissimorum utriusque iuris doctorum dominorum
Johannis de Prato etFrancisci deCapitihus Liste declaratum
per antedictos doctores Magnifieis dominis sapientibus consi-
lii sub die vigesimo septimo Junii millesimo qu adri ngentes imo
quinquagesimo quarto et in scriptis redactum et presentatum
die vigesimo oetavo eiusdem mensis.
Di doe dubitationi siamo dimandati da la Illustrissima Signoria vostra. El
primo dubio formato a nui fu, se madona Petronilla, volendo testar de la terza
parte de quel feudo, del quäl per la sua renuntiation fu investido miser Andrea
Gen suo fiolo, lo averia possuto far. La seconda dubitatione e, posto che avesse
possuto farlo et lei la voluto far, avendo generalmente facto testamento de tuti
i suo beni, se bisognava, ehe di questa terza parte de feudo lei facesse spetial
mention.
Quanto al primo respondemo: Che Madona Petronilla averia possuto testar
et disponer in morte di la terza parte de questo feudo, perchc: presupposto,
che Ii sia lege, che veda, ehe alcuno feudatario non possi ne la infirmitade, de
la quäl ei muor, renuntiar over lassar per legato over dimissione el suo feudo,
non e per questo, che madona Petronilla non havesse possuto inslituir in quello
herede madona Fiorenza, perche quella leze, che veda, che niun in infirmita
possalassar, veda solo el titulo particular, zoe che non possa per legato: ma non
e per questo prohibito, ehe non possa instituir herede: perche una regola e:
quod inulta transeunt eum universitate, qu^ non transeunt
titulo particulari, et maximamente per che la leze veda, che tal aliena-
tion per legato non si faza in prciudicio de lo herede: etse se dicesse’, che
questa dispositione di madona Petronilla facta a beneficio de madona Fiorenza
e in preiudicio del herede zoe de miser Andrea, che de raxon debe suceeder:
se responde: ehe, esscndo facta de volunta si del signor del feudo come anche
de miser Andrea Zern, che era lo herede, che dovea suceeder, quello, che e
facto de sua volonta, non se po intender esser facto in suo preiudicio: Conclu-
dendo adoneha, quanto al primo dubio, che Madona Petronilla haveria possu
expressamente per testamento disponer de questo feudo et maxime disponendo
solo de la terza parte, perche al tempo de la investitura facta in miser Andrea
Zem fu reservato expressamente a Madona Petronilla de poter disponer de la
terza del feudo in uno de suo fioli et a vita di quello.
Quanto al Segondo dubio: presuposito che Madona Petronilla expressa
mente havesse potuto disponer, che dimanda: se el se intende, chel ahi voluto
far per la sua general Institution, Rispondemo di no: perche, attento ehe questi
heni feudali za erano integramente transferedi in miser Andrea suo fiolo, benche
Madona Petronilla se riservasse faculta di posser testar de la terza in uno de
suo fioli, ampuo par, che a deehiarir, ehe di questa terza volesse disponer, bixo-
gnasse far qualche spetial mention, et se pur questo in algun modo potesse re-
cever, dubio al mancho in questo caxo, del quäl siamo dimanda(n)ti, e chiarissimo,
Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros etc. 257
che non se po intender, che Madona Petronilla liabi voluto disponer di
questo feudo per doe evidentissime raxon. La prima e questa, che la regula de
raxon e de equita vuol, che niun per parole general se de intender haver voluto
disponer di quello a lui era prohibito; hora Madona Petronilla era prohibita de
disponer de questo feudo in lasarlo ad alguno de i fioli, salvo lo possa lassar in
vita del fiolo, a chi lasasse; lassando adoneha a madona Fiorenza la sua here-
dita cum condition, che di quella possi disponer in vita et in morte, non se de
intender, che liabi soto queste parole voluto lassar el feudo, del quäl Madona
Petronilla in morte a madona Fiorenza era prohibita dar alcuna faculta, perche,
come dicto habiamo, niun soto general parole se intende far quello, che a lui
era prohibito. La segonda raxon, che nui dovemo creder, che la disposition se
intende esser facta di quella cossa, alaqual si po adaptar le parole de la dispo
sition: hora la disposition et institution de madona Petronilla concede a madona
Fiorenza liberta de posser disponer di quello che la ge lassa in vita et in morte,
lequal parole non *) convengono a la terza del feudo: la quäl ela ge podea lassar
a vita solamente: Unde achi non convengono le paroje, non convien anchora la
disposition. Concludendo adonche a luno e laltro dubio rispondemo, che benehe
madona Petronilla avesse possuto lassar berede Madona Fiorenza in la terza di
questo feudo, quando expressamente dicto lo havesse: ampuo non lo havendo
spetialmente dicto : per la general institution cum le qualita et condiction, che
in quella se eontien, non se de creder haver di la terza del feudo disposto: per
la quäl cossa riferimo consequenter in tutto, che iniustamente fu data la sen-
tentia in favor de Madona Fiorenza sine la causa principal, come ne la causa
de la appellation.
Johannes de Prato.
Franciscus de Capitibus liste.
XVIII.
Libri Mar Tom. VI. Fol. 144, a.
In Christi nomine amen. Anno nativitatis eiusdem millesimo quadringente-
simo quinquagesimo nono indictione septima die octavo Augusti, actum Venetiis
in domo spectabilis domini Mathei Victuri quondam domini Bulgari , ibique viri
nobiles ser Johannes Justiniano quondam ser Francisci et ser Catarinus Geno
quondam ser Draconis vice et nomine nobilis domine Petrenile Iiܣ quondam do
mini Andrej Geno vigore libertatis per ipsam sibi attribute, ut patet in actis of-
ficii advocatorum sub die decimo sexto Junii MCCCCLIX ad componendum et
coneordandum etc. ut ibi, et vir nobilis ser Nicolaus Caucho quondam ser Fran
cisci, tanquam procurator substitutus a domino Dominico Sumarippa uti procu-
ratore Magnifici domini Crusini Sumarippa domini Insule Aiulri et Parii eius
patris, ut patet per instrumentum procurationis scriptum MCCCCLIX die deeimo
quinto mensis Martii Venetiis manu Bartbolomei Almerici notarii, babens liber-
tatem concordandi et paciscendi etc., ut in eo continetur, ex altera parte, et de
258
Dr. Karl Hopf.
procuratione faeta per ipsum dominum Crusinum in personam domini Dominiei
filii sui patet per certam notarialem scriptam Andri manu Marci Belegno notarii
MCCCCLVIII die deeimo quinto novembris cum libertate paciscendi et substi-
tuendi etc., ut in eo continetur, in presentia prefati domini Mathei Victuri, olim
et in hoc casu Advocatoris. Cum audivissent legi pacta instrumenta alias per re-
cordationem prefati domini Advocatoris scripta manu circumspecti viri ser Jcro-
nimi de Nicuola aule ducalis secretarii huius continentie: In Christi nomine
amen. Anno nativitatis eiusdemMCCCCLIX indictione septima die .... *) men-
sis Maii Venetiis pr^sentibus . . . . *) Cum hoc sit, quod inter Magnificum do
minum Crusinum Summarippam, Andres, Parii et Antiparii dominum, ex una et
Spectabilem nobilemque Venetam dominam Peternilam natam quondain Magni-
fici et nobilis domini Andree Geno, qui alias dominatus fuit dicte insule, ex
altera lis fuerit, cum in deliberatione facta per Illustrissimum dominium Vene-
tiarum cum suo Illustrissimo consilio Rogatorum facta MCCCCXXXIX die ....
indictione .... etc. contineatur, quod prefatus Magnificus dominus Crusinus
darc deberet prefate domine Petrinelle in certis terminis ducatos tres mille,
quos minime dedit, et ipsa domina Peternila pretendebat habere cam insulam
Andres, comparuit coram Spectabilibus dominis Advocatoribus Communis, se
gravans, quod vigore deliberationis predicte spoliata fuerat dicta insula et pecu-
nias predictas habere non poterat; per spectabiles dominos Andream. Contareno
et Matheum Victuri tune honorabiles advocatores Communis, et dum spectabi
libus eorum citatis partibus vellcnt predicti predictam causam ad maius consi-
lium Venetiarum deducere, predicta domina Peternila ex una parte et Specta-
bilis dominus Dominieus Summarippa filius et procurator predicti Magnifici do
mini Crusini, habens ad hoc plcnissimam facultatem, ut patet ex instrumento,
ex altera ad hanc compositionem et concordium devenerunt, vz. quod dictus do
minus Crusinus Summarippa dicte domine Peternile dare obligetur in reditu
galearum Baruti vel Alexandrie presentis anni ducatos duos mille auri, Et de
hoc dare de presenti fideiussionem suffleientem quq placeat Illustrissimo dueali
dominio Venetiarum, Et successive teneatur dictus dominus Crusinus etiam diet§
domine Peternile in tribus subsequentibus annis dare alios ducatos tresmille
auri, Et de hoc in reditu dictarum galearum Baruti et Alexandrie dare suf-
ficientem fideiussionem que placeat prefato Illustrissimo dueali dominio. Et ex
nunc ipsa domina Peternila per se et filios ex ea uascituros et descendentes ab
illis filiis suis renunciat, cedit et remittit ipsi domino Crusino sive dicto Domi-
nico, eius filio et procuratori, et heredibus suis omnia sua iura, iurisdictiones et
actiones, quas et que habent vel habere possent vigore instrumentorum et scrip-
turarum, cuiuscumque conditionis existant, qu^ possint pro tali differentia in
suum sive dictoruin filioruin et descendentium propositum aut favorem devenire,
cassando et cancellando dicta instrumenta et seripturas pro se ac filiis et de-
scendentibus suis suprascriptis imperpetuum a ) hac tarnen condicione apposita
et per expressum declarata, quod non obstante renunciatione suprascripta, si
dictus dominus Crusinus Summarippa cum effectu non daret pr^dict^ domin§
1) Tag und Namen der Zeugen sind nicht ausgefiillt. 2 ) Fol. 144, b.
Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros etc.
259
Peternille suprascriptos ducatos tres millc atiri et pro eis fideiussionem ad ter-
ininos suprascriptos, tune et eo casu dicte domine Peterniie libere remaneat et
sui sint primi ducati duo mille quos, ut pr^fertur, dictus dominus Crusinus ei
dare obligetur in reditu galearum Baruti vel Alexandrie presentis anni. Et tarnen
ipsa domina Peternila ultra hoc remaneat et sit in eo Jure, terminis et condie-
tionibus, quibus ad presens est. Et similiter si fllii ipsius domine Peternille vel
ab eis descendentes aliquo tempore vellent vel quererent ipsum dominum Cru-
sinum vel heredes suos aliqualiter molestare, teneatur et teneantur primo ante
omnia dicto domino Crusino vel heredibus suis, quibus lis movereturvel molestia
fleret, exbursare, dare et cum effectu restituere pecunias, quas dictus dominus
Crusinus vigore liuius compositionis, concordii et contraetusdicte domine Peter
nille exbursasset vel fecisset exbursari, que omnia et cetera nominibus quibus
supra. Et omni modo, via, iure et forma, quibus ipse partes magis et melius po-
tuerunt et possunt, remanserunt eontente et concordes, que ipsa pacta eo modo,
quo scripta sunt superius et notata, remaneant firma, validaet corroborata, Cum
hoc, quod prius et ante omnia pars posita sit in Consilio Rogatorum occasione
et pretextu pactorum assertorum factorum inter ipsas partes principales, revo-
cetur et annulletur, et cum revocata et annullata fuerit, huiusmodi pacta intelli-
gantur firma et valida, ut dictum est, et tune ipsa parte revocata, huiusmodi ipsa
pacta nunc validata in ipso Consilio Rogatorum confirmentur et corroborentur;
sed, donec pars illa non fuerit revocata, huiusmodi pacta non sortiantur effectum,
Et cum hac declaratione et correctione addita inter ipsas partes nominibus
quibus supra, quod Idem ser Nicolaus Cauclio nomine quo supra usque
ad unum mensem proximum huiusmodi pacta per Consilium fuerinf corroborata,
teneatur dare fideiussionem idoneam, que placeat Illustrissimo dueali dominio,
dandi ad reditum galearum Baruti et Alexandri^ illos ducatos duomille ipse do
mine Peternille et a reditu ipsarum galearum usque ad unum alium mensem ple-
zariam dare idoneam, que prelibato dueali dominio placeat, dandi domine Peter-
nill^ alios tresmille ducatos ad terminos limitatos, quod si non fecerit, cadat de
ducatis duomille, qui deveniant et sint ipsius domine Peternille, et condicio
obligationis apposite in pactis predictis circa huiusmodi propositum solvendi de-
narios vz. pro quanto continent, quod ipsa domina Peternilla lucretur ipsos du
catos duosmille, et quod ipsa remaneat et sit in eo iure, terminis et condicioni-
bus, quibus ad prejsens est, si non daret ducatos tresmille etc., habeatur pro
correcta et revocata. Ita tarnen quod ultra dictam penam ipsa domina Peternilla
habeat ducatos quinquemille secundum formam pactorum, hoc tarnen declarato,
quod ipsa domina Peternilla vel maritus suus, si maritum habebit, non possit
molestare ipsum dominum Crusinum vel heredes suos pro differenciis predictis
sub pena dueatorum duomille, qui deveniant dicto domino Crusino et suis here
dibus. Et nichilominus pacta et presens contraetus remaneant firma. Et versa
vice ipse ser Nicolaus nomine dicti domini Crusini remittit, renuntiat et cessit
ipsi domine Peternille omnia iura et actiones, quas habet et habere posset in
petendo ducatos trecentos, quos furnitores testamenti dicti quondam domini
Andree Geno exegerunt a suprascripto domino Crusino vigore partis capte
MCCCCXXXIX, per quam data fuit insula Andres dicto domino Crusino. Et e
contra ipsi ser Johannes et ser Catarinus nomine dict(> domine Peternille
260
Dr. Karl Hopf.
renunciant, remittunt et eesserunt ipsi ser Nicolao nomine quo supra omnia iura
et actiones, que vigore dictf partis MCCCCXXXIX, habere posset, Promittentes
ipse partes nominibus quibus supra predicta attendere et observare, manutenere
et adimplere, sub obligatione omnium bonorum suorum principalium usque ad
integram satisfactionem.
Suprascriptis millesimo et indictione, die vero decimo septimo Augusti in
Excelso consilio Rogatorum pro gerendis rei public^ congregato in loco et sala
solita, in quoque aderant Serenissimus et Illustrissimus Princeps Pasqualis Mari
petro dei gratia Inclitus dux Venetiarum etc. et domini .... Consiliarii nec
non domini .... nobiles ipsius consilii, lecte et publicat^ fuerunt per me no-
tarium instrumentum, conventiones et pacta suprascripta, posita tarnen de [vo-
luntate partium et capta prius in eodem consilio parte incisionis prim^ partis
pactorum assertorum factorum inter partes, ut in bis novis pactis superius con-
tinetur et plena fit mentio. Et exinde posita parte in ipso consilio, per pr^libatos
dominos consiliarios, quod huiusmodi pacta noviter facta, suprascripta et leeta
huic consilio confirmentur et corroborentur, et ita factum fuit, ut in ipsa parte
latius continetur. Et ad predicta et in ipso consilio adderat dominus P. cancel-
larius ducalis, qui se reperierunt in dicto consilio.
Et ego Nicolaus Luli publicus imperiali auctoritate et olficii Advocatorum
notarius suprascriptis Omnibus interfui et rogatus ea ut supra scribere scripsi.
XIX.
Libri Mar Tom. XII. Fol. 90, b.
Anno MCCCCLXXXVI die quarto Octobris.
Vorgeschlagen im Senate.
Quod attento quod pacto aliquo non constet ducatum Egeopelagi esse ma-
teriam feudalem, yinmo acquisitum fuisse per dominum Marcum Sanuto cum fa-
vore et auxilio nostri dominii, ut constat pluribus litteris ducalibus et partibus
captis in consilio Rogatorum, liberum et absque alieuius recognitione. Attento
etiam quod per consuetudinem diversis temporibus observatam tarn tempore il-
lorum de cha Sanuto et de cha de Carceribus, quam et tempore domus Crcspc,
ut constat privilegio Insule Melos, quo dominus Janulius Sanuto donarit Insulain
Melos domino Marcolino eius fratri MCCCXLI. die XXV. Julii. Et simili donatione
qua Idem dominus Janulius donavit ser Bertucio Grimani Insulam Sifani in
MCCCXLI. die XX. Julii quam teilet de pr^senti et possidet vir nobilis ser Anto
nius Grimani. Et attento etiam quod hec insula Melos libere data fuit in dotem
et pro dote domine Florenti^ eius filie per dominum Marcum Sanuto domino
Frangulio Crispo, ut constat litteris ducalibus diei penultimi Novembris
MCCCLXXVI. Attento etiam quod domina Florentia Sanuto filia domini Janulii
Sanuti ducis Egeopelagi successit in ducatu non existentibus filiis masculis, esto
quod essent alii plures patrui vz. fratres patris duche Egeopelagi et dedit du
catum ipsum domino Joanni de Carceribus, attento etiam quod dominus Nicolaus
de Carceribus olim ducha Egeopelagi donavit insulam Andre domine. Marie Sa
nuto fili^ eiusdem domine Florentie, ut constat partibus captis inConsilio Roga
torum die ultimo Maii MCCCCXXIII. que quidem Insula Andre usque in hodiernum
Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros etc. 261
diem possessa fuit et est per illos de cbä Summarippa distircta et separata ab
ducatu Egeopelagi. Et similiter Insule Stampalie et Morgo alienate possess^
fuerunt per quondam ser Franciscum Quirino Stampalia et in presenti possi-
dentur per ser Nicolaum eius filium similiter separate et segregate a ducatu pr§-
dicto. Etiam Insula Antiparii possidetur per filiam quondam ser Joannis Laure-
dano quondam ser Aiouisii procuratoris que sibi donata fuit per quondam do
minum Cursinum Sumarippa. Attento et quod intratis illis de cha Crespo no
mine domine Florentie Sanuto eius uxoris, dominus Frangulius et eius uxor dona-
verunt Insulam Melos et Chimuli domino Joanni eorum filio et Insulam Andre
dederunt in dotem domine Petronille eorum filie uxori ser Petri Geno ut constat
publico privilegio MCCCLXXXV. die II. Februarii et multe alie alienationes facte
fuerunt, prout clare denotabitur, sicut est donatio Insule, Nanfii domine Florenti^
olim eonsorti ser Aiouisii Barbaro filie olim domini Guillelmi Crispo olim ducis
Egeopelagi, que quidem domina Florentia continue eam possessit et de presenti
tenet et possidet. Ex quibus Omnibus clare patet donationem factam eidem do
mino Dominico et domine Florentie eius uxori de Insula predicta Sancti Herinis
potuisse dari et fuisse in libertate ipsius quondam domini Jacobi dandi ipsam in
dotem et donum et potuisse eam alienare tamquam rem suam propriam et sine
alicuius reeognitione sive feudo aliquo in observantiam legum Imperii Romanie
disponentium de successione ducatus, deficientibus maribus, in feminas. Attenta
presertim confirmatione dominii nostri de donatione predjeta, ut constat litteris
ducalibus diei XXII. Junii MCCCCLXXX. Et quod die XI. Septembris MCCCCLXXX.
per partem captain in Rogatis fuit pr^ceptum ipsum ser Dominieum poni debere
in possessionem Insule ipsius, Et propterea cum omnia Jura mundi tarn divina
quam humana disponunt unicuique reddi quodsuum est.
Vaditpars 1 ), quod auctoritate huius Consilii Insula Sancti Herinis pre
dicta dari et consignari debeat eidem ser Dominico Pixani et domine Florenti^
eius uxori vel eorum nuncio prout et sicut in privilegio et donatione superinde
facta continetur, salva iurisdictione et superioritate Illustrissimi duealis dominii
nostri.
XX.
Brief des C yriacus von Ancona anAndriolo Giustiniani ßanca.
(Tozzetti V, 423—424.)
Posteaquam ex Naxo ultimas ad te Litteras dedimus, Jocundissime An
dreoie, Niveam Paron iterum revisere placuerat; nam et praeclara sua atque
nobilia almae suae veternitatis monumenta non semel vidisse satis est, sed
iuvat usque mirari. At et cum una suo cum Principe Cursino pleraque prius
comperta laeto quidem animo revisissem, nonnullos quoque vivos de marmore
vultus vivaque et peregrinis armis ornata de lapide nitidissimo Corpora
nuper Cursino ipso euriosissimo curante Principe defossa perquam iocundum
conspexi, et potissime laetatus sum Trasyxeni, ingentis olim Delubri statuarum
262 Dr. K. Hopf. Urkunden und Zusätze zur Geschichte der Insel Andros etc.
et nobilium plurigonum operum conditoris, nomine comperto; nec equidem
ingratius vidi ipso in Pario portu onustam iam navim expolitis plerisque
Pario ipso de lapide listis, Chyensi praeelarae Coloniae Vestrae ingenti decori
et ornamento futuris etc. Ex eodem CI. Pario VIII. Kal. Januarii. Recipe a
portitore A. Galaphato Caput unum Marmoreum unumque Crus etc.
0 AHM02
0 HOAICTI
ESäN
0 AHM02
0 MTPEI
NAI0 N
i) legd. Ö.
Verzeichuiss der iMiigegangeneu Druckschriften.
263
VERZEICHNIS
DER
EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
JULI.
Aecademia pontificia de nuovi Lincei, Atti. Anno VI. Sessione
2 — 5.
Annalen der Chemie und Pharmacie. Ed. 96, Heft 1.
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Nr. 6.
Austria, Nr. 21 —29.
ä3au$eitung, allgemeine. 91t. 4, 6.
Beobachtungen, magnetische und meteorologische zu Prag.
Bd. 14.
Braun, C., Wiesbaden als Heilquelle und als climatischer Heilort.
Wiesbaden 1855; 8°-
Cantü, Cesare, Scorsa di un Lombardo negli archivi di Venezia.
Milano 1866; 8 0-
Chlumetzky, P. Ritter von, Die Regesten etc. in den Archiven von
Iglau etc. Bd. I, Abth. 1. Brünn 1866; 8 0-
Cos mos. Vol. 9, Nr. 1—3.
Siegel, (Earl, ©a§ Softem ber Staatsanleihen im ßujammenhange ber
92ol!Stt>irth|cf)aft- -g»eibeI6erg 1866; 8°'
Flora, Nr. 13 — 24.
Gar, Tom., Epizodio del medio ero trentino. Trento 1866; 8 0-
Geinitz, Hans, Geognost. Darstellung der Steinkohlenformation in
Sachsen. Abth. 1, Leipzig 1866; Fol. Mit 12 Lithogr.
Gliubich, Simeone, Dizionario biogralico degli uomini illustri
della Dalmazia. Vienna 1856; S°-
Heinrich, Albin, Mährens und k. k. Schlesiens Fische, Reptilien
und Vögel. Brünn 1856; 8 0-
Hochstetter, Ferd., Plan von Karlsbad und dessen Umgebung.
Karlsbad 1855.
Sitsb. d. phil.-hist. CI. XXI. Bd. II. Hfl.
18
264
Verzeichniss der eingegang-enen Druckschriften.
Istituto, Veneto, Atti. Tom. I, p. G.
Jahrbuch, neues, für Pharmacie. Bd. 5, HeftS.
Journal, the astronomical. Vol. IY, 14—16; 2 0,
Karlsbad, seine geognost. Verhältnisse und seine Quellen. Karlsbad
1856; 8°-
Kirschbaum, C. L., Über Hoplisus punctuosus Eversm. und H.
punctatus, n. sp. 2. ed. Wiesbaden 1855; 4°-
Lancet, Nederlandsch, Jahrg. V, Nr. 5 — 7.
Siegel, ©., äSefdjretbung neuer £>bftforten. 3Dte Pflaumen. §eft 3.
£ftegen86urg 1856; S 0,
Magyar Academiai Ertesitö. 1855. Nr. 1 —10.
Magyar Nyelo Rendszere. Buda 1847; S 0-
Magyar Törtenelmi Tär. Bd. 1, 2. Pesth 1856; S 0-
SKeier, Grnft, ©efdjtcijte ber poettfdjeit 91attonal=8iteratur ber Hebräer.
Seipjig 1856; 8 0-
Mittheilungen der k. k. Central-Commission zur Erforschung und
Erhaltung der Baudenkmale. Jahrg. I, Nr. 7.
SRufeum, grcmct8co==(SaroIinum, 3abre£6ertdjt. 16.
Pamätky, archaeologicke etc. Bd. II, Heft 2.
Sabine, Edw., On periodical laws discoverable in the mean elfects
of the langer magnetic disturhances. Nr. 3.
Sailen ave, Traite, theo. et prat., sur l'dpuisement pur et simple,
de l 1 economie humaine et sur les maladies chroniques les plus
repandues, qui ont cette origine. Paris 1856; 8 0-
Schleicher, Aug., Litauische Grammatik. Prag 1856; S 0-
Selskabs, K., danske Videnskaherness. Oversigt over det For-
handlinger. 1855.
— Skrifter, Naturvidensk. og. Mathematik Afdel. Vol 4, p. 1.
Societe, R., des Sciences, de Liege. Memoires. Vol. 10.
Society, Royal, London Proceedings. Vol. 7, Nr. 11 —13.
Steen strup, Job., Hectocotyldannelzen hos Octopodslacgterne
Argonauta og Tremoctopos etc. Kjöbenhagen 1856; 4°-
Toldy, Fer., Emlekbeszed Grof Teleki J. Pesth 1855; 8 0,
Verein für Naturkunde im Herzogthume Nassau. Jahrbücher.
Heft 10.
Verein für vaterländische Naturkunde in Württemberg. Jahrgang
XII, Heft 2.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
XXI. BAND. III. HEFT.
JAHRGANG 1856. — OCTOBER.
267
SITZUNG VOM i. OCTOBER 1856.
Vorgelegt:
Aus Wiener Handschriften.
(Den Herren v. Karajan und Wolf gewidmet.)
Von Br. Moriz Schmidt.
Wenn ich mich unterfange, Ihnen die folgenden Blätter zu
widmen, so wollen Sie, hochverehrte Herren, darin zunächst einen
schwachen Ausdruck der Dankbarkeit erblicken, welche Ihnen der
Unterzeichnete für die unermüdliche Gefälligkeit und zuvorkom
mende Bereitwilligkeit schuldig zu sein glaubt, mit der Sie ihm die
Benützung der handschriftlichen Schätze der k. k. Hof-Bibliothek
vier Wochen lang erleichtert haben; — sodann aber gleichsam einen
Empfehlungsbrief für die Studiengenossen meiner Heimath, die
etwa in der Folgezeit zu ähnlichem Zwecke Ihre Güte in Anspruch
nehmen werden. Indessen liegt diesen Zeilen noch eine andere
Intention zu Grunde, der Sie als Custoden einer der schätzbarsten
Manuscriptensammlungen Ihre Billigung kaum versagen können. Ihrer
eigenen Beobachtung zufolge haben sich die Codices mss. phil. Graeci
mit vereinzelten Ausnahmen längere Zeit der Beachtung der Philo
logen entzogen; man hat oft in der Ferne gesucht, was man näher
und zum Theil besser in Wien haben konnte, und erst in der neue
sten Zeit wieder angefangen fragmentarische Mittheilungen aus
interessanten griechischen Handschriften der Hofbibliothek zu machen.
Es wird daher kaum weiterer Rechtfertigung bedürfen, wenn ich im
Folgenden beabsichtige, den Ertrag der sich aus mehreren Ihrer
Obhut anvertrauten griechischen Manuscripten ziehen lässt, für ein
grösseres Publicum durch mehr oder minder ausführliche Mitthei-
lungen zugänglich zu machen.
19 *
268
Dr. Moriz Schmidt.
Wie sehr die Kritik von Erotianos’ Glossarium zum Hippocrates
noch im Rückstände sei, wird Jeder erfahren haben, der in der letz
ten und verbreitetsten Ausgabe des Buches von Jo. Geo. Fr. Franz,
Lips. 1780. 8. hei Wiederherstellung der zur Glossenerklärung ein
gewebten Tragiker- oder Komiker-Fragmente sich hat Raths erholen
wollen: denn die MSS. Dorville's und Stephanus’ nebst Bartholo
mäus Eustachius’ lateinischer Übersetzung und Charters Ausgabe sind
eigentlich der ganze Apparat welcher Franz zu Gebote stand. Mit
vollem Rechte klagt daher August Nauck im Philologus, Bd.V, p. S62,
wo einige Stellen aus Erotianos' und Galenos’ Glossarien behandelt
werden, über diesen unglücklichen Stand der Kritik des Erotian,
und erwartet für besonders verderbte Stellen nur von besseren
Codicibus Heil. Einen solchen besitzt aber die Ilof-Bibliothek in der
bei D. Nessel unter den codd. mss. mcdic. Orient, et Graec. als
Nr. XLIII aufgeführten, von Busbecke acquirirten Papierhandschrift,
welche fol. 1—82 eine Receptsammlung in spätem Griechisch, fol.
83—121 den Erotianos, fol. 121—140 Auszüge nebst Verbesse
rungen und Varianten zum Hippocrates, endlich auf nicht mehr
geglättetem Papiere lüderlich geschriebene und werthlose iatrische
Glossen und einige konstantinopolitanisehe Inschriften enthält. Letz
tere sind bis auf die letzte, fol. 144 füllende, ebenfalls bedeutungslos.
Diese lautet:
oi xdzw&ev aziyoi saz'iv yXuTTzoi iv zoj xinvi zb zszpd/rXsopov
b iazi £'j zdj izmodpopicp zrjz xaivazavzivoi>7r6Xea>s, sve ds
ävco ek zsaoapa d^dpia pnpouz^iva. ;•
xiova zsvpdnleopov, de\ yfXov'c xsip.svov dyjdoc; pnuvoq dvs-
orqoazo dsudöoux; ßaaiXsot; zoXpyaaz vrpbxXoc krzsxsxXszo xai
rbaoz iazrj xicuvi -q iXXirjz su zptdxovzadüo.
zb abzb zezpanXsupov xuovt iyei bk xai xaza bvazoXaz ypd.p-
jiaza Xazcvtxä nepiyXunzu. xai tppu.Ciov ouzoc:.
d ifficiliSoyo Ndam dominiSpaReReSeReniS
IVSVSETeXTiNCTiSpaLmampoRtARetyRAnniS
o mniaTHeodoSioCenduntSyßoLiqyepeRenni
TeRdeniSSiCyiCTySeCod .. MiiySqVediebyS
I VdiCeSyßpRoCLoSy.... eLatySAdAyRAS
Das griechische Epigramm ist bekannt aus Jacobs antbol. Palat.
vol. II, p. 239, wo es als Nr. 682 unter den kjribeixzixd (IX)
Aus Wiener Handschriften.
269
erscheint; mit den Varianten dvaazijaai, rcpoxlaj (PI. Br./TpbxXnv P)
xiwv rjellotc iv und die Überschrift fuhrt sic z zszpaTzXebp xinv iv
iTTTioSp. Doch ist die byzantinische Form xinviov (Ducang. p. 6S6)
vielleicht vorzuziehen. Über dCdpia. und pnpnözCiva siehe Ducange
gloss. p. 31 und p. 974. Vom lateinischen Epigramm, dessen Ver
fasser Diotimus geheissen haben wird, scheinen die letzten drei Verse
zu fehlen.
Doch um auf Erotianos zuriickzukommen, so heilt der cod.
Vindoh. freilich lange nicht alle Schäden, gibt jedoch in vielen
Fällen eine überraschend bessere Lesart, als der ihm unverkennbar
nahe verwandte cod. Dorvill. Gleich im Anfänge p. 12 ed. Franz
bestätigt er Meineke’s in den anal. Alexandr. p. 29 vorgetragene
Conjectur 6 os dv ans ^dp.svoc auzdv Eippopuov, statt der vulg.
dvaXesdpevoc, die ich also Didym. reliq. p. 24 zur Ungebühr ange-
fochten habe. — In dem übel mitgenommenen Fragment aus Euripi-
des Kretern, welches beim Porphyr, de abstin. IV. 19, p. 172 besser
und umfangreicher erhalten bei A. Nauck p. 401 das 473. Bruch
stück ausmacht, sind wenigstens die Lesarten sijvtc, ydiußsioc, rau-
polsyio, dppnuc hervorzuheben, in so fern sie der ursprünglichen
Fassung näher kommen, als die Franzisehen sbvcc, yalszta.c (MS. D.,
mrg. yalsKoüc) zopoXizco (zopoXsßco D) dpp.dc- Nauek's Vermu-
thung p. 402 „f. zaupoXizaj leg.“ erhält dadurch einige Gewähr. —-
Weiterhin p. 02 tritt das Bruchstück eines anonymen Dramatikers
(nach Th. Bergk in der Z. f. AW. 1836, p. 77 floss es aus Sopho
kles Polyidos) : xa'r decp.a npocnviovra dvziac &soo' in der Fas
sung des Codex cipbc nsovva. dvziac fast fehlerlos auf, da zweifels
ohne Wagner trag. vol. 1, p. 289 mit Hilfe des cod. Cantabr. die
Stelle richtig so hergestellt hat dscpa czpoonaiov zdd’ dvzalac deoü:
eineFassung, die Nauck tragg. Gr. p. 161, n. 310 freilich verschmäht.
— Befremdlich ist Erot. p. 116 Frz. das Citat dctipdoc iv Aavdoiai
(auch Barthol. Eustachius Diphilus in Danais’), wodurch der Titel
dieser sonsther unbekannten Komödie ins Schwanken kommt. Die
Verderbniss Tcaayrjziooawv, wofür A. Meineke Com. Gr. IV, p. 386
naay/jzuüawv berichtigt, theilt unser Codex mit der Vulgate. —
Dagegen bekommt Meineke’s in der histor. crit. p. 11S ausgespro
chene Vermuthung für Eunnhc KXo-aic oder Klozatc sei möglicher
weise E'dcozaic zu lesen, welche Form Stephanus von Byzanz
p. 269, 8. ed. Meinek. anerkannt, eine willkommene Bestätigung aus
270
Dr. Moriz Schmidt.
der Lesart des Codex iv hXcvzaic, wobei zu bemerken, dass einmal
schwer zu entscheiden sein dürfte, ob der Schreiber xX oder rjX
gewollt hat, zum andern, dass die sonst so gewöhnliche Verschrei
bung des ö in <ö und umgekehrt unserin Schreiber nicht zum Vor
wurf gemacht werden kann. — S. 247 in der Stelle aus Eupolis
Laconen gibt die Hdsch. <rxeudpia, wie aus der lateinischen Über
setzung vascula’ bereits Meineke schloss. — In der von Nauck im
Philologus a. a. 0. behandelten Stelle p. 260 Erz. macht es eine
kleine Abweichung unseres cod. von den ed. noch wahrscheinlicher,
dass Diodotos in lamben schrieb und allerdings die ganze Stelle von
svcoi an iambisch zu messen ist. Er hat nämlich nicht yoivixa<; xa-
püauv mxpajv ziaaapaz, sondern umgestellt yoivixaz xapuwv
xpcäv, wonach also ziaoapaz den zweiten lamben schloss und ercxpcuv
Xaßuvzez den dritten begann. — Auch das Bruchstück aus Euripides
Alcmeon. p. 344 Frz. ist wenigstens am Schlüsse um Kleinigkeiten
besser conservirt, als der Text der Ausgabe. Es lautet: raüza pap
oxb&pwfiop, also ähnlich wie cod. Paris. 2651 nach Daremberg’s
Mittheilung an Nauck zu tragg. fr. 88, p. 308. —BeiHipponax fr. 84,
p. 607 Bgk. ed. 2 scheint, da der Vindob. mit dem Dorvill. stimmt,
an e| ziXXot nichts zu ändern. — Schliesslich ist beachtenswerth,
dass p. 390 nicht l'ocpoxXijz iv iXeyeia, sondern iv eAe geschrieben
ist. Über Sophokles’ Elegien bandelt nun zwar Th. Bergh P. L. Gr.
p. 437 ff., allein sollte Erotian nicht eher auf EXivyi; yaprn; oder
'EXivyz d.nairqai<; verwiesen haben? Vielleicht fand in seinem Ori
ginal der Schreiber iv eXe.
Der folgenden Collation liegt die Franz’sche Ausgabe zu Grunde:
möge sie bald jemand unter Zuziehung der Pariser MSS. 2631, 2614
für eine neue Ausgabe des Erotian verwerthen! Significantere Stel
len sind durch den Druck ausgezeichnet.
P. 2 Frz. dpytazpk. oiix d.noxrjpüzzoo ac. opiXiac;.
4. zivbt; yXoii zsXmvoüvzet;. äaa<pe?s. npbs r«c (omiss. rd).
pupaxiwv. der o <p aiv ovz ec. npcozoz vj pdvo<;. insTcXuxet.
6. zauzrj. nepi (om. zvjv) 3. ypudozot;. aupßeßrjxht;,. pbvou-
deiySyoezac. opcXla. dvopazonbiav. izepiypdußai re 3. cxavcvc
Iva.. o<ppüyi3es. zed-woi. opocXcwz. zapo.vzrjvoq. xizcebc.
8. iepodocpi. die 3tj. auyypnvlaavzatptXivov. ef e^ußißXou.
dvznrecv. Tcap imxeXsuzzou x.pizoq. ix.3ejj.ivou. zk zou ’O. tu'ü.iv
zouzoiz dvrinbvzoz.
Aus Wiener Handschriften.
271
10. re. xcziscoc. noXoaziyoa. xazaaz |. ixnov\. -/jpotpiX.iov.
12. dvadegdpevo ?. <r (sic), dpiazoziac (V apcazoze).
imztvuc. bppdvzcov. ipepddv/jaav. zTjc dpsifobc. d~rjveyxazü. anp-
epepdvzwc. dprjpcxbv. öttocov xe*|. xeztax \
14. dvzexaz\. uvdpec. yaXectaivej. roör« dv paxpäc. dpepi-
ßdXa)c ecpyjpiva. epp \. pet^ov dg. dixa. evexa. dcopdaupevouc. yobv
zdgewz. näv zb omiss. yevrj. dozpovbptouo. dxpoxdXcov. azevamka.
16. zcvbc. d.duvaznv. ac auvyjdecc. xa\ zb iniafjc. xaßdnep.
payxaveüezac. exdqyp ixavYjc. vtr/jzyj zic iazcv. ze.
18. dcdöpcoc. dyjXobpevov. napoleXeiuivae. zob ze yap zep-
dpou. zb Tibßoc;. aß o hx de.
20. ivvuxzxjv. imXu \ ■ |. TrXeccovc. im zebv dXrj 1 . xopcCo-
peveov. pev cro\ omiss. d. yecpnepy |
22. cpuaeo)c- lepäc vbooo. ipbaecoe. xazd irjzptou. nziadvqz.
zdmov zb xazd. dtp^ (dtpopa>v). zebv d’ etc.
24. ia.zpix.7jC. aYjticcojzd). nuoav aizcoXoyiac.
30. ’pyT] zob d. zrj e. wc eepaz’ id’ d.Xüouaa der eßxy a er o.
32. pirrzaCbpevov. eydnvzac pkv. oix.be. zb ~X \. auzob zb.
OiXrjVoc — pdvoc.
34. zdzeov. Scripserat dxpcßobc, emend. fd>c. ozzava dX.Yj-
dobe. ilXxjotv -/jpsp-fjoi (Foes. oecon. Hippocr. p. 107). d.pßpTj-
aa.c. KAI eie de (xazeayecaa omiss.) b.v pev. Yjv de er upape ivxj.
36. vbv de zyjv pacpavtdbv. zvjc ycdaxxjdbv. (de iv rep nep'c
dpyaifjC ifjzpix.7jC. izoXXb o’ eidea. | xyjv iazcv. iydj übvza. ebpcTT-
Tridrjc iv xXeiai. ebvec. ydXußeS. zaupoXeyco. bppobe (l)is).
dXXc dxpcßecc.
38. Xeyezac. dlhxppoveiv. djpairjv.
40. el'codiK iaz'c. dpaca oc« — f fjo'i omis. ebpeva. dpxobv.
42. iaco zb. d.vz'c zob dTOjXet\. ab z’ den. 7) — izcTjev omis.
44. iv im zote zebv. ded y |. sedoc auzobe. lazopouacv.
aJoTTapzc. ojc dpYjpoc desunt. güXov z aüov daov z öpymvyv.
46. djpazobpoz? djpeczobpoc- 'pyalooc-
48. 'cpiiiijda. äp&pa — ig dv\. abdbevzadeöihjxe.
50. aucxeczat. ajcpoxipyvovza. zb.
52. eycov. dmhupa.. Xeyezac.
34. ’naudTjoac, rjyouv. ctcoX.uzco. dpcpixoue. zb prj xad . dp-
•pede^cov. 6 iTÜtoxpa. (de om.) xa'c yjpbdozoe.
272
l)r. Moriz Schmidt.
36. l)rjz>. ’pbpyqz coz irrcrrqz. dpa).devezac. d.poopobzac.
öppa.T dpaXdbvezac. pcxpio. pv/zaXXeuacv.
38. drroXbezac. ’oxapi. cdyuc äcayuz
60. ddbvqzov. dpdßcz. ßadetqz. aeXqvqz-
62. dXaZdvez. rr. z. drrb äXqz C dXXvj de dXq de vj rrX. xal
aXqzcz. Xeyovzac. dvzeov d’ ex|. rrpozrreovza dvzeaz. (ob y
öpazs). ev zv]<; ev eoptTcnt pslaviTZTzrjs. ecpyaapsvoiK. afojoza ziva.
64. rrpoexX.qacz- cpXoxzacvac. ix.Zeoav. azpoyyüXov. di dq.
dyvdqaav.
66. zi rrepl. djopzemv: Baxy | cpqal dpzepecov.
68. ßpdyca. d.epozqpcaz zcvdz- xuz’idv |. rrore duo iariv.
xaXeöpevat.
70. dxeacaz. bycq.
72. dvaX.eXdpcp&ac. dveü.qcpdac. Xiyec. dvdrtcaooz. zporrov.
iXiaa\. dvaxwyq de zb
74. vozcacoz. iv urropyqpazc omiss. Xiyec. acpam. zpayopd-
rraXov. dir dpage.
76. zopouz. d’eu&ecoz. de rroo.
78. guzpa. de (xal omiss.) rrapu. ’tpoppoov.
80. dvayeXeuaezac. ’xdpazoz. d.rroXbacaz. In umgekehrter
Ordnung: q — dveaecq, q — |AS(7£jc.
82. dnecupiezac. drroxpipezac.
84. per ad cd \
86. guazpoetdq. d’ uqpocpcXcoz. azpazco\. iqzpcov. gbX.wv.
xqzteöc. exxorrqv. nepcyivqtr. qpeaouz. apßcova.
88. B-epacz iv. rrepcXqgag. dvußq zcz. dvaxX.cz |. yaßpcd. pq
d’ e|. pacpdvq.
92. ävodov. cpXcav. yevuv. ixrrXqyq:
94. ’vdxeazov. eg irrcrroXXqz
96. ’&epa: zqv — Xerrzozqza. Sv zoupzcc xaXoüacv.
98. Nach dvbppqzoz folgt eine Glosse: uvaudo?• äcpcovoz.
audq ydp q cpwvq. poXbvac. pundvac. dypqadcoacv. zobzeazcv.
dypeoopevcov.
100. aloXdzat. dyvou. äyvqz ze. eprrpuovza dvdyupov. dyX.ac-
Zqzac. xaXXoJTTcZqzat. xoXJwdq bypaaiaz-
102. ßo&piocz. xocXocz. ßqxcav
104. rrX.qydidez. aqpdvec. Xeyopevov ßXevva xdi om, opvcac.
eudeiav rrzwacv ßX.abg. HX.dzzaiv. ßXaxcai.
Aus Wiener Handschriften.
273
106. azoyvjasiv, piavjastv. [JvjXä^rjzat.
1 OS. ßjpiaoi. uvzo zvjv.
110. zpaysa. toüt eazc.
112. yputpio. ouvzoviav. uzk-uzk. zXjV Xiyvbv.
114. ßüx/ioc iv <y/‘. peXcov idiaz.
116. yvjpuyddt. dufiXoi: iv davaocac. yoyyoXidu. duzvjüvcoz.
118. dtozzsbsiv. dzzcxotz. <nd<pa). supiTzxt.
120. diapiXpoüv. si>pi7Z7tt z . zt (Vs.
122. ozo.v <prj om. axsX.vj.
124. upninu. vj too ßp. dvztppoTTirjz. xzvjpdzcov. dixai&zdzvj.
äcxaiov '/] pöyXsnaiz. xa't euA|. psy'/pv. axozcudcvoz- axozcoduvia.
126. i/copapoouv. dcxXecdoz. liyszai.
128. dcaipvjoac.
130. do/po'i. TzXdyim. äozrvjv. zvjv ddpscuv. dpa&cuz. abzi-
zvjz. 8ta xa&\. za cbza. slpcodeoz cpoßspdc.
132. \7ZSZYjZ- sbplTZTZt 5 ZV (fOlvl. b)ZZ(IVT7jpi/MZ. vrapu zt) d.
136. ipbovzac.
138. nuzcovo-fjaaz. i^psirzev.
140. (pvjff'c. 6 ^rjpoz. vjpspa.
142. ivudpiovzac xaJhrypaivovzat. imvs<pvjXov.
144. ycvbpsvov bis iazsvage fehlt.
146. ixüvjXvjvoiz ursprünglich, corrigirt in | uvaic. expaXd^swz.
148. sTzcyXufdvjit|. yupezddse. pdvov.
130. zpc impovvj. stuxX'/jz. iyxdihapat.
152. za) Tzep'c zvjv xecpaXvjV zpaupdzwv. zauzav. S’’ e3. xaza-
vdyxTjz 8e. Ttzepva vj if iv äprj.
154. srudsapoic. iopazsubpevov. ypu.ipopsvq zs xa\. nüvo
psv. ivaxXtapnv.
136. ivsxpixcaasv. pugdbdsz.
158. yiüvionocvjiXvj.
160. sbduwpL xazaazslXaz. ’zavazcödvj. ixyauvoov. ’udX&a.
Vj UJ.OIZ.
162. 3 yxupaaz• syxupdaaz. Darauf als neuer Artikel stcouXm-
detvj. xaz\. i’Xcoc dvj.
164. ixTidXooz.
166. (jy.ü)Xuxojy. xd-scocnv bis igoppä fehlt.
168. ipTzodi&ovzai. zb ofszuipov. saacpdavjz- d(pd.(p-tj.
274
Di*. Moriz Schmidt.
170. ixnazuoc, ixzöncotz. 6000. ixnXdycot;. sozcv i/\. peyu-
Xoozopoo (xac om.)
172. Jcpyev. Copcoocg Yjnazoi;. oidrjpazcüdrjc oyxoc. oc nua-
Xojossz nopezo'c. oc pszu cppixrjz xuc pcyooz yivbpsvoc. ro ’Ap'/rj zoo
yJ ~ yjpxsasv. Yjdbopaocv. iv (/.Xcozact;. sv&ev.
174. v] idpuozac. vsa>c. cpopzuov. dXXd zo.
176. vjpuyyrjnbhov.
178. zoözco zcb nd&sc pbvco. pcoexzea. exzacoo. ßoczca. ix-
zebs (bis), i^eyoivcxov. ftoä^ac. 7] ocvono(gca. Hupc^u; bn’ abzoo.
ocvcopsva. | Abpcxut;.
180. iXsppcoX.Yj bis Xsyezuc fehlt, ysvuv re. scöXov. ivyppiv.
Darauf beginnt mit Apiooscv eine neue Glosse, tiploascv (bis).
182. Abve. eocxwt;. cYjzpoiYjV. \o.v
184. cnvbz. ocprjy^h. invbv s’/ Yjpcv. vuv. acpec
186. IxD.rj. ixpalaia. cnncoc. Ivsz- xzYjdbvac;.
188. abffoyevkc. yscpai;. cdpoae.
192. yacpezs dzzcxo'c. cxzapvjv pkv oc □ (Zeichen der Lücke.
ocov, was aus cod. Dorv. angemerkt wird, hat der Yindob. nicht).
iv Yjdcbvcos poXaoia.
194. ezc ds zo. xoap'fjzaq.
196. dvz'c zoü fehlt. vw&peca<;. xJX.ayxwd-/] (bis).
198. docbdvjt;. xyzcebc. xaprjßapcxbv. x. oc d. x. xac om.
xjspyvwdooc ypdcpooacv. iqdosvz.
200. So
204. xevsßpsca. zävExpyjpäc. saH-’d. zc. xsvsßpstov Xsyezac.
206. ypochv. zpippaza. vj Isxzpuojdy^
208. zoü z9jc. xapapoecdij <;. x]).aoAp(b8t£<;
210. xazap |. sbpcnnt iv avztbnooc. dyacddc. d.pcpcapddco.
x.]az£pih xjcocpoc
212. napepnodc^Yj. ifojp/j^. xaru.xp j. xappdpcuc. zac ~u |.
nbvYjac
214. tpappdxw bis cßoxzYjpcco fehlt, zobzoo de. \ov zc. dcou-
axopldrjt;. xdppapov. ihjXucpwvov. necpcazYjpcio Zusatz, obv ö ln.
216. npozayYjaz. cdp. <;pdzrjv. A. 6 yp. zo xdpopov. yj Z. 6
YjpbcpcXoz xdpopov vj xdpapov cpYjo'c. — yb.p zbv xdpapov. cpoxzbv.
(poybvzcov ioz'c. xazanenXdvvj zac. npootte'cs (bis), abvdeapoz-
ob nabezac fehlt. inYjb pvj. yup (sc om.) zo.
218. zdtpo<;.
Aus Wiener Handschriften.
275
220. xpddrjc.
222. h ei. xpepa. xpepa: xopcpcav. \ 7z~tdrjq
224. ye. xaza.nzdpevov. goX.ov. xa'c zoö xazadec?. xaza-
vaacpouzac.
226. xcyxXfjopb<;. oivo<;.
228. xazaßeßXapevot. ö öozpißdot;. xexpixpdXcoc \vzco<z. \apou
e'idos. lin. 7 fügt die Hdsehr. hinzu: xa'c xpaüyaaoc.
230. rzpsTtwai. xvjpccov xtjpiat Xey. xarrjodevcxbt;. de zoc.
xopxdva.zac. xpapßiov. xdcpcoacv dvz'c zod n\. zsza/e
232. xupßaoLrjv. zcdpkva.v. Jvijaepic;. xvrjaipyv Xeyec. \ai
zivd. Jcxxjda. xazdxX |
234. xeäoec. a/caec. xedpia. ^pcXcor j'c. alpaatd<;.
devdpa. xrjzeaac
236. Xcpü dizc i/et (? Xipto d’ ine/ec) peydXfj
238. ocx|. cv 4”. cazdpevo^. xoXupßdacv. XapTtddyj-zov i/\.
X.apTtzvj. | (bdrjs XacXuiß. yevopevos.
240. Xörtoc
242. Xdpnzet. dort d. X. oin. £nixX£yp\ Xuycuv. edxapnzoo.
jcd . Xopddzazov
244. Jeuo/yveoopevou. Xeßypcdot; dpevcodoo^. ozpdzrjir. IIo-
Xepapx oc> Xeßypcda. Jdnrcopov.
246. aicpvTjdcot. nopcödecs. ttoXXcov. oxopddoo. Xeyouacv. <5’ iv,
oxeodpta. ouvzcdevza. pevzoc ye.
248. pdCa. uXcpcroo. ntvipevov Zusatz wie D.
250. ö^uxpäzoüt;. \yo6pou pcC icüdaoc - edous
252. peaeyyo. peXedwvvjt;. IxpcXbv.
254. pjbpov. zb paXaßddpcvov. acycdXac. pJapcXcvoc. dXo-
ou^vrjv bXdxcoz- coznep om. papiXXrjv. \ <pec.
258. ecpioz |. 7] ftcog. obpavcöv. dnoaxXrjpupe\
260. bXcxok. xapöwv ncxpwv. dX.pov. npuövac. Tidaa.
veXeaxv.
262. veo/pbv. onoßav. d^oapbt;. ouvencoxonecv xeczac
xai iv.
264. dpcpVYj. dzzcxo'c Xeyouai. enijppevov.
266. TzapaxoXoudobo'rj<z. d'.
268. roc<z ’A% |. eTnxXrjs | e. ncu<z ouv x u. X | X dßo c
270. ezoipdZec.
Dr. Moriz Schmidt.
276
272. 8o6Xy]<;. t(uv dvßpaircüjv. X.öyov daxslv. iazi 8h zod-
ZUTZOl). ]t£S<K.
274. yoüXa. ’oy^siYjv. d/xvsas - oijzoi. bypözepov.
276. dppcodssiv. uvdpcot; 6 eu| vj 6. v .lv8pou.
278. zsivsiv. sl’dov. dxpc?.
280. azomva. tlzav - xai dnoxprj \. dxpo/opdd o i v io 8 s a.
anaXbv. e/i| om. xai siizovov ora. obai8sa. \ozeXXopsvou. rjacnov.
282. do&irjdsg. cöv8oc<; flpoia. xXrjpaza. d^ut. zoü azu-
pd/oo.
284. dpTT. dyp.
288. xdxcazac. uTtsve/ftivzi. dxpoducov. yiviovzai.
292. ozepsd. npncaizepov.
294. ftuyazspav.
296. al(pv/j8io<;.
298. nepipadpa. äzpocpa (« ?) oizetcov. zd yopvdaia.
300. dffxeirj tzövcov. (pXj om.) xazd. y)v— ftavdotpov fehlt.
302. vj y — (bcpeXeei. ftavdotpov; voazc\. TtiizXoiai. axh-
~rjC xai.
306. ozh. Tzepüvui -xaXec. TiX.avcodezov. xazaz\. TtXavyj zec-
o i p'fj xazd-<poiza>vze<;. 8ß oo Ttspeco j. coc tcJsXXov. inni'xpa-
Xov. tcsXXiov tlsXXyj^ zk pYjxdSnq. ßobz p-qvicov
308. rrpoßoijXeadai. zzpoytv|. nsXdaei \aet. maarprrjV. ~z-
pbvai. | ppivov
310. Ttepizavebi;. 7tpo<;<p\. nßnypaza.
312. nevzuipu'. flzi 68a<z omiss. nrjvipa. iv Ycupa. xdX.uvev.
<paaiv eivac. npdpaXov <ppl%a<;.
314. Xjpzv]\. 7tdX(pot. t8p j. Tiepvdz - zrjXed. omiss.
316. Yj pco/pYj. pk un’-£eoft.
318. peßosed|. psßov. ö auzb<z de. Jsßoel. TtX.aaiatv. ‘foa»
320. jotx.oX äitep xai. ixdXeaev. Yjßloxov. Jußoyjstdsa zotzov,
322. xzigcv. kxdzzpoz 8’ iXXi7zw<;. XLVYjftek.
324. ajndpya. ajxodlvYjpa. axap8\
326. ouzcu
328. ozeyy\ zYj<; zezapz/jZ- zYjzezvf. na8h 8td. ajxedp'rjv.
330. zoü om. zszu/s.
332. Ttpivivoi.
334. dypiav. aux'qv. tyzpiov. a/tCdpsvoz xX.äcnv. noiet. dpthi-
Xo^ot;.
Aus Wiener Handschriften. 277
33G. auvoywxrj. xupzd). ajldrjz-pocaz. eoix | at nezpibvioi-
alyddez. zivkz de axuza. xai 6 ax\ \ooo(pov
338. | iTCTTidyjz. zaXa.lmope dzpepaz aoiz. odipet. axiXXrjz zu
vrjpöbdez. ouxvjz- de r egyXaouv. ixopeaazo. ipopipyjz. oelpi.
340. eidrj.
342. azepco aboz. ab uz eyov. ajiaopopa. abio pepopm-
allat. aJxefXpozeprjz- xetzai de
344. d.Xxpaicov. prj <f. zabzo. jap axoftpcußopt. yiyvopevai.
346. GTjXap. | ivavzixupieXXeßopov. nälrp axüpov övopdCei.
axupcoftecooiv. öddgo.vzu. nupcbdea. axüpov diaxaei.
348. aJipaXMgei. ipei. rtpiovoz- xexpdgrjzui. aixüov.
350. tpepdv zcov äppevcov. ajopdlnv. a/uvapifXpodzai. au-
vdtvovzai. dpiß-püz■ dpiftpbv de.
352. p-fjzpida. aiaXwdoz- yoyytaz\. zpüCezai. XaXetze. ?zpo-
pu&laz.
356. yevvdivzai. \zaatiai.
358. per ett). l'dcov oüv
360 1.4. zaiprjpeez. eg ziXXot. upyioXoz
362. zdya. ebpimzidrjz £v ohrj. alpen |. zuyaaäpevov.
364. axrjvyj. 6 zpopoz om.
366. XeuxoTtöXiov. ipeipazai. eveipyjxuzaz xai eafiypevouz
znuz ddovzaz syei. nutteoz. nepipeiz 0 ' eiz ddou.
368. zcz n Ijde &p-fj. im zb z|. ihjpaojv. xai Tzept. zepilp'i
x. övopo.ozobz. Xeyvd. bazeprjz- zrjv zwv. eai nepig Xeyvdzcov. (uav.
Hoox'/jdid-fjz. ou axidCcovzai. paailouz
370. xa.uazrjpia. \ßpvjya.
372. bdpcoTiiwaaiz. bdpa>7tou.
374. xpütpeov. apupiyovrj. xaV 1|. dzi. xpüipeov.
376. o ne X$ ou aa. bnoxpiaaezai. bjneveod-ev. yeyovcuz■
uTiozezaypevm). zo oiov - güX^ov. omiss.
378. uJireiXei. edpaz. duaibdrj Ttvovjv.
380. (pJXevndco . 1. 3. ipXevod'io. (pXeßo'Ao . pez’ dXy\. prjdü-
Xu>z. ovza. mtxvuzepov. xai aipod. om.
382. tpXeßonaXlrjv. zdaaei. ipoxäz. xazeiXX |.
384. ipoXixaV. £<piXpa>. ipbXhxaz. <ßop\. tp/ogoz d dguxitpaXoz
xac Trp. om. <p]Xudäv.
386. tpiXeb. zipi. ßdflpou. olz oi
278
Dr. Moriz Schmidt.
388. <popcv?jt:. xaßcacuat. ysvopeva. papiXXyv. xoXuxco. ndx;
<pa>bas. zooauzas. noTcdvzcov. xapdia.. \xä)d£<z-(pax\s. <p]ajpä<:-
390. de i) AefJ?. yX6rj<;. sv eAe. &ecvv xa'i (pyjo'i xXzfjdvjvat
de auzac dno. yXobz yXcop\.
392. yaXxiov-dp\. yapddpwtriv-zeXpazcudy. yoXvjyov.
394. yeipat-yecai. zplßXiov. yecpov |. &anep. w<; vix |. ro?c
de ol yrj. x. xa'i TzXvjpeaq eövdc. yyzX\. yrjza yap.
396. pdda. wcge. nuxa. (bpe\. wpot;.
398. ’ozldog. I dcavia.
Ich gehe auf Hdschr. über, welche Scholien zum Aeschylus
enthalten und in der von G. Dindorf Oxon. 1851 besorgten Ausgabe
der aeschyleischen Scholien keine Berücksichtigung gefunden haben.
Die Hofbibliothek besitzt solcher Codices fünf, unter den philol.
Graec. nr. CCXXXV. CCLXXIX. CCXCV1II. CCCXXX1V., unter den
codd. Gr. et ling. Orient, hist. eccl. et profan. CXX11 fol. 104—177.
Unter diesen ist CCCXXXIV der interessanteste. Diese Papierhand
schrift, aus 132 Blättern in Klein-Octav bestehend, am Anfänge
jedoch verstümmelt, — es fehlen die Lagen A und B, d. h. 16 Blätter
— enthält ein Corpus aeschyleischer Scholien ohne den Text zu allen
Stücken, mit Ausnahme der Choephoren. Von fol. 1—46 (die arabi
schen Ziffern datiren also nach der Verstümmelung) reichen die
metrischen Scholien des Demetrius Triclinius zum Prometheus, den
Sieben, den Persern, zum Agamemnon und zu den Eumeniden, auf
fol. 1—3, 6 — 24, 23 — 36, 36 — 44, 44 — 46 vertheilt. Darauf
folgen Scholien des Thomas Magister zum Prometheus fol. 47 — 72,
zu den Sieben fol. 73-—96, den Persern fol. 97 —113, worin der
selbe, seinem eigenen Bekenntniss zu Folge, Demetrius Triclinius’
sprachliche Bemerkungen mit aufgenommen hat, die theils durch
Beifügung des vollen Namens, theils der Abbreviatur d. zp. kenntlich
gemacht werden. Thomas nennt ihre beiderseitigen Leistungen e^vj-
j-y/oeic. Von da ab folgen Scholien zum Agamemnon fol. 116—ISO
und zu den Eumeniden fol. 151—152, welche sich der Überschrift
nach zwar für nalaid ausgeben, allein ihr jugendliches Alter schon
durch das von Francken disp. de antiq. Aeschyli interpret. p. VI
besprochene vjyouv, was hier beharrlich wiederkehrt, verrathen.
Indessen laufen doch alte Scholien mit unter, welche bei Dindorf in
Aus Wiener Handschriften.
279
der zweiten Hälfte seines corpus vermisst werden, in der ersten
sich finden. Folgendes sind die Abweichungen zu den Eumeniden:
2%oXia Ttolaib. etc zäc aia/üXou eupevioac-
TtpaXtpei. iß ztpu. Danach hat also Dindorf falsch gelesen,
der ijv statt ijyouv gibt. Auch fehlen bei ihm p. 511 die nun im
cod. folgenden Worte: zouzouc iv eujxaic. zouzo tprjatv ixe] 8pa-
paztxr/ iaztv ij notvjotc. ei de (? yup) 9jv SiTjyrjpuzixrj etnev dv 6
notrjzijc, zaüza einoüaa etc Hpbvov ixaHeCezo. V. 22 fügt das
lemma ev&a hinzu. V. 38 lautet das Iernma ij detvu Xegat, die Worte
zezpaTrodydiiv u. s. w. fehlen. V. 40. pev fehlt, iptpaztxcoc- auHev-
ztxöza. V. 41. ijyouv, was auch V. 45. 47. 57 eingeflickt ist.
V. 52. zcöv dppdzcuv. V. 59 hat die Handschrift ijyouv uveu äzvjc,
und bestätigt damit Dindorf’s sinngemässe Vermuthung der Note.
V. 60. xdvzeüHev pev ouv.
Von hier ab ist die Wiener Hdsclir. um nachstehende Glossen
reicher: iXibotJ ijyouv iXdacoatv, wie der Mediceus. ßouxoXdpevoc
(sic)] ijyouv neptencov. ivepymv. äyxuß-evj ijyouv iv zaic d.yxd-
Xutc- nopTTautc] dotoc yup 6 Hebe. notpuiviovj ijyouv tpuXdoawv.
V. 110. 6pä> fügt das lemma hinzu, igo.Xdgacj rjyouv ixtpuymv (sic).
V. 112. dpxuopüzcov. In umgekehrter Ordnung erscheinen die Scho
lien zu V. 131. 135. Weiterhin sind bei Dindorf folgende Scholien
nicht mitgetheilt: xuHtmrd.aa)] ijyouv xo.zenoXepyjoac. nXsov]
ijyouv unep zb dtxatov. n p o c z p an e oH at] irpocsXHetv. ene-
azeXXov] ixeXeuoa auzbv. yau/ atzipav] doXuozipav. zcpoc-
yeXa] HeXyst xal npocsp^szat. zu. ßiXzazaJ ijyouv ßeXztaza.
atdeaac] aideaHyzt. He pp cp] Heppoupyw. e u <p p cov] eutppuv-
ztxi/: ro TeXoc zcöv o'/oXuov etc zuc ato'/üXoo supevidac.
Was nun die metrischen Scholien des Demetrius Triclinius
betrifft, so wird man mir hinreichende Bekanntschaft mit der flachen
Manier des Mannes Zutrauen, um mir keine Überschätzung seiner
mittelmässigen Leistungen zuzumuthen, wenn ich es der Mühe werth
halte, hier über ihn zu sprechen. Aber es ist doch immer inter
essant, eine ganze Partie zusammenhängender Scholien zu erhal
ten, als deren Verfasser er sicher nachweisbar ist, während man
sonst gewöhnlich alle mittelmässigen Scholien metrischen Inhalts,
auf nur sehr ungewisse Vermuthungen hin, ihm zuzuschreiben ge
wohnt war. So sagt Bernhardy, Grundr. d. L-G. II, p. 782: „Einen
Antheil an den metrischen Noten will man dem Demetrius Triclinius
280
Dr. Moriz Schmidt.
beilogen (cf. Valck. in Phoen. 1261); merkwürdig ist seine Reccn-
sion des cod. Neapol. mit einer Zugabe von Scholien.“ Ähnlich
spricht sich Franz darüber aus in der Orestie S. 317, Anm.: „Der
metrische Scholiast nicht älter als Triklinios und Thomas Magister.“
„Nicht mit Unrecht wird dem Triklinios ein Antheil an den metri
schen Noten beigelegt (Valck. in Phoen. 1261).“ Und so adoptirte
denn zuletzt auch Dindorf schol. p. 513 die allgemeine Ansicht, dass
die von II. Stephanus p. 343—53 a. 1557 nach Victorius edirten,
hie und da von Dindorf selbst aus dem Laurent. (F) berichtigten
metrischen Scholien zu den vier Stücken zweifelsohne von Demetrius
Triclinius verfasst seien. Allein diese Vermuthung eben widerlegt der
cod. Vindob. CCCXXXIV. Die Abweichungen unserer gewöhnlichen
metrischen Scholien sind so durchgreifend von denen welche der
Codex ausdrücklich dem Triklinios beilegt, dass jene Vermuthung
nicht Stich hält. Beachtenswerth aber ist ausserdem, dass unsere
Handschrift auch metrische Scholien zum Prometheus
liefert. Von letzteren theilen wir ein längeres Stück von Anfang an
mit, nicht ihres absoluten Werthes wegen, sondern weil Dindorf
keine dazu gibt. Anfang fehlt: der Codex beginnt mit den Worten:
snodos yopsioo zb is' naicovixbv ypibXiov xadapbv ix naicovos
ß m xa't zpoyaiou. vb cC zpoyaixbv zpipszpov xazaXrjxzixbv rou
npcözoo nodos yopsioo. zb Cfj icovixbv dn iXazzovos dipszpov
dnspxazdX.ijxzov. ix dczpoyaioo naicovos y dvz't icovixoü xac auXXa-
ßrjs. zb tlf xac T. lapßixb. zpipszpa ßpayoxazdXrjxza. zb xa nauo-
inxov zplpezpov dxazdXxjXzov ix naicbvcov zszdpzcov. zo xß dvzi-
anaozixhv yX.oxdtvsiov .... zov dxazdlrjxzov, ef dvziandazoo xa't
inizpizo zpizoo diu. zirjv .... ipbpov. zb xy icovixbv und psiCovos
dipszpov d.xazd sä imzpizoo ß w xai naicovos ß m dvz'i icovi-
xoo. zb xd 1 iapßixbv zpipszpov ßpayoxazdXfjxzov roü. d'. nod'
dvana. zb xe iapßixbv eipßrjpipepis. zob npcözoo nodos yopsioo.
zb des dvzianaazixbv zpipszpov ßpayuxazdX.-fjXzov bz dvziandazoo
naiiovos npcözoo xai zpoyuiou. zb xC iapßixbv dipszpov dxazd-
Xrjx.zov zoö. d. nodos yopsiou. zb x.-fj dvzianaazixbv nsvÜrjpipspss,
8 xaXsizai doypu.ix.bv. zb xd' öpoicos dipszpov äxazäXfjxzov sf ini-
zp'izoo npibzoo xai diiäpßou. zb X' iapßixbv öpoicos zw xC zob ß m
nodos dvanaiozou. zb X.ä iapßos zpipszpos xaliapbs. zb Xß zpo-
yaiov dipszpov ßpu.yuxazd.Xrpxzov, 8 xaXsizai iydoipa.Xixbv. im zip
zs/.si napu.ypa.cpos pövr] :• (V. 568 Schütz.) dXsudda cp oßobpar.
Aus Wiener Handschriften.
281
ob ypq ypd<p£iv evzaÜ&a aXeu a> da, tu; ev ztat ziuv ßißXuuv
eupqzat, dXXd dXsudda, nu povov nzi iv rot; naXatoT; zeuv dvzt-
Ypdtpcov eupqzai all nzi xai iapßtxnv iaziv opniax; zw ~pd auzoü,
dXeudda dk qzm zoü utnü zoü dX.eunu'.- xXuei; (p&eyp« > auazqpa
xazd zceptxnnqv dvopniopepe;, aziyiuv S. wv 6 npdjznt; dvziana-
azixd; zpipezpo; äxazdXqxzo;. ef dvziandazou dizpnyainu xai im-
zpiznu zpiznu. nt dk Xntrcoi iapßixoi zpipszpot dxazdXqxzni. im zip
zeXei Tcapdcfpaipn; ;• rend-ev ipnü an !• xai q napoüaa azpotpq
pnvoazpntpixq iaziv tu; xai q npneipqpevq, iazt dk xcuXcov Ja. zd a
nauovixdv zpipezpov dxazdXqxznv ix Tcauovcuv zezdpzcuv. xazd pn-
vnoiav qdp pezpeizai za zniaüza pezpa did zd zezpaauXXdßw; eivat
znb; Tzbda;, xai iv äXXotc eipqzat. zd ß. .. vixov dipezpov bnep-
xazdXrjXznv is imzpizou ß° ,J naicovo; zpiznu dvzi iuivtxoü xai auX-
X.aßq;. zd y zca.unvtx.dv xaßapov qpinX.inv ix naiwvn; d m xai idpßnu.
zd d' iwvixdv qpidXtov ix zpnyaixqc [marg. add. au^ia; qzoi im-
zpiznu ß xai Idpßnu. zd e öpnico; xaftapw; sf ituvtxnu j an’ eXdz-
znvnc xai idpßnu. zd c’ opniax; z<p Ttpaizw zcauuvixdv. zd C dvzi-
aztaoztxbv dipezpov dxazdXqxzov Y^uxriiveinv is dvziandazou xai
diidpßnu dta zqv ddtütpnpnv. zd x loJVixbv dipezpnv dxazdXqxzov i£
imzpizou zpiznu dvzcazrdaznu xai xpqzixoü qzoi dpptpdxpou. d
x.aXeizat tpaXai 1 (sic), zd T 7ca.tajvtx.dv qpibXiov. ix zraicuvo; a m xai
zpoyaiou. zd Ta ilpntnv zpipezpov ßpayuxazulqxznv ix naiauvn;
ßo’j fio» xa ) xa ] T pnyainu. zn iß tojvtxov der’ iXdzznvn; dipe
zpnv xazaXqxzixdv i^ imzpizou zpiznu xai d.vamüqnu dta zqv ddid-
ipnpnv. zd 7f ynpiapßtxdv dipezpov urcepxazd.Xqxzov ix yopidpßnu
xai diidpßnu xai auXX.aßq;. zd td' zpnyaixdv dipezpnv dxazdXqxzov.
[Fol. 2.] zd Je iwvixdv der iXdzznvn; dipezpnv dxazdXqxznv ix
Ttaiajvn; d°' J dvzi icuvtxnü xai diia.pßnu, ei dk ßnuXei zpnyaixdv
etpdqpipepkt; eupneidetnv, znü icpa'jznu zendd; yopeiou. zd ic dvzi-
anaazixdv dipezpnv dzcepxazdXqxznv ig dvziandazou dizpnyainu
xai auXXaßq;. zd iC ynpiapßtxdv zpipezpov ßpayuxazdXqxznv ix
dizpnyainu yopidpßnu xai zpoyainu. zd iq Tcepindn; iz iapßix.qc
auCupia; xai zpnyaixou xazaXqxzixnü• im zu> zelei xnpeuvi; :•
axipzqpüzüjv dk vqazqaiv alxiaiax.tpzqpaza i.eYezai za
zd>v dpvdjv xai Ttpnßdzajv xai ßncuv xivqpaza. eTcuüe Y''P taüza
axipzdv iv zat; ödnt; xai nuzo> zqv zenpeiav dvüeiv, xai ’ Id) znivuv
eixnzcu; zd auzq; xivqpaza. axipzqpaza eipqxev, ou povov w; ßnu;
xivnupevq, düla xai und zqc pavia; axipzduaa.'.- le^a) znpcu; ani.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXI. ßd. III. Hfl. 20
282
Dr. M o l* i z Schmidt.
a'c e^q; abrat auarqpartx.cn xat dpoeßaioe nepiodot rlycov elat iap-
ßtxcöv rptperpcov dxaraX.qxrcov oq. cdv reXeurato;' ataytarov eivat
cpqpt auviterou; X.dyou;. in:'t rate dno&eaeat na.pdypacpo;, eni de
rip reX.ec xopcovi;: — ndvra ydp nüitoid ptot: — wec rqv
düvaptv dyvooüvre; roü pot näv ydp ex nü&oto pou ypdcpou-
atv, dXX’ odx oipat xaXcd;. eupqrat ydp ev not rcTiv äyav naXatcov
dvrtypdtpcov ndvra ydp nüitoio pot. d xat dptarov etvai pnt doxet
xa't oürco auvrdrrecv, ndvra ydp dv nuitoio xa't paftoi; rd ev epoi.
rotaürq re; eartv q roü pot duvapa; :• rd pq paßeev aot: — drt
evreü&ev etXqnrai rtv'e räv aoepedv rod't rd pqrdv. [Fol. 2 1 ’] >ei
p'ev rjv pa&eev S dee na.de tv xa't pq naß-etv, xaX.dv rd patte tv. ei de
nafteiv dee S dei pafteiv, ri det paJteiv. naiteiv ydp Xpx]- > !• (in
marg. cdcpeX.tpov). pdartyt Heia yijv npo yq; eXaüvopat.
ou ypq ypd.tpetv ivraüüa yq; npo; yqv iXaüvopat, cd; ev noXXoi;
rcov ßtßXdcov eupqrat dXXd yqv npo yqiod povov ydp ev rtvt rcov
naX.atwv dvrtypdcpcov oürco; eupqrat, dXXd xa't npo; rd perpov
uäXXov oürco; eyet dpiieb;. oürai de Xeyerae, eXaüvopat ei; yijv npo
yq;, -ijyouv npo rd iXiteiv eh; rqvde rqv yqv et; ciXXqv bno roÜ
oeepotj eXaüvopat. ipoi de xa't dvr't roü and q npo doxet xeiaftai.
oiov dno yq; et; yqv. xa't o'ipat di; eüpefieiq dv xa't dX.Xdtii nou rd
roeoürov. ei de rt; rd ja; deanoaüvou; axrjvd.; Xtnoüaat
nap’ Euptnidjj dvr't roü dnoXtnoüaat voqaet, eüpqaetev cd; eartv
dre xa't q npo dvr't rq; dno rtfierat. xa't rd npoXeinco X berat
de pou peXq nap dorm rq; aber}; eyerat dtavoia;. npoXeinat
ydp cpqa'tv dvr't roü dnoX.tpnd.voi ipaurqv dj.itop.ia;. xa't napa-
Xüerat pou rd peXq. Die Scholien schliessen Fol. 5 b cd ndvrojv
aiftqp: oe npo;rtfievre; ivraü&a rd fiept xa't Xiyovre; cd ndvrcov
fiept od xaXw; npo;rifteaai dtd neptaadv dv egeßX.qiiq nap’ epoü.
'/pfj de Xeyetv ourco; • cd aiffqp 6 etXiaacov xa't auarpecpcov rd xotvdv
ndvrcov epeb;, roreare rdv qXcov, bpy; fi näayco; dvaycopq adv rcov
de ndvrcov npo; rdv ahiepu, cd; xa't ev dpyq noteirat rov Xdyov.:
-/■' TeXo; aiayüXu npopqfteco;. Auf fol. S a hatte er Philostratos
Lebensbeschreibungen der Sophisten citirt. Fol. 6 a dqpqrpio roü
rpix.Xrjviou ei; rqv in rd in't itqßa; aiayüXou rpaycpdiav naXatd
e^yyjai;. —
Als Sammler aeschyleischer Scholien tritt auch Thomas Magister
auf, in dessen Ekloge attischer Worte sich denn auch Bekanntschaft
mit Aeschylus verräth. Seine Abhängigkeit von Triclinius gibt unter
Aus Wiener Handschriften.
283
Andern der Schluss seiner Bemerkungen zu den Persern fol. llS b
zu erkennen: zyv zpczyjv ok zo.ozyjv xcönyjv vcwzac xoivy yXcbzzri
zpczCspcov (Du Cang. Gloss. II, col. 1613) SvopäOcoacv. aüzrj yj efjy-
y/jocc Syjpyjzpca kaz'c zoü zpcxkcvcoo. Vgl. Fol. 72. Auf seine eige
nen Arbeiten zum Euripides nimmt er Fol. 73 in der aovocpcc zrjc
uxoßsascoc zoü stzzu km Syjßac Spupazoir acayulo Bezug mit den
Worten: kypdcprj Sk rj iazopca o.üzvj s£ clpyrjc xazä Xszczov kv cpoc-
v'caaacc ebpcyrcSoo. vgl. argum. IV Eur. Phoen. vol. II, p. 396 Nauck.
Dass übrigens diese Scholien nicht ganz werthlos und absurd sind,
möge an einem Beispiele nachgewiesen werden. Als Beleg, wie
unverständig die Byzantiner mit den alten alexandrinischen Scholien,
wie sie nur in M erhalten sind, umgegangen seien, führt Dindorf
praef. p. V das Scholion zu den Persern V. 74S an, welches beim
alten Scholiasten folgendermassen lautet: Ellyczzovzov cepov j Scä
zo iSpüaSac auzoSc /hoc cepov, cbc Mvaaeac. yj zov dvecpevov, cbc
Jepov iySüv’ (p. 86, ed. Oxon.) Dazu bemerkt der Herausgeber
ydvecpevov, consecratum. absurde haec pervertit scholiasta recens.’
Dieser Scholiast ist der des cod. Barocc. (A) in der zu London
erschienenen Ausgabe des Th. Stanley. Seine Anmerkung lautet
p. 484 der Oxfordcr Ausgabe: iepbv Sk zoüzov cpyjacv Scä zo cSpü-
aß-ac aijzbfh /hoc iepbv, cbc Mvaaeac epqo'cv, y) zov dvecpevov dxco-
Xözcoc cbc zbv ispbv iyßbv cpepeaßac. Doch der Vorwurf der Ab
surdität trifft durchaus nicht alle byzantinischen Erklärer. Schon der
Paris. 2787 (P) erklärt kurz iepbvjßscov und Thomas Magister gibt
fol. 111“ die verständige Notiz: zb Sk ßeoü yjyoov zoü JJoaecSwvoc
fiv dvzccoc xat ispbv excdeaev Scä zb io pü ad ca aijziiih /lebe cepov.
rj cbc dvecpevov zw IloaecScbvc, cbc Mvaaeac cpyjacv, wo befremd
licher Weise die letzten Worte eine ungewohnte Stelle einnehmen.
— Schliesslich gibt mir der cod. CCCXXXIV noch zu einer Bemer
kung Veranlassung. Ich glaube nämlich, dass auch die ayolca TiaXacä,
welche er zum Agamemnon und den Eumeniden bietet, die Scholien
des Thomas Magister sind, von denen die einzige andere Handschrift
sich im königlichen Museum zu Neapel befindet. Fr. Ritschl ad
Theodul. p. CXVII, im Nachtrage zu p. CIV, 1. 9. 20 äussert darüber:
„Si verum est, quod Paschalis Baffii fide Harlesius prodidit in Fabric.
Bibi. Gr. V, p. 776 sqq. exstare in libro Farnesiano in Aeschyli Aga-
memnonem scholia Thomae Magistri (ac certe non oblocutus est
Elmsleius in Museo critico Cantabr. N. VII, p. 4S7) sic statuendum
20*
284
Dr. M o r i z Schmidt.
est, ut post compositam demum eclogani grammaticus credatur illarn
cum Agamemnone familiaritatem contraxisse.“ Die Sache scheint
indessen nach Franz Orestie S. 309 ihre Richtigkeit zu haben. Frei
lich sind in der Wiener Handschrift die oybXia TtaXaia durch ein
leeres Blatt und eine besondere Überschrift von den nächst vorher
gehenden des Thomas Magister streng gesondert und könnte der
Verdacht aufkommen, dass in einer Handschrift, wo die Sonderung
nicht so evident vollzogen war, beide Scholienkörper so in einander
verwuchsen, dass Thomas Magister auch für den Verfasser der
Scholien zum Agamemnon habe gehalten werden können; allein abge
sehen von Franz’ klaren Worten über die Sachlage im Farnesianus,
lässt die ganze Fassung der aybXta izakaia. eie rov alayüXnu äya-
pepvova kaum daran zweifeln, dass in ihnen eine von Thomas Magi
ster veranstaltete Sammlung und Überarbeitung vorliegt. Der Schrei
ber des Corpus muss übrigens ein Gelehrter gewesen sein. Fol. 127
bemerkt er zu eppei rcäs dippodeza- dvecpoipavzm am Rande axonei
Tispl zoüroi) xa'i Tzapd. Mooaaiqj.
Was die anderen oben aufgezählten Manuscripte betrifft, so
habe ich aus Mangel an Zeit Nr. 235 nicht einsehen können. Nr. 298
ist eine junge, werthlose Papierhandschrift, in der die Scholien zum
Prometheus und den Persern ohne Scheidung in einander verschwim
men. Nr. 279 ist ein chartaceus in quart, 86 Bl., von Busbecke
erworben, und enthält fol. 1 — 39 den Prometheus, fol. 40 — 82
die Sieben, jenen im Anfänge unvollständig, mit Scholien und In
terlinearglossen. Er beginnt mit den Worten Tz/jp.’ oudkv ^sc. Die
Scholien zu den Sieben, von verschiedener Hand geschrieben, ähn
lich dem A, beginnen mit dem nämlichen Stück über Amphion und
Zetbos, welches Dindorf p. XV aus drei Handschriften als Schluss
der Hypothesis mittheilt. Unser Codex hat richtig dvuoyia und am
Schlüsse TjuXei, w? (puivsc xaXcffd£V7]<;. Die übrigen Lesarten sind:
roö deoßbevznz — ouzni cum Flor. om. — zwpyoöot r«c nöXett;
yyouv r«c drjßa^, wonach also die Quelle blos za<; noXetc hatte. —
nlxsiat; wie Flor. — zb d’ äXrj&k? oze, fast wie Flor. — xaraaxa-
nzopivcov, richtig, abweichend vom Flor. — dpyjvaidcbc, wie T. Als
Probe der Abweichung von A diene schob Sept. 39. ’EzeoxXes
qspeaze] ot dpyaTm xai dvopazex,r zobz deonbzas exdXav.
6\uyyeXo(r xzX. wie A. Von fol. 83 an folgen metrische Tractätchen
Aus Wiener Handschriften.
285
über das iambische und heroische Versmass. Fol. SU 1 ' ovupaza
ipwvwv diaipupwv, wie folgt:
im xüxvou udeiv.
J
im u7]duvo<; zepeziZeiv vj adeiv
im yeXicWvoc ißSupi^siv xai zizzuß'iZsiv
im zszzryoz rjysiv xui zepszi^eiv
im xiylvjz xayyh'jCeiv
im Upaxoc xpiC_s.iv
im oipvjxbt; xai pehaawv ßopßsiv
nupbs 8h ßpopo<;
dvip.wv nuzayot;
xdlwv aupiypöz, vj fpiyput;, xai (piypuz
in dv&pwmov xsxpaysvai
im xuvwv üXaxzsiv
im luxwv iupueaftai, xupiwi- 8k rj xuvwv tpwvvj wpuyvj,
im Tzpoßu.Twv ßhj'/äabu.i
im ßowv puxdaÜai
im ittttojv ypsppsziCsiv
im ovwv ßpopäo&ai, liyouoi 8k xa'i byyäatlai, uJJ.u arcd-
vtov ZOUZO.
im xuprjXou p.wxü.atia.i
im Xeuvzwv ßpuyuodai
im äpxrwv napddXewv wpxiCsiv
im oipswv aupiCsiv, xai im 8paxuvzwv.
im dezwv x.XdCsiv vj xlayxäCeiv, wc xa'i im yepdvwv.
im yolpwv ypulliCsiv xa'i ypuCeiv
im nepdixxwv xaxxd^eiv
im yXauxwv xaxxißd^siv
im dpvl&wv xaxxdZsiv
im apagwv zezptyivai.
Solche Excerpte existiren zwar viele, allein da in allen Zeno-
dot’s gediegene Doctrin steckt, muss jede Mittheilung dieser Art
erwünscht sein.
Dieselben Stücke, Prometheus und Sieben, enthält cod. histor.
n. CXXII; fol. 104—143 den Prometheus, letztere fol. 144—177.
Der Text ist von fester Hand, zwischen den Linien läuft eine voll
ständige Paraphrase mit Minium, deren Ausdrucksweise nicht, wie
es scheint, eklektisch AB benützt, sondern auf Thomas Magisters
286
Dr. Moriz Schmidt.
Scholiensammlung fusst. Doch hat der Schreiber diejenigen Worte
welche aus dem Texte des Dichters unverändert belassen werden
konnten, Kürze halber nicht noch einmal geschrieben. Die mit Dinte
am Rande beigeschriebenen Scholien sind äusserst verloschen und
unleserlich; sie haben einige, doch keine entschieden ausgespro
chene Ähnlichkeit mit B. Der Anfang der Paraphrase des Prome
theus lautet: rrjc jry pkv ei’c fmxpbv bißuXov yjXd-opev Ttediov \ oxu-
&ixrjv ek ödbv ek vjv oude'ic ßaivei j cb rjfaiare, oo'i de rtpenei dia
fpovridoz eyeiv r«c ivroXdc | üTroiag 6 evereiXa.ro rrXyoiov
rwv nerpüv J xrX. Hiermit vergleiche man 6wpä roü puyiarpon
ayuXia ek tov a.la'/uXou -popydsa: ydavor pev ek rrjXoopov vjxo-
pev rredov. -pyoov ek trjV yrjv rvjv snirredov xal paxpav. rrjXoupov
rb uiprjXbv xa\ paxpov, df ob rrjXe xal paxpav upäv nr dövarai.
r] rb paxpbdev öpcöpevov. Xeyei de rbv Kabxaoov. rjxopev rjXdo-
pev. ußarov. ek tyv oudelc ßaivec diu rb rpu.yb xal dnepxiapevov.
peXecv. diu fpovridor eyeiv. ifeiro. evereiXaro.
Den Beschluss unserer Besprechung mache die interessante und
wichtige Handschrift philol. n. CXXXI. Dieselbe hat sich, wie ich
aus Bergk’s zweiter Ausgabe der Lyriker p. 543 ersehe, nicht ganz
der Beachtung der Philologen entzogen, ist jedoch sicherlich nie so
ausgebeutet worden, wie ihr Werth verdiente. Wenn ein Fachge
nosse sich die Mühe nehmen wollte, den Codex in Absicht auf die
Fassung der Dichter-und Schriftsteller-Citate durchzuarbeiten und
abweichende Lesarten derselben zu verzeichnen, würde er sich
gewiss durch eine reiche Ausbeute belohnt sehen. Freilich dürfte
dazu ein sehr scharfes Auge und grosse paläographische Routine
erforderlich sein; denn die Klagen welche Gaisford über den cod.
Dorvill. erhebt, dürften vom Vindob. 131 in beiweitem höherem
Masse gelten. Die Handschrift, ein cbartaceus, früher im Besitz
Sebastian Tengnagel’s I. V. D., kaiserlichen Raths und Bibliothekars,
aus 171 Blättern bestehend, jede Lage aus 6 Bogen fol., enthält das
Etymologicum des Symeon. Sie muss aus einer schon nicht mehr
sehr lesbaren Quelle geflossen sein, wenigstens führen zahlreiche
Lücken die der sonst sorgfältige Schreiber gelassen hat, auf diese
Vermuthung. Namentlich scheint schon das erste Blatt des Originals
sehr schadhaft gewesen zu sein. Die Handschrift beginnt mit den
Worten: u.pyrj abv ijo) roü ö. aroiyeioo. (§j irupoXoyixbv aopeüvor
Aus Wiener Handschriften.
287
toü psyuX.oo ypuppaTixoü. Hiernach sind mit Mühe noch 11 Linien,
deren Anfänge jedoch durch den Buchbinder Schaden genommen
haben, lesbar:
1 ißX.aßijv and toü dco ~b ßXdnTW 6 pü.Xwv uaio 6
dupiffzog uaa u piao<; douprjv xai nXsovaapoj toü ä (cod.
oo) daodprjv
2 tuo'/stov und toü o/oj oy.. . sayrjxa eaysuat io'/e-
oat saysTui ayeTov xai daysTov xai du....
3 nTOUT. oiov ddnTOOT ysiput; iipsim napu. tu unTco
unTOUT xai d .... rjyoov tuc uyav
4 wv oux uv tu: dtpaiTO oiov unposhouq dnpo^neXd-
(ttout. to de xudanTUT [Lücke im archetypus]
5. Lücke. xuddnToj ysyove xa&anToc. ootwt ipiXiov. u 3s
vjpio8iuvd<: Tpi xtX. bis sXXskJjiv bei Gaisf. p. 1, 44.
8. uuaa.T. eßXaißuz u. s. w.
Die meiste Verwandtschaft hat diese Handschrift mit der des
Isaac Vossius in Leyden (Va Vb hei Gaisford), wie z. B. p. 39, 28
Gsf. sie den Zusatz ootox; 'iipiiov xai uXX.oi theilt, p. 42, 34 den
homerischen Vers, obschon mit kleinen Abweichungen, vervollstän
digt; u. W. aiTiut; yopdd<; in dem vollen Citate '/Ipcodiavbz iv rjy
xuiXoXoo stimmt. Doch enthält sie auch Artikel welche Gaisford
wenigstens aus dem Voss, nicht notirt hat, wie z. B. lapaxvjvdv.
ix toü aupa xai xsvot Tponp. „ipioTTjd-siT pdp napu. toü dyysXoo
sinev Sn Xj adpuu xevrjv ps iouoie ahv Tip naidi." So Fol. 154
zwischen aupxu und aupoöpevov.
Viele Stellen zu vergleichen gebrach es mir leider an Zeit, da
ich die Handschrift erst in den letzten Stunden vor meiner Abreise
hatte einsehen können. Bei oberflächlicher Lectüre stiess mir indes
sen auf fol. 95 b s. v. Cuypsdir das Bruchstück des Kallimachos auf:
KuXXdpuyoT. uia 8tidvrj<; Caypia yivdpevov. Der Codex hat ganz
deutlich dtiüvrj<;, didvoaov hat Gaisford aus DV, Caypeä ysivapsvr t
aus V notirt. Anders gibt Symeon auch das Fragment Aristoph.
Babylon. 56 ed. Dind., nämlich iyxtvoüpev of TupuTTiov, ipno-
diZiov. dpiaTOfdv/jT. aXXn<: ijpiv iyxivodpeviK. Nach Gaisford der
im Texte uvyp tu; schreibt, hat Voss, uvdpcomk tut- d.vXjp schreibt
auch Th. Bergk in Meineke’s com. vol. II, 2. p. 977 fr. XV.
Die interessante Stelle, 072, 27, welche Schneidewin in der
comment. de hypothes. tragoed. Graec. p. 32 bespricht, ist leider bei
288
Dr. Moriz Schmidt.
Symeon nur verkürzt erhalten: niva'x. ouvi8 K . atld iVü/jjiu rnvax
re vsdiv. xaraypyorcxcuz de | rd axeöo c leyezai. da er fl oe xpec~
nivax. ivraüD-a de rd axeurj )Jydv\ 6 de ympoßoax nivax tprjoiv \
ev oi<z al dvaypaipal Tjauv rwv dpapdrwv. Tuvozrjprj^ xrJ.
Nachtrag. Die Neugierde bewog mich auch gelegentlich den
Eudemus einzusehen, um über den Grad der Abhängigkeit des
Suidas von Eudemus und den Charakter dieses Lexici überhaupt aus
eigener Anschauung ins Klare zu kommen. Danach liegt denn die
Sache allerdings so, wie ich sie in den neuen Jahrbüchern für Phi
lologie und Pädagogik 1855, p. 469 — 500 dargestellt habe: d. h.
der Eudemus ist die Hauptquelle des Suidas — und hat ihm selbst
eine ganze Partie Sprichwörter geliefert, als deren Quelle ich p. 786
die 7cap/juyy<z le£i<; des Eugenius betrachten zu müssen geglaubt
hatte. So viel ist mir ganz klar geworden, vor der Herausgabe des
Eudemus, die eine Vergleichung mit Suidas ermöglicht, ist eine
Untersuchung über die Quellen des Suidas nicht mit Sicherheit zu
führen.
Der Eudemus, von Busbecke acquirirt, ist von Nessel als
Nr. CXXXII bezeichnet. Von seiner Hand steht am Rande bemerkt:
„N° 143. 131 et 130. Ex hisce tribus numeris integrum lexicon
conflatum est. £c Der codex bomhycinus in Gross-Quart hat 140 Blätter,
die Schrift ist sehr klein und unleserlich, die verloschenen Züge
sind hie und da durch chemische Mittel welche grüne Streifen hin
terlassen haben, lesbarer gemacht. — Der Glossenschatz des Eude-
mos hat einige Ähnlichkeit mit dem der Cyrille, doch nimmt jener
offenbar mehr auf die Prosa, diese mehr auf die Poesie Bezug.
Interpolationen hat auch der Wiener Eudem bereits erfahren: doch
ist von einigen derselben Suidas frei, wonach ihm also diese
Recension des Lexici nicht Vorgelegen hat. Bachmann’s Synagoge von
ß an ist nur ein dürrer Auszug aus Eudemos. Als Probe diene bis
auf Weiteres fol. 18 b der Anfang von B. :• ßaßai: d-aupaazarj
<pmi). ßaßeXayei: d.pelyet. ßaßaivw: zpipw. ßaßacaa-
zpeu: iftvixdv. ßa.ßua<;: TZfjldz. ßuti-pov. ßrjpa. ßayeüet:
TtlavvjTeoei. ßa.ytöv: peja. ßddxjv: ßaazaxzixdoz epydpevov.
ßadi^ai: Trepinazci). ßadcazoe: ßpadurazoi. ßädcos: uws.
ßadlazixobz: d^uTtoaz. ßaddiv: otoKt] cepd. ßados: ßddiaiv.
Aus Wiener Handschriften.
289
ßuttia vüf: ij axozetvi/. ßatieia 8b auXat ij efc ßdd-oz ytvopivij.
ßd&pnv: t>) ti-epeXtov. ßaüuyXiooa a> c: s\iyXa)zzo<;. ßaftü-
nXouzoc: o uyav nXoüatoi;. ßaiXuazpcozos (ytzcuv^) : xotzov,
no).uzeXij<;. ßaihjninXcov: peydXwv ix zoö napaxnXou&odvzoi;.
ß ad-öay otv ov: ü<J)7]Xojs ayoivow; tpipovza. ßatov: öXlyov.
ptxpov. 2ofoxXvj<;. ßaizrj, Scip&atpa (sic), ßairj: iX&ot. ßaivo:
neptnazu). ßaxxutov: etivns. ßaxuvz tßo c: oyoXuozijs, pvj
napd pevcov zoit; ipdapzocz (sic). ßdxrjXoq et: napntpta, int
zuiv peydXwv pbv zcp aaipazc ävdvdpaiv 8b. euvoöyoc ydp r«c ijv
peyaXoiraipoi; ßd.xrjXoz. Büxt<;: yprjopoXoyoc. ßdxXa: ztpcopvj-
zTjpta opyava. ß axzijp ia: pdßSoz xal ßdxzpov. ßaxy e 6 cov :
paivopevoc, pepelloopJvoz, napdtpopos, dnd zou ßdxyou i) zvjc
Siovuotaxij<z eopzijtr iv ij ndvzet; uno zijc psthj<; nupezpenovzu zdt;
(ppivas. xzX.
290
Rafn. Bemerkungen über eine nordische Runen-Inschrift etc.
SITZUNG VOM 8. OCTOBER 1836.
Der Seeretär liest eine von Herrn Etatsrath C. C. Rafn
handschriftlich eingesandte Abhandlung: „Bemerkungen über eine
nordische Runen-Inschrift an einem Marmorlöwen aus dem Piraeus“.
Darin theilt der Herr Verfasser die Resultate seines Lesever-
suches der Runen-Inschriften an dem berühmten Piraeischen Löwen
zu Venedig mit, und zwar vor der Hand der Inschrift auf dessen
linker Seite.
Er übersetzt sie also:
„Hakon eroberte im Vereine mit Ulf, Asm und und Örn
diesen Hafen. Diese Männer und Harald der Hohe legten (den Ein
wohnern des Landes) wegen des Aufstandes des Griechenvolkes
beträchtliche Geldbusse auf. Dalk verblieb gezwungen in fernen
Landen; Egil ist auf dem Zuge mit Ragnar nach Ru(manien)
und Armenien.“
Der Verfasser hält den hier genannten Anführer Harald den
Hohen für Harald Sigurdson, den Halbbruder König Olaf’s des
Heiligen, und versetzt die in der Inschrift erwähnte Empörung des
Griechenvolkes und die dadurch veranlasste Eroberung des Piraeus
durch die im Dienste des griechischen Kaisers stehenden Nord
männer nebst der Auferlegung von Geldbussen in das Jahr 1040.
Was er in diesen Bemerkungen nur kurz andeutet, hat er in den
von der k. Gesellschaft der nordischen Alterthumsforscher heraus
gegebenen Memoiren mit allen Documenten belegt und ausführlich
erläutert, in seiner Schrift die den Titel führt: „Inscription runi-
que du Piree“ (Kopenhagen 1856, in 8°.).
Georg Zappert. Epiphania.
291
V o r g e 1 e g t:
Epiphania.
Ein Beitrag zur christlichen K un s ta rch äolo gi e.
Von dem c. M., Hrn. Georg Zappert.
Die Kirche feiert bekanntlich nur die Sterbetage ihrer Hei
ligen. So kam es dass in der Frühzeit des Christenthumes selbst der
Geburtstag des Heilands nicht allenthalben als besonderes Fest 1 ),
sondern meist gemeinsam mit dem seiner Taufe, der Anbetung der
Magier und des Wunders zu Cana 3 ) gefeiert wurde. Epiphania 3 )
war und blieb in der gesammten Kirche die Bezeichnung dieses am
6. Jänner gefeierten Collectiv-Festes.
Frühzeitiger als in der orientalischen war Christi Geburt
als besonderes Fest in Ländern der occidentalischen Kirche,
und zwar am 2b. December gefeiert. Als jedoch Papst Julius I.
(337—3b2) diese Feier für alle Sprengel der occidentalischen Kirche
als ein gebotenes Fest normirte 4 ), schloss sich bald darauf auch die
orientalische Kirche fast allgemein diesem Beispiele an und feierte,
gleich der occidentalischen, die Geburt Christi gleichfalls am
25. December als besonderes Fest 5 ).
V) Jabionski op. 3, 319, 334 seq. Die Armenier feierten noch (1211) an Epiphania
den Geburtstag Christi zugleich mit seiner Taufe. Ipso enim die agunt festum do~
minicae Nativitatis, dicentes, Dominum uno et eodem, etiam specie, die l’uisse natum,
et post anno trigesimo baptisatum. Willebrandi ab Oldenborg Itinerar (1211) ap. L.
Allatii Symmikt. 1, 139, er beschreibt als Augenzeuge die grossen Festlichkeiten des
Tages, cf. Anmerk. 63.
2 ) Gavanti thes. sacr. rit. 1, 246. Nr. 13, p. 332. Nr. 23, 2, 128 edt. Venet. 1762.
Cotelier in const. Apost. p. 312 seq.
3 ) Epiphania Graecae linguae vocabulo, Laline manifestatio dici polest. Hodierno
igitur die manifestatus Redemtor omnium gentium, fecit sollemnitatem omnibus
gentibus. S. August. (*{• 430) op. 3, 916 f. edt. Maurin. Über die Abstammung
dieses Wortes s. Blumenbach II. antiquit. Epiphan. ap. Volbeding thesaur. comment.
1, 166 seq. Wernsdorf E. F. de orig, sollent. natal. Christi, ibd. p. 133. Theo-
phania wird es noch in Aethewold’s Benedietionale genannt, p^ 60. Archaeol. soc. of
Aut. of Lond. Yol. 24, p. 60.
l ) Pagi in Vit. Pontifi, p. 30. edt. Lucc. 1729. Gavanti Thes. sacr. rit. 2. 127. Werns
dorf E. F. de orig, natal. Christ, ap. Volbeding, 1. 143.
5 ) S. Chrysost. op. 2, 334 edt. Montf.
292
Georg; Zappert.
Der G. Jänner hatte demnach in beiden Kirchen den früher als
Mitfest gefeierten Geburtstag des Heilands an den 2S. December
abgegeben, und die orientalische Kirche wies sogar auch das Fest der
Anbetung der Magier diesem Tage zu 6 ). Für den G. Jänner blieb ihr
nun als Hauptfest die Feier der Taufe Christi 7 ), wogegen in der
occidentalischen Kirche die Feier der Anbetung der Magier 8 ) nicht
blos jenem Tage bewahrt, sondern in sie sogar der Schwerpunct
des Festtages gelegt wurde °). In beiden Kirchen trat dieErinnerung
an Christi Wunder in den Hintergrund.
Obwohl nun demnach der 6. Jänner Einbusse an festlichem Voll
gehalt erlitten und, wie bemerkt, die orientalische Kirche für jenen
Tag die Feier der Taufe Christi, die occidentalische die seiner
Anbetung durch die Magier in den Vordergrund stellte, behielten
dennoch beideKirchen die frühere Festtagsbezeichnung bei. Epiphania
ist noch immer die kirchenfestliche Benennung des 6. Jänners, reprä-
sentirt dermalen aber einen andern Werth als jenen den es zur Zeit
seiner Einführung besessen.
So lange alle urkundlichen Schriftstücke in lateinischer Sprache
abgefasst wurden, datirte man die am 6. Jänner ausgefertigten rechts
kräftigen Belege mit dem kirchlich sanctionirten Epiphania. Als
jedoch die deutsche Zunge sich auch als Urkundensprache 10 ) geltend
zu machen begann, musste man bedacht sein, jener griechischen
6 ) Trombelli Mariae sanct. vit. 3, 431.
7 ) Haitaus, Calend. p. 74, edit. Schaefler, Goar Eucholog. p. 449—468. Codinus d. offic.
p. 226 seq. edt. Paris 1648.
8 ) Benedict. XIV. de fest. op. 10, p. 20 edt. Rom. 1731. cf. Trombelli, Mar. Vol. 3,
461. Daher kam es wahrscheinlich, dass jener vermuthlich dem h. Ambrosius ange-
hörende Hymnus (Daniel Thes. hymnol. 4, p. 11 nach Mone) der nur der Taufe
Christi und des Wunders von Cana gedenkt, von der Erscheinung der Magier aber
schweigt, daher kam es, dass er vergessen und gleichsam aus der Reihe der Epi-
phanien-Hymnen herausgedrängt wurde.
9 ) Der von Paul Warnefried abgefasste Ilomiliarius (eine Muster-Sammlung für die Pre
diger der Karolingischen und späteren Zeit) wählt für das Epiphanienfest (p. 22—331»
edt. Basel 1316) die Epiphanien-Rede des h. Papstes Leo (p. 29, cl. 1 edt. Venet.
1748), die des heil. Papstes Gregor des Grossen (op. 1, 1468 edt. Maurin) und S.
Maximus von Turin (op. 177, Venet. 1748) aus, in welchen allen einzig von der
Anbetung der Magier gesprochen wird.
10 ) Ich spreche von Urkunden, weil mir ausser ihnen keine anderweitig chronologisch
festgestellten Schriftstücke bekannt sind, die so frühzeitig wie jene Verdeutschung
dieses Festtages bringen. Ein vereinzeltes Beispiel aus dem XIII. Jahrhundert
bietet die Predigt in Hoffmann v. Fallersl. Fundgruben 1. 110.
*
Ö
T
Epiphania. zya
Bezeichnung eine deutsche Übertragung zu schöpfen. Als treueste
hätte sich wohl eine Formirung aus „Offinbari“ u ) empfohlen. Allein
man scheint gefühlt zu haben, dass der Inhalt dieses Festtages der
malen in seiner Ilauptfestlichkeit ein anderer geworden, und suchte
durch paraphrasirende Übertragung der Bezeichnung Epiphania,
dieses Wort dem Verständniss näher zu bringen. So kam es, dass
während Nativitas Christi, Penteeosten etc. eine in allen deutschen
Ländern gemeingiltige muttersprachliche Bezeichnung fand, Epiphania
sich der Übersetzungswillkiir preisgegeben sah.
Tagzählenden Kalendermännern galt Epiphania einzig als der
zwölfte oder dreizehnte Tag nach Christi Geburt 12 ) und man
stellt zuweilen das Wort Epiphania, das als ein lateinisches galt,
unübersetzt neben diese Zeitbestimmung, um ihr desto grössere
Verständlichkeit zu geben. Urk. (1319) d. Markg. Waldemar v.
Brandenburg: Mondags na dem twelften. Gerk.Verm.Abhand. 3, 270.
Urk. (1325) Fritag nach dem zwelften an dem Tag zu Wihennachten
Regest. R. Boic. 6, 151. Dreitz. Dach (1350) Quix Gesell, d. Stadt
Aachen. Cod. dipl. 2, 248. Urk. (1376) Lacombl. Urk. d.Niederrh.
3, 679. Urk. (1379) heyligen dertyen dach; ibd. 726. Urk. (1341)
Erzbischof Heinrich von Mainz vereinigt die Landgrafen von Hessen
„uf den zwölften Tag den man nennt zuLatein Epiphania Domini.“
Regest.R. Boic. 7, 295; ibd.8, p. 204 13 ). Urk. (1355) des Erzb. von
Mainz: den zwelften tag den man schribet zu latine Epihaniam,
Guden. Cod. dipl. Mogunt 3,385. „An dem zwölften abent“, Lectionar,
Pp. Cod. palt. Vindb. S. XV, Nr. 2831, p. 17 a. An dem zwölften tage,
ebd. p. 17 b. (Aus dem Nonnen-Kloster Thalbach.) Wie denn über
haupt Beispiele von Datirung deutscher Urkunden einzig mit Epipha
nia nicht zu den Seltenheiten gehören dürften. Urk. (1308) des
Magistrat zu Luitkenburg, Lünig Spiel. Eccl. 2, 329. Urk. (1316) an
u ) Graff, alth. Sprachsch. 3, 148 offenunga (manifestatio) ebd. 1, 166. cf. 21 u. 27.
«I 12 ) Je nachdem man Christi Geburtstag in diese Zeit einrechnete oder erst vom S.
Stephanstage an zu zahlen begann. Trombelli, S. Mar. vit. 3, 436. cf. Anmerk. 43.
In Niederdeutschland war erstere Weise , in Süddeutschland letztere die gewöhn
liche. Haitaus, Calend. edt. SchefTer, p. 76. Über die zwölf Rauhnächte s. Schmeller,
baier. Wörth. 3, p. 12. Über die Verbote in Wien, zur Zeit der Rauhnächte oder
Losnächte zu schiessen, von 1633—1717 etc. s. Schlager, Wien. Skiz. 2, p.6, n.FoI.
2, 247, 234, 237 etc. Kaltenbaeck, Pantaid. 1. 104, 134. Die drei Könige kamen in
XII Tagen herbei gefahren. Deu vrslende Hahn. Ged.d. XII. u. XIII. Jahrh. III. v. 10.
13 ) Lacomblet, Urkundb. d. Niederrhein. 3, 868.
294
Georg- Z a p p e r t.
die U. L. Fr. Kirche in Bremen. Cassel, Samml. ungedr. Urk. p. 528
Urk. (1327) des Ratlies von Bremen. Cassel, Bremen. 2, 89. Urk.
(1333) Heinrich der jüngere Graf zu Henneberg an den Bischof
Wolfram von Würzburg: in der Octava Epiphaniae, Regest. R. Boic.
7, p. 32 (bis) Urk. (1345): „nechsten Dages na Epiphaniae“ West-
pbal. E. I. 4, 348. Urk. (1371) des Grafen Job. von Nassau: den
man schriuet latine Epiphania domini. Lacomblet Urkdb. Niederrh. 3,
605; (1377) p. 694; (1388) p. 815‘4).
Obwohl die katholische Kirche, wie oben bemerkt, an Epiphania
vorzüglich das Fest der Magier feiert, so kam doch in gelehrten
oder gebildeten Lesekreisen nicht die Erinnerung abhanden, dass
Epiphania neben der Feier der Magier auch das Gedächtniss an die
Taufe Christi 15 ) und seiner Wunder 18 ) als Mitfest in sich schliesse.
So bei Marbod (f 1123), op. cl. 1568 edt.Beaug. Hildebert (f 1136),
serm. in Epiph. op. cl. 274 et cl. 281, 283, 286, edt. Beäugend.
Abaelard (f 1142), op. p. 771. edt. Amboes. Sacrosanctum coniu-
gium, quod inter Christum et Ecclesiam fuerat — promissum —
ho die est consummatum, confirmatum, et declaratum. Consumatum
in adoratione Magorum, confirmatum in baptismo Jordanis,
declaratum in miraculo vini. Haec tria semel hodie recolit et
veneratur Ecclesia. Innoc.III. (-j-1216) op. 1, p. 98; edt. Vent. 1578.
Unde de triplici gaudio hodie laetatur Ecclesia, propterea tri-
plici vocabulo praesens solemnitas nuncupatur. Dicitur enimEpiphania,
Theophania et Bethphania. Jacob d. Vitriaco (f 1244); Sermones
p. 103; edt. Antw. 1575. Von der Speisung preche Beda ibd. Unde
solemnitas ista dicitur non solum festum apparitionis, sed appari-
tionum; S. Bonaventura (f 1274), op. 3, p. 34, cl. 1. c. edt.
Lugd. 1668. Tribus miraculis ornatum diem sanctum colimus, quo-
niam a Magis Christus adoratus est, et ex aqua vinum factum est, et in
Jordane baptizatus. (Eingangsworte einer deutschen Predigt des XIII.
Jahrh. aus Cod. pal. Vindob. Nr. 2718, bei Hoffman v. Fallersl.
14 ) Urkunde (1361) an den Erzb. z. Mainz. Reg. R. Boic. 9, p. 30.
15 ) Cf. Trombelli, S. Mar. vit. 3, 461. Eine Urkunde vom Jahre 1466 ist datirt: am
Mondtag und Tag der heyl. Taufe. Haitaus (ald. 74, edt. Schefler).
16 ) Das römische Brevier gedenkt bekanntlich am Epiphanien-Tag bis zur Stunde neben
der Anbetung der Magier auch Christi Taufe und Wunder zu Cana. Gleiches in der
deutschen Postille des Nonnen - Klosters Thalbach bei Bregenz. Pg. Cod. palt.
Vindob. S. XV. Nr. 2839, p. 47 a.
Epiphania.
295
Fundgrb. 1, p. 84), Jacob a Voragine (f c. 1298) gedenkt auch als
vierten Wunders, der Speisung der 5000, doch sei es zweifelhaft ob
es auch an diesem Tage geschehen sei, Legend, aur. 86; edt. Graesse
(cf. Anmk. 22 und 26). Derart wissenschaftlich gebildete Indivi
duen geistlichen Standes, die den festlichen Gesammtinhalt des Epi-
plianientages, der ihn zu einem der obersten Hochfeste der Kirche
erhob 17 ), im Auge behielten, übertrugen Epiphania mit „obersten
Tag“ oder auch mit grosses Neujahr 18 ). So in Urk. (1325) d.
Klost. Fürstenfeld „am Obersten“. Regest. R. ßoic. 6, 151; Urk.
(1330) d. Klost.Langheim „an dem Obersten Tag uusers Herrn“,
ibd. 314; Urk. (1352) Kl. Kaisheim „hailigen Obresten“, ebd. 8,
(1356) „nach dem heiligen Obersten Tage“; ebd. Urk. K. Karl IV.
Prag (1360) „Obersten Tag“. Reg. R. ßoic. 9, p. 1. Urk. (1360)
K. Karl IV. „Mitwochen nach Obers-Tage“. Falkenstein Cod.dipl. ad
antiq. Nordg. P. 1, p. 193. Apparitio vel etiam in vulgär „der oberst
tag“. Job. Herolt (c. 1418) Discipulus. Serm. 21; edt. Norimb. 1502.
An dem obristen Obint (Vigilia Epiphaniae. Gerbert vet. Liturg.
aleman. 2, 846; aus einem Missale des XIV. Jahrh.) An dem
obersten tage daz ampt. Pg. Cod. palt. Vindob. S. XV, Nr. 2714,
p. 16 b . Missale und Lectionarium aus dem Nonnen-Kloster Hall in
Tirol.
Erscheint somit (meines Dafürhaltens nach) „oberster tag“ als
Übertragung gelehrter Federn, so fassten Praktiker, an das Hervor-
springende, Augenfälligere sich haltend, die Feier des 6. Jänner mit
seiner Schaustellung der dem „lichtvaz“ folgenden Magier ia ) und
17 J Moutfaucon bemerkt zur Ilomilie des b. Cbrysost. in diem natal. Chr. (2, 3S4), das»
im Occidenl und selbst in Rom das Epiphanienfest in höherem Ansehen als das Weih-
nachtsfest stand, und man lese in einem alten Ordo Romanus „Nec hoc praetereundum
est, quod secunda Nativitas Christi (nämlich Epiphania) tot illustrata mysteriis,
honoratior sit quam prima“, was sich wörtlich in der dem Alcuin zugeschrie-
benen, jedoch erst nach dem zehnten Jahrhundert abgefassten Schrift: De diviuis
officiis, wiederfindet. Op. 2, 465. cl. 1, edt. Froh. Prima Nativitas est carnalis, haec
autem spiritialis etc. Hildebert (-f- 1136) serm. in Epiphan. op. cl. 289 edt. Beäu
gend. Epipäania wurde am byzantinischen Hofe mit gleicher Pracht wie Christi Ge
burtslest gefeiert. Codinus (S. XV) de offic. p. 96 b. cf. p. 77 seq. edt. Paris 1648.
18 ) Weil das Fest der Erscheinung ehemals feierlicher als das Fest der Beschneidung
begangen wurde, so nannte man es auch das Grosse Neue Jahr. Haitaus, Calend. p.75.
19 ) H. Hofrmann, Fundgruben 1, 145. I. 42. Die kirchlichen Schaustellungen werden
späterhin angezogen.
296
Georg- Z a p p e r t.
den hellen Liedern der Sternsinger 30 ), als das „stellae festum“ auf 21 ).
SosagtDurandus „von der dreyn erscheynungist die hewitig hochzeit,
nu mag die christenliait an airn tag eile dinckch nicht wol
pegen darumb nimpt si den stern für sich vnd mischet etwas
von den andern zwayn erscheynungen 23 ). Solche deutschen Epiphania
mit „prehen tag“ auch „heiligen prehen tag“ 33 ), wo wir in
„prellen“ einSubstantiv oder das im Volksmunde gekürzte Participium
(prellende), also entweder Licht- oder leuchtender Tag zu erkennen
vermögen werden 3i ). Wir führen nun folgende Stellen an: In einer
Urkunde (1288) des Grafen Albrecht von Görz „von dem nehesten
20 ) Über Sternlieder etc. aus später Zeit, s. Sandy’s Christmastide u. YVeinhoId’s Spielen.
Lieder, p. 127 IT. H. Hoffmann v. Fallersleben. Hör. Belg. 2, p. 69 ff. u. 10, p. 17,
p. 27. J. V. Zingerle, Das Sternsingen in J. W. Wolf, Zeitschr. f. deut. Mythol. 2. B.,
4. Heft. Schade in Weimar. Jahrb. 2, 75 ff. K. J. Schröer, ebd. 3, 391.
21 ) Der heil. Drei-Königstag hiess auch stellae festum v. Du Cang. gl. s. h. v. auch gab es
ein Officium stellae. Marten, d. ant. eccl. ritb. 3, 122 b. edt. Antw. Das XVII. Capitel
in Otfrid’s Krist. (ant. 872) führt die Überschrift: De stella et adventu magorum
p. 67. edt. Graff. Man feierte zu Rouen das Wunder der Erscheinung des Sterns durch
ein besonderes Officium, „Officium stellae“ genannt. Cf. Du Meril origines lat. du
theatre moderne, p. 153. Didron Annal. archeol. 8, p. 43. Cf. Anmerk. 51 ff. Cf.
Gerbert vet. liturg. aleman. 2, 846. Selbst jene die des Mitgedenkens der Taufe
Christi etc. erwähnen, stellen stets die Erscheinung des Sterns oben an. Epipha-
niorum diem — viri apostolici signaverunt, qui in eo est proditus stella Salvator,
quando invenerunt Magi Christum in praesepi iacentem. Isidor. Hispal. (-{- 636). Lib.
d. offic. op. 6, 393. edt. Rom. 1802. Post haec sequitur dies apparitionum — quae
plures leguntur fuisse — una effecta est per stell am. Beleth. (c. 1182) Ration,
offic. c. 73, p. 130. Das Fest führt den Namen Epiphania, weil der Stern erschien.
Otto Vercell. Episc. junior, (c. 1004) Serm. in Epiphan. Mai Angl. Script, vet. nov.
collect. 6, T. 2, p. 16. Der Stern geht allen anderen Wundern vor. Deutsch. Pred.
d. XIII. Jahrh. Mone, Anzeig. 1838, p. 418. Schon Oberlin wirft die Frage auf, ob
prehentag nicht vom Glanz des Sterns abzuleiten wäre. GIoss. 1. cl. 184.
22 ) Durand (-J- 1296) Ration. L. 6. c. 16. Deutsche Übers. (1384) cod. pal. Vindob.
Nr. 2765, p. 184 a cl. 2.
23 ) Urkd. (1363). Der Graf v. Schauemberch an dem h eiligen Prehentag. Reg.R. Boic.
9, p. 73. Der Bischof von Freisingen stellt (1423) eine Urkunde jus: Geben zu
Hollnburgh an dem Hei 1 ig e n Brehen tag: Duell. Excerp. geneal p. 226. Der
Erst Suntag noch dem obristen das ist noch dem heiligen prehentag anfankch
der heiligen Mezz. (Deutsche Übersetz, d. Missale. Pp. Cod. palt. Vindob. S. XV.
Nr. 3057, p. 98 a.) Cf. Oberlin, GIoss. 2. 1190, cl. 9.
24 ) „brehen“ erscheint häufig als Epithet von „Stern“ s. Benecke-Müll. Mittelh. Wörter!).
1, 135, cl. 2, I. 5, 1. 23, 1. 38, p. 236, cl. 1, I. 8, I. 34. Die drei Ostmänner folgen
einem leuchtenden Zeichen, einem leuchtenden Stern: folgodun enun berthun
bogne. p. 16, I. 17, p. 20, I. 6, berchton sterron. p. 18, I. 11. zwelf sternen
mit ir glanze— die siht man dir ze löne da brehen unde schinea Konr. v. Würzb.
(j- 1287) Gold. Schmied, p. 55, v. 1836 edt. W. Grimm.
Epiphania.
297
Pertentage“ (der Samml. f. Gesch. f. Tirol, 1808, p. 50). Urk.
(1289) Otto v. Ror an ßiscli. v. Passau „Perillt tag“ (Mon. Boic.
29, 5G9). Urkunde des Alban von Reicliersbeurn an das S. Claren-
Kloster zu München (1297) „naehsten maentags, nach den paerliten
tag“ (ebd. 18, p. 30). Urk. (1302) Perchtag (Duell. Exc. Gen.l.
P. 3, p. 86). Urk. (1313) „Perchtag“ (Hueber Austr. p. 47)
Prehentag. Urk. d. Kl. Garsten. (1318) Urkundb. d. Land. Ob der
Enns, 1, 196. Urk. (1330) d. Kloster Prul „brehttag“ (Regest.
R. Boic. 6, 314). Urk. (1344) d. Bischof Gotfrid zu Passau
„Prehentag“ (ebd. 8, p. 1, und ebd. p. 151, p. 310). Urk.
(1360) Ulr. der Prant spricht schiedesrichterlieh gegen Ott Zehent
mayr „dez naechsten Pfincztages nach dem Oeberisten den man
haizzt den Prehentag (ebd. 9, p. 2), die letzen am prehen
abent (Lectionar S. XIV, Pp. Cod. palt. Vindob. Nr. 2825, p. 5 b,
p. 7 a), daz du auf denselben Prehen tag — by vns seist. Herz.
Albr. und Willi. Brief (1396) an den Propst von Klosterneuburg.
Notiz. Bit. d. k. Akad. 1856, p. 495. Am prehen tag (Deutsches
Epistolarium p. Cod. palt. Vindob. Nr. 2697, ann. 1410, p. 20 b,
aus Ambras). Die leczennAm Prehen abent. (Deutsch. Lectionar. Pp.
Cod. palt. Vindob. Nr. 3063, p. 33 b, abgeschrieben im J. 1457 zu
Klosterneuburg, aber wahrscheinlich schon am Anfang des XIV. Jahr
hunderts abgefasst (Denis Catal. 1, p. 30, 70). Das Evangelium list
man an dem Pr eben tag. (Deut. Lection mit der gloss. p. Cod.
palt. Vindob. S. XV, Nr. 2912, p. 17a, p. 15 b, aus dem Profess-
Hause der Jesuiten in Wien.) An dem prehen tag an fankch der
Mess. (Deutsche Übersetzung des Missale mit Glossen etc. eine
Postille im weitesten Sinn. Pp. Cod. palt. Vindob. S. XV, Nr. 3057,
p. 930 -s).
Der Meinung jener , nach der „Brehen tag“ den Tag des hell
scheinenden Sternes bezeichne, stellte sich bereits im vorigen Jahr
hundert die entgegen, dass man in jener Bezeichnung den Tag der
25 ) An dem pertel tage. Deut. Lection. S. XIV. Aus d. Nonnenkloster Thalbach bei
Bregenz. Pg. Cod. palt. Vindob. Nr. 2741, p. 8a u. p.8b, p. 9 a, die Vigilia Epiphaniae
aber wird mit „An dem obersten Abent“ bezeichnet, ebd. p. 7b. Die Betrach
tung am Epiphanientage einer Postille aus demselben Kloster (XV. Jahrhundert)
ist mit: „Van dem Zw elften tag“ überschrieben. Cod. palt. Vindob. Nr. 2839,
p. 47 b. Wir sehen also hier die drei Bezeichnungsarten friedlich neben einander.
Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XXI. Bd. III. Hft.
298
Georg Zappe r t.
Holla, den der Prechtel zu erkennen habe * # ). Wir können die
Möglichkeit zugestehen, dass die von Priestern, den Bildnern der
Sprache und Abfassern der Urkunden, geschöpfte Bezeichnung
„Brehentag“ vom Volke auf seine unter ihm noch immer spuckende
Frau Prechtel bezogen wurde, dass aber der Clerus unter brehen
tag nicht den Tag der Holla, die in keinem Martyrologium erscheint,
sondern in ihr einzig eine christliche Bezeichnung sali, erhellt aus
der oben (Anmerk. 23) angeführten Bezeichnung „heiligen brechen
tag“ wie aus folgender Stelle der deutschen Übersetzung des Duran-
dus : „Hie nach get dy hochzeit des preehemtag, daz ist chrieehi-
schen gesprochen ein offenwarung oder ain schein, vnd ist ain
dinch mit dem tag der purd auch tauget nicht die piird er werd den
erschynen. Durch dreyerlay schein willen, peget heut die chirchen
vnd darumb ist der tag driuallichleich genant Ephyphania daz
ist gesprochen die erscheynnung“ - 7 ).
Mit der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts führt sich all
mählich eine vierte Bezeichnung des Epiphanienfestes ein. Im Jahre
1164 hatte Beinold, Erzbischof von Cöln, die irdischen Überreste
der heil, drei morgenländischen Könige aus Mailand nach seiner
Metropole übertragen 28 ), und diesem Rhein-Emporium, das bisher
nur handeltreibende Gäste beherbergte, strömten nun in drängender
Fülle Schaaren frommer Pilger zu 29 ). Hatte sich durch diese Über-
26 ) Haitaus, Galend. p. 75. Jakob Grimm neigt sich der Ansicht zu, dass die Analogie
des leuchtenden Tages— an die früher vorhandene Pertha geknüpft worden.
Mythol. 1, 259, als die einzig richtige gilt sie Weinhold. Spiele und Lieder, p. 19.
27 ) Durand. (-J- 1290) rational, div. offic. L. 6, c. 16, in deutscher Übersetzung (1384)
cod, palat. Vindob. Nr. 2765, p. 183 b.
2Ö ) Sigbert Auctuar. Afflingen. ad. an. 1163. P. Mon. Germ. 8, 405.1. 40. Godfrid. JVIon.
S. Pantal. (1237) ap. Freher Scr. edt. Struve 1, 335. Jul. Ficker, Reinald v. Dassel,
p. 67. s. Anm. 58. Über die sagenhafte Auffindung der Leiber der heil, drei Könige
s. Joh. Hildesheim, p. 25 b. seq. und S. Zeno in Brun’s plattd. Gedicht. Über ihre Über
tragung aus Konstantinopel nach Mailand s. Delle antiehit. Lombard. Milan. 4,279 seq.
29 ) Fidelium peregrinanti um devotionis et orationis causa confluit multitudo. Bulle
des Papstes Johann XXII. 1327. Jul. 1. Cromb. p. 818. Ad quae (corpora tr. Mag.)
videnda pariter et adoranda non solius. Germaniae . . . (das Weitere fehlt). Chron.
brev. Lobiense (c. S. XIII) ap. Marten Thes. 3, 1424 c. So heisst es in einem Breve
des Papstes Bonifaz IX. v. J. 1394(?) . ... et quae a populo illaruni partium
in celebri venerantia et devotione continua, et ad quam etiam peregrinorum de
d i v e r s i s m u n d i partibus conlluere consvevit. Cromb. p. 830. Von dem
Dänen-König der nach Cöln zu den heil. Leibern der drei Könige wallfahrt und
ihnen drei goldene Kronen darbringt. Gesla Romanorum c. 47. und Gest. Rom. das
Epiphania.
299
tragung ihrer Reliquien die Verehrung der heil, drei Könige mächtig
gehoben, so trugen diese wieder ihrer Seits dazu bei, den Namen
Cölns auch im Lande und in Gesellschaftsschichten zu tragen, die
seinen Handelsbewegungen ferne standen. Man identifieirte derart
die heil, drei Könige mit der Ruhestätte ihrer Leiber, dass man sie
im gewöhnlichen Leben nicht mehr die Könige aus dem Orient,
sondern die von Cöln nannte so ), eine Bezeichnung deren allge
meine Verbreitung gleichfalls auf frequenten Wallerbesuch hinweist.
So hatte die Übertragung der Reliquien der heil, drei Könige dazu
beigetragen, dass Süddeutsche mit Norddeutschländern in nähere
persönliche Verbindung rückten, und vereint von den frommen
Gaben der beiden Hälften hob sich jener Dom empor 31 ) der uns
noch heute als architektonisches Symbol deutscher Einigkeit gilt.
Die Mehrer des deutschen Reiches besuchten auf ihrer Krönungs
fahrt nach Aachen im Durchzuge meist auch Cöln, und Hessen an
der Ruhestätte ihrer königlichen Collegen Erinnerungen kaiser
licher Munificenz zurück 3a ). Daher kam es wahrscheinlich, dass
in die Krönungs-Liturgie der deutschen Könige ein nicht geringer
Theil der Messe des Epiphanienfestes 33 ) Aufnahme fand 34 ), was
ist der Römer Tat. p. 43, edt. Keller, ln späteren Jahrhunderten erhielten die Cöln-
fahrer von dem Custos der Reliquien der heil, drei Könige untersiegelte Zeugnisse
die ihre vollzogene Pilgerfahrt bewahrheiteten. Crombach theilt p. 781) das Formular
mit. Bei den häufigen Wallfahrten nach Aachen (Schlager, Wien. Skizzen. Neue Folge
3. 431 ff.) wurde zweifelsohne von Wienern auch Cöln besucht.
30 ) Corpora trium Magorum translata sunt per Rainaldum — ad urbem Coloniam Agrip-
pinam — et propter hoc apud ignarum vulgus nominantur tres Reges Coloniae. Jüan.
Iperii (*{-1383) Chron. ap. Marten. Tlies. 3, G50 d. Unter gleicher Bezeichnung treten
sie in geistlichen Schauspielen auf. Comment lez III. roys deCoIoigne. Virent Pestoille
en oriant. Jubinal. myst. ined. du XV. siecle. 2, p. 81.
3A ) lm .1. 1248, Aug. 14., wurde durch Erzbischof Konrad der Grundstein gelegt. Gele-
nius de s. et civ. mag. Colon, p. 232. Boisscree. Geschichte und Beschreibung des
Doms v. Cöln. p. 5. edt. 1842.
32 ) Crombach, Hist. SS. tr. Reg. p. 827 seq. Die deutschen Könige besuchten auf ihrer
Krönungsfahrl nach Aachen öfters im Durchzuge auch Cöln, ibd. p. 831, 841, 843 und
wie von selbst verständlich meist mit grossem Gefolge.
33 ) Wahrscheinlich nicht ohne unmittelbaren Einfluss des Erzbischofes von Cöln, von
Rechtens wegen Kröner des deutschen Königs. Archiepiscopus Coloniensis ex iure
regni debitüs eonsecrator (P. M. Germ. 4, 384. I. 30).
34 ) So der Introitus: Ecce advenit (P. Mon. Germ. 4, 385. I. 24) aus einer Handschrift
des XV. Jahrh.; dann aus PsI. 71: Deus iudicium (ibd. 1. 24); die Collecte: Deus qui
unigenitum gentibus stella duce revelasti etc. (ibd. 1.25); die Lectio aus Jesaias
21 *
300
Georg Zappelt.
wir weder in dein Krönungs-Ceremonial des römischen Kaisers noch
in dem eines andern christlichen Potentaten sich wiederholen sehen.
Über den Beginn der Einführung jenes Krönungs-Rituals schweigen
zwar geschichtliche Quellen, doch dürften wir uns geneigt zeigen,
die am Epiphanienfest 1309 vollzogene Krönung 35 ) Kaiser Hein-
rich’s VII. als den Zeitabschnitt anzunehmen, in dem sich jenes
Krönungs-Ritual festzustellen begann. Es scheint nun dieses Hinüber
nehmen eines grossen Theiles der Epiphanien-Liturgie in die der
Krönung der deutschen Könige erhöheten Glanz auf die heil.
Weisen selbst rückgeworfen zu haben, und da schon früher die Be
zeichnung „drei Könige, oder heilige drei Könige“ vulgär zu werden
begann, und in niederländischen Urkunden sporadisch erscheint
(cf. Mieris Chartorboek. II, 492, s. Anmerk. 02 ff.), so sehen wir
einige Decennien nach der Krönung Kaiser Heinrich’s VII. allmählich
die Datirung „am heil. Dreikönigetag“ sich einführen.
Die Verbindungs-Urkunde zwischen Johann, König von Böhmen,
und Walram, Erzbischof von Cöln, Adolf, Bischof von Lüttich,
Ludwig, Graf von Flandern etc. gegen Herzog Johann von Lothrin
gen (1333) ist datirt: „Donne a Valenchienes le nuit de Roys“
(3 Jaen. Lacomblet, Urkundb. d. Niederrh. 2, 214). Urkunde (1334).
Kaiser Karl IV. ertheilt dem Erzbischof von Trier die Veste Elz
„nehestenDunnerstages na heiliger Drier Könige Tag“. (Günther Cod.
dipl. Rhen. Mos. 3, 611. Urkunde (1334). Kaiser Karl IV. Moguntie
— an dem Fritag nach der heiligen dryer Kunig Dag. (Guden. Cod.
dipl. Mogunt. 3, 6 3 2) 30 ). Urkunde (1363). Herzog Rudolf von
Sachsen: „Prag, am heil. Dreikönigtag.“ (Reg. R. Boic. 9, p. 73.)
Urkunde (1367) des Vicedom von Oberbaiern: „an dem Abende des
Obristen und der heil. 3 Könige“. (Ebd. 9, 163.) Urkunde (1430)
(c. 60): Surge illumiiiare etc. Inumlatio camelorum operiet te, d romaderii
Madian et Ella etc. ibd. I. 31 ; das Graduate: Omnes de Saba etc. (ibd. I. 38); die
Lectio aus Math. c. 2: C-uin natus esset etc. ecce m agi ab Oriente venerunt Jheoro-
solimain etc. (ibd. p. 391, 1. 37 — p. 392, 1.4). Das Offertorium : Reges Tharsis etc.
(ibd. I. ö). Secreta: Ecclesiae tuae (ibd. I. 10). Completorium: Presta quesumus
(ibd. 1. 29).
i5 ) Meyer, K. F., Aachen, Geschichte, p. 309, cl. 1.
36 ) Urkd. (13ö4) d. Nie. Herrn v. Werle: am Dage der h. dreyger Könighe. Schröd. Pap.
Mecklenb. p. 1337 u. dort noch auch zum Jahre 1379, 1389, 1393, vrbd. Anmerk.
62—64. Vorerst meist jedoch nur in Urkunden Hochgestellter, und scheint
diese Datirung erst im XV. Jahrhundert in weitern Kreisen Eingang gefunden zu haben.
Epiphania.
301
des Klosters Neunwerk bei Halle: „Montag nach der heiligen
drier Könige tage. (Ludewig Reliq. Mnsc. 8, 171.) Das ewan-
gilg mathei an drei Kunig. (Deutsches Lectionariura, S. XV, Pg. Cod.
palt. Vindob. Nr. 2089. p. 8 a. Aus dem Kloster der unbeschuheten
Carmeliten in Wien.)
Früher jedoch als in kirchlichen Schriftwerken war die Aner
kennung der Weisen als Könige in christlichen Kunstmalern
erfolgt (Anmerk. 80). Bildende Künstler beuteten auch bekanntlich
die ihnen gewordene Vergünstigung aus „Aber auch in manigerlay
geschichte der newen alz der alten ee werdent gemalet nach der
inaler willen, Wann den malern und den tichtern waz
alleczeit geieiche gewalt yegleiche dinkch ze liegen
höre“ 37 ). Sie folgen in ihrer Darstellung der heil, drei Weisen
theils der Schrift, theils, wo es dem bildnerischen Vorwurfe zusagt,
der Sage der stets ein mehr oder minder dichterisches Element
inwohnt. Es fühlen die Schwesterkünste Poesie und bildende Kunst
sich wahlverwandtschaftlich angezogen und helfen einander stützen
und festigen.
Bildliche Darstellung der Anbetung der heil, drei Meisen.
Die Anbetung des Christuskindes durch die heil, drei Weisen
war, wie aus noch vorhandenen Denkmälern ersichtlich, bereits in
altchristlicher Zeit häutig Vorwurf der bildenden Kunst. Auch ge
denken Schriftmaler solcher Darstellungen. So bemerken dieFuldaer
Annalen zum Jahre 823, dass in Grabadona (einem Orte am südlichen
Ufer des Lago di Como im Mailändischen) ein durch hohes Alter
dunkel gewordenes Bild der Anbetung der Magier zu leuchten ange
fangen habe 38 ). Agnellus (c. 842) beschreibt eine Darstellung
(Mosaik?) der heil, drei Weisen, welche die St. Martin's Kirche zu
i7 ) Durand (-{- 1296). Rational. L. 1, c. 3. Deutsche Übers. (1384) eod. palt. Vindob.
Nr. 2763, p. 12 a, cl. i. Wir besitzen somit bereits am Ende des XIV. Jahrhunderts
eine deutsche Übersetzung der II oraz 1 sehen Verse. Ad Pis. v. 9, 10.
38 ) In territorio Cometense Ilalicae civitatis, in vico Grabadona, in aecclesia sancti Jo
hannis baptistae, imago sanctae Mariae puerum Jesum gremio continens, ac magor um
munera ofFerenlium, in absida eiusdem aecclesiae depicta, et oh nimiam vetusta-
tem obscu rata et pene abolita, lanta claritate per duorum dierum spntin cfTuisit,
ut ornnein splendorem novae picturae suae vetustatis pulchritudine cernentihus penitus
vincere videretur. Einhard. Fuhlens annl. ad an.823, ap. P. Monmt. Germ. 1.338, I. II.
302
Georg Z a p p e r t.
Ravenna zierte (Vit. pontific. ap. Murat. S. R. Ital.2, 114 b). In der
Marien-Kirche zu Bethlehem bewunderte man ein auf Goldgrund
strahlendes, im Jahre 1109 gefertigtes Mosaik gleichen Gegenstan
des (Phocas 1185. Descript. terr. sanct. ap. Leo Allatius Symmikt.
1, p. 42). Der im Jahre 1228 verstorbene Andreas, Erzbischof von
Lund, hinterliess seiner Kirche unter mehreren Kostbarkeiten: Ymagi-
nes trium magorum cum coronulis aureis. (Langebeck Scrip. R.
Danic. 3, 524.) Die Schotten-Abtei in Wien erhielt in der ersten
Hälfte des XV. Jahrhunderts die aus Alabaster gefertigten Statuen der
heil, drei Könige (s. mein Fragm. eines Liber dativ. S. 18) zum Ge
schenke, und ein gleiches für den Hochaltar bestimmtes in der zweiten
Hälfte jenes Jahrhunderts 39 ).
Wir gehen nun anfolgend in eine Analyse der einzelnen Theile
der bildlichen Darstellungen unseres Gegenstandes ein, und schicken
ein Verzeichniss der jener Auseinandersetzung zu Grunde gelegten
Abbildungen (1er Anbetung der heil, drei Weisen voran, um uns im
Verfolge der Kürze halber darauf beziehen zu können.
A. 1. Aethelwold’s Benedictionale (S. X) Archaeol. soc. of antiqu.
of London 24, p. 60, PI. 26.
A. 2. Evangeliarium (byzant. S. XII) in der Vaticana. D’Agincourt
5, PI. 59, Nr. 3.
A. 3. Miniaturen einer lateinischen Handschrift (S. XII) der Vaticana
(nach Waagen deutsch. Kunstbl. 1850, p. 148, deutschen Ur
sprungs). D’Agincourt 5, PI. 104, Nr. 14.
A. 4. Email (c. S. XII) ebend. 6, PI. 168, Nr. 9.
A. 5. Sarkophag in S. Ambrogio zu Mailand (c. S. IV). Allegranza
spieg. sopr. alc. mon. d. Milan, p. 50, Tav. 4; auch bei Ferrario
mon. d. S. Ambrog. p. 160, Tav. 14.
Aachen, s. C 1, C 3.
ß. 1. Eine angeblich der Zeit des K. Joan. Zimisces (f 975) ange
hörende Kupfermünze. Banduri Num. 2, 738.
B. 2. Elfenbein-Tafel (c. S. V) in der Schatzkammer des Domes zu
Mailand. Bugati Mem. d. S. Celso p. 282, Tav. 1, s. hier
Abbildung III.
39 J Ebd. p. 23. Die dort vorgenommene Ergänzung: „regum“ beruhet auf der Verimilhimg,
dass der Donator, ein Balthasar, durch sein Geschenk seinem Namens-Patron Devotion
Bezeugen wollte.
Epiphania.
303
B. 3. Eine ähnliche (c. S. V) wie vorgehende eben daseihst, anf
Tav. 2.
B. 4. Sarkophag (c. S. V int.) im Kloster St. Celso zu Mailand ehd.
p. 1G8, 242, Tav. 1. (Die Gruppirungen an diesem Sculptur-
werk sind ungewöhnlich und die Magier mehr als auf der Hin
reise als im eigentlichen Act der Anbetung begriffen gedacht.)
B. 5. Sarkophag, S. IV—V, Bottari Scult. e pit.t. sagr. 1, p. 82,
Tav. 32.
B. 6. Sarkophag, wie oben, 1, 146, Tav. 37.
B. 7. Sarkophag, wie oben, 1, 136, Tav. 38.
B. 8. Wandgemälde (c. S. VI) im Coemeterium des h. Calistus zu
Rom, ebend. 2, p. 76, Tav. 82.
B. 9. Sarkophag, wie oben, 2, p. 94, Tav. 86.
B. 10. Wandgemälde (c. S. V—VI) im Coemeterium S. S. Marcelini
et Petri zu Rom, ebd. 2, 166, Tav. 126.
B. 11. Sarkophag, wie oben, 3, p. 1, Tav. 131.
B. 12. Sarkophag, wie oben, 3, p. 20, Tav. 133.
B. 13. Sarkophag, wie oben, 3, p. 176, Tav. 193.
B. 14. Evangeliarium zu Bamberg (gestiftet von K. Heinrich II.
1002—1024). Waagen, Kunst in Deutschland, 1, p. 98.
B. 15. Miniature (S. XIV) im Cod. Arundel Nr. 83, Catal. of Mser.
of the Brit. Museum, 1, p. 22, PI. 14.
0. 1. Reliquien-Schrein (c. S. XII ext.) im Frauenmünster zu Aachen.
Cahier et Martin Melange d'archeol. 1, PI. 2.
C. 2. Bronze-Lamjpo (c. S. X?) im Besitz des H. Carrand, ebd. 3.
PI. 24.
f. 3. Medaillon (c.S. XII, a. m.) an einem Kronleuchter des Aa ebner
Frauenmünster, ebd. 3, PI. 24.
C. 4. Ein in der Kirche von Citta di Castello befindliches in
Silber ciselirtes Antependium, Geschenk des Papstes Cöle
stin II. (1143—1144) D’Agincourt 4, PI. 21, Nr. 13.
Dresden s. F. 3, P. 1.
E. 1. Eine dem J. van Eyck (?) zugeschriebene Anbetung der heil,
drei Könige, in der K. Pinakothek zu München. Abbild, in d.
Gemäldesarnml. d. Kön. Maximilian.
E. I. Fra Ang. Giov. da Fiesoie (geb. 1387, 1455) Anbet. d.
Kön., früher in der Cappella della Nonziate, jetzt in der Galerie
der bildenden Künste zu Florenz. Abbild. inGallcr. I. e.R. d. Fier.
304 Georg Zapp er t.
P. 2. Niello des Maso Finiguerra (S.XV p.m.) Fr. v. Bartsch, die
Kupferstichsamml. der k. k. Hofbibi. p. 2, Nr. 2.
P. 3. Francesco Francia (f 1317). Anbet. d. Kön. in der k. Galer.
zu Dresden, gestoch. v. Glaser.
P. 4. Relief im Rundbogen der goldnen Pforte zu Freiberg im
Erzgebirge (c. 1200). Abbild, in E. Förster’s Denkm. deutsch.
Rauk. u. Bild. 1. B.
Florenz: s. F. 1, G. 1, G. 4, G. 3, G. 10, G. 11.
G. 1. Gentile da Fabriano für die Kirche S. Trinita gemalte
(1423) Anbet. d. heil, drei Könige, dermalen in der dortigen
Galerie der schönen Künste. Abbild in Galler, d. I. e. R. accad.
d. bell. art. d. Fierenze.
G. 2. Gestickte Casula (c. S. XII?) ehemals zu S. Blasien. Ger-
bert vet. liturg. Alem. 1, 266, Tbl. 6.
G. 3. Eine gleiche wie vorgehende (c. S. XIII) ebd. Tab. 7.
G. 4. Bronze-Tlniren des Baptisterium S. Giovan. z. Florenz von Lor.
Ghiberti (1378—1433). Abbild, bei Lasinio le tre port del.
battist. d. S. Giov. d. Fierenze.
G. 5. Gi otto (1276—1336). Gemälde früher in S. Croee, dermalen in
der Galerie der schönen Künste in Florenz. Abbild, in Galler.
d. I. e R. accad. d. bell. art. d. Fierenze.
G. G. Albert Glockendon (geb. 1432), Kupferstich. Ankunft der
Weisen, Bartsch 1. P. gr. 6, 344, Nr. 1.
G, 7. Elfenbein Diptychon (c. S. XIV etc.) aus Passeri’s Museum.
Abbild. Gori Diptycha 3, p. 216, Tbl. 23.
G. 8. Elfenbein-Diptychon (c. S. XIV int.), ebd. p. 294, Tab. 38.
G. 9. Elfenbein-Tafel aus dem Museum Castadoni (c. S. XI), ebd.
p. 304, Tbl. 39.
G. 10. Mosaik-Tafel (c. S. XI) zu S. Giovan, in Florenz (byzantini
schen Ursprungs), ebd. p. 334, Tbl. 1.
G. 11. Gaddi Taddeo (S. XIV m.), Wandgemälde in S. Croee zu
Florenz. Abbild. Lasinio pitur. d. Massacio.
II. 1. Engelhardt. C. M. Herrad von Landsperg (f 1193) hört,
deliciarum, Tbl. 3.
II. 2. Bronze-Thüreu (Hochrelief) am Dom zu Hildesheim (1013).
Kratz, der Dom z. Hildesheim, Tfl. 6.
H. 1. In Holz geschnitzte Thürflügel (c. S. XI) an der Stiftskirche
S. Maria auf dem Capitol zu Cöln. Böisseree, Denkmale am
Epipliania. 305
Niederrhein, Tafl.9, auch bei Gailhabaud, Denkm. der Baukunst,
2. Band.
K. 2. Anbet. der heil, drei Kön. angeblich von einem Schüler des
Wilhelm von Cöln (c. S. XIV ext.). Abbild. Strixner, Gemäld.
d. Brüder Boisseree.
K. 3. Das Cöln er Dombild (S. XV m. s. Waagen im deut. Kunstbl.
1854, S. 164), Guhl und Caspar, Denkmal, d. Kunst, 1, p. 109,
TU. C. 27.
Klosterneuburg, s. Nie. von Verdun, Nr. 2.
Korssun’schen Thüren, s. Nr. 4.
Ii. 1. Elfenbeindeckel (c. S. IX) eines früher dem Kloster Lorch
gehörenden, jetzt im Vatican befindlichen Evangeliarium. Gori
Thes. vet. diptych. 3, p. 32, Tbl. 4.
London, s. B. 15.
Mailand, s. A. 5, B. 2, B. 3, B. 4.
M. 1. Dombild zu Meissen (c. S. XV ext.). Abbild. E. Förster,
Denkm. deutsch. Bauk. Bildner, 1. Band.
M. 2. Relief (c. S. XVI ext.) im Spitzbogenfelde des Portal, d. Dom.
z. Meissen, Putterrich, Denkm. d. Bauk. in Sachs.
M. 3. Hans Memling (c. 1480) die sieben Freuden Maria's in der
k. Pinakothek zu München, E. Förster, Denkm. deutsch. Bauk.
Bild. 1. B. 5. Abtheil.
M. 4. Balducio's und seiner Schüler (p. 1347) Basrelief an dem Drci-
Königs-Altar in S. Eustorgio zu Mailand. Cicognara stör del.
scultur. p. 459, Tav. 37.
M. 5. Menologium Basilii imperatoris (S. X ext.), edt. Albani.
ffl. 6. Basrelief (c. S. XI) am Portal der Abtei-Kirche zu Moissac,
Labord Mon. d. 1. France 2, PI. 147.
N. 1. Marmor-Relief an der Kanzel des Baptisterium zu Pisa von
Nicola Pisano (1260). Abbild, bei Cicognara Stör. d. scult.
l, Tav. 12, Nr. 1, auch bei D’Agincourt 4, PI. 32.
München, s. E. 1, M. 4, R. 1.
N. 2. Nicolaus von Verdun Niello-Antependium (1181) im
regl. Chorherrenstift Klosterneuburg, abgeb. von A. E.
Camesina, erläutert von Jos. Arneth, s. hier verkleinert in
Abbildung I.
N. 3. Niello (S. XV ext.) in der Sammlung der k. k. Hofbibi. Fr. von
Bartsch, Kupferst. d. k. k. Hofb. p. 9, Nr. 34 und 35.
306 Oeorg' Zapport.
N. 4. Adelung, die Korssunschen Thören (S. XII p. in.) in der Kathe-
dralkirche in Nowgorod, Tbl. 1, Nr. 8, cf. N. G. Riesenkampf,
der deutsche Hof zu Nowgorod. Dorpat 1854.
O. 1. Sculpturen an der Fnfade des Domes zu Orivieto (c. S. XIII
ext.) unter Mithilfe deutscher Künstler ausgeführt. D’Agincourt
4, PI. 33.
1’. 1. Paul Caliari, genannt Veronese (1528—1588), Anbet. der
heil, drei Kön. in d. Dresdner Galerie, Abbild. Hanfstaengel, die
vorzüglichsten Gemälde d. k. Gal. in Dresden. Als Culmirungs-
punct der Darstellung der heil, drei Weisen hier mit aufgezählt.
P. 2. Relief (c. 116G) an der Fafade von S. Andrea in Pistoja.
D’Agincourt PI. 27, Nr. 1.
P. 3. Basrelief (S. XIV) im Chor v. Notre-Dame zu Paris, Labord
Mon. d. 1. France 2, 173, auch in Gailhabaud Denk. d. Bank.
3. B. Paris, s. auch S. 8.
P. 4. Sculpturen (c. S. XIII ext.) eines deutschen Künstlers (s. Kugler,
Handb. der Kunstgesch. p. 526, zweite Auf!.), Nachahmers des
Nicola Pisano, au der Kanzel v. S. Giovanni Evang. (Fuor.
civit.) zu Pistoja, Cicognara Stör. d. scult. l,Tav. 39.
R. 1. Rogier van der Weyden der ältere (f ant. 1464), Fliigel-
hild in der k. Pinakothek zu München (früher dem J. v. Eyck
zugeschrieben). Strixner, die Gemäldesammlung der Brüder
Boisseree.
R. 2. Wandgemälde (c. S. XIV?) an Ruinen eines nahe der Kirche
5. Agnese in Rom gelegenen Klosters. D’Agincourt 5, PI. 104,
Nr. 15 und 6, PI. 135.
R. 3. Holz-Basrelief an der Pforte (S. XIII) von St. Sabina in Rom.
D’Agincourt 4, P. 2, PI. 8.
R. 4. Wandgemälde (c. S. XI?) der Kirche S. Urbano (della Caffa-
rella) nächst Rom. D’Agincourt 5, PI. 95.
R. 5. Mosaik (S. XIV) in S. Maria Maggiore zu Rom. Gutensohn
und Knapp. Basilik. des christlichen Rom. Tfl. 47.
Rom, siehe auch A. 2, A. 3, B. 5 bis B. 13.
S. I. Kupferstich (1482) des Martin Seliöngauer. Bartsch I. P.
grav. 6, p. 119, Nr. 6.
S. 2. Elfenbein-Diptychon (S. XV) Sommerard Alb. Ser. 2, PI. 20.
S. 3. Email (S. XII ext.) aus Limoges, ebend. PI. 38 cnf. Memoir.
d. 1. societ. d. antiq. d. 1. oust. 9. 146.
Epiphania.
307
S. 4. Elfenbein-Tafel (Buchdeckel) (c. S. XV int.). Sommerard Alb.
Ser. 5, PI. 15.
S. 5. Miniature in einem Missale des XV. Jahrhunderts. Sommerard
Alb. Ser. 5, PI. 23.
S. 6, 7 und 9 haben ihre Stelle unter Ortsnamen erhalten.
S. 8. Psalterium des heil. Ludwig (f 1270) in der Bibliothek des
Arsenals in Paris. Sommerard Alb. Ser. 8, PI. 19.
S. 10. Triptychon (S. XVext.) deutsches Email. Ebend. Ser. 10, PI. 17.
S. 11. Miniature (c. S. X?) aus einer Handschrift der Cotton'sehen
Bibliothek. Strutt a compl. view of manners I. Tab. 27. London
1775.
S. 12. Wandgemälde (S. XIV) in der Kirche del Sacro Speco in
Subiaco. D’Agincourt 6, PI. 126, Nr. 3.
T. 1. Sculpturen (c. S. XIII) im Rundbogen des Portales der Lieb
frauenkirche zu Trier. C. W. Schmidt, Baudenkmäler zu
Trier. 1. Lief. Tfl. 6.
V. 1. Relief (c. S. XII int.) an der Fagade von S. Zeno in Verona.
Orti Manara Basilic. S. Zeno Maggiore. Tav. 4.
W. 1. Miniature (S. XIII) Willemin Mon. Frangais. I. PI. 99.
W. 2. Michael Wohlgemuth. Flügelaltar (1479 gemalt) in der
Frauenkirche zu Zwickau. Quandt die Gemälde des M. Wohl
gemuth. Tfl. 8.
ff. 3. Griechische Handschrift (c. S. X) der k. k. Hofbibliothek zu
Wien. Nr. 154. Nessel Cod. Mns. 1.251, Graec., s. hier Ab
bildung Nr. II.
ff. 4. Lateinisches Psalterium (S. XII) der k. k. Hofbibliotliek zu
Wien. Nr. 1879. Denis Catal. 2, cl. 75. Aus der Cölner
Diöcese stammend.
Wien, cnf. F. 2, Nr. 3.
A. Schauplatz.
I. Haus. Die Anbetung der Magier fand nach dem Evangelium
Matth. 2, V. 11 in einem Hause Statt: „Etintrantes dom um (dtxi'av)
invenerunt puerum“ 40 ). „Tho sie an tliat hus innan, mit iro gehun
gengun.“ Heliand (S. IX a. m.) pag. 20, 1. 12, edt, Schmeller.
40 ) Über die verschiedenen Meinungen betrells der Örtlichkeil der Anbetung; s, Bene
dict XIV, d. fest. op. 19, p. 29, edt. Rom. 1751. Trombclli Mar. S. vit. 3, 472.
308
Georg Zappe r t..
„Tliaz liüs sie tho gisähun, ioh sar thara in quamun.“ Otfrid Krist
(ant. 872), pag. 00, v. 39, edt. Graff. Theophyl. Bulg. (fp. 1071)
comtn. in Math. op. 1, p. 13 b. Vom Leben und Leiden Jesu
(S. XII), Hoffmann, Fundgruben I, 143, 1. 44. Wernher (1173)
Maria. Hoffmann v. Fallersleben, Fundgruben 2, 203, v. 37. Die
heil. Elisabeth v. Schönau (-J- 1163) sieht in einer Vision: Dominam
— et parvulum eius, quasi in domo longe posita commorantes.
A.SS. .Tun.3,024, c. Ingressique domum puero cum simplice uoto.
Petr. d. Riga (f 1209). Aurora Cod. palt. Vindob. Nr. 973, p. 106 a.
Deutsche Predigt (S. XIII.), Hoffmann, Fundgruben 1, 84. Das
Malerbuch vom Berge Athos schreibt als Schauplatz ein Haus vor,
vor dem Maria sitzt. Didron Manuel d'iconog. p. 139 und G. Schäfer ’s
Übersetzung p. 174. S. Francisca Romana (f 1430) Visio. A. SS.
Mrz., 1, *113 a. Pald in daz haus si giengen. Pet. Suchenwirt
(S. XIV p. m.), p. 130, v. 333, edt. Primisser, II. Hoffmann v.
Fallersleben, Hör. Belg. 10, p. 46, str. 8.
Wir sehen demnach in bildlichen Darstellungen den Vorgang
der Anbetung
a) vor einem Hause stattfinden. So in einem Elfenbeindeckel
(c. S. IX), früher im Kloster Lorch (C. 1). Im Antependmm
(1143 —1144) zu Citta di Castello (C. 4). Wandgemälde bei
S. Agnese fc. S. XIII), R. 2.
b) Das Innere des Hauses wird durch Säulen oder das
Äussere durch eine säulengangartige Halle angedeutet.
So in einem Evangeliarium (S. XII) der Vaticana (A. 3). Im
Antependium (1181) zu Klosterneuburg (N. 2). Im Psalterium
des heil. Ludwig f 1270 (S. 8). Im Basrelief (S. XIV) in N. D.
zu Paris (P. 3). In Ghiberti's (1378—1433) Bronze - Pforten
(G. 4). In VanEyk's Anbetung der Weisen in München (c.1430)
(E. 1). In Francesco Francia's (f 1317) Anbetung in der kön.
Dresdner Galerie (F.3).
II. Stall. Nach der Ansicht Anderer ging die Anbetung der
Magier an der Geburtsstätte des Christuskindes im Stalle vor sich
(cnf. Anmk. 40). Abscondebntur in sta bu 1 o et agnoscebatur in coclo
etc. S. August, (f 430) op. 3, 911 a, edt. Maurin. Der Auctor
operis imperfecti (dem Arianismus zugeneigt) malt die grosse Dürf
tigkeit der im Stalle weilenden heil. Familie mit lebhaften Farben
aus. ap. S. Chrysoslh. op. 6, app. p. xxx. c. edt. Montfauc.
Epiphania. 309
Durand (f 1296) ration div. offie. L. 6, c. 16, Nr. 4. 41 ) Jacob,
a Voragine (f c. 1298), Leg. aur. p. 92, edt. Graesse.
Die heil. Brigitta (f 1373) hatte eine Revelation „Dixit — mihi —
Mater Domini-—quando tres Reges Magi venerunt in stabulo ad
adorandum Filium meum. S. Brigittae Revel. p. 467, cl. 2.
Wir scheu demnach in bildlichen Bar Stellungen die Anbetung vor
einem Stall oder einer st allartig en Baulichkeit vor sich gehen,
die meist Spuren geringerer oder grösserer Verfallenheit an sich
trägt. So in einem Sarkophag (c. S. V) im Kloster S. Celso (B. 4)
und im Sarkophag (B. 3). In einem Wandgemälde (S. XIV) in
Subiaco (S. 12). ln der Biblia pauperum (c. 1460). Memling's
(c. 1480) Sieben Freuden in München (M. 3). In einem deut
schen Email Flügelaltar (c. S. XV ext.) S. 10. In Roger s von
der Weyden (f 1329) Anbet. in München (II. 1) etc.
III. Höhle. Nach der Meinung Anderer wurde Christus in einer
Höhle geboren (und fand also auch dort die Anbetung Statt). So
Origen, contr. Cels. op. 1, 367. S. Gregor. Nyssen. op. 3, 349.
Euseb. vit. Constantia. L. 3, c. 43. Protoevangl. Jacobi Minoris
ap. Thilo eod. apoeryph. Nov. Test. 1, 269. Ille locus, ubi Christus
natus est, quondam fuit spelunca sub terra. S. Willibaldi (f 786)
Epise. Eistetensis hodoep. ap. Falckenstein. Cod. dipl. Nordg. P. 4,
456. Joan. Phocas (1183) Descript. locor. ap. L. Allatii Synimikt.
1, p. 41.
So sehen wir im Miniature des Menologium des K. Basilius
(AI. 3) die heil. Jungfrau bei der Anbetung des Magier vor einer
grottenartigen Höhle sitzen.
Ausnahmsweise sehen wir, wahrscheinlich zur Andeutung des
orientalischen Schauplatzes, nebst der Baulichkeit, im Sarkophag
(B.3) auch zwei Palmen zur Anschauung gebracht (s. Anm. 42).
Wir erkennen somit, dass in den Darstellungen der Anbetung
germanischer Künstler vorwiegend st allartig e, in der der
romanischen Schulen, angeregt durch die heimatlichen
lr ) Obtulerunt— Tus contra s t a b u I i foetorem. Myrrhaiu, propter, membrorum pueri
consolidationem, et vernium expulsionem. Ihm folgt Joan. Hildesheimensis (c. 1375)
Hist. tr. Reg-, mihi p. 13 b , cl. 2. Erstere zieht Beda, letztere S. Bernard an. (Er hat
wahrscheinlich die Stelle im Auge: Non illis sordet stabulum. S. Bernard. [-{*1153]
Serm. op. i, 805 a, edt. Paris 1719.)
310
G e o r g Z a p p e r t.
Überreste antiker Bauwerke, vorwiegend säulenhallenartige
Baulichkeiten sich geltend machen. In den seltenen Fällen, in denen
ein Bildwerk der Anbetung eine Höhle veranschaulicht, dürften
wir by zant in isch e n Ursprung zu vermutheu uns geneigt zeigen.
B. Die heil. Jungfrau.
I. Sitzt auf einem Stein. In der Capelle zu Bethlehem wurde
der Stein gezeigt, auf welchem die heil. Jungfrau, während sie das
Christuskind stillte, stets sass. (Joh. Hildesheim [c. 1375], Hist. tr.
Heg. mihi p. 17, cl. 2)
So sehen wir die heil. Jungfrau auf einem Steine sitzen, im
Sarkophag (B. 8). Auf einem aus Steinen geschichteten Sitze im
Sarkophag (A. !i). Auf einer Steinbank in einem Gemälde der
Anbetung aus der Schule des Meisters Wilhelm von Cöln (K. 2).
II. Die heil. Jungfrau sitztaufeinem lehnstuhlartigen Sitz.
So in den Sarkophagen (B. 2, 6, 7). In einer Kupfermünze
des Zimisces f 978 (B. 1). ln dem Basrelief (c. S. XII) an der
Kirche S. Zeno (V. 1).
III. Mit zunehmender Verehrung Maria s wird die heil. Jungfrau
in den Darstellungen unseres Gegenstandes auf einem Thron oder
Ihronartigen Sessel sitzend dargestellt.
So in einem Elfenbeindeckel (c. S. IX) aus dem Kloster
Lorch (L. 1). In Aethelwold's Benedictionalc S. X (A. 1). An den
Bronzethüreu (1013) zu Hildeshehn (II. 2). Im Wandgemälde
(c. S. XI?) zu S. Urbano (II. 4). Im Antependium (1143—1144)
zu Citta di Castello (C. 4). An einem Kronleuchter (S. X a. m.)
zu Aachen (C. 3). Belief (1160) zu Pistoja (P. 2). ln Wiener
llandschft. S. XII (W. 4). Casula (c. S. XII?) zu S. Blasien
(G. 2). Relief der goldenen Pforte (c. 1200 ?) zu Freiberg (F. 4)■
Au den Korssun sehen Thüren c. S. XIII int. (N. 4) etc.
IV. Die heil. Jungfrau ruht auf einer Matte oder einem
hettartigen Lager.
So in einer Elfenbeintafel (c. S. XI) bei Gori (G. 9). In
dem Basrelief (c. S. XII) zu Moissac (AI. 6). I)i den Sculpturen
42 ) ln der Kirche zu Bethlehem soll sich ein Stück der Palme befinden, von welcher die
h. Jungfrau gegessen; s. Tobler, Jerusalem 2, 46o. cf. Iioflniann v. Fallersleben, Hör.
Belg. 2, p. 4. (Doch gilt das Lied der Flucht nach Ägypten.)
Epiphaaia.
311
(c. S. XIII ext.) zu S. Giov. in Pistoja (P. 4). In diesen Kunst
mülern , in denen wir die heil. Jungfrau auf einem bettartigeu
Lager ruhend veranscliatdicht sehen, ist stets mit der Anbetung
der Weisen auch Darstellung der Geburt Christi verbunden. In
Mysterien treffen wir gleichfalls auf Vorführung mehrerer Momente
aus Christi Jugendleben in einem Cyeins vereint, so in der Mysteric
bei Du Me'ril orig. lat. d. thedt. p.l02seq. inJubinal Myster. inedt.
2, 108 seq. In der Schaustellung zu Costnitz im Jahre 1417
wurde Christi Geburt, die Anbetung der heil, drei Könige und der
bethlehemische Kindermord dargestellt (Herrn, v. d. Hardt Corp.
act. Const. concil. 4, 1089), etc. cnf. Arndt. OS. Auch in Kunst
malern finden wir, ausser den oben v er zeichnet en, mehrere dieser
Vorgänge in einem Rahmen gefasst. So neben Anbetung der Weisen
auch die Verkündigung der Hirten in dem Sarkophag im Kloster S.
Celso (B. 4). Geburt und Anbetung in einem byzantinischen Evan-
geliarium S. XII (A . 2). Gleiche Darstellung in einer Elfenbein
tafel (c. S. XI) bei Gori 3. Tbl. 39. Im Rundbogen des Portals
der L. F. Kirche zu Trier (c. S. XIII p. m.) drängen sich Ver
kündigung der Hirten, Anbetung der Magier, Darbringung im
Tempel und bethlehemischer Kindermord au einander (T. 1).
Geburt und Anbetung in einem Antependium (c. S. XIII p. m.)
zu Lüne (Waagen im deutsch. Kunstbl. 1830. p. 148, cl.2). Gleiche
Darstellung in Sculpturen (c. S. XIII ext.) zu S. Giov. in Pistoja
(P. 4). Verkündigung der Hirten und Anbetung der Weisen im
Spitzbogen (je. S. XIV ext.) des westlichen Portals des Domes zu
Meissen (M. 2) etc.
In den eben aufgezählten Werken ruht jedoch die heil. Jung
frau nicht auf bettartigem Lager, sondern sitzt auf thronartigem
Stuhl; wir werden uns sonach geneigt zeigen dürfen, Kunstmaler,
in welchen die heil. Jungfrau in ersterer Weise (B. 4) zur An
schauung gebracht ist, als Werke byzantinischer Kunst oder
byzantinischer Beeinflussung zu erkennen.
C. Das Christuskind.
1. Der bei weitem überwiegende Theil kirchlicher Autoren
entscheidet sich dahin, dass die Magier Christum als Säugling,
und zwar als dreizehntägigen, anbeteten. So der heil. Augustinus:
Dominus ergo noster Jesus Christus ante dies t red ec im natus, a
312
Georg 1 Zappert.
Magis hodie traditur adoratus 43 ) (s. Trombelli 3, 436 seq.). Pet.
Comestor (f c. 1178) hist. Evang. e. 7, p. 187, edt. Lugd. 1343.
Tercia post decimam lux venerat. ecce sequentes stellam. ierusalem
tres subiere magi. Petr. d. Riga (f 1209) Aurora Cod. palt. Vindob.
Nr. 973, p. 106". Bruder Pbilipp’s Marienleben p. 68, v. 2478. (Am
zwölften Tag. Dass in Süddeutschland diese Bezeichnung herkömm
lich, s. Anmk. 12.) Joan. Ilildesheimensis (c. 1373). Hist. tr. Reg.
(mihi p. IS 1 *, cl. 1, edt. Mogunt 1477). Herold (1418), Discipul.
Serm. 21, edt. Nürnh. 1302. Nicephorus (c. S. XIV m.) entscheidet
sich in seiner hist. eccl. (1, p. 73, edt. Par. 1630) gleichfalls dafür,
dass die Magier bereits zwei Jahre vor Christi Geburt aus ihrem
Lande gefahren waren, also Christum als Säugling anbeteten. In kirch
lichen Schaustellungen der Anbetungen der Magier werden Heb
ammen sprechend eingeführt. So in einer Mysterie aus einer Hand
schrift zu Orleans bei Du Meril orig. lat. d. theät. p. 170, und aus
einer Freisinger Handschrift (c. S.X) ebd. p. 161, dieselbe auch bei
Weinhold’s Spiele und Lieder p. 60, und in einer Mysterie aus einer
Handschrift (c. S. XI) des Klosters Bilsen bei Lüttich in Cahier et
Martin Melange d. archeol. 1, 260, cl. 2.
Wir sehen somit das Christuskind in den bildlichen Darstel
lungen unseres Geyenstandes als Säugliny dargestellt und zwar :
1. «. Liegend in der Krippe.
So im Sarkophag zu S. Celso Qi. 4). Im Evangeliar, byzant.
S. XII (A. 2).
I. b. Liegend in einem W i e g e u k o r b e.
Cumque ibi essent, peperit Christum Maria, ac eüm in prae-
sepi posuit «bi a Magis repertus est. Justin, dialog. e. Tryph.
Nr. 78. S. Ambros (f 398) exp. in Luc. op. 1, 1334 a, edt. Maurin.
Div chintheit Jesu. Hahn, Ged. d. XII. und XIII. Jahrh. Nat. Bibi. 20,
p. 82, v. q. cnf. Evang. Luc. 2, V. 16.
In dieser Weise sehen wir das Christuskind daryestellt im
Sarkophag (B. 3), in einer Elfenbeintafel c. S. XI (G. 9), in einer
Wiege liegend, in einem Antependium aus der zweiten Hälfte des
XIII. Jahrlul. vor dem Altar der Kirche des adelichen Fräulein
stiftes zu Lüne in der Nähe von Lüneburg (Waagen im deutsch.
Kunstbl. 1830, p. 148, cl. 2).
43 ) S. August, (f 430) op. O) 916 f, edt. Maurin, ct*. Anmerk. VI.
Epiphania.
313
I. c. Es ruht als Wi ck el kind in den Armen der heil. Jungfrau.
Involutus infantilibus pannis adoraretur a Magis. S. August.
(X. 430) op. 5, 911, a. Theophylact. Bulg. Episcop. (f p. 1071)
com. in Math. op. 1, p. 12, c. edt. Venet. 1754.
So auf den Sarkophagen B. 11 und B. 13.
II. Das Christuskind sitzt auf dem Sehoosse Maria’s 44 ).
Diese Position ist die normale 45 ), doch wechselt die Leibes
grösse von der eines zwei 46 ) bis zwölfjährigen Kindes. Die Künstler
suchen Christum in Action zu setzen und verleihen ihm unschrift-
mässig Jahre die ihn befähigen, handelnd in die Anbetung der
Weisen mit einzugreifen. Manche gehen in dem Streben das gött
liche Kind in feierlicher Weltheilandlichkeit darzustellen so weit,
dass sie
III. es auf dem Sehoosse der heiligen Jungfrau aufrecht
stehend zur Anschauung bringen.
So im Sarkophag (B. 6), im Kronleuchter (je. S. XII a. m.j)
zu Aachen (jC. 3) und in den Elfenbeintafeln S. XIV (G. 7, G. 8)
S. 2, im Miniature S. XIV (B. 13), im Basreliefs. XIV (P. 3).
In solchen Darstellungen wird Ihm mich zuweilen
IV. a. ein Buch oder eine Rolle in die Linke gegeben.
So in C. 3, sitzend in Aethelwold's Benedictionale (A. 1) und
in dem Email (S. 3).
IV. b. Die rechte Hand ist in den meisten Darstellungen
segnend gehoben 47 ).
So in der Elfenbeintafel c. S. V (B. 2 hier nach griechischem
Ritus) in B. 1, C. 1, C. 2, C. 4, F. 3, K. 3 u. s. w.
IV. c. Mit dem Wiedererwachen der Kunst weicht allmählich
diese feierliche Darstellungsweise einer Auffassung die mehr die
naiv kindliche Seite 48 ), als die welterlösende des angebeteten
44 ) Um nicht die für eine spätere Schrift bestimmten Belege trennen zu müssen, blich
hier die Nacktheit oder Bekleidetheit des Christuskindes unberücksichtigt.
45 ) daz hus, da unser frow sente MERie inne saz unt in ir schozze hete ir trut sun.
Deutsche Predigt (S. XIII). Iloffmann, Fundgrub. 1, 84.
46 ) Die Zahl jener die dem Christuskinde ein zweijähriges Alter hei Ankunft der Magier
heilegen, ist sehr gering; ein solches spricht ihm zu Epiphanius haer. 51. Eusebius
chron. cf. Trombelli Mar. S. vit. 3, 465.
47 ) Bruder Philipp (S. XIII p. m.) Marienleb. p. 71, v. 2592, edt. Rückert.
48 ) Et quando iutraverunt et adoraverunt eum, exultavit tune Filius meus, et prae
gaudio habehat tune faciem hilariorem. S. Brigittae Revelat. p. 467, cl. 2.
Sitzb. d. phil—hist. Cl. XXI. Bd. III. Hft. 22
314
Georg Zappert.
Christuskindes zur Anschauung bringt; es nimmt das dargereichte
Goldopfer entgegen 49 ) oder langt nach ihm, wendet sich der Mutter
zu, u. s. w.
So in G. 8, K. 2, N. 1, 0. 1, P. 2, P. 4, in der Biblia pau-
perurn etc. (Bildliche Darstellungen, in denen die heil. Jungfrau
die Geschenke der heil, drei Weisen an sich nimmt, ivie z. B. im
Sarkophag B. 12 dürften zu den seltenen zählen, obwohl Schrift
maler und Schaustellungen Maria in dieser Action vorfähren) 50 ).
D. Heil. Joseph.
S. Lucas berichtet (Evang. 2, v. 16) von der Anbetung der Hirten
„Et venerunt festinantes, et invenerunt Mariam, et Joseph“ und Dar
stellungen der Anbetung nahmen S. Joseph auch in die Anbetung der
h. Weisen hinüber, was sich bei cyklischen Darstellungen aus dem
Kindheitleben Christi gewissermassen von selbst ergab. In dem „Geu
des trois Roys“ (S. XV) erscheint S. Joseph unter den handelnden
Personen (Jubinal. Myster. inedt. 2, 109). Das Malerbuch vom Berge
Athos schreibt vor, dass Er hinter Maria stehe (Didron. Man. d'ico-
nog. p. 174).
In den Kunstmalern und selbst schon in jener ult christlichen
Zeit erscheint häufig S. Joseph in der Anbetung der Magier und
zioar meist im Hintergründe dargestellt. So an den Sarkophagen
A. 5, B- 3, ferner in Darstellungen, wie E. 1, F. 2, F. 4, G. 4,
G. 10, G. 11, M. 3, M. 6, N. 1, P. 3, P. 4, R.l, S. 1, M. 4 (hier
hält er das vom vordersten der Weisen dargebrachte Geräth in
Händen),
49 ) In der kirchlichen Schaustellung* der Anbetung der h. d. Könige zu Rouen über
reichten diese dem Christuskinde die Geschenke. Marten, d. ant. Eccl. ritib. 3,
12.2 d. edt. Antw. Das Christuskind nimmt die Geschenke entgegen. S. Fran-
cisca Romana (-{* 1450). Vision. A. SS. Mrz. 1, * 113 d. (Verdient dort nachge
lesen zu werden.)
B0 ) Maria daz oder nam.
Passional (S. XIII) 26, v. 36, edt. Hahn. In dem von Julius Zacher in Ilaupt’s Zeitsch.
f. d. Alterth. 3, 317, veröffentlichten mittelniederländischen Osterspiel überreichen
die drei Könige der h. Jungfrau die Geschenke.
Epiphania.
315
E. Der Stern.
Über die Natur jenes leuchtenden Himmelskörpers der sich den
Weisen als Leitstern erwies 51 ), hegen, wie wir im Folgenden erse
hen, kirchliche Autoren abweichende Ansichten 52 ).
I. Das Licht des Sterns war ein ungemein hellleuchtendes 53 ),
leuchtender als das der Sonne.
Haec stella suae solis rotam
Vincit decore ac lumine.
Prudentius (er. 405) hyrnn. d. Epiphan. (Daniel thes. hymnol.
1, 127. S. Maxim. Taurin (j- p. 465) homil. ap. Leo M. op. app.
179, el. 1, edt. Yenef. 1748. Albert. Mag. (f 1280) in Evang. Matth,
op. 9, p. 26, edt. Lugd. 1651.)
So sehen wir in S. 3 und S. 8 den Stern roth strahlend dar
gestellt und seine Strahlen wie Itadkruninizähne gestaltet, wahr
scheinlich um sein hellflammendes Leuchten zu veranschaulichen. In
T. 1 ist der Stern wie aus Weinheeren zusammengesetzt, vielleicht
gleichfalls um ein krauses flammendes Leuchten zu bezeichnen.
Fünfeckig erscheint er in B. 4. Sechseckig in S. 1. Sie
beneckig in C. 1. Achteckig in A. 4, B. 9, C. 3, C. 4, G. 2,
G. 3, II. 1, H. 2, N. 2. In der Wiener (S. XII), der Cölner Diöc.
entstammenden Handsch. (W. 4) ist er dem Nimbus der heil. Jung
frau eingezeichnet. Zehn eckig in S. 3, S. 8. Zwölfeckig in Ii. 3
und in mehreren Bildern der Zeit des XV. und XVI. Jahrhunderts.
Nach der Ansicht Einiger bewegte sich der Stern am Himmel,
nach der Anderer in der Luft nahe der Erde. (Trombelli Mar. S. vit.
3. Haymo (f 853) homil. p. 166, edt. Colon. 1534. Jacob, a Vorag.
(f c. 1298) Legend, aur. p. 91.) Ungefähr um das Jahr 1322 hatte
man an der Giebelspitze des Cölner Domes einen goldenen Stern
51 ) Im Heliand (S. IX a. m.) wird er „cunningsterro“ ( Königsstern) genannt, p.19, 1.10.
Der Stern der die Geburt Christi dem Könige anzeigte und zu ihm die Magier
leitete.
52 ) In einer Mysterie in einer Münchener Handschrift des XIII. Jahrh. bei Schmeller, Carm.
ßuran. u. Du Meril, Origin. latin. de theat. p. 198 ergehen sich die h. drei Könige
in eine gelehrte Discussion über die Natur des Sterns.
53 ) Job. v. Hildesheim berichtet von den orientalischen Schismatikern, dass jeder in
der Vigilie des Epiphanienfestes mit brennender Kerze seine Freunde besucht und
ihnen guten Tag wünscht, und das geschehe zur Erinnerung an den funkelnden
Stern der Weisen. Hist. tr. Reg. p. 38a, cl. 1.
22
316
Georg Zappert.
angebracht. Crombach p. 803. Boisseree, Gesellt, d. Dom. v. Cöln,
p. 16. Joh. v. Hildesheim berichtet (Histr. tr. Reg. p. 28 b , cl. 1) von
der Feier des Epiphanienfestes in der Kirche zu Bethlehem: In festo
Epiphanie domini So ist ain gross lautf des volkchs in die chirchen
— vnd an der Stat bey der kripp — do heten sew gewonhaitt auf
ze hohen ain grossen steren wol vber gold. der do ward getzogen
vnd regiert mit snuerren chunstleich von ain stat zw der andern in
der chirchen. (Deutsche Übersetzung Cod. palt. Vindob. Nr. 2856,
p. 147 a, cl. 1.) In dem feierlichen Dreikönigsaufzuge zu Mailand
(1336) scheint sich der Stern gleichfalls an Schnüren bewegt zu
haben. Et fuit stella aurea discurrens per aera. Gualuan, de la Flamma
ap. Murat. Scr. 12, 1017, d. An einem eisernen Drath in der Schau
stellung zu Costnitz (1417) : „Und hatten gemacht einen lautern
guldnen stern der ging vor ihnen an einen kleinen eisern Drat.“ (Herrn,
v. d. Hardt, Corp. act. Const. concit. 4, 1089.) In der kirchlichen
Schaustellung im Dome zu Rouen wurde ein Kronleuchter sternförmig
mit Kerzen besteckt, die, sobald die Procession im Schilfe der Kirche
angelangt war, angezündet wurden. Marten, d. antiqu. Eccl. ritib.
3, 122, d. cnf. Du Cang. gloss. 6, 368, cl. 1, nr. 2 (cnf. Anmk. 99).
II. Andere hegen die Meinung, dass der Stern ein Komet
gewesensei. Trombelli 3, 389. Jacob, d. Vitriaco (f 1244), sennones
p. 111. Jacob, a Vorag. Leg. aur. s. Anmk. 54.
In 0.1 wirft der Stern kometenartig ein Strahlenbüschel nach
unten, doch kann hiermit auch blos ein Strahlen des Sterns ange
deutet sein.
III. Einige hielten dafür, dass der Stern ein Engel gewesen
sei, der den Magiern in der Gestalt eines Sterns vorleuchtete. (Trom
belli Mar. S.vit. 3, 391. S. Ephrem op. graec. lat. 3, 603. Evangel.
Infantiae. ap. Thilo cod. apocryph. 1, 73. Auctor de mirabil. S.
Scriptur. (c. S. VII) ap. S. Aug. op. T. 3, P. 2, app. cl. 28 a, edt.
Maurin.) Der Stern war kein gewöhnlicher, sondern mit Engelsgeist
beseelter. (Theophil. BuIg.Episcop. (f p. 1071) inMattheum. op. 1,
p. 10 e, edt. Venet. 1754.) Auch sprechent ettleich der stern war
der heilig geist, der her nach erschain auf christo do man in tauft,
die andern sprechen ez war der engel der den hyrtten erschain.
(Durand [f 1296] Rat. offic. L. 6, c. 16, in deutscher Übersetzung
[1384] cod. palat. Vindob. Nr. 2765, p. 184 a.) In einem von einem
(weiter nicht näher bekannten) Mönche Onulphus gedichteten Dialog
Epiphania.
317
der Magier (Aureolus, Myrrheolus, Thureolus) wird der Stern redend
eingeführt. (Cod. palt. Vindob. [S. XIV], Nr. 941. Denis 1, 3055.
Du Meril orig. p. 151.)
Die bildende Kunst eignet sich diese Auffassung an, und wir
sehen statt des Sterns die heil, drei Weisen von einem
a. im Ganz leib dargestellten Engel geleitet, und »war:
a a. geht er vor den Weisen einher; so im Mcnologium des
Kais. Basilius (M. 3), ähnlich in Sculpturen (c. S. XIII ext.) zu
Pistoja (P. 4).
a ß. DerEngel schwebt über den Magiern. So in einem Ante-
pendium, dessen Abbildung Canciani Barbar, leg. 2, 337 gibt, und
in dem Mosaik (S. XIV) in S. Mar. Magg. zu Born (R. 3).
a y. Er steht bereits hinter der heil. Jungfrau, wie im
Relief der goldenen Pforte (c. 1200) zu Freiberg (V. 4).
b. Der Engel ist in von Wolken umhülltem Halb leib dar
gestellt. So sehen wir ihn schivebend in dem Wandgemälde
(c. S. XI ?) zu S. Urbano (TI. 4, hier sind die Weisen auf der Hin
reise begriffen). Im Basrelief (S. XIV) in N. D. zu Paris (P. 3),
in einer Elfenbeintafel S. XV (S. 4).
IV. Auch fand die Sage Verbreitung, dass der Stern in seiner
Mitte das Bild des Christuskindes zeigte. (.Munter, der Stern der Wei
sen p. 30. Abiilard. (f 1142) op. p. 769. edt. Ambois.) Bi si quam
ein lichter stern in eines Kindes formeschaft — ein cruce vf sime
lieubte ez trueh. (Passional (S. XIII) 24, v. 30 edt. Hahn. Bruder
Philipp’s Marienleben p. 62, v. 2262. edt. Rückert Nat. Bibi. 34, B.
Jacob, a Vorag. (f c. 1298) Leg. aur. p. 89, edt. Graesse.) Dieser
Stern batte zu jeder Seite Strahlenbüschel wie Adlerflügel und dieser
Stern zeigte die Gestalt eines Kindes und über ihm ein Kreuz 54 ).
Herold (1418), Discip. Serm. 21. edt. Nurnb. 1502.
In der von Joh. v. Hildesheim beschriebenen Weise sehen wir
den Stern dargestellt in einem Fresco des Tadd. Gaddi (geb. 1300)
in S.Croce in Florenz (Abbild. Lasinio pitt. di Masaccio Tav 16);
54 ) Sed ipsa stella prout in partibus islis in ecclesiis depingitur non fuit formata
sed habuit quamplurimos longissimos radios faculis ardentiores quasi aquila voli-
tans etc. Johann. HiUlesheiin (137b) hist. tr. Reg. mihi p. 7a, cl. 1. cnf. ibd.
p. 11b, cl. 1. Hier scheint die Ansicht, dass der Stern ein Komet gewesen, sich
mit der Sage der Kindesgestalt verbunden zu haben.
318
Georg Zai>pert.
dort erscheint er den auf der Bergwacht befindlichen Weisen 55 )
kometartig strahlend, in der Mitte das Christuskind, säuglings
artig geivickelt, zeigend. (In der Anbetung selbst sehen wir Gott-
Vater im Halbleib über Maria mit dem Christuskinde, wahrschein
lich um anzudeuten, dass dieses der Sohn Gottes sei.) Ferner
sieht man den Stern mit dem Christuskinde in der Mitte, in einem
dem Rogier v. d. Wey den zugeschriebenen Triptychon, dermalen
im k. Museum zu Berlin. (Kugler, Beschreib, d. k. Museums, 1,163.
E. Förster, Geschichte d. deutsch. Kunst, 2, 96.) Ein jugendlicher
Kopf in einer neunstrahligen Sonne erscheint bei Christi Geburt in
Wernher’s Maria (Durchzeichnung aus dem ehemaligen v. Nagier-
sehen Mscr. bei F. Kugler klein. Schriften, 1, 32). Auch die
Sage, dass unter den Vorzeichen die Christi Geburt ankündigten,
auch eines derselben geivesen sei, dass dem Kaiser Augustus am
Himmel eine Jung fr au mit einem Kinde am Arm erschien
(s. Massmann, kais. Chron. 3,334) 56 ), findet in dem oben angeführ
ten Triptychon des Rogier v. d, Wey den seine bildliche Veranschau
lichung (Kugler, Beschreib, d. k. Mus. 163, und noch in einem
andern Bilde dort p. 166).
Der Stern blieb auf dem Hause stehen, in welchem sich das
Christuskind befand (cnf. Evang. Matth. 2, v. 9. Serry Exercit. p. 243).
Nulli dubium est, quod stella — certum signum — stando supra
domum ubi erat puer, dederit. Haymo (f 8S3) homil. p. 173, edt.
Colon. 1S34. Heliand (S. IX a. m.), p. 20, 1. 7.
In bildlichen Darstellungen, besonders der früheren Jahr
hunderte, sehen wir den Stern meist vor den Magiern herleuchten.
Strahlend über der heil. Jungfrau mit dem Kinde erscheint er in
A. 4, G. 3 etc. Am malerischsten fasst ihn Rogier v. d. Wey den
55 ) Über die Bergwacht der Magier s. Auct. oper. imperfect. ap. S. Chrysosth. op. 6,
App. p. XXVIII, e. S. Francisca Romana (-J- 1450) Visio. A. SS. Mrz. 1. * 136 c.
56 ) Letztere Sage dürfte eine Erweiterung der des Sterns der Weisen sein, übertragen
auf die Vorzeichen bei Christi Geburt. Es scheint eine Verschmelzung beider in
Reinbot’s von Durne hl. Georg versucht. Er nennt die h. Jungfrau
Die vil susse lucerne
Du dry er konnige sterne.
Der h. Georg p. 28, v. 2846. In dem von J. V. Zingerle herausgegebenen : „Von
den heyligen drey künigen“ p. 2, sehen die Weisen, gleich dem Kaiser Augustus,
in dem Stern eine Jungfrau mit dem Kinde.
Epiphania. 319
auf (11.1), dort sehen wir einen Theil des Sterns hinter dem linken
Giebel der Baulichkeit hervorschimmern.
Über das Ende dieses Sternes herrschen zwei Ansichten. Die
eine geht dahin, dass er sich in seine ursprünglichen Stoffe auf
gelöst habe (Trombelli, Mar. S. vit. 3, Beleih, Rat. offie., c. 73), die
andere, bei weitem zahlreicher vertretene, lässt ihn in einen Brunnen
zu Bethlehem, aus dem die heil. Jungfrau zu schöpfen pflegte, fallen,
wo ihn nur jungfräuliche Augen zu erblicken vermögen. Gregor Tur.
(f S94) miracul. op. cl. 721, b. seq. Saewulfi (S. XII int.) peregrin.
ap. Relat. d. voy. 4, p. 268, Pet. Comestor (f c. 1178) hist. Evang.
c. 7, p. 187. Gervas. Tilberiens. (1211) Otia imperial, p. 888, ap.
Leibnitz scrip. Brunsvic., T. 1. Ettlich sprechent er uil in ain prunn
do er noch hewtt erscheint aber nur den innchvrawen (Durand,
•j- 1296, Rat. offic.L. 6, c. 16 in deutscher Übersetzung [1384] cod.
pal. Yindob. Nr. 2765, p. 184 a). Hans Werli v. Zimmer, Reise
(1483—1484) z. d. heil. Land. Reisehuch d. heil. Land. p. 259,
Nürnb. 1659. Erat. Felicis Fabri Evagator. (S. XV ext.) Biblioth. d.
liter. Verein, in Stuttgart 2, 448. Albertus de Padua (f 1328?) ver
wirft diese Sage. Serm. 18, edt. Ulm 1480.
F. Die heil. Weisen.
F. a. Ihre Zahl.
Eine allgemein angenommene Überlieferung setzt die Zahl der
heil. Weisen auf drei fest. S. Leo M. (f 461) serm. op. p. 29,
cl. 1, p. 32, cl. 1, p. 34 sequ. edt. Venet. 1748. S. Maxim. Taurin,
(f p. 465) homil. ap. Leo M. op. app. 179, cl. 2, edt. Venet. 1748.
Haymo (f 853) homil. p. 169, edt. Colon. 1534. Nescitur — quot fuerunt
numero. Tarnen tota Ecclesia reputat tres fuisse viros sapientissimos.
Albert. Mag. (f 1280) in Evang. Matth, op. 9, p. 24, cl. 2, edt.
Lugd. 1651.
Den Schriftmalern schliessen sich bereits die Kunstiverke alt-
christlicher Zeit an, und zeigen allenthalben drei Weise. Als
einzige Ausnahme dürfte vielleicht die Darstellung in dem altern
(433) Mosaik der Kirche S. Maria Maggiore in Rom gelten. Dort
sieht man nur zivei herankommen, doch kann vielleicht die dritte
sitzende Gestalt als dritter der Weisen gedeihet werden, da über
haupt die Auffassung des Vorganges auch darin ungewöhnlich er
scheint, dass das Christuskind nicht auf dem Schooss der Mutter,
320
Georg Zappe rt.
sondern auf einem diwanartigen Sitz thronisirt. (Abbild. Ciampini
Vet. monim. p. 200, Tbl. 40.J
F. b. Ihre Würde.
a) Kirchliche Autoren, gleich wie der grösste Theil der Chro
nisten, halten die evangelische (Matth. 2, v. 1) Bezeichnung „Magi“
fest. Sedulius (f 404) Opus paschal. 57 ). Prudentius (er. 405) hymn.
d. Epiph. (Daniel Thes. hymnol. 1, 127, S. Hilarius (f 449) hymn.
d. Epiph. Dom. ibd. 1, p. 4.) Im Missale Gregorianum: illud lumen
splendidum infunde cordibus nostris quod trium Magorum mentibus
inspirasti. (Murat. liturg. Rom. 2, cl. 17. cnf. Missal. Gothic, ibd.
cl. 541, 544.)
magosque duxit praevia
ipsius ad cunabula.
(Mone, Hymn. [dürfte ins VIII. — IX. Jahrh. zu setzen sein] 1, 28.
Im Heliand (S. IX a. m.) werden sie, die weisen Männer „thea uuison
man“ genannt, p. 21, cl. 2 (edt. Schmeller). Notker (-[- 912) sequ.
in Epiph. Dom. (Daniel Thes. hymn. 2, p. 9.) Petr. Damian (•[ 1072)
serm. op. 2, p. 1 seq. edt. Paris 1664. Hildebert. (f 1136) serm.
in Epiph. op. cl. 274, edt. Beäugend. Selbst der der Zeit und dem
Schauplatz der Übertragung nahe Afflighemer Fortsetzer Sigbert’s
bezeichnet sie, der prachtvollen Translation ihrer Leiber nach Cöln
gedenkend, als Magier 58 ). Pet. Comestor (f c. 1178) hist. Evang.
c. 7, p. 187 (edt. Lugd. 1543). Dodechinus (c. 1200) App. ad.
Marian Scot. (ap. Pistor. S. R. Germ. 1, 678, cl. 1. edt. Struve).
Petr. d. Riga (f 1209) Aurora (Cod. palt. Vindob. Nr. 973, p. 106 a).
Godefrid. (1237) Monachi s. Pantaleon. Colon, annal. ad an. 1164,
ap. Freher S. R. Germ. 1 , 336, edt. Struve. Aegid. Aur. Vall.
(c. 1251) ap. Chapeauill. Gest. pont. Leodiens. 2, p. 115. Albert.
Stadens. (-{- 1260) Chr. ad an. 1164, ap. Schilter S. R. Germ. p. 290.
Der Reliquienschrein der heil, drei Weisen in Cöln zeigt die
Inschrift:
Corpora sanctorum loculus tenet ipse Magorum.
57 ) Seine Verse gingen in das Brevier über. Daniel thes. hymn. 1, 147.
58 ) Corpora trium magorum a Reinaldo Coloniensi electo de ecclesia quadam civi-
tate Mediolanensi contigua translata sunt, et cum magno gaudio et exultatione totius
provincie, processione mirabiliter ordinata nec simili omnibus retro seculis visa
vel audita, civitati Coloniensi illata et in ecclesia sancti Petri reposita sunt. Sigbert
auctuar. Afligem. ad an. 1163. P. M. Germ. 8,405,1. 40. cf. ibd. Sigeb. contin.
Aquicinct. p. 409, I. 36.
Epiphania.
321
Gelenius d. admir. magn. Col. p. 233. Persische Magier und
Weise (aopoi) nennt sie noch der um die Mitte des XIV. Jahr
hunderts lebende Nicephorus Callistes in seiner histor. eccl. (1,
р. 73 b, edt. Paris 1630.) Joann. Iperii (f 1383) Chron. (Marten.
Thes. 3, 630 c). Nicol. Frescobaldi (c. 1384) Yiagg. in Egit.
e in terr. sant. p. 142 59 ).
Wir sehen daher auch in altchristlichen Darstellungen die drei
Weisen ohne Attribute höherer Würde blos in phrygischen Mützen
etc. erscheinen, s. Fd. I, a.
b) Unter Einfluss der vorbildlichen Verse des Propheten Isaias
с. 60, v. 1 seq. °°), welche die Epistel der Messe des Epiphanien
festes bilden, sehen wir im IX. Jahrhundert (vorläufig nur erst in mehr
erbaulichen als streng theologischen Schriften) neben der Bezeich
nung: „Magi“ auch die „Reges“ sich einführen. Das Menologium
Basilii Imperat. (S. X ext.) führt sie als Magier und Könige auf, 2,
p. 37. In einer von Du Meril (Orig. lat. d. theätr. p. 137) und
Weinhold (Spiele und Lieder p. 36) mitgetheilten kirchlichen Schau
stellung aus einer Freisinger Handschrift des IX. (?) Jahrhunderts
treten die Weisen als: Magus primus, secundus, tertius auf. Seite 61
(aus einer Handschrift des XI. Jahrh.) jedoch heisst es: Hos versus
cantent pueri in processione reg um, und später: nos sumus quos
cernitis reges Tharsis et Arabum et Saba. (Du Meril, Orig. lat.
p. 161 [cnf. ibd. p. 166] und Weinbold, Spiele und Lieder p. 61.
Gleicher Weise in einer Handschrift aus dem XI. Jahrh. des Klosters
Bilsen bei Lüttich in Chahier et Martin Melanges d. archeol. 1, 260,
cl. 2.) Ebenso werden die Weisen wechselnd bald Magi, bald
Reges genannt, bei Radulph. Ardens (c. 1040 —1100) homil. p. 61,
p. 62, edt. Paris 1364. Marbod. (]- 1123) op. cl. 1368. Mysterie
(S. XIII) bei Schmeller, Carm. Buran. u. Du Meril, Orig. p. 201,
p. 204, corpora trium Regum siue Mag orum — Rainaldus Colo-
niam transtulit. Vincen. Bellov. (-[• 1264) Specul. histor. p. 1189,
cl. 2, Duac. 1629. Ideo isti magi dicti sunt magi, non a magica
arte, sed a magnitudine scientiae, et ideo dicti sunt etiam reges,
59 ) Auch häufig in späteren Jahrhunderten und in der lithurgischen Sprache der Kirche
noch bis heute.
60 ) Et ambulabunt gentes in lumine tuo, et r e g e s in splendore ortus tui v. 3. cf. Pslm.
71, v. 10 et 11. cf. Anmerk. 63.
quia illo tempore Philosophi sapientes reguabant. (Nicolaus a Lyra
[-J- 1340] Biblior. saeror. cum glossa ordin. Venet. 1603, 3, p. 38,
cl. 2.) «)
c) Mit der Übertragung der Reliquien der heil, drei Weisen nach
Cöln tritt sporadisch ihre Bezeichnung einzig als „Reges“ im
nordwestlichen Europa ein, und mit dem XIII. Jahrhundert wird diese
Bezeichnung in populären, besonders volkssprachlichen Schriftwerken
die allein gebräuchliche. So ersucht Johann v. Salisbury (1166)
unter mehreren) den Meister Girard Pucelle, der sich in päpstlichem
Aufträge in Cöln aufhielt, ihm Reliquien der Könige und der Jung
frauen zu übersenden 63 ). In Bethleem — venerunt tres Reges Joan.
Wirzburgens. (c. 1130) Descr. terr. sanct. ap. B.PezThes. anecd. 1,
P. 3, 490 d. vidi tres Reges. S. Elisab. Schonaug. (f 1163) Visio.
A. SS. Jun. 3, 618 f. Wernher Maria bei II. Hoffmann Fundgrub. 2,
203, v. 32. Vom Leb. u. Leid. Jesu, ebd. 1, 144, 1. 17, 146, 1. 19.
Rudolf v. Ems (S. XII a. m.) Barlaam cl. 68, 1. 48, edt. Pfeiffer. Die
chintheit Jesu. Hahn Ged. des XII. und XIII. Jahrh. Nat. Bibi. 20,
p. 81, v. 44.
He sprach: Dorch den der stern erschein
Vnd wisete die drei Könige here
Der busze dir, kint, dyner herten swere.
Reinbot v. Durne der heil. Georg p. 22, v. 2127 edt. Hagen,
cnf. ebd. v. 2747. Bruder Philipp Marienleb. p. 68, v. 2473. Gesta
Romanorum c. 47. Alfons X., König von Castilien und Leon (1237
von einigen Kurfürsten zum deutschen Kaiser gewählt), verbot
(1232—1237) den Klerikern die Aufführung von Spottspielen in den
Kirchen, gestattet ihnen aber als der Gläubigkeit förderlich, Darstel
lungen aus dem Leben Christi, so die seiner Geburt, Verkündigung
der Hirten und Anbetung der drei Könige: Como era nacido, et otrosi
de su aparecimiento (d. h. eigentlich aus den am Epiphanienfest ge
feierten Erscheinungen Christi, es wird aber hier unter „aparecimiento“
auch Christi Geburt, also der ganze Weilmachts-Cyklus verstanden,
s. Anmerk. 1) como le venieron los tres reyes adorar ° 3 ).
61 ) Cnf. S. Francisca. Romana (f 1450) Visio. A. SS. Mrz. 1. * 113 a, *136 a.
62 ) De caetero jam porrectas itero preces, qualenus de reliquiis reg-um et virginum
mihi vestro aliquid transmittatis cum vestrarum testimonio litterarum. Joh. Sares-
beriens. op. 2, p. 25, edt. Giles.
63 ) Las siet, partidas d. R. Alfonso. L. 1, Tit. 6, Leg. 34. Tom. 1, 276. Madrid 1807.
a
Epiphania.
323
(Deutsches Lectionarium S. XIV. Cod. palt. Vindob. Nr. 2741, p. 8 b
aus dem Nonnen-Kloster Thalberg bei Bregenz).
Drey cbunig dort in oryent.
Pet. Suebenwirt (S. XIV p.m.) p. 129, v. 464. „Er den dreyn
Chunickch erschin ist mit dem sternCaspar walthasar melchior der
leichnam gefueret sind von mailan vncz gen choln, vnd sind ge-
hayzzen magi.“ Deutsche Übersetzung (1384) des Durandus cod.
pal. Vindob. Nr. 2763, p. 183*). Herold (1418) Diseipul. Serm. 21.
Geu des trois Roys. Jubinal Myst. ined. du quinzieme siecle 2, p. 79.
Hymnis laudum praeconiis
Deum cole Colonia
Trium regum reliquiis.
Hymn. am Festtage der Translation der heil, drei Könige (23. Jul.)
aus einem Merseburger Brevier S. XIV.—XV. Daniel thes. hymn. 1,
278. Do selbes derschein der stern der drin chünigen. (Leopold des
Lesemeisters Augustiner-Ordens auf Wunsch Johann’s von Liechten-
stain angefertigte Schrift über das heil.Land Cod. palt. Vindob. S. XV.
Nr. 3490, p. 98 b.)
Drie eoningben onbecande
quamen doen offerhande
uut Orienten lande.
(Niederl. geistl. Lied (S. XV) II. Holfmann v. Fallersleben Hör.
Belg. 2, p. 18 u. 10, p. 17, p. 19, p. 21, p. 23, p. 27, p. 33, p. 37,
p. 44.) Item da die drey Cbunig das opfer brachten. Hans Coplär's
v. Salczburg Reise (1461) in das heil. Land. Cod. palt. Vindob.
Nr. 3080, p. 5, cl. 1 «).
In welcher Weise die Anerkennung der Königswiirde der Ma
gier ihren Ausdruck in den Kunstgebilden fand, darauf ivird in
Fd., ivo das ihre Tracht Betreffende zusammengestellt ist, näher
eingegangen.
*) Das lateinische Original jedoch hat folgende Fassung: ad illam apparationein domini
que facta est magis per stellam, magi autem ipsi fuerunt Gaspar (ihre Namen und
Übertragung nach Cöln) et fuerunt reges, juxta illud psalmistae: Tibi offerent
reges etc. Durand. (-{- 1296) rat. offic. L. 6, c. 16.
64 ) Vrbd. Anmerk. 30—34.
324
Georg 1 Zappe r t.
Fc. Leibesgestalt.
I. Schriftmaler älterer Zeit gedenken keines Alteru nter-
schiedes der Weisen.
In den frühmittelalterlichen Jahrhunderten, in denen dem
grossem Theil der Künstler die Fälligkeit abhanden gekommen
war, die Altersstufe durch den Gesammtausdruck der Körperlich
keit zu veranschaulichen, muss uns der Bart als Altersmesser
dienen. Unbärtiges Kinn weist auf jugendliches, langer und längerer
Bart auf höheres und hohes Alter hin 05 ). In jenen Denkmälern
der Frühzeit, in denen alle drei Weisen more romano 06 ) mit glatt
geschorenem Kinn zur Darstellung gebracht sind, verlässt uns
jenes Alters-Criterium, und sie erscheinen alle drei als auf gleicher
Altersstufe stehend. Dies ist der Fall in den Kunstmalern alt
christlicher Zeit, in denen alle drei Weisen bartlos dar ge
stellt sind.
Aber auch in Kunstmalern nach-alt christlicher Zeit treffen
wir zuweilen ausnahmsiveise noch die Bartlosigkeit älterer Vor
bilder festgehalten, und zwar erscheinen
a. alle drei bartlos. In einem Elfenbeindeckel (je. S. IX)
aus Kl. Lorch (L. i). ln Aetlielwold’s Benedictionale S. X (A. 1).
An einer Bronze-Lampe c. S. X ? (jC. 2). An den Bronze-Tliüren
(10 IS) z. Hildesheim (H. 2). In einer Casula (je. S. XIII) aus
S. Blasien (jG. 3). In der Anbetung der Weisen von Rogier van der
Weyden (j ant. 1464) in München (R. 1).
b. Z w e i der Weisen. So in dem Wandgemälde (je. S.XI?)
S. Urbano (jR. 4). In der Anbet. d. Taddeo Gaddi (S. XIV m.)
in Florenz (G. 11).
Wenn der grösste Theil dieser Ausnahmen in der beherrschen
den Macht der Vorbilder altchristlicher Zeit, oder auch in der
Unwissenheit der Künstler ihre Erklärung findet, so müssen wir
bei Gebilden, wie die eines Taddeo Gaddi oder Rogier van der Wey
den, den Beweggrund des Verlassene in der in ihrer Zeit geltenden
65 ) Cf. Heinrich v. Meissen des Frauenlob (-J- 1318) Leiche etc. p. 84, v. 5 ff. edt. Ett-
raiiller 1843.
66 ) Der zum römischen Kaiser zu krönende deutsche König hatte zu diesem Act mit ge-
schornem Kinn zu erscheinen. Murat. Antiqu. 1, 101 d. P. Mon. Germ. 4, 188,1. 17.
Über das zu Alexander’s Zeit aufgekommene Abscheeren des Bartes s. K. 0. Müller,
Handb. d. Archäol. d. Künste, S. 330.
Epipliania.
325
Darstellungsiveise (Fc. II), in dem Einfluss äusserer Bedingnisse
suchen, und werden demnach in diesen bartlosen königlichen
Gestalten die Portraits der Bildstifter vermuthen dürfen,
die, wie im Geist, so auch im Bilde Christum anbetend dargestellt
sein tvollten.
II. Robert de Monte (1184) berichtete, dass Jemand der die
Leiber der Weisen in Cöln gesehen hatte, ihm mitgetheilt habe,
dass der eine, so weit man aus Gesichtszügen und Haaren schliessen
könne, fünfzehn, der andere dreissig, der dritte vierzig Jahre alt
gewesen sein mochte. (R. d. M. Chron. ad an. 1164. P. M. Germ.
8, 513,1. 49. Eine Stelle aus den dem v. Beda unterschobenen Collec-
tan. s. Anmk. 70). Das Malerbuch vom Berge Athos schreibt gleich
falls drei Altersstufen vor, der dritte werde bartlos dargestellt.
(Didron. manuel. d'iconograph. p. 159. G. Schaefr's Übersetz, p.
174.)
Viel früher jedoch als in Schriftmalern hatte sich in Kunst-
werken die Übung festgesetzt, die drei Weisen durch langen,
kurzen und noch mangelnden Bart, als auf den Altersstufen des
Greises, Mannes und Jünglings stehend, zu bezeichnen, und es ist ge
wöhnlich der Vorderste der Weisen durch den längsten Bart als
Greis, der Mittere durch kurzem als Mann, der Letzte noch
unbärtige als Jüngling gekennzeichnet. So im Sarkophag c. S. VI
(B. 6). Im Menologium Basilii S. X ext. (M. 3). Im Evangelia-
rium (1002—1024) zu Bamberg (B.14). In einer Elfenbeintafel
c S. XI (G. 9). Miniature (c. S. XI ?) einer Handsch. der Cotton-
sehen Bibi. (S. 11). An einem Kronleuchter c. S. XII a. m. zu
Aachen (C. 3). In einem Evangeliarium (byzant.) S. XII (A. 2).
Im Belief (fc. 1166) an der Facade von S. Andr . zu Pistoja (P. 2).
Miniature einer lat. Handsch. (S. XII) deutschen Ursprungs (A. 2).
Anden Korssun sehen Thüren ('S. XIIp. m.) zu Nowgorod (N. 4).
In einem Email c. S. XII (A. 4). Im Niello-Antependium (1181)
im reg. Cliorh. Stift Klosterneuburg (N. 2). In Herrad von Lands-
perg (f 1193) Hort, delic. (II. 1). Im Reliquien-Schrein (c.
S. XII, ext) zu Aachen (C. 1). Email (S. XII ext) aus Limoges
(S. 3). Im Relief des Rundb. der goldenen Pforte (c. 1200) zu
Freiberg (F. 4). In des Nicol. Pisano Marmor-Relief (1260) zu
Pisa (N. 1). Miniature S. XIII (W. 1). Sculpturen (c. S. XIII
ext.) zu Orivieto, unter Mithilfe deutscher Künstler ausgeführt
I
326
Georg- Zapp er t.
(0. 1). Giotto (1276—1336) in Florenz (G. 3). Wandgemälde
(S. XIV) zu Subiaco (S. 12). Elfenbein-Diptychon c. S. XIV ext.
(G. 7) u. s. w.
Ausnahmsweise erscheinen a) der Vorderste und Mittere der
Weisen mit gleich langem Bart in einem Email S. XII ext.
aus Limoges (S. 3). ß) Alle drei bärtig in G. 2. 7) Der Mittere
unbärtig, während der Vorderste und Letzte bärtig dar gestellt
sind, in einer Miniature (c. S. X?) Mscr. des Cott. Bibi. (S. 11),
an den Korssun'sehen Thüren S. XII p. m. (N. 4), in einem Email
c. S. XII (A. 4), in der Wiener Handscli. S. XII (W. 4), in dem
Relief des Nicol. Pisano (1260), zu Pisa (N. 1), in Giotto's (1267
—1336) Anbetung zu Florenz (G. 3, eine beinahe jungfräuliche
Jünglingsgestalt), ö) Der Mittere gleich demLetzten unbärtig
in G. 11, R. 4.
III. a. Schriftmaler der früheren Zeit erwähnen keines Unter
schiedes der Leibeshöhe der heil, drei Weisen.
Auch zeigen alt christliche Darstellungen der Magier kei
nen Unterschied, und sie werden alle drei als von gleicher
Leibeshöhe zur Anschauung gebracht.
b. Wir wissen nicht, ob aus der, späten Jahrhunderten an
gehörenden Sage von der Altersverschiedenheit der Magier (F c, II)
sich die ihrer verschiedenen Leibeshöhe, oder ob sie sich erst,
bildlichen Darstellungen nachfolgend, aus diesen entwickelt habe.
Nach Johannes v. Hildesheim (1375) hatten die heil, drei Weisen
jeder eine von dem andern verschiedene Leibeshöhe. Melchior —
minor in persona. Et Balthasar — erat in persona mediocris.
Ac Jaspar rex tlrarsis et ensule egrysoulle — erat in persona maior
(hist. tr. reg. edt. Mog. 1477, mihi p. 13 b, cl. 2). Sie waren über
haupt von geringer Leibeshöhe, denn je näher Völker dem Sonnen
aufgang zu wohnen, desto kleiner wird ihre Gestalt (ibd. p. 13 b,
cl. 2, cnf. ibid. p. 44 b, cl. 1).
In den bildlichen, meist der nach-alt christlichen Zeit angehö
renden Darstellungen erscheint in der Regel der Jüngste der
Weisen als der körperlich Höchste. Etwaige Ausnahmen wie in
B. 4, ivo der Vorderste, oder inB.2, wo der Mittere als der Höchste
erscheint, gehören zu den Seltenheiten und finden meist in der
pyramidalen Aufstellung in ivelcher Christus die Spitze bildet,
ihren Grund.
Epiphania.
327
Fc. IV. Leibesfarbe.
IV. a. Ecce Magi ab Oriente venerunt Jerosolymam; dieser
evangelische Vers (Matth. 2, v. 1), der die Magier als Orientalen
kennzeichnet, dient auch den Kirchenvätern als Richtschnur, und sie
bezeichnen sie einstimmig als Orientalen. So sehen wir die Weisen
auch im Heliand (S. IX a. m.) uueros ostan p. 16, 1. 14, gumon
ostronea p. 17, 1. 7, genannt (cnf. Jakob Grimm, Gramm. 3, 205).
Auch in Bruder Philipp’s (S. XIII p. m.) Marien-Leben kommen sie
daher.
in dem lant ze Oriente
daz ist in der werlt ende.
S. XIII p. m., p. 67, v. 2442 (edt. Rückert, Nat. Bibi. B. 34), wo
Orient im Sinne eines fern gelegenen Landes genommen ist. In der
Bestimmung jedoch, welches Land oder welche Länder des Orient
als Heimath der Magier zu gelten haben, darüber herrscht unter
Kirchenlehrern Verschiedenheit der Ansichten (s. Serry Exercit. d.
Christ, p. 236 seq.). Nach einigen kamen sie aus Chaldea 67 ), nach
Andern aus Persien oder Medien, Arabien oder Mesopotamien. (Serry.
p. 237 seq. Trombelli Mar. Sant. vit. 3, 344 seq.) Späterhin liess
man jeden der Magier einem andern Lande des Orients entstammen,
was auch in den kirchlichen Schaustellungen der Anbetung seinen
Ausdruck findet, indem jeder der Weisen aus einem andern Winkel
der Kirche hervorzutreten hatte: Interim magi, prodeuntes quisque
de angulo suo, quasi de regione sua, conveniant ante altare. (Wright
early myster. p. 24 (S. XIII); cnf. Du Meril, Orig. lat. d. theätr.
p. 164; Sehmeller, Carm. Buran. p. 86.) Auch das Officium von Rouen
schrieb vor, dass nach der Terz der mittlere der Könige von der
Ostseite (ah Oriente), der zweite von der rechten, der dritte von der
linken Seite der Kirche vortreten. (Marten, d. ant. Eccl. rit. 3, 122,
d. edt. Antw.) Auch bezeichnen sie sich in solchen Schaustellungen
als verschiedenen Ländern des Orientes angchörend; so in der lithur-
gischen Schaustellung (aus einer Freisinger Handschrift), wo sie von
sich angeben: „Chaldaei sumus.“ — Der erste dann: Impero Chaldeis.
67 ) Als Chaldäer bezeichnet sie auch Wernher (1173) Maria. Holl'mann v. Fallersl. Fund
grub. 2, 203, v. 33.
328
Georg Z a p p e r t.
— Der zweite Tharsensis es ) regio me rege nitet Zoroastro. Der
dritte: me metunt Arabes. — (Du Meril, Origin. lat. d. theät. mod.
p. 1S8, p. 160 u.165.) Gleiches in einer Handscli. S. XI bei Cahier
et Marten, Melange d’ archeol. 1. 260, cl. 2.
Diesen Unterschied der Nationalität deutet die bildende Kunst
bis zu Anfang des XV Jahrhunderts durch Verschiedenheit der
Altersstufe (Fc. II), der Leibeshöhe (Fc. 111, b) oder Tracht
(Fd.) an.
IV. b. Die Weisen repräsentiren die gesammte Heidenwelt, die
sich, vom Lichte der göttlichen Wahrheit geleitet, dem Heiland als
König der Welt huldigend nahen. VenantiusFortunatus (c. S. VII int.),
der die an der Wiege Christi sich versammelnden Völker in epischer
Weise aufzählt 69 ), führt unter ihnen auch Äthiopier vor:
Undique currentes ad nova dona patris
Aethiopes Thraces Arabes — Persa.
(op. 1, 286, edt. Rom 1786). ln dem Sinne, dass in den drei Weisen
alle drei Welttheile vertreten waren, führt ein Erklärer des XII. Jahr
hunderts auch Africa auf: Tres homines, tribus partibus orhis, Asiae,
Europae, atque Africae lidei confessionis, et adorationis exemplar
existere meruerunt. (Ruppert. Tuitiens. (f 1136) in Math. op. p. 13,
cl. 2, edt. Paris 1638.) ln den dem Reda unterschobenen Collec-
tanäen wird der dritte der Weisen als von dunkelfarbiger Haut be
schrieben: Magi — primus fuisse dicitur Melchior, senex et canus,
barbaprolixa et capillis — Secundus nomine Caspar, juvenis imberbis,
rubicundus — Tertius fuscus, integre barhatus 70 ). Diese Schrift
dürfte meines Dafürhaltens noch dem Ende des XII. Jahrhunderts
angehören. Die Stelle: „Quid stas, quod stupes bos Britannice? Sto,
stupeo, stimulum quaero, ut pugnam bovemGallicum (cl. 483)“ deuten
jedenfalls auf eine Zeit, in der England bereits im Kampfe (1187)
gegen Frankreich stand 71 ). Der Compilator dieser Schrift hatte den
68 ) Über Tarsis s. Ewald Gesch. d. Volkes Israel 3, 76 und Ritter’s Erdk. 14, 3o7 fl’.
Schon Willebrand ab Oldenburg (1211) klagt über die vielfachen Verwechslungen die
bei der geographischen Bestimmung dieses Ortes sich bemerkbar machen. Itiner. ap.
Leo Anat. Symmikt. 1, 136.
69 ) S. mein Virgil’s Fortleb. im Mittelalt. p. 11, Anmerk. 189.
70 ) Collectanea et flores. Beda op. 3, 481, edt. Colon. 1688.
71 ) Es kann nach dieser Stelle diese Schrift begreiflicher Weise auch ins XIII. Jahrh.
gerückt werden, hierüber jedoch wie über das etwa gar frühere Alter kann nur in
Epiphania.
329
Alters- mit dem Racen-Unterschied ungeschickt verbunden, indem
er dem dunkelfarbigen den längsten Bart zutheilt, während üppiger
Haarwuchs bekanntlich nicht unter die Naturgaben des schwarzstäm
migen Menschen zählt. Unter dem Einflüsse solcher vereinzelter
Aussprüche und dem der Messianischen Deutung des neunten Verses
des LXXI. Psalms stellte sich in populär gehaltenen Schriften mit Ende
des XIV. Jahrhunderts die Ansicht, dass einer der Weisen ein Neger
gewesen sei 72 ), als eine unbezweifelbare fest. Jaspar — erat— et
ethiops niger de quo nulli dubium. Nam inter allia eciam ait
propheta: Coram iilo procident ethiopes.
(Joan. Hildesheim [1375], Hist. tr. reg. p. 13 b, el. 2, cnf. ibd.
p. 31 b, cl. 2.) Endlich fand im XVI. Jahrhundert der Negerkönig
sogar in Sequenzen seine Anerkennung:
Gaudete vos fideles, gentium pars electa
Aethiopum nigredo in Judaeam est translata.
(Aus dem Valencianer Missale 1568, ap. Daniel Hymn. 5. 180.)
Die Sänger der Sternlieder blieben nicht zurück und es schwärzte
einer von ihnen sich das Antlitz.
Herodes sprach aus grossem Tratz
Ev warumb ist der Hinder so schwarz
0 lieber Herr er ist uns wohl bekannt
Er ist ein König in Morenland.
(Sternlied aus dem XVI. Jahrh., Nürnberg, gedr. F. Gutknecht. Docen
Miscell. 1,27 9 73 ). In dem von der Kremnitzer Sternspielbruderschaft
dargestellten geistlichen Spiel (Schröer im Weim. Jahrb. 3, 408)
wird der erste derKönige als der „rothe“, der andere als „schwarzer“,
der dritte als „grüner“ bezeichnet. Der erste und letzte tragen
Gegenwart verlässlicher Manuscripten-Verzeiehnisse englischer Bibliotheken ent
schieden werden, die vielleicht früherer Zeit angehörende Handschriften der Collec-
taneen bewahren.
72 ) Bei den Äthiopiern steht das Epiphanienfest in hohem Ansehen, und sie tauchen sich
an diesem Tage in das geweihte Wasser. Codin. d. oftic. cum observ. Gretseri
p. 228, edt. Paris 1648. Gelegentlich sei hier bemerkt, dass in Jean Bodel’s (S. XIII
m.J Jus de s. Nicholai die Bekehrung eines Königs von Tunis gefeiert wird. Mon-
merque et Fr. Michel, Theat. Fran$. p. 162 seq., p. 207 u. Le Roy Etud. s. 1. Myster.
p. 18. An diesem Festtage lesen in S. Peter zu Rom drei Zöglinge der Propaganda,
davon einer ein Neger, an drei Altären Messe.
73 ) In Schwaben schwärzt einer der Sternsänger als Mohrenkönig sich das Antlitz (Wein-
hold, Spiele 127).
Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XXI. Bd. III. Hft. 23
330
Georg Zappei-t.
ihre Bezeichnung zweifelsohne von der Farbe ihrer Kleidung. In
manchen Kirchen der Nieder-Bretagne wird noch bis heute die An
betung von Laien in Darstellung gesetzt, wo dann König Melchior
nicht versäumt sich als seinem schwarzen Vorhilde ebenfarbig zu
präsentiren. (Abbildung einer solchen Schaustellung in L’Illustration,
Paris 18SS, p. 421.)
Es scheint, dass Maler wie Gentile da Fabriano (1423) mit
dem Beispiele der Dunkelfarbigkeit vorangingen, und die farben
lustige niederländische Schule sich dem anschloss. Wir sehen hier
häufig einen, meist den letzten der Könige, das Antlitz in Nacht 74 )
getaucht mit demuthsvoller Freudigkeit dem Morgenrothe der
Erlösung entgegen gehen. So ist der letzte der heil, drei Könige
a) in den typischen Antlitzzügen und in der Hautfarbe des
Negers dar gestellt in der Anbetung des Van Eyck in München
(E. 1). (Man hielt an Höfen Mohren: A mondit seigneur le duc
(Charles d’ Orleans) pourjouer aux eschets contre Jouvenal, negre
du pays de Lombardie le X‘. jour du mois de muy, mil CCCCLVII
27. s. 6. d. De Labor de les Ducs de Bourgogne 3. art. 6977.
Den niederländischen Malern standen also schwarze Originale
vor Augen.) In einem Gebetbuche vom Jahre 1433 in der gross
herzoglichen Bibliothek zu Darmstadt Nr. 1972 (nach Waagen
aus Cöln stammend. Deutsch. Kunstbl. 1830, p. 307, cl. 2). In
einer Papier-Handschrift (Cod. palt. Vindob. Nr. 3083, p. 33 a)
vom Jahre 1473. In Memling's (c. 1480) sieben Freuden Maria’s
(M. 3). In dessen Reise-Altar Kaiser Karl's V. im k. Museum zu
Madrid. (Deut. Kunstbl. 1833, p. 217, cl. 1.) In einem Niello
(S. XV ext.) der k. k. Hofb. (N. 3). In einer Anbetung des Joh.
Mabus 1332 (s. nachfolgend).
b) Andere stellen ihn mehr als Mauren denn als Neger, mit
dem kaukausischen Typus verwandten Antlitzzügen und dunkel-
bräunlicher Hautfarbe dar 75 ). In der Anbet. des Gentile daFabriano
(1423) in Florenz (G. 1). (Hier erscheint der Mittere als der
74 ) liute vinster so diu naht
waren alle die von Zazamanc.
Wolfr. v. Eschenb. Parzival 17, 24, p. 20, edt. Lachmann.
75 ) Viele dieser Bilder kenne ich blos aus Beschreibungen, in denen keine Rücksicht auf
den Gesichtstypus, sondern einzig auf die Hautfarbe genommen ist, es dürfte daher
im Bilde sich manches anders gestalten als hier vorläufig angegeben wurde.
Epiphania.
331
Dunkelfarbige.) In Rogier van der Wey den des Altern (f ant.
1464) in München (R. 1). In Paul Veronese (1328—1588) in
Dresden (P. 1). In des Johann Mabuse ff 1532) Anbetung (im
Resitz des Grafen Carlisle) sind beide Spielarten repräsentirt. Es
erscheint links vom knieenden König eine Gruppe mit dem Mohren,
rechts eine mit dem braunen König. (Deutsch. Kunstbl. 1852, p. 16.)
c) Zioar im Ne g e r- Typus, jedoch nur mit stark gehr ü unte r
Haut erscheint er in Francesco Francia (f 1517) in Dresden
(F. 3). In Rogier van der Weyden Triptychon im k. Museum zu
Berlin. (E. Förster, Gesch. der deut. Kunst, 2, 96.)
d) Andere stellen ihn zwar im Neger-Typus dar, vermeiden
jedoch ihm das Gesicht zu schwärzen, so dass er sich uns gewisser-
massen als weiss gewaschener Mohr vorsteilt. So in des Alb.
Glockendon (geb. 1423) Kupferstich (G. 2). Mich. Wohlgemuth
(1479) in Zwickau (W. 2). In Mart. Schöngauer Kupferstich
1582 (S. 1). Im Dombilde (c. S. XV ext.) zu Meissen (M. 1).
So bereitwillig die Kunst allenthalben in Betreff der Anerken
nung der Königswürde der Weisen sich der Tradition anschloss
(Anm. 80) um so zögernder folgte sie der des Negerabstammes eines
der Könige. Schwarz galt als dämonische Farbe 76 ) und Künstler
trugen mannigfach Scheu den königlichen 77 ) Anbeter Christi in
die Leib färbe des Teufels zu kleiden, wozu sich die Abneigung
gegen schwarze Mcnschenrace gesellen mochte 7S ). In den eben in
76 ) Parziv. 51, 24, 463, 14. Ich habe darüber für andere Zwecke zahlreiche Belege
gesammelt.
77 ) Auch der Andeutung- ßeleth’s, dass der Apostel Andreas als Schwarzer darzustellen
sei, gab die Kunst in ihren Darstellungen keine Folge. Cognoscere operae precium
est Andraeam colore fuisse nigro, barba prolixa ac statura mediocri. Hoc ideo a
nobis dictum sit ut sciatur qualis in Ecclesia pingi debeat. Beleih, (c. 1182) Rat. off.
c. 164, p.305. Personen jedoch mindern Standes finden wir häufiger als Neger
veranschaulicht. So erscheint Candaces, Eunuch der Königinn von Äthiopien, den
der Apostel Philipp bekehrt, mit schwarzem Antlitz und Händen und kurzwolligem
Haupthaar dargestellt im Menologium Basilii imp. (S. X ext.) 1, 111. Darstellung
von Äthiopiern ehd. 2, 104. Die Kaufleute welche Joseph kaufen, sind als Mohren
dargestellt in K. Wenzel’s Bibel Cod. palt. Vindob. Nr. 2759, p. 38 a. Auch finden
wir in Bildern der Anbetung, die den König nicht entschieden als Mohren darstellen,
ihm dennoch ein reiches Negergefolge beigegeben, z. B. in P. 1, G. 4 etc.
78 ) Aethiopia enim abiecta et vilis latina interpretatione Signatur. Quid autem abiectius
nostro corpore? Quid tarn Aethiopiae simile, quod etiam nigrum est quibusdam
tenebris peccatorum? S. Ambros (*{* 398) d. parad. op. 1, 151 e, edt. Maurin.
23 #
332
Georg Z a p p e r t.
c. und d. aufgeführten Anbetungen verräth sich das Streben,
jene Färbung zu umgehen, und trotz des Vorganges niederländischer
und anderer Künstler gelang es während längerer Zeit dem
dritten der Könige nicht, sich allgemein als Negerfürst in populär
bildlichen Darstellungen einzuführen. Lindanus (Inquisitor in
Holland und Friesland, j-1588j bemerkt in seiner Panoplia Evang.
p. 481, edt. Colon. 1373, dass in Cöln sehen Kirchenbildern keiner
der Könige als Mohr dargestellt werde. Gleiches finden wir in mit
Holzschnitten illustrirten Druckwerken, wie in der Biblia paupe-
rum, in der deutschen Bibel, Nürnberg, gedruckt von Koburger 1483,
2, p. 494b. (Hain, Repert. Nr. 3137). Deutsches Evangeliarium
gedr. zu Augsb. 1486, p. 27. (Hain, Nr. 6734.) Biblia volgare
hystoriata stampata nel alma Citta de Venetia (1492) 2, 121.
(Hain, Nr. 3137.) Biblia in vulgär. Venetia per Lazaro de Soardi
et Bernardino Benalio MCCCCCXVII, p. CXV1. Deutsche Postille
MDXX1I. Basel, p. 33. Biblia Excud. Fran. Gryphius MDXLI,
p.438 b.LaSainteBible,aLyon,parBalthazarArnoulletMDXXXXX,
p. 2. Bibi. Sacr. Lugd, MDLXlX,p. 331.Novi Testam. edt. postrema
per D. Erasm. Roterodam. Figur, in O/fic. Froschouiana Ann.
MDLXXV, p. 2 b. (Hier im Neger-Typus, jedoch nicht sclnvarz.)
Biblia, Venetiis apud Haered. Nicol. Beuilaquac et socios.
MDLXXXI1I, p. 832. Epistole et Evangelii. In Venetia appresso
Gio. Bat. Galignani MDLXXXXIX, p. 61 (mit Kupferstichen).
Gregor der Grosse (-{- 604) verbot Afrikaner zu den h. Priesterweihen zuzulassen
(Greg. M. op. 2, 600 b, edt. Maurin.), doch nicht ihrer Leibesfarbe, sondern ihres
Manichäismus halber. Trotz dem dass die Kreuzheere öfter mit Negern in Berüh
rung kamen (cnf. Wilhelm Tyr. [-J- p. 1178] p. 966, 1. 20), erhielt sich doch die
Scheu vor ihnen. Post hos (vor Akkon 1191. August.) accurrebant gens larvalis
colore nigerrimo, quae etiainnon inconvenienter ex re noinen habent, quia
sicut suntnigri, vocantur nigreduli. Iter. Richard, ap. Gale Scr. 2, 366. erat quaedam
gens larvalis — naturis deformis — nigriore colore etc. iluKp. 276. cf. Roland. Liet.
p. 223, v. 6, edt. W. Grimm. Als die Venetianer mit den Griechen die von Siciliern
besetzte Insel Corfu belagerten, entstand zwischen ersteren Streit. Die Venetianer
trieben Spott mit den Griechen und setzten, um sie zu verhöhnen, einem „schwarzen
Äthiopier“ (xeXaivoxpüjxd xiva AlfKoTta) eine Krone auf (in Beziehung auf Kaiser
Manuel). Nicetas. p. 116, edt. Bon. Fuit autem (Kaiser Manuel) carne et capillo
niger, unde et cognomento dicitur ctiam hodie Maurus. Willi. Tyr. (-{- p. 1178)
hist. p. 886,1. 64. In Wolfram v. Escbenbach’s Parzival findet diese Abneigung gegen
sehwarze Menschenrace rühmlicher Weise keinen oder nur sehr milden Ausdruck,
und Feirefiz bleibt trotz seiner dunkelfarbigen Abkunft der liebe Halbbruder Parzival’s.
Epiphania,
333
Als Neger dargestellt fand ich in den zu meiner Kenntniss
gekommenen illmtrirten Druckwerken der heil. Schrift etc. den drit
ten der Könige blos in einem Missale gedruckt bei Geoffroy und Simon
du Bois zu Paris (1323?), hier erscheint der Mohrenkönig blos mit
einem Schurz um den Leib und. der Krone auf dem Haupte. (Dibdin
Decam. Facsimil 1,9 7.) Im Novum Testamentum Argentor. Expensis
Tlieodos Richelii et Sam. Emmelii MDLI, p. 2. In der illuminirten
Biblia Sacra, Antverpiae, Ex o/fic. Christ. Plantini MDLXXXIII
sehen wir ihn kupferbräunlich gefärbt; es scheint, als wollte man
die Entdeckung Amerika’s benützen, um unter der Gestalt eines
Indianers auch den vierten Welttheil in den Anbetungsbildern
repräsentirt zu sehen.
Erst Paul Caliari's (f 1388) glänzende, mustergiltige Dar
stellungen unseres Gegenstandes scheinen allmählich dazu beige
tragen zu haben, die Emancipation des Negers im Kreise der Anbe
tungsbilder vollenden zu helfen, und wir sehen nun in dem grössten
Theilder illustrirten Druckwerke des XVII. und der folgenden Jahr
hunderte den dritten der Könige als Mohrenfiirsten dargestellt.
Fd. Tracht.
I. Ko pfb eil ec kung.
I. a. In den Denkmälern altchristlicher Zeit die die heil,
drei Weisen nur als Magier kennt, erscheinen sie in phry gischen
Mützen, um sie als Fremde, von ferne Ilerkommende zu kenn
zeichnen , und ausnahmsweise in solchen auch noch in Darstellun
gen späterer Zeit. So in einer Bronzelampe c. S. X? fC. 2). In
dem Wandgemälde (c. S. XI?) zu S. Urbano (R. 4).
Darstellungen, in welchen die Weisen mit gänzlich mangeln
der Kopfbedeckung, barhaupt veranschaulicht sind, zählen zu den
Ausnahmsfällen. In dieser Weise sehen wir sie dargestellt in den
Sarkophagen B. 6 und B. 13, ferner in den Korssun sehen Thüren
(K. 3 alle drei, cnf. Anmk. 81), in Nicola Pisano's Marmorrelief
(N. 1 den letzten). In den Scidpturen (c. S. XIII ext.) in S. Giov.
zu Pistoja erscheinen alle drei barhaupt, ivorin wir besonders in
beiden letzteren Beispielen das Streben, die Gestalten in antiker
Weise (s. K. 0. Müller, Handb. d. Arch. d. K. §. 338) vorzu
führen, zu erkennen vermögen (cnf. Fc, XII c, ß). In Bildern
jedoch wie das Wandgemälde nahe S. Agnese (R. 2) oder in Mart.
334
Georg Zappert.
Schöngauer s Kupferstich (S. 1) etc■ wird der barhäuptige als mit
abgelegter (s. Tracht I, d, a und ß) Hauptbedeckung gedacht.
I. b. Mit einer Art persischer Kegelmütze ?3 ). So in einer
Kupfermünze des Joan. Zimisces f 973 (B. 1). In einer Mosaik
tafel (byzant. c. S. XI) zu Florenz (G. 10). In einer Elfenbein
tafel c. S. XI (G. 9). In einem Evangeliarium (byzant. S. XII)
der Vaticana (A. 2). Es erinnert jedoch diese Koiifbedeckimg an
den Kalathos der Kanephoren, er deckt ihnen, wie häufig dieser,
blos das Vorderhaupt (s. E. Gerhard, Antik. Bildw. Taf. 94, Taf.
303,Nr. 27, oder derSerapiskopf Taf'.307, Nr. 21, cnf. Montfauc.
Ant. expl. 2, P. 2, PI. 121, Nr. 1, cnf. ibd. 1, PI. 2, Nr. 12) und
soll vielleicht auch bei den königlichen Weisen eine Art llochkrone
veranschaulichen. Man vergleiche hiermit die Kronen der heil,
drei Weisen im Menologium des II. Basilius (AI. 3). In der hier
mitgethcilten Abbildung (Nr. II) aus der griechischen Handschrift
der k. Hofb. in Wien (W. 3) erscheinen sie in einem Diadem das
an der Vorderstirne ein goldenes Rund zeigt. Die Kopf-Gebetr iemen
der Israeliten zeigen dermalen noch ein viereckiges Kästchen das
Ähnlichkeit mit derartigen Diademen zeigt.
I. c) Die Krone.
Bereits Schriftwerke des X. Jahrhunderts gedenken der Magier
als Könige (s. Anm. GO—64). Die heil. Elisabeth von Schönau (-[-1165)
sah in einer Vision: tres Reges coronatos stantes ante thronuni.
A. SS. Jun. 3, 618 ff. Ebenso Agnes Blannbeckin (f c. 1298). Vit.
et revel. p. 242. Cölnische Goldgulden zeigen bereits im Jahre 1240
neben den Namen auch die drei Kronen der Könige (Cappe, Beschreib,
der Cöln. Münzen, p. 269). Die Darsteller der heil, drei Könige in
der Rouener Domkirche trugen Kronen über ihre Kappen. (Marten,
d. ant. Eccl. ritib. 3, 122.) Die sagenhafte Pracht der Krone König
Melchiors beschreibt Job. v. Hildesheim: do was besunderleiche
ain dyadem gülden dye was getziert mit margaritten vnd mit andern
chostleichen gestain vnd obenn auf der dyadem do stuenden chal-
deisch puechstaben mit dem tzaichen des heiligen chrewtz vnd auch
79 ) Nach Einigen waren die h. d. VV. Perser, s. nach Anmk. 67.
Epiphania. 335
steren in der gestalt vml forem des steren der an der heiligen wein
nachtnacht erschain den Ersanien drey kunigen 80 ).
Allgemeiner jedoch als in Schriftmalern fand die Würde der
heil, drei Weisen als Könige Anerkennung in den Werken bilden
der Kunst. Wir sehen sie gekrönt im Menologium Basilii S. X
ext. (M. 3). In Aethelwold's Benedictionale S. X (A. 1). An den
Bronzethüren (1015) zu Hildesheim (II. 2). An den Thürflügeln
(c. S. XI) zu Cöln (K. 1). Im Antependium. (1143 —1144) in
Citta di Castclio (C. 4). Kronleuchter (c. S. XII a. m.) zu Aachen
(C. 3). Belief (c. 1166) an der Fagade von S. Andr. in Pistoja
(P. 2). Im Niello-Antepend. (1181) im regl. Cliorh.-Stift Kloster
neuburg (N. 2). Relief (c. S. XIIint.) an der Fagade von S. Zeno
(V. 1). Miniature (S. XII) in Ilandsch. der Vaticana deutschen
Ursprungs (A. 3). In einer Casida (c. S. XII?) aus S. Blasien
(G. 2). Im Psalterium des heil. Ludwig f 1270 (S. 8). Bild
werke des XV. Jahrhunderts, besonders die niederländischer und
niederdeutscher Sclmle, zeigen häufig die Könige (in Sonderheit
die beiden vorderen) in umkröntem Barett, was der Geschmacks
richtung jener Zeit-die alles in möglichst reale Gegenwart gerückt
sehen wollte, unzweifelhaft entsprach. Das Ilmeinbringen von Por-
traits zeitgenosslicher Individuen in die Composition begünstigte
die anachronistische Darstellung heiliger Personen altchristlicher
Geschichte in der Zeittracht des XV. Jahrhunderts. Überdies waren
die Mäcene der flandrischen Schule blos Herzoge, und das Barett
malerischer als die Krone.
I. c. a. Um, wie es scheint, die Stammesverschiedenheit der
heil, drei Könige auch in ihren Kronen zur Anschauung zu bringen,
sehen wir zuweilen jeden derselben in einer ander s g eformten
Krone dargestellt (cnf. Anmk. 80). So im Niel. Antep. (1181) im
reg. Chorh. St. Klosterneuburg (N. 2). In einem Email c. S. XII
(A. 4). In einer Casula (c. S. XIII) aus S. Blasien (G. 3). ln
80 ) Cod. palat. Vindob. Nr. 28!S6, p. 121 a, cl. 1, im latein. Original mih. p. 2 b. Mo-
gunt. 1477. cf. Anmk. 94. Mächtigere Könige trugen grössere Kronen. So trug
Kaiser Karl der Grosse eine um einen Fuss höhere Krone als König Hugo v. Konstan-
tinopel, der sich als Lehensmann des Kaisers bekannte.
Karlemaines portet la granfc corone a or,
Li reis Hugun la sue plus basement un poi.
Charlemagne, p. Michel, p. 34.
336
Georg; Z a p p e r t.
den Scidpt. zu Oriyieto c. S. XIII ext. (0.1) (der dritte der heil,
drei Könige hat bereits hier eine turbanartige Hauptbedeckung, in
der er so häufig in den Bildern des XV. und in den der folgenden
Jahrhunderte erscheint) etc.
I. d. Die heil, drei Könige erscheinen nicht immer mit der
Krone auf dem Haupte, sondern haben diese (meist der vorderste)
abgelegt, und zwar:
I. d. a. auf's Knie. So im Niel. Antepend. (1181) im reg.
Chorh. St. Klosterneuburg (N. 2). In den Sculpturen (c. S. XIII)
an der Liebfrauenkirche zu Trier (T. 1). In einem Miniature
S. XIII ( W 1).
Ausnuhmsiveise hat im Cod. Arundel S. XIV (B. 13) der Vor
derste der Könige die Krone wie ein Armband am Arm hängen.
I. d. ß. Oder der Vorderste legt seine Krone dem Christuskinde
zu Füssen auf den Boden nieder. So in der Anbetung Giotto’s
(1276 — 1336) in Florenz (G. 3). Im Wandgemälde (S. XIV)
zu Subiaco (S. 12). Belief (S. XIV) in Not. Dame zu Paris (P. 3).
In einer Anbetung der Cölner Schule c. S. XIV ext. (K. 2). Hier
hat nicht blos der Vorderste, sondern auch der Mittere das Barett
zur Erde gelegt. In Rogier van der Wegden (f ant. 1464) in der
k. Pinak. zu München (B. 1, hier das Barett). In einem Nicllo
d. Maso Finiguerra (S. XVp. m.) in der k. k. Hofb. (F. 2). In der
Biblia pauperum. In einem Niello (S. XV ext.) der k. k. Hofb.
(N. 3).
I. e. Nimbus. Schriftmaler sind mit Ertheilung des „beatus“
oder „sanctus“ an die heil, drei Könige ziemlich sparsam. Crombach
theilt p. 776 eine Urkunde des Erzbischofes Philipp vom Jahre 1188
(ohne Tag) mit, in der es heisst: quae ad sancta Regum corpora
offeruntur. (Crombach gibt nicht an, ob ihm das Original oder blos
eine Copie vorlag.) Beatorum trium mag. sive Regum. Urk. des
Cölner Domcapitels v. J. 1294, ebd. p. 819. Heilige Kunige. Deutsche
Predigt (S. XIII). HofTmann, Fundgruben 1, 85.
Im ersten, unter Erzbischof Heinrich 1307 abgehaltenen Cölner
Diöcesan-Concilium werden sie als „beati“ aufgeführt. Et volumus,
crastinum B. Mariae Magdalenae quo corpora trium REGUM Beatorum
Coloniam pervenerunt. Hartzheim, Concil. Germ. 4, 108, cl. 1.
Bruns altplattdeutsche Gedichte, p. 1, v. 2; p. 83, v. 1261. Trium
sanctorum Regum. Bulle des Papstes Johann XXII. zur Förderung des
Epiphania.
337
Dombaues zu Cöln, 1327. Jul. 1. Cromb. 818. In deine iare cristi
MCLXIII do wurden ghenomen de hilghen dre koninghe von meylan.
(Detmar d. Lesern. [1395], Chronik, p. 48, edt. Grautoff.) Der
Übersetzer des Joan. Hildesheimensis (Cod. pal. Vindb. Nr. 2856)
gibt das „beati“ des Originals mit „ersamen“ wieder, und setzt diese
Bezeichnung auch häufig ihnen dort vor, wo sie im Originale fehlt.
In der auszugsweisen freien Übertragung im Cod. palt. Vindb.
Nr. 3080 heisst es jedoch „heiligen“. Ein chvnieh von Tennemarch,
der het die drey heiligen ehvnich in eren. Gesta Rom. (Cod.S.XV)
p. 43, edt. Keller. Wie wir eben bei Besprechung der Königswürde
der heil, drei Könige (nach Anm. 61) zu bemerken Gelegenheit
fanden , dass deren Anerkennung am bereitwilligsten in volkssprach
lichen Schriften sich kund gibt, so fanden wir Gleiches auch in Er-
theilung des „ehrsamen“ und „heilig“.
Noch sparsamer als Schriftmaler mit dem „heilig“ erweisen
sich Kunstmaler mit Ertheilung des Nimbus an die heil, drei Kö
nige mul sind mir nur vier Anbetungsdarstellungen bekannt gewor
den, in denen das Haupt der heil, drei Könige mit dem Nimbus
geziert erscheint. Im Niello-Antepend. (1181) im reg. Chorh. St.
Klosterneuburg (N. 2). In einer Casula (c. S. XIII) zu S. Blasien
(G. 3). Im Wandgemälde (S. XIV) zu Subiaco (S. 12). In der
Anbetung des Gentile da Fabriano (1423) in Florenz (G. 1).
II. a. Gewandung.
In Denkmälern altchristlicher Zeit sehen wir die drei Weisen
meist mit Chlamis und Tunica bekleidet (cnf. K. 0. Müller, Handb.
der Archäol. §■ 337). Die bemerkenswertlieste derartige Bekleidung
erscheint am Sarkophage (B. 4).
Ausnahmsweise erscheinen sie in ähnlicher Bekleidung auch
noch in Darstellungen späterer Jahrhunderte. So in einem Elfen
beindeckel (c. S. IX) aus Kl. Lorch (L. 1). In Aethelwold's Bene-
dictionale S. X (A. 1). In einer Kupfermünze des Joan. Zimisces
f 973 (B. 1). Im Evangeliarium (1002 —1024) zu Bamberg
(B. 14). Im Relief (1166) zu Pistoja (antik drapirt, P. 2).
Miniature (S. XII) in Handsch. des Vaticana deutsch. Ursprungs
(togaartiges Oberkleid, A. 3). In des Lor. Ghiberti(1378—1433)
Bronzethüren (antik drapirt, G. 4).
Eine Darstellung, wie die in dem Holz-Basrelief (S. XIII) der
Pforte v. S. Sabina in der sie nackt, blos mit einem Lendenschurz
338
Georg Zappert.
bedeckt erscheinen, müssen wir für eine gedankenlose Nachahmung
einer dem Künstler etwa in Rom vorstehenden Antike arischen.
II. b. In Kunstmalern nach-alt christlicher Zeit erscheinen
die heil, drei Könige meist in der königlichen Gewandung sl ) des
Anfertigungslandes der Darstellung. Im Menologium des K. Basi
lius (M. 8) sehen wir sie in straff' anliegenden Beinkleidern und
buntstoffiger, persisch 83 ) sein sollender Gewandung dargestellt.
Der Kleiderstoff trägt Ähnlichkeit zu dem, in welchem die byzan
tinischen Kaiser gekleidet erscheinen. In manchen Darstellungen
macht sich das Streben bemerkbar, die Stammesverschiedenheit
(s. nach Anm. 67) der heil, drei Weisen auch durch
II. c. Verschiedenheit ihrer Anzüge zu veranschaulichen.
So beschreibt Agnelli (c. 842) ein in der Kirche des heil. Martin zu
Ravenna befindliches, die Magier in verschiedenfarbiger Gewandung
darstellendes Mosaik (S. VI p. m.), und unterlegt dieser symbolische
Deutung. Wir geben sie an folgend in ihrer Ausdeutung der Farben S3 )
des Unter- und Obergewandes. Sed tarnen (magi) cum variis
vestimentis, et non omnes unum indumentum habuissent depicti sunt,
idcirco quia ipse divinam pictor secutus est Seripturam. Nam Gaspar
aurum obtulit, in vestimento hyacintbino, et in ipso vestimento con-
jugium significatur. Balthasar thus obtulit, in vestimento flavo, et
in ipso vestimento virginitatem significat. Melchior mirrham obtulit
in vestimento vario, et in ipso vestimento poenitentiam significat.
Ipse qui praevius erat purpurato sago indutus, et per cundem,
significat ipsum Regem natum et passum. Qui autem in vario sago
obtulit, significat in eodem omnes languidos Christum curare, et
81 ) In der ganz ungewöhnlich gehaltenen Darstellung der Magier an den Korssun’schen
Thiiren erscheint der Vorderste in der Gewandung eines Anachoreten, ähnlich dem
des h. Johannes des Täufers, und dürfte hier die Auffassung, dass die Magier Priester
waren (Calmet. Dissert. in Evang. Matth, p. 8, Trombelli 3, 341, cf. Anmk. 133),
massgebend gewesen sein. Der Vorderste der Magier tritt auf ein Schwein, wahr
scheinlich das Judenthum, der Mittere auf eine Krone, vielleicht die des Ilerodes, der
Letzte auf ein nacktes Kind, vielleicht den besiegten Moloch-Dienst (das Heidenthum)
veranschaulichend.
82 ) Auch andere heidnische Völker erscheinen dort in ähnlicher Weise bekleidet. Z.B. 2,
p. 31, p. 36, p. 42 etc.
83 ) Über die verschiedenfarbigen Ornate der byzantinischen Kaiser s. Constantin Por-
phyrog. (-{* c. 939) d. caerem. 1, 187, edt. Bonn. Wilhelm. Tyr. ap. Bong. Gest. Dei
p. 883, I. 32, 887, 1. 41. Über farbige Kirchengewandung s. Saussay Panoplia. 1?
483 seq. 2, p. 23. Paris 1681 u. M. Gerbert Vet. lithurg. Alem. 1, 270.
Epiphania.
339
variis injuriis, et diversis Judaeorum verberibus flagellari. — Qui
vero in candida munus obtulit, signißcat eum post resurrectionem
in claritate esse diyina 84 ). Der Compilator der dem Yen. Beda unter
schobenen Collectaneen (cnf. Anm. 71) beschreibt gleichfalls ihre
farbig verschiedene Tracht. Melichior — tunica hyacintbina
sagoque mileno, et calcearnentis byacinthino et albo mixto opere, pro
mitrario variae compositionis inductus — Caspar — mylenica tunica,
sago rubeo, calcearnentis hyacintinis vestitus — Balthasar-— babens
tunicam rubeam albo vario, calcearnentis milenicis amictus 8ä ).
Agnes Blannbekin (f c. 1298) sali in einer Vision die Könige,
jeden mit einem Mauteisack auf dem Rücken herbeireiten 86 ). Der
erste und ältere König: indutus erat per totum albis vestibus,
tunica scilicet et supertunicali, et chlamyde, quam chlamidem circum-
dabat sibi, sicut depinguntur Apostoli: der Mittere erschien in der
selben Tracht, doch waren die Kleider zweifarbig: id est colore
Jaeynthino et nigro permixto 87 ): Die Gewandung des dritten
warröthlich. (Agn. Blannb. p. 242.) Die sei. Veronica sah in einer
Vision die heil, drei Könige in goldreiche, bis zu den Knieen rei
chende Kleider gehüllt. (B. Veron. d. Biasnaco -j- 1497 Visio. A.
SS. Inr. 1, 906, nr. 11.) Auch in Mysterien 88 ), besonders aber in
festlichen, Scenen aus dem Leben Christi darstellenden Aufzügen
wurde grosse Pracht in Gewandung zur Schau gelegt. Als König
Philipp der Schöne seine drei Söhne wehrhaft machte (1313), durch-
84 ) Vit. pont. ap. Murat. S. R. Ital. 2, 114 b.
85 ) Ap. Beda op. 3, cl. 481, edt. Colon. 1688.
86 ) Der Dichter des: „Leben und Leiden Jesu“ (S. XII) lässt die Könige, bevor sie in
das Haus treten, sich ihres Gewandes (wahrscheinlich Reisegewandes) entledigen.
Hoffmann, Fundgrub. 1, 143, I. 4. Vielleicht ist hier mit Exod. 3, v. 3 einigermassen
auch an Jak. Grimm’s Rechtsalt. 1, 137 zu denken.
87 ) Wahrscheinlich ein schillernder Seidenstoff, dessen Kette aus hell-, dessen Wurf aus
dunkelfarbigen Fäden gewoben wurde.
88 ) Eine dialogisirte Behandlung des Gegenstandes, wo die h. Jungfrau und die Magier
sprechend vorgefiihrt werden, findet sich bei S. Ephraem op. Graec. lat. 3, 601—603
(doch dürfte die Echtheit dieses Schriftstückes nicht unanfechtbar sein). Ausser den
bisher angeführten geistlichen Schaustellungen ist auch eine zu bemerken, die Crom-
bach Hist. tr. reg. p. 732 aus einem Rituale von Besangon mittheilt. Über „geistliche
Comedias von den Heiligen drey Khönigen“ in Wien, s. Schlager, Wien. Skiz. neue
Folg. 1, 310. Von den „Comoedianten — welche auf der gassen (1634) mit dem
Stern herumb zugehen — Pflegen“ ebd. 314. Eine ähnliche Schaustellung in den
Curiositäten 7, 132 ff. dort auch p. 126 eine Legende v. den h. d. K, cf. Anmk. 63.
340
Georg' Z n p'p e r t.
zog mit grossem Pomp eia Aufzug die Strassen von Paris, in wel
chem eine Gruppe die heil. Könige von Cöln darstellte.
Nostre Seingor menger des pommes
Et Nostre-Dame snns esloinge
Ovec les trois rois de Couloingne etc.
(Godefroy de Paris chron. v. S331. Buchon, Collect. 9, 190
u. Felibien, Hist, de !a ville de Paris 1,524.) Ähnliche Pracht waltete
bei dem Dreikönigs-Aufzug am Epiphanientage zu Mailand 89 ). Über
ähnliche, gleichfalls durch weltliche Personen ausgeführte Pracht-
aufziige zur Feier des Epiphanienfestes in Salins in der Franche
Cointe s. Crombach, p. 734. M. Gerbert berichtet von einem Spiel
der heil, drei Könige, an welchem die Grafen von Lupfen und Fürsten-
berg etc. sich als Mitwirkende betheiligten. (De cantu et music.
sacr. 2, 82.) Am 24. Tag des Monats Januarii 1417 — da luden die
Bischöff aus England, der Bischof Salisburgensis, der Bischof von
London und demnach füntf Bischöff von England, alle Rath zu Costnitz
und sonst viel ehrbar Burger daselbst in Burchart Walters Haus. —
In dem mahl, zwischen dem Essen, so machten sie solch bild und
geberd. — Und die heil, drei Könige, als sie unser Frau die Oppfer
brachten. — Das machten sie alles mit gar Köstlichen Gewand,
und mit grossen güldenen und silbernen Gürteln. (Herrn, v. der
Hardt. Corp. Act. Const. Concil. 4, 1089.)
Diese Verschiedenheit in der Gewandung der heil, drei Weisen,
die in nach - altchristlicher Zeit sich allmählich bemerkbar macht,
veranschaulicht die Kunst tlieils durch Verschiedenheit in Farbe
oder Stoff oder Zuschnitt und mit dem XV Jahrhundert in allen dreien
zugleich, was den Künstlern Gelegenheit bot den Farbenreichthum
ihrer Palette auf das Glänzendste ans Licht zu stellen. Beispiele
der Verschiedenheit in Bekleidung sehen ivir ausser der oben ange
zogenen Beschreibung des Mosaik der S. Martin s Kirche zu
Ravenna in C. 2 (S. X?), in den Bronzethüren (10IS) zu Hil
desheim (H. 2), in Herrad von Landsperg (f 1193) Hort. del.
(H. 1), in B. IS, G. 4, K. 2, K 3, N. 3, S. 4, S. 8, W. 1. Wiener
Handschrift. W. 4, etc.
89 ) Isto tempore (1336) fuit incoeptum festum tri um Regum in die Epifaniae in conventu
fratrum Praedicatorum. Gualvani de la Flamma (•{• 1344) ap. Murat. Scr. R. Ital. 12,
1017 c. Es wurde beschlossen von nun an alljährlich diese Festzüge zu wiederholen,
ebd. 1018 a.
Epiphania.
341
III. In Betreff der Fussbeldeidung wollen wir blos bemerken,
dass die heil. Weisen zuweilen als herbei geritten (s. Anmerk. 152),
gespornt dargestellt erscheinen. So in den Sarkophagen B. 8,
B. 11, und in E. 1, G. 1, G. 5, M. 3, R. 1, S. 3. In der Wiener
aus der Cölner Diöcese stammenden Handseh. W. 4 etc. (In einem
lateinischen Gedichte des XV. Jahrhunderts wird der Hahn seiner
Spornen halber einem Ritter verglichen. Du Meril, Poes, popul. lat.
p. 13, Paris 1847.)
F. e. Stellung.
I. Die heil, drei Weisen sind in den bildlichen Darstellungen
der Anbetung frühester wie späterer Zeit in also überwiegenden
Fälle?i links dem Beschauer gestellt, dass uns jene Position für
die Zeit des IV. bis XIV. Jahrhunderts als eine normale zu gelten hat.
II. An Ausnahmsfällen fehlt es zwar auch in obigem Zeiträume
nicht, wie anfolgende Beispiele belegen, allein erst mit dem XIV
Jahrhundert macht sich jene Frontveränderung in der die heil,
drei Weisen rechts dem Beschauer gestellt erscheinen, häufiger
bemerkbar. So in folgenden Darstellungen. Im Sarkophag S. IV—V
(B. 6) und (B. 12). An den Bronzethüren (1013) zu Hildesheim
(II. 2). Im Wandgemälde (S. XIV) in Subiaco (S. 12). Im Bas
relief (p. 1347) in S. Eustorgio zu Mailand (M. 4). Miniature
(S. XIV) im Brit. Museum (B. 13). Anbetung eines Schülers
(c. S. XIV ext.) des Willi, von Cöln (K. 2). Gentile da Fabriano
(1423) in Gal. der schönen Künste zu Florenz (G. 1), Rogier van
der Weyden (f ant. 1464) in der Pinakot. zu München (B. 1).
In einem Niello (S. XV) der k. k. Hofbibliothek (N. 3) S. XV.
In einem Triptychon (S. XV ext.) deutschen Email (S. 10).
III. Dort ivo wir die Gruppe der heil. d. Weisen in eine linke
und rechte gebrochen sehen, dort hat die Absicht,neben der Anbe
tung des göttlichen Kindes auch die seiner Mutter zu veranschau
lichen, die Anordnung bestimmt. Mit steigender Verehrung der heil.
Jungfrau wurden zahlreichKirchen und Altäre ihrem Namen geweiht,
und zweckentsprechend setzte man in den für solche gottesdienst
liche Räume bestimmten bildlichen Darstellungen der Anbetung der
heil, drei Weisen Maria als Himmelsköniginn mit dem Christus
kinde auf dem Schosse in die Mitte des Bildes, und ihr zur Rechten
und Linken anbetend die Weisen aus dem Morgenlande. So in dem
342
Georg Zappelt.
Relief der goldenen Pforte (c. 1200) zu Freiberg im Erzgebirge
(F. 4). In den Sculpturen (c. S. XIII) im Portal der Lieb. Frauen-
Kirche zu Trier (T. 1). In einer Casula. c. S. XIII) aus S. Blasien
(G. 3). Im Cölner Dombild c. S. XV m. (II. 3). Wohlgemuth
(1479) in der Frauenkirche zu Zwickau (W. 2). Hans Memling
(c. 1480). Sieben Freuden Maria’s (M. 3).
IV. Die Pr ofi l-Stellung der heil. Weisen in den meisten Dar
stellungen der Anbetung bis ins XIV. Jahrhundert hinab, mahnt
daran, dass die christliche Kunst in ihren ersten bildnerischen An
fängen sich aus dem Relief hervor gebildet habe, und manche Dar
stellungen altchristlicher Zeit erinnern in der Weise des Hinterein
ander - Sehr eitern der Magier an Darstellungen von Opferzügen
antiker Kunst so ). Doch erscheinen die h. drei W. selten in der feier
lichen Weise des „procedere“ der Supplicationen (s. Pauli Real.
Ency. d, cl. Alt. 6,1317), sondern kommen meist rasch bewegten
Schrittes in freudiger Eile herbei. Ergo alacres summo servantes
lumina caelo, Fixa Magi, sidusque micans regale secuti (Sedulius
c. S. V. m. Op. pasch. L. 2, v. 91, wahrscheinlich in Beziehung auf
Matth. 2, v. 10 und Luc. 2, v. 16, der dasselbe von den Hirten
aussagt). So in den Sarkophagen B. 3, B. 6, B. 11, B. 12, in dem
Wandgemälde B. 8, etc.
V. Reih efolge. Das Recht des grauen Haares macht sich
auch in den bildlichen Darstellungen der heil, drei Könige geltend,
und sie folgen einander nach ihrer Alterstufe, so dass dem Ältesten
der Vortritt vor dem minder Betagten und diesem vor dem Jüngsten
bewahrt bleibt, (s. Fc. II.)
Ausnahmsfälle wie im Relief des Freiberger Rundbogen (F. 4),
ivo der Jüngste die vorderste Stelle einnimmt, oder der Älteste
dem Mittelalt er igen vorgeht, ivic in E. 1, F. 3, oder der Jüngste
dem Altern, wie in A. 4, G. 3, G. 10, N. 1, N. 4, S. 11, werden
wir in manchen Fällen aus dem Hineinbringen des Portraits eines
Zeitgenossen in die Composition zu erklären vermögen.
Über den Namen des ältesten, wie jungem und jüngsten der
Weisen herrscht in Schriftmalern Verschiedenheit der Angabe. Die
heil, drei Weisen führten im Orient Namen die von den im Occident
90 ) Wir erinnern blos an die allbekannten parthenonischen Reliefs. C. 0. Müller u. C.
Osterley Denkm. d. alt. Künste, ß. VI, 8—10.
Epiphania.
343
gebräuchlichen abwichen 91 )- Hier hatten, wie aus Agnelli ersichtlich
(s. Anmerk. 84), bereits im IX. Jahrhundert die Namen Kaspar
(oder Jaspar, auch Gaspar), Balthasar, Melchior ausschliessliche
Geltung erlangt. Nach Agnelli (c. 842) stellt sich die Reihefolge G.
(aurum obtulit) B. M. In den Wandgemälden (c. S. XI?) der Kirche
S. Urhano (della Caffarella) nächst Rom sind ihnen die Namen Mel
chior, Gaspar, Baldasar beigeschrieben. (D’Aginc. 5, PI. 95.) In den
Reliefs (1166) an der Fa<jade der Kirche S. Andrea in Pistoja Mel
chior, Gaspar, Baltasar (ebd. 4, PI. 27) B. J. M. (Petr. Comest.
f c. 1178 z. Hist. Evang. c. 8, p. 187 h.) Melchior, Caspar, Patisar
in Herrad v. Landsp. f 1195 Hort, delic. (H. 1.) In den dem Ven.
Beda fälschlich beigelegten Collectaneen M. B. (der dunkelfarbige)
C. (s. Anmerk. 70 und 85). Die Randumschrift der Cölner Goldgulden
(1240) zeigt die Reihefolge J. M. B. (Cappe, Cöln. Münz. p. 269)
die Kuninge da ich spreche von Caspar Baltasar Melchior.
(Passional S. XIII, 21, v. 5 und v. 36, 45, 77, ed. Hahn.)
M. B. J. (Job. Hildes. Hist. tr. reg. p. 13, b. cl. 2.) K. M. B. (Pet.
Suchenwirt (S. XIV p. m.) p. 129, v. 471.) C. B. M. (Herold 1418,
Discipul. Serm. 21.) B. M. J. (Jubinal Myster. ined. 2, 84. — Tune
Gaspar aliis antiquior. S. Francisca Romana (f 1450) Visio. A. SS.
Mrz. 1, * 113 h. Man schrieb ihre Namen auf Pergamentstreifen 92 ),
die man als Schutzmittel gegen Krankheiten, besonders gegen epilep
tische Anfälle bei sich trug. Mone theilt folgenden Segensspruch mit:
-f- Melchius f Pahtizar portans lmec nomina f Caspar solvitur a morbo
91 ) Über ihre verschiedenen Namen s. Trombelli Mariae sanet. vit. 3, 423. Jacob, a
Vorag. (-J- c. 1298) Legend. aur. p. 88, edt. Graesse. Petr. d. Riga (*J- 1209) Aurora
Cod. palt. Vindob. Nr. 973, p. 10G a et ibd. p. 198 a.
ö2 ) Crombach p. 719. Del Rio disquis. magic. p. 469, edt. Mog. 1612. Auch die Namen
der Siebenschläfer wurden gleicher Weise als Heilmittel gegen Kopfschmerz etc. ver
wendet. Accessit ad visitandum aliquis fratrum, qui dictaret, ut nomina Sanctorum
septem dormientium in scedula scribi facerem, capitique circumligareni. Rei-
nerus (*{• 1230) de seript. monast. ap. Pez Thes. 4. P. 3, cl. 37 d. Solche amulet-
artige Pergamentstreifen hiessen „Briefe“
er hat vür dent zant swerne
mir geschrieben einen brief.
Hagen, Gesammtab. 2, 102, v. 36. cf. Graff. Alth. Sprachsch. 3, 302. cf. Du Cange,
gloss. v. beuda, breve, character, enctopium, filacterium. cf. A. SS. Jul. 7, 204 e,
213 b, 220 c. Aug. 2. 100 b, 3, 809 c. Herrgott, Taphogr. 2. Tahl. 1. Caesar.
Ileisterb. (-{- 1227) Dial. 1, 297. Angelsächsische Amulete, Wundsegen etc. gegen
Zahnschmerzen u. andere Krankheiten, s. llickes, Thes. septentrion. 1, p. 44, 83, 231,
232, 234, 304, 303.
344
Geoig Zappel t.
Christi pietate caduco. (Einer Reichenauer Handseh. des XII. Jahrh.
eingeschrieben. Mone, Anzeiger 1834, cl. 277 und ein ähnlicher aus
dem XVII. Jahrh., ebd. 1833, cl. 62) ° 3 ). Et precipiunt nomina trium
regum magorum deferri circa collum. Gilbert, Anglici (S. XIII ext.)
Compend. medicin. p. 102 a, cl. 1, Lugdun. 1310.) So eyn menscli
in dieser fallenden sucht gefallen liget So hab deynen mvnd auf
des sychen ar, ynd sprich dreystund dys drey versen yn seyn
ar loch Wand daz ist versucht vnd ist war. Caspar fert aurum etc.—
Dy dreyr clivnig nam wer sy pey ym trayt der wirt enthalden
mit der gottes hilf von falunder sucht schaden. (Cod. palt. Vindb.
(S. XIV), Nr. 2894, p. 121 a, welches eine Übersetzung des Bern.
Gordon (1303, Prof, zu Montpellier) Lilium medicinae ist, p. 276,
ed. Francf. 1617.) Contra caducum morbum scribe hos versus:
Caspar etc. postea offerat denariatam cere pro dictis tribus magis, et
sic annuatim faciat quam diu vixerit et habeat eos in honore et nomen
ipsorum semper habeat secum. Cod. palt. Vindob. S. XIV, Nr. 2817,
p. 31 b. Das Diadem König Melchior’s bewährte sich der Sage nach
gegen gleiche Krankheit als heilkräftig: dieselben dyadem got durch
des verdienn vnd heiligchkait der Ersamen dreyen kunig vertraib von
den leutten vnd auch von den andern vnuerstanden tyeren manigerhand
geprechen. Auch welichen menschen man die dyadem auflegt, der
do viell mit dem grossen sichtumb der stuend tzu handt auff vnd wart
gesund 84 ). Zu beschwörungskräftigem Ruf dürften die heil, drei
Weisen zunächst durch ihre evangelische Bezeichnung als: Magier
gelangt sein, und seihst einige der Kirchenväter zeigen sich geneigt,
ihnen geheimmächtiges Wissen zuzutrauen. S. Ambros, in Lucam
lib. 2, Nr. 47, S. Hieronymus in Isa, 19 et 47, v. 12 et 13. (Mehrere
Stellen hei Trombelli Mar. Sanct. Vit. 3, 314 seq.) So führte sich
die noch heute in vielen deutschen katholischen Landen geübte Sitte
9: *) Auch Crombach bringt ähnliche Verse p. 719, Wer ein mit den Namen der h. d.
Könige beschriebenen Brief sich in den Schuh thut, legt an einem Tage so viel
Weges zurück als ein anderer an dreien. J. W. Wolfs Beiträge z. deutsch. My-
thol. 1, 248, Nr. 577; cf. Anmk. 120.
94 ) Cod. palt. Vindob. Nr. 2856, p. 121 a, cl. 1, im lateinischen Original des Joh. Hil—
desheimensis mih. p. 2 b, cl. 1. Von Münzen u. Kleinodien, die mit den Reliquien
der h. dr. Kön. in Cöln in Berührung gebracht, als besonders schutzkräftig gegen
Krankheiten galten, s. Joh. Hildesli. (1375) mihi p. 44 a, cl. 1. Man scheint mit
solchen Münzen etc. Handel getrieben zu haben.
Epiphania.
345
ein, die Anfangsbuchstaben der Namen der h. drei Könige am Epipha
nienfest oder an dessen Vorabend, an die Hauspforte und Stubenthüren
mit Kreide zu schreiben, und zwar in der Reibefolge, in der sie auf
Cölner Goldgulden und bei Suchenwirt erscheinen (s. oben). In Wien
mischte sich jener Ceremonie auch einiges abergläubische Gebaren
bei (s. Crombach, p. 716).
VI. In allen Kunstmalern in denen die heil, drei Weisen in
ungebrochener Gruppe dar gestellt sind, erscheinen sie auf glei
cher Fusslinie stehend. Nur in Reliefs finden wir zuweilen
davon abgegangen. So erscheinen sie in einer Bronze-Lampe c. S.
X? (C. 2) staffelförmig, und in einer Elfenbeintafel c. S. XI (G. 9)
pyramidal auf gestellt, so dass der Mittere von höherer Fusslinie
aus den Vordem und Letzten überragt, was an die Weise antiker
Vasenmalerei mahnt.
In der hier mitgetheilten Abbildung (Nr. 2) aus einer griechi
schen Handschrift der k. k. Hofbibliothek (W. 3) ist der Versuch
gemacht, die heil, drei Weisen in Fronte aufzustellen.
VII. Die heil, drei Weisen erscheinen in allen Kunstmalern
alt christlicher und auch in vielen späterer Zeit alle drei in auf
rechter Stellung heranschreitend. So auf dem Saume des
Mantels der Kaiserinn Theodora (S. VI) in Mosaik v. S. Vitale zu
Ravenna. Sommerard Alb. Ser. 10, PI. 32. Im Elfenbeindeckel
(je. S.IX) aus Kl. Lorch (L.l). Kupfermünze des Zimisces f 973
(B. 1). In einer Elfenbeintafel c. S. XI (G. 9). In einer Mosaik
tafel (je. S. XI) in Florenz (G. 10). Holzgeschnitzte Thürflügel
(c. S. XI) in Cöln (K. 1). Im Relief (c. 1106) in Pistoja (P. 2). In
einer deutschen Miniatur-Handsch. (c. S. XII) in der Vaticana
(A. 3). In den Sculpturen (c. S. XII ext.) zu S. Giov. in Pistoja
stehen die heil, drei Weisen vor dem Christuskinde aufrecht. Casula
(je. S. XII?) aus S. Blasien (jG.2).In dem Holz-Basrelief (jS. XIII)
zu Sacina (R. 3).
VIII. Die heil, drei Weisen sind heranschreitend in gebück
ter Haltung die sich besonders in dem Vordersten am tiefsten
ausspricht, dargestellt, in einer Elfenbeintafel c. S. V in Mailand.
Im Menologium Basilii S. X ext. (M. 3). In der Handschrift der
k. k. Hofbibliothek in Wien (W.3, s. hier Abbild. Nr. 3). Im Relief
(c. S. XIIIm.) im Portal der Kirche zu Bourges. Gailhabaud Denkm.
d$r Bauk. 2. Bd. Im Mosaik (S. XIV) in S. Maria Maggiore (jR. 3).
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXI. Bd. III. Hft. 24
346
Georg: Zappert.
IX. Diese ehrfurchtsvolle Haltung geht allmählich in anbetende
Kniebeugung Uber und wir sehen:
IX. a. den Vordersten im Begriff niederzuknieen, dar ge
stellt in einem Basrelief (c. S. XI) zu Moissac (M. 6). ln einem
Kronleuchter (c. XII a. m.) in Aachen (C. 3). In einem Email
c. S. XII (A. 4). Email (S. XII ext.) aus Limoges (S. 3). In
der Wiener (S. XII) aus der Cölner Diöcese stammenden Hand
schrift. (W. 4). Psalterium des heil. Ludwig, # f 1270 (S. 8).
IX. b. Den Vor der st en und Mitt er n im Begriff niederzu
knieen, stellt das Bedectionale (S. X) Aethelwold s dar (S. 1).
(Wir reihen nun folgende Positionen die zu den malerischsten
zählen, hier an. Der Nachfolgende im Begriff niederzuknieen [wäll-
, rend der Vorderste bereits knieet und der Letzte stellt] in R. 1,
S. 1, S. 10, W.2. Der Letzte im Begriff niederzuknieen /während
der Vorderste bereits knieet und der Nachfolgende stellt] in
K. 2, etc.)
X. Et intrantes domum procidentes adoraverunt eum (Matth. 2,
v. 11). Diese Stelle, gleich den hier nachfolgenden, lassen die heil,
drei Weisen theils knieend, theils zur Erde geworfen, dem Chri
stuskind ihre Huldigung bringen. Et pueruin supplices ohlatis
donis adorant. Gregor Tur. (-J- 574) hist. op. cl. 17 e, edt. Ruinart.
Heliand (S. IX a. m.), p. 20, 1. 14. Fialun sie tho fram hald. Otfrid
Krist. (ant. 872) p. 69, v. 61, ed. Graff: Angelus ad prostratos Magos.
Kirchliche Schaustellung aus einer Freisinger Handschrift (c. S. IX?)
Du Meril, Orig. lat. p. 161. Auch bei Weinhold, Spiele und Lieder,
p. 61. Genibus curvatis, et hunii purpura defluente, Jesum nostrum
pannosum adorantes, donis sacramentalibus venerati sunt. Arnold.
Carnot. (f p. 1153) d. laud. Mar. ap. Bibi. Pat. Max. Lugd. 22.
1282 d. Die heil. Elisabeth von Schönau (f 1165) sah in einer
Vision: et accedentes, adoraverunt flexis genibus. A. SS. Jun. 3,
618 f et p. 624 c. Sie fallen nieder. VomLeben und Leiden Jesu
(S. XII), Hoffmann, Fundgruben 1, 146, 1. 2, hie begunden biegen —
Hovbet hertze vnd chnie. Div chintheit Jesu. Hahn, Ged. des XII.
und XIH. Jahrh., Nat. Biblioth. 20, p. 82, v. 10. Da uielen si für
daz Kindelin unt betten iz an. Predigt (S. XIII) Hoffmann, Fund
gruben 1, 84 — vnde knieten vf die erde. Passional. (S. XIII) 26,
v. 33, edt. Hahn. Bruder Philipp, Marienleb. p. 70, v. 2574, edt.
Rückert.
Epiphania.
347
Der heil. Ludwig, König von Frankreich, stieg vom Ross und
knieete nieder, als er vonFerne der heiligen Geburtsstätte inNazareth
ansichtig wurde 05 ). Jacob, a. Vorag. (f c. 1298) Leg. aurea p. 92.
Si vielen nider und paten in an, Pet. Suchenwirt (S. XIV p. m.)
р. 130, v. 337. Posten pergunt ante maius altare, ibique flexis geni-
hus offerunt sua munera. Kirchliche Schaustellung zu S. Stephan in
Besan^on. Crombach, hist. SS. Tr. Reg. p. 734. Sie -knieen dreimal
nieder. B. Veronica d. Bisnaco (f 1497) Visio. A. SS. Inr. 1, 906,
Nr. 9.
Trotz dieser Aussage der Scliriftmiiler halten die Künstler,
beinahe bis ans Ende des ersten christlichen Jahrtausends, an die
der Antike (s. Anmk. 90) nachgebildete Darstellung des Opfer
ganges der Magier fest, und bringen diese in aufrechter Haltung
zur Anschauung. Erst mit dem zehnten Jahrhundert schliessen
sich Miniatoren den Schriftmalern und dem anschaulichen Vorbilde
kirchlicher Darstellungen in ihren Gebilden an, und beginnen
auch der Kniebeugung gerecht zu werden. Obwohl Schriftmaler
alle drei Weisen niederknieen lassen, so legen dennoch Bildner
in schicklicher Vermeidung des Parallelismus der Stellungen meist
X. a. nur den Vordersten der li. W. aufsKuie 0B ), und zwar:
a) auf ein Knie. (Uber den Unterschied des Knieens auf ein
oder zwei Knieen s. mein Vit. IS. Petr. Acot. p.38 seq.) So in einer
minirten Handschrift (c. S. X?) der Cotton sehen Bibliothek
(S. 11). Im Relief c. S. XII ext. an S. Zeno (V. 1). Im Niel. Ante-
pendium (1181) im Chorh. Stift Klosterneuburg (N. 2). An dem
Reliquien-Sehr ein (c. S. ext.) in Aachen (C. 1). In Sculpturen
(c. S. XIII) an der Liebfrauen-Kirche zu Trier (T. 1). In einer
Casula (c. S. XIII) aus S. Blasien. (G. 3). Miniatur-Hahdsch.
(S. XIV) im Brit. Museum (B. 13). Gemälde aus Cöltier Schule
с. S. XIV ext. (K. 2). Im Basrelief S. XIV in Not. Dame zu
Paris (P. 3). Im Relief c. S. XIV ext. am Dom. zu Meissen (M. 2).
Im Wandgemälde (c. S. XIV?) nächst S. Agnese (R. 2). Van
95 ) Descendit in Nazareth. Cum autem a longe Iocum sanctuin videret, descendens
de equo, flexis genibus devotissime adoravit. Gaufr. de Bello-ioco Vit. S. Ludov.
reg. (-{- 1270). Bouquet, Recueil 20, p. 14 c.
96 ) Auch das Malerbuch vom Berge Athos lässt nur den ältesten der Weisen knieend dar
stellen. Didron manuel d’iconograph. p. 1S9. G. Schaefer's Übersetz, p. 174.
24 *
348
Georg Zappe rt.
Eyck in München (E. 1). In einem Elfenbein - Diptychon S. XV
(S- 2).
ß) Der Vorderste knieet auf beiden Knieen. ImWandgemälde
(c. S. XI?) in S. Urbano (11. 4). Giotto 1276—1336 in Florenz
(G. 5). Sculpturen c. S. XIII ext. in Orivieto (0. 1). Im Wand
gemälde S. XIV in Subiaco (S. 12). Rogier van der Weyden,
f ant. 1464 in München (R. 1). Maso Finiguerra S. XVp. m.
Niello (F. 2). In der Riblia pauperum. Memling, c. 1480, die
sieben Freuden Markts (M. 3). Kupferstich (1482) des Martin
Schöngauer (S. 1). Deutsches Email S. XV ext. (S. 10).
Mehrere oben angeführte Stellen, zu denen wir folgende fügen:
At postquam puerum videre sub ubere matris — Dejecti prono texe-
runt corpore terram — Juvencus (c. 332) Hist. Evang. L. 1, v. 247:
Quem enim demissis in terram vultibus adoraverunt. (Haymo 833,
homil. pag. 173.) Et postquam ipsi reges terram ante presepe —
humiliter fuerunt osculati (Job. Hildesheim, p. 13 b, cl. 1) lassen
die heiligen Weisen (gewissermassen in Art der Veniae) zur Erde
fallen.
So sehen wir den Vordersten auf Knie und Hände in tiefster
Devotion zur Erde gebeugt 97 ). Bei Taddeo Gaddi (S. XIV m.)
Wandgemälde in S. Croce (G. 11). Gentile da Fabriano (1423)
in Florenz (C. 1). Fra Ang. G. da Fiesoie (geb. 1387, f 1433)
in Florenz. Lor. Gliiberti’s (f 1433) Bronzctliüren in Florenz
(G. 4). Es scheint somit diese Darstellungsweise sich auf Gebilde
der florentinischen Sclmle beschränkt zu haben.
X. b. Es knieen der Vorderste und Mittere (auf einem Knie).
In Nicola Pisano’s Marmorrelief 1260 zu Pisa (N. 1).
X. c. Alle drei knieen. Im Evangeliarium 1002—1024 zu
Bamberg (B. 13). In den Mosaiken (um 1169 gefertigt) der Marien
kirche zu Bethlehem waren die Magier mit gebeugten Knieen dar
gestellt (Phocas 1183, Descript. ap. L. Ällat. Symmikt. 1, p. 43).
Im Relief im Rundbogen c. 1200 der goldenen Pforte zu Frei
berg (F. 4).
9 ') In der Weise, in der K. Justinian im Mosaik der S. Sophia dem Heiland zu Füssen
liegend dargestellt erscheint. Salzberg, altchr. Baudenkm. in Konst. Tbl. 27. Diese
kommt häufiger in byzantinischen Gebilden, als in den der occidentalischen Kunst vor.
Epiphania.
349
XI. Körperwendung.
XI. a. Die hintereinander sich folgenden heil, drei Weisen
sind meist dem Christuskinde zugewendet, so dass diese
Kör per Wendung als die normale gelten kann.
XI. h. Jenen Darstellungen jedoch, in denen der Künstler
auch die Beziehung der Weisen zu ihrem Leitstern veranschau
licheil wollte, kehrt sich der Mitter e, ivie zurücksehend, dem
Letzten zu 93 ), welche Wendung der Mittere meist mit zugleich
nach oben gehobener Hand vollzieht. So anfolgend in den in Xllb.
a. aufgeführten Darstellungen G. 11, II. 1, 0. 1, P. 3, R. 2, W. 1
Bibi, pauper. (Ausnahmsweise sieht der Vor der st e nach rück
wärts im Sarkophag B. 3.) Wir sehen aber den Mitteren auch
ohne gehobene Hand diese Wendung ausführen (was uns eine
Abkürzung obiger Position die wir für die originale halten, zu
sein scheint). So in folgenden Darstellungen: In einer Elfenbein
tafel c. S. V zu Mailand (B. 2). Elfenbeindeckel c. S. IX aus dem
Kloster Lorch (L. 1). Miniature (c. S. X?) Handsch. der Cott.
Biblioth. (S. 11). Bronzelampe c. S. X? (C. 2). In einem Evan-
geliarium byzant. S. XII (A. 2). An den Korssun sehen Thüren
S. XII m. zu Nowgorod (N. 4). Miniaturen (S. XII) deutschen
Ursprungs in der Vaticana (A. 3). Reliquienschrein c. S. XII
ext. zu Aachen (C. 1). Wandgemälde S. XIV zu Subiaco (S. 12).
In einem Elfenbein-Diptychon S. XIV (G. 7).
XI. c. Der Mittere sieht aus dem Bilde (vielleicht eine auf
halbem Wege stehen gebliebene Rückwärtswendung). So im Psalter,
des heil. Ludwig (f 1270, S. 8). Relief in einem silbernen Leuchter
(c. S. XIV) S. H. King Orfever. d. M. Age 2, PI. 37. In den Scülp-
turen (c. S. XIII) der Liebfrauenkirche zu Trier (T. 1) sehen
dm' Mittere und Let zte aus dem Bilde etc. (Uber das Erlöschen
dieser Stellung s. anfolgend XII b, ß.)
XII. Handbewegung.
XII. b. Der Leitstern der heil, drei Weisen, der mancher Orten
die Bezeichnung der Epiphanienfeier als Fest des Sterns veranlasste
(vergl. Anmk. 19—27), fand wie in Kunstgebilden (s. E.) so auch in
9S ) Das Malerbuch vom Berge Athos schreibt vor, dass der zweite und dritte sich an
schauend und auf Christum zeigend dargestellt werden. Didron, Manuel d’iconogr.
p. 159, cf. Anmk. 99.
350
Georg Zappert.
Aufzügen und kirchlichen Darstellungen seine Veranschaulichung
(s. ebd.). Die Darsteller der heil. Weisen zeigten mit ihren Stäben
oder mit der Hand einander den am Altar angebrachten Stern. Tune
ostendant sibi mutuo (stellam): — Ecce stella! Ecce stella! Ecce
stella! ")
Biese emporgehobene zum Stern deutende Hand findet
auch in Kunstgebilden ihren Ausdruck und wir sehen
XII. b. a. den mitteren der drei Weisen (meist nach dem
Letzten rückschauend s. oben XI b) mit emporgestreckter Hand
dar gestellt H '°). An den Brotizethüren (1013) zu Hildesheim (H. 2).
Im Antependium (1143 —1244) zu Cittä di Castello (C. 4). In
Herr ad von Landsperg (f 1193) Hortus delic. (II. 1). In der
Wiener (S. XII) aus der Cölner Biöcese stammenden Harnisch.
(W. 4). Miniature c. S. XIII, Abbild, bei Willemin (W. 1). Scidp-
turen (c. S. XIII) in der Liebfrauenkirche zu Trier (T. 1). In
den Sculpturen c. S. XIII ext. zu Orivieto (0.1). Giotto (1276—
1336) in Florenz (G. 3). Miniature (S. XIV) im Cod. Arunclel
(B. 13). Basrelief (S. XIV) in Not. Barne zu Paris (P. 3). Im
Belief (c. S. XIV ext.) am Borne zu Meissen (M. 2). In einem
Elfenbein-Biptychon c. S. XIV ext. (G. 7). Wandgemälde (c. S.
XIV?) nächst S. Agnese (II. 2). In der Biblia pauperum.
XII. b. ß. Ben letzten der heil, drei Weisen sehen tvir in
dieser Handstellung im Niel. Antep. (1181) im Cliorh. St. Kloster
neuburg (N. 2). Im Wandgemälde (S. XIV) (zu Subiaco S. 12).
Ausnahmsweise sehen wir den nach oben blickenden mitteren
der heil, drei Weisen nicht mit gehobener Hand auf den Stern,
sondern mit am Oberleib liegendem Vorderarm nach r ü ckw ärts
deuten (den dritten auf den Stern aufmerksam machend) in einem
Email (S. XII ext.) aus Limoges (S. 3). ln der Wiener (S. XII)
aus der Cöln. Biäc. stammenden Handsclir. (W. 4).
") Wright early myster. p. 24 (S. XIII}. Du Meril, Origines lat. du theätre p. ISS,
p. 164. cf. Fabric. Cod. apocr. N. T. 1, 116.
10 °) Auf einem Sarkophag c. S. V zu Mailand (B. 4) streckt jeder der auf der Reise
begriffenen drei Weisen die Rechte zum Stern empor. In einer im Dom zu Mai
land befindlichen Elfenbein-Tafel, c. S. V (B. 2), die Magier auf der Hinreise be
griffen darstellend, sieht man den Vordersten und Letzten, einander zugekehrt, mit
zum Stern gehobener Rechten. In einer gleichen Darstellung in einem Wand
gemälde (c. S. XI?) zu S. Urbano (della Caffarella) hebt der Vorderste, zu dem ihm
Folgenden sich wendend, die Linke zum Stern empor. D’Agincourt 5, PI. 96.
Epiphania.
351
Gewinnt auch durch das Emporstrecken der Hand des Mitteren
der Weisen ihre Gruppe pyramidale Hebung, so übt doch dieses
Theilen der Aufmerksamkeit der Weisen zwischen dem Christuskinde
und dem leuchtenden Himmelskörper störenden Einfluss auf das
Zusammenfassen der Haupthandlung, und es setzte bereits die Kunst
des XV. Jahrhunderts diese Position wie die des Riickwärtsschauens
in richtiger Erkenntniss ausser Übung.
XII. c. Die heil. Elisabeth von Schönau (f 1165) sah in einer
Vision die heil, drei Weisen hei der Anbetung: tollentes coronas de
capitibus suis, obtulerunt eas in manus ipsius, rursasque eas ab ipso
receperunt 10i ). Die heil. Veroniea (f 1497) sah in einer Erschei
nung zuerst den jüngern der heil. Weisen vortreten und dem Chri
stuskinde die Füsschen küssen, dann ihm die Krone zu Füssen legen,
und in derselben Weise auch die anderen beiden ihre Devotion
beweisen 103 ). Das Malerbuch vom Berge Athos (S. XIV) schreibt
vor, dass der älteste der Könige niederknieend, in der einen Hand das
Geschenk, in der andern die Krone haltend, dargestellt werde.
(Didron, Manuel d’iconogr. p. 159 und G. Schäfers Übersetzung
p. 174.)
Biese Bewegung der Hand um die Krone oder andere Kopf
bedeckung sich vom Haupt zu heben, sehen wir in Kunst
gebilden ausgeführt:
XII. c. a. von dem mitteren der Weisen im Niel. Antepend.
(11S7) im Chorh. St. Klosterneuburg (N. 2). In der Anbet. des
Gentile da Fabriano (1423) zu Florenz (G. 1).
XII. c. ß. Von dem letzten der heil, drei Weisen in einer
Anbet. aus der Cölner Schule c. S. XIV ext. (II. 2). In Rogier
van der Wey den (f ant. 1464) K. Finale, zu München (II. 1). In
einem deutschen Email S. XVext. (S. 10), (hier schwingt er halb
ehrfürchtig halb freudig sein Barett in die Luft) etc.
Als Ausnahmsfall sehen wir alle drei barhaupt (ihre Kro
nen werden von ihrem Gefolge in Händen gehalten) im Basrelief
(p. 1347) in S. Eustorgio zu Mailand (M. 4) cnf. F. d, I. a.
XII. d. Die Hand wird aufs Knie gestützt in den Darstellun
gen ivie die obeninXbcsprochenen und zwar a) von dem Mitteren
101 ) A. SS. Jan. 3, 618 f. cf. Anmk. 136.
102 ) B. Ver. d. Bisnaco Visio. A. SS. Inr. 906, Nr. 11.
352
Georg Zappert.
in den Reliefs des Nicol. Pisano (1260), im Baptisterium zu Flo
renz (N. 1). ß. Alle drei stützen die Hand aufs Knie im Relief
im Rundbogen der goldenen Pforte (1200) zu Freiberg (F. 4).
Die aufs Knie gestützte Hand hält zugleich die Krone oder
andere Kopfbedeckung. In einem Elfenbein-Diptychon c. S. XIV
ext. (G. 7). In einem Elfenbein-Diptychon S. XV (S. 2). Van
Eyck in d. k. Pinak. zu München (E. 1).
XII. e. Der Knieende stützt mit schier Hand die Fässchen
des Christuskindes, ln einem deutschen Email S. XV ext. (S. 10).
Rogier van der Weyden (f 1464) in der k. Pinak. zu München
(R. 1) etc.
XIII. Im Heliand (S. IX a. m.) umfangen die Magier nach der
Anbetung mit ihren Händen fröhlich das Kind: thea it mid iro handun
san. fagaro ant fengun. p. 20, 1. 18. Job. Hildesheim lässt sie hei
der Anbetung „darnach do dy Kunig betten dyemuttigkchleich
gechust das erdreich vor der chripp vnd dy hendt des chindleins 10s ).
So sehen wir den vordersten der heil, drei Weisen knieend
die Händchen (oder die Hand) des Christuskindes küssen in
Bildern wie Rogier v. d. Weyden''s (f ant. 1464) Anbet. (R. 1).
Memling's (c. 1480) sieben Freuden (M. 3).
XIV. Der vorderste der heil, drei Weisen küsst knieend die
Füssclien (oder das Fiisschen) des Christuskindes 104 ). In den
Reliefs zu Orivieto c. S. XIII ext. (0. 1). An Wandgemälden zu
Subiaco S. XIV (S. 12). In Giotto’s (1276 — 1336) Anbetung
zu Florenz (G. 3). In Ghiberti s (1378 —1433) Bronzethüreu
(G. 4) etc. Der Fusskuss beschränkt sich demnach meist auf
Gebilde italienischer Künstler, denen er in Rom am päpstlichen
Hofe häufig zur Anschauung kam.
F. f. Ge fasse.
I. Die heil, drei Weisen bringen ihre Geschenke in G e -
fässen dar, und machen sich in den bildlichen Darstellungen der
Anbetung folgende Formen bemerkbar:
103 ) Cod. palat. Vindob. Nr. 2856, p. 132 b, cl. 1, im latein. Origin. des Joan. Hildesheim.
Mihi, p. 13 b, cl. 1.
104 ) S. Francisca Bomana (f 1450) Vision. A. SS. Mrz. 1, * 113 d (verdient dort nach
gelesen zu werden); cf. Anmk. 102.
Epiphania.
353
I. a. Die sir aus seiförmige (ivenn mit Deckel bedeckte)
Büchse. So in den Bronzepforten (1013) zu Ilildeslieim (II. 2)
und in A. 4, 11. 3, S. 1, S. 3 105 ).
I. b. Cylindris che Ilochbüchse loe ). In den Korssun sehen
Thüren S. XII p. m. (N. 4) im Antependium (1181) zu Kloster
neuburg (N. 2). Basrelief S. XIV in Notre-Dame zu Paris (P. 3)
und (S. 2). (Diese Form erscheint zuweilen in ungenügenden
Nachbildungen in Gestalt eines flachen Oblongum.)
II. Am Tage des Epiphanienfestes opferte Kaiser Michael einen
goldenen mit Edelsteinen gezierten Kelch der Sophien-Kirche
(ap. Const. Porphyrog. d. cterem. 1, G31, Bonn. cnf. ibd. 2, 743).
Die drei Chorknaben welche in der kirchlichen Schaustellung zu
Limoges die heil. Könige darstellten, trugen jeder einen goldenen
Becher in der Hand (Marten, d. ant. Eccl. ritib. 3, 124 d, edt. Antw).
Ebenso brachten in dem Festaufzuge am Epiphanientage zu Mailand
(1336) die heil, drei Könige in goldenen Bechern (scyphos) Gold,
Weihrauch und Myrrhen*) dar. (Murat, Scr. 12, 1017 d.) König
Baltazar der das Gold darbringt, sagt in einer Mysterie des XV. Jahr
hunderts: Ceste coulpe cy toute plaine. (Jubinal. mister. ined. 2,
p. 83.)
So sehen wir in Kunstgebilden die Könige zuweilen in Be-
chern ihre Geschenke darbringen und zwar a. in eiförmigen;
z. B. im Sarkophag B. 6 und in A. 3, P. 3, S. 2 etc. ß. Eine
verlängerte phiolenartige Form 107 ) treffen wir in P. 3, S. 3.
'(■ Vasen und kelcliartige, wahrscheinlich Kirchengeräthen nach-
105 ) Auch die Balsam-Büchsen der Frauen am Grabe Ghristi zeigen zuweilen gleiche Form.
Z. B. bei Cahier et Martin Mel. arch. 3, PI. 6. Konrad v. Würzburg (-[- 1287) nennt
die h. Jungfrau „du edeliu wirouchbühse“. Gold. Schmied, p. 7, v. 199, edt. Wilh.
Grimm.
106 ) Ein Dänen-König der nach Cöln gewallfahrt war, sah in einer Vision die h. d. Könige,
jeden eine Büchse (pixidem) mit seinem Geschenke ihm überreichen. Als er er
wachte, fand er drei Büchsen neben sich. Gesta Romanorum (c. S. XIII ext.) p. 77.
Gest. Rom. das ist der Römer Tat. p. 43, edt. Keller. Die Geräthe in welchen man
die Hostien bewahrte, hiessen pyxis u. capsa. Du Cang. GIoss. 1, 134, cl. 3 u. 3,
328, cl. 3. Über die symbolische Bedeutung der Büchse in der die Hostien aufbe
wahrt werden s. Durand. (-{* 1296) ration. offic. L. 1, c. 3.
107 ) Auch Flaschenkürbisse (munerba) dienten als Aufbewahrungs-Geräthe. Du Cange,
GIoss. 4, 377, cl. 3.
*) Die Abtei zu Liessies bewahrte: De myrrha et thure quibus Magi — Christum — adora-
verunt. Rayssii Hierogaz. Belgic. 276.
354
Georg Z a p p e r t.
gebildete Gefiisse 10s ) finden wir in B. 13, C.l etc. (s. mein Wiens
ältester Plan, Anm. 83—107).
III. a. Op fer schalenartige Schüsselchen in den Sar
kophagen B. 3, B. 12 und im Bamberger Evangeliarium (B. 14)
(vergl. Bartoli, Col. Trag. Tav. 74, 78) cnf. Anm. 113. b. Bau
chige beckenförmige (cnf. Nibelung. 360, 1) Schüsseln 109 ) in
den Sarkophagen B. 6, B. 12, im Wandgemälde (B. 10), in der
Elfenbeintafel aus Kl. Lorch (C. 1), in Aethelwold's Bencdictionale
(A. 1), im Menologium Basilii (M. 3), im Niel. Antep. zu Kloster
neuburg (N. 2). c. Fl ach schiissel in R. 4, cnf. Montfauc. Ant.
expl. Suppl. 2, PI. 17.
IV. Körbe in B. 2,G. 9 (cnf. Pauly, Real. Encykl. der dass.
Alterth. Wiss. v. Calatlius 2, p. 36, und Krause J. H. Angeiologie,
p. 316).
V. Viereckige Käst eben, in A. 2, B. 8, G. 8 (cnf. die
Weihrauch-Kästchen bei Bartoli Col. Traf. Tav. 77, 78). In
manchen Fällen dürften sie Reliquienschreinen nachgebildet sein
(cnf. Du Cang. Gloss. v. capsella 1, 133, cl. 1).
VI. Ausnahmsweise sehen wir ein hornförmiges Geräth
in B. 2, A. 4 un ). Die mit Holzschnitten illustrirten Bibeln desXV.
108 ) Abbildung kunstgezierter silberner Kannen aus den ersten christlichen Jahrhunderten,
bei D’Agincourt 1, ,pag. 106. Überbei Libationen gebräuchliche Gefässe, s. Krause
J. H. Angeiologie, p. 305 seq.
109 ) Der Westgothen König Ataulph liess bei seiner Vermählungsfeier (414) mit Placidia
von fünfzig Jünglingen Edelsteine und andere Kostbarkeiten in goldenen Schüsseln
vortragen, cpspovxos exaoTou Tat? yspaiv ävä 8öo psYicrxiov Staxiov. Excerp. ex Olim-
piad. 458 1. 7, edt. Bonn. S. mein : Über Antiqu. Funde p. 3. In dem bekannten
Mosaik zu S. Vitale in Ravenna (S. VI) ist Kaiser Justinian zur Erinnerung an seine
grosse Mildthätigkeit gegen diese Kirche mit einer ansehnlichen silbernen Rund-
schiissel in der Rechten dargestellt. Sommerard, Alb. Ser. 10, PI. 32. Die dem K.
Heinrich II. huldigende Roma hält eine mit Gold und Edelsteinen gefüllte Schüssel in
Händen; s. Anmk. 133. Über Schüsseln (Öiaxou?) welche die byzantinischen Kaiser
jährlich der S. Sophien-Kirche zum Geschenk machten s. Constant. Porphyr, d.
caerem. 1, p. 65 ; 2, p. 162.
110 ) Es gab hornförmige, aus Elfenbein oder Edelmetall gefertigteKirchengeräthe, cornua
genannt. Du Cang. Gloss. 1, 608, cl. 3. K. Uuiglaf schenkt (833) dem Kloster
Croyland: cornu meae mensae, ut senes monasterii bibant inde in festis sanctorum.
Kemble Cod. dipl. sax. 1, 305. Aethelgifu legirt (944—946) dem König: duos ciphos
argenteos, et duo cornua. ibd. 2, 266. Aefla^d legirte dem König unter Mehrerem
auch vier Trinkhörner, ibd. 3, 271. Kemble, Cod. dipl. sax. 3, 271. Unter den
Schuldigkeiten die die Hörigen der Propstei S. Margaretha de Demes zu entrichten
haben (1138), erscheint auch: vnum cornu bubalinum. Fejer, Cod. dipl. Hungar. 2,104.
Epiphania.
355
und XVI. Jahrhunderts zeigen zuweilen einen der heil. Könige mit
einem hornförmigen auf einem Untersatz ruhenden Goldgefäss in
Händen. Ein dermalen in der öffentlichen Bibliothek zu München
aufbewahrtes Evangeliarium K. Heinrich''s II. (c. 1014) zeigt drei
weibliche im Halbleib veranschaulichte Gestalten, mit von Gold-
miinzen gefüllten Füllhörnern in Händen in ). Die Vorvordern
besassen in ihren mächtigen Trinkhörnern nicht blos eine kräftige
Schutzwaffe gegen die grausamen Anfälle unwirrscher Stunden 113 ),
sondern es galt auch in nordischen Ländern als Traditionsart
mit weingefülltem Leib-Trinkhorn vor den Altar zu treten und an
die Kirche Schenkung zu machen 1J3 ). Die k. Kunstkammer zu Berlin
bewahrt ein umfangreiches mit Silber beschlagenes Trinkhorn. Am
Rande derselben zeigen Schriftzüge des XV. Jahrhunderts die Namen
der heil, drei Könige 114 ). Das Inventar der Kunstkammer von
1689 führt dieses Trinkhorn auf als: ein Horn von den heil, drei
Königen, worin sie Weihrauch und Myrrhen, nebst einer Schale,
worin sie Gold geopfert haben sollen ... kommt aus einem Kloster
in Ungern 115 ).
Dies sind ungefähr die Hauptarten der Geräthformen die in
den bildlichen Darstellungen der Anbetung der heil, drei Weisen
bis gegen das Ende des XIV. Jahrhunderts zur Erscheinung kom
men; wir unterscheiden mm jene Darstellungen in welchen
VII. alle drei mit gleichen Geräthen zur Anschauung
gebracht sind. So I. in A. 2, II. in A. 3, III. B. 8, IV. B. 10, V.
cf. mein: Über (len Ausdruck des geistigen Schmerzes, p. 2. Du Cange, Gloss. v.
bicornix 1, 675, cl. 3, v. cornu 2, 608, cl. 2. Curiositäten 3, 343, 4, 181, 9, 225.
Taf. 8. Montfaucon Ant. d. 1. in. cl. I. Franc. 1, 174 seq. Cod. palt. Vindob. (S. XIV)
Nr. 1179, p. 160 a, cl. 2, nr. 1. Wahrscheinlich verbot man, um nicht Rückerin-
nerungen an derartige heidnische Libationen zu wecken, das Anfertigen der
Kirchenkelche und Patenen aus Ochsenhorn. Vetuimus etiam ne de cornu bovis calix
aut patena fieret, ad sacrificandum quod de sanguine sunt (nämlich „de sanguine
Christi“, so wenigstens verstehe ich diese Stelle). Coneil. von Calchuth. 787. Mansi,
Amp. coli, concil. 12, 942 c.
U1 ) E. Förster, Gesell, d. deutsch. Kunst. 1, p. 69; cf. Anmk. 133.
llz ) Cf. mein Fragm. ein. Liber dat. p. 45 u. 84.
113 ) Cf. Du Cange, Gloss. 1, 608, cl. 2. verbd. Jakob Grimm, Rechtsalt. 1, 192.
114 ) Sie waren wahrscheinlich als schutzreich gegen Gifte eingegraben; s. Anmk. 92—94.
Vielleicht trank man wie Johanns-Minne auch h. d. Königs-Minne. Möglicher Weise
kann auch einer der heil. d. K. der Namenspatron des Besitzers des Trinkhornes
gewesen sein.
115 ) F. Kugler, Beschreib, d. k. Berl. Kunstkam. 2, p. 51.
356
Georg- Z .3p p er t.
B. 14, VI. G. 9, VII. H. 2, VIII. L. 1, IX. M. 3, X. R. 3, XI. S. 1,
XII. S. 3; und zwar in VII. X. XI. XII. alle drei mit straussei-
f(innigen Büchsen, in II. mit eiförmigen Bechern, im IV. VIII. IX.
mit Schüsseln, in V. mit Schalen, in VI. mit Körben, in I. und
III. mit viereckigen Kästchen, und in einem Elfenbehi-Dyptichon
(c. S. XII) bei Sommerard Alb. Ser. 2. Pf. 20 mit phiolenartigen
Gefässen.
VIII. In den Darstellungen bis gegen das Ende des XIV. Jahr
hunderts sind dieGeriithe meist mit ihren Deckeln geschlossen,
doch fehlt es nicht an Beispielen in denen diese ermüdende Gleich
förmigkeit dadurch gemildert wird, dass einer der Weisen, meist der
Vorderste, den Deckel seines Geriithes emporhebt 11 <9 oder
dieses unbedeckt trägt. So am Sarkophag B. 6, Sarkophag B. 12.
(Hier hebt der Vorderste eine kappenförmige vielleicht seidene
Hülle die die Schüssel deckte, mit der Linken hoch empor.) Ante-
pendium (1181) in Klosterneuburg (N. 2). In der Wiener (S. XII)
aus der Cölner Diöc. stammenden Handschrift (W. 4). Email
S. XII (S. 3). Psalterium des heil. Ludwig (f 1270, S. 8).
Miniature (S. XIV) im Cod. Arundel (B. 13) sculpt. c. S. XIII
ext. (P. 4).
IX. Noch höhere Mannigfaltigkeit wird dadurch geiconnen,
dass man jedem der heil, drei Weisen (oder zweien von ihnen) ein
von dem seines Nachbars formverschiedenes Geräth (cnf.'.
Anmk. 128) in die Hände gibt, ivodurch wahrscheinlich zugleich
eine Hindeutung auf die Stammesverschiedenheit der Träger erzielt
iverden soll. So in den Sarkophagen B. 6, B. 12, B. 13, und in
A. 1, A. 4, B. 2, F. 4, IC 2, IC 3, M. 4, N. 2, N. 4, P. 2, B. 2,
B. 4, S. 1, S. 2, S.10, W. 2. Die steigende Pr acht lieb e des XV.
Jahrhunderts spricht sich nicht blos in reicher Gewandung
(s.Anmk. 88 ff), sondern auch in kostbaren Ger äthscliaften
aus, und die Kelche, Becher (cnf. Anmk. 112) und Kästchen, in
denen die heil, drei Kon. in den Bildern jener Zeit ihre Geschenke
darbringen, geben glänzendes Zeugniss von der Höhe der Ausbil
dung welche die Goldschmiedekunst, unter dem Einflüsse der
116 ) Wahrscheinlich auch in Beziehung auf Matth. 2, v. 11 et apertis thesauris suis
obtulerunt ei inunera. Durch das Emporheben des Deckels gewinnt die Action des
Darbringens schärfere Veranschaulichung.
Gpiphania. 357
erblühenden zeichnenden Künste, bereits in jenem Jahrhundert
erreicht hatte.
In einigen Darstellungen trägt einer der heil. Weisen, und
zwar meist der Vorderste, sein Geschenk geräthlos in blosser
Han d. So in Aethelwold's Benedictionale S. X (A. 1) und in C. 1,
F. 4, G. 6, M. 1, M. 6, S. 2, S. 8, W. 1.
F. g. Geschenke.
Die heil, drei Weisen 117 ) brachten dem Christuskinde 118 ) ihre
Gaben 119 ). Obtulerunt ei munera, aurum, thus, et myrrham (Matth. 2,
y. 11). Über die anagogische mystische etc. Deutung dieser Geschenke
(und ob jeder der Weisen von allen drei Gaben, oder jeder nur
eine einzige dargebracht) s. Trombelli Mariae Sanctiss. vit. 3, 403
seq. Benedict. XIV, op. 10, p. 32 seq. 13 °). Otfrid Krist (ant. 872)
p. 69. Gesta Romanorum c. 47. Pet. Suchenwirt (S. XIV p. m.) p.
130, v. 1566 etc. Ein Schlummerlied, das mir im Jahre 1830 ein
Freund volksthiimlichen Gesanges aus Soos nächst Baden (bei Wien)
mittheilte, sucht die Gaben der Weisen dem Kindergaumen mund
gerecht zu machen. Es lautet:
Kinderl Kinderl Kinderl
Schlaf schön ruhig ein
Dann bringen die heiligen drei König
Dir jeder'ein Töpferl Ilönig 121 )
,l7 ) Gaspar das Gold, Balthasar den Weihrauch, Melchior Myrrhe. S. Francisc. Roman,
(f USO) Visio. A. SS. Mrz. 1, * 113 c.
118 ) Joh. v. Hildesheim lässt die Magier die Geschenke theils dem Kinde zu Häupten, theils
der h. Jungfrau zu Füssen legen. Mihi, p. 13 b, cl. 1, edt. Mogunt 1477.
U9 ) Beda spricht daz ze alten zeitten für den chunich oder für aynen herren (nicht) mit
Iaren hentten. Durand. (-{- 1296) ration. off. L. 6, c. 16. Cod. palt. Vindob. Nr. 2765,
p. 184, cl. 1. Die Stelle ist mangelhaft übersetzt.
12 °) Eine ungewöhnliche Deutung gibt d. h. Maximus, Bischof v. Turin (-{- p. 465). ln
auro — ostenditur captivitatis nostrae pretiosa redemptio. In thure autem et dae-
m oni o rum superstitio cessatura, et futurus verae Religionis cultus aperitur. In
myrrha vero — praefiguratur carnis nostrae reparatio et resurreetio mortuorum ap.
S. Leo M. op. app. p. 179, cl. 2, edt. Venet. 1748, cf. Anmk. 92—94.
121 ) In manchen Gegenden Tirols herrscht die Sitte an den Abenden hoher Feste Honig
kuchen zu backen. Von den h. drey Königen, p. 10, edt. J. V. Zingerle. Sepp, das
Heidenthum und dessen Bedeut. 2, 343 seq. Zu den Wundern die Christi Geburt
voran gehen, zählt auch das Fliessen des Honigs aus Eichen. Massmann, Kaiser-Chron.
3, 557.
358
Georg: Zappert.
Und ein Sehüsserl Brein
Und ein Glaserl Wein 133 )
Kinderl Kinderl Kinderl
Schlaf schön ruhig ein.
In früheren Jahrhunderten opferten die Könige von Frankreich
am Epiphanientage in Nachahmung der Weisen aus dem Morgen
lande Gold, Weihrauch und Myrrhen auf dem Altar. (Marten, d.
ant. eccl. 3, 124 c.) Bei dem Krönungsact überreichte der Kaiser
dem Papst Brod, Wachskerzen 133 ) und Gold. (Et olfert domino papae
panem simul, et cereos, et aurum.P. Mon. Germ. 4. 192, 1. 31) 134 ).
Kaiser durften Weihrauch auf dem Altar opfern (Marten, d. ant.
eccl. rit. 3, 63 a), ein Vorrecht das sie wahrscheinlich in Beziehung
auf das gleichartige Opfer der heil, drei Könige genossen.
Über das „aurum“ des Evangeliums erklären sich Schriftmaler
nicht näher. Es genügt ihnen sich in symbolischer Deutung dieses
Geschenkes zu ergehen, und gestützt aufPs. 71, v. IS gilt es meist als
Gold ausArabien 135 ). Di ese allgemein gehaltene Bezeichnung „ Gold“ 13e )
gestattet der Sage weiten Spielraum, und sie lässt die heil. Weisen dem
Christuskinde grosse, noch aus dem von Alexander in Indien zurück
gelassenen Schatze stammende 137 ) Kostbarkeiten 138 ) darbringen.
122 ) Mancher dürfte vielleicht in dieser Zeile eine Beziehung 1 auf das Wunder zu Cana
(cf. Marbod. op. 1569 u. Anmk. 2) zu erkennen genügt sein. Es hiesse jedoch allzu
geringen Glauben an der Erfindungskraft dichterisch begabter Individuen aus
dem Volke hegen, wollte man in solchen Reimen weit zurückreichende Beziehungen
zu suchen sich abmiihen. Hunderte dieser Liedchen und Lieder entstehen
ohne einen andern Vater als den weckenden Strahl einer poetischen Stimmung, der
sie aus der Tiefe der Brust ans Licht des Tages lockt.
123 ) Cf. mein Fragm. eines Liber dativ. p. 25 seq.
124 ) Cf. Murat. Antiquit. Ital. 1, 99 b. Mabillon. Mus. Ital. 2, 398. Marten, d. ant. eccl.
ritib. 2, 852 c. Maximilian I. opferte bei seiner Krönung (1486) zu Aachen eine
reiche Zahl von Goldstücken. Meyer, K. F., Aachen. Geschieht, p. 413, cl. 2.
125 ) Bekanntlich das Goldland mittelalterlicher Zeit. Cf. Benecke-Müller. Mittellioch.
Wörterb. 1. p. 52, 1. 44 ff.
12G ) Manasses, Erzbischof v. Reims, verschleuderte die Kostbarkeiten des Kirchen
schatzes, darunter auch einen goldenen Kelch, an welchem sich eine Partikel jenes
Goldes befand, welches die Magier dem Herrn darbrachten. (Guibert (-J- c. 1114) de
vita sua op. 467 d.)
127 ) Sie stammen aus Philipp's und Alexanders in Indien erbeuteten Kostbarkeiten
und aus den von der Königinn von Saba im Tempel (Salomonis) zurückgelassenen
Geschenken. Joh. Hildesheim, p. 14 a, cl. 1. Erstere Sage dürfte sich aus Jes. 8,
v. 4 gesponnen haben, cf. S. August, op. 5, 915 c, edt. Maurin.
128 ) Auch mag es geschehen sein, dass die bildlichen Darstellungen welche die h. d. W.
meist mit, die Geschenke beherbergenden Geräthen vorführen (s. F, f.), der Sage
Epiphania.
359
Die Kunst jedoch bedurfte zur Veranschaulichung des Goldes
einer bestimmten Form desselben und wählte zu diesem Zwecke die
landläufigste; sie vermünzte es und brachte das Goldgeschenk in
der Form von Klein- oder Goldmünzen zur Anschauung.
I. Kl ein-Runde.
I. a. Klein-Runde, wenn sie der vorderste 12 °) der Weisen
darbringt, werden wir, da Gold die erste der Gaben bildete, als
Kl ein-Münzen™') zu deuten haben. So z. R. im Elfenbein
deckel (je. S. IX) aus Kl. Lorch (L. 1) und im Antcpend. (1181)
zu Klosterneuburg (N. 2). In d. Wiener (S. XII) aus der Cölner
Diöc. stammenden Hämisch. (W. 4 und W. 1). Die Beispiele fallen
nicht zahlreich aus, denn meist sind die Gerätlie geschlossen oder
die Form des Geschenkes nicht mehr deutlich zu erkennen.
I. b. Sehen wir jedoch solche Klein-Runde im Gerätlie des
mitteren oder letzten der heil. Weisen, so werden wir diese
Runde dem Evangelium gemäss als Weihrauchkügeichen oder
Myrrhen zu deuten haben. So z. B. in Sarkophagen B. 11, B. 12
und in Aethclwold's Benedictionale (S. X, A. 1).
II. Gr oss-Runde. Bei der Schwierigkeit mit der in bildlichen
Darstellungen mittelalterlicher Zeit ein scheibenförmiges Rund
von einem kugelförmigen zu unterscheiden ist, lassen die grossrund
förmigen Geschenke verschiedene Deutung zu.
von grossen Kostbarkeiten Vorschub leisteten. Es hielt vielleicht mancher Dar
steller selbst die Gerätlie für die eigentlichen Geschenke.
129 ) Cf. Aumk. 9i u. 117.
13 °) Uber die sagenhafte Wanderung der dreissig goldnen Pfenninge, aus Tars, des Vaters
Abraliam’s Hand, in die der KÖniginn von Saba und von dieser in die Melchior’s und
letztlich in die des Judas s. Joli. Ilildesheim, p. 19 a, cl. 2; p. 21 a, cl. 1; p. 14 b,
cl. 1. Gottfried v. Viterbo (*J* p. 1186) gedenkt in seinem Pantheon dieser Wan
derung. Die bezügliche Stelle hat Du Meril Poes, populär, d. inoy. age. 1847, p. 322
nach Handschriften verbessert herausgegeben. Deutsche Übersetzung. Cod. palat.
Vindob. Nr. 2856, p. 138 b, cl. 2 seq. Auch in: Von dem weg zu dem heligen
grab. Cod. palt. Vindob. (a. 1470), Nr. 2906, p. 178b; cf. Ludolf, (c. 1336—1341).
De itinere in Terr. Sanct. p. 84, edt. Deycks (Bibi. d. lit. Vereins z. Stuttg. B. 25).
An Fürsten büsste man gewöhnlich in Goldmünzen. Sachsenspiegel III, 45. Wie
heut zu Tage eine Bohne, so wurde in früheren Jahrhunderten eine Münze (wahr
scheinlich ein Pfenning) in den Dreikönigs-Tag-Kuchen eingebacken. Naogeorg.
Reg. pap. p. 134. Vielleicht stand der häufig vorkommende Zinstermin in einiger
Beziehung zum Opfer der h. d. K. Unusquisque de familia obolum unum in Epiphania
Domini, alium in festo S. Jo. ßap. ad servitium advocati persolvat. Urkd. (1102)
K. Heim*. IV. f. kl. Prüm. Hontheim hist. Trevirens. 1, 480.
360
Georg Zappelt.
II. u. Erscheint ein Gross-Runcl ausser in der Hand der heil.
Weisen, auch in der der heil. Jungfrau oder in der des sie iiber-
scliwebenden Engels, wie im Relief (c. 1200) der goldenen Pforte
zu Freiberg (F. 4), in dem (c. S. XIII) zu Trier (T. 1), in einer
Elfenbeintafel (c. S. XIII—XIV) bei Gori Dipt. 3, Tav. 36, so
werden wir dieses Rund mit Wahrscheinlichkeit als Weltkugel
deuten dürfen. In solchen Darstellungen wird die das Christuskind
auf dem Schoosse haltende heil. Jungfrau, als Königinn des Himmels
gefeiert und die Deutung des Runds als Münze wäre eine unpas
sende, wogegen erstere sich als die bei weitem entsprechendere
empfehlt. Da den Kirchenlehrern zufolge die heil, drei Weisen
durch Darbringung des Goldes das Christuskind als König verehr
ten (Trombelli, Mar. S. vit. 3, 401 seq), so überreichten sie in
dieser goldenen Kugel ein Symbol der Weltherrschaft 1S1 ), als wel
ches die Kugel sich im Reichsapfel m ) erhielt. Im Mosaik (der
malen nicht mehr vorhanden) der Kirche S. Agatha zu Rom (472)
ist Christus als Herr der Welt auf einer Kugel sitzend dargestellt
(Ciampini, Vet. monim. 271, Tb. 77). In einer Elfenbeintafel
(c. S. V) im Domschatze zu Mailand ist Christus zweimal auf einer
besternten Weltkugel sitzend dargestellt (Bugati, Mem. d. S. Celso,
p. 282, Tav. 1). Im Mosaik (C. VI) der Sophienkirche in Konstan
tinopel hält ein Erzengel eine (blaue) Kugel in der Linken (Salz
berg, altchrist. Baudenkm. in Konstantinopel, Tfl. 21). In einem
Bamberger (S. XI Jaeclc. Nr. 4) dermalen in München befindlichen
Evangeliarium hält Christus eine Kugel in der Rechten (F. Kugler,
kleine Schrift. I. p. 81). In einer von K. Heinrich II. (c. 1014)
stammenden gleichfalls in der Münchner Bibliothek aufbewahrten
Handschrift sieht man vier weibliche Figuren huldigend sich dem
Throne nahen. Sclavonia, auf dem Haupt eine Mauerkrone, bringt
eine goldene Kugel. Germania mit einer dreifachen Burg
mauer um die Stirne, ein goldenes. Füllhorn. Gallia mit einem
13i ) Über die Kugel als Symbol der Weltherrschaft s. Du Cange, Gloss. 7. Append.
p. 157 seq.
13 2 ) Der goldne Apfel (Reichsapfel) den Melchior darbrachte, war früher im Besitze
Alexander des Grossen. Joan. Hildesheim (1375). Ilist. tr. Reg. p. 14 b, cl. 1,
p. 15 a, cl. 2. Der Reichsapfel erscheint bekanntlich noch bis ins XI. Jahrhundert
häufig ohne Kreuz. — Man brachte bei Libationen zuweilen auch Äpfel dar. (Tibull.
I. 11, 17.)
Epiphania.
361
Palmzweig, und Roma mit einer Schüssel voll Gold und Edelsteinen
in Händen 138 ). An der Spitze einer Landkarte (1119) sehen wir
rechts (dem Beschauer) eine kaiserliche Gestalt und links eine
weibliche, ein kugelförmiges Rund weit hoch mit der Linken in die
Luft heben (Joach. Lelewel, Geogr. d. moy. age Atlas PL 8). Im
Mosaik der Schlosscapelle zu Palermo (c. S. XII p. m.) halten
Erzengel Michael und Gabriel jeder eine Kugel in der Rechten
(Gailhabaud, Denkrn. der Bank. 2. R. j. Christus als Beherrscher
der Welt, auf einer Kugel sitzend, in den Mosaiken (12ö4—1261)
in Santa Constanza bei Rom (Abbild, bei Ciampini d. sacr. aedific.
p. 131, Tab. 32). Im Spitzbogenfeld von Notre-Dame in Semur
sehen wir den Weltheiland mit einer Kugel in der gehobenen
Rechten (Chapuy, Le moy. age pittor. PI. 133, cnf. Britton Antiq.
of Wells, cathedr. Exeter PI. 19).
II. b. Erscheint das Grossrund aber einzig in der Hand
der (oder eines der) heil. Weisen, so wird es gestattet sein dieses
Geschenk als Grossmünze 134 ). (Medaille) oder auch als Kugel
(11 a) zu deuten. So in den Sarkophagen B. 6,11,12 (hier ein gena
beltes brodförmiges Rund) und in C. 1, G. 6, AL 1, M. 6, R. 4, S. 8.
II. c. Zuweilen sehen ivir die Mitte des Grossrundes mit
einem Kreuze bezeichnet. So in B. 13, G. 7, S. 2. Da die heil.
Weisen zuweilen als Priester gedacht werden (s. Anmk. 81), so
dürfen wir das Grossrund als Hostie 135 ) deuten.
III. Das Darbringen von Kronen oder Diademen gilt als
Zeichen der Huldigung (cnf. Apocal. 4. v. 10). So brachten Gesandt
schaften der Barbaren dem Julian und Valentinian bei ihrer Erhe
bung auf den Kaiserthron eine goldene Krone dar. "Or( Boc/Uvriviavoü
t&väppYiaig iv Nizcda. rrj? qivsrct'., npsaßstcd rs, äacu owe-
133 ) E. Förster, Geschichte der deutsch. Kunst. 1, p. 72. Cnf. Anm. 111.
134 j Die heil. Elisabeth von Schönau (-{* 1163) sieht in einer Vision einen der Könige
dem Christuskinde eine grosse Goldmünze, wie von königlichem Gepräge überreichen.
Unus autem ex illis proferens numisma aureum raagnum, quasi imagine regia signatum,
ohtulit in manus ipsius. A. S.S. Jun. 3. 624 c.
l35 ) Abbildung solcher Hostien bei Goar Euchol. p. 116. D’Agincourt 3, PI. 37, Nr. 7.
Im ist des Wunders niht ze vil,
daz sinem starken libe
des dünnen brötes s c h i b e
Durch uns gemeine werden soll.
Konrad von Wiirzburg (-J-1287) Goldne schmiede, p. 43, v. 1310 edt. W. Grimm.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXI. Bd. III. Hft. 25
362
Georg- Z a p p e r t.
TtepotTYjxe&ßcv sni tqvtov tovg y^pvGoOg ey^ovGou GzetpdvQvg, npög
izsTvov dvsfipovro. (Exrp. ex Eunap. p. 46, 1. 10, cnf. 1. 1, edt.
Bonn.) Ein skythischer König nahm die Krone vom Haupte lind sandte
sie zum Zeichen der Verehrung der Kirche des heil. Phokas 13 °).
In der kirchlichen Schaustellung zu Besancon opferten die Weisen
mit den Geschenken auch ihre Kronen. Ante maius altare— olferunt
sua munera cum coronis (Crombach, p. 734).
So sehen wir in den Sarkophagen B■ .7, 7, 10 (liier laub
kranzartig) 137 ) den vordersten der Weisen dem. Christuskinde ein
Diadem 13s ) darbringen. In Aethelwold's Benedictionale (Ä. I)
sehen wir den Vordersten drei armbandartige Ringe dar-
bringen (cnf.mein Virgils Fortleb. im Mittelalt. p. 40, Anmk. 127
und mein Fragm. eines Lib. dativ. p. Hl).
Im Sarkophag, B. S, bringt ausnahmsweise der letzte der
Könige auf einer Schale zwei Tauben dar, vielleicht in Beziehung
auf Luc. 2, v. 24 (s. Bottari, scult. 1, p. 82; cnf. MartialXIll. 66).
Im Sarkophag B. 7 erscheint der Wittere mit einer Schüssel, auf
der ein pinienapfelartiger Gegenstand liegt, wie denn über
haupt in den Sarkophagen altchristlicher Zeit sich bekanntlich
noch manche antike Reminiscenzen bemerkbar machen.
F. h. Reise-Thiere.
„Magi ab Oriente venerunt Jerosolymam“; doch über die Weise
in welcher die Magier ihren Weg zurücklegten, darüber gibt das
136 ) Unus certe illinc princeps rexque coronain capitis deponens, auro ac gemmarum
floribus magnifice splendentem, exuensque pretiosae materiae loricam, quippe superba
est ac luxuriös« barbarorum armatura, utraque misit donaria Deo per martyrem,
potentiae ac dignitatis consecrans argumenta. Act. S. Phocas. ap. Ruinart. Act. Martyr.
p. 494, cl. 1. Uber das Darbringen von Kronen als Anerkennungszeichen der Ober
hoheit, auch als Tribut etc. s. Constant. Porphyr, de caerem. 1, p. SOI. 2, p. 588.
587, edt. Bonn. Cnf. Anm. 101. In Lamprecht’s Alexander macht Königinn Candacia
Alexander dem Grossen eine kostbare Krone zum Geschenke. V. 5418 ft’., edt. II.
Weismann.
13? ) Über den Laubkranz als Ehrenzeichen s. Pauli Real. Lex. 2, 714.
138 ) Ähnliche Perl-Diademe werden dem Heilande dargebracht in dem Mosaik von S. Paul
(S. V) und in dem von 8. Cosma e Damiano (S. VI). Gutensohn und Knapp, Basilik. des
christlich. Rom. TU. 41 u.42. In der Sophienkirche zu Konstantinopel ist K. Justinian
in einem ähnlichen doppelreihigen Diadem dargestellt. Salzberg, altchr. Baudenk,
in Konstantinopel. TH. 27. Über Diademe s. Du Cange, gloss. v. circulus 1, 362. cl. 2
u. 7. Append. p. 156. Abbild. Tbl. 1, Nr. 1. Ähnliche antike Diademe s. Guis. Micali,
Stör. degl. antich. popl. ital. Atl. Tav. 77, edt. 1832.
Epiphnnia. 363
Evangelium Matthaei 2, v. 2 keine Auskunft. Im Heliand (S. IX a. m.)
p. 17, 1 kommen sie zu Fusse herbei.
I. a. Allein frühzeitig schon hatte sich theils um das rasche
Herbeikommen nach der Geburt des Christuskindes, theils in Bezie
hung auf Isa. 60, v. 6 139 ) die Annahme geltend gemacht, dass die
heil. Weisen auf Kameelen und zwar auf schnelllaufenden Drome
daren 14 °) ihre Reise vollendeten (Trombelli 3, 408 etc.), welcher
Ansicht die Gottesgelehrten des Mittelalters in ihren Schriften huldi
gen. So Radulph. Ardens (c. 1040—1100) serm. p. 62 b. edt. Paris
1364. Drornadis invecti in Iudaeam stella duce perveniunt. Arnold.
Bonaevall. (-[ 1136) de Cardinal, op. Christ, ap. S. Cypr. op. app.
p. LXXYIII, cl. 2, edt. Venet. 1728. Pet. Comestor (f 1178)
hist. Evang. e. 7, p. 187. Joan. Beleth (c. 1182) Rat. offic. c. 73.
Et quod de partibus tarn remotis in tarn brevi tempore super
dromedarios, animalia videlicet velocissima, festinasse creduntur
illud prophetae: Inundatio camelorum etc. (Isa. c. 60) Innocens III.
(f 1216) serm. in Epiph. op. 1, p. 99, edt. Yenet. 1378. Dri
chvnige chomen gevaren in zwelf vf tromedaren. (Den vrstende.
Hahn, Ged. des XII. und XIII. Jahrhunderts. Nat. Bibi. 20, 111, v. 9.)
Genuger sneller tiere dromedarii genant. Passional (S. XIII) 24, v.
60, edt. Hahn. Jeronimus spricht daz si an weinnachtag erst den
steril seehen vnd ritten dromedary die all ze vast lauffent. (Durand,
[f 1296] ration. off. L. 6, c. 16. in deutscher Übersetzung [1384]
cod. pal. Vindob. Nr. 2763, p. 184 a.) Jacob, a. Vorag. (]- c. 1298)
Legend, aur. p. 89, edt. Graesse. Agnes Blannbekin, eine Wiener
Tertiarerinn (-[ c. 1298), sah in einer Vision die heil. Weisen auf
dromedarartigen Thieren herbei kommen l41 )> cnf. Joan. Hildesheim.
139 ) Cnf. Anmerk. 34. Über Kaineele bei den Hebräern s. C. Ritter, Erdk. 13, 697. Über
das Kameel bei den Arabern s. Das Kameel von Dr. Freih. Hammer-Purgstall in den
Abhandl. der kais. Akad. phil.-hist. Cl. Wien 1825, p. 1—85.
140 ) Die Dromedare sind zweihöckerig, und von grosser Schnelligkeit. Albert. Mag.
(f 1280) de animalib. op. 6, 580, cl. 2. Über die Naturgeschichte des ein- und
zweihöckerigen Kameeles, seine Verwendung im Kriege und den officinellen Gebrauch
seines Fleisches, Gehirns, Harns etc. s. Vinc. Rellov. (7 1264) specul. natural, cl.
1337—1339.) Die symbolische Deutung des Kameeles ist eine für dieses Thier wenig
schmeichelhafte. S. Anton d. Pad. (-{* 1231) op. p. 13, cl. 2, edt. Lugd. 1653. Jacob
d. Vitriac. (f 1244) Serm. p. 112, edt. Antw. 1575.
141 ) Vidit magos ab Oriente venientes, et, ut ait, quibusdam equis, quales nunquam vidit,
unde creduntur fuisse Dromedarii. Agn. Blanb. vit. et revel. p. 242. Giordan. da
25 *
364
Georg Znppert.
(1373) hist. tr. reg. p. 7 b. cl. 1. (edt. Mogunt. 1477). Als die heil, drei
Könige mit jrem Volk von Jerusalem herüber auf der höhe herritten,
auff jren Kameelen und Dromedai und Rossen 14a ). Die h. Veronica
(-J- 1497) sah in einer Vision: Tum variis rebusproregii itineris maies-
tate compositis, dromedarios, animalia grandis staturae et visu feroeia,
Reges ascendere Virgo contemplatur. (A. SS. Inr. 1. 90G. nr. 9.)
Die Gothen (386) hatten Kameele 143 ) mit über die Donau gebracht.
(Jakob Grimm. Über Jornandes, p. 45, 32. Jtilg in Zeitsch. f. vergl.
Sprach. 4.B.) Gundovald, ein unehelicher Sohn Chlotar’s, hatte Ver
bindungen mit Narses, der damals den Oberbefehl in Italien führte,
angeknüpft. (Greg. Tur. cl. 297.) Als Prätendent von König Gun-
thramm verfolgt, erbeutete dieser an dem Ufer der Garonne (585)
Kameele und Pferde, auf welche Gundovald seine Kostbarkeiten gela
den batte (ibd. cl. 361 a). Im IX. Jahrhundert sehen wir das Kameel
als seltenen Gast auf nordeuropäischem Boden, es war der Art
selten 144 ) geworden, dass man es Potentaten und zwar nur in Einem
Exemplar verehrte. So erhielt Kaiser Otto I. (885) von Miseko, Her
zog von Polen, unter mehreren Werthstiicken auch ein Kameel zum
Geschenke. (Thietm. [-J- 1018] Chr. P. M. Germ. 5. 770.1. 13. Annal.
Quedlin. ad. an. 986. ibd. 67. 1. 27, wahrscheinlich durch Tataren an
Miseko gelangt.) Die Sutriner setzten (c. 1120) den gefangenen Gegen
papst Calixtus des II., Mauritius Burdinus (Gregor VIII.), statt auf ein
weissesRoss auf ein Kameel, und gaben ihm als Zügel dessen Schweif
in die Hände. (Cardin, d. Aragonia Vit. Pontif. ap. Murat. SS. R. It. 3,
P. 1, 420 c. Wilhelm Tyr. [f p. 1178] p. 820.1. 44, ap. Bong.) König
Marsilie erbietet sich dem Kaiser Karl dem Grossen, zu senden „müle
und olbenden. (Ruoland Liet. p. 25, v. 2, edt. W. Grimm.) Im Jahre
Rivalt. (1303—1309) neigt sich der Ansicht zu, dass die Kameele blos als Lastthiere
gedient haben. Prediche d. Beat. Fr. G. 1, 148. Milan. 1839.
142 ) Hans Werli v. Zimmer, Reise nach dem heil. Land. Reiszbuch d. heil. Land. p. 258.
Nürnberg 1659.
143 ) Gothisch: ulbandus; althd.: olpenta. Graff, Althd. Sprachschatz 1, 244.
144 ) Es gilt als fremdländisch, und die Heiden die in Noble’s Land einfallen, werden von
dem Kameele angeführt.
Por paiens qui me font grant gerre
11 son ja entre en ma terre
Et si les conduit li Chameus.
Roman du Renart, V. 3. p. 231. V. 26127. s. Reinhart Fuchs p. CCXXV, edt. Jakob
Grimm. Dazu Haupt’s Zeitsch. für Deutsch. Alterth. 1, 394.
Epiphania.
365
1235 sandte Kaiser Friedrich II. seinem Schwager König Heinrich III.
von England als Zeichen andauernder Freundschaft ein Kameel zum
Geschenke. (Math. Paris, p. 354, 1. 26, edt. Lond. 1686.) Dieses
„Schiff der Wüste“ fuhr höchst wahrscheinlich auf dem Rhein seiner
Bestimmung zu, und Cölns Jung und Alt erfreute sich der Autopsie
des Reisethieres ihrer heiligen drei Könige; ein Anblick der bereits
früher Pilgern 145 ) und Kreuzfahrern in reichem Maasse wurde.
Letztere erbeuteten zahlreiche Ileerden dieser Thiere 14 °), und
bedienten sich ihrer als Reit- und Last- i47 ) und zur Zeit einer
Hungersnoth auch als Speise-Thier * 48 ). Ausserdem knüpfte sich
noch an das Kameel eine Sage von der heldenkräftigen Schlagfertig
keit Herzog Gottfried’s v. Bouillon 14 °). Im Jahre 1331 zog ein sicherer
Jaquet Tourneur mit seinen auf einem Kameel geladenen Waaren
durch Aubenas (Dep. Ardeche) und liess dort ausrufen: quod quicum-
que vellet videre dictam camelam veniret ad certum locum et ipsam
videret pro uno denario, et quod quicumque oscularetur supra
dorsurn, morbum ca du cum, qui vero desubtus eam transiret, fehl’es
perpetuo non sentiret. (Bibi. d. l’ecol. d. chart. 3 Ser. 1 Vol.p.263.)
(Ein Kaufmannsgehilfe [wie es scheint] der ein beladenes Kameel
treibt, dargestellt aus einer Handsch. des XV. Jahrh. hei Sommerard.
Atl. chap. 8, PI. 3.)
14 °) Der heil. Willibald, später Bischof vou Eichstädt (-{* 786), traf auf seiner Reise im
heil. Lande einen Mohren (wahrscheinlich Eunuch) mit zwei Kameelen. Et inde per-
rexerunt super campum magnum olivarum plenum, et pergebat cum illis unus
aethiops cum duobus camelis, et uno mulo, qui ducebat mulierein per sylvam. Vit. S.
Willib. ap. Falkenstein, Cod. dipl. Nordg. p. 467.
146 ) Ekkehard, chron. P. M. Germ. 8. 217, 1. 49 (Schlacht v. Askalon 1099. Aug. 14).
Durch den Sieg hei Dorylum erbeutete das Kreuzheer: Camelorum quoque
phalanges, quales prius nostri non viderant. Wilhelm. Tyr. (-{- p. 1178) ap.
Bongars gesta Dei. p. 674, 1. 31 und öfter, ibd. p. 782, 1. 2, I. 12, p. 789, 1. 31.
Im Jahre 1191 bei einem von Joppe aus unternommenen Streifzug. Iter Richardi ap.
Gale Scr. 2, 380 etc.
147 ) Wilh. Tyr. ibd. 761, 1. 6, p. 799; 1. 37, p. 896; I. 63, p. 939; 1. 42 etc.
148 ) Der Mangel der christlichen Belagerer Antiochiens (1097) stieg so hoch, dass sie
ihren Hunger mit Kameel-, Pferde und Eselfleisch zu stillen keinen Anstand nahmen.
Wilh. Tyr. 717, 1. 27.
149 ) Ein arabischer Fürst, zu dem der Ruf der Heldenthaten Gottfried’s gedrungen war,
kam von Ferne herbei und führte, um sich von der Wahrhaftigkeit jener Gerüchte
zu überzeugen, dem Herzog ein überaus grosses Kameel vor; dieser jedoch zog
alsofort sein Schwerdt und hieb dem Riesenthier mit so anstrengungsloser Be
hendigkeit, als hätte er den Streich gegen irgend ein gebrechlich Ding zu führen
gehabt, den Kopf vom Rumpf. Wilhelm. Tyr. p. 776, 1. 21.
366
Georg; Zappe r t.
Trotz dieser Vorgänge blieb bis zum XV. Jahrhundert die Ver
anschaulichung des Kameeles in bildlichen Darstellungen lä0 ) der
Anbetung eine überaus seltene. Das einzige mir bekannte Beispiel
aus altchristlicher Zeit zeigt der Sarkophag (B. 7), wo zwischen
dem vordersten und mitteren der Weisen, so wie zwischen diesem
und dem letzten zwei Kameelköpfe 15 *) sichtbar werden. Von Italien
ausgehend (verbd. Anm. 144) wird im XV. Jahrhundert die Dar
stellung von Kameelen häufiger. So in Fiesoie’s Anbetung (F. 1)
zu Florenz, in Gentile da Fabriano’s Gemälde (G. 1), in Fini-
guerra's Niello (F. 2 ; hier sieht man sechs Kameele den Bergpfad
herabsteigen), in den Niellen (N. 3). Den florentmischen Vor
gängern folgt Memling (M. 3) etc.
I. b. In populären Schriften lässt man zuweilen die heil, drei
Weisen auf Pferden reitend herbei kommen. So in Bruder Philipp’s
Marienleben p. 68, v. 2475, v. 2512, v. 2563 (edt. Riickert). Job.
Hildesheim, p. 7 b, cl. 1, p. 14 a, cl. 1. Im feierlichen Aufzuge zu
Mailand (1336) erschienen die heil, drei Könige hoch zu Ross mit
mächtigem Gefolge 152 ).
Geläufiger als das Kameel ist der mittelalterlichen Kunst die
Darstellung des heimischen ritterlichen Bosses. So werden im Sar
kophag (B. 12) drei Pferdeköpfe (zwischen dem Vordersten und
Mitteren und diesem und dem Letzten und hinter diesem) sichtbar.
Zu Rosse (auf der Hinreise) erscheinen die heil, drei Weisen im
Relief (c. 1166) zu Pistoja (P. 1). In Nicola Pisano's (1260)
Relief (N. 1) erscheinen hinter den heil, drei Weisen die Vorder-
150 ) Es gehörte überhaupt die bildliche Darstellung des Kameeles in Kunstmalern mittel
alterlicher Zeit zu den Seltenheiten, und dürften solche meist byzantinischen
Ursprungs sein. An dem Elfenbeinschrein (c. S. VI?) zu Sens sind in den Scenen
aus dem Leben Joseph's mehrfach Kameele mit einigem Streben nach Naturwahrheit
dargestellt. Millin. Voyag. d. midi. Atlas, IM. 10 u. 11. Ehen so finden wir dieses
Thier dargestellt in einem auf Holz gemalten byzantinischen Triptychon (S. XIII).
D’Agincourt 5, PI. 91.
151 ) Über das Kameel als Sinnbild Arabiens s. Ekhel, Doc. num. vet. 6, 420 und Hase,
Palaeol. p. 81. Darstellungen, in denen die Reisethiere der Weisen in solch zweifel
haften Formen auftreten, dass man sie nicht von Pferden oder Maulthieren oder
Kameelen mit Sicherheit zu unterscheiden vermag, sind hier unberücksichtigt
geblieben.
152) Tres Reges in equis magnis— et familia magna nimis. Gualvani de la Flamma
(f 1344) ap. Murat. Scr. R. Ital. 12, 1017 d. Cf. Anmk. 93 u. 142, u. F, d. III,
s. Anmk. 134.
Epiphania.
367
leiber ihrer drei Reitrosse. In den Sculpturen (c. S. XIII ext.) zu
Orvieto (0.1, unter Mithilfe deutscher Künstler gefertigt). Elfen
beinschnitzerei (c. S. XIII ext.) im Schatz der Kathedrale von
Reims. Abbild. Trabe d. eglises d. Reims p. 134. Ferner erscheinen
Rosse in F. 2, F. 3, G. 3, G. 11, M. 3, P. 1, S. 1. Das Malerbuch
vom Rer ge Atlios schreibt vor, dass in den Anbetungsbildern ausser
halb des Hauses ein Jüngling drei Pferde am Zaume haltend, dar
gestellt werde. Didron, Manuel d'icongr. p. 139, G. Schäfer''s Über
setz. p. 174.
Ris ins XIV. Jahrhundert in bildlichen Darstellungen ohne
Gefolge erscheinend 15S ), sehen wir dieses allmählich zu mehr
oder minder ansehnlicher Höhe lä4 ) und mit ihm auch die Zahl der
Reit- und Lastthiere sich steigern, so dass wir endlich in Anbetungs
bildern des XV. Jahrhunderts zuweilen Karne eie vereint mit
Rossen 155 ) dar gestellt finden (wo dann erster e durch ihre Neger
führer als dem Mohrenfürsten, letztere durch ihre Knappen-
Regleitung als den beiden anderen Königen zustehend, sich kenn
zeichnen). So in Gentile da Fabriano s Anbetung (G. 1), in
Memling’s sieben Freuden Maria's etc.
153 ) Sie ni habdun thanan gisideas mer. Heliand (S. IX a. m.), p. 19, 1. 23. Diese Stelle
ist nicht ganz klar, und kann vielleicht auch dahin gedeutet werden, dass die h.
W. nach der Anbetung ihr Gefolge entlassen hatten. Über Gefolgschaft s. Philipps,
Engl. Reichs- u. Rechtsg. 1, p. 22. Roth, Gesch. d. Beneficial. 116 seq. Ferd. Walter,
deut. Rechtsgesch. p. 19, 39 etc. Zahlreiches Gefolge gehörte zur Standesauszeich
nung, s. Gregor. Turon. Mist. L. 9, c. 9. P. Mon. Germ. 6, 732, 1. 18, p. 733,
I. 18. 7, 138, 1. 44, p. 206, 1. 19, 10, 273, 1. 23. Paul. Warnefr. ap. Murat. S.
R. Ital. 1, 420, b. Bonin. Regist. Visitat. p. 377. Parzival. 669, 1. 668, 22.
154 ) Ilildebert (-{-1136) serm. in Epiph. op. cl. 274. Dem h. Walthenius (-j- c. 1160), Abt
des Klosters Melrose, erschienen am Epiphanientage in einer Vision die Könige mit
grossem Gefolge (Aspexit — regum ab Oriente cum magno apparalu venientium —,
A. SS. Aug. 1, 264 a). Facile suspicandum est reges non venisse solos , sed eos
secum magnum advexisse Principum comilatum. Beleth. (c. 1182) Ration, off. c. 73,
p. 132 b. Bruder Philipp, Marienleb. p. 69, v. 2310. In der kirchlichen Schaustellung
der h. d. IC. zu Rouen hatte jeder der Könige einen Ministranten zur Seite (Marten, d.
ant. Eccl. rit. 3, 122 e), eben so in der zu ßesangon (Crombach, p. 732). In zahl
reicher Begleitung erschienen die h. d. K. in dem Aufzug zu Mailand (s. Anm. 132).
Mit grossem Gefolge herbeikommen sah sie in einer Vision S. Francisca Romana
(-{- 1430. A. SS. Mrz. 1. *113 a). Ehen so B. Veronica d. Bisnaco (*{- 1497) Visio.
A. SS* Inr. 1, 906, Nr. 9: s. folgende Anmk.
155 ) De dromedariis et equis eorum multimode ornatis descendentes: Joh.Hildesh. p.l4a,
cl. 1. Sie kamen mit Pferden, Maulthieren, Kameelen und grossem Gefolge, ibd.
p. 7b, cl. 2; plura animalium genera in suo habens comitatu. B. Veronica d. Bisnaco
(*{* 1497) Visio. SS. Inr. 1, 906, Nr. 9. Cnf. Anm. 136.
368
Georg* Z a p p e r t.
II. In der heil, drei Königs-Procession zu Mailand (133C)
erschienen die heil, drei Könige mit Affen und Pavianen: cum somariis,
et mirabili famulatu — simiis, babuynis (Gualvan. d. 1. Flamma ap.
Murat. S. R. It. 12. 1017 d).
In G. da Fabrianos Anbetung (G.I) sehen wir zwei Affen 156 )
und einen Tiger, um die orientalische Heimath der heil, drei Könige
156 ) In Beziehung“ auf Tharsis, woher König“ Salomon ausser Gold , Silber und Elfenbein,
auch Affen und Pfauen bezog. III Reg. 10, v. 22. Cf. Jac. d. Vitriaco Serm. p. 105.
Eines mit einem Affen und einer Cymbel herumziehenden Lustigmachers gedenkt
Gregor der Grosse (-{* 604): repente ante januam cum simia vir adstitit, et eymbala
percussit. Op. 2, 188 a. seq. edt. Maurin. Guiraut Riquier klagt (1275) in einem
Bittschreiben an König Alfons X. von Castilien, dass man selbst jene die Affen oder
Marionetten tanzen lassen, Jongleur nenne.
Ni cels que fan jogar Cimis ni bavastels.
(Fried Diez. Leb. d, Troub. 334.) Schon ein Sprichwort des XIII. Jahrhunderts lobt
die Gascogner als: Li mieldre jugelor en Gascoigne. Crapelet. Remarques histor.
p. 83. Sommerard gibt aus einer Handsch. d. XV. Jahrh. des k. Archivs zu Paris
Abbildung eines Affentreibers mit seinem Thier. Alb. Ser. 6, PI. 14 und Strutt sport.
and past. p. 244, edt. 1841. Eines Affen wird gedacht bei Wriglit a sei. of lat. stör.
122. Harfen spielende Affen bei Schaw, Illumin. ornam. Tbl. 10. In einer Miniature
der k. Bibliothek zu Paris (S. XV), Nr. 6877 erscheint Ludwig“ der XIII. und neben
ihm ein Hund und ein Affe. Sommerard. Alb. Ser. 4, PI. 37. In den Vignetten einer
minirten Handschrift (S. XV. ext.) der Königinn Anna, Gemahlinn K. Karl’s VIII. v.
Frankr. ibd. Ser. 6, PI. 24. Im Cod. Palat. Vindob. (an. 1341), Nr. 1203, p. 291 u.
Nr. 2759, p. 25 a. (S. XV) und Nr. 1179, p. 47 b (S. XIV) sieht man einen Affen,
doch sind Darstellungen dieses Thieres in Handschriften ziemlich selten. Albert
der Grosse bemerkt: der Hund sei ein zu Kunststücken leicht abrichtbares Thier (et
ideo inimica discunt histrionum opera). Damit er recht gelehrig werde, gebe man
ein solches zum gymnastischen Künstler zu bildendes Thier in seiner Jugend mit
einem Affenweibehen zusammen etc. Albert. M. (-J- 1280) op. 6, 582, cl. 1. Le
Grand zieht aus einer Handschrift des XIII. Jahrhunderts die Beschreibung eines
Festes an, in welchem man auch zur allgemeinen Belustigung auf Pferden reitende
Affen vorführte. L. G. Fabil. 2, 364, edt. Paris 1829. Bei der Hochzeit Karl’s des
Kühnen von Burgund zu Briig (1468) mit Margarethe von England führten Affen
einen maurischen Tanz aus. Crusius, Annal. 3, p. 436. Bären- und Affentreiber
zogen auch in Deutschland herum, auch hielt man in Häusern zur Kurzweil solche
Thiere: We so heit — enen tarnen wulf — oder enen beren, oder enen apen.
Sachsenspiegel, II. Art. 63, edt. Sachsse. Eine Ordonnance (c. S. XIII ext.) ver
ordnet, dass ein Kaufmann der einen Affen nach Paris bringt, um ihn zu verkaufen,
vier Denare Zoll zu zahlen habe, die Einfuhr von Affen aber, die inan zu seiner Be
lustigung gekauft hatte, war zollfrei, ist es aber ein Spielmann der seinen Affen
mit sich führt, so soll dieser das Thier vor dem Zöllner purzeln (gambader) lassen,
und dieser müsse sich mit diesem Zoll zufrieden geben, daher das französische
Sprichwort: „payer en monnoie de singe“. Depping-, Reglm. d. 1, artr. et met.
d. Paris, p. 287. Auch der Hochmeister des deutschen Ordens hielt (S. XV) Affen.
Voigt in v. Raumer, hist. Taschenb. 1830, p. 186. K. Otto I. erhielt aus dem Orient
Epiphania.
369
zu veranschaulichen, in die Darstellung gebracht. In Ghiberti's
Bronzethüren (G. 4) sitzt Einem aus dem Gefolge der heil. Weisen
ein Affe auf dem Rücken.
So hatte sich allmählich die Compositionin stets reicherer Anord
nung von der einfachen Darstellung dreier in phrygischer Tracht
herbeieilender Männer zu jener glanzvollen Darstellung der heil,
drei Könige gesteigert, in der sie uns in Bildern des fünfzehnten
und der folgenden Jahrhunderte entgegen treten. Mit rauschendem
Gefolge und fliegenden Fahnen nahen hier in goldblinkenden Ge
wändern die heil, drei Könige heran. Ihnen gegenüber ruhet im
Stillleben der Dürftigkeit eine Mutter mit ihrem Kinde. Doch dieser
Gegensatz zwischen Armuth und Reichthum gelangt durch den Geist
der Demuth, der die gekrönten Häupter übersclnvebt, versöhnend zur
Ausgleichung. Die Könige treten hin und neigen anbetend sich dem
göttlichen Kinde. Es neigt irdische Macht sich der geistigen. Es neigen
die weissen und auch der schwarze König sich, denn der Herr hatte
die Exclusivität des auserwählten Volkes gebrochen und liess die
Strahlen seiner Gnade erleuchtend fallen auf die Menschen aller Farben.
Ich gebe nun zum Schlüsse eine Epiphanien-Festpredigt des
XIV. Jahrhunderts. DemselbenManuscripte des nunmehr aufgelassenen
Carmeliten-Klosters in Wien, aus der ich bereits in meiner Abhandlung:
Über den Ausdruck des geistigen Schmerzes im Mittelalter p. G2 eine
Charfreitag-Predigt veröffentlichte, derselben Handschrift ist auch
folgende entnommen. Gleichheit der Mundart wie Redeweise, gleich
wie häufiges Androhen der Höllenpeinen und eindringliches Ermahnen
ausser Kameelen auch Affen zum Geschenke. Widukind (S. X. m.) ap. P. Mon. Germ.
3. 401. I. 42. In Ruodlieb (S. XI) schenkt der minder mächtige König dem gewal
tigem nebst Löwen, Leoparden etc. auch Kameele und einen Affen (Jak. Grimm u.
Schmeller, lat. Ged. d. X. u. XI. Jahrh. p. 144, v. 113 seq. v. 131 seq.). In dem geist
lichen Schauspiel Adam und Hera führt Gott unter den Thieren die er Adam vor-
fiihrt, auch das „Kümmel“ und Affen auf. Jakoh Rucf (1530) Ad. u. Her. p. 20,
p. 26, edt. Kottinger. Affen an der Kette. Kupierst, v. Israel van Meekenen
(c. S. XVext.) Bartsch. Le peint. grav. G, p. 276 , Nr. 190, 191. Das Windhaa-
gische Wappen zeigt (1663) iin Herzschild einen an die Kette gelegten Affen. In
Hans Memling’s Doppel-Triptychon (1491) zu Lübeck sieht man in der Kreuzigung
einen jüdischen berittenen Magnaten und hinter dessen Sattel einen Affen. (E. Förster,
Gesch. deutsch. Kunst, 2, 110.) Der Teufel als Affe. Caesar Heisterbach (f p. 1227).
Dial. 2, 318 edt. Strange. In letzterer Darstellung dürfte der Affe allegorischzu
deuten sein. Nach Guilliel. Alvernus (j- 1249) op. 2, P. 2, p. 22, cl. 2, sind Allen
und Pfaue Sinnbilder des Luxus.
370
Georg: Z a p p e r t.
zu christlicher Werkthätigkeit, setzen es ausser allen Zweifel,
dass beide Predigten einem und demselhen Verfasser angehören*).
Prehen tag predig 157 ).
Et intrantes domum invenerunt puerum cum Maria matre ejus
et prucidentes adoraverunt eum. et aperlis thesauris suis obtulerunt
ei munera, aurum thus et myrrham. Die chunich von osterland gien-
gen in daz hovs vnd funden daz Kind vnd marien sein muter, vnd
e
5 vilen da nider vnd peten Is an vnd opherten im ir Gab. gold vnd
weihrouch vnd mirren. Diese wort liset man hüte an dem heiligen
Evangelio. Alzam die heiligen drey chunich alsest svlt ir got pringen
dreyer hant gab, von ersten svlt ir got pringen golt. pey dem golt
ist bezaichnet die gehorsamchkeit. die gehorsam ist ein anevanch
10 aller tungde. gedench der gar gut got hat Vnterton gemacht allev
dinch dein fuzzen ohsen schaf vnd allez vich des veldes 15S ) davon
dv solt Gehorsam vnd vntertan seyn den herren aller creature der da
ein fürst vnd ein chvnig aller chvnich ist. Sam gold gezet 159 ) wird
pei fewer alsest wird dev sei gepurt le0 ) mit gehorsam, dv svlt
15 gehorsamen alles gepotes gotes. nv wie svl wir gehorsamen alles
seines gepotez. dez will ich ew bescheydcn. ir svlt vngehorsamen
den tivel ir svlt allesant sein gepot zeprechen wann er raizzet in
flaish dev begir Pöser begerunge. dev hand dev zunge der fuz svl
wider gesagen aller der bethorunge des teyvel. dev hand so dv wilt
20 deinez ewenchristen gut verrawben davon Vnrecht is in dein hand.
got hat ew hänt gelaist schlach mit fawest hertigleichen den teyvel.
levemus corda nostra eum manibus ad dominum in ccelos 161 ). Dev
zung so dv wilt vershmachen deinen ewenchrist den mit zürn chrenk-
clien mit honchustigen lefs ze deinen nächsten uppigleich reden.
25 Davon sprichet herr David Eloquia domini eloquia casta 103 ) die red
des herren seynt chensch. disperdat dominus vniversa labia dolosa 108 )
der herre zefuret die chleftigen lefs. Die fuz so die vellent gehn den
wech der vbeln den pliat der posen. veloces pedes eorum ad effun-
dendum sanguinem ,64 ). getret mit fuz ze der erden den tivel. die fuz
30 die tanzent pey schallende tzimbal die werdent gewürfen in finster
*) Über das Sprachliche dieses Predigers und seine Kennzeichnung als Wiener s. dort
Anmk. b u. e.
157 ) Randglosse späterer Hand. 158 ) cnf. PsI. 8, v. 9. 159 ) In der Esse geläutert.
16 °) Gereinigt, *6*) Thren. 3, 41. 162 ) Psl. 11, v. 7. * 63 ) Ebd. v. 4. 164 ) Psl. 13, v. 3.
Epiphania.
371
do wainen ist vnd chnirschen der zent 165 ). davon lauffet nit ze tanz
sunder ze clnrchen. nv lauffet alses daz ir alle begreiff das himmel-
reich. Dev ander 166 ) Gob dev die heyligen chunig opherten was
mirren. pey dem ist bezaichnet dev Pilz. alsam mirren scheuclizet
die wurm an den leichamen alsust scheuclizet dev peycht den tevvel 33
von der svndigen sei. nv fraget maniger owe wiesol ih ze puz stehen
gehen 167 ) do will ich ewch tzaigen dev Rechten strazz. sam die heyligen
chvnich nicht in ain pallanz svndern in ein armes husel cliomen. alsam
sult dv ritter dv purger diemütichleich dein svnd eim prister sagen, val
abe von drumedar der hochrart vnd denverff dich got ze fuzz mit reren- 40
den hertzen vnd lauter peicht deiner svnden. als der weissag sprichet
effunde sicut aquam cor tuum ante conspectum domini ,6S ). giz aus
dein hertz alz ein wazzer vor gotes antlizz. aber nit einech daz seitel
vnderst daz Vazz deiner svnd. wann dev peicht muz ganzer sein, also
spricht vnser lierr im heiligen Evangelio non est aliquid abscondi-45
tum quod non manifestetur 169 ) et Psalmista deus novit abscondita
cordis 17 °) got weiz die tawgenleicheiten deines hertzen er kennt
dein helinch vnd ist ihm nymmer verporgen. ir entpiizzet niht ewr
svnden ir müzzet alle verderben vnd verschwartzen in der glundigen
hell, awer durich rehte- peycht vnd püz wird dev sei gerainiget vnd KO
er waizzet fiber sehne, dorumb chert ew zu got. quia misericors est
et prestabilis super malitia 171 ). wann er parimherzig ist vnd willig
zu vergewen den diemütichen. Dev dritt gab was die heyligen drey
chunig opherten den weirouch damit ist bezaichnet daz opher der
guten werch. abjiciamus opera tenehrarum 172 ) zewerff wir die werch öS
der pozhait vnd wirchen wir wercli der guthait. nv hör ich inanigen
vragen wie svll ich tun werch der gutheit. dez will ich ew leren. ir
svlt ein helfer sein der armen in der notdurft vnd svlt ihm pey
gestehen in trubsal 173 ). dv svlt got vmbevahen mit den werchen der
barimhertzigkait vnd dv chuss phennich I74 ) pfi dv halset dein goldGO
165 ) Matth. 8, v. 12. 166 ) Es ist dies eigentlich die dritte Gabe. Wir haben entweder
einen Irrthum oder etwa wie bei Dichtern (z. B. Suchenwirt, p. 130, v. 342) eine
Licentia poeticn, so hier eine Licentia. praedicatoria zu vermuthen.
167 ) S. mein Vita B. Petri Acotanti p. 23. Er ginc vur den Kvnic stan. Herhot liet v.
Troj. v. 281, v. 939, v. 987, edt. Frommann.
168 ) Thren. 2, v. 19. 169 ) Matth. 4, v. 22. 17 °) PsI. 43, v. 22. 171 ) Joel. 2, v. 13.
17 *) Rom. 13, v. 12. 173 ) Isa. Ö8, v. 7.
174) pfennig-Küsser, ein Geitziger, s. Schmeller. Bayer. Wörth. 2, 337. Hainrich Kiis-
senpfennig (Wiener Bürger, S. XIV). Schlager. Wien. Skizz. INeue holg. 3, 462 u. ö.
372
Georg“ Zapp ert. Epiphania.
dv busest 175 ) dein silwer, o we wie wird dein golt ze schwebel
wie wird dein silwer ze pich, in der Glundigen holl do trenchent
dich die tivel mit pley vnd fewer. tut werch der harmherzigcheit. all
die zäher der weinunden die dv getruchent davon si niht ze erden
CS nider gehent die erhochen engel ze himmel vnd werdent alz blund
e e
lilgen. vnd wirchet got darauz dir ain schappel der himmelischen
vrölicheit 176 ) daz nymmer niht zedorrt. dv geitiger dv vertawgest 177 )
dein phennich in holen perig 178 ) vnd wird dir von dip verstolen,
verhelich dein schätz in himmel dort wachent engel auf dein hört, dv
70 girdicher dv wilt schätz beheben vnd pemselt 179 ) dih ein schwibler
e e
18 °) vnd nibler m ) mit phertzen 182 ) vnd priv 183 ) daz dv hast mer
nit dann gespot vnd not. beheb dv gotes gepot vnd dv gewinnest schätz
wann ie chain von arabia. wann got sprechet, quod uni ex minimis
meis fecistis. was ir dem aller minnesten von den meinen tut daz hant
7S ir mir selber tun. dorumb prich dem hungerigen dein prot 184 ) gip got
zessen. wer den armen sattet der saftet got. dorumb gip got zessen
vnd er wirt dih speisen mit dem himmelprot der ewigleichen Sälichait.
dev verleih uns alle got. amen.
Das Haus Nr. 723 in der Adlergasse der Innern Stadt Wien ist dermalen noch unter
der Bezeichnung „Zum Küss den Pfenning“ bekannt und trug bereits 1470, 1498
gleiche Bezeichnung, s. Alb. Camesina in Mitth. d. Alterth. Verein. inWien, 1,250—251.
175 ) Küssest. Schmeller, Bay. Wörterb. 1, 211. Cf. Zeitschr. f. D. Alterth. 3, 532.
17G ) Zu Tanz- und anderen Gelagen ging man blumen-bekriinzten Hauptes. Minne Sing.
Hag. 2. 212. cl. 1, 238. cl. 1. Du Cange gloss. v. crinile. Cf. Parziv. 232, 17.
Erec. 1571. Pet. Suchenwirt p. 98, v. 165 1F. Ein schoener kranz lobelich zierte
wol ir blankez har. Hagen, Gesammtabenteuer 1, 4G9, v. 25 u. Ulrich von Zat-
zikhoven Lanzelet v. 658, edt. Hahn. Cnf. Gregor. Mag. (-{- 604) op. 2, 458 e, u.
Heinrich’s Litanei in HolFmann's Fundgruben 2, 231 u. mein Vita B. Peter Acotant.
p. 28. Kränze waren zuweilen aus Perlen geheftet (1428). Schlager, Wien. Skizz.
Neue Folge. 3, 337 u. I, p. 79. Depping Ileglem. sur 1. arts. p. 246.
177 ) Verbum trans. aus dem Adverb, taugen gebildet.
178 ) Cnf. Nibelung. 90, 1. holan stan = Höhle (875) Kembl. Cod. dipl. Angl. 3, 399. Jak.
Grimm, Mythol. 2, 611, 617. Haupt, Altd. Blatt. 1, p. 75. Cnf. II. Meyer, die Orts
namen d. Cant. Zürich. MiLtheil. d. Antiq. Gesellschaft, 6, p. 90, 154.
179 ) Pinseln, anstreichen, anschmieren, mundartlich für betrügen.
18 °) Hin und her Schweber, Schwindler.
181 ) Nebeler, Dunstmacher, dem Lateinischen „Nebulo“ nachgebildet.
182 ) Wahrscheinlich nahmen auch geweihete Kerzen (s. mein: Über das Fragment eines
Liber dativus p. 28 und mein: Über Antiqu. Funde p. 43, Anmk. 82) eine Stelle
in dem Schatzgräber-Apparat und um so mehr ein, als derartige Operationen meist
des Nachts vollzogen wurden.
183 ) S. o. Anmk. 93. Herbot v. Fritslar liet v. Troj. p. 12, v. 1038, v. 1103, edt. Fromniann.
184 ) Cnf. Isa. 58, v. 7.
Hammer-Purgs tall. Fortselz. des Auszuges aus encyklop. Werken etc. 373
SITZUNG VOM 15. OCTOBER 1856.
Vorgelegt:
Fortsetzung des für die Denkschriften bestimm ten A uszuges aus
encgklopädischen Werken der Araber, Perser und Türken.
Von weil. Dr. Jos. Frcih. v. namiuer-Pnrgstall.
Aus dem Durret-ut-tadsch (Perle der Krone) Mahmud Schirafi’s.
Die von demVerfasser vorangeschickte erste Einleitung: V o n d e r
Trefflichkeit der Wissenscliaft, des Lernens u n d L e h-
rens enthält, dem hier angeführten Titel gemäss, drei besondere
Abtheilungen deren Gegenstände durch Citate, 1. aus dem Koran;
2. aus der Überlieferung; 3. aus den Worten der Weisheit (asar),
erläutert werden.
Die zweite Einleitung handelt von den ßedingnissen des
Lernenden und seinen Pflichten, deren viele.
Die Bedingnisse des Lernenden werden in zehn nothwendigen
Erfordernissen auseinandergesetzt, von denen der Auszug die folgen
den zwei anführt:
1. Die Reinigung der Seele von allen niedrigen Eigenschaften.
2. Die Erwerbung aufrichtigen Sinnes (ichlafs). Hierbei spricht
der Verfasser von den Beweisen für die Trefflichkeit der Wissenschaft
aus der Vernunft hergenommen, von denen vier an der Zahl aus
gewählt und mit grosser Ausführlichkeit dargelegt werden.
Auf die zweite Einleitung folgt: Die zweite Grundfeste
von der Trefflichkeit des Lernens.
374 h ammer-Purg'.stal I. Portsetz, des Auszuges aus encyklop. Werken etc.
Hierauf: Die dritte Grundfeste von dem Verdienste
des L e h r e n s.
Beide Capitel werden erläutert: 1. durch Verse des Korans;
2. durch Worte des Propheten; 3. durch Worte der Genossen des
Propheten und Anderer.
Der Auszug geht über auf den zweiten Abschnitt, von dem
wahren Wesen der Wissenschaft und von ihrer Vor
stellung, welche entweder eine plötzlich eingegebene odereine
erworbene, und von dem was dazu gehört.
Dieser Abschnitt enthält folgende Abtheilungen:
Erste Grundfeste. Von dem wahren Wesen der Wissen
schaft, und welcher Kategorie sie angehört.
Zweite Gr und feste. Ob die Vorstellung der Wissenschaft
eine plötzlich eingegebene oder eine erworbene, und ob im letzten
Falle dieselbe begrenzt werden könne oder nicht.
Dritte Grundfeste. Dass die Begrenzung der Wissenschaft
möglich, aber ihre Definition schwer. Der Verfasser gibt hier die
nach seiner Meinung beste Definition der Wissenschaft, ferner eine
Eintheilung der Kenntnisse.
Der dritte Abschnitt enthält die Eintheilung der Wissenschaft
in drei Grundfesten. Hiervon werden in dem Auszuge besprochen:
Erste Grund feste. Von der Erklärung der Wissenschaft,
welche der Eintheilungsgrund.
Zweite Grundfeste. Eintheilung der Wissenschaft in philo
sophische und nicht philosophische, und der letzten in Religions
wissenschaften und solche die nicht Religionswissenschaften sind.
Hammer-Purgstall. Bericht iib. d.Fortsetz, der osman. Reichsgeschichte. 37o
Bericht Uber die Fortsetzung der osmanischen Reichs
geschichte.
Von weil. Dr. Jos. Freih. y. Hammer - I’urgstall.
Ehe noch ein Jahr verflossen, ist der dritte Theil der Fort
setzung der osmanischen Reichsgeschichte, über deren beide erste
Theile im Novemberhefte der Sitzungsberichte des verflossenen
Jahres Bericht erstattet worden, erschienen; ausserdem, dass dieser
dritte Theil auch das den beiden ersten ertheilte Loh vollkommener
Unparteilichkeit und Abwesenheit aller Unbilden gegen Nichtmoslimen
verdient, ausserdem, dass er eine vortreffliche Quelle für den Fort
setzer der deutschen Geschichte des osmanischen Reichs, enthält
derselbe auch geographische Aufschlüsse über die zwei in jüngster
Zeit so politisch berühmten Berge, den Kaukasus und den Liba
non, und Nachrichten über zwei der berühmtesten in jüngster Zeit viel
besprochenen Völkerschaften, nämlich die Drusen und die Tscherkessen.
Dieser Theil welcher 439 Seiten stark, schliesst mit dem Jahre 1786
unmittelbar nach der Erklärung des Krieges gegen Russland und un
mittelbar vor der Eröffnung des Krieges mit Österreich. Wenn der
selbe in den sechs Hauptstücken in die er zerfällt, auch manche in
eine frühere Zeit der Geschichte des osmanischen Reichs oder gar
nicht hieher gehörige Dinge enthält, wie z. B. das Schreiben Timur's
an Karl den VI., König von Frankreich, oder die Ansprache des Gross-
wefirs Ibrahim Pascha an den französischen Botschafter zur Zeit
Suleiman’s des Gesetzgebers; wenn auch die Aufnahme von hundert
diplomatischen Actenstücken deren Liste hier beiliegt, eigentlich in
den Anhang und nicht in die Geschichte selbst gehört, so wird jeder
Leser dem Verfasser um so mehr Dank dafür wissen, als sich darunter
Actenstiicke von bisher ganz unzugänglichen Archiven befinden.
Vorausgeschickt ist der Inhalt der sechs Hauptstücke und ihrer
Abschnitte und eine Neuerung: über eine von der Versammlung
des Wissens (wie sich die Konstantinopolifaner Akademie nennt)
beliebte Einführung zwei neuer Vocalzeichen zum Unterschiede des
u und des o in fremden Namen, indem ohne dieselben es unmöglich
376
Freihen* Hammer-Purgstall.
zu wissen, ob das W aw als u oder o zu lesen. Hierüber ist nur zu
bemerken, dass eines von diesen beiden Zeichen gänzlich überflüssig,
indem es genügt hätte zu sagen, dass das Waw ohne Zeichen als u,
mit einem darüber oder darunter gesetzten Zeichen aber als o zu
lesen. Wir ergreifen diese Gelegenheit, weiters zu bemerken, dass
diese Geschichte den unumstösslichen Beweis liefert, dass das Hemse
(nicht Hamsa) als e und nicht als a auszusprechen ist, wenn es allein
oder über einem Elif steht 1 ).
Die Liebhaber der neuen ägyptischen Geschichte von der Mitte
und dem Ende des vorigen Jahrhunderts werden in dem ersten
Hauptstücke dieses Bandes umständliche Nachrichten über mehrere
oft genannte öffentliche Charaktere finden, wie über Abüfeheb Dsche-
far, Ali Pascha, Gafi Hasan Pascha, Haider Ali u. s. w. Dieses erste
Hauptstück enthält auch die näheren Kunden über den Berg Libanon
und über die Drusen die, ungeachtet Ritter und Silvestre de Sacy
in ihren Werken alles bis dahin Bekannte gesammelt, dennoch viel
Neues bringen, wie die folgenden Auszüge aus dem Seite 15 beginnen
den Abschnitte zeigen werden. Dieser Abschnitt ist überschrieben:
Die vergangene und gegenwärtige Verwaltung des
Libanon, die Grundsätze und alten Gewohnheiten der
Herrscher, die Menge und Eintheilung der Bewohner
d ess eiben.
Vergeblich habe ich diese grammatische Regel mehr als einmal gepredigt; um
so mehr wird es mir erlaubt sein, den in der vorliegenden Geschichte enthaltenen
Beweis hieher zu setzen. Das französische de der eigenen Namen wird immer
geschrieben , was freilich nicht ganz richtig , indem dies eigentlich deux lautet
und also nicht genau das französische de des unbestimmten Artikels wiedergibt;
aber es beweist doch für die e Aussprache des Hemse, wornach auch der Name
des Vaters der arabischen Grammatik Dueli und weder Duli noch Duali zu
lesen ist.
Die Orientalisten welche fortfahren Muwejed statt Muejed zu schreiben, sind sehr
im Irrthume; denn man sagt Muefin ü) und nicht Muwefin. Seit einem halben
Jahrhundert habe ich mehr als einmal bemerkt, dass es ebenso unrichtig ist
Hegira zu schreiben, als dasselbe mit Flucht statt mit Auswanderung zu
übersetzen; dennoch fährt der liebe Schlendrian alten Herkommens fort, Hegira
statt Hidschret zu schreiben und dieses mit Flucht statt mit Auswanderung
zu übersetzen, wiewohl ich bis zur Übersättigung bemerkt, dass die Moslimen
unmöglich eine Flucht des Propheten zugeben können und dass Hagar (arabisch
Hadschir) die Aus wandernde und nicht die Flüchtige bedeute,
Bericht über die Fortsetzung 1 der osmanischen Reichsgeschichte.
377
Der Berg Libanon welcher zur Statthalterschaft von Ssaida
gehört, wird in zahlreiche Lehen (Mukathaa) *)> Districte (Nahije)
und Gerichtsbarkeiten (Kafa) eingetheilt. Jedes Mukathaa umfasst
mehrere Märkte und Dörfer und ist in dem Besitze einer Familie,
deren Häupter alle dem Fürsten des Libanon unterworfen sind. Die
ser Beherrscher des Libanon war vormals aus der Familie Man, nach
deren Erlöschung die Herrschaft desselben an die Familie Schihab
kam. Lange vor der Herrschaft dieser Familie waren die Bewohner
des Libanon in die zwei Parteien der Kaisi und Jemeni getheilt, die
sich gegenseitig anfeindeten und im beständigen Hader lagen. Unter
dem Emir Haider, dem Oberhaupte der Familie Schihab, fiel die
berühmte Schlacht von Ain Dare vor, in welcher die Jemeni zn
Grunde gerichtet wurden und die ganze Macht in den Händen der
Kaisi blieb, zu welchen die Beni Schihab gehören. Später entstand
ähnlicher Streit zwischen den Familien Dschanbulad und Benil Imäd,
deren letzte Anhänger auch Jufbegieje hiessen. Die Scheiche der
Familie Nikd wandten sich bald der einen, bald der andern Partei zu;
aber Alle erkannten die Oberherrschaft des Fürsten vom Libanon.
Unter demselben standen die sieben Mukathaa (Familien-Herrschaften)
von Schuf, Menafsif, Arkub, Dscherd, Meten, Schihar und Garb.
Schuf zerfiel in zwei Theile: in Schuf Suidschani und Schuf Chibthi,
so war auch Arkub und Garb in das obere und untere getheilt. In
Schuf sassen die Beni Dschanbulad, in Menafsif die Beni-Nikd, im
obern Arkub die Beni Id, im untern Arkub die Benil Imäd, in Dscherd
die Beni Abdolmelik,, in Meten die Beni Lemi, im oberen Garb die
Beni Telhuk, im unteren Garb die Beni Reslan. Jede von diesen
Familien besass den Ort, wo sie wohnten, als Mukathaa und nur die
Beni Ebin-Nikd besassen ausser ihrem Mukathaa noch das von Schi
har. Alle diese Bewohner waren Drusen, daher auch das ganze Ge
birge den Namen des Gebirges der Drusen erhielt; nur die Beni
Lemi waren Christen. Einige hiessen Emire, andere Scheiche; die
*) Mukathaa wird von Richter unrichtig als Steuerbezirk übersetzt. Mukathaa heis
sen im osmanischen Reiche die Pachtungen oder auch verpachtete Lehen und eine
der Kanzleien des osmanischen Defterchans heisst die der Mukathaa. Ebenso
unrichtig ist Iklim (nicht Aklim, der Pluralis heisst Akalim) mit District über
setzt, welches Nahije heisst, daher die Nahia in Serbien. Aus dem oben Folgenden
wird erhellen, dass es dermalen nicht sieben, sondern 12 Mukathaa's gibt. Reteddin
ist nur verderbte Aussprache für ßeiteddin, das Haus der Religion.
Sitz.h. d. phil.-hist. CI. XXI. ßd. HI. Hft. 20
5
378 Freiherr Hammer-Purgstall.
Emire hatten aber den Vorrang vor den Scheichen in den gewöhn
lichen Geschäften und in der Literatur. Nach den Beni Schihab folg
ten unmittelbar die Beni Lemi, hierauf die Beni Reslan und die
übrigen Scheiche. Zwischen den Emiren und den Scheichen standen
die Beni Mofehir, welche auch Mokaddemin, d. i. die Vorausgehenden,
hiessen. Sie standen unter den Emiren, aber ober den Scheichen.
Das Ceremoniell bei dem Empfange desselben war das folgende:
Wenn der Eintretende der Familie Schihab angehörte, so ging er
durch das Mittelthor ein und küsste die Schulter des Fürsten, der
von seinem Sitze aufstand und ihm grüssend entgegen ging. War es
einer der Scheiche, so stand der Fürst nicht auf, bis er ihn gegrüsst.
War er von den Beni Ebil Lemi, so küsste er den Arm des Fürsten,
war er von den Beni Reslan, so küsste er die Lenden des Fürsten,
war er von den Beni Mofehir, so küsste er den Daumen desselben,
und andere kamen gar nicht in seine Gegenwart *)•
Wenn einer von den Emiren oder Scheichen ein Verbrechen
begeht, so kann er auf Befehl des Fürsten weder eingesperrt noch
getödtet, sondern nur die Vergantung seiner Güter veranlasst und
er selbst verbannt werden. Diese Verungnadung ändert nichts an t
der ihm gebührenden Titulatur, nur die Worte die sich auf Freund
schaft beziehen, bleiben weg, und während andere Briefe von
aussen besiegelt werden, so wird solchen mit Vorwürfen gefüllten
Briefen das Siegel von innen aufgedrükt. Die Besitzer der Mukathaa *]
verfahren in denselben mit voller Autorität, und nur wenn einer
der Bewohner vom Emir oder vom Scheich die gewünschte Gerechtig
keit nicht erhält, steht ihm der Weg zum Fürsten offen, der dann
einen Commissär abordnet; diesem wird der Ritt und die Unkosten
des Pferdes bezahlt und er erhält ausserdem einiges Geld unter dem j
Titel: „Commissions- Gebühren“. Wiewohl die Besitzer der Muka-
Der Fürst redete die Emire und Scheiche in seinem Schreiben mit geehrter
Bruder an. Die Emire der Beni Ebil Lemi mit Excellenz (Dschenab), geehrter
N. N. Emir, den Gott bewahren wolle! Das Schreiben begann in der Hälfte des
Papiers; war es ein Emir der Beni Reslan, so begann das Schreiben, nachdem
ein Viertel des Papiers Raum gelassen wurde, und Unterzeichnete aufrichtiger
Freund; ebenso bei den Scheichen der Beni Reslan, nur dass das Wort Excellenz
weggelassen ward. An die christliche Familie der Beni Belible und Beni Ebi
Schakir hiess es Unser Geehrter, an die übrigen Bewohner der Dörfer
Geehrtester der Freunde.
1
■
Bericht über die Fortsetzung der osmanischen Reichsgeschichte.
379
thaa einzusperren und Prügelstrafe zu verhängen befugt sind, so ist
doch die Verhängung der Todesstrafe dem Fürsten des Libanon allein
Vorbehalten. Die ursprünglichen sieben Mukathaa waren vormals im
Sandschak Schuf begriffen, nach der Hand wurden aber mehrere
andere Mukathaa hinzugefügt, welche theils im Sandschak Saida,
lind theils in dem von Damaskus sind. Zur Zeit der Herrschaft der
Familie Schihab waren die hinzugekommenen Mukathaa auf der
Westseite die Ländereien (Iklim) von Charub, Tefah, Dschesin;
auf der Südseite der Berg Rih an (Basilikon) und das Thal Bokää; auf
der Ostseite Kesrewan, Fotuh; Dsch obeil, Betrun, Dschub-
wedol-Manithra, Dschubbet, Boschra, Kure und Sawije
sind Mukathaa. Die Westseite besassen die Scheiche der Familie
Ds chanbul ad, die Süd- und Ostseite war dem Herrscher des Hauses
Schihab unterworfen, von dessen Seiten zu Dsch ob eil und
Betrun Geschäftsverwalter bestimmt waren. Den Kesrewan
beherrschten die Scheiche der Benil-Chafin; zu Dschuwedol Manithra
herrschten die Scheiche der Benil-Hamade, in dem obern District
(Kurei foka) die Scheiche der Benil Afar, zu Sawije die Scheiche
der Beni-Sahir; in der Folge verloren aber die Scheiche der Beni
Hamade all ihr Eigenthum welches in den Besitz der Beni’ Schi
hab überging. Alle diese Scheiche hatten den Rang der Scheiche
von Schuf; nur die der Beni Hamade hatten denselben Rang wie die
Emire der Beni Lemi; die Scheiche der Beml-Al’ar stehen um einen
Rang niederer; im Kesrewan gibt es zwar noch Scheiche der Beni
Dsehisch und der Beni Haimur, welche Sunniten sind, die Beni
Hamade Schiiten, alle übrigen Christen, die aber nach und nach all
ihre Güter verloren, und sich heute nur durch Ackerbau das Leben
fristen; doch sind sie auf ihre alte Abkunft stolz und machen keine
Missheirathen. So arm sie sind, so halten sie doch sehr auf den Titel
der Emi'rschaft und geben, wenn man sie nicht als Emir anredet,
keine Antwort; sie nehmen nicht den Gruss an, wenn er nicht von
einem Emir kömmt, sie bewohnen das Dorf Nahasch, und heissen,
da alle ihre alten Titel in Vergessenheit gerathen sind, die Emire von
Nahasch. Dasselbe ist der Fall mit den Mokaddemin von D sc lief in,
deren vorige Grösse in Vergessenheit gerathen, und die heute nur
die Mokaddemin von Dschefin heissen. Die Emire der Nahasch sind
Schiiten und gehören der Secte der Moteweli an; auch die Scheiche
der Beni Ali sind Moteweli, die Beni Bisch Ali, welche lange Zeit
26 6
380
Freiherr Hammer-Pu rgsta 11.
unumschränkte Herren im Sandschak Ssaida waren, fanden ihr Ende
durch Dschefarpascha.
Die Emire der Familie Schihäb residirten zu Deirol-kamr
und wohnten auch zu Beirut. Ihre Regierung des Berges war eine
milde und dauerte daher über hundertfünfzig Jahre. Sie gaben dem
Sandschak von Ssaida nur dreissig Beutel als Saliane, das ist jähr
liche Abgabe; wenn Unruhen in Ssaida ausbrachen, hielten sie sich
an den Sandschak von Damaskus, doch weder der Sandschak von
Ssaida noch der von Damaskus mischten sich in das Innere ihrer
Geschäfte; alle beugten sich vor dem Haupte der Familie Schihäb,
die Scheiche von Beschare, Chafsbia, Raschia und Bälebek,
hielten sich an dieselben.
Die Bern Schihäb waren ursprünglich Moslimen und leiteten
ihren Ursprung von den Gefährten des Propheten ab; in der Folge
aber wurden einige von ihnen Christen. Im Berge Libanon gibt es
nur wenige Moslimen und Juden, die meisten sind Drusen und Chri
sten. Die Drusen sind ein kühnes und tapferes Volk, viele derselben
sind meistens bewaffnet und fechten vereint mit den Moteweli’s (im
Plural Motawile). Da ein Viertel der Drusen immer bewaffnet und die
meisten Scheiche Drusen, so halten sie sehr zusammen und die Ver
waltung ist in ihren Händen, doch haben auch christliche Geistliche
unter den Christen grosses Ansehen. Die Glieder der Familie Schi
häb wussten diese an sich zu ziehen, und so geschah es, dass meh
rere der Familie Schihäb Christen wurden. Heute wird der Berg
Libanon durch zwei Kaimakame verwaltet, der eine der Drusen,
dem das Sandschak Schuf und das Gebirge der Drusen untergeben
ist, nämlich die Mukathaa Charub, Tefali undDschefin; der
andere Kaimakam der Christen, unter dem der christliche Theil
der Bevölkerung des Libanon, nämlich Dschobeil, Kesrewan, Fetuch
und die übrigen östlichen Mukathaa’s. Aus diesen zwei Sandschaken
(Schuf und Dschobeil) ward die Herrschaft der ßeni Schihäb erhöht.
Deirol-Kamr liegt ausser dem Bereiche dieser zwei Kaimakame und
wird durch einen Kaimakam des Statthalters von Ssaida verwaltet.
Kurz, die Bewohner des Libanon, so arm sie auch sein mögen, halten
mehr auf ihre Abkunft als auf Vermögen und Reichthum; jeder ist
mit seinem Range und Gute zufrieden und nur die Emire der Familie
Schihäb verloren ihre ererbte Herrschaft, weil sie dieselbe ver-
grössern und erweitern wollten. Wiewohl in den christlichen
Bericht über «lie Fortsetzung- der osmanischen Reichsgeschichte. 381
Sandschaken sicli Drusen befinden, so sind doch die meisten im San
dschake Schuf. Das Ländergebiet der zwei Kaimakame ist dermalen
in zwölf Mukathaa eingetheilt, deren Oberfläche im Gevierten 150
Stunden beträgt, worin 900 Märkte, Dörfer und Weiler (Mefraa
heisst eigentlich ein Saatfeld); ein Mefraa ist ein kleines Dorf das
nur aus 5 oder 6 Häusern besteht; die Gesammtzahl der Einwohner
ist 217,000 Seelen, wovon 6,500 Sunniten, 11,500 Schiiten, welche
unter dem Namen Moteweli bekannt sind, 30,000 Drusen, 121,000
Maroniten, 47,000 Griechen, Melikiten, 1000 Juden (zusammen
217,000). Ausser dem Gebiete der beiden Kaimakame sind aber
noch in der Richtung von Damaskus 139,000 Seelen Maroniten,
28,000 Drusen, 4,500 Moteweli, welche, da sie ursprünglich vom
Libanon kamen, zusammen 171,500 Seelen, die Gesammtzahl der
Bewohner desselben auf 300,000 Seelen (die Gesammtzahl beträgt
aber gegen 400,000 , nämlich 388,500). Nach dieser Rechnung
betragen die Maroniten 360,000, von denen 42,000 Bewaffnete, die
Moteweli 16,000, wovon 4,000 Bewaffnete, die Drusen 58,000,
wovon 17,000 Bewaffnete. Es gibt kein Volk wovon, wie hier, mehr
als der vierte Theil bewaffnet wäre.
Die Drusen sind meistens Ackerbauer und man findet nur wenige
Handwerker unter ihnen, und ihre Weiber geniessen des Rufes hoher
Schönheit, ausserdem, dass Wasser und Luft des Libanon vortrefflich,
geniessen auch die Bewohner welche in ihrer Nahrung einfach, gute
Gesundheit. Die Maroniten sind Katholiken und sind so nach dem
Mönche Maron benannt, welcher im Jahre 390 der fjidschret dort lebte.
Auch die Griechen Meleki sind Katholiken. Die Drusen behaupten
in ihrem Äusseren Muselmanen zu sein; die Wahrheit aber ist,
dass sie alle Dogmen des Islams und auch anderer Religionen ver
leugnen und an ihren Gebräuchen und Dogmen halten, wie dies im
folgenden Abschnitte auseinandergesetzt wird.
Von den Gebräuchen und Dogmen der Drusen.
Die Drusen, ein eifriges, stolzes, geduldiges und ausdauerndes
Volk, hüten sich in ihren Worten vor schändlichen Ausdrücken und
schimpfen sich nicht, selbst wenn im Zorne. Sie sind gewissenhaft
in Erfüllung ihrer Versprechen und setzen sich aus Treue den gröss
ten Gefahren aus. Wenn sich zwei Parteien streiten, so treiben sie es
aufs Äusserste, und gewöhnlich ist der besiegte Theil gezwungen
382
Freiherr Hammer-Purgstnll.
das Land zu räumen; bei solchen Kämpfen halten die Freunde fest
an einander und stürzen sich in die grössten Wagnisse; diese Treue
und Anhänglichkeit an ihre Freunde vererbt sich vom Vater auf den
Sohn, ohne dass die Religion, seien es nun Muselmanen oder Chri
sten, einen Unterschied macht; eine solche Feindschaft thut ihrer
Grossmuth keinen Eintrag, und sie hüten sich selbst als Feinde vor
jeder gewaltsamen Ungerechtigkeit. Ein Druse kam in das Haus
seines Feindes, half der Frau in ihren häuslichen Geschäften, und
als der Mann nach Hause kam, grösste er seinen Feind als Freund,
gab ihm zu essen und das Geleite und sagte zum Abschied: Es bleibt
bei unserer alten Feindschaft. Als zu Arkub sich zwischen den
Beni Gadhban und den Hoseinije Streit erhob, siegten die
Hoseinije und die Beni Gadhban mussten fliehen. Nach einiger Zeit,
als einer der Hoseinije sein Feld pflügte, erschienen zwei der Beni
Gadhban; der Pflügende entfloh, fiel aber über einen grossen Stein,
so dass er hilflos liegen blieb; sogleich halfen ihm die zwei Beni
Gadhban auf und sagten ihm, dich jetzt zu tödten wäre unrühmlich,
nimm dich aber vor uns in der Zukunft in Acht.
Ähnlich ist der folgende Vorfall den man erzählt. Ein Mann,
Namens Ibrahim Nikd, der in die Treuheit seines Weibes Zweifel
setzte, sagte ihr eines Abends: ich habe in Deirol-Kamr zu thun,
bestieg sein Pferd und ritt davon. In der Nacht kam er wieder, band
in der Nähe seines Hauses sein Pferd an einen Baum, nahte sich
ohne Geräusch seinem Hause, fand die Thüre verschlossen und hörte
Stimmen darin. Da sein Weib nicht antwortete, erbrach er die Thüre
mit Gewalt. Der Liebhaber glaubte sich verloren, da Ibrahim Nikd
als sehr tapfer bekannt; dieser aber nahm jenen bei der Hand und
sagte ihm: geh’ mit Heil, aber schweige; wenn der Vorfall bekannt
wird, so tödte ich dich. Seinem Weibe sagte er kein Wort, schied
sich aber später von ihr unter einem andern Vorwand. Die Drusen
haben über Ehe und Ehescheidung besondere Gebräuche, ohne sich
an die das Gesetz handhabenden moslimischen Richter zu wenden.
Ihre Heiratsgebräuche sind die folgenden: Wenn Einer ein
Mädchen freien will, so schickt er zuerst einen Freund in das Haus,
um dasselbe zu besehen; ist die Familie *) damit zufrieden, so bringt
1 ) Das italienische Wort famiglia ist in das Türkische übergegangen und wird aus
Liebe zur Sprachmengelei von den Türken gebraucht, obwohl dieselben mit den
Bericht über die Fortsetzung der osmnnischen Reichsgeschichte.
383
man ihm Siissigkeiten die er in ihrem Kreise verzehrt. Diese Be-
wirthung heisst Nämanije. Nach derselben gilt das Mädchen als
verlobt. Es treten nun sowohl von Seite des Mädchens als von Seite
des Mannes Bestellte zusammen, welche über das Heirathsgut Über
einkommen, und wenn sie hierüber im Reinen, so ist das Mädchen
die Frau des Mannes, die er holt, wann’s ihm beliebt.
Wenn dem Mädchen die Übereinkunft nicht recht, so scheidet
sie sich von demselben und verlobt sich einem Andern; ist ihr auch
dieser nicht recht, so gibt sie auch diesem den Abschied und so
fort, bis der Rechte kömmt. Drusen ist es nicht erlaubt, zwei Weiber
zugleich zu haben. Sie müssen sich von einem scheiden, ehe sie das
andere nehmen. Wenn ein Weib eines Geschäftes willen irgendwo
hingehen muss und sich dazu die Erlaubniss von ihrem Manne erbe
ten und dieser blos „geh“ antwortet, ohne hinzuzusetzen „kehre
wieder“, so ist sie von ihm geschieden. Ein geschiedenes Weib
kann zu ihrem vorigen Manne nicht wiederkehren.
Auch in anderen Verhandlungen laufen ihre Gebräuche dem
moslimischen Gesetze stracks zuwider. So z. B. kann hei den Drusen
ein Mann sein ganzes Vermögen einem seiner Kinder hinterlassen
und die (ihrigen enterben; dieses gilt aber nur von dem Vermögen
das er selbst erworben, das von seinem Vater und Grossvater ererbte
gehört der Familie >) und wird in gleiche Theile getheilt; das Weib
kann aus dem Hause ihres Vaters nichts erben, und dieser Gebrauch
ist von den Drusen auch zu den übrigen Völkerschaften des Berges
Libanon übergegangen.
Die Drusen halten den fathimitischen Chalifen H a k, i m b i e m-
rillah für Gott und beten denselben als solchen an. Hah;im ist der
Sohn des im Anfänge des fünften Jahrhunderts herrschenden Abdol-
Afif hen Abdol-If-el-Fathimi; weil er die Astrologie, die Sanddeuterei
und die Talismane liebte, so sind die Drusen auch diesen Wissen
schaften sehr ergeben, ohne sich viel um die übrigen zu kümmern.
Da die Fäthimiten Rewafidh, d. i. Ketzer, so nannte der Chalife
sich Hal^im bi ein rill ah, d. i. der Herrscher auf Gottes Befehl,
und er befahl den Bühnenrednern (Chatib) von der Bühne in der
Arabern und Persern zwei Wörter für eines haben, um denselben Begriff zu bezeichnen,
nämlich AI u Ajäl.
*) Hier steht für Familie das persische Wort Thadam.
384
Freiherr Hammer-Purgstall.
Moschee (Minber) statt des Bismil Iah ir-Rahman ir-Rahim,
d. i. im Namen Gottes des Allmilden, des Allbarmherzigen, die Worte
Bismilhak;im il-Mohij il-Momft, d. i. im Namen des
Herrschers, der Leben und Tod gibt 1 )» zu verkünden.
Sein unordentliches und tyrannisches Verfahren führte zuletzt seinen
gewaltsamen Tod herbei, nur sind die Geschichtschreiber über die
Art und Weise, wie er getödtet ward, verschiedener Meinung. Die
Drusen sagen, dass er eine Nacht allein nach dem blauen Teiche
(Birket ef-ferka), welcher beim Markte Holwan liegt, ging,
und dort in den Himmel auffuhr. Das Wahre an der Sache ist, dass
Hak,im auf einem weissen Esel, auf dem er die Stadt und Umgegend zu
durchstreifen pflegte, eines Tages von Kairo nach Birket ef-ferka
ritt, wo ihm einige Moslimen aufpassten, ihn tödteten und in einen
Brunnen warfen; das Gepäck aber und seine Sachen unangerührt
neben den Esel lassend, sich davon machten, und den Moslimen die
Kunde des Vorfalls brachten. Die Anhänger Hafym’s aber, welche sich
Bathaniun, d. i. die Inneren, nannten, suchten ihn, als er nicht
zurückkehrtc auf, fanden ausser dem Esel und dessen Gepäck keine
Spur und verbreiteten die Nachricht, dass er in den Himmel auf
gefahren sei.
Der erste welcher nach der erklärten Gottheit Hak,im's die
selbe anerkannte, war der Scheich Mohammed Durfi, welcher desshalb
in einem allgemeinen Auflaufe erschlagen ward. Wiewohl Ilakpm eine
Zeit lang hiezu die Augen zudrückte, so Hess er doch später die Mör
der hinrichten. Dies ist der Ursprung des Namens der Drusen. Nach
ihm trat Hamfa Ben Ali auf, welcher die Menschen den Hak,im als
Gott anzubeten einlud, und zu Kairo heimliche Betörte errichtete,
in denen Hak,im als Gott verehrt ward. Die Drusen die Hak,im als
Gott anerkennen, erkennen Hamfa als den Propheten desselben und
verehren ihn als den Leiter der um Erhörung Flehenden
l ) Vielleicht meinte der absurde Tyrann hiedurch nicht einmal sich seihst als Gott
auszurufen, sondern übertrug nur die altiigyptische Formel „der Allhelebende
und der Alltödtende,“ welche schon in der Schlange Uraios, welche als
Symbol des Lebens und Todes galt, sich unter den Hieroglyphen befindet, nur
auf seine tyrannische Herrschaft Es lässt sich dieses sogar aus der gewöhnlichen
Sprache der Lobdichter erklären, indem diese den Herrscher im überschwenglichen
Lobe vergöttern, indem sie ihm göttliche Eigenschaften zuschreiben.
Bericht über die Fortsetzung der osinanlschen Reichsgeschichte.
385
(Hadiol-Mosdedschibin 1 ) und den bestehenden Beweis (Hu-
dschetol-Kaim a ). Die Drusen lieben den Mohammed Durfi, von dem
sie den Namen haben, nicht, und verhöhnen ihn, als ob er den Rang
vor dem Hamfa einnehmen und sich seines Amtes habe bemächtigen
wollen. Dies ist aus der Lesung des Tractates der Drusen, welcher
den Titel „der Zweck und der Rath“ (el-Gajet wen-nafsihat 3 ) führt,
zu ersehen. Die Bewohner Kairo’s, welche die heimlichen Betörte
nicht liebten, trachteten die Drusen aus Kairo zu entfernen, so dass
einige Anhänger Hamfa’s nach Haleb auf den hohen Berg, einige
nach Hauran kamen, einige nach dem Thal Teime und einige nach
dem Gebirge von Schuf, welche sich in der Folge bis zur heutigen
Zahl vermehrten; wenn sie gleich von aussen Moslimen, so leugnen
sie doch die Propheten und spotten sowohl die Moslimen als die
Juden und Christen aus; sie sagen, dass die Lehre von Einem Gott
nur von Hak,im zu verstehen sei; statt des Fastens und des Gebetes
ist ihnen Aufrichtigkeit und Bewahrung der Brüder heilige Pflicht.
Dieses gilt aber nur von ihren Glaubensgenossen, indem sie gegen
Andersgläubige diese Pflicht nicht ausüben. Wiewohl sie den Koran
lesen, so legen sie denselben doch auf unbegreifliche Weise nach
ihren Dogmen aus; sie sagen, dass die Welt ein anderes Hemd an
lege, um damit auszudrücken, dass sie sich beständig ändere; sie
nennen den Leib das Hemd und glauben, dass der Geist eines Ver
storbenen auf ein ueugebornes Kind übertragen werde; sie sagen:
in der und der Zeit war ich der und der; auch die Gottheit, meinen
sie, habe in jedem Zeitalter eine besondere Form angenommen und
sei endlich in Hak,im verklärt worden, so dass derselbe zu einer Zeit
Moif, zu einer andern Afif und dann wieder Hak,im geheissen
habe, dies schadet seiner Einheit nichts, und sie legen den bekannten
Vers des Korans: „Er ist jeden Tag in voller Würde“ 4 ), so aus,
dass Hamfa in jedem Zeitalter unter einer andern Gestalt erscheine ;
einmal habe er Salomon, ein andermal Jethro und Pythagoras
geheissen; der Hamfa des Zeitalters desMohammed’s sei Selm an der
Perser gewesen (der Barbier des Propheten), von ihm habe Moham
med das Wort empfangen. Sie sagen, dass der Vers der im Koran
') *) j/uiT 3) luii
4 ) Huwe fi knlli jaumiu fi schanin.
386
Freiherr Hammer-Purgsta11.
als eine Ermahnung Selman’s an seinen Sohn vorkömmt: „0 mein
Sohn, steh’ zum Gebete auf, gib Almosen, thue was recht und fliehe
was unrecht ist,“ nichts anders, als die Ermahnung Selman’s an
Mohammed sei. Diese leeren Dogmen halten sie für grosse Geheim
nisse und entdecken dieselben nicht einmal ihren eigenen Leuten,
bis sie nicht das vollste Vertrauen in dieselben setzen; sie theilen
sich daher in zwei Classen, wovon die Einen die Wissenden, die
Andern die Unwissenden heissen; auch die Weiber werden in
Wissende und Unwissende eingetheilt. Die Wissenden heissen D s eh u-
weide ‘) und die Unwissenden Gairi Dschuweide a ). Die Wis
senden oder Vernünftigen (Okkal) 8 ) werden wieder in zwei Classen
eingetheilt, wovon die Einen welche in Allem vollkommen unter
richtet sind, mit den Geschäften betraut, die Anderen aber die Ge
meinen (Ääme) sind, welche hei ihnen das was bei den Moslimen
der Imam Modschtehid (Selbstdenker).
Das gemeine Volk der Unwissenden weiss gar nichts, als dass
sie Drusen heissen; wo immer Wissende sich befinden, hat auch
Gottesdienst und Versammlung Statt. Sie versammeln sich nämlich
in der Nacht vom Freitag in dem äusseren Kreis des Hauses, wo,
nachdem Ermahnungen und gute Rathschläge vorgelesen worden, ein
Confect das wie trockene Weinbeeren schmeckt, unter die Gemeinen
vertheilt wird, die dann nach Hause gehen. Die Wissenden gehen in
den inneren Kreis dessen Thüre sie verschliessen, wo sie dann erst
ihre Unterredungen und verborgene irrthümliche Gebräuche feiern 4 ).
Unter den Wissenden ist eine Classe Frommer welche Motenefihtn,
d. i. die Gereinigten, heissen. Einige derselben vermählen sich nicht,
andere essen ihr Lehelang kein Fleisch, andere fasten alle Tage.
Der Scheich Hosein, welcher unter die berühmtesten Wissenden des
Gebirgslandes von Schuf gehörte, ass nicht einmal Früchte, sondern
kostete jedesmal nur die Erstlinge, und brachte bis übers nächste
l ) ä) 3) J lüe
4 ) Diese Versammlungen in der Nacht vom Freitag, zu welchen nur die Wissenden
zugelassen wurden, erinnern sehr an die heimlichen Capitel der Templer, welche
auch nur Freitag Nachts gehalten, und zu denen nur die Eingeweihten zugelassen
wurden. Es ist nichts weniger als unwahrscheinlich, dass die Geheimlehre der
Templer mit der der Drusen verwandt war, welche, wie bekannt, auch das Kalb
anbeteten, welches auf den templerischen Coffrets des Herzogs von Blacas vorkömmt.
Bericht über die Fortsetzung der osmanischen Reichsgeschichte. 38T
Jahr keine Frucht über seinen Gaumen; er erklärte diese Ausnahme
des Kostens der Erstlinge denen die ihn um die Ursache davon frag
ten, dass er, wenn er die Erstlinge nicht kostete, zu stolz aufseine
Enthaltsamkeit zu werden fürchtete. Wüstlinge und Trunkenbolde,
wenn sie einmal Wissende geworden, enthalten sich aller berauschen
den Getränke, reden nichts Schändliches und machen sich im Essen
und Trinken keiner Unmässigkeit schuldig. Sie sehen das Vermögen
der Befehlshaber und Emire als ein unrecht Erworbenes an, und
speisen daher niemals in dem Hause des Herrschers oder seiner
Diener; ja sie essen sogar nichts von dem was ein dem Herrscher
oder einem seiner Diener gehöriges Lastthier getragen. Die Mote-
nefihfn 4 ) sind noch behutsamer, indem sie nur in den Häusern der
Wissenden essen; im Handel erkundigen sie sich, woher die Waare
komme, und wenn ihnen das für denVerkauf ihrer Waare erworbene
Geld verdächtig scheint, so tragen sie es zum Kaufmann, um es aus
wechseln zu lassen.
Die Dogmen der Drusen waren ein Geheimniss, bis im Jahre 1281
der Ijidschret (1838) das ägyptische Heer unter Ibrahim Pascha im
Thale Teim die Gebetörter der Drusen plünderte, wo dann viele
Bücher der Drusen zerstreut, einige ins Französische, andere ins
Englische übersetzt wurden; wiewohl in der neuesten Zeit auch einige
die Dogmen der Drusen betreffende Schriften arabisch geschrieben
wurden, so wurden dieselben doch geheim gehalten, wie die Schriften
der Schiiten Gollat, welche sich Ismailije nennen (hier folgt eine
Seite, die 28. des Buches, über die Ismailije, welche nichts als aus
der Geschichte der Aassassinen längst bekannte Dinge enthält, und
fährt dann am Ende der Seite mit der Auskunft über die Drusen fort).
Die Drusen kleiden ihre nichtigen Dogmen in Ziffern, deren
Werth für Andere ein Geheimniss (wenn sie den Zahlenwerth der
Buchstaben nicht kennen), so z. B. bedeutet die Zahl 164 den Namen
Hamfa, weil das Sin die Zahl 60, das Dal 4, das Kaf 100 bedeutet.
Dieses Wort, welches Sidk gelesen, und mit 164 bezeichnet wird,
gilt ihnen für Ssidk, d. i. die Wahrhaftigkeit, unter welcher sie
den Hamfa verstehen; oder sie nehmen das Wort Kifb, welches
Lüge bedeutet und dessen Buchstabenwerth die Zahl 26 gibt (weil
*)
388
Freiherr Hammer-Pur gstnll.
K=20, Sal=4, B=2); zur Zahl 26 setzen sie 4 als die Zahl der
vier rechtmässigen Chalifen hinzu, was 30 macht, ziehen diese von
der Zahl 90 (welche durch das Ssad, welches der Anfangsbuch
stabe des Wortes Ssidk, d. i. Wahrhaftigkeit) ab, so bleibt 30, das
ist Sin, welches der Anfangsbuchstabe des Wortes Sidk, welches
ihnen für Ssidk gilt.
Sie glauben an die Seelenwanderung und dass wenn einer von
ihren Wissenden stirbt, der Geist desselben gegen China aus
wandert und eine andere Form annimmt; sie glauben daher dass das
chinesische Gebirg von vielen ihrer Heiligen bewohnt sei; sie glauben,
dass diese Welt vor den Menschen von Dschinnen bewohnt, und dass
es vor Hak,im 70 Perioden gegeben, deren jede 4,100.000 Jahre,
so dass von der Schöpfung bis zur Zeit Hakpm's dreihundert dreiund
vierzig Millionen Jahre verflossen. Sie glauben dass die Periode Hal^rm’s
die des jüngsten Gerichtes sei, und warten auf die Erscheinung von
Gog und Magog, die von China kommen sollen. Sie haben grosse
Ehrfurcht vor Gog und Magog, sie sagen, dass diese Völker mit einem
Heere von dritthalb Millionen nach Mek,^a kommen und dass am andern
Morgen darauf Halym an der jemenischen Säule des heil. Hauses
erscheinen, mit einem vergoldeten Säbel die Menschen schrecken, und
dann den Säbel in die Hand Hamfa's geben werde. Dieser wird ein
grosses Blutbad anrichten, die Kaba zerstören und die Herrschaft der
Welt unumschränkt den Drusen übergeben, denen dann die übrigen
Menschen als Raja dienen werden. Damals werden die Menschen in
vierTheile getheilt sein. Die ersten die Wissenden der Drusen werden
sodann Könige, Wefire und Befehlshaber sein; die zweiten sind die
Äusseren, d. i. die Moslimen und Juden; die dritten die Inneren, d. i.
die Christen und Schiiten ; die vierten die unwissenden Drusen. Hamfa
wird alsdann den Stirnen aller Nichtdrusen ein Siegel aufprägen und sie
der Kopfsteuer unterwerfen. Die Wissenden der Drusen werden reich
und angesehen und wohl leben, die Unwissenden vielen Mühseligkeiten
unterworfen sein, weil sie, wiewohl Gläubige, den Pfad der Einswer-
dung nicht betreten. Der Hund und das Schwein sind ihr Symbol
für den Natliik (Sprechenden) und für den Esas, d. I. die Grund
feste desselben. Nach ihrer verkehrten Meinung ist der Satan ein
anderer als Iblis. Dieser ist der Nathik und jener die Grundfeste
desselben. Der erste Nathik war Adam, dann Noe, dann Abraham,
dann Moses, dann Jesus, dann Mohammed, dann Said Ben-Achmed el
Bericht über die Fortsetzung- der osmanischen Reichsgeschichte. 389
Mehdi, den sie unter die grossen Propheten zählen. Jeder Nathik
hatte seinen Esas; Seth war der erste Esas Adam’s, von ihm kam
die Esasschaft auf Sem, dann auf Ismael, dann auf Aaron, dann auf
Simeon, dann auf Ali Ben Ebi Thälib und endlich auf Kadah (Mei-
mun). Nach ihrer Meinung ist der Nathik der Vollstrecker des
äusseren und Esas der Vollstrecker des inneren Gesetzes. Sie
glauben, dass Hak,im beide Gesetze aufgehoben, an deren Statt seine
Anbetung und Verehrung eingeführt habe. Sie heissen die Sunni’s
Ungläubige, und die Schiiten Götzendiener. Auf diese Art wurden
alle Aufforderungen des äusseren und inneren Gesetzes aufgehoben
und nach den nichtigen Dogmen dieser Ketzer und Gottlosen liebte
Ali sehr das Gehet und die zu diesem Grade Gelangenden müssen
von den Geliebten der Scheiche sein. Den Koransvers: „Das Gebet
hält von Schändliehkeiten und vom Verbotenen zurück“, legen sie
so aus: dass unter dem Verbotenen der erste und zweite Chalife,
Ebübel^r und Omer zu verstehen sei. Sie hegen grosse Liebe für
Ali und seine Kinder und grollen den drei anderen rechtmässigen
Chalifen. Sie leugnen das vorgeschriebene Gebet und Almosen, und
da Hakpm das äussere und innere Gesetz aufhob, so besteht ihr
Gebet in Nichts als in der Verehrung und Anbetung der Gottheit
HaipmV. Das Almosen ist ihnen ein äusseres und inneres, sie leugnen
alle religiösen Auflagen des Korans, leugnen aber auch die Ketzereien
und andere Neuerungen der Sectirer. Sie stellen sich ausserhalb
derselben und verfallen in die schändlichste Abgötterei und Gottlosig
keit, wie dieses aus dem Tractate Nakdhu chafi, d. i. der heimliche
Mangel, bekannt ist. Sie glauben dass Adam ein grosser Prophet
gewesen, leugnen aber, weil sie an die Seelenwanderung glauben,
dass er aus Erde erschaffen worden sei. Sie nehmen einen drei
fachen Adam an, deren jeder einen besondern Vater und eine beson
dere Mutter hat. Der erste ist der Adam S s a fa, das ist der Adam der
Reinheit, und dieser ist der hochgeehrte Prophet; der zweite ist der
Adam A a f s i, das ist der empörerische Adam, und der dritte ist der Adam
Nasi, das ist der vergessende Adam *). Diese beiden sind die Stellver
treter (Chalifen) des Ersten 3 ).
4 ) Der Adam Nasi ist auch den Moslimen wohl bekannt, laut des^ arabischen Wort
spieles: Ewwelon-nasi ewwelon- nasi U-B' Ji' das ist: der
Erste der Menschen war der Erste der Vergessenden. Die Aussprache lautet gleich
390
Freiherr Hammer- Purg stall.
Ausserdem hat jeder der drei Adame seine Gefährten, Aus
erwählte und Werber, welche von den Engeln vorgestellt werden.
Das Gegentheil von Adam ist Iblis, unter dessen Gefährten der
Satan. Die Verse des Korans, welche den Propheten Adam betreffen,
legen sie auf ganz verkehrte Weise in dem Sinne ihrer Dogmen aus.
Sie sagen, dass der Adam der Reinheit schon in dem früheren Zeit
alter (vor Erschaffung des Menschen) die Dschinnen zur Erkenntniss
des einigen Gottes eingeladen habe. Damals hiess er aber noch
nicht Adam. Die Dschinnen beteten das Nichts an. Man wusste von
Halym, dass er einst in menschlicher Gestalt erscheinen werde, Iblis
nannte sich damals Bari, d. i. der Schöpfer, und das persische Bari
Chodai, d. i. der Schöpfer der aus sich selbst kömmt, ist daher
genommen. Dieser Adam (zur Zeit der Dschinnen) war in Indien in
der Stadt Admin(?) geboren, und hiess Schenthil, und sein Vater
Daniel. Er war dem Äusseren nach ein Arzt für körperliche Krank
heiten, in der That aber ein Arzt der Geister für die Wissenschaften
der Einheit Gottes. Er zog von seinem Lande aus und in Jemen
nach Ss orna (?) was so viel als Wunder heisst. Da die Einwohner
Götzendiener waren, so lud er sie zur Erkenntniss des einzigen
Gottes ein. Die Einen folgten seiner Einladung, die Anderen nicht,
und die Einwohner zerfielen also in zwei Theile, wovon die Einen
Götzendiener und die Anderen Bekenner der Einheit Gottes. Schen
thil der Weise rief den Einheitsbekennern zu: trennt euch von den
Götzendienern. Sie gehorchten dem Befehle, und entfernten sich
von den Götzendienern. Sie nannten sich Ben und von da beginnt
das zweite Zeitalter vor der Erschaffung des Menschen, nämlich das
Zeitalter der Ben. Zur Zeit der Dschinnen lud auch Iblis die Menschen
ein, ihn, den Bari (Schöpfer), als einzigen Gott anzuerkennen. Er
selbst (Iblis) hiess damals Hares und sein Vater Tirmah. Er war
und in europäischen Sprachen wird der erste Satz wie der zweite geschrieben,
weil das lateinische Alphabet nicht zwei i hat, wie das arabische, nämlich den
kurzen Vocal i, der blos als Unterscheidungszeichen des Genitivs unter dem Buch
staben geschrieben wird, und das lange i (der Buchstabe Ja), das erste Nas ist
der Plural von Ins an der Mensch, im Genitiv Nasi; das zweite Nasi ist das
Particip der Vergessende von der Wurzel Nesa, er hat vergessen.
2 ) Diese drei Adame sind einer uralten morgenländischen Einrichtung nachgebildet,
nach welcher bei wichtigen Geschäften statt einem Gesandten, drei geschickt
werden, avovoii der zweite den ersten vertritt, wenn jener stirbt oder krank wird,
und der dritte auf gleiche Weise den zweiten.
Bericht über die Fortsetzung der osmanischen Reichsgeschichte.
391
zu Ifsfahan geboren, wohnte aber auch zu Ssorna. Als Schenthil
die Dschinnen zur Erkenntniss der Einheit Gottes einlud, lud Iblis
dieselben ein, den Schenthil als Schöpfer anzuerkennen, und befahl
den Engeln, sich vor ihm niederzuwerfen. Die Engel welche seinem
Befehle gehorchten, blieben sofort seine Gefährten. Der zu Ifs fa
ll än geborne Haris Ben Tirmah forderte dieselben auf, ihn anzubeten,
indem er aus einem Feuer, Schenthil aber aus Erde erschaffen sei.
Indem darüber Debatten entstanden, ward er aus dem Kreise der
Werbung, worin die Quelle des Paradieses liegt, verbannt, und
verlor alles Recht, jemals sich den Grenzen als Stütze des Einheits
bekenntnisses zu nahen.
Schenthil seiner Seits that Alles, um seine Pflicht als Werber
für die Erkenntniss eines einzigen Gottes zu erfüllen, wesshalb er
den Namen Adam erhielt, was soviel heisst, als der Imam der
Werbung (Mission); weil die seinem Rufe Gehorchenden durch frohe
Kundschaft erfreuet wurden, so erhielten sie den Namen Bes ehr,
das ist Mensch, und weil Adam gleichsam als ihr Vater zu betrachten,
so wurde er auch Ebül Besclir, d. i. der Vater der Menschheit,
benannt, und seine Gemahlinn Eva, weil sie die Gläubigen mit der
Wissenschaft der wahren Erkenntniss Gottes gross säugte, erhielt
den Namen 0mmo 1-Beschr, das ist die Mutter der Menschen.
Während Adam und seine Gefährten die Werber (Missionäre) nach
allen Seiten die Wahrheit ausstreuten und die Menschen zur Be-
kenntniss des einzigen Gottes einluden, trat ihm der Ifsfahan er
Haris, d. i. Iblis, entgegen, und die Welt war nun in zwei Theile
getheilt. Die Bekenner der Wahrheit kamen unter einander zu
sammen, und vereinten sich um Schenthil, der ihnen Ehdschir, d. i.
entferne dich von ihm, d. i. dem Iblis, zurief. Hievon hat das Land
Ssorna den Namen Hedschr erhalten *). Das Gesetz Adam’s war
kein anderes als das Gesetz der Bekenntniss eines Gottes, nach
welchem verschiedene andere Gesetze (Religionen) in der Welt
entstanden, bis dass der Adam dieses Zeitalters, nämlich Hamfa
Ben Ahmed efs-Ssafa erschien, der auch nichts anderes als die
Bekenntniss des einzigen Gottes lehrte, so dass nach dem Laute des
*) lledschr ist die Landschaft Bahrein, deren Name Hedschir (94. Bd. d. Jahrb.
der Liter. S. 120). Wir erfahren hierdurch, was unter Ssorna fiir ein Land
gemeint sei.
392
Freiherr Hnmmer-Purgstnll.
arabischen Spruches: Wir dienen ihm wie das ersteVolk ihm
gedienet, die religiöse Werbung (die Mission) auf ihren ersten
Ursprung zurückgefiihrt ward. Dieser Adam der Reinheit ist dieser
Schenthil, der zwölf Gefährten hatte und dessen Werber (Missionäre)
die Engel. Von seinen Gehilfen war der ersteHenoch ausBafsra,
und der zweite Schorog aus Ser men (Sorre men rei?) der zweite
hiess Seth und beide sind die Chalifen (Gehilfen, Stellvertreter) des
ersten Adam. Der zweite Adam der Drusen ist der, von dem im Koran
gesagt wird: er empörte sich gegen seinen Herrn, nämlich
dieser Henocli; der dritte Adam ist der Vergessende, von dem es im
Koran heisst: „er vergass und sie fanden in ihm keinen
festen Vorsatz“ *)• Der Adam der Reinheit wählte diese zwei, näm
lich den Henoch und den Schorog, zu Gehilfen und Stellvertretern
aus; da Henoch dem Schorog vorging, hiess jener der männliche und
dieser der weibliche. Die Menschen versprachen, Niemanden als Gott
den Schöpfer anzubeten, und sich dem Imam desselben, dem Imam
Schenthil nicht zu widersetzen. Sie gingen diesen Vertrag ein;
den Henoch aber redete der Schöpfer folgendermassen an: du und
dein Gefährte Seth sollt festen Herzens sein und nur diesem Baume
nicht nahen, um nicht euer Wort zu brechen und euch über Schen
thil zu erheben. Satan aber, der nie ruhte, und welcher der Mis
sionär des Iblis ist, hiess damals Hobel a ). Die Werber (Missionäre)
des Henoch waren die Schlange welche Enil hiess, und der Pfau
dessen Name Thabuch 3 ). Hobel kam oft, um den Thabuch zu
besuchen. Eines Tages sagte er: unser Herr sendet durch mich dem
Henoch und seinem Bruder Seth einen guten Rath. Bringt mich in
beider Gegenwart; so ward Hobel bei Henoch eingeführt. Dieser
sagte: Glaube nicht, dass du mich betrügst, ich bedarf der Hilfe des
Iblis nicht. Hobel schwur beim Schöpfer, er sei blos gekommen,
dem Henoch guten Rath zu ertheilen, denn er habe aus dem Munde
*) Dieser Vers ist der 113. der XX. Sure.
2 ) Nicht Hobal, wie Orientalisten insgemein schreiben. War das grosse Götzenbild,
das Mohammed in der Kuba stürzte.
3 ) Die Schlange ist aus der Genesis bekannt genug, und der Pfau steht noch heu
tiges Tages bei den Je Pi di oder Teufelsanbetern in grossem Ansehen, die in ihm
vielleicht das Bild des Gegenstandes ihrer Anbelung sehen. Sonderbar ist's, dass
diese beiden Repräsentanten des bösen Princips: die Schlange und der Pfau, in der
Lehre der Drusen als die Gehilfen des zweiten rebellischen Adam erscheinen.
Bericht über die Fortsetzung der osinanischen Reichsgeschichte. 393
des Schöpfers gehört, dass der Imam Henoch und sein Gehilfe Schorog
sei. Schenthil habe sie betrogen; denn ihnen gebühre die Herrschaft.
Henoch glaubte den Worten des Satans, proelamirte sich selbst als
Imam und stellte den Seth als Chalifen an, der die Stelle auch annahm.
Da Henoch sich auf diese Weise einen Rang der ihm nicht gebührte,
anmasste , und sich gegen seinen Imam empörte, so blieb ihm der
Namen des rebellischen Adam. In der Folge bereuten Beide ihre
Missethat und weinten viele Thränen, so dass Henoch wieder in
seinen vorigen Zustand eingesetzt ward. Hierauf bezieht sich der
Koransvers: „Und Adam lernte von seinem Herrn Worte,
mit denen er um Verzeihung bat, und der Herr wandte
sich zu ihm“ *).
Da das Wort Kelim at (Worte) fünf Buchstaben hat, wie das
Wort Schenthil, so beziehen es die Drusen auf diesen.
Wir leben nun in dem Zeitalter dieses Adam’s dem der Schöpfer
gnädig war, bis dass er sich zum Unglauben, d. i. zum Undank, ver
führen liess. Die den Schöpfer als einzigen Gott anerkannten, hiessen
die Siegenden (Safir); die diese Sendung nicht erkannten, Kafir,
d. i. die U ndankbaren. Der Adam der Reinheit hatte zwölf Jünger,
von denen einer Esas (Grundfeste), welcher Sem war. Nach ihm
kam Abraham, der Sohn Afers, dessen Gesetz nach ihm benannt war
und dessen Esas sein Sohn Ismael. Er hatte auch zwölf Geführten,
welche Iludud, d. i. die Grenzen, hiessen, und 30 Werber (Missi
onäre), welche das Volk von der Anbetung des Nichts zu der des
einzigen Gottes einluden; welche der Einladung Gehör gaben hiessen
die Gläubigen (Mumin), die anderen die Undankbaren (Kafir). Hier
auf erschien Moses, welcher das Gesetz Abraham’s änderte, und
seinen Bruder Aaron zum Wächter des Gesetzes bestellte. Auch
dieser hatte zwölf Jünger, und Aaron lud das Volk zum Gehorsam
gegen Moses ein. Hierauf kam Jesus, welcher das Gesetz von Moses
änderte, und dessen Esas Simeon war. Auch er hatte zwölf Jünger,
welche die Apostel. Simeon lud sie zur Erkenntniss des einzigen
Gottes und des allgemeinen Vaters ein. Allein die Meisten verstanden
ihn nicht; die ihn Verstehenden und ihm Gehorchenden hiessen
Gläubige, die anderen Ungläubige. Hierauf erschien Mohammed,
der Sohn Abdällah’s, mit dem Schwerte in der Hand, der alle früheren
1 ) Der 37. Vers der II. Sure.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXI. Bd. III. Hft.
27
394
Freiherr Hammer - Pu rgstall.
Gesetze aufhob, und der seinen Eidam Ali zum Esas bestellte;
auch er hatte zwölf Säulen seines Gesetzes, welche die vier recht
mässigen Chalifen und die vorzüglichsten Gefährten desselben *).
Später setzte er den Ali von der Esasschaft ab. Möäwije behauptete,
dass er vor Ali von Mohammed zum Esas bestellt worden sei, und
t
dass ihm das Chalifenthum vor Osmän gebühre. Die das Gesetz
Mohammed’s Annehmenden hiessen M um in oder Mo sl im, d. i. Gläu
bige, oder sich Ergebende, die das Gesetz nicht Annehmenden
Kafir oder Schakt, d. i. Ungläubige oder Bösewichter, welche dann
der Kopfsteuer unterworfen wurden. Ganz gewiss bedarf der welcher
ein Gesetz mit dem Schwerte einführt und sich zum ständigen
Beweis (Hudschetel-Kaim) und zum Inhaber des jüngsten
Gerichtes (Ssahibol-Kiamet) aufstellt, Gefährten welche sich
einander unterstützen, und vor zugefügter Ungerechtigkeit bewahren.
Nach Mohammed kam noch ein anderer Nathik (Sprecher), d. i.
Gesetzgeber, nämlich Seid Meli di dessen Esas Kadah war. Mit
diesem endeten die Zeitalter der Drusen, und es begann das laufende
Zeitalter des jüngsten Gerichtes.
Die hierauf folgende halbe Seite enthält nichts als Danksagung
und Lob, dass Gott der Herr die Moslimen mit so albernem Zeug
als die Geheimlelire der Drusen verschont habe. Der folgende, zwei
Seiten starke Abschnitt gibt Kunde von der Lehre der Nufsairi,
welche in dem Gebirge von Ladakia und Tripolis wohnen, und
welche einZweig der Bathini, das ist derNofsairi, und wie die Drusen
Wissende und Unwissende haben. Die Drusen unterscheiden
sich von den Nofsairi durch die Reinheit ihrer Sitten, indem die
Nofsairi Hurerei für erlaubt halten, und auch das Blutvergiessen
nicht scheuen; während die Drusen an die Seelenwanderung glauben,
halten die Nofsairi dafür, dass mit dem Tode alles ende, und glauben
höchstens an eine Wanderung der Seelen in Thiere. Sie glauben,
die Gottheit habe sich in Adam, dann in Ismael, Moses, Jesus,
Mohammed, Aaron, Petrus, Simeon und Ali verkörpert. Die Gestirne
des Himmels seien die Geister der Wissenden Nofsairi. Sie verehren
auch die Gestirne, und vor allen die Venus, von den Gefährten des
Propheten aber den MiktadBen Eswed und den Selman. Sie
haben keine Kirchen und Moscheen, sondern versammeln sich
4 ) Bekanntermassen hatte Mohammed nur zehn Jünger.
Bericht über die Fortsetzung- der osmanischen Reichsgeschichte. 395
heimlicher Weise in ihren Häusern, wo sie ihre Scheiche mit Narren
possen unterhalten, von denen man aber keine näheren Kenntnisse
hat, weil sie jeden Fremden der sich einschleichen wollte, tödten.
Verzeichniss der Staatsschriften, welche übersetzt und der Pforte
mitgctheilt sich in ihren Archiven befinden.
1) Bericht des französischen Gesandten zu Wien Baron B r e t e u i 1
an den Minister der auswärtigen Geschäfte Mr. de Vergennes vom
Jänner 1783 (Ssafr 1197). 2) Vom selben an selben vom Februar
desselben Jahres. 3) Bericht des französischen Geschäftsträgers
zu Wien Mr. ßarthelemy an Mr. de Vergennes vom 27. April
1783. 4) Weisung des Herrn de Vergennes an Herrn von
Breteuilvom 17. Mai 1783. 5) Weisung vom Herrn von Vergen
nes an den in London befindlichen französischen Gesandten am
1. Mai 1783. 6) Bericht Mr. Barthelemy’s an Herrn von Vergen
nes vom 31. Mai 1783. 7) Weisung des Herrn von Vergennes
an den in Berlin befindlichen französischen Gesandten Herrn Grafen
von Esternaux vom 8. Juni 1783. 8) Weisung des Herrn von
Vergennes an Mr. Barthelemy vom 18. Juni desselben Jahres.
9) Weisung des Herrn von Vergennes an den französischen
Gesandten in London vom 20. Juni desselben Jahres. 10) Weisung
desselben an denselben vom 21. Juni desselben Jahres. 11) Bericht
des französischen Gesandten in London an Herrn von Vergennes
vom 26. Juni desselben Jahres. 12) Weisung des Herrn von Ver
gennes an den französischen Gesandten in London vom 7. Juli
desselben Jahres. 13) Bericht des französischen Gesandten in Lon
don an Herrn von Vergennes vom 18. Juli desselben Jahres.
14) Weisung des Herrn von Vergennes an den französischen
Gesandten in Turin Herrn von Choiseul vom 22. Juli desselben Jahres.
15) Weisung des Herrn von Vergennes an den französischen Gesand
ten in London vom 26. Juli desselben Jahres. 16) Bericht des Herrn von
Choiseul an Herrn von Vergennes vom 30. Juli desselben Jahres.
17) Bericht des französischen Gesandten in London an Herrn von Ver
gennes vom 6. August desselben Jahres. 18) Weisung des Herrn von
Vergennes an Herrn von Choiseul-vom 12. August desselben
Jahres. 19) Denkschrift des österreichischen Gesandten zu Paris
Grafen von Mercy vom 12. August desselben Jahres. 20) Antwort
des französischen Ministeriums auf die vorhergehende Denkschrift
27 *
396
Freiherr Hammer-Pnrgstall.
vom 21. August desselben Jahres. 21) Weisung des Herrn von
Vergennes an Herrn von Barthelemy vom 22. August desselben
Jahres. 22) Bericht des französischen Gesandten in London an
Herrn von Vergennes vom 25. August desselben Jahres. 23) Wei
sung des Herrn von Vergennes an den französischen Gesandten
in London vom 5. September desselben Jahres. 24) Bericht des
Herrn von Esternaux an Herrn von Vergennes vom 5. September
desselben Jahres. 25) Weisung des Herrn von Vergennes an den
französischen Gesandten in London vom 7. September desselben Jahres.
26) Bericht des französischen Gesandten in Spanien Graf v. Mont
morin an Herrn v. Vergennes vom 12. September d. J. 27) Wei
sung des Herrn v. Vergennes an den Grafen d’ Esternaux vom
3. Octoben d. J. 28) Bericht des französischen Gesandten in Lon
don an Herrn v. Vergennes vom 30. October d. J. 29) Weisung
des Ministers der auswärtigen Geschäfte S. M. König Victor Ama
deus III. an den sardinischen Gesandten vom 3. Jänner 1784
(Rebiul-ewwel 1197). 30) Andere Weisung desselben an denselben
vom 11. Jänner d. J. 31) Weisung desselben an denselben vom
Jänner d. J. 32) Auszug aus der Weisung desselben an denselben
vom 29. März d. J. 33) Auszug aus der Weisung desselben an den
sardinischen Gesandten in Wien Conte Graneri vom 26. April d. J.
34) Auszug aus der Weisung desselben an denselben vom 28. Juni
d. J. 35) Auszug aus der Weisung desselben an den sardinischen
Gesandten in Paris vom 26. Juli d. J. 36) Auszug der Weisung des
selben an denselben vom 2. August d. J. 37) Auszug der Weisung
desselben an denselben vom 9. August d. J. 38) Auszug der Wei
sung desselben an denselben vom 1 6. August d. J. 39) Auszug der
Weisung desselben an denselben vom 23. August d. J. 40) Auszug
der Weisung desselben an den sardinischen Gesandten in Wien vom
23. August d. J. 41) Weisung an den sardinischen Gesandten in
Berlin vom 29. September d. J. 42) Weisung desselben an den
sardinischen Gesandten in Paris vom 11. October d. J. 43) Weisung
desselben an denselben vom 1. Novemben d. J. 44) Weisung des
selben an den in Paris befindlichen sardinischen Gesandten vom
15. November d. J. (1784), d. i. 1198 *). 45) Weisung desselben an
A ) Hier ist die Jahreszahl richtig-. Seite 360 steht aber irrig- 1783 statt 1784, und 1197
statt 1198.
Bericht über die Fortsetzung 1 der osmanisehen Reichsgeschichte. 397
denselben vom 31. Jänner 17S5, d. i. in der Mitte des Rebiul-ewwel
des Jahres 1199 '). 46) Weisung desselben an denselben vorn 14. Fe
bruar d. J. 47) Weisung desselben an denselben vom 21. Februar
d. J. 48) Weisung desselben an den sardiniscben Gesandten in
Wien vom 28. Februar d. J. 49) Weisung desselben an denselben
vom 20. März d. J. SO) Weisung desselben an den sardiniscben
Gesandten in Paris vom 1. Mai 178S.
Von diesem halben Hundert diplomatischer Actenstücke sei nur
das 16., welches einen Bericht des französischen Ministers in Turin
des Grafen von Choiseul an Herrn v. Vergennes enthält, hier
übersetzt, um die Wichtigkeit dieser historischen Mittheilungen des
osmanisehen Staats-Archivs zu beweisen. Wenn nach der Meinung des
Grafen de Preux? 2 ) der deutsche Kaiser sich in den Besitz von der
Wallachei und Moldau setzt, und auf den Besitz von Flandern und Mai
land verzichtet, so wird der König von Sardinien als unser Alliirter
sich Mailands bemächtigen und dort seine Residenz aufschlagen, was
seinen Geschäften sehr zuträglich. Wenn dem Kaiser in dem osmani-
schen Reiche alles nach Willen geht, so kann er doch den König von
Sardinien nicht aus den Besitz von Mailand vertreiben. Ich glaube, dass
wenn, um den Absichten Russlands und Österreichs entgegen zu
arbeiten, eine Allianz zu Stande kömmt, Sardinien in der Hoffnung lebt,
von dieser Allianz Nutzen und Vortheil zu ziehen. Um Ihnen dieses
bekannt zu geben, gebe ich mir die Ehre, Ihnen den Auszug der
hierüber gehaltenen Conferenzen mitzutheilen.
Zum Schlüsse dieser Anzeige, welcher in der nächsten Sitzung
die nicht minder alle Geographen interessirende Beschreibung Cir-
kassiens und seiner Einwohner folgen wird, sei es erlaubt, die Orien
talisten auf ein für dieselben höchst wichtiges treffliches Werk des
russischen Professors Herrn Dr. Chwolsohn aufmerksam zu machen,
wodurch der Verfasser, sowie durch die Drucklegung die kaiserliche
russische Akademie der Wissenschaften sich nicht geringes Verdienst
um die orientalische Literatur erworben hat 3 ).
*) Es ist abermals die Jahreszahl fehl gedruckt, nämlich 1784 statt 1785 und 1198 der
Hidschret statt 1199.
a ) Das türkische ijjf AlHi j 3 kann eben so gut de Prown gelesen werden.
3 ) Die Ssabier und der Ssabismus von Dr. D. Chwolsohn, Professor an der kais. Univer
sität zu St. Petersburg- und Mitglied der deutschen morgenländischen Gesellschaft.
Zwei Bäude. I. Band 825 Seiten, II. Band 920 Seiten, gr. 8.
398 Hamm er-Purist all. Bericht üb. d. Fortsetz, der osman. Reichsg-eschichle.
Des Verfassers erschöpfende Gelehrsamkeit liebt den Schleier
welcher so lange über die Ssabier der orientalischen Schriftsteller
geschwebt, indem die Orientalisten des grössten Ranges die Johan
nis-Christen welche in den Sümpfen um Bafsra wohnen, mit den
Ssabiern von Harran, welche Heiden waren, als Ssabäer mit einan
der vermengten, wovon der erste Tlieil die Beweise, der zweite die
orientalischen Texte aus morgenländischen Schriftstellern enthält. Das
Werk ist zugleich ein Beitrag zur Literaturgeschichte, indem es von
allen gelehrten Ssabiern Harran's, die den Chalifen als Astronomen-
Ärzte und Seeretäre so gute Dienste leisteten, und ihren Werken
ausführlichen Bericht erstattet. — Die Ssabier von Harran galten
auch als eine Art von Magen und eine Art gelehrter Wundermänner,
denen die moslimischen Fürsten, weil sie dieselben stets zu Staats
zwecken brauchten, vieles nachsahen und verziehen. Die Ssabier
von Harran spielten durch ihre Gelehrsamkeit und durch ihren Ein
fluss in Staatsgeschäfte eine weit grössere Rolle am Hofe der Cha
lifen von Bagdad und der Herrscher der Familie Buje, als so
viele andere Philosophen aus den ketzerischen Secten des Islams. Die
Erwähnung dieses ausgezeichneten Buches ist übrigens hier keines
wegs hei den Haaren herbeigezogen; denn über die Ssabier von Har
ran hat bisher eben solch ein Halbdunkel geschwebt als über die
Drusen, und der in der heutigen Vorlesung dreimal genannte Schorog
erscheint auch in dem Buche des Herrn Professors Chwolsohn.
Ich würde diesem ausgezeichneten Werke mit Vergnügen noch grös
seres Lob ertheilen, wenn der Verfasser in der Vorrede nicht meine
nicht genug hervorzuhebende „Freundlichkeit und Gefälligkeit gegen
junge Orientalisten“ und andere Bemühungen um das orientalische
Studium rühmte, so dass mein Loh als ein parteiisches erscheinen
könnte. Anderen also die Sorge für die ausführliche Berichterstattung
über dieses wichtige Werk überlassend, kann ich als Orientalist nur
dafür der kaiserlichen russischen Akademie der Wissenschaften und
dem Minister der Volks-Aufklärung, Herrn v. Nor off, dem das
Werk gewidmet ist, meinen innigsten Dank sagen.
Georg 1 Zappert. Wien's ältester Plan.
399
SITZUNG VOM 29. OCTOBER 1856.
Yorgelegt:
Wiens ältester Plan.
Von dem c. M., Hi n. Georg Zappert.
(Mit 1 Tafel.)
In einem Quart-Sammelbande, gebildet aus vier dem XV. Jahr
hundert angehörenden Handschriften und einem Wiegendrucke, fand
ich ein zum Vorhlatt verwendetes Pergament das sicli uns durch die
Zeile: „uallum. adalinar de domo Y den. gotscalcus fillus adalmari de
domo“, als Fragment eines Güllenbuches verrätb. „uallum“ dem ein
apud vorangegangen sein wird, bezeichnet die Örtlichkeit (s. nach
Anm. 27), in der die Häuser der beiden Zinspflichtigen lagen. Aus
dem (wahrscheinlich jährlichen) Zinse von V Denaren ‘) dürfen wir
vielleicht vermuthen dass Adalmar ein Schutzhöriger, ein von aus
wärts Angesiedelter war, der, um vor Rückfall in Leibeigenschaft
bewahrt zu bleiben, sich unter geistlichen Schutz stellte.
Wie die jener Zeile, mit der Überschrift: a*) clineatio brenis
hortorum, uinearum, domorum ac arc (arura) undc habemus reditus
folgenden Häuser und Gassenreihen ausser Zweifel stellen, dass uns
A ) Es hatte einer ein Weib geheirathet, von der er nicht sicher wusste ob sie eine Freie
sei; diese Frau verschrieb sich dann: cum omni posteritatis linea ad altare sancti
micliaelis in rachersperge ad V denariorum censum persoluendum. Urkundb. d. Land.
Ob d. Ens 1, 380 seq. u. ebd, p. 751 seq. cnf. Schenkb. d. Kl. S. Emmeram (1006—1028)
Quell, z. Bayer, u. Deut. Gesch. 1, 27, Nr. 62, Nr. 100, ect. Mon. Boic. 28, P. 2.
p. 77. Eichhorn, Deutsch. Rechtsgescht. §. 61, 1, 307, 6. Ausgabe.
*) Für den Miniator angeschrieben, welche Minirung jedoch nicht zur Ausführung kam,
wie denn unser Fragment auch an anderen Stellen Spuren des Unvollendet-Seins
verräth.
400
Georg* Zappert.
hier ein Plan Wien’s vorliege, eben so verräth die mit curia uostra
bezeichnete Baulichkeit, welche in der Gegend des alten Passauer
Hofes erscheint, dass diesen kurzen Situations-Plan die Hand eines
Bediensteten der Passauer Diöcese entwarf. Es scheint, dass ein
Passauer Hub- oder Hofmeister, der Magister der Curia die in
unserem Plane erscheint 2 ), oder etwa dessen Schreiber s ), zur Orien-
tirung in welchen Gassen und Weingärten Wien’s das Bisthum Gülten
zu erheben habe, einen Plan Wien’s, in so weit er jenem Zwecke
entsprach, niederzeichnete. Jene Häuser und Weingärten 4 ) die seinem
Hochstifte zinspflichtig waren, markirte er mit einem Kreuzzeichen.
Die Aufzeichnung dürfte nicht allzulange nach jener Zeit statt
gefunden haben, in welcher (1043) König Aha den Landstrich
unterhalb des Wiener Waldes bis zur Leitha und March, an K. Hein
rich III. abtrat (s. Dümmler, Pilgram von Passau, p. 68 und p. 163),
wo dann bei Wiedervereinigung dieses Landstriches mit dem Pas
sauer Bisthume wahrscheinlich eine neue Redaction des Gültenbuches
veranlasst wurde*). Bei einer ähnlichen Veranlassung nahm (c. 1222)
Cäsar von Heisterbach eine erneuernde Abschrift des alten Gülten
buches der Abtei Prum vor 5 ). Auf ein anderes Beispiel treffen wir
im Jahre 1302. Damals wurde Konrad von Einbruck an die Stelle
des Wilhelm Dienstmann beauftragt, die sehr vernachlässigte Giilten-
Hebung der Passauer St. Ägidi-Kirclie zu ordnen. Er gibt Rechen-
2 ) Quid autem de ceteris vineis in Wienna uel iuxtaWiennam sit seruiendum magister
curie in Wienna diligenter inquirat et seruiat et in rotulo suo inscribat. Fräst.
Stiftb. v. Zwetl p. 578. Eine herzogliche Hubmeister-Reehnung 1326—1338 bei
Chmel, Oster. Geschichtforsch. 1, p. 31.
3 ) Georius scriptor magistri hubarum (nach 1314). Quell, u. Forsch. Wien 1849,
p. 168, cl. 2.
4 ) Ein Verzeichniss der Zehnt-IIäuser (dornus decimales) des Kl. Formbach aus dem
XIII. Jalirh. gibt das Urkdb. d. Land, ob der Enns 1, 699. Über die Sitte geistlichen
Körperschaften zustehende Häuser mit einem Holzkreuze zu versehen s. L. Delisle
Etud. s. 1. cl. agric. en Normand p. 39. Evreux 1851. Vielleicht wurde auch die neue
Redaction veranlasst, um die während der Occupation von manchen usurpirten Besitz-
rechte des Hochstiftes wieder an sich zu ziehen.
*) So wird von Wolvoldus, Abt zu Admont (1115) berichtet: Traditiones sane pre-
decessorum suorum in membranis descriptas inveniens, possesiones ecclesiae nostrae
quacumque distractas in forti et potenti manu requisivit. Gest. Archiep. Salisburg.
P. Mon. Germ. 13, p. 42, 1. 34.
5 ) Er legt in einem lesenswerthen Vorworte die Grundsätze dar, die ihn bei Schrei
bung der lateinischen Rechtsausdrücke und Ortsnamen leiteten. Leibnitz, Collect,
etymolog. P. 2, 409.
Wien’s ältester Plan.
401
scliaft, wie er aus Zetteln und anderen Aufzeichnungen ein Gültenbuch
abgefasst habe: Maxime "cum etiam in istis subscriptis peciis siue
quaternis Iucide et expresse descripserim redditus, obuentiones et
possessiones — Eccles. St. Egid. In hoc tarnen negotio multo studio
et diligenti sollicitudine sic laboraui, quod aliqua in uilibus cedu-
lis alia, inordinatis prothocollis et quaedam in oblitis ac in
ueteratis penitus libelullis uix inueni. (Mon.Boic. 29,P.2,299.)
Stadtpläne aus so früher Zeit dürften zu den Seltenheiten zählen 6 ),
denn das „scatet croribus“ das eine Hand des XV. Jahrh. am rechten
untern Rande des unsern hingeschrieben, verräth zur Genüge die
Geringschätzung, mit der man in jener vorschreitenden Zeit gegen
Schriftstücke früherer Jahrhunderte verfuhr; eine Missachtung die so
vielen historisch wichtigen Denkmälern den Tod brachte. Sollte man
jedoch Bedenken tragen, die Abfassung unseres Pergamentes in so
frühe Zeit, wie in die der zweiten Hälfte des XI. Jahrhunderts hinauf
zurücken, so gestattet die vorkommende Bezeichnung: capella St.
Stephani und curia marchionis, keinesfalls ein weiteres Ilinab-
rücken als in das Jahr 1147 oder 1156, denn im erstem Jahre
wurde St. Stephan bereits zur ecclesia geweiht 7 ) und im letztem
(17. September) Österreich bereits zum Herzogthume erhoben 8 ).
Wir gehen nun zur Besprechung der vorzüglichsten in unserem
Plane verzeichneten Baulichkeiten und Örtlichkeiten über.
caftcllum.
In ihm erkennen wir eine der vielen Kriegsbauten, castella auch
castra genannt 0 ), welche die Römer zum Schutze der Reichsgrenzc
°) Über die älteste Ansicht Wien’s (1483), s. Alb. Camesina im Bericht d. Alterth. Ver.
in Wien 1, 237. Die bisher bekannt gewesenen ältesten Grundpläne Wien’s sind die
des Steinmetzmeisters Wolmuet (1329) und der Hirschvogel’s (1547) Schlager, Wien.
Skiz. 1. 159. Lautensack’s Ansicht Wien’s v. Jahre 1558 gibt Alb. Camesina wieder
in dem o. a. Bericht d. Alt. 1, p. 7. Einen Plan Rom’s aus dem Anfänge des XIV. Jahr
hunderts bringt Const. Ilöfler d. Deut. Päpste, 2. die Tafel.
7 ) J. Feil in d. Österreich. Blätt. f. Lit. u. Kunst 1844, 2. Quartal p. 139, P. Mon. Germ.
11, 629, 1. 24. Da die Unkosten der Einweihung einer Kirche nicht unbedeutend
waren, so geschah es zuweilen, dass Kirchen erst längere Zeit nach ihrer Erbauung
eingeweiht wurden, z. B. Vit. S. Oudalrici Epis. August (-{- 973) P. Mon. Germ. 6,
395,1.40. Es ist daher möglich, dass der B eg in n des ersten Baues unseres
St. Stephan Domes bereits ins erste Drittel des XII. Jahrhunderts fällt.
8 ) v. Meiller, Regest, d. Babenberg, p. 38, Nr. 34.
9 ) Antonini Itinerar. Index 321 V. castellum edt. Parthey etPinder. Auch „castrum“ „Ad
castra“ hiess Passau, ibd. p. 120.
402
Georg Zappert.
längst der Donau errichteten. Das Castell der Keltischen 10 ) Vindo
bona in Ober-Pannonien lag, in so weit wir aus unserem nichts weni
ger als geometrisch genauen Plane zu schliessen vermögen, am Ende
der heutigen Press- oder am Anfänge der Sterngasse. Wir kommen
in der Folge nochmals auf dieses Castell zurück. (S. nach Anm. 18.)
curia marcliionif.
Bei der Vieldeutigkeit J1 ) des Wortes curia, gleich dem des
deutschen „Hof“, widerstrebt es uns die curia marchionis als
Residenz der österreichischen Markgrafen (für die Zeit unseres
Planes) anzuerkennen. Höfe besassen in Wien auch geistliche
Körperschaften 12 ), Adelige 13 ), Bürger 14 ), die Kaufleute der Hanse
stadt Cöln 1 5) ) auch Verkaufshallen führten die Bezeichnung Hof' 0 )
Betrachten wir nun in unserem Plane, gegenüber dem stattlichen
Casteilum, die aller fortificatorischen Werke entbehrende Curia 17 )
des Markgrafen, so werden wir geneigt, in dieser Curia einzig
l() ) Vindiniaca. Pardess. Diplom. 2, 1615, Vindocinum (Vendöme) il». 1, i68. Vindonissa
(Vandeuvre) ib. 1, 83, C. Zeuss d. Deutsch, p. 229. Cnf. Dobrowsky Legend, v. Kyrill.
p.52. Filz im Jahrb. d. Lit. 19, p. 29. Safarfk, slav. Alterth. 2, 470. Namen wie die
in unserem Plane vorkommenden : Ratpertus, Sigiboto, Calhochus, verrathen eine
Bevölkerung germanischen und keltischen Abstammes.
11) Du Cange gloss. 2, 709—714.
12 ) K. Arnulph schenkt dem Hochstift Passau die in dieser Stadt gelegene königl. Hof-
stiitte: in proprium retinendum concessimus. In eadem urbe pattauiens i media
dominicalem aream nostram quae usque hodie ad opus nostrum ibi pertinebat.
Mon. Boic. 28, P. 2, 124 (die Echtheit in neuester Zeit angezweifelt) : curia nostra:
in unserem Plane. Geroldus magister curie in Wienna (d. Stift Heiligenkreuz) Urkd.
1239. J. N. Weiss Urkdb. d. St. Heiligen-Kr. 1, 144. Pliaffenhöf, Munchhöf, Nun-
nenhöf in der Stat. Urkd. (1361) Horm. Wien. I. 3, p. XLI. Curia Neweburgensis
Gültenb. d. Schottenabt (1398) fol. 26 b, in Curia dicta Tumprobsthof. (ibid. fol. 39 a).
13 ) Ze Wiene hat’ ich einen hof, der lak so rehte schone. Tanhusser. Hag. Minnes. 2,
96, Nr. 3. Dominus de Sterenberch de domo (zu Michaeli zwölf Pfen.) Idem de
curia sua in acie (zu Mich, drei und zwanzig Pfen.) Gültenb. d. Schottenabtei fol. 6 b.
14 ) Gottfried der Kämmerer. Horm. Wien I. 1, p. XLVIII.
15 ) Schlager, Alterthüml. Erinnerungen, p. 72 IT. Auch die Regensburger ebd.
1C ) Curia piscium (1237) Schlager, Wien. Skizz. neu. Folg. 3, 433. Martinus de Curia
pi s cium de domo. (Gültenb. d. Schottenabt. v. J. 1398 fol. 12 a. im Visclihof. ibd.
p. 38 b. Curia Straminum (1314 ausserhalb der Stadt) Quell, u. Forsch. Wien 1849,
p. 177, cl. 1, p. 180, cl. 1.
17 ) Curia : Urkd. v. J. 1138 (Echtheit bestritten, s. mein Fragm. eines Liber dativ, p. 9.
Anmk. 17) Ilormayr I. 1, p. XVII1. Herzogenhof: Horm. Wien I. 2, 2. Hft. p. 68.
Schlager, Wien. Skizz. 1, 24.
Wien’s ältester Plan.
403
das landesfürstliehe Gerichtshaus Js ) jener Zeit, die Hofschranne
Wien’s, im Castelluni jedoch den eigentlichen Wohnsitz der Mark
grafen zu sehen. Denn es ist nicht wahrscheinlich, dass in einer
Zeit, in der der grösste Theil der Ministerialen in Burgen hauste,
der Landesfürst seinen Sitz in einem offenen Bau aufgeschlagen
haben werde. Mit Vereinigung des Landes ob der Enns und Erhebung
Österreichs zu einem Herzogthume erhielt die Curia zweifelsohne die
nöthigsten Befestigungswerke 19 ), als aber späterhin Österreichs
Fürsten ihren Sitz nach einer minder von Häusern beengten Räum
lichkeit verlegten, erbaueten sie sich dort keine neue Curia, sondern
ein festes Castrum, eine „burgk“ 2# ).
Inter arcatoref.
Die strata arcatorum zählt bekanntlich zu den bereits frühzeitig
urkundlich erscheinenden Gassen Wiens 21 ), späterhin besassen dort
auch Meister des Schwertes Häuser 22 ). Bogner hatten mancher Orte
die Verpflichtung zum Kriegsdienste in den Fortificationen 23 ), denn
der Bogen zählte zu den vorzüglichsten Defensiv-Waffen Belagerter*),
Das Vorhandensein der Bogner, das sich in unserem Plane durch
eine Häuserreihe documentirt, lässt vermuthen, dass entweder Wien
18 ) Die österreichischen Herzoge hatten von sechs zu sechs Wochen auf dem flachen
Lande, zu Klosterneuburg, zu Tulln und Mautern Taiding zu halten. (Archiv d. kais.
Akad. 10, 148.) Die einzige feststehende Schranne bestand (nach K. Rudolph’s Zeit)
in Wien, lin Jahre 1408 wird der Hofschranne zum letztenmal gedacht. Schlager, Skizz.
2, 67,127, 129, cnf. Schrötter, Abhandl. 4,103, cnf. Jakob Grimm, liecht. Alt. 2, 822 f.
19 ) A fossato Curiae nostrae s. Amnk. 17.
20 ) Sita in Castro vienne (1347) llormayr’s Wien. I. ü, p. XXVI. Aus früherer Gewohn
heit scheint man zuweilen auch die neue Burg „curia" genannt zu haben, cnf. Hormayr
I. 1, p. XXVII.
21 ) Cnf. mein Fragm. eines Liber dativ. p. 38, Anmerk. 73, ex opposito Areuficum
Wyenne (1392) Hormayr’s Wien. I, 2. ß., 1. Ilft. p. XCII.
22 ) Die Gladiatoren im XIV. Jahrhundert. Schlager, Wien. Skizz. n. Folg. 3, 478 fl'.
21 ) Schlager, Wien. Skizz. n. Folg. 3, p. 6. Die Pfeilschnitzer gehörten zu den Handwer
kern die bis 1361 steuerfrei waren. Horm. Wien 1, 3, p. XXXIX. Ad portam (also
bei einem Thurme) Sancti Lazari (in Paris) manent arehitenentes, qui faciunt balistas
et arcus de acere, viburno, taxo, sagittas et tela de fraxino. Joh. de Garlandia Dic-
tionar. (c. S. XI—XII) ap. Geraud Paris s. Phil. I. Bel. p. 389, das Statut der Pariser
Bogner (dort gleichfalls steuerfrei, S. XIII) s. Depping Regl. sur I. art. p. 260.
*) Landulf. (c. 1100) Hist. Mediolan. P. Mon. Germ. 10, p. 61, 1. 32, 1. 43. Gudrun
1384, Strutt Horda angl. I, Tbl. 32.
404
Georg- Z a p p e r t.
bereits damals eine Art Ringmauer umschloss 24 ), oder dass unsere
Bogner in kriegerischer Zeit einen Tlieil der Besatzung des Castells
bildeten.
ln foro lignorum.
Den Holzmarkt 85 ) finden wir an der Stelle des heutigen Kolil-
marktes 20 ). Auch in anderen Städten finden wir Holzmärkte 87 ). Dass
später der Kohlen- an die Stelle des Holzmarktes trat, lässt uns das
Emporkommen solcher Industriezweige vermuthen, diewieEisen-
und Goldschmiede etc. zu ihren Hervorbringungen vorzüglich jenes
Brennstoffes bedürfen.
uallnm uetuf.
Unser Plan zeigt hier eine ringwallartige Mauer. Construction
gleich wie die Bezeichnung uetus, verrathen einen aus römischer Zeit
stammenden Bau. Seine Lage entspricht dem eines Theiles der heu
tigen Kaiserburg, die ohne Zweifel in ihren Mauern manches Fragment
jenes Ringwalles bewahrt.
Wir wissen, dass man aus Trümmern zerstörter Tempel Kirchen
erbauete. Der Anachoret Thalelaeus schlug seinen Sitz neben einem
unweit dem Städtchen Gabalis auf einem Hügel gelegenen ehemaligen
Tempel auf. Später riss er ihn nieder und bauete an der Stelle eine
Kirche. (Theodoret Episc. Cyr. [ant. 457] op. 3, 1286, edt. Noesselt.)
Der heil. Gaugericus (cir. 614—622), Bischof von Cambray errich
tete an der Stelle des von ihm zerstörten Göttertempels eine dem
24 ) Bekanntlich lassen Chronisten Wien erst in (1er zweiten Hälfte des zwölften Jahr
hunderts mit Mauern umfangen werden (H. Pez, S. R. Aust. 2, 712, d). Allein es ist
nicht wahrscheinlich, dass Wien so nahe seinen überfalls-lustigen ungarischen Nach
baren (cnf. P. Mon. Germ. 13, p. 75, 1. 9) noch in der ersten Hälfte des zwölften Jahr
hunderts als völlig offener Platz dagestanden sei. Jene chronistische Nachricht dürfte
nur in dem Sinne zu nehmen sein, dass Wien gelegentlich seiner Vergrösserung
eine regelmäs sigere entsprechendere Befestigung als es früher besass
erhalten habe.
25 ) In foro lignorum (1276) Horm. Wien II. 1, p. VIII,
26 ) (1327) P. Mon. Germ. 11, 722, 1. 32. Statut über Kohlenverkauf in Prag. E. F. Röss-
ler, Altprag. Stadtr. p. 83, cap. 97.
27 ) In Prag gab es am Podskal einen Markt auf dem Holz verkauft wurde. J. E. Rössler
Altprag. Stadtr., p. CI. Auch in Regensburg gab es (1320) einen Holzmarkt.
Gemeiner Regensb. Chronik. 1, p. 511. Über Holz- und Kohlenverkauf zu Paris
(S. XIII). Depping, Reglern, s. 1. art. p. 423.
Wien’s ältester Plan.
405
heil. Medardus geweihete Kirche. (Ghesquier Act. S. Belg. 2, 276.)
Der heil. Columban gründete das Kloster Luxeu auf Trümmern
eines heidnischen Tempels. Ibi imaginum lapidearum densitas vicina
saltus densabat, quas cultu miserabili rituque profano yetusta paga-
norum tempora honorabant. (Vit. S. Columbani, f 615, Mabil. Act.
S. Saec. 2, p. 13.) Vom heil. Otto, Bischof von Bamberg (f 1139),
erzählt sein Biograph: Apostolus itaque Pomeranorum — ecclesias
constituit — in loco ubi profani demonum ritus agi solebant. (Vit.
S. Otton. ap. P. Mon. Germ. 14, 853, 1. 25.) Theoderich, Abt von
St. Hubert, erbauete (S. XIII p. m.) aus Steinen einer Burg eine
Kirche. (Chr. St. Huberti Andaginense. P. Mon. Germ. 10, 579, 1. 5.)
Im Jahre 1317 wurden die Steine der Burgruine Ruemansfeld zur
Ausbesserung des Klosters Gotteszell verwendet 38 ). In unserem Falle
jedoch wurden zweckentsprechend Werkstücke eines römischen
fortificatorischen Baues, wie die des vallum vetus, zur Gründung einer
deutschen Fürstenburg verwendet.
Wir gehen nun in Folgendem zur rechten (östlichen) Hälfte
unseres Stadtplanes über.
in fcinita futorum.
Wir können alle dem Castell parallel laufende Strassen als
Grundstrassen, als die primären Gassen Wien’s, und die von Norden
nach Süden läufigen als Verbindungsgassen oder Gässchen anselien.
Solche mehr oder minder enge, kurze, meist hügelig ablaufende Gäss
chen trugen die Bezeichnung Semita, und noch heute bewahrt die
innere Stadt in ihrem Rupprechtsteig, Hafnersteig, Licldensteg 39 ) die
Erinnerung an solche „semita“. Wir dürfen ferner daraus, dass in
unserem Plane die Gassen bereits Namen tragen 30 ), auf lebhaften
28 ) Quellen z. Bayer, und Deutschen Geschichte, I, 4G1.
29 ) Versus claram semitam (Lichtensteg). (S. XIII ext.) Horm. Wien I, 5., p. CII.
30 ) Ich gebe anfolgend Strassen- und Plätzenamen einiger deutschen Städte: Regens
burg. In platea latiuorum, in Regensburg (1177—1201. Quellen zur Bayer. Gesch.,
I, 127, cnf. ibid. p. 97). Pass au. Dornum — in strata, que dicitur milchgazze
(c. S. XIII a. in.?) Urkdb. des Landes ob der Enns I, 696. in strata sartorum.
(S. XIII p. m.) Mon. Boic. 29, P. 2, 273. strata Clericorum — strata sancte Margarete
(1259 in Passau). Notiz. Bl. d. k. Ak. 1856, p. 459. Speyer. Curiam suain in
platea omnium sanctorum sitam. Urkd. (1220) Remling, Urkdb. v. Speyer 1, 158.
Sita in foro panis (1254) M. B. 260. Wü rzburg. Platea leonis. (1288.) Usserm.
Episcop. Wirccb. Append. p. 66. Breslau. In longa contrata (1298). Tschoppe
406
Georg Za ppert.
Fremdenverkehr schliessen; denn in nicht umfangreichen
Städten, in denen jeder eines jeden Haus und Hof kennt, in denen
alle Bewohner insgesammt einen einzigen Nachbarknäuel bilden, sind
Strassennamen kein Bedürfniss 31 ), diese dienen meist nur zur Orien-
tirung Fremder. Unsere semita sutorum dürfte nicht zu den unansehn
lichen Stegen Wieu’s gezählt haben, denn es nahmen in der Frühzeit
des Mittelalters die Schuster unter den Handwerkern eine bedeutende
Stelle ein. (S. mein Fragment eines Liber dativ. p.67—73.)
ecclefia S. Ituodperti.
Mit ecclesia 32 ) bezeichnete man im Mittelalter jene Gottes
häuser, in welchen getauft und begraben wurde, Kirchen die ein
Coemeterium hatten. Die St. Rupprechts-Kirche war also vor
Erhebung St. Stephan’s zur Ecclesia (s. Anmerk. 7) die Pfarrkirche
Wien’s 33 ), während die Ecclesia St. Johannis an der Alster 34 ) für
die in Wien’s westlicher Umgebung in Gehöften und Weinberg-Ort
schaften wohnende Bevölkerung gleiche Stelle eingenommen zu haben
scheint.
in femitn tunnariorum.
Die Fertigung der zur Aufbewahrung von Flüssigkeiten, wie
Wein, Bier, Meth und Honig bestimmten Gefässe beschäftigte viele
Hände. Klöster hielten eigene Küfer, für die, wie z. B. in St. Gallen
(820), eine eigene Werkstätte erbauet war 35 ). In unserem Plane
sehen wir eine ganze Häuserreihe von ihnen besetzt, denn Wien’s 3Ö )
und Stenzei, Urkds. p. 436. Frankfurt a. M. Inter macella vetera (1316). Böluner
Cod. dipl. Moenofrancof. 1, 429, in der Vargassen (1317), ibid. p. 1, 431.
31 ) Selbst noch zur Zeit der Kaiserinn Maria Theresia führten in manchen Ungerischen
Landstädten die Gassen weder Namen, noch die Häuser Nummern.
32 ) Mit „Basilica“ bezeichnet man Klosterkirchen, doch findet man nicht selten diese
auch als „Ecclesia“ aufgeführt.
33 ) Cnf. Enenkel’s Chron. Bauch S. B. Aust. 1, 255 etc.
34 ) A fossato Curiae nostrae usque ad ecclesiam sancti Joannis. Urkd. (1158.)
Ilormayr’s Wien. 1. Bd. Urkdb. p. XVIII, cnf. Anmk. 17.
35 ) Tunnariorum domus im Kloster S. Gallen (820). Ferd. Keller, Bauriss, d. KI. S. Gallen
p. 31, und The Archeol. Journal. Lond. 1848, p. 112. (Unten rechts im vierten
Quadrat neben den Brauern.) Cnf. Guerad Polypt. Irmion, 1, 732.
36 ) In unserem Plane erscheinen: „Vinea(r)atperti, uinea sigibotinis“, und nordöstlich
„uinea calhoehi“,
Wien’s ältester Plan.
407
und seiner Umgebung reiche Weinproduction gab Küfern 37 ) durch
Fertigung von Gebinden mannigfacher Art 38 ) reiche Beschäftigung.
Das nöthige Pech, mit dem man im Mittelalter Wein- und Bierfässer
auspichtc 39 ), lieferte ihnen vielleicht der nahe Kienmarkt, auf dem
man vermuthlich neben Kien auch das Nebenproduct der Nadelhölzer,
Pech feil hielt (s. Anmerk.162ff.). Auch dürfte die nahe Donau ihnen
eine billige Strasse zur Verführung ihrer umfangreichen Erzeugnisse
geboten haben.
in ftrata aurifabrorum.
Bei der dem menschlichen Individuum, selbst dem auf unterster
Culturstufe stehenden, inwohnenden Neigung die Geltung seiner
körperlichen Erscheinung durch Aufputz zu höhen, dürfen wir ver-
muthen, dass alle auf goldgiebigem Boden wohnsitzende Völker ihre
Edelmetall-Funde zunächst zu Geschmeidestücken verwendet haben
werden. Gothen und Vandalen trugen goldene Armringe (Procop. I,
422, 1. 9, 2, 243, 1.13, edt. Bon.). Als bei dem Sturm (S47) Totila’s
auf die Ringmauern llorn’s der Feldzeichen-Träger tödtlich getroffen
37 ) Wolfber (1er pinter (1290). Weis J. N. Urkdb. d. St. Ileiligenkreuz, 1, 267. Ulricus
ligator (1314). Quellen und Forsch. Wien 1849, p. 170, c. 1. 2. Ch. Ligator cbd.
177, cl. 1 und andere, p. 178, cl. 2, 179, cl. 3, p. 185, cl. 2. Statut der Küfer in
Paris (S. XIII), bei Depping Reglern, s. 1. art. p. 102.
38 ) Ich gebe anfolgend aus Du Cange gloss. die Namen der verschiedenen Fassarten
etc. Ambra 1, 223, cl. 1. Annata 1, 262, cl. 2. Barile etc. p. 595, cl. 3. Barridus
p. 607, cl. 2. Botta p. 739, cl. 5. Botaltus, ibid. Botaria p. 740, cl. 1. Bottus
p. 743, cl. 2. Buta p. 825. Buttatium p. 829, cl. 2. Caballata 2, p. 3, cl. 2. Cabil-
linus p. 9, cl. 2. Carriaria p. 200, cl. 3. (Cavea. Cella vinaria p. 253, cl. 1, nr. 2.)
Coiulitus p. 522, cl. 2. Costarium p. 634, cl. 1. Costarez ibid. Cuba p. 682, cl. 3.
Cubellus p. 683, cl. 2. Cupa p. 700, cl. 3. Doublerium p. 933, cl. 3. DubLarium
p. 945, cl. 3. Estiva p. 106, cl. 2. Fiala p. 277, cl. 3. Fustaillia p. 446, cl. 3.
Gemellarium p. 503, cl. 1. Lacuna 4, p. 8, cl. 3. Meisa p. 345, cl. 2. Mellarium
p. 349, cl. 1. Oma p. 710, cl. 2. Ona p. 711, cl. 2. Pipa 5, p. 262, cl. 3. Pipotus
p. 264, cl. 2. Pitalfus p. 271, cl. 2. Pittarium p. 272, cl. 3. Quartinum p. 551, cl. 3.
Quenna p. 556, cl. 2. Standa p. 354, cl. 2. Tina p. 589, cl. 2. Tineta p. 591, cl. 1.
Tressellus p. 655, cl. 1. Trossis p. 683, cl. 3. Trullum p. 687, cl. 2. Tunna p. 698,
cl. 1. Typrus p. 709, cl. 3. Vaisellum etc. p. 724, cl. 1. Vas p. 738, cl. 2. Vaselia
p. 740, cl. 2. Veges p. 753, cl. 2. Vexelluin p. 794, cl. 1. Viniforum p. 840, cl. 2.
Zuber p. 937.
39 ) „Die vischair scvhln div uas pikchen, so si vngsmach werdent, mit niwen pecli.“
Pfründe-Ordn. des KI. Geisenfeid (S. XIII). Quellen zur Bayer, u. Deutschen Gesch.
1, 432. Wir sehen hier Fischer, durch ihre Bote mit dem Geschäfte des Aus-*
pichens vertraut, gleiche Operation auch an Fässern vollziehen.
408
Georg Zap p e r t.
fiel, stürzten seine Gefährten herbei und hieben ihm die linke
Hand ah, damit das kostbare Armband das er an jener trug, nicht in die
Hand der Römer gerathe (ebd. 2, 380, I. 16). In nähere Berührung
mit Römern gebracht (s. mein: Über Antiquitäten-Funde p. 1 ff.),
lernten sie auch edelmetallene Geräth schäften kennen, und wir
werden derartige hei ihnen sich vorfindende Gefässe 40 ) als aus der
Plünderung römischer Länder herrührende Beutestücke ansehen dür
fen 41 )- Oie Lust an derartigen Kostbarkeiten war geweckt und was
man im Kriege aufgerafft hatte, wollte in friedlicher Zeit tlieils erhal
ten, theils, besonders hei der regen Geschmeidelust der Frauen, ver
mehrt werden 42 ). So wendet Oswald's Tochter ihre ganze weibliche
einschmeichelnde Beredtsamkeit auf, um den Vater zur Ilerbeirufung
fremder Goldschmiede zu vermögen: vater, ich undouch min vrouwen
— wir bedürfen vingerlin und heftelin, diu würkent sie uns, über vater,
du bedürftest wol, rleher Künic Aaron, einer schoener guldiner kröne,
die würkent sie dir schone uz golt 43 ).
Aus den Gesetzen der Bayern (311—334) ersehen wir, dass
unter ihnen der Besitz von goldenen oder silbernen Zierstücken nicht
zu den Seltenheiten zählte. Si quis aurum, argentum — furauerit.
(Leg. Baiuwar. Tit. IX. c. 10. p. 136. edt. Mederer). Si cui aurum
uel argentum uel ornamenta fuerint commendata (Tit.XV. c. 2. p. 213.)
Solcher Weise fanden allmählich heimische Goldschmiede, deren
Kunstgeschmack sich an den aus antiker Zeit stammenden Beute
stücken zu läutern Gelegenheit bot, erhöhete Beschäftigung. Sie
nahmen unter den Unfreien eine geachtete Stelle ein, denn unter
allen Handwerkern waren sie mit dem höchsten Wehrgeld bemessen.
Qui aurificem lectum occiderit CL solid, solvat. Qui fabrum
argentarium occiderit C. sol. solvat. 44 ). Das thüringische Recht
reiht Goldschmiede den Künstlern an und stellt sie mit Geigenspiel-
40 ) Cnf. mein: „Über Antiquitäten-Funde, p. 2 ff.
41 ) Procopius 1, 423, 1. 3, edt. Bonn.
42 ) Beispiele vom Umschmelzen kleinerer Gelasse zu einem grossen s. P. Mon. Germ. 10,
579, 1. 22 (e. 1120). D’Acher. Spicil. 9, 196 (1211). Markgraf Ottokar v. Steier
mark verordnete (1166) letztwillig, dass man seinen sechs Mark schweren goldenen
Becher nach seinem Tode zerbreche und an Klöster vertheile. Dipl. Sacr. Styr. 1,
155. Solche Fragmente wurden dann, wie selbstverständlich, umgeschmolzen.
43 ) Sanct Oswaldes Leben p. 72, v. 2145, edt. Ettmüller.
44 ) Leg. Visig. L.3, T. 3, c. 9. cnf. Leg. Burg. 7, 10, c. 3—6 s. v. Fürth die Ministe
rialen p. 13 1F. Cnf. Anmk. 147.
Wien’s ältester Plan.
409
Virtuosen auf gleiche Wehrgeldstufe 45 ). Dem Volksglauben galten
jene kleinen Männlein mit den langen Bärten, die in erzigen Bergen
hausen, als gar kluge werkverständige Leute 40 ). In einer Kalender-
Handschrift des XV. Jahrhunderts, worin unter mehrerem auch
der Einfluss der Planeten besprochen wird, werden Goldschmiede
gleichfalls den Künstlern zugezählt: Mercurius Brachmond — (die
im Juni gebornen Kinder): Ir angesicht ist runt val vnd bleich, Ein
hohe stirn geluar har weich, Sie sint wol gelert vnd schriber, G olt
schmid maler und bild schnider. Cod. palt. Vindob.S.XV.Nr.3009,
fol. 26 b und gleichfalls im Cod. Nr. 3085 (ann. 1475) fol. 25 a.
Konrad von Würzburg (f 1287) betitelt eines seiner künstlichsten
Werke „Goldne Schmiede“, und weis einen Dichter wie Gottfried von
Strassburg nicht glänzender zu feiern, als dass er ihn einen Dichter
nennt „der als ein wseher houbetsmit guldin getihte worhte“ 47 ).
Es standen auch in der Tliat die Goldschmiede durch ihre Erfahren
heit in plastischer Gestaltung der verschiedenartigsten Geräth- und
Geschmeidestücke der zeichnenden Kunst näher als irgend ein ande
res Gewerk, und durch ihre zahlreich an Geräthschaften aller Art
ausgeführten Niellirungen (s. Anmerkung 113) wurden sie bekannt
lich die Erfinder der Kupferstecherkunst. Der Ruhm Wieland des
Schmiedes lebte fort durch Jahrhunderte 4a ) und seine hierortigen
Collegen schlugen zweifelsohne nicht aus der Art, denn von allen
andern Goldschmieden Süddeutschlands standen die Wien’s, als an
der Grenze Ungerns gelegen 49 ), der Bezugsquelle edler Metalle am
45 ) Gaupp d. alt. Gesetz d. Thür. p. 328. Unter „harpatorem, qui cum circulo harpare
potest* jedoch ist kein Harfner sondern ein Geiger, der mit dem Bogen (circulo)
sein Instrument streicht, zu verstehen.
46 ) cnf. Jakob Grimm, Mythol. 1, 424 ff.
47 ) Gold. Schm. p. 4, v. 98, edt. W. Grimm.
48 ) Pocula quae sculpsit Guielandus in urbe Sigeni. Galfrid (S. XII int.) d. vit. Merlin,
p. 10. cnf. W. Grimm, Heldensag. p. 29, not. 14. Jakob Grimm, Mythol. 350 ff.
Wright in the ArcheoI.Societ. of. ant. of. Lond. 32, 315 und Mittheil. d. Sachs. Thür.
Verein 6. B. 3. Heft, p. 97. Thilo, der Zögling d. h. Eligius, war ein Sachse (ex
genere Saxonico) Ghesquier. A. SS. Belg. 3, 206. Calices argentei Saxonici. Petr,
(c. 1140) Chr. Casi'n. P. Mon. Germ. 9, 753, 1. 41. Auch in Deutschland stand
durch das ganze Mittelalter hindurch die Goldschmiedekunst auf einer verhältniss-
miissig hohen Stufe, cnf. Theophil. Presb. (c. S. XIII ext.) p. 9, edt. L’Escalopier.
cnf. Anmk. 52.
49 ) Über Silbergewinnung in Pannonien s. Katancsich Comm. in C. Plin. Pannon. p. 92.
cnf. Urkunde (1211) K. Andreas II. f. die deutschen Ordensritter. Fejer, Cod. dipl.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XXL Bd. III. Ilft. 28
410
Georg Zappcrt.
nächsten; ihre Einfuhr aus Ungern nach Wien war nicht blos durch
besondere den österreichischen Kaufleuten von ungrischen Königen
ertheilte Privilegien gefördert 50 ), sondern deren Ausfuhr aus Wien
durch von österreichischen Herzogen erlassene Export-Verbote hintan
gehalten. So wurde 1192 den Regensburger Kaufleuten in Wien wohl
der Einkauf von Gold, aber nicht der von Silber gestattet. Volumus etiam,
vt sine omni impedimento emant aurum — et omnia cjue voluerint,
excepto argento. (Satzung für die nach Östr. handl. Regensburger
[1192, Jul. 2]. Archiv d. k. Akad. 10, p. 9S.) Und das handel- und
gewerbereiche Regensburg das mit der Nachbar-Donaustadt Wien in
lebhaftem Verkehr stand 51 )> zählte viele Edelschmiede in seinen
Mauern äa ). Der Grund jenes Einkauf-Verbotes lag in der Besorgniss,
dass durch Gestattung des Silber-Exports der Münze der ihr nöthige
Schlagsatz entzogen würde 53 ). Im J. 1221 dehnte Herzog Leopold
Hungar. 3, P. 1, 106 u. p. 37i. Das Vorhandensein von leibeignen Goldarbeitern:
Aurificibus s. K. Andr. II. ßestät. (1228) der Besitzungen derßened. Abtei Pechvärad.
Fejer, Cod. dipl. Mung. 3, P. 2, 118. Dedi vnum aurificem Neskew cum fratribus
suis. Urkd. (1124) d. K. Stephan II. f. KI. Gron. Fejer, Cod. dipl. Hung. 2. p. 72. Dou
royaume de Hongrie vient cire, or et argent en plate. Verz. der in Flandern
(S. XIII u. XIV) eingeführt. Handelsart. Crapelet Remarques,, p. 131. Man denke
an unsere FI amminger und an die Kaufleute aus Mastricht in d. Satzung f. Enns
1191. Archiv d. K. Akad. 10. p. 92. Ein strictes Ausfuhrverbot ungerniinzter Edel
metalle aus Ungern erscheint erst unter K. Sigismund. Decr. I. ann. 1405, Art. 21,
P. 2. Corp. Jur. Ilung. Über den Goldi eiehthum Siebenbürgens s. Lauriani in
Sitzungsb. d. k. Akad. phil.-hist. Clas. 1850. Nov. p. 551.
50 ) König Stephan bestätigt (1270) die v. K. ßela IV. den österreichischen Kaufleuten
verliehenen Privilegien. Hormayr, Wien I. 1, p. LXXXVI. Bestätigung (1277) Fejer,
Cod. dipl. Hung. 2, 387, 550. ßestät. (1352) Horm. Wien I. 2. p. LXXIV. K. Andreas
schenkte (1217) der Abtei Heiligenkreuz das Gut Leginthov mit Ertheilung mehrerer
Privilegien, darunter auch das: Volumus etiam, eos esse liberos inportubus, pon-
tibus — et in omnibus locis regni nostri, siue importanto sua sev exportando
nostra donaria, vel si qua ad usus ipsorum fratrum in regno nostro comparauerint,
ab omnibus tributariis, monetariis — illesos mauere. Weiss J. N. Urkd. d. Stift.
Heiligenkreuz 1, p. 51. cnf. ibid. p. 72. Sie durften also auch gemünztes Geld
das sie etwa als Gülte erhoben, ausführen. Österreicher reisen nach Ungern (1272,
ibd. 1, 183).
51 ) Archiv d. k. Akad. 10. p. 95, p. 93.
52 ) Aurifices Ponno. Chono. Richalm. Schenkb. d. Kl. S. Emmeram (1070—1095). Quell,
z. Bayer, u. Deut. Gesellt. 1. p. 47. Sigehart aurifex (1095—1143) ebd. p. 74. Ozi.
Pernolt. Sigehart ebd. p. 77. Perinhart. (1149—1177) ibd. p. 86. Haimo, p. 87.
Gottfried ein ausgezeichneter Goldschmied zu Regensburg (1284). Canisius Lect. 4,
110. Nr. 37, edt. Basn. cnf. Anmk. 129.
53 ) „Alles das silber das sy chauffent das sol gepraucht werden zu der Munss angeuar
Das es nicht aus dem lanndt gefiirt werde.“ Chmel, österr. Geschichtsforsch. 1, 446.
Wien’s ältester Plan.
411
dieses Verbot auch auf die Ausfuhr des Goldes aus. Nulli civiurn
deSweuia uel de Ratispona vel dePatauia — Et non emat
aurum neque argentum. Si habuerit aurum uel argentum, non uen-
dat nisi ad cameram nostram 54 ). Da, wie eben bemerkt, solche
Verbote vorzüglich im Interesse der Münze geschahen, so werden wir
daraus schliessen können, dass man in Österreich bereits im Jahre
1221 Kohlmünzen zu prägen begonnen hatte; ein Zeichen
mehr, dass der Handel (und mit ihm der Wohlstand) Wien’s bereits
einen solchen Aufschwung gewonnen, dass der Verkehr Grosssummen
erreichte, deren Berichtigung unlästiger Weise nur in Goldmünzen
ausgeführt werden konnte (cnf. Anmerkung 152). Indem ferner
Herzog Friedrich II. im Stadtrechte für Wien (1244) auswärtigen
Kaufleuten mit ihren Waaren nach Ungern zu ziehen untersagte 55 ),
erhielten indirect die Kaufleute der Residenz eine erhebliche Begün
stigung für den Eintausch edler Metalle in jenem Lande, in so weit
nämlich dieser auf dem Donauwege ausgeführt wurde 50 ). Bei so
vielfacher Verbindung mit Ungern konnte es den Wiener Goldschmie
den nicht an Bezugsquellen edlen Metalles von dorther, und nicht an
AbsatzwegenfürihreErzeugnisse nach dahinfehlen 57 ), und wir können
54 ) Stadtrecht f. Wien (1221, Oct. 18). v. Meiller, im Archiv d. k. Akad. 10, 10G u.
Bestät. (1281). Horm. Wien I. j». XV.
55 ) Nulli ciuium de Sweuia, uel de Ratispona, uel de Patauia liceat intrare cum meroibus
suis in Ungariam. v. Meiller, im Archiv, d. k. Akad. 10, 137.
56 ) Zweifelsohne halfen diesen Handel auch ungarische Kaufleute vermitteln, und
anfolgende Namen zeigen, dass schon frühzeitig- der Verkehr beider Länder ein leb
hafter war. Leopoldus de quinque Ecclesiis (1273. Horm. Wien. II. 2, p. CXCV1II).
Her Ulrich der Vimfchircher (1288. Chmel, Notizenbl. f. österr. Gesell. 1843, p. 79).
Leonis Ungari Gültb. d. Schott. Abt. (1314). Quell, u. Forsch, p. 173, cl. 1. Ofner,
p. 176, cl. 1. cnf. Fejer, Cod. dipl. 3. P. 1, p. 43. Johannes vngarus, p. 179, cl. 2,
de uno Judeo de oedenburch (1376). Smerlein u. Eferlein den Juden von Öden
burg— Smerlein den Juden — vnnd Marthay — von Prespurkh (1379). Schlager, Wien.
Skiz. 1, 28. Smerlein und Elferlinn den Juden vun Odenburk (1379). Notizbl. d. k.
Akad. 1833, p. 394 etc. Hans Unger de I area (Gültenb. d. Schottenabtei v. J. 1398),
fol. 36 b. Müsch. Vngar. Judeus de dom. ibd. fol. 39 b. Jacob vnger. ibd. Jacob vnger.
fol. 66 b, fol. 74 a. Michael von Ofen Judeus fol. 78 b. Peter von prespurch de oet.
vin. ibd. fol. 48 b. Vlreich von Chaschaw. fol. 70 b. Jorig farkusch (d. h. Farkas),
ibd. fol. 57 a. Thomas Vnger — de domo, ibd. p. 19 b. Izzerl von Ödenburg.
Heschkel von Rab. Jana, Muschlein's Sohn von Agram. Herschel von Rah. Czerlein
von Ödenburg. Schlager, Skizz. 1, 29 ff.
57 ) Ungern besass zwar auch, wie bemerkt (Anmerk. 49), Goldarbeiter, allein mehr zum
Landbau als zu Kunstarbeiten geneigt, standen diese Leibeigenen an Fertigkeit ihren
bürgerlichen Collegen in deutschen Städten nach, wie denn bis in neuerer Zeit der
grössere Theil derartiger Fabricate aus Wien bezogen wurde.
28«
■
412
Georg Zapp ert.
annehmen, dass der grössere Theil der Kirchengeräthe, mit denen
nach Bekehrung Ungerns die zahlreich dort erhaueten Kirchen und
Klöster bedacht wurden, aus der Werkstätte der Wiener Goldschmiede
hervorging, die längst christlich, mit der Fertigung solcher Gefässe
und Geräthschaften wohlvertrauet waren.
Aber es war, wenn auch vorzüglich, jedoch nicht ausschliesslich
die Kirche, der die Goldschmiedekunst des Mittelalters ihre För
derung dankte. Profan-Geräthe mannigfacher Art gingen aus den
Werkstätten der Goldschmiede hervor, doch wollen wir, um diese
Schrift nicht über Gebühr zu schwellen, dermalen nur die Trink -
• gefässe ins Auge fassen.
Bier, Meth, Wein, diese unentbehrlichen Bedürfnisse der Men
schenwelt des Mittelalters waren es in Sonderheit, deren handliche
Fassung Goldschmieden reichliche Beschäftigung hot 58 ). Man trank
nicht blos zur Löschung des Durstes oder zum fröhlichen Ergötzen,
sondern betrieb das Trinken mit dem Ernst und der Wichtigkeit
eines Geschäftes. Arnold von Villa Nova (1300—1360) stellt in
seiner Schrift: De regimine sanitatis: vier und zwanzig Verhaltungs-
Regeln für Weintrinker auf 59 ), und ein Moralist des XV. Jahrhunderts
ruft seinen Lesern zu: Der liebe Gott hat das Wasser zum waschen
und baden erschaffen, und manche mischen mit Brunnen (fonte) ihren
Trunk? dies ist ein Missbrauch des Wassers und eine Beleidigung
des Weines! 60 ) Auch galt der Wein, in grossen Dosen genommen,
Bewohnern südlicher Länder als ein kräftiges Schutzmittel gegen
Pestkrankheiten: Homines autem nostrse regionis non credunt euadere
pestilentiam nisi multo potu vini: GentilisFulginas (-j-1348, comment.
inAvicen. sup. quart. fen.I. Tract. 4, c.5, fol. 83 b. cl. 2. Venet 1520).
Dieses prophylactische Verfahren erfreute sich wahrscheinlich auch
in deutschen, Wein producirenden Ländern grosser Popularität, und
dass es auch unserem Wien nicht an Männern fehlte die in der Con-
sumtion ansehnlicher Wein- und Bierquantitäten Ungewöhnliches
58 ) Einen grossen Theil des Verkehrs in Silberwaaren bildeten Trinkgefässe. Urkd. (1277)
K. Rudolph I. v. Karajan in Chmel österr. Geschichtsforsch. 1. 467. Item es sullen
auch all goldsmid die da arbeiten schalen od Köph in der chamer wegen (c. S. XV).
Hormayr. Wien I. 6. p. CLXXII. cnf. Anmk. 83.
59 ) Op. fol. 74 a — 75 b. Lugd. 1520. cnf. Boccaccio Decam. G. I. Introd.
60 ) Fragment einer lateinischen Handschrift des XV. Jahrhunderts in meinem Besitze,
cnf. Cod. palt. Vindob. Nr. 10573. fol. 57.
VVien’s ältester Plan.
413
leisteten °‘), dafür bürgen folgende Namen: Vlric. Weinstech (1314.
Ouell. und Forsch. Wien 1849. p. 176, cl. 2.) Rutheri Vazzieher.
p. 177, cl. 1, p. 182, cl. 1 Vlric. Weinstekhel. p. 184, cl. 2. Diet-
reich Schwendenwein, Stephan Sorgenfrei (s. XV. cnf. Nithart
Hag. Minnes. III, 1, p. 232), Albrecht der Biersack, Eberhard
der Lernpecher, Chunrat Hupfauf, Gottfried der Suechentrunkch.
(Schlager, Wien. Skizz. n. Folg. 3, 462 ff.), Weinsnabel (1370,
Notizbl.d.k. Akad. 18S5, p. 368). Nicolaus immervolI.Seyfrid löschen
durst. Eberhard saufaus (aus einem Grundb. des XV. Jahrh.). Niclas
Nymmervol: Gültenbuch d. Schottenabt. vom Jahre 1398, fol. 70 a).
Peter Suechenwirt cum suis heredihus de I. quart. vin. Mich. 11.
ebd. fol. 77 a (dies dürfte wohl sein ererbter Familienname gewesen
sein). Bei dieser Sorgfalt die man dem Trinken zuwendete, war das
Geschäft eines dienstthuenden Mundschenkes keine Sinecur 63 ), und
wo sich an einem Hofe Hofämter einführten, fehlte unter diesen Ehren
stellen nirgends die eines Ohermundschenkes. So beiVandalen; Victor
Vitensis gedenkt der Frau cujusdam cellaritae Regis (Ruinart hist,
presec. Vand. p. 41, cl. 1, edt. Venet. 1732). Am Westgothischen
Hofe gab es einen Erzmundschenk (Aschbach, Gesellt, d. Westg. 262).
In England (Leg. Edwardi Confes. (1042—1066) c. 22. AncientLaws
of England p. 194, edt. Thorpe cnf. Philipps Angels. Rechtsg. p. 77).
In Böhmen: Budizlau pincerna (Urk. 1144 des Herz. Wladislaus. Er
ben Regest. Bohoem 1, 109) 03 ). In Ungern: Caiphae, magistri pin-
cernarum (1146 Fejer, Cod. dipl.Hungar.2,130). InSteiermark 1181
(Urkdb. d. Land, ob d. Enns 2,374). In Österreich: Liupoldus pincerna
(1203, J. N. Weiss, Urk. d. St. Heiligenkreuz 1, p. 32). Über Mund
schenke der Herzoge von Schlesien s. Klose Breslau 2, p. 6 fi4 ).
61 ) Die Slrata pincernarum (1314. Schenkenstrasse. Quell, u. Forsch, p. 187, cl. 1): war
für diese wahrscheinlich die Hochschule an der sie ihre derartigen Fähigkeiten
ausbildeten.
6ä) Adveuiat pincerna potens Eppinus , et ipse
Pulchraque vasa manu vinaque grata vehat
Theodulphus (f 831) ap. Sirmond. op. 2, 795, v. 187, edt. Venet. cnf. Du Gange,
gloss. v. pincerna u. La Marc. 1. duc’ de ßourg. Parziv. 84, v. 20, 702, v. 4.
63 ) cnf. Capit. Carol. M. (812) P. Mon. Germ. 3, 182, 1. 27. Joannes subpincerna (1238)
Boczek, Cod. dipl. Morav. 2, 334.
64 ) lin Jahre 1237 erscheint Graf Deczko als Subpincerna. Klose 2, p. 8. Über Mund
schenke vergl. Du Gange, gloss. v. buticularius 1, 826. cl. 3.
414
Georg' Zappe rt.
Und selbst Bischöfe und Äbte ertheilten ihren Ministerialen Mund
schenkämter 05 ).
Diese festgewurzelte Gewöhnung an den Genuss geistiger
Getränke, deren zeitweilige Entbehrung schwer empfunden ward 60 ),
machte es zu einer der dringlichsten Pflichten der Hospitalität, dem
anlangenden Gaste alsofort einen Labetrunk zu reichen. (Priseus Hist.
203,1.1, 205, 1.8, 2071. 22,edt. Bonn.) Do sehancte mandengesten
— in witen goldes schallen mete moräz unde win, und bat die eilen
den groze willekomen sin (Nibel. 1750, 2) ° 7 ). Do truoc man in ze
trinken den aller besten win, der in allen landen in vursten huse mac
gesin (Gudrun p. 35, 336, 3 und p. 79, 767, 1). Ich was in holt
mit triwen gar, ich hiez sä trinken bringen dar (Ulr. v. Lichtenstein,
Vrouw. Dienst p. 539, 1. 25) 6S ). Ausserachtlassung dieser Auf
merksamkeit gefährdete den Ruf der Milde, den zu erlangen und zu
bewahren jeder Ritterliche eifrig strebte: ez sin kiinge od fürsten
wes länt se ir wirt erdiirsten? wan holent sim hie sin goltvaz? ir
sneller pris wirt anders laz 09 ). Sollte der Labe- oder an der Tafel
der Ehrentrunk mundsamer Weise gereicht werden, so musste das dar
gereichte Gefäss dem Inhalte entsprechen, edlem Kern ziemt edle
Schale, goldnem Wein gleicher Becher; und es belegen die eben
aufgeführten Beispiele (Anmerk. 67—69), dass derWirth hei solchen
Veranlassungen seine edelmetallne Trinkgefässe nicht in dem Schrein
65 ) Meingod, Schenke (1110) des Erzb. von Salzburg. P. Mon. Germ. 13, p. 68, 1. 17.
Von Passau. cnf. Mon. ßoic. 28, 108 (an. 1147). Die Reibe der Truchsesse der Abtei
Tegernsee. Mon. Boic. 6, 344. cnf. v. Fürth, die Ministerialen p. 210 u. p. 191 ff.
66 ) K. Albrecht befiehlt (1438) dem Wiener Rath den im Kärntnerthor liegenden Ge
fangenen, unter denen sich viele den besseren Ständen angehörende befinden, nicht
blos Wasser u. ßrod, sondern Wein oder Bier verabreichen zu lassen. Schlager,
Wien. Skizz. n. Fl. 3, 494.
67 ) Nibel. 392,1 ; 697, 2; 1127, 2. Man truoc von golde, ez was niht glas, für si manegen
tiwern schäl. (Parziv. 794, v. 22.) Manig golden Kopf vnd schal Darin hies man trinken
tragen. Heil. Georg Reinbot v. Durne (1231—1235), p. 16, v. 65, edt. Ilagen.) Nithart
Hag. Minnes, III, 1, p. 185, cl. 2. cnf. Gest. Episcop. Salisburg. ap. P. Mon. Germ. 13,
p. 9, 1. 35. Turnier zu Wien (1565). Curiositäten 1. Hft. 1, p. 26.
68 ) Über die bekannten Willkomm-Trinkgefässe für Männer und Frauen aus dem Schlosse
Ambras, so wie über die 1567 dort angelegten Trinkbücher, s. Frh. v. Sacken, die
k. k. Ambraser Samml. 2, 127 u. 217. Über Willkomm-Becher und Trinkbücher, s.
Curiositäten 3, 353 ff. u. Grupen, deutsche Alterth. p. 152. Ein Willkomm - Becher
in Gestalt einer Eule, s. Kestler im Archiv d. hist. Verein in Unterfranken, 9, 2. Hft.
151 f.
69 ) Parziv. 147, v. 5.
Wien’s ältester Plan.
415
gebiumt hielt, um so mehr da es häufig die Dame des Hauses war aus
deren Hand der Gast den Lahetrunk empfing 70 ). Es war überhaupt
schon frühzeitig gebräuchlich sich hei Tische edelmetallener Trink-
gefässe zu bedienen. An Attila’s Tafel wurde der Wein in goldenen
und silbern en Bechern gereicht 71 ). Nicht minderer Glanz herrschte
an der Tafel Karl des Grossen (Theodulphus ap. Sirmond op. 2.795
v. 187 seq. edt. Yenet.). Vom König Berengar: Aurcum non parvi pon-
deris poculitm rex ei porrexit, atque suhiunxit: Amoris salutisque mei
causa quod continetur bihito (Liudprand. (-j-972) Antapodos. P. Mon.
Germ. 5, 300 1. 46). Ottokar, Markgraf von Steiermark verordnete
letztwillig (1166), dass man seinen sechs Mark schweren goldenen
Becher nach seinem Tode zerbreche und an Klöster vertheile (Fröh
lich, Dipl. Sacr. Styr. 1. 155). Bei dem Gastmahle das König Richard
den französischen Grossen in dem Schlosse Mate Griffun gab (1190),
waren alle Tischgeräthschaften (Ciifi sive disci quibus inferebantur)
von Gold oder Silber (Gale Scr. 2, 315). Herzog Ahrecht III. von
Österreich liess zwei kostbare mit Edelsteinen besetzte Becher fer
tigen 72 ). Kaiser Sigmund erlieli sich während seines festlichen Aufent
haltes zu Wien (1435) gegen Verpfändung seines Silbergeräthes (inain
frühen und ein lasten) von der Bürgerschaft 6000 Pfund 73 ). König
Andreas II. von Ungern verlieh (1233) der Abtei Tihdn für einen ihm
überlassenen goldenen, mit Perlen und Edelsteinen gezierten Becher
eine jährlich zu beziehende Salz-Quantität n ). Mathias Corvinus
besass ein silbernes Fass 75 ) und die ßechnungen K. Wladislaus II.
führen öfter Silbergeräthschaften auf 76 ). Herzog Karl der Kühne
70 ) Reinhot v. Durne (1231 — 1253) hl. Georg-, p. 48, v. 4704, u. Benecke-Müller raittelhd.
Wörterb. 1, 860, cl. 1.
71 ) Er selbst jedoch bediente sich eines hölzernen. Priscus, Hist. 205,1. 20, edt. Bonn.
An Attila’s Tafel wird in goldenen Gelassen servirt: Aurea bissino tantum stant
gausape vasa, Et pigmentatos er ater es Bacchus adornat. (Waltharius, S. X. p. 13,
v. 300, Jakob Grimm u. Schmeller, lat. Ged.) Et simul in verbo nappam dedit arte
peraetnm (ebd. v. 308).
72 ) cnf. mein Fragment eines Lib. dat. p. 46.
73 ) Schlager, Skizz. n. Folg. 1, p. 80.
74 ) s. Anmerk. 50.
75 ) Mart. Stellac ap. Thurdez app. p. 337 seq. Abbildung des silbernen Mundbechers K.
Corvin’s, den dieser 1482 dem tapfern Wolf Teufel zum Geschenke machte, finden
wir in Chmel, Österr. Geschtsforsch. 2, 189. Verbd. Corp. Jur. Hung. Decrt. I, an.
1405, art. 21, §.3, Tom. 1, p. 183, edt. 1751, u. Fejer, Cod. dipl. 3, P. 2, 352.
76 ) Magistri Gabrieli Aurifabro Quinqueeccliesiensis, qui duos Cantaros Regie Mi\jestati
fecit, et ceteras reformauit Cuppas, pro laboribus dedi 33 (fl.). Rechnung (1494—
416
Georg Znppert.
war im Besitze zahlreicher und kostbarer Becher 77 ) und die kaiser
liche Schatzkammer bewahrt noch einen solchen, der mit der Bur-
gundischen Maria dahin gelangte.
Bei Prinzessinnen-Ausstattung war man mit Beigebung edel-
metallener Geräthschaften nicht sparsam 7 »). In der Ausstattung Isabel-
len’s, Schwester K. Heinrich’s III. von England, Gemahlinn (1235)
Kaiser Friedrich’s II., waren nicht blos Becher u. s. w., sondern
sogar ein grosser Theil des Küchengeschirres aus Edelmetall. (Math.
Paris. 284, v. Raumer Hohenst. 3, 560). So stattete König Andreas seine
an den Landgrafen Ludwig zu vermählende Tochter Elisabeth (die
heilige •}■ 1231), welche die Königinn in einer silbernen Wiege dahin
gesandt und mit Kleinoden aller Art reichlich versehen hatte, in
glänzendster Weise aus: si sante mit ir unzelichen vel guldins
unde silberins trinkegevezzis (Rückert, Leb. des heil. Ludwig p. 14,
Pray vit. S. Elisabeth p. 42). Im Ausstattungs-Verzeichnisse Agnes,
Tochter K. Ruprecht’s, vermählt (1399) mit dem Grafen Adolf II.
von Cleve, erscheinen 7 Köpfe und 20 Becher etc. (Mone, Anzeig. 6,
248). In der Ausstattung Elisabeth’s, Tochter K. Ferdinand’s I. (1343
vermählt mit König Sigismund II.v. Polen): Sechs hoch, glat vergult
hofpeeher — vier vergullt, glat Schallen etc. — zwo weiss Silber
Flaschen etc. 70 ). Das 1549 abgefasste Inventar der Kleinodien etc.
der Erzherzoginn Katherine, Schwester der obigen, bei ihrer
Vermählung mit Franz III., Herzog v. Mantua, zählt auf: ain flaschen —
zwenPöcher mit zway dökhen vergult—zwo vergibt Schalen etc. ain
Pecherl mit ainem Lidl vbergult 80 ). Bei Theilung königlicher Ver-
lassenschaften fiel mancher kostbare Becher den Erben zu. Parziv. 10,
1495) des Schatzmeisters K. Uladislaus 11. Engel, Gescht. v. Ung, 1. Thl. p. 71,
p. 43, p. 73. etc. Allgem. Weltgescht. Halle 1797, Band 49.
77 ) s. das Verzeiehniss der theils vergoldeten, theils silbernen kunstvoll verzierten
Becher mit Wappen etc. Karl des Kühnen, hei De Laborde les ducs de Bourgogne
2, p. 50, Nr. 2368 — Nr. 2394, p. 33. Nr. 2263 — 2281. Job. v. Müller’s Gescht.
der Schweiz 5, p. 34. Zahlreiche Becher, meist Geschenke, im Hausrathe einer
Grälinn v. Flandern (wahrscheinlich Margaretha’s, Gern. Herz. Philipp des Kühnen
(S. XIV). Mone, Anzeiger 1835, cl. 504, 505. Über die Zahl der edelmetallenen
Trinkgefässe im Hausrathe der Grälinn Mathilde v. Artois (1313) Le Roux de Lincy
in der Bibliot. d. l’e'col. d. chart. Ser. 3, Vol. 3, p. 72.
78 ) cnf. Gregor Tur. (f 594) op. cl. 322, e. Nibel. 1620, 2.
79 ) Heberstein’s Selbstbiog. edt. v. Karajan.Fontes. R. Austr. I. Abth. 1. B. p. 349 seq.
80 ) Chmel, Handsch. der k. k. Hofbibi. 1, 255 ff. cnf. Herrgott, Monum. 3, 108.
Wien's ältester Plan.
417
4. *). Aber nicht blos bei Hochgestellten **); wir sehen, als unter
dem Einflüsse der Kreuzzüge der Wohlstand sich gehoben hatte,
silberne Trinkgefiisse auch im Hause des Bürgers, so bereits in der
ersten Hälfte des XIII. Jahrhunderts sogar einen Wiener Schneider
im Besitz eines silbernen Becherleins 81 ). In späterer Zeit, aus der
uns Bürger-Testamente erhalten blieben, sehen wir sie häufig im
Hausrathe vorfindig.
So legirt (1413) Jungfer Katherey ihrem Vetter , Bruder des deutschen
Ordens: meinen Silbrein Chopf vergibt, der wigt zwo market) iiij tot. (Schlager,
Wien. Skizz, n. Fol. 3, 332), ferner erscheinen im Verzeichnisse ihres Haus-
rathes „iiij Silbrein pecher vnvergult, die wegent zway markch. Item XII Silb
rein loffel, die wegent ain markch V lot. ebd. p. 334 „Oswald der Mautter“ zu
Wasserberg, sieht sieh „nach grosser Notdurft“ gezwungen seine Silbergeräth-
schaften an den Abbt von Raitenhaslach zu verkaufen (1415), darunter erscheinen
drei silberne „Kopf“ und drei silberne Schalen. Mon Boic. 3, 214. Ulrich
der Holebruner, schafft (1415) 4 Stuckh vergult Siberassech vnd 4 Pecher,
15 Löffell Silberein, zudemHeiltum zu sand Steffan. (Schlager, p. 41S.) Ähnliche
Legate (vor 1443) sind in meinem Fragment eines Liber dativus p. 16 und 20
aufgeführt. Im J. 1499 legirt die Wiener Bürgerswitwe „Margreth prewer“
den Predigern in Wien „ain silbrein vergulten Koph“, den weissen Brüdern „ain
weissen Silbrein gemundlaten pecher“. Ihrem Vetter Collman Mayr „ein Silber
pecherl mit aine guidein Hyerslein ebd. p. 303. Ihrem Diener Georg Pesuitzer
„Ain weissen Silbrein gemundlaten pecher ebd. Dem Chormeister zu St. Stephan
(einem der Testaments-Vollstreker)“ ainen Silbrein Koph Innen vnd aussen
vergult. ebd. p. 307; den Minoriten „ain Silbrein gemundlaten Schinpecher“ zu
Irem Heiligthumb; deaBrüdern zu S. Tiebolt „ain Silbrein pecher“ dem Bürger
spital „ain gemundlaten Silbrein pecher in den Sagrer zum Heiligthumb“. Item
zu Vnns liehen Frawen auf die gstetten hie zum Heyligthumb ein Silbrein
Schinpecher 83 ).
Ähnliches Legat (1529) s. Hormayr, Wien I. 5, p. CCXCIII.
Um den bei allen Gesellschafts-Classen Wien’s in Kleidern und
Hausgeräthen etc. herrschenden Aufwand zu beschränken, gestattet
*) Graf Evrard legirt (8G7) seinem Erstgebornen: sciplium aureum uuum etc.
D’ Ai'hery, Spieil. 12, 492 seq. Theilung der Verlassenschaft des Herzogs Gottfried
Grafen v. Verdun: Godefridus (U.) ablatis inde (1069) septingentis mareliis argenti
in candelabris, in scyphis et seutellis aliisque utensilibus variis. (Chr. S.
Hiib. Amlagiense. P. Mon. Germ. 10, 582, I. 34.)
**) Eine reiche Zahl im Hausrathe des Grafen Sigiboto v. Neuburg und Falkenstein,
Gründer des Klosters Weyarn (1130), s. Mon. Boie. 7, 501.
81 ) s. mein Fragment eines Liber dat. p. 89, 1. 113. llelbting p. 20, v. 661. nie Goslari-
schen Statuten (c. S. XIV m.) zählen zum lleergwette: en sulveren Kop mit enem
vote. O. Göschen, d. Gosl. Stat. p. 4, cl. 2.
82 ) Schlager, Wien. Skiz. 2, 300—302.
418
Georg Zappert.
die Polizei-Ordnung (1671) Kaiser Leopold’s I. der ersten Classe, von
Tafel-Silber einzig „ein Giessbeck und Kandel, Löffel und Salz-Vass,
wie auch Trinkbecher und Kandel“ im Hausrathe zu halten, und
Ähnliches der zweiten und dritten Classe. (Codex Austriac. 2.
155—156.)
Dieses allgemein verbreitete Gefallen an edelmetallenen Trink-
gefässen gewährte den Goldschmieden nicht hlos Erwerb 83 ), son
dern die verschiedenen Arten dieser Geräthschaften übten auch
belebenden Einfluss auf den Formsinn der Fertiger, und zweifels
ohne gleichen auf die Besitzer derselben. Ich reiche nun aus GrafTs
Althochdeutschem Sprachschatz die Bezeichnungen der vorzüglichsten
Arten der Trinkgefässe (bei deren grösserem Theile onomatopöisch
die Labialen theils im An- theils im Auslaute vertreten erscheinen)
hier an einander.
a) Bechar, cyathus, calix, crater, phiala, becharius, 3, cl. 46.
b) F las ca, puticula, ascopa, vasculum ebd. cl. 774. c) Hnapf,
patera, crater, cymbia, phyala, 4, cl. 1130. d) Kelch, calix, sci-
phus, crater, patera, 4, cl. 388. c) Koph, scifus, crater, cuppa, calix
4, 371, cl. 1. f) Krog, testa, crater testaceus, lagena, laguncula etc.
4, cl. 590. g) Scala, patera, testa, eoncha, tegimen, ebd. cl. 474.
h) Stauf, calix, emina, botholicula, cyatus, scyphus, etc. (glesin
83 ) Auch das Haupt-Probestück zur Erlangung- des Meisterrechtes bestand in Fertigung
eines (Kirchen-) Kelches. Urkd. (1446) Friedr. IV. v. Karajan a. a. 0. p. 495.
Anfolgeude Abbildung aus der Handschrift d. k. k. Hofbibliothek Nr. 3085, fol. 25 a
(S. XV) zeigt uns einen Goldschmied,
und unter seinem Hammer einen cylindri-
schen Becher. Der heil. Eligius arbeitend
dargestellt, ähnlicher Weise in einem
Steinrelief. Abbild. Mem. d. soc. d. Nor-
mand. 2, p. 96. Atlas PI. 7, Nr. 7. Auri-
fabri sedent ante fornaces suas et tabellas
super magnumPontem (in Paris) et fabri—
cant pateras de auro et argento. Joh.
d. Garlandia, Diction. p. 594. Im Verkaufs-
Laden eines Goldschmiedes (S. XV) bei
Willemin, Monum. Fr an 5. 2, PI. 170 sieht
man zahlreiche Becher und Kannen auf
gestellt. Das Verfahren beim Fertigen der Kelche beschreibt Theophilus Presbyter
(c. S. XIII ext.) Diversar. art. p. 146—151, u. p. 155, 174, 183, edt. L’Escalopier.
cnf. Anmk. 58,
Wien’s ältester Plan.
419
stouf, vitrum) 6, GGO 84 ). Diese divergirende Übersetzung eines und
desselben Wortes zeigt die in Bezeichnung der Trinkgefässe herr
schende Schwankung. Jene Zeit besass eine nichts weniger als
gründliche Kenntniss lateinischer Gelassnamen 85 ), wodurch uns
ihre lateinischen Glossen nur geringe Sicherheit für die genaue
Werthbestimmung der deutschen Gefässe- Bezeichnungen zu bieten
vermögen. Die Glossatoren verstanden (in diesem Puncte) kein Latein
und wir verstehen dadurch dermalen ihr Deutsch nicht. Hiezu tritt
noch, dass „Becher“ oft als Sammelname aller Arten Trinkgefasse
gebraucht wird. So begreift es sich, wie wir in diesem Tlieile archäo
logischen Wissens nur in den wenigsten Fällen zu sicheren Bestim
mungen zu gelangen vermögen. Zweifelsohne jedoch gaben bei
Germanen, wie bei allen Völkern im Naturzustände, die beiden zu
einer Hohlhalbkugel wasserdicht an einander gefügten Hände das
Urtrinkgefäss ab, aus dessen Nachbildung in einen plastischen Stoff
die Schale hervorging; diese können wir als die Stammmutter der
sippenreichen Ordnung der sphärischen Gefässe betrachten.
Meines Dafürhaltenes, dürften jene Epen (mit Hinzutritt anderweitiger
Kriterien), in denen die Helden sich aus Schalen 80 ) letzen 8r ), ein
höheres Alter beanspruchen können, oder wenigstens ältere Remi-
niscenzen bewahren, als jene in denen ausschliesslich „Köpfe“
kreisen.
Um die Schale der Faust handlicher zu machen, stellte man
sie auf einen Fuss, und solche befusste Schalen bilden die Sippe
der Kelche, deren Geschlechter sich aus der Form der Schale
und ihrem Verhältnisse zur Höhe des Fusses bestimmen. Obenan
steht der vom Priester beim heil. Messopfer gebrauchte Altar-
84 ) cnf. II. Holfinunn von Fallersleben, Althochd. GIoss. p. Io u. 16 11. 57. Jakob Grimm,
Gramm. 3, 457, 458. Hans Sachs, der ganze Hausrath 6, 2. Theil, 877 IT. u. 1077 u.
1052. Assach ist der Sammelname aller Arten Weingeräthschaften, cnf. Helbling 20,
v. 661 u. Kaltenbach, Pantaid. 1, 47, Nr. 29, u. p. 156, Nr. 48 etc.
85 ) Und selbst die unsere steht bekanntlich hierin nicht allenthalben auf festem Boden.
— Dasselbe Trinkgefiiss, das Ekkehard (*f* 1036) Cas. S. Galli p. 88, 1. 33 als „Coppa“
bezeichnet, nennt er einige Zeilen später (p. 89, I. 25) „ cantharus “ (P. Mon.
Germ. 2).
86 ) Ihre Form dürfte der des Skyphos entsprochen haben. Abbildungen derartiger antiker
Trinkgefasse s. J. H. Krause, Angeiologie p. 448, Taf. 6, Fig. 20,
8? ) Nibel. 1750, 2. Parziv. 794, v. 22.
420
Georg Zappert.
kelch, der Calix 88 ), der sich aus dem antiken Oraler s9 ) hervor
gebildet zu haben scheint, wogegen dem eigentlichen Kylix (Krause,
Taf. 4, Fig. 26) jener Kelch entsprach, in welchem der Priester in der
Frühzeit der Kirche (in der die Communion noch unter beiden Ge
stalten stattfand) den Gläubigen den Wein herumreichte; dieser
Kelch (calix ministerialis) hatte Henkeln zu beiden Seiten 90 ), war
ein Kylix, und von ihm wurde die Bezeichnung Calix auch auf den
priesterlichen Kelch übertragen. Mit „Kopf“ bezeichnete man
gewöhnlich jene Art Tafel-Kelche, deren halbkugelförmige Schale die
eine, der Deckel die andere Hälfte des Hohlraumes bildete 91 )-
Auch die mit Silber umfassten befussten Strausseneier sind hieher
zu zählen 9a ). Überdies gilt „Kopf“ auch zur Bezeichnung anderer
Tafelkelche 93 ), unter denen sich besonders ein als „Scheuen“ 9i )
bezeichneter vom XIV. bis in die zweite Hälfte des XVI. Jahrhunderts
besonderer Beliebtheit erfreuete 95 ). Der hochverdiente verewigte
Schmeller enthält sich einer nähern Erläuterung dieser Bezeich
nung 90 ). Aus Hans Sachs 97 ) jedoch vermögen wir wenigstens zu
entnehmen, dass er, wie bereits bemerkt, zur Sippe der Köpfe zählte,
88 ) Unter Calix werden wir wohl in den meisten Fällen den kirchlichen Kelch zu ver
stehen haben, s. mein Frag ment eines Liber dat. p. 84, Anmk. 223. Zahlreiche, doch
meist spätem Jahrhunderten angehörende Abbildungen von Altarkelchen gibt J. H. King,
Orfevrerie d. M. Age 1, PI. 1, PI. 15, PI. 18 ect.
89 ) Abbild, s. Krause, Angeiolog. Taf. 2, Fig. 1 u. Taf. 4, Fig. 26.
90 ) Binterim, Denkwiird. 4. Thl. 1, p. 177 u. Du Cange, Gloss. v. calix 2, p. 33, cl. 1.
91 ) Ein kugel- oder halbkugelförmiges, auf einem Fusse stehendes Geschirr. Schmeller,
Bayr. Wörterb. 2, 319. Als Muster kann das in Sommerard Atlas Chap XIV, PI. 3 abge
bildete Gefäss (S. XIII) gelten. Dass selbst diese Annahme zuweilen Ausnahmen
gestattet, und mail unter Kopf ein fussloses Gefäss verstehe, sehen
wir aus Anmk. 81. Der Ausmaler der Weuzel’schen Bibel, Cod.
palat. Vindob. Nr. 2759, fol. 46 a stellt „Den Kopf den ir habt
gestolen“ der sich in ßenjamin’s Sack vorßndet, in der hier
gegebenen Weise dar.
92 ) cnf. mein Fragm. eines Liber dat. p. 21 u. p. 19 u. Mon.Raitenhaslach (1415), Mon.
ßoic. 3, 214. Im Glückshafen zu Nürnberg 1579 war unter den zu verlosenden Gegen
ständen auch ein solches Ei. Scheible, das Kloster 6, 2. Abtli., p. 584.
93) wir verweisen nochmals auf das in Anmk. 91 Vorgebrachte.
94 ) Unum vitrum argenteum — 1 Schower. (1366) Pauli, Abhandl. aus d. Lübischen Recht
2, p. 8.
95 ) s. Anmk. 120—127.
96 ) Schmeller, Bayer. Wörth. 3, 392.
97 ) Der Herolt kumpt, bringt das Herz inn einem gülden koph, vnnd spricht: Gnedige
Fraw euch schickt die schewer, Zu trösten euch ewer Vater tewer — Gismunda
deckt die scheurn auf. 1, 120. edt. Nürnb. 1560.
Wien's ältester Plan.
421
doch während bei diesem den bauchigen Leib ein gleichförmiger gleich
hoher Deckel deckte, nahm dieser bei dem schlanker gebauten
Sclieurn kaum ein Viertel der Höhe ein. Bei allen Trinkgefäss-Produc-
tionen der Goldschmiede war die Form der kirchlichen Geräthe
massgebend, und es scheint der Sclieurn aus einer Verschmelzung
der Pyxis 9S ) mit dem Calyx entstanden zu sein. Die Zeit der wieder
erstehenden Antike hat Zweifelsohne auch auf die Form des Sclieurn
veredelnden Einfluss geübt, und wir irren kaum, wenn wir die Kupfer
stiche Albert Altdorfer’s (Bartsch, Le peint. grav. 8, p. 69, nr. 7o—96)
und H. Sebald Beham’s (j- 1880) ebd. p. 218, nr. 238. 239, als
für „Sclieurn“ fertigende Goldarbeiter bestimmte Musterblätter zu
halten uns gestatten. Mit dem Ende des XVI. Jahrhunderts erlischt die
Bezeichnung „Sclieurn“ und wir finden für Prachtkelche sich die
Bezeichnung Hofbecher einführen 99 ). Der Doppelkopf oder
Doppelbecher, der erst im XVI. Jahrhundert auftritt, war eine Art
Courtoisie-Trinkgefäss , dessen obere , kleine Schale für die Dame,
die untere, grössere für Herrn bestimmt war 10 °). Uber die Form des
bereits im XV. Jahrhundert erscheinenden Schinbecher 101 ), lässt
sich dermalen nicht mit Sicherheit entscheiden.
Die zweite Ordnung der Trinkgefässe bilden die cyl in drisch
geformten; sie sind bei weitem minder zahlreich als die sphäri
schen vertreten. Die unsern heutigen gewöhnlichen Tafel-Trink
gläsern ähnlichen Becher sehen wir schon im XII. Jahrhundert auf-
treten, aber häufiger und aus Edelmetall geformt, scheinen sie erst
im XV. Jahrhundert geworden zu sein 103 ). Auch jenes cylinder-
98 ) Du Cang. Gloss. 5, 528, cl. 3.
") 1576. Einem Pollaekchen des Erzh. Mathias für einen Tarttarischen Pog’en sammt Zue-
gehör einen Hofbecher pr. 129 fl. Archiv d. k. Akad. d. Wiss. 5, 683. cnf. An
merk. 79.
10 °) 3 zwifach Koph (1551). Schlager, Skiz. n. Folg. 1, p. 141. 3 toppelt Khöph (1563),
p. 150 (1575), p. 158 (1571). Chmel, Handschr. d. k. k. Ilofbibl. 2, p. 98. Zwen
Silbren vergult tepelt Pecher (1543). Fontes R. Aust. I. Abth. 1, 350. Abbildungen
bei Sommerard, Atl. Se'r. 3, PI. 16. (S. XVI, das in der Mitte stehende Geräth in
Frauengestalt.) Sommerard, Atl. Chap. 15, PI. 1. Curiositäten 6, p. 50, Taf. 1 u. 2.
C. Becker u. v. Hefner, Kunstw. 1, 'Taf. 32 (1590—1610).
lül ) cnf. mein Fragm. eines Liber dat. p. 48, u. m. a. p. 84. Anmk. 222. Vielleicht ist an
„Schimpfbecherl“ an Scherz (vexir) becher zu denken ? Schmeller, Bayer. Wörterb.
3, 367 enthält sich der Erklärung.
i°2) Engelhardt, Herrad v. Landsperg (f 1195) Hort. del. Taf. 4. Strutt, Horda Angel-
cynnan 1, PI. 16. Willemin, Monum. Fraiif. 1, PI. 134. Aus Silber mit vergoldetem
Rande u. Mittelreif (S. XV), ebd. 2, PI. 169. Aus Glas (S. XVI), ebd. PI. 274.
422
Georg- Zappert.
förmige, flaclibedeckelte, mit einem Seitenlienkel versehene, unsern
heutigen Biergläsern ähnliche Trinkgefäss, das man hei stattlicher
Grösse im XVI. und folgenden Jahrhunderten mit „Humpen“ bezeich
net zu haben scheint los ), tritt, so viel mir erinnerlich, erst gegen
Ende des XV. Jahrhunderts auf.
Wir gedenken nun jener Gefässe die eigentlich nur zu Vermitt
lern zwischen Fass und Becher bestimmt, die Ordnung der Krüge und
Flaschen bilden, aus denen jedoch Grosszecher, mit Umgehung der
Becher, nicht selten unmittelbar ihren Durst löschten 10i ). Kanne und
Krug 105 ) lassen sich als bauchige, nach oben sich verengende, ein
henklige geschnabelte Schalen ansehen, während die Flasche 10,i ), meist
cylindrischen Leibes, zu einem also engen Hals sich verschmälert, dass
der Pfropf an die Stelle des Deckels tritt. Ich gebe nun ein Verzeich
niss lateinischer Trinkgefässe-Bezeichnungen, von denen manche sieh
als verkleinerte Fässernamen zu erkennen gehen. Bei Lesung von
Handschriften dürfte sich diese Namenreihe in manchen Fällen hilf
reich erweisen und vielleicht Manchem, dem mittelalterliche Kunst-
kammer-Inventarien nebst den correspondirenden Geräthschaften zu
Gebote stehen, zu Aufhellungen auf diesem überaus dunkeln Gebiete
Veranlassung geben, so dass wir wenigstens für die Hauptarten der
Trinkgefässe urkundlich gesicherte Namen festzustellen in den Stand
gesetzt sein würden 107 ).
Ambra, Du Cange gloss. I, 223. cl. 1, Ampa, ibd. p. 23S, cl. 3. Ampol-
lata, ibd. p. 239, cl. 1. An ap hus vid.Hanapus. Anax, p.244, cl. 3. Anceria,
240, cl.2. B acc a. Baccharium etc. (nach Joann. d. Janua. dicitur a Bacchus:
10 ®) Abbildung eines Prachthumpen (154G—1555). Becker u. v. Hefner, Kunst«’. 1, Taf. G,
Taf. 7 (1593). In der Dedieations-Insehrift als „Trinkgeschirr“ bezeichnet.
i°4) Weinschweig. WackernagePs Leseb. p. 575, I. 7.
105 ) s. Benecke-Miiller, Mittelhoehd. Worterb. i, 785, cl. 2, 1. 42, p. 890, cl. 1, 1. 23.
Kruse, ein irdener Krug. ebd. 890, cl. 2, I. 7. jettlichen geben ain krusen mit
«■ein (1558). Reyscher, Samml. altwürttemberg. Statuar. p. 334. Swer auch die
trinkuaz bricht in den winhöfen, ez sin glas, becher oder krusen, dein oder groz,
der sol für iegliches geben vier phennige (1342). Archiv d. histor, Verein v. Unter
frank. 10, 2. Ilft., p. 87.
106 ) (1GG5) Climel, Handschr. d. k. k. Ilofbibl. 2, p. 95. cnf. Anmerk. 79 u. 80. Abbil
dung bei Willemin, Monum. Franc;. 2, 208. Abbildung bei Sommerard, Atl. Se'r. 4,
Pi. 28 u. 29 (S. XV).
107 ) Abbildungen von Trinkgeräthen, jedoch ohne Angabe der Jahrhunderte bei Strutt
Ilorda Angel-cynnan I. PI. 2G. Willemin, Mon. Franc;. 2, PI. 198 (S. XV), PI. 201,
PI. 202, Pi. 208, PI. 2IG, 28G, Pi. 289, PI. 292.
I
Wien’s ältester Plan.
423
ibd.), 522, ei. 1, Bau ca , Boecola etc. p. 626, cl. 3. Biccarium, p.673, cl. 3,
vid. B a cea. Bicorni x, B i cor nus, p. 673, cl. 3. Boca vid. hauca. B o c al e,
p. 707, cl. 3. B oca I us ibd. B oci a, p. 709, cl. 2. B ot i glius, B o ti gol i u s etc.
ibd. p. 741, cl. 2. B o u t ei 11 a , p. 749, cl. 2. Brochus, p. 781, cl.2. Bur eta,
p. 811, cl. 1. Buticu la, p. 823, cl. 3. Caillier, S, p. 19, cl. 3. CaId us, p.29,
cl.2. Calix, p. 33, cl. 1. Cal variola, p. 38, cl. 1. Candes, p. 89, cl. 3. Ca-
nota, p. 107, cl. 407, cl. 3. Cantharus, p. 111, cl. 2. Canthelium, p. 113,
cl. 1. Cau ca tus, p.249, cl.3. Caucus, p. 230, cl. 3. Caupus, p. 256,cl. 2.
Ceberus, p. 263, cl. 1. Celba, p. 265, cl. 3. Cemalis, p. 269, cl. 3. Chi-
pu s, p. 328, cl.3. Ch opina, p. 333, cl. 3. Choppa ibd. Ci fus, p. 349, cl. 1.
Ci mb ia, p. 330, cl. 1. Cochlea, p. 408, cl. 1. Co rnu, p. 608, cl. 2. C o r-
nu d a, p. 609, cl. 2. C r ec he, p. 651, cl. 1. Cru ga, p. 672, cl. 2. C u 1 u 11 i,
p. 697, cl. 1. Cun ct u s, p. 699, cl. 3. Co pp a, p. 701, cl. 1. C u p e 11 a ibd.
cl. 2. C u va, p. 730, cl. 3. Cuvella, p. 731 , cl. 1. Cyphus, p. 733, cl. 2.
Do ga, p. 898, cl. 3. Donna, p. 923, cl. 2. Duma, p. 966, cl. 2. Eglitrae,
3, p. 16, cl. 2. E qu cs, p. 66, cl. 2. Es ti vel ot, p. 106, cl. 2. Fl a sca, FI a sco,
p. 318, cl. 3. Flaxa, p. 320, cl. 2. Garalis (ein Essiggefiiss), p. 475, cl. 3.
Gerla, p. 512, cl. 1. Gillo, p. 621, cl. 3. Gobel, p. 536, cl. 1. Gobellc-
t us, p. 536, cl. 2. G o b e 11 us ibd. God e t u s, p. 537, cl. 2. G o tt e ffl us (ein
Tropfglas), p. 544, cl. 1. Hanapus, p. 621, cl. 2. Justicical, p. 949, cl. 1.
Justitia, p. 952, cl. 2. Lepista, 3, p. 70, cl. 1. Magides, p. 175, cl. 2.
Manzarina vascula. Mazelinus Mazer, p. 267, p. 332, cl. 1; p. 333,
cl. 2. M e r a r i u m, p. 365, cl. 3. M o de 11 u s, p. 454, cl. 3. N a ppu s, p. 600,
cl. 1. Oba, p. 666, cl. 1. 01 ba, p. 707, cl. 1. Orca, p. 723, cl. 3. Orcellus,
p. 723, cl. 3. Orcium, p. 724, cl. 2. Picarium, 5, p. 244, cl. 1. Pi rum,
p. 266, cl. 2. Potus, p. 383, cl. 2. Qua drantale, p. 533, cl. 1. Salomon,
6, p. 42, cl. 2. Scala, p. 86, cl. 2. Scutra, p. 143, cl. 1 (in Ungern eine
hölzerne, plattrunde Reiseflasche). Semalis, p 168, cl.2. Seria, p. 202,
cl. 1. Sperum, p. 325, cl. 3. Stäup us, p. 365. St 1 oppum, p. 377, cl. 3.
Tacca, p. 486, cl. 1. Tacea ibd. Taceta ibd. cl. 2. Tacia ibd. cl. 3.
Ta ssa, p. 514, cl. 3, Tassia, p. 515, cl. 2. Tax ea, p. 519, cl. 3. Toreuma,
p. 609, cl. 3. Vinageria, p. 835. Vitrum, p. 860, cl. 3. Urceolus,
p. 884, cl. 3.
Die Pracht der Trinkgetas.se wurde durch Einfügung werthvoller
Edelsteine erhöht 108 ). Auch Becher aus unedlen Stoffen wurden mit
Gold und Silber belegt. Der heil. Ansegisus (f 833) brachte dem
Kl. Fontanelle dar: Cuppas vitreas auro ornatas duas (A. SS. Jul. 5,
108 ) Vasa denique erant omnia aurea vel argentea mirandi operis anngliphi, vel lima ro-
dente subtiliter caelata formatis imaginibus hominuin sive bestiarum pretiosis insitis
gemmata lapidibus. (Gerätschaften K. Richard’s [1190]. Gale S. II. Angl. 2, 315.)
Daz muosen tiure näphe sin, von edelem gesteine (Parziv. 84, v. 25). Die gute
Frau v. 499. Sommer, in Zeitscbr. f. deutsch. Alterth. 2, 407. Peter Suchenwirt
p. 9, v. 118 f.
424
Georg Zapp er i.
95 o). Es gab, wenigstens in Frankreich, Goldschmiede die sich
ausschliesslich mit Adjustirung von Bechern aus nichtedlen Stoffen
beschäftigten, und solche Trinkgeräthe mit goldenen Zierathen etc.
ausstatteten; sie wurden „cipharii“ genannt (Job. d. Garlandia,
Diction. p. 595, ap. Geraud, Paris s. Phil. 1. Bel.). Im Grunde waren
selbst die sogenannten Goldschmiede des Mittelalters mehr Vergol
der 109 ) als eigentliche Goldschmiede, denn der grösste Theil der
Trink- und anderer Gerätlie war meist aus Silber gearbeitet 110 );
nur Fingerringe dürften häufiger massiv golden gefertigt worden
sein. Die Gesetzgebung der Frühzeit des Mittelalters unterscheidet
noch zwischen Gold- und Silberschmieden 1JI ), allein in den spätem
Jahrhunderten wurde, wenigstens in Deutschland, die Bezeichnung
„Aurifaber“ die ausschliesslich gebrauchte llä ). Jedoch nicht der
Stoff sondern die Form verleiht dem Kunstwerke seinen Werth, und
es strebten die Goldschmiede ausserdem noch durch Niellirungen den
von ihnen gefertigten Trink- und andern Geräthen höhere Bedeutung
gewinnen zu helfen. Coppas duas argenteas deauratas cum nigello.
(Petr. c. 1140 Chr. Casinens. P. Mon. Germ. 9, 744, I. 2.) Der
Künec von Kukümerlant, al rot von golde üf siner hant stuont ein
köpf vil wol ergraben. (Parzival. 145, v. 28,14G, v. 22.) 113 ) Unter
der Bezeichnung „gemudelt “ 114 ) scheint man nichts anders, als
solche Gravirungen oder auch Ciselirungen verstanden zu haben.
Das in dieser Weise auf Trinkgefässen angebrachte Wappen stellte
109 ) Über Behandlung des Goldes behufs des Vergoldens. Mappae Clavicula (S. XII) Ar-
cheol. Societ. of ant. ofLondon 32,197. Theophilus Presbyter (c. S. XIII ext.), nach
dem er das Fertigender Goldgerälhc besprochen, beschreibt er das Kupfer, p. 219 ft',
u. p. 227 wie man Messing vergolde, u. p.,229: Quod si aliquando vasacuprea
seu arge nt ea deaurata fregeris. cnf. ibd. p. 243. Über Wiener Goldschläger
(1513) s. Archiv d. k. Akad. d. Wissen. 14, 274.
110 ) S. Anmk. 68 1F.
111 ) Leg. Visig. L. 3, T. 3, c. 9 u. Leg. Burgund. T. 21, c. 2. cnf. Anmk. 44.
112 ) In den Statuten von Montpellier (1292) heissen sie sich „los prohomes de l’argentaria“
A. Germain Hist. d. 1. commune d. Montpell. 3, 485. Der „Fridericus argentarius“
aus einem Admonter Salhuche bei Muchar, Gesch. Steierm. 3, 148 wird vielleicht
als „Silbergiesser“ (bei der Münze bedienstet) anzusehen sein.
11:i ) Über das Verfahren s. Theophilus Presbyter (c. S. XIII ext.) Diversar. Art. p. 152—154,
p. 172.
114 ) „Mödel“ Otto Ruland’s Handelsbuch (1447), p. 7. Biblioth. d. lit. Ver. in Stuttg. 1.
Marx Vogl, Modelschneider in Zinn (1566). Archiv d. k. Akad. 6, 688. Noch heute
hört man unter der ländlichen Bevölkerung „Der Zitz (Cotton) hat einen schönen
Model“ im Sinne „Muster“.
Wien’s ältester Plan.
42S
solche Gerätschaften in die Reihe der Familien-Kleinode 115 ) die
sich von Vater auf Sohn vererbten 116 ). So boten diese Becherarten
den Goldschmieden ein weites Feld zur Bewährung ihrer Kunstfertig
keit. Sie suchten sich allmählich durch ungewöhnliche, nicht selten
burleske Formen zu überbieten, bis endlich Trinkgefässe in Pflan
zen- 1I7 ) und Thiergestalten Iis ) an die Tagesordnung kamen. Die
Liebhaberei für solche Becherformen lag im Geschmacke der Zeit,
der sich ähnlicherweise auch in Stein- und Holzsculpturen jenes
Jahrhunderts kennzeichnet, das der grossen Kirchenspaltung voran
ging. Vielleicht ist in manchem solcher thiergestalteten Becher
Anspielung auf Jagd- oder andere heitere Erlebnisse des Besitzers zu
suchen, dem ein solches Trinkgefäss zur freundlichen Erinnerung
dargebracht wurde.
Der edelmetallene Becher war in jenen Jahrhunderten kein
blosses Schaustück, sondern das gebrauchteste Edelgefäss des
Hausrathes 110 ), und man konnte einer verehrten Person nichts
Lieberes zum Geschenke bringen, als ein Trinkgefäss 130 )
das durch Stoff und Form sich des Beschenkten würdig erwies.
Selbst die Höchstgestelltesten nahmen solche Becher als Huldigungs
geschenk wohlgefällig entgegen.
So bringen (1228—1229) die Hausgenossen dem Herzoge Leopold zu Weih
nachten neben silbernen Borten auch „Silbrein pecher vnd vingerlein“ etc. zum
Geschenke (Enenkl’s österr. Chron. Rauch, S. R. Aust. 1,302). Der AbtKonrad
von Kl. Aldersbach: Veniens (1311) in Austriam vnum cyffum duci Austric (als K.
lt5 ) S. nach Anmerk. 137 u. mein Fragm. eines Liber dat. p. 47.
ll6 ) Invenis caiices ab avis et proavis in quibus bibunt nepotes et pronepotes. S. August.
3, 97 e. edt. Maurin.
11 ') Beschreibung der Becher „franczoseber Form“ die Pfalzgraf Ludwig der Bärtige
1428 an den Abt zuMauibrunn versetzte. Mone, Anzeig. 1838, p. 311. In Frankreich
war (S. XIII) Pontailler wegen Erzeugung von „hannapes“ und Tours wegen Erzeu
gung der silbernen Becher berühmt. Crapeiet, Remarques, p. 101.
119 ) Über verschiedene Namen der Trinkgeschirre s. Mone, Anzeig. 1838, p. 179.
119 ) Marx Treytz Sauerwein legirt in seinem Testament (Wien 1323) seinem Schwager:
von dem Silberassicb meiner Swcsstcr — vergelte Sheiren vnnd meine Sechs Silberne
Pecherle, so ich täglichen gebraucht bah, vnd den vergoldten Pecher so von
Herrn Sigmunden von Dietrichstain herkuinbt. Hormayr, Archiv 1826, p. 63G, cl. 2.
l *o) Eleaser holt aus seinem Schatze für Laban „silberine napphe, guldine chopphe“ Buoch.
Mosis (S. XII) Massmann, Deut. Ged. d. XII. Jahrhd. p. 260, v. 2017. In Genesis 24,
v. 36 heisst es blos: Prolatisque vasis argenteis et aureis. Zahlreiche Geschenke in
Bechern verzeichnet Sharon Turner, Hist, of the Anglo-Saxons 3, p. 32, edt. Lond.
1823.
Sitzh. d. phil.-hist. 01. XXL ßd. III. Hfl.
29
426
G eo r
Zappet* t.
Friedrich I.) alterum regine matri sue ohtulit. (Quell, z. Bayer. Gesell. i, 458,
und p. 435.) Item dederunt Hermanno aurifabro 25 tal. Item pro eifTo deaurato
13 tal. (Wiener Stadtrechnung 1370, Notizbl. k. Akad. 1853, p. 370, cnf. ibd.
p. 303, 394, höchst wahrscheinlich für solche Huldigungsbecher). Ein gleiches
Geschenk verehrte (1435) die Stadt dem Kaiser Sigmund (Schlager, Wiener
Skizz. n. Folg. 1, 79). Als König Ladislaus in Wien‘seinen feierlichen Einzug
hielt (1452), verehrte ihm die Stadt vier silberne vergoldete „Kopf“, die mit
dem Stadtschilde geziert waren (ehd. Skizz. 2, 347). Dem Gubernator Httnyad
(ebd. 1. n. Folg. p. 89). Herzogen Maximilian vnsercs allergenedigsten Herrn
des römischen Kaisers Sun zwo Schewren vnd ain grosser Kopf verehrt (1476,
ehd. p. 103). Vnnsern gcnedigen Herrn Bladislagen Kunig zu Beheim zwo sehey-
renn 132 Pfd. (1477, ebd. 104) läl ).
Auch nächst um die Person des Fürsten Bedienstete wiesen
solche Geschenke nicht zurück.
Vnsern gcnedigen herrn Graf Hawgen zwo silberne vergälte Scheyrer
(1474. Schlager, Skizz. n. Folg. 3, 202). Dem Schatzmeister (1486) ain Schey-
ren Silbrein und vergult 84 Pfd. (ebd. p. 231). II. Lucasen Kanzler (1488) ein
silbreins vergults scheirl 42 Pfd. (ebd. p. 239) 13S ).
Zuweilen fügte inan Bechern als genehme Beilage ein Fässchen
Malvasier hinzu 123 ). Gegentheilig beschenken Fürsten tapfere Rit
ter m ) oder treue Diener 125 ) gleichfalls mit Bechern. Fromme Wohl-
thäter beschenken Klöster mit Trinkgefässen, auf dass deren Glieder
aus ihnen trinken und des Seelenheiles des Gebers gedenken mögen.
Die Witwe Robert Guiscard's schenkte der Abtei von Casino: Coppas
duas argenteas deauratas cum nigello, librarum 15, cum quibus fratres
in praecipuis festivitatibus biberent. (Petr. [c. 1140] Chr. Mon.
121 ) Gudrün p. 26, 251, 3; p.27, 300, 3. Es gab auch Schüssel- u. Becher-Lehen v. Frey
berg. Sammlung 5, 155. Auszug aus dem Verzeichniss des Silbergeschirrs, welches
dem Pfalzgrafen Otto Heinrich bei Einnehmung der Huldigung in Bayern ti. Oberpfalz
von seinen Unterlhanen verehrt wurde 1556. Mone, Anzeig. 7, 180 ff.
122 ) Domino uisitatori (dem neuerwiihlten Abtv. Erbach) ob reverentiam novitatis sue HIP
marcas argenti et argenteum picarium (Reclinungsb. d. K. Aldersbach 1307). Quell,
z. Bayer, u. Deutsch. Gesell. 1, 452. cnf. ibd. 458.
123 ) Dem Lasslaben (1452) ein silbrein vergälten köpf und 2 lagl Malvasia. ebd. p. 90.
Kaiser Sigmund erhielt bei seinem Aufenthalte zu Strassburg (1414) drei Fuder
Weines zum Geschenke. Bernh. Herzog, Elsässer Chron. p. 96.
124 ) cnf. Jakob Grimm, in Abhandl. d. k. Akad. Berlin 1848, p. 140 (F. Einen tapfern
französischen Ritter „den saut der Fürst (Herz. Albreoht III. v. Österreich) mit edler
Art, Als im durch milt geraten wart, Guidein chöph und silbrein schal.“ (Peter
Suchenwirt p. 14, v. 497 ff.) Corvinus Geschenk an den tapfern Wolf TeufTel s.
Anmerk. 75.
125 ) König Ludwig II. (1526) seinem Kämmerer. Engel, Mon. Ungar, p. 190. Der Wiener
Stadtrath dem Dr. Lazius. Schlager, Wiener Skizzen, n. Folg. 1, 155.
Wien’s ältester Plan.
427
Casin. P. Mon. Germ. 9, 744,1. 3.) (Der sogenannte Tassilo-Becher
[Kopf] in Kremsmünster dürfte zu ähnlichem Zwecke gedient haben.
Abbild. Pachmayr, Hist. Ahb. Cremifan 1, Tfl. 2, p. 28, cnf. mein
„Epiphania“ p. 04, Anm. 110.) Udalrich von Vindingen, der (1200
-—1220) ein Seelgeräth zu Wessobrunn stiftete, bedingt: De cetero
autem semper in anniversario caritas conventui debet exbiberi, pec-
caria vero usque ad summurn (bis zum Rande) vino debent ad-
impleri. Mon. Boic. 7, 3 6 9 136 ).
In unserer Zeit einer Dame einen Weinbecher verehren, gälte
als lächerlicher oder gar verletzender Missgriff. Anders in jenen
Jahrhunderten , in denen man nicht blos Fürsten, sondern auch
Fürstinnen mit Trinkgefässen beschenkte.
Item II boutailles d’argent, que Nicolai Ghidonche donna. (Im Hausrath
einer Gräfinn von Flandern, S. XIV, wahrscheinlich Margaretha, Gemahlinn Herzog
Philipp’s des Kühnen. Mone, Anzeig. 1835, el.504 und noch öfters dort.) Vnserer
jungen Frawen (1443) Kunig Lasslas Schwester ainen silbrain vergullten Kopf.
(Schlager, Wien. Skizz., neue Folg. 1, p. 86.) „Ain Silbrain Flaschen wigt
X Mark 3 Lot“ verehrte 1401 der Wiener Rath derKaiserinn Eleonore, Gemahlinn
K. Friedrich’s IV. als Weihnachtsgeschenk zu ihrem 39. und 60. Jahre, nachdem
sie im Jahre 1460 den „Kopf“, der weniger als die herkömmlichen 5 Mark wog,
abgelehnt hatte (ebd. p. 19). Der Küniginn Beatrix (1486) ein silbernes, vergol
detes „Trinkgeschyerr vnd ist gleice ainer heidnischen plüemen; gechaulft von
Jorgen Jordan Goltsmid — 98 Pfd.“ (ebd. p. 103. Im J. 1303 ebd. p. 122) 127 ).
Die Sitte, dem Fürsten das Weinachtsgeschenk in Geräthschaf-
ten (an deren Stelle späterhin ein Geldgeschenk trat) darzubringen,
bot den Goldschmieden eine Gelegenheit mehr, ihre Kunst in Pracht
stücken und zweifelsohne in lohnender Weise zu bewähren 12S ). Wir
I26j Hanappum argenteum schenkte der h. Ansegisus (-}- 833) dem Kl. St. Luxevil. A. SS.
Jul. 3. p. 94, e. Uuiglaf, König 1 der Mercier, schenkt (833) dem Kloster Croyland sei
nen vergoldeten Becher: quem cruciboluin m e u m solitus sum uocare, quia signum
crucis per transuersam scyphi imprimitur interius cum quatuor angulis simili impres-
sione protuberantibus. Kemble, Cod. dipl. aev. Saxon. 1, 303. Graf Martinus schenkte
(1137) dem Kl. S. Petri de Chatar: duos scyphos argenteos. Fejer, Cod. dipl. Hung.
2, 91. Über den Kopf (cuppa) des h. Remaclus s. A. SS. Sept. 1, 703, a. Im J. 1433
legirt der Propst Polczmacher der Schottenabtei in Wien mehrere kunstvoll gearbei
tete silberne und vorgoldete Becher (peccaria) etc. s. mein Fragment eines Liber dat.
p. 43, p. 47—48, p. 84 u. Anmk. 223. Das Inventar des Nonnenklosters Maria Burg-
liausen zählt (1472) unter mehrerem auch 10 Cantari von Silber, 22 Cantari von Zinn
u. a. auf. Denzinger, im Archiv d. hist. Vereins in Unterfranken, 10, 2. Ilft., 112.
127 ) cnf. Anm. 120. Damen tranken Wein. cnf. Hagen, Gesammtabent. 1, 467, v. 32.
128 ) Rechnung v. J. 1374. Den goltsmitchnechten — meister Herman — meister percht.
Schlager, Wiener Skizzen, n. Folge. 1, p. 16.
29
428
Georg Zappert.
finden daher gleich wie in andern Gressstädten 120 ) dieses Gewerk in
Wien zahlreich vertreten. In meinem Fragment eines Liber dativus
p. 83, Anmerk. 222, habe ich die Namen mehrerer unserer Gold
schmiede aus babenbergischer Zeit verzeichnet; hier folgen die
einiger aus späteren Jahrhunderten. Aus bahenberger Zeit fügen wir
noch folgenden Namen hinzu :
Abt Walther des Kl. Michelbeurn erkaufte (e. 1170 v. Meiller, Regest,
p. 49) „ab aurifice quondam Brunone de VVine“ um 38 Pf. Pfen. einen Wein
garten. (Filz, Geseh. v. Michelbeurn 2, 708.) Magister Michhel Aurifaber.
Gültenb. d. Schott. Abt. (1314) Quell, und Forsch, p. 169, cl. 2, und derselbe
p. 172, cl. 2. Gotlind ovf der goltsmitfe ebd. p. 174, cl. 1. Ofner aurifaber ebd.
175, cl. 1, p. 185, cl. 1, 161, cl. 1, Johannes filius heinrici aurifabri. 177. cl. 1.
Abt Wülfing v. Göttweih liess (1340) bei Meister Albert in Wien einen Pasto
ralstab fertigen. (Blumberger im Archive der k. Akad. 8, 124.) Leinwater Jans
(1368), Polaner (1370), Petrus aurifaber de Brig pro iure ciuili */a tal. (1379),
Nicolaus aurifaber de Sweidnitz pro iure ciuili l /„ tal. (Notizbl. 5, 370), meister
Herman meister Percht Oswald Goldsmid de dom. (in der Renngasse). Gültenb.
der Schottenabtei vom J. 1398, fol. 3b. Oswalt paweh Goltsmid de dom. (in der
Spiegelgasse) ibd.fol. 12 b. Niclas Ludweich Goltsmid (ibd. fol. 75 a). Martinus
aurifaber. (ibd. fol. 83 b.) Petrus de Auln (ant. 1443. s. mein Fragm. eines Liber
dativ. p. IS). (Ein Name wie Vlricus aureus [1314 Quellen und Forsch. 178, cl. 2]
ist vielleicht auch hieher zu ziehen, oder kennzeichnet einen sehr Wohlhabenden.)
Einige Namen aus späteren Jahrhunderten im Archive der k. Akad. S, 688.
Herzog Albrecht IV. (f 1404) hatte „dem erbern maister
Valtein vmb dy dinst, so derselbe getan hat“ ein Haus vor dem Peiler-
tliore in Wien geschenkt 130 ). Wenn auch nicht dem Titel, so doch
der That nach wird dieser Valtein als Hofgoldschmied zu gelten
haben 13) ), wie denn durch das ganze Mittelalter hindurch die Höfe
prachtliebender Fürsten die eigentlichen Schauplätze ahgaben, auf
denen weltliche Goldschmiede ihre glänzendsten Erfolge errangen.
Dem heil. Eligius (f 6S9), Patron der Goldschmiede, bot der Hof
129 ) Murr, Beschreib, v. Nürnberg gibt p. 54 ein Verzeichniss der ältesten Goldschmiede
von 1285 angefangen. Gozzo aurifex (1237) in Passau. Mon. Boic. 29, P. 2, 287. cnf.
ebd. 7, p. 58, p. 472 ; 13, p. 342, p. 345. Zur Zeit des Gonciliums zu Constanz
(1414—1416) fanden sich dort ein: „Goldscbmidt die zu Gaden stundend mit ihren
Knechte^ 72 Personen. Stumpff Job., das grosse gemein Concil p. 173, cnf. An
merk. 52.
13 °) Hormayr, Wien I, 2. Hft., 1. p. XCIII. cnf. Anmk. 72.
131 ) 1651 erscheint „Johann ßloy“ als Ho f goldschmied. Schlager, n. F. 1, 178, und
„Herr Martin Seuther“ als „Hofiubilier“ ebd. 178. Item Hanns Ilurscht, der abenteierer
(Juwelier) von Straspurg (1447). Otto Ruland’s Handlungsb. p. 6. Biblioth. des lit
Ver. in Stuttg. 1.
■
Wien’s ältester Plan.
429
des König Dagobert reiche Beschäftigung (Ghesquier, A. SS. Belg.
3, 201 *), an gleicher wird es ihnen nicht an dem des Ostgothen-
König Theoderich m ), wie an dem der Karolinger i33 ), Capetinger
und Burgundischen Herzoge gefehlt haben 134 ). Ein Artikel der
Pariser Goldschmied-Ordnung (S. XIII) lautet: Nus orfevres (de
Paris) ne puet ouvrer de nuit, se ce n’est a l’euvre lou Roy la Roine,
leur anfans, leur freres et l’evesque de Paris 135 ). Sie waren es, aus
deren Werkstätte das oberste Symbol der Herrschaft (Nibel. 44, 2;
Parziv. 494, 29), die Krone, hervorging 13C ). Wir sehen daher Gold
schmiede in königlichem Gefolge. So in dem König Ruoter’s ,37 ), zwölf
solcher finden sich in König Oswald's Nähe (p. 68, v. 2046), auch
in den Nibelungen „Smide hiz man gäben wurken einen sarc von silber
vnd von golde michel unde starc“ (979, 1) glauben wir diesen Auftrag
an die Hofgoldschmiede gestellt. Diese Goldschmiede zählten also zu
den Hausgenossen des Fürsten. Unter Hausgenossen verstand
man bekanntlich jene Unfreien die den Dienst im Hause ihrer Herr
schaft versahen 13S ). Theils die häufigen Geschenke in edelmetallenen
Geräthen, welche Fürsten an weltliche und geistliche Personen ertheil-
ten 139 ), theils die Ausbesserung und Vermehrung der Gerätschaften
ihres Schatzes 14 °) machten es jedem Herrscher unerlässlich, unter
seinem Gesinde auch Hausgenossen zu zählen, die sich auf Fertigung
edelmetallner Gerätschaften verstanden 141 ); hatten ja selbst Klöster,
*) Verzeichniss seiner Arbeiten s. Texier in Memoir d. 1. Societ. d. Antiqu. de I’Ouest.
9, 177 seq.
132 ) s. mein Fragm. eines Liber dativ. p. 27, Anmk. 35.
133 J s. mein Über Antiquitälenfunde, p. 18, Anmk. 3; p. 21, Anm. 14; p. 15, Anm. 24;
p. 28, Anm. 36 u. 38.
134 ) s. das reiche Verzeichniss der durch die Herzoge von Burgund (1379—1482)
beschäftigten Goldarbeiter bei De Laborde, Les ducs de Bourg. 1, 531—534.
135 ) Depping, Reglern, d. arls p. 38.
A36 ) cnf. Benecke-Müller, Mittelhochd. Wörterbuch p. 886, cl. 2, 1. 26. cnf. Anm. 43.
137 ) v. 2015. Massmann, Deut. Ged. d. zwölft. Jahrh. p. 191.
138 ) „Illo die distribuitur familie, que hvsgenozzen dicitur“. Ordnung d. Kl. Geisenfeid
(S. XIII). Quellen z. Bayer, und Deutschen Gesch. 1, 415. W. Wackernagel. Das
Bischofsrecht, p. 10, und über noch andere Bedeutungen s. Haltaus’ Gloss. Das „Hof-
gesind“ (1361). Hormayr, Wien I, 5, p. XXXIX.
13y ) cnf. mein Virgil's Fortleben im Mittelalt. p. 40, Anm. 127.
140 ) cnf. Gregor Turon. op. cl. 322, c. d.
141 ) Unter den Ministerialen des Grafen Berthold v. Andechs (S. XII p. m.) erscheint auch
ein „Bernhardus aurifex“. Mon. Benedict. Burana. M. Boic. 7, p. 57. Item aurifabro
Ducis Leupoldi lOtal. (1379). Wiener Stadtrechnung, Notizbl. der k. Akad. 1855,
430
Georg- Zap p e r t.
wie z. ß. St. Gallen, Haus-Goldschmiede 14ä ). Diese Goldschmiede
unterstanden der fürstlichen Kammer 1 43 ), und wir werden kaum
auf erheblichen Widerspruch stossen, wenn wir annehmen, dass der
grössere Theil weltlicher Goldschmiede des Mittelalters his zum
XI. Jahrhundert 144 ) aus der Schule der Kammer-Goldschmiede her
vorging (s. Anmerk. ISO). So sehen wir den heil. Eligius in die Lehre
zu einem solchen gegeben 145 ). Wollte nun der Landesfiirst als Herr
der Münze sein Regal ausüben, so lag es am Nächsten, jenen ihm
längst durch Befähigung und Treue bewährten Hausgoldschmieden die
Ausführung des Präge-Geschäftes anzuvertrauen. Diese hatten unter
ihrem Vorstande, zweifelsohne gleichfalls einem Hof-Goldschmiede
der als der Bewährteste des Amtes des Münzmeisters waltete, die
technischen Manipulationen der Münze auszuführen. Dieses ihr
Geschäft liess das Band ihrer hausgenossischen Stellung nicht blos
p. 392. Maister hans sachs pictor ducis Giiltenb. (1399) der Schottenabtei, fol. 74 b.
Im J. 1404 klagt der Wiener Stadtrath bei K. Maximilian, „das — evvrer genaden
handtwercherenn, vn Hofgesiiul“ nicht blos für die Leute des Hofes, sondern auch für
andere arbeiten. Hormayr, Wien 1, 5, p. CCIH. (1344) Jacob Seisenecker Hof Maller,
(1363) Joachim Deschler Hofbildhauer, (1389) Dietrich Raflensteiner Camermaler
etc. Archiv d. k. Akad. 5, 688 IT., cnf. Anmk. 130.
l4a ) Ferd. Keller, Bauriss von Kl. S. Gail. Namen solcher Klostergoldschmiede habe ich
für andere Zwecke gesammelt.
A43 ) Zu den vorzüglichen Bedeutungen des Wortes Camera zählt auch die des Gemaches,
in welchem sich der fürstliche Schatz befand. Du Cange, Gloss. 2, p. 48, cl. 3. So
auch noch jetzt „Schatzkammer“. Kammer-Hort cnf. Benecke-Miiller, Mittclhochd.
Wörterb. 1, 717, cl. 1, 1. 44. „Dem Silberkammerer“ (1441) der Königswitwe Elisabeth.
Schlager, Wiener Skizzen 2, 30. Si habuerit aurum uel argentum non uendat nisi ad
c am er am nostram. Herz. Leopold. Stadtr. f. Wien (1221). v. Meiller, im Archive d.
k. Akad. 10, p. 106. Hier ist Kammer und Münze identisch, s. Anmk. 146. Am Hofe
der ostgothischen Könige führte der Comes sacrarum largitionum die Aufsicht über
die Münze, ihm waren auch die Kaufleute zugewiesen, die aus der Fremde edel
metallene Arbeiten, Steine und Perlen einführten. Manso, Gesch. Ostgoth. p. 332.
Eine Urkunde (1277) K. Rudolph’s I. (von Karajan a. a. O.) gestattet den Hausgenos
sen den Handel mit Edelsteinen. Eine Verordnung (c. S. XV) befiehlt, dass man
Edelsteine und Perlen in der Münze abzuwägen habe. Ibid. p. 424, Nr. 4. Prachtlie
bende Fürsten scheinen ausser der Hinhaltung falschen Gewichtes sich durch solche
Verordnungen auch ein Vorkaufsrecht werthvoller Juwelen und Gemmen etc. zuzu
wenden beabsichtigt zu haben.
144 ) Die Auffindung der Gold- und Silbergruben des Harzgebirges gegen das Ende des
X. Jahrhunderts (Vehse, Otto der Grosse, p. 328) wirkten zweifelsohne belebend auf
die Goldschmiedekunst. Waitz, Jahrb. 1, 138, setzt die Auffindnng schon in die Zeit
K. Heinrich’s I.
145 ) Ghesquier A., SS. Belg. 3, 201.
Wien’s ältester Plan.
431
rechtlich, sondern häufig sogar auch räumlich ungelöst, denn die
Münze befand sich nicht selten in der Pfalz des Fürsten 140 ). Da
nun die Hof-Goldschmiede theils durch die Kostbarkeit des Stoffes,
theils durch die künstlerische Fertigkeit in Formung desselben eine
geachtete Stelle unter dem fürstlichen Gesinde einnahmen 147 ), behiel
ten sie hei ihrem Übertritt in die fürstliche Münze noch immer die (sie
ehrende und privilegirende) Bezeichnung „Hausgenossen“. Es zählte
keines der Handwerke unter seinen Gliedern Individuen, die in so naher
Beziehung zum fürstlichen Hofe wie die Goldschmiede standen 148 ), und
als selbst die bürgerlichen Glieder derselben sich bereits zu Zünften
vereinigt hatten 14 °), standen sie noch immer unter dem Miinzmeister,
unter der Kammer. „So sein wir sunderlich phlichtig vnd gepunden
nach vnsern Munss recht die Goldsmid in rechter Ordnung ze haltten,
Wann Sy in vuserer chamer gehörend.“ (Urkd. 1366 Herz. Albrecht
und Leopold, bestätigt 1446.) 15 °) Schon dieses trug bei, den Gold
schmieden eine höhere Stellung als sie andere Handwerker besessen zu
verleihen. Andererseits standen ihre bei der Münze beschäftigten
146 ) De monetis , ut in nullo loco moneta percutiatur nisi ad curtem, et illi denarii
palatini mercantur, et per omnia discurrant. Capit. Karl d. G. (808) P. Mon.
Germ. 3, 133, 1. 4, cuf. Guerard, Polypt. Irmion, 1, 128. Die Hauptmünze bestand
1330 auf dem Hof. Schlager, Skizzen 1, 242. Der alte Herzogenhof wurde bis 1386
zum Miinzhofe verwendet. Schlager in Chmel’s Geschichtsforscher 1, 404. cnf.
Anmk. 143.
147 ) Der h. Eligius (f 639) war ein Freigeborner: parentibus ingenuis — Eligius natus
est. (Ghesquier, A. SS. Belg., 3, 201.) Abbo, der Meister des h. Eligius war „hono-
rabili viro — fabro aurifici probatissimo, qui eo tempore in urbe Lemovica pu-
blicam fiscalis monetae ofl'icinam gerebat“. Ghesquier, A. SS. Belg. 3, 201. In S.
Oswaldes Leben p. G8, v. 2046, erscheinen zwölf Goldschmiede, die dem Ritter
stande angehören: „wir sin alle — guotes rieh — wir sin zu ritceren worden“ (edt.
Ettmiiller). Das Hofgesinde genoss manche Begünstigungen (1374). Hormayr, Wien
II, 3, p. CXCVI. cnf. Anmk. 44.
14 8 ) Niclas Fürstenkind der Goldschmidt (S. XV). Schlager, W. Sk. n. F. 3, 464.
A49 ) In der Urkunde der Herz. Albrecht u. Leopold (1366) für die Wiener Goldschmiede
heisst es „vernewett ir a 11 gut gewonhaitten“ Hormayr, WienI, 3, p. CVIX u. XL u.
v. Karajan a. a. 0. p. 493.
15 °) Hormayr, Wien 1, 3, p. CVIII. u. v. Karajan a. a. 0. p. 492. das all hausgenossen mit
allen den die ln der selben Künst hellFen arbaitten sullen zu vnser vnd des Reichs
Ka mer an mitl ewiglich gehören. Urkd. (1277) K. Rudolphs I. v. Karajan a. a. 0.
p. 468. Die Goldschmiede suchten um so weniger dieses Band zu lockern, als ihnen
dadurch die Vortheile eines exempten Gerichtsstandes gesichert blieben. Dasselbe
Verhältnis bestand auch zu Augsburg (1368). Stetten, Kunst u. Handw. Gesch. v.
Augsburg 1, 480. In London hatten sie bereits 1180 eine Gilde gebildet. Maitland,
Hist, of Lond. 1, p. 36.
432
Georg Zappert.
Glieder, mittelst der ihnen zugesellten Wechsler in lebhaftem Verkehr
mit der Handelswelt. Das Geschäft der Wechsler scheint erst mit
der Zeit der beginnenden Kreuzztige , als der Strom westländischer
Münzen sich über die östlichen Länder unseres Welttheiles ergoss,
in Blüthe gekommen zu sein. So erzählt Ansbert (c. 1189): „In
sola igitur commutatione denariorum vel argenti Ungari graviter
nostras angariaverunt, quippe qui pro duohus coloniensibus V tantum
suos et pro duobus frisacensibus IIII dahant ungaricos, et pro ratis-
ponense unum ungaricum, qui vix Veronensem valebat.“ (Hist, exped.
Frider. p. 27.) ,51 ) Ohne Zweifel haben auch damals die öster
reichischen Wechsler 152 ) goldene Ernte eingeheimst, so dass in der
Folge manche Hausgenossen es gewinnreicher gefunden haben mögen,
statt einzig mit dem Geschäfte des Münzens sich auch mit dem des
Münzeinwechseln zu befassen, und wir finden dann das Geschäft des
Wechslers, sei es auch unerlaubter Weise 158 ), zuweilen mit dem
der Hausgenossen vereint 154 ). Die Goldschmiede seihst hatten
gleichfalls direeten Verkehr mit Kaufleuten, denn nicht blos die
Geräthe- oder Geschmeidelustigen sprachen in den Goldschmiedläden
ein, sondern es gab auch Kaufleute die solche Werthstücke als
Waare erkauften, um sie weiterhin mit Gewinn zu vertreiben 155 ).
151 ) Unde ex occidentalibus l-egionilms plerumque ad terram promissionis veniebant
Christ.iani, quidam causa n eg oti at i on is tracti, alii causa devotionis et peregri-
nationis. Jacob, d. Vitr. (f 1244) Mist. Miorosol. Bongnr. 1, 1082, I. 13. dort sitzt
ein wehselsere, des market muoz hie werden guot. Parzival 334, v. 26. Über
Wechsler in Paris s. Depping, Reglern, sur 1. arts p. 4443. Beim Concilium zu Con-
stanz (1414—1418) hatten sich ausser den Florentiner Wechslern noch 38 andere
eingefunden. Stumpff Joh., Des grossen gemein Concil p. 173. In quolibet nostra
Civitate sit campsor. Corp. Jur. ITung. Decr. I, an. 1403, art. 19, Tom. 1, p. 183,
edt. 1731. cnf. ibd. (1342) p. 160, cl. 2.
152 j Späterhin hatten die Wechsler (S. XVI) ihre Wechselbänke auf der der Münzerstrasse
nahen ßrandstadt (Schlager, Wien. Skizzen 2, 329), so dass dieser Theil der Stadt
den eigentlichen Geld-Aristokraten-Winkel bildete.
153 ) cnf. v. Karajan a. a. 0. p. 437, Nr. 46.
15i ) Es stellen sich hier manche Fragen ein, deren Beantwortung um so schwieriger ist,
als uns vieler Orten die urkundlichen Belege fehlen, welche uns die allmählichen
oder zeitweiligen Veränderungen in der Stellung der Hausgenossen ersichtlich machen
könnten.
155 ) Petr. Alfons discipl. der. u. Nachahmung bei Barbazan, Fabel 2, 120. Kaufleute
bringen Kleinode zu Markt. Gottf. v. Strassburg, Tristan p. 37, v. 1. edt. Massmann.
Ruoter p. 206, v. 3113. edt. Massmann. In einer Urkunde Diethelm’s, Bischof von
Constanz, erscheint ein : rodulfus joellarius. Diimge, Regest. Bad. p. 131. De Laborde,
Les ducs de Bourgogne (1383—86) 1, p. 6, Nr. 31.
Wien’s ältester Pion.
433
So beschweren sich die Wiener Goldschmiede (1513), dass fremde
Kaufleute theils öffentlich, tlieils in geheim verkaufen „Alle Frawen
gesperr Gurtl geschmeid, peeher, Kelich, Schewern, gülden Ring,
Khetten, Krewtzl, hafftl. (Archiv d. k. Akad. d. Wissensch. 14,
276)“ iS«).
Der grösste Theil der Goldschmiede Wien's dürfte somit zu dem
wohlhabenden Theile der Bevölkerung gezählt haben, denn obwohl
die Anschaffung ihres Arbeitsstoffes höhere Geldsummen als der
anderer Handwerker heischte, finden wir sie dennoch nicht seifen als
Behauste aufgeführt 157 ). Überdies fehlte es ihnen nicht an flüssigen
Geldsummen, mit denen sie sich manchem Edlen zur Zeit finanzieller
Bedrängniss hilfreich, wie folgender Revers (1394, Jul. 24) belegt,
erwiesen haben mögen.
Ich Osivalt wiser der Goltsmit ze Wienn bekenn daz mich der
erber vest Ritter her Jans der Eberstorff bezcilt hat zwaintzig
phunt wienner phennig dye ich im geliehen hab darum er mir sein
silbrein vergalten Kopf mit sein Wappen darauff zephant gesatzt
hat 15S ), dauon sag ich im sein schuld ledig vnd los mit vrehund
dicz briefs versigilt mit anhangundem Insigil des erber weisen hem
Michels des Gewkramers diezeit munnsmeister vnd Pur germeist er
156 ) Schlager, Wien. Skizz. n. Fol. 1,1S9.
157 ) Ekchart Münzzer de domo (in der Teinfaltstrasse). Gültenb. d. Schottenabtei vom
J. 1398, fol. 7 b. Perchtold munzzer de dom. ibd. fol. 44 b. Meister Heinrich Gold
schmied zu Gmunden hatte auf Häuser in Wien Geldsätze (1326. Fräst Stiftb. p. 643.
Schlager, Wiener Skizz. 2, 195. Wir geben anfolgend die Seelgeräth-Stiftung einer
behausten Gold-Schmieds Witwe.
(Wien 1314. Jnr. 21.)
Wir Swester Cecilia zu den Zeiten Abtessine und der Convent gemain
der Geistleichen Vrowen daz Sande Chlarn ze Wienne verjelien vnd tvn kvnt
allen den die diesen prief schent oder hörent lesen, daz vns fraw Diemvt
Meisters Virichs des goltsmits Wittiive hat geschafet von iren haus vnd Wein
garten gelegen ze Nuzdorf ein phvnt wienner phenning da svln wir ir iarzit
immer ewichlichen hegen, daz daz also beleih darvm hengen wir unser insigel
an diesen prief, der ist geben ze Wienne da von Christes gebürd waren
drevtzehen Hundert iar vnd in dem vierzehenden iar an sant Agnesen tag.
(Original-Urkunde mit sehr beschädigtem Siegel in meinem Besitze.)
158 ) Im J.1324 versetzte Elisabeth, Königinn von Böhmen und Polen, ihren Hausschmuck an
den Regensburger Kaufmann Gottfried der Reich. Zirngibel in d. histor. Abhandl. d.
k. bayer. Akad. 4, 602. Pfalzgraf Ludwig der Bärtige lieh 1428 von dem Abt zu
Maulbrunn vierzehnhundert Gulden und versetzte ihm dafür als Faustpfand mehrere
Becher u. Kleinode. Mone, Anzeig. 7, 311.
;;
■
434
Georg Z a p p e r t.
ze Wienn nach Kristi gepnrt drewtzehen hundert Jar, darnach in
dem vir mul newntzigisten an Sand Jacob abent des heiligen Zivelf-
botten.
(Siegel abgerissen. Im Privat-Besitze.)
Wiespäterhin die heutige Goldschmiedgasse 159 ) mit ihrer krumm-
bogigen Verlängerung der Mtinzerstrasse nächst der Brandstadt 100 )
(in der sich die Wechselbänke befanden) den eigentlichen Geldaristo-
kraten-Winkel der Besidenz bildete, so dürfte im XII. Jahrhundert
die strata aurifabrorum als Hochsitz der damaligen Banquiers
Wien’s gegolten haben 16i ).
in i'oro pini.
Bei der Rolle welche die Kienfackel im antiken Cultus spielte 103 ),
wohin sich auch die Hochzeitsfackel stellt 103 ), dürfte der Kien- oder
Fackelmarkt 104 ) zu den ältesten Plätzen Wien’s zählen, und um so
mehr als die Kienfackel auch dem keltischen und germanischen Cul
tus nicht fremd war. Bis ins IX. Jahrhundert eifern Concilien in ihren
Beschlüssen wider den heidnischen Fackeldienst 105 ), und das zu Arles
lindet noch im Jahre 1260 nöthig, den Gebrauch wachsfarb angestri
chener Holzkerzen bei kirchlichen Processionen zu untersagen 10 °).
159 ) Es scheint die Goldschmiedgasse bereits im Jahre 1327 an heutiger Stelle gelegen zu
haben. Contin. Vindob. ap. P. Mon. Germ. 11, 722, 1. 34.
160} Hormayr, Wien I, 2, p. XCV.
161} Im XVI. Jahrhundert befand sich in der Nähe der S. Uupprechts-Kirche ein Prägehaus.
Hormayr, Wien I, 2, p. CXXXVIII.
162} Creuzer, Symbolik 4, 69, 165, 3. Ausgb. Hartung, Rel. d. Röm. 1, 199. Guerard,
Polypt. Irmion. 1, 738. Über Darstellungen von Sol u. Luna mit Fackeln in Händen
noch in Miniaturen christlicher Zeit s. Ferd. Piper. Myt. d. Christ. Kunst I, 2, 142 . .
die Nacht etc. ebd. 359.
I6 3 } M. A. Decker, Gallus 2, 20. 2. Ausgabe.
i° 4 } ln foro Th edar u m, quod Chienmarcht vulgariter dicitur. (Urkd. 1275, Mrz. 23.)
Hormayr, Wien. II, 2, p. CXCVI1. Chienmarkt (1293). Ohmei, Notizbl. f. österr.
Gesell. 1843, p. 81. cnf. Benecke-Müller, Mittelhochd. Wörterb. 1, 804, cl. 2, 1. 40.
166) Du Cange, GIoss. v. facula 3, 184. cl. 1. Der Kieferbaum war mancher Orte ein hei
liger Daum. Jakob Grimm, Mythol. 2, 619. Ut nullus votum faciat, aut candelam
vel aliquod munus pro salute sua rogaturus alibi deferat nisi ad ecclesiam Domino
Deo suo. Regino (*j- 915), p. 355. edt. Wasschersleben. Wahrscheinlich bildete
bei Noth-, Oster- und Johannisfeuer auch Kien einen Bestandtheil des Brenn
materials. vrbd. Jakob Grimm, Mythol. p. 571, 586 ff. cnf. Schlager, Wien. Skizz.
n. Fol. I, p. 84, p. 89.
166) Prohibemus districte, cereos ligneos in colorem cerae tinctos in praedictis
ecclesiis fieri aut haberi. Mansi. Ampi. coli. 23, 1006 d. Vielleicht veranlassten Spar
samkeitsgründe die Verwendung solcher Fackeln.
Wien’s ältester Plan.
435
Hiezu tritt, dass viele Völkerstämme zur häuslichen Beleuchtung
Kienspäne verwendeten 107 ). So finden wir in Karolingischer Zeit
unter den Lasten Höriger auch die der Abgabe einer gewissen Zahl
von Kienspäne-Bündeln oder Fackeln aufgeführt 108 ). Selbst noch im
XIV. Jahrhundert scheint man häufig des Nachts zur Erhellung freier
Bäume sich der Kienfackeln bedient zu haben*), denn wir sehen
solche in bildlichen, jener Zeit angehörenden Darstellungen der
Gefangennehmung Christi in Händen der Häscher flackern 10 °). Kien-
und Pechfackeln zählten ferner zu jenem Kriegsmaterial, das bei in
Brandsteckung feindlicher Objecte in Verwendung kam 170 ).
Bei solcher vielfachen Verwendung ward demnach dem Verkaufe
dieses Verbrauchgegenstandes ein besonderer Platz angewiesen, und
die nahen Nadelholzwälder Wien’s versorgten dessen Fackelmarkt
reichlich mit harzigen Spänen.
in alto foro.
Forum pini und Forum liguorum (s. Anmerk. 25 ff.) erhielten
ihre Bezeichnung von dem dort feilgehaltenen Verkaufsgegenstand,
167) p r iscus, Hist. ap. Corp. Byzant. 1, 184, 1.6. edt. Bonn. euiYsvop.svrj? oe sa^pa«; oaoe?
dvyjcp&Tjaav. ibd. p. 206, 1. 11. Niemand soll gehen — vfl'sinem Hoff mit einem bren
nenden Kyhne oder licht. Statuta der Stadt Wittstock (1523). Riedel, Cod. dipl.
Brandenburg. 1, 430.
168 ) Als Abgabe der Hörigen s. Guerard, Polypt. Irmion. 1, 740 ff. Windlichter aus W achs
erscheinen in einer Rechnung des XV. Jahrhunderts. Schlager, Wien. Skizzen 2, 53.
1G9 ) Leben u. Leiden Jesu (S. XII). Hoffmann v. Fallersleben, Fundgrub.
1, 171, 1. 19. Christi Leiden (S. XIII) ebd. 2, 251. Passionale p. 59,
v. 35, edt. Hahn. (Sie folgen hier dem Evangelium Johannis (18, 3),
weil nach diesem die Passion am Charfreitage gelesen wird.) ln bild
lichen Darstellungen, die sich ihnen anschliessen, wie in der Byz.
Ilandsch. D’Agincourt, Pt pl. 57, Nr. 2. Cod. palat. Vindob. Nr. 1179
(S. XIV), p. 5 b, cl. 2 u. Nr. 2722, p. 65 b (S. XIV). In Ghiberti’s
Pforten (S.XV). In der eben angezogenen Handschrift Nr. 2722 (ein
einem österreichischen Fürsten angehöriges deutsches ßetbuch), p. 67 lx,
wird Er unter Begleitung eines Fackel- und Pechpfannenträgers vor Annas
geführt, wie anfolgende Abbildung derselben veranschaulicht.
17 °) Joannis (c. 1008), Chron. Venet. P. Mon. Germ. 9, p. 25, 1. 31. P. Mon.
Germ. 10, p. 98, 1. 31 seq. cnf. Nibelung. 2048, I ff. Mordbrennerei war
ein häufig geübtes Verbrechen. Regino (-J- 915) 144. edt. Wasser-
schleben. Qui domum alterius incendere volens, facem manu tenet. Lex Fris. V 1,
cnf. Gaupp. d. alt. Gesetz, d. Thüring. p. 374. Arnulf Graf v. Flandern drang (939)
in Montreuil ein, indem ihm ein Verräther mit einer lichterloh brennenden Fackel
(facem ardentissimam) das Signal gab. P. Mon. Germ. 5, 590, 1. 16.
*) cnf. Triumph. S. Remacli (S. XI et.). P. Mon. Germ. 13, 442, 1. 42.
436
Georg' Z a p p e r t.
hier jedoch finden wir ein Forum welches seine Benennung aus sei
ner Lage (Forum altum, Hoher Markt) schöpft. Ist es gestattet, den
Anker der Erklärung dieses Vorkommnisses auf den Boden der Con-
jecturen zu werfen, so dürften wir uns zur Annahme geneigt zeigen,
in unserem hohen Markt einen Malberg zu vermuthen. Unser Plan
lehrt, dass sich in der Gegend der heutigen Singerstrasse ein heiliger
Hain befand, der wahrscheinlich seine nordwestliche Grenze an die
sem Malberg fand; diese bildeten die Grenzen solcher Haine und Ver
sammlungsorte 171 ), eigneten sich also besonders zu Gerichtsstätten,
die bekanntlich von Steinen umkränzt waren 173 ). [Noch heute besteht
auf dem hohen Markt nächst der Schranne eine (von langer Zeit her
datirende) Modewaaren-Handlung unter dem Schilde „zum breiten
Stein“, eine Bezeichnung die seiner Zeit wohl nicht der Phantasie
eines Krämers entsprang, sondern wahrscheinlich der dort bestandenen
Örtlichkeit entnommen wurde 173 )]. Als nun Wien unter römischer
Herrschaft zu einem Municipium erhoben wurde 174 ), errichtete man
auf der ehemaligen Malstätte das Forum Vindobona’s. Und noch im
XIV. Jahrhundert, nachdem Wien’s Schranne 175 ) sich bereits im
Schönbrunnerhause befunden hatte 17 °), wird das forum altum der
alte hohe Markt genannt 177 ).
intcr balneatorcf.
Das Stubenthor und die Badestuben des Mittelalters werde ich
nächster Zeit in einer besondern Schrift besprechen.
cappcla S. Stephani.
Wie die heutige im Bau begriffene Votiv-Kirche, so lag damals
die Capella St. Stephani ausserhalb der Stadtmauern 178 ). Ihr Vorhof
171 ) Müller Willi., Systhem d. deut. Mythol. p. 39.
172 ) Jakob Grimm, deutsch. Grenzalterth. Abhandl. Berl. Akad. 1843, 118.
173 ) Bei grossen Steinen, longi lapides ect. genannt, wurde Gericht gehalten. Jakob Grimm,
Rechtsaltertb. 2, 803. cnf. Kaltenbaeck, Pantaiding 1, 221, Nr. 7.
174 ) Muchar, d. römische Noric. 2, p. 14.
175 ) cnf. Jakob Grimm, Rechtsalt. 2,811.
176 ) Über die Topographie des „hohen Marktes“ s. Schlager, Wien. Skiz. 1, 237 ft*, u.
dessen alterthiiml. Erinnerungen p. 88.
177 ) Schlager, Alterthümliche Erinnerungen p. 87.
178 ) Dass die S. Stephans-Kirche ausserhalb der Stadtmauern lag, ist zwar eine uner-
wiesene (J. Feil in Östr. Blatt, f. Literat. 1844, 2. Quartal, p. 140) aber höchst
wahrscheinliche Annahme.
Wien’s ältester Plan.
437
war daher nicht in solch enge Grenzen gewiesen als es die der St.
Ruprechts-Kirche waren, die auf dem ältesten Stadthoden Wien’s er
richtet, von beschränkenden Baulichkeiten umgeben war. Sei es nun,
dass eine in der ersten Hälfte des XII. Jahrhunderts herrschende Epi
demie 179 ) den St. Ruprechts-Kirchhof derart mit Gräbern überfüllte,
dass kein Raum für spätere blieb und überdies deren mephitische Aus
dünstung die Bewohnung des Castells gesundheitsschädlich machte 189 ),
oder sei es, dass ein heftiger Brand die St. Ruprechts-Kirche in
Asche legte 181 ), genug, wir sehen später (1147, s. Anmerk. 7) die
Capelia St. Stephani zur Ecclesia erhoben und St. Ruprecht zur
Capelia zurückgesetzt, also ihren Kirchhof aufgelassen und Wien’s
Gottesacker nach St. Stephan verlegt. Bei der zwischen den Kirchen
häuptern Salzburg’s und Passau's herrschenden Eifersucht I8a ) konnte
es Letzterem nur erwünscht sein, Wien’s Pfarre von einer auf den
Namen eines Salzburger Heiligen (St. Ruodpert) geweihten Kirche
auf eine zu übertragen, die denselben Heiligen wie die Kathedrale
Passau’s 183 ), dem Protomartyr St. Stephan dedic.irt war 184 ).
in ftrata ucmorif pagnnorum.
Die Bezeichnung: strata nemoris paganorum (Heidenhain-
Strasse) setzt ausser Zweifel, dass in Wien’s vorchristlicher Zeit sich in
der Gegend des heutigen St. Stephans-Platzes und der Singerstrasse
179 ) Seuchen in Folge von Hungersnoth (Annal. Mellieens. ad. an. 1145. P. M. Germ.
11, 503, 1. 33. Auct. Zwetlense ad. an. 1149, ibd. 549, 1. 41). Im J. 1094
starben zu Regensburg während 12 Wochen 8500 Menschen. P. Mon. Germ. 7, 459,
1.0. Ipsa quoque cimiteria aeclesiarum adeo sepulluris impleta sunt, ut homine sibi
morluos suos sepelire non potuerint. ibd. p. 460, 1. 23.
180 ) K. Maximilian I. veranlasst 1508 die Auflassung des Kirchhofes zu S. Michael „dieweyl
vnser ßurghk daselbs zu Wien so nachendt daran stost“. Hormayr, Wien I, 2. Hfl.
1, p. CXXXI.
181 ) Annal. Mellieens. ad. an. 1145. P. M. Germ. 11, 503, I. 32. Annal. Lambac. ibd.
555, I. 11, 581, 1. 2.
182 ) cnf. Dümmler E. L., Pilgrim v. Passau, p. 44—56 ff. u. p. 82.
183 ) Die Zeit ihrer Erbauung ist unbekannt. Dümmler, Pilgrim von Passau p. 4. In der
Urkunde (1135) des Bischofes Reginmar von Passau wird vom Markgrafen Leo
pold IV. gerühmt: reverentiain quam deo et beato Stephano prolhomartiri
illustris jam dictus princeps exhibuit. M. Fischer, Merkw. Schicks. Klosterneu-
burg’s 2, 121.
184 ) Über andere dem h. Stephan geweihte Kirchen der Passauer Diöccse s. Mon. Boic.
30, p. 2, 365, v. S. Stephan. Auch in Krems finden wir eine S. Stephans-Capelle.
Urkd. (1158). Hormayr, Wien. 1. Abt., 1 Bd. Urkdb. p. XIX, XXVI a.
~
1
t
i
438 Georg Zappert.
ein Götterhain hingezogen habe 185 ), dessen Andenken siel) noch lange
in der Erinnerung des Volkes fristete, wie es denn für heidnische
Örtlichkeiten 18 «) ein treues Gedächtniss bewahrte. Als Belege mögen
anfolgende Beispiele dienen.
Ein Kloster: quod appellatur Balneum Ciceronis (Puleoli)
(Gregor Mag., f 004, Dialog, op. 2, 164 b, edt. Maurin). Kön. Chlo
tar verleihet (659) dem Kloster Corbie unter mehreren!: et yillam
que vocatur Templum Martis. (Pardessus Dipl, ad r. Gail. Franc.)
2, 115. Ostenditur autem locus ille quondam idolorum (Ven. Beda,
f 735, Hist. p. 137, 1. 7). Quod videlicet fanum rex — qui nostra
aetate fuit, usque ad suam tempus perdurasse et se in pueritia vidisse
testahatur (ibd. p. 140, 1. 17, edt. Stevenson). Nach dem (vielfach
interpolirten) Leben des heil. Bernhard von Menthone (f 1008),
Gründer des Hospitz, befand sich noch in der zweiten Hälfte des
zehnten Jahrhunderts auf den Mons Jovis, heute der grosse St. Bern
hard , ein dem Jupiter Penninus geweiheter Tempel. (Act. SS.
Jun. 2, 1077 f., 1086 b. cnf. Beugnot, Hist. d. 1. destruct. d. paga-
nism. 2, 344—351.) Erzbischof Popo von Trier, der zu Ehren des
heil. Simeon eine Kirche erbaute, erwähnt (1042) in einer Urkunde,
dass diese bei der Mars-Pforte gelegen sei. Notum esse volumus —
quod pro remedio animae nostrae — in porta, que apud gentiles
Marti consecrata memoratur, ecclesiam aedificantes in honore Do
mini nostri ect. (Hontheim, Hist. Trev. dipl. 1, 379, cnf. ibd. p. 8.)
Selbst der Name des Christenverfolgers Nero lebt noch am Ende
des eilften Jahrhunderts in Rom in der Bezeichnung: prata Neronis,
fort. (Annal. Romani P. Mon. Germ. 7, 172, 1. 28.) Leo gedenkt
einer Kirche. Ecclesiam sancti Angeli in loco qui antiquitus, Ad
arenm Dianae appelabatur. (Leo c. 1115, Chron. Casin. P. Mon.
Germ. 9, 620, 1. 7, cnf. ibd. 5, 209, 1. 8) 187 ). Römischer Gräber
185 ) Über heilige Haine s. Jakob Grimm, Mythol. 1, 59 ff.
186 ) Que dicitur uetus Timnich nemus. Urkd. (1141) Lcopold’s f. Kl. Baumgarten
berg (jetzt das Dorf Deiming). Kurz, Beitrag z. Gesell, des Landes ob der Enns
3, 383.
187 ) Von der Gegend, in der Kl. Löbach gelegen, berichtet Folcuin: undique enim saltu
cingitur— tisco tune regio, et prisco nomine permanente sua „forestis“ adliuc
dicitur. Fulco (j- 990), Gest, abbat. Lobien. P. Mon. Germ. 6, p. 56, 1. 2. Atto
der Jüngere, Bischof von Vercelli (c. 1004), findet es noch nüthig, gegen das an
der heidnischen Lustbarkeit der Kalendae des Januars festhaltende Volk zu eifern.
Mars namque et Janus homines perversi et infelices fuerunt, quorum unus,
1
Wien’s ältester Plan.
439
wird noch im XII. Jahrhundert als heidnischer gedacht. So erscheint
in der Grenzbestimmung der Abtei St. Martin de Monte Pannoniae
(1138): Inde vadit ad sepulchra paganorum inter quae est meta. Et
inde — tendit ad alias sepulchra paganorum. (Fejer, Cod. dipl.
Hung. 2, 112.)
Vermutheten wir im „Hohen Markt“ die nordwestliche Grenze
dieses Haines, so dürften wir im Stok-im-Eisen dessen süd
westliche zu erkennen uns erlauben 188 ). Der Baumcultus, die Ver
ehrung der schattengebenden Laubkrone-Träger 189 ) war ein bei
allen unseren Völkerstämmen verbreiteter und lange nach ihrer
christlichen Bekehrung noch sporadisch in Geheim sich fort erhal
tender heidnischer Aberglaube 19 °). So bei Böhmen 191 ) und Un
gern 192 ). Es dauerte lange, bis die Götter aus ihrem letzten
Zufluchtsort, aus den Wäldern vertrieben wurden , und noch im
XIV. Jahrhundert verehrten die in dem Orte Cavoreto in der Aqui-
lejaer Diöcese ansässigen Slawen einen Baum und die unter ihm
liegende Quelle als Gott, wie ein Bericht (Utino 1336, Aug. 16)
des Inquisitors Francus de Chogia Ord. Minor, bezeigt: Itinerantes
homicida et adulter, alter in tantum fuit vanus et demens ut etiam se ipsum flam-
mis cremaret. Angel. Mai Script, vet. nov. collect. G, P. 2, p. 14.
188 ) Eines alten Eichenbaumes der nabe der auf einem Berge gelegenen Kirche des
h. Ursmars (Kl. Laubach) stand, und der ein Markbatim gewesen zu sein scheint
(in intercapedine, quam quercus antiqua disterminat) gedenkt Fulco (-J- 990), Gest,
abb. Lobiens. P. Mon. Germ. 6, p. 72, 1. 42. In einem Briefe ddo. Wien, IG. Juli
1393 finde ich seiner gedacht: prope truncum ferreum.
189 ) Du Cange, Glos. v. arbores sacrivi 1, 361, cl. 2. Über Verehrung der Bäume in
Südländern, als kühlende Schattengeber s. Alex. v. Humboldt, Kosmos 2, 99, cnf.
Iluoland Lt. 88, v. 10, Et per viam ascendit ad montem ad quercum vbi requies-
cunt homines. Urkd. (1217) König Andreas’ II. für das Bisthum von Agram. Fejer,
Cod. dipl. Hung. 3, P. 1, p. 224. Et inde tendit ad arborem pini, vbi fit con-
gregatio puerorum in octauis pasche. Urkd. (1220) K. Andreas’ II. ibid. p. 28G.
Über geheiligte Bäume s. Jakob Grimm, Mythol. p. 60, p. 617. J. W. Wolf, Beitr.
z. Deut. Mythol. p. 38.
19 °) Rustici nos monent, qui peccare illos putant, qui arbores succidant, in quibus pa-
gani auguriari solebant. Arnold S. Emmerammi (f an. iOöO). P. Mon. Germ. 6,
Ö47, 1. 10.
191 ) Herzog Bracizlaus von Böhmen liess (c. 1093) Bäume die in vielen Orten noch
von dem Volke verehrt wurden, fällen und verbrennen (similiter et lucos sive
arbores, quas in multis locis colebat vulgus ignobile exstirpavit et igne cremavil.
Cosmas, Chron. P. Mon. Germ. 11, 102, I. 23).
192 ) Quicumque ritu gentilium iuxta puteos sacrificauerit, uel ad arbores et ad
fontes et lapides oblaciones obtuierit, reatum suum boue —. S. Ladislai Decretum
(1092). Endlicher, R. Hungar. Mon. (aus einer Handschr. des XV. Jahrli.) p. 330.
H
~
440 Georg Zappert.
— usque ad locnm de Cavoreto — ubi inter montes Sclavi innume-
rabiles arborem quandam, et fontem qui erat ad radices arbo-
ris, venerabantnr pro Deo. Quam arborem feciinus — penitus extir-
pari, et lapidibus obturari 193 ). (Canciani, Leg. barbar. 3, 87.) Und
noch im XIII. Jahrhundert linden wir einen heiligen Baum: ad sanctam
arborem sunt II. Domus (Verzeich. d. Zehent-Häuser des Kl. Form
bach. Urkdb. d. L. ob der Enns 1, 699) 194 ). Das Vorhandensein
eines heiligen Haines lässt sich nicht bestreiten, und selbst das Lan-
desviertel, in welchem Wien liegt, wird nicht nach einem Berge oder
Fluss, sondern nach einem Walde „das Viertel unter dem Wiener
Walde“ genannt 195 ), so dass, wie es scheint, schon lange vor der römi
schen Occupation hier ein berühmter heiliger Hain sich befand, dem
193 ) cnf. Jakob Grimm, Mythol. 2, Gib, G18 und p. 6b. Gregor der Grosse (*{• G04)
schreibt dem Bischof von Terracina: Pervenit ad nos quosdam illic, quod dici
nefas est arbores colere, et multa alia contra Christianam iidem illicita perpetrare.
Op. 2, 908 d. edt. Maurin.
191 ) Der h. Gerlacus (-{- c. 1170) wählte zu seinem Aufenthalte eine Eiche, die er aushöhlen
hatte lassen. A. SS. Jnr. 1, 308, nr. 10. cnf. Anm. 203.
195 ) Wir geben anfolgend eine Urkunde K. Rudolph’s I., worin er dem Convent der R. R.
Prediger zu Wien gestattet, ihren Ilolzbedarf aus dem Wiener Walde zu holen.
(Wien 1278. Feh. 11.)
Rvdolfus dei gratia romanorum rex semper augustus vniversis sacri
jmperij romani fidelibus presentes literas inspecturis gratiam suatn et omne
bonnm volentes dilectos denotos nostros viros religiosos et conncrsationis
honeste fratres ordinis fratrum predicatorum in Wienna quorum ordinem
commenättbili sanctitatis flore florentern indeficientis caritatis ardorc sincere
diligimus veluli benedictionis cterne filios celibis vite ftcigrantia clwrnscantes
fauore et gratia semper prosequi singulari eisdem ex benignitate regia libe-
raliter duxitnus indidgendum vt diebus singidis de regali clcmentia perpctuo
vnam carracam lignorum continue sine contradictione cuiuslibet possint de
n e m o r i b u s W i e n n e n s i bas nostris et j in per i j secure educere suis
cotidianis ignibus applicandam. Et si iidem fratres vel preparatores ipsorum
per septimanam vnam vel duas aut per mensem unum aut duos ab huiusmodi
eductione lignorum cessauerint volumus quod ipsi in sequenti tempore rccu-
perare valeant quod in diebus preteritis neglexerunt aut quod possint in
diebus presentibus futura tempora preuenire. Vnde damus ipsis fratribus
has nostras litteras in tcstimonium super eo. Datum Wienne iij jdus februarii
indictione VI. anno domini M° CC° LXXVIIP
regni vero
nostri anno
sexto
(Das Siegel beschädigt.)
Eine ähnliche Begünstigung für das Kloster der ßüsserinnen (14b6) s. Schlager, Wien.
Skizz. n. Folg. 2, 302.
i
Wien’s ältester Plan.
441
vielleicht Wien sein Entstehen dankt. Wollen wir jedoch unsern
Stock-im-Eisen nicht als heiligen Baum jenes Haines anerkennen, so
dürfen wir ihn um so mehr als Markbaum 10 °) gelten lassen als bei
allen unseren Völkerschaften Bäume als Grenzzeichen benützt wur
den 197 ). De illo vallo et duabus arboribus feluun dictis subtus nillam
Abbadorf. (Donat. [1011] K. Heinr. II. an KI. Nied.-Alteich. Mon.
Boic. 11, p. 140.) Secunda meta est iuxta arbores quae vocantur
Vlmi (Urkunde [1138] für die Bened. Abtei St. Martin de Monte
Pannoniae. Fejer, Cod. dipl. 2, 111); meta — in qua est vlmus (ebd.
ect.); — ubi est posila vltima meta sub arboribus quercinis (ebd. p.
112). Et protenditur vsque ad arborem, que vocatur hungarice Tulg.
Urkd. (1181), (ebd. 2, 200). Juxta quercum unum agrum. (Urkd.
f. Kl. Wilhering, 1189, Stülz, Gesell, v. Kl. W„ p. 488.) Ad abietem.
(Schenkungsb. d. Propst. Berchtesgaden S. XII. Quellen z. Bayer, und
Deutsch. Gesell. 1, 240.) Usque ad quercum, ubi allodium terminatur
de Buchenscheit. (1196. Remling, Urkdb. v. Speyer 1, 132.) Ad
rubuiri Erlini.Urk. (1241) K. Wenzel. (Erben, Regest. Bohem. 1, 483.)
Tilia (1214. Fejer 3, P. 1, 473). Fagus (1223, ebd. p. 400). Es
waren dieses theils gewöhnlich geformte Bäume, wie die eben auf
geführten, theils durch ihre Gestalt ausgezeichnete. A platea usque
ad duplicem quercum (Marke 819 d. Kloster Michlenstat. Cod. Lau-
resliam. 1, 49). Qui habet terminos — ah Arbore formoso. (Urkd.
938 K. Lothar’s f. Kl. St. Michel de Cusan. Bouquet. 9, 621, c.)
Vbi secus litus site duo arbores pirus et populus. (Urkd. 1136 für
die Pfarrkirche v. ßratka. Fejer, Cod. dipl. Hungar. 2, 138.) Est ibi
arbor per quatuor partes divisa pro meta signata. ibd. inde ad per-
196 ) Et ad arborem quae vulgariter dicitur Melhaum. Urkd. (1036) f. Kl. S. Math, bei
Trier. Hontheim, Mist. Trev. 1, 369, cl. 1. Malbhom (1488) Riedel, Cod. dipl. Bran
denburg. 2, p. 93.
197 ) Du Gange, Gloss. v. arbor. 1, 360, cl. 3. In Havelberg erscheint (1429) sogar neben
dem „maeboem“ auch der Galgenbaum als Grenzmarke. Riedel, Cod. dipl. Branden
burg. 1, p. 44. Verletzung der Malbäume war mit Strafen belegt. Haut ainer march-
pwm oder panholcz, die auz gezaichent sint, man sol im haut u. har ab slahen oder
er sol ez lösen mit anderthalben pfunt pfenning. Kaiser Ludwig’s Rechts-Buch
(1346). Freyberg, Samml. 4,421. cnf. Rupprecht v. Freysing (1328) Stadt-und
Landr. p. 283, edt. v. Maurer. Weisthum V. Altenhaslau (1461). Jakob Grimm,
Weisth. 3, 416, §. 8. ln einigen Gegenden Österreichs wird die Verletzung der
Felberbäume mit Geldstrafen belegt. Kaltenbaeck, Pantaiding 1, p. 17, Nr. 49; p. 21,
Nr. 23; p.40, Nr.29; p. 30, Nr. 69; p. 33, Nr. 44; p. 198, Nr. 41 etc., doch scheint
dieser Baum hier nicht als Markbaum benutzt worden zu sein.
Sitzb. d. phil.-hist. Cl. XXI. Bd. III. Hft.
30
442
Georg Z a p p e r t.
foratam arborem. (1193, ebd. 286.) Et inde tendit ad duas arbores
in vnum coniunctas, quarum vna vlmus et altera quercus (1217, ebd.
p. 220 10s ). Oder man wählte Bäume, die durch ihre überragende
Höhe sich auszeichneten. Ad magnum quercum (122b. Fejer, Cod.
3, P. 2, p. 63. p. 132). VIT denn hoben Eichbaum. (Urkd. 1499.
Riedel, Cod. dipl. Brandb. 2, p. 98.) Zuweilen war es eine Baum
gruppe die als Marke diente. Usque ad stratam, que ducit ad locum,
qui dicitur ad tres quercus. (Bestät. 1196 d. Besitz d. Kl. Strüzel-
bronn. Beinling, Urkd. v. Speyer 1, 132 109 ). Wo ungewöhnliche Ge
stalt fehlte, ersetzte man diese künstlich, indem man die Rinde durch
Einschnitte kennzeichnete. Ibique est fagus signatus. Fejer 3.
p. 217, et ihi est nux signata ibd. ad alian quercum signatam. ihd.
p. 218 (und öfter dort), ad duas quercus signatas pro meta. p. 219.
(Urkd. 1217. König Andreas II. für das Agramer Bisthum. Fejer, Cod.
dipl. 2.) Urkd. 1274 für Freienstein (Riedel, Cod. dipl. Brandenburg.
2, 261). Bei der Grenzbestimmung zwischen Prillach und Neideck
(1292) versichern die Anwohner: validos et vetustos, arborum trun-
cos, in quorum stipitihus priusquam succiderentur signa se uidisse
limitaria (Boczek, Cod. dipl. Morav. 4, 390). Zwene berge vffgewor-
fener sein vnnd beume gezeichnet. (Urkd. 1499, Riedel, Cod. dipl.
Brandenburg, 2, p. 97.) 200 ) ln vorchristlicher Zeit war dieses Zeichen
wohl meist ein römisches Zehn 201 ), und indem man in christ
licher die beiden Querstriche lothreelit auf einander stellte, wurden
sie zum Kreuzzeichen: Crucibus super arbores connotantibus
(Urkd. 1214 K. Andreas II. Fejer, Cod. dipl. 3, P. 1, 471, 473).
Deinde ad arborem sorborum in qua duae cruces continentur. ibd.
p. 220, et inde ab arborem Eger, vbi est crux. (ibd.) et ibi est quercus
in qua est crux signata. (ibd.) 1228 (ibd. P. 2, 136, 139), 1232
(ibd. p. 280, 281), 123b (ibd. p. 43 8). 202 )
198 ) .1. W. Wolf, Beitrag z. deutsch. Mythol. p. 68.
199 ) enf. Jakob Grimm, Mythol. 1, 65. cnf. Martin, v. d. Aue, Erec p. 215, v. 7078, edt.
Haupt.
20 °) ln arborihus notas , quas tlecoreas vocant. Lex Baiuwar. Tit. XI, c. 3 sieut illa
incisio arborum scu lachus in ipsa die facta fuit. Urkd. (770) f. Kl. Lorch. Cod.
Lauresham. 1, p. 24. Gemarkte Bäume bei Angelsachsen (03111'.). s. Kemble, The Sax.
in Engl. 1, p. 53. Du Gange, Gloss. v- arbor. 2, 361, cl. 1. Jakob Grimm, Itechts-
alterth. p. 544.
201 ) Leg. Baiuwar. Tit. XII, c. 4. edt. Mederer p. 187.
202 ) Ilaltaus, Gloss. p. 214 u. 1299. Du Gange, Gloss. 2, 679, cl. 2.
Wien’s ältester Plan.
443
Dort wo man nicht den Bonifacischen Muth besass, einen heiligen
Baum (häufig zugleich Grenzbaum) umzuhauen, dürfte man ihn durch
ein eingeschnittenes oder daneben gestelltes Kreuz 203 ) christianisirt
haben, wo dann die Bezeichnung heilig, dein Baume, wenn auch im
christlichen Sinne, verblieb (cnf. Anmk. 194 ). Zuweilen beseblug man
Grenzbäume mit Eisen oder eisernen Nägeln 204 ), eine Rüstung,
die bekanntlich auch unseren Slok-im-Eisen deckt, die wahrscheinlich
allmählich verstärkt wurde um seinen morschen Leib vor gänzlichen
Zerfall zu schützen. Die Pietät jener Zeit bewährte sich auch an
solchen hochbetagten Grenzhütern; bereits Alters gebrochen zu
kronelosen Stämmen verkümmert, hielt treue Anhänglichkeit sie uner
schütterlich noch als Markzeichen fest. So können wir die Stadien
jener Eiche welche die Grenze des Waldes nächst der Burg Wildberg
markte, urkundlich verfolgen. Ungefähr gegen Ende des XI. Jahr
hunderts finden wir sie bezeichnet als: usque ad villam Teschingen
ad quercum sub qua fons finit (Mon. Boic. 28, P. 1, p. 188). Im Jahre
1212 wird ihrer gedacht als: in loco Teisching nominato a trunco
quercus fixo. (ibd. 29, P. 2, p. 71). 205 ) Um 1220 endlich erscheint
sie als gewesen: ubi fuit quercus de Teischinge (Urkdb. d. Land,
ob der Enns 1, 481, und Mon. Boic. ibd. p. 223).
Nach dem bisher Vorgebrachten werden wir uns zur Vermuthung
berechtigt halten, dass mit erfolgter Festigung des Christenthumes die
Axt unsern heiligen Hain niederlegte, und man zum Zeichen des
Sieges Christi hier eine (anfänglich vielleicht blos hölzerne) Capelle
erbaute 200 ). So errichtete der h. Bonifacius an der Stelle der von ihm
gefällten Donner-Eiche eine dem h. Peter geweihte Kirche (P. Mon.
203 ) cnf. W. Wolf, Beiti*. z. Deutsch. Mythol. p. 198. (1228) Ad vnam arborem piri
ubi est Crux. Fejer, Cod. dipl. Hungar. 3, P. 2, 136.
2Ö4 ) Ubi cruces in arbore quasdam, sed et clavos et lapides subterfigere jussimus.
Urkund. (328) K. Childebert I. f. Kl. Saint-Calais. Pardess. Dipl. gall. franc. 1, p.76.
cnf. Du Gange, Gloss. 1, 361, cl. 1. Man kann hiemit auch Gloss. v. meta ferrata 4,
387, cl. 2 verbinden.
205 ) Terra est in vno loco metis signata cum tribus truncis. Urk. (1193) d. K. ßela III.
f. d. Johanniter in Stuhlweissenburg. Fejer, Cod. dipl. 2, 288. A trunco quercus
fixo (1212) Stülz, Gesch. d. Kl. Wilhering p. 488.
206 ) Ob die Benennung der beiden ältesten Thiirme (der westlichen Seite) als „Heiden-
thürme“ sich an die Erinnerung des ehemals hier bestandenen heidnischen Haines
knüpfe, darüber dürfte uns wohl, wie in so vielen anderen Puncten der Frühgeschichte
Wien’s, nur Vermuthungen hegen zu dürfen gestattet sein.
30
444
Georg 1 Z a p p er t. Wien’s ältester Plan.
Germ. 2, 343). Romuald, Fürst y. Benevent, erbaute dort wo die Longo-
barden früher Bäume anbeteten, eine dem h. Felix gewidmete Kirche
(Benedicti c. 1001. Chrou.P. Mon. Germ. S, 701,1.5). Wigbert, Vor
gänger des Bischofes Thiedmar v. Merseburg (-j- 1018), vernichtete
einen slawischen Hain, Zutibure genannt, und errichtete dort eine dem
heil. Romanus geweihte Kirche (P. M. Germ. 5, 816, 1. 27). Gleichen
Vorgang dürfen wir, wie bemerkt, bei Fällung des heiligen Haines
Vindobona’s vermuthen, und an der Stätte, an der einst blutige Opfer
rauchten, hebt sich jetzt St. Stephan’s Dom empor.
Von den in der Sitzung der Gesammt-Akademie vom 28. Mai
d. J. Vorgeschlagenen haben Seine k. k. Apostol. Majestät mit Aller
höchster Entschliessung vom 12. November d. J.:
zum wirklichen Mitgliede dieser Classe:
das corresp. Mitgl. Hrn. Prof. Joseph Aschbach in Wien, zu
ernennen, und zugleich die Wahl:
des Hrn. Prof. August Schleicher in Prag, zum corresp. Mit
gliede im Inlande Allergnädigst zu genehmigen geruht.
ipperl. Wiens ältester Pinn.
cle domo v den- gcrfofcuf f-lvuf
dcdorno
^UNjt^riO \>re«.x( xxune^x m domo^n *c Are
unde r^dtTWjf
ii /
£
s
1
I I -i
CUrlN >1 ofxTA
[[CJ + 4- , ,
g)4ö £3
*'P ur ^freMvm
'5rclA ^«"dpei-rv
4* +<0^
§ °f
*r
k
<
/vT
ÄN'
^ *«**
<ä
<2
o
_JZ> cf
t^> v>^
• ^ , _<«
% A°
«?, r
+
öööllö^
<p] 111 ** Tö fvro
ft, pA) «r e
ir/ I
p
*
*4
S-
+ <$ £Ü>
_ «-
Oj
g/iv^e
vl>’
U’v^'T' + +
ö=£^
A)J^'T \V>lLxv m
P
£
o
-o
* 5)
* ** 4- &
% * V* p
% =1 ?
+ £
=1** A.
m s
a.a*S$9
Sil7.imgsli.l.k.Altail.l.W.p]iilos.liist>>r. t 1XXI. Itd.,!. HelVlita (i.
II
fl
,. ü .eJui ■: /.. 11 ‘-i-iii t
Ver/.eicliniss der eingegangenen Druckschriften.
44!»
VERZEICHNIS
dhr
EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(AUGUST, SEPTEMBER, OCTOBER.)
Academie des scienees de Lyon. Memoires. Vol. 5, 6.
Academie de St. Petersbourg. Compte rendu. 1851.
Accademia delle scienze di Bologna. Memorie. Tom. VI. — Indices
generales in novos commentarios.
3t td)^ orn, ©tgtnunb, ®ecgrapf)ifd)e SSert^eitung be§ @d)iefer=, ©djtdjtcu*
unb 59taffen=®efurgesS in ©teiernmtf. ©rat} 1856; 8°-
Akademie, kais. Leopold.-Karolin. der Naturforscher. Verhand
lungen. Bd. XVI, Abth. 2.
Akademie, k. preussische der Wissenschaften. Monatsberichte:
Juni, Juli, August.
Akademie der Wissenschaften zu Stockholm. Abhandlungen. 1852,
1853.
— Übersicht der Verhandlungen. 1854. (In schwed. Sprache.)
Annalen der Chemie und Phannacie. Bd. 99, Heft 1 —3.
Annales des mines. 1855, livr. 4, 5.
Annales de l’observatoire phys. central de Russie. 1853.
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Nr. 8, 9, 10.
Atti della fondazione scientif. Cagnola. Milano 1856; 8°-
Stufte ta, 3Bod)enfd)rift für 93o(f3mirtf)fdjcift unb Raubet, £eft 30—36.
©edler, 3>., ®ie römififyen Snfcbriften im ©ebiete ber @tabt granU
furt a. 59t., inäbefonbere ber 9tömer= Süct)ner’fct)en ©atnmhtng.
granffurt 1854; 8°-
38eobad)t ungen, magnetifcf)e unb ineteorologtfdje, §u 5ßrag. £eraugg.
uon Söl)m unb Äuncli Safyrg. 14.
446 Verzeichn iss der
Bianehi, P. J., Chronieon Spilimbergense nunc priraum in lucem
editum. Utini 1856; 4 0-
Bizio, Bartolomeo, intorno alla ragione dinamica delle soluzioni.
Modena 1852; 4 0-
Bizio, Gioy., intorno alla doltrina fisico-chimica italiana. Venezia
1856; 8o-
Bullettino Archeolog. Napolitano. Anno III.
Brücke, Ernst, Grundzüge der Physiologie und Systematik der
Sprachlaute für Linguisten und Taubstummenlehrer bearbeitet.
Wien 1856; 8«-
Bruhns, C. L., De planetis minoribus inter Martern et Jovem circa
solem versantibus. Berol. 1856; 8 0,
Caplin, J., The origin and use of the electro - Chemical bath ect.
London 1856; 8°-
Catalogo ed illustrazioni dei prodotti primitivi del suolo e delle
industrie della provinc. d. Vicenza etc. Vicenza 1855; 8°-
Catalogue des monnais byzantines qui cotnposent la collection de
M. Soleirol. Metz 1854; 8 0,
Ci in ent o, il nuovo. Mai bis August.
Cor n alia, Emilio, Monografia delBombice delGelso. Milano 1856; 4°-
Cosmos. Nr. 4'—18.
Egilson, Lexicon poeticum antiquae linguae septentrionalis.Fase. 2.
<§tfentofyr, 3S., Se^rbudj feer ipfjpftf ä um ©ebraudje bet aSortefungen
unb $um Setbftunterridjte. Stuttgart 1857; 8°-
Erlangen, Universitätsschriften aus dem Jahre 1855.
gfttting, $errmann, Über bert SBegriff tum £aupt= unb ©egenbettetb
unb öenuanbie fragen. Erlangen 1853; 8°-
— Über ben SSegriff ber SfMcEjie$ung. 16, 1856; 8°-
ftörfler, ©fyrtft., Qntgemeine Söaujeitung. §eft 6, 7.
Frapporti, Giuseppe, sugli intendimenti di Nicolö Machiavelli
nello scivere il principe. Vicenza 1856; 8°-
Frattini, Giov., Storia e statistica della industria manifatturiera
in Lombardia. Milano 1856; 8°-
©efdjtcf)tSbtditer aub ber @d)Wetj öon Jtopp. 33b. II, $eft 5.
©erbborf, 3., ©tnige 31ftenftü<fe jur ©efdjidjte beb fäd)ftfd)entßrinjen*
raubeb. atltenburg 1855; 8 0,
Gesellschaft, antiquarische, in Zürich. Mittheilungen. Bd. XI,
Heft 1.
eing-egangenen Druckschriften. 447
Gesellschaft, Allgemeine schweizerische für die gesammtenNatur
wissenschaften. Denkschriften, ßd. 14.
Gesellschaft, deutsche morgenländische, Zeitschrift. Bd. X,
Nr. 3, 4.
Gesellschaft, k. d. Wissenschaften zu Göttingen. Commentationes
recentiores. Vol. 1—8. 1811—1841.
©efellfdjaft, f. f. mäf)r. = fcfytef. beg 3lcfer&aue3 ic. SKttt&eilungen.
1856; Sftr. 1—16.
Gesellschaft, k. sächsische d. Wissenschaften. Berichte über die
Verhandlungen der philolog.-historischen Classe. 1855, lieft
1, 2. 1866, 1, 2.
— Berichte über die Verhandlungen der mathemat.-phys. Classe.
1864, 3. 1855, 1, 2. 1S56, 1.
— Berichte über die Abhandlungen der philolog.-hist. Classe. Bd. III,
Bogen 35, 36.
— Berichte über die Abhandlungen der mathem.-naturw. Classe.
Bd. V, Bogen 1—30.
Gesellschaft, naturforschende in Bern. Mittheil. Nr. 310—359.
Gesellschaft, physical.-medicin. in Würzburg. Verhandlungen.
Bd. VII, Heft 1, 2.
Geuns, J. van, und Schraut, J. M., over buitenbaarmoederlijke
Zwangerschap. Amsterdam 1855; 4°-
Gr über, Wenz., Monographie des canalis supracondyloideus humeri
et femoris der Säugethiere und des Menschen. St. Petersburg
1856; 4«-
G ru nert, Joh., Archiv der Mathematik und Physik. Bd. 26, Heft 1,4.
Guarini, S., Palmieri, L., Scacchi, A., sullo incendio Vesu-
viano del mese di Maggio. 1855. Napoli 1855; 8 0-
Hahn, Joh. G. von, Aphorismen über den Bau der auf uns gekom
menen Ausgaben der Ilias und Odyssee. Jena 1856; 8 0-
Halle, Universitätsschriften aus dem Jahre 1855.
Hof, Karl, E. A. von, Geschichte der durch Überlieferung nach
gewiesenen natürlichen Veränderungen der Erdoberfläche. Gotha
1822—1847, 5 Bände; 8°-
Istituto, I. B., Lombardo. Memorie. Vol. 5.
— Giornale. Nr. 45—48.
Istituto, I. R., Veneto, Memorie. Vol. 6.
— Atti delle Adunanze. Nr, 7, 8,
448 Verzeichniss (1er
Jahrbuch, neues, für Pharmacie und verwandte Fächer. Bd. VI,
Heft 1, 2.
Jahresbericht für Chemie etc. 1855; I.
Jahresbericht V. über die wissenschaftlichen Leistungen des
Doctoren-Collegiums der medicinischen Facultät zu Wien.
Jordan, Alexis,Memoires sur l’aegilops triticoidesetc. Paris 1856; 8°-
— de l’origine des diverses varietes ou especes d’arbres fruitiers
etc. Paris 1853; 8 0,
Keller, Adalbert von, Elblin von Eselsberg. Tübingen 1856; 8°'
Kiel, Universitätsschriften aus dem Jahre 1855.
Komis, Carol., Processus Villa nuova de Minho pars criminalis
discussione juridica pertractata. Rio de Janeiro 1856; 4 0,
Kreil, Karl, Magnetische und geographische Ortsbestimmungen im
österreichischen Kaiserstaate. 15. Jahrgang.
Lancia, Federico, Elogio di Pietro Calcara. s. 1. et d. (9 Exempl.)
Landgrebe, Georg, Naturgeschichte der Vulcane. Bd. 1,2. Gotha
1855—56; S<"
Lange, Ludw., Römische Alterthiimer, Bd. 1, Ber. 1856; 8 0-
Leipzig, Universitätsschriften aus dem Jahre 1855.
Lotos, 1856. Nr. 3—9.
Maatsehappij hollandsche der Wetenschappen teHaarlem. Natuur-
kund. Verhandelingen. Deel 11, 2.
Malagö, Pietro P., Statistica di operazioni e cura del tumore e
fistola lagrimale. Venezia 1851; 8°'
— Nozioni elementari intorno all’inflammazione. Ferrara 1844; S°-
— Recherches sur les formes cristallines et Ia composition chimique
de diverses sels. Paris 1856; 8 0-
Matzka, Wilhelm, Ein neuer Beweis des Kräftenparallelogrammes.
Prag 1856; 4°-
Mittheilungen aus Justus Perthes geogr. Anstalt. 1856. Nr. 1—6.
Mittheilungen der k. k. Centralcommission zur Erforschung und
Erhaltung der Baudenkmale. I. Jahrgang, 8—11.
Müllenhof, K., Über die Weltkarte und Chorographie des Kaiser
Augustus. Kiel 1856; 4 0,
Nardo, Dom., Sul potere aggregatore del ferro e sulla formazione
del cosi detto Caranto nell’ adriatico bacino. Venezia 1856; 5°-
— Sopra un semplice e facile mezzo di leggere distinto senza
lenti ecc. Venezia 1856; 4 0,
eingegangenen Druckschriften.
449
Nardo, Osservazione sull’ uso medico dei fegati. Venezia 1855; 8°-
— Sopra il potere che hanno alcuni olii essenziali facilmente ossi-
genabili ecc. Venezia 1856; 8 0-
Neve, Felix, Memoire sur la vie d’Eugene Jacquet. Bruxelles
1856; 4»-
Nicol et, H., Atlas de Physique et de Meteorologie agricoles. Paris
1855; Fol.
Observations faites ä l’observatoire magnetique etmeteorol.de
Helsingfors. Vol. I—IV.
■£>lfner, Subtuig, £>tego b’2lguitar imSafyre 1736. (5lu§ SCßert^etmet* 1 ^
3a$r6udj 1857.)
Plattner, Karl, Die metallurgischen Röstprocesse, theoretisch
betrachtet. Freiburg 1856; 8°-
Poesies Wallones. Nr. 1, 2. Liege 1842; 12 0-
Poey, Andre, Des characteres physiques des eclairs en boules.
Paris 1855; 8»-
— Supplement au tableau chronologique des tremblements de terre
ressentis a Cuba 1551—1855. Paris 1855; 8°-
— A chronolog. table of cyclonic Hurricanes which have occured
in the West-Indies and in the north Atlantic from 1492—1855.
London 1855; 8«-
— Projet d’installations d’un observatoire meteorologique a la
Havanne. Versailles 1855; 8°'
tRrato&ewera, ©bitarb, ®te feltifdyen unb romtfdjen 5Intifen in @teier-
marf. ®ta| 1856; 8°-
Programme und Jahresberichte der k. k. Gymnasien zu Böhmisch-
Leippa, Brünn, Feldkirch, Pilsen, Troppau, Tarnow, Neusohl,
Klattau, sowie der Ober-Realschule zu Ofen für das Jahr 1856.
Quellen zur bayerischen und deutschen Geschichte. Bd.I. Münch.; S 0-
Reichsanstalt, k. k. geologische, Abhandlungen. Bd. III.
— Jahrbuch, Bd. VI, Hft. 4. VII, 1.
Report of the Superintendent of the Coast Survey 1851—1854.
Washington 1852—1855; 4«-
Review, the natural history. Dublin 1856. Nr. 1 —11.
Riedel,Adolph,Novuscodexdiplomaticus.Bd. 10,11.Berlin 1856; 4 0-
Romanin, S., Storia documenlata di Venezia. Tom. IV, Nr. 4.
9td mer^Südbner, Slblapbitlfe, erteilt Won (Sarb. 9l(6ert w. S3ranben=
bürg bent 3Bei§frauenftofter ju gvanffurt. 1854; 8°-
450 Verzeichnis» der
Rom er-Büchner. Die Entwickelung der Stadtverfassung und die
Bürgervereine der Stadt Frankfurt a. M. Frankfurt 1855; 8 0-
Rostock, Universitäts-Schriften aus dem Jahre 1855.
Sallenave, Traite theoretique et practique sur l’epuisement pur et
simple de l’economie humaine, et sur les maladies chroniques
les plus repandues qui ont cette origine. Bordeaux 1856; 8°-
Sartorius v. Waltershausen, Gauss zum Gedächtniss. Leipzig
1856; S°-
Schroeder, Karl, La rotation souterraine de la masse ignee, ses
causes et ses consequences. Paris 1856; 8°- (12 Exempl.)
Seechi, Angelo, Descrizione del nuovo osservatorio del collegio
Romano. Roma 1856; 4°-
Societä, R. Borhonica, Rendiconto delle adunanze e de' lavori,
1855. Napoli 1856; 4®-
Societas scientiarum fennicae, Acta. Tom. IV, V. 1.
— Öfversigt af förhandl. 1, 2, 3.
Societd, R. d. Agriculture etc. de Lyon. Annales. Tom. VII.
Soeiete geologique de France. Bulletin. Tom. XIII. Feuill. 8—19,
61—65.
Soeiete helvetique des Sciences naturelles. Actes de la 40 session a
Chaux de fonds. 1855; 8 0,
Soeiete Lineenne de Lyon. Annales. Tom. 2.
Society, Asiatic of Bengal. Journal 1855, Nr. 7. 1857, 1, 2.
Society, Asiatic of Great ßritain. Journal. Vol. XV, 2. XVI, 1
Society, R., of London. Transactions. Vol. 145, p. 2. 146, 1.
— Proceedings Vol. VII, Nr. 11 —13, 15—22.
Soleirol, Notice sur les chiffres romains. Metz 1855; 8 0-
(10 Exempl.)
Spieget, ^r., Über bte iranifepe Stammmfaffung. SMncpen 1855; 4°-
St eil wag, C. v. Carion, Die Ophthalmologie vom naturwissen
schaftlichen Standpunkte. Bd. II, 1, 2. Erlangen 1855/56.
Tafeln zur Statistik der Österreich. Monarchie. Neue Folge. Bd. I,
Hft. 1—6.
Spterfcp, Ä., 3ttfection8=9Setfud)e an Spieren mit bem Snpatte p e ä
(SpoIera=©arme£S. sDWtncpen 1855; 8°-
Tübingen, Universitäts-Schriften aus dem J. 1855.
93erein, 9lttertpum^, in Sune&urg. ®te Tlttertpümer ber Stabt Süne=
bürg. Sief. 1, 2, 3.
eing-egangenen Druckschriften. 451
Verein, Göttingiselier, der bergmännischen Freunde. Bd. 3—7,
Göttingen 1833 : —56; 8 0-
Verein, historischer, der fünf Orte Lucern etc. Der Geschichts
freund. Lief. 12.
aßeretn, Ijtftor., für baS ©ropperj. Reffen. 3lrdjtb. SSb. 8, fjft. 3.
Verein, historischer für Niedersachsen, Archiv. 1853. 1,2.
SSeretn für £amburgifdje ©efdjicfyte. .giamburgtfdje ßtyronifen. £eft 2.
— ßeitfcprift. 9Ieue $otge. 33b. I, §ft. 2.
aßeretn, fnftor., »on unb für Öberbapern. S3b. 15, $ft. 2, 3.
— «r$fo. XV. 2, 3.
— Siapregbertdjt. 1854.
Verein, siebenbürgischer, für Naturwissenschaften. Verhandlungen.
Bd. VII, 1—6.
aßeretn jur Sefö'rberung beS ©artenbaneä in ben f. preup. Staaten.
Stielte £fleipe. Safjrg. II, 7—12.
Vering, Fried., Commentarius ad legem 4, §. 1 digestorum de
cond. inst. Heidelberg 1856; S 0,
Visiani, Roberto de, e Massolongo Abramo, Flora de' terreni
terziarii di Novale nel Vicentino. Torino 1856; 4 0-
Vriese, W. H. de, Memoire sur le camphrier de Sumatra et de
Borneo. Leide 1856; 4 0-
Weyer de Streel, La Cineide ou la vache reconquise. Poeme
national. Bruxelles 1854; 8 0-
aöifftröm, 3op. ßm., SapreSberidjt über bie botait. Qtrbeiten tc. (in
fdjtueb. Spraye) für 1850. ££)!. 1, 2. Stocfpolm 1855; 8 0-
Win necke, F. A.T., De stella rj coronae borealis duplici. Berolini
1856; 8»-
SBotnp, ©regor, Ätrdjltcpe Sopograppte tton SKapren. 33b. I, Stbtp. 2.
Zantedeschi, Franc., Descrizione di uno Spettometro. Padova
1856; 8°-
— Ricerche sulle leggi delle capillaritä. Venezia 1856; 8°-
Z ei ring, Ad., Das Normalverhälfniss der chemischen und morpho
logischen Proportionen. Leipzig 1856; 8 0-
8
' r'-^Dp
.Efajfr/^x JT^
yrry ^
a- Ja^^^jTjf^
Ä« TTxir- «
-<*äV r '
£Y
V ( >W^w
)|[fvy
|0Tgg
^ryWM^ :
vM|
►-*■*'• i/jrnwL—/~\,- .^j»- v J-v^ t
Lp
*r\ 7
w., f Ä
P »V ’"'vi AjJ / h-‘
Ww^S&i
*■ /\^C/y
,'■'1
/wys
i : J^y J'^Sjs
Srfc^^U,—. ^ A>f
■ '\^a
i J\ 5>' 27'3C
^V)V-L
N V.W ^
__(- ^|i^. ” yA- ■/*
v Jr^ii