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SITZUNGSBERICHTE
DER KAISERLICHEN
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AKADEMIE DIR WISSENSCHAFTEN.
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE CLASSE.
ACHTZEHNTER BAND.
WIEN.
AUS DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
IN COMMISSrON BEI W. BRAUMÜLLER, BUCHHÄNDLER DES K. K. HOFES UND DER
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K. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
1856.
SITZUNGSBERICHTE
DER
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN CLASSE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
ACHTZEHNTER BAND.
Jahrgang 1855. Heft I und II.
WIEN.
AUS DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
IN COMMISSION BEI W. BRAUMÜLLER , BUCHHÄNDLER DES K. K. HOFES UND DER
K. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
1856.
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INHALT
Seite
Sitzung; vom 7. November 1855.
Br. Freih. Hammer- Pur g st all, Bericht über die Fortsetzung des Druckes
der osmanischen Reichsgeschichte zu Konstantinopel 3
Gindely, Beiträge zur Geschichte der Zeit Kaiser Rudolfs II 17
Sitzung; vom 14. November 1855.
Chmel, Habsburgische Excurse. VI. (1. Abtheilung) 63
Sitzung vom 28. November 1855.
Pfizmaier, Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche vom Jahre
372. bis 346 vor Christo
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften
Sitzung vom 5. December J855.
Diemer, Kleine Beiträge zur älteren deutschen Sprache und Literatur (Fort
setzung) enthaltend:
XIV. Über Heinrich’s Gedicht vom „Allgemeinen Leben und der
Erinnerung an den Tod“
191
Scherzer, Die Indianer von Santa Catalina Istlavacan (Frauenfuss). Ein Bei
trag zur Culturgeschichte der Urbewohner Central-Amerikas . . . 2.27
Sitzung vom 12. December 1855.
Diemer, Kleine Beiträge zur älteren deutschen Sprache und Literatur (Fort
setzung) enthaltend:
XV. Über das Gedicht vom „Pfaflenleben“ 242
XVI. Heinrich’s Gedichte von dem gemeinem lebene und des todes
gehugde ............ 271
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften 311
5!
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHIL OSO PHIS CH-IIIS TO RISCHE CL ASSE.
XVIII. BAND. I. HEFT.
JAHRGANG 1855. — NOVEMBER.
1
SITZUNG VOM 7. NOVEMBER 18S5.
Gelesen:
Bericht über die Fortsetzung des Druckes der osmanischen
Reichsgeschichte zu Konstantinopel.
Von dem w. M., Dr. Freiherrn Hammer-Pnrgstall.
Vor einem halben Jahrhundert, d. i. im Jahre 1804 des laufenden
Jahrhunderts erschien zu Konstantinopel die letzte gedruckte Reichs
geschichte, nämlich die des Reichsgeschichtsschreibers Wafsif als
die Fortsetzung der früher gedruckten Naima’s, Raschid’s, Kara
Tschelebifade’s, Ifi’s und Ssubhi’s, welche den Zeitraum v. J.
d. H. 1001 (1592) bis ins J. d. H. 1187 (1773) umfasst, d. i. bis
ins Jahr vor dem Frieden von Kainardschi (richtiger Kainardsche) 4 )
geht und zwei dünne Foliobände stark; die Fortsetzung beginnt
unmittelbar nach dem Frieden von Kainardsche, d. i. mit Ende des
J. d.H. 1188 (1774) und endetmitdem Tode des Königs von Preussen,
d.i. mit dem zweiten Jahrhundert der Hidschret i. J. 1787 unmittelbar
*) Kainamak heisst im Türkischen sieden, Kainardsche, das kleine Auf-
siedende, der heisse Sprudel; wirklich ist der Frieden von Kainardsche der
heisse Sprudel, aus dem so vieles Unheil und der gegenwärtige Krieg der Türkei mit
Russland quoll. Hoc fontc derivata clades inque -patres popidumque flaxit. Die
russische Sprache welche gerne das c fremder Wörter in i verwandelt, machte aus
Kainardsche, Kainardschi oder Kainardschik, wie aus Bagdschesera,
d. i. Gartenpalast Bagdschiserai, ausGerai dem Familiennamen der Chane der
Krim Girai. Wer daran zweifelt, dass das erste das richtige, schlage das zu Konstan
tinopel gedruckte persisch-türkische Wörterbuch des Ferhenge Schuurinach,
wo im ersten Bande Bl. 307 unter der fünften Bedeutung des Wortes Gerai die
Erklärung dieses Beinamens der Chane der Krim zu finden.
1*
4
Dr. Freiherr Hammer-Purgstall.
vor Ausbruche des Krieges mit Russland und Österreich, zwei Bände
Gross-Octav oder Klein-Quart, der erste von 361 und der zweite von
364 Seiten, mit dem Titel: Die Geschichte Dschewdet’s.
Dschewdet der dermaligeReichshistoriograph ist der literari
schen Welt bereits durch eine poetische Blüthenlese welche zu
Konstantinopel im Druck erschienen, vortheilhaft bekannt; die Achtung
die er sich dadurch in Europa erworben, vergrössert sich durch das
vorliegende Werk welches sich vor allen bisher gedruckten Ge
schichten und Reichsgeschichten auf das Vortheilhafteste, so im
Äusseren als im Inneren, auszeichnet; nicht nur ist das gewählte
Format weit gehäbiger als das bisher übliche unbequeme Folio
und der Druck ein besserer, sondern auch die Schreibart welche
zur Einfachheit Naima’s zurückgekehrt, vermeidet den unerträg
lichen Schwulst seiner Vorgänger Ifi und S subhi, und vermeidet
die Schimpfwörter auf die Christen unter dem Namen der Giauern,
d. i. der Ungläubigen, welches nur eine Umlautung des arabischen
K,afirün welches ursprünglich die Verfinsterer und die Un
dankbaren 1 ) bedeutet.
Dschewdet wetteifert mit Naima, welcher seiner Ge
schichte eine Abhandlung über die Vortheile des Studiums der
Geschichte vorausgesendet hat, auch hierin, dass er seinem Werke
eine in zwölf Abschnitte getheilte Abhandlung vorausschickt, deren
Inhalt der folgende: 1. Über die Nothwendigkeit und den Nutzen der
Geschichte; 2. über die Eintheilung der Reiche in Monarchien (unum
schränkte und beschränkte) und Republiken; 3. über den Ursprung
moslimischer Reiche, das Chalifat, die Beni Omeije, die Beni Abbas,
die Beni Ejub; 4. der Ursprung des osmanischen Reiches im Jahre
d. H. 699 (1299) und die Befestigung desselben durch die Eroberung
*) Somehow the word Giaour always gives me an odd fceliny in my knuckles sagt
der ehrenwerthe Herr W aipole, der geistreiche Verfasser der dreibändigen Reise
beschreibung welche den Titel the Ansayrii führt (II. 156), aber er hat Unrecht mit
Herbelot das Wort vom persischen Gebe herzuleiten, indem die Wurzel K ef er e,
von welcher die arabischen K^afi run und die türkischen Gi a u ern stammen, ur
sprünglich nichts als er ist undankbar gewesen, öderer hat verfinstert
heisst; wirklich sind die Verfinsterer die grössten Undankbaren; das beste arabische
Wörterbuch, derKamus, gibt hierüber (II. 100, Konstantinopolitaner Ausgabe) die beste
Auskunft. Ausserdem, dass dieK,afirun im Koran oft genug Vorkommen, beweiset
das Wort der Überlieferung el-kofrun milletun wahidetun, d. i. die Ungläubigen
sind nur Ein Volk — am besten, dass das Wort schon zu Mohammed’s Zeiten längst ein
arabisches, nicht erst seit dem Islem von den Persern hergenommenes war.
V
Bericht über den Druck der osmanischen Reichsgeschichte zu Konstantinopel. 5
Konstantinopels nach dem Überlieferungsworte: sie werden Kon
stantinopel erobern, welch ein guterEmir, der Eroberer!
und welcheingutesHeer, daseroberndeHeer! 5. Über
blick der Begebenheiten von der Eroberung Konstantinopels bis zur
Regierung Suleiman’s des Gesetzgebers; 6. von der Zeit Suleiman’s
des Gesetzgebers bis zum Tode Fafsil Ahmed Paschas, d. i. des
zweiten Köprili; 7. von dem Tode Fafsil Ähmed Paschas bis zur Zeit
Damad Ibrahim Paschas, des Grosswefirs Ahmed III.; 8. von der Zeit
Ibrahim Paschas bis zum Tode er-Ragib Paschas, der ein grosser
Gönner der Dichter und ein grosser Liebhaber der Tulpen; 9. die
seltsamen Begebenheiten welche sich von der Zeit Ragib Paschas bis
ins Jahr 1188 (1774) zutrugen, darunter die Entthronung Peter III.
und die Ermordung desselben durch Katharina II. (grösserer Sicher
heit Avillen, steht Dschewdet), der Krieg mit Russland und der
Frieden vonKainardsche der seiner ganzen Länge nach eingeschaltet
wird; 10. Überblick (Feslike) der Begebenheiten bis zum Beginne d. J.
d. II. 188 (1774); 11. die ursprünglichen Bande zwischen der hohen
Pforte und den Chanen der Krim; dieser Abschnitt enthält zwar nicht
eine trotz der histoire de la Tauride von Siestrenzewitz und des
Marquis von Castlenau histoire de la nouvelle Rtissie noch zu
schreibende Geschichte der Krim unter osmanischer Herr-
s c h a f t, aber wohl einige der wichtigsten und glänzendsten
Puncte derselben unter den Chanen Mengligerai, Seadetgerai,
Ssahibgerai, Dewletgerai, Gafigerai, Behadirgerai,
Islamgerai, Hadschi Selimgerai, also nur acht Chane von den
siebenundfünfzig Regierungen derselben, welche in der Geschichte
des osmanischen Reiches aufgeführt sind; 12. über den Geist und
die Verfassung der vorliegenden Geschichte. Es ist des Geschichts
schreibers Pflicht, sich aus den Quellen über die Wahrheit der von
ihm erzählten Begebenheiten genau zu unterrichten, hlos rhetorischer
Styl hat kein historisches Verdienst. Die arabischen Geschichts
schreiber vermengen oft diese beiden ganz verschiedenen Zwecke der
getreuen und schönen Erzählung; der Verfasser setzt sich hlos
den historischen zum Ziel, und macht keinen Anspruch auf Schönheit
des Styls, wiewohl der seine der klaren Erzählung der Thatsachen
angemessen, und da der grösste Theil des Inhalts diplomatische Ver
handlungen betrifft, eigentlich ein diplomatischer der alle Unhöflich
keiten vermeidet, zu nennen ist, er sagt weiters: „Die jährliche
6
Di*. Freiherr II a m m er-P u r g s t a 11.
kaiserliche Überwanderung von dem Winterquartier in die Sommer
frische, und von dieser in den Winterpalast, das jährliche Auslaufen
der Flotte im Frühjahr und die Rückkehr derselben in das kaiserliche
Arsenal, die dreimonatliche Auszahlung des Soldes an die Truppen,
die Verleihung von Ämtern und die Beförderung der Ulema nach
ihren verschiedenen Graden, die wissenschaftliche Vorlesung welche
alljährlich Anfangs des Monats Ramafan in Gegenwart des Sultans
stattfindet, der Besuch des edlen Kleides (des Prophetenmantels),
die Vomstappellassung von Schilfen und die dabei üblichen Gebete,
die Erzählung dieser Begebenheiten wird nur, wenn sich dabei etwas
Aussergewöhnliches begeben, der Geschichte einverleibt.“ Was die
Begebenheiten betrifft, die sich i. J. 1188 (1774) nach dem Frieden
von Kainardsche bis zur Rückkehr des kaiserlichen Lagers von
Scliumla nach Konstantinopel ereignet haben, so bezieht sich der
Verfasser auf die (noch nicht gedruckte) Fortsetzung der Geschichte
Wafsif's, auf die Enweri’s und S chem ida ni sa de's, welche
seinem Werke als Quellen gedient, denen er Zusätze, theils aus
fremden Geschichten J ) und aus Conferenzprotokollen beigefügt.
Nach dieser Einleitung beginnt die Geschichte selbst als Chronik
nach den Jahren, in denen sich die Begebenheiten zugetragen haben.
Jede Begebenheit hat eine besondere Überschrift, so dass der Text
kein fortlaufender, sondern ein in kleine Stücke zerhacktes Ganzes
zu sein scheint; dieses den an fortlaufenden Text gewohnten Europäer
befremdende Aussehen gewinnt aber eine andere Gestalt, wenn man
sich denkt, dass die Überschriften der einzelnen Abschnitte eigentlich
nur die Stelle der kleinen Schrift des Inhaltes vertreten, welche sich
in ordentlich geschriebenen europäischen Geschichten an der Seite
jedes Paragraphes oben angegeben befindet. An den Seitenrand den
bei uns die Inhaltsanzeigen einnehmen, schreiben die Morgenländer
ihre Noten welche bei uns an den untern Rand der Seite oder an
*) Im Texte S. 85 steht adschem tarichlerinden, was nicht mit der gewöhnlichsten
Bedeutung von persischen Geschichten, sondern mit fremden G es chi eil
ten zu übersetzen ist, denn persische Geschichten sind nirgends angeführt, und
die hier gemeinten fremden Geschichten sind offenbar nur französisch e,
wie aus der türkischen Aussprache fremder Namen erhellet, indem zum Beispiel der
Name des Kaisers Joseph, immer französisch lautet. Es wäre weit besser gewesen,
wenn der Verfasser das Arabische, im Koran als Name des ägyptischen Joseph’s oft
vorkommende Jusuf gebraucht hätte, indem der Name des ägyptischen Joseph’s
und der des Nährvaters Christi doch einer und derselbe ist.
Bericht über den Druck der osmnnischen Reichsgeschichte zu Konstantinopel. 7
das Ende der Hauptstücke verwiesen werden, wohin auch die Staats
schriften, oder andere rechtfertigendeSchriften gehören. Der Morgen
länder schaltet diese in dem Texte seihst ein, so wie die Chronograme,
womit die Daten merkwürdiger Begebenheiten gefeiert werden, und
Sprüche oder Verse welche auf die erzählte Begebenheit passen;
die Sprüche sind dreierlei, nach den drei Sprachen arabische,
persische und türkische, und dreierlei nach dem Inhalte: Verse des
Korans, Worte der Überlieferung und Sprichwörter, Verse und Halb-
verse, Distichen; die Einmischung derselben in die Erzählung des
Geschichtsschreibers ist bei den Morgenländern durchaus üblich, und
findet sich als Nachahmung derselben nur in spanischen Geschichten,
wie zum Beispiel in der fabelhaften Geschichte der C eg r l'e s und
Aben cerra ges des GinesPerez de Hita. Zu den vom Verfasser
im letzten Capilel seiner Einleitung erwähnten alltäglichen und keines-
weges der Geschichte nützenden Begebenheiten die er nur dann zu
erzählen verspricht, wenn sich dabei nur etwas Aussergewöhnliches
begibt, hätte er noch ein halbes Dutzend anderer hinzuschreiben
können, welche mit ihren Daten in den osmanischen Reiclisgeschichten,
oder vielmehr Chroniken regelmässig wiederkehren, ohne dass daraus
für den Leser der Geschichte ein besonderer Nutzen erwächst; solche
sind: die Geburten, Vermählungen und Todesfälle von Prinzen oder
Prinzessinnen, die Prüfungen der Ulcmas, die Feuersbrünste, die
Absetzungen, Verbannungen und Hinrichtungen; die letzten in so weit
durch dieselben nur politische Gegner (grösserer Sicherheit wegen)
aus dem Wege geräumt werden, und von denen in diesen zwei
Bänden noch beiläufig ein halbes Hundert vorkömmt, werden in
den künftigen Reichsgeschichten oder vielmehr Reichschroniken der
Osmanen, Dank ihrer Sittignng durch europäischen Einfluss, gänzlich
verschwinden, denn mit der Hinrichtung gemeiner Verbrecher sollte
sich die Geschichte des Reiches nicht beflecken. Würdige Gegen
stände der Reichsgeschichte sind nur die grossen Thaten des Krieges
oder des Friedens, die Fortschritte der Cultur und Literatur, neu
aufgeführte Bauten, oder grosse F’euersbrünste in welchen dieselben
zu Grunde gehen, Gesetze welche die innere Ordnung des Reiches
und die Polizei desselben betreffen, und wenn es auch nur Luxus
gesetze oder Kleiderordnungen wären, die Verhandlungen mit fremden
Mächten durch Gesandtschaften und Minister-Conferenzen, von denen
Dschewedet Efendi sorgfältig die Protokolle gesammelt und den
8
Dr. Freiherr Hainmer-Purgstall.
Text mancher Senede und verbindlicher Urkunden geliefert hat,
welche bisher nirgends als hier gedruckt zu linden sind. Wir über
blicken nun den Inhalt der Geschichte selbst, welche auf der 86. Seite
mit den Begebenheiten des Jahres 1188 (1774) nach dem Frieden
von Kainardsche beginnt.
Nach der Erwähnung eines Besuches des Sultans beim Mufti,
der Absetzung des Kiflar Aga und der Verbannung eines Molla nach
Tatardsehick, geht die Geschichte sogleich in die Händel der Krim
ein, welche, wie schon gesagt, das Hauptaugenmerk des Verfassers,
so, dass die Verhältnisse der Pforte zur Krim, und die Streitigkeiten
welche sich desshalb mit Russland erhoben, und die wegen derselben
vom Frieden von Kainardsche bis zu ihrer Abtretung gepflogenen
Verhandlungen, eingereichten Denkschriften und geschlossenen Ver
träge der rothe Faden sind, welcher durch das ganze Werk lauft.
Im folgenden Jahre 1189 (1775) langen der ägyptische Tribut, aber
auch die abgeschnittenen Köpfe Osman Paschas, Arabogli’s, Abdi
Paschas des Statthalters von Anatoli und Seinel's bei der hohen Pforte
an. Couriere der Tataren (S. 109) beklagen sich über die ÜbergritTe
der Russen, von denen Fürst Repnin als Botschafter kömmt. In
Persien herrscht fend Kerimchan mit unumschränkter Macht; im
Jahre 1190 (1776) erheben sich Unruhen zu Bassra und ein (S. 132)
aufgenommenes Fetwa rechtfertigt die Anstalten des Padischah Abdol-
hamid zur Züchtigung von Rebellen; in der Nähe der neuen Moschee
wird der Grund zu einer Armenküche gelegt (S. 134), die Kleider
ordnung wird hergestellt (S. 135) und närrische Trachten verboten
(S. 139), der Chan von Aferbeidschan neigt sich der hohen Pforte
zu und an Hosein Älichan, den Chan von Eriwan, gehen ein gross-
wefsirliches Schreiben (S. 143) und ein Ferman ab (S. 150).
Das Jahr 1779 (1192 d. H.) brachte noch einige abgeschnittene
Köpfe der hohen Pforte und die Nachricht von dem Tode Maria
Theresia’s der guten Freundinn und getreuen Naehbarinn der hohen
Pforte; im folgenden Jahre ward Mohammed Ifetpascha Grosswesir,
ein Chathischerif erging wider den Luxus der Mundstücke der Pfeifen
welche gewöhnlich aus Bernstein, unnöthigerweise mit Gold und
Edelsteinen verziert wurden; bei Gelegenheit dieses Verbotes macht
der Verfasser einen Abstecher (S. 288) (Ithiräd) über das vor
malige Verbot des Tabakrauchens überhaupt und über die Frage ob
es nach dem Gesetze erlaubt sei zu rauchen; es hatte eine Prüfung
Bericht über den Bruck der osmanischen Reichsgeschichte zu Konstantinopel. 9
der Danisclimende, d. i. der Studenten der verschiedenen
Medreseen Statt, welche insgemein mit dem persischen Namen
Sochta, d. i. die Verbrannten bezeichnet werden, und von zweihun
dert Geprüften erhielten dreissig Muderrisstellen; minderes Interesse
als diese Prüfung und Beförderung hat das kaiserliche Handschreiben,
womit hei der Feierlichkeit des ersten Bartscherens des Prinzen
Suleiman sein Vater der Sultan Abdulhamid dem Gross wefir einen
mit schwarzem Fuchs ausgeschlagenen Kontusch sendet (S. 29S). An
die Stelle Mohammed Ifetpaschas wird Chalil Hamid Efendi, der
bisherige Kaija, Grosswefir und der Tschausc hb as c hi (Hof
marschall) Nafif Efendi abgesetzt; eine Randnote bemerkt, dassNafif
Efendi der Gemahl der Tochter Abdulhamid’s der Prinzessinn Scheh-
(
war, welche dem Sultan Abdolhamid, als er noch nicht den Thron
bestiegen hatte, geboren ward, wesshalb ihr auch nicht der Name
Sultan, d. i. Prinzessinn gegeben, sondern sie nur insgemein Chan um
(gnädige Frau) betitelt ward (S. 302); den Schluss der Begeben
heiten dieses Jahres und des ersten Bandes machen die Conferenzen
mit dem spanischen Gesandten und der in einundzwanzig Artikeln
mit Spanien abgeschlossene Vertrag welcher der Länge nach aufge
nommen ist (307-*-331).
Der zweite Band beginnt mit dem J. 1196 (1781) und der Wahl
B eh ädirgerai’s als Chan der Krim, worauf sogleich die mit dem
russischen Gesandten mit der Krim gehaltenen Conferenzen folgen;
auf der S. 9 (durch Druckfehler steht 90) wird am Rande bemerkt,
dass der vor zwei Jahren nach Cirkassien gesandte Ahmed Pascha ein
Sohn des unter dem Namen Chänogli berühmt gewordenen tscher-
kessischen Häuptlings sei; die Verhandlungen wegen der Krim und
die durch die Verwicklungen der Krim veranlassten Schreiben des
Grosswesirs und des Kaija, dann die darauf stattgefundene Be-
rathschlagung wegen der Krim und die eingereichten Denkschriften
des russischen und österreichischen Gesandten füllen die ersten vierzig
Seiten des zweiten Bandes, hierauf beginnt das Jahr 1197 (1782)
mit der Beratschlagung hierüber und Rüstungen des Krieges. Da
russische Truppen in die Krim einmarschirten, so verliess selbe Gafi-
gerai Sultan, der Sohn Arslangerai’s, und floh nach Bessarabien.
Angebliche russische Erklärungen über den Einmarsch seiner Truppen
werden verlautbart (S. 64); auf der vorhergehenden Seite wird am
Rande geographisch lemerkt, dass der Kuban sich in zwei Arme
10
Dr. Freiherr Hammer-Purgstall.
theile, wovon der eine ins schwarze, der andere in das assowische
Meer fällt, dass die dadurch gebildete Insel Taman heisst, und dass
die Steppen welche von der Mündung des Flusses bis an die
Kabartha reichen, das Land Kuban heisst. In diesem Jahre wurde
zu Konstantinopel ein neues Corps von Artilleristen geschallen, welches
den Titel der (liegenden Artillerie (surät topdschiler) erhielt und
deren Einrichtung in zehn Artikeln gegeben wird (S. 57 — GO).
Schahingeräi wird zum Chan der Krim ernannt (S. 157),
die Denkschrift die der Reisefendi dem Grosswesir übergeben
(S. 159), der Vortrag des Grosswesirs (S. 162) und das darauf
erlassene Chathschrif (S. 162) werden mitgetheilt, i. J. 1198(1783)
erscheint ein indischer Gesandter an der Pforte; (S. 171) ist die erste
wider eine Behauptung des zu Konstantinopel gedruckten Gülscheni
Chulefa (Rosenbeet der Chalifen)gerichtete Note und es erscheint
zum ersten Male in der osmanischen Geschichte Abdol - W efyfyäb aus
Nedschd (S. 174), der Stifter der neuen Lehre. Dewlctgerai,
welchen die Pforte vor Schahi ngerai zum Chane der Krim ernannt
hatte und der von diesem verjagt worden war, kam nach Konstantinopel
und starb zu Wife in seinem Palaste; die Lehenssachen der Saime
und der Inhaber vonTimaren wurden geordnet (S. 181); Köprili
Chalil Efendi der an der Moschee der Prinzen seit zwanzig
Jahren mit einem Commentare der Koransexegese Beidhawi’s be
schäftiget war, vollendete dieselbe (S. 184), Patent der Lehens
ordnung (S. 185) mit dem dazu gehörigen Chathscherif. Nachdem
zu Ende dieses Jahres eine allgemeine Rathsversammlung (S. 192)
gehalten, und in derselben Rüstungen wider Russland beschlossen
worden waren, wurde mit dem neuen Jahre 1199 (1784) den fremden
Gesandten eine Denkschrift mitgetheilt, worin die Übergriffe der
Russen durch die Unterstützung Schdlvingeräi’s auseinandergesetzt
waren, die Pforte hatte an Schäkingeräi’s Stelle den.Selim-
gerai zum drittenMale als Chan ernannt (S. 198), die Geschäfte der
Krim wurden in der Gegenwart des Grosswesirs berathen (S. 200),
eine Randnote berührt den Bau Sebastopols auf der Stelle des Dorfes
Akiar auf der südlichen Seite des Limans von Awlita. Wichtig
für die Religionsgeschichte ist der Artikel welcher Verhinderung
der Anstellung eines Patriarchen der katholischen Armenier über
schrieben ist (S. 203) mit der vom Reisefendi abgefassten Denkschrift
(S. 204), bei dieser Gelegenheit belehrt der Verfasser seine Leser
Bericht über den Druck der osmanischen Reichsgesehichte zu Konstantinopel.
über die religiösen Oberhäupter der verschiedenen christlichen
Kirchen, nämlich den Papst, den griechischen Patriarchen, über den
armenischen der Schismatiker und über die Protestanten welche kein
geistliches Oberhaupt anerkennen (S. 205). Im J. 1203 (1788) treten
abermals die diplomatischen Geschäfte in den Vordergrund (S. 225),
die Conferenzen mit dem russischen Gesandten (S. 231) führen
endlich zum erläuternden Vertrage von Ainalikawak, welcher unter
dem Namen: Convention explicatoire du iraite de 1774 entre la
Russie et la Porte ä Constantinople bekannt , welcher in seiner
ganzen Länge eingeschaltet wird. Gesandte aus der Krim bitten um
das Diplom der Herrschaft für Schäpingen äi (S. 242), worüber
Conferenzen gehalten werden ; mit Russland wurde ein Handels
vertrag verhandelt (S. 256) und den Gesandten von Frankreich und
England eine Denkschrift überreicht um die Parteilosigkeit der
Pforte zu erklären (S. 260), der armenische Patriarch wird, nachdem
sich der kaiserliche Hof wiederholt wider ihn beschwert hatte, abge
setzt und die Absetzung dem zu Wien J ) befindlichen französischen
Gesandten kundgegeben, der Reichshistoriograph Enweri über
reicht einen Band Reichsgeschichte, wofür ihm der Sultan durch
einen Chathscherif zwei Tausend fünfhundert Piaster (damals 3000
Gulden) als Geschenk anweist.
Die Bewegungen der Krim treten abermals in den Vordergrund,
die wegen des Einmarsches der Truppen in der Krim ausgestreuten
Erklärungen erscheinen als falsch und scheinen das Machwerk eines
zum Krieg aufhetzenden Hofes zu sein. B ehädirgerai, der ältere
Bruder S chäpingeräi’s, welcher, nachdem diesen die Russen als
Chan der Krim eingesetzt, eingesperrt und dann nach der Besitz
nahme der Krim durch die Russen wieder in Freiheit gesetzt wurde,
in Rodosto angesiedelt, wo er i. J. 1206 (1791) starb (S. 70). Eine
marokkanische Gesandtschaft kömmt mit Geschenken (S. 76) und wird
durch ein arabisches Staatsschreiben (S. 80 ■— 82) des Sultans
freundschaftlich erwidert. Verhandlung des russischen Handels-
i) Wien heisst in den alten türkischen Reichsgeschichten B e d s eh und der römische
Kaiser ß edsch Kiraii, d. i. der König von Wien. Dschewdet Efendi gebraucht das
Wort V i a n a (das französische Vienne), statt das deutsche W i e n zu gebrauchen, was
doch weit türkischer lauten würde, da es so gut mit P er w in und Sch ir in reimt.
9
12
Dr. Freiherr Hammer - Purgstall.
Vertrages dessen einundaehtzig Artikel nicht weniger als zehn Blätter
füllen (S. 85 — 109), Englands Vermittlung zwischen der Pforte und
Russland wegen der Krim (S. 112), der amerikanische Krieg (S. 114
—120), der Chan Heraklius, der Herr von Georgien Karduel und
Kaket, begibt sich unter russischen Schutz (S. 122), Berathung der
Kriegsrüstungen wider Russland in der Wohnung des Mufti (S. 124),
die Kriegserklärung wird aufgeschoben (S. 132), freie Schifffahrt für
Österreich auf dem schwarzen Meere (S. 135), eine Randnote dieser
Seite bemerkt, dass der Grosswesir insgemein Ssähib Dewlet,
d. i. der Inhaber des Hofes, oder des Reiches heisse; dass Englands
Generale und höhere Beamte in Indien noch heute den Ehrentitel
Ssähib führen, ist bekannt; Verhandlung des Barbaresken-Seneds
mit Österreich (S. 136), Anstellung österreichischer Agenten in der
Moldau und Walachei (S. 143), hierauf folgen einige merkwürdige
Sterbefälle gelehrter Männer: der des Bali hi Efendi’s des Mystikers,
des Protomedicus A als,if Efendi, des aus der osmanischen Geschichte
hinlänglich bekannten Reis Efendi Omer, welcher den IbnChaldün
grösstentheils auswendig wusste (S.l 48), der ßehdschet Efend i’s,
der des durch seine Gesandtschaften nach Wien und Berlin und durch
ein politisches, von Dietz übersetztes Werk und durch eine Geschichte
der Reis Ende (Sefinet er-Rüesä) bekannten Resmi Ahmed
Efendi, der des freizüngigen Abdolafif Efendi, welcher türkisch
und persisch dichtete, und der des ersten Tagebuchführers der
Kammer (Rufnamedschei ewel) Said Efendi, welche alle in diesem
Jahre starben, so dass dasselbe füglich, wie das 94. Jahr derHidschret
wegen des Todes von vielen Fakihen das Jahr der Fakihe bei
genannt ward 1 ), in der osmanischen Geschichte das Jahr der
Gelehrten beigenannt werden könnte, ln diesem Jahre ward auch
der Reichshistoriograph Enweri befördert und seine Stelle dem
Wäfsif Efendi verliehen; i. J. 1198 (1783) wurden dieKasernen der
Kaliondschi gebaut, welche eines der ansehnlichsten Gebäude der
Vorstadt Kasimpascha. Russland verlangt ein Sened wegen Abtretung
der Krim (S. 159), wogegen ein Memoire des preussischen Gesandten
warnet (S. 161). Dschewdet Efendi führt die ron seinem Vorfahrer
Wäfsif Efendi angestellten Betrachtungen mit dessen eigenen Worten
A ) 94 senetol- fukaha efon sebeb ki dschemi ef iscian wefai jaftend Hadschi
Chalfas chronologische Tafeln.
Bericht über den Druck der osmanischen Reichsgeschichte zu Konstantinopel. 13
an (S. 181), Berathung in der Wohnung des Mufti (S. 173), ein
genaues Protokoll der Stimmen der einzelnen Mitglieder dieser
Versammlung, Conferenz des Kapudanpascha mit dem englischen
Gesandten (S. 182), der russische verlangt kategorische Antwort
(S. 183), Inhalt verschiedener von osmanischen Staatsmännern hier
über eingereichter Denkschriften (S. 188), Betreibung des russischen
Gesandten (S. 193), der Sultan befiehlt durch Chathischerif eine
allgemeine Versammlung (S. 196), deren die Abtretung der Krim
dem Kriege vorziehendes Besultat fünf volle Blätter füllt. Betrach
tungen Wäfsifs Efendi hierüber, denen der Verfasser zum Theile
entgegentritt, das auszustellende Sened wird in einem besondern
geheimen Bathe welcher nur aus drei Gliedern bestand, in der
Kanzlei des Ministers des Innern gelesen und geprüft und dann mit
dem russischen ausgewechselt, das Sened das eben so kurz als der
Handelsvertrag lang, nur aus drei Artikeln besteht, wird (S. 219)
gegeben und dann ausgewechselt (S. 222). Um die Aufmerksamkeit
des Volkes auf die Abtretung der Krim zu zerstreuen, ward eben zu
rechter Zeit vom Statthalter Syriens aus Bassra ein Stein eingesendet,
worauf die Pussstapfen des Propheten (S. 223); die Ausbesserung
des Palastes von Bebek (S. 237), Einrichtung des Corps der Minen
gräber (S. 239). Die Gelegenheit der Wiederbelebung der seit
einigen Jahren stillgestandenen osmanischen Druckerei benützt
Dschewdet Efendi um im Kurzen die Geschichte der Druckerkunst im
Allgemeinen und dann der osmanischen zu Anfang des verflossenen
Jahrhunderts errichteten, und der daraus hervorgegangenen Werke
zu geben (S. 240 — 249). Frankreich trägt sich an, Officiere zur
Einübung der osmanischen zu senden (S. 249), was den Verfasser
zu Betrachtungen und zu Bemerkungen und Erscheinung des ersten
regelmässigen Heeres in Europa (S. 261) verleitet. Die erste regulirte
Truppe in Europa varen aber die Jauitscharen, was der Verfasser
nicht bemerkt. Verhandlungen mit Österreich wegen des Barbaresken-
Sened (S. 264), das in voller Ausdehnung gegeben wird (S. 266),
hierauf das an Östeneich wegen der Berichtigung der Grenze zu
Orsowa gegebene Stned, das nirgends gedruckt ist und auch im
Schistower Frieden uiter den bestätigten nicht vorkömmt, weil die
zugleich mit dem Frieden zu Schistow abgeschlossene Convention
diese Grenze berichtig. Französische Vermittlung der in Betreff der
Grenze zu Orsowa erlobenen Streitigkeiten, Conferenzen mit dem
14
Dr. Freiherr Hamme r-Purgstall.
spanischen Gesandten (S. 285 und 288), Staatsrath in der Wohnung
des Kiajas abgehalten (S. 393) und Finanzielles (S. 367), in der
Erzählung der Begebenheiten des Jahres 1199 (1784) schweift
der Verfasser hei Gelegenheit der von der Lady Montague zuerst
in Europa bekannt gemachten Einimpfung der natürlichen Blattern,
auf die von Dr. Jener eingeführte Einimpfung der Kuhpocken ab
(S. 342) und schliesst mit dem Tode Friedrich’s II., der aber nicht
wie (S. 361) gesagt wird, am 15., sondern am 17. August 1786
gestorben, endlich ist ausser der Abschweifung auf die Entstehung
der ßuchdruckerkunst und der Kuhpockeneinimpfung noch der auf
die Alchemie (S. 378) zu gedenken, wofür sich unter den grossen
Philosophen und arabischen Ärzten Bazes, und dawider Asicenna
erklärten. Unter den berühmten arabischen Alchemikern erwähnt der
Verfasser auch des Meisters Tograji, des Verfassers der durch Pococke
übersetzten Lamijet, nennt aber keineswegs den Dschildeg i, den
berühmten Alchemiker des achten Jahrhunderts der Hidschret, welcher,
wenn der Philosoph Furabi von den Arabern der zweite Aristoteles
genannt wird, der zweite Al geh er (el-Dschabir) zu heissen verdient.
Mehreres von dem Inhalte dieser zwei Bände zu sagen, verbietet
die Bücksicht für den künftigen Fortsetzer der osmanischen Ge
schichte, welcher dieselbe auch aus den Quellen der Reichshistorio
graphen schreiben wird, und welchem hier keineswegs vorgegriflen
werden soll. Es bleibt uns also nur übrig noch einige Zufälligkeiten
der vorliegenden zwei Bände hervorzuheben, namentlich die Korans
texte, die Worte der Überlieferung, die arabischen Sprüche und
die Verse in den drei Sprachen, von denen ohnedies der europäische
Geschichtsschreiber nur ausnahmsweise Gebrauch machen kann,
während bei den arabischen, persischen, türkischen Vers und Prosa
ineinanderfliesst und ohne Rücksicht auf die verschiedenen Gattungen
des Styles untereinander gemischt wird. Selbst dem Titel des zweiten
Bandes ist ein Vers beigesetzt.
An diesem Maaf von Ahmed Dschewde.’s Feder
Männer von Herz nehmt euch ein Beispiel ,edweder!
Auf der letzten Seite dieses Bandes ist eh Chronogramm in eilf
Strophen, dessen letzter Vers der h. Z. 1271 (1854), in welchem
der Druck des Werkes begonnen und vollencet ward. Die siebente
Strophe lautet:
Es schreibt Dschewdet was sich Irgibt im Reich
Mit einem Kiele, dem Wafsäfes gbich.
Bericht über den Druck der osmanischen Reiehsg-eschichte zu Konslantinopel. 15
Der liier dem Geschichtsschreiber ertheilte Lobspruch, dass sein
Styl dem Wafsäfs gleiche, ist so mehr ein übertriebener und nicht
passender, als Wafsäf das unerreichte Muster geschmückten Styles
persischer Geschichtsschreibung ist, worauf der Verfasser selbst, wie
wir aus seiner Einleitung gesehen, gar keinen Anspruch macht.
Die eingemischten Texte des Korans, Worte der Überlieferung
des Propheten, Sprüche und Verse kommen im zweiten Bande weit
häufiger als im ersten vor, und sind die folgenden:
Texte des Korans.
Gebt die Pfänder denen welchen sie gehören, zurück (I. 102
und II. 3o8).
Wie oft ward von einer kleinen Schaar ein grosser Haufe über
wunden (II. 138).
Frage sie um Rath im Geschäfte, und wenn du dir Etwas vor
nimmst, so vertraue auf Gott (II. 320).
Worte der Überlieferung.
Ausser der schon oben angeführten von der Eroberung Kon
stantinopels :
Die Ungläubigen sind nur Ein Volk (II. 192).
Ich werde Erdbeben senden meinen Dienern in günstiger Nacht,
wenn dasselbe einen Ungläubigen ergreift, so ist dies der ihm
bestimmte Tod, wenn es aber einen Gläubigen wegrafft, so ist es
Martyrthum.
Die Gläubigen sind eine Brüderschaft (II. 254).
Dies ist der Gegensatz von der Überlieferung: die Ungläu
bigen sind nur Ein Volk.
Die Weisheit ist ein verlorenes Schaf, der Gläubige nimmt sie
wo er sie findet.
Mit diesem ÜLerlieferungsworte beschönigen nicht nur häufig
Schriftsteller ihre Plagiate, sondern es dient auch dazu, neue von den
Europäern gelernte Einrichtungen vor den Augen der Moslimen zu
rechtfertigen.
Spräche und Sprichwörter.
Bereite dich zum Krieg, wenn du Frieden willst (I. 131). Dies
ist das lateinische si ns pacem. para bellum.
16
Dr. Freiherr Hammer-Pur gstall. Bericht etc.
Nothwendigkeit bringt in Verlegenheit (I. 98 und 141).
Der Mensch ist der Sclave von Wohlthaten (I. 98).
Die Geschäfte sind gebunden an ihre Stunden (S. 240).
Das Verderben der Truppen besteht darin, wenn ihnen zur Zeit
der Noth geschmeichelt, und wenn man sie braucht schön gethan wird
(S. 178).
Das Gute kömmt nicht zu spät (S. 231).
Die Vergeltung ist auch eine Art von That (I. 36, II. 312).
Die bösesten Geschäfte sind die Neuerungen (II. 335).
Die Menge der Kenntnisse verwirrt die Gedanken (II. 336).
Halbe und ganze Verse.
Dank’ Gott, dass er durch seine Gnade
Die Feindschaft in die Freundschaft hat verkehrt
Und dass dem Rufer langen Glücks der Zeit
Der Frieden sei das Allerbeste lehrt. I. 31 (persisch).
Vernünftiger Rath wirkt doch im Ganzen
Vielmehr, als Kampf mit Schwertern und mit Lanzen. II. 240 (türkisch).
Die Welt führt auf gar manches Spiel. (II. 228.)
Der Mann dess’ Trefflichkeit zu Hause unbekannt,
Erwirbt sich Manches, wenn er geht in anderes Land.
Dies kann im Schahbrett dir der Bauer schon beweisen,
Der oft zum König wird, durch das Verdienst vom Reisen.
II. 233 (arabisch).
Und wär er auch Prophetensohn, so würd’ er doch beneidet. S. 292 (persisch).
Er sah den Schnee, und sprach es regnet Schnee. (persisch).
Im Interesse der Geschichte überhaupt und besonders in dem der
künftigen Fortsetzung der deutschen Geschichte des osmanisehen
Reiches, wünscht der Berichterstatter, dass die gelruckte Fortsetzung
der Jahrbücher der Historiographen des osmanisehen Reiches recht
bald erscheinen möge!
Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II.
17
Beiträge zur Geschichte der Zeit Kaiser Rudolfs II.
Von Anton Giutlcly.
Die Regierung Kaiser Rudolfs II. charakterisirt sich durch
zwei Eigenschaften, durch ihre beispiellose Schwäche und durch
ihren Gegensatz in religiöser Beziehung gegen die Maxi-
milian’s II. Die Schwäche hatte für das gesammteReich die Folge,
dass ein Theil desselben, weil gänzlich vernachlässigt, dem Erz
herzog Mathias in die Hände fiel. Aber aus dieser negativen Thätig-
keit Rudolfs in Bezug auf die verlornen österreichischen und ungri-
schen Länder könnte noch lange nicht das grelle Bild seiner
Schwäche mit solcher Deutlichkeit hervortreten, wie aus seiner
positiven Thätigkeit in den böhmischen Kronländern. In Prag resi-
dirend und die Zügel der Regierung schlaff in seinen Händen haltend,
beschränkte er dieselbe auf die Abwehr von Angriffen auf seine poli
tische Macht, also auch hier nur negativ sie äussernd, und auf die
Wiedereinführung des Katholicismus, hierin allein angriffsweise
vorschreitend.
Im Allgemeinen mag man wohl glauben, es habe Rudolf, da
er seine kaiserliche Macht auf die Erreichung Eines Zweckes
verwandte, viel erreicht und wirklich den Protestantismus wenigstens
in so weit unterdrückt, dass derselbe nur in Bittschriften hervor
treten durfte und das Land einen katholischen Schein annahm. Wenn
wir aber einzelne, durch die Umstände und durch die Zwietracht
der Parteien bewirkten Siege Rudolfs, die nicht sein Verdienst
waren, abrechnen, so vermochte er, trotz allen Befehlens, Drohens
und versuchten Strafens kaum einen Prädicanten aus dem Hause
seines Patrons, kaum eine einzige Stadt zur Entfernung unkatholischer
Priester zu bewegen. Es ist unglaublich, aber wahr, dass manch
mal seinen Befehlen nicht einmal mit einer Bittschrift der Ungehor
samen begegnet, sondern dieselben einfach verachtet wurden, dass
er zehn und zwanzig Befehle in einer Sache erliess und eine und
mehrere Commissionen zur Untersuchung derselben anordnete, dass
aber diese ohne jede Wirkung blieben und er, müde des Streites,
Sitzb. d. phil—hist. CI. XVIII. Bd. I. Hft. 2
18
Anton G i n d e 1 y.
endlich von ihm abliess. Es scheint unglaublich, aber es ist wahr,
dass diejenigen welche an ihn mit Klageschriften sich wandten,
desshalb aus ihrer Heimat oder ihrem Wohnorte vertrieben, durch
seinen Schutz erst ins rechte Elend geriethen. In Fällen , wo ihm
von den Bedrohten mit offenem Spotte begegnet wurde und wo das
sanftmüthigste Herrscherherz wild aufgebraust wäre, fasste er erst
nach sechs bis zwölf Monaten einen Entschluss, und wiederholte
zum Höchsten seinen gegebenen Befehl. Es ist eine ganz ungerecht
fertigte durch die Thatsachen widerlegte Meinung, als habe unter
Rudolf in den böhmischen Kronländern der Protestantismus der
bekannten katholischen Gesinnung des Herrschers wegen eine Unter
drückung zu erleiden gebäht. Es wurde allerdings hie und da, wie
oben gesagt, ein kleiner Sieg durch Rudolf erfochten, allein zahl
reicher sind seine grossen Niederlagen; er befahl viel, man folgte
gar nicht, er besetzte das utraquistische Consistorium in Prag nach
seinem Belieben mit katholisch gesinnter Geistlichkeit; allein er
konnte nicht bewirken, dass die lutherischen Pastoren sich um dies
Consistorium kümmerten, noch weniger also demselben folgten.
Rudolf hatte den Schein einer Unterdrückung auf sich geladen, die
auszu führen er viel zu schwach war.
Ich nannte oben die zweite charakteristische Eigenschaft Rudol-
finischer Regierung einen Gegensatz zu der Maximilian’s. Hätte
Maximilian nicht in so entschiedener Weise die Protestanten be
günstigt, die Schwäche Rudolf’s wäre nicht so auffallend bei der
Erfolglosigkeit seiner Bemühungen hervorgetreten. Um den Gegen
satz beider Regierungen in vollster Schärfe würdigen zu können, ist
es nicht genug Beider Befehle im Ganzen und Grossen, sondern es
ist nöthig, sie im Detail zu betrachten, wodurch auf Beide ein über
raschendes Licht geworfen wird. Die Möglichkeit dieser Gegenüber
stellung des beiderseitigen Verfahrens im Detail bietet sich nur in
den böhmischen Kronländern, weil Rudolf nur in diesen wirksam
gewesen.
Ich will nur drei Episoden Rudolfinischer Regierung, heraus
gewählt aus einer zahlreichen Menge, erzählen, von denen jede
gleich grell die behauptete Schwäche Rudolfs nachweist, die erste
uns überdies Gelegenheit bietet, Maximilian’s und Rudolf’s, des
Vaters und Sohnes, Regierung einander gegenüber gestellt zu sehen.
Das Material für die zwei ersten wählte ich aus einer Ungeheuern
Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II.
19
Masse, grösstentheils Original-Correspondenzen, darunter vieler Ori
ginalbriefe Maximilians II. und vieler hundert Rudolfs II., die sich
in dem Kremsierer Archive vorfinden und deren vollständige Be
nützung mir die ausgezeichnete Liberalität des gegenwärtigen Fürst-
Erzbischofes verstattete. Woher die dritte Episode geschöpft, wird
seines Orts gesagt. Zweimal werden wir den Kaiser im Kampfe
gegen eine Stadt und zwar:
I. gegen Troppau,
II. gegen Z n a i m
und einmal gegen einen adeligen Herrn, nämlich :
III. gegen Herrn Linhart von Stampach in Böhmen
sehen.
I. Maximilian II. für, und Rudolf 11. im Kampfe gegen die Stadt
Troppau.
Seit den frühesten Zeiten hatte der deutsche Orden dasPatronat
über die Pfarrkirche zur sei. Jungfrau inTroppau inne gehabt.Durch
einen Kaufvertrag trat erdasseihe um das Jahr 1840 an die Gemeinde
ab. Diese erwirkte sich bald darauf 1 ) von König Ferdinand I. ein
Privileg welches die Übertragung des Patronats guthiess, den Trop-
pauern anbefahl, bei jedesmaliger Vacanz einen katholischen Geist
lichen dem Bischöfe von Olrnütz als Lociordinarius zu präsentiren,
den dieser zu bestätigen haben würde. Wenn sie je einen unkatho
lischen Geistlichen Vorschlägen würden, so sollten sie dadurch des
Patronats an den Bischof verlustig werden.
Obzwar seiner deutschen Bevölkerung nach Deutschland weit
näher als Böhmen gerückt, kam doch der Protestantismus von letz
terem Lande nach Troppau. Daselbst hielt sich nämlich eine nicht
unbedeutende Anzahl böhmischer Arbeiter auf; zur Befriedigung ihrer
geistlichen Bedürfnisse hatte der Rath einen böhmischen Prediger
mit Namen Matthäus berufen, und ihm die Benützung obiger Pfarr
kirche neben dem eigentlichen Pfarrer gestattet. Der letztere war
stets ein Deutscher, über dessen Anstellung längere Zeit zwischen
Bischof und Stadt das beste Einvernehmen herrschte. Als im Jahre
1888 die Pfarre vacant wurde, berief die Gemeinde dahin den
*) Ddo. Prag, Dinstag- nach Neujahr 1542.
2*
20
Anton Gin de ly.
Blasius Sibelius, Domherrn von Olmütz, und schloss zugleich mit ihm
einen Vertrag über die an ihn jährlich zu leistenden Zahlungen und
Naturallieferungen, da sie, wie es scheint, die liegenden Gründe
in ihre eigene Verwaltung übernommen hatte. Dafür übernahm
Sibelius die Verpflichtung, stets zwei Caplüne, einen deutschen und
einen böhmischen zu halten, sie, den Schulmeister, Cantor, Orga
nisten, Glöckner und den gegenwärtigen böhmischen Prediger Mat
thäus, so oft dieser kommen wollte, zu speisen, endlich an das
Spital wöchentlich einen Laib Brod und etwas Fleisch zu geben.
Das Einvernehmen zwischen dem Pfarrer Sibel und Matthäus
scheint nur die kürzeste Zeit ungetrübt bestanden zu haben , denn
gegen das Ende des Jahres 15i>5 trat eine unverkennbare Hinneigung
des letzteren zum calvinischen Lehrbegriffe hervor, die er wahr
scheinlich schon mitgebracht und längere Zeit verheimlicht haben
dürfte. Da ersterer sieh durch seine Stellung dazu verpflichtet fühlte,
machte er davon die Anzeige an den Bischof Marcus von Olmütz. Er
berichtete, dass der Prediger im Puncte des Altarssacramentes irre,
am Sonntage das Taufen der Kinder verbiete und diesen ähnliche
Sätze aufstelle. Er habe sich aber das Zutrauen seiner Gemeinde und
eines Theils des Rathes erworben, seine Entfernung aus Troppau
würde also sehr schwierig werden.
Auf diese Anzeige beschied der Bischof den Matthäus vor sich
nach Kremsier. Das angestellte Verhör zeigte zur Genüge die häre
tische Gesinnung des Angeklagten. In Folge derselben wurde ihm
die Verpflichtung aufgelegt, nicht weiter zu predigen, überhaupt
keine religiöseHandlung mehr vorzunehmen und sich auf jedesmalige
Aufforderung des Bischofs innerhalb vierzehn Tagen persönlich zu
stellen. Da neun Bürger aus Troppau mit 500 Schock böhmischer
Groschen für ihn hafteten, wurde er auf freien Fuss entlassen. Doch
hatte er so grosse Gönner gefunden, dass sie für ihn den Fürsten
vonTeschen und Grossglogau gewannen. Dieser wandte sich in einem
eigenhändigen Schreiben *) für ihn an den Bischof und bat diesen,
dem Suspendirten doch das weitere Predigen gestatten zu wollen.
Auch der Rath und die Richter von Troppau baten für ihn beim
Bischof vor. Allein dieser war nach Wien zu Ferdinand I. gereist,
hatte ihm die Hinneigung der Stadt zum Protestantismus mitgetheilt
*) Ddo. Troppau, Freitag naeli Galli 1355.
Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II.
21
lind von ihm die Ausweisung des Matthäus verlangt. Von Wien also
schrieb Marcus an die Bittsteller: er habe dem Könige die ganze
Angelegenheit mitgetheilt, für sich könne er nichts mehr thun, sie
möchten den kommenden Bescheid erwarten. Ferdinand entschied 1 )
wie zu erwarten stand; Matthäus habe nicht nur Troppau, sondern
sämmtliche Erbstaaten zu meiden. Der Rath von Troppau gab sich
mit dieser Entscheidung noch nicht zufrieden , er bat den Bischof,
sich bestimmt zu erklären, ob die Reactivirung des Matthäus für alle
Zukunft unmöglich sei und wenn dies der Fall wäre, die Bürger ihrer
Bürgschaft zu entlassen; weil sie, falls es der Bischof verlangte, den
Prediger nochmals stellen wollten. Dieser letztem Bitte mag wohl
nach ihrem Wunsche willfahrt worden sein. Während Ferdinand's
Lebzeiten hatte sich der Bischof über nichts mehr zu beklagen. Die
Troppauer wussten wohl, dass die starke Hand dieses Fürsten jeden
Excess niederhalten würde. Dafür aber bereitete sich im Stillen ein
entschiedener Umschwung der Gesinnung vor; bei der deutschen
Einwohnerschaft fand das Lutherthum die günstigste Aufnahme und
man harrte nur der Gelegenheit, um entschieden auftreten zu können.
Diese Gelegenheit bot sich mit Ferdinand's Tode. Kaum war
die Nachricht davon nach Troppau gekommen und kaum hatte man
sich der Stimmung des neuen Fürsten vergewissert, als man die katho
lische Geistlichkeit von der Marienkirche wegjagte, den Pfarrer mit
eingeschlossen. Statt dessen setzte man einen deutschen Prediger
Zinkfrei (auch Zenkfrei und Zankfrei in den Urkunden genannt) ein.
Alsbald erhob der nunmehrige Bischof Wilhelm Prussinowsky, ein
junger, 3 1 Jahre alter, ausserordentlich eifriger Katholik gegen dies
gewaltsame Benehmen der Troppauer beim Kaiser Klage. Maximilian
befahl 2 ) den Troppauern in strenger Weise die Entfernung des
Eindringlings und die Wiederaufnahme der Vertriebenen, behielt
sich übrigens die Bestrafung der Schuldigsten vor und befahl binnen
vierzehn Tagen nach seiner Ankunft in Prag, wohin er zu reisen
gedenke, acht der vornehmsten Rathspersonen in diese Stadt zur
Verantwortung zu senden. Bei so strengen Aufträgen hätte man wohl
auf einige Unbeugsamkeit heim Kaiser schliessen sollen. Allein sie
dauerte nicht einmal bis zu seiner Ankunft in Prag. Die Troppauer
A ) Ddo. Wien, Sonntag vor Martini 1555.
2 ) Ddo. Wien, 1. Mai 1565.
22
A ii t o n <i i n d e ly.
sandten schnell eine Gesandtschaft nach Wien, durch diese vor
stellend, es sei allerdings eine völlig gerechtfertigte Sache, wenn
nirgends sectische Priester geduldet würden, allein ihr Prediger sei
kein solcher, er richte sich vielmehr nach der Augsburger Confession,
die Kaiser Karl V. glorreichen Angedenkens überreicht worden wäre.
Auf diese einfache Vorstellung die doch Maximilian im Voraus hätte
erwarten können, ertheilte er ihnen die Erlaubnis ') bis zu seiner
Entscheidung von Prag aus den Prädicanten behalten zu dürfen, dem
Bischof aber schrieb er, seinen katholischen Eifer lobend, dass Er,
bis auf seine Ankunft in Prag den Prediger in Troppau, „der sich
„übrigens nach der Augsburger Confession richte,
„sehr bescheiden sei, und den Sectirern nicht an ge
höre, zu dulden beschlossen habe“.
Was sollte der Bischof zu dieser fast höhnischen Antwort sagen.
Er musste sich gedulden und von einer späteren Entscheidung des
Kaisers das Recht erwarten. Dies wurde ihm aber nicht. Maximilian
gestattete förmlich den Troppauern die Haltung zweier lutherischer
Prediger, nur dies trug er ihnen auf, den vertriebenen Pfarrer wieder
aufzunehmen und im Genüsse seiner Pfründe zu belassen. Allein
dieser halbe Sieg kam dein Bischöfe theuer zu stehen. Sibelius oder
auch Sibenlot fing an, sich dem lutherischen Bekenntnisse zuzuneigen,
der vornehmste Grund dafür war der, dass er sich zu verheirathen
wünschte. Bei dieser hervortretenden Gesinnung war die Gemeinde
bereit ihn aufzunehmen und als ihren Pfarrer zu betrachten, auf dass
statt seiner kein katholischer Priester angestellt werde. Indess mag
Siebenlot nicht die nöthigen Fähigkeiten gehabt haben, um bei
diesem Wechsel seines Glaubens dem Zinkfrei den Rang abzulaufen,
der vielmehr auf der Pfarre unumschränkt waltete und den Siebenlot
nicht einmal ins Pfarrhaus aufnehmen wollte. Siebenlot klagte nun
gegen ihn beim Landeshauptmann. Durch Einwirkung des letzteren
kam endlich ein Vergleich zu Stande. Die Gemeinde verpflichtete
sich, dem Sibenlot für die bisherigen Verluste 400 Gulden, ausser
dem aber, falls er es vorzöge, für längere oder kürzere Zeit Troppau
zu verlassen, von dem Pfarreinkommen jährlich 200 Gulden auszu
zahlen. Dagegen verpflichtete er sich, weder dem deutschen, noch
dem böhmischen Prediger in der Ausübung ihrer gottesdienstlichen
A ) Ddo. Wien, 1. October 1565.
Beiträge zur Geschichte der Zeit HudolPs II
23
Verrichtungen ein Hinderniss in den Weg zu legen; er nahm Leide
förmlich als seine Capläne aut'. Dieser Contract, vor dem Landes
hauptmanne abgeschlossen, wurde dem Kaiser zur Bestätigung zuge
sandt, der auch dieselbe ertheilte. Zugleich machte er dem Bischöfe
eine Anzeige von seiner Bewilligung *) und forderte ihn auf, seine
allfälligen Beschwerden gegen dies Übereinkommen ihm kundzu
gehen. Als sich aber der Bischof über diese sonderbare Handlungs
weise beschwerte und verlangte, es solle ein ordentlicher katho
lischer Geistlicher als Pfarrer eingesetzt, die eingedrungenen Capläne
aber entfernt werden, überging Maximilian den zweiten Theil der
Bitte und erwiderte wie zum Spotte, es stehe ja dem Bischöfe frei,
wenn die Pfarre einmal durch Sibenlot frei würde, einen tüchtigen
Geistlichen einzusetzen, übrigens sei nichts in Troppau durch Ge
walt, sondern alles durch freundschaftliche Einigung geschehen.
Kaum aber hatten die Troppauer die Gesinnung ihres Fürsten
ausgekundschaftet, so unterliessen sie es nicht, sie auch gehörig
auszubeuten. Sie stellten ihm nämlich vor, wie die immer grössere
Menge der Augsburger Religionsverwandten den Besitz mehrerer
Kirchen äusserst nothwendig mache. Das Wenzelskloster werde von
kaum zwei Mönchen bewohnt, die Kirche daselbst stehe leer, weil
von Niemand besucht: es möge also dieselbe ihnen eingeräumt
werden. Maximilian war gewillt, dieses Gesuch zu bewilligen, for
derte aber den Bischof um sein Gutachten auf 3 ). Dieses fiel, wie
sich von selbst versteht, verneinend aus. Er ergriff zugleich die Gele
genheit, um sich beim Kaiser zu beklagen, dass Sibenlot sich ent
fernt und dass in der Marienkirche jeder Gottesdienst aufgehört habe.
Darauf erwiderte Maximilian : des Bischofs Furcht, dass der Gottes
dienst mit Sibenlot's Entfernung an der Marienkirche aufhören würde
sei eitel, er müsse ja wissen, dass die Troppauer stets zwei Prediger
an ihr aushielten. Übrigens habe er auf seinen Wunsch der Gemeinde
die Bitte um Überlassung der Wenzelskirche abgeschlagen.
Indessen starb der Prediger M. Zinkfrei im September 1S69.
Der Bischof sah dies als die beste Gelegenheit an, durch Anstellung
eines tüchtigen katholischen Predigers für die Kirche zu sorgen. Er
berichtete sogleich an den Kaiser von dem Todesfälle und bat ihn,
*) Ddo. in Vigilia Pentecostes in Wien, 1SG9.
2 ) Ddo. Wien, am Tag-e des h. Veit 1Ö69.
24
Anton G i n d e I y.
nicht gestatten zu wollen, dass die Troppauer ohne sein (des Bi
schofs) Vorwissen einen andern Prediger anstellen. Der Kaiser,
noch von Niemand um das Entgegengesetzte angegangen, sagte ihm
dies zu, und ertheilte einen in diesem Sinne lautenden Befehl den
Troppauern. Da sich der Bischof beklagte, dass sich der böhmische
Prediger nicht anders wie ein Aufrührer benehme, so befahl er,
denselben vor den Ordinarius nach Olmütz zur Verantwortung zu
stellen.
Der Bischof Wilhelm mochte es zur kräftigen Herstellung des
gesunkenen Ansehens der Kirche für das Erspriesslichste halten, eine
Beise nach Troppau anzustellen. Sibenlot hielt sich daselbst nicht
auf. Seit der Zeit des abgeschlossenen Contractes hatte er sich ent
fernt, ohne jedoch entschieden das lutherische Bekenntniss anzu
nehmen, ohne sich auch verheirathet zu haben , sondern im steten
Schwanken begriffen. Es zeigt eine für die Zeit unpassende Ver
söhnlichkeit des Bischofs, dass er diesen pflichtvergessenen Priester
der, wie er selbst sagte, in die grösste Excommunication, sowohl
durch den früher eingegangenen Contract, als auch sein sonstiges
Benehmen verfallen war, aufforderte, nach Troppau reumiithig zu
kommen, sich zu verantworten, ihm volle Sicherheit seiner Person
versprechend und Verzeihung anhoffen lassend. In der That nahm
Sibenlot den Antrag an, erschien in Troppau und nahm vorläufig vom
Pfarrgebäude Besitz.
Wilhelm kam also in Begleitung des Domherrn von Olmütz
Sigmund Skutellan und anderer Geistlichen am Mittwoch vor Simon
und Judä 1569 in Troppau an. Er fand die Stadt in nicht geringer
Aufregung. Die Bürger hatten in ihren Häusern Waffen , als wären
sie auf einen Angriff gefasst. Noch denselben Tag lud er mehrere
Bathspersonen und Geistliche zum Abendessen, um die öffentliche
Stimmung besser kennen zu lernen. Als sie sich des Nachts ent
fernten, wurde auf den Jesuitenprovincial der ebenfalls einer der
Gäste gewesen, ein Stein geworfen, ohne ihn zu treffen. Des fol
genden Tages begab er sich in die Wenzelskirche um sie zu recon-
ciliiren, da in letzter Zeit ohne alle Erlaubniss die Protestanten ihren
Gottesdienst darin feierten. Die Bürger aber sandten ihm zwölfKannen
Wein und 4 Zuber Fische, ein Zeichen ihrer Verehrung. Der Stadt
schreiber, Begleiter des Geschenkes, sprach in ihrem Namen. Der
Bischof dankte für die Aufmerksamkeit und drückte die Hoffnung aus,
Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II.
23
dass die Geschäfte die ihn hieher geführt, glücklich würden beendet
werden. Er bat, dass der Rath zu ihm um zwölf Uhr kommen
möge. Statt des Rath es erschienen aber am Abend desselben Tages
bei ihm drei Abgesandte mit der Ritte, ihnen sein Begehren kund
zu geben. Wilhelm sprach sein Bedauern aus, dass nur so wenige
bei ihm erschienen seien, indessen, da die Gemeinde es so bestimmt
habe, theile er ihnen mit, dass er zur Ordnung der geistlichen Ange
legenheiten gekommen sei. Der frühere deutsche Prediger sei ge
storben, er versehe sich von ihnen, dass sie einen neuen nur mit
seiner Billigung anstellen würden. Sie mögen sich darüber berathen.
Sollte diese Berathung auch eine Woche oder längere Zeit in An
spruch nehmen, so würde dies seine Geduld nicht erschöpfen, da er
ihren Entschluss abwarten wolle. Würde sich bei dem katholischen
Prediger den er ihnen gehen, oder sie sich wählen würden , ein
moralischer Mangel zeigen, sei er stets bereit, ihn abzuschaffen und
einen tüchtigem an seine Stelle zu setzen. Doch erwarte er von den
Troppauern ein entsprechendes Vorgehen, er hoffe, dass sie seine
bischöfliche Jurisdiction anerkennen und den Befehlen des Kaisers
gehorchen würden. Auch glaube er, dass sie sich des böhmischen
Predigers der nach Sr. Majestät Verordnung zur Verantwortung ge
zogen werden solle, vergewissert hätten, er erwarte nichts anderes.
Auf diese, wohl erwartete, aber doch überraschende, weil von
festem Entschlüsse auszuharren zeigende Antwort, erklärten die
Abgeordneten keine Antwort ertheilen zu können. Was ihnen mitge-
theilt worden, sei zu wichtig, und müsse vom ganzen Rath und der
Gemeinde berathen werden. Der Bischof erklärte, er habe zwar
ihre Meinungsäusserung erwartet, doch bescheide er sich; Morgen
(28. October) am Tage Simon und Judä, werde er selbst in der Wen
zelskirche die Messe lesen und dann von einem Priester die Predigt
gehalten werden, er hoffe, dass der Rath dabei erscheinen und dem
böhmischen Prädicanten inzwischen zu predigen nicht verstattet
werden würde. Die Abgesandten versprachen, für ihre Person zu
erscheinen und empfahlen sich. In der darauf folgenden Nacht wurde
als Zeichen der allgemein herrschenden Gesinnung das Wappen des
Bischofs in dem Hause, wo er wohnte, mit Kotli beworfen. Einige
entrüstete Bürger verlangten die Bestrafung des Thäters, der Bischof
bat aber, falls er aufgefunden würde, ihm nichts zu Leide zu
thun.
26
Auto n Gi nd el y.
Am folgenden Tage, den 29. October, sandte die Stadt folgende
Abgeordnete zum Bischöfe: den Stadtschreiber Heinrich Georg Kraus,
die Rathsherren Hans Langhaus, Georg Lederer, Leopold Seiden
sporer nebst mehreren andern. Sie erklärten, bezüglich der Annahme
eines Predigers durch den Bischof sich nicht bestimmt aussprechen zu
können; was den böhmischen Prediger betreffe, so wolle der Bischof
bedenken, dass er nicht sein Ordinarius sei, sondern dass jener mit
Erlaubniss des Kaisers vom Prager Consistorium sub utraque hier
angestellt sei. Doch sei der Rath erbötig, ihn in dieser Stadt vor den
Bischof zu stellen.
Wilhelm entgegnete, dass ihre Ausflüchte ihm ganz unerwartet
kämen. Was den böhmischen Prädicanten und die Behauptung be
treffe, dass er dem Prager Consistorium sub utraque untergeben sei,
so müsse er bemerken, dass er einzig und allein in Troppau Ordi
narius sei und Niemand in sein Recht eingreifen dürfe; ihm sei also
auch der Prädicant unterthan. Übrigens sei er nicht desshalb nach
Troppau gekommen, um denselben da zu verhören ; diese Zumuthung
würdige ihn herab; er verpflichte nochmals den Rath sich seiner zu
vergewissern und ihn nach Olmütz zur Verantwortung zu senden,
wann immer es begehrt würde. Endlich vermerke er es mit höchstem
Unwillen, wie sich der Prädicant auch während seiner Anwesenheit
des Predigens nicht enthalte, ihn (den Bischof) zu beschimpfen wage,
indem er ihn mit dem Beinamen eines Wolfes und ähnlicher belege.
Auch sei der Rath und speciell der Stadtsehreiber (einer von den
drei gestrigen Abgeordneten) trotz seines gegebenen Wortes hei
der Predigt und Messe nicht erschienen. Der Stadtschreiber ent
schuldigte sich mit seiner schwachen Leihesheschaffenheit die ihm
nirgends lange auszuharren erlaube, und auch jetzt auf einige Augen
blicke sich zu entfernen nöthige. Nachdem er wieder kam, erwi
derte er im Namen der Übrigen: Die Troppauer hätten wohl ge
wünscht, sich mit dem Landeshauptmanne, als ihrer ordentlichen
Obrigkeit über alle diese Angelegenheiten zu berathen, doch sei dies
wegen dessen Krankheit nicht möglich. Es bleibe ihnen also nur die
Bitte, dass sie in ihren wohlerworbenen und durch Ferdinand I. be
stätigten Rechten (sie meinten das Patronatsrecht) geschont werden
mögen. Als der Bischof Einiges entgegnete, gaben sie dieselbe Ant
wort, worauf er ungeduldig ausrief: Es ist nicht meine Absicht,
euern Privilegien nahe zu treten, allein so weit reichen sie nicht,
Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II.
27
dass ihr euch in der Religion Störungen erlauben dürfet. Wir kennen
sie besser als ihr wohl glauben möchtet. Dies seien für sie zu subtile
Dinge, war des Stadtschreibers Antwort, sie seien keineswegs gewillt,
sich mit Sr. Gnaden in einen Streit einzulassen. Sie rüsteten sich
darauf zum Aufbruch. Indem erschien aber der böhmische Pre
diger, kühn und ungezwungen auftretend. Er habe gehört, schrie
er, der Bischof wolle ihn nach Olmiitz citiren. Da sei er, da stelle er
sich ein für allemal und erkläre, der Bischof sei nicht seine Obrigkeit,
diese sei einzig und allein das Consistorium sub utraque in Prag.
Aufgeregt protestirte der Bischof dagegen, dass in Troppau eine
andere Jurisdiction als die seinige gelten sollte und entliess hierauf
die Anwesenden.
Der Stadtrath begann bereits die Absicht des Bischofs einzu
sehen. Diese bestand darin, sich nicht einen Moment eher von
Troppau zu entfernen, so lange nicht katholische Geistliche überall
eingesetzt wären, mochte nun der Widerstand der Commune noch
so lange dauern. Dagegen wollte der Rath den Bischof um jeden
Preis von Troppau entfernen, sei es durch ausweichende Antworten,
durch Appellation an den Kaiser, oder endlich durch einen Aufstand
des Volkes, also durch Schrecken. Da er aber zu zweifeln begann,
dass die ersteren Mittel ausreichen dürften, so begann er schon die
letzteren vomibereiten. Demgemäss wurde das Gerücht eifrig ver
breitet, der Bischof habe die Absicht, die Gräber der im Lutherthum
Verstorbenen und bei der Geistkirche Begrabenen erbrechen und die
Leichname herauswerfen zu lassen. Da dort vornehme Adelige der
Umgebung begraben waren, so regte man sie gegen den Bischof ins-
gesammt auf. Auch einige Verwandte des Landeshauptmannes waren
auf diesem Friedhofe bestattet. Da man auch ihn dadurch gegen den
Bischof aufhetzte, so wurde die Wirkung der angelegten Mine mit
Siegeszuversicht erwartet.
Am Sonntage theilte Wilhelm denTroppauern seine Forderungen
schriftlich mit. Er unterliess auch nicht zu erwähnen, wie die Stadt
unter Bischof Marcus sich nicht im Mindesten geweigert habe, den
Prädicanten Matthäus nach Kremsier zu stellen. Zugleich lud er den
gesammten Rath zu sich zum Frühstück auf Allerheiligen (1. No
vember) ein und als derselbe die Einladung abschlug, zur Predigt
welche er an diesem Feiertage selbst halten wolle. Gleichzeitig
schickte er seinen Lehnrechtsschreiber Georg Kamenohorsky von
28
Anton G in de ly.
Kamenoliory zu dem in Heraltitz krank liegenden Landeshauptmanne
Johann von Wrbna und auf Heraltitz, um seine Meinung über das
den Troppauern gegenüber einzuschlagende Benehmen zu erfahren.
Dem Abgesandten eröffnete der Hauptmann, er begreife nicht, wie
sich der Bischof als erste Person Mährens habe in so grosse Gefahr
begeben können; er habe erfahren, ein Aufruhr sei in Troppau sehr
zu befürchten, kaum dass der Rath seine Gemeinde im Zaume zu
halten vermöge. Man spreche davon , dass die Leichname der Pro
testanten, die bei und in den Kirchen begraben seien, aufBefehl des
Bischofs ausgegraben werden sollen, und das mache böses Blut.
Kamenohorsky erklärte dieses Gerücht für eine verleumderische
Erfindung. Den angekündigten Besuch des Bischofs bat sich Herr von
Wrbna nicht auf Mittwoch, an welchem Tage er sich mit Gott ver
söhnen wolle, sondern einige Tage später aus. In der Nacht auf den
Dinstag kam dann Kamenohorsky nach Troppau zurück. Als er aus
dem mit des Bischofs Wappen gezierten Wagen bei dessen Wohnung
ausstieg, kamen zwei Steine auf ihn geflogen, ohne ihn zu verletzen,
wie er meinte, aus der Wohnung des gegenüber wohnenden böhmi
schen Predigers.
Der Bischof hielt am Dinstag den angesagten Gottesdienst und
firmte bei dieser Gelegenheit über 200 Personen, ein Beweis, dass
es doch noch eine nicht ganz unbedeutende Anzahl Katholiken in der
Stadt geben musste. Der Rath hielt während dem über sein weiteres
Benehmen eine Berathung. Als die Firmlinge aus der Kirche gingen,
v
riss ein gewisser Zäk das Tuch das sonst dieselben einige Zeit
umgebunden zu tragen pflegten, einem Knaben ab und trat es mit
den Füssen.
Am Mittwoch wollte Wilhelm in der Pfarrkirche zur sei. Jungfrau
einer Predigt beiwohnen. Als er hinkam, fand er sie geschlossen,
durch dieFenster sah man aber darin vier Personen sitzen und hörte
sie auch deutsche lutherische Lieder singen. Als man sie autforderte
die Thüre zu öffnen, schlossen sie nicht auf, sondern verharrten
in trotziger Stille. Nun befahl der Bischof, eine Axt herbeizuholen,
um die Thüre einzuschlagen, was auch geschah. Während dem ver
sammelte sich eine zahlreiche Volksmenge, auf diese schrien die
Eingeschlossenen man möge ihnen zu Hilfe kommen, die Katholiken
wollten sie erschlagen. Obzwar das Volk leidenschaftlich aufgeregt
war, wie seine Blicke und Mienen und sein Gemurre bewies, so blieb
Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs 11.
29
es doch ruhig; der zündende Funke sollte erst später kommen. Als
die Thür aufgemacht war, stürzten die Sänger heraus, darunter auch
oben genannter Zäk. In der Kirche Hessen sich nur die Begleiter des
Bischofs erblicken, die Predigt wurde gehalten, nach derselben die
Kirche verschlossen und der Schlüssel zu Sibenlot zur Aufbewahrung
getragen.
Noch denselben Tag beklagte sich Wilhelm durch einen Abge
sandten beim Rath, über das gewaltthätige aufreizende Benehmen
des Zäk. Der Rath Hess darauf um eine Audienz auf den folgenden
Tag (Donnerstag) ansuchen. Diese schlug ihm der Bischof ab, da er
an diesem Tage bis Mittag in der Kirche seine Zeit zubringen, Nach
mittags dann zum Herrn v. Wrbna fahren wolle. Als er aber am
Mittage des folgenden Tages nach Hause kam, sah er vor demselben
eine Masse bewaffneten Volkes herumstehen und als er in sein Zimmer
gehen wollte, traten ihm die Abgeordneten des Rathes entgegen.
Er beschwerte sich über diese ihre Zudringlichkeit; er habe ihnen
den Freitag zur Audienz bestimmt. Allein, ohne dadurch den Muth
zu verlieren, erklärten sie im Namen des ganzen Rathes, dass der
selbe sich in keine weiteren Verhandlungen mit dem Bischöfe weder
einlassen könne noch wolle; dass er die Entscheidung des Streites
bis auf weiteres verschiebe. Der Kaiser werde schon sein letztes
Wort sprechen. Übrigens müssten sie (die Abgeordneten) dringend
darauf bestehen, dass der Bischof schnell abreise, die Gemeinde
werde äusserst schwierig und unwillig, es sei dem Rath nicht weiter
möglich, sie im Zaume zu halten, da sie sich in ihrem Theuersten,
in dem gereinigten Evangelium bedroht wähnten. Darauf der Bischof:
Er höre diese Rede mit Verwunderung an, er für seine Person
glaube nicht die mindeste Veranlassung zum Aufruhre gegeben zu
haben. Der Rath möge ihm jene Personen nennen, die einen Aufruhr
erregen wollten, dass er ihnen entgegen trete; er werde übrigens
bis zum Austrag der Sache nicht vom Platze weichen, man möge ihn
morden, er sei unbewaffnet, sterbe er doch in der Erfüllung seiner
Berufspflichten den schönsten Tod. Er versehe sich übrigens eines
anderen Gebalirens von Seite der Gemeinde. Die Deputirten ent
fernten sich, und versprachen, mit einer andern Antwort zu kommen.
Nachmittags fuhr der Bischof zum Landeshauptmann.
Den Tag vordem hatte er durch denselben Kamenohorsky ihm
seinen Besuch ankündigen lassen. Dieser stellte an Herrn v. Wrbna
30
Anton G i n d e 1 y.
die Frage, ob er mit Bestimmtheit glaube, dass es in der Stadt zu
einem Aufruhr kommen könne und ob man etwas gegen des Bischofs
Person wagen werde. Der Gefragte entgegnete, er glaube nach den
erhaltenen Berichten, dass es sicher in der Stadt zum Aufruhr kommen
würde. Er sei auch mit Bestimmtheit berichtet, der Bischof habe die
Absicht, die Leichname begrabener Protestanten ausgraben zu lassen,
er habe erst heute darüber an ihn geschrieben und davor gewarnt;
sein Vater sei im Wenzelskloster begraben, sollte man seinen Leich
nam antasten wollen, so könnte dies nur seinen höchsten Unwillen
erregen; was andere treffliche Geschlechter zu einem solchen Be
ginnen sagen würden, wisse er zwar nicht, aber es lasse sich ver-
mutlien. — Man sieht, die Troppauer hatten es nicht unterlassen,
den Hauptmann zu hetzen. — Kamenohorsky stellte nochmals auf
das Bestimmteste eine solche Absicht seines Herrn in Abrede und
kündigte dessen Besuch auf Morgen Abends an. Herr v. Wrbna ent
schuldigte sich wieder mit seiner Krankheit, er könne ihn nicht nach
Gebühr empfangen, noch auch jetzt mit ihm über religiöse Dinge ein
Gespräch halten, später sei er erbötig ihn seihst zu besuchen, wenn
ihm Gott die Gesundheit schenken würde. Nachdem aber Kameno
horsky nochmals versicherte, sein Herr wolle keinen Empfang, werde
auch nicht einmal zu Nacht da speisen, sondern nur mit ihm über
einige der dringendsten Angelegenheiten sich berathen, gab der
Hauptmanu unter den Zeichen der höchsten Unwillfährigkeit seine
Gutheissung zu dem angekündigten Besuche.
Endlich, am Donnerstag Abends fuhr Wilhelm in Begleitung
dreier adeliger Herren nach Heraltitz. Da angekommen, betete er
in einem Zimmer allein die Horen, und begab sich dann mit seinen
Begleitern zu Herrn v. Wrbna der im Bette lag. Er liess ihm einen
genauen Bericht, was sich seit seiner Ankunft in Troppau zugetragen,
vorlesen und gab noch selbst die nöthige Erläuterung. Als der Haus
herr sah, wie die Sachen stünden, wie auch der Bischof nicht im
Entferntesten auf eine Erbrechung der Gräber denke, erwiderte er:
„Das ist anders, als ich von den Troppauern berichtet worden bin.
„Fürwahr, wenn mir Gott eine bessere Gesundheit verleihen wollte,
„möchte ich gewiss selbst Euer Gnaden zur Seite stehen, doch nichts
„desto weniger will ich jetzt zu ihnen senden und ihnen ernstlich
„befehlen, dass sie sich in nichts Ungebührliches einlassen. Doch
„möchte ich Euer Gnaden, da jetzt Jahrmarkt dort gehalten wird,
Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II.
31
„rathen, nicht allda zu verbleiben und Eure Person des Kaisers und
„des Vaterlandes wegen zu verschonen. Reiset nur auf einige Tage
„weg, his ich gesund bin, wollen wir das wilde Thier, den gering
schätzigen Pöbel, zu paaren treiben.“ Dies die Summe der gehabten
Unterredung.
Während Wilhelm in Heraltitz war, hatten sich in Troppau
weitere Excesse ereignet. Eine Rotte überfiel das Pfarrhaus des
Sibenlot, fing da an, Karten und andere Spiele zu spielen, trank
Bier welches ihnen Sibenlot gab , der sogar selbst zum Schlüsse
mit ihnen zu spielen begann. Auch gingen zu allen Kirchen bewaff
nete Haufen und besetzten ihre Eingänge. Der Bischof erwartete
nach seiner Rückkehr eine Antwort der Bürgerschaft, doch sowohl
am Freitag wie am Samstag vergebens. Währenddem hatte sich der
Rath nach Heraltitz begeben, um sich mit Herrn v. Wilma, den er
nach Allem was vorliegt für seinen besten Freund halten musste und
der höchst wahrscheinlich lutherischen Glaubens war, zu berathen.
Er widerrieth ihnen aufs Ernstlichste jede Gewalt, und gewiss hätte
Maximilian bei einer etwaigen Tödtung des Bischofs nicht umhin
können die Stadt strenge zu strafen. Auf dieses zog der riiekge-
kehrte Rath die Wachen von den Kirchen zurück (am Samstag) und
beschloss, in weiterer Passivität verharrend, den Bischof endlich
doch zur Abreise zu nöthigen.
Am Sonntage Früh hegah sich Wilhelm in die Wenzelskirche,
wohnte daseihst der Messe bei, und begab sich dann mit seinem Hof
gesinde und einigen Katholiken in die Pfarrkirche. Zuerst wurde das
Deusin adjutorium meum intende, hierauf ein deutsches Lied gesungen,
dann befahl er dem Jesuiten Stephan, seinem Prediger, die Kanzel zu
besteigen, und vor der Versammlung zu predigen. Da sich eine grosse
Menge Menschen, zumeist Lutheraner in der Kirche eingefunden hatten,
so war der Weg zur Kanzel versperrt. Der Bischof befahl seinem
Kämmerer Tiburcius Sirakowsky von Pirknar den Stephan zum Pre
digtstuhl zu geleiten. Nachdem sie mit grosser Mühe dahin gelangt
waren, und Stephan eben die Stufen hinansteigen wollte, trat ihm
ein Mann der mitten auf der Stiege stand, entgegen und sagte:
Komm nicht herauf, wir haben unsern Pfarrer; er
griff dabei einen Dolch und sprach weiter: Kommst
du, so musst du und ich sterben. Die Umstellenden aber
stiessen sowohl den Jesuiten wie den Kämmerer hin und her, ihnen
32
Anton Gin dely.
weder vor- noch rückwärts zu gehen gestattend. Als der Bischof die
Gefahr der Seinigen sah, stand er auf, um ihnen zu Hilfe zu gehen,
allein es war dies unmöglich. Eine ungeheure Menge Personen
drängte sich gegen ihn, Steine wurden in die Kirche getragen und
schon geworfen, ohne dass aber Jemand verletzt wurde. In der Kirche
befanden sich auch viele Personen vom Herren- und Ritterstande.
Kaum dürften sie der Mehrzahl nach Katholiken gewesen und wahr
scheinlich nur desshalb dahin gegangen sein, um eine versuchte
Gewaltthat gegen den Bischof zu hindern. Verborgen konnten die
Absichten der Menge Niemand sein, da man zu laut von diesen sprach.
Als sie also die drohende Gefahr erkannten, in der der Bischof
schwebte, eilten sie schnell von allen Seiten zu ihm und fassten ihn,
Avie auch den befreiten Jesuiten und Kämmerer in ihre Mitte. Sie
sprachen ihm zu, von diesem gefährlichen Orte sich zu entfernen.
Angesichts der kampfbereiten Menge blieb auch nichts anderes zu
thun übrig. So beAvegte sich der Zug, den Bischof in der Mitte, den
Jesuiten im Chorrock und Stola zu dessen Seite aus der Kirche über
den Friedhof, den Oberring, zur Wenzelskirche. Auf dem Wege
warf das Volk Steine, Sturm Avurde geläutet und von allen Seiten
liefen Männer mit Büchsen und Hellebarden, mit Gabeln, Eisen
deichseln, Sclnvein- und Bratspiessen, SchAvertern und dergleichen
beAvaffnet. Die Pfarrkirche Avurde von ihnen geschlossen und zehn
geharrnischten Männern zur Bewachung übergeben. In der Wenzels
kirche angelangt, befahl der Bischof wiederum dem M. Stephan, die
Kanzel zu besteigen und hier predigte er, trotz einer zahlreichen
Volksmenge ruhig. Nach der Predigt begab sich endlich Wilhelm in
seine Herberge, fortwährend geleitet und beschützt vom Adel. Unter
diesem Avar auch der Dr. Thaddäus Hajek.
Zu Hause angelangt, erwartete ihn schon eine Deputation des
Rathes. Obgleich er jedenfalls durch das Erfahrene auf das Äusserste
aufgeregt sein musste, beschwichtigte er sich doch so Aveit, dass
er den Gruss derselben ruhig empfing und ihnen eine Schrift durch
seinen Schreiber Cyprian vorlesen liess, Avelche seine sämmtlichen
Forderungen enthielt. Die Abgeordneten verlangten eine Abschrift,
um sie dem Rathe und der Gemeinde vorzulegen. Ihrer Bitte Avurde
Avillfahrt. Zum Schlüsse sagte der Bischof: Er sei nach Troppau des
Seelenheiles der Gemeinde Avegen gekommen, nicht um Jemand zu
berauben. Nun müsse er Zeuge solchen Aufruhrs sein. Um die
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Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II. 33
Gemeinde nicht in die Gefahr zu bringen, dass sie
wegen seiner möglichen Ermordung in Strafe käme,
wolle er sich so bald wie möglich entfernen um
später wieder zu kommen; er hoffe, die Gemeinde
werde sich eines Bessern besinnen.
Ohne jeden Erfolg endete auf diese Weise die Reise des Bi
schofs Wilhelm Prussinowsky, er kehrte nachOlmütz wieder zurück.
Er mochte wohl nicht im Geringsten zweifeln, dass derZweck seiner
Reise nicht werde erreicht werden, wenn er sich weiter mit Klagen
an den Kaiser wenden würde. Doch that er dies, da er es für seine
Pflicht halten musste, im voraus von der Nutzlosigkeit seines Schrei
bens überzeugt. Sibenlot selbst fing nun an, unverantwortlich zu
Wirtschaften. Er verheiratete sich im Beginne des Jahres 1570.
Der Bischof berichtete es alsbald an Maximilian und bat ihn, eine von
den zwei Pfarreien in deren Besitz Sibenlot war, nämlich die von Hra-
discli, dem Dr. Johann Viscovinus zu verleihen, und als der Kaiser
diesen Wunsch bewilligte, hat er ihn, diesem auch die Troppauer Pfarre
zu verleihen und Sibenlot zu entfernen. Schon lange und oft hatte
der Bischof um die Entfernung des Letzteren angesucht, allein Maxi
milian beliebte den Sibenlot als einen katholischen Geistlichen anzu
sehen; nun erst, nachdem ersieh verheiratet, konnte er sich keiner
Ausflüchte mehr bedienen, wenn er überhaupt mit dem Bischöfe nicht
brechen wollte. Er erteilte demnach unter Einem den Troppauern
den Befehl (ddo. die Jovis post festum St. Dionysii Viennae 1571)
den Viscovinus als ihren Pfarrer anzunehmen. Auch dieser Befehl
wurde von den Troppauern mit gewohnter Willfährigkeit vollzogen,
das ist, nicht im Mindesten beachtet, da sie überzeugt, dass es dem
Kaiser mit seinem Befehle nicht rechter Ernst sei. Sibenlot blieb
ruhig auf seinem Platze. Viscovinus durfte nicht erscheinen. Um
aber doch etwas zu thun, verlangten sie vom Kaiser die Aufstellung
einer Commission zur Untersuchung ihrer Rechte und Schlichtung
des Streites. Die Commission wurde vom Kaiser aufgestellt, sie
bestand aus Laien, darunter einem Theile Protestanten. Unter diesen
steten Verzögerungen starb Bischof Wilhelm 1572. Sein Nachfolger
Johann ergriff den unter diesen Umständen passendsten Ausweg.
Voraussehend, dass er weder die Ausweisung Sihenlot’s noch den
Besitz der Pfarrkirche werde erlangen können, aber den vollen Nach
theil einsehend, den die Abwesenheit eines fähigen katholischen
Sit/.b. d. phil.-hist. CI. XVIII. Bd. I. Hft.
3
34
Anton G i n d e 1 y.
Priesters für den Rest der katholischen Gemeinde in Troppau nach
sich ziehen müsse, beschloss er, den Dr. Viscovinus 1573 nach
Troppau zu senden. Er machte eine Anzeige an den Franciscaner-
Convent hei der Geistkirche in Troppau (ddo. Cremsirii VII. Idus
Martias 1573), Dr. Viscovinus verfüge sich in seinem Aufträge als
Prediger dahin, die Mönche mögen ihm die Kanzel ihrer Kirche und
ein Zimmer im Kloster einräumen. Gleichzeitig hat er doch auch
den Kaiser, die Ausweisung des Sibenlot endlich verfügen zu wollen.
Maximilian erliess an die Stadt den gewünschten Befehl *) und ver
langte von ihr den Bericht, dass sie demselben nachgekommen sei.
Allein wie weit war doch die Gemeinde vom Gehorsam entfernt. Nicht
nur schützten sie den Sibenlot in seiner Pfarre, sondern antwor
teten nicht einmal auf des Kaisers Befehl. Erst zwölf
Wochen nach Empfang des Briefes sandten sie eine Ge
sandtschaft an ihn und entschuldigten sich wegen ihres langen
Schweigens, ohne jede Angabe des Grundes. Der Kaiser möge die
Gnade haben, nochmals eine Commission zur Schlichtung ihres
Streites anzuordnen, da die frühere Commission durch den Tod
zweier ihrer Glieder, darunter auch des Landeshauptmannes, Herrn v.
Wrbna, aufgelöst sei, übrigens über sie seine schützende Rechte
halten. Der Kaiser gewährte ihre Bitte und gab von seinem Ent
schlüsse dem BisehofeNachricht, damit dieser mit weiterem Drängen
inne halte.
Unzufrieden damit, dass Maximilian seinen früheren, strengen
und scheinbar so ernst gemeinten Befehl so leicht wieder zurück
nahm, wurde es der Bischof noch mehr, als er eine Laien-Commission
deren Glieder gutentheils Protestanten waren, erstehen sah, um in
einer geistlichen Angelegenheit zu entscheiden. Er beschwerte sich
darüber beim Kaiser, worauf dieser den Befehl gab, dass der Com
mission der Abt von Welehrad beigeordnet werde. Allein auch dies
befriedigte jenen nicht; es constatire, schrieb er zurück, ein gefähr
liches Präjudiz gegen die geistliche Gerichtsbarkeit, wenn Laien in
solchen Angelegenheiten zu Gerichte sässen. Wiederum entgegnete
Maximilian, es solle dies kein Präjudiz constatiren, aber da schon
eine ähnliche Commission, sogar ohne geistliches Mitglied unter dem
Bischöfe Wilhelm angeordnet gewesen und dieser sich nicht beklagt
*) Ddo. Viennae, die Veneris post SS. Corporis Christi festum 1573.
Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II. 35
habe, so möge es bei der gegenwärtigen Anordnung sein Bewenden
haben.
Der Erfolg der zweiten Commission lässt sich in
wenig Worten zusammenfassen: Sibenlot blieb ruhig
und ungefährdet an seinem Platze, bis an seinen, 1S80
erfolgten Tod.
Es war das dringendste Bedürfniss für die künftige Buhe des
österreichischen Staates, dass die unabweisbaren Ansprüche der Pro
testanten auf eine gerechte und gesetzmässige Weise befriedigt
würden, weil nur auf diese Weise im friedlichen Wege ihre Ein
dämmung bewirkt werden konnte. Allein nirgends rechtlich geduldet,
erhoben sie überall ihr Haupt. Die Kraft der Staatsgewalt musste
sich nothwendigerweise erschöpfen, wenn sie es über sich nahm,
diese einzelnen Auswüchse eben so einzeln abzuschneiden. Weil
aber weder Maximilian, noch Rudolf diejenigen Männer waren,
welche einen solchen gesetzlichen Zustand hätten begründen können,
so brachen in Österreich die furchtbaren Kriege des siebzehnten
Jahrhunderts in fast allen Ländern der Monarchie aus. Maximilian
hatte den Ständen von Österreich und Böhmen Concessionen im
Puncte der Religion gemacht, die ersteren konnten sieh dann be
schränkt dem Lutherthum hingeben ; die letzteren aber unbeschränkt.
In einzelnen Fällen, in denen offenbar die Concessionen überschritten
wurden, entschied aber Maximilian zum guten Theil gegen die kla
genden Katholiken. Welche Folgen musste es nun erzeugen, als
Rudolf die Regierung antrat , der die Bestimmungen seines Vaters
insbesondere in den böhmischen Kronländern missachtete, den reli
giösen Zustand völlig umzugestalten trachtete, aber auch nicht das
bescheidenste Mass der hierzu erforderlichen Kraft besass. Der
Ungehorsam der gegen Maximilian's Befehle von Seite der Pro
testanten ausgeübt wurde, hatte eine ganz andere Bedeutung als der
gegen Rudolf. Die Protestanten waren sich bewusst, gegen die
Sympathien Maximilians, über die er sich mehr oder minder klar
sein mochte, durch die Missachtung seiner Befehle nicht zu ver-
stossen; das Ansehen des Fürsten erlitt im Ganzen keinen so gefähr
lichen Stoss, als wenn sie durch ihren Ungehorsam Rudolf sowohl
als Kaiser, wie als Privatmann in seinen ernst ausgesprochenen
Absichten und in seinen innigsten Wünschen schonungslos verletzten.
Ist es zu verwundern, dass die Rudolfinische Regierung unter
3 *
36
Anton G i n (1 e 1 y.
Revolution endigte und Revolutionen im Gefolge hatte, wenn Refehle
des Kaisers, deren einmalige Ausserachtlassung in früheren Zeiten
für den Ungehorsamen Capitalstrafen nach sich gezogen hätte, zehn
mal, trotz der immer schärferen Strafandrohungen, der Rezeugung des
höchsten Missfallens des Staatsoberhauptes, selbst ohne den Schein
einer Beachtung verworfen wurden? Es gibt keine königliche Stadt
in Böhmen, Mähren und Schlesien, der nicht Rudolf wiederholt
Befehle zusandte, die sectischen, d. i. lutherischen Geistlichen zu
entfernen; aber nirgends bewirkte er mit seinem Befehle, etwas,
wenn nicht zufälligerweise eine Spaltung des Raths ihm entgegenkam.
Ich kenne nur einen einzigen Fall, in dem er einen vollständigen Sieg
gewann, und dies in Jungbunzlau, doch auch da nicht über die Luthe
raner, sondern über die böhmischen Brüder die, trotz ihrer Ansiede
lung allda seit mehr als 100 Jahren, Kirche und Schule im Jahre 1602
sperren mussten und ihr ganzes Vermögen an ihm verloren. Miss
achtete Befehle des Fürsten von Seite der Unterthanen sind eben so
viele Stiche gegen ihre Autorität, schlimmer noch dann, wenn die
Befehle nicht im Gesetze gegründet waren.
Der Troppauer Kampf der in seiner ernsten Weise seit dem
Jahre 1565 begonnen, ruhte nun bis zum Jahre 1380. Die Ursache
des mehrjährigen Stillstandes seit 1373 war nicht etwa die Über
zeugung der Olmützer Bischöfe von der Nutzlosigkeit ihrer Bemü
hung während Maximilians Herrschaft, sondern mehrmalige schnell
auf einander folgende Sedisvacanz des Olmützer Bisthums. 1374 starb
Bischof Johann XIV., 1573 sein Nachfolger Thomas Alhinus, 1578
dessen Nachfolger Johann XV., erst im Jahre 1579 erstand dem Bis-
thume mit der Wahl des Stanislaus Pawlovvsky ein Vorsteher der
sowohl über, staatsmännische wie kirchliche Bildung gebietend,
von Rudolf hochgeachtet und als Principalgesandter hei der ver
suchten Erhebung des Erzherzogs Maximilian auf den polnischen Thron
benützt, allein im Stande war, einen schwierigen Kampf gegen die
Missachter geistlicher Autorität und katholischer Religion aufzu
nehmen.
Es traf sich, dass Sibenlot 1580 starb. Dieses Ereigniss ver
anlasse Stanislaus, seine Aufmerksamkeit eher nach Troppau zu
richten, als er sonst Willens gewesen wäre. Die Pfarre war nun
unstreitig vacant. Alsogleich schrieb er an die Gemeinde, da ihr ver
möge Privilegium Ferdinand’s I. das Patronatsrecht, ihm allein aber
Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II.
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die Bestätigung des Präsentirten zustelie, so möge sich dieselbe ohne
seine Erlaubnis das Recht nicht anmassen, einen Pfarrer einzusetzen.
Die Troppauer, überzeugt, dass es nunmehr einen harten Kampf gegen
den wahrscheinlich zu Hilfe gerufenen Kaiser geben werde, erwi
derten ziemlich schnell, sie würden dem Bischöfe einen Candidaten
präsentiren, doch sei es nicht leicht, einen für sie passenden zu finden.
Ihre Absicht war es, die Sache hinauszuschieben und, wenn es nicht
anders ging, gar keinen Pfarrer einzusetzen, da sie sich im ärgsten
Falle mit den zwei lutherischen Caplänen an der Pfarre begnügen
wollten. Allein Stanislaus drängte sie, er bot sich ihnen an, falls sie
noch immer von einen guten Candidaten nichts wüssten, ihnen einen
tüchtigen Geistlichen vorzuschlagen, und nannte als solchen den
Propst von Fulnek. Zugleich forderte er den Landeshauptmann auf,
dem Rathe keine Ruhe zu gönnen, sondern unablässig auf die Präsen
tation anzutragen. Mehrmals wegen ihrer Zögerung sich entschuldi
gend, nahm endlich die Gemeinde den Vorschlag des Bischofs an.
Der neuernannte Pfarrer kam am S. November 1S80 in Troppau an.
Bevor er jedoch von der Pfarre Besitz ergreifen sollte, befahl ihm
Stanislaus die Ausweisung der lutherischen Capläne zu verlangen und
schrieb selbst in gleichem Sinne an den Rath.
Dies war nun der Punct, bei dem es zum Kampfe kommen
musste. Die Rathsherren verweigerten die Entfernung mit Festigkeit.
Seit jeher sei die Anstellung und Unterhaltung der Capläne ihr Recht
gewesen, auch sei ihnen nicht bekannt, dass eine fremde und unka
tholische Religion von denselben gelehrt werde. Es sei ihr Wunsch,
dass das Abendmahl sub utraque ausgetheilt werde, und diesen
Wunsch habe Maximilian durch Zulassung des Predigers Zinkfrei,
der sich nach der Augsburger Confession gerichtet, wie auch des
böhmischen Predigers gebilligt. Hätten sie blos einen Pfarrer sub
una und ihm entsprechende Capläne, so würde eine grosse Religions
störung eintreten, indem schon viele sub utraque geboren und erzogen
worden wären.
Auf diese Einwendungen entgegnete der Bischof: Wenn es sich
um nichts anderes als um die Communio sub utraque handle, so könne
dieselbe Jedermann ertheilt werden, da sie vom Papste bewilligt wor
den; er müsse also trotzdem auf der Entlassung beider Capläne
beharren. Zugleich wandte er sich an Rudolf, um dessen, wie es
nunmehr scheinen musste, entscheidende Mithilfe anzusuchen. Ohne
38
Anton Gin d*el y.
Zögerung befahl Rudolf dem Troppauer Landeshauptmanne (ddo.
Prag, Montag nach Barbara 1580) die zwei häretischen Capläne
unverzüglich abzuschaffen.
Der Landeshauptmann Johann von Wrbna theilte den Troppauern
des Kaisers Befehl mit. Es verstosse, war ihre Antwort, gegen ihre
Privilegien, in die Abschaffung ihrer Capläne einzuwilligen. Leicht
könnte eine Geringschätzung ihrer Personen bei der ganzen Nach
barschaft die sich in Religionsangelegenheiten so wie sie benehme,
eintreten, wofern des Kaisers Gesuch willfahrt würde. Übrigens
hätten sie bereits einige Personen nach Prag zur Verantwortung
geschickt und bäten, bis auf deren Rückkunft, sie mit weiterem Drän
gen zu verschonen.
Sei es, dass diese Gesandtschaft noch nicht nach Prag gekommen
war, sei es, dass der Kaiser bereits wieder entschied, genug, er
befahl (ddo. Pragae die Jovis post Epiphaniam 1581) dem Bischöfe,
dass er im Einverständnisse mit dem Landeshauptmanne die Entfer
nung der Prädicanten betreiben solle. Allein nicht nur dass die
Troppauer diesem Befehle nicht gehorchten, sie gestatteten auch
nicht mehr dem von Stanislaus ernannten Pfarrer von der Pfarre
Besitz zu ergreifen und eine Function zu verrichten. Über solche
Hartnäckigkeit berichtet, befahl ihnen Rudolf unter sonstiger schar
fer Ahndung ') nicht nur die Entfernung der zwei Häretiker zu bewerk
stelligen, sondern auch den katholischen Pfarrer von seiner Pfarre
Besitz ergreifen zu lassen. Den Bischof forderte er unter Einem auf,
eine Commission nach Troppau zur schleunigen Entfernung der öfter
genannten Personen abzusenden, dem Herrn von Wrbna befahl er,
dieser Commission jeden möglichen Vorschub zu leisten. Stanislaus
schickte auf diesen Befehl den Dechant des Capitels, den Archidiakon
Scutelan und den bischöflichen Ofticial als seine Commissäre nach
Troppau, wohin diese am 12. Juni gelangten.
Im Vereine mit dem Landeshauptmanne erklärten sie den Abge
sandten des Rathes die Ursache ihres Erscheinens und verlangten
unwiderruflich die Erfüllung des kaiserlichen Befehles. Sie stellten
ihnen zugleich zwei Priester vor, von denen der eine als deutscher,
der andere als böhmischer Prediger fungiren könne, und empfahlen
sie ihnen zur Annahme. Die Abgesandten erbaten sich für die
Ddo. die Jovis post divisionem Apostolorum 1K81.
Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II.
39
Antwort einen Tag zur Bedenkzeit. Des andern Tages erklärten sie,
sie seien erbötig, den ihnen vom Bischöfe präsentirten Pfarrer anzu-
nelimen, ihre Caplüne könnten sie aber auch nicht entfernen, da diese
nichts irrthiimliches lehrten, sie hätten die augsburgische Confession
welche von Kaiser Karl V. seligen Angedenkens für ganz Deutschland
1530 bewilligt worden wäre, zur Richtschnur, übrigens sei ihnen das
Bekenntniss dieser Confession ausdrücklich von Kaiser Maximilian II.
glorreichen Andenkens gestattet worden; endlich würde an den
Kaiser ihrerseits eine Deputation abgesendet werden: man möge also
auf seine künftige Antwort harren. Aber Herr von Wrhna zeigte
ihnen, wie ja der Kaiser durch Erneuerung seines Befehls das Ansu
chen ihrer früheren Gesandtschaft verworfen und wie sie durch die
Missachtung desselben in die Strafe des Ungehorsams verfallen
könnten. Sie ersuchten auf dies um einige Tage Bedenkzeit, damit
sie die Gemeinde einberufen und an sie die Sache referiren könnten.
Obzwar dagegen die Commissäre Einsprache thaten, da ihre Sendung
nur an den Rath gehe, der nach des Kaisers Ermessen in der Sache
allein entscheiden könne, so gaben sie endlich ihrer Bitte nach.
Nach einigen Tagen kam der Rath und die Abgesandten der
Gemeinde, letztere 50 an der Zahl, zu den Commissären. Da diese
in einem kleinen Saale waren, so Hessen sie von den letzteren nur
10 vor sich treten. In ihrem Namen sprach ein gewisser Jakob, das
einflussreichste Glied der Gemeinde, mit aller Heftigkeit. Die Stadt
könne durchweg nicht in die Entfernung der zwei Capläne einwilli
gen, sondern werde sich desshalh an den Kaiser wenden, auch werde
man nunmehr nicht früher den katholischen Pfarrer aufnehmen, bevor
des Kaisers Antwort zurückgekommen wäre. Bei dieser entschiede
nen Weigerung, den Befehlen des Kaisers Folge zu leisten, verlangte
die Commission von dem Rathe, und zwar der Hauptmann für den
Kaiser, die geistlichen Commissäre für den Bischof eine Zuschrift,
worin dieser seinen letzten Entschluss mittheilen möchte, damit an
beide der Bericht über den Erfolg der Commission zugesendet werde.
Über die Begebenheiten in Troppau unterrichtet, zögerte Rudolf
unverhältnissmässig lange mit der Kundgebung seines Willens. End
lich, nach Verlauf eines halben Jahres, befahl er Herrn von
Wrhna ohne jeden weitern Verzug die zwei Prädicanten abzuschaflen
(ddo. Prag, Montag nach Barbara 1581). Da aber die Gemeinde nicht
gehorchte, wiederholte er seinen Befehl einige Monate später
40
Anton G i n d e 1 y.
(ddo. Wien die Veneris post Pascha 1582) und trug zugleich dem
Landesunterkämmerer von Mähren, Nikolaus von Hradek, einem eifri
gen Katholiken auf, nach Troppau zu reisen, und mit dem Landes
hauptmanne seinen Befehl auszuführen.
Welche Ohnmacht! 4 Jahre vergingen nun unter
beständigen Anordnungen von Commissionen Seitens
des Kaisers zur Vertreibung der Prediger, 4 Jahre ver
flossen bis zum Jahre ISS 6 unter stetem Schreiben und
Gegensehreiben, unter drohenden Befehlen und unter-
thänigen Vorstellungen, unter Erwartung und Vereite
lung, ohne dass Troppau auch nur ein Haar breit gewi
chen wäre. Es wiird e zu nichts führen, alle die Befehle
des Kaisers, alle die Einwendungen der Gemeinde hier
auseinanderzusetzen, genug, nachdem er seit 1S80 bis
1586 befohlen und gedroht, hatte er nichts bewirkt.
Stanislaus Pawlowsky bewies sich als einen Mann von Erfahrung
und grosser Klugheit. Er lebte noch bis 1598, allein mit Troppau
mochte er nichts mehr zu thun haben, überzeugt, dass seine Stellung
ihm nicht jene Macht gebe, um deren Anwendung er und seine Vorgän
ger den Kaiser so oft und so vergeblich angefleht. Seine Thätigkeit
ging nur auf das Erreichbare und bei dieser Resignation rettete er
für die Geistlichkeit in Mähren, was für sie zu retten war.
Durch dasselbe Mittel eines mehr passiven als activen Wider
standes hatte er die hart angegriffene Exemption der Geistlichkeit in
Personalsachen gegen das mährische Landrecht gerettet.
Die Wichtigkeit des Gegenstandes macht es erklärlich, wenn
wir um den weiteren Verlauf des Streites uns kümmern. Nachdem
Troppau jeden Widerstand von Seite des Bischofs aufgegeben sah,
berief es an die erledigte Pfarre einen lutherischen Geistlichen. Die
Diüccsanrechte des Olmützer Bischofs über die Stadt schienen längst
in Vergessenheit begraben zu sein, als nach Stanislaus Tode der
berühmte Cardinal Dietrichstein den bischöflichen Stuhl von Olmütz
bestieg, durch den, was Niemand gelungen war, Troppau wenigstens
für einen Moment besiegt werden sollte.
Der genannte Cardinal erfreute sich der Vortheile einer hohen
Stellung und Geburt. Obzwar an staatsmännischer Geschicklichkeit
seinem berühmten Zeitgenossen, dem Cardinal Kldesel, nachstehend,
überragte er ihn durch die Vortrefflichkeit seines Charakters und
Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II.
41
durch seine Uneigennützigkeit. Betraut mit vielen Aufträgen des
Kaisers und Papstes, hatte er sie vielleicht nicht mit der gewünschten
erfolgreichen Schnelligkeit, aber immer mit gewissenhafter Ehrlich
keit beendet. Bei vielen grossartigen canonischen Processen in
Deutschland, unter andern bei dem des Dr. Brand mit dem Augsburger
Capitel und Bischöfe, hatte er als päpstlicher Delegat, eine Würde,
die selten Jemand zu Theil ward, entschieden. Es war nun für einen
Mann von seiner Stellung eine würdige Aufgabe, wenn er in Troppau
das vernichtete Ansehen der Kirche hersteilen wollte, um so mehr,
wenn er dabei einen rein geistlichen Eifer an den Tag legte und nicht
scheute, seine Person der Lebensgefahr blosszustellen. Bei seinem
Einflüsse auf K. Rudolf konnte er sich einer LInterstützung seiner
seits versehen, wie keiner seiner Vorgänger.
Er rührte also den Troppauer Streit durch ein Schreiben an Rudolf
auf, indem er sich beklagte, dass die Gemeinde gegen das Privilegium
Ferdinand’s I., das sie lange verwirkt, einen lutherischen Pfarrer eigen
mächtig angestellt habe. Diesmal befahl der Kaiser der Stadt, als
bald ihren Pfarrer abzuschaffen, eine taugliche Person dem Cardinal
zu präsentiren (ddo. Prag am Tage der h. Ursula 1602). Aus diesem
späten Datum ist ersichtlich, dass Dietrichstein drei Jahre nach Ein
nahme seines bischöflichen Stuhles zögerte, bevor er sich an den
bevorstehenden schweren Kampf machte. Auf den Befehl Rudolfs
richteten die Troppauer eine Bittschrift nach Prag (ddo. 28. Jänner
1603). Sie baten auf das Untertänigste, ihnen die freie Ausübung
der Augsburger Confession die ihnen 1568 von Maximilian II. bewilligt
worden, zu gestatten. Es sei ihnen übrigens unmöglich, wie der
Kaiser in der vorangehenden Zuschrift verlangt, die vorzüglichsten
Rathspersonen nach Prag zu schicken; denn das Einkommen der
Stadt sei so schlecht, dass sie oft kaum einen Botenlohn zahlen
könnten, viel weniger den Unterhalt mehrerer Personen für eine so
weite Reise bestreiten könnten. Würde der Kaiser aber nichtsdesto
weniger eine Gesandtschaft verlangen, so bäten sie, er möge ihnen
einen langem Termin setzen, damit sie über den Gegenstand reiflich
berathen könnten.
Indess vergingen über diese Bitte Monate, sei es, dass der Kaiser
nach gewohnter Weise keinen Befehl ertheilte, sei es, dass er ebenso
missachtet ward. Nun versuchte Dietrichstein, nach dem Beispiele
seines Vorgängers, die drohende Gefahr nicht scheuend, eine Reise
42
Anton Gindety.
nach Troppau anzustellen und' persönlich die Umänderung herbeizu-
führen. Er kam den 8. Mai 1603 dahin. Doch auch diesmal war,
wie zu Bischof Wilhelm’s Zeiten, das Volk furchtbar aufgeregt und zu
Gewaltthaten von den Feinden der Katholiken aufgestachelt. Pasquille
wurden gegen den Cardinal und die Jesuiten an den Mauern ange
klebt, die die Leidenschaften noch mehr aufreizten. Eines dieser
Pasquille wurde von den Katholiken abgerissen und ward nach
Kremsier geschickt, wo es noch aufbewahrt ist. Es ist voll der bitter
sten Heftigkeit und von einem „Phil, de Grand“ unterschrieben. Als
der Cardinal in Troppau einfuhr, wurde er von .einem Volkshaufen
umringt; ob er persönlich misshandelt ward, kann ich nicht ermessen;
doch scheint der Frevel sehr weit gegangen zu sein, er musste endlich
froh sein, mit dem Leben aus der Stadt zu entkommen. Noch an dem
selben Tage schrieb er eigenhändig, was äusserst selten der Fall,
einen Brief an den Kaiser, dessen Inhalt folgender:
Allerdurclileuchtigister, grossmechtigister Kheiser und Khunig
allergnedigister Herr.
Was mir für ein schandt und despect in E. K. K. M. stadt Troppau
widerfarn, wern sie aller genedigist auss bei gelegten memorial ver
nemen. Und es woli ich nitt allein solliches, sundern den todt selbst
wegen der religion Zu leidten bereidt, so will mirs doch nitt gebirn
E. K. K. M. solliches berichten zu Underlassen, weil in Thirkhei nitt
erger wer geschehen au ff das E. K. K. M. testo besser informirt
werdte, bin ich allerunderthenigest bereidt, so es E. K. K. M. Erlau
ben selbst auf Prag zu khumen, Mich deroweil E. K. K. M. aller-
deinittigest und gehorschamest bevhellendt. Paktarz den 8. Mai
Jar 1603.
E. K. K. M.
allergehorschamester underthenigester
Diener Caplan und Underthan
F. Card, von Dietrichstein.
Die Misshandlung eines Cardinais war in jenen Zeiten immer
eine gefährliche Sache und leicht konnte der Unwille des Kaisers über
eine solche Missachtung eines hohen Kirchenfürsten der Stadt ärger
bekommen, als die langgeübte Missachtung kaiserlicher Befehle. In
dieser Erwägung beschloss auch der Rath von Troppau gleich am
folgenden Tage (9. Mai), den Cardinal um Entschuldigung für die
Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II.
43
wiederfahrene Unbill zu bitten, er habe keine Macht über das Volk
welches so eigenmächtig die Grenzen des Gesetzes überschritten
habe. Er wolle mit allem Eifer nach den schuldigen Personen forschen
und sie strafen. Gleichwohl war dies nur eine schale, für die Ötfent-
lichkeit und den Kaiser berechnete Entschuldigung. Der Rath wie
das Volk waren mit dem Geschehenen zufrieden, bereit, im Gleichen
fortzufahren und sich mit der Hoffnung schmeichelnd, den Bischöfen
von Olrnütz für immer das Reisen in ihre Stadt verleidet zu haben.
Bevor noch die Nachricht von des Cardinais Misshandlung nach
Prag gekommen war, hatte der Kaiser, erzürnt über die Erfolglosig
keit seines ersten Befehles, neuerlich (13. Mai 1603) in strenger
Weise an die Troppauer geschrieben. Das Patronatsrecht derselben,
liiess es, sei durch die Einsetzung von Prädicanten verloren gegangen
und wenn es noch ferner der Stadt verbleiben solle, so-sollten sie
unweigerlich einen katholischen Geistlichen dem Bischöfe präsentiren,
den Prädicanten aber und seine Gehilfen entfernen und dem ordent
lichen katholischen Pfarrer alle früher mit der Pfarrei verbunden
gewesenen Einkünfte zuweisen. (Die Stadt hatte sich nämlich eines
Theils derselben bemächtigt.) Mit der Versicherung, das Aufgetragene
vollziehen zu wollen, sollten sie Abgeordnete an den Kaiser schicken,
und diese sollten sich nicht eher von Prag entfernen dürfen, so lange
nicht sein Befehl gänzlich erfüllt sei. Dafür hafte die Stadt unter
sonstiger Strafe von 30.000 Schock Groschen.
Welche furchtbare Strenge, würde man meinen, wie schnell muss
wohl der Erfolg gewesen sein! Doch weit gefehlt. Die Stadt schickte
zwar Abgeordnete nach Prag, doch nicht um dem Kaiser die Versi
cherung von der Vollziehung der Befehle zu überbringen, auch nicht
um etwa die Strafe zu erlegen oder sich von ihr loszubitten, sondern
einfach um für die Beibelassung des Prädicanten anzusuchen, gewillt,
ihn um jeden Preis zu halten. In der Stadt Troppau selbst stieg die
Aufregung von Tag zu Tag, die Bewaffnung wurde allgemein, die
Thore des Tages und Nachts bewacht, durch die Strassen zogen
bewaffnete Truppen, die Glocken waren stets bereit, ein Signal für
die allgemeine Ansammlung zu geben. Unter diesen Umständen war
das Leben und Eigenthum der Katholiken bedroht, man begann davon
zu sprechen, die katholischen Kirchen und Klöster zu zerstören und
wollte zunächst mit dem Nonnenkloster bei S. Clara beginnen. In
grösster Angst schrieb die Äbtissinn an den Landeshauptmann (Montag
44
Anton G i nd e 1 y.
nach Laurentius 1603) von der sie bedrohenden Gefahr und um seine
Hilfe ansuchend. Der Landeshauptmann, Herr von Sedlnicky, im
Innern dem lutherischen Bekenntnisse zugethan, warnte gleichwohl
als Dieper des Kaisers die Bürger vor jedem unbesonnenen Vorgehen,
ohne jedoch irgendwie den Bedrohten thätige Hilfe zu gewähren.
Inzwischen war vom Kaiser ein neuerlicher Befehl an den Rath
gekommen, die Pfarrkirche so lange zu sperren, bis ein ordentlicher
Priester eingesetzt werden würde, so wie auch jene Personen in
Gewahrsam zu nehmen, die sich der Misshandlung des Cardinais
schuldig machten. Obwohl diese Personen alle bekannt, so genossen
sie bis dahin ganz ungefährdet ihrer Freiheit. Der Kaiser verlangte
nun auch, dass sie nach Olmütz zur Untersuchung und Bestrafung
abgesendet würden. Allein sowohl der Rath Avie die Beklagten
weigerten sich, der Aufforderung Folge zu leisten. Die Beklagten
weigerten sich dessen, weil sie erbötig seien, sich in Troppau zu
stellen; der Rath, weil es gegen die Privilegien der Stadt sei, dass
ein Bürger anderswo vors Gericht gefordert werde. Was die aufge
tragene Sperrung der Kirche betraf, so gab sich der Bürgermeister
Cikanek den Anschein, als wollte er gehorchen, er Hess dieselbe
sperren und die Schlüssel zu sich bringen. Als aber des andern
Morgens ein grosser Haufe mit vielem Geschrei die Schlüssel von ihm
forderte, gab er sie, vielleicht wirklich eingeschüchtert, heraus, wor
auf die Kirche geöffnet und der lutherische Prädicant die Kanzel
bestieg. Etwas später forderte Cikanek die der Misshandlung des
Cardinais schuldigen Personen auf, vor ihm zu erscheinen und erklärte
ihnen, er habe wiederum einen strengen Befehl vom Kaiser erhalten,
sie in Gewahrsam zu nehmen. Doch diese, bis auf einen, sämmtlich
Bürger, weigerten sieb, auch nur in Troppau ins Gefärigniss zu gehen,
nur der eine, seiner Beschäftigung nach ein Diener, ergab sich frei
willig in die Haft. Auf dies erklärte der Bürgermeister dem Ilerrp
von Sedlnicky, er sei ausser Stande, die Befehle des Kaisers zu
vollziehen, die Gemeinde verweigere ihm den Gehorsam.
Herr von Sedlnicky war mit den Landrichtern in der Stadt
erschienen, um bei einer späteren Vorladung der Ungehorsamen vor
die Schranken des Gerichts die Einwohner zum Gehorsam zu mah
nen. Doch vergeblich. Sie schrieben demnach in corpore an den
Kaiser und erklärten ihm, die Stadt beharre in offener Widersetzlich
keit (ddo. 10. und 12. August 1603). Auch der Rath richtete an
Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II.
45
Rudolf ein demüthiges Schreiben und entschuldigte sich mit seiner
Ohnmacht wegen Nichterfüllung der kaiserlichen Befehle. Der Kaiser
antwortete auf alle diese Vorstellungen in einem väterlichen Tone.
In diesem Schreiben trug er nämlich dem Landeshauptmann und den
Landrichtern auf, den Troppauern in einer eindringlichen Weise
ihren bisherigen Ungehorsam und die nothwendigen üblen Folgen
vorzustellen, insbesondere aber ihnen auseinanderzusetzen wie schwer
sie sich durch die verbotene Wiedereröffnung der Pfarrkirche gegen
die kaiserliche Majestät vergangen hätten. Für alle diese Vergehen
sollten sie seine Verzeihung erflehen, würden sie dies aber und die
Beobachtung seiner weiteren Aufträge unterlassen, so sollten sie
unnachsichtlich als Landfriedensbrecher zu behandeln sein. Sedlnicky
erüffnete am 27. August dem Stadtrathe seinen Auftrag und forderte
zugleich die Inhaftnahme der der Insultation des Cardinais Schuldi
gen. Statt aber letzteres zu thun, bat der Rath den Hauptmann, er
möge sich für sie beim Kaiser verwenden, da die Stadt an ibn eine Bitt
schrift einzureichen gedenke. Wirklich ward eine solche am andern
Tage abgeschickt. Die Bürger baten in derselben mit ihren Frauen und
Kindern fussfälligst um die freie Ausübung der Augsburger Confession
und erklärten sich bereit, falls die mit der angefochtenen Pfarre ver
bundenen Einkünfte und Besitzungen der Stein des Anstosses wären,
dieselben an den Kaiser abtreten und ihre Prädicanten aus Eigenem
besolden zu wollen.
Indessen waren auch die Landrichter in Troppau erschienen. Sie
citirten vor das Landrecht die Bürgermeister (ihre Zahl war durch
Gesetz auf drei bestimmt) und die vorzüglichsten Rätlie der Stadt.
Den erscheinenden wurden die Befehle des Kaisers wegen Schliessung
der Pfarrkirche und Entfernung aller Prädicanten mifgetheilt und sie
zur Willenserklärung aufgefordert, ob sie gehorchen wollten oder
nicht. Darauf erklärten die Anwesenden, es sei ihr Wille, gehorsam
zu sein, doch leiste ihnen die Stadt keinen Gehorsam mehr. Das
Landrecht begnügte sich mit dieser Erklärung, gab aber dem Rathe
und den Bürgermeistern den Auftrag, die Gemeinde vor sich alsbald zu
berufen, ihr zu befehlen, aus jeder Zunft drei Männer zu wählen und
diesen Ausschuss am folgenden Tage um 7 Uhr in die Landrechts
stube zu senden.
Am andern Tage (Mitwoch nach Maria Geburt 1G03) fanden
sieb am Rathhause auf den Befehl des Rathes viele Bürger, doch
46
7S
Anton G i n d e I y.
weitaus die kleinere Hälfte der Gesammtheit ein. Ihnen ward das
Begehren der Landrichter mitgetheilt. Die Bürger weigerten sich
aber, aus sich einen Ausschuss zu wählen und in die Landrechtstube
zu senden. Es sei gegen ihre Privilegien, sich anderswo als in der
Rathsstube zu versammeln, habe ihnen der Landeshauptmann oder die
Landrichter etwas mitzutheilen, so seien sie erbötig, dies hier anzu
hören. Da die bestimmte Stunde erschienen war, um welche die Aus
schüsse der Zünfte vor dem Landrechte erscheinen sollten und Nie
mand kam, sandte Herr von Sedlnicky aufs Rathhaus, die Säumigen
anzuspornen oder um. die Ursache des Nichterscheinens zu fragen.
Es wurde seinem Boten die obige Antwort. Noch zweimal sandte er
seine Diener aufs Rathhaus, um die gesetzliche dreimalige Citation
voll zu machen; als auch dies nutzlos, Hess er ihnen sagen, er werde
über ihren Ungehorsam an den Kaiser berichten, was auch geschah.
So wie alle Befehle an die Troppauer nutzlos waren, so war
auch jedes Bittgesuch derselben an den Kaiser vergeblich. Trotz des
von ihnen zuletzt eingereichten, befahl Rudolf am IS. October dem
Landeshauptmanne die weitere strenge Einhaltung seiner Befehle.
Allein so schlecht war die damalige Expedition selbst in so wichtiger
Angelegenheit, dass das Schreiben erst am 13. December in die Hand
des Herrn von Sedlnicky kam. Wiederum wurde in diesem kaiser
lichen Mandate der Gemeinde befohlen, die Pfarrkirche zu sperren,
den Prädicanten mit seinem Gefolge zu entfernen. Die Stadt traute
sich noch nicht, offene Widersetzlichkeit an den Tag zu legen. Sie
beschloss, sich, als letztes stets bequemes und zu wiederholendes
Auskunftsmittel, aufs Bitten zu verlegen. Den 29. December schickte
die Gemeinde an den Kaiser eine Bittschrift, wiederum fussfälligst um
freies Exercitium der Augsburger Confession ansuchend; an demsel
ben Tage wandten sich die Bürger und ihre Frauen in separaten
Bittschriften an die kaiserlichen Commissäre, sie um ihre Verwendung
beim Kaiser anflehend. Zwei Tage später, den 31. December 1603,
erneuerten sie und ihre Frauen ihre Bittschriften an den Kaiser und
an die Commissäre, von der grösseren Menge vielleicht einen Erfolg
erwartend. Dass die Commissäre lutherische Sympathien hatten, tritt
deutlich aus dem hervor, dass sie die Bitten der Troppauer an den
Kaiser mit einem Schreiben begleiteten, welches zwar nicht wie eine
Fürbitte klingt, aber doch den Kaiser für die Bittsteller günstiger zu
stimmen sucht.
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Beitrage zur Geschichte der Zeit Rudolfs II.
47
Im Beginne des Jahres 1604 erhielten die Landrichter ein kaiser
liches Schreiben, ddo. 1. November 1603, welches ihnen befahl, den
Rath und die Gemeinde vor sich zu fordern und in Eid und Pflicht zu
nehmen, über etwaigen Ungehorsam zu berichten, und die Pfarrkirche
zu sperren. Die Bittschrift der Stadt konnte demnach die Procedur
diesmal nicht aufhalten. Der oberste Richter Bartholomäus Bruntalsky
von Wrhna beschied zu sich nach Hlucin (bei Troppau) den Rath
und die Abgeordneten der Stadt, und verlangte von ihnen die Able
gung eines Eides, dass sie dem Kaiser und seinen Befehlen gehor
samen wollen (8. Jänner). Sie weigerten sich, denselben zu leisten,
es sei denn, dass denselben noch die Phrase „salva religione“ beige
fügt würde. Dies verweigerte Herr Bruntalsky, verlangte aber die
Schliessung der Pfarrkirche und Ablieferung der Schlüssel. Diesem
Befehle gehorchten sie, die Kirche ward wieder geschlossen, die
Schlüssel vom Bürgermeister überreicht. Auch den Eid leisteten sie
endlich ohne jenen Beisatz „salva religione“, erklärten aber, dass
sie ihn stillschweigend verstünden. Alles dies berichtete Herr Brun
talsky an den Kaiser und erwartete seine weiteren Verhaltungsbefehle.
Dieser momentane Gehorsam war aber nicht von langer Dauer;
denn die Prädicanten deren .Ausweisung ebenfalls anbefohlen war,
predigten zwar nicht in der Pfarrkirche, dagegen in den übrigen,
nämlich in der Georgskirche und in der Barbarakirche mit solcher
Heftigkeit, dass sie die Gemeinde zum Aufstand reizten. Wahr
scheinlich erbrach sie die verschlossene Pfarrkirche wieder. Die
offene Verachtung kaiserlichen Ansehens wurde an den Tag gelegt.
Da erklärte K. Rudolf II. die Stadt in die Acht.
Rudolf schien plötzlich zu einer energischen Thätigkeit sich
aufraffen, und an der Stadt die lange Verachtung seiner Befehle
rächen zu wollen. Er befahl den Zusammenzug von Truppen, durch
die er die Stadt welche sich in den besten Vertheidigungszustand
setzte, belagern lassen wollte. Dem Cardinal gab er den wohl über
flüssigen Befehl, dafür zu sorgen, dass kein Proviant nach Troppau
gebracht würde (ddo. Pragae festo S. Viti 1604). Zu seinen Connnis-
sären, welche die aufrührerische Stadt zum Frieden zwingen soll
ten, ernannte er den Landeshauptmann von Mähren, Karl von Lichten
stein und den Hauptmann der Fürstenthümer Oppeln und Ratibor
Georg Oppersdorf von Dub und Fridstein. Nach der Unterwerfung
sollte die Pfarre mit katholischen Geistlichen, übrigens die Klöster
48
Anton G i n d e 1 y.
mit Mönchen deren Vertreibung stattgefunden zu haben scheint,
besetzt werden.
Die Kremsierer Acten, aus denen die ganze Erzählung geschöpft
ist, geben keinen Aufschluss darüber, wie Troppau zum Gehorsam
gebracht wurde. Wahrscheinlich geschah dies durch rechtzeitiges
Nachgehen der Gemeinde und durch Aufnahme katholischer Geist li
ehen. Diese Nachgiebigkeit erreichte aber ihr Ende, als- der Kampf
zwischen Rudolf und Mathias ausbrach. Nachdem die Stände Böhmens
Rudolf zur Herausgabe des Majestätsbriefes genöthigt hatten, war
auch Troppau nicht mehr zu beschwichtigen. Wenige Tage vor der
Ertheilung des Majestätsbriefes im Monate Juni hatte sich in Troppau
eine bedenkliche Stimmung gezeigt. Aufrührerische Personen schnitten
den Strick von der Glocke in der Wenzelskirche ab und nagelten ihn
an den Galgen an, die Fenster der Pfarrei wurden eingeschlagen.
Umsonst drohten die kaiserlichen Commissäre von Olmütz aus den
Troppauern und mahnten sie, der früher erlittenen Strafe eingedenk
zu sein; bald waren diese durch die vom Kaiser bewilligte freie
Religionsübung von aller Furcht befreit, die Pfarre und was damit
im Zusammenhang war, in ihrem Besitze.
So endigte mit dem Jahre 1609 der lange Streit der Troppauer
mit den Bischöfen von Olmütz und dem Kaiser durch den abermaligen
Sieg der ersteren. Die Darlegung des Streites kann uns nicht sowohl
von seiner religiösen als weit mehr von seiner politischen und recht
lichen Seite interessiren. Für die Kirche war es am Ende ein kleiner
Gewinn, wenn eine kleine Stadt äusserlich eine Verbindung mit ihr
einging, die jedes Gemeindeglicd im Innern verwünschte, mochte
gleich von der Zukunft ein innerer und freiwilliger Anschluss zu
erwarten sein. Aber es war von unermesslicher Wichtigkeit für die
Festigkeit und Dauer der Staatsordnung, wenn eine Stadt durch so
lange Jahre im Zwiespalt mit ihrem obersten Regenten stand. Unter
Maximilian wurden der Stadt häutig Befehle ertheilt, aber stets auf
ihr Ansuchen zurückgenommen. Dagegen unter Rudolf nie wider
rufen, aber auch nie befolgt. Musste dies nicht den Staat unterwühlen,
wenn solche Erscheinungen nicht vereinzelt, sondern allgemein waren,
und musste nicht endlich eine Katastrophe hereinbrechen, die eine
neue Ordnung der Dinge herbeiführte?
Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II. .
49
II. Rudolf gegen Znaim.
In Znaim lebte als Pfarrer an der Michaelskirche Georg Schildt.
Er hatte seine Studien in Österreich gemacht, war dann vom Bischöfe
von Wiener-Neustadt zum Priester geweiht worden und hatte durch
einige Jahre in Wien als Caplan gewirkt. Im Jahre 1555 kam er
in obiger Stellung nach Znaim. Während sein orthodoxer Glaube
früher keinem Zweifel unterlag, ging er im Laufe der Zeit bei ihm
verloren.
Unter Maximilian’s Regierung konnte er sich ohne jede Hinde
rung seiner Neigung hingeben, auch in den ersten Regierungsjahren
Rudolfs genoss er der vollständigsten Ruhe, da er die Gemeinde ganz
auf seiner Seite hatte. Über katholische Gebräuche fing er nun an,
sich in äusserst wegwerfenderWeise zu äussern; so, um ein Beispiel
anzuführen, sagte er von der Taufe: Die beschornen Pfaffen machten
den Kindern Kreuze vorn und hinten und legten ihnen D . . . . ins
Ohr. Seine Reden über Heiligenverehrung, Fasten und Feiertage
glichen ganz der obigen.
Die Klage gegen ihn ging diesmal nicht von Katholiken, sondern
von einem Protestanten selbst aus. Einige Zeit vor dem Jahre 1579
war aus Deutschland ein gewisser Peter Corvinus nach Znaim als
Rector der Pfarrschule von St. Michael berufen worden. Da er über
eine, wie mir scheint, grössere Bildung als Schildt selbst gebot, so-
entstand zwischen beiden bald eine Eifersucht, die von Seite Schildt's
in die heftigste Feindschaft ausartete. Er suchte jenem auf alle
Weise nahezutreten, um ihn zur Entfernung zu vermögen; so schmä
lerte er sein Einkommen, strich Gebühren von Leichenzügen, die
sonst dem Schulrector als Regenschori zukamen, für sich ein. Corvin
klagte über diese Schmälerung beim Rathe, der auch die Beschwerde
gegründet fand, und dem Pfarrer die Auszahlung des vorenthaltenen
Geldes anbefahl. Statt dies aber zu thun, begann Schildt seinen
Gegner häretischer Gesinnung zu beschuldigen, liess dessen Stuhl in
der Kirche wegnehmen und excommunicirte ihn endlich. Dadurch
war Corvin genöthigt, seine Stellung aufzugeben, doch klagte er beim
Znaimer Rathe über die Eigenmächtigkeit Schildt’s; aber der Rath, im
entscheidenden Augenblicke mehr von seinem Gegner beherrscht, gab
ihm am 19. December 1379 die Antwort, er könne in diesem Streite
nicht entscheiden.
Sitzb. d. phil.-liist. CI. XVIII. Bd. I. Hft.
4
so
Anton Gindely.
In unmittelbarer Nähe von Znaim liegt das Kloster Bruck. Der
Abt desselben, Sebastian Freitag, hatte schon lange mit Unwillen nach
Znaim gesehen und im Allgemeinen (im August 1579) dem Kaiser
geklagt, dass sich dort sectische Priester aufhielten. Schon im fol
genden Monate beauftragte Rudolf den Landesunterkämmerer Nikolaus
von Hradek mit der Untersuchung des Gegenstandes, doch, wie es
scheint, vergeblich. Inzwischen hatte sich Corvin, über seinen Geg
ner erbittert und gewillt, gegen ihn beim Kaiser zu klagen, dem
Abte genähert, hatte ihm einen Abriss des Lebens und Thuns Schildt's
gegeben und aufgefordert, gegen ihn beim Kaiser zu klagen. Dies
that auch der Abt am 7. Jänner 1580. Corvin selbst sandte eine
Klageschrift am 18. Jänner an den Kaiser ab. ln dieser erzählte ei
serne erlittene Verfolgung, die er habe von Schildt dulden müssen.
Dieser sei weder Katholik noch Lutheraner, denn nirgends sei er
nach seinem Abfall von der katholischen Kirche über die Augsburger
Confession geprüft worden, übrigens halte er sich auch nicht nach
derselben. In seinem Privatleben sei er faul, stehe spät auf, gebe
sich dem Frass und der Yöllerei hin, spiele beständig Karten und
Würfel, habe nichts gelernt, kenne kaum ein wenig Latein, lese mit
Mühe, obzwar er die Puncte am Würfel sehr gut ausnehme; habe
seine Wohnung am Markte aufgesehlagen, um in den müssigen Stun
den am Fenster zu lümmeln, dominire unrechtmässig den Rath und
die Stadt, reisse das Einkommen der Schule an sich, und verzehre
jährlich über 800 Joachimsthaler.
Schildt brachte es bald in Erfahrung, dass Corvin gegen ihn
geklagt habe. Durch den Anschluss an den Abt verlor er auch die
Sympathien der Stadt, und so konnte es ersterer leicht beim Stadt
gerichte, mit dem er auf eben so gutem Fusse wie mit dem Magistrate
stand, durchsetzen, dass Corvin vorgeladen und gegen jedes Recht
aufgefordert wurde, zu erklären, welchen Inhaltes seine Klage sei ’)•
Dies erbitterte diesen so sehr, dass er sich nicht enthalten konnte
den Schildt einen alten (nicht angegeben) zu schelten. Nun
klagte Schildt wegen Ehrenbeleidigung, eine der schwersten Klagen,
die man noch im 16. Jahrhundert erheben konnte. Das Gericht nahm
die Klage an und verpflichtete den Corvin sich jederzeit gegen die
selbe verantworten zu wollen.
i) Ddo. 1. Febr. 1580.
Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II.
öl
Auf die eingelaufenen Klagen trug Rudolf dem Bischöfe von
Olmiitz, Stanislaus, auf mit dem Landesunterkämmerer nach Znaim zu
reisen und die Streitigkeiten zu untersuchen, „da es sich um geistliche
Personen handle, die unter seine Gerichtsbarkeit gehörten“. Beide
machten sich auf den Weg um den ihnen ertheilten Auftrag zu
erfüllen. Schon waren an den Bischof von Corvin zwei klägliche Briefe
(ddo. IS. März und 10. April) eingelaufen, in denen ihn dieser utn die
Beschleunigung seines Processes ersuchte, seine Lage sei in Znaim
unerträglich, kaum dass ihn mit seinem Weibe Jemand im Quartier
dulde und er nicht, gleich einem Hunde, auf der Gasse wohnen müsse.
Freitag vor Georgi 1SS0 erschienen die beiden Commissäre bei
Znaim. Sie steigen im Kloster des Abtes Sebastian Freitag ab. Sta
nislaus sandte drei seiner Diener in die Stadt zu Schildt, und forderte
ihn auf, alsbald vor ihm zur Verantwortung zu erscheinen. Ihnen
entgegnete der Vorgeladene, er sei gewillt dem Bischöfe „debitam
obedientiam praestare“, doch zieme es ihm nicht dies ohne Vorwissen
des Bürgermeisters zu thun. Kaum hatten die Diener Stanislaus die
Antwort mitgetheilt, erschien aus der Stadt eine Deputation, beste
hend aus 4 Bürgern mit dem Rathsschreiber Joh. Opius an der Spitze.
Nach geschehener Begrüssung erklärten sie, sie hätten so eben
erfahren, dass ihr Prediger der schon auf das 2S. Jahr das Wort
Gottes ihnen mittheile, crtirt werde, es sei ihr sehnlicher Wunsch,
die Ursache dessen zu wissen. Darauf erwiderte der Bischof, er
habe mit den Bürgern nichts zu schaffen, sondern vom Kaiser seinen
Auftrag, der sich nur auf Schildt und Corvin beziehe; sie möchten
sich mit dieser Antwort begnügen und in nichts mischen, was sie
nicht angehe. Da Schildt seinem Diener zur Antwort gegeben habe,
er kenne seine Pflicht, müsse aber früher dem Bürgermeister eine
Anzeige von seiner Citation machen, so sei leichtlich zu ersehen,
dass wenn er mit seinem Erscheinen zögern würde, Niemand anderer
als die Bürgerschaft selbst daran Schuld trüge. Auf dies verlangten
die Abgeordneten die Erlaubniss, einen Augenblick unter einander
sich berathen zu dürfen, und nachdem sie abgetreten und wieder
erschienen waren, erklärten sie dem Bischöfe, dass sie dem .Rathe
einen Bericht erstatten und morgen wiederum ihm eine Antwort bringen
würden. Darauf dieser: sie möchten eindringlich ihren Mitgenossen
auseinandersetzen, wie sie diese Angelegenheit gar nichts angehe und
sie nur dem Befehle des Kaisers zu gehorchen hätten. Allein noch
52
Anton Gindely.
an demselben Tage Abends kam eine verstärkte aus 8 Personen
bestehende Stadtdeputation mit dem Schreiber Opius an der Spitze in
das Kloster. Sie verlangte mit dem Landesunterkämmerer zu sprechen.
Er war gerade vom Nachtessen aufgestanden, ungesäumt gab er dem
Verlangen Gehör, und liess die Bürger vor sich. Nachdem er eine
gute Stunde mit ihnen gesprochen, verlangten sie von ihm, er möge
ihnen noch beim Bischöfe eine Audienz auswirken. Dieser war schon
halb ausgekleidet und verweigerte dem Unterkämmerer die Gewäh
rung der Bitte, gab aber endlich doch seiner Fürsprache nach. Die
Vorgelassenen erklärten, ihr Prediger könne sich nicht ausserhalb
Znaim stellen; wolle sich aber der Bischof in die Stadt verfügen, so
werde er sich ungesäumt verantworten. Stanislaus erwiderte, er
wundere sich, wie sie sich nicht mit seiner frühem Antwort begnügt
hätten,und sich gleichwohl vorsätzlich in Sachen mischten, die sie
nichts angingen. Sie müssten doch wohl die Einsicht haben, wie es
sich nicht für ihn schicke, dem Prädicanten zu Gefallen in die Stadt
zu fahren. Werde sich dieser nach dem Befehle des Kaisers vor ihm
stellen, so Averde er sich nach dem gnädigen Willen des Kaisers gegen
ihn zu verhalten wissen, er habe sich durchaus nicht zu fürchten, dass
ihn gegen des Kaisers Willen etAvas Härteres begegnen könnte. Er
(der Bisebof) habe die Absicht gehabt in der Stadt abzusteigen,
allein gerade bei der Einfahrt ins Thor sei ihm der Abt begegnet
und habe ihn ersucht bei ihm Quartier zu nehmen. Nichts destoAve-
niger baten die Bürger den Bischof in ihre Stadt zu ziehen, er habe
keine Verpflichtung eingegangen, den angeregten Streit ausserhalb
derselben zu entscheiden. Als sie sich mit diesen Worten entfernen
Avollten, sagte ihnen nochmals Stanislaus, sie möchten sich nicht in
eine ihnen fremde Angelegenheit mengen und bedenken, welche Folge
diese unberufene Einmischung für sie haben könnte; da es nun Nacht
sei, so möchten sie sich entfernen aber dafür sorgen, dass der Prä-
dicant am andern Morgen um die achte Stunde im Kloster zur Ver-
antAvortung sich stelle. Würde dies nicht geschehen, so würde er
alsbald an den Kaiser einen Bericht erstatten, Avie seine Autorität
geachtet werde, und nicht länger auf das Erscheinen des Prädicanten
Avarten, sondern anderer Beschäftigungen Avegen Avegfahren.
Am andern Tage zeitlich Früh schickte der Bischof seinen Hof
marschall Herrn Johann Wlcek von Dobfenic, dann den Verwalter
des Wischauer Gutes Ritter Peter NesiloAvsky von NesiloAV nebst
Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II.
53
mehreren seiner ersten Diener nach Znaim zu Schildt, um ihn zu
ermahnen in ihrer Begleitung im Kloster sich einzufinden. Er habe
keine Gefahr zu befürchten, so frei wie er kommen würde, könne er
auch sich entfernen. Als die Abgesandten zu seiner Wohnung kamen
und von einem Bürger erblickt wurden, schloss dieser, ihre Absicht
merkend, das Hausthor schnell zu. Der verlangte Einlass wurde ihnen
verweigert mit dem Bedeuten, der Prediger sei nicht zu Hause. So
kehrten sie unverrichteter Dinge ins Kloster zurück. Inzwischen waren
aber im Kloster Herr Christoph von Lamberg und Herr Albrecht
Eizinger auf Veranlassung Schildt's erschienen und baten in seinem
Namen den Bischof, er möge sieb in der Stadt einfinden, dort wolle
sich der Prädicant bereitwillig stellen. Wolle der Biscliof seinen
Bitten nicht nachgeben, so möge er wenigstens ihren Fürbitten
Rechnung tragen. Darauf Stanislaus: ihm als Bischof und Vorge
setzten des Schildt, als Commissär des Kaisers zieme es keineswegs
jetzt in die Stadt zu gehen, nachdem er es nicht früher gethan. Schildt
habe sich im Kloster zu stellen, er habe nicht die mindeste Ge
fährde zu befürchten. Auf diese feierliche Versicherung entgegneten
die Herren: da sie einsähen, dass ihrem Schützling keine Gefahr drohe,
so würden sie für sein Erscheinen sorgen und selbst mit ihm erschei
nen. Obzwar ihnen entgegnet wurde, ihre Anwesenheit sei nicht im
mindesten nöthig und ihre Mühe eitel, so erscheinen sie gleichwohl
in kurzer Zeit mit Schildt und Corvin vor dem Bischöfe, der von
einigen Geistlichen und Laien umgeben wrnr. Stanislaus eröffnete nun
allen Anwesenden den an ihn ergangenen Befehl des Kaisers, die Klage
des Corvinus und die Punete wegen derer Schildt in Anklagestand
versetzt sei. Während dem dies im Innern des Klosters vorging,
sammelte sich vor demselben eine grosse Menschenmenge, darunter
mehrere Hundert mit Schiessgewehren und anderen Waffen versehene
Männer. Obgleich es stark regnete, wichen sie doch keinen Augen
blick vom Platze, sondern harrten bis zum Abend aus, nachdem das
Verhör mit Schildt beendet war.
Das mit Schildt angestellte Verhör über verschiedene Punete der
Religion stellte es unzweifelhaft heraus, dass er von der katholischen
Kirche abgefallen war, da er durchaus seine Gesinnung nicht verhehlte.
Auch über des Corvinus Klagen wurde inquirirt, doch nur oberflächlich.
Nach Beendigung des lange dauernden und zu Protokoll genommenen
Verhörs wollte der Bischof alle Znaimer entlassen. Nun baten aber
54
Anton G i n d e 1 y.
die Beschützer Schildt’s, der Bischof möge ihnen eine Abschrift der
Klagschrift Corvin’s geben. Dies verweigerte dieser, wiederum erklä
rend, sie hätten nichts mit der Sache zu thun, er werde nicht unter
lassen dem Kaiser über ihre Zudringlichkeit Bericht zu erstatten, auch
nicht unerwähnt lassen, wie mehrere hundert Bewaffnete in drohender
Haltung den Tag über bei dem Kloster sich angesammelt, was ohne
die augenfällige Beschützung des Prädicanten nicht geschehen wäre.
Nach gepflogener Untersuchung sendete der Bischof alle Schrif
ten an den Kaiser und stellte den Antrag, den Schildt aus allen öster
reichischen Ländern zu verweisen. Ein Gleiches sollte mit seinen
Gesinnungsgenossen geschehen. Rudolf billigte den Antrag (Dinstag
nach Himmelfahrt 1580), verlangte aber in der Überschätzung seiner
Ausdauer von den Commissären einen Vorschlag, wie die Znaimer
wegen ihres ungesetzlichen Benehmens gestraft werden könnten.
Bald aber besann er sich eines andern. Am 15 Juni verlangte er von
ihnen einen Vorschlag, wie Schildt ohne jeden Lärm entfernt werden
könnte, zugleich trug er den Znaimern streng auf, wenn sie sich
seiner Gnade versichern wollten, den Schildt in seiner bevorstehen
den Abreise nicht zu hindern, sondern ihm die Entlassung sobald er
es verlangen würde, zu geben. Der Befehl an die Znaimer lautet nach
gleichzeitiger lateinischen Übersetzung, die ich mit dem böhmischen
Original vollkommen in Einklang stehen fand, so:
Rudolphusetc. Celare vos nolumus, quod (pro potestate nostra)
deerevissemus ut Georgius Schildt apud Sancti Michaelem in civitate
vestra concionator justis et legitimis de causis, accepta a vobis
migrandi facultate intra determinatum temporis spatium inde, atejue
adeo ex toto Marchionatu nostro Moraviae discederet. Proinde serio
vobis committimus mandantes, cum praedictus concionator pro decreto
nostro a vobis discedendi potestatem postularit, acceperitque, ejus ne
votis adversemini, potius in eam curam incumbentes, ut inde pacifice
et absque late divaganfi rumore, alio comigret, certo sibi persuadens,
ubi secus fecerit, gravius in se a nobis (pro eo ac aequitas
postulat) animadversum iri. Porro quemadmodum vobis anno
domini 1577 pariter cum aliis civitatibus nostris Marchionatus
Moraviae inviolabilibus in mandatis dedimus, qui esse apud vos et
vigere religionis status debeat, quatenus sectarum errorumque incre-
mentis mature ac salubriter obviaretur, nec non illegitimi sacerdotes
buccinatores inde amoverentur, ita nunc quoque plane nobis constamus
Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II.
55
vobisque serio ac pro imperio nostro injungentes, ne unquam
posthac quocunque modo, ratione seu colore concionatorem ad S.
Michaelem in eivitate vestra aut in suburbio, quocunque tandem in
loco praeter sententiam ac voluntatem Reverendi Stanislai Episcopi
Olomucensis moderni aut successorum ipsius Episcoporum Olomu-
censium suscipiatis, vel susceptum patiamini. Sed quando aliqua
parocbia secundum jus patronatus vobis comissa yacaverit, euratote,
ut parochus in illam promovendus Episcopo Olomucensi sive moderno
sive futuro tanquam legitimo lociordinario vestro praesentetur, prae-
sentatus, tandem si legitimus, dignus eo munere ac inculpatae vitae
fuerit, ad debita parocbi munia obcunda primo subrogetur, secus non
facientes.
Datum Pragae in arce nostra feria tertia post S. Vitum 1S80.
Indem auf diese Art der Process jedenfalls zu Gunsten des Cor-
vinus entscbieden seinen, verlangte dieser vom Znaimer Rathe, dass
Schildt vor seiner Abreise zu einem Schadenersätze für wirklichen
Verlust und für erlittenen Kummer an ihn verhalten werde. Er hatte
aber nicht nöthig auf den Ersatz zu dringen aus Furcht, Schildt
werde zu bald abreisen. Vielmehr legte der Rath den kaiserlichen
Ausweisungsbefehl ad acta und liess Schildt ungehindert sein Amt
verwalten und seine Pfründe geniesseh. Corvin fand es bald auf ver
schiedene Andeutungen gerathen, trotz dem, dass der Kaiser es mit
ihm hielt, mit seinem Weibe Znaim zu verlassen. Er ging nach
Brünn und klagte da beim Landrechte auf Schadenersatz. Eine Cita-
tion erging an Schildt, in Brünn zu erscheinen. Allein dieser, auf die
geheime Gunst des Landeshauptmannes und der Richter nicht mit Un
recht bauend, erschien nicht. So blieb dem Corvin nichts anderes
übrig, nachdem er Brünn vergeblich mit seinem Klagegeschrei erfüllt
hatte, als nach Prag zu 'ziehen um sich unmittelbar an Rudolf zu
wenden. Er überreichte ihm eine mit vieler Zierlichkeit abgefasste
lateinische Klageschrift die, wenn Rudolf erregbar gewesen wäre,
ihn bei seinem Herrschergefühl hätte angreifen müssen. Er musste
auf eine beredte Weise geschildert lesen, wie ein Prädicant, ein
Stadtrath und ein Landesgericht um die Wette seine Befehle höhnten,
wie jener der seine Autorität angerufen, verjagt aus Znaim, ver
lacht in Brünn, endlich wie ein Bettler in Prag anlangte, er musste
lesen, wie erst seine Protection das Übermass des Elends auf den
Supplicanten heraufgewälzt habe. In der am 27. December über-
Anton G i n d e 1 y.
56
reichten Bittschrift rechnete Corvin seinen Schaden auf 2000 Thaler.
700 Thaler habe die Reise nach Brünn, Prag und andere Verluste
in Anspruch genommen, 300 Thaler betrage der Verlust eines
Jahres an sonst gewordenem Erwerbe. 1000 Thaler verlange er als
Ersatz, für den erlittenen Kummer und Schimpf, der ihm eigentlich
nie bezahlt werden könne. Schon zwei Tage später fasste diesmal
Rudolf einen Entschluss, er trug dem Bischöfe von Olmütz auf, heim
nächsten Landrecht in Brünn den Streit zwischen Corvin einerseits
und dem Znaimer Rathe und Schildt anderseits zur Entscheidung zu
bringen. Das worüber das Landrecht zu entscheiden hätte, betraf
aber nur die Schadenersatzklage; die über Schildt verhängte Aus
weisung habe, sollte man denken, noch in Kraft bestanden, ja hätte
eigentlich noch strenger wiederholt werden müssen. Weit gefehlt.
Der Landeshauptmann brachte es durch eine Vereinigung der Stände
dahin, dass dem kaiserlichen Befehle keine Folge gegeben wurde;
Rudolf that nichts gegen diese Opposition.
In einem Memoriale welches zu Randen des Bischofs verfasst
war, ist auf scharfe Weise der Einfluss des Landeshauptmanns Hanus
Haugwic von Biskupic geschildert. Es hatte die Bestimmung, dem
Kaiser überreicht zu werden. Bei dessen Lesung wird es uns nicht
wundern, wenn des Kaisers Befehle missachtet wurden, da dessen
erster Landbeamte sich offen an die Spitze seiner Feinde stellte.
Der Inhalt des Memorials ist folgender:
Quod CapitaneusMoraviae.ubicunque potest religionis catholicae
promotioni suis artibus et machinationibus renitatur. Exemplo est,
quod eo praecipuo authore literas a tribus statibus Moraviae ad Suam
Majestatem in causa permittendi illis hereticos parochos, Neotici-
nenses impetrarint, idem quod minus mandata SuaeMajestatis ratiorie
Georgii Schilt Znoyma amovendi executionem suam habuerint, impe-
divit. Idem quandoProstannensis minister cum Kostelieensicapti erant,
omnem movebat lapidem, ut dimitterentur. Idem mandata Caesarea
de non imprimendis libris haereticis, neque in Moraviam invehendis,
aut venundandis, non publicavit.
Deinde tutelam orphanorum Vasallorum contra juris feudalis
dispositionem sibi violenter arrogare nititur.
Tum Vasalli Episcopi ad literas confoederationis publicae suas
quoque apponere sigillaque imprimere urgentur, cum tarnen, quatenus
Vasalli sunt, ad id non teneantur, siquidem Dominus Reverendissimus
Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II. 37
suum sigillum pro se et Omnibus suis Vasallis praedictis literis con-
foederationis imprimat.
His ipsius conatibus caeteri quoque audaeiores efficiuntur, ad
injurias Clero faciendas. Census annui Clero debiti non solvuntur opor-
tune, quando monentur eo nomine, ut solvant, desaeviunt, probris
proscindunt et tantum non manus violentas illi injiciunl. Ex multis
unum afi'eram, ex quo, quam injurii sint ceteri in Clerum, conjicias.
Joannes enim Konias, antequam ab Abbatissa Pustomeriensi praesen-
tatus et a Reverendissimo confirmatus parocbus Bnyensis Kilianus
Nowak fuisset, relictas decimas post M. Jacobum Halecium ejusdem
loci parochum, quum ad Abbatissam, ut Collaturae jure, pertinebant
sibi per fas nefas usurpavit, deinde eundeui Kilianum multis aff'eeit
injuriis, aditu templi sicut et munia parochialia exequendi facultatem
prohibuit, subditis interdixit quoque, ut eum non audirent.
So sehen wir auch in diesem Streite Rudolf nach mannigfachen
Anstrengungen, Befehlen und Drohungen ermüdet durch den Wider
stand seiner Gegner in kurzer Zeit aus dem Felde geschlagen.
III. Rudolf gegen Herrn Linhart xon Stampach.
Nachstehende Erzählung ist aus dem Ms. IS, C. 16, fol. 206
u. s..w. der Prager Universitäts-Bibliothek, dann dem Ms. 3, G. 1 der
böhmischen Museums-Bibliothek geschöpft.
Bevor die Stadt und Herrschaft Kommotau in Böhmen in den
Besitz der Familie Lobkowitz kam, war auf ihr der utraquistische
Gottesdienst ohne alles Hinderniss geübt worden. Natürlich fand auch
da das Lutherthum, wie überall sonst in Böhmen, Eingang. Als
jedoch die Lobkowitze in den Besitz kamen, haben sie auch hier im
Sinne der katholischen Kirche reformirt. Georg von Lobkowitz ent
fernte die theils utraquistischen tlieils lutherischen Pfarrer von ihren
Pfründen und besetzte sie mit Geistlichen sub una. Nach Kommotau
selbst führte er im Jahre 1S91 die Jesuiten ein. Dies so wie die
Verordnung, dass bei dem Leichenzuge eines ohne Sacramente Ver
storbenen keine Glocken ertönen dürften, erbitterte die Bürger der
Stadt auf das höchste. Ein Aufstand brach bei Gelegenheit der Einhal
tung obiger Verordnung aus, er richtete sich gegen die Jesuiten, und
nur mitLebensgefahr retteten sie sich aus der Stadt. Für den Aufstand
und angerichteten Schaden musste die Gemeinde biissen. Fünf Personen
Anton G i n d e 1 y.
58
wurden hingerichtet. Der Schaden musste völlig ersetzt werden, die
Privilegien wurden der Stadt genommen und nur auf inständiges Flehen
derselben von Georg Popel von Lobkowitz wieder gegeben.
Die Praktiken, in die sich Georg Popel gegen Rudolf II. im
Jahre 1593 einliess, durch die er den Kaiser zwingen wollte, ihn zum
Oberstburggrafen zu ernennen, kosteten ihm trotz seiner hohen Ver
bindungen und seihst seiner Freundschaft mit dem päpstlichen Hofe
die Freiheit und seine Güter. Mehrere derselben behielt der Kaiser
einige Jahre in seiner Verwaltung, bis er durch Geldnoth gedrängt
einige zu verkaufen sich genöthigt sah. So löste er die Herrschaft
Kommotau von der Stadt Kommotau und einem Theile ihres frühem
Bestandes ah und trug sie dem Herrn Linhart von Stampach 1605
zum Kaufe an. Stampach war ein entschiedener Protestant. Er wusste
welche Veränderung in religiöser Beziehung durch Georg Popel ange
stellt worden, und er zweifelte durchaus nicht, dass durch die Jesui
ten eine Veränderung in den Gesinnungen der Einwohner vor sich
gegangen war. Bevor er also die Herrschaft kaufte, die ihm wahr
scheinlich um einen billigen Kaufschilling angeboten worden war,
Avollte er mit Bestimmtheit wissen, welche Umänderung er sich
erlauben dürfte. Er stellte also die Anfrage, ob er in den Besitz des
Patronatsrechtes in demselben Umfange, wie es Georg Popel geübt,
kommen werde. Dies wurde ihm zugesagt, freilich von Seite des
Kaisers in der stillschweigenden Voraussetzung, dass Herr Stampach
fernerhin ,wie es jetzt zu Recht bestehe, katholische Priester einsetzen
werde, von Seite Stampach’s aber in dem Sinne gedeutet, dass er
sich dieselbe Änderung in entgegengesetzter Weise erlauben dürfe,
welche die Lobkowitze bei der ErwerbungKommotau’s vorgenommen.
So ward also der Kauf im Jahre 1605 abgeschlossen und ein Theil
des Kaufschillings vom Käufer sogleich erlegt.
Kaum sah sich Herr Linhart von Stampach im Besitze seines
neuen Gutes, so hatte er nichts eiligeres zu tliun, als mehrere katho
lische Pfarrer von ihren Benedeien wegzujagen und an ihre Stelle
lutherische Prediger einzusetzen. Selbst an ihrem Eigenthume ihnen
Schaden zuzufügen, kümmerte ihn wenig.
Als die Jesuiten in Kommotau von dem Loose der vornämlich
durch ihre Empfehlung ehedem eingesetzten Pfarrer Kenntniss
erhielten, so berichteten sie darüber an den Kaiser und ersuchten ihn
durch ihre Freunde um seinen Schutz.
Beitrüge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II.
59
Soviel stand bisher unzweifelhaft in Böhmen fest, dass es von
dem Grundherrn abhing, ob er an seine Pfarren Geistliche sub una
oder sub utraque einführte, wofern die letzteren sich nach dem Pra
ger untern Consistorium richteten und nicht etwa Lutheraner waren.
Um die Zeit vollends bestand zwischen den katholischen Geistlichen sub
una und sub utraque kein Unterschied mehr, seitdem vom Papste der
Gebrauch des Kelches gestattet war, und selbst von den Jesuiten in
ihren Kirchen ausgetheilt wurde. Allein der Begriff sub utraque hatte
auch eine andere Bedeutung gewonnen; die sich damit seit den letz
ten Decennien des 16. Jahrhunderts, vornämlich seit dem Landtage
von 157b benannten, waren zuversichtlich nichts anderes als Luthe
raner und Brüder. Man kann es weiter nicht in Abrede stellen, dass
katholische Herren bei der Erwerbung von Gütern deren Einwohner
von früherber lutherisch waren, ihre Religion mehr oder minder
gewaltsam im Allgemeinen auf die Weise einführten, dass sie die
früheren Priester wegjagten und neue einsetzten. Allein auch luthe
rische befolgten dieses zuerst von ihnen gegebene Beispiel, und so
war der Unterthan in Böhmen ebenso ein Spielball seiner Herren,
wie in Deutschland seiner Fürsten. Bei einer so furchtbaren Ver
kehrtheit der Verhältnisse, wo die Sorge für das eigene Seelenheil
nicht Sache des Betreffenden, sondern Gegenstand der Entscheidung
seines privilegirten Herrn ist, ist der Historiker in Verlegenheit,
welches Urtheil er über die gewaltsamen Reformationen und Gegen
reformationen fällen soll. Es dürfte nicht schwer sein, den Beweis
durchzuführen, dass das Privilegium der Gewissensfreiheit des Adels
weit mehr geschadet hat, als wenn die Gewissensfreiheit eine allge
meine gewesen wäre. Schliesslich muss es die Vorsehung so ein
richten, dass in Glaubenssachen auch das einfache Gemüth ohne Zwang
den rechten Weg findet.
Dehnte sich aber die Freiheit des Adels in Böhmen so weit aus,
dass er unter dem Vorwände, blos Geistliche sub utraque anzustellen,
eigentlich lutherische Geistliche anstellen durfte? Dies wurde ent
schieden nach der jeweiligen Macht des Adels und Ohnmacht des
Königs. Unter Ferdinand I. verpönt, war es unter Maximilian II. gestat
tet, unter Rudolf II. wieder angefochten.
Das erste Missfallen über Stampach’s Beginnen gab Rudolf in
einer Zuschrift an ihn Donnerstag nach dem Sonntage Judica 1606
zu erkennen, in welcher er ihm anbefahl, die eingeführten Pfarrer
60
Anton Gindely.
zu entfernen und die vertriebenen aufzunehmen, weil die ersteren
weder nach dem Prager katholischen noch utraquistischenConsistorium
sich richten, sondern nichts anderes als Landstreicher seien. Da aber
Linbart diesem Befehle nicht gleich nachfolgte, auch sonst seine
Missachtung des Kaisers an. den Tag gelegt haben mochte, so befahl
ihm dieser (ddo. Freitag nach dem Sonntage Jubilate 160G) nach
Prag zu kommen und in der böhmischen Kanzlei zur Verantwortung
über sein eigenmächtiges Beginnen sich zu stellen.
Auf diese doppelte Mahnung erwiderte Stampach nach einiger
Zeit mit einer Zuschrift an den Kaiser. Als ihm, heisst es darin,
Theile der Kommotauer Herrschaft zum Verkaufe angetragen worden
wären, behaupteten die Jesuiten in Kommotau, dass ihnen in demsel
ben alle Collaturen gebührten. Da habe er dem Kammerpräsidenten
erklärt, sieb in keinen Kauf einlassen zu wollen, wofern ihm die Colla
turen nicht gleicherweise erblich verkauft würden. Da wäre von Seiner
Majestät Beamten entschieden worden, dass die Jesuiten nicht Be
sitzer der Collaturen wären, sondern dieselben erblich an den Käufer
übergingen. Nun habe er den Priestern an den ihm rechtmässig
gebührenden Pfarreien, von denen er bemerkt habe, dass sie eine
Herrschaft über ihn ausüben wollten, keineswegs aber zum
Schimpfe der katholischen Religion erklärt, sie möchten
sich andere Pfarreien aufsuchen, er werde diesselben mit Priestern
seiner Religion, das ist der utraquistischen, besetzen. Dies
könne ihm durchaus nicht gewehrt werden, denn so wie es überall
den Herren sub una gestattet sei, die Pfarren mit ihren Geistlichen zu
besetzen, und utraquistische Pfarrer wegzuschicken, so müsse es auch
ihm und dies um so mehr gestattet sein, als auf den neu angekauften
Gründen ehedem nur utraquistische Geistliche ihren Sitz gehabt hätten,
die von den- früheren Besitzern unterdrückt worden wären. Endlich
habe er nur unter der Bedingung, dass er erblicher Collator werde,
einige Raten des Kaufschillings berichtiget.
Diese Entschuldigung und Beweisführung übte auf den Kaiser
keinen Einfluss. Unter dem Datum Freitag auf Himmelfahrt Christi
befahl er wieder dem Stampach, er solle die weggejagten Pfarrer
einsetzen, die eingesetzten entfernen, weil diese sich weder nach
dem einen noch nach dem andern Prager Consistorium richten. An
statt zu gehorchen, erwiderte jener: nur den Einflüsterungen seiner
Feinde, der Jesuiten, glaube er es zuschreiben zu müssen, dass der
Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II.
61
Kaiser so ungnädig gegen ihn verfahre. Er bitte den Einflüsterungen
derselben kein Gehör zu geben. Die eingesetzten Pfarrer könne er
keineswegs entfernen, da er nach dem Kaufverträge erblicher Col-
lator sei. Auf den erneuerten Befehl Rudolfs (ddo. Freitag nach
Margaretha) erwiderte Stampach dasselbe. Der Kaiser lasse sich von
den Jesuiten etwas einreden, die seine Feinde seien. Er sei erblicher
Collator und werde nicht von seinem Rechte weichen. Wenn es dem
Kaiser beliebe, möge er ihn vors Landrecht stellen und dort verklagen,
er werde sich zu verantworten wissen.
Indessen waren bei Rudolf auch Klagen der vertriebenen
Pfarrer über Eigenthumsverletzungen eingegangen. So hatten die
meisten im Herbste die Äcker bestellt, da sie aber im Frühjahr weg
gejagt wurden, war die geschehene Aussaat für sie verloren. Sie
verlangten wenigstens diese ersetzt. Dem Pfarrer Benedict Sadeler
nahm sogar Stampach sein Eigenthum, sei es in beweglichem Gute,
sei es in liegenden Gründen, weg; andere katholische Geistliche die
sich noch auf seiner Besitzung aufhielten, quälte er auf verschiedene
Weise; neuerlich erst entfernte er drei katholische Pfarrer die er
bislang in einem der Städtchen gelassen, mit Gewalt von ihrem Amte.
In Kenntniss von allen dem gesetzt, gebot Rudolf (ddo. Samstag
nach Laurentius), die Leistung des Schadenersatzes an die Vertrie
benen und (ddo. Samstag nach der Apostelvertheilung 1607, also
nach mehr als 11 Monaten) einen Schadenersatz an Benedict Sadeler,
dann (ddo. Dinstag den 24. Juli 1607) das Erscheinen des Stam
pach in der böhmischen Kanzlei zur Verantwortung. Auf keinen der
drei Befehle gab dieser dem Kaiser eine Antwort; endlich schrieb er
nach dem letzten an den Kanzler, dass er den königlichen Befehlen
nicht entsprechen könne noch werde, es möge ihn Rudolf vor das
Gericht fordern.
Dies geschah aber von Seite Rudolfs nicht; er begnügte sich
mit der Wiederholung in den Wind gestreuter Befehle. Während dem
starb Linliart von Stampach in dem Alter von ungefähr 80 Jahren.
Alsbald wiederholte der Kaiser an die Söhne Johann Reginhard,
Johann Heinrich, Mathias und Linliart die Befehle, die er so oft ver
geblich dem Vater gegeben. Die Nachkommenschaft hielt sich ganz
nach dem Muster des Vaters. Der ausgebrochene Kampf zwischen
Rudolf und Mathias und der ertheilte Majestätsbrief sicherten endlich
den Sieg der Stampache und vollendeten die Niederlage des Kaisers.
62
Anton Gindely. Beiträge zur Geschichte der Zeit Rudolfs II.
Um sich aber sicher zu stellen, traten die genannten 4 Söhne vor den
Landtag des Jahres 1609, legten demselben den Streit ihres Vaters
und ihrer selbst mit dem Kaiser und den Jesuiten über die Colla-
turen vor und verlangten von ihm Schutz gegen jede mögliche
Beeinträchtigung ihrer Rechte. Eine solche trat gewiss unterRudolf’s
und Mathias’ Regierung nicht mehr ein.
Anstatt ein Resume am Schlüsse dieser langem Abhandlung zu
ziehen, verweisen wir nur auf das was Eingangs gesagt worden. Nur
das mag noch hinzugefügt werden, eine ins Detail gehende Bearbeitung
der Thätigkeit Rudolfs als Herrschers, abgesehen von seinem Kampfe
mit Mathias, also eine dadurch erlangte Kenntniss der innern Um
wandlung die in den böhmischen Kronländern unter Rudolf vor sich
ging, erscheint unbedingt nothwendig neben vielfachen andern Arbei
ten, wenn die Geschichte Böhmens innerhalb des Zeitraumes von 1600
bis 1620 geschrieben werden soll. Welche grossartige Ergänzung
der österreichischen Geschichte, wenn diese Aufgabe gelöst werden
wird!
Joseph Chrael. Habsburg-ische Excurse.
63
SITZUNG VOM 14. NOVEMBER 1855.
Geleseu:
Habsburgische Excurse. VI.
(1. Abtheilung'.)
Von dem w. M., Hrn. Regierungsrathe Jos. Chmel.
Indem ich an die in den beiden Excursen III und IV behandelte
Zeit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts anknüpfe, fahre
icli fort, die Verhältnisse des habsburgischen Hauses und der von ihm
regierten Länder in diesem Zeiträume zu beleuchten; in der leb
haften Überzeugung, durch derlei kritische Erläuterungen die eine
künftige gründliche Geschichte unseres Vaterlandes vorbe-
reiten sollen, den Freunden und Kennern derselben die Nothwen-
digkeit einleuchtend zu machen, die Forschung in grossartigerer
Weise zu fördern, als es bisher geschah.
Wenn irgend ein Zeitraum der vaterländischen Geschichte in
seiner wahren und überzeugenden pragmatischen Entwicklung noch
weit zurück und in trostloses Dunkel gehüllt ist, so ist es die Zeit
von 1438 bis 14S8, und je mehr ich darüber forsche und daran
arbeite, desto lückenhafter, ja verwirrter erscheint mir das bisher als
Geschichte Geltende.
Insbesondere ist aber das Jahr 14S2 und seine Geschichte ganz
geeignet, einen gewissenhaften Geschichtschreiber wahrhaft zu
peinigen. Nicht etwa aus V erzweiflung, jemals ins Reine zu
kommen, sondern aus Sehnsucht nach solchen Quellen die wahr
scheinlich existiren und deren Veröffentlichung seiner Noth ein Ende
machen könnte.
Derlei Quellen sind nicht etwa Geschichtschreiber, um
fängliche Chroniken und Darstellungen deren es aus diesem
64
Joseph C h m e 1.
Zeiträume gewiss nur wenige gibt, es sind kleinere Berichte, ver
trauliche Briefe, auch Landtags-Verhandlungen, wenn es
auch nur Bruchstücke und vereinzelte Nachrichten wären.
Und derlei Quellen existiren, man weiss es, man hat nicht blos
Spuren; —jedoch ihre Benützung ist erschwert, unter gewissen Ver
hältnissen beinahe unmöglich.
Ich will es versuchen, hier eine Darstellung des im Jahre 1452 in
Österreich Geschehenen zu liefern, wie sie nach den bisher bekannten
Quellen möglich ist, und zugleich die Bedenken welche aufsteigen,
die Lücken welche sich zeigen, die Zweifel welche sich nicht
abweisen lassen, andeuten und zur Sprache bringen.
Bekanntlich wurde im Jahre 1452 der noch minderjährige König
Ladislaus Posthumus seinem VormundeKaiser Friedrich III. auf gewalt
same Weise abgedrungen und in Freiheit gesetzt, oder vielmehr in
ein Labyrinth von Intriguen und Einflüssen gebracht, die seinen Unter
gang und mit ihm eine Reihe von Begebenheiten herbeiführten, welche
den Ländern deren Herrscher er sein sollte, ganz andere Schicksale
bereiteten, als in Zeiten der Ruhe und Eintracht ihr Los gewesen
wäre.
Es handelt sich um Hochwichtiges, nämlich um einen gemein-
schaftlichen Herrscher über höchst verschiedene ja entgegen
gesetzte Völker und Reiche. Dieser Herrscher der eine Riesenauf
gabe vor sich hatte, war aber ein zwölfjähriger Knabe, noch unent
wickelt, wenn auch nicht ohne Talent und Charakterstärke.
Weder die ungrische noch die böhmische und mäh
rische Geschichte, ja auch nicht einmal die österreichische,
wenn gleich an Quellen hei weitem die reichste, ist in diesem Zeit
räume (von 1438 bis 1452) zu einem befriedigenden Abschlüsse
gelangt, es ist noch alles so nebelhaft und verschwommen, man kennt
weder die Tendenzen der Parteien noch die einzelnen Personen so
genau als es nöthig wäre, um mit fester Hand klar und deutlich die
Geschichte der vorausgegangenen 14 Jahre aufzuzeichnen.
Ist es ein Wunder, wenn auch das so folgenreiche Jahr 1452
uns in Vielem räthselhaft ist?
Was nun die speciell österreichische Geschichte betrifft,
so sind die bisher bekannten Quellen zur Geschichte dieser gewalt
samen Befreiung des Unmündigen zweifacher Art.
Habsburgische Excurse.
65
Erstens zwei gleichzeitige Geschichtsschreiber, zweitens
mehrere Actenstücke und Briefe von den Betheiligten ausgegangen,
nebst einzelnen chronistischen Daten.
Die gleichzeitigen Geschichtsschreiber sind Thomas Eben-
dorfer von Haselbach (im zweiten Bande von H. Pez Scriptores
rerum Austriacarum) und AeneasSylvius Piccolomini (nach
maliger Papst Pius II.) in seiner Geschichte K. Friedrich’s III. (bei
Kollar, Analecta Vindobon. T. I).
Die Actenstücke sind zerstreut bei Pray (Annales Hungariae
T. III), Kollar (Analecta Vindob. II), Chmel (Materialien zur
österr. Geschichte, 1. und2.) u.s.w. Vgl. Begestenvon Lieh nowsk y
und Chmel.
Thomas Ebendorfer ist gerade für diese hochwichtige Zeit
äusserst mager, er beschränkt sich auf einige wenige Angaben und
Reflexionen; wir werden selbe gelegentlich anführen 1 ). Aeneas Syl
vins ist sehr reich an Daten und Schilderungen, in gewisser Hinsicht
auch sehr freimüthig und offen, aber äusserst parteiisch und mit
grosser Vorsicht nur zu benützen, obgleich sich seine Geschichte
durch Geschmack und Lebendigkeit auszeiehuet.
ln Betreff der Actenstücke ist zu bemerken, dass ihr Abdruck
theilweise sehr mangelhaft und unzulänglich ist.
Indess König Friedrich die Kaiserkrone holte und politisch
religiöse Unterhandlungen betrieb, wurde in Österreich lebhaft
agitirt.
Ich habe im zweiten Bande der Geschichte K. Friedrich’s IV. etc.
die ersten Erfolge der Eizinger’schen Umtriebe bereits geschildert,
aber auch damals (also vor 12 Jahren) den Mangel genauer Daten
über die allmähliche Entwickelung und den Fortsehri11 der
Bewegung beklagt. Leider*sind seitdem über dieses Fortschreiten
keine neuen Aufschlüsse bekannt geworden, diese dürften wohl erst
l ) Wir können hier nicht unterlassen, den dringenden Wunsch nach einer neuen, wo
möglich vollständigeren jedenfalls aber kritischeren Ausgabe Ebendorfer's (und zwar
des gesaminten historischen Apparates von seiner Hand) auszusprechen. — Ist auch
Ebendorfer’s Styl äusserst geschmacklos und barbarisch, so enthält seineChronik doch
höchst wichtige Angaben, und eine umsichtige Kritik dürfte auch mehr Ordnung und
Zusammenhang in dieses Geschichtswerk bringen. Überhaupt wäre eine gründliche
Monographie über diesen Schriftsteller in Verbindung mit einer Auswahl seiner
Schriften (auch der Predigten) ein äusserst dankenswerther Beitrag zur österreichi
schen Literargesehiehte. — Wer wird diesen Wunsch erfüllen? —
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XVIII. Bd. I. Hft. 5
66
Joseph Chm ei.
dann zu hoffen sein, wenn die Archive der Städte und Märkte,
der Schlösser und Landsitze des Adels gründlich durch
forscht würden, eine Aufgabe die nur durch persönliche Untersuchung
an Ort und Stelle von Seite jüngerer tüchtiger Geschichtsforscher
ausgeführt werden kann. Literarische Reisen sind unerläss
lich. — Eizinger und sein Anhang war unermüdlich, doch würde
derselbe schwerlich etwas Bedeutendes ausgerichtet haben, er wäre
wohl an der oft bewiesenen österreichischen Unbeweglichkeit (vis
inertiae) gescheitert, wenn sich nicht ein anderes Element dazu
gesellt hätte, das dem ganzen Unternehmen erst Halt und Nerv gab,
und das war der Beitritt der allerdings mächtigen und einflussreichen
Grafen von Cilli.
Durch sie ward der Aufstand ausgebreitet, und ausserhalb
Österreichs, namentlich aber in Ungern, die Bewegung immer
drohender, da Viele aus den Gleichgiltigen, Unentschlossenen, ja
selbst aus den zwar nicht Übelgesinnten wohl aber Furchtsamen und
Vorsichtigen sich anschlossen, um nicht für unpatriotisch und „ihrem
natürlichen Erbherrn“ abgeneigt gehalten zu werden.
Auf welche Weise dieser Ans chlus s nun ausgeführt wurde,ist
unklar, doch scheint ihn Eizinger nicht gesucht zu haben, sondern
der ehrgeizige sich stets zurückgesetzt fühlende Graf Ulrich von
Cilli glaubte diese willkommene Gelegenheit, Einfluss zu gewinnen,
nicht versäumen zu müssen.
Eizinger als „ohrister Ilauptmann von Österreich“ brauchte vor
Allem Geld, um seinen Anhang zu verstärken und sich und die
Seinen zur bewaffneten Gegenwehr zu rüsten.
Da die Landesrenten grösstentheils schon früher durch so viele
Verpfändungen, um die alten Schulden die meist aus der Hussiten-
zeit stammten, zu tilgen, in Beschlag genommen waren, so konnte
der Beitritt so reicher Genossen, wie die Grafen von Cilli waren, dem
Agitator nur höchst willkommen sein, obgleich schon damals ihn die
Sorge beschleichen mochte, durch Grafen Ulrich verdrängt zu
werden.
Leider haben wir keine Register der Einnahmen und Ausgaben
Eizingers als obersten Hauptmanns und Niclas Drugsetzens des
von ihm bestellten Hubmeisters in Österreich, aus denen so
manches über den Fortgang und die Mittel der Agitation zu ersehen
wäre; was wir bisher davon wissen, beschränkt sich auf vereinzelte
Habsburgische Excurse.
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Daten, wie sie aus mehreren Befehlschreiben, Bestandbriefen oder
Quittungen geschöpft werden können ‘).
4 ) Wir wollen das uns Erreichbare hier zusammenstellen, möchte es doch vielfach ergänzt
werden! — Wir haben hier wieder einen Fall, der übrigens nicht selten ist, dass an
und für sich höchst unbedeutende Urkunden und Documente sehr interessante That-
sachen herauszustellen bei tragen könnten. — 1. Ulrich Eizinger von Eizing, obri-
ster Ilauptmann in Österreich, quittirt die Stadt Linz über 315 Pfund 4 Schillinge
Pfennige „an iren bestenndn der ambt daselbs und dem ungelt in Wechsenberger-
Lanndtgericht die sy an irer raittung davon an den zwain nagstuergangen des 1450
und 1451 jarn nach lawt des ambtregisters-schuldig sind warden“.— Wien am Montag
nach dem Prehemtag (10 Jänner) 1452. — Orig. Papier. Haus- und Staats-Archiv.
Am 13. März 1452 erklärt Eizinger etc., dass die Stadt Linz die jetzt vorgestreckten
200 Pfund von dem Bestandgeld der nächsten zwei Jahre (für die Ämter) abziehen
dürfe. Chmel, Regesten I. 2773.
Am 28. Juli 1452 befiehlt Niklas Drugsecz, Hubmeister in Österreich, dem Magi
strate der Stadt Linz von dem Bestandgeld der dortigen Ämter 36 Pfund und 3 Schil
ling dem Passauer Bürger Konrad Edlinger zu bezahlen für „9100 hawspheil die er
von ihm zu des lanudes notdurften gekauft hat“. — Die Quittung Edlinger’s ist d. d.
Linz, 2. August 1452. Hausarchiv. — 2. 1452, 14. Jänner. Eizinger etc. gibt der Stadt
Klosterneuburg für die nächsten zwei Jahre den Weinungelt daselbst für jährliche
850 Pfund, das Gericht für 110 und die Mauth für 60 Pfund, zusammen 1020 und für
die 2 Jahre 2040 Pfund in Bestand. Er erklärt zugleich, die Stadt habe 300 Pfund
gleich vorgestreckt, welche am Bestandgelde dürfen .abgerechnet werden. Chmel,
Regesten I. 2756. —3. Am selben Tage (14. Jänner 1452) gibt er der Stadt E gen-
b u rg ebenfalls für die nächsten zwei Jahre um jährliche 700 Pfund den Weinungelt, das
Stadtgericht, das Landgericht und das (früher zu Mei ssau abgehaltene) Hochgericht
in Bestand. S. Chmel, Regesten I. 2757. Am 1 Februar erlegte die Stadt 200 Pfund.
S. Lichuowsky, ßd. VI, Regesten Nr. 1623. Am 15. Juli 1452 befiehlt Niklas Drugsecz,
Hubmeister in Österreich, der Stadt Egenburg, von dem Bestandgeld daselbst dem
Lorenz Palterndorffer (dem man jährlich „zwjarsold gibt sechzig phunt phenning“)
30 Pfund auszuzahlen. Hausarchiv. — Ebendaselbst befindet sich eine Quittung des
Cristan von Tächnstein vom 20. December 1452 (aus Wien) für die Stadt Egenburg
über 2 Pfund Pfge. „von des klainschenkampts wegen“. Orig. Perg. — 4. Am 18. Jänner
1452 gibt Ulrich Eizinger der Stadt Enns für jährliche 900 Pfund Pfge. ebenfalls
auf die nächsten 2 Jahre Mauth, Zoll, Ungelt und Gericht daselbst in Bestand. Die
selbe streckte am 6. März (1452) 400 Pfund vor. Chmel, Regesten I. 2758. Von
Enns findet sich die Jahres-Rechnung für 1452 vor (im Hausarchiv), in der sie
nachweist 880 Pfund, 5 Schillinge ausgegeben zu haben, folglich nur 19 Pfund
3 Schillinge (als Ergänzung auf die 900 Pfd. Pfg'e.) schuldig zu sein. — Unter den
Ausgaben kommen vor: „auf potenlon — item von den briefen von der lanntschaft
ausgangen gen Steyr in die Relier allen klöstern und Edellawten gesant, darauf geben
34 pfenning. it. zwen brief von den unngrischen Herren ausgangen an dem von
Z elking und den annde.n Herren Ilannsen von Neydegk gesanndt 28 pfenning“.—
Auch die übrigen Posten verdienen angeführt zu werden, a) 1452, 5. März. Hanns
Feyrtag, Caplan der Capelle auf St. Jörgenberg zu Enns quittirt den Stadtrichter und
Mauthner zu Enns Wolfgang Grunttner über 4 Pfund Pfge. als Quatemberabschlags-
zahlung seines Soldes (also jährlich 16 Pfund) ; b) Clement Pönhalm, Pfleger zu Enns,
quittirt denselben (W. Grunntner) über 12V 2 PW- Pfge. als Quartalseines Soldes und
68
Joseph Chmel.
Dass die Agitation übrigens in kurzer Zeit auffallend an Energie wie
an Erfolg gewann, ist augenfällig, wenn wir auch leider die volle
Jahrgelds (also 1)0 Pfund), das ihm K. Albrecht II. lebenslänglich auf den Ämtern der
Stadt Enns verschrieben hat, 6. März 14 52.; c) Wolfgang, Caplan des St. Katharina-
Altars der Pfarrkirche U. L. Frau zu Enns, quittirt denselben über 5 Pfund Pfge. als
Pfingstquartal seines Soldes (20 Pfund) G. Juni 1452; d) Ulrich Eizinger vonEyczingen,
obrister Hauptmann in Österreich, befiehlt dem Magistrat zu Enns, dem Grafen Ulrich
von Cilli das Quatembergeld ihres Bestandes (also 225 Pfund Pfge.) auszurichten. —
„Ich lasse e \v wissen, das mir mein herr von C i 1 i a i n m e r c 1 i ch e
Sum guidein zu des lanndös not durften gelihen hat.“ Wien
14. März 1452; e) Niklas Drugsecz, Hubmeister in Österreich, quittirt die Stadt Enns
über 200 Pfund Pfge. vom Bestand-Quartal (zu Pfingsten) — „die meim genedign herrn
Graf Ulreichen von Czily etc. an seim Kostgelt geuallen sind“, Wien 25. Juni 1452 ;
f) Ulrich Eizinger und die Verweser des Landes Österreich befehlen der Stadt Enns,
den Rückstand am Bestandgelde dem Scheinboten des Grafen Ulrich von Cilli „dieczeit
vorgeer der lanndschafft daselbs in Österreich“ — auszurichten, Wien23. August 1452;
g) Graf Ulrich von Cilli ersucht die Stadt Enns, auf deren Bestandgeld erzürn
Theile angewiesen ist, seinem Diener Hanns Malchinger, Bürger von Wien, das ihm
Gebührende zu überantworten. D. d. Wien, 13. September 1452; h) Hanns Mal
chinger quittirt im Namen des Grafen Ulrich von Cilli die Stadt Enns über 200 Gul
den „ye ain guidein für sibenn Schilling ze raitten bringt 175 pl'und pfenning.“ —
5. Am 25. Februar 1452 wird dem Ritter Jörg Hager das Ungelt zu Baden,
Laube rstorf (Leobersdorf) und Potenstein für jährliche 700 Pfund Pfge. auf
2 Jahre in Bestand gegeben; derselbe hat 200 Pfund vorgestreckt. Chmel, Regesten I.
2767. Tags vorher (Wien, Montag vor St. Pauls Bekehrung, 24. Jänner 1452)
ersucht Ulrich Eyzinger vonEyzing, obrister Hauptmann, diesen „Ritter Jörg Hager,
Verweser der Herrschaft zu Baden“, dem Hanns Haug 30 Pfund 84 Pfenninge zu
bezahlen von dem Bestandgeld der Ämter, die er inne hat (Ungelt zu Baden etc.) „Als
ew wol wissentleicl» ist das mein dienner ettleich davor ze Paden, als ich das haws
daselbs an die Weiserin eruorderthab zwllannsen dem Hawgen daselbs verczert haben
daz mit sum bringet 30phuntund 84 phenning, die man dann demselben Hawgen noch
schuldig bleybt.“— (Scheintein Privatgeschäft des Herrn Eizinger gewesen zu sein!?)
Orig. Hausarchiv. Andere Anweisungen an diesen Hager finden sich ebendaselbst. So
trägt Niklas Drugsecz, Hubmeister in Österreich, dem Ritter Jörg Hager „seinem guten
frewnt und gunner“ auf, dem Kloster Heiligenkreuz die gewöhnlichen 18 Pfund („die
Ir im alle jar aus ewrem Amt („Paden“) geben habt“) aus den Einkünften seiner Ver
wesung zu bezahlen, da er sie bisher nicht ausgerichtet hat. — Wien, 1. Juni 1452.
In der Quittung des Abtes Johann, vom 9. Juni 1452, heisst es: „18 pfund dy uns und
unserm gotshawss von den allerdurichlewchtigisten hochgeb. Fürsten von Österreich
etc. löbliher gedächtnuss järlich geschafft aufT phingsten sind ze geben von dem wein
ungelt der zu PhafTstetten gefellet von wegen ainer wisen gelegen zw LaxendorlF als
danne ausweisen unser briefT dy wir darumb haben“. — Am G. Juni 1452 ein gleicher
Auftrag, dem Augustinerkloster zu Baden sein Quartal per 1 Pfund auszuzahlen. — Am
13. Juli 1452 erhält Ritter Jörg Hager vom Hubmeister Niklas Drugsecz den Auftrag,
dem edlen Hanns Zeller von Riedau und etlichen anderen Rottmeistern der Söldner zu
Fuss und zu Ross 97 Pfund und 5 Schilling zu bezahlen und zwar nach beiliegendem
Zettel: „Von erst Ilannsen dem Zeller von Riedaw aifr X werlich ze Ross 8 Pfund
6Schilling Pfenning; it. Petern dem Lampharter auf 7 werlich ze fuessen Pfund
Habsburgische Gxcurse.
69
Bedeutung der Einzelnen die sich der Bewegung ansclilossen, aus
dem Grunde nicht abzuwägen vermögen, weil es der österreichischen
Landeskunde nebst so manchem Anderm insbesondere an einer Sta
tistik und Topographie des Mittelalters fehlt, durch welche
allein über die Verhältnisse der einzelnen Stände und ihr materielles
Gewicht, ihre Kräfte und ihren Einfluss das wiinschenswerthe Licht
verbreitet würde. Je mühsamer und schwieriger eine solche Stati
stik des Mittelalters ist, desto dringender ist aber das Zusammen
wirken der einzelnen Forscher nöthig, denn für einen Einzelnen
ist die Aufgabe auch selbst nur für einen kleineren Zeitraum zu
erdrückend.
Ich würde mithin vorschlagen, partienweise diesen umfas
senden Gegenstand in Angriff zu nehmen.
Vorzugsweise würde sich die Zeit der Parteien und inneren
Unruhen im Lande (in Österreich also von 1439 bis 1463, vom Tode
Pfenn.; it. dem Jenko von Luttaw auf 32 werlich zeFuessen 16 Pfund Pfenning; it.
Petern dem Hundlinger auf 6 werlich ze fuessen 3 Pfund Pfenn.; it. dem Prokchsy
Paldauf und dem Sigmunden von Ungrischen ßrod auf 29 werlich ze fuessen 14 Pfund
4 Schilling Pfenn. und auf ain werlichen ze ross 7 Schilling Pfenning; it. dem Niko-
lesch Guidein auf 37 werlich ze fuess26 Pfund 4 Schilling Pfenning; it. dem Petersiken
von Schilin und dem Marczinko von Stresnicz auf 49 werlichen ze fuess 24 Pfund
4 Schilling Pfenn.“ Hausarchiv — 6. Am 3. März 1432 erhalten Konrad und Leopold
Holzier und ihre Mutter Frau Katharina und der Wiener Rathsbürger Erasmus Pon-
haimer das Ungelt zu L engbach und zu P egk stal (?) für jährliche 370 Pfund in
Bestand und zwar für die nächsten 6 Jahre. — S. Chmel, Regesten I. 2768.— 7. Am
folgenden Tage (6. März 1432) gibt Eizinger der Stadt Zwetl das dortige Ungelt,
Stadtgericht, Landgericht, Losung (?) und Zoll — (das Urbar ist ausgenommen) für
jährliche 130 Pfund Pfge. auf die nächsten 2 Jahre in Bestand. S. Chmel, Regesten I.
2770. — 8. Am 1. Juni 1432'überlassen Ulrich Eizinger und die übrigen Verweser
des Landes den Bürgern zu Freistadt das dortige Ungelt für die nächsten zwei
Jahre bestandweise gegen Entrichtung jährlicher 440 Pfund Pfenninge, die sie dem
Ritter Niklas Drugsecz als Hubmeister in Österreich entrichten sollen. Hausarchiv. S.
Lichnowsky, VI. Regesten Nr. 1666. — Ohne Zweifel sind die hier angeführten Daten
nur ein geringer Theil der stattgefundenen finanziellen Operationen; wir wollten sie
hier zusammenstellen, um ihre etwaige Ergänzung, zu der wir alle Forscher der Landes
geschichte dringend auffordern, zu erleichtern. Wir können nicht oft genug wieder
holen, dass bei dem Mangel kritischer und unparteiischer Geschichtsschreiber des
Mittelalters die Geschichle erst mühsam nach und nach gleichsam mosaikartig aus
lauter kleinen Steinchen zusammengesetzt werden müsse. — Derlei Steinchen sind
aber gerade solche urkundliche Daten und Notizen , die man ja nicht verachten oder
unbenützt liegen lassen soll. — An solchen sind aber die Privatarchive des Adels,
der Städte und Märkte, der Klöster und Kirchen gewiss noch sehr reich;
für das vierzehnte, fünfzehnte, sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert jedenfalls! —
König Albrecht’s II. bis zum Tode Herzog Albrecbt’s VI., Kaiser
Friedricb’s III. Bruder) als besonders beleuchtenswerth und erläu-
terungsbedürftig herausstellen.
Ich habe theihveise für diesen Zeitraum brauchbares Materiale
gesammelt und auch manches davon schon mitgetheilt (z. B. Eizin-
ger’sche Regesten, K. Ladislaus P. Lehenbuch u. s. w.), doch ist
in dieser Hinsicht noch viel zu forschen, und der bisherige Stoff ganz
unzulänglich.
Wollte man jedoch warten, bis derselbe vollständig und abge
schlossen zur Bearbeitung vorläge, so dürften mehr als Decennien
darüber hinschwinden.
Es ist mithin gerathener, selbst lückenhafte und vielfacher
Berichtigung fähige und bedürftige topographisch-statistische Dar
stellungen zu liefern, als die bisher beliebte Weise, unsere vater
ländische Geschichte mit Phrasen abzuleiern, noch länger fort
zusetzen *).
Auf dem Landtage zu Wien, in der ersten Hälfte des Decem-
bers 14S1, wurde ein Landesausschuss, aus jedem der vier Stände
vier Personen, gewählt und ein oberster Hauptmann bestellt, der an
die Spitze dieses neuen Regiments trat, das sich selbst aufwarf.
Obrister Hauptmann war bekanntlich Ulrich Ei zinger von Ei zing,
der sich bei der ganzen Angelegenheit am thätigsten bewiesen hatte.
Es ist auffallend, und beweist nicht wenig Vorsicht, dass sich in
den öffentlichen Actenstiicken die „Verweser des Landes“ als solche
nicht persönlich namhaft machten, nur Eizinger machte sich als
„obrister Hauptmann“ geltend 2 ).
*) Ich werde desshalb in einem der nächsten Excurse den allerdings gewagten Versuch
einer topogr a p hi s ch-g enealogi sehen Statistik des Erzherzogthums Ü ster-
reich um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts in einer Skizze den Freunden
vaterländischer Geschichte vorführen; es musseinmal die Hahn gebrochen werden,
denn unmöglich kann eine gründlichere Geschichtsforschung erzielt werden, ohne
früher das Terrain zu kennen, auf dem geforscht werden soll.
2 ) Aus dem Prälatenstande war einer der Landesverweser Abt Stephan von Melk,
der eigentlich um dieselbe Zeit zu einem Geschäfte geistlicher Natur (Klöster-Visitation)
bestimmt gewesen, aber sich demselben entzog, um sich dieser Landesangelegenheit
widmen zu können. Er bestellte als seinen Stellvertreter den Conventualen J. Schiit
pacher. ß. Pez theiltin seinem Cod. dipl. epist. (Thesaurus Anecdot. VI.) 111.358—360
zwei Briefe an diesen Schiitpacher mit, beide vom 10. Februar 1452. In dem einen,
von dem Melker Conventualen Thomas von Laa geschrieben, wird die seltene Anwe
senheit des Abtes im Kloster erwähnt und geklagt: „Videtur enim (Ahbas) in cavendo
Habsburgische Excurse.
71
Bedeutenderes Licht über den Fortgang der Agitation und Bewe
gung in den Landen des unmündigen Ladislaus gewährt uns ein
Actenstück das der verdienstvolle Pray in seinen Annalen (T. III,
p. 89 — 92) aus dem bekannten Melker Codex Ms. N. 13, der Ver
fasser der habsburgisehen Excurse in seinen Materialien zur öster
reichischen Geschichte (Bd. I, S. 374, Nr. CLXXXVIII) aus dem im
k. k. Haus-, Hof- und Staats-Archive aufbewahrten Originale heraus
gegeben hat.
Es ist nämlich jene Conföderation welche zu Wien auf dem
im Februar 1482 begonnenen Landtage zwischen einem Theile der
ungrischen und österreichischen Stände, dem Grafen von Cilli und
einigen wenigen böhmischen Edlen, zur Erledigung ihres unmündigen
Erbherrn abgeschlossen wurde. Dieses wichtige Actenstück verdient
eine umständliche Erörterung. Wir wollen zuerst die Personen,
sodann die Absichten dieses Bündnisses besprechen.
Wir bemerken, dass das Original-Document, datirt Wien am
8. März 1482, durch 84 Siegel bekräftigt wurde.
Von Seite der ungrischen Stände werden folgende Personen
namhaft gemacht, welche für sich und im Namen Aller (?) das Bünd-
niss abschlossen 1 ).
An der Spitze stehen freilich die drei angesehensten Personen
des Königreiches, der Gubernator Johann von Hunyad und der Erz
bischof von Gran, Cardinal Dionys (tit. S. Ciriaci) wie auch der
Palatinus Ladislaus von Gara (der im Pray’schen Abdrucke fehlt,
pruinam, id est opus visitationis, incidissein nivem occupationis onerum totius patriae“.
Ebenso schreibt der Prior Johann Hausheimer: „Sciatis quod Dominus noster Abbas
raro est in domo, eo quod est unus de sedecim, qui regunt totam Austriam cum
Capitaneo, qui est Dominus Ulricus Eiczinger. Sunt enim de qualibet partia
quatuor electi, qui tractent negotia terrae et colligant omnes redditus Austriae,
et nitantur unire incolas patriae ut omnes sint unum pro Domino Rege Ladislao.
Inter quos plures adhuc stant in propriis, et certi favent Domino
Regi Friderico. Major tarnen pars (?) est unum, et speratnr, quod cito omnes in
unum convenient, al io quin repugnantes hu mi lia b untur vi“.— Vergl.
Keiblinger, Gesell, v. Melk, Band I, S. 575, Note 2 und S. 580, Note i. Sollten
denn in den Archiven der niederösterreichischen Klöster, z. ß. der Schotten in Wien
u. s. w., nicht Briefe über diese Verhältnisse und Begebenheiten im Jahre 1452 exi-
stiren, eigentlich in den Pfarrarchiven u. s. w. (?)
*) Es heisst nämlich nach Aufzählung der Personen: „ceterique milites, nobiles, cives
et nuncii Universitatis nobilium, civitatum et incolarum regni Hungariae, ipsum totum
regnum H ung ari a e repraesentantes“.— Die ungrische Statistik des Mittelalters
leidet an den nämlichen Gebrechen, wie die österreichische, eine Controle der Behaup
tung lässt sich folglich kaum hoffen.
72
Joseph Chmel.
obgleich sein Taufname Ladislaus fehlerhafter Weise dem Woiwoden
von Siebenbürgen zugeschrieben ist).
Ausser ihnen werden aus dem Prälatenstande nur die Bischöfe
Johann von Grosswardein und Andreas von Fii nfkircken,
sodann der „Gubernator“ der Benedictiner-Abtei St. Martinsberg
Thomas von „Debrenthe“ (bei Pray heisst er Thomas de Brenthe),
also auffallend wenige Glieder des Klerus namhaft gemacht.
Von den Magnaten und Adelspersonen überhaupt werden acht
zehn aufgeführt und zwar die Würdenträger, der Woiwode von
Siebenbürgen Nikolaus de Ujlak, der Judex curiae regiae Graf
Ladislaus von Palocz, der Magister tavernicorum regalium Johann
von Peren, der Banus von Machovien Johann von Korogh,
'der Graf der Szekler Rainald von Rozgon, der Magister Janitorum
regalium Sylvester von Torna, der Graf von Pressburg Georg von
Rozgon, sodann Simon Zudar von Onod (Alvod?), Johann von
Zeecz (Zetse), Paul von Lindua (Pray: Hudna?), Johann Orszäg
von Gutli, Bartholomäus von Homonna, Emerich Graf von
Pösing (Bosin, hei Pray: Grof de Bazim), Emerich von Kanisa,
Nikolaus und Ladislaus de Eadem, Ladislaus von Nezpäl, Stephan
Pongräcz von Szent-Mildos. Vom ßiirgerstande werden sieben
städtische Deputirte aufgeführt und zwar: der Richter von Ofen
Martin Weisse nsta in er (für die Stadt Ofen); der Richter von
Stuhlweissenburg Benedict Vincze (VVincze) (für Stuhlweissen-
burg); Nikolaus Flincz (bei Pray: Hincz) einer der Geschwornen
von Pressburg (für die Stadt Pressburg); der Richter von Kaschau
Stephan Calmar (Pray: Kalmayer) (für die Stadt Kaschau); Georg
Turzo von Leutschau (für die Stadt Leutschau); Georg Richter von
Bartfa (für die Stadt Bartfa, ßartfeld) und der Richter von Pesth
Nikolaus von Jarmath (Pray: Jarnach).
Die Grafen (Friedrich und Ulrich) von Cilly, Ortemburg und
Sagor, Bane von'Slavonien, treten für sich und ihre Herrschaften
sammt allen Bewohnern derselben dem Bündnisse bei.
Es werden nun die österreichischen, persönlich in Wien
anwesenden Mitglieder der Landschaft aufgeführt, an ihrer Spitze
der „obriste Hauptmann“ Ulrich Eyzinger von Eyzingen — ganz
begreiflich.
Ihm folgen zehn Mitglieder des Prälatenstandes, und zwar die
Benedictiner-Äbte Stephan von Melk und Wolfgang von Göttweig,
Habsburgische Excurse.
73
die Cistercienser-Äbte Johann von Heiligenkreuz und Johann von
ZwetI, die Pröpste (regulirte Chorherren) Kaspar von St. Pölten,
Simon von Klöstern euh urg, Martin von Waldhausen, Johann
von Herzogenhurg, Konrad von St. Andre und der Prior Johannes
des Karthäuser-Klosters zu Mauerbach.
Aus dem Herrenstande 1 ) des österreichischen Adels dem
sich auch eine höhmische Familie, allerdings von grosser Bedeutung,
Ulrich von Rosenherg und seine Söhne Heinrich und Johann
(regnicolae regni Bohemiae) anschloss, werden aufgeführt folgende
sechzehn gewichtige Männer: Graf Johann von Schaunherg,
oberster Marschall von Steier; Herr Wolfgang von Wallsee, ober
ster Marschall von Österreich und oberster Truchsess von Steier;
Friedrich Herr von Hohenberg, der sich bei der ganzen Angele
genheit besonders tliätig bewies; die Herren Johann und Heinrich,
Brüder, und ihr Blutsverwandter Wilhelm von Lichtenstein von
Nikolsburg; Herr Rupert von Polhaim; die Herren Pankraz von
Plankenstein, Georg von E ckarts au, Christoph und Georg (con-
sanguinei) von P o 11 e n d o r f, Georg von C z e 1 k i n g, Otto von T o p e I,
Wolfgang von Win den, Cadold von Wähingen und Tobias von
Rohr (bei Pray: Rhär).
Aus dem Ritterstande (Ritterund Knechte, milites et mili-
tares) werden namhaft gemacht: Nikolaus Drucksetz in Staats
(„Stecz“, Pray hat Szentz); Engelbert Da chp ekh; Job Kirch-
stetter (Pray: Crihstetler); Georg Dechser; Oswald Ludman-
storffer; Siegmund Pottenprunner; Georg Hager und Jakob
Hauser (der letztere fehlt hei Pray, der dafür den Jakob Hanns
Potinger und Siegmund Leuprechtinger anführt, die in der
Originalurkunde nicht aufgeführt werden); wirkliche Ritter (Milites);
sodann die Knechte (Militares): Dietmar Kunigsberger (Pray:
Chunsperger); Christoph Potinger; Siegmund Leuprechtinger
(Pray nennt ihn hier: Lewprediger), Burggraf (Castellanus) auf
dem Kahlenberg (ad S. Georgium in K.); Wolfgang von Rukendorf
(nachmals Roggendorf); Wolfgang Hinterholzer; Kaspar Dech-
senpekh; Konrad Sweinwarter; Johann Stiklperger; Leo
Snekenreuter; Lorenz Palterndorffer (bei Pray: Paltenhofer);
*) „Barones praefati Ducatus Austriae.“ Von den alten Familien fehlen die Kuen ri n g und
Puchhai in, die Starhemberg und St re in.
t 4 Joseph Chmel.
Janko von Flednicz (bei Pray: Szladnicz); Bernhard Seusen-
eker (Pray: Fausenecker); Erhard Druksetz in Scheuchen
stein (Pray: Schenkenstein); Wolfgang Sto ckh arner.
Zusammen S Ritter und 14 Knechte, also zweiundzwanzig aus
dem Ritterstande.
Aus dem vierten Stande (Bürger) betheiligten sich Oswald
Reicholf, der Bürgermeister von Wien, für sich und die ganze
Gemeinde; weiters die Städte (Richter, Geschwornen (scabini) und
Bürger) Krems und Stein, Klosterneuburg, Korneuburg,
Tuln und Zwetl.
Doch erklärten die hier aufgeführten Österreicher aus allen vier
Ständen, diesen Bund im Namen des ganzen Landes und aller Bewoh
ner desselben abzuschliessen, was jedenfalls eine ungeheure Anmas-
sung gewesen, wenn auch nicht zu leugnen ist, dass die Bewegung
sich auffallend verbreitet hatte *)•
Wir müssen jedoch den Inhalt und die Ausdrücke dieser hoch
wichtigen Urkunde näher betrachten, um die gesammten folgenden
Ereignisse und überhaupt den Standpunct der Partei würdigen
zu können.
Zuerst wird auf sehr einseitige Weise das factische Verhältniss
der Vormundschaft dargestellt.
In früheren Zeiten habe nach dem Tode König Albrecht’s seine
Witwe Königinn Elisabeth ihren Sohn König Ladislaus („unsern
Erbherrn“) in zarter Jugend nebst der Krone Ungerns, gegen den
Willen seiner Unterthanen und die testamentarische Verfügung
König Albrecht’s, dem römischen Könige Friedrich übergeben, der
ihn nun schon mehrere Jahre ausserhalb der ihm zustehenden Lande
behielt und gegenwärtig zurückhält 2 ).
*) Es heisst nämlich im Texte: „pro nobis, ac omnibus aliis incolis et terrigenis saepe
dicti ducatus Austriae, tarn spiritualibus, quam etiam secularibus Universum dueatum
Austriae et civitates ipsius servantes“. — Sie glaubten also durch ihren Schritt (diesen
Bund) ihrem Erbherrn seineLande zu bewahren, als wenn sie bei fernerem unthiitigen
Zusehen in Gefahr stünden, ihm verloren zu gehen. Unten weiter die Erläuterung
dieser Besorglichkeit.
2 ) „Praeter consensum et voluntatem omnium nostrorum, scilicet regnicolarum et
terrigenarum, regnorum et dominiorum suorum peculiarium ac extra eadem contra
ordinationem testamentariam praefati quondam Alberti regis tradidit et assignavit
(Ladislaum), quem dictus dominus rex Romanorum jam pluribus annis extra regna,
ducatus et dominia sua tenuit ac tenet de praesenti.“
Habsburgische Excurse.
7ä
In der Zwischenzeit sind wir und andere Reiche unseres natür
lichen Erbherrn in grosse Bedrängniss gekommen („in varia disturbia
damna ac inquietudines“), daher wir zu wiederholtenmalen den römi
schen König ersuchten, unsern Erbherrn in seine väterlichen Lande
zu bringen, was wir aber nie erreichen konnten; er bringt ihn viel
mehr ohne unser Wissen und wider unsern Willen in fremde
Lande und setzt seine Person grossen Gefahren aus.
Aus diesen Gründen und aus dringender Noth (?) haben wir
einen General-Convent in Wien gehalten, und nach langen Unter
handlungen mit reifer Überlegung Folgendes beschlossen:
1. Dass wir obengenannte alle und jeder einzeln in Gemein
schaft mit den Grafen Friedrich und Ulrich von Cilly, die besondern
Eifer in dieser Angelegenheit an den Tag legten *), eine Liga, Eini
gung und Conföderation eingegangen sind, unsern Herrn König
Ladislaus nebst der ungrischen Krone mit göttlicher Hilfe und unserer
ganzen Macht, mit allen Hilfsmitteln, wie wir es unserm Herrn schuldig
sind, mit Hilfe, Rath und Beistand aller, die sich noch anschliessen
werden, aus den Händen des römischen Königs oder jedes andern,
der ihn wider unsern Willen zurückhalten wollte, zu entreissen
(„eripere“) und auf seinen väterlichen Thron zu setzen, auch alle
Burgen und Schlösser und alles was nach dem Tode König Albrecht’s
vom römischen König, oder seinem Bruder Herzog Albrecht, oder ihren
Angehörigen besetzt und an sich gezogen wurde, ihnen zu entziehen
und ihren Herren zurückzustellen.
2. Dass wir uns hei dieser Unternehmung einander unterstützen
und schützen sollen gegen den römischen König und seine Anhänger.
3. Dass wir alle bei dieser Gelegenheit entstehenden Missver
ständnisse und Zwistigkeiten, wodurch diese Erledigung unsers
Herrn gehindert werden könnte, beseitigen wollen.
4. Eben so wollen wir allen Schaden der uns treffen könnte,
gemeinschaftlich abwehren; sollte Jemand aus uns gefangen werden
oder etwas verlieren, wollen wir nicht eher Frieden scliliessen, bis
*) „Qui inter ceteros principes et magnates, ipsius videlicet domini nostri regis Ladislai
consanguinei, non minus ex fidelitatis Constantia, quam ipsius consanguineitatis fervore,
flagrantiori desiderio, praesertim pro eliberatione personae dicti domini nostri regis
Ladislai, (et) dominiorum suorum tranquiilo statu, hujus diaetae et negotii
c o r di ali s s i m i dir e et o res forent et exist er ent.“ — Dies der Beweis
unserer oben angeführten Behauptung, dass der Beitritt der Grafender Agitation den
grössten Impuls gegeben.
76
Joseph Ch m el.
der Verlust ersetzt und die Gefangenen ohne Lösegeld frei gelassen
werden.
5. Endlich haben wir gemeinschaftlich beschlossen, dass, wenn
unser natürlicher Erbherr frei wird, er nach dem Testamente König
Albrecht’s in Pressburgbleiben soll („teneri debeat“).
6. Doch soll (bei Bestellung der durch dasselbe Testament ange
ordneten Vormünder) auf den römischen König keine Rücksicht
genommen werden, da er sich durch sein Verfahren gleichsam selbst
ausgeschlossen hat 1 ).
7. Sollte unser Herr sterben, ehe er in seine Reiche kömmt, und
bei dieser Gelegenheit eines oder das andere oder die Bewohner der
selben, sowie auch die Unterthanen der Grafen von Cilli zu Schaden
kommen, sollen wir alle denselben zu helfen verpflichtet sein.
8. Insbesondere verpflichten wir uns zur gemeinschaftlichen
Hilfe aus allen Kräften, um die Krone des Königreichs Ungern und
die von Fremden in Besitz genommenen Güter zurückzubringen 2 ).
Diese wichtige Urkunde verdiente auch in sphragistischer Bezie
hung eine genauere Untersuchung, da unter den 84 (82) daran hän
genden Siegeln so manches interessante noch unbekannte sich finden
dürfte.
Ehe wir aber eine Beurtheilung des Bundes und seiner Absichten
vornehmen, müssen wir einige andere Actenstiicke berücksichtigen,
welche über die Motive und Tendenzen desselben nähern Aufschluss
geben.
Vierzehn Tage nach Abschluss der Liga zwischen den ungri-
schen und österreichischen Ständen und den Grafen von Cilli ward
zwischen den Letzteren noch ein Separat-Vertrag gemacht 3 ), der
1 ) Die Stelle ist etwas unklar : „Excepto tarnen praefato domino Romanorum rege, qui
semet ipsum, quantum ad interesse superintendentiam seu executionem qualescunque
antelatam (Prayrannullatam!) testamentariam ordinationem respiciendo (Pray respicien-
tes) certis pluribus legitimis ex causis palam cernitur exclusisse“.— Man sieht, die
Sache war von vornherein darauf angelegt, König Friedrich einfach zu verdrängen,
nicht aber den Erbherrn (ein Kind) selbstständig zu machen.
2 ) „Iterum juxta consilium et decretum colligatorum in dominio damnificati residentium
et etiam hoc casu specialiter pro recuperandis corona regni Hungariae et bonis, tarn
ejus quam dominiorura praefati domini regis occupatorum restaurandis nobis invicem
assistere et auxiliari teneamur toto posse.“
3 ) Am 19. März 1452, an welchem Tage Kaiser Friedrich zu Rom vom Papste Nikolaus V.
die Kaiserkrone empfing. S. Regesten I. 2781 u. 2782, abgedruckt hei Kurz I, Beilagen
Nr. XII und XIII, S. 271—275.
Habsburg-ische Excurse.
7 7
beiden Theilen den ganz besondern wechselseitigen Beistand zusichern
sollte, falls einer aus ihnen desshalh vom römischen Könige „als der
saclien Hauhtwidertail“ oder jemand Anderm angegriffen werden
sollte.
Ohne Zweifel war in dem Bunde vom S. März Ungern ganz
besonders berücksichtigt worden; der Vertrag zielte dahin, nicht blos
den natürlichen Erbherrn in seine Lande zu bringen und zwar in
Pr essburg die Zeit seiner Minderjährigkeit (?) hindurch zu bewah
ren, sondern auch die der ungrischen Nation so werthe, dem Vor
munde Friedrich verpfändete Krone nebst den ihm ebenfalls pfand
weise eingeräumten Herrschaften (Odenburg u. s. w.) zurückzubringen.
Um dieser Zwecke willen hatte sich ein Theil der ungrischen
Stände zu dieser Verbindung herbeigelassen.
Wahrscheinlich fühlten Graf Ulrich von Cilli wie Ulrich Eizinger
und seine Freunde, wie wenig Sicherheit in dem ungrischen Bünd
nisse lag in BetrefT der Folgen die aus einer feindseligen Stellung
des römischen Königs entstehen konnten. Kaiser Friedrich konnte
als Herr der innerösterreichischen Lande insbesondere den
Grafen von Cilli sehr unbequem werden, eben so waren die an
Steiermark grenzenden Theile des Herzogthums Österreich im
Falle der Feindseligkeit den Angriffen blossgestellt. Es war mithin
eine Massregel der Klugheit, sich gegenseitig diesen Beistand zuzu
sichern, da man doch nicht wissen konnte, ob nicht der in seinen
Beeilten so arg verletzte römische König mit Nachdruck und Energie
seine Gegner bekämpfen würde; zugleich ist aber dieses zweite
Bündniss der sicherste Beweis, dass die Häupter der Agitation
das Gewagte wie das Ungesetzliche ihres Verfahrens nicht ver
kannten.
Zugleich suchten dieselben von allen Seiten Unterstützung
zu erhalten, oder doch wenigstens die Begünstigung und Förderung
ihrer Gegner, des Kaisers und seines Anhangs, zu verhindern und
zu vereiteln.
Wir haben bereits (im vierten Excurse) die Schritte der Unzu
friedenen bei der römischen Curie besprochen, die freilich nicht
den erwünschten Erfolg hatten, vielmehr Veranlassung gaben, dass
Kaiser Friedrich sich den geistlichen Beistand des Papstes erbat,
ihn erhielt und im Vertrauen auf denselben sich für so ziemlich
gesichert glauben mochte.
78
Joseph Ghmcl.
Den Landesherrn von Tirol, Herzog Siegmund, der vor weni
gen Jahren auf ähnliche Weise der Vormundschaft war ledig gewor
den und dessen wenig ergebene Gesinnung gegen den Kaiser, seinen
einstigen Vormund, man gar wohl kannte, suchte man durch eine
eigene Botschaft für sich zu gewinnen.
Diese traf ihn nicht in Innsbruck und wartete durch acht Tage
vergeblich auf seine Rückkunft; sodann schickten sie einen aus ihrer
Mitte aus, den Herzog aufzusuchen, der ihn auch in Constanz fand;
sie selbst scheint zurückgekehrt zu sein, ohne ihn gesprochen zu
haben.
Herzog Siegmund hatte durch einen seiner Rüthe („den Häk
chen“) die Österreicher seiner gnädigen und wohlwollenden Gesin
nung versichern lassen, daher sie eine zweite Botschaft an ihn absen
deten, welche die Herren Friedrich von Hohenberg und Siegmund
Friczestorffer übernommen hatten.
Aus der ihnen mitgegebenen Instruction (s. Chmel, Materialien
p. I, S. 329, Regesten I, 2774) erfahren wir, dass sich auch ein
Theil der mährischen Stände ihrem Bunde wider Friedrich ange
schlossen habe 4 )-
Ihre Gesandten mögen die Bedeutung dieses Bundes hervor
heben und den Herzog an das gute Einvernehmen mahnen, welches
zwischen seinem Vater (Herzog Friedrich) und dem Vater des jungen
Erbherrn geherrscht habe 2 ).
*) „Item sagt auch sein gnaden dabei, die verainigung und puntnuss, wie sich unser herrn
von Cili und der gubernator und das ganncz Königreich von Hungern auch die von
Rosemberg aus dem Kunigreich zußehem, und sunder auch der Bischoff von Olmüncz,
der haubtman und die mechtigisten herren und stett aus dem lanjid zu Merhern zu
uns verschriben und verpunden haben“. . . Dieser mährisch-österreichische Bundes
brief ist noch unbekannt. Hoffentlich wird der Codex dipl. et epist. Moraviae seiner
Zeit über diese Verhältnisse reichliche Aufschlüsse liefern. Aus einer kurzen schriftlichen
Mittheilung Boczeck’s (des viel zu früh Verstorbenen) entnehmen wir die Existenz eines
„Bundesbriefes der mährischen Städte Olmütz, Brünn, Znaim, Iglau und Hradisch“
(blos unter einander?) um Verabfolgung des Erbprinzen Ladislaw zu ihrem Könige aus
der Vormundschaft des Kaisers Friedrich“ — im Iglauer Stadt-Archive.
2 ) (Dass sie) „in irm leben so gar ainig und frewntlich miteinander gewesen sein, also
das ainer mit dem andern in Notdurftn leib und gut fürstentumb lannd und lewt getailt,
und in kainerlay wege noch sachn aneinander verlassen hieltn“. — Allerdings hatte
Herzog Friedrich mit der leeren Tasche , der diesem Beinamen zu Trotz unter allen
österreichischen Fürsten seiner Zeit die meiste Barschaftbesass, denschwer bedrängten
Albrecht, der solche Opfer bringen musste im Hussitenkriege, kräftig unterstützt, jedoch
nur gegen bedeutendes Unterpfand, gleichwie einen fremden Fürsten.
Habsburgische Excurse.
79
Sie sollen ihn dringend bitten, Gleiches zu thun und ihrem
Unternehmen Rath, Hilfe und Beistand angedeihen zu lassen, damit
ihr Erbherr aus des römischen Königs Händen „unverbunden und
un verseil rieben“ frei und ledig zu seinen Landen und Leuten
komme.
Er möge bedenken, dass, falls ihr Herr König Ladislaus sich
gegen den römischen König irgendwie verschreiben müsste *), dies
auch ihm, als-einem Gliede des österreichischen Fürstenhauses und
eventuellen Erben, schädlich werden könnte. Sie sollen ihm zu
Gemüthe führen den Ernst ihres Bundes, indem sie mit Leib und Gut
sich und alle noch herbeizuziehenden Genossen vertheidigen wollen.
Was Herzog Siegmund zur Förderung dieses Unternehmens
gethan, ist bisher noch nicht klar geworden, obgleich zu vermuthen
ist, dass er demselben nichts weniger als abhold gewesen a ).
*) „Und das auch darin sein gnad ansehe und gedennkch , solt sich unser herr kunig
Lasslau gen unserm herren dem Römischen kunig in ichtte unpilleich verschreiben oder
verpinden, das im das fürbasser als aim Fürsten von Österreich und wartunden erben
auch möchte zu schaden körnen“ etc. Allerdings hatte Herzog Siegmund, wie im
2. Bande der Geschichte K. Friedrich’s, S. 3ö0 — 362 nachgewiesen wurde, Verpflich
tungen eingehen müssen, wie natürlich; es war mithin diese Weisung, an das Unbe
queme solcher Verschreibungen zu mahnen, ganz klug ausgedacht.
2 ) Im k. k. Haus-, Hof- und Staatsarchive befindet sich der Anfang eines Antwortschrei
bens Herzog Siegmund’s an die österreichischen Stände, das, ungeachtet es nur die Ein
leitung enthält, doch mit dem kleinen Secretsiegel des Fürsten versehen ist. Ich vermuthe,
es sei von Seite der herzoglichen Kanzlei, die vielleicht vorsichtiger war als ihr Herr,
den Gesandten, die wahrscheinlich nicht lesen konnten, dieses manke Schreiben mitge
geben worden, gleichsam als definitive Antwort! Daselbst dieses Bruchstück interes
sante Angaben enthält, die von den Gesandten waren mündlich vorgebracht worden, theile
ich es hier mit. „Bekennen vnd tun kund ofl'ennlich mit dem Brief. Das vns die Ersa-
men geistlichen, die edeln vnd vesten, vnser andechtigen vnd lieben getrewn Vlreich
Eyczinger von Eyczingen, Obrister Ilauptmann vnd die Verweser des Lands Österreich
haben fürbriugen lassen, wie weilent des allerdurchlewchtigist fürst kunig Albrecht
Römischer zeVngernze Pehein etc. kunig Herezog ze Österreich vnd marggrafzeMerhern
löblicher gedechlnuss vnser lieber Herr vndveter an sein lesten zeiten ain gescheft
getan vnd darinn fürgesehen vnd gemeldet hab, ob die durchleuchtig Fürstinn, fraw Eli
zabeth desselben vnsers lieben vetern gemahel selige, unser liebe mum, die er hab
geswengert hinder sein lassen, ain Sun geperte, wellend, wie, vnd vnder welher
phlicht, derselb sein Sun geezogen vndbeseezt solt werden also hab dieselb vnser Liebe
mum die kuniginn, zu derselben Irer gepurde den durchleuchtigisten Fürsten kunig
Lasslau zu Vngern zu Behem etc. kunig Herezogen zu Österreich vnd Marggrafen zu
Merhern vnsern lieben Herren vnd vetern gepert, den Sivnd auch die Cron von Vngern,
wider desselben Irs gemahels vnsers lieben vettern gescheft auch wider seiner kunigreich
vnd fürstentum land vnd lewtrat vnd willen, dem Allerdurchleuchtigistenfürstenkayser
.Fridreichen da sein gnad dennoch Römischer kunig was vnserm lieben herrn vnd
80
Joseph Chm el.
Eben so unklar ist das Verhältniss der österreichischen Unzu
friedenen zu einem andern Nachbarfürsten, Herzog Ludwig von
Baiern, der allerdings auch um Hilfe und Beistand ersucht worden
war, obgleich es den Anschein hat, als habe derselbe wenigstens
anfänglich sich wenig geneigt gezeigt, werkthätigen Beistand zu
leisten.
Herzog Ludwig von Baiern war vor Kurzem seihst Mitglied der
österreichischen Landschaft geworden *), insoferne die sogenannten
vettern hab übergeben vnd Ingeantwort, den auch derselb vnser gnediger herr vnd
vetter nu menigerejar wider desselben seins vater geschefte auswendig derselben seiner
kunigreich vnd lande hab gehalten Also das von solichs abwesens wegen, desselben
vnsers lieben vettern kunig Lasslas dieselben seine Reich land vnd lewt in gross krieg
und zwitrecht sein komen. Es hab auch derselb vnser gnediger Herre vnd vetter der
kaiser den egenantn vnsern lieben vetern kunig Lasslan nachmaln von allen seynn kunig-
reichen vnd landen an seiner Lantscheft willen in frömbde Lande gen Rom gefiirt in
manigueltigen widerwertigen LufTt, vnd ander vil sorgueltigkait, die seim leib vnd
leben zu schaden möchten komen, als zu besorgen wer, darczu hab sein kaiserlich gnad
wider die Verschreibung, den vier parteyen der Lantschaftze Österreich gegeben, sich
des Lands Österreich angenomen vnd den lantleuten zugeschribn, wie das land vnd die
lantlewt darinn sein, seyn, auch menige Geslösser vnd Ambt, desselben Fürstentums
wider dieselben sein Verschreibung mit gesten beseczt vnd ettliche auf leib vergeben,
vnd meniger Nucz vnd Rentt des Lands also verphendt vnd verkumbert, vnd da si
solich gepresten von abwesens wegen desselben unsers lieben vettern kunig Lasslas,
auch das merklich abnemen seiner lant und Lewt haben gemerkcht, haben Si denselben
vnsern gnedigen herrn vnd vettern, den kaiser ettwie offt angeruefl't vnd gepeten, daz
sein kayserlich gnad, denselben vnsern lieben vettern, irn Erbherrn gesucht in seine
erbliche land zu seczen, wan Si damit hofften, daz durch desselben irs Erbherrn gegen-
wurtigkait, sein land vnd lewt, vil desterpas, zu befridung, gemach vnd aufnemen
möchtten komen, Das si aber von denselben Seyner kaiserlichen gnaden vuczher nye
haben miigen erlangen dadurch vnd auch von obgeschribner Sachen wegen Land und
lewt in gross merklich seheden vnd verderbn In manigueltiger weise sein komen.
Vnd derworten daz derselb Ir Erbhere, aus solhen des egenannten vnsers herrn
des kaisers banden kern vnd pracht wurde. Daz auchseine Reich land vnd lewt grössere
seheden vnd verderbnuss künftigclich möchten vertragen sein, haben Si nach solhen
irn merklichen notdurften nicht füglicher wege mögen fürnemen zu vnderkömen solch
geprechen vnd vnfug.
4 ) Bekanntlich besassen die baierischen Fürsten seit geraumer Zeit, besonders in Spitz ,
nicht unbeträchtliche Güter, obgleich auch diese baierischen Besitzungen, wie so
viele andere ausländischer Herren undCommunen (Klöster u. s. w.) noch wenig histo
risch und statistisch beleuchtet sind. Ich will einige urkundliche Daten aus den Wiener
und Münchner Archiven hier anführen. Am IG. December 1450 („an Mitlich nach
Lucientag“) schlossen die Herzoge Albrecht und Ludwig (der reiche) von Baiern ein
Übereinkommen über die Erbschaft der beiden Herzoge Ludwig von Baiern („Mortani
und Graispach“), in welchem ein Artikel lautet wie folgt: „Item es ist auch beredt
worden, das wir Herezog Albrecht obgenant dem benanten unserm lieben vettern
Herezog Ludwigen die vesst und herrschafft Spiez und Swellnpach in. der
Habsburgische Excurse. 81
Gäste (fremde Herrschaften) auf Landtagen erscheinen und an den
Berathungen und Landtags-Beschlüssen theilnehmen konnten.
Wochaw mit allem zugehörn nichtz ausgenomen als wir das gelöst haben auf die
schiristen Liechtmessen oder in den nehsten xiiij tagen vor oder nach auch eingeben und
uberantwortten sullen mitsambt aller lehenschaft manschaft und allen
b r ifen und Registern so wir darüber haben (wo sind sie?), doch
das uns alle gült bis auf die schiristen liechtmessen zusteen und beleihen sol und auch
also das uns der benannt unser lieber vetter herezog Ludwig entgegen beczal und
ausricht halbe summ geltsdarumb das vormals verseezt und von uns gelost worden ist.
Aber von paws zerung und alles andern darlegens wegen so wir dahin oder darumb
getan haben und voran bisher geschehen ist, sol er uns gancz nichtz schuldig sein und
was wir herezog Albrecht zu Spicz von weingartten oder giillt knufft haben mitsambt
den brifen und annderer gerechtikaitt so wir darumb haben und des dann auch unsern
kaufbrief darüber geben.“ — (S. Münchner Staatsarchiv. Fürsten-Sachen, Tom. X.
1450—1459. Fol. 2—4. it. 10—14. Copie.)
Fol. 29 eben daselbst ein Schreiben Herzog Ludwigs von Baiern an Ilerczog
Albrecht von Baiern, d. d. Landshut-Montag vor Scolastice (8. Februar) 1451. —
(Original.) Er hat vernommen , dass die Sache wegen Spitz soll verschoben werden
bis Herren-Fastnaeht (7. März) — „lieber Vetter nu ist uns von unnserm genadigisten
herrn dem Römischen konig etc. und unnsern Räten die wir bey seinen genaden yeczo
haben potschaft körnen daz wir darauf in rate gefunden haben uns zu unnserm
benannten genadigisten herrn zu fugen und auf sand Mathiastage schiristen zu Schär-
dingen aus zu erheben allso das uns solhs verlengen nach herkominen der taiding und
solher unser raise wegen vast ungewegen ist, doch unvergriffenlich an der taiding und
besliessung zwischen unnser baider beschehen, so wolt uns wolgeuallen daz ewr liebe
ewr botschaft auf den benannten tag mit uns hinabferttigät die uns daz gslos Spicz
und marckt mit leben und allem czugehoren eingäben, nach lautt der taiding, und uns
der halben summa von der losung wegen und der summa von der kauften gült und
weingartten wegen daselbs erinndräten domit ains mit dem anndern zugieng. So wolten
wir darauf dann bey der selben botschaft unnsern anwiilden heraufschreiben euch die
czalung der man ains wurd zu thun und ob man der czalung nit ains werden möcht so
kurczlich daz uns dannoch Spicz slos und marckt mit annderm zugehörn nach lautt
der taiding eingeben wurd, so wir dann wider anheim wurden, wolten wir onuercziehen
der Sachen ains mit euch werden und czalung zu tun schaffen“.
3. Auf dem nächstfolgenden Blatte (Fol. 30) steht das Concept der Antwort
Herzog Albrecht’s von Baiern an Herzog Ludwig, d. d. „Munichen an pfintztag nach
Scolastice virginis (11. Februar) 1451“. Er ist nicht einverstanden mit dem Aufschub
des Tages zu Erding (Ärding), der zu Herren-Fastnaeht (7. März) gehalten werden
sollte, „angesehen das uns solieli Sachen also in vil wege und besunder von der slrass
wegen(Reichsstrasse) zu grossem schaden ansteen und dez gern fruntliehen austrag und
ennd hetten“. — Er bittet ihn, zu kommen. —
4. Das k. k. Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien enthält eine vom 12. März
(Freytag vor Invocavit) 1451 aus München datirte Kaufsurkunde, vermöge welcher Her
zog Albrecht von Baiern seinem Vetter Herzog Ludwig folgende Stücke verkauft: „von
ersten dy holden zu Spicz, it. Hanns Eglof dient an St. Martinstag 6 Schilling
13 pfenning von einem virtail holz und an St. Michelstag 4 pfenning, S. Jörgentag
1 pfenning; it. Symon Pewschl dient an S. Martinstag von 1 virtail holz 13 pfenning,
St. Michelstag 14 pfenning; it.Steffan Winckler dient an St.Martiustag 6y 2 pfenning,
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XVIII. Bd. I. Hft. Q
82
Joseph C h m e I.
Graf Johann von Schaunberg, der die von König Friedrich
als Vormund ihm anvertraute Stelle eines Landeshauptmanns ob der
Enns niedergelegt und sich den Unzufriedenen angeschlossen hatte 1 ),
übernahm es, den Herzog zu gewinnen, was wohl nicht alsbald gelang 3 ).
an St. Michelstag 22 A / 2 pfenning und an St. Jörgentag i helbling; it. Hanns Gassner
dient an St. Michelstag 4 pfenning; it. Niclas Peck dient an St. Michelstag 7 pfenning;
it. Erhärt Schramei dient an St. Martinstag 6 4 / 2 pfenning und an S. Michelstag 22 4 / 2
pfenning und an St. Jörgentag 1 helbling; — it.2öde hewser gelegen in der I awben
davon man nichts dient; it. die pewnt gelegen under der vessten Spiczz; it. 1 Wein
garten genant der liuntaff gelegen an dem Setzperg; it. 1 Weingarten gen. der clain
Könringer auch geh an dem Setzperg; it. 1 Weingarten gen. Rannbergerin gel. an der
Achspewnt; it. 1 Weingarten gen. der gross Könringer geh an demMynner, mit anndern
giillten zinsen stucken und guetern in unnsers genadigen herrn des konigs und auch
des ßrior und Convents des gotshauss unnsrer lieben frawen porttenzu Aspach brief
clärlichen begriffen. Item die nachgeschriben stuck die wir von Hainrichen G äwkra-
m e r kaufft haben von ersten ain haws daraufyeczo Martein Üllsgesessen ist, gelegen
under der vessten Spicz zunächst bey der mule und 2 Weingarten geh in der gassen
die zu dem benannten haws gehören davon man gedient hat halben wein, und 1 Wein
garten genant die Potendorfferin geh in der Aschpewnt zu Spiczz etc. als das der
brief von dem benannten Gsiwkramer innhellt; item mer zwen höf initsambt den Wein
garten darczue gehörnd geh neben einander zu S wellen pacli in Spiczzerpfarr und
davon man järlichen halben wein dient die von Jörgen von E gkertza w kaufft sind
als das der brief von dem benanten von Egkertzaw innhellt; item mer ain haws geh zu
Wildendorff, das durch unsern lieben herrn und vattern Herczogen Ernsten
etc. säliger gedächtnuss von Jörgen von Rapp ach kaufft ist worden als das der
brief von dem von Rappach auch innhellt. Die benant stuck guter und giillte mit irn
zugehörn sind gelegen in dem lannd zu Österreich bei seiner Lieb sloss Spiczz und
in nachen dabei die wir dann darzu kaufft haben.“ . . .
*) Siehe Lichnowsky, Bd. 6, Regesten 1613 und 1617. Am 11. Jänner 1462 hatten nämlich
Eizinger und die Landesverweser denselben aufgefordert, sich ihnen anzusehliessen
und mit der Hauptmannschaft und dem Schlosse zu Linz ihrem Erbherrn König Ladis
laus gehorsam zu sein; er möge sich darüber gegen ihre Abgeordneten erklären. Sollte
er sich weigern (bei Lichnowsky heisst es: „Thiite er diess“,wo das nicht offenbar
aus Versehen wegblieb), hätten diese den Auftrag, auf dem nächstens abzuhaltenden
Landtage zu Wels es dahin zu bringen, dass ihm kein Gehorsam mehr geleistet werde.
Gleich nach Empfang dieser Aufforderung (ddo. 13. Jänner 1432) schrieb Graf Johann
von Schaunberg an König Friedrich und theilte ihm das Drohschreiben mit; wider
standloslegt erseine Stelle nieder, entbindet sich (selbst) aller dem Könige (Friedrich)
geleisteten Eide und bittet ihn, die Veste zu Linz längstensbis Sonntag Liitare (19. März)
übernehmen zu lassen, wo er dann ferner keine Verantwortung mehr desshalb haben
will“. (Beide interessante Schreiben liegen im Wittingauer Archive; möchten doch
derlei Quellen reichlicher fiiessen!) — Später schloss sich Graf Johann von Schaun
berg, wahrscheinlich dem Beispiele der Grafen von Cilli folgend, der Bewegungspartei
positiv an.
2 ) Aeneas Sylvius erzählt in seiner Geschichte K. Friedrich’s zwei Erlebnisse des Grafen,
die seine Stellung wieseinen Charakter nichts weniger als schmeichelhaft hervorheben.
Einer der Riithe des Herzogs von Baiern soll sich bei Verlesung des Credenzbriefes, in
welchem Eizinger als oberster Hauptmann prangte, der bekanntlich aus Baiern
Ilabsburgische Excurse.
83
Nach der Angabe des Aeneas Sylvius sollen die österreichischen
Stände ihm einen Theil des Landes für ein Darlehen verpfändet, er
soll sich sogar mit ihnen förmlich verbündet haben. Allerdings
werden wir später nachweisen können, dass der Herzog gegen Bürg
schaft angesehener'Österreicher eine beträchtliche Summe vorschoss,
bezweifeln aber, dass ihm ein Tbeil des Landes förmlich verpfänd et
worden. Ebenso fehlen uns noch die urkundlichen Beweise eines
formellen Bündnisses.
Zur Beurtheilung und unparteiischen Würdigung dieser Ver
suche, sich Bundesgenossen zu verschaffen und ihrer Sache um jeden
Preis zum Siege zu verhelfen, müssen wir die eigentlichen Motive zu
ergründen suchen, welche den besonneneren Theil der öster
reichischen Stände bei dieser Angelegenheit dahin brachten, sich der
Bewegungspartei anzuschliessen, deren Führer wohl meist durch
Leidenschaften des Ehrgeizes, der Rache, des Eigennutzes getrieben
waren.
stammte und dort sehr gering- geachtet war, über den Grafen lustig-gemacht haben,
der sich zum Boten dieses Mannes bergab: „Miseret me, inquit, Comitis huius. Quem
cum Caesaris consiliarium aliquando viderim in primis acceptum (vergl. Habsburgische
Excurse Nr. IV, wo ich die enge Verbindung hervorhob), usque adeo nunc eum de-
clinasse contueor, ut Eizingeri vilis hominis, quem nostra terra velut inutilem absese
repulit (?), jam nuntius et famulus ad nos transiverit.“ — Bekanntlich thut Aeneas
Sylvius alles Mögliche, um die Bedeutung Eizinger’s so tief als möglich zu setzen, ein
homo vilis in der Bedeutung ger ing war er nicht. — Ärgeres widerfuhr dem Grafen
von Schaunberg, w T ie Aeneas Sylvius erzählt, von Seite des österreichischen
Adels, der ihm wahrscheinlich nicht traute, da wirklich unbegreiflich schnell dieser
Wechsel erfolgte. „Acciditet aliud huie Comiti relalu dignum, quodeinon parvo docu-
mento esse posset, si quid eum turpitudinis pigeret et non perversam naturam magis
quam rationem sequi delectaret“ bemerkt Aeneas Sylvius. — In voller Versammlung
der Sländezu Wien, wo Graf Johann von Schaunberg einen der ersten Plätze einnahm,
sprang ein Adeliger, seinen Namen nennt uns Aeneas leider nicht, sondern bemerkt
nur, dass er nicht zu den Reichen gehörte, aber „vitio mentis liberior atque dicacior“
war, auf den Grafen los, fasste ihn beim Kinn und schrie: „Wie kannst du schlechter
Mensch (sceleste) dich in die Gesellschaft ehrenwerther Männer drängen, der du weder
Treue noch Wahrheit achtest! — König Albert warst du stets ungetreu, Kaiser Fried
rich hast du verrathen, jetzt kömmst du zu uns, damit du auch König Ladislaus zu
Schaden bringest, steh’auf und packe dich („in malam crucem abi“), hier ist eine
Versammlung von Getreuen, nicht von Verräthern.“ Der Unsinnige ward zwar um dess-
willen , dass er sich persönlich vergriffen hatte , ins Gefängniss geworfen, Aeneas
Sylvius bemerktaber, Viele hätten ihm Recht gegeben.„Id quamvis multi ex vero dic
tum meritoque putabant, tarnen delirum bominem apprehendentes in carcerem con-
jecerunt, qui nobilem comitem non convicio tantum, sed manu quoque aggredi
presumpsisset.“ (p. 343.)
6*
84
Joseph Ch m el.
Wir finden sie im Misstrauen, in der Furcht, in der
Besorgnis s, den Erbherrn zu verlieren, und in einer an und für
sich löblichen, obgleich höchst unklaren patri o ti s dien Gesinnung.
Leider waren seit mehr als achtzig Jahren die Lande welche einer
Herrscher-Familie, der h ahshurgischen, untergeben waren, förm
lich entwöhnt worden, sich als ein Ganzes zu betrachten. Die unse
ligen Theilungen welche in einer einzigen Familie drei verschie
dene Linien veranlassten, waren Ursache geworden so vieler innerer
Wirren und einer heillosen äusseren Schwäche; man muss es
offen gestehen, dass der Mangel eines consequent durchgeführten
unabweislich befolgten Seni or at s- Gesetzes viel Unheil stiftete,
und ohne Zweifel insbesondere hinderte, dass der grösste Theil der
heutigen Bestandtheile des österreichischen Kaiserstaates schon im
fünfzehnten Jahrhundert ein grosses, folglich kräftiges Reich bildete.
Man erinnere sich, dass bald nachdem König Rudolf I. seine
Söhne mit den Herzogtümern belehnt hatte, eine Deputation aus den
Landen ihn flehentlich hat, ihnen hlos einen Herrn zu geben,
damit nicht heillose Verwirrung und parteiische Zerspaltung die
Lande heimsuche. Albrecht I. ward Alleinherrscher.
Leider ward das Rudolfmische Hausgesetz nicht fortwährend
beobachtet, obgleich die österreichischen Privilegien welche ohne
Zweifel den Familiengliedern wohl bekannt waren, die Einheit
des Regenten zum Gesetze erhoben hatten.
Rudolf IV. dachte ohne Zweifel daran, das Gesetz zur fortwäh
renden Richtschnur in der Familie und ihren Landen zu machen,
da er diese Privilegien zur vollen Geltung bringen wollte. Leider starb
er viel zu früh.
Von der Theilung der Brüder Albrecht und Leopold im Jahre
1370 datirt sich die Schwäche des Hauses, das Unheil im
Innern.
Eben so unheilvoll war das Jahr 1404, wo die Theilung der
Lande (Februar—April, s. Lichnowsky Bd. V, Regesten 593—610)
gleichsam neuerdings bestätigt wurde.
Die Geschichte dieser Spaltung in Linien, die damit verknüpften
Vormundschafts-Streitigkeiten, ist gewiss höchst unerquicklich, ja
peinlich.
Eine Folge dieser Familien-Spaltung war, dass sich die Lande
isolirten und sich einander fremd wurden.
Habsburgische Excurse. 85
Diese leidigen Verhältnisse erklären, ja entschuldigen zum
Theile diese Bewegung im Jahre 1452.
Allerdings ist noch vieles unklar, wir kennen weder die Personen
noch die Verhältnisse so genau, dass wir einen Richterspruch
machen dürfen, dazu müssten noch mehr Acten vorliegen.
Doch lässt sich schon Manches pro und contra Vorbringen, und
die unparteiische Geschichtsforschung ist verpflichtet, das audiatur
et altera pars zur Geltung zu bringen.
Wir wollen zuerst die eigene Erklärung der einen Partei
betrachten, sodann das Vorbringen, was sich über das Recht und die
Stellung der andern vor der Hand bemerken lässt, bis vollständigere
Aufschlüsse ans Licht kommen.
Wir haben im vierten habsburgischen Excurse die päpstliche
Bulle erörtert, welche die österreichischen Unzufriedenen von ihrem
Vorhaben abschrecken sollte (ddo. Rom 4. April 1452).
Wir werden später sehen, was der Erfolg dieser päpstlichen
Drohbulle war, müssen aber jetzt schon beleuchten, was die aufstän
dischen Österreicher in ihrer Appellation vorbrachten, weil es die
Motive des Aufstandes beleuchtet 1 ).
Sie berufen sich auf die „Th ei hing welche einst die Brüder
Albrecht 111. und Leopold der Fromme im Jahre 1370 machten, und
auf die Renunciation der Oheime Herzog Albrecht's IV. im Jahre
1404 3 ), folglich, schliessen sie, konnte König Albrecht (II.) ein
Testament machen, welches volle Giltigkeit haben musste 3 ). Im
Zweifel, ob Elisabeth einen Sohn oder eine Tochter gebären würde und
*) Dieses wichtige Document theilte Pray im III. Bande seiner Annales Hungariae, p. 112
aus dem bekannten Melker Codex Ms. Nr. 27 und 13, Fol. 47, mit. Die Appellation geht
aus vom Grafen Ulrich von Cilli, von Ulrich Eizinger und den übrigen Verwesern
Österreichs; die Ungern waren bekanntlich nicht bedroht, nur abgemahnt worden. —
2 ) Es sind diese hochwichtigen Documente theilweise abgedruckt bei Rauch, Scriptores
Bd. III, S. 419 u. ff. Wann werden wir in einem Codex diplomatieus die Belege zur
Hand haben, die zur Geschichte des österreichischen Staatsrechtsund seiner histo
rischen Entwicklung unumgänglich nöthig sind! —
3 ) „Posteaquam dictus dominus Albertus rex Romanorum et HungariaeIegitimum, validum
et canonicum condiderat, sicut voluit et potuit, dictae divisionis vigore
testamentum sive ultimam voluntatem, disponens sagaciter, quid et qualiter de suis
regnis, ducatibus et terris ad prolis suae postumae nonduin natae tarnen in utero olim
serenissimae reginae Elisabethae, suae dilectae conthoralis, ut sperabatur inclusae
fieri deberet,. . . quodque merito debuisset, deberet ac debet sortiri effectum“. . .
Bekanntlich wurde das Testament im Jahre 1439 beseitigt von den Ständen selbst,
jetzt 1432 sollte es gelten !
86
Joseph C hm e I.
wegen der drohenden Gefahren, auch damit den übrigen Erben kein
Präjudiz entstünde und aus anderen Motiven (?) haben die Öster
reicher oder der grössere Theil aus ihnen das Sichere gewählt und
dein Herzog Friedrich als Senior die Administration übertragen bis
auf die Jahre der Mündigkeit (? discretionis) *)“.
Hier ist nun der Stein des Anstosses und die Ursache des Auf
ruhrs zu suchen.
Die Zeit der Vormundschaft und des provisorischen Regimentes
war zu unbestimmt und ward von den Betreffenden verschieden
ausgelegt.
Der Ausdruck lautete in den beiden Documenten vom 15. Novem
ber und 1. December 1439 (bei Kurz Bd. I, S. 243-—251) „bis zu
seinen beschaiden Jam“, die nach dem gemeinen Landrechte
nach zurückgelegtem zwölften Jahre begannen.
Zwar hatten die habsburgischen Fürsten, als sie die Lande unter
sich theilten, eineFamilien-Ordnung eingeführt, vermöge welcher die
Kinder bis zum sechzehnten Jahre bevormundet werden sollten,
doch wurde dieser „Ordnungsbrief“ zwar bei den ständischen Ver
handlungen im Jahre 1439 vorgelesen, jedoch nicht ausdrücklich als
Norm anerkannt 2 ).
Ladislaus P. war am 22. Februar 1452 zwölf Jahre alt gewor
den, es fingen nach der Auslegung der Österreicher seine „beschaiden
jar“ an.
Nach dem „Ordnungsbrief“ des habsburgischen Hauses war das
sechzehnte Jahr der Termin, wo die Vormundschaft aufhören
sollte, aber auch da war nicht bestimmt, oh das begonnene oder
zurückgelegte sechzehnte Jahr zu rechnen sei. (Es heisst: „untz
sy zu seehzehen Jaren koment“.)
*) Mit der Bemerkung- — „non ex debito et justo, cum dictis divisione et testa-
mento obstantibus non p o tu er int, sed ex causis praemrssis, quantum eis videbatur
expedire, sub certis modis et pactis nominarunt et receperunt (Fridericum . . .)“
. . Der Abdruck bei Pray ist leider sehr lückenhaft,. der Codex Ms. aber ver
schollen (?).
2 ) Die Stände sagen (S. 24ö): „Doch ob unsere gnedige Fraw die Kunigin ain Sun
gepertte, das der über sein h e s c h a i d e n j a r e n nicht gedrungen werdt lenger
innzehaben, und da/, Im alle sein Lannd und Lewt an irrung und an verziehen abge-
tretten und ubergeben werden“ . . . Und im Revers des Herzogs Friedrich (S. 248)
heisst es: „Des ersten, ob unser yetzgenante besundre liebe Fraw und Muern dy
Kunigin diczmals ainen Sun geperet, daz wir den, so er zw seinen beschaiden
Jarn kumbt, nicht verrer innhaben, darüber nicht lenger dringen, sunder Im des
Habsburgische Excurse.
87
Wir haben im vierten Excurse erwähnt (S. 14), dass König
Friedrich im Jahre 1450 mit dem Gubernator Ungerns Johann Hunyad
einen Vergleich abgescldossen habe, vermöge welchem dieor Vmund-
schaft wenigstens in BetrefT Ungerns bis zum achtzehnten Jahre
dauern sollte.
Es ist wohl möglich, ja wahrscheinlich, dass dieser geheime
Vertrag doch in die Öffentlichkeit gedrungen und den Verdacht
erregt habe, Friedrich wolle die Zeit der Vormundschaft auch in
Österreich verlängern; es ward aber noch weit mehr befürchtet, wie
wir bald sehen werden.
Wir fahren nach dieser Bemerkung in der Erörterung des
Appellations-Documentes fort.
Die österreichischen Aufständischen beschuldigen nämlich den
Vormund, er habe das in seinem Reverse dem Lande Versprochene
nicht gehalten, das Herzogthum sei in der Zeit seiner Verwesung
von äusseren Feinden vielfach beschädigt und verwüstet worden
durch Raub und durch Brand, durch Brandschatzung, durch Aussau
gung, an der sich der Vormund selbst betheiligte 4 )-
Er habe Märkte wie Burgen, Zölle wie andere Landesrenten
verpfändet, und habe rücksichtlich der Erhaltung des Landes vielfältig
gegen den in den angezogenen Documenten aufgestellten Vertrag
durch Vernachlässigung gefehlt 3 ).
„Da aber, wenn Zwei sich wechselseitig zu etwas verpflichtet
haben und der eine die Zusage nicht hält, auch der andere Theil
•Landes Österreich niderhalb und ob der Enns mit allem dem, so darzu gehört, nach
ausweisung der taylbrief, auch der Vormundtschaft (dieser Ausdruck, der eine
Verwahrung enthält, war zu unklar) des heiltumbs, der brief, Silbergeschirr, klainat
und gezewg dann unverczogenleich an alle waygrimg und widerred abtreten und
inantwurtten.“
*) „Sed quia idem dominus noster Imperator contenta in eisdem litteris minime effectui
mancipavit, quin potius ducatum Austriae in pluribus suis passibus per multos exteros
inimicos invadi, devastari, ig'nis voragine annihilari, exactionibus et aliis multimodis
damnificari et p e r t u r b a r i p er m i s i t, a c d a m n i f i c a v i t et pertur-
bavit, ii u 11 o praestito saltem efficaci suffragio.“ Wir haben zum
Theil den Grund oder Ungrund dieser Vorwürfe im 2. Bande der Geschichte K. Fried
riche etc. erörtert, noch mehr soll es später geschehen, bei Beleuchtung’ der V er-
f a ssun g des Landes.
2 ) „Oppida, castra, telonia et alios redditus et proventus ipsius ducatus Austriae impigno-
ravit, in defensioneque ipsius, sicuti etiam ducis sive domini temporalis seuejus vices
gerentis interest, plurimuih defecit contra litteras praemissas sive pacta in eis
contenta multipliciter veniendo.“
88
Joseph Chmel.
nicht verbunden ist, den Vertrag zu halten, so hat sich Seine Durch-
lauchtigkeit, nach klarem Wortlaut der Documente, des Regimentes
selbst entsetzt 1 )“.
„Daher wir aus diesen Gründen und anderen, die aufzuzählen zu
weitläufig wäre (?), besonders aber weil Er unsern natürlichen
Erbherrn mit Gefahr weit weggeführt hat, sogar nach Rom (!), und
weil Er in Österreich keine Disposition traf mit unserm Willen 2 ),
obgleich vielfach gebeten und ermahnt, uns von Ihm losgesagt und
als treue Unterthanen die Administration für unsern Herrn übernommen
haben. Dies haben wir durch unsere und durch ungrische Gesandte
dem Papst aus einander gesetzt und um Erliörung gebeten (um seine
Verwendung, dass der Kaiser der Vormundschaft freiwillig entsage!).“
*) „Cum autem, si duo ad invicem aliqua pacti fuerint, et alter eadem non servaverit,
etiam alter non servare teneatur, nt clari juris et rationis existit, iino etiam su-
premus princeps contractum, et per consequens, pactum cum
suis initum servare sit obnoxius, quod si non fecerit, nec sub-
diti teneantur: propterea Sua Serenitas se adininistratione praemissa, ut luce
clarius ex praemissis et tcnore litterarum earuiulem constat, destituerit et privarit.“
— Die hierangedeuteten Worte des Reverses (vom 1. December 1439) lauten also:
„Und darumb so ist uns soleich redleich fürnemen und betrachtung der Lanntschaft
(Beschluss vom 13. Nov. 1439) zwmall dankchnem und geuelligkleicb, und geloben
auch bei unsern fürstleiclien Wirdigkeiten und trewn wissentleich in KrafTt des briefs,
ob sich fuegt, daz unser Fraw und muem dy Kunigin zw diser gegenbürtigen irer
gepurd ainen Sun gepern wirdet, daz wir den über seine beschaidne Jar
nicht verrer innhaben noch dringen, sunder im der Vormundschaft und Verwesung,
und auch des Lannds ze Oesterreich und ob der Enns mit seiner Zwgehorung und
allen andern Stückchen, so dauor benennet sind , an alle waygrung und vercziehen
abtretten sullen und wellen, all argliste und geuerde genczleich ausgeschaiden und
hindangesaczt. Wer aber, des got nicht enwelle, daz wir des nicht tetn, und darinn
waigern und vercziehen wolten , so mögen und sullen sich all ßischouen Prelaten
Grafen Lantherren Ritter und Knecht, und Burger von den Stetn des seczen, und
uns von der V or mu n ds c h a fft wegen nicht mehr gehorsam sein,
sunder des vorgenanten unsers genedigen Herren und Vettern König Albrechts Sun,
ob unser Fraw und muem dy Königin zw diser irer gepurd ainen Sun gepern wirdet,
als irein rechten erbleichen Herren gewerttig sein und gehorsam, und
sullen auch aller a y d e und g e 1 u b ledig sein, dy sy uns als aim Vor
mund desselben Suns und des lands ze Oesterreich getan bieten. Wir geloben
auch, daz wir, noch ycmant von unsern wegen In allen, noch yr yetieichen besonder,
von darumb chain veintschalft ungnad noch Unwillen zwziehen, oder zw ln haben
sullen noch wellen in dhainer wais ungeuerieich. Auch geloben und verhaissen wir
in dem Namen, als vor, all und yetieich ander vorgemellt artikl auch gencz-
leieh süit ze haben, und an all aufzug zw volförn getrewlcich und an alles geuerd“. —
An diesen Revers hielt man sich! —
2 ) Im Reverse hiess es nämlich: „Item daz wir nach der Lanntlewt rat, der
vier partteyen Prelaten Herren Rittern Knechten und Stet des Fiirstentumbs Oester-
Habsburgische Excurse.
89
„Dieser hat uns aber nicht erhört und bereits nach zehn Tagen
Censuren über uns verhängt 1 ).
„Da uns dies sehr beschwerlich fällt und noch mehr beschweren
dürfte, appelliren wir an den besser zu unterrichtenden Papst, oder
an ein heiliges allgemeines Concilium was demnächst gehofft wird,
oder an die heilige katholische Kirche die immer besteht.“
„Wir begehren darüber ein öffentliches Zeugniss 2 )“.
Sieht man aus diesem wichtigen Documente, welche Ansicht die
Majorität der unzufriedenen Österreicher von dem Verhältnisse gegen
den Vormund und von der gesetzlichen Dauer der Vormundschaft
hatte, so wollen wir zur grösseren Verdeutlichung der Stimmung und
der Überzeugung der Landesbewohner die Darstellung eines öster
reichischen Chronisten anführen und erläutern, der am besten wissen
konnte, was die Bewegungspartei wollte, obgleich er selbst, wie alle
übrigen, schwerlich die Absichten des Kaisers kannte.
reich niderhalb und ob der Enns, dy uns von der LanntscbalFt benennet werdent, und
d y wir darczu nennen s u 11 e n , all Sachen des Lands, auch alles innemen und
ausgeben aller nucz und rennt desselben lands ze Oesterreich und ob der Enns hannd-
len, und auch dy Phieg, Gericht und Empter mit landleuten im landt gesessen,
beseczen und entseczen sullen, wie sich daz dann alheg nach notdurfften gepürn
wirdet ungeuerleich.“ — Wie viel fehlt noch zur Geschichte der Vormundschaft
Friedrich’s, um zu beurtheilen, oh und wie gegen diese Artikel gefehlt wurde! —
A ) „Ad nudum tanlum favorem dicti domini nostri imperatoris, contra üeum, justitiam
aequitatem, et omnein rationem, ut supra bene colligitur, sua Sanctitate semper salva,
minus provide, in quantum cogimur dicere, cum contra inauditam et
non vocatam parte m nihil sit difiniendum, decrevit et fecit emanare,
executorem vel executores desuper deputando“. . .
2 ) „Petimusque instanter instantius et instantissime, primo, seeundo et tertio Apostolicos
(litteras appellationis) nobis dari, sive quis sit, aut fuerit, qui dare possit vel voluerit,
praesertim a vobis notariis hic praesentibus, litteras testimoniales sive instrumentum
publicum“ .... Thomas Ebendorifer von Haselbach sagt (Pez, SS. II, col. 875) in
seiner Chronik über die päpstliche Bulle vom 4. April 1452 und die Appellation der
Österreicher Folgendes: „Fertur, quod magna fiduciae suae intentione Dominus
Imperator fundamentum fecerit in quodam monitorio Papali, viribus gladii spiritualis
contra morem Imperatoris innitens. Sed ab eodcm quanlocyus a gravatis
extitit appellatum; tum quia claudestine parte inaudila extractum ; tum et tacita
veritate, et suggesta falsitate surreptitie impetratum; tum et Jurejurando patriae
Austriae, quod Serenissimo Ilegi Alberto Duci Austriae et suis baeredibus praestitit (?),
repugnans et obvium nec non ... ( ? hier fehlt ein Wort, etwa propter?) paternam
haereditatem a praefato liege Ladislao contra jus et fas alienatam.“ — Worauf Eben-
dorlTer diesen Vorwurf begründet, soll später angeführt werden. — Am Ende sagt er:
„In placitis tarnen expressis concordatum est, quod propriis expensis dominus Impe
rator huius monitorii (papalis) obtinere teneretur annullatio-
« 9 9
nem.
90
Joseph Ch m e 1.
Thomas Ebendorffer von Haselbach stellt nämlich in seiner jeden
falls zu berücksichtigenden österreichischen Chronik den Hergang des
Anfangs der Bewegung folgendermassen dar (H. Pez, SS. Bd. 11,
Col. 868):
(Um Simon und Juda 1451 verlässt König Friedrich Neustadt
— Ebendorffer irrt sich, noch am 10. November war Er in Neustadt,
s. Regesten I, Nr. 2733 — und geht nach Graz, um Anordnungen zu
treffen während seiner Abwesenheit) „cum pro regimine Austriae
antiquum de Schaumberg Comitem, Georgiern de Puechhaimb, Rudi-
gerum de Stahrenberg, S. de Eberstorff tune magistrum hubarum
cum paucis aliis sine patriae scitu et votis reliquisset“.
„Ilabuit quoque in sua comitiva Serenissimum Infantem Regem
Ladislaum, de quibus multi Barones, Proceres et Comitatus Austriae
minus contenti, praesertim Ulricus Eyzinger de Eyzirig cum suis
fratribus, affinibus et cognatis et fautoribus, factis pluribus diaetis,
tandem decreverunt naturalem Dominum, postquam jam ad annos
diseretionis (also hielt man sich an die gewöhnliche Bedeutung —
ein zwölfjähriges Alter) pervenisset, suis haereditariis terris red di
debere. Ob quod et eundem multorum pro eo instantia decreverunt
repetere, ita tarnen, ut usque ad pubertatis annos (?), qui propin-
quabant sub gubernatione praefati Domini Imperatoris permaneret
juxta omnem suam voluntatem (?), una cum suis dominiis, uti prius.“
Anfänglich wollte man ihn also nur unter den Augen haben, der
junge Herrscher sollte in Wien erzogen werden, wohin auch seine
Sehnsucht sich gerichtet haben soll J )-
„Qui“ (Barones etc.) heisst es weiter bei Ebendorffer „in suis
votis dum se contemptos adverterent, facta diaeta in Vienna, praefati
*) Ebendorffer sagt (eol. 868) : „Hic tarnen Serenissimus Infans neque ad fmes Ungariae
venire permissus est, sed neqüe Viennam, prout ar denter sitivit, me-
ruit in vis er e; sed nunc ad Graz deducitur , nunc ad Novam-Civitatem taliter
qualiter, hon prout Regal is exposcit Celsitudo pro visus redu-
citur. Sic quoque toto undecim annorum decursu degendo gvratur“. Dass der Vor
mund seinen Mündel zu wenig standesmässig versorgt habe, scheint die beständige
Klage gewesen zu sein ; so sagt Ebendorffer (col. 869) von dem Reisegefolge des
jungen Herrn: „Siiniliter Rex Ladislaus, habens viginti octo duntaxat pro
seet suis neces s arii s sub vec tio nes et equos, coactus est invisere
(Romam) stupore omnium Italicorum mentes (sic) , qui hoc insolitum et invisum a
saeculis de tali Infante et lanto Principe conspexere prodigium“ . . Allerdings war
dieses Geleit wie es scheint, nach damaligem Brauche, ein armseliges zu nennen.
Warum schlossen sich aber auch so wenige Österreicher, Ungern, Böhmen
und Mährer dem Zuge an ? —
Ilabsburg-ische Excurse.
91
Domini Imperatoris prohibitione non obstante, ad instans tum festum
Catharinae, communitate Yiennensi faciente, post multos verborum
conflictus in hanc devoluti sunt sententiam, suis pro regimine patriae
Deputatis praesentibus, quod requirendus esset (Fridericus) aut
Dominum Regem Ladislautn suum naturalem Dominum Austriae
redderet; aut se in antea sibi ut gubernatori patriae parere non
posse, debere aut veile; se q.uoque a jurejurando ex tune et postea,
quousque astricti videbantur sibi, immunes reddere. In hanc sen
tentiam coierunt omnes Praelati patriae, Barones quoque, pariter et
civitatum et oppidorum communitates: paucis superius denotatis
exceptis, et iis qui se iluros cum Romanorum Rege versus Romam
devoverunt. Et licet omnium sensatorum de patria, etiam
secretariorum sibi fidorum concors baberet sententia
et digestum consilium, quod praefatum iter nulla ra-
tione arripäendum foret, nisi Austriae de suorum con-
sensu opportuna provisio major, quam usque facta
dinoscitur, quantoeyus praecederet, praevaluit tarnen prae-
fati Regis intentio. Quam et innotescere decrevit, quod nulla vis
inferenda, nulla distractio facultatum, nullum terrarum discrimen
ipsum distraberet, quin praeconceptum iter arriperet, et honorem
sibi debitum possetenus obtineret.“
Der nämliche Chronist Ebendorffer deutet aber noch ein ande
res Motiv an, das wohl den Ausschlag gegeben haben dürfte, und
ohne Zweifel nicht wenige von den sonst ruhigen und wohlgesinnten
Österreichern der Bewegungspartei in die Arme führte. Man batte
nämlich Verdacht geschöpft und war misstrauisch geworden gegen
die Absichten des Kaisers, man beschuldigte ihn des Vorhabens, ein
früheres Gesetz seines Hauses, vermöge welchem der älteste der
Familie das Regiment sämmtlicher Lande führen sollte, wieder zur
Geltung bringen zu wollen.
Leider lässt sich nach den bisher bekannt gewordenen histori
schen Quellen nicht beurtheilen, inwiefern dieser Verdacht, wenn
man es so nennen will, begründet war.
Allerdings lag es nabe, und die bitteren Erfahrungen besonders
der letzten drei Decennien aus der Geschichte des Hauses Habsburg
hatten es nur zu deutlich herausgestellt, dass Theilungen in mehrere
Linien, deren das Haus Habsburg seit 1404 drei zählte, dasselbe
aufs Äusserste schwächen und wenig geeignet machen, in stürmischen
92
Joseph Chmcl.
Zeiten die Wucht der Ereignisse tragen und die Aufgaben, welche
unabweisbar waren, lösen zu können.
Einzelne Glieder des Hauses Habsburg, wie Herzog Frie
drich mit der leeren Tasche im Kampfe gegen den luxemburgischen
König Siegmund und die von ihm begünstigten Eidgenossen, Herzog
Albrecht V., der als Schwiegersohn desselben Siegmund’s später
die Hauptlast des Hussilenkrieges zu tragen batte, der als König von
Ungern und Böhmen wie als deutscher König bei so geschwächter
Hausmacht seiner kolossalen Aufgabe leider nicht gewachsen war,
mussten wohl einen solchen denkenden und, wie so Manches beweist,
mit der Geschichte des Hauses vertrauten Herrscher, wie Friedrich
unstreitig war, auf die ganz natürliche Folgerung führen, dass Ein
heit des Regiments dasselbe stärker machen könne und müsse.
Freilich hätte es zur Durchführung dieser Idee eines ganz andern
Charakters bedurft, als eben der Friedrich’s gewesen.
Dass nun Friedrich aber diesen Gedanken, die Einheit des
Regiments im habsburgischen Hause wieder einzuführen, wirklich
verfolgt habe, möchte ich keineswegs ableugnen; die Händel mit seinem
Bruder, dem ehrgeizigen und verschwenderischen Albrecht, die Wirren
mit den Tirolern die ihm seinen Mündel Herzog Siegmund mit
Gewalt abdrangen, beweisen hinlänglich, dass König Friedrich seine
Stellung als Ältester des Hauses anders auffasste, als die meisten
übrigen Zeitgenossen.
Wir müssen es künftigen vaterländischen Geschichtsforschern,
die so glücklich sein werden, vertrauliche Briefe der Regenten und
ihrer einflussreichsten Rätlie, oder auch umständliche Verhandlungen
ständischer Versammlungen zu finden, überlassen, volles Licht über
diese Verhältnisse zu verbreiten.
Mein Zweck ist es eben, in diesen meinen Excursen die vorhan
denen Lücken anzudeuten, die etwaigen Spuren zu verfolgen, und auf
gewisse Äusserungen und ihre Bedeutung aufmerksam zu machen.
Unser Chronist Ebendorffer der wenigstens einseitiges
Verständniss der Lage der Dinge hatte, die Volksstimmung kannte
und die Ansichten seiner Partei gegenwärtig hatte, sagt nämlich im
Verlaufe der bereits oben theilweise angeführten Stelle Folgendes:
„Publica enim fama percrebuit, Dominum Imperatorem a duobus Ele-
ctoribus, Trevirensi Cancellario, et DuceSaxoniae sororio, ac a certis
Austriae Baronibus litteras obtinuisse, quod in antea seinper
Habsburgische Excurse.
93
major-natu Llomus Austriae omnes principatus et
doniinia eiusdem gubernaret, prout et in suis litteris, quas
ab anno citra solebat emittere, partim innotnit: in quibus et
Austriamsuampatriam, et castrum Viennensium suum
fortalitium a ffirm a bat.“
Man sieht, der Chronist hatte eine confuse Ansicht von der
ganzen Sachlage und mochte wohl vage Andeutungen über König
Friedrich's Absichten aufgefasst haben.
Dass sich der Letztere mit den Privilegien des Hauses, die aller
dings von Ihm zuerst als König (am 2S. Juli 1442 zu Frankfurt,
s. Regesten I, Nro. 789) in voller Ausdehnung und in optima forma
bestätigt wurden, viel beschäftigte, ist ersichtlich aus der kurze Zeit
nach Ladislaus Posthumus’ Erledigung erfolgten Vergrösserung des
Titels der österreichischen Herzoge, dieEram 6. Jänner 14S3 zu Erz
herzogen erhob, wie wir späterhin umständlicher erörtern werden.
Es war mithin König Friedlich von seinem Rechte auf die
alleinige Herrschaft in allen habsburgischen Landen nachdem bekann
ten Artikel des grossen Haus-Privilegimus: „Inter duces Austriae
qui senior fuerit dominium habeant dictae terrae“ überzeugt, und
Er nannte mithin nach seiner Überzeugung mit vollem Rechte Öster
reich sein Land, die Rurg zu Wien seine Veste.
Ob nun Friedrich wirklich die Alleinherrschaft nach dem
Wortlaute der Privilegien, deren Bestätigung durch die Kurfürsten
Er sich angelegen sein liess, durchführen wollte, ist noch nicht ganz
vergewissert.
Jedenfalls glaubte aber ein grosser Theil der Österreicher an
ein solches Vorhaben, und ich möchte nicht bezweifeln, dass diese
Besorgnissam meisten beigetragen habe, das Lager der Unzufriedenen
zu verstärkenq.
*) Ebendorffer sagt in dem Prolog- des vierten ßucbes seiner Chronik (Pez, SS. II,
col. 867) : „divinain providentiam sibi (Ladislao P.) astitisse speeialiter nemo ambig-it
qui eius ortum in Gumaren . . in hostium medio, persecutionem insidiatorum, et
obsidionem, dum moestus Posonii vagiret in cunis, de ni gra ti o n em famae
super d e f e c t u n a t a 1 i u m , dum vix verbalia edere posset imperfecta , nec ex
integro facultas edendi eadem suppeteret, attente rimatur. Auditae siquidem sunt la-
mentationis voces a quodam non parvae conditionis, auctore quodam Clerico: Yideat
Deus, quomodo avito fraudamur patrimonio per spurium, ex alieno
matriinonio suppositum“ . . . „Ecce prodigiose natus mirabiliter in Posonio
sub infestatione hostium foetus, sub Romanorum Rege mirahilius educatus et tandem
contra sapientum sententiam mirabilissime regnis et dominiis suis reslitutus,
94
Joseph Ch m el.
König Friedrich hielt sich übrigens durch seinen vor 12 Jahren
ausgestellten Revers (vom 1. Decemher 1439) nicht für gebunden,
er hatte die Ansicht, derselbe sei durch spätere Ereignisse ungiltig
geworden 1 ).
Darin stimmten jedoch die Meisten Ihm nicht zu, und als
es zur Entscheidung durch Waffengewalt kam, war sein ganzer
Charakter und sein wenig energisches Wesen nicht geeignet, seine
allerdings grossartigen Pläne durchzuführen.
Er glaubte, durch die Würde eines gekrönten römischen
Kaisers an Macht und Ansehen wesentlich zu erstarken.
Wir werden sehen, was nach seiner Rückkehr geschah.
et usque in multis periculis Deo auspice custodilus.“ . . . Man sieht, dass die Einsichts
volleren die Erledigung- des Knaben von der Vormundschaft nicht gut hiessen, weil
man aber um jeden Preis die Verschmelzung mit den Übrigen meiden, und rein
österreichisch bleiben wollte, fand die Agitation lebhaften Anklang. Dieeinfluss-
reichsten Riithe Friedrich’s waren unter dem Namen steirisches Kleeblatt in Öster
reich ganz besonders verhasst.
*) Wir haben zwar meines Wissenskeine officielle Erklärung der Ungiltigkeit dieses
Reverses von Seite K. Friedrich’s, ein paar Äusserungen seines hochwichtigen leider
durch Ausradirung so mancher Stelle verstümmelten Tagebuches, das übrigens nur die
erste Zeit seiner Regierung- umfasst (in so weit es von Friedrich’s Hand ist), deuten
seine Ansicht aber hinlänglich an. — Siche den Abdruck im ersten Bande meiner
Geschichte K. Friedrich’s IV. u. s. w. Beilage XXX, S. 576—593. — Es heisst
S. 586: „Zu gedenken von der zbair prielF wegen der Verschreibung, die ich dem
land von Österreich tuen hab muessen die erst lir priefT den lir parteien ieder partei
ain die ander auch den fir partein die geregirt solt haben in dem land (während seiner
ersten Krönungsreise 1442) und die es nu nachmaln auch selbs absluegen und mir
aufgab wider die regirung das die ander Verschreibung die erst tot
und ab nimt.“ Noch bestimmter im Ausdruck obwohl andererseits wegen eines
erwähnten Factums, das nicht bekannt ist, räthselhafter ist die Stelle S. 587: „Öster
reich sach — nachdem und ich mich hab muessen verschreiben wider alt herkomen
gebonhait und gerechtikeit gegen den vir parteien nu habent si von denselben ver
schreiben getreten nach dem und ich mich anders hab muessen ver
schreiben aber gegen den benannten parteien von solher reigirung wegen der
si mich nu nachmalen auf gesagt h ab en mit irem prielf der noch verbanden
ist dann die neuer Verschreibung die eltar abnimt und der neuer pin ich ledig
gesagt (?wann?) hol'ich sei ir nu aller ledig (? Die Stelle ist geschrieben
vielleicht 1443 ?) si hahent die prielf all noch tun (?) s i e h i e t e n mir die neuer
Verschreibung gern wider geben ich hab es umbgangen das ich ir nicht
genomen hab. Vergleiche übrigens den zweiten Band meiner Geschichte K. Friedrich’s
etc. S. 107 u. lf. —Wieviel fehlt noch zu einer gründlichen Geschichte dieser inneren
Verhältnisse! — Charakteristisch ist Friedrich’s Bemerkung im selben Tagebuche —
S. 577 : „Ain jeder furst der da regiren wil gebalticlilich nach seinem nucz und
gefalln der huet sich für pesamung der lantschaft und nobilium etc.“ — Nach dieser
Äusserung sollte man in Friedrich einen Maun festen eisernen Willens vermuthen, was
er bekanntlich nicht war.
Habsburgische Excurse.
9ä
Kaiser Friedrich kam von seiner Krönungsreise in der ersten
Hälfte des Monats Juni 1452 in seine Lande zurück, das furchtbar
schlechte Wetter hei seinem Eintritt auf deutschen Boden galt
Vielen als eine tible Vorbedeutung.
ln Villach, wo er zwei Tage sich aufhielt, traf er seinen Rath
und Vertrauten Johann Neiperg, den er als einen der Regenten
Österreichs während seiner Abwesenheit zurückgelassen hatte. Dieser
Mann war gewohnt, seinem Herrn und Freunde seine Meinung stets
unumwunden und scharf vorzutragen *); nun war er ihm entgegen
gereist um ihm über den Stand der Dinge in Österreich Bericht zu
erstatten 3 ). Er rieth zur üussersten Strenge, „nur das Schwert könne
die wirren Zustände Österreichs in Ordnung bringen 3 ). Man müsse
die Zahlung der von dem österreichischen neuen Regimente ausge
schriebenen Aufschläge verbieten, was gewiss mit Beifall aufge
nommen werde, da die Leute ohnehin nicht gerne Geld ausgeben.
Viele (?) österreichische Landherren seien auf Seite des Kaisers,
1 ) Aeneas Sylvius P. sagt von ihm : „ipter eonsiliarios eius et senior et auctoritate poten-
tior; vir acris ingenii, et quo nemo liberius suo Principi verum dicere assuevit: domi
nobilis et consanguineorum stipatus catervis, quem Caesar in Austria ex Rectoribus
unum dimiserat“ . . . EbendorfFer führt ihn nicht namentlich auf, wahrscheinlich weil
er kein Ö s t e r r eicher war (?).
2 ) Er war von den zuG ratz sich aufhaltenden Rathen und Anwälden nebst einem andern
(nicht bekannten) Abgeordneten dem Kaiser entgegen geschickt worden. In einem
Schreiben dieser Räthe vom 2. Juni 1452 an Ulrich von Stubenberg und die Eberstorffer
(s. Chmel, Materialien etc., Bd. 2, S. 15) heisst es nämlich: „Auch lassen wir ew
wissen, das wir lierrn Hannsn von Neiperg und ainen aus uns zu unserm allergnedigisten
herrn dem Römischen Kaiser von hin schikhen welln, die sein gnad aller leuff wie sich
die bin und dauor haltn underweisen sulln“. . . .
Dass die vonK. Friedrich vor seiner Krönungsreise bestellten Regenten und Anwälde
(in Steiermark wie in Österreich) nicht müssig gewesen und unthätig den österreichi
schen Umtrieben zugeseben haben, istnatürlich, obgleich leider die von ihnen ergriffenen
Massregeln aus Mangel an urkundlichen Daten wenigstens in ihrem Zusammenhänge
nicht klar vorliegen. — Nur mehr Briefe, wie ich derselben einige in meinen
Materialien mitgetheilt habe!
In Österreich war der thätigste Anhänger des Kaisers Rüdiger von Starhein
berg, der als Landmarschall (?) im Lande unter der Enns fungirte. Er suchte für
den Kaiser Kriegsvolk zu werben ; dass er dabei eben nicht besonders kräftig unter
stützt wurde von Seiten der kaiserlichen Regentschaft, geht aus einem Schreiben der
oben angeführten Herren vom 5. Juni 1452 (s. Materialien etc., Bd. 2, S. 16) hervor.
Es musste für Sold und die nöthigen S c ha dl os b ri ef e immer einzelnweise ein
geschritten werden. Starhemberg hatte, wie es scheint, keine unbedingte Vollmacht;
alles ging so langsam als möglich!
3 ) Aeneas Sylvius: „res Austriae turbulentas nulla re uisi gladio reformari posse“.
96
Joseph Chmel.
andere seien unentschlossen und würden sich, wenn der Kaiser sieh
zu energischen Massregeln entschliessen sollte, ihm unstreitig an-
schliessen.“
Diese Rathschläge fanden allgemein Beifall bei der Umgebung
des Kaisers, die Befehlschreiben nach Österreich werden in diesem
Sinne ausgefertigt; Niemand soll dem aufständigen Regimente etwas
entrichten, wer einen Pfennig ihm gäbe, soll späterhin dem Kaiser
das Dreifache zahlen müssen. — Doch werden diese Briefe wohl
etwas zu spät abgeschickt *).
Indessen werden die Steierer (? wohl die in Gratz sicli aufhal
tenden kaiserlichen Räthe und Anwälde) nach Bruck an der Mur,
wohin der Kaiser auf seiner Reise aus Italien zunächst gekommen war,
berufen. Man hält dort Rath, ob der Kaiser nach Wiener-Neustadt
oder nach Gratz sich wenden soll. Da des Kaisers Bruder Herzog
Albrecht der den Vorsitz (?) im Rathe hatte, sich in dieser Angele
genheit der Abstimmung vorläufig enthielt, so kam das erste Votum
zu geben an Aeneas Sylvius. Der rieth, „nach Neustadt zu gehen, um
i ) Aeneas Sylvius. „Placet uuiversis consilium Johannis, litterae in Austriam scribuntur, ne
quis ad mandatuin Eizingerisuorumque complicum aera contribuat; si quis denarium
Uli dederit, euin Caesari pösthac triplum soluturum, sed huiusmodi litterae tar-
dius postea missae sunt.“ — Die Verbindungswege waren wohl damals nicht für
Raschheit der Bewegungen und Massregeln geeignet, es scheint aber auch
mehr als räthlich mit den Entschlüssen gezögert worden zu sein; wahrscheinlich
wollten die Regenten und Riithe nicht in Geldangelegenheiten, und offener Kampf
forderte Geld, ohne bestimmte Befehle handeln. Friedrich nahm derlei Angelegenheiten
gar genau. — Von den Abmahnungsschreiben des Kaisers an die Verbündeten sind
bisher noch wenige bekannt geworden. So ist das beiPray, Annales 111, 114 gedruckte
aus dem bekannten Melker Codex Nr. 13, Fol. 219 entnommene Schreiben an den
Gubernator Ungerns Hunyad gerichtet (angeblich: „Fridericus III. Imp. singulos
Australium seditiosorum ad lidem et obedientiam revocare studet“), wie aus dem
Inhalte hervorgeht. Schon die Anrede : Magniüce sincere dilecte — — er wird die
Rebellion einiger Österreicher (aiiquorum ex ducatu Austriae rebellium) erfahren
(sehr fein, seine Mitwirkung, die übrigens wohl nur eine scheinbare gewesen, gänz
lich zu ignoriren!) und die Abmahnung des Papstes an die Ungern und ihn erhalten
haben, nebst einer Abschrift der Bannbulle gegen die Österreicher. Also bittet er ihn,
den Rehellen keinen Beistand zu leisten, vielmehr ihm — „media auxilii et favoris ad
coercitionem praetactorum rebellium opporluna studeas impertiri“. — So auch der
Schluss: „erga te, filiosque tuos, suis loco et tempore gratiose prosequendain“. —
Das Schreiben ist aus Neustadt vom 7. Juli 1432 datirt.
Am 9. Juli 1432 erliess der Kaiser Abmahnungsschreiben an Richter, Rath und
Bürger der Städte Enns und Linz (Regesten II, 2899, dort geschieht nur Erwäh
nung des Briefes an die Linzer), Tags darauf (10. Juli) an Abt und Convent von
Lilienfeld (Hanthaler’s FastiCainpilil. II, 2, 394 und Mantissa). — Regesten 11, 2900.
Habsburgische Excurse.
97
mehr zu imponiren, die Getreuen zu ermuthigen. Es sei aber Eile
nöthig, viel komme es im Kriege darauf an, der erste auf dem Platze
zu sein. Die steierischen Landleute sollen aufgefordert werden, sieh
sogleich zu rüsten und des Zeichens zum Aufbruch gewärtig zu sein,
andere (?) sollen sich den Cilliern, wieder andere den Ungern ent
gegenstellen ‘). In Österreich möge man mehr mit Söldnern den
Kampf führen. — Die ihm folgenden Räthe hielten es für sicherer,
zuerst nach Graz zu gehen und dann mit bewaffneter Hand in
Österreich einzudringen, Alles mit Feuer und Schwert zu verwüsten,
bis die stolzen Häupter gedemüthigt wären a ).“
Nur Ritter Procop von Rahenstein und Hartung von
Cappel (etwas später kaiserlicher Reichsfiscal), beide kaiserliche
Räthe, schlossen sich der Meinung des Aeneas S. an. Herzog
Albrecht der fand, dass auf beiden Seiten wichtige Gründe vor
gebracht wären, blieb unentschieden.
KaiserFriedrich, der zuletzt das Wort ergriff, zeigte vielen Muth.
„Er wolle — nach Neustadt gehen — und sich nicht durch
Cilli’sche und Eizinger’sche Umtriebe aus Österreich verdrängen
lassen“ 3 ).
Der Kaiser kam wirklich zur Freude der getreuen Österreicher
nach Neustadt, gegen Ende des Monats Juni 14S2; die getreuen
Rarone des Landes Georg von Puchaim, Rüdiger von Starhemherg,
Sigmund von Eberstorf u. s. w. fanden sich alsbald ein und man
berathschlagt sich fleissig, wie der Krieg geführt werden soll 4 ).
*) Aeneas hatte gut rathen; damals ging 1 es mit einem Aufgebote und noch dazu in
einer Angelegenheit, welche die Steierer, Kärntner und Kramer schwerlich einstim
mig als eine Landessache betrachtet hätten, nicht so leicht!
2 ) Aeneas Sylvius a. a. 0. „ac ferro et igne vastanda omnia, donec superba capita retun-
derentur“.
3 ) Aeneas Sylvius legt dem Kaiser die Worte in Mund: „venisse jam tempus, quo thesau-
rum exponere oporteat: daturum se omne aurum, patrimonium consumpturum,
postremo corpus p o siturum, ut Australium temeritatem cohibeat, neque pas-
sururn se, aut Comitis Ciliae autEizingeri conatibus Austria pelli: benignitatesuperum
satis esse sibi auri, armorum, equorum, et hominum“. . .
4 ) Auch Aeneas Sylvius wird vom Kaiser zu Rathe gezogen. Bei dieser Gelegenheit räth
er demselben ab, unter die Söldner böhmische Ketzer aufzunehmen— aus
Rücksicht auf den päpstlichen Stuhl „inter caeteros enim articulos, quibus Romani
Pontifices Imperato res privare dignitate solent (!), hic maximus est,
si aut haeresim sapiant, aut haereticis se conjungant.“ — DerKaiser bemerkte hierauf,
er werde zwar keine Böhmen aufnehmen, wenn ihn nicht die iiussörsteNolhzwingt,
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XVIII, Bd. 1. Hft. 7
98
Joseph Climel.
Mittlerweile war die Aufforderung des Kaisers an die Öster
reicher, dem aufrührerischen Regimente keinen Gehorsam zu leisten
und namentlich die ausgeschriebenen Steuern zu verweigern, ver
breitet worden.
Wir sehen (aus zwei in meinen Materialien, ßd. 2, S. 17 und 18
abgedruckten Schreiben), dass weder das Regiment noch die
Unterthanen dadurch eingeschüchtert wurden. Die Wiener
schreiben dem Kaiser mit Beobachtung der äusseren formellen Unter
würfigkeit, dass sie mit Gut und Blut ihrem Erbherrn ergehen, dass
die Steuern (Aufschlag) von den versammelten Ständen ausge
schrieben seien.
Es sei um so weniger nöthig gewesen, so ernstliche Drohungen
und Strafen anzudeuten, da man schon früher ihm jeglichen Gehor
sam förmlich aufgekündet habe 1 ).
Eizinger aber und die ihm zur Seite stehenden Verweser fanden
für nöthig, die Wirkung der kaiserlichen Patente durch eine Gegen
erklärung und Erneuerung ihres Steuerausschreibens aufzuheben.
Sie gebrauchten die Vorsicht, den Ursprung dieser Patente dem
Herrn Rüdiger von Starhemberg zuzuschreiben, als hätte dieser, um
doch könne ihm nicht weniger erlaubt sein, als dem Erzbischöfe von Cöln, der,
obgleich ein Geistlicher, doch hussitische Söldner wider die Stadt Soest verwendete;
auch die Markgrafen von Brandenburg wie die Herzoge von Sachsen hätten sich öfter
liussitischer Miethstruppen bedient. — Bischof Aeneas erwiderte, er erinnere sich,
dass, als Markgraf Johann von Brandenburg im Jubileumsjahre (1450) nach Rom
gekommen war, er vom Papste Nikolaus ziemlich hart angelassen wurde („a Nicolao
pontifice durioribus verbis castigatum fuisse“), weil er mit den Ketzern einen Vertrag
geschlossen habe. Der Erzbischof von Cöln habe entweder unrecht gethan und sei
nicht nachzuahmen, oder er habe mit päpstlicherDispens („exindulgentia Papae“) zum
Besten der Kirche die Hussiten zu Hilfe gerufen. Der Kaiser sagte, Er habe dies auch
nicht unterlassen und mit dem Papste gesprochen , ob er böhmische Ketzer zu Hilfe
rufen dürfe. Der Papst habe ihm bewilligt, wenn keine Gläubigen zu haben wären, zur
Bändigungder übermüthigen Österreicher Leute jeden Schlages zu gebrauchen („indul-
tumque sibi esse, ubinon possent tideles haben, adcohibendam teineritatem Australiüm
quodvis genus ho min um advocare“). Aeneas bemerkte dazu, gegen die
Verfügungen des Papstes sei nichts zu erwidern!
*) Sie hätten, sagen sie im Eingänge, vier offene kaiserliche Briefe (Patente) durch den
kais. Herold Steyerland erhalten, die sie der kaiserlichen Majestät zu Gefallen (!)
gelesen und angehört haben, worin vom „Eizinger und seinem Anhänge“ die Rede sei,
der sich wider ihn (Kaiser) aufgeworfen und eine Steuer ausgeschrieben habe, um
Söldner anzuwerben; er warne sie, diesen Aufschlag zu entrichten „wann wo wir
ain pfenning darin geben werden, wolt e. gn. alweg dreymal souil von uns nemen, und
die solch Steuer also geben wurden darzu an leib und an guet straffen“. . .
Ilabsburgisclie Gxcurse.
99
Unruhe zu stiften im Lande, dieselben vom Kaiser „geworben und
aufbracht“. Man möge sich also daran nicht kehren, sondern den bestell
ten Einnehmern (in den vier Vierteln) die Steuer (je vier Schilling
[Va Pfund] auf ein Haus) richtig ahführen, damit der Kriegszug zur
Erlangung ihres Erbherrn baldigst zu Stande komme.
Die Partei war rührig und hatte sich auf jegliche Weise zu
verstärken gesucht.
Es gelang ihr, den neu gewählten Bischof von Passau, Ulrich
Nussdorfer, und den ihm anhängigenTheil seinesCapitels, dessen
Wahl bekanntlich gegen den Willen des römischen Königs Friedrich
erfolgt war, für sich zu gewinnen, da ihr Interesse ein gemeinschaft
liches war.
Am 12. Juni 1452 ward dieses Bündniss abgeschlossen. Der
oberste Hauptmann Ulrich Eizinger von Eizing und die Landesver
weser in Österreich, für sich, und die vier Parteien, Prälaten, Grafen
und Herren, Ritter und Knechte und die von Städten, verpflichten sich,
die Wahl des vom Capitel zum Bischof von Passau erwählten Ulrich’s
von Nussdorf aufrecht zu erhalten und nach Kräften beizutragen, dass
er zum vollen Regimente gelange — wegen der alten Verbindung der
Fürsten von Österreich mit den Bischöfen von Passau „und sunder
„auch das sich dieselben der Envelt und das Cappitel ze Passaw von
„unsers gnedigisten Erbherren Kunig Lasslaws wegen gen uns ver-
schriben und verpunden haben“.— Kömmt König Ladislaus zur Frei
heit, so ist der Brief ungiltig, doch will man ihm rathen und ihn
bitten, dem Hochstifte zu helfen 1 ).
Nicht so leicht war es, den positiven Anschluss der Stadt
Passau zu erreichen, dieselbe wollte es mit dem römisch-deutschen
Reichsoberhaupte nicht verderben, da eine Achtserklärung der ohne
hin zweideutigen Selbstständigkeit schnell ein Ende machen konnte 2 ).
*) Abgedruckt in den Monumentis boicis Bd. XXXI, 2, S. 424, Nr. CLXXXIII und schon
früher bei Bern. Pez: Thesaurus Anecdotorum, T. VI (Cod. epist.), III, p. 318, Nr.
CXXXVI. . Versiegelt mit den Siegeln des Fürstenthums Österreich (statt der Land
schaft), des obristen Hauptmanns, „unser Steffan abbts ze MÖlckh, mein Brueder
Johannesen Prior von Maurbach, Nielasen des Druchsetzen Ritters Ilubmaisters in
Österreich, Georgen Tocher Ritters, und mein Oswalden Reichalfs Burgermaister ze
Wienn, anstat unser und der andern Mitverwesern, die der zeit ire aigne Insigl bey
Inen nicht gehabt“.
2 ) Am 27. Juni 1452 ermahnt Kaiser Friedrich (aus Neustadt bereits) die Stadt Passau
zur Treue: „Erbern weysen lieben getrewen. Als ew wissenlich ist solichs frombds
7*
100
Joseph Chmel.
Wir haben ein dringendes Schreiben der österreichischen
„Bundherren“ an dieStadt vorn 20. Juli 1452 (ahgedruckt in m. Ma
terialien, Bd. 2, S. 18, Nr. XVIII), in welchem sie zur baldigen Ent
scheidung aufgefordert wird , sie möge nach dem Beispiele des
Erwählten (Bischofs) und des Capitels sich ihnen anschliessen aus
Klugheit wie aus Pflichtgefühl. Im Weigerungsfälle wird den Bürgern
das freie Geleit wie der Friede aufgesagt ‘)-
Übrigens waren jedenfalls einzelne Bürger schon aus Gewinn
sucht geneigt, die Sache der Bundesherren zu unterstützen, so zum
unpiiiichs und fräuenlichs fürnemen, so Ulrich Eyczinger und sein Anhang in Öster
reich wider uns getan haben und noch tun. Begern wir an ew mit ganczem vleiss und
ernste, ob an ew von yemands wer die wären hegert war oder wurde, des mit In zu
sein, das Ir denn des mit niclite tut, sunder ew unser als ains Römischen
Kays er s darinn halltet.“ Die Stadt war in grosser Klemme, sie schickte dess-
halb zwei ihrer Mitbürger die Rathgenossen „Hieronymus W e n n d e 1 s t a i n“ und
„Friedrich Släntlein“ zu Herzog Albrecht von Baiern (Beglaubigungsschreiben
ddo. Erichtag vor St. Maria Magdalena [18. Juli] 1452 im Original, so wie die oben-
erwhhnteAufforderung des Kaisers in Abschrift im Münchner Reichs-Archive: Fürsten-
Sachen anno 1450—1459, Tom. X, Fol. 46 u. 47), um von demselben Rath und Ver
mittlung zu erhalten. — Zur selben Zeit aber war die Stadt Passau deren Bürger, wie
so viele andere, damals getheilte Ansichten hatten, bereits der Werbeplatz der
aufständischen Österreicher, wie aus einem zweiten (Copie ebendaselbst
Tom. X, Fol. 47) Schreiben des Kaisers hervorgeht, ddo. Neustadt „pfintztag nach
Sand Margretentag under unnserm Insigel, so wir vor unser kaiserlichen kronung ge-
praucht haben und noch prauchen“ (20. Juli 1452). Der Kaiser sagt: „Uns ist ange
langt wie Ulrich Eyczinger volck von Beyern wider uns bei euch in der Stat Passaw
bestell und aufneme und da abred umb den sold mit ew mache, und das in ir sold
daselbs in und ausgee, das uns vast frombd nympt und nicht geuellet.
Enpfelchen wir ew ernstlich und wellen das ir hinfur demselben Eyczinger und den
Seinen nicht gestattet noch verhenget, volck daselbs bei euch in der Stat wider uns
aufzenemen noch zu bestellen, noch mit den underred da haben, sunder uns und den
unnsern in solichem wa das anewgelanget und begeret wirdet furdrung tut und guten
willen beweyset. Daran tut Ir uns sunder gefallen und wir wollen das gnädigclich gen
ew erkennen.“ Am seihen Tage drängen die Österreicher die Stadt zur grösseren
Theilnahme. Siehe oben im Texte.
A ) Geschäeh aber des nicht und das Ir uns solcher hilff und beystands verzeichn wurdet,
des wir doch nit trawn, so sagen wir euch all euer Freyheit gnaden und glait, so Ir
von dem Furstentumb Österreich habt, auch allen euren gewerben und handl hie im
lanndt nach laut derselben freyhait so Ir hincz her habt gehabt und gehaben mocht
gancz ab und wollen auch darauf nembjich verbietn, das furbas im landt niemant mit
kainerlay gewerben mit eu treibn noch ubn sol. Wir wollen uns auch alsdan euer sol
cher guter, so Ir hie im landt habt zu des egenantn Herrn Kunig Ladislaus handten
unterwinden als von den die sich feindlich und unbillich wider denselben unsern Erb
herrn setzen und wider gemainen nucz des iannds halten, die doch ir maiste narung
und mercklich guet hie im landt besiczendt.“ . . .
Habsburgische Excurse. 101
Beispiel jener Passauer Bürger Konrad Edliriger, der über 9000
Hauspfeile (?) den Österreichern lieferte (s. Note oben).
Als es seinen, dass sich der Kaiser anschicke, den Aufstand der
Österreicher mit gewaffneter Hand zu unterdrücken und man von
ernstlichen Rüstungen desselben hörte, sank so Manchen der Muth,
zumal da man fühlte, dass der Kaiser doch im Grunde ihr Herr sei,
wenn auch nicht als Vormund, doch als Reichsoberhaupt.
Die Häupter der Partei säumten jedoch nicht, die Hoffnungen
neu zu beleben und den gesunkenen Muth hauptsächlich durch Ver
kleinerung der drohenden Gefahr möglichst zu heben 1 ).
Aeneas Sylvins führt auch ein Schreiben des Grafen Ulrich von
Cilli an, welcher es für nötliig gehalten haben soll, selbst das Haupt
der Unzufriedenen zu ermuthigen
1 ) Pray tlicilt in seinen Annalen Bd. III, S. 115 aus dem bekannten Melker Cod. Ms.
(Nr. 13, Fol. 219) ein solches Ermuthigungs- und respective Drohschreiben an die
Unschlüssigen und der Bewegung Abgeneigten mit. Die Anrede ist: Magnifici, amici
nostri charissimi! — „Sie werden wissen, dass sie (Landesverweser u. s. w.) mit den
österreichischen, mährischen, böhmischen und ungrischen Ständen einen Bund abge
schlossen zum Nutzen Königs Ladislaus und seiner Länder, sie bitten sie desshalb
und r a t h e n ihnen, sich anzuschliessen „quatenus spiritu s a n i o r i s consilii resumto
domino nostro ac vestro naturali praefato Ladislao regi, a cuius genitore, eiusque
progenitoribus multos honoresac benivolentias suscepistis, adhaerere et s i n e m o ra
assistere velitis, ne fragmentis extrinsecis vel alienis reductio
regis optataque pax turbetur, sed verius totalitate naturali et corporali
pro virili parte vestra vos reintegrare conemini (also hatten sie sich
zurii c kg e z o ge n), omnique studio, cura et vigilantia ad id insistere velitis“. —
Man müsse sich allem entgegensetzen, was die Eintracht und Ruhe des Landes stören
könnte, jeden Schaden verhüten, wie sie auch von den Ungern schriftlich ermahnt
wurden. Es scheinen bereits Feindseligkeiten von den Kaiserlichgesinnten ausgeübt
worden zu sein, da sie selbe ermahnen „ut ab illatione damnorum et nocumentorum,
atque depraedationum serenissimo domino nostro naturali, regi Ladislao et suo ducatui
Austriae illatorum vel inferendorum abstinere, et potius vos nobiscum, et
ceteris Praelatis, Baronibus, nobilibus regnorum et terrarum ipsius domini nostri tarn
Hungariae, Bohemiae, quam Austriae et Moraviae foedere et liga unitis, velletis con-
formare, ita et nos requirimus vestram amicitiam, et suademus, quatenus id ipsum
facere velitis, n e, quod absit, si aliud feceritis, quod non speramus, nos cum aliis
praedictis dominis praetactorum regnorum eonamine, t a 1 e r ein e di um opponere
cogamnr, quod cunctis fidelibus dicti domini nostri, sed et vobis manifeste
appareat, nos omnia damna illa, quae dicto domino nostro regi, et suis regnis, terris,
ac dominiis, fidelibusque et inhabitatoribus taliter illata sunt, ex corde condoluisse,
nobisquemultiplici r a t i o n e displicuisse“.. So schreibt man nicht
an Bundesgenossen, das sind Drohungen für Abtrünnige und Gegner!
2 ) „Ne movearis, inquit, Eizingcre, stat sententia prosequi quod coeptuin est,
neque si duo vel tres retrorsum ierint, propterea communitatis ruet decretum: timor
102
Joseph C h m e 1.
Er deutet an, dass die Ungern die Letzteren im Widerstande
bestärkten 1 ), die Rosenberge Hilfe versprachen und Eizinger
auf den Beistand der Baiern und Franken hindeutete und die Gefahr
vom Kaiser als sehr unbedeutend schilderte 3 ), ■
Interessanter und bedeutender sind zwei Schreiben welche
Aeneas Sylvius in seiner Geschichte Friedrich’s mittheilt, welche aber
offenbar in dieser Gestalt nicht ausgegangen sind, sondern von dem
geistvollen Italiener der einen Livius und Sallustius vor Augen hatte,
zur Ausschmückung seines Geschichtswerkes umgestaltet wurden 3 ).
aliquos adversos facit, qui magnurn esse ducunt, rediisse Fridericum ex Italia coro-
natum, secundaque illi omnia fuisse. Nesciunt inexperti homines Italiae raores : non
est Italis curae corona, dum vectigalia salva sunt eis, resque suas ipsi gubernant,
faeile transitum praebent Caesaribus, qui regiminibus eorum non se objiciunt, quem-
admodum Fredericum fecisse eonstat, qui coronam, quam secum duxit, ex Italia
reduxit, suumque caput suo auro adornavit. Quod si dominari apud Italos
tentasset, invasissetque civitates aliquas atque Imperii jura vendicasset, idque sibi ex
sententia cessisset, tune eum et sapientem et fortunatum et timendum laterer; at
cum talis redierit, et aliquanto pauperior, quam ivit, non est cur quisquam eum
timeat.“ — Leider haben wir das Schreiben selbst nicht, ich möchte glauben, der
geistvolle aber nicht immer quellentreue Aeneas habe dem Cil ly er seine eigenen
ironischen Reflexionen in den Mund gelegt!
*) Ich habe in meinen Materialien Band II, S. 21, Nr. XX ein „Rundschreiben der
ungrischen Stände zur Verstärkung ihrer Partei gegen Kaiser Friedrich“, datirt aus
Gran vom 6. August 1452, aus einem Codex Ms. des geheimen Ilaus-, Hof- undStaats-
Archives mitgetheilt; dasselbe ist in deutscher Sprache, also offenbar eine (höchst
schwerfällige) Übersetzung. Bei näherer Betrachtung findet man, dass dieses
Schreiben und das oben erwähnte von Pray (Annales III, llü) mitgetheilto so ziem
lich übereinstimmen , nur der Schluss ist abgekürzt. Da offenbar die ungrischen
Interessen nicht mit den österreichischen übereinstimmten, so müssen spätere
wohl noch zu hoffende Briefe und Circulare den Hergang der Bewegung und die ver
schiedenen Schwankungen derselben klarer machen. — Die eben erwähnte
Aufforderung hat die Aufschrift: „Ausschreiben von den Hungarn auf die die im Bundt
nicht sind gein Österreich.“ Eine Stelle darin beweist, dass Versuche gemacht
wurden, die Aufständischen zu beschwichtigen. Im Deutschen lautet sie: „das nicht
die erfodrung kunig Ladislaus und auch der gewünscht frid mit dem auswendigen
und frembden prasm(frasm in dem Abdrucke in den Mater, ein Druckfehler)
betruebt werd“. — Im Lateinischen heisst es: „ne fragmentis (statt scissionibus)
extrinsecis vel alienis reductio regis optataque pax turbetur“.
2 ) Über den Kaiser soll Eizinger sich also geüussert haben: „Avarum Caesarem,
moriturum facilius, quam aurum expositurum“. Auclrdie Räthe kommen übel weg.
„Consiliarios habere inexpertos, inutiles, pusillanimes, qui suo Principi solum adu-
lando serviant“. — Ich zweifle wieder, dass diese Ausdrücke von Eizinger her
rühren, der die Gefahr gewiss nicht gering schätzte.
3 ) ich habe beide Schreiben nebst einem dritten, authentischen (in meinen Materialien
Band II, S. 19, Nr. XIX abgedruckten) in meiner Abhandlung: „Zur Kritik der
Habsburgische Excurse.
103
Obgleich dieser Geschichtschreiber kein ganz zuverlässiger
Führer ist, müssen wir uns doch aus Mangel eines Verlässlicheren
seiner Führung anvertrauen und nur wo er durch bekannt gewor
dene Documente berichtigt wird, sind wir berechtigt, ja verpflichtet,
seiner, Darstellung zu widersprechen. Es ist eben die Aufgabe
dieser Excurse, das Mangelhafte und Widersprechende nachzu
weisen.
Das Treiben und Gebahren der Bewegungspartei und ihrer
Führer zu Wien in der ersten Zeit nach der Zurückkunft des Kaisers
schildert Aeneas S. durch mehrere Züge, deren Wahrheit übrigens
durch spätere Zeugnisse von anderer Seite bestätigt zu sehen wir
wünschen müssen.
Er beschuldigt die Partei grossen Leichtsinns und verschwende
rischer Pracht, besonders habe sich Graf Ulrich von Cilli mit könig
lichem Hofstaate umgeben, auch Eizinger und seine Freunde sollen
auf Kosten des Landes und des königlichen Schatzes geschwelgt
haben. Ein kühner Tadler dieser Lebensweise soll auf grausame Art
gestraft worden sein 1 ).
Graf Ulrich von Cilli, der möglichst lange den Unbefangenen
spielte und das offene Auftreten vermied, schrieb dem Burggrafen
von Maidburg um Sicherheitsbriefe für seinen Boten; der Kaiser
will eher das Geschäft wissen, das derselbe auszurichten habe. Graf
Ulrich gibt vor, er wolle den Kaiser begrüssen und das Schloss
ßertholdsdorf übergeben; er soll also wenigstens Leute schicken, die
es übernehmen. Als Niemand kam ~), übergab er es den Wienern.
österreichischen Geschichte“ im ersten Bande der Denkschriften der kaiserlichen
Akademie der Wissenschaften (Wien 1849) umständlich besprochen und grössten-
theils wortgetreu übersetzt. Indem ich auf diese Abhandlung verweise, hebe ich
später nur die Hauptpuncte hervor und citire dabei die Originalausdrücke.
*) Und noch dazu ein kaiserlicher Herold (k. Bote), der mit Briefen seines Herrn nach
Wien gekommen war; „qui cum opes Ladislai Regis male consumi vidisset, Comitem
Ciliae magnam familiam regio sumptu alere, Eizingerum splendide vivere, Nobiles
quoque, ubi possent, publicas pecunias rapere; et quid vos, inquit, Australes Cae-
sarem incusatis, tanquam bona pupilli Regis dissiparet? Plus vos una die consumitis,
quam Caesaris annus exposuerit. Id cum Eiz i ngerus intellexisset, mox homi-
nem apprehendi, linguam que sibi abscindi jussit.“ Die Bestätigung
dieses angeblichen Factums ist der Zukunft aufbewahrt!
2 ) „Certior enim factus est Caesar“, bemerkt Aeneas Sylvius, „suos in captivitatem ire,
si quos initteret“.
104
Joseph Chmel.
Der Kaiser citirt 1 ) den Eizingcr und die Wiener auf einen
bestimmten Tag, um sich vor ihm zu verantworten über „Gewalt-
thätigkeit“, „Treubruch“ und „Eidesverletzung“.
Diese beschenken den Herold, der die Vorladungsschreiben
brachte 3 ).
Die päpstlichen Schreiben, worin die Österreicher aufgefordert
werden, binnen 40 Tagen dem Kaiser die Regierung zu übergehen
(4. April 14S2, s. Excurs IV.), werden nach Salzburg, Passau und
Olmütz geschickt; die damit beauftragten Notare wollen sie öffentlich
anschlagen, man gestattete es aber nicht!
Erzbischof Siegmund von Salzburg wollte als Vermittler in die
sem Streite auftreten und glaubte desshalb sich nicht offen gegen
die Verbündeten erklären zu sollen 3 ).
Das mit den Österreichern verbündete Doincapitel zu Passau
machte es eben so, als die päpstlichen Briefe ankamen, nahmen sie
selbe dem Beauftragten ah und stellten trotz dringender Bitte sie ihm
nicht mehr zurück. Über Papst und Kaiser äusserte man sich sehr
wegwerfend 4 ). Gleiche Widerspänstigkeit in Olmütz.
*) „Tanquam res Principatuum legibus agantur“, bemerkt tadelnd Aeneas Sylvius,
der für Gewalt eingenommene Priester.
2 ) Aeneas S. bemerkt darüber: „Illi Heraldum, qui scripta detulit, sericeis vestibus et
aureis aliquot nummis donant, gratiasque Caesari referunt, quem eum putassent armis
secum contendere, litteris agentem inveniunt, quibus se facile satisfacturos minime
dubitant“. — Nach deutschem Brauche konnte der Kaiser wohl nicht anders
verfahren!
3 ) Aeneas Sylvius tadelt sein Benehmen mit scharfen Worten; „Quippe Saltzhurgensis
Antistes, tarn se prudentem quam potentem existimans, neque Papae neque
Imperatori parendum duxit, apostolicas litte ras in sua Ecclesia publi
ca ri prohibuit, sic enim se litis compositionem melius assumere posse confir-
mabat; quasi mox alteri parli suspectus esset, si apud Salzburgain Processus Apostolici
publicati fuissent, cum tarnen factum suum in ea re null um require-
retur et obedire illum Romano Pontifici oportebat. Sed maluit
homo sui iuris retinens, consilio non desiderato quam debito
obsequio respon d'ere, quod cum permitt itur in feriori omne offi
cium procul dubio imperantis corrumpitur atque dissol vitur“.
Ob Aeneas Sylvius an des Erzbischofs von Salzburg Stelle anders gehandelt hätte? —
Früher wie später zeigte er eben keine grosse Consequenz, z. B. als er die Partei
des gewaltthätigen Matthias Corvinus nahm gegen den (freilich unmächtigen)
Kaiser ?!
4 ) „Nam cum litteras apostolicas adesse senserunt, vocato bajulo eas sibi tradi jusserunt,
neque multura rogati restituerunt. De Papa atque Imperatore proterve
locuti, gloriabundi quoque: namque de suis natalibus n ullos se
super iores habere jactaba nt, et Papam ignobilem, Imperato rem
Habsburgische Excurse. 105
Die Österreicher werfen den Notar gar ins Gefängniss und
überhäufen ihn mit Schmach.
Sie appelliren an einen besser zu unterrichtenden Papst oder an
das nächste General-Conciliumoder überhaupt an die allgemeine Kirche.
Diese Appellations-Urkunde wurde an der St. Stephanskirche zu
Wien angeschlagen und auch in Salzburg puhlicirt 1 )-
Die Ursache dieses Benehmens wollen, wie Aeneas Sylvius ver
sichert, Einige in den verkehrten Rathschlägen der Wiener T h e o-
logen finden, denen die päpstliche Autorität verhasst
sei. Canonisten und Gesetzkundige hätten es wohl besser ver
standen! 2 ) Bei dieser Haltung der Österreicher und ihrer Verbün-
desidem atque inutilem esse dicebant“. Weiter unten führt er an, die
Österreicher hätten behauptet: „Nicolaum adversum decreta Concilii Basiliensis
electum non esse Papam . . Felicem verum fuisse Pontificem; Fridericum iniqne Con-
cilium ex Basijea deturbasse , Eugenium depositum contra ius fasque juvisse, ejus
opera Nicolaum Petri cathedram invasisse, qui Fridericum imperio minime dignum
coronaverit, compensasse sibi invicem crimina, neque illum Papam aut istum Caesarem
legitimum esse, indignum utrumque tanto honore: sceleratissimum Nicolaum, qui etsi
Papa esset, non tarnen secularibus se rebus immiscere deberet atque injuriam magno
Principi Regi Ungariae irrogare: futurum brevi concilium, ubi tanta temeritas com-
pescatur, veile se Gallicis assistere atque cum his concilium celebrare. Sic fex illa
populi Viennensis, ultimae sortis multitudo, coenosa societas, loquebatur. Quos
sermones non ex se habuit, neque enim tantum pensi plebibus inest. Schola, quae
illic est, arma ministravit, in qua singuläres opiniones cerebrosa-
que capita semper dom in ari consueverunt, ac mentes magis elatae
quam doctae, et nimis de se eredentes, cathedras regunt; in-
grata filia sedis apostolicae, quae filios novitatum cupidos matri
r e b e 11 e s a c magistros e r r o r i s n u t r i r e non erubescit.“ Wir bemerken
wiederholt, dass Aeneas S. als Geschichtsmaler gerne grelle Farben aufträgt.
*) Wir wünschten noch einen andern Gewährsmann dieser angeblichen Facten als den
geistreichen Italiener. Früher behauptete er, die Wiener hätten den kaiserlichen
Herold reichlich beschenkt und nun sollen sie den Notar (wahrscheinlich kamen
sämmtliche offene Briefe, Patente, zu gleicher Zeit) gar ins Gefängniss geworfen
haben „plurimisque opprobriis affecere “ ?
2 ) „Ea consilia male consulta sunt qui Theologos Viennenses praebuisse affirment,
a p u d quos auctoritas summi P o n t i f i c i s o d i o s a est.“ Uber den Erz
bischof von Salzburg, der die Publicirung der Appellations-Urkunde gestattete, äussert
sich Aeneas S. wieder bitter: „Tanta est auctoritas Ecclesiae et Sacrorum Canonum
a p u d illum hominem reverentia“. — In Neustadt und in Gars (also mitten unter
den Gegnern) wurde die päpstliche Mahnbulle publicirt. — Er setzt die Bemerkung
hinzu: „Nec dubium est, quin Australes his (processibus papalibus) ligati fuerint,
quorum exitum sentient, cum illi placuerit, qui suam vindictam quo magis differt eo
graviorein infligit.“ Die österreichische Geschichtsforschung hat die Aufgabe, insbe
sondere dieStellung der WienerUniversität unparteiisch zu erörtern, deren Geschichte,
besonders was ihre Wirksamkeit betrifft, noch viel zu wenig beleuchtet ist.
106
Joseph C h m e 1.
deten welche der Aufforderung des Kaisers wie des Papstes sich
nicht unterwerfen, sondern vielmehr es auf Waffengewalt ankommen
lassen wollten, war Krieg die Losung der Parteien.
Zur selben Zeit war auch ausserhalb Österreichs im Herzen
Deutschlands, wo ohnehin Jahre lang der Fürsten- und Städtekrieg
gewüthet hatte (s. Gesell. K. Friedrich etc., ßd. II, S. H09 u. s. f.),
grosse Spannung und Furcht vor dem Wiederaushruche der Feind
seligkeiten. Die österreichischen Wirren konnten eine allgemeine
Flamme entzünden.
Darum suchten mehrere deutsche Reichsfürsten, besonders die
Herzoge von ßaiern die wohl von Erneuerung des Krieges an ihren
Grenzen am meisten zu fürchten hatten, diese Vormundschaftsange
legenheit durch Vermittlung friedlich beizulegen.
Aeneas Sylvius nennt die Herzoge Albrecbt und Ludwig von
Baiern und den Markgrafen Albrecbt von Brandenburg welche
Gesandte abschickten, um dem Kaiser zur neuen Würde Glück zu
wünschen und ihre Vermittlung anzubieten, die der Kaiser nicht
geradezu ablehnt, wenn die Sache nicht einen der Ehre und Würde
nachtheiligen Ausgang nehmen würde, obgleich die unverschämte
Menge besser durch Schärfe als Gelindigkeit zur Vernunft gebracht
werde 4 ).
Aeneas lässt die Gesandten bald unverrichteter Dinge abreisen,
widerspricht sich aber selbst, indem er weiter unten sie als Unter
händler wieder aufführt.
Leider fehlt unter so vielen andern Sondergeschichten welche
allein erschöpfende Darstellung eines gewissen Verhältnisses liefern
können, auch die Geschichte dieser Gesandtschaft der baieri-
schen Herzoge und des brandenburgischen Markgrafen. Hätten wir
„Denkwürdigkeiten“ dieses gewiss interessanten Vermittlungsver
suches, oder auch nur eine gross e re Anzahl von Actenstücken
und Briefen der dabei thätigen Personen, so würde uns so Manches
klarer werden, was gegenwärtig noch sehr dunkel ist.
*) (Der Kaiser sei bereit zur Ausgleichung) „quae nihil liabeat turpitudinis, quamvis
insolentem multitudinem melius ad honesta rigor quam mansuetudo reducat“ —wieder
eine dem Kaiser in den Mund gelegte Reflexion des Aeneas Sylvius, der bemerkt, der
Kaiser habe sich geäussert, „Er traue den Gesandten alles Gute zu“; obgleich (Zusatz
des Aeneas S.) Eizinger sich ihrer Unterstützung rühmte. Wir werden sehen , dass
Eizinger nicht log.
Habsburgische Excurse. 107
Nur einige Actensiücke fand ich im Münchner Reichsarchive,
welche uns übrigens doch nicht unwichtige Daten liefern.
Zuerst das Concept (oder Original ?) der Instruction Herzog
Albrecht’s vonBaiern, welche er seinen Rüthen den Rittern Christoph
von Parsperg, Marquard von Schellenberg, Hanns von Degenberg
(Hofmeister) und Wernher Pientzenauer, die er neben andern fürst
lichen Abgeordneten nach Österreich sendete, über die ihnen aufge
tragenen mehrfachen Geschäfte mitgab. Sie ist undatirt, aber gehört
ohne Zweifel in das Ende des Monats Juli 1452 *)•
*) Ich theile sie hier vollständig mit. Sie enthält mehrere andere Gegenstände, deren
Erörterung dem dritten Bande meiner Geschichte K. Friedrich’s IV. etc. Vorbehalten
bleibt; der gegenwärtige Excurs ist der speciellen Forschung über die erhländischen
und Familien-Verhältnisse bestimmt, welche in der allgemeinen Geschichte wie billig
nur kurz nach den Ergebnissen dieser Forschung dargestellt werden sollen.
„Vermerckt die Werbung und hanndlung so unnser Rät mit namen CristofF von Pars
perg Marquart von Schellenberg Hanns von Degenberg Hofmaister Wernher Pientzenawer
all Ritter von unnser Hertzog Albrechts wegen tun sollen als wir sy yetzo schicken in
unnser potschaft mit der andern fürsten potsehaft gen Österreich zu unnserm gena-
digisten herrn dem Römischen kayser etc. und zu der lanntschaft in Österreich auch der
andern lannde Anwallden die zu In gewont sind der Irrung halb zwischen desselben
unnsers herrn des kaysers und derselbigen lanndtlewt als von unnsers herrn konig
Lasslaws irs herrn wegen.
Zum ersten unnserm Herrn dem kayser unnser undortänigkait und gehorsam zu
tun und zu beweisen als sich zu sollichem gepurt und darauf seinen gnaden zu der wir-
dikait der kayserlichen Cron von uns glücks zu wünschen und In zu empfahenals dann
auch dartzu gehört.
Und dann furbasser zu reden wie uns sollich unainikait so dann zwischen seiner
kayserlichen gnaden und der vorgenannten lanntlewt zu Österreich und den anndern
die dartzu gewant erstannden — nicht lieb sonder getrewlichen layd sein und das wir
sy darumb hinab geschickt haben dann wir selbs unnsers leibs gesunthaithalben sonder
zu diser zeitnit gereiten noch aus mugen, als wir dann das selbs gern mit willen getan
betten, allen vleiss in den Sachen furgewenndet das zu gut und ainikait möcht gedie-
net und In das mitsambt den anndern beuolhen haben an unnser stat ob man sy von
unnsern wegen in den Sachen ycht wesst zu geprauchen das sy sich da nutzen und
arbait nicht verdriessen auch mitsambt andern allen vleiss tun sollten die sach heliren
versuchen zu gut und ainikait zu bringen, darinn uns sein kayserlich gnad noch auch
die benanten unnser Rät von unnsern wegen also nit sparn des uns kainer zerung noch
mue zu haben nicht verdriessen solle mit mer sollicher oder desgleichen erberer und
zimlicber erpietung als dartzu gehört des syain aufsehen sollen haben und eruorsehen
wie sich der andern fürsten die unpartheig sein senndpoten von irer herren wegen
hallten unnser pesstes und das glimpflichist darinn furzunemen und zu lernen das
yetzo nit alles mag wissentlich sein noch empfolhen werden.
Desgleichen sollen sy auch von unsern wegen zindich erber erpietung tun gen
den vorgenanten lanntlewten Verwesern und haubtlewten als sich von uns dartzu
gepurt gen ainem yeglichem in seinem stannde.
108
Joseph Chmel.
Es ist vor Allem auffallend, dass diese Räthe angewiesen sind,
sich ganz unparteiisch zu verhalten, „dabei man nit mercken mug
Und sich also von unnsern wegen in den Sachen erpieten muen hallten und nutzen
lassen unpartheig ainem tail als dem anndern dabei inan nit mercken mug das wir und
sy von unnsern wegen kainem tail für den andern genaigter oder geuarliehen sein
und da beleihen so lanng sy versteen das des von unnsern wegen ain notturft sei.
Wir haben unnserm vettern Hertzog Otten von Bairn die ladung umb die viij.VI —
ungrisch guidein nagst also hingeschickt und ob er uns der losung so wir an in
eruordert haben von Lenngfeld und annders unnsers erbs wegen nit eingeen oder uns
der brief darüber lauttend nach unnser begerung nit gewärt abschrifft schicken wollte
darnach wir uns lautter wessten zurichten oder uns sollichs Verzug oder was gepruchs
wir darinn von Im hetten darumb uns not täte wollten wir uns sy auch ladung gen Im
bringen lassen und In so wir erst möchten vor unnser underrichtung hinab schreiben
wie sy uns umb sollichs ladung gen Hertzog Otten begern und auspringen sollten dem
dann furo nachzugeen.
Sy sollen auch von unnsern wegen mit unnserm herrn dem Römischen kayser
reden, als wir sein gnad vor vil und ofTt umb recht angerulTen und potschaft bei Im
gehebt haben von der lannlvogtei wegen zu Swaben die uns zugehöret nach lautt der
versigelten brief und urkund so wir darumb haben, als sein gnad wol wisse und die
auch ettweolTt gehört habe das uns albegen gar lanng verzogen sei auf erfarung sein
gnad von unnsern wegen noch anzurufTen und diemutigklich zu bitten uns ungeirrt
dabei zu beleihen lassen. — Ob aber sein gnad des ye nit vermainte des wir nit hoffen,
das uns dann sein gnad noch darumb ain furderlich gütlich gleich recht schaffe ergeen
und widerfarn lasse des tag setze und ladung gebe yetzo bei In und darumb vast an
zuheben gute ausrichtung zu erlanngen und uns des antwurt wider zu bringen. Und
der andern herren potschaft auch darumb pitten und das nach aller notturft werben
und yetzo Hertzog Ludwigen an dem hinabfarn darumb zu piten das mit den seinen
zu schaffen.
Desgleichen auch unnserm genedigistenllerrn dem Römischen kayseretc. antwurt
zu geben und zu sagen auf sein schreiben und die ßabstlichen brief uns von Im zu
geschickt wie wir darumb also unnser potschaft zu seinen gnaden und der lanntschaft
geschickt und geuertigt haben das pesst darinn helffen furzunemen das zu gut und
ainikait zu bringen nach lautt diser beuelhnuss zetel und darinn zu hanndeln als der
andern herren potschaft unpartheig.
Item mer als die Stat von Passaw ir potschaft bei uns gehebt haben von sollicher
begerung wegen, so unnser genadigister herr der Römisch kayser und die lanntschaft
zu Österreich von der krieg sach als von hilff und beistannds wegen zwischen dersel
ben Parthei umb rat und underweisung In zutun sich in den Sachen zu halten und zu
tun wissen.
Das in die Rät widerumb darauf von uns sagen sollen auf die maynung.
Das unnser rat nit sei das sich die von Passaw sunderlichen zu yemant nicht ver-
pinten sollen noch mugen wann das nit sein soll und brächt irm herrn dem Erwellten
und der stifft mercklichen und künftigen schaden.
Und darauf ist unnser rat die weil die Stat Passaw irm herrn dem Erwelten nit
huldigung getan haben als der dann noch nit gar bestät das sy die weil das noch nicht
gar beschehen ist nicht schuldig sein yemands hilff noch zulegung zu tun sonder der
sach so sy glimpflichist mugen also zu disen Zeiten dardurch mussig sten und auch
das die Stat Passaw der huldigung irm herrn dem Erwellten zetun zu disen Zeiten
Habsburgische Excurse.
109
das wir und sy von unnsern wegen kainem tail für den andern genaig-
ter oder geuarlichen sein;“ — sie sollen so lange bleiben, als sie es
für nöthig finden. Die Stadt Passau sollen sie zur strengen Neutra
lität bewegen.
Einige Spuren der Wirksamkeit dieser Gesandten sollen später
erwähnt werden.
Ehe wir den wirklichen Ausbruch der Feindseligkeiten im
Monate August dieses Jahres (1432) erörtern, müssen wir jener
sonderbaren Schreiben gedenken, welche Aeneas Sylvius in seiner
Geschichte umständlich mittheilt, und welche die gegenseitige
Erbitterung der Parteien allerdings kund thun, obgleich gegen ihre
Echtheit gar viel einzuwenden ist.
Nach ihm schrieben die Österreicher (Eizinger und die Ver
weser) an einen der einflussreichsten Räthe des Kaisers, den kaiser
lichen Kammermeister Johann Ungnad, einen Brief voll massloser
Invectiven, worin sie ihm seinen Hochmuth hei niedriger Herkunft,
seine unersättliche Habgier und grenzenlose Bestechlichkeit vor
werfen ‘)-
sunderlich sollicher sach halben wol an lassen steen und das auch also zu hanndeln
mit Ilertzog Ludwigs rat und seiner potschaft.
Item die Rät sollen auch reden von unnsern wegen mit unnserm Oheim Graf
Johannsen von Schawnburg als von der sach wegen zwischen sein und unnsers Oheims
von Görtz als er uns geschrieben und der sach umb tag zu setzen gepeten hab. Darauf
wir Im widerumb geschriben haben wie wir dem von Görtz noch schreiben und ver
suchen wellen das bei dem fruntlichisten zu beleihen lassen nach lautt spruchbrief und
Verschreibung darumb beschehen und das er Im der sachenhalb auch soll schreiben
uns auch umb tag zu seczen ze piten. Also haben wir dem von Görtz nochmaln also
darumb geschriben der uns wider geantwurt und geschriben bat und haben des volg
von Im nit erlanngen mugen, sonder er pit uns under annderm die eingelegten brief
und kuntschaft nit von bannt zu geben an seinen willen und wissen wann er mercklich
darein zu sprechen und zu reden hab. Darauf wir Im yetzo aber wider geschriben
haben under anderm ob sy sich der sach sunst nit miteinander gütlich verainen und
wir der ye so uerr ersucht oder nicht über haben mugen werden so wir dann das
ungeuarlich erst getun mugen wellen wir In baiderseit der Sachen widerumb tag für
uns beschaiden dem nach allem herkomen verrer nachzugeen dem von Schawnburg
das auch also zu uerkonnden und wisseiilich zu machen sich darnach wissen zu richten.
Item nicht zu uergessen der kaulleut von Munichen von irer sach wegen anzu
bringen. (Fürsten-Sachen, Bd. X, Fol. ö4u.ö5, Reichs-Archiv in München. Concept?
Original ?)
A ) Facilius Caesarem, quam te alloqui potuimus, qui neque nobis respondere dignabare:
graviset intolerabilis tua sup erbia fuit,sedintolerabilior ingens illatua rapa ci tas
qua omnes vexasti, clericos et laicos, omnes tibi vectigales fuimus. Quis aliquando
110
Joseph C h in e 1.
Er sei durch und durch unwahr gewesen, und habe besonders
durch seine verkehrten Rathschlage geschadet 1 ).
Eine Reihe von Missgriffen wird ihm zugeschoben, er sei beim
Kaiser allmächtig gewesen, habe sich aber so verächtlich gemacht,
dass ausserhalb Steiermark, Kärnten und Krain sich Niemand mehr
um ihn kümmere. So hätten die Tiroler zuerst sich seinem Über-
mutlie entzogen, die Ungern wären weggeblieben, auch die Böhmen
hätten nicht ausgehalten am Hofe.
Am längsten hätten sie (Österreicher) und die Mährer es ge
duldet, in der Hoffnung, dass wenigstens der Kaiser sich ändern
würde.
Nun seien sie es satt. — Sie wollen dem Beispiele der Tiroler
folgen. Er aber möge sich endlich des Kaisers erbarmen und auf
hören, durch seinen schlechten Rath ihn zu verderben. — An allem
Unheil sei er allein Schuld 3 ).
gratiam quampiam ex Caesare tulit, qui non te prius auro placaverit? Apud te venalia
cuncta fuerunt; praeturas, praefecturas, sacerdotia, honesta et inhonesta, sacra et
profana, pecunia vendidisti: qui plura dedit, non qui maiora meruit, te conante,
magistratum obtinuit: saepe quoque ex nuda promissione argentum extorsisti, deinde
plus offerenti praefecturam coinmisisti, iile apud te melior iudicatus est, quempecunio-
siorem invenisti, nihil tibi dulcius, quam pecunia fuit. Nos tuam domum tritico, vino,
sale, carne, pisce complere oportuit: foenum bladumque tuis equis dedimus, clavos
quoque tibi coemimus, quibus equos ferro munires. Omnis tua suppellex dono parata
est, religiosos viros, Barones, pari tenore cum plehihus habuisti. Quippe solitus apud
Novam Civitatem Iudaeos deglubere, quorum anseres et anseruin jecinora devorasti,
nos ex illorum more tractandos existimabas. Splendidascoenas, lautas mensas, ex pau-
perum tibi sanguine comparnsti.“ Auch zahlreiche Opfer der Wollust! — „Omittimus
nuptas ad te domumque tuam noctu deductas, defloratasque virgines, dum tuum patro-
cinium apud Caesarem rogant.“
*) Quid de tuis mendaciis satis referri potest? nunquamex te verum nisi errante, auditum
est: nunc promittere, nunc promissum negare, dictum atque indictum apud te iuxta fuit,
neque iurata tua fides stabilis mansit. Ad haec inonebas Caesarem, ne cui se crederet
Australi: raperet ex Austria, quae posset: sciret se aliquando dominium dimissurum:
quod medio tempore de pupilli haereditate surriperet, id suum esse“. . . .
2 ) Es heisst: reduc in memoriam male consulta consilia tua. Amicissimus Caesaris, Co-
loniensis Antistes, alienatus est, cum sibi te suadente contra Susatenses nega-
tum est auxilium; tuo suasu perditi sunt Turicenses, adversus Suicenses arma
sumentes : res Athesinae tua causa perditae sunt: perte M e di ola n e n s e nego
tium infectum est: res Goritiae ad intentionem Caesaris vadentes quis nisi tua
negligentia atque inscitia perturbavit? Quis Cilienses Principes nisi arrogantia tua
a Caesare alienavit? Quid de Frisingensi Ecclesia dixerimus? quam Johanni de
Yiridi silva (Grünwalder) vendidisti, summumque illum et excellentissimum vestrae
Curiae lumen Casparem Cancellarium prodidisti: tu Magdeburgensem Archiepiscopum
et Saltzburgensem, quia non datur auri quantum flagitas, ab investitura repulisti. Nunc
i
5
Habsburgische Excurse. lll
Als Johannes Ungnad dieses Schreiben erhielt, soll er es voll
Unwillen dem Kaiser gebracht und es im vollen Rathe haben vorlesen
lassen. Einige aus den kaiserlichen Rathen sollen was Eizinger
hier schrieb missbilligt,'andere stillgeschwiegen, unter sich aber
bemerkt haben, es sei wahr, was geschrieben wurde; sie hätten sich
gefreut, dass endlich sich Jemand gefunden, der dem Manne den
Kopf gewaschen und den Hochmuth des Aufgeblasenen gedemtithigt
habe.
Also berichtet Aeneas Sylvius, der hinzusetzt, der Kaiser habe
allerdings den Stich gefühlt, sich jedoch durch die seinem Vertrauten
widerfahrene Schmach nicht ausser Fassung bringen lassen.
Wir haben nicht das Original dieses ohne Zweifel in deutscher
Sprache ausgefertigten Schreibens, ich habe vielmehr in meinen
Materialien (Bd. II, S. 19, Nr. XIX) ein Schreiben Eizinger’s und der
Verweser an die kaiserlichen Räthe Hanns und Wolfgang Ungnad
mitgetheilt, welches dieselben als Antwort auf deren förmliche Absage
ausgehen Hessen. Allerdings wird auch in diesem Schreiben dem
Hanns Ungnad sein Ubermuth und sein Eigennutz vorgeworfen, der
durch seine Rathschläge den Kaiser ins Verderben gebracht habe.
Ob nun Aeneas Sylvius sich erlaubt habe, dieses ganz kurze,
durchaus keine Einzelheiten enthaltende Schreiben, nach dem Muster
anderer classischer Geschichtschreiber, zu erweitern und dadurch
eindringlicher zu machen, oder ob nicht vielleicht bei dieser Gelegen
heit, wie das öfter vorkömmt, von Seite eines Dritten eine Unter
schiebung stattgefunden, ist nicht klar.
Ich möchte glauben, einer der Gegner Ungnad’s unter den
kaiserlichen Rathen oder Dienern habe sich den allerdings argen
Scherz erlaubt, dem verhassten Günstling ein Schreiben in die Hand
zu spielen, worin dem so Einflussreichen auf die bitterste Weise sein
Schalten und Walten vorgestellt wird. Dadurch gewinnt das Schrei
ben noch grössere Wichtigkeit, indem es ein freilich höchst uner
quickliches Licht auf die inneren Verhältnisse des kaiserlichen Hofes
wirft und Aeneas Sylvius ist dann wenigstens kein offenbarer Fälscher.
Die Antwort aber, welche Hanns Ungnad dem Eizinger auf seinen
insolenten Rrief geschrieben haben soll, die Aeneas Sylvius ebenfalls
quoque Pataviensem electuin omni conatu persequeris parum tibi olFerentem. Sic tu
Caesari quae sunt in rem suam consulis, sic imples fidem juramentumque tenes. Nihil
• est, quod unquam tuo consilio laudandum a Caesare factum sit“. . .
112
Joseph Chm el.
vollständig mittheilt und welche ich in der oben erwähnten Abhand
lung getreu übersetzte, übergehe ich hier, da sie eben dort erörtert
und das Übertriebene der Vorwürfe nachgewiesen ist.
So viel scheint aber aus dem leidigen Briefwechsel hervorzu
gehen, dass der Unwille und theilweise Hass gegen das Regiment des
Vormunds nicht soviel die Person desselben traf, sondern mehr seine
Umgebung und seine Vertrauten q.
Dass unter diesen insbesondere Ungnad nebst zwei anderen,
Neiperg und Zebinger beim Kaiser alles gegolten zur seihen Zeit,
sagt selbst Aeneas Sylvius 2 ).
Da durch Schmähungen und wechselseitige Beschuldigungen die
friedliche Beilegung der Vormundschaftsangelegenheit immer mehr
erschwert wurde, so dachte der Kaiser allen Ernstes auf Waften-
gewalt, indess kamen ihm die Österreicher mit ihrer förmlichen
Absage zuvor.
Während er noch mit Worten sein Recht und seine Ansprüche
geltend zu machen gedachte, wurden ihm von seinen Widersachern
Graf Ulrich von Cilli, den Verwesern, Ulrich Eizinger, Graf
Johann von Schaunberg, den von Rosenberg und Anderen, Fehdebriefe
zugeschickt.
*) So heisst es auch in dem gleichzeitigen Volksliede, welches ich zu München im Codex
german. monac. Nr. 1113 (olim Ratisbon. civ. 229) fand und in meinem Reiseberichte
(S. 111—114, Separatabdruck) mittheilte — Strophe 27:
„Der chaiser hat nicht schuld daran
Ich sag euch war,
Hab dankch Ungen ad du piderman
Dein nam ist offenbar —
Dir und auch dem Czebinger
Man pilleich dankchen scliol —
Es macht den leuten 1er (scilicet: die Beutel)
Uncz das dy ewern werden vol. “
2 ) Er bemerkt nämlich, die Riithe des Kaisers hätten in dieser so schwierigen Zeit zu
grösserer Thätigkeit gerathen, und setzt hinzu: „Quorum vocibus nihil momenti fuit.
Tres tantum viri apud Caesarem auditi sunt, qui plus caeteris sapere putabantur, duo
Johannes, alter Neipergius, alter Ungnadius, el Gualterus Zebinger:
cum his enim Caesar in abditas cameras sese reducere solitus erat, resque cunetas
eorum consilio gerere, sive quod eos prae caeteris prudentiores existimavit, sive
quod fidem eorum solidiorem credidit. Quidam putaverunt adulationibus et
malis artibus hör um potentiam apud Caesarem ingentem fuisse.
Nos exploratum habemus, omnes Principes penes se habere aliquos, quorum conver-
satione jucundius ac prolixius utantur, et quibus imputari omnia solent, quae Prin-
cipibus accidere videntur adversa“.
Habsburgische Excurse.
113
Nun sali er wohl, (lass Handeln an der Zeit wäre, er befahl
also am 28. Juli 1452 seinem Rath und Rüstmeister Herrn Rüdi
ger von Starhemberg, denselben ebenfalls den Frieden zu kün
den, zu welchem Behufe er ihm Formulare zuschickt, die im
kaiserlichen Rathe waren entworfen worden! Er möge sodann die
Feindseligkeiten beginnen und vor Allem die Strasse nach Wien
sperren, damit es keine Verstärkung erhalte noch Lebensmittel.
Gleiches soll von der Seite geschehen, wo Wiener-Neustadt liegt,
so wie auch Jörg von Puchheim, Leopold Neidecker und andere
Treugesinnte jenseits und diesseits der Donau so zu verfahren ange
wiesen seien').
Die ersten Schritte des Kaisers waren nicht ohne Nachdruck
und es schien seine Sache einen glücklichen Ausgang nehmen zu
wollen.
Er nahm 4000 Reiter in Sold (denn damals war noch keine
bewaffnete Macht dem Landesfürsten zu Dienst, ausser die er sich
selbst auf seine eigenen Kosten herstellte) und ziemlich viel Fuss-
volk; über Erwarten schnell war dieses Heer ausgerüstet, wie Aeneas
Sylvius erzählt.
Zugleich ward der Statthalter von Böhmen, Georg Podiebrnd,
den Kaiser Friedrich schon früher für sich gewonnen hatte, aufge
fordert, Hilfe zu leisten, die er auch gegen hinreichenden Sold zu
stellen versprach a ).
1) Original im Familien-Archive zu Riedeck, gedruckt in m. Regesten II, Nr. 2911. Die
Familie Starhemberg war eine der treuesten; so hatten die Brüder Ulrich und Hanns
von Starhemberg den Auftrag erhalten, 200 Reiter und 100 Fussknechte auszurüsten
und für seinen Dienst zu verwenden; am 14. Juli 1452 verspricht ihnen der Kaiser
allen Schaden so wie alle aufgewendeten Kosten zu ersetzen. Original zu Riedeck,
gedruckt: Regesten II, Nr. 2896, aber unrichtig mit dem Datum 7. Juli. — Hingegen
gibt er an diesem Tage (7. Juli 1452) dem Balthasar von Starhemberg primarias
preees an die Domkirche zu Freysing für ein Canonicat mit Priibende. Der Abt zu
Wiener-Neustadt (Ss. Trinitatis) und der Dechant bei St. Stephan zu Wien werden
als Executoren bestellt. Orig, zu Riedeck. S. Regesten II, Nr. 2897. Als Beitrag zu den
Rüstungskosten wahrscheinlich erhielt Ulrich von Starhemberg Anweisungen auf das.
Ungelt von Linz (25. Juli 1452. Orig, zu Riedeck, s. Regesten II, Nr. 2907), Schatz
steuer und andere Renten, auch das Ungelt zu Freistadt und in den dazu gehörigen
Ämtern (Orig, zu Riedeck, 25. und 26. Juli 1452, eben daselbst, Numer 2907).
2 ) „Neque ille conditionem respuit, stipendii solum parvitatem contemnit, venturumque
se pollicetur, turba tur uinque omnem Austriam, si stipem militi necessariam
habeat.“ — Wahrscheinlich fürchtete K. Friedrich später diese Hilfe, welche dem
ganzen*Lande, Freund und Feind, den Ruin gebracht hätte.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XVIII. Bd. I. Hft. £
114
Joseph Chmel. Ilabsburgische Excurse.
Wäre nun, meint Aeneas Sylvius, der Kaiser, da die Österreicher
noch nicht gerüstet gewesen, sogleich ins Feld gezogen, hätte er
sich vor Wien gezeigt und das Land mit Feuer und Schwert ver
wüstet, so würde die unbeständige Menge ihr Vorhaben bald aufge
geben haben, besonders nach dem gewohnten Thun und Lassen ‘)*
Die Österreicher, unter sich uneinig, ohne Söldner (?), der Ge
rechtigkeit ihrer Sache unsicher und überhaupt nur dann keck, wenn
der Feind den Rücken kehrt, hätten nach dem Urtheile der Kenner
vor dem gerüsteten und gewaltigen Kaiser nicht Stand gehalten. So
aber ging alles darunter und darüber. Gott lenkt den Sieg dahin,
wohin es sein Wille. Also Aeneas S. 2 ).
Den weiteren Verlauf der Dinge und die daraus hervorgegan
genen leidigen Verhältnisse des Hauses Habsburg im Schoosse seiner
eigenen Familie sollen die nächstfolgenden Excurse zu beleuchten
suchen.
Erst wenn man die Hindernisse kennt, welche ein Regent da
findet, wo man es am wenigsten erwarten sollte, kann man sein Regi
ment mit Unparteilichkeit würdigen.
*) »Quodsi nondum illis paratis in campum exivisset, atque ante Viennam se ostendens
ferroque et ig-ne terram vastare coepisset, non dubium, quin multitudo inconstans,
sine certo rectore nutans, ex proposito cecidisset.“
2 ) Porro Australes inter se divisi, carentes milite, causae parum fidentes, neque natura
sua, nisi cum hostes fugiant, audaces, omnium, qui sapere existimati sunt, judicio,
armatum atque urgentem Caesarem nequaquam tulissent. — Sed data sunt omnia
desuper, quo vult Deus, eo victoriam flectit.“
Dr. Pfizmaier. Notizen aus der Geschichte der chin. Reiche etc. 115
SITZUNG VOM 28. NOVEMBER 1855.
Gelesen:
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche vom
Jahre 572 bis 546 vor Christo.
Von dem w. M., Herrn Dr. Pfizmaier.
VORWORT.
Die liier mitgetlieilten historischen Notizen dienen zur Beleuch
tung eines sechs und zwanzigjährigen Zeitraumes dessen Anfang
durch die erneute Suprematie des Reiches Tsin, das Ende durch den
Friedensschluss von Sung bezeichnet wird. Nachdem Tsin (569 vor
dir. Geh.) sich mit den westlichen Barbaren verbündet, gerieth das
Reich Tsching durch seinen Angriff auf das von Tsu abhängige Tsai
in eine so eigentümliche peinvolle Lage, dass es zuerst von dem ihm
feindlichen Tsu, dann wieder von dem ihm befreundeten Tsin mit
Krieg überzogen wurde. Der Vertrag von Hi zwischen den Reichen
Tsin und Tsching stellte (564 vor dir. Geh.) den Frieden wieder
her, jedoch wurde Tsching das folgende Jahr durch einen übrigens
bald vorübergehenden Zustand der Anarchie in seinem Innern dem
Untergange nahe gebracht.
Die nächsten Ereignisse von Bedeutung sind die Vertreibung
des Fürsten von Wei durch dessen eigene Unterthanen (559 vor
dir. Geb.), ferner der in demselben Jahre gegen Thsin gerichtete
, sogenannte Angriff der dreizehn Reiche, mit welchem die zwischen
den Reichen Tsin und Thsin bestandene sechs und sechzigjährige
Fehde thatsächlich ihr Ende erreichte. Dieses Jahr war das erste
Regierungsjahr des Königs Kliang von Tsu, in dem folgenden (558
vor Chr. Geb.) starb Tao, Fürst von Tsin. In den folgenden drei
Jahren richtete wieder Ling, Fürst von Tsi, sechs Angriffe gegen das
8“
116
Di*. P f i z ni a i e r.
Reich Lu, worauf Tsin diesem zu Hilfe kam und mit seinen Verbün
deten die Hauptstadt des Reiches Tsi belagerte. Fürst Ling von Tsi
starb bald nach diesen Vorgängen (554 vor Chr. Geb.).
Nach einigen minder wichtigen Ereignissen innerhalb der
Grenzen des Reiches Lu brach in Tsin (550 vor. Chr. Geh.) eine
durch Luan-ying veranlasste gefährliche Empörung aus, welche
Tschuang, der neue Fürst von Tsi, zu einem Einfalle in Tsin benützte.
Die Empörung selbst ward durch ein von Lu entsandtes Hilfsheer
unterdrückt. Zwei Jahre später (548 vor Chr. Geb.) wurde Tschuang,
Fürst von Tsi, durch Thsui-tschü, einem Grossen seines Reiches,
getödtet. In demselben Jahre bekriegte Tsching ohne Erlaubniss des
die Oberherrschaft ansprechenden Reiches das Reich Tschin, wobei es
nur durch die grosse Beredtsamkeit Tse-fan’s, Prinzen von Tsching,
der ihm für dieses Unternehmen zugedachten Strafe entging.
Gegen das Ende des hier behandelten Zeitraumes wollte Tso-sse
von Sung, der sowohl Tschao-wu, den Regierungsvorsteher von Tsin,
als auch Tse-mo, den Regierungsvorsteher von Tsu, zu Freunden
hatte, sich einen Namen machen, indem er die Reiche Tsin und Tsu
zu einem Vertrage der die Herstellung eines allgemeinen Friedens
im Gefolge haben sollte, zu bewegen suchte. Dieser Vertrag, durch
welchen Tsin und Tsu sich in die Oberherrschaft theilten und der in
der chinesischen Welt plötzlich eine grosse Veränderung hervor
brachte, wurde in der That (546 vor Chr. Geb.) vor den Thoren der
Hauptstadt von Sung geschlossen.
Merkwürdiger Weise wird dieser Friede der anscheinend die
grösste Wohlthat gewesen, von den Weisen des Alterthums auf das
Tiefste beklagt. Durch ihn gab es nämlich, wie angegeben wird, zwei
die Oberherrschaft ausübende Reiche, das eine im Süden, das andere
im Norden. Man sah mit Bedauern, dass Tsin der Oberherrschaft
nicht mehr gewachsen war, und die Reichsfürsten wandten sich zuletzt
sämmtlich nach Tsu. Als dieses Reich später das Reich U angriff, Lai
vernichtete, fand sich Niemand der sich einem solchen Beginnen
widersetzte. Durch ihn wurde ferner, wie behauptet wird, der Unter
schied zwischen Chinesen und Barbaren aufgehoben, indem nämlich
gegen das Ende der Periode des Tschün-tsieu das ursprünglich unter
den östlichen Barbaren gegründete Reich U und noch später das
gleichfalls barbarische Reich Yue die Oberherrschaft an sich rissen.
Die Ansicht von der Verwerflichkeit des Vertrages wurde übrigens
~—
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
117
gleich nach dem Abschlüsse desselben yon Tse-han, Prinzen von
Sung, gegenüber Tso-sse geltend gemacht.
Die hier erzählten Begebenheiten wurden in ihrer Anordnung
auf sieben und zwanzig Regierungsjahre des Fürsten ^ Siang von
Lu, der im Ganzen ein und dreissig Jahre regierte, vertheilt. Erwähnt
zu werden verdient noch, dass in das ein und zwanzigste Regierungs
jahr des Fürsten Siang von Lu die Geburt Khung-tse’s (Confucius)
fällt, der somit zur Zeit des Friedensschlusses von Sung sechs Jahre
alt wurde.
Das erste Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu ist übrigens
das vierzehnte des Königs Kien von Tsclieu, der in demselben starb,
ferner das sieben und zwanzigste des Fürsten Tsching von Tschin,
das vierte des Fürsten Ping von Sung, das erste des Fürsten Tao
von Tsin, das zehnte des Fürsten Ling von Tsi, das dreizehnte des
Fürsten Tsching von Tsching, das vierzehnte des Fürsten
Scheu-mung von U.
Das folgende zweite Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu
ist das erste des Königs j|p| Ling von Tsclieu, des Himmelssohnes.
28, das Jahr des Cyklus (570 vor Chr. Geb.).
Drittes Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu.
Dieses Jahr ist das erste Regierungsjahr des Fürsten
von Tsching.
Rhi-hi erhebt die Vortrefflichen.
„Khi-hi bat um die Versetzung in den Ruhestand.“
Khi-hi war, wie in dem achtzehnten Regierungsjahre des Fürsten
Tsching von Lu zu ersehen, der Beruhiger des mittleren Heeres
von Tsin.
„Der Fürst von Tsin fragte ihn um den Nachfolger. Er empfahl
Hiai-ku. Dieser war sein Feind. Als man ihn erheben wollte, starb er.“
^^ Hiai-ku von Khi-hi zum Nachfolger vorgeschlagen,
starb in dem Augenblicke, als er in sein Amt eingesetzt werden sollte.
„Man fragte ihn wieder. Er antwortete: Wu mag es werden.“
Wu ist j|jj] Khi-wu, Khi-hi's eigener Sohn.
„Um diese Zeit starb Yang-sche-tschi.“
Yang-sche-tschf war der Genosse Khi-hi’s in seinem bisherigen
Amte.
„Der Fürst von Tsin sprach: Wer kann seine Stelle vertreten?“
„Jener antwortete: Tschhi mag es werden.“
Tschhi war der Sohn Yang-sche-tschfs.
„Hierauf liess man Khi-wu werden den Beruhiger des mittleren
Heeres. Yang-sche-tschhf stand ihm zur Seite.“
„Die Weisen meinten, dass Khi-hi hier im Stande war, zu er
heben die Vortrefflichen.“
„Indem er seinen Feind empfahl, übte er keine Verstellung.
Indem er seinen Sohn einsetzte, bevorzugte er nicht den Nahe
stehenden. Indem er den Mann seines Anhangs erhob, bevorzugte er
nicht den Genossen.“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
119
„In dem Buche der Schang heisst es: Wer nicht den Anhang
kennt, nicht die Genossen, dem ist des Königs grosser Weg er
schlossen. — Dieses lässt sich sagen von Khi-hi.“
„Hiai-ku erhielt die Beförderung. Khi-wu erhielt die Würde.
Pe-hoa erhielt das Amt. Er errichtete ein einziges Amt, und drei
Dinge wurden vollendet.“
TjE ,fjf| Pe-hoa ist der Jünglingsname Yang-sehe-tschhfs.
Da Hiai-ku starb, ehe er noch in seine Würde eingesetzt war, so
erhielt er blos die Beförderung. Die übrigen Zwei erhielten je eine
Würde und ein Amt. Der Beruhiger des Heeres und dessen Genosse
bekleiden ein und dasselbe Amt, desswegen wird gesagt, dass Khi-hi
ein einziges Amt errichtet. Dass jene drei Männer die Beförderung,
die Würde und das Amt erlangt, sind die drei Dinge welche er
vollendet.
„Er konnte erheben die Vortrefflichen. Nur weil er selbst vor
trefflich, konnte er erheben seines Gleichen.“
„In einem Gedichte heisst es:
Er denkt, was selbst er könnt’ erreichen,
Desswegen sie ihm gleichen.“
Der Sinn ist: Wer sich der eigenen Tugend bewusst ist, kann
Menschen befördern, welche ihm selbst ähnlich sind.
„Ein Solcher ist Khi-hi.“
Wci-kiang steht dem Volke zur Seite durch die Strafe.
„Yang-yü, der Bruder des Fürsten vonTsin, verwirrte die Reihen
in Khio-liang. Wei-kiang strafte dessen Diener.“
'ftM Yang-yü ist der jüngere Bruder des Fürsten Tao von
Tsin, Wei-kiang der Anführer der Reiterei, was eigentlich der Anführer
der Streitwagen. ^ jjjj Khio-liang, ein Gebiet von Tsin. Weil
der Prinz Unordnung in die Reihen der Streitwagen brachte, liess
der Feldherr dessen Diener enthaupten.
„Der Fürst von Tsin zürnte. Er sprach zu Yang-sche-tschhi:
Ich habe versammelt die Vasallenfürsten zu meinem Ruhme. Yang-yü
wird gestraft: welche Schande ist wohl gleich dieser? Wir müssen
Wei-kiang tödten, ohne es zu versäumen.“
„Jener antwortete: Kiang hat keine doppelte Absicht“.
120
Dr. Pfizmaier.
U Kiang ist Wei-kiang's Name.
„Wenn er dem Landesherrn dient, so entzieht er sich nicht den
Gefahren. Hat er ein Verbrechen begangen, so entflieht er nicht der
Strafe. Er wird kommen, um selbst zu sprechen. Warum Schande
bringen über den Befehl?“
„Als die Worte zu Ende, erschien Wei-kiang und übergab den
Dienern einen Brief.“
„Er wollte sich in das Schwert stürzen. Sse-fang und Tschang-
lao hielten ihn zurück.“
Sse-fang und Tschang-lao bekleideten noch die Würden welche
in dem achtzehnten Jahre des Fürsten Tsching von Lu näher be
zeichnet sind.
„Der Fürst las diesen Brief. Er lautete: Durch Tage betraut
mit den Aufträgen des Landesherrn, machte man mich zu diesem
Anführer der Pferde.“
„Ich habe gehört: Die Menge des Heeres hält den Gehorsam
für den kriegerischen Muth. ln den Sachen des Heeres den Tod
mögen, aber keine Übertretung, ist die Ehrfurcht. “
Der die Sachen des Heeres leitet, mag selbst in Gefahr des
Todes gerathen, er Übertritt nicht die Vorschriften und duldet auch
nicht, dass ein Anderer sich dessen schuldig mache. Hierdurch zeigt
er seine Ehrfurcht vor dem Landesherrn.
„Der Landesherr versammelte die Vasallenfürsten: wie dürfte
ich es wagen, ihn nicht zu ehren ? Das Heer des Landesherrn ohne
kriegerischen Muth, der Leiter der Geschäfte ohne Ehrfurcht: keine
Schuld ist grösser als diese.“
Durch Widersetzlichkeit gegen den Befehl verliert das Hem
den kriegerischen Muth. Wenn der Feldherr aus Furcht den Schul
digen nicht straft, setzt er die Ehrfurcht bei Seite.
„Wenn ich gefürchtet hätte den Tod und verwickelt hätte
Yang-yü, ich wäre durch nichts der Schuld entkommen.“
Sowohl Wei-kiang als Yang-yü wären nach dem Obigen schuldig
gewesen.
„Ich getraute mich nicht, es zu versuchen durch Belehrung, und
ich gelangte zu der Anwendung der Axt: meine Schuld ist eine
schwere. “
Notizen aus (1er Geschichte (1er chinesischen Reiche etc.
121
„Ich erkühnte mich zum Ungehorsam und erfüllte mit Zorn das
Herz des Landesherrn. Ich bitte, mich gehen zu lassen in den Tod
hei dem Richter der Strafe.“
„Der Fürst eilte barfuss hinaus und sprach: Die Worte die ich
gesprochen, waren die Liebe zu den Meinen. Die Strafe die du, o
mein Sohn, verhängt, sind die Gebräuche des Heeres.“
„Ich habe einen Bruder. Ich konnte ihn nicht belehren, ich liess
ihn zuwiderhandeln den grossen Befehlen. Dieses ist ein Fehler von
mir. Mögest du mich nicht wiederholen lassen meine Fehler: ich
wage es, darum zu bitten.“
„Der Fürst von Tsin hielt dafür, dass Wei-kiang durch die
Strafe zur Seite stehen konnte dem Volke.“
„Bei der Rückkehr von dem Dienste speiste er mit ihm nach
den Gebräuchen.“
Der Dienst ist die von Tsin in diesem Jahre zu Stande gebrachte
Versammlung der Vasallenfürsten in ^5p Khi-schi, einem Gebiete
des Reiches Wei. Der Fürst setzte Wei-kiang besonders und in
eigener Person die Speisen vor, welche bei einer solchen Gelegenheit
den Gebräuchen gemäss verabreicht wurden.
„Er liess ihn zur Seite stehen bei dem neuen Heere.“
Wei-kiang wurde der Genosse des Feldherrn hei dem neu
errichteten Heere von Tsin.
29, das Jahr des Cyklus (S69 vor Chr. Geb.). Viertes
Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu.
In diesem Jahre starb Tsching, Fürst von Tscliin, ihm
folgte sein Sohn S^jpj Jo, genannt Fürst JßU Ngai.
Mo-scho verbeugt sich wiederholt bei dem Liede: Des Hirsches Brüllen.
„Mo-scho reiste nach Tsin. Der Fürst von Tsin bereitete ihm
den Empfang.“
>jy' Mo-scho ist ^ ^ Scho-sün-piao von Lu,
der jüngere Bruder Kiao-ju’s. Lu hatte um diese Zeit Kiao-ju ver
trieben und Mo-scho als Haupt der Familie Schö-sün (d. i. des
Oheims und Enkels) eingesetzt.
„Das Erz spielte drei Stücke der grossen Weise.“
Die grosse Weise Sse-hia ist eine ursprünglich an
122
Dr. Pfizmnier.
dem Hofe des Himmelssohnes übliche und aus neun Stücken beste
hende Musik der Glocke und des Musiksteines.
„Er verbeugte sich nicht.“
Mo-scho unterliess es, sich der Sitte gemäss für die Musik zu
bedanken.
„Die Künstler sangen drei Strophen des Liedes: der König Wen.
Er verbeugte sich wieder nicht. “
Die erste Strophe dieses Gedichtes lautet:
Der König Wen ist in den Höh’n,
0 wie erglänzt er in dem Himmel !
Tscheu ist wohl ein altes Land,
Jedoch sein Auftrag ist noch neu.
Dies Tscheu, gibt es von sich nicht Kunde?
Der Auftrag, wird er nicht zur Stunde?
Der König Wen steigt hoch, er steigt herab,
Er steht dem Himmelsgott zur Seite.
Die zweite Strophe lautet:
Ein Lieht ist in der Tiefe,
Ein Feuerglanz ist in den Höh’n.
Dem Himmel wohl ist schwer zu trau’n,
Es ist nicht leicht, zu sein der König.
Vom Rang des Himmels war der Stamm der Yin,
Er liess ihn nicht behalten die vier Länder.
Die dritte Strophe lautet:
Endlose Reihen die Melonen!
Das Volk im Anfang ist entstanden
Im Land der Flüsse Tsu und Thsi.
Der alte Fürst Tan-fu
Wohnt’ unter Ziegeln, in gebrannten Höhlen:
Es gab noch keine Häuser.
„Die Künstler sangen drei Strophen von dem Liede: Des
Hirsches Brüllen. Er verbeugte sich drei Mai.“
Die erste Strophe dieses Gedichtes lautet:
Des Hirsches Brüllen wird gehört,
Den Lattich auf dem Feld er zehrt.
Wir haben Glück zu wünschen einem Gast,
Der Flöt’ und Cither Ton ihn ehrt.
Der Flötenspieler drückt die Klappe,
Der Korb mit Stoffen wird beschert.
Die Menschen wenden sieh uns zu,
Sie zeigen uns die Wege der Tscheu.
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
123
Die zweite Strophe lautet:
Wie unermüdlich die vier Rosse!
Der Weg der Tscheu gedehnt so weit!
Sollt’ ich nicht heimwärts kehren die Gedanken?
Des Königs Sachen nimmer wanken:
Mein Herz ist voll von Leid.
Die dritte Strophe lautet:
Wie Feuer flammend diese Blumen
Dort auf den Flächen, an den Teichen!
Vorübereilend die Erob’rerschaaren!
Was sie ersehnen, nimmer sie erreichen.
Da diese Strophen 7.11 einem und demselben Gedichte gehörten,
so hätte sieh der Gesandte nur ein einziges Mal dafür bedanken
sollen.
„Han-hien-tse hiess Tse-yün, den Mann des Verkehrs mit den
Gesandten, ihn fragen.“
Ejjip Han-hien-tse ist Han-kiue. |=J Tse-yün
ist der Name des Angestellten, der die Stelle eines Hang-jin
(Vorstehers des Verkehrs mit den Gesandten) bekleidete.
„Dieser sprach: Du hast nach dem Befehle deines Landesherrn
beschämt die niedrige Stadt. Nach den Gebräuchen der früheren
Landesherren legten wir zu Grunde die Musik und brachten Schande
über dich, mein Sohn. Du, mein Sohn, liessest unbeachtet die grossen
Weisen, aber du verbeugtest dich wiederholt bei den kleinen. Ich
erlaube mir zu fragen: nach welchen Gebräuchen geschieht dieses?“
„Jener antwortete: Mit den drei Stücken der grossen Weise
empfängt der Himmelssohn die ältesten Vasallenfürsten. Ich, der Ge
sandte, getraute mich nicht, sie anzuhören.“
„„Der König Wen““ ist die Musik, wenn zwei Landesherren
einander besuchen. Ich getraute mich nicht, es auf mich zu beziehen.“
„Durch das Lied: „„Des Hirsches Brüllen““ wünscht euer
Landesherr Glück unserem Landesherrn. Durfte ich es wagen, mich
nicht zu verbeugen bei dem Glückwunsch?“
Die erste Strophe dieses Gedichtes enthält die Worte: „Wir
haben Glück zu wünschen einem Gast.“ Mö-schö war als Gesandter
im Aufträge des Fürsten von Lu gekommen. Indem man Mö-scho
durch das Gedicht Glück wünscht, beglückwünscht man eigentlich
den Fürsten von Lu.
124
Di*. P f i z m a i e r.
„Durch das Lied: „„Die vier Rosse““ bewillkommnet der Lan
desherr den abgesandten Minister. Darf ich es wagen, mich nicht
wiederholt zu verbeugen?“
Die hier gemeinte Strophe bezieht sich auf einen Gesandten des
Königs. Durch dieselbe bewillkommnet der Landesherr den Gesandten
eines fremden Reiches.
„Durch das Lied: „„Wie Feuer flammend diese Blumen““ be
lehrt euer Landesherr den abgesandten Minister, indem er sagt: Man
muss fragen nach allen Seiten.“
Der genannte Abschnitt des Gedichtes bezieht sich auf einen
Landesherrn der seine Diener und Minister entsendet. In den vier
Strophen welche die Fortsetzung dieses Abschnittes bilden, findet
sich das Wort thse „fragen“. Indem nämlich die Abgesandten
nicht erreichen was sie suchen, so müssen sie bei treuen Menschen
nach dem Wege des Guten fragen.
„Ich habe es gehört: Nach dem Guten sich erkundigen heisst
fragen.“
Hier die Erklärung des in den fortgesetzten vier Strophen vor
kommenden Wortes „fragen“, mit welchem der angedeutete Neben-
begrilf verbunden wird.
„Nach den Verwandten fragen heisst erfragen.“
Dieses die Erklärung der vierten Strophe des fortgesetzten
Gedichtes:
Die Pferde mein sind grau gefleckt,
Die Zügel sechs geordnet.
Ich jage schnell, ich ziehe weit,
Nach allen Seiten frag’ ich und erfrage.
„Nach den Gebräuchen fragen heisst erwägen.“
Dieses die Erklärung der dritten Strophe des fortgesetzten
Gedichtes:
Die Pferde mein mit schwarzen Mähnen,
Die Zügel sechs wie feucht.
Ich jage schnell, ich ziehe weit,
Nach allen Seiten frag’ ich und erwäge.
„Nach den Angelegenheiten fragen heisst sich besprechen.“
Die Angelegenheiten sind die Angelegenheiten der Regierung.
Dieses die Erklärung der ersten Strophe des fortgesetzten Gedichtes:
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
125
Die Pferde mein sind Fohlen,
Die Zügel sechs gleichwie getränkt.
Ich jage schnell, ich ziehe weit,
Nach allen Seiten fragend mich besprech’ ich.
„Nach den Gefahren fragen heisst sich herathen.“
Dieses die Erklärung der zweiten Strophe des fortgesetzten
Gedichtes:
Die Pferde mein sind blau gestreift,
Die Zügel sechs gleich Fäden.
Ich jage schnell, ich ziehe weit,
Nach allen Seiten fragend mich berath’ ich.
„Ich habe erhalten fünf gute Dinge. Darf ich es wägen, mich
nicht noch einmal zu verbeugen?“
Die fünf guten Dinge sind die Erklärung der Wörter: fragen,
erfragen, erwägen, sich besprechen, sich berathen.
Wci-kiting verbündet sich mit den westlichen Barbaren.
„Kia-fu, Fürst von Wu-tsclmng, entsandte Meng-lö nach Tsin.“
4K Wu-tschung war ein Reich der die Gebirge bewoh
nenden westlichen Barbaren. Ihr Landesherr, ein Vasallenfürst vierter
Classe, führte den Namen Q H Kia_fu ' iv Men Ho war
dessen Minister.
„Er überreichte durch die Vermittlung Wei-tschuang-tse’s Felle
von Tigern und Leoparden, und hat um ein Bündniss mit den west
lichen Barbaren.“
* Wei-tschuang-tse ist Wei-kiang.
„Der Fürst von Tsin sprach: Die Barbaren des Westens und
des Nordens sind ohne Freundschaft und begierig nach Vortheil. Man
kann sie Idos angreifen.“
„Wei-kiang sprach: Die Vasallenfürsten haben sich erst unlängst
unterworfen. Tschin ist erst unlängst gekommen, sich mit uns zu
verbünden. Sie werden uns beobachten. Besitzen wir die Tugend, so
sind sie freundschaftlich. Besitzen wir sie nicht, so sind sie gegen
uns doppelherzig. Wenn wir das Heer ermüden gegen die Barbaren,
und Tsu dann Tschin angreift, so können wir gewiss nicht zu Hilfe
kommen. Dieses hiesse Tschin verlassen. .Was genannt wird das
blumige Reich, wird gewiss abfallen.“
126
Dr. Pfizmaier.
„Die Barbaren sind nichts anderes als Tliiere. Wir gewinnen
die Barbaren und verlieren das blumige Beich. Dieses darf durchaus
nicht geschehen.“
„Einst war Sin-kiä der grosse Geschichtsschreiber der Tscheu.“
EP ¥ Sin-kia war der Hofgeschichtschreiber des Königs
Wu von Tscheu.
„Er befahl den hundert Obrigkeiten, in ihren Ämtern den
Stachel zu kehren gegen die Fehler der Könige.“
Die verschiedenen Obrigkeiten hatten aus ihrem Wirkungskreise
etwas zu verzeichnen, das den Königen zur Warnung dienen konnte.
„In den Stachelworten der Menschen von Yü heisst es: In weiter
Ferne die Fussstapfen des grossen Yü!“
Die Bewohner des ehemaligen Reiches Jiß? Yü bekleideten
Ämter für die Beaufsichtigung der Jagd. ^ Yü ist der Gründer
der Dynastie Hia.
„Er zeichnete die neun Provinzen. Er erölfnete die neun Wege.
Das Volk hat Schlafstätten und Ahnentempel. Die Thiere haben reich
liche Pflanzen. Alles hat seine Wohnplätze. Die Tugend wird dadurch
nicht gestört.“
„Als I-I Kaiser war, verlangte ihn nach den Thieren der Ebene.“
^ ^ ^ ^ C1 ‘ berühmte Schütze und Usurpator I.
„Er vergass auf seines Reiches Kummer und gedachte der Hin
dinnen und Hirschböcke.“
„Die Kriegskunst darf man nicht hochschätzen. Durch sie ver-
grösserte er nicht das Haus der Hia.“
I legte grossen Werth auf die Kriegskunst. Hierdurch bemächtigte
er sich zwar des Reiches der Hia, aber er konnte dasselbe weder ver-
grössern noch behaupten.
„Die Diener des Wildes und Aufseher der Ebene wagen es,
dieses zu melden den leitenden Männern.“
„Also lauteten die Stachelworte aus Yü. Sollte man wohl durch
sie sich nicht warnen lassen?“
»Um diese Zeit war der Fürst von Tsin ein Freund der Jagd,
desswegen kam Wei-kiang hierauf zu sprechen.“
Ursprünglich hatte Wei-kiang die Absicht, den Fürsten zu einem
Bündnisse mit den Barbaren zu bewegen, er fügt aber hierzu noch
eine Warnung hinsichtlich der Jagd.
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
127
„Der Fürst sprach: Also müssen wir uns mit den westlichen
Barbaren verbünden?“
„Jener antwortete: Das Bündniss mit den westlichen Barbaren
hat einen fünffachen Nutzen.“
„Die Barbaren leben unter den Pflanzen.“
Die Barbaren ziehen den Flüssen nach und suchen die gras
reichen Gegenden, um daselbst zu wohnen, d. i. sie sind Nomaden.
„Sie schätzen die Waaren und machen ihr Land zugänglich. In
ihrem Lande lässt sich Handel treiben. Dieses ist das Eine.“
„Die Grenzstädte werden nicht beunruhigt. Das Volk gewöhnt
sich an seine Felder, die Ackerleute vollbringen ihre Arbeit. Dieses
ist das Zweite.“
„Wenn die Barbaren Tsin dienen, so zittern die Nachbarn der
vier Gegenden, die Fürsten des Reiches sind voll Ehrfurcht. Dieses
ist das Dritte.“
„Wenn wir durch Tugend beruhigen die Barbaren, so brauchen
sich die Heere nicht zu bemühen, unsere Waffen werden nicht abge
nützt. Dieses ist das Vierte.“
„Wir spiegeln uns an dem königlichen 1 und nehmen uns zum
Muster die Tugend : dann kommen zu uns die Fernen, und die Nahen
sind beruhigt. Dieses ist das Fünfte. Mögest du, o Herr, dieses
bedenken.“
„Der Fürst billigte es. Er liiess Wei-kiang den Vertrag schliessen
mit den westlichen Barbaren.“
„Er brachte Ordnung in die Angelegenheiten des Volkes und
jagte gemäss der Zeit.“
Die Angelegenheit des Volkes ist der Ackerbau. Die Jagd ist
der Zeit gemäss, wenn durch sie der Ackerbau keine Störung erleidet.
30, das Jahr des Cyklus (S68 vor Chr. Geb.). Fünftes
Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu.
Hi-wcn-tse bewährt seine Redlichkeit gegenüber dem Hanse des Fürsten.
„Ki-wen-tse starb. Der Haushofmeister bereitete die Geräth-
schaften des Hauses für die Begräbnissfeier.“
„Es gab keine Nebengemahlinnen welche sich in Seide klei
deten, keine Pferde welche Gerste verzehrten, kein aufbewahrtes
Gold noch Edelsteine, keine kostbaren Geräthschaften und Rüstungen.“
128
Di*. Pfjzmaier.
„Die Weisen erkannten hieraus, dass Ki-wen-tse redlich war
gegenüber dem Hause des Fürsten.“
„Er stand zur Seite drei Landesherren und hatte nichts für sich
gesammelt. Lässt sich dieses nicht Redlichkeit nennen?“
Ki-wen-tse führte die Regierung hei drei Landesherren, den
Fürsten Siuen, Tsching und Siang von Lu.
tjü 33, das Jahr des Cyklus (56S vor Chr. Geb.). Achtes
Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu.
Dieses Jahr ist das erste Regierungsjahr des Fürsten ,|^| Kien
von Tsching.
Tsc-tschnn kaini das Reich Tsching bedauern.
„Tse-kue und Tse-ni von Tsching drangen in Tsai. Sie fingen
den Prinzen Si.“
HU Tse-kue ist der Sohn des Fürsten Md von Tsching.
^ =? Tse-ni der Sohn des Prinzen Tse-liang. Das Reich Tsai
stand auf der Seite von Tsu. Indem die beiden Prinzen dasselbe an-
grifien, wollten sie sich hei Tsin in Gunst setzen. Der Prinz Si
ist der Anführer der Reiterei von Tsai.
„Die Menschen vön Tsching freuten sich. Tse-tschan allein war
nicht ihrer Meinung und sprach: Ein kleines Reich ohne den Schmuck
der Tugend erwirbt kriegerisches Verdienst : kein Unglück ist grösser
als dieses.“
j/p- Tse-tschan ist der Sohn des Prinzen Tse-kue.
„Wenn die Menschen von Tsu kommen, um uns zu strafen,
können wir anders, als ihnen gehorchen? Wenn wir ihnen gehorchen,
so rückt das Heer von Tsin gewiss an.“
Tsching wird sich dem Reiche Tsu unterwerfen müssen, worauf
Tsin die Zurückeroberung desselben versuchen wird.
„Tsin und Tsu bekämpfen Tsching. Von nun an, bevor nicht
für das Reich Tsching verflossen vier oder fünf Jahre, erlangt es
nicht die Ruhe.“
„Tse-kue zürnte über ihn und Sprach: Was kannst du wohl
wissen ? Ein Reich hat den grossen Befehl und besitzt den ersten
Reichsminister. Dieses sind die Worte eines Knaben: du wirst dafür
die Strafe erhalten.“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
129
Dessenungeachtet ging die Vorhersagung Tse-tschan's gleich
nachher in Erfüllung.
Tsc-tschen und Tse-sse berathen, ob Tsu zu gehorchen.
„Tse-nang von Tsu griff Tsching an. Er strafte dessen Einfall
in Tsai.“
Tsching, der Sohn des
Königs Tschuang von Tsu.
„Tse-sse, Tse-kue und Tse-ni wollten Tsu gehorchen.“
-J- Tse-sse, ein anderer Prinz von Tsching.
„Tse-khung, Tse-kiao und Tse-tschen wollten warten aufTsin.“
tschen waren Enkel des Fürsten Md von Tsching. Sie wollten warten,
bis das Reich Tsin zu Hilfe käme.
„Tse-sse sprach: Unter den Gedichten von Tscheu ist eines
welches sagt:
Wir warten, bis der Fluss sicli klart:
Des Menschen Leben, sprich, wie lang’ es währt ?
Wo Zeichen schwanken, vielfach wird berathen,
Sind Streiten und Umgarnen nur die Thaten.“
Diese Verse fehlen in den jetzt vorhandenen Gedichten des
Reiches Tscheu. Von dem Wasser des gelben Flusses, welches immer
trüb ist, wird geglaubt, dass es nur alle dreitausend Jahre klar werde.
Der Sinn ist: Das Leben des Menschen ist kurz, und das Wasser des
gelben Flusses klärt sich zu spät. Auf ähnliche Weise kann man die
Hilfe von Tsin nicht mehr erwarten.
„Die Rath pflegen, sind viele Geschlechter, unter dem Volke ist
viel Widerspruch. Die Geschäfte wachsen ohne irgend einen Erfolg,
das Volk ist schon in Redrängniss. Wir gehorchen einstweilen Tsu
und verschaffen eine Frist unserem Volke.“
„Wenn das Heer von Tsin kommt, so gehorchen wir ihm gleich
falls. Ehrfurchtsvoll reichen wir Seidenstoffe und Seide und warten
auf die Kommenden: also gebührt es sich für ein kleines Reich.“
„Mit Opferthieren, Edelsteinen und Seide warten wir an den
zwei Grenzen.“
Sitzb. (1. phil.-hist. CI. XVIII. Bd. I. Hfl.
9
130
Dr. Pfizmaier.
Die Opfertliiere gehören für einen Vertrag, Edelsteine und Seide
für eine Zusammenkunft. Auf diese Weise möge man sowohl an der
Grenze von Tsin als auch von Tsu warten.
„Wir warten auf den Stärksten und beschützen so das Volk.
Die Plünderer bringen uns dann keinen Schaden, das Volk siecht nicht
dahin. Ist dieses nicht auch möglich ?“
„Tse-tsclien sprach: Dasjenige wodurch die Kleinen dienen den
Grossen, ist die Treue. Wenn ein kleines Reich ohne Treue, ist Un
glück durch die Waffen täglich im Anzuge. Es geht zu Grunde in
nicht langer Zeit.“
„Die Treue von fünf Zusammenkünften, ihr wollen wir jetzt den
Rücken kehren. Wenn Tsu auch käme uns zu helfen, was würde es
uns wohl nützen?“
Tsu wäre in diesem Falle gewonnen, die Treue aber verloren,
woraus nach dem eben Gesagten der Untergang des Reiches erfolgen
würde. In den letzten sechs Jahren hatte Tsching mit Tsin fünf
Zusammenkünfte gehabt.
„Die sich uns nahen, kommen zu keinem Ziele. Die uns zu
einer Grenzstadt machen wollen, sind der Gegenstand unserer
Wünsche.“
Mit Tsin welches von gleicher Familie ist und sich annähert,
wird der Vertrag nicht abgeschlossen, wohl aber will man dieses mit
Tsu welches Tsching vernichten und dasselbe zu einer Grenzstadt
machen will.
„Wir dürfen dieses nicht befolgen und müssen warten auf Tsin.“
„Der Landesherr vonTsin ist jetzt erleuchtet. Seine vier Kriegs
heere sind ohne Mängel. Die acht Reichsminister leben in Eintracht.
Gewiss, er wird Tsching nicht verlassen.“
Die acht Reichsminister sind die Anführer der vier Heere von
Tsin sammt deren Genossen, d. i. den zweiten Feldherren.
„Das Heer von Tsu kommt aus weiter Ferne. Sein Mundvorrath
wird sich erschöpfen. Gewiss, es wird schleunig zurückkehren.
Warum betrüben wir uns ?“
„Ich Sche-tschi habe es gehört: Kein Stab ist gleich der
Treue.“
^ Sche-tschi ist Tse-tschen’s Name.
„Wir befestigen uns und ermüden Tsu. Wir machen zum Stab
die Treue und warten auf Tsin. Ist dieses nicht auch möglich?“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
131
„Tse-sse sprach: In einem Gedichte heisst es:
Der Männer in dem Rath sind viele,
Wird er befolgt, sie kommen nicht zum Ziele.
Von Sprechern ist die Halle voll gedrängt,
Wer ist cs, der den Vorwurf gern empfängt?
Wenn auf dem Weg sie nicht sich treffen in dem Rath,
Wird er befolgt, der Weg verfehlt ist in der That.
Ich Fei nehme den Vorwurf auf mich.“
j|^t Fei ist Tse-ss'e’s Name.
„Hierauf verglich man sich mit Tsu. Man hiess den Königssohn
Pe-ping die Meldung bringen nach Tsin.“
Der Königssohn ütffi Pe-ping gehörte zu den Grossen des
Reiches Tsching.
„Dieser sprach: Euer Landesherr befahl der niedrigen Stadt:
Ordnet eure Wagen und Waffen, rüstet eure Heerhaufen und Kriegs
scharen, damit ihr strafet die Empörer und Eindringlinge.“
„Die Menschen von Tsai gehorchten nicht. Die Menschen der
niedrigen Stadt wagten es nicht zu verbleiben in Ruhe. Wir führten
insgesammt heraus die niedrigen Streiter, um Tsai zu strafen. Wir
fingen den Anführer der Pferde Si. Wir boten ihn euch dar in Hing-
khieu.“
Bei der letzten erst in diesem Jahre erfolgten Zusammenkunft
von JJ- Hing-khieu schenkte Tsching den gefangenen Prinzen
Si an Tsin.
„Jetzt kommt Tsu uns zu strafen und sagt: Warum erhobt ihr
die Waffen gegen Tsai?“
„Es verbrennt die Wachposten unserer Weichbilde. Es bedrängt
die Vorwerke unserer Mauern.“
„Die Menge der niedrigen Stadt, die Männer und Weiber', die
Jünglinge und Mädchen haben nicht Zeit zu sitzen auf ihren Knieen,
indess sie einander helfen.“
„Man wirft uns gänzlich über den Haufen: wir haben nichts
Weiteres zu melden.“
„Das Volk welches zu Grunde ging im Tode, wenn es nicht
Väter sind und ältere Brüder, so sind es Söhne und jüngere Brüder.“
„Diese Menschen sind voll Kummer und Schmerz, sie wissen
nicht, wodurch sich schützen. Das Volk erkennt seine Ohnmacht, und
wir empfingen den Vertrag von Tsu. Ich der Verwaiste mit meinen
9 *
132
Dr. Pfizmaier.
zwei oder drei Ministern konnte es nicht wehren. Ich wage es nicht,
die Meldung zu unterlassen.“
„Tschi-wu-tse hiess Tse-yün, den Mann des Verkehrs mit den
Gesandten, ihm antworten: Euer Landesherr hatte den Befehl von
Tsu.“
-J- Tschi-wu-tse ist Siün-ying. Von dem
Reiche Tsu war der Befehl ergangen, dass der Fürst von Tsching
gestraft werde.
„Auch entsandte er nicht einen einzigen Mann des Verkehrs,
damit er es melde unserem Landesherrn, sondern er sorgte sogleich
für seine Ruhe bei Tsu. Euer Landesherr hat dieses gewollt: wer
dürfte sich widersetzen eurem Landesherrn ?“
„Unser Landesherr wird sich stellen an die Spitze der Reichs
fürsten und ihnen zeigen den Fuss eurer Stadtmauern. Nur euer
Landesherr möge sich hierbei rathen.“
Diesem zufolge wurde Tsching im nächsten Jahre von Tsin
angegriffen.
jjtj ~Jj 34, das Jahr des Cyklus (564 vor Chr. Geb.). Neuntes
Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu.
Mo-kinng erkennt ihre Fehler.
„Mo-kiang starb in dem östlichen Palaste.“
Mo-kiang ist die Grossmutter des Fürsten Siang von Lu. Sie
hatte verbotenen Umgang mit Kiao-ju und wollte die Absetzung des
Fürsten Tsching zu Stande bringen. Letzterer verbannte sie in den
Palast des Thronfolgers, d. i. in den Palast der hier der östliche
genannt wird. Ihr Tod erfolgte in diesem Jahre.
„Im Anfänge, als sie sich dahin begab, zog sie die Wahrsager
pflanze. Sie traf die neun Linien des Stillstehens.“
Bei dem Ziehen der Wahrsagerpflanze sind neun Linien des
Diagramma’s das alte Princip des Lichtes, sechs Linien das alte
Prineip der Finsterniss, sieben Linien das junge Princip des Lichtes,
acht Linien das junge Princip der Finsterniss. Die beiden alten
Principe sind einer Änderung fähig, die beiden jungen ändern sich
nicht. Mö-kiang traf das Diagramma ELE genannt J=^ Ken, still
stehen. Die Linien desselben sind Combinationen von zwei mit vier
und fünf. Wo fünf Linien sind, findet eine Änderung Statt, acht Linien
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. 133
entstanden aus zweien, gehören zu dem jungen Princip der Finster
niss und verändern sich nicht.
„Der Geschichtsschreiber sprach: Dieses will sagen: das Folgen
des Stillstehens.“
Da das ursprüngliche Diagramma das Stillstehen ist und fünf Linien
verändert, d. i. mit einem andern Diagramma combinirt werden, so ist
auf letzteres welches hier sui „folgen“ ist, besonders zu achten.
„Folgen ist fortgehen. Du, o Herrinn, wirst bald von hier fort-
kommen.“
Der Geschichtsschreiber spricht hier Mö-kiang zu Gefallen und
meint, dass sie nicht lange verbannt bleiben werde.
„Kiang sprach: Es ist umsonst. Hier in den Verwandlungen der
Tscheu heisst es: Folgen. Als Grundlage die Geselligkeit. Nutzen
für die Reinheit. Keine Schuld.“
Dieses die Bedeutung des Diagramma’s „folgen“. Wer nämlich
den Dingen folgen kann, zu diesem kommen ihrerseits die Dinge und
folgen ihm. Eines folgt dem andern, und dieses ist die Geselligkeit.
Die Vorbedeutung ist daher: Als Grundordnung die Geselligkeit.
Dieselbe muss jedoch für die Reinheit von Nutzen sein, damit man
ohne Schuld bleibe. Wenn dasjenige dem man folgt, nicht rein ist,
so mag die Geselligkeit noch so gross sein, man wird der Schuld
nicht entkommen. Mö-kiang citirt hier den Text der Verwandlungen,
um die Worte des Geschichtsschreibers zu widerlegen. In den Er
klärungen zu dieser Stelle wird noch bemerkt: Wenn bei dem Wahr
sagen fünf Linien, für welche eine Veränderung ist, getroffen werden,
so gelten diejenigen Worte des zweiten Diagramma’s, welche sich
bei Linien ohne Veränderung finden, als Vorhersagung. Die Worte
des Diagramma’s „folgen“ welche hier massgebend hätten sein sollen,
wären daher: Die kleinen Söhne verlieren den Mann. Es hätten also
sowohl der Geschichtsschreiber als auch Mö-kiang hei dem Wahrsagen
Unrecht gehabt.
„Die Grundlage ist der älteste der Körper.“
Dieses und das Folgende stimmt mit dem von Khung-tse (Con-
i’ucius) verfassten ~= Wen-yen „Worten der Schrift“ hei dem
Diagramma „Himmel“ vollkommen überein. Es wird vermuthet, dass
diese Stelle in irgend einem alten Buche vorhanden gewesen und
Khung-tse später sie benützt habe. In dem Wen-yen lautet jedoch
134
Dr. Pfi zmai e r.
dieser Satz: „Die Grundlage ist die älteste der Vortrefflichkeiten“.
Was hier die Grundlage genannt wird, ist der Uranfang aller Dinge,
die Kraft des Himmels und der Erde. Bei den Jahreszeiten erscheint
dieselbe als der Frühling, hei dem Menschen äusserst sie sich als
Menschlichkeit.
„Die Geselligkeit ist die Vereinigung des Trefflichen.“
Die Geselligkeit ist der Verkehr der entstandenen Dinge unter
einander. Wenn diese einmal so weit gediehen sind, so ist alles gut
und vortrefflich. Bei den Jahreszeiten ist dieses der Sommer, hei
dem Menschen sind es die Gebräuche.
„Der Nutzen ist die Befreundung mit der Gerechtigkeit.“
Der Nutzen ist die Reihenfolge der entstandenen Dinge welche
ihren angemessenen Platz erhalten und einander nicht im Wege stehen.
Bei den Jahreszeiten ist dieses Herbst, bei dem Menschen die Gerech
tigkeit.
„Die Reinheit ist der Stengel der Angelegenheiten.“
Die Reinheit ist Geradheit und Festigkeit. Wenn die entstandenen
Dinge fest sind, können sie als Stengel dienen, daher heisst die Rein
heit der Stengel der Angelegenheiten. Bei den Jahreszeiten ist ein
solcher Zustand der Winter, bei dem Menschen die Weisheit.
„Wer die Menschlichkeit verkörpert, ist fähig zu sein der Älteste
der Menschen.“
Die Menschlichkeit ist die Grundlage. Wenn der Weise sie ver
körpert, so liebt er alle entstandenen Dinge und er ist desshalb fähig,
den Menschen als Ältester vorzustehen.
„Wer trefflich ist von Tugend, ist fähig, sich anzuschliessen den
Gebräuchen.“
In den „Worten der Schrift“ lautet der Vordersatz: „Wer mit
dem Trefflichen sich vereinigt.“
„Wer Nutzen bringt den Dingen, ist fähig, sich zu befreunden
mit der Gerechtigkeit.“
„Wer Reinheit besitzt und Festigkeit, ist fähig, der Stengel zu
sein für die Angelegenheiten.“
Bis hierher stimmen die Worte Mo-kiang’s mit dem Texte der
Verwandlungen der Tscheu überein.
„Wer so ist, kann gewiss nicht betrogen werden. Darum, wie
es auch heissen mag: „„Folgen““ und „„keine Schuld““, jetzt bin
ich ein Weib und habe mich eingelassen in Unordnungen. Gewiss
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. 135
ich stehe auf einer niederen Stufe und besitze nicht die Menschlichkeit.
Dieses lässt sich nicht nennen die Grundlage.“
„Ich liess nicht in Ruhe das Reich und das Haus: dieses lässt
sich nicht nennen die Geselligkeit.“
„Durch meine Handlungen schadete ich mir selbst: dieses lässt
sich nicht nennen der Nutzen.“
„Ich setzte hintan meinen Rang und beging Ausschweifungen:
dieses lässt sich nicht nennen die Reinheit.“
„Wer die vier Tugenden besitzt, für diesen sei „„folgen““ und
„„keine Schuld““. Ich bin entblösst von ihnen allen: wie wäre für
mich das „„Folgen““?
Die vier Tugenden sind die oben genannten: Grundlage, Gesel
ligkeit, Nutzen und Reinheit.
„Ich habe mir angeeignet das Böse: kann ich wohl bleiben ohne
Schuld? Gewiss, ich muss hier sterben, ich werde nicht mehr hin
wegkommen.“
Der Prinz Tscbing tadelt den Angriff anf Tsin.
„King, Fürst von Thsin, entsandte Sse-ya, damit er ein Heer
erbitte von Tsu. Er wollte Tsin angreifen.“
Die Sendung Sse-ya’s nach Tsu erfolgte, weil Thsin
allein sich dem Reiche Tsin nicht gewachsen fühlte.
„Der Fürst von Tsu gewährte es, Tse-nang sprach: Es darf
nicht sein.“
Tse-nang ist der Prinz Tsching.
„Für jetzt können wir mit Tsin nicht streiten. Der Landesherr
von Tsin richtet sich nach den Fähigkeiten und verwendet sie. Bei
den Erhebungen ist seine Wahl keine verfehlte.“
„Die Obrigkeiten wechseln nicht den Platz. Seine Reichsminister
weichen den Besseren. Die Grossen seines Reiches versäumen nicht
die Obliegenheiten. Seine Staatsdiener wetteifern gegenüber den
Belehrungen. Die gewöhnlichen Menschen befleissen sich des Acker
baues. Die Kaufleute, Künstler, die kleinsten Diener kennen keine
Änderung ihrer Geschäfte. Der Landesherr ist erleuchtet, die Minister
redlich. Die Höheren weichen einander, die Niederen wetteifern. In
der gegenwärtigen Zeit kann man sich mit Tsin nicht messen. Mögen
wir ihm dienen, später wird es wohl möglich. Mögest du, o Herr,
dieses bedenken.“
136
Dr. Pfizinaier.
„Der König sprach: Ich habe es bereits gewährt. Kommen wir
auch nicht nach Tsin, so muss ich doch das Heer ausrücken lassen.“
„Der Fürst von Tsu lagerte in Wu-tsching. Er schützte dadurch
Thsin.“
König Kung rückte mit seinem Heere nach dem Gebiete
Wu-tsching, um das Reich Thsin gegen einen Angriff zu schützen.
Tsin und Tsching schliessen einen Vertrag in Hi.
„Die Reichsfürsten griffen Tsching an. Die Menschen von Tsching
fürchteten sich und schlossen Frieden.“
In Folge der im vorhergehenden Jahre erzählten Ereignisse
führte Tsin die Macht der Reichsfürsten gegen Tsching.
„Tschung-liang-hien-tse sprach: Wir belagern sie sogleich.
Wir warten, bis die Menschen von Tsu ihnen zu Hilfe kommen, und
kämpfen dann mit ihnen.“
f I ff f Tschung-liang-hien-tse ist fl ®
Siün-yen.
„Geschieht dieses nicht, so gibt es keinen Frieden.“
In diesem Falle würde Tsu zum Angriffe schreiten, Tsching
würde von Tsin wieder abfallen und sich Tsu unterwerfen.
„Tsehi-wu-tse sprach: Wir gewähren ihnen den Vertrag und
ziehen das Heer zurück. Durch dieses setzen wir herab die Menschen
von Tsu.“
„Wir theilen in drei Theile die vier Kriegsheere und die aus
erlesenen Streiter der Reichsfürsten. Hiermit treten wir entgegen den
Anrückenden. Ehe bei uns noch eine Krankheit, wird Tsu schon
nicht mehr können. Dieses ist weit besser als kämpfen.“
Von den drei Abtheilungen der Heere von Tsin wird eine jede
ein einziges Mal ausrücken, während das Heer von Tsu dreimal an
rücken muss und dadurch seine Kraft erschöpfen wird.
„Wenn wir bleichen die Gebeine, um durchzudringen, so können
wir nicht streiten.“
Wenn Tsin eine Schlacht liefern will, so wird der Sieg unge
wiss sein und man kann gegen Tsu nicht in die Schranken treten. Nur
indem man nicht kämpft, könne man einen vollständigen Sieg erringen.
Notizen aus der Geschichle der chinesischen Reiche etc.
137
„Die grosse Arbeit ist noch nicht zu Ende. Der Weise arbeitet
mit dem Herzen, der kleine Mensch arbeitet mit der Kraft des Körpers.
So sind die Anordnungen der früheren Könige.“
Die alten Könige gründeten auf diesen Ausspruch die Herrschaft
des Weisen über den gewöhnlichen Menschen. In Übereinstimmung
hiermit würde Tsin jetzt mit der Kraft des Geistes arbeiten und Tsu
zur Ordnung führen, während Tsu mit der Kraft des Körpers arbeiten
und von Tsin zur Ordnung gebracht werden würde.
„Die Reichsfürsten wollten insgesammt nicht kämpfen. Man
gewährte Tsching den Frieden.“
„Als man den Vertrag abschliessen wollte, verfertigte Sse-
tschuang-tse von Tsin die Urkunde.“
T5H T Sse-tschuang-tse ist Sse-jo. Bei der
Abschliessung eines Vertrages kostet man von dem Blute des Opfer-
thieres und verfertigt eine Urkunde, in welcher der Gegenstand den
Göttern gemeldet wird.
„In dieser wurde gesagt: Von dem heutigen Tage und nachdem
der Vertrag bereits geschlossen, wenn das Reich Tsching nicht einzig
gehorchen sollte dem Befehle von Tsin und vielleicht hegen sollte
eine andere Absicht, so sei es wie in diesem Vertrage.“
In diesem Falle möge das mit jedem Vertragsbruch verbundene
Unglück hereinbrechen.
„Der Prinz Fei eilte herbei und machte einen Antrag.“
Fei ist der Name des Prinzen Tse-sse von Tsching. Er war mit
der Fassung der Urkunde nicht einverstanden und machte einen Vor
schlag zur Änderung derselben.
„Dieser lautete: Der Himmel schickte Unglück über das Reich
Tsching, er hiess uns an den Grenzen wohnen zwischen zwei grossen
Reichen. Die grossen Reiche nahten uns nicht mit dem Klang der
Tugend, sondern erregten Unordnung, um uns zu zwingen.“
„Sie bewirkten, dass die Götter und Geister nicht trinken konnten
das reine Opfer, dass die Menschen des Volkes nicht geniessen konnten
den Nutzen ihres Bodens. Männer und Weiber empfinden bitteres
Leid, gerathen in Bedrängniss. Sie haben nichts, wohin sie sich
könnten wenden, wo sie es könnten melden.“
„Von dem heutigen Tage und nachdem der Vertrag bereits ge
schlossen, w r enn das Reich Tsching nicht einzig folgen sollte Demjenigen,
138
Dr. Pfizmaier.
der besitzt die Gebräuche sammt der Stärke, der beschirmen kann
das Volk, und wenn es wagen sollte, zu liegen eine andere Absicht,
so sei es auch wie hier.“
In diesem Falle möge den Wortbrüchigen ebenfalls das in dem
Vertrage angedeutete Unglück ereilen. Indem Tse-sse dieses vor-
sclilug, wollte er bewirken, dass Tscbing sich nicht in die aus
schliessliche Abhängigkeit von Tsin versetze.
„Siün-yen sprach: Man verändere die Urkunde.“
Tse-sse hatte seine Rede ebenfalls auf eine Tafel schreiben
lassen, daher liess man jetzt die Urkunde abändern.
„Der Fürstenenkel Sche-tsclii sprach: Man meldet es offenbar
den grossen Göttern und verpflichtet sich mit Worten. Wenn man
dieses verändern darf, so darf man auch gegen das grosse Reich sich
auflehnen.“
Sche-tsclii ist der Name des Prinzen Tse-tschen.
„Tschi-wu-tse sprach zu Hien-tse: Wir besitzen in der Tliat
nicht die Tugend und binden die Menschen durch Verträge: wie wäre
dieses nach den Gebräuchen? Ohne die Gebräuche, wie wären wir
die Herren des Vertrages?“
„Wir schliessen einstweilen den Vertrag und ziehen uns zurück.
Wenn wir die Tugend ordnen, die Waffen ruhen lassen und dann
kommen, so gewinnen wirTsching gewiss für immer. Wozu brauchten
wir es für heute?“
„Besitzen wir nicht die Tugend, so wird uns das eigene Volk
verlassen: wie wäre es Tsching allein?“
„Wenn wir Ruhe gewähren können und die Zuneigung erwerben,
so werden die fernen Menschen zu uns kommen: warum verlassen
wir uns auf Tsching?“
„Hierauf schlossen sie den Vertrag und kehrten zurück.“
Das Gebiet Hi, von welchem dieser Vertrag den Namen
führt, lag in dem Reiche Tscbing.
Der Fürst von Tsin lässt das Volk ruhen.
„Der Fürst von Tsin kehrte zurück. Er überlegte wie er das
Volk könne ruhen lassen.“
Der Angriff auf Tsching war nicht von dem gewünschten Erfolge
begleitet, man wollte daher vor Allem das Volk neue Kräfte sammeln
lassen.
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
139
„Wei-kiang hat, dass inan Gnaden spende und entlasse.“
Man sollte die ausgedienten Krieger entlassen.
„Man möge die Vorräthe herausgeben und sie vertheilen. Von
dem Fürsten abwärts, wenn Jemand Vorräthe besitzt, so gehe er sie
insgesammt heraus.“
„Hat ein Reich keine wucherlichen Aufspeicherungen, so hat es
auch keine unglücklichen Menschen.“
„Hat der Fürst keinen ausschliesslichen Nutzen, so gibt es auch
kein habsüchtiges Volk.“
„Bei dem Opfer tausche man mit Seidenstoffen.“
Bei dem Opfer möge man die Opferthiere durch Seidenstoffe
ersetzen.
„Für den Gast verwende man ein einziges Opferthier. Die Ge-
räthschaften verfertige man nicht neu. Bei den Wagen und Kleidern
richte man sich nach dem Bedürfnis.“
„Thut man dieses durch ein Jahr, so hat das Reich seine Ord
nung. Wir spannen dreimal ein, und Tsu kann nicht mehr mit uns
streiten.“
Wenn Tsin dreimal ein Heer aussendet, wird Tsu nicht mehr um
den Besitz des Reiches Tsching streiten können.
35, das Jahr desCyklus (5G3 vor Chr. Geb.). Zehntes
Regierungsjahr des Fürsten Siang Yon Lu.
Tse-tschnn verbrennt die Urkunde.
„Die Räuber tödteten Tse-sse, Tse-kua und Tse-ni von Tsching.
Sie entführten den Fürsten von Tsching und zogen mit ihm nach dem
nördlichen Palaste.“
Mit dem Ausdrucke „Räuber“ bezeichnete zuerst der Tschiin-
tsieu die Mörder der hier genannten drei Reichsminister, indem er
die völlige Auflösung der Regierung welche in dem Reiche Tsching
eintrat, hierdurch andeuten wollte. Die Veranlassung war einStreit
zwischen diesen drei Reichsministern und der Familie Jt ü Wei-
tschhi wegen der Bewässerungsgräben der Felder, in Folge dessen
die Familien ff] Sse, Tu, ^ Heu und fjffj Tse-sse ihre
Felder verloren. Die fünf Familien sammelten einen Anhang und
erregten einen Aufstand, worauf sie in den westlichen Palast drangen
und die drei Vorsteher der Regierung an dem Hofe des Fürsten tödteten.
140
Di*. Pfizmaier.
„Tse-tschan liörte von den Räubern. Er entfaltete die Kriegs
macht und überfiel die Räuber in dem nördlichen Paiaste.“
„Tse-kiao an der Spitze der Menschen des Reiches stand ihm
bei. Die Räuber fanden insgesammt den Tod.“
„Tse-khung versah die Geschäfte des Reiches und verfertigte
eine Urkunde. Er machte Reihenfolgen nach der Würde. Er hiess
gehorchen den Vorschriften der Regierung.“
Der Prinz Tse-khung wurde an der Stelle des getödteten Tse-sse
der Vorsteher der Regierung. Er wollte eine Urkunde welche er früher
verfertigt hatte, von den Grossen des Reiches beschwören lassen.
In derselben hatte er die Rangordnung nach Ämtern aufgestellt, zu
gleichverlangte er, dass Alle sich den Vorschriften der von ihm selbst
geführten Regierung fügen, nicht aber der von dem Hofe ausgehenden
Regierung untergeordnet seien.
„Die Grossen des Reiches, die Vorsteher und die Söhne der
Pforten gehorchten ihm nicht.“
Die Söhne der Pforten sind die Söhne der Reichsminister, durch
welche Seitenlinien gegründet werden.
„Jener wollte sie strafen. Tse-tschan hielt ihn zurück und hat
ihn, dass er die Schrift verbrenne.“
„Tse-khung weigerte sich und sprach: Ich verfertigte die
Schrift, um das Reich zu beruhigen. Wenn die Gesammtheit zürnt
und sie verbrennt, so führt die Gesammtheit die Regierung. Ist dann
das Reich nicht auch unmöglich?“
„Tse-tschan sprach: Wenn die Gesammtheit zürnt, ist der
Widerstand unmöglich. Was nur ein Einziger wünscht, lässt sich
unmöglich vollenden.“
„Du vereinst zwei Unmöglichkeiten, um das Volk zu beruhigen:
dieses ist der Weg zu der Gefahr. Man muss die Schrift verbrennen,
um die Gesammtheit zu beruhigen.“
„Du hast erhalten, was du wünschtest, die Gesammtheit erhält
auch die Ruhe: ist dieses nicht auch möglich ?“
Was Tse-khung zu erhalten wünschte, war die Regierung.
„Was nur ein Einziger wünscht, lässt sich nicht vollenden. Der
Gesammtheit sich widersetzen, bringt Unheil. Mögest du es gewiss
befolgen.“
„Hierauf verbrannte man die Schrift ausserhalb des grünen
Thores.“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
141
Indem Tse-khung die Urkunde nicht an dem Hofe, sondern vor
einem Thore der Hauptstadt von Tsching verbrannte, wollte er, dass
es in der Nähe wie in der Ferne gesehen werde.
„Die Gesammtheit war hierauf beruhigt.“
36, das Jahr des Cyklus (562 vor Chr. Geb.). Eilftes
Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu.
TVci-kinng verweigert die Annahme der Musik.
„Die Menschen von Tsehing schenkten dem Fürsten von Tsin
die Meister Khuei, Tschho und Kiuen, Glocken für den Gesang zwei
Reihen sammt den grossen Glocken und Musiksteinen, ferner Musikan-
tinnen zweimal acht.“
Die Meister jjffi Khuei, Tschho und Kiuen waren
Meister in der Musik. Eine Reihe Glocken zählt sechzehn Stücke, die
hier geschenkten zwei Reihen gehörten zur Begleitung des Gesangs.
„Der Fürst von Tsin schenkte Wei-kiang die Hälfte der Musik.“
„Hierbei sprach er: Du hast mich gelehrt mich verbünden mit
den Barbaren, damit ich zur Ordnung bringe die Menschen des
blumigen Reiches.“
Dieses geschah im vierten Jahre des Fürsten Siang von Lu.
„In einem Zeiträume von acht Jahren versammelte ich neunmal
die Fürsten des Reiches.“
Im fünften Jahre des Fürsten Siang von Lu war die Zusammen
kunft von Tsi und Tsching-ti, im siebenten von 'ijß
Yen, im achten von & fflJ Hing-khieu, im neunten von Hi,
im zehnten von ^|E| Tscha, ferner die Zusammenkunft bei dem An
griffe auf Tsching. In dem gegenwärtigen Jahre versammelte Tsin die
Reichsfürsten in j^ Po-tsching und Siao-yü.
„Gleich dem Einklang der Musik war nichts, das nicht in Über
einstimmung. Ich bitte dich, mich mit dir zugleich dessen freuen
zu dürfen.“
„Jener weigerte sich und sprach: Das Bündniss mit den Barbaren
hat seinen Grund in dem Glücke des Reiches. Dass in acht Jahren
neunmal versammelt wurden die Fürsten des Reiches, und dass die
Fürsten des Reiches ohne Arglist, dieses hat seinen Grund in deinem
Geiste, o Herr, und in den Verdiensten der zwei oder drei Söhne.
Was für einen Einfluss hätte ich hier geübt?“
142
Dr. Pfizinaier.
„Jedoch wünsche ich, dass du, o Herr, in Ruhe gemessen mögest
deine Freude und denken an deren Dauer.“
Der Fürst möge die Freude der Gegenwart gemessen und sich
in seiner günstigen Lage für die Dauer behaupten.
„In einem Gedichte heisst es:
Sicli freuen kann (1er Weise nur,
Er schenkt die Ruh’ des Himmelssohnes Reichen.
Sich freuen kann der Weise nur,
Der Segen wird, das Glück von ihm nicht weichen.
Die Menschen steh’n zu seinen beiden Seiten,
Sie folgen ihm, sie lassen sich noch leiten.“
„Durch die Musik bringt man in Einklang die Tugend. Durch
die Gerechtigkeit ordnet man sie, durch die Gebräuche übt man sie,
durch die Treue bewahrt man sie, durch die Menschlichkeit schmückt
man sie. Dann erst mag man zur Ruhe bringen die Länder und die
Reiche, theilen das Glück und den Segen, an sich ziehen die fernen
Menschen, und dieses nennt man die Musik.“
Die Musik verdient nur dann diesen Namen, wenn sie die hier
genannten Tugenden hervorbringt.
„In dem Buche heisst es: Lebt man in Sicherheit, so denkt man
an die Gefahr. Denkt man an diese, so ist man vorbereitet. Ist man
vorbereitet, so gibt es keine Trübsal.“
Diese Stelle ist in den heutigen Scliu-king nicht enthalten.
„Ich wage es, dieses vorzuzeichnen.“
„Der Fürst sprach: Du hast mich belehrt: Durfte ich es wagen
den Befehl nicht zu vollziehen? Fürwahr, ohne dich hätte ich nicht
erwartet die westlichen Barbaren, ich hätte nicht setzen können über
den Fluss.“
Ohne den Rath Wei-kiang’s hätte sich der Fürst nicht mit den
westlichen Barbaren verbündet, eben so wenig wäre er im Stande
gewesen, den gelben Fluss zu übersetzen und im Süden desselben
um das Reich Tsching zu streiten.
„Die Vorschriften hinsichtlich der Belohnungen gehören zu den
Grundgesetzen der Reiche. Sie sind aufbewahrt in der Kammer
der Verträge: sie dürfen nicht abgeschafft werden. Darum mögest du
sie empfangen.“
„Wei-kiang erhielt um diese Zeit das erste Mal eine Musik von
Erz und Stein. Es war nach den Gebräuchen.“
Notizen aus (1er Geschichte der chinesischen Reiche etc»
143
Wei-kiang, der sich früher geweigert, nahm die Musik jetzt an.
Wenn ein Grosser des Reichs sich Verdienst erwirbt, so wird er nach
den Gebräuchen mit Musik beschenkt.
Th 38, das Jahr des Cyklus (S60 vor Chr. Geb.).
Dreizehntes Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu.
Dieses Jahr ist das erste Regierungsjahr des Fürsten p||
Tschü-fan von U.
Die Feldherren von Tsin überlassen einander den Platz.
„Siün-ying und Sse-fang starben.“
Reide Männer gehörten zu der Zahl der vier Reichsminister,
Siün-ying war zugleich der Anführer des mittleren Heeres von Tsin.
„Der Fürst von Tsin hiess Sse-kai befehligen das mittlere Heer.“
/pEJ -J- Sse-kai ist -p / gj* vj'ß Fan-siuen-tse, der Sohn
Fan-wen-tse's.
„Dieser weigerte sich und sprach: Pe-yeu ist der Ältere.“
'■ijff Pe -) reu Siün-yen.
„Siün-yen befehligte das mittlere Heer. Sse-kai stand ihm zur
Seite.“
Sse-kai behielt somit seinen früheren Posten.
„Man liess Han-khi befehligen das erste Heer.“
Han-khi war der Genosse, d. i. der zweite Anführer
des ersten Heeres.
„Er trat zurück zu Gunsten Tschao-wu’s.“
Tschao-wu ist -f v" M Tschao-wen-tse.
„Man ernannte wieder Luan-yen.“
Da Tschao-wu als Anführer des neuen Heeres auf einer zu
niedrigen Stufe stand, so ging der Fürst auf den Vorschlag Han-khi’s
nicht ein, sondern ernannte Luan-yen, den Anführer des dritten Heeres
zum Anführer des ersten.
„Dieser weigerte sich und sprach: Ich hin nicht so viel werth
wie Han-khi. Han-khi wünscht über sich zu stellen Tschao-wu. Mögest
du, o Herr, ihm Gehör schenken.“
„Man liess Tschao-wu befehligen das erste Heer. Han-khi stand
ihm zur Seite.“
Tschao-wu als Anführer des neuen Heeres stieg vier Stufen höher
und trat an die Stelle Siiin-yen’s. Han-khi blieb was er früher gewesen.
144
Di*. P f i z m aie r.
„Luan-yen befehligte das dritte Heer. Wei-kiang stand ihm zur
Seite.“
Luan-yen blieb was er früher gewesen. Wei-kiang als Genosse
des neuen Heeres stieg eine Stufe höher und trat an die .Stelle
Sse-fang's.
„Das Volk des Reiches Tsin wurde hierdurch in hohem Grade
anhänglich. Die Reichsfürsten näherten sich in Freundschaft.“
„Die Weisen sprachen: Das Überlassen ist die Hauptsache bei
den Gebräuchen. Fan-siuen-tse überliess seinen Platz. Die unter ihm
standen, überliessen ihn gleichfalls.“
„Luan-yen war hochmüthig: er wagte es nicht, hier anders zu
handeln.“
„Das Reich Tsin wurde hierdurch befriedigt: mehrere Ge
schlechtsalter hauten hierauf.“
„Man machte zum Gesetz das Gute. Wenn Ein Mensch zum
Gesetze macht das Gute, so wird den hundert Familien Zufriedenheit
und Ruhe. Kann man anders, als dessen sich bestreben?“
„In dem Ruche heisst es: Ein einz’ger Mensch weiss Segen zu
verbreiten! Die Millionen Volkes ihm vertrau’n, die Ruh'wird ihm zu
Theil für ew’ge Zeiten! — Dieses lässt sich hier sagen'.“
„Als die Tscheu emporkamen, hiess es in dem Gedichte:
Ein treffliches Gesetz gibt König Wen,
Zu ihm zehntausend Länder voll Vertrau’n!“
„Es sagt: Er machte zum Gesetz das Gute.“|
„Als sie in Verfall geriethen, hiess es in dem Gedichte:
Die Grossen niemals stimmen überein,
Wir handeln, wir bekümmern uns allein.“
Rei dem Verfalle der Dynastie Tscheu war König Yeu in seinem
Rathe nicht einig, die Staatsdiener mussten daher ohne Unterstützung
von oben die Angelegenheiten besorgen. Auf diesen Zustand beziehen
sich die folgenden Verse des Siao-ya:
Rings unter dieses Himmels Weite
Ist Alles nur des Königs Land.
Die wandeln an dem Uferrand,
Sind Alle nur des Königs Leute.
Die Grossen niemals stimmen überein,
Wir handeln, wir bekümmern uns allein.
„Es sagt: Es war kein Überlassen.“
145
TI T
1
I \vt
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
Da in dem Rathe des Königs Yeu keine Eintracht herrschte und
die Staatsdiener unabhängig handeln mussten, so war von einem
gegenseitigen Überlassen keine Rede.
„Wenn die Welt in Ordnung ist, so schätzt der Weise die Fähig
keiten und überlässt den Platz dem Niederen. Der kleine Mensch
befleissigt sich des Ackerbaues und dient dadurch dem Höheren.“
„Durch dieses beobachten die Höheren und die Niederen die
Gebräuche, doch Verleumdung und Arglist sind gelöscht und fern
gehalten. Es kommt daher, weil sie nicht streiten. Dieses nennt man
die unvergleichliche Tugend.“
„Wenn sie in Unordnung ist, so rühmen die Weisen ihre Ver
dienste und beleidigen die kleinen Menschen. Die kleinen Menschen
sind stolz auf ihre Gaben und drängen sich zu den Höheren. “
„Durch dieses verletzen die Höheren und die Niederen die
Gebräuche. Unordnung unclBedrückung entstehen zu gleicher Zeit. Es
kommt daher, weil man streitet mit den Guten. Dieses nennt man die
verfinsterte Tugend.“
„Die Erniedrigung der Reiche und Häuser geht immer aus
diesem hervor.“
'| !| j- 39, das Jahr des Cyldus (559 vor Chr. Geb.). Vier
zehntes Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu.
Dieses Jahr ist das erste Regierungsjahr des Königs Khang
von Tsu.
Der Vorsteher fthunng bespricht die Vertreibung des Landesherrn durch
die Menschen von Weh
„Der Vorsteher Khuang machte die Aufwartung bei dem Fürsten
von Tsin.“
Ein Vorsteher der Musik in Tsin führte den Namen Jpjjf Khuang.
„Der Fürst von Tsin sprach: Die Menschen von Wei vertrieben
ihren Landesherrn. Ist dieses nicht auch sehr arg?“
„Jener antwortete: Vielleicht war ihr Landesherr in der That
sehr arg.“
„Ein guter Landesherr soll belohnen die Guten und bestrafen
die Bösen. Er nährt das Volk wie seine Söhne. Er bedeckt es gleich
dem Himmel. Er trägt es gleich der Erde.“
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XVIII. Bd. I. Hft.
10
146
Dr. P f i z m a i e r.
„Das Volk dient seinem Landesherrn, es liebt ihn wie den Vater
und die Mutter. Es blickt zu ihm empor wie zu der Sonne und dem
Mond. Es verehrt ihn wie der Götter Licht, es fürchtet ihn wie des
Douners Ton. Kann er dann wohl vertrieben werden?“
„Der Landesherr ist der Hauswirth der Götter und die Hoffnung
des Volkes.“
Der Landesherr reicht den Göttern das Opfer und ist dadurch
deren Hauswirth.
„Ist er aber der Hauswirth eines verkümmerten Volkes, so be
lästigt er die Götter und vernichtet das Opfer. Die hundert Familien
verlieren ihre Hoffnung, die Landesgötter haben keinen Hauswirth.
Wozu könnte man ihn dann noch brauchen? Was lässt sich anderes
thun, als ihn vertreiben?“
„Der Himmel lässt entstehen das Volk und pflanzt ihm einen
Landesherrn. Er gibt ihm einen Vorsteher und Hirten, er lässt es
nicht verlieren die Zuneigung.“
„Dem Landesherrn stellt er zur Seite die Gehilfen. Er heisst
sie ihn leiten, ihn beschützen. Sie lassen ihn nicht überschreiten das
Mass.“
„Desswegen hat der Himmelssohn die Fürsten.“
Die drei obersten Minister des Himmelssohnes heissen die drei
Fürsten.
„Die Fürsten des Reiches haben die Reichsminister. Die Reichs
minister gründen die Seitenlinien. Die Grossen des Reiches haben
die abhängigen Geschlechter. Die Staatsdiener haben Freunde. Die
gewöhnlichen Menschen, die Künstler, die Kaufleute, die kleinen
Diener, die Hirten, alle haben Nahe und Verwandte, damit sie sie
stützen und ihnen helfen.“
„Thun sie Gutes, so verbreiten sie es. Fehlen sie, so verbessern
sie es. Sind sie in Besorgniss, so kommen sie ihnen zu Hilfe. Ver
säumen sie etwas, so machen sie es wieder gut.“
„Von dem Könige abwärts hat ein Jeder einen Vater, einen
älteren Bruder, einen Sohn oder einen jüngeren Bruder, damit sie
ausbessern und untersuchen die Regierung.“
„Die Geschichtsschreiber verfertigen die Bücher. Die Blinden
verfertigen die Gedichte. Die Künstler singen die Stachelworte und
den Tadel. Die Grossen des Reiches umzeichnen und belehren. Die
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
147
Staatsdiener melden es mit Worten. Die gewöhnlichen Menschen
schmähen.“
Wenn die niederen Staatsdiener welche bei Hofe nicht ver
kehren, an dem Landesherrn Fehler entdecken, so melden sie es den
Grossen des Reiches. Die gewöhnlichen Menschen welche an der
Regierung gar keinen Antheil haben, schmähen in diesem Falle öffent
lich den Landesherrn.
„Die Kaufleute stellen es zur Schau auf dem Markte.“
Wenn die Kaufleute die Regierung schlecht finden, so stellen sie
ihre fehlerhaften Waaren zur Schau, um dadurch dem Landesherrn
ihren Tadel zu erkennen zu geben.
„Die hundert Künstler überreichen die Kunstwerke.“
Wenn die Handwerker an dem Landesherrn keine guten Eigen
schaften bemerken, so überreichen sie ihm die von ihnen verfertigten
kunstvollen Gegenstände. Da diese Gegenstände streng nach den
Regeln der Kunst gearbeitet sind, so dienen sie zur Vorbringung eines
bildlichen Tadels.
„Desswegen heisst es in dem Ruche der Hia: Die kundgebenden
Menschen wandeln mit Holzglocken umher auf den Wegen.“
Eine Holzglocke heisst eine grosse Glocke von Metall mit höl
zernem Klöppel. Im Anfänge des Frühlings zogen besondere Ange
stellte in dem Lande umher, welche diese Glocke schlugen und die
Menschen ermahnten, die Gesetze zu befolgen.
„Die Obrigkeiten und die Vorsteher bezeichnen einander die
Vorschriften. Die Künstler ergreifen die Gegenstände der Kunst, um
zu tadeln.“
Hier das Ende der angeführten Stelle.
„Im ersten Monate, im Anfänge des Frühlings ist dieses der Fall.
Man tadelt die Abweichungen von der Regel.“
„Der Himmel liebt das Volk sehr. Wie könnte er heissen einen
einzigen Menschen sich eigenmächtig stellen über das Volk, so dass
er Nachsicht hat mit dessen Lastern und abstreift das Wesen des
Himmels und der Erde? Gewiss, dem ist nicht so.“
In diesem Jahre erfolgte ferner der sogenannte Angriff der drei
zehn Reiche, indem die Reiche Tsin, Lu, Tsi, Sung, Wej, Tsching,
Tsao, Khiü, Tsclni, Teng, Sie, Khi und das kleine Tschü das Reich
Thsin angriffen. Mit diesem Angriffe erreichte die zwischen Tsin und
10*
148
Dr. P fi z in «*i i e r.
Thsin seit der Schlacht von Hiao (627 vor Chr. Geb.) bestandene
Fehde ihr Ende. Der erste Kampf zwischen diesen beiden Reichen,
die Schlacht von Han hatte schon im fünfzehnten Regierungsjahre des
Fürsten Hi von Lu (64S vor Chr. Geb.) also vor sechs und achtzig
Jahren stattgefunden.
40 ’ ^ as ^ akr ^ es C y klus (SS8 vor Chr. Geb.).
Fünfzehntes Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu.
In diesem Jahre starb Tao, Fürst von Tsin, ihm folgte sein Sohn
Pieu, genannt Fürst 2p Ping.
Tsc-hnn verweigert die Annahme eines Edelsteines.
„Ein Mensch von Sung fand einen Edelstein. Er überreichte
ihn Tse-han.“
2p -J- Tse-han ist |g~. Lo-hi, der Vorsteher der Stadt
mauern.
„Tse-han nahm ihn nicht an. Der den Edelstein überreichte
sprach: Ich zeigte ihn dem Edelsteinschleifer. Der Edelsteinschleifer
hielt ihn für kostbar. Desswegen wagte ich es, ihn zu überreichen.“
„Tse-han sprach: Ich halte die Uneigennützigkeit für kostbar,
du hältst den Edelstein für kostbar. Wenn du ihn mir gibst, so ver
lieren wir Beide etwas Kostbares. Der Mensch muss seine Kostbar
keiten behalten.“
„Jener verbeugte sich und meldete: Wenn ich den Edelstein im
Rusen trage, so kann ich nicht hinaus über den District. Indem ich
dieses zu mir nehme, bitte ich um den Tod.“
Der Resitzer des Edelsteines meint: Wenn er mit diesem Edel
steine den Bezirk verliesse, würde er von Räubern angefallen und
getödtet werden.
„Tse-han gab ihm einen Wohnplatz in seinem Dorfe.“
Er behielt den Besitzer des Edelsteines bei sich und Hess ihn in
dem Dorfe welches er (Tse-han) eben bewohnte, wohnen.
„Er liess ihm den Edelstein durch den Edelsteinschleifer schleifen.
Nachdem er ihn verwerthet, liess er ihn in seine Heimath zurück
kehren.“
Tse-han verkaufte den geschliffenen Edelstein und schickte den
Besitzer desselben mit dem Erlöse in die Heimath.
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
149
J 44, das Jahr des Cyklus (5S4 vor Chr. Geb.). Neun
zehntes Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu.
In diesem Jahre starb Ling, Fürst von Tsi, ihm folgte sein Sohn
Kuang, genannt Fürst Tschuang.
Ki-wu-tsc reist nach Tsin, sich für den Feldzug zu bedanken.
„Ki-wu-tse reiste nach Tsin, sich für den Feldzug zu bedanken.“
^ Ki-wu-tse ist -jg Ki-siin-su von Lu.
Im fünfzehnten Jahre des Fürsten Siang von Lu hatte der Fürst von
Tsi einmal, im sechzehnten zweimal, im siebzehnten wieder zweimal,
im achtzehnten einmal das Reich Lu angegriffen. In Folge dessen ver
einigte sich in dem letztgenannten Jahre der Fürst von Tsin mit den
Fürsten von Lu, Sung, Wei, Tsching, Tsao, Khiü, Tschü, Teng, Sie,
Khi und dem kleinen Tschü und belagerte die Hauptstadt des Reiches
Tsi. Lu schickte jetzt einen Gesandten nach Tsin, um sich für die
geleistete Hilfe zu bedanken.
„Der Fürst von Tsin bereitete ihm den Empfang. Fan-siuen-tse
führte die Regierung.“
Sse-kai befehligte um diese Zeit das mittlere Heer an der Stelle
Siün-yen’s. Der Anführer des mittleren Heeres war in Tsin zugleich
der Vorsteher der Regierung.
„Er las: Die Halme des Getreides.“
Die erste Strophe des Gedichtes: „Die Halme des Getreides“
lautet:
Wie hoch die Halme des Getreides!
Der lange Regen sie befeuchtet.
In weite Ferne südwärts geht der Zug:
Der Fürst von Schao durch Thaton leuchtet.
Der Fürst von Schao ist Schao-mo, Reichsminister des
Königs Siuen. Der König hatte den Fürsten von Schin mit der
Stadt Sie belehnt und beauftragte Schao-mo sich selbst dabin
zu begeben und die Stadt neu zu bauen. Als er den Zug nach Süden
antreten wollte, verfertigten die Theilnehmer an dem Zuge dieses
Gedicht.
„Ki-wu-tse erhob sich. Er bedankte sich zweimal mit gesenktem
Haupte und sprach: Das kleine Reich blickt empor zu dem grossen
ISO
Dr. Pfizmaier.
Reiche wie die hundert Getreidearten emporblicken zu dem befeuch
tenden Regen. Wenn er sie beständig befeuchtet, so kehrt Alles unter
dem Himmel sich zu ihm in Freundschaft: wie wäre es allein unsere
niedrige Stadt?“
„Er las: Im sechsten Monat.“
Die erste Strophe des Gedichtes: „Im sechsten Monat“ lautet:
Im sechsten Monat herrscht Gedränge,
Die Wagen schon geordnet steh’n,
Die Viergespanne kräftig schön,
Rings Lederpanzer sind zu seh’n.
Die Hien-yin eine grosse Menge,
Man braucht uns zu dem Dienste gleich.
Der König zieht hinaus zum Streite,
Wir festigen des Königs Reich.
Diese Verse beziehen sich auf den Feldherrn Ke-fu, der unter
dem König Siuen die in das Reich Tscheu eingefallenen Hien-yin-
Rarbaren zurückschlug. Indem der Gesandte dieses Gedicht hersagte,
gab er zu verstehen, dass der Fürst von Tsin durch seinen Feldzug
sich ein ähnliches Verdienst wie der Feldherr Ke-fu erworben habe.
Wu-tschung ermahnt Ki-wu-tse, auf die Verdienste zu achten,
„Ki-wu-tse verfertigte aus den Waffen welche er von Tsi er
halten, Glocken des Waldes und grub in das Erz die Verdienste des
Reiches Lu.“
„Die Glocken des Waldes“ heisstdie zu dem Liede: „Im sechsten
Monat“ passende Musik. Ki-wu-tse liess aus den ihm aus dem Kriege
gegen Tsi als Reuteantheil zufallenden Waffen Glocken giessen, welche
dem Tone dieser Musik entsprachen.
„Tsang-wu-tschung sprach zu Ki-sün: Dieses ist gegen die
Gebräuche.“
14* Ä Ä Tsang-wu-tschung ist ^ Tsang-
sün-hö. Ki-sün ist Ki-sün-su, d. i. Ki-wu-tse.
„Rei dem Graben in Erz befiehlt der Himmelssohn die Tugend.“
Der Himmelssohn gräbt in das Erz nur seine Tugend, nicht aber
die kriegerischen Verdienste.
„Die Reichsfürsten sagen die Zeit und erwähnen die Verdienste.“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
151
Wenn die Reichsfürsten etwas zur gehörigen Zeit, wo das Volk
nicht in seinen Beschäftigungen gestört wird, unternehmen und hierbei
Verdienste erwerben, so können sie dieses in das Erz graben lassen.
„Die Grossen des Reiches nennen den Angriff.“
Die Grossendes Reiches können die Verdienste welche sie sich
bei einem Angriffe auf fremde Reiche erworben haben, in das Erz
graben lassen.
„Jetzt, wenn du nennst den Angriff, so steigst du eine Stufe
abwärts.“
Ki-siin als Reichsminister von Lu steht über den Grossen des
Reiches, welche zu der dritten Rangstufe gehören.
„ Erwähnst du die Verdienste, so entlehnst du von den Menschen.“
In diesem Falle würde man sich fremde Verdienste zueignen, da
der Angriff hauptsächlich von dem Reiche Tsin unternommen wurde.
„Sagst du die Zeit, so warst du dem Volke vielfach im Wege.“
Das Volk von Lu ist durch den Angriff vielfach in den fiescliäf-
tigungen des Ackerbaues gestört worden.
„Was wäre hier in das Erz zu graben? Ferner, wenn ein grosses
Reich bekriegt ein kleines, so nimmt es, was es erbeutet und verfertigt
daraus Geräthe des Ahnentempels. Es gräbt in das Erz die glänzenden
Verdienste, um sie zu verkünden den Söhnen und den Enkeln. Es
erleuchtet die glänzende Tugend und warnt vor der Verachtung der
Gebräuche.“
„Jetzt wollten wir entlehnen die Stärke der Menschen, um uns
zu retten vor dem Tode. Wie Hesse sich dieses in das Erz graben?“
„Ein kleines Reich ist glücklich gegenüber einem grossen Reiche,
und es setzt in das Licht, was es erbeutet, damit es errege dessen
Zorn. Dieses ist der Weg zu dem Verderben.“
Das kleine Reich ist Lu, welches so glücklich war, durch die
Hilfe von Tsin das grosse Reich Tsi zu besiegen. Indem es aber seine
Verdienste in das Erz graben lässt, erregt es den Zorn dieses grossen
Reiches.
p 46, das Jahr des Cyklus (5S2 vor Chr. Geb.). Ein
und zwanzigstes Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu.
Im eilften Monate dieses Jahres wurde T Jl Khung-tse
(Confucius) geboren.
152
Dr. Pfizmaier.
Tsang-wu-tschung beschuldigt Ki-sün der Belohnung der Räuber.
„Schü-khi vonTsehü kam mitThsf undLiü-khieu als Flüchtling.“
~fflb Schü-khi, ein Grosser des Reiches Tschü, fiel mit den
hin
Städten y^ji Thsf und [j^ | gj Liü-khieu, deren Einkünfte ihm
angewiesen waren, von dem Fürsten von Tschü ah und floh nach Lu,
dessen Fürsten er diese zwei Städte antrug. Fürst Siang der erst
im vorigen Jahre das Reich Tschü bekriegt hatte, nahm dieselben an
und überliess Schü-khi von Neuem deren Einkünfte.
„Ki-wu-tse vermählte ihn mit der Muhme und älteren Schwester
des Fürsten. Zugleich belohnte man sein Gefolge.“
„Um diese Zeit gab es in Lu viele Räuber. Ki-sün sprach zu
Tsang-wu-tschung: Warum ziehst du nicht die Räuber in Unter
suchung?“
„ Wu-tschung sprach: Man kann sie nicht in Untersuchung ziehen.
Auch bin ich Ho dessen nicht fähig.“
Ho ist der Name Tsang-wu-tschung’s.
„Ki-sün sprach: Wir besitzen vier Grenzen: warum sollten wir
nicht in Untersuchung ziehen können die Räuber? Du bist Richter
über die Ubelthäter. Wo Räuber sind, musst du trachten sie zu ent
fernen: wie solltest du dessen nicht fähig sein?“
„Wu-tschung sprach: Du rufst herbei die Räuber des Auslandes
und behandelst sie mit grosser Auszeichnung. Wie könnte ich Einhalt
gebieten den Räubern unseres Landes? Du hist der erste Reichs
minister und lässest kommen die Räuber des Auslandes. Du heissest
mich Hd sie entfernen: werde ich dessen wohl fähig sein?“
„Schü-khi raubte Städte in Tschü und kam zu uns. Du vermählst
ihn mit Töchtern der Familie Ki und gibst ihm Städte.“
Lu ist ein Reich der Familie Ki. Die Töchter dieser Familie
heissen die Muhme und die ältere Schwester des Fürsten Siang von
Lu. Ferner gab man Schü-khi die zwei geraubten Städte zur Nutz-
niessung.
„Die Menschen seines Gefolges wurden alle beschenkt. Wenn
man den grossen Räuber auszeichnet durch die Muhme und Schwester
des Landesherrn sammt den grossen Städten, die Nächstfolgenden
durch kleine Diener, Flirten, Wagen und Pferde, die Kleinsten unter
ihnen durch Kleider, Schwerter und Gürtel, so belohnt man dadurch
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
153
die Räuber. Sie belohnen und hierauf entfernen, dieses ist wohl
unmöglich.“
„Ich Ho habe es gehört: Wer auf einer hohen Stufe steht der
wäscht sein Herz rein. Er behandelt folgerecht die Menschen. Er
bringt in Übereinstimmung mit dem Gesetz die Treue. Wenn dieses
klar ist und erwiesen, dann erst kann er regieren die Menschen.“
„Was die Höheren thun, nach diesem richtet sich das Volk.
Wenn Dasjenige was die Höheren nicht thun, Einige unter dem Volke
thun, so verhängt man desswegen die Strafe, und Keiner wagt es,
nicht zu beachten die Warnung.“
„Wenn Dasjenige was die Höheren thun, das Volk ebenfalls
thut, so ist dieses ganz in der Ordnung. Kann man es ihm dann noch
wehren ?“
„In dem Buche der Hia heisst es: Bedenkst du dieses, so kommt
es an auf dieses. Entfernst du dieses, so kommt es an auf dieses.
Nennst du mit Namen dieses, so kommt es an auf dieses. Pflanzt Treue
sich in dieses, so kommt es an auf dieses. Möge der Kaiser bedenken
die Verdienste.“
Yii sagt diese Worte zu Schiin. Der ihnen hier untergelegte
Sinn ist: Wenn man überlegt, ob man Etwas thun solle, so kommt es
darauf an, ob es an uns selbst ausgeübt werden könne, in welchem
Falle allein man es thun darf. „Dieses“ ist hier dieses eigene Innere.
Ebenso, wenn man etwas Böses an anderen Menschen entfernen will,
kommt es darauf an, ob an uns selbst nichts Böses mehr haftet. Das
selbe gilt von den Worten und Benennungen, von welchen verlangt
wird, dass sie sowohl auf die eigene als fremde Person angewendet
werden können. Endlich, wenn Aufrichtigkeit und Treue in dem
eigenen Innern entstehen, so ist das Gute auch wirklich in diesem
Inneren enthalten. Was hier gesagt wird, ist übrigens nicht der
ursprüngliche Sinn der in dem Buche der Yii vorkommenden Stelle.
Dieselbe muss durch „Bedenkst du dieses, so kommt es an auf Diesen“
u. s. f. indem statt „auf dieses“ durchgängig „auf Diesen“ gesetzt
wird, wiedergegeben werden. Derjenige, auf welchen nach dem
ursprünglichen Sinne Alles ankommt, ist der Minister Hao-tao.
„Wenn die Treue zusammentrifft mit der eigenen Folgerichtigkeit,
dann erst lassen sich bedenken die Verdienste.“
154
Dr. P f i z m a i e r.
Dieses die Erklärung der obigen Stelle und ein Tadel gegen
Ki-sün, der, selbst ohne Treue und Wahrheit, andere Menschen
belohnen will.
^ 48, das Jahr des Cyldus (SSO vor Chr. Geb.). Drei
und zwanzigstes Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu.
Min-tse-iiia bewegt Kung-tschü zu Elternliebe und Ehrfurcht.
„Ki-wu-tse hatte keinen Sohn des ersten Hauses. Kung-mi war
der Altere, aber er liebte Tao-tse. Diesen wollte er einsetzen.“
Ki-wu-tse hatte keinen Sohn von einer Gemahlinn ersten Ranges.
Kung-mi und -p Tao-tse waren Söhne einer Neben-
gernahlinn. Der Letztere sollte bestimmt sein, das Haus Ki als
Haupt der Familie fortzusetzen.
„Er fragte Tsang-ho. Tsang-hd sprach: Weil du ihn einsetzen
willst, mache ich Kung-tschü zum Anführer der Pferde.“
Tsang-ho Tsang-sün-ho, d. i. Tsang-wu-tschung.
#1 4? Kung-tschü ist Kung-mi. Dieser sollte zur Entschädigung
dafür, dass er die Nachfolge verloren, den Befehl über die Streit
wagen des Hauses erhalten.
„Jener grollte und ging nicht aus. Min-tse-ma besuchte ihn.“
Kung-tschü zog sich aus Missrnuth von den Geschäften zurück.
§| Hl Min-tse-ma ist ^ ^ [^| Min-ma-fu.
„Er sprach: Du darfst nicht so handeln. Glück und Unglück
haben keine Thüre, nur der Mensch ruft sie herbei.“
„Wer ein Sohn unter den Menschen ist, der kümmert sich, wenn
er kein guter Sohn. Er kümmert sich nicht, wenn er verloren hat
seinen Platz.“
„Ehrfurchtsvoll gehorchen dem Befehle des Vaters, was gäbe
es hierbei für eine beständige Würde?“
Die Einsetzungen und Absetzungen in der Familie hängen von
dem Vater ah, es handelt sich hier nicht um beständige Würden
welche im Staate bekleidet werden.
„Wenn du fähig bist der Elternliebe und Ehrfurcht, so kann es
sein, dass der Segen doppelt zu Theil wird der Familie Ki. Bist du
heimtückisch, widerspänstig und richtest dich nicht nach der Ordnung,
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
155
so kann es sein, dass das Unglück doppelt zu Theil wird dem niederen
Volke.“
Im ersteren Falle kann der Segen auf die Nachkommen der
Familie Ki übergehen. Im letzteren Falle würde sich Kung-tschü in
Verbrechen verwickeln, und von dem Unglück würden arme und
niedrige Menschen des Volkes getroffen werden.
„Kung-tschii handelte diesem gemäss. Er gehorchte ehrfurchts
voll am Morgen und am Abend. Er verblieb ehrerbietig in der besagten
Stellung.“
Er begnügte sich mit der Stelle eines Anführers der Streitwagen.
Tsang-sün erhält den Vertrag.
„Meng-sün hasste Tsang-tscliung. Ki-sün liebte ihn.“
Meng-sün ist -p- fj^b ^n~ Meng-tschuang-tse und
dessen Familie. j[|] ^ Tsang-tschung ist Tsang-wu-tschung.
Ki-sün liebte Tsang-wu-tschung, weil dieser, wie in dem vorher
gehenden Abschnitte zu sehen, ihm bei der Einsetzung seines zweiten
Sohnes Tao-tse behilflich gewesen.
„Meng-tschuangr-tse erkrankte. Fung-tien sprach zu Kung-tschü:
Wenn du Khie einsetzest, so werde ich ihn bitten, feindlich auf
zutreten gegen die Familie Tsang. “
life Fung-tien ist Meng-sün's Wagenführer. Wfn Khie ist
Uli Vt'. '
der Sohn Meng-sün's von einer Nebengemahlinn. Fung-tien setzt
voraus, dass Kung-tschü ein Feind Tsang-wu-tschung’s, weil er durch
diesen der Nachfolge beraubt wurde. Wenn Khie seinem Vater als
Haupt der Familie gefolgt sein würde, sollte er so wie Kung-tschü
durch Fung-tien’s Veranstaltung der Feind Tsang-siin’s werden.
„Meng-sün starb. Kung-tschü bot Khie einen Platz zur Seite
des Leichnams.“
Nach den Gebräuchen ist der älteste Sohn der Hauptgemahlinn
der Erste unter den Trauernden. Da Kung-tschü dem Sohne Khie die
Nachfolge verschaffen wollte, so liess er ihn zur Seite des Leichnams
stehen, was nur der Hauptperson unter den Trauernden zukommt.
„Ki-sün kam. Er trat ein um zu weinen und begab sich wieder
hinaus. Er sprach: Wo ist Tschhi?“
156
Dr. Pfizmaier.
7^ Tsclihf ist Meng-sün’s ältester Sohn. Bei der Trauer, wo
er hätte die erste Stelle einnehraen sollen, wurde er von Ki-sün nicht
gesehen.
„Kung-tschü sprach: Hier ist Khie.“
„Ki-sün sprach: Jener Sohn ist der Altere.“
„Kung-tschü sprach: Wie könnte es hier einen Alteren geben?
Es handelt sich nur um den Werth.“
Als Ki-wu-tse seinen Sohn Tao-tse zum Nachtheile Kung-tschu s
einsetzen wollte, hatte er sich geäussert: Ich will nach dem Werthe
wählen und diesem gemäss einsetzen. Kung-tschü antwortet hier dem
Vater mit dessen eigenen Worten, so dass dieser nichts dagegen
einzuwenden vermag.
„Auch ist es der Befehl des Meisters.“
Kung-tschü sagt fälschlich, dass Meng-sün den Befehl hinter
lassen, seinen Sohn Khie einzusetzen.
„Hierauf setzte man Khie ein. Tschhi floh nach Tschü.“
„Tsang-sün trat ein, um zu weinen. Er war traurig und vergoss
viele Thränen. “
„Er trat wieder hinaus. Sein Wagenführer sprach: Meng-sün
hasste dich, und du bist seinetwegen so traurig. Wenn Ki-sün sterben
sollte, was würdest du wohl thun?“
„Tsang-sün sprach: Die Liebe Ki-sün’s zu mir ist ein hitziges
Fieber. Der Hass Meng-sün’s gegen mich war ein heilender Stein.“
Ein heilender Stein heisst eine Nadel von Stein, deren man
sich zur Acupunctur bedient.
„Ein angenehmes Fieber ist weniger werth als ein verhasster
Stein. Der Stein erhält uns noch immer am Lehen. Bei der Annehm
lichkeit des Fiebers ist dessen Gift noch ärger.“
„Meng-sün ist gestorben. Ich bin verloren in kurzer Zeit.“
„Die Familie Meng schloss das Thor. Man meldete Ki-sün: Die
Familie Tsang will einen Aufstand erregen. Sie lässt uns nicht das
Begräbniss feiern.“
Die Glieder der Familie Meng verschlossen auf Fung-tien’s
Anstiften das Thor ihres Palastes. Der Zweck dieser falschen Meldung
war, Ki-sün zu bewegen, dass er feindlich gegen Tsang-wu-tschung
auftrete.
„Ki-sün zürnte und befahl den Angriff auf die Familie Tsang.“
Notizen «aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
157
Tsang-wu-tschung, der sich vor der Familie Meng fürchtete,
hatte sich um diese Zeit von gepanzerten Kriegern begleiten lassen.
Als Ki-\vu-tse dieses sah, gab er den Befehl zum Angriff.
„Tsang-ho enthauptete den Thorwächter des Hirschthores, trat
hinaus und floh nach Tschü.“
Das Hirschthor heisst das östliche Thor der Stadt pfj
Nan-tsching von Lu.
„Tsang-ku und Tsang-wei waren ausgetreten und befanden sich
in Tschü.“
■p Tsang-ku und ^ Tsang-wei waren Tsang-wu-
tschung’s ältere Brüder und Neffen des Fürsten von & Tschü, in
dessen Beiche sie sich um diese Zeit aufhielten. Dieses ßeich Tschü
ist von dem Reiche Tschü, in welches sich Tsang-wu-tschung
gefluchtet, verschieden.
„Tsang-wu-tschung liess Tsang-ku benachrichtigen. Auch
schickte er ihm eine Schildkröte aus Tsai.“
Das Gebiet Tsai, nicht zu verwechseln mit dem gleich
namigen Beiche, brachte grosse Schildkröten hervor, welche mit dem
Namen „das grosse Tsai“ belegt wurden.
„Hierbei sprach er: Ich Ho besitze keine Fähigkeiten. Ich verlor
den Besitz der Ahnentempel in der Nähe und in der Ferne. Ich wage
es zu melden, dass man mich nicht bedauert. Meine Schuld zieht
nicht nach sich den Verlust des Opfers. Wenn du mit der Schildkröte
von Tsai deine Bitte vorträgst, so setzest du es wohl durch.“
Tsang-sün ist keines grossen Verbrechens schuldig, wegendessen
das Opfer in dem Ahnentempel der Familie abgeschafft werden sollte.
Tsang-ku möge dem Fürsten von Lu die grosse Schildkröte reichen
und ihn bitten, Jemanden als Haupt der Familie Tsang einzusetzen.
„Ku sprach: Es ist das Unglück unseres Hauses, du hist daran
nicht Schuld. Ich Ku habe den Befehl gehört.“
„Er verbeugte sich zweimal und empfing die Schildkröte. Er
liiess Wei die Bitte vortragen. Dieser handelte hierauf selbstständig.“
Tsang-ku beauftragte mit der Sendung seinen Bruder Tsang-wei,
dieser handelte jedoch in seinem eigenen Interesse, indem er die
Nachfolge für sich selbst zu erhalten suchte.
„Tsang-sün reiste nach Fang.“
Die Stadt [J7j Fang in Lu war das Eigenthum der Familie Tsang.
188
Dr. Pfizmaier.
„Er liess durch einen Abgesandten melden: Ich Ho bin nicht im
Stande zu schaden. Mein Verstand ist nicht ausreichend.“
Tsang-sün meint, er habe in Lu keine Empörung erregen wollen,
von den gepanzerten Kriegern habe er sich nur aus Unverstand
begleiten lassen.
„Ich wage keine eigennützige Bitte.“
Er bittet nur der Vorfahren willen, denen er das Opfer in dem
Ahnentempel erhalten will.
„Wenn ich bewahre das Opfer der Vorfahren, so vernichtet man
nicht die zweifachen Verdienste.“
Die zwei früheren Familienhäupter Tsang-wen-tschung und
Tsang-siuen-scho hatten grosse Verdienste um das Reich Lu.
„Ich wage es, die Stadt nicht zu vermeiden.“
Er entfernt sich nicht aus der Stadt Fang. Dass Tsang-wu-
tschung sich in der Stadt Fang festsetzt, während er seine Bitte vor
tragen lässt, wird ihm später von Khung-tse (Confucius) so ausgelegt,
als ob er den Fürsten von Lu zu zwingen gesucht hätte.
„Hierauf erhob man Tsang-wei. Als man den Vertrag für die
Familie Tsang aufsetzen wollte, berief Ki-sün den äusseren Geschicht
schreiber, der sich befasste mit den schlechten Ministern, und fragte
ihn um den Eingang des Vertrages.“
Die schlechten Minister sind diejenigen welche in das Ausland
flohen. Man wollte die Vergehen Tsang-sün’s in einer Urkunde auf
zeichnen und dieselbe durch die Grossen des Reiches beschwören
lassen. Die Absicht war, die Übrigen vor ähnlichen Vergehen zu
warnen.
„Jener antwortete: In dem Vertrage für die Familie Tung-men
standen die Worte: „„Möge Niemand so handeln, wie Tung-men-sui.
Er tödtete den rechtmässigen Sohn und erhob den unrechtmässigen.““
Dieser Vertrag wurde im achtzehnten Jahre des Fürsten Siuen
von Lu aufgesetzt. Fürst Wen hatte jjfc j3Ej Tung-men-sui
befohlen, den Thronfolger 1x5 Ngo einzusetzen. Statt dessen tödtete
dieser den Prinzen Ngö und erhob den Fürsten Siuen, der der Sohn
einer Nebengemalilinn, auf den Thron von Lu.
„In dem Vertrage für die Familie Seho-sün standen die Worte:
„„Möge Niemand so handeln wie Scho-sün-kiao-ju. Er wollte
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. 159
abschaffen die Grundgesetze des Reiches. Er brachte in Verwirrung
und stürzte des Fürsten Haus.““
Dieser Vertrag wurde im sechzehnten Jahre des Fürsten Tsching
von Lu aufgesetzt. Kiao-ju verleumdete den Fürsten Tsching, so wie
die Familien Ki und Meng hei der Regierung von Tsin.
„Ki-sün sprach: Was Tsang-sün verschuldet, hat mit diesem
nichts gemein.“
„Meng-tsiao sprach: Warum setzt man nicht, dass er gebrochen
durch das Thor und enthauptet hat den Thorwächter?“
^ Meng-tsiao ist der Enkel Meng-liien-tse’s von Lu.
„Ki-stin machte hiervon Gebrauch. Hierauf schrieb man den
Vertrag für die Familie Tsang. In diesem standen die Worte: „„Möge
Niemand so handeln wie Tsang-sün-ho. Er widersetzte sich der Ord
nung des Reiches. Er brach durch das Thor und enthauptete den
Thorwächter.““
„Tsang-sün hörte dieses und sprach: Fürwahr, das Reich hat
einen Menschen. Wer ist dieser? Kein Anderer als Meng-tsiao!“
Tsnng-wu-tschung meidet das Unglück des Reiches Tsi.
„Der Fürst von Tsi wollte Tsang-ho beschenken mitTien. Tsang-
sün hörte es und besuchte ihn.“
[Jj Tien, eine Stadt in Tsi.
„Der Fürst von Tsi sprach mit ihm über den Angriff auf Tsin.“
In diesem Jahre war in Tsin eine Empörung ausgebrochen,
worauf der Fürst von Tsi, der bisher der Verbündete von Tsin
gewesen, dieses Reich angriff.
„Jener antwortete: Schlachtenruhm hast du zwar vielen erworben,
aber du gleichst, o Herr, einer Ratte. Die Ratte verbirgt sich am Tage
und kommt hervor in der Nacht. Sie macht zu ihrer Höhle nicht die
Schlafstätten und Ahnentempel. Dieses ist, weil sie die Menschen
fürchtet.“
Die Ratte lebt nicht in grossen Räumen, sondern nur in Mauern
welche sie früher durchbrochen.
„Jetzt hast du, o Herr, gehört von der Empörung in Tsin und hast
dich hierauf erhoben.“
Ebenso handelt die Ratte, welche in der Nacht hervorkommt.
„Wenn es beruhigt sein wird, wirst du ihm dienen.“
160
Dr. Pfizmaier.
Ebenso handelt die Ratte, welche in der Nacht schläft.
„Wenn du keine Ratte hist, was bist du sonst?“
Tsang-wu-tschung erkennt, dass der Fürstvon Tsi in Folge seiner
Handlungsweise zuletzt geschlagen werden wird und will daher keine
Stadt von ihm erhalten. Indem er ihn mit einer Ratte vergleicht, will
er ihn beleidigen und ihn dadurch zur Zurücknahme seiner Schenkung
bewegen.
„Hierauf machte man rückgängig die Schenkung von Tien.“
„Tschung-ni sprach: Die Weisheit ist unmöglich.“
Tschung-ni (Confucius) war in diesem Jahre zwei Jahre alt, er
besprach diese Begebenheit in späterer Zeit. Der Sinn ist: Es ist
schwer, die Weisheit anzuwenden.
„Es gab die Weisheit Tsang-wu-tschung’s, und sie wurde nicht
besessen in dem Reiche Lu. “
Tsang-sün war weise genug, sich nicht in das Unglück des Reiches
Tsi hineinziehen zu lassen, in Lu jedoch kam seine Weisheit nicht
an den Tag.
„Dieses hatte auch seinen Grund. Er that Dinge gegen die
Ordnung und handelte nicht menschenfreundlich.“
Indem er den älteren Sohn der Familie Ki zurücksetzte, den
jüngeren aber einsetzte, handelte er gegen die Ordnung. Indem er
Anderen dasjenige that, was er selbst nicht wünschte, handelte er
nicht menschenfreundlich.
„In dem Buche der Hia heisst es: Bedenkst du dieses, so kommt
es an auf dieses.“
Dieses der Anfang der schon unter den Begebenheiten des ein
und zwanzigsten Jahres angeführten Stelle. Die Worte sind ebenfalls
auf eine von dem ursprünglichen Sinne derselben abweichende Weise
zu erklären: Bei dem Nachdenken über diese Angelegenheit kommt
es an auf diese eigene Person. Alles was man Anderen thut, muss
man sich nämlich so vorstellen, als ob es an uns selbst ausgeübt
werden sollte.
„Man beobachtet die Ordnung hei den Angelegenheiten und ist
menschenfreundlich in seinen Handlungen.“
Dieses die Erklärung des obigen Citates.
49, das Jahr des Cyklus (S49 vor Chr. Geb.). Vier
und zwanzigstes Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu.
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\xm*i
vmm
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
161
Scho-sün-piao bespricht das Wort: Sterben und nicht verderben.
„Scho -sün-piao reiste nach Tsin. Fan-siuen-tse zog ihm
entgegen.“
Im vorigen Jahre war Scho-sün-piao von Lu dem Reiche Tsin
mit einem Heere zu Hilfe gekommen, worauf Luan-ying, der
Urheber des Aufstandes, das Leben verlor. In diesem Jahre wurde
Scho-sün-piao als Gesandter nach Tsin geschickt, um diesem Reiche
die Glückwünsche des Fürsten von Lu wegen der glücklich unter
drückten Empörung darzubringen.
„Er stellte an ihn eine Frage wie folgt: Die Alten hatten ein
Sprichwort welches lautet: Sterben und nicht verderben. Wovon
lässt sich dieses sagen?“
„Mö-scho antwortete nicht gleich. Siuen-tse sprach: Zu meinen,
Kai’s Ahnherren aufwärts von den Yii gehört das Geschlecht Tao-
tliang.“
Fan-siuen-tse, d. i. Sse-kai nennt sich bei seinem Namen Kai.
Er rühmt sich, dass seine Ahnherren aufwärts von der Dynastie Yü,
d. i. noch vor dem Kaiser Schün gelebt. Tao-thang ist der Zuname
des Kaisers Yao, zu dessen Nachkommen Sse-kai gezählt wird.
„Unter den Hia ist es das Geschlecht Yü-Iung.“
J?|J Lieu-lui, der Nachkomme des Kaisers Yao, gründete
unter der Dynastie Hia das neue Geschlecht |jj| ß Yü-lung.
„Unter den Schang ist es das Geschlecht Schi-wei.“
Die Nachkommen Lieu-lui’s gründeten unter der Dynastie Schang
das Geschlecht Schi-wei. Diesen Namen führte unter der
nämlichen Dynastie ein Fürst, der den übrigen Reichsfürsten nach
Art der Gewaltherrscher Bedingungen vorschrieb.
„Unter den Tscheu ist es das Geschlecht Thang-tu.“
Thang und ^-| Tu sind die Namen zweier Reiche. König
Tsching vernichtete das erstere und versetzte das Volk desselben
nach Tu. Die Nachkommen Schi-wei’s gründeten unter der Dynastie
Tscheu das von diesen zwei Reichen den Namen führende Geschlecht
Thang-tu.
„Jetzt da Tsin der Herr des Vertrages in dem Reiche der Hia,
ist es das Geschlecht Fan. Von diesem lässt es sich sagen.“
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XVIII. Bd. I. Hft. H
162
Dr. Pfizmaier.
Sse-kai gehört zu den Nachkommen Thang-tu’s. Das Reich Tsin
schreibt den übrigen Staaten Bedingungen vor und Sse-kai, der jetzt
ein Mitglied der Familie Fan, führt in diesem Reiche die Regierung.
Auf ein Haus welches durch so viele Geschlechtsalter fortbesteht,
mag das obige Sprichwort angewendet werden.
„Mo-scho sprach: Nach demjenigen was ich Piao gehört habe,
nennt man dieses das Glück der Geschlechtsalter, nicht aber: nicht
verderben.“
„Lu hatte einen früheren Grossen des Reiches Namens Tsang-
wen-tschung. Nachdem er gestorben, blieben seine Worte aufrecht.
Von diesem lässt es sich sagen.“
„Ich Piao habe es gehört: Der Allerhöchste pflanzt die Tugend.
Der Zunächststehende pflanzt die Verdienste. Der diesem Zunächst
stehende pflanzt die Worte.“
Die Weisen hinterlassen je nach dem Grade ihrer Weisheit der
Nachwelt ihre Tugend, ihre Verdienste oder ihre Worte.
„Vergeht auch lange Zeit, sie gehen nicht zu Grunde. Von
diesem lässt sich sagen: nicht verderben.“
„Was betrifft das Bewahren der Familiennamen, das Empfangen
der Geschlechtsnamen, um Wache zu stehen bei den Thoren des
Ahnentempels und durch Geschlechtsalter nicht zu unterbrechen das
Opfer: es gibt kein Reich, welches dieses nicht hätte. Von demjenigen
was der Glücksgüter grösstes, lässt sich nicht sagen: nicht verderben.“
Tsc - tschan wendet sich an Fan-siucn - tse wegen Herabsetzung
des Tributs.
„Fan-siuen-tse führte die Regierung. Der Tribut der Reichs
fürsten wurde erhöht.“
Den Reichsfürsten welche an dem Hofe von Tsin erschienen,
wurde zugemuthet, die Menge der von ihnen dargebrachten Geschenke
zu vermehren.
„Tse-tschan schickteeinen Brief mit einer Meldung an Siuen-tse.“
Tse-tschan ist der Prinz von Tsching.
„Dieser lautete: Du führst die Regierung des Reiches Tsin. Die
Reichsfürsten in den Nachbarländern der vier Gegenden hören nichts
von der geschätzten Tugend, aber sie hören von der Erhöhung des
Tributs. Ich Kiao bin darüber betroffen.“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
163
Kiao ist Tse-tschan’s Name.
HpH
„Ich Kiao habe gehört: Der Weise der Dauer verschafft den
Reichen und Häusern, ist nicht bekümmert, weil es keine Güter gibt,
sondern ob des Unglücks, dass es keinen geschätzten Namen gibt.“
„Wenn die Güter der Reichsfürsten gesammelt werden in dem
Hause des Fürsten, so neigen sich die Reichsfürsten zum Abfall.
Wenn du, mein Sohn, dich hierauf verlassest, so neigt sich das Reich
Tsin zum Abfall.“
Wenn Sse-kai sich diese Güter seihst zu Nutzen machen wollte,
so würden die Bewohner des Reiches Tsin ihm abgeneigt werden.
„Neigen sich die Reichsfürsten zum Abfall, so geht das Reich
Tsin zu Grunde. Neigt sich das Reich Tsin zum Abfall, so geht dein
Haus zu Grunde. Wie könnte der Untergang wohl ausbleiben? Wozu
wirst du dann die Güter brauchen?“
„Der geschätzte Name ist der Tragesessel der Tugend. Die
Tugend ist das Fussgestell der Reiche und Häuser. Dass ein Fuss-
gestell sei, nicht der Einsturz, sollte man nach diesem nicht auch
streben?“
„Besitzt man die Tugend, so hat man auch die Freude. Hat man
die Freude, so ist man fähig zu der Dauer.“
Bei der Freude welche aus der Tugend entspringt, theilt der
Herrscher seine Freude mit dem Volke. In diesem Falle ist dem
Reiche lange Dauer zu versprechen.
„In einem Gedichte heisst es:
Sich freuen kann der Weise nur,
Das Fussgestell der Länder und der Häuser.“
„Er besitzt nämlich die geschätzte Tugend!“
„Der hohe Kaiser blickt auf dich herab,
Zum Abfall nie sich neigen diese Herzen.“
„Er besitzt nämlich den geschätzten Namen!“
Die zwei letzteren Verse beziehen sich auf den König Tsching.
„Denkt man menschenfreundlich, um zu erleuchten die Tugend,
so fasst der geschätzte Name sie gleich einem Wagen und zieht mit
ihr des Weges. Durch dieses kommen herbei die Fernen, und die
Nahen sind beruhigt.“
„Es ist immer besser, du bewirkst, dass die Menschen zu dir
sagen: Du lässest in der That uns leben. Sie aber sagen zu dir: Du
nimmst von uns, damit du lebest.“
ii
164
Dr. Pfizinaier.
„Der Elephant besitzt die Zähne, um zu verderben mit dem Leibe.
Sie gehören zu den Gütern.“
Der Elephant hat nichts verschuldet, aber man tödtet ihn, weil
seine Zähne ein kostbares Gut sind. Hier das Ende des Briefes.
„Siuen-tse billigte dieses. Er setzte den Tribut herab.“
-ff- SO, das Jahr des Cyklus (S48 vor Chr. Geb.). Fünf
und zwanzigstes Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu.
Ngnn-tse stirbt nicht bei dem Unglück des landesherrn.
„Thsui-wu-tse erblickte Thang-kiang und liebte sie.“
T Ä @ Thsui-wu-tse ist der erste Feldherr des Reiches
Tsi, sonst auch ^ Thsui-tschü und ^ ^ Thsui-tse ge
nannt. Thang-kiang ist die Gemahlinn ^ Thang-
kung’s, eines Grossen des Reiches Tsi. Als Thang-kung starb,
besorgte Thsui-tschü die Trauer und sah bei dieser Gelegenheit
Thang-kiang.
„Er vermählte sich mit ihr. Fürst Tschuang hatte mit ihr
Umgang. Thsui-tse tödtete ihn.“
Fürst Tschuang von Tsi, der mit Thang-kiang verbotenen Um
gang hatte, wurde von Thsui-tschü in dessen eigenem Hause getödtet.
„Ngan-tse stand ausserhalb des Thores der Familie Thsui.“
-f ^ Ngan-tse ist fl' T * Ngan-ping-tschung.
„Seine Leute sprachen: Wirst du sterben?“
In dem Augenblicke, als der Tod des Fürsten Tschuang bekannt
wurde, nahmen sich zehn Personen aus Schmerz das Leben. Die
Begleiter Ngan-tse’s fragten diesen, ob er sich ebenfalls das Leben
nehmen werde.
„Jener sprach: War es denn mein Landesherr allein, dass ich
sollte sterben?“
„Sie sprachen: Wirst du fliehen?“
„Jener sprach: Lag denn die Schuld an mir, dass ich sollte
fliehen ?“
„Sie sprachen: Wirst du dich anschliessen?“
„Jener sprach: Der Landesherr ist gestorben: wo sollte ich
mich anschliessen?“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
165
„Wer Landesherr ist für das Volk, wie wäre er dieses, um das
Volk zu überragen? Die Landesgötter brauchen einen Vorsteher.
Wer Minister ist für den Landesherrn, wie wäre er dieses wegen der
Früchte für seinen Mund? Die Landesgötter brauchen einen Ernährer. “
„Desswegen, wenn der Landesherr stirbt für die Landesgötter,
so sterben wir mit ihm. Geht er in die Verbannung für die Landes
götter, so gehen wir in die Verbannung mit ihm. Wenn er stirbt für
sich seihst oder in die Verbannung geht für sich selbst, wer dann,
ausser seinevertrautesten Diener, würde es wagen, für ihn zu dulden?“
„Auch hatten die Menschen einen Landesherrn und tödteten ihn.
Wie könnte ich für ihn wohl sterben? Oder wie könnte ich für ihn
in die Verbannung gehen? Wo sollte ich für die Dauer mich an-
schliessen ?“
„Das Thor öffnete sich, und er trat ein.“
Thsui-tse liess die Menschen jetzt in sein Haus, wo der Leichnam
des Fürsten lag, eintreten.
„Er nahm den Leichnam auf den Schooss und weinte. Hierauf
erhob er sich, sprang dreimal in die Höhe und ging hinaus.“
Yen-tse bezeugte durch alles dieses seine Trauer.
„Einige meinten, Thsui-tse müsse ihn tödten.“
„Thsui-tse sprach: Er ist die Hoffnung des Volkes. Wenn ich
ihn verschone, so gewinne ich das Volk.“
„Thsui-tschü erhob den Fürsten King und stand ihm zur Seite
als Minister. Khing-fung stand ihm als Minister zur linken Seite.“
Fürst ^jr King ist der Sohn des Fürsten Ling, der jüngere Bruder
des getödteten Fürsten Tschuang von Tsi. ^ij" Khing-fung war
Thsui-tschü’s Genosse.
„Sie schlossen einen Vertrag mit den Menschen des Reiches in
dem grossen Palaste.“
Die beiden Männer der Familien Thsui und Khing fürchteten die
Strafe für ihre Verbrechen. Sie verfassten daher eine Urkunde
welche sie von den vorzüglichsten Männern des Reiches in dem Almen-
tempel des grossen Fürsten von Tseheu beschwören Hessen.
„In diesem standen die Worte: Wenn wir nicht übereinstimmen
mit Thsui und Khing.“
„Yen-tse blickte zum Himmel, seufzte und sprach: Wenn ich
Ying nicht mit Denjenigen allein übereinstimme, welche treu sind
166
Dr. Pfizmaier.
ihrem Landesherrn und Nutzen bringen den Landesgöttern, so strafe
mich der hohe Kaiser.“
Ying ist Yen-tse’s Name. Als man bei dem Ablesen der
Urkunde zu der oben angeführten Stelle kam, schaltete Yen-tse münd
lich die hier angegebenen von dem Texte derselben abweichenden
Worte ein. Er gab dadurch zu verstehen, dass Thsui-tschü und
Khing-fung weder treu gegen ihren Landesherrn noch von Nutzen
für das Land gewesen und ruft den Himmelsgott zum Zeugen, dass
er ihnen nicht folgen werde.
„Hierauf kostete er das Blut.“
„Der grosse Geschichtsschreiber schrieb nieder: Thsui-schü
tödtet seinen Landesherrn.“
„Thsui-tse tödtete ihn.“
Weil der Hofgeschichtsschreiber die Wahrheit geschrieben, liess
ihn Thsui-tschü hinrichten.
„Seine zwei Brüder schrieben es nach einander und starben.“
Die jüngeren Brüder des Hofgeschichtsschreibers folgten diesem
einer nach dem andern in seinem Amte. Da sie das Nämliche nieder
schrieben, so wurden sie ebenfalls hingerichtet.
„Der jüngste Bruder schrieb es nochmals. Diesen verschonte er.“
Der jüngste Bruder des Hofgeschichtsschreibers, der diesem im
Amte folgte, schrieb das Nämliche nieder. Thsui-tse der nicht das
ganze Geschlecht ausrotten wollte, liess ihn jedoch am Leben.
„Der Geschichtsschreiber des Südens hörte, dass die grossen
Geschichtsschreiber insgesammt gestorben.“
Der Geschichtsschreiber des Südens ist einer der äusseren
Geschichtsschreiber, der sich im Süden des Beiches Tsi befand.
„Er ergriff die Geschichtstafel und begab sich auf den Weg.“
Er wollte sich in die Hauptstadt begehen, um das Geschehene
niederzuschreiben.
„Er hörte, dass es bereits geschrieben. Hierauf kehrte er
zurück.“
Der jüngste Bruder des grossen Geschichtsschreibers hatte, wie
eben gemeldet, das Ereigniss schon verzeichnet.
Tse-tschan überreicht Tsin die Itente aus Tschin.
„Tse-tschen und Tse-tschan von Tsching bekriegten Tschin.
Sie drangen in dessen Städte.“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
167
„Tse-tschan überreichte Tsin die Beute. Er wollte in Kriegs
kleidern die Aufwartung machen.“
„Die Menschen von Tsin fragten ihn, was Tschin verschuldet.“
„Jener antwortete: Einst war Yü-yen-fu der Tao-tsching von
Tscheu. Er unterwarf sich und diente unserem früheren Könige.“
! Yü-yen-fu war ein Nachkomme des Kaisers Schün
und bekleidete die zu seiner Zeit bestehende Stelle eines JE [ffi
Tao-tsching, Vorstehers der Regierung. Als solcher diente er dem
Könige Wu von Tscheu.
„Unser früherer König verliess sich auf dessen Scharfsinn. Er
gewährte ihm, weil er der Nachkomme des göttlichen Lichts.“
Das göttliche Licht heisst der Kaiser Schün.
„Er verwendete und vermählte mit seiner ältesten Tochter Tai-
ki den Fürsten von Hu. Er belehnte ihn mit Tschin und schuf hier
durch die drei Geehrten.“
yj|| Muan, der Sohn Yen-fu’s erhielt den posthumen Namen:
Fürst von itö Diesem gab König Wu seine Tochter ^
Tai-ki zur Gemahlinn. Die mit den Reichen Khi und Sung belehnten
Fürsten waren Nachkommen von Königen der Dynastien Hia und
Scliang, zu diesen kam jetzt noch der mit Tschin belehnte Fürst von
Hu als Nachkomme des Kaisers Schün von der Dynastie Yü. Dieselben
wurden mit dem Namen „die drei Geehrten“ bezeichnet, indem König
Wu dadurch die Nachkommen der alten weisen Könige auszeichnen
wollte.
„Sie sind also hervorgegangen aus unseren Tscheu. Bis zu der
gegenwärtigen Zeit waren sie die Träger.“
Die Fürsten von Tschin stammen von Tai-ki, der Tochter des
Königs Wu von Tscheu. Dieselben hatten bis auf die jüngste Zeit
die Tugend der Tscheu vertreten.
„Bei der Empörung zur Zeit des Fürsten Hoan wollten die
Menschen von Tsai erheben ihren Abkömmling.“
Im fünften Jahre des Fürsten Hoan von Lu erkrankte Hoan, Fürst
von Tschin, in Folge dessen in diesem Reiche Empörungen ausbrachen.
Der Prinz Yd war der Neffe des Fürsten von Tsai und wurde von
diesem zur Nachfolge in Tschin vorgeschlagen.
„Unser früherer Landesherr Fürst Tschuang empfahl U-fu und
setzte ihn ein. Die Menschen von Tsai tödteten ihn.“
168
Dr. Pfiz ra ai er.
U-fu ist der Prinz Tho von Tschin, genannt Fürst Li.
Derselbe tödtete den Thronfolger Mien, bestieg an dessen Stelle den
Thron und wurde von Tschuang, Fürsten von Tsching, beschützt.
Schon im sechsten Jahre des Fürsten Hoan von Lu jedoch verlor er
durch Tsai das Leben.
„Wir in Gemeinschaft mit den Menschen von Tsai empfahlen
dann wieder und trugen auf den Häuptern den Fürsten Li.“
Die Reiche Tsching und Tsai erhoben jetzt den Prinzen Yd,
ebenfalls genannt Fürst Li, auf den Thron von Tschin.
„Bis auf die Fürsten Tschuang und Siuen wurden sie alle von
uns erhoben.“
Fürst Tschuang von Tschin folgte auf den zweiten Fürsten Li
im zweiten Jahre des Fürsten Hoan von Lu. Fürst Siuen von Tschin
folgte dem Fürsten Tschuang im ersten Jahre des Fürsten Tschuang
von Lu. Die durch Tsching bewerkstelligten Einsetzungen beschränken
sich somit auf vier Fürsten von Tschin.
„Bei dem Aufruhr der Familie Hia gerieth Fürst Tsching in
Bestürzung.“
Im eilften Jahre des Fürsten Siuen von Lu tödtete Hia-tsching-
schü den Fürsten Ling von Tschin. Der Sohn des Getödteten, der
spätere Fürst Tsching floh nach Tsin.
„Wir brachten ihn auch wieder in sein Reich. Dieses ist bekannt
eurem Landesherrn.“
Fürst Tsching kehrte von Tsin mit Hilfe des Reiches Tsching
wieder nach Tschin zurück.
„Jetzt hat Tschin vergessen die grosse Tugend der Tscheu. Es
hält für nichts unsere grosse Wohlthat. Es setzt sich hinweg über
die Verschwägerung mit uns.“
„Es verlässt sich auf die Heere des Reiches Tsu und dringt mit
Gewalt gegen unsere niedrigen Städte. Es lässt sich nicht zurückhalten
von seinem Vorhaben.“
„Von unserer Seite erfolgte desshalb die Meldung des vergan
genen Jahres.“
Im vorigen Jahre hatte der Fürst von Tsching in Tsin um die
Erlaubniss gebeten, das Reich Tschin angreifen zu dürfen.
„Wir hatten noch nicht erhalten den Befehl, so erfolgte die
Waflenthat an unserm östlichen Thore.“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
169
Im vorigen Jahre hatte Tschin im Bündniss mit Tsu das östliche
Thor der Hauptstadt von Tsching angegriffen.
„Auf den Wegen welche Tschin gezogen, sind die Brunnen
verschüttet, die Bäume gefällt.“
„Die niedrigen Städte fürchteten sehr, dass sie nicht können
streiten, und sie schämten sich vor Tai-ki.“
Tsching fürchtete die Erschöpfung seiner Kräfte und schämte
sich vor dem Geiste Tai-ki's, derGemahlinn des Fürsten von Hu, welche
so wie die Fürsten von Tsching aus der Familie der Tsclieu.
„Der Himmel führte zurecht unser Inneres und eröffnete die
Herzen der niedrigen Städte.“
Der Himmel führte das Reich Tsching zum Siege.
„Tschin erkannte seine Schuld. Sie überlieferten uns ihre
Häupter.“
Der Fürst von Tschin umfasste den Altar in Trauerkleidern, hiess
seine Krieger sich seihst in Bande legen und erschien an dem Hofe
von Tsching.
„Desswegen wage ich es, darzubieten die Beute.“
„Die Menschen von Tsin sprachen: Warum drangt ihr in ein
kleines Reich?“
„Jener antwortete: Ein Befehl der früheren Könige lautet: Man
sehe nur darauf, wo die Schuld. Dann übe Jeder das Gesetz.“
Man verhänge ohne Rücksicht die gesetzliche Strafe. Da Tschin
schuldig war, so konnte es diesem zufolge gestraft werden.
„Auch betrug ehemals das Gebiet des Himmelssohnes einen
Umkreis. Die vordersten Reiche massen eine Gemeinschaft. Von da
an ging es abwärts.“
Nach den Vorschriften der Tsclieu hat das Gebiet des Himmels
sohnes einen Umfang von tausend Li. Ein Land von fünfhundert Li
im Umfange heisst eine Gemeinschaft, so genannt, weil angenommen
wird, dass die Bewohner desselben den Donner gemeinschaftlich
hören. Der Umfang eines grossen Reiches beträgt nämlich nach diesen
Vorschriften fünfhundert Li, der eines mittlern siebzig, der eines
kleinen Reiches fünfzig Li.
„Jetzt gibt es unter den grossen Reichen viele von mehreren
Umkreisen.“
Es gibt jetzt Reiche welche mehrere tausend Li im Umfange
haben, folglich weit grösser sind, als das Land des Himmelssohnes.
170
Dr. Pfizmaier.
„Wenn sie nicht dringen in die kleinen Reiche, wie wäre dieses
möglich?“
Dieses die Antwort auf die Frage: „Warum drangt ihr in ein
kleines Reich?“ und zugleich darauf berechnet, Tsin einen Vorwurf
zu machen.
„Die Menschen von Tsin sprachen: Warum erscheinst du in
Kriegskleidern?“
„Jener antwortete: Unsere früheren Landesherren W» und
Tschuang waren Reichsminister der Könige Ping und Hoan.“
„Zur Zeit der Waffenthat von Tsching-po erliess Fürst Wen
einen Refehl der lautete: Ein Jeder übe sein altes Amt.“
Im acht und zwanzigsten Jahre des Fürsten Hi von Lu gewann
Tsin gegen Tsu die Schlacht von Tsching-po, in welcher Tsching an
der Seite Tsin’s als Verbündeter kämpfte. Fürst Wen von Tsin erliess
einen Befehl an die Reichsfürsten, diejenigen Ämter welche sie oder
ihre Vorfahren an dem Hofe des Himmelssohnes bekleideten, wieder
auszuüben. Die Ursache war, weil um diese Zeit der Himmelssohn
persönlich bei der Zusammenkunft der Reichsfürsten in Tsien - tu
erscheinen sollte.
„Er hiess unsern Fürsten Wen in Kriegskleidern aufwarten
dem Könige und überreichen die Beute aus Tsu.“
Der damalige Fürst von Tsching erhielt ebenfalls den posthumen
Namen Wen.
„Ich wagte es nicht, ausser Acht zu lassen den Befehl des Königs.
Dieses ist die Ursache.“
„Sse-tschuang-pe konnte nicht weiter fragen. Er überliess es
Tschao-wen-tse.“
tfi m + Sse-tschuang-pe ist Sse-tschuang-tse, d. i.
Sse-jö.
„Wen-tse sprach: Seine Worte sind gefällig. Dem Gefälligen
etwas zu Leide thun, bringt kein Glück.“
„Hierauf empfing man die Beute.“
„Tschung-ni sprach: In den Denkwürdigkeiten ist es enthalten:
Durch die Worte ergänzt man die Gedanken. Durch den Schmuck
der Rede ergänzt man die Worte.“
Dieses und das Folgende äusserte in späteren Jahren Khung-tse
(Confucius) über die erzählte Begebenheit. Die Denkwürdigkeiten
sind eine alte Schrift der damaligen Zeit.
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
171
„Hätten wir keine Worte, wer wüsste dann unsere Gedanken?
Wenn die Worte ohne Schmuck, so mögen wir sie wohl anbringen,
aber wir kommen mit ihnen nicht weit.“
„Tsin übte die Oberherrschaft. Tsching drang in Tschin. Ohne
den Schmuck der Rede wäre dieses kein Verdienst gewesen. Man
richte sein Augenmerk auf die Rede!“
Wenn Tse-tschan nicht auf so glänzende Weise die Gabe der
Reredtsamkeit entfaltet hätte, so wäre Tsching wegen seines eigen
mächtigen Angriffes von Tsin gewiss gestraft worden.
Tse-tschan und Jen-ming besprechen die Regierung.
„Tsching-tsching von Tsin starb. Tse-tschan lernte jetzt erst
Jen-ming kennen.“
'S.
Tsching-tsching war von dem Fürsten Tao von Tsin
zum Führer der Streitwagen ernannt worden. Im vorigen Jahre hatte
Jen-ming dessen Tod vorhergesagt, was auch wirklich in
Erfüllung ging. Tse-tschan von Tsching erkannte jetzt erst Jen-ming’s
Weisheit. Übrigens ist die hier zu Grunde liegende Regebenheit in
diesem Werke Tso-schi’s und in den Erklärungen zu dem Texte des
Tschün-tsieu nicht enthalten.
„Er fragte ihn nach der Regierung. Jener antwortete: Man
betrachte das Volk als seine Söhne. Sieht man einen Unmenschlichen,
so strafe man ihn wie der Falke der die kleinen Vögel und Sperlinge
verfolgt.“
Zu diesen Worten wird bemerkt: Das Volk als seine Söhne
betrachten, ist ganz gewiss die Menschlichkeit. Indem man die Un
menschlichen straft, übt man ebenfalls die Menschlichkeit.
„Tse-tschan freute sich hierüber und sagte es Tse-tai-scho.“
-p- Tse-tai-scho ist •jt Yeu-ke.
„Er setzte noch hinzu: Vor diesem sah ich von Mie nur das
Gesicht. Jetzt sehe ich auch sein Herz.“
H I—
Mie ist Jen-ming’s Name.
„Tse-tai-scho fragte Tse-tschan nach der Regierung. Tse-tschan
sprach: Die Regierung gleicht den Verdiensten um den Ackerbau.
Man denkt an sie Tag und Nacht. Man denkt an ihren Anfang und
172
Dr. Pfizmaier.
führt sie zu einem glücklichen Ende. Man übt sie am Morgen und am
Abend. Bei der Ausübung geht man nicht weiter als man dachte,
gerade wie es hei dem Ackerbau Marken der Felder gibt. Der Fehl
tritte sind dann wenige.“
Unter den Begebenheiten dieses Jahres verdient noch die folgende
aus dem Tschün-tsieu nachgetragen zu werden:
„Zwölfter Monat. Ngd, Fürst von U greift Tsu an. Er zieht durch
das Thor in Tschao und stirbt.“
3 Ngd ist der Name des Fürsten Tschü-fan. Derselbe wollte
das ßeich Tsu angreifen und gelangte mit seinem Heere nach JpL
Tschao, einem kleinen Reiche zwischen Tsu und U. Als er im Begriffe
war, durch das Thor der Hauptstadt einzuziehen, schossen die Be
wohner von der Höhe der Stadtmauer mit Pfeilen und tödteten ihn.
Es wird bemerkt, dass der Fürst von U, der ohne Panzer ein
gezogen war, hierbei keine Verachtung gegen das kleine Reich Tschao
an den Tag gelegt hatte. Nach den Vorschriften der damaligen Zeit
musste nämlich Jeder der eine Grenze überschreiten wollte, um den
Durchzug bitten. Wer durch ein Thor ging, musste den Panzer ab-
Iegen. Wer durch ein fremdes Reich zog, durfte nicht schnell fahren.
Eben so wenig glaubt man, dass die Bewohner von Tschao nicht
zu fürchten gewesen wären. Als eine andere Vorschrift der damaligen
Zeit wird nämlich erwähnt, dass wenn die Machthaber eines grossen
Reiches durch eine kleine Stadt ziehen, diese die Stadtmauern
schmücken und fragen müsse, was sie verschuldet habe. Nichts von
diesem thaten die Bewohner von Tschao, sie wechselten, wie man sich
auszudrücken pflegt, mit den Ankömmlingen nur einen Pfeil.
ppf Ep 51, das Jahr des Cyklus (547 vor Chr. Geb.). Sechs
und zwanzigstes Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu.
Dieses Jahr ist das erste Regierungsjahr der Fürsten King von
Tsi und Yü-tsai von U. Letzterer war der jüngere Bruder
des Fürsten Tschü-fan.
Scliing-tse bittet um die 7/urückberufung U-khiü’s.
„U-khiü von Tsu und Scliing-tse von Tsai waren Freunde.“
fi U-khiü, ein Grosser des Reiches Tsu, -J- Scliing-
tse, ein Grosser des Reiches Tsai.
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc. 173
„U-khiü floh nach Tsching. Von dort wollte er weiter fliehen
nach Tsin.“
Die Ursache der Flucht wird gegen das Ende dieses Abschnittes
angegeben. An der Grenze des Reiches Tsching traf U-khiü mit
seinem Freunde Sching-tse zusammen, worauf die zunächst folgende
Stelle sich bezieht.
„Sching-tse sprach: Mögest du jetzt fortziehen. Ich bringe dich
gewiss zurück.“
„Als Schang-siu von Sung zwischen Tsin und Tsu Frieden
stiften wollte, reiste Sching-tse als Gesandter nach Tsin.“
fti Schang-siu von Sung bemühte sich um diese Zeit, ein
Bündniss zwischen den Reichen Tsin, Tsu und Sung und dadurch
einen allgemeinen Frieden zu Stande zu bringen. Das Reich Tsai
stand auf der Seite von Tsu, desshalb entsandte es Sching-tse zu den
Friedensunterhandlungen nach Tsin.
„Als er zurückkehrte, begab er sich nach Tsu. Der Regierungs
vorsteher Tse-mo fragte ihn wegen Tsin. “
* T Tse-mo ist V/ |l Jtjj Khie-kien, der in Tsu die Stelle
eines Ling-yin bekleidete.
„Erfragte ferner: Wer ist weiser, die Grossen des Reiches
Tsin oder diejenigen des Reiches Tsu?“
„Jener antwortete: Die Reichsminister von Tsin sind es weniger
als diejenigen von Tsu. Die Grossen seines Reiches jedoch sind weiser,
sie besitzen die Fähigkeiten von Reichsministern.“
„So wie kostbare Hölzer, Felle und Leder von Tsu eingeführt
werden, so ist Tsu zwar reich an Fähigkeiten, aber Tsin macht in
der Tliat von ihnen Gebrauch.“
Tsu bringt zwar fähige Männer hervor, diese fliehen aber nach
Tsin und werden daselbst verwendet.
„Tse-mo sprach: Hätten denn diese allein keine Geschlechter
in ihren Verbindungen?“
Es ist nicht anzunehmen, dass nur in Tsin durch die Familien-
verbindungen keine neuen Geschlechter entstehen, desswegen brauche
man daselbst nicht die Fähigkeiten der Bewohner von Tsu.
„Jener antwortete: Wenn sie sie auch haben, so sind der Fähig
keiten aus Tsu welche sie verwenden, doch viele.“
174
Dr. Pfizinaier.
„Ich Kuei-seng habe es gehört: Wer Reiche gut regiert, ist
nicht einseitig im Belohnen, nicht masslos im Bestrafen.“
„Sind die Belohnungen einseitig, so ist zu fürchten, dass sie zu
Theil werden den schlechten Menschen. Sind die Strafen masslos,
so ist zu fürchten, dass sie verhängt werden über die guten Menschen.“
„Ist man so unglücklich zu fehlen, so ist es besser einseitig
sein, als masslos. Ehe man verliert die Guten, bringe man lieber
Nutzen den Schlechten. Sind die guten Menschen verloren, so folgen
ihnen auch die Reiche.“
„In einem Gedichte heisst es :
Wenn diese Menschen nicht vorhanden,
Ist Tod und Krankheit in den Landen.“
„Dieses heisst: Keine guten Menschen.“
In dem Gedichte werden unter der Benennung „diese Menschen“
die guten Menschen verstanden. Wo solche Menschen zu Grunde
gehen, folgen ihnen die Reiche nach und verfallen dem Untergang.
„Desswegen heisst es in dem Buche der Hia: Ehe man straft
die Unschuldigen, lasse man lieber entkommen die Schuldigen.“
„In den Lobpreisungen der Schang ist es enthalten:
Einseitig nicht, auch masslos nicht,
Nicht lass sei er, er weil’ in Müsse nicht.
Dann den Befehl den nied’ren Reichen er verkündet,
Für sie den grossen Segen er begründet.“
Diese Verse beziehen sich auf den König Thang.
„Durch dieses erlangte Thang den Segen des Himmels.“
„Diejenigen welche im Alterthume das Volk regierten, waren
frohen Muthes beim Belohnen, aber sie fürchteten sich zu strafen.
Sie waren bekümmert um das Volk ohne Unterlass.“
„Sie belohnten im Frühling und im Sommer. Sie straften im
Herbst und im Winter.“
Sie richteten sich hierbei nach den Jahreszeiten welche einer
seits von Entstehen und Wachsthum, andererseits von Verkümmern
und Absterben begleitet sind.
„Desswegen, wenn sie belohnen sollten, so Hessen sie aus diesem
Anlasse noch eine Schüssel auftragen. Wenn sie noch eine Schüssel
auftragen Hessen, so beschenkten sie reichlich mit Speisen. Hieraus
lässt sich erkennen, dass sie frohen Muthes waren heim Belohnen.“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
175
„Wenn sie strafen sollten, so Hessen sie aus diesem Anlasse
keine Gerichte auftragen. Wenn sie keine Gerichte auftragen Hessen,
so entfernten sie die Musik. Hieraus lässt sich erkennen, dass sie sich
fürchteten zu strafen.“
„Sie standen am frühen Morgen auf und gingen in später Nacht
schlafen. Sie befassten sich mit der Regierung am Morgen und am
Abend. Hieraus lässt sich erkennen, dass sie bekümmert waren um
das Volk.“
„Diese drei Dinge sind die grossen Gliederungen der Gebräuche.
Hat man die Gebräuche, so gibt es kein Fehlschlagen.“
Die drei Dinge sind: mit frohem Muthe belohnen, sich fürchten
zu strafen, um das Volk bekümmert sein.
„Jetzt ist Tsu oft ausschweifend im Bestrafen. Die Grossen
seines Reiches entfliehen dem Tode nach allen vier Weltgegenden und
sind die Seele der Berathungen, wo es gilt, dem Reiche Tsu zu
schaden.“
„Hier ist keine Rettung, keine Heilung. Dieses meinte ich, dass
ihr nicht könnet.“
Tsu versteht es nicht, wie früher gesagt worden, die fähigen
Männer seines Landes zu verwenden.
„Als Tse-I sich empörte, floh der Fürst von Sf nach Tsin.“
Bei der Thronbesteigung des Königs Tschuang von Tsu im vier
zehnten Jahre des Königs Wen von Lu empörten sich ii f TseJ
und der Prinz Sf. Tse-I wurde getödtet, dessen Genosse der
„Die Menschen von Tsin stellten ihn unter die Nachhut ihrer
Streitwagen. Er war der Vorsitzende im Rathe.“
„Bei der Waffenthat von Jao-kio wollte das Heer von Tsin ent
weichen.“
Im sechsten Jahre des Fürsten Tsching von Lu kam Luan-schu
von Tsin dem Reiche Tsching zu Hilfe und traf auf dem Gebiete ^
Jao-kio mit dem Heere von Tsu zusammen.
„Der Fürst von Sf sprach: Das Heer von Tsu ist schwächlich,
es lässt sich leicht erschüttern. Wenn viele Trommeln vereint tönen
und wir in der Nacht anrücken, so wird das Heer von Tsu entweichen.“
176
Di*. Pf i z m ai e r.
„Die Menschen von Tsin befolgten dieses. Das Heer von Tsu
zerstob in der Nacht.“
„Tsin drang hierauf in Tsai. Es machte einen Streifzug nach
Schin. Sie fingen dessen Landesherrn.“
SJt Schin, der Name eines Reiches. Dieses und das Reich Tsai
standen auf der Seite von Tsu. Der Fürst von Schin Namens
Thsi wurde bei diesem Einfall gefangen.
„Sie schlugen das ausgeruhte Heer in Sang-sui. Sie fingen
Schin-li und kehrten zurück.“
Zwei Prinzen von Tsu Namens Schin und )jfc Tsching
kamen dem Reiche Tsai mit einem neuen ausgeruhten Heere zu Hilfe.
Dieselben stellten sich auf dem Gebiete |)^ 2^-2 Sang-sui dem Heere
von Tsin entgegen. Später im achten Jahre des Fürsten Tsching von
Lu drang Luan-schu von Tsin in das Reich Tsu und nahm
Schin-li gefangen.
„Tsching wagte es hierauf nicht, das Gesicht zu kehren nach
Süden.“
Tsching war eingeschüchtert und getraute sich nicht, sich dem
Reiche Tsu das im Süden lag, anzuschliessen.
„Tsu verlor das blumige Reich der Ilia. Dieses war das Werk
des Fürsten von Sf.“
„Der Vater und der ältere Bruder Yung-tse’s verleumdeten
Yung-tse. Euer Landesherr und die Grossen des Reiches waren in
dieser Sache nicht bewandert. Yung-tse floh nach Tsin.“
Von -jp Yung-tse und dessen Angehörigen wird angegeben,
dass über dieselben nirgend etwas zu finden, und man nicht wisse,
wer sie gewesen. Es sei daher auch unbekannt, in welchem Jahre
Yung-tse sich nach Tsin geflüchtet.
„Die Menschen von Tsin beschenkten ihn mit Hu. Er war der
Vorsitzende im Rathe.“
Hu, eine Stadt des Reiches Tsin.
„Zur Zeit der Waffenthat von Peng-tsching trafen Tsin und Tsu
auf einander in dem Thale von Mi-kio.“
Mi-kio, ein Gebiet des Reiches Sung.
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
177
Im achtzehnten Jahre des Fürsten Tsching von Lu griff der
König von Tsu in Verbindung mit dem Fürsten von Tsching das Reich
Sung an. Er brachte ^ Yti-schf, einen Grossen des Reiches
Sung nach ^ Peng-tsching, einer Stadt in Sung, welche dieser
verloren hatte, zurück und legte in dieselbe eine Besatzung von drei
hundert Streitwagen. Tsin kam indessen dem Reiche Sung zu Hilfe.
„Das Heer von Tsin wollte entweichen. Yung-tse erliess einen
Befehl in dem Heere, welcher lautete: Man lasse heimkehren die
Alten und Schwächlichen. Man schicke zurück die Verwaisten und
die Kranken. Wo zwei Menschen dienen, lasse man einen von ihnen
heimkehren.“
Unter zwei Menschen sind zwei Personen aus einem und dem
selben Hause gemeint, welche bei dem Heere dienen.
„Man wähle die Waffen und untersuche die Wagen. Man gebe
den Pferden Gerste und füttere auf der Streu.“
Wenn ein Heer am frühesten Morgen aufbrechen soll, werden
die Pferde noch auf der Streu, wo sie die Nacht zubringen, gefüttert.
„Das Heer stelle sich in Ordnung und verbrenne die Lagerhütten.
Am morgenden Tage werden wir kämpfen.“
Wenn ein Heer die Lagerhütten verbrennt, so zeigt es dadurch,
dass es sich dem Tode weihen will.
„Man brachte die zur Heimkehr Bestimmten auf den Weg und
entliess die Gefangenen von Tsu.“
„Das Heer von Tsu zerstreute sich in der Nacht.“
Die Erzählungen der zurückgekehrten Gefangenen verbreiteten
einen solchen Schrecken, dass das Heer von Tsu noch in der Nacht
die Flucht ergriff.
„Tsin brachte Peng-tsching zur Unterwerfung und gab es zurück
an Sung. Sie kehrten heim mit Yü-schf.“
Yü-schf und dessen vier Genossen welche im fünfzehnten Jahre
des Fürsten Tsching von Lu nach Tsu geflohen waren, wurden jetzt
in eine Stadt des Reiches Tsin versetzt.
„Tsu verlor seine Rangstufe im Osten. Tse-sin fand hierdurch
den Tod. Dieses war das Werk Yung-tse’s.“
Als die kleinen Reiche im Osten von Tsu sahen, dass dieses Reich
die Stadt Peng-tsching nicht retten konnte, fielen sie von ihm ab.
Dasselbe tliat im fünften Jahre des Fürsten Siang von Lu das Reich
Sitzb. (1. phil.-hist. CI. XVIII. Bd. 1. Hft. 12
178
Dr. Pfizmaier.
Tscliin.
Die Schuld davon wälzte man auf den Regierungsvorsteher
Tse-sin, der auch aus diesem Grunde getödtet wurde.
„Tse-fan eiferte mit Tse-ling wegen Ilia-ki und verdarb dessen
Angelegenheiten für immer.“
Tse-fan stand der Verbindung Tse-ling’s mit Hia-lci bleibend im
Wege. Die hierauf bezügliche Begebenheit ist in dem zweiten Jahre
des Fürsten Tsching von Lu enthalten.
„Tse-ling floh nach Tsin. Die Menschen von Tsin beschenkten
ihn mit Hing.“
^|] Hing, eine Stadt des Reiches Tsin.
„Er wurde der Vorsitzende im Rathe. Er leistete Widerstand
den nördlichen Barbaren. Er brachte U in den Verkehr mit Tsin.“
Das Reich U, ein Lehen vierter Classe, war noch vor den Zeiten
der Dynastie Tscheu von Tai-pe, dem Oheim des Königs Wen, dessen
schon in dem ersten Regierungsjahre des Fürsten Min von Lu ge
dacht wurde, unter den südlichen Barbaren gegründet worden.
Tschung-yung der seinem Bruder Tai-pe folgte, nahm barbarische
Sitten an, und er so wie seine Nachfolger verkehrten nicht mehr mit
dem mittlern Reiche. Im siebenten Jahre des Fürsten Tsching von Lu
erwirkte Tse-ling von dem Fürsten von Tsin die Erlaubniss, sich als
Gesandter nach U begeben zu dürfen.
„Er lehrte U abfallen von Tsu. Er lehrte es Streitwagen be
spannen, mit Pfeilen schiessen, die Wagen lenken, in Eile dahinjagen
und Einfälle machen.“
Indem er diesem barbarischen Reiche die Kriegskunst des Mittel
reiches lehrte, wollte er dem Reiche Tsu einen gefährlichen Gegner
schaffen.
„Er Hess seinen Sohn Ku-yung werden den Mann des Verkehrs
in U.“
Tse-ling Hess seinen Sohn
Ku-yung in U als Geissei
zurück. Dieser erhielt daselbst die Stelle eines Hang-jin, d. i.
eines Angestellten für den Verkehr mit den fremden Gesandten.
„U bekriegte hierauf Tschao.“
Tschao, ein kleines von Tsu abhängiges Reich.
„Es eroberte Kia. Es überwältigte Ki. Es drang in Tschheu-lai.“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
179
^ Kia, ^jbjl Ki und ^ Tschheu-lai sind Städte des
Reiches Tsu.
„Tsu wurde aufgerieben, während man sich durch die Flucht
entzog seinen Befehlen. Bis auf den heutigen Tag ist es noch sein
Kummer.“
Es wird angegeben, dass Tse-fan und Tse-tschung von Tsu sich
in Einem Jahre sieben Mal dem Befehle durch die Flucht entzogen.
„Dieses war das Werk Tse-ling’s.“
„Als Jo-ngao sich empörte, floh Pe-fen’s Sohn Fen-hoang nach
Tsin.“
Im vierten Jahre des Fürsten Siuen von Lu empörte sich Yue-
tsiao mit einer Seitenlinie der Familie Jo-ngao. Pen-fenist
Yiie-tsiao, dessen Sohn ^ Fen-hoang.
„Die Menschen von Tsin beschenkten ihn mit Miao.“
Miao, eine Stadt des Reiches Tsin.
„Er wurde der Vorsitzende in dem Ratbe. Zur Zeit der Waffen-
that von Yen-ling überraschte Tsu am frühen Morgen das Heer von
Tsin und stellte sich in Schlachtordnung. Das Heer von Tsin wollte
entweichen.“
Die Schlacht von Yen-ling fällt in das sechzehnte Jahr des
Fürsten Tsching von Lu.
„Miao-fen-hoang sprach: Die besten Krieger von Tsu befinden
sich in dessen mittlerem Heere. Sie stehen allein bei den Geschlechtern
des Königs.“
Miao-fen-hoang heisst Fen-hoang jetzt von der ihm geschenkten
Stadt pjj Miao.
„Wenn wir die Brunnen verschütten, die Herde abtragen, dann
die Schlachtordnung bilden ihnen gegenüber, wenn hierauf Luan und
Fan ihre Reihen verdünnen, damit sie sie verlocken, so werden die
beiden Khie von Tschung-hang gewiss überwältigen die beiden Md.“
Das Heer von Tsin möge sich dem mittlern Heere von Tsu gegen
über aufstellen, nachdem es alle Hindernisse des Bodens zwischen
diesem und sich selbst beseitigt. Wenn hierauf die Feldherren Luan-
schu und Fan-si von Tsin einen Theil ihrer Krieger aus den Reihen
zurückziehen, so wird das mittlere Heer von Tsu hitzig vorrücken,
ohne mehr auf das linke und rechte Heer Rücksicht zu nehmen. Die
12
180
Dr. Pi'izmaier.
beiden Khie heissenKhie-Iund Khie-tschi aus dem GeschlechteTschung-
Mo heissen Tse-tschung und Tse-sin, welche
hang. Die beiden
von dem Könige Md von Tsu abstammten. Tse-tschung befehligte um
diese Zeit das linke, Tse-sin das rechte Heer von Tsu.
„Wir drängen hierauf von vier Seiten die Geschlechter des
Königs und schlagen sie gewiss vollständig.“
„Die Menschen von Tsin befolgten dieses. Das Heer von Tsu
wurde vollständig geschlagen. Der König wurde verwundet, das Heer
erlosch gleich einem Feuer.“
4-A-
Ä jSj Liii-I traf mit einem Pfeile das Auge des Königs von Tsu.
„Tse-fan fand hierdurch den Tod.“
Tse-fan tödtete sich selbst.
„Tsching fiel ab, dem Reiche U kam es zu Gute.“
Das Reich U wurde von dieser Zeit an immer mächtiger.
„Tsu verlor die Fürsten des Reiches. Dieses war das Werk Miao-
fen-hoang’s.“
Als Fürst Tao von Tsin zur Regierung gelangte, schlossen sich
die Reichsfürsten an Tsin. Hier endet die Rede Sching-tse’s.
„Tse-mo sprach: Alles dieses ist wahr.“
„Sching-tse sprach: Es gibt aber noch etwas Ärgeres als dieses.
Tsiao-khiü vermählte sich mit der Tochter Tse-meu's, Fürsten von
Schin. “
Tsiao-khiü ist U-khiü. ^ -J- Tse - meu ist der
Statthalter von j^] Schin, das früher ein selbstständiges Reich ge
wesen. Den Statthaltern wurde in Tsu der Fürstentitel beigelegt.
„Tse-meu war eines Vergebens schuldig und ging in die Ver
bannung.“
„Euer Landesherr und die Grossen des Reiches sprachen zu
Tsiao-khiü: Du hast ihn in der That hinweggeschickt.“
„Jener fürchtete sich und floh nach Tsching. Er streckt den Hals
aus und blickt nach Süden.“
Er hofft, nach Tsu zurückkehren zu können.
„Er sagt: Man wird mir wohl verzeihen. — Dieses habt ihr
wieder nicht im Sinne.“
„Jetzt ist er in Tsin. Die Menschen von Tsin wollen ihn be
schenken mit einem Districte. Sie vergleichen ihn mit Scho-hiang.“
Man vergleicht die Fähigkeiten U-khiü’s mit denen 1%
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
181
Scho-hiang’s, d. i. Yang-sche-he’s, eines Grossen des
Reiches Tsin.
„Wenn dieser es sich vornehmen sollte, dem Reiche Tsu zu
schaden, wie wäre er nicht für euch ein Gegenstand der Sorge?“
„Tse-mo fürchtete sich und sagte es dem Könige.“
„Man vermehrte seinen (U-khiu’s) Ehrengehalt und herief ihn
zurück.“
52, das Jahr des Cyklus (546 vor Chr. Geh.). Sieben
und zwanzigstes Regierungsjahr des Fürsten Siang von Lu.
Die Menschen von Tsn tragen unter den Kleidern Panzer.
„Schang-siu von Sung war der Freund Tschao-wen-tse’s. Er
war ferner der Freund des Regierungsvorstehers Tse-mo.“
j^ |pj Schang-siu ist pfjj Tso-sse von Sung. Tschao-
wen-tse ist Tschao-wu von Tsin. Tse-mö ist Khie-kien, der Ling-
yin des Reiches Tsu.
„Er wollte ruhen lassen die Waffen der Reichsfürsten und sich
hierdurch einen Namen erwerben.“
Da Schang-siu die Regierungsvorsteher der beiden nach Ober
herrschaft strebenden Reiche zu Freunden hatte, so konnte er hoffen,
durch deren Einfluss einen allgemeinen Frieden zu Stande zu bringen.
„Er reiste nach Tsin und meldete es Tschao-meng.“
i M Tschao-meng ist Tschao-wu, d. i. Tschao-ineng-tse.
„Tschao-meng berieth sich mit den Grossen des Reiches.“
„Han-siuen-tse sprach: Die Waffen sind das Unglück des Volkes.
Sie sind die Holzwürmer der Güter, die grossen Wetterschäden der
kleinen Reiche.“
Ejjjp Han-siuen-tse ist Han-khi, der zweite Anführer
des ersten Heeres von Tsin.
„Man wird sie vielleicht ruhen lassen. Sollte es auch heissen,
dass es nicht möglich, so müssen wir doch darauf eingehen. Gehen
wir nicht darauf ein, so wird Tsu darauf eingehen und es verkünden
den Fürsten des Reiches. Wir haben dann aufgehört zu sein die Herren
des Vertrages.“
„Die Menschen von Tsin willigten ein. Jener reiste nach Tsu.“
Schang-siu machte jetzt dieselben Vorschläge in Tsu.
182
Dr. Pfizmaier.
„Auch Tsu willigte ein. Man meldete es den kleinen Reichen.“
„Schang-siu schickte Abgesandte an die von Tsin und Tsu ab
hängigen Reiche.
„Es erfolgte eine Zusammenkunft in Sung. Man erbaute ein
Lager aus Gehägen.“
Die Abgesandten der Reiche Tsin, Tsu, Lu, Tsai, Wei, Tschin,
Tsching, Hiü und Tsao hatten eine Zusammenkunft vor den Thoren
der Hauptstadt von Sung.
Man umgab das Lager nicht mit Erdwällen, sondern baute nur
ein grosses Geliäge aus Rrennholz und Rambusrohr. Da man die Ab
sicht hatte, einen allgemeinen Frieden zu schliessen, so gab man
hierdurch zu verstehen, dass man einander nicht misstraue.
„Tsin und Tsu standen jedes an einer Seite.“
Die Abgesandten von Tsin standen an der nördlichen Seite des
Gehäges, die Abgesandten von Tsu an dessen südlicher Seite.
„Pe-su sprach zu Tschao-meng: Das Wetter in Tsu ist sehr
schlecht. Ich fürchte ein Unglück.“
Effi Pe-su, ein Grosser des Reiches Tsin. Er glaubt, dass
die Leute von Tsu die Gelegenheit zu einem Angriff benützen werden.
„Tschao-meng sprach: Wir gehen herum zur Linken und treten
ein in Sung. Was können sie uns dann anhaben?“
„Man wollte den Vertrag schliessen vor dem östlichen Thore
von Sung. Die Menschen von Tsu trugen unter den Kleidern Panzer.“
„Pe-tschheu-li sprach: Die Menge der Reichsfürsten versammeln
und dabei treulos handeln, dieses darf nicht anders als unterbleiben.“
^j'l Pe-tschheu-li ist der Sohn Pe-thsung’s von
Tsin. Derselbe war in die Verbannung gegangen und befand sich in
Tsu.
„Die Fürsten des Reiches hoffen von Tsu die Treue. Desswegen
kamen sie, sich zu unterwerfen. Ist man jetzt treulos, so verwirft man
Dasjenige wodurch man zur Unterwerfung brachte die Fürsten des
Reiches. Ich bitte ernstlich, den Panzer abzulegen.“
„Tse-mö sprach: Tsin und Tsu sind ohne Treue schon seit
langer Zeit. Sie suchen ihren Vortheil, sonst nichts. Wenn wir jetzt
nur unsere Absicht erreichen, wozu brauchen wir die Treue zu
besitzen?“
„Der grosse Haushofmeister zog sich zurück.“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
183
Diese Stelle bekleidete Pe-tscblieu-li an dem Hofe von Tsu.
„Er sagte zu den Menschen : Der Regierungsvorsteher wird bald
sterben. Er erreicht nicht drei Jahre mehr. Er sucht seine Absicht
durchzusetzen und verwirft die Treue. Wird er aber seine Absicht
auch durchsetzen können?“
„Durch die Absicht bringt man hervor die Worte. Durch die
Worte bringt man hervor die Treue. Durch die Treue bringt man zur
Geltung die Absicht. Diese drei Dinge geben uns Bestand.“
„Die Treue ist verloren: Wie könnte er gelangen zu dem dritten?“
Die Treue ist das dritte derjenigen Dinge welche dem Menschen
Bestand geben. Da Tse-mo sie verloren, so wird er das dritte Jahr
nicht mehr erreichen. Ebenso wenig wird er seine Absicht durchsetzen
können, was dem Obigen zufolge nur durch die Treue möglich wird.
Übrigens starb Tse-mo wirklich schon im folgenden Jahre.
„Tschao-meng war besorgt, weil die Menschen von Tsu unter
den Kleidern Panzer trugen. Er meldete es Scho-hiang.“
„Scho-hiang sprach: Was sollte dieses schaden? Wenn der ge
wöhnliche Mensch ein einziges Mal zuwider der Treue handelt, so
richtet er noch weniger etwas aus. Er stürzt kopfüber in seinen Tod.“
„Wenn man versammelt die Reichsminister der Fürsten des
Reiches, um zuwider zu handeln der Treue, so trägt man gewiss keine
Beute davon.“
„Die ihr Wort brechen, sind nicht bekümmert. Du brauchst
desswegen nicht zu sorgen.“
„Wer in Angelegenheiten der Treue beruft die Menschen und
den Abschluss macht durch die Falschheit, zu diesem wird Keiner
sich gesellen. Wie könnten sie uns wohl Schaden bringen?“
Tse-lian vergisst nicht die Furchtbarkeit der Waffen.
„Tso-sse von Sung bat um eine Belohnung.“
Tso-sse ist Schang-siu. Da er den Vertrag zwischen Tsin und
Tsu und in Folge dessen einen allgemeinen Frieden zu Stande ge
bracht, hegehrt er von dem Fürsten von Sung eine Belohnung.
„Er sprach: Ich bitte um eine Stadt, wo ich entkomme dem
Tode.“
Sso-sse begehrt zwar im Grunde eine übermässige Belohnung,
aus Bescheidenheit spricht er jedoch, als ob er eines Verbrechens
schuldig wäre.
184
Dr. Pfizmaier.
„Der Fürst schenkte ihm Städte sechzig.“
„Jener zeigte es Tse-han.“
Tse-han ist Lo-hi, der Vorsteher der Stadtmauern, in dessen
Bereich die inneren Angelegenheiten gehörten. Tso-sse zeigte diesem
die von dem Fürsten über diese Belohnung ausgestellte Urkunde.
„Tse-han sprach: Die Reichsfürsten im Besitze kleiner Reiche,
wenn durch Tsin und Tsu sie von Scheu erfüllt sind vor der Furcht
barkeit der Waffen, dann erst sind in ihnen Höhere und Niedere wohl
wollend und einträchtig. Wenn diese wohlwollend und einträchtig, dann
erst sind sie im Stande zu beruhigen das Volk und zu dienen dem
grossen Reiche. Durch dieses sind sie noch vorhanden.“
Diesem zufolge hätten die kleinen Reiche dadurch den Fort
bestand, dass es für sie eine Furchtbarkeit der Waffen gibt.
„Sehen sie nicht die Furchtbarkeit, so sind sie übermüthig. Sind
sie übermüthig, so entstehen Unordnungen. Entstehen Unordnungen,
so folgt nothwendigdieVernichtung. Durch dieses gehen sie zu Grunde.“
Diesem zufolge gingen die kleinen Reiche dadurch zu Grunde,
dass es für sie keine Furchtbarkeit der Waffen gibt.
„Der Himmel lässt entstehen die fünf Grundstoffe. Das Volk
macht in Gesammtheit von ihnen Gebrauch. Einen einzigen von
ihnen abschaffen, ist nicht möglich. Wer könnte wohl entfernen die
Waffen?“
Die fünf Grundstoffe sind Metall, Holz, Wasser, Feuer und Erde.
Die Waffen gehören zu dem ersten dieser Grundstoffe, nämlich dem
Metall und können daher nicht abgeschafft werden.
„Die Waffen sind eingeführt seit langer Zeit. Durch sie schreckt
man die Gesetzlosen und stellt in das Licht die prangende Tugend.“
„Die höchstweisen Männer kamen durch sie empor, die laster
haften Männer wurden durch sie gestürzt.“
„Stürzen und Emporkommen, Fortbestand und Untergang, Fin
sterniss und Aufklärung, alles dieses hat seinen Grund in den Waffen.“
„Du aber trachtest sie zu entfernen: bist du nicht auch ein
Lügner?“
Da es nicht möglich ist, die Waffen zu entfernen, Tso-sse aber
dieses zu thun sich anheischig gemacht hat, so ist er im Grunde ein
Lügner.
„Mit Lügen hintergehen die Fürsten des Reiches: keine Schuld
ist grösser als diese.“
Notizen aus der Geschichte der chinesischen Reiche etc.
185
„Man hat Nachsicht mit dir und verhängt über dich keine grosse
Strafe. Du aber begehrst noch eine Belohnung: diese Unersättlichkeit
ist zu arg.“
„Er zerschnitt die Urkunde und warf sie von sich.“
Tse-fan zerschnitt die Zeichen der Urkunde mit dem Messer,
dessen man sich damals zum Schreiben bediente.
„Tso-sse verweigerte die Annahme der Städte.“
„Die Familie Schang wollte den Vorsteher der Stadtmauern
angreifen.“
Die Familie [pj Schang sind die Genossen Schang-siu’s. Weil
dieser sich jetzt schämte die Belohnung anzunehmen, trachteten sie
Tse-fan nach dem Leben.
„Tso-sse sprach: Ich war im Begriffe zu verderben, dieser Mann
gab mir den Fortbestand: keine Tugend ist grösser als diese. Sollte
man ihn auch noch angreifen dürfen?“
Tso-sse meint: Da er sich nur Verdienste um den Untergang
erworben, so wäre ihm, falls er die Belohnung angenommen hätte,
ebenfalls der Untergang zu Theil geworden. Indem ihn Tse-han über
die Ursache des Fortbestandes aufgeklärt und die Urkunde zerschnitten
habe, sei ihm das Leben erhalten worden.
„Die Weisen sprachen:
Der Mann allhier mit dem Verstände
Ist Meister der Geradheit in dem Lande.“
„Dieses lässt sich sagen von Lö-hi.“
„Was sollte dir um mich die Sorge frommen?
Es ward von mir schon angenommen.“
„Dieses lässt sich sagen von Schang-siu.“
Die ersteren zwei Verse sind aus den Volksliedern des Reiches
Tsching, die letzteren zwei sind unbekannten Ursprungs. Der Sinn
des zweiten Citates ist: Man habe nicht mehr nöthig, Schang-siu zu
ermahnen, da er die Worte Tse-han’s bereits angenommen.
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften.
187
VEßZEICMÜSS
DER
EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(NOVEMBER.)
Akademie, Leopold. - Carolin, der Naturforscher. Verhandlungen.
Rd. 25, Suppl. zu Rd. 24.
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Nr. 11.
Archives des missions scientifiques et litteraires etc. Vol. IV,
Nr. 4, 5, 6, 7.
Cimento, il nuovo. Tom. II, Settembre.
Cosmos. Vol. VII, Nr. 19, 20, 21.
Lotos. 1855, Nr. 1—11.
Martini, Carlo, Scritti di storia e d’Archeologia ordinati da Tom.
Gar, con un discorso intorno alla vita ed alle opere delf autore.
Trento 1855; 8»-
Mayr, Gust., Formicina austriaca. Wien 1855; 8°-
Nachrichten, astronomische. Nr. 994—996.
iß f; i ti i p S, ©eorge, 93ermtfite @d)riften. 3Bten 1856, 2 S3be.; 8°-
Schrö d er, Joh. Henr., Ad Rullarium Romano-Sveogothicum a Magno
von Celse et Porthan editum accessio nova. Upsala 1854; 4°-
äßicfenpaufer, SWor., Siebe, äßeitt unb mattiertet; pevftfdje Sieber nadj
SDfiami’S £ert junt erften SOial beutjcfj gegeben. Seipjig 1855; 8°'
93 ere t n jur SSeförberttng beä ©artenbaueä in ben f. preufj. Staaten.
SGette SRei^e. 3at;rg. I nnb II, £eft 1—6. ^Berlin 1853—55; 8 0-
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
PHIL OS OP 1IIS CII-II IS TO RISCIIE CLASSE.
XVIII. BAND. II. HEFT.
JAHRGANG 1855. — DECEMBER.
191
SITZUNG VOM 5. DECEMBER 1855.
Gelesen:
Kleine Beiträge zur älteren deutschen Sprache und Literatur.
Von dem w. M. Jos. Dlerner.
(Fortsetzung-. Vgl. Sitzungsberichte B. XI.)
XIV.
Iber Heinrich’» Gedicht vom „Allgemeinen Leben und der Erinnerung
an den Tod“.
Auf dem Gebiete der deutschen Literatur-Geschichte gibt es
noch gar manche Stellen welche einer eingehenden Untersuchung
bedürfen. Dahin gehört vorzüglich die Übergangszeit aus dem Alt
hochdeutschen in das Mittelhochdeutsche von etwa 1060 bis 1170.
Ich habe es in der Einleitung zu meiner Ausgabe der „Deutschen
Gedichte des 11. und 12. Jahrhunderts“ versucht darüber Einiges
beizubringen. Ich habe mich dort und anderwärts 1 ) bemüht darzu-
thun, wie ein grosser Tlieil dieser Dichtungen, von deren Dasein
man früher kaum eine Ahnung hatte, in unseren Gegenden entstehen
konnte und inshesonders auf ein Verhältniss der Verfasser einigerder-
selben hingewiesen, nämlich auf die Klausnerinn Ava und ihre beiden
Söhne Heinrich und Hartmann, das eben so rührend und schön
als einzig in seiner Art in der ältern Literatur-Geschichte dasteht.
Meine Ansicht die nur mehr auf den inneren Gründen, welche
aus den Dichtungen selbst hervorgingen, beruhte, fand jedoch von
ausgezeichneten Literatur - Historikern denen man vor Allen auf
diesem Gebiete ein entscheidendes Urtheil zutraut, nicht die gehoffte
Zustimmung und ihr Ausspruch war für alle andern mehr oder minder
massgebend. Ich musste hiebei nur bedauern dass meine Vermuthung
13 *
192
Jo seph Üiemer.
nirgend eine eingehende Besprechung erfuhr, sondern nur durch
kurze Andeutungen oder auch durch unerwiesenes Gerede in Zwei
fel gezogen wurde. Ich sah mich daher genöthigt, die Einwendungen
die man allenfalls mit Grund gegen sie erheben konnte, grossentheils
selbst aufzusuchen, um sie womöglich zu beseitigen. Nur W.Grimm
untersuchte meine Ansicht nach dem Massftabe der mehr oder minder
gleichartigen Reime gründlicher und meinte, indem er seineBedenken
dagegen aussprach zugleich, dass es „vielleicht meinen weiteren For
schungen gelingen dürfte, sie auf anderem Wege zu erweisen“ 2 ).
Ich habe desshalb die möglichen Einwürfe nochmals geprüft und
glaube versichern zu dürfen mit Ruhe und voller Unbefangenheit, da es
bei einer so schwierigen Frage nicht zur Unehre gereichen kann, geirrt
zu haben. Nichts desto weniger fühlte ich mich bestimmt, ferne von
jeder Rechthaberei, bei meiner ersten Ansicht, obgleich mit einigen
nicht unwichtigen Änderungen, zu verharren. Ich will nun im Ver
laufe dieser und ein paar anderer Untersuchungen dasjenige was mir
damals theils entgangen ist, theils von minderer Bedeutung schien,
nachtragen. Vielleicht ist es geeignet jene Bedenken gegen meine
aufgestellte Vermuthung, wenn nicht ganz zu entfernen, so doch
bedeutend zu beschwichtigen.
Als Einleitung hiezu ist es nicht unwesentlich dass wir das Alter
des Gedichtes vom „Gemeinen Leben“ und der „Erinnerung an den Tod“
genau feststellen. Da diese Dichtung Heinrich’s, Avie die Folge
zeigen wird, auch in anderer Beziehung zu den wichtigsten und ausge
zeichnetsten des 12. Jahrhunderts gehört, so glaube ich nicht nur dem
Literar - Historiker sondern auch dem deutschen Geschichtsforscher
über jene Zeit einen Dienst zu erweisen, wenn ich sie bei dieser
Gelegenheit unter Einem ihrem vollen Inhalte nach, was ich zu obi
gem Zwecke ohnehin theilweise hätte thun müssen, hier etwas
ausführlicher als es bisher geschehen, ausziehe und untersuche.
Fast zwanzig Jahre sind verflossen, seit Massmann das Gedicht
Heinrich’s vom „Gemeinen Leben“ und der „Erinnerung an den
Tod“ nach der einzigen davon vorhandenen Handschrift der hiesigen
Hof-Bibliothek Nr. 3176 aus dem Ende des 13. Jahrhunderts zuerst
vollständig herausgab s ). In allen besseren Literatur-Geschichten ward
es seither mehr oder minder ausführlich besprochen, fast in allen
Lesebüchern im Auszuge mitgetheilt und dennoch glaube ich sagen
zu dürfen von Wenigen seinem ganzen Umfange nach gehörig
Kleine Beiträge.
193
verstanden. Aber auch ich bin weit entfernt behaupten zu wollen
dass es mir gelungen sei, den Sinn desselben in allen seinen Theilen
richtig erfasst zu haben. Die Ursache liegt darin dass es uns wahr
scheinlich nicht in seiner ursprünglichen Form sondern erst durch
eine zweite Hand entstellt und an manchen Orten selbst noch in dem
Abdrucke fehlerhaft vorliegt, tlieils auch dass es sich gewisser-
massen unter einem ganz eigenthümlichen Banne befand welcher
dem richtigen Verständnisse oft hindernd im Wege war. Wenn ich
es ungeachtet dieser oft nicht geringen Schwierigkeiten dennoch
wage den Sinn und Inhalt dieser Dichtung zu erörtern, so geschieht
es nur desshalb weil sich mir bei meiner Beschäftigung mit diesen
Poesien nach oftmals wiederholter Lesung unwillkürlich ein neuer
Gesichtspunet zu dessen Erklärung immer wieder aufdrängte welcher,
meiner Ansicht nach, ein völlig neues Licht über dasselbe verbreitet
und seinen Werth ungemein erhöht. Ob dieser auch der richtige ist,
mögen unparteiische Forscher entscheiden.
Ehe wir in eine Erörterung des Gedichtes eingehen, wollen wir
einige Bemerkungen über den Verfasser, seine Heimat und die Zeit in
welcher er lebte, vorausschicken. Der erstere nennt sich am Schlüsse
des Gedichtes V. 1032 seihst Heinrich und beruft sich wie bekannt
hei dieser Gelegenheit auf einen Aht „erchennen frid“, d. i.
Erchenfried. Dass er nicht dem geistlichen sondern dem Laienstande
angehörte, geht aus der ganzen Dichtung und besonders aus der Stelle
V. 223 „Dar ufhab wir leeien ein arcliwan“ unzweifelhaft hervor.
Auch wird allgemein zugestanden dass er ein Österreicher gewesen
sei, was aus seiner Sprache und den gebrauchten Beimen vollkommen
gerechtfertigt erscheint. Z. B. ai und sei = ei in Iseitet v. 1; beschai-
denlichen v. 6; vraeise v.7; gemmine: saeine v. 9, 10, u. v. a.; ou =
u und uo; z. B. choum v. 18; troutliet 612; sous: hous 949, 930; u
für e im Part, praes. z. ß. stinchunde hol v. 673; swanzunde v. 213;
a für o in muzzige wart: hohvart 608, 609; pl. warte (verba): harte
881, 882; ferner die Reime: zergen: gesten 49, 30; rät: hat 83;
liet: niet 447; schiet: nicht 759; niht: versieht 399; nicht: enwiht
425; vergiht: liecht 547; suon : tuon 697, 744, 775; suon: reich-
tum 749; zu: fru 523 u. dgl.
Auch finden wir in Österreich und zwar im Stifte Melk von
1122—1163 einen Aht Erchenfried 4 ) und einen zweiten dieses
Namens der um 1090—1120 5 ) in Göttweig unter dem Prälaten
194
Joseph Diemer.
Hartmann (-J- 1114) lebte. Aus Gründen die ich später anführen
werde, wird sich zeigen dass der Dichter wahrscheinlich nur diesen
letztem bezeichnen wollte und damals, als er dieses Gedicht verfasste,
es noch nicht für nöthig hielt, genauer anzugehen, welchen Abt Erchen
fried er meine, weil es in seiner Nähe in dieser Zeit nur diesen Einen
gab. Oh diese meine Ansicht der allgemein vorherrschenden welche
diese Dichtung in die Mitte des 12. Jahrhunderts 6 ) oder gegen das
Jahr 1163 7 ) setzt, vorzuziehen sei, dürfte sich im Verlaufe dieser
Untersuchung zeigen.
Doch prüfen wir den Inhalt dieses Gedichtes selbst, indem er uns
über die Zeit seiner Abfassung am ehesten Aufschluss gewähren und
zugleich dessen Werth am besten darstellen wird. Ich halte mich
hierin, so weit es mit dem Geiste der heutigen Sprache vereinbar ist,
so viel als möglich an die Worte des Verfassers und glaube, da das
Gedicht in seinem Zusammenhänge nichts weniger als leicht zu ver
stehen ist, dadurch den Dank derjenigen zu verdienen welche sich
bisher mit altdeutschen Studien nicht näher befassen konnten.
Der Verfasser beginnt: „Der Glaube zu dem er sich bekenne,
veranlasse ihn, eine Rede von der Erinnerung an den Tod zu halten,
um weltlich gesinnten Menschen die Noth und die Leiden welche
ihnen nach dem Tode der uns allen täglich bevorstehe drohen, deut
lich aus einander zu setzen. „Omnes declinauerunt“ sagt der Prophet,
d. h. Alle sind von Gott abgewichen, denn von tausend sündhaften Men
schen dürfte wohl kaum Einer rein und vollkommen befunden werden.“
„0 weh!“ ruft der Verfasser aus, „welche Unzahl unchristlicher Sünden
müssen wir alle Tag erfahren und doch hören wir niemals dass auch
nur Einer zurückgezogen in einer Zelle seine Sünden beweine oder
anderwärts abhüsse, wie die fromme Maria welche nach Christus
Himmelfahrt in einer schauerlichen Wüste wohnte und Zeit und Ort,
allen Menschen unbewusst, verherrlichte 8 ), die sie nach unserem
Herrn den sie nicht mehr schauen konnte, auch nimmer sehen wollte.“
Nach dieser allgemeinen Klage über die Sündhaftigkeit der Welt
geht der Verfasser die verschiedenen Stände durch und zeigt uns die
Missbräuche welche aller Orten herrschen. Zuerst kommt die Geist
lichkeit an die Reihe und da ruft er aus: „0 weh der armen Geistlichkeit
welche die Laien zum Himmelreiche geleiten sollte, wie weit wird
sie bei dem jüngsten Gerichte zurück stehen, so dass sich an jenem
Tage jeder Priester vor dem Angesichte des Herrn verbergen möchte.“
Kleine Beiträge.
195
Sollten sie alles befolgen was ihnen durch die Schrift befohlen
ward, die ihnen einen christlichen Wandel gebietet, so würde kaum
Einer selig werden. Die christliche Ordnung ist völlig zu Grunde
gegangen 9 ): Einige haben den Namen ohne das Amt und Wenige
kümmern sich um das Heil der armen Seele. Diejenigen welchen die
höchsten Ehren unter der Geistlichkeit übertragen, denen Ring und Stab
und das auszeiclinende Gewand gegeben wurde, wesshalb sie Bischöfe
heissen, haben das Recht entzwei gebrochen und geben Pfarre, Prop
stei und Pfründe die ihnen nicht zum Verkaufe angehören, doch nur
dem der sie durch Geld erwerben kann. Ihre Jünger haben das
Beispiel das ihnen ihre Lehrer gegeben, wohl erkannt und bieten
Beicht und Begräbniss, Messe und Psalmen allenthalben zum Kaufe
aus. Chrysam und Taufe und was sie sonst verrichten sollen,
ertbeilen sie nicht umsonst, sondern nur dem der den Preis dafür
entrichten kann 10 ). 0 web, Jüngster Tag! welchen Lohn wirst du
ihnen bringen! Keiner darf erwarten, dass ihm Vergebung zu
Theil werde. Was er auch in der Sünde verharrend Gutes tliun mag,
wird von Gott verabscheut und sein Gebet kein Gehör finden, da es
nicht zu Gottes Ohren dringt. Sein Andenken fällt der Vergessenheit
anheim. Den Priestern ward die Gewalt der heiligen Apostel verliehen,
mit dem Worte Gottes das sie predigen, die Sünder zu binden und
zu lösen, sie aber gebrauchen selbe mit offenbarer Willkür. Wer ihnen
etwas geben kann, darf tliun was er will und ist nicht im Stande so
viel Böses zu verüben das nicht die Pfennige wieder sühnen könnten.
Während sie einerseits die Mücken seichen, verschlingen sie die
Elephanten. Doch Gottes Gericht wird einst über sie ergehen. Wie
hoch wird ihnen dann der irdische Reichthum und die unselige Frei
heit, dass sie ohne Zwang leben, zu stehen kommen! Und jetzt wollen
sie es alle ohne Ausnahme als Recht geltend machen, dass Keiner von
ihnen sich von den Frauen zu scheiden brauche. Wahrhaftig, sie
sollen sich von ihnen als von ihren Untergebenen, damit ich ein Bei
spiel vorführe, auf die Weise wie der Hirt von der Herde, der
Lehrer von dem Schüler, so sollen sie sich von ihnen trennen; allein
sie wollen sich der Leichtfertigkeit hingeben. Wesshalb ward ihnen
die Oberherrschaft verliehen?— Unzucht 1J ) und Heiligkeit, Unkeusch
heit und Reinigkeit sind nicht wohl vereint. Wenn des Priesters Hand
den Leib des Herrn aufwandelt, soll sie sich dann nicht enthalten eine
Frau zu berühren? Wahrlich, hierin sind alle [die das Gegentheil
196
Joseph Diemer.
glauben] im Irrthum. Unser Glaube lehrt dass sich, wenn der Priester
am Altäre stellt, unter dem Geheimnisse sogleich alle Himmel
öffnen und dass seine Worte da durchdringen. Unser Herr sendet
hiezu aus allen Engelscharen seine Diener, das Opfer wird ihm
genehm und vertilgt alle die Missethaten welche die Christenheit
beging, wenn sie dies mit wahrer Zuversicht erwartet. Doch ihr fragt,
welcher Reinigkeit dann derjenige bedürfe der das Opfer darbringt?
Dagegen rufen und sagen wir: es wird Gott allerdings missfallen,
wenn wir die Messe hören bei denen die wir nicht so leben sehen,
wie sie von rechtswegen sollen, und wir müssen ihnen desshalb zür
nen, nichts desto weniger wird jedoch da, wo das Gottes Wort und
die geweihte Hand am Tische des Herrn vereint wirken, der Leib des
Herrn in der Messe von einem Sünder eben so gewiss verwandelt,
als von dem heiligsten Manne der Priesters Namen je erhielt.
Ich will es aussprechen wovon ich überzeugt bin, diejenigen
welche ihr christliches Amt noch mit anderen Gelübden belastet
haben, kommen, so sehr sie auch in den Wissenschaften unterrichtet
seien und von der Welt zurückgezogen leben, wenn die heilige
Schrift nicht lügt, in die grösste Noth. Sie sollen dieser Welt abster
ben, das Fleisch abtödten, dass es mit jedem Tage schwächer werde,
und die Seele so ansehen wie eine Magd ihre wahre Gebieterinn“.
Auf diese Weise fährt der Verfasser noch weiter fort die Pflichten
der Geistlichkeit zu schildern, wohin wir ihm jedoch nicht folgen wollen,
und schliesst mit den Worten: „Gerne haben wir von dem geredet was
die Weltpriester und die Mönche in grossen Zorn versetzen wird.
Sie sollen vorn und rückwärts voll Augen sein, dass sie allenthalben
die Feinde, woher sie sich immer ihren Anbefohlenen nahen, sehen
können. Sind sie auf beiden Seiten blind, so werden beide mit ewiger
Blindheit geschlagen, das wird uns durch die Worte der Wahrheit
deutlich verkündet: „Wenn ein Blinder den andern führt, fallen beide
in die Grube“. Diese Rede verstehen Alle: die Grube ist die Hölle,
und fragt man nach den Blinden, es sind dies die schlechten Lehrer
welche die bösen Zuhörer mit sich in das ewige Verderben führen“.
Der Verfasser geht nun auf das Lehen der Laien über, worauf
wir später zurückkommen werden. Nur die folgende Stelle ist für die
Sittengeschichte zu wichtig als dass wir sie hier übergehen könnten :
„DasLebenderRitterundFrauen, das wir euch darstellen wollen,
ist Gott widerwärtig. Sie kehren alle ihre Kunst dahin, wie sie neuer
Kleine Beiträge.
197
Mode huldigen können. Dies ist der Fallstrick der Holfahrt welche den
Teufel aus dem Himmelreiche vertrieb .... Sie herrscht am meisten
bei dem weiblichen Geschlechte. Wir sehen auf der Gasse und in
der Kirche gar Manche die um den Taglohn arbeitet und nicht mehr
als diesen zu erwerben im Stande ist, wie sie eher keinen frohen Tag
erlebt, bis sie nicht ihr Kleid so lang machen kann, dass der Schlepp,
der Falten Naehwurf, da wo sie einhergeht, den Staub aufwirft, als
wenn das Reich bei ihrem hoffährtigen Gange besser führe. Mit frem
der Farbe an der Wange und mit goldgelbem Kopfschmuck wollen
selbst die Bäuerinnen sich überall den Töchtern des reichen Mannes
gleichstellen. . . . Was die Eine beginnt, darnach sind die Andern
ausser sich vor Begierde es auch zu haben. Vom Rechte ist unter
Armen und Reichen wenig geblieben, was Gott füglich missfallen
muss. Von den Frauen wollen wir nicht weiter reden, doch dürfen
wir die Ritter nicht übergehen. — Wo sich die Ritterschaft ver
sammelt, da erhebt sich ihre Wechselrede davon, wie Viele der
oder jener heb.... habe. Ihre Laster können sie nicht verschweigen,
ihren Ruhm suchen sie nur hei den Weibern; wer sich den nicht
verschaffen kann, hält sich für einen Schwächling unter den Seinen.
Wenn von der Tapferkeit geredet wird, wissen sie selten etwas zu
sagen, welche Stärke der aufwenden muss der wider den Teufel
kämpfen will. Sie wissen nur von einer Menge Unthaten zu erzählen
und offenbaren nur ihre Schande, wenn sie sagen, den muss man für
einen tüchtigen Knecht halten der recht Viele erschlagen hat 12 ). 0 weh
unseren nächsten Nachkommen! wie muss unter ihnen Achtung vor
Gott und Christentlium zu Grunde-geben. Der reiche Mann nur ist
edel und schön, geschickt und überall beliebt, allenthalben verachtet
ist der Arme. Die geistlichen Richter könnte man eher Reichsherren
(richsnawe) als Reichslehrer heissen. Sind sie im Stande viele
Heerschilde, Helme und Brünne aufzubringen, mit grossem Gefolge
einher zu reiten und weithin durch die Lande ihre Dienstmannen
aufzubieten, so ist dies ihre grösste Wonne“ 13 ).
Nach dieser Schilderung des Zustandes seiner Zeit geht der
Verfasser zum zweiten Theil seiner Dichtung, zur Erinnerung an den
Tod über. Er sagt da : „Nun gedenke Mensel), deines Todes, nach
den Worten Jobes der da spricht: Kurz sind meine Tage, mein Leben
neigt sich zum Grabe, oder wie er anderswo erinnert: Gedenke
deines Schöpfers in der Jugend, ehe dich die Zeit erfasst, dass dir
198
Joseph Diemer.
dein Unheil naht und dein Staul) wieder zur Erde wird; diesem
kommen die Worte gleich: Mein Lehen ist wie Wind oder wie das
Wasser das schnell dahin rauscht, oder wie der Prophet sagt: Mein
Leben gleicht dem Grase das gestern grün war und heute verdorrt ist,
und damit auf den weisen Mann deutet der stets den Tod vor Augen
hat. So ermahnt uns auch Salomon indem er sagt: „Mein Sohn ver
giss dein letztes Ende nicht, so wirst du immer ohne Sünde leben.“
„Armer Mensch, schwache Erde, ihr beide müsst wieder vereinigt
werden, indem du zuerst daher stammest, ehe dich deine Mutter mit
Schmerz und Wehklagen zu grossem Leid gebar. Mit der ganzen
Welt hast du nichts gemein als die Haut und das Gebein und ohne
Kleid wirst du geboren, warum strebst du also so eifrig nach schlech
tem Gewinne? Wollte dich auch Gottes Rathschluss der Welt ent
fremden, 'so gab er dir doch zu einem Hemde, auf dass du deine
Scham bedeckest. Auf dieser Erde übernachtest du nimmer, du musst
sterben und erbleichen. Sowie du dein Heercszeichen (deine Fahne)
mit Weinen eingeläutet und damit angedeutet hast, dass du zur
Armuth geboren, musst du auch, wenn deine letzte Stunde naht,
vielmals wehrufen, denn es ist recht dass der mit Wehklagen wieder
vergehe, der mit Wehklagen geboren ward, wie dies der erste Laut
des Kindes durch sein Weinen bei der Geburt schon bezeugt.“
Nach diesen Betrachtungen geht der Verfasser zur Schilderung
des Lebens selbst über: dass es von der Wiege bis zur Bahre nur
eine Reihe von Kummer, Sorge und Notli sei, und führt uns zum Be
lege dessen die Laufbahn eines Menschen vor von dom Jedermann
glaubt, dass er dem Glücke im Schoosse ruht, nämlich den Sohn
eines Königs, worauf wir später zurückkommen werden. — „Doch
wir wollen“, heisst es weiter, „die mannigfachen Leiden die den
Armen wie den Reichen gleichmässig befallen, nicht verschweigen.
Der Eine hat das Fieber oder die Gicht, der Andere verliert das
Gehör oder das Augenlicht, dem Einen wird ein Bein abgenommen,
der Andere liegt verkrüppelt, dass er wedergehen noch stehen kann,
ein Dritter verliert Geschmack und Geruch, ein Vierter die Sprache,
Keiner vermag sich vor diesen Gebrechen die einen Jeden befallen
können, zu schützen. Wie reich und edel er auch sei, er kann sich vor
ihnen nicht bewahren. Doch nehmen wir an dass Einer sein Ende
ohne alle Leiden erreiche, was sehr selten geschieht, nun, was be
darf es da viel Redens? Sobald die arme Seele den Leib verlässt, so
‘ Kleine Beitrüge.
199
sieh, mein lieber Mensch, wie er da liegt, und hätte er drei Reiche
beherrscht, er wird mit der Erde vereint ganz auf dieselbe Art wie
der Dürftige. Auch sehen wir Manche mit schönen Seidenstoffen auf
der Bahre liegen, viele Lichter werden angezündet, Weihrauch und
Myrrhen verbrannt und beschlossen, die Begrähniss hinauszuschieben
und, wenn sich alle seine Freunde versammelt haben, ist es ihre
grösste Sorge, ihn auf das prachtvollste zu bestatten. 0 weh der un
seligen Pracht, wenn die Macht der Hölle die arme Seele mit Gewalt
verschlingt! Was frommt es, wohin auch das armselige Gebein be
graben wird? sie theilt mit der aller Heiligen gleiche Trennung und
weh, wenn hierauf für sie ewige Nacht eintritt! Doch setzen wir, die
Begrähniss werde auf zwei, drei Tage oder auch noch länger hinaus
geschoben, so bleibt es doch stets eine armselige Hinfahrt 14 ), denn
nichts von Allem was geboren ward, wird so widerlich und der Welt
unangenehm. Geh' nun hin schönes Weib und schau an deinen
geliebten Mann, sieh’ genau wie sein Antlitz gefärbt, wie seine
Scheitel gerichtet, wie sein Haar geschlichtet ist. Schau recht ernst
lich, ob er noch etwas von jener Laune besitzt mit welcher er einst
öffentlich und geheim auf dich sein Auge spielen liess. Sieh' hin, wo
sind die eitlen Worte mit denen er der Frauen Schönheit pries und
besang? Sieh’ wie ist die Zunge in seinem Munde erstarrt mit der
er einst so fröhlich Minnelieder singen konnte, sie kann nun nichts,
weder Worte noch irgend einen Laut hervorbringen. Sieh 1 nun, wo
ist das Kinn mit dem jungen Barthaare? Sieh' wie recht schwach und
elend liegen Arme und Hände da mit denen er dich einst innig lie
bend umschloss! Wie sehen die Fiisse aus mit.denen er nach Hofessitte
mit den Frauen einherging? Das musst du alles recht genau betrachten.
Er dem du einst die Seide in dem Hemde überall erweitern musstest,
ist dir nun ganz fremd geworden.“ Der Verfasser malt den Zustand des
Leichnams noch weiter aus, was wir hier übergehen wollen.
Kehren wir nun zur Frage zurück, in welche Zeit eigentlich
dieses Sittengemälde gehören kann. Sie ist, wie man zugeben wird,
nicht nur für die deutsche Literaturgeschichte sondern auch für die
Geschichte Österreichs von nicht geringem Belange und um so mehr
zu beachten, als wir in den Urkunden und Zeitbüchern jener Periode
solch frischen Schilderungen des inneren Lebens unserer Vorfahren
so selten oder gar nicht begegnen. Wie ich schon oben bemerkt
habe, glaube ich mich gegen die Ansicht aussprechen zu dürfen, welche
dasselbe gegen das Jahr 1163 setzt. Ich will nun die Sache vom histo
rischen Standpuncte aus etwas genauer untersuchen, muss jedoch die
Nachsicht der Männer des Faches in Anspruch nehmen, wenn ich viel
leicht Manches übersehen, oder nicht nach ihren Ansichten aufgefasst
und dargestellt habe. Es würde mich nur freuen, wenn ein Sachkun
diger diese Andeutungen als Grundlage für weitere Forschungen be
nützen und das was mir aus Mangel an Zeit zum Nachsuchen allen
falls entgangen ist, bezeichnen wollte.
Wir haben oben die ernstlichen Rügen über die in vielfacher Be
ziehung tadelswerlhen Sitten der Geistlichkeit vernommen und dürfen
voraussetzen, dass der Verfasser hierin besonders jene Österreichs,
seines unbestrittenen Vaterlandes, im Auge batte. Diese Klagen können
sich aber meiner Ansicht nach nur auf den Anfang des 12. Jahrhunderts
beziehen in welchem die üblen Folgen des grossen Kampfes zwischen
Heinrich IV. und V. und den Päpsten erst recht ins Leben traten. Die
rechtmässigen Bischöfe von Passau und Salzburg die für strengere
Kirchenzuclit hätten wachen sollen, konnten trotz ihres Eifers nicht
überall nachhaltig genug einwirken, denn sie waren meistens gezwun
gen, sich vor den bewaffneten Scharen der Gegenpartei von ihren
Bischofssitzen zu flüchten, und andere denen das Streben sich durch
die Macht des Schwertes in den ihnen übertragenen Bisthümern fest
zu setzen und zu erhalten, höher stand als die Sorge für die ihnen
anvertrauten Gläubigen und Priester, traten an ihre Stelle. Es ist da
natürlich dass diese weniger streng gegen die ihnen ergebene Geist
lichkeit sein durften, weil sie sonst ihren Abfall zur päpstlichen Partei
fürchten mussten. Zum Glücke konnten aber diese trostlosen Zustände
bei uns nicht wie in Deutschland tiefere Wurzel fassen. Der gute Same
den Bischof Altmann von Passau und Erzbischof Gebhard von Salzburg
in unseren Landen ausgestreut batten, konnte während der kurzen
Dauer des Krieges bei uns nicht gänzlich erstickt oder ausgerottet
werden. An die Stelle dieser Kirchenfürsten traten noch überdies in
Passau Ulrich, in Salzburg Thiemo und später Konrad, Männer die
nicht minder eifrig in ihrem Berufe als ihre Vorgänger fortfuhren, so
weit es die Umstände zuliessen, zur Verbesserung der Kirchenzucht
und zur Hebung des Klerus zu wirken. Sie fanden auch, was um so
erfreulicher war, in den damaligen Herrschern von Österreich und
Steiermark, in dem fromm gesinnten Leopold III. (1096—1136) und
in Ottokar VI. (f 1122) eine feste und bleibende Stütze,
Kleine Beiträge.
201
Beide Parteien, die weltlicher gesinnte nämlich und die streng
kirchliche, standen sich demnach mächtig und schroff gegenüber.
Diese suchte den vielfältigen Missbrauchen welche in der Kirche
durch die geübte Willkür der beiden Heinriche in der Verleihung
geistlicher Ämter und Würden herbeigeführt wurden, kräftig ent
gegen zu wirken. Das Übel hatte eben den höchsten Grad erreicht
und alle guten und frömmeren Bischöfe und Priester vereinigten sich,
um durch ihr gemeinsames Streben die Reinheit der Sitten der
Geistlichkeit nach dem Vorbilde der ersten Kirche theils durch die
strengere Befolgung der kanonischen Gesetze, theils durch das ver
besserte Leben in den Klöstern und durch die Ehelosigkeit der Geist
lichen wieder herzustellen. Einen neuen Anstoss erhielt aber dieses
Streben noch durch die Kreuzzüge, so dass auch die Laien mit in
den Kampf für eine strengere Sittenzucht der Geistlichkeit hinein
gezogen wurden. Theils in den Anfang, theils mitten in diesen Kampf
fallen die meisten Gedichte des 11. und 12. Jahrhunderts, was aus
ihrem Geiste und Inhalte deutlich hervorgeht. Daher diese bis in das
entgegengesetzte Ende gehende kirchlich-fromme Richtung, ihr
durchaus heiliger Stoff, von dem Tode, dem Antichrist und jüngsten
Gerichte, daher die vielfach wiederkehrenden Klagen über die „Spot-
tsere und Nidcere“, wenn man eine gute heilsame Lehre vorbringe 15 ),
über diejenigen die da in der Taubheit und Blindheit des Gemüthes
verharren und für die Harfenklänge der Lehre des Heiles ihre Ohren
verstopfen 1G ), daher die Hoffnungslosigkeit trotz aller angewandten
Vorstellungen dem Guten Eingangzu verschaffen, welche sich in dem
Schmerze und der Trauer, dasä die Sölme so vieler Mütter in die Hölle
fahren müssten, deutlich ausspricht ”). Offenbar in diese Zeit fallt
auch unser Gedicht und zwar nicht in das Ende dieses Umschwungs,
sondern eher in den eigentlichen Anfang. Die Worte (Vers 141 ff.)
„nu wellent die pliaffen über al
in daz haben ze einem relite gar
daz sich under der pliaffen schar
sul der weihe iemen änen“
zeigen dies hinlänglich. Der Verfasser staunt wie man sieht als über
etwas Neues und Unerhörtes dass es die Geistlichen nun wagen
sich gegen das Gebot der Ehelosigkeit aufzulehnen. Er steht somit
wohl im Anfänge desselben, denn später nach dem Wormser
202 Joseph Di ein er.
Concordate 1122 oder zur Zeit Lothar’s, Konrad’s, oder Friedrich I.
wäre eine solche Äusserung nicht mehr zeitgemäss ja kaum möglich
gewesen. Durch die Strenge Papst Urban’s II. (1088—1099) der
rücksichtlich des Cölibates der Geistlichkeit ganz in die Fussftapfen
Gregor’s trat und durch die Erzbischöfe von Salzburg, besonders
durch Konrad, und die Bischöfe von Passau, Altmann und Ulrich, war
die Ehelosigkeit der Priester wenigstens im Allgemeinen bei uns
schon völlig durchgeführt und der Widerstand gegen dieselbe längst
aufgegeben. Wir können dies aus fast gleichzeitigen Nachrichten
entnehmen, denn der Verfasser des altern Theiles der Vita Altmanni
welcher um 1130 — 40 geschrieben sein dürfte, sagt von derPassauer
Diöcese§. 17, in welchem er die Verdienste Altmann’s um die Kirchen
zucht aufzuzählen beginnt, ausdrücklich: „dass nun durch seine Be
mühungen beinahe alle Kirchen in dem Bisthume aus Steinen erbaut,
mit Büchern, Gemälden und anderm Schmucke geziert, und was die
Hauptsache sei, mit keuschen und gelehrten Männern wohl
versehen seien. Überdies strahle jene ganze Gegend im Glanze
vieler Mönchs- und Chorherrenstifte, in welchen bei Tag und Nacht
der Gottesdienst mit grossem Eifer verrichtet werde ls ). Noch be
zeichnender aber äussert sich der sittenstrenge Propst Gerhoch von
Reichersberg in seinem Werke „Contra Simoniacos“, welches nach
Stülz’s „Leben Gerhoch’s“ p. 129, um 1130, spätestens 1138 ge
schrieben wurde, überden Klerus der Diöcese Salzburg, indem er
sagt: „dass der Erzbischof von Salzburg, Konrad (1106—114G),
durchglüht vom Eifer der Gerechtigkeit, in seinem Sprengel weder
Miethlinge noch offenbar unzüchtige Kleriker zum Altardiensto
zulasse. Denn ungeachtet er einen weit ausgedehnten grossen und
mehr als zehn Tagreisen umfassenden Kirchsprengel habe, könne man
innerhalb seines ganzen grossen Bereiches nicht Einen gemietheten
oder in offenkundiger Unzucht lebenden Geistlichen linden“ 10 ).
„Desshalb ragten“, wie es ferner im Leben des genannten Erzbischofs
heisst 20 ), „die Priester des ganzen Sprengels rühmlich hervor durch
Enthaltsamkeit und Gastfreundschaft; sie sind ausgezeichnet durch
Wandel und Sitten so wie durch Anstand und Kleidung.“ Als
Kaiser Konrad auf seiner Rückreise aus dem Oriente das Pfingstfest in
Salzburg feierte (1149), war er durch das Betragen des Klerus so
erbaut dass er öffentlich erklärte: „er habe nie eine Geistlichkeit
gefunden welche durch Tonsur, Betragen und Geberde auf das Auge
I
Kleine Beiträge.
203
des Beobachters einen so wohlthuenden Eindruck mache, es sei ihm
auch nie eine Stadt vorgekommen welche so viele fromme Menschen
zähle wie Salzburg“ 21 ). Ehen so darf man jene bekannte Stelle
aus Gerhoch’s Werke „de corrupto ecclesiae statu“, welches er dem
Papste Eugen 111. widmete (1147), liier nicht übersehen, in welcher er
trotz all seiner Strenge doch zugestehen musste, „dass nach dem
langen Winterschlafe in der Simonie der Weinberg des Herrn im
süssen Frühlingsbauche wieder anfange zu blühen, dass neue Klöster
und Spitäler gegründet seien und neue Lobgesänge überall ertönen,
ja dass selbst im Munde der Laien das Lob Gottes in Aufnahme komme,
so dass in der ganzen Christenheit es Niemand mehr wage, unan
ständige Lieder öffentlich zu singen und dass die ganze Erde im
Lobe Christi frohlocke, selbst in Gesängen der Volkssprache, beson
ders aber der Deutschen, welche für solche Gesänge hauptsächlich
geeignet sei“ 22 ).
In diese Zeit noch, vor und um 1140, fallen aber auch die meisten
Stiftungen neuer Klöster und die Reformen und Schenkungen in den
bereits bestehenden, wie ich anderwärts nachgewiesen habe 23 ). In
dieser Zeit war bei uns ein solch religiöser Eifer selbst unter den
Laien, dass viele, auch aus den höchsten Familien, entweder schon
in ihrer Jugend den geistlichen Stand wählten oder später in irgend
ein Stift oder Kloster gingen, um da ein still beschauliches oderbüssen-
desLeben zu führen. So trat zum Beispiel Gerbirg, eine Schwester
des österreichischen Markgrafen Leopold III., nach dem Tode ihres
Gemahls Boriwoi, eines Sohnes des Königs Wratislaw’s II. von Böhmen,
1124 in das mit dem Stifte Göttweig verbundene Nonnenkloster und
lebte dort wie unsere Ava als Nonne bis zu ihrem Tode 1142 24 ).
Ich will hier noch ein paar andere Beispiele anführen, weil
sie durch die Blätter in denen ich darauf aufmerksam machte 25 ),
weniger bekannt geworden sein dürften, als es ihre Wichtigkeit für
die österreichische Literatur-Geschichte wünschen lässt. Der dritte
Sohn Leopold des Heiligen, Otto, widmete sich ebenfalls dem geist
lichen Stande; er wurde von seinem Vater zum Propste des neu gestif
teten Klosters zu Neuburg ernannt und zu seiner vollen Ausbildung
auf die hohe theologische Schule zu Paris geschickt, wo er unter
Wilhelm von Conches, dem Engländer Gilbert, wegen seiner grossen
Gelehrsamkeit universalis genannt, Rupert dem nachherigen Abte
zu Limburg, Hildebert später Erzbischof von Tour, Abaillard, Bernhard
204
Joseph Dieme r.
von Clairveaux und anderen ausgezeichneten Männern in allen
damals besonders gepflegten Wissenschaften unterrichtet und gebildet
wurde. Wie bekannt, trat er später mit 15 anderen Jünglingen, höchst
wahrscheinlich aus ansehnlichen Familien seines Vaterlandes, im
Kloster Morimund als Mönch ein und wurde 1138 Bischof von Frei
sing. Seine Genossen aber kehrten in die Heiinath zurück und erhiel
ten alle mehr oder minder bedeutende kirchliche Ämter 20 ). Welchen
grossen Einfluss diese Männer auf die Förderung religiöser und
wissenschaftlicher Bildung unseres Vaterlandes genommen haben
mögen, lässt sich leicht denken. Diese Thatsache allein und die vielen
Berufungen auswärtiger Priester für unsere Klöster oder Stifte von
welchen wir so häutig lesen, mögen zur Entwickelung und hohen
Blüthe der literarischen und politischen Zustände Österreichs unter
Leopold dem Glorreichen nicht wenig beigetragen haben. Otto ver-
anlasste auch die Stiftung des ersten Cistercienser-Klosters bei uns
in Sattelbach, später von einem Stücke des heiligen Kreuzes das er
aus Paris hieher brachte, zum „Heiligen Kreuz“ genannt, und sandte
11 fromme Priester aus Morimund dahin unter dem Abte Gottscbalk
(f 1141). Eben so ward der sechste SohnLeopold's, Konrad, nach
Paris zur weiteren Ausbildung geschickt, der später 1149 Bischof
von Passau und 1164 Erzbischof von Salzburg wurde.
Auch Heinrich, der Sohn des kärntnerischen Herzogs Engelbert,
ward zu gleichem Zwecke nach Paris geschickt und trat ebenfalls in
das Kloster Morimund, ward hierauf 1132 Abt zu Villars und 1143
Bischof von Troyes. Sein Vater gründete aber auf seine Veranlassung
in Kärnten das Cistercienser-Kloster Viktring das mit Geistlichen von
Villars besetzt wurde 27 ). Viele Männer aus den angesehensten Ge
schlechtern traten namentlich unter dem Prälaten Hartmann (-[- 1114)
und seinem Nachfolger Nanzo (f 1125) in das Stift Göttweig als
Laienbrüder (fratres conversi) ein 28 ), andere wieder als fratres con-
scripti, um sich dadurch die Theilnahme an ihren guten Werken zu
sichern, so z. B. war Sieghart Graf von Burghausen und Schala der
des Markgrafen Leopold des Heiligen Schwester Sophie zur Gemah-
linn hatte und 1142 starb, ein frater conscriptus in Melk 39 ).
Diesen Beispielen will ich nur noch folgendes anreihen, weil es
den Geist der Zeit besonders kennzeichnet. Die Mutter des Erz
bischofs Eberhard von Salzburg (1146 —1164) war so fromm dass
sie dem Almosengeben, Gebet und Fasten fast immer oblag und
Kleine Beiträge.
205
selten etwas anderes als Gemüse ass. Sie liess sich auf ihrem Gute
eine Kirche bauen und trug eine halbe Meile weit die Steine barfuss
dazu auf ihren Schultern und viele andere Frauen unterliessen nicht
dasselbe zu thun 30 ).
Alle diese Beispiele denen wir noch viele andere beifügen
könnten, fallen, wie man sieht, mehr oder minder früh in die Zeit der
ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts und müssen als Folgen des bereits
geschehenen Umschwunges zum Bessern sowohl unter den Geist
liehen als unter den Laien betrachtet werden. Daher und aus den
oben angeführten Gründen kann auch unser Gedicht nur in das erste
Viertel des 12. Jahrhunderts, in welchem diese Bewegung theils vor
bereitet, theils schon vollendet war, gesetzt werden.
Betrachten wir ferner einige Stellen unseres Gedichtes selbst
genauer, so wird sich wie ich glaube nebst der Bestätigung jener
Behauptung noch eine Eigenthümlichkeit desselben ergeben welche
bisher stets übersehen wurde. Es heisst nämlich V. 267 ff.: „Weltliche
Richter sind Widersacher Gottes und alles Guten, sie haben ein wöl
fisches Gemüth und birschen, was sie nur erjagen können. Die Treue
ist unter den Laien gänzlich vernichtet und der Vater muss den Sohn
hassen, weil er niemals ohne Sorge sein kann dass er, heute oder
morgen herangewachsen, ihn, wenn seine Angelegenheiten schlecht
stehen, von Allem was er besitzt, verstosse, so dass er nach dem
grössten Reichthume verarmet und sich seiner Niemand von allen
seinen Verwandten erbarmet“ 31 ).
So oft ich diese Stelle las, musste ich unwillkürlich an das
Schicksal Kaisers HeinrichIV. denken welchen Konrad sein zweit-
geborner Sohn in Italien verrieth und vom Throne zu stossen suchte,
was seinem dritten Sohne Heinrich später wirklich gelang. Die
Treulosigkeit und der Verrath der eigenen Kinder gegen ihren Vater
war selbst in jener Zeit des unversöhnlichsten Parteihasses so uner
hört und auffallend dass er sogar von den Feinden Heinrich’s IV.,
obwohl zu ihrem Vortheile gehörig ausgebeutet, im Innern miss
billigt wurde 32 ). Es wird durch diese Beziehung auf die genannte
Thatsache der Ausspruch unseres Verfassers „dass unter den Laien
Treue und Redlichkeit gänzlich todtgeschlagen sei“, vollkommen
gerechtfertigt, während er ohne sie völlig unbelegt bliebe. Aber
auch das was er noch weiter hinzufügt „dass er nach Reichthum
verarmet und aus seiner ganzen Familie sich nicht Einer über ihn
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XVIII. Bd. II. Hft. 14
206
Joseph Diemer.
erbarmet, dass ihr ganzes Streben nur auf Gewinn gerichtet und, wo
kein Vortheil zu hoffen sei, jede Verwandtschaft verleugnet werde,
dass „weder der Herr zu dem Diener noch dieser zu jenem sich der
Treue und Redlichkeit versichert halten könne,“ kann nur als weiterer
Beleg des obigen Ausspruchs betrachtet und sehr wohl auf die Erfah
rungen Heinrich’s bezogen werden. Wir wissen dass ihn nebst seinen
Söhnen auch seine Gemahlinn und die vertrautesten Freunde und
Anhänger die er mit Gütern und Ehren überhäufte, im Augenblicke
der Gefahr, was er zum Theil auch selbst verschuldete, verliessen, so
dass er, seiner Macht und Herrlichkeit entkleidet, verarmt und hilflos
dastand. Wir wissen dass er bei der Androhung des Todes auf der
Burg zu Beckeiheim knieend bat, „man möge ihm nur gestatten, sich
seiner Zeit zu rechtfertigen und, da alle seine Bitten vor seinem Sohne
nichts fruchteten, endlich sein Erbe, seine Schlösser, sein Reich und
Alles was er besass hingab, so dass man es ihm in seiner Gefangen
schaft seihst an dem Nothwendigsten, sogar an Lebensmitteln fehlen
Hess, ihm das Scheeren des Bartes und das Baden, ja was ihm am
schwersten fiel, das heilige Abendmal und den Zutritt eines Geistli
chen am Tage der Geburt unseres Heilandes verweigerte.“ (Vgl. Sten
zei S. 593.) Wir wissen ferner dass er sich in einem Schreiben an
seinen Sohn auf das Bitterste beklagt „dass sich ausser dem Bischöfe
von Lüttich, keiner seiner Woldthaten erinnere noch Mitleid mit
seinem Unglücke habe.“ (S. Stenzei S. 598.)
Der Dichter nennt ferner die weltlichen Richter 83 ) Widersacher
Gottes und alles Guten, die mit wölfischem Sinne im Herzen überall
hirschen, wo sie nur etwas erjagen können. Er geisselt dadurch die
damals unter ihnen allgemein herrschende Raubsucht und Gier nach
fremdem Gute und spielt damit auch auf unsere beiden Heinriche an
die, von dieser Schuld keineswegs frei, gar manche Gewaltthätig-
keiten verübten, um Güter und Lehen zu erwerben, ihre Herrschaft
zu befestigen und ihre Anhänger zu belohnen.
Doch diese Stelle allein würde unsere Vermuthung noch keines
wegs begründen; betrachten wir eine zweite V. 511—543, in
welcher der Verfasser uns die Leiden und Mühen des Lebens schil
dert. Er führt uns hier als Beispiel ausdrücklich den Sohn eines
Königs vor und malt uns in wenigen kräftigen Pinselstrichen die
Noth welche er zu überwinden hat, wenn die erste Jugendzeit bis
zur Wehrhaftmachung vorüber ist:
Kleine Beiträge.
207
er muz spat und frü
um dise arme ere sorgen,
wie er hiut oder morgen
muge ferneren siniu 1 eh en ;
er endarf sicli nimmer verseilen
voller triwen noch genaden
von sinen nächsten magen.
Dies Alles passt buchstäblich auf König Heinrich V. Als Beleg
des Gesagten wollen wir hören, wie ihn Stenzei der gewiss ganz
unparteiisch ist, schildert. S. 720. „Er war ein Mann von aus
gezeichneten Eigenschaften, sehr scharfsinnig und schlau, kühn
und unternehmend. Herrschsucht war die Hauptleidenschaft seines
Lebens; um sie drehten sich alle seine Handlungen. Dafür war
ihm nichts heilig, er empörte sich gegen seinen Vater unter dem
Vorwände der Kirche, verrieth und misshandelte ihn auf die niedrig
ste Art, während er dem Papste eben so begegnete. Immer nur
beschäftigt das verlorne Ansehen des Regiments wieder herzu
stellen, häufte er Schätze, war für Gold zu Allem feil, suchte
mit erledigten Reichslehen seine Anhänger denen er selbst
die Beraubungen der Kirchen nachsah, zu belohnen, und sich aller
Güter und Besitzungen zu bemächtigen deren er habhaft werden
konnte, ohne Gerechtigkeit zu berücksichtigen. Er misstraute Allen
und Jeder ihm, mit Recht; denn gleich seine ersten Schritte als
König verriethen ihn.“ Ähnliches sagt auch Jaffe S. 39. — Dass
in Folge dessen seine nächsten Verwandten und Vertrauten von ihm
abfielen, ist bekannt. Dies Alles stimmt mit den kurzen Andeutungen
des Dichters vollkommen überein, die also füglich auf Heinrich V.
bezogen werden können.
Nachdem unser Verfasser mit kräftigen Zügen einen ehrgei
zigen und habsüchtigen Königssohn gezeichnet hat, geht er auf einen
zweiten Charakter über und malt uns die Notli eines andern der sich
Sänfte und Milde erkoren habe, d. h. der gutmüthig und wohlwollend
sei und meint, „dass dieser sein Ansehen gar bald verliere und von
seinen Gefährten verstossen werde.
Swelhes lebens er beginnet,
wie licht im dar an misselinget,
14 *
208
Joseph Diemer.
sin sorgen ist frü unt spate,
d a z in einer icht verrate,
oder daz im einer icht vergebe,
des gescliiht me re denne ich mege
iu oder ander iemen gesagen.“
Wem fällt bei dieser Stelle nicht gleich der ältere Sohn König
Heinrich’s IV. Konrad, ein der sich durch seine Sanftmuth und
Herzensgute auszeichnete und in Italien zum Abfalle von seinem Vater
vermocht, endlich aber von allen seinen Anhängern und Freunden
verlassen, wie es allgemein hiess, vergiftet wurde? Damit man nicht
glaube, wir machten die wirkliche Geschichte zu unserem Behufe
eigens zurecht, wollen wir wieder hören, wie ihn Stenzei 1. c. S. SSO
schildert. Er sagt: „Dieser schöne junge Mann neigte sich, von Natur
leidenschaftslos und mild, mehr zu Werken der Frömmigkeit,
ruhigen Betrachtungen und den Wissenschaften als zum Kriege und dem
Sturme des Lebens, obgleich es ihm nicht an Mutli fehlte. Wohl-
wollend gegen Jedermann, gewann er die Herzen und eignete sich
eben so wenig Parteihaupt zu sein, als er sich gut passte, den Namen
dazu für andere Ehrgeizige herzugeben. Er mochte lange mit Wider
willen das wilde Treiben seines Vaters betrachtet, über den fürchter
lichen Krieg, die Verheerungen der Kirchen, die Wuth der Parteien
und besonders über die Kirchenspaltung mancherlei gedacht noch
mehr schmerzlich gefühlt und Religionszweifel ihn gemartert haben,
bis diese, genährt von der frommen Partei, unstreitig weit mehr als
die Aussicht auf die Krone Italiens die Oberhand gewannen über das
Pflichtgefühl gegen seinen Vater, seinen Herxm und Kaiser“. Dass
sein Tod nach dem Zeugnisse mehrerer Zeitgenossen durch Gift
erfolgt sei, wird ebenfalls durch Stenzei kurz angedeutet. Vgl. S.568,
569, Note 36.
Nach diesem auffallenden Zusammentreffen der historischen That-
sachen mit der Schilderung des Dichters dürfte es überflüssig sein zu
bemerken dass darin etwas mehr, als ein blos absichtsloser Zufall
vorhanden sei; der Verf. spricht so zuversichtlich und seiner Sache
völlig gewiss, wie es nur Jemand thun kann der die Ereignisse mit
erlebt hat; ja er fügt noch bei, was in Verbindung mit den oben
nachgewiesenen Beziehungen völlig entscheidend ist, dass dies d. h.
solche Fälle von Vergiftungen , häufiger vorkomme, als er oder sonst
209
Kleine Beiträge.
Jemand sagen könne: „des geschieht mere, denne ich mege iu oder
ander iemen gesagen“.
Berücksiclitigen wir dass der Dichter, wie ich schon oben bemerkt
habe und später noch ausführlicher darthun werde, in der Nähe von
oder im Stifte Göttweig lebte, dass der dortige Abt Hartmann einen
Sohn Heinrich’s IV. der nur Konrad gewesen sein kann, in den
Wissenschaften unterrichtete, und mit König Heinrich V. selbst auf
freundschaftlichem Fusse stand 34 ); sogewinnen diese Worte eine um
so grössere Bedeutung, indem man mit Grund voraussetzen darf, dass
der ehemalige Lehrer des jungen Prinzen sich um das Schicksal des
selben gewiss wird erkundigt haben und durch seine Verbindungen
auch in der Lage gewesen sein wird, über dasselbe, wenn auch zu
weilen irrige Nachrichten, zu erhalten. Diesen mochte unser Dichter
mit dem Worte „ander iemen“ im Sinne und durch ihn auch dieÜber-
zeugung gewonnen haben, dass Konrad wirklich vergiftet worden sei.
Endlich sagt uns der Dichter gleich im Eingänge jener Stelle ja
ganz offen und bestimmt, dass er uns als Beispiel für die Leiden und
Mühen die wir Alle hiernieden zu erdulden haben, den Sohn eines
Königs vorführen wolle. Auf welchen aber konnte er in dieser
Zeit von 1100—1163 wohl anders hindeuten, als auf Konrad. Mir
ist wenigstens in der Geschichte dieser Periode weder ein König vor
gekommen der als Vater so gegründete Ursache gehabt hätte, sich
über den Verrath seiner Söhne zu beklagen als Heinrich IV., noch auch
zwei Söhne eines Königs, mit deren Charakter obige Schilderungen
so genau bis in das Einzelnste zusammen treffen als Konrad und Hein
rich. Unser Dichter wählt kein Beispiel aus dem Alterthume oder
aus einem anderen Volke sondern, um seine Behauptung eindring
licher zu machen, einen aus seiner Zeit und aus seinem Volke, dessen
Schicksal Allen bekannt war. So würde auch ein jetziger Schriftsteller
z. B. lieber auf Napoleon I. oder auf König Louis Philipp und seine
Söhne als auf Cyrus und Darius hinweisen, um durch die Geschichte
die Wechselfälle des Glückes und die Unsicherheit irdischer Macht und
Herrlichkeit darzuthun. Ebenso ist es an und für sich schon wahr
scheinlicher, dass unser Dichter alsBeleg seinerBehauptung eher wirk
liche Gestalten, als blosse Nebelbilder seiner Phantasie den Lesern
vorführen wollte; dass er darunter aber nur diebezeichnetenPersonen
vor Augen hatte, geht, wie man zugestehen wird, schon aus den
bereits angeführten Beziehungen deutlich hervor.
3
=
210 JosephDiemer.
Jedoch nicht diese Stellen allein sind es die unsere Vermu-
tliung rechtfertigen, es gibt deren noch andere, auf die wir hinweisen
wollen welche dieselbe zur völligen Gewissheit erbeben und auch
unsere Behauptung von dem höheren Alter dieser Dichtung vollkom
men bestätigen dürften. V. 385—402 klagt unser Verfasser über den
sittenlosen Zustand seiner Zeit, „dass Gottesverehrung und Christen
thum unter den Nachkommen völlig zu Grunde gehen müsse, dass die
Weisheit der Vorfahren bei ihnen nirgend sichtbar sei, und dass sie
nur die Kunst verstehen, einander zu betrügen, zu verspotten und zu
belügen. Die jetzige Jugend, meint er, ist durchaus verdorben;
Ehre, Zucht und Tugend gehen wie an einem Rade abwärts und
„Rome aller werlte lioupt stat
diu hat ir alten vaters nicht,
man findet da deinem Zuversicht
rechtes noch genaden,
wan wie man dem schätze muge gelagen.“
Es fragt sich hier, welchen Papst der Verfasser unter den Worten:
„Rom hat ihren alten Vater nicht mehr“ meine?
Ich glaube, er konnte darunter bei seiner streng katholischen
Gesinnung nur Gregor VII., kaum aber Urban II. (f1099) der sonst
ganz in dessenFussstapfen trat, gemeint haben. Unter der Regierung
des Papstes Paschalis (-[- 1118) hatte die Unordnung bei uns in
Deutschland und die Spaltung unter der Geistlichkeit selbst am mei
sten überhand genommen, besonders waren die Cardinäle in Rom mit
seiner Nachgiebigkeit gegen Heinrich V. unzufrieden und wollten ihn
wie bekannt sogar absetzen 35 ). Die Klagen über die Bestechlichkeit
der römischen Curie vestummten in jener Zeit fast niemals, sie ver
mehrten sich unter diesem Papste aber besonders und erreichten, wie
die Überlieferungen bezeugen, einen hohen Grad 30 ). Die oben ange
führten Worte unseres Dichters passen daher ganz besonders in diese
Zeit und es ist sehr begreiflich dass er, als ein Mann der sich selbst
nicht mehr zur Jugend rechnet, was aus den Klagen über die Schlech
tigkeit seiner Zeit und der mit ihm lebenden Jugend deutlich hervor
geht, sich gerne in die Zeit Gregor’s VII. zurück denkt und den Verlust
des alten Vaters tief betrauert, den er als ein Muster christlicher
Vollkommenheit, als den Hort des Glaubens betrachtete, der viel
leicht im Stande gewesen wäre manche Missbrauche zu beseitigen
Kleine Beiträge.
211
und die begonnenen Reformen durchzuführen. So denken ja auch wir,
je älter wir werden, immer mehr an unsere Jugendjahre zurück, in
denen unsere Brust noch durch die schönsten Ideale gehoben, unsere
Kraft noch ungebrochen war, an die Zeit des letzten deutschen
Kaisers Franz II., weil wir in ihrem Geiste und unter dem mächtigen
Einflüsse ihrer grossartigen Ereignisse und Verbesserungen heran
gebildet und grau geworden sind.
Wäre das Gedicht später in der Zeit, als der grosse Kampf
Friedrich’s I. mit dem Papste begann, nämlich um 1163 verfasst
worden, so müsste diese ganze Stelle als völlig unzeitgemäss und
unerklärlich erscheinen; denn der Papst Alexander III. war in
jeder Beziehung ein ebenbürtiger Gegner Friedrich’s und nicht min
der streng als einst Gregor VII. in der Herstellung und Aufrechthal
tung kirchlicher Zucht und Ordnung. Er wurde auch, ungeachtet aller
Bemühungen Friedrich's, in Österreich, sowohl von dessen Regenten
als vom Clerus, den Erzbischof Konrad II. von Salzburg an der
Spitze, allgemein anerkannt. Es wäre daher für denVerfasser durchaus
kein Grund vorhanden gewesen, sich nach einem früheren Papst
zurück zu sehnen. Und welcher sollte dies auch gewesen sein? Von
den übrigen zu schweigen, war weder Hadrian IV. noch Eugen III.
und ihre Regierung so ausgezeichnet und glücklich, dass man daran
denken konnte, sie jener Alexanders vorzuziehen. Auch passt die
Schilderung unseres Dichters welche er von seiner Zeit entwirft,
die Klage über die vielen unchristlichen Sünden, von denen
man alle Tage höre, über die völlige Rechtlosigkeit die da herrsche,
über die Raubsucht der weltlichen Fürsten und ihren wölfischen
Sinn, über den Mangel aller Treue und Redlichkeit gewiss viel unge
zwungener und besser auf die Zeit der beiden Heinriche als auf
jene Friedrich’s I. der, wie bekannt, strenge Ordnung im Reiche
hielt und jedem Übergriffe, jeder Willkür und Ungerechtigkeit von
Seite der Fürsten energisch entgegentrat und vorkommenden Falles
empfindlich bestrafte. Wie wenig oder gar nicht passt endlich das
was der Dichter von den Sitten der Geistlichkeit und der Priesterehe
sagt, in diese spätere Zeit, in welcher bei uns wenigstens in der Regel
diese Verhältnisse bedeutend besser und die Ehen der Geistlichen
besonders seit demWormser Concordate 1122 längst unterdrückt waren.
Doch gehen wir zum letzten Theil unseres Gedichtes über, in
welchem der Verfasser einen Sohn zum Grabe seines Vaters führt
212
Josep h Diemer.
und diesen selbst zu ihm sprechen lässt über die Leiden welche er
wegen seines Lebens dort zu erdulden habe, vielleicht bietet uns auch
dieser einige Anhaltspuncte für die aufgestellte Vermuthung. Auch
hier führt uns der Dichter nicht einen gewöhnlichen Mann aus dem
Mittelstände vor, sondern wieder einen sehr hochgestellten reichen
Mann der in seinem Leben Städte, Güter und Lehen und grosse Herr
schaft erworben bat. Dass er damit wieder nur einen mächtigen
Fürsten, ja den König selbst bezeichnen wollte, der vor Allen solche
Besitzungen erwerben konnte, geht aus dem Ganzen, insbesonders
aber auch aus dem Umstande deutlich hervor, dass es gewissermassen
in der Natur der Sache lag, das in einem Königssohne gegebene Bei
spiel auch auf den König selbst zu übertragen und gleichartig fort
zuführen. Er sagt V. 663 ff.: „Reicher und edler Jüngling, nimm dich
in Acht vor schrecklicher Noth, geh’ hin zum Grabe deines Vaters,
nimm den obersten Stein herab und sieb" an sein Gebein und seufze
und weine. Da kannst du sprechen, wenn du willst, es benimmt dir
nichts an deiner Hoheit: „Lieber Herr und Vater, sag mir was dich
betrübt? Ich sehe dein Gebein vermodert, die Erde bat dich verzehrt
und dieses Grab ist voll von Gewürm und üblem Gerüche und erfüllt
meine Sinne mit gräulichem Eckel. Auch thut es mir im Innersten
weh dass du, so schön noch als du warst und so schnell dahin
gerafft wurdest.“ Es ist ein trauriges Loos, dass das was kaum
wie die Lilie blühte, bald wie das Gewand wird welches die Motten
benagen und aufzehren. Unselig derjenige der dessen nicht jederzeit
gedenkt. Auch hättest du sehr wohl davon reden können, dass dich der
Schmerzseiner väterlichen Liebe gerührt habe? Gedenk
nun der Worte die er zu dir sagen würde, wenn es ihm der nagende
Schmerz erlauben oder Gott es gestatten möchte. Ich will die Rede
nicht länger ausdehnen, sondern spreche für ihn und mit ihm, vernimm
es mit wahrer Andacht. „Ich will dir, mein lieber Sohn, kund thun
um was du mich fragst: Mein Schicksal ist unaussprechlich. Von der
Grimmigkeit der Qualen die ich täglich leide, kann ich mich nicht be
freien. Zur Rechten und Linken, oben und unten umgibt mich Fieber und
Finsterniss. Fände Jemand mein Leiden geschrieben, er könnte stets
davon erzählen, das muss ich dir, mein lieber Sohn, klagen. Die Fesseln
der Rache Gottes halten mich fest gebunden, bitteren Lohn habe ich
gefunden für Alles das ich je verbrach und leider ungesühnt liess.
Alles Mass in Speise und Trank batte ich vergessen, nun werde ich
Kleine Beiträge.
213
geplagt mit Hunger und Durst. Einst brannte ich am Fleische in sinn
licher Lust, nun brennt mich die Rache Gottes im Feuer das nie erlö
schen kann. Ich leide Schmerz und Ungemach, Habsucht und Hof
fahrt haben nach mir die Thore der innersten Hölle verschlossen.“
Hierauf schildert der Verfasser in kurzen Zügen die Leiden der
Verdammten in den heissen Flammen, ihr Weinen und Wehklagen und
fahrt dann fort: „Nun sag’ mir, mein lieber Sohn, was nützt mir all’
mein Reichthum und so mannigfacher unglückseliger Erwerb. AU’
mein Sinnen war von jeher darauf gerichtet, Lehen und freies
Eigenthum, Städte und Meierhöfe, Grundstücke und viele andere
Resitzungen zu kaufen, desshalb wird nun meine Seele zum Kauf
ausgeboten. — Wie hast aber du mit mir getheilt, seit ich von dir
schied? Da finde ich leider wenig oder nichts. Wo ist das Almosen
das du gespendet, wo sind die Dürftigen welchen du geholfen, wann
gedachtest du mein jemals in der Messe? — Du hast meiner ganz ver
gessen, als wäre ich nie geboren worden. Ach! dass ich solche
Bürde für dich auf mich geladen habe, desshalb werde ich nun
vom gerechten Richter verschmäht. Verwünscht sei der Tag der mich
geboren. Mannigfacher Besitz den ich von Witwen und
Waisen ohne Erbarmen nahm, lässt mich nicht aus dem
Elend. Nun sieh’ mein lieber Sohn, es ist gewiss, du wirst vielleicht
dasselbe thun, wozu mich mein Gernüth geleitet hat, dass ich dahin
arbeitete dich reich und erhaben zu machen, ich leide nun Angst
und Schmerzen. Du sitzest bei grossen Gastmalen, ich leider in
des Teufels Banden, man lobt dich weithin in dem Lande und
ich leide grosse Schande. Nun bekehre dich mein gutes Kind. Nur ein
Wunder ist es, wenn Einer von Allen die in dieser Welt habgierig
sind, selig wird.“ Der Dichter schildert dann V. 811—863 ausführ
lich und vor allen anderen Lastern , was sehr bezeichnend ist, die
Habsucht und die Schwierigkeit für einen Habgierigen das Himmel
reich zu erwerben und dass ein Pfennig Almosen, hier zum Seelenheile
gespendet, mehr wirke als tausend Pfunde die nach dem Tode
gegeben werden. „Web! die Hölle dauert ewig für dich, wenn du
ihrer Erbarmung anheim fällst. Gott verhüte, dass du diese je erfährst.“
Nun sag’ mir Mensch, fährt der Verf. fort, wie, wenn unser Herr
und Heiland mit dir reden möchte und spräche: Mein liebstes Geschöpf,
warum folgtest du nicht dem Rathe welchen dir meine Lehrer gaben,
als sie dich in das Himmelreich luden? Du wolltest nie beachten, wie
214
Joseph D i e m e r.
schwer es mir wurde, es dir wieder zu gewinnen, nun will ich es
auch dir nicht mehr gönnen. Willst du lasterhaft leben und ungehor
sam sein, wie deine Vorfahren so siehst du mich nimmermehr.
Ist dir weltliche Lust die Niemand lange gemessen kann lieber, als
die Herrlichkeit des Himmels, so sage ich dir nichts mehr; diese
erlangst du nimmer, sonst aber hast du alles Unheil zu fürchten.“
„Hast du diese Rede vernommen, so bewahre sie im Herzen; sie
sei für dich ein Talisman, dass der Teufel und die Hölle dir nach diesem
Leben nicht schaden möge.“ Der Verfasser schildert nun nochmals in
kurzem Umrisse die Freuden der ewigen Seligkeit im Gegensätze zu
den Leiden der zur Hölle Verurtheilten. Wir wollen diese Auszüge
nicht weiter vermehren, sondern es dem Leser überlassen, den
Schluss des Gedichtes im Buche selbst nacbzusehen.
Betrachten wir aber den Inhalt des Gegebenen, so zeigt sich
hier wieder auf das Bestimmteste dass der Dichter in der ganzen
Schilderung vorzugsweise nur die beiden Heinriche vor Augen
hatte. Sie stimmt nicht nur im Allgemeinen mit dem was uns von
ihnen überliefert wurde, völlig überein, sondern bietet, wie wir
sehen werden, einige ganz besondere Stellen die durchaus
keinen Sinn haben, wenn wir sie nicht auf sie beziehen. Schon die
Anrede: „Reicher und edler Jüngling“ 37 ) zeigt uns, mit wem wir es
zu thun haben. Heinrich V. war nämlich, als sein Vater 1106 starb,
erst 2S Jahre alt und konnte selbst nach mehreren Jahren noch als
junger Mann gelten, er ist ferner reich und edel und im Vollgenusse
der Herrschaft, von der er sich nichts vergibt, wenn er das Grab seines
Vaters besucht. Dieser hat aber dahin gewirkt V. 766—767 und
77S — 785, dass er da zu gelangte, dass er reich und hehr ward,
bei grossen Festmalen sitzt und weithin im ganzen Lande
gepriesen wird, wie solches im Anfänge seiner Regierung wirklich der
Fall war, er warnt ihn vor Allem vor der Habsucht deren er sich
gleich anfänglich schuldig machte, und meint ausdrücklich V.776: „daz
ist war, du macht ez gerne tun, wie mich mein sin habe gelseitet.“ Vor
Allem aber sind die Worte bezeichnend die der Verfasser zu dem,
was der Sohn seinem Vater sagen soll, am Ende noch hinzufügt:
V. 687 ff.
du möchtest oucli lichte han geredet,
ob dich der iamer liefe beweget 38 )
väterlicher min ne,
Kleine Beiträge.
215
die gar keinen Sinn haben, wenn man sie nicht auf Hein
rich IV. bezieht, dessen Schmerz über den Verrath seines Soh
nes ins Masslose ging. Hiezu liefert aber die bekannte Scene vom
Jahre 1105 am linkenüfer der Mosel den besten Commentar, welche
Stenzei aus gleichzeitigen Quellen S. 591 auf folgende Weise schil
dert: „Als der alte Kaiser seinen Sohn erblickte, regte sich die
väterliche Liebe so stark, drückte ihn der Kummer und
die ganze Last des Ünglücks was er so viele Jahre ertragen
hatte, so schwer, dass er niederfiel zu den Füssen des Sohnes und ihn
bei dem Wohle seiner Seele beschwor: „wenn ich für meine Sün
den von Gott gezüchtigt werden muss, so hänge doch du deiner
eigenen Würde, deinem Namen keinen Flecken an; denn kein göttli
ches Gesetz verpflichtet den Sohn, Rächer der Schuld seines Vaters
zu sein.“ Der König fiel nieder vor dem zur Erde gebeugten Vater, bat
um Verzeihung für das Geschehene, entschuldigte sich verführt wor
den zu sein, versprach mit Thränen dem Kaiser, wie ein Vasall sei
nem Herrn, wie ein Sohn seinem Vater in Allem gehorsam zu sein,
wenn dieser sich nur mit dem päpstlichen Stuhle aussöhnen wolle.“
Ilieher gehören auch die Worte des Kaisers zu Bingen, als ihn sein
Sohn nach der Burg Beckeiheim bringen wollte: „Mein Sohn, heute
sei Gott Zeuge und Richter der Reden und Zusagen unter uns. Du
allein weisst, welchen Unruhen ich mich deinetwegen
ausgesetzt, wie viele Feindschaft ich mir zugezogen habe, nur
um dir die Nachfolge im Reiche zu sichern.“ (Stenzei,
S. 593.)
Der Dichter der jenen Zeitereignissen so nahe stand, war auch
durch seine Stellung, wie wir später sehen werden, vollkommen in der
Lage von diesen Scenen genauer unterrichtet zu sein als ein Anderer,
die obigen Worte dürfen daher mit Recht als eine zarte Mahnung an
den jungen König betrachtet werden, dass er, am Grabe seines Vaters
stehend, seinen grossen Fehltritt bereuen möge, durch welchen er ihn
in seiner väterlichen Liebe zu ihm so tief verletzt hatte.
Gehen wir noch auf ein paar andere Stellen über die besonders
auf Heinrich V. passen. Der Dichter lässt den Sohn sagen, es
schmerze ihn tief dass er so schnell (so schier, was doch wohl
nicht mit jung übersetzt werden kann) gestorben sei. V. 681. Passt
dies nicht wieder ganz genau auf den plötzlichen Tod Heinrich’sIV.
in Lüttich, der seinem Sohne und dessen Anhänge eben so durchaus
216
Joseph D i e m e r.
unerwartet als erwünscht kam? 89 ). Dieser bedauert ferner
V. 679 — 686 dass er, da er noch so schön war, dahin gerafft wor
den sei. Vergleichen wir, was Stenzei S. 609 über ihn sagt „dass
Heinrich IV. gross über Alle in männlicher Schöne hervorragte, dass
sein Auge durchbohrend blitzte die Brust dessen auf den es fiel und
wie das Innerste der Gedanken erforschend“ 40 ); so wird man zuge
stehen müssen dass ein solches Zusammentreffen selbst in kleinlichen
Umständen keineswegs nur blos zufällig sein könne. Auch sind Väter
deren Söhne einmal das Jünglings- oder (wie hier sehr wohl übersetzt
werden kann) das Mannesalter erreicht haben , wohl selten mehr
schön zu nennen, und wohl kaum wird es einem Dichter einfallen,
einen Sohn am Grabe seines Vaters den Tod desselben desshalb be
trauern zu lassen, weil er so plötzlich oder, da er noch so schön
war, erfolgte, wenn er hierin nicht eine bestimmte Person vor Augen
hatte; eine solche Plattheit dürfen wir unserem Verfasser wahrlich
nicht unterschieben.
Doch untersuchen wir noch eine andere Stelle V. 864—873.
Der Vater gibt hier seinem Sohne Rathschläge für das Leben und,
nachdem er von den Ehegattinnen gesprochen hat, sagt er: „Versün
dige dich nicht deiner Söhne wegen, ihr Leben ist wie der Wind, d. h.
gehaltlos, ihr Sinn und Gemüth unritterlich, zu jeder Übelthat biegsam
und zur Tapferkeit nicht geneigt; machst du sie aber lobesam, so
kommt es dich hoch zu stehen“ 41 )- Wie Jedermann leicht
erkennen wird, warnthier der Vater seinen Sohn, nicht so wie er
selbst es gethan hat, sich seiner Söhne wegen zu versündigen.
Seinetwegen hat er solche Bürde auf sich genommen, er wäre,
V. 766 —786, nicht verdammt worden, wenn er nicht dahin
gearbeitet hätte, seinen Sohn reich und erhaben zu machen
und all seinen Reichthum für ihn zu erlangen. Vergleichen wir damit
was Heinrich seinem Sohne von Utrecht aus schrieb: „Wenn auch
wegen meiner Sünden, wie meine Feinde sagen, Gott mich verworfen
hat, dass ich nicht herrsche, so musstest doch du nicht die Hand zu
meiner Verwerfung bieten und mir das Reich nehmen dasich dir
bereitet hatte.“ (Vgl.Stenzei S.698.) Man wird zugestehen dass
unser Dichter völlig Geschichte schreibt. Der Vater malt fer
ner, wie wir sehen, einerseits mit wenigen Pinselstrichen den weichen
und minder thatkräftigen Charakter seines Sohnes Konrad und dann
jenen Heinrich V. selbst, und zwar blos mit den Worten: „Macht er
Kleine Beiträge.
217
sie aber lobenswerth“, d. i. tüchtig, so kommt es ihm hoch zu stehen.
Durch diese Worte spielt er offenbar auf den Vierrath an gegen ihn,
bricht aber mit einer feinen Wendung ab, weil er ihm jetzt, da er reu-
müthig an seinem Grabe steht, keine unzarten Vorwürfe machen will,
und meint nur: „Ich hätte dir noch Vieles Zusagen, das muss
ich aber vers ch w e i g e n; doch bedenke dich früh genug, wenn du
grosses Unglück vermeiden willst. Oweh! d i e Hüll e wird dir wenig
verzeihen“ 4ä ). Ich glaube diese Stelle inVerbindung mit jenen, V. 266—
28S und V. 511—543 u. 679—690, die wir bereits oben erörtert haben,
rechtfertigen hinlänglich die von mir aufgestellte Vermuthung. Sie aber
so auszulegen dass, wenn er seinen Sohn zum tüchtigen Manne heran
bilde, es ihm viele Auslagen machen werde, ist nach dem Voraus
gehenden eben so unzulässig als gemein und des Dichters unwürdig.
Doch einen Punct wollen wir noch berühren und sehen, welcher
Sünden sich der Vater vor seinem Sohne besonders anklagt, bei wel
chen er hauptsächlich verweilt und vor denen er ihn durch ergreifende
Schilderung ihrer Folgen vorzüglich warnt. Wir finden da dass es
gerade diejenigen, nämlich Hoffahrt, Luxus und Habsucht sind, deren
sich Heinrich V. in hohem Grade schuldig machte, alle anderen, z. B.
Unmässigkeit in Speise und Trank undUnkeuschheit, werden zwar auch
angeführt, aber in ihren üblen Folgen nicht so ins Einzelne geschildert
als die ersteren. Von Aufrührern (rumseren), Verleumdern (rednseren),
Mördern, Dieben und Räubern redet nicht der Vater zu seinem Sohne,
sondern nur wieder der Dichter selbst am Schlüsse des Gedichtes
und nur mit wenigen Worten. Dann könnte man auch füglich fragen,
wie kommt es doch, dass unser Dichter gerade nur einen jungen Mann
und zwar einen Königssohn und nicht auch eine Jungfrau oder einen
Sohn aus dem Mittelstände zum Grabe des Vaters führt, und dass
er gegen das Ende seiner Dichtung überhaupt allgemein menschliche
Verhältnisse völlig vermeidet?
Es erscheint dies Alles nach dem Vorhergegangenen durch
aus nicht zufällig und die Wahrscheinlichkeit, dass es der Dichter
besonders darauf abgesehen hatte, den jungen König von den
Lastern des Hoehmuthes und der unbegrenzten Habsucht abzu
bringen, nicht unbegründet. Bedenken wir ferner dass er, wie wir
bereits oben bemerkt haben, in der Nähe von oder in Göttweig
lebte und mit dem dortigen Abte Hartmanu der wegen seiner aus
gezeichneten Kenntnisse und seiner Bildung berühmt und von König
218
Joseph Di ein er.
Heinrich V. sehr gerne gesehen war, wahrscheinlich auf freundschaftli
chem Fusse stand; dass Heinrich bei seinem Feldzuge nach Ungern im
J. 1108 wenn nicht inGöttweig selbst so doch wenigstens in Tulln gegen
wärtig war, dort die Besitzungen und Rechte des Stiftes bestätigte
und wie es heisst auf die Fürsprache des Passauer Bischofs Ulrich,
seiner Schwester Agnes und ihres Gemahls Markgrafen Leopold’s III.
und des Herzogs Welf’s mit einer neuen Schenkung vermehrte 43 )— so
gewinnt diese Vermuthung um so mehr noch einen grossen Anhalts-
punct, als der Vfr. mit Grund hoffen durfte, seine Dichtung könne durch
Hartmann auch bis zu dem dringen, für welchen sie wenigstens theil-
weise bestimmt war. Die Stellung des Dichters selbst zu Hartmann,
dem vertrauten Freunde Heinrich’s (et ipso regi Heinrieo familiaris-
simus) und die Rücksicht welche er gegen den letzteren wegen
seiner hohen Würde beobachten musste, erforderte mehr eine allge
meine Behandlung des Gegenstandes und eine gewisse Schonung und
Zartheit in jenen Theilen welche auf Heinrich bezogen werden konn
ten, damit das Gedicht in scheinbarer Absichtslosigkeit und voll der
edelsten, wohlwollendsten Gesinnung seine Wirkung nicht verfehle.
Daher durfte der Dichter auch die Beziehungen auf beide Könige
im Einzelnen nicht so grell und für Alle verständlich darstellen, wie
bei seiner Rüge der verehelichten Geistlichen, indem die üble Stim
mung gegen dieselben bereits allgemein zum Durchbruche gelangt
und zur Reform reif war. Nur wenn wir diesen Gesichtspunct für
die Beurtheilung der ganzen Dichtung annehmen, werden jene sonst
ganz unverständlichen Stellen erklärbar und sie selbst erscheint in
einem doppelt günstigen Liebte, indem man die feine Art und Weise,
wie der Dichter seinen Gedanken ausführte, nur loben und bewundern
kann. Anzunehmen dass ein Dichter dieser Zeit, ohne bestimmte
Personen vor Augen gehabt zu haben, auf welche er einwirken wollte,
so eindringlich und mit so feiner Anlage des Ganzen soll gedichtet
haben, widerspricht geradezu Allem was uns aus jener Periode an
solchen Dichtungen hinterlassen wurde. Wir verweisen nur auf die
Gedichte ähnlichen Inhalts: von dem jüngsten Gerichte, dem Anti
christ u. dgl. und auf die „Warnung“ aus dem 13. Jahrhundert die
einen gleichartigen Stoff behandelt.
Berücksichtigen wir ferner dass der Dichter, wie wir bereits
gesagt haben, ein in Jahren vorgerückter Mann war, dass er, wie
wir sehen werden, nicht diese Dichtung allein verfasste und sowohl
Kleine Beiträge.
219
desshalb als wegen seiner grossen Gelehrsamkeit die sich darin
überall kund gibt, unter seinen Zeitgenossen in hohem Ansehen
stehen musste, ferner dass er, so wie der Landesfürst Leopold der
Heilige der Agnes eine Schwester Heinrieh’s V. zur Gemahlinn hatte,
und Hartmann, der Abt des Stiftes Göttweig, offenbar auch zur kaiser
lichen Partei gehörte und in hohem Grade bedauern musste, dass
der junge König durch seine Ungerechtigkeit und Habsucht anfing,
sich die Herzen Aller, selbst seiner Freunde zu entfremden 44 ); so
gewinnt unsere oben ausgesprochene Vermuthung immer mehr an
Wahrscheinlichkeit. Ausserdem ist es auch bekannt, dass Heinrich V.
die Männer der Wissenschaft sehr hoch achtete, so zwar dass er selbst
bei seinem grossartigen Römerzuge Gelehrte und Schriftsteller mit
sich führte 45 ), wesshalb auch unser Heinrich hoffen konnte, seine
ernste und wohlwollende Mahnung, die bereits eingeschlagene Bahn
nicht weiter zu verfolgen, dürfte auch auf diesem Wege bis zu seinen
Ohren gelangen. Er wählt, um seinen Zweck zu erreichen, das geeig
netste Mittel und mahnt ihn an den Tod, an einen höheren Richter, an
die unsäglichen Strafen der Hölle ■— Beweggründe welche in jener
Zeit, in der der Glaube an ein Jenseits, an eine höhere Vergeltung
bei Allen fest stand, allein noch etwas wirken konnten. Wir wissen ja
aus der Geschichte, dass gar mancher alte Sünder dessen Hartnäckig
keit nichts zu beugen im Stande war, vor den Schrecken der ewigen
Verdammniss zurückbebte und durch irgend eine fromme Stif
tung die täglichen Gehete gottesfürchtiger Priester und Mönche zu
seinem Seelenheile zu gewinnen suchte, um seine Schuld zu sühnen
und nicht trostlos und verzweifelnd von hinnen zu scheiden. Um
jedoch seinen Worten Eingang und mehr Nachdruck zu verschaffen,
belegt sie der Verfasser, wie wir gesehen haben, mit einer Menge
Stellen aus der h. Schrift und den Vätern; denn schon damals wollte
man nichts glauben was nicht auf solche Weise erhärtet werden
konnte 40 ). Es ist natürlich, dass unser Dichter, um nicht von vorn
herein abzustossen und seinen Zweck zu vereiteln, anfänglich und
selbst im Verlaufe des Gedichtes mehr im Allgemeinen spricht,
obwohl gelegentliche Anspielungen nicht fehlen, und dass er erst
gegen das Ende diese Beziehungen mehrt, ferner dass er, um seine
Rede eindringlicher zu machen, den Sohn selbst hin zum Grabe
des Vaters führt und ihn V. 791—795 mit feierlichen Worten vor
das jüngste Gericht fordert: „Willst du wissen, wohin ich dich lade,
220
Joso pli Diemer.
ich lade dich dahin, weil du von Tag zu Tag immer mehr in den
Abgrund fällst. Bekehre dich also wenn du willst.“
Betrachten wir die Dichtung von diesem Standpuncte welchen
die vielen eingestreuten Anspielungen auf die beiden Heinriche und
die angedeuteten näheren Verhältnisse gewiss höchst wahrscheinlich
machen, so wird ihr Werth der an und für sieh schon bedeutend ist,
durch den Umstand, dass es in vielen, ja in den meisten Theilen als
ein politisches Zeitgedicht angesehen werden kann, noch mehr erhöht,
und wir dürfen füglich fragen, welche poetischen Denkmäler unse
rer ältern Zeit diesem an die Seite gestellt werden können ? Der
ergreifende Gegenstand, die würdige und zarte Behandlung desselben,
die Gewandtheit in der Sprache, die Lebendigkeit der Darstellung,
derReiehthum der Ideen und treffenden Bilder, der sittliche Ernst des
Ganzen reihen sie den besten Erzeugnissen unserer älteren Poesie an.
Nehmen wir die für jene Zeit grossen Kenntnisse welche der
Verfasser sowohl in diesem und, wie wir sehen werden, auch noch in
einem andern Gedichte, sowohl in der heiligen Schrift als in den
Kirchenvätern offenhart, die grosse Welterfahrung die er überall in
der Schilderung der Verhältnisse und Zustände an den Tag legt, so
wird sich uns die Frage aufdrängen, wo er sich diese bei uns am ersten
erwerben konnte? Die Beantwortung dieser Frage führt uns aber
wieder auf einen Punct der nebst den anderen das hohe Alter des
Gedichtes selbst mehr als wahrscheinlich macht. — Wir wissen aus
dem Leben Altmann’s das mit unserem Gedichte völlig gleichzeitig
ist 47 ) , dass nach der Einführung der Benedictiner in Göttweig statt
der früheren Chorherren (1094) der dortige Abt Hartmann, sowohl
wegen seiner Frömmigkeit, als seiner weltlichen und geistlichen
Kenntnisse, hohen ßeredtsamkeit und Feinheit des Benehmens
allgemein geachtet und selbst bei den Fürsten des Reiches sehr
gerne gesehen war; ferner dass sich unter seiner Leitung eine eigene
Schule bildete, in welcher sich viele durch Geist und wissenschaft
liche Bildung ausgezeichnete Männer, Schriftsteller, Maler, Bildhauer
und sonstige Künstler befanden 4S ). Es ist ferner bekannt dass er
Göttweig durch neue Bauten, Bücher, Gemälde, Pallien und besonders
durch Herbeiziehung frommer Priester zu solchem Ansehen und Ruhm
erhob, dass unter ihm Viele herangebildet wurden welche als
Äbte in andere Stifte begehrt wurden, ja dass selbst Heinrich IV.
seinen zweitgebornen Sohn Konrad, wie wir oben gehört haben, der
Kleine Beitrage.
221
Leitung unseres Hartmann anvertraut hatte, um ihn besonders für die
theologischen Wissenschaften auszubilden, da er ihn, wie es heisst,
zum Bischöfe von Speier machen wollte. Wir sagten oben schon, dass
viele Laien durch sein und seines Nachfolgers Einwirken den welt
lichen Stand verliessen und dort als Mönche (fratres conversi) oder
Schüler eintraten, zu deren Aufnahme Hartmann selbst vom Papste
Urban II. durch ein Schreiben v. J. 1099 die Bewilligung erhalten
hatte 49 ). Wir lesen dass nicht nur für den geistlichen Stand son
dern auch zur Erziehung und weiteren Ausbildung für das weltliche
Lehen manche adeliche oder wohlhabende Familien ihre Sohne in das
Stift Göttweig gaben, wovon in dem jüngst erschienenen Saalbuche
desselben mehrere Beispiele namentlich aufgeführt werden 50 ). Wir
erwähnten auch, dass sich unter den ersteren ein nobilis fr ater
Erchinfridus befand der früher den Waffen lebte, dann aber
den weltlichen Stand verliess und sich inden Wissenschaften so
sehr ausbildete, dass er zum Abte und Stellvertreter Hartmann’s
ernannt wurde, als dieser 1096 nach Kempten zog, um die dortige
Abtei zu übernehmen 51 ). — Wir fragen nun, wo konnte unser Dichter
damals bei uns eine solche Bildung oder einen derselben und seiner
geistlichen Richtung die sich in dessen Dichtungen kund gibt, mehr
zusagenden Aufenthaltsort finden als in oder um Göttweig? Auch er
mochte mit Erchenfried in völlig gleichem Verhältniss gestanden haben;
er gehörte dem Laienstande an, hatte, was aus seinen Schilderungen
des gewöhnlichen Lebens unter Hoch und Nieder hervorgeht, die Welt
kennen gelernt und stammte, wenn nicht aus einem edlen, so doch
gewiss aus einem wohlhabenden bürgerlichen Geschlechte des
Landes; denn eine solche Ausbildung konnten damals Wenige aus
den untern unbemittelten Ständen erhalten. Nun beruft sich aber
unser Heinrich ausdrücklich auf einen Abt Erchenfried , für den er
eine besondere Hochachtung und Zuneigung haben musste, da er für
ihn so wie für sich die Erlangung des Himmelreiches erfleht und
der um 1120 noch immer leben konnte: da nun unser Gedicht
offenbar in diese Zeit, oder genauer noch vor das Jahr 1114 fällt, in
welchem sich die meisten deutschen Fürsten gegen Kaiser Hein
rich auflehnten, so kann der Dichter auch nur diesen Abt Erchen
fried von Göttweig und nicht jenen von Melk gemeint haben. Dazu
kommt noch dass von seinem wissenschaftlichen Streben ausdrück
lich und aus fast gleicher Zeit Erwähnung gethan wird und dass
Sitzb. <1. phil.-hist. CI. XVIII. ßd. II. Hft. IS
222
Joseph Diemer.
er, wie wir später ausführlicher zeigen werden, nicht nur im Allge
meinen unterrichtet war, sondern selbst schaffend wirkte, während
von dem gleichnamigen Ahte des Stiftes Melk hierüber nichts, oder
sehr wahrscheinlich durch Verwechslung mit jenem, nur Irrthüm-
liches verlautet. Man kann daher, da auch alle anderen Beziehun
gen auf Göttweig hindeuten, mit Grund annehmen dass zu dem
äusseren Verkehre beider Männer der durch den gleichen Aufent
halt vermittelt wurde, auch noch eine Art geistiger Verwandtschaft
trat, die durch gleichartiges wissenschaftliches Forschen und Stre
ben sich um so inniger mochte gestaltet haben.
Anmerkungen*).
1) Vgl. meine kleinen Beiträge. Theil I, S. 3—16 und österr. Blätter für Literatur
und Kunst. Jahrg. 1854, Nr. 9—14.
2 ) Vgl. dessen Abhandlung: Zur Geschichte des Reims. Berlin 1852. S. 38—41.
3 ) Quedlinburg, Basse, 1837, Thl. I, S. 342 ff.
4 ) Pez, Scriptt. 1, 96.
5 ) Vgl. Pez, 1, 133 d.
6 ) Deutsche Gedichte des 12. Jahrhunderts, herausg. von J. F. Massmann. Th. II, S. 160.
7 ) Vgl. W. Wackernagers ausgezeichnete Geschichte der deutschen Literatur. Basel
1848, S. 275.
8 ) V. 28: ceit unt stat bischerte. Das Wort bescheren, eigentlich schenken, zu Theil
werden lassen, könnte hier auch noch durch beglückte übersetzt werden.
9 ) V. 56 ist zu lesen: der ist harte erworden. Vgl. Diemer: Deutsche Gedichte des
11. und 12. Jahrli. 154, 2 und 159, 16.
10 ) Auf dem Concil zu Toulouse im Jahre 1119 wurde im Artikel IX ausdrücklich ver
ordnet: ne pro sacri olei et chrismatis et sepulturro acceptione pretium exigatur.
Mansi XXI, 225, dasselbe Verbot: ut pro chrismatis, olei sacri et sepulturae accep
tione nullum venditionis pretium exigatur, wurde später auf dem Lateraneusischen
Concilium 1139 unter Nr. 24 wiederholt; Mansi XXI, 526. Nicht minder auch auf
dem Reimser 1148, Art. 16 mit denselben Worten, Mansi XXI, 713, später kommt
es, wenigstens im 12. Jahrhundert, nicht mehr vor. Eben so wurde auf dem Concil
zu Guastalla unter Paschalis II. am 22. October 1106 unter Nr. 5 bestimmt: Ne quis
abbas, arcbipresbyter, praepositus audeat possessiones ecclesi® sum vcndere, commu-
tare, locare vel in feudum dare sine communi fratrum consensu vel episcopi proprim
ciuitatis. Mansi XX, 1209, vgl. auch Lambert von Uersfeld ad annum 1071.
ir ) V. 153 lies: Bediv unzucht.
12 ) Über die Sitten der Ritterschaft sagt ein etwas späterer Schriftsteller, Peter von Blois,
völlig noch dasselbe wie unser Verfasser: Porro ordo militum nunc est ordinem non
tenere. Nam cujus os maiore verborum spurcitia polluitur, qui destestabilius iurat,
qui minus Deum timet, qui ministros Dei vilificat, qui ecclesiam non veretur, iste
hodie in caetu militum fortior et nominatior reputatur. Epist. 94 ad I Archidiacon.
') Die aus dem Gedichte von des todes gehugde angeführten Verszahlen beziehen sich
auf meine Ausgabe desselben, welche der Abhandlung „über das Pfalfenlehen“ folgen wird.
Kleine Beiträge.
223
13 ) Daher sagte auch selbst Papst Paschalis in seinem Vertrage mit Heinrich V. im J. 1111:
In vestri autem regni partibus episcopi vel abbates adeo curis secularibus occupantur
ut coraitatum assidue frequentare et militiam exercere cogantur: qu® nimirum aut.
vix aut nullo modo sine rapinis, sacrilegiis, incendiis aut homicidiis exhibetur,
Ministri vero altaris, ministri curiae facti sunt: quia civitates, ducatus, marchionatus
monetas, turres et caetera ad regni servitium pertinentia a regibus acceperunt. Vgl.
Concilia Germanorum von Schannat und Ilarzheim, Colonia 1760, III, 260; bei
Mansi XX, 1007. Nach Caesarius von Heisterbach soll ein Pariser Geistlicher gesagt
haben: Omnia credere possum, sed non possum credere, quod unquam aliquis episco-
pus Alemanniae possit salvari. Als Ursache davon wird angegeben: Quia pene omnes
episcopi Alemanniae utrumque habent gladium spiritualem videlicet et materialem; et
quia de sanguine iudicant et bella exercent, magis illos sollicitos esse oportet de
stipendiis militum, quam de salute animarumsibi commissarum .... Distinctio II, c.27,
Ausg. v. Jos. Strange, Colonia 1851, I, 99. Auch sagt der heil. Bernhard : „Conceditur
ergo tibi ut si bene deservis, de altario vivas; non autem ut de altario luxurieris,
ut de altario superbias, ut inde compares tibi frena aurea, sellas depictas, calcaria de-
argentata, varia griseaque pellicia a collo et manibus ornatu purpureo diversificata.“
Vgl. Opera, Paris 1719. Epist. I, pag. 12.
14 ) In der Ausgabe Massmann’s fehlen nach V. 596, 38 Verse.
15 ) der (rede) ne solde mich nivht erdriezen
mähte ich ir geniezen
uor den nid®ren
die uil ofte phelegent ze besweren
des mannes muot,
der dem liute ivht ze gute getovt
mit siner guoten lere,
des sint si spottere.
daz si phelegent ze schelten.
Jüngere Judith bei Diemer, 127, 5—12.
16 ) vart ir ze der helle, daz ist mir Ieit:
swer dumben herfet der fluset sin arebeit.
swer so winchet dem plinten
der uerliuset sine stunde. L. c. Moses 87, 2—6.
17 ) des rates wil ich abe gan,
vil michel iamer muoz mich han
daz also maneger muoter harn
in die helle sol varn. L. o. 90, 7—10.
18 ) Nunc autem ex ej‘us industria omnes pene ecclesi® in episcopatu sunt lapide®, libris,
picturis et aliis ornamentis decoratae et quod maximum est, castis et eru-
ditis viris bene m u n i t ®. Insuper tota illa patria crebris coenobiis monachorum
et canonicorum refulget, in quibus nocte ac die magna diligentia divinum
officium fervet. Pez, Script. I, Sp. 223.
19 ) Salisburgensis (archiepiscopus Conrad I. 1106 —1146) accensus zelo justiti® non
patitur in sua parochia vel clericos conductitios (die zu mechanischer Verrichtung
der priesterlichen Geschäfte gedungenen herumziehenden Geistlichen, welche für jeden
feil waren) vel manifestos incestuosos altari ministrare. Nam cum habeat
latam parochiam et amplam per iter decem dierum vel amplius extensam non posses
infra tantum terminum in venire saltem unum conductitium vel
unum c Jerum incestuosum. Vgl. Martene, thesaurus anecd. tom. V, 1496.
Nicht minder lobt den Zustand der Kirche Salzburgs der Archidiakon Heinrich in
15 *
224
Joseph D i e in e r.
seinem Werke: de calamitatibus eeclesiae Salisburgensis, indem er sagt: Qu®, sicut
notum est per Universum regnum, longe pr®ibat alias ecclesias religione, hospita-
litate, castitate, et omni tarn seculari quam spirituali lionestate. Pez, thes. tom II,
pars III, p. 215.
20) Pertz, Scriptt. tom XI, 73, 27—39.
21 ) Vgl. Stülz a. a. 0. S. 120. Nur erst viel später um 1180 haben sich die Zustände
im Erzbisthume Salzburg, wie uns der Archidiakon Heinrich bei Pez, thesaur. II,
pars III, p. 216 berichtet, wieder bedeutend verschlimmert.
22 ) Siehe: Pez Bh. thesaur. V, 794. Hinc post longam Simoni® hyemem vernali suavitate
spirante reflorescit vinea Dominica, constituuntur coenobia et xenodochia, et nova
crebescunt laudum cantica .... Atque in ore Christo militantium laicorum laus Dei
crebrescit, quia non est in toto regno christiano, qui turpes eantilenas cantare
in publico audeat, sed tota terra jubilat in Christi laudibus etiam per eantilenas lingu®
vulgaris, maxime in Teutonicis quorum lingua magis apta est concinnis canticis.
23 ) Deutsche Gedichte des 11. und 12. Jahrh. Einleitung S. X. Vgl. hierüber besonders
das ausgezeichnete Werk des k. k. Haus-, Hof- und Staats-Archivars And. v. Meiller:
Regesten zur Geschichte der Markgrafen und Herzoge Österreichs aus dem Hause
Babenberg, Wien 1850, S. 347 ff.
24 ) Induta sanctimoni® habitu sub obedientia conuersata est abbatis de Kottwico. Ilor-
mayr, Wien, I, I, Urkund. p. 30, Nr. 11, und Göttweiger Saalbuch p. 272.
25 ) Österr. Blätter für Literatur und Kunst, 1854, Nr. 9.
26 ) Ibi (in Paris) proposito tempore studii transacto, dum ad propria redire properat, in
ccenobio Morimundensi ubi pernoctaverat, se monachum fecit, cum aliis quindecim,
qui secum venerant electissimis clericis. Qui etiam ut ab uno illorum audivi Friderico
nomine qui et ipse in abbatem PoYmkartenperge et deinde in Hungaria in episcopum
electus fuerat, omues in diversas dignitates promoti erant. Pertz, Scriptt. tom XI,
p. 610.
27 ) Vgl. Ankershofen, Urkunden-Regesten zur Geschichte Kärntens im Archive österr.
Geschichtsquellen, Bd. II, S. 222, und Hormayr’s Taschenbuch, Wien 1821, S. 259, Note.
28) Ygl. Yita Altmanni, bei Pez, Scriptt. tom I, p. 132, 40. Hartmanni exhortatione multi
nobiles relicto s®culo, ad deum convertuntur.
20) Vgl. Pez, 1. c. 230, D. und Keiblinger Ignaz Franz, Geschichte des Benedictiner-Stiftes
Melk. Wien, Beck, 1851, ßd. I, 292—295.
30 ) Vgl. Pertz, Scriptt. tom XI, p. 78, 3—10: dimidio ferme miliario lapides ad eam
(ecclesiam) propriis humeris nudipes ferre solebat.
31 ) diu triwe ist g®rlich erslagen
under den die l®ien sint.
der vater muz hazzen daz cliint,
er wirt des nimmer an sorgen,
vol w®hset er hiut oder morgen,
ern verstozze in alles des er hat
ob sein dinc unhmilich ergat,
daz er nach reichtum erarmet.
owe wie lutzel sich iemen erbarmet
alles seines chunnes über in.
Swa er sich des nutzes nicht versieht
deheiner dem andern vergibt
delieiner chunneschefte.
der herre versieht sich ze dem chnechte
noch der chnecht zu dem herren
weder triwen noch eren.
V. 272—288.
i
Kleine Beiträge.
225
Eine ähnliche Stelle aus einer etwas früheren Zeit findet sich fast mit denselben
Worten bei Wenrich im Thesaurus nov. anecdotorum von Martene Bd. I, p. 230, novas
in dominos perfidias servorum, omnimodas in servos suspiciones dominorum infidissimas
sodalium prodiciones, dolosas in ordinatam a Deo potestatem machinationes, amicitiam
l®di, fidem negligi....
32 ) Wie sehr den Vater der Verrath schon seines älteren Sohnes Konrad schmerzte, zeigt
die Stelle bei Berthold v. Const. z. J. 1093, wo es heisst: Henricus vero.. . in quan-
dam munitionera se contulit, ibique diu absque regia dignitate moratus, nimioque dolore
affectus, seipsum ut ajunt morti tradere voluit.
33 ) Unter werltliche richtsere sind nach einer prosaischen Erzählung vom Ende der Welt
aus dem 14. Jahrh. in W. WackernagePs altd. Handschriften der Basler Universitäts-
Bibliothek, Basel 1835, S. 23: „der Chaiser von Rome, Alle chünig, Alle hertzogen,
Alle grafen“ zu verstehen.
34 ) Ex hujus disciplinatu sunt multi abbates in diversis locis constituti, qui omnes vestigia
magistri in virtutibus ejus sunt secuti. Inter quos discipulos regis H. filius claruit, qui
ad episcopatum Spirensem electus fuit, sed morte praeventus apicem regiminis minime
obtinuit. Vita Altmanni bei Pez, Scriptt. I, 133, 41. Dann §. 40: Unde principibus
totius regni erat acceptissimus et ipsi regi Ileinrico V. familiarissimus: qui et eum in
archiepiscopatu Juvavensi sublimare disposuit....
35 ) Paschalis II. schreibt um 1111 selbst dem Kaiser Heinrich V.: Ex quo vobiscum illam,
quam nostis, pactionem fecimus, non solum longius positi, sed ipsi etiam, qui circa nos
sunt, cervicem adversus nos erexerunt et intestinis bellis viscera nostra collacerant et
multo faciem nostram rubore perfundunt. Cod. Udalrici Bab. n. 271. Mansi XX, 1094.
3G ) So rieth z. B. 1122 der päpstliche Legat Adalbert, Erzbischof von Mainz, dem neu
erwählten Bischöfe Gebhard von Wiirzburg; si in usus Apostolici Romam trecentas
libras miserit mihique sexcentas dederit, gratiam nostram obtinebit, et de negotio
suo deinceps certus et securus manebit. Addo quoque compositioni nostrae, ut
amicos suos obsides mihi tribuat, qui in quodlibet voluntatis me® placitum mihi
praesidium conferant, ipseque mihi auxilium contra omnes praebeat, sic ut nullum
excipiat. Codex Udalrici Nr. 335 bei Eccard. Script, p. 349.
37 ) Das Wort Jungelinc darf uns nicht befremden, es wird dasselbe erstens mehr des
Reimes wegen gebraucht, zweitens bedeutet es überhaupt einen jungen Mann; so wird
z. ß. in der Kaiserchronik 151, 30; 152, 16; 155, 11, Odnatus (Mucius Sc®vola),
ebenfalls bald der Held, bald und nur im Reime 154, 18, der Jüngling genannt, ja es
kommt selbst der Ausdruck alter Jüngling vor, was offenbar mehr als Ritter oder Held
zu übersetzen sein mag. Rother 2163. Nibelung. 1621, 3. Auch wird der Amman,
welchen Abraham zu Nahor sandte, um für seinen Sohn Isaac um die Rebekka zu
werben, jungelinch genannt. Gen. Fundg. II, 34, 25.
38 ) Die schwache Form des Zeitwortes beweget findet sich auch V. 244. Gerne
hab wir geredet | daz die phaffen beweget vnt die muniche ze grozem zorne.
Was hier aufregen heisst, kann in dieser Stelle füglich mit rühren übersetzt
werden, so dass sie auf folgende Weise gegeben werden kann: du hättest auch
sehr leicht davon sprechen können, dass dich der Schmerz der väterlichen Liebe nicht
(endlich) gerührt oder zur Reue bewegt habe. Der Verfasser spielt nämlich hier auf
sehr feine Art auf den Verrath des Sohnes gegen den alten Vater und den
Schmerz, welchen er ihn dadurch verursachte, an, und gibt Heinrich V. zu ver
stehen, dass es sich wohl zieme, am Grabe seines Vaters in seiner Rede ein
paar Worte der Reue über seine Übelthat einfliessen zu lassen.
39 ) Vgl. Stenzei, 1. c. S. 605.
40 ) Nicht minder sagt auch Raumer in der Geschichte der Hohenstaufen, Leipzig 1823,
I, 256, dass Heinrich sich auch durch Schönheit und Gewandtheit des Körpers aus-
226
Joseph Dieraer. Kleine Beiträge.
zeichnete und ihn vor unzähligen der Herrschaft würdig machte, was selbst von seinen
Feinden anerkannt werde.
41 ) Versunde dich nicht durch deine chint,
der leben ist ouch als ein wint.
ir ungemute (1. gemute) ist untugentlich,
ze allem laster gebrouchlich,
ze der frumheit ungehorsam,
unt gemachest aber du sei lobesam
daz gestet dich nicht vergebene.
V. 867—873.
Vgl. hiezu die Stellen V. 80: daz lant si niemen vergeben stan. u. V. 800: So stet
mich nicht vergebene swaz mir ze vreuden ie geschah.
42 ) ich hete vil mit dir ze redene
daz muz ich versweigen,
wan ob du groz not wellest vermeiden
so bedenche dich enceit.
o we wie lutzel dir diu helle vergeit. V. 874—878.
43 ) Vgl. Göttweiger Saalbuch S. 26, 260 und 146.
44 ) Ygl. Stenzei, a. a. 0. S. 612, 653.
45 ) Ygl. Stenzei, a. a. O. S. 629.
46 ) Sed imperitis et sseculari tantum scientia obcoecatis nil ratum videtur, nisi plurimis
scripturarum testimoniis roboretur. Honorius. Summa gloria de apostolico. Bei Pez,
thes. II, pars 1, p. 180.
47 ) Pez, Script. 1, 133; 41.
48 ) Auch das Stift Krerasmünster stand um diese Zeit zu Anfang des 12. Jahrhunderts von 1130
—1140 wegen seiner vorzüglichen Leitung unter dem Propste Adelram in hohem Ansehen,
virum generosum et abbatem preedicandum tanta religione et honestate est immutatus
ut caeteris circumquaque abbatiis, prsediis, aedificiis, libris, picturis et aliis ornamentis
sit pradatus : insuper et viris litteris eruditis et artibus egregie peritis insigniter usque
hodie fulgeat exornatus. Vita Altmanni §. 10. Da aber auf dieses Stift durchaus keine
Beziehung nachweisbar ist, so kann es wohl nicht dasselbe gewesen sein.
49 ) Vgl. Codex traditionum des Stiftes Göttweig von W. Karlin, S. 258, wo es heisst:
„Laicos sine clericos seculares ad conuersionem suscipere nullius episcopi uel prepo-
siti eontradictio uos inhibeat.“ Beispiele von vielen solchen Laien liefert uns das
Göttweiger Saalbuch aus dieser und der folgenden Zeit S. 15, XLVI; S. 16, XLVIII,
nobilis Poto mundo apud nos renuncians; S. 17, LIV, quidam Heinricus secularem
miliciam apud nos in spiritualem comniutans (circa 1100); S. 22, LXXVI; S. 35,
CXXXV; S. 40, CLX, quidam nobilis nomine Wichardus, qui spretis pompis secula-
ribus nobiscum regulariter est conuersatus; S. 41, CLXVIII, CLXIX u. s. m.
50 ) Beispiele davon liefern S. 18, LXI; S. 19, LXII; S. 21, LXXI; S. 47, CXLII1 des
Saalbuches.
51 ) Cum Dominus Hartmannus regimen Campidonensis Monasterii tenebat, interim nobilis
frater Erchinfridus nomine, abbatiam in Gottewic, ex consensu Hartmanni et Udalrici
Episcopi et electione fratrum, regebat. Hic primitus laicus in armis vivens deinde
sEeculum reliquens literas studiose didicit et usque ad noinen Abbatis pervenit qui et
ipse bona Monasterii in multis auxit. Vita Altmanni 1. c. §. 41.
Dr. Karl Scherz er. Die Indianer von Santa Catalina Istlavacan.
227
Die Indianer von Santa Catalina Istlavacan (Fraaenfuss).
Ein Beitrag 1 zur Culturgeschichte der Urbewohner Central-Amerikas.
Von Dr. Kurl Schcrzer.
Wohl schwerlich hat sich irgend einer der bezwungenen
Indianerstämme Central-Amerikas so ungemischt erhalten, wie die
Bergbewohner von Santa Catalina Istlavacan im Hochlande von
Guatemala, Abkömmlinge des alten, berühmten Stammes der
Quiches. Der Gründer ihres Reiches war Nima-Quiche oder der
grosse Quiche, einer der Häuptlinge der Tolteken, welche von Tanuh
geführt und aus dem Norden kommend, zu Anfang des 7. Jahrhunderts
zuerst auf dem Plateau von Mexico erschienen. Mit dem eigenen
Stamme im Kampfe und von dem einstürmenden, wilden Jägervolke
der Chiehimeken verdrängt, verliess Nima Quiche, der Eingebung
eines Orakels folgend , um die Mitte des 11. Jahrhunderts die alte
Tolteken-Residenz Tula und wanderte an der Spitze seiner Getreuen
gegen Süden. Nima-Quiche sollte jedoch das Ziel seines Zuges nicht
erreichen. Er starb noch während des Marsches. Nun irrte sein Volk
viele Jahre lang in den Bergen des heutigen Guatemala umher, bis
es endlich den Attitangsee entdeckte und in dessen Nähe sieh nieder
zulassen beschloss. Hier gründete es ein neues Reich und nannte
dasselbe zur Erinnerung an seinen verstorbenen geliebten Führer:
Quiche. — Acxopil, Nima-Quiche’s Sohn, war der erste Regent von
Utätlan, der neuen Residenz des Quiche-Reiches.
Als Pedro Alvarado mit seiner Schar von Abenteurern zu An
fang des 16. Jahrhunderts diese Länder bekriegte, sass Tecum Umam,
der fünfzehnte König auf dem Throne von Quiche. In der Ebene von
Tzaccaha, in der Nähe des heutigen Quesaltenango fiel die entschei
dende Schlacht vor. Die Armee Alvarado's zählte nicht mehr als 300
Mann Fussvolk, 135 Reiter und ungefähr 300, durch Zwang alliirte
Indianer, 4 Kanonen und einige Dominicaner-Mönche. Die feindliche
Macht der Quiehe’s hingegen wird von den Eroberern, wahrscheinlich
um ihren Sieg desto mehr zu verherrlichen, auf 70.000 Mann ange-
228
Dr. Karl Scherzer.
geben. Jedenfalls muss der Kampf ein verzweifelnder gewesen sein;
denn die wüthenden Indianer packten zuletzt sogar die Pferde der
Streitenden beim Schweife, und warfen sie mit Montur und Reiter um.
Der Zamalä färbte sich von dem Blute der Kämpfer, und führt noch
bis zur Stunde den Namen Xeguijel oder Blutfluss. Tecum Umarn
aber der letzte der unabhängigen Quiche-Könige, fiel im Zweikampfe
mit seinem Unterjocher Pedro Alvarado durch einen Lanzenstich,
sterbend noch den Göttern fluchend, die seinem Feinde den Sieg
gegeben.
Des Mordens, Raubens und Brennens von Seite der Sieger war
jetzt kein Ende. Kein Stein der alten Qniche-Residenz blieb auf dem
andern *) und es darf den Forscher der in unseren Tagen mit einem
Gefühle von Pietät die Ruinen der alten indianischen Königsstadt
besucht, nach solchen vandalischen Vorgängen nicht Wunder nehmen,
von allen den Baudenkmalen welche einst ein friedlich gedeihendes
Volk unter despotischem Einflüsse dort geschaffen, gegenwärtig nichts
mehr als wüstumherliegende Trümmer übrig zu finden, das melancho
lische Bild des tragischen Geschickes seiner Erbauer! Auf der noch
rauchenden Asche der zerstörten Stadt erhob sich die erste katholische
Capelle und am Tage nach der entscheidenden Schlacht, am Pfingst
sonntage 1524, feierte daselbst ein Dominicaner die erste heilige
Messe.
Vor den Verfolgungen der spanischen Eroberer fliehend, verliess
jetzt das Volk der Quiche’s die Stätte und die Tempel seiner Väter
und zog sich in die wildesten, verschlossensten Bergthäler der
Altos zurück, um dort in der Ebene und auf den Hügeln, wie es gerade
die seltsame Bodenbeschaffenheit dieses gewaltigen Gebirgslandes
gestattete, ihre Hütten wieder aufzubauen. Fromme Mönche und
bekehrungseifrige Missionäre waren seither die einzigen Fremdlinge
welche zuweilen in diese Wildnisse drangen, und die heidnischen
Eingebornen in ihrer Waldeinsamkeit aufsuchten.
Entfernt und abgeschlossen von dem öffentlichen Verkehr und
seinem reformirenden Einflüsse haben die Indianer von lstlävacan,
obwohl seit Jahrhunderten zum Christenthum bekehrt, noch immer
*) „Mande quemar la ciudad 6 poner por los cimientos, porque es tan peh’groso y tan
fuerte, que mas parece casa de ladrones que depobladores“ .... Brief Pedro Alvarado’s
an Ferdinand Cortes, ddo. 11. April 1324. Vergl. Edition Barcia, tom I, p. 139.
Die Indianer von Santa Catalina Istlavacan.
229
viele Sitten und Gebräuehe ihrer heidnischen Vorfahren ziemlich
unverändert bewahrt. Der Besuch einer solchen weltabgeschiedenen
Gemeinde, meilenweit umher nur von steilen hohen Bergen und dichten
Wäldern umgeben, schien mir in ethnographischer wie in humani
stischer Beziehung so viel des Interessanten und Belehrenden zu
bieten, dass ich am 21. Juni 1854 trotz mancher schriftlichen und
mündlichen Warnung vor der Gefahr eines solchen Unternehmens
mein Maulthier von der Hauptstrasse seitab nach einem schmalen
Fusspfad lenkte, der über schroffes Gestein und steile Bergabhänge,
durch riesige Tannenforste und reissende Waldbäche nach Santa
Catalina Istlavacan führt. Die Unwirthharkeit dieser Gegend über
trifft jede Beschreibung. Einmal kamen wir an einen ungefähr 40 Fuss
breiten Bergstrom, von den Indianern Massä genannt, den wir in einer
Höhe von ungefähr 60 Fuss auf zwei dicken, quer über den Fluss
gelegten Baumstämmen mit Thieren und Gepäckstücken über
schreiten mussten. Nach unsäglicher Mühe am entgegengesetzten
Ufer angelangt, stellten sich der Fortsetzung unsers Bittes nicht
minder bedenkliche Hindernisse entgegen. Ein kolossaler, jäh auf
steigender Felsblock schien jedes weitere Vordringen unmöglich
machen zu wollen. Nirgends auf der ganzen Steinmasse fand man
Gelegenheit sich festzuhalten, und glitt der Fuss auf der schlüpfrigen
Fläche zufällig aus, so war Sturz und Tod unvermeidlich. Es vergeht
auch kein Jahr,j wo nicht selbst von den wenigen Wanderern welche
ihr Beruf durch diese Wälder führt, zwei oder drei derselben der
erwähnten gefährlichen Passage zum Opfer fallen. Gleichwohl sind
die civilisationsscheuen Indianer dieser Bergregion nicht zur Aus
besserung der lehensfeindlichen Stelle zu bewegen. Bleiben sie doch
durch eine solche Unwegsamkeit desto länger und sicherer von einem
lebhafteren Verkehr mit der Aussenwelt abgeschlossen!
Nach einem 14stündigen beschwerdevollen Bitt erreichten wir
endlich Istlavacan. Der Pfarrer des Dorfes, der edle Pater Vicente
Hernandez, durch den Corregidor des Districts von unserem beab
sichtigten Besuche bereits in Kenntniss gesetzt, empfing uns auf das
Freundlichste und Zuvorkommendste. Seine Wohnung war klein und
unansehnlich, aber gemächlich eingerichtet. Vor dem Wohnhause
standen eine Anzahl Indianerknahen, unaufhörlich bereit die Befehle
des hochwürdigen Pfarrers entgegen zu nehmen. Ich sah diese
wilden Pagen niemals in das Zimmer selbst treten; Pater Vicente
230
Dr. Karl Scher zer.
verkehrte mit ihnen immer nur durch das Fenster oder die Thür.
So oft diese Jungen mit dem Pfarrer sprachen, veränderten sie stets
ihre natürliche Stimme und schlugen dieselbe um ein paar Töne
höher an, was unter den meisten Indianerstämmen als ein Zeichen
besonderer Verehrung gilt.
Am Morgen nach meiner Ankunft kam der Häuptling der Indianer
von Istlävacan (von den Spaniern el Gobernador genannt) zum
Pfarrer, um sich die Erlaubnis zu erbitten, im Verein mit den andern
indianischen Autoritäten des Dorfes den Fremdling bewillkommnen zu
dürfen. Die Begrüssung geschah in einer ziemlich geräumigen Stube,
deren Einrichtung jedoch nur aus einem Tische und wenigen Stühlen
bestand. Eine Anzahl von 20 Männern, meistentheils schöne, kräftige
Gestalten, waren bereits versammelt, als der Pfarrer und ich ein
traten. Die scharfeckige Form ihrer Backenknochen, die niederen
schmalen Stirnen, ihre stechend schwarzen Augen, ihre platten breiten
Nasen, ihre struppigen dunklen Kopfhaare, ihre Bartlosigkeit und die
lolibraune Farbe ihres Körpers schienen hier mehr wie bei anderen
von uns besuchten Indianerstämmen Central-Amerikas den unver-
mischten Urtypus zu bekunden. Da das Klima in den Bergen von
Istlävacan, bei einer Höhe von mehr als 8000 Fuss über dem stillen
Ocean schon ziemlich rauh ist, so kleiden sich dessen Bewohner
grösstentheils in grobe Wollstoffe von dunkelbrauner Farbe, welche im
benachbarten Quesaltenango, der Hauptstadt der Altos, fabricirt werden.
Der Gobernador hielt nun in der Quiche-Sprache eine Anrede
welche Pater Vicente die Güte hatte, mir ins Spanische zu übersetzen.
Dieselbe drückte die Freude der Bewohner von Istlävacan darüber
aus, einen Fremden in ihrer Mitte zu sehen, welcher durch seinen
Besuch wie durch die Aufnahme die er findet, das verleumderische
Gerücht widerlegen könne, als lebten in diesen Bergen nur Wilde
und Mörder, als seien sie keine Menschen sondern nicht viel besser
als Thiere! *) — Ich antwortete hierauf, wie glücklich ich mich fühlte,
4 ) Die Meinung- der Indianer, dass sie von der weissen Race für nicht viel besser
als Thiere gehalten würden, findet ihre Begründung in den böswilligen Berichten,
welche um das Jahr 1536 von den damaligen Colonisten in höchst egoistischer
Absicht über die Urbewohner des spanischen Amerikas nach dem Mutterlande gemacht
wurden, in Folge dessen sich Papst Paul III. sogar bewogen fand, ein besonderes
Breve ddo. Rom, 10. Juni 1537 zu erlassen: „Attendentes Indos ipsos utpote veros
homines non solum christianae fidei capaces existere, set ut nobis innotuit ad
lidem ipsam promptessime currere.“ Vergl. Herrera, Ocho Decades vol. I, p.139—141.
Die Indianer von Santa Catalina Istlavacan.
231
der Dollmetscher ihrer guten Gesinnungen bei der Regierung von
Guatemala sein und von dem herzlichen Empfang berichten zu können,
der mir in meiner Eigenschaft als Fremdem in diesen Bergen zu Theil
geworden ist. Ja, ich konnte nicht unterlassen hinzuzufügen, dass ich
aus einem Lande zu ihnen gekommen, welches, obwohl viele tausend
Meilen entfernt, doch aufrichtigen Antheil an ihrem Schicksal nimmt,
und dass wohl keine gebildete Nation der Erde sie mehr für Yernunft-
lose Menschen oder gar Thiere halte, sondern für Wesen, hervor
gegangen aus derselben gewaltigen Schöpferhand, gleichberechtigt
zum selben Welt- und Seelenheil.
Als Pater Vicente diese Worte den anwesenden Indianern ver-
dollmetsehte, warfen sie sich Alle auf die Erde, und indem sie unver
ständliche Worte vor sich hinmurmelten, suchten sie durch Mienen
und Geberden ihren Dank und ihr Entzücken über diese Versicherung
kund zu gehen. Es war wirklich ergreifend zu sehen, wie diese braunen
Söhne des Waldes, an deren Race die spanischen Eroberer so mör
derische Grausamkeiten verübt, jetzt einen weissen Fremdling dafür Dank
wussten, dass er sie nicht für Thiere oder Mörder halte. Erst als der
Pfarrer die Indianer zu wiederholten Malen aufstehen hiess, erhoben
sie sich wieder und verliessen mit einem Gruss das Zimmer, nachdem
vorher noch ein Jeder einzeln sich verbeugt und dem Pater und mir
den entblössten Vorderkopf zur Berührung hingestreckt hatte. Diese
Betastung des Vorderhauptes mit den Fingern der rechten Hand gilt
unter denlndianern vonlstlävacan als eine Art von Magnetismus, als die
Übertragung einer wohlthätigen Kraft auf den Berührten. Und so gross
ist der Glaube dieses Urvolkes in die heilbringende Wirkung einer
solchen Handauflegung, dass kein Indianer vor dem Pfarrer vorüber
geht, ohne nicht jedesmal in kniegebeugter Stellung den Vorderkopf
zur Berührung hinzustrecken.
Der Einfluss den Pater Vicente seit den wenigen Jahren, die
derselbe unter den Indianern von Istlavacan lebt, auf ihren sittlichen
und materiellen Fortschritt geübt, hat bereits manche überraschende
Resultate zur Folge gehabt. — Seinem Eifer und seiner Energie ist
es gelungen, die Marimba, ein indianisches Lieblingsinstrument, ab-
zuschaffen und den Verkauf des Branntweins in seinem Pfarrbezirke
zu verbieten. Durch die Verbannung der Marimba, einer Art Hack
brett, haben viele frivole Belustigungen aufgehört, welche immer
wilde Trinkgelage und anstandverletzende Tänze im Gefolge hatten.
232
Di*. Karl Scherz er.
Durch das Verbot des Branntweins aber wurde der Gesundheit und
der Sittlichkeit ein noch grösserer Dienst geleistet; denn sobald der
Indianer zu trinken beginnt, weiss er sich nicht länger mehr zu be
herrschen. Die wilde Orgie einer Nacht macht ihn oft für viele darauf
folgende Tage arbeitsunfähig. Man mag es hauptsächlich diesen
beiden Massnahmen zuschreiben, dass die Ansiedler von Istläva-
can sich gegenwärtig mit ziemlichem Fleisse der Cultur des Bodens
widmen.
Weniger glücklich war der eifrige Pfarrer bisher in Bezug auf
die Hebung des geistigen und religiösen Zustandes seiner Gemeinde.
Obschon laut alten Kirchenbüchern die ich im Pfarrhaus von Istlävacan
einzusehen Gelegenheit fand, die ersten regelmässigen Taufhand
lungen in diesem Dorfe bereits im Jahre 1600 von zwei Franciscaner-
Mönchen vorgenommen wurden, so ist doch erst seit wenigen Monaten
den Anstrengungen des Pater Yicente die Gründung der ersten
Schule gelungen. Und selbst diese wird nur von zwölf Schülern
besucht, obgleich die Dorfgemeinde an 6000 Köpfe stark ist, und der
ganze Pfarrsprengel über 25.000 Seelen zählt.
Ebenso steht die Gemeinde von Istlävacan, was ihren christ
lichen Fortschritt betrifft, auf einer nicht viel höhern Stufe wie zur
Zeit, als katholische Missionäre die ersten Taufhandlungen verrich
teten. In ihrer frommen Hast, so schnell als möglich die ganze Be
völkerung des neuen Continents den Segen der Lehre des Erlösers
theilhaftig werden zu lassen, und dabei der Sprache des Landes völlig
unkundig, haben sich die ersten Mönche welche mit Pedro Alvarado’s
Armada landeten, grösstentheils nur mit der Taufe der Heiden
beschäftigt 1 ). Die späteren Grausamkeiten der Eroberer und ihr
rohes Vernichtender heidnischen Idole waren nur wenig geeignet, die
Eingebornen für die neue Glaubenslehre empfänglicher zu machen und
so sehen wir zwar heute die meisten centralamerikanischen Indianer
getauft, aber nur in den Herzen der Wenigsten hat trotz den auf-
*) Gil Gonzales Davila hatte auf seinem ersten Zuge durch die Provinz Nicaragua (A. D.
1522) während einer Reise von 224 span. Leguas, 32.264 Indianer getauft. — Der
Geschichtschreiber Fernandez de Oviedo meint, er würde gerne bereit sein, Einen
Goldthaler für jeden getauften Indianer zu bezahlen, der im Stande ist, seinen Tauf
namen zu sagen und das Vaterunser und das Ave Maria zu wiederholen, und blos einen
Maravedi (die kleinste spanische Münze) für jeden Indianer nehmen, der dies nicht
könnte, und gleichwohl bei dieser Operation ein sehr gutes Geldgeschäft machen.
Die Indianer von Santa Catalina Istlavacan.
233
opferndsten Bemühungen mancher ihrer geistlichen Seelsorger eine auf
richtige Bekehrung zum Christenthum stattgefunden. Mit kaltem
Starrsinn noch immer an ihrem alten Glauben festhaltend, haben sie
ihren früheren Götzen blos andere Namen beigelegt. Sie verehren
scheinbar Gott und meinen in ihrem Innern die Sonne, sie rufen die
heil. Jungfrau Maria an und denken sich dabei den Mond; sie beten
laut zu den Heiligen der katholischen Kirche und stellen sich unter
jedem einzelnen Schutzpatron einen andern Stern vor. Die Verwe
gensten und Schlauesten unter ihnen gingen zuweilen sogar schon
so weit, im Geheimen hinter dem Altäre ihrer Pfarrkirche Höhlungen
zu machen und darin kleine Götzenfiguren zu verbergen. Und während
sie der Pfarrer vor dem Christuskreuze am Hauptaltar betend dachte,
waren es verborgene, heidnische Gottheiten denen sie huldigten.
Die ersten spanischen Missionäre glaubten in der Beibehaltung
einzelner heidnischer Gebräuche ein günstiges Mittel gefunden zu
haben, um das Werk der Bekehrung zu erleichtern und die Zahl der
indianischen Neophvten bedeutend zu vermehren. Und darum sehen
wir noch heutzutage in Central-Amerika viele kirchliche Festlich
keiten von einem gewissen heidnischen Nimbus umgeben. Die meisten
Kirchen-Processionen sind gleichzeitig von hässlich maskirfen in
dianischen Tänzern mit Thierlarven begleitet, welche unter Schellen
geklingel, Pfeifenspiel und wilden einförmigen Trommelschlägen *)
auf die burleskeste Weise vor einer Heiligenfigur herumhüpfen, und
durch ihre lustige Ausgelassenheit dem Festzug völlig den ernsten
Charakter einer christkatholischen Kirchenfeier benehmen.
Bei allen solchen Anlässen spielt die Kerze eine Hauptrolle. Die
Indianer scheinen dem Lichte eine besondere Wirkung beizulegen.
Niemals tritt eine Indianerinn in die Kirche, ohne nicht mindestens
eine lange, dicke Wachskerze mitzubringen. Je mehr Kerzen, desto
grösser ist die Feierlichkeit, desto vornehmer ist die Betende. Ich
*) Die Instrumente deren sich die Indianer bei solchen Anlässen bedienen, sind nicht
harmonischer als ihre Melodien. Sie heissen: EI Pito, el atambor, el Tun und la
Tortuga. Der Tun ist ein Stück ausgehöhltes Ebenholz, gewohnlich 18 Zoll lang und
4 Zoll im Durchmesser, auf das fortwährend mit einem kleinen Ilolzstäbchen ge
schlagen wird. Die Tortuga ist ein aus den beiden festen Theilen der Land-Schildkröte
verfertigtes Instrument, dem die Indianer ganz eigentümliche Töne zu entlocken
verstehen, indem sie wie beim „Tun“ mit eiuem hölzernen Stäbchen unausgesetzt auf
dasselbe schlagen.
234
Dr. Karl Scherzer.
sah oft an Festtagen barfüssige Indianerinnen ganze Bündel von
solchen langen, schweren Wachskerzen unterm Arm nach der Dorf
kirche tragen und sie dort unter zahllosen Bekreuzungen irgend einem
Schutzpatron anzünden. Ob jedoch bei einer derartigen Gelegenheit
ihr Gebet wirklich einem Heiligen der katholischen Kirche, oder
ob dasselbe fortwährend noch den Idolen ihrer heidnischen Voreltern
gilt, ist ein Geheimniss das selbst der kluge Pater Vicente noch
immer nicht zu lüften vermochte. Derselbe erzählte mir vielmehr wie
er einmal seihst unbemerkt Augenzeuge gewesen ist, als eine In-
dianerinn in der Dorfkirche vor dem Standbilde des heil. Michael
niederkniete und zuerst dem Teufel zu den Füssen des Heiligen, und
dann erst dem heil. Michael selbst eine Kerze anzündete. Die
Indianer haben nämlich weit mehr Furcht vor den bösen Geistern
wie vor den guten. In ihrer Einfalt glauben sie, der Gott der Liebe
könne sich unmöglich so grausam an ihnen rächen als der Geist der
Hölle; und darum opfern und beten sie in der Regel zu Beiden.
Die wichtigste Person in allen Geschehnissen des Lehens ist
noch immer der Aj-quig oder Sonnenpriester, welcher hier ziemlich
dieselbe Stellung einnimmt wie der Medecine-man unter den Indianern
des Nordens. Es soll nach der Vermuthung des Pater Vicente Her-
nandez in der Gemeinde von Istlävacan noch immer einige sechzig
solcher Aj-quigues geben *), gegen deren betrügerisches Beginnen
der Aufklärungseifer des Pfarrers bisher vergebens kämpfte. — Die
Werkzeuge (Ivi-ji-val), deren sich diese Sonnenpriester bei ihren
Wahrsagungen bedienen, sind gewöhnlich Bohnen, Maiskörner, Berg-
krystalle und Figuren aus Holz oder Stein. Sie prophezeien Glück
undUnglück, Überfluss und Misswachs, Finsternisse und Kometen.
Sie beschwören und citiren den Teufel, rächen sich an ihren Feinden,
heilen mittelst Kräutern, Wurzeln, Baumrinden, Öl und Thierfett und
bedienen sich allerlei mysteriöser Worte, die gerade sie seihst am
allerwenigsten verstehen. Werden diese Zauberer zu einem Kranken
gerufen, so drücken und saugen sie an der leidenden Stelle, um, wie
sie vorgeben, durch diese Operation den Schmerz aus dem Körper zu
Von den folgenden Adivinos, welche noch zur Stunde in IstLsivacan und San Miguelito
zu gewissen Zeiten Götzendienste verrichten, sind dem Pater Vicente sogar die Namen
bekannt. Sie heissen: Juan Juney, Juan Chox, Juan Zikim, Lorenzo Coti, Francisco
Ximata, Manuel Lopez, Diego Xtös, Cristobal Ixquiaptap, Juan Choxpatel, Cruz Jum,
Isabel Lopez Napaquisis, Baltasar Ixquiaptap, Manuel Perechu, Alonzo Jum, Ali Chian.
Die Indianer von Santa Catalina Istlavacan.
235
ziehen. Zuweilen schwitzen sie selbst stundenlang, seufzen, zittern,
und machen die wunderlichsten Geherden, bis sie zuletzt eine schwarze,
kugelförmige Substanz aus dem Munde ziehen, angeblich den Teufel,
der im Körper des Kranken gesteckt und ihm den Schmerz verursacht
hat. Die Verwandten des Patienten bringen hierauf diese Substanz
ins Freie und suchen dieselbe auf die bizarrste Weise und unter den
sonderbarsten Ausrufungen zu zertreten und zu zerstören.
Wird ein Kind im Dorfe geboren, so erhält der heidnische Götzen
priester von diesem Ereignisse viel eher eine Kunde, als der katho
lische Pfarrer. Erst wenn dem neuen braunen Weltbürger durch den Aj-
quig das Horoskop gestellt, der Name irgend eines Thier es beigelegt,
Mi-si-sal (das citronengelbe Harz des Rhus copallinum), verbrannt,
ein Lieblingsgötze angerufen und noch viele andere abergläubische
Mysterien verrichtet worden sind, wird das Kind nach dem Pfarr-
hause zur christlichen Taufe getragen. Das Thier dessen Name dem
Kinde kurz nach seiner Geburt vom Sonnenpriester heigelegt wird,
gilt gewöhnlich auch als sein Schutzgeist (nagual) fürs ganze
Leben.
Nicht weniger eigenthümlich als diese Geburts-Ceremonie ist die
Sitte welche bei den Indianern einer Verheirathung vorausgeht. In
der Regel sind es die Eltern welche dem Sohne ein Weib be
stimmen. Gefühlsheirathen kommen hei diesem wenig sentimentalen
Volke nur selten vor. Oft wird das künftige Paar schon mit 6 oder 8
Jahren vor Zeugen versprochen. Von der Stunde an, wo dies ge
schehen, wohnen Beide zusammen in demselben Hause und verkehren
oft noch Jahre lang wie Gespielen mit einander. Wenn das Mädchen
12, der Junge 14 oder 15 Jahre alt ist, erfolgt meistentheils schon
die Verheirathung. Dieselbe wird durch Tänze und Mahlzeiten ge
feiert, und auch hei diesem Anlasse werden die Person und die
Instrumente des Sonnenpriesters weit mehr in Anspruch genom
men als der Pfarrer und die heiligenden Mittel der katholischen
Kirche.
Und wie im Leben, so besitzt diese abergläubische Race sogar
noch für den Moment des Todes ganz eigentlhimliche Ceremonien,
um ihren Schmerz und ihr Beileid auszudrücken. Stirbt einer von
ihnen, so wird er gewaschen, frisch gekleidet und in einen einfachen
Sarg aus roh zusammengefügten Brettern gelegt; — hierauf wird
Mi-si-sal verbrannt, ein Geiger gerufen und im wilden Reigen um den
236
Dr. Karl Scherze r.
Todten herumgetanzt. Die Indianer stellen sich den Tod blos als einen
Übergang nach einem andern Orte vor, an dem der Geschiedene mit
Fleisch und Blut, nur unter glücklicheren Verhältnissen fortlebt.
Darum gehen sie auch ihren Todten Esswaaren, Sandalen, Waffen und
andere Gegenstände die er im Leben besonders geliebt, mit unter
die Erde. Die Messen die sie in der Pfarrkirche für ihre Ver
storbenen lesen lassen, betrachten sie als Grüsse und Erinnerungen
welche sie den theuren Dahingegangenen nachsenden.
Die Opfer welche die Indianer von Istlavacan ihren Götzen
bringen, bestehen dermalen grösstentheils nur in Früchten und im
Verbrennen von Kopal. Gleichwohl soll es im indianischen Hochlande
von Guatemala, wenn schon höchst selten und nur in den pein
lichsten Nöthen, noch immer Vorkommen, dass einem, im Rufe grosser
Macht stehenden Götzen neugeborene Kinder geopfert werden. Bei
einer solchen schaurigen Veranlassung wird das arme Kind durch den
Sonnenpriester aufgeschlitzt, das frische Blut als Opfergabe unter
Schreien, Tanzen und Trommeltönen vor dem Idol auf einen Stein
hingespritzt und sodann der Leichnam des Kindes im Walde ver
scharrt *).
Die bedeutendsten Gottheiten der Indianer von Istlavacan, denen
sie noch bis zur Stunde zu gewissen Zeiten im Geheimen im düsteren
Urforst opfern und zu deren Ehren sie zuweilen sogar Feste begehen,
heissen: Noj, der Genius der Vernunft, Ajmak, der Genius der Ge
sundheit, Ik, der Mond, Kanil, der Genius der Aussaat und Juiup, der
Gott der Erde, welcher unter den Indianern das böse Princip vor
stellt, im Gegensätze zu Kij, dem Gotte des Lichtes, dem guten
Princip.
Die Gottheit Juiup soll ein unförmiger Steinklotz von 3 Fuss
Höhe und 1 Fuss im Durchmesser sein und die fratzenhafte Nach
bildung eines Menschenkopfes darstellen. Allein nur die wenigsten
Gottheiten der Indianer sind leblose Steine oder rohgeschnitzte Holz-
figuren. Ein mächtiger Berg, ein seltsam geformter Hügel, ein kolos
saler Baum, eine dunkle Höhle verwandeln sich in der Phantasie des
*) Der Corregidor von Totonicapam im Staate Guatemala, Don Rosendo Garcia de Salas,
versicherte mich, dass die bekehrten Indianer des Dorfes Attitang am Fusse des Vulcans
gleichen Namens noch vor wenigen Jahren ein neugebornes Kind geopfert haben, um
ihrer Meinung nach den zürnenden Feuerberg zu beschwichtigen, aus dessen Innern
sich wochenlang ein unheimliches Getöse (Retumbos) vernehmen liess.
Die Indianer von Santa Catalina Jstlavacan.
237
leichtgläubigen Eingebornen rasch in ebenso viele Götter-Asyle. Es
scheint, dass die Indianer, seitdem ihnen die Spanier die meisten
ihrer Götzen zerstört haben, diese in das Innere der Berge und
Höhlen geflüchtet wähnen. — Muss aber auch der heidnische Glaube
der braunen Bewohner Central-Amerikas sowohl aus christlichen,
wie aus rein menschlichen Rücksichten verurtheilt werden, so kann
man sich gleichwohl nicht erwehren, zuweilen die poetischen Aus
drücke zu bewundern, in denen dieses halbcivilisirte Volk noch bis
zur Stunde zu seinen alten Göttern spricht. Ich erlaube mir die wort
getreue deutsche Übersetzung eines indianischen Gebetes mitzu-
theilen, das kürzlich noch ein Sonnenpriester von Istlävacan des Nachts
im Tannenwald vor einem mächtigen Hügel 1 ) bei Gelegenheit der
Geburt eines Kindes sprach, und in dem sich katholische Andachts
weise und wilder Götzenglaube auf das Absonderlichste verquicken.
Ich verdanke dieses interessante Document der Güte des Herrn Pfarrers
Vicente Hernandez und vermag dessen Echtheit zu verbürgen.
Gebet.
„0 Jesus Christus, mein Gott! Du Sohn Gottes, der du mit dem
Vater und dem heiligen Geiste Ein einziger Gott bist! Heute an diesem
Tage, zu dieserStunde, amTage vonTijax, beschwöre ich die heiligen
Seelen welche die Morgenröthe und die letzten Strahlen des schei
denden Tages begleiten! Zugleich mit diesen heiligen Seelen beschwöre
ich dich, du Fürst jener Geister welche den Berg von Sija-Raxquin
bewohnen! 0, ihr anderen Sonnenpriester, denen Alles was ge
schieht, bewusst ist, und du, Fürst der Vernunft, du Genius des
Windes, du Genius des Berges und du Genius der Ebene, Don Puru-
peto Martin, kommet und empfanget diesen Weihrauch und diese
Kerze!
Ich der sich zum Pathen und zur Pathinn dieses Kindes bekennt,
ich der Euch anfleht, ich der Zeuge und Bruder dieses Säuglings,
der zu Euch fleht, dieses Menschen der sich zu Eurem Sohne bekennt,
ich beschwöre Euch, o heilige Seelen, erlaubt nicht, dass ihm irgend
ein Leid widerfahre, noch dass er auf irgend eine Weise unglücklich
*) Die Orte, wo noch gegenwärtig 1 Götzendienste gehalten werden (adoratorios),
heissen: Chui-sija, Caxtum, Pa-cora; die Orte, wo früher Menschen geopfert
wurden (sacrificatorios de victimas humanas), heissen: Tziha-pek, Sempoal, Chui-
sibeles.
Sitzh. d. phil.-hist. CI. XVIII. ßd. II. Hft.
16
238
Dr. Karl Scherz er.
sei. Ich der jetzt zu Euch spricht, ich, der Sacerdote, ich der diesen
Weihrauch verbrennt, ich der diese Kerze anzündet, ich der für ihn
bittet, ich der ihn unter seinen Schutz nimmt, ich flehe zu Euch,
gewähret, dass er leicht seine Nahrung finden möge! Schicke ihm,
o Gott, die nöthige Baarschaft, erlaube nicht, dass er am Fieber
erkranke, oder vom Schlagfluss befallen werde, oder am Keuchhusten
erstieke, oder durch eine Schlange gebissen werde; gestatte nicht,
dass er sich verwunde, dass er von Kurzathmigkeit befallen oder gar
wahnsinnig werde; lasse nicht zu, dass er von einem Hunde gebissen,
oder getödtet werde durch den Blitz; verhindere dass er sich er
drossle durch einen übermässigen Genuss des Branntweins oder sterbe
durch das Eisen oder den Stock; gestatte eben so wenig, dass er
davongeführt werde durch den Raubadler; — steht ihm bei, ihr
Wolken, golden gefärbt durch die Abendröthe! Hilf ihm, o Blitz,
hilf ihm, o Donner! Hilf ihm, o heiliger Peter, hilf ihm, o heiliger
Paul, hilf ihm, du ewiger Vater!
Und wie ich bisher zu seinen Gunsten gesprochen, so beschwöre
ich Euch gleichfalls , dass Ihr Krankheit über seine Gegner kommen
lassen möget; machet, dass, wennsein Feind das Haus verlässt, er nur
dem Unheil und der Noth entgegen gehe; machet, dass wo er immer
hingehe, er nur Unglück und Elend finde; handelt überhaupt immer
und überall gegen ihn, gerade umgekehrt, wie Ihr gegen meinen
Schützling handeln würdet, und thut, wie ich Euch inständigst bitte!
0 heilige Seelen, möge Euch Gott begleiten, Gott Vater, Gott Sohn
und Gott der heilige Geist! So sei es! Amen.
Die bekehrten Indianer von Istlävacan bedienen sich noch bis
zur Stunde häufig der Zeitrechnung ihrer heidnischen Voreltern. Sie
theilen, ähnlich den Indianern Mexico’s*), das Jahr in 18 Monate 2 ),
und jeden Monat wieder in 20 Tage ein und ersetzen die zur Ergän
zung unseres Sonnesjahres noch fehlenden S Tage durch sogenannte
dias baldios oder Supplement-Tage. Jeder dieser 20 Tage hat eine
*) Yergl» Antonio de Horrera, Ilisloria general de las Indias, vol. II, Dec. III, Cap. 18,
p. 7o und L. de Gomara, Cronieä de la Nueva Espada, c. 191, p. 177. (Edicion
Barcia.)
2 ) Die Namen der* 18 Monate sind: Nox (G.enins der Vernunft), Tijax, Cajux, Ajpu,
Imok, 1k (Mond), Akbal (spärlich), Kat (Feuer), Kam (Schlange, auch gelb) Ka-moy
(Tod, Biss), Kuyex', Kanil (Aussaat), Tox, Tzi (Hiind), Batz, Ee, Tzikim, Ajmak
(Genius der Gesundheit).
Die Indianer von Santa Catalina Istlavaean.
239
gewisse Bedeutung und wird von den abergläubischen Urbewohnern
mit gut, schlecht oder indifferent bezeichnet. Es gibt in jedem Monate
9 gute (dias buenos), 9 böse (dias malos) und 2 indifferente Tage.
Wenn die Indianer irgend etwas beginnen, so trachten sie immer,
dass eine solche Handlung am Tage eines guten Zeichens geschehe,
während sie an denTagen eines bösen Zeichens Krankheit und Unglück
über das Haupt ihrer Feinde beschwören. (Se pidan disgracias y
enfermedades para los enemigos.) Das indianische Jahr fängt nach
unserer Zeitrechnung im Monat Mai an.
Bei den vielen verschiedenen Bedeutungen welche von den
Indianern häufig einem und demselben Worte beigelegt werden, und
bei der grossen Verschlossenheit welche die ganze braune ßace
namentlich in Bezug auf ihren überkommenen Glauben bewahrt, fällt
es ungemein schwer, sich genaue und richtige Angaben zu ver
schaffen um nicht anstatt zu erhellen, durch irrig Verstandenes noch
mehr Dunkelheit in die ohnedies schon so dunkle Geschichte der ersten
Bevölkerer Central-Amerikas zu bringen. Schon die ältesten Missio
näre und Geschichtschreiber klagen über diese hartnäckige Ver
schlossenheit, von welcher unter diesem schweigsamen Volke nicht ein
mal das weibliche Geschlecht eine Ausnahme zu machen scheint.
Bei der grossen Unwissenheit der Indianer Central-Amerikas
und ihrer tiefwurzelnden Abneigung gegen Alles was christlich ist,
dürfte ein oberflächlicher Beurtheiler leicht versucht werden, an einer
jemaligen wirklichen Besserung des Zustandes dieses unglücklichen
Volkes zu verzweifeln. Allein die Spuren sittlichen und industriellen
Fortschrittes, welchen wir unter den Bewohnern von Istlavaean sowohl
wie in manchen anderen Indianer-Ansiedelungen im Hochlande von
Guatemala getroffen, lassen die Befürchtung verschwinden, dass auch
in Central-Amerika wie im rauhen Norden die braune Bace einem
völligen Untergange verfallen sei. Die physischen wie die gesell
schaftlichen Verhältnisse stellen sich im spanischen Amerika wesentlich
verschieden dar. Die Zahl der weissen Ansiedler ist hier noch sehr
gering, ihre Zunahme wird nur allmählich geschehen. Weder die Be
schaffenheit des Klimas noch die Natur des Bodens gestatten hier
jenes wilde, hastige Vorwärtsdrängen der Pioniere der Civilisation
wie auf den Prärien im Westen des Mississippi. Dabei sind die
Eingebornen Central - Amerikas durch Jahrhunderte spanischer
Knechtschaft bereits weit nachgiebiger und fügsamer geworden als
16 *
240
Di*. Karl Schcrzer.
die Wilden des Red-River und des Missouri. Man begegnet in keiner
der fünf Republiken mehr einem noch völlig barbarischen Stamme,
wie z. R. in Oregon oder im Utah-Gebiete.
Um jedoch nicht blos den materiellen, sondern auch den gei
stigen und religiösen Zustand der Indianer Central - Amerikas zu
fördern, ist vor Allem eine genaueKenntniss der indianischen Sprachen
nöthig, welche gegenwärtig leider den meisten der dortigen Seelen
hirten abgeht. Wie ist es möglich, die Sympathien und das Ver
trauen eines so argwöhnischen Volkes wie die Indianer zu gewinnen,
ohne ihr Idiom zu verstehen, ohne sie in der Sprache ihrer Väter
anreden zu können. Die gründliche Kenntniss der Quiche-Sprache ist
das Hauptgeheimniss des Einflusses den Pater Vicente Hernandez
auf die Indianer von Istlävacan übt, und seiner, in Bezug auf Sitt
lichkeit und materiellen Fortschritt seit wenigen Jahren erzielten
Resultate. Durch einen längern Verkehr mit ihnen in ihrer Mutter
sprache, und ein allmähliches Heranhilden der jüngeren Generation
wird es dem indianerfreundlichen Pfarrer gewiss auch gelingen, den
geistigen und religiösen Zustand seiner Pfarrkinder zu bessern.
Wenn nur wenige Indianer-Ansiedlungen Central-Amerikas ein
so erfreuliches Bild des Gedeihens zeigen, wie das Bergvölkchen von
Istlävacan; wenn die meisten der bezwungenen Eingebornen seit drei
Jahrhunderten spanischer Herrschaft zwar mildere Sitten aber nicht
mehr Einsicht gewonnen haben; wenn der Einfluss des Christen
thums bisher darauf beschränkt geblieben, die alte Barbarei zu-ver
drängen, ohne dafür zugleich eine edlere Cultur an deren Stelle zu
setzen, so liegt dies hauptsächlich in dem grossen Mangel befähigter
Missionäre, und in den geringen Geldmitteln welche der katholischen
Kirche in Central-Amerika zu Gebote stehen, um ihre Macht und ihr
Ansehen zu entfalten. Ich traf während eines zweijährigen Wander
lebens in den fünf Staaten nur wenige geistliche Seelsorger welche
der Sprache ihrer indianischen Pfarrgemeinde in gleichem Masse
mächtig waren, wie der Pfarrer von Istlävacan. In vielen Theilen
des Landes verstehen zwar die Eingebornen bereits ziemlich gut
spanisch, in anderen hingegen reden sie noch ausschliesslich nur das
indianische Idiom, und die, dieser Sprache unkundigen Missionäre
müssen sich in solchen Fällen häufig eines Dolmetschers bedienen
um mit ihrer christlichen Gemeinde verkehren, und sich derselben
verständlich machen zu können.
Die Indianer von Santa Catalina Istlavaean.
241
Ein gewaltiger Schlag könnte den Sonnenpriestern welche
in Krankheitsfällen noch immer einen so mächtigen Einfluss auf die
Indianer üben, versetzt werden, wenn die Regierung die Seelenhirten
abgelegener Ansiedlungen, wo es weder Ärzte noch Arzneien gibt,
mit den wichtigsten Heilmitteln und einer Anweisung, sie zu ge
brauchen, versehen würde, damit sich diese aufopfernden Männer
den armen Indianern nicht blos in geistigen sondern auch in kör
perlichen Nöthen als Tröster und Helfer zu erweisen im Stande
wären.
Die weisse Race hat im Norden der vereinigten Staaten den
Versuch gemacht, die rothe Race völlig auszurotten, und dieses
schauerliche Experiment scheint ihr nur zu bald gelingen zu wollen.
Vielleicht greift man in Central-Amerika, wo Alles gleich der Natur,
mehr den Charakter der Milde und des Friedens an sich trägt, zu
dem sanftem Auskunftsmittel der Regeneration. Wenn man nur
einen Th eil des Interesses das man den steinernen Denkmälern in
den Wildnissen von Honduras und Guatemala widmet, auf die Race
übertragen möchte, welche muthmasslicherweise deren Erbauer ge
wesen, so dürfte es nicht schwer fallen, Millionen Herzen der christ
lichen Cultur zu gewinnen, Millionen schätzenswerthe Arbeitskräfte
diesem schönen Lande zu erhalten! Istlavaean und das sittliche
und materielle Vorwärtsschreiten seiner Revölkerung liefern uns
wenigstens den trostreichen Reweis der Möglichkeit einer socialen
Wiedergeburt der verwilderten Ureinwohner Central-Amerikas. Das
vollständige Gelingen dieser Aufgabe wäre einer der herrlich
sten Triumphe der Civilisation.
242
Joseph Diemer.
SITZUNG VOM 12. DECEMBER 1855.
Gelesen:
Kleine Beiträge zur älteren deutschen Sprache und Literatur.
Von dem w. M. Jos. Dicmer.
XV.
Ilber das Gedicht Tom „Pfaffcnlebcn“.
In der vorausgelienden Abhandlung habe ich das Gedicht von
der Erinnerung an den Tod etwas genauer untersucht, ich will
nun auch ein anderes in Betracht ziehen Avelches seinem Inhalte
nach mit dem ersten Tlieile des früher besprochenen und rück
sichtlich seiner Sprache mit dem Ganzen sehr viele Ähnlichkeit
besitzt. Es ist dies das sogenannte Pfaffenleben welches aus der
nämlichen Handschrift Nr. 2696 (ehemals R. 3176) der hicsigenHof-
Bibliothek im ersten Bande S. 217 — 238 der altdeutschen Blätter
von Haupt und Hoffmann ahgedruckt steht. Leider ist uns davon nur
ein kostbarer Torso von 745 Versen übrig gehliehen, in welchem
Haupt und Fiisse, Anfang und Schluss die uns vielleicht mehrfache
Aufschlüsse über den Verfasser hätten geben können, fehlen. Doch
auch das Vorhandene, durch eine Hand des XIII. Jahrhunderts nehst
anderen älteren Dichtungen überliefert , ist für uns in zwei
facher Hinsicht wichtig; denn es gibt uns erstens über das Ver-
hältniss dieses Gedichtes mit dem Gehugde noch weitern Auf
schluss, zweitens enthält es eine ebenso interessante Schilderung
jener Zeit, so dass es besonders Historikern und Theologen die sich
mit der altdeutschen Literatur nicht eigens beschäftigen, willkom
men sein dürfte, wenn wir daraus, so wie bei dem erstem, mehrere
Auszüge mittheilen.
Kleine Beiträge.
243
Es handelt hauptsächlich von dem Leben der damals noch häufig
verehelichten Geistlichen und der Frage, oh die Messe eines
gebannten oder sündhaften Priesters dieselbe Wirkung und Giltig
keit habe, wie die eines frommen. Es gewährt uns wie gesagt ein
recht lebendiges frisches Bild der Sitten damaliger Zeit und zeigt
die dringendeNothwendigkeit einer baldigen Abhilfe und der Einfüh
rung des Cölibats, wenn nicht Sittlichkeit und Tugend unterliegen
und, wie es ohnehin nicht selten vorkam, kirchliche Ämter und Wür
den von den Bischöfen herab bis zu den Pfarrern von einem Besitzer
auf den andern erblich übergehen und statt tüchtiger und frommer
Priester nur je die Nachkommen der Vorgänger, sie mochten nun
tauglich sein oder nicht, zur Pfründe gelangen sollten. Dadurch hätte
am Ende auch, was für die damalige Zeit nicht unmöglich war, eine
eigene Priesterkaste mit erblichen geistlichen Fürstenthümern an
der Spitze zum Nachtheile der Religion und des Staates entstehen
können >). Der Verfasser sagt:
„0 weh! Kaum wag’ ich dessen zu erwähnen, worüber nun Alle
die da Christen sind, seufzen und weinen sollten. Die uns belehren sollen,
sind blind und ihre Augen ohne Licht, sie haben wohl den Mund aber
sie reden nicht. Von ihnen hören wir ein Horn erschallen: sie seien
Hunde die nicht bellen mögen, von denen der Herr im Ezechiel spricht:
„Ich habe meinem Volke Israel dich, Menschensohn, zu einem Hiither
bestellt, du sollst auf der Höhe steh’n und Wache halten zu allen
Zeiten. Wenn du die Feinde mit Raub und Brand gegen mein Land
heranreiten siehst, so blas' dein Heerhorn und ruf’: Wer sich nicht
reitet, ist verloren, die Feinde reiten allenthalben herbei. Du sag’
meinem Volke, was es zu thun habe, auf dass es fechte oder fliehe,
ehe es der Feind umringf; wer sich nach diesem Rathe nicht wahrt,
wird er erschlagen oder besiegt, er hat seinen Tod selbst verschul
det. Willst du aber den Feind nicht ankünden und schmählich verza
gen, so musst du mir die Seelen derer die dann aus meinem Volke
verloren gehen, wieder ersetzen.“ Weh! wie seifen stehen die Geist
lichen auf der Warte, sie fürchten sich zu sehr. Die Feinde welche
mit blutiger Hand die entblössten scharfen Schwerter in die Lande
führen, sind die Scharen der Hölle. Mit Versuchungen umstellen sie
uns und schlagen, wie es ihnen gefällt alle, indem die rechten Hör
ner nur so selten ertönen. 0 weh! was wird aus ihnen werden? Wie
wagt er es, mein und meines Herrn Schuldner, sich hiernieden in
244
Joseph D i e ni e r.
einen Winkel zu verbergen, wie in eine tiefe Hölle. Ich meine die
geheimen Gemächer in denen sie sich pflegen, während die Feinde
das Volk quälen. Sie ziehen sich aus dem Getümmel zurück und
suchen nur im Wohllehen, im Weine und mit den Weibern und im
grossen Prunke ihre Befriedigung. Macht auf! Wer ist da ? Ein Gast
der um Einlass bittet, dem antwortet man verdrüsslich: „Mein Herr
ist nicht zu Hause, oder er ist unbass und leidet Schmerzen in den
Hüften“, und so muss jener seine Fahrt verlängern. Wann schliesst
ihr auf? spricht weiter der Gast, ich seh’ in des Wirthes Gemächern
hellen Lichtglanz und könnte mich mit ihm wohl berathen. Kommt
der Arme in seiner grossen Notli oder der Blinde und Krumme, auf
gleiche Art wird er entfernt. Kommt aber sein Hausfreund, so wird
er glänzend bewirthet. Man achtet nur auf diese angelegentlich und
schenkt ihnen Wein und Meth. Da sieht man sie auf weichen Polstern
sich die Becher reichen und mannigfache Unterhaltung beginnen, dann
sprechen sie von der Minne vo n der sie so viel geschrieben
finden. „Mit schönen Frauen soll sich Niemand als wir unterhalten,
wir wollen was uns zusteht, treiben, ihr Laien sollt ferne bleiben.“ Auf
diese Art ertönt das Horn von Jenen denen unser Herr befahl auf der
Warte zu stehen und seiner Lehre nachzufolgen. Den eifrigen Die
nern Gottes, den heiligen Lehrern und geistlichen Vätern wollt ihr
nicht ähnlich werden, so dass der Prophet des Herrn von euch einst
sagen wird: „Das Geschöpf ist in seinem Unflathe, nämlich im
Genüsse des Weines und der Weiber zu Grunde gegangen. Wahr
lich, ihr sollt sie von euch vertreiben und sie nicht länger hei euch
dulden, es sei denn die Mutter oder die Schwester die ihr ohne
Schmach behalten möget Ihr seid der Laien Licht und Leuchte
und ihr Spiegelglas, in euch erkennen sie sich Alle und was ihnen
an sich selbst missfällt. Seid ihr düster und trübe, so führt der
Blinde den Blinden in die Grube, die Grube aber ist die Hölle. Gott
bewahre euch und Jedermann dass er nicht dahin komme.“
Der Verfasser führt als Beispiel Salomon an, wie er ungeachtet
seiner Weisheit durch Unmässigkeit und Ausschweifung zum Abfalle
von Gott verleitet worden sei und widerlegt ferner den Einwurf
welchen die Priester gewöhnlich aus den Worten des Apostel Paulus:
es sei besser heirathen als Brunst leiden, entnehmen um ihren Umgang
mit Weibern oder den Ehestand der Geistlichen zu rechtfertigen 8 ). So
kräftig und wahr diese Stellen sind, so müssen wir doch den Leser darauf
Kleine Beiträge.
245
verweisen, sie im Buche selbst nachzusehen. Nur den Schluss davon
wollen wir anführen der folgendermassen lautet: „Ihre Pflicht will ich
hier angeben; sie sollen ihren Leib bezwingen mit Fasten und Wachen
und anderen geistlichen Dingen. Vergessen sie auf die deren milde
Gaben sie geniessen, so wird es ihnen wahrhaftig sehr verbittert
werden. Doch darauf achten sie leider wenig. Sie nähren ihre Flam
me fortwährend und wollen ihr Fleisch nicht bekämpfen, dass es
nicht so heftig brenne. Mtissiggang und Arbeit singen nicht dieselbe
Weise. Guter Trank nach guter Speise führt die Keuschheit zu
Markte. Trocknet doch selbst des Baumes Üppigkeit im Sommer der
kalte Reif. Wie sprengte nicht des heiligen Geistes Pfeife bald die
süss tönenden Saiten David's, da Gott nach dessen vielen Mühen sei
ner Noth ein Ziel setzte und ihn dafür vielfach belohnte! Da ent
flammte er bald in Liebeshitze und heirathete, nachdem er dessen
Diener Urias wegen seiner Frau hatte tödten lassen.“ Ferner heisst
es: „Verwünscht sei Zeit und Stunde, in welcher der sich mit den
Weibern herumwälzen will der vor dem Kreuze Gottes mit empor
gehobenen Händen steht. Ein vermählter Laie steht innerhalb des
Gesetzes. Will er sich dem Tische des Herrn nahen, so mag er sich
5 Tage vorher und eben so viele darnach durch Keuschheit reinigen,
vielleicht dass Gott es in seiner Huld erlaubt; keine Nacht aber kann
ich erfragen, in welcher es dem Priester gestattet wäre, seinem Leibe
nachzugeben, wenn er in der Woche nur einmal das heilige Mess
opfer darbringen soll. Opfert er darin dem Vater seinen Sohn, so
müssen sich die Himmel öffnen und alle englischen Heerscharen sind
dabei gegenwärtig und dienstbar und nichts feiert man hiernieden
das je damit verglichen werden könnte.“ Ferner meint er, dass so
Viele unwürdig den Leib des Herrn empfangen und nach dem Apostel
Paulus dem ewigen Tode verfallen, indem sie wie Judas, Christus ver-
rathen. Auch sagt Beda: „Unser Herr der oberstePriester segne da sei
nen Leib und führe Klage bei den himmlischen Scharen undseinenDie-
nern über den Priester der nicht stets so lebe wie es sich geziemt,
er gleicht dem Diener der seinem Herrn im reinsten Golde die Speise
reiche, die Hände aber nicht gewaschen hat, trotz aller Schönheit
der Goldgefässe werde ihm die Speise doch verleidet.“ Der unreine
Diener möge dies wohl bedenken. Versündigt sich ein Mensch gegen
einen andern, so kann er es nach des Propheten Lehre leicht wieder
sühnen. Wer aber gegen den höchsten Herrn so grosse Schuld
246
J o s e p h D i e m e r.
verübt, wie soll der je Gnade finden , wenn er sich nicht bekehrt
und fortan in Busse lebt?“
„Wir wollen nun ein Wort an die Laien richten, es ist gut dass
man sie ermahnt, da es selten Jemand wagt ihnen entgegen zu
treten. Sie sagen die Messe sei unrein, wenn der Priester in Sünden
lebt; das ist durchaus falsch. Glaubten sie es wirklich, so haben sie
dadurch Gott selbst gelästert. Wo ist derjenige der vor Gott wür
dig wäre, den der arme Mensch weder bessern noch verschlechtern
kann? Da läge wenig Kraft in seinem Opfer. Ich will euch ferner
sagen: die Taufe und den Leib des Herrn bewirkt nur der Segen.
Wir sollen nicht forschen nach dem Leben desjenigen der die Hand
lung vollzieht. Ist er mit Sünden belastet, so gereicht es nur ihm zum
Verderben; die Gnaden die daraus für uns zum ewigen Heile
entspringen, sind bei dem Schlechten wie bei dem Besten gleich
dauerhaft und wirksam. Was könnte wohl sonst den Glauben stärken,
als die Kraft die aus den Worten stammt? Der heilige Geist wirkt
hier Alles mit der Macht des Vaters und des Sohnes und seine
Gnade wohnt in uns und über uns. Erinnert euch an die Rede die ich
früher gehalten habe: Wo das Wort Gottes und die geweihte Hand
vereint am Tische des Herrn wirken, wird der Leib des Herrn in der
Messe von dem Sünder eben so gewiss verwandelt, als von dem hei
ligsten Manne der Priesters Namen je erhielt. Oh St. Peter selbst da
gegenwärtig ist oder der ärmste Sünder der ohne Blutschuld zum
Priester einst geweiht wurde, das Leben weder des Einen noch des
Andern kann die Gnade Gottes verändern. Wir wollen euch diese
Rede noch mehr erläutern: Tauft ein Jude oder ein Heide im Namen
der Dreieinigkeit, so wirkt Gott mit seiner Macht, dass die Taufe
nicht mehr verändert und die Kraft derWorte nicht verwandelt wird.
Anders verhält es sich bei der Messe. Wenn der Priester die Wei
hen nicht hat, so können, wie sie selbst zugestehen müssen, diese
Handlungen, dass sich das Brod unter seinen Händen in den Leib des
Herrn verwandelt, nicht kräftig geschehen. Daher sollen wir in ihm
die Weihe ehren und in die Wirkung seines Amtes keinen Zweifel
setzen.“ Der Verfasser spricht weiter, dass viele Priester jenen im
alten Testamente gleichen, welche ebenfalls, durch sündhafte Lust
geblendet, sich nicht scheuten, Susanna zum Tode zu verurtheilen,
da sie ihren Wünschen nicht folgte und dass nur Daniel sie gerettet
habe. Hierauf meint er: „Daniel war nur ein Kind an Jahren und
Kleine Beitrüge.
247
doch ihnen von Gott zum Meister gestellt, verkündete ich auf gleiche
Weise das Wort Gottes, so dürften sie es bei mir, obwohl sie es
selbst gar wohl verstehen, eben so wie bei Daniel gerne sehen.
Ist es ihnen aber nicht genehm, — dass ich ei n Sünder bin, so
soll ihnen doch die Schrift nach ihrem geistlichen Verstände zeigen,
dass einst auch eine Eselinn ihren Herrn das Gotteswort lehrte* da ihn
seine Habsucht dazu trieb, dem Volke Gottes fluchen zu wollen 3 ).
Wollen sie sich um sein Gebot nicht kümmern, so will ich bei
seiner Gnade schwören, mir kann es Niemand wehren, dass ich
nimmer schweigen, sondern so viel ich weiss von Gott reden werde,
es mag ihnen unangenehm und zuwider sein oder nicht“ . . . „Wer“,
sagt der Verfasser weiter, „in der Hurer Zunft leben will, soll nicht
das Priesteramt übernehmen. Gerne wollen wir die Laien unterwei
sen : Niemand sei so hoch zu ehren, als der Priester der fromm lebt
und mit dem Namen auch die Werke emsig übt. Der Prophet sagt
uns, er sei ein Engel des Herrn. Sollen wir ihnen der Engel Namen
geben, so müssen sie auch wie Engel leben. Wollen sie aber mit
schlechten Weibspersonen den Engel von sichtreiben und ihren Leib
mit ihnen beflecken, so sollen sie sich dessen ewig schämen. Was
soll dem Priester Zierlichkeit und Hofessitte? Er soll lieber den Leib
zur Keuschheit und Reinheit zwingen, seine Habe mit allen Christen
theilen, gerne Fremde sehen, den Dürftigen Hilfe gewähren, die
Waisen in Obhut nehmen und die Witwen wo er kann beschirmen,
diese Zierde geziemt ihm wohl, hat er sie nicht, handelt er seinem
Namen zuwider und entfernt er sich von Gott Der die Sitten
reinheit empfiehlt, entehrt sich selbst, wenn er rühmend Keuschheit
predigt und sie durch schlechtes Leben an sich Lügen straft. Dadurch
wird der Laie bös’ gesinnt: „Wie kann mir mein Lehrer was er
selbst thut verbieten?“ Wüsste er dass Unkeuschheit so gefährlich
sei, so würde er sie gewiss selbst vermeiden. Auch sprechen sie, sie
hätten gelesen, dass kein Laie selig werden könne der mit einem
Weibe ungesetzlich lebe, so würden auch die Geistlichen die kein
Gesetz befolgen kaum Verzeihung finden.“ Weiter sagt unser Ver
fasser: „Gerne sähen es die Fürsten, dass die Geistlichen als Leuch
ten aussen und innen durch ihre Tugenden glänzten. Sie sollen aber
auch darauf dringen, dass die Herren sie anständig behandeln, dass
sie ihre Keuschheit wahren und die Reuigen Verzeihung erhalten.
Es soll sie eine solche Freiheit schmerzen, dass die Priester nach der
248
Joseph D i e m e i*.
Übereinkunft der Päpste und Bischöfe am römischen Hofe, wie man
in Ungern und Böhmen und in allen deutschen Landen pflegt, mit
ihrer Hand den Pflug führen, dreschen und schneiden dass sie
am Ende der Bank bei den Knechten sitzen und mit ihnen unmässig
essen und trinken. — Gerne würden sie diese Zierde aufgeben.
Nun bitte ich Alle dass ihnen diese Bede nicht missfalle, da ich
nur die Wahrheit gesprochen habe; habe ich sie aber irgend verletzt,
so gereicht es mir zum Verderben und Christi Kreuz und Fahne
möge mich vor ihrem Zorne behüten.
Nun wollen wir auch zu ihren Weibern reden, denen ich
bestimmt sagen kann, dass diejenige welche unserem Herrn seinen Die
ner von dem rechten Wege ableitet, nichts Schlechteres als dies thun
könne. Derjenigen die sich dessen schuldig macht, wird es wider den
Zorn Gottes durchaus nichts nützen, wenn sie auch mit zehntausend
Pfunden ihre Sünde aufwägen und alle Tage die Armen für ihr Seelen
heil beschenken möchte. Sie müsste unserem Herrn auch alle ver
säumten Gebete in den verschiedenen Tagzeiten darbringen, was
nicht möglich ist.
Singt der Priester des andern Tages als er sie besucht hat, die
heilige Messe, so sollen wir sie dem Teufel überliefern, dass er sich
diese Braut hole.
Wie sie die Liebe auffassen, kann man an ihren Weibern sehr
wohl sehen. Sobald die Geschenke aufhören wird die Liebe spröde.
Da sein Streben dahin geht, Geld und Gut zu gewinnen, so vergrössert
er die Sünden derer denen er zu kann ungemein, bis jener ihn reich
beschenkt und sie damit sühnt. Er nimmt Feder und Pergament und
bringt seinem Weibe eine Liebesgeschichte. Ihre Eitelkeit
wird nie befriedigt und das Mass ihrer Untreue ist übervoll
Zwei goldene Armbänder sollst du tragen, mit Steinen besetzt und
gravirt, die ein braver Meister verfertigte und mir überliess, da sie
mir, liebes Weib, gefielen. Da beginnt des Teufels Jungfrau zu
lächeln. Sie besitzt viel des kostbaren Geräthes und Hemden und
Röcke, ihre Locken werden klein gedreht, die Handschuhe
hübsch genäht und sorgfältig angezogen. Die Goldborten sieht man
glänzen durch die gelben Risen (die horten sihet man glizzen durch
die gehvenrisen), sie schnüren sich fest zusammen und stehen geziert
vor dem Spiegel und auf einen neuen Bräutigam ruht all’ ihr Hoffen.“
Das Folgende wollen wir übergehen.
Kleine Beiträge.
249
Was wir oben über den innern Werth der Dichtung von der
Erinnerung an den Tod gesagt haben, findet, wie Jedermann zugeben
dürfte, auch auf dieses volle Anwendung. Wollen wir jedoch diesen
Dichtungen gerecht werden, so müssen wir uns in ihrer Beurtheilung
nicht minder als der Historiker in jener der Zeitereignisse auf den
jeweiligen Standpunct der Zeit setzen, aus der sie hervorgegangen
sind. Wir stehen auf den Schultern einer Vergangenheit die nach
Jahrtausenden zählt und haben uns an den geistigen Schätzen aller
Völker der Erde herangebildet. Wir sind durch das Beste und Aus
gezeichnetste was uns der Orient, was uns Griechenland und Rom
und die Gegenwart bieten, verwöhnt und bedenken nicht, oder sehr
selten, dass hinter diesen Dichtungen eine Zeit grosser Rohheit und
Unwissenheit in fast unmittelbarer Nähe steht und dass es selbst in
dieser noch etwas ganz Ausserordentliches war, in einer Sprache
zu schreiben und zu dichten, welche als noch unbezwungen und
zähe galt und wegen ihrer Härte dem Stahle verglichen wird der
erst auf dem Amboss gehämmert werden muss, ehe er gebogen wer
den kann 4 ). Wir müssen darin die ersten Versuche würdigen, sich aus
diesem Zustande wieder empor zu ringen, und werden dann gewiss
nur staunen über den grossen Fortschritt der von der Mitte des
XI. bis zum Anfänge des XII. Jahrhunderts gemacht wurde. Wir
dürfen daher in ihnen nicht Sehiller’s Schwung der Begeisterung,
Göthe’s sinnige Tiefe oder eines Rückert's überschwenglichen Reich
thum an den zartesten Bildern und Ideen suchen, sondern müssen
berücksichtigen und vergleichen, was jene Zeit die mehr als 7 Jahr
hunderte hinter uns liegt, überhaupt zu leisten im Stande war. Thun
wir dies, so werden wir keinen Augenblick anstehen zu bekennen,
dass unser Verfasser nicht nur auf der Höhe seiner Zeit stand,
sondern sie in vieler Beziehung überragte. Man wird zugehen müs
sen, dass unser Dichter es vor Allen ist der seine Zeit begriff und
von der Macht ihrer Ereignisse erfasst, den gewöhnlichen Weg
der Anderen verschmähend, den Stoff seiner Dichtungen nicht hlos
in ascetischen Grübeleien, nicht in den Gebilden der verschiedenen
Sagenkreise, sondern auf dem festen Boden des wirklichen Lehens
wählt und uns mitten in den grossen Kampf versetzt der damals
die ganze christliche Welt in Aufregung brachte. Der Verfasser
tritt, was das Interessanteste ist, seihst in die Schranken und kämpft
mit heiligem Ernst und der schneidenden Kraft seiner Worte für Recht
250
Joseph Di ein er.
und Tugend. Er stellt frei und unabhängig da „und lässt es sich
nicht wehren“, unbekümmert ob es Andern angenehm ist oder
nicht, die vielen wunden Stellen des Lebens der Geistlichkeit
sowohl als der Laien aufzudecken und schonungslos zu geissein.
Am meisten hat er es aber auf die verehelichten oder sonst in
unerlaubtem Umgänge mit Frauen lebenden Priester abgesehen und
er schildert die üblen Folgen welche daraus zum grossen Nach
theile der Religion und Sittlichkeit hervorgehen, mit unbarmherziger
Strenge so dass man nicht selten füglich Ansfand nehmen muss, seine
Worte in ihrer ganzen Schärfe wieder zu geben — ja überhaupt
manche Äusserungen aufzunehmen. Es zeigt dies am besten die dama
ligen Zustände und die Erbitterung mit welcher dieser Kampf geführt
wurde, indem sich daran selbst die Laien betheiligen und auf die
Zustimmung ihrer Umgebung rechnen durften. Manches mag jedoch
eben in der Hitze dieses Kampfes ungeachtet der Versicherung unseres
Verfassers, dass er nur die Wahrheit rede, doch zu grell gegeben
sein 5 ) und lässt vermuthen, dass er, wie selbst der Papst Paschalis,
früher der Bischof Altmann und später Gerhoch von Reichersberg, zur
Partei jener fast zu strengen Eiferer gehört habe welche die Geistlich
keit auf den ursprünglichen Zustand der Christenheit, d. i. zur gänzlichen
Armuth, zu überirdischer Sittenreinbeit und völligen Abtödtung des
Leibes durch Fasten und Kasteien zurückführen wollten. Man muss
sich daher wohl hüten über alle Geistlichen der damaligen Zeit vor
eilig den Stab zu brechen. Es gab der frommen und guten Priester
stets eine grosse Zahl, wie eben ihr eifriger Kampf mit den sitten
losen am besten zeigt. Doch von guten Menschen so wie von guten
Regierungen pflegt die Geschichte selten Vieles zu erzählen. Die
Tugend ist langweilig und nur das Laster das von der gewöhnlichen
Strasse abweicht-, interessant ?)i Aber auch gegen die verehelichten
und sündhaften Priester müssen wir billig sein und erwägen, dass die
vielen Gesetze welche bereits längst vor Gregor schon für die Kirche
im Allgemeinen gegen den Ehestand und das Concubinat der Geistlichen
erlassen und von ihm eigentlich nur erneuert und mehr eingeschärft
worden sind 7 ), in der früherenZeit, theils durch die minder mächtige
Stellung der Päpste oder durch die Schwäche und Lauheit Anderer,
theils wegen des grossen Widerstandes den sie häufig von unten
erfuhren , so dass die frömmeren Bischöfe desshaib selbst oft ihr
Leben gefährdeten, niemals streng durchgeführt werden konnten,
Kleine Beitrüge.
251
und dass sich eben dadurch unter den Geistlichen in verschiedenen
Orten mehr oder minder die Gewohnheit heranbildete, sieh zu ver
ehelichen, welche am Ende, wie es gewöhnlich geschieht, wenn auch
nicht als Recht hiezu, so doch als geduldet betrachtet werden
konnte 8 ). Es war daher die höchste Zeit dass Gregor energisch ein-
sehritt, um diesen Irrthum zu beseitigen und, wenn sonst nichts sein
Verfahren rechtfertigte, wäre das düstere Bild welches unser Verfasser
von dem Sittenverderbnisse eines Theils der Geistlichkeit entwirft,
hinreichend, um es zu thun und die Nothwendigkeit einer gründlichen
Reform zu beweisen. Man muss ferner in diesem vielfach getadelten Ver
fahren Gregor’s, meiner unvorgreiflichen Ansicht nach, um gerecht
zu sein, die damaligen Zeitverhältnisse gehörig würdigen und beden
ken, dass er durch dieselben gewissermassen in die Nothwendigkeit
versetzt war, sich entweder geradezu für die Priesterehe zu entschei
den, um ihr das Anstössige zu benehmen, oder ihr überall energisch
entgegen zutreten. Das Erste konnte er füglich nicht thun, ohne alle
früheren kirchlichen Satzungen umzustossen und dem Zeitgeiste, der
vorherrschenden frommen Richtung und den Ansichten selbst der
Laien zuwider zu handeln: er entschied sich daher für das Zweite,
was auch seiner inneren Überzeugung und jener so vieler frommen
Priester und Laien am meisten entsprach 9 ). Es darf uns aber auch
nicht wundern, wenn die verehelichten Priester, eingewiegt in die
süsse Gewohnheit der Sünde, Alles aufboten der Zumuthung die
Ihrigen zu verlassen, zu widerstehen , wenn sie ferner , da dieses
wegen der Strenge Gregor’s und seiner Nachfolger und der eifrige
ren Bischöfe und Priester nicht mehr möglich war, sich am Ende
fügten, dafürabersich in anderen Genüssen, im Wohlleben, in Gesell
schaften u. dgl. zu entschädigen suchten. Dazu kam noch die Unter
stützung welche sie in ihrem Widerstande gegen die Bischöfe und
ihre Verordnungen von Seite der weltlichen Partei fanden, welche
ihr Benehmen, wenn auch nicht rechtfertigte so doch dulden musste 1 “).
Daraus entstand, wie bei allen solchen plötzlichen Übergängen, jene
allgemeine Verwirrung und der theilweise äusserst sittenlose Zustand
der Geistlichkeit, gegen welchen der bessere Theil derselben, zu
deren Partei offenbar auch unser Verfasser gehörte , mit der
ganzen Kraft des Wortes und selbst auch des besseren Beispiels
ankämpfte. Dass dieser Kampf bei uns in die erste Zeit des XII. Jahr
hunderts falle und in den Schilderungen Gerhoeh’s nur mehr nachhalle
252
Joseph Diemer.
oder auf die übrigen Theile Deutschlands gerichtet sei, glaube ich
nach dem bereits Gesagten nicht weiter beweisen zu dürfen.
Als Beleg dieser Ansicht müssen wir, wenn es dessen noch wei
ter bedarf, auf einen Umstand aufmerksam machen den wir bei der
Erörterung des Gedichtes von der Erinnerung an den Tod absichtlich
übergangen haben, weil er hier wiederholt und noch ausführlicher
behandelt wird. Es ist dies der Streitüber die Giltigkeit desMessopfers
und der Sacramente überhaupt die von einem gebannten oder sitten
losen und verehelichten Priester ertheilt werden. Es geht derselbe,
wie bekannt, bis in die Zeiten Gregor’s zurück und wurde besonders
von Bernold von Constanz in mehreren kleinen Schriften gegen die
Giltigkeit geführt. Dagegen erhoben sich selbst viele gute und fromm
gesinnte Priester der Partei Gregor’s und unter Andern besonders der
Anonymus eines Schreibens an Gregor das sich im Martene, thesaur.
anecd. tom I. col. 230 ff. findet, welcher ganz auf ähnliche Weise,
wie unser Dichter, aus den Kirchenvätern und der heiligen Schrift
bewies, dass der Lebenswandel des Priesters nicht den Werth des
Sacramentes bestimme und dass dasselbe durch einen Unwürdigen
nicht befleckt werden könne. Auch der Gegenpapst Clemens III.
(Wibert) verdammte im J. 1089 in der Synode zu Rom ausdrücklich
die Ansicht der Gegner J1 ), bis man auch von der andern Seite anfing
einzusehen, dass die allzu gross« Strenge hierin wegen der unge
heueren Masse von Gebannten nur das allgemeine Sittenverderbniss
fördere, und auf dem Concil zu Piacenza unter Urban II. 1095 wenig
stens zum Theil der Ansicht beitrat, der Werth der Weihen und
Sacramente hänge nicht von der Würdigkeit oder Unwürdigkeit derer
ab welche sie ertheilten. In Folge dessen änderte auch Bernold seine
Ansicht 13 ) und der Grundsatz fand bis auf den heutigen Tag all
gemein Geltung: Minister conficit saeramentum non per gratiam sed
per characterem. Damit scheint dieser Streit völlig aufgehört zu haben,
bis er später durch die französische Schule und in Deutschland durch
Gerhoch der in seinem Eifer die gegentheilige Meinung vertrat, wie
der auftauchte. Gerhoeh’s Behauptung erregte jedoch allgemeinen
Anstoss, man klagte ihn sogar der Ketzerei an, und um seine Behaup
tung noch gehässiger zu machen, wurde selbe so ausgelegt, als hätte
er gesagt, dass sündhafte Priester überhaupt das heilige Messopfer
nicht darbringen könnten. Doch auch dieser Kampf fand seinen Ab
schluss, als im Jahre 1130 der päpstliche Legat Erzbischof Walter
Kleine Beiträge.
253
von Ravenna und der Metropolit Erzbischof Konrad von Salzburg nach
Regensburg gekommen waren, diese Angelegenheit untersucht und
ungeachtet der siegreichen Vertheidigung Gerhoch's gegenüber seinen
Gegnern, dessen Eifer zwar belobt, ihm jedoch den guten Rath
ertheilt hatten, mit seinen Rehauptungen zurückhaltender zu sein 13 ).
Wir haben oben gesehen dass unser Dichter gerade diese
Meinung energisch bestritt und man könnte desshalb glauben, er
sei jenem Kampfe nicht ganz fremd geblieben, zumal er in dem
Gedichte von dem „gemeinen Leben“ gleich gemässigte Ansichten
vertrat. Auch kann man füglich annehmen, dass dieser Streit noch
etliche Jahre vor 1130 stattgefunden habe, welche dahin geflossen
sein mochten, ehe man es für nöthig hielt, ihn öffentlich zu verhan
deln und beizulegen, wodurch das Gedicht vom Pfaffenleben in das
Jahr 1126 zurückgestellt werden könnte. Dass Obiges jedoch nicht
wahrscheinlich sei, dürfte aus folgenden Gründen hervorgehen:
Erstens: Nahm unser Dichter die Veranlassung zu seiner
Abhandlung hierüber keineswegs aus einem desshalb vorhandenen
Streite unter Priestern, sondern vielmehr aus der irrigen Ansicht der
Laien die, ungeachtet des angegebenen Concilien-Beschlusses im
Jahre 1093, noch immer behaupteten: die Messe eines sündhaften
Priesters sei unrein u ).
Zweitens: Beschränkt unser Dichter V. 120—126 dieAnzahl
der weiblichen Personen welche ein Geistlicher ohne Anstand bei
sich haben dürfe, nur auf seine Mutter und auf seine S ch wester,
während das neunte allgemeine Lateranensische Concilium des Jah
res 1123 dieselbe auch auf die väterliche und mütterliche Tante
ausdehnt 15 ). Es ist daher mit Grund anzimehmen, dass das Gedicht
selbst noch vor dem genannten Concil verfasst wurde: denn nach dem
selben hätte der Verfassor der sonst in theologischen Dingen so gut
bewandert ist, diese allgemeinen und wichtigen Beschlüsse gewiss
erfahren und bei der Anführung jener Personen, da er diesen Gegen
stand doch sonst so genau und ausführlich behandelt, die beiden
Tanten gewiss auch erwähnt, während er so V. 124 geradezu erklärt:
unt swie si anders st genant,
da schadet diu wänsippe.
Drittens: Hatten sich besonders bei uns die Verhältnisse mit
den verehelichten Priestern wesentlich gebessert, indem, wie bekannt,
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XVIII. Bd. II. Hft. 17
254
Joseph Diemer.
schon früher Bischof Altmann Alles aufbot, die Ehelosigkeit der
selben durchzusetzen, und sein Nachfolger Ulrich (•{• 1121) hierin
mit einer solchen unerbittlichen Strenge fortfuhr, dass, wie einst
Gregor VII. dem Altmann, der Papst Paschalis ihm zu grösserer Mäs-
sigung rathen musste 10 ). Er wurde hierbei auch durch die Laien kräf
tig unterstützt die sich hierin nicht selten grosser Härte schuldig
machten, so dass die Geistlichen, aus ihrem Besitzthume vertrieben,
aller Einkünfte enthlösst und dem bittersten Mangel Preis gegeben,
oft froh sein mussten, nur ihr Leben gerettet zu haben 17 ). Überhaupt
war damals unter Paschalis durch die Spaltung im Reiche, durch die
Auflösung aller gesellschaftlichen Ordnung, durch die völlige Gesetz
losigkeit die eintrat, und durch das Aufhören des Gottesdienstes an
vielen Orten wegen Mangels an unverehelichten Priestern die allge
meine Verwirrung bis zu einer solchen Höhe gestiegen, dass man
sehon anfing ernstlich an die nahe Ankunft des Antiehrists zu glauben,
und dass dieser Gegenstand selbst auf dem Concil zu Florenz im
Jahre 1106 zur Verhandlung kommen und nur durch den Papst selbst
beseitigt werden konnte 18 ). Desshalb finden wir besonders in dieser
Zeit Viele welche aus dem Laienstande in irgend ein Kloster traten,
wo sie allein nur Sicherheit und Ruhe zu finden hofften. Daher dürften
auch die älteren Gedichte über den Antichrist und das jüngste Gericht
stammen welche offenbar diese Zeit schildern 10 ).
Nach dem Tode Paschalis 1118 und vollends nach dem Worm
ser Vertrage 1122 trat überall mehr Mässigung und Ruhe ein und
nach den Berichten über diese Zeit waren, wie wir oben dargethan
haben, durch die Bemühungen des Erzbischofs von Salzburg, Kon-
radl., und des Bischofs Ulrich von Passau bei uns keine verehelich
ten Priester mehr zu finden, wodurch natürlich auch die Veranlassung
zu jenem Streite Gerhoch’s wegfiel. Nicht so war es aber in der
benachbarten Regensburger Diöcese und später auch bei uns
nicht, nachdem dergrosseKampfFriedric h’s I. mit den
Päpsten wiederholt begann und länger anhielt.
Viertens: Rührt unser Gedicht, wie wir gleich sehen werden,
aus derselben Zeit und von demselben Dichter her der das Gehügde
verfasste.
Wir begegnen darin zwar einer Eigentlnimlichkeit welche sonst
mitRecht einen Zweifel in die Gleichheit der Verfasser beider Gedichte
hervorrufen könnte, allein diese betrifft nur die äussere Form und
Kleine Beiträge.
2SS
bildet vielmehr einen thatsächlichen Beweis, wie behutsam man sein
muss, aus jener allein auf eine Verschiedenheit der Dichter zu
schliessen. Der Verfasser reimt nämlich, was in dev Erinnerung an
den Tod niemals vorkommt, nicht selten drei Reime nach einander,
z. B. V. 6—8,87—89, 133—135,160—163,216—218,322—324,
455—57, 484—486, 569—571, 616-618,640—642,714—716,
745—747 und 363—368, sechs völlig gleiche Reime. Ferner über
schreiten die Verse selbst oft alles gewöhnliche Mass, besonders in
jenem Theile in dem er über den obigen Gegenstand redet, und sein
Gedicht mehr die Gestalt einer theologischen Abhandlung gewinnt,
was in dem andern nicht so der Fall ist. Vereinigten sich nicht so
viele andere Belege für die Gleichheit der Verfasser, so müsste man
aus dieser so oft wiederkehrenden Eigenthümlichkeit auf das Gegen-
theil schliessen. Wir wollen hier von dem Geiste welcher das
Ganze durchdringt, von dem Inhalte welcher in beiden Dichtungen
genau zusammen stimmt, dann von denselben Gedanken welche in
beiden oft fast mit den gleichen Worten wiederkehren, wie z. B.
Pfaffenl. 592 mitGehugde 121, 122; Pfaff. 279 lf. mit G. 161—168.
Pfaff. 11, 37, 130, 131 mit G. 246—263 nicht weiter reden, sondern
weisen nur auf die Stelle hin Gehiigde V. 181 —186, auf welche
sich der Verfasser im Pfaffenl. 395 ausdrücklich mit den Worten
beruft,
Ob ir iu[ch] der rede recht wellet enstan 20 )
als ich iu da vor gesaget hän,
und dann die sechs Verse 397—402 auf die er sich bezieht, mit denselben
Worten wieder he r s etzt.—Nach dieser ausdrücklichen Bemerkung
dass er jene Rede früher gesprochen habe, wenn man sich derselben
noch erinnern wolle, kann man doch wohl mit Zuversicht schliessen, dass
es nicht blos, wie man bisher meinte, wahrs che in lieh, sondern fest
und gewiss sei, dass das Pfaffenleben auch von demselben Verfasser
herri'ihre.— Das Verhältniss beider Gedichte zu einander hat sehr
viele Ähnlichkeit mit der Schöpfung und den vier Evangelien. Man
kann darin nicht, wie z. B. im Lobliede auf den heiligen Geist, ein
förmliches Ausziehen oder Abschreiben einzelner Stellen aus anderen
gleichzeitigen Gedichten naehweisen, begegnet aber vielfach den
selben Ideen die jedoch, wie es selbstständige Verfasser wohl zu thun
pflegen, überall mehr durchblicken, als wörtlich wieder gegeben
17*'
256
Joseph Diemer.
werden. Nur solche Stellen welche den Dichtern besonders gelun
gen scheinen mochten, werden gern mit denselben Worten wieder
eingeflochten, z. B. hier die von der gleichmässigen Wirkung des
Messopfers, ob es von einem guten oder unsittlichen Priester ver
richtet wird, dort jene von der Schöpfung des Menschen aus acht
Theilen.
Aus der bezeichneten Stelle geht ferner auch unzweideutig her
vor, dass diesem Gedichte jenes von des TodesGehugde fast unmittel
bar vorausgegangen sein muss. Der Dichter sagt ja ausdrücklich: „als
ich iu da vor gesaget hän“. V. 396, was nach dem völlig gleichen
Inhalte beider Dichtungen auch das Wahrscheinlichste sein wird. Wir
glauben daher, dass sich unser Dichter nicht an jenem Kampfe mit
Gerhoch betheiligen konnte und dass das Pfaflenleben in dieselbe Zeit
wie das Gehugde, nämlich in die Jahre 1110—1114 zu setzen sei, in
welcher auch bei uns noch, wie ein Schreiben des Papstes Paschalis
an den Pröpsten Hartmann von Göttweig lehrt, gebannte und viel
leicht auch verehelichte Priester vorhanden waren 21 ).
Zum Schlüsse dieses Theils unserer Abhandlung müssen wir
noch auf einen Umstand aufmerksam machen der zu auffallend und
für unsere Behauptung: dass Heinrich in Göttweig gelebt und in
seiner Berufung nur den dortigen Abt Erchenfried gemeint haben
könne, zu sprechend ist, als dass wir ihn übergehen könnten.
In einer Pergament-Handschrift des genannten Stiftes aus dem
XII. Jahrhundert befindet sich, wie uns Bh. Pez im II. Bande, S. XI.
seines Thesaurus berichtet, ein Verzeichniss von Büchern, „quos fra-
ter Heinricus huie eontulit ecclesiae,“ von denen im Jahre 1721,
als Pez diesen Band drucken liess, viele noch in dem Stifte vorhanden
waren. Wir theilen es unten mit, weil es in vieler Beziehung auch
für den Umfang der Studien die damals hei uns gepflegt wurden,
interessant ist 32 ). Die Abfassung sämintlicher Werke welche hier auf
geführt werden, fällt, wie man sieht, vor das Jahr 1130; die jüngsten
rühren von Honorius von Autun her, der nach Pez von 1090 bis 1120
Priester und Scholasticus in Autun und allgemein berühmt war. Beson
ders bemerkenswerth für unsere Zweck sind:
1. Das Elucidarium dessen drittes Buch vom zukünftigen Leben
handelt.
2. Das Sigillum Mariae, in quo cantica ad personam s. Mariae
exponuntur.
Kleine Beiträge.
257
3. Summa totius, in quo chronica ab initio mundi usque ad
nostra tempora. Dieses Werk soll nach Pez in Göttweig vorhanden
gewesen sein und aus dem XII. Jahrhundert herrühren , Vieles zur
Geschichte Deutschlands enthalten und bis zum Markgrafen Adalbert
von Österreich, d. i. bis 1058 herabgehen.
4. Musica Odonis.
5. Abbo de regulis.
6. Phoeas de arte grammatica.
7. Item libellus di penultimis.
8. Libellus versuum.
9. Rhetorica Alerani.
10. Liber in quo sanctae cantilenae.
Man sieht dass dieser Bruder Heinrich eine für seine Zeit sehr
bedeutende Bibliothek hatte, in welcher sich ein grosser Theil der
damals bekannten Werke über Profan- und Kirchengeschichte, über
Grammatik, Rhetorik und Verskunst befand, ja wir finden darunter
sogar zwei Bücher, wovon das eine weltliche, das andere heilige
Lieder enthielt. Bei der lakonischen Kürze der angeführten Titel die
damals eine nähere Bezeichnung für unnöthig achtete, ist es leicht mög
lich, dass die letztem in deutscher Sprache waren und vielleicht gar von
ihm selbst herrührten. Dies wird um so wahrscheinlicher als man mit
Grund voraussetzen darf, dass ein Mann der für sich so viele wissen
schaftliche Hilfsmittel sammelte, in einer Zeit, in der man die Wissen
schaft sehr hoch schätzte, diese auch wird benutzt und zu eigenen Ar
beiten verwendet haben. Ich glaube daher auch die Vermuthung aus
sprechen zu können, dass dieser Bruder Heinrich mit unserem
Dichterein und d iese lb e Person sein dürfte. Eine volle Gewissheit
lässt sich, wie bei allen derlei Untersuchungen, freilich nicht nach-
weisen, aber ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit kann offenbar
nicht geleugnet werden. Dafür sprechen besonders folgende Gründe:
1. Fällt die Zeit in welcher diese Bücher verfasst und geschrie
ben wurden, nämlich von 1120 — 1130, mit jener in der unser
Dichter lebte, ganz genau zusammen.
2. Ist der Ort der Schenkung derselbe, in dem auch er sich auf
hielt; denn er beruft sieb in seinem Gedichte von der Erinnerung an
den Tod, wie wir oben angegeben haben, ja ausdrücklich auf einen
Abt Erchenfried der ebenfalls in dieser älteren Zeit des Propstes
Hartmann vorkommt.
"
258 Joseph Diemer.
3. Wird, wie wir nicht minder oben angedeutet haben, in der
Vita Altmanni ausdrücklich gemeldet dass unter jenem Prälaten viele
Laien selbst aus dem Adel als Mönche eingetreten seien; es ist daher
sehr leicht möglich und ganz natürlich, dass auch unser Dichter in
seinen späteren Jahren diesem löblichen Beispiele höherer Personen
gefolgt und Klosterbruder (frater conversus) geworden ist. Wir
wissen ja, dass solches auch im Stifte Melk sehr häufig geschah 23 )
und in nicht ferne stehender Zeit auch anderwärts, besonders in den
schwäbischen Klöstern zu St. Blasien, Hirsau und im St. Salvators
stifte zu Schalfhausen. Es waren deren so Viele, dass die vorhan
denen Räume nicht ausreichten, sie alle zu fassen, so dass noch viel
hinzugebaut werden musste. Männer vom höchsten Range sah man
da unter den Mönchen die niedrigsten Dienste mit grösster Selbst
verleugnung als Köche, Bäcker und Hirten verrichten 24 ).
Es erklärt dies auch auf die einfachste Weise die grosse theo
logische Bildung welche sich in den Werken unseres Dichters überall
auf die unzweideutigste Weise kundgibt, die er als Laie oder ohne
häufigen Verkehr mit gelehrten Theologen wohl kaum anderwärts als
in oder in der Nähe einer solchen geistlichen Anstalt in diesem
Grade hätte erwerben oder geltend machen können.
4. Findet sich unter den vom Bruder Heinrich dem Stifte Göttweig
geschenkten Büchern sogar eines, nämlich das offendiculum
oder de incontinentia sacerdotum, dessen Stoff mit dem des
Pfaflfenlebens unseres Dichters ganz zusammenfällt. Schade, dass
gerade dieses Werk das von Honorius von Autun herrührt, verloren
gegangen ist; vielleicht hätten sich daraus manche Stellen nacli-
weisen lassen welche mit dem obigen Gedichte Heinrich’s überein
stimmen. Überhaupt dürfte eine genauere Vergleichung der Werke des
Honorius mit denen unseres Verfassers, zu welcher ich leider bisher
noch nicht Zeit genug finden konnte, die von mir aufgestellte Ver-
mutliung zur vollsten Gewissheit erheben. Die Einladung hierzu ist
um so lockender, als sich mir schon nur bei oberflächlicher Durch
sicht einiger derselben eine Stelle darbot, welche wenigstens ganz
dieselben Ideen über die Giltigkeit und den Werth der von sündhaf
ten Priestern ertheilten Sacramente enthält, wie sie Heinrich in
seinem Pfaffenleben ausspricht. Es ist dies um so bezeichnender, da
sie sich eben in einem Werke, nämlich im Eucharistion findet, welches
auch unter den von Heinrich geschenkten Büchern vorkommt,
Kleine Beiträge.
259
und zu den ersten gehört dieHonorius verfasst hat. Sie lautet bei Pez,
thesaur. I, sp. 35S: Ergo dum nullus sacerdos, nisi ipse Christus per
ministerium sacerdotum corpus suum coniicereprobetur; non minus per
fagitiosissimi in ecclesia duntaxat Catholica eonstituti, quam per
sanctissimi ministerium hoc corpus conficitur, quod etiam a nullo
nisi a solo Christo in suis percipitur. Extra ecclesiam autem scilicet ab
hsereticis, a Judseis, a gentilibus nec hoc sacramentum perlicitur nec
munus oblatum accipitur u. s. w. Vergleichen wir damit jene schöne
Stelle im Pfaffenleben V. 397—402 und 410 ff., wo derselbe Ge
danke, dass das Messopfer stets dieselbe Giltigkeit und Wirkung
habe, ob es von einem Sünder oder von dem heiligsten Manne ver
richtet werde, der je Priesters Namen gewann, 'vorkommt, und gleich
darauf den Übergang auf die Juden und Heiden wie bei Honorius:
so wird man zugestehen, dass hier zwar kein buchstäbliches Aus
schreiben, aber doch eine vielleicht aus der Erinnerung vermittelte
Benutzung derselben stattgefunden habe.
Durch die angeführten Gründe glaube ich meine ausgesprochene
Vermuthung, dass dieser Bruder Heinrich mit unserem Dichter ein
und dieselbe Person sei, ferner dass er unter dem Abte Erchenfried
nur jenen von Göttweig rrteinte und endlich, dass unser Gedicht in
das erste Viertel des 12. Jahrhunderts oder genauer etliche Jahre
vor 1118 zu setzen sei, hinlänglich gerechtfertigt zu haben.
Was aber die Sprache dieser beiden Dichtungen Heinrich’s
anbetrifft, so könnte dieselbe, selbst wenn sie offenbar jene aus dem
Ende des 12. Jahrhunderts wäre, gegen das bisher Gesagte kaum
etwas entscheiden; denn wir haben ja in unserer deutschen Literatur
geschichte der Beispiele genug, dass ältere Dichtungen in späterer
Zeit oft auf das Unkenntlichste umdicbtet oder bearbeitet worden sind.
Wir verweisen auf das Hildebrand’s-, Alexander- und Rolandslied, auf
die Bücher Mosis, die beiden Litaneien, die Kaiserchronik etc.; dass eine
ähnliche Bearbeitung hin und wieder auch bei diesen Gedichten kann
stattgefunden haben, ist daher auch sehr leicht möglich und wird
natürlich gerade in jenen alten Worten und Reimen geschehen sein die
damals, als der jüngere Dichter lebte, nicht mehr verständlich oder
gänzlich unzulässig waren, die aber gerade für uns, wenn sie belassen
worden wären, den Beweis für das höhere Alter hätten liefern können.
Doch man setzt diese Dichtungen ohnehin in die Mitte des
12. Jahrhunderts und hat hierbei gewiss auch die Form und Sprache
260
Joseph D i e ra e r.
berücksichtigt. Wie unzuverlässig aber die Kennzeichen sind, welche
aus diesen beiden Momenten für das höhere oder mindere Alter der
Dichtungen hervorgehen, haben wir ja oben hei dem Pfaffenleben
Heinrich’s gesehen, der darin so häufig drei und einmal gar sechs
gleiche Reime bildet, während ein solcher Fall im Gehugde gar nie
vorkommt. Konnte ja doch selbst ein Lachmann und mit ihm Bezzen-
berger, der jüngste Herausgeber des Anno-Liedes, es in die achtziger
Jahre des 12. Jahrhunderts setzen, während dies heut zu Tage wohl
kaum Jemand der die älteren Dichtungen des 12. Jahrhunderts
kennt, glauben dürfte. Ist nicht ein ähnlicher Fall mit der Kaiser-
chronik eingetreten die offenbar bis in die Jahre um 1140 zu setzen
ist? Überhaupt sind die einzelnen Dichtungen des 12. Jahrhunderts
und ihre Sprache noch viel zu wenig untersucht, als dass man daraus
allein einen festen Schluss auf ihr Alter, besonders wenn es sich wie
hier um ein paar Jahrzehnte mehr oder weniger handelt, machen
könnte. Doch unsere Gedichte liefern, abgesehen von ihrem Inhalte,
so viele alte Worte und Reime die auf ein höheres Alter hindeuten,
dass es nur eines Blickes von Seite der Sachverständigen in dieselben
bedarf, um sich davon zu überzeugen. Desshalb erscheinen sie auch
in W. Grimm’s ausgezeichneter Abhandlung zur Geschichte des
Reims immer da, wo nur ältere Reime Vorkommen, d. i. neben den
Gedichten des 11. oder Anfangs des 12. Jahrhunderts. Wir glauben
daher auch gar nicht nöthig zu haben, darauf weiter einzugeheu und
etwas beweisen zu sollen was nach dem Gesagten am Ende kaum
Jemand bezweifeln dürfte.
Mit diesen Bemerkungen und den obigen Nachweisen über den
Stand und Aufenthalt unseres Dichters wollte ich diese Abhandlung
schliessen, als ich das Saalbuch des Stiftes Göttweig erhielt welches
durch die kaiserl. Akademie der Wissenschaften im VIII. Bande der
Fontes rerum austriacarum von Willi. Karl in, einem Stiftsmitgliede,
eben so sorgfältig als mit gelehrten Anmerkungen versehen, heraus
gegeben wurde. Obwohl ich das genannte Buch bereits früher in der
Urschrift durchsah und dadurch zuerst einen Verwandten des öster
reichischen Dichters Konrad’s von Fussesbrunnen auffand der später
auf ihn selbst führte a5 ), so legte ich damals auf eine andere Schen
kung (tradition) nicht jenes Gewicht das sie jetzt, nachdem die
Ergebnisse meiner Untersuchung über Heinrich einen grösseren
Umfang gewonnen haben, behaupten dürfte.
Kleine Beiträge.
261
Wir wollen sie ganz liielier setzen. Sie lautet S. 34, CXXIX:
„Notum sit Omnibus quod quedam. N. Lantrath conuersa dedit
stiper idem altare. IIir r mancipia. quorum sunt nomina Renthuich. Rant-
wich. Gisila. Azila. in proprium sefuicium pro remedio anime sue et
pro salute filii sui. II. nobiscum in monasterio conuersi. sub
bis testibus. Meginwart. Ovzi. Pro V. autem denariis annuatim perso-
luendis. eadem sanctimonialis Lantrath delegauit ad idem
altare. Purgilint. et eius filios. Enziman. Sigila“.
Wir selten hier eine Frau aus dem Bürgerstande welche das
weltliche Leben verlässt und als Conuersa in ein Kloster tritt. Sie
hat einen Sohn und dieser heisst IL, offenbar Heinrich, der dasselbe
thut oder bereits gethan hat. Die Frau kann über ihr Vermögen frei
(sine ulla contradictione, wie es sonst noch heisst) verfügen; sie thut
es und schenkt hei ihrem Eintritte in das Kloster, wie solches ge
wöhnlich war, demselben fast Alles was sie besitzt, nämlich 3 Leib
eigene ; sie thut dies nicht nur für i h r sondern auch für das Seelenheil
ihres Sohnes, dem sie also vor allen Andern, selbst ihren Gemahl nicht
ausgenommen, mit aufrichtiger Liehe besonders zugethan sein musste.
Das Kloster aber in welches beide treten, ist Göttweig und die Zeit
in der dies geschieht, fällt um 1120, was aus dem Platze in dem
diese Schenkung aufgeführt wird und nach der wiederholten gewiss
unbefangenen Angabe des Herausgebers im Namenregister S. 376
und 411 hervorgeht. Bekannt ist aber, dass schon unter dem ersten
Abte dieses Stiftes Hartmann (1094—1114) ein Frauenkloster neben
demselben bestand, wie dies die Vita Altmanni (geschrieben 1123—
1140) ausdrücklich sagt so ). Bekannt ist ferner, dass um diese Zeit
auch andere Frauen und zwar seihst aus den höchsten Ständen, wie
z.B. Gerbirg die Schwester des Markgrafen Leopold III., als Nonnen
eintraten. Ferner liegen dieser Nachricht offenbar zwei in verschie
denen Zeiträumen gemachte Schenkungen zu Grunde, in deren erster
unsere Lantrath bei'ihrem Eintritte in das Kloster als conuersa,
d. i. als gewöhnliche Laienschwester aufgeführt wird und 3 Leib
eigene schenkt, während sie in der nachfolgenden zweiten alsSanc-
timonialis, d.i. als eine wirkliche Chor- oder Klosterfrau erscheint
und w'ieder 3 Leibeigene, vielleicht nun ihre ganze Habe, spendet.
Alle diese Umstände, und es sind deren so viele und bezeich
nende die sonst in dem Buche nirgend mehr Vorkommen, treffen aber
so schlagend mit dem zusammen, was uns von der Ava und ihrem
262
Jo8eph Diemer.
Sohne Heinrich bekannt geworden ist, dass wir unwillkürlich auf die
Vermuthung gerathen müssen, dass unter dieser Lantrath und ihrem
Sohne Heinrich unsere Dichterinn und ihr Sohn verborgen sei, welche
letztere, wie ich nachgewiesen habe, im Jahre 1127 gestorben ist.
Dies konnte um so mehr auch bei unserer Nonne der Fall gewesen
sein, da der Eintritt der Laien in ein Kloster gewöhnlich erst im
spiitern Alter erfolgte. Doch unsere Ava, wird man vielleicht ein
wenden, hatte, wie es in jener bekannten Stelle nach dem Leben
Jesu S. 292 heisst, nicht einen sondern zwei Söhne. Dagegen lässt
sich erwidern, dass es eben dort auch heisst: dass der Andere, als
jenes Gedicht geschrieben wurde, bereits das Zeitliche verlassen
hat [„der eine non der werlts'eieht“], und der noch Hinterbliebene [„in
arbeiten strebet“, d. i.] mit grosser Noth kämpfet. Sehr natürlich ist
es daher, wenn unsere Dichterinn, obwohl durch ihre Frömmigkeit
und durch die Zeitverhältnisse ohnehin schon hierzu geneigt, den
wirklichen Eintritt in das Kloster doch erst nach dem Tode ihres
Mannes und eines Sohnes bewerkstelligte.
Das einzige Bedenken gegen die Identität beider könnte der
Name Lantrath bilden. Erwägt man aber, dass nach dem ersten
Kreuzzuge schon die Familien aniingen, ihrem Taufnamen auch andere
von ihrem Besitzthume beizufügen, und dass dieser Gebrauch damals
nach 30 Jahren schon ziemlich allgemein verbreitet war, so kann
man um so mehr annehmen, dass uns in dem Namen Lantrath nur
der Geschlechtsname vorliege, wie solches gleich in der folgenden
Schenkung mit Starchant und CXXX1V mit Stareholf und in vielen
anderen Fällen offenbar auch geschehen ist. Mit der Renunciatio
seculi, dem völligen Absterben für diese Welt, trat aber, wie wir
wissen, schon in der ältesten Zeit die Mutatio nominis als Zeichen
des Beginns eines neuen Lehens ein, und wenn unsere Lantrath
später den Namen Ava annahm, so that sie wenigstens nichts Unge
wöhnliches; denn wir finden diesen Namen dreimal und einmal aus
drücklich für eine Klosterfrau (m. monacha) bereits in dieser Zeit
im Sterbebuch des Stiftes Lambrecht. Merkwürdig ist hierbei dass,
wie ich schon in der Einleitung zu den deutschen Gedichten des
11. und 12. Jahrhunderts S. XIV, XV erwähnt habe, die erste
Gemahlinn Kaiser Karl des Grossen in der Kaiserchronik 4S3, 4, auch
Ava genannt wird. Wenn wir annehmen, dass man damals unter Aua
soviel als Abra, die Magd der Judith, verstanden habe, was zwei
Kleine Beiträge.
263
Stellen der altern Judith 122, IS und 123, 7, in denen die Abra
stets Ava genannt wird, fast vermuthen lassen, so könnte man in der
Wahl gerade dieses Namens seihst eine Beziehung auf den Charakter
unserer Dichterinn herausfinden, die nicht mehr als eine geringe Magd
einer hohen Frau (vielleicht in ihrer Idee der Maria) sein wollte.
Doch wir haben gar nicht nöthig, zu dieser Annahme unsere Zuflucht
zu nehmen, indem es mir gelungen ist, eine b. Ava, mithin diesen
Namen als wirklichen Taufnamen aufzufinden. Es kommt nämlich in
den Actis Sanctorum 8. October, S. 332, Col. 1, C. und am 29. April
S. 628, eine Jungfrau mit diesem Namen vor, welche blind geworden
war und ihr Augenlicht bei dem Grabe der heil. Ragenfred im Kloster
zu Denain in Hennegau wieder erlangt hatte, in Folge dessen sie sich
mit allem was sie besass in das genannte Kloster begab und nach
ihrem Tode im IX. Jahrhundert als beata galt und verehrt wurde.
Fassen wir nun das Gesagte zusammen und erwägen wir: dass
diese Lantrath ganz genau so wie unsere Dichterin Ava
1. früher dem weltlichen Stande angehörte und verehelicht war,
2. wie sie, einen Sohn hatte,
3. dass sie Laienschwester und später Sanctimonialis wie unsere
Dichterinn wurde,
4. dass ihr Sohn nicht Priester, sondern wie der Dichter
Heinrich ebenfalls ein (frater) conversus war,
5. dass derselbe offenbar auch Heinrich hiess,
6. dass beide in das Stift Göttweig und
7. endlich gerade zu derselben Zeit eintraten, als auch unsere
Dichterinn und ihr Sohn dort bestimmt nachweisbar sind 27 ): so wird
man eingestehen müssen, dass von einem zufälligen Zusammentreffen
der Thatsachen in so vielen einzelnen Puncten wohl keine Rede mehr
sein könne, sondern dass wir in dieser Lantrath und ihrem Sohne
Heinrich offenbar nur unsere Dichterinn Ava mit ihrem früheren Namen
und ihren Sohn Heinrich vor uns haben.
Diese meine Vermuthung wird noch mehr begründet, wenn man
bedenkt dass es in der damaligen Zeit ganz gewöhnlich war, dass
ältere Laien, wenn sie in irgend ein Kloster traten, demselben auch
ihre weltlichen Güter ganz oder zum Theile darbrachten. Nun war
aber unsere Ava und der Dichter Heinrich, wie wir später noch mehr
belegen werden, um diese Zeit bestimmt in Göttweig; es ist daher
auch ganz natürlich, dass sie bei ihrem Eintritte der allgemeinen
264
Joseph Diemer.
Sitte mit der Schenkung gefolgt sind: diese Nachricht davon stimmt
aber, wie wir gesehen haben, mit den nachgewiesenen Lebensver
hältnissen genau überein, ja die Grösse der Gaben selbst und der
Beisatz: „für das Seelenheil auch ihres Sohnes“, entspricht so ganz
und gar den Voraussetzungen, welche man aus den Gedichten selbst
über den Stand und das Vermögen des Dichters, der sich ja so oft
den arme n nennt, und andererseits von der Liebe der Dichterinn zu
ihren Söhnen (dermuoter waren diu chint liep) hegen konnte, dass man
auch hierin einen neuen Beleg für unsere Ansicht sehen kann. Berück
sichtigen wir noch den Umstand, dass das mit dem Stifte Göttweig
verbundene Nonnenkloster zuverlässlich erst vor Kurzem vom Abte
Hartmann gegründet wurde, und wie.es bei solchen jungen Stiftungen
gewöhnlich war, höchstens nur 12 Nonnen zählen mochte 27 ); ferner
dass seihst von diesen noch gewiss die meisten früher unverehelicht
oder kinderlos waren; so müsste der Zufall wirklich Wunder gewirkt
haben, wenn sich unter diesen Drei oder Vieren eine zweite befunden
hätte, deren Lebensverhältnisse mit denen unserer Dichterinn bis
auf den Stand und Namen des Sohnes zusammen getroffen wären;
was doch füglich nicht anzunehmen ist.
Was endlich den zweiten Sohn Hartmann anbetrifft, so werde
ich in einer folgenden Abhandlung, sobald mir die nöthige Zeit zu
Gebote steht, sowohl über ihn, als über den Zusammenhang der
Dichtungen die ich unserer Dichterfamilie zuschreiben möchte, solche
nähere Aufschlüsse zu geben versuchen welche geeignet sein dürften,
die allenfalls noch vorhandenen Bedenken gegen die von mir auf
gestellte Vermuthung über das Verbältniss der Ava zu Heinrich und
Hartmann zu beseitigen.
Kleine Beiträge.
265
Anmerkungen.
x ) In der Normandie war z. B. die Gewohnheit dass sich die Priester verehelichten,
so allgemein verbreitet, dass die Pfarren und Pfründen förmlich auf die .Söhne und
selbst auf die Töchter als Morgengabe vererbt wurden. Vgl. Gaufridus Grosses in
vita Bernhardi abb. Tiron. monasterii c. 6. Pagi critica a. 1108. Und selbst später
noch musste auf der Synode zu Clairmont im .1. 1130 verordnet werden: Ne quis
ecclesias, praebendas, prajposituras, capellanias, aut aliqua ecclesiastica ofTIcia here-
ditario iure valeat vendicare aut expostulare prmsumat. Mansi XXI, 437.
2 ) Der Dichter hält sich in seinem Beweise hauptsächlich an den Apölogeticus der Decrete
der römischen Kirchenversammlung vom J. 1074 bei Mansi XX, 416—417, indem er
behauptet dass jene Stelle des Apostels Paulus nur auf die Laien und nicht auch auf
die Priester Bezug habe.
3 ) Der Verfasser scheint bei dieser Stelle jene des Beda: „qui (sacerdotes) iure cömpa-
rantur prophetae, qui verbis asinae contra naturam loquentis corripitur, nec tarnen a
proposito pravi itineris retardatur“, oder die des Constanzer Bernard in seinem Apo-
logeticus pro Gregorio VII. in Ussermann's Germania sacra in dem Bande, der das
Chronicon Hermanni Contracti enthält, tom II, p. 281, 282, vor Augen gehabt zu
haben.
4 ) Man sagit von dutischer zungcn,
siu si unbetwungen,
ze vogene herte,
. swer si dicke berte,
si wrde wol zehe
als dein stale ir geschee
der mit sinem gezowe
uf dem anchove
wrde gebouge. Pilatus V. 1—8.
5 ) Vgl. Stenzei S. 740.
6 ) So sagt auch Vridank 46, 1—4:
Swelch man drizec tugende begat,
begat er eine missetat,
der tugende wirt vergezzen,
diu missetat wirt gemezzen.
und S. 34, 2 IT. . . . Swer naeme siner sünde war,
der verswige die vremden gar.
Vgl. auch 16, 14—23.
266
Joseph Di einer.
Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, auf die ebenso schöne als wahre
Stelle bei Stenzei S. 740, aufmerksam zu machen, in welcher er von der Schwierig
keit spricht über den sittlichen Zustand einer Volksclasse oder eines ganzen
Volkes für einen bestimmten Zeitraum ein sicheres Urtheii zu fällen, von welcher
wir den Schluss hieher setzen wollen. Er sagt da: „Allein auch ausser der
menschlichen Schwäche der Schriftsteller (die uns nämlich hierüber berichten)
liegt in der Form der Ereignisse selbst, welche sie erzählen, der Grund ihrer
irrigen Ansicht, denn das einfache Gute, was tausend und aber tausendmal geübt
wird, ist so gewöhnlich, dass wir noch heute öfter von schaudererregenden Ver
brechen hören, als von edlen Handlungen, w r eil das Verbrechen in der Regel,
einen schärferen Gegensatz gegen unsere Empfindungen bildet, als eine gute That:
daher zieht uns jenes, selbst durch seinen abstossenden Charakter in der Erzäh
lung mehr an, als das Gute, und der Glanz, den Verwegenheit und Kraft sogar
auf den Verbrecher werfen, ist grösser, als der, welcher auf den tugendhaften
Mann fällt, den wir für uns gleichartiger, also gewöhnlicher halten. Die Geschichte
guter Regierungen im Frieden ist kurz, wie die glücklicher Menschen. Wir wollen
das Ausserordentliche, oder doch das Ungewöhnliche hören , und man erzählt uns
von Kriegen und von Verbrechen.“ Vgl. über die strengkirchliche Partei der dama
ligen Zeit auch Stenzei S. 277, 278.
7 ) Vgl. hierüber den Aufsatz des hiesigen Professors der Kirchengeschichte Dr. Fessler
in den kathol. Blättern aus Tirol, Jahrg. 1849, Nr. 91, in welchem die älteren Kirchen
satzungen für den Cölibat der Geistlichen gedrängt zusammen gestellt sind.
8 ) Vgl. Binterim. deutsche National-Concilien. Mainz 1837, III. 522.
9 ) Auch Raumer gesteht dies zu , indem er in seiner Geschichte der Hohenstaufen
2. Aufl. Leipzig 1842, Bd. VI, S. 258 Folgendes sagt: Zu der Zeit, als Gregor VII. mit
erneuertem Nachdrucke auf die Befolgung der altern Gesetze über die Ehelosigkeit
der Geistlichen drang, war deren Lebenswandel häufig so zuchtlos und der Glaube an
die Heiligkeit des ehelosen Standes so allgemein, dass sein Bemühen im Einzelnen
zwar den heftigsten Widerspruch, im Ganzen aber Beifall selbst bei den Laien
fand, welche den Zweck, Herstellung reiner Sitten, ehrten, und in das schon so
lang empfohlene jetzt vom Statthalter Christi befohlene Mittel kaum Zweifel setzten.
10 ) Vergl. hierüber Stenzei am angef. 0. S. 994.
11 ) Artikel 2. „Adversariorum sententiam qui dicunt sacramentum corporis et sanguinis
Christi, consecrationes chrismatis imino qutecumque ad episcopale et sacerdotale officium
pertineaut, abhis qui sectaeeorum non communicent, celebrata, nulla prorsus esse sacra-
menta et nihil aliud suscipientibus nisi damnationem conferre.“ Mansi XX, 596—97.
12 ^ Sed quia modo summa necessitas illum rigorem quodammodo emolliri cogit, illud
summopere pranideamus ut ipsam emollitionem uequaquam contra canones, sed
secundum canones temperemus. Germania sacra, Hermannus Contr. tom 11, p. 398.
Vgl. ebenda S. 168 und Gregor’s Brief, bei Mansi XX, L. IX, epist. 3. p. 342, 343.
Daher sagt auch schon Sigebertus Gemblac. ad. a. 1074 ap. Pistorium tom I, p. 841.
Tarnen quia Spiritus sanctus mystice illa (sacramenta) vivificat, nec meritis bonorum
dispensatorum amplificantur, nec peccatis inalorum attenuantur, linde est hic, qui
baptizat. Vgl. endlich auch Lambert von Uersfeld ad annum 1074.
13 ) Vgl. Stülz S. 129. Gerhoch sagt in seinem Commentar über die Psalmen (geschrieben
um 1147), dann auch bestimmt beim Psalm XXI, S. 388: tanquam ego (Jesus Chr.) in
sacramentis meis ita siin varius ac divisus, ut per sanetiorem ministrum magis sanctum
et per minus sanctum vel reprobum ministrum detur minus sanctum vel reprobabile
sacramentum: quod nequaquam sic est. Etiamsi minister catholice ordinatus fiat haere-
ticus, et maneat haereticus occultus, verbi gratia Simoniacus aut Nicolaita, omnino
rata sunt per illum data sacramenta.
Kleine Beiträge.
267
14 ) V. 367 und ff. Nö spreche wir ouch die laien ane
wan daz ist recht, daz man siu mane.
und 371: Sö sprechen si, sin messe si unreine.
15 ) Presbyteris, diaconibus et subdiaconihus concubinarum et uxorum contubernia inter-
dicunt et aliarum mulierum cohabitationem praeter matris, sororis, amitae,
materterae aut alius huiusmodi, de quibus nulla juste valeat oriri suspicio. Pertz,
Leg. II, 182.
16 ) Vita Altmanni§. 30, 1. c., wo es heisst: Gregorius aliam ei (Altmanno) mittit (episto-
Iam) in qua ei rigorem canonum pro tempore flecti permittit. Paschalis II. aber schreibt
(1106) dem Erzbischof Gebhard von Salzburg und dem Bischof Ulrich von Passau
et ceteris Teutonicarilm partium tarn clericis quam laicis catholicis, audisse se quosdam
eorum, ut vitarent excommunicatos, peregre proficiscendi consilium cepisse. Hortatur
domi maneant et in m ed io na t io n i s p r a v ae a c pervers® t a m qu a m lumi-
naria lucere studeant. Mansi, tom XX, 1002 und 1083. Überhaupt war Ulrich
einer der ausgezeichnetsten Bischöfe Deutschlands, dem Wenige gleichkamen. Vgl.
P. Bernried ap. Hansiz, tom I, 293.
17 ) Erat ea tempestate nova super uxoratis presbyteris apostolicae sedis invectio unde et
vulgi clericos zelantis tanta adversus eos rabies ®stuabat, ut eos ecclesiastico beneficio
vel abstineri sacerdotio infesto spiritu conclamarunt. Abt Guibert, L. I, cap. VII.
fol. 462. Dann sagt Gerhoch in seinem Werke -de corrupto ecclesi® statu, ßaluzius
Mise., tom V, pag. 203: Novissime diebus istis viri religiosi contra simoniacos con-
ductitios, incestuosos, dissolutos aut quod pejus est irregulariter congregatos clericos
prffilium grande tempore Gregorii VII. habueru nt etadhuc ha b ent.
Vgl. ferner Chronicon, Ursp. ad a. 1116, pag. 197 u. Stenzei a. a, O. S. 301.
18 ) Eodem anno (1106) Domnus Papa in Tusciam apud Florentiam concilium celebravit, in
quo cum episcopo loci de antichristo, quia eum natuin dicebat, satis disputatum est,
sed frequentia populi qui ob audiendam rei novitatem hinc inde confestim, tumultua-
timque confluxerat, nec concilium finem, nec disputatio deliberationem suscepit. Pan-
dulphus Pisanus in Muratori’s Rerum ital. scriptt. tom III, 336. Vgl. auch Stenzei
a. a. O. Bd. I, S. 681 ff.
19) Vgi. hierüber Stenzei am angef. Orte S. 680, dann heisst es sehr bezeichnend im
Antichrist bei Diemer, 280, 13:
So horte (1. hören) wir danne
banne über banne,
wir hören alle stunde
uermain sam(en)unge,
des wirt daz riche allez uol
so uliehent die güten ze walde in diu steinhol...
Dann wird ferner 281, 89 ff. ein fast ähnliches Bild der Zeit des Antichrists gegeben,
wie wir es beim Gehugde V. 267—288 finden:
do nist niht getriwe
diu frowe der diuwe,
noch der man dem wibe:
si lebent al mit nide,
so liazzet si in danne.
sam tut der lierre dem manne
alse ist der man dem herren,
swi gut im si daz leben :
so richsenot diu irrecheit
so truret elliu diu cristeneheit.
268 Joseph D iemer.
20 ) enstan in der Bedeutung 1 von erinnern, vgl. V.„3:
die sich nicht wellent ensten
des der gotes suu gesprochen hAt.
21 ) Vita Altmanni 1. c. §. 40: in quibus eum et sibi subditos a communione excommuni-
catorum prohibet. Die betreffenden Schreiben scheinen verloren gegangen zu sein,
da sie sich nicht im Göttweiger Saalbuche Anden.
22 ) Isti sunt Libri, quos Frater Ileinricus huic (Gottwicensi) con-
tulit ecclesiae.
Psalterium insigniter expositum. Cantica Canticorum mirabiliter exposita. Mat-
throus glosatus. Apocalypsis exposita. Item Cantica Canticorum cum glosis. Clavis
Physic®, scilicet Über de Perißsion excerptus. Speculum ecclesiae, in quo sermones
dulcissimi ad populum. Refectio mentiuin (hiezu macht Pez folgende Bemerkung : vi-
detur Cod. habere moerentium) in quo sermones ad Fratres in Capitulo. Pabulum vitae,
in quo sermones in festis diebus. Elucidarium bene correctum. Offendiculum de
i n c o n t i n e n ti a sacerdotum. Eucharistion de Corpore Domini. Neoeosmus de
fex primis diebus. Scala cceü de tribus ccelis. Gemma anim ae de divinissacra-
mentis. Sacramentarium de Mysteriis. Summa totius, in quo Chronica ab initio
Mundi usque ad nostra tempora. Imago Mundi, in quo totus Mundus describitur. Summa
Gloria de Apostolico et Augusto. Suuiu quid virtutis de virtutibus et vitiis. Sigillum
sanctae Mariae, in quo Cantica ad personnm sanctae Mariao exponuntur. Cognitio
vitae. Inevitabile, in quo de übero arbitrio et praedestinntione et gratia Dei disputatur.
Anshelmus de übero arbitrio. Evcherius de Hebraicis nominibus. Isidorus breviter
super totam Bibliothecam. Item sententi® Jsidori de utroque Testamento. Thimeus
Platonis. Bucolica Virgilii. Theo dolus. Musi ca Odonis. Serenus de
Medicina arte, in quo excerpta Beda) de Gallieno et Ipocrate. Abacus Gerlandi. Priscia-
nus abbreviatus. Abbo de regulis. Phocas de arte Grammatica. Item Lib e 1 1 u s de
penultimis. Libellus versuum. Rhetorica Alerani. Excerpta de Martiano.
Priscianus constructionum. Liber de Luminaribus Ecclesia), idest: de Scriptoribus
ecclesiasticis. Liber, in quo sanctm cantilena). Excerpta de libris S. Augu-
stini de Deo et anima. Qu®stiones divers®. Glos® divers®. Computus Dionisii,
Graece, in quo abacus et mappa Mundi. Martyrologium, in quo divers® pagin®
Computi. Rodale, in quo septem Iiberalesartes depict®. Item Rodale, in
quo Troianum bellum depict um. Item Rodale, in quo varia pictura.
Item Quaternio depictus. — Hucusque Donatio Heinrici in membraneo Codice Gott
wicensi in folio, manu seculi duodecimi. Vergleichen wir dieses Bücher-
verzeichniss mit denen der Klosterbibljotheken dieser Zeit, deren im genannten
Bande des Thesaurus von Pez mehrere aufgeführt werden , so wird man zugeste
hen, dass dasselbe sowohl seinem Umfange als Inhalte nach sehr bedeutend und
werthvoll ist, und in dem Besitzer einen Mann von vielseitigem Wissen und
grosser Bildung vermuthen lässt. Selten wird man in Klöstern ausser der h. Schrift,
den Commentaren hiezu und den alten Kirchenvätern so viele andere Werke über
Geschichte, Grammatik, Metrik, Musik und alte classische Literatur u*. dgl. verei
nigt Anden, als dies hier der Fall ist, fast nie aber, was besonders auffallen
muss, Gemälde oder Bücher mit heiligen und vollends weltlichen
Gesängen. Wir haben hier, was gewiss sehr interessant ist, die Bibliothek
eines Gelehrten und Dichters der damaligen Zeit vor uns, denn wer anders als
ein Kenner oder Freund der alten griechischen und römischen Literatur und ein
Dichter mochte damals ein Interesse haben, den Computus des Dionysius grie
chisch, den Thimeus des Platon, die Bucolica des Virgil oder eine Rolle mit
Bildern aus dem Trojanischen Kriege zu besitzen.
23 ) Vgl. das Melker Todtenbucb bei Pez, Script. I, p. 304 ff.
Kleine Beiträge.
269
24 ) Vgl. Berthold v. Constanz , Chronik zum Jahre 1083. Monumenta res Alemanor.
illustrantia, tom II, pag. 120 und zum Jahre 1091, S. 148; eben so über die fratres
conversi, Gerbert. historia Nigrse Silvse, Bd. I, 493, 494 und Stenzei S. 494.
25 ) Vgl. Österreichische Blätter für Literatur und Kunst, Jahrg. 1844, Nr. 10, S. 70', Note.
Ich setze dieselbe ganz hieher, weil sie für die deutsche Literaturgeschichte nicht
unwichtig ist, und jene Blätter in Deutschland weniger verbreitet sein dürften , als sie
es iin Ganzen verdienen : Dass Konrad von Fussesbrunnen ein Österreicher und nicht
wie Lassb erg zum Sigenot und van der Hagen, Minnesinger 4,869 meint,
ein Schweizer sei, habe ich bereits im J. 1849 in einem Briefe an W. Grimm ge
schrieben. Ich fand nämlich in dem obigen Jahre bei der Durchsicht mehrerer Hand
schriften des Stiftes Göttweig im dortigen Codex traditionum aus dem 12. bis IS. Jänrh.
S. 1S3 in einer Urkunde einen Ministerialen des Herzogs Heinrich (1149—1177. Ygl.
Göttweiger Saalbuch S. 67. CCLXXII. u. S. 199) unter den eilf Zeugen zuletzt auch
einen Herrand de Uuzzesbr unn e n. Siimmtliche Vormänner desselben gehören
aber österreichischen Ortschaften an, und insbesonders sind die ihm zunächt vor
angehenden Chunradus de Chambe und Fridericus de Tisze (Kamp und
Theiss) aus den Orten welche dem heutigen Feuersb r unn (Fuersbrunn) einem
Dorfe mit 9S Häusern 2% Stunden von Krems, zunächst liegen. Ferner kommt
in demselben Codex S. 188 (Göttweiger Saalbuch S. 86) ein Werinhardus de
Fuhsprun als Zeuge vor, was offenbar mit Fussesbrunnen gleichbedeutend
ist. Ebenso führt das Liber praediorum des Klosters vom J. 1302, in welchem
die Grunddienste nach der Reihe der Ämter verzeichnet sind, in der officina
Emichenbrun (Amt Engabrun) das jus c i v i 1 e (Purkrecht) in Fuhsprun ne
auf; dann erscheint dieser Ort in derselben Gegend in den Monum. Boica Bd. XXIX.
pars 2. S. 217, 248 u. 383, und endlich im Klosterneuburger Saalbuche, im Aus
zuge zuerst von Max. Fischer, Wien 1813, mitgeth. im II. ßde. unter Nr. 132
namentlich ein Konrad von Fussesbrunnen. In der vollständigen Ausgabe
des Klosterneuburger Codex traditionum. Wien 1831, welcher zu den von der
kaiserlichen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Fontes rer um
austriacarum gehört, finden sich unter Nr. 344 ein Gerung deSiusprunnen
(offenbar F ussprunnen), dann Nr. 382 ein Chvnrad et Frater ejus Ge-
runcli de Vuzsprunnen und endlich Nr. 550 wieder Gerung de Plius-
pr ugnen cum Filio Chvnrado als Zeugen. Dieser Sohn des Gerung ist
wohl kein anderer als unser Dichter Konrad. Diese letzte Urkunde ist jedoch
nicht datirt, fällt aber zwischen die beiden datirten vom Jahre 1J79 und 1187,
welche in der ältern Ausgabe dqs Saalbuches unter Nr. 126 und 134 aufgeführt
sind. Wir können aus andern historischen Daten, welche in jenen Ur
kunden gegeben sind, aber hier zu erörtern zu weit führen wurde mit Bestimmt
heit anhehmen dass sie innerhalb der J. 1182—1186 ausgestellt worden ist. Da
nun Konrad damals als Zeuge wenigstens 21 Jahre alt sein musste, so muss er
«spätestens innerhalb der Jahre 1161—1165 geboren worden sein, was mit der Zeit,
in welche seine Dichtungen fallen, vollkommen übereinstimmt.“
26 ) Septima (sc. ecclesia) in radice montis in honore St. Blasii dedicata, juxta rivulum
preterfluentem posita, ubi et est habitatio sororum et mansio fratrum in
pistrina servientium. Vita Altmanni §. 27.
27 ) Keiblinger in seiner Geschichte des Benedictiner-Stiftes Melk, Wien 1851, Bd. I,
S. 248 sagt, indem er von diesen Frauenklöstern spricht, ausdrücklich: „Viele solche
Frauenklöster waren aber ganz ohne eigenen Stiftungsfoiul und die Anzahl ihrer Mit
glieder sehr klein, so dass sie keine Äbtissinn zur Vorsteherinn hatten und ihre Existenz
sehr kümmerlich und zufällig war; daher sie alle in kurzer Zeit, manchmal schon
nach Ausslerben der ersten Golonie, wieder eingingen, wie es zu Melk, Altenburg,
Sitzb. d. phiL—hist. CI. XV11I. Bd. II. Hit. 18
270
Joseph D i e in e r.
Klein-Mariazell, Suben, Waldhausen und Michaelbeuern der Fall war.“ Diesem gemäss
findet man auch in dem Göttweiger Saalhuche S. 376 für diese Zeit ausser der Lant-
rath und der Gerbirg nur noch folgende vier verzeichnet, nämlich eine Bertha um
1110, wahrscheinlich dieselbe, welche im Melker Todtenbuche am 16. Juli als Inclusa
vorkommt, eine Wieza um 1110, und eine Diemut und Regilint um 1120, alle drei
wahrscheinlich früher unverehelicht, da die anderen Matrone genannt werden. Bei
der letztem sowie bei der obgeuannten Bertha und unserer Ava befindet sich
im Melker Todtenbuche S. 303 fl*, nirgend der Beisatz „nostrce congregationis. w
Sie gehörten daher gewiss nicht dem StifteMelk an, weil hei dessen
Mitgliedern, wie auch Kei bli nge r am angef. O. S. 230 in der Note sagt, jene
Worte stets hinzugefügtwordensind. Vgl. hiezu auch Keiblinger
S. 260.
Die drei genannten Nonnen waren daher offenbar aus Göttweig, was nur ein Paar
Meilen von Melk entfernt liegt, und mit diesem Stifte auch im lebhaften Verkehr stehen
mochte. Man kann dies um so mehr annehmen, als sie völlig um die gleiche Zeit,
als ihr Name im Melker Necrologium mochte eingetragen worden sein, auch im
Göttweiger Saalbuche aufgeführt werden. Auf ähnliche Weise finden wir ja den
Göttweiger Abt Erchenfried auch im genannten Todtenbuche.
Zum Schlüsse muss ich noch auf einen Umstand aufmerksam machen, der nicht
uninteressant ist. Es erscheint nämlich die obige Bertha ebenfalls so wie unsere
Ava im Göttweiger Saalbuche zuerst nur als Conuersa, im Melker Sterbebuche aber
als Inclusa. Desshalb die Identität der Personen zu bezweifeln, hiesse doch wohl
zu weit gehen. Es scheint also unsere Dichterinn nur dem Beispiele der Bertha
gefolgt zu sein, indem sie die noch strengere Ordensregel als Inclusa annahm. —
Wahrscheinlich wurde aber durch die zu strenge Lebensweise ihre Gesundheit allzu
sehr angegriffen, so dass es die alte Frau nicht lange ertrug, und in einigen
Jahren darauf 1127 selig in dem Herrn entschlief.
Kleine Beiträge.
271
Kleine Beitrüge zur älteren deutschen Sprache und Literatur.
Von dem w. M. Jos. Dicincr.
XVI.
Heinricli’s Gedichte Ton dem gemeinem lebene und des todes gehugde.
Mich lseitet meines gelouben gelubde
daz ich yon des todes gehugde
Eine rede für bringe.
dar an ist aller mein gedinge
5. Daz ich werltlichen liuten
beschseidenlichen muze bediuten
Ir aller vrseise unt ir not,
die uof den täglichen tot
Der allen liuten ist gemseine,
10. sich berseitet lseider sseine.
Die mache[t] uns der weissage chunt:
er sprichet 'omnes declinauerunt’,
Daz sprichet, si hant sich alle genseiget,
er mseinet die da habent gesseiget
IS. Von got ze dem ewigem valle.
er mac wol sprechen 'alle’
Wan under tousent sundawen
mug wir vil ehouin einen bewseren
Der durnechtic muge hseizzen.
20. owe, waz wir alle tage gefrseischen
Unchristenlicher sunden!
man beeret uns niender chunden,
Wa einer stech in einer chliuse
der seine sunde also beriuse
18*
Kleine Beiträge.
271
Kleine Beitrüge zur älteren deutschen Sprache und Literatur.
Von dem w. M. Jos. Dicincr.
XVI.
Heinricli’s Gedichte Ton dem gemeinem lebene und des todes gehugde.
Mich lseitet meines gelouben gelubde
daz ich yon des todes gehugde
Eine rede für bringe.
dar an ist aller mein gedinge
5. Daz ich werltlichen liuten
beschseidenlichen muze bediuten
Ir aller vrseise unt ir not,
die uof den täglichen tot
Der allen liuten ist gemseine,
10. sich berseitet lseider sseine.
Die mache[t] uns der weissage chunt:
er sprichet 'omnes declinauerunt’,
Daz sprichet, si hant sich alle genseiget,
er mseinet die da habent gesseiget
IS. Von got ze dem ewigem valle.
er mac wol sprechen 'alle’
Wan under tousent sundawen
mug wir vil ehouin einen bewseren
Der durnechtic muge hseizzen.
20. owe, waz wir alle tage gefrseischen
Unchristenlicher sunden!
man beeret uns niender chunden,
Wa einer stech in einer chliuse
der seine sunde also beriuse
18*
272
Joseph D i e m e r.
25. Oder anderswa gebuzze, Massm. — SO.
als Maria diu suzze
Diu nach christes uofverte
ceit unt stat biherte
In einer seislichen wste,
30. da si inne wonen muste
Ane der liute mitwist
die si nach unserm herren Christ
Nimmer mer bischowen wolde, S. 165, b.
seit si in nicht lenger sehen solde.
35. O we armir phaffhseite!
diu den lajien ein gelseite
Solde zu dem himelreiche geben,
wie harte si zeruke muzen streben
An dem jungistem gerichte:
40. unt möchte iemen ze gotes gesichte
Sich des tages da verbergen,
unt ist daz si gehorsam sulen werden
Des an den buochen geschriben stat
als in unser herre got geboten hat,
45. Wan er in allen hat gedrot
in den ewigen tot
Die so nicht lebent als er in gebiutet
unt in sein schrifft bediutet,
Sulen seiniu wort nicht zergen:
50. si muzzen an der warhteit gesten,
Daz si der christenhseit wellent phiegen,
nach der si solden leben
Als si an den buochen hant gelesen:
so mocht ir einer nicht genesen.
65. Christenlicher orden
der ist harte erworden.
28. bischerte. 25—34. Vgl. Gloub. 2205 11'. und Litan. 1175 ff. 32. Hs. herrem.
35. armiu. 52. nach den. Vgl. Litan. M. 592. u. Fdg. 227, 41. 56. Hs. worden.
Vgl. V. 681 undDiemer, Gedichte des 11. und 12. Jahrh. 154, 2; 159, 16.
Kleine Beiträge.
273
Sumlich habent den namen an daz ambet, Massm. — 86.
laeider vil lutzel im leinen enblandet
Uf den wuocher der armen sele.
60. die der obristen ere
Under der phaffhaeit solden phiegen,
den daz vingerl unt der stäp ist geben
Unt ander vil bezaeichenlich gewant
da von si bischof sint ginant,
6S. Ze den ist daz recht enzwaef:
pharre, probstei unt abtei,
Weihe zehende phrunde
die si nicht ze verchoufen bestünde,
Daz gebent si ander niemen
70. wan der ez mit schätze mac verdienen.
IR junger habent oucli wol erchant,
wie in ir maeister hant
Vor gitragen daz bilde: S. 166, a.
beichte unt bivilde,
75. Misse unt salmen
daz bringent si allenthalben
Ze etlichem clioufe.
ez sei der chresem oder diu toufe
Od ander swaz si sulen began
80. daz lant si niemen vergeben stan
Wan als diu miete erwerben mac.
owe, jungister tac,
Weihen Ion soltu in bringen!
ir dehaeiner hat den gedingen
85. Ob sein des tages sul werden rat.
swer geistliche gäbe verchoufet hat,
Wie möchte des missetat
immer mere werden rat?
Wirt er dar an funden,
90. er muz immer sein gebunden
74 ft'. Vgl. Pfitft'l. 3S9 ff.
274
Joseph D i e m e r.
In der hseizzen fiures flamme: Massm. — 118.
ze spate chlaeit er danne.
Swaz er halt guter dinge bigat
die weile er an dem unrecht stat
95. Daz ist vor got verfluchet;
sein gebet wirt verunruchet
Wan ez ze gotes oren nicht steiget;
sein gehugde wirt ewichlich versweiget.
Die ze briester sint gezalt
100. die hant der zwelfpoten giwalt
Daz si mit dem gotes worte daz si bredigent,
die sundajr bindent unt erledigent.
Ouch sulen si ir leben behalten,
anders muoz si got engalten
105. Daz si den nutz ane muo wellent haben,
in geit got von seinem weissagen
Ein vorchtliche urchunde
'dise verswelhent meiner liute sunde’.
Unser herre ouch selbe chiut
110. 'dise Iadent uf daz arm liut
Solhe burde die niemen mac erheben, S. 166, b.
unt wellent si selbe nicht erwegen’.
Surnlicbe die aber so senfte sint,
die trostent über recht des tivels cliint
115. Unt liebent in die mseintat.
swer in ze gebene hat
Der mac tuon swaz er wil,
daz er dehseine weis so vil
Mac getuon böser dinge,
120. ez buzen die phenninge.
Die muken si liebent,
die olbenden si verslichent,
104. engalten] schwv. engelten lassen, strafen. Dasselbe Wort auch Litan. F<lg.
210, 3. 100. Hs. seinen. 112. Hs. erg... Wackernagel ergänzt im Lesebuch
S. 221. 1 erwegen. 120—122. Vgl. Pfaffenl. S92.
Kleine Beiträge.
275
Si refsent niewan die armen, Massm. — ISS.
die solden in erbarmen.
125. Swaz der reiche man getuot
daz dunchet siu suz unt guot.
Got enwelle seiniu wort verwandelen
'swer vordert ein sei vor der anderen’,
Wa sol der mensch denne erschaiinen
130. der von den schulden seinen
Verliuset mit seiner ger
tousent sei oder mer?
Als wir diu buoch hören schreiben,
ir aller weitze er muz leiden
135. Nach der jungisten schidunge,
do beider ane harmunge
Gotes zorn über siu erget.
wie tiwer si danne gestet
Dirre werltliclie reichtuom
140. unt der unsielige freituom
Daz si lebent ane twanchsal.
nu wellent die phaffen über al
In daz haben ze einem rechte gar
daz sich under der phaffen schar
145. Sul der weihe Jemen anen.
ja solden si sich von ir undertanen,
Als ich ein ebenmazze wil für ziehen,
als der vihirt von den vihen
Unt der mseister von den jungem, S. 167, a.
150. sus solten si sich sundern.
Unt wellent leichtichseit phiegen.
durh waz ist in diu mseiSterschaft geben?
Bediu unzucht unt hseiliclueit,
unchiusche unt rseinechaeit,
131. ger] = ger Begierde. 13G. so laiiler. 143. anen] Vgl. Litan. Fdg. 228, 13.
148. Hs. viliirt den vihen.] Vgl. Angengi 24, 83. 31, 38. 74; u. Iliemer 286, 8.
uihe. 153. Hs. zuckt vnt.
276
Joseph. D i ein er.
15S. Die sint nicht wol ensamt. Massm. — 182.
svvenne des briesters liant
Wandelt gotes leichnaraen,
sol si sich danne nicht zamen
Von weipUchen anegrilfen?
160. entri,wejg.,si sint dar an beswichen.
Unser gelouhe daz bivangen hat,
swenne der brister ob dem alter stat,
Under dem geriune da
entsliezent sich die himel sa
16S. Daz seiniu wort, dar durch varn;
im sendet, o,uz allen englischen scliarn
Unser herre seine dienstman.
daz opher wirdet Ipbesam,
Ez vertilget allp die missetat
170. die diu chris tenhajit bigat,
Die des mit warem geiouhen gedingeul.
die daz ampt für hringent,
Sprechet, welher rseinichaiit er bedürfe?
dar umbe heb wir uns ze rulfe
17S. Unt sprechen, ez sul got missecemen
daz wir der misse verneinen
Die wir so nicht sehen leben
noch den segen so rechte gehen
Als si von rechte solden:
ISO. dar umbe sei wir in erbolgen.
Swa aber daz gotes wort unt diu geweihte liant
oh dem gotes tische wrehent ensant,
Da wirt der gotes leiehname in der misse
von einem sundser so gewisse,
ISS. So von dem hseiligistem man
der briesterlichen namen ie gewan. S. 167, b.
159. IIs. anegreiffen. 155—185. Vgl. Vrtdank. S. 13—16. 161 IT. Vgl. PfalTI.
278,11. HO derjenigen Messe. 181—186. ebso. Pfaffl. 397—403. 183.IIs. leichnamen.
184. so gewisse] Pfaffl. V. 400 sin gewisse.
Kleine Beiträge.
277
Getorst ich iu sagen daz ich wajiz, Massm. — 214.
die ir christenlichen anthseiz
Mit andern gehseizzen habent gemeret,
190. swie wol si diu buoch sein geleret
Die sich von dirre werlt habent gezogen:
eintweder diu schritt ist gelogen
Oder si choment in ein vil michel not.
si solten in dirre werlt wesen tot,
195. Unt solten daz vlseisch an in rewen
daz ez beglich muse slewen,
Unt die sele ane schowen
sam ein diu ir rechten frowen.
Nu habent si haz unt nett,
200. missehellunge unt streit.
Wol chunnen si spoten unt greinen
unt lazzent übel scheinen
Oh si die waren niinne
in dem hercen sulen gewinnen;
205. Iriu wort sint vil manicvalt.
sine haben ampt oder gewalt,
Anders dunchet ez siu ze niclite.
si dienent niwan ze gesichte,
Durch vorchte, nicht durch niinne.
210. si gesitzent nimmer inne,
Si wellent umbetwungen sein,
daz ist an sinnlichen schein.
Die ir dinc so schaffent uzze,
die wellent in so gitane buzze
215. Die si so swanzunde tragen:
der in der werlt niht einen esel mochte haben,
Ze boeser' gewinnunge
ist sein herce unt sein zunge
194 ff. Vgl. Pfaffl. 219 ff. 195. reuten] zu reo, abtödten. 196. slewen] erschlaffen.
202. ubel] heisst hier selten. 214. Hs. gitaner.
278
Joseph Diemer.
In wunderlicher weise. Massm. — 246.
220. unt möclit iemen mit herlicher speise
Daz himelrich heberten
unt mit wol gistrffilten haarten
Unt mit hoh geschornem hare,
so waeren si alle hseilich zware.
225. Dar uf hab wir laeien ein archwan: S. 168, a.
swaz wir die wandelbare sehen bigan
Des verwarne wir uns ouf die andern alle.
si sint ein schände unt ein galle
Geistlicher samnunge.
230. von wie getaner ordenunge
Sold er ze einem herren werden gehabt,
für daz er der werlt hat widersagt
Der vor des ein arm mensch was?
in dem winder wirt dürre daz gras
235. Daz des sumers was grüne:
der sich in der werlt dunchet chune,
So der greiffet an geistlich leben,
da er mit dem tievel muz streben,
So zimt vil weisleicben
240. daz er ander sein geleichen
Aller erst inne bringe
seiner tugentlicher dinge.
Gerne hab wir geredet
daz die phaffen biweget
245. Unt die muniche ze grozem zorne.
die solden hinden unt vorne
Der ougen also wesen vol
daz si allenthalben wol
Die veinde gesaehen,
250. wa si sich wolden naehen
221. beherten] durch Kampf erzwingen. Vgl. Mild. Wörterb. S. 639. 35. 226. Hs.
wandelwmre] ebso. mit tu für b. Ang. 39, 3. P&iflfl. 130. 234. Hs. winde. Vgl. Pfaffi. 234.
248 ff. vgl. Pfaffi. 20 ff.
Kleine Beiträge.
279
Ze den die in bevolhen sint. Massm. — 278.
wellent si nu liedenthalben wesen blint,
50 werdent si evviehlicben erblendet:
daz ist uns offenlichen vercbundet
25b. Mit den Worten der warhaeite
'swa ein blinde dem anderm git gelaüte,
Da vallent si bede in die grübe’.
dise rede verstent genüge:
Diu gruobe ist diu belle,
200. swer nu die blinden wizzen welle,
Daz sint die bcesen leraere
die die verworchten hmraere
Mit in laeiten in den ewigen val. S. 108, b.
noch beeret ein andern sturmschal
265. Von unsern herhorne tiezzen,
des ouch die laeien mac verdriezzen.
Werltliche riebtaere
daz sint widervechtaere
Gotes unt aller gute,
270. die tragent wlfein gemute,
51 bebirsent swaz si mugen bejagen.
diu triwe ist gserlich erslagen
Under den die laeien sint:
der vater muz hazzen daz chint,
275. Er wirt des nimmer an sorgen,
volwaehset ez biut oder morgen,
Ern verstozze in alles des er bat
ob sein dinc unhpeilich ergat
Daz er nach reichtum erarmet.
280. owe, wie lutzel sich iemen erbarmet
Alles seines chunnes über in!
so vaste strebet ir muot uf gewin,
251. Hs. bevölhent. 254. verendet. 256. Vgl. Pfaffl. 132. 259. Hs. gruob. 260. wer]
swer die Hs. wizzen, ausdrücklich so in der Hs. und nicht wirren. 265. herliorn]
ebenso Litan. 226, 30, Pfaffl. 23. 270. wolfen. 279. Hs. eramet.
280
Joseph D i em er.
Swa er sieh des nutzes nicht versieht, Massm. — 310.
dehaeiner dem anderm vergiht
285. Dehajiner chunneschefte.
der herre versieht sich ze dem chnechte,
Noch der chnecht zu dem herren
weder triwen noch eren.
Reiter unt frowen
290. der leben sul wir lazzen schowen
Daz got vil widerwertic ist.
die cherent allen ir list
Wie si niwer site megen gedenchen
da mit si die sele chrenchen.
295. Daz ist ein strich der hohverte
der den tivel des himelriches beherte.
Er wirbet ouch nicht so gerne,
so daz er uns uz gütlichem scherme
Mit dem selbem laster verscliunde.
300. ez sint die aller maeisten sunde
Die man wider gotes hulde mac getuon. S. 169, a.
der hohvertige man ist des tivels suon,
Swa er mit ubermute gevaehet den man
dem hat er den sic behabet an:
305. Des gestet uns jobes schrillt bei,
er sprichet daz er ein fürste sei
Uber elliu chint der ubermute.
da vor uns got behüte
Daz wir im iaht werden genozsam
310. von dem diu ubermuot anegenge nam.
Si ist alles ubeles vollaeist
unt enlaet den haeiligen gaeist
Bei dem menschen nicht beleihen,
diu laster sul wir vertreiben,
296. Hs. den der tivel bclierte] prmt. von 6ehern, berauben. Vgl. Mhd. Wörterb.
662, 23.' 306. IIs. er sei ein fürste. 309. Massm. liest gehorsam, es steht jedoch
deutlich 1 genozsam r ‘ der Sinn ist, dass wir ihm nicht zugesellt oder dienstbar werden.
Kleine Beiträge.'
281
313. Si benement uns geistlich zuht, Massm. — 340.
si sint der sele miselsuht,
Si reichsent al mseiste an den weiben:
hie muge wir der frowen wol gesweigen.
ÜVir sehen ce gazzen unt ze chirclien
320. um die arm tagewrchen
Diu nicht mer erwerben mac,
si gelebt ir nimmer guoten tae,
Si enmache ir gewant also lanc
daz der gevalden naehswanc
325. Den stoub erweche da si hin ge,
sam daz reiche al deste baz ste.
Mit ir hohvertigem gange
unt mit vrömder varwe an dem wange
Unt mit gelwem gibende
330. wellent sich die gebiurinnen an allem ende
Des reichen mannes tochter ginozzen,
mit ir chratzen unt mit ir stozzen
Daz si tunt an ir gewande.
daz sol den von recht wesen ande
335. Die daz recht minnent.
swes sumlich biginnent
Dar nach bruttent sich die andern.
des rechtes ist lutzel bistanden
Under armen unt under reichen: s - 196» b.
340. daz muz got von schulden misseieichen.
Von den frowen sul wir nicht übel sagen,
doch mug wir der reiter nicht verdagen.
Zwene geverten hat diu ubermuot,
die setzent die reiter an die gluot
330. Hs. si u. gebiurinen. 343—333. Diese Stelle ist offenbar verdorben. Der
Sinn dürfte soin: Zwei Genossen hat der Hocbmuth, welche die Ritter in die glühenden
Funken des ewigen Feuers bringen, und der hat Gott viel zu danken 1 , der sein Leben
ohne sie vollendet, [dn die zioene geverten bejaget], er hat der Hoffahrt widersagt.
282
Joseph Diemer.
345. Der ewigen fiures vanchen, Massm. — 370.
er hat got vil ce daneben
Der sich an die bejaget,
der hat der hohverte widersaget.
Die verlaeitent si vil diehe
350. in des ewigen todes striche
Da si verliesent ir leben.
so mae dem armen niemen geben,
Er muz sein verdampnet.
swa sich diu reiterschaft gesamnet,
355. Da hebet sich ir wechselsage
wie manige der unt der hehuret habe.
Ir laster mugen si nicht versweigen,
ir ruoin ist niwan von den weihen,
Swer sich im den nicht enmachet
360. der dunchet sich verswacliet
Under andern seinen geleichen.
swa aber von sumleichen
Der manhaäit wirt gidacht,
da wirt vil selten für bracht,
365. Wie gitaner sterche der sul phiegen
der wider den tievel muze streben.
Da nennent si genüge
vil manic ungefüge.
Si bringent sieh mer ze schänden,
370. swenne si sprechen! 'den mac man in allen landen
Ze einem guotem clmecht wol haben,
der hat so manigen erslagen’.
Die machet uns der weissage chunt,
'si vreunt sich, so si tuont
Sie (die Gefährten, die aber nicht genannt sind) verleiten die Ritter sehr oft in die
Sehlingen des ewigen Todes, wo sie (die Ritter) ihre ewige Seligkeit verlieren. Da kann
den armen Niemand helfen, sie müssen verdammt sein. 344. Hs .setzet. 347. Sich bejägeri]
Vgl; Mhd. Wörterbüch von W. Müller. 8. 763, 43. 343. des. Vgl. Lit’an. 234, 36.
330. Hs. sich in den ruom. 360. verswachet\ ebenso Ang. 7, 33.
Kleine Beiträge.
283
375. Daz boesiste an allen dingen Massm. — 400.
swaz si des mugen für bringen’,
Swie wir an disen Worten bewaeren: S. 170, a.
von solhen rumseren
Wirt dise werlt niuwe
380. Iseider ungetriuwe,
Diu chlaget von rechte
umbe die vordem guoten chnehte
Die ir so gar sint benomen.
sol disiu werlt an ir ende chomen,
385. Owe unser jungisten erben !
wie harte si muzzen verderben
Gotes unt ir christentuom.
wa schseinet der altberren weistuom
Den niemen ercellen unechte
390. under allem ir gesiseehte?
Alle die bei disen ceiten lebent,
delueines anders listes si phlegent
Wan wie si ein ander betrigen
bespoten unt beliegen.
395. Verboeset ist diu niwe jugent,
ere, zucht unt tugent
Die neigent sam um ein rat.
rome, aller werlde houptstat
Diu bat ir alten vaters nicht.
400. man vindet da delisein Zuversicht
Rechtes noch genaden
wan wie man dem schätze muge gelageu.
Der reiche man ist edele
unt ist der fürsten gesedele,
377. Hs. Die wir an. 377—384. Diese Stelle ist ebenfalls verdorben. Der Sinn
dürfte sein: Durch solche Grosssprecher wird die jetzige Welt leider treulos, welche mit
Recht um die einstigen guten Knechte klagt, die ihr so ganz und gar abhanden gekommen sind.
Weh unsern letzten Nachkommen, wenn die Welt dann ihr Ende erreicht. 379. Wie dise.
382. Hs. die vordem gaote ohne umbe. 383. unser jungiste. 393. Hs. ane nander.
284
Joseph D i e m e r.
405.
410.
415.
420.
■m JRJ» ■%
425.
jwjIUsO.
Er ist weise unt starcb, Massm. — 430.
er ist schcene uut charch
Unt in den landen lobesam;
allenthalben ist verworfen der amman.
Geistliche ricbtere
die mugen reichsnere
Baz denne meisten geheizzen,
mugen si der schilde vil geleisten
Unt Helme unt brunne.
daz ist elliu ir wnne
Daz si mit menige reiten S. 170, b.
unt beizzen in die gegende weiten
Dienen swes so sie.
ir undertanen wellent wesen fri
Ze tunen allez daz in gevalle.
die reichen lebent mit schalle,
Die armen mit gesuoche:
daz vindet man an deheinem buoche.
Die phaffen die sint geitie,
die gebour die sint neidic,
Die choufliut habent triwen nicht,
der weibe chiusche ist enwicht.
Frowen unt reiter
dine dürfen nimmer gefreiscen,
Weder ir leben bezzer sei.
ir undertanen wellent wesen frei.
Die guot sint unt biderbe,
da setze wir- in tousent widere
Den niemen mac urchunde geben
ob si tugenllichen leben,
409. Rs; Gceiötlicher. 413. ohne unt. 420. Hs. lobent. 428. IIs. gefristeri\ Frauen und
Ritter dürfen nicht viel fragen, welches von ihr beider Lehen besser sei. 431. Hs. biberde
Denen, die gut uud edel sind, können wir Tausend entgegen stellen, welchen Niemand
das Zeugniss geben wird, dass sie tugendhaft leben. 519. ze tunen] = ze tuonne, vgl.
Pfall'L 255. ze tuonen.
Kleine Beiträge.
285
435. Michel mere han ich gereit Massm. —452.
denne ich het uf geleit,
Do ich des liedes higan.
dar umbe sei mir niemen gram
Daz ich die warhaeit han gesprochen;
440. swa aber ich den orden han zebrochen
Der materie di ich ane viench,
daz machent laesterlichiu dinch
Unt ditzes leibes getrugde
diu uns von des todes gehugde
445. Manigen ende laeitet,
als wir iu vor haben gebraeitet.
Hie welle enden ditz liet,
daz ander gehillet disem niet.
Daz wir bäten ze redene
450. von dem gemaeinem lebene
Mag ez einen besunderen nam wol haben:
swaz wir von dem tode wellen sagen
Daz vindet ir geschriben hie bi, s. 171, a.
des beginne wir in nomine domini.
455. Nu gedench aber mensch deines todes
nach den Worten des herren jobes,
442. Icesterlicliin. 443. ditzes] ebenso V. 840. 444. Hs. der uns — ohne todes.
443. Manigen ende] nach mancher Seite hin; Adverbialausdruck vgl. Grammat. III.
140, und Mhd. Wörter!) 431, 19. Der Sinn ist: Wo ich aber die Ordnung der begonnenen
Rede verlassen habe, sind die verschiedenen Missbrauche und das Trugbild dieses Lebens
Schuld, das uns von der Erinnerung an den Tod, wie wir euch vorgestellt haben, auf gar
manche andere Dinge führt.
447. Nach Hie welle muss man sich wir hinzudenken, was bei älteren Dichtungen
in Imperativsätzen oft weggelasseu wird.
448. daz vorder] gibt durchaus keinen Sinn. Durch die Änderung in ander wird
er jedoch auf die einfachste und natürlichste Weise hergestellt. Es heisst dann: Hier
wollen wir dieses (das vorher gegangene) Lied beendigen, das andere (folgende) stimmt
mit diesem nicht überein, und durch die Verbesserung des ursprünglichen haben V. 449
in habeten oder häten, heisst es: Das was wir von dem gewöhnlichen Leben zu sagen
hatten, mag wohl einen besondern Namen, nämlich den „vom gemeinen Leben“ führen,
alles was wir von dem Tode reden wollen, findet ihr hier angeschlossen. 453. bei.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XVIII. Bd. II. Hft. 19
286
Joseph D i e in e r.
460.
465.
470.
475.
480.
485.
eoaaib ’iodij
Oflio ilüi 9-30
iotl asitauiiM
Der sprichet 'churz sint meine tage, Massm. — 484.
mein leben nahet zu dem grabe’
Des er oucli anderswa ist gelingende
'gedenche deines schephaeres in deiner jagende,
E dich diu zeit beyalie
daz dir dein ungemach nahe
Unt e dein stöup werde
wider zuo der erde’,
Dem oucli diu wort wol geleich sint
'mein leben ist sam ein wint,
Sam ein wazzer daz da hin streichet.
ich bin dem aschen geleichet,
Mein ebenmazze ich mische
ze dem aschen unt ze dem valwische’.
Daz ist ein swaerer trost der hie schillet,
dem oucli ein ander weissag gehillet,
Er sprichet 'mein lehen ist staete so daz gras
daz liiute dorret unt gester grün was’.
Da bei chieset weisen man
der seines todes nicht vergezzen chan,
Oucli manet uns salomones scrift,
er sprichet 'sun nu vergiz nicht
Deiner jungisten stunde,
so lehestu immer ane sunde’.
We im der sin heile unt sein beichte gespart
an sein jungiste hinvart!
Armer menscli, broeder laeim!
diu zwei sulen werden enaein,
So du des ersten churnst her,
e dein muoter dich geber
Mit sere unt mit ache
ze grozzem ungemache.
I 03110
470. valwisch] Loderasche, vgl. Litan. 477. und D i e m er 286. 7. auch Gramm.
2, 373. 475. Hier ist das Pronomen er ausgeblieben, Vgl. Diemer, Anm. zu 28,, 7.
481. Hs. Wie im, das keinen Sinn hat. heile, alth. hcili. GrafF. 4, 864.
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287
Aller der vverlt hastu nicht mere gemaeines Massm. —S12.
490. wan der hiute unt des gebaeines,
Duo wirst oucli geborn ane wsete: S. 171, b.
durch waz bistu so staete
An bceser gewinnunge?
unt wolde diu gotes ordenunge
495. Dich aller der werlt machen frömde,
er liet dir doch geben ein hemd'e
Da mit du deine schäm bedachtest.
uf dirre erde du nimmer benachtest,
Du muzest ertöten unt erblaeichen.
500. e du dein berceichen
Mit waeinen behütest,
da mit du wol bediutest
Daz du ze der armchaeit giborn bist;
so dir nu chümt dein jungiste vrist
505. So mustu vil offte ruffen we:
mit grimme ist recht daz er zerge
Der geborn ist mit grimme,
also diu erste stimme
Nach der gebürte wol erscheinet,
510. so daz niweborn chint weinet.
Eines chuniges sun welle wir iu nennen
ob ir an dem muget erchennen,
Weder er sei geborn mere
ze leide oder ce sere
515. Oder ce vreuden oder ze ungemache.
wir mugen iu maniger slachte sacbe
500—510. Vgl. die Übersetzung dieser Stelle in der Abhandlung über dieses
Gedieht. S. 198. 516—519. Diese Stelle ist offenbar verdorben. Kaum wage ich eine
Deutung. Vielleicht ist dies der Sinn derselben : Wir können hier gar Manches bei
Seite lassen, damit wir die Kinder (oder auch die Söhne durch schlechte Erziehung in der
Jugend) einem langen Siechthum zuführen mochten. Es ist sogar möglich, dass der
Dichter mit diesen Worten auf die verwahrloste Bildung und Erziehung Heinrich’s IV.
anspielt, die so nachhaltige üble Folgen mit sich brachte.
19
288
Joseph Di einer.
Hie ze stet lazzen under wegen Massm. — 546.
da mit wir diu chint mochten biwegen
Ze einer langen siechaeite.
520. nu lazze wir in zu der swertlseite
Mit allen vreuden volcliomen;
wie möclit er dar an volwonen
So get im alrest arbeite zuo:
er muz spat unt fruo
525. Um dise arme ere sorgen
wie er hiut oder morgen
Muge gemeren seiniu leben;
er endarf sich nimmer versehen
Voller triwen noch genaden S. 172, a.
530. von seinen nsehsten magen.
Hat er im senfte erchorn
so ist sein ere schier verlorn,
So wirt er verstozzen
von andern seinen genozzen,
535. Wil er aber ungetriu wesen
so mag er ze der sele nicht genesen:
Swelhes lebens er higinnet,
wie leicht im dar an misselinget,
Sein sorge ist fruo unt spate
540. daz in einer icht verrate
Oder daz im einer icht vergebe:
des geschiht mere denne ich mege
lu oder ander iemen gesagen.
doh mug wir iu manige not niht verdagen
545. Die den armen unt den reichen
geschent misleichen:
Einer hat daz vieber oder daz vergibt,
einer verliuset daz hceren oder daz liecht,
Einem wirt etlich lit enzogen,
550. einer lseit gserlich versmogen
Kleine Beiträge.
289
Massm. — 854.
Daz er gen unt sten nicht enmach,
einer verliuset waz unt smach,
Einer verliuset seine spräche:
sus getane rache
555. Die einem ieglichem menschen gesehaden megen,
wer mac sich da vor entreden,
Swie reiche oder swie her er sei
daz er von solhen suchten beleihe frei?
öocli verhenge wir daz etwer
560. muge an aller slachte ser
Geleben seinen jungisten tac,
daz doch vil übel geschehen mac,
Nu waz ist der rede mere?
als schier so diu arm sele
565. Den leichnamen begeit,
nu sich, armer mensch, wie er leit.
Het er gepldegen drier reiche, S. 172, b.
im wirt der erden eben geleiche
Mit getajilet als einem dürftigen.
570. ouch sehe wir sumlich ligen
Mit schoenen phellen bedechet,
mit manigem liechte bestechet,
Mirre unt weirouh
wirt da gebrennet ouch,
575. Unt wirt des verhenget
daz diu bivilde wirt gelenget
Unt sich seine vriunde gar
gemaünleichen gesamnen dar:
So ist daz in ir aller phlege
580. wie man in herlichen bestaten mege.
852. ?ons] waz u. V. 678, Geruch. 554. rtieAe] für rache, hier Strafe, scheint
fehlerhaft, da ein Plural dieses Wortes nirgend nachweisbar, es wäre denn dass es ahd.
für rahha pl. stünde, vgl. Grad'2, 373. 556. entreden] V. 701 entreiden, davor ver-
theidigen, bewahren. 3G2. vil übel] heisst hier sehr selten. 569, begeit] = begibet,
den Leih verlässt. Vgl. Mhd. Wörter!). 303, 45 If.
290
.fosepli Diemer.
Owe, vertseiltiu herschaft!
swenne diu tivellich helle,eraft
Die arme sele mit gewalte verswilhet.
waz liilfet, swa man bivilhet
585. Daz vil arme gebaeine,
so der armen sele mit gemaiine
Allen baeiligen widertseilet wirt?
we der nacht diu in danne gebirt!
Nu lazze wir des sein verbenget,
590. daz bivilde werde gelenget
Zwene tage oder dri
oder swaz ez lenger dar über sei:
Daz ist doch ein clilseglicb hinevart.
nicht des daz ie geborn wart,
595. Wirt so widerzieme
noch der werlt so ungemeine.
Nu ginc dar, wip wolgetan,
unt schowe deinen lieben man,
Unt nim vil vlaiizechlichen war
600. wie sein antlutze sei gevar,
Wie sein schmitel sei gerichtet,
wie sein bar sei geslichtet,
Schowe vil ernstleiche
ob er gebar iclit vrceleichen,
605. Als er offenlicben unt tougen
gegen dir spilte mit den ougen.
Nu sich, wa sint seiniu muzige wart
da mit er der frowen hobvart
Lobete unt saeite ?
610. nu sich, in wie getaner bseite
Diu zunge lige in seinem munde
da mit er diu troutliet chunde
Massm. — 570.
I .810
I
.OSO
/ aso-
S. 173, a.
SSI. veriuliUiu herschaft] O weh, unglückselige Herrlichkeit! S83. armen.
599. vlteizchlichen. 609. Hs. Lobet. G10. hielte[ ahd. Ordnung, Art. vgl. Mhd. Wör-
Kleine Beiträge.
291
Behagenlichen singen? Massm.—603.
nune mac si nicht für bringen
615. Weder wort noch die stimme,
nu sich, wa ist daz chinne
Mit dem niweri barthare?
nu sich, wie recht undare
Ligen die arme mit den henden
620. da mit er dich in allen enden
Troute unt umhe vie.
wa sint die fuze da mit er gie
Höfslichen mit den frowen?
dem muse du diche nach schowen
625. Wie die hosen stunden an dem bseine,
die brouchent sich nu lseider chljeine.
Er ist dir nu vil fremde
dem du e die seiden in daz liemde
Muse in manigen enden weiten.
630. nu schowe in an allen mitten ;
Da ist er geblset als ein segel,
der hoese smach unt der nebel
Der vert uz dem ubefdonen
unt lmt in unlange wonen
635. Mit samt dir uf der erde.
owe, dirre chlsegliehe sterbe
Unt der wirsist aller tode
der mant dich mensch deiner brcede.
Nuo sich enceit umbe,
640. e dich dein jungiste stunde
Begreiffe diu dir fe ze furchten was.
repentina calamitas,
Daz sprichet, sorge ze so getanem tode s. i73, b.
unt sprich mit dem herren Jobe
618. 'ühdarbYunansehnlich. Vgl. Mhd. Wörterb. 308, 17. 619. armen 621. IIs.
Troiit. vgl. zu 44;>. 633. uberdonen] das sind die Tücher, in welche der Leichnam
eingehiillt wird.
292
Joseph Di em er.
645. 'Churzlichen vervarent meiniu jar, Massm. — 634.
ich gen einen steic, daz ist war,
An den ich nicht chum widere’,
e dich dein jungistez geligere
,«t ;g Begreife oa uh snG
650. chere dein schef ze stete
Daz dich enmitten uf dem mer
(Jie sundern winde hin unt her
Denne icht ane hozzen ,, j..,yy-\
unt du e? nicht ze stade macht gestozzen.
655. So dich begreiflet der sieehtuom,
so machtu der sunde nicht mer gctun,
So lazzent dich die sunde unt nicht du siu.
nu sage, armer mensch, umhe wiu
Wil du den phaffen denne gespreehen?
660. waz wil du deines dinges cechen
So du gebuzzen nine macht?
du hast dich ze unceit bedacht.
Reicher unt edeler jungelinc, , rf: -,;. jqg ,p j{
merche mngestlichiu dinc
665. Unt ginc zu deines vater grabe,
. nim den obristen stmin dar abe
Unt gn{& Ij5ni , jIC
siuifte oxÜ7/ loh no-/
Du macht wol sprechen ob du wil,
670. ez nimt dir deiner herscheft nicht yil,
'Lieber vater unt herre,
nu sage mir waz dir werre?
Ich siche dein gelnein rozzen
daz hat diu erde gar vernozzen,
675. Ez chriuchet boeser wrme vol. ( :'
ditz stinchunde hol
647. An dem. 648. geligere] (Ins Lager. 649. Begreiff und bete. 6öS—6S8.
Wenn dich einmal die Todeskrankheit ergreift, kannst du keine Sünden mehr begehen, da
verlassen die Sünden dich und nicht du sie. 6S3, I. hosen] stossen. 657. nicht unt.
674. vernozzen] verniezen, sty. verzehren.
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293
S. 174, a.
099
00
Erzeiget meinem sinne Massm. — 666
einen seislichen waz dar inne;
Oueh ist mir inrechlichen swaere,
680. so schcene so du wäre,
Daz du so schier bist erworden.
daz ist ein jsemerlicher orden,
Daz e hlut sarn diu lilie
daz wil't als daz gewant daz die mihve
683. Beneget unt frizzet:
er ist unsaelic der des vergizzet.
Du möchtest oüch leichte han geredet
oh dich der jamer hete beweget
Väterlicher minne.
690. nu gedenehe an die sinne,
Wie er dir antwurten solde
ob ez def natawer rehte verdolde
Oder ob sein got wolde verhengen.
ich wir die rede nicht lengen;
695. Ich spriche für in unt mit im,
mit rechter andacht du daz vernim
'Ich wil dir, mein trout suon,
des du mich hast gefraget chunt tuon:
Meiniu dinc stent mir Unterseite,
700. von der witze grimmechaeite
Mag ich mich nicht entreiden
die ich tseglich muz leiden.
Ich han fiwer unt vinster
ze der zeswen unt ze der winster
705. Oben unt nidene.
funde mein not iemen geschrieene
Der het immer da von ze sagene,
daz han ich, trout sun, dir ze chlagene.
079. Hs. inrehlichen. 692. . ehte. 692. natawer] stm. Ang. 36, S. div natover.
294
.1 oso p I) niemer.
Waz bedarfstu aber nu langer spräche? Massm.—696.
710. diu cheten der gotes rache
Hat mich starche gebunden;
ich han hsenven Ion funden
Alles des ich ie begie
daz ich lseider ungebuzzet lie.
715. Aller mazze het ich vergezzen
mit trinchen unt mit ezzen,
Nu wirde ich betwungen
mit durst unt mit hunger.
E bran ich an meinem vlseische s - 174, b.
720. mit hurlichem swseizze,
Nu brennet mich der gotes zan
in dem fiwer daz niemen erleschen chan:
Ich leide ser unt ungemach,
owe, daz ich dise werlt ie gesach!
725. Gaütichseit unt hohvart
diu zwtei habent mir verspart
Diu tor der innern helle.
da sint die swarcen pechwelle
Mit den hseizzen fiures flammen.
730. ich hcere da grisgrammen
Wseinen unt wfTen,
vil chlaeglich ruffen
Die, di des habent dehseinen trost
daz si immer werden erlöst
735. Uz dem abgrunde.
ach, daz ich ie des icht gel’rumde
Da mit ich ir genoz werden muoz!
möcht mir des immer werden buoz
712. Ion. 714. Iceider mir. 717. As. wurd. 728. IIs. pechveile. 729. Hs. fivre.
738—42. Könnt’ ich doch einstens dessen entledigt werden, was mir so wohl thun
würde, dass ich nicht stets den Teufel naschen müsste und seinem Anblicke einmal
entgehen könnte, wie selig wiire ich.
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295
Daz mir so wol geschähe Massm. — 728.
740. daz ich den tivel icht an sadie
Unt sein antlutze verhfere,
wie vro ich des wsere.
Mein chlage ich nu ce spate tuon;
iedoch rat ich dir, lieber suon,
745. Daz du mich ze einem bilde habest
unt der werlt so nicht muotvagest,
Du endenchest die not die ih besezzen han
oder ez muz dir alsam mir ergan.
Mu sage mir, mein trout sun,
750. waz hilfet aller mein reiehtum
Unt manic unseliger gewin?
ich wolde allen meinen sin
le dar an erzaeigen
daz ich choufte leben unt oeigen,
755. Bürge meirhof unt huobe
unt ander herschaft genuoge:
Dar umbe ist nu mein sei gevseilet. s. 173, a.
wie hastu daz mit mir getailet
Seit ich hie von dir schiet?
760. des ist laeider vil lutzel oder nicht.
Wa sint nu diu almuosen diu du begast?
wa sint die dürftigen die du getröstet hast?
Wenne gedachte du mein mit den messen?
du hast mein gar vergezzen
765. Sam ich nie geborn wurde.
ach, daz ich so getane burde
Durch dich uf mich han gevazzet!
dar umbe ich nu bin gehazzet
Von dem rechtem richtsere.
770. verfluchet sei der tac der mih gebäre.
dt Idow <■• -lim «BW , uobisw JgUiulIno nsnaab eaaienia dqob doi 'JaitüH .St—
740. muotvagest] vgl. Gramm. 2, 084, sich innerlich ergötzen. 748. Hs. mit mir•
757. gevceileit] feil geboten. 761. almusen] 762. IIs. getrostest.
296 J oseph Dient er.
—-.ma? Manige gewinnunge Massra.—7S8.
die; ich ane barmunge
Nam von witwen unt von waeisen,
die lazzent mih nidht uz den fraeisen.
775. Nu schowe, mein vil lieber suon,
daz ist war, du macht ez gern tuon
Wie mich mein sin liabe gelaeitet
unt dar uof gearbaeitet
Daz du bist reich unt her,
780. Wie ich laeide angest unt ser.
Du sitzest in grozen wirtsehefften,
ih lmider in des tivels zoumheffteri,
Man lobt dich weiten in dem lande,
dar umbe laeide ich die grozen schände:
785. Doch waer :ichi nicht gar verdampnet,
het ih dir den reichtum niht gesamhet
Damit du nu lästerlichen lebest.
swie harte du wider got strebest, •
Als eina diep begreiffet dih der jungiste tac;
790. dein guot dich nicht; gefrösten mac.
Wil du nu wizzen war ich dich lade?
daz tuon ih dar, da du von tage ze tage
In daz inner abgrunde vellest;
des bechere dich ob du wellest.
795. Nu gib ich meinem vlaeische s. 17S, b.
die vil unseligen gehaeizze,
So ich ez an dem jungistem tage wider nim,
so muz diu arme sei mit sampt im
Chomen zuo dem tödlichem lebene;
800. do stet mich nicht vergebene
780. ohne Wie. 782. Ebenso Litim. 222,33. 787. Hs. Mit du nu. 789. jungiste
tad\ hier der Todestag-, 793. inner abgrunde] ebenso Litän. 221, 12. 793—801. Der
Sinn ist : Nun gebe ich meinem Leibe (Fleische) die Unselige Versicherung, dass, wenn
ich ihn an dem jüngsten Tage wieder aiihehme, die arme Seele mit ihm vereint zutöflt-
lichem Leben g-elattgen muss [riätnlich durch die Auferstehung]. Litan. 233, 20. daz er
imer muz totlichen leben. 800. Hs. so stet micht.
Kleine Beiträge. 297
Swaz mir ze vreuden ie geschah. Massm. — 788.
ach, daz ich dise werlt ie gesach!
Seine chestenunge
möcht nimmer dehsein zunge
SOS. Ze rechte für bringen, • .omuij.-, u't .KTf
daz ich nu bin ane den gedingen
Daz ich got nimmer gesehen sol
wan denne, so ich sein urteil dol.
Het ich dehsein ander not,
810. daz wser doch mein ewiger tot.
Nu becher dich enceit, mein trout chint,
alle die geirisch in dirre werlt sint,
Genist der einer, daz ist wunder,
den ist der ewige chumber
81S. Mit samt dem reichen ertseilet; mti .287
der hat sich also lebentige gesffiilet
Mit seiner geirischmite beien;
da si immer muzzen heien
In der Avers flamme griulicher esse.
820. owe! der die grozze not wesse
Diu den reichbn ist gesatzt,
der muse dirre werlt immer wesen ein gast.
Swer an dem reichtum begriffen wirt
den im diu geirischseit gebirt,
82S. Dem ist daz himelreich vor bislozzen.
so hat er übel genozzen
Swaz er guotes ie gewan.
also hat uns der gotes sun chunt gitan,
Er sprichet offenleichen daz
830. ein olbende möge baz
8Q7. Hs. Daz ich nu got nimmer, 815. reichen] fehlt in der Hs. Ohne diese Er
gänzung-ist die Stelle vollkommen unklar. Der Sinn ist: Wird Einer von allen Habsüch
tigen dieser Welt selig, so ist dies ein Wunder. Ihnen wird so wie dem Reichen der
ewige Kummer zu Theil , denn dieser hat sich ebenfalls im Leben in die Schlingen des
Geizes verstrickt, mit denen beide immer in der gräulichen Esse der feurigen Flammen
brennen müssen. 819. In der. 820. grozzen. 830. olbende.
298
.Joseph Di einer.
Durch einer nadei cere gevarn Massm. — 818.
denne der reiche chcem in abrahames barn.
Swer mit dem reichtum wil genesen, s. t76, a.
der frage die phaffen, waz si lesen:
835. 'Als er nicht enhabe, alsus sol er haben,
und enbiut im daz niemen sagen
Ob er in niezen sol eine;
mache in allen den gemseine
Die sein gern in got’.
840. sant paulus der gotes bot
Sprichet, ditzes reichtumes geirischseit
sei der abgot schalchseit.
Daz ist an den geirischen wol gewsere:
für ir schephsere
845. Nement si daz er geschaffen hat,
ez sei golt silber oder wat
Oder icht des fernen gewan,
ez niuz allez hinder im bistan.
Als ein diep hegreiffet dich der jungist tac,
8S0. dein guot. dich nicht gefriden mac,
Du lsest ez allez hinder dein.
so ist dein riwe chupherein,
Lutzei hilfet dein beichte:
oueh erget daz vil leichte
855. Ob du ez e hast versmsehet
daz uns der tot undervsehet.
Wie gerne du denne vvoldest, daz du enmaht
die weile dir got verleihe die macht,
Daz du bceser dinge wol hast
860. swaz du guoter dinge verlast.
833—839. enbit] die Hs. der Sinn ist: Wer mit dem Reichthum selig- werden will,
frage die Geistlichen, was sie lesen: Als habe er nichts, so soll er haben, und befiehl,
dass ihm Niemand'sage, er dürfe ihn allein geniesten; er theile ihn mit allen'die ihn
■darum bitten um-Gottes Willen. 841. Hs; reichtum. 842. abgot] genet. pl; Cblos^."3', 5.
849.-vgl. V. 789i 633. versniceket] weniger beachtet; hast, dass uns der Tod oft
überrascht. 859. beder. 8G0. begast.
Kleine Beiträge.
299
.n ,9TJ
865.
870.
875.
880.
885.
Mß
890.
Ein phenninch frumt dir mere
den du selbe geist umbe dein sele
Denne tousent phunt nach deinem leibe.
nicht gihalt ez deinem weibe:
Ir ist lutzel die der triwen phiegen,
wanchel unt unstaete ist ir leben.
Versunde dih nicht durh deine chint:
der leben ist ouch als ein wint,
Ir gemute ist untugentleich,
Ze allem laster gebrouchleich,
Ze der frumchaeit ungehorsam;
unt gemachest aber du sei lobesam
Daz gestet dich nicht vergebene.
ih bete vil mit dir ze redene,
Daz muz ich versweigen,
wan ob du groz not wellest vermeiden,
So bedenche dich enceit.
owe, wie lutzel dir diu helle vergeit,
Geschihest du ir zerbarmen!
die enlazze dih got nimmer erarnen’.
Die dro solher warte
die mustu, armer mensch, harte
Immer erfurchten unt verstan
wie ez dir her nach sul ergan.
Nu sage mir mensch wer du bist,
wie, ob unser herre Christ
Mit dir reden begunde
unt sprsech uz sein selbes munde
Mein liebistiu hantgitat,
war umbe verwürfe du den rat
Den dir mein lerter taten
Massm. — 849.
y 111 77 ll‘j
188
,0£8
S. 176, I).
.llluibJ In
.1IÜU«
—888
. oifjf !
A
> Ihn oa ,t)iioiu 19 adeil < IA oU »iiailaMJ
. 862. Hs. denne. 86». Hs. ungemule. 873. vergebene] vgJ. Vers 80. das Uni si
niemen vergeben stun ; V. 800, So siet mich nicht vergebene, sums mir ae vreuilen
ie geschah, auch V. 893 und mini. Wörterbuch von W. Müller,’ S. 306, 35. 882. Hs.
mustv dv. 889. hantgitat] ebenso Ang. 28, 53. t.itan. M. 187.
300
Joseph D i e m e r.
unt dich ze dem himelreich ladten? Massm. — 878.
Dune wellest dirz enblanden
swie tiwer ez mir sei gestanden
89S. Daz ich dirz han wider gewunnen,
ich wil dir sein nicht gunnen.
Wil du lästerlichen leben
unt der ungehorsam phiegen
Als deine vordem taten e,
900. ouch habe des dehsein sorge me
Daz ich dir dar umbe icht welle
verteilen zu der helle;
Ist dir daz nicht ein grozze unere?
mich selben gesihestu nimmer mere,
905. Ist dir lieber werltlicher gemach
den niemen lange gehaben mach
Denne diu himelische ere.
ich sage dir nicht mere:
Der gewinnestu nimmer tseil, S. 177, a.
910. anders furchte dehsein unhaeil 1 .
Hastu die rede nu wol vernomen?
die la nicht uz deinem hercen chomen
Unt habe ditz ze einem spelle
daz der tivel oder diu helle
9IS. Uns nach disem leibe icht mugen geschaden.
wie gitane freude mac der haben
Der got nimmer gesehen muoz?
wenne wirt im ungenaden buoz
Wurde er gesundert von seiner mitwist
920. an dem dehsein vreude ist?
893. enblanden] vgl. Mhd. Wörterbuch S. 198 ff. 897—903. Ist dies nicht eine
grosse Schmach für dich, wenn du lasterhaft leben und keine Sorge mehr haben willst,
dass...? 898. der ungehorsam] stf. gen. 913. spelle] Spei, Rede, Erzählung,
Mährchen, Lüge. Der Sinn ist: Hast du nun die Rede wohl vernommen, so lass sie nicht
aus deinem Herzen kommen, und halte es [fortan noch, wenn du willst,] für ein blosses
Lügenmährchen, dass uns der Teufel oder die Hölle nach diesem Leben noch irgend
schaden könne.
Kleine Beiträge.
301
Nu gesweige wir der grozzen not Massm. —908.
diu den verworchten ist gedrot,
Die si in der helle muzzen leiden
unt lazzen die rede nu beleihen.
925. Wie möcht in immer wirs geschehen
die got nimmer sulen gesehen.
Er wser unsselich geborn
über den der gotes zorn
Unt sein rache wirt ertseilet.
930. swer sein leip hat gemseilet
Mit maniger slachte sunden,
sol den der tivel nicht gebunden
Werffen in daz ewige eilende,
da immer ane ende
935. Muz ruffen ach unt we ?
da sein schuntser oh im ste
Mit griulichem antlutze,
da die unerfulte hutze
Des abgrundes uz tiezzen,
940. unt da er sehe vliezzen
Die bechwelligen bache
unt der liver schober chrache,
Unt anderthalb da engegene,
wie sich der helle vrost megene
945. Unt ob hundert perge fiurin
sein temprunge solden sein,
Sine möchten in nicht erlawen, S. 177, b.
unt die tivel mit fiurin chlawen
Schuoflen in solhes weters sous.
950. entriwen, daz ist ein übel chuel hous.
92.2. ITs. dar den. 925. in nimmer. 928. Hs. wie aber der aber den der.
938. but%e\ Brunn, Pfütze. Vgl. mhd. Wörterb. 287, 44. 942. unt fiver ohne der.
943—94ß # U nd andererseits wieder, wie der Frost der Hölle immer stärker wird , dass
wenn hundert feurige Berge zü dessen Abkühlung-vorhanden wären, sie ihn doch nicht
lau machen könnten. 949. bi\ 1. im?
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XVIII- Bd. II. Hft.
20
302
Joseph D ie mer.
Da wirt iu ruomseren gelonet, Massm. —938.
da wert ir übel gelicenet,
Du da hie ein hursr bist,
da hrnizze iclit deinen trugelist
955. Unt deine honcbust beschirmen,
da muzet ir rednsere gehirmen,
Da wert ir Unrechtes gewert,
da zuchet iuriu swert,
Wert iuch ob ir meget,
960. da wert ir scheitere gideget,
Ir da dehtein ander rache suchet
niwan daz ir fluchet.
Da muzzen die mansleken schowen
wie man siu an swert mac verhowen,
965. Da muzzen si schreien unt chlagen
unt den gewalt dem tivel vertragen.
Diebe unt roubmre,
wie ungeloubich ez wsere,
Der in daz möchte für gerechen
970. wie man siu beginnet zechen
Mit bechwelliger hitze.
ez ist ein groz unwitze:
Der daz nicht bedenchet
Der muoz immer sein geschrencliet
975. In der ewigen notschranne,
unt chumt ouch nimmer dünne
Als wir da vor haben gesprochen.
wser dem tivel sein recht an uns zebrochen
Daz er uns nicht möchte geschaden,
980. so solde wir doch die minne haben
952. Hs. da ivirt ein übel. Da werdet ihr tief gedemiithiget 954. da liceizzc ich
956. gehirmen] ablassen, ruhen. 957. Da wert er. 958. Hs. iriv. 960. gedegct
ir]. Da werdet ihr Spötter zum Schweigen gebracht. 963. mansleken] Todschläger.
966. Pfaffl. 579. ir willen muoz man in vertragen. 974. geschenchet. 975. schrange.
978. an im.
Kleine Beiträge.
303
Massm. —970.
Zuo dem obristem reiche
unt seiden siufften tsegleiche
Uz disem eilenden wuofftal
zuo dem himelischem sal.
983. Da ist elliu clilage fremde S. 178, a.
under dem himelischem sende,
Da sint die gedarich alle vrei,
dane waeiz niemen waz angest sei.
Mer vreuden mugen si da jehen
990. denne lernen habe gehoert oder gesehen
Oder leinen gedenchen chunne.
ir aller maeiste wnne
Daz ist gotes antlutze,
daz geit die saelde an urdrutze
993. Unt fride ane läge,
genade an ungenade.
Ir vreude ist immer ane eil,
da ist wnne also vil
Daz sei niemen ercellen mac,
1000. da sint tousent jar sam ein tac.
Er ist saelic unt weise
der daz ewige paradeise
Unser erbe in seinem mute hat.
owe, wie unhohe den gestat
1003. Swaz uf dirre erde beschaffen ist!
er furchtet ez nicht mere denne einen mist,
Er gedenchet in seinem gemute
daz diu gotes gute
Mit grozzer weishaeite
1010. hat geschaffen mit antraeite
Diu gewrehte seiner haeiligen.
ouch ist uns offenbar geschriben
983. Hs. eilende. 986. Senf] sende, senatus, Versammlung-. 995. läge], Nach
stellung. 1011. gewrehte] vgl. 1) iemer, Deutsche Gedichte, 9, 14; 231, 12;
246,21 und Graffs Sprachsch. 1, 975. meritum, ein sehr altes Wort das schon im
20 *
304
Joseph Diemer.
S
Daz paradeis sei uff dirre erde, Massm. —1000.
daz besliezen die holdsten berge
1015. Die dehaein ouge mag über rauchen,
da got diu tougenlichen zaeichen
Seinen trouten hat verborgen.
daz reich ist immer ane sorgen,
Doch diu himelische ere
1020. sei ze loben michel mere,
Wan aller menschen zungen
die disen leip ie gewunnen,
Wolden die sunderlingen
etwaz für bringen
1025. Der genaden diu ce himel ist;
dennoch maecht uns diu minnist
Nimmer werden für gebraeitet.
er ist saelich der dar gearbeitet.
Dar bringe du got here
1030. durch deiner muter ere
Unt durch aller deiner haeiligen recht
haeinrichen deinen armen chnecht
Unt den abt erchennen fride,
den habe du herre in deinem fride
1035. Unt alle die dirs getrowen
daz wir mit samt dir bowen
Daz frone himelreiche,
daz wir taegleiche
Mit der engel volleiste
1040. in dem haeiligem gaeiste
Loben den vater unt den sun
in secula seculorum. Amen.
12/J’ahrh. in dieser Bedeutung nicht mehr vorkommt. Das jüngere Leben Jesu bei
Hoffmann, Fundgruben I, 162, 5, setzt dafür bereits geburde. Der Sinn ist: Gott
hat in seiner Weisheit nach der Stufenfolge die Thaten oder Verdienste seiner Heiligen
und die Belohnungen dafür in das Leben gerufen. 1020. IIs. micliel *ere.
Kleine Beiträge.
30S
Das Gedicht welches ich hier den Freunden der deutschen
Literatur in einem neuen Abdrucke vorlege, hat durch die'einzige
Überlieferung der wir es verdanken, sehr viel gelitten. Der Schreiber
ist nichts weniger als zuverlässig und genau. Sehr häufig hat er
Worte offenbar falsch geschrieben, andere ganz ausgelassen, oder für
solche die er nicht mehr verstanden zu haben scheint, eigene gesetzt
die kaum einen Sinn geben; wie z. B. bei belierete V. 28, wofür er
bischerte, bei ermorden V. 56, wofür er ivorden schreibt. Zu diesen
Fehlern gesellten sich noch andere die aus der Ungenauigkeit des
bisherigen Abdruckes entstunden. Rechnet mau hierzu noch, dass
dem Texte weder Unterscheidungszeichen, noch irgend eine Anmer
kung oder Verbesserung beigegeben wurden, so wird es begreiflich,
dass dadurch das richtige Verständniss und der volle Genuss dieser
schönen Dichtung in vielen Stellen getrübt oder fast unmöglich werden
musste.
Das edle Metall das an so vielen Orten aus den Schlacken noch
immer hervorblickte, konnte jedoch nicht ganz unbeachtet bleiben,
wesshalb auch in den deutschen Lesebüchern besonders jene Stücke
ausgehoben wurden welche durch die Vermittelung weniger gelitten
zu haben scheinen und leichter verständlich sind. Allein unge
achtet dessen und der stets günstigen Beurtheilung welche diese
Dichtung in den besten Literaturgeschichten erfahren hatte, versuchte,
was wirklich auffallend ist, innerhalb der fast zwanzig Jahre die seit
seiner ersten Veröffentlichung verflossen sind, es Niemand, sie von
dem anklebenden Unrathe zu reinigen. Auch ich beabsichtigte ur
sprünglich als ich die vorausgehende Abhandlung darüber schrieb,
nicht im geringsten, den Text zu berichtigen oder neu heraus zu
gehen. Als ich aber durch so vielfältige Anstände im Verstehen
desselben veranlasst, die Urschrift selbst genau verglichen hatte,
konnte ich, abgesehen von manchen Aufforderungen hierzu, unmöglich
mehr lange zögern es zu thun. Zudem war mir, wie man es sich
leicht vorstellen kann, vorzüglich daran gelegen, die ganze Dichtung
nun auch für weitere Kreise, besonders für Geschichtsforscher, zu
gänglich und genussbarer zu machen.
Zu diesem Behufe suchte ich denn jene Unebenheiten möglichst
zu entfernen, den urkundlichen Text der Handschrift genau fest zu
306
Joseph Diemer.
stellen, ihn, wo er mir offenbar verderbt schien, zu verbessern und
da, wo mich dessen Verständnis für den minder Geübten zu schwierig
dünkte, durch kurze Anmerkungen zu erläutern. Ob und wie ferne
mir die Lösung dieser Aufgabe gelungen sei, müssen Sachkundige
entscheiden, und ich glaübe um so mehr auf ihr billiges Urthejl
rechnen zu dürfen, als ihnen die grossen Schwierigkeiten welche
eine solche Arbeit, besonders hei einer so jungen Handschrift, in der
Regel begleiten, nicht unbekannt sind.
Was nun den gelieferten Text seihst anbetrifft, so dürften viel
leicht Manche mit mir rechten, dass ich ihn nicht genau so wie
er in der Urschrift vorliegt, wieder gegeben, oder dass ich meine
vorgeschlagenen Verbesserungen gleich dahin aufgenommen habe.
Darauf muss ich erwiedern, dass ich mich aus vielfältiger Erfahrung
überzeugte, wie sehr einem Jeden der ein Gedicht nur überhaupt
lesen und nicht kritisch durchnehmen und bearbeiten will, der Genuss
desselben durch das letztere Verfahren verleidet wird. Man müht
sich bei solchen Texten oft lange vergeblich ab, den Sinn mancher
dunklen Stelle zu enträthseln, bis man zu den Noten seine Zuflucht
nimmt, und oft habe ich mir desshalb die vom Herausgeber gemachten
Verbesserungen gleich an der betreffenden Stelle eingetragen, um
bei der wiederholten Lesung nicht stets wieder unangenehm gestört
zu werden. Darum glaubte ich auch meine Verbesserungsvorschläge,
wenn sie mir nicht zu gewagt vorkamen, gleich in den Text selbst
aufnehmen zu sollen. Der Mann des Faches der ihre Stichhältigkeit
prüfen will, findet jede Abweichung von der Urschrift unten auf das
gewissenhafteste angemerkt und kann in jenen Fällen, in denen er
mit meinen Vorschlägen nicht einverstanden ist, die ursprüngliche
oder eine bessere Leseart leicht wieder im Texte herstellen oder
eintragen. Dass ich bei diesem Verfahren auch von der geheimen
Voraussetzung und dem Wunsche ausging, dass solcher Fälle doch
nicht allzu viele sein dürften, wird man schon einigem Selbstvertrauen,
vielleicht auch meiner Eigenliebe zu Gute halten müssen.
Nicht angezeigt wurden die Unterscheidungszeichen der Hand
schrift, die in der Regel ohnehin nur in einem Puncte am Ende eines
jeden Verses bestehen und zum Verständniss nichts beitragen. Dafür
setzte ich die meinigen, und ich mache keinen Hehl daraus, dass mir
ihre Wahl und Stellung oft sehr schwer fiel, was Jeder der dieses
Gedicht mit seinen vielen Zwischensätzen und oft verwickeltem
Kleine Beiträge.
307
Periodenbau im bisherigen Abdrucke liest, sehr leicht erklärbar
finden wird.
Nicht angedeutet habe ich ferner die langen [', welche iin Origi
nale fast durchgehends, selbst im Auslaute, Vorkommen, weil man dies
überhaupt nur zu wissen braucht, um daraus zum Theil auf die Vorlage
einer viel älteren Handschrift zu schliessen, und kein anderer Vortheil
mit ihrer Beibehaltung im Drucke verbunden ist. Ich setzte daher
dafür durchaus ein kurzes s, was auch in der Druckerei niemals
fehlt.
Ebenso habe ich auch die v für u oder die u für v im Drucke
nicht aufgenommen, weil sie den Leser der an dieselben nicht
gewohnt ist, oft stören und irre führen und wegen ihres unregel
mässigen Vorkommens keinen Anhaltspunct für die Kritik gewähren.
Es ist daher jedesmal der betreffende Selbst- oder Mitlaut gesetzt
worden, nur muss ich bemerken, dass ich im Originale nie wie in
älteren Handschriften ein uu für w vorfand. Den Selbstlaut e, der
bei dem o häufig darüber geschrieben wird, nämlich u, habe ich je
nach der Länge oder Kürze der Sylbe in w oder ö umgeändert, die
bei dem u und o darüber gesetzten o und v aber dem untern Buch
staben nachgestellt, ebenso statt des i für j, dieses, wo es hingehörte,
geschrieben. Das w, (ei glaubte ich als in den älteren Handschriften
begründet, nicht in e oder ne und ei umändern zu dürfen, auch habe
ich die späteren ei—i beibehalten, um das Gepräge der jüngeren
Überlieferung nicht gar zu sehr zu verwischen, denn sonst hätte ich
gleich einen ordentlich hergestellten Text geben müssen, wozu es
mir jetzt noch nicht an der Zeit schien.
Dass ich die Striche welche im 13. Jahrhundert über dem i statt
des jetzigen Punctes schon häufiger werden, nicht mit aufnahm, wird
mir wohl Niemand zum Tadel anrechnen. Die wenigen Abkürzungen
des s in d s alü, n in «, e u. dgl. habe ich gewöhnlich aufgelöst und
statt der häufigen un stets unt gesetzt. Dass ich die meistens will
kürlich verbundenen oder getrennten Wörter der Handschrift im
Drucke ordentlich abzutheilen suchte, zeigt der letztere ohnehin.
Was nun meine versuchten Verbesserungen oder die hin und
wieder beigegebene Übersetzung schwieriger Stellen anbetrilft, so bin
ich weit entfernt sie irgend Jemand aufdrängen zu wollen oder zu
glauben, überall das Rechte getroffen zu haben. Die besten unter den
erstem dürften wohl die sein welche als ganz natürlich und von
308
Joseph D i e m e r.
selbst verständlich erscheinen. Wer aber derlei Versuche jemals
selbst gemacht hat, weiss davon zu erzählen, wie lange bei einer
verdorbenen Stelle oft dieses Natürliche auf sich warten lässt und
wird da gerne Nachsicht üben, wo ihm die Änderung nicht auch als
Verbesserung erscheint. Auch muss ich für solche Fälle darauf auf
merksam machen, dass diese Vorschläge so wie die Anmerkungen
nur erst während des Druckes gemaeht worden sind und dass' ich,
durch die Zeit gedrängt, nicht erst alle Hilfsmittel zu Ratlie ziehen
konnte, um über jede, einzelne gleiche Beruhigung zu erlangen. Wenn
ich manchmal vielleicht zu kühn verfuhr, so mag dies in der Unzu-
verlässlicbkeit der Handschrift oder wohl auch in dem lockenden
Reiz, eine wesentliche Verbesserung anbringen zu können, seine
Entschuldigung finden.
Sollte dieser, mein Versuch die Feuerprobe sachkundiger Kritik
bestehen und die Theilnahme für diese Dichtung einen weitern Umfang
gewinnen, so wird es, da der urkundliche Text einmal genau vorliegt,
an der Zeit sein, eine neue nach den Grundsätzen der Kritik ordent
lich hergestellte Ausgabe mit Benützung der über meine Vorschläge
allenfalls gemachten kritischen Bemerkungen und mit den noch etwa
nöthigen Erläuterungen zu veranstalten.
Dass sich die in meiner Abhandlung angeführten Stellen auf die
beiden Heinriche beziehen, dürfte selbst der unbefangenste Forscher
kaum in Abrede stellen : dass das Gedicht aber wirklich in der Absicht
verfasst worden sei, den jungen König Heinrich V. von seiner ein
geschlagenen Laufbahn die ihm die Herzen seiner besten Freunde
entfremden musste, abzubringen, lässt sich nach den beigebrachten
Belegen wohl mit vieler Wahrscheinlichkeit vermuthen, ein Beweis
dafür der über jeden Zweifel erhaben wäre, wird aber kaum jemals
möglich sein. Hierzu fehlt uns die genaue Kenntniss der persönlichen
Verhältnisse des Verfassers und seiner Zeit. Dann liegt es in der
Natur des Gedichtes selbst, dass jede unmittelbare für alle erkennbare
Beziehung auf diesen Zweck absichtlich vermieden werden musste,
eben um ihn desto sicherer zu erreichen.
Es mag nun diese Absicht ursprünglich vorhanden gewesen sein
oder nicht, die Dichtung an sich verliert dadurch nicht das Geringste
von ihrem Werthe, ja dieser wird im letztem Falle gewissermassen
noch mehr erhöht, indem eine solche Anschaulichkeit in der Darstellung
durch Einführung handelnder Personen, ohne bestimmte vor Augen
Kleine Beiträge. 309
gehabt zu haben, den schöpferischen Geist des Dichters nur noch
mehr beurkundet.
Allein eine Art moralischer oder subjectiver Überzeugung von
dem Dasein einer solchen Absicht dürfte sich bei einer genauen
Würdigung aller Umstände bei manchem minder strengen Forscher
doch einstellen. Die Innigkeit mit welcher die ganze Scene am Grabe
des Vaters behandelt wird, das offenbare angelegentliche Streben,
ja Alles geltend zu machen was geeignet sein könnte, einen jungen
Mann der eine verfehlte sündhafte Laufbahn eingeschlagen, davon
wieder abzubringen, und die tief ergreifenden herzlichen Worte
welche der Dichter am Schlüsse dem Erlöser selbst in den Mund legt,
um ihn vom drohenden Verderben zu retten; alles dieses lässt wohl
auf eine mehr als gewöhnliche Zuneigung für den jungen König und
den innersten Drang des Dichters schliessen, alles was in seiner
Macht stund, aufzubieten, um ihn wieder auf den rechten Weg
zurück zu führen. Welche andere Gründe konnte der Verfasser wohl
haben, die verderblichen Folgen gerade jener Laster deren sich
Heinrich schuldig machte, nämlich der Habgier und Herrschsucht, mit
so lebendigen Farben und solchen gerade auf ihn und seinen Vater
passenden Zügen zu schildern, wenn er dabei nur im Allgemeinen
die Absicht gehabt hätte, die Menschen überhaupt von diesen Fehlern
abzuleiten? Würde er da nicht auch mehr im Allgemeinen, wie z. B. in
jener Stelle V. 267 ff. Werltliche riclitcere etc. gesprochen haben?
Ich kann mir wenigstens keinen Dichter der damaligen Zeit denken
der zu diesem Zwecke allein auf jene äusserst feine und gewandte
Art, wie diese Scene am Grabe ist, verfallen wäre. Diese wird aber
vollkommen begreiflich und natürlich, wenn wir jene bestimmte
Absiebt voraussetzen: Der Dichter hielt es in seiner untergeordneten
Stellung offenbar für unziemlich, dem jungen König der da im Voll
besitze der Herrschaft lebte, seine unangenehmen Mahnungen und
Lehren unmittelbar zu sagen. Er wählte hiezu aber den einfachsten
Ausweg und legte sie dem Vater in den Mund von welchem der Sohn
jede selbst die ernstlichste Rüge hinnehmen konnte.
Ohne diese Absicht unseres Dichters die wenigstens im letzteren
Theile neben der allgemeinen, die Menschen vor dem Verderben und
Unheil das ihnen nach dem Tode droht, zu warnen, meines Erach
tens offenbar einhergeht, würden jene eindringlichen Schilderungen
wohl bedeutend kälter und allgemeiner gefasst worden sein. Haben
310
Joseph Di eme r. Kleine Beiträge.
wir ihnen doch ausser im Alexanderliede, wenigstens in dieser Zeit,
nichts Ähnliches entgegen zu setzen.
Und diesem möchte ich auch unser Gedicht an die Seite stellen.
So wie an jenem die alte und mittlere Zeit, der Orient und Occident
mitwirkte, so ward auch Tod und Unsterblichkeit, Himmel und Hölle
ein Vorwurf, an dem sich die Dichter fast aller Völker und Zeiten
betheiligten, und so wie die alte deutsche Dichtung für den erstem
im Alexanderliede das Höchste geleistet haben dürfte, so kann man
füglich sagen, dass uns im Gehugde das Vollendetste und Ausgezeich
netste vorliegt, was uns das ganze Mittelalter über den letztem Stoff
überliefert hat.
Möge das Wenige was ich hier zu seinem Verständnisse bei
zutragen versuchte, eine freundliche Aufnahme finden und dem
Dichter jene Anerkennung und gerechte Würdigung sichern, welche
er gewiss in vollem Maasse verdient.
Verzeichniss der eingegangenen Druckschriften.
311
VEßZElCHNISS
DER
EINGEGANGENEN DRUCKSCHRIFTEN.
(DECEMBER.)
Academie R. Relgique. Annuaire. 1855.
— Bibliographie Academique 1854.
— Bulletins. T. 21, P. 2; T. 22, P. 1.
— Compte rendu des seances de la Commission R. d'histoire. T. VI,
P. 1, 2; VII, 1.
— Memoires Complem. au T. XVI.
— Memoires couronnes. T. 26.
— Memoires couronnes. Collect, in 8°, T. VI, P. 2.
Academie d'Archeologie de Belgique. Annales T. XII, P. 3 (in
duplo).
Academy, american, of arts and Sciences. Memoirs Vol. 1, 2.
— Proceedings. Vol. III, no. 14—23.
Academy of natural Sciences of Philadelphia. Journal, Vol.III, no. 1.
— Proceedings. Vol. VII, no. 2—7.
Accademia di Science etc. di Padova, Revista periodica dei lavori,
no. 6, 7, 8.
Akademie, k. haierische, Abhandlungen d. hist. Classe. Bd. VII,
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Akademie, kön. preussische, Monatsbericht, 10, 11, October,
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Annalen d. Chemie, Bd. 96, Nr. 1.
Annales des mines. Vol. VII, no. 1.
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I
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VERBESSERUNGEN.
Seite 197 Zeile 14 von oben lies: nicht reden.
„212 „ 13 „ unten ist statt ? ein . zu setzen.
„ 214 „ 7—9 von oben vgl. S. 300 Note zu 913.
3 von unten lies: leichte.
9 „ „ bleibt nicht weg.
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