81 „Über das Becken des Kabul." Ebenso wie für die Pflanzenkunde jene Gegenden unserer Erde besonders wichtig sind, wo die Arten eines Himmelsstriches in jene eines andern übergeben, ebenso ist es für die Untersuchun gen hinsichtlich der geistigen und geschichtlichen Ausbildung der menschlichen Gesellschaft mit jenen Ländertheilen der Fall, wo die Grenze einer Gesittung mit der einer andern Volkstümlichkeit zusammentrifft. Meistens, ja fast immer, findet dieser Übergang in den Gebirgen Statt, und da diese mit wenigen Ausnahmen auch zugleich die Scheidelinie der Pflanzenformen sind, so trifft oft das Eine mit dem Andern zusammen. Besonders reich an Ergebnissen sind jene Vereinigungspuncte der letzteren, wo das Hochgebirge gegen Sü den in eine Ebene ausläuft, und die Sonnenstrahlen eben so sehr durch die dichteren Luftschichten der Niederung an Wärme zuneh men, als durch ihre mehr senkrechte Stellung. Ein solches Land ist in Europa das nördliche Italien, wo die nördliche Pflanzenwelt mit der südeuropäischen der Halbinsel aneinandergrenzt. Hier ist es auch, wo der germanische Stamm sich an den romanischen an- scliliesst. Eine ähnliche Stellung, im grösseren Massstabe, findet in Asien Statt, wo die höchste Erhebung der Erde sich in eine Ebene verflacht, an welche sich eine mächtige Halbinsel anschliesst, Händlich in dem nordwestlichen Indien, wo indische Gesittung zu- sammentrifft mit jener der rauhen Gebirgsvölker Mittel-Asiens: da, wo die jedes Leben schonende Lehre der vielglaubenden Hindu übergeht in die Gewohnheit an Raub und Mord der im Deismus nur an das materielle Leben angewiesenen wilden Stämme. Dies Land ist das Becken des Kabul, der westlichen Quelle des Indus, ein Land, welches vor mehr als zwei Jahrtausenden Wichtigkeit durch Alexander des Grossen Zug erhielt, in welchem vor wenigen Jah ren das grässliche Schauspiel des Hinschlaehtens einer grossen Heeresabtheilung gegeben wurde, und welches bis in die neueste Zeit ein tief verschlossenes Geheimniss war, von den bösen Geistern der Raubgier und der Glaubenswuth bewacht. Diese Gegend, die westlichste Grenze des Hinduismus, aus welcher er durch die Mohammedaner fast gänzlich verdrängt wurde, Sitzl). d. phil.-liist. CI. I. Bd. G