Studien zur Vorgeschichte einer romanischen Tempuslehre. 161
gewöhnt war wie in den übrigen innerlich unabhängigen Neben
sätzen, daher auch nicht die Regeln der Unterscheidung der
konkurrierenden Formen beobachten konnte. Später drängte
die literarische Sprache die -ss-Formen wieder zurück. Auch
diese Bewegung hat offenbar in Rom ihren Ausgangspunkt ge
nommen, wie sie aber in die Provinzen kam, war der Modus
ihrer Verwendung vergessen; und nun finden wir, daß in Frank
reich, Spanien und Süditalien der Indikativ überall dort an die
Stelle des -ss-Konjunktivs tritt, wo dieser als Präteritum Präsens
verwendet wurde. Selbst für den Irrealis Praeteriti im Nach
satz scheint er bei dieser Gelegenheit eingetreten zu sein (§ 31).
Diese Bewegung, die nach der Abtrennung der dakischen
Kolonien stattgefunden haben muß, drang bis nach Sardinien.
Denn wie das Rumänische keine Spur des Indikativs
des Plusquamperfekts kennt, so fehlt dem Sardischen
seit der ältesten Zeit jede Spur der -ss-Formen; und
überall dort, wo wir im ältesten Rumänischen den
Konjunktiv des Plusquamperfekts finden, hat das
älteste Sardische den Indikativ.
151. Es ist überaus schwer, die tatsächlich gefühlte Be
deutung dieser plusquamperfektischen Formen des Sardischen
zu erkennen. Wie schon erwähnt, ist seine Grundfunktion im
innerlich unabhängigen Satz die eines Präteritum Präsens. Wo
dieses in Beziehung zu einem historischen Tempus tritt, da sind
wir versucht, in der Verbalform den Ausdruck der relativen
Beziehung zu sehen, der für uns heute das charakteristische
Merkmal des Plusquamperfekts ist. Um von vorneherein diese
Interpretation auszuschließen, gebe ich zunächst die Beispiele,
wo unsere Zeitform neben einer präsentischen Handlung steht,
also kein Ausdruck der Relativität erkannt werden kann, vgl.
im Relativsatz
Cond. 28 ponio in ecustu condake de scu. Petrv, de Silki
pro fetu de Iorgia Manca ca la levarat a llarga G. T. ,ich
verhandle in dieser Gerichtssitzung des St. Peter von S. über
die Nachkommenschaft des J. M., die G. T. einst widerrecht
lich in Besitz genommen hat“; ebd. 290 e ponio-vi su saltu
de Pagines, isc’a flumen, ki mi derat su donnu meu iudike G.
,ich vermache den Wald von P., bis zum Flusse, den mir mein
Herr, Richter G., gegeben hat“.
8itzungsber. d. pliil.-hist. Kl. 172. Bd. 6. Abli.
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