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SITZUNGSBERICHTE
DEK
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN KLASSE
DEK KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
HUNDERTACHTUNDSECHZIGSTER BAND.
(MIT 3 TBXTFIÖUREN.)
WIEN, 1911.
IN KOMMISSION BEI ALFRED HOLDER
K. U. K. HOF- UND UNIVERSITÄTS-BUCHHÄNDLER
BUCHHÄNDLER DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
300 1 2
—-
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Druck von Adolf lioizhausen,
k. und k. Hof- und Universitüta-Buchdrucker in Wien.
INHALT.
I. Abhandlung. Jokl: Studien zur albanesischen Etymologie und Wort
bildung.
11. Abhandlung. Bittner: Studien zur Laut- und Formenlehre der
Mehri-Sprache in Südarabien. II. Zum Verbum.
III. Abhandlung, v. Kraelitz-Greifenhorst: Studien zum Armenisch-
Türkischen.
IV. Abhandlung. Junk: Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
Y. Abhandlung, v. Wiesner: Über die ältesten bis jetzt aufgefundenen
Hadernpapiere. Ein neuer Beitrag zur Geschichte des Papiers. (Mit
3 Textfiguren.)
VI. Abhandlung. Kreibig: Über Wahrnehmung.
VII. Abhandlung. Bartsch: Das eheliche Güterrecht in der Summa Ray-
munds von Wiener-Neustadt.
a*
IV. SITZUNG- VOM 1. FEBRUAR 1911.
Der Journalisten- und Schriftstellerverein ,Concordia' teilt
mit, daß als Vertreter der ,Concordia' in das Preisgericht der
Grillparzer-Stiftung für das Triennium 1911—1913 Herr Julius
Bauer, Chefredakteur des ,Illustrierten Wiener Extrablattes',
einstimmig wiedergewählt wurde.
Prof. H. Junker übersendet einen ,Vierten Grabungs
bericht der Ägyptischen Expedition, ddo. El-Khattara, 20. Ja
nuar 1911'.
Das w. M. Hofrat Alfred Ludwig in Prag übersendet
eine Notiz über einen von ihm entdeckten Opferspruch, der
im Yajuweda fehlt.
Privatdozent Dr. Viktor Bibi übersendet eine Abhand
lung, betitelt: ,Die Erhebung Herzog Cosimos von Medici zum
Großherzog von Toscana und die kaiserliche Anerkennung
(1569 —1576)', um deren Aufnahme in das ,Archiv für öster
reichische Geschichte' der Verfasser bittet.
Das w. M. Sektionschef Gustav Winter überreicht namens
der historischen Kommission den eben erschienenen III. Band
des Werkes ,Die römische Kurie und das Konzil von Trient
unter Pius IV. Aktenstücke zur Geschichte des Konzils von
Trient. Im Aufträge der historischen Kommission der kaiserl.
Akademie der Wissenschaften bearbeitet von Josef Susta.
Wien 1911'.
VI
Das w. M. Professor Oswald Redlich überreicht namens
der Atlas-Kommission die soeben erschienene 2. Lieferung des
Werkes .Historischer Atlas der Österreichischen Alpen
länder. I. Abteilung: Die Landgerichtskarte, bearbeitet unter
Leitung von weil. Eduard Richter. 2. Lieferung: Nieder
österreich von A. Grund und K. Giannoni (Blatt Nr. 2, 3,
6 und 11 mit Erläuterungen, 2. Teil, 1. Heft) und Tirol und
Vorarlberg von J. Egger, 0. Stolz, H. v. Voltelini und
J. Zösmair (Blatt Nr. 8, 13, 14, 15, 16, 21, 22 und 23 mit
Erläuterungen, 3. Teil, 1. Heft). Wien, Verlag von Adolf Holz
hausen, 1910b
V. SITZUNG VOM 8. FEBRUAR 1911.
Der Sekretär legt die folgenden, an die Klasse gelangten
Spenden von Druckwerken vor, und zwar:
1. Moriz Wlassak: Vindikation und Vidikationslegat.
Studien zur Erforschung des Sachenrechts der Römer. I. Teil
(Sonderabdruck aus der Zeitschrift der Savigny-Stiftung für
Rechtsgeschichte. XXXI. Rom. Abt. p. 196 ff.). Weimar, Her
mann Böhlaus Nachfolger, 1910. (Überreicht vom Verfasser,
dem k. M. Hofrat Prof. Dr. Moriz Wlassak in Wien);
2. ,L’administration et les finances du comte de Namur
du XnP au XV e siecle. Sources. I. Cens et rentes du comte
de Namur au XIIP siecle publies par Dr. D. Brouwers, con-
servateur des archives de l’etat a Namur. Tome I er (Documents
inedits, relatifs a l’histoire de la province de Namur, publies
par ordre du conseil provincial). Namur 1910b (Überreicht vom
Herausgeber, der zugleich für die Übersendung der beiden
Bände der ,Österr. Urbare', enthaltend die ,Landesfürstlichen
Urbare', seinen Dank ausspricht);
3. ,Geschichte der Quellen und Literatur des Römischen
Rechts im früheren Mittelalter. Von Dr. Max Conrat (Cohn),
Professor an der Universität Amsterdam. I. Band. Leipzig 1891';
4. ,Deutsche Volkskunde aus dem östlichen Böhmen (Das
östliche Deutschböhmen). Von Dr. Eduard Langer, Braunau
in Böhmen. X. Band. 1910. 1. und 2. Heft';
YII
5. Bulletin de la Soeiete Archeologique Bulgare. I. 1910;
Sophia, Imprimerie de l’Etat, 1910.'
Das w. M.' Hofrat Theodor Gomperz überreicht ein
Exemplar der eben erschienenen dritten durchgesehenen Auf
lage des I. Bandes seines Werkes ,Griechische Denker. Eine
Geschichte der antiken Philosophie. Leipzig, Verlag von Veit &
Comp., 1911'.
Das Kuratorium der Savigny-Stiftung in Berlin macht
Mitteilung, daß die der kais. Akademie pro 1911 zur Ver
fügung gestellte Zinsenrate 5000 Mark beträgt.
Dr. Nathaniel Reich in München übersendet eine Ab
handlung, betitelt: ,Papyri juristischen Inhalts in hieratischer
und demotischer Schrift aus dem British Museum', um deren
Aufnahme in die Denkschriften der Verfasser bittet.
Dr. Dagobert Frey, Assistent an der k. k. technischen
Hochschule in Wien, übersendet eine Abhandlung unter dem
Titel: .Die Baudenkmale der Insel Arbe und ihre Stellung in
der Baugeschichte Dalmatiens', um deren Aufnahme in die
Denkschriften der Verfasser bittet.
Das w. M. Hofrat Ritter von Jagic legt einen Vorläufigen
Bericht des Lektors der türkischen Sprache an der Universität
zu Sofia D. G. Gadzanov vor über seine im Aufträge der
Balkankommission zum Zwecke von türkischen Dialektstudien
durch Nordost-Bulgarien unternommenen Reisen.
VIII
VI. SITZUNG VOM 15. FEBRUAR 1911.
Der Sekretär legt die folgenden eingelangten Druck
werke vor:
1. ,Grafschriften in stad en lande, verzameld en uitgeven
door Ihr. Ms. J. A. Feith, Prof. Dr. C. H. van Rhijn, Jb.
Vinhuizen en Di\ G. A. Wumkes. Te Groningen bij J. B.
Wolters’ U. M., 1910;'
2. jAppendice aux actes du quinzibme Congres inter
national des orientalistes, Session de Copenhague 1908. Copen-
hague, Imprimerie Graebe;'
3. ,Rob. Rud. Schmidt: Die spätpaläolithischen Bestat
tungen der Ofnet. Beitrag zur Paläo-Ethnologie des Azilien-
Tardenoisien. Mit einer Tafel. (S.-A. aus dem 1. Ergänzungs
band zu „Mannus“, Zeitschrift für Vorgeschichte. Vom Ver
fasser überreicht) ;'
4. jArchivalische Zeitschrift, herausgegeben durch das
Bayrische Allgemeine Reichsarchiv. Neue Folge. XVII. Band.
München 1910;'
5. ,Universite de Geneve, Schola Genevensis, 1559—1909.
Actes du Jubile de 1909. Geneve, Librairie Georg & Cie., 1910/
Die Verlagshandlung F. Bruckmann in München über
sendet das Pflichtexemplar der 6. Lieferung der II. Serie des
Werkes: ,Monumenta Palaeographica. Denkmäler der Schreib
kunst des Mittelalters. Erste Abteilung: Schrifttafeln in lateini
scher und deutscher Sprache. In Verbindung mit Fachgenossen
herausgegeben von Anton C krönst. Mit Unterstützung des
Reichsamtes des Innern und der kais. Akademie der Wissen
schaften in Wien. München 1911'.
Prof. Hermann Junk er übersendet einen,Fünften Grabungs
bericht der Ägyptischen Expedition, ddo. El-Khattara, den
3. Februar 1911'.
IX
Das w. M. Hofrat J. Schipper überreicht sein kürzlich
erschienenes Buch ,A History of English Yersification. Oxford,
Clarendon Press, 1910h
Das w. M. Hofrat Friedrich Edler von Kenner über
reicht als Obmann der Limes-Kommission zwei vorläufige Be
richte des Prof. Dr. Ed. Nowotny über die im Jahre 1910 im
Aufträge dieser Kommission in Schwechat und in Carnuntum
durchgeführten Grabungen.
VII. SITZUNG VOM 2. MÄRZ 1911.
Das k. M. Prof. E. Oberhummer dankt für seine Be
rufung in die südarabische Kommission.
Prof. H. Junker übersendet den sechsten und siebenten
Bericht über die Ausgrabungen der ägyptischen archäologischen
Forschungsexpedition, ddo. El-Khattara, den 9. bezw. 16. Fe
bruar 1911.
Die königliche Gesellschaft der Wissenschaften zu Göt
tingen macht Mitteilung, daß die Geschäfte des Vorortes für
das Kartell auf sie übergegangen sind, und lädt zur Teilnahme
an dem nächsten, zu Göttingen am 2. und 3. Juni d. J. statt
findenden Kartelltage ein, unter gleichzeitiger Übermittlung der
Tagesordnung über die zur Verhandlung kommenden Gegen
stände.
VIII. SITZUNG VOM 8. MÄRZ 1911.
Se. Exzellenz der Vorsitzende, Ritter von Böhm-Bawerk
macht Mitteilung von dem am 2. März d. J. zu Berlin erfolgten
Ableben des Ehrenmitgliedes der mathematisch - naturwissen-
X
schaftlichen Klasse im Auslande, Professors Jakob Heinrich
Van t’Hoff.
Die Mitglieder erheben sich zum Zeichen des Beileides
von den Sitzen.
Se. Exzellenz verliest das folgende von Sr. k. u. k. Hoheit
dem durchlauchtigsten Herrn Erzherzog-Kurator an den
Präsidenten der kais. Akademie gerichtete Handschreiben:
Lieber Herr Präsident Suess!
In besonderer Befriedigung über die Verwirklichung der
Internationalen Assoziation der Akademien und mit dem Wunsche,
diese Annäherung noch weiter zu fördern, sehe Ich Mich ver
anlaßt, der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften den
Betrag von Kronen Einhunderttausend zu dem Zwecke zu
widmen, daß wirkliche oder korrespondierende inländische Mit
glieder der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften eine
gewisse Zeit in einer oder in einigen der wichtigsten außer
österreichischen Kulturstädten zubringen und dortselbst die
Persönlichkeiten der Forscher, die Organisationen, die Einrich
tungen und die Arbeitsmethoden kennen lernen.
Der Ertrag des Kapitales wird jährlich zu Beginn des
Kalenderjahres in zwei Hälften geteilt, von denen je eine jeder
Klasse zufällt und nur an je eine Persönlichkeit, über Vor
schlag des Präsidiums, zu dem obgedachten Zwecke über
geben wird.
Eine Teilung der Hälfte der Beträge ist unzulässig.
Wien, den 6. März 1911.
gez. Erzherzog Rainer.
Die Mitglieder nehmen diese Mitteilung stehend zur
Kenntnis.
Der Sekretär, Hofrat Ritter von Karabacek, überreicht
die eben erschienene 8. Lieferung des Werkes: ,Enzyklopädie
des Islam. Geographisches, ethnographisches und biographisches
Wörterbuch der muhammedanischen Völker. Mit Unterstützung
der internationalen Vereinigung der Akademien der Wissen
schaften und im Vereine mit hervorragenden Orientalisten her-
XI
ausgegeben von Dr. M. Th. Houtsma, Professor an der Uni
versität Utrecht, Hauptredakteur, und Dr. A. Schaade, Redakteur.
Leiden und Leipzig 1911/
Dr. Maximilian Bittner, o. ö. Professor an der k. k. Uni
versität in Wien und Professor an der k. und k. Konsular-
Akademie, übersendet eine Abhandlung mit dem Titel: ,Die
heiligen Bücher der Jeziden oder Teufelsanbeter, kurdisch und
arabisch, herausgegeben, übersetzt und erläutert, nebst einer
grammatischen Skizze, einer Schrifttafel und den Faksimiles
der Originale' mit der Bitte um Aufnahme in die Denkschriften.
Dr. Friedrich von Kraelitz-Greifenhorst, k. und lc.
Kustos-Adjunkt an der k. k. Hofbibliothek in Wien, übersendet
eine Abhandlung unter dem Titel: ,Studien zum Armenisch-
Türkischen', mit der Bitte um Aufnahme derselben in die Publi
kationen der kais. Akademie.
Dr. Rudolf Beer, k. und k. Kustos der k. k. Hofbibliothek
in Wien, übefsendet eine Mitteilung: ,Bemerkungen über den
ältesten Handschriftenbestand des Klosters Bobbio'.
IX. SITZUNG VOM 15. MÄRZ 1911.
Der Sekretär legt eine Einladung zu dem im Juli 1911
zu London stattfindenden ,First International Races Con-
gress' vor.
Die königl. Preußische Akademie der Wissenschaften
macht Mitteilung, daß zum Vorsitzenden der Diez-Stiftung
Prof. Dr. Morf gewählt worden sei.
XII
Der Sekretär legt die folgenden, geschenkweise an die
Klasse gelangten Druckwerke vor, und zwar:
1. ,Die Südrumänen der Türkei und der angrenzenden
Länder. Beitrag zur Ethnographie der Balkanhalbinsel. Von
Victor Lazär, Bibliotheksbeamter hei der königl. rumänischen
Akademie, vorm. Direktor der rumänischen Handelsschule in
Salonik. Mit 11 Abbildungen und einer Karte. Bukarest, George
Ionescu, 1910';
2. ,Tannhäuser in Sage und Dichtung. Von Victor Junk.
C. H. Beckscbe Verlagsbuchhandlung Oskar Beck, München
1911';
3. ,Keilschriftbriefe. Staat und Gesellschaft in der baby
lonisch-assyrischen Briefliteratur. Von Dr. Ernst Klauber.
Mit einer Abbildung. (Der alte Orient. Gemeinverständliche
Darstellungen. Heraus gegeben von der Vorderasiatischen Ge
sellschaft. 12. Jahrgang, Heft 2.) Leipzig, J. C. Hinrichssche
Buchhandlung, 1911';
4. ,Tizians Schmerzensreiche Madonnen. Von Karl Peez.
3 Abbildungen. Wien, Alfred Holder, 1910'.
Das w. M. Professor Friedrich Jo dl überreicht eine Ab
handlung von Josef Klemens Kreibig, betitelt: ,Uber Wahr
nehmung'.
X. SITZUNG VOM 22. MÄRZ 1911.
Der Sekretär, Hofrat Kitter von Karabacek, legt die
an die Klasse gelangten Druckwerke vor, und zwar:
1. ,Poesies completes du Troubadour Marcabru publiees
avec traduction, notes et glossaire par le Dr. J. M. L. Dejeanne
(Bibliotheque mcridionale publiee sous les auspices de la faculte
des lettres de Toulouse. l re serie, tome XII). Toulouse 1909';
2. ,Die Befreiung Wiens. Von H. Hillersperg. Wien
1910.' (Überreicht vom Verfasser);
3. ,The Sanskrit Journal. Editor R. Krishnamachariar,
M.-A. Vol. XIII, No. 7; Vol. XIV, No. 8; Vol. XV, No. 8';
XIII
4. ,Contributions to South American Archeology. The
George G. Heye Expedition. The Antiquities of Manabi,
Ecuador. Final Report by Saville, Loubat Professor of Ame
rican Archeology Columbia University New York, Irving Press,
1910'.
Das w. M. Hofrat Minor teilt mit, daß das Grillparzer-
Preisgericht für die im Jahre 1914 erfolgende nächste Zuer
kennung des Preises aus denselben Herren besteht wie im
Jahre 1911, nämlich: Hofrat Dr. Jakob Minor als Vertreter
der kais. Akademie, Chefredakteur Julius Bauer als Vertreter
des Journalisten- und Schriftstellervereines ,Concordia', Alfred
Freiherrn von Berger als Direktor des Burgtheaters, Hofrat
Dr. Max Burckhard als Vertreter für Süddeutschland und
Professor Dr. Erich Schmidt in Berlin als Vertreter für Nord
deutschland.
XI. SITZUNG VOM 3. MAI 1911.
Se. Exzellenz der Vorsitzende Vizepräsident Ritter von
Böhm-Bawerk macht Mitteilung von dem am 23. April d. J.
zu Berlin erfolgten Ableben des auswärtigen korrespondierenden
Mitgliedes der Klasse, geheimen Regierungsrates Professors Dr.
Reinhard Kekule von Stradonitz, Direktors an den könig
lichen Museen in Berlin.
Die Mitglieder erheben sich zum Zeichen des Beileides
von ihren Sitzen.
In Vertretung des Sekretärs verliest das w. M. Professor
Friedrich Jo dl eine Note des hohen Kuratoriums, wonach
Seine kaiserliche und königliche Hoheit der durchlauchtigste
Herr Erzherzog - Kurator in der am 31. Mai d. J. statt
findenden Feierlichen Sitzung der kaiserlichen Akademie er
scheinen werde.
Der Sekretärstellvertreter teilt mit, daß an die Akademie
eine Einladung zu der am 26. April in Brixen stattgehabten
XIV
Gedenkfeier anläßlich der fünfzigsten Wiederkehr des Todes
tages des Fragmentisten J. Ph. Fallmerayer, weiland k. M.
der Akademie, gelangt ist und daß vonseiten des Präsidiums
ein Begrüßungstelegramm zu dieser Feier abgesandt wurde.
Das k. M. Professor Rudolf Much dankt für seine
Berufung in die Fachkommission für die Herausgabe eines
Österreichisch-Bayerischen WÖrterbuches.
Dr. Robert Bartsch, Professor an der k. und k. Kon
sularakademie und Ministerialvizesekretär im k. k. Justizmini
sterium, übersendet eine Abhandlung unter dem Titel: ,Das
eheliche Güterrecht in der Summa Raymunds von Wiener-
Neustadt/
Dr. Hans Wolfgang Pollak in Wien übersendet einen
zur Aufnahme im ,Anzeiger' bestimmten Reisebericht, betitelt:
,XXI. Mitteilung der Phonogramm- Archivs -Kommission der
kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien. Bericht
über phonographische Aufnahmen in Schweden von Juli bis
Oktober 1910.'
Das w. M. Hofrat J. C. J irecek überreicht ein Manuskript
des Direktors des spanischen Generalarchivs von Simancas,
Julian Paz, betreffend ein Inventar der in diesem Staatsarchive
befindlichen Korrespondenz Spaniens mit dem österreichischen
Herrscherhause, Deutschland, Sachsen, Preußen und Polen aus
den Jahren 1493—1796, um dessen Aufnahme in das ,Archiv
für österreichische Geschichte' der Verfasser ersucht.
Das w. M. Hofrat Wilhelm Meyer-Lübke überreicht im
Kamen der Kirchenväterkommission den zuletzt ausgegebenen
Band LVII des ,Corpus scriptorum eeclesiasticorum latinorum'
enthaltend: ,S. Aureli Augustini operum sectio II. S. Augustini
epistulae (pars IV) ex recensione Al. Goldbacher. Vindobonae,
Lipsiae MDCCCCXI.'
XV
XII. SITZUNG VOM 10. MAI 1911.
Der ,Deutsche Verein für die Geschichte Mährens und
Schlesiens'in Brünn lädt zu der am 21. Mai 1911 stattfindenden
Feier seines sechzigjährigen Bestandes ein.
Die Buchdruckerei Heinrich Mercy Sohn in Prag über
sendet über Auftrag Seiner kaiserlichen und königlichen Hoheit
des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Ludwig Salvator,
Ehrenmitgliedes der kais. Akademie, ein Exemplar des von
Höchstdemselben verfaßten Werkes: ,Einiges über Weltaus
stellungen. Prag 1911'.
Das k. M. geheimer Hofrat Dr. Ludwig Ritter von
Rockinger in München dankt für die seitens der philosophisch
historischen Klasse ausgesprochene Bereitwilligkeit, seine Samm
lungen und Vorarbeiten zu einer kritischen Ausgabe des Kaiser
lichen Land- und Lehenrechtsbuches, des sogenannten ,Schwaben
spiegels', zu übernehmen.
Das w. M. Hofrat Julius Ritter von Wiesner überreicht
eine Abhandlung, betitelt: ,Über die ältesten bis jetzt aufge
fundenen Hadernpapiere. Ein neuer Beitrag zur Geschichte
des Papieres', für die Sitzungsberichte.
Der Sekretär, Hofrat Dr. Josef Ritter von Karabacek,
legt als Nachtrag zu seiner in den Sitzungsberichten, 167. Band,
erschienenen Abhandlung: ,Zur orientalischen Altertumskunde,
III: Riza-i Abbasi, ein persischer Miniaturenmaler', eine
Notiz vor.
Das w. M. Professor Leopold von Schroeder überreicht
eine Abhandlung des Privatdozenten der Wiener Universität
Dr. Victor Junk, welche betitelt ist: ,Gralsage und Gral
dichtung des Mittelalters', für die Sitzungsberichte.
XVI
Das w. M. Hofrat Wilhelm Meyer-Lübke überreicht als
Obmami der akademischen Kirchenväterkommission eine Ab
handlung von Alfred Leonhard Feder S. J. für die Sitzungs
berichte, betitelt: ,Studien zu Hilarius von Poitjers III
und IV.‘
Se. Exzellenz der Vorsitzende beruft in die Kleinasiatische
Kommission das w. M. Professor Hans von Arnim und das
k. M. Professor Adolf Wilhelm.
Sitzungsberichte
der
Kais. Akademie der Wissenschaften in Wien.
Philosophisch-Historische Klasse.
168. Band, 1. Abhandlung.
Studien
zur
albanesischen Etymologie
und
Wortbildung.
Von
Dr. Norbert Jokl.
Vorgelegt in der Sitzung am 14. Dezember 1910.
Wien, 1911.
In Kommission bei Alfred Holder
k. u. k. Hof- und Universitäts - Buchhändler
Buchhändler der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften
I.Abli.: Jokl. Studien zur albanesischen Etymologie etc.
1
I.
Studien zur albanesischen Etymologie
und Wortbildung.
Von
Dr. Norbert Jokl.
(Vorgelegt in der Sitzung vom 14. Dezember 1910.)
Der albanesisclie Wortschatz stellt dem Etymologen noch
eine Fülle interessanter Probleme. G. Meyer veranschlagt die
Zahl der von ihm nicht gedeuteten Wörter auf etwa 730 (E.
W., S. IX). Bedenkt man nun, daß Meyers Etymologisches
Wörterbuch als das erste Werk seiner Art, ja das erste größere,
mehrere Mundarten der Sprache zugleich berücksichtigende
Wörterbuch überhaupt, den Wortschatz auch nicht entfernt er
schöpft, so wird man ermessen können, wieviel für die etymo
logische Deutung noch zu tun übrig bleibt. Zwar gilt Pedersens
Klage, das Albanesisclie sei noch immer unvollkommen bekannt
(K. Z. 36, 308), auch heute. Dennoch aber ist die lexikalische
Kenntnis der Sprache in der letzten Zeit bedeutend gefördert
worden. Zwei größere Wörterbücher, das von Kristoforidi (Athen
1904) und das vom Verein Baskimi in Skutari 1908 herausge
gebene, verzeichnen zahlreiche Wörter, die man in den bis
herigen Glossaren vergeblich suchen würde. Zeichnet sich das
an zweiter Stelle genannte Werk durch größere Reichhaltigkeit
aus, so gewährt das Wörterbuch von Kristoforidi den für die
Etymologie nicht hoch genug zu schätzenden Vorteil, die Wörter
in dialektischer Lautgestalt zu verzeichnen und ihre Provenienz
anzugeben. Die von einem bescheidenen, aber rührigen Kreis
patriotischer Albanesen geförderte Literatur bereichert unsere
Kenntnis der Sprache beträchtlich: albanesisclie Bücher beleh-
Sitzungsber. d. phil.-liist, Kl. 168. Bd. 1. Abh. 1
2
I. Abhandlung: Jokl.
renden, unterhaltenden und erbaulichen Inhalts, Zeitungen, Zeit
schriften, Aufzeichnungen volkskundlichen Charakters liefern Bei
träge zur besseren Kenntnis des volkstümlichen Wortschatzes (von
den zahlreichen Neuschöpfuugen, die etymologisch ohne Interesse
sind, zu schweigen). Aber auch eine genaue Lektüre der älteren
Texte fördert manches noch ungehobene Material zutage. So
tindet man schon bei Bogdan eine ganze Reihe von Wörtern,
die auch durch die oben erwähnten neuesten Wörterbücher
belegt werden und etymologisches Interesse bieten. In den
folgenden Untersuchungen war der Verfasser bestrebt, alle ge
nannten Hilfsmittel und Quellenwerke zu benützen. Mehr und
mehr gelangte er hiebei zur Überzeugung, daß G. Meyer in der
Annahme von Entlehnungen zu weit gegangen sei. Sich in
dieser Ansicht mit Forschern wie W. Meyer-Lübke (cf. Grundriß
derTom. Phil., 2. Aufl. I, S. 1041) und H. Pedersen (Jahresber.
f. rom. Philol. 9, I, 207) eins zu wissen, gereichte ihm zur
Freude. Bemerkt sei noch, daß die folgenden Blätter im wesent
lichen bloß eigentlich etymologische Probleme behandeln und
grammatische nur soweit, als es die Wortdeutung erfordert.
Etymologien, die sich nur im größeren Zusammenhang eines
Abschnittes der Lautlehre erörtern lassen, sind fast ganz ver
mieden und werden einer späteren Untersuchung Vorbehalten.
Fragen der Morphologie hingegen sind von fast jeder etymo
logischen Untersuchung untrennbar. Mehr als in anderen Spra
chen mußte aber gerade bei etymologischen Untersuchungen
aus dem Albanesischen, dessen Morphologie noch so wenig be
kannt ist, auf die Wortbildung eingegangen werden. Diese
Richtung der Untersuchung glaubte der Verfasser auch im
Titel der Arbeit ausdrücken zu sollen. Da aber die Morphologie
bei der in den einzelnen Artikeln keineswegs gleichmäßigen
Notwendigkeit ihrer Berücksichtigung kaum einen brauchbaren
Einteilungsgrund für die ganze Abhandlung abgegeben hätte,
so glaubte der Verfasser durch zahlreiche Verweisungen in
den einzelnen Artikeln auf Vorhergehendes und Nachfolgendes
die morphologische Gleichartigkeit am besten hervorzuheben.
Wegen der hiedurch zuweilen notwendig gewordenen Wieder
holungen bittet der Verfasser um geneigte Nachsicht.
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
3
I. Erlnvortscliiitz.
amezs Geruch, Duft; bitterer Geschmack.
Kristoforifli, Lex. S. 4 gibt als Bedeutung: 1. öaurj,
2. mxQcc ysvatg an. Bask. 1 s. v. amez (S. 22) kennt nur die
zweite Bedeutung. Das Wort gehört zur Sippe von 1t. odor
Geruch, gr. ödprj Duft, lit. udziu rieche, zeigt sohin dasselbe
Suffix wie gr. ddprj. -zs ist das gewöhnliche alban. Diminutiv
suffix. Die Doppelbedeutung ,Geruch, Geschmack' begegnet
auch in ahd. smecken schmecken gegenüber mhd. smecken
riechen, duften. Auch heute noch gebrauchen deutsche Mund
arten (bayrisch, alemannisch, hessisch) schmecken für riechen
(Weigand, D. Wb. 5 II, Sp. 745; Kluge, E. W. 7 , 405). Wie nun
in diesen deutschen Mundarten ,schmecken' überwiegend in der
zuletzt erwähnten Bedeutung verwendet wird, so konnte im
geg. (cf. Bask. 1.’ c.) die Bedeutung ,Geschmack' die allein
herrschende werden. Die so gewonnene alb. Grundform *od-
mä zeigt Assimilation des d an m, die jener des d an n (puns
Arbeit *<[ spud-nä: gr. mtsväoi, stiin stoße <C *stüd-niö } G.
Meyer, A. St. 3, 28; Brugmann, Gr. I 2 , 664) analog ist.
ans f. Gefäß.
Meyer, E. W. 12 stellt das Wort zweifelnd mit ans Seite
zusammen. Doch gehört es wohl zu ai. uklid-li, ulchä Topf,
Kochtopf, lt. aulla Topf (nach Ausweis des Diminutivums au-
xilla aus *auxla, Walde, E. W. 55, 2 75), got. anlins Ofen (eigent
lich ,Wärmpfanne'), ae. ofnet kleines Gefäß (Meringer, I. F.
21, 292; Fick. 3 4 , 29; Feist, E. W. 37). Alb. Grundform
* auq%-nä mit Assimilation des Labiovelars an n entsprechend
dem Schwund anderer Gutturale vor n: cf. ndüii beschmutze
< * dhüg-niö: ahd. tülihan (G. Meyer, E. W. 302, A. St. 3, 9). 2
1 Fialuer i RLi i Sheypds l’erbäam Preie Shocniiet t’ Baslikimit [Slikoder
1908].
2 Zum plur. tosk. ena, geg. hn (Pekmezi, Gr. 231) vgl. man den plur. tosk.
nets, geg. nlt Nächte und das zu diesem Plural bei Pekmezi S. 94 Be
merkte. Auch die Quantität ist im geg. für gn dieselbe wie für nht. ane
geriet also in die Analogie von Wörtern wie nate. Der im tosk. neben
anc vorkommende sing, eii£ wurde nach dem plur. gebildet.
1*
4
I. Abhandlung;: Jokl.
avari zusammen.
Außer bei Jarnik und Meyer (E. W. 20) findet man das
Wort jetzt auch bei Jungg, Fjal., 1 S. 2* und bei ßask. S. 29.
Jungg bezeichnet das Wort als türkische Entlehnung, eine An
sicht, die jedoch weder Meyer noch Bask. teilt. In Wahrheit ist
avari ein sehr wohl aus alb. Mitteln zu erklärendes zusammen
gesetztes Wort, a- ist dieselbe Präposition, die wir auch sonst
in Zusammensetzungen an treffen: arotula ringsumher (Meyer,
E. W. 315), avis nähere (s. u.), afsr nahe (s. u.). Es handelt
sich wohl um Entlehnung aus lt. ad.-var-i: gr. CtsiQw verkopple,
verknüpfe, ovvuooog zusammengekoppelt, eng vereint, Gatte,
Gattin, naoüooog daneben gekoppelt, beigespannt, (hiaooog ab
gekoppelt, getrennt, abstehend, lett. weru, wert reihen, sticken,
nähen, ivirkne für wir-tne Aufgereihtes, Schnur, lit. vorä Reihe,
russ. svora Koppel, aksl. sivora fibula, c. vor Floß, r. verenica
lange, ununterbrochene Reihe, wozu auch veremlca Bündel,
Tracht Holz (cf. zur Sippe, Solmsen, Unters. 290 £, Zubaty,
Arch. f. sl. Phil. 16, 418). Sufrix-i ist dasselbe wie in iieri
Mensch, Mann, kali Ähre (Meyer, E. W. 313), dorberi Herde
(s. u.), zl f. Trauer, Hungersnot (s. u.). Näher wird über dieses
Suffix unter zl gehandelt, avari ist also ebenso ein erstarrtes
Substantiv (,Verkopplung, Aneinanderreihung*) wie das synonyme
baSJcs und verhält sich semasiologisch zu r. veremka Bündel
Tracht Holz ebenso wie bas/cs zu lt. fascis Bündel, Rutenbündel
(G. Meyer, I. F. 6, 106).
avis nähere, avitem nähere mich; avitin (Bogd.) bringe
herbei, versammle, nähere.
Die bei Meyer fehlende aktive Form avis verzeichnen
Kristoforidi, Lex. S. 1; Basic. S. 29. Bogdan gebraucht Cuneus
proph. I, 81, 10 avitin für lt. congregare und gleich darauf für
afferre; tue u avitune (ebd. I, 87, 6) für ital. accostandosi.
E. W. 20 stellt Meyer das Wort zweifelnd als Entlehnung aus
s.-kr. obici besuchen, versuchen hin, was semasiologisch wenig
paßt. Noch weniger befriedigt diese Deutung lautlich, sl. b er
scheint in den alb. Lehnwörtern immer als b, sowohl inlautend
1 Fialuur i vogliel sc)Sp e ltinisct. N’ Sckoder 1895.
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
5
als anlautend (robine Sklavin, bisedoj spreche; der Ortsname
Berat aus BShgradö usw.). In der Tat stellt avis ein Verbum
compositum dar: a- ist die bei avari besprochene Präposition;
-vis ist identisch mit vis Ort, was demnach zur Bedeutung
,nähere, bringe herbei, versammle' (eig. ,einheimsen') gut stimmt.
Die Form avitin hei Bogdan ist gebildet wie mundin (Bogd.,
I. c. I, 96, 42, apiii ebd. 14, 14, mbusin ebd. 43, 12). — Das
Verbum mit seinem stammhaften t bietet auch den Schlüssel
zur lautlichen Erklärung von vis m. Ort, Platz, geg. amvise
Hausmutter, dessen s auch noch bei Pedersen, K. Z. 36, 338
als Vertretung von idg. k, veranlaßt durch das anlautende v,
betrachtet wurde. Es ist nämlich keineswegs notwendig,- alb.
vis mit 1t. vicus, aksl. vi>si Dorf, got. weihs, Dorf, Flecken usw.
zu verknüpfen, wie dies seit Meyer, E. W. 473 immer geschah
(so z. B. Pedersen, 1. c.; Brugmann, Gr. I 2 , 557; Walde, E. W.
670, 2 834; Feist, E. W. 313; Fick 3 4 , 409). Lautlich und sema-
siologisch läßt sich alb. vis Ort, Platz zu lit. vetä Ort, Stelle,
lett. wita Ort, Platz, aksl. vitati wohnen, verweilen (in späteren
Quellen auch ,in ein Haus hineingehen'), s.-ksl. vitaliste Wohnung,
r. privitdtb sich aufhalten, wohnen, hausen stellen. Gleich dem
alb. und sl. zeigt auch das lit. außer der allgemeinen Bedeutung
des ,Ortes' auch die spezielle des ,Wohnens'. Dies geht aus
Zusammensetzungen wie venvete gemeinsame Wohnung mehrerer
Personen (Nesselmann, S. 72), pavetis Anbau, Erker, Laube
hervor. Alb. Grundform: *veit-io- oder *vit-io-. Zur Bildung
vgl. man gr. olv.iov, otxicc Häuslichkeit, Behausung, Haus: o'r/.og.
bagsti, geg. bakti Vieh, Weidevieh, Lastvieh.
Meyer, E. W. 22 gibt als Bedeutung ,Weidevieh, Lastvieh'
an (dies nach Hahn, A. St. 3, 11), erblickt in der letztem Be
deutung hypothetisch die Grundbedeutung und knüpft daran
die Vermutung, das Wort gehöre zu afrz. bague Bündel, lomb.
bergam. ven. baga Weinschlauch, sp. baga Packseil usw. (woher
auch bagage). Allein die neueren Wörterbücher (Kristoforidi 39,
Bask. 33) geben nur die Bedeutung ,Vieh' an. Desgleichen ver
zeichnet Kuluriotis, ’Aao. S. 56 bagsti — ngr. '/.'igvog. Auch ein
älterer Beleg, nämlich Bogdan, Cun. proph. I, 90, 20 und 21 über
setzt das Wort bloß mit armenti. Ebenso wird das Wort in
der Schrift: Fe-fsfejss a mssime müslimane . . . prej J. PI. M.,
6
I. Abhandlung-: Jokl.
Elbasan 1909, S. 19 in der Bedeutung ,Vieh' verwendet. Es
ist daher nicht unbedenklich, bei der Erklärung von der Be
deutung ,Lastvieh' auszugehen. Insbesondere ist zu beachten,
daß das Suffix -sti (s.'u.) dem Grundwort Kollektiv- oder Ab-
straktsbedeutung verleiht. Von einem rom. baga aus hätte sich
also nur die Bedeutung ,Gepäck, Lasten', nicht aber ,Lastvieh'
ergeben. Überdies bietet sich ungezwungen eine andere An
knüpfung: sl. bog? in c. zbozi <( * szboS/je Vermögen, n.-laus.-
sorb. zhözo Vieh, p. zbose alt Reichtum, heute Getreide, klr.
zb’ize Getreide, Habseligkeiten, ai. bhdga-h m. Gut, Glück, bhd-
jati teilt zu usw. (cf. Berück er, E. W. 67). 1 Für den vieh
züchtenden Illyrier besteht Gut, Reichtum, Vermögen in seinen
Viehherden. In semasiologischer Hinsicht vergleiche man noch
außer den angeführten slaw. Wörtern, die teils Vermögen, Reich
tum, teils Getreide, teils Vieh bedeuten, das Verhältnis von
slovak. statek zu cech. stateJc. Hier bedeutet es Gut, Habe, im
slvk. Vieh. Ebenso: c. dobytek alt Eigentum, Geld, Vieh, Haustier,
Tier; heute Vieh, Rindvieh; s.-kr. blago Schatz, Geld, Vieh;
big. blago Gut, Reichtum, Eigentum. Morphologisch entspricht:
ngusteti Enge, maössti Größe, dunti Geschenk, trekti Handel
(Meyer, A. St. I, 73), spregetl Flechtenkrankheit (Bugge, BB.
18, 185), ferner das unten zu besprechende l'imonti Muße.
Auszugehen ist für bageti von einer mask. Grundform *bag[as],
die auch im Geschlecht mit ai. bhdga-h m. Gut, Glück, sl. bogt,
in: u-bogi, ne-bog?, ferner auch bog?, Gott (cf. Berneker, 1. c.)
übereinstimmt.
Geg. baue Wohnung, Aufenthalt, halb verfallenes Haus; banoj
wohne; bote Erde, Boden, Welt, Leute.
Schon Bogdan gebraucht Cun. proph. I, 95, 36 den plur.
te baana = it. habitationi (sic). Von den Wörterbüchern ver
zeichnet das Subst. nur Ba§k. S. 33. Das Verbum gebraucht
die Zeitschrift Tomofi (seit März 1910 in Elbasan erscheinend)
Nr. 1, S. 4 und Anm. 5; daselbst findet man auch weitere Be
lege für die Anwendung des Wortes: Eltsija i zemers J. Kristit
1 Zusammenhang von rom. baga mit der oben genannten idg. Sippe hat
später I. F. 6, 116 Meyer selbst, jedoch unter Festhaltung der Entleh
nung des alb. Wortes und der Grundbedeutung ,Lastvieh* angenommen.
Studien zur albanesisclien Etymologie und Wortbildung.
7
(hg. vom Jesuitenkollegium in Skutari) 5, Heft 2, 53,59. Das Wort
gehört zur idg. Wurzel bheuä- (in alb. bv,j wohne, miete, über
nachte, ai. bhavanam Wohnung, Haus, got. bauan wohnen, ahd.
buan wohnen, bebauen, lit. büti sein, bütcis Haus, aksl. byti sein,
1t.fui usw.). Am nächsten steht das gleichbedeutende ai. bhavann-.
Alb. Grundform *bhouonä. Nach der zitierten Stelle bei Bogdan
haben wir es mit einer als Abstraktum gebrauchten Partizipial
bildung zu tun nach Art von te dalete (Bogdan, 1. c. I, 95, 33),
während Bask. das Wort als gewöhnliches Substantiv anführt.
Nun dient das Suffix -eno- -ono- auch sonst zur Partizipal- und
Abstraktbildung (cf. Brugmann, Gr. 2/1 2 , S. 267 ff.): lit. lelcanas
übrig geblieben, lekana Rest, Reliquie, aksl. zaboveni vergessen,
lit. dovanä Gabe, as. lugina Lüge, ai. hdvana-m das Anrufen.
Morphologisch könnte mit alb. bane *bhouonä aus dem alb.
selbst vielleicht auch tosk. zs, geg. zq Stimme <( *ghuono-:
aksl. zvoni Schall verglichen werden, falls man mit Brugmann,
Gr. 2/1 2 , 268 das alb. und sl. Substantiv als Bildung mit For
mans -ono- zu aksl. zovg, ai. havatä stellt. Doch können die
beiden Substantiva nach Ausweis der übrigen slaw. Sippen
angehörigen (cf. Kruszewski, Prace filolog. I, 101; Bloomfield,
I. F. 4, 76; Osthoff BB. 24, 177 f.) auch auf eine eigene Wurzel
glmen- bezogen werden.
Sowie nun zu der hier behandelten Wurzel * bheuä-, *bheiie-
sein-, werden (cf. Hirt, Abi. 105, Brugmann, K. V. G. 142,
Grundriß 2/1 2 , 398) auch ai. bhümi-h Erde (Brugmann, Gr. I 2 ,
112, Walde, E. W. 253, 2 326) gehört, so ist auch das bisher
verkannte alb. bote Erde, Boden, Welt, Leute hier anzureihen.
Grdf. *bhuä-tä oder *bhue-tä. Das alb. Wort stellt also ein
Substantivum mit -tä- Formans dar, das sowohl im Alb. als
auch in den verwandten Sprachen zur Bildung von Verbal
und Eigenschaftsabstrakta und der auf ihnen beruhenden Kon
kreta verwendet wird: cf. alb. ndjete Abscheu (s. u.), late
kleine Axt (s. u. s. l'ape), vads Hürde (s. u.), ferner gr. ägTrj
das Wehen, v.ohrj das Lager, 1t. subsessa Hinterhalt, ahd. slahta
Tötung, Schlachtung, Schlacht zu slahan schlagen, lit. jüsta
Gürtel zu jusmi gürte, aksl. vnsta Bewandtnis, Befinden, Lage:
ai. vrttdh (Brugmann, Gr. 2/1 2 , 414 ff.). In der Ablautsstufe
unserer Wurzel entspricht gr. cpvi] Wuchs, lt. ama-bam aus
*buäm (Hirt, 1. c.). Dabei sind hinsichtlich des Vokalismus von
8
I. Abhandlung: «Jokl.
bildungsverwandten Wörtern außer dem angef'tilirten gr. ch'jt)]
noch die Passiva ndotern verabscheue (s. u. bei ndjete Abscheu)
und vdorem gehe unter: djer vernichte (Meyer, E. W. 70) zu
vergleichen; die beiden Passivformen weisen auf Partizipia mit
gelängtem Vokal, ndotem auf ein to-Partizipium. In semasio-
logischer und etymologischer Hinsicht läßt sich außer ai. bhümi-li
auch noch 1t. fundus, ahd. bodam, nhd. Boden usw. (,Stätte
des Wachstums': Wz. *bheuä, *bhü Walde, E. W. 253, 2 326)
vergleichen. Meyer, E. W. 43 vergleicht bote zweifelnd mit
ital. motta herabgeschwemmte Erde, frz. motte Erdscholle, eine
Deutung, die wegen des gemein-alb. Anlautes b bedenklich ist. 1
bTozs Ruß, Speichel.
Meyer, E. W. 40 gibt nur die Bedeutung ,Ruß' an, während
Kristoforidi S. 48 für Permet auch die Bedeutung ,Speichel'
(ngr. cprvaipov) anführt. Die scheinbar ziemlich weit auseinander
liegenden Bedeutungen lassen sich aufs beste vereinigen, wenn
man das Wort zu ai. malind-h schmutzig, unrein, schwarz,
wozu wahrscheinlich auch gr. piXag schwarz, lett. melns schwarz
usw. 2 (Wz. mele Hirt, Abi. S. 90) stellt. Zur Bedeutung vgl.
man einerseits 1t. sucisum rußiger Fleck auf einem Kleide
<( *suarssom: sordes Schmutz, got. swarts, ahd. swarz, nhd.
schwarz (Walde, E. W. 585, 2 726), andererseits lt. saliva Spei
chel: ahd. salo dunkelfarbig, schmutzig, ags. salowig schmutz
farbig, r. solovdj isabellfarben (Walde, E. W. 540 f., 2 672). Aus
einer Grundbedeutung ,Schmutz' ergeben sich also beide Be
deutungen. Zu beachten ist, daß auch psstüme psstims Speichel
dialektisch ,Ruß' bedeutet (Meyer, E. W. 336). Als suffixales
Element ist in bloze -ze abzutrennen, dem wir auch in buze
1 Auch Helbig, Die ital. Elem. im Alb. S. 88 f. (Jb. (1. Inst. f. rum. Spv. 10)
betrachtet als regelrechte Vertretung von ital. anlautendem m in. Nur
zwei Wörter zeigen nach Helbig b für ital. anl. m. Doch ist auch in
diesen das anlautende h des Alban, nicht auf rein lautlichem Wege zu
erklären. Bei hoLnel', butsel' ltadnabe <C it mozzello ist nach Helbig
butsel kleine Tonne <C it. bozzello von Einfluß gewesen. Das zweite von
Helbig angeführte Beispiel: cal. btitjer Feld, Feldarbeit <' it. mestiere
Kunst, Handwerk ist semasiologisch wohl kaum überzeugend und kann,
falls man es gelten lassen will, seinen Anlaut der Einwirkung von
baHint Feld, Besitz, Landgut verdanken.
2 Näheres darüber unten s. zl, wo auch weitere Literaturangaben.
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
9
Mund, gize Käse (s. u.), ferner im pl. iiersz, fierszit, endlich in
Wörtern wie nerezi Menschheit, Menschlichkeit, Menschenmenge,
marez-i Narrheit begegnen. Das Suffix hat also hauptsächlich
Kollektivbedeutung, wie dies deutlich trizs Dreiheit, Zahl drei
(Pedersen, Alb. Texte S. 199; Reinhold, Noctes pelasg., Anthol.
S. 25, 26, Nr. 4) zeigt und kann mit westgerm. -tia ■< idg. dia
(mnd. gebenete, mhd. gebeinze Gebein, mhd. gesteinze, getierze,
gevogelze [Brugmann, Gr. 2/1 2 , 648, 472]) verglichen werden.
Aus der Kollektivbedeutung konnte sich leicht die Abstrakt
bedeutung entwickeln. Innerhalb des Alb. begegnet -d- noch
in l'apsr-6-i (s. u.); über den Zusammenhang von -ze, -zi, -d-i
wird am besten unten bei zl gehandelt.
bress bittere Wurzel, Zichorie.
Bask. S. 50 gibt als Bedeutung radice amara, Meyer,
E. W. 47 Zichorie an. Auch ngr. -itiv.Qalida zeigt die Zichorie
von ihrer Bitterkeit benannt. Das alb. Wort ist wurzelverwandt
mit alb. geg. brej, tosk. brsn nage, streite (letztere Bedeutung
nach Kristoforidi 50), lt. ferio hauen, stechen, forare bohren,
ahd. borön, nhd. bohren usw. (cf. Meyer, E. W. 37; Walde, E. W.
217, 2 283). ,Bitter' ist also eigentlich ,schneidend, stechend,
scharf', ganz wie das zu derselben Wurzel gehörige slov. bridak
bitter (Berneker, E. W. 86) seine Bedeutung aus einer ur
sprünglichen ,scharf, schneidend' entwickelt hat. Man vergleiche
eine analoge Bedeutungsentwicklung bei d. bitter: beißen, got.
beitan, lt. findere (Kluge, E. W. 7, 56; Walde, E. W. 224 £),
ferner bei gr. m-/.o6g schneidend, scharf, bitter, ai. pi§ati haut
aus, schneidet zurecht (Prellwitz, E. W. 2 , 369; Walde, E. W.
467, 2 584). Das Suffix in bress ist dasselbe wie das, welches
in geruss, geress, kmese, Tuse, ress aufgezeigt werden wird; cf.
auch geg. maise Stütze, Brustwehr (Bask. 248): geg. maj (mbaj)
halte auf, stütze (ebd.). Es handelt sich um ein erweitertes
ti-Suffix: tia. 1 Pedersen, K. Z. 36, 308 wendet sich zwar gegen
die Annahme einer solchen Erweiterung, schließt aber die
Möglichkeit der Nachweisung eines solchen Suffixes nicht aus.
1 Aus den verwandten Sprachen läßt sich wohl lit. -czia, -te (z. B. nekoczia
Futterschwinge: nekoti, lcapote Stock zum Ballspiel: kapoti, taikoczia
Streichholz: tailcoti, naszcziai Wassertrage: nhszti (Zubaty, I. F. 3, 140;
Leskien, Bildung d. Nom. 539) vergleichen.
10
I. Abhandlung 1 : Jokl.
— Durch die hier angeführten Wörter wird auch die Suffix
gestalt von 1t. Entlehnungen wie martess Heirat, vl'ess Ver
lobung beleuchtet. Pedersen hatte K. Z. 36, 308 -ese aus lt.
-atio (* maritatio, velatio) abgeleitet und dies Rom. Jahresb. 9,
I, 212 mit Recht dahin ergänzt, daß eine Umformung von
lt. -tio zu -tjä eingetreten sei. Wie nämlich lt. -tio- -önis- im
Alb. vertreten ist, zeigt arssüe f., aresen m. Grund aus lt. ratio
(Meyer, E. W. 14). Trat aber eine Umformung von -tio zu -tjä
ein — und dies war offenbar der Fall bei Wörtern, die als
Abstrakta gefühlt wurden — so mußte ein heimisches Muster
dafür vorhanden sein. Dies aber war in den angeführten Wörtern
gegeben. Möglich ist übrigens auch, daß Rildungen wie martess,
ksrkess nicht direkt auf * maritatio, *circatio zurückgehen,
sondern aus den zugehörigen Verben marton, ksrkoii nach den
eben besprochenen Mustern auf alb. Boden erwuchsen. Man
vgl. insbesondere das neben gsfuss vorkommende gsfess.
bük Stroh, Spreu.
Die obige Schreibung nach Bask. 59, Kristoforidi 53,
Jungg 14. Meyer schreibt E. W. 58 bülc• das k beruht jedoch
offenbar nur auf einem Versehen, da Meyer selbst das Wort
A. St. I, 22 unter den Stämmen auf -lt anführt. Es handelt
sich um einen Reflex der Wz. *bhü-, *bheuä- wachsen, sprießen.
Man vergleiche slov. bil Halm, s.-kr. biljka ds., r. bylina Pflänz
chen, Gräschen, Grashalm (Berneker, E. W. 112). Das alb.
Wort zeigt gegenüber dem sl. -i-Suff. ein Suffix -lt- wie die
unten zu besprechenden penk Koppel und ujk-!} Fließ und wie
sl. znalu Zeichen: znati, ahd. luog Höhle, Versteck: lt. lateo
(Brugmann, Gr. 2/1 2 , 477). Das Bedeutungsverhältnis von bük
Stroh, Spreu zu slov. bil Halm ist dasselbe wie das von aksl.
usw. slama, r. solöma Stroh zu lt. culmus Halm, d. Halm (cf.
Walde, E. W. 156, 2 208).
burms vollkommen reif (von der Feige, wenn sie zum Trocknen
geeignet ist).
Meyers Erklärung (E. W. 55), wonach venez. maduro,
mauro zunächst *msuro, *muro und mit Antritt von -ms
*rnurms, burms ergeben hätte, ist lautlich und formell wenig
einleuchtend. Bezüglich des Anlautes vergleiche man das zur
Studien zur albanesiachen Etymologie und Wortbildung.
11
Vergleichung bots — ital. motta Bemerkte. Das Wort gehört
zur idg. Wz. * bhreuä wallen, gären, brauen, die auch in
lt. ferveo sieden, wallen, kochen, defrütum eingekochter Most,
aisl., ags. brod Brühe, ahd. brinican, nhd. brauen, ir. bruith
kochen usw. (Walde, E. W. 169, 219, 2 225, 286; Persson,
Wurzeierweit. 126; Fick 3 4 , 263) erscheint, -ur- <( p in der
Stellung nach dem .Labial (cf. Pedersen, K. Z. 36, 319). Das
Suffix ist das im alb. Partizipium gewöhnliche (Pekmezi, Gr.
S. 194). Cf. auch unten s. jerm. Die Bedeutungsentwicklung
stimmt vollkommen überein mit der von tosk. pjekur, geg.
pjeJcun reif (eigentl. ,gekocht'), ai. pakvd-h gekocht, reif (wozu
auch gr. ixstcuiv reif), brurn m., brume f. Sauerteig ist wurzel
verwandt (cf. g. Meyer, E. W. 49; Walde, E. W. 217, 2 284).
buze Mund; Lippe, Spitze, Band, Schnabel, Mundart.
Meyer, der E. W. 57 nur die Bedeutungen ,Lippe, Spitze,
Rand' usw. verzeichnet, stellt das Wort zu lt. buc.ca; Grdf.
*bus-zs mit s O k. Diese Deutung scheitert daran, daß lt. bucca
velares k hat; von Walde, E. W. 74, 2 100, wird sie daher mit
Recht abgelehnt. Einen Fingerzeig für die etymologische Er
klärung des Wortes gibt die Bedeutung ,Mund‘, die Pedersen,
Alb. Texte S. 114 für das Tsamisehe bezeugt: zu lit. burnä
Mund, arm. heran Mund, lit. foramen usw. (cf. Fick 2 4 , 168;
Bugg'e, KZ. 32, S. 4; Persson, ebd. 33, 292). Alb. Grundform:
* bfze mit -p- )> -ur- nach dem Labial wie in burms. r schwindet
oft vor Spiranten und Affrikaten, cf. k’ed- schere: lit. kertü,
ai. kartari Schere (Meyer, E. W. 221, A. St. 3, 36), ks&en
wende um < lt. Converters (Meyer, E. W. 185), * perpud- be
schmutze (Pedersen, Alb. Texte 177; Hahn, Texte 141): pjerd-
und neben perpur d (Meyer, E. W. 342), geg. pszqj rufe (: zq
Stimme, Meyer, E. W. 483, mit vorhergehendem per)] ferner
gatse, gize, vads, die unten besprochen werden sollen. Uber
Suff, -zs s. oben bei bl’ozs. 1 Die weitere Entwicklung der Be-
1 Puijcariu, Jb. d. In9t. f. rum. Spr. 11, 48, 49 hält buzt — ohne jedoch
diese Deutung als sicher hinzustellen — für den Reflex eines schon im
Urroman. vertretenen Stammes bud-, der mit ?!-Ableitung rum. buzä
aroin. budzä usw. ergeben habe, und stützt sich hiebei auf die Ver
breitung des Stammes im Roman. Anders hatte die westrom. Formen
Ascoli, Arch. gl. 7, 517 zu erklären versucht. Doch lassen sich wohl
12
I. Abhandlung: Jo kl.
deutungen ,Mund, Lippe, Spitze, Rand' usw. ist der von alb.
ans Seite, Saum, Ufer, Eude, Borte, lt. öra, gr. öia Rand,
Saum: lt. ös Mund, ai. öSiha-h Lippe: lt. ös (Meyer, E. W. 11;
Walde, E. W. 438, 2 548) analog. Über die Aufnahme des alb.
buzs in andere Sprachen vgl. man Meyer, E. W. 57.
daloj scheide, teile.
Das Wort fehlt-bei Meyer, wird jedoch von Kristoforidi,
Lex. S. 91 verzeichnet. Auch das in der Übersetzung des
Plutarchischen Pyrrhus von Doks Suis, Kap. 17 (Tomori, Nr. 9,
S. 4, Sp. 1) gebrauchte, offenbar neu gebildete padaluarsms =
Icy.QLTOg unentschieden weist auf unser Verbum. Das Wort ge
hört zu ai. dalayati, dälayati spaltet, ddlam Stück, Teil, Hälfte,
lit. dalis Teil, dalyjü teile, r. dolja Teil, Anteil, Schicksal, lt.
dolo bearbeiten, behauen usw. (cf. zur Sippe Walde, E. W. 181,
2 239; Boisacq, Dict. et. 161; Berneker, E. W. 209).
Geg. dane, tosk. dars Zange.
Bask. S. 80 schreibt daan, pl. daana, Jungg S. 20 dan,
pl. dena; Kristoforidi S. 92 verzeichnet als geg. dqns, pl. dqnsts >
als tosk. dars, pl. darsts, als skutar. de,ns, pl. dsnsts (letzteres
wohl Druckfehler für densts, indem s für s gedruckt wurde:
cf. die übrigen Wörterbücher). Das Wort gehört zu anord.
tong, ags. fange, ahd. zanga, nhd. Zange, gr. dcc/.rw, ai. dqiati
heißt (Boisacq, Dict. et. 163). Die alb. Formen gehen auf
*dak-nä zurück. Meyers Bemerkung (E. W. 61): ,Die Nicht
verwandlung des -a vor tosk. r — geg. n weist auf Ausfall
eines Lautes vor n‘, behält also ihre Richtigkeit. Die Behand
lung von -kn- in der tosk. Form ist dieselbe wie in pars ge
sehen: ai. pdSyati sieht, Wz. *pak-, d. h. r trat für das zu
erwartende n nach dem Muster der partizipialen Bildungen ein.
Hervorzuheben sind noch die geg. Formen. Während die zwei
spezifisch skutarin. Wörterbücher die Nasalierung des a nicht
verzeichnen, gibt Kristoforidi als geg. dqns an. Es handelt sich
wohl nur um eine phonetisch getreuere Schreibung; so schreibt
bei keiner dieser Erklärungen alle ähnlich klingenden und bedeutungs-
vervvandten ost- und westroman. Wörter unter einer Grundform vereinigen.
(Cf. insbes. Pu^cariu, 1. c., S. 49; G. Meyer, E. W. 57.)
Studien zur albanesiscben Etymologie und Wortbildung.
13
auch Pekmezi, Gr. 231 geg. qn Seite, während Jungg S. 4 und
Meyer S. 11 nicht nasaliertes a schreiben.
del Sehne, Flechse, Ader.
Meyer, E. W. 63 vergleicht lit. gysla Ader, Sehne, aksl.
£ila Ader, bringt jedoch selbst Einwände gegen diese Erklärung
bei: die Verschiedenheit des Anlautes (gh im Lit. und Sh, gh
im Alb.; cf. auch Hirt, BB. 24, 256)' ferner die Verschiedenheit
des Vokalismus. Die gleichen Schwierigkeiten bestehen aber
auch bei Pedersens Deutung: lt. filum (I. F. 5, 68); den Unter
schied im Anlaut hebt Pedersen 1. c. hervor. K. Z. 36, 326
hat er darum selbst seine frühere Erklärung aufgegeben. Die
genannten Schwierigkeiten werden vermieden, wenn man das
Wort zu gr. deco, didrjj.ii binden, ai. dyati bindet, däman- Band
stellt. Im Alb. selbst ist die Sippe auch noch durch duai
Garbe vertreten: idg. *de- binden: cf. Boisacq, Dict. et. 180;
Walde, E. W. 519; G. Meyer, E. W. 76. del <( dö-lo- ist ein
Nomen instrumenti mit Suffix -lo- (cf. auch unten s. pife), dem
nach ursprünglich ,Bindemittel, Band'. Zum Suffix vgl. man
ahd. seil, nhd. Seil, aksl. greblo Kuder, lt. caelum Meißel
(Brugmann, Gr. 2/1 2 , 362 ff.). In der Ablautstufe verhält sich
del <V * dö-lo zu duai < *de-n- ganz so wie lit äp-vallcalas
Anzug: aksl. obWdo < *ob-velklo Kleidung, lit. ätsaile Ver
bindungsstange zwischen Bracke und Achse: lit. ätseilis das
vom Schwengel an die Achse gehende Eisen (Brugmann, 1. c.
364, 365). Die vorausgesetzte Bedeutungsentwicklung ,Band,
Sehne' ist dieselbe, wie sie in ai. snüyu-h, snäyu Band, Sehne
tatsächlich vorliegt.
derd- gieße aus, p. der dem stürze mich, ergieße mich.
Die zuletzt angeführte Bedeutung des Passivums s. Kristo-
foridi, Lex. S. 213 s. v. lum. — Meyers Vergleichung mit aksl.
dnzi kühn (E. W. 64) wird von Pedersen, K. Z. 36, 325
mit Recht abgelehnt; sie ist semasiologisch unwahrscheinlich.
Aber auch eine eigene Deutung: ai. sijdti gießt aus, läßt
strömen (BB. 20, 238) ist Pedersen, K. Z. 36, 289 bereit auf
zugeben. Das Wort ist also bisher ungedeutet. Es gehört zu
ai. dhdrä Strom, Guß, Strahl, dhärayü-h strömend, dhärya-m
14
I. Abhandlung: Jokl.
Wasser, 1 welche Bedeutungen sich zu der unseres Wortes wohl
fügen. -6- in der9-, deröem ist präsensbildendes idg. -d- oder
-dh- (lit. verdu, aksl. id.Q, jado [-d- oder -dh-J; gr. eldouat, lt.
endo, got. giutan [d], gr. nv9a, ytjdopai [dh], Cf. Brugmann,
K. G. V. G. 521). Alb. d entstand aus d(h) nach r wie sonst.
det, siz., cal. deit, siz. dejet Meer.
Bugge, BB. 18, 165 stellt das Wort zu dal gehe aus, dale
Geschwulst, gr. 9-<iKk(i>, wozu auch OaXaaaa als ,das schwellende'
gehöre, und führt als semasiologische Parallele anord. lmf
Meer: hefja erheben an. Wiewohl nun Meyer, A. St. 4, 54
diese Deutung Bugges billigt, ist sie dennoch lautlichen Be
denken unterworfen. Denn eine solche Erklärung setzt eine
Grundform * deft voraus, die schon Meyer, E. W. 64 vorge
schlagen hatte. Läge aber diese Form dem Worte zugrunde,
so wäre sie im Gr.-Alb. gewiß noch erhalten. Denn dieser Dialekt
hat perpjeTta abschüssig: Kuluriotis, V/.c. 164; Pedersen, K. Z.
33, 548. (Dieselbe Form kennt übrigens auch das Siz.: Mar-
chiano, Canti pop. alb. S. 10.) Im Gr.-Alb. heißt es jedoch nicht
*dett, sondern gleichfalls det (Meyer, A. St. 5, 29). Der Um
stand, daß es im gesamten Balkan-Alb. — und nicht etwa bloß
in einzelnen Dialekten, die z. B. auch für ujk Wolf uk kennen
(cf. Pekmezi, Gr. 278) — det heißt, ist aber auch für die Beur
teilung von siz. deit, dejet (Evang.-Ubers. im Dial. v. Piana
dei Greci, Mattb. 4, 18) allein maßgebend. Von einer Form
* deit ausgehend, könnte man allenfalls dejet begreifen; e wäre
Svarabhakti-Vokal etwa wie in kejits Schlüssel (bei Rada),
neben Muts, Jciits <j sl. Icljun. Allein um sich den Tatbestand
so zurechtzulegen, müßte man eben die Existenz des l in * deit
sichergestellt haben. Das Gr.-Alb. spricht aber dagegen. Auch eine
zweisilbige Grundform, die auf dal bezogen wird, etwa * dalit,
*delit hilft nicht weiter, da ja dann das intervokalische l als l
erschiene. Siz. dejet im Zusammenhalt mit balkan-alb. det macht
also eine andere Erklärung notwendig. — Erinnert man sich,
daß, wie Pedersen, Festskrift til Vilh. Thomsen, S. 247 f. dar
getan hat, j hiattilgend ist, so erkennt man in diesem Wort
1 Zur weiteren wurzelhaften Erklärung der genannten ai. Wörter vgl.
man Uhlenbeck, Ai. Et. Wörterbuch, S. 135, 13G (ved. dhdvante strömen,
laufen, gr. &£(o laufen, rinnen).
Studien zur albanesisclien Etymologie und Wortbildung.
15
eine Gruppe von Vokalen, die offenbar durch Ausfall der inter-
vokalischen Media entstand, dejet ist also die unkontraliierte,
daher ältere Form, von der bei der Erklärung auszugehen ist.
Auch ist zu beachten, daß e nicht palatalisiert ist, weshalb
diphthongischer Ursprung wahrscheinlich ist. Das Wort gehört
zu got. diups, ahd. tiuf, nhd. tief, lit. dubiis tief.
Als Grundform ergibt sich: *deub-eto-, was regelrecht
*deet und mit Mattilgendem j die im Siz. tatsächlich vorlie
gende Form dejst ergab; aus dejst entstand weiterhin siz., cal.
deit. Im Alb. der ßalkanhalbinsel zeigt det überall e (cf. außer
Meyer, E. W. 64 schon Bogdan, Cun. proph. 2, 4, 11: deet,
ferner Pekmezi, Gr. 236; Pedersen, Alb. T. 116). Die Länge
des e erklärt sich sohin durch Kontraktion ganz so wie z. B.
die Länge des u in küt Elle aus 1t. cubitus über *kust. Das
Meer ist also auch im Alb. ,Tiefe, Vertiefung - ', wie denn auch
ags. lagu Meer, as. lagu- See, Meer, 1t. lacus See eigentlich
,Vertiefung' ist (Fick 3 4 , 358; Walde, E. W. 319, 2 406). Das
Suffix ist dasselbe, das in It. Weiterbildungen von Adjektiven
auftritt: cf. libertus, fal. loferta, aus urit. *loufero-to oder
loufere-to (Sommer, I. F. 11, 227; Brugmann, Gr. 2/1 2 , 404).
Ähnliche Bildungen sind die femin. Eigenschaftsabstrakta auf
-tä wie ai. pürnatä Fülle, got. diupipa Tiefe, lt. vita aus *vl-
vitä, aksl. dobrota Güte. Und in der Tat verzeichnet Bask.
S. 84 auch dete. Ob im Alb. für det Meer vom mask. oder fern.
* deub-eto oder *deub-etä auszugeben ist, ist schwer zu be
stimmen: mask. und fern, stehen ja im Alb. des öfteren bei
demselben Substantiv nebeneinander; cf. z. B. brum m., brume
Sauerteig. Man vgl. ferner das fern, degs Zweig mit inter-
vokalischer Media für ein vorauszusetzendes *deg (Meyer, A.
St. 3, 9) und die unten zu besprechenden Subst. labe, selige.
Pekmezi, Gr. 236; Jungg 21, 22; Bask. 81 verzeichnen für das
geg. neben det auch ded. d entstand sekundär im Auslaut,
offenbar nach Analogie der Wörter, wo der Wechsel zwischen
auslautendem t und inlautendem d etymologisch berechtigt war.
Cf. geg. sod heute neben sot (Jungg 142, 143; Bask. 402).
dja&e m., n. Käse, griech. auch di de.
Die Nebenform di&e findet sich in Griechenland in der
Verbindung java e(njdidit (Meyer, A. St. 5, 72 f.). Das Wort
16
I. Abhandlung: Jokl.
gehört zunächst zu ai. dddhi sauere Milch und weiterhin zu
ai. dhäya-h ernährend, pflegend, apr. dadan Milch, gr. dyviov
Milch, udt)vrj Amme, lt. felo säugen (Walde, E. W. 215, 2 280f.).
Das Bedeutungsverhältnis zwischen alb. djads Käse und ai.
dadhi sauere Milch stimmt sein- wohl zu den Ausführungen
Schräders, R. L. 409 f., wonach der älteste Käse nichts anderes
als lac coagulatum, sauere Milch war. Die alb. Sprache bewahrt
also noch eine Reminiszenz an diese primitive Käsebereitung.
Auch morphologisch stimmen alb. djads und ai. dadhi überein.
Wie nämlich letzteres eine Reduplikationsbildung ist: da-dlii
(cf. Walde, 1. c.; Brugmann, Gr. 2/1 2 , 174), so auch djads,
das aus *de-dh- entstand; djads zeigt also den Reduplikations
vokal e (Typus: tetccvoq Brugmann, Gr. 2/1 2 , 129). In der an
gesetzten Grundform wurde e )> ia wie in mjalds Honig: pefa,
djadts rechts: lt. dexter, gr. ds^iög (Pekmezi, Gr. 22). Gr.-alb.
di de verhält sich zu djads wie int Jahr zu vjet. (Eine andere Re
duplikationsbildung im Alb. s. unter gogsls und popsfe.) Eine
bloß scheinbare lautliche Schwierigkeit bereitet der eben erör
terten Vergleichung das inlautende d als Vertretung des an
gesetzten dh. Denn für das auslautende e von djads, das
sowohl m. als n. ist, ist dieselbe Entstehung vorauszusetzen,
die Pedersen bei Erklärung des n. uje Wasser erwies (K. Z.
36, 339). e trat zur Angleichung an sonstige Neutra an. In
*de-dh- stand also dh im Auslaute, wurde demnach 0. Und
daß tatsächlich von *de-dh- auszugehen ist, zeigen alb. ast.
Knochen, el'p Gerste. Wie dadhi flektiert nämlich im ai. dsthi
Knochen, dem im alb. ast m. neben asts f. Knochen entspricht.
Demnach verhält sich hinsichtlich des Auslautes ai. dadhi zu
dem hier angesetzten *djad, beziehungsweise zu djads wie
ai. dsthi Knochen zu alb. ast, beziehungsweise zu aste. Die
gleiche Behandlung des Auslautes wie *djad gegenüber ai.
dadhi zeigt alb. elp m. Gerste gegenüber gr. lihfi (cf. über
weitere Formen dieses Wortes Pedersen, K. Z. 34, 287). Daß
djads neutr. blieb, beruht offenbar darauf, daß es einen Stoff
namen bezeichnet (Pedersen, 1. c.).
dorbsri f. Herde.
Meyer, E. W. 71 vermutet Entlehnung aus it.- turba.
Allein hiebei ist Anlaut und Suffix nicht zu verstehen. Es
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
17
liegt ein altes Kompositum vor, das in dor-bsri zu zerlegen
ist. dor-: gr. Srg), lesb. cprjQ, aksl. zvert, lit. Sverls, lt. ferus
(Walde, E. W. 219, 2 286) <1 ghiier- mit Ausfall des v nach
alb. d, d wie in degs Ast, Zweig ■< *dvaig-: d. Zweig, dere
*d(h)verä: aksl. dvin, dvorz. -beri: lit. buris Elaufe, Herde
(= bu-ri-s Ostlioff, Etym. Parerga I, 9; Brugmann, Gr. 2/1 2 ,
355), lett. büra Haufe, Menge, ai. bhüri-h reichlich, viel (idg.
Wz. *bheiiu- wachsen, werden). Die etymologische Analyse er
gibt also eine Grundbedeutung ,Tierhaufe, Tierherde, Tier men geh
Zum Suffix-t ygl. man unter zl.
dose Sau.
Das Wort ist auf Grund des von Pedersen, K. Z. 36, 286
erwiesenen Lautwandels su > alb. d vor betontem Vokal mit
der idg. Bezeichnung für ,Schwein' zu vereinigen. Grdf. *su-
ätiä. Das Suffix ist dasselbe wie in einem anderen Tiernamen:
bretkoss Frosch neben bretsk (über welches Wort Thumb, I.
F. 26, 12 handelt). Es liegt ein ursprünglich von vokalischen
Stämmen ausgegangenes <-Formans vor, das zur Kollektiv- und
Abstraktbildung verwendet wird und in Konglutination mit -i
< ijä (s. unten s. zl) in paresi die Vornehmen: pars erster,
mattst, geg. mattst das Gebirge: mal Berg erscheint. Man vgl.
lit. pilnatis f. Fülle, pirmatis principatus. Wie also d. Stute,
ursprünglich eine Herde von Zuchtpferden und dann erst das
weibliche Tier bezeichnet, so wird wohl auch dose zuerst eine
Schweineherde bezeichnet haben. Man vgl. zur Bedeutungs
entwicklung eines Kollektivums des weiteren noch d. Kamerad,
Frauenzimmer. Das o in dose erklärt sich aus Abstraktion von
Fällen, wo das Suffix an stammanlautendes ä trat. 1
dreb St. dred drehe zusammen, drehe um, zwirne, spinne.
In seinem E. W. 73 hat Meyer das Wort ungedeutet ge
lassen. Hingegen stellt er es A. St. 3, 18 zu gr. roeya) laufe,
ai. dhrdjati streicht, gleitet dahin, an. draga, ags. dragan ziehen.
1 Pedersen, K. Z. 38, 393 vermutet Zusammenhang von dose mit der
Schwein, derk Ferkel. Grundform könne derqlt palat. Vokal sein.
Dabei bleibt aber die weitere Anknüpfung der Gruppe unklar.
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 1G8. Bd. 1. Abk. 2
18
I. Abhandlung: Jokl.
Grundbedeutung sei ,ziehen'. Allein das ai. Verbum und seine
germ. Entsprechungen, die zweifellos zusammengehören (cf.
Fick 3 4 , 210), fügen sich semasiologisch wenig zu alb. drei}
drehe, spinne. Das griechische Zeitwort hingegen muß aus
lautlichen Gründen ferngehalten werden, denn es weicht im
Guttural (gh) ab. Cf. Brugmann, Gr. 1 3 , 090; Prellwitz, E. YV. 2 ,
467; Feist, E. W. 278. Das alb. Verbum gehört zu ahd. dräen
drehen, gr. töqvoq Zirkel, Dreheisen, tsqew bohren, drechseln,
lt. tero reiben (Kluge, E. YV. 7 , 99; Walde, E. \Y r . 624) als
tre-dQi) mit präsensbildendem d oder dli. Anlautendes dr für
tr erklärt sich durch Vorwegnahme der für den Auslaut ge
forderten Artikulationsart in den Anlaut. Es ist dies derselbe
Vorgang wie in gem.-sl. drozdz Drossel: apr. tresde, lit. sträzdas,
aisl. prqstr usw. (Solmsen, K. Z. 37, 579; Berneker, E. W. 227).
Weitere analoge Beispiele geben Solmsen, 1. c. und E. Schröder,
Anz. £ d. Alt. 24, 19. Zur Bedeutung ,zwirnen, spinnen', die
drei) noch zukommt, vgl. man ahd. mhd. drät, nhd. Draht —
zusammengedrehter Faden. — Hieher gehört auch geg. (skutar.)
nnrize Windel (Bask. 306). Diese Angabe berichtigt also Rossi,
der das Wort mit s schrieb: ndrise, was auch von Meyer, E.
YY r . 301 übernommen wurde. Grundform etwa *n-dred-ze (wahr
scheinlicher als *n-dfd-ia). Zur Bedeutung vgl. man d. Windel:
winden, driöem zittere, das Meyer, E. W. 73 (jedoch nicht mehr
A. St. 1. c.) mit dred- drehe vereinigt, ist anderen Ursprungs,
der an anderer Stelle behandelt werden soll.
dulcem scheine, erscheine, leuchte hervor, werde gesehen.
Die Bedeutung ,erscheinen' findet sich z. B. Bogdan, Cun.
proph. I, 12, 2; die Bedeutung ,hervorleuchten, in die Augen
fallen' (elucescere) ebd. 70, 3; am gleichen Orte 81, 10 gibt
duliete ital. si vede ,man sieht' wieder. Bugge, BB. 18, 189 nahm
Entlehnung aus gr. dov.eZ an, was Thumb I. F. 26, 2 aus laut
lichen Gründen, nämlich wegen der hiebei vorausgesetzten Ver
tretung von gr. o durch alb. u, ablehnt. Alle genannten Be
deutungen erklären sich, wenn man das Wort mit lit. zvuJce
Licht, gr. diaqxxoaeiv diaqnxiveiv Hesych, lt. fax Fackel (idg.
Wz. ghuöqu-, ghiidqu- Brugmann, Gr. 1 2 , 312; Walde, E. W.
202, 2 265; Osthoff, Arch. f. Religionsw. 8, 20) vereinigt. Das
alb. Y 7 erbum stellt die Schwundstufe dar.
Studien zur albanesisehen Etymologie und Wortbildung.
19
6tone 1. Leid, Schmerz, Gewalt, üble, schädliche Tat;
2. Schmach, Beleidigung; dere bitter.
Die unter 1. angeführten Bedeutungen von dune nach
Kristoforidi, Lex. S. 89; die unter 2. gegebenen finden sich
bei Baskimi, S. 100 und decken sich im wesentlichen mit den
von Meyer, E. W. 87 angeführten ,Schmach, Schandfleck,
Ärgernis'. Doch läßt sich die von Kristoforidi gegebene Be
deutung ,Gewalt' auch aus dem bei Meyer nach Jarnik ver-
zeichneten per duni ,mit Gewalt' entnehmen. Tomori Nr. 8,
S. 1, Sp. 3 heißt es per dune mit Gewalt. Meyer führt noch
dunoii schmähe, dun bitter (letzteres nach Kossi) an, unterläßt
aber eine Deutung der Gruppe. Nun hat Kristoforidi, 1. c. dune
als geg. bezeichnet, Meyer hingegen sich über die Zugehörig
keit des Substantivs zu einem der Grunddialekte nicht aus
gesprochen; dabei ist aber bisher übersehen worden, daß dunure
in der Bedeutung ,entehrt, geschändet' schon bei Rada, Raps.
104 steht. Dadurch und durch gr! dune (Meyer, A. St. 5, 75)
ist das zwischenvokalische n auch für das tosk. gesichert.
n kann daher nicht ursprünglich, sondern nur Assimilations
produkt sein. Andererseits herrscht vollkommene Bedeutungs
übereinstimmung mit ai. du Leid, Schmerz, dunöti versehrt,
quält, brennt, wozu auch gr. daiu> brenne (Prellwitz, E. W. 2
104;- Boisacq, Dict. 6t. 163) gehört. Als alb. Grundform ist
sohin *dus-n- anzusetzen, sei es, daß man *dus- formell un
mittelbar mit ai. dus-yati verdirbt verbindet und Perssons An
sicht (Wurzeierweit. S. 81), wonach dux-yati «-Erweiterung von
du-nöti, du, gr. daico ist, eine weitere Stütze aus dem Alb. zn-
führt, sei es, daß man das vorausgesetzte -s- in dus-n- als
Überrest eines «-Stammes betrachtet, der ja auch in att. davög
brennbar, trocken < * dufea-vog (Schulze, Quaest. ep. 167, n. 5)
steckt. Alb. dun bitter gehört gleichfalls hieher. Zur Bedeu
tungsentwicklung ,brennen—bitter' vgl. man sl. gonkz bitter:
gorSti brennen. Eine Bestätigung erfährt die hier gegebene
Analyse der Wortgruppe durch tosk. dere bitter, das Meyer,
E. W. 97 zweifelnd unserer Gruppe anreiht. Denn die Wurzel
verwandtschaft von dun bitter und dere bitter wird wohl nicht
geleugnet werden können; das zwischenvokalische tosk. r führt
auf -n- (also ohne vorausgehendes -s-) und e in dere hat schon
2*
20
I. Abhandlung: Jokl.
Meyer aus eu erklärt. Für den Vobalismus einer so anzu- |
setzenden Grundform *deu-no- bietet wiederum das Germ, sippen
verwandte Parallelen: as. tiono Böses, Unrecht, Übel, Feindselig
keit (man beachte übrigens auch die Bedeutungsübereinstimmung
dieses Wortes mit alb. dune), ags. teona Unrecht, Leiden, Be- '
leidigung, Streit (germ. Grdf.: *teuna Fick 3 4 , 165).
3ep m. spitzer Fels, 3epis mache stachelig, spitze.
Die Sippe verzeichnet von den bisherigen Wörterbüchern
nur Bask., S. 473. Man vgl. ferner Fista, Pika voeset (Zara
1909), S. 39, V. 5.: Mal mii mal, ky, raves s’ thepisme. Etymo
logisch gehört die Gruppe zu 1t. cippus spitze Säule aus Holz
oder Stein, urspr. Pfahl, ai. Sepa-h penis. (Uber die Verbreitung
der Sippe in den verwandten Sprachen cf. Walde, E. W. 121,
2 163; cf. auch Brugmann, Gr. 1 2 , 726, 801.) Als Grundform er
gibt sich demnach: *koipo-. Das alb. Wort stimmt also auch
in der Vokalstufe mit dem Ai. überein, während der Bedeutung
nach das Lt. nahesteht.
3erds, 3eres, 3ir rufe, schreie, lade ein.
Meyer, E. W. 90 setzt alternativ einen Stamm 3er oder
3ir an, ohne sich über die Etymologie zu äußern. Die Etymo
logie zeigt die Richtigkeit des ersten Gliedes der Alternative.
Das Wort gehört nämlich zur Basis idg. kor-, wovon r. soröka,
c. straka, lit. szarka, lett. sarke Elster (Walde, E. W. 143 ;
2 193). Die alte, auch im Sl. nachweisbare Parallelform mit su
(aksl. svraka) findet sich im Alb. gleichfalls: sore (Meyer, E. W.
390; Pedersen, K. Z. 36, 337). Bezüglich des Anlautes verhält
sich also der alb. Präsensstamm 3ir: alb. soie wie russ. soröka,
c. straka: akls. svraka. Zur Bedeutungsentwicklung unseres
Verbums (,krächzen, schreien') vgl. man gr. rpa^io schreien:
y.o(b'C,(ß krächzen. Die ursprüngliche Präsensflexion zeigt das
von Bask. S. 475 verzeichnete 3ir (bei Bask. gemäß dem da
selbst wiedergegebenen Sprachgebrauch geschrieben thirri cf.
rriedhi S. 381 (= derivare, trarre l’origine). Man vgl. übrigens
auch imper. 3ir bei Pedersen, Alb. Texte 13. Es handelt sich
also wohl um ein ursprüngliches n-Präsens nach Art von mar
nehme (ebd. S. 12). r entstand also aus rn, i aus e vor ur
sprünglicher Doppelkonsonanz. Da n ursprünglich nur im Prä-
Studien zur albanesisclien Etymologie und Wortbildung.
21
sens berechtigt war, erklären sich auch die Formen mit r wie
e dirmeja (hei Meyer, E. W. 90).
er m., ere f. Dunkelheit, Finsternis, u-er es wird Abend.
Die weiteren zur Sippe gehörigen Wörter hei Meyer,
E. W. 96. Das bei Meyer fehlende masc. er wird durch Bask.
103 bezeugt. Neben ere, er findet sich auch tere (Meyer, I. c.),
ter (Bask. 454; Jungg 156; Pekmezi, Gr. 276). Die Schreibung
ter mit nasalem e, die sich bei Meyer-Lübke, Gröbers Grundr. 2 ,
I,-1049 findet, ist in den genannten geg. Glossaren nicht bezeugt.
Damit wird aber auch die Herleitung des alb. ter aus lt. tene-
brae (so Meyer-Lübke, 1. c.; Pekmezi, Gr. 43, Anm. 6) zweifelhaft
und G. Meyers Ansicht, die die Formen mit t- durch Anwachsen
des Vorgesetzten Artikels erklärt, dürfte wohl das Richtige treffen.
Es fragt sich nun, wie er usw. zu erklären sei: gr. i'geßog,
got. riqis Finsternis. Grdf.: * erg™ mit rgv > r ganz ähnlich wie
auch rk zu r wurde (z. B. in sore, Pedersen, K. Z. 36, 337).
Die Ablautsverhältnisse sind denen des von gr. ogcpvg Finsternis,
Dunkelheit <[ orgu-sn- (so Hirt, I. F. 12, 226; Scheftelowitz, BB.
29, 17) vergleichbar, falls dies tatsächlich hieher zu stellen ist.
Eine andere Deutung von bgcpvr] zuletzt bei Petersson, I. F.
24, 273.
gatse glühende Kohle.
Das bisher ungedeutete Wort gehört zur idg. Sippe
gliher-jguhor- warm sein (in ai. ghrnöti leuchtet, glüht, aksl.
gorSti brennen, lit. gäras Dampf, lt. formus warm usw.) und
stellt in morphologischer Hinsicht das zu einem f-Partizipium
gebildete Kollektivum dar. Demnach ist als Grundform guhor-
t-iä anzusetzen. Die Behandlung von ti ist dieselbe wie in
mjattse Biene -< *melitiä (Meyer, E. W. 282) und dem unten zu
besprechenden gerutse neben geruse. Cf. auch geg. mal'tsl Gebirge
neben tosk. malest, r schwindet im alb. oft vor Spiranten und
Affrikaten; Beispiele hiefür wurden unter buze angeführt.
gdent behaue Holz, hoble, prügle; geg. Send, den n aushauen,
schneiden.
Nur das erstgenannte Verbum findet sich bei Meyer; Send
hingegen wird schon durch Bogdan, Cun. proph. I, 67, 19:
22
I. Abhandlung: Jo kl.
dendi state stüla excidit columnas septem, ferner durch Kristo
foridi, S. 87 (Send = gdend r.ikfd'Cu, Xotüj) und Jungg, S. 27
(dpin intagliare, scolpire) bezeugt. Ein weiterer Beleg bei
Kristoforidi, Gaja e mal’ssorevet, Tomori, Nr. 11, S. 3 ; Sp. 1:
öendni puslcete ,schießt die Büchsen ab‘, was gleichfalls auf eine
Grundbedeutung ,hauen, schlagen' schließen läßt; cf.: i ra djete
dufeks er schoß zehnmal auf ihn (Pedersen, Alb. Texte 111)
gegenüber: ra me grust ... er schlug mit der Faust . . . Meyer,
der allein gdent kennt — man beachte hingegen Kristoforidi,
der Lex. S. 60 gdent, nicht gdent schreibt 1 — stellt dies E.
W. 471 zu vge Aleppokiefer < lt. abiegnum. Allein abgesehen
vom semasiologischen Moment, spricht die Existenz von dent
gegen diese Erklärung, dent gehört zu au. detta aufschlagen,
niederfallen, datta schlagen, klopfen < germ. *dentan dantön
(Fick 3 4 , 200). In g zeigt sich dasselbe Präfix, das bereits
Meyer, E. W. 230 s. Icüron in kekür festgestellt hat und das
sich weiterhin auch in einer Reihe von unten zu besprechenden
Fällen wie gdin, kenak, knet, kd-iet, keeli und kek, kl’irte er
weisen läßt, g < k durch Assimilation an den folgenden stimm
haften Konsonanten. Meyer scheint 1. c. Entlehnung aus lt. co-
anzunehmen. Doch läßt sich eine solche Annahme nicht streng
erweisen. Die Verbreitung des Präfixes könnte auch an Ur
verwandtschaft denken lassen.
gdin, geg. gedj. mache Tag, beginne den Tag.
Im Skutar. gilt nach Bask. 122 gdi <[ *ko-di-nio : dihet
es tagt, diti. Tag. Die tosk. und die von Bask. für Skutari
bezeugte Form zeigen dieselbe Behandlung des Präfixes ko->
die bei gdent gezeigt wurde. Pedersen, K. Z. 33, 546 be
merkt, gegen die Zusammenstellung von gdin mit dihet spreche
der Umstand, daß Suff, g kaum anzusetzen sei. Das Wort
sei daher von dihet möglicherweise zu trennen. Bei Fest
stellung eines Präfixes ko- schwinden diese Bedenken. —
Kristoforidi gebraucht in der bereits zitierten Schilderung Gaja
e Mal'ssorevet, Tomafi Nr. 10, S. 1, Sp. 2 ein Substantiv gedim
Tagesanbruch.
1 gdent: gifent, (Send (Kristoforidi, Gaja e males., 1. e.) wie vent Ort: vent.
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
23
Geg. (skutar.) gsruss, gsress, lerüse, Jcrus Schabeisen,
lt. (bei Arnobius) grosa Schabeisen des Silberarbeiters.
Die Belege für die einzelnen Formen sind: gsruss gsress
Kristoforidi 62, 63, kruss Bask. 209, krüs Jungg 62; Meyer,
A. St. 5, 87. Am letzterwähnten Orte stellt Meyer skut. krüs
Reibeisen zu krus falte, runzle, dieses wieder zu ksrus biege,
was schon der Bedeutung wegen unzulässig ist. Lt. grosa findet
sich bei Arnobius 6, 14. Walde, E. W. 276, 2 354 vermutet
Entlehnung aus einer unbekannten Sprache. 1 Bedenkt man
nun, daß skutar. ü aus ö entsteht, daß auch sonst in der zu
gehörigen Sippe gr- mit kr- wechselt, daß für gr- auch gsr-
auftritt (Meyer, E. W. 130 s. griii: gsruaii kratze, schabe neben
kruan, kruj [geg.] dass.), so ist die Identität von skutar. kruss,
gsruss und lt. grosa in Laut und Bedeutung so vollständig,
daß Waldes Frage, woher das Wort dem Lt. zugekommen sei,
beantwortet ist, zumal gsress (so schreibt Kristoforidi 62) schon
von Meyer, E. W. 130 innerhalb des Alb. richtig angeknüpft
wurde. Das bei Arnobius überlieferte Wort stellt somit einen
der ältesten schriftlich fixierten Bestandteile des alb. Wort
schatzes dar. Es fragt sich weiter, wie sich die in der Über
schrift des Artikels genannten Substantiva formell zueinander
und zu den anderen Zugehörigen der alb. Sippe verhalten. Zur
Beantwortung dieser Frage ist es nötig, die verbalen Formen
des Alb. zu betrachten. Diese sind: gsruaii, kruan, geg. kruj,
kruej kratzen, schaben, grileii scharren, hacken, grien mache
urbar, gsrüj (geg.) schabe, auch gsriiej (Meyer, E. W., 1. c.;
Kristoforidi, 163, 179; Bask. 208). ua in gsruaii, kruan <( ö,
üe, ie in den anderen Formen <( e. Die beiden Gruppen ver
einigen sich also am besten, wenn man den bekannten alb.
Verbalablaut 1. e, 2. e ]> 5 annimmt. Die Etymologie bestätigt
diese Annahme. Cf. außer dem von Meyer, E. W. 130 Be
merkten-noch an. krota eingraben, < gi'd-, d. kratzen < gradj-
(cf. Fick 3 4 , 51; Kluge, E. W. 7 , 263 f.). Vom Aor. aus, wo
also e, alb. ö berechtigt war, wurde ein präs. auf -uan in der
selben Weise neu gebildet, wie dies Pedersen, A. T. S. 152
1 Das Wort gehört der Vulgärsprache an. Ein Verzeichnis der bei Arno
bius vorkommenden Vulgarismen, unter denen auch grosa genannt wird"
s. bei Stange, Beil. z. Progr. d. Gymn. zu Saargemiind 1892/93.
24
X. Abhandlung: Jo kl.
für das formell analoge Tuaj gezeigt hat, während die Formen
auf ie den urspr. Präsens-Vokalismus bewahren, geruse, gsrutss,
kriise und das von Arnobius überlieferte lt. grosa richten sich
nach dem Aoristvokalismus, gevese nach dem Präsensvokalismus.
Nach diesem Muster oder nach einem Muster ähnlicher Art kam
dann die Doppelheit der Nomina actoris wie kendes (Permet)
Hahn, ksndües (Mirsdita), knnues (Skutari) Sänger, Halm (Kristo-
foridi 151; Jungg 58; Bask. 196) zustande. Das Suff.-se, das
wir so erhalten haben, ist dasselbe, das schon in brese (s. o.)
abgetrennt werden konnte, also ein erweiterter ti-Stamm. Mit
-ti- gebildete Stämme werden auch im Sl. als nom. instr. ver
wendet: russ. rukojatb Handhabe, Griff.
gogsls Kugel, Ball, Gallapfel.
In der Bedeutung ,Kugel, Ball' ist das Wort schon bei
Bogdan, Cun. proph. I, 33, 2 belegt. Die Bedeutung ,Gallapfel'
bezeugt Bask., S. 128. Das Wort gehört zu lt. galla Gallapfel, 1
ai. gläu-h Ballen, Kugel, geballte Masse, ahd. chliuiva Kugel,
Knäuel (Walde, E. W. 259, 271 f.; 2 333, 347; Fick 3 4 , 58:
Wz. *gel[ii]). Alb. Grdf. *ga(l)-gal-nä. Der Ansatz eines Suff.-n-
und damit der Gruppe -ln- ist notwendig, da zwischenvokalisches
l zu l wird, während Ij bei Bogdan und im heutigen Skutar.
als j erscheint, z. B.: engije n. pl. die Engel (Bogd. Cun. proph. I,
13, 5). Im Suffix stimmt also das alb. Wort zu lt. galla *gal-nä.
Im übrigen ist *ga(l)-gal- eine Reduplikationsbildung nach Art
von ksl. praporz Schelle, cech. prdpor Fahne, ai. gdrgara-li Strudel
(Brugmann, Gr. 2/1 2 , 127f.; Vondräk, vgl. sl. Gr. 1, 497f.). Das
l der ersten Silbe schwand dissimilatorisch. Das scheinbar be
fremdliche intervokalische g weist also durch seine Stellung auf
den Ausfall eines vorhergehenden Konsonanten. Aber auch im
Vokal der ersten Silbe hat die Liquida eine Spur hinterlassen.
Alb. -o(l)- entstand aus -dl- mit Stoßton ebenso wie alb. -or- -dr
in sors Krähe: lit. szarka, r. soröka Elster (Pedersen, K. Z. 36,
1 Schuchardt setzt Zeitschr. f. rom. Phil. 29, 323, 324 wegen kat. gall
Wasserblase für lt. galla eine wahrscheinliche Grundbedeutung ,Wasser
blase* an, die auf schallnachahmendem glgl beruhe. Doch ist wohl bei
der Frage nach der Grundbedeutung und etymologischen Erklärung von
lt. galla Gallapfel das synonyme und dabei morphologische selbständige
alb. Wort eine nicht zu übersehende Instanz.
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
25
337). Zur gestossenen Intonation in der Reduplikationssilbe cf.
c. prdpor Fahne, s.-kr. präporac Schelle. —• Eine andere Redu
plikationsbildung im Alb. oben bei djad-e und unten s. popele. —
Unser Wort fehlt zwar bei Meyer im E. W., findet sich jedoch
A. St. 5, 78 nach Reinhold, Noctes pelasg., Ilpoopip.oe bei;. 64
zitiert, u. zw. nur in den Verbindungen: makarunde gogele
maccheroni alla napoletana (in Spezzia), makarunde gogelemse.
Zur etymologischen Erklärung fügt Meyer hinzu: ,Wenn man
die Bedeutung von goge als „plumper, ungeschickter Mensch“
(E. W. 126) erwägt, so wird man diese Bezeichnung der
dicken und kurzen neapolitanischen Maccheroni dahin beziehen
dürfen. goge-lemse wäre plumper Knäuel/ Diese Erklärung
wird aber als unrichtig erwiesen durch den alten Beleg gogel'e
bei Bogdan, 1. c. Mit goge — einem Worte lautnachahmenden
Ursprungs — ,Spitzname der Wlachen, Maurer, ungeschickter
Mensch' kann es demnach nichts zu tun haben, gogelemse bei
Reinhold ist nicht in goge-lemse, sondern in gogellemse zu
zerlegen, erweist sich also als eine Zusammenrückung, die nicht
,plumper Knäuel', sondern ,Kugelknäuel' bedeutet.
gründe, Jcrunde, krunde f. Kleie.
Meyer bemerkt E. W. 132: ,Es ist verführerisch, das
Wort mit ndd. grand Weizenkleie, grober Kiessand zu ver
binden, das zu ags. grindan, engl, grind ebenso gehört wie
asl. trice Kleie zu ter- reiben. Doch macht der Vokalismus
Schwierigkeiten.' In Wahrheit löst sich die Schwierigkeit, wenn
man eine Grundform ghriid- ansetzt, wobei -n- (wahrscheinlich
über -en-) zu -un- wurde. Denn derselbe Wandel läßt sich in mund
ich kann, strunge Abteilung des Pferches, wo Ziegen gemolken
werden, tunt, pass, tundem schüttle, bewege (s. u.) zeigen. Man
vgl. insbesondere noch lit. grendu, gresti reiben. Weiteres Uber
die Sippe bei Walde, E. W. 244, 2 316; Fick 3 4 , 340. Zu gr.
yeodg— däog Gerolle, Kies, das gleichfalls hielier gestellt wurde,
cf. jetzt Fränkel, K. Z. 42, 258 und Charpentier, K. Z. 43, 167.
gele Speise; cal. Leben; gelis leben, wohnen; gelin leben,
wohnen.
Meyer stellt E. W. 138 die Sippe als Entlehnung zu serbo-
kroat. jelo Speise. Zwei Umstände sprechen gegen eine solche
26
I. Abhandlung: Jokl.
Erklärung: 1. zeigen die Ortsnamen des heutigen Albaniens,
die slawischen Ursprungs sind, keine Vertretung des sl. j durch
alb. g. Nach der österreichischen Generalkarte von Europa,
1 : 200.000 seien genannt: Jagodina (Blatt Elbasan), Juraniste
(ebd.), Jalovec. (Blatt Prizren), Jelsani (Blatt Monastir), Jago
dina (Blatt Durazzo), Juga (Blatt Skutari). Man vgl. ferner
sichere Entlehnungen aus dem Sl., die gleichfalls anlautendes j
zeigen: jarins reif (skr. jarina, Meyer, E. W. 161), jarm Pflug
(big. janm, jarmo ebd.), juge Süd (skr. jug ebd. 164). 2. hat
geh, wie sich jetzt durch Veröffentlichung eines Stückes des
ältesten bisher bekannten alb. Denkmales, der Bibelübersetzung
des Dom Gon Buzuk v. J. 1555 (Tomofi Nr. 11, S. 3) zeigt,
gelin er lebt (3. Buch d. Könige 17, 24) neben sieb. Das Wort
kann einerseits von gale lebendig nicht getrennt werden, aber
ebensowenig von geh Speise, cal. Leben. Man vgl. nämlich
z. B. ital. vivanda Speise: vivere leben. (Bei Bogdan, Cun.
proph. I, 2, 5 entspricht einem alb. geh in der ital. Über
setzung vivanda.) So erklärt sich jetzt gelis leben, wohnen
(beide Bedeutungen Cun. propli. II, 3, 7) und gelin wohnen
(diese Bedeutung schon bei Bogdan, Cun. proph. I, 82, 11).
Die Bedeutung ,wohnen' (Bogd.) hat sich ans der Bedeutung
,leben' (Buzuk, s. o.) ebenso entwickelt wie bei russ. zitb leben,
wohnen, ziteü Einwohner. Einer Erklärung bedarf noch das Ver
hältnis des inlautenden Vokals von gah lebendig zu dem von
geh, gelin, gelis (gelis). Darüber gibt eben die jetzt ans Licht
gekommene Form gelin er lebt (Buzuk) Aufschluß. Es ist dies
nämlich eine Bildung mit -in, wie sie heute in einzelnen Dialekten
(Pekmezi, Gr. 184) und bei Bogdan und Blanchus häutig ist. Cf.
apih (Bogd. Cun. proph. I, 14, 14), Jidin (Blanchus 24), busih
(Bogd. 1. c. I, 43, 12), helien (ebd. I, 26, 36). Wie bei letzterem
Verbum (cf. Pedersen, K. Z. 36, 339) trat auch bei gelin ,er
lebt' Umlaut ein. geh Speise, Leben aber ist eine postverbale
Bildung wie z. B. Harte Streit: liertoh streite (Meyer, E. W. 220).
Tosk. gemp, best, gembi, gemp, gembi; geg. gern, gr. gl'imp,
siz. glembe f. Dorn; gep (Kavall.) Dorn, gl'ep Nadel.
Die offenbar zu einer Sippe gehörigen Wörter finden sich
bei Meyer, E. W. an zwei verschiedenen Stellen; während er
E. W. 140 gemp, gl'imp, glembe zu lit. gembe ein in die Wand
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
27
IS,
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er-
mn
cht
lies
ten
Cf.
sin
■em
,er
iale
30).
np,
sich
. er
and
geschlagener Nagel stellt, vergleicht er S. 138 glep Nadel zwei
felnd mit Kep nähe. Allein beide Deutungen sind unhaltbar.
Denn mit Rocht hat Pederscn, K. Z. 36, 334 gegen die Ver
gleichung von gemp usw. mit lit. gembe die Gestalt des An
lautes im gr.-alb., das auf ursprüngliches gl- weist, geltend ge
macht. Bestätigt wird der Ansatz eines ursprünglichen gl im
Anlaut durch das bei Kristoforidi S. 62 verzeichnete gern =
gern und dieses (S. 79) = gemp. Die Form gern gehört jenen
geg. Dialekten au, die in der Gruppe gl die Palatalisation des
Gutturals schwinden lassen (Pekmezi, Gr. S. 64). Die ganze
Sippe gehört zu lit. geliii, gelti steche, igelti einstechen, geloms
Stachel. 1 gemp, gemp (beide Schreibungen gelten für das Tosk.
nach Pekmezi, Gr. 246) < *gle-mo-. Das Bedeutungsverhältnis
zwischen gemp Dorn und lit. geliü stechen wird schon durch
das Denominativ gembon steche beleuchtet, findet aber auch an
skr. budlja Dorn, bbdem steche eine Parallele. Der Auslaut von
tosk. gemp, geg. gern ist ebenso zu beurteilen wie der von tosk.
tremp, geg. trem (1t. tremo): auslautendes m wird mp (mb-)
(Pekmezi, Gr. 23; Brugmann, Gr. I 2 , 908). Das Suffix des alb.
Wortes ist dasselbe wie in ai. flma-h Gang, gr. oiuog Bahn
(ai. iti er geht, gr. eint), gr. cploypög Brand: cpleyco, got. doms
Urteil, Gericht: Wz: *dhe- setzen, ahd. ström, nhd. Strom: Wz.
*sreu- fließen, gr. geco usw. (Brugmann, Gr. 2/1 2 , 246ff.). In
der gr. Form gl'imp, die den ursprünglichen Anlaut noch er
halten hat, ist inlautendes i aus ie entstanden. Siz. glembe ent
stand neben ursprünglichem *gfemp wie aste f. neben ast m.,
vjete neben vit, dja-9-e neben ursprünglich vorauszusetzendem
* djad- (s. o. s. djade). — Aber auch gep Dorn (so bei Kaval-
liotis, Meyer, A. St. 4, 9) ist hieher zu stellen. Denn den ur
sprünglichen Anlaut gl zeigt noch gTep Nadel (Hahn, Reise durch
d. Geb. d. Drin 158), deren Einreihung in die Sippe keinerlei
Schwierigkeiten bereitet. Dieses Anlautes wegen ist aber Meyers
Vergleichung mit Kep nähe aufzugeben. Im Suffix ist gep von
gemp verschieden; es enthält wohl ursprüngliches -ä/io-Suffix
(cf. lit. ddrbas Arbeit: daran, -yti, lit. garbe Ehre: giriü lobe,
pa-liaubä das Aufhören: liäuti aufhören, got. halba Hälfte,
1 Die weitere etymologische Verknüpfung der lit. Wörter ist strittig. Cf.
Boisacq, Dict. 6t. S. 118; Hirt, Abi. S. 87; Fick I, 4 404; Petersson,
I. F. 24, 259.
28
I. Abhandlung: Jokl.
Seite: lit. szalis Seite (Brugmann, Gr. 2/1 3 , 388 f.f, dessen
b(h), 1 in den Auslaut getreten, p ergab und hierauf verallgemeinert
wurde. Meyer nahm E. W. 138 an, gep Stachel, das er da
mals nur aus Thunmann 9 kannte, sei überhaupt Verwechslung
mit gemp. Allein durch den Abdruck von Kavalliotis (A. St. 4),
wo sich tatsächlich gep findet, hat er diese Vermutung wohl selbst
beseitigt. Bei gep Garnspule, kurzes dünues Röhrchen ist wohl
von einer Bedeutung ,spitzes Stückchen, Stock' auszugehen (cf.
etwa lit. akstis spitzes Stöckchen, gr. «x/g Spitze, Stachel, d.
Stecken, Stachel).
Tosk. gere, gere breit, geg. gane.
Die Schreibung der tosk. Form mit inlautendem e findet
sich bei Hahn und Meyer; Kristoforicfi schreibt jedoch gere, so
im Psalter, Ps. 104, 25; 119,45, ebenso Lex. S. 76. Auch tosk.
Schriftsteller schreiben gere, z. B. Esref Frassri (Diturija, 3 1, 97),
Lumo Sksndo (pseud. für Midhat Frassri): Liriia, Nr. 78, S. 3.
Das Wort gehört zu got. ]jana-sei)>s weiter, ag. sid lang, weit,
breit, ir. sith lange, lt. serus spät, mhd. seime langsam, träge
(idg. Wz. *sei- langsam, spät kommen, sich hinausziehen. Walde,
E. W. 567, 2 705; Fick S 4 , 439). Das alb. Wort weist auf eine
Ablautform mit Vokal a.
gize Käse, Topfen; gelabte Milch.
Die letztere Bedeutung ist skutarinisch nach Rossi (dziz)
und nach Bask. 143. Das Wort gehört zu lt. serum Molke,
Käsewasser, gr. dgög Molken, ai. sard-li flüssig, r schwand vor
z wie in buze (s. o., wo auch andere Beispiele für diese Er
scheinung). Das Suffix stimmt mit dem von buze, bboze überein.
Urspr. s > tj wie regelmäßig vor betontem Vokal, ie i wegen
der ursprünglichen Doppelkonsonanz. In sachlicher Beziehung
gilt dasselbe wie für djade. Gerade die für gize noch belegte
Bedeutung ,gelabte Milch' erweist die Richtigkeit der oben
s. djade Schräder entnommenen Ansicht von der ursprünglich
noch völlig primitiven Bereitungsart des Käses.
1 Cf. unten s. äkel'p.
2 Diturija. E pErkohssme sk'ip literare oe diturake. Seismik 1909.
Stadion zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
29
(jole Platte, auf die man Viehsalz legt.
Das Wort gebraucht Naim Be Frassri in seinem länd
lichen Gedicht Bagetf e Bujkssija (mir nur in dem Abdruck in
der Zeitschrift Lirija zugänglich, hier Nr. 84, S. 2, Sp. 3). Auch
Kristoforidi verzeichnet das Wort in seinem Lex. für Permet
(S. 82), ebenso Bask. 143. Das bisher ungedeutete Wort gehört
zu lit. sülas Bank, as. selma Brett, aksl. sleme Balken, die auf
einer Grundbedeutung ,Brett' beruhen (Walde, E. W. 581, 2 722;
J. Schmidt, Vokalismus 2, 78). Alb. Grdf.: * seid.
liidite (Bog'd.) pl. Brennessel, gr. liid■, geg. h\d Nessel; geg.
liidun, idv-n, tosk. hidurs, hiäete, idsts bitter, iäenoj, idsroj
erbittere, ärgere.
Durch das von Bask. S. 160 angeführte lut) wird Hahn,
der für die geg. Form des Wortes gleichfalls Nasal an gibt,
jedoch Stud. II, 147 nur die Deminutivform hissl, hid-es ver
zeichnet — was übrigens Meyer, E. W. 152 richtig in h[Q-st,
h{d-e!} ändert — ergänzt. Welches die ältere Lautgestalt sei,
insbesondere welches der ursprüngliche Auslaut sei, zeigt
Bogdan, Cun. proph. I, 48, 5 durch die oben angeführte Form
h\dits (geschrieben hijndite), eine Form, die den Lexikographen
bisher entging. Somit ist & in geg. h\d-, gr. hi& ursprünglich
nur -im Auslaut berechtigt und von da aus verallgemeinert.
Dies ermöglicht .aber weitere Anknüpfung: ai. inddhi: entzündet,
entflammt, gr. cu-doj brennen, aisl. eisa < * aidhsä glühende Asche,
ahd. esset, nhd. Esse usw. (Walde, E. W. 10, 2 14; Boisacq, Dict.
et. 23). h ist unorganisch wie in her de Hode für erde: gr. oqxi$
(Meyer, E. W. 151); in der Tat zeigt die gleich zu besprechende,
hieher gehörige Wortgruppe auch einen Anlaut ohne h. Zur
Bedeutungsentwicklung von h\d- vgl. man d. Brennnessel. —
Hier ist auch anzureihen: geg. idune, tosk. idsts, daneben geg.
hiöun, tosk. hidste, hidurs bitter, geg. idenim, hidsnöm, tosk.
idsrim Bitterkeit, Zorn, Trauer, Ärger. Meyer, E. W. 157 stellt
diese Wörter zu aksl. jeza morbus, slov. jeza Zorn usw., indem
er sl. -enz- unmittelbar alb. id- gleichstellt, demnach für die
sl. Wörter g oder gh annimmt. Allein dagegen spricht die Natur
des z in aksl. jgza, in den glagol. Denkmälern jedza. Dies kann
aber nur aus g entstanden sein (Vondrak, Altkirchensl. Gr. 135).
30
I. Abhandlung: Jolcl.
Man ist daher genötigt, falls man die Verbindung von alb.
idsrim usw. mit sl. je za, lett. igstu, igt innerlichen Schmerz
haben, verdrießlich, mürrisch sein, aisl. eklee Schmerz aufrecht
erhalten will, Wechsel zwischen palatalem und velarem Guttural
anzunehmen (so Brugmann, Ber. d. Sachs. Ges. 1897, 38 u. 31).
Pedersen hat wahrscheinlich darum K. Z. 36, 326 die Ansicht
ausgesprochen, man könne die alte Etymologie von idste immer
hin durch eine gleichwertige neue ersetzen. Dazu kommt noch,
daß die Sippe von jeza, lett. igstu usw. im Alb. eine auch im
Guttural übereinstimmende Entsprechung hat (s. unten kek).
Dies macht die Trennung des alb. idste usw. von der balt.-sl.
Gruppe um so wahrscheinlicher. Der Verbindung von idste usw.
mit liid Brennessel, gr. aitho brenne usw. stehen hingegen
keine Schwierigkeiten im Wege; alb. d vertritt idg. dh. 1 Zur Be-
deutungsentwicklung des alb. Wortes ,bitter' gegenüber der Be
deutung der idg. Sippenvenvandten (gr. cuitio brennen, ai. inddhe
entzündet usw.) vgl. man aksl. gonkz bitter: goreti brenneD.
Die weitere Bedeutung der alb. Sippe ,Zorn, Trauer, Arger'
konnte sich aus der Bedeutung ,bitter, brennend' entwickeln.
Cf. außer d. erbittern — ärgern c. horSiti ärger machen, zornig
machen: horkij bitter — aksl. gort,Ja,, ferner p. najqtrzyc er
bittern, in Zorn bringen: aksl. obptriti entbrennen lassen, lit.
ciitrüs bitter, brennend im Munde (Berneker, E. W. 269).
hur de geg. Teich, Zisterne, Sumpf; tosk. mit Wasser gefülltes
Loch.
Die geg. Bedeutungen nach Baälc. S. 163, die tosk. nach
Kristoforidi 481. Von den bei Meyer, E. W. 154 angeführten
Bedeutungen weichen diese insoferne ab, als die obigen, von
Albanesen verfaßten Wörterbücher die Bedeutung ,tiefe Stelle
im Fluß' nicht kennen. Auch ist, wie jetzt aus Kristoforidi
hervorgeht — 1. c. wird es für Berat angeführt — hurde auch
tosk., nicht nur, wie Meyer angibt, geg. Das Wort gehört
1 Falls man die von Meyer, A. St. 3, 29, 30 vovgeschlagene Fassung der
Vertretung von idg. d 'und dein damit im Alb. zusammenfallenden dh
annimmt, wonach nach n immer d, niemals d erscheint, so wäre in geg.
hi&, hlSite (Bogd.) d aus Fällen wie iäun verschleppt. (Die Sippe ent
hält ja auch in den verwandten Sprachen Wörter mit Nasalinfix und
solche ohne Nasal.)
Studien zur albanesischeu Etymologie und Wortbildung.
31
zu apr. wurs Teich, lit. jüres Meer, lett. jtir a Meer, avest. vairi
See, ai. vär(i) Wasser (idg. *[e]uer- Wasser: Walde, E. W.
691, 2 860). li ist wie iu herde, hidete hut (s. u.) zu beurteilen.
Im Suffix vgl. mau laper-d-i (s. u.) und das bei buzs Bemerkte.
hut vergeblich, leer, eitel; liutoj verzögere, halte hin; ver
dumme, betäube; me u hutue albern, töricht, bestürzt werden,
hingehalten werden; (h)utuem albern, töricht.
hut vergeblich, leer, eitel, bei Meyer und Kristoforidi
fehlend, findet sich bei Bask., S. 163. me u hutue gebraucht
Fiäta in der Lahuta I, S. 22 1 (,bestürzt werden'). Ferner ver
zeichnen es Bask. 164 (u. zw. auch in der Bedeutung ,albern,
töricht werden'), Jungg 48; liutoj in der Bedeutung ,verzögern,
hinhalten' bei Bask. 164; ,verdummen, betäuben' bei Kristo
foridi 481. Die von Meyer, E. W. 155 angegebenen Bedeutungen
(,sperre den Mund auf, gaffe verwundert, verdumme') bedürfen
also einer wesentlichen Ergänzung. Alle erwähnten scheinbar
so verschiedenen Bedeutungen lassen sich sehr wohl vereinigen.
Auszugehen ist von hut vergeblich, leer, eitel, das sich zu gr.
ai'cojg leer, vergeblich, eitel, cä’oiog dass., (fjsxög ohne Grund,
umsonst, (J-Jerdiffiog vergeblich, unnütz, got. au]>eis, ahd. odi leer
stellt. Das alb. hut stimmt mit gr. aVxutg, aiiaiog in der Be
deutung vollkommen überein und gehört wie die genannten
Wörter zu ai. ava, lt. au-, ve, pr. au-, aksl. u- weg (Brugmann,
Gr. 2/1 2 , 408; Froehde, BB. 20, 194; Boisacq, Dict. et. 104, 293;
Weigand, Deutsch. Wb. 5 , 2, 330; Walde, E. W. 51, 2 70). Auch
morphologisch herrscht zwischen aV-xug, aVaiog <Z av-x-iog,
got. usw. aupeis (cf. Schulze, K. Z. 40, 414, Anm. 1) und hut
Übereinstimmung. Dem Vokalismus nach steht hut zu den
angeführten Wörtern im Ablautsverhältnis; falls got. us-, uz-,
ahd. usw. uv- aus-, heraus, von — weg tatsächlich, wie Brug
mann, K. V. G. 468, 463; Holthausen, I. F. 17, 293 annehmen,
zu dieser Sippe aue- gehören (cf. aber auch W. Lehmann, Das
Präfix uz- S. 10), so wären sie bezüglich des Vokalismus mit
1 Lahuta e maltsiis. Känge kopuliere. Zwei Teile, beide anonym und
ohne Angabe des Ortes und Jahres erschienen. Verfasser dieser Gesänge
ist G. l iät a, Priester des Franziskanerordens in Skutari. Heft 2 ist in
Zara gedruckt.
32
I. Abhandlung: Jokl.
liut zu vergleichen. Das anlautende h ist unorganisch; Rossi
schreibt utuem (cf: den vorigen Artikel). Die weiteren Bedeu
tungen der Sippe fließen aus der besprochenen ,leer, eitel, ver
geblich, nichtig'. Die Bedeutung ,verzögern, hinhalten' ergibt
sich aus dieser ohne Schwierigkeit (,vereiteln'). Die Bedeutungs
entwicklung ,leer, nichtig, albern, töricht' (me u hutue, [hjutuem,
hutoj in der von Kristoforicli und Meyer angegebenen Bedeu
tung) findet an mhd. cede unbewohnt, leer, eitel, dumm, töricht
eine Parallele.
je f. Erlaubnis, Urlaub.
Pedersen, Festskrift t. Thomsen 253 findet Meyers Zu
sammenstellung (E. W. 162, A. St. 3, 40) mit 1t. jus Recht,
ai. yö-li Heil, Wohl wegen des Anlautes nicht zwingend (cf.
auch Brugmann, Gr. 1 277). Sichere Hinweise auf die Unter
scheidung von idg. i und j (halbvokalischem und spirantischem j)
im Alb., die Meyer 1. c. annimmt (alb. j, g), fehlen nämlich.
Bei Zusammenstellung mit ai. dvi-li günstig, dvah n. Befriedigung,
Gunst, Beistand, dvati freut sich, fördert, hilft, schützt, gr. ivr/fjs
wohlwollend, mild, carag Freund, Geliebter, got. avi-liuj) Gnade,
Dank usw. (Walde, E. W. 53, 2 71 f. idg. AVz. aue- lieb, gern
haben) erklärt sich das anlautende j als hiattilgend. Zur Be
deutung vgl. man alb. dasebs Erlaubnis (Pedersen, A. T. 115):
dasure geliebt, deisa liebte, ferner d. Erlaubnis, Urlaub: lieb
(Kluge, E. W. 7 , 118), mhd. gunst = Wohlwollen, Erlaubnis.
Alb. Grundform: au-ia mit Umlaut von a j> e.
jerm rasend, wahnwitzig (Bogdan); hjerm dass. (Rossi).
Bogdan gebraucht das Wort Cun. proph. I, 35, 11 (= it.
frenetico). E. W. 163 zitiert Meyer das Wort nach Rossi, gibt
jedoch keine etymologische Deutung: gr. dgwoa bin erregt
Jjoto erhob sich, 1t. orior sich erheben, got. rinnan rennen,
laufen ('Walde, E. W. 436, 2 547). Der Anlaut zeigt hiattilgendes
j, wie jap gebe neben ap (Pedersen, Festskrift t. Thomsen 247),
je Erlaubnis (s. o.). -m- ist dasselbe Partizipialsuffix wie in
den altskutar. Formen bäm, besuem, ngermuem (Bogdan, Cun.
proph. I, 22, 6), bim geboren, entsprossen (ebd. I, 83, 13), das
auch schon oben in burms festgestellt wurde. Es ist mit dem
Suffix in aksl. vezomz,, chvalimi, lit. vezamas, ai. ksämd-li ver-
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
33
kohlend, versengt, bhima-h furchtbar, lt. oplmus nährend, frucht
bar, fett, wohlgenährt gleichen Ursprungs und stellt wohl eine
lautliche Variante von -meno- dar (Brugmann, Gr. 2/1 2 , 232; K.
V. G. Ul), die ursprünglich nach Konsonanten, langen Vokalen,
Diphthongen berechtigt ist.
kande (geg.), kende (tosk.) Gefallen, Appetit.
Das geg. Wort verzeichnen Jungg, S. 54 (gesehr. känne);
Bask. 180 (cf. Meyer, A. St. 6, 6, 19), das tosk. Meyer, A. St. 5,
85. Meyer stellt an dieser Stelle das Wort zweifellos richtig
zu dem gleichbedeutenden ende und knüpft daran die Ver
mutung, es könnte aus Verschmelzung von ka enda es ge
lüstet mich, macht mir Vergnügen entstanden sein. Gegen
eine solche morphologische Erklärung — Zusammensetzung mit
ka hat — ergibt sich jedoch der Einwand, daß sie im Alb.
ohne Analogon dasteht. Es ist daher wohl Tätlich, auch in
diesem Wort eine Zusammensetzung mit dem bei gdent, gdin
bereits besprochenen und unten noch zu erwähnenden Präfix
ko- zu erblicken und es sohin auch morphologisch einem d. Ge
lüste gleichzusetzen, zumal Meyer, E. W. 5 auch andere mit
Präfix gebildete Sippenverwandte wie pren erquicke, gefalle,
prehern ruhe, habe Wohlgefallen nennt.
kapase Olfaß.
Das Wort bezeugt Pedersen, A. T. 54 (Glossar 139); es
gehört unmittelbar zu alb. kap fasse (cf. d. Faß, Gefäß: fassen,
d. Hafen: lt. capio, lt. capis, capedo Henkelschale: capio) und
des weiteren zu lt. caput-itis, ai. *kaput in kapucchalam Haar
am Hinterkopf, Schopf, aisl. hgfoü, got. haulip, ahd. houbit,
nhd. Haupt (die drei letztgenannten vielleicht durch Vermischung
mit einem zu ai. ka-ltubh- Spitze, Gipfel gehörigen Wort mit
«-Diphthong in der Wurzelsilbe: Brugmann, Gr. 2/1, 2 428; Bar-
tholomae, I. F. 5, 226; Walde, E. W. 96, 2 129, wo weitere Lite
raturangaben). Daß die zuerst genannten Wörter caput, hyfod
zu capio gehören, zeigt Johansson, Beitr. z. gr. Sprache 136.
Lt. capit-, got. haubip weisen gegenüber caput, ai. - kaput, die
den schwächeren Stamm kaput- wiedergeben, wohl auf einen
stärkeren Stamm *kapuot-, kapuet-, bezw. kaup-uet- (Brug
mann, 1. c.). Derselbe Stamm liegt dem alb. kapase zugrunde,
Sitzungsber. d. phil.-bSst. Kl. 168. Bd., 1. Atjb. 3
34
I. Abhandlung: Johl.
das also auf *kapuot-ia zurücfegeht. Da aber kapass etymolo
gisch nicht von alb. kap fasse, andererseits morphologisch auch
kaum von lt. capit-is, got. liaubip usw. getrennt werden kann,
die letztgenannten Wörter jedoch zur Sippe von lt. capio ge
hören, ergibt sich aus dem idg. Gepräge tragenden kapass der
Schluß, daß auch alb. kap idg. Erbwort und nicht Entlehnung
aus türk, kapmak fangen, erhaschen ist. Damit kommt Meyers
ursprüngliche Ansicht (BB. 8, 185) wieder zu ihrem Rechte,
während er E. W. 174 dem alb. Verbum fremden Ursprung
zuschreibt.
kap item atme schwer.
Das Wort stimmt in der Bedeutung vollkommen zu lit.
kiipüju, küputi schwer atmen, zu dem es im Ablautsverhältnisse
steht. Zur gleichen Sippe gehören (cf. Wiedemann, I. F. 1, 256)
gr. y.aicvöq Rauch, y.aniiu) hauche aus, lt. vapor Dunst, Dampf,
Brodem, got. afhapjan ersticken, lit. liväpas Hauch, Duft,
Wohlgeruch, kvepiü, -eti duften, kvepiu, kvepti hauchen, kvepä
der kurze Atem, aksl. kypeti sieden, c. hop et Ruß. Als alb.
Grundform ergibt sich: *k(u)ap-. Zum Schwund des u in der
Sippe vgl. man Hirt, Handb. d. gr. Laut- u. Formenl. 135, 144
und zuletzt Niedermann, I. F. 26, 46, wo weitere Literatur
angaben. Meyer vermutet E. W. 176 zweifelnd Entlehnung aus
ngr. xo'jrog Mühe. Allein einer solchen Herleitung widerspricht
die Vertretung dos inlautenden Vokals (cf, Thumb, I. F. 26,
S. 7 und 9). Morphologisch gehört das Verbum zu den zahl
reichen Zeitwörtern auf -is, welche Kategorie auch Erbwörter
ergriffen hat; man vgl. z. B. svaritem hänge herunter neben
svarem (Kristoforidi, Lex. 366).
lcarpe, karme Fels, Klippe.
Die Wörter bezeugt Kristoforidi, Lex. 144 für Dibra und
Baskimi 182, 183; sie stellen sich zu der besonders im Germ.,
aber auch in den anderen Sprachzweigen vertretenen idg. Wurzel
*(s)kerep-, einer Weiterbildung zu sker- (Fick 3 4 , 456). Cf.
insbes. norw. skarv nackter Fels, mhd. schrove, schrof, schroffe
Felsklippe, Steinwand, scliraf dass., lit. kerpit schneide, ai.
kppäna-li Schwert. Während die genannten germ. Wörter in
der Bedeutung vollkommen zu dem Alb. stimmen, vergleiche
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
35
man für das Bedeutungsverliältnis des lit. kerpit schneide zu
alb. karpe Fels lt. seco schneide: saxum Fels (Walde, E. W. 548
= 2 681). In morphologischer Hinsicht ist alb. Icarms <( *karp-n
mit m < -pn-, wenn anders die Schreibung bei Kristoforidi
richtig ist. Bask. schreibt neben Icarms allerdings auch karme.
Skrep, krep 1. Fels, fester Sandstein (diese Bedeutung
nach Bask. 426), 2. Abhang (so Meyer und Kristoforidi), zgrip
Rand sind gleichfalls hier einzureihen, skrep, zgrip enthalten
ts <( dis. Meyer, E. W. 205 zieht ital. greppo vorspringender
Fels heran, eine Deutung, die mit der hier gegebenen im
Grunde nicht unvereinbar ist — Meyers weitere Anknüpfung
des im Rom. fremden Wortes an ahd. klep Klippe müßte aller
dings aufgegeben werden — jedoch den Anlaut von slcrep,
zgrip unberücksichtigt läßt. In semasiologischer Hinsicht ver
hält sich zgrip Rand zu der hier besprochenen Sippe mit der
Bedeutung ,schneiden' (lit. kerpü) wie russ. ruhe, Rand: rubitr,
hauen, schneiden.
ksek, keik, kele böse, schlecht, zornig.
Seine ursprüngliche Deutung (E. W. 184: gr. v.uv.og) hat
Meyer, A. St. 5, 85 zurückgenommen und durch eine andere
ersetzt. Darnach soll das Wort aus lt. cadücus entlehnt sein,
indem keile die Grundform sei. Mit Recht wendet sich Pedersen,
K. Z. 36, 327 auch gegen diese Deutung, da sie des Vokals
wegen unmöglich ist. Denn um zu der bei Kavalliotis (Meyer,
A. St. 4, 59) verzeiclmeten Form keck zu gelangen, müßte man
von einem lt. *cadöcus ausgehen. Doch findet sich hievon
sonst keine Spur. In Wahrheit wird man für das Alb. von
ksek als Grundform auszugehen haben, da man, wie sich gleich
zeigen wird, von dieser Form sehr wohl zu keile, kek, nicht
aber umgekehrt von keile zu ksek gelangen kann. Trennt man
nun les-ele, so ist ke das mehrfach besprochene Präfix (: lt. co-,
com-)- -eie gehört zu lett. ignis sauer, böse, Murrkopf, igstu,
idfu, igt innerlichen Schmerz haben, verdrießlich sein, aksl.
jedza Krankheit (dz <( g), slov. jeza Zorn, p. j%dza Furie,
böses Weib, lt. aeger verstimmt, unwohl, krank, vielleicht
anord. ekln Schmerz, Betrübnis (Walde, E. W. 10 f., 2 14f.;
Berneker, E. W. 268 f.; Zupitza, Guttur. 161; Fortunatov,
Arch. f. sl. Phil. 11, 573). Aus den angegebenen Bedeutungen
3*
36
I. Abhandlung: Johl.
der Angehörigen dieser Sippe lassen sich auch alle weiteren
Bedeutungen des alb. Wortes, wie sie auch sonst verzeichnet
werden (z. B. Hahn, A. St. 2, 44: scharf von Essig und Hunden:
cf. lett. ignis sauer, böse, ferner Pedersen, Alb. T. 139: benem
kek ich werde krank: cf. lt. aeger), begreifen. Zur Zusammen
setzung eines Adjektivs mit ke vgl. man aus dem Alb. selbst
das unten zu besprechende lcdiel, ferner lt. concavus, compos,
concinnus, d. getreu, gesund, gerecht. Als Grundform des stamm
haften Bestandteiles ist wold -aigio- anzusetzen. K entstand im
Auslaut und wurde verallgemeinert. Aus keek entstand *keik
= geg. (Blanchus) keik vermöge Beeinflussung des e durch
nachfolgendes k wie sie auch im pl. stige: stek Durchgang,
brige: brek Ufer (Pekmezi, Gr. S. 57, 90, 285) zu beobachten
ist. Weiterhin entstand aus keek kek, ganz ebenso wie pül
Wald aus *peül <( lt. *padülem für palüdem (so schon Mik-
losich, Die rom. Elem. i. Alb., S. 46) oder das unten zu be
sprechende zi aus *zei. Wenn bei den enklit. Pronominal
formen me + e ma ergibt (Pekmezi, Gr. 132), so ist dies keine
Instanz gegen diese Erklärung von kek. Man beachte, daß es
sich bei me + e um enklitische, also tonlose Silben handelt,
während bei kek, pül, zi die zweite der zu kontrahierenden
Silben betont ist.
kenak befriedigen, ergötzen, vergnügen.
: lit. pranökti einholen, erreichen, lett. näku, näkt kommen.
ke- in kenak ist das schon des öfteren besprochene Präfix.
In semasiologiseher Hinsicht ist das Verbum nach der ge
gebenen Analyse eigentlich ,erreichen, zureichen, Zusammen
kommen', Bedeutungen, die leicht zu der oben gegebenen hin
überleiten: cf. lt. convenire Zusammenkommen, dann: passen,
befriedigen, ahd. biquämi passend, tauglich, nhd. bequem, ags.
gecweme passend, angenehm: got. qiman, nhd. kommen (Kluge,
E. W. 7 , 48; Fick 3 4 , 61), ferner d. hinreichend, zureichend =
genügend. Zur Entwicklung der Bedeutung ,ergötzen' aus der
hier angesetzten Grundbedeutung vgl. man d. Vergnügen: ge
nügen, mhd. vergenüegen, vernüegen zufriedenstellen (: ahd.
ginuog, got. ganöhs genug und weiterhin zu ai. ahiöti erreicht,
erlangt, lt. nanciscor Brugmann, K. V. G. 148; Walde, E.
W. 3 , 506).
Studien zur albanesisclien Etymologie und Wortbildung.
37
Jcem, kem Weihrauch, kenem, gnem dass.
kem ist die speziell skutar. Form, die durch Jungg, S. 56;
Bask., S. 189 bezeugt ist. Meyer, E. W. 222 führt geg. kem
an (cf. auch Kristoforidi, S. 184) und stellt dies zweifelnd zu
sl. (russ. usw.) cadz Rauch als *ked-mo. Da die idg. Wz. *quep-
(gr. 'mttvog, lt. vapor, lit. Icvepiü dufte) im Alb. vertreten ist,
u. zw. durch kapitem (s. o.), hingegen eine Wz. *ked- allein
stünde, so empfiehlt es sich wohl, auch kem, kem zu jener
Basis zu stellen. Grundform k(u)ep-no. Dies hat den weiteren
Vorteil, daß die angesetzte Grundform auch im Suffix mit gr.
v. a/rvdg Rauch stimmt, pn > m wie in gume Schlaf: Vrtvog. Sema-
siologisch ergeben sich keine Schwierigkeiten. Zur Ablautsstufe
vgl. man insbes. lit. kvepiii dufte. Die Behandlung des Anlautes
k(u) ist dieselbe wie bei kapitem (s. o.). Skut. kem verhält sich
zu sonstigem kem wie skut. det zehn zu sonstigem djete.
Meyer führt E. W. 222 unter kem auch das von Blanchus
S. 178 bezeugte gnem tus an, freilich, ohne sich über das laut
liche Verhältnis zu kem auszusprechen. Nun bezeugt Kristo
foridi, Lex. S. 184 für Berat kenem. Es ist völlig klar, daß
dieses tosk. Wort mit dem von Blanchus angeführten geg. gnem
identisch ist. g steht für k im Anlaut, wie oft; e in unbetonter
Silbe wird auch sonst unterdrückt. Damit entschwindet aber jede
Möglichkeit, das Wort mit kem, kem zu vereinigen. Vielmehr
ist es in ke-nem zu zerlegen, worin ke das wiederholt erwähnte
Präfix ist. Berat. -hem: — nein bei Blanchus wie kem : kem,
det : djete. Etymologisch ist -nem, -nem aber nichts anderes als
der alb. Reflex von gr. Itveuog (mit Abfall des anlautenden Vo
kals, der auch sonst im Alb. zu beobachten ist: tete acht: dx-
rih, nder Ehre aus lt. honorem, nguste eng aus lt. angustus,
Pekmezi, Gr. 51). Uber die weitere Verbreitung der Sippe im
Alb. s. Meyer, E. W. S. 5 (qj) und oben unter kande, kende. In
semasiologischer Hinsicht vgl. man insbesondere sl. vonja Duft.
lc&iel adj. rein; k-d-iel, ked-iel, geg. kdlt heitere auf; djeste
echt, rein, unverfälscht.
Die Morphologie der Wörter wird durch Gegenüberstellung
einerseits von k&ied und djests, andererseits von Ic-diel und
siz. fjeye heiter, fjeyonem bei Schiro (= kdielloj erkläre bei
Bask.) klar. Denn k&iet neben fjeye zeigt in k das bekannte
38
I. Abhandlung: Jokl.
Präfix, wobei zu beachten ist, daß Kristoforidi, Lex. 149 ksdiel
als die tosk. Form angibt. Andererseits ergibt kdiel neben
djests die Abtrennung eines suffixalen -l- in -diel (wie gleich
unten gezeigt wird). Wir erhalten auf diese Weise als Stamm
alb. * De-, das Reflex der idg. Wz. (s)kei- ist, sich also zu
sl. sinqti erglänzen und wohl auch zu got. skeinan scheinen,
ai. chäyä Glanz, Schimmer (cf. Pedersen, K. Z. 36, 318; Hirt,
BB. 24, 263; PBB. 23, 353; Walde, E. W. 80, 2 107; Fick 3 4 ,
462; Feist, E. W. 237) stellt. Das Verbum kd-iel ist von einem
bei Budi und Bogdan noch erhaltenen und auch bei Bask. ver-
zeiclmeten Adjektiv kdiel ausgegangen, das idg. -?o-Formans
enthält (cf. sl. teplz warm, gnilz verfault, lit. putlüs aufgeblasen,
ahd. steigal steil; Brugmann, Gr. 2/1 2 , 362). Auch im siz. fjeys
ist dieses Adj. noch erhalten; siz. y <( l. Zur Zusammensetzung
eines Adj. mit ks vgl. man das oben unter ksek Bemerkte. Die
hier zu beobachtende Denominativbildung des Alb., die ohne
Hilfe einer io-Ableitung vollzogen wird, ist dieselbe, wie ein
zgat, ngat verlängere (: i gats lang), tsmal tue, daß die Sehn
sucht vergeht (; mal Sehnsucht), zbard mache weiß (: i bards
weiß), stervit gewöhne (:vjet Jahr). Cf. Pekmezi, Gr. 227. djests
enthält sio-Suffix. Man vgl. vjest e pars September; vjel' halte
Weinlese, Meyer, E. W. 475). Der Bedeutung nach verhält
sich djests echt, rein, imverfälscht zu kdiel heitere auf und
der Wz. skei- wie sl. cistz rein zu lit. skclistas skaistils hell
glänzend, hehr strahlend und der gleich bedeutenden Wz. sqei-
(Pedersen, I. F. 5, 73, Ark. f. nord. fil. 20, 283; Walde, E.
W. 97, 2 107; Berneker, E. W. 158, 122). — Während Meyer
im E. W. die eben besprochenen Wörter nicht deutet, hat
Bugge, BB. 18, 191 eine Erklärung von kdiel gegeben, die er
selbst als ,kühnen Versuch' bezeichnet. Das Verbum entstand
nach Bugge etwa in der Verbindung (boreanus) convertit
*diellan, was Alb. zunächst kerd diel ergab; dies sei zu ksdiel,
kdiel verschmolzen und später mit einem Objekt verbunden
worden. Doch dürfte es wohl schon die Existenz von djests
klar machen, daß hier keine Entlehnung vorliegt.
kl'irts Tal.
Meyer verzeichnet das Wort E. W. 192 ohne Erklärung;
in den später erschienenen A. St. 4 (Wortverzeichnis des Ka-
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
39
valliotis) bezeichnet er S. 76 das Wort als unklar. — Einen
Fingerzeig für die Erklärung gibt die Erwägung, daß Kaval-
liotis’ Wortverzeichnis einen alb. Dialekt wiedergibt, der die
Gruppe Guttural -f- l nicht erhält; cf. guhe Zunge (A. St. 4 37):
gr.-alb. glühe, liütk Schlüssel (ib. S. 67) gegenüber südtosk.
(Berat) MütS (Kristoforidi, S. 159), sl. kljuS. Somit ist der Schluß
berechtigt, daß in Hirte die Gruppe kl- nicht ursprünglich ist,
demnach zwischen k und I ein Vokal ausfiel. Mau kann also
in Hirte das öfter besprochene Präfix ke + li-r-te finden, worin
te das von Meyer, A. St. 2, 76 f. besprochene alb. Suffix ist
(cf. likte — l'ik böse, mager, aferte benachbart: afer nahe usw.),
das weiterbildend an Adjektiva gefügt wird. Das so erhaltene
-lir- stellt sich zu lett. leija Tal, das mit lt. lituus Krummstab
der Auguren, gekrümmtes Signalhorn, got. lipus, ahd.usw. lid
Glied auf eine Wz. lei- biegen weist (cf. Walde, E. W. 425,
345, 2 437, 533; Fick 3 4 , 365; Persson, Wurzelerw. 187; Jo
hansson, I. F. 19, 120 Anm.); alb. -lir- ist aus der Wurzel mit
-ro-Suffix gebildet wie gr. itLy.oög scharf, bitter (eigentl.,stechend'),
akol. pistn bunt: Wz. peik- stechen, sticken, ahd. muntar leb
haft, frisch, eifrig, behend, aksl. mgdrz: got. mundon sein Augen
merk auf etwas richten, gr. ya&eiv lernen (Brugmann, Gr.
2/1 2 , 349), aksl. hzdn wachsam: bzdeti wachen (ebd., Berneker,
Ei W. 105 ff.). Das Bedeutungsverhältnis von alb. k-Ur-te Tal,
lett. leija Tal und Wz. lei- biegen ist dasselbe wie jenes von
lit. lankä Tal, Wiese und lefikti biegen, lt. vallis Tal und Wz.
ual- biegen (cf. aisl. valr rund, lit. apvalils rund, Walde, E. W.
647), gr. äy/.og Tal: ßyxvXog krumm, ai. ancati biegt (Boisacq,
Dict. et. S. 7; Prellwitz, E. W. 2 , 4; Walde, E. W. 29, 2 40).
kmese, kemes, kames f. Hacke, Hippe.
Das Wort, bei Meyer, E. W. 193 unerklärt, stellt sich
zu alb. kep behaue Steine, haue aus (Meyer, E. W. 185; zur
Bedeutung cf. auch Kristoforidi 152), lit. kapöti, lett. kapät
hacken, hauen, lit. kaplys Hacke, aksl. kopati graben, hauen,
gr. OKärtTco graben, ayartavr] Grabscheit, Hacke (Solmsen, Bei
träge z. gr. Wortforsch. I, 196 f.; Prellwitz, E. W. 2 , 236;
Walde, E. W. 94fi, 2 127, 684). Alb. Grundform: *kapnetiä oder
*kopnetiä, in der pn, wie in gume Schlaf •< supnos: gr. Urrrog
m ergab. Das Suffix ist dasselbe wie in gerese, hrese (s. o.),
40
I. Abhandlung: Jokl.
ferner in tselese Stößel. *kopnetiä erweist sich als Bildung aus
dem Präsensstamm, wie ja auch gerese aus dem Präsensstamm
gebildet ist. Der zugrundeliegende Präsensstamm ist ein Nasal
präsens, wie es auch durch die verwandten Sprachen (cf. cecli.
kopnouti) belegt ist. — -ne- in * kapnetiä, kopnetiä entstand
aus -neu- (Typus: ai. strnö-ti, tanö-ti). Die idg. Flexion -neu-
-nu- dürfte also im alb. uniformiert worden sein.
knelem erhole mich, werde wieder lebendig.
Schreibung und Bedeutung nach Pisko, Handbuch d. nord
alb. Spi'., S. 77. Das Wort gehört als k-nel zu got. ganisan gesund,
gerettet, selig werden, ahd. usw. ginesan am Leben bleiben, ge
heilt werden, gr. vöazog Heimkehr, ai. Nüsatjäu Götterärzte
(Weigand, D. W. 5 , 1, 679; Prellwitz, E. W. 2 , 310). -net- < *nes-l-
mit sl > t wie in alb. kote Husten: aksl. Icash (Meyer, E. W.
195). Das Verbum ging wie kd-iei heitere auf (s. o.) von einem
mit Zo-Formans gebildeten Adjektiv aus. Bemerkenswert ist, daß
k- hier und auch in kenaU, kdiel ganz wie lt. cum, germ. (ja- der
Perfektivierung dient. Bask. 196 gibt als Bedeutung ,divenire
vivo c spien dente, rischiararsi' an, die sich mit der von Pisko
verzeichneten recht wohl vereinigt. Die Bedeutung ,glänzend
werden' beruht nämlich auf prägnanter Verwendung für das Feuer
oder die Sonne, ganz ähnlich wie das sippenverwandte nonv. nere
anzünden, Feuer anmachen, schwed. dial. nöra id. bedeutet, wäh
rend aisl. nera erfrischen, ernähren heißt (Meringer, Wörter u.
Sachen I, 168 f.). Man vgl. in semasiologischer Hinsicht noch aisl.
kveykva, kveikja (Feuer) anzünden, eigentl. ,lebendig machen' zu
got. qius lebendig, ahd. quec lebendig, nhd. keck (Kluge, E. W. 7 ,
236). Über die Grundbedeutung der Wz. nes- cf. Meringer, 1. c.
Das Alb. bietet also eine der Germ, und Ai. parallele Entwick
lung. Baskimis Schreibung knnell mit nn beruht auf etymolo
gischen Erwägungen; in der skutar. Aussprache, die Bask.
wiedergibt, unterscheiden sich nn und n in dieser Stellung nicht
(daher z. B. knim Studium bei Pisko, 1. c. S. 70 gegenüber knnim
bei Bask. 196, me snos heilen Pisko 71, snnos Baäk. 430.
kreme (geg.), kremte (tosk.) Feiertag, Festtag.
Meyer, E. W. 205 führt als tosk. Form kremte an. Doch
stimmen in der Schreibung kremte für das Tosk. zwei alb.
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
41
Autoren, nämlich Pekmezi, Gr. 252 und Kristoforidi, Lex. 176
überein. Die oben angeführte geg. kreme verzeichnet Jungg,
Fjal. 60 und Pekmezi, 1. c., während sich die bei Meyer an
geführte geg. Form kremte auch bei Basic., S. 206 u. zw. in
der Schreibung kremte findet. Meyer läßt das Wort ungedeutet.
Bugge, BB. 18, 168 vermutet Zusammenhang mit ahd. hirmen
ruhen, rasten. Doch ergibt sich gegen diese Deutung in sach
licher Hinsicht der Einwand, daß die Vorstellung des Feiertags
als Ruhetags jüdisch-christlich ist. Man müßte also für das
Wort eine andere Bedeutung ansetzen, die dann durch christlich-
religiösen Einfluß modifiziert wurde. Es ist daher erlaubt, eine
andere Anknüpfung vorzuschlagen: as. hröm, ahd. hruom, nhd.
Ruhmj 1 aisl. herma berichten, melden, ai. kirti-li Erwähnung,
Ruhm, Kunde, car-kar-ti erwähnt, rühmt, gr. :ktjqv£ Herold
(cf. Osthoff, Etym. Parerga 35; Walde, E. W. 99, 2 132; Feist,
E. W. 145). Als alb. Grundform ergibt sich *krö-m-, die mit
as. usw. hrom im Suffix übereinstimmt (cf. zum Suffix des
germ. Wortes Brugmann, Gr. 2/1 2 , 249). Als Basis wäre hie
durch statt des gewöhnlich angesetzten qer-ä, worin ä nur auf
dem nicht eindeutigen Germ, beruht, qer-ö anzusetzen. Zu dem
bei dieser Deutung vorausgesetzten Bedeutungsverhältnis: Ruhm-
Fest, vgl. man insbesondere aksl. slavom dmz dies solemnis,
ö. slavnost Feier, Fest, Festtag, s.-kr. slävljenje das Feiern des
Hausfestes, alles zu slava Ruhm. — In der Motion folgt das
alb. Wort den Namen der Wochentage wie premte Freitag.
krip m. Haar.
Außer den bei Meyer, E. W. 206 zitierten Stellen (Scliirö
Raps. 58, Mitko) bezeugen das Wort noch: Marchiano, Canti
P°p., S. 54, Diturija I, 86, ferner wiederholt Bogdan. Das Wort
gehört zu lit. Icrypti sich drehen, wenden, kreipti drehen, wenden,
aksl. kresT, rgom'-j, temporum mutatio. Zur Bedeutungsentwicklung
cf. ir. folt Haar, kymr. gwallt Haupthaar, aksl. vlasz Haar, avest.
rardsa Haar: gr. elvio winden, krümmen, lt. volvo usw. (cf. Walde,
E. W. 688, 2 857). Das Haar wird also als ,Locke' bezeichnet.
1 Semasiologisch nicht wesentlich anders gestaltet sich die Etymologie für
das alb. Wort, wenn man mit E. Schröder (Z. f. d. Alt. 42, 67) as.
hrnm usw. zu as. hrbpan, nhd. rufen stellt. Alb. -m- w'äre dann < -bn,
cf. unten bei l’ume selig.
42
I. Abhandlung: Jokl.
Tier&ul Kreis, Garnwinde, Haspel; Jcerd-uloj (-eloj) umgebe,
umringe.
Schreibung und Bedeutung des erstgenannten Wortes nach
Kristoforidi, Lex. 186 (cf. auch Bask. 63). Meyer, E. W. 220
schreibt kerdsk (mit weichem l) und gibt als Bedeutung ,Kreis,
Reif, Garnschwinge an (was mit Garnwinde, Haspel wohl
nicht identisch ist). Meyer stellt das Wort zu dem aus circus
entlehnten Hark, indem aus dem Deminutivum *lcerk& über
*Kerd- kerdel — u. zw. unter Einwirkung von circellus, ngr.
■/.EQ/Jh — entstanden sei. Allein zunächst sprechen lautliche
Gründe gegen eine solche Erklärung. Bestehen doch Deminu-
tiva wie zok& Vögelchen: zok, mikd Freundchen: mik. Auch
in ujkik Fließ ist die Lautfolge k& erhalten. Es ist also nicht
einzusehen, warum nicht das von Meyer vorausgesetzte *lterkd-
neben Hark erhalten geblieben sein sollte. Des weiteren ist
auch die von Meyer — allerdings nur zweifelnd vermutete —
Einwirkung von lt. circellus, ngr. -xs'Qzeh mit den sonst zu
beobachtenden Tatsachen der Akzentuation nicht zu vereinigen.
Denn die lt. Paroxytona gehen mit unveränderter Betonung
ins Alb. über. Man denke an lt. honorem <( nder, lt. cornutus
>> kerute, lt. familia >• femije, südalb. femil'e. Kristoforidi 1. c.
gibt aber kerdul an, was also zu circellus nicht stimmt. End
lich stimmt auch die Bedeutung ,Garnwinde' nicht zu dem
angenommenen rom. Substrat. In Wahrheit handelt es sich um
den alb. Reflex der idg. Wurzel *qert-, *■ gerät- in gr. zügtalog
Korb, ai. kpidtti dreht den Faden, spinnt, aksl. kre(t)nqti
drehen, krctati biegen, lt. cratis Flechtwerk (cf. Walde, E. W.
148, 2 198). Die Bedeutung des alb. Wortes stimmt sehr wohl
zu der der genannten Sippe. Bezeichnungen der Haspel, Winde
sind auch sonst von Verba für ,drehen, winden' hergeleitet.
Man vergleiche außer d. Winde, s.-k. vitao: v'iti, c. krony <[
*kront-n-: aksl. krgtiti (Arch. f. sl. Phil. 28, 3). Das cech.
Synonym ist also mit dem alb. kerd-ul auch sippenverwandt.
In morphologischer Hinsicht enthält alb. kerd-ul Zo-Formans
wie z. B. alb. mjegule (cf. Brugmann, Gr. 2/1 2 , 362 und unten
s. mjergule), püe (s. u.). Im Suffix stimmt also kerüul zu
dem sippenverwandten ir. cert-le Knäuel, alb. rd <( rt wie
auch sonst.
Studien zur albanesisclien Etymologie und Wortbildung.
43
kipt Haufe.
Das Wort, das bei Meyer, E. W. 228 ohne Provenienz und
ohne Deutung verzeichnet wird, gehört nach Kristoforidi 188
dem südl. Tosk. (Berat, Permet) an. Es ist mit aksl. hupe
Haufe, lit. kaüpas dass., ahd. houf Haufe, Schar, nhd. Haufe,
ahd. hüfo Haufe verwandt. Speziell dem zuletzt genannten ahd.
Wort entspricht das Alb. in der Ablautstufe. Als Grundform
ist sohin anzusetzen: *küp-ijä. kipi steht für Jciipi und zeigt
den dem Südtosk. eigentümlichen Wandel von ü zu i. Daß
auch Bask., S. 66 i schreibt, vermag kaum zu beweisen, daß
auch das geg. i hat. Denn Bask. beschränkt sich (s. Vorwort,
S. VI) durchaus nicht auf den geg. Wortschatz, sondern über
nimmt auch vieles von Kristoforidi. Andererseits bezeugt Kristo
foridi das Wort nur für das Tosk. und Jungg, der nur den
geg. Wortschatz aufzeichnet, enthält das Wort überhaupt nicht.
Entlehnung, etwa aus sl. kupz, ist abzulehnen, da sl. u in der
weitaus überwiegenden Mehrzahl der Fälle im Alb. nicht durch
ü wiedergegeben wird. Dies zeigt folgende Liste: duf = sl.
duchö (Kristoforidi 106), juge = sl. jugz (Meyer, E. W. 164),
kurve — sl. kurva (ebd. 217), trup = sl. trupz (ebd. 438), runs
Lamm = serb., big. runo Flies (ebd. 371), rus blond (ebd.),
ugar Aufreißen der Brache = serb., big. ugar aufgerissene
Felder (ebd. 456), ul'itse (Kristoforidi 292) = sl. ulica Gasse,
übrige Zuflucht (bei Bada) = serb. briga Sorge mit sl. Präf. u
(Meyer, E. W. 455), strug Hobel — serb. strug dass. (ebd. 355).
Nur MütS, Mite Schlüssel (woraus dann Hüte, kejitif) und galige
Sumpf (bei Rada, s. u.) widersprechen scheinbar. Doch handelt
es sich in beiden Fällen um Wiedergaben von sl. lju (kljuS,
kaljuga). Es liegt also wohl Lautsubstitution von sl. lju durch
alb. tü vor; ein ähnliches Verhältnis besteht zwischen d. ü,
frz. u und russ. ju, das in Entlehnungen die genannten Laute
wiedergibt: r. Tjuringija Türingen, Ljubek Lübeck, kjuveta
cuvette-, südsl. Ij + Vokal und alb. mouilliertes l + Vokal waren
also nach Ausweis dieser Fälle zur Zeit der Aufnahme nicht
identisch. —- Zudem erscheint sl. kup tatsächlich im Alb. als
kup (s. u.).
44
I. Abhandlung: Jo kl.
Tabs Rinde, Kork.
Das Wort findet sich in der Zeitschrift Tomori, Nr. 2,
S. 4, Sp. 1, u. zw. in der Übersetzung des Plutarelfischen
Pyrrhus von Doke Suis. Im Gr. entspricht cploiög. Etymo
logisch gehört das Wort zu 1t. liber Bast, r. lubz Innenrinde,
Borke, Bast, pr. lubbo Brett, lit. lubä Brett, lübas, löbas Baum
rinde, lett. lublt schälen, luba lange Dachschindel (cf. Feist,
E. W. 175; Walde, E. W. 335, 2 425 f.; Fick 3*, 376), mit
denen das alb. Wort ablautet. Alb. Grundform laub-, idg. Basis
hubh-, löubh- (cf. Brugmann, K. V. G. 88; Wiedemann, Handb.
d. lit. Spr. 14). Einigermaßen befremdlich könnte nur die Er
haltung der intervokalischen Media im Alb. scheinen. Doch ist
wie bei degs f. Ast, Zweig <( einem urspr. masc. *dvoighos von
einer männlichen Grundform *laubhos auszugehen (cf. oben s.
djad-e). Im grammatischen Geschlecht stimmte also das Wort
ursprünglich mit r. lubz, got. laufs Blatt überein.
Taj bezahle (eine Schuld); Tarn Bezahlung; perl'aj beraube;
bl'ej, bien, bl'e kaufe.
Taj bezahle (eine Schuld) fehlt zwar bei Meyer, E. W.,
wird jedoch von Kristoforidi, S. 195; Bask. 221; Pisko 143;
Meyer, A. St. 6, 14 verzeichnet. Das Wort ist zwar äußerlich
mit Taj wasche zusammengefallen, ist jedoch, wie die Bedeutung
und insbesondere der sogleich zu erörternde Zusammenhang
mit psrTaj beraube lehren, anderen etymologischen Ursprungs;
es ist urverwandt mit lt. luo büße, bezahle, mit dem es in der
Bedeutung vollkommen übereinstimmt. Über die Sippe dieses
Verbums in den verwandten Sprachen cf. Walde, E. W. 354,
2 447; Weigand, D. W. 5 , II, 84, 85 (gr. Xvco löse, Xvtqov Löse
geld, got. fraliusan, ahd. farliosan verlieren, got. laus los, leer,
eitel, nichtig, ahd. lös frei, ledig, beraubt, mutwillig, ags. leas
leer, beraubt, ahd. losan mit Geld lösen, bezahlen für etwas
usw.). Zu lt. luo steht alb. Taj <( * lau-nio im Ablautsverhältnis,
während got. laus, ahd. lös, got. lausjan — die Weiterbildung
mit s zeigen — auf derselben Ablautstufe stehen. Ahd. lös
mit seinen Bedeutungen ,frei, ledig, beraubt' und ags. leas, das
,leei', beraubt' bedeutet, zeigen aber auch deutlich, daß alb.
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
45
perl'aj beraube ihrer Sippe anzureihen ist. Meyer verbindet
dieses Wort E. W. 237 mit laj wasche, bade, was aus semasio-
logischen Gründen nicht angeht. 1 — Die Existenz von l'aj be
zahle eine Schuld vermag auch auf bien, blej, ble kaufe Licht
zu werfen. Zwar hat Meyer, E. W. 39 das Wort aus lt. able-
vare hergeleitet, allein diese Deutung ist nach Pedersens Aus
führungen (Rom. Jahresber. 9, I, 210) kaum mehr haltbar, bl'e
vielmehr als b-le ■< leu- eigentlich ,daraufzahlen, entgelten'.
Das anlautende b- ist die Präposition mbe, me, die dieselbe
Behandlung zeigt wie in bele-d sammle (Kavalliotis; Meyer,
E. W. 265, A. St. 4, 80), brenda neben mbrenda drinnen (cf.
über die Zusammensetzung Pedersen, Rom. Jahresb. 9, I, 213),
skutar. binem erstaune: tosk. mbin, geg. pi mache starr
(Meyer, E. W. 265); analog wird auch anlautendes n behandelt,
d. h. es schwindet, eventuell nachdem es einen folgenden
tonlosen Konsonanten tönend gemacht: digoii, degon höre aus
lt. intelligo (Meyer, E. W. 66), der, ger neben ndjer (s. u.).
Durch die hier gegebene Erklärung wird auch die Bedeutung
der Komposita klar: Sperblen vergelte, ksespsrblim Vergeltung.
Deutlich tritt die ursprüngliche Bedeutung des Verbums in
bluam Aufgeld (Kavalliotis), eigentlich ,Aufzahlung' hervor.
Der Ablautstufe nach entspricht got. fra-liusan. In morpho
logischer Hinsicht ist von ble (cf. Pedersen, Alb. T. 12;
Pekmezi, Gr. 233) auszugehen; b-le <( -leuö. Der allgemeinen
Tendenz der alb. Verba folgend, geriet das Wort (cf. Pe
dersen, 1. c.) in die «-Konjugation und wurde so Verba wie
pal'Uen im Ausgang angeglichen; daher die Abstraktbildung
lcsesperblim = pelUim. Nach dem Muster solcher Fälle, wo
Abstrakta auf -im neben solchen auf -üam stehen (cf. e selbueme,
Kristoforidi, Lex. 386 neben Sel’bim), wurde dann zu -bl’im
bluam gebildet.
1 Die von Papahagi, Jahresber. d. Instit. f. rumän. Spr. 14, 164 angeführten
parallelen rumän. Redensarten (drum. M’am sjjälat de datorie, arom. mi
lai di borye parallel zu alb. l'aj dttürent) beruhen auf Beeinflussung der
inneren Wortform des rum. durch das alb. Die anderen Balkansprachen
kennen keine ähnliche Ausdrucks weise. Analoge Erscheinungen sind
auch sonst im rum. nachweisbar. Man vgl. die Entstehung der Bedeu
tung von rum. lume Welt (nach aksl. svetz Licht, Welt, Pu^cariu, Et. W.
d. rum. Spr. S. 97, Nr. 1127).
46
I. Abhandlung: Jokl.
Taps Bauchfell der Sclilachttiere; Tsplj meißle; Täte kleine Axt.
Die beiden erstgenannten Wörter, die von Kristoforidi,
Lex. 197, 204 angeführt werden, gehören zu gr. Xstcco schäle,
Uitog n- Rinde, Schale, Fell, Xoizog dass., Xonlg Schuppe, slov.
lepen Blatt, r. lepenr, Stückchen, Fetzen, Rest, Abschnitzel, lit.
läpas Blatt, Laub (cf. Prellwitz, E. W. 2 , 265; Walde, E. W.
335, 2 425 f.). Gl. Meyer hat zwar E. W. 236 mit gr. Xsttw alb.
TaJcur nackt verbunden; allein diese Gleichung besteht nicht
zu Recht, da gr. Xenu> und seine Sippe nicht Labiovelar, sondern
Labial enthalten. Dies zeigen deutlich die oben angeführten
balt.-sl. Entsprechungen. 1 — Zu Taps gehört aus dem alb. leplj
meißle (geg. und tosk.; für das geg. ist wegen des bei Kristo
foridi 204 bezeugten aor. Tsplna von einem präs. Tepij auszu
gehen. Cf. auch das tosk. Partizipium Tspirs). Zur Bedeutungs
entwicklung von Tsplj meißle gegenüber gr. Xenix) schäle vgl.
man 1t. scalpo meißeln, kratzen, ritzen zu d. Schale, schälen
anord. slcilja trennen, scheiden. Am besten wird man daher
für die Basis lep- von einer Grundbedeutung ,spalten, trennen'
ausgehen, aus der sich dann auch die Bedeutung von Taps Fell
(spez. Bauchfell der Schlachttiere) ebenso erklärt wie die von
scortum Fell, Leder, ai. kftti-h Fell: Wz. sqer scheiden, schneiden
(ahd. sceran usw.), gr. ösQpa abgezogenes Fell, Haut: ai. dpidti
spaltet, gr. dsQto schinde (Walde, E. W. 143, 2 192). In morpho
logischer Beziehung ist Tepij (Tepij) meißle ebenso zu beurteilen
wie das von Pedersen, Rom. Jahresber. 9, I, 211 besprochene
Tspih lecke. Hier ist auch Täte kleine Axt, Hacke anzureihen.
Das Wort fehlt bei Meyer, findet sich jedoch bei Bask. 226;
Kristoforidi 199. Meyer führt E. W. 60 nur das Denominativ
TatoTi an, das er zu dalts Meißel = rum. dalta aus aksl. dlato
stellt. Allein Tatoh gehört als Denominativ natürlich zu Tate,
nicht zu dalts. Es liegt nun kein Grund vor, Täte als direkte
oder indirekte Entlehnung aus dem Slav. aufzufassen. Den
Wandel dl j> gl (cf. Pedersen, K. Z. 33, 545; Bugge, BB. 18,
1 Hingegen gehören Valeur nackt, Ve7cuv£, Vikare, skut. Vlcur f. Haut, Fell,
Leder, Baumrinde, Schote zu aksl. Iqcq trenne, gr. XcocCg f., Xdxog n.
Fetzen, Xaxßco zerreisse, lt. lacinia Zipfel (eig. ,Fetzen 4 ), lancino zer
fleischen, zerreissen usw. (cf. Prellwitz, E. W. 2 , 258; Walde, E. W.
317, 2 403).
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
47
167; Meyer, A. St. 4, 81) haben, wie unten bei söge Wacht,
Turm (s. Teil II) gezeigt wird, auch noch Entlehnungen aus
dem Sl. mitgemacht. Man würde also für sl. dlato alb. *gTate,
* gute erwarten. Tate <T_ *lap-tä mit pt t (cf. unten s. ngris).
Die Bedeutung stimmt zu l'eplj meißle sehr gut; cf. gr. OKalig
Hacke: lt. scalpo meißle. Zum Suffix von Tate vgl. man das
für iote Erde, Welt Bemerkte.
l'aperdi schmutzige Rede; l'aparos beschmutze, stinke.
Die bei Meyer fehlenden Wörter verzeichnen Kristoforidi
198, bezw. 197; Bask. 226. Sie gehören zu ai. repali n. Fleck,
Schmutz, lepa-li das Bestreichen, der Schmutz, gr. Urcoe n. Fett,
hnagög fett, aksl. läpz Schmiere, Vogelleim, lit. lipszniis klebrig,
lt. lippus triefäugig (weiteres über die Sippe in den verwandten
Sprachen bei Walde, E. W. 343, 2 434f.). Idg. Basis leip-,
loip-, alb. l'ap- <f loip-. Zur Vertretung des Diphthongs oi im
Alb. cf. gal'me Seil, Spagat: got. insailjun (Brugmann, Gr. I 2 ,
183). Was die Bedeutung ,schmutzige Rede' betrifft, so ist
sie schon spezialisiert; denn der Ortsname L'aparda (Dorf nord
östlich von Berat; die österreichische Generalkarte 1 : 200.000,
Blatt Elbasan schreibt Ljaparda) berechtigt zur Annahme, daß
eine ältere, allgemeinere Bedeutung ,Schmutz, Schlamm' zu
grunde liegt. Man vgl. slawische Ortsnamen wie serb. Grezna,
r. Grjazb, Grjazovec, Grjaznucha, Grjaznoe, die alle zu ksl.
greza Kot, r. grjazb Kot, Schmutz, slov. grez weicher tiefer Kot,
Morast gehören (Miklosich, Slav. Ortsnamen aus Appellativen,
S. 27). Übrigens weist auch das Verbum Taparös beschmutze,
stinke auf die weitere ursprüngliche Bedeutung des Substantivs:
,Schmutz'. In morphologischer Hinsicht ergibt die Nebenein
anderstellung von Taperdi und Taparös die Teilung: Taper-Si.
Die Basis loip- ist also im Alb.' wie im gr. hrcagög mit Suffix
-aro- weitergebildet. Den Vokal des Suffixes zeigt außer Taparös
auch noch der Ortsname L'aparda. Das Endstück -dl aber er
weist sich wiederum als Konglutinat, wie dies aus dem Neben
einander Taper-dl — L'apar-da, ferner aus iieri neben Tier, kalt
neben hat hervorgeht. Man erhält also, da d in Taper-di aus
d nach r entstand, -d-l (= d-ijä). -d- vergleicht sich dem
slaw. Suffix -da :pravi>da, vrazbda. (Cf. über letzteres Brugmann,
Gr. 2/1 2 , 472.) Im Alb. selbst hängt mit dem Konglutinat -dl
48
I. Abhandlung: Jokl.
das Konglutinat -zl (rierszi, marezi) zusammen: -z < dj. Näheres
über die Art des Zusammenhangs bei zl.
laps wünsche, begehre.
Das Wort wird von Kristoforidi 198 für Tirana ver
zeichnet (fehlt hingegen bei Meyer, E. W.): idg. * leubh-, in got.
galaufs begehrenswert, schätzbar, wertvoll, ai. lubhyati emp
findet heftiges Verlangen, lat. lubido, libido Begierde, libet,
lubet es beliebt, aksl. ljubiti lieben usw. (Cf. über die Sippe
in den verwandten Sprachen: Walde, E. W. 336, 2 426; Feist,
E. W. 180.) Grundform des alb. Stammes: *laub-. In morpho
logischer Hinsicht ist vor allem zu beachten, daß alb. s nicht
urspr. s sein kann, sondern — da ja auch Entstehung aus
Labiovelar hier wohl ausgeschlossen ist — aus -ti- entstand.
Die Gruppe -bt-, -pt- ist nun im Alb. nicht erhalten geblieben,
sondern zu t geworden [cf. state sieben: lt. septem, Brugmann,
Gr. I 2 , 722, 971, ferner late (s. o.), ngris (s. u.)]. Andererseits
kann auch nicht angenommen werden, daß das auslautende b
der Basis und -ti- von altersher durch einen Vokal getrennt
waren, da ja dann b als intervokalisch ausgefallen wäre. Es
handelt sich also um eine analogisch entstandene verbale Neu
bildung. Wie neben rnbrap komme zurück mbraps (Kristoforidi
231), prapsem (Luino Skendo, Kendime, 1 S. 12) steht, so konnte
zu einem *lap laub- laps gebildet werden. Eine ähnliche
Bildung ist auch laps bin müde, überdrüssig.
laps bin müde, überdrüssig.
Zu gr. lanagög schlaff, weich, XarcolQu) (den Magen) leeren,
clkamxdvöc, schwach, elend, lit. cdpsti schwach werden (Weiteres
über die gr. Sippe bei Boisacq, Dict. et. 41; Persson, Wurzel-
erweit. 170, 226). Zur Bildung vgl. man das vorige Verbum.
l’en bin geboren, entstehe, lind gebäre, polem Volk.
Uber die Art des Zusammenhanges der beiden genannten
Verba, den schon Meyer E. W. 241 zweifelnd vermutet hatte,
vgl. man Pedersen, Alb. Texte S. 12. Daselbst wird auch die
Entstehung der ?i-Flexion von l'en erklärt. Sind nun len und
1 Kendime per slcolat e para prej Lumo SkEndo. Sel'anik, 1910.
Studien zur albanesisclien Etymologie und Wortbildung.
49
lind, wie Pedersen lehrt, nicht zu trennen und enthält (Peder-
sen, 1. c.) Teh lautgesetzlich geschwundenes d, so entfällt natür
lich Meyers Vermutung, daß Ten aus lt. levare entlehnt sei.
Das Wort ist vielmehr aus den Mitteln des Erb Wortschatzes zu
erklären: got. liudan wachsen, ahd. liotan dass., liut Volk, nhd.
Leute, aksl. ljudz Volk, lett. Taudis Leute, lindem verhält sich
zu l’en wie zgindem (Kavalliotis) zu gen. i in lindem ist also
wohl durch Analogie entstanden. Denn dafür, daß auch das aus
idg. eu entstandene alb. e vor Doppelkonsonanz, wie urspr. e zu i
wird, lassen sich andere Beweise kaum erbringen. — Zu den
genannten Verben gehört auch polem Volk (schon bei Bogdan)
mit derselben Bedeutungsentwicklung, die die sippenverwandten
sl. ljudz Volk, ahd. liut Volk aufweisen. Als semasiologische
Parallelen für polem Volk: Teil werde geboren, lind gebäre
seien noch genannt: sl. narodz Nation: roditi gebären, lt. natio :
nasci geboren werden, gens: gignere. po-l'em Heud-m- mit dem
Partizipialsuffix, das unter jerm besprochen wurde. Und in der
Tat liegt eine als Partizipium noch gebrauchte Form vor: l'em
ital. generato (Bogdan, Cun. proph. I, 8, 7). Meyers mit
Zweifel vorgetragene Vermutung, polem sei aus gr. rfölepog
entlehnt und bedeute eigentlich ,Verwirrung', ist semasiologisch
unbefriedigend und wird auch durch das sippenverwandte und
morphologisch gleich gebildete lerne ,Geburt' (in dieser Bedeu
tung nicht in den Wörterbüchern, jedoch in der Schrift: Fefs-
fejss a mssime myslimane . . . ksöümun skip ne dialekt t’Elba-
sanit prej J. H. M., S. 5), ferner ,Osten' (so Kristoforidi, Psalter,
Ps. 78, 26 und Lex. 203) widerlegt. Hieher gehört ferner Tes
der Erzeuger (Bogdan, Cun. proph. I, 8, 7)
Tes Wolle, Haar, Tete Mähne.
Meyers Deutung von Tes (: germ. Flies, mhd. vlies, ags.
fleos aus einer gemeinsamen Grundform *tleusi- E. W. 241)
wird dadurch unwahrscheinlich, daß ein Anlaut tl- für die germ.
Sippe nicht gesichert ist. Fick 3 4 , 255 stellt das germ. Wort
vielmehr zu lett. pluskas Zotten, lit. plüskos Haarzotten, Haar,
ir. luascach zottig. Thurneysen, I. F. 14, 128, dem hierin Kluge,
E. W. 7 , 477 folgt, verbindet mhd. vlies usw. mit mir. Io <( pluso-
Wollflocke, lt. pluma. Also enthält die Sippe von mhd. vlies
aller Wahrscheinlichkeit nach anlautendes pl. pl bleibt aber
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 1G8. Bd. 1. Abh. 4
50
I. Abhandlung: Jokl.
im alb. Anlaut erhalten. Es ist daher berechtigt, für alb. M
eine andere Anknüpfung zu suchen: ai. lava-h Schneiden, Ab-
schneiden, Abgeschnittenes, Schnur, Wolle, Haar; Abschnitt,
Stück, lavi-li Sichel, gr. latov dass. (cf. Petersson, I. F. 24, 268,
Fick 3*, 370, Walde, E. W. 354, 2 447). Alb. Grundform *leu-s-
mit s-Formans. Man vgl. die gerin. «-Weiterbildungen der ge
nannten Sippe: got. lausjan, ahd. lösjan, lösön usw. (Fick 3 4 ,
377 f., Walde, 1. c.). Über die Verwandtschaft von s-Formans
und s-Determinativ cf. Persson, Wurzeierweit. S. 89, Anm. 2,
Brugmann, Gr. 2/1 2 , 515, 538. Hier ist auch das bisher unge-
deutete alb. l'ete Mähne < *leu-t- anzureihen, das sich semasio-
logisch zu les Haar verhält wie frz. criniere Mähne: er in, 1t.
crinis Haar. Über weitere alb. Vertreter der hier behandelten
Sippe s. o. sub laj.
l'sngor biegsam (Rada).
Meyer, E. W. 244 stellt das Wort zweifelnd zu I'engon
sieche, leide (aus lt. langueo, -ere). Allein dies ist schon der
Bedeutung wegen unwahrscheinlich. Vielmehr gehört lengdr
biegsam zu lit. lenkti biegen, linkti krumm werden, aksl. lesti
biegen, Igki Bogen, lett. lukans biegsam (•<[ *lanlc- Bielenstein,
Lett. Spr. I, S. 140), gr. Xo^og seitwärts gebogen, lt. licinus auf
wärts gebogen (zur Sippe vgl. man Fick, BB 21, 276; Prell-
witz, E. W. 2 , 265, 274; Walde, E. W. 318, 2 ,405; Zupitza, Gutt.
69; K. Z. 36, 58 a). Im Suffix stimmen die gleichfalls cal. hje-
zor schattig: hie, gatulör langsam: gate überein. Ob dieses
Suffix lateinischen oder heimischen Ursprungs ist, ist schwer
auszumachen; jedenfalls ist auch die letztere Annahme nicht
völlig von der Hand zu weisen, da ro-Formans auch in Ta-
psrdl, L'aparda (s. o.) nachweisbar ist. -or < ä-ro könnte dann
durch Antritt des ro-Formans an ursprüngliche ä-Stämme und
Verallgemeinerung dieses Konglutinates erklärt werden. Ent
scheidet man sich für lt. Ursprung, so wäre Kontamination von
-nr und -tor, -tuar <C_ lt. -arius, -tore (cf. Meyer-Lübke in Grä
bers Grundriß 2 , 1, 1055) zu -or anzunehmen.
Zimonti Muße.
Meyer führt das Wort nach Rada an. Jetzt gebraucht es
Dok; Sule in der Übersetzung des Pyrrhus von Plutarch,
Studien zur albanesisclien Etymologie und Wortbildung.
51
Cap. 14 (Tomori, Nr. 6, S. 4 ; Sp. 1). Der Übersetzer dürfte
das Wort wohl den Schriften Radas entnommen haben. Kristo-
foridi und Bask. verzeichnen das Wort nicht. Meyer, E. W.
246 denkt zweifelnd an Herleitung aus ital. alimentäre (eigent
lich = ,Pensionär 1 ), was semasiologisch unglaubwürdig ist und
auch lautlich nicht stimmt. Es handelt sich vielmehr um ein
aus alb. Mitteln gebildetes Kompositum, dessen erster Bestand
teil ein Imperativ ist: *Ts-mon-t-i — ,Lasse-die-Zeit', worin Ts
imper. von Ts, mon- accus, von mot die Zeit ist. Dieselbe Akku
sativform findet sich z. B. i Ssrbeva mot e mon (Rada, Raps.);
ferner in cji&mon immer (Jeder Zeit' Pekmezi, Gr. S. 215, cf.
d. allweil). Auch sonst sind Zusammensetzungen mit Ts nach
Art der hier behandelten im alb. nachweisbar; z. B. 'geg. Tebarüt
(Meyer, E. W. 242), tosk. Tsbarks (Kristoforidi 201) Durchfall.
Das i der ersten Silbe in Timonti entstand aus s nach T wie
auch in cal. Tivere neben Teuere Lumpen, Fetzen (Meyer, E. W.
244), geg. Tivroj neben Tevroj, Tsroj pflüge, geg., tosk. Tisoj lasse
aus neben tosk. l'sSoj, tosk. Tikurs, geg. TiJcur Haut neben tosk-
Tekurs (cf. Pekmezi, Gr. 285). In der Bedeutung entspricht das
alb. Wort etwa einem frz. passe-temps. •—• Das unmittelbare Sub
strat des Substantivs auf i ist ein von H's-mon- gebildetes Adjektiv
auf -ste, wie Meyer, A. St. 2, 77 solche anführt: erste dunkel
neben ers, maimets fett, Targets neben Targe weit. Daß zwischen
n und t in Timonti ein Vokal ausfiel, ist weniger aus der Erhal
tung der Gruppe -nt Rada, Raps. 18 schreibt neben Timonti
auch kentuar — als aus morphologischen Gründen zu schließen.
Tum, Tunis, Tüms Fluß; l’iss, Tuss, Tüse Bach.
Meyer, E. W. 251 führt die Form Tüms aus Blanchus an.
Sie findet sich auch bei Bogdan, Cun. proph. I, 67, 19. Die von
G. Meyer, 1. c. gegebene Deutung O lt. flümen bezeichnet W.
Meyer-Lübke, Gröbers Gr. 3 I, 1047 als ,nicht ganz sicher'. In der
lat bereitet die Herleitung aus dem lt. 1. lautliche Schwierig
keiten. Der lt. Anlaut fl soll durch T vertreten sein, während
sonst lt. fl erhalten bleibt: fTok Flocke < lt. floccus, fTuturoj
fliege, flattere <( lt. fluctulare; die Schwierigkeit der Vertretung
des lt. ü in flümen (gegenüber gewöhnlichem u) geht aus Meyer-
Lübke, 1. c. hervor; 2. übersieht die Erklärung Turne <C flümen
das oben angeführte Tiss, Tuss, Tüse Bach. Die erstgenannte der
4*
52
t. Abhandlung: Jokl.
drei Formen führt Meyer, E. W. 247 nach Hahn, Reise durch
d. Geb. d. Drin, S. 24, jedoch ohne Deutung, an. Die öster
reichische Generalkarte von Mitteleuropa 1 : 200.000 verzeichnet
auf dem Blatte Prizren drei Wasserläufe dieses Namens. Hier
findet sich die Schreibung Ljusa (Ij = T, cf. Ljaparda = L'a-
parda) und Liisja. Stellt man nun die alb. Wörter zu cymr.
lliant Strom, Meer, aksl. hjq, lejo, gieße, lit. leju gieße, lytüs
Regen, got. leipu Obstwein, Wz. lei- (Walde, E. W. 337, 2 427;
Fick 3 4 , 364), so ergeben sich keinerlei Schwierigkeiten. Grund
form von liime, lume, Tum ist , eine Form, die im
Namen des Flusses Lim in der Herzegowina noch erhalten
ist. Das Suffix ist dasselbe, das in pol'em Volk festgestellt
wurde, ü in Tüm ist durch den nachfolgenden Labial hervor
gerufen. Beispiele für den Wandel i ß> u nach T geben Meyer,
E. W. 250 und Pekmezi, Gr. 56: Tule Blume ■< lt. Uli um ;
kolube Hütte, sl. koliba, Tuad- Wiese aus ngr. lißaÖL. l'iss, Tuss
weisen dasselbe Suffix auf wie brese, kmese, lt. grosa (bei
Arnob.). ü in Tüse entstand, wenn die Form tatsächlich zu
Recht besteht, wohl nach Tüm.
Tosk. Turne, geg. Tum glücklich, selig; geg. Tumni Seligkeit,
Ruhm, Glückseligkeit, Turnnoj preise Heilige oder Verstorbene,
rühme.
Weitere Angehörige der Sippe bei Meyer, E. W. 250; die
oben angeführten geg. Wörter wurden nicht nur mit Meyers
Bedeutungsangaben, sondern auch mit denen von Bask., S. 240
versehen. Die Sippe ist bei Meyer ungedeutet. Turne, Tum ent
stand aus lub-no und gehört zu ahd. lob Lob, Preis, Ruhm,
anord. lof Ruhm, lit. liaupse Lobpreisung, Lobgesang, liaupsinti
lobpreisen usw. (cf. zur Verbreitung der Sippe in den ver
wandten Sprachen Walde, E. W. 336, 2 426; Berneker, I. F.
10, 151 und oben s. Taps). Semasiologisch stimmt zu den an
geführten Wörtern insbesondere Tumni Ruhm, Seligkeit gut.
Die Behandlung von bn )> m ist nach dem Vorstehenden die
selbe wie die von pn (gume Schlaf <( supnos: gr. Vrtvos). Eine
solche Übereinstimmung in der Vertretung von bn und pn ist
auch von vornherein wahrscheinlich, da ja als Zwischenstufe
zwischen pn und m mn anzunehmen ist (Meyer, A. St. 3, 32)
und einer solchen Annahme bei bn noch weniger Hindernisse
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
53
im Wege stehen als bei pn. Auch im lt. werden pn und bn
in gleicher Weise zu mn (somnus <j suepnos, vgl. sopor, Sam-
nium, vgl. Sabelli). Morphologisch ist lum lub-no- eigentlich
eine Partizipialbildung: ,gelobt, gepriesen'.
l'ungs Geschwür, Entzündung der Mandeln.
Die Bedeutung ,Geschwür' verzeichnen Meyer, E. W. 53
und Bask. 241, während Kristoforidi, Lex. 213 die speziellere
Bedeutung ,Entzündung der Mandeln' angibt. Meyer, 1. c.
stellt das Wort zweifelnd zu bul'unge Beule am Körper und
in Metallgeräten und damit zu bul's Keim, Knospe <( lt. bulla.
Allein dabei bleibt die Behandlung der ersten Silbe unklar.
Das Wort gehört eher zu ai. röga-Ji Gebrechen, Krankheit,
rujä Bruch, Schmerz, Krankheit, lit. lüzti brechen (intr.), nhd.
Lücke, Loch, r. luznüH schlagen, stoßen (zur Sippe cf. Walde,
E. W. 352, 2 445). Das alb. Wort weist zusammen mit ai. röga-li,
rujä auf leu-g-, während die balt.-sl. Wörter leu-g- reflektieren.
Zur Bedeutungsentwicklung des Wortes (,Geschwür') gegenüber
den ai. ,Schmerz, Krankheit* vgl. man ahd. swero leiblicher
Schmerz, Krankheit, Geschwulst, Geschwür, nhd. Geschwür.
mar nehme, empfange, halte, fasse.
Meyer, E. W. 261 stellt das Verbum zweifelnd zu ai.
mj-iati berührt, wobei er alb. drits für *drste als lautliches Ana
logon heranzieht, mer- stünde für mers-. Allein in den nach
dem E. W. erschienenen A. St. 3, 14 zeigt Meyer selbst, daß
in drits nicht der Lautwandel rs, sondern Jet t vorliegt:
drits: ai. dpi-, gr. dsQ/co, ags. torht. Die Entstehung von r
<C rk ist demnach nicht wahrscheinlich gemacht. Übrigens ist
die Gleichung alb. mar nehme: ai. m/fäti berührt auch in
semasiologischer Hinsicht wenig befriedigend. Besser stellt man
darum das alb. Verbum zu gr. gagi] Hand (cf. Neisser, BB. 19,
121 f.), svfiaggq leicht zu handhaben, wobei dasselbe Bedeutungs
verhältnis vorliegt wie in gr. ’/ßio, alb. dore Hand: ai. hdrati
nimmt, hält, hdrah n. das Nehmen, der Griff, harana-m das
Nehmen, der Arm (Prellwitz, E. W. 2 , 504). Man vgl. ferner
das österr. Gr eifert = Hand, r in mar <j rn. Das Verbum ist,
wie Pedersen, K. Z. 33, 542 und Alb. T. 12 zeigt, eines der
54
I. Abhandlung: Jokl.
ältesten Nasalverba im Alb. Damit stimmt gut, daß nur das
Präsens und das Partizipium r zeigen. 1
mazs Rahm, Sahne; Haut auf der Milch.
Das Wort fehlt bei Meyer, findet sieh jedoch Bask. 257,
Jungg (maz) 76, Kristoforidi 217, der auch die letztgenannte
Bedeutung (ngr. za Ina) anführt; etymologisch gehört es zur
Sippe von alb. man mäste, maim fett, lt. madeo bin naß, gr.
uadaw zerfließe, löse mich auf, ai. meda-h Fett, msdha-h Fett-
brühe, kräftiger Trank, ahd. mast, nhd. Mast (Brugmann, Gr. I 2 ,
624). Grundf.: madiä. Da die Sahne den Fettgehalt der Milch
darstellt, ist die Bezeichnung semasiologisch leicht verständlich.
Zum Bedeutungsverhältnis ,Baut auf der Milch' gegenüber
jRahrn' cf. mhd. roum Sahne, nhd. Rahm gegenüber ags. reama
Häutchen (Fick 3 4 , 348).
Geg. mazi Furche; die bearbeitete Erde, die zur Aufnahme
der Saat vorbereitet wurde; Aufreißen der Brache.
Form und Bedeutung nach Kristoforidi 217, der ugar
als Synonym anführt, Bask. 257; Meyer, E. W. 264 gibt nach
Rossi mazie Furche an, läßt jedoch das Wort ungedeutet. Es
gehört zu Wz. mad hauend schneiden, schlagend brechen
(ahd. steinmezzo, lt. maialis verschnittenes Schwein <( madialis,
Sommer, I. F. 11, 265; Walde 361, 2 455). Zur Bedeutung vgl.
man gr. (pdnog Furche: cpäoio spalte, zerstückle, lt. ferio stoßen,
hauen, schlagen (Walde, E. W. 217, 2 283). An eine Grund
form * madiä )> *maze trat -i sekundär an, wie dies bei zi
näher ausgeführt wird. Dem Suffix nach vergleiche man das
synonyme vsri (s. u.). Den sekundären Antritt von -i zeigt
auch geg. l'eharlii Durchfall gegenüber tosk. Tsbarks.
mbüi, mbH schließe, verschließe, schließe ein.
Das Wort gehört zu lit. pilis Schloß, Burg, lett. pils dass.,
ai. pür Burg, befestigte Stadt, göpuram Stadttor, gr. nokig Burg,
1 Entfernter verwandt ist gr. fiägnzio fassen, das Pedersen BB. 20, 231
vergleicht. Über fidgij : fiäoTiru) cf. Brugmann, I. F. 18,131; Persson,
Wurzelerw. 62, über uänrnuy Kretschmer, K. Z 31, 392. Daß ufinalten
r-n-Stamm zeigt, ist nicht sicher (cf. Pedersen, K. Z. 32, 248).
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
55
Stadt, nvh] Tor, wobei ein ähnliches Bedeutungsverhältnis wie
zwischen russ. zamknütb verschließen und zämolcs Schloß, Burg,
ö. zamelt usw. anzunehmen ist. (Zur Sippe vgl. man zuletzt
Jacobsohn, K. Z. 42, 272 f.) In der anzusetzenden Grundform
stimmt mbül am besten zum halt. Worte: m-pV-, bezw. -pul 1 -.
Damit ist ein Beleg für die Vertretung von sonant. I im Alb.
gewonnen. Wie also in antesonantischer Stellung das sonant. r
durch ir wiedergegeben ist, so in der gleichen Stellung sonant. I
durch il. ü entstand aus i nach dem Labiallaut. Nebenformen
zu mbül führt Kristoforidi, Lex. S. 232 an. Von diesen ist
nur tosk. mbslün mit mbül, mbH etymologisch zu vereinigen.
Pedersen, A. T. 156 führt mbelij, mbtij an. s entstand in
unbetonter Silbe. Die von Pedersen angeführten Formen zeigen,
daß eine Verbalbildung nach Art der von Pekmezi, Gr. 134,
152 f. angeführten vorliegt. Hingegen gehören mbsiel] mbetSel,
mbertseb, meseV, die von Kristoforidi 1. c. gleichfalls verzeichnet
werden, sämtlich zu tsel'.
mbur lobe, mburem prahle, bin stolz.
Meyer, E. W. 55 stellt das Wort zweifelnd zu hur Mann,
Ehemann, das er wieder mit ahd. giburo Mitbewohner ver
bindet. Wiedemann, BB. 27, 219 hält jedoch die Verbindung
von mbur lobe und bur Mann für zweifelhaft und vermutet
Zusammenhang mit der von Miklosicli, E. W. 268 s. püch-
behandelten sl. Sippe. Allein dabei bleibt das lautliche Ver
hältnis zwischen dem Auslaut des sl. und dem des alb. Ver
bums unklar: sl. ch <V s. Übrigens ist es trotz der schon
durch die Bedeutung empfohlenen Trennung von bur Mann
und mbur lobe recht wohl möglich, für mbur innerhalb des
Alb. eine Anknüpfung zu finden: bie führe, bringe, lt. fero,
gr. cpsQw trage, idg. bher-. Auch vibahem, das zu dieser
Sippe gehört (Meyer, E. W. 35), hat die Bedeutung ,brüste
mich'. Die bedeutungsverwandten mbahem und mbur sind
also auch sippenverwandt. Man vgl. zur Bedeutung ferner
s.-kr. ponbsiti se stolz sein: nositi tragen. In lautlicher Hin
sicht ist *bhf-n-, bh e r-n- (cf. Wiedemann, 1. c.) mit u wegen
des vorhergehenden Labials anzusetzen. Wie mar ist auch mbur
altes Nasalpräsens.
56
I. Abhandlung: Jokl.
Tosk. mbüt, mbüs ersticke, erdroßle, ertränke;
skut. miis töte.
Die Bedeutung ,töte' ist skutar. (cf. Jungg, Fjal. S. 85).
Die anderen (tosk.) Bedeutungen entstanden wie die von frz.
noyer ertränken, ersäufen < lt. necare töten; ebenso ital. anne-
gare ertränken •< lt. * adnecare. (Für ,ertränken' gilt im Skut.
me müt nuj; cf. Bogdan, Cun. proph. I, 2, 7.) Wesentlich für
die Etymologie sind ferner die Bedeutungen des Kompositums:
permbüs, gr. premis leere aus, kehre um, stürze um, werfe hin;
sic. permis töte, permisme niedergeschlagen, psrmisure ausge
glitten, permbüsem falle aufs Gesicht, psrmbütsje Sündflut. Alle
Bedeutungen, insbesondere ,umkehren, Umstürzen, hinwerfen'
vereinigen sich mit der des Simplex unter einer Grundbedeu
tung ,schlagen' (,töten' = ,erschlagen', ,Umstürzen, hinwerfen'
= ,niederschlagen'). Damit ist aber Anknüpfung an lt. confütare
niederschlagen, aisl. bauta schlagen, stoßen, ahd. bö$an dass,
und entfernter an lt. battuo (cf. Walde, E. W. 137, 63; 2 185, 85;
Fick o 4 , 274) ermöglicht.
mih grabe, grabe das Land um, hacke; -mests, adv. -mezaj
(in: iiimeste, himezaj einfach, diimezaj zweifach).
mih: got. maitan hauen, schneiden, ahd. mei^an dass.,
mei^il Meißel. Das Bedeutungsverhältnis von ,hauen, schneiden'
zu ,hacken, graben, umgraben' zeigt sich auch bei alb. grih
zerhacke, schneide klein: grüen scharre, hacke, grien arene
mache das Land urbar (Meyer, E. W. 130). grüen stimmt also
in der Bedeutung vollkommen zu mih, für das Bask. 266 die
Bedeutung ,hacke' angibt. ,Primitive Schneidewerkzeuge dienten
gleicherweise zum Schneiden, Schaben und Graben' (Walde:
E. W. 2 , 127). Diese Beobachtung erhält also durch die hier
besprochenen alb. Sippen einen deutlichen Beleg. In sach-
geschichtliclier Hinsicht kann man bei Erklärung der Bedeu
tung der Sippe von alb. mih auch daran erinnern, daß der
Hackbau eine der ältesten Wirtschaftsformen darstellt (Ed. Hahn,
Die Haustiere und ihre Beziehung zur Wirtschaft des Menschen,
S. 388 ff., Das Alter der wirtschaftlichen Kultur, S. 54 ff.; Schräder,
R. L., S. 11), daß demnach die Bedeutungsreihe ,hauen' (got.
maitan), ,hacken, Land umgraben' (alb. mih) auch sachgeschicht-
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
57
lieh einleuchtend ist. Da der Ausgang h aus -skö entstand
(Brugmann, Gr. I 2 , 758; Meyer, E. W. 314 s. hof), so ergibt
sich eine alb. Grundform: mid-skö. — Hier sind auch die
Numeralia nemeste, dümeste einfach, zweifach, adv. nemezaj,
dümezaj (Pekmezi, Gr. 126) anzureihen, -meste -mezaj (mit s
in unbetonter Silbe) stellt sich zu der hier behandelten Gruppe,
wie lt. duplex, gr. äin'/.aS,: plango schlagen, gr. nlaCco (Walde,
E. W. 472, 188; 2 588, 247). Auch im Lett. heißt ,einfach' win
kart, zweifach diwkart, worin hart einem lit. kartas Hieb, Mal
(= aksl. kratz, c. -krdt Mal) entspricht.
mjergule, mjegute Nebel, Finsternis.
Meyer, E. W. 283 identifiziert diese Formen mit geg. negut
Nebel << lt. nebula, indem aus n durch mh mj wurde. Ein
heimisches, dem lit. myglä, sl. nv,gla entsprechendes Wort könne
eingewirkt haben. Dabei bleibt .aber das r in mjergule uner
klärt. — Brugmann hat Gr. 2/1 2 , 362 alb. mjegute Nebel von
lt. nebula getrennt und betrachtet es — wohl mit Beeilt — als
Erbwort. Allein seine Vergleichung: gr. our/J-y, lit. miglä (myglä)
stößt auf lautliche Schwierigkeiten. Denn entweder hatte
mjegute eine ursprüngliche Lautfolge -gl-, dann erwartet man
eine Form mit -gl-, -g- oder war in mjegute g und l schon
ursprünglich durch einen Vokal getrennt, dann erwartet man
Ausfall des intervokalischen g. Auch der Vokalismus des alb.
Wortes stimmt zu lit. miglä usw. nicht. Vielleicht hilft folgendes
zur Erklärung weiter. Psalm 97, 2 (,Wolken und Dunkel ist um
ihn her', Luther) lautet in der Übersetzung von Kristoforidi:
re ede mjergule este red- atl. In der cech. Brüderbibel lautet
die Stelle: ohlak a mrdkota jest v&kol neho. Die beiden gleich
bedeutenden Wörter: alb. mjergule, cech. mrdkota lassen sich auch
etymologisch vereinigen: mrdkota <( ursl. mork-. Im Guttural
weicht das Alb. zwar vom Sl. ab, deckt sich jedoch mit dem
germ. Reflex der Sippe: anord. myrkr Finsternis (Fick 3 4 , 313;
Kern, I. F. 4, 108; Osthoff, ebd. 8, 12 Anm.; Solmsen, K. Z.
34, 27). Auch die Bedeutung ,Nebel', die dem alb. mjergule
außer ,Finsternis' zusteht, kehrt im Sl. wieder: russ. mörokz
Finsternis, dichter Nebel, cech. mrdkotny dunkel, neblig. Aus
mjergule entstand mjegute in ganz derselben Weise wie aus largoj
das gleichbedeutende lagoj (verzeichnet von Bask., S. 222) ent-
5S
I. Abhandlung: Jo kl.
stand. In formantischer Hinsicht ist vor Suffix -lä Vokal des
Vorstücks anzusetzen, dessen Qualität nicht mehr genau zu
ermitteln ist. u entstand nach dem Guttural.
mor Laus.
: ai.marcdyati gefährdet, versehrt, beschädigt, markd-h Hin-
sterben. Tod, lit. pasmerkt verderben. Die Bedeutnngsentwieklung
ist dieselbe wie bei gr. cptteio Laus: cpd-siou verderbe, r <( rk wie
in sors Krähe (: lit. szärka usw., Pedersen, K. Z. 36, 337). Das
inlautende o weist wie der gleiche Vokal in sore auf ursprüng
lichen Stoßton.
mund kann, siege.
Meyer, E. W. 291 stellt das Wort nur zu got. mundrei
Ziel, ahd. muntar, nhd. munter, lit. mundrits dass, unter Ab
lehnung des Zusammenhanges mit aksl. modn weise, lit. man-
driis übermütig. Nun gehören aber (Fick 3 4 , 308, Feist, E. W.
200i got. mundrei, ahd. muntar jedenfalls zu den eben genannten
balt.-sl. Wörtern, mit denen sie sich unter einer Basis men-dh-
vereinigen. Dasselbe gilt auch von dem alb. Verbum, -und -< -nd
wahrscheinlich über -snd wie in gründe (s. o.), strunge, tund (s. u.).
ndaj nahe; bei: zu, im Vergleich zu.
Eine Übersicht über den Gebrauch dieser — nur uneigentlich
so zu nennenden — Präposition gibt Pedersen, A. T. 166. Da
selbst wird auch die Diskrepanz in der Kasusrektion hervor
gehoben. Außer den daselbst angeführten Stellen wären bei
spielsweise noch bemerkenswert: Zoti ssts ndaj yi&e atüre der
Herr ist allen denen nahe (Kristoforidi, Ps. 145, 18). Aviteniu
ndaj mue — accedite ad me (Bogdan, Cun. proph. I, 15, 16).
Pekmezi, Gramm. 209 führt geg. ndaj, ndej zu, im Vergleich zu
mit dem accus, an. Pedersen hebt 1. e. neben Gebrauchsweisen
wie ndaj nats, ndaj dits, die sich also mit Pekmezis Angaben
decken, auch Gebrauchsweisen wie ndaj kiset apud ecclesiam
(Blanchus), ndaj kalit vicin del cavallo (Rada) — Konstruk
tionen, die wiederum den oben angeführten aus Kristoforidi und
Bogdan analog sind — hervor und nennt die Kasus kiset, kalit
Dative. Nach der folgenden etymologischen Analyse können
diese Kasus ebensogut Genetive wie adnominale Dative (cf. gr.
yyauiic'.Tivg rjj ßavlfj Ratsschreiber, 1t. opercula doliis, besonders
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
59
stark entwickelt im slaw. vbsetm rabz, ahd. ein vorlouf allen:
Brugmann, K. V. G. 434; Vondräk, Vgl. sl. Gr. 2, 365 f.) sein.
Vom intern alb. Standpunkt ist natürlich die Frage überhaupt
nicht aufzuwerfen. — Synonym mit ndaj ist ndans adv. nahe bei,
Präpos. mit Genet. bei, von seiten, was Meyer, E. W. 11 richtig
zu ans stellt. Die sinnverwandten Wörter ndaj, ndans sind
auch etymologisch zu vereinigen: ndaj <j *nd-ani als alter
Lokativ. (Cf. über einen Reflex des Loc. im Alb. Pedersen,
K. Z. 36, 310 und ferner Rom. Jahresber. 9 (1905), I, 209, wo
maR unbest. ,Genetiv f zu mal, als loc. mit -ei oder -oi gedeutet
wird. Von maR unterscheidet sich das hier angesetzte *ani
nur durch die im Sandhi entstandene Behandlung des -i.) Die
Rektion mit dem Akkusativ beruht wohl auf Beeinflussung
durch andere Präpositionen.
ndjer, nger, ngera, ner, ger bis.
Außer diesen bei G. Meyer, E. W. 299 verzeichneten
Formen findet sich noch ndjers (Blanchus 21; Bogdan, Cun.
proph. I, 4, 14; 82, 11); nera (Pedersen, Alb. T. 171), gers (bei
Meyer, E. W. 139 unerklärt), ger, ngetS, ndü, ndiits (Kristo-
foricli, Lex. 79). — ndjers bis mit allen angeführten Neben
formen: alb. in bis <( *eni Meyer, E. W. 159, gr. sv, 1t. in, germ.
in, lit. in, \ usw. als *entero-. Eine begriffliche Parallele bietet
gr. sois, lokr. delph. svrs bis, das, so verschieden auch die Deu
tungen dieses Wortes lauten mögen (cf. Brugmann, I. F. 15, 72,
anders bezüglich des zweiten Bestandteiles Thumb, K. Z. 36,
199, wieder anders Günther, I. F. 20, 11 f.), als ersten Bestand
teil eine lokale Präposition enthält. Ein morphologisches und
akzentuelles Analogon zu ndjers <C *entero- bietet pestiere tief
unten, das schon im ältesten Denkmal der alb. Sprache, der
Bibelübersetzung von Buzuk, Kön. 3, 17, 23, angewendet wird
(veröffentlicht in der Zeitschrift Tomori, Nr. 12); ein weiterer
Beleg bei Bogdan, Cun. proph. I, 34, 8, geschrieben pefctier'e
(bei Meyer fehlt das Wort). Nicht nur das auslautende e ist
als s zu lesen, sondern auch das e der ersten Silbe. Bogdan
schreibt nämlich oft ungenau e für e (— s), z. B. delijrune 1. c.
I, 34, 7 (tosk. dsRr, geg. dVir), njerezite 1. c. 34, 8 (tosk. nerszit,
geg. nieriit), ghezojn'e ebd. (tosk. gszoj, geg. gzoj). Das Wort
gehört zu pos-ts herab, unterirdisch; unten, hinunter, psrpos
60
I. Abhandlung: Jokl.
unten (worüber Pedersen, A. T. 180, K. Z. 36, 290 gebandelt
bat: -pos < * ped-su zu Füßen). Grundform von pefctiere (=
psstiere) ideal ped-s-t-ero. Tatsächlich ist natürlich von poste
auszugehen. — Aus ndj von ndjers konnte ng entstehen (cf.
Pedersen, A. T. 128, s. gehst). ngets entstand aus nger ts, worin
ts das Interrogativpronomen ist. Zum Schwunde des r s. oben
bei buzs. Das in Skutari geltende der (Kristoforidi 79) ist ins
besondere wegen des oben angeführten ndü ndüts gleichfalls
hieher zu stellen. Im skutarin. unterbleibt ja öfter die Palata
lisierung des e; cf. skutar. det zehn gegenüber tosk. djete. Zum
anlautenden d in der *en-t-ero vgl. man die oben für ble
(s. l'aj) angeführten Beispiele: geg. digjoj, ferner bsl'ed- (Kavall.),
skut. binem usw. Ebenso enstand ger aus nger. Es ist daher
auch durchaus zweifelhaft, ob das gleichbedeutende deri ent
lehnt ist. Schon Miklosich hatte Entlehnung von alb. deri aus
dem sl. (s.-ksl., kroat. deri) wegen ndjers — die anderen Formen
waren damals noch nicht bezeugt — nur zweifelnd angenommen.
(Alb. Forsch. I, 18). Meyer übernahm Miklosichs Ansicht (E.W.
299). Vielleicht handelt es sich bloß um Beeinflussung des hei
mischen Wortes durch das slaw. im Ausgang i, wiewohl auch
diese Annahme keineswegs notwendig ist. (Cf. nämlich ders A. St.
6, 35. Das auslautende i für s wie in hi.) — Doubletten
der mit g anlautenden Formen sind liitts, Kür■ U stets hier für
g wie auch sonst (cf. guaj-Kuaj, geds-heds). Zum Vokal von
hüte, Icür, ndüts, ndü — es handelt sich um geg. Formen —
cf. geg. nüe Knoten neben tosk. ne, nejs lt. nödus.
ndieh sich befinden, ndes treffen.
(Bask. 303, 302; Jungg, Fjal. 90.) Das Wort gehört zu
aksl. desq, desiti finden, r.-ksl. dosu, dositi (auch desu, desiti)
begegnen, s.-kr. deslm, desiti treffen, cech. podesiti, udesiti ein
holen, erwischen. Die Bedeutungsübereinstimmung zwischen
dem alb. und sl. Wort ist vollkommen. An Entlehnung des
Alb. ist bei der Verschiedenheit der beiden oben genannten
Verba und der Selbständigkeit der Bildung von ndieh nicht
zu denken. Alb. s in ndes und sl. s in desiti lassen sich nur
unter idg. s vereinigen. Dies zeigt, daß sl. desiti am besten mit
Pedersen, I. F. 5, 47 zu gr. dijco werde finden zu stellen ist.
Diese Deutung empfiehlt sich auch der Bedeutung wegen besser
Studien zur albanesisclien Etymologie und Wortbildung.
61
als die Zusammenstellung mit gr. dh.oiiai nehme an, ai. da&a-
sydti gefällig sein, lt. decet es ziemt (cf. Fick, I 4 , 234; Walde,
E. W. 168, 2 223;- Berneker, E. W. 188). Möglicherweise sind
jedoch im sl. zwei Verba zusammengeflossen. Man beachte die
kaum zu vereinigenden Bedeutungen von s.-kr. udesiti 1) richten,
zurechtmachen (die zur Sippe von lt. decet stimmt), 2) treffen,
auf jem. stoßen, die mit der von alb. ndes identisch ist und
sich mit der von gr. dyio ganz nahe berührt. — Das e in alb.
ndes erklärt sich als slcutar. Eigenheit (cf. det, der s. o. s. nd.jer);
nach Kristoforidi 272 ist das Wort in und um Skutari in Ge
brauch. Alb. ndieli zeigt denselben Ausgang wie mih, neh, also
des-slcö.
ndjete abscheulich; fern. Abscheu, Ekel; ndotem verabscheue;
geg. nnisem abscheulich.
Die beiden zuerst genannten Wörter verzeichnet Meyer,
E. W. 302 unter ndy,i, indem er, ohne eine Erklärung zu geben,
sich darauf beschränkt, Zusammenhang mit ndyj beflecke ab
zulehnen. Zweifellos hat Meyer hierin Recht. Geg. nnisem
fehlt in den Wörterbüchern, wird jedoch von Fista, Lahuta e
malts. I, 14 gebraucht. Die Gruppe gehört zu djes scheisse,
pass, ditem, die zu gr. yeCio, ai. liadati (Meyer, E. W. 86, Prell-
witz, E. W. 2 503) gestellt werden. Zur Bedeutungsentwicklung
von ndjete gegenüber djes vergleiche man z. B. üech. ohavny
ekelhaft: ksl. govbno Kot, ai. guvati cacat. In morphologischer
Hinsicht schließt sich ndjete an die Verbal- und Eigenschafts
abstrakta mit tä- Formans an, die schon oben bei bote besprochen
wurden. Es fragt sich ferner, wie sich ndjete formell zu djes
stellt. Wie neben 3an trockne <( *saus-niö: lit. saitsas, aksl.
sucht, trocken (Meyer, E. W. 88), aor. &ava ein Partizipium
d-ate trocken trat, so stellte sich neben djes, aor. djeva ein Par
tizipium ndjete. Im letzten Grunde ist also eine Bildung wie
ndjete darauf zurückzuführen, daß im Aor. das stammhafte d
von djes <j ghediö inlautend wurde, demnach lautgesetzlich
ausfiel (3. sing. aor. djeu, Pedersen, Alb. T. 152 s. Tuaj). So er
klärt sich jetzt auch das geg. Passivum ditem bescheisse mich
(mit geg. i ie); das alb. Passivum (Reflexivum) wird durch
Anhängung der Formen von jam an das Partizipium gebildet.
Geg. nnisem *ndiSem geht entweder auf * ndiet-sem : ndjete
62
X. Abhandlung: Jokl.
(cf. moSs Greis neben motse : mot) oder auf ndied-sem mit stamm-
haftem d und Behandlung der Gruppe ds wie in perpos unten
< ped-su (Pedersen, K. Z. 36, 290) zurück. -Morphologisch ist
ersteres wahrscheinlicher, ndotem verabscheue weist auf ein
i-Partizipium mit Ablaut. In der Ablautsstufe verhält sich
ndotem zu djes wie vdorem gehe unter zu vdjer vernichte.
nge, skut. ngae Gelegenheit, freie Zeit, Muße.
Die Bedeutung nach Kristoforidi, Lex. S. 260 (eüy.atpi'a),
Baskimi 291 (opportunita, l’aver tempo di fare una cosa), Jungg,
Fjal. S. 86 (opportunita). Die beiden zuletzt angeführten Wörter
bücher geben die Schreibung ngae, die sich auch bei Pisko,
Handb. d. nordalb. Spr. 129 findet (,S kam ngae = ich habe
keine Zeit' = keine freie Zeit). Meyers Deutung (E. W. 305):
lit. gyv-, aksl. £iv-, ai. jtv-, mit der Ablautsstufe von lit. gaivus
munter, wird von Pedersen, K. Z. 36, 325 mit Recht abgelehnt;
daß nämlich nge — und nur diese Form war Meyer bekannt
— der Ablautsstufe nach mit lit. gaivus übereinstimmt (alb.
e <j ai), ist eben wegen des geg. ngae ausgeschlossen. Das e
in tosk. nge entstand sekundär durch Kontraktion. Man vgl.
noch geg. roe Aufmerksamkeit, Acht: tosk. re, geg. hä das
Essen aus hae (Pekmezi, Gr. 247): tosk. he. Primär ist aber
der Vokal a der geg. Form ngae, wie dies besonders deutlich
die bestimmte Form ngaja (Lahuta e maltsiis I, S. 11) zeigt.
Dieser Umstand aber verbietet die Verbindung mit lit. gaivus
(Wz. gv.ej.e-). Bei einer anderen Deutung, die sohin notwendig
wird, wird auch die Verteilung der Bedeutungen zu beachten
sein. Meyer geht von der Bedeutung ,Kraft, Munterkeit' aus,
die sich in den Wörterbüchern von Jungg, Baäkimi und Kristo
foridi nicht findet und bei Meyer nur für Schirö, also das ital.
alb. belegt ist. Die allgemein im Balkanalb. herrschende Be
deutung ist ,Gelegenheit, freie Zeit'. Diese Bedeutung stellt
das Wort zu aksl. godz Zeit, rechte Zeit, r. godz Jahr, Zeit,
s.-kr. god Festtag, Jahr, günstige Gelegenheit, pr'igoda Gelegen
heit, ahd. gigat passend. Alb. Grundform: *gadhä mit laut
gesetzlichem Ausfall der intervokalischen Media. Die Bedeutung
,Kraft, Munterkeit' (Schirö) ist sekundär entwickelt ganz so
wie auch klr. hözyj (: gern. sl. godz) frisch, munter (cf. Berneker,
E. W. 318) bedeutet. — Hieher gehört auch das Verbum im-
Studien zur albanesisclien Etymologie und Wortbildung.
63
pers. geg. ngend, was Kristoforidi, Lex. 263 mit ebxcugi3, döeiaCu)
(also ; Zeit haben, frei sein‘) übersetzt. Die gleiche Bedeutung
liegt auch im sl. Reflex der Sippe vor: aksl. godz außer äga
Zeit auch Kongos rechte Zeit, vzgodz ei/.aigojg (entspricht also
dem alb. ngend in der Bedeutung vollkommen) goide byti passend
sein, öech. vhod gelegen, just, recht, s.-kr. zg'öda Gelegenheit,
Bequemlichkeit. In morphologischer Hinsicht liegt eine «-For
mation vor, wie sie z. B. auch l'ind (cf. Pedersen, A. T. 12)
aufweist.
ngridem bin brünstig; ngridurs Bocksgestank; gerdes
Mädchenjäger.
ngridem verzeichnet Reinhold, Noctes Pelasg., npoSpopot;
Asij. 66 und nach ihm Meyer, A. St. 5, 97. An dieser Stelle
vermutet er Urverwandtschaft mit slov. grdeti sö 1 Ekel empfinden.
Semasiologisch viel ansprechender erscheint jedoch die Zu
sammenstellung mit ai. gfdhyati ist gierig, gfdhnüh gierig (über
die ai. Sippe vgl. man Uhlenbeck, E. W. der ai. Spr. 82). Neben
der Wz. gardh- gierig sein zeigt das Ai. auch eine synonyme
gard-: garda-h geil, gierig (ebd. 78). Uber die Möglichkeit der
weiteren Verknüpfung der genannten ai. Wörter mit der germ.
Sippe von got. gredus Hunger vgl. man Feist, E. W. 117 und
die daselbst verzeichnete Literatur. Alb. Grundform: gi'd-. Die
besondere Bedeutungsentwicklung des alb. ngridem. gegenüber
ai. gfdhyati ist gierig leuchtet von selbst ein. Cf. lat. cupido:
cupio begehren. Hieher gehört auch gerdes Mädchenjäger (Rein
hold, 1. c. 64), das Meyer, A. St. 5, 77 zu gerdis ekle mich
stellen will, eine Deutung, die semasiologisch gewiß nicht be
friedigt. -er- in gerdes für ri f wie oft.
ngriiij ngrl, geg. ngr\ friere, erfriere, mache frieren; skrln,
skrl, geg. skr\ schmelze, taue auf, zergehe, skreh dass.
ngrln und skrln verzeichnet samt den Nebenformen Meyer,
E. W. 306 f., während die Form skreh von Kristoforidi, Lex. 400
(s. skrite) angeführt wird. Aus skrln (daneben tskrin) ist der
ursprüngliche Anlaut, nämlich /er, ersichtlich. Dies stellt die
Gruppe zu r. cerstm hart, trocken, fühllos, cerstvina Knrste,
Pletersnik I, 247 schreibt grditi se.
64
I. Abhandlung: Jo kl.
r.-ksl. cnstvz, cirstvi fest, solide, s.-kr. cvrst (mit Metathese)
fest, hart, lt. crassus dick, fett, grob (cf. Walde, E. W. 148,
2 198; Berneker 171: Basis *qerät flechten, zusammenknüpfen,
zu einem Knäuel zusammenwickeln). Daß der Begriffskern der
alb. Sippe ,fesf, hart'' ist, ersieht man daraus, daß sowohl die
Bedeutung ,frieren' als die ,zergehen' erst in der präpositionalen
Zusammensetzung entstand. Auch in der von Kristoforidi, S. 410
erwähnten geg. Redensart: qsts ngrim e qsts bäme stank er
wurde starr und steif (vor plötzlichem Schreck), schimmert noch
die Grundbedeutung durch. Eine genaue Parallele zur Bedeu
tungsentwicklung ,fest werden — gefrieren' bietet das Gr.: ngr.
nayibvio gefrieren und schon agr. nayog Reif, Frost: nrjyvvpi be
festige, myyoQ fest, stark; qsts ngrim = ngr. %ettayid^ei. Auch
das oben angeführte r. cerstvina die Kruste ist in semasiologischer
Hinsicht für die hier behandelte alb. Sippe mit der Bedeutung
,gefrieren, zergehen' interessant: cf. lt. crusta: gr. z.QÖog Frost,
v.ovacalXog Eis. — Für die Feststellung der alb. Grundform
ist (das bei Meyer fehlende, jedoch von Kristoforidi bezeugte)
Skr eh wichtig. Denn man kann von Skr eh zu ngriii gelangen,
jedoch nicht umgekehrt. Grundform von s-kreh: *-kret-skö.
ngrhi, skrin <S * -kret-niö wie vin <S lt. venio.
ngrüs, ngris mache Abend, -em verbringe den Abend,
ngrisets, ungris es dämmert, wird Abend.
Die bei Meyer ungedeutete Sippe vergleicht sich dem
lt. creper dämmerig, dunkel, crepusculum Dämmerung. Auch
für das lt. Wort fehlt es bisher an einer befriedigenden An
knüpfung (cf. Walde, E. W. 1 und 2 ). Alb. Grundform: n-kyp-tio-.
Die Gruppe pt unterliegt der Vereinfachung zu t: cf. state
sieben <[ septmti (G. Meyer, A. St. 3, 33; Brugmann, Gr. I 2 ,
722); insbesondere handelt über pt^>t Pedersen, K. Z. 36, 325.
Man vgl. auch oben late (s. Tape).- Eine analoge Bildung s.
bei ras.
ngeTbete, ngel'mete salzig.
Pedersen, K. Z. 36, 285, dem aus Pisko 147, Jungg. 88,
Albania II, 157 nur die Schreibung neTm Vorgelegen hatte, er
kannte die Möglichkeit einer Vorstufe ngeTm und damit einer
Anknüpfung an die Sippe von lt. sal. Die Lautung ngeTbete
Studien zur albanesisehen Etymologie und Wortbildung.
65
ist jetzt tatsächlich für Tirana durch Kristoforidi Lex. S. 262
bezeugt. Auch für Skutari gibt Kristoforidi 1. c. 263 ngelmete
an, was in Anbetracht der übereinstimmenden, oben zitierten
Angaben von Pisko und Jungg, ferner von Bask. 146, die An
laut n bezeugen, ungenau sein dürfte. Jedenfalls bestätigt aber
die für Tirana bezeugte Form Pedersens Deutung, die übrigens
zweifelnd ein mündliches Zeugnis des Anlautes ng für Mittel
albanien herangezogen hatte. In heim. <( n-sal-mo steckt das
wo-Suff, wie in gr. ll'/gtrj. e <( a durch Einfluß des folgenden
l\ das umlautende Wirkung ausübt. (Hierüber s. Meyer-Lübke,
Gröbers Grundr. I 2 , 1042ff) Cf.: heim Trauer, Gift: alid. scalmo
Seuche, elf Getreide: gr. äixpi. ngel'bets zeigt Suff -bho-, worüber
Brugmann, Gr. 2/1 2 , 388 zu vergleichen ist. C'f. auch unten
bei skeTm, skel'p.
nus Bindfaden, Schnur.
Meyer, E. W. 312 führt das Wort nur für das ital. Alb.
— ohne Erklärung — an. Doch verzeichnet es jetzt auch Bask.
309. nus zur Sippe von 1t. neo, nere, gr. vew spinnen, vfjpci Ge
spinst, Faden, Wz. *sne-, woneben idg. *sneu- in aisl. snüa zu
sammendrehen, aksl. snv/jn. snovati anzetteln, lett. snaujis Schlinge,
ai. snutah von der Sehne (cf. Walde, E. W. 410, 2 514). Das
alb. Wort zeigt also die Ablautstufe des ai. In morphologischer
Hinsicht vgl. man aksl. nitb Faden, Strick (das auf eine Wz.
v snei- weist): nus <( nu-tio-. Semasiologisch verhält sich alb.
nus Faden zu aisl. snüa zusammendrehen ebenso wie alid. drät
Faden: ahd. dreien, nhd. drehen.
hole f. Fleck.
Das bei Meyer fehlende Wort wird in der Zeitschrift ,Di-
turija' (Salonichi), I, S. 60, Sp. 1, gebraucht und auch von
Kristoforidi Lex. 287, Bask. 148 gebucht. Da n aus ng ent
standen sein kann (cf. Pedersens Bemerkungen K. Z. 36, 285
über neini), so ergibt sich die Möglichkeit einer Anknüpfung
an ahd. salo, sal(a)wer dunkelfarbig, schmutzig, ags. salo dunkel
farbig, isl. sölr schmutziggelb (germ. Grundform salva-), russ.
solovöj isabellgelb, ir. salach schmutzig. (Cf. zur germ. Sippe
Fieb, 3 4 , 437.) Alb. hole <[ n-sül-v- stimmt im Vokalismus zu
ndd. saul schmutzig, rußig (= as. *söl), das gleichfalls zu der
Sitzungsber. d. phil. hist. Kl. 168. Bd. 1. Abh. 5
66
I. Abhandlung: Jokl.
liier besprochenen Sippe gehört (Holthansen, I. F. 25, 150).
Alh. -Iv- > t wie sonst.
noine, ngome, ngl'ome feucht, frisch, grün, zart; nom befeuchte,
benetze, tränke Tiere.
Den Fingerzeig für die etymologische Erklärung dieser
bei Meyer, E. W. 314 ungedeuteten Sippe gibt die von Kristo-
foridi S. 264 für das Tsamische gebuchte (Meyer noch nicht
bekannte) Form ngToms. Durch den so geklärten Anlaut stellt
sich das Wort zu r.-ksl. gUnz Schleim, zähe Feuchtigkeit, r. glem
Saft, slov. glen Schleim, Schlamm usw., lit. glema zäher Schleim,
gleima, glemesa dass. (Juskevic, Slov., I, 444), gr. y’Lotog kle
briges, schmutziges Öl, klebrige Feuchtigkeit, ags. clcem Lehm
(idg. Wz. glei- cf. Wood, I. F. 18, 43; Siebs, K. Z. 37, 34;
Meillet, M. S. L. 8, 298; Berneker, E. W. 310, 303; Fick 3*, 57).
Zur Bedeutung des alb. Wortes (,feucht') gegenüber der der
angeführten Wörter aus den verwandten Sprachen (.klebrig,
schlammig') vgl. man cech. vazky feucht gegenüber r. vjazkij
klebrig, zähe, schlammig. Aus der Grundbedeutung ,schleimig'
(woraus ,feucht') konnte sich dann auch die Bedeutung ,zart'
entwickeln. Man vgl. das zur gleichen Sippe gehörige mhd.
kleine rein, zierlich, zart, nlid. klein (eigentl. ,gesalbt, mit Fett
bestrichen', Kluge, E. W. T , 247). Alb. Grundform: *glemo. Im
Ablaut und in formantiseher Hinsicht stimmt also das alb. M ort
besonders gut zu lit. glema.
paI'e Seite, Partei: Klasse, Abteilung.
In der Bedeutung ,Seite, Partei' wird das Wort z. B. Li-
rija, Nr. 76, S. 2 und Tomofi, Nr. 2, S. 4 (Plutarchs Pyrrhus,
Kap. 5, übers, von Doke Sul's) verwendet. Die Bedeutung
,Klasse, Abteilung' gibt Bask. S. 312. Bei Meyer, E. W. fehlt
das Wort; denn das E. W. 320 verzeichnete pake ,Falte, Reihe,
Joch, Paar, Kranz getrockneter Feigen' ist damit schon der
Bedeutung wegen ofienbar nicht identisch, und ist übrigens nach
Bask. auch in der geg. Aussprache davon unterschieden. Denn
das zuletzt angeführte Wort schreibt Bask. 317 pale, während
er das in der Überschrift dieses Artikels genannte S. 312 paal
schreibt. Aus denselben Gründen ist Identifizierung mit pars
Paar <( lt. par, woneben pale (so z. B. Lirija, Nr. 70, S. 1;
Studien zur albanesisclien Etymologie und Wortbildung.
67
Tomori, Nr. 11, S. 3, Sp. 1; cf. auch Kristoforicti, Lex. 300)
abzulehnen. Zum Semasiologischeu vgl. man Waldes Bemer
kung (E. W. 449 2 , 561) über den Deutungsversuch par: pars,
zur geg. Aussprache Bask. 312: paal, pala Partei, paal, paala
Paar. pale Seite, Partei, Abteilung fgeg. pal', best, pala) gehört
offenbar zu ksl. polz Seite, Ufer, Geschlecht, Hälfte. Da nun
pale T zeigt, u. zw. auch im Skutar., so ist nicht ursprüngliches
zwischenvokalisches -l- und auch nicht -li-, sondern -ln- anzu
setzen. Das Wort ist daher am besten als partizipiale /(-Bildung
anzusehen, die zusammen mit sl. polz wohl zu Wz. *(s)phel- (ai.
phdlati birst, springt entzwei, phäla-h Pflugschar, aksl. pleti,
r. polöti, jäten, got. spilda Schreibtafel, ahd. spaltan. nhd. spalten
usw.) (cf. Fick 3 4 , 511 ; Walde, E. W. 549, 2 732) zu stellen ist.
Zur Bedeutungsentwicklung ,Seite, Hälfte — spalten' cf. got. halbs,
ahd., nhd. halb, ahd. halba Seite, Richtung, an. halfa Hälfte,
Teil, Seite: 1t. scalpo mit einem Werkzeug schneiden, meißeln,
kratzen, ritzen (Fick 3 4 , 85; Walde, E. W. 549, 2 682). Weitere
Reflexe der Wz. * (s)phel- im alb. cf. s.. plis u. popel'e.
Tosk. pende, pende, geg. pende, penne Paar Ochsen, Joch
(Ackermaß); penk Koppel.
Meyer vereinigt das erstgenannte Substantiv (E. W. 326)
mit pende Feder, Flügel < lt. penna Feder. Aber die weit
auseinanderliegenden Bedeutungen ,Paar Ochsen, Joch' (als
Ackermaß) und .Feder, Flügel' stehen einer solchen Deutung
entgegen. Zudem zeigt nirgends im Roman, penna (bezw.
pinna) 1 die Bedeutung ,Paar Ochsen, Joch'. Das alb. Wort ist
vielmehr verwandt mit lit. spandyti spannen, pinü, pinti, aksl.
peti spannen, aksl. poto Fessel usw. Grundbedeutung des alb.
T\ ortes ist also ,Gespann'. Zur Bedeutungsentwicklung ,Ge
spann—Paar' vgl. man ai. yugdm Joch, Paar, ferner frz. couple
Paar (eigentlich ,Koppel': lt. copula). Die weitere Entwicklung
der Bedeutung zu Joch (als Ackermaß) findet in d. Joch, lt.
lugera ein Analogon. In morphologischer Hinsicht handelt es
sich um eine Bildung auf -tä, wie sie oben bei bote, late bereits
1 Uber die Entwicklung der Bedeutungen im ßom. cf. Gröber, ALL. 4 ;
437- Mej-er-Lübke, Zeitsclir. f. rom. Phil. 24, 403 f.; Pu?cariu, ebd.
28, 682 f.
5*
68
I. Abhandlung: Jokl.
besprochen wurde (cf. aksl. vnsta, lt. repulsa usw.). Nun wäre
es vom lautlichen Standpunkte allerdings vollständig einwand
frei, alb. psnds als Entlehnung aus slaw. pQto zu erklären (zum
Lautlichen vgl. man psndar Hüter von Feldern und Wein
gärten < aksl. podar, Meyer, E. W. 332; näheres unten hei
den Entlehnungen s. ttengit). Doch sprechen zwei Momente
gegen eine solche Erklärung: 1. die selbständig entwickelte
Bedeutung des alb. Wortes, die nirgends auf sl. Boden eine
Entsprechung findet, 2. das Vorhandensein des liier zu be
sprechenden penk m. Koppel. Dieses Wort verzeichnet Pekmezi,
Gr. 266; 1 stellt man es zu der hier besprochenen Basis idg.
* (s)pen-, so findet es vollständige Synonyma an russ. püto
Koppel, Spannstrick, lit. pantis Strick zum Binden der Füße
des Viehs. In morphologischer Hinsicht zeigt penk k-Suffix
wie bilk Stroh (s. o.), ujkd- Fließ (s. u.). e vor Nasal + Explo
siva wie in vent Ort. Die beiden besprochenen Wörter pende
und penk stützen sich also gegenseitig. Zu penk mag dann
penge hinzugetreten sein, wie auch sonst neben zahlreichen
Maskulinen Feminina stehen, z. B.: l'ot Träne—Tote, djep
Wiege — djepe, djebe. Zu einem Denominativ psngoii wurden
dann die Abstrakta psngess Spannkette, Spannriemen, Hindernis,
pengim Hindernis (cf. russ. püty Spannseile, Fesseln) gebildet.
Bemerkt sei noch, daß Kristoforidi außer dem bereits oben er
wähnten tosk. psndar Hüter von Feldern und Weingärten —
nur dieses verzeichnet Meyer, E. W. — noch ein geg. psndar
Bauer, Besitzer eines Gespannes (yscogyög, ^svyivrjg) verzeichnet.
Natürlich kann dies von unserem psnds xö t,evy&Qi xü>v ßoiov
nicht getrennt werden, hat also mit tosk. psndar, das dem
Slaw. entstammt, nichts zu schaffen.
pits Werkzeug zum Flachskämmen, -hecheln; Flachskämmerin,
-hechlerin; pjeksts Augenwimpern.
pits fehlt hei Meyer, wird jedoch von Kristoforidi, S. 326
für Berat und von Bask., S. 351 gebucht. Es gehört zu gr.
1 Meyer, E. W. 327 führt nur penge Fußschlinge, Hindernis nacli Blanclius
an und leitet dies aus lt. pedica her. Die dieser Deutung entgegen
stehende Schwierigkeit s. Meyer-Lübke, Gröbers Gr. I 2 , 1050. Um so
größer sind natürlich die Schwierigkeiten für eine Deutung von penk
pedica.
Studien zur albanesisch,en Etymologie und Wortbildung.
69
nb.ru kämmen, scheren, 1t. pecto kämmen, lit. peszti rupfen,
an den Haaren zausen, ahd. fahs Haar usw. Alb. Grundf.:
*pek-lä; i ie vor ursprünglicher Doppelkonsonanz, -kl- wurde
ebenso behandelt wie -sl- (z. B. in kols Husten). — lä ist das
idg. Suffix zur Bezeichnung des nom. instrum. (cf. aksl. greblo
Ruder, lt. pllum Stempel zum Stampfen, Mörserkeule (Brug-
manu, Gr. 2/1 2 , 364 ff.). Gegen Entlehnung des alb. Wortes
aus lt. pllum Mörserkeule oder sl. pila Säge spricht die Be
deutung. Zu derselben Wortsippe gehört pjekste Augenwimpern
(Pedersen, A. T., S. 32, 178), das sich mit ai.paksman- n. Augen
wimpern, Haare in der Bedeutung vollkommen deckt. Während
aber die Wortsippe in den Satem-Sprachen k zeigt (cf. insbe
sondere lit. peszti, avest. pasnzm Augenlid), enthält alb. pjekste
velares k. Es handelt sich also wahrscheinlich um Entlehnung
aus einer Centum-Spraehe.
pjek berühre, begegne, schlage.
Die Bedeutung ,schlage' ist, wie Pedersen, A. T. 178
zeigt, die Grundbedeutung. Meyers Verbindung mit lt. plecto
(E. W. 341) ist, da pl in den meisten Dialekten erhalten bleibt,
der Anlaut pj in pjek aber gem.-alb. ist, aufzugeben. Es handelt
sich wohl um Umstellung aus *kep- zu gr. -/.omu schlage usw.
Man vgl. die analoge Erscheinung in gr. äoroy.onog Bäcker:
itsaatü <( pequiö backe, ferner wohl auch lit. kepit backe — sl.
pelcq backe. Näheres über derartige Metathesen zuletzt bei
Niedermann, I. F. 26, 45 f.; Hirt, I. F. 21, 171. — Die alb.
\ ertretung der Sippe in ihrer ursprünglichen Lautfolge — ohne
Metathese — wurde schon oben unter kmess besprochen.
plaf bunte, wollene Decke, pkshurs, pslhurs, pl'uhure,
psl'urs grobe Leinwand, Segel.
Meyer hat E. W. 343 ptaf und pkshurs mit Recht mit
einander verglichen. Durch Nachweisung eines Sippenver
wandten von pl'af innerhalb des Alb. entfällt aber schon die
Annahme einer Entlehnung aus slov. kroat. plahta Bettuch,
Tischtuch, die Meyer als unsicher erwähnt hatte, indem er
ihre weiteren Schwierigkeiten hervorhob. Es ist daher ge
rechtfertigt, für pl'af eine Anknüpfung aus den Mitteln des
Erb Wortschatzes zu suchen: lt. plecto, ahd. flihtu, ßehtan, nhd.
70
I. Abhandlung; Jokl.
flechte, ai. pra§na-h Geflecht, geflochtener Korb usw. pl'ah <[
ploks-qo- auf Grund eines s-Stammes, der in gr. rtlexog n. Flecht
werk, ttloxpög Haarflechte <( *ploksmo (cf. Modlet, MSL. 11,
313) noch erhalten ist. Zur Bildung vgl. man lt. esca Speise,
lit. iiska (oder eskas) Fraß, Aas < ed-s-lc- auf Grund eines
s-Stammes, der sich noch in lit. edes-is Fraß, aksl. jasli Krippe,
ahd. äs, nhd. Aas zeigt (cf. J. Schmidt, Neutra 379). Zum
/c-Suff. vgl. man bük, penk, ujk&. Die Behandlung des Aus
lautes ist dieselbe wie in den alb. Verben auf -h (noh, mih).
In semasiologischer Hinsicht sei auf öech. pletivo Gewebe: pletu
flechte verwiesen.
pl'enJc, pTengu Schande.
Kristoforidi S. 331 und Bask. S. 355 verzeichnen dieses
bei Meyer fehlende Wort. Es ist sippenverwandt mit lt. plango
schlage, aisl. flekkr Fleck, Mal, Makel, nhd. Fleck, lit. plegä
Prügel, körperliche Züchtigung. Das alb. Wort zeigt die Ab
lautsstufe pleq- (oder piek-), wie die angeführten Wörter aus
dem germ. (Über die verschiedenen Ablautsstufen der Sippe, cf.
Walde, E. W. 472, 2 588.) e vor Nasal + Explosiva wie in
vent, penk. Zur Bedeutungsentwicklung des alb. Wortes vgl.
man außer dem aisl. flekkr d. Fleck = Schandfleck (,der Fleck
auf der Ehr), ferner lt. pudet me schäme mich: pavio schlage
(Walde, E. W. 498, 2 621).
p Xis Erdscholle, grüner Erdkloß.
Die letztere Bedeutung nach Kristoforidi 331. Meyer ver
mutet E. W. 345 zweifelnd Entlehnung aus ngr. 7tM(v)&og
Ziegel. Allein diese Annahme erweist sich darum als unwahr
scheinlich , weil nach Kristoforidi 1. c. die Entsprechung von
ngr. nkl(v)d-og alb. plite ist, das auch in der Bedeutung mit
nXi(v)d-og übereinstimmt, während sich pl'is der Bedeutung nach
entfernt. Das Wort gehört vielmehr zur idg. Wz. (s)phel- (ai.
phäla-h Pflugschar, phdlati birst, springt entzwei, gr. ana'La'ig,
cf. auch o. bei pale und bei popele. Grundform: pli-tio-, sei es,
daß man von *pli-, einer Weiterbildung der genannten Wz. (cf.
Fick 3 4 , 252) ausgeht, sei es, daß man pl-tio- ansetzt, wobei l
dieselbe Behandlung im Alb. erführe, die auch r zeigt. In mor
phologischer Hinsicht liegt -io- Weiterbildung eines Substantivs
Studien zur albanesisclien Etymologie und Wortbildung.
71
mit to-Formans vor; cf. lit. pdnczei Fesseln gegenüber aksl.
poto (Brugmann, Gr. 2/1 2 , 409). Das Bedeutungsverliältnis
(,Scholle = Gespaltenes') 'kehrt wieder in d. Scholle: Wz.
*sqel spalten (Kluge, E. W. 7 412), ai. lostd- m. n. Erdkloß
zu einer Wz. 'Heust-, loust-, lust- stechen, stoßen, schlagen,
ai. logdh Erdscholle zu rujdti bricht, zerbricht) Pctersson, I. F.
24, 251 f.).
pl'ok, pl'ogu, pkogs, pl'ogete nachlässig, träge; pl'ogeni
Nachlässigkeit.
pl'ogs gebraucht bereits Bogdan; cf. ferner Bask. 356,
Kristoforidi 332, wo auch die übrigen oben angeführten Wörter
verzeichnet werden, flog- steht für *pa-log-, entspricht also
vollkommen dem synonymen 1t. neglego kümmere mich nicht,
vernachlässige (jpa ohne = nec), wozu ferner religens gottes-
fürchtig, gr. dleyw kümmere mich um etwas, ötheyvrio besorge
(cf. zur Sippe in den verwandten Sprachen Walde, E. W. 176,
2 233; Boisacq 42). Alb. -log- <( leg-, worin e die im alb. asigm.
Aor. gewöhnliche Vokalstufe darstellt. Für den Verlust des
Vokals von pa vor der Licjuida lassen sich Analogien beibringen:
prul'un—perulun (Bask. 366), print <[ lt. parentem. Das aus
lautende s in pl’ogs trat sekundär an wie in den unter djaite
aufgezählten Fällen.
pl'ok, pl'ogu Haufe.
Kristoforidi, Lex. 332 verzeichnet das bei Meyer fehlende
Wort als tosk., nämlich für Permet und Kortsa. pl'ok, pl'ogu <d
*ple-go gehört zu alb. plvt voll, lt. plenus, got. fulls, lit. pilnas,
aksl. phm usw. Die Bildung des Wortes mit Formans -go-
stellt das Wort zu den bei Brugmann, Gr. 2/1 2 , 507 aufge
zählten Nomina; das Vorstück (hier ple-) hat das Aussehen
einer einsilbigen Wurzel oder eines Wurzelnomens. Man vgl.
in morphologischer Hinsicht ksl. struga Strömung, Barke (Wz.
sreu- fließen), lit. eigä Gang, at-eigä Ankunft: eiti gehen, lit.
kügis Hammer: kduti schlagen usw. Auf diese Weise läßt sich
mit alb. pl'ok Haufe auch ahd. folc Haufe, Kriegsvolk, nlid.
Volk, anord. folk Schar, Stamm, Volk usw. vereinigen, ohne
daß man es nötig hätte, für diese Wörter eine Wz.-Erweiterung
von pel- (so allerdings Fick 3’ 1 , 235) anzunehmen.
72
I. Abhandlung: Jokl.
Tosk. popel'e, popel', geg. popsT großes Felsstück, großer
Stein; Klumpen, Scholle.
Das Wort wird von Kristoforidi 333, Bask. 358 in den
erstgenannten Bedeutungen gebucht. Es ist wie gogel’e (s. o.)
eine Beduplikationshildung; zum Typus vgl. man ai. dädhrSi-h
kühn, gr. (hjdsy/xrca (Brugmann, Gr. 2/1 2 , 129). Demnach
popele <[ *pe-pel-n-. Ebensogut möglich ist aber auch eine
gogel'e <f gd(l)-gal-n analoge Grundform uralb. pd(l)-p<il-n;
damit ist die weitere Anknüpfung an serb.-ksl. planina Berg,
klr. polonina unfruchtbarer Ort (ursl. *poln-), die weiterhin mit
ahd. felis, nhd. Fels, gr. (Hesych) rcella Stein, ai. päSyam Stein,
Fels verbunden werden (Kluge, E. W. 7 , 132; Weigand, D. W. 5 ,
I, 519; Prellwitz, E. WA, 359; Fick 3 4 , 237; Brugmann, Gr. I 2 ,
430; J. Schmidt, K. Z. 32, 387), gegeben. Im Suffix -n- stimmt
mit dem alb. Wort am besten das Sl. überein. Falk-Torp
vermuten an der erwähnten Stelle bei Fick Zusammenhang
mit der Wz. (s)phel- spalten, eine Verbindung, die durch die
morphologische Betrachtung des alb. Wortes an Wahrschein
lichkeit gewinnt. Andere Angehörige der Sippe wurden bereits
oben (pal'e, pl'is) besprochen. Meyer verzeichnet das Wort nach
Kavalliotis unter pupe Quaste, Weintraube (Kul. Hügel), mit
dem er es zusammenstellt. Dagegen spricht der Vokalismus.
Zur Bedeutung ,Klumpen, Scholle' vgl. man das wurzelverwandte
'pl'is, ferner d. Scholle: sl. slcala Fels.
pris 1. verderbe, zerstöre, zerbreche; 2. wandere aus.
pris 2. fehlt in Meyers E. W., findet sich jedoch in dem
von ihm nach Erscheinen des AVörterbuches mitgeteilten Text
A. St. 5, 32 (,Die neidische Königstochter'), ferner bei Kristo
foridi 343. Gerade diese Verwendung zeigt, daß Meyers Deu
tung (: no’uo säge, dessen Bedeutung ursprünglich eine all
gemeinere gewesen sein müßte) einer Ergänzung bedarf, pris
verderbe, zerstöre: ahd. freisa Gefährdung, Gefahr, Schrecken,
Verderben — das schon in der Bedeutung dem alb. Worte
ganz nahe kommt —, as. fresa Gefahr, Lebensgefahr, fresön
in Gefahr, Versuchung bringen, nhd. Fraisen, got. fraisan ver
suchen, prüfen. Falls man durch die — insbesondere sich semasio-
logisch sehr empfehlende.— Verbindung der genannten germ.
Wörter mit 1t. periculum, experior das richtige trifft (so Hirt,
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
73
Abi. 121, cf. auch Walde, E. W. 462, 2 576; Fick 3 4 , 245), so
bleibt auch Meyers Verbindung von alb. pris mit gr. noiw auf
recht; denn bei Verbindung von ahd. freisa usw. mit periculum
ist von einer Erweiterung von per-, nämlich p(e)ris- (Basis
nach Hirt perei-) auszugehen, was auch für pris stimmt; und
auch gr. noiio kann nach Prellwitz, E. W. 2 , 384 zu tce'iqw und
damit gleichfalls zu idg. per- gehören. Ähnliches gilt natürlich,
falls man mit Wiedemann, BB. 28, 48 —• der übrigens auch
Hirts Ansatz für die germ. Sippe zur Wahl stellt — für diese
von fr-ai-s — idg. pr-öi-s oder pr-äi-s, also einer Wurzelerwei
terung mit i-Diphthong und s ausgeht. Auch auf eine solche
Grundform kann alb. pris bezogen werden. (Anders über ahd.
freisa 0. Hoffmann, l'ipac, 38; Brugmann, Gr. I 2 , 925). Zur
Bedeutungsentwicklung ,verderben, zerstören': idg. per- vgl.
man gr. neQ-fho <f per-dh-, — pris wandere aus: ahd. firren, as.
ferrian, firrön, an. firra entfernen (germ. Grundform: *ferzian,
*ferison, Fick 3 4 , 231). Das Alb. entspricht genau bis auf den
Wurzelvokal, der hier schwand. Alb. Grundform pris-. Dies
stellt einen Best des alten Komparativs im Alb. dar, der seiner
Bildung nach, nämlich im Suffix-Ablaut, einem 1t. magis ent
spricht. Übrigens ist dies nicht der einzige Best des alten
Komparativs im Alb., auch madesti Stolz, Aufwand: mat) groß
(best, madi), 1t. magnus, ai. mahant- usw. ist so zu erklären.
madss-t-i <T magis- entspricht also vollkommen einem 1t. magis.
Cf. zum Suffixablaut Sommer, I. F. 11, 58; J. Schmidt, K. Z. 26,
385; Brugmann, Gr. 2/1 2 , 548. Zur Weiterbildung vgl. man
das unter Timonti Bemerkte. Die beiden Verba pris verderbe
und pris wandere aus sind also Wurzelverwandte, jedoch in
der Bildung verschieden; das eine stellt eine Weiterbildung mit
-s-, das zweite eine Ableitung vom alten Komparativ dar.
res, resen es schneit, regnet.
Wie die Bemerkung bei Bask., S. 374 zeigt, ist die Be
deutung des Verbums mit der Übersetzung ,es schneit' (so
Meyer, E. W. 363) nicht erschöpft, da das Wort auch vom
Aschenregen, Feuerregen usw. gebraucht wird. Meyer nimmt
1. c. zweifelnd Entstehung aus * er es und damit Zusammen
hang mit ai. varsä- Begen, gr. feqvnj, air. frass Begenschauer
an. Später, A. St. 3, 86, bezeichnet er jedoch das Wort als
74
I. Abhandlung: Jokl.
unerklärt; und dies mit Reckt, da ja anlautendes vr- im Alb.
erhalten bleibt. Stellt man jedoch res zu aksl. rosa, lit. rasa
Tau, ai. rasa Feuchtigkeit, Naß, lit. ros, röris (idg. Wz. eres,
eine Parallelwurzel von ueres, die Legat], ai. varsä- Regen zu
grunde liegt, cf. Walde, E. W. 529, 2 658), so bestehen keinerlei
lautliche Schwierigkeiten, resen, das Meyer nach Lecce ver
zeichnet, ist eine Nebenform zu res ■— nur diese Form ver
zeichnet Bask. — wie hipen er steigt hinauf (Bogd. Cun. proph.
I, 14, 13; 36, 17) zu hip. Cf. Pekmczi, Gr. 184.
rende, geg. rqnd schwer, gewichtig, lästig.
Gegen Meyers Deutung (: 1t. grandis) bestehen lautliche
Bedenken. Denn gr bleibt im Anlaut erhalten; cf. z. B. grjl
zerhacke, grua Frau, grill Herde, <1 lt. gregem. red Kreis, das
Meyer, A. St. 3, 8 als lautliche Parallele für die Behandlung
des Anlauts anführt (: ahd. ehr ei?, <f graidos) ist etymologisch
dunkel (Pedersen, Rom. Jahresber. 9, I, 215); re Acht, nach
Meyer, E. W. 362 <j lt. grevis = gravis, ist anders zu er
klären (Wiedemann, BB. 27, 210). Auch semasiologisch stimmt
alb. rende schwer, gewichtig, lästig nicht zu lt. grandis, wie
Meyer, A. St. 4, 25, selbst hervorhebt; im Rom. bedeutet grandis
nur ,groß', nicht ,schwer'. Alb. rende läßt sich mit lit. r'eju
schichte vereinigen. In semasiologischer Hinsicht vgl. man
d. Last, lästig: anord. hlada aufschichten, r. Icladr, Last: ldadii
lege, schichte. Morphologisch handelt es sich um einen Rest
eines alten Partizipium auf -ent-, ont-, wie es auch noch in
vrende (s. u.) vorliegt. Der Auslaut zeigt im Tosk. -e, analog
dem Auslaut der meisten Adjektiva (cf. Pekmezi, Gr. 104).
geg. rite feucht, naß.
Kristoforidi, Lex. 351 und Bask. 375 buchen das bei Meyer
fehlende Wort: ai. rindti läßt fließen, riyate gerät ins Fließen,
rlna-h fließend, in Fluß geraten, aksl. ringti fließen, reka Fluß,
lt. rlvus Bach usw. (alles zur Wz. rei- fließen, worüber Walde,
E. W. 527, 2 655; Fick 3 4 , 341 zu vergleichen ist). Das alb.
Wort ist mit dem schon öfter besprochenen Suffix -te gebildet
und weist auf eine nasale Verbalbildung, die auch in ai. rindti,
sl. rinoti erscheint. Die ursprüngliche Bedeutung ist ,fließend,
flüssig', woraus sich dann natürlich leicht die Bedeutung ,feucht'
Studien zur albanesiselien Etymologie und Wortbildung.
75
entwickeln konnte. Auch gr. vyqog, vereinigt die Bedeutung
,feucht, naß' mit ,fließend, flüssig'. Grundform *rinete, da hei
ursprünglicher Lautfolge -nt-, -nd- zu erwarten wäre.
ruaj bewache, bewahre, hüte, sehe an, schaue; ress Neid;
Ort, wo man die Fische erwartet, um sie zu fangen.
Die zuletzt genannten zwei Bedeutungen von ruaj nach
Rada, Gramm. S. 62 (it. miro). Das Verbum gehört zu alb. re
in vs re gebe Acht, das Wiedemann, BB 27, 210 mit Recht zu
lit. regeti sehen, schauen, ir. re.il klar <[ *reg-lis, rose Auge
< rog-sko gestellt hat. Insbesondere die von Rada angegebene
Bedeutung ,sehe, schaue' stimmt zu der des lit. Verbums voll
kommen. 1 In morphologischer Hinsicht stellt das Verb eine
Aoristbildung dar, wie sie Pedersen, A. T. 152 für luaj gezeigt
hat: vom Aorist aus, wo intervokalisches g regelrecht schwand
und wo auch der lauge Vokal berechtigt war, wurde das Präsens
neugebildet. Aus der Bedeutung ,sehen, schauen' konnte sich
die Bedeutung ,bewahren = servare 1 entwickeln (so z. B. Bog-
dan, Cun. proph. I, 68: Manna ruhete nde Enete Aarta. Manna
servatur in vasa aurea). Man vgl. die ganz analoge Bedeutungs
entwicklung von nhd. bewahren gegenüber mhd. warn aufmerken,
achten, beachten, as. ivarön beachten: gr. ogaio sehe. Hieher
auch ts ruans daß du beschützest, woraus truan (Meyer, E. W.
369), Bedeutungen, die sich zu der hier gegebenen Etymologie
fügen. Meyers Meinung, unser Verbum sei aus sl. chraniti ent
lehnt, ist lautlich unwahrscheinlich. Denn erscheint das a der
viele Jahrhunderte vor den slaw. übernommenen lat. Wörter
als a, u. zw. ä und ä in gleicher Weise (z. B. falle facies, fat
fätum, gukats judicatum, leunat cognatus, ngrat ingratus. Meyer-
Lübke, Gröbers Gr. 1 2 , 1041), so ist es unglaubwürdig, daß
das später übernommene slaw. a den Wandel von alb. ö zu ö
1 Die geg. Form roe zeigt, daß e in tosk. re Kontraktionsprodukt ist. Man
vgl. das oben besprochene nge, ngae. Zu erklären bleibt noch die im
geg. neben roe vorkommende Form oroe. o ist Präfix und gehört zu
ai. ä in visa ä zum Volke hin, ahd. ä < idg. e in äivcilist Zuwachs,
ämad Nachmahd, gr. g- in g-Q^ua sant’t, leise: got. rima Ruhe, lit. rimti
ruhig sein (Brugmann, Alb. Kern 30, 1. F 15, 103; W. Lehmann, Präf.
uz- 138 f.; Prellwitz, E. W. 2 177; Walde, E. W. 284, 2 363): oroe also =
das Zusehen.
76
I. Abhandlung: Jo kl.
und weiterhin die Diphthongierung von ö mitgemacht habe.
Übrigens sprechen auch sichere slaw. Lehnwörter gegen eine
solche Annahme: l'aksmi Habsucht <C serb., big. lakom gierig,
habsüchtig, prak, pragu Schwelle < serb., big. präg dass.,
mbras leere, Ableitung von serb. prazan leer, big. prazen dass.,
stap Stock, Stab, serb., big. stap dass., starisvat erster Hoch
zeitsgast serb. stari svat, Glava Name eines Dorfes bei Te-
pelen (Lirija, Nr. 74, S. 2). — Zu ruan schaue, bewahre gehört
ferner: geg. ress 1. Neid (in dieser Bedeutung angewendet von
Fista, Pika voeset, S. 43), 2) Ort, wo man die Fische erwartet,
um sie zu fangen. Beide Bedeutungen verzeichnet Bask. 374.
Zur ersten Bedeutung vgl. man 1t. invidia Neid: video, aksl.
zavistb Neid: videti sehen. Die zweite Bedeutung erklärt sich
als ,Auslug, Warte, Spähung' (cf. etwa lit. läukiu auf jem.
warten, exspectare: gr. Xsvaaco sehen, lett. lüküt schauen). Mor
phologisch stellt sich ress : ruan ebenso wie gsfess Schabeisen :
gsruan (s. o.). Man vgl. auch noch die oben besprochenen
Wörter wie bress, Jcmese.
ras dränge zusammen, trete zusammen, stopfe fest, trete.
Die Bedeutungen nach Jungg, Fjal. 120 (inzeppare, sti-
vare, calcare) und Bask. 320, wo noch mettere o entrare per forza
hinzugefügt ist. Das bei Meyer, E. W. 372 angedeutete Wort
stellt sich zu alb. roh schlage (: sl. raziti, Meyer, 1. c. 371).
Grundform: *rag-tiö. Der Bildung nach entspricht alb. ngris
(s. o.). Zum Bedeutungsverhältnis ,schlagen - treten' vgl. man
ahd. berjan schlagen, klopfen, treten, kneten, russ. mjdtb kneten,
treten: daneben mjdtka Gedränge, Schläge, Prügel.
ri halte mich auf, wohne, ruhe aus.
Meyers Verbindung des Wortes mit ai. srayati lehnt sich
an, lit. szlejü lehne an, gr. y.Xivio (E. W. 374), die übrigens
Meyer selbst nur zweifelnd aufstellt, lehnt Pedersen, K. Z.
33, 545 ab. A. St. 4, 59 hat dann Meyer selbst seine eigene
Deutung des Wortes als sehr unsicher bezeichnet, dasselbe Ur
teil aber auch über Bugges Etymologie: lt. nidusarm. nist
liege, sitze mit Wandel von anlautendem n )> r (wie nach
Bugge auch in ri neu, re Wolke, BB 18, 170) gefällt. Da
also die bisherigen Versuche wohl kaum genügen, wird eine neue
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
77
Deutung berechtigt sein: ahd, ruowa, mhd. ruowe, daneben ahd.
räwa, nhd. Ruhe, ags. row Ruhe, Rast, gr. iourj Ruhe, Rast,
das Zurückweichen, Nachlassen, Aufhören <j iotufa (cf. Fick,
K. Z. 22, 375 f.; J. Schmidt, ebd., 32, 335). Das l in fl entstand
aus ü im Auslaut wie in Sl Regen (: Vsi), dl Schwein (: lt. süs),
ml Maus (: lt. müs), ti du (: tu). Uber den Auslaut dieser
Wörter cf. Pedersen, K. Z. 36, 282. Das so erschlossene ü des
alb. Wortes steht zu idg. öu, eu, worauf gr. EQiü(£)r/, ahd. ruoiva,
ahd. räiva weisen, im Ablautsverhältnis (cf. Hirt, Abi., S. 33 f. -
Brugmann, K. V. G. 143). Nun heißt es zwar im geg. rf; es
wäre jedoch verfehlt, dies gegen die hier gegebene Deutung
verwenden zu wollen. Denn es heißt im geg. auch m\ die Maus,
trotzdem das Wort deutlich zu müs gehört. Der geg. Nasal ist
also sekundär. In morphologischer Hinsicht ist fl am besten als
Präsens nach Art von kdiel, zgat usw. (s. o. s. kdiel) zu fassen.
selige, slige Schlange, Natter.
Die Schreibung selige findet sich bei Meyer, E. W. 401
und Jungg, Fjal. 127, während Bask. 429 und 416 slige neben
selige (e = e) bietet. Die Schreibung mit l entspricht besser
den Ausführungen Pedersens, K. Z. 33, 541 f. über alb. I. Das
bisher ungedeutete Wort gehört zu air. selige Schildkröte, nir.
seilche Schnecke (Grundf. *selikiä), lit. sel&ti schleichen, gr. eill-
Ttodag schleichfüßige, ai. t-sdrati schleicht heran (cf. Osthoff,
BB. 22, 255 ff.; Walde, E. W. 560, 2 696). Das alb. Wort ent
hält $o-Formans, wie dies zur Bildung von Tiernamen auch
in den verwandten Sprachen oft verwendet wird; cf. ai. urqga-h.
urdga-h Schlange, bhujqga-h, bhujaga-li, Schlange, patqgd-h
fliegend, Vogel, gr. ootvl; Wachtel, rezTij; Zikade (Brugmann,
Gr. 2/1 2 , 508, 510, 511; cf. auch O. Richter, I. F. 9, 199 £).
Im Alb. erscheint go-Suffix auch in pl'ok, pl'ogu Haufe (s. o.).
Uber die Verwandtschaft zwischen go- und ko - Suffix bei Bil
dung von Nomina der genannten Bedeutungskategorie — ko-
Suffix erscheint im ir. Wort — cf. Brugmann, 1. c. 505. Zwischen-
vokalisches g im Alb. ist natürlich nicht alt. Der feminine
Ausgang reiht das Wort den oben bei djade angeführten Bei
spielen an, d. h. auszugehen ist von *£(e)lik, während s(e)lige
sekundär ist. Das Bedeutungsverhältnis zwischen s(e)lige und
lit. seleti schleichen hat an lt. serpens: serpere, anord. snäkr
78
I. Abhandlung: Jokl.
Schlange: ahd. snahhan irrepere (Kluge, E. W. 7 , 408; Fick 3 4 ,
518) ein Analogon. Auch das semasiologische Verhältnis zwi
schen alb. s(e)lige Schlange, Natter und ir. seilche Schnecke
hat durchaus nichts Befremdliches. Auch sonst wird nämlich
der Schnecken- und der Schlangenname aus dem gleichen Wort
materiale gebildet: Nnorw. snolc Schnecke: an. sndkr Schlange,
schwed. snolc Ringelnatter (Fick, 1. c.). Das ir. Wort verhält
sich zu lit. seliti schleichen der Bedeutung nach ganz ähnlich
wie d. Schnecke: Schweiz, schnaacken repere, serpere (worüber
Kluge, 1. c. 409). Die genannten Wörter aus dem Ir. hat mit
lit. seleti — jedoch ohne Heranziehung des alb. Wortes —
schon Bezzenberger bei Fick 2 4 , 292 verglichen und sie des
weiteren mit 1t. salio verbunden. Gegen diese Zusammenstellung
mit salio wendet sich Walde, E. W. 541, 2 673 (s. salmo). Auch
Osthoff, BB. 22, 257 trennt salio von lit. seleti. Hingegen
stimmt air. selige, nir. seilche zu alb. s(e)lige semasiologisch
und morphologisch recht wohl, und ebensowenig können alle
genannten Wörter von lit. seleti getrennt werden. Aus Bezzen-
bergers Deutung braucht also nur lt. salio gestrichen zu werden,
während alb. s(E)lige eine Art von semasiologischem Bindeglied
zwischen dem ir. und lit. Wort darstellt, demnach Bezzen-
bergers Etymologie zu stützen vermag.
skel' trete, zertrete, übertrete, verachte; skel'm, slcelm 1 Tritt,
Fußtritt, skehp, skelhi Fußtritt, skelmoj, slcel'hoj trete,
skak hexe.
Meyer setzt E. W. 407 eine Wz. *skel-, skol- an. Aber
gegen eine solche Aufstellung ergeben sich mancherlei Ein
wände: 1. ergibt sq im Alb. h (cf. har ich jäte: Wz. sqer, hake
Schuppe: lit. skelti spalten usw. Brugmann, Gr. 1 2 , 582, wozu
also skal' hexe (eigentlich ,trete', Meyer, 1. c.) nicht stimmt).
2. fehlt es an weiterer Anknüpfung. Beide Schwierigkeiten
schwinden, wenn das Wort in s-kcil- zerlegt wird. Da nun die
Gruppe s-k im Anlaut dieses Wortes nicht wie ursprüngliches
sk- behandelt wird, ergibt sich der weitere Schluß, daß zwischen
s und k eiu Vokal ausfiel, s- ist der Reflex von idg. sem-,
srri- (aksl. sq-, ai. sa-, sam-, apr. sen-, gr. 8- usw.). Weitere Spuren
1 Meyer schreibt zwar E. W. 407 Skel'm; allein Bask. gibt S. 313 SJcel'm
an, was in Anbetracht der Parallelform Skel'm wohl das allein richtige ist.
Studien zur albanesisehen Etymologie und Wortbildung.
79
dieses Präfixes werden weiter unten nachzuweisen sein, kal-
< kol- gehört zu lit. hulriis Ferse, lt. calx Ferse, calcare treten
(letztere mit stammauslautendem Guttural; cf. Walde, E. W. 87,
2 117) gr. y.oXsTQccv treten. Einer besonderen Besprechung bedarf
noch das Verhältnis von skaT zu SkeT und zu slceVni. Pedersen,
Iv. Z. 36, 326 f. wendet sich gegen die von Meyer gelegentlich
(z. B. E. W. 185) ausgesprochene Ansicht, daß ein aus a um
gelautetes e keine Mouillierung des lc bewirke. Bei der Etymo
logie von Wörtern wie keli schlecht, kep behaue Steine, gegs,
kede (geg.) Mädchen vor der Mannbarkeit, skeV, skep und
anderen mit k vor e müsse man besonders vorsichtig sein. Der
Schlüssel des Rätsels dürfte in den meisten Fällen Entlehnung
(aus anderen Sprachen oder Dialekten) sein. Ebenso wie für
kek (s. o.) besteht aber auch für die hier zu besprechende
Gruppe und das gleich unten folgende skep noch eine andere
Möglichkeit. Während nämlich skak behexe (,trete') auf * sm-
kol-nö (cf. kuhns) weist, deuten die Formen mit Me- wie Mcekm,
skekmoj, slcekboj (Kristoforidi 395) gegenüber skelp auf inlautendes
e hin, sei es, daß dies aus einer mit kol- ablautenden Form
herstammt, sei es, daß es durch ein i der folgenden Silbe be
dingt ist, sich also im Konjugationsschema von *kolnis, *kalnis
usw. (1. pers. *kolnio, *kalnio) verbreitete. In skek wird daher
ein Kontaminationsprodukt aus beiden Formenkategorien: Typus
kal-nö und Typus kal-niö bezw. kel-nö zu erblicken sein. Da
nun auch sonst im Alb. die «o-Verba zu mo-Verben wurden
(ßtiin <k stüd-nio: got. stautan [Meyer, A. St. 3, 28], ndün be
schmutze <( * dhüg-nio: ahd. tühhan, ebd. 9), so ist die An
nahme eines Typus *kalnis wahrscheinlicher. Morphologisch
vergleicht sich das Nebeneinander von Skekm, skelp der Doppel
heit ngelmets, ngekbets (s. o.). skelp, skekbi verhält sich dem
Suffix nach zu skel’ ebenso wie lit. paliauba das Aufhören:
liduti aufhören (Brugmann, Gr. 2/1 2 , 389). 1
1 Helbig, Jb. d. Instit. f. rum. Spr. 10, 24 führt Skel' trete, zertrete, über
trete, verachte auf lt. *excaüeare aus dem Wege treten, zurück. Allein
abgesehen von den Bedeutungen, die sich nicht ganz ungezwungen
vereinigen lassen, ergeben sich gegen diese Erklärung zwei Einwände:
1. Einwandfreie Beispiele für den Übergang lat. Verba in die ?t-lose
alb. Konjugation wurden nicht erbracht (cf. Pedersen, Rom. Jb. 9, I, 211
und unten s. tund). 2. Das Verb ist mit heimischen Mitteln suffigiert.
80
I. Abhandlung: Jokl.
Skep, Skrep gleiche ein wenig.
Meyer, E. W. 408 führt nur Skep an; aber Kristoforidi,
Lex. 393 verzeichnet neben Skep Skrep als die richtigere Form
und gibt auch eine etwas modifizierte Bedeutung an: .gleiche
ein wenig' (bei Meyer ,gleiche'). Durch die Form Skrep löst
sich für dieses Verbum die von Pedersen an der bereits zitierten
Stelle (K. Z. 36, 327) erwähnte Schwierigkeit des unmouillierten
k vor e. Aber auch die etymologische Anknüpfung ist hiedurch
ermöglicht; wie Skai' ist auch dieses Wort zu zerlegen. Skrep
= S-krep, worin s- wiederum der Reflex von sewi/som-, sm-;
-krep: 1t. corpus Körper, ai. kfp- Gestalt, Schönheit (idg. qvrep-
cf. zur Sippe Walde, E. W. 144, 2 194). ln Bildung und Be
deutungsentwicklung entspricht also alb. S-krep ,gleiche (ein
wenig'), dem d. gleich, ahd. gilih, got. galeiks, eigentlich ,einen
übereinstimmenden Körper habend' (Kluge, E. W. 7 , 175). Für
den Wegfall des r, wie ihn Skep gegenüber skrep zeigt, lassen
sich Parallelen beibringen, z. B.: tendeVine neben trendetine
Bergmelisse (Kristoforidi, Lex. 420; Meyer verzeichnet E. W.
436 nach Hahn nur trendetine), toke neben troke Erdober
fläche (Kristoforidi 425, 433; Meyer, E. W. 432), geg. skepetl
blitze, aber in dem gleichfalls noch geg. Elbasan Skrepetij
(Kristoforidi 400, cf. auch Meyer, E. W. 409), vangulon neben
vranguion zwinkere mit den Augen (Kristoforidi 36), pa übrigens,
also neben pra (Kristoforidi 296, cf. aksl. prote), pertrüp kaue
neben pertrüp (s. unten s. Stüp) u. a.
Skoj gehe, gehe vorüber, verfließe; skues (&küs), Skes
Heiratsvermittler.
Meyer, E. W. 408 gibt für Skoj nur die beiden zuletzt
angeführten Bedeutungen an; doch ist ,gehen' als Grundbe-
Man beachte ferner Skai'oj, das nach Helbig, 1. c. Anm., wegen des l
nicht auf lt. callis zurückgehen kann (so Meyer, E. VV. 407). Meyer führt
nur die Bedeutung ,werde närrisch 1 an. Allein das Verb ist identisch
mit dem von Lumo Skrndo, Krndime per skolat e para, S. 14 gebrauchten
tSlcaloj hervorkommen, hervorschießen, aussehlagen (vom Getreide), das
eine konkretere Bedeutung zeigt und sich deutlich an die oben be
sprochene Sippe anschließt (eig. ,austreten 1 ). Daraus konnte sich leicht
die Bedeutung ,närrisch werden 1 ergeben. Zur Verbalbildung cf. Pedersen
Rom. Jb. 9, I, 211. t entstand also in zwischenvokalisclier Stellung.
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
81
cleutung durch die Angaben von Kristoforidi, Lex. 397; Bask.
425; Pekmezi, Gr. 273 gesichert. Die Bedeutung ,gehe' gibt
Kristoforidi, 1. c. zwar als nur geg. an, aber nach Pekmezi ist
sie gemeinalb. Daß die Angabe Pekmezis richtig ist, beweist
z. B. der Sprachgebrauch von Leskovik (Lirija, Nr. 93, S. 1,
Sp. 3, wo skoj in der Bedeutung ,gehen, reisen' verwendet
ist). Meyer enthält sich einer abschließenden Deutung, indem
er bloß bemerkt, den Lauten genüge Herleitung aus lt. sequor,
der Bedeutung nicht ganz. Allein nirgends im rom. hat lt. se-
quor die Bedeutungen ,gehen, vorübergehen'. Ein anderer Er
klärungsversuch ist daher geboten. Das Wort ist Denominativ
zu alb. steh, stegu Weg, ganz wie das von Quintilian getadelte
vulgärlt. viare gehen, reisen zu via Weg gebildet ist. Es kann
sich daher um Beeinflussung der ,inneren Wortform' durch das
lt. handeln, skoj <j St.(s)goj Uber *stkoj. Die heutige Form
Skoj verhält sich zur angesetzten Grundform ganz ähnlich wie
heutiges geg. und it.-alb. (cf. Hanusz, MSL 6, 266) Spl Haus:
tosk. Stepi. Man vgl. in lautlicher Hinsicht noch etwa ksu so,
in Leskovik (Lirija, Nr. 93, S. 1, Sp. 4) für ksStu. 1 Daß in
der Grundform * st(e)goj intervokalisches g erhalten blieb, er
klärt sich nach den Ausführungen G. Meyers, A. St. 3, 37. Cf.
agoj tage. Zum Vokalismus Steg-, * st(e)gdj j> Stkoj vgl. man
lt. excitare über * s/cton j> tSori (Meyer, E. W. 448). Wie sehr
übrigens Bezeichnungen des Gehens durch häufigen Gebrauch
verändert werden, dies führen Marchot, Rev. des langu. rom.
1893, 146 und M. Breal, MSL. 9, 31 an romanischen Beispielen
aus. Zur Bedeutungsentwicklung ,gehen, vorübergehen ist frz.
passer gehen, vorübergehen zu vergleichen. — Hieher gehört
auch Skues Heiratsvermittler (so schon Kristoforidi 398 und
Bask. 427), Bei Jungg, Fjal. 131 findet sich Sküs, während
Meyer außer sküs auch noch die von Hahn verzeichnete
Form Skes anführt. Herleitung aus Skoj merkt schon Kristo
foridi, 1. c. an; hingegen will Bugge, BB. 18, 184 das Wort als
Entlehnung aus lt. (Plautus) cotio Mäkler (cf. afrz. cosson Mäkler,
it. cozzone Mäkler, Kuppler) betrachtet wissen. Allein das Neben
einander von Skues und skes zeigt deutlich, daß wir es mit
einer Ableitung von einem Verbum auf -oh zu tun haben; cf.
1 kSu gebraucht auch Naim Be Fraseri, Fletore e Bektasiiiet 3 , S. 9.
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 1G8. Bd., 1. Abb. 6
82
I. Abhandlung: Jokl.
geg. lmnues (Jungg, Fjal. 58): tosk. kendes Sänger von kendoh
singe. Zudem ist Bugges Etymologie auch lautlich unmöglich.
Denn entweder wurde cotio zu einer Zeit entlehnt, die vor dem
Wandel von 0 e lag (wie nder <( lt. honorem), dann begreift
man eine Form *kes, nicht aber skues, Sküs, worin ue, ü auf ö
weisen; oder aber die Entlehnung fand nach dieser Zeit statt,
dann ist wieder der inlautende Vokal der von Hahn verzeiclmeten
Form skes unverständlich. Auch der Anlaut fügt sich nicht zu
Bugges Deutung. Allerdings bedarf die von Kristoforidi zuerst
ausgesprochene und hier vertretene Deutung noch einer sema-
siologischen Stütze. Eine semasiologische Parallele bietet ksl. cho-
dataj Gesandter, Vermittler, russ. (aus d. ksl.) Anwalt, Für
sprecher, Vertreter, Vermittler; cliodätaja Brautwerberin: choditi
gehen. Als weitere semasiologische Parallele mag die von Miklo-
sich, Lex. palaeosl. s. chodataj (S. 1093) angeführte mit. Wendung:
tu inter illum et nos medius discurristi dienen.
skes, Skas gleite aus.
Weitere Vertreter der Sippe bei Meyer, E. W. 411. Eine
Deutung gibt Meyer nicht, sondern meint nur, skies und Skas
stehen im Ablautsverhältnis und weisen auf skes. Allein die
selben lautlichen Gründe, die oben bei skel' gegen ein *skel-,
*skol- angeführt wurden, sprechen auch gegen *skes-, *skos.
Vielmehr ist das Wort in s-kes zu zerlegen. Kes gehört als *ketio
zu cech. (pfe-)kotiti Umstürzen, kdceti umwerfen, r. kacdtb
wiegen, refl. wanken. Das Bedeutungsverhältnis zwischen dem
sl. und alb. Wort ist dasselbe wie zwischen lt. lahor gleite und
labo wanken, s- ist wohl lt. ex: -leas braucht keineswegs im
Ablautsverhältnis zu kes zu stehen, sondern kann auch auf An
gleichung an die zahlreichen Verba auf -as beruhen.
spie führe hin; spure Geleit.
Meyer scheint (E. W. 35) das Präsens spie zu bie führe,
bringe zu stellen, während er das Präteritum pruva, prura,
Partiz prure richtig zu Wz. per- in ai. piparmi führe hinüber,
geleite, gr. tt.oqoq Gang, neodoj dringe durch, lt. portare tragen.
Allein bei Vereinigung von spie mit bie bleibt der Anlaut un
erklärt. Man versteht weder die Natur des s- noch das p in
spie. Das Verb ist in s-pie zu zerlegen; das stammhafte Eie-
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
83
ment gehört zu aor. pruva, partiz. pruns, welche Formen Meyer
richtig erklärt hat. Trennung des Präsens und des Präteritums,
wie sie Meyer vornimmt, ist also nicht nötig, s- ist Reflex von
idg. sem- / som-, sm- (s. o. s. Skep, skrep, UlceT). Wie sl. sz, 1 so
hat auch alb. S- bei diesem Verbum perfektivierende Bedeutung.
S-pure- entspricht einem d. Ge-leit wie s-krep, s-kep einem ahd.
gi-llh. Die von Meyer erwähnten, oben angeführten präteritalen
Formen sind jünger und analogisch entstanden (cf. Meyer, 1. c.).
Eine ältere Form flndet sich bei Bogdan, Cun. propli. I, 6G, 16:
fcpuu, was als Spa zu lesen ist. Dieser Aorist flndet eine laut
liche Entsprechung an Spure Geleit <( pfä. Beide zeigen f,
Spu noch Abfall des r wie bie. Zur Vertretung des f nach
Labialen vgl. man Pedersen, K. Z. 36, 319 im Zusammenhalt
mit Brugmann, Gr. 1 2 , 465. In der Ablautsstufe entspricht der
Aor. Spü z. B. dem Aor. grisa. Dies weist darauf hin, daß das alb.
Präteritum außer den Reflexen des idg. Perfektums (Pedersen,
Festskr. til V. Thomsen, 253 f.) auch Reste des Aor. in sich auf
genommen hat. Man vgl. übrigens auch die Ausführungen bei Stie.
spal offenbare, perpät veröffentliche.
Meyer führt E. W. 320 nur Spal' offenbare mit weichem
l an und stellt dies zu pale Falte, geht also hiebei von einer
Grundbedeutung ,entfalten' aus. Der Begriff des Offenbarens,
Mitteilens des Verborgenen haftet also liienach an der Präpo
sition S = tS: lt. dis. (Pedersen, K. Z. 36, 321.) Allein eine
solche Deutung wird widerlegt durch die von Meyer nicht ver-
zeichnete, jedoch schon von Bogdan, Cun. propli. I, 73, 9, II,
2, 6 gebrauchte Form perpäl veröffentlichen, ein Verbum, das
trotz seiner Zusammensetzung mit einer Präposition von ganz
anderem Sinn eine fast identische Bedeutung aufweist. Daraus
folgt, daß der Begriffskern der Sippe am Verbum und nicht
an der Präposition haftet, lt. palam offen, öffentlich, vor den
Augen der Leute, r. polyj offen, frei, unbedeckt zeigen diese
Bedeutung und stellen demnach die außeralb. Bezüge dar. Mit
ihnen gehört unser Wort zu idg. *pelä ausbreiten (ahd. f'eld,
aksl. polje Feld usw. cf. Walde, E. W. 443, 2 554). perpäl ist
also ,veröffentlichen, verbreiten', während Spat gleichsam ein
,ausöffentlichen, ausbreiten' darstellt. Die Schreibung Spal mit
1 [Zum Etymon cf. besonders Brugmann, Gr. 2/2 2 , 852. K.-N.]
6*
fl
84
I. Abhandlung: Jokl.
I gibt im Gegensatz zn Meyer Kristoforidi, Lex. 408; sie wird
durch perpäl bei Bogdan, 1. c. (geschrieben perpaed) bestätigt.
Spor, tSpor schicke fort, jage fort, entferne; tSporem ent
ferne mich.
Die Bedeutungen nach Kristoforidi, Lex. 409, während
Meyer, E. W. 414 nur Jage fort' angibt. Das bei Meyer un-
gedeutete Wort ist in (t)s-por zu zerlegen; -pov gehört als
*per-n- mittelbar zu got. fairra fern, weg von, ahd. ferro fern,
ai. pdra-h entfernter. Lautlich entspricht am besten lit. pernai
im vorigen Jahre (das ja gleichfalls zu got. fairra usw., Wz.
per- gehört; Walde, E. W. 461, 2 575; Feist, 74f.). lit. -er- mit
stoßendem Akzent entspricht alb. -or- <S er ganz ebenso wie
lit. -dr- in szdrka, alb. -or <S är in sore (cf. Pedersen, K. Z.
36, 337) entspricht. Aus dem Alb. selbst reiht sich natürlich
para, par vor usw. (cf. Meyer, E. W. 321) hier an.
stie, geg. Stl, stjj lege hin, werfe, schleudere, schieße, mache
eine Fehlgeburt.
Meyer hat dieses Verbum in seinem E. W. 416 in einem
Artikel mit stjet wickle auf behandelt und dies auch noch
A. St. 3, 73 und 78 aufrecht gehalten. Die gemeinsame Grund
form sei *stel- (gr. oteDm, aksl. steljg, ahd. stellan). Stie sei
zwar — wie bie aus *bier (cpeoio) — zunächst aus stier ent
standen, das aber seinerseits aus stel- mit Wandel von l zu r
hervorgegangen sei. Allein ganz abgesehen davon, daß Meyers
Lehre von der Vertretung von idg. I durch alb. r (A. St. 3, 78)
nicht aufrecht zu halten ist (Pedersen, K. Z. 33, 551), so läßt
sich in unserem besonderen Falle die Identifizierung von stie
und Stjel durch die Tatsachen nicht rechtfertigen. Denn wie
z. B. aus Pekmezi, Gr. S. 275 hervorgeht, handelt es sich um
zwei semasiologisch und formell verschiedene Verba. Stiel be
deutet ,wickle auf', stie hat die oben angeführten Bedeutungen.
stiel bildet den Aor. Stola, stie im tosk. stira, Stiva, Stura (Pe
dersen, Alb. T., 195), im geg. Stiva, stina. Bei Bogdan, Cun.
proph. I, 92, 23, 24 heißt es: stiu nde det deiecit in mare, Stiu
ndata uje gettö in quelle acque. Es ergibt sich die sehr nahe
liegende Anknüpfung an 1t. sterno auf den Boden hinstreuen,
hinbreiten, niederstrecken, ai. stfnöti streut, wirft nieder, alb.
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
85
strin breite aus usw., eine Sippe, die sich mit sämtlichen oben
angeführten Bedeutungen sehr gut vereinigt, stie *ster-, wie
ja auch Meyer lehrt. Während also strin in morphologischer
Hinsicht sich an lt. sterno, ai. stpiöti anschließt, steht Hie(r)
morphologisch dem aksl. stbrg, streti <( * steril, r. stereU nahe.
— Es fragt sich nur noch, wie die andern vorhandenen For
men aus einer solchen Grundform hervorgegangen sind. 3. sing,
aor. Stiu (Bogdan, 1. c., Pedersen, A. T. 195) weist, da -u in der
3. sing. aor. nach Ausweis des Mediums nicht ursprünglich ist,
zunächst auf sti-; dies ist aber — mit auch sonst nachweis
barem Abfall von r — aus * stir entstanden, was wieder auf stf-
zurückgeht (Brugmann, Gr. 1 2 , 465). In der Ablautsstufe ist
also grisn und das oben besprochene spü (Bog.) zu vergleichen.
Der vorhandene Aor. ist dann weiterhin ein Produkt verschie
dener Ausgleichungen; f, bezw. -ir-, konnte nur in antesonan-
tischer Stellung entstehen, r nur im Auslaut abfallen. Durch
Verallgemeinerung und gegenseitige Beeinflussung entstand aus
einer Form sti- dann — mit hiattilgendem v — stiva (cf. Pe
dersen, Festskr. t. Thomsen 253 f.). Der Aor. stura ist nach
Formen wie vura gebildet. Der tosk. Aor. stira kann ursprüng
lich sein; möglich ist aber auch, daß er nach einem partie. stirs
(woneben geg. Stirn) neu gebildet ist. 1 Im geg. gilt das Präsens
Hl, sti i sti zeigt die geg. Kontraktion von ie O i. Das Verbum
geriet so unter Einwirkung der Verba auf j, was dann die Bil
dung eines neuen Aor. stina zur Folge hatte. Hingegen hat
Bogdan noch den älteren Aor.: 3. stiu.
stip, stüp zerstoßen, zertreten, zerquetschen; psrtüp, pertrüp
kauen; Strip, zdriip, herabsteigen.
Die Bedeutungen des erstgenannten Verbums nach Kristo-
foridi und Bask. Kristoforidi, Lex. 414 gibt als ngr. Ent
sprechung '/.ojcavi'Coj, xoakartaxG), yazarckcr/Mvei (also zerstoßen,
mit Füßen treten, niederdrücken), Bails. 442 übersetzt pestare,
schiacciare (also zerstampfen, zertreten, quetschen). Meyers
Übersetzung von stip ,zerreiben, zerstoßen' wird dadurch einiger-
1 Doch macht der Konj.: Stere (Pedersen, A. T. 195), Stjere (Lirija, Nr. 101,
S. 1, Sp. 1) mit seinem r die erstere Ansicht wahrscheinlicher. — Anders
nämlich durch Einwirkung von stij setze über einen Fluß wird Hiv,
stire von Pedersen, A. T. 196 erklärt.
86
I. Abhandlung: Jo kl.
maßen modifiziert. Die Form psrtrüp, die Meyer im E. W. 416
noch nicht anfuhrt, wird von Kavalliotis gebraucht und darnach
von Meyer in den später erschienenen A. St. 4 (S. 83) abgedruckt.
Kavalliotis schreibt naoroiovrc und Meyer gibt die Lesung
psrtrüp nur fragend. Allein der Vergleich mit dem gleich
bedeutenden pertiip und die Erwägung, daß Schwund des r
in analoger Stellung im Alb. oft genug nachzuweisen ist (s.
oben s. skep), schließt wohl jeden Zweifel aus, daß bei Kavalliotis
unter dem a das i subscriptum durch Druckfehler ausfiel (mit
ci bezeichnet nämlich Kavalliotis das alb. s). Die Form psrtrüp
aber ist mit der von Meyer im E. W., 1. c. gegebenen Deutung
der Sippe (: lt. stipare) nicht zu vereinbaren. Das Nebenein
ander von psrtrüp, pertiip, stüp, iftip ergibt vielmehr ein Stamm
verbum -triip, das mit verschiedenen Präpositionen zusammen
gesetzt ist. -t(r)ip, trüp, dessen Bedeutungskern, wie sich aus
den angeführten Übersetzungen von Kristoforidi und Bask.
erweist, ,treten, quetschen' ist, gehört zu gr. rqaneut keltern,
ags. prafian drücken, drängen, tadeln, verweisen, lit. trepstu
mit den Füßen stampfen, trypiil mit den Füßen mehrfach
treten, stampfen, pr. trapt treten, r. tropd Fährte usw. Alb.
Grundform: *trpö, was regelrecht trip ergab, ü wurde durch
den nachfolgenden Labial hervorgerufen, wie auch sonst. Zur
Ablautsstufe vgl. man insbesondere das gr. Wort und lit. trypiil.
s in s-t(r)üp, s-t(r)ip ist eher das oben bei sk(r)ep besprochene
alb. s als lt. ex. Das Bedeutungsverhältnis ,kauen' (psrtrüp
bei Kavalliotis): ,treten, quetschen' (stüp) ist dasselbe wie bei
r. mjatb treten, kneten, kauen.
Ein Kompositum von -trip ist auch strip herabsteigen,
das sich schon in der ältesten alb. Bibelübersetzung (Kön. 3,
17, 23, veröffentl. im ,Tomori', Nr. 12, S. 3), nämlich der des
Dom Gon Buzuk aus dem Jahre 1555 findet. Mit diesem
Verbum ist aber trüp, strüp, geg. zdriip, sic. zdrip (Meyer,
E. W. 439) herabsteigen offenbar identisch. Bugge hat BB. 18,
186 die bei Meyer verzeichneten Formen aus it. derupo herab
stürzen herzuleiten versucht. Aber dabei bleibt der Anlaut der
jetzt ans Licht gelangten ältesten Form, nämlich strip, uner
klärt, nicht minder aber der von strüp, zdriip, zdrip und trüp}
1 Der Anlaut t in trüp spricht auch gegen die Herleitung Jarniks (cf.
Pedersen, K. Z. 30, 287) aus rum. ripä, alb. rips.
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
87
Denn bei den erstgenannten Formen müßte man ja eine Zu
sammensetzung, etwa *disderupo annehmen, was keinen Sinn
(oder allenfalls den entgegengesetzten) gäbe, während der An
laut tr- bei der von Bugge vorgeschlagenen Deutung lautlich
schwer zu erklären ist. In der Tat handelt es sich um ein
Kompositum * dS-trip ; woraus sich alle Formen erklären lassen.
Zum Bedeutungsverhältnis vgl. man nhd. (eigentl. nd.) Treppe
: trappen und trampeln (Kluge, E. W. 7 , 464, 462), c. vystoupiti
aussteigen: stoupiti treten. Zur Gestalt des Anlautes vgl. man
insbesondere das Nebeneinander von zbon, debon, tboii, dzbon.
stir, stij, stür setze Uber einen Fluß, treibe an, reize, stifte an.
Meyer führt E. W. 419 nur stür an. Doch ist diese Form
nach Kristoforidi 413, 414 nur geg., u. zw., wie sich gleich
zeigen wird, nicht allgemein gegisch. Für das Tosk. bezeugt
Kristoforidi stir (Berat) und stij (Permet). Während nun Meyer
die Form Stür und die Bedeutungsangaben hiezu Hahn, A. St. 3,
127 entnahm, hat er die Reihenfolge der einzelnen Bedeutungen
abgeändert. Bei Hahn steht nämlich ,setze über einen Fluß'
an erster Stelle, die anderen Bedeutungen folgen wie oben.
Meyer hat ,treibe an, reize an, setze über einen Fluß'. Kristo
foridi kennt 1. c. nur die Bedeutung ,setze über einen Fluß*.
Auch Pedersen führt A. T. 195 s. stij stoße ein formell damit
zusammenfallendes stij setze über einen Fluß — ohne eine
andere Bedeutung — an. Das von Pedersen verzeichnete Verb
deckt sich also mit dem von Kristoforidi für Perrnet bezeugten.
Pedersen knüpft daran Bemerkungen über das Zusammenfließen
von Formen von Stie werfe und stij (s. oben s. stie) an. Mit
diesen Angaben Pedersens kommt auch Bask., S. 439 überein,
der stl setze über einen Fluß und stl werfe, mache eine Fehl
geburt gar nicht sondert. Endlich kennt auch Jungg, Fjal. 136
(der den skutar. Dialekt wiedergibt) nur stir setze über einen
Fluß. Aus all dem geht wohl zur Genüge hervor, 1. daß tat
sächlich mit Hahn als Grundbedeutung ,setze über einen Fluß'
anzunehmen ist, während die anderen Bedeutungen sekundär
sind; 2. daß die Form stir (stij) die weitaus verbreitetere ist;
stür ist bloß dialektisch. Der Abfall des r in stij erklärt sich
nach der oben bei stie für diese Form und Aor. sti(u) ange
gebenen Art. Das ü in stür dürfte durch stüii hervorgerufen
88
I. Abhandlung: Jokl.
sein (cf. übrigens auch Pekmezi, Gr. S. 55). Überblickt man
diesen Tatbestand, so ergibt sich auch eine etymologische An
knüpfung. stir ist in s-tir zu trennen, worin s- die schon öfter
besprochene Präposition (== idg. sein-, sni-) ist; -tir gehört zu
ai. tirdti er dringt hindurch, tdrati übersetzt, macht durch,
überwindet, tir äh durch — hin, hinüber, 1t. Irans, got. pairh
(Thumb, K. Z. 36, 198 f.; Walde, E. W. 623, 2 774). In den
ai. Wörtern ist -ir- als f zu fassen (Brugmann, Gr. 1 2 , 460).
Nicht anders steht es mit der Ablautsstufe des alb. Verbums
(cf. Brugmann, Gr. I 2 , 465). Die Verwendung von s- dürfte
der des sl. sz <] *sm- analog sein, sei es, daß es zur Perfelt-
tivierung dient (s. o. bei spie) oder den räumlichen Ausgangs
punkt bezeichnet. Die von Hahn noch angegebene Bedeutung
,treibe an, reize an' ist sekundär, was bei einem Verbum der
Bewegung (cf. lt. incitare antreiben, citare in Bewegung setzen;
gr. y.ioi gehe) nicht weiter befremdet. Dabei konnte allerdings
die besprochene lautliche Beeinflussung durch stun stoße maß
gebend gewesen sein.
storase aufrecht.
Meyer führt das Wort E. W. 417 nach Kavalliotis an,
ohne eine Bemerkung daran zu knüpfen, während er es A. St.
4, 91 als unklar bezeichnet. Jedenfalls gehört es zur idg. Wz.
*stä- stehen. Die Quelle, aus der das Wort geschöpft ist, ist
toskisch; es ist daher gestattet, intervokalisches r auf n zurück
zuführen. Man erhält so eine Grundform *stü-n-, in der das n
wohl von einem «-Partizipium (cf. Stuare stehend, Pedersen
A. T. 196, stuara in piede, Rada, Raps., S. 50) ausgegangen
ist. Zum Suffix ist geg. risiasi neuerdings, kürzlich (Kristofo-
ridi 351) neben geg. ristas, ristazi, ristaze zu vergleichen. Das
s ist also, wie die Formen mit inlautendem 2 beweisen, nur im
Auslaut berechtigt und von da aus weiter verschleppt, geg. ri-
stasi mit seinem auslautenden i verhält sich zu storase wie
geg. Ui : tosk. Ke. Das auf diese Weise zu erschließende *sto-
raze vergleicht sich im Suffix dem gr. -öov, -drjv, -da: anoaza-
Söv feru abstehend, azddrjv stehend, peradQopadrjv nachlaufend,
plyöa vermischt u. a. m. (Brugmann, Gr. 2/1 2 , 471), denen gegen
über es Erweiterung mit -io- aufweist. Grundform also etwa
* stä-n-odio, * stä-n-adio.
Stadien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
89
strunge Abteilung des Pferches, in dem Ziegen gemolken
werden.
Uber die Wanderung des Wortes zu Slawen und Grie
chen, die das Wort unmittelbar aus der Sprache wlachischer
Hirten entlehnten, cf. Meyer, E. W. 418. Der Ursprung des
Wortes ist nach Meyer dunkel. Die von Miklosich und Schu-
chardt befürwortete Herleitung aus alb. strengofi drücke, presse
aus, nötige, das selbst wieder aus 1t. stringo entlehnt ist, weist
Meyer, l.c. ab. Allein Urverwandtschaft mit lt.stringo <[ *strengo
straff anziehen, schnüren, gr. acqayyog gedreht, arqayyevco drehe,
mqoyyvlog rund usw. (cf. über die Sippe, Walde, E. W. 601,
2 745) ist sehr wohl möglich. Grundform *strng-, mit einer Ent
wicklung des wie in gründe, mund (s. o.), tund (s. u.). Die
Bedeutungsentwicklung ist genau die gleiche wie in lt. crätis
Flechtwerk, Hürde, gr. xvqzia, d.Hürde: aksl. kre(t,)noti drehen. 1
Sur harne, Sure f. Harn.
Meyer, der E. W. 420 das Substantivum zu ahd. sür sauer,
aksl. syrz Käse stellt, gibt diese Deutung A. St. 3, 45 — u. zw.
aus lautlichen Gründen — als unsicher auf. Pedersen zeigt
K. Z. 36, 281 ihre Nichtübereinstimmung mit der sonst zu be
obachtenden Regel, daß in echt alb. Wörtern kein S vor einem
ursprünglichen hinteren Vokal erscheint. Pedersen vermutet
nun lt. Ursprung, nämlich aus *exurinari, macht sich jedoch
sogleich selbst den Einwand, dies hätte nur ein Verb *Suron,
nicht sur (das Jungg, Fjal. 138 bezeugt) ergeben können. Zwei
fellos ist jedoch Pedersen im Recht, wenn er die lautlichen
Schwierigkeiten des S vor u durch die Annahme, daß es sich
um ein Kompositum mit S- handle, zu beseitigen sucht. Zu
einer solchen Annahme bietet ngr. xcctovqov Harn (: agr. ovqov
dass., oiqeco harne) eine gute Parallele, s- kann lt. ex- sein;
1 Der Ansicht Weigands (Jb. des Institut, f. rum. Spr. 16, 228, 229), daß
das Wort slav. Ursprungs sei und ein altblg. strqga existiere, vermag
ich mich nicht anzuschließen. Daß das Wort im Slav. fremd sei, hat
Miklosich, Wander. d. Rum. S. 8, 19, 24 (Denkschr. d. Wien. Ak., phil.-
hist. Kl., Bd. 30; cf. außer klr. strunka auch slovak. strunga) und Slaw.
Eiern, im Magy. 2 , S. 115 f. (= Nr. 792) wahrscheinlich gemacht. Ein
ablg. strqga ist nicht belegt.
90
I. Abhandlung-: Jo kl.
mindestens ebenso wahrscheinlich ist aber die Annahme der
Identität mit dem bereits öfter besprochenen s- ----- idg. sni-.
Wie bei slaw. sa würde es sich in diesem Falle um Bezeich
nung des Ausgangspunktes einer Bewegung (aksl. sa nebese vom
Himmel, cech. spadati herabfallen) handeln. Damit wäre voll
kommene semasiologische Übereinstimmung mit ngr. xcctovqov
gegeben, -uv <[ *ur-n- gehört zur Sippe von 1t. ürina Harn,
anord, ür feiner Regen, lit. jüres Meer, gr. ovosoi harne usw. (cf.
Walde, E. W. 691, 3 860; Fick 3 4 , 32), zu welchen Wörtern es im
Ablautsverhältnisse steht. Bei sur < s-ur-n- handelt es sich um
eine Verbalbildung, die der von mar entspricht. Das Femini
num surs verhält sich zu sur wie l'iöe Band zu Ti9 binde, Harte
Hader, Streit, Zank zu leerton streite, zanke. Es liegt also eine
postverbale Bildung vor.
tartalis zapple.
Das in den Wörterbüchern fehlende Wort findet sich bei
Pedersen, A. T., S. 74. Es gehört zu ai. tar-ald-li schwankend,
zitternd. Über die Bildung des ai. Wortes cf. Persson, Wurzel
erweiter. S. 51; Brugmann, Gr. 2/1 2 , 356 f. I. F. 1,502. tartalis
ist eine Reduplikationsbildung und steht für *tar-tar-is, worin
das zweite r dissimiliert wurde. Die Bildung des Verbums ent
spricht der von yagyalgco ich wimmle (yixQ-yaqa Gewimmel,
ai. galgallti herabträufeln, aksl. glagoljg spreche <( *golgoljg usw.
(cf. Brugmann, K. V. G., 482 f.). Weitere Sippenverwandte bei
Persson, 1. c., Walde, E. W. 635, 2 789. Das alb. und das heran
gezogene ai. Wort zeigen die besondere Übereinstimmung, daß
sie des konsonantischen Determinativs der übrigen Sippen
verwandten entbehren.
geg. tsqstje, tsastje, tsqste, tosk. tsestje Frage.
Die geg. Form tsqstje ist für Elbasan bezeugt (Tomofi,
Nr. 4, S. 1, Sp. 2, S. 2, Sp. 4), während die Schrift Fe-Ikfejis
a mssime myslimane psrmbsledun prei J. H. kl., Elbasan, 1909,
auf dem Titelblatte, ferner S. 1 und im Wörterverzeichnis am
Schlüsse tsastje schreibt. Bask. S. 72 hat die Form tsqste. Die
Form tsestje ist in der Zeitschrift Lirija, Nr. 74, S. 2 in einer
Korrespondenz aus Argyrokastro angewendet. Dieselbe Form
findet sich auch in dem Sammelwerke Valkt e detit von Spiro
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
91
Risto Dine, Sofia, 1908, S. 851 (ohne Angabe der Provenienz,
doch jedenfalls tosk.). Das Nebeneinander von geg. q und
tosk. e weist auf ursprünglichen Nasalvokal. Das Wort ist aus
einer Zusammenrückung: geg. ts qst, tosk. ts este was ist es?
entstanden. Das so entstandene tsqH, tseste wurde mit dem zur
Bildung der Nomina actionis verwendeten Suffix -sie versehen.
Die Form tsqste (Bask.) ist zu beurteilen wie mbl'ede Versamm
lung neben mlsjedije (Meyer, E. W. 265), mbTedel'e (Pedersen,
A. T. 157).
tsem erforsche, enthülle, entdecke, tsemete es kommt
zu Tage.
Nur die letztere Form findet sich bei Meyer, E. W. 446
(ohne Deutung). Das Aktivum wird durch Kristoforidi, Lex.
446 und Bask. 73 bezeugt. Das Wort ist wohl aufzufassen als
*ts-ap-nio, worin ts- das bekannte Präfix (:1t. dis) ist, während
das stammhafte Element zur Sippe von lt. *apio verbinden,
umwinden, c.öpula Band gehört. Als Grundbedeutung ergibt
sich also ,losbinden, lösen'.
tund schüttle, bewege.
Nach Meyer, E. W. 452, dem sich auch Meyer-Lübke,
Gröbers Gr. I 2 , 1056 anschließt, ist dies aus lt. tundo stoße ent
lehnt. Rom. Jahresb. 9, I, 211 äußert jedoch Pedersen Bedenken
gegen eine solche Annahme, da die wenigen, für den Übergang
lt. Verba in die n-lose alb. Konjugation beigebrachten Beispiele
durchaus zweifelhaft sind. Pedersens Einwand ist in diesem
Fall um so berechtigter, als sich leicht ohne die Annahme der
Entlehnung aus dem lt. auskommen läßt. Das alb. Verbum
stimmt nämlich in der Bedeutung vollkommen zu ai. tasdyati
schüttelt, bewegt hin und her, das zusammen mit üt. tqsyli
mehrfach zerren, got. at-pinsan heranziehen usw. eine «-Erwei
terung des Wz. ten- darstellt. Zu derselben Wurzel nur mit
dfAJ-Präsens (oder Erweiterung) läßt sich auch alb. tund stellen.
Grundform: *tnd- mit derselben Vertretung von y vor Kon
sonanten, die oben bei gründe, mund, strunge besprochen wurde.
mund läßt sich überdies auch morphologisch mit tund ver
gleichen ; morphologisch kann auch lt. tendo herangezogen
werden.
92
I. Abhandlung: Jokl.
uikd- Fließ.
Meyer faßt dieses bei Kavalliotis vorkommende Wort
(E. W. 457 und A. St. 4, 99) als Deminutivum zu uik, ulk
Wolf. Allein eine solche Deutung ist semasiologisch gewiß
nicht überzeugend. Entferntere Wurzelverwandtschaft ist hin
gegen, wie sich gleich zeigen wird, möglich. In formeller Hin
sicht ist die Erklärung Meyers, der das Wort als Deminutiv
auffaßt, richtig. Man erhält auf diese Weise uik- < -ulk-.
Dies stellt sich aber zwanglos zur Sippe von 1t. vellus Fließ,
vellere rupfen, raufen (Walde, E. W. 654, 2 S13 f.), zu denen
unser Wort im Ablautsverhältnisse steht. In morphologischer
Beziehung ist es eine Bildung mit ife-Suffix wie die oben be
sprochenen : bük, penk, ferner wie aksl. znakz Zeichen: znati,
ahd. luog Höhle, Versteck: lt. lateo usw. (Brugmann, Gr. 2/1 2 ,
477). Wenn alb. uik, ulk Wolf mit lt. lupus, gr. 'Kv/.og usw.
auf ul-qtf- (,reissendes Tier'), eine Erweiterung der Wz. uel-
(wozu auch lt. vellere gehört) zurückgeht (Walde, E. W. 355,
3 448), so kann ein entfernterer Zusammenhang zwischen uik&
Fließ und uik Wolf auch weiterhin angenommen werden.
ure Brücke.
Das bisher ungedeutete Wort gehört zu «de Weg (,Fahrt')
sohin zur Sippe von lt. veho fahren und geht zunächst auf
*ud-rä, *ud-rä zurück. Das Bedeutungsverhältnis zwischen ure
Brücke und «de Weg, Reise ist dasselbe wie zwischen lt. pons
Brücke, Steig und aksl. pqti Weg, ai. pdnihä-li Pfad, Weg, Bahn.
Man vgl. auch die Bedeutungen von avest. psntus Durchgang,
Furt, Brücke. Bezeichnungen der Brücke gehen aus denen der
Furt hervor, da das Übersetzen der Flüsse auf Brücken erst
später an die Stelle des Durchfurtens trat (Schräder, R. L. 114). 1
Suffix rä ist identisch mit dem Suffix, das oben in dor-be-r-i
nachgewiesen wurde; cf. gr. sd-oa Sitz (: tQouaC), aksl. pirz con-
vivium (:piti), ahd. bür Wohnung (: büan) usw. (Brugmann,
Gr. 2/1 2 , 354 f.). Die Brücke also etwa = ,Überfahrt, Furt',
alb. -dr-, -dr- r wie in dirse, djerse Schweiß <[ *svidrot-: gr.
tdptog (Pedersen, K. Z. 36, 288; cf. auch Pedersen K. Z. 40, 212).
1 Cf. auch die Ausführungen Meringers, Wörter u. Sachen I, 187 u. 192 f.
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
93
Ganz ähnlich wird ja auch -tr- j> r; plur. te tjere : tjetsr (Pek-
mezi, Gr. 149, dessen Ansicht, daß der Plur. anders gebildet
wird, demnach zu modifizieren ist), te tjere enthält also einen
zweimal Vorgesetzten Artikel (tjetsr neben jater).
urte klug, weise, bescheiden; kühn, tapfer.
Meyers Deutung: un erniedrige, demütige, unem bücke
mich, daneben «/'dass. (E. W. 458) wurde von Pedersen, K. Z.
33, 551 mit Recht abgelehnt, da der hiebei vorausgesetzte Laut
wandel l j> r sonst nicht nachweisbar ist und die Grundbe
deutung des Wortes ,klug' nicht, wie Meyer annimmt, ,demütig,
friedfertig' ist. In der Tat wird Pedersens Annahme durch die
gleich nachzuweisende Bedeutung ,kühn, tapfer' gerechtfertigt.
Ist nun ,klug' die Grundbedeutung, so gehört das Wort als
*urete zu got. war behutsam, as. war, ahd. war, giwar auf
merksam, vorsichtig, gr. erd oqovtcu sie beaufsichtigen, doctu
sehe, 1t. vereor ängstlich beobachten, ehrfurchtsvoll scheuen
(Feist, E. W. 309; Walde, E. W. 659, 3 820) und weist eine
Bedeutungsentwicklung auf, die auch in 1t. prüdens klug <(
*pro-uidens (,vorsichtig') ahd. spähi klug: ahd. spehön spähen,
lt. specio (Brugmann, I. F. 16, 500) wiederkehrt. Bei Marchiano,
Canti popolari alban. delle colonie d’Italia (Foggia, 1908),
S. 74, 30 heißt es: trimdi, si i itrti c’isc, was Marchiano über
setzt: il giovine, baldo come era (Note zu 30: itrti virtuoso,
prudente, ma qui potrebbe interpetrarsi (!) valoroso, come il
latino virtus). Tatsächlich läßt sich eine solche Bedeutung
(nämlich ,tapfer, kühn') schon aus Bogdan belegen ; Cun. propli.
I, 28, 44 heist es — vom Jüngling, der im Zeichen der Venus
steht — : defceron . . . me ü baam i urte desidera . . . attendere
allk virtü. Von einer Grundbedeutung ,vorsichtig, klug' konnten
sich die scheinbar fast entgegengesetzten Bedeutungen: einer
seits ,weise, bescheiden' (cf. frz. sage wie Dozon Vocab. S. 6
tatsächlich übersetzt), andererseits ,kükn, tapfer' entwickeln.
Zur Entwicklung der letzteren Bedeutung vgl. man ahd. kuoni
kühn, kampflustig, nhd. kühn gegenüber anord. kann weise,
erfahren (beide zu Wz. germ. kan—kun, nhd. können, Kluge,
E. W. 7 , 270). Wie also das ahd. Wort deutlich machen kann,
gelangte urte zur Bedeutung ,tapfer, kühn', durch eine Ellipse;
auszugehen ist von ,weise im Kampfe'.
94
I. Abhandlung: Jokl.
vads Hürde, Schafstall, Verzäunung, Gehege, Hof um das Haus.
Meyer, E. W. 463 identifiziert tosk. vsd Ohrring = geg.
vqd mit der Bezeichnung für ,Hürde, Schafstalk; er folgt hierin
Hahn, A. St., Heft 3, S. 5, der jedoch nur die geg. Lautform
anfuhrt. Allein die neueren Wörterbücher gegischer Provenienz,
nämlich Jungg und Baskimi, zeigen, daß es sich um zwei ver
schiedene Wörter handelt. Ohrring heißt im geg. (nordgeg.)
(cf. Jungg 169; Bask. 485) vqd mask.; mask. Geschlecht gibt
auch Meyer an. Hingegen lautet das Wort für Schafhürde,
Gehege usw. im nordgeg. vad-s fern., unterscheidet sich also
durch den Vokalismirs und das grammatische Geschlecht von
dem ersteren. Es geht darum nicht an, vad-s Hürde mit Meyer,
E. W. 1. c. zu rank Felge, Badkranz zu stellen, da dies wegen
des im geg. fehlenden Nasals abzulehnen ist. vad-s Hürde,
Schafstall, Verzäunung, Gehege, Hof um das Haus vielmehr
<[ *vor-tä zu ags. ivorp m., n. Gehege um das Haus, Hof,
mnd. wort, wurt f. die erhöhte oder eingehegte Hofstatt, r.-ksl.
vora saepimentum, welche Wörter mit dem Alb. in der Be
deutung vollkommen übereinstimmen, und weiterhin zu aksl.
vivo, vreti schließen, r. zavorz Stangenzaun, lit. üiveriu schließe,
mache zu, ai. api-vpiöti verschließt, bedeckt, verhüllt, lt. aperio
usw. (cf. Walde, E. W. 36 f., 2 50; Fick 3 4 , 395). -t- wurde in
der oben angeführten Grundform nach r zu d-, worauf r vor
dem Spiranten ausfiel; cf. kedeii <1 lt. Convertere (Meyer, E. W.
185), ferner buzs, yize (s. o.). Im Suffix stimmt vad-s < * nor-tä
mit hots, Tats, ndjets (s. o.) überein. — Im Alb. ist die obige
Sippe noch durch vaf, geg. vor Grab (zum geg. o cf. Pekmezi,
Gr. 55) vertreten; auch Meyer, Ä. St. 5, 104 hat var begraben
unter Zurückziehung seiner früheren Deutung (: birs, E. W. 37)
zu ver- umhüllen, einschließen, schützen gestellt. Grundform
*vor-n- das Umschlossene, Geschützte; cf. r. choronitz begraben
gegenüber aksl. chraniti schützen, schirmen.
vsfi Furche.
Meyer, E. W. 37 schreibt veri (nach Hahn), eine Schrei
bung, die ihn veranlaßt, das Wort mit vsrs Loch zu birs zu
stellen. Allein ganz abgesehen von den Zweifeln, die Meyer
selbst über die Zusammengehörigkeit der mit v und b an-
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
95
lautenden Wörter aussprach, ist, wie sich jetzt zeigt, die von
ihm angenommene Schreibung des Wortes nicht genau. Kristo-
foridi schreibt nämlich (Lex. 22) vsri und gibt als Bedeutung
/kleine) Furche' an. Das Wort gehört zu lt. versus Furche,
Linie, Strich, Reihe (: verro), anord. vqrr Ruderschlag. Doch
kann cs sich nicht um volle lautliche Übereinstimmung handeln,
da alb. r nicht aus rs entstanden ist. Vielmehr ist davon auszu
gehen, daß lt. verro in *ver-so zu zerlegen ist; cf. gr. ö.no-
feo-oe riß fort (Meyer, Griech. Gr. 3 , 164; Persson, Wurzelerw.
129). Grundform für das alb. Wort kann sohin * ver-n-ija sein,
d. h. es liegt dem alb. Wort die Wurzelform ohne s- Erwei
terung, u. zw. in einer n-Suffix zeigenden Partizipialbildung
zugrunde. 1
vige Geschenk, in Eßwaren bestehend, zur Hochzeit, zur Ge
burt von Kindern, beim Bau eines neuen Hauses.
Meyer teilt dieses Wort E. W. 472 nach Mitko — ohne
Deutung — mit. Da das Wort, soweit ich sehe, aus dem
Tsam. und Gr. bisher nicht überliefert ist, läßt sich über die
Natur des g ein völlig sicheres Urteil nicht fällen. Die folgende
Erklärung sei daher mit Vorbehalt gegeben. Ist g aus gl ent
standen, so läßt sich das Wort mit gr. advov Brautgeschenk
des Bräutigams, ahd. widamo Mitgift des Bräutigams für die
Braut, nhd. Wittum, ags. iveotumci Kaufpreis der Braut, aksl.
veno Mitgift (cf. Vondräk, Vgl. slaw. Gram. I, 414; Walde,
E. W. s , 818; Boisacq, Dict. et. 215) vereinigen. Als alb. Grund
form ergibt sich zunächst ved-l-; dl wurde zu gl, dann zu g,
1 Hingegen gehört tosk. vsrs Loch, tsam., skut. virs (Kristoforidi, Lex. *22)
wohl zu der s. va&s besprochenen idg. Sippe ver- schließen (aksl. vbrg,
vreti schließen, lit. i&veriu schließe, mache zu usw., mit einer Bedeutungs
entwicklung, wie sie ahd. loh, gen. lohlies Verschluß, Gefängnis, ver
borgener Aufenthalt, Loch, Öffnung = ags. loc Verschluß, Schloß : got.
-lülcan, ahd. lüh/tan, ags. lücan schließen aufweist. Ganz besonders vgl.
man in semasiologischer Hinsicht (cf. Johansson, I. F. 25, 216) das sippen
verwandte lit. vertu, verti öffnen oder schließen, refl. verlas sich öffnen.
Das i in virs ist zu beurteilen wie in vit Jahr (neben vjet: lt. vetus).
vsrs bezog das s der ersten Silbe aus dem gleichbedeutenden und sippen
verwandten vsrtmi. Meyer vermutet, daß tosk. vsrs für vsns steht. Allein
durch die von Kristoforidi bezeugte Form virs (tsam., skut.) wird diese
Ansicht widerlegt.
96
I. Abhandlung: Jokl.
wie in gute lang </ dlang-ts: gr. bölr/og lange Rennbahn, dohyng
lang, ai. dirghd-h lang, aksl. dhgz dass. usw. (Pedersen, K\ Z.
33, 545; Bugge, BB. 18,167; Meyer, A. St. 4, 81; über lt. longus
cf. van Wijk, I. F. 23, 375; Walde, E. W. 3 , 440). /-Suffix wie
in gr. ^evylrj Jochriemen, slla Sitz, aksl. osla Wetzstein (: gr.
d/.driy) usw. (Brugmann, Gr. 2/1 2 , 362 ff.). Das e der angesetzten
Grundform wurde vor der ursprünglichen Doppelkonsonanz zu i.
vik, vigu Ubergangssteg, aus einem Balken bestehend, Trag
bahre, Pflugdeichsel.
Die angeführten Bedeutungen nach Kristoforidi 30, Bask-
493, Jungg 172; u. zw. gibt Bask. sämtliche angeführten Be
deutungen, Kristoforidi nur die erste, Jungg nur die zweite.
Zu bemerken ist, daß Doks Sul'e in der Übersetzung des Plu-
tarchischen Pyrrhus, Kap. 17 (Tomofi, Nr. 12, S. 3) vik schlecht
hin für cpogsTov gebraucht. Meyer führt E. W. 472 aus: ,vik m.
Steg. Aus lt. vlcus Quartier, Gasse, vik Totenbahre Bla[nchus],
Ro[ssi] ist mir unklar/ Die oben angeführten Angaben zeigen,
daß Meyers Deutung unhaltbar ist. Denn es handelt sich nicht
um ,Steg' im Sinne von ,Weg', sondern um einen aus einem
Balken bestehenden Übergangssteg. Zudem hat das Wort g,
nicht k, das nur im Auslaut entstand; ferner sind bei einer
Herleitung aus lt. vicus die andern Bedeutungen unverständlich.
Vergegenwärtigt man sich das Bedeutungsverhältnis von frz.
brauche Ast, Zweig, Tragholz und des verwandten brancard
Tragbahre, Gabeldeichsel, pl. Tragebäume, so zeigt sich, daß
für das alb. Wort von einer Grundbedeutung ,Ast, Zweig' aus
zugehen ist. Der Ast, über einen kleinen Wasserlauf gelegt,
dient als Übergangssteg und kann auch als Bahre und Deichsel
(frz. brancard) verwendet werden. So ergibt sich Anschluß an
ai. vayä Ast, Zweig, ir. fe Rute, aksl. vetm Ast, Zweig. Die
weitere wurzelhafte Deutung der Sippe ist nicht mit voller
Sicherheit zu bestimmen (cf. Walde, E. W. 2 , 841; Verf. Arch.
f. sl. Phil. 29, 44). Zum Suffix vgl. man alb. pkok, pl'ogu Haufe
(s. o.); möglich ist natürlich auch Ansatz eines urspr. (//(-Suf
fixes, in welchem Fall alb. dege Ast, Zweig, ahd. zwig, nlid.
Zweig (Brugmann, Gr. 2/1 2 , 513; Meyer, A. St. 3, 9) heranzu
ziehen sind.
Studien zur albanesisclien Etymologie und Wortbildung. 97
vorbe irdener Kochtopf.
Meyer verzeichnet dieses schon hei Bogdan (z. B. Cun.
proph. I, 27, 37 ; 92, 24) vorkommende Wort, ohne es zu deuten;
es gehört zu aksl. vereti kochen, sieden, variti. kochen, van
Glut, Hitze, lit. virti kochen usw. Zur Bedeutung vgl. man
ö. hrnec, poln. garniec Topf: ai. ghfiid-h Glut, Hitze, lt. fornax
(Walde, E. W. 238, 2 309; Berneker, E. W. 371). Das Suffix ist
dasselbe wie in lit. garba Ehre: giriü lobe, ddrbas Arbeit: da-
ryti tun (Brugmann, Gr. 2/1 2 , 389), alb. ekel'p, skebbi (s. o.).
Da das Wort geg. Ursprungs ist, läßt sich nicht sicher ermitteln,
ob o urspr. langen Vokal reflektiert oder wie in votsr für tosk.
vatrs, vor Grab — tosk. vaf durch spezifisch geg. Labialisie-
rung nach v (cf. Pekmezi, Gr. 55) entstand.
wende leichter Regen.
Zu aisl. uv feiner Regen, yra fein regnen, avest. vär Regen,
lt. ürina Harn (cf. Walde, E. W. 691, 2 860), alb. Sure Harn
(s. o.). Der Bildung nach ist das alb. Wort Rest eines idg. Parti
zipiums auf -ent-, -ont- wie das oben besprochene rende. Auch
für das auslautende e gilt das für rende Bemerkte. Die Schrei
bung vrenne (Bask. 500) gibt den Lautstand des nordwestl.
Geg. wieder.
Zqne Muse, Göttin.
Von den Wörterbüchern verzeichnet das Wort nur Bask.
511, der auch die oben angeführte Übersetzung gibt. Folgende
Belege aus Texten mögen den Sinn des Wortes klar machen.
Lahuta e maltsiis I, S. 12 (Verfasser dieser anonym erschie
nenen Lieder ist P. Ger* Fista) heißt es:
Prennoj dielli, n’ ciell duel hdna
N’ Velechilt po pingron Xäna. 1
In der Sammlung ,Pika voeseP von Fista, S. 37, Strophe
1, V. 3:
Kd t’ kennojme, oj Zdna e malit f
Ebd., Strophe 5:
Djergu, Zeine, praa m’ geste t’ eme
Edhb Icdnges m’ i’ a enn ti fillet.
1 X in der Baskim. Orthographie = z.
Sifczungsber. d. phil.-hist. Kl. 168. Bd. 1. Abli.
7
98
I. Abhandlung: Jo kl.
Zane ist also in der Tat eine Göttin des Schalles, des
Gesanges. Auch Kraft und Tapferkeit wird ihr zugesprochen:
Burre i fort’ e trim si Xäna (Lahuta e Maltsiis, I, S. 5).
Wegen ihrer vorwiegenden Eigenschaft als Göttin des Schalles
und Gesanges ist ihr Name zu geg. za, tosk. zs Stimme (: aksl.
zvonz Schall, ksl. zvoneti klingen, Meyer, E. W. 483) zu stellen. 1
Als ,Stimme 1 deutet das Wort auch schon Hahn, Reise durch
die Gebiete des Drin und Wardar, S. 69 (Denkschriften der
Wiener Ak., Phil.-hist. Kl. 16), der von Berggeistern, Zana
genannt, berichtet und sie als die albanesischen Elfen bezeichnet.
Bemerkenswert ist, daß Hahn von einer Mehrheit von Zana
spricht, während die oben angeführten Textstellen und meine
alban. Gewährsmänner (z. B. Sef Harapi und Rok Prennusi aus
Skutari) von der Zana (im sing.) melden.
Tosk. zgede, geg. zgjede, zgede Ochsenjoch.
Die obigen Formen verzeichnet Pekmezi, Gr. 283; Kristo-
foridi, Lex. 369 führt sgede an; Bask. 397: sgede und sgiede
(= zgiede S. 518, was mit Pekmezis zgjede völlig übereinstimmt,
da Bask. ie für je schreibt); Jungg, Fjal. 150 schreibt zgied,
zgiel (für welche Schreibung dasselbe wie für Bask. gilt).
Wiewohl das Wort aus dem Tsamischen und Gr.-Alb. meines
Wissens bisher nicht belegt ist, 2 läßt sich schon aus dem vor
geführten dialektischen Material wenigstens ein Wahrschein
lichkeitsurteil über die ursprüngliche Gestalt des Anlauts ge
winnen. Denn das Nebeneinander der geg. Formen zgjede und
1 Ursprünglich dachte ich an Entlehnung aus lt. Diana, gab jedoch diese
Deutung aus lautlichen Gründen (cf. djat < lt. diabolus [Pedersen, Rom.
Jb. 9, I, 216 und teilweise anders Thumb, I. P. 26, 12]) und der Be
deutung wegen auf. Herr Hofr. Meyer-Lübke macht mich jedoch darauf
aufmerksam, daß der Anlaut nicht entscheide, da diabolus als christlicher
Terminus einer späteren Schicht angehöre, daß Diana in einem großen
Teil des roman. Gebietes, insbesondere auch im rum. nachweisbar sei
(zinä, arom. dzinä] Puijicariu, E. W. d. rum. Spr., S. 181, Nr. 1942) und
die einigermaßen abweichende alb. Bedeutung durch volksetymologische
Verknüpfung mit geg. z<z, tosk. ze erklärt werden könne.
2 Das von Meyer, E. W. 484 mit zgede usw. vereinigte gr.-alb. zevl's <.
ngr. £svXcc für C,Evyla ist, wie sich aus dem folgenden ergeben wird, mit
zgede lautlich nicht in Übereinstimmung zu bringen.
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
99
zgede, von denen die erstere nach Ausweis der beiden skutar.
Wörterbücher von Bask. und Jungg skutar. ist, und der tosk.
Form zgede läßt sich aus ursprünglichem gl verstehen. In geg.
Mundarten verliert sich nämlich in der Gruppe kl, gl, j oder
besser die Palatalisierung des Gutturals: Pekmezi, Gr. 64; daher
zgede. Wir erhalten also ursprüngliches * zgl'ede. Da -gl- auf
-dl- zurückgehen kann, ergibt sich *zdlede = *zd-lede. Das
Wort gehört also zur Sippe von alb. l'i0- binde, verbinde, gürte,
Tide, Tide Band, Fessel, lt. ligo binden, wozu auch mit ver
schiedenem Guttural lit. laigönas Bruder der Frau (Wiedemann,
BB. 27, 212; Brugmann, I. F. 21, 319; Walde, E. W. 338f., 2 429).
Mit diesem letzteren stimmt zgede im Vokalismus überein, indem
e aus cd entstand. Zum Anlaut vgl. man zgid- <[ *zd-lid,
* dz-lil), Meyer, E. W. 245). Mundartlich (Berat, Argyrokastro)
kommt auch zjede, dzjede vor, wozu Pekmezi, Gramm. S. 67
(Wandel von sk, zcj j> sj, cj, zj, dzj) zu vergleichen ist. Daß
aber in dieser Gruppe auch das aus -gl- hervorgegangene g ganz
analog behandelt wird, zeigt das von Kristoforidi, Lex. 121 —
leider ohne Ursprungsbezeichnung — angeführte zjid- = sgid
(y.Tid-), das also mit tosk.-mundartl. zjede = zgede im Anlaut
übereinstimmt. Es fragt sich nun, wie zd- zu erklären ist;
es als identisch mit sonstigem alb. zd-, dz-, de-: lt. dis zu be
trachten, verbietet der Sinn. Mehr empfiehlt es sich, in dem
zd- dieses Wortes die Entsprechung' von lt. bis altlt. duis, gr.
dig, ai. dvih, mhd. zwis zweimal zu erblicken, wobei anlautendes
du- wie in dem sippenverwandten dege Ast, Zweig und in dem
oben besprochenen dorberi durch d wiedergegeben wurde. Das
Wort bedeutet also nach dieser Analyse ,Zweigespann' bigae,
eine Bedeutung, die sich mit der tatsächlich belegten sehr wohl
vereinigt. — Meyer, E. W. 484 will das Wort aus ngr. £evlcc
für Ceüyla, und zwar auf dem Wege *zegl'a, zgela, zgeda her
leiten. Allein diese Erklärung berücksichtigt nicht die dialek
tologischen Tatsachen. Denn die Verwechslung von l und d ist
bloß dialektisch: z. B. in Skutari (Pekmezi, Gr. S. 61) und in
Argyrokastro (Erveheja v. Muhamet Tsami, hg. v. J. Vretua 2 ,
S. XV u. Note). Hingegen ist in unserem Wort, wie die obigen
Belege zeigen, das inlautende d gemein-albanesisch (geg. u. tosk.),
während die von Jungg angeführte Form zgiel nur skutarinisch
ist. Nach Meyer müßte man aber von einer gemeinalban. Grund-
7*
a
100
• I. Abhandlung: Jo kl.
form zgela ausgehen, die weiterhin gemeinalb. ztjeda ergeben
hätte. Dies gegen den Ansatz zgela, zgeda. Aber auch die
weitere von Meyer angenommene Vorstufe *zegl'a, zgela ist un
richtig, da die Gruppe gl’ ganz anders behandelt wurde, weitere
Beispiele für eine solche Metathese fehlen und endlich auch
die Ü-Laute in zgela und *zegl'a sich in ihrer Qualität unter
scheiden.
zi, fern, zeze schwarz, unglücklich, schlimm, zl subst. fern.
Trauer, Hungersnot, zeze subst. fern. Schwärze.
Meyer, E. W. 484 will im adj. fern, zeze ein Deminutivum
erblicken. Ihm folgt darin z. B. Densusianu, Baust, z. rom.
Philol. 472. Aber ganz abgesehen davon, daß ein so gebildetes
femininum eines Adjektivums vollständig aus dem sonst im
Alb. üblichen Bildungsschema der adjectiva femin. herausfallen
würde, ergeben sich gegen diese auch für die Etymologie und
Lautlehre wichtige Auffassung dieser Form zwei Bedenken:
1. gibt es auch ein Abstraktum zeze die Schwärze; hierin ein
Deminutivum zu erblicken, geht gewiß nicht an. 2. lautet der
plur. masc. te zes und zeze, fern, te zeza (Pekmezi, Gr. 106). Das
zweite z ist also stammhaft und offenbar aus -di- entstanden,
während sich die scheinbar stark abweichenden Formen zl
(adj. masc.) und zl (subst. fern.) durch lautgesetzlichen Ausfall
des d in intervokalischer Stellung erklären. Damit fällt aber
auch die von Meyer unter Vorbehalt gegebene Deutung (A. St.
4, 83): lit. zilas grau, lett. fils blau. Denn die soeben über die
Natur des zweiten z aufgestellte Ansicht findet an der Etymo
logie eine Bestätigung; die Gruppe gehört zu lit. gedü trauere
(cf. zl Trauer), geda Schande, Unehre (cf. alb. t’ undzifte falceja
eigentl. dein Gesicht werde schwarz, von Kristoforidi, Lex. 278
mit alffxvvr] elg ae Schande auf dich übersetzt), apr. gldan
Scham, r. gddlcij widerlich, häßlich, schmutzig, gdzu, gdditb
beschmutzen, besudeln, verderben, mhd. qiuit, köt, nhd. hat, kot
Unrat, Schmutz, mhd., adj. quät, nndl. kwaad böse, häßlich, ver
derbt, mengl. cwed schlimm (cf. über die Sippe Zubaty, Arch. f.
sl. Phil. 16, 422; Brugmann, I. F. 5, 375f.; Wiedemann, BB. 30,
212). Die Bedeutung der zuletzt angeführten germ. Adjektiva,
nämlich ,schlimm' kommt aber auch dem alb. zl zu; so ver
wendet bei Meyer, A. St. 6, 12, Spriehw. 93. Die Verwandt-
Studien zur albanesischen Etymologie ugd Wortbildung.
101
scliaft der Begriffe ,schwarz — schmutzig' (cf. mhd. quät, Jcöt
usw.) zeigt ahd. salo schmutzig, schwarz, ai. malind-h schmutzig,
befleckt, von unbestimmt dunkler Farbe, grau, dunkelgrau,
schwarz (Böhtlingk, Sanskrit-Wörterbuch in kürzerer Fass. 5,
38): mdla-m Schmutz, Unrat, ferner d. schwarz, got. swarts
wohl zu lt. sordes Schmutz (Feist, E. W. 257; Kluge, E. W. 7 ,
419; Fick 3 4 , 550; Walde, E. W. 585, 2 726). Zu ai. malind-h,
mdla-m wird von den meisten Etymologen (cf. z. B. Hirt,
Abi. 90; Schräder, 1L-L. 744; Brugmann, I. F. 9, 367; Solmsen,
K. Z. 38, 443; Prellwitz, E. W. 2 , 287; Walde, E. W. 398, 2 500)
auch gr. gshag schwarz, lett. melns schwarz gestellt; Bedenken
äußert van Wijlc, I. F. 20, 344 Anm. Doch sei dem, wie ihm
wolle, auf jeden Fall wird der hier für alb. zi vorausgesetzte
Bedeutungswandel schon durch die angeführten Beispiele be
stätigt. Als Anlaut der oben besprochenen Gruppe (r. gddkij,
mhd. quät usw.) setzt Berneker, E. W. 289 *g(u)ödh-, *g(u)edh-
an. Es ergibt sich also ein neuer Beleg für Pedersens Lehre
von der alb. Vertretung der Labiovelare, bezw. der Velare mit
it-Nachschlag vor hellem Vokal (K. Z. 36, 307 ff.). Kehren wir
nun zur morphologischen Erklärung zurück, so haben wir
zwei lautlich übereinstimmende, jedoch funktionell verschiedene
Formenpaare vor uns: zezs (fern, des Adjekt.) die schwarze,
(subst. fern.) die Schwärze, te zezs (nom. masc. des Adjekt.) die
schwarzen; zl (nom. masc. des adj.) schwarz, zl (subst. fern.)
Trauer, Hungersnot. 1. zezs fern, des adj. und subst. fern. <j
*guedhiä (die Adjektiva auf -io- haben ja auch sonst Adjektiv
abstrakta neben sich); ts zezs nom. pl. masc. <C etwa *guedhioi
(cf. nerezite best. plur. <( *neridioi Pedersen, Born. Jahresb. 9,
[1905], I, 209). 2. fern, abstr. zl <) *guedhijä, *guedhiia. Dies
ergab zunächst — cf. deni Laus, Nies -< *ksmdä (Meyer,
A. St. 3, 13) — *zsi und hierauf mit Kontraktion zl. Ganz
analoge Kontraktionen sind auch bei lat. Lehnwörtern zu beob
achten, z. B. pül Wald <( *padTtlem für palüdem (Meyer, E. W.
360); die zu erschließende Mittelstufe zwischen der lt. Grund
form und der heutigen alb. Form ist offenbar *psül; cf. ferner-
l'irs frei <) liber über *lisr, ferner von Erbwürtern das oben
besprochene keil aus kselc bei Kavalliotis. Ebenso wie zl (subst.
fern.) erklärt sich auch zl schwarz (adj. masc.) < *guedhijo-,
* guedhiio- mit einer Betonung wie sie auch das ai. in ksatriya-h
102
I. Abhandlung: Jo kl.
herrschend, ajriya-li wild, usriya-h rötlich hat. 1 Ans dem Ge
sagten. ergeben sich mehrfache Folgerungen: Wir sehen im fern,
abstr. ein Nebeneinander von -iiä und -iä (zl, zezs), das dem
Verhältnis von gr. pavia Raserei, nsvia Armut: lit. cjiria Trank
ai. viclyä Wissen entspricht (cf. Brugnmnn, Gr. 2/1 2 , 184 f.,
I 2 , 264). Dasselbe Nebeneinander von -iio- und -io- zeigt sich
aber auch im Motionsschema des Adjektivs, indem neben dem
masc. zl < *giiedhiio- das fern, zezs <C *guedhiä steht. Es ist
dies ein Verhältnis, das an lit. Flexionsverhältnisse erinnert,
wo die ijo-Stämme außer im nom. sg. masc. und fern, und im
acc. sing. masc. und fern, in die Analogie der jo-Stämme über
gehen: masc. didis, fern. diide, acc. m. dldi, fern, didg, aber gen.
sg. masc. didzo, fern, didzos (Wiedemann, Handb. d. lit. Spr. 84).
Der Unterschied ist nur der, daß im Alb. die jo-Form noch
mehr um sich greift. — Schon das Vorhandensein eines fern.
Adjektivabstraktums zl neben einem mask. Adj. zl, das im Rom.
kein Analogon hat,'und neben einem fern. Abstraktum zezs zeigt,
daß in -ijä ein heimisches Suffix vorliegt (so auch Pedersen,
Rom. Jahresb. 9, I, 208); rom. -ia trat dann zu diesem bloß
hinzu. Masc. zl ist zu beurteilen wie nsri Mann, Mensch, 2 kali
Ähre (cf. ai. ndriya-, ndrya- männlich, mannhaft; im Gegen
satz dazu weist das Alb. auf eine Betonung * neriio). Ebenso hat
zl fern, abstr. unter den oben besprochenen Wörtern Bildungs
verwandte: avaii zusammen (,Verkopplung, Aneinanderreihung'),
eine Bildung, etwa wie lit. su-mania consilium, gr. pavia Raserei,
dorieri Herde (-wo-Ableitung zu dem im Balt. vorliegenden
subst. lit. buris Haufe, Herde, lett. büra Haufe, Menge). Aber
auch sekundär trat -l •< -iiä an andere Suffixe an. Deutlich
wird dies bei Bildungen wie: nersz-i neben dem pl. nerez, best.
nerszite (s. o.), geg. vlazni Brüderschaft neben pl. vlazsn. Wie
hier -i <C * iiä an das Suffix -idi-, beziehungsweise an ein
Konglutinat von cZf-Suff. und n-Suff. trat, so trat i auch an
ein Suff, -eti- in parssi die Vornehmen, der Adel, mal'esi Ge
birge. Suff, -es- in pares-i entspricht nämlich dem Suff, in: lit.
pirmatis pricipatus: pirmas der erste, pilnatis f. Fülle, m.
(jo-St.) Vollmond: pilnas voll, aklatis Blindheit: äklas blind,
1 Zum Alter der ai. Betonung in diesen Fällen cf. Hirt, I. F. 16, 78.
2 Diese Schreibung nach Pekmezi, Gr. 264; Meyer, E. W. 313 schreibt nei-l.
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
103
venatis Einheit: venas ein, ksl. lichoti, ävcopalia inaequalitas: licht
neQivcog redundans, Iqkotb Widerhaken: Iqkz krumm (Brug-
manu, Gr. 2/1 2 , 438). Dem alb. -ss-i ähnliche Konglutinate
sind lt. servitium, pueritia, s.-kr. cistbca, cjlulibca (Brugmann,
1. c. 194). Ein verwandtes Suffix ist das in dose auftretende.
Sekundär ist -i auch angetreten in laper-d-i (dessen d- Suffix
dem Suff, von nerez verwandt ist), madesti Stolz <( *magis-t-,
wie sich aus der Gegenüberstellung madestuer (Bogdan, Cun.
propli. I, 7, 4) made§t-i ergibt, l'imon-t-i (s. o.), m®-i; in
letzterem Wort wohl zur Bezeichnung des kollektiven Sinnes
(,das Gefurche').
Suff, -zi, -ze, -zit.
Das Sufix erscheint z. B. in tosk. prapaze, prapazi, pra-
pazit von hinten (Kristoforidi, Lex. 340), geg. prapaz (Baük.
361): prapa hinten, perparazi von vorn (Kristoforidi, 318),
tosk. postazi, postaze von unten (Pekmezi, Gr. 269; Kristofo
ridi, Lex. 335). Es handelt sich um den alb. Reflex der idg.
dh - Formantien; cf. hom. nö&i wo, aixdOt da, ai. ddhi an, auf
(Brugmann, K. V. G. 454). -ze, -zi erklärt sich durch eine
ähnliche Erweiterung von -dhi, wie sie in gr. evravd-ot, lt. ubi,
ubei (Brugmann, I. F. 15, 80 a 3) vorliegt; demnach etwa •<
*-dhii oder -dhiei nach dem Lokativ, -zit ist ein Konglutinat
des eben besprochenen Formans mit idg. -tos: ai. i-tdh von hier,
lt. intus, gr. ivrog, lokr. eyßög, att. e/aoq.
II. Entleimungen.
afer nahe, unweit, beinahe.
Bogdan schreibt das Wort z. B. Cun. proph. II, 152, 4
affere. Meyer, E. W. 3 geht von dem zugehörigen Verbum afe-
roj nähere aus, das von einem lt. * affinare: affinis angrenzend,
benachbart herzuleiten sei. a fer sei dann zu aferoj hinzugebildet
und geg. afSr aus dem Tosk. entlehnt. Allein mit Recht hat
Pedersen, Rom. Jahresber. 9, I, 212 für die Frage der Entleh
nungen des Alb. aus dem Lt. den methodologischen Grundsatz
aufgestellt, daß bei Ansatz der lt. Substrate für alb. Wörter
nicht nur auf das Zeugnis des Rum., sondern mehr noch auf
das übereinstimmende Zeugnis aller übrigen rom. Sprachen
104
I. Abhandlung: Jo kl.
Gewicht zu legen sei. Ein *ciffinare nähern: affinis, wie es
nach Meyers Deutung afsroj und weiterhin tosk. afer voraus
setzen, kennen die rom. Sprachen nicht (rom. affinare — it.
affinare, f’rz. affiner heißt ,fein machen', gehört also nicht zu
affinis, sondern zu fino, fin fein). — Ein Synonym von afer
ist per ans, prane nahe (wörtlich: zur Seite, bei Seite), mb’ ans
zur Seite, neben. Dies gibt einen Fingerzeig für die Deutung
unseres Wortes: Zerlegt man a-fer (was in unbetonter Stellung
fer ergab), so erkennt man in fier das got. fera Seite; zum
Auslaut vgl. man die von Bogdan gebrauchte Form auf -e =
e. a- ist die schon wiederholt besprochene Präposition a (avari,
aritem, ferner ajaste draußen, arotula ringsumher). Andere
Entlehnungen aus dem Germ, sind petke Kleid (Thumb, Z. f.
d. Wortf. 7, 266, Pedersen, R. Jb. 10, II, 344 f.), geg. fat Gatte
(s. u.). Die Goten waren von 396 bis 535 nach Chr. im Be
sitze von Nordalbanien (Hahn, A. St. 1, 310); Entlehnungen
sind also auch von vornherein nicht unwahrscheinlich. Aber
auch andere wandilische, also den Goten nahe verwandte Stämme,
wie Heruler und Taifalen (cf. Löwe, K. Z. 39, 311) kamen mit
den Illyriern in nachbarliche Berührung. Auch die Dialekte
dieser Völkerschaften können als Quelle der hier. erwähnten
germ. Wörter in Betracht kommen. — Daß speziell Ortsbezeich
nungen entlehnt werden, zeigt vis-ä-vis, das in der minder
gebildeten Wiener Umgangssprache für , gegenüber' ge
braucht wird.
-aj (Ortsnamen-Suffix).
Die so gebildeten Ortsnamen sind insbesondere im geg.
sehr zahlreich; hier eine kleine Liste, die auf Vollständigkeit
durchaus keinen Anspruch erhebt: Nilcaj, Lukaj, Zogaj, Zül-
faj, Rupaj, Racaj, Blakaj, Bunjaj, Marknikaj, Dednikaj,
Pecaj, Gropaj, Piraj, Haziakaj, Kolaj, Lulaspepaj, Lotaj, Sal-
begaj, Dautaj, Hadziaj, Salmanaj (die Schreibung der vor
stehenden Ortsnamen nach der österr. Karte 1 :200.000). Es
handelt sich um ursprüngliche Sippennamen, die das lt. Suffix
-aneus anius (cf. it. Galvagni, Mascagni) enthalten. Dies wird
aus Bogdan, Cun. proph. klar. Bd. II enthält als Anhang an-
tichitä della casa Bogdana == alb. plechienia e fctepisse Bogda-
nagnet; ebenso wird S. 2 dieses Anhangs Casa Bogdana mit
Studien zur albanesisclien Etymologie und Wortbildung.
105
Sctepija e Bogdanagnet übersetzt. Hier zeigt sich also noch
der ältere Lautstand und die adjektivische Funktion des in die
Sprache aufgenommenen lt. Suffixes. Das Suffix blieb lange
produktiv, da es, wie Salbegaj, Dautaj, Hadziaj zeigen, auch
noch türk, (mohammed.) Namen weiterbildete.
Tosk. avis, avit erscheine.
Nur Pekmezi, Gr. 232, verzeichnet dieses von geg. avis
nähere (s. o.) verschiedene Verbum, während die Wörterbücher
nur das geg. Wort kennen, avis erscheine entstammt dem sl.:
aksl. aviti, javiti offenbaren, zeigen, s.-kr. jdviti bekannt machen,
jdviti se erscheinen, r. jaritj, zeigen, javiti, sja erscheinen.
Geg. Wegtür, Wegtuer, best. Wegtori Hirte.
Angewendet wird das Wort von Fista, Pika voeset S. 41
(,blegturi i yt‘) und S. 43 (,blelttori‘), verzeichnet von Bask.
S. 46 (jblegtuer, blegtori 1 ) : hier werden auch noch blegtarl pa-
storizia, ceto dei pastori, Wegtore pastorale angeführt. Gebildet
ist das Wort wie tregtär 1 Kaufmann: tregs Marktplatz < ksl.
tngz- Weg-tuer weist also auf *bl'eg, das aus s.-kr. blägo Schatz,
Geld, Vieh entlehnt ist. Die Behandlung des inlautenden sl. a
nach Liquida ist dieselbe wie in geg. streze Schildwache V sl.
(aksl.,' big., s.-kr.) straza Wache.
diegulär, tiegulär Töpfer.
Die Schreibung diegulär nach KristoforiÖi, Psalter, Psalm 2,
V. 9: Kristoforidi, Lex. 423 führt tiegulär (ohne Bedeutung)
an; Bask. 456 verzeichnet tiegulär figolo, vasaio. Das Wort
gehört zu tjeguls <[ lt. tegula. Das anlautende d in diegulär
erklärt sich wohl durch Anlehnung an djeg brennen.
Tosk. d-sngil, 2 d-ingil, fsngil, geg. d-iiil, pl. -ij Kohle, ver
glühtes Holzfeuer.
Die bei Meyer, E. W. 90 angeführte Erklärung Flechias
(Arch. glottol. 2, 342): lt. favilla ist lautlich unmöglich, da fa-
1 Über das Verhältnis der Suffixe -lär it. -tuar, geg. tür cf. Pekmezi, Gr.
S. 219.
2 Die Schreibung g nacli Pekmezi, Gr. S. 240, ferner Erveheja, v. Muhamet
Tsami, hg. v. J. Vretua 2 , S. 16.
106
I. Abhandlung: Jokl.
villa nur *feTe ergeben hätte (Pedersen, K. Z. 33, 538). Meyer
selbst hat übrigens diese Erklärung A. St. 4, 62 zurückgezogen.
Nach Pedersen, 1. c., ist das Wort unerklärt. Es ist aber nichts
anderes als das slaw. (v)gglb, (collect, neutr.) (v)qglije. Die laut
lichen Verhältnisse bedürfen einer näheren Erklärung, vo- aus
anlautendem o ist ein gemeinsames Merkmal des Big. und
Kroat.-slov. (Conev, Ktm istorijata na bilg. eziki.. S. 78 in:
Sborn. za narodn. umotvor. 19). In der Tat findet sich slov.
voglen, big. vzglen. Das Alb. substituiert anlautendes sl. v durch
f, mit dem dann & wechseln kann. Cf. füge Weibchen der
Goldamsel aus s.-kr. vilga (Meyer, E. W. 113). Sl. o ist durch
alb. sn wiedergegeben, wie im tosk. pendär 1 Feldhüter < ksl.
podari, Hüter (Meyer, E. W. 332), orsndi Gerätschaft ■< sl. org-
dije Gerät (Pedersen, K. Z. 33, 537 Amn.). Wie nun moderne
Slawinen (s.-kr. [Vuk s. v.] ugalj, c. uhel, poln. wegiel) zeigen,
bildete sich im Sl. in der Form (v)oglb ein sekundärer Halb
vokal *(v)ggt>lb. Diese Form dem Alb. als Substrat zugrunde
zu legen, bereitet keine Schwierigkeit. Sl. g erscheint im Alb.
in der Nachbarschaft von Palatalen durch g wiedergegeben;
cf. goss (richtig Uozs) Ziegenbraten <( kozje (Meyer, E. W. 142),
göre unglücklich <i gorje, göre (s. u.). 2 Die Regelung des Laut
verhältnisses zwischen sing. Dsngü mit l und pl. Osngij mit j
<( Verfolgte nach Analogie der alb. Substantiva wie biial Büffel,
pl. buaj, iil Stern, pl. üjsts, üjts. Der sl. sekundäre Halbvokal
erscheint durch i wiedergegeben. Die Betonung wurde dann
nach dem Muster anderer Substantiva auf -il wie uml Evan
gelium, skundü Saum (Blanchus) umgestaltet. Deutet also
der anlautende «-Laut auf big. Ursprung, so müssen wir
wegen des noch erhaltenen Nasalismus und des zu erschließen
den weichen Charakters des Halbvokals die Entlehnung in
recht alte Zeit hinaufrücken.
Verba auf -szon, -szoj.
Solche sind beispielsweise: Icalezoj verleumde, klage an,
rede nach, geg. kunorszoj, tosk. kurorezoj kränze (Kristoforidi,
Lex. 171), vargszoj reihe auf, fädle auf (: varlc Reihe, Kette
1 Über geg. psndar Bauer, Besitzer eines Gespannes s. o. bei pendz.
2 Über eine analoge Reflexwirkung von sl. b im alb. cf. unten s. garats.
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
107
ebd. 15) u. a. m. -szoj stellt die alb. Entsprechung der roman.
Verbalbildung auf -idiare <( gr. iC,eiv (it. festeggiare feiern,
schmausen, frz. nettoyer reinigen, guerroyer Krieg führen) dar.
Geg. fat Gatte.
Meyer vereinigt das Wort E. W. 100 mit fat Zufall, Ver
hängnis, Glück V lt. fätum, was semasiologisch wenig glaub
würdig ist. Denn wiewohl fatum allgemein roni. ist, hat es
nirgends die Bedeutung ,Gatte 1 entwickelt; und Auffassungen
der Ehe, wie sie höheren Kulturstufen eigen sind (,Ehen werden
im Himmel geschlossen'; ,des Mannes Schicksal ist die Frau')
darf man den in primitivsten Verhältnissen lebenden Bergstämmen
Illyriens wohl kaum Zutrauen. In der Tat ist alb. fat Gatte
nichts anderes als germ. *fadi Herr, Gatte, das im wulfil. got.
in brüpfaps Bräutigam, junger Ehemann, hundafaps, püsundi-
faps Anführer von hundert, tausend Mann (: gr. nöaig, ai. pdti-h
Herr, Gatte, lit. päts Ehemann usw.) erhalten ist. Der alb.
Auslaut t zeigt, daß die Casus obl. wie -fadis dem alb. zu
grunde liegen; eine solche Form wurde dann wie alb. Sprach-
gut behandelt. Das in den Auslaut geratene d wurde, wie auch
sonst im alb. zu t. Die Entsprechung germ. -fadis: alb. fat
läßt darauf schließen, daß germ. (got.) d zur Zeit der Über
nahme sich mit dem heutigen alb. d nicht deckte; denn sonst
wäre im heutigen alb. Auslaut !J zu erwarten. Offenbar hatte
also das intervokalische d im zugrunde liegenden got. Wort
zur Zeit der Übernahme bereits den Lautstand des späteren
ostgot., wo jedes wulfil. d zum Verschlußlaut geworden war,
erreicht (cf. Wrede bei Stamm-Heyne, Ulfilas 10 , S. 358, § 63,
Anm. 1).
furats Zweig.
Dieses durch Pedersen, A. T. 41, 127 bezeugte Wort ent
stammt dem lat. furcata, bedeutet demnach eigentlich ,Gabe
lung' und zeigt eine Bedeutungsentwicklung, die auch in d.
Zweig (eigentlich ,Gabelung', Kluge, E. W. 7 , 512), alb. dege usw.
vorliegt, rk des Substrats wurde zu r wie auch sonst; cf.
Pedersen, A. T. 145 s. kuf. Eine jüngere Entlehnung ist furks
Heugabel, Rockenstab, Spinnrocken (Meyer, E. W. 114).
108
I. Abhandlung: Jo kl.
g all ge Sumpf.
Das Wort fehlt in den Wörterbüchern, findet sicli jedoch
bei Rada, Raps. S. 104, Canto 30, 10. Es ist Entlehnung aus
s.-kr. käljuga Sumpf. Anlaut g für k wie auch sonst (cf. z. B.
gäleC Pferdchen bei Marchiano, Canti popol. alb. S. 84, 13).
Zur Vertretung von sl. lju vergleiche man das oben bei liipi
Bemerkte.
gardts, gerdts, gerets Blumenscherbe, zerbrochener Krug.
Meyer, gibt E. W. 120 gardts Blumenscherbe — ohne
Deutung — an, während Kristoforidi 59 auch die anderen
Formen, u. zw. gerdts für Kavaja, Berat, gerets für Kruja ver
zeichnet und das Wort mit verbrochener Krug' übersetzt. Auch
Bask. gibt S. 121 diese Übersetzung. Das Wort ist aus dem
sl. (ksl.) grwibcb Topf = s.-kr. grnac, ö. hrnec, poln. garniec.)
entlehnt; ar, er beruhen auf Lautsubstitution für sl. n (also
sonant. r), sl. rn ergab r wie ererbtes rn. Das Nebeneinander
von alb. ts und ts beruht gleichfalls auf Lautsubstitution, stellt
nämlich verschiedene Versuche der Wiedergabe des sl. weichen
c.b dar (cf. das oben besprochene d-engil <( (v)ggdb, ferner tseint
achten, schätzen <( sl. ceniti. Pekmezi, Gr. 235). Insbesondere
der letztere Umstand deutet auf ein ziemlich hohes Alter der
Entlehnung, da diese in eine Zeit fällt, wo‘im südsl. die Er
weichung noch nicht geschwunden war. Auch der Umstand,
daß das Lehnwort den Wandel von rn j> r noch mitgemacht
hat, führt zu dem gleichen chronologischen Schluß.
glanik, glanik großer Stein beim Herde zum Darauflegen
der Holzscheite; großer Stein, als Hilfe beim Besteigen des
Pferdes dienend.
Das Wort wird beispielsweise Valet e detit, S. 837 in der
ersten der oben angeführten Bedeutungen verwendet und hier
mit gl geschrieben. Dieselbe Schreibung findet sich bei Kristo
foridi, Lex. 64, während Bask. 127 weiches T schreibt. Laut
stand und Suffix weisen deutlich auf Entlehnung. Es handelt
sich um eine an big. glavhd dickes Holzscheit, Feuerbrand
sich anschließende Bildung auf -nik. Dieses Suffix ist ja im
Alb. überhaupt — auch bei Wörtern nicht slaw. Ursprungs —
Studien zur albanesisehen Etymologie und Wortbildung.
109
produktiv geworden; cf. besnik der Treue : bese Glauben, Treue,
fisnilc Edelmann : fis Geschlecht (Pekmezi, Gr. 220). glanik,
glanik also <C *glav-niJc. Die zweite der oben angeführten Be
deutungen entwickelte sich sekundär aus der ersten.
gl'ins Ton, Lehm.
Die obige Schreibung des Wortes findet sich in der Zeit
schrift Diturija (Salonichi, 1909), Bd. I, S. 22 angewendet.
Basic. 195 schreibt Idj, best. kl\a fern. Schlamm, Schmutz.
gl’ins ist junge Entlehnung aus sl. glina Ton, Lehm. Geg. ld\
könnte aber auch slawischem glenz (r.-lcsl. gl&nz, slov. glen
Schleim, Schlamm) entstammen; das inlautende i des geg.
Wortes beruht auf geg. Monophthongierung von ie vor «; cf.
zij koche aus ziert (toslc. ziej): Pekmezi, Gr. S. 54.
göre unglücklich; der Ärmste.
Meyer, E. W. 141 entkräftet seine Vermutung, nämlich
Herleitung aus türk. Icor blind durch Hinweis auf alb. kor blind,
das den Reflex des genannten türk. Wortes darstellt, göre ist
Entlehnung aus slaw. göre in: alcsl. göre wehe, slov. gor je Wehe,
Jammer, r. göre Leid, Gram, c. höre Jammer usw. (cf. Berneker,
E. W. 333). Das anlautende alb. g gegenüber sl. g erklärt sich
wie in goss Ziegenbraten aus serb. közje (Meyer, E. W. 142)
durch Einwirkung des palatalisierten e (Umspringen der Pala-
talisation).
klogen, kelogen, kioger Getreidebrand; Lolch, Unkraut.
Schreibung und Übersetzung nach Basic. 195; Kristoforidi
150, 73 (s. grozule); Jungg 58. Meyer führt das Wort nach
Jungg als ,.Mögen, best, klögna (n ?)‘ an. Allein in seinem nach
Meyers E. W. erschienenen Wörterbuch schreibt Jungg klogen,
was als klogen zu lesen ist. Denn Jungg. bezeichnet g mit g
und g mit gh (cf. gcial vivo, S. 33, gaan largo ebd., gum sonno
S. 42, hingegen gliabue (me) errare S. 35, ghae riso, gioija
S. 36). Unzweifelhaft geht jetzt die richtige Lesung auch ans
den oben erwähnten anderen Wörterbüchern hervor. Meyer
stellt das Wort zu sl. (serb., big.) glavnja Brand, gegen welche
Deutung sich eine Reihe lautlicher Bedenken erheben: Die
vorausgesetzte Vertretung von sl. a durch gern.-alb. o (cf.
110
I. Abhandlung: Jokl.
Kristoforidi, Lex. 150) wird durch die Ortsnamen nicht be
stätigt (cf. Berat Belzgradi, Grazdani, Jagodina, Radomir,
Blata). Auch von vornherein ist eine solche Vertretung un
wahrscheinlich, da schon 1t. ä an dem Wandel von ä >• o des
Alb. nicht mehr teilnimmt. Die Gruppe sl. vf. <( vm soll durch
gn wiedergegeben sein. In Wahrheit ist das Wort mit kloger,
geg. klogin Mönch <( ngr. y.alöyeoog (weitere Formen bei Meyer,
E. W. 169) identisch. Dies beweist schon die von Kristoforidi
angeführte Nebenform kloger. Die Getreidekrankheit ist also
nach der schwarzen Farbe ,Münch' benannt. Man vgl. ähn
liche Bedeutungsentwicklungen im d.: Nonne ein forstschädlicher
Schmetterling, Möneh eine Meisenart; imruss.: mondüenka Nonne,
Fichtenspiuner. Übrigens bedeutet das Wort nach Kristoforidi
nicht nur ,Getreidebrand', sondern auch ,Lolch, Unkraut'. Mit
dieser Bedeutung aber vgl. man das schon bei Meyer, E. W.
169 nach Heldreich angeführte gr.-alb. lcalojerd■ Pflanzenname
Bellevalia comosa. — Das geg. n in klogen für gr. r ist ebenso
zu beurteilen wie in n im Stadtnamen Ginokastre neben Giro-
kastre (Kristoforidi, Lex. S. 82) = 'yloyvoov.aacoor. Es liegt eine
Entlehnung des Geg. aus dem Tosk. vor; daß die Tosten als
unmittelbare Nachbarn der Griechen das gr. Wort weiter ver
mittelten, ist leicht verständlich.
komts adj. aus Haaren erzeugt; komte, komete m. Gewebe
aus Bockshaar.
Meyer führt E. W. 196 nur das Subst. nach Mitko an;
das Adjekt. verzeichnet jetzt Basic. S. 200. Damit ist aber offen
sichtlich die allgemeinere Bedeutung gegeben. Das Adjekt. ist mit
alb. Suff, -te gebildet und stellt sich als Entlehnung zu lt. coma.
kup Haufe von Hülsenfrüchten.
Meyer, E. W. 215 leitet dieses Wort zusammen mit kup
Gipfel aus lt. * cuppus (it. coppo Trinkgefäß, prov. cobs testa ca
pitis) ab. Der Bedeutung nach näher steht aber alcsl. kupz Haufe.
Denn wiewohl man bei Ableitung von lt. * cuppus wohl die Be
deutung ,Gipfel' begreifen kann (cf. afz. cope Gipfel, d. Kuppe,
Kluge, E. W. 7 , 258, 272), so hat sich die Bedeutung ,Haufe'
aus dem genannten lt. Wort nirgends entwickelt. Ein lt. und
und ein sl. Wort flössen also zusammen. Daß ein serb. küpa
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
111
Haufe ins Alb. entlehnt und zu Icapitss umgedeutet wurde,
nimmt auch Meyer, E. W. 175, A. St. 4, 113 an.
lazine freier Platz, wo man Pferde, Esel usw. anhindet.
Kristoforidi verzeichnet dieses Wort für Permet Lex. S. 192.
Es ist eine ziemlich junge Entlehnung aus sl. (s.-kr.) läzina
Lichtung. Das anlautende t und das im tosk. erhaltene inter-
vokalische n lassen auf späte Entlehnung schließen. Auch das
zugehörige sl. lazz Gereut ging ins Alh. über: las, cal. yas •<
las Meyer, E. W. 231.
loznitse Zweig.
Kristoforidi verzeichnet das Wort Lex. 193 für Kortsa.
Es ist sl. loznica, demin. zu aksl. loza Zweig, Rebe, s.-kr. Inz-
nica wilde Rebe, big. loznica.
l'etnitss Name eines im Frühling gefangenen Fisches.
Das Wort fehlt in den Wörterbüchern, wird jedoch nach
Lumo Skendo (Lirija, Nr. 70, S. 3) in Pogradec am Ochridasee
gebraucht. Es ist aus sl. (big.) letnica entlehnt, das im big.
Dialekt dieser Gegend in derselben Bedeutung gebraucht wird
(Gerov, 3, 33).
Temists gefallene Dürrreiser, Genist.
E. W. 243 stellt Meyer das Wort zu /bns Knäuel, was
weder semasiologisch noch morphologisch befriedigt. Das Wort
ist Entlehnung aus einem sl. lomiste: lomiti brechen; cf. s.-kr.
lomaca Reiser, russ. lomasnikz Reisholz, Reisig, l'emists bedeutet
ursprünglich ,Bruchort', ,Ort, wo dürres Reis sich befindet',
dann dieses selbst. Eine ähnliche Metonymie zeigt z. B. ksl.
szmetiste stercus (,Kehrort, Ort, wo zusammengekehrt wird,
Kehrichtsort').
mejton denke, überdenke.
Das Wort fehlt merkwürdigerweise in den Wörterbüchern,
findet sich jedoch z. B. bei Naim Be Frassri, Bagsti e Bujk'e-
sija (mir nur im Abdruck der Zeitschrift Lirija zugänglich,
hier Nr. 86, S. 1, Sp. 3), bei Dozon, Man. S.26, Pedersen, A.T.
101, Val et e Detit, S. 295, 802, 825, Diturija I, S. 3, 11, Li-
112
I. Abhandlung: Jokl.
rija, Nr. 61, S. 1 usw. an vielen anderen Stellen. Es entstammt
1t. meditari (vlglt. meditare) mit regelrechtem Ausfall der inter-
vokalischen Media.
mburon, puron verteidige, schütze.
Mejer vermutet E. W. 267 Entlehnung aus it. barrare
(Meyer schreibt das alb. Wort mit »•). Allein Kristoforidi führt
neben mburon auch puron (für Berat) an (Lex. 338); und dies
ist wohl die ursprüngliche Gestalt des Anlauts, da aus einem
ursprünglich anlautenden b, das Meyer annimmt, puron nicht
erklärt werden kann. Das Wort ist sohin aus rom. parare
wehren, schützen entlehnt.
no ve pl. Neuigkeiten.
Belege: Marchiano, Canti popol. alb. S. 36, 51 (nove te mire),
Vigo, Canti popol. sicil. S. 696. In den Wörterbüchern fehlt
das Wort. Es ist aus sl. novz neu entlehnt. Da es in Volks
liedern der ital. Albanesen erscheint, so handelt es sich um eine
ziemlich alte Entlehnung.
opute Schuhriemen (eigentlich Riemen zum Befestigen der
opinge, opange).
Das bei Meyer fehlende Wort wird von Kristoforidi, Lex.
288 und Bask. 311 gebucht. Es ist aus dem gleichbedeutenden
s.-kr. oputa entlehnt. Da s.-kr. u hier aus o entstand, ist die
Entlehnung jünger als die von dengü (s. o.), psndär Hüter von
Feldern, orendi Gerät <C sl. orgdije Gerät (Pedersen, K. Z.
33, 537 Anmerk.).
ovul Groschen, Beitrag.
Das Wort fehlt in den Wörterbüchern. Angewendet wird
es z. B. Tomori, Nr. 13, S. 2, Sp. 2. Es entstammt dem gr.
dßo'/.oc. Aus der Vertretung des zweiten o lautgeschichtliche
Schlüsse zu ziehen, wird kaum angehen, da Angleichung an
alb. Wörter auf -ul wie akul, mugut vorliegen wird. Man vgl.
noch idut, iduls (schon bei Bogdan, Cun. proph. I, 3, 9) < gr.
eidoAor.
palon vermindere; paloliem nehme ab.
Das Wort fehlt in den bisherigen Wörterbüchern, findet
sich jedoch Val’et e detit 829. Es ist von 1t. paulus gering,
Studien zur albanesiselien Etymologie und Wortbildung. 113
winzig, klein abgeleitet und zeigt die übliche Vertretung von
lt. au. Wegen des l ist nicht die ältere 1t. Form paullus, son
dern die jüngere paulus zugrunde zu legen.
p iaretss Blutegel.
Kristoforidi, Lex. S. 324; Bask. S. 347 verzeichnen dieses
bei Meyer fehlende Wort. Miklosich, Alb. Forsch. I, 29 führt
nach Rossi bloß alb. piskavizz-a (,eine Entstellung des sl. Wortes - ')
an. Dieselbe Form piskavitse verzeichnet auch Meyer, E. W. 339.
Das zugrundeliegende sl. Wort ist serbokr. pijavica.
pods, pod oberes Stockwerk.
Die erstere Form findet sich in der ältesten, seit kurzem
teilweise bekannten alb. Handschrift, dem Kodex des Dom Gon
Buzuk, Kon. 3, 17, 19 (die Verse 17—24 wurden von der Zeit
schrift Tomori, Nr. 12, S. 3 veröffentlicht), pod ist nach Bask.
357 skutar. pod(e) ist nichts anderes als lt. podium <( gr. rcödiov.
Da aber lt. -di- in alten Entlehnungen als -z- erscheint (cf. reze
Strahl O *radia für radius), da ferner auch in den rom.
Sprachen -di- durchwegs verändert wird (cf. it. poggio usw.
Meyer-Liibke, Gr. d. rom. Spr. I, 429), so liegt eine jüngere,
wahrscheinlich gelehrte Entlehnung vor.
Geg. porots, parots vierundzwanzig vereidigte Zeugen.
Kristoforidi, Lex. 334 und Bask. 358, 321 bezeugen dieses
Wort, das aus s.-kr. p'örota die Geschworenen entlehnt ist. Die
Schreibung parots erklärt sich aus dem Umstande, daß im
Geg. a stark gegen o hin gesprochen wird; es handelt sich also
um eine Art umgekehrter Schreibung. Während der langen
slaw. Herrschaft über Albanien fanden auch Einrichtungen des
slaw. Prozeßrechtes Eingang.
priks Mitgift.
Belege: Val'st e detit S. 309, Anm. 3 und S. 833. In
den Wörterbüchern fehlt das Wort, Es ist aus ngr. noolv.a,
Mitgift = agr. nooi£ entlehnt. Meyer, E. W. 333 und Kristo
foridi, Lex. 316 verzeichnen bloß psrkij, das zwar indirekt der
Sitznngsber. d. phil.-hist. Kl. 1G8. Bd., 1. Abh. 8
114
I. Abhandlung: Jokl.
gleichen Quelle entstammt, jedoch durch Vermittlung des serb.
prcija ins Alb. überging.
skots Rasse, Geschlecht.
Tornori, Nr. 5, S. 2, Sp. 2 gebraucht dieses Wort, das
auch ron Balk. S. 400 gebucht wird. Zugrunde liegt s.-kr.
skot pecus, progenies.
Geg. söge Wache, Turm.
Das von Kristoforidi, Lex. 37G 1 verzeichnete Wort gehört
offenbar zu sodis sehen, schauen, betrachten (gebraucht von
Bogdan, Cun. proph. I, 2, 5 und 4, 16). sodis fehlt zwar bei
Meyer, E. W., ist jedoch mit dem hier, S. 396 verzeichneten
sudit sorge für etw., betrachte im Grunde identisch. Beide
Verbalformen stammen aus einer Fortsetzung von aksl. soditi.
Während aber sudit die s.-kr. (oder westbulg., mazedonische)
Vertretung des sl. p zeigt, stimmt sodis in der Behandlung von
aksl. g mit porosit < porociti überein, weist also durch seine
Vertretung von sl. o auf Entlehnung aus dem big. Dialekt von
Debra (cf. Vondräk, Vgl. sl. Gr. I, 131). Das Subst. söge ent
stand aus *sod-lä (zum Suffix vgl. man die oben besprochenen
Wörter wie: pils, mjerguts, mjegute, vige, Tier-9-ul), d. h. das
entlehnte Verbum wurde mit dem Suffix für alb. Nomina in-
strumenti u. dgl. versehen, -dl- wurde weiterhin zu -gV-, g wie in
gats lang < *dlang-te. In lautlicher Hinsicht bietet das Wort
darum besonderes Interesse, weil dadurch ein chronologischer
Anhaltspunkt für den Wandel alb. dl j> gl gewonnen ist. Der
alb. Lautwandel war also zur Zeit der sl.-alb. Beziehungen noch
wirksam und fand auch noch nach dem Schwund der Nasal
vokale in der genannten big. Dialektgruppe statt.
tregon, tregoii erzähle, setze auseinander, zeige an, verrate;
zeige, beweise.
Die Schreibung tregon nach Kristoforidi, Lex. 430; hier
findet sich die Übersetzung ,erzähle, setze auseinander''. Meyer
gibt als Bedeutung ,zeige an, verrate', und schreibt au erster
[Bask. 402, Jungg 142, 198. K.-N.]
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
115
Stelle t'i'sgöj, daneben auch tregöj- eine Form tsrgoj versieht
Kristoforidi mit Fragezeichen. Aber auch die Bedeutung be
weise, zeige' eignet dem Verbum, wie z. B. aus folgender
Stelle zu ersehen ist: Fazil pasa tregon sa ns neri i nia-9- e i
msntsim sst’ i zoti lis ts ngalns ns mbretsri güssm t.e vdekurs
(Diturija [Salonichi], I, S. 33). Fazil Pascha beweist, wie sehr
ein großer und verständiger Mann fähig ist, ein halb totes
Reich zu beleben. Ebenso: u tregua buvs er erwies sich als
Mann (Lirija, Nr. 101, S. 2). — Meyer vermutet 1. c. Herleitung
aus lt. tradere, indem d geschwunden und dann g wie in pagua
<C. pavonem eingetreten sei. Allein da pagua aus dem it. pagone
stammt (Meyer, E. W. 318), beweist dieses Beispiel für tregon
nichts. Mit Recht lehnt daher Pedersen, K. Z. 33, 538 Meyers
Deutung ab und betrachtet das Wort als unerklärt. Ebenso
ist für Puscariu, E. W. der rum. Spr. I, 163 Meyers Herleitung
tregon <( tr adere sehr zweifelhaft. — Das Verbum ist in der
Tat nichts anderes als das Denominativum von tregs Markt
platz <[ ksl. tröge,- es ist also mit tregoj treibe Kleinhandel im
Grunde identisch. In semasiologischer Hinsicht ist zu beachten,
daß in alter und primitiver Zeit der Marktplatz mit dem Ver
sammlungsplatz, der Stätte der Besprechung gemeinsamer An
gelegenheiten zusammenfällt (cf. Schräder, R.-L. 521 ff.). Man
vgl. insbesondere das Bedeutungsverhältnis von gr. uyoqa Markt,
liyooaQoj kaufen, dyoosvio öffentlich reden, laut und unverhohlen
sagen, kund tun, melden. Insbesondere die beiden letzten Be
deutungen berühren sich mit denen von tregon (,erzähle, zeige,
beweise') ganz nahe, tregon. ist also eigentlich ,zu Markt bringen,
publik machen', woraus sich dann sowohl die Bedeutung ,er
zählen' als ,anzeigen' ergibt.
tsur m., tsurs f. Fels.
Von den Wörterbüchern verzeichnen das Wort Jungg 177,
Bask. 481; gebraucht wird es beispielsweise von Fista, Lahuta
e maltsiis, I, S. 15; Pika voeset, S. 5. Es ist jedenfalls hebr. ns
cur Fels, scharfkantiger Stein. Im Türk, und Arab. 1 ist das
Wort, soweit ich sehe, nicht nachzuweisen. Durch Vermittlung
1 Bei diesen Nachforschungen erfreute ich mich der Unterstützung des
Herrn Priv.-Doz. Dr. Hrozny.
8*
116
I. Abhandlung: Jokl.
der Osmaneu kann also das semit. Wort nicht zu den Albanesen
gelangt sein. Wahrscheinlich waren demnach Juden die Ver
mittler. Auch ein anderes Wort semitischer (arabischer oder
hebräischer?) Herkunft, nämlich ani, Schiff ist im Türk, nicht
nachzuweisen (cf. Meyer, E. W. 13). Zu bemerken ist, daß in
der hebräischen Aussprache der Juden hehr. X = ts ist.
vojna te mira pl. Wohlgerüche.
Beleg: Tomofi, Nr. 6, S. 4, Sp. 4. Das Wort entstammt
dem Sh: aksl. vonja Duft, s.-kr. v'onj, vbnja Geruch.
Berichtigungen und Nachträge.
S. 3, Art. ameze, Z. 4 v. o. lies lit. udziu statt udziu.
S. 5, Z. 12 v. u. lies bagsti, balcti st. bageti, bakti.
S. 6, Z. 3 y. u. Das Erscheinen des ,Tomork mußte mit Nr. 13
eingestellt werden.
S. 7, Z. 4 y. o. lies ahd. büan st. buan.
S. 9, Z. 10 y. u. lies Kluge, E. W. 7 , 56 st. E. W. 7, 56.
S. 11, Z. 3 v. o. lies lt. defrütum st. defrütum. 1
S. 11, Art. buze, Z. 8 v. o.: arm. heran ist von lit. burnä usw.
besser fernzuhalten, da es der Entlehnung aus dem japhe-
tischen Sprachkreis* verdächtig ist. Cf. jetzt N. Marr,
Bull. Acad. St.-Petersbourg, 6. Ser., t. 4, 1910/2, S. 149;
lies lt. foramen st. lit.; Z. 12 lies A. St. 3, 6 st. 3, 36.
S. 12, Z. 3 v. o. lies ai. öStha-h st. östha-h.
S. 13, Art. del, Z. 9 v. u. lies ksl. greblo st. aksl.
S. 14, Z. 4 v. o. lies gr. jzv&iü st. rcvd-a.
S. 16, Z. 3 v. u. lies dorbsri st. dorbsri.
S. 17, Z. 2 v. o. lies zveris st. zveris.
S. 18 ; Z. 17 y. o. lies ahd. mhd. drät st. drdt.
1 Nach dem Muster von G. Meyers A. St. 1, 2 und anderer albanologischer
Publikationen habe ich die lt. Quantitäten in der Regel nur dann be
zeichnet, wenn sie mir für die albanesische Etymologie relevant
zu sein schienen. Dabei leiteten mich besonders typographische Rück
sichten.
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
117
S. 19, Z. 18 v. u. lies ai. dü- st. du.
S. 20, Z. 5 v. o. lies ags. teona st. teona.
S. 20, Art. &ep, Z. 5 v. o. lies ai. sepa-h st. Sepa-h. Zur Sippe
vgl. man jetzt auch die Ausführungen Endzelins, K. Z. 44,
S. 58, der lett. sipsna ,eine starke Hute', lit. szipulys
,Holzspan, Holzscheit' mit lt. cippus, ai. siipa-li vergleicht.
S. 22, Z. 15 v. o. Falls man mit v. Blankenstein, I. F. 21,
113 f.; Pedersen, Vgl. Gr. d. kelt. Spr. I, 138, 149; Meillet,
MSL, 9, 49 in lt. cum wegen sl. sz palatales k ansetzt, so
könnte dies allenfalls zu Gunsten der Entlehnung des
Präfixes in den hier besprochenen alb. Wörtern geltend
gemacht werden. Indessen vgl. man zum Anlaut von
lt. cum Brugmann, Gr. 2/2 2 , S. 852 und zur alb. Ent
sprechung von sl. sz und Bestimmung von dessen Anlaut
außer dem hier s. skel' (S. 78), skep (S. 80) usw. Be
merkten auch noch meine Analyse von sliiVtse, stsiT, stsil'e
Lab = coagulum in einem demnächst in den I. F. er
scheinenden Aufsatz.
S. 22, S. 2 v. u. lies Tomofi st. Tomafi.
S. 26, Z. 9 v. o. lies big. jarem st. jarzm.
S. 28, Art. gsrs, Z. 6 v. o. lies ags. sul st. sid; Z. 7 v. o. lies
mhd. seine st. seime; ir. sith st. sith.
S. 29, Art. gols, Z. 1 v. o. lies Fraseri st. Fraseri; Z. 6 v. o.
lies as. selmo st. selma.
S. 29, Art. h\dite, Z. 13 v. o. Ahd. esSa, nhd. Esse ist von der
hier besprochenen Gruppe von gr. aid-io usw. besser zu
trennen; cf. Kluge, E. W. 7 , 120 und die daselbst ver-
zeichnete Literatur.
S. 31, Z. 1 v. o. lies lett. jüra st. jura.
S. 32, Art. je, Z. 7 v. o. lies ai. ävi-h st. dvi-h; Z. 9 v. o. got.
awi-liu]) st. avi-liu]).
S. 33, Art. kands, Z. 2 v. o. lies A. St. 6, 6, 17 st. 19.
S. 39, Z. 19 v. o. lies aksl. st. akol.; Z. 27 v. o. lies äy/.vkog
st. ä'yxuAog; Z. 7 v. u. lies lett. kapdt st. kapät.
S. 41, Z. 12 und 17 v. o. lies as. hröm st. hrom, bezw. hrom;
Z. 22 v. o. lies dbm st. dznz.
S. 42, Z. 19 v. u. lies honorem )> nder st. <C; Z. 13 v. u. lies
kre(t)ngti st. kre(t)na c ti; Z. 8 v. u. lies r. krony st. ö.
Z. 7 russ. st. öech.
118
I. Abhandlung: Jo kl.
S. 44, Art. Tabs, Z. 6 y. o. lies lett. IvMt st. Tublt; Z. 6 v. u.
lies ahd. lösan st. losan.
S. 46, Z. 12 y. u. lies ahd. sc'eran st. sceran.
S. 47, Z. 11 v. o. lies ai. lepa-li st. lepa-li.
S. 48, Art. Taps bin müde, Z. 2 lies lit. alpti st. alpsti.
S. 50, Z. 3 y. o. lies Schur st. Schnur.
S. 52, Z. 11 v. o. Den Zusammenhang des Flußnamens Lim
und des alb. Appellativums Tum erkennt bereits Vondräk,
Altksl. Gr., S. 53, erklärt jedoch das i des Flußnamens
aus intern slawischen Verhältnissen (cf. aksl. plingti neben
pljunoti). Allein die etymologische Analyse des alb. Wortes
— und von diesem ist ja nach der Sachlage auszugehen —
läßt i als ursprünglich erkennen.
S. 53, Z. 13 v. o. lies lit. lüzti st. lüzti.
S. 55, Art. mbur, Z. 2 v. o. lies ahd. gibüro st. giburo.
S. 65, Z. 13, 12 v. u. lies ahd. drät, dräen st. drät, dräen.
S. 69, Z. 5 v. o. lies ksl. greblo st. aksl.
S. 70, Art. pTis, Z. 2 v. o. lies ngr. ttIIv&oc, st. mlivdog] Z. 8
nach gr. uttLImS; füge ein ,Maulwurf'.
S. 71, Art. pTok, pTogs nachlässig, träge, Z. 4f.: Zu lt. religens,
religio vgl. man jetzt W. Otto, Arch. f. Religionswiss. 12
(1909), S. 541, der gegen die Verbindung dieser lt. Wörter
mit gr. ä'ksyat usw. nichts einzuwenden hat, da Form und
Bedeutung aufs beste zusammenpassen, gleichzeitig aber
hinzufiigt: ,Jedoch ist nicht recht einzusehen, weshalb
man die doch zunächst sich anbietende Verbindung mit
legere verschmäht hat'. Walde, E. W. 2 , 874 billigt dieses
Urteil. Damit ist im wesentlichen die Ansicht Wiedemanns
BB. 27, 240 Anm. aufgenommen, der ebenfalls lt. religens
gleichzeitig mit gr. älsyo) und lt. lego, gr. Isyw verbindet.
Auch v. Lingen, Die Wrz. ALL und AEX, S. 35 fragt,
aus welchem formalen Grunde Fick neglego, religens zu
der Wz. leg sich kümmern, eligo, colligo zu der Wz. leg
sammeln, lesen stelle. Das Alb. beantwortet nun diese
Frage v. Lingens. Denn einem lt. legere zusammenlesen,
wählen, lesen entspricht im alb. mbTed sammle, versammle
(Meyer, E. W. 265) mit palatalem g, einem lt. neglegere
nicht achten, vernachlässigen alb. pTolc, pTogs nachlässig,
träge mit velarem g. Die bisherige communis opinio, die
Studien zur albanesisclien Etymologie und Wortbildung. 119
(cf. Otto, 1. e.), lego und religens trennt, erhält also durch
das Alb. eine lautliche Stütze.
S. 72, Art. popele, Z. 3 v. o. lies ai. dädhrSi-h st. dädhrifi-h;
Z. 8 v. o. klr. polonyna st. polonina.
S. 74, Z. 3 v. o. lies lt. ros, röris st. lit. ros, röris.
S. 75, Z. 3 v. u. lies judicätum, cognätus, ingrätus (mit ä st. a);
Anm., Z. 5 v. o. lies ahd. ämäd st. ämad, got. rirnis st. rima.
S. 76, Z. 4 und 3 v. u. lies arm. nist Lage, Sitz, nstem liege
st. nist liege, sitze.
S. 77, Z. 2 v. o. lies ahd. räiva st. rdiva, ags. röw st. row.
S. 78, Z. 6 v. o. lies nnorw. snök, an. snälcr st. snök, sndkr-
Z. 1 v. u. lies gr. &- st.
S. 80, Art. slcep-, Z. 12 v. u. lies ahd. gillh st. gilih- Z. 6, 5
y. u. skepetij, skrepetij (mit ij)) Z. 2 v. u. pertüp st. pertrüp.
S. 84, Art. spor, Z. 4 v. o. lies ahd. ferro st. ferro.
S. 85, Z. 5 y. o. lies r. -steretb st. stereU.
S. 86, Z. 4 v. u. lies lt. *derüpo st. it. derupo.
S. 88, Z. 15 v. o. lies setzen: st. setzen.
S. 89, Art. strunge. Zu alb. strunge und seinen Verwandten
vgl. man jetzt Vasmer, Iioczn. slaw. 2, 27, der hierüber
bemerkt: ,Ieh denke mir rum. strungä sei aus aksl. *strqga
Hürde entstanden ... Dieses aber kann aus grieeh. ocoayya
Auspressung stammen, einem Deverbativum zu oiQayyt'Qoj
auspressen, ausdrücken... melken. Bei für den Bedeutungs
wandel günstigen Sandhiverhältnissen könnte die Bedeu
tungsveränderung schon im Grieeh. vor sich gegangen
sein. Freilich kann ich sie nicht belegen/ Doch ist, wie
Vasmer ja selbst hervorhebt, aksl. *strqga ebensowenig
belegt wie ngr. oioüyya in der Bedeutung Jiürdeh
S. 92, Art. uikd-, Z. 5 v. u. Eudzelin, K. Z. 44, 61 vermutet
Entlehnung des alb. ulk aus sl. *vilki-, die Verbindung
vu- kenne, wie es scheint, das Alb. nur in jüngeren Lehn
wörtern. Allein wie in alten Entlehnungen aus dem Slaw.
anlautendes antevokalisches v behandelt wird, zeigt das
S. 105 f. besprochene Dengtt, fengü.
S. 96, Z. 5 v. o. lies ekka st. ekka.
S. 101, Z. 16 v. o. Im Gegensätze zu Bernekers Ansatz
*g(u)ödh-, *g(u)edh- setzt v. Osten-Sacken, K. Z. 44, 156
einen Anlaut *gu, demnach die Ablautsstufe * gue(u)dh-,
120
I. Abhandlung: Jokl.
*gvö(ujdh- an. Für das Alb. macht dies natürlich keinen
Unterschied aus.
S. 103, Z. 13 v. o. lies Suffix st. Sufix.
S. 103, Art. afsr und S. 107, Art. fat. Über die Dauer der
Erhaltung der got. Sprache in Ulyricum vgl. man be
sonders Bartoli, Das Dalmatische, I., S. 238 f.
Morphologische Übersicht.
Reduplikationsbildungen: djade Käse, gogele Kugel,. Ball,
Gallapfel, popele Felsstück.
Formans -i < ijä:
zi (fern, subst.) Trauer, Hungersnot, Timonil Muße, nerezt Mensch
heit, liipi Haufe, dorbsri Herde usvr.
Formantia mit Nasalen:
-?)i- burme reif, jerrn rasend, l'ems Geburt, polem Volk, keiiem
Weihrauch, Tum Fluß, ngeVmsts salzig;
-n- ltarme Fels, Klippe, hem, leem Weihrauch, Tum selig, dane,
dare Zange, baue Wohnung.
Formans mit labialem Verschlußlaut:
bho- ngel'bete salzig, sltelp Fußtritt, gep Dorn.
r- und LFormantia:
-r- dor-bs-r-i Herde, urs Brücke (-or in Isngör, hjezör vielleicht
fremd).
-I- pih Werkzeug zum Flachskämmen, vige Hochzeits- und
andere Festgeschenke, mjerguh Nebel, lierd-ul Kreis, Garn
winde, kdiel rein, knelem erhole mich.
Formantia mit dentalem Verschlußlaut:
-ta bots Erde, Boden, Welt, Leute, Tate kleine Axt, ndjete Ab
scheu, pende Paar Ochsen, vade Hürde.
-se brese bittere Wurzel, Zichorie, kmese Hacke, l'use Bach,
rese Neid, Ort, wo man Fische erwartet, um sie zu fangen,
geg. mbaise Stütze, geruss, gevese Schabeisen.
-ose dose Sau, bretlcose Frosch.
-es- pares-i die Vornehmen, maTesi das Gebirge.
-d- l'aper-ö-i schmutzige Rede, huröe Teich.
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung. 121
-zs Moze Ruß, Speichel, triss Dreiheit, gizs Käse, buzs Mund,
Rand, Lippe, pl. nerez Menschen, nerszi Menschheit, mar-
sz-i Narrheit.
-zi, -zs, -zit prapazi von hinten, psrparazi von vorn, storass
aufrecht, postazi von unten.
Formantia mit gutturalem Verschlußlaut:
-k bük Stroh, penk Koppel, ujlc-9- Vließ.
-g pl'ok Haufe, vik Ubergangssteig, aus einem Balken be
stehend, Tragbahre, Pflugdeichsel.
-ig- sligs Schlange, Natter.
s-F ormantia.
is- mad-es-t-i Stolz, Aufwand, pris wandere aus.
Fremd (lt.):
-aj in geg. Ortsnamen und in Sippennamen wie Nikaj, Lukaj,
Kolaj u. a.
Präfixe:
ke- gdent behaue Holz, gSiii tage, ksnds, kande Gefallen, keek
böse, ksnak befriedige, ergötze, ksnem Weihrauch, kl'irts
Tal, lidiet rein, knetem werde wieder lebendig.
$- s-kel' trete, s-k(r)ep gleiche, s-pie bringe hin, s-triip steige
herunter, s-tir setze über einen Fluß, s-ur harne,
ö- oroe Acht, Beachtung.
Verba:
-h mili grabe, skreli taue, schmelze.
-d -der9- gieße, drei)- drehe.
Fremd (roman.):
-szoii kunorezoj, tosk. kurorszoj kränze, vargszoj reihe auf
u. a. m.
122
I. Abhandlung: Jo kl.
Index.
(Die Verweise auf TI. II: Entleimungen sind durch Vorsetzung von
II kenntlich gemacht.)
afsrts: kl'irte
agoj: slcoj
qj: kem
ajaste: II afer
akut: II ovul
amvise: avis
ap in: avis, gute
ans: buze
arssüe, aresen:
bress
arotula: avarl, II
afer
ast(e): djade, gemp
avitiii: avis
bäm: jerm
banoj: baue
baske: avari
bastine: baue
Berat: avis
besnik: II gtanik
beled: laj, ndjer
bestjer: baue
bie: mbur
binem: ndjer, laj
bisedoj: avis
blej, bXen, bke: laj
bluam: laj
bote: bane
I. Albanesiscli.
botsiel, butsiel:
bane
bretsk: doss
bretkoss: dose
brenda: laj
breh, brej: bress
brum,brume: bur-
me, det
bual: II d-engil
bqj: bane
hule: hinge
bulunge: lunge
burme: buze
buf: mbur
bus in : geh
dalte: lape
dal: det
te dalete: bane
dale: det
dare: dane
dasele: je
ded: det
dege: vik, det, dor-
beri, zgede
deit: det
dejet: det
der: ndjer
dere: ndjer
dere: dune
deri: ndjer
derk: dose
der: dose
debon: stip
did-e: djade
digjoj: ndjer, laj
dihet: gdin
dja&te: djade
djal: Zqne
dj ep, dj ep e, djebe:
pende
djer: bane
djeg: II diegutär
djerse: ure
dirse: ure
dore: mar
dridem: dred
drite: mar
duf: kipi
duai: det
dzboh: stip
dzjede: zgede
dend, ä$nn: gdent
det: ndieh, kem,
ndjer
djes: ndjete
djete: kem, ndjer
dan: ndjete
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
123
date: ndjete
deni: zi
depis: dep
di: n
didih: geh
dir: deras
djeste: kdiel
eTp: ngeTbete, djade
engije: gogsh
erste: Timonti
snde: Icande
femijs, femil'e:
kerdul
fengil: II dengtt
fisnik: II glanik
fjeye: kdiel
fl'ok: Tum
fl'uturoj: Tum
fuge: II dengil
funke: II furate
gern: gemp
gedf: gdin
ged im: gdin
gerdes: ngridem
gerdis: ngridem
geriij, gefüej: ge-
ruse
gerdtS: II garatS
gerese: geruse
gerets: II garats
gefuan: geruse
geruse, gerese: brese
gsrutse : gatse
gTanik: II glanik
glep : gemp
gTembe: gemp
j gTimp: gemp
! gnem: kem
gogelemse: gogele
gr{: rende
grien: geruse
grik: rende
griii: geruse, mih.
grisa: spie, stie
grua: rende
grüen: geruse
gale: geh
gaTme: laperdi
gqne: gere
gatulör: Tengör
gate: vige, II söge
gede: ndjer
gelin: geh
gelis: geh
gen: Ten
gep: gemp
ger: ndjer
gere: gere
gemp: gemp
gidmon : Timonti
gize: bToze
goss: II dengil
guaj: ndjer
gume: Turne, kem
hä: nge
haTe: skeT
har: SkeT
he: nge
heTm: ngeTbete
her de: hjdite
hi dun: hgdite
hidure, hidete: li\-
dite
1 hid: hidite
h\d: hidite
hfdel, hided: hi
dite
hides: hidite
j hip(en): res
hisst: hidite
hjerm: jerm
j hjezör: Tengör
hutoj: hut
\
idenoj, ideroj: hi
dite
iäete: hidite
idul(e): II ovul
idun: hidite
in: ndjer
jap, ap: jerm
jarine: geh
j jarm: geh
jater: ure
jerm: burme
| juge: geh, Uipi
kalezoj: II -ezon
kali: arari, zi
kalojerd: II klo-
gen
kames: kmese
kapitse: II kup
kap : kapase
karme: kappe
k ep: kmese
lieheh : nahe, buze
kejits: kipi, det
kekür: gdent
kelogen: II klogen
kemes: kmese
124
kendes: Skoj, geruse
Jeende: kande
kendües: geruse
kentuar: limonti
kenem: kein
kerkese: brese
kerus: geruse
leerute: leer3ul
kestu: skoj
kl\: II gl'ine
ktoger: II Ido gen
ktoger: II ldogen
lc Tii tS, k Xi t S: kipi,
det
kmese: brese
knnues: geruse, skoj
kole: knelem, pile
koTube: Xuin
krep : karpe
kruaii: geruse
kruj,kruej: geruse
krunde, krunde:
gründe
lcrüs(e): geruse
ksesperbl'im: Xaj
ksu: skoj
kurorezoj: II -ezoti
kurve: kipi
küt: det
karte: gebe, Sur
Hede: ndjer
ke3: buze
kem: kem
lc ep: gemp
lei, ke: Storase
kor: II göre
kuaj: ndjer
kür: ndjer
I. Abhandlung: Jo kl.
küts: ndjer
kütS: det, kipi
las: II tazine
l'abe: det
Xagoj: mj er gute
l'akemi: ruaj
L'aparda O.N.: Xa-
perdi
Xap arös: Xaperdi
Xaperdi: zl, bl'oze
Xargete: Ximonti
Xargoj: mj er gute
Xate: baue, Xape,
ngrüs
Xem: Xeii
Xeme: Xeii
l'es: Xen
Xekure: Ximonti
XemS: II Xemiste
Xengon: Xengör
Xep ij: Xape
Xepin: Xape
l'eroj: Ximonti
Xe s oj: Ximonti
Xevere: Ximonti
Xevroj: Ximonti
Xide: Sur
Xid-: zgede
l’ikte: kXirte
Xi kur (e) : Ximonti
Lim: Xum u. Nacbtr.
Xind: Xen, nge
Xire: zl
Xise: Xum
Xi Soj: Ximonti
Xivere: Ximonti
l'ivroj: Ximonti
l'ot, Xote: pende
Xu a 0 : Xum
Xuaj: gevese
Xu Xe: Xum
Xu me (Fluß): Xum
l'üme: Xum
Xumni: Xume
Xuse: Xum, brese
lüse: Xum
madeSti: pris, zl
maim: maze
maimete: Ximonti
maise: brese
maXesi: zl, dose
gatse
man: maze
martese: brese
mar: Sur
marezi: Xaperdi,
bXoze
mb allem: mbur
mbejedije: tSqStje
mbelij: mbül
mbelün: mbül
mbertSeX: mbül
mbeSeX: mbül
mb et sei: mbül
mbH: mbül
mb in: Xaj
mbXede: tSqStje
m b Xe de Xe: tSqStje
mblij: mbül
mbrap, mbraps
l'aps I.
mbrenda: Xaj
meSeX: mbül
-meste: mih
-mezaj: mih
Studien zur albanesisehen Etymologie und Wortbildung.
125
ml: fl
mili: ndieh
mjaktss: gatss ; dja-
de
mjeguls: mjergule
mugul: II or,ut
mundin: avis
mils: mbiit
ndane: ndaj
ndej: ndaj
nder: Skoj, kem
ndeS: ndieh
ndjere: ndjer
ndjets: baue
ndotem:bane,ndjets
ndrise: dre&
ndü: ndjer
ndi\j: ndjets
ndüii: ans, Skel'
ndiitS: ndjer
ne: ndjer
nejs: ndjer
ngae: nge
ngaja: nge
ngkoms: homs
ngridure: ngridem
ngris: ngrüs
ngusts: kem
ngend: nge
nger(a): ndjer
ngets: ndjer
ngoms: noms
nnisem: ndjets
nnrizs: dred-
nite: ndjer
Yiegui: mjergule
neben: gete
j n e l’m: ngel'bsts
Her: ndjer
nersz: bl'ozs
i fierszi: l'apsräi
nerezits: zl
iisri: zl
hof: mih
J iiom: 'homs
orsndi: II d-sngil,
II oputs
oroe: ruaj
pa: Skep
padaluarsms: da-
loj
pagua: II tregon
pale: Spal
para, par: Spor
pars: dans
paresi: zl, doss
parots: II porots
pengs: pends
pengess: pends
penk: pends, bük
peStier e,pe Stiers:
ndjer
petke: II afsr
pel'hurs: pl’af
psl'urs: pl'af
psndär: II d-sngit,
pends, II oputs
pends: pends
psngoh: pends
psrklj: II priks
psrl'aj: Taj
psrmbüs: mbiit
psrmbüsem: mbiit
psrmbütsjs: mbiit
psrmisurs: mbiit
psrpäl: spal
psrparazi: -zi
psrpjel'ta: det
psrpoS: ndjer,ndje
ts
psrpud-,psrpur$:
buzs
psrtiip: Stip
psrtrüp: Stip
psStiims, psStims:
bl’ozs
pezqj: buzs
p{: %'
pils: del
piskavizza: Ilpta-
vetss
pjeksts: pils
p jekur, pjekun:
burms
pkehurs: pl'af
pl'its: plis
plogsni: plok
pl’ot: plok
pTuhurs: pl’af
pokern: l’eh
porosit: II söge
postazi: -zi
posts: ndjer
pra: hkep
prak: ruaj
prans: II afsr
prapazs, prapa-
zit: -zi
prapsem: kaps I.
prernte: kreme
prsmis: mbiit
prsn: kands
print: pkok
126
prulun: plok
pruva: spie
pune: ameze
pül: keek, zi
pupe: popele
puroii: II mburon
rqnd: rende
re: rende, ruaj, nge
rese: ruaj, brese
reifen: res
reze: II pode
ripe: Stip
riStas(i): Storase
ristazi, -ze: Storase
r ob ins: avis
roe: nge
runs: kipi
fall: ras
red: rende
sodis: II söge
sore: Spor, gogel'e,
mar
sot, sod: det
stervit: kdiel
strug: kipi
sudit: II söge
svaritem, svarem:
kapitem
selige: det
sl: ri
skaloj: skel
skal': skel
iskas: slces
skelm: skel
skel'p: skel
I. Abhandlung: Jo kl.
| skepetlj: skep
skr eh: ngrin
skrep: karpe
skrep: skep
skrepetlj: skep
skri, skr\: ngrin
skr in: ngrin
skues, slces: Skoj
sk e Ib oj: skel'
skel'm: skel
skel’moj: skel
Sligs: selige
sperbl'en: l'aj
sp i: skoj
spure: spie
state: l'aps I, ngrüs
stek: skoj
stepi: skoj
sti, stjj: stie
stij: stir
stjel: stie
streze: II blegtür
strengon: strunge
strih: stie
Strip: slip
stuare: storase
stün: skel, stir,
ameze
stiip: stip
stiir: stir
Sure: Sur
tboii: stip
tendel'ine: Skep
tere: er
tete: kem
ti: ri
tiegutür: II die-
gulär
tjegule-Aldiegulär
pl. te tjere: ure
tjeter: ure
toke: Skep
trege: II Iregoh
trendeline: Skep
tremp, trem: gemp
trize: bloze
troke: Skep
truan: ruaj
trup: liipi
tsenit: II gardtS
tSeStje: tSqStje
tslialoj: skel
j tsmal: kdiel
tSpor: Spor
\ übrige: kipi
ude: ure
\ ugar: kipi
j uje: djade
uik, ulk: uikd
ujkd: bük
uk: det
j ul: urte
ul'itse: kipi
} uh: urte
uhil: II dengü
ill: II dengil
vqd: vade
vade: baue
vanguloh: skep
| vanlc: vade
! vargezoj: II -ezoh
var: vade
| vatre: vorbe
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
127
vdjer: ndjets
vdorern: ndjets,
baue
vent: pends
vs-3". vade
vsrs: vsri
vsrims: vsri
vge: gdent
virs: vsri
vis: avis
vit: gemp, vsri,
djads
ajriya-h: zi
aücati: klirte
ad hi: -zi
apivpnöti: vade
ava: hut
dvati: je
divall: je
asnöti: ksnall
astlii: djads
ä: ruaj
ävi-h: je
i-tdli: -zi
inddhi: hjdits
ukhä-h: ans
ulchä: ans
urqga-ly. Selige
usriy a-li: zl
Bma-h: gemp
öjjtha-ly. buze
vjel': kdiel
vj e St e pars: kdiel
vjets: gemp
vlazni: zi
vl'ess: bress
vor: vade
votsr: vorbs
vrangulon: Skep
vrenne: vrsnds
zq, zs: Zqne,bane
zbard: kdiel
II. Altindiseli.
Ica-kübh-: kapass
kapucchala-m:
kapass
kartari: buze
klrti-li: kreme
kftti-li: Taps
kpndtti: kerdul
kpp-: Skep
kppäna-li: karps
kSatriya-ly. zi
ksämd-h: jerm
gär gar a-li: gogsTs
garda-li: ngridem
galgaliti: tartalis
guväti: ndjets
göpura-m: mbiil
gi'dhnü-li: ngridem
gfdhyati: ngri
dem
g lau-ly. gogsls
ghpnd-h: vorbs
ghpnöti: gatss
zbon: Stip
zdrip: Stip
zdrüp: Stip
zezs: zi
zgede: zgede
zgrip: karps
zgat, ngat: kdiel
zgela: zgede
zgindem: Ten
ziej: II glins
zij: II glins
zjede: zgede
carkarti: kreme
chäyü: kdiel
jivd-li: nge
tqsäyati: tund
tanöti: kmess
tdrati: Stir
tarald-h: tarta
lis
tirdti: Stir
tirdli: Stir
tsdrati: Seilige
dq$ati: dane
ddidlii: djads
dala-m: daloj
dalayati: daloj
da$asy dti: ndieh
dädhfSi-li: popele
däman-: del
dlrghd-li: vige
duno-ti: dune
128
dus-yati: dune
d u-: dune
dfs-: mar
dyati: del
dvih: zgede
dhdvante: der9
dliäya-li: dja9e
dhärayu-h, dliä-
rya-m: der 9
dhürä: der-9
dhrdjati: dre9
narya-, ndriya
zi
Näsatjäu: knelem
pakvd-ly. burme
pakSman-: pile
pat q yd-ly. selige
pdti-h: II fat
panthä-h: ure
pdSyati: dane
päsya-m: popele
pi&dti: brese
piparmi: spie
pür: mbiil
pürnatä: det
prahia-h: plaf
pasnam: pile
pdrdtu-: ure
I. Abhandlung: Jokl.
phdlati: pale, plis
phäla-h: pale, plis
blidga-h: bageti
bhavana-m: baue
bhlmd-Jy. jerm
b h uj aga-h: selige
bhümi-h: bane
bhüri-h: dorberi
markd-li: mor
marcdyati: mor
mala-m: zl
malind-h: bl'oze,
zi
malidnt-: pris
mpSdti: mar
meda-ly. maze
medha-ly. maze
yugd-m: pende
rinüti: rjte
rina-ly. rite
riyate: rite
rujdti: plis
rujä: lunge
rep ah: laperdi
röga-ly. lunge
lava-ly. les
lavi-ly. l'es
lubliyati: Taps I
lepa-h: laperdi
lögd-h: plis
lösta-: plis
vayä: vik
varSd-: re$
vär(i): hur de
vidyä: zi
vpttd-ly. bane
Sepa-h: 9ep
Srayati: fi
sa-, sam-: skel
sard-h: gize
Sfjdti: der9
stfnöti: stie,
kmese
snäyu-li, snäyu:
del
snutäly. nus
hadati: ndjete
haraly. mar
liavate: bane
hdvana-m: bane
III. Avestiscli.
varasa-: krip
vairi-: hur de
IV. Armenisch.
beran: buze und Nachträge | nist: ri und Berichtigungen
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
129
a-: SkeT
dyxog, dyxvXog:
kTirte und Ber.
dyoou: II tregon
& y ooa'Cio: II tregon
&yooEV(ß: II tregon
d eigen: avari
aXdto: h/\.dite
drjzrj: bane
dtzag: je
dxig: gern])
dXcrrtaövög: TapsTL
dXeyvvio: pl'ok
dXeyw: pTok n. Nachtr.
ft X li tj: ngeTbete
li X cp i,: djade
ftvepog: kern
dnäogog: avari
duößegae: veri
dnoazadöv.StorasE
dgzoxörcog: pjek
ctizodr. -zi
aiizing: hut
aiiaiog: hut
yaoyaioco: tartalis
ydgyaga: tartalis
yrjdopai: derd
yXoLÖg: nome
da'iio: dune
dctxvw: dane
betrog: dune
dexopai: ndieh
deigiög: djade
Sitzuugsber. d. phil.-hist. Kl.
Y. Griechisch.
a) Altgriechisch.
deQxa): mar
degpcc: Tape
de gor: Tape
dew: det
drjw: ndieh
biaipüaoeiv: du-
kem
blbrjpi: del
di-rtXa£: mih
big: zgede
döXiyog, doXiyög:
vige
edvov: vige
edga: ure
el'dcoXov: II ovul
elXinodag: selige
ittrog: -zi
e'X bogen: derd
eXXä: vige
eXvco: krip
iv: ndjer
ivtjrjg: je
ivzavdoi: -zi
Erze: ndjer
ivzög: -zi
inl ftgovzai: urte
egeßog: er
eoze: ndjer
evpagrjg: mar
eydög: -zi
fegaij: res
fezög: hut
fertbenog: hut
168. Bd. 1. At>h.
£evyXrj: vige
7} o e u a: ruaj
daXctaoa: det
d-uXXeo: det
dem: derd
dgriov: djade
drjg: dorberi
x. a x. 6 g: kettle
xanvög: kapitem,
kem
x-ccitv eo: kapitem
xctgzaXog: kerdul
xggvkreme
x / o): stir
xXivw: fi
x.oizrj: bane
xoXezgäv: SkeT
xörvzo): pjek
xgctl^co, xgw^io:
deras
x.ovog: ngrln
x.ovazaXXog: ngrln
xvgzia: strunge
Xaiov: Tes
XarraCa): Taps II
Xanagög: Taps II
Xsrtog: Tape
Xevaaco: ruaj
Xinagög: l'aperäi
Xirr.og: Taperdi
Xo lg 6 g: Tengör
9
130
Xonig: Tape
Xonog: Taps
Xvv.og: uikd
Xvo>: laj
pudaio: maze
pav'ia: zi
paorj: mar
pccgnzco: mar
usXag: blbze, zi
peXt: djade
pezadqo püdi]v:
storase
piyöa: storass
vöazog: knetem
dßolög: II ovut
ddpi): amszs
olv.iov, or/Aa: avis
oiuog: gemp
oxtw: kem
dpiyXij: mg er gute
öqdw: maß, urts
öqög: gize
oqtv^: Selige
OQpvij: er
dtr/ig: li\dite
doo.ioa: jerm
oiqeio: sur
oiqov: Sur
£evXa: zgede
■/.aXöyeqog: II klo-
gen
xäzovqov: sur
I. Abhandlung: Jokl.
itayog: ngrin
TtctQ&OQoq: avari
TtsYzoi: pile
neXXa: popele
ne via: zi
nenaov: burine
negaai: spie
neacno: pjek
nrjyvvpi: ngrin
nrjyög: ngrin
nr/.QÖg: kürte,
brese
nXev.og: pTaf
nXoypdg: pl'af
nödt: -zi
nÖQog: spie
nooig: II fat
nqho: pris
nqollg: H prike
niidw: derd
ni>Xp: mbiil
ffxaXig: l'ape
oy.an<xvrj: kmese
tr/.&mo}: kmese
onaXulg: pl'is
anevd(o: ameze
(Jt ddijv: Storase
oreXXio: Stie
(TTQayyevoj: strunge
axqayy6g: strunge
b) Neugriechisch.
y.eo Y.eXt: lierdul
Y.önog: kapitem
Xißadt: Tum
naywvw: ngrin
GTQoyybXog:
strunge
ovväoqog: avari
zeqeo): dred
TETccvog: djade
zerriß: seüge
rtdgvrj: djade
röqvog: dred
zqaneio: stip
Tqeyo>: dred
vyqog: rite
bei: n
Vnvog: kem
cpäqog: mazi
cpccqot: mazi
cpeqo}: rnbur
cpdelq: mor
cpdelqw: mor
(pTjO: dorberi
cpXoypög: gemp
q)vtj: bane
yeto): ndjete
yeiq: mar
yeqag: gründe
(ti a: buze
ntv.qaXida: brese
nXi(v)dog: püs
und Ber.
nqoiYa: II prike
Studien zur albanesischeu Etymologie und Wortbildung.
131
VI. Italisch.
(Lateinisch unbezeichnet.)
aeger: kselc
a ffinis: II afsr
ama-bam: bane
angustus: kem
au-: hut
aalla: ans
battuo: mbiit
bis: zgede
bucca: buze
caducus: kselc
caelum: del
calcare: skel'
calx: SkeT
capedo: kapass
capio : kapass
capis: kapass
caput: kapass
cippus: d-ep
circellus: kerd-ul
citare: Hir
co-: gdent tl. Naclitr.
coma: II komts
compos: kselc
concavus: kselc
concinnus: kselc
confutare: mbiit
convenire: ksnak
cornutus: Icer&ul
copula: tsem,
pends
corpus: skep
cotio: skoj
crassus: ngrln
cratis: Strangs,Her- |
d-ul
ereper: ngrüs
crepusculum:
ngrüs
crinis: Tes
crusta: ngrvfi
cudo: der-!}
culmus: bük
cupido: ngriöern
decet: ndjeh
defrutum: burms
dexter: dja&s
Diana: Zqns
diabolus: Zqns
dis: zgede
dolo: daloj
duis: zgede
duplex: mih
es ca: pl'af
excitare: Skoj
familia: lcerd-ul
fascis: avari
fatum: II fat
favilla: II Osngü
fax: dukern
felo: djad-s
ferio: bress, mazi
fero: mbur
ferveo: burms
ferus: dorbsri
filum: del
findere: bress
floccus: Tum
fluctulare: Tum
flumen: Turn
foramen: buzs
forare: bress
formus: gatss
fornax: vorbs
fui: bane
fundus: bane
für c ata: II für als
galla: gogsTs
gens: Ten
grandis: rsnds
grosa: gsvuss
honorem: kem, Icer-
!tul
.in: ndjer
in citare: stir
intelligo: Taj
intus: -zi
invidia: ruaj
jugera: pends
jus: je
lacus: det
langueo: Tsngdr
lateo: uikd, bük
levare: Ten
liber: zi
liber: Tabs
9*
132
libertus: det
libet, lv,bet:
Taps I
libido, lubido
Taps I
licinus: Tengör
ligo: zgede
lilium: Tum
lippus: Taperöi
lituus: kUrte
fal. loferta: det
longus: vige
luo: Taj
lupus: uikd
madeo: mazs
magis: pris
magnus: pris
maialis: mazi
meditar i:\lmejton
nanciscor: kenak
natio: Ten
nebula: mj er gute
necare: mbüt
neglego: pTok
neo, nere: nus
nidus: fi
odor: ameze
opimus: jerm
ora: buzs
orior: jerm
o s: buzs
palam: spät
paludem: zi
I. Abhandlung: Jokl.
| pavio: pl’enk
paulus: II patoii
pavo: II tregon
pecto: pils
pedica: pende
penna: pende
periculum: pris
pilum: pile
pinna: pende
plango: pl'enk
plecto: pjek, pTaf
plenus: pTok
pluma: Tes
podium: II pode
pons: ure
prudens: urte
pudet: pl'enk
pueritia: zi
radius: II pode
rat io: brese
religens: pl'ok u.N.
rivus: rite
ros: res
Sabelli: Turne
saliva: bToze
salio: selige
Samnium: Turne
saxuni: karpe
scalpo: Tape, pale
scortum: Tape
seco: karpe
sequor: slcoj
serpens: seTige
servitium: zi
serum: gize
serus: gere
somnus: Turne
sopor: Turne
sordes: bToze
specio: urte
sterno: stie
stipare: stip
stringo: Strunge
suasum: bToze
subsessa: bane
sus: fi
tendo: tund
tenebrae: er
trado: II tregon
trans: Mir
tu: fi
tundo: tund
ubi: -zi
urina: sur
vallis: JcTirte
vapor: kapitem,
kem
ve-: hut
veho: ure
vello: uik&
vellus: uikd'
vereor: urte
verro: vefi
versus: vefi
viare: skoj
vicus: avis, vik
vita: det
volvo: krip
Studien zur albanesisclien Etymologie und Wortbildung.
133
it. affinare: II
afer
frz.affiner: II afer
it. alimentäre: l'i-
monti
it. annegare: mbiit
sp. baga: bagsti
lomb. (berg., ven.)
baga: bagsti
afrz. bague: bagsti
it. bozzello: baue
frz. brancard: vik
frz. branche: vik
arom. budzä: buzs
rum. buzä: buzs
prov. cobs: II kup
afrz. cope: II kup
it. coppo: II kup
afrz. cosson: skoj
bruith: burms
fe: vik
folt: krip
frass: res
kymr. gwallt: krip
Dhd. Aas: pl'af
got. aflvapj an:
kapitem
ahd. ämäd: ruaj
VII. Romanisch.
frz. couple: pende
it. cozzone: skoj
frz. er in: Tes
frz. criniere: les
rum. daltä: Taps
arom. dzinä: Zcgns
it. festeggiare: II
-szon
katal. gall: gogsTs
it. greppo: karps
frz. guerroy er: II
-szon
venez. maduro,
mauro: burms
it. mestiere: baue
it. motta: baue,
burms
VIII. Keltisch.
(Irisch unbezeichnet.)
kymr. lliant: Tum
lö: les
luascach: Tes
reil: ruaj
rose: ruaj
IX. Germanisch.
ahd. äs: pl'af
got. at-pinsan:
tund
got. auhns: ans
frz. motte: baue
it. mozzello: baue
frz. nettoyer: II
-szon
frz. noyer: mbüt
rom. parare: II
mburon
frz. passe-temps:
Timonti
it. poggio: II pods
rum. ripä: stip
frz. sage: urts
it. turba: dorbsri
it. vivanda: geh
rum. zinä: Zcgns
salach: noh
seilche: selige
selige: selige
sith: gsrs u. Ber.
got. auf eis: hut
ahd. äwahst: ruaj
got. awi-liup: je
134
I. Abhandlung: Jo kl.
got. bau an: baue
anord. bauta: mbüt
nhd. beißen: brese
got. beitan: brese
nhd. bequem: kenali
alid. berjan: ras
nhd. bewahren:
ruaj
alid. biquämi: ke
nali
nhd. bitter: brese
alid. bodam: baue
nhd. Boden: baue
nhd. bohren: brese
alid. borön: brese
ahd. bö^an: mbüs
nhd. brauen: burme
nhd. Brennessel:
h\dite
ahd, briuwan:
burme
an., ags. brod:
burme
got. brüpfaps: II
fat
ahd. büan: baue,
ure
ahd. bür: ure
an. datta: gdent
an. detta: gdent
got. diupipa: det
got. diups: det
got. döms: gemp
ahd. dräen: nus,
dred
an. draga: dred
ags. dragan: dred
nhd. Draht: dred-
ahd. drat: nus,dred
nhd. drehen: nus
anord. eisa: h\dite
an. ekki: keeli
nhd. erbittern: hj-
öite
nhd. Er laubnis: je
ahd. essa: hlöite
nnd Nachtr.
nhd. Esse: hjdite
und Nachtr.
ahd. fahs: pile
got. fairra: spor
ahd.farliosan: l'aj
nhd. Faß: kapase
nhd .fassen: kapase
ahd. feld: spät
ahd. felis: popele
nhd. Fels: popele
got. fera: II afer
mhd. ver genuegen,
vernüegen: ke
nali
nhd. Vergnügen:
kenali
as. ferrian, fir
rem: -pris
ahd .ferro: spor
anord. firra: pris
ahd. firren: pris
nhd .flechte: plaf
nhd. Fleck: pl'enk
anord. flekkr:
pl'enk
mhd. vlies: les
ahd. flihtu: pl'af
anord. follc: pl’ok
ahd./oZc: pl'ok
nhd. Volk: pl’ok
nhd. Fraisen: pris
got. fraliusan: l'aj
nhd. Frauenzim
mer: dose
ahd. fr eisa: pris
as. fr es a: pris
got. falls: pl'ok
got. gal aufs: l'aps
got. ganisan: kne-
tem
got. ganöhs: kenali
mhd. gebeinze:
bl'oze
mnd. gebenete:
bl'oze
nhd. Gefäß: kapase
mhd. gevogelze:
bl'oze
ags. geeweme: ke
nali
nhd .Geleit: spie
nhä.Gelüste-.kande
nhd. gerecht: keeli
nhd. Geschwür:
lünge
mhd. gesteinze:
bl'oze
nhd. gesund: keeli
mhd.getierze: bl'oze
nhd. getreu: keeli
ahd. gibüro: rnbur
ahd. gigat: nge
ahd. gillh: skep,
spie
ahd. ginesan: kne-
tem
Studien zur albanesisehen Etymologie und Wortbildung.
135
jvihd.ginuog: kenak
got. giutan: derd
ahd. giwar: urte
ndd.grand: gründe
got. gredus: ngri-
öem
nlid.Greiferl: mar
engl, grind: gründe
ags. grindan:
gründe
mhd. gunst: je
anord. haf: det
nhd. Hafen: kapase
ahd., nhd. kalk:
pake
ahd. halba: pake
got. halba: gemp
got. halbs: pake
anord. halfa: pake
nhd. Halm: bilk
got.haubip: kapase
nhd. Haufe: kipi
nhd. Haupt: ka
pase
an. hefja: derd
anord. herma:
kreme
ahd. hirmen:
kreme
anord. lilaila: rende
ahd. houbit: kapase
ahd. houf: kipi
anord. hqfoct: ka
pase
as. hröm: kreme
as. hröpan: kreme
ahd. liruom: kreme
ahd. hüfo: kipi
got. hundafaps: II
fat
got. in: ndjer
got. insailjan: ka-
perdi
nhd. Joch: pende
nhd. Kamerad:
dose
nhd. kat: zl
nhd. keck: knelem
ags. clcem: home
mhd. kleine: home
ahd. klep: karpe
ahd. chliuwa: go-
gel'e
mhd., nhd. köt: zl
anord. kcenn: urte
nhd. kratzen: ge-
ruse
ahd. ehr ei 2;: rende
an. krota : geruse
nhd. kühn: urte
ahd. kuoni: urte
nhd. Kuppe: II kup
nndl. kwaad: zl
mhd. quät: zl
ahd. quec: knelem
anord. kveykva,
kveikja: knelem
got. qius: knelem
ags. lagu: det
as. lagu-: det
nhd. Last: rende
got. laufs: labe
got. laus: l'aj
got. lausjan: kaj,
l'es
ags. leas: kaj
got. leipu: kum
nhd. Leute: keh
ahd. lid: ldirte
nhd.lieb: je
ahd. liotan: keh
got. lipus: ldirte
got. liudan: keh
ahd. Hut: keh
ahd. lob: kume
nhd. Loch: kunge
anord. lof: kume
ahd. loh: veri
ags. loc: veri
ahd. lös: kaj
ahd. lösjanj lösön:
l'es
nhd. Lücke: kunge
as. lugina: baue
ahd. lühhan: veri
got. -lükan: veri
ags. lücan: veri
ahd. luog: uikd-,biik
ahd. mast: maze
nhd. Mast: maze
ahd. m ei * an: mih
ahd. mei%il: mih
nhd. Mönch: II
Mögen
got. mundrei:
mund
ahd. muntar:
mund, klirte
nhd. munter: mund
anord.myr kr: mjer
guke
136
I. Abhandlung 1 : Jokl.
nhd. Nonne: II Mö
gen
schwed. nöra: ltne-
lem
norw. nere: knelem
ags. ofnet: ans
mlid. crde: liut
nhd. Rahm: maze
ahd. rüwa: ri
ags. reama: maze
got. riqis: er
got. rimis: ruaj
und Bericht,
got. rinnan: jerm
mhd. roum: maze
ags. röw: fl
nhd. rufen: kreme
nhd. Ruhe: fl
nhd. Ruhm: kreme
ahd. ruowa: rl
ahd. salo: zl, hloze,
hole
ags. salowig: hl'oze
ndd. saul: hole
nhd. Seil: del
ahd. seil: del
mhd. seine: gere
und Ber.
as. selmo : qole und
Ber.
ags. sld: gere
ahd. scalmo: ngel-
hete
norw. skarv: Jcarpe
got. skeinan: k&iel
ahd. sceran: Tape
anord. skilja: Tape
nhd. Schale: Tape
nhd. Scholle: plis,
popele
mhd. sclirove,
schrof,schroffe:
karpe
nhd. schmecken:
ameze
nhd. schwarz: zl,
hl'oze
ahd. slahta: hane
ahd. smecken:
ameze
mhd. smecken:
ameze
ahd. snahhan: se
lige
anord. snäkr: se
lige
schwed. snok: se
lige
nnorw. snok: selige
anord. snüa: nus
anord. sqlr: hole
ahd. spähi: urte
ahd. spaltan: pale
nhd. spalten: pale
ahd. spehön: urte
got. spilda: pale
nhd. Stachel: gemp
got. st aut an: skel
ahd. steigal: k&iel
ahd. steinmezzo:
mazi
nhd. Stecken: gemp
ahd. ste llan: stie
ahd. ström: gemp
ahd. sür: sur
got. swarts: zl,
hl'oze
ahd. sivarz: hl'oze
ahd. swero: l’unge
ags. tange: dane
ags. teona: dune
nhd. tief: det
as. tiono: dune
ahd. tiuf: det
ags. torht: mar
anord. tgng: dane
nhd. trampeln:
stip
nhd. trappen: stip
nhd .Treppe: stip
ahd. tühhan: skel,
ane
got. pairh: stir
got. fana - seifs:
gere
ags. prafian: stip
got. ]>üsundifaps:
II fat
anord. ür: sur,
vrende
nhd. Urlaub: je
anord. valr: klirte
got. war: urte
mhd. warn: ruaj
as., ahd. war: urte
as. warön: ruaj
got. weihs: avis
ags. weotuma: vige
ahd. ividamo: vige
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
137
nhcl. Winde: kerdul
nhd. Windel: dred
nhd. winden: dred
nhd. Wittum: vige
innd. wort, wurt:
vade
aitrüs: h\dite
alilatis: zl
akstis: gemp
alpti: l'aps II und
Ber.
äpvalkalas: del
ätsaile: del
ätseilis: del
apr. au-: hut
lett.büra: zl,dorberi
buris: zl, dorberi
burnä: buze
bütas: baue
büti: baue
zpv.dadan: djade
dalis: daloj
ddrbas: gemp, vorbe
didis: zl
dovanä: baue
dubüs: det
edesis: plaf
eigä: pl'ok
eska: plaf
gaivus: nge
gäras: gatse
ags. ivorf: vade
anord. vgrr: veri
anord. yra: vrende
ahd. zanga: dane
X. Baltisch.
(Litauisch unbezeichnet.)
j garba: vorbe
garbe: gemp
geda: zl
gedil: zl
geliti, gelti: gemp
gelonis: gemp
gembe: gemp
apr. gidan: zl
giria: zi
gysla: del
glema: nome
grendu, gresti:
gründe
lett. ignis: keek
lett. igstu: keeli,
h\dite
ifi, i: ndjer
lett. jüra: hur de
jüres: hur de, sur
justa: baue
lett. kapdt: kmese
kaplys: kmese
kapote: brese
kapdti: kmese
lett. -kart: mih
kartas: mih
kaüpas: liipi
nhd. Zange: dane
nhd. Zw eig: dorberi,
vik
ahd. zwlg: vik
mhd. zivis: zgede
lcepü: pjek
kerpii: karpe
kertü: buze
krypti: krip
kügis: plok
kulnis: skel
küpüju: kapitem
kväpas: kapitem
hvepih: kapitem,
kem
kvepiil: kapitem
laigonas: zgede
lankä: klirte
läpas: lape
läukiu: ruaj
lett. leija: klirte
lefikti: klirte, len-
gör
l ej u: Tum
lekana: bane
lekanas: bane
liaupse: lume
liduti: skel
lifikti: lengör
lipsznüs: laperdi
lytüs: Tum
lubä: labe
lett. luba: labe
138
I. Abhandlung: Jokl.
apr. lubbo: Kipi
lett. lübit: labe
lett. lükut: ruaj
luzti: lunge
lübas, löbas:
labe
lett. lükans: len-
gör
mandrüs: mund
lett. meine: zl,
bloze
myglä, miglä:
mjergule
mundrüs: mund
lett. näku: kenalt
näszcziai: brese
nekoczia: brese
paliaubä: Skel,
gemp
pdntis: pende,
pl'is
pasmerkt: mor
päts: II fat
paviitis: avis
pernai: Spor
peszti: pile
pilis: rnbill
pilnas: pTok
pilnatis: dose, zl
lett.pils: rnbill
pinii, pinti: pende
pirmatis: dose, zl
plegä: ptenk
lett.pluskas: les
plilskos: l'es
pranökti: Icenak
putlüs: kd-iel
regeti: ruaj
reju: rende
rimti: ruaj
lett. sarke: d-eras
saüsas: ndjete
seleti: Selige
apr. sera-: Skel
lett. fiIs: zl
skdistas, skai-
stüs: kd-iel
lett. snaujis: nus
spandyti: pende
sträzdas: dred
sumania: zl
sulas: gole
szalls: gemp
szarka: gogel'e,
mor, Spor
szlejil: n
taikoczia: brese
tqsyti: tund
apr. trapt: Stip
trepstu: Stip
apr. tresde: dred
trypiu: Stip
üzveriu: vade
üdziu: ameze
verdu: derd
veriü, verti: veri
lett. iveru: avari
vezamas: jerm
venatis: zl
venvete: avis
vetä: avis
lett. wirkne: avari
vlrti: vorbe
lett. wlta: avis
vorä: avari
apr. wurs: hur de
zilas: zl
zväke: dukem
zveris: dorberi
XI. Slawisch.
(Altkirchenslawisch unbezeichnet.)
aviti, javiti: n
avis
Belzgradz: avis
slow, bil: bük
s.-kr. biljka: bük
s.-kr., big. blago:
bageti, II blegtür
s.-kr. bbdem: gemp
s.-kr. bddlja: gemp
bogz: bageti
slow.briddk: brese
s.-kr. briga: Icipi
bzdrz: klirte
r. bylina: bük
byti: baue
]s.sl.ceniti:llgardts
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
139
r. cadz t. Item
r. Serstvz: ngrin
s. -kr. distbca: zl
eist7,: kdiel
r. -ksl. öristvz: ngrin
s. -kr. cvrst: ngrin
s.-kr. deslm: ndieh
deso: ndjeh
r.-ksl. dlato: Tape
dlzgz: vige
c. dobytek: bageti
r. dolja: daloj
r.-ksl. dosu: ndieh
gern. -sl. drozdz:
dred
drzzz: derd
duchz: kipi
dvorz: dorberi
dvbrb: dorberi
r. gddkij: zl
p. garniec: vorbe,
II gardts
r. gdzu, gdditb:
zl
glagoljg: tartalis
big. glavnd: II gla-
nik, II Mögen
slow, glen: nome,
II gline
r.-ksl. glenz: nome,
II gline
r. glßnt,: nome
r. -ksl. glina: II
gline
s. -kr. gluhbea: zl
gnilz: Je diel
godz: nge
göre: II göre
r. göre: II göre
goreti: gatse
slow, gor je: II göre
gorzltz: dune, hi
dite
ksl. govono: ndjete
slow, grditi se:
ngridem
ksl. greblo: del,pile
slow, grez: Taperdi
s. -kr. Grezna 0. N.:
Taperdi
ksl. greza: Taperdi
r. grjazb: Taperdi
v.Grjazb O.N.: Ta
perdi
s. -kr. grnac: II
gardts
ksl. grznbCb: II ga
rdts
ö. horsiti: hidite
c. höre: II göre
klr. hözyj: nge
c. hm ec: vorbe, II
gardts
chodataj: skoj
r. choddtaja: slcoj
r. choronitb: vade
chraniti: ruaj,
vade
chvalimz: jerm
idg: derd
ja dg: derd
s. -kr. jarina: geh
big.jarem, jarmo:
geh
jasli: plaf
s.-kr. jdviti: avis
r. javitb: II avis
s. -kr. jelo: geh
slow, jeza: Jiydite
keek
jedza: hidite, lceek
р. jedza: keek
jgza: hidite
s.-kr. jug: geh
jugz: kipi
r. Jcacdtb: skes
s. -kr. ltäljuga: II
galige
ltaslb: Icneiem
r. Jcladb: rende
ksl. koliba: Tum
kopati: Jcrnese
с. kopet: leapitem
<5. kopnouti: lemese
s. -kr. kozje: II göre
ö. -krdt: mili
leratz: mih
leresz: ltrip
lerg(t)ngti: kerdul,
Strunge
r. krony: kerdul
s. -kr. küpa: II kup
kupz: kipi, II kup
gem.-sl. kurva-.kipi
kypeti: leapitem
s.-kr., big. lakom:
ruaj
s.-kr. läzina : II la-
zine
140
I. Abhandlung: Jokl.
slow, lepen: Taps
t. lepem: Taps
big. Htnica : II l'et-
nitss
lesti: Tsngor
ksl. lichoti: zi
Ij u b i t i: Taps I
ljudz: Ten
s.-kr. Ibmada: II
Tsmists
r. lomasnikz: II
Tsmists
lomiti: II Tsmists
loza: II loznitss
s. -kr. Ibznica: II
loznitss
ksl. Iqkotb: zl
lokz: l'sngor
r. lubz: Tabs
r. luznüti: Tungs
l bj q, lejq : Tum
r. mjätka: ras
r.mjatb: stip, ras
r. mondsenka: II
Mögen
r. mörokz: mjer-
guls
mqdrz-.kTirts, mund
d.mrakota: mjer-
guls
ksl. migla: mjer-
guls
d. najqtrzyc: hi-
öits
narodz: Ten
ge.m.-s\.nebogz: ba-
gsti
nitb: nus
novz: II nove
obrtriti: h\dits
s.-kr. obici: avis
ksl. obleklo: del
ü.ohavny: ndjets
s.-kr. oputa: II opute
orqdije: II oputs,
II dsngil
osla: vige
ksl. qglb, qglije:
II d-sngil
pelcq: pjek
peti: pends
s.-kr. pijavica: II
piavetss
pila: pils
pirz: urs
slow, plahta: pTaf
s.-ksl.planina: po-
psTs
c. pletivo: pTaf
pleti: paTs
plznz: pTok
pol je: spat
klr. polonyna: po
pele
r. polöth: pal'e
ksl. polz: pale
r. pölyj: spat
s. -kr. ponositi se:
rnbur
s.-kr. porota; II
porots
porociti: II söge
ksl.pqdarb: II Osn-
gil
pqto: pends, plis
pqtb: urs
s.-kr. präporac:
gogsTs
c.prapor: gogsl's
ksl. praporz: go-
gsTs
pravida: Tapsrdi
s.-kr. pi'cija: II
prilcs
c. prelcotiti: skes
s.-kr. pr'igoda: nge
r. privitdtb: avis
proce: skep
r. piito: pends
pbstrz: kTirte
raziti: ras
rinqti: rite
rosa: res
r. rubz: karps
r. rukojdtb: gsruss
big., s.-kr. runo:
kipi
ksl. sinqti: kdiel
ksl. skala: popsTs
s. -kr. skot: II skots
slama: büJc
slavbnz dem:
kreme
ksl. slemq: gole
ksl. snujq: nus
r. solöma: biik
r. solovdj: nols,
bTozs
r. sorolca: gogsl's,
üsras
ö. spadati: Sur
Studien zur albanesischen Etymologie und Wortbildung.
141
slowak. statelc: ba
geti
steljo: stie
t. -steretb: stie
ö. straka: 9eras
straza: II bbegtür
s.-kr. strug: kipi
ksl. struga: pl'ok
slwk. strunga:
strunge
klr. strunka:
strunge
stirg, streti: stie
sucht: ndjete
v. svöra: avari
ksl. svraka: 9-erds
sz,so-: spie, sur, skek
ksl. simetiste: II
Temiste
szvora: avari
syrz: sur
teplz: lc9ieb
ksl. tricg: gründe
v.tropd: stip
trupz: kipi
ksl. trzgz: II tregoii
u-: hut
türk, kapmak:
ubogz: bageti
s.-kr. udesiti: ndjeh
s.-kr. ügalj: II 9en-
gvb
big., serb. ugar:
kipi
ö. uhel: II 9engib
gem.-sl. ulica: kipi
variti: vorbe
ö. vazky: iiome
r. verenica: avari
vezomz: jerrn
vetvii: vilc
р. wggiel: II dengib
ö. vhod: nge
s. -ksl. vitaliste:
avis
s.-kr. v'itao: ker9ul
r. vjazkij: iiome
vitati: avis
vlasz: krip
slow, voglen: II
9engib
s. -kr. vonj: II vojna
v o nj a: lcem, II vojna
с. vor: avari
r.-ksl. vora: va9e
vrazzda: laperöi
vnsta: pende, bane
s.-kr. vuqa: II 9en-
gü
big. vzglen: II
9engü
c. vystoupiti: stip
vireti: vorbe
vzro, vreti: va9e
Vbsi: avis
zabzvenz: bane
zavisti: ruaj
r. zavörz: va9e
p. zboze: bageti
6. zbozi: bageti
n.-laus.-serb. zb öSo:
bageti
klr. zbize: bageti
ksl. znalci: uik9,
bük
zovg: bane
zvSn: dorberi
zvonz: bane, Zqne
ksl. zvbnöti: Zqne
zila: del
r. zitelb: ge te
r. ziti: gebe
zivz: nge
XII. Vereinzeltes.
Icapase | hebr. tu, cur: II tsur
142
I. Abh.: Jokl. Studien zur albanesischen Etymologie etc.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Vorbemerkung 1
I. Erbwortschatz 3
II. Entlehnungen 103
Berichtigungen und Nachträge 116
Morphologische Übersicht 120
Index 122
Sitzungsberichte
der
Kais, Akademie der Wissenschaften in Wien.
Philosophisch-Historische Klasse.
168. Band, 2. Abhandlung.
Studien
zur
Laut- und Formenlehre
der
Mehri-Sprache in Südarabien.
II. Zum Verbum.
Von
Dr. Maximilian Bittner,
o. ö. Professor an der k. k. Universität Wien nnd
Professor an der k. und k Konsular-Akademie.
Vorgelegt in der Sitzung am 20. April 1910.
Wien, 1911.
In Kommission hei Alfred Holder
k. u. lc. Hof- und Universitäts-Buchhändler
Buchhändler der kais. Akademie der Wissenschaften.
II. Abli.: Bittner. Stad. z. Laut- u. Formenlehre d. Mehri-Sprache. II. 1
II.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-
Sprache in Südarabien.
II. Zum Verbum.
Von
Di-. Maximilian Bittner.
(Vorgelegt in der Sitzung vom 20. April 1910.)
Vorbemerkungen.
Indem ich auf die dem ersten Teile meiner ,Studien zur
Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache in Südarabien‘ vor-
angescliickten Worte über dieses eigentümliche Idiom des Mahra-
Landes im Süden der arabischen Halbinsel verweise, 1 übergebe
ich liiemit als Fortsetzung- die Ergebnisse meiner weiteren For
schungen, so weit sie das Verbum betreffen, den verehrten Fach
genossen zur freundlichen Beurteilung. Von dem bereits aus
gesprochenen Prinzipe, nicht zu rezensieren, bin ich auch hier
nicht abge'wichen, obschon ich zumeist nur ganz Neues zu kon
statieren in der Lage bin. Das Material selber hat sich erst
vor kurzer Zeit, seit Fertigstellung meiner dem Nomen im en
geren Sinne gewidmeten Betrachtungen, durch von Dr. Wilhelm
Hein im Jahre 1902 in Gischin gesammelte Texte vermehrt,
die nun dem Weiterforschenden im neunten Bande der ,Süd
arabischen Expedition' zugänglich geworden sind. 3
1 Vgl. ,Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache in Südara
bien I. Zum Nomen im engeren Sinne 4 . Sitzungsberichte der Kaiserlichen
Akademie der Wissenschaften in Wien, phil.-hist. Klasse, Bd. 162, Abh. 5.
2 Kaiserliche Akademie der Wissenschaften. Südarabische Expedition.
Band IX: ,Mehri- und IJatJrami-Texte, gesammelt im Jahre 1902 in Gi-
schin von Dr. Wilhelm Hein, bearbeitet und herausgegeben von David
Heinrich Müller, Wien 1909. 4 Vergleiche hiezu meinen Artikel ,Neues
Mehri-Materiale aus dem Nachlasse des Dr. Wilhelm Dein 4 in ,Wiener Zeit
schrift für die Kunde des Morgenlandes 4 1910, Heft 1, S. 70—93.
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 168. Bd. 2. Abh. 1
2
II. Abhandlung: Bittner.
Um ohneweiters in medias res zu kommen, bemerke ich
gleich hier, daß das Verbum des Mehri viel komplizierter als
das Nomen ist. Von anderen Voraussetzungen ausgehend als
Jahn, bin ich auch zu ganz anderen Schlüssen gelangt. Auf die
Unterschiede zwischen meinen und Jahns Anschauungen wird
in den Noten verwiesen werden, damit der Leser, der gleich
zeitig Jahns Grammatik einsieht, nicht verwirrt werde. Natür
lich kam es vor allem darauf an, immer und überall die ur
sprünglichen Formen zu rekonstruieren, aus denen sich die in
der Sprache lebenden und, wie die Aufzeichnungen Müllers,
Jahns und nun auch Heins beweisen, chamäleonartig sich ver
wandelnden Flexionsformen des Zeitwortes in seinen mannig
faltigen Wurzelarten und Stammbildungen entwickelt haben
müssen. In formeller Hinsicht führt auch hier nur fortwährendes
Prüfen jeder einzelnen vorkommenden Form unter Berücksich
tigung der Lautgesetze zum Ziele. Man -wolle daher die im
ersten Teile dieser Studien, zum Schlüsse der Vorbemerkungen
gegebene Übersicht über die wichtigsten Vokalveränderungen
sich vor Augen halten, um die bei Zeitwörtern noch hinzukom
menden Aus- und Umbildungen der dort schematisch verzeich-
neten Regeln beurteilen zu können. 1
Ebenso wenig wie der erste Teil der vorliegenden ,Stu
dien' will auch dieser zweite als abschließende Arbeit erscheinen.
Es hat sich dem Verfasser lediglich darum gehandelt, seine
Wahrnehmungen zusammenzustellen und an dem uns zugäng
lich gemachten Materiale zu überprüfen. Die größten Dienste
hat natürlich vor allem Dr. Jahn geleistet, der in seinem Wörter
buch eine ganz erstaunlich große Anzahl von Verben verzeich
net und ihre verschiedenen Formen, wie zu konstatieren ist,
nach bestem Wissen und Gewissen, so wie sie ihm angegeben
worden sind, notiert hat. Wie schon bemerkt, bin ich bei meinen
Versuchen, den Bau des Mehri-Zeitwortes mir zu erklären, von
1 Vgl. Studien I, S. 9—11. NB. Mit ,Jahn 4 verweise ich, wo nicht anders
bemerkt, auf dessen »Wörterbuch 4 im dritten Bande der Südarabischen
Expedition, mit,Müller 4 , soweit dies das Mehri betrifft, auf den vierten,
mit ,Hein 4 auf den neunten Band der Südarabischen Expedition. Wo
auf den siebenten Band, der schon einen Teil der Heinschen Texte als
Vorlage für das Sjiauri enthält, verwiesen wird, ist dies ausdrücklich
bemerkt.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 3
anderen Voraussetzungen ausgegangen als Jahn. Dieser hat in
seiner Grammatik das Zeitwort des Mehri wohl doch ohne die
wünschenswerte Berücksichtigung des Äthiopischen zu erklären
versucht und hat sich allzusehr an seine arabischen Kenntnisse
gehalten. Dies soll aber durchaus keinen Vorwurf bedeuten!
Ich weiß die Schwierigkeiten, die Jahn bei Zusammenstellung
seiner Grammatik zu bewältigen hatte, zu beurteilen. Aber
gerade mit Rücksicht auf diese Schwierigkeiten, die sich auch
mir immer wieder in den Weg gestellt haben, glaubte ich mit
den Beispielen für die von mir aufgefundenen Gesetze nicht
sparen zu sollen, und so habe ich denn — exempla doceant —
so ziemlich alle Verba, die Jahn in seinem Wörterhuche auf
führt, in die vorliegende Abhandlung aufgenommen, zum Teil
auch, weil sich aus den möglichen Veränderungen der Vokali-
sation der einzelnen Formen noch wichtige Lautgesetze werden
ableiten lassen, die vielleicht auch für die Bestimmung mancher
Formen aus anderen semitischen Sprachen von Wert sein dürften.
Was diese letzteren betrifft, so beschränke ich mich absichtlich
auf das Klassisch-Arabische und auf das Äthiopische und sehe
von den anderen semitischen Sprachen und den neueren Dia
lekten ab, um in das Formenchaos des Mehri nicht noch mehr
Verwirrung zu bringen.
Die Anlage der vorliegenden Fortsetzung meiner ,Studien*
ist dieselbe, die der erste Teil zeigt. Ich wollte keine Gram
matik schreiben, sondern eben bloß Direktiven angeben, bei
deren Einhaltung man meines Erachtens auch die so überaus
mannigfaltigen verbalen Formen des Mehri mit denen der an
deren semitischen Sprachen am ehesten in Einklang bringen
dürfte.
Zur besseren Orientierung gebe ich der vorliegenden Ar
beit eine Inhaltsübersicht bei, die gleichzeitig auch einen Über
blick über die von mir gefundenen Stämme der starken Zeit
wörter sowohl, als auch der anderen im Mehri zu unterschei
denden Arten von Verben bieten soll. 1 Im Index sind alle
Zeitwörter aus dem Wörterbuche Jahns verzeichnet, auch die
jenigen, die ich in der Arbeit nicht vorgeführt habe — neben
1 Hiezu vergleiche man auch: ,Anzeiger 1 der philosophisch-historischen
Klasse, Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien, vom 20. April
1910 (Nr. X), S. 57—68.
1*
4
II. Abhandlung: Bittner.
diesen letzteren steht aber der Paragraph angegeben, nach
welchem sie behandelt werden -—. Selbstverständlich habe ich
auch das von D. II. Müller und Hein gesammelte Textmateriale
nicht unberücksichtigt gelassen.
Zum Schlüsse darf ich es nicht unerwähnt lassen, daß
Herr Prof. N. Rhodokanakis in Graz in seiner Abhandlung ,Zur
Formenlehre des Mehri' 1 zu den Partizipialbildungen, die ich
bereits im ersten Teile gestreift habe, sehr beachtenswerte Be
merkungen verzeichnet, auf die ich, Herrn Prof. Rhodokanakis
für seine Stellungnahme zugunsten meiner ,Studien' auch hier
bestens dankend, im folgenden des öfteren zurückkommen werde.
Das Verbum des Meliri im allgemeinen.
1. Noch mehr als am Nomen zeigt es sich im Mehri
am Verbum, daß diese Sprache vom Arabischen scharf zu
trennen ist. Das Zeitwort des Mehri, das in seinem Organismus
genau genommen von jeder semitischen Sprache etwas an sich
hat, oft gerade das, was ihr als charakteristisch zukommt, ist
im großen und ganzen seinem Baue nach dem äthiopischen um
vieles ähnlicher als dem arabischen. So erinnern schon die
Flexionsendungen des Perfektums an das Äthiopische, ebenso
wie das Mehri mit diesem auch die Unterscheidung von Indi
kativ und Subjunktiv durch getrennte Formen gemeinsam hat.
Besonders auffallend ist die Übereinstimmung beider Sprachen,
was die Verbalstammbildung betrifft: genau so wie das Äthio
pische, leitet auch das Mehri z. B. ein Kausativum und ein
Kausativ-Reflexivum nicht bloß vom Grundstamme, sondern
auch vom Steigerungsstammc ab, der hier allerdings mit dem
Einwirkungsstamme lautlich zusammengefallen ist. Im Verbum
der Mehrisprache scheint sich auch viel Altertümliches erhalten
zu haben und manches muß vom semitischen Standpunkte aus
geradezu als abnormal angesehen werden. Wie dem auch sei,
richtig beurteilen läßt sich das Mehrizeitwort nur dann, wenn
man nicht bloß fortwährend das Arabische zum Vergleiche
heranzieht, sondern, das Äthiopische im Auge behaltend, über
1 Sitz.-Ber. d. Kais. Akad. d. Wiss. in Wien, phil.-hist. Kl., Bd. 165, Abh. 1
Studien zur Laut- und Formenlehre der MehriSprache II.
Ö
das Südsemitische hinaussieht und dabei die an oft sonderbaren
Gesetzen reiche Lautlehre des Mehri nicht aus dem Sinne läßt.
Nur so kommt man dazu, die mannigfachen verbalen Bildungen
der Mehri Sprache wirklich erklären zu können.
2. Nach der Zahl der Wurzelbuchstaben können wir
drei- und vierradikalige Zeitwörter unterscheiden. Die ersteren
sind natürlich ungleich häufiger. Von diesen heischen — und
hierin sehen wir schon die erste Analogie aus dem Äthiopischen
— jene Wurzeln, die unter ihren Buchstaben einen Kehllaut
besitzen, besondere Aufmerksamkeit, ja im Mehri scheiden
sich jene, die in ihrer Wurzel ein Ayn (Hamza) haben, weiter
aus und nehmen ihren gesonderten Platz ein.- Daneben folgen
wieder, wie in anderen semitischen Sprachen, jene Verba, deren
zweiter und dritter Radikal identisch sind, dann diejenigen,
die unter ihren Radikalen ein w oder y zeigen, eigenen Para
digmen von hier oft recht absonderlicher, nur nach den Laut
gesetzen zu erklärender Kompliziertheit.
3. Was Tempora und Modi sowie die beiden Numeri
betrifft, steht das Mehri ganz auf dem Standpunkte des Äthiopi
schen. Der Mechanismus des Zeitwortes, sowohl die Flexion
als auch die Art der Ableitung neuer Stämme, in der das
Mehri wieder dem Äthiopischen viel näher steht als dem Ara
bischen, läßt sich am deutlichsten an einer sogenannten starken
oder gesunden Wurzel verfolgen. Als Schema wähle ich nicht
das mehritische Äquivalent der arabisch-äthiopischen Radix qtl,
nämlich ltg, da dieses etwas unregelmäßige Bildungen zeigt,
sondern wähle lieber ktl, das auch im Mehri vorkommt und
nur bei Vorführung des Reflexivums sich nicht recht geeignet
erweisen wird.
Anm.: Ich halte es für angezeigt, von jenen Anschauungen Jahns —
s. dessen ,Grammatik der Mehri-Sprache in Südarabien 1 — hier einige kurz
zusammeuzufassen, denen ich auf Grund der Ergebnisse meiner eigenen
Untersuchungen nicht beipflichten kann. Jahn trennt vor allem nicht die
mediae geminatae von den verbis firmis (S. 77, sub o) und wählt zur Be
zeichnung der Formen auch beim Yerbum die Radix fl, welche auch hier
nicht besonders geeignet ist, Klarheit zu schaffen. Seine Einleitung — er teilt
die Verbalformen ihrer Bedeutung nach in Aktiv-, Intransitiv-, Passiv-, Re
flexiv- und Kausativformen — ist nicht zu empfehlen; sie ist auch unvoll
ständig und außerdem werden da ,Stämme“ als verschieden aufgezählt, die
eigentlich identisch sind und bei denen nur ein scheinbarer, durch die Laut
6
II. Abhandlung: Bittner.
gesetze bedingter Unterschied vorliegt. Auch findet ein ,Ineinandergreifen
der verschiedenen Gruppen 1 nicht gar so häufig statt. Zu den Beispielen
S. 78, Z. 7—11 beachte man, daß fydseb ,gezählt werden 1 nicht ,J.äs in pas
siver Anwendung 1 , sondern, wie hier bewiesen werden wird, ein Reflexivum
ist (= hätseb, also besser hdsseb zu schreiben, mit Assimilation des im Mehri
immer infigierten Reflexiv-t an das s) — ebenso hdsef ,Schaden erleiden 1
(—hdtsef, hdssef), vgl. hier § 34 gegen das Ende zu; gdydel ,tragen 1 hat in
transitive Form, ist aber nicht fai'ala, sonst müßte sich doch im Im
perfektum eine Spur des ,eingeschobenen 1 y zeigen, sondern steht für yidel
(mit ay statt i nach dem </), vgl. § 6; zu Sharbj ,lesen 1 vgl. § 41. Von den
Beispielen S. 78, Z. 12—19 sind die ersten vier mediae gutturalis, vgl. § 7,
das fünfte ist ein Kausativum, bei dem das Präfix ha- abgefallen ist, vgl.
§ 30, das sechste ist ein Grundstamm transitiver Form, die nächsten zwei
sind intransitiv, vgl. § 6, darauf folgen zwei Steigerungsstämme, vgl. § 23 ff.,
dann zwei Kausativa, vgl. § 28/29 und zwei Reflexiva, vgl. § 34, Beispiele
für die von mir konstatierten zwei anderen Formen des Reflexivums und
die zwei Formen des Kausativ-Reflexivums. Man beachte nochmals, daß das,
was Jahn unter fayel und fau’el versteht, ganz anders aufzufassen ist: fayel
ist nichts anderes als fiel und fau'el nichts anderes als foel, ersteres = kiteb,
der Form der Intransitiven, § 6, letzteres = lcoteb, der Form des Steigerungs-,
resp. Einwirkungsstammes, § 24, wenn dem i, resp. d, ein ,Guttural oder ein
emphatischer Laut 1 vorangeht (oder auch folgt), in welchem Falle eben Di-
phthongisierung von i zu ay (ey), von 6 zu au (o?i) einzutreten pflegt. Beim
Stamme hfl, dem Kausativum (= haktob, § 28), hätte Jahn auf arab.
für hinweisen sollen. Beispiele für die von Jahn erwähnte Form saf'ala
und für das Äquivalent des Niphal fehlen in der Grammatik Jahns.
I. Verba firma.
A. Grrumlstainiu.
4. Die dritte Person generis masculini der Einzahl des
Perfekts des Grundstammes tritt im Mehri eigentlich in dreierlei
Gestalt auf: entweder transitiv als ketöb oder intransitiv
als kiteb, und zwar gilt dies von allen starken Zeitwörtern,
mit Ausnahme der mediae gutturalis, welche letzteren, ob
transitiv oder intransitiv, ist gleichgiltig, im Perfekt des Grund
stammes nur in dem Schema keteb erscheinen. 1
1 Auch Brockelmann ist, wie man in dessen ,Grundriß der vergleichenden
Grammatik der semitischen Sprachen, 506, e ersieht, über Prätorius’
Konstatierung, daß qatal zu qatäl, qatil aber zu verschiedenen Formen,
wie qayreb, libes (sollte libes heißen), niheq, lehdq sich entwickelt habe,
,deren ratio noch nicht im einzelnen aufgeklärt ist 1 , nicht hinausgekommen.
S. WZKM 1908, S. 429, ad p. 506 (Brockelmann).
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
7
5. Von diesen beiden Formen der starken Verba im en
geren Sinne entspricht die erste, transitive, lcetöb, entschieden
dem arabischen Jcdtaba, und zwar ist aus kdtaba unter
Betonung der zweiten Silbe (vgl. äth. qatdla) und Ab
fall des auslautenden a (also über das hadr.-arab. liatäb) nach
den Lautgesetzen des Mehri mit Dehnung des betonten und
Schwächung des unbetonten a zunächst ein hetäb geworden,
aus welchem sich die als Schema für den Grundstamm der
transitiven verba firma aufzustellende Form Jcetob — mit Ver
dunklung des » zu o — entwickelt hat. 1 Natürlich kann statt
e (in der ersten Silbe) — je nach Beschaffenheit der benach
barten Radikale — auch a oder i erscheinen, ja es kann das
e auch ganz ausgestoßen werden und ebenso kann statt 6 (in
der zweiten Silbe) auch ü, eventuell neben einem Guttural oder
emphatischen Laute auch ein aus ö durch Diphthongisierung
entstandenes du oder du stehen. Wir finden so z. B. berod ab
feilen (wohl doch arab. >'ß), defön begraben (arab. letdg
töten (seltener letoq, mit Metathesis für qetöl, getol = arab. J-is,
äth. «I»'!"A ! ), resöm eine Abgabe bestimmen (arab. L^j), zefon
tanzen (arab. und wohl auch äth. )/<0 s); haböh sich auf
der Erde hinschieben (arab. schwimmen, also mit h = s,
doch auch im Mehri sebuli und Steigerungsstamm söbeli schwim
men, cf. § 24, Anm.), haför graben (arab. )-*»-), galoq sehen,
garob kennen, verstehen (arab. haboz backen (arab. }ß-,
äth. 'VdlJ : ); jizom schwören (arab. abschneiden, den Schwur
halten, mit i für e neben dem j und z), liijom anfallen, über
fallen (arab. Le®, mit i für e vor dem j), kirom ehren (ad arab.
tß, usw.), riqöd mit den Füßen stampfen (wohl nicht bloß
zu hebr. npl springen, sondern auch zu arab. JoS, ^h)> z >- r 6q
die Lanze auf jemanden werfen (arab. ß j); debüj verfolgen (ich
stelle diese Wurzel zu hebr. pa'lj ankleben, anhangen; hipli.
verfolgen, syr. arab. ; 2 mit u für 6 vor dem j), herüj
sprechen, sich unterreden Romani harag mit g; arab. zu
wortreich vortragen, cf. span, hablar = lat. fabulari); badduq
zerreißen (trans., arab. aber auch äth. fl'I*h : ;
cf. hebr. pna niederhauen, assyr. batäku abschneiden; mit au — o
1 Beim Nomen wird ursprüngliches qatal zu qatel, vgl. Studien I, § 6.
2 Cf. WZKM 1910, S. 81 oben.
8
II. Abhandlung: Bittner.
neben d, und q), liaqöut fallen (neben haqöt, bei Hein auch
hagüt z. B. 74, 19, mit h — s soviel als arab. kiLo; mit ou = 6
neben q und f), hazdur Umstürzen (trans.); ftoh öffnen (arab.
slcon wohnen (arab. cj^)> skor danken (arab. ktob
schreiben (arab. mfdh blasen (arab. .jib); boqbd (städt.)
laufen (cf. arab. bio schnell gehen; mit Vokalharmonie), dulcür
denken M. 10. 25 (arab. -A; mit Vokalharmonie) u. dgl.
6. Für das intransitive kiteb möchte ich als Grundform
kitba ansetzen, das formell in der Vokalisation den arabischen
Zeitwörtern des Lobes und des Tadels nima und
bisa genau entspricht. Dieses kitba gleicht, was die Synkopierung
des zwischen dem zweiten und dritten Radikal zu erwarten
den i oder u betrifft — cf. arab. — dem äth. A'flfl •
Idbsa und rücksichtlich des i in der ersten Silbe dem vulgär
arabischen libis gegenüber klassischem o-Li labisa. Aus kitba
muß zunächst durch den Abfall des auslautenden a ein kitb
geworden und in diesem wieder die schließende Doppelkonsonanz
gesprengt worden sein, so daß aus kitba über kitb ein kiteb
entstand, aus dem dann weiter nach den Lautgesetzen durch
Dehnung des betonten i die normale Form der Intransitiven
kiteb hervorgehen konnte. Auch bei kiteb ändert sich die
schematische Vokalisation von Fall zu Fall je nach Beschaffen
heit der Konsonanten, besonders zu merken ist, daß alle In
transitiven, deren erster Radikal ein Guttural (und zwar h,
h, q) oder ein emphatischer Laut (und zwar d, s, t) ist, nicht
t, sondern ein aus diesem i durch Diphthongisierung hervor
gegangenes ay oder ey haben, resp. haben können. Wir finden
so neben kiteb auch kdyteb und keyteb — einigemal kommt
auch lceteb mit e = i vor. Im Arabischen entspricht zumeist ka-
tiba, aber auch katuba (und selbst das passive kutiba, vgl. die
Anmerkung), im Äthiopischen gabra, z. B. Ubes sich bekleiden,
ein Kleid anziehen (arab. äth. A'fllD), mired krank sein
oder werden, Schmerz empfinden (arab. J=>-*), rikeb reiten
(aiab. silce) sich betrinken (arab. ^, äth. rthZ ■), stiem
heil davonkommen (arab. , auch auch fiqer arm sein
(ar. jjü), biter fischen, fidek erschrecken, liqef erfassen, fangen,
greifen, halten, packen (wohl doch arab. miret weiß
glühen, nibeh erwachen (ar. ^c-j), nifah aus einem Rausche
oder einer Ohnmacht erwachen (entweder zu cf. das vor-
Studien zur Laut- und Formenlehre der Meliri-Sprache. II.
9
hergehende mbeh oder mit h — s za trSD, cf. Stadien I
§ 7), nUeb benachteiligt werden (ar. in der Schlinge
hängen bleiben [Wild]), hdyser Schaden erleiden, die Mitgift
bezahlen (ar. 7-«^-, äth. 'WlZ = imminutus, ad paucitatem re-
dactus est; mit ay = t nach dem 7t,), gay fei vernachlässigen
(ar. J-fs), (jdylat irren, verfehlen (ar. kii), gayreq untergeben
(Schiff), ertrinken (ar. qdyreb sich nähern, nahe sein
(ar. und fjß), heyreq sehr heiß sein, brennen (ar. J^k.);
so auch gdydel tragen (cf. ar. Jas Warenballen und J.xk
eine Last tragen), qdybed ergreifen (arab. Jp-dz), ddybnt (neben
dibet Hein 19. 21, ar. kLo festhalten, sich einer Sache be
mächtigen), ydydan sich schämen, sich erbarmen, häytem kör
perlich schwach werden, qayzem auslöschen (intr., eig. kalt
werden; trans. qazom auslöschen, kalt machen), sdybah (zdybalij
sich am Morgen* ereignen, am Morgen eintreffen, geschehen
(wie ar. IV ^TJkl); stieb warten, sich gedulden (bei Hein auch
silib 79. 23, seyleb 78. 30; zu ar. fest, hart sein), tayreb
freudig sein (ar. <J_.yh), telef zugrunde gehen, verderben (intr.
mit e — tj ar. Jh).
Aiim. Hiezu vgl. auch die Intransitiven der primae und tertiae Ayn
§ 55 und G7, der primae w § 72, der mediae w (stark) § 83 Anm. und der
tertiae w (y) § 100 und 101. Einige Male hat Intel) geradezu auch passive Be
deutung, z. B : bviaq zerreißen, abreißen (intr.) — zerrissen werden (aber trans.
baflduq, cf. 5), bider zerreissen (intr. z. B. Schlauch, aber trans. bedor), be
sonders hh-eq pass, gestohlen werden (trans. ldrbq stehlen, mit h — s, ar.
also soviel als ar. qeybak beschimpft, gescholten werden (ar. häß
lich, abscheulich, gemein sein), libed geschlagen werden (trans. lebbd [städt.]
schlagen, hauen, schießen, erlegen [Wild]; wohl mit ar. kl) mit den Füßen
ausschlagen zu vergleichen), tiber zerbrochen werden, scheitern (Schiff)
(trans. tebor, ar. ,^Js, äth. rt!lZ0
7. Den beiden Formen ketub (transitiv) und hiteb (in
transitiv) läuft bei allen Zeitwörtern, deren mittlerer Radikal
ein Guttural (', h, h, h, g) ist, eine Form keteb parallel, die
sowohl transitiven als auch intransitiven Sinn hat. Das e wird
je nach der Beschaffenheit des Gutturals auch durch a und d
vertreten. Wie wir gleich im folgenden Paragraphen sehen
werden, behandelt das Mehri, was das zweite Haupttempus be
trifft, in der Verwendung einer und derselben Form als Indi
kativ und Subjunktiy, alle seine mediae gutturalis insgesamt
10
II. Abhandlung: Bittner.
genau so wie seine Intransitiven nach dem Schema Mteb.
Möglicherweise ist die Form gebera des Äthiopischen, wie wir
sie bei äthiopischen mediae gutturalis z. B. AD'I’* u - dgl.
finden, die Vorstufe für keteb und haben wir uns Iceteb nur aus
keteb(ci) entstanden zu denken. Wenn man auch hier katab{a)
als Vorstufe ansetzt, läßt sich das e in keteb durch Imale er
klären, was zu den Lautgesetzen des Mehri nicht recht passen
will. Indem ich bezüglich der mediae Ayn auf § 66 fl’, ver
weise — man beachte dort taän mit der Lanze stoßen (ar.
— gebe ich im folgenden Beispiele, zunächst mit h, dann mit
h. h und g als zweitem Radikal, z. B.: behel rotglühend werden
(wenn mit Vbhl identisch, vgl. Studien I § 104), deheb fließen
(cf. ar. Weggehen), jihem abreisen, absegeln (auch Weg
gehen, fortgehen; wohl zu ar. V. nach einer Gegend
reisen, also mit h — s), kaheb kommen (bei Hein 1 mit g = q
für k und h für h als gaheb und meistens als galidyb mit Di-
phthongisierung des e nach dem 7t), lehej glänzen, scheinen (etwa
mit j === g = q 2 zu ar. JC-jJ sehr weiß sein, weiß glänzen), rehez
sich stark bewegen (ar. >*)), sehel zu Ende sein, slien versorgt
sein, sher wach sein, die Nacht durchwachen (ar. f.L), saliel
wiehern (ar. J-(-^>), sahär mit glühenden Nägeln brennen (ar.
)4-o), thel (dicht.) hervorbrechen, tahez (h$r. tahdz) fallen,
stürzen, stolpern, zehet absteigen, khed Zeugenschaft ablegen
(ar. J-{^>), dahär sichtbar werden, erscheinen (ar. ' T fl=>), niheq
iaen (ar. J'^j) — behüt graben (ar. L&4), daliäq treten, dahär
stoßen (vom Stiere), dahäk lachen (ar. ^XsiÄ), fhäs reiben, fluis
einen Faden drehen, jehdd leugnen (ar. äth. Yttltfc:), la-
häq erreichen, einholen, zu jem. treten (ar. JjL), lahäm brünstig
sein, coire (cf. ar. ^»A., bes. III ,«^0)), lalläs lecken (ar.
äth. Arhrt ! ); raaliäq herausziehen, maliäs aufstreichen, naliäj
spielen, nahät abschaben, behauen (ar. cuiü), rehäd waschen
(ar. J“-j), rehäq sich entfernen (nicht bloß hebr. pen, sondern
doch auch äth. C/l\4 ,s )> sa häq zermahlen (ar. sahat
schlachten (ar. ks^ 1 , hebr. äth. und iiilxl 11 : laesit,
noeuit, violavit, malum intulit), taliäl pissen, tahän mahlen (ar.
; cf. äth. 'PA’J 5 polenta, farina hordacea), shän Waren auf-
1 Cf. WZKM., 1910, S. 80, Mitte.
2 Ebenda, S. 81, oben.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Spraclie. II.
11
laden (ar. — bahäs (baliäz) schmerzen (cf. ar. ein
Auge ausreißen) — baqäd abgeneigt sein, hassen, nicht wollen
(ar. dagäb brüllen (vom Stiere; Jahn vgl. schreien
vom Hasen und Fuchs).
8. Auch im zweiten Ilaupttempus, dem Imperfektum,
unterscheidet das Mehri ebenso strenge zwischen Transitiven
und Intransitiven, bzw. Mediae gutturalis, die, wie oben be
merkt, der Sprache als intransitiv gelten. Nur Transitiva haben
aber im Mehri, wie dies im Äthiopischen bei Intransitiven re
gelmäßig vorkommt, für die beiden Modi, den Indikativ und
Subjunktiv, getrennte Formen, bei den Intransitiven und allen
mediae gutturalis verwendet das Mehri — im Gegensätze zum
Äthiopischen — die ursprüngliche Subjunktivform auch für den
Indikativ, so daß diese letzteren, die Intransitiven und mediae
gutturalis, also im Imperfektum nur eine und dieselbe Form
für beide Modi haben. Zum transitiven Perfektum ketob gehört
als Imperfektum-Indikativ yiköteb und als Imperfektum-Sub
junktiv yikteb, zum intransitiven Perfektum kiteb und auch zu
dem aller mediae gutturalis der Form keteb kommt hingegen
als Indikativ und Subjunktiv des Imperfektums ohne Unter
schied nur das eine yiktöb vor. Wir haben also an folgender
Übersicht festzuhalten:
Perfektum Imperfektum
Ind. Subj.
Transitiv ketob yiköteb yikteb
Intransitiv lciteb j ‘ ) —
Mediae gutturalis keteb j yiktöb
Der Imperativ wird natürlich vom Subjunktiv aus gebildet;
er lautet also bei Transitiven kteb (resp. keteb), bei Intransitiven
und mediae gutturalis aber (und zwar für das Gen. masc.) ktöb
(resp. lcetöb).
Die Formen des Imperfektums erklären sich leicht, wenn
wir uns das Äthiopische vergegenwärtigen; es stimmt dann
yiköteb zu äth. yeqdtel, yikteb zu äth. yeqtel, yiktöb zu äth. yel-
bds ganz genau. Die Umgestaltung der nach dem Äthiopischen
für das Mehri anzusetzenden Urformen:
yikdtb, yikteb, yiktdb
12
II. Abhandlung: Bittner.
ergibt sich aus den Lautgesetzen. 1 Bei yilcdtb, das im Mehri
neben yikdteb auch noch vorkommt, und zwar dort, wo bei
Bildung dieser Form eine nicht schwer auszusprechende Doppel
konsonanz am Wortende entsteht, wird gewöhnlich zwischen
dem zweiten und dem dritten Radikal, wie bei der Nominalform
qatl dort, wo sie nicht tale quäle bleibt, vgl. Studien I, § 2—5,
ein Hilfs-e eingeschoben und dann wird das in vorletzter offener
Silbe zu stehen kommende betonte a über d zu d. — Bei yilcteb,
wo e einem i oder u entsprechen kann, ist e zu e, bei yiktdb
das a über ä zu 6 geworden.
Warum das Mehri im Gegensätze zum Äthiopischen bei
den Intransitiven und mediae gutturalis die Subjunktivform auch
für den Indikativ verwendet, ist leicht einzusehen: die Sprache
hat bei diesen die Form yikdteb, die ja auch mit äth. yeldbes
identisch ist, fallen lassen, weil dieses yikuteb auch Subjunktiv
des Steigerungs-, resp. Einwirkungsstammes (ar. 11. und III. Form)
ist, indem aus yikdtteb und yikdteb im Mehri yilcoteb werden
muß. Die Sprache könnte, wenn sie dieses yikdteb auch bei
den Intransitiven (und mediae gutturalis) als Indikativ ver
wendete, den Grundstamm vom Steigerungs-, resp. Einwirkungs
stamme nicht unterscheiden und so hat sie dieses yikdteb als
Indikativ für den Grundstamm der Intransitiven (und mediae
gutturalis) aufgegeben.
9. Zu der schon von Jahn in dessen Grammatik, S. 79
und 83 gegebenen Erklärung der bei der Flexion zur An
wendung kommenden Suffixe und Präfixe habe ich nicht viel
hinzuzufügen. Die Suffixe des Perfektums erinnern sofort an das
Äthiopische. Unter ihnen ist die aus -dt entstandene Feminin
endung der 3. P. S. -dt immer lang und betont und kann dieses
-dt auch als -ut (-aut, -out) Vorkommen. Zu den Suffixen der
2. und I. P. S. -1c (2. f. -5) sind die des Äthiopischen (und des
Amharischen) zu vergleichen — die auslautenden Vokale von
äth. -ha, -kl, -len sind abgefallen, und zwar a und ü spurlos,
während * das k zu s gemacht hat. Beim Suffix der 3. P. PI.
g. m. -em (auch als -im vorkommend oder in Vokalharmonie
mit o, ü in der zweiten Silbe der Transitiven auch als -om, -um)
hat schon Jahn richtig auf das äg.-ar. äldum sie aßen, Mrbum
1 Diese ,Urformen 4 kommen auch zum Vorschein, wenn Pronominalsuffixe
antreten.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Spraehe. II.
13
sie tranken verwiesen und sieht in diesem -um ebenso richtig
das ar. Pers.-Pron. der 3. P. PL m. <*■* hum (Mehri hem). 1 Zur
dritten Person der Mehrzahl generis feminini möchte ich nach
tragen, daß die Übereinstimmung mit der 3. P. S. g. m. ihre
Analogie im Syrischen findet, und die Entstehung der Form
aus dem Abfall der äthiopischen Endung -ä (in qatdlä) erklären
— also hetöh, hier = katdb(ä), das ebenso zu ketob werden
mußte, wie die 3. P. S. g. m. ketob aus kdtdb(ä) entstanden ist.
Die 2. P. PL stimmt mit ihren Endungen -kenn und -ken zum
Äthiopischen. Die 1. P. PL möchte ich aus einem anzusetzenden
katdbna (im Ath. -nä, im Arab. -na) über katäbn(ci) mit Ein
schub eines Hilfs-e katdben und Dehnung des betonten d in
vorletzter Silbe ableiten — das gleiche gilt mir auch von dem
intransitiven kiteben aus kitebn(a), wo i natürlich auch durch
e (a) vertreten werden kann.
Anm. In der 2. P. S. und PI. sowie in der 1. P. S. läßt das Mehri
selbst die auslautende Doppelkonsonanz in der Regel, so viel ich sehe, un-
gesprengt: es kommt aber auch — allerdings selten — für keteb-Jc ein ktä-
bek vor Jahn 1. 18, neben helemk ich habe geträumt M. 1. 20 (= Tiilemk von
liäylem) auch helmek M. 2. 9, 12. 16.
Was die Präfixe des Imperfektums betrifft, so stimmt das
Mehri hier genau mit dem Hebräischen überein, indem es in
der 3. P. PL g. f. nicht wie das Arabische — — und das
Äthiopische — fii*’— Uh sondern te- hat. Sehen wir uns
nach den Suffixen des Imperfektums um, so vermissen wir im
Indikativ der Transitiven und im Indikativ-Subjunktiv der In
transitiven in der 2. P. S. g. f. die Endung -l — bei diesen beiden
Formen wird das genus femininum im Inneren durch Ver
wandlung von 6 in i bezeichnet. 2 Die Suffixe -em für die 3.
und 2. P. PL g. m. und -en für die 3. und 2. P. PL g. f. erklären
sich in der gleichen Weise wie -em in der 3. P. PL g. m. und
-en in der 1. P. PL g. c. des Perfektums.
Sonderbar ist der Umstand, daß die 3. P. PL g. m. und
die 2. P. P], g. f. i m Ind.-Subj. der Intransitiven nicht 6, sondern
* haben. In der 2. P. PL g. f. ist das Geschlecht doppelt be-
Zu dem in den Texten Heins einige Male nachweisbaren Abfall der En
dung.der 3. P. PI. g. in. -em vgl. WZ KM , 1910, S. 89.
Ob das ursprüngliche -i der Femininendung wohl in den Stamm ein
gedrungen ist?
14
II. Abhandlung: Bittner.
zeichnet, durch das i im Inneren, wie in der 2. P. g. f. des
Singulars und durch die Endung; ebenso im Imp. PL m. ke-
tobem — f. ketiben zum S. g. m. ketöb — f. ketib.
Anm. Das Präfix yi- der 3. P. g. m. der Einzahl und der Mehrzahl
des Imperfektums kann im Mehri auch zu i werden und dieses i kann auch
durch e (a) vertreten werden; auch kann es ganz abfallen. Vgl. hiezu WZKM.
1910, S. 84—86.
10. Zur Versinnbildlichung der Abwandluug der beiden
Tempora lasse ich gleich hier ein Musterparadigma mit mehr
schematischer Vokalisation folgen, und zwar das der Radix tbr,
die, wie wir gesehen haben, transitiv als tebor er hat zer
brochen und intransitiv als Uber er ist zerbrochen (worden)
vorkommt.
Perfektum
S. 3. m.
3. f.
2. m.
2. f.
1. c.
PI. 3. m.
3. f.
2. m.
2. f.
1. c.
Transitiv
tebor
teber-öt
teber-k
teber-s
teber-k
tebör-em
tebor
teber-kem
teber-ken
tebör-en
Intransitiv
tiber
tiber-ot
tiber-k
tiber-s
tiber-k
tiber-em
Uber
tiber-kem
tiber-ken
tiber-en
Imperfektum
S. 3. m.
3. f.
2. m.
2. f.
1. c.
PI. 3. m.
3. f.
2. m.
2. f.
1. c.
Transitiv
Indikativ Subjunktiv
yi-tober yi-tber
te-tober te-tber
te-tober te-tber
te-tiber te-tber-l
e-tober e-tber
yi-teber-em yi-tber-em
te-teber-en . te-tber-en
te-teber-em te-tber-em
te-teber-en te-tber-en
ne-tober ne-tber
Intransitiv
Ind.-Subj.
yi-tbor
te-tbor
te-tbör
te-tbir
e-tbor
yi-tbir-em
te-tbör-en
te-tbör-em
te-tbir-en
ne-tbor
Trans. Intr.
Imp.
teber
tebor
tebir
teberem tebörem
teberen tebiren
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
15
Anm. 1. Man beachte hiebei die Lautgesetze: 6 bleibt in letzter Silbe,
aber in vorletzter Silbe nur, wenn diese offen ist, also nur ein Konsonant
folgt; in vorletzter geschlossener Silbe und in drittletzter Silbe wird aus 6
das ursprüngliche a, hier e, weil kein Grund vorhanden ist, es a zu sprechen.
Auch i in drittletzter Silbe wird kurz.
Anm. 2. In der 2. P. PL g. m. und f. betont Jahn beim intransitiven
tiber, ebenso wie von tebör, in durchaus nicht zu erwartender Art tiberkem,
tiberken; s. Gramm. S. 91. Die regelrechte Betonung — sonst würde auch der
Unterschied zwischen tebör und tiber in diesen zwei Formen aufhören, deren
e und i wechseln, so daß tebirkem, teberken sowohl von tebör als von tiber
herkommen könnten — findet sich S. 92 oben bei h&yber er verkühlte sich
angegeben (aus Mb er), nämlich h&berkem, hdberlcen.
Der Vollständigkeit halber setze ich auch für eine mediae
gutturalis ein Musterparadigma hieher, und zwar das von jihem
(= jehern) gehen mit schematischer Vokalisation:
S. 3. m.
3. f.
2. m.
2. f.
1. c.
PI. 3. m.
3. f.
2. m.
2. f.
1. c.
Perfektum
jehem
jehem-dt
jehem-lt
jehem-s
jehem-k
jehem-em
jehem
jehem-kem
jehem-ken
jehem-en
Imperfektum
Ind.-Subj.
yi-jhöm
te-jhom
te-jhom
te-jhim
e-jhom
yi-jhim-em
te-jhom-en
te-jhom-em
te-jhim-en
ne-jhom
Imp.
jehom
jeMm
jehom-em
jehim-en
Anm. 3. Zu den von Jalin, Grammatik, S. 80, 82, 83, 87 und dann
S- 89—94 gegebenen Paradigmen ist — vorderhand was den Grundstamm
betrifft — einiges zu bemerken. Zur Darstellung der Flexionsendungen des
Perfektums (S. 80) eignet sich galoq ,sehen' nicht, weil -k, -kem, -ken das k
dem dritten Radikal q assimilieren — also so wie im Äthiopischen was nach-
zntragen wäre; für’s Imperfektum (S. 82) taugt es auch nicht, weil es nach
Jahn yigülaq bildet (mit ü aus 6). Der ,augmentierte Indikativ' (S. 83) gehört
nicht zum Grundstamm, sondern zum Steigerungsstamme und der Subjunktiv
von galoq (ebendort) ist nicht typisch, weil er als yagaläq notiert erscheint
(für yi-gleq). Auch beim Imperativ sind Grundstamm (Irans, und intrans.),
sowie Steigerungsstamm kumuliert. Von den S. 87 ff. sub e) ,Konjugation der
wichtigsten Stämme des starken Verbums' paßt Nr. 1 ,litäg er wurde getötet'
nicht, weil es nicht Grundstamm, sondern — wie. gezeigt werden wird — ein
Reflexivum ist (für Üetdg leltäg): daß es nicht Grundstamm sein kann, er
sieht man übrigens schon aus dem S. 90 angeführten ,Futurum' (d. i. Parti-
16
II. Abhandlung: Bittner.
zipium), das doch das Präfix me- hat. Nr. 2 ist mediae gutturalis, sub Nr. 4
(S. 91) gehören yiföreh und yifräh eigentlich doch nicht zu fxreh er freute
sich, sondern zu einem fciröh, und häyber er verkühlte sich ist Intransitivum;
sub Nr. 5, das ein Steigerungsstamm ist, gehören die beim ,Futurum* in
Klammern angeführten Formen zum Grundstamm.
11. Bei Aufstellung des Paradigma in § 9 ist ausdrück
lich bemerkt worden, daß die dort gegebene Vokalisation bloß
als schematisch anzusehen ist. In der lebenden Sprache kommen
die verschiedensten Nuancierungen vor: von den Präfixen ab
gesehen — yi- kann auch als ye-, ya-, ya-, te- auch als ti-, ta-,
ta- erscheinen — zeigt sich an Stelle des 6 von yikoteb, d. i.
dem Ind. der Transitiven, auch ü, du (du) und an Stelle des e
natürlich auch a, eventuell mit Vokalharmonie auch o, an Stelle
des e von yikteb, d. i. dem Subj. der Transitiven, auch d, ä,
besonders wenn der 3. Radikal ein Guttural oder ein empha
tischer Laut ist; zwischen dem 1. und 2. Radikal wird in den
Formen yikteb, d. i. Subj. der Transitiven und yiktob, d. i. Ind.-
Subj. der Intransitiven und der mediae gutturalis häufig ein
,Hilfsvokal' eingeschohen (e, a); das Feminin des Imperativs
der Intransitiven und der mediae gutturalis, das schematisch
ktib lautet (zu m. ktob), hat statt i neben Gutturalen und em
phatischen Lauten häufig ey (ay). Dies vorausgeschickt, greife
ich aus dem Wörterbuche Jahns einiges heraus, das die mög
lichen Veränderungen 1 deutlich zeigen wird, und zwar:
12. a) für Transitiva: Pf. Icetob, Impf. Ind. yikoteb — Subj.
yikteb, Imp. m. und f. keteb:
betlor zerreißen (trans.) Impf. Ind. yiboder — Subj. yibedär,
Imp. m. und f. betfdr-,
bat.dl schlecht sein (ad ar. J-h?) Impf. Ind. yibötal — Subj.
yebtdl, Imp. m. und f. betdl;
boqod laufen (cf. ar. Lii § 5) Impf. Ind. yiboqod — Subj.
yebqdd, Imp. m. und f. baqäd;
delof hinaufspringen, -hüpfen, springen (ad ar. (_»■)■> rasch
einhers ehr eiten) Impf. Ind. yidölef —• Subj. yidelef, Imp. m. und
f. delef;
1 Für die Veränderlichkeit der Vokalisation bezeichnend ist der Indikativ
von darot traben (Pferd), das ich mit ar. zusammenstellen möchte,
weil Pferde beim Laufen häufig in dieser Beziehung sich keinen Zwang
auferlegen, nämlich (in Qäsän) yidduert (aus yiddure' mit Metathesis*,
sonst yidörat, wo 6 nach dem d zu au werden kann).
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
17
danum bürgen (ar. Impf. Ind. yidomen — Subj. yi-
cfamdn, Imp. m. und f. darndn-
ft oh öffnen (ar. ^ § 5) Impf. Ind. yifoteh — Subj. yiftäh,
Imp. m. und f. ftdli;
galöq sehen Impf. Ind. yagöulaq — Subj. yigaleq, [mp.
m. u. f. galeq (auch gale, gala).
gar ob kennen, verstehen, wissen (ar. Impf. Ind. ya-
yöureb (od. yagoreb) — Subj. yagareb, Imp. m. u. f. gareb.
gazöl weben (ar. jji) Impf. Ind. yaguzel — Subj. yagazel,
Imp. m. u. f. gazel.
hedöm zerstören (ar. Impf. Ind. yehüdim — Subj. yih-
dem, Imp. m. u. f. hedein.
hijom anfallen, überfallen (ar. ff.*, § 5) Impf. Ind. yihü-
jem — Subj. yihejem, Imp. m. u. f. hijem.
hirdq stehlen (ar. also mit h = s, § 6) Impf. Ind. yi-
hüreq — Subj. yehereq, Imp. m. u. f. hireq.
hadör anwesend sein (ar. j-***-) Impf Ind. yihöudar —
Subj. yihadär. Imp. m. u. f. hadär.
hakom richten, ein Urteil fällen (ar. p&L') Impf. Ind. yi-
höukem — Subj. yihakem, Imp. m. u. f. hakem.
haboz backen (ar. § 5) Impf. Ind. yihdbez — Subj. yi-
habez, Imp. m. u. f. habez.
hatom beenden, beendigt sein (ar. X-Ü) Impf. Ind. yihbtem
— Subj. yihtem, Imp. m. u. f. htem.
kafod herab-, hinabsteigen, landen Impf. Ind. yikdfed —
Subj. yikafed, Imp. m. u. f. kafed.
kiröm ehren (ad ar. Y?f, IV., § 5) Impf. Ind. yikörem —
Subj. yikrem, Imp. m. u. f. kirem.
qabor begraben (ar. j4*) Impf. Ind. yiqöuber — Subj. yi-
qaber, Imp. m. u. f. qaber.
qadöm vorangehen (ar. Impf. Ind. yiqödem — Subj.
yiqadem, Imp. m. u. f. qadem.
lebdd schlagen; schießen (wohl zu ar. fb.) Fußtritte geben,
ausschlagen, § 6) Impf. Ind. yilobed — Subj. yilbed, Imp. m.
u. f. lebed.
laqot sammeln, vom Boden aufheben (ar. bii) Impf. Ind.
yiloqat — Subj. yilqdt, Imp. m. u. f. laqdt.
letog töten (ar. § 5) Impf. Ind. yilötag — Subj. yiltdg,
Imp. m. u. f. letdg.
Sitiungster. d. plul.-hist. Kl. 168. Bd. 2. Abh. 2
18
II. Abhandlung: Bittnei*.
meddh loben (ar. jAi) Impf- Ind. yimodeJi — Subj. yimdäli,
Imp. m. u. f. mdäli.
njöz fertig sein (ar. jSd) Impf. Ind. yinbjez — Subj. yinjez,
Imp. m. u. f. nijez.
nasob aufschlagen, aufstellen (ein Zelt) (ar. Impf.
Ind. yinosab — Subj. yinsäb, Imp. m. u. f. nsdb.
redof nacheinander hinlegen (zu ar. Y^>j) Impf. Ind. yi-
rödef — Subj. yirdef, Imp. m. u. f. rdef.
reson anbinden, fesseln (auch rezon; cf. ar. cr^j) Impf.
Ind. yirdsen — Subj. yirsän, Imp. m. u. f. resdn.
semor die Nacht wachend zubringen (ar. j-4--^) Impf. Ind.
yisomer — Subj. yisemer, Imp. m. u. f. sevier.
13. b) Für Intransitive: Pf. kiteb, Impf. Ind. und Subj. yilc-
tob, Imp. m. ketob und f. ketib.
bi$er zerreissen (intr., z. B. ein Schlauch) Impf. Ind. u.
Subj. yebdor, Imp. m. bedor u. f. betfir.
fiqer arm sein (ar. § 6) Impf. Ind. u. Subj. yifqor,
Imp. m. feqör u. f. feqir.
gdyfel vernachlässigen (ar. § 6) Impf. Ind. u. Subj.
yiyaföl, Imp. m. gafol u. f. gafil.
gdyreq untergehen (Schiff), ertrinken (ar. § 6) Impf.
Ind. u. Subj. yigaröq, Imp. m. garbq u. f. gariq.
liäylem träumen (ar. (Sä- und piä-, äth. cf- § 9,
Anm.) Impf. Ind. u. Subj. yihalöm, Imp. m. halom u. f. halim.
hdyser Schaden erleiden, Mitgift bezahlen (ar. § 6)
Impf. Ind. u. Subj. yahsor, Imp. m. hasor u. f. hasir.
qdyreb sich nähern (ar. A-pä, § 6) Impf. Ind. u. Subj. yi-
qarob, Imp. m. qarob u. f. qarib.
Uqef erfassen, fangen, greifen, packen, halten (cf. § 6)
Impf. Ind. u. Subj. igilqbf, Imp. m. Iqof u. f. Iqeyf.
mtred ki’ank sein oder werden (ar. J=y«, § 6) Impf. Ind.
u. Subj. yimröd, Imp. m. mröd u. f. mrid.
niseb benachteiligt werden (ar. in der Schlinge
hängen bleiben [Wild]) Impf. Ind. u. Subj. yiniSöb, Imp. m. ni-
sob u. f. ni&ib.
rikeb reiten (ar. i § 6) Impf. Ind. u. Subj. yirkob, Imp.
m. rekdb u. f. rekib.
stiem heil davonkommen (ar. <UA> } § 6) Impf. Ind. u. Subj.
yiselöm, Imp. m. selom u. f. selim.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 19
über zerbrochen werden (cf. §' 6, 10) Imp. Ind. u. Subj.
yitebor, Imp. m. tebör u. f. tebir.
tdyreb freudig sein (ar. § 6) Impf. Ind. u. Subj. yi-
taröb, Imp. m. taröb u. f. tarib.
setem kaufen Impf. Ind. u. Subj. yistom, Imp. m. Störn
u. f. Stirn (ygl. § 64, Note).
Anm. Das intransitive däybet, nehmen hat im Impf. Ind. u. Subj. yid/bl,
das natürlich nur aus yid^bot entstanden sein kann, mit Schwund des 6, nicht
aber aus yidoioet = yidobet, wie Jahn, Gramm., S. 112, Note 1, meint; der
Imp. m. dot u. f. dayt (für $z() geht selbstverständlich auf den fertigen Subj.
yirjöt zurück, nicht aber (mit Jahn) auf dowet == dobet u. ddyiuef = $dybel,
das ja doch Steigerungsstamm wäre, vgl. § 2.
14. c) Für mediae gutturalis: Pf. keteb, Impf. Ind. u Subj.
yiktöb, Imp. m. ketöb u. f. ketib.
bagdd abgeneigt sein, hassen, nicht wollen (ar. § 7)
Impf. Ind. u. Subj. yibayod, Imp. m. bägdcl u. f. bägid.
deheb fließen (ar. Weggehen, § 7) Impf. Ind. u. Subj.
yidliob, Imp. m. dhob, f. dhib.
dalidq treten, zu Fuß gehen Impf. Ind. u. Subj. yidalwq,
Imp. m. dahoq, f. daheyq.
dahdk lachen (ar. § 7) Impf. Ind. u. Subj. yidahok,
Imp. m. $a]}dk, f. daliik.
jihem abreisen, absegeln (wohl doch zu ar. V. nach
einer Gegend reisen, also h = s) Impf. Ind. u. Subj. yijehom,
Imp. ml jehom, f. jehim.
kaheb kommen (s. § 7, S. 10 Mitte) Impf. Ind. u. Subj. yi-
kahob, Imp. m. kahob, f. kahib.
lahdq erreichen, einholen (ar. § 7) Impf. Ind. u. Subj.
yilahoq, Imp. m. lahöq, f. lahiq.
mahäq herausziehen (s. § 7) Impf. Ind. u. Subj. yimhdq,
Imp. m. mahoq, f. mcilieq (aus mcihdyq = mahiq).
niheq schreien (Esel; ar. <J-f->) Impf. Ind. u. Subj. yinhoq,
Imp. m. nhoq, f. nhiq.
reJidq sich entfernen (hebr. pm; äth. Cilt'P 1 ) Impf. Ind. u.
Subj. yirähoq, Imp. m. r&liöq, f. raliiq.
sher wach sein, die Nacht durchwachen (ar. j-f-To) Impf.
Ind. u. Subj. yishor, Imp. m. shor, f. shir.
sahäq zermahlen (ar. ^i") Impf. Ind. u. Subj. yishdq, Imp.
m. sahdq ! f. saliiq.
2*
20
II. Abhandlung : Bittner.
sahel wiehern (ar. J^-A) Impf. Ind. u. Subj. yisahöl, Imp.
m. sahol, f. saliil.
talidl pissen Impf. Ind. u. Subj. yitaböl, Imp. m. tahöl,
f. taliayl.
Shed Zeugenschaft ablegen (ar. 5-f-A) Impf. Ind. u. Subj.
yeshod. Imp. m. shbd, f. sind.
15. Als Beweise dafür, daß die für den Indikativ des Im
perfektums der Transitiven — yikoteb — oben § 8 angenommene
Urform yikdtb in der Sprache tatsächlich auch für sich allein
vorkommt — bei Antritt von Pronominalsuffixen muß sie nach
den Lautgesetzen Zustandekommen — mögen die von mir ge
fundenen Fälle hier Platz finden: man vergleiche die Indikative
yihdsf (von hasdf schaden), yihdsf (von hSdf durchlöchern),
yimaseh (von mesöh abwischen, ar. yinefh (von nifali aus
einem Rausch oder einer Ohnmacht erwachen, vgl. § 6), yinafs
(von mfos in der Nachmittagszeit gehen), yineks (von nkos den
Staub, das Wasser aufwühlen; Jahn vergleicht ar. aus
schöpfen), yine'sf (von nesöf wegblasen, wegnehmen [Wind],
hebr. blasen, ar. zersteuben), yindtf (von ntof aus
zupfen, abreißen, ar. cA-A), yindth (von ntöh herausziehen, aus
reißen, ar. jL>), yireqd (von riqdd mit den Füßen stampfen,
cf. § 5, hebr. ipi springen, aber auch ar. cf. merkedet
Sohle, Studien I, § 78 und äth. Z10 ! pedem supplosit, pede
percussit, calcitravit).
16. Aus § 8 und aus den Beispielen § 12—14 geht her
vor, daß einem Perfektum ketob regelrecht im Imperfektum
für den Ind. yikoteb und für den Subj. yikteb, einem Perfektum
kiteb und keteb im Imperfektum für den Ind. und Subj. yiktob
entspricht. Die wenigen Ausnahmen, die sich finden lassen,
bestätigen die Regel: der Grund, warum wir doch auch Ab
weichungen bemerken können, liegt wohl darin, daß eben von
derselben Wurzel vereinzelt Transitiva und Intransitiva mit der
selben Bedeutung im Gebrauche stehen. Auffallend ist es, wenn
die Sprache eine mediae gutturalis nicht erkennt. Wir können
drei Fälle solcher Anomalien unterscheiden:
a) im Perfektum zwar ketob, im Imperfektum aber nicht
Ind. yikoteb, Subj. yikteb, Imp. lcteb, sondern Ind.-Subj. yiktob,
Imp. m. ketob u. f. ketib, also wie von einem Perfektum kiteb:
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 21
feton versuchen, jem. zum besten halten (ar. Impf. Ind.-
Subj. yiftön, Imp. m. feton (u. f. wohl fetin) — wie von einem fiten.
gafür vergeben (ar. j-ü) Impf. Ind.-Subj. yigaför, Imp. m.
gaför, f. gafir — wie von einem gdyfer.
hadom arbeiten; dienen (ar. zu den Bedeutungen
vgl. o^.e. in;' jä) Impf. Ind.-Subj. yihadöm, Imp. m. hadom u.
f. hadim — wie von einem hdydem. 1
leqüf abhauen (wohl doch mit ar. cJüd identisch) Impf.
Ind.-Subj. yilqöf, Imp. m. Iqöf u. f. Iqeyf — wie von liqef er
fassen, fangen, greifen, halten, packen (um zu fassen).
ntök beißen (mit t- vgl. bebr. “itb, äth. Jrth ! ) Impf. Ind.-
Subj. yintök, Imp. m. ntök u. f. ntik ■— wie von einem nitek.
Ferner teilweise: skön wohnen (ar. Impf. Ind.
zwar yisökan, aber Subj. yiskön, Imp. m. skön u. f. skin — wie
von einem siken und umgekehrt sadöq wahr sprechen, glauben
(ar. I u. II), Impf. Subj. zwar yisadeq u. Imp. sadeq, aber
Ind. yisadöq — wie von einem saydaq.
h) im Perfektum zwar kiteb, im Imperfektum aber nicht
Ind. und Subj. yiktöb, Imp. m. ketöb u. f. Icetib, sondern Ind. yi-
köteb, Subj. yikteb u. Imp. keteb. also wie von einem Perfek
tum ketöb:
fxreh sich freuen (ar. cf)> Impf. Ind. yiföreh, Subj. ye-
fräh, Imp. fräh — wie von einem feröh.
nibeh vom Schlafe erwachen (ar. Impf. Ind. yinöbeh,
Subj. yimbehj Imp. nibeh — wie von einem neböh.
nifah aus einem Rausche oder einer Ohnmacht erwachen
(kann mit Ynfs Zusammenhängen mit A=s oder mit nibeh
identisch sein), Impf, yinefh (vgl. § 15), Subj. yinfah, Imp. nefdh
— wie von einem nefdh.
zaybah (saybah) der Morgen brach an (resp. sich am
Morgen ereignen, so sub saybah) Impf. Ind. yisöbah — Subj.
yizbäh, Imp. zabäh, wie von einem zeböh. NB. aber saybah mit
s regelrecht Impf. Ind. u. Subj. yisaböh, Imp. saböh.
c) im Perfektum als mediae gutturalis zwar keteb, im Im
perfektum aber nicht Ind. u. Subj. yiktöb, Imp. m. ketöb u. f.
ketib, sondern Ind. yiköteb, Subj. yikteb, Imp. keteb, also wie von
einem nicht mediae gutturalis Perfektum ketöb:
1 Vgl. auch dymel und äylem § 55, Note.
22
II. Abhandlung: Bittner.
nahäj spielen Impf. Ind. yinöhej — Subj. yinhäj, Imp. nahäj.
näg&m zürnen, zornig sein, Impf. Ind. (auch) yinögam —
Subj. yingäm, Imp. ngäm; doch auch Ind. yinägäm.
sahät schlachten (ar. hebr. apf), Impf. Ind. yisöhat
— Subj. yisahät, Imp. shät; doch auch Ind. yishöt cf. Jahn,
Texte 95, 27.
rahäd waschen (ar. Impf. Ind. yiröliad — Subj. yir-
häd, Impf, rahäd.
Anm. Bei (nhSz fallen, stürzen, stolpern (lja$r. tcihdz) scheinen einige
Formen nicht recht bestimmt zu sein: Ind.-Subj. yitahoz, aber auch Ind. yi-
tdhz (cf. § 15) und Subj. yitahäz,- doch wird als Imp. auch idhz angegeben (also
= tdhez für tdhhez oder tähez).
17. Sonderbare Formen zeigen einige mediae gutturalis
für den Indikativ des Imperfektums, der bei den in Frage
kommenden nicht mit dem Suhjunktiv identisch ist, und für
das Partizipium: der Indikativ zeigt am Ende das nur für den
Indikativ des Steigerungs-, resp. Einwirkungsstammes charak
teristische Element -erc, 1 cf. § 23, und das Partizipium geht nicht
auf -öne aus, sondern zeigt das Präfix me- und lautet auf -e
aus, ist also nicht zum Grundstamme gehörig, cf. § 20c. Ich fand
folgende Zeitwörter, welche in dieser Art von den Gesetzen
abweichen: ngäl schwitzen (wozu Jahn ar. J^.-' schwären ver
gleicht), Subj. yingäl, Imp. m. ngäl — f. ngeyl (für ngil. also
so, als ob im Subj. u. Imp. m. 6 stünde, für das sich hier d
erhalten hat), aber Ind. nicht, wie man erwartet, mit dem Subj.
gleichlautend, sondern durch -en vermehrt, yiügälen und das
Partizipium mangäle, ebenso raliäl die Kamele satteln, ein
Lager abbrechen (ar. J-Lj) Impf. Ind. yirhälen — Subj. yirhäl,
Part, merhäle, Imp. m. rehöl (Subj. mit ä yirliäl) — f. rehil.
1 Ich würde annehmen, daß -en in diesem und den folgenden Beispielen
von dem Gewährsmanne fälschlich dem Suhjunktiv angehängt worden sei,
aber yingdlen kommt so mit -en auch in den Texten vor, vgl. Jahn,
Texte, 111, 31. Bemerken möchte ich, daß im SJiauri dieses -en — zum
Unterschiede vom Mehri, das den Gebrauch von -en auf den Steigerungs-,
resp. Einwirkungsstamm und die auf diesen zu übergehenden abgeleiteten
Stämme beschränkt — auch im Grundstamm erscheint: wenigstens lautet
z. B. das Shauri-Aquivalent für yibtor von bxter fischen M. 34, 1 ibitoren,
doch vgl. auch Südarab. Exped. YII, II, S. 374 (wo die Jussivforra an
gegeben ist, s. die Note dort).
Studieu zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Spraehe. II.
23
Anm. 1. Ähnlich wohl auch niker nichts davon wissen wollen (wohl
zu ar.^5(i; nach keteb, indem k hier so wirkt, wie h, h, h und g, cf. die
mediae ,gutturalis‘), bei welchem für Ind. und Suhj. yiniker notiert wird, wo
aber der Indikativ wie bei figäl und rah&l mit -en versehen sein sollte (also
yinikSren): Part, menikere (also wieder mit me-), Imp. niker, Inf. niker.
Anm. 2. Ein viertes Beispiel, die primae w wahär, s. §. 72, Anm.
18. Was nun die zum Grundstamme gehörigen Parti
zipia betrifft, so finden wir im Mehri außer den zwei gemein-
semitischen, dem Partizipium activi und Partizipium passivi,
noch eine dritte Art, die nur prädikativ gebraucht wird und
Futurbedeutung- hat. Jahn nennt diese Form Nominalfuturum:
an dieser Bezeichnung möchte ich nicht festhalten, obwohl ich
vorderhand keinen besseren Terminus vorzuschlagen in der
Lage bin. Am ehesten könnte man sie Partizipium medii nennen,
denn was das verbale Genus betrifft, steht sie zwischen den
beiden anderen in der Mitte: bezeichnet es doch sowohl Aktiv
als Passiv, mit anderen Worten, wird es doch unterschiedslos
von Transitiven ebensowohl wie von Intransitiven gebildet und
gebraucht, und zwar auch von solchen Intransitiven, die pas
siven Sinn haben. Die Fälle, wo der Gebrauch in passivem
Sinne vorliegt, sind zwar nur ganz gering an Zahl — wenig
stens in den Texten — doch gibt Jahn bei solchen passiven
Intransitiven auch dieses, wie ich es nennen möchte, ,dritte'
Partizipium oder ,Mehri'-Partizipium an, ohne daß an der Form,
die es bei aktiven Transitiven oder Intransitiven hat, etwas
geändert wäre.
Betrachten wir nun die Formen dieser drei Partizipien
des Mehri. Ich habe von allen dreien schon in meinen Studien I,
§ 10, § 15 und § 20 gesprochen, will aber doch der Vollständig
keit halber auch hier jedes einzelne für sich vorführen:
a) Das Partizipium activi, formell koteb, f. kdtebet, PI. m. ka
tebin — f. katebot, kommt im Mehri ebenso wie das äthiopische
Äquivalent qätel — im Unterschiede vom arabischen kätib —
nur als reines Nomen vor — es bildet also Adjektiva und Sub-
stantiva, resp. wird es in diesem Sinne gebraucht, wie z. B.
adjektivisch (s. Studien 1, § 91—95): solem gesund (zu mehri
silem = ar. ■ ar. DUj), f. selmet (aus sälemet, sälemet), Pi.
m. selmin (aus sdlem-in, sälem-in) — f. selmot (aus sälem-bt,
sälem-ot)] johod fleißig (für jdhed, mit Vokalharmonie: ar.
24
II. Abhandlung: Bittner.
PI. m. jehidin (aus jähed-in, jähed-in) — f. jehedot (aus jähed-
6t, jähed-dt) u. dgl., substantivisch, Studien I, § 10, z. B. hohen
Priester (ar. tdjir (tojer) Kaufmann, auch reich (mit ü
für 6 und i für e wegen des j; ar. söhed Zeuge (ar.
u. dgl.
19. Ungleich interessanter ist b) das Partizipium passivi
des Meliri, das zwar mittelst des Präfixes me- gebildet wird,
ebenso wie arab. in der zweiten Silbe aber nicht wie
dieses ü, sondern i zeigt. Das meliritische mektib verhält sich
also zu arab. < so, wie syr. waiAä zu liebr. ains. Wiewohl
nun das Partizipium passivi des Mehri das Präfix me- hat,
erinnert es aber doch auch an das äthiopische natürlich
nicht formell, aber mit Rücksicht auf einen anderen Umstand.
Ebenso wie das Äthiopische nach dem Muster gebür auch von
abgeleiteten Stämmen Partizipia passivi bildet, die ohne das
Präfix me- gebildet sind und vor dem letzten Radikal -ä zeigen,
legt das Mehri die Form seines Partizipium passivi mektib
auch bei der Formation passiver Mittelwörter des Kausativum
und Reflexivum zugrunde und bildet so auch mehahtib und
mektetib nach mektib. Zu mektib lautet das Femininum ■—
die Sprache betrachtet dieses mektib als vierbuclistabig, vgl.
Studien I, § 100, mektibot, PI. m. mektob — f. mektäbten. Zu
beachten ist, daß das i von mektib in der Nähe von Gutturalen
auch zu ciy (ey), eventuell zu e wird, das über d auch als ä
gesprochen werden kann; im PI. m. kann 6 auch als du (du)
erscheinen. Z. B. mahtim verschlossen (zu hatom, ar. ^4.),
mesmir berühmt (zur vsmr\ hadr.-ar. samdr), mcitabih gekocht
(ar. mahaliq erschaffen (mehri haloq, ar. (314.), mahabit
gemischt (zu habot mischen, nach Jahn = ar. 414. mit b = l) 1 —
in den drei letzten Fällen Gleitvokale; meshdyq zerrieben (mit
ay für * zur mediae ,gutturalis‘ sal.idq, ar. 3=c'“ > ), masqayl po
liert (ar. J-*-' 0 )) mesagdyb sich nach jem. sehnend (eigentlich
wohl soviel als ar. verliebt), mefeqayd (mfugdyd) ver
mißt M. 18. 24, 20. 26 (ar. >x3U); maltdg getötet (für malteg aus
maltig, wie Hein hat; mehri letdg = &r. 3-Xä mit Metathesis und
1 Viel ansprechender erklärt Rhodokanakis, 1. e., S. 20 zu § 100: ,Bei
maJiabit „vermischt“ möchte ich gegen Jahn, der an einen Wechsel von
b und l denkt, an „schlagen, frapper“. erinnern; vgl.jJ& „mischen“.‘
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
25
Ü — l)) ma shäl schmutzig (hadr. ma§hül; für ma§hel = mashayl
= masMl), vielleicht metumer fruchtbar (eigentlich mit Frucht
versehen; eventuell als Kaus. zu fassen, cf. § 32*); subst. meldib
Inschrift, aber auch geschrieben (ar. ) ; maqasdyd gerader
Weg (für maqsid, mit ay für i nach dem s, zu ar. u. dgl.
20. c) Die dem Mehri eigentümliche dritte Art von Parti
zipien hat für den Grundstamm die Form ketb-öne, f. ketb-ite,
PI. m. ketb-eye — f. ketb-oten. Ich habe über ketb-öne bereits in
Studien I, § 15 und in WZKM 1909, S. 147 einiges geschrieben.
Um das bereits Berichtete kurz zu rekapitulieren, halte ich
daran fest, daß sieh, wie schon Maltzan dachte, die Form ketb-
öne nur mit dem im Arabischen Adjektiva bildenden fa'län
zusammenstellen läßt und daß wir zur Erklärung seiner Be
deutung nur das Kuschitische heranziehen dürfen; betonen
möchte ich, daß ketb-öne nicht als Erweiterung des Part. akt.
köteb zu fassen ist. Unter Verweisung auf die zitierten Stellen
gebe ich hier noch einige Beispiele, um die möglichen Ver
änderungen der Vokalisation zu zeigen: z. B. berdöne (eigent
lich feilend, dann ich, du, (m.) er wird feilen, wenn ich, du
(in.) er Subjekte dazu sind oder der Mann wird feilen, wenn
der Mann Subjekt ist) zu beröd feilen (ar. >yö), zefnöne zu ze-
fön tanzen (ar. ^Aj, äth. tfd.'i •), hafröne zu liaför graben (ar.
y*-=*-), fathöne zu ftöh öffnen (ar. ,-^), dabtöne zu däybat nehmen
(ar. b?-°), rakböne zu mkeb reiten (ar. debSjöne zu debüj
verfolgen (cf. § 5), beteröne zu biter fischen, jizemöne zu jizöm
schwören (ar. vgl. auch ar. hciqatöne zu haqdut fallen
(ar. boqodöne zu boqöd, laufen (cf. § 5) u. dgl.
Um das Femininum des Singulars zu bilden, braucht man
-öne bloß in -ite zu verwandeln. Die Endungen für den PI.
sind m. eye, f. -öten, vgl. Studien I, § 68, Anm. Beim Steigerungs-,
resp. Einwirkungsstamme und den übrigen Stämmen hat dieses
,dritte' Partizipium immer ein präfigiertes me- und der Sing. gen.
m. lautet bloß auf -e, nicht auf -öne aus; für den Sing. gen. f.
und den Plur. gen. m. u. f. gelten aber dieselben Endungen wie
beim Grundstamme. Das mehr, -öne entspricht natürlich auch
dem syr. -dnä, das nomina agentis bildet. Man beachte aber,
daß das Syrische, wenigstens das klassische, im Gegensätze
zum Mehri -dna nicht beim Grundstamme, sondern nur bei den
anderen Stämmen verwendet.
26
II. Abhandlung: Bi'ttner.
Daß -one auf ein -an zurückgeht, beweist auch der Stat.
pron. ketb-dn, z. B. ( hu Hatg-dn-es (ich) werde sic töten.
Anm. Das Partizipium auf -one, Ate, -eye, -oten bespricht nun auch
Rhodokanakis, 1. c., S. 3, zu § 20, p. 30, Anm. 2, S. 6 zu § 29, Anm. (p. 39)
und S. 17, zu § 63, Anm. (p. 62) (meiner ,Studien I‘), danach wäre -one =
, ^ C* / ^ O/
^51-, ite doppelte Femininbezeichnung (cf. fern. also =
-f- t mit aus dem Maskulinum her verschleppten -e), -eye = äye (wie ich
Studien I, § 68, Anm. annehme, nach den Pluralbildungen wahSi wahSoy,
Studien I, § 99, mit gleichfalls aus dem (Singular-)Maskulinum herüber
genommenem -e) und -oten nach Studien I, § 51 zu fassen.
21. Ebenso wie das Äthiopische besitzt auch das Mehri
schon beim Grundstamm eine bestimmte Form für den Infinitiv,
nämlich lateb (aus kitb), s. Studien I, § 5, Anm. Dieses Jciteb ist
wohl mit dem arabischen Nomen speciei ÄIab identisch. Zu
beachten ist, daß i besonders neben Gutturalen und emphati
schen Lauten als ay (ey) erscheinen kann. So finden wir z. B.
bired zu berod feilen (ar. difen zu defon begraben (ar. cÄ-0,
litag zu letog töten (ar. gayleq zu galoq sehen, cjdyreq zu
gdyreq untergehen (ar. Sj*)> teylef zu telef (tilef) verderben
(intr.; ar. cJßj), teyban zu tahän mahlen (ar. aber auch
nifh zu mfoh blasen (=nföh, ar. ^L), lihs zu laliäs lecken (ar.
äth. Afhfl:), sirq (so mits) zu hiroq stehlen (ar. Sy“ 3 ) u-dgl.
22. Bei einer jedenfalls als Minorität zu betrachtenden
Anzahl von Zeitwörtern kommen auch andere Nominalformen
als Infinitive angegeben vor. Ich habe sie zum größten Teil
schon in Studien I behandelt. Der Vollständigkeit halber gebe
ich im folgenden Beispiele für verschiedene als Infinitive notierte
Nominalformen und stelle die Schemen in Klammer, z. B. bdhs
(katb) zu bahds schmerzen, lidbes (katb) zu habos einsperren
(ar. o-L-Ä)) gddel (Jcatb) zu gdydel tragen (cf. § 6), sölem (katb)
zu silem heil davon kommen, relien (katb) zu Vrhn (ar.
mired (liatab) zu mirert krank sein (ar. Jpj-°); Jiaykem (lätab)
zu hakbm ein Urteil fällen (ar. (S^-); qaymät (kitäb) zu qamot
binden (ar. US), jihöum (kitäb) zu jihem fortgehen (cf. §7);
farhät (hatbat) zu fireh sich freuen (ar. £/»); hsoret (katäbat)
zu hdyser Schaden leiden (ar. bitert (kitäbat) zu biter
fischen u. a.
Bemerkenswert erscheinen unter den außer luteb (kitb)
vorkommenden Infinitivformen besonders dreierlei Arten
■iS
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 27
a) Infinitive mit dem Präfix me-, die einerseits im Syrischen
und im Arabischen in dem sogenannten andererseits
in abessinischen Sprachen ihre formellen Äquivalente finden; sie
kommen im Mehri auch mit Femininendung vor, vgl. Studien I, § 21.
b) Infinitive mit den Endungen -ön (= -an) und insbe
sondere -in, cf. Studien I, § 16 und WZKM., 1909, S. 146; ich
gebe hier die von mir gefundenen Beispiele, nämlich: (für -on
= -än) gafiron zu gafür vergeben (ar. jAs; cf. ar. ^tyl»), liali-
fon zur Yhlf im Beflexivum uneinig sein (wie ar.
jeheydön zu jehäcl leugnen (ar. äth. Yj t hP. :), inqeysdn zur
Ynqs im Kausativ-Reflexivum fehlen (ar. ; cf. ar. ^Laii),
sfiqön zur Ysfq im Reflexivum Mitleid haben (ar. cf. das
ar. Adj. mitleidig, gütig) — (für -in) \ialmin zu lidylem
träumen (ar. ,<A=-, äth. •), fatanin zu fetan gedenken,
sich erinnern (wohl doch ar. und auch ,sich erinnern'), te-
qeteyn zur sekundären Ytqt — Ywqt (zum reflexiven wdtqat er
wachen; ar. cf. § 77). Wir finden diese Endung -in auch
einigemal bei nicht zu den verbis firmis zu rechnenden Wurzeln,
und zwar bei massiven, cf. § 45 (gegen das Ende zu).
c) Infinitive im Mehri wie ketyub lautend oder wenigstens
für Mehri als ketyub anzusetzen, besonders bei mediae guttu-
ralis, weshalb ich für ketyub ein ursprüngliches kitdb voraus
setzen möchte. Die Entstehung von lcetyüb aus kitdb wäre wie
folgt zu erklären: i wird vor dem Guttural zu ey, das y springt
hinter den Guttural und färbt das aus ä entstehende 6 zu ü,
also ketyub = keytüb — kitdb — kitdb. Eine andere Erklärung
versuchte ich Studien I, § 12, Anm. 1 Man vergleiche die hie-
her gehörigen Beispiele deheyüb zu deheb fließen (ar. uAai Weg
gehen), dahayüq zu daliäq treten, zu Fuß gehen, kalie’üb zu
kalitib kommen, leldyüm zu lahdm coire cum femina, fiagayül
zu ngäl schwitzen, rahayüd zu raliäd,. waschen (ar. Ja=»-j,), rehi-
yül zu rahäl die Kamele satteln (ar. J-=-j), tahayül zu tahäl
harnen, zagayüf zu zayäf singen, auch rakiüb zu rikeb reiten
(ar. G-Gj), dabiüt zu ddxybet nehmen (ar. h-Gi), siniüq zur Ysnq
hängen (auf den Galgen; ar. ö-tG).
fi f r
1 Kkodokanakis, 1. c., S. 3, erster Absatz, Ende, denkt an eine Form
ausgehend von den Verbis mediae Ayn, Studien I, § 12, Anm.; vgl. im
folgenden unter Mediae Ayn § 63.
i
28
II. Abhandlung: Bittner.
13. Steigerungs- und Eimvirknngsstamm.
23. Während der Grundstamm im Mehri in dreifacher
Gestalt auftritt, sind da der Steigerungsstamm und der Ein
wirkungsstamm, die beide im Arabischen und im Äthiopischen
nebeneinander Vorkommen und von denen der erstere durch
Verdoppelung des zweiten Wurzelhuchstaben, der letztere durch
Dehnung des Vokals nach dem ersten Radikal gebildet wird,
den Lautgesetzen des Mehri entsprechend, in eine Form zu
sammengefallen und nur per analogiam als arabische 2. oder
3. Form, als äthiopisch I 2 oder I 3 zu bestimmen: aus kdttaba
und kdtaba ist im Mehri in gleicher Weise nur das eine koteb
geworden. In dem zu diesem koteb gehörigen Imperfektum sind
wenigstens für die nicht mit Flexionsendungen versehenen Per
sonen des Indikativs und Subjunktivs getrennte Formen vor
handen. Auch hierin erinnert das Mehri wieder an das
Äthiopische.
Dem arabischen yukdttib und yukätib entspricht im Mehri
wie im Äthiopischen nur der Subjunktiv, nämlich yilcdteb genau,
welche Form eben nach den Lautgesetzen aus yikdtteb ebenso
wie aus yilcdteb entstehen muß. Dieses yilcdteb unterscheidet
sich als Subjunktiv des Steigerungsstammes ebensowenig vom
Indikativ des Grundstammes der Transitiven wie im Äthiopi
schen, wo ja auch der Subjuuktiv von 12 — wenigstens in
der Schrift — mit dem Indikativ I 1 identisch ist. Um nun
eine eigene Indikativform zu differenzieren, hängt das Mehri
dem Subjunktiv in jenen Personen, die dreisilbig sind, die also
keine ,Endungen* haben, wohl ein tonloses -en an und macht
so aus yilcdteb mit Verkürzung des dann in die drittletzte Silbe
kommenden 6 zu d ein yilcdteben. Bei diesem yilcdteben könnte
man mit Jahn an den sogenannten Energetikus des Arabischen 1
denken, doch scheint mir dabei auch eine interessante Parallele
aus der Beqlauye-Sprache nicht unberücksichtigt bleiben zu
1 Daran hat übrigens schon Maltzan gedacht; er identifiziert den Indikativ
mit ar. was von Brockelmann, 1. c., S. 555, ß nicht in Abrede
gestellt wird, da die Entwertung des Modus energ. schon im Sabäischen
vorbereitet gewesen sei. Man beachte, daß -en im Indikativ — wenigstens
im Mehri — nur im Steigerungs-Eiuwirkungsstamm vorkommt, also nicht
im Grundstamm.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
29
sollen, nämlich die, daß sich hier — nach Reinisch, § 236 im
Präsens bei dreiradikaligen Wurzeln nach dem ersten, bezw.
vor dem zweiten Wurzelbuchstaben ein n einfügt, so daß z. B.
icli schreibe akantib heißt. Vielleicht ist das mehritische -en
mit diesem n, in welchem Reinisch den Rest eines alten Ver
bum substantivum für ,sein‘ sieht, 1 identisch. Sei dem, wie ihm
wolle, sonderbar bleibt es, daß die Sprache es riskiert hat,
bei Verwendung dieses -en noch zweimal (in der 3. S. f. u. 2.
S. m.) eine Form telcdteben zu schaffen, die ohnedies schon
viermal (in der 3. u. 2. PL f. Ind. u. Subj.) vorhanden ist, wie
man aus dem im folgenden Paragraphen aufgestellten Paradigma
ersehen kann.
Anm. Neben koteb aus kätteb finden wir bei den mediae geminatae,
bei den mediae w und bei den mediae y als Schema für den Steigerungs
stamm ein lcetib, das sich in einigen wenigen Kausativbildungen und in der
einen Art von Reflexivis, nämlich in den Indikativen yi-lia-ktiben und yik-t-
elib-en, auch im Bereiche der verba firma erhalten zu haben scheint; die En
dung des Indikativs -en weist hier auf den Steigerungsstamm. Ist kelib aus
kattib zu erklären, cf. ar. yu-kattib-u, oder mit dem ktib im Inf. der ar. II.
Form ta-lctib identisch, die wir auch im Mehri wieder finden?
24. Zur schematischen Darstellung der Konjugation des
Steigerungs-, resp. Einwirkungstammes diene söfer er ist gereist
(ar. schematisch dürfte es wie folgt abzuwandeln sein:
Perfektum
I m p e r f e k t u m
Indikativ Subjunktiv Imperativ
S. 3. m. söfer
yi-sdfer-en yi-söfer
te-sdfer-en te-söfer
te-sdfer-en te-söfer söfer
te- sifer-en te-sifer sifer
e-sdfer-en e-söfer
yi-safer-em yi-sdfer-em
te-sdfer-en te-sdfer-en sdfer-em
te-sdfer-em te-sdfer-em sdfer-en
te-sdfer-en te-sdfer-en
ne-sdfer-en ne-söfer
3. f. safer öt
2. m. sdfer-k
2. f. sdfer-s
1. c. sdfer-k
PI. 3. nt. sdfer-em
3. f. söfer
2. m. sdfer-kem
2. f. safer-ken
1. c. sdfer-en
Vgl. Reinisch, Das pers. Fürwort und die Verbalflexion in den cham.-
semit. Sprachen, § 181 a.
30
II. Abhandlung: Bittner.
Zur Vokalisation ist zu bemerken, daß statt 6 natürlich
auch ü, du, ou Vorkommen können, z. B. bürek segnen M. 5. 32
(ar. qöubeh lästern (ar. ^Xs) u. dgl. und daß d natürlich
auch durch e vertreten werden kann, z. B. Impf. Ind. yifekeren
von föker denken (ad ar. ^.Xä) u. dgl. Im Imperfekt finden wir
an Stelle des e vor dem 3. Radikal wohl auch i, z. B. Ind. yiha-
biren von hoher verkündigen (ad ar. ^X.); auch kann dieses e
synkopiert werden, z. B. Ind. yigdlqen von göleq verschließen
(ad ar. (JiX).
Amn. 1. Vereinzelt finden wir natürlich im Subjunktiv nicht yikdteb,
sondern yikätb, und zwar auch, wenn er für sich allein steht, also nicht im Stat.
pron., cf. § 15, ja wir begegnen bei Jahn s. v. ftS sogar einem Perfektum
feteS suchen, durchsuchen (ar. ; also, wie schon das e zeigt für fetS =
fetteS, resp. statt foteS), ferner einem Perfektum mdsh wegnehinen (ebenso zu
erklären; also = mdftsah statt mosah). 1
Anm. 2. Ebenso wie das Paradigma von sofer, das eigentlich eine arab.lll.
Form ist, lautet natürlich auch das irgendeines koteb, das = arab. II. Form ist.
Meines Erachtens liegt kein Grund vor, bei hoteb, wenn es = arab. II. ist,
den mittleren Radikal doppelt zu schreiben, und zwar auch nicht, wo 6 (in
drittletzter Silbe) als u erscheint. Jahn und Müller schreiben in diesem Falle
den mittleren Radikal fast immer nur einfach, ebenso Hein.
Der Vollständigkeit und größeren Deutlichkeit wegen gebe
ich im folgenden noch einige Beispiele: boleg jemanden etwas
erreichen lassen (ar. f3S) Impf. Ind. yibdlgan — Subj. yiboley,
bbtal zunichte machen (cf. ar. J-üf) Impf. Ind. yibdtalen — Subj.
yibotal, dober den Rücken kehren (zu ar.^Jj) Impf. Ind. yiddberen
— Subj. yidöber, joreb versuchen, prüfen (ar. Impf. Ind.
yijerben — Subj. yijoreb, göfen bedecken (wohl zu ar. j-Xs be
decken; aber ,verzeihen' im Mehri gafür) Impf. Ind. yigdfenen —
Subj. yigöfen, horek bewegen (ar. Impf. Ind. yehdrken —
Subj. yehörelc, hozel finden, erlangen, verdienen (mit2 = s; ai-.J-di^)
Impf. Ind. yihdzalen — Subj. yihozel, hoter sich einer Gefahr
unterziehen, wetten (ar. jbbk) Impf. Ind. yihdteren — Subj. yi-
höter, qoreb etwas näher bringen (ar. Oj£) Impf. Ind. yiqdrben
1 Das Imperfektum lautet yimäshen, geliört also nicht zum Grundstamm;
der Subj. yimseh, das Part, mashone, der Infinitiv mish gehören aber
zu diesem und nicht zum Steigerungsstamm. Es liegt also hier ,Stamm
vermischung 1 vor, resp. gebraucht die Sprache eben hier den Grundstamm
und den Steigerungsstamm in derselben Bedeutung! Vergleiche das
Kleingedruckte auf der folgenden Seite.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
31
— Subj. yiqoreb, soreh fortwährend geben, schenken, freigebig
sein (Jahn vergleicht ar. in seinen Geschäften mild Vor
gehen ; also wohl ein ar. III) Impf. Ind. yiserhen — Subj. yi-
söreli, Isomer beschreiben (hadr. iamär) Impf. Ind. yUemeren —
Subj. yUömer.
Einigemale werden zu einem Perfektum koteb für das Imperfektum,
das Partizipium und den Infinitiv Formen angegeben, die eigentlich nicht
zu ihm gehören und zwar
a) als ob das Perfektum Grundstamm, und zwar ein Intransitivum
nach der Form kxteb wäre, bei fölet sich von etwas losmachen (zu ar.
aber formell = oder CdJU) Impf. Ind. und Subj. yifelöt, Imp. m. felot —
f. feilt — also wie von einem filet.
fosed etwas verderben (also transitiv, ad ar. ^>.^9), Impf. Ind. und
Subj. yifsod, Imp. m. fsdd — i.fsid, wie von einem fised, das = verderben
intransitiv sein müßte
töjer Handel treiben (ad ar.^isr*, formell = j), Impf. Ind. und S.ubj.
yitijor, Imp. m. tijör, — f. tijir, wie von einem tijer.
b) als ob das Perfektum Grundstamm, und zwar ein Transitivum nach
der Form ketob wäre, bei
qoubeh lästern (ar. ^*9), Impf. Ind. yaqoubeh — Subj. yiqab&h, Part, qob-
einem qaboh, das auch
hone, Imp. qabeh, Inf. qäbeh (= qabh ^j^), wie von
vorkommt und dieselben Formen hat.
qoreh rasieren (ad äth. 4 9 £fh : , auch hebr. rnp) Imp. Ind. yiqoreh, —
Subj. yiqräh, Part, qarhone, Imp. qäräh, Inf. qäyrah — wie von einem qaroh.
söbeli schwimmen (ad ar. Impf. Ind. yisobeh — Subj. yisebäh } Part.
sebhone, Imp. sebdh, Inf. sibeli — wie von einem sebdh, das auch als sebüli
vorkommt.
sorah krähen (h für 7i; ad ar. £ schreien) Impf. Ind yisorali — Subj.
yisardh, Part, sarhone, Imp. sardh, Inf sdyrah, wie von einem saröh.
toref jemandem ein Haus frisch herrichten und ausschließlich zur
Verfügung stellen (cf ar. IV) Impf. Ind. yitoref — Subj. yitaref\ Part.
tarfone, Imp. [aref, wie von einem Laröf.
toureh legen; lassen, verlassen 1 (ad ar. ^ r L) Impf. Ind. yitoreh — Subj.
yiträh, Part. Qarhone, Imp. tardli, Inf. £eyveli, wie von einem taröh, das auch
vorkommt, v. Hein.
25. Das dem Partizipium des Grundstammes auf -one
oder wie ich es kurz nennen will, das dritte Partizipium, hat
hier die Formen S. m. mekatebe, f. mekateMte, PI. m. mekatebeye,
f. mekateboten. Wan beachte dabei, daß die Endung -one im
S. m. hier (und in den anderen abgeleiteten Stämmen) fehlt
und daß mekatebe aus ar. mukdttib und mukätib durch An-
1 Zu den Bedeutungen ,legen 1 und ,lassen* vgl. ar. itfyi, ;
P* 1 • , türk. I •
II. Abhandlung: Bittner.
32
fügung eines tonlosen -e hervorgegangen ist. Dieses -e scheint
das Mehri angefügt zu haben, um nicht ein melcoteb zu er
halten, das von einem inneren Plural = ar. J^ÜU> nicht zu unter
scheiden wäre, vgl. Studien I, § 78. So aber steht jetzt 6 — in
dem aus mukdttib und mukätib entstandenem einen mekdteb —
in drittletzter Silbe und wird zu ä und es fallen wieder kdttab
und kätab zusammen, vgl. § 20, Anm. Das Partizipium der in
den vorangehenden Paragraphen angeführten Steigerungs-, resp.
Einwirkungsstämme lautet: mesäfire, mefekere, mahabire, ma-
gdlqe, mabdlge, mabdtale, madabere, mejerbe, magafene, mahdrke,
maliäzale, mahdtere, maqärbe, meserlie, mesemere u. dgl.
Audi. Was das Partizipium passivi betrifft, so findet liier — wenig
stens beim Steigerungsstamme — die Form des Grundstammes mektib, keine
Verwendung. Hingegen finden wir melcdtteb hier ohne nachgesehlagenes e tale-
quale, also nicht mit aus ä entstandenem d, sondern mit ä in vorletzter Silbe.
Es liegt hier scheinbar eine Ausnahme von den Lautgesetzen oder nur der
weiter verbreitete Gebrauch einer Entlehnung aus dem Arabischen vor, z. B.
meqäddem Häuptling (ar. ? J.ü.,1), mahdnnes impotent (wohl doch ar. cuX.i' 0
Zwitter, im Arabischen allerdings mit iAj), musdttah flach, (ar. — Was
den Umstand betrifft, daß die Sprache hier das kurze ä in vorletzter Silbe
nicht zu 6 dehnt, so mag er denselben Grund haben, der eben in diesem Para-
graphe für die Erweiterung des ar.-äth. Part. act. durch ein angehängtes -e
angegeben worden ist.
26. Der Infinitiv hat, und zwar wohl zunächst nur dort,
wo in dem koteb ein arab. kdttaba, aber nicht ein arab. kutaba
steckt, zumeist die Form tektib, also die des Verbalsubstantivums
von arab. II. So lauten die Infinitive von z. B. böred abkiihlen
(ar. — tebrid, liorem verbieten (ar. f JL.) — talirim, köfen
einhüllen (ar. ^sS) — tekfin, moken festmachen (ar. —•
temkin, motel gleich, ähnlich machen (ar. J-xT.) —• temtil; auch
mit Gleitvokal, z. B. boleg — tebelig, goleq — tagaliq, qöfel
schließen (ar. J-“-®) — taqafil, solenn ausliefern (ar. ^IAj) — te-
selim• auch mit Umstellung z. B. liorij zum Verkaufe anbieten
(ar. — tharij, desgleichen zu einem *hdmel (hei Jahn sub
hetemül ertragen, vgl. § 35, ar. ein thamel (=thamU).
— Neben tektib finden wir auch tektäb, vgl. Studien I, § 18’
z. B. hat qobel jemanden etwas fassen lassen (ad ar. —
teqabül (aus teqbdl = teqbdl), noqos färben (ar. — tenqtU
(tinqds), toreb zur Hochzeit einladen (ad ar. — tetarfib,
wozu man besonders auch die ,Substantive' tinqds Zierrat, tarkob
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
33
Geschäft (cf. ar. VIII ein Verbrechen begehen, äth. j\f\
ICh fl» vacare, operam dare, deditum vel intentum esse rei,
v. Studien I, Nachtr., § 18, S. 117), tharüt Abführmittel (ad ar.
purgieren) vergleichen möge. Manchmal gibt Jahn auch Infinitive
von anderen Formen als zu solchen Steigerungsstämmen gehörig
an, z. B. bei hoher verkündigen nicht tahbir, sondern haber =
ar. vgl. Studien I, § 6. — NB. Bei den zwei deutlichen
Einwirkungsstämmen lioter wetten (ar. _)kVL) und sofer reisen
(ar. j-A-Jj) finden wir hatär (=).kä.) und sfer (=_)i.Jo) angegeben.
Ob zu köteb, wenn es = ar. III ist, eigentlich ein anderer In
finitiv gehört als zu koteb = ar. II, vermag ich noch nicht zu
unterscheiden. Wahrscheinlich dürfte die Sprache koteb nicht
mehr als II. oder III., sondern nur als eine und dieselbe Form
fühlen und so auch zu einem koteb = III. ein telctib als Infinitiv
bilden können.
C. Abgeleitete Stämme.
27. Wie andere semitische Sprachen, leitet auch das
Mehri vom Grundstamme ebenso wie vom Steigerungs-, resp. Ein
wirkungsstamme neue Stämme ab. Diese lassen sich auch hier
in bekannter Weise auf drei Gruppen verteilen. Dabei finden
wir, daß das Mehri einige dem Arabischen fremde und nur
dem Äthiopischen geläufige Ableitungen kennt: so bildet es ein
Kausativum nicht bloß vom Grundstamme, sondern auch vom
Steigerungs-, resp. Einwirkungsstamme aus und ebenso von
diesem letzteren aus auch ein Kausativ-Reflexivum. Zur Bil
dung der abgeleiteten Stämme bedient sich das Mehri der Ele
mente h, t und S, und zwar gebraucht es h(a) als Präfix zur
Formation der Kausativa, t immer als Infix zur Ableitung der
Reflexiva und endlich ,s(a) als Präfix zur Herstellung der
Kausativ-Reflexiva.
Vereinzelt kommt als Kausativ-Präfix auch s(a) vor. Einige Bildungen,
die vor den Wurzelkonsonanten ein n zeigen, erinnern an hebräisch Niphal
und arab. VII; doch scheint die Sprache zu glauben, in diesem Falle ,vier-
radikalige 1 vor sich zu haben. Das Nähere über s(a)- und n- s. § 28, Anm. 2
und § 111.
1. Kausativa.
28. Das Kausativum des Mehri, das sich wie im Hebräi-
1 ' ' , s
sehen im Hiphil und in dem bekannten arabischen ölr 41 = ls'j'
SitzungBber. d. phil.-hist. Kl. 168. Bd. 2. Abb. 3
34
II. Abhandlung: Bittner.
durch Vorsetzung eines ha- bildet, 1 lautet im Perfektum haktöb.
Dieses haktob (haketöb) ist entschieden aus hak(a)tdb(a) hervor
gegangen und verhält sich zu diesem genau so, wie ketöb zu
katdba, vgl. § 5. Das Perfektum haktöb entspricht also formell
genau dem arab. dktaba (der IV. Form J-äs\) und dem äth.
hfr'l'A’ Das Imperfektum dazu zeigt zweierlei Indikative,
aber nur einerlei Subjunktiv: Der Indikativ ist meistens yihak
töb, aber mitunter auch yihaköteb, der Subjunktiv immer yilidk-
teb. Der Subjunktiv yihdkteb entspricht genau dem arab. jüktib
auf seiner Vorstufe yudktib und dem äth. Von den
Indikativen gehört nur der erste yihaktöb als ursprünglich zu
haktöb und yihdkteb, während der andere yihaköteb, der auf
ein yihakdtteb und auch auf ein yihakäteb zurückgehen kann,
eigentlich ein Kausativum zum Steigerungs-, resp. Einwirkungs
stamme darstellt und also nicht mit der arab. IV. Form, son
dern mit äth. II 2 und äth. II 3, also mit und
identisch ist.
Was die Abwandlung der ebengenannten Formen des
Mehri-Kausativums — Perfektum hak(e)töb, Imperfektum Indika
tiv yihaktöb (yihaköteb) — Subjunktiv yihdkteb betrifft, so folgen
sie den Paradigmen von ketöb, resp. yiktöb und yiköteb und
wird yihdkteb unter Beibehaltung des Tones auf dem d ganz
analog yikteb konjugiert; zu beachten aber ist, daß die 3. P.
PI. g. m. des Perfektums das ö in i verwandelt: es heißt also
nicht haktdbem, sondern haktibem. Dieser Umstand ist sehr
wichtig und maßgebend für die Beurteilung der Fälle in § 30.
Das Partizipium lautet melidktebe, f. mehaktebite, pl. m. rnehak-
tebeye, f. viehakteböten.
Der Infinitiv hat die Form hakteböt; dieses haktehöt halte
ich für identisch mit der Form des Infinitives der IV. Form
des Arabischen ’iktäb und denke mir, daß das Mehri, wie es
dem diesem ’iktäb entsprechenden haktöb die Femininendung
anhängte, um dieses haktöb (= iktdb) von dem Perfektum hak
töb = ’aktaba zu differenzieren, haktöb (== ’iktab) als vier-
radikalig faßte: so mußte die Femininendung -öt antreten, vgl.
Studien I, § 99 und 100 und das aus ä entstandene ö enttont
1 Vgl. Brockelmann, 1. c., S. 521 a a und |5.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 35
und zu ä (8) werden, also haktebot — haktäb-dt aus haktäb-bt
(d. i. haktöb + -dt).
Der größeren Deutlichkeit wegen stelle ich die Formen
der beiden Mehri-Kausativa hier zusammen:
Perfektum Imperfektum
Indikativ Subjunktiv Imperativ Partizipium Infinitiv
hdkteb mehaktebe haktebot
Anm. 1: Zweimal finden w r ir als Indikativ yihaktiben 1 und zwar bei
hejihüd sich Mühe geben (= ar. Impf. Ind. yihejihiden — Subj.jiheje-
hed, Part, mehejehde, Imp. hejehed, Inf. hejehdot (auch mejehüd cf. Studien I,
§21) und bei hazün traurig sein (ad ar. für hahzön cf. § 30, eventuell
= hatzün s. § 35) Impf. Ind. yihazinen (für yihliazinen oder für yihatzinen) —
Subj. yihdhzen, Part, mahazine (für mahatzine), Imp. hdhzen, Inf. hazen (Grund
stamm, aus hazan). Zu bemerken ist, daß sehr selten für yihaktob auch yi-
haktib voi kommt und daß wir statt mehaktebe einige wenige Male mehaktebe
(mehaktebe) betont sehen: dies erklärt sich wohl daraus, daß bei Einschub
eines Gleitvokals zwischen dem 1. und 2. Radikal — also mehdkätebe — von
den drei auf hd folgenden Silben die mittlere einen Nebenton erhält, der
dann fälschlich zum Hauptton werden kann. Bezeichnend ist die Schreibung
mehdgabbre bei Jahn, s. liagabor § 29, resp. 31; daher dann auch mehaqabdhe
für eigentliches mehdqbahe, resp. mehdqabkhe, s. haqabdh, cf. § 29.
2. Einmal erscheint nicht h, sondern s als Präfix des Kausativums.
Das dem Dialekt von Qä«än angehörige Beispiel ist shamvd danken (für sah-
müd, wozu Jahn ar. ,sich Dank um einen verdienen 4 vergleicht; ur
sprünglich wohl ,Dankbarkeit äußern 4 ) Impf. Ind. ashamüd (für asahmüd, was
entweder 1. P. S. ist oder a = yi, cf. § 9, Anm. zum Schluß), Subj. yishdmad
(für yisdhmad), Part, meshdmade (für mesdhmade), Imp. shdmad (für sdhmad),
Inf. shamadöt.
3. In einigen Fällen finden wir statt h- ein h-, wozu man Studien I,
§47 vergleichen möge (auch Nachträge, S. 122 und 123) — diese Vertretung
von h durch h hängt nur mit der Aussprache zusammen. Ich habe mir drei
Beispiele notiert. Es sind die Kausativa von einer massiven Wurzel jll, näm
lich bei Müller hejelül kochen, bei Jahn hejelul, cf. § 48, dann von einer
konkaven dwr, nämli.ch hedwitr verkündigen, cf. § 85, Anm. 2 und von einer
defekten why, nämlich huwahdu laufen, cf. § 104, Anm. 3.
f yihaktob ) .
haktob < ./ 7 j > yihdkteb
I yihakoteb | 3
1 In dem yihaktiben steckt, wie -en beweist, jedenfalls ein Steigerungs
stamm und zwar wohl jenes ketib (cf. den Inf. von arab. II ta-klib),
das bei den mediae geminatae, mediae w und mediae y ausschließ
lich, also nur in dieser Form ketib, als Steigei ungsstamm verwendet
wird, s. § 23, Anm.; vgl. auch beim Reflexivum das Impf, yiktetiben,
§ 33.
3*
36
II. Abhandlung: Bittner.
29. Betrachten wir zuerst die eine häutigere Art des Mehri-
Kausativums, die der IV. Form des Arabischen entsprechende,
die im Imperfektum Indikativ yihaktob hat. Jahn schreibt nur
bei wenigen Zeitwörtern das Perfektum halitob mit 6, meistens
hat er ü, also liaktüb; neben Gutturalen und emphatischen
Lauten erscheint 6 auch als du (ou), selten bleibt es auf seiner
Vorstufe d (z. B. vor li) oder wird sogar durch imalisiertes ä,
also e vertreten. Wir finden: (mit 6) hajehob das Schiff ans
Land ziehen Impf. Ind. yihajehob — Subj. jihdjelieb, Part, me-
hajehbe, Imp. hajeheb, Inf. hajehbot; hemrod einen Kranken be
handeln oder pflegen (zu mehri mired = ar. Jpy krank sein
oder werden) Impf. Ind. yihemrbd — Subj. yihdmvad, Part, me-
hdmrade, Imp. hdmrad, Inf. (wohl) hamradot (fehlt bei Jahn);
herfoq sich einem als tadelnswert zeigen (Jahn vergleicht ar.
,jsj\ ,gütig, milde sein' —■ mit entgegengesetzter Bedeutung)
Impf. Ind. yiherfbq — Subj. yiherfaq, Part, meherfaqe, Imp.
herfaq, Inf. herfaqöt-, hatebot ordnen (ad ar. cxL) Impf. Ind.
yihatbot — Subj. yihdtabt (für yihdtbat), Part, mehdtabte, Imp.
hdtabt, Inf. (fehlt bei Jahn); liataloq losmachen, loslassen (ar.
(jlkl) Impf. Ind. yihataldq — Subj. yihdtalaq, Part, mahdtalqe,
Imp. hdtalaq, Inf. hatalqot-, (mit ü) hebdül tauschen (ar. jdoi)
Impf. Ind. yihebdol — Subj. yihebdel, Part, mehebdele, Imp. heb-
del, Inf. hebdelot; hejehüm reisen lassen (zu mehri jihem ab-
reisen, absegeln; aber doch auch fortgehen überhaupt, von mir
mit ar. -j/ZLAI in V. (c^sd ,nach einer Gegend reisen' zusammen
gestellt) Imp. Ind. yihejehom — Subj. yihejehem, Part, mehejehme,
Imp. hejehem, Inf. hejehmot; bayadül beladen (zu mehri ydydel
tragen (besonders Lasten), ,schleppen', wozu ich ar. stelle)
Impf. Ind. yihayadol — Subj. yihdyadel, Part, mehagdele, Imp.
hdydel, Inf. hagdelot; hayaluq zeigen (zu mehri yaloq sehen)
Impf. Ind. yihagaloq — Subj. yihdgalq, Part, mähagalqe, Imp.
hagal(e)q, Inf. hagalqbt; hakafud ,hinablassen, -führen“, wohl
auch hinabbringen (zu mehri kafod herab-, hinabsteigen; landen)
Impf. Ind. yihakafüd — Subj. yihakfad, Part, mahakfade, Imp.
hdkfad, Inf. liakafdöt; hakahüb bringen (zu mehri kaheb kom
men) Impf. Ind. yihakahob — Subj. yihdkhab (verkürzt yihdkali),
Part, mahdkliabe (Verkürzt mahdkah), Imp. hdlchab (verkürzt
hdkah) Inf. hakahbot; haqabübL überreichen (zu mehri qaybed
ergreifen; ar. J^») Impf. Ind. yihaqabbd — Subj. yihdqabed,
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
37
Part mahdqabde, Imp. häqabed, Inf. haqabdbt (daneben qdbSd,
das zum Grundstamme gehört); helbüs jemanden bekleiden (zu
mehri libes — ar. ^A) Impf. Ind. yihelbös — Subj. yihelbes,
Part, melielbese, Imp. helbes, Inf. lielbesot; halsüq aufdriicken
(Jahn vergleicht ar. JjAJt eine Sache an die andere heften,
leimen; man beachte im Arabischen aber auch JJyb <5^1' und
£ j-') Impf. Ind. yihalsdq — Subj. yiliälsq, Part, inahälsaqe, Imp.
hdlsq, Inf. lisq (zum Grundstamm); hamlük einen Geldvertrag
schließen (vielleicht zu syr. im Sinne von consilium dedit,
promisit; consilium iniit cum alqo, deliberavit, consul-
tavit cum alqo; consilium usw.) Impf. Ind. yihamlök —
Subj. yihdmlek, Part, mahdmalke, Imp. hdmlek, Inf. mölket (zum
Grundstamm, also eigentlich ,Vertrag'); hemrüt weißglühend
machen (zu mehri miret weißglühen) Impf. Ind. yihemrdt —
Subj. yihemret, Part, mehemerte, Imp. hemret, Inf. liemertüt (na
türlich identisch mit dem s. v. miret angegebenen Inf. hamertöt);
hensül etwas heraushängen lassen (ar. J-Ai IV herausnehmen)
Impf. Ind. yihensol — Subj. yihdnsel, Part, mehdnsele, Imp. hdn-
sel, Inf. hanseldt; henküb jemanden benachteiligen (zu mehri
niseb benachteiligt werden; ar. in der Schlinge hängen
bleiben (Wild), einen in eine Sache verwickeln und
stecken lassen) Impf. Ind. yihensob — Subj. yihdnSeb ; Part, me-
hdnsebe, Imp. hdnSeb, Inf. nesebet (Grundstamm); herhün ein
Pfand bestellen (ar. ^ijl) Impf. Ind. yiherhon — Subj. yiherhen,
Part, meherhene, Imp. herhen, Inf. herhenbt (auch rehen, Grund-
stamm — rihen); harlcüb aufsitzen lassen, reiten lassen (ar. eUSy)
Impf. Ind. yiharküb — Subj. yiharkab, Part, mahdrkabe, Imp.
liarkab, Inf. harkaböt; (mit au) habehaur räuchern (zu ar. >*)
Impf. Ind. yihabehör — Subj. yihdbehar, Part, mehabhere, Imp.
hdbhar, Inf. bahor (Grundstamm; ar. Dunst, Rauch); hali-
ddur fertig, bereitmachen; die Pferde satteln (zu mehri haclor
= ar. anwesend, gegenwärtig sein; also = ar. J-öA.\) Impf.
Ind. yihahaddur — Subj. yihahadaur (wohl eigentlich yihdha-
iar\ Part, mehdhd.ere, Imp. hdlider, Inf. hahdardt; haqazdum
Rast halten (zu mehri Yqzm kalt sein, also sich abkühlen; cf.
ar. yjA) Impf. Ind. yihaqazom — Subj. yihdqzam, Part, mehaq-
zame, Imp. hdqzam, Inf. maqazdym (Grundstamm, cf. § 22 a);
haqazdur verringert werden, elend werden (zu mehri qazor un-
• vollständig sein = qasor d. i. ar. j-Ai) Impf. Ind. yihaqazäur ■—-
38
II. Abhandlung: B i 11 n e r.
Subj. yihdqazar, Part, mehdqzare, Imp. hdqzar, Inf. haqzarot;
helhauq treiben, vertreiben (zu mehri liüidq erreichen, einholen;
zu jemandem treten, ar. ; also eigentlich erreichen lassen
oder intransitiv gefaßt) Impf. Ind. yihelhduq — Subj. yihdlhaq,
Part, mehdlhaqe, Imp. hdlliaq, Inf. halhaqot; hendduf ausbreiten
(eine Matte, ein Bett) (äth. : stravit, substravit; hdr. niddf
Teppich) Impf. Ind. yehenddf — Subj. yihdndaf, Part, mehän-
dafe, Imp. hdncLnf, Inf. rnandafot (Grundstamm); hanqäum eine
Schuld bezahlen (dicht.; vgl. ar. <Üj) Impf. Ind. yihenqdum —
Subj. yihänqam, Part, mehdnqame, Imp. lidnqam, Inf. hanqamot ■
herliduq sich entfernen (zu mehri reliäq sich entfernen, resp.
wohl auch ,fern sein', hebr. prn, aber auch äth. : )> Impf.
Ind. yiherhauq — Subj. yiherhaq, Part, meherhaqe, Imp. herhaq,
Inf (fehlt bei Jahn); harhaus wohlfeil anbieten (ar.
Impf. Ind. yiharhos — Subj. yihdrhas, Part, meherhase, Imp.
hdrhas, Inf harhasot; (mit ou) habtöul etwas zunichte machen,
auch vergewaltigen, Hein (ar. zu mehri batol schlecht sein
oder werden) Impf Ind. yihabtol — Subj. yihdbtal, Part, mahdb-
tale, Imp. hdbtal, Inf. habtalöt; (mit ä) haqabdh beschimpft, ge
scholten werden (— mehri qeybalt, ar. Impf Ind. yihaqabäh
— Subj. yihäqabah, Part, mehdqabahe, Imp. hdqabali, Inf. (fehlt
bei Jahn); (mit e) hagareb bekennen (zu mehri garob kennen,
verstehen, wissen = ar. '-» r *) Impf Ind. yihagareb — Subj. yi-
hägareb, Part. mahdg(a)rebe, Imp. hagareb, Inf hagarböt.
Sonderbar ist qeyfel geschlossen werden (vielleicht nur falsch betont
statt qeyfel = qifel) mit dem Ind. yiqafel (wohl mit Imale statt yiqafol) —
Subj. yihaqafel (wohl mit zu stark hervorgehobenem Nebentone für yihdqafhl),
Part, mehaqafele (ebenso für mehäqafele aus mehdqfele cf. die Betonung des
Part, mehaqabähe bei Jahn) Imp. qafel (etwa für (h)qafel). Dieselben Formen
zeigt qobel nahe sein (ar. gegenüber sein, also III.), nämlich infolge
,Stammvermischung 4 wie von einem Kausativum (ar. IV.) Ind. yiqaföl (wohl
wieder mit Imale statt ylqabbl (wie von einem intr. qeybel) — Subj. yihaqabel,
Part, mehaqabele, Imp. haqabel, Inf. qabel (also Grundstamm, etwa = qabdl)
oder haqabelot.
30. Bevor wir die zweite Art des Mehri-Kausativums be
sprechen, wollen wir uns eine eigentümliche Erscheinung vor
Augen halten, nämlich die, daß im Mehri das Zeichen des
Kausativums h(a) bei gewissen Zeitwörtern im Perfektum, im
Indikativ des Imperfektums, einigemale auch im Partizipium
und im Infinitiv abfallen kann, während es im Subjunktiv er-
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
39
halten bleibt. Zur Erkenntnis, daß wirklich Abfall des kausa
tiven h(a) vorliegt, gelangt man auf folgendem Wege: bei Jahn
findet inan etliche Perfekta, die so aussehen wie Grundstämme
nach der Form lietöb, also dem Schema der Transitiven folgen,
die aber im Indikativ des Imperfektums ein yiktob haben, als
ob sie im Perfektum wie Idteb lauteten, im übrigen aber ein
kausatives ha zeigen, d. i. im Subjunktiv immer yihdkteb, im
Partizipium meistens mehdktebe, im Infinitiv hakteböt haben
(wenn nicht ohne ha im Part, mektebe, im Inf. kteböt). Ergänzen
wir uns ha an der gehörigen Stelle, so erhalten wir alle die
Formen, die wir beim Kausativum sonst finden: man vergleiche
ketob und h(a)k(e)töb, yiktob und yi(lia)ktöb, mektebe und me-
(ha)ktebe, kteböt und (ha)kteböt. Dieser Abfall des li zeigt sich
deutlich bei einigen Wurzeln, die mit h, h, k, s, f, t, n be
ginnen. Manchmal mag wirkliche Stammvermischung vorliegen,
besonders dort, wo neben einem = haktöb zu setzenden ketob
auch ein intransitives kiteb vorkommt, auf den der Ind. yilctöb
zurückgehen kann, da ja oft kiteb und haktöb dieselbe Be
deutung haben. Man vergleiche nun die folgenden Fälle: hadür
einen Reitertanz aufführen (Jahn vergleicht ar. A=>- umgeben,
umschließen, umkreisen; man beachte u; hadür = hliadür =
hahdür, also eigentlich einen Kreis machen (lassen), wfie ja
auch bei einem solchen Reitertanz ,im Galopp um ein beliebiges
Zentrum herumgeritten wird') Impf. Ind. yihadür (entschieden
— yihhadür — yihahdör) — Subj. yihdhader, Part, mahdhadere,
Imp. hahder (diese drei Formen mit ha), Inf. haderöt (ent
schieden = hhaderöt — hahderöt); haluf zurücklassen (nicht
■wie Jahn meint = i_aLL, sondern — hhalüf = hahlüf •, mit tt,
gegenüber halöf nachfolgen = ar. i_kU-) Impf. Ind. yihalöf (ent
schieden = yihhalöf — yihahlöf) — Subj. yihdhalef, Part, mahd
half e, Imp. hdhalef, Inf. halföt (entschieden = hhalföt = hahl-
föt); halös erlösen, retten (nicht = ar. jA=L, sondern = hhalös,
hahlös, zu mehri halös, Grundstamm, zu Ende sein; abkommen,
abirren vom rechten Wege) Impf. Ind. yihalös (entschieden =
yihhalös — yihahlös) — Subj. yihahales, Part, mahalse (ent
schieden = mahdhalse) 1 Imp. hdhals, Inf. halsöt (entschieden =
hhalsöt = hahlsöt), haruj hinausführen, hinaustreiben, heraus
ziehen, hinauswerfen ; abdanken (einen Beamten) (= ar.
und nicht = ar. fff*, zu mehri haröj [haruj] = £(A“) Impf. Ind.
40
II. Abhandlung: Bittner.
yihardj (entschieden = yihharoj — yihahröj) — Subj .yihaharej,
Part, mahäharje, Imp. hdharej, Inf. harjot (entschieden — hharjot
= haharjot); hazdub schicken, senden (auch mit s) Impf. Ind.
yiliazdb (entschieden = yihhazbb — yihahzbb) — Subj. yihdhzab,
Part, mahzebe (ohne h, = mehdhze.be), Imp. hahzeb, Inf. hazabot
(entschieden = hakzabot); hafür abfallen (vom Islam; nicht =
ar. jiS, sondern eine IV. Form) Impf. Ind. yikfor (für yihakfor
und wie von einem Icifer) — Subj. yihdhfar, Part, viehäkfare,
Imp. häkfar, Inf. kferot (entschieden = likferot); selüm sich
vom Unglauben zum Islam bekehren (also = ar. zu mehri
stiem = ar. f-Uj heil davon kommen) Impf. Ind. yiselovi (für
yihselövx, aber auch von silem) — Subj. yihasalem, Part, mehd-
salme, Imp. hdsalem, Inf. selinot (entschieden = liselmoi); so
auch filuk stürmisch sein (Meer) Impf. Ind. yifelök (für yihfe-
lok, aber auch wie von einem fUelc) — Subj. yihdfeleli, Part.
mahdfelhe, Imp. hafelk, Inf. filelt (ist =ßlek Sturmzeit des
Meeres, wohl für falak); neqaus abbrechen (am Sold), ver
ringern, verkürzen (ad ar. ^jpjü) Impf. Ind. yinqds (für yihenqds)
— Subj. yihänqas, Part, mehanqase, Imp. hdnqas, Inf. hanqasot-,
telüf verderben, vertilgen (= ar. ; zu mehri telef=tilef
zugrunde gehen) Impf. Ind. yitelüf (für yihtelüf) — Subj. yi-
hetelef, Part, telfone (also wie von einem Grundstamm telöf)
Imp. hetelef, Inf. telfdt (entschieden = htelfdt).
Anm. Auch die bei hdraf blühen lassen (wohl für lioref \ also Steigerungs
stamm) angegebenen Formen: Impf. Ind• yiharnf, Subj. yihdharaf, Imp. lidjia-
rafj Inf. harföt dürften nach dem Vorstehenden zu beurteilen sein, also Impf.
Ind. und Inf. von hahrnf aus mit Abfall des h(a) — Part, haiföne gehört
wohl zu einem intr. hdyref blühen und ist im Anschluß an Ind. yiharof, der
auch von hdyref herkommen kann, fälschlich hieher gezogen worden.
31. Die zweite Art des Mehri-Kausativums sieht im Perfek
tum genau so aus wie die erste; auch sie lautet, obwohl sie auf den
Steigerungs-, resp. Einwirkungsstamm zurückgeht, haktob, also
nicht, wie man erwartet, hakoteb. Ich denke, daß /«(«) in li{a)kb-
teb doch zu leicht abgefallen wäre und daß daher die Sprache
(im Perfektum) lieber die erste Art des Kausativums verwendete,
als an Stelle eines solchen nur wiederum den Steigerungs-, resp.
Einwirkungsstamm zu erhalten. Im Indikativ des Imperfektums
sieht man aber deutlich, daß hier ftth. II 2 oder II 3 vorliegt,
daß wir also das Kausativum einer arab. II. oder III. Form
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Spraehe. II.
41
vor uns haben. So zu fassen sind hagabor jemandem etwas in
den Weg führen (zu mehri gabör begegnen, Zusammentreffen;
cf. ar. j-*e) Impf. lud. yihagduber — Subj. yihdgaber, Part, me-
luigabere, Imp. hagaber, Inf. (fehlt bei Jahn); herjoli schlecht
wägen (zu vergleichen ist ar. II. j, im Arabischen aber ent
gegengesetzte Bedeutung) Impf. Ind. yiherojeh —- Subj. yiherjeh,
Part, meherjelie, Imp. herjeli, Inf. herjeliöt; hasabäh (am Morgen)
etwas oder irgendwo sein (dem Sinne nach ar. ^Jo\) Impf. Ind.
yihasobah — Subj. yihdsbali, Part, mehdsbalie, Imp. hdsbah, Inf.
hasabhot); hasaldh abhelfen (dem Sinne nach ar. )Lo\) Impf.
Ind. yihasblah — Subj. yihdsalah, Part, mhdsalhe, Imp. hasalah,
Inf. hasalhot. „
Auch hier kommt es einige Male vor, daß das Präfix lia-
im Perfektum und im Indikativ des Imperfektums wegfällt,
vgl. § 30: neqöf (neqduf) bearbeiten; hinwegschaffen, ab
schaben (äth. :) Impf. Ind. yinöqaf (entweder für yilianb-
qaf oder von neqbf als Grundstamm) — Subj. yihdnqaf, Part.
mehänqafe, Imp. hdnqaf, Inf. mänqaf (Grundstamm); ebenso
fsäh entlassen (ad ar. Impf. Ind. yifdsh (für yiliafäsh =
yihafösah, cf. § 24, Anm. oder von fsäli als Grundstamm) —•
Subj. yihdfsah, Part, mehäfsehe, Imp. lief sah, Inf. fesliot {=hfes-
hbt); mit seinem Subjunktiv vielleicht auch hieher mfoh blasen,
hauchen (für nfdh, ar. jf-i) Impf. Ind. yinafh — Subj. yihdnfh,
aber Part, nafhöne, Imp. nefdh (also von nefoh als Grundstamm:
Ind. yinafh — Subj. yinfäh), Inf. nifh (Grundstamm).
32. Im Anschlüsse an das über die Kausativbildungen
des Mehri Bemerkte möchte ich gleich hier auf die Tatsache
aufmerksam machen, daß das Mehri seine Kausativa talequale,
also in derselben Form, wie wir sie kennen gelernt haben,
auch im passiven Sinne anwendet. Diese Erscheinung ist sehr
einfach zu erklären. Wir haben eben gesehen, daß bei man
chen Kausativen das Präfix ha im Indikativ abfällt und daß
dann dieser Indikativ genau so aussieht, wie der eines intran
sitiven Grundstammes — denn yiktob (aus yihulctöb) kann
ebenso von kiteb herkommen. Wie nun in den semitischen
Sprachen das Kausativum, besonders wenn es von Intransitiven
herkommt, wieder intransitiven Sinn hat, 1 indem es dann soviel
bedeutet, als jene Eigenschaft äußern', — ,diese besitzen', besagt
1 Vgl. Brockelmann, 1. c. 527 e.
42
II. Abhandlung: Bittner.
der Grundstamm — so finden wir diese Übereinstimmung oder
Verwandtschaft von Intransitiven und Kausativen im Mehri in
gewissen Fällen auch noch formell zum Ausdrucke gebracht:
yilctöb kann, wenn es = yihaktöb steht, auch von haktob her-
kommen. Von unserem ,müde sein, müde werden, ermüdet
werden' machen wir Gebrauch, ohne immer genau zu unter
scheiden, ob die eine oder die andere Wendung am Platze ist:
ebenso scheint nun auch das Mehri sein intransitives kiteb und
sein kausatives haktob nebeneinander zu verwenden, ohne be
sonderes Gewicht auf die Unterscheidung des Sinnes zu geben:
kiteb ist intransitiv, auch haktob kann intransitiv sein; es wird
kiteb aber auch im passiven Sinne gebraucht und daher ver
wendet das Mehri auch haktob = kiteb in passivem Sinne. Man
beachte unter anderem besonders qeybali (aus qibali) und haqa-
bäli, welche Formen beide ,gescholten, beschimpft werdeu' be
deuten. Diese Verwendung des Kausativums geht aber so weit,
daß man selbst von Zeitwörtern wie ,tun, schlagen, begraben,
töten' ein Ivausativum bildet, um das Passivum auszudrücken.
Vgl. M. 19, 40 iva-hämel (was wohl eigentlich ,und es werde
getan' bedeuten muß, für iva-(ye)hamel, d. i. Subj. von hämöl zu
dyrnel machen = ar. J-«- 1 ) und 48. 2 ehedefen (eigentlich ,ich
soll begraben werden'), d. i. Subj. zu einem hedfün (ad mehri
defön begraben ar.
Anm.: Nur so läßt sich auch der bei Jahn, Gramm., S. 90 oben im
Paradigma von litäg (d. i. eigentlich Reflexivum li-t-tä'g, s. § 35, Anm. 2) ge
tötet werden in Klammer angegebene Indikativ yehaUilg erklären; yehalteg
ist nichts anderes als der Indikativ zu einem in passivem Sinne gebrauchten
Kausativum der Vltg = ar. J.^3, mit Erhaltung des d vor dem g, also fiir
yehalldg. Das Perfektum (wohl als haltäg anzusetzen) vermag ich nicht zu
belegen; das Imperfektum kommt auch bei M. vor.
32*. Schließlich ist noch zu erwähnen, daß das Mehri
analog mektib auch vom Kausativum ein Partizipium passivi
nach der Form mehalctib bildet z. B. bei M. 29.16/17 mhedenib
schuldig, eigentlich mit Sünde beladen (ad ar. M. 4. 3
von einem me(ha)hmil mit Ausfall des Kaus. -h(a) ein PI. g. f-
mahamelten beladene (ad ar. ; ebenso mahazdyb abge
sandt (für mehahzib mit ay — i nach dem z = s) und dgl., cf.
Studien I, § 20.
1 Analogien bieten das Magyarische und das Mandschu.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
43
2. Reflexiva.
33. Zur Bildung von Reflexivis verwendet das Mehri das
charakteristische gemeinsemitische t, aber nur in der Art, daß
es dieses infigiert: es sind also im Mehri alle Reflexiva, und
zwar unabhängig von der Beschaffenheit des ersten Radikals,
so gebildet, wie die achte Form des Arabischen indem
das Mehri auch vom Steigerungs-, bezw. Einwirkungsstamme
ein Reflexivum mittelst eines infigierten t ableitet. Im ganzen
haben wir im Mehri drei Arten von Reflexivis, für welche fol
gende Schemen anzusetzen sind: ka-t-teb, k-t-etöb und k-t-bteb.
Von diesen drei Formen scheint auch mir, wie Prätorius dachte,
kd-t-teb dem äthiopischen taqätla 'J*4 , '1"A '■ III 1 zu entsprechen,
während k-t-etöb mit Rücksicht auf ketöb = ar. kdtaba so viel
als k-t-dtaba, also formell mit der achten Form des Arabischen
identisch sein muß und in k-t-öteb, das auf ein k-t-dttaba und
auf ein k-tätaba zurückgehen kann, die Äquivalente für die
fünfte und sechste Form des Arabischen, äth. III 2 und III 3,
zusammengefallen sind.
Die Reflexiva des Mehri bilden die beiden Modi des Im
perfektums, das Partizipium und den Infinitiv in folgender Weise:
Perfektum Imperfektum Partizipium Imperativ Inf.
Indikativ Subjunktiv in. f.
1. k-d-t-teb yik-t-etöb yilc-titeb mek-t-dtebe k-t-iteb | <■“
2. k-t-etöb yik-t-etiben yik-t-etöb mek-t-etibe k-t-etöb k-t-etib',^
3. k-t-öteb yik-t-dteben yik-t-öteb mek-t-dtebe k-t-öteb k-t-iteb \ ^
Zu dieser Übersicht ist nicht viel zu bemerken. In der
Bildung ihrer Formen am durchsichtigsten ist wohl die letzte
Reihe, während der Subjunktiv von katteb, sowie der Indikativ
von ktetöb mit dem i zu mannigfachen Hypothesen einladen.
Das Partizipium von kdtteb lautet wohl ursprünglich mektitebe
(daraus mektetebe, mektatebe)] also gleichlautend mit dem von
ktöteb, das aber auch aus mektdttebe oder mektatebe hervor
gehen kann. Der Infinitiv ist für alle drei Reflexivbildungen
als ktetböt anzusetzen und seiner Entstehung nach so zu er
klären, wie hakteböt §28, also k-t-etb-öt =k-t-eteb-öt — k-t-etäb-
öt (mit Verkürzung des ä, weil -öt den Ton hat), womit wir
auf ar. (i)k-t-itäb kommen, eventuell — bei k-t-öteb — auch =
44
II. Abhandlung: Bittner.
k-t-atteb-nt oder k-t-äteb-dt, zu welchen beiden Formen man
die Infinitive der fünften und sechsten Form des Arabischen
takdttub und takätuh vergleichen möge — im Mehri als kt-
attub (k-t-ätub), woraus bei Anfügung der Femininendung -ot
wieder obiges k-t-etbot (aus ktattabot, ktätebot) werden kann.
Was die Erklärung des Indikativs yiktetiben zu Jdetob betrifft, so weist
-en jedenfalls auf einen Steigerungsstamm und ich vermute, daß hier das
Reflexivum eines Steigerungsstammes nach der Form ketib vorliegt, der aller
dings selbständig als solcher nur bei mediae geminatae, mediae w und
mediae y und zwar ausschließlich nur in dieser Form ketib vorkommt,
cf. § 23, Anm.
Zur Abwandlung ist nichts besonderes zu notieren: die 3. P. PL g. in.
des Perf. ktelob hat statt 6 ein i, lautet also lctetibem, cf. § 28, im übrigen
folgen die Paradigmata, soviel ich sehe, denen von yiktob, yi/cdteben und
yikoteb. Dabei kommen natürlich Formen zustande, die nicht sofort als zu
1, 2 oder 3 gehörig zu erkennen sind, z. B. kann ein yiktetibem 3. P. PL g. m.
von yiktetob (1), d. i. dem Ind. von kdtteb, aber auch von yiktetiben oder
yiktetob (2), d. i. dem Ind., resp. Subj. von ktelob herkommen; ebenso kann
ein yiktätebem, d. i. 3. P. Pl. g. m. von yiktdteben, dem Ind. von ktoteb eventuell,
wenn d wie e gesprochen wird, auch ein ursprüngliches yiktitebem (mit & für
i == i in drittletzter Silbe) sein und dgl. mehr. Wenn also bei den Reflexiv
bildungen des Mehri ,Stammvermischung‘ vorkommt, ist das wohl sehr leicht
begreiflich. 1
34. Betrachten wir nun zuerst das Reflexivum nach dem
Schema kd-t-teb. Neben kd-t-teb kommt auch ein dreisilbiges
ka-t-eteb vor, das später zu sein scheint als kd-t-teb, weil sich
nämlich das infigierte t dem zweiten Radikal, wenn dieser ein
Dental oder ein Sibilant ist, zu assimilieren pflegt, also kdtteb
aus kd-t-teb. Natürlich könnten wir kdtteb auch = kd-t-{e)teb
setzen. Zweisilbig finden wir nach der Form kd-t-teb z. B. mdt-
han beschäftigt sein, ein Abenteuer erleben (cf. ar. o sr '" c ') —
Impf. Ind. yimatlion — Subj. yimtehen (mit e — i), Part, mem-
täline, Imp. mtelien, Inf. mahanät (Grundstamm = ar. i-ts.' 0 ): ndt-
fah aufschwellen (ar. Impf. Ind. yintefoh — Subj. yintifh
(zusammengezogen aus yintifeh, cf. § 15) Part, mentefhe, Imp.
netefh (aus ntifeh, also = ntifh), Inf. nifh (Grundstamm, wie
vom Simplex mfoh blasen, hauchen); netjif ausgestreut werden,
1 Jahn gibt ein einziges Paradigma, Gramm. S. 93, und zwar das von fte-
kÜJ', hat aber in der Gramm, für den Subj. nicht yiftekox wie im Wörter
buch und sonst, vgl. § 35, sondern yifteker, was entweder aita?- XeYop-evov
oder falsch sein muß.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
45
abfallen (z. B. von Blüten) Impf. Ind. yintejof — Subj. yintijef,
Part, mentejife, Imp. ntijef, Inf. ntijiföt (aus ntejefot mit i neben
dem 7); netfed sich schütteln (ar. J=i-£i\) Impf. Ind. yentefod —
Subj. yentifed. (das übrige angeblich wie von mföd schütteln,
was kaum richtig sein dürfte, man erwartet mentefetfe, ntifed,
ntefrjdt); setheb sich auf der Erde mühsam vorwärtsschieben
(ad ar. '-^ s ^ ziehen) Impf. Ind. yisteliob — Subj. yisteheb (mit
e = i, wohl über ay = i neben dem 7t), Part, mestehebe, Imp.
steheb, Inf. sekeb (zum Grundstamm); auch netbeh nachdenken
(ad , cf. ar. VIII seine Aufmerksamkeit auf etwas
richten) mit Formen, wie von dem daneben angegebenen nto-
behj s. § 36.
Dreisilbig, also nach kd-t-eteb gebildet, sind: fdtered ab
weichen (wohl doch zu ar. >ji, also ,sich isolieren, weg von . . /)
Impf. Ind. yiftirod — Subj. yiftired, Part, mefterde, Imp. ftired,
Inf. ftordot (Vokalharmonie); fdt er eg fertig werden (ad ar. £4)
Impf. Ind. yiftevdg — Subj. yiftirag, Part, meftdrage, Imp. fti-
rag, Inf. ftergöt; fdtereq sich trennen (ad ar. ^A) Impf. Ind.
yiftiroq — Subj. yiftireq, Part. mefterqe, Imp. ftireq, Inf. fter-
qot; ljdteref sich ab wenden, vom Kurs'abfallen (ad ar. <-spa»
wenden, cf. cA^sfl) Impf. Ind. yiliaterof — Subj. yihtiref, Part.
maliterfe, Imp. hatiref, Inf. liaterföt; hatelef uneinig sein, ein
ander verlassen (ar. i_äLx=J) Impf. Ind. yihtildf — Subj. yih-
tilefj Part, mahtelfe, Imp. htilef } Inf. halifon (Grundstamm, cf.
§ 22, 7t); qdtalab sich umdrehen, umgedreht, umgeworfen
werden, sich verwandeln (ad ar. '- r -' i -ä); zdteref geneigt gehen,
(vgl. ar. a) Impf. Inf. yiztirof — Subj. yiztivef, Part, mez-
terfe, Imp. zetiref, Inf. zterfot; sateneq an den Galgen hängen
(wohl eher an dem Galgen hangen, an den Galgen gehängt
werden, ar. ,3-tio) Impf. Ind. yistenoq — Subj. yiiteneq, Part.
mestenqe, Imp. steneq, Inf. sinnig (Grandstamm, cf. § 22, c);
idtereq (dicht) geöffnet werden (ad ar. spalten), Impf.
Ind. yttteröq — Subj. yistireq, Part, mestirqe, Imp. Stireq, Inf.
tterqöt. Schließlich, wie ich annehme, mit Assimilation des in-
ngierten t an den zweiten Radikal, wenn dieser ein Dental
oder ein Sibilant ist: ndttab fallen, herausfallen (Jahn schreibt
ndtab) Impf. Ind. yintob (wohl aus yinttäb = yintetob) — Subj.
yentitab, Part, mantdtabe, Imp. ntitab, Inf. nettaböt (aus netta-
bot- Jahn mit einem t bloß netabot); fassah abfärben (Jahn
46
II. Abhandlung: Bittner.
schreibt fdsäh-, ad ar. cf. Impf. Ind. yifsoh (wohl
aus yifssoh — yiftsoh = yiftesöh) —• Subj. yiftesh (= yiftish
zusammen gezogen aus yiftiseh), Part, mefteshe, Imp. ftesh, Inf.
fteshöt• hassef Schaden erleiden Impf. Ind. yihasdf (wohl aus
yiliassöf — yihatsof) — Subj. yahtisf (aus yahtisef), Part, mah-
tisfe, Imp. hatisf, Inf. ha st ft (Grundstamm; nach Jahn = hdr.-
ar. hasüfe).
Anm. 1. Man beachte, wie in diesen Beispielen, wo das infigierte
Reflexiv-< dem 2. Radikal assimiliert erscheint, der Indikativ y'mtob (yifsoh,
yihasdf) von der Sprache sehr leicht als Indikativ (Subjunktiv) eines intran
sitiven Grundstammes nach der Form kiteb, § 6, gefaßt werden kann; doch
bildet sich dann das Partizipium wie von kletöb.
Anm. 2. Von derWurzel ksr scheinen kd-t-sar und kdssar vorzukommen.
Jahn gibt kdtsar an, mit nicht assimiliertem t, als ,vernichtet werden 1 Impf.
Ind. yelctesor — Subj. yekliser (die anderen Formen fehlen bei Jahn); Hein
hat deutlich kdssar (mit zwei s) = kdlsar und zwar 16, 37, cf. WZKM, S. 91.
Anm. 3. Auch von der Radix ltg ,töten 1 kommt ein Reflexivum vor
nach der Form kd-t-teb bei Hein 13. 3 Idltagem (im ITadr. tagätalü) wohl
nicht = ,sie töteten“, sondern reflexiv oder passiv zu fassen, cf. Hein 144. 6
Ultagem ,sie wurden getötet 1 . Neben Idllag (aus la-t-tag) kommt auch le-t-tdg
vor nach der Form k-t-etob (mit Erhaltung des ursprünglicheren ä vor dem
g und Umstellung von l-t-et&g in le-t-ldg), cf. § 35, Anm. 2 und WZKM., S. 79,
Anm. 2.
Anm. 4. hässeb ,gezählt werden 1 muß gleichfalls für h.dtseb stehen,
Part. mahtisebe\ als Imp. gibt Jahn h a tiseb an, das einen Subj. yahiheb und
einen Ind. yahtesob voraussetzt, aber nicht einen Ind. und Subj. yahseb, wie
Jahn wohl fälschlich angibt. Der Subj. yahseb gehört zum Grundstamm hasob
(ar. resp. 1. zählen, 2. meinen, glauben — wo Jahn als
Ind. yiliousab — Subj. yihaseb hat, mit welch letzterem das eben genannte
yal'istib natürlich identisch ist.
35. Viel häufiger als kd-t-teb (kd-t-eteb) finden wir die
zweite Art des Rtflexivums k-t-etob und zwar auch nuanciert
als ka-t-etob und ka-t-tbb, wobei dann wieder Assimilation des
infigierten t an den zweiten Radikal sich beobachten läßt, wenn
dieser ein Dental oder ein Sibilant ist. Betrachten wir zunächst
Beispiele für k-t-etob, wie ftehom verstanden werden, verständ
lich sein (ad ar. f-fi) Impf. Ind. yiftehimen — Subj. yifteliöm,
Part, mefteliime, Imp. m. ftehom — f. ftehim, Inf. ftehembt; fte-
kor denken, sich wundern (ar. Impf. Ind. yiftekiren —
Subj. yiftekor, Part, meftekire, Imp. m. ftekor — f. ftekir, Inf.
ftikrbt; stefbq Mitleid haben, bedauern (ad ar. Impf. Ind.
yistefeqen (mit e — ay aus * vor dem q) — Subj. yistefbq, Part.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
47
mesteßqe, Imp. m. stefnq — f. stefiq, Inf. üflqon (Grundstamm,
cf. § 22, b); Sterob eindringen (Jahn denkt an ar. ilyi trinken,
also ,eingesogen werden“) Impf. Ind. yisteriben — Subj. yi&terob,
Part, mesteribe, Imp. m. sterob — f. steril, Inf. serob (Grund
stamm, Form qatdl)-, ftirüy ejakulieren (semen virile; cf. ar.
Impf. Ind. yifterigen — Subj. yiftirog, Part, meftirige,
Imp. m. ftirog, Inf. ftirgöt; htemüd sagen: elhdmdu lilläh,
Gott lobpreisen Impf. Ind. yäJjtemiden — Subj. yahtemod, Part.
mahtemide, Imp. m. htemod (— f. htemul, fehlt bei Jahn), Inf.
htemdot; hterüd ausziehen (die Kleider: Jahn vgl. ar. scham
haft sein) Impf. Ind. yihtenden — Subj. yihterod, Part, mah-
teride, Imp. m. hterbd (— f. und Inf. fehlen bei Jahn); ktelüf
sich bemühen (ad ar. i_»AS) Impf. Ind. yiktelef(en) — Subj. yik-
teJof, Part, melctelfe, Imp. m. ktelof— f. ktelif, Inf. Jcelef (Grund
stamm = ar. i_ii.s); ntfus atmen (ad ar. Impf. Ind. yinte-
fisen — Subj yentefüs, Part, mintefise, Imp. m. Sntfds — f. Snt-
fis, Inf. nefes (Grundstamm = ar. ; nthüs seufzen Impf.
Ind. yinthisen — Subj. yinthüs, Part, menthise, Imp. m. nthbs —
f. ntliis, Inf. nehset (Grundstamm, Form qatlat); stehür berühmt
werden (ar.^-f-Xiol) Impf. Ind. yi&tehiren — Subj. yistehor, Part.
mestehire, Imp. m. stejior — f. stehir, Inf. seher (Grundstamm;
wohl Inf.-Form kiteb); fteqdud (mit au = 6 nach q) ausbessern
(hdr. tefdggad; ad ar. Impf. Ind. yifteqayden — Subj. yif-
teqbd, Part, mefteqayde (mit ay = i nach q), Imp. m. fteqod —
i. fteqayd, Inf. fteqediit; ftehdur sich schmücken (cf. ar. i'.i?
Schmuck) Impf. Ind. yiftehdyren — Subj. yiftehbr, Part, mefte-
hdyre, Imp. m. ft'iihör — f. ftehir, Inf. fharet (Grundstamm ==
fahret); nteqdul auswählen (hdr. tendggal; doch ar. Jütj in
mehri naqol herausziehen, abführen) Impf. Ind. yenteqdylen —-
Subj. yentSqol, Part, menteqdyle, Imp. m. nteqol — f. ntSqil, Inf.
nqayle (sonderbare Form; wohl für niqld)- als ka-t-etbb — k-t-
etob sind zu fassen: hetemül sorgen für etwas (wohl doch zu
ar. also wie franz. ,se charger de quelque chose“) Impf.
Ind. yahtemilen — Subj. yahtembl, Part, malitemile, Imp. m. he-
tembl — f. hetemil, Inf. tliamel (wohl = tahmel — tahmil, also
Infinitiv des Steigerungsstammes); qatebol angenommen werden
(ar. ,J-*Xa\) Impf. Ind. yiqatebilen — Subj. yiqatebol, Part. meqa-
tebile, Imp. m. qatebol — f. qatebil, Inf. qatebelbt; hatefuz auf
etwas acht geben (ad. ar. cf. hebr. psn und syr. Impf.
48
II. Abhandlung: Bittner.
Ind. yahtefizen — Subj. ya\te.foz, Part, mahtefize, Imp. m. hate-
föz— f. hatefiz, Inf,hatefzöt\ liatelüm pollutionieren (wohl doch
ar. zu vergleichen; ar. Pollution) Impf. Ind. yahte-
limen ■— Subj. yaljielbm, Part, mahtelime, Imp. m. Iitelom, Inf.
lidlem (Grundstamm, wie heilem = ar. Traum); jiteniül
(bdr. tejdmmaT) einem eine Gefälligkeit erweisen (ad ar. J--«-^)
Impf. Ind. yijitemtlen — Subj. yijitemöl, Part, mejitemile, Imp.
m. jitemöl — f. jitemil, Inf. jemilet oder jimölet (Grundstamm);
jitenüb ejakulieren (seinen virile; ad ar. ÄJUA. Samenfluß) Impf.
Ind. yijiteniben — Subj. yijitenöb, Part, mejitenibe, Imp. m. jite-
nöb, Inf. jitemböt] als ka-t-töb = ka-t-etöb = k-t-etöb erscheinen
gatfün sich bedecken Impf. Ind. yiyatfenen — Subj. yiyatfön,
Part, magatfene, Imp. m. gatfön — f. gatfin, Inf. gayfen (eigent
lich zum Grundstamm, für gif ein oder besser für gif an, cf.
Studien I, § 6, bei Jahn auch bei göfen bedecken, Steigerungs
stamm; Vgfn wohl doch = ar. jÄä im Sinn von ,bedecken';
als ,verzeihen' auch im Mehri gfv); gaUüm, närrisch sein (ad
ar. gedankenlos tun; dumm sein) Impf. Ind. yigatsimen —
Subj. yigatsöm, Part, megatsime, Imp. m. gatsöm — f. gatMm,
Inf. gasömet (Grundstamm, Form qatälet)', mit Assimilation des
Eeflexiv-t an den zweiten Radikal qassdiun baden (= qatsdum
Jahn hat bloß qasdum; Radix qsm — qzm kalt sein, also ,sich
abkühlen', im Gegensatz zu ar. ^-'■'“fl) Impf. Ind. yiqassdymen
(Jahn mit einem s; deutlich = yiqatsdymen mit ay = i nach s)
— Subj. yiqassöm (Jahn mit einem s), Part, muqassayme (Jahn
mit einem s), Imp. m. qassöm und f. qasseym, Inf. qasamat
Grundstamm) — auch bethdur gesund werden, von einer Radix
bhr, die das Mehri dem arab. Lelumusdruck behdyr (= ar.
bi-hayrin, in einem guten Zustand, wohlauf, gesund' — Gegen
satz dazu mehri beserr — ar. kio — entnommen hat, als ob be
hdyr ein Adjektiv wäre, behdyr also für baliir stünde, nach
der Form qatil).
Anm. 1. Vielleicht auch telüm für t-t-elüm vorbereiten Impf. Ind. yite-
limen (eigentlich yittelimen) — Subj. yitelöm (eigentlich yittelöm) Part, mete-
lime (eigentlich mettelime), Imp. m. telom (= ttelom) und f. telim (= ttelhn),
Inf. telmot (für ttelmot).
Anm. 2. Das bei Jahn in der Grammatik als Paradigma für einen
Grundstamm (sic) und im Wörterbuch, s. v. vorkommende lltäg (so mit
während in den Texten, S. 89, Z. 12 Htäg mit i steht =• ,er wurde getötet 4 )
kann nur = littäg (lettäg aus le-t-täg mit Erhaltung des ä vor dem g, also ein
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Spraclie. II. 49
Reflexivum nach der Form ke-t-tnb sein. Hiefür spricht deutlich bei Hein
146. 6 und 11 attegem sie wurden getötet (für attdygem aus attigem und dieses
= lattigem, also 3. P. PI. g. m. von la-t-tog; die "J/ltg kommt nämlich bei
Hein auch als 'Lg vor, cf. W. Z. K. M., 1. c., S. 79. Das Partizipium meliläge
(Jahn, Gramm., S. 90 oben) steht für melittege — melittäyge = meltelige-, der
Inf. Ibtag gehört znm Grundstamm (= latg — J.A3), cf. oben § 34, Anm. 3.
Anm. 3. kädder = lcä-t-der, nach § 34, S. 45 unten (bei Jahn mit
einem d) betrübt sein (ad ar. Impf. Ind. und Subj. yikedör (das auch =
yikeddor = yikeldbr sein könnte, weil aber auch als Subj. verwendet, wie von
einem kider — aber Part, makeddire (Jahn wieder mit einem d) = ma-
ketdire, wie von einem ketdor, resp. keddor. So finden wir auch zu dem in-
9 ,
transitiven fetan gedenken, sieh erinnern (wohl doch mit ar. ^ka ~,begreifen,
einsichtsvoll sein 4 identisch), Impf. Ind.-Subj. yifeton, aber Part, niefettäyne
(Jahn nur mit einem — mefettme mit ay = i nach dem t aus meftetme).
Besonders interessant ist däbar sinnen (nach Jahn ,Lehnwort = ar. jJ>y f in
welchem Falle wir aber doch dober erwarten würden), das mir für dtäbar zu
stehen scheint, mit Assimilation des t an den ersten Radikal, Impf. Ind. yi-
dabor (entweder von einem diber aus oder für yiddabbr, also zu dtäbar) und
Subj. yidabir (wohl = yidh&r von einem debor), aber Part, meddabire (Jahn
mit einem d, für medtaMre), wie von einem dtebov.
Anm. 4. Sonderbar ist rtebeS Liirm machen (für rtebdö) zu mehri ribo&
lärmen (h(h*- rabäS lärmen) Impf. Ind. yirtebos (also wie von einem retbeS)
— Subj. yirtebU (für yirteb&S = yirtebbs, oder fälschlich st. yirtibeö), Part.
martebese, Imp. r(e)tibe& (cf. Subj.), Inf. ribSet.
Anm. 5. Assimilation von t an den ersten Radikal liegt auch vor bei
selut jem. hart behandeln (ad ar. kLco), aus stelüt, denn Impf. Ind. yisteliten
— Subj yistelot, Part, mestelite, Imp. steldt f. stellt, Inf. teslit (zum Steig.-St.
gehörig).
Anm. 6. Als Reflexivum fasse ich auch das Perfekt sanier zu Ende sein,
also = stamer] Ind. und Subj. yiliasamer, jedenfalls Kausativum, also = yi-
häsamer, Part, meliasamere, Imp. sanier (— stamer); dann hazer Umstürzen
(intr.), umgestürzt werden (= hatzer, mit e st. d), alles übrige wie von einem
häyzer = Inzer, nämlich Ind.-Sub. yihazo»•, Part. hazerdne f Imp. m. liazor, f. hazir
(eventuell auch = hatzor und hatzir).
Anm. 7. Ein Reflexivum steckt wohl auch in dem als Passivum zu
däybet nehmen gebrauchten daybet genommen werden, gepackt werden, zu
welchem Impf. Ind. yidäybet (im Wörterbuch falsch betont yidaybet) — Subj.
yid/abeb, Part, inedabUe, Imp. dabet, Inf. däybal angegeben werden. Ich ver
mag mir die Formen nur wie folgt zu erklären: ich denke, daß daybet eigent
lich für d-t-abät steht, mit Assimilation des t an das d, mit e statt ä, also mit
Imale wie bei rtebgS cf. oben, Anm. 4 und fälschlich mit ay statt a nach dem
,aktiven 4 $äybet] Impf. Ind. yidäybet = yidtibet (woraus yißdäybet für yiddibet,
mit äy st. i nach dem $) — Subj. yidab&t (für yidd^abet = yidtabet, mit Imale
für. zu erwartendes yid^abot), Part. me(Labete (für meddabete aus niedtabäyte =
medtabite), Imp. dabet (nach dem Subjunktiv, also für ddabet = dtabet), Inf.
d/äybat (zum Grundstamm gehörig = dibaf).
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 168. Bd. 2. Abb.
4
50
II. Abhandlung: Bittner.
36. Nicht so oft wie Icd-t-teb und k-t-etub läßt sich die
dritte Art der Reflexiva k-t-öteb belegen. Neben k-t-oteb findet
sich auch ein k-et-öteb. Wir haben so: btulag aus etwas Nutzen
ziehen (ad ar. gL, also ,sich etwas zukommen lassen'), Impf.
Ind. yibtdlgan — Subj. yibtulag, Part, mebtalga, Imp. m. btblag
— f. btilag, Inf. bilde/ (Grundstamm, kann qitäl, aber auch even
tuell qatal sein); ntokali fröhlich sein (etwa zu ar. g£>), Impf.
Ind. yintdkhen — Subj. yintbkah, Part, mintdkhe, Imp. m. nto-
kah (fern, fehlt bei Jahn), Inf. nakahdt (Grundstamm); netbbeh
nachdenken (cf. ar. seine Aufmerksamkeit auf etwas richten,
vgl. § 34), Impf. Ind. yintdbhen — Sub. yintdbeh, Part, mantdbhe,
Imp. m. ntöbeli — f. ntibeh, Inf. inbeh (Grundstamm für nbeh,
Form qatal, also = nabah) ; mit Zusammenziehung ftash herum
wandern, herumspazieren, lustwandeln (Jahn vergleicht ar.
es ist eben ftash = ftosah = Impf. Ind. yiftdshen — Subj.
yiftdsh (zusammengezogen, cf. § 34), Part, meftashe, Imp. ftash
(aus ftosah, rsp. ftassali; fern, fehlt bei Jahn), Inf. fteshot.
37. Eine Anzahl von Reflexivis, die eigentlich reziproken
Sinn haben, gibt Jahn nur in den gebräuchlichen Pluralformen
an. Ich verzeichne diese Verba hier der Reihe nach, weil das an
ihnen zu Beobachtende für die Stammvermischung bezeichnend
ist. Wir finden nämlich nicht immer regelrecht mit Rücksicht
auf § 33,
Perf. Impf. Part. Imp.
Ind. Subj. m. f.
(nach kd-t-teb)
kdttebem yiktetibem yiktitebem mektatebeye ktitebem ktiteben
(nach k-t-etöb)
ktetibem yiktetibem yiktetibem mektetibeye ktetibem kieloben
(nach k-t-oteb)
ktdtebem yiktdtebem yiktdtebem mektatebeye ktdtebem ktdtebeii
sondern, wie dies bei der Gleichheit oder auch bloßen Ähn
lichkeit der Formen nach den Lautgesetzen des Mehri möglich
ist, oft Nichtzusammengehöriges als zusammengehörig ange
führt. Ich halte mich im folgenden an das Perfektum und
verzeichne: gdtbirem Zusammentreffen Impf. Ind. yigatbirem —
Subj. yigateberem (mit e = *'), Part, megatbireye, Imp. m. gate-
berem — f. gateberen, Inf. gdyber (wie vom Grundstamme gabor
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 51
begegnen hdr. ‘abdr ‘dla, wozu Jahn hehr, -op an jem. vorüber
kommen stellt); htekimem miteinander prozessieren (ad ar. ,
mehri hakom richten, e. Urteil fällen mit dem Inf. haykem = ln-
käm, vgl. Studien I, § 6) Impf. Ind. — Subj. yahtekimem, Part.
mahtekemeye, Imp. htekemem (also wie von htokem, aber nicht
von htekom); htelifem untereinander schwören (ad ar. <_ä1=w);
hateribem und hdtirbem (ar. l^jhs 1 ) sich bekämpfen Impf. Ind.
— Subj. yilmtenbem (nur zum ersten, von hterob), Part, mali-
teribeye, Imp. m. hateribem —- f. hateroben (zum ersten), Inf.
liarb (Grundstamm, ar. lJ,^) ; qdtbahem sich beschimpfen (ar.
lysdlü) Impf. Ind. — Subj. yiqatvbhem (für yiqtdb^eyiem wohl
im Anklang an den Steig.-St. qöubeh = qobeli neben qaboli be
schimpfen, schelten), Part, mqatabhäye, Imp. qatübhem, Inf. qäbeli
(Grundstamm, ar. Jp>).
38. Das Reflexivum bildet auch ein Partizipium passivi
nach dem Muster mektetib. So zu beurteilen ist z. B. mentaddyr
achthabend (für mentadvr, mit ay statt * vor dem r, nicht =
ar. j-kxiu, sondern ad ar. jü, cf. IV. Form jAU). Zu mahtilef
verschieden und minteqad lose vgl. Studien I § 20, Anm. 2,
Note und Nachträge zu diesem § 1 (zu nqod befreien, lösen,
loslösen; abbinden ein Tierjunges von der Mutter; ar. JAü).
3. Kausativ - Reflexiva.
39. Das Kausativum des Mehri bildet sich, wie wir ge
sehen haben, durch Vorsetzung eines ha-, das Reflexivum durch
Infigierung eines -f-, so daß wir für das Reflexivum des Kausa-
tivums als Präfix ein hta- erwarten würden. Nun lautet aber das
Präfix des Kausativ-Reflexivums nicht hta-, sondern Sa-, So
unwahrscheinlich es auch erscheinen mag, daß dieses sa- aus
hta-, rsp. aus einem mit dem äth. asta- und dem arab. (i)sta-
identischen sta- hervorgegangen sein sollte, so gewiß ist die
Gleichung 5a- = sta- vom Standpunkte des Mehri aus unan
fechtbar. Das h- des Kausativums ist jenes h, dem im Ara
bischen und Äthiopischen in einer größeren Zahl von Fällen
ein s entspricht; vor dem Reflexiv-t wäre das h zu leicht ab
gefallen und deshalb verwandelte die Sprache hier das h in 5,
1 Und nun auch Rhodokanakis, 1. c., S. 3 unten und 4 oben.
4*
i
52
II. Abhandlung: Bittner.
ein Lautübergang, der in dem unserem Mehri so nahestehenden
Shauri noch überall nachweisbar ist, wo das Mehri h, das Ara
bische und Äthiopische s haben. Das Mehri substituierte also in
hta- das h durch S und bildete aus hta- zunächst ein Sta-,
dieses Sta- selber mußte aber zu SSa- werden, da sich das in-
figierte -t- dem s assimilierte, und so ward Sta- zu Sa-, Wir
haben also Sa- = sta- = hta- = sta-,
40. Das Mehri leitet mittelst dieses Präfixes Sa- Kausativ-
Reflexiva nicht nur vom Grundstamme, sondern auch vom Stei-
gerungs-Einwirkungsstamme ab, es bildet also nicht bloß eine
arabische X. Form, sondern auch äth. IV 2 und IV 3, ganz so
wie auch seine Kausativa auf beiderlei Stämme zurückgehen, nur
ist zu bemerken, daß der Unterschied zwischen den so ent
stehenden zweierlei kausativ-reflexiven Ableitungen sich hier
auch schon im Perfektum zeigt: wir erhalten für dieses einer
seits Sa-ktöb und andererseits S(a)-köteb. Das Imperfektum, das
Partizipium und der Infinitiv erscheinen genau so gebildet, wie
die entsprechenden Formen des Kausativums, nur zeigt die
zweite Art im Indikativ das für den Steigerungs-Einwirkungs
stamm charakteristische -en. Zum Perfektum sa-ktöb gehören
Impf. lud. yiSaktöb — Subj. yiSdkteb, Imp. Sdkteb, Part, meSdk-
tebe, Inf. Sakteböt, zum Perfektum s(a)köteb aber Impf. Ind. yi-
Sakdteben und dann natürlich wie beim Kausativum wieder Subj.
yiSdkteb, Imp. Sdkteb, Part, meSdktebe, Inf. Sakteböt. Den Infini
tiv erkläre ich mir hier so wie den des Kausativums, d. i. hakteböt
nach § 28, also sozusagen arab. (i)stiktäb + öt. Zur Abwandlung
des Perfektums und des Imperfektums ist nichts besonderes zu
bemerken; sie ist der des Kausativums analog.
Die verschiedene Vokalisation der einzelnen Formen im
folgenden erklärt sich aus den Lautgesetzen.
41. Für die erste Art des Kausativ-Reflexivums Saktöb
vergleiche man folgende Beispiele: sag für um Verzeihung bitten
(= ar. Impf. Ind. yiSayför — Subj. yisdyfer, Part, me-
Sagfere, Imp. Sagfer, Inf. Sagferöt; Sagahür sich verspäten (zu
ghr = ar. vgl. Studien I, § 40, Note) Impf. Ind. yiSagahür
— Subj. yisagaher, Part, mesaghere, Imp. sdgher, Inf. Sagherdt;
seqarawüd ausborgen (entschieden = seqarüd; ar. aber
nicht = Impf. Ind. yisaqaröd — Subj. yisaqarid, Part.
masdqarde, Imp. sdqarad, Inf. saqardöt; Saqazdur benachteiligt
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II 53
werden, erschöpft sein (zu qazor oder qasor unvollständig sein,
ar. kurz sein) Impf. Ind. yisaqazor — Subj. yisdqzar, Part.
mesäqzare, Imp. Sdqzar, Inf. saqzaröt; semrüd krank bleiben (ad
ar. Jpj*, mehri viired) — Impf. Ind. yisemröd — Subj. yisdm-
rad, Part, masdmrade, Imp. sdmrad, Inf. mared (natürlich = mi-
red, dem ,Inf.‘ von mired; beides = ar. Jo'jic Krankheit, cf. Stu
dien I, § 6); sendüh von weitem erscheinen (cf. ar. rSi) Impf.
Ind. yisendöh — Subj. yiSendah, Part, mesenddhe, Imp. Sendah,
Inf. mendäh (zum Grundstamm, mit prüf, me-, cf. Studien I, §21);
sinqdus fehlen (ad ar. ^Ü, mit au für 6 zwischen _g und s)
Impf. Ind. yisinqds — Subj. yisenqas, Part, mesenqase, Imp.
senqas, Inf. mqeysön (= nqeyson, zum Grundstamm gehörig, cf.
§ 22, b); sesahöb jem. begleiten (cf. ar. Impf. Ind. yi-
sesaliob — Subj. yisesahab, Part, meseshabe, Imp. Seshab, Inf. fehlt
bei Jahn; setbot etwas für gut finden (mit t statt t, ar.
Impf. Ind. yisetböt — Subj. yisetbet, Part, meseibete, Imp. setbet,
Inf. fehlt bei Jahn; seseräh ruhen (wohl ad ar. wie in
<UJ1 mit ursprünglicherem ä vor dem h) Impf. Ind.
yissiroh — Subj. yisdsarah, Part. mesdsar(a)he, Imp. SdSarah,
Inf. sdrah. (natürlich zum Grundstamm = sarli); 1 (auch mit si-)
sinkür sich entleeren Impf. Ind. yiSinker (so mit e, wohl mit
Imale) — Subj. yiäenker, Part, mesenkere, Imp. Senker, Inf. sen
kerot-, sinküt gerettet sein Impf. Ind. yisinkot — Subj. yisdnkat,
Part, mesdnkate, Imp. sdnkat, Inf. sinktot (= senketot); aber auch,
indem a von Sa sich nach dem ersten Radikal festsetzt: shabbr
fragen (wörtl. sich erkundigen, ar. r^^S) Impf- Ind. yishabor —
Subj. yisdhber, Part, mesähbere, Imp. Sdhber, Inf. sahabrbt; Sharbj
lesen (eig. für sich herausbringen, formell ar. ^är^l) Impf. Ind.
yishardj — Subj. yiSdharj, Part, mesdharje, Imp. saharj, Inf.
sharjot- aber sehtün beschnitten werden (zu htön = ar. cj-^)
Impf. Ind. yisehton — Subj. yisdhten, Part, msahtene, Imp. Sdhten,
Inf. hatenut (wohl so zu lesen, bei Jahn Druckfehler hatenüt;
natürlich, wenn auf -üt, Kaus. = hhatenut, cf. § 30).
42. Für das andere, äth. IV 2 und IV 3 entsprechende
Kausativ-Reflexivum ist skoteb anzusetzen (aus sa-kdttaba und
sa-kataba). Dieses hat im Imperfektum für den Indikativ natür
lich yiskdteben, für den Subjunktiv yiskoteb, — der Imperativ
1 NB. bei $e6eroh frisch sein soll der Ind. yiMerihen lauten (wohl fälschlich
aus einem PI. yisSerihem rückgebildet).
54
II. Abhandlung: Bittner.
ergibt m. skoteb f. skiteb, das Partizipium lautet meHkatebe (f. -ite,
pl. m. -eye, f. -Öfen), der Infinitiv aber so wie der von sak-
tob, nämlich saktebot. In den liier folgenden Beispielen ist das
d (n) im Perfektum und im Subj. allerdings nicht zu 6 ge
worden, sondern erscheint als ä (e), doch sind die benachbarten
Konsonanten daran schuld, z. B. in shäkem sein Recht suchen,
prozessieren Ind. yishdkemen, Subj. yishäkem, Part, meshdkeme,
Imp. shäkem (Jahn trennt die Geschlechter nicht, weil shäkem
auch = shekem — shilcem [f.] sein kann), Inf. hakümet (natür
lich nicht liieher gehörig, sondern formell = ar. ; shälef
schwören (ad ar. i—Ind. yishdlfen, Subj. yisliälef, Part, meü-
hälfe, Imp. shälef, Inf. hälfet (natürlich nicht liieher gehörig, =
halfat); shäreb bekämpfen (ad ar. resp. Ind. yis-
lidrben, Subj. yishäreb, Part, mesharbe, Imp. shäreb, Inf. Iicirb
(natürlich = Krieg), shälef übertreten (ad ar. resp.
i_jJU-) Ind. yishdlfen, Subj. yishälef, Part, meshdlfe, Imp. m.
shälef und — hier trennt Jahn — f. shdylef (— shilef, woraus
man ersieht, daß die Sprache ein m. sholef voraussetzt), Inf.
haylof (natürlich = ar. also für hilof mit ay st. i neben
dem h)\ shätar riskieren, wetten (mit jem., Akk., zu ar. ^b'G-),
Impf. Ind. yishateren, Subj. yishätar, Part, meshdtare, Imp. shä
tar, Inf. hatär (zum Grundstamm, = ar.jL:L); sqäreb sich nähern
(ad ar. >_yi, resp. c_j_,ts) Ind. yisqärben, Subj. yisqäreb, Part.
mesqärbe, Imp. sqäreb (hier wieder kein separates Feminin an
gegeben), Inf. sqarbdt (also saktebot oder skateböt), seqätel ver
geblich herumirren Ind. yiseqdtelen, Subj. yisqätel, Part, mesqä-
tele (so Jahn mit ä st. d), Imp. sqätel, Inf. sqateldt; släheq er
reichen (Jahn hat släheq, zu ar. (5^) Ind. yiseldhqen, Subj.
yiseläheq, Part, meseldhqe, Imp. seläheq, Inf. selhaqot.
Interessant ist sijedel mit jemandem streiten (mit imali-
siertem ä, ad ar. J>U-) Ind. yisjedelen, Subj. yisjedel, Part, mis-
jedele, Imp. sjedel (natürlich auch = f. sjidel), Inf. jidölet (nicht
liieher gehörig, = jidälet, cf. Studien I, §34); bei Hein kommt
ebenso mit e auch vor ein sfeder um die Wette rennen lassen
(mehri Yfdr, wohl = ar. jSsi, also ad ar. jSb III. Form).
Anra. 1. iähjem (bei Jahn) sich schröpfen lassen, wohl = ihäjem =
shäjem, wenn auch Impf. Ind. yUhajdm — Subj. yiSdhjem, Part, meidljjeme,
Imp. sdhjem (alles wie von einem Perf. ähajom), Inf. l/ayjomet (= hijdmet, ef.
Studien I, § 34).
Anra. 2. Ein Part pass, meSafctib scheint nicht vorzukommen.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
55
II. Verba infirma.
A. Mediae geininatae. 1
43. Die Verba, deren zweiter und dritter Radikal gleich
sind, müssen unbedingt von den starken oder gesunden ge
trennt werden. Im allgemeinen muß es auffallen, daß die beiden
gleichen Wurzelbuchstaben nicht immer das Bestreben haben,
sich zu einem Doppelkonsonanten zu vereinen. Nur im Per
fektum und dann im dritten Partizipium des Grundstammes,
sowie in allen Infinitiven bleiben sie beisammen, sonst werden
sie auseinander gehalten.
In der dritten P. S. g. m. des Perfektums des Grund
stammes erscheinen die beiden gleichen Radikale als Doppel
konsonant und zwischen diesem und dem ersten steht ein kurzer
Vokal, dessen Beschaffenheit aber keinen Fingerzeig gibt, wie
man die Form mit den Schemen ketöb und kiteb des Grund
stammes der eigentlichen starken oder gesunden Verba in Zu
sammenhang oder in Übereinstimmung bringen könnte. Intran-
sitiva fehlen augenscheinlich bei den mediae geininatae über
haupt — wenigstens unterscheiden alle liieher gehörigen Verba
ohne Ausnahme die beiden Modi des Imperfektums, wie das
transitive ketöb — durch getrennte Formen.
Als Vokal finden wir im Perfektum weitaus am häufigsten
— wenigstens bei Jahn — u, es kommen aber auch o, a, e,
selbst ö und ü vor, z. B. duqq stampfen, klopfen (ar. &
hudd verstopfen (mit h == s, ar. full fliehen, gott, be
decken, qozz abhauen (ar. JaJu mit s, mehri z — s), zokk
einsperren, dämm bei sich behalten, inne haben (neben (lumm,
1 Bei Jahn, Grammatik, S. 94 und 95. Das Paradigma, S. 94, gibt sub 8
den Grundstamm, sub 9 das Kausativum; zu letzterem bemerke man,
daß, nachdem 3. m. S. Pf. hijilül aus hejlol hej'löl entstanden ist, das Fern,
dazu hijillöt = hejHot zu setzen ist; in der 3. P. m. PI. Pf. beachte man
die Nebenform hijililem zu hijildlem. Wie aus den Paradigmen zu er
sehen ist, unterscheiden sich die massiven Zeitwörter von den gesunden
im engeren Sinne in ihrer Abwandlungsart so bedeutend, daß man nicht
sagen kann, sie würden ,genau so wie die anderen starken Verba 4 be
handelt. Dort, wo dann von der Verdoppelung des 1. Radikals die
Rede ist, vermißt man den Hinweis auf das Syrische.
56
II. Abhandlung: Bittner.
ar. <o-i> ?-«*?.), gass betrügen, täuschen (ar. o-ic 1 _ y -i*j), hass (hess)
naehdenken (ar. Zl1 sich selber reden), temm zu Ende sein
(neben tumin, ar. p J-P), dö&6 kriechen (ar. Iföll stehen
bleiben, wohnen (ar. zull den Weg verfehlen (ar. Jj),
risS kriechen (Spinne) u. dgl.
44. Zu dem Perfektum temm gehören als Imperfektum
Indikativ yitmom und Subjunktiv yitmem. Da dieser Subjunk-
tiv yitmem auf den ersten Blick sich als mit yikteb identisch
erweist, darf wohl auch yitmom mit yikoteb (wenigstens, was
die Entstehung betrifft) verglichen werden. Gehen wir auf die
Vorstufe von yikoteb, nämlich yikatb zurück, so erhalten wir
von der Wurzel tmm ein yitdmm ■ in diesem yitämm mag das
a sich umgestellt haben und so aus yitamvi ein yitmäm ent
standen sein, aus dem im Mehri dann weiter yitmom werden
mußte.
Ich setze im folgenden den Indikativ und Subjunktiv der
beim Perfektum angegebenen Beispiele hieher, um die lautge
setzlich erklärbaren Veränderungen der schematischen Vokali-
sation zu zeigen. So finden wir angegeben bei duqq Ind. yid-
qüq (yidqduq) — Subj. yidqdq (mit ä wegen der beiden q),
hudd Ind. yihedud (mit Gleitvokal) — Subj. yiheded, full Ind.
yifelül —- Subj. yifelel, gott Ind. yigatüt — Subj. yigatdt, qozz
Ind. yiqazduz (mit au für 6) — Subj. yiqazäz, zokk Ind. yizkuk
— Subj. yizkek, dämm Ind. yidamüm — Subj. yidamem, yais
Ind. yagasüs — Subj. yagases, hess Ind. yihsüs — Subj. yihses,
temm Ind. yitemüm — Subj. wohl yitemevi (Jahn schreibt ,sub.
id/, was sehr auffallend ist; ja für den Imp. gibt er sogar
m. temom und f. temim, nicht fernem), d'öbb Ind. yidbüb — Subj.
yidbeb, hüll Ind. yihalül — Subj. yihalel, ziill Ind. yizelül —
Subj. yizelel, riss Ind. yirsös — Subj. yirses.
Die Imperative lauten — nach der angesetzten Form fe
rnem (tmem) — wie folgt: deqäq, heded, felel, gatdt, qazdz, zakek,
damem, gaSes, debeb, halel, zelel, rses.
Genau so behandelt finden wir bei Jahn noch folgende
mediae geminatae: add zählen (ar. dp, aivw heulen (vom Wolfe;
vgl. er?')? bull an jemanden fortwährend denken (wohl
mit ar. JG Herz, Sinn, Aufmerksamkeit verwandt ; zur Paral
lele vgl. im folgenden fakk und zoqq), butt (dicht.) verloren
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
57
gehen, batt aufschneiden (ar. £o), darr schaden (ar. /ö), fakk
loslösen, befreien, die Tochter verheiraten, farr fliegen, springen,
(also nicht fliehen, wie ar. J>, eher äth. : volavit und auch
in-, as-, pro-, exsiliit, also fy = ö =/), futt bestreichen, eiti-
reiben, jurr herausziehen, rudern (wohl doch ar. ü- ziehen,
schleppen), humm können, vermögen, huzz fühlen (das mir mit
huss = ar. identisch zu sein scheint, trotz z = s, cf. Stu
dien I, § 50, Nachträge), kann schleifen, wetzen (etwa ar. cr^)j
kebb sich beugen, verbeugen (ar. Üb5), kutt (kutt) schnell gehen
(ar. JKs langsam gehen), lcezz die Flinte laden, küss das Kleid
aufheben, den Schleier wegziehen, mahh einreiben, mudd aus
strecken (ar. ^), muzz Pfeife rauchen (ar. saugen), rudd
(ridd) zurückgeben, antworten, zurückkehren (ar. K), ruzz (russ)
aufschichten (ar. sudd übertragen, ein Übereinkommen
treffen (cf. ar. gerade, richtig), sann schärfen (ar. cf.
vorhin kann), toss den Weg verfehlen (hdr. fass), zuff Zusammen
tragen (== snjf: ar. reihen), zoqq schreien (bei Hein einmal
zuq, wohl mit zäq 3*3 § GO zu verbinden, cf. auch gW), söbb
klettern (Jahn vergleicht ar. gsj vom Pferde), suhle
zweifeln (ar. ebio), suqq durchbohren (ar. 3h spalten, durch
dringen), soll (sali) holen, davontragen, abführen; nehmen, weg
nehmen.
Anm. So auch (unpersönlich) yigamüm cs taugt, nützt nichts, es ist
schlecht, böse (Jahn vergleicht ar. es macht Schmerz, Kummer) und yi-
sedüd es genügt, ist genug; ferner tehedüd es donnert (Jahn vergleicht ar.
tXsk. wütend sein).
45. Was das Partizipium auf -öne betrifft, so ergibt sich
für dieses als schematische Form temmöne, also deqqbne, hed-
döne, fullone (fillöne, mit Anklang an das Perfektum oder
wegen des/), gattöne, qazzöne, dammöne, gassöne, debböne, lial-
löne, zellöne, rissöne.
Der Infinitiv erscheint sehr oft nach der Form kitb als
timm, daher z. B. diqq, ri$£ u. dgl., aber auch (als qatl oder qutl,
cf. Studien I, § 2) wie hudd, full, gatt, qazz, zakk, dämm, tumm,
debb, zoll.
Einigemale kommen auch andere Infinitivformen vor, wie
qatel, Studien I, § 6, so seded zu sudd (neben sidd nach timm),
58
II. Abhandlung: Bittner.
zetet zu zatt ergreifen, Seded, von dem ausnahmsweise ganz stark
behandelten sedüd (Jahn erinnert an ar. ÄA — Impf. Ind. yi-
suded — Subj. yiseded)\ ferner qitol, Studien I, § 7, so jizoz
zu juzz von etwas abraten, zitot zu dem Steigerungsstamme
zetit ausrüsten, § 47; dann qatil, Studien I, § 8, so natdyt (mit
dy für * zwischen den beiden t) zu natt zittern (äg. natt, bei
M. auch nudd); endlicli qatlat, qitlat, qutlat, Studien I, § 31,
so feilet zu full fliehen, jilldt zu liejelül kochen, § 48, liassöt
zu küss fühlen (ar.
Besonders beachtenswert sind auch bei den Massiven einige
Infinitive mit Präfix me-, wie mases zu ass (oi£) aufstehen und
zum kausativen hasüs (nach § 48) aufstellen, aber auch meredd
Rückkehr, zu rudd zurückkehren (cf. ar. >__,), mesdll zu sat(t)al
sich packen, cf. § 51 und einige auf -in, nämlich gabbin zu gabb
alvum deponere (cf. ar. verderben und stinken), yassin zu
gass betrügen, täuschen und makhayn (für mahhtn mit ay statt
i neben den h) zu mahäh billig verkaufen (das als Steigerungs
stamm = maheh für mahih zu fassen ist, nach § 47).
Für das Part. pass, nach melitib vergleiche z. B. madaqäyq
zerstoßen (zu duqq, ar. j>).
46. Das Perfektum temm wird nun flektiert, indem die
Sprache die Endungen -6t, -k, -s, -k, -em, -hem, -ken und -en
an das fertige temm einfach anhängt und vor den konsonantisch
anlautenden einen Gleitvokal einschiebt. Wir erhalten folgendes
Paradigma:
Perfektum.
S. 3. m. temm
3. f'. temm-ot
2. m. temm-e-k
2. f. temm-e-s
1. c. temm-e-k
PI. 3. m. temvi-em
3. f. temm
2. m. temm-e-kevi
2. f. temm-e-Jcen
1. c. temm-en.
Der Bindevokal kann auch dem Stammvokale, wenn dieser
o oder u ist, assimiliert werden, so z. B. von humm können —
vgl. Jahn, Gramm, das Paradigma, S. 94 — S. 2. m. u. 1 c.
hümm-ok, aber 2. f. hilmmis, PI. 2. m. liummokem, 2. f. lmmmoken,
wobei die Art, wie das Mehri die mediae geminatae im Perfektum
7 7 7 » 7
behandelt, an das syrische _ -fi — .yZfi usw. erinnert.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 59
Die beiden Modi des Imperfektums, Ind. yitmöm und Subj.
yitmem, werden so abgewandelt wie yiktob (Ind. Subj. der In
transitiven) und yikteb (Subj. der Transitiven). Der Imperativ
temem ist generis masculini und feminini; das Partizipium hat
im Fern, die Endung -ite, im PL m. -eye und f. -oten.
47. Ebenso wie der Grundstamm, weicht auch der Stei
gerungs-, resp. Einwirkungsstamm bei den mediae geminatae
schematisch von demselben Stamme der eigentlichen starken
Verba ab. Wir linden hier die Form temim für das Perfektum,
yit(e)mimen für den Indikativ und yitmim für den Subjunktiv
des Imperfektums; das dritte Partizipium lautet met(e)vmne, der
Infinitiv tetmim (also gleich mit tektib, dem Infinitiv von Icoteb).
Beispiele: serir durchlöchern — Ind. yiseriren, Subj. yiserir,
Part, meserire" Inf. tterir (für tesrir); liabib zittern — Ind. yiha-
biben, Subj. yihabib, Part, mehabibe, Inf. htebbot (gehört nicht
hieher, sondern zum Reflexivum); niahdh (dicht.) billig ver
kaufen (mit d statt e, etwa aus dy —i neben den h) — Ind. yiem-
hähen, Subj. yimhdh, Part, memhähe, Inf. malihdyn (eigentlich
nicht hieher, sondern zum Grundstamm gehörig; für mahh-in
cf. Studien I, § 16), so auch bedid sich entfernen (vgl. ar.
trennen, entfernen). Vgl. auch terdid Antwort wie von einem
reäiä (ad ar. FTTj).
48. Die mediae geminatae können so wie die starken Zeit
wörter zweierlei 1 Kausative bilden, von denen das eine auf den
Grundstamm zurückgeht, der aber hier als temöm anzusetzen
ist, während das andere auf die eben erwähnte Form temim
weist. Das Kausativum des Grundstammes zeigt eine interessante
Erscheinung, indem es im Subjunktiv (und Imperativ) den vor
deren der beiden gleichen Radikale dem ersten Wurzelbuch
staben assimiliert; ebenso verfährt bekanntlich das Syrische
mit seinen mediae geminatae im Aphel, indem es z. B. von
der Ybzz ein dbbez bildet (= dbzez) p=), wobei zu bemerken
ist, daß diese Assimilation im Syrischen nicht auf das Kausa
tivum beschränkt ist. 2 Das der arabischen vierten Form ent
sprechende Perfektschema der mediae geminatae des Mehri
1 Von Jahn in der Grammatik überhaupt nicht erwähnt.
2 Jahn weist auf die analoge Erscheinung des Syrischen nicht hin; vgl.
Brockelmann, 1. c , 69, gg.
60
II. Abhandlung: Bittner.
lautet hatmom, dem haktob vollkommen gleich; das Imperfek
tum bildet im Indikativ yihatmom (ganz nach yihaktbb) und
im Subjunktiv eigentlich yihdtmem (ebenso nach yihdkteb),
doch wird nun das (erste) m dem t assimiliert und wir erhalten
yihdttem (so besser zu schreiben, als yihdtemm). 1 Beispiele:
hejelül kochen 2 (wohl zu hebr. bbi rollen, wälzen), Ind. yi-
hijilül, Subj. yihejjelj haqardur am Morgen gehen (eigentlich
wohl am kühlen Morgen, cf. hebr. ip, ar. St» Augentrost,
Kühlung des Auges), Ind. yihaqardur, Subj. yihdqqar'.; hedelül
erzählen (ad ar. Jp wegweisen, beweisen), Ind. yihedelöl, Subj.
yiheddel, hemerür gangbar sein (cf. ar. jl^t), Ind. yihemerür,
Subj. yilidmmer. Natürlich auch in den Imperativen: hejjel,
haqqar, hdmmer, heddel und im Partizipium: mehejjele, ma-
hdqqare, mahdmmere, meheddele (aus mehejlele, mahdqrare, ma-
hdmrere, mehedlele).
Die Infinitive lauten: hedellöt, liaqarrbt, hamerrot (viel
leicht besser heddeldt, haqqarot, hammerot zu schreiben), aber
jillot wie vom Grundstamme.
Als Part. pass, führe ich maliamsdys an (für maliamsis):
eigentlich ,ausgesogen* (ad ar. JL. den Saft verloren haben),
soviel als .abgezehrt*.
49. Bei diesem ersten Kausativum kommt auch Abfall des
Präfixes h vor, cf. § 30: wir erhalten dann temom, das so aussieht
wie ein von einer als stark behandelten mediae geminatae ge
bildetes ketöb. Es lassen sich sehr interessante Belege erbringen,
z. B.: temürn beendigen (mit ü zwischen den beiden m), Ind.
yitemüm (auch Ind. zum Grandstamm temm, tumvi zu Ende
sein; hier für yihtembrri), aber Subj. yihdttem, Part, mehetteme;
hamüm nennen, benennen (zu hamm Name, cf. Studien I, § 3),
Ind. yihamum (für yihahmüni), aber Subj. yihehhem, Part, me-
hehheme. Bei Hein kommt das im vorhergehenden Absätze er
wähnte haqardur (== haqrbr) häufig so mit dem Präfix, aber
auch ebenso häufig ohne das Präfix als qaraur (= qaror aus
haqarbr = haqrbr) vor (ja einmal sogar als aqror); aus der
Art, wie die Sprache dieses qaror insbesonders in der 3. P. PI.
1 So schreibt Hein durchaus zutreffend haddelem 36. 9, muhaggire 66. 6,
mahattime 86. 1/2, lehätfim 86. 4, 86. 33/34 u. dgl.
2 Vgl- § 28, Anm, 3.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
61
g. m. behandelt, 1 ersieht man deutlich, daß sie sich bewußt
ist, nicht einen Grundstamm, sondern ein Kausativum vor sich
zu haben; sie bildet nicht qardrem (wie lcetobem), sondern qa-
rirem (wie haktibem von liaktob), vgl. Hein 11. 14/15 hagrdyrem
(7. 27 hagrerem = hagrerem mit e aus ay) und gerdyrem 4. 15
von liegrdur 3. 3 (hegraur 3. 23/24), hagrdur 3. 17/18, resp.
grdur 38. 4; ebenso 3. P. S. g. f. hagarröt 25. 10, hagarraut
34. 10/11 neben gerräut 34. 1 und garrdut 34. 25/26 (daher
ist bei [ha] garrot 30. 15 das eingeklammerte, resp. ergänzte
ha zu streichen).
Anm. 1. Vielleicht ist auch das Perfektum feniln (dicht.) sprechen
(verhält sich zu ar. in Klassen, Kategorien, Disziplinen teilen, ähnlich
wie ar. disponieren zu hehr. -13*1 sprechen) so zu erklären, also fenün =
hfenün (für hefnvn = hafnon) — Impf. Ind. yifeninen, Subj. yifenin, Part, me-
fenine, Imp. fenin gehören zu einem Steigerungsstamme fenin, cf. § 50. Der
Inf.fennot kann Grundstamm oder Kausativum ohne h- sein.
Anm. 2. Eigentümlich ist der Subjunktiv von hass jemanden ehren
— dieses hat als ,Grundstamm‘ im Ind. des Impf, regelrecht yihasüs und im
Part, hazzone (mit z = ä), im Subj. aber nicht yihases (wie man erwarten
würde), sondern yiliäss, welche Form für yihäss stehend nur einem yihases
gleich sein kann, d. i. dem Subj. d. Kaus. von einer die ich mit ar.
identifiziere. Dabei scheint mir hass nichts anderes als eine sekundäre Wurzel
zu sein, die aus dem Kausativum hasos (häsös) hervorgegangen ist, indem
die Sprache aus dem Kausativum hasvs eine Radix hss (mit Beibehaltung
des h) gebildet hat. Vgl. Hein 1. 18 yaliäziz-i, wo dieses ha’züz = ar - J&\
wirklich vorkommt.
50. Das vom Steigerungs-, resp. Einwirkungsstamme ab
geleitete Kausativum (also das zweite Kausativum) hat die Form
hatmim, z. B. hedelel hilflos sein (für hedlil, ad ar. j}), Ind. yx-
hdelilen, Subj. yiliedelel (== yihedlil), Part, mehedelile.
Wie man sieht, entsprechen Ind. Subj. und Part, genau
den gleichen Formen des Steigerungs-, resp. Einwirkungs
stammes temim. Wir haben also anzusetzen hatmim, Ind. yihat-
mimen, Subj. yihatmim, Part, mehatmime.
51. Von Reflexivbildungen scheint nur die eine dem
ka-t-teb der Verba firma im engeren Sinne entsprechende häufiger
vorzukommen. Von temm erhalten wir nach ka-t-teb ein td-t-
mem, das aber in der Sprache so nicht gebraucht wird, sondern
durch Assimilation des ersten der beiden gleichen Radikale an
1 Cf. w. Z. K. M., 1. c., S. 90.
62
II. Abhandlung: Bittner.
das infigierte t nur als tattern auftritt, z. B. fdttak losgelöst
werden (Jahn schreibt fdtakk; die Badix ist fkk, also eigent
lich fatkek, daraus fattek mit Assimilation des ersten k an das
infigierte t), Ind. yiftelcük (wie yiktetöb), Subj. yiftdkk (meinem
Dafürhalten nach einem aus yiktiteb möglichen yiktitb, yiktitb
entsprechend), Part, meftakke, Inf. ftakkot; hdttem (Jahn lia-
temm) sich bekümmern (= ar. Lx*\), Ind. yahtemüm, Subj. yi-
htemm (Jahn hier yihtümm, doch Imp. htemm aus yihtemm),
Part, mahtemme- ebenso wohl auch rdtted (Jahn ratedd) zurück
kehren (ar. ohne sonstige Formen, gdtter (Jahn gdterr)
straucheln, Ind. yigaterür, Subj. yigdtter (NB. Jahn yigäterr,
man erwartet yigtdrr), Part, megaterre, Inf. gaterröt; sdttaq
gespalten werden (Jahn sdtaqq) (ad ar. ^A), Ind. yisteqduq,
Subj. yisteqq, Part, mesteqqe; sättal sich fortpacken (zu sll,
Jahn satall), Ind. yistelül, Subj. yistdll, Part, mestdlle.
NB. Die Imperative lauten natürlich ftakk, htemm, steqq, stall.
Anm. Hein schreibt richtig gdttes abgeschnitten werden, 111. 9/10
usw., cf. Studien I, Nachträge, S. 126 (== gdtses zu ar. ^oä); so auch 36. 4,
36. 6 zu erklären.
Anm. Als Beleg für ein Reflexivum der Form k-t-etob nenne ich ftirür
gähnen, Ind. yeftervren, Subj. yeftirür, Part, mefterxre — ganz stark, cf. § 35.
52. Das Kausativreflexivum bildet sich analog liatmöm
nach der Form satmom. Im Subjunktiv läßt sich dieselbe eigen
tümliche Assimilation beobachten, wie in der entsprechenden
Form des Kausativums, z. B. iemdüd erlangen, in Empfang
nehmen (wie im ar. sich strecken, um nach etwas zu
langen, also zu mudd = Jbs), Ind. yisemdüd (für yisemdöd),
Subj. yisemmed (Jahn yisemedd■ aus yisemded), Part, mesemmede
(Jahn mesemedde\ aus mesemdede); sjunün verrückt sein (cf.
ar. NsxAt und Ind. yisjunün (mit Vokalharmonie, wie
im Perfektum), Subj. yisejjen, Part. meSejjene, Inf. sejennbt]
shaqduq gezwungen werden (ad ar. zu sha — statt sah 1 cf.
§ 42), Ind. yishaqauq, Subj. yisdhhaq, Part, masdhhaqe, Inf. Shaq-
qöt; siqardur jemand anschwärzen, schlecht machen (hdr. garr,
cf. pLi Lüge\ Ind. yisqaraur, Subj. yisaqqar, Part, masdqqarc,
Imp. saqqar, Inf. saqarröt; auch skelül beim Fechten parieren,
Ind. yiskelül, Subj. yisekkal, Part, misekkale, Imp. sekkal, Inf.
1 So namentlich, wenn der erste Kadikal h 1} oder £ ist.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 63
Skellet (so! etwa wie von einem sekundären Ski, also eigentlich
skelet, Form qatlat?).
B. Verba cuui Ayn.
53. Nach den mediae geminatae haben wir hier eine weitere
Gruppe von Zeitwörtern zu betrachten, die Jahn verba ham-
zata nennt, die ich aber lieber Verba cum Ayn benennen
möchte, da hieher fast nur solche Zeitwörter zu stellen sind,
die unter ihren Radikalen etymologisch ein Ayn enthalten, und
jene wenigen, die im Arabischen oder in anderen semitischen
Sprachen ein Hamza haben, im Mehri dennoch ursprünglich
ein Ayn besitzen; es kommt ja nicht auf den Umstand an,
daß das Ayn im Mehri auf die Stufe eines bloßen Hamza
herabgesunken ist, sondern auf den Lautwert, den dieses Pseudo-
hamza eigentlich besessen haben muß. Es erscheinen aber im
Mehri hamzierte Zeitwörter anderer semitischer Sprachen auch
als schwach im engeren Sinne, viele primae hamza als primae
w, etliche tertiae hamza als defekt.
Anm. Um so interessanter sind die Fülle, wo einem arab. Hamza im
Mehri deutlich ein ' (^) entspricht, besonders an erster oder dritter Stelle 1
der Wurzel. Ich lasse hier einige Beispiele folgen, wobei man beachten möge,
daß das Hamza - Ayn bei derselben Wurzel mitunter durch w oder y ver
treten wird und umgekehrt einem sonst gemeinsemitischen w oder y im
Mehri ein Hamza-Ayn entsprechen kann. Z. B.: y/’mr, hebr. "ffiX, syr. pAj
sagen, ar. befehlen — im Mehri als W in ’ambr = sagen — Shauri ’o/ir,
Soqotri ’emor sagen — und als wmr = befehlen, und zwar wird y’mr genau
so behandelt wie y'mr, daher Mehri omer 1. = die Pfeife stopfen, d. i. ’mr
(ar.^.^^ aber auch 2. = befehlen, d. i. ’mr (ar. A\) — dem hebr. K5’, syr.
ar. entspricht im Mehri ’qr in aqär groß werden. — Denselben
Wechsel finden wir bei Wurzeln mit ', ’, w oder y an dritter Stelle; so wird
z - B. ar. bf (ILo) im Mehri deutlich als bt' behandelt, ebenso ar. rb‘ U als
, C , . * 3
rb, hingegen wird ar. qr \.ä lesen im Mehri ganz defekt. Dafür kommt
z. b. ar. ml im Mehri als deutlich hamziert und gleichzeitig als defekt
vor, ar. qdy wieder teilweise auch als qcV und dgl. mehr. Bei der
weiteren Behandlung dieser und ähnlicher Wurzeln weiß die Sprache oft
nicht, wie sie sie fassen soll, ob als c -, resp. '-haltig oder schwach im engeren
1 An zweiter Stelle der Wurzel wohl nicht vorkommend. — Interessant
ist die Radix «7, ar. jLco, die im Mehri als mediae y erscheint: siyöl
von jemandem eine Schuld einfordern.
64
II. Abhandlung: Bittner.
Sinne, also als io- oder y-h.ältig. Kein Wunder, wenn da manches kompliziert
erscheint und nicht so einfach zu erklären ist!
1. Verba primae Ayn.
54. Die mit Ayn anlautenden Wurzeln werden im Bereiche
des Verbums eigentlich genau so behandelt wie die starken,
doch kommen mit Rücksicht auf die nach den Lautgesetzen
möglichen Vokal Veränderungen und Kontraktionen oft so son
derbare Formen zustande, daß es nicht angeht, sie mit den
starken Verben kumulativ zu behandeln. Zu dieser ersten
Gruppe gehören auch einige Zeitwörter, die im Arabischen
primae hamza sind.
Im Grundstamme gilt natürlich für Transitiva das Schema
ketob, für Intransitiva kiteb, genau so wie bei den starken,
doch tritt bei den Intransitiven das i nach dem Ayn zumeist als
dy (ey) auf, vgl. § 6. Bei dem zu Icetob als Indikativ gehörigen
yikoteb kann o nach dem Ayn zu au (ou) werden, bei dem
diesem entsprechenden Subjunktiv yikteb und dem zu kiteb
vorkommenden Indikativ-Subjunktiv yiktbb wirkt das Ayn auf
den Vokal des Präfixes verfärbend ein — es macht das i zu a
und verbindet sich mit diesem dann wohl auch zu ä; auch
kann das 6 von yikoteb mit dem Vokal des Präfixes nach Eli
sion des Ayn zu einem Vokal verschmelzen. Analoge Er
scheinungen kommen im Steigerungs-, resp. Einwirkungs-, im
Kausativ- und im Kausativreflexivstamme zustande. Ich be
schränke mich darauf, an einer größeren Anzahl von Beispielen
die häufigsten solcher scheinbarer Anomalien zu erläutern.
55. Grundstamm (transitiv): adoj saugen, Impf. Ind. yi-
’dudij (für yi'ödej] mit au statt 6 nach dem Ayn) — Subj. yädej
(für yadej = yVdej), Part, adijone (bloß mit Gleitvokal nach
dem d = adjöne); amor sagen (hebr. “fflN, syr. im Soqotri
c emor, im fihauri ’o-är sagen) Impf. Ind. yVovier (aber auch —
bei Hein y'aumer 135. 12, yaumer 10. 22, yomer ; vgl. 3. P. f.
tomer 1. 3/4, yitmer 102. 31, ja sogar ydmer 11. 36 und yämer
12. 10 im Anklang an das Perfektum u. dgl. und zwar genau
so wie bei Müller, vgl. ye'aumer 8. 11, 19. 23, 21. 14, yaumer
12. 21, yomer 51. 20 u. dgl.) Subj. yämer (aus yaumer = yi’vier),
Part, ameröne, Imp. amer, Inf. dymer (= imer mit dy für i nach
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Spraclie. II.
65
dem 3 , das im Soqotri und Shauri Ayn ist); atos niesen (ar.
^he), Impf. Ind. ya'ötes — Subj. yatäs (— yates, mit ä nach
dem t), Part, atäsone, Imp. atäs, Inf. dyt.es (= ites mit dy für
i nach dem Ayn); azol allein lassen, abdanken (ar. Jys) Impf
Ind. ydöuzel— Subj. yeCazel, Part, azlöne (so wohl statt maazele
bei Jahn, das zum Steigerungsstamm özel gehört), Imp. azel,
Inf dyzel (= izel mit dy für i nach dem Ayn); arod jem. ein-
laden, bewirten (zu anbieten); ein Kalb von der Milch
abbinden Impf Ind. yaöured — Subj. yaared, Part, ardone,
Imp. ared, Inf. dyred (auch märed Einladung = rnärad); ajon
kneten (ar. ^s?) Impf. Ind. yixijen — Subj. yiajen, Part, aje-
nöne, Imp. ajen, Inf dyjen (= ijen aus ijn)• altos einreiben,
Ind. yadlcs (also Urform, vgl. § 21) — Subj. yaakes, Part, ak-
söne, Imp. akes, Inf. eks; ador nicht lassen (Jahn vergleicht
hebr. Zurückbleiben, sich vermissen lassen; ar. jÄs Zu
rückbleiben, trans. im Stiche lassen), Impf Ind. yidder — Subj.
yVader, Part, aderöne, Imp. ader, Inf dyder; aqdb jemandem
folgen (nicht = '-4^®'-*, wie Jahn meint, sondern == einem
auf der Ferse folgen) Impf. Ind. yiüqdb (Vokalharmonie) —
Subj. yaaqäb, Part, aqdbone, Imp. ciqdb, Inf. dyqab; aqod ver
binden, verheiraten (ar. Jöis knüpfen, einen Vertrag schließen)
Impf. Ind. yx duqad — Subj. yaaqäd, Part, aqadone, Imp. aqäd,
Inf dyqad-, aqol klug, vernünftig sein (ar. und Impf.
Ind. — wie von einem dyqel (— J4*) — yVaqül, aber Subj.
yi’aqal, Part, aqalöne, Imp. aqäl, Inf dqal (soviel als ar. J-äi);
aqor groß werden, übertreiben (stelle ich zu hebr. 1p', syr.
ar. schwer, gewichtig sein, mit 3 (') = iv) Impf. Ind. yVoqer
— Subj. ydaqär, Part, aqaröne, Imp. aqär, Inf eyqa.r (= xqar)-
aloni etwas kennzeichnen (nicht = ar. ßj., sondern Grundstamm
und daher = ar. fJ-) Impf. Ind. yi'dulem — Subj. ya'alem,
Part, almone, Imp. alem > Inf dylem; anüf im Zorne ausdauern,
hart werden (hebr. *]3N zürnen) Impf. Ind. yVonef — Subj. yd-
anäf, Part, anfone, Imp. anaf ) Inf. dynef; asöb binden (ar. uU-oc),
Impf. Ind. yVdsab — Subj. yi’asäb, Part, asböne, Imp. asäb,
Inf. dys ab- azom Vorbereitungen zur Reise treffen (ar. cf.
Abreise) Impf. Ind. yaöuzem, — Subj. ya'azem, Part, aze-
mone, Imp. azem, Inf. dyzem — (intransitiv) aydevi Mangel leiden
(für idem mit dy für i nach dem Ayn, ar. zu einem tran
sitiven adom Abgang, Mangel verursachen, ar. aber f Je\) Ind.-
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 168. Bd. 2. Abli. 5
66
II. Abhandlung: Bittner.
Subj. yVadöm, Part, ademöne, Imp. adern, Inf. dydem (= idem
mit dy für i nach Ayn, == c idm, nicht = JAs, dem im Mehri
adim = adern entspricht, s. Studien I § 6), dyjeb lieben (hebr. 33V;
vgl. auch ans, JAäJ) Ind.-Subj. yä’ajöb. Part, ajböne, Imp. m.
ajöb, f. ajib, Inf. ajeb (d. i. qatal-Fovm)-, dyleq aufgehängt werden
(ar. ,5** hangen) Ind.-Subj. yi'alöq, Part, alqöne, Imp. m. aloq,
f. aliq, Inf. dleq (— alq)‘ dymel machen, tun, bei Hein auch
imel 26. 30, emel 39. 16 (ar. J-U) Ind.-Subj. yä’amöl, Part, ame-
löne, Imp. m. amöl, f. arnil, Inf. amul (=
56. Steigerungs-, resp. Einwirkungsstamm: ödel zurecht
richten (ar. J.xc) Impf. Ind. y Fad eien — Subj. yi’ödel, Part, ma-
3 adele, Imp. m. ödel, f. idel, Inf. ta'dil; ödeb quälen (vgl. ar. < lAt),
Ind. ya'ddeben, Subj. ya'ödeb, Part, ma ddebe, Imp. m. ödeb,
f. dydeb (für ideb), Inf. fa'dib-, ömer befehlen (wie ar. j-»' im
Grundstamm) Impf. Ind. ya'dmiren — Subj. yFömer, Part, ma-
dmire, Imp. m. ömer, f. dymer, Inf. tämir• ömer stopfen (die
Pfeife), genau so wie das vorhergehende (cf. ar. j^); öreb
arbeiten (dazu vom Grundstamme ya'öureb ,es geht, ist möglich',
eigentlich wohl soviel als ,es macht sich'; vgl. ar. <_1/J fest-
machen; so Jahn — zum Bedeutnngsiibergange vgl. äth. ’]•(]/. :
und ar. ar. und äth. R’iO :) Impf- Ind. yVarben —
Subj. yVöreb, Part, mdrbe (— ma drebe), Imp. m. öreb, f. ireb,
Inf. taarib; öqeb strafen (ar. A-ole, also 3. Form) Impf. Ind. ya-
'aqaben — Subj. ya'öqab, Part, ma dqabe, Imp. m. öqab, f. dyqab
(mit dy für i wegen c und q), Inf. ta'qib (also wie von einer
2. Form); öleq hängen, auf hängen (ar. l 3lc) Impf. Ind. ya’älqan
— Subj. yFöleq, Part, ma'dlqe, Imp. m. öleq, f. eyleq (mit ey für
i nach dem c ), Inf. mahäleq oder alqöt (beide nicht hieher ge
hörig, ersterer eigentlich ein J),^ von einem kausativen
hälüq, mit Imdle für eigentliches mahälaq, und letzterer ent
weder eine Form qatlat — Grundstamm — oder für halqöt mit
1 Sonderbarerweise gibt Jahn von dylem wissen (ar. ^Xe.) für Ind. und Subj.
getrennte Formen an, dieselben wie von alöm kennzeichnen, und zwar
auch in der Gramm., Verba hamzata S. 95 und 96. — Eigentümlich ist
adel vergleichen mit e statt 6 — man erwartet adol (ar. — mit
denselben Formen wie 6del zurecht richten (nur gibt Jahn als Inf. hier
Aydd an), ebenso amel hoffen (ar. ^Jo\) mit e statt 6 — man erwartet
amol — Impf. Ind. yiäumel — Subj. yi'amel, Part, amelone, Imp. amel, Inf.
dymel — also regelmäßig. — NB. Primae Ayn, die gleichzeitig massiv
oder defekt sind, folgen den Gesetzen der Massiven, resp. Defekten.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
67
abgefallenem kausativen h, cf. sub Kausativum den Inf. hälqot
bei halüq anzünden); 6le.rn lehren (ar. pi) Impf. Ind. yV dlmen
— Subj. yaölem, Part, maaleme, Imp. m. dlem, f. — fehlt bei
Jahn — wohl dylem, Inf. talmi] oser Begrüßungsschüsse ab
geben (ar. Inf. ta'asir (Schnellfeuer bei der Begrüßung —
siidarab. Beduinensitte); öteb beschimpfen, kränken (ar. A-oli,
3. Form) Impf. Ind. yVdteben — Subj. yeoteb, Part, maatebe,
Imp. m. öteb, f. iteb, Inf. ateb (= atab).
57. Kausativum: härüs 1 heiraten (= harüs, ha?ros, also
wie ar. ; zu Braut), Ind. yihards, Subj. yihdres (aus
yihd’res), Part, mehärse (== mehd’rese), Imp. har es, Inf. dres
(nicht ,ein irregulärer Infinitiv', sondern zum Grundstamm ge
hörig; wohl doch = ar. Hochzeit); hätüm 1 'die Nacht ver
bringen (= ha tum, hatom; ad ar. Nacht werden) Impf. Ind.
yihätüm, Subj. yihätam, Part, mahätame (= mahd 'tarne), Imp.
hätam, Inf. mätim (nicht hieher gehörig, sondern zum Grund
stamme, vgl. Studien I § 21); hälüq anzünden, brennen (vgl.
ar. jjie dial.: anzünden; Mehri ayleq auch brennen) Impf. Ind.
yihäldq, Subj. yihäleq, Part, mehdlqe, Imp. häleq, Inf. hälqot;
häqaub ein Lager abbrechen (für ha qdub, mit du für 6, wegen
des q\ wohl zu iAjG, was unmittelbar folgt, oder JAic Ende,
Ausgang, eigentlich beendigen oder hinter sich zurücklassen,
cf. im neupers. Gebrauche = ,hinten') Impf. Ind. yihäqob
— Subj. yihäqab, Part, mahäqdbe, Imp. liäqab, Inf. häqabdt; hä
dijdt (3. P. S. gen. f.) säugen (zu adoj saugen) Impf. Ind. thä-
doj — Subj. thddej, Part, mhädijeyte, Imp. hädij (= hd’dej), Inf.
hädijdt (dieses gehört zum Kausativum, nicht zu adoj, s. Jahn,
Verbesserungen, während er im W. hädijdt als Inf. zu adoj
saugen angibt); dazu ein Part. pass, mhätiq 1 Freigelassener
(= mhatiq) von einem hätüq (= ar. Jjüel).
58. Beflexivum: atekes verwirrt sein (vgl. ar. Impf.
Ind. yVatekös-—Subj. yeatiks (= yVtikes), Part, meatikse (= me-
tekese), Imp. atiks, Inf. akset (nicht hieher gehörig); dann atelük
reisen (wohl zu hebr. also ,sich ergehen') Impf. Ind. yiateliken
— Subj yiatelok, Part, maatelike, Imp. m. atelök, f. atelik, Inf. atel-
kot-, atijüb sich wundern (ad ar. cf. G-AAAj) Impf. Ind.
1 Jahn glaubte, daß hier h einem P entspreche und stellte die Verba als
Grundstämme im Wörterbuch sub li. Daß es Kausatirbildungen sind,
ersieht man doch jedenfalls aus dem Partizipium.
5*
68
II. Abhandlung: Bittner.
yeatijiben — Subj. yeatijöb, Part, meatijibe, Imp. m. atijob,
f. atijib, Inf. ajeb (nicht hieher gehörig, eigentlich — ar. JUsf);
atelüq hängen (intr., zu ciyleq, oleq) Impf. Ind. yiate.liq{en) —
Subj. yiateloq, Part, maateliqe, Imp. m. ateldq, f. at.eliq, Inf. atel-
qot; ate.qabe.in sie folgten einander (cf. ar. l^ksLsj') Impf. Ind.
und Subj. yVateqdybem, Part, mätqabeye, Imp. äteqabem- dazu
als Part. pass, mätelim, Schüler, vgl. Studien I § 20, zu atelüm
unterrichtet werden (Jahn, Texte, p. 112 1 ); mtelij krank (eigent
lich ,zu kurieren', Refl. ad ar. cf. den Gegensatz Mehri
heinvüd kurieren zu ar. krank).
59. Kausativreflexivum: säbür (aus dem Fenster) schauen
(von dyber in die Ferne schauen, wozu ich ar. jlz. einen Traum
auslegen stellen möchte) Impf. Ind. yisäbür — Subj. yiüäber,
Part, mesäbere, Imp. säber, Inf. säberdtj senüs sich unterhalten
(vgl. ar. ^j^öUhcol) mit Imale 2 für sa’nds Impf. Ind. yisenos — Subj.
yiSenes, Part, mesense, Imp. senes, Inf. sensüt (aus sanesbt)] §e-
mün gehorchen (wohl doch ad ^1) Impf. Ind. yisemon — Subj.
yisemen, Part, mesemne, Imp. semen, Inf. semenbt.
2. Verba mediae Ayn.
60. Die Verba mit Ayn als zweitem Radikal 3 werden im
Mehri selbstverständlich zunächst als mediae gutturalis, vgl. § 7,
behandelt. Nur erscheint das e von keteb neben dem Ayn
durch d vertreten; so kommt die Wurzel fn ; resp. fn (ar. cr*^)
,mit der Lanze stoßen' wenigstens auch noch als taän (fdn)
vor. Aus diesem ta'än (£äii) hat sich — analog dem syr.
aus M-*- — ein tan entwickelt. In dieser Form erscheinen die
mediae A}m gewöhnlich, nur kann ä sich auch weiter einer
seits zu ö, andererseits zu e verfärben, z. B. näl verfluchen
1 Fehlt bei Jahn im Wörterbuch.
s Hier durch das Hamza verursacht, wie bei manchen Verbis tertiae Hamza
im Auslaut, s. § 70.
3 Bei Jahn, Gramm., S. 96 unten und 97 oben. Nur der Indikativ kann
mit einem solchen einer mediae wäw verwechselt werden, worauf zu
achten ist; daß hafdum und ntdum gesprochen wird, statt hatom und
ntorn, hat nicht darin seinen Grund, daß ,der sprachliche Instinkt der
Mehri diese Verba als ic-hältig auffaßt 1 (S. 97, Z. 6 und 7 v. o.), sondern
weil 6 durch das ‘Ayn in au diphtliongisiert worden ist (s. § 30). Man
vermißt in der Gramm, ein Paradigma für die Verba mediae 'Ayn.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
69
(ar. mit Metathesis, wie im Vulgärarabischen), tob müde
sein (ar. tarn kosten (ar. ^-*1.), zdq rufen, anrufen (ar.
bei Hein auch zuqq § 44), däb husten (vgl. Studien I, § 32),
jär fallen (vgl. Shauri gd^er 125. 15, 129. 13), bär in der Nacht
reisen (Shauri und Soqotri b c r), dok reiben (wohl doch ar. &*>),
sem verkaufen 1 und wohl auch sdiiq anbrennen, entzünden
(vgl. § 64 und § 86 Note).
61. Als mediae gutturalis haben diese Zeitwörter alle im
Imperfektum natürlich bloß eine Form für beide Modi, und
zwar wird aus dem anz,usetzenden yifon — analog syr. A- 4 - 1
aus — ein yiton, resp. von den anderen Beispielen; yinol,
yitob, yitom, yizdq, yidob, yijor, yibor, yidok, yisom. Der Im
perativ unterscheidet m. und f., ersteres mit 6: ton, nol, tob,
tom, zdq, dob, (jor), (bor), dok, som, letzteres mit t: tin, nil,
tib, tim, ziq, dib, (jir), (Mr), dik, sim.
62. Das Paradigma zeigt schematisch folgende Formen,
z. B. von tan ,mit der Lanze stoßen':
Perfektum
S. 3. m.
3. f.
2. m.
2. f.
1. c.
PI. 3. m.
3. f.
2. m.
2. f.
1. c.
tan
tan-dt
tan-k
tan-S
tan-k
tdn-em
tan
tdn-kem
tan-ken
tdn-en
Imperfektum
Indikativ Subjunktiv
yi-ton
te-ton
te-ton
te-tin
e-ton
yi-tin-em
te-ton-en
te-ton-em
te-tin-en
ne-ton
Imperativ
ton
tin
tönern
tinen
Man beachte hier * für o in der 2. P. S. g. f., 3. P. PI.
g. m. und 2. P. PL g. f. des Imperfektums, vgl. § 28, Absatz 2.
1 Von diesen Zeitwörtern hält Jahn die vier letzten für mediae w, wenigstens
sind sie als solche im Wörterbuch eingereiht; bei zweien — bär und jär
— gibt Jahn auch eine eigene Subjunktivform — yibär, yijär (Imp. bär,
jär) — an. Doch sprechen im Mehri allein schon die Infinitivformen,
vgl. 63, dafür, daß auch diese beiden mediae Aya sein müssen. Aller
dings ist das Vorkommen einer separaten Form für den Subjunktiv das
Unterscheidungszeichen der mediae w von den mediae Ayn, vgl. § 81 und
82. — NB. Sem bringt Jahn in der Gramm. S. 112 unter verba anomala.
70
II. Abhandlung: Bittner.
Das dritte Partizipium (das auf -one) zeigt in der ersten
Silbe manchmal ä (aus « -f- ’ ), wie in tändne, nälone, zäqdne,
järone, bärone, däköne, aber auch a (e) wie in taböne, tamone,
dabone, sernöne.
63. Bei den mediae Ayn hat der Infinitiv des Grund
stammes eine ganz charakteristische Form, die icli in Studien I,
§ 12, Anm., vorgeführt und zu erklären versucht habe. Bei
tan gibt Jahn als Infinitiv ein taayün an, das, da der zweite
Radikal, das aus ' hervorgegangene ’, gehört worden ist, von
mir als tayün angesetzt wurde.
Dieses tayün mit einem sekundären y könnte, wenn ’ wirk
lich noch vorhanden wäre, nur aus tay'ün (für ti’ün, eventuell
ti’dn) hervorgegangen sein, indem i vor dem Ayn zu ay di-
phthongisiert wurde und das y sich dann umstellte, ähnlich wie
in der Pluralform qitdl, vgl. Studien I, § 61, bei Wurzeln, deren
zweiter oder erster Radikal ein Guttural oder ein emphatischer
Laut ist, wozu man auch Rhodokanakis, 1. c., S. 10 zu § 61,
p. 57 f. (meine Studien I) einsehen wolle. Wenn aber das 5 in
tayün etwa doch nicht gesprochen würde, wenn also nicht tayün,
sondern tayün die gewöhnliche Form wäre, dann müßten wir
das y als ein aus 5 (statt c ) hervorgegangenes y deuten, was
Rhodokanakis, 1. c., S. 2, zu § 12, p. 22, Anm., unter den von
mir vorgeschlagenen Annahmen vorzieht. Wir finden nun so
nayül, tayüm, zayüq, jayür, bäyür, däyük — Infinitive, denen
wohl, wenn y = ’ sein sollte, nur eine fciititi-Form zugrunde
liegen könnte (mit a für u in den angeführten Fällen, also
tayüm für tuyüm und dieses für tu um usw.). Daneben kommt
einige Male auch qatlet vor, vgl. Studien I, § 31, z. B. nälet,
täbet, däbet, bäret. Zu sem soll als Infinitiv nur das ar.
als be'at im Gebrauche stehen.
64. Von anderen Stämmen lassen sich nur Kausativum
und Reflexivum belegen; ersteres haben wir in hatdum kosten
lassen (für hat’om mit du für 6 wegen des Ayn 1 ) Impf. Ind.
yihatom (für yihafdm) — Subj. yihdtam (für yihaf’am — yihdfem
mit a für e wegen des Ayn), Part, mehatame (für mehdfame =
mehdt’eme), Imp. hätam (für hat’am = hadern), Inf. hatamot
(für hat’amot = hat’emot); hejaur fallen machen, fallen lassen
1 Hier zeigt sich also gegen Jahn, Gramm., S. 97, Z. 6 ff., nicht, ,daß
der sprachliche Instinkt der Meliri diese Verba schon als to-hältig auffaßt. 1
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 71
(für hej’ör) — Impf. Ind. yihejor — Subj. yihejar, Part, mehe-
jare, Imp. hejar, Inf. hejarot —- vgl. hiezu bei Hein 4. 32 yehe-
gdr-is, 33. 34 hagäris 1 — letzteres in nt dum fröhlich sein (ad
ar. für nteom mit du für 6 wegen des Ayn 2 ), Impf. Ind.
yintaymen (für yinteimen, mit dy für % wegen des Ayn), Subj.
yintöni (für yinteöm), Part, mentdyme (für mente wie) — der Inf.
nämdt ist natürlich = 3L*.sö, man erwartet ntemot (nach ktetböt). 3
A n in. Daher kann Sanq ,etwas ab-, anbrennen, entzünden, verbrennen*,
das Jahn sub Swq bringt, nur mediae Ayn sein; als Ind. notiert Jahn yiSöq,
das auch von Swq herkoramen könnte, aber der Subj. lautet, indem von dieser
Form eben Mischung mit dem Kausativum vorliegt, yihdSäq (aus yihdS*aq),
Part, mehdSäqe (aus mehdS'aqe), Imp. hdSäq (aus hdS’aq), Inf. Säqot oder Sdq
(wieder zum Grundstamm gehörig; aus Saqcit, resp. Saq). Ebenso deutlich
mediae Ayn im Reflexivum Sdläq (Sdtäq) angezündet werden, verbrennen
(intr.; für Sdt'aq, also nach kd-t-teb) Impf. Ind. yiStoq (aus yiStedq) — Subj.
yiStdq (aus yiStd'aq — yiSte'aq, yiStVaq), Part. meStdqe (aus ineätd'eqe), Imp.
Stdq (aus 6tä*eq, He,*aq, sti'aq), Inf. Sdq (vom Grundstamm). — Es steht also
Sauq für Sdq = Sdq = S*dq. Vgl. im Gegensätze zu Sdtaq die Formen von
Setweq (ar. § 86.
3. Verba tertiae Ayn.
65. Die Zeitwörter mit ursprünglichem Ayn an der dritten
Stelle 4 der Wurzel erscheinen im Mehri sonderbarerweise, im
Vergleiche zum Äthiopischen wenigstens, wo alle Verba mit
1 Zum g vgl. WZKM, 1910, S. 80, oben.
5 Auch hier zeigt sich also gegen Jahn nicht, ,daß der sprachliche In
stinkt der Mehri diese Verba schon als lü-hliltig auffaßt.*
3 Im Wörterbuch bringt Jahn unter Sem verkaufen auch Sötern kaufen, als
ob dieses Reflexivum zu Sem wäre; es kann aus Sdt*avi hervorgegangen,
also ursprünglich ebenso Reflexivum zu Sem sein, wie ar. kaufen
zu verkaufen, wird aber von der Sprache als Intransitivum nach
der Form kileb § 6 behandelt: wir haben Perf. Setem (daneben auch
Sitem), Impf. Ind. und Subj. yiStom, Part, stemone (auf -one, ohne Präfix
me-, also Grundstamm), Imp. m. Stom, f. Stirn, Inf. setmbl\ vgl. hiezu
WZKM, 1910, S. 82, Note 1.
4 Bei Jahn, Gramm., S. 97, 98 und 99. Die Bezeichnung der ,Stämme*
durch paßt hier teil
weise gar nicht; S. 97, Z. 17, statt zdtera schwellen (vom Wasser) er
wartet man zdträ (Form katteb); — S. 98, das als Paradigma gewählte fird
,er stieg hinauf* ist nicht Grundstamm, sondern Kausativum, für hfrd — h
ist auch im Ind. abgefallen oder dieser vom Grundstamm entlehnt — müßte
sonst entweder firci oder fora lauten! — S. 99. Man erwartet auch ein
Paradigma für das intransitive fiza. Warum rofa ,er hob empor* und nüka
72
II. Abhandlung: Bittner.
einem Guttural als drittem Radikal nur in intransitiver Form
Vorkommen, als transitiv und intransitiv in der Aussprache dif
ferenziert. Es ist möglich, daß die Sprache die transitive dem
Steigerungsstamme, dem sie hier formell gleicht, entlehnt hat.
Die Radix df ,bezahlen“' (ar. f>>) ist transitiv und lautet im
Perfektum döfa, die Radix fz ,sich fürchten* (ar. £ji) hin
gegen intransitiv und lautet im Perfektum fiza (aus fiz\ fize,
resp. fiza wegen des Ayn, nach der Form der intransitiven
starken Zeitwörter überhaupt, nämlich kiib, resp. kiteb, vgl. § 6).
Wie bemerkt, unterscheidet sich im Perfektum der Steigerungs-,
resp. Einwirkungsstamm nicht vom Grundstamme transitiver
Verba tertiae Ayn, z. B. jöma ,sammeln* läßt sich erst aus dem
Imperfektum als ersterer (= ar. II also auch aus jdmme,
resp. jdmma) bestimmen. Alle diese Zeitwörter tertiae Ayn,
also auch die intransitiven unterscheiden nun im Gegensatz zu
den starken Zeitwörtern der Form kiteb die beiden Modi des
Imperfektums durch Formen, die analog yiköteb und yikteb
gebildet sind: wir finden za. fiza ebenso unerwartet einen Indi
kativ yifoza (aus yifbza = yifoze) und einen Subjunktiv yifzä
(aus yifzä = yifze), wie wir von dofa den Indikativ yidofa
(aus yidofa 3 = yidofe") und den Subjunktiv yidfä (aus yidfä“ —
yidfe) als von einem transitiven erwarten.
Diese eigentümliche Erscheinung hat wohl darin seinen
Grund, daß der als Äquivalent von yiktob zu kiteb auch von
fiza zu erwartende Indikativ-Subjunktiv aus der Grundform
von yiktob, d. i. yiktdb sich nur bis zu einem yifzä (= yifzä’)
entwickelt hat und dieses yifzä mit yidfä (wo ä für e steht)
formell zusammengefallen ist. Mechanisch bildete nun die Sprache
,er kam“ in der Abwandlung des Perfektums verschieden betonen (und
zwar in der 2. P. m. und f. und 1. P. c. des Singulars und in der 2. P.
m. und f. des Plurals), wird vielleicht klar, wenn wir nfllca, in welchem
ich ein Intransitivum vermute, = nüka, nika setzen (cf. fizäk, Texte,
S. 84, Z. 9 von fiza ,sich fürchten“, mit dem Ton auf der ersten Silbe)
und die Formen rifäm sie (m.) hoben empor und rifän wir hoben empor
vom Steigerungsstamm rofä herleiten, der allerdings nach dem Vorge
tragenen bei den Transitiven hier mit dem Grundstamm gleichlautet.
Denn sonst wäre nicht einzusehen warum refä'k, refd’S, refä’k, refd’kem,
refd’ken, aber refäm, rifän betont wird (die letzten zwei Formen halte
ich für = rdffa'em, rdjfa'en). — Beim Paradigma von ritfa unten ver
mißt man den Indikativ.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
73
ebenso wie sie neben yidfd’ einen Ind. yidofa zu brauchen ge
wohnt ist, auch von yifzd ein yiföza.
66. In dem folgenden Paradigma von döfa und fiza ist
die Betonung der 2. P. S. g. m. und f., der 1. P. S. g. c., der
2. P. PI. g. m. und f. des ersteren im Perfektum zu beachten;
sie ist so, als ob der Grundstamm der transitiven tertiae Ayn
defä wäre. Ich vokalisiere schematisch:
S. 3. m.
3. f.
2. m.
2. f.
1. c.
PI. 3. m.
3. f.
2. m.
2. f.
1. c.
Perfektum
döfa
deföt (aus defa’öt,)
defd'h (nicht defa'k)
defd's (nicht defas)
defd'k (nicht defa’k)
defäm (aus defa'[e]7n)
döfa
defä'kein (nicht de-
fd'kem)
defaken (nicht de-
faken)
defän (aus defa[e\n)
Imperfektum
Indikativ Subjunktiv
yi-döfa yi-dfd (yi-dfaf)
te-döfa te-dfä
te-döfa te-dfä
te-difa te-dfä
e-döfa e-dfä
yi-defäm yi-dfäm (yidfa am)
te-defän te-dfän
te-defäm te-dfäm
te-defän te-dfän
Imperativ
defä
defäm
defän
-dfä
ne-döfa
Hiezu ist noch zu bemerken, daß man für die 2. P. S. g. f.
des Subjunktivs nach tetberl ein tedfäl erwartet. Ich hielt mich
oben an die Paradigmata in der Grammatik Jahns, S. 99.
Das intransitive fiza wird im Perfektum ganz nach tiber
abgewandelt, doch wird schematisches e'(e) zu a oder über
a{a) zu ä. Wir erhalten also folgende Formen:
Perfektum
S. 3. m. fiza
3. f. fizöt
2. m. fizak
2. f. fizas
1. c. fizak
PI. 3. m. fizam
3. f. fiza
2. m. fizäkem
2. f. fizäken
1. c. fizän
Imperfektum
Indikativ Subjunktiv Imperativ
wie von döfa
74
II. Abhandlung: Bittner.
Das Partizipium auf -one ergibt defone (defone), resp.
fez'dne (fezone). Der Infinitiv lautet sehr oft wie difa (fiza)
— also nach der Form kiteb.
67. Zur Verdeutlichung des über den Grundstamm der
tertiae Ayn Bemerkten mögen folgende Beispiele dienen: (Tran-
sitiva) düfa bezahlen (ar. gä>) Impf. Ind. yidofa — Subj. yidfd,
Part, defone, Imp. defu, Inf. defdt (cf. ar. J-äo); jora trinken
(d. i. ar. Wasser schlürfen und schlucken; cf. ar. gB ver
schlucken und äth. »f)Ap : essen) Impf. Ind. yijöra — Subj. yi-
jird, Part, frone, Imp. jird, Inf. jira; liora verderben (Jahn
erinnert an ar. mit c übel zurichten oder töten) Impf. Ind. yi-
hüra —• Subj. nach Jahn gleichfalls yihüra, was aber Subj. d. Stei
gerungs-, resp. Einwirkungsstammes wäre (man erwartet yihrd),
Part, nach Jahn houröne oder mahöura, welche beide Formen
entschieden nicht hieher gehören — wie von fhwr, ersteres Grund
stamm, letzteres Steigerungs-, resp. Einwirkungsstamm — man
erwartet herone, Imp. hora, Inf. fehlt bei Jahn; qöta abschneiden,
abhauen (ar. gbs) Impf. Ind. yiqbta — Subj. yiqatd, Part, qatbne,
Imp. qatd, Inf. qeyta (aus qita ); rbfa heben, auf-, emporheben
(ar. gäj) Impf. Ind. yirofa — Subj. yirfd’, Part, rcifone, Imp.
rafä J , Inf. rifa; töla weiterdringen (Jahn erinnert an ar. gB>,
vulg. ,wohin gehen', resp. ausgehen, das Haus verlassen) Impf.
Ind. yitöla — Subj. yitalä, Part, talone, Imp. tald, Inf. tayla;
Sofa genesen (bei Jahn sub syf, was natürlich falsch ist, denn
die Radikale sind sf = sfy, also identisch mit ar. 'V / l __ s iA, d. i.
kurieren, heilen; cf. auch rnehri safu, § 106, Anm. 2)
Impf. Ind. yisöfa — Subj. yisfd, Part, sfone, Imp. sfa, Inf. Sfät
(wohl = Saf’at)] duqa hervorbrechen (vielleicht zu ar. liS zu
rückdrängen, also etwa ähnlich wie ar. Sf* ,vorankommen'
und syr. -.oa.*. ,zurücklassen‘ zusammenzustellen) Impf. Ind. yi-
doqa — Subj. yidoqä (mit Gleit-o), Part, daqöne, Imp. doqä,
Inf. diqa\ jüza 1. abwesend sein, 2. untergeben (Sonne) (viel
leicht zu ar. überschreiten, nach der Quere durchschreiten,
icys- ein Teil der Nacht; äth. ar. jU*. (it); zu den Be
deutungen vgl. ar. i—jji Weggehen, sich entfernen; untergehen
[Sonne] Impf. Ind. yijoza — Subj. yxjizdi, Part, jizone, Imp. jxzä,
Inf. ßza-, lüda den Körper abwenden (wohl ad ar. gjlj sich
links und rechts wenden) Impf. Ind. yilöda — Subj. yildä, Part.
ledöne, Imp. ledä, Inf. lida (oder meldät, pl. meloda Körper-
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Spraehe. II. 75
wendung); müna abhalten, hindern (ar. g-t-«) Impf. Ind. yimona
—• Subj. yimnä, Part, mendne, Imp. menä, Inf. mina; niida
schreien (Kamelin) (wohl ad ar. g-^o und schluchzen,
röcheln, schreien, brüllen) Impf. Ind. yinöda — Subj. yindd,
Part, nadone, Imp. nd,a, Inf. nida\ nüsa den Sand rinnen lassen
(Sanduhr) (Jahn erinnert an hdr. neys Sand; vielleicht auch
ar. ausziehen, zurückweichen, abgehen, abstehen) Impf. Ind.
yinosa — Subj. yivesd, Part, nasone, Imp. nesd, Inf. nisa\ nüza
diktieren Impf. Ind. yinoza — Subj. yinzä, Part, nzöne, Imp. nzci,
Inf. niza; tüba folgen, verfolgen (ar. ggj) Impf. Ind. yitöba —
yiteba, Part, tebone, Imp. tebd, Inf. tiba; töuba drucken (ar. ggb)
Impf. Ind. yitöba — Subj. yit.abä, Part, taböne, Imp. tabä, Inf.
tdyba (aus tiba)- zöuna (söuna) verfertigen (ar. g-L«) Impf. Ind.
yezona — Subj. yezona (mit Gleit-o!), Part, zanone, Imp. zanä,
Inf. zayna (oder msanät, ar. —(Intransitiva) Mma hören
(ar. g-o-7o ; im Mehri mit h statt s, also Mma = sima > ) Impf. Ind.
yehoma — Subj. yehmä, Part, hamone, Imp. hamä, Inf. sdnia
(mit s, muß == sdma’ sein, ar. g-^); qaysa abdorren (also doch
zu ar. l/g-^ä, cf. g-^s trockene Haut) Impf. Ind. yiqo§a — Subj.
yiqaki, Part, qaidne, Imp. qasä, Inf. qaysa (aus qUa); siba satt
werden (ar. gg-^) Impf. Ind. yi&oba ■—• Subj. yisbä, Part, sibone,
Imp. sibd, Inf. sibäyt (eine qatlat- oder qitlat-Form); so auch
nüka (’nblia) kommen (wohl für nulta, mka, weil es im Perf. so
betont wird wie fiza, v. Jahn, Gramm., S. 99) Impf. Ind. yinoka —
Subj. yinkä (yinkd), Part, nkone, Imp. nkd, Inf. mka; dazu zwei
primae w, nämlich toida 1. erfahren, 2. wissen (Jahn vergleicht
,äth. f£-0:, hebr. JHj‘, im Ath. kommt aber doch nur das kaus.
hje.Ä-0 ,indicavit, narravit, nuntiavit, notum fecit, exposuit'
vor) Impf. Ind. yiwöda — Subj. y'midä (so mit w, also ganz stark),
Part, widone, Imp. widä (mit w), Inf. ividät- wiqa werden, sein,
entstehen (zu ar. gs^ fallen; vgl. das Kausativum im folgenden)
Impf. Ind. yiwdqa — Subj. yiqd (ohne w), Part, icuqbne, Imp.
wuqd (mit iv) und qä (ohne w), Inf. wiqa.
Anm. Interessant sind zwei tertiae Ayn, die gleichzeitig 1 mediae y sind
(vgl. § 88 ff.): doya herumirren. verloren gehen (auch fldwiya, natürlich aus
döuya für djbya mit ou st. o neben dem d und dann u konsonantisch gesprochen
und Gleit-i eingeschoben, ar. i) Impf. Ind. und Subj. yidayä (als Indi
kativ = 7jidyä\ cf. yisyör, mit noch nicht zu 6 gewordenem weil dieses
durch das ' gehalten wird und als Subjunktiv = yidye , cf. yisyer, indem
e neben dem c zu d geworden ist) Part, ^ayone, Inf. dayät (wohl für $ay'at t
76
II. Abhandlung-: Bittner.
kaum für dVat); jOya hungern (Vjy\ im Arab. aber jio\ d. i. u) Impf.
Ind. yijiyö (wie yisyor) und Subj. yijiyä (mit ä statt e wegen des \ cf. yisyer),
Part, jiyone, Imp. jiyd, Inf. jau (wie ar. mit iu).
68. Auch der Steigerungs-, resp. Einwirkungsstamm und
die drei abgeleiteten Stämme (Kausativum, Reflexivum und Kau-
sativreflexivum), die sich hier alle belegen lassen, zeigen inter
essante Bildungen: (Steigerungs-, resp. Einwirkungsstamm)
jöma sammeln (formell wohl auch ar. gAA, doch hier wie das
Imperfektum zeigt = ar. gAA) Impf- Ind. yijdmän (aus yijd-
maan) — Subj. yijoma, Part, majdmaa (für mejamae),Imp. m.
joma, f. jima, Inf. fehlt bei Jahn; icoda Abschied nehmen
(ar. fSf Impf. Ind. yiwddän — Subj. yiwoda, Part, mawddä, Imp.
m. woda, f. wida, Inf. tu da (aus teivdä’, also taqtäl, cf. Studien I,
§ 18); woza nach Jahn bestimmt sein (ar. austeilen) Impf.
Ind. yiivdzan (wohl mißbräuchlich für yiwdzan) — Subj. yiwöza,
Part, maicdza (= mewdza e), Imp. m. wozu, f. wiza, Inf. tuzä
(aus teicza) — (Kausativum) hebeta sich verspäten, zu spät
kommen (wörtl. es langsam machen, soviel als ar. ÜA\, also im
ar. *; für hebtä — man beachte wie das für haktob als Vor
stufe anzusetzende haktdb hier wegen des Ayn erhalten blieb)
Impf. Ind. yihebota — Subj. yihebta, Part, mehebta, Imp. hebta,
Inf. hebetot (= hebte'dt, hakte 6t)] harbä heraufnehraen, Herauf
ziehen (Jahn denkt an ar. auf heben) Impf. Ind. yiharoba
— Subj. yihdrba, Part, mahdrba, Imp. harba, Inf. harböt (= har-
Vot, harbe’dt); hüqä legen, niederlegen, stellen (auch pass.)
(eigentlich fallen machen ad iciqa = ar. gäj, also für hewqä)
Impf. Ind. yehnxooqa — Subj. yehoqa (= yehuqa aus ye-
hewqa), Part, viehöuqa (= mehüqa aus meliewqa), Imp. hduqa
(= huqa aus hewqa), Inf. hewuqot (== hewqa ot); auch mit Ab
fall des Präfixes h-: firä steigen, aufgehen (für hafrd, hefrä,
hifrd, hfird; muß Kausativum 1 sein, sonst müßte es doch fora
oder fira lauten) Impf. Iiul.yifora (== yihfora) —- Subj.yilidfera
(hier zeigt sich deutlich das Präfix ha-), Part, mhdfera (doch
nicht Grundstamm), Inf. firot. (für hfirot — lief r 6t, hafre , ot);
wuqä lassen (entschieden = hwqd, also mit hüqä legen, niederlegen,
stellen identisch 2 ) Impf. Ind. yiwoqa (für yihwoqa) — Subj. yi-
hduqa, Part, mahöuqa, Imp. höuqa, Inf. wuqot (= [h]wqd’ot) —
1 Jahn stellt hiefiir einen Stamm ft'dl auf, S, 98.
2 Zum Bedeutungswandel ,lassen‘ und ,legen“ vgl. oben, S. 31, Note.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
77
Anm. Von dem § 67 Anm. genannten $oya (ar. ^Lo i) lautet das
Kausativum hadayd verlieren (ar. £Lo\) Impf. Ind. yihedayd (als mediae y,
cf. § 92) — Subj. yiliedayä (= yihddya, aber auch yihidä, also wie von (Jy,
cf. § 92 und aus diesem yaliddä), Part, mahddä (s. den Subj.), Imp. Inda,
Inf. hadayöt (und ddyät gegen dctydt beim Grundstamm, § 67 Anm.) — bei
Iiarha* (bed.) schleifen, wetzen 1 erscheint ha- als ha, cf. § 28, Anm, 3 Impf.
Ind. yahrhba — Subj. yahdrha } Part, mahdrha Imp. hdrha, Inf. havhot.
(Reflexivum) jdtemäm sie haben sich versammelt (also
kd-t-teb für jatmaem) Impf. Ind. yijetemäm (wie von jtöma) —
Subj. ebenso yijetemäm (ebenso wie von jtöma, vgl. § 37),
Part, mejetemäye, Impf, jdtemam• temä belauschen (ad lnma
hören, also für htemä mit Abfall des radikalen h\ nach der
Form ktetöb, mit ursprünglicherem ä wegen des Ayn) Impf.
Ind. yiteman (aus yihteman, yihtdmeen) — Subj. yitöma (für
yihtöma), Part, metema (= melitamee), Imp. m. töma, f. tima,
Inf. fehlt bei Jahn (allenfalls temöt); stöna herumbummeln
(Jahn vgl. ar. IV und V schnell gehen) Impf. Ind.
yistdnän — Subj. yistöna, Part, mestdnä, Imp. m. Stöna,
f. Stina, Inf. send (wohl g'afaZ-Fonn); interessant ist auch
zätera schwellen (vom Wasser) (eigentlich zdtra, Form kd-t-teb),
weil es Impf. Ind. yezutüra {== yiztöra statt zu erwartendem
yizterä) zeigt — Subj. yezetira (nach yiJctiteb), Part, mazatera
(nach mektatebe zu kdtteb, nämlich = meztdree, meztera a,
mezterä), Imp. zatera — (Kausativreflexivum) shema
1. auf jemanden hören, 2. belauschen (für shema — sehmä zu
hima, vgl. § 67) — je nach der Bedeutung soll es nach Jahn
die übrigen Formen verschieden bilden — regelrecht gehören
dazu Impf. Ind. yishemd (wofür Jahn yiShöma angibt; auch =
Subj. zu äth. IV 2) — Subj. yisehma, Part, mesehma, Imp. sehma,
Inf. shemöt, resp. ad 2, wie von shöma Impf. Ind. yishemän —
Subj. yeshöma, Part, meshemä, Imp. m. shöma, f. sMma, Inf. shi-
möt (= dem früheren Shemöt); senfd Nutzen ziehen (ad nöfa =
g") Impf. Ind. yisenöfa (nicht yisnefä) — Subj. yisenfa, Part.
mesenfa, Imp. Senfa, Inf. menfdt (natürlich eigentlich nicht hieher
gehörig, sondern = ar. iALU); Serba 5 aufgehen (Mond, Sonne)
— man erwartet Serbaj resp. Serba (ad Vrb'] cf. ar. Üj auf
1 Oder ist ' als 4. Radikal liinzugekommen? cf. hebr. *pn, arab.
schärfen, wetzen, schärfen, hebr. 2“in Schwert, ar. Ba
jonett.
78
II. Abhandlung: Bittner.
e. Warte steigen und beobachten) Impf. Ind. yiSeroba, Subj.
yiSerba , Part, me&erba, Imp. Serba , Inf. Serböt (== Sarbe'ot);
Serqd 1. aufgehen (Sonne), 2. (dicht.) Nutzen haben (auch Jahn
wagt nicht die naheliegende Zusammenstellung mit —
übrigens entspricht doch dem ar. im Mehri meistens s, nicht
S — sondern denkt an eine ^aphel'-Form 1 ,eines' rq oder rq-,
was die von Jahn nicht versuchte Etymologie betrifft, denke
ich einerseits an ar. hinaufsteigen — daß einem ar. ^5 im
Mehri ’ (') entspricht, tut nichts zur Sache, cf. Studien I, § 5
bedl — andererseits an hehr. Jpp"! Firmament, also etwa ,sich am
Firmamente zeigen') Impf. Ind. yiSeroqa — Subj. yiSerqä, Part.
meserqa, Imp. serqd, Inf. Serqot• als Beispiel für ein weiteres
Äquivalent von äth. IV 2 (3) (cf. oben sub Shema) führe ich noch
an sejema coire cum femina (also ad g-d^) Impf. Ind. yiSjdmän
— Subj. yisjäma (mit ursprünglicherem d), Part, maSjdma,
Imp. Sejdma, Inf. sijemot; Sivurä zurückkehren (wohl doch zu
ar. was hinter einem ist, Hinterteil, hinter; also eigent
lich sich nach hinten wenden) Impf. Ind. yiSwora — Subj. yi-
Söra (= yisüra aus yisewra oder direkt aus yiSawra), Part.
mesdra, Imp. Sora, Inf. Süröt. 2
69. Als Beispiel für das Partizipium passivi des Kausa-
tivums zitiere ich mharfe aufgehoben (für mliarfV, mharfäy ;
Kaus. von rf — cf. Studien I, § 20) — m&6n(n)a häßlich ist
ein Part. pass, des Steigerungsstammes, cf. § 68, ad ar.
hassen, also für ,hassenswert gehalten'.
70. Einige Wurzeln, die im Arabischen als dritten Radi
kal deutlich Hamza zeigen, folgen in der Bildung des Per
fektums und des Partizipiums, aber nicht immer den anderen
Formen, den mehritischen tertiae Ayn; nur zeigen sie im
Auslaut (d. 3. P. S. g. m.) nicht a, wie dofa oder fiza, sondern e,
augenscheinlich als Reminiszenz an das Hamza. Ganz rein bei
tdyme Durst haben (nicht ar. g-tA, sondern ar. ^.h, äth. ÄlP’f»:-
hebr. Ns?) Impf. Ind. yitome — Subj. yitame, Part, tamdne,
Imp. tarne, Inf. töma (cf. Studien I, § 5); ebenso im Perfektum
und Partizipium bei qoye sich erbrechen (wie dofa, ar.
1 Meint Jahn wohl nicht im Sinne des Syrischen? — Das mehritische
Serqä ist doch eine ar. X. Form!
2 Cf. ohne Femininendung §ürä (aus Sewrä*) rasche Rückkehr.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
79
äth. •bh, hebr. N’p) — Part, qeyöne und toye wittern 1 — Part.
tayone (aucli im Inf. qöye — ar. f^s, während Inf. von toye,
d. i. setayüt, auch ans setyäiv, setyniv-t, setyew-t, also mit w =
Hamza, zu erklären, zum Kaus.-Refl., vgl. Anm. gehört), während
diese beiden Zeitwörter die Modi des Imperfektums als mediae
y bilden, nämlich Ind. yiqeyü — ytiayü, Subj. yiqaye — yitaye
— Imp. qaye (mit einem eigentl. Fern, qayi) — taye\ dann im
Perfektum und Partizipium bei viile voll sein (ar. äth.
hebr. Nbtt), Part, meldne, das aber sonst als tertiae y
behand'elt wird: Impf. Ind. yimoll ■— Subj. yimle, Imp. mile
(mit eigentl. Fern, meli), Inf. mili (aus miley); ferner bei dire
fließen (Blut), wiewohl ar. Ij-ö ,bluten' und fließen ent
spricht, als tertiae Hamza Impf. Ind. yidöre (nicht yidöri) —
Subj. yidere, Part, deröne (nicht deryöne), Imp. dire, Inf. hede-
TÜt (eigentl. kaus., kann defekt und tertiae 3 sein) und schließ
lich auch das Perf. köre mieten als tertiae Hamza (gegen ar.
aber alles andere ,defekt', wie karu verbergen.
Anm. 1: Zu toye gehört das Kausativreflexivum satayd (mit t — t)
riechen, das im weiteren teilweise als mediae y und defekt behandelt
wird, daher Impf. Ind. yiSetdyü (aus yiSetdyw) — Subj. yiSita (aus yisiyta,
hier y von Cy vorgesprungen), Part. meSita, Imp. Sita, Inf. setayüt (aus
setyäw-t). 1 — Auch bei Siqadd sich rächen (das entschieden zu ar. ^>03 ge
hört; Jahn vergleicht von jemandem die Schuldzahlung verlangen)
erscheint ar. ^ als eventuell als * zu fassen, weil e nach d zu a werden
mußte, zeigt sich aber wieder als y zwar nicht im Impf. Ind. yiSiqadd (aus
yisiqdd* = yiSaqdd\ also nicht defekt, sonst müßte der Ind. yiSaqddyü lauten),
aber wohl im Subj. yiädqad (für yisdqad, yiSdyqad), Part, misiqade (im i steckt
das y), Imp. Seqed, Inf. qaddyet (= Blutgeld, Rache; kann ar. ^9 sein,
also = qadayyet, eher aber = qadä'et). — Ähnlich steht es um Saye (verkürzt
$ a ye, bei Jahn sub h für sahyd) sich schämen (ar. ^isaXlol), indem hier das
zweite y als * auftritt, Impf. Ind. yiSa iyü oder yisayü (für yiSayo* mit ü für 6
1 Cf. täy, pl. tayüten übler Geruch (wozu Jahn äth. ,übler Ge
ruch 4 zitiert); es dürfte auch Meliri "j/ty jedenfalls identisch sein mit
äth. ■J/sj/’, a. i. }\,h 1 foetidus fuit; putruit, computruit. — Mit Rück
sicht darauf, daß im Mehri die Wurzel ty auch als twy — oben im In
dikativ, denn die Umstellung in tyw ist bei den Defekten obligatorisch
— und als t l y — oben im Subjunktiv, denn das Yorspringen des y vor
den ersten Radikal ist regelrecht — und als tyw — oben im Infinitiv
— erscheint, wird wohl auch hebr. Exkrement und HKIÜ dasselbe,
dann Unrat, Unflat nicht zu NJi 1 gehören.
80
II. Abhandlung: Bittner.
neben dem y und Abfall des zweiten ’) — Subj. yiäd’iye oder yiMy (für und aus
yisä’ye), Part. meSä'iye oder mesdye (für meSä'yee), Imp. Sd'iye oder ädye (für
und aus Sä'ye), Inf. Sayot (aus Saye'ot, Say’öt: daneben hayye, resp. wohl
eigentlich hayd = ar. — vom Ind. an also alles wie von Saktob: yi-
Saktob, yiSdkteb, mesdktebe, sdkteb, Saktebot.
Anm. 2. Als mire (analog mile) anzusetzen ist wohl auch das ab
weichend betonte merii onanieren (i ist bloß dem e vorgeschlagen, cf. mhe-
drielc erreicht = mhedrik, Studien I, § 20) oder wir müssen merie als tran
sitiv = mere nehmen (nach Jahn zu ar. 1
\>\
JjLj — oder vielleicht ar. Y \^Jc, das auch = ^<1.-^ ist) Impf. Ind.
yimere (mit imalisiertem d) — Subj. yimre, Part, miryone, Imp. meri, Inf. mm
(mit y = ’ als drittem Radikal).
C. Verba cum w Tel y.
71. Es erübrigt noch, jene Zeitwörter des Mehri, die
unter ihren Radikalen etymologisch ein w oder y enthalten, mit
ihren vielen, anderen semitischen Sprachen großenteils nicht
zukommenden Eigentümlichkeiten soviel als möglich ins richtige
Licht zu rücken. Zunächst gibt es nicht wie im Arabischen
(und Äthiopischen) primae w und primae y, sondern nur pri
mae iv, indem arabische primae y im Mehri an der ersten
Stelle der Wurzel w zeigen. Auch anlautendes Hamza wird im
Mehri in mehreren Fällen durch w vertreten. Die mediae w
und mediae y unterscheiden sich voneinander schon dadurch,
daß nur die ersteren, und zwar auch bloß im Grundstamm als
schwach behandelt werden, während die letzteren nur starke
Bildungen zeigen. Die tertiae %o und y fallen im Mehri schon
im Grundstamm in eine und dieselbe Form zusammen, welche
auch im allgemeinen solche Verba annehmen, die im Arabischen
oder Äthiopischen an der dritten Stelle der Wurzel ein Hamza
haben. Wir haben also im folgenden primae w, mediae iv, me
diae y und defekte zu unterscheiden.
1. Primae w.
72. Die primae w folgen, wenn sie transitiv sind, dem
Schema des starken Icetob, wenn sie intransitiv sind, dem
von kiteb. Wir haben z. B. weqob eintreten (ar. ^*5 in eine
Höhle hineingehen), wofür wuqob gesprochen werden kann,
indem e neben dem iv zu u wird — es kommt aber auch in
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
81
nachlässiger Anssprache üqob vor (d. i.ü—we)j wired Wasser
holen (ad ar. >^ zur Tränke gehen).
Das transitive iveqdb bildet die beiden Modi des Imper
fektums ganz regelrecht, nur läßt es das w im Subjunktiv ganz
spurlos ausfallen: es lautet also der Indikativ yiwoqeb, der Sub
junktiv aber yiqeb (aus yiioqeb) —- vgl. ar. Di von JÜ3. Das
intransitive wired hat im Imperfektum für beide Modi nur die
eine Form yiwrod mit Beibehaltung des w. Die Imperative
sind natürlich von dem transitiven iveqdb für m. und f. qeb,
hingegen von dem intransitiven wired für m. wrod, f. wrid (rsp.
werbd und werid). Ebenso werden das Partizipium auf -dne
und der Infinitiv meist nach kiteb regelrecht gebildet, also
weqbone, iverdone, resp. iviqeb, wired.
Ebenso haben wir: widek an etwas kleben, festgehalten
werden (dürfte trotz d und mehri hütuq \hütüq\ doch zu ar. (Jjj
gehören, cf. § 76; dazu gibt Jahn als gleichbedeutend ein wu-
dek an, mit e, etwa aus und statt wetdok, mit e cf. § 35, Anm. 4).
Impf. Ind-Subj. yiioudok, Part, wadkone, Imp. m. löudok —
f. wudik, Inf. wudköt; iviqef schweigen (zu ar. Dü>3 stehen
bleiben, im Lesen innehalten, eine Pause machen; neben ivuqof,
zu dem der Impf, quf schweige! gehören muß) Impf. Ind.-
Subj. yiwuqof, Part, wuqofone, Imp. m. ivuqof — f. ivuqeyf, Inf.
waqafet. Im Übrigen haben auch andere Transitiva, außer den
hier als Nebenformen genannten wudek und ivuqof im Imper
fektum eine und dieselbe Form für Indikativ und Subjunktiv
wie Intransitiva, z. B. ivasof beschreiben (ar. i-j.A.3) Impf- Ind.-
Subj. yiwusof (wie von einem Perf. ivisef'), Part, wasafone, Imp.
m. wusof — f. wusif, Inf. tr«s/; wuzon abwägen, zumessen
(ar. ^£,33) Impf. Ind.-Subj. yiwuzon (wie von einem Perf. wizen),
Part. wuzenone, Imp. m. wuzon — f. wuzin, Inf. wizen; wu&or
bauen, anfertigen (wohl = ar. und sägen, zersägen), Impf.
Ind.-Subj. yiivusür (wie von einem Perf. iviser), Part, wusröne,
Imp. m. wusor — f. wusir, Inf. wisor (Form qitäl, Studien I § 7). 1
An in. Zwei im Grandstamme nachweisbare primae w, die gleich
zeitig mediae gutturalis sind, erscheinen im Schema Icetäb vgl. § 7 und
bilden ebenso wie die intransitiven primae w der Form kiteb den Ind.-Subj.
1 Primae w, die gleichzeitig tertiae Ayn sind, wie die Wurzeln wd’, wq\
wz* s. unter Tertiae Ayn § 65—70.
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 168. Bd. 2. Abh. 6
82
II. Abhandlung: Bittner.
und dun Imp. des Imperfektums ganz regelrecht und stark: wuhed sich be
ruhigen (Jahn vergleicht ar. und ;>la ?i) Impf. Ind. und Subj. yiwuhod,
Part, wahedone, Imp. m. wuhod und f. wulnd, Inf. wihed und wuhem sich
nähren, Impf. Ind. und Subj. yiwuhom, Part, wahumone, Imp. m. wuhom und
f. wulnni, Inf. wihem; ein drittes walidr (dicht.) sich verspäten (mit w für ’
zu ar. ^^.1) hat folgende Formen: Impf. Ind. yihären (ohne w und auf -en
auslautend, also kein Grundstamm) — Subj. yiioohär (für yiwliär), Part.
mauh&re (für mawhäre), Imp. wuliär (wohl m. und f.), Inf. tewujiir (zum
Steigerungsstamm wie ar. zu ^.ä-\). Vgl. hiezu das zu figäl schwitzen
und rahäl satteln § 17 Bemerkte.
73. Von der Aufstellung eines Paradigmas kann abgesehen
werden — Jahn gibt nur das des transitiven weqöb (rsp. wuqdb),
Gramm. 100 und 101; hingegen möchte ich hier einige in der
lebenden Sprache bei Müller und Hein zu findende Formen
vorführen, welche ihrer Zusammenziehungen wegen Beachtung
verdienen: so z. B. von wezom geben (ar. die Schuld be
zahlen) Impf. Ind. yiwtizem ■— Subj. yizem, Part, wuzeinone, Imp.
zem — für das Perfektum bei M. 5. 29, 7. 32 uzom (== wezom),
81. 2 üzeniot (== ivezemot), 9. 14 üzemlc (= joezem/c); bei II. 3. 16
uzümen teh (= uzümem teh sie gaben ihm = wezbmem teh) —
für das Imperfektum Indikativ bei M. 41. 6 nüzemis wir geben
dir (f.) (aus nevezem-is), 89. 19 ebenso nüzimiS, bei H. 1. 12
tüzimi sie gibt mir (aus tewezem-i), 10. 27 yuivezmeh er gibt
ihm (aus yewezem-eli) oder von ivuqob, das Hein mit 1c schreibt,
z. B. 56. 10 hokbone ich werde eintreten (für ho ukbone, ho ivek-
bbne) u. dgl. mehr.
74. Außer der gewöhnlichen Infinitivform Mteb kommen
bei den primae w unter anderen noch zwei besonders interes
sante Schemen rsp. Bildungen vor, die keine Spur des w zeigen.
Die eine besteht darin, daß der zweite und dritte Radikal re
dupliziert werden und wie ein taltel, wenn wir qtl } oder tabteb,
wenn wir ktb als Radix ansehen, erscheinen, vgl. Studien I
§ 13, Anm. 2, die Beispiele qebqeb, zenizem, daqadeq, Saqaseq
als Infinitive zu ivuqob eintreten, wuzom geben, ivud/bq (rsp.
wuSoq) beladen. Bei einer anderen zeigen sich nur die zwei
starken Wurzelbuchstaben, ohne daß die Sprache daran gedacht
hätte, den Abfall des w irgendwie zu kompensieren: so finden
wir zur 'Vivth beschwichtigen einen Inf. täh, zur Yivjb notwendig
sein einen Inf. jeyb angegeben, die beide wohl als (q)til rsp.
(k)tib zu fassen sein dürften, cf. ar. oJ von oJ, in dem Inf.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
83
J-f von in dem Inf. wo die Fern.-Endung angetreten
ist, um den dritten Radikal zu ersetzen.
75. Der Steigerungs-, rsp. Einwirkungsstamm wird regel
mäßig gebildet, z. B. icöder lassen (bei Jabn ohne Etymologie;
wohl doch = ar. Impf. Ind. yiwdderen — Subj. yiwöder,
Part, mewadere, Iinp. in. wöder, f. wider, Inf. tüder (= tewdär
mit Imale oder = tewdir); wöden drohen (Jahn vgl. ar. V
bedrohen) Impf. Ind. yiwddenen — Subj. yiwöden, Part, mawd-
dene, Imp. m. wöden — f. iveyden, Inf. tüdin (— tewdin), wöqef
stillehalten (ar. i_äi' 5 ) Impf. Ind. yiivaqafen — Subj. yiwöqaf,
Part, mawdqafe, Imp. m. wöqcif, f. iviqaf, Inf. touqif (= tawqif),
wöfeq 1. anwesend sein, 2. Zusammentreffen (mit Rücksicht auf
die zweite Bedeutung wohl doch zu ar. <395 passen, sich
vereinbaren, zusammen kommen zu stellen) Impf. Ind. yiwdfqen
— Subj. yiwöfeq, Part, mawdfqe, Imp. m. wöfeq — f. wifeq, Inf.
ivafq■ wölij das Segel aufhissen (wohl ar. eine Sache in
eine andere stecken) Impf. Ind. yiwdljen — Subj. yiwölij, Part.
mawdlje, Imp. m. wölij — f. wilij, Inf. tuwulij (aus tewlij);
wölem zur Reise (acc.) rüsten (h<jr. wällam; cf. ar. ein Gast
mahl geben, Festmahl, Hochzeitsmahl, also eine ,Zu
richtung'), Ind. yiicölemen — Subj. yiwülem, Part, mawdleme,
Imp. m. ivölem — f. wilem, Inf. toulim (aus tawlim) gegenüber
tüder und tüdin.
Das bei Jahn sub wsl erwähnte mosal scheint mir für m’osal, mwosal
= miodssal zu stehen und Part. pass, des Steigerungsstammes zu sein, ähn
lich gebildet wie molem Lehrer, cf. Studien I, § 101 und § 21, Anm. 2.
76. Kausativbildüngen liegen vor z. B. in hümör befehlen
(hielt Jahn für eine V hmr • es liegt aber die Radix wmr vor
= ar. j-J, also w = Hamza; vgl. hiezu auch § 53 Anm), Impf.
Ind. yihumör (aus yihewmör) —■ Subj. yihümer (aus yihewmer),
Part, meliümere (aus meheivniere), Imp. hdumer, Immer (aus
hawmer, Tidwmer), Inf. humröt (aus hewmeröt) ; houdüf zutröpfeln
lassen, langsam vermehren (ar. ‘-A->j) Impf. Ind. yihouduf (— yi-
hawdöf) — Subj. yihöudef (= yihdwdef j, 1 Part, mehdudefe
(= mehdwdefe'), Imp. houdef, Inf. houdeföt (= hawdeföt); liü-
1 Von hier ab auch als Formen des Steigerungs- rsp. Einwirkungsstammes
wodefzu dem Jahn als Ind. yiwudof angibt, der aber nur als Ind.-Subj.
zum Grundstamm gehören kann oder es muß an Abfall des kausativen
h gedacht werden.
6*
84
II. Abhandlung;: Bittner.
gdur losstürzen (cf. ar. ji,) Impf. Ind. yihügdr — Subj. yihduger,
Part, malidugere, Imp. lidugar, Inf. haugardt; hüqüb liinein-
führen (ad weqob '-^3) Impf. Ind. yihuqöb — Subj. yihauqab,
Part, mahduqabe, Imp. liauqab (eig. doch mase. und fern. —
hier glaubt aber die Sprache in liauqab ein urspr. hoqab vor
sich zu haben, als Imp. eines Steigerungs- resp. Einwirkungs
stammes einer Yhqb und bildet dazu ein Femininum hiqebl 1 )
Part, mahduqabe, Inf. hüqubot; hütöh tätowieren Impf. Ind. yi-
liütoh — Subj. yihüth (zusammengezogen aus yihütah = yiliew-
tah), Part, mhotahe, Imp. m. libtah und f. hitah (als ob yihüth
für yihütah = yihotah zum Steigerungsstamme einer V'hth ge
hörte), Inf. täh (eig. zum Grundstamm, ohne w, cf. § 74); endlich
werden bei wojeb (Steigerungs-, bzw. Einwirkungsstamm von
wjb, ar. also eig. wohl = ^^dj) kausative Formen, wie
von einem hüjob (neben intr. wijeb notwendig sein) angegeben,
nämlich Impf. Ind. yehüjöb — Subj. yihoujeb, Part, mehoujebe,
Imp. houjeb, Inf. jeyb (zum Grundstamm, ohne io, cf. § 74);
hutüq (hütüq) abhalten, nach etwas greifen, anbinden (wohl doch
ad ar. sich festhalten, auf etwas sich verlassen, J-j" fest
sein; festen Sinnes sein), Impf. Ind. yehütöq — Subj. yeliüteq,
Part. «lehdtqe (wie ein mehdteqe i. e. wie von einem Steigerungs
stamme einer vhtq), Imp. hdutq (Nebenform hodq — beides =
hdwteq, lidwdeq), Imp. wutqot (wohl für hwutqot, also mit Abfall
des Präfixes A-); hüzaul gelangen lassen (ar. j-o^) Impf. Ind.
yihüzöl — Subj. yiliduzal, Part, muhduzale, Imp. liduzal, Inf.
hüzaldt, und zwar finden wir diese Formen mit z bis auf den
Indikativ auch bei ivusaul 1. anlangen, 2. überbringen an
gegeben — dazu ist zu bemerken, daß für ,anlangen' auch
das erwartete ivisal vorkommt (vgl. Jahn, Texte, p. 34. 41),
Impf. Ind. yiicusol und daß bei ivusaul, wenn es so viel als
,Uberbringen' bedeutet, nur an Abfall des kausativen li gedacht
werden kann (cf. § 30).
Anm. Als Beispiel für ein Part. pass, des Kausativums führe ich an
maliüsäyf beschrieben, bekannt (natürlich nicht = ar. sondern
wie ein ar. zum Kausativum von wasof. Auch maliüSdr angefertigt
als PI. zu einem mahüSir (zu wsr = ar. und jJ^\) gehört hielier, cf.
Studien I, § 20 (83).
1 Man beachte die Sekundärbildung!
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II 85
77. Für die verschiedenen Arten des Reflexivums ver
gleiche man z. B. (kd-t-teb) ivdthaf in der Nachmittagszeit gehen
und wdtqat envachen (ad ar. kib, also w — y) und (k-t-etob —
ke-t-töb) wathaur sich verspäten (ad ar. also w = Hamza)
und wutkül vertrauen (ad ar. J^j). Die beiden letzteren bilden
Impf. Ind. yiwuthayren-yiwutkilen Subj,. yiwuthbr-yiwutkbl, Part.
mewuthayre-mütkile (aus mewtekile) und Inf. wutherot- wutkelot
ganz regelmäßig nach ktetob, yiktetiben, yiktetöb, mektetibe, kte-
tebot (doch beachte die Umstellung von -te- in -et-), hingegen
zeigen die beiden ersteren teilweise abnormale Bildungen, die
wir auch für sekundär erklären können: wdthaf hat im Impf.
Ind. yithof — Subj. yitdhf (nicht yiwtehof und yiwtihef — ohne
Spur des iv), Part, mutdhfe (aus mewtdhefe mit u aus eiv), Inf.
tahf (wie von einem sekundären Ythf) und wdtqat hat im Impf.
Ind. yetqbt ■—- Subj. yeteqet (nicht yewteqot und yeivtiqet), Part, ma-
tiqte (aus mewtaqete), Inf. teqeteyn (wie von einer sekundären
Wurzel fqt; ein Inf. auf -in cf. Studien I § 16). Vielleicht hat
sich im Impf, von ivdthaf und wdtqat das w an das infigierte
t assimiliert, wie im Arab. in der VIII bei den primae w und
y (cf. Jibl, kül), so daß wir yitliof, yitdhf, mutdhfe für yitt’-
hof (= yiwtehof), yittdhf (= yittihef, yittehef), muttdhfe und
yetqbt, yeteqet, mutiqte für yett’qot (= yewteqot), yetteqet (= yet-
tiqet, yetteqet), muttiqte (= metteqete) hätten? — Zu den In
finitiven tahf und teqeteyn von Wurzeln primae t vgl. z. B. im
Arab. und i _ß-> (aus der VIII. Form des ersteren oder
cpb. und (aus der VIII. Form des ersteren — ivdtqal
(zu ivuqbb) ,aneinanderfügen 4 bildet so, als ob es wtoqeb wäre,
Impf. Ind. yiwuteqaben — Subj. yiwutiqab, Part, mewuteqaybe
(mit dy für i nach dem q), Imp. wutiqab, Inf. xcdqab (zum
Grundstamm).
78. Kausativreflexiva sind z. B. süjüs in der ‘Asrzeit gehen
Impf. Ind. yi$üjb$ Subj. yisüjis, Part, mesojise (= mesüji&e -----
mesewjese) Imp. süjis, Inf. müjis (eig. zum Grundstamm gehö
riger Inf. dieser Y mit Präfix me-, cf. Studien I § 21, für
meivjds, mewjes — e neben j zu U); siihol verdienen (bei Jahn
ohne Etymologie; ich setze mehri whl = ar. ’hl und erinnere
an ar. J.*l der rechte Mann für etwas, geeignet, würdig, sowie
an ar. Jjtl und JÜI einen wozu passend und würdig machen),
Impf. Ind. yiSühol (aus yiswehol; wiewohl dieses ü = ive ist,
86
II. Abhandlung: Bittner.
kann es auch ganz ausfallen, cf. Hein 1. 21/22 eshöl ich ver
diene, yesliöl er verdient 151. 3. 15, tshdl-s du verdienst sie
36. 24) Subj. yisühel, Part, meüühele (aus meSewhele), Imp. sühel,
Inf. fehlt bei Jahn (allenfalls sühelöt); swuqof (ifüqüf) schlafen
(ad wqf ar. ääj) Impf. Ind. yisuqdf (bei Hein auch mit Ausfall
des u — we z. B. 17. 30 yeülcifem sie schlafen, 79. 31 teSkuf du
schläfst), Subj. yih'iqf (zusammengezogen aus yisüqef = yiseiv-
qef), Part. meSuqfe (bei Hein 62. 8 fein, muskfite mit Ausfall
von u = we), Imp. Suqf (== Süqef), Inf. nach Jahn ersetzt
durch sin dt (ar. hebr. ~"A).
2. Mediae w und y.
79. Die den arabischen Konkaven entsprechenden Verba
des Mehri müssen, in zwei Gruppen geteilt, betrachtet werden,
je nachdem sie zum mittleren Radikal ein w oder ein y haben.
Als eigentlich schwach behandelt das Mehri bloß seine mediae
w, indem nur w, und zwar dieses auch nur im Grundstamme
spurlos verschwindet, während sich y auch schon im Grund
stamme, wie auch sonst überall deutlich erhält. Allerdings
kann nach den Lautgesetzen w in einem u (u), y in einem l
(i) stecken.
a) Mediae w.
80. Im Grundstamme erscheinen die mediae w schwach
behandelt; dabei geht das eigentümliche Idiom so weit, daß es
dem Grundstamme Formen verleiht, die so aussehen, als ob
diese Wurzeln in der Mitte überhaupt keinen Buchstaben, auch
keinen schwachen, enthielten. 1 Das Äquivalent von ar. dära
lautet im Mehri dör herumgehen und verleitet mit seinem 6 =
ä leicht zu der Annahme, es sei dör — där(a) = da(id)ar(a);
doch läßt sich das ö, an dessen Stelle bei anderen Wurzeln
zwischen dem ersten und dritten Radikal auch ä, e, au, ou, u
auftreten, nur aus d erklären, indem man dor = dwor setzt
(nach der Form leetob), dieses dwor auf dwdr — dwär zurück
führt und sich vorstellt, es sei schon in diesem dwdr das w aus
gefallen und dar dann zu dar, rsp. dor (oder auch zu dür, daur,
dour, der) geworden, je nach Beschaffenheit der benachbarten
1 Vgl. liiezu Brockelmann, § 270.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Meliri-Sprache. 11.
87
Konsonanten, die bald reines « verlangen, bald ä in 6 zu ver
härten, bald dieses 6 in au {au) zu diphtliongisieren, bald zu
e zu trüben bestrebt sind, z. B. kän {ken) sein [aus k{w)dn,
ar. 0 IS], lom tadeln [aus l{w)dm, ar. f'd], füt vorübergehen [aus
f(w)ät, f{w)ät, f(w)6t, mit ü statt 6 nach dem /, ar. Olä], touq
sich zugesellen [aus t{w)aq, t{w)dq, t(iv)6q mit ou für 6 nur
wegen des q]. Wie schon bemerkt, fehlt jede Unterscheidung
zwischen Transitiven und Intransitiven.
81. Das Imperfektum zeigt für die beiden Modi getrennte
Formen 1 : von dör lautet der Indikativ yidor und der Subjunktiv
yider. Auch diese beiden lassen sich mit yikatb, der Vorstufe
von yihuteb, und yikteb in Einklang bringen, wenn wir die
mögliche Elision des w nicht in Abrede stellen. Der Indikativ
yidor steht meines Erachtens für yiddr und dieses yidär für
yid{iv)dr mit Metathesis aus yiddior nach yikatb, der Subjunktiv
yider wohl ganz deutlich für yid{w)er nach yikteb. Ebenso
zeigt natürlich auch der Imperativ der keine Spur des w. —
Beiläufig gesagt, unterscheidet sich der Subjunktiv yider (von
der Vdwr) formell nicht von dem Subjunktiv yiqeb (von der
Vwqb) vgl. § 72. 2
Das Partizipium lautet deröne [aus d{w)eröne], ohne jede
Spur des w.
82. Das Paradigma einer mediae w sieht im Mehri ganz
sonderbar aus; ich setze das von mwt sterben (ar. OU) mit
schematischer Vokalisation hieher:
Perfektum Imperfektum
Indikativ Subjunktiv Imperativ
S. 3. m. mot yi-mot yi-met
3. f. metot te-mot te-met
1 Bei häm wollen, das wohl mit ar. («) wünschen, begehren identisch ist,
gibt Jahn auch für den Subj. die Indikativform yahöm an. Wenn dies
richtig ist, dann faßt das Mehri liäm als mediae Ayn, cf. § 60 und 61
Vgl. das Paradigma von T}äm bei Jahn (Gramm. S. 11) und beachte,
daß die 2. P. PI. g. m. thdymem und g. f. thomen lautet, also anders als
temotem und temiten § 82.
• Zum Perfektum got helfen, zu Hilfe kommen (ar. öte) hat Jahn
andererseits Formen verzeichnet, die von einem defekten gatii (rsp. kaus.
liagtu) hergenommen sein müssen. Also nicht bloß gwt (und Subj. wie
von wgt) sondern auch gtw.
88
II. Abhandlung: Bittner.
Perfektum Imperfektum
S. 2. m.
2. f.
1. c.
PI. 3. m.
3. f.
2. m.
2. f.
1. c.
met-k
met-S
met-l:
möt-em
mot
met-lcem
met-ken
möt-en
Indikativ
te-möt
te-mit
e-möt
yi-mit-em
te-möt-en
te-möt-em
te-mit-en
ne-mot
Partizipium : S. m. metöne
f. metöten.
Subjunktiv
te-met
te-met-l
e-met
yi-met-em
te-viet-en
te-met-em
te-met-en
ne-met
■ f. metite
Imperativ
J met
1 met-em
I met-en
pl. m. rneteye —
iiirn. 1. leb glaube nicht, daß im Perfektum aus 6 ein e werden
könnte, wenn in dem 6 eine Spur des w steckte; man würde dann eben
mewetot-mewtot-mütot, mewetk-mwetk-mütk usw. bilden. Besonders, glaube
ich, zeigt die 2. P. S. g. f. des Impf, te-mit mit ihrem i deutlich, daß die
Sprache das 6 als = ä {&) anerkennt, sonst würde 6 wohl kaum zu i ge
worden sein.
Anm. 2. Der Infinitiv hat hier fast nie die Form kiteh (rsp. kitb) —
ich fand diese bloß einige wenige Male, z. B. miwit Tod von mot sterben
(ar. CDkc), (\f (aus ihcf mit Assimilation des w an das /, cf. § 83) von tSf
sich vergnügen (ar. c_sü> Umzug halten). Öfters kommt qitälet vor — s.
Studien I, § 34, z. B. gnywoset zu goj (goz) tauchen (ar. mit ay st. i
nach dem g), ziworet zu zor besuchen (ar. J\und Inf. mit zu y
gewordenem io) , hiwSset zu höS plündern (Jahn vergleicht l'hwi auf
geregt sein); awödet — beim Steigerungsstamm aicid, s. § 84, kann qutälet
sein (ar. k\>l^s), aber eventuell auch qitälet (ar. s>U.£). NB. Man beachte,
wie im Meliri w neben i bleibt. — Auch Infinitive mit dem Präfix me-, wie
medwtt- zu dor herumgehen (ar. ^b), mezawir zu zär stehen, manuwäli zur
ßadix nwh, vgl. Studien I, § 21. Interessant ist als weiterer Beleg für
die Infinitivform mit der Ableitungssilbe -in, vgl. § 22 b, jüztn (aus jewzin)
zu yejüz es ist erlaubt (ar. natürlich ist yejüz auch rein mehritischer
Indikativ).
Anm. 3. Das Partizipium passivi wird ganz stark gebildet, indem io
neben 5 bleibt, also z. B. mdhwif gefürchtet (ar. i_jli.), bei M.
83. Beispiele für den Grundstamm: öd zurückkehren (ar.
Impf. Ind. ye’ud — Subj. ya’äd (für yi’ed mit a statt
i und ä statt ä wegen des Ayn), Part, adöne, Imp. ad, Inf.
dudet (ar. k'Slje), 6s leben (aber ar. mediae y\) Impf.
Ind. ye’üs — Subj. ye’äs, Part, äsöne, Imp. äs, Inf. meyst (= ar.
ef. Studien I § 35), bdn erscheinen (ar. cf. S. 95, Note 1),
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Spraehe. II.
89
Impf. Ind. yibiün (wie von einer mediae ?/!) — Subj. yeben,
banöne, Imp. ben, Inf. biyonet (== biyänet; mediae y\), för
wallen und sieden, kochen (intr.; ar. jU) Impf. Ind. yifür ■—
Subj.yifer, Part. feröne, Imp. fer, Inf. faur; gos tauchen (neben
gäz\ ar. mediae w), Impf. Ind. yigüs — Subj. yigäs,
Part, gäsone, Imp. gas, Inf. gaywoset (s. § 82 Anm. 2), hos plündern
Impf. Ind. yihüs — Subj. yihes, Part, hesöne, Imp. hes, Inf. hiiub-
set (s. § 82, Anm. 2), kan sein (ar. Impf. Ind. yekün —
Subj. yekän, Part, kenöne, Imp. kä (ohne n cf. ar. JS-l neben
fSpj, Inf. kiyün (auffallend); lof über jemand kommen Impf.
Ind. yilüf — Subj. yilef, Part, leföne, Imp. lef, Inf. lif (cf. im
folgenden tüf) ■ not verweigern Impf. Ind. yinot — Subj. yinet,
Part, nätone, Imp. net, Inf. nüt; tüf sich vergnügen (wohl doch
zu ar. '-stk herumgehen; zur Bedeutung vgl. Impf.
Ind. yetüf Subj. yetef, Part, taföne, Imp. tef, Inf. tif (so mit i,
nicht aus tiyf, mit Wechsel von w und y, sondern aus tiwf mit
Assimilation des iv an das /; denn sonst vertragen sich i und
w im Meliri, cf. auch Studien I § 5, Nachträge, besonders miwet
Tod, Inf. zu mot sterben); zär stehen Impf. Ind. yizör — Subj.
yizär, Part, zäröne, Imp. zär, Inf. niezawir (cf. § 82, Anm. 2).
Anm. Einige mecliac w behandelt die Sprache als verba firma wie
z. B. taiooS fertig sein Impf. Ind. yitoweS — Subj. yitaweS, Part. taweSone
Imp. taweS; hdyicel s. § 86 verrückt sein (nach der Form Mteb, mit dy = x
nach dem /i), höwel verstehen 1 (lcbteb, Steigerungs- rsp. Einwirkungsstamm,
daher Impf. Ind. yihdiöUen — Subj. yihöwel, Part, mehdwile, Imp. m. höwel,
f. heywel (= hiwel).“ — Zu der mediae y hiyub trocken werden gibt Jahn
Impf, und Subj. yehuwob, Part, hüböne, Imp. m. liuwöb und f. huwib, Inf.
hüb an; diese Formen gehören natürlich zu einem adaequat hdywel stark
anzusetzenden intransitiven hiweb. — Man beachte hier den Wechsel von
w und y als zweitem Radikal innerhalb des Mehri, cf. bdn, § 83, gegenüber
huwöb erwärmen § 85.
84. Bei Bildung des Steigerungs- rsp. Einwirkungsstammes
nimmt sich das Mehri die mediae geminatae als Muster, s. § 47,
1 Zur y hwl im Sinne von , verstehen“ ziehe ich den Ausdruck yih&id ,ja-
wohl*, bei M. auch yehduil 26. 33, welche Form deutlich zeigt, daß
wir eine 3. P. S. g. m. des Imperfekts vor uns haben; eigentlich soviel
als ,er versteht*, cf. unser ,Versteht sich!*. Auch erinnere ich an ar.
./g /
das im pers.-türk. Gebrauch soviel als jawohl, einverstanden,
gut!* bedeutet.
2 Zu den Bedeutungsgegensätzen vgl. hebr. b'DÜ töricht sein und
Acht geben, klug sein, verständig handeln.
90
II. Abhandlung: Bittner.
z. B. awid (ad ’ivd, ar. >'•=) zurlickkehren, Impf. Ind. ye’awiden
— Subj. ye’awid, Part, ma’awide, Imp. awid, Inf. awodet (cf.
§j82, Anm. 2); awil sich auf jemand verlassen können (wohl doch
= ar. jj£) Impf. Ind. yi’aioilen — Subj. yi’awil, Part, me’awile,
Imp. awil, Inf. awel (natürlich gataZ-Form = awdl); awin helfen
(ar. Impf. Ind. yi’awinen — Subj. yi’awin, Part, ma’awine,
Imp. awin, Inf. ta’awin (also taktib); awir verwunden, verletzen
(ar. jp. einäugig machen — ar. pp\ einäugig = mehri awer blind
— verderben, beschädigen, verstümmeln) Impf. Ind. ye’awiren
— Subj. ye’awir, Part, ma’awire, Imp. awir, Inf. ta’awir:; nuwil
mieten (Jahn denkt an ar. JB erreichen, erlangen; ist auch griech.
xd vav'kov ar. Jy zu vergleichen?) Impf. Ind. yinuwilen —
Subj. yinuwil, Part, menuwile, Imp. nuwil, Inf. noul ■ saioir malen
(ar. ppo) rupf. Ind. yisawiren — Subj. yisawir, Part, mesawire,
Imp. sawir, Inf. tesäwir (ar. — ; zuwil seinen Ort ver
ändern (ad zöl aufhören, ar. J'j) Impf. Ind. yizuwilen — Subj.
yizuwil, Part, mezuwile, Imp. zuwil, Inf. tezwil-, sawir flüstern
(etwa doch mit ar. raten zusammenzustellen) Impf. Ind.
yisuwiren — Subj. yisuwir, Part, mesuioire, Imps .uwir, Inf. sor
(= sawr, Grundstamm); suwet jemand sorglos lassen (vom
Geschicke; mit e = i) Impf. Ind. yisuwiten — Subj. yisuioet,
Part, mesuwite, Imp. suwet, Inf. tsuwit (für teswit); tuwih in die
Fremde gehen, sich in der Fremde herumtreiben (dicht.;
Jahn vergleicht ar. »G (w) umkommen [besonders durch Umher
irren], davongehen und verschwinden) Impf. Ind. yituwihen —
Subj. yituwih, Part, metuwihe, Imp. tuwih, Inf. tetuweht (also mit
Fern, -t; e — i oder i oder ä).
Anm. Zu quwor das Schiff vom Strande ins Meer ziehen', das als
Grundstamm gefaßt werden kann, cf. § 83 Anm., wenn wir es nicht als
Kausativum ohne h- ansehen wollen, cf. § 85, Anm. 1, gibt Jahn wie vom
Steigerungs- und Einwirkungsstamm Impf. Ind. yiquwiren — Subj. yiqawtr,
Part, mequich-, Imp. qawer, Inf. teqwirct (cf. tetuweht im Vorhergehenden). —
Ein Steigerungsstamm liegt auch gewiß vor in awej biegen, krümmen,
beugen (= awij, £«£)■
85. Das Kausativum bildet sich durch Vorsetzung von
ha- vor den Grundstamm (resp. Steigerungs-Einwirkungsstamm)
in seiner ursprünglichen Gestalt, z. B. liadwor drehen (ar. jO')
d. i. ha + dwor cf. § 80, Impf. Ind. yihadwiren (cf. yihaktiben
§ 28, Anm. 1 und die eben besprochene Form des Steigerungs-
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
91
Einwirkungsstammes der mediae w) — Subj. yihädwer (wie yi-
hdkteb), Part, mehadwire, Imp. hddwer, Inf. hadürot (= hadwe-
rot); hazuwöb (mit der Lanze) treffen, verwunden (ar. AjU=\)
Impf. Ind. yihazawub — Subj. yihäzawab, Part, mahäzoube, Imp.
hdzuwab, Inf. hazoubot — ganz rein erstes Kausativum = ar. IV);
hawor verwunden, verletzen (ad Y’wr, ar. jy*) Impf. Ind. yihä-
wor — Subj. yihdwar (aus yihd’war), Part, mahäware (aus ma
lm’ were), Imp. häwar (aus hä’wer), Inf. häwardt (aus ha’werbt) ■
hazawir aufstellen (ad Yzier stehen; zweites Kausativum =
aetli. II 2), sonst wie von hazuwor (erstes Kausativum = aetli. II1)
nämlich Impf. Ind. yihazawur — Subj. yihdzawer, Part, mehdz-
were, Imp. hdzawer, Inf. liazwerot. Hiezu noch die 3. P. S.
gen. i. hamüjot (das Meer rdurem) wogte (ad Ymwj, [ar. jrL°),
wozu Jahn nur noch das Part, mahumüjite (für mahmeiojite)
angibt.
Anm. 1. Auch bei Kausativbildungen von mediae w ist der Abfall
des Präfixes ha- zu konstatieren, und zwar deutlich bei: hnwob erwärmen
(für h-huwob, ha-hwöb; Jahn vergleicht sub hüb warm ar. i Hitze des
Feuers) Impf. Ind. yihaioöb (nur aus yihliawob zu erklären, im Grundstamm
müßte der Indikativ yihüb lauten) — Subj. yiliähweb, Part, mehdhübe, Imp.
hdhioeb, Inf. liübot (für hhüböt, hahwebot); in anderen Fällen liegt eine ,Ver-
mischung‘ des Grundstammes und des Kausativums, ja sogar auch eine solche
verschiedener Wurzeln vor, z. B. fük (die Tochter) verheiraten und fakk (die
Tochter) verheiraten (cf. doch ar. lösen, also freigeben) — da finden
wir zu hafük (das = hafieük sein muß) und zu fük (das = (h)füJc = (haJfwüJc
sein kann) als Ind. yihafülc (= yihaficük) und yifok, als Subj. aber yihdfäk
und zwar bei beiden, welches yihdfäk entschieden aus yihdffaJc verhört
wurde (= yihaflcak, also von massivem fkk), Part, mahdfäke (ebenso, also
für mahuffake = mahdfkake).
Anm. 2. liedwür ,verkündigen* ist ursprünglich nicht vierradikalig,
sondern eigentlich wohl nur das Kausativum von dioi', also eigentlich zirku
lieren lassen*, mit h statt h (cf. § 28, Anm. 3), Impf. Ind. yihedwür —
yihddwer, Part, mahddüve, Imp. hddür (= hddwer), Inf. hadürdt (=
hadwerdt).
Anm. 3. Unterdrückt erscheint io, wie in hafük, Anm. 1, auch in
henouf (henüf) winken (Jahn vergleicht hebr». bewegen, schwingen), das
mediae w sein muß, da Impf. Ind. yihenudf (aus yihenwoj) — Subj. yilienuef
und yihenüf (aus yihenwef), Part, mehenüfe, Imp. henüf, Inf. henüf dt (hier
immer ü aus tue) lauten und als Inf. auch nouf angegeben wird (zum Grund
stamm, aus ndwf über nowef also eigentlich noüf).
Als Partizipia passivi des Kausativums erscheinen mehedwir
rund (zu liadivor), mhaza’ib verwundet (aus mehazwib zu hazwob).
92
II. Abhandlung: Bittner.
86. Beispiele für Reflexiva von mediae iv: Getiveq 1 sich
nach der Heimat sehnen (ad ar. cf. Impf. Ind.
yistuwüq —• Subj. ytttiweq, Part, mesteweqe, Imp. stiweeq, Inf.
suioeq (nicht hieher gehörig; eine qatal-Form, für saicaq'): hdtouj
bedürfen (= liätüj aus hatwej, also hier ü aus we, zur Vliwj
cf. ar. jrU=J) Impf. Ind. yahtuwij (man erwartet yahtuwüj■ oder
statt yahtuwijen ?) — Subj. yahtiwij, Part, mahtüje (aus ma\i-
tew’je), Imp. ktiwij, Inf. htüjdt (aus htewjot neben lidjit —
—• atawod sich gewöhnen (ar. Impf. Ind. ye’atawiden —
Subj. ye’atwdd, Part, ma’atawide, Imp. m. atuvood — f. atxiwid,
Inf. dudet (= ar. \tdet, mit au für o neben Ayn, wofür Jahn
auch ödet hat ,Gewohnheit 1 ); atuivor verwundet werden Impf.
Ind. yi’atwiren — Subj. ye’atwor, Part, mätuwire, Imp. m. atu-
wör — f. atuwir, Inf. atwuröt; ftuwüt im Preise gleich sein
Impf. Ind. yiftumten — Subj. yiftuwöt, Part, meftuwite, Imp.
m. ftuivöt — f. fturnt, Inf. ftütöt; hatuwül verliebt sein Impf.
Ind. yahtuivilen — Subj. yahtuwdl, Part, mahtuwile, Imp. m.
hatuwöl — f. liatuwil, Inf. hauivel (wohl für ha u wel = hawel =
haival • auch zu hdywel verrückt sein, also wie zu ;
ntuwül (Geld) gewinnen Impf. Ind. yentuwilen, Subj. yintuivol,
Part, mentuwile, Imp. m. ntuwöl — f. ntuwil, Inf. ntuwelot; ze-
tuwöl vergehen (ad J'j) Impf. Ind. yizetuwilen — Subj. yizetuwdl,
Part, mezetuicile, Imp. m. zetuwol — f. zetuwtl, Inf. zölet (wohl
= zdlet oder zdulet). 2
Anm. 1. Die 3. P* PI. g. m. ntduhem sie stritten miteinander mit dem
Impf, yintäuham kann, da diese letztere Form sowohl Ind. als Suhj. ist, nur
für ntdwehem stehen, also zu einem Perf. ntmuah gehören; denn nur yilctd-
teben und yiktoteb lauten in der 3. P. PI. g. m. gleich, s. § 37, also yin
täuham = yintdweham, yint&w'hani. — Part. PI. m. mentawaliäye, Imp. ntdu-
ham, Inf. manuicäh, cf. § 82, Anm. 2.
Anm. 2. Hiezu das etwas nachlässig vokalisierte Part. pass, ma'au-
tuwid gewöhnt (für maHeioid mci atewid, dann mcCaluwid und endlich mit
Vokalharmonie beim Gleitvokal ma'utuwid = ar. und nicht = ar.
1 Sauq anbrennen, entzünden, das Jahn sub hoq hat, kann nur mediae
Ayn sein, s. § 60 und 64.
2 Hieher gehört auch Jcatewor ,zerbrich‘ (Fluchwort) — so Jahn — eigent
lich ein Imp. S. g. m. zu einem Reflexivum von hier nach der Form
ktetob, also von einem Perfektum kiemor\ Hein schreibt für lc ein g, es
scheint die Radix also eher qwr zu sein (cf. ar. soviel als Bei
Hein 29. 5 vgl. WZKM. 1910, p. 80, Note 1.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
93
87. Kausativ-Reflexiva von mediae w, z. B. shoiobb sich
erwärmen (ad ar. , 4«, Hitze des Feuers) Impf. Ind. yishowöb
(mit Vokalharmonie für yishewob) — Subj. yüdhweb, Part, ma
gdhübe, Imp. Sdhweb, Inf. shüböt (so wohl zu lesen für shäbot
bei Jahn, das Druckfehler zu sein scheint); so auch sfükot
3. P. S. g. f. sie heiratete, Impf. Ind. tisfok — Subj. tisdfäk, Part.
megfäkdte, Imp. sdfäk, Inf. fb’ik, welche Formen, wie folgt, zu
erklären sind: sfükot aus s(a)fwekbt zu einem s(ci)fwbk, tisfok
wohl aus tisfwok, tisdfäk eher aus tisdffak als aus tisdfwak mit
Rücksicht auf § 85, Anm., ebenso mesfakute aus megafaltete
(oder aus mesfwakite), gdfäk = sdffak — das lange ä scheint
sekundär zu sein — fo’ik (aus foivek = fawk, cf. Studien
I § 5). Diesen als ar. IV, äth. II 1 zu erklärenden Kausativen
von mediae w zur Seite stehen folgende auf den Einwirkungs
stamm zurückgehende Kausativbildungen von mediae iv, nämlich
Sijäwer jemandes Schutz anflehen (ad ar. gleichsam eine
X. Form von der III. JjA-) Impf. Ind. yisijduren (aus yisijd-
weren) — Subj. yisijawer (für yiHjdwer oder yisijower), Part, me-
sijdure (aus mesijdwere), Imp. sijdwer, Inf. mejöret (nicht hieher
gehörig, sondern zum Grundstamm, = ar. «j^“); ebenso iije’ub
antworten (ad ar. Antwort) für sijewub = sijeweb (statt
sijäweb mit Imäle, vielleicht wegen des j) Impf. Ind. yisijoben
(aus yisijäw(e)ben) — Subj. yisijob (aus yisjdwb, yisjaiceb, yis-
jdweb), Part, mesijobe (aus megjdw(e)be), Imp. sije’ub (siji’ub =
sjeiveb, also von einem Subj. yisjeweb mit Imale), Inf. juwbb
(= ar. iljl^L); auch sinewah (mit e — e) jem. anfallen, Impf.
Ind. yisinewahen — Subj. yisinewah, Part, mesineivahe. Imp. Si
newah, Inf. menuwäli (cf. § 82 Anm. 2).
Anm. Eigentümlich ist Sheduwür einen Umweg machen als Doppel
bildung, eigentlich Kaus.-Refl. des Kaus. hadwur: Impf. Ind.ytihedwor — Subj.
yiShedwer, Part. meShe.dwere, Imp. sliedwer, Inf. Shedürot.
b) Mediae y.
88. Im Gegensätze zu den mediae w, bei denen das w
im Grundstamme verschwindet, bleibt bei den mediae y das y
im Grundstamme erhalten. Nur unterscheidet die Sprache auch
bei diesen ebensowenig wie bei jenen Intransitiva nach der
Form kiteb.
94
II. Abhandlung: Bittner.
Von der Wurzel syr gehen, reisen erhalten wir nach dem
Schema Jcetdb für das Perfektum seydr. Dieses seydr selber
kommt natürlich auch als siyor (mit i statt e vor dem y) und
als slör vor (mit i aus ey), das y erhält sich aber durch sämt
liche Personen des Perfekts, wobei es sich allerdings mit dem
vorausgehenden e zu i verbinden kann, verschwindet aber nie
spurlos, wie das w der mediae w.
Im Imperfektum erscheint als Indikativ yisyor, als Sub-
junktiv yisyer. Von diesen beiden Formen läßt sich yisyor,
wenn wir dieses einem yisyar und dieses yisydr wieder einem
yisdyr gleichsetzen, mit der Vorstufe von yikoteb, d. i. yikdtb,
in Einklang bringen, während yisyer deutlich mit yikteb iden
tisch ist.
Der Imperativ ergibt syer (seyer, siyer), das Partizipium
auf öne natürlich slrone (aus seyr-one; selbstverständlich von
gyr z. B. gayrone). Für den Infinitiv kommt die Form kiteb
(und zwar ebensowenig wie das Schema des Perfekts der In
transitiven kiteb sich nachweisen läßt) eig. nicht vor, wohl aus
lautlichen Gründen, weil ein siyer schließlich bloß sir ergeben
würde (doch vgl. in § 90). Die Sprache zieht hier noch mehr
als bei den mediae w, andere Infinitivformen vor.
89. Das Paradigma von seydr lautet schematisch, wie folgt:
Perfektum
S. 3. m. seydr
3. f. slrot (aus seyerot,
sey’rdt)
2. m. seyerk
2. f. seyerS
1. c. seyerk
PI. 3. m. seyorem
3. f. seydr
2. m. seyer kein
2. f. seyer keil
1. c. seydren
Hier kann überall vor
siyerk usw.; es kann aber
Imperfektum
Indikativ Subjunktiv
yisyer
yisyor
tesyor
tesyer
Imperativ
tesyor tesyer ;
tesyir tesyerl
eSyor esyer
yisyb'em yisyerein
tesyoren tesyeren
tesyorem tesyereni
tesyiren tesyeren
nesydr nesyer
y statt e auch i stehen, also siyor,
auch e + y zu i werden, also slor,
seyer
seyer ein
seyeren
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache II.
95
slerlc usw. Verlangt der erste Radikal eher ein a als e, so bleibt
das y und wir erhalten z. B. von yayor—yayrut, gayerk usw.
90. Beispiele für die Formen des Grundstammes: ayob
schänden (ad ar. c_^s) Impf. Ind. yi’aydb, — Subj. yi’ayeb, Part.
ayböne, Imp. ayeb, Inf. dybet; jiyör (dicht.) zunehmen, an-
wachsen, Impf. Ind. yijiyür — Subj. yijiyer, Part, jlrdne, Imp.
jiyer, Inf. jirt (also im Infinitiv jry statt jyr); jiyos Leute zu
sammenrufen (Jahn vergleicht ar. ein Heer JkiAL sammeln)
Impf. Ind. yijiyüs — Subj. yijiyej, Part. jisone, Imp. jiyes, Inf.
jeys; Myom herumirren Impf. Ind. yihiyüm — Subj. yihiyem, Part.
heymone, Imp. Myem, Inf. heymi (wie von hmy); 3. P. S. g. f. hlsöt
menstruieren (wohl ar. JaLL zu vergleichen) Impf. Ind. tliayüs
Subj. thayes, Part, lilsdyte (== heysite), Imp. liayei, Inf. Ijaysbt;
hayun betrügen, verraten (ar. i m Arabischen mediae iv)
Impf. Ind. yihayon — Subj. yiliayen, Part, haynone, Imp. hayen,
Inf. hünet (ar. JJU.); kiyol messen, ausmessen (ar. JG f) Impf.
Ind. yikiyül — Subj. yilciyel, Part, kildne, Imp. kiyel, Inf. keyl;
niyök (nlok) coire cum femina (ar. eJ'li i) Impf. Ind. yiniuk —
Subj. yiniäk, Part, nlkone, Imp. nidk, Inf. nik (also niyk) ■ siyöl
eine Schuld einfordern (hdr. säla-, Jahn denkt nicht mit Unrecht
an ar. JLL (Impf. Ind. yisiyül— Subj. yisiyel, Part, silone, Imp.
sll (aus syel und dem ye zu i); siyor reisen (ar. jLo) Impf. Ind.
yisiyür, Subj. yisiyer, Part, sirone, Imp. sir (aus syer; auch si
= sye = sye(i') mit Abfall von r, cf. Studien I, S. 10, sub c),
Inf. mesir (aus mesyer); tayöb gut sein oder werden (ar. ■ >tfi)
Impf. Ind. yitayüb — Subj. yilayeb, Part, tayböne, Imp., tayeb,
Inf. tdybet; bei ziyod zunehmen (ar.-jj i) stimmt Impf. Ind. yiziyüd
— Subj. soll gleich sein dem Ind., was mit dem Imp. m. ziyod
und f. ziyed (= ziyid) stimmt, so daß wir ein intransitives ziyed
anzusetzen hätten — Part, ztdöne, Inf. zbyed (aus zdyd, zdyed,
zdyed, Form katb). 1
91. Der Steigerungs- resp. Einwirkungsstamm wird so ge
bildet, wie bei den mediae w und den mediae geminatae, z. B.
ayit laut rufen (ar. bU {) Impf. Ind. yi’ayiten — Subj. yi’ayit,
Part.ma’ayite, Imp. ayit, Inf. ta’ayit (== ta’yit); dayif bewirten
(ad ar. i) Impf. Ind. yidayifen — Subj. yidayif, Part, meda-
1 Beachte bän erscheinen (ebenso im ar. byn, aber auch bwn) im
Mehri nur Ind. yibiün und Inf. biyonet (also biyänet) mediae y, sonst io.
96
II. Abhandlung: Bittner.
yife, Imp. dayif, Inf. daydft (nicht hieher gehörig, sondern ==
ar. JitLö cf. Studien I, § 35); hayil eine List ersinnen (ar.
JJLw List) Impf. Ind. yihayilen —- Subj. yihayil, Part, ma-
liayile, Imp. hayil, Inf. hdylet (natürlich zum Grundstamm =
helet List, ar. LL&.; mit dy statt i wegen des Zf); hayiv ver
weigern, zurückhalten (ar. („IrL) Impf. Ind. yihayiren — Subj.
yihciyir, Part, mehayire, Imp. hayiv, Inf. tliayir (für taliyir) und
tliayir et {also fcifo/fo' + Fem.-f): hayib schreien (vom Fuchse) Impf.
Ind. yihayiben — Subj. yihayib, Part, mahayibe, Imp. hayih,
Inf. haybbt (wieder Grundstamm, eine qatlat-Form, Studien I,
§ 31); hayil einen Reitertanz (Fantasia) aufführen (hdr.-ar.
hdyyel; cf. ar. Rosse) Impf. Ind. yihayilen — Subj. yiha
yil, Part, mahayile, Imp. hayil, Inf. thayil (für tahyiV); hayirn
Zelte aufschlagen (ad ar. L^i.) Impf. Ind. yihayimen — Subj. yi-
hayim, Part, viahayime, Imp. liayim, Inf. haymot (ist nicht Inf.,
sondern wohl ein Nom. unitatis cf. Studien I, § 24); qayis messen
(aber ar. I o"b>) Impf. Ind. yiqayisen — Subj. yiqayis, Part.
maqayise, Imp. qayis, Inf. qaysot (Grundstamm); liyim auswählen
Impf. Ind. yiliyimen — Subj. yiliyim, Part, meliyime, Imp. liyim,
Inf. telyim-, niyit wegwerfen (Jahn vergleicht ar. hli [i] weit
entfernt sein) Impf. Ind. yiniyiten — Subj. yiniyit, Part, meni-
yite, Imp. niyit, Inf. niyot (Grundstamm); siyis reisen (wohl eig.
reiten cf. Reitknecht, mehri siyyös, hebr. C'C Pferd) Impf.
Ind. yisiyisen, Subj. yisiyis, Part, mesiyise, Imp. siyis, Inf. tsiyis
(== tesyis, t[e]siyis); siyif nach etwas ausschauen, ausblicken
(aber ar. c-sLo sehen mediae w und Grundstamm) Impf. Ind.
yisiyifen — Subj. yisiyif, Part, me&iyife, Imp. siyif, Inf. slfbt
(== Seyfot). — Hieher stelle ich als Part. pass, vieseyyis errichtet
(zur Vsys, die aus ar. ^Uofi] entwickelt erscheint cf. Studien I,
§ 20, Anm. 1) und tsiyüs Fundament (als Inf. zu einem siyis
errichten; für tsiyos — tesyds, cf. Studien I, § 18).
Anm. Ganz wie eine mediae y im Steigerungsstamme behandelt das
Mehri tiq trinken (das Jahn als Reflexivum zu haqou [ar. § 99] =
(h)tqy aufiaßt; er vergleicht etliches aus dem Chamitischen, wovon ich hier
besonders Hamir svq und Galla (Uig trinken anführe 1 — Impf. Ind. yetiqen
1 Ich möchte aber auch darauf aufmerksam machen, daß das ar. £-13 fi)
trinken, Inf. SS, wieder eher auf eine 1/tyq hinweisen würde, während
das S^auri Stiq er trank (mit 8 = Mehri h = ar. s) auf eine Reflexiv
bildung weist (z. B. M. 137, 9).
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
97
— Subj. yetiq, Part, metiqe, Imp. tiq können aus yeteyigen, yeteyiq, meteyiqe,
teyiq kontrahiert worden sein. Neben i kommt in diesen Formen jedenfalls
auch a vor; so hat Hein 13- 20/21 einmal nettag (was wohl für netäg stehen
dürfte), sonst i. Müller hat t, so tiq 25. 29. 40. 8, 106. 15; 50. 6 (Imp.); im
Imperfektum erscheint tiq bei M. als tertiae y z. B. yetiqiyen 2G. 15, ebenso
in der P. gen. fern. d. Perf. mit Pron. Suff. d. 3. P. S. g. f. tiqiets 106. 15
(aus tiqiot -f- .?) als ob die Sprache sich der sekundären Bildung bewußt
wäre und den 3. Radikal y noch fühlte. Ebenso wie yetiqen auch yekiren er
will (wie von einem kir = keyir).
92. Das Kausativum der mediae y wird ganz stark ge
bildet: hadayüm sich an etwas Abbruch tun (ar. Impf.
Ind. yihadayom — Subj. yihddayem (== yihddyem), Part, ina-
hddayme (= mehadyeme, mehädime; mit ciy statt i nach dem
d oder = mehdd[d]y’me) Imp. hadayem, Inf. hadaymöt (— lia-
dy'mot); hemiyül abweichen (ad ar. i) Impf. Ind. yihemiyül
— Subj. yihemiel (= yihemyel), Part, mehemile {== mehemyele
oder doch mehemile, wie Jahn hat, für mehemyile?), Imp.
liemiel, Inf. hemllot (== hemyelot); hazyüd vermehren (ar. >\j i)
Impf. Ind. yilmziyüd, Subj. yihäzied, Part, malidzide, Inf. hazldöt
(aus hazyedot)- haziüy Gold oder Silber schmieden (aber ar.
mediae w und Grundstamm jj-o u formen, bilden; die Kunst
des Goldschmieds ausüben), Impf. Ind. yihaziüy — Subj. yihdztj
(vgl. die Anm. zu diesem §), Part, mehdzaye (item), Imp. hdsag
(so mit s, wie mzöyot Schmelzofen pl. msdyoy cf. Studien I,
§ 31 und 78), Inf. hasaydt (vgl. die Anm.); liaziüh schreien (zu
ar. jAo i; zum Kaus. vgl. hehr. p'J?n, syr. ^dj) Impf. Ind. yi-
liaziöli — Subj. yihdzah — Part, mhdzehe, Imp. hazali, Inf. zd-
yali (zum Grundstamm; muß qitl sein cf. Studien I, Nachträge,
also für ziyah, daher eig. zdiyyah zu schreiben).
Anm. 1. Bei den letzten Beispielen vermissen wir iin Subj., Part,
und Imp. das y\ wie diese Erscheinung zu erklären ist, ersehen wir z. B.
aus hdzed-i und hizdi = gib mir mehr. Der Subjunktiv von hazyüd ver
mehren (mehr geben) lautet yihäzied (d. i. eig. yihäzyed) — es stehen also
häzed-l und hizd-i für häzyed-i. Nur wenn wir an i = ye festhalten, verstehen
wir liäzed-i = häzid-i = häzid-l = liäzyed-i; eine weitere Zusammenziehung
liegt in liizd-% vor, wo hizd — hized mit Vokalharmonie anzusetzen und dieses
letztere selber wie liäzed zu erklären ist. So stehen auch yiliäzg für yihäzyeg,
yihäzig yihdzig, yihäzäg — mehäzage für meliäzyege, mehäzige, mehäzige,
mehäzäge usw. »
Anm. 2. Als participium passivi des Kausativums einer mediae y
führe ich mehedyin Schuldner an (nicht = ar. >, denn dieses ist doch
Grundstamm; cf. Studien I, § 83).
Sitzungsfcer. d. pliil.-liist. Kl. 168. Bd. 2. Abh. 7
98
II. Abhandlung: Bittner.
93. Beispiele für Reflexiva: gdtiyed (gdtiyet) in Zorn geraten
(d, t für z; ar. fei* i, cf. Impf. Ind. yigatiyüd —■ Subj. yigatid
(aus yigtiyed mit Gleitvokal zwischen g und t und in i zusainmen-
gezogenem iye), Part, magatide (aus magteyide), Imp. gatid
(aus gtiyed), Inf. gtiyd (d. i. kie) oder gatitot (d. i. = ycityetdt);
gatiyub abwesend sein (eher sich entfernen, ad ar. i)
Impf. Ind. yigatiyiben — Subj. yigatiybb, Part, meyatiyibe (aus
megteyibe), Imp. m. gatiyob f. gatiyib, Inf. tjayb (nicht hieher
gehörig); htiyür wählen (ad ar. jtk. i\ cf. jlX&J) Impf. Ind.
yahtiyiren — Subj. yahtiydr, Part, mahtiyire, Imp. m. htiyor
£ htiyir, Inf. hdyret (nicht hieher gehörig — wohl == Mret);
rtiüd sich freuen, untätig dasitzen, Impf. Ind. yirti’ujen, Subj.
yirti’dd,, Part. merti’id,e, Imp. m. rti’bd — f. rti’id, Inf. ribd
(riybd = riydd)- so wird wohl auch gatiür sich verändern (cf.
ar. , das Jahn ohne andere Formen angibt, Impf. Ind.
yigatyiren — Subj. yigatyör, Part, magtiyire, Imp. m. gatybr,
f. gatyir bilden.
Anm. 1. Die Wurzel syh (ar. t-Lo i reisen) bildet ein Reflexivum
stoyeh ,herumwandern‘, stark nach k-t-oleh, cf. § 35 und 37 — Impf. Ind.
yistehen (aus yistdy(e)hen — Subj. yistSyeh, Part, mestehe (aus viestäy(e)he),
Imp. stuycli (wohl m., also f. stiyeh), Inf. stilläut (für stihut aus steyhot mit
au statt 6 neben dem li. Ebenso wie stoyeh. scheint mir auch duyah be
trunken werden, Schwindel oder Ohnmacht bekommen, ein stark gebildetes
Reflexivum nach lctoteb zu sein, mit Assimilation des infigierten t an den
1. Radikal, also dvyali = dtbyali (ü statt ö vor dem y) — die anderen Formen
wie von einem Grundstamm diyblj., nämlich Impf. Ind. yidiyoh — Subj.
yidiyäh, Part dihone, Imp. diyälj., Inf. dalit (dolit = Jk.) > — im Arab. ist
^1 > mediae to).
Anm. 2. Das Kausativ-Reflexivum dürfte dem Kausativum analog
formiert werden. Belege fehlen mir.
c) Defekte.
94. Die den arabischen Defekten entsprechenden Verba 1
des Mehri, denen sich hier auch etliche zugesellen, die an
1 Hiezu wären zu vergleichen bei Jahn in der Grammatik S. 104:
,y) Verba III“ w‘ und S. 107—109: ,y) Verba III“ y‘ und ,4. Verba IIP'
defectae 1 — Jahn teilt diese Zeitwörter in drei Gruppen, doch kann
man bei dieser Einteilung nicht zur gewünschten Klarheit gelangen.
Dabei ist im Einzelnen folgendes zu bemerken, zunächst zu Seite 104
y) Verba III“ v: Tertiae w gibt es im Mehri gewiß mehr, als drei,
allerdings tritt das w nicht immer als w auf. Die Regel, daß w hinter
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 99
dritter Stelle der Wurzel eigentlich ein Hamza erwarten lassen,
zeigen schon im Grundstamme, gleichgiltig, ob sie transitiv oder
intransitiv sind, oh sie als dritten Radikal w, y oder Hamza vor
aussetzen, nur eine und dieselbe Behandlungsart. So erscheinen
die Wurzeln sfw, bny und qr’ des Arabischen im Mehri —
formell ohne Unterscheidungsmerkmal — als safü rein sein
(ar. fa-A), benü bauen (ar. ) und qarü lesen (ar. VjS). Diese
Formen vermag ich mir nur zu erklären, wenn ich für sie nach
der Form Jcetöb der starken Transitiven safo-y, beno-y und qard-y
ansetze: ich denke mir, der dritte ,Radikal' sei abgefallen,
nachdem er — als y — das 6 zu ü hin verfärbt hatte und
bemerke, daß bei den Defekten dieses 6 vereinzelt noch vor
kommt (rsp. auch als du, du je nach der Art der (beiden)
anderen Radikale).
i stets in y übergeht, ist falsch, vgl. z. B. cdm hoch (aus aliw — s. Stu
dien I, § 8), mahasdyü Kämmerer (aus mah.nw, vgl. Studien I, § 83) oder
gleich dort im Paradigma von bivuwot ,sie gebar* die in Klammer stehenden
Formen, wo überall hinter i sich doch deutlich w zeigt; zur Erklärung
von hdyU vgl. § 100 und zu der von lioll § 103 — halwet ist identisch mit
ar. und kalbt so viel als hahläw-t, woraus halildut und schließlich
(h)halot wurde. Nebenbei bemerkt steht im W. p. 196, 1. und 2. Kol.
■= ar. \UL., wofür doch jedenfalls, nachdem im Arabischen in den ab
geleiteten Stämmen alle tertiae w zu tertiae y werden, zu schreiben
ist; ferner ist das S. 107 /) Verba III ne y mit ,z. B.‘ angeführte lehey,
,meckern*, so viel ich sehe, ÜTia£ Xeyofievov; es ist eine deutliche
tertiae y, aber als mediae gutturalis nach der Form Iceteb ganz stark
gebildet, also eigentlich lehäy, wozu die eine Form für Ind. und Subj.
yilhey (für yilhdiy statt yilhey) schön stimmt, während das Partizipium
mit dem Präfix me- d. i. melheye nicht zum Grundstamm gehören kann.
Auch stimmt die Regel im nächsten Absatz nicht: denn im ,Präsens
Subjunktiv* lassen nicht ,einige*, sondern alle Verba das i abfallen. In
den Beispielen im 3. Absätze ist i nicht = ?/, sondern aus ey hervor
gegangen. Zu hfe = hfä cf. Studien I, § 7 NB. und zu mejire — mejrä
oder = mejre aus mejrdy Studien I, § 22. Schließlich ist seldt (= ar.
Inf. zu soll leben doch keine k^jUtä-Form, sondern wohl ÄXÄ9;
hiclot Inf. zu hodl leiten gehört nicht zu diesem (ar. , sondern
ist Kausativum, nämlich = hehdäio-t, hliedaict, (h)hedbt\ endlich ist
S. 108 (gegen die Mitte zu) in den Infinitiven qdyi% keyrl und jihl das
l aus ey hervorgegangen (für eig. qirey, kisey und jihey nach lciteb) und
(ebendort Mitte) sind dire ,Blut fließen*, d. h. fließen (z. B. Blut) und
köre ,er hat vermietet* formell tertiae Hamza vgl. § 70; das S. 109 an
geführte meide ,er hat onaniert* zeigt Akzentverschiebung und ie für e,
und scheint mir für mere (d. i. mm) zu stehen, cf. § 70, Anm. 2.
7*
100
II. Abhandlung;: Bittner.
95. Der dritte schwache Radikal — mag er nun ur
sprünglich ein w, ein y oder ein 3 (Hamza) sein — ist bei den
Defekten des Mehri aber auch sehr beweglich, ganz ent
sprechend seiner Veränderlichkeit. Wir werden sehen, daß er
in den anderen Stämmen immer als y erscheint und dann in
gewissen Fällen an die zweite Stelle der Wurzel, also zwischen
die beiden starken Radikale, springen kann, wie er dies
übrigens schon im Impf. Ind. des Grundstammes tut, ja den
beiden starken Radikalen sich sogar voranzustellen imstande ist.
Gleich das Paradigma des Perfektums des Grundstammes
zeigt deutlich, daß der schwache Radikal an dritter Stelle
verschwunden ist und dialektisch bald als i, bald als u zwi
schen den beiden ersten Radikalen erscheint, ähnlich wie im
Arabischen bei den mediae w und y im Perfektum in jenen
Personen, wo konsonantisch anlautende Flexionsendungen stehen,
ein u oder i an den schwachen zweiten Wurzelbuchstaben
erinnert (cf. cufs oder O Aj von qivl resp. syr).
Jahn gibt für das Perfektum kesü (lcsu) finden zweierlei
Abwandlungsarten an; die eine soll im Dialekte von Gdydat,
die andere in dem von Qäsän (Gischin) gebräuchlich sein, wäh
rend in den Ileinschen Texten, die doch an der zuletzt ge
nannten Stelle gesammelt worden sind, zumeist solche Formen
von Defekten Vorkommen, die Jahn in erster Linie erwähnt.
Ich stelle im folgenden Paradigma die von Jahn als qäsänisch
bezeichneten Formen in Klammer.
Nach Jalm iin Dialekte Nach Jahn im Dialekte
von Gäydat
von Qäsän
Perfektum S. 3. m. ksü
(leusi) 'S
*+o.
3. f. ksüt
2. m. kusk
2. f. kuses
1. c. kusk
PI. 3. m. ksimn (lcsiwom)
3. f. ksü
2. m. kuskem
2. f. küsken
1. c. Jatsev (Iciisen)
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Spraelie. II. 101
Für ksü hat Hein meistens das meiner Ansicht nach ur
sprünglichere ksü (etliche Male auch Icsö, aber auch — zwar
selten — kus) • für küsk kommt auch mit Sprengung der aus
lautenden Doppelkonsonanz und Dehnung des betonten Vokals
des so entstandenen Zweisilbers küsek vor, vgl. bei Jahn Jcusen
neben Imsen (aus Icüsn). Zur 3. Person g. m. der Mehrzahl
finden wir bei Hein eine Menge von Nebenformen, die sich auf
folgende Arten reduzieren lassen:
a) ksiwem (soviel als ksium, lisiwom der ersten Reihe
bei Jahn),
b) lcsiyem,
c) ksiem,
d) ksehem (d. i. ksihem ■ auch ksehem),
e) Icsühem und ksdhem (auch ksühem, ksohum, ksöhem
ksöhum),
f) ksüim (d. i. = ksüem, ksoem,
g) küsem (küsim, kusem).
Von diesen Formen der 3. P. g. m. des Perfektums scheinen
mir die ersten vier zusammenzugehören: ksiwem steht vielleicht
für ksowem, mit ähnlicher Substitution von 6 durch i, wie bei
den abgeleiteten Stämmen (haktibem für haktobem usw., vgl.
§ 28). In diesem ksiwem mag w (der dritte Radikal) zwischen
den zwei Vokalen ausfallen und nun der so entstandene Hiatus
entweder bleiben (ksiem) oder durch y (lcsiyem) oder durch h
(ksihem) ersetzt werden. Bei den anderen scheint mir bloße An
fügung des Suffixes -em an ksü (Jcsö) resp. kus, d. i. die 3. P.
S. g. m., vorzuliegen, also ksü-em, kus-em resp. ksühem (ksdhem)
mit Einschub von h zur Vermeidung des Hiatus. Oder sollte
-hem als ursprünglichere Form des Suffixes -em abgetrennt
werden, d. i. h ausgefallen und fallweise gar nicht oder durch
w, y ersetzt worden sein ? Die Lösung dieser Fragen ist allerdings
nicht einfach. Um zu zeigen, daß diese Formen in der Sprache
tatsächlich Vorkommen, führe ich Beispiele aus Hein hier an,
zunächst von ksü finden herkommende und zwar ksiwem
140. 9, kisiyem 56. 25, ksühem 14. 13, kesohem 13. 28, ksühem
16. 7, ksoliem 14. 2, Jcüshum 14. 16, küsem 131. 26, lcüsim
30. 29, küsum 97. 16/17, ferner von benü bauen: biniwem
130. 7, biniyem 57. 25, binehem 39. 9, benühem 116. 2 (mit
Note), von jirü Vorbeigehen (ar. : jiriwem 33. 5, 102. 12,
102
II. Abhandlung: Bittner.
jiriyem 102. 8, jrehum 13. 16, jerühem 13. 28, jirühem 13. 28,
jerohem 11. 3 und von fsü frühstücken: fsüwem 107. 9, 108. 33,
feiern 36. 1, fsehem 14. 6, fsöhum 23. 14/15. 1 NB. Eingescho-
benes h werden wir auch beim Imperativ finden, vgl. § 97.
96. Von einer sicheren Erklärung des Zustandekommens
„ der Perfekta safü, benü und qarü vorderhand noch absehend,
betrachten wir jetzt die beiden Modi des Imperfektums: der
Indikativ lautet yisdyf, yibeyn, yiqdyr, der Subjunktiv yisfe,
yibne, yiqre (nach Jahn yisfe, yibne, yiqre mit e). Diese Formen
lassen sich aus yikdtb, der Vorstufe von yilcoteb, und yikteb
ableiten und legen es nahe, für das Perfektum ketob als Schema
anzunehmen. Im Indikativ ist der dritte (schwache) Radikal
als y vor den zweiten (starken) Radikal gesprungen, im Sub
junktiv ist er — meines Erachtens ■— als y ganz abgefallen.
Es sind also die Indikative yisdyf, yibeyn, yiqayr aus yisdfy,
yibeny, yiqdry (nach yikatb), die Subjunktive yisfe, yibne, yiqre
aus yisfey, yibney, yiqrey (nach yikteb) entstanden. Möglicher
weise ist das y im Subjunktiv auch nicht abgefallen, sondern
steckt in dem e, aber für den Indikativ gibt es wohl keinen
anderen annehmbareren Erklärungsversuch. Denn wir finden
z. B. neben yikeys ,er findet 1 auch ein yekösi Hein 30. 2, neben
yibeyk ,er weint' auch ein yebokif Formen, die wir uns nur
nach yikoteb, also aus yikäsy, yibdlcy, resp. yikosey, yibbkey
entstanden denken können.
In diesen eben erwähnten Nebenformen des Indikativs
kann dann weiter — aber seltener — das i (also somit auch der
3. Radikal) abfallen. Ich werde unter den im folgenden noch
zu gebenden Beispielen für den Grundstamm der Aktiven resp.
Transitiven noch Gelegenheit haben, darauf zu verweisen.
Anm. Diese Grundformen des Imperfektums haben sich bei b&i bäh
schreien ganz deutlich erhalten: dieses Zeitwort, das mediae c und tertiae y
ist, hat im Ind. und Subj. yibäi, das für den Ind. nur = yibd'ey, für den
Subj. nur = yib'äy (für yib'ey) sein kann; Part, bayone, Imp. bäi, Inf. bayüt.
Oder steht yibäi für yib'&y, indem die Sprache bäi als mediae * behandelt?
97. Das Paradigma des Imperfektums von ksu zeigt fol
gende Formen:
1 Vgl. WZ KM. 1910, S. 92, Absatz 2.
2 Jahn hat Impf. Ind. yibeyk — Subj. yibkc.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 103
Indikativ Subjunktiv
S. 3. m. yikeys yikse
3. f. tekeys tekse
2. m. tekeys telcse,
2. f. tekeysl tekse(l)
1. c. ekeys ekse
PI. 3. m. yikeysem yiJcsem
3. f. tekeysen teksen
2. in. tekeysem teksem
2. f. tekeysen teksen
1. c. nekeys nelcse
Imperativ
1 ksem
j ksen
Zu diesem Paradigma ist folgendes zu bemerken: je nach
der Beschaffenheit des ersten Radikals kann auch d für e stehen,
ey kann auch zu e (i) kontrahiert werden und eventuell als e
Vorkommen, z. B. yikesem Hein 13. 6. In der 2. Person S. g. f.
des Subjunktivs dürfte die Femininendung -l wohl Vorkommen,
im Imperativ des genns femininum der Einzahl ebensowenig
wie in kteb gebraucht werden. Im (Subjunktiv und) Imperativ
fallen Formen auf, in denen statt e (mit Einschub von h oder
mit Zerdehnung) ehe (ehe) steht, z. B. jirehen geht (f.) zu Hein
20. 26 = jren. Die Nebenform des Indikativs yikosl weist
natürlich auf Formen, in denen das y als dritter Radikal hervor
tritt wie z. B. 3. P. PI. g. m. yikdsiyem sie finden Hein 48. 32
(ganz stark, wie yikdtekem).
08. Das Partizipium auf -one lautet regelrecht kesyöne
f. kesyite, PI. m. kesyeye f. kesyoten — nach Jahn in der ge
wöhnlichen Sprechweise ksi’öne (ksidne aus k’seydne, ksiyöne)
resp. ksi’ite (ksiite), ksi’eye (ksieye), ksiüten.
Das Partizipium passivi der Form mektib lautet meksi (aus
meksiy) z. B. mayli gekocht (ar. aber auch meksuo z. B.
maqandyü, mqaneü (= maqmw mit ay statt i nach dem q)
Knabe (eig. Zögling, von qanü erziehen), mhazdyü Kümmerer
(eig. mahziw, mahsayw verschnitten von hasü — ar. — me-
deni schwanger, trächtig (vielleicht für mehdeni, also kaus. ohne
h-, cf. § 104, von dini schwanger sein, s. § 100).
Der Infinitiv hat bei den Defekten oft die Form kiteb
und zwar erscheint unser lcesü im Infinitiv als kisi (aus kisey).
Beispiele im folgenden Paragraphen.
104
II. Abhandlung: Bittner.
Natürlich kommen auch hier andere Nominalformen als In
finitive vor; man vergleiche bohl als Inf. zu bekii weinen (ar.
als Vertreter einer hatJ-Bildung, ganöy als Inf. zu yoni singen
(ar. ^.ti), garüy als Inf. zu gdtirl reden, liiqby als Inf. zu tiq
trinken (§ 91, Anm.) und dergleichen als Beispiele für hitub,
hatäb ev. hutdb mit Beibehaltung des y, neben hfe als Inf. zu
hofl verbergen (ar. t _ s iA), ise als Inf. zu osl e. ein Abendmahl
geben und dergleichen als Beispiele für dieselben Formen ohne y,
cf. Studien I, § 7, Anm. — Besonderes Augenmerk ist zu legen
auf zwei Bildungen mit der Ableitungssilbe -an, nämlich nehiyon
Inf* zu nehü 1 vergessen (wie ar. zu und das se
kundäre sheriyön zu skori mieten § 106.
Ziemlich oft finden wir auch die Form hitdbet, wobei der
schwache Radikal als w erscheint: also als hisdwet anzusetzen.
Dieses hisdwet erscheint einerseits als lcisbwet, z. B. hitowet zu
hato nähen (aber ar. bbk mediae y), qaynowet (mit ay für i
wegen des q) zu qaml erziehen, qayrowet (item) zu qarii lesen
(aber ar. süzu jp»), andererseits aber auch als hisot und hisüt
(aus hisaw-t für hisdw-t — hisdwet cf. Studien I § 35, resp.
aus Jcisew-t für hisdw-t = hisdw-t — hisdwet') z. B. diwüt zu
dauwi kurieren, heilen (ar. cf. § 103), birut zu birü ge
bären u. dgl., welche Formen diwüt, birüt sich nur aus diwewt
— diicäwet, bireivt = birdwet erklären lassen. Bei qasoit zu
qosi § 103, 105 a und 108 ist w zu * geworden.
99. Einige Beispiele mögen noch die am häufigsten vor
kommenden Nuancierungen der Vokalisation der Defekten,
deren Formen den bis jetzt aufgeführten entsprechen, zeigen,
z. B. asü ungehorsam, widerspenstig sein, rebellieren (ar. i^*)
Impf. Ind. ya dys — Subj. yaasd, Part, asione, Imp. cisd, Inf.
dysy, bedü lügen (nach Jahn zu liebr. N?? vgl. Studien I § 5)
1 Jalin liat im W. (he)nhu und gibt als Ind. eine mit dem Subj. yinhe
identische Form yinhey an, was nicht richtig sein kann, weil der Imp.
nehey lautet (mit?/). Wahrscheinlich soll es Ind. yineyh heißen; doch zeigt
auch das Kausativum Unregelmäßigkeiten, denn das Perfektum lautet
lienhey außer Gebrauch kommen (eig. pass. ,vergessen werden, in Ver
gessenheit geraten 4 ), Impf. Ind. yihenhey (cf. das Simplex), aber Subj.
yilieneh (regelrecht für yiheyneh), Part, mehenhe (aus mehcnehe melicynehe),
Imp. heneli (aus heneh, heyneh) — Inf. henhvt (aus lienhew-t). — NB. Per
fektum und Impf. Ind. fallen auf — denkt die Sprache an eine vier-
radikalige Bildung hnliy und steht 6 für 6 (statt 6) = ä?
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 105
Impf. Ind. yibeyd (für yibedy) — Subj. yibde (für yibdey), Part.
bediöne (für bedeyöne bedyöne), Imp. bde, Inf. bedi (== Mdi);
fehl Läuse suchen (ar. Impf. Ind. yifeyl — Subj. yifle,
Part, feliöne, Imp. feie, Inf. filz; fsü dinieren Impf. Ind. yifes
(aus yifeys) — Subj. yifse, Part, fsiöne, Imp. fse, Inf. ftSl;
jel,idu kommen (mit au nach dem li, für jelid), Impf. Ind. yijah
(für yijeh aus yijeyli, mit ä statt e vor dem h) — Subj. yijehd
(mit Gleitvokal und «statt 6 nach dem li), Part, jaheyöne, Imp.
jehä, Inf. jehi-, jirü vorbeigeben (ar. ^3^), Impf. Ind. yijeyr
— Subj. yijire, Part, jiriöne, Imp. jire, Inf. jiri; hajü fassen^
Impf. Ind. yiheyj — Subj. yihaje, Part, hajiyöne, Imp. haje,
Inf. .häyji (mit dy für i, als ob = lidyjl — es ist hajü wohl
identisch mit hajü, s. im folgenden); haqdu tränken (mit ou nach
dem q = ar. mit h = s für liaqb), Impf. Ind. yiheyq —
Subj. yihaqd (mit Gleitvokal und d statt e nach dem q), Part.
heqeydne, Imp. liaqd, Inf. hiqi (heyql); l.iajü einschließen, Impf.
Ind. yiheyj — Subj. yihaje, Part, hajiyöne, Imp. haje (als f.
daneben haji), Inf. häyji (für hiji aus lnjey); hauioö herum
gehen (= lia u wö), Impf. Ind. yihdyü (== yihdyw aus yilmwy) —
Subj. yihawe, Part, hawiyöne, Imp, hawe, Inf. fehlt bei Jahn;
hatö nähen i} r hty gegenüber ar. Vbyt, blä. , Impf. Ind.
yihdyt — Subj. yihatä (für yihte, mit a nach dem t), Part.
halayöne, Imp. hatä, Inf. hdyti (= hiti, mit dy statt i nach
dem ä); liazü (hasü) wegnehmen, Impf. Ind. yihdys — Subj.
yalise, Part, hasiyöne, Imp. /mse (als f. daneben hast), Inf. hdysl-
liazü (körperlich) schwach werden; nicht wollen; verteidigen,
Impf. Ind. yihayz — Subj. yihaze, Part, haziyöne, Imp. haze,
Inf. hdyzl\ Icarü verbergen, verschweigen (bei Hein vielleicht
besser mit q), Impf. Ind. yikdyr — Subj. yikare, Part, kariyöne,
Imp. kare (als f. daneben kari), Inf. kdyri; qanü erziehen,
Impf. Ind. yiqdyn — Subj. yiqane, Part, qaniyöne, Imp. qane
Inf. qdyni (neben qaynöivet = qindwet, cf. qayröwet, Inf. zu qarü
lesen, ar. hVys zu (pi); msü Durchfall haben (Jahn: ,vgl. ar.
jemanden purgieren'; diese Bedeutung hat aber nur ar.
u-iL, zu ‘[ÄJc Abführmittel, das im Mehri als mase Abort vor
kommt [so mit s, aber msü mit s]), 1 Impf. Ind. yimeys — Subj.
1 v. Jahn, W. s. maSe — klass.-ar. doch und nicht wie Jahn hat,
f % C f *
106
II. Abhandlung-: Bittner.
yimse, Part, mesibne, Imp. mie, Inf. mdsl oder nnsl- nuwu zu
sammenbrechen (dicht.; ar. u), Impf. Ind. yineü (aus yineiv
= yineyw) — Subj. yinue (= yinwe), Part, nuivione (= ne-
ivyone), Imp. nüe, Inf. niwl; rdu werfen (ar. mit Steinen
bewerfen), Impf Ind. yireyd — Subj. yurde (yerde), Part, re-
dione, Imp. rdi (= rde — rde), Inf. ridi\ tanü willenlos sein
(Jahn vergleicht IV sich träge zum Lager neigen), Impf.
Ind. yitdyn — Subj. yitane, Part, taniöne, Imp. tane, Inf. tini;
tebil brüllen (Stier) Impf Ind. yiteyb — Subj. yitebe, Part, te-
biöne, Imp. tebeInf tibl\ sarü {’zaru) sich beeilen, Impf. Ind.
yisdyr — Subj. yisare, Part, sarione, Imp. sare, Inf. sdyri\ touni
essen, Impf. Ind. yiteü (aus yiteyw, also für yiteu) — Subj. yite
(aus yitwe cf. im vorhergehenden yinwe von nuwu, das stark
behandelt wird, während hier bei yite das w, d. i. der zweite
Radikal verschwunden ist; also yite wie yider von dör § 81),
Part, tuwibne, Imp. te (und f. ti), Inf. tiwöt 1 (aus tiwewt resp.
tiwaio-t — tiwäw-t = tiwäiu-et)-, towü (taioti-, in Qäsän tuwi ar.
L5>b) in der Nacht kommen; falten Impf. Ind. yitdyü (für
yitdyw) — Subj. yitawe (= yitwe mit Beibehaltung des w), Part.
tuwione (tawione), Imp. tawe (fern, tawi), Inf. tdywi.
Genau so bilden die übrigen Formen delü ein wenig an
schwellen, jinti abwesend sein; gasü überschreiten, sich über
etwas erheben; liazü (lia.su) wegnehmen; hazii (Jahn denkt an
ar. in Unglück fallen) körperlich schwach werden, nicht
wollen, verteidigen; hetü galoppieren (ar. US kleine Schritte
machen), qalü rösten (ar. ^_$^), lesü regnen; mbu befehligen
(Jahn vergleicht ar. U.i jemand überlegen sein; es ist aber
wohl auch assyr. nabü heranzuziehen), rdu mit etwas ein
verstanden, zufrieden sein (ar. ^^j); senü das Kamel Wasser
aus dem Brunnen ziehen lassen (ar. U-“:); telti einen geliebten
Freund nicht ziehen lassen; sarü schnell gehen (das vielleicht
mit ar. zusammenhängt), iebü erhaben sein (ar. U-&).
Wie man bei einigen Beispielen bemerken kann, wird
manchmal neben dem Imp. auf -e, der eig. generis communis
sein sollte, noch eine separate Form für das Femininum auf -*
angegeben, so zum Beispiel bei beim weinen, Imp. m. beke (fern.
bela), delü — Imp. m. dele (fern, deli, liasü — Imp. m. base
2 Cf. auch metuwe Diät als Inf. mit Präfix me-.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 107
(fein, hast) u. dgl. — Da nun einige Male die Form auf -i der
auf -e ohne nähere Angabe bloß in Klammer beigesetzt erscheint,
ist es nicht ausgeschlossen, daß beide identisch sind — e (für e)
und i wechseln doch im Mehri — und die auf -i bloß miß
bräuchlich für das genus femininum verwendet wird.
100. Bei etlichen defekten Wurzeln kommt im Perfektum
auch das Schema des intransitiven hiteb vor. Dabei zeigt sich
als dritter Radikal deutlich y, nur einmal — aber ebenso deut
lich — iv.
Tertiae y sind so im Mehri in der Form kiteb z. B. biql
bleiben (aus biqey mit l = ey, ar. J5ÄI), dinl schwanger werden
(Jahn gibt die dritte Person generis feminini der Einzahl diniöt
an, doch lautet die 0. P. PI. g. f. dinl), hdyli frei sein (— hüll,
mit ay statt 1 nach dem h, ar. Ük. [V], also hlw), qeysey (qayzl)
beendet sein (ar. Ua» cf. — NB. qeysey = qisl mit
Diphthongisierung beider i-Vokale wegen q und s und qäyzl
mit z — s und ay — i nach dem q), wifl mannbar werden (ad
ar. ^3), sinl (bed.) sehen, sich zeigen. Das Paradigma des
Imperfektums dieser intransitiven tertiae y ergibt schematisch
folgende Formen, z. B. von sinl:
Perfektum
S. 3. m. sinl PI. 3. m. sinem (Jenem)
3. f. sineyot (senyot) 3. f. sinl
2. m. sink 2. m. imkern (Senkern)
2. f. sinS 2. f. Sinken (Senken)
1. c. Sink 1. c. sinen (Senen).
In der 2. und 1. P. ist der 3. Radikal y als i zwischen
den zwei starken erhalten, cf. kusk usw.; 3. P. PI. wohl eig.
sin-em nach Sin-k, ebenso 1. P. PI. eig. Sin-en nach Sin-k usw.
Im Imperfektum werden diese Zeitwörter stark behandelt
und zwar bilden sie nicht wie Intransitiva der Form kiteb nur
eine Form für die beiden modi des Imperfektums, sondern
ebenso wie die Tertia Ayn der Form kiteb, s. § 65 und 66,
getrennte Formen für den Indikativ und Subjunktiv nach den
Schemen yikoteb und yikteb (wie von ketob her). Im Parti
zipium zeigt sich das y als dritter Radikal, der Infinitiv hat
meist die Form kiteb.
108
II. Abhandlung: Bittner.
Betrachten wir die einzelnen Formen dieser Zeitwörter:
biql bleiben Impf. Ind. yiboq (eig. yiböql = yiböqey, also l—ey.
zum Abfall des i vgl. § 96) — Subj. yibqä (— yibqe wie von
einem beqii), Part, baqciyone (= baqyone), Imp. baqä, Inf. biqi,
diniöt schwanger werden (d. i. 3. P. S. g. f.), Impf. Ind. tedönl
— Subj. tedine (= tedne wie von denn,), Part, diniite (fern, von
einem dinibne — denyone), Imp. dini (= dine, dine), Inf. dinv,
kdyli frei sein Impf. Ind. yiholl — Subj. yihale, Part, halidne,
Imp. hale (halt), Inf. liahoet (natürlich = ar. äpA.); qeysey,
(qdyzl) beendet sein, Impf. Ind. yiqosey — Subj. yiqsä, Part.
qazidne, Imp. qazä, Inf. qdysey (= qisl, mit dy und ey wegen
q und s), Sini sehen, sich zeigen, Impf. Ind. yesöni ■— Subj.
yesne, Part. Senidne, Imp. sene (Hernie mit Vorschlag-i vor e),
Inf. üinl; NB. wifi hat die anderen Formen vom Kausativum,
s. im folgenden.
101. Als tertiae w in der Form Mteb finde ich bloß birü
gebären (= birew, zur Etymologie vgl. Studien I, § 28, Nr. 3;
auch gibt Jahn wie bei dini die 3. P. PI. g. f. an und zwar lautet
diese deutlich Mru). Zum Unterschiede von dem tertiae y bildet
dieses birü genau so wie Mteb — also ganz stark — im Imper
fektum für den Indikativ und Subjunktiv nach der Form yiktöb
— ich führe gleich den 3. P. S. generis feminini an — tibröü
(entschieden = tebröio)-, das Partizipium zeigt das w, es lautet
— g. f. — birwite (also zu berwone): Imp. briü (f. = beriw),
Inf. birü. Vgl. auch bereu geboren (= bariw, Studien I 1. c.)
und biruwüt Geburt (= biräwet, Studien I 1. c.). Jahn gibt
S. 104 seiner Grammatik folgendes Paradigma von biruwot sie
gebar: Perfektum S. 3. f. biruwot (aus birewöt), 2. f. birwis
(statt birews), 1. borük (fällt auf, man erwartet birewJc, birük),
PI. 3. f. birü, 2. f. (sic) birwukem (aus birwekem = birewkem) —
dafür soll es wohl Feminin — birwuken heissen, 1. birwen\ im
Imperfektum Ind. und Subj. zweierlei Reihen: eine zeigt 6, die
andere i, nämlich S. 3. f. tibröü und tibriü (regelrecht erwartet
man aber bloß tibröü = tebrow), 2. s. tibröü und tibriü (regel
recht erwartet man aber hier bloß tibriü = tebriw), 1. abröü
und abriü (man erwartet die erstere), PI. 3. f. tibröun und tibriün
(man erwartet die erste tibröün = tebrbwen-tebrbun), 2. f. ti-
bröum und tibriüm (so auf -m statt auf -n, cf. Sg.; man erwartet
die zweite und zwar auf -«), 1. c. nebröu und nebriü. — Meiner
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 109
Ansicht nach hat sich hier i für d von der 2. P. S. g. f. tebriw
auch in den anderen Formen, die alle generis feminini sind,
mißbräuchlich breit gemacht.
102. In den abgeleiteten Stämmen behandelt das Mehri
sämtliche Defekte als tertiae y, nur bildet es die dritte Person
des Perfektums des Kausativums und der einen Art des Kau-
sativ-Reflexivums ganz analog der des Grundstammes der Tran
sitiven. Um uns die einzelnen Formen zu erklären, brauchen
wir uns bloß die Schemen des starken Verbums vor Augen
zu halten, als dritten Radikal immer ein y einzusetzen und das
Lautgesetz ey — i zu berücksichtigen. Beiläufig gesagt, steht
das Mehri, was die Bildung abgeleiteter Stämme von Defekten
betrifft, auf dem Standpunkte des Arabischen (und Syrischen).
Wir finden für den Steigerungs- resp. Einwirkungsstamm kosi
(aus kosey nach Icoteb = katteb und käteb), für das Kausa-
tivum haksü (direkt aus kasü), für das Reflexivum einerseits
kdtsl (aus kdtsey nach kd-t-teb) und andererseits ktösi (aus
ktosey nach k-t-oteb), für das Kausativ-Reflexivum einerseits
saksü (analog dem Kausativum liaksü) und andererseits skosi
(aus skosey nach s-koteb).
Man halte daran fest, daß sich in den Paradigmen der
abgeleiteten Stämme mit Ausnahme der dritten Personen des
Singulars, des Perfektums nach haksü und salcsü überall y zeigt.
Von der Aufstellung eigener Paradigmata kann wohl abgesehen
werden. Zu beachten ist ja nur, daß man zwar haksü, saksü
nach kasü bildet (und ebenso das Fern, auf -üt), aber dann
weiter so wie bei den starken Zeitwörtern, also hakseyk,
hakseys allenfalls kontrahiert haksilc, haksis usw., natürlich
auch hakseyem (liaksiein) 3. P. PI. m. und liakseyen 1. P. PI.
formiert.
103. Der Steigerungs- resp. Einwirkungsstamm lautet nach
der Form koteb (mit l = ey) kosi (aus kosey) z. B. osi ein Abend
mahl geben (ar. Impf. Ind. yi’asiyen — Subj. ye’osi, Part.
ma’dsiye, Imp. osi, fern, (fehlt bei Jahn, muß m oder dysi sein),
Inf. ise (nicht hieher gehörig, ist = cf. Studien I, § 7, Anm.);
boli fragen (bei Jahn ohne Etymologie, gehört doch zu ar.
prüfen, erproben, VI. und VIII. einen ausfragen usw.) Impf.
Ind. yibalyen — Subj. yiboli, Part, mabälye (= mebdleye), Imp.
m. holt — f. bili, Inf. bild (ist = bile, aber nicht ar. p.j, sondern
II. Abhandlung: Bittner.
110
= ar. Jl cf. Studien I, § 7, Anm.); jori fahren (eig. == ar.
zum Laufen antreiben; cf. neup. fahren =
Kaus. von gehen, also zum Gehen antreiben) Impf. Ind.
yijerien —• Subj. yijorl, Part, mejerie, Imp. m. jöri — f. jirl,
Inf. mejire (für mejrd, im cf. Studien I, § 21);
hoch teilen, verteilen (= ar. beschenken) Impf. Ind. yi-
hedien -— Subj. yihödl, Part, mehedie, Imp. m. hödl — f. hidl
Inf. hldot (wohl = hidot = hidäwet); honl mit Hinna (mehri
kenne == ar. *Ü=>.) reiben (nicht = ar. sondern ÜA) Impf. Ind.
yihdniyen — Subj. yihönl, Part, mahdniye, Imp. m. honl —
f. Mm, Inf. haniyöt (wohl eig. kaus. = hahniyöt), hofl verbergen
(= ar. l^lL) Impf. Ind. yihdfiyen — Subj. yihöfl, Part, mahdfiye
(mahdfie), Imp. m. hofl — f. hifl, Inf. hfe {== ar. *ULL das Ver
borgensein); dduivl (= dowi) heilen (ar. ^_£jb) Impf. Ind. yiddu-
zoiyen (== yidd u wiyen) — Subj. yidöwl, Part, madowiye (mit Beibe
haltung des 6, für madd u wiye, madowiye), Imp. m. dowi — f. diwi,
Inf. diwüt (wohl aus diwewt = diwäwet zusammengezogen, cf.
birut); holl eine Frau entlassen (cf. ar. ^lA), Impf. Ind. yihali-
yen — Subj. yihöll, Part, mahdliye, Imp. m. holl, Inf. kalbt (wohl
aus haldt = halawat oder aus hildwet); qbfl sich umdrehen
und Weggehen (gehört wohl zu ar. Ui Hinterkopf, Kehrseite,
Revers; cf. ar. ff \ sich abwenden und Rückseite, Rücken;
also ,den Rücken wenden*), Impf. Ind. yiqdßyen — Subj. yiqbfi,
Part, maqäfiye, Imp. m. qofi (fern, fehlt bei Jahn, wohl qdyfl),
Inf. teqafbt (wohl eine Form ähnlich wie LLrÄj statt bei
Defekten; etwa taqtal[a)t)- qbsl leiden, dulden (ar. tjLU) — alles
andere wie von einem qdtsl § 105, a mit Ausnahme des Subj.,
der wie von einem saqs.ü § 106 gebildet ist und des Inf. qaso’it
(aus qasäwet ar. äjLkä); soll beten (ar. i^I-k), Impf. Ind. yisd-
lien — Subj. yisöll, Part, masdlie (masali), Imp. m. soll f.
sdyll, Inf. salbt (natürlich = ar. iiU, äth. i mbsi be
grüßen (von Jahn wegen der dabei beachteten Sitte ad ar.
gestellt, v. Wörterbuch s. v.) Impf. Ind. yamesien —
Subj. yambsl, Part, mamesie, Imp. m. mbsi — f. misi, Inf. me-
soy (natürlich aus misäy und nicht hieher gehörig); wo dl
die Religionspflichten erfüllen (Jahn vgl. hebr. m’ Hiph. Gott
loben), Impf. Ind. yiwddien — Subj. yiicodl, Part, maivddie,
Imp. m. ivodi ■— f. widl, Inf. toudiybt (deutlich üLJu, also
für tawdiyat)); wö&l reizen Impf. Ind. yiwa&ien — Subj.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 111
yiwösi, Part, maivdsie, Imp. wösl, f. wisi, Inf. tüsöt (aus tew-
sdwt); gönl singen (ar. ( _ r ic) Impf. Ind. yiganien — Subj. ya-
yönl, Part, mayänie, Imp. m. gönl — f. geyni, Inf. ganöy (== ganäy
ad. ar. *Us Gesang).
104. Das Kausativum bildet sich und zwar augenschein
lich auch von den Intransitiven, die deutlich y zeigen, durch
Vorsetzung von ha- vor das Schema ksü, es hat also die Form
halcsü. Im Imperfektum tritt der dritte schwache Radikal wie
beim Grundstamme als y auf und springt auch im Indikativ,
wie beim Grundstamme, vor den zweiten, im Subjunktiv sogar
vor den ersten Radikal: wir haben Imperfektum Indikativ
yihakeys (also kys für ksy) und Subjunktiv yihaykes (also yks
für ksy). Das Partizipium richtet sich nach dem Subjunktiv,
ist also schematisch als mehdykese anzusetzen; daraus wird
mehekese und indem e in drittletzter Silbe verkürzt wird, ent
steht mehekese (eventuell mehekse). So erklären sich z. B. hebdu
belogen werden (zu bedu lügen, wozu Jahn Xi: vergleicht)
Impf. Ind. yihebeyd — Subj. yihebd (aus yihebed — yiheybed
— wie man sieht, hier ybd = bdy) Part, mehebde Imp. hebd,
Inf. sebdöt (gehört zum Kausativ-Reflexivum, v. unten § 106);
hadalidu achtgeben, sich in Acht nehmen (für hadhü resp. hadliü,
hadho mit du statt o nach dem h und mit Gleitvokal) Impf.
Ind. yihaddh (= yihadeh — yihadeyh, mit d statt e [aus ey]
wegen des h) — Subj. yihddah (= yihädah = yihedah = yi-
lieydah),. Part, mehddahe, Imp. hddali, Inf. hadahdut (wie hak-
tebot } aus haktäb + at, also hadhäw-at): hedenü schwängern (zu
dini schwanger sein) Impf. Ind. yihedeyn — Subj. yiheyden,
Part, mehedene (für meheydene, mehedene), Imp. heyden, Inf.
hedenüt (== hednawt, hednot aus hedndw + t); hederü (dicht.)
hinaufgelangen (hoch auf den Berg steigen) Impf. Ind. yihedeyr
— Subj. yiheyder — Part, mehedere, Imp. heyder, Inf. hederöt;
hejerü davongehen (ad jiru ar. also [sich] in Gang setzen)
Impf. Ind. yihejeyr — Subj. yihejer (= yilieyjer), Part, mehejere
(aus mehejere = meheyjere), Imp. hejer (= heyjer), Inf. hejerüt;
hejowü nichts tun Impf. Ind. yihejdyii (= yihejdyw — Radix
jwy hier zu jyid) — Subj. yiliijou (= yiheyjew, yihijew, yiMjü
— hier yjw), Imp. hijou, Inf. hejawöt (aus hejiväw -f- f); hagasü
Schwindel haben (passivisch; ar. Impf. Ind. yihagdys
— Subj. yihdgas (= yihegas, yiheyyas), Part, mehdgase, Imp.
112
II. Abhandlung: Bittner.
hdgas, Inf. hagasüt (oder auch gäysi = gisl zum Grundstamm);
haqowti fest, stark machen, abhärten (ad ar. aus cf Xjä)
Impf Ind. yihaqdyu (= yihaqdyw) — Subj. yihdqou (— yihd-
qew, yiheqeic — yiheyqew), Part, mhaquwe — mehaqewe = me-
häqeioe = meheqewe — meheyqewe); holiäu sich verstecken (nicht
mit Jahn ad hwy, sondern, da hohdu = hawhü sein muß, zu
why, also ad ar. einem etwas insgeheim sagen =
Giä.) Impf Ind. yihwdh (aus yihiveyh) — Subj. yihü’ah (aus
yiheywah, yihewah, yihewah, dann mit u aus ew endlich yi-
hüah), Part, mahü'ahe, Imp. hu ah, Inf fehlt bei Jahn; hamlü
füllen (zu mile cf. § 70) Impf. Ind. yihameyl — Subj. yihimel
(== yiheymel, yihemel), Part, mehdmale (für mehimele, mehemele),
Imp. Mmel, Inf. hamelüt; henwti wollen, sich liinsehnen (richtig
zu beabsichtigen, üho Absicht) Impf. Ind. yihneü (aus yi-
linew, yilineyw) — Sub. yihinü (aus yihenew, yiheyneiv) Part.
mehenue (aus mehenewe, mehenwe), Imp. hinü (henü), Inf. henu-
wüt (aus urspr. heniuäw-t); hatawü bringen (zu towü, taicü in
der Nacht kommen, ar. Impf. Ind. yihatdyü (= yihatdyw) —
Subj. yihitou (== yihitew resp. yihitaw aus yihetaiv für yiheytaiv),
Part, viehatowe (aus mehetewe, melietuioe für meheyteive), Imp.
hetou, Inf. hataicöt; hüfü abbezahlen (ad ivifi, ar. 1^5) Impf.
Ind. yihaweyf — Subj. yihüf (aus yilieiof und dieses für yihe-
ivef = yilieywef), Part, mahüfe (aus mehewfe für mehewefe aus
meheywefe), Imp. hüf (aus heivf für heivef, heywef), Inf. hüfut
(aus hewfüt resp. urspr. hewfäiv-t, hewfewt; dieselbe Form bei
wufü Grundstamm oder Kaus. ohne h ); liouzü auslüschen, aus-
ziehen (nicht zu gjj, sondern zu hebr. HS" cf. Müller bei Hein 38.
29, 94. 4, 5 und 9, 113. 1 und 128. 20 und WZKM., 1910, S. 93,
Note). Impf. Ind. yihawez (aus yihaweyz) — Subj. yihuz (aus
yihetoz für yihewez, yiheywez), Part, meliiize (aus meheivze für
meheweze, meheyweze), Imp. hüz (aus hewz für heivez, lieywez),
Inf. hauzüt (aus hawzewt = hawzäw + t).
Anm. 1. Einigemale fehlt das Kausativzeichen im Perfektum und
im Indikativ des Imperfektums auch bei Defekten: flu jem. über etwas auf-
klären (wohl für h-ftu, = ar. ^.^9 \), Impf. Ind. yifeyt (für yihfeyt, yihefeyt)
— Subj. yihdft (aus yiMfet = yiheyfet), Part, mehefte (aus mehefete = me-
heyfete), Imp. lieft (aus liefet = hey fet), Inf. ftuwe (d. i. ar. also
ftuwi = futwe = fiitwä); towu abfüttern (für h-towü, cf. towü essen § 99),
Impf. Ind. yiteyü (für yihteyw, yiheteyw) — Subj. yihitü (aus yiheytevS), Part.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 113
mehituwe (resp. wohl mehituwe aus meheytewe), Imp. lntil (für heytew), Inf.
tuwot (wie vom Grundstamm, § 99).
Anm. 2. Mischung mit dem Grundstamm liegt vor bei hedu den rechten
Weg leiten (ar. ^^a), Impf. Ind. yiheyd, Imp. hede (mit einem f. hedi, cf.
§ 99, Ende), Inf. hedüt (aus hidewt — liidäwet), aber Subj. yihehed (aus
yilieyhed wie von hehdü).
Anm. 3. Interessant ist huwahdu laufen (beduinisch), das nicht mit
Jahn Reduplikation einer Wurzel hwy sein kann, sondern ein Kausativum zur
Vwhy ist, bei welchem das kausative h zu h geworden zu sein scheint (cf.
ebenso hedwiir verkündigen, das auch nichts anderes als ein Kausativum zu dwf
ist [ar. jb], also in Umlauf bringen, s. § 85, Anm. 2), Impf. Ind. yUmweh (aus
yiheweyli) — Subj. yihüh (aus yihewh für yiheweh yiheyweh), Part, mahohe
(= mahühe aus mahewhe für mehewehe meheyiuehe), Imp. hu ah (— liewali
mit (l = eiv für liewali lieywah), Inf. liuwahdut (aus hewhdwt = hewhew-t =
heiohdiü -{- t). — NB. Das von Jahn angeführte yihdyah er läuft — was eine
singuläre Form sein soll — ist wohl nichts anderes als yihdy(w)ah (aus yilnwah),
also Subj. von huwahdu mit Elision des w und mit dy statt i neben dem h.
105. Von den drei Arten der Reflexiva kommen bei den
Defekten, soviel ich sehe, nur die erste und die dritte vor.
Diese beiden zeigen deutlich y als dritten Radikal und zwar
erscheinen sie im Perfektum schematisch als Icdtsi (aus kdtsey
nach ka-t-teb, s. § 34) und. als ktosi (aus ktosey nach k-t-öteb,
s. § 36). Während nun aber dieses letztere die beiden Modi
des Imperfektums regelrecht nach yiktdteben — yiktoteb bildet,
weicht das erstere in der Formation des Indikativs und Sub-
junktivs ab. Wir haben zwar ktosi — Ind. yiktdsien (aus yik-
tdseyen nach yiktdteben) — Subj. yiktosi (aus yiktosey nach
yiktoteb), aber katsl — Ind. yiktosi (also gleichsam direkt vom
Grundstamme abgeleitet, auf yikösl zurückgehend und nicht
nach yiktetob) ■— Subj. yiktisl (aus dem regelrecht nach yih-
titeb gebildeten yilctisey) und daneben auch yiktis, das wohl
mit yiktisl identisch sein wird, indem das auslautende i von
diesem abgefallen sein dürfte. Oder soll man yiktis — yiktiyes
setzen (also yiktiteb mit Umstellung der Wurzel ksy zu /m/s)?
Das Partizipium zu ktosi ist mektdsie (aus mektdseye nach
mektdtebe), das zu katsl schließt sich an den Subjunktiv yiktis
an und lautet mektise, welche Form eventuell aus mekteyise
(nach mektetibe, das aber zu dem bei den Defekten nicht nach
weisbaren ktetob gehört, von der Wurzel kys statt ksy) ent
standen sein könnte. Der Infinitiv erscheint von kdtsl und von
ktosi aus als ktesiöt (aus kteseyöt).
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 168. Bd. 2. Abli.
8
114
II. Abhandlung: Bittner.
Als Beispiele für kdtsi betrachte man, und zwar
a) mit dem Subjunktiv yilctisi z. B. hdteml abblassen (von
der Farbe) Impf. Ind. yihatümi — Subj. yihatiml, Part, melia-
time, Imp. liatim (NB. ohne -i), Inf. hcitemiyot; gdtiri sprechen
(cf. Studien I, § 45) Impf. Ind. yigatürl — Subj. yigatirl, Part.
magatire, Imp. gatir (NB. ohne -i), Inf. gcirüy (eigentlich nicht
hieher gehörig, sondern = garüy pl. gariyin Sprache; Gespräch,
Bede); dazu von qösl § 103 Impf. Ind. yiqatusl, Part, nieqatise,
Imp. qatis (ohne i; qatisi mit i wird — wohl fälschlich — als
f. angegeben);
b) mit dem Subjunktiv yilctis z. B. kdterl sich verbergen
(bei Hein gry) Impf. Ind. yihatürl — Subj. yikatir, Part, meha-
tire, Imp. Icatir, Inf. katiriyöt; lidtkl abhangen Impf. Ind. yah-
ttikl — Subj. ydhtik, Part, mahtike, Imp. hatik, Inf. hakuwet
(nicht hieher gehörig, eig. hakwat); kdtebx erstarrt sein Impf.
Ind. yikätühl —■ Subj. yikatib, Part, makatibe, Imp. katib, Inf.
katibiyöt; jdtfl sich umdrehen, Umstürzen (von Jahn mit
ar. wegrücken verglichen; vielleicht zu qofi, s. § 103,
indem es ein Heinsches ydtfi sein könnte, bei welchem g ety
mologisch zwar — q wäre, aber mißbräuchlich auch j ge
sprochen wurde cf. WZKM., 1910, S. 81, oben) Impf. Ind. yijtüfl
— Subj. yijtif, Part, mejitife, Imp. jittf, Inf. jitfibt.
Das andere Reflexivum ktosi liegt vor in z. B. atonl be
gehren (von Jahn zu gestellt) Impf. Ind. yiatenien —
Subj. yi atonl, Part, nuiatenie, Imp. m. atonl — f. atinl, Inf.
ateniybt; atbsl zu abend essen (ar. Impf. Ind. yi'atesien
— Subj. ye atosl, Part, nidatesiye, Imp. m. atbsl — f. atisl, Inf.
Ilse (natürlich = ’ise — ar. cf. Studien I, 7, NB.); nietoni
begehren, wünschen (ar. Impf. Ind. yimtenien — Subj.
yimtoni, Part, memtenie, Imp. m. metoni — f. metini, Inf. mini
(nicht hieher gehörig, für mina ); rtojl hoffen (ad ar. 4y-^j) Impf.
Ind. yirtejien — Subj. yirtöjl, Part, me.rte.jie, Imp. m. rtojl —
f. rtiji, Inf. rije (natürlich = rija, cf. Studien I, § 7, NB.);
stöml sich nennen (ar. ^dJ) Impf. Ind. yistemien — Subj. yi-
stbml, Part, mestemie, Imp. m. Storni — f. stimi, Inf. stemiöt;
wutodi die religiöse Waschung verrichten (ar. tS>y, tertiae Hamza)
Impf. Ind. yeütddien — Subj. yitbdl (wie ein yittödi aus yiwtbdl
mit Assimilation von w an das infigierte t), Part, maütddie,
Imp. m. tödl (eig. ttodi) — f. fehlt bei Jahn, Inf. wddü (eine
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 115
qatl-Form = ivddw) und wutidey (meiner Ansicht nach analog
der Infinitivform des Grundstammes kiteb gebildet, für ivtidey).
Hieher gehören zwei Reziproka, die Jahn im Plural auf
führt , nämlich mtäsiem sie küßten sich gegenseitig (zu mosl
küssen, cf. § 103), Imp. Ind. und Subj. — fallen in der 3. PI.
zusammen — yimtesiem, Part, memtesieye, Imp. fehlt bei Jahn,
wohl mtesiem, Inf. mesoy (nicht hieher gehörig, wohl = misäy
mit Beibehaltung des y); htadiyem untereinander verteilen
(Jahn vergleicht un< i führt die Form ohne h an, man
spricht also tddiyern), Impf. Ind. und Subj. yitddiyem (ohne h),
Part, metidiyeye, Imp. tddiyern, Inf. tidoy (eine nicht hieher ge
hörige interessante Mißbildung wie von einer Radix tdy nach
qitdl oder steckt hierin ar. JOaXäl, also = htiddy mit Beibe
haltung des y, wie aus (i)htidäy zu ^^Xaü?).
106. Was das Kausativ-Reflexivum betrifft, so folgt die
eine auf den Grundstamm zurückgehende Art desselben genau
dem Kausativum haksü und lautet so schematisch Saksit, wie
es auch im Imperfektum ebenso wie das Kausativum den
3. Radikal als y zwischen, resp. vor die beiden anderen springen
läßt, während wir für das andere auf den Steigerungs- resp.
Einwirkungsstamm kosl weisende ein skosi anzusetzen haben.
Partizipien und Infinitive werden von beiden regelrecht gebildet.
a) So finden wir nach saksü z. B. sebedu anfangen (cf.
ar. tertiae Hamza), Impf. Ind. yisebeyd — Subj. yiüibed
(aus yiseybed), Part, mesebde, Imp. sibed (aus seybed), Inf. sibedüt
(aus sibdäw-t, sibddw-t, tiibdew-t); sidalni achtgeben, Impf. Ind.
yisidäh (= yisideh, mit ä statt e, aus yiSideyh) — Subj. yisidah
(= yiüulah = yiseydah), Part, mesidalie (= meseydahe), Inf-
sidahäut (== sidhäw-t, sidhäw-t); sqanii erzogen werden, Impf.
Ind. yisqdyn— Subj. yiseqan (aus yiseyqan für yiseqan), Imp.
ieqan, Part, meidqcine (aus meseyqane), Inf. qaynowet (eig. = qi-
näwet Erziehung); süfit mannbar werden (ad ar. ^3, formell
ar. Impf. Ind. yisuiväyf (= yihcdyf) — Subj. yi&üf
(aus yisewf = yiSewef — yi»eywef\ Part, mesüfe (aus meüewfe
= mesewefe aus meSeywefe), Imp. süf (aus sewf = sewef =
seywef), InfSufüt (= sewfewt = iewfdvo-i); sezafil sich erkun
digen (nach Jahn zu zafot = safdt = ar. J-ä-f), Impf. Ind.
yisezdyf — Subj. yisezaf (= yisezaf = yiseyzaf), Part, mese-
zafe, Imp. Sezaf, Inf. zafot (nicht hieher gehörig); shelii schön
8*
116
II. Abhandlung: Bittner.
sein (etwa mit li, cf. ar. ^A*-), Impf. Ind. yishdyl — Subj.
yitsihal (aus yiseyhal), Part. meSähale (= mesehale aus vieiey-
hale), Imp. iehal (aus selial — seyhal), Inf. halöt (nicht bielier
gehörig); Shdwu wünschen (ist nicht mit Jahn zu ar. und
zu stellen, daher im M. nicht sub §, sondern sub h ein
zureihen — in der Gramm, p. 112 unter Yerba anomala —
gehört wohl zu ar. lieb, gern haben), Impf. Ind. yi&heu
(== yishew aus yisheyw) — Subj. yiHihu (= yiSeyhew), Part.
mesehuwe (= meSehewe aus meseyhewe), Imp. Uhu (= seyhew),
Inf. Showot (aus sahawwot, $(a)hauwöt, wie eine med. gern. s. § 52)
und Söqwu stark sein (wie ar. ^yüuA) bei Jahn ohne weitere
Formen; ebenso sejü sich beeilen (Jahn denkt an ar. das
wohl kaum heranzuziehen sein dürfte; vielleicht sind die Ra
dikale überhaupt sjy?); hieher auch das als Subj. zu qdsl
§ 103 angegebene yiSdqos (für yisäqas aus yisdyqas mit o im
Anklange an qösl.
Anm. 1. Sonderbar ist serje bitten (ad rjw ar. für zu erwartendes
serju — es scheint mir d von dem anzusetzenden Sarjdw als e neben j er
halten und w abgefallen zu sein), Impf. Ind. yiSrej (= yiSrdyj) — Subj.
yiserj (für yiserej aus yiseyrej), Part, ms er je (für mSereje aus mseyreje), Imp.
Serej (so wohl zu lesen statt Serej), Inf. rlja (natürlich nichts anderes als
rije = i=U^ Bitte).
Anm. 2. Hier einzureihen ist auch Safu, das einerseits ,abbitten‘ und
andererseits ,gesundwerden £ bedeutet (zur resp. V'fy d. i. ar. / yLs,
also einmal zu yLc und das andere Mal zu Gesund
heit), Impf. Ind. yiSdyf (= yisViyf) — 1 Subj. yiidf (— yiäd'f für yisef aus
yisdyef), Part, mesäfe (= mesd'fe für mesefe aus meSdy e/e), Imp. Sdf (== saf
für Je’/ aus sdy’ef), Inf. safiit (aus Safeio-t = safdiu-t). NB. Der Indikativ
yisdyf könnte auch von einem safu (d. i. Wurzel Sfy) herkommen, wozu man
ar. heilen, kurieren vergleichen möge, dem im Meliri allerdings Sofa
entspricht (cf. § G7). — Hängen etwa also und La's. zusammen, d. h.
geht, etwa auf \J& zurück?
Anm. 3. Endlich sehe ich auch in sdidau (nach Jahn dem Dialekt von
QaAän angehörig, mit unregelmäßiger Betonung für Sadau\ bei Jahn sub
/ Mio) sich verzögern eine Kausativ-Reflexivbildung von einer Radix 'dy,
ich setze also saddu = saddu (mit au für 6 (ti) wegen des d) — so erklärt
sich jedenfalls der Subj. yiSdid (letzterer für yiSd'd = yiSed aus yisdy ad
während der Ind. yisdyd allerdings von einer Wurzel Sdy herkommen könnte;
aber yiSdyd ist auch aus yisdyd erklärbar). Bei Bildung des Part. sa^Liöne
dachte wohl auch die Sprache an eine Wurzel sdy.
Anm. 4. Aus dem unter den Beispielen für Sa7csü genannten Sidaliu
hat sich nach Jahn im Qäsän eine, neue Ksdh entwickelt, die als sidali —
wohl eig. sidah nach kiteb — erscheint und folgende Formen bildet: Impf.
I
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 117
Ind. yisiddh (wie yilctöb), aber Subj. yuddah (das zu Sidahu gehört = yiSedah
aus yiseydciJi), hingegen Sidehyune (wie vom Grundstamme mit parasitärem y),
aber Imp. sidah wieder zum Subj. yiSddali, ebenso Inf. Sidaliöut. Bis auf den
Ind. und das Part, sind die Formen mit den oben sub Sidahu angeführten
identisch.
b) Als skosi sind zu beurteilen, z. B. skorl mieten (wie
10. Form von i^JS), Impf. Ind. yiSkdrien — Subj. yiSkorl, Part.
meskeriye, Imp. skerl (aus skery ursprünglicher als skorl, das
erst aus skdry entstanden ist, d. h. yiskorl — yiSkäry), Inf.
skerion (eine sonderbare Bildung — ein Infinitiv auf -an, cf.
§ 22, b); shaliyot 3. P. S. g. f. sie ging vom Manne weg (cf.
holl § 103), Ind. teshdliyen (— Subj. wohl tesholi), Part.
meshaliyete (= meshaleyite), Imp. shäll (mit «, das noch nicht
zu 6 geworden cf. Subj.) — Inf. fehlt bei Jahn; Sejezl (mit e
neben dem j) vergelten (wie 10. Form von ^jta.), Impf. Ind.
yisjezien — Subj. yiSejezl (mit e neben dem j), Part. mesSjezie,
Imp. sejezl (cf. den Subj.) — Inf. fehlt bei Jahn. Vgl. zum e
neben dem j § 42 und § 87 (jedesmal am Ende).
Anhang.
a) Verba mixta und anomala.
107. Im Anhänge möchte ich zunächst noch einiges zu
Jahn, Grammatik, S. 109—113, Verba mixta und Verba ano
mala bemerken. Unter den ersteren versteht Jahn doppelt
(und auch dreifach) schwache Zeitwörter; die dort sub a) — o)
angegebenen Verba mixta habe ich schon oben an den be
treffenden Stellen behandelt. Das sub n) genannte daywü
miauen ist, wie Jahn in Anm. 1 meint, als ein vierradikaliges
Zeitwort zu fassen (Ydyww, cf. im folgenden § 111). Wie wiqa
,er wurde, war', S. 110, zu erklären ist, ersieht man aus § 67;
im Paradigma bei Jahn ist nur die 3. u. 1. P. Plur., resp. c.,
auffallend: wir erwarten weqa^em und weqa'en, woraus natürlich
üqäm und üqän werden kann (bei Jahn wüqäm und ivüqän
vielleicht für miqäm — ivüqän — iveqäm — weqän). — Das auf
S. 112 folgende toioü ,er aß' ist doppelt schwach, cf. § 99, towü
= tuwü aus teivtt; um aber die einzelnen Formen im Para
digma bei Jahn auch erklären zu können, dürfen wir uns nicht
118
II. Abhandlung: Bittner.
immer das von kesü, § 94 u. 97 vor Augen halten, sondern
müssen auch das von möt, § 82 zugrunde legen: die 3. P. S.
g. f. tuwot (— teicot nach metot), die 2. P. S. g. m. touk (für
taivk — oder tük für teiok nach matk — metk), die 2. P. S. g. f.
tus (für tews nach mets), die 1. P. S. g. c. touk (towuk aus
taivk oder tewk, resp. teivek, nach matk — metk), dann 3. P.
PI. g. m. tuwi(w)um (nach ksium), 3. P. PI. g. f. towü (wie die
3. P. S. g. m.), aber 2. P. PI. g. m. und f., sowie die 1. P. PI.
g. m., nämlich tdwukem tdwuken und töiven (nach viot, für
tdwkem, tdivken, tawn) ■ das Imperfektum nach yimot und yimet,
also Ind. yitöu (aus yitöw) und Subj. yite (aus yitew mit Abfall
des w, nicht nach yikse — denn sonst hätten wir yitwe) usw.;
Part, tuwidne (für teivydne nach kesyone). — Das nächste juya
,er hungerte', gleichfalls S. 111, ist § 67, Anm. besprochen
worden. — Was die Verba anomala, S. 112 und 113, betrifft,
so sind bei den meisten nur scheinbare Anomalien zu finden:
zu ddybet ,packen' vgl. § 6, 13 Anm. und 22 c, zum ,Passiv'
daybet § 35, Anm. 7 — bei got ,helfen' ist der Ind. yigdyt
(nach yikeys) von einem defekten gatü hergenommen worden,
desgleichen das Übrige, aber vom Kausativum, Subj. yihdgat,
(also für yihdgat = yihegat aus yihdygat cf. § 104 besonders
die Formen von hagasü), Part, mahdgate und Imp. (ha)gat —
das Verbum shöivu ,wünschen' könnte höchstens insofern anomal
scheinen, als man shoivü mit dem Tone auf dem -u erwarten
würde; selber ist es nichts anderes als Kaus.-Refl. einer Vhivy
= ar. cf. § 106 — sem ,verkaufen' und setem, ,kaufen'
habe ich § 60 (61, 62) und § 13 angeführt; dazu beachte auch
§ 64, Note 3 — mit tiq .trinken' befaßt sich § 91, Anm. und
temä ,belauschen' steht für htemä, s. § 68 — ob das ähnlich
wie neup. als Hilfszeitwort zur Bildung des Futurums
verwendete häm (hom) .wollen' als mediae w (cf. ar. oder
als mediae Ayn (eine Form für Ind. und Subj.) zu fassen ist,
möge dahingestellt bleiben, cf. § 81, Note 1.
b) Vierradikalige Zeitwörter.
108. Den vierradikaligen Zeitwörtern widmet Jahn, Gram
matik S. 82, Z. 3—8, nur eine kurze Bemerkung, wo er haupt
sächlich sagt, daß sie fast durchwegs in der ,augmentlosen'
'
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 119
Form erscheinen (also nicht mit dem für Steigerungs-Einwir
kungsstämme charakteristischen Anhängsel -en des Indikativs)
— mit Ausnahme von hdrbes, das yihdrbesen haben soll (hdrbes
kratzen). Man ersieht daraus, daß das Mehri seine vierradika-
ligen Verba, nicht wie das Arabische, als ,zweite Formen' faßt
z. B. o, so behandelt wie kättaba. Soviel ich dem vor mir
liegenden Verzeichnisse der von Jahn im Wörterbuch auf
geführten Quadrilittera entnehmen kann, behandelt das Mehri
diese analog den Kausativen (ar. IV, äth. II 1).
Ihrer Bildungsweise nach lassen sich die vierradikaligen
Verba des Mehri in vier Gruppen scheiden: die erste zeigt
Reduplikation zweier Radikale, bei der zweiten geht die Qua
drilittera aus einer dreiradikaligen Wurzel durch Wiederholung
des dritten Radikals hervor, bei der dritten finden wir w oder
y in eine dreiradikalige Wurzel eingeschoben, die vierte zeigt
viererlei Wurzelbuchstaben. *
109. Die vierradikalige Wurzel stellt sich als eine redupli
zierte zweiradikalige dar bei qalqal pfeifen, hddhad spielen,
kdlkal kitzeln, qouqou gackern. Die ersten zwei bilden Ind.,
Subj. und Part, genau so wie haktob (= ar. IV), nämlich yi-
qalqol ■— yihadhdud, yiqdlqal — yihddhad, maqdlqale — me-
hddhade; so wohl auch das dritte, wo nur Subj. yikalkal und
Part, makalkale angegeben sind, also Ind. doch yikalkol, wäh
rend das gegenüber qalqal, hddhad und kdlkal schwach zu
nennende qöuqou (aus qdwqaw) im Indikativ yiqöuqou (aus yi-
qdioqaw, also regelrecht Subjunktiv) und im Subjunktiv yihduqou
haben soll, das von einem Kausativum hawqü herkommen könnte,
aber dann auffallende starke Bildung zeigen würde. Als Imp.
wird qduqau angegeben (= qdwqaw), also ist yiqöuqou doch
Subjunktiv (der Indikativ müßte regelrecht yiqaivqdw betonen,
also yiqouqoü ergeben); Part, maqduqaue (= meqaivqaive), Inf.
qawit (wohl = qawwit, Jahn erinnert an ar. und ;
im Mehri haben wir hier dreierlei Wurzeln qwqw, toqw und qww 1 ).
110. Aus einer dreiradikaligen Wurzel ist durch Wieder
holung des letzten Buchstaben eine vierradikalige hervorgegangen,
z. B. heriqduq knarren, Impf. Ind. yiheriqduq — Subj. yihariqaq,
1 Erinnert an Vrhrb, / wrb und Krbb resp. V-rbiv, z. B. im Syr. und
Arab. '••Cf-» , . , L> hebr. 32T und ~5“.
i
120
II. Abhandlung-: Bittner.
Part. maliriqaq (wohl = mahriq(a)qe; mit Jahn zu ar. Ar*- an
einander reiben, mit den Zähnen knirschen), kiridüd rollen
Impf. Ind. yikiridud — Subj. yilcireyded, Part, mekeredde.
111. Eingeschobenes w, resp. y zeigt sich in thoulul sitzen,
worin man eine abnormale Reflexivbildung einer durch w erwei
terten Wurzel hll erblicken könnte; also thoulul aus t-hawlbl)
und Impf. Ind. yithoulül (aus yithawlöl) — Subj. yithowel (aus
yithdwwel und dieses aus yithdwlel, wie bei den mediae geminatae
im Ivausativum, mit Assimilation des ersten der beiden gleichen
Radikale an den vorausgehenden), Part, mtthöwele (aus methäw-
wels und dieses aus methdiulele); in dayivü miauen, Jahn, Gramm.
S. 110, Anm. 1, aus dww mit y nach dem d; in naliayrür
,brüllen' Impf. Ind. yinliayrür — Subj. yinhdyrer, Part, men-
lidyrere Inf. nalayrrot (ein r würde genügen; stelle ich zu
ar. JA. heulen, vom Winde; schnarchen [— Jahn dachte an
ar. jA'] und sehe eine Niphalform darin) — ebenso 3. P. S. g. f.
nhaybbot ,sie schrie' (die Kamelin), für gen. masc. anzusetzen
nhayhüb (mit Jahn ad vor Brunst röcheln (Bock), schreien
(Kamelin), wieder eine Niphalform, Impf. Ind. tenhaybxiben (mit
-en!) — Part, menhaybbite, Inf. haybbit; hieher zu ziehen auch
behayrür murmeln, grunzen (Karneel) Impf. Ind. yibhayrür —
Subj. yibhdyrer, Part. mabhdyr{e)re, Inf. bhayrer wohl Vbhr
mit y. 1 *
Anm. Als ursprüngliche Niphalform erklärt sich auch ganz deutlich
nhufol abführen (wohl eigentlich Dysenterie haben), was schon Jahn erkannt
hat, vgl. Jahn, Wörterbuch, s. v. hfl, nur setze ich nhüfol an (mit ü) =
nhewfol = n-he-w-fol, zur Radix hfl (cf. hofd Bauch, s. Studien I § 5 mit
h statt s zu ar. Impf. Ind. yinhüföl — Subj. yinhäufel, Part, men-
hdufele, Inf. haufelöt (ohne n, bei Jahn fälschlich als ip. = Imp. angegeben).
112. Eigentlich vierradikalige z. B. mdrkah Kaffee trinken
(man beachte die Vokalisation und den Ton, wie § 109 in
einigen Fällen) Impf. Ind. yimrokali (so, nicht yimarkoh) —
Subj. yividrkah, Part. mamdrkahe, Inf. markahät; karbel kriechen
Impf. Ind. yikarbül — Subj. yikdrbel, Part, makarbale, Inf. kar
belot ; mdsbala das ar. sagen (wohl doch soviel als
ar. JA.A5, aber mit Metathesis) Impf. Ind. yimsebol — Subj. yi-
masbel, Part, mdsbele (wohl für vimdsbele, memdsbele) Inf. ma-
1 Genau genommen fünfradikalig!
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 121
sebldt (für masbeldt — ar. mdrhab (bei Jahn sub r
ad. Yrhb; ar. willkommen heißen (also ar. sagen)
Impf. Ind. yimarhöb — Subj. yimdrhab, Part, memdrhabe, Inf.
mar habet] hdrbes kratzen Impf. Ind. yiharbesen (mit -eii) — Subj.
yiharbes, Part, maharbese, Inf. harbesot — überall wie haktob,
yihaktöb, yihdkteb, mehäktebe, nur beim ersten yihkoteb (vom
Steig.-Stamm) und beim letzten yihdkteben.
122
II. Abhandlung: Bittnev.
Index.
Meliri. 1
*dyber in die Ferne schauen;
säbür (aus dem Fenster)
schauen 59
add zählen 44
adoj saugen 55; hädijöt sie
säugte 57
adel vergleichen 55, Note (S.66);
odel zurecht richten 56
adom Abgang, Mangel verur
sachen; dydem Abgang, Man
gel haben 55
*adör nicht lassen 55
beleb quälen 56
*safü 1. gesund werden, 2. ab-
bitten 106, Anm. 2
*ayjeb lieben 55; atijüb sich
wundern 58
ajön kneten 55
aybb schänden 90
ayit laut rufen 91
akös einreiben 55; dtekes ver
wirrt, durcheinander gemischt
sein 58
ayob jemandem folgen 55; ate-
qabem sie folgten einander 58;
öqeb strafen 56; haqdub ein
Lager abbrechen 57
aqod verbinden, verheiraten 55
aqöl klug, vernünftig sein 55
*aqbr groß werden, übertreiben
55
*mtelij krank 58.
*atelük reisen 58
dyleq aufgehängt werden 55;
öleq hängen, aufhängen 56;
atelüq hangen 58
dyleq brennen, unfähig sein zu
etwas 2 ; hälüq anzünden, bren
nen (trans.) 57
dylem wissen 55, Note (S. 66);
alom kennzeichnen 55; ölem
lehren; *atelnm unterrichtet
werden, mäteMrn Schüler 58
amel hoffen 55, Note (S. 66)
ayvxel machen, tun, handeln 55;
hämöl (pass.) getan werden 32
*Semün gehorchen 59
amör sagen 55 (53, Anm.);
övier befehlen 56
ömer stopfen (die Pfeife) 56
anüf im Zorne ausdauern, hart
werden 55
1 Wie in Studien I, sind auch hier solche Ausdrücke, die Jahn etymo
logisch oder sonst noch nicht oder anders erklärt, mit Sternchen, neues
Materiale aus Müller und Hein mit Kreuzchen bezeichnet worden. Die
Zahlen gehen auf die Paragraphe zurück.
2 Wie dyleq aufgehängt werden 55, nur Inf. dyleq = 'ilq, resp. alqdt.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Spraehe. II. 123
atorii sich sehnen, streben, be
gehren 105
senüs sich unterhalten 59
*oreb arbeiten; yaöurebesgeht,
ist möglich 56
ard$ einladen, bewirten; ab-
binden (Kalb) 55
*härüs heiraten 57
astou istöu histöu v. sub swy
asöb binden 55
am ungehorsam, widerspenstig
sein, rebellieren 99
oteb beschimpfen, kränken 56
'*mhätiq Freigelassener 57
(Ende)
*hätüm die Nacht verbringen 57
atös nießen 55
aicw heulen 44
öd zurückkehren, zum zweiten
Male tun 83; awid zurück
kehren 84; atawod sich ge
wöhnen 86; *ma autuwid ge
wöhnt 86, Anm. 2
awej biegen, krümmen, beugen
84 Anm.
awil sich auf j. verlassen können
84
aicin helfen 84
ciwir verwunden, verletzen 84;
häwör id. 85; atuwor ver
wundet sein oder werden 86
ös leben 83
azöl allein lassen, abdanken
55
azöm Vorbereitungen zur Reise
treffen 55
a$s (oss) aufstehen, wachsen;
hasüs aufrichten, aufstellen 45
ösi ein Abendmahl geben 103;
atMl zu Abend essen 105
öser Begrüßungsschüsse abge
ben, talaSir Schnellfeuer 56
b
ba i bäh schreien 96, Anm. 1
*bär in der Nacht reisen, Weg
gehen 60 (61, 62, 63) 2
bedid dicht, sich entfernen 47
bedtl lügen 99; hebdv, Nachteil
haben, belogen werden 104;
sebedtl anfangen 106
hebdül tauschen 29
badduq zerreißen (trans.) 5
(6, Anm.); bulaq zerreißen,
abreißen (intr.), zerrissen wer
den 6, Anm.
bedör zerreißen (trans.) 6, Anm.
12 (a); bider zerreißen (intr.)
6, Anm., 13 (b)
baqäd abgeneigt sein, hassen,
nicht wollen 7, 14
behel rotglühend werden 7
behät graben 7
habehdur räuchern 29; bethdur
gesund werden, heilen (intr.)
35 (Ende)
behayrür (bahrör) murmeln;
grunzen (Kamel) 111
bahäs (bahdz) schmerzen 7, 22
be'at, Inf. zu sem verkaufen 63
bän erscheinen v. sub bien
beim weinen 96
1 Bei Jahn als mediae y\ die Wurzel ist aber b'y.
2 Bei Jahn als mediae w; die Wurzel ist aber b'r.
124
II. Abhandlung: Bittner.
boqocl laufen 5 (12 (a), 20)
Mqi bleiben 100
bull anj. fortwährend denken 44
boleg erreichen lassen 24, 25;
btblag aus etwas Nutzen zie
hen 36
*bdli fragen 103
benü bauen 94 (95, 96)
beröd (ab)feilen 5 (20,21); bored
kalt machen, abkühlen 26
fburek segnen 24
teböreq es blitzt (von e. bardq,
ar. Jy-s, nach § 12)
*birwot gebären (3. P. S. g. f.
von birü 101)
butt verloren gehen 44
*biter fischen 6 (20, 22)
halt aufschneiden 44
hebetd sich verspäten, zu spät
kommen 68
batol schlecht sein oder werden,
außer Gebrauch kommen
12(a); botal zunichte machen,
etwas unvollendet lassen 24;
habtöul zunichte machen, ver
gewaltigen 29
bän erscheinen 83
bisar eine frohe Botschaft brin
gen (ar. ; nach § 13)
besot, ritzen (hdr.-ar./aädt; nach
§ 12)
d >
*ddk reiben 60 (61, 62, 63) 1
döbb kriechen 43
*debüj verfolgen 5, 20
*dabar etwas ersinnen 35,
Anm. 3; dober den Rücken
kehren 24
döfa (düfa) bezahlen (65,66) 67
defön begraben 5, 21; hedfün
begraben werden 32
defor stoßen, schleudern (etwa
zu ar. als ,stoßen'; nach
§ 12)
deheb fließen 7, 14, 22 c
deher billig verkaufen (nach
§ 14)
daliäq treten ; zu Fuß gehen 7,
14, 22 c
dahär stoßen (Stier) 7
hadahdu auf etwas achtgeben,
sich in Acht nehmen 104;
sidahii achtgeben 106
diiyah betrunken werden,
Schwindel oder Ohnmacht
bekommen 93, Anm. 1
mehediyin Schuldner 92, Anm. 2
duqq stampfen, anklopfen 43
(44, 45); madäqdyq zer
stampft, zermahlen 45 (Ende)
düqa hervorbrechen 67
hedelül erzählen 48 ; hedelel
hilflos sein 50
delof hüpfen, springen 12 (a)
delü anschwellen 99 (Ende)
demor vernichten (ar. _(-«•>; nach
„ § 12)
dirn schwanger werden 100;
hedenü schwängern 104; mil
dem trächtig (s. Studien I, § 20)
*dire fließen (Blut) 2 70
1 Bei Jalm als mediae y\ die Wurzel ist aber d'k.
2 Jahn ,Blut fließen lassen“.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 125
liederü (dicht.) hinaufgelangen,
hinaufsteigen 104
dduwi jcm. kurieren, heilen
103
dör herumgehen 80, 81; hadu-
wor drehen 85; möhedwir
rund 85 (Ende) ; slieduwür
einen Umweg machen 87,
Anm.
d 1
*däb husten 60 (61, 62)
fdukür denken 5
mehedenib schuldig 32*
d Jp
*ddybat (dibet) halten, fassen,
ergreifen, nehmen, bekommen
6 (13, Anm.), 20, 22 (c); day-
bet gefangen genommen wer
den 35, Anm. 7
dafor flechten (ar. ; nach
§ 12)
dagdb brüllen (vom Stiere) 7
dahär sichtbar werden, erschei
nen 7
dahdk lachen 7,14 (c)
hedalimbt sie hat gepißt (Ka
melin) (nach § 28)
*doya (dowia) herumirren, ver
loren gehen, gebrochen wer
den (Eid) 67, Anm.; hadayä
verlieren; brechen (Eid) 68,
Anm.
dayif bewirten 91
hadayüm sich an etwas Ab
bruch tun 92
daywti miauen 111
dämm (d,umm) bei sich behalten,
innehaben 43 (44, 45)
damon für etwas bürgen
12 (a)
damor jem. etwas richtig geben
(nach § 12)
dorr schaden 44
darob schmerzen (cf. ar.
schlagen; nach § 12)
darbt traben (Pferd) 11, Note;
hddau beleuchte ! v. Nachträge
(Ende)
f
fidek jemanden erschrecken 6
f sfeder um die Wette rennen
lassen 42 (Ende)
/«dö/ijemanden schlecht,lächer
lich machen (ar. ; nach
§ 12) _
fadol sei so gut! (entweder
Imp. zu einem intr. fidal
nach § 13 oder etwa =
faddol aus fatdol nach
§ 35)
ftehom verstanden werden, ver
ständlich sein 35
fhäs reiben 7
fhäs e. Faden drehen 7
ftehäur sich schmücken 35
fakk frei machen, befreien; die
Tochter verheiraten 44; fdt-
(t)ak(k) losgelöst -werden, s.
Notdurft verrichten 1 51
fbker denken 24; ftekor den
ken , sich wundern 35
So Jahn im Wörterbuch, indem er auf äg.-ar. iftakk verweist.
126
II. Abhandlung: Bittner.
fteqäud ausbessern 35; fmefe-
qdyd vermißt 19
fiqev arm sein 6, 13 (b)
full fliehen 43 (44, 45)
feld jem. Läuse suchen 99
filük stürmisch sein 30
folet sieh von etwas losmachen
24 a (S. 31)
*fenün (dicht.) sprechen 49,
Anm. 1
*farr fliegen, springen 44; fti-
rür gähnen 51, Anm. (zum
Schluß)
firä (auf )steigen, h inauf klettern;
aufgehen (Sonne) 68
fätered ahweichen 34
fäterey fertig werden 34; ftirüg
ejakulieren (semen virile) 35
*fireh sich freuen 10, Anm. 3,
' 16, 22
faröq austeilen (cf. ar. tren
nen; nach § 12): fdtereq
sich trennen 34
fösed etwas verderben 24 a
(S. 31)
fsäh entlassen 31; ftdsh herum
wandern , herumspazieren,
lustwandeln 36
fas(s)ah abfärben 34
fesoh. die Absicht ändern (nach
§12)
futt bestreichen, einreiben 44
ftoli öffnen 5 (12 (a), 20 c)
ftü jem. über etwas aufklären
104, Anm. 1
fetön versuchen, zum Besten
halten 16 a
fetes suchen, durchsuchen,
herumfragen 24, Anm. 1
(S. 30)
*fetan gedenken, sich erinnern
35, Anm. 3, 22 b
fük 1. loslösen, 2. freigeben, ver
heiraten; hafükid. 85, Anm. 1;
sfükot sie heiratete 87
för wallen und sieden, kochen
(intr.) 83
füt vorübergehen 80; ftuwüt
im Preise gleich sein 86
fiza sich fürchten, erschrecken
65, 66
fsu frühstücken, dinieren, die
Mittagsmahlzeit verzehren
95, 99
j £
*jdr fallen 60 (61, 62, 63), 1
liejdur fallen machen, fallen
lassen 64
Si/edeZmitjem. streiten 42 (Ende)
*jdtfl Umstürzen, sich um drehen
105
hejihud sich Mühe geben 28,
Anm. 1; jöhod fleißig 18 a
*jihem ahreisen, absegeln, (fort)-
gehen 7, 10, 14, 22; hejehüm
reisen lassen 29
hajehob das Schiff ans Land
ziehen 29
jehäd leugnen 7; jeheydon 22 b
jehdu kommen 99
Sejii sich beeilen 106 a
jiyor (dicht.) zunehmen, an-
wachsen 90
1 Bei Jahn nach jiyor, also als mediae y, ist aber mediae 'ayn.
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
127
jiyös (Leute) zusammenrufen
90
h'ejelül kochen 48
joma sammeln, versammeln, ver
einigen (65) 68; jdtemäm sich
versammeln 68; Sejevia coire
cum femina 68
jitemül jem. eine Gefälligkeit
erweisen, so gut sein 35
sjunün verrückt sein, ungehor
sam sein 52
jitenub ejakulieren (semen vi
rile) 35
jinu abwesend sein 99
jurr herausziehen; rudern 44
*jora trinken 67
joreb versuchen, prüfen 24
jirü Vorbeigehen, geschehen 95
(97, 99); *jörl fahren 103;
hejerü davongehen 104
jüya hungern 67, Anm.
sije’ub antworten 87
hejowii nichts tun 104
sijawer jemandes Schutz an
flehen 87; yejüz es ist erlaubt
82, Anm. 2
juzz von etwas ab raten 45
jüza abwesend sein, untergehen
(Sonne) 67
sejezi Gutes vergelten 106 b
*jizom schwören 5, 20 c
g (bei Hein) = q S
galieb (gaJtdyb) kommen v. sub
Tcaheb
g t
gab yäbem v. Nachträge (Ende).
jobb cacare 45 (Inf. ((jabbin)
gabor begegnen, Zusammen
treffen (hdr. c abdr c dla hebr.
“017 an jem. vorüberkommen;
nach § 12); ydtbirem sie
trafen zusammen 37; haga-
bör jemandem etwas in den
Weg führen 31 (28, Anm. 1)
yadbf das Netz zum Fisch
fang aus werfen (vgl. ar. üAil
den Schleier herablassen; n.
§12)
*yaydel tragen (bes. Lasten),
schleppen 3, Anm.; hayadül
beladen 29
yadbf falten (nach § 12)
ydydan sich schämen, sich er
barmen 6, 19
(jafoq eine List ersinnen (nach
§ 12)
ydyfel vernachlässigen 6, 13
*gofen bedecken 24; gatfün
sich bedecken 35
yafür vergeben 16,22b; sag für
abbitten, um Verzeihung bit
ten 41
*Sayahür sich verspäten 41
gaybb abwesend sein 91 (Nach
träge); gatiyob abwesend sein
93
ydtiyed (yatiyet) in Zorn ge
raten , sich aufregen 93;
ijayor sich ändern 89 (Ende)
ijatiür sich verändern 93
göt v. sub yatii
mayli gekocht 98
yaloq sehen 5,10 (Anm. 3) 12 (a),
21; hayalüq zeigen 29; yoleq
(ver)schließen 24, 25
gdylat irren, verfehlen 6
128
II. Abhandlung: Bittner.
yigamüm es taugt, nützt nichts;
es ist schlecht, böse 44 Anna.
gamod (bed.) zur‘Asrzeit gehen
(vgl. ar. in den Abend
eintreten; nach § 12)
gamor sich gedulden (nach § 12)
gonl singen 103
gdterr straucheln 51
garob kennen, verstehen, wissen,
b,12(&)-hagareb bekennen 29
garof schöpfen (ar. nach
§ 12)
gdtim sprechen 105
gayreq untergehen (Schiff), er
trinken 6, 13 (b), 21
gasdb berauben, wegnehmen (ar.
nach § 12)
gott bedecken 43 (44, 45)
gös (gäz) tauchen 83
gazob s. gasob
gazol weben 12 (a)
gass 1. betrügen, täuschen; 2.be
flecken, beschmutzen, ver
unreinigen 43 (44, 45)
ga&ti überschreiten; sich üb. etw.
erheben 99; hagahl 1. nach
hinten werfen; 2. Schwindel
oder Ohnmacht haben 104.
gatsüm närrisch sein 35.
h *
sieschrie(Kamelin)lll
luibbli sich auf der Erde hin
schieben 5
hudd verstopfen 43 (44, 45)
liedu den rechten Weg führen
(von Gott) 104, Anm. 2; hodi
teilen, verteilen 103; tddiyem
sie teilten untereinander, sie
verteilten 105 (Ende)
hedük Hitze empfinden (nach
§ 12)
hedom zerstören, ein Haus ab
brechen 12 (a)
*nhüfol abführen 111, Anm.
hajü fassen 99
hijom anfallen, überfallen 5,
12(a)
hijos (hujös) denken, nacliden-
ken (ar. nach § 12)
hiyom herumirren 90
hdtkl abhangen, sich nach unten
neigen 105
haqdu tränken 99; *tiq trinken
s. sub tyq
haqöut (haqot) fallen 5, 20
Shelti schön sein 106 a
hatemm sich bekümmern 51
humm können, vermögen 44
hamum nennen, benennen 49
hima hören 67; shemd 1. auf
jem. hören, 2. belauschen 68;
temä jem. belauschen 68
hümör befehlen, anbefehlen v.
sub wmr 1
hora verderben 67
herüj sprechen, sich unter
reden 5
hiroq stehlen (6 Anm.) 12(a), 21;
hireq gestohlen werden, 6
Anm.
*harüs heiraten v. sub Vs 1
*hess (hass) nachdenken 43
(44, 45)
1 Bei Jahn hier sub h: das anlautende h ist aber Kausativzeichen!
Studien zur Laut- und Formenlehre der Meliri-Sprache. II. 129
*hass ehren 49, Anm. 2
*vihätiq fragelassen sub 'tq 1
*hätüm die Nacht verbringen
v. sub Hm 1
hiyüb trocken werden 83, Anm.;
huwob erwärmen 85, Anm.;
Shoivob sich erwärmen 87
*hauwdr verletzen v. sub ’tor 1
hos plündern 83
huzz fühlen 44, Anm.
shöwu wünschen 106 a 2 .
bc
lidyber sich erkälten, verkühlen
10, Anm. 3 (nach § 13)
habbs einsperren, einkerkern
22
tliedüd es donnert 44, Anm.
*hadür Reitertanz (Fantasia)
aufführen 30
*fyedwür verkündigen 85, Anm. 2
(28, Anm. 3)
l.ia^or anwesend, gegenwärtig
sein, verweilen 12 (a )\lialiddur
bereit, bereit machen 29
hafor graben 5, 20
hatef üz auf etwas achtgeben 35
liejelül v. sub jll 28, Anm. 3
hajil einschließen 99
hajöm schröpfen (ar. ; nach
§ 12); sähjern sich schröpfen
lassen, geschröpft werden 42,
Anm. 1
saye sich schämen 70, Anm. 1
yihdyah er läuft 104, Anm. 3
l.iayil eine List ersinnen 91
Jiayir verweigern, zurückhalten
91
lii&bt sie menstruierte 90
hakovi richten, ein Urteil fällen
12 (a), 22; Shakern sein Recht
suchen; prozessieren 42; lite-
Mmem sie prozessierten mit
einander 37
liakür säumen, verlegen sein,
zaudern (nach § 12)
Shaqduq zu etwas gezwungen
werden 52
höll stehen bleiben, verweilen,
wohnen 43 (44, 45)
lialob melken (ar. nach
§ 12)
shälef schwören 42; htelifem sie
schwuren untereinander 37
hdylem träumen 9, Anm. 1,
13 (b) Inf. lialmin 22 b; liate-
lüm pollutionieren 35
htemüd sagen: elhamdu lilldh
Gott lobpreisen 35; sliamüd
(Qäsän) danken 28, Anm. 2
hdtemi abblassen 105
lietemül sorgen (für etwas) 35,
6 (32)
liann (städt.) schleifen, wetzen,
44
honed schläfrig sein (nach § 24)
honl mit Hinnä einreiben 103
hateribem (hdtirbem) sie be
kämpften sich 37; Shdreb je
mand anderen bekämpfen 42
*harba (bed.) schleifen, wetzen,
68, Anm. (S. 77 oben)
1 Bei Jahn hier sub h; das anlautende li ist aber Kausativzeichen!
2 Ist Kaus.-Refl. von V hicy\ bei Jahn sub ä!
äitzungsber. d. pliil.-hist. Kl. 168. Bd. 2. Abh.
9
130
II. Abhandlung: Bittner.
lidteref sich ah wen den, vom
Kurs abfallen 34
Mrij zum Verkaufe anbieten 26
liörek bewegen 24, 25
heyreq sehr heiß sein, brennen
(Sonne) 6
heriqduq knarren 110
hörem verbieten 26
liarös 1. wachen, 2. hüten, be
hüten (ar. nach § 12)
haröt säen (mit t für t- ar.
nach § 12)
liuss fühlen 44
hasöb zählen, meinen, glauben
(ar. ; nach § 12); *hds-
(s)eb gezählt werden 34,
Anm. 4 (§ 3, Anm.)
liasof schaden 15; *hds(s)ef
Schaden erleiden 34 (§ 3,
Anm.)
hasii (licizti) wegnehmen 99
lmtob Brennholz holen (ar.
nach § 12)
hdtouj bedürfen 86
holidu sich verstecken v. why
haiucö herumgehen 99; *huwa-
M«(bed.) laufen 104, Anm. 28,
Anm. 3
*yihdul jawohl 83, Anm., Note 1;
bowel verstehen 83, Anm.; lidy-
wel verrückt sein 83, Anm.;
hatuwül verliebt sein oder
werden 86
liäm wollen 81, Note 1
hözel finden, erlangen, ver
dienen 24
*hazün trauern, traurig sein 28,
Anm. 1
liazü v. sub hasu
k C
habib zittern 47
höher verkündigen 24 (25, 26);
Shabör fragen 41
*haböt vermischen; mahabit 19
haböz backen 5, 12 (a)
hadöm arbeiten, dienen 16 a
hddhad spielen 109
höfl verbergen 103
haytb schreien (vom Fuchse)
91
hayil einen Reitertanz auffüh
ren 91
liayim ein Zelt aufschlagen 91
hayön betrügen, verraten 90
htiyür wählen 93
thoulül sitzen 111
halöf nachfolgen (ar. lJ4.=».;
nach § 12), uneinig sein, Inf.
halifön 22 b; halüf zurück
lassen 30; hdtelef uneinig
sein, einander verlassen 34;
mahtilef verschieden 38; shä-
lef übertreten 42
hdyli frei, unbeschäftigt sein
100; holl, eine Frau entlassen
103; Shaliyöt vom Manne
Weggehen 3. P. S. f. 106 b
halöq erschaffen; mahaliq ge
schaffen 19
halös zu Ende sein; abkommen,
abirren vom rechten Wege
(nach § 12), erlösen, retten
30; mahalis beendigt 19, 32
halöt mischen, vermischen (ar.
hlA; nach § 12)
hanöq mit der Hand streiten
(cf. ar. (J-tA erwürgen; VI
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 131
einander schlagen und zan
ken; nach § 12)
hanos einen beim Halse packen
(cf. ar. einen beim
Daumen packen; nach § 12);
*mahannes impotent 25, Anm.
hdrbes kratzen 112
hterüd die Kleider ausziehen 35
hdraf blühen lassen 30 Anm.
harüj herausgehen, herauskom
men; etwas werden; e.Würde
niederlegen (ar. £7=-; nach
§12); hinausführen, hinaus
ziehen; abdanken (einen Be
amten) 30; sharoj lesen 41
(§ 3, Anm.)
tharüt Abführmittel 26
hayser Schaden erleiden, die
Mitgift bezahlen 6, 13, 22;
hoser von jemandem die Mit
gift oder Geld nehmen (nach
§24)
htöl jagen (cf. ar. über
listen, sich zum Überfall ver
stecken; nach § 12)
hatom beendigen; beendigt sein
12 (a); mahtim verschlossen 19
htdn beschneiden (ar-ü-^; nach
§ 12) ü sehtün beschnitten
werden 41
hdytem körperlich schwach wer
den 6
hatöb um ein Mädchen freien,
werben (ar. eULä.; nach § 12)
hatof. rasch ausschreiten (ar.
‘-ÄhA; nach § 12)
*hatö nähen 99
hator herumspazieren, herum
wandern (cf. ar. in mod.
Bed.; nach § 12); hoter sich
einer Gefahr unterziehen, wet
ten 24, 25; shätar etwas pro
bieren, riskieren 42
\mahwif gefürchtet 82, Anm. 3
*hazdub (hasdub) schicken, sen
den 30; mahazdyb gesandt 32*
hazü 1. körperlich schwach wer
den, abfallen, 2. nicht wollen,
ausschlagen, 3. jemanden ver
teidigen 99; *mhazdyü Käm
merer 98
hazdur Umstürzen (trans.) 5;
hazer Umstürzen (intr.), um
gestürzt werden 35, Anm. 6
hsbf durchlöchern 15
y uS
yöd sicherlich v. Nachträge
(Ende)
yelied unaufhörlich v. Nach
träge (Ende)
k
kebb sich beugen, verbeugen 44
kdtebi erstarrt sein 105
kabos 1. stechen (Insekt), 2. bei
ßen (Schlange) (hdr.-ar. ka-
bas, nach § 12)
käd(d)er betrübt sein 35, Anm. 3
kafdd herab-, hinabsteigen; lan
den 12 (a); hakafüd hinab
lassen, -führen 29
Subj. yaliton bei Jahn muß Druckfehler sein für yahten, denn als Imp.
gibt er liten an.
182
II. Abhandlung: Bittner.
kofen einhüllen 26
kafür abfallen (vom Islam) 30
kaheb kommen 7, 14, 22 c;
hakahüb bringen 29
kiybl messen, ansmessen 90;
yekiren er will 91, Anm.
Skelill beim Fechten parieren 52
kolef jemanden bedrücken, für
jemand eine drückende Ab
gabe bestimmen (ar.
nach § 24); ktelüf sich be
mühen 35
keldt erzählen (nach § 12)
kdlkal kitzeln 109
kenoli Vorbeigehen, einen Weg
verfolgen (nach § 12)
kenös fegen (ar. nach § 12)
kdrbel kriechen 112
kiridüd rollen 110
kiroh hassen (ar. nach § 12,
aber Ind. yikerhen wie vom
Steig.-Einw.-St.)
karil verbergen, verschweigen
99; kdterl sich verbergen 105
*kdre mieten 70; Skorl mieten
106 b
kirom ehren 5, 12
ksii (in Qäsän kusi) finden, er
langen 95 (96, 97, 98)
*käs(s)ar trans. zerbrechen,
vernichten; kdtsar (kasscir)
vernichtet werden 34, Anm. 2
kutt {kutt) schnell kommen 44
ktbb schreiben 5; mektib ge
schrieben, Inschrift 19
kehl galoppieren 99
kän sein 80, 83; yekun wahr
scheinlich , v. Nachträge
(Ende)
katewör (Fluchwort) 86 Note 2
kezz die Flinte laden 44
küss (das Kleid) aufheben, den
Schleier wegziehen 44
<1 J
qdybed ergreifen 6; haqabud
überreichen 29
qaboh jem. beschimpfen, schelten
(ad ar. V; nach § 12);
qeybah 6 Anm. und haqabäh
beschimpft, gescholten wer
den 29,28, Anm. 1, 31; qdu-
beh lästern (Formen wie von
qaboh) 24b; qdtbahem sie be
schimpften sich gegenseitig 37
qobel I nahe sein, angenehm
sein (29, Anm.); Iljem.etwas
fassen lassen 26; qatebul an
genommen werden 35
qabbr begraben 12 (a)
qadom voran-, vorausgehen
12 (a); meqdddem Häuptling
25, Anm.
qador können, vermögen (ar.
nach § 12)
siqadd sich rächen 70, Anm.
*qdfl sich umdrehen und Weg
gehen 103
qofel schließen 26; qzyfel ge
schlossen werden 29, Anm.
qbye sich erbrechen 70
qayis messen 91
qalob 1. lassen, 2. umwenden,
zurückkehren, 3. antworten,
4. hinlegen, hinstellen (cf. ar.
Vi-.'AS; nach §12); qdtalab
sich umdrehen; sich verwan
deln 34
Studien zur Laut- und Formenlehre der Meliri-Sprache. II. 133
qalu rösten 99
qalqal pfeifen (vom Fuchse)
109
qamot jem. binden, anbinden,
fesseln 22
qanü erziehen, anfziehen 99;
sqanü erzogen werden 106 a;
*maqanäyü (rnqaneii) Knabe
98 1
qanös auf der Jagd erbeuten
(ar. ; nach § 12)
*haqardur am Morgen gehen
(wenn es noch kühl ist) 48,
49; Siqardur jem. anschwär
zen, schlecht machen 52
qdyreb sich nähern, nahe sein
6, 13; qoreb näher bringen
24; sqdreb sich nähern 42
seqarwüd ausborgen 41
qöreh rasieren 24 b
qaru lesen 94, 96; verbergen :
v. sub karu 99
qarbz kneifen, zwicken (ar.
und jys; nach § 12)
qösl leiden, dulden 103, 105 a,
106 a (Ende)
qoss — qozz
qasbd (qezod) dichten, ein Ge
dicht vortragen (ar. ; nach
§ 12); maqasäyd gerader
Weg 19
qeysey beendet sein, aussteigen
100
qas(s)äum baden 35
qasor klein machen, klein sein;
unvollständig sein, nicht voll
sein (ar. ; nach § 12)
seqdtel vergeblich herumirren
42
qbta abschneiden, abhauen 67
qotor tröpfeln (ar. ; nach
§ 12)
haqowu fest, stark machen 104
soqioü stark sein 106 a
qöuqou gackern 109
qmobr das Schiff vom Strande
ins Meer ziehen 84, Anm.
qozz {qoss) abhauen, abschlagen
43 (44, 45)
qayzl — qeysey
qazöm 1. löschen (6), 2. sich
abkühlen (6); qdyzem aus
löschen 6; haqazdum den Tag
zubringen, am Tage sitzen,
wenn die Sonne brennt; Rast
halten 29
qazör unvollständig sein (ar.yaS;
nach § 12), cf. qasor- haqa-
zaur verringert werden, elend
werden 29; saqazdur ver
kleinert, benachteiligt wer
den, erschöpft sein 41
*qaysa abdorren 67
qesbr schälen (ar. ; nach
§12)
l J
*fe&ödschlagen, hauen; schießen
6, Anm., 12 (a); libedgeschla
gen werden 6, Anm.
libes sich bekleiden, ein Kleid
anziehen 6, 29; helbüs je
manden bekleiden 29
Mda den Körper abwenden 67
1 Bei Jahn sub 1 qnn, zu der es nicht gehört!
134
II. Abhandlung: Bittner.
Hehej glänzen, scheinen 7
lehey meckern (Ziege), v. Nach
träge zu § 17
lahdq erreichen, einholen; zu
jem. treten 7, 14; helhduq
treiben, vertreiben 29; Seld-
heq erreichen 42
laluim brünstig sein, coire 7,22 c
lahäs lecken 7, 21
liyim aus wählen 91
liqef erfassen, hingen, greifen,
halten, packen (um zu fassen)
6, 13
leqüf abhauen 16
laqot sammeln, vom Boden auf-
lieben 12 (a)
lesü regnen 99
halsüq aufdrücken 29
lestit abhauen (nach § 12)
*letög töten (selten letöq) 5, 10,
Amu. 3; 12 (a), 21 (Part. pass.
maltdg 19); * litt dg getötet
werden 35, Anm. 2; ebenso
Idttag (lettag) 34, Anm. 3, s.
auch 31, Anm.
latom ohi-feigen (ar. iiJ); nach
'§ 12
löf über jemanden kommen 83
lom tadeln 80
m f
mudd ausstrecken; abgeben,
übergeben, bezahlen 44; sem-
dud erlangen, in Empfang
nehmen 52
meddli loben 12 (a)
rnadog kauen (ar. nach
§12)
mfoh s. unter nfoh
makh einreiben 44
mahäq herausziehen 7, 14 c
mdthan beschäftigt sein, ein
Abenteuer erleben 34
mahäs aufstreichen 7 (Jahn hat
6 statt d)
mahak (dicht.) billig verkaufen
47
hemiyul abweichen 92
midien fest machen 26; yimlcon
es ist möglich (von einem
miken-, nach § 13, cf. § 29
und 30, ar. ,£dU'V)
*mile sich anfüllen 70; hamlü
füllen 104
*mtelij krank, v. sub ’lj
hamlük einen Geldvertrag
schließen 29
müna abhalten, zurückhalten,
hindern 67
metoni begehren, wünschen 105
hemerur gangbar sein 48
mired krank sein oder werden.
Schmerz empfinden 6,13(b),
22; *hemröd einen Kranken
behandeln oder pflegen 29;
iemrüd krank bleiben 41
inerie onanieren 70, Anm. 2
markali Kaffee trinken 112
miros lösen (nach § 12)
miret weißglühen 6, (29); hein-
rüt weißglühend machen 29
mardt jem. beauftragen, er
mahnen (nach § 12)
mdsbal sagen: ,bismilldh : 112
mesoh abwischen 15
mosl begrüßen, küssen 103;
mtdsiem sie küßten sich ge
genseitig 105
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 135
mahamsdys abgezehrt 48 (Ende)
mask wegnelimen 24, Anm. 1
mötel gleich, ähnlich machen
(ar. jiL, nach § 24)
hamüjot es hat gewogt (Meer),
(nach § 85, ad ar. rU)
möt sterben 82 1
muzz Pfeife rauchen 44
mm Durchfall haben, abfüliren
99
n O
näl verfluchen 60 (61, 62,
63)
ntdum fröhlich sein 64
naböcj, klopfen (ar. Ja-o; nach
§12)
nibeh vom Schlafe erwachen 6,
16 (b); netbbeh (netbeh) nacli-
denken 34, 36
rnbbh bellen (ar. ^: nach § 12)
mbü befehligen 99
sendüh von weitem erscheinen
41
ndu gib her v.Nachträge (Ende)
nüda schreien (Kamel) 67
nbdef reinigen (nach Jahn ar.
>—ähi nach § 24); hendauf
ausbreiten 29
ndbh ausgießen, zerstreuen (cf.
ar. iöi; nach § 12)
*mentaddyr achthabend 38
nöfa nützen (68); senfd Nutzen
ziehen 68
mfbd schütteln (ar. Jsii; nach
§ 12); netfed sich schütteln
34
nefbj jem. durch seinen Besuch
beehren (nach § 12)
nefbg werfen (nach § 12)
nifah aus einem Rausche oder
einer Ohnmacht erwachen 6,
15, 16 b
mfdh blasen, hauchen 5, 21
(Subj. vom Kaus. yilidnfh
= y ihdnfeh); ndtfali schwel
len, aufschwellen, sich ver
größern . 34
mfbl von dannen gehen (Jahn
vergleicht hebr. 8s:, auch ab-
fallen und zu einem über
gehen; nach § 12)
ntfüs atmen 35
mfos in der Nachmittagszeit
gehen 15
nejbf zerreißen, ausschütteln
(cf. ar. i—asr schütteln; nach
§ 12); netjif ausgestreut wer
den 34
njöz fertig, gar sein 12 (a); no-
jezjemanden abfertigen,etwas
beenden (nach § 24)
nydl schwitzen 17, 22 c
näg&rn zürnen, zornig sein 16 c
henhü vergessen 98, Note; hen-
hey außer Gebrauch kommen
98, Note'
niheq iaen, schreien (Esel) 7,
14 (c)
nthus seufzen 35
nahdj spielen 7, 16 c
nahayrür brühen (Löwe, Tiger)
111
naliät abschaben, behauen 7
1 Fehlt bei Jahn.
136
II. Abhandlung: Bittner.
nybk (nlök) coire cum femina 90
niyit wegwerfen 91
nüka (nolca) kommen 67
ntokah fröhlich sein 36
niker nichts davon wissen wollen
17, Anm. 1; minkdyr geil (nach
§ 19); Sink'ür sich entleeren 41
Sinküt gerettet werden 41
nkbs den Staub, das Wasser
auf wühlen 15
nqod befreien, lösen, loslösen;
abbinden (ein Tierjunges von
der Mutter ; ar. Jai3 aus
einandernehmen ; nach § 12);
minteqcid lose 38
neqduf (neqdf) einen Stoff be
arbeiten: hinwegschaffen, aus-
ziehen, abschaben (cf. ar.
i-ä-äj, äth. lud. nach
§ 12, sonst kaus.) 31
naqol herausziehen, abführen
(ar. J-ä-1; nach § 12); nte-
qaul auswählen 35
hanqdum eine Schuld bezahlen
29
ngdus verringern,verkürzen; ab
brechen am Sold 30 (ar. ;
Ind. nach § 12, sonst kaus.) ;
Inf. mqeysbn 22 b ; sinqdus
fehlen 41 (20)
nöqos färben 26; tinqös Zier
rat 26; minäqqas bemalt
(nach § 25, Anm.)
näsa den Sand rinnen lassen
(Sanduhr) 67
nesbf wegblasen, wegnehmen
(Wind) 15
nasdb aufscldagen, aufstellen
12 (a)
hensül etwas heraushängen las
sen 29
mseb benachteiligt werden 6,
13 (b); liensüb jemanden be
nachteiligen 29
ntbf ausreißen, abreißen 15
ntöh herausziehen, ausreißen 15
ntbk beißen 16 a
netor losmachen, lösen ; ab
laden, wegnehmen (cf. ar.^h;
nach § 12)
nutt zittern 45
ndt(t)ab fallen, herausfallen 34
ntoq aussprechen (cf. ar. ,5^3;
nach § 12)
henduf winken 85, Anm. 3
ntduhemsie stritten miteinander
86, Anm. 1; sin&wah id.; jem.
anfallen 87
nuwü zusammenbrechen (Woge)
99; hemvu wollen, sich hin
sehnen 104
nuicil mieten 84; ntuwül (Geld)
gewinnen 86
not verweigern 83
nüza diktieren 67
nzog rasch gehen, die Segel
aufziehen (nach § 12)
nozef abbürsten s. nödef
nesbq trocken werden (nach
§ 12)
nesüt besingen (cf. wohl ar.
nach § 12)
r J
harbd heraufnehmen, herauf-
ziehen 86; serba aufgehen
(Mond, Sonne) 68
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 137
ribös lärmen (hcjr. rabds; nach
§ 12); rtebes Lärm machen
35, Anm. 4
mdd zurückgeben; antworten;
zurückkehren 44 (45); rd-
tedd (ratted) zurückkehren
51; terdid Antwort 47
redöf nacheinander hinlegen
t2(a)
rdü -werfen, bewerfen 99
redöf aufeinander schichten
(nach § 12)
rdü mit etwas einverstanden,
zufrieden sein 99
röfa heben, auf-, emporheben
67; mharfe aufgehoben 69
lierföq sich einem als tadelns
wert zeigen 29
herjöh schlecht wägen 31
rtöjl hoffen, erhoffen 105; Serje
bitten 106, Anm. 1
herhün ein Pfand stellen 29 (22)
rehez sich stark bewegen 7
marhab jemanden willkommen
heißen 112
relidd waschen 7, 16 c, 22 c
*reliäq sich entfernen 7, 14 (c):
herliduq sich entfernen 29;
serliduq idem (wohl nacli§41)
ra(iäl die Kamele satteln 17, 22c
harhaus wohlfeil anbieten 29
rtiüd 1. untätig dasitzen, aus
ruhen; 2. sich freuen 93
rikeb reiten 6, 13 (b), 20 (c),
22 c; *tarlcöb Geschäft 26;
harküb reiten lassen 29; ser-
keböt sie wurde geschwängert
(von einem serküb, wohl nach
§41)
*serqd aufgehen (Sonne);
Nutzen haben 68
*riqöd mit den Füßen stampfen
5, 15
resöm eine Abgabe bestimmen 5
resön (rezön) anbinden, fesseln
12 (a)
ruzz (russ) aufschichten 44
riss kriechen (Spinne) 43 (44,
45)
s ^
söbeh jemandem etwas vor
schreiben (nach § 24)
söbeh schwimmen 24 b (S. 31)
= sebüli (Qasän) idem 5
sudd übertragen, ein Überein
kommen treffen 44; yisedüd
es genügt, ist genug 44, Anm.
söfer reisen 24, 25
sehel zu Ende sein 7
shen versorgt sein 7
slier wach sein 7, 14 (c)
setheb sich auf der Erde müh
sam vorwärtsschieben 34
sahäq zermahlen 7, 14(c); mes-
hayq zerstampft, zermahlen
19 (b)
sahät schlachten 7, 16 c
stöyeli herumwandern 93, Anm. 1
siynl von jemandem eine Schuld
einfordern 90
siyör gehen, reisen 88 (89, 90);
mesiyir Reisebegleiter, s.
Nachträge zu § 88
siyis reisen 91; meseyyis er
richtet 91 (Ende); tsiyüsFun
dament 91 (Ende)
sltön wohnen 5, 16 a
138
II. Abhandlung: Bittner.
siker sich betrinken 6
seqof überdachen (ar. :
nach § 12)
selob rauben (ar. <—; nach
§12)
silem heil davonkommen 6,
13 (b), 18 (a), 22; sölem aus
liefern, übergeben 26; selüm
sich zum Islam bekehren 30;
muselim Gläubiger, Muslim,
v. Nachträge zu § 19
seliit jemanden hart behandeln,
35, Anm. 5
Storni sich nennen 105
semdr 1. die Nacht wachend
und mit Gespräch zubringen
12(a), 2. schärfen, schleifen
(Qäsän)
sann schärfen 44
senil das Kamel Wasser aus
dem Brunnen ziehen lassen
99
soreh fortwährend geben, schen
ken, freigebig sein 24
stör verhüllen (ar. nach
§12)
musdttah flach 25, Anm.
astou, istöu (histöu) es mag
sein! gut! v. Nachträge (Ende)
suwet jem. sorglos lassen 84
5 ^
sdybali (zdybah) sich am Mor
gen ereignen, am Morgen ein-
treffen, geschehen 6; sobah
jem. einen guten Morgen
wünschen (ar. nach §24);
hasabdh (am Morgen) etwas
oder irgendwo sein 31
sobah dahinschreiten (nach § 24)
sabor ausharren, warten, sich
gedulden (ar.jA-A; nach § 12)
sober anfangen (nach § 24)
saböt (bed.) mit dem Stocke
schreiten (nach § 12)
sadöq wahr sprechen, glauben
16a
so der aufpassen, lauern (cf.
ar. 4A4; nach § 24)
söfer pfeifen v. sub zofer
safit rein sein 94, 96
sahel wiehern 7, 14(c)
saliär mit glühenden Nägeln
brennen 7
sesaliöb begleiten 41
masqayl poliert 19
sileb (fsilib, ■fseyleb) warten,
sich gedulden 6; salöb (dicht.)
hart werden; kurze, gemes
sene Befehle geben (nach
§12)
hasaldh abhelfen 31
soll beten 103
sanier zu Ende gehen 35, Anm. 6
sdrah krähen (Hahn) 24b
“ (S. 31)
saru (zarü) sich beeilen 99
sdr stehen bleiben v. sub zdr;
hasuwor (hazawir) aufstellen
(ein Zelt) idem
sawir abbilden, malen, zeich
nen 84
S
j sidah achtgeben 106, Anm. 4
Mdau (Qasän) sich verzögern
106, Anm. 2
J shöiou wünschen 106
Studien zur Laut- uud Formenlehre der Mehri-Sprache. XI. 139
t O
tdb müde sein 60 (61, 62)
tüba jem. folgen, verfolgen 67
tebor zerbrechen (trans.) 6,
Anm., 10; tiber zerbrochen
werden, scheitern 6, Anm.;
10, 13(b)
setbot etwas für gut finden 41
ff bl spuken (ar. J-*j ; nach § 12)
tbjer handeln, Handel treiben
24 a (S. 31)
thel (dicht.) hervorbrechen 7
thoulül sitzen 111
*thf v. sub whf
*tqt v. sub wqt (Inf. teqeteyn
22 b)
*tiq trinken 91 Anm.
telüf verderben, vertilgen 30;
telef verderben (intr.), zu
grunde gehen 6, 21
teli'i (dicht.) einen geliebten
Freund nicht ziehen lassen
99
telüm vorbereiten 35, Anm. 1
temrn (tumm) vollendet, zu
Ende sein, enden 43 (44, 45,
46); temürn beendigen 49
tirok sich eine Gewohnheit ab-
gewöhnen; * terük lassen,
verlassen (cf. ar. ef’jj lassen;
nach § 12)
tuwih in die Fremde gehen 84
towü essen 99; abfüttern 104,
Anm. 1 ; metuwe Diät 99,
Note
touq sich jemandem zugesellen
80
tawos fertig sein 83, Anm.
t O
tebti brüllen (Stier) 99
hatebot ordnen 29
talidl pissen 7, 14 (c), 22 c
toye wittern, schnauben at
men (Pferd) 70; sataye rie
chen 70, Anm.
temor Früchte tragen (nach
§ 12); metamer fruchtbar 19
t b
tarn kosten 60 (61, 62, 63); ha-
tdum kosten lassen 64
ta’än (tan) mit dem Dolche
oder der Lanze stechen 60
(61, 62, 63)
touba drucken 67
tabbh kochen; matabih gekocht
19 (nach § 12)
tahez fallen, stürzen, abgleiten,
straucheln, stolpern 7, 16 c,
Anm.
taliän mahlen 7, 21
tayob gut sein oder werden 90
tbqer schnalzen (nach § 24)
tbla weiterdringen 67
telob betteln (ar. <—5 nach
§ !2)
hatalbq losmachen, loslassen 29
*täyme dürsten 70
tamor verbergen, verstecken
(ar. nach § 12)
famos befühlen, betasten (hdr.
tamds; nach § 12)
tanü willenlos sein 99
tdyreb freudig sein 6, 13 (b);
toreb Hochzeitsfeierlichkeiten
veranstalten 26
140
II. Abhandlung: Bittner.
toref ein Haus herrichten und
zur Verfügung stellen 24 b
(S. 31)
iöureli legen; lassen 24 b (S. 31)
toss den Weg verfehlen 44
tüf sich vergnügen 83
towü (tawü) in der Nacht kom
men, falten 99; hatawü brin
gen 104
W 3
wida erfahren, wissen 67; ivoda
Abschied nehmen; führen 68
wodef zutröpfeln lassen, lang
sam vermehren 76, Note;
houdöf idem 76
xoodl die Religionspflichten er
füllen 103
*wöder lassen 75
ivudek (wulek) kleben, festge
halten werden 72
woden drohen 75
ivutddi die religiöse Waschung
verrichten 105
*tvuddq beladen, beladen sein
74
wufü vollziehen 104; wtfi mann
bar sein 100; hüfü abbe
zahlen, eine Schuld bei je
mandem einfordern 104; süfü
mannbar werden 106
wofeq anwesend sein; zusamm en-
treffen 75
wojeb notwendig sein 74 (Inf.
jeyk)
sujüs in der "Asrzeit gehen
78
*hügaur losstürzen 76
wuhed sich beruhigen 72, Anm.
*sühol verdienen 78
wuhem sich nähren 72, Anm.
holidu sich verstecken 104
icdthaf in der Nachmittagszeit
gehen 77
•icahdr sich verspäten 72, Anm.
(17, Anm. 2); wathdur idem
77
ivutkül vertrauen 77
iviqa werden, sein, entstehen
67; hüqd legen, niederlegen,
stellen (auch passiv) 68; wuqd
lassen 68
wuqdb ein treten 72, 74; hüqüb
hineinführen 76; xcdtqab an
einanderfügen 77
woqef stillehalten 75; iciqef,
louqbf schweigen 72; Swuqof
(süqdf) schlafen 78
wdtqat erwachen 77
ivölij die Segel aufhissen 75
icolem fertig, gar sein; zur
Reise rüsten 75
hümor befehlen 76
sicurd zurückkehren 68
wired Wasser holen 72
wasof beschreiben 72; mahüsdyf
bekannt 76, Anm.
ivusdul (icisal) anlangen; über
bringen = hüzaul 76
hutoh beschwichtigen (74)
*hütüq (hütuq) abhalten, an
binden, nach etwas greifen
76
hütoh tätowieren 76
woza bestimmt sein 68
houzüauslöschen, ausziehen 104
wuzom geben 73, 74
wuzon abwägen, zumessen 72
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 141
wösl reizen 103
sindt Schlaf 78
wuSor bauen, verfertigen 72;
mahü&or angefertigt 76, Anm.
z 3
zäq anrufen, jemandem zurufen
60 (61, 62, 63)
zdybak (s. auch sdybah) der
Morgen brach an 6; hazebäh
— hasebäh v. sub sbh
zuff Zusammentragen; herauf-
ziehen (Wasser) 44
sezafiL sielt erkundigen 106
zefon tanzen 5, 20 (c)
zofer (söfer) pfeifen, flöten (ad
ar. ; nach § 24)
zagäf singen; auch coire cum
femina 22 c
zeher absteigen 7
ziyod zunehmen 90; haziyud
vermehren, mehr geben, mehr
machen 92 (und lidzed-i, re
spektive hizd-% 92, Anm. 1)
haziüy Gold oder Silber schmie
den 92
haziüh schreien 92
zokk schließen, einschließen,
-sperren 43 (44, 45)
zoqq schreien 44
züll den Weg verfehlen 43
(44, 45)
zemol satteln (Esel oder Kamel
(hdr. II zehnmal-, nach § 12)
zouna (söuna) verfertigen 67
zätera anschwellen 68
zerof füttern, nähren (nach § 12)
zdteref geneigt gehen 34
zaru schnell gehen 99
zirbq die Lanze auf jemanden
werfen 5 -
zatt ergreifen 45; zetit ausrüsten
45
hazawüb mit der Lanze treffen,
verwunden 85; mhazaib ver
wundet 85 (Ende).
zol aufhören 84; zuwil den Ort
verändern; zetuwol vergehen
86
zör besuchen 82, Anm. 2
zur stehen, stehen bleiben 83;
liazawir aufstellen 85
zawir s, saiutr
s
*sauq anbrennen, entzünden 64
Anm.; sdtäq (sdtäq) ange
zündet werden, verbrennen
64, Anm.
*sem verkaufen 60 (61, 62)
söbb klettern 44
siba satt werden oder sein 67
yisäbhen er gleicht (ihm) (von
einem sbbeh = ar. «Jobi nach
§24)
sebü erhaben sein 99
sedtld ermüdet sein 45
*sbfa genesen 67
stefdq Mitleid haben, bedauern
35 (Inf. sfiqon 22 b) •
mesaydyb sich nach jem. seh
nend 19
shed Zeugenschaft ablegen 7,
14(c)
stehür berühmt werden 35
shän Waren aufladen 7
mashäl schmutzig 19
142
II. Abhandlung: Bittner.
siyif nach etwas ausschauen,
ausblicken 91
sukk zweifeln 44
skör danken 5
suqq durchbohren 4A-,$ät(t)aq(q)
gespalten werden 51
soll (Sali) holen, davontragen,
abführen; nehmen, wegneh
men 44; $ät(t)al(l) wegge
nommen werden; sich fort
packen 51
samor vermögen (nach § 12)
sdmer beschreiben 24; mesnrir
berühmt 19
msenna häßlich 69
stona herumbummeln 68
smi (bed.) sehen; (Qäsän) sich
zeigen, auftreten 100
sdteneq an den Galgen hängen
34 (22 c)
serir durchlöchern 47
steröb eindringen 35
seseröh frisch sein 41, Note;
seseräh ruhen 41
seröq sich öffnen (cf. ar.
spalten; nach § 12); satereq
(dicht.) geöffnet werden 34
ierot 1. zusammenschnüren;
2. eine Bedingung stellen
(nach § 12)
* Metern (ßitetn) kaufen 13
saug anbrennen, entzünden, ver
brennen v. sub s’q
setweq sich nach der Heimat
zurücksehnen 86
sawir flüstern 84
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II.
143
Dr uckfelil erVerzeichnis.
S. 8, Z. 1 v. o. lies haqöut statt liaqout.
S. 8, Z. 6 v. u. lies kib statt kjb.
S. 9, Z. 10 v. o. lies ddybat halten, ergreifen, fassen, nehmen statt
d dybat.
S. 9, Z. 14 y. u. lies qeybali statt qeybaJc.
S. 10, Z. 14 v. u. lies zeher statt zehet.
S. 10, Z. 12 v. u. lies dahär statt dahär.
S. 15, Z. 11 v. o. setze nach Äthiopischen einen Beistrich.
S. 25, Z. 14 v. n. lies liaqout statt haqdut.
S. 27, Z. 10 v. o. lies statt hrhÄ-t
S. 27, Z. 15 v. o. lies ^ks begreifen, einsichtsvoll sein statt ^.ks-
S. 30, Z. 10 v. o. lies Anm. statt Amn.
S. 34, Z. 3 v. u. lies (= ’ikt&b) statt (= "'ildab).
S. 49, Z. 15 v. o. lies ersinnen statt sinnen.
S. 51, Z. 4/5 y. o. lies hilcdm statt hikäm.
S. 57, Z. 1 v. o. lies dorr statt darr.
S. 57, Z. 14 v. u. lies statt kb.
S. 58, Z. 6 v. o. lies nult statt natt.
S. 58, Z. 14 v. o. lies gobb statt gabb.
S. 67, Z. 17 v. o. lies brennen (intr.) statt brennen.
S. 68, Z. 3 v. o. lies hangen statt hängen.
S. 74, Z. 9 V. o. lies flAO* statt flAP-.
S. 75, Z. 19 v. o. lies V**£.5 statt V ^£0.
S. 77, Z. 11 v. o. lies Imp. statt Impf.
S. 79, Note lies statt
S. 106, Z. 8 v. o. lies yitane statt yitane.
S. 106, 1. Z. lies dein anschwellen statt delü.
144
II. Abhandlung: Bittner.
Inhaltsübersicht
(zugleich Übersicht über die verbalen Stammbildungen und Formen).
Das Yerb um des Meliri im allgemeinen.
Der mehr äthiopische Charakter des Mebri-Zeitwortes (1), Ein
teilung der Verben nach der Beschaffenheit der Wurzeln (2), die
Radix ktb und einige Verweisungen auf Jahns Grammatik (3).
I. Verba firma: ihre Verbalstammbildung und Flexion.
A. Grundstamm:
1. Tempora und Modi.
Die 3. P. Sing. gen. masc. Perfekti in dreifacher Gestalt (4) und
zwar transitiv — ketob (5), intransitiv — kiteb (6) und bei mediae
gutturalis — keteb (7), Imperfektum von ketob, Indikativ und Sub-
junktiv getrennt — Ind. yikoteb, Subj. yikteb (Imp. Jcteb), von Jciteb
und keteb hingegen Indikativ und Subjunktiv nur yiktob (Imp.
ktöb) (8)', Flexion (9), Paradigmata (10), Veränderlichkeit der Vokali-
sation (11); Beispiele für a) ketob - yikoteb - yikteb - kteb (12), b) kiteb-
yiktob - ktöb (13) und c) keteb - yiktob - ktöb (14); einige Besonder
heiten und zwar yilcdtb statt yikoteb (15), dann Abweichungen von
§ 8, resp. 12, 13 und 14 (16) und einige anomale Bildungen (17).
2. Partizipien und zwar:
a) Part, activi — nur nominal — koteb (18), b) Part, passivi
melctib (19) und c) die dritte Art — des Mehri-Partizipiums auf
-öne, nach der Form ketbone (20).
3. Infinitive und zwar:
Die allgemein gebräuchliche Form kiteb (21) und andere da
neben als ,Infinitive 4 gebräuchliche Nominalformen, insbesondere
.a) mit Präfix me-, b) auf -on und -in, c) nach ketyüb bei mediae
gutturalis (22).
B. Steigerungs- und Einwirkungsstamm:
Perfektum koteb, Imperfektum Indikativ yikuteben — Subjunktiv
yikoteb (23), Paradigma und Beispiele nebst Stammvermischungen (24),
das dem zum Grundstamme gehörigen ketbone entsprechende Parti
zipium mekdtebe (25) und der Infinitiv telctib (26).
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 145
C. Abgeleitete Stämme. Die Elemente An-, -t- und Sa- (27).
1. Kausativa.
Perfektum haktob, Imperfektum Indikativ yihalctob (yihakoteb)
— Subjunktiv yihdkteb, Partizipium melidktebe, Infinitiv haklebot (28),
Beispiele fiir liaktob - yihalctob (29), Abfall des Kausativ-Präfixes
ha- (30), Beispiele für haktob - yihalcoteb (31), das Ilausativum in
passiver Bedeutung (32) und das Partizipium passivi mehaktib (32*).
2. Reflexiva.
Die dreierlei Arten a) Perfektum kd-t-teb, Imperfektum Indi
kativ yilc-t-etob — Subjunktiv yik-t-Ueb, b) Perfektum k-t-etbb, Im
perfektum Indikativ yik-t-etiben — Subjunktiv yik-t-etob, c) Per
fektum k-t-dteb, Imperfektum Indikativ yik-t-dteben — Subjunktiv
yik-t-oteb-, dazu Partizipium mek-t-ätebe (zu a und c) und mek-t-etibe
(zu b) und der eine Infinitiv k-t-elbbt zu allen dreien (33); Beispiele
fiir a) kd-t-teb (31), b) k-t-etbb (35) und c) k-t-dteb (36), Stammver-
mischung (37), das Partizipium passivi mek-t-etib (38).
3. ICausativ-Reflexiva.
Das Präfix Sa- = Ha- = hta- — sta- (39), Perfektum saktbb
oder S(a)koteb, Imperfektum Indikativ yiSaktob oder yiSkdteben — Sub
junktiv yiSdkteb oder yiSkoteb, Partizipium meSdktebe (meSIcdtebe), Inf.
Saktebot (skatebot) (40), Beispiele für Saktbb (41) und für S(a)koteb (42).
II. Verba infirma.
A. Mediae geminatae.
Perfektum schematisch temm (tamrn, timm, tomm, tumm) (43),
Imperfektum Indikativ yitmbm — Subjunktiv yitmem (44), Parti
zipien und Infinitive (45), die Flexion des Perfektums (46), Steige
rungsstamm Pf. temim, Impf. Ind. yit(e)mimen — Subj. yitfejmmi (47).
Kausativa Pf. hatemom, Impf. Ind. yihatmom — Subj. yihdttem (aus
yihdtmem), Part, mehätteme (aus mehdtmeme), Inf. hattembt (aus liatme-
mot) (48), unter Abfall des Kausativ-Präfixes Pf. temom (49) und
hatemim (50), Reflexiva tdttern (aus td-t-mem) und le-t-mbm (51),
Kausativ-Reflexivum Satmom (wie hatmbm) (52).
B. Verba cum Ayn: Bemerkungen zum Ayn des Mehri (53).
1. Verba primae Ayn.
Einige zu beachtende Lautgesetze (54), Grundstamm (55), Stei
gerungs-Einwirkungsstamm (56), Ilausativum (57), Reflexiva (58),
Kausativ-Reflexiva (59).
2. Verba mediae Ayn.
Nach dem Schema der mediae gutturalis keteb aus (a’än (für
te’bn) — tän (ton) (60), Impf. Ind.-Subj. yi(on (61), Paradigma (62),
Infinitiv (63), Kausativum und Reflexivum (64).
3. Verba tertiae Ayn.
Grundstamm, Perfektum trans. (wie Steig.-Einw.-St.) dofa —
intr./tza’, Imperfektum auch bei Intransitiven mit getrennten Modi:
Sitzuogsber. d. phil.-hist. Kl. 1GS. lid. 2. Abh. 10
146
II. Abhandlung: Bittner.
yidöfa {yifoza) — yidfä’ (yifzä') (65), Paradigmen (66), Beispiele
für den Grundstamm (67), den Steigerungs-Einwirkungsstamm und
die abgeleiteten Stämme (68), Partizipium passivi (69), einige Be
merkungen zum Ayn als 3. Radikal (70).
C. Verba cum io vel y.
1. Primae w (NB. primae y kommen nicht vor).
Entsprechungen des io (71), Grundstamm wie bei verbis firmis,
nur fällt io in yikteb aus (72), einiges zu den Lautgesetzen (73),
Infinitivform tabteb (74), Steigerungs- resp. Einwirkungsstamm (75),
Kausativum (76), Reflexiva (77), Ivausativ-Reflexiva (78).
2. Mediae io und mediae ?/; beide sind auseinander zu halten (79),
a) Mediae io.
Bildung des Grundstammes dor aus d(w)dr (80), Impf.
Ind. yidor — Subj. yider, Part, derone (81), Paradigma (82),
Beispiele für den Grundstamm (83), Steigerungsstamm dewu?*(84),
Kausativum stark hadwbr (daneben seltener hadwir) und
Part. pass, dazu (85), Reflexiva (86), Kausativ-Reflexiva (87).
b) Mediae y.
Die starke Bildung des Grundstammes Perf. seyör, Impf.
Ind. yisyor — Subj. yisyer (88), Paradigma (89) und Bei
spiele (90), Steigerungsstamm seyir (91), Kausativum (92)
und Reflexiva (93).
3. Defekte.
Tertiae w, tertiae y und tertiae Hamza im Grundstamm als
safü, benü, qaril (94), Paradigma des Perfektums und einiges über
den dritten schwachen Radikal (95), Impf. Ind. yi*dyf, yibäyn, yiqdyr
— Subj. yisfe, yibne, yiqre (96), Paradigma des Imperfektums (97),
Partizipium und Infinitiv (98), Beispiele (99), starke Bildungen von
Intransitiven nach kiteb mit w oder y als 3. Radikal (100 u. 101),
Steigerungs- und Einwirkungsstamm und abgeleitete Stämme im
allgemeinen (102), Steigerungs-Einwirkungsstamm kosi (103), Kau
sativum Pf. halcsü, Impf. Ind. yihakdys — Subj. yihdykes (104), Re
flexiva, Pf. kdtsl und ktosi (105), Kausativ-Reflexiva Saksü und
$köi>i (106).
Anhang.
a) Verba mixta und anomala (107).
b) Vierradikalige Zeitwörter, ihre Einteilung (108), Reduplikation
zweibuchstabiger Wurzeln (109), Wiederholung des dritten Ra
dikals (HO), Einschub von w und y, sowie Niphal-Bildungen (111),
eigentlich vierradikalige (112).
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 147
Nachträge.
Zu § 5, S. 7, Z. 12 v. u.: bei jizom schwören könnte man auch
an ar. ^» denken; denn mehri j entspricht manchmal
aucli einem ar. und es wechseln mitunter z und s, cf.
Studien I, Nachträge zu § 50 (S. 123) und WZKM., 1910,
S. 80 und 81, auch hier im zweiten Teile § 44, S. 57,
Z. 6 und 7 huzz fühlen (neben liuss) = ar. und
§ 29, S. 37, Z. 4 v. o. halsüq aufdrücken (ar. leimen)
und dazu ar. ,3-aJ und jrjl.
Zu § 5, S. 7, Z. 9 v. u.: mit riqdd stampfen (mit den Füßen)
hängt jedenfalls auch äth. /.70: pedem supplosit, pede
percussit, calcitravit zusammen.
Zu § 6, S. 8, Z. 4 v. u.: hiter fischen ist vielleicht ebenso se
kundär aus einem Reflexivum gebildet, wie sitem (setem)
kaufen, vgl. § 60, Note 1 und WZKM., 1910, S. 82,
Note 1 und zwar gleichfalls von einer Radix mediae Ayn
(oder Hamza), etwa mit assyr. Visa fangen, wegfangen,
Delitzsch, Gramm., S. 301 zusammeuzustellen, woran mein
lieber Schüler, Herr Dr. Christian, dachte.
Zu § 17, Anm. 1, S. 230: Genau so wie niker bildet die tertiae
y lehey meckern Impf. Ind. — Subj. yilhey, Part, melheye,
Imp. lihey, Inf. lihl — ganz stark.
Zu § 19, S. 24 u. und S. 25 0.: Hieher gehört auch mahalis
beendigt, zu halös zu Ende sein, wenn wir es nicht nach
§ 32* als kausatives Passiv-Partizip ohne kausatives A(a)
auffassen wollen, also mahalis nicht = mhahalis setzen.
— Fei’ner dürfte bei Hein, 4. 11 in der Stelle ho magdän
,ich bin ein Armer' magdän nicht, wie ich Studien I, in
den Nachträgen zu § 21 (S. 118) erklärt habe, Inf. zu gdy-
$an sich erbarmen sein, sondern wohl eher als Part. pass,
zu diesem zu fassen sein: also magdän für magdän, mag-
den, magdin (cf. nxaltäg getötet) eig. ,einer, dessen man
sich erbarmt hat', 'dann ,erbarmungswürdig', wörtlich, ho
10*
148
II. Abhandlung: Bittner.
= ,ich' belassend: ,ich bin erbarmungswürdig'. — Zu mu-
seltm Gläubiger, Muslim (nicht = ar. vgl. Studien I,
§ 100.
Zu § 28, Anm. 3, S. 35 unten: Das kausative h(a)- dürfte sich
auch als 7i(a)- in sekundären Wurzelbildungen, die auf
,schwache' Wurzeln zurückgehen, nachweisen lassen.
Ebenso wie im Mehr! das § 49, Anm. 2 besprochene hass
einen ehren aus einem kausativen ha’sds (== ha’zoz =
. ar. j!st) hervorgegangen ist, könnten wir etwa auch liadür
einen Reitertanz (Fantasia) aufführen als = liadür aus einem
hadwür umgeben, eig. sich drehen lassen, drehen (ar. j\>\)
erklären. Ob auch ar. jAA umgeben so zu deuten ist (== jd.*
aus JW* =.- Jb\, wie aus = ,j'ji) cf. Brockel
mann, Grundriß, S. 521, will ich nicht entscheiden, aber
ar. iyk ,wollen' fällt auf, wenn wir an •>'_)! ,wollen' denken,
das ja ,dialektisch' als vorkommt. Man vergegenwär
tige sich auch äth. jj»(bei Dillmann auch mit '})
ventilabro purgare frumentum neben '/<{./>,: = ar. Jaü
schütteln (ar. ventilabrum), sowie gewisse arabische
Yierradikalige mit li als erstem Radikal, ich meine Jasya.
kleine Schritte machen neben tanzen, j-sj springen —
jA-()A hin- und herlaufeu neben J.A, Fuß — ji)A pomp
haft gehen neben das Reittier mit einem Fuße schlagen,
um es in Galopp zu setzen, mit dem Fuße gegen E.
aussclilagen gegenüber ,jAj.jt, mit ungleichen Schritten
gehen und jijA sich hochmütig brüsten (JtbiA
und mit weiterer ,Steigerung' von h über h zu h beispiels
weise lAjAA rasch gehen, eilen neben cAjyi schnell sein,
eilen zu cJsjj eilen oder ^.A II eilen zu leicht dahingleiten.
Zu § 30, S. 39: Abfall des kausativen h(a)- findet natürlich
auch bei Wurzeln primae h statt.
Zu § 30, Anm., S. 40: haraf blühen lassen wird wohl mit ar.
cA^A Früchte pflücken oder sammeln (k_i^A Herbst, cJ>^'A
Lamm, Schaf), hebr. *]1h Herbst, Zeit des Obstpflückens,
(talm.) frühzeitig, frühreif, aram. Kann Herbst-, d. i.
Frühsaat, zusammenzustellen sein.
1 Man beachte utl1 ^ J-®J (IV. rasch aasschreiten); ähnlioh
und gkä, cf. Guidi, Alcune osservazioni di lessicografia araba, S. 6. u. 1
(VII. Orientalisten-Kongreß).
Studien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 149
Zu § 32, S. 42, Z. 19 v. o.: zu wa-liämel vgl. § 55 (Ende),
§ 57 und WZKM., 1910, S. 84 und 85.
Zu § 34, S. 44, 1. Z.: vgl. ai\ i_iäi ausreißen, umhauen.
Zu § 44, S. 57, Z. 2: zu frr — äth. Praetorius, ZDMG.,
1908, Heft 4.
Zu § 52, S. 63 oben: der Inf. skellet bei Jalm wird wohl Druck
fehler statt skcllöt sein.
Zu § 52, S. 62, Z. 3 v. u.: zu meinem Verweise auf ar. j-ä-A
vergleiche man auch mehri showü u. ar. ^j-s-A (l$-A), § 106,
S. 116 o, dann safü gegenüber söfa (mit £), ebenda Anm. 2
u. sidah, ebenda Anm. 4. Wäre nicht ar. im Mehri s
(nicht wieder S!), könnte man sich ar. V^iA (mehri 4/°)
fast als Sekundärbildung aus dem Kaus.-Refl. erklären.
Vgl. hiezu_ ferner mehri serqd aufgehen von der Sonne (zu
einer 1 1 rq — ar. und ar. J^-A, § 70, S. 78, Z. 3 ff.,
sowie aus dem Arabischen z. B. g^LA geräumig gegen
über i_AL£A das Oberste zu unterst kehren gegen
über c-JLS, alt gegenüber Ij-Si quälen, peinigen
gegenüber g£-^ aufhäufen gegenüber gäj, groß,
stark gegenüber versengen gegenüber
S^äA Taschenspielerkünste machen gegenüber SU, gUAA
hoch gegenüber >U (zu einem gU mit wohl durch Dissimi
lation zu erklärendem n, also nl aus ll, das ich mir wieder
aus J-äU erkläre, indem ich an äth. AdA denke).
Zu § 56, S. 66, Z. 12 und 11 v. u.: zu den Verweisen auf
”H1Z ! ~ ~ ~ H'iO 1 vgl. WZKM., 1900, S. 371.
Zu § 57, S. 67zu dymel machen, tun (ar. J-»*) findet sich
auch ein passiv gebrauchtes Kausativum hämöl, vgl. § 31.
Zu § 58, S. 68, Z. 3 v. o.: atelüq bedeutet wohl eher ,sich
hängen' — statt ,hängen' lies ,hangen'.
Zu § 58, S. 68, Z. 8 v. o.: mtelij krank denke ich mir nämlich
aus via teilj eig. ,kuriert, zu kurieren' entstanden.
Ziu § 73, S. 82: Noch mehr mit Pronominalsuffixen, z. B. zem-kä
qatayh (Gott) schenke dir die Blattern! (Verwünschung),
wo zem für yezem steht, dem Stat.-pron. des Subj. yizem,
vgl. auch WZKM., 1910, S. 84 und 85.
Zu § 74, S. 82, Z. 3 v. u.: Als Inf. zur Vivth gibt Jahn tdh
nur in der Grammatik, S. 100, oben an, im Wörterbuch
steht — S. 237, Kol. I, oben — mütäh.
150
II. Abhandlung: Bittner.
Zu § 76, S. 83 l. Z. und S. 84 oben: Zu hügäur vgl. WZKM.,
1910, S. 78.
Zu § 76, S. 83: Zu den mißbräuchlichen Femininformen des
Imperativs Singularis liiqeb und Mtah gebe ich zu be
denken, ob daraus nicht eventuell sekundäre Wurzeln
entstanden sein oder entstehen könnten.
Zu § 80, S. 86: Zu dör aus d(w)ar vgl. die Bildung des Kau-
sativums, § 85, ha-dwor.
Zu § 81, Note 2, S. 87: Vgl. auch mehri hatö Vhtw(y) gegen
über ar. hyt (blk. nähen).
Zu § 83, S. 89 oben: Im Impf. Ind. und im Inf. ist bdn deutlich
mediae y — speziell der Inf. müßte sonst biwonet (nicht
biyonet) lauten, vgl. § 82, Anm. 2, die qitalet-Fonnen gay-
icoset, ziwöret, hiwöset (und ev. awödet).
Zu § 83, S. 89 Mitte: Ich mache auf lif und tif, die Infinitive
zu den V~liuf und twf, nochmals aufmerksam: aus liivf
und tiwf über Uff und tiff (indem sich w dem / assimi
liert hat), nicht aus liyf und tiyf (indem w nach i zu y
geworden wäre).
Zu § 86, S. 92: Man vergleiche zur Beurteilung der Formen,
ob sie zu einem Reflexivum der Form kd-t-teb oder einem
solchen der Form k-t-etöb gehören, das Schema § 33.
Zu § 88, S. 93 und 94: Ursprünglich Part. pass, scheint mir
auch mesiyir Reisebegleiter (zu seyör reisen) zu sein, da
der plur. mesiyor lautet.
Zu § 90, S. 95: Man beachte die Infinitive jirl (aus jiry, also
wie von jry) • un d heymi (aus Mmy, also wie von limy),
obwohl die Verba doch mediae y sind.
Zu § 91, S. 95 und 96; Zu gaydb abwesend sein (ar. t - r A i ) gibt
Jahn im Wörterbuch Formen an, die zum Steigerungs
stamm gehören, nämlich Impf. Ind. und Subj. yigayib (eig.
ist dies nur der Subj., für den Ind. erwartet man yiga-
yiben), Part, macjayibe, Imp. gayib, Inf. tagayib (— tagyib)
— als Bedeutung erwartet man eher ,entfernen'.
Zu § 91, S. 96 und 97, Anm.: Zu dem interessanten tiq trinken
vergleiche man, was den Wegfall des h betrifft (aus htqy
zu hqy — auch temd belauschen (aus htemd zu
hin = ar. g-»-^), § 68, S. 77 sub Reflexivum und (h)tä-
Stadien zur Laut- und Formenlehre der Mehri-Sprache. II. 151
diyem sie verteilten untereinander (zu hdy — ar. ),
§ 105, S. 115.
Zu § 111, S. 119: thoulül sitzen, das wie eine abnormale Re
flexivbildung von einer erscheint, könnte vielleicht
auch nach § 110 von einer Wurzel thl hergeleitet werden:
es wäre dann der 3. Radikal redupliziert und nach dem
zweiten ein w eingesehoben worden. Dabei möchte ich zu
thl, an syr. (hehr, nm) descendit (mit n) gegenüber
syr. (hehr, nnri, ar. cuiu) sub, infra (mit <) erinnernd,
die Mehripräposition n(a)hdl unter, unterhalb vergleichen,
die zu einer Radix nhl gehört, vgl. hebr. brn Tal. Also
thoulül eigentlich niedersteigen, sich niederlassen.
Zum Schlüsse muß noch einer Anzahl von adverbiell, be
sonders als Interjektionen gebrauchten Ausdrücken Erwähnung
geschehen, die ursprünglich wohl nichts anderes als Verbal
formen gewesen sind. Ihre Erklärung stößt bisweilen wohl auf
Schwierigkeiten. Hieher gehören: astöu (istöu, auch mit sekun
därem h als histöu vorkommend) es mag sein! gut! — bei
Jahn, Wörterbuch, S. 165, Kol. 1, könnte, wie Jahn meint,
dem südarabischen istöu = entlehnt sein, aber auch
nach § 105 als mehritisch erklärt werden; hddaü beleuchte
den Weg! — bei Jahn, 1. c., S. 175, Kol. 2, unten und als
Kausativum einer dem ar. «LJ» (vV) entsprechenden Wurzel
erklärt — wenn wir fürs Mehri dw ansetzen, erwarten wir
nach § 68 und 85 hddioa — die Radix scheint mir im Mehri
defekt (dwy) zu sein und hddaw für had,aw aus hddaw, hedaio
— hdy dato zu stehen, cf. § 104; gab pl. gdbem (Wort aus
Hasuwel) laß! laßt! — bei Jahn, 1. c., S. 182, Kol. 2 unten —
könnte als Imp. einer Radix wgb gedeutet werden, cf. § 72;
yod sicherlich — bei Jahn, 1. c., S. 199, Kol. 1 und von ihm
mit einem ar. >^. es kehrt zurück (mit Fragezeichen) ver
glichen — formell möglich; yehed unaufhörlich — bei Jahn,
h c., ebenda und mit ar. '^ zur Ruhe kommen (mit entgegen
gesetzter Bedeutung) zusammengestellt — formell möglich, nur
wäre die Wurzel fürs Mehri als defekt — hdy — anzusetzen,
152 II.Abli.: Bittner. Stud.z. Laut-u. Formenlehre d.Mohri-Sprache. II.
yehed also — yeheyd, d. i. Impf. Ind. von einem liedii, das sonst
,den rechten Weg führen' bedeutet (ar. ydkün wahr
scheinlich — bei Jahn, 1. c., S. 202, Kol. 2, sub kan sein — kann
recht gut Mehri-Indikativ sein, vielleicht ist aber eher an eine
Entlehnung aus dem Arabischen zu denken (^SS es wird sein); 1
ndu gib her! pl. m. ndühum f. nduhen ■— bei Jahn, 1. c., S. 214,
Kol. 2 und mit ar. ,d. i. auch Freigebigkeit, reiche Gabe
verglichen — formell schwer zu erklären, vgl. § 97, Mitte (zum
eingeschobenen li), 2 etymologisch auch an hebr. jns geben,
syr. er wird geben erinnernd; einige andere sicherer zu
erklärende sind in den betreffenden Paragraphen erwähnt worden.
1 Im Türkischen bedeutet ar. (es ist) bekanntlich soviel als ,Summe*
(einer Addition).
2 Vielleicht Infinitiv statt Imperativ?
Sitzungsberichte
der
Kais. Akademie der Wissenschaften in Wien,
Philosophisch-Historische Klasse.
168. Band, 3. Abhandlung.
©tncLien
zum
Armenisch-Türkischen.
A'on
Dr. Friedrich von Kraelitz-G-reifenhorst.
Vorgelegt in der Sitzung am 8. März 1911.
Wien, 1912.
In Kommission hei Alfred Holder
k. u. k. Hof- and Universitäts-Buchhändler,
Buchhändler der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften.
Druck von Adolf Holzbausen,
k. und k. Hof- und Universitäts-Buchdrucker in Wien.
III. Abh.: v. Kraelitz-Grei fenli orst. Studien etc.
1
in.
Studien zum Armenisch-Türkischen. 1
Yon
Dr. Friedrich von Kraelitz-Greifenhorst.
(Vorgelegt in der Sitzung am 8. März 1911.)
Bekanntlich leben die Armenier seit dem Untergange
ihres nationalen Königreiches nur mit einer Minderzahl noch
auf heimatlichem Boden, während die große Masse gegen
wärtig weit in der Fremde zerstreut ist. Von der beiläufig auf
3 V 2 Millionen zu veranschlagenden Kopfzahl des armenischen
Volkes ist nur etwa ein Viertel in seinem Stammlande geblieben,
der andere Teil ist über Anatolien und die übrigen türkischen
Gebiete in Asien, Europa und Afrika, über Österreich-Ungarn,
Kußland, Persien, Indien und andere Länder verbreitet. 2 Unter
dem Einflüsse der fremden Völker, in deren Verbände sie nun
traten, haben zahlreiche Gruppen von Armeniern, namentlich
dort, avo sie in weniger kompakten Massen erschienen, ihre
Nationalität eingebüßt und haben an Stelle ihrer Muttersprache,
des Armenischen, das betreffende fremde Idiom als Umgangs
sprache angenommen. An einem hielten sie allerdings auch
dann noch zähe fest, an ihrer Religion, welche das einigende
Band sämtlicher in der Diaspora lebenden Armenier ist. Auch
von jenen Armeniern, die sich auf dem ausgedehnten Gebiete
1 Es ist mir eine angenehme Pflicht, an dieser Stelle meinem hochver
ehrten Lehrer Herrn Prof. Dr. Maximilian Bittner für die mannigfache
Unterstützung während meiner Arbeit herzlichst zu danken. Auch Herrn
Me 1 *. Dr. J. Thumajan, Delegierten des armen.-kath. Patriarchats in Kon
stantinopel, den ich während seiner Anwesenheit in Wien im Sommer
1910 kennen zu lernen die Ehre hatte, bin ich für manche Aufklärungen
und Belehrungen zu Dank verpflichtet.
2 Vgl. F. v. Hellwald und L. C. Beck, Die heutige Türkei, 2. Aufl.,
Leipzig 1878, Bd. II, S. 101.
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 1G8. Bd., 3. Abh. 1
2
III. Abhandlung: v. Kraelitz-Greifenhorst.
des osmanischen Reiches niedergelassen haben, hat ein Teil
seine Nationalität und Muttersprache eingebüßt und ist sozu
sagen ,türkisiert' worden. Solche Armeno-Türken linden sich
in größerer Anzahl in folgenden Gegenden des osmanischen
Reiches: 1 In der Hauptstadt Konstantinopel, im westlichen Teile
Kleinasiens (Smyrna), in Cilicien und in einigen Dörfern östlich
von Trapezunt. Überdies gibt es aber auch noch außerhalb
des osmanischen Reiches Türkisch sprechende Armenier, näm
lich in der persischen Provinz Azerbaidschan am Südufer des
Urmiasees, in den vier Städten Barra, Chulguma, Kartikam,
Turs, westlich von Achalkalaki (russisches Gouvernement Kuta'is),
dann im ehemaligen Bessarabien (Akkerman) und in Bulgarien,
wo die alte armenische Kolonie sich der türkischen Sprache
bediente, während die neue bereits wieder die armenische Sprache
gebraucht. Die Sprache dieser Armeno-Türken wird gewöhnlich
als Armenisch-Türkisch bezeichnet, wird mit armenischen Lettern
geschrieben und differiert je nach dem Gebiete, wo sie ge
sprochen wird. Im Allgemeinen schätzen nämlich die Armenier
die türkische Sprache nicht sehr hoch, sie ist ihnen eine ,langue
barbare', weshalb sie sich bei deren Gebrauch oft die grüßten
Freiheiten und Willkürlichkeiten erlauben. Ein Beweis dafür
sind schon die vielen armenischen Transkriptionen des Türkischen,
die nicht einheitlich sind, sondern, man könnte geradezu sagen,
ebensoviele verschiedene Arten aufweisen, als es Druckereien
gibt, die armen.-türk. Werke hersteilen. Gegenstand der fol
genden Studien soll aber nur jenes Armenisch-Türkisch sein,
wie es in der Türkei, und zwar vor allem in Konstantinopel
gebraucht wird. Sie versuchen eine systematische Darstellung
der Eigentümlichkeiten dieses interessanten Dialektes, 2 soweit
es bei dem oft sehr willkürlichen Gebrauche der türkischen
1 Vgl. H. Adjarian, Classification des dialectes armeniens, Paris 1909
(Bibliotlieque de l’dcole des hautes etudes, fase. 173), S. 12.
8 Das Vorhandensein dieses Dialektes wurde in Europa bisher nicht beachtet.
Die türkische Konversations-Grammatik von Hagopian in englischer
Sprache (Ottoman-Turkish Conversation-Grammar, Heidelberg 1907) ent
hält, obwohl der Verfasser ein Armenier ist, keine auf diese Tatsache
bezügliche Bemerkung, ebenso nicht das in ital. Sprache von Bonelli
mit Hilfe des Armeniers S. Jazigian verfaßte Werk ,11 Turco parlato
(lingua usuale di Costantinopoli)“, Milano 1910.
Studien zum Armenisch-Türkischen.
3
Sprache seitens der Armenier möglich ist und nehmen dabei
besonders auf solche Abweichungen von der klassischen tür
kischen (osmanischen) Sprache Rücksicht, die bei der Lek
türe armen.-türk. Werke auffallen müssen. Ich mußte mich
zwar auf das geschriebene Armenisch-Türkisch beschränken,
da ich einen ausgiebigen persönlichen Verkehr mit Türkisch
sprechenden Armeniern zu unterhalten nicht in der Lage war,
dafür habe ich aber in erster Linie jene armen.-türk. Druck
erzeugnisse berücksichtigt, die am ehesten geeignet sind, uns
ein Bild des in Konstantinopel üblichen Armenisch-Türkisch zu
geben; es sind dies die armen.-türk. Zeitungen, unter denen
die 7\kpf‘>"kf’ sjo^a.), welche gegenwärtig im
26. Jahrgange erscheint und deren Eigentümer Agop Dziwele-
gian ist, die erste Stelle einnimmt. Dann wäre
zu erwähnen (1910, 27. Jahrgang) und die vom
amerikanischen Bibelhaus herausgegebene Wochenschrift
mmphp (Angeliaphoros), von der bereits 52 Bände vorhanden
sind. Dagegen ist die von der englischen Bibelgesellschaft heraus
gegebene armen.-türk. Bibel (Konstantinopel 1875) für das Studium
des Armenisch-Türkischen ungeeignet, da sie lediglich eine mit
armenischen Lettern durchgeführte Transkription der türkischen
Bibel dieser Gesellschaft ist. Außerdem zog ich noch einige Werke
der armen.-türk. Literatur zu Rate, die wider Erwarten sehr
reich ist und von der Rührigkeit und dem Bestreben der Armeno-
Ttirken zeugt, sich zu bilden und abendländische Kultur in
sich aufzunehmen. Vor allem verdienen in dieser Beziehung
die. Mechitaristen-Kongregationen erwähnt zu werden, die in
ihren früheren und gegenwärtigen Druckereien in Triest, Wien
und San Lazaro bei Venedig zahlreiche armen.-türk. Drucke
hergestellt haben. 1 Wie begreiflich sind es der Mehrzahl nach
belehrende Werke geistlichen und sittlichen Inhaltes, und zwar
meistens Übersetzungen abendländischer Werke. 3 Dagegen wurde
1 Die Bibliothek der Mechitaristen-Kongregation in Wien besitzt eine
reiche Sammlung armen.-türk. Werke, die ich dank der Liebenswürdig
keit und des freundlichen Entgegenkommens der Herren PP. Barnabas
BilezikdZian und Petrus Ferhadian einselien konnte. Eine beachtens
werte Seltenheit sind daselbst einige auf der Insel Malta hergestellte
armen.-türk. Drucke.
* Vgl. Verzeichnis der Verlagsbücher der Mechitaristen-Kongregation in
1*
4
III. Abhandlung: v. Kraelitz-Greifenhorst.
durch die armenischen Druckereien in der Türkei (Konstantinopel,
Smyrna) auch die profane abendländische Literatur, und zwar
zunächst die französische ßomanliteratur durch gute und billige
Übersetzungen den Armeno-Türken zugänglich gemacht und es
erfreuen sich namentlich die Romane von Eugene Sue, Xavier
de Montepin, Paul Feval, Eugene Vidocq, Jules Verne, Emile
Richebourg, Alexander Dumas, George Ohnet, Hector Malot,
Ponson du Terrail und anderen großer Beliebtheit. 1 Es ist eine
auffallende Tatsache, daß von den Armeno-Türken bei weitem
mehr französische Werke übersetzt wurden und werden, als
von den Türken (Osmanen) selbst. Allerdings kommt das in
direkt auch den Türken (Osmanen) zugute, da ja die Über
setzungen türkisch sind und diese daher nur die armenischen
Buchstaben sich anzueignen brauchen, um sich die mannigfaltig
sten literarischen Genüsse verschaffen zu können.
Was die Anordnung des behandelten Stoffes anbelangt,
so soll unter I. dargestellt werden, wie die Armeno-Türken das
armenische Alphabet für die Wiedergabe des Türkischen ver
wenden und unter II. folgen dialektische Eigenheiten der Türkisch
sprechenden Armenier.
I. Der Gebrauch der armenischen Schrift.
Wie bereits erwähnt, verfahren die Armeno-Türken bei
der Wiedergabe des Türkischen mit armenischen Lettern nicht
einheitlich. Der Grund, weshalb die Armeno - Türken das
armenische Alphabet beibehielten, liegt vor allem darin, daß
sich die armenische Schrift als Lautschrift für die Wiedergabe
der vokalreichen türkischen Sprache besser eignet als die von
den Türken gebrauchte arabische Konsonantenschrift. Die ara
bische Schrift bezeichnet bekanntlich nur die langen Vokale
Wien, Wien 1908, S. 77: Türk. Werke (mit armen. Lettern), Catalogue
des livres de l’imprimerie armen, de Saint-Lazare, Venise (Institut des
Mekhitaristes) 1884 und "J tummmp ijm.ijmlj tppph-p/n- P l,>/// ^ /
ul,ytupui hffh 1716 1910, \| L € hL m[tfj, ^yiijmptiih |J, mtjlll pnn 1910,
S. 155/156.
1 Vgl. Catalogue complet de la Librairie B.Balentz (j*‘rupmpAm/j
), Constantinople 1908, p. 170 ff.
Studien zum Armenisch-Türkischen.
5
und so taugt sie gerade für das Türkische, wo es jetzt wenigstens
keine langen Vokale gibt, eigentlich gar nicht. Das Armenische
dagegen besitzt alle Vokale und Diphthonge, die im Türkischen
Vorkommen. Daher eignet sich die armenische Schrift viel
besser zur Aufzeichnung des Türkischen als die arabische und
so haben sich die Armeno-Türken bei der Wahl der Schrift für
die armenische entschlossen. Zudem ist noch zu bedenken, daß
den Armeno-Türken der Gebrauch der armenischen Schrift auch
vom nationalen Standpunkte sehr willkommen ist, weil sie darin
ein geeignetes Mittel haben, auch äußerlich ihre Zugehörigkeit
zur armenischen Nation betonen zu können.
Die jetzt in der Türkei (Konstantinopel) allgemein übliche
Transkription ist folgende:
A. Konsonanten:
a) Allgemeines.
Türk. (b) wird durch arm. *7 (b) wiedergegeben, t. >_)
(p) durch arm. p (p), 1 t. O (t) und b (<) durch, arm. [& (t),
t. ö (s), (s) und (s) durch arm. (s), t. £ (j) durch
arm. zf (J), t. g (c) durch arm. t (c), t. £ (A) und * (A) als Kon
sonant durch arm. (A), t. £ (A) durch arm. f- (x), t. > (d)
durch arm. "> (d), t. 1 (z), j (z), b (£) und Jp (z) durch arm. 7
(z), 2 t. j (z) durch arm. (z), t. (s) durch arm. 2_ i}~), t. t (</)
durch arm. 7 (</) seltener durch arm. // (</), t. cj (y) durch
arm. '/> (/), t. ö (A) durch arm. 7- (A), 3 t. ^ (A) durch arm. ^ (A),
t. (g) durch arm. '/ {g), t. c? (n) durch arm. (n), 4 t. cs" (j)
1 Manchmal, so in der armen.-türk. Bibelausgabe (Konstantinopel 1875)
und namentlich in älteren Drucken findet sich für t. (p) arm. if, (p)
z. B. ,/,l-*[*b.p (A^)-
2 Die graphischen Unterschiede zwischen gewissen nur im Munde der
Türken gleich klingenden, in der arabischen Aussprache und Schrift
aber doch differenzierten Konsonanten, wie zwischen und
5, y L, Jf> sind also hier völlig verschwunden und erschweren bei der
Lektüre oft sehr das Verständnis.
3 In älteren Drucken der Wiener Mecliitaristendruckerei steht arm. ^ (k')
für t. ^ (/r) oder ^ (17) z. B.: ^nu^in~— v—
.gt"*"/’[’ =* j>\£, ,f2°l ~ J ^■
4 Nasales (velares) fi, welches schon in einigen Dialekten wie im Rume-
lischen und Azerbaidschanischen einfaches n geworden ist, wird also auch
hier nicht näher bezeichnet.
6
III. Abhandlung: v. Kraelitz-Greifenhorst.
durch arm. j (f), t. J (l) durch arm. i (1), t. f (m) durch arm. «T
(m), t. o (n) durch arm. (n), t. (w) als Konsonant durch
arm. '/ (v).
b) Bezeichnung des £ (<).
Komplizierter ist die Wiedergabe des £ ( c ) und des (j)
als Konsonanten. £ (') in den im Türkischen vorkommenden
arabischen Wörtern wird im Armenisch-Türkischen sehr ver
schieden ausgedriickt.
Manche Drucke, darunter die bereits erwähnte Bibelaus
gabe und die Wochenschrift miuplr (Avedaper) bezeichnen
das £, mag es im Anlaute, Inlaute oder am Ende eines Wortes
stehen, durch einen Beistrich über der Zeile, welches Zeichen
auch in abendländischen Transkriptionen vorkommt, z. B.
(’adü) = a. ( c ädil) gerecht, (kaide)= a.
(kaide) Regel, Gesetz, (vakd’) == a. ^'5 (wähl) sich er
eignend, stattfindend, p-u,'j,J' (talim) = a. (talim) Unter
richt, u£tu* tn^^nL. (badehu) = a. (badahu) sodann, ferner.
Andere Drucke, vor allem die gegenwärtig erscheinenden
armen.-türk. Tagesblätter gehen das £ meistenteils folgender
maßen wieder:
1. Im Anlaute wird es gar nicht näher bezeichnet, z. B.
<"//' {all) = a. (jJU (Jält) hoch; <"/>/>$ {arif) = a. (‘ärif)
wissend; mJkibjmp- {amelijat) = a. OGJ-** ( c amelijjät) Ausübung,
Ausführung; «»7f’Jk& {asimet) = a. (‘azimet) Abreise.
2. Im Inlaute wird es auch entweder gar nicht bezeichnet,
z. B. P";iP‘ 1 {tajin) = a. {tajin) Bezeichnung, Anweisung,
Festsetzung, uppmß- (siirat) = a. (surat) Eile, [•?“>[’ (isar)
= a.(iS är) Bekanntmachung, Anzeige, ’h,,(nafia) =
a. Aäsü {näfia) öffentliche Arbeiten, oder es wird mit dem ihm
unmittelbar vorangehenden oder nachfolgenden Vokal wieder
gegeben; ersteres dann, wenn £ vokallos ist, z. B. i/iti tu[d hl (£)
{rnaaiuf) = a. {majüf) geneigt, gewendet, piu,uin/,jiup
{taadilat) = a. j {ta dilät) Gleichmachungen, Berich
tigungen, piu.upPp {taalik) — a. {ta'lik) das Anhängen, in
Beziehung bringen, p>u.a. t p^ (taakib) 2 = a. (ta'klb) Ver-
1 Man findet auch die Schreibweise jB-iujL-ffü (tajein).
2 Auch die Schreibweise [3-^iuippn^ (teakdb) kommt vor.
Studien zum Armenisch-Türkischen.
7
folgung, [Jimunljkp (taazijet) = a. (tcizijet) Tröstung,
Beileidsbezeigung, p (taamik) = a. (tamik,) Ver
tiefung, (maazur) = a. (mazür) entschuldigt,
([maazul) = a. Jjjts-c (mazül) entfernt, abgesetzt, iTiuiUftnuj
(maaruz) = a. (marüz) dargestellt, unterbreitet, JiuiupnL.
(maaruf) 1 = a. (jnarüf) gekannt, erkannt, i//"-"p->uiu^-
/'"P (müstaajelat) — a. Olts*'"'"-' 0 (miistajelät) dringende Ge
schäfte, Zt*/// ifm m (jumaa) = a. A-a*.:*. (junia) Freitag, tjuti^.iutu
(vaJcaa) — a. Aai^ (wa/ca) Vorfall, Ereignis, = a. ,/as
(/7) Handlung, Tat.
Ist aber das £ vokalisiert und geht ihm auch ein Vokal un
mittelbar voran, so wird zur Vermeidung des Hiatus ein ,/ (j) oder
/ (v) eingeschoben, z.B. y";//''" 7 - (Jcajide) 2 = a. (kaide) Regel,
f u ‘p j jp" (Jcavajid) = a. Aeljj» (kawaid) Regeln, frjmhk (ijane)
= a. AiUl (i äne) Beistand, Unterstützung, ifpup,ujf,, n (müs-
tajid) = a. 3-aX^-o (müstaidd) bereit, geschickt, (sajid)
= a. (sald) glücklich, utnutjtu (duva) == a. ho (dua)
Gebet, ! J ^P (nijrnet) = a. (nimet) Gnade, Wohltat
(hier ist £ vokallos), pL'i"'j/"'" (tekajiid) = a. (tekaid)
Rücktritt, Pension.
3. Am Ende eines Wortes wird £ nicht näher bezeichnet, z.B.
tu (menbu) = a. (menbd) Quelle, /»«</;« (isma) — a. £.U-*A
(ismd) hören, erhören lassen, PL'/'//’ (tevsi) = a. gsjy (tewzi)
Verteilung, (de/) = a. gi> (de/ 1 ) von sich stoßen, Aus
stoßung, Absetzung, (mani) = a. giU (rnärn ) hindernd,
Hindernis.
c) Bezeichnung des Hemze (*).
Ähnlich wie das arab. £. ( c ) wird im Armen.-Türk, auch
das Hemze (*) wiedergegeben, d. h.:
1. Am Anfänge eines Wortes wird es gar nicht näher
ausgedrückt, es erscheint in der Transkription bloß jener Vokal,
mit dem Hemze, das ja eigentlich ein Konsonant ist, gesprochen
1 Diese Wiedergabe des vokallosen £ mit dem ihm unmittelbar voran
gehenden Vokal findet man auch im Azerbaidschanischen, z. B. i__s«j.a.j
(määruf), ^Aa-o (määna), ^Iaj (läälim), i jo,aJ (taarif) etc. Vgl.
Cy-waHi Me^5Kn4i rameiii: Caiioy’mTc.ii TaiapcKaro a3HKa, KaBKa3Cno-
aAepoesataHCKaro Hapiaia, Easy 1902—1904, üacTB III. CUoBapL.
- Wird auch « (kajde) mit Ausfall des [, (i) geschrieben.
m. Abhandlung: v. Ivraelitz-Greifenhorst.
8
wird, z. B. k'['{i;i (evvel) = a. Je' (ewwel) der erste, tufit <y<//
(axbar) = a. (ahbär) Nachrichten.
2. Im Inlaute wird es ebenfalls nicht näher bezeichnet,
z. B. <"/"> (aicZ) = a. (’aid) sich beziehend auf, muifc (dair) =
a. yb (dair) über (im türk. Gebrauche), pr"'IP (serait) =
a. (se?-ä’iZ) Bedingungen, (alaim) = a. (‘alaim)
Zeichen, t'pl'l""t > (itilaf) = a. (ytUäf) Beziehung, Ver
bindung (teesiif) = a. i_o~uü' (teessüf) Bedauern, •>kjkp
(hejet) 1 = a. (liefet) Form, Körperschaft; doch wird zur
Vermeidung des dadurch entstehenden Hiatus oft auch ein
Konsonant, der sich meistens nach dem zweiten Vokal richtet, 2
eingeschoben, z. B. «»"//ty (dajir), (ajid), zbcutP (Serajit),
L ,u JP'i (lajak) = a. (laik) würdig, •yhk (ajile) — a. aJJU
(äile) Familie, (majil) = a. (ma il) geneigt.
Manchmal wird sogar der zweite Vokal gleich in den
entsprechenden Konsonanten übergeführt, z. B. (fajde)
— a. sjJU (faide) Nutzen, UttitJlflU (dajma) = a.-t. U41> (daima)
immer, ((j a fj) = a. (gaib) abwesend, (kajme)
— a. (kaime) Note, Billet.
Vokalloses Hemze im Inlaute wird bald durch Wieder
holung des vorangehenden Vokals, bald gar nicht näher be
zeichnet, z. B. p/.U"/'" (teesis) = a. (te'sis) Gründung,
p (teedije) = a. <SspU' (te’dijje) Zahlung, */44y,'<'n4'n (me-
ezunen) = a. ÜöL (me’zünen) beurlaubt, (meexuz) = a.
(me’hüz) genommen, (meemiil) = a. (memüF)
erhofft, >■ 44" (eees) = a. ^4. (j a ' s ) Verzweiflung, pi,l,ifj,'i.,u[<b
(teeminat) — a. OU~cÜ' (teminät) Depots, Bürgschaften, Siche
rungen, p f.lpf'r (teexir) = n. (te’hir) Verspätung, Verzug,
P 44"//> (teesir) = a. (te'gir) Eindruck, dagegen wird a. ,y»U
(me mür) Beamte und a. Xi' (ta’rlh) Datum, Geschichte im Arm.-
Türk. fast immer Jh(memur) } pmpfifu (tarix) geschrieben. 8
1 Man findet auch die Schreibweise ^jL^p (hejeet), obwohl dem Hemze
ein Konsonant vorangeht.
2 Vgl. ,J,„i (süval) = a. (*tt’ö2) Frage, wo sich der eingeschobene
Konsonant nach dem ersten Vokal richtet.
3 Die Wochenschrift , | U /, mt uph p bezeichnet das Hemze im Inlaute mit
zwei kurzen Strichen über der Zeile ["] zum Unterschiede von einem
Strich ['], womit das arab. r_ ausgedrückt wird, z. B. (tff’ei) =
a. (siiäl) Frage, (me’mul) = a. ^J^cUo (memül) erhofft,
Studien zum Armenisch-Türkischen.
0
3. Im Auslaute wird Hemze wie im Türkischen so auch
im Armenisch-Türkischen nicht geschrieben, resp. bezeichnet,
z. B. /"V"" J] ra ) = a. (ijra ), im Türk. =
d) Bezeichnung des ^3 (/).
Auch die Wiedergabe des t. (j) als Konsonanten ist im
Armenisch-Türkischen sehr mannigfaltig:
1. Am Anfänge eines Wortes wird es stets mit arm. >• (e)
wiedergegeben 1 (gesprochen , /'), z. B. l- •"'•[• (eani) = a.
(Ja nl) das heißt, t-h/ 1 ' (eevm) = a. (jaum) Tag, kfa/p (eirmi)
— t. (jirmi) zwanzig, £4V' (eerai) = t. ^Sb (jefii) neu, jung,
L npt^u'i, (eorgan) = t. (jorgan) Decke, toifm. (eolju) =
t. (joljn) Wanderer, LpppJkg (eürümek) - t.
(jürümek) marschieren u. dgl.; gespr. jani, jeivni, jirmi usw.
2. Im Innern eines Wortes sowohl durch arm.,/ (_/) als auch
L (e), 3 aber letzteres nur vor Vokalen, z. B. y/v io ^4/3- (zijafet)
= a. (zijafet) Fest, y/',/"""4 und y/./. ,«,«4 (zijade, zieade)
= a. s->bj (zijade) mehr, (rijaset) = a. cu^b^ (rijäset)
Vorsitz, Präsidentschaft, t" r P'l’j ,, "l (imtijaz) = a. jUau\ (imtijäz)
Privilegium, V-dM/"Y'/' (Sehrijari) = p.^t^A (Sehrijarl) kaiser
lich, königlich, yft/«A (zijan) = p. 0 bj (zijän) Schaden, uifiulib tu
(diinea) = a. UA (dünjä) Welt, (ihea) = a. ‘Ua.1 (ihja)
Belebung, (jereean) = a. ^br^- (jerejän) das Fließen,
das im Umlauf sein, ptf-f’ (tesei) — a. (tesjf) Geleit,
Begleitung, /hpt,,,,,, (feread) = p. >bjS (ferjäd) Wehgeschrei,
Klage, "üpJiukiuii (nümaean) — p. ^bbb (numäjän) sichtbar,
offenbar, deutlich, "<4y,/. (derea) = p. b>> (derja) Meer,
(■medeun) 3 = a. o>.4 tX ' c (medjnn) verschuldet, ay//ci nt.p ifiuy_ (bueur-
mak) = t. (bujurmak) befehlen.
(fa’ide) = a. suJU {/aide) Nutzen, </4</'4y4 (mes"de) =
a. (mes’ele) Angelegenheit, Frage, pk’ß" (re'is) = a. ^~Oj (re'ls)
Oberhaupt, ('uja">4) = a. i .bis? (V/ä’ii) im Türk, wuuderbar,
außerordentlich etc.
1 Im Armenischen wird /. (e) nur am Anfang eines Wortes und folgendem
Konsonanten wie ,je‘ ausgesprochen, doch brauchen es die Armeno-Türken
bloß als ,/■ Nur in älteren Drucken gilt es gleich jV, z. B. L[<)ft-,,,/,
{eliSdi) = (jetiidi) er langte an.
2 Auch hier wird es gesprochen.
3 Doch auch mmjm% (dujtin) = a (dujün) Schulden mit arm■ j (j)-
10
III. Abhandlung“: v. Kraelitz-Greifenhorst.
Doppeltes j im Innern wird durch arm. ,//■ (je) wieder
gegeben, z. B. il'nu.u/L 4>, (muajeen) = a. (muajjen) fest, be
stimmt, kjtiuiP (ejeam) = a. f G\ (ejjävi) Tage, (sejar)
= a. jCwj (sejjär) reisend, herumstreifend, p—j 1 -bi (tajeib) =
a. Ab (tajjib) gut, iltu-p-kZ'^pp (mütekajeür) = a. (mü-
tehajjir) erstaunt.
8. Am Ende eines Wortes stets durch arm. j (j), z. B. '/'>/«;/
{kolaj) = t. A {kolaj) leicht, «y"y (alaj) = t. (ßlaj) Zug,
Regiment, "kp‘-j (seraj) = p. (seräj) Palast.
e) Bezeichnung des Femeninums der arabischen Nisbe.
Das Fern, der arabischen Nisbe <*J_ (tjje) oder oiö— (tjj’et),
plur. oli- (ijjöt) wird durch arm. f-jh, tjkp (ije, yet) oder
A//-4-, b.P'-P (yeßj y’eet)? plur. k/'"P (}j at ) ausgedrückt, 1 z. B.
"k’i’hjk (senije) == a. (senijje) hoch, erhaben, 4iCltuf/yt (ejne-
bije) = a. (ejnebijje) fremd, (harbije) = a.
{harbijje) auf den Krieg bezüglich, 4^4Jl/fobp- {ehemmijet) ------
a. (ehemmijjet) Wichtigkeit, 7 4/3 (kudsijet) =
a. (kudsijjet) Heiligkeit, ■p>u.yfc/,jtkp (kabilijeet) = a.
—s (jcäbilijjet) Fähigkeit, Jk„„uu,[.jLkp- (mesudijeet) = a.
(mes'vdijjet) Glück, Glückseligkeit, rb"'f\i LI , (redijea)
= a. Adj (redijje) schlecht, verdorben, fibnuA/ljt-k (insanijee) =
a. (insänijje) menschlich, '*""///'/"V 3 (naklijat) = a. OUh
(■naklijjät) Traditionen, iuJk^j’ u p (amelijat) -— a. OUJ-»- 6 (ame-
lijjät) Ausübung, Ausführung.
Nach emphatischen Konsonanten findet man auch die
Schreibweise r,i'-P {/•,_/ tu P) 9 jet (ojat), z. B. «fi«. ijm'^Xp tm^ f*jkp-
(muvajfakdjet) = a. ^-A-A- 0 (müiceffakijjet) Gelingen, Erfolg,
pkc'uftrj-p- ([terakkojat) = a. OKiy» (terakkijjät) Fortschritte.
B. Vokale:
a) Allgemeines.
Die Türken können mit der arabischen Schrift, d. h. mit den
drei arabischen Dehnungshuchstaben, die sie mangels anderer
Vokalzeichen geradezu als solche gebrauchen, ihre neun Vokale
1 Selten mit arm. ^4 («’?), z. B. ^• u lbb ‘t/ tu rjp pp (malie nazdrd) = a.-t.
(mälijje näzgry) Finanzminister.
Studien zum Armenisch-Türkischen.
11
nur unvollkommen ausdrücken. Die Armeno-Türken sind in
dieser Beziehung besser daran, da sie mit der armenischen
Schrift, wie bereits angedeutet, ihre sämtlichen Vokale bezeichnen
können. Nur die langen Vokale in arabischen und persischen
Elementen können sie nicht näher bezeichnen, da die armenische
Schrift für «, l und ü keine eigenen Zeichen hat. Es ver
schwinden daher im Armeno-Türkischen dieUnterschiede zwischen
arabischen, persischen und türkischen Elementen insofern wenig
stens, indem alle Vokale, mögen sie kurz oder lang sein, gleich
bezeichnet werden. Es wird also a in türk. Wörtern, sowie kurzes
und langes a in arab. und pers. Wörtern durch arm. (a), e in
türk., arab. und pers. Wörtern durch arm. 4 (e), y (dumpfes i)
in türk. Wörtern durch arm. r (»)/ o in türk. Wörtern durch
arm. » (o), u in türk, und kurzes und langes u in arab. und
pers. Wörtern durch arm. (ou), ü und ö in türk. Wörtern
durch arm. [•- (iw), bezw. 4® [eof wiedergegeben, z. B. -p (at)
— t. Cd (at) Pferd, (takdim) = a. (takdim) Über
reichung, Geschenk, (alim) = a. DA ( c älim) weise,
(sah) — p. sUo (sah) König, A"G/v (xahis) = p. (h v ähis)
Wunsch, P-phf- (gelmeJc) = t. cX-DX (gelmek) kommen, «4$^/»
(sefir) — a.^-Co (seflr) Gesandte, fl,(revan) = p. ct'ij (rewän)
gehend, laufend, (basdmd) = t. l _ jr »AX (basymy) meinen
Kopf, <ytr.u. t (olmak) — t. ijDjl (olmak) sein, <?»«- (hu) — t. o
(hu) dieser, huJI.lJ' (umum) — a. ('umüm) allgemein, fuiiLinm
(xuda) = p. DA. (hudä) Gott, <y/Gv<t,„4 (bihudij) = p.
(bihüde) umsonst, vergebens, *y4?//"./’ (böjülc) — t. eX3-0 (böjük)
groß.
b) Bezeichnung des ,i‘.
Was die Wiedergabe des Vokales i im Armenisch-Türki
schen anbelangt, so geschieht sie auf folgende Weise:
1. In genuin türkischen Wörtern wird helles i durch
arm. /■ (i) und dumpfes i (y), wie bereits oben erwähnt, durch
1 Vgl. dagegen G. Jacob, Zur Grammatik des Vulgär-Türkischen, in Zeitsclir.
d. deutsch, morgenl. Gesellschaft. Bd. 52, S. 701, Anm. 1.
2 Der Einfachheit wegen werden im folgenden die Vokale „ t , p. und 4»
immer mit u, ü und ö transkribiert. In älteren Drucken findet man ,ö‘ durch
arm. 5-o (es) wiedergegeben, z. B. (senjleniek') — t. Do-G
(■lojleme/c) sprechen, ,y/. nj/f, (beojle) = t. (böjle) solcher etc.
12
III. Abhandlung 1 : v. Kraelitz-Greifenhorst.
arm. /> (9) wiedergegeben, z. B. "////,/>,P (benim,) = t. «-A (benim)
meiner, "/'"y; (ba§d) = t. (baSy) sein Kopf. Vor Vokalen
(seltener vor ,o‘) wird i, namentlich in Fremdwörtern, auch mit
arm. '■ (e) ausgedrlickt, z. B. (konea) = ^ (konja)
Konia, (sofea) = (sofja) Sofia, \\uJlap-lr,,, (samatea)
= (samatja) Samatia (Vorstadt von Konstantinopel),
puü.bu, (kumpanea) = (kompanja) Kompanie,
(familea) = a^L«ls (familja) Familie, i/ mfi/. o/,,, (kareola) — *
(karjola) Bett, -/fatoli (mileon) = (rniljon) Million; doch
findet man auch die Schreibweise mit arm. /> (i), z. B. \tpiujuu
(italia), (*'« »/>«< (rusia), J)/'/"'//"" (ssrbia), {'und |
(almania, alemania), (rumania), *)'""/?(kavkasia),
'/7/r/"" (floria) Stadt in Mazedonien, ■/-••‘•r.tfo (kambio) = ital.
cambio, "i-iuuföhui^ (nasional) = fr. nationale, "P (stasion)
= fr. Station, (obligasion) = fr. Obligation, $<Anf>k
(fonsiß) = fr. foncier.
Betontes i (y) des türkischen Personalsuffixes der 3. Pers.
sing, und plur. in Verbindung mit der türkischen Postposition <LA
(iZe, ?/Za) wird im Armenisch-Türkischen bei Wörtern mit hellen
Vokalen mit arm. f-j (ij), in jenen mit dumpfen Vokalen mit
arm. pj (dj) ausgedrückt, z. B. ^p''""‘'k"/bPk//A (münasebetijle)
= a.-t. (münäseb etile) bezüglich . . ., "Z.'/W/'./// (sö/p
rijle) = a.-t. (seflrile) mit seinem Gesandten, !■ kp^PPckll 1 -
(eekdigerijle) = a.-t. ux5o (jekdiyerile) miteinander,
L"'(nasihatlardjla) = a.-t. <*-b r L£sst'" a ' s (nasihatlaryla) mit
seinen Ratschlägen, Jk<R"-p/ujp£jiui (memu rlaraj la) = a.-t. adjJ ,ycU
(me mürlaryla) mit seinen Beamten, °l j '" j p ,, i'pjl u ‘ (olmalardjla) = -
t. (olmalaryla) weil sie sind (waren), "'r'(arzu-
sdjla) = p.-t. (ärzüsyla) auf seinen Wunsch, i{umpP <u«p,iu»
(vasdtasdjla) = a.-t. (wäsitasyla) vermittelst, P"'i't"ihn l -
(tarikijle) = a.-t. (tarikile) über. 1
2. In arabischen und persischen Wörtern wird
ß) Kurzes i durch arm. /> (i) wiedergegeben. In jenen Lehn
wörtern jedoch, die im Türkischen nicht mehr als Fremdlinge
1 In älteren Drucken wird die Postpositiou <jjul (iZe, pZa) an vokaliscli aus
lautende Wörter (also auch an mit dem türk. Personalsuff, der 3. P.
versehene Wörter) mittelst des arm. Buchstaben j (j) angefügt, z. B.
(bazusujla) — p.-t. jb (bazusyla) mit seinem Arm,
tu ft m uf tuj [tu (arabajla) = t. <*Jo\ i^araba yla) mit dem Wagen etc.
Studien zum Armenisch-Türkischen.
13
empfunden werden, sondern geradezu türk. Sprachgut geworden
sind und nacli dem Gesetze der Vokalharmonie ausgesprochen
werden, wird in Wörtern mit emphatischen Konsonanten kurzes
,i‘ durch arm. /- (a) ausgedrückt, z.B. •••„,(„(daxili) = a.
(dähill) innen, innerlich, M"P /'L"‘L (ixtilal) = a. (ihtilal)
Veränderung, Umsturz, />"/"/' (isim) = a. ^1 (ism) Name, <>£<««-
(rnesarif) = a. (mesärif) Kosten, ijf// Ji tu tu£3~ (varidat)
= a. Objl« (wäridät) Einkünfte, /A/3//"""? (intixab) — a.
(intihäb) Wahl, >"/•/_ (dil) = p. J> (dH) Herz, (sieah) =
p. sU_u> (sijäh) schwarz, doch: 7'""/'/ (vasdl) = a.-t. (tcäsyl)
ankommend, Wyty> (nazsr) = a.-t. Aü (näzyr) Leiter, Minister,
V""/ 1 / (hasal) = a.-t. (häsyl) entstehend, resultierend,
(makdav) — a.-t. j'ALo (mykdär) Quantität, Menge, y««y/Q3 (zabdt)
= a.-t. (zäbyt) Offizier, (hazar) = a.-t.j-£>ts*. (häzyr) bereit,
vorbereitet, (lazam) = a.-t. (läzym) notwendig, yy><v»</’
(lidsdm) = a.-t. (kysym) Teil, «««y/»y- (sa&aA) = a.-t. (säbyk)
vorhergehend, vorig.
/ü Langes z wird am Anfänge eines Wortes meist mit
arm. A/ (zj), seltener durch /> (z) allein, im Innern größtenteils
durch arm. /- (z), seltener mit A/ (y) wiedergegeben, z. B. A/7"G"7 r?
(ijzahat) = a. (izähät) Erklärungen, A//'""" (ijrad) =
a.>ljA (iräd) Vorbringung, A/7"" (y/a) = a. did (z/ä’) Ausführung,
(ijjab) — a. ‘_>hsrü (*/«&) Notwendigkeit, A/7-'" (z/&a) =
a. (z/iä'j fallen lassen, ankommen, ereignen lassen, doch
auch: /</> nunj finnig (a. JW); (nasib) = a.
(nasib) Teil, /</ (teslim) — a. (tesllm) Übergabe, p>u. t -
(takdirn) = a. (takdim) Überreichung, P krP Pi (tertib)
= a. (tertib) Anordnung, u u Ppl> (latif) = a. >—»Ad (Zaß/)
angenehm, p/,<y//>y (teblig) — a. jA-o (teblig) gelangen, mitteilen
lassen, <"//A (ajin) = p. (ö/zjz) Brauch, Gewohnheit, 'yA>"7' / -
(bidare) == p. (blüäre) arm, yfy><" (ziva) = p. (zlrä)
weil, (karargir) = a.-p. (Icarärgir) beschlossen,
entschieden, t"PI , " h (divan) = p. (dnuäri) Diwan, doch auch
mit A/: 1 '''kPkpk (netijje) = a. (netlje) Resultat, '/“"ik/'Pk
(vazijfe) = a. <4--GA« (wazife) Pflicht, ibj'dp (zijnet) = a. cuXjj
1 Bei emphatischen Konsonanten kommt auch arm. pj (sj) vor, z. B. yy.jJhp
(Jcajmgt) = a. (kirnet) Wert, h/ijP (sajt) = a. (?Z<) ßepu-
tation.
14
III. Abhandlung': v. Kraelitz- Greifen hörst.
(,zinet) Schmuck, 4AA' (hijn) = a. ((«??) Zeit, ibjp‘"k (zijrdg)
= p.-t. (zirde) unten, V'.’(nitsijn) = p. (nisln)
sitzend.
Das lange i in der arabischen Pluralendung (masc.)
(in) wird aber stets mit arm. [>j (ij) ausgedrückt, z. B.
(memurijn) = a. (me murin) die Beamten, 1/ßi.^p-wiffijb
(‘mühtajijn) = a. (mühtäjin) die Bedürftigen. 1
Langes i am Ende eines Wortes, nämlich ^5 der arab.
Nisbe (masc.), wird stets mit arm. A (i) wiedergegeben, z. B.
u "iphpf< (asJceri) == a. (‘asJceri) militärisch, z"‘f"il' (SarM)
— a. (Sarlci) östlich, (mahalli) = a. ^■s-' 0 (mahalli)
örtlich, Orts-,
c) Izäfet-i.
Schließlich sei noch das kurze f der persischen Izäfet-
Konstruktion erwähnt. Zur Wiedergabe desselben bedienen sich
die Armeno-Türken des arm. /< (i) und ^ (9), die sich in der
Schrift mit dem vorausgehenden Worte verbinden, und zwar:
1. des /- (i) bei Wörtern, die auf einen Vokal auslauten,
z. B. £l.p[""hf' zi u rthk (jeridei sarkije) = a.-t. s ^ ( jeride-i
SarJäjje) östliche Zeitung, A/’"""4A ••b’i-l’jb (iradei senije) = a.-t.
s>\j\ (iräde-i senijje) kaiserliches Irade, 'h»-Jb[, iTtufii n n u.u (namei
maxsus) = a.-p. (näme-i mahsüs) Spezialschreiben,
(iadei zijaret) = a.-t. s>U\ (icide-i zijäret)
Erwiderung des Besuches, /W'""""A/' (müddaii umumi)
= a.-t. (müddei-i ‘umumi) Staatsanwalt, »<«-/' I’"Pl'~
.r.u^.p (sui istimalat) = a.-t. (sm’-i istimälät) Miß
brauch, '//.//'/' (velii alid) — a.-t. ,\J ? (iveli-i c ahd) Thron
folger, Ji£/(’*> (azai mejlis) = a.-t. ^Uasl (azä-i mejlis)
Mitglieder des Medschlis.
2. Des ^ (») bei konsonantisch auslautenden Wörtern, z.B.
I'p z_ u, ^ ,u "’ , k (iltifatd sahane) = a.-p. <Hjj>L£o CV-i-A1
fät-i Sähüne) kaiserliches Wohlwollen, <»/«/'"*'/; ^ u, p"i (divana harb)
— a.-p. (diwän-i harb) Kriegsgericht, >//,/»»><"/'£
(mejlisd idare) — a.-t. (mejlis-i idäre) Verwaltungsrat,
zb^pr C (sehrd mezJcür) = a.-p. (Sehr-i mezkür)
die erwähnte Stadt.
1 Vgl. auch (rehabijn) = a. (rehäbtn, Plural des Plurals
ruhbän vom Sing. räliib) Mönche.
Studien zum Armenisch Türkischen.
15
Doch nicht alle armenisch-türk. Drucke geben auf diese
Weise das i der persischen Izafet wieder. 1 Manche schieben
hei vokalisch auslautenden Wörtern vor dem i ein j (,/) ein
und gebrauchen für ersteres abwechselnd arm. [■ (i) und n (a),
und zwar /• meistens bei dunklen Vokalen, bezw. emphatischen
Konsonanten, z. B. /«<»«/»/» (asara atika) = a.-t.
(äsär-i atika) Antiquitäten, '"/«/v' (ijtimad axir) = a.-t.
j-*-' (ijtima-i ähir) letzte Versammlung, Ulli ft Ulf-
(ani vahide) = a.-t. J (än-i wähidde) im ersten Augenblick,
4 ,A "y/' (esnaji rahde) = a.-p.-t. (esnä-i rähda)
während des Weges, v""/'/4,//' u,u .gkpfrjk (kuvveji aslcerije) = a.-t.
(kuwwe-i ‘askerijje) militärische Macht.
C. Diphthonge.
Bekanntlich verwandeln die Türken in arab. und pers. Lehn
wörtern mit Diphthongen den zweiten Vokal dieser in den ent
sprechenden Konsonanten, weshalb jjl atr (ew), (<y, e;) im
Armen.-Türk., wo, wie aus obigem ersichtlich ist, phonetisch
transkribiert wird, durch arm. 2 4/ (au, er), bezw. ««/, kj
(aj, ej) wiedergegeben werden, z. B. /"»"//[> (xavf) = a.
(haivf) die Furcht, '/""// (kavl) — a. JjS (kawl) die Rede, S'",rt“"
(hajfa) = a.-t. (hajfä) Schade! (Interj.), (hajret) =
a. (hajret) Erstaunen.
II. Dialektische Eigentümlichkeiten des
Armeno -Türkischen.
Im nachstehenden sollen nun, wie bereits oben erwähnt,
einige dialektische Eigentümlichkeiten der Türkisch sprechenden
Armenier der Türkei behandelt werden. Manche im Vulgär-
Türkischen überhaupt vorkommende, von der klassischen Sprache
1 In der armen.-türk. Bibel und der Wochenschrift verbindet
sich das i der 'Isjäfet nicht mit dem vorausgehenden Worte, sondern
steht getrennt in der Mitte beider durch Izäfet verbundener Wörter, z. B.
ht^ifiP ft ul^u^fD- = a.-t. ^ Sabbat, ^uijiuf3~ p
(Jiajat-d-ebedij&) = a.-t. jo\ ewiges Leben etc.
2 Selten durch arm. ««_ (av) z. B. m yW u p-piugpiu (Avstralia) —
Australien.
16
III. Abhandlung: v. Kraelitz-Greifen hörst.
abweichende Formen finden sich auch liier vor, was erklärlich
ist, da ja das Armenisch-Türkische im Grunde genommen auch
ein vulgäres ist. Andererseits werden wir auch auf solche Eigen
heiten stoßen, die für die Armeno-Türken charakteristisch ge
nannt werden dürfen. Auch kommen hier, wie sich allgemein
in den Dialekten alte Spracliformen erhalten haben, Anklänge
an das Alt-Osmanische vor und schließlich noch Formen, die
man gegenwärtig auch im Azerbaidschanisch-Türkischen antrifft.
1. Lautliches.
A. Konsonanten,
a) Ausfall von Konsonanten.
cc) Schwund des Ajn.
Was die Einbuße einzelner Konsonanten anbelangt, so
kommt für uns zunächst das in arabischen Wörtern vorkommende
£ ( c ) in Betracht. Bekanntlich ist dasselbe bereits im Arabischen
zum bloßen Stimmbandverschluß verblaßt. 1 Im Armenisch-
Türkischen, wie allgemein im Vulgär-Türkischen, ist auch dieser
Stimmbandverschluß nicht mehr vorhanden, woraus sich auch
die oben dargestelltcn Arten für die Transkription des £ er
klären. 2 Es werden daher auf £ (') auslautende Wörter sogar
als vokalisch auslautend empfunden und von den Armeniern
auch oft als solche behandelt, z. B. Jkfopjp. '//>r,rp {mevkdjd
mümtaz) = a. (meivlci i mümtäz) privilegierte, auto
nome Stellung, statt ‘H.'/'U'P (mevkdd); tuAifi /. ,» npn mmmJpi
‘M.’l'l{vievkssd) 4°y l.oi’p*i‘i, l{Lpl , i , l , p”l'.p , ”L . . . statt . . . uiunuJpit
>Ih‘fapp {mevkdd) — (5damyü mewkii) wenn man die
Lage jenes oder dieses Mannes in Betracht zieht; "ftp Jkfepja.
(mevkdjd) statt pp {mevkdd) eine Stelle innehaben;
[riupptpfl pCpjiftäi'Jiij tu in <jpp . . . Statt . . . [' i*P fn!”n"
{ijtimaa) a.-t. (ijtimaa) er Avurde zur morgigen Ver
sammlung eingeladen; j '^/////y ZW//1 m 4 {arab jamisinde) statt
. . . T\milji/i'htnp {jamiiv.de) — a.-t. »'—>p- ( l arab jämi inde)
in der Arab-Moschee.
1 S. Jacob, a. a. O., S. 707.
2 Siehe oben S. 6.
Studien zum Armenisch-Türkischen.
17
ß) Schwund von ,j‘.
Ferner kann man den Ausfall des Konsonanten j vor fol
gendem \okal i beobachten in: {sencii) = a. giLLo (sctnäji')
Künste, Industrie, (ziade) = a. (zijäde) mehr, p["""hp
(riaset) = a. (rijäset) Vorsitz, Präsidentschaft, 7 /A r 4/i7
(ziaret) = a. (zijäret) Besuch; doch kommen auch die
richtigen Formen iuui,,uj[i (senaji, sanaji), 7 /<,oder
y/i/. "«n/. (zijade, zieade), pf'j">"hp oder pp-iun^p (rijaset, rieaset),
‘//’,J"’l'tP oder i/'hi‘(t/;p (zijaret, ziearet) vor.
Aufhebung der Gemination.
Die Gemination, die das Vulgär-Türkische möglichst meidet,
wird von den Armeniern bald beachtet, bald nicht. Man findet
daher "•P.p.p 1 -(düMean) neben '" h (düTiean) == a.
(dulckän), t. = diileiän der Laden, pptäuip (tüjjciv) neben
pp£u. P (tüjar)— a.^lsf {tüjjär), plur.von j-a-G (täjir) Kaufmann, 1
(malial), bezw. (mahd) neben ^„d-ii (mahall),
,r "d'-LL (mahell) 2 = a. (mahall) der Ort,
(miitezarrur) neben ilp pk‘i“’pi"p (mütezarur) (richtig ifppi,-
1 u, cvh mütezarrir) = a. (mütezarrir) beschädigt, Schaden
erlitten habend, ferner: (vievad) = a. ' A-o (meivädd) Ar-
tikel, Materien, (multava) = a. lyA (^jyA) mukawwä
Karton, •ff-.pb-lk'p'“ (miitevefa) = a. i^A^ (müteiveffä) Verstor
bener, "4,/"G (sejah) = a. ^CAo (sejjäh) Reisender, «/»» t J ,u p tu[t
(viazaratlar) — t.-a. _AA^ (mazarretler) die Schäden, '‘•l'.d-P
(nijet) = a. cuA (nijjet) Absicht, (muvafalc) = a. ^A-«
(müiceffak) begünstigt, '/p pk'"t/"i (miitealik) = a. (müte■
allik) abhängig, gehörend zu, •lppt.k"l'P (müteesir) = a. yLu
(müte’essir) betrübt, traurig, ■p-u./.u,, (Jcavas) — a. (kawwäs)
Kawaß; fälschlich kommt Gemination vor in: pj"-pk.p.pt-"- (sü-
reMea) = a. G^A (Sürekä), vulg.-t. sürelcjä Genossen, Gesell
schafter (plur. v. cAs^A Senk), .rn,,/,/,„< r p'p„,p (muvvaffak) — a.
(müweffak) begünstigt, von Gott unterstützt, ° 77 -*«/ (nklca) =
t. Aäjl (o7ca) Oka (türk. Gewicht).
Vulgär-türk. dinnemek statt dinlemek zuhören,
hören auf (Assimilation des 7 an w gewordenes fi) kommt auch
1 Im Türk, hat der Plural jW (tüjjär) Singularbedeutung-, plur. =
2 lein. = Judh// 4 (mahalle, mahell e) = a. (malialle)
Stadtviertel, Quartier.
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 168. Bd., 3. Äbh.
2
18
III. Abhandlung: v. K r aeli tz - Greifeuh orst.
im Armen.-Türk, vor und wird liier h.f 1 'k‘<h.p (dijn&nieH) mit
/;/ und bloß einem (n) geschrieben. Da aber im Armen.-Türk.
A/ (y) auch zur Bezeichnung des langen l verwendet wird, so
haben wir in vielleicht eine Art Ersatzdehnung für
das ausfallende (n).
b) Permutation.
Bekannt ist der Hang der Armenier zum Versetzen von
Konsonanten, 1 eine Eigentümlichkeit, die wir auch allgemein
im Vulgär-Türk. 2 und in den türk. Dialekten 3 wiederlinden.
So sagen z. B. die Armeno-Türken .p/’prA (Jcipri) Igel, statt t. ^ b
(,Icirpi), 4 (eanhz) allein, statt t. jklB (jalynyz), t^p!'
esM) sauer, statt t. (eksi), (y <"/'/■ kß-) garjet (gareet)
Eifer, edles Streben, statt t.-a. (gajret), ^ iu pjufti (^11/ p L
harjan (harean) betroffen, verwirrt, statt t.-a. (hajrän),
S'"(',/ r -P (v'W' iß) harjet (hareei) Betroffenheit, Verwirrung,
statt t.-a. (liajret), <y«w""f (barjalc) Fahne, statt t.
(bajralc), Pui"“P (xojrat) bäuerischer, ungeschliffener Mensch,
statt t. >b J? i. (hörjad) vom griech. /(OQiäzijg, (devriS)
Derwisch statt t. (derwif).
c) Moullierung.
Was die Entstehung neuer Konsonanten, nämlich den
Übergang von k zu Jcj, g zu gj, betrifft, so ist darüber folgen
des zu bemerken. Vor den langen Vokalen ä und w wird im
Armen.-Türk, in arab. und pers. Wörtern nach dem k bezw.
g stets ein j eingeschoben, das hier fast immer durch arm. L
(e) wiedergegeben wird, z. B. (haraTceat) = a. OBp-
(t. liarelcjät) Bewegungen, Handlungen, i'Jip 1 -“ 1 !' (efßear) = a.
(t. efhjär) Gedanken, />/:/>/. wß (tebriHeat) = a. bbbbj-b
(t. tebrikjät) Glückwünsche, (ßeatib) — a. ‘—-ob (t.
1 Vgl. M. Bittner: Konsonanten-Permutation im Armenischen, W. Z. Iv. M.
Bd. XIV, S. 161/62.
2 Siehe Jacob a. a. 0., S. 716.
3 Z. B.: Cagat. (Jcöpelek), osm. (kelebek) Schmetterling; cag.
(arwat), osm. i":('aicral), azerb. (arwad) Weib; osm.
Jjl^b (japrak), azerb. -i.b (jarpah) Blatt; osm. (toprak), azerb.
lorpah Boden; osm. ^^obb (Jagmur), cag.j^.s-cb (jamgur) Kegen etc.
4 Öag. auch (kipri).
Studien zum Armenisch-Türkischen.
19
kjatib) Schreiber, ,p ! - mffc, ./A";//' 7 ' (’Jceain, Heajin) = a. (t.
ltjain) liegend, befindlich, Jl,.pl.,„p/„ l[ (mekeatib) = a,
(t. mekjätib) Briefe, (sikeajet) = a. uAolLS, (t. sikjäjet)
Klage, «fittgfin'-p- (süßiut) = a. OjSUo (t. siikjüt) Schweigen,
Schweigsamkeit, (mesfceuk) = a. (t. meSIcjük)
bezweifelt, zweifelhaft, kuiuiPflruip (eadigear) = p. (t.jädigjär)
Erinnernng, Andenken, u.^.p/p.u^ (destgeah) = p. sbü;^» (t.
destgjäh) Werkstätte, Fabrik, (Jceagsdxane) = p.
aöla-oAls (vulg.-t. kjäthäne) Papiermühle, (sügiuh) =
p. s ? £-£) (t. sttkjüh) Erhabenheit, Majestät, *ß« r//,£/.„//, (müzegean)
= p. o^r° (t- miizgjän) Augenwimpern, V'K"^ (nigeah) = p.
(t. nigjäh) Blick, Betrachtung, r /P"-z_ (gius) — p. (t.
jy'tZs) Ohr, "/-'"W”" (bedgiu). = p. (t. hedgjü) Verleumder,
mkßghuMp (derßear) = p. (t. derkjär) wirklich, tatsächlich,
.pl.n„r (keavi) — p. (t. kjäm) Wunsch, (bi-
hudegiuldk) = t.-p. (blhüdegjfdyJc) unnütze Reden,
leere Worte, J4y"/4^/"" (herzegiu) = p. (t. herzegju) Schwätzer.
Dagegen konnte ich den oben erwähnten Lautzuwachs
im Armen.-Türk, bei kurzen Vokalen und in echt türk. Wörtern
nicht finden, obwohl Jacob (a. a. 0., S. 717) sagt, daß die Laute
und gj für den Armenier charakteristisch sind, 1 z. B. .pp^l 1 ""
(küsad) = p. (t. küsäd) Eröffnung, ,pfi>pkp ([kürek) =
t. (kjürek) Schaufel, Ruder, (göndermeJc) =
t. -L3.S (gjöndermek) schicken, t/h°"Pt;('Jb.p (göstermeJc) =
t. (gjöstermek) zeigen, .pko rr p. (köprii) = (kjöprü),
K”'/. (göz) = t. (g/öz) Auge, ./V?/ (%') = t. ^ (7yö/), h , -<- r d".p
(gömrUTi) = t. (gümrük) Zoll, / /bo'Q/,.p (gömlek) = t. tV-A_A
(gjömlek) Hemd, //b°'r>Pi (gönül) = t. (gjönül) Herz, .ph<>ih
(kose) = p. aJo 3 3 (t. kjöse) Ecke, Winkel. 2
1 So sagt der Armenier des Schattenspieles gjoz Auge, kjopek Hund etc.
(Jacob a. a. O.).
2 Auch die Armeno-Türken Rußlands schieben nach & und p vor Vokalen
kein ein, sie sagen utm-pu/b (dufcan) = a. Laden, p,ugpP (kagat)
= p. oAA Papier, ghog (köz oder pöz) = t. ; 3 S Auge, ,pkoJ]k.p (kömlek)
— t. Hemd, _p/;oJpg, poj'n,p (kömür, komur) — t. Kohle,
^ (AS oder joT), (AoZ oder #oQ = t. JA See, .pkqp (kok),
^ (/coA:) = t. 4»$^ Wurzel, (A:o^) = t.-p. (kjör) blind,
(kopeg) — t. (kjopek) Hund etc. Die Mitteilung dieser Tatsache
verdanke ich Herrn P. Petrus Ferhadian.
2*
20
III. Abhandlung: y. Kraelitz-Greifenhorst.
d) Einschub von ,w‘ zwischen ,a‘ und ,u‘.
Manchmal wird zwischen zwei Vokalen zur Vermeidung
des Hiatus ein Konsonant eingeschoben, z. B. (savus-
maJc) — t. (sausmak) sich entfernen, davongehen, ent
wischen, (fieavur) = t.-p. (gjäur) Ungläubiger,
(kavuSmak) = t. (kausmak) Zusammenkommen,
-treffen, (cavus) = t. üb'-?- (caas) Herold, Feldwebel,
J3-unJuut^. (tavulc) = t. (tank) Henne, u;[uc£ (avuj) = t. £3'
(53!) auj (and) die hohle Hand.
e) Konsonantenwandel.
< > rf, d > t.
Der Übergang des t. O (t) in arm. *« (d) findet sich so
wohl im Anlaute als auch im In- und Auslaute, z. B. -nkfiuikp-
mm (defderdarldk) für t.-p. (defterdärlyk) Amt des
Defterdars (Finanzdirektors einer Provinz), p-wu/nun (tabud)
für t. Ojilj (tabut) Sarg, tnoutn (dosd) für t.-p. {dost)
Freund, uituin (clad) für t. Oll> (tat) Geschmack, tu u in tu p (1asdar)
für t. jbx-A (astar) Futter (fr. doublure), (bulud) für
t. CJ3J3J ('°^yd) bulut (bulut) Wolke, ^ tu um tu (hasda) für t.-p.
(hasta) krank, ^.u^ul^.u (dabanja) für t. AsfbU (tabanja)
Pistole, kp^kp'-k (elbetde) für t.-a. ax-.11 (eibette) zweifellos,
sicherlich, (hatda) — a. (liatta) selbst, sogar;
andererseits steht p (t) im Armen.-Türk. dort, wo in der
klassischen Sprache t. > (d) steht, z. B. pkp“igk'i‘Pk (pera/cente)
für p. s-OSLj. (perakende) zerstreut, "i"'JC"HP'"-[p] (bujrultu[d])
für t. (bujuruldu) Befehlschreiben.
c ]> c.
g (c) wird arm. .7 (c) in •tp>"ph uj (kralica) 1 = t. a^tJU»
(kyralica) Königin, p»ib8 ,u (polica) — t. AisaJ^ (polica) vom
ital. polizza Wechsel, .7"' (karfica) — t.-gr. (karfyca)
kleiner Nagel, fiJpkp^p o r p,„ (imperatorica) = t. Ars^j^bl^^M
(imperatoryca) Kaiserin, ^k-f}jk (nemce) = t. As«- 5 (nemce) deutsch.
A > A, A k, x )> A.
£ (A) geht in arm. ■$ (A) über in (cuha) = t. Aä-y*-
(coha) Tuch, um unu oder (hasda, hasta) = t.-p. aX«-^-.
1 Wird auch (h-aiitza) geschrieben.
Studien zum Armenisch-Türkischen.
21
(hastd) krank, (hanom) — t. (hanym) Frau, in arm.
V (k) in (baksas) = p. (t. bahsys) Geschenk,
Trinkgeld; dagegen findet sich arm. /■ (x) für t. c ® in
(mexrab) == a. (mihräb) Art Altar in den Moscheen.
s > z, s > c.
i_r° (s) erweicht sich zu arm. 7 (2) in -><7.07 (horoz) 1 =
P- (horös) Hahn, (tifliz) = Tiflis (Stadt), zu
arm. ,7 (c) ist es geworden in rl"",T" (piaca) = t. ^ooLo (piasa)
öffentlicher Platz, in Anlehnung an ital. piazza, von dem auch
t. a^oLo herkommt.
s > c.
(?) geht in arm. ,7 (c) über in 7'"<7'"^" t /"" (kacatura)
= t. (kasatora) Säbelbajonett, 7"',7'» (kaca) — t. ^ols
(/cusu) Kasse (aus dem Italienischen), 7 (kacadav) —
t.-p. jbrf-ols (kasadär) Kassier.
p > 7c.
i (#) i st arm. 7 (&) geworden in: 7*»$«/ (kavga) = a.
(gawgä) Streit, •["■jphp (kajret) — a. (gajret) Eifer, 7.«7.7
(Äajh) = a . «—AU (gaib) abwesend, <|^.../.„p(lealata) = t.
{galata) Galata (Stadtteil von Konstantinopel).
/> v.
^ (/) erscheint als arm. </ (v) in: \\-/kp[-.pu/i,fP .pb^/k
(amerikandn kesvi) — (amerikanyn Icesfi) die
Entdeckung Amerikas, p-m.$i[kfi ’/ßß'//’ {tuhvei vehbi) = 1 iß
(tuhfe-i icehbl) Geschenk Wehbts, 2 kof^pb (övke) — t. A5Li>,\
(öf/ce) Zorn.
7: > £.
i3 (('j ist arm. ,7? (A) geworden in: ^tuptnu/h (kapdaii) =
t- oWs* (kapudan, kapytan) Kapitän, Schiffskommandant, |y4-
/’Ap“ (amerika) = (awierifca) Amerika, 7t#*? (ze/A) =
a. (zewk) Geschmack, Vergnügen, .p-pbopu (kareola) z = t.
(karjola) Bettstelle.
k (ß) > (J U)‘
(7c), arm.-türk, durch .p (Tc) wiedergegeben, wird zwischen
Auch hier steht arm. ^ (h) für ^ (A), siehe einige Zeilen weiter oben.
Ist der Titel eines metrischen pers.-türk. Wörterbuches, welches von
Sünbülzäde (Muharomed Ibn Räsid Ibn Muftammed Efendi) im Jahre
1197 (1783) verfaßt wurde.
Wird auch (Jcareola) mit (&) geschrieben.
22
III. Abhandlung: v. ICraelitz-Greifenhorst.
Vokalen und bei Antritt yokalisch anlautender Endungen im
Arm.-Türk. meistens '/ (g), z. B. (degin) — t. (dejin)
bis, (dilgen) — t. { ^> > (döjen) Dreschflegel,
(seßrliginde) = t.-a. (sefirlijinde) = bei seiner Ge
sandtschaft, ,/Y"f4//4 (M rege) =t. (Icüreje) dem Ruder (Dat.),
n/YY' {jig < i r ) — t.-p. (jijer) Leber, (geSdigini) ==
t. (gecdijini) sein Vorbeigehen (Akk.), (geldi-
ginde) = t. »aXSoaAS (geldijinde) als er kam, /<YU' ([isidil-
diginden) — t. (’isidildijinden) weil gehört wurde;
doch findet man auch die Erweichung in j (,y), wie in der klass.
Sprache, z. B. 'ftiyljl^t (geldijini) = t. ^AX^aIS (geldijini),
'/h[,,n[,j[, (verdiji) — t. ( _ s Xco^>3 (werdiji), /./<) (etdijini) =
t. (jASjAAld [etdijini), ja es bleibt sogar unverändert, z. B. /<V" -
!pk\pl>'h[’ (tüfenkini) = t. (tüfenjini) sein Gewehr (Akk.).
j>h, 9 > k -
Ferner findet sich arm. ,/ (j) für ^ (7c) auch in £4°/ (</ö)) 1 =
t. eX ? S (gjölc) See und arm. ^ (<7) für eA (7c) in 4"{/' (esgri) =
t. (es7ci) alt.
3 > i, 2 > &
e? (</) wird zwischen Vokalen zu arm. ,/ (./) in zivil""
(sajird) = p. (Zägird) Schüler, 4;/4;> (eye?-) = p. \ (e</er)
wenn, zu arm. ./? (/5) in .pl-""/"'-i' (Keavur) = t.-p. (9j aur )
Ungläubige] 1 .
ü > n (n#).
oX (ü, sagyr nün) wird im Arm.-Türk. wie allgemein im
Vulgär-Türk. (?i), so stets am Ende eines Wortes, z. B.
(Jataban) = t.-a. eX^US (Jntabyn) des Buches, selten
■ng (arm. 7 ', z. B. (anglnnuik,) == t. [auln-
maJc), vulg. anlamalc verstehen, "■[• hl ii!- , d.p (dinglemeli) = t.
oX-cAiLi (dinlemeh), vulg. dinnemelc 3 anhören, zuhören,
(songra) = t. (§onra), vulg. sonra 3 nach, u,'h,p,„[J t (an-
glatmalc) — t. (anlatmak) i verständlich machen. Die
Mechitaristen von San Lazaro bei Venedig benützen für ng
sogar ein eigenes Zeichen, nämlich fy, eine Ligatur aus ‘ h («)
1 Im Azerbaidschanischen ebenfalls = gqj.
2 Siehe auch weiter oben S. 17 (unten).
3 Im Öagataiscben auch {songra).
4 Vgl. Jacob, a. a. O., S. 716: für ejlenmeJc „spotten“ (t. sagt der
Perser und Armenier eglenmek.
Studien zum Armenisch-Türkischen.
23
lind // (g), z. B. »«V“ (songra) = t. uitfpuJiu^. (anglamak)
= t. Jbj/i.i
w >/•
3 (te) als Konsonant geht in arm. $ (/) über in:
(zefJc) — a. AD (zewk) Geschmack, Vergnügen, •fr , -zvh<fr (pesref)
— P- (pisrew) Führer.
B. Vokalismus.
a) Vokalharmonie.
Die Gesetze der Vokalharmonie werden im Armenisch-
Türkischen im großen und ganzen beobachtet und es gilt auch
hier dasselbe, was Jacob (a. a. 0., S. 717, § 8) darüber bezüglich
des Vulgär-Türkischen sagt. Eine beachtenswerte Behandlung
jedoch zeigt das bei konsonantisch auslautenden Verbalstämmen
vor das Präsenssuffix -jor (arm.-t. — j°p, &- 0( -) eingeschobene i,
welches im Armenisch-Türkischen meistens bei hellen Stämmen
durch arm. fr (i), bei dumpfen durch arm. p (a) wiedergegeben
wird, z. B. k"’/;i°p (edijor) und fr m fr Ir 0/ . (idieor) = t. jD.-D.' (edijor)
er tut, frzfr u, frtfrj (J r ) °v (isidilij[e] or) = t. (isidilijor)
man hört, »lejop (ohjor) 2 = t. (olijor) er ist, 'i—ufr-pjop
(buhndjor) = t. (’hulunijor) man findet; negativ ohne i,
weil der Verbalstamm in diesem Falle vokalisch auslautet, z. B.
opTiubop (olmaeor) = t. (olmajor) er ist nicht, [nufr^/ilo/,
(idilmeegr) = t. (edilmejor) man tut nicht.
Doch wird das obenerwähnte i auch oft bei hellen Stämmen
mit arm. /«- (w), bei dumpfen mit arm. <>*- (w) ausgedrückt, z. B.
utmpnLjop (durujor) = t. jD.jjb (durijor) er steht,
(vurujorlar) = t. (wurijorlar) sie schlagen, <?"«- lsUupnL.h op
(bueurueor) — t. 33^3-3? (bujurijor) er befiehlt, ofjiulrop (olueor)
oder o^nijop (olujor) = t. J3E3' (olijor) er ist, (aörülü-
jor) = t. (gjörülijor) man sieht.
Als Abweichungen von der Vokalharmonie wären im ein
zelnen noch zu erwähnen: das Gerundium fnnnuu^ (idub) = t.
(idüp) machend, während sonst allgemein diese Gerundiv-
1 Metastase, Choix de drames, traduction turque par I. Eremian, S. Lazaro
1831, S. 16, 20, 23.
2 Es kommt sogar die Schreibweise (ofeor) ohue J ( ( y) vor.
24
Hl. Abhandlung: v. Kraelitz-Greifenhorst.
form bei hellen Stämmen durch (-i&), hei dumpfen durch
-/>*Y (-gb) wiedergegeben wird, z B. I ib u 'b u i (gidib) — t. <
(gidüp) gehend, #4v/V'Y (gezinib) = t. (geziniip) spazieren
gehend, (baslajab) = t. (baslajup) beginnend,
o/iiühpif oder (olundb, olgnsb) = t. » (olunup) ge
worden seiend; ferner das Verbalsubstantiv (-adjektiv)
(idugi) — t. (^5^) (idüji) sein, die (abgekürzte) Gerundivform
"•hjnt, 1 (deju) — t. vp (dejü) sagend von (demek), und
die Postpositionen (ileru) = t. (ilerü) vorwärts, vor,
(beru) — t. (heri, berü) seit, (geru) = t. (</eri)
rückwärts, zurück.
Auch zeigt das Armenisch-Türkische die auffallende Neigung,
die Aussprache dumpfer Vokale in den Flexionssilben zu er
leichtern. Dies findet sich namentlich bei dem auf 0 und u
folgenden u, welches in y und bei a, welches in e erleichtert
wird, z. B. °uTjicb-p (plddgdnd) = t. (oldugunu) von
(olmak) sein, (ohnmdS) 2 — t. ^-»-ß?! (olunmus),
(ohnajagg) = t. (olunajagy), // t-fjfli Jiuij.
(buld71W1 aJe) = t. (bulu7i7)iciJcj sich hefinden^
(bujrdlmalc) == t. (bujurulmalc) befohlen werden, /««/<-
/. opn,„'h t ,,j (idieorsundz) == t. (edijorsunuz) ihr tut,
(bundii) = t. cX-'o (bunun), Genetiv von ?? (5w) dieser, V"/4
(hale) — t.-a. «LU». Qiäla) jetzt, Dativ von a. J !•■=». Lage, Zustand,
S“"7_"’4( v '') (halde, -11) = t.-a. (hä!da, -dan) ; Lokativ
und Ablativ von JU., /y/;/_ u£iu u^tit (bu babdß) = t.-a. 5? (6m
bäbda) diesbezüglich, //tp/t.p (busule gelmell) = t.-a.
eX^lS (husida gelmek) entstehen, sich ergeben,
(xususijle) = t.-a. (husüsyla) besonders, ’>i/'""pk (ol-
magle) = t. «ü-s-Jjl (olmagla) weil es (er, sie) ist.
Schließlich wäre noch zu erwähnen, daß emphatische Kon
sonanten oft mit leichten (hellen) Vokalen verbunden werden,
z. B. (a:e/t) =. a. (hafi) geheim, verborgen, "4/"G/',y4/<4
(selahijet) = a. (salähijjet) Disposition, Fähigkeit, 4W
(senai) = a. gAX-o (sanäji) Künste, Gewerbe, i/tui£ nl~tn (maksed)
— a. (maksad) Absicht, ><4<"<" (seda) == a. (sadä)
Stimme, (muaxeze) = a. (mu ähaza) Tadel,
1 Auch die Schreibweise (efe^i) ist gebräuchlich.
2 Man findet auch die Schreibweise (olunmsS).
Studien zum Armenisch-Türkischen.
25
Vorwurf, JIiLiu/u/ufyt/ü (muaxxeren) = a. (miiahharen)
letzthin, neulich, [<> (teraf) = a. (taraf) Seite, p-k-
a/wu/tp- (tebabet) = a. bUjLh (tabäbet) die medizinische Kunst,
fupi-u,„u (xülasa) = a a-oUA (huläsa) Auszug, „-/«A/» (axer) =
a. y»-' (ähar) der andere; dagegen: <""//.« (Aares) = a.
(hewes) Verlangen, Neigung, obwohl * kein emphat. Konsonant
ist, und (barabar) = p.^l^J (beräber) mit,
(xurdavat) — p. OljS-y». (hürdewät) Kurzwaren, in welchen
zwei Fällen die persischen Lehnwörter nach der türk. Vokal
harmonie ausgesprochen werden.
b) Vokalwandel.
Das Armenisch-Türkische zeigt in den Vokalen mancherlei
Abweichungen von der klassischen Sprache, die sich jedoch in
allgemeine Gesetze nicht fassen lassen. Einige der wichtigsten
und am meisten vorkommenden Abweichungen sind folgende.
Wir finden:
e statt i, l in:
•’hppU (setre) = t. (setri) Oberrock, u,kjkpJk^ (de-
jermen) = t. (dejirmen) Mühle, (miixielef) =
a. i-iUsr“ (mühtelif) verschieden, ul, r i,„„„p (senaat) = a.
(sinaat) Kunst, Gewerbe, < r p?" , ['b/J;j i > (müsarelejh) — a. A-Jl
{müSar ilcjldj der Erwähnte, "L,/ u, ^“ r P. p^ u^jLiu^mp
(sejahat, seeahat, sejeahat) = a. (sijähat) Keise, pk""’ib
(resale) = a. aJUjj (risäle) Brief, Broschüre, (zilhejje)
= a. (zl-l-Jnjje) Name des elften arabischen Monats,
Jhppiu,,/ (viexrab) = a. (mihräb) eine Art Altar in den
Moscheen, "k'ppr (sefdr) — t.-a.(sifir) die Null, .[dj'P-jbP
kejfejet) = a. (kejfijjet) Umstand, Angelegenheit, t-4-^.A
{tejle) — a. (’dijlet, cZijZe) der Tigris, <7// ußpkpk 1
(bil axere) = a. «AVb (bi-l-ähire) schließlich, endlich, d ,; [" uhl -
(verane) = p. (tvträne) Ruinen, (pesref) = p. 3
(plsrew) Führer, pkiP> (pesin) = p. (pisin) früher,
(behude) 2 = p. (bihv.de) vergebens, nutzlos, <y4*""
(bena) = a. Lö (binä) Konstruktion, Gebäude.
1 Wird auch zusammengeschrieben (bilaxere).
Auch (bejhude) kommt vor.
26
III. Abhandlung: v. Kraelitz-Gveifenhorst.
e statt ü in:
(terjeman) — t.-a. (terjümän) Dolmetsch.
i statt e in:
.if[,u„ujkp- (bidajet) = a. Oojjo (bedäjet) Beginn, Anfang,
l’k'htl'pk (pencire) — p. xgspi- (pencere) Fenster, a,,,,/;,, /7//J 4«/'
(juma irtesi) = t.-a. (jurna ertesi) Samstag,
'/p'Jb.p (virmelc) = t. (wermek) geben, "‘fJh.p (dimelc) 1 =
t. [deinek) sagen, <ff-Aiunpi/bp- (münasibet) = a. LU
(■münäsebet) Analogie, Verbindung, Beziehung, [istah) =
a. (istihä), vulg.-t. eita/i Appetit, tpf-wu [fida) = a. '-xi (fedä)
Lösegeld, Opfer, (rija) = a. L-j (rejä) Bitte, t-fipfiiP [eitim)
— a. (jetlm) Waise, .ppb dp” (ßiremid) = t.-gr.
(keremit, keremid) Ziegel, •Ipn-p-u (midalea) =
(medalja) Medaille, f’P‘%4’ (itmeli) = t. iaCo-T?.' (etmek) tun,
machen, tjibJb^ (ijlemelc) = t. (ejlemek) machen, tun.
i statt « (u) in:
(yijud) = a. (wüjüd) Wesen, Körper, »p/"r[‘ ( Sl_
rari) = t.-p. (süwäri) Reiter, Berittener, p-bw^r/ig (tedarili)
= a. u5"(tedärülc) Vorbereitung, Zurichtung, /^/A (icin)
= t. (icün) für, -fp>t<,fi/,[> (’misafir) = a. ^AL^ (’müsäfir)
Reisender, Gast, '/W'"' 7 (filan) = a. (fulän) der und der,
ein gewisser, "V,//' (deji) = t. (dejü) 2 sagend, <lp<n, v (mirur)
= a. (miirür) Vorbeigehen, Vergehen, <f>f'P"'P"P (fituliat)
= a. Ola-Vs (fütühät) Eroberungen, dp,,,,, [jilus) = a. ur-W^
(julvs) Thronbesteigung, m.J'm.pp u,p.L~b‘lbjb (umurs dineevije)
— t.-a. jyd (umur-i dünjewijje) weltliche Angelegenheiten,
(yvjub) = a. '—>5^3 (wüjüb) absolute Notwendigkeit. 3
0 statt in:
o l .ui,^pj,J'.u,f r (ojanddrmak) = t. ([ujandyrmak) auf-
weclien, ‘/■oJbpo [nomero) = (numro, nilmre) Nummer.
ö statt 0, («) in:
l[i,o‘u„, (göna) — p. (günä), t. gjona Farbe, Art,
[gönagön) = p. (günägün), t. gjonagjon verschiedenfarbig,
1 Doch haben folgende Formen meist e in der Stammsilbe, z. B.
[dedi) er sagte, </i bjfr {deji) sagend.
2 Osman.-tiirk. gewöhnlich <3o.> (deje).
3 Z. B. in der Verbindung t[[^nru^ui^ (derejeji vijubde) = t.-a.
(dereje-i wüjübde) in notwendigem, unerläßlichem Grade.
Studien zum Armenisch-Türkischen.
27
bunt, p.'P[>/,p (söhret) = a. (sühret) Berühmtheit, Ruf,
„,1-^l-n^.nh (,deröhde) = p.-a. (eZe?- c uhde) dem Versprechen
nach, Jko^p (m'öhr) — a. (mühr) Siegel, ££o/ K/ (W«) =
p. (güjä), t. tyo/a sprechend, sagend, (ör/j) = a.
(‘urfl) weltlich, willkürlich, allgemein üblich, ^koJkp^ib^ (jömerd-
lili) — t.-p. (jümerdlik) Freigebigkeit, Edelmut, nko^hR
(sölibet) = a. (suhbet) Konversation, Unterhaltung, pt^Jtp
(töhmet) = a. (tühmet) Verdacht, Anschuldigung, (ösr)
= a. ('ms?') Zehent.
w statt o in:
»■"-fr» (sufra) = a. (sofra) Tisch, ([bujnuz)
== t. ^ (bojnuz) Horn, (ugursuz) = t.
(o'gursuz) unglücklich, unheilvoll, (bugdaj) == t.
(bogdaj) Weizen, (ugramalc) = t. (ogramak)
treffen auf etwas, begegnen.
(w) statt i (i), y in:
’/p'/>P“P (müftah) — a.^bxi-o (miftäli) Schlüssel, "/»t.yi »A (sfi-
Jea?j) = a. (sibjän) Kinder, ilp-Phv"pip)"’i< (mütezar[r]ur)
= a. (mütezarrir) geschädigt, verletzt, (duvar)
= p. (dlwär) Mauer, 4./An,(elteabur) = a. (alcäbir)
Große, Vornehme, ,f pp.{’p/_ (müsliül) = a. (müslcil)
schwierig, Schwierigkeit, Plur. >//>'^.{j/"i'"P (-af) = a.
(bucak) = t. (bycali) Messer.
ü statt ö in:
„•p p/h (diigen) — t. (döjen) Dreschflegel.
y statt u (ü) in:
»uphi^ (okdmah) 1 = t. (okumak) lesen, pr"‘IpJ
(rdsvaj) — t.-p. ^'3^3 (rüswäj) beschimpft, verhöhnt, ’{";///’ (kajga)
= t. (kajgu) Kummer, Sorge, 7"v”/' {Jcarsd) — t. 3-£=,U
(karsu) gegenüber, (/aca) Faß = t. ^^-33 (fucy).
2/ statt e in:
PczpP'b l -'/‘&Ly beziehungsweise (tdsvini ewel, sani) =
t.-a. J_j\ (tesrln-i ewwel, tesrin-i säni) Oktober,
beziehungsweise November.
1 Vgl. alt-osm. (okimak) rufen, lesen, erzählen, Vambery H., Alt-
osman. Sprachstudien, Leiden 1901, S. 199.
28
III. Abhandlung: v. Kraelitz-Greifenhorst.
c) Vokaleinschub.
Vokaleinschub findet sich zunächst dort, wo durch den
Hinzutritt eines Hilfsvokals eine Konsonantenhäufung im Aus
laute vermieden werden soll. Dieser Hilfsvokal richtet sich
nach der Vokalharmonie, z. B. "/bjbP (bejit) = a. CUo (bejt)
Haus, Distichon, •••k'lbp (devir) = a. (dewr) Periode, Epoche,
p-ofnnLiT (toxum) = p. ^ (tuhrn) Samen, ^,l""kiF h (hüsejin) =
a. (husejn) Hussein (Name), (bapf) = a.
(('«;/) Interj. Ach, 0 weh, kJf>p '(mir) = a. (emr) Befehl,
b'l'lhi kJfcp'"k (evvel emirde) = t.-a. (etvwel emrde) zuerst,
r t i"h r (■resim) = a. (resm) Fest, Feier, ka./fr^ (ömitr) =
t.-a. j-»* (ömr) Leben, (sdndf) = a. (sinf) Klasse,
Kategorie, b"b‘ r ibr (isimler) = t. - a. (ismler) die Namen,
"lh"'.p/"' (bilalcis) = a. B (bi-l-'aks) im Gegenteil, ["“jnj’tp
(xajdrh) == t.-a. (hajrly) gut, nützlich; Vokaleinschub
findet sich ferner noch in: (derdimend) = p.
(<derdmend) leidend, bekümmert, (xadsmat) — a. OUL.
(hidmäf) die Dienste (Plur.), t i ii,, [bl''b‘i (kavilsiz) — t.-a.
(kaivlsyz) wortlos, sprachlos, .pt'd'd (tcülice) = t. (MZäs)
Klumpen, Barren.
d) Vokalausfall.
Vokalausfall finden wir in: (lcajrdlviasd) = t.
(kajyrylmasy) sein mit Sorgfalt behandelt werden,
sein im Dienste aufgenommen werden, u^mjpnupftug. oder “i”’ji’i'
(bujrulmak, bujralmaJc) = t. (bujurylmak) befohlen
werden, <y"Vf'"// 3 " 1 - oder V' (bujrultu, bujrulta) = t.
aL5*1 (bujuruldu) Befehlschreiben, < c -r,(cragan) 1 = p.
(cirägän) Illumination (als Sing.), 1fh/o/fy.««, (Janxras) =
p. (jänhiräs) verdrießlich, schmerzlich, tragisch, ^lupuriuü
(kapdari)“ = t. J;>5^3 (kapudan, kapytan)Kapitän, Schiffskomman
dant, <bi""P (frat) = a. Ol^i (furät) Euphrat, ipmu,p- (zraat)
— a. (ziraat) Ackerbau, 7 r u,„p (kraat) — a.
(kirä et) das Lesen, ,r l" i"Il-P/b (mürvetli) = t.-a. ( m!i ‘
ruwwetli) edelmütig, human, .pb°Pc['^ r (Jcölrüm) = t.
1 Auch die volle Schreibweise ^p^tn,jn/h (caragan) kommt vor.
2 Siehe auch S. 21.
Studien zum Armenisch-Türkischen.
29
(IcjötHrüm) gelähmt, (brun) 1 — t. Oip. (burun) die
Nase, Vorgebirge, Kap, ■ir>-^(grus) = t. cAj> (gurus) Groschen,
Piaster, (frun) = t. 03/ 1 (furun) Ofen, «/2»$/4 (mahle)
= a . <LL=r° (mahalle) Stadtviertel, 4-jyA^ (ejlitc) = t. cbbo) (ejilik)
Wohltat, •i/""/h,T" (Icralica) — t. (Icyralyfa) Königin, «^>-
(merxaea) 2 = a. (murahhasa) christlicher Bischof
(namentlich der Armenier), Abt, (maheza) — a. 1A* g-o
(inna häza) nichtsdestoweniger, dennoch, (bagrssdb)
= t. (bagyrysyp) zusammen schreiend, L 01£- tu p III luh
(eokardan) = t. (jokarydan) von oben.
e) Lange Vokale (Kürzung langer Vokale).
Das Türkische besitzt bekanntlich eine Abneigung gegen
ausgesprochene Längen, was man auch im Armenisch-Türkischen
beobachten kann. Es findet sich nämlich kurzes e an Stelle
von langem a, z. B. in: .pf> (madem lei) = p.-a. &S f bLc
(mädäm ki) so lange als, während, Jhkp (meel) = a. JU> (meäl)
Inhalt, Sinn, 'Xi a 7"" (fejia) = a. (fäji c a) schmerzliches
Ereignis, Drama, (fukarelilc) = t.-a. ,jllj-äi (fukarä-
lyk) Armut, (maheza) — a. 'A* g-o (ma’a häza) nichts
destoweniger, dennoch.
Interessant ist auch die Vorliebe langes u in ü zu ver
wandeln (Lahialisierung des ft) und wir finden neben
(malüm) = a. (malüm) bekannt und ■%/'"/!» P (malümat)
— a. OUjLsu (ma c lümät) Kenntnisse, die auch im Vulgär-Tür
kischen Vorkommen, 3 noch folgende Fälle: z(jümhür)
= t.-a. (jümhür) Publikum, Republik, (nümüne) =
p. (numüue) Beispiel, Probe, pjb'J' (ülüm) — a. (julüm)
Wissenschaften, c ,p.pp‘ I hP (hükümet) — a. (hukümet)
Regierung, ^4.(eelcün) — a. (jekün) Summe (in türk.
Gebrauche), r (mezJcür) = a. j}?A-o (mezkür) der erwähnte,
,f i/k.ppP~ (meleliüt) = a. (meleküt) Königreich, Herrschaft,
(mahkümun) = a. (mahkümün) die Verur
teilten, (sülhlnet) — a. (sukünet) die Ruhe,
1 Vgl. "/g"'"t'G (unlid bruns) — t.-p. (ümid burunu)
Kap der guten Hoffnung.
2 Siebe Zenker, Tiirk.-arab.-pers. Handwörterbuch, Leipzig 1876, 2. Bd.
S. 836.
3 Siehe Jacob, a. a. 0., S. 721 (oben).
30
III. Abhandlung: v. Kraelitz-Greifenhorst.
,1‘<jpk l- k.pp h (ßün fe eelciln) = a. cP (kun fajeJcün)
(er sagte:) es sei und es war, Schöpfung, (mahllüU)
= a. (mahkük) eingegraben, graviert, pd-Pi (henüz) —
p. {henüz) kaum, noch nicht, zi{jülüs) == a.
{julüs) Thronbesteigung, <T {hüjüm) — a. fys? {hujüm)
Angriff, < !l ,.pp[""i (melltüb) = a. {melctüb) Brief, </Ay»/
(:memiil) = a. J5-A0 (me’mül) erhofft, Hoffnung, /><-$/<< 7/4-/3-, p!pp,i_p
[üfünet, üfinet) = a. (‘ufünet) Fäulnis.
Eine weitere Eigentümlichkeit, die jedoch nur im Armenisch-
Türkischen vorzukommen scheint, ist die häufige Auflösung
des langen a in zwei kurze Vokale, nämlich e + a, z. B.
(axleak) = a. (ahlälf) Sitten, Charakter,
{aleamet) — a. ( c alämet) Zeichen, Marke, {alea) — a.
(a‘Zä) sehr hoch, besser, sehr gut, 1 W'/t'" {,halea) = t.-a.
(liäla) gegenwärtig, jetzt, 2 ^jk-p {aleat) = a. CW' (äZät) Werk
zeuge, Instrumente, (manea) = a. (■manä) Bedeu
tung, Sinn, tu mußp (alealcadar) — a. ( c alakadar)
Interessent, {baleade) — t.-p. (balada) oben, z. B.
’lPPC r.p.Ctnu'h {baleade zifcr olunan) = t.-a.-p.
{bäläda zikr olunan) oben erwähnt.
2. Eigentümlichkeiten in der Formenlehre
und Syntax.
Da die Formenlehre der osmanisch-tiirkischen Sprache im
Gegensatz zur armenischen sehr einfach ist und große Regel
mäßigkeit aufweist, wenden sie die Armeno-Türken auch un
verändert an. Ebenso zeigt die Syntax im Armenisch-Türkischen
keine bedeutenden Abweichungen, was seinen Hauptgrund wohl
darin hat, daß das Neu-Westarmenische, das ja die ursprüng
liche Muttersprache der Armeno-Türken war, ohnehin nach
Satzbau und Satzgefüge fast vollständig osmanisch-türkisch ist.
Es sind also auch hier nur einzelne Fälle zu verzeichnen, die
von den Regeln des Osmanisch-Türkischen abweichen, die
aber, da sie immer wieder Vorkommen, charakteristisch für das
Armenisch-Türkische geworden sind.
1 z - B - pktg iitjl^iiß {pelc alea) — t.-a. tjXj (pele alä) sehr gut.
2 "JIä. ist die türk. Schreibweise des arab. ^1-*. (hälan), das zweite a ist
daher eigentlich nicht lang, wird also fälschlich wie langes a behandelt.
Studien zum Armenisch-Türkischen.
31
Als Akkusativsuffix bei vokalischem Auslaute fand ich
melireremale bloß ,i (y)‘ statt ,ji (jy'f. Ich führe diese Fälle an,
obwohl es nicht ausgeschlossen ist, daß man es hier eigentlich
nur mit Druckfehlern zu tun hat. Z. 11. */£y «^4[> Ir tu t^tuh
(bu mekalei eazan) statt J b‘t ,u ib,ib • • • • (mekaleji) = t.
o'jW. i_s4.<LULo >4 (bu mekaleji jazan) der Schreiber dieses Ar
tikels; Ir tu tjt/tut£- tutuü iflutj-ii k<" (bu mekalei eazmakäan
malcsed) statt «/>"- (mekaleji). . . — t. >4
(&m mekaleji jazmakdan makfad) mit der Schreibung
dieses Artikels wird beabsichtigt . . .; "'rP/"i ‘ß-fu/'b ,n, "ik) l ’b
(artdk vekajii mazijei unuddb) statt • • •
(ivekajii mazijeji) . . . = t. gAS, dPjj' {avtyk
ivelcäjii mäzijjeji onudup) indem er nunmehr die vergangenen
Ereignisse vergaß.
Der Gebrauch des Adjektiva bildenden Suffixes ^ (7a),
welches im Osmanischen meistens an einen Genetiv oder Lokativ
eines Substantivs angefügt wird, ist im Armenisch-Türkischen
ein weit ausgedehnterer, indem es sehr häufig gleich an den
Nominativ von Substantiven und Adjektiven angefügt wird; es
lautet ohne Rücksicht auf die Vokalharmonie meistens ,.pb‘ {Ui),
z. B. o L {ol vakdttii) damalig, {sabahUi)
morgendlich, Morgen- . . ., "!’/•.{>/' 1 {eokarsUi) obig, oben be
findlich, u,p‘i, {dün aksamlti) gestern abendlich, Abend-
. .., /■""//"/> f/PPpf' (pazar günki) sonntägig.
Bei dem Personalpronomen der 3. Person kommen die
o-Formen im Armenisch-Türkischen fast ausschließlich vor, z. B.
°, °L (ö, ol) er, sie, es, Gen. öunA, oiipp {onun, nndn) — t. eL,',
Dat. ob tu {ona) = t. Akk. <>W, {onu, -?) = t. Lokat.
obmut {onda) = t. Ablat. {ondan) — t. o^G'; Plural
o'it^uf, {onlar) — t. jLjl etc. 2
Was die Zahlwörter anbelangt, so gebrauchen die Armeno-
Türken zur Wiedergabe des Datums nur die Kardinalia. 3 Hier
1 Auch Iroif-iu^pfi (eokarki) kommt vor.
2 Die o-Formen kommen auch im Vulgär-Türkischen und im Azerbaidseha-
nischen vor. Vgl. Jacob a. a. O., S. 727 und Bonelli-Jazigian a. a. O., S. 6.
3 Im Osmanisch-Türkischen werden beim Datum entweder die Kardinalia
oder in Verbindung mit dem Worte (gün) = Tag die Ordinalia
gebraucht, z. B. der 5. September = ^^*£0 (ejlülyh be§i) oder
^s^***? v*£)^Ju>\ (ejlülyh besinji günii).
32
III. Abhandlung: v. K vae 1 i t z- Gr ei feil h ors t.
zeigt sich der Einfluß der armenischen Sprache, in welcher
ebenfalls in diesem Falle die Kardinalia gebraucht werden, z.B.
\\"t[</•/} '"/Z 3 /"""' (abril altdda) am 6. April, armen. = IVy/’/’Z.
•I L ;]/>''• (abril vecin), Jp"/’"’ '7/7""/A "/£/"«■ (mard birden beru)
seit dem 1. März.
Von den Verbalformen wäre nur das Imperfektum des
Optativs zu erwähnen, wo zur Vermeidung des Hiatus nicht
wie im Osmanischen das Anlaut-i von „idim“ in „j u
übergeht, sondern ein euphonisches „j“ (arm. ,/) eingeschoben
wird, z.B. <y• u jH u ’P.‘ r (olajdddm) o daß ich doch wäre! =
(olajdym), -/.(bulunajddd) o daß doch gefunden würde!
= (bulunajdy), (cagdraysddrn) 0 daß ich
doch riefe! — p-xA (cagyrajdym).
An dieser Stelle möchte ich noch bemerken, daß die den
Dativ regierende Postposition eD (de/c), wenn sie mit dem Ge
rundium auf -inje (-ynja) verbunden wird, bei Verben mit
dumpfen Vokalen trtttuf. (■dak) lautet, z. B. inojtii.pnifli&iiijiumiuif. (do~
jurunjajadak) bis daß er gesättigt hat etc.
Das osman.-türk. Hilfszeitwort (etmek) lautet im
Armenisch-Türkischen, wie bereits erwähnt, fast immer
(■itvieJc).
Über die Syntax wäre im allgemeinen zu bemerken, daß
die Armeno-Türken kurze und einfache Sätze vorziehen und
die langen türkischen Perioden möglichst vermeiden. Zu Hilfe
kommen ihnen dabei auch die armenischen Interpunktionszeichen,
deren sie sich im Drucke ausnahmslos bedienen. Am auffallend
sten ist die Nachsetzung des Dativs, 2 worüber im folgenden
einige Beispiele angeführt werden sollen: $/•«/%««» /nfi/.tp-nßo-
1 Ich will gleich hier bemerken, daß die Armeno-Türken mit Vorliebe
die armen. Monatsnamen gebrauchen, wie: /^ n At[tup (yunvar), fyL-uiy-
i/iup (pefo'var), (inart), ( a P r ^)’ { ma y‘ ls )i ■ J»t^/»
(yunis), (yulis), ^'^r^.nnuinu (ogostos), |^tru^uiLriTjibft (septcmber),
^’n^mLnfplrft (JloktßTIlber) , (jioyewiber), (dek-
tember). Die Transkription der armenischen Namen erfolgte hier nach
dem von H. Hübschmann in seiner armen. Grammatik (Leipzig 1897)
gebrauchten System.
2 Siehe Dr. Friedrich von Kraelitz-Greifenhorst, Bericht über den Zug des
Groß-Botschafters Ibrahim Pascha nach Wien im Jahre 1719, in Sitzungs-
ber. der kaiserl. Akad. der Wissenscb. in Wien, philosoph.-hist. Klasse,
158. Bd., 3. Abhdlg., S. 7.
Studien zum Armenisch-Türkischen.
33
pubhni'lt uoh trif-pf-Sf- '/"T tiprt 4' ( /4 [fVCLTiSd
imperatorunun son der ege rajeti var ddd bu konteje) statt
. . . “i"‘ 4-^4 {' '/>"/> /«"/'; 1 “/fd' [t< *[ir'/i^f,,
n<1 ' °/4Ith Ittin'li tj Itjiiiinl- tjlijiu'/i tjl r [Itufi .p/“ /'
:bl'H } b (ben derim Ui üdünjii Napoleon birinji Napoleondan
zijade zijan verdi kiirsii Serife) statt . . . .phi'"!'!' zbcb'fcb •ibj'“''
'/4/"”/' ■ ! ß-u>[tu1'iniuh mf'O'hl/h 2W//7,/,//^/yT iittjifiititp'/i fytftufii.ppup 11
'"bjl“ ufini[pp£pii{, ttj‘tt t jttttfjt I[tttp tti'btt,l r Y m [Iit'i'b tjl, [itttt'u*!,pp r p
bif ■/'"y'/ bp ‘^b.p/bjb (talandan dönen janverler ,Kalmas9n gea-
vurlar‘ dejü bagrasab, baslamaslar anleri de kursun ve xan-
cerler ile mahv etmeJclije) statt . . . ‘l n t *[b [ l> piji [* /’iji
' n "N__ b[3 tlh.pijt,ib
3. Kuriosa aus dem Wortschatz.
Der Wortschatz des gegenwärtigen Armenisch-Türkischen
deckt sich im allgemeinen mit dem des Osraanisch-Türkischen,
und zwar des sogenannten Orta-Türkje. Gleichzeitig erfährt
derselbe aber eine wesentliche Bereicherung durch die Aufnahme
zahlreicher armenischer Wörter, die die Armeno-Türken vor
allem dort gebrauchen, wo in Zeitungen und Büchern von
ihren nationalen und Kultuseinrichtungen die Rede ist. So
z. B. wimmelt es geradezu von armenischen Wörtern in den
mit ,1 \vt m jF bt (Nationales) betitelten Spalten der armenisch
türkischen Zeitungen, welche die kirchlichen und administra
tiven Angelegenheiten der armenischen Religionsgenossenschaft
besprechen. Dies ist begreiflich, da die türkische Sprache für
moderne staatliche und kirchliche Einrichtungen keine genuinen
Wörter besitzt, weshalb die Armeno-Türken in allen Fällen,
wo die Osmanen Wörter von Arabern und Persern entlehnen,
ihre Kirchen-, respektive Muttersprache zu Hilfe nehmen müssen.
Interessant ist ferner, daß man im Wortschätze der Armeno-
Tiirken auch jetzt noch solchen türkischen Wörtern begegnet,
die der älteren türkischen Sprache angehören und gegenwärtig
1 Aus mm njuihuiL V/, |^ ^ t£ int~l/huj f
uj ui u lTujiifli L^njih in 4 1872 (Konrad Bollanden, Der alte Gott lebt nocb,
Wien, Meckitaristendruckerei), S. 54.
2 Ibid. S. 87/88.
3 A u8 der Wochenschrift uiwplrp “ Bd. 52, S. 540, Spalte 2.
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 168. Bd., 3. Abh. 3
34
XII. Abhandlung: v. Kraelitz-Greifenhorst.
weniger gebräuchlich sind, ja hin und wieder stößt man auf
Wörter, die jetzt in anderen türkischen Dialekten Vorkommen,
und endlich auch auf Verschreibungen und Verstümmelungen
arabischer und persischer Wörter.
Im folgenden bringe ich unter A eine kleine Liste jener
armenischen Wörter, die von den Armeno-Türken am häufigsten
gebraucht werden, unter B einige von diesen gebrauchte, im
Osmanisch-Türkischen seltener oder gar nicht vorkommende
Wörter und unter C einige Verschreibungen und Verstümme
lungen arabischer, respektive persischer Wörter.
A. Armenische Elemente.
dmjnif (azgayin zolov) 1 Nationalrat, -Versammlung;
tut] in Ij iiflt cfm^n >1 (kalakakan zolov) Laienrat;
(xarn zolov) gemischter Hat (Laien und Kleriker);
t^vinul^ui, (kronakan zolov) Kultus-, Kirchenrat;
^ Ä?/ YY» tfh tu f[ uih uil^ufh diirjii (kendronalcan kronakan Zolov)
Zentral-Kultus-, Zentral-Kirchenrat;
^upjiu^.ui, (yarcakan zolov) Verwaltungsrat;
ufh iuh tfn tjnij (erespoxanakan zolov) Nationalrat, -Ver
sammlung;
(hamagumar Zolov) gemeinsamer (Laien- und
Kleriker-)Kat;
m-unL-ifh/[iij -usiiinuokdii xorhurd) 11 iiterriehtsrat;
p-.at/iu/f.u'i, (talakan xorhurd) kirchlicher Bezirksrat
(als Korporation);
MJiHli^L ui (Tcahanayapet) Papst;
(Jcahanay), türk. Plur. (Jcahanalar) Priester;
Ll l U, l L,j,..I { .u'i, (ekelecakan) kirchlich, Kleriker;
ifjiiuptuli (miaban) Mönch;
•l^e (yanlh) Kloster;
(batrig srbazan) Se. Heiligkeit der Patriarch;
uippiu^iujii (abbahair) Abt;
4"'//" (hogevor hoviv) geistlicher Hirte;
in /jl iup Irfiu Ij uili in In/inup,,^ (arakelakan telapah) apostolischer Stell
vertreter eines Patriarchen;
1 Die Transkription der armen. Wörter geschah hier nach dem von H.
Hübschmann in seiner ,Armenischen Grammatik 1 aufgestellten System.
Studien zum Armenisch-Türkischen.
35
,il.b tU LJ!ft (■mecavor) Superior (einer Kirche etc.); z. B. {).
,n„,„„inp ($. Yalcob matui'd mecavord) Superior
der Kapelle zum hl. Jakob;
,//. Sin,p,,j[,,yi(mecavor-zolovrdapet) Superior und Pfarrer
(einer Kirche etc.);
(afajnord) Leiter einer Diözese;
lun-iujft/npif. <//;.{•/•//> (afajnord ve/iili 1 ) Stellvertreter des Leiters
einer Diözese;
(arajnordutiun) Amt, Stelle eines Leiters einer
Diözese;
.„^pnup^mtpui, (asxarhakan) weltlich;
(asxarhalcanlar) die Laien;
uibipu^uC, (telapah) Stellvertreter, Vikar;
(telapahhk) Amt, Stelle eines Stellvertreters;
„„[i.(atenapst) Präsident eines Rates;
(atenapetlilc) Amt, Stelle eines solchen;
ipb,(erespoxan) Vertreter, Deputierter;
•uu,bl„uy.u/fo (atenadpir) Sekretär, Kanzler;
(varSutiun) Administration, Verwaltung;
(sahmanadrutiun) Konstitution, Statut;
l[nK„iuip)u,_pj,,’i, (kusakcutiun) Partei;
l-‘i,i.,Jl„/p„p, L p/,li, (xnamakalutiun) Schutz, Vormundschaft;
ummp£uiu (asticaii) Grad, Würde; z. B. tjtuft tf.tnttfL in tu ff tuh tu uw ft l\iij‘/j
(vardapetakan astican vermelc) die Doktor-, Priester
würde verleihen;
,p.p V u , iL." (vardapet) Doktor, Priester;
piuümippiuitp (banadranJc) I
«• . / ic\ t - Exkommunikation «
' ,r L nt uP (nzovk) j
ttut tut (Yisus Kristos) Jesus Christus (türk.-ar.
J 1 ‘tsa el-mesih); 2
l - , l l "l L !)b (mair ekeieci) Hauptkirche, Kathedrale;
""'/'f uputnmpuiip (surb patarag) die hl. Messe; z. B. j) upummpiu^
pfipjt'p (surb patarag takdis itmelc) oder {]■ >y<"-
Ultlipiliip Itpplft p~£piu [■P<f>,.p (surb patarag ajini ijra itmeJc)
die hl. Messe lesen, zelebrieren;
^tnjftmtiflr mtiilf tuh /y///</i///yi///y (hairapetakan patarag) Pontifikalmesse;
luijinuLnp .y.uimupiuif. (jainavor patarag) Hochamt;
1 t.-a. a.-p.-t. Elemente sperre ich hier.
2 Siehe Hagopian, Ottoman-Turkish Conversation-Grammar, S. 252.
3*
36
111. Abhandlung: v. Kraelitz- Greifen hörst.
tUÜ <£. UI // l/l uitl (andastan) Feld, eine Art Prozession in der ar
menischen Kirche, so genannt, weil sie ursprünglich auf
dem freien Felde (andastan) abgehalten wurde; z. B.
P-'/l'Pl'i (andastan gezilmis) das Andastan
wurde begangen, abgehalten;
{Jlarozic) Prediger;
•t,b P pn, L (nerbol) Rede, Predigt zu Ehren eines Heiligen; z. B.
/y/,jl^j ufjtp '///.[<[■"'1 fipiutn f>jjl,iljiii"l ! [> (belig biv nerbot irad
ijlemisdir);
!■["[ {erg) Gesang, Lied, Hymne; z.B. tp-i/br 7L"'P
fip.tpn o/nLi,JpTj n /’i’ (ermenij e er gier ve nutklar irad olun-
mdsddr);
i/.[nu/uin {draxt) Paradies; z, B. 7p-mptn {draxtdan
tard itmelc) aus dem Paradiese vertreiben;
\\"'[r V Q^i/;t.?/^. hoppm-up (surb cnund eortusd) Weihnachtsfest;
(ganjanak) Kasse, Opferstock;
„Pf,,,'!,,,,) (orbanoc) Waisenhaus;
nppiutinßp (lcdzlar orbanocd) Mädcheuwaiseuhaus;
4pp!,p »oäh.^ytu[i nppiuimijp (erkek cojuklar orbanocd) Knaben
waisenhaus ;
fmifji* (camic) Kosine; lui/uipium^aipiuu^ {anarat sarap) reiner Wem. 1
B. I111 Osmanischen wenig oder nicht Gebräuchliches.
{giranbaha) wertvoll, kostbar = p. {giränbehä); 2
(parladdj) Glanz-, Putzmittel; z. B.
(maden parladoja) Metallputzmittel; (parlamak)
t. leuchten, glänzen;
pk"bp'"jk (pesipaje) niedrig, niedrigstehend, aus (pes) p.
hinten, letzter und ajB. (päje) p. Stufe, Grad zusammengesetzt;
,,. J'n L ,IJ, l k2jIkj> {■umumilesmell) allgemein machen, verallgemeinern,
türk. $*.1 ( c umümllesmek);
1 Die zwei letzten Wörter pu. und uStuuptutn j mp, die ich bei
einer kursorischen Durchsicht von Bonelli-Jazigians ,11 Turco parlato
(lingua usuale di Costantinopili) 1 , Milano 1910, gefunden habe, können
nur dem armeno-türkischen Dialekte angehören und sind, wie ich mich
wiederholt persönlich überzeugen konnte, im Osmanisch-Türkischen unbe
kannt.
2 Zur Aussprache und Bedeutung dieses und der folgenden Wörter vgl.
Samy Bey, Dictionnaire turc-frani}ais, Constant. 1885.
Studien zum Armenisch-Türkischen.
37
(kutlu) glücklich, t. (kutly) ■
■l "‘P ‘""7 (kutsuz) unglücklich, t. (kutsyz)■
,r„,p L „, (mutlu) glücklich, t. j^V 0 , (mutly)-
/ u °gi".•"php"l"ithp (xosnudijetsizlilc) Unzufriedenheit; p.
(hosnüd) zufrieden;
([ealvarmak) bitten, flehen, t. (jalwarmaJc);
,"lPP"PiPp (altüstlük) Verwirrung, t. cufi (aZt üst)
drunter und drüber;
“/ , ’/{‘f" r (bellcim) im Gegenteil, vielmehr, eher; t. jetzt aXU (belki)-
(bdrakmak) lassen, zurücklassen, t. jetzt
0brakmak), altosm. (birakmak), <5ag. (birak-
male)-,
•/U/t.p"!; (megerse) aber, indessen, wenn nicht, t. jetzt
(meger ki, mejer Ai);
Lo LI! „Jü„ t (eollamak) schicken, türk. U-XÜo (jollamak)-,
p tun pp (tanra) Gott; z. B. p-iu'upp pi-mpn (tanra teala) = t.-a.
(tanry taälä);
L k"bfnslkj> (eenilmek) besiegt werden, t. jetzt viXJJo (Jenülmek),
altosm. iX-o-Xj (jinilmek);
/««i f.f-P fPp (laeextilik) Unfehlbarkeit, statt laeextalik, vom ar
^ (lä) nicht, und Imperf. ILc*, vom arab. Verb. JkX (hati'a)
fehlen, irren, sich täuschen und türk. Suffix cX (ZfÄ);
iiolipuu (songra) nach, t. jetzt s.Syc (sonra), cag. (songra) •
hb % (ilen), rL"‘ h (?lan) mit, t. jetzt <*Jj\ (ile, yla)-
hojiP" (öjlen) Mittag, Mittagszeit, t. jetzt A15 ? 1 (öjle);
l-Plfip,q. (eigirmi) zwanzig, t. jetzt (.jirmi), cag.
(jigirmi), azerbaidsch. (igirmi);
{kamt) alle, altosm. (kamu), azerbaidsch. (hamu),
cag. yoU (kamuk, kamu)-,
i'-'-u (cend) einige, p. J-X (iend)-, z. B. nt/pllfl/fltiilipi p b^"[ ,u p 1 i‘l>
ik'iun no'hpui (kumpaniamn teesisinden cend sene sonra)
einige Jahre nach der Gründung der Gesellschaft;
‘ihb (bile) mit, zusammen, selbst; z. B. «y/'/i^aV (bilemje) mit
mir, “tkiffrft (bilenje) mit dir, u,[, L l,„pi,^^ (bilesinje) mit
ihm; t. jetzt <*Jj\ (ile, yla) mit; altosm. bile zu, mit,
neben, bilendze mit dir etc; 1
bL (il) Jahr, t. jetzt ,J-o (jyl), azerbaidsch. JM (il).
1 Vgl- auch H. \ ämbery. Altosmanische Sprachstudien, Leiden 1901, S. 12
und 13.
38
III. Abhandlung: v. Kraelitz-Greifeuhorst.
C. Verstümmelungen.
Einige Verschreibungen und Verstümmelungen arabischer,
respektive persischer Wörter:
(kalea), ([lcale) Festung = a. AäIs (7caTa);
.uij-iuJkp- (alcamet) Aufenthalt = a. ('{kämet);
l'uf.f.jk (karije) Dorf = a. (karja)-,
jiuiintutu (iddaa) Anspruch, Anmaßung = a. GjI (iddia);
(tesella) Tröstung = a. (teselll); vgl. p.-a.
statt a. ;
tkiifo (eesir) Gefangener = a >r ^' (eslr), vulg.-türk. auch ,j'«str';
’i'Loiyi.p (nöbei), ‘i‘bn-jpibp (növbet) Reihe, Tour, Wache = a. GUsy
(7 iewbet)-,
(mecicL) Moschee= a. .x<“~ 0 (mesjid); vgl. tatar. cu^r° (jnecit); 1
■pb^b- tu (kehea) Hofmeister, Verwalter = p.Vixi^ (Jcethudä), vulg.-
türk. kjaja:; z. B. pi"ppf’‘il u “‘ h b ’t.pbP- "‘"p (patrikxane
kapu Jceheasd) Geschäftsträger, polit. Agent des Patriarchats
bei der hohen Pforte.
'fb^b'fifb-n (mehemmed) Mohammed = a. (muhammad),
t. ,mehmed‘ gesprochen.
“ibb/f'r (begir) Lasttier, Pferd = p. ;r A,b (bürglr), t. ,beigir‘\
(hezarfend) Tausendkünstler = p.-a. cÄj'j-* 1 Qiezär-
fenn);
ilhjJ'-p (mejmar) Architekt = a. W»-» (mi'mär)-
(carsenbih) Mittwoch = t.-p. (cärsenbe)]
pk"i'(pevjsenbih) Donnerstag = t.-p. *^**s*i (penjsenbe),
vulg.-türk. persembe-,
Pbjfb (tejze) Tante mütterlicherseits = t. *>iS (£e2e).
1 Vgl. Rehber-i imla, Orenburg (B. A. Breslin) 1900, S. g .. Altosm.
mezJcit (Vambery, Altosm. Sprachstudien S. 196) ist nicht ar. son
dern arm. (mzkit); vgl. M. Bittner, W. Z. K. M., Bd. 16, S. 306.
Studien zum Armenisch-Türkischen.
39
ANHANG.
Einiges zur Orthographie.
Zum Schlüsse sollen noch einige Besonderheiten der Ar-
meno-Tiirken in der Schreibung des Türkischen mit armenischen
Lettern angeführt werden. Da nämlich die Armeno-Türken das
Türkische so, wie sie es hören, ohne Rücksicht auf die Ent
stehungsart der einzelnen Worte, mit den armenischen Buch
staben wiedergeben, so kommt es vor, daß sie aus zwei oder
drei Worten zusammengesetzte, dem Sinne nach nur einen
Begriff darstellende Ausdrücke, die ja beim Sprechen fast immer
als ein Wort gehört werden, auch in der Schrift verbinden.
Solche Verbindungen sind nicht immer leicht zu erkennen und
es bedarf schon einer ziemlichen Übung im Lesen armeno
türkischer Texte, um diesen Schwierigkeiten mit Erfolg be
gegnen zu können. Etwas ähnliches findet sich auch bei Persern
und Türken, die sich bekanntlich der arabischen Schrift be
dienen; sie verbinden nämlich gegen das Wesen der ai’abischen
Schrift oft zwei Worte in der Schrift namentlich dort, wo durch
solche Verbindungen ein Begriff ausgedrückt werden soll, z. B.
cß-^> (zlsän) wertvoll, wundervoll, (aläliazret) Se.
Majestät, '--oyßts ( c anlfartb) in Bälde, (wuJcubiilmaJc)
vorfallen, stattfinden etc. 1 Im Armeno-Türkischen kommen
folgende Fälle vor:
a) Arabische präpositionale Redewendungen werden meistens
in einem Worte geschrieben, z. B.:
'7V'/v"y/"/"' (filhakika) in der Tat, wirklich = a.
(ß-l-haklka);
(binaenaleih) daher = a. (binären c alejh)-
J.u,r„,'pf3 (’maviafh), (mamafihi) nichtsdestoweniger,
dennoch = a. ^ L ^ (ma'a mä fih[i]) ;
Vgl. Bittner, Der Einfluß des Arabischen und Persischen auf das Türkische,
in den Sitzungsberichten der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften,
Bd. 142, Abhandl. III, S. 114.
40
III. Abhandlung: v. Kraelitz-Greifenhorst.
ifiu^iuqju (maliaza) dennoch, gleichviel = a. 'V* g-* (maa haza);
"tkj <b k/‘Q'ißi (bejnelmilel) international = a. J-bJi (bejna-l-
milel);
(alelxusus) insbesondere, zumal = a. ^yb
(*ala-l-husüs) •
(alelelcser) meistens — a. yb^( c ala-l-aksar);
in (ilelebed) ewig = a. (ila-l-ebed);
Doch findet man auch folgende Schreibweisen: “ih‘"
(6(7a hisab) unzählig == a. tb liisäb), ^bu"
(6i7o istisna) ohne Ausnahme = a. tb (&i7ü istisna),
(fil valid') in der Tat == a. A' 3 M (fi-l-wäki ), “//>/
(bil ittifak) einmütig, mit Übereinstimmung = a.
^lij'iJb (bi-l-ittifäk), <y/>£ [imiini tu [bil xassa) insbesondere, speziell
= a. A-^Ai-b (’bil-hässa), «//»/<£ ptJl-J' (bit temam) vollständig
= a. fLbhb (bi-t-temäm•), pkp^p Jk (bit terjüme) in Über
setzung = ar. »Aüb ([bi-t-terjume), /,/c/ ptj,„pJ/j (ma et teesiif)
mit Bedauern = a. i_Ä-u>Ud\ »-» (via a-t-te essnf)-, >"Pl nuJin-J' K alel
umurri) im allgemeinen = a. f 3 -*AÜ ( c ala-l- c umüm') ) ’’ u pi
(’aZeZ ’ajele) in Eile = a. 1 ala-l- ajele), tum •Pl t
(hasbel kader) sobald als möglich = a.jObh ^^^.(hasb-al-lcadar).
b) Die Verbindung zweier arabischer Substantiva oder
eines arabischen Adjektivs mit einem arabischen Substantiv, in
arabischer Genetivverbindung, die den Türken als Ganzes gilt,
wird auch von den Armeno-Türken oft in einem Worte geschrieben,
z. B. (muzaffereddin) Muzaffereddin = a.
(muzajfer-ed-din), r li um pl-timi^ih (nasreddin) Nasreddin =
a. cjI. ^' j*** ('nasr-ed-dln), b u t'""-/js u ^ (ibnullali) Sohn Gottes =
a. Alb (ibn-ulläh), (rezilülaxlak) sittenver
dorben = a. J-Gj (rezil-ul-ahläk) if!»/P J/,/ipi(malü-
melmskdar) von bekannter Menge = a. (ma c lüm-ul-
mikdär, vulg. mallüm-el-mikdär) • doch findet man auch folgende
Schreibarten: t“-L t^nt-inn (ruh ül kuds) der hl. Geist = a. c})
u-’ObUl (rüh-ul-kuds), «£/>/» /•<-/ ^ tup l, nt £cl (seri ül harakea.t) schnell,
flink = a. g-> (seri-ul-liarakät), (abdül
hamid) Abdul-Hamid = a. ( c abd-ul-hamld), pb"pL J,u i
(resül mal) Kapital = a. JU-h (ra c s-ul-mäl), •nuj.lji P‘i'ihi’1'
(salif ilzzilcr) erwähnt = a. i_ä31^i (sälif-uz-zikr).
c) Ebenso werden im Türkischen gebrauchte, dem Arabischen
entlehnte phrases faites von den Armeno-Türken in einem Worte
Studien zum Armenisch-Türkischen.
41
geschrieben, z. B. JlupuL -<//-/. (malaeani) sinnlos, unnütz, eitel =
a. ^ bo (mä lä ja c ni), JlnSki»" (rnaje.ra) das Yorgefallene,
Ereignis, Abenteuer = a. (mä jerä), J'iu,.„n,u (maada)
außer — a. !->•« b» (mä adä), (insaallahu) so Gott
will — a. aJd\ ^ (Zu saa-llähu)j doch findet man auch eine
getrennte Schreibart, z. B. .pk*fiujhfn m">y£y (Icemaßs sabdlc) wie
es war, ohne jede Änderung = a. U-J (kemä fi-s-
säbik).
cZ) Mit der arabischen Konjunktion ^ (ica, tue) verbundene
Synonyma werden im Armenisch-Türkischen entweder zusammen
geschrieben oder bleiben getrennt, wobei aber die Konjunktion
dem ersten Worte angehängt wird, z. B. /y.A„/„„„y/,y, (ümuxaber)
Kenntnis und Nachricht, Erklärung = a. ß* (Um ice
habaß, t. = ihn u haber, [Juipnnfinp (tarumar) zerstreut, zer
stört = p. 3 jbi (tär u mär), 0/"-"/^'"^'"- (jüstuju') Recherche
= p. 3^3 ( just u jü), (axzuita) Handel =
a. Ißs'j b'b.l (aAa we i c tä), t. = aliz u Vtä- doch: p 1U IjJllftlL.
^Pl"dP (tazimu hürmet) Hochachtung = a. »^5
(ta c zim ive Jiurmet), t. = tazim u hürmet, p'/p ppl> (Umü
mearif) Wissen und Kenntnisse = a. ße (Um ive
ma ärif), t. = c ilm u maärif.
e) Auch andere rein arabische aus verschiedenen Elementen
zusammengesetzte Gebilde werden im Armenisch-Türkischen in
einem Worte geschrieben, z. B. J'-uft.,pkj^ (mumailejli) der er
wähnte = a. A-Jl u'°3'“ (mümä ilejh), ‘d''?'_"l’hh,P (müsarilejh)
dei erwähnte - - a. (muscir zlejhj,
(mahkümunbih) die Verurteilten = a. p (maJikümünbih).
f) Mit persischen Präpositionen gebildete Redewendungen
sowie auf persische Art zusammengesetzte Ausdrücke werden
meistens in einem Worte geschrieben, z. B. 111 in k (deröhde)
dem Versprechen nach = p.-a. p (der ’uhde), in kp.tJ.j.u’i.
(dermijan) in der Mitte — p. y (der mijän), -yk r ,f/up„„„
(bermütad) gewohnheitsmäßig = p.-a. y (her mutäd),
•ikpihipk (bergilzide) gewählt, auserwählt = p. sjo jS ^ (her
guzide), -y/1(biesas) grundlos = p.-a. ^ (bl esäs),
<y/""/tu, (bisud) ohne Gewinn = p. ^ (6? sücZ), "AZWZv"/
(behemehal) unvermeidlich, schlechterdings == p.-a. Jl*.
(beheme Jiäl), lytyi/Ma/oy (bermujib) gemäß, nach = p.-a. 1 -^3-3-0 ^
(6er müjib), <y"'/"' ,t "" t " (baxusus) besonders, speziell = p.-a'
42
III. Abhandlung: v. Kraelitz-Greifenhorst.
b (bä Misus), pkju’kcpkj (pejderpgj) nach und nach =
P- (l )e J der P e j) > tu ilbinijii m (amedsüd) Verkehr (von
Eisenbahnen, Schiffen) 1 = p. (ämed sud), tkpp"‘["i
(eelctarz) einförmig, uniform = p.-a. Vb (jek tarz), r"://'P ui /"P
(pajitaxt) Hauptstadt = p. O-.i 1 ^$b (päj-i taht), muttt puitj imP
(,sadrasam) Groß wesir = p.-a. «A«' (sadr-i a tarn), '/4V'" , V"
(veliahd) Thronfolger — p.-a. (icell-i ‘ahd), p'.pJtp
(hikmetamiz) weise, vernünftig = p.-a. y~°\ (lähmet
ämlz), pinn hl-*" “i (hisseeab) teilhabend, -haftig = p.-a.
<_>b (hisse jäb), p~kp<“f- nr/• kp‘/kp (iterakkaperver) fortschritt
freundlich = p.-a. (teraklä per wer)' doch findet man
auch die Schreibarten: "/'« (ba telegraf) telegraphisch
= p. cJ>\ jih b (öä telegraf), fauS (ha ilam) mit Bericht,
mit Entscheidung = p.-a. ?'JH b (J<j i’läm), <y/> JJfu'hkp (bi
minnet) edel-, großmütig = c^-bo ^ (M minnet), ttjiii ftini.uitLu
(ha xusus) etc.
g) Desgleichen werden die türkische Möglichkeitsform,
bisweilen auch die türkische unbestimmte Genetiv Verbindung and
andere auf türkische Art zusammengesetzte Ausdrücke in einem
Worte geschrieben, z. B. '/ , .['h / ’"ih' f l'Z (verilebilmiü) es konnte
gegeben werden = t. ‘WbH? (werile bilmis),
(unudabilir) er kann vergessen = t. (onuda bilir),
J,(deeebilirim) ich kann sagen = t. Ab. 5 (deje
bilirim), <iJ4/ 0, z/-"- (bejoglu) Pera = t. Jijl cXj (bej oglu), u<kjb-
•[ •u'hj,, (delikanh) Jüngling = t. (_jbb ^J> (deli kanly), •"ipzJkpti_
(alasveris) Handel = t. (alys iceris), fr,'u,„J'i„.„JI,ik
(fenamuamele) schlechte Behandlung, Mißhandlung = t.-a. 1A
A.L0I** (fenä miiämele), ''•l’Ph.pl’J' (nitelam) so wie, wie =
t. A.Xi (nite leim).
Es wurde bereits oben (S. 32) erwähnt, daß die Armeno-
Türken in ihren Drucken die armenischen Interpunktionen ge
brauchen. Hier wäre noch hinzuzufiigen, daß sie auch die
armenischen großen Buchstaben (Majuskeln) nicht nur bei Eigen
namen, sondern auch bei solchen Substantiven anwenden, welche
eine Respektsperson, hohe Würde etc. bezeichnen, z. B. f
(padisah) Padischah — p. zUiob (padisäh), «-'/,£ (pa-
trikxane) Patriarchat ----- t.-p. (patrikhäne), \\ l u"“ r u"l
1 Z. B. tuiflpui^Jit«i ipjbj; (amedSüd itmek) verkehren = t.-p.
Studien zum Armenisch-Türkischen.
43
{selamhk resmg alisi) die hohe Feier des Selamliks
= t.-a. (selämlyk resm-i 1 älisi), (“» tu put (pcipa)
Papst — t. Lb {papa), t | v "y(kajmakam) Kaimakam
(polit. Beamter) = t.-a. (.UU~Aü> (kaim-i makäm), <i|m.^ r \\p (babg
ali) die hohe Pforte = t.-a. c_jL> (bäbi c äll), W'^zp»' pfijkp
(viesrutijet) konstitutionelle Regierung = t.-a. (mesrü-
tijjet), |\ptfra (prens) Prinz, ‘hn,, jr( , r (xarijije nazgrg)
Minister des Auswärtigen = t.-a. (härijijje näziri),
(sadvazam) Großwesir = t.-a. (»Rsl (sadr-i azam),
pyi-.^mu.uh ,[p WjuAi (mebusan ve ajan) Abgeordnete und Se
natoren = t.-a. o^ c ' 3 cP3*3* {me!/üsan we ajän), O^"pp
C {zatd sahane) Se. Majestät = t.-a.-p. AÖLssUo ü'j (zät-i
Sähäne).
Schließlich wäre noch die Teilung eines Wortes am Schlüsse
einer Zeile zu erwähnen. Im Türkischen kommt eine solche
Teilung, da sie eigentlich mit dem AVesen der arabischen Schrift
unvereinbar ist, nicht häufig vor; man hilft sich nämlich damit,
daß man die Verbindungsstriche zwischen gewissen Buchstaben
in die Länge zieht. Kommen aber Wortteilungen vor, dann
erfolgen sie immer nur mit Rücksicht auf die grammatikalischen
Bestandteile der abzuteilenden Wörter. Z. B. pjljl
(lewäzim-i miijibe-sinden) ^jJbK{yeZirme-diklerlnden),
a öjJ-a-ojjS (gjörnie-lerine), —«-a^aKjo {dinleme meh), tj\>\
eXJ-afij^i.,0 (idäre-i mesrüie-nin), (gjüster-dijimiz),
ü aj r !-M 1 a:=J (ajdäd-laryndan) etc.
Im Armenisch-Türkischen dagegen ist die Wortteilung,
wie etwa im Deutschen allgemein üblich; sie geschieht aber
hier ohne Rücksicht auf die grammatikalischen Bestandteile der
abzuteilenden Wörter meistens nach dem Grundsätze, daß ein
Konsonant zwischen zwei Vokalen und von zwei unmittelbar
aufeinander folgenden Konsonanten der zweite Konsonant zur
folgenden Silbe gehört. Zu dieser gegen die Morphologie der
türkischen, beziehungsweise arabischen Sprache verstoßenden
Wortteilung werden die Armeno-Türken eben durch den Ge
brauch der armenischen Schrift verleitet, in welcher im Gegen
satz zur arabischen Schrift die Vokale geschrieben werden.
Z. B. l’zik~['pk {isle-rine) = t. . / V ■; y>/4~ ^/'Z' V* {kökle-
rinden) = t. i ui (ße-jil) = t. JS>, L lupirrp —ppuj
(eCipdd'Wdfy = t. ; orjpiu-^ßiyipiip (OCJVCL-Sdl(ld(jd) = t.
44
III. Abhandlung: v. ICraelitz-Greifenhorst.
/>[<) mfi-(itdi-gi) = t. ^/A-^W/op (bili-
nemejor) — t. .Jfi,„,l ; (daxi-linde) = t.-a. s_>.AU.b,
7 y4/J (medeni-jet) — a. (ltai-de) — a.
s-xstä, (daji-ma) = t.-a. U->b, (ehemmi-jet)
= a. . v"y —yi>'ulum (hak-ksnda) = t.-a. s-x-LL»., k.fi"k~
rl'j'-P (ekse-rijet) = ar. c^o^ÄSl, (fev-keladesini)
= t.-a. etc. Ganz willkürlich ist dagegen die Tei
lung, z. B. in: “/4°/'/"■/’ (böj-ülc) = t. l/k~o r h (ga-nre) göre
= t. s J? s.
Berichtigungen.
Lies auf S. 8, Z. 17 von oben statt a.-t. richtig: t.-a.
S. 10, Z. 10 von oben
mininums.
S. 10, Anmkg. 1, Z. 1
S. 12, Z. 11 von unten
S. 12, Z. 6 „ „
S. 12, Anmkg. 1, Z. 4
S. 14, Z. 2 von oben
S. 25, Z. 10 von unten
S. 29, Z. 15 von oben
S. 29, Z. 5 von unten
Femeninums richtig: Fe-
a.-t. richtig: t.-a.
a.-t. „ t.-p.
p.-t. „ t.-p.
p.-t. „ t.-p.
p.-t. „ t.-p. .
zl-l-hijje richtig: zi-l-hijje.
p.-a. richtig: t.-a.-p.
in richtig: im.
In allen übrigen Fällen ist auf S. 12—16 statt a.-t. stets
richtig: t.-a., statt a.-p. stets richtig: p.-a. und statt a.-p.-t. stets
richtig: t.-a.-p. zu lesen.
Studien zum Armenisch-Türkischen. 45
INHALT.
Seite
Einleitung 1
I. Der Gebrauch der armenischen Schrift 4
A. Konsonanten.
a) Allgemeines 5
b) Bezeichnung des £ (‘) 6
1. Im Anlaut 6
2. Im Inlaut 6
3. Im Auslaut 7
c) Bezeichnung des Hemze (*) 7
1. Im Anlaut 7
2. Im Inlaut 8
3. Im Auslaut 9
d) Bezeichnung des ^ (j) 9
1. Im Anlaut 9
2. Im Inlaut 9
3. Im Auslaut 10
e) Bezeichnung des Femininums der arabischen Nisbe 10
B. Vokale.
a) Allgemeines 10
b) Bezeichnung des ,i‘ 11
1. In türkischen Wörtern 11
2. In arabischen und persischen Wörtern 12
a) Kurzes ,i‘ 12
ß) Langes ,i‘ 13
c) I^äfet-i 14
1. Bei vokalisch auslautenden Wörtern 14
2. Bei konsonantisch auslautenden Wörtern 14
C. Diphthonge 15
46
III. Abhandlung: v. Kraelitz-Greifenhorst.
Seite
II. Dialektische Eigentümlichkeiten des Armeno-Türkisehen ... 15
1. Lautliches.
A. Konsonanten.
a) Ausfall von Konsonanten 16
a) Schwund des £ (') 16
ß) Schwund von (j) 17
yj Aufhebung der Gemination 17
b) Permutation 18
c) Moullierung 18
d) Einschub von ,w‘ zwischen ,a‘ und 20
t) Konsonantenwandel 20
B. Yokalismus.
a) Vokalharmonie 23
b) Vokalwandel 25
e) Vokaleinschub 28
d) Vokalausfall 28
e) Lange Vokale (Kürzung langer Vokale) 29
2. Eigentümlichkeiten in der Formenlehre und Syntax 30
3. Kuriosa aus dem Wortschatz 33
A. Armenische Elemente 34
B. Im Os manischen wenig oder nicht Gebräuchliches. . . 36
C. Verstümmelungen 38
Anhang.
Einiges zur Orthographie 39
Überreicht vom Verfasser.
Sitzungsberichte
der
Kais. Akademie der Wissenschaften in Wien.
Philosophisch-Historische Klasse.
168. Band, 4. Abhandlung.
frralsage und tfraldichtung
des
Mittelalters.
Von
Dr. Victor Junk,
Privatdozonten der Wiener Universität.
Vorgelegt in der Sitzung am 10. Mai 1911.
II. Auflage.
Wien, 1912.
In Kommission bei Alfred Holder
k. n. k. Hof- und Universitäts-Buchhändler,
Buchhändler der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften.
Druck von Adolf Holzliausen,
k. und k. Hof- und Universitäts-Buchdrucker in Wien.
IV. Abli.: Junk. Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
1
IV.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
Von
Dr. Victor Junk,
Privatdozenten der Wiener Universität.
(Vorgelegt in der Sitzung am 10. Mai 1911.)
(2. Auflage.)
Einleitende Bemerkungen.
A. Zur bisherigen Behandlung des Gegenstandes.
Das Studium des großen mittelalterlichen Sagenkomplexes
von Parzival und dem heiligen Gral, welches die gelehrten
Kreise schon seit fast einem Jahrhundert beschäftigt, ist in
allerjüngster Zeit in ein völlig neues Stadium getreten durch
die Aufdeckung wichtiger sagengeschichtlicher Zusammenhänge
zwischen Indern, Germanen, Kelten und Slawen, die auf einen
uralt-arischen Mythus von einem wunderbaren, Segen aller Art
spendenden himmlischen Gefäß und seiner Gewinnung zurück
weisen, und in welche auch die Sage vom heiligen Gral als
ein besonders wichtiger und charakteristisch ausgebildeter Zweig
jener sagenhaften Tradition einzureihen ist. Diese höchst wich
tige, ganz neue und unerwartete Aufschlüsse sowohl für die
Erklärung als auch für die Würdigung der Sage bietende Ent
deckung ist niedergelegt in der im Vorjahre in diesen Sitzungs
berichten erschienenen Abhandlung ,Die Wurzeln der Sage vom
heiligen Gral“ von Leopold v. Schroeder. 1
1 Die Wurzeln der Sage vom heiligen Gral von Leopold v. Schroeder,
Sitzungsberichte der kais. Akademie der Wissenschaften in AVien, Philo
sophisch-historische Klasse, Band 166, II. Abhandlung, Wien 1910.
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 168. Bd., 4. Abh. 1
IV. Abhandlung: Junk.
2
Die vorliegende Arbeit knüpft unmittelbar an die genannte
an. Sie ist hervorgegangen aus Anregungen, die ich erst im
persönlichen Verkehr, im Gespräch, erhielt, die sich jedoch
bald in gemeinsamem Gedankenaustausch über diesen überaus
interessanten und würdigen Gegenstand zu einer festen An
schauung bei uns beiden verdichteten und durch eingehende
Behandlung des Themas zu einer unabweisbaren geworden sind.
Hier war von der größten Bedeutung die Heranziehung des
bretonischen Märchens von Peronnik, das die gelehrte For
schung niemals nach Gebühr beachtet hatte. Ich las das Mär
chen zu einer Zeit, wo ich durch Herrn Prof. v. Schroeder
schon in die ,Wurzeln der Sage vom heiligen Gral' eingeweiht
war, und erkannte natürlich sofoft die Zugehörigkeit des bre
tonischen Märchens zu diesen Urvorstellungen selbst, sowie
auch die Unhaltbarkeit der bisherigen Auffassung, daß das bre-
tonische Märchen aus der christlichen Grallegende des Mittel
alters geflossen sei; darauf hat auch schon L. v. Schroeder
a. a. 0., p. 62 f. verwiesen. Die Wichtigkeit dieser Quelle aber
erforderte eine ausführliche Untersuchung des Märchens, und
dies glaube ich in der vorliegenden Arbeit getan zu haben.
Ich darf nicht von mir behaupten, daß ich das Märchen ,ent
deckt' habe. Es ist längst bekannt, aber sein Zusammenhang
mit der Gralsage, der anfangs vermutet, hierauf scharf ab
gelehnt, jedoch nie gewissenhaft erprobt worden ist, scheint doch
erst durch die vorliegende Untersuchung erwiesen zu werden.
Dieselbe ist demnach sozusagen als ein zweiter Teil, als eine
Ergänzung der L. v. Schroederschen anzusehen. Ihr Zweck
ist zugleich der, den mittelalterlichen Stoffkreis von Gral und
Parzival vom Standpunkte der Ergebnisse L. v. Schroeders
zu beleuchten und zu zeigen, daß diese Anschauung eine aus
reichende Basis zur Erklärung für das Aufblühen des mittel
alterlichen Stoffes in jeder Richtung ergibt.
Man wird billigerweise von der vorliegenden Arbeit nicht
erwarten, daß sie über sämtliche Fragen des mittelalterlichen
Gral-Parzival-Problems Aufschluß gibt. Der Gegenstand ist ja
der denkbar umfangreichste und schwierigste, und ich habe
mir absichtlich die Grenzen enger gezogen, als mir selbst lieb
ist. Denn Manches bedarf noch eingehender Studien und könnte
gegenwärtig nur in Form von Vermutungen, nicht aber von
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
3
festen Ergebnissen vorgelegt werden. Von den zahlreichen
Einzelzügen der Sage, wie dem Zauberschwert, das sicher gar
nichts mit der Legende zu tun hat, sondern rein märchenhaften
Ursprungs ist, 1 oder von dem Motiv der Frage usw., habe ich
hier nichts gesagt, obwohl ich auch darüber meine Meinung
habe und diese — wie ich gleich bemerken will — nicht etwa
einen Widerspruch zu L. v. Schroeders Theorie bedeutet,
sondern im Gegenteil wohl damit zu vereinbaren ist. Des
gleichen mußte ich alles Literarhistorische, so ' die wichtige
Streitfrage ,Kiot‘, Wolframs Vorstellung vom Gral u. v. a. vor
läufig beiseite lassen, obwohl alle diese Fragen noch einmal
werden erörtert werden müssen, um zu zeigen, daß auch sie
sich mit der neuen Herleitung des Stoffes vertragen. Was
speziell die letzte Frage betrifft, so bin auch ich der Ansicht,
daß Kiot, über dessen Existenz jetzt wohl kein Zweifel mehr
laut werden sollte, 2 dem Stoff, den er uns stellenweise in ur
sprünglicherer Gestalt vorführt als Crestien, doch auch eigene
Dinge beigefügt hat, die die Sage in einzelnen Punkten so be
deutend von Crestien abheben, z. B. die Identifizierung des
Gralkönigsgeschlechtes mit dem Königshaus von Anjou oder
die Identifizierung der Gralritter als Tempelritter, wie zuletzt
Ernst Martin in seiner Festrede über Wolfram 3 sehr wahr
scheinlich gemacht hat.
Aber ebenso steht für mich fest, daß die Gestalt des Grals
bei Wolfram, ein Stein, nicht das Ursprüngliche sei, sondern
1 Vgl. auch Ernst Martin, Wolframs von Eschenbach Parzival und Ti-
turel, herausgegeben und erklärt. II. Teil, Kommentar, Halle a. S. 1903.
p. LXI.
2 Vgl. E. Martin a. a. O., p. XXXVII u. ff.
3 ,Wolfram von Esehenbaclff, Rede zur Feier des Geburtstages Sr. Majestät
des Kaisers am 27. Januar 1903 in der Aula der Kaiser-Wilhelms-Uni-
versität Straßburg. Gehalten von Dr. Ernst Martin, o. Professor der
deutschen Philologie. Straßburg 1903, p. 12 f. — Speziell über die ge
nealogische Verbindung der Anjou mit Parzival handelte in neuester Zeit
ein von Prof. Frantzen (Utrecht) auf dem VI. Niederländischen Philo
logenkongreß in Leiden, 30. und 31. März 1910, gehaltener Vortrag
,Uber die Kiot-Wolfram-Frage‘ (vgl. das Referat in der Germanisch-Ro
manischen Monatschrift, herausgegeben von Dr. Heinrich Schröder,
II. Jahrgang, Heft 8/9, August-September 1910, Heidelberg, p. 522). Von
der Existenz Kiots ist auch Prof. Frantzen überzeugt.
1*
4
IV. Abhandlung: Junk.
daß hier die ältere Gestalt des Gefäßes, höchstwahrscheinlich
unter dem Einflüsse orientalischer Vorstellungen, verändert wor
den ist, — ob von Wolfram selbst oder, wie Martin für wahr
scheinlicher hält, von seinem Gewährsmanne Kiot, dem orien
talische Quellen noch leichter zugänglich waren, ja der selbst
einst im Oriente, in Jerusalem, geweilt hatte, 1 will ich nicht
versuchen, zu entscheiden.
Damit ist mein Standpunkt ausgedrückt zu all den Unter
suchungen, die von dieser Steinsgestalt Wolframs ausgingen
und von da aus die mittelalterliche Grallegende oder, was meist
damit identisch gehalten wurde, die mittelalterliche Gralsage zu
erklären suchten.
Alexander Wesselofsky hat diese Sichtung der Gral
forschung inauguriert, und zwar durch seine Abhandlung vom
Jahre 1882 ,Der Stein Alatyr in den Lokalsagen Palästinas
und der Legende vom Gral'. 2
Er hat darin zum ersten Male den von Engeln herabge
brachten Stein Wolframs verglichen mit dem ,Eckstein auf
Zion', dem ,Altarstein von Zion', mit den ,Steinen in der Stifts
hütte Davids' und in diesen apokryphen Vorstellungen zugleich
das Urbild für den Altartisch bei Robert de Borron zu fin
den vermeint. 3 Auf wesentlich der gleichen Grundlage be
wegt sich seine nächste Arbeit, betitelt ,Zur Frage über
die Heimat der Legende vom heiligen Gral', 1901, 4 die
er dann, in etwas erweiterter Form, in russischer Sprache
unter dem gleichen Titel im Journal des (russischen) Mini
steriums für Volksaufklärung, Bd. CCCLI, Februarheft 1904,
publizierte.
Auf anderem Wege suchte Willy Staerk in seiner Schrift
,Uber den Ursprung der Grallegende. Ein Beitrag zur christ
lichen Mythologie, Tübingen und Leipzig 1903', das Entstehen
der Gralvorstellung zu erklären. Er geht aus vom Abendmahl
1 Vgl. Ernst Martin, Wolfram von Eschenbach. Rede zur Feier des
Geburtstages etc., Straßburg 1903, p. 13.
2 Erschienen im Archiv für slawische Philologie, herausgegeben von
V. Jagi6, VI. Bd., Berlin 1882, p. 33 u. ff.
3 Wesselofsky a. a. O., p. 54 u. ff
4 Erschienen im XXIII. Bande des Archivs für slawische Philologie, Berlin
1901, p. 321 u. ff
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
5
der sogenannten Urchristen. Dieses beruht zum Teil auf der
orientalischen Vorstellung, daß das Abendmahl eine ,Speise zum
ewigen Leben“' bedeute. Christus erscheint demnach (z. B. im
Johannes-Evangelium) als ,Lebensbrot und Lebenstrank, Speise
zum ewigen Leben'. Dies begegnete sich mit der Vorstellung
von dem im Paradiese angerichteten Mahl: ,Paradies und
Lebensspeise sind Korrelate', und Staerk kommt zu dem
Schluß: ,Was der Gral . . . gewährt, ist schließlich nichts an
deres als die Realisierung der Hoffnungen, die die Frömmigkeit
der Laien seit alters her mit dem Genuß des Leibes und Blutes
Christi in der Eucharistie verband: er war der Vorgeschmack
des Paradieses, wie es sich der christliche Glaube des aus
gehenden Altertums und des Mittelalters unter allen Völkern
ausgemalt hat'. 1 ,Erschöpft sich aber die Gralidee in den, der
naiven christlichen Frömmigkeit als mächtigen Impulsen ein
gepflanzten und aufs engste miteinander verknüpften Vorstel
lungen vom Abendmahl und Paradies, so bedarf es meines Er
achtens des besonderen Nachweises eines in der Grallegende
mitwirkenden und von außen hereingetragenen Märchenmotivs
nicht mehr: der Gral als speisespendendes Wundergefäß ist
nur eine besondere Form der in ihm wirksamen sinnlich-über
sinnlichen Kräfte und Hoffnungen'. 3
Ich brauche nicht hervorzuheben, daß die realistische und
darum gelegentlich verspottete Art, in welcher gerade die mittel
alterliche Gralsage die Kräfte des Grals schildert (vgl. das be
rühmte .spise warm, spise halt 1 Wolframs), das Gegenteil be
weist. Es entspricht gewiß der Meinung des Mittelalters, d. h.
der Lesewelt des 12. und 13. Jahrhunderts, den Gral und seine
Kräfte symbolisch mit dem Paradies und dem Ziel christlichen
Strebens nach dem Paradiese aufzufassen, aber dies war eben
nicht der Ausgangspunkt, sondern die Folge jener älteren, mär
chenhaften, sinnlicheren Vorstellungen. Und Staerk war ein
schlechter Prophet, als er sagte: ,Das Suchen nach der Heimat
des in dem speisespendenden Gral wiederklingenden Märchen
motivs wird darum immer ein fruchtloses Bemühen sein, ob
man nun bis in die indische oder griechische Mythologie zu-
1 Staerk a. a. 0., p. 36.
2 Staerk a. a. O., p. 37.
6
IV. Abhandlung: Junk.
rückgeht, oder keltischen Aberglauben zur Erklärung heran
zieht/ 1
Im folgenden entfernen sich Staerks Ausführungen noch
mehr von der von uns für wahrscheinlich gehaltenen Grund
lage der Sage, indem er, hauptsächlich auf die erwähnte Arbeit
Wesselofskys 2 gestützt, von der Steinsgestalt des Grals bei
Wolfram ausgeht und heilige Steine auf Zion, vom Himmel herab
fallende Tische, resp. Tischtücher, zur Erklärung heranzieht.
Auch Th. Sterzenbach war in seinem Buche ,Ursprung
und Entwicklung der Sage vom heiligen Gral. Inaugural-Dis-
sertation. Münster i. W. 1908' lediglich auf die Legende aus
gegangen und glaubte das Urbild des Grals in kirchlichem
Gerät, einer angeblich aus den Zeiten Salomos stammenden
goldenen Altartafel zu finden. L. E. Iselin hat ihm (auf. p. 14f.
seiner sogleich zu nennenden Schrift) mit Recht vorgeworfen,
daß seine Untersuchung gerade ,vom Unbekanntesten am Gräle,
seiner äußeren Gestalt, ausgeht, worüber die Sage am wenig
sten sich ausspricht, und daß dann der Gral mit einem wiederum
ziemlich legendenhaften Gegenstand identifiziert wird, während
es sicherlich der gegebene Weg war, das, worüber sich die
Sage am deutlichsten ausspricht, die Kraft Wirkungen des Grals,
zum Ausgangspunkt der Untersuchungen zu machend
Indes kann ich auch den Resultaten, zu denen Ludwig
Emil Iselin in seiner Schrift ,Der morgenländische Ursprung
der Grallegende, aus orientalischen Quellen erschlossen. Halle
1909' gelangt ist, nicht vorbehaltlos beipflichten. Auf p. 5 seiner
Arbeit spricht er die Meinung aus, in allen Fällen der mittel
alterlichen Gral Überlieferung sei ,die Gralidee (= „die Idee von
einem heiligen Gral“) Ausgangspunkt und Knospungsstelle ge
wesen für das Werden und Wachsen der Sage'. Freilich ist
Iselin nicht in den methodischen Fehler verfallen, der den son
stigen Verfechtern der Legende zum Vorwurf gemacht werden
muß: man hat sich gewöhnt, gerade die späteren Dichtungen
eines Robert de Borron, den Perceval der Didotsclien Hand
schrift oder gar den Grand Saint Graal und die Quete als
die Hauptquellen für das Wachsen der Legende heranzuziehen,
1 Staerk, a. a 0., p. 37.
2 Der Stein Alatyr in den Lokalsagen Palästinas usw.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
7
und hat ihnen daher, weil man irrigerweise Legende und Sage
identifizierte, höhere Altertümlichkeit vindiziert, als ihnen ent
wicklungsgeschichtlich zukommt, während die notorisch älteren
Dichtungen, d. h. das Werk Crestiens und des' ihm nächst
verwandten Kiot-Wolfram als weniger ergiebig bei Seite ge
stellt wurden. Es erschien den Verfechtern der Priorität der
legendarischen Bestandteile in der Gralsage, von Birch-Hirsch-
feld angefangen bis in unsere Tage, immer leichter und erfolg
reicher, aus der verworrenen Fülle des Grand Saint Graal
oder der Quete auf den ursprünglichen Kern zu dringen, statt
von jenen (zugleich älteren!) Dichtungen auszugehn, die von
der Legende bloß angehaucht scheinen. Iselin verfällt, wie
gesagt, in diesen Fehler nicht, seine Untersuchung geht in
erster Linie von Wolfram aus. Indes sehe ich auch in den
von ihm sehr glaubhaft dargestellten Parallelen zwischen der
Gralvorstellung bei Wolfram und jenen von ihm herangezogenen
morgenländischen Quellen doch nicht die Wurzei der Gral
legende, sondern bloß einen (speziell für die Ausgestaltung bei
Wolfram) höchst bedeutsamen Anreiz. 1 Wenn es einmal ver
sucht werden sollte, die Geschichte der mittelalterlichen Gralidee
zu schreiben, so müßte Iselins Arbeit vor allem herangezogen
werden.
Für die vorliegende Untersuchung aber, die den Wurzeln
der Sage nachspürt und nicht ihre Verästelungen historisch zu
verfolgen beabsichtigt, darf ich auch von der Arbeit Iselins
fürs Erste absehen.
Aus jüngster Zeit wäre noch zu erwähnen ein Vortrag,
den Prof. Frantzen (Utrecht) ,Über die Kiot-Wolfram-Frage'
bei dem VI. Niederländischen Philologenkongreß in Leiden, 30.
und 31. März 1910 (Germanisch-romanische Sektion), gehalten
hat, 2 da auch Frantzen der Meinung ist, in Wolframs Gral
vorstellung ,durchkreuzen sich die altjüdische, später verchrist-
lichte Legende von dem übernatürlichen Ursprung des Altar
steines im Tempel Zion und der heidnische Mythus vom Stein
1 Vgl. hiezu auch L. v. Schroeder, Die Wurzeln der Sage vom heiligen
Gral, a. a. 0., p. 4—-6.
2 Vgl. das Referat in der Germanisch-Romanischen Monatsschrift, heraus
gegeben von Dr. Heinrich Schröder, II. Jahrgang, Heft 8/9, August-
September 1910, Heidelberg, p. 522.
8
IV. Abhandlung: Junk.
des Lebens. Auf jene weist die Hostie, auf diesen die Wunder
kraft des Grals hin. Diese wenig christlichen, in der ketzeri
schen Provence einen fruchtbaren Nährboden findenden Vor
stellungen hat Chrestien vielleicht vertuscht (!), um im ortho
doxen Norden keinen Anstoß zu erregen/
Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß ich auch dies nicht
für des Rätsels Lösung halte, will aber gewiß auch nicht ein
Vernichtungsurteil über jene frühere gelehrte Literatur ausspre
chen, der die Steinsgestalt bei Wolfram als der Ausgangs
punkt und das Christlich-Legendarische als das wesentliche
Element der Sage erschien. Vielmehr kann diese angeführte
gelehrte Literatur meiner Meinung nach sehr wohl Wert ge
winnen, um zu zeigen, wieso etwa Wolfram dazu kam, die
Becherform des Grals aufzugeben, nicht aber, um die Becher
form bei den übrigen Graldichtern aus der Wolframschen Steins
gestalt zu erklären. Mit anderen Worten: die genannten Unter
suchungentkönnen Wert haben für die Geschichte der Ent
wicklung der mittelalterlichen Gralvorstellung, für die Auf
deckung der mannigfachen Wandlungen, denen dieser Gedanke
unterworfen war, aber sie sind wertlos für die Frage nach den
Wurzeln der Sage. Orientalischer Einfluß war auf die spezielle
Ausbildung der Gralvorstellung bei den verschiedenen mittel
alterlichen Graldichtern, z. B. auf den Grand Saint Graal
gewiß ebenso bedeutsam, wie die Einwirkungen der Legende
es gewesen sind. Nur ist Beides nicht der Ausgangspunkt,
sondern eher der Endpunkt der Entwicklung.
Nicht aus Geringschätzung des legendarischen Elements
in der Sage, das ja, wie bekannt, das Märchenhafte bald über
wuchert, fast erdrückt hat, sondern um die Entwicklung des
märchenhaften Teiles deutlicher und ungestört aufzeigen zu
können, habe auch ich für diese Untersuchung von den legen
darischen Bestandteilen der Sage abgesehen.
Einsichtsvolle Beurteiler werden zugeben, daß diese Be
schränkung bei der ungeheuren Ausdehnung der zu behandeln
den Materie nur geboten war.
Ich brauche wohl nicht erst ausdrücklich zu sagen, daß
der Standpunkt der vorliegenden Untersuchung der ist, den die
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
9
sogenannte ,Keltische Theorie' in der Frage der Gralsage ver
tritt, und den kein Geringerer als Gaston Paris in seiner Be
sprechung des überaus wertvollen Buches von Alfred Nutt
,Studies on the Legend of the ILoly Grail with especial reference
to the hypothesis of its Celtic Origin. London 1888‘ in den
Worten ausdrückte:
,Le grand merite du nouveau livre, c’est de mettre hors
de doute l’origine celtique d’une grand partie des elements qui
figufent dans les romans du Saint Graal, et de demontrer l’er-
reur de ceux qui dans ces romans regardent comme primitif
Vehement Chretien, qui est, au contraire, recent, et purement
litteraire 1 . 1
Eine besondere Freude ist es mir, hier eine Arbeit zu
nennen, die mit einem staunenswerten Aufwand von Fleiß und
Scharfsinn durchgeführt worden ist, niimlichdie Untersuchung der
Miss Jessie L. Weston ,The Legend of Sir Perceval, Studies
upon its Origin Development, and Position in the Arthurian
Cycle. Vol. I.: Chrdtien de Troyes and Wauchier de Denain.
London 1906', und ,Vol. II.: The Prose Perceval according to
the Modena MS. London 1909' (Grimm Library No. 17 und
19). Es ist dies eine ganz hervorragende Leistung, sicher ge
eignet, unsere Kenntnisse in dieser schwierigen Frage um mehr
als einen Schritt weiter zu bringen.
Im Einzelnen freilich kann ich nicht allem beistimmen,
was die gelehrte Verfasserin zu erweisen sucht, so namentlich
nicht in der höchst wichtigen Frage nach der Person des Gral
helden. Daß Gawan der erste Gralsucher gewesen sei, wie
Miss Weston besonders im XV. Kapitel des I. Bandes ihrer
Schrift darzutun sucht, 2 kann schon darum nicht zugegeben
werden, weil dieser Gestalt der Charakter des Dümmlings, der
von der Person des Gralhelden unzertrennlich ist, durchaus
fehlt, ja sie ihn geradezu ausschließt. Die enge Verwandtschaft
zwischen dem ,reinen Toren' der Gralsage und dem ,reinen Toren'
vom Typus Rishyacringa im altindischen Mythus, respektive
Kultus, 3 zu welchem meine vorliegende Untersuchung im bre-
1 Romania, Bd. XVIII, p. 588.
2 Vgl. aber auch Weston, a. a. 0., Vol. I, Kap. V, p. 172.
3 Vgl. L. v. Schroeder, Die Wurzeln der Sage vom heiligen Gral, a.a. O.,
p. 76 u. ff.
10
IV. Abhandlung: Junk.
tonischen ,Pcronnik' das märchenhafte Seitenstück der kelti
schen Literatur nach weisen soll, welches zugleich das vermit
telnde Bindeglied zwischen jenen alten mythischen Vorstellungen
und der poetischen Ausgestaltung in der Gralsage des Mittel
alters abgegeben zu haben scheint, — berechtigt uns ja geradezu,
es auszusprechen, daß unter den vielen Helden, die der Schöpfer
der mittelalterlichen Gralsage mit dem Gral in Verbindung ge
bracht hat, nur jener als der erste und ursprüngliche Gralsucher
und Gralfinder angesehen werden darf, welchem diese wichtige
Charaktereigenschaft zukommt. Und dies ist bekanntlich nur
bei Parzival der Fall, und zwar überall: in allen bekanntge
wordenen Versionen und Rezensionen.
Es ist mir natürlich unmöglich, im Rahmen dieser (von
den Ergebnissen der Miss Wes ton gänzlich unberührten) Unter
suchung 1 mich mit ihren Ausführungen im Einzelnen ausein
anderzusetzen ; dies wäre schon wegen der Fülle der von der
Weston behandelten Fragen nicht angegangen. Aber das Eine
darf ich mit Befriedigung betonen, daß das Hauptergebnis ihrer
Forschungen, zu dem sie von ganz anderen Gesichtspunkten
aus und auf ganz anderem Wege gelangt ist, als L. v. Schroe-
der und ich, doch im Grunde das gleiche ist: daß nämlich der
Ursprung der Gralsage keineswegs in den christlichen Legen
den des Mittelalters, sondern im altarischen Naturkult zu
suchen ist.
Bedeutsam scheint in dieser Plinsicht auch eine Abhand
lung von Busken Huet, De Graalsage bij Chretien de Troyes, 2
zu sein, die mir leider nicht erreichbar war, die aber — nach
einem von Sterzenbach 3 gegebenen kurzen Exzerpt — zu
dem Ergebnis kommt, daß der Gral ursprünglich keinen christ
lichen Charakter habe. Im Anschluß an Martin möchte B. Huet
den Gral ansehen als ursprünglich der keltischen Sage ange-
liüriges Wunschgefäß, das den ersten Rang eingenommen hätte
jOnder de heerlijkheden van Sid, het feeeerland van het keltische
1 Ich habe ihr Buch erst eingesehen, als meine Untersuchung im Wesent
lichen abgeschlossen war.
2 Erschienen in der Zeitschrift ,De Beweging‘, Amsterdam, Maas & van
Suchtelen, III. Jahrgang 1907, Dezember, p. 245 — 268.
3 ,Ursprung und Entwicklung der Sage vom heiligen Gral‘, 1908, p. 46
,Nach trag*.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
11
volksgeloof an der keltische poezieund betrachtet er die christ
lichen Züge in der Gralsage als später eingefügt und durchaus
sekundärer Natur.
B. Bemerkungen zum Gegenstände selbst.
Nach dem früher Bemerkten darf ich also unmittelbar an
die L. v. Schroedersche Arbeit anschließen und insbesondere
auf die p. 92 u. ff. derselben gegebene übersichtliche Rekapitu
lation verweisen.
L. v. Schroeder bat den zugrundeliegenden Mythus, re
spektive den mit diesem in der Urzeit Hand in Hand gehen
den Kultus erwiesen und durch Belege aus verschiedenen Zeiten
und verschiedenen Überlieferungen der arischen Völker zur
Genüge erhärtet. Schon jetzt, wo das hieher gehörige Material
vermutlich nicht annähernd vollständig vorliegt, vielmehr durch
L. v. Schroeders Anstoß sich noch um vieles dürfte vergrößern
lassen, läßt sich das Eine beobachten, daß die poetische Ver
wertung des zugrundeliegenden Mythus, wie sie vor allem im
Märchen der verschiedenen arischen Völker erscheint, in meh
reren Abstufungen erfolgt ist.
In den seltensten Fällen spiegelt sich die alte Dreiheit
der Symbole wieder: für Sonne, Mond und die Waffe des Don
nergottes. In den meisten Fällen sind die beiden Gefäßsymbole,
Sonne und Mond, miteinander verschmolzen und es ist dann
Zweck des Märchens, zu zeigen, wie das Gefäß mit Hilfe der
Waffe, des Symbols für das Gewitterinstrument, gewonnen wird,
oder wie beide, das Gefäß und die Waffe, die als geraubt oder
verloren gedacht sind, zugleich miteinander zuriickgewonnen
werden.
Neben die vielen indischen Märchen- und Sagenvorstellungen,
die L. v. Schroeder a. a. O. p. 20 u. ff., 23, 59, 90 u. ö. angezogen
hat, stellt sich z. B. auch die iranische Heldensage von Keresaspa. 1
Es wird erzählt von einem bösen Drachen, von hörnerner Haut,
giftspeiend, ganz bedeckt von einer dicken grünen Giftschichte.
Keresaspa, ,der stärksten Menschen Stärkster', kocht sich in
einem eisernen Kochtopf auf dem Drachen sein Mittagmahl.
1 Vgl. K. Schirmeisen, Die arischen Güttergestalten. Brünn 1909, p. 135.
12
IV. Abhandlung: Junk.
Da wird es aber dem bösen Drachen heiß, er schwitzt, springt
unter dem Topf hervor und verschüttet das kochende Wasser.
Keresaspa springt zurück, aber mit seiner Keule (der ,Geliebten
Holzkeule 1 , die ihr Ziel immer trifft und seine stete Begleitung
ist) erschlägt er den Drachen.
Hier ist allerdings von einer Gewinnung des Topfes nicht
direkt die Rede, aber, was die Hauptsache ist: Keresaspa macht
doch ganz deutlich den Inhalt des Topfes nutzbar. Das Ver
schütten des Gefäßes deutet darauf hin, ebenso wie das Er
schlagen des Drachen, d. h. das Verspritzen seines Blutes: dies
sind bekannte märchenhafte Symbole für den Regen, zeigen
uns also auch den Fruchtbarkeitsmythus, auf dem die ganze
Sage beruht. Keresaspa ist, wie Schirmeisen richtig bemerkt,
nichts anderes als ein ,vermenschlichter Gewittergott'. 1
Wichtig ist auch hier die Zusammenstellung des Kessels,
des Kochtopfes und der Drachentötung mit dem Gewitterin
strument. Denn die ,Geliebte Holzkeule' Keresaspas ist natür
lich ganz das gleiche wie der Hammer des Thor, der Donner
keil des Indra, die brennende Lanze des Peronnik und der
Knüppel-aus-dem-Sack. Übrigens wird von Keresaspa auch ein
Kampf gegen den ,Gandarewa' erzählt. 2 Vgl. dazu die Kämpfe
des indischen Somaeroberers gegen den Soma-hütenden Gan-
dharven. 3
Zu diesen Fällen, in denen also das Gefäß durch die
Waffe erobert wird und der alte Gewittermythus noch beson
ders deutlich ist, gehört vor allem das deutsche Märchen vom
Tischlein-deck-dich, worüber L. v. Schroeder a. a. 0. p. 68 zu
vergleichen ist, dann aber kann hieher auch der Bericht der
Hymeskvidha gerechnet werden, insoferne Thor bei der Ge
winnung des in Hymirs Besitze befindlichen Wunderkessels sich
natürlich seines Hammers, ohne den er (wie Indra) nie auftritt,
bedient. 4
1 Schirmeisen a. a. 0., p. 185.
2 Schirm eisen a. a. 0., p. 309.
3 L. v. Schroeder a. a. O., p. 83 u. ff., besonders 89 u. ff.
4 Interessant wegen seiner überaus deutlichen Beziehung zu Regen und
Gewitter ist ein rumänisches Märchen, das Victor Lazär (Die Süd
rumänen der Türkei und der angrenzenden Länder, Beitrag zur Ethno
graphie der Balkanhalbinsel. Bukarest 1910, p. 280 u. ff.) unter dem
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
13
Möglich aber ist auch, daß die beiden hiehergehörigen
Erzählungen der Edda, Hymeskvidha und Thrymskvidha aus
einem älteren nordischen Märchen hervorgegangen sind, in
welchem Thor Kessel und Hammer in eigener Person erwirbt. 1
Zu dieser zweiten Gruppe gehört nun auch unser bretoni-
sches Märchen von Peronnik: er erobert Gefäß und Waffe
zugleich.
Für eine naive Phantasie mußte aber auch der bloße Ge
danke an diese Wunderdinge Poesie genug enthalten haben.
Und so konnten sich — ähnlich wie statt der zwei Gefäße
bisweilen bloß eines auftritt — frühzeitig sehr leicht Teile jenes
poetischen Urbildes von der Gesamtvorstellung loslösen und
gesonderte poetische Existenz führen, gesonderte Entwicklung
in verschiedenen poetischen Bildern erfahren: hieher gehören
jene einfachen Märchen, die weiter nichts erzählen, als daß
irgendein glückliches Menschenkind, ein Sonntagskind, in den
Besitz eines dieser kostbaren Wunschkleinodien gelangt. So
das deutsche Märchen von dem unerschöpflichen Breitöpfchen,
vgl. L. v. Schroeder a. a. 0., p. 27 f., die vielen von den wun
derbaren Handmühlen, Grotti, Sampo; das deutsche Volkslied,
das ,den lieben langen Tag nichts als Liebe mahlt'; das Mär
chen von dem russischen Bauer, der an einem Kohlstrunk zum
Titel ,Der Garten mit den Goldäpfeln“ (aus Epirtis) mitgeteilt liat: Ein
Drache ist ,der Herr des Wassers“ (p. 290), er hat das Wasser hinter
Schloß und Riegel förmlich verschlossen und ,gibt es nicht frei, bis er
nicht seine Portion, einen Menschen täglich, aufgefressen hat“. Das Land
schmachtet nach Regen. ,Unsere Kinder gehn wegen des Wassers zu
grunde“, klagt eine alte Frau, und für den ,Wasserraub“ ist ,eine große
Strafe angesetzt“, öffenbar weil es eine solch kostbare Seltenheit ist.
Heute soll des Kaisers Tochter dem Drachen preisgegeben werden, damit
er das Wasser freigebe. Aber der Tod des Drachen hat dieselbe Wir
kung, denn der Held schneidet ihm den Kopf ab und dann heißt es:
,Als der Drache tot war, zerbrachen die Schlüssel, die Gewässer
wurden frei und das Wasser floß und machte ein Getöse, daß einem
die Ohren sausten“ (p. 291). Aber im rumänischen Märchen ist keine
Rede von dem Instrument, von einer besonderen Waffe, mit der der Held
die Freigabe des Wassers erzwingt, und auch nicht von einem Gefäß.
1 Vgl. L. v. Schroeder, Germanische Elben und Götter beim Esthen-
volke, Sitzungsberichte der kais. Akademie der Wissenschaften, phil.-hist.
Klasse, 153. Band, Wien 1906, p. 80 u. ff.; auch ,Die Wurzeln der Sage
vom heiligen Gral“ a. a. O., p. 66 f.
14
IV. Abhandlung: Junk.
Himmel hinaufklettert uncl dort eine solche gewinnt; eine wei
tere Parallele dazu wäre die Geschichte von ,Jack and the
beanstalk 1 : Jack, der einzige Sohn einer armen Witwe, klettert
an einem Bohnenstengel bis in die Wolken hinauf, gewinnt
dort neben anderen Wunderdingen eine Henne, die goldene
Eier legt. 1 Auch ein norwegisches Märchen kennt die ,Mühle,
die Alles mahlt'. 3
Dann aber gehört es in dieselbe Kategorie: ,Gefäß allein
gewonnen', ohne ,Gewitterkampf, wenn Indra als Falke den
Soma entführt, oder ganz parallel Odhin als Adler den Odhrerir,
Auch Mimir scheint dieses Gefäß zu besitzen, wie L. von
Schroeder a. a. 0., p. 35 u. ff. auf Grund der Stelle in der
Vgluspä, Y. 29, wahrscheinlich gemacht hat.
Dann die Tiroler Sage von dem ,Sonntagskind', das die
,Kanne' gewinnt. 3
Und hieher dann auch die zahlreichen wunderbaren, mit
ganz verschiedenen segenbringenden Eigenschaften ausgestatte
ten Gefäße, Kessel oder Becken der keltischen Heldensage,
über die L. v. Schroeder a. a. 0., p. 59 u. ff. das Richtige ge
sagt hat.
Die letzte Kategorie: die Gewinnung der Waffe allein,
ist vertreten dui’ch die Thrymskvidha (in ihrer auf uns ge
kommenen Gestalt als selbständige Dichtung, vgl. das vorher
p. 13 Bemerkte) und durch die esthnischen Märchen vom Dudel
sack und von der Donnertrommel. 4
Die Entwicklung der Gralsage innerhalb dieser reichen
und mannigfaltigen Entwicklung ist darum noch besonders be
merkenswert, weil wir, wie schon L. v. Schroeder ausdrück
lich hervorgehoben hat, 5 darin gerade das Donnerinstrument
neben dem Gefäß, respektive sogar neben den zwei Gefäßen
1 Es steht dies Märchen in der englischen Sammlung von Benjamin
Tabart, Collection of populär stories for the nursery. Newly translated
and revised from the french, italian and old-english writers, London
1809, Yol. 4, p. 108 u. ff.; vgl. auch Grimm, Kinder- und Hausmärchen,
Bd. III (Reclam-Ausgabe), p. 333.
2 Mitgeteilt in der Sammlung von Asbjörnsen, Teil 2; vgl. Grimm
a. a. O., Bd. III p. 198 (Anmerkungen zum ,Süßen Brei‘, Nr. 103).
3 Ygl. L. v. Schroeder a. a. O., p. 34.
4 L. v. Schroeder a. a. 0., p. 66 f.
5 L. v. Schroeder a. a. O , p. 65 u. ff., besonders p. 69 f.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
15
(wenn der ,Patene‘ auf der Gralsburg die Bedeutung des zweiten
Symbols zukommt) finden. Gefäß und Waffe sind hier die
begehrten Wunschdinger. In Bezug auf die vermutliche Drei
heit der Symbole aber hätte die mittelalterliche Gralsage nur
eine einzige Parallele: das deutsche Märchen vom ,Tischlein-
deck-dich‘. Dieses unscheinbare Märchen steht gerade auf
der altertümlichsten Stufe, indem bei ihm die drei Symbole in
völlig gleichwertiger und wohlerhaltener, nicht etwa bloß rudi
mentärer Gestalt zu erkennen sind: das Speise und Trank ge
währende Mondsymbol, das Tischchen; das Donnerinstrument,
der Knüppel, und auch die theriomorphisch aufgefaßte, schim
merndes Gold schenkende Sonne, der Esel Bricklebrit.
Fürs erste genügt uns aber zur Betrachtung des Märchens
von ,Peronnik l’idiot‘ die Feststellung, daß die Paarung von
Gefäß und Lanze eine uralte ist.
1. Kapitel.
Das bretonischc Märchen von ,Peronnik l’idiot 4 ist die
reinste Märchenfassung des arischen Bechermythus.
Emile Souvestre, der bekannte französische Roman-
und Bühnenschriftsteller, zugleich einer der hervorragendsten
Schildere! - bretonischen Volks- und Geisteslebens, selbst ein
gebürtiger Bretone, hat uns einen für die Sagengeschichte des
Mittelalters kostbaren Schatz überliefert in seinem Sammel-
f
werk: ,Le Foyer Breton. Traditions populaires, par Emile Sou
vestre, Paris 1845 1 , 1 nämlich den unter dem ,Quatrieme Foyer.
Pays de Vannes 4 aufgezeichneten ,Recit du sabotier. Peronnik
l’idiot'.
Auf p. 71 des 2. Vol. (der Volksausgabe) bemerkt der
Herausgeber: ,Nous avons fait observer precedemment que le
pays de Vannes avait egalement conserve quelques recits dans
1 Dieses hervorragende Märchenwerk ist jetzt bequem zugänglich in der
sogenannten ,Ein-Franken -Bibliothek* der ,Nouvelle Collection Michel
Levy: Emile Souvestre, Oeuvres Completes. Le Foyer Breton. Contes
et recits populaires. Nouvelle edition entierement revue et corrigde.
Paris, Calmann-Levy editeurs* in 2 Bänden. Unser Märchen steht da
selbst im 2. Vol., p. 137—170. Ich zitiere im Folgenden nach dieser
Ausgabe.
16
IV. Abhandlung: Jank.
lesquels on reconnaissa.it les reminiscences bardiques. La tra-
dition de „PeronniJc Vidiot“ en fera foi.‘
Bevor wir uns der Betrachtung des Inhaltes zuwenden,
seien noch ein paar Bemerkungen vorausgeschickt über die
Stellungnahme der bisherigen gelehrten Forschung zu dieser
wichtigen Quelle.
Souvestre selbst hat in einer als Anhang zu seinem
Märchen gedruckten ,Note sur le conte de PeronniJc Vidiot‘
p. 171 u. ff. auf die Ähnlichkeit mit dem Motiv der Gralromane
verwiesen: ,Bien que deßguree dans le recit breton, et surchargee
de details modernes, la donnee •primitive de la Quete du Saint
Gr aal s’y retrouve, en effet, nette et entiere/ Er fand auch,
daß die Ähnlichkeit in wichtigen Einzelheiten mehr mit dem
kymrischen Peredur bestehe, als mit dem Gedichte des
Crestien de Troyes, kommt aber dennoch zu dem Schlüsse,
daß auch hier, im ,Peronnik', schon ein Einfluß durch die
französischen Romane stattgefunden habe, eine Modifizierung
durch die französische Version des Parzivalstoffes, die nur
später wiederum, durch eine abermalige Annäherung an die
Volkspoesie der Bretonen, zu dem geworden sei, als was es
uns heute vorliegt: ,11 semble donc que le conte arm.oricain a
puise successivement aux deux sources francaise et bretonne.
Ne de la tradition galloise, modifie par la Version frangaise,
et enfin approprie au genie populaire de notre province, il est
devenu, en s’alterant par une suite de transmissions, ce que
nous le voyons aujourd’hui. 11 Daß ich ihm hierin nicht bei
pflichten kann, daß auf keinen Fall eine Beeinflussung durch
die durchaus mit christlich-legendarischen Motiven durchzogene
französische Graldichtung (auch Crestiens!) vorliegen könne,
wird aus dem Folgenden hervorgehn.
Der erste und einzige unter den Gelehrten, der dem
,Peronnik ( ernste Beachtung geschenkt hat, ist Richard Heinzei
gewesen, der im Jahre 1872 in seinem Aufsatz ,Ein französi
scher Roman des 13. Jahrhunderts' 2 auf die große Ähnlichkeit
1 Souvestre a. a. 0., p. 177.
2 In der Österreichischen Wochenschrift für Wissenschaft und Kunst. N. F.
1872, II., p. 385 u. ff., 427 u. ff, 460 u, ff.; jetzt bequemer zugäng
lich in den ,Kleinen Schriften von Richard Heinzei. Herausgegeben
von M. II. Jellinek und C. v. Kraus. Heidelberg 1907“, p. 63 u. ff.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
17
des Stoffes mit dem des Parzival aufmerksam machte und daran
Beobachtungen, respektive Vermutungen anschloß, die wir jetzt
als durchaus richtige, als intuitives Erfassen des wahren Sach
verhaltes, als eine Art vorwissenschaftlicher Erkenntnis der Zu
sammenhänge bezeichnen müssen, die nur durch wissenschaft
liche Beweisführung damals noch nicht erhärtet werden konnten.
Darauf hat schon Leopold v. Schroeder (,Die Wurzeln der
Sage vom heiligen Grab, p. 3) verwiesen und diese erst von
Heinzei geäußerte Ansicht als die richtige charakterisiert, daß
nämlich die in den literarischen Fassungen der Gralsage des
Mittelalters zu so überragender Bedeutung gelangte Schüssel des
Josef von Arimathia, die christliche Blutreliquie, an die Stelle
eines ursprünglich vorhandenen heidnischen Symbols
getreten sei. 1 Heinzel hat nach diesem Stadium der Sage,
nach jenem ,heidnischen Symbol', nicht weiter geforscht; war
ja doch auch diese seine so zutreffende Beobachtung bloß eine
gelegentliche, die sich ihm bei einer dem altfranzösischen Roman
Fergus geltenden Untersuchung bloß nebenher ergab. Daß
er aber später, als er sich eingehend mit dem Stoffe beschäf
tigte und jene beiden grundlegenden Werke schrieb, ohne die noch
heute die Gralforschung nicht auskommen kann, nämlich: ,Uber
die französischen Gralromane, 2 und ,Uber Wolframs von Eschen
bach Parzival' 3 , von dieser ersten Meinung ablfam, hängt ohne
Zweifel mit der Wendung zusammen, die die Gralforschung
inzwischen genommen hatte. Schon Alfred Nutt (sonst doch
der Verfechter der sogenannten ,keltischen Theorie') sagt p. 158
seines Buches ,Studies on the Legend of tlie Holy Grail', 4 die
Abstammung des bretonischen Märchens von ,Peronnilc l’idiot,
(ebenso wie die des bretonischen Balladenzyklus von Morvan)
von den französischen Romanen sei so überzeugend nachge
wiesen worden (\confidently stated‘), daß er es deshalb vorziehe,
1 Heinzei, a. a. 0. p. 86 (ich zitiere nach dem Neudruck dieser wichtigen
Abhandlung in den ,Kleinen Schriften 1 ).
2 In den Denkschriften der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Philo
sophisch-historische Klasse. 40. Band. Wien 1892.
3 In den Sitzungsberichten der Philosophisch-historischen Klasse der Kaiser
lichen Akademie der Wissenschaften. 130. Band. Wien 1894.
4 Studies on the Legend of the Holy Grail with especial reference to the
hypothesis of its Celtic Origin. By Alfred Nutt. London 1888.
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 168. Bd. 4. Abh. 2
18
IV. Abhandlung: Junlc.
diese beiden Quellen für seine Untersuchungen gar nicht heran
zuziehen (,1 have preferred making no use of either 1 ). 1
Darin dürfen wir wohl einen Rückschlag erkennen von
jenem unseligen Übergewicht, das die 1877 von Adolf Birch-
Hirschfeld in seinem oft genannten Buch ,Die Sage vom Gral' 2
vorgetragene, für den damaligen Stand der Forschung, für die
notwendige erste Sichtung des Materiales vielleicht ausreichende,
aber für Fragen der höheren Kritik durchaus abzulehnende,
weil viel zu enge Behandlung des Gegenstandes über die ge
lehrten Kreise gewonnen hat: es ist im höchsten Grade be
zeichnend für die unzureichende Art Birch-Hirschfelds in
diesen weiteren Fragen, daß in seinem ganzen Buch von Peronnik
kein Wort zu linden ist, trotzdem er ein ganzes, das 6. Kapitel
desselben (,Die Heimat des Grales'), p. 204—226, im Inhalts
verzeichnis ausdrücklich mit den Worten umschreibt: ,Zurück
weisung der Annahme vom keltischen Ursprung des Grales'.
Wer dies unternimmt, hat meines Erachtens die Pflicht, jeden
geäußerten Widerspruch zurückzuweisen. Er hätte sich mit
der eingangs hervorgehobenen Ansicht Heinzeis 3 abfinden
müssen.
Wilhelm Hertz, der 1881 im Juliheft von ,Nord und
Süd' über ,Die Sage von Parzival und dem Gral' handelte, 4
ist jedenfalls der Überzeugung, daß ,Peronnik' auf französischen
Quellen beruhe, drückt sich aber in den Anmerkungen zu
seiner Modernisierung des Wolframschen Parzival 5 sehr vor
sichtig aus, wo er von ,einem neu-bretonischen Märchen aus
der Gegend von Vannes' spricht, ,das augenscheinlich mit einer
alten Percevaldichtung zusammenhängt'.
1 Yon wem dieser Nachweis bezüglich des ,Peronnik* erbracht worden
wäre, weiß ich nicht; vermutlich dachte Nutt an die vorerwähnte An
sicht Souvestres über das Märchen.
2 Die Sage vom Gral. Ihre Entwicklung und dichterische Ausbildung in
Frankreich und Deutschland im 12. und 13. Jahrhundert. Eine literar
historische Untersuchung von Adolf Bircli-Hirschfeld. Leipzig 1877.
3 Ein französischer Roman des 13. Jahrhunderts, a. a. O. p. 8(3.
4 Auch als separate Broschüre erschienen: Die Sage vom (so!) Parzival
und dem Gral. Berlin 1882.
5 Parzival von Wolfram von Eschenbach, neu bearbeitet von Wilhelm
Hertz. 4. Auflage (besorgt von Eduard Wechßler und Friedrich
von der Leyen). Stuttgart und Berlin 1906, Anm. 59, p. 493.
Gralsage und .Graldichtung des Mittelalters.
19
Ihm schließt sich an P. Piper 1 , indem auch er dieses
Märchen ,aus alten Parzivaldichtungen hervorgegangen“ nennt.
Die Abhandlung Leopold v. Schroeders setzt uns in den
Stand, dieses Vorurteil zu beseitigen.
Inhalt des Märchens von Peronnik dem Dümmling. 2
Der Held unserer Märchens war einer jener armen Jungen,
die von Haus zu Haus ziehen und um ihr tägliches Brot betteln
müssen. Hatte er aber gegessen, so sang er aus voller Kehle
und dankte Gott.
Ein Handwerk hatte Peronnik nie gelernt, doch war er
geschickt in vielen Dingen. Er konnte so viel essen, als man
wollte, er schlief so lange als sonst niemand und er ahmte mit
seiner Stimme den Gesang der Lerchen nach. Darin war er
ein Meister.
Eines Tages kam Peronnik zu einem am Waldrand an
gebauten Bauernhof und, da er schon lange ,die Glocke zum
Benedicite“ in seinem Magen läuten hörte, näherte er sich dem
Hause, um dort Nahrung zu verlangen. Die Bäuerin kniete
gerade auf der Schwelle, um den Kupferkessel mit dem Feuer
stein zu säubern; als sie die Stimme des Dümmlings hörte,
der sie im Namen des wahrhaften Gottes um einen Bissen an
ging, hielt sie inne und reichte ihm den Kessel hin.
— Da hast du, sprach sie, du armer Teufel, kratze den
Kessel aus und sprich dafür ein Pater noster für unsere
Schweine, die nicht fett werden wollen! —
Peronnik setzte sich auf die Erde, nahm den Kessel
zwischen die Knie und fing an, mit den Fingernägeln abzu
scharren. Aber er fand nur mehr wenig, denn alle Löffel des
Hauses waren schon darüber gegangen. In schlauen Worten
schmeichelte er der Bäuerin, er habe nie was Besseres gegessen,
und erreichte dadurch, daß er immer neue Speisenstücke von
ihr bekam.
1 Wolfram y. Esclienbach. Erster Teil. Einleitung: Leben und Werke.
Bearbeitet von Paul Piper. Deutsche National-Litteratur, herausgegeben
von Josef Kürschner. V. Band, 1. Abteilung. Stuttgart (1890), p. 48.
2 Ich gebe den Inhalt des Märchens, etwas verkürzt, in meiner eigenen
Übersetzung, da mir eine andere nicht bekannt geworden ist.
2*
20
IV. Abhandlung: Junk.
Während Peronnik aß, kam plötzlich ein Ritter in voller
Rüstung vor die Tür des Hauses und fragte die Frau um den
Weg nach dem Schlosse Kerglas.
• — Jesus mein Gott! schrie die Bäuerin auf, ist das der
Weg, Herr Ritter, den ihr geht"? —
— Ja, antwortete der, und ich hin deshalb von so weit
hergekommen, daß ich drei Monate unterwegs war, Nacht und
Tag. um bis hierher zu gelangen. —
— Und was sucht ihr in Kerglas? fragte die bretonische
Bäuerin weiter. —
— Ich suche .das goldene Becken und die diamantene
Lanze' (,le bassin d’or et la lance de diamant 1 ). —
— Das sind wohl zwei sehr wertvolle Dinge? fragte
Peronnik. —
— Von größerem Wert als alle Kronen der Erde, ant
wortete der Fremde, denn außer daß das goldene Becken im
stande ist, alle Speisen und alle Reichtümer, die man wünscht,
im Augenblick herzuschaffen, genügt es auch, daraus zu trinken,
um von allen Übeln geheilt zu sein, und die Toten selbst ge
winnen das Leben wieder, wenn sie es mit ihren Lippen be
rühren. Was die diamantene Lanze betrifft, so tötet und zer
schlägt sie alles, was sie berührt. —
— Und wem gehört diese diamantene Lanze und jenes
goldene Becken? fragte Peronnik verwundert. —
— Einem Zauberer, den man Rogear nennt und der das
Schloß Kerglas bewohnt, antwortete die Bäuerin; man kanD
ihn täglich vorbeireiten sehen, am Waldrande, auf seiner schwarzen
Stute, der ein Füllen von dreizehn Monaten nachläuft. Aber kein
Mensch würde es wagen, ihn anzugreifen, denn er hält in seiner
Hand die unerbittliche Lanze. —
— Jawohl, versetzte der Fremdling, aber das Gebot
Gottes verbietet ihm, sich ihrer im Schlosse Kerglas selbst zu
bedienen: Sobald er dort angekommen ist, werden die Lanze
und das Becken tief im Grunde eines finsteren unterirdischen
Raumes verwahrt, den kein Schlüssel öffnen kann. Daher will
ich den Zauberer hier angreifen. —
— Aeh! Es kann euch nicht gelingen, Herr, rief die
Bäuerin aus; mehr als hundert andere Edelleute haben das
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
21
Abenteuer gewagt vor euch, ohne daß ein einziger wieder ge
kommen wäre. —
— Ich weiß es, gute Frau, erwiderte der Ritter, aber sie
hatten eben nicht die Unterweisungen des Eremiten von Blavet
erfahren, wie ich! —
— Und was hat euch der Eremit gesagt? fragte Peronnik. —
Er teilte mir alles mit, was ich zu tun haben werde,
erwiderte der Fremde: zunächst muß ich durch den Irrwald
(,le bois trornpeur‘) ; wo alle Arten von Verhexungen angehäuft
sind, um mich zu erschrecken und vom Weg abzuleiten. Die
meisten meiner Vorgänger haben sich dort verirrt und sind
durch Kälte, Ermattung oder Hunger zugrunde gegangen. —
— Und wenn ihr dort durch seid ? fragte der Dümmling. —
— Wenn ich dort durch bin, werde ich einen Zwerg
begegnen, bewaffnet mit einem feurigen Stachel, der alles, was
er berührt, in Flammen setzt. Dieser Zwerg hält Wache bei
einem Apfelbaum, von dem ich einen Apfel pflücken muß. -—
— Und dann? fügte Peronnik hinzu.
— Dann werde ich die ,lachende Blume' finden, behütet
von einem Löwen, dessen Mähne aus Schlangen gebildet ist,
und ich muß diese Blume abpflücken. Hierauf habe ich den
Drachensee zu passieren, dann den schwarzen Mann zu be
kämpfen, der mit einer eisernen Kugel bewaffnet ist, die ihr
Ziel immer trifft und von selbst zu ihrem Herrn zurüekkehrt.
Endlich werde ich eintreten in das Tal der Wonnen, wo ich
all das sehen werde, was einen Christenmann in Versuchung
führen und zurüekhalten kann, und werde zu einem Fluß
kommen, der nur eine einzige Furt hat. Dort befindet sich
eine Dame, in Schwarz gekleidet, die ich aufsitzen lassen muß
und die mir sagen wird, was ich weiter zu tun habe. —
Die Bäuerin versuchte dem Fremden zu beweisen, daß
er niemals alle diese Prüfungen überstehen könne; aber jener
erwiderte, das könne eine Frau nicht beurteilen, und nachdem
er sich den Eingang in den W r ald hatte zeigen lassen, setzte er
sein Roß in Galopp und verschwand zwischen den Bäumen.
Die Frau stieß einen langen Seufzer aus, gab dem Peronnik
noch ein paar Brotkrusten und hieß ihn seines Weges weitergehn.
Dieser wollte eben ihren Rat befolgen, als der Herr des
Hofes von den Feldern heimkehrte. Er hatte gerade den Jungen,
22
IV. Abhandlung: Junk.
der die Kühe beim Eingang des Waldes hütete, entlassen und
dachte nach, wie er Ersatz dafür schaffen könnte.
Er fragte den Peronnik, ob er im Hofe bleiben wolle, um
das Vieh zu überwachen. Peronnik willigte ein.
Der Bauer führte ihn auf der Stelle zum Waldrand, zählte
laut die Kühe ab, schnitt ihm eine Rute vom Haselstrauch zu,
damit er das Vieh führen könne, und trug ihm auf, es bei
Sonnenuntergang wieder heimzutreiben.
Nun war also Peronnik Viehhirte geworden, mußte auf
die Kühe achtgeben, von der schwarzen zu der braunen laufen
und von der braunen zu der weißen, um sie beisammen zu
halten.
Einmal, als er so von einer Stelle zur anderen lief, hörte
er plötzlich Pferdetritte und sah in einem Baumgange den
Riesen Rogear auf seiner Stute reitend und dahinter das Füllen
von dreizehn Monaten. Er trug am Hals das goldene Becken
und in der Hand die diamantene Lanze, die leuchtete wie eine
Flamme. Peronnik verbarg sich, zu Tode erschrocken, hinter
einem Busch; der Riese kam nahe bei ihm vorbei und setzte
hierauf seinen Weg fort. Als er verschwunden war, kroch
Peronnik aus seinem Versteck hervor und blickte nach der
Seite, in der jener fort war, konnte aber den Weg, den er ge
nommen, nicht erkennen.
Indessen kamen ohne Unterlaß bewaffnete Ritter, um das
Schloß Kerglas aufzusuchen, und keinen von ihnen sah man
wiederkehren. Der Riese aber machte im Gegenteil täglich
seinen Spazierritt. Der Dümmling, der allmählich beherzter
wurde, verbarg sich nicht mehr, wenn der Riese vorbeiritt, und
betrachtete ihn von ferne mit neidischen Augen, denn der
Wunsch, das goldene Becken und die diamantene Lanze zu
besitzen, wuchs mit jedem Tag in seinem Herzen. Aber es
war damit wie mit einer guten Frau: das ist auch so eine
Sache, die man leichter wünschen als erlangen kann.
Eines Abends, als Peronnik, wie gewöhnlich, allein auf
der Weide war, sah er plötzlich einen weißbärtigen Mann, der
am Waldrand stehen blieb. Der Dümmling glaubte, es sei auch
ein Fremder, der die Abenteuer versuchen wolle, und fragte
ihn, ob er nicht den Weg nach Kerglas suche.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
23
— Ich suche ihn nicht, denn ich kenne ihn, antwortete
der Unbekannte, —
— Ihr seid dort gewesen und der Zauberer hat euch
nicht umgebracht? rief Peronnik aus. —
— Nein, denn er hat von mir nichts zu fürchten, gab
der Greis mit dem weißen Bart zurück. Man nennt mich den
Zauberkünstler Bryak und ich bin der ältere Bruder des Rogear.
Sobald ich ihn besuchen will, komme ich daher, indes, trotz
meiner Zaubermacht könnte ich nicht den Irrwald durchkreuzen,
ohne mich zu verirren, ich rufe darum das schwarze Füllen
herbei, damit es mich führe. —
Bei diesen Worten zog er drei Kreise mit dem Finger in
den Staub, wiederholte ganz leise die Worte, die der Böse den
Zauberern eingibt, und rief dann aus:
Rößlein mit den schnellen Füßen,
Rößlein mit den flinken Zähnen,
Rößlein, ich bin hier! Komm schnelle!
Denn ich wart auf dich!
Das Rößlein erschien augenblicks. Bryak warf ihm ein
Halfter um und eine Fußfessel, stieg auf seinen Rücken und
ließ es eintreten in den Wald.
Peronnik sagte niemandem etwas von diesem Ereignis;
aber er begriff nun, daß das erste, um nach Kerglas zu ge
langen, war, das Füllen zu besteigen, das den Weg kannte. Un
glücklicherweise aber wußte er weder die drei Kreise zu zeichnen,
noch die magischen Worte zu sprechen, die bewirken konnten,
daß dem Rufe Folge geleistet werde. Er mußte also ein anderes
Mittel ausfindig machen, um seiner Herr zu werden und so
dann den Apfel zu pflücken, die lachende Blume zu brechen,
der Kugel des schwarzen Mannes zu entgehn und durch das
Tal der Wonnen hindurch zu kommen.
Peronnik dachte lange darüber nach und endlich schien
es ihm, daß er Glück haben würde. Die Starken suchen der
Gefahr mit ihrer Stärke zu begegnen und kommen meistens
dabei um; aber die Schwachen fassen die Dinge von der
Seite an. So griff auch der Dümmling, der nicht hoffen
konnte, den Riesen offen zu bekämpfen, zu einer List. Vor
den Schwierigkeiten schi’ak er nicht zurück; er wußte, daß
die Mispeln hart sind wie Kiesel, wenn man sie pflückt, und
24
IV. Abhandlung: Junlc.
daß sie durch ein wenig Stroh und viel Geduld endlich doch
weich werden. 1
Er traf also alle Vorbereitungen für die Stunde, in welcher
der Riese am Eingang des Gehölzes erscheinen sollte. Er
richtete sich zunächst ein Halfter und eine Fußfessel aus
schwarzem Hanf her, eine Schlinge wie zum Schnepfenfang,
deren Haare er in geweihtes Wasser eintauchte, eine leinene
Tasche, die er mit Vogelleim und Lerchenfedern füllte, einen
Rosenkranz, ein Pfeifchen aus Hollunder und ein Stück Rinde,
bestrichen mit ranzigem Speck. Als er dies alles beisammen
hatte, zerbröckelte er sein Frühstücksbrot längs des Weges, den
Rogear mit seiner Stute und dem Füllen von dreizehn Monaten
verfolgte.
Alle drei erschienen zur gewohnten Stunde und kreuzten
den Weideplatz, wie sie es alle Tage machten: aber das Füllen,
welches mit gesenktem Kopf am Boden schnupperte, roch die
Brotkrümchen und blieb stehn, um sie zu fressen, so daß es
bald allein und dem Riesen aus den Augen war. Nun näherte
sich Peronnik leise, warf ihm sein Halfter um, band zwei seiner
Beine mit der Fußfessel, schwang sich auf seinen Rücken und
ließ es nun laufen nach seinem Sinn, denn er war dessen ganz
sicher, daß das Füllen den Weg kannte und ihn zum Schloß
Kerglas führen würde.
Das Rößlein nahm tatsächlich ohne Zaudern einen der
wildesten Wege, indem es so schnell lief, als ihm die Fußfessel
dies gestattete.
Peronnik zitterte wie ein Blatt Laub, denn alle Zauber
des Waldes vereinigten sich nun, um ihn zu schrecken. Bald
schien es ihm, als öffne sich ein unergründlicher Schlund vor
seinem Reittier, bald schienen die Bäume in Flammen aufzu
gehn, so daß er sich mitten in einem Brande zu befinden glaubte;
oft, wenn er ein Bächlein übersetzt hatte, wurde dieses plötz
lich zum reißenden Strom und drohte, ihn mit sich zu reißen;
ein anderesmal, als er einen Fußsteig verfolgte, erhoben sich
am Fuße des Hügels ungeheure Felsblöcke, die sich loszu
bröckeln und auf ihn herabzurollen schienen, um ihn zu zer
malmen. Der Dümmling sagte sich umsonst, daß dies alles
Bretonisclies Sprichwort.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
25
nur Täuschungen eines Zauberers seien, er fühlte sein Mark
erfrieren vor Furcht. Endlich entschloß er sich, seine Mütze
über die Augen herabzuziehen, um nichts zu sehen, damit das
Füllen ihn hinwegbringe.
Die beiden kamen so auf eine Ebene, wo die Zauber zu
Ende waren. Jetzt erst hob Peronnik die Mütze und blickte
um sich.
Es war dies ein dürres Land, trauriger als ein Friedhof.
Bisweilen sah man die Skelette von jenen Edelleuten, die ge
kommen waren, um das Schloß Kerglas zu suchen. Sie lagen
da, ausgestreckt neben ihren Pferden, und graue Wölfe nagten
ihre Knochen an.
Endlich kam der Dümmling auf eine Wiese, die ganz
und gar beschattet war von einem einzigen Apfelbaum, der so
voll Früchten war, daß die Zweige bis zur Erde herabhingen.
Vor dem Baume war der Zwerg, der in seiner Hand den Feuer
speer 1 hielt, der alles in Flammen setzte, was er berührte.
Beim Anblick Peronniks stieß der Zwerg einen Schrei
aus, ähnlich dem der Meerkrähe, und hob den Speer; aber
ohne erstaunt zu scheinen, zog der Jüngling höflich seine Mütze.
— Laßt euch nicht stören, mein kleiner Prinz, sagte er;
ich will nur hier vorbei, um nach Kerglas zu kommen, wo
Rogear der Herr mir ein Stelldichein gegeben hat. —
— Dir? antwortete der Zwerg, wer bist du denn? —
— Ich bin der neue Diener unseres Herrn, erwiderte der
Dümmling; Ihr wißt wohl, jener, den er erwartet? —
— Ich weiß nichts, gab der Zwerg zurück, und du hast
mir ganz das Aussehen eines Schwindlers. —
— Verzeiht, unterbrach ihn Peronnik, das ist nicht mein
Handwerk; ich bin lediglich Vogelfänger. Aber, bei Gott!
haltet mich nicht auf, denn der Herr Zauberer rechnet auf
mich und er selbst hat mir sein Füllen geliehen, wie ihr seht,
damit ich rascher ins Schloß komme. —
Der Zwerg bemerkte nun tatsächlich, daß Peronnik das
Rößlein des Zauberers ritt, und fing an zu glauben, daß jener
ihm die Wahrheit gesagt. Andererseits hatte der Dümmling
eine so unschuldige Miene, daß man ihn nicht für fähig halten
1 ,l’epee de feu‘; früher war er genannt ,un aiguitton de feu‘.
26
IV. Abhandlung: Junk.
konnte, eine Geschichte zn erfinden. Indes, er schien noch
immer zu zweifeln und fragte ihn, wozu der Zauberer denn
einen Vogelsteller brauche.
— Zu was ganz Besonderem, wie es scheint, erwiderte
Peronnik, denn nach seinen eigenen Worten wird alles, was im
Garten von Kerglas Samen trägt, und alles, was reift, sogleich
von den Vögeln verschlungen. —
— Und wie willst du sie daran hindern? fragte der
Zwerg. —
Peronnik zeigte die kleine Schlinge vor, die er gemacht
hatte, und sagte, daß aus dieser kein Vogel mehr herau|könne.
— Davon will ich mich eben überzeugen, antwortete der
Zwerg. Auch mein Apfelbaum wird von den Amseln und
Drosseln geplündert. Spanne deine Schlinge aus und wenn
du sie einfangen kannst, laß ich dich durch. —
Peronnik war damit einverstanden, band sein Rößlein an
einen Baum und näherte sich dem Stamm des Apfelbaumes,
befestigte daran eines der Enden der Schlinge und rief den
Zwerg herbei, damit er das andere Ende halte, während er
selbst die Futterhölzchen bereiten wollte. Jener tat, was der
Dümmling verlangte; da zog aber Peronnik plötzlich die Schlinge
zu und der Zwerg war nun selbst gefangen wie ein Vogel.
Er stieß einen Wutschrei aus und wollte sich losmachen:
aber die Schlinge, die in geweihtes Wasser getaucht worden
war, widerstand allen seinen Anstrengungen. So hatte der
Dümmling Zeit, zum Baum zu laufen, einen Apfel abzureißen und
wieder sein Rößlein zu besteigen, das nun seinen Weg fortsetzte.
So traten sie aus der Ebene hinaus und befanden sich
einem Beet gegenüber, das aus den schönsten Blumen gebildet
war. Es gab da Rosen von allen Farben, Geniste aus Spanien,
rotes Geishlatt, über allen hinweg aber erhob sich eine wunder
volle Blume, ,welche lachte'; ein Löwe mit Schlangenmähne lief
um das Beet herum, rollte mit den Augen und ließ seine Zähne
knirschen wie Mühlsteine, die man neu gesteppt hat.
Peronnik machte Halt und grüßte wieder, denn er wußte,
daß vor dem Mächtigen eine Mütze weniger tauge am Kopf
als in der Hand. Er wünschte dem Löwen und seiner ganzen
Familie alles erdenkliche Gute und fragte ihn, ob er wohl auf
dem richtigen Wege nach Kerglas sei.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
27
— Was suchst du auf Kerglas? brüllte das wilde Tier
mit schrecklicher Miene. —
— Mit eurer gütigen Erlaubnis, erwiderte etwas furcht
sam der Dümmling, aber ich hin von einer Dame geschickt,
die die Freundin des Herrn Rogear ist und die ihm hiermit
überschickt, was er zu einer Lerchenpastete braucht. —
— Lerchen! wiederholte der Löwe und ließ die Zunge
über den Bart gleiten, es ist wohl schon ein Jahrhundert
her, daß ich keine solchen gefressen habe. Bringst du deren
viel? —
— Soviel dieser Sack da fassen kann, mein Herr, er
widerte Peronnik, indem er die leinene Tasche vorwies, die er
mit Federn und Vogelleim gefüllt hatte. —
Und um den Löwen glauben zu machen, was er sagte,
fing er an, das Zwitschern der Lerchen nachzumachen. Dieser
Klang steigerte die Begierde des Löwen.
— Laß sehen, sagte er, indem er näher kam, zeige mir
deine Vögel her! Ich möchte wissen, ob sie groß genug sind,
um unserem Herrn serviert zu werden. —
— Nichts würde ich mehr wünschen, antwortete der
Dümmling, aber wenn ich sie aus dem Sack herausziehe, fürchte
ich, daß sie davonfliegen. —
— Offne ihn nur ein wenig, gab das wilde Tier zurück,
damit ich hineinschauen kann. —
Das war gerade, was Peronnik erhoffte; er reichte die
leinene Tasche dem Löwen hin, der den Kopf hineinsteckte,
um die Lerchen zu packen, nun aber in den Federn und im
Vogelleim festgefangen war. Der Dümmling band schnell die
Schnur des Sackes um seinen Hals fest, machte über dem
Knoten das Zeichen des Kreuzes, um ihn unlösbar zu machen;
dann lief er zu der Rächenden Blume', pflückte sie ab und trabte
eiligst auf seinem Füllen davon.
Er kam alsbald an den Drachensee, den er schwimmend
durchsetzen mußte; kaum war er hineingestiegen, als die Un
geheuer von allen Seiten herbeikamen, um ihn zu verschlingen.
Diesmal zog Peronnik nicht seine Mütze, sondern warf ihnen
die Körner seines Rosenkranzes zu, so wie man den Enten
schwarzen Buchweizen vorwirft, und mit jedem Körnchen, das
verschluckt wurde, drehte sich einer der Drachen auf den Rücken
28
IV. Abhandlung: Junk.
und krepierte, so daß der Dümmling das andere Ufer ohne jedes
Übel erreichen konnte.
Nun mußte er noch durch das Tal, das von dem schwarzen
Mann beschützt ward. Peronnik bemerkte ihn bald am Ein
gänge, mit den Füßen an den Felsen angekettet und in der
Hand die Kugel aus Eisen, die, nachdem sie ihr Ziel getroffen,
von selbst wieder zu ihm zurückkehrt. Er hatte rund um
seinen Kopf sechs Augen, die gewöhnlich eines nach dem
anderen wach waren; aber in diesem Augenblick hatte er sie
alle sechs geöffnet. Peronnik, der wußte, daß ihn, sobald er
bemerkt würde, die Kugel treffen würde, noch bevor er ein
Wort sprechen könnte, zog es vor, sich längs des Holzes hin
zuschleichen. So kam er, indem er sich hinter den Sträuchern
verbarg, auf ein paar Schritt Entfernung zu dem schwarzen
Mann heran. Dieser hatte sich eben niedergesetzt und zwei
seiner Augen geschlossen, um auszuruhen. Peronnik vermutete,
daß jener schläfrig sei, und fing an, mit halber Stimme den
Anfang der ,Großen Messe* zu singen. Der schwarze Mann
schien erst erstaunt; er wandte den Kopf herum; dann aber,
da der Gesang auf ihn einwirkte, schloß er ein drittes Auge.
Peronnik intonierte hierauf das ,Kyrie eleison* auf den Ton
jener Priester, die vom ,Einschläferungsteufel* besessen sind. 1
Der schwarze Mann schloß sein viertes Auge und das fünfte
zur Hälfte. Peronnik begann den Vespergesang; aber noch ehe
er zum ,Magnificat* gekommen war, war der schwarze Mann
eingeschlafen.
Nun nahm der Jüngling das Füllen am Zügel, ließ es
ganz sachte auf die mit Moos bedeckten Stellen treten und,
indem er so ganz nahe bei dem Hüter vorbeikam, trat er in
das Tal der Wonnen ein.
Dieses nun war der schwierigste Ort, denn es handelte
sich da nicht mehr darum, einer Gefahr zu entgehn, sondern
einer Versuchung zu widerstehn. Peronnik rief alle Heiligen
der Bretagne zu Hilfe.
Das Tal, das er durchsetzte, glich einem Garten voll reifer
Früchte, voll Blumen und Quellen; aber die Quellen waren
1 Die Bretonen glauben an einen besonderen Teufel, der in der Kirche
einschläfert und den sie daher so nennen.
d
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
29
von Wein und wohlschmeckenden Getränken, die Blumen sangen
mit süßen Stimmen wie die Cherubim des Paradieses und die
Früchte boten sich von selbst zum Pflücken dar. Dann aber,
hei jeder Wegbiegung, sah Peronnik große Tische, wie für
Könige gedeckt; er roch den Duft des eben aus dem Backofen
gezogenen Backwerks, er sah Diener, die ihm aufzuwarten
schienen, während von etwas weiter her schöne junge Mädchen,
die eben aus dem Bade stiegen und auf dem Grase tanzten, ihn
beim Namen riefen und ihn aufforderten, den Reigen anzuführen.
Der Dümmling machte vergebens das Zeichen des Kreuzes,
er verlangsamte doch ganz unmerklich den Schritt seines Rüß-
leins; er hob die Nase nach dem Wind, um besser den Dampf
der Schüsseln riechen und um besser die badenden Mädchen
sehen zu können; er wollte schon stehn bleiben und hätte es
getan, wenn nicht der Gedanke an das goldene Becken und
an die diamantene Lanze plötzlich durch seinen Kof gefahren
wäre; er fing an, auf seinem Pfeifchen aus Hollunderholz zu
pfeifen, um die süßen Stimmen nicht zu hören, sein Speckbrot
zu essen, um den Duft der Schüsseln nicht zu riechen, und die
Ohren seines Pferdes zu betrachten, um die holden Tänzerinnen
nicht zu sehen.
Auf diese Art erreichte er ohne Unfall das Ende des
Gartens und sah nun endlich das Schloß Kerglas.
Aber er war von diesem noch getrennt durch den Fluß,
von dem man ihm gesagt hatte und der nur eine einzige Furt
hatte. Glücklicherweise kannte das Füllen dieselbe und trat
an der rechten Stelle ins Wasser. Peronnik blickte nun um
sich, ob er nicht die Dame sehe, die ihn ins Schloß führen
sollte, und bemerkte sie wirklich auf einem Felsblock sitzend.
Sie war in schwarzen Atlas gekleidet und ihr Antlitz war gelb,
wie das einer Maurin.
Der Dümmling zog seine Mütze und fragte sie, ob sie
nicht den Fluß zu übersetzen wünsche.
— Ich warte deshalb auf dich, erwiderte die Dame;
komm näher, damit ich mich hinter dich setzen kann. —
Peronnik kam näher, nahm sie in den Sattel und trat
den Ritt durch die Furt an. Ungefähr in der Mitte des Durch
rittes sprach die Dame zu ihm:
— Weißt du, wer ich bin, du armselige Einfalt? —
30
IV. Abhandlung: Junk.
— Verzeiht, erwiderte Peronnik, aber nach eurer Klei
dung seh ich wohl, daß ihr ein edles und mächtiges Wesen
seid. —
— Was das edel betrifft, so darf ich’s wohl sein, denn
mein Geschlecht datiert vom ersten Sündenfall; und was das
mächtig betrifft, so bin ich es, denn alle Welt weicht vor mir
zurück. —
— Und welches ist, bitte, euer Name, Madame? fragte
Peronnik. —
—- Man nennt mich die Pest, erwiderte die gelbe Frau. —
Der Dümmlung prallte zurück auf sein Roß und wollte
sich in den Fluß stürzen, jedoch die ,PesP sprach zu ihm:
— Bleibe ruhig sitzen, armer Junge, du hast nichts zu
fürchten von mir, im Gegenteil, ich kann dir dienen. —
— Ist das möglich und wolltet ihr die große Güte haben,
Frau Pest? sagte Peronnik, indem er diesmal seine Mütze lüftete,
um sie nicht mehr aufzusetzen; wahrhaftig, jetzt erinnere ich
mich, daß ihr es seid, die mich lehren soll, wie ich mich des
Zauberers Rogear entledigen kann. —
•— Er muß sterben, sprach die gelbe Dame. —
■— Ich würde nichts besseres wünschen, gab Peronnik
zurück; aber er ist ja unsterblich. —
— Höre und suche zu verstehn, erwiderte die Pest.
Jener Apfelbaum, den der Zwerg bewacht, ist ein Ableger des
Baumes des Guten und Bösen, den Gott selbst in das irdische
Paradies gepflanzt hat. Seine Frucht macht, gleich wie jene,
von der Adam und Eva gegessen haben, die Unsterblichen
empfänglich für den Tod. Trachte also, daß der Zauberer von
dem Apfel koste, und ich brauche ihn dann bloß zu berühren,
damit er aufhöre zu leben. —
— Ich will’s versuchen, sagte Peronnik, aber selbst wenn
ich Glück habe, wie kann ich das goldene Becken und die
diamantene Lanze kriegen, da sie doch verborgen sind in einem
unterirdischen Raum, den kein geschmiedeter Schlüssel öffnen
kann? —
— Die lachende Blume öffnet alle Pforten, entgegnete die
Pest, und erhellt jede Nacht. —
Als sie diese Worte beendet hatte, waren sie am anderen
Ufer angekommen und der Dümmling schritt auf das Schloß zu.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
31
Vor dem Eingang war ein großes Schirmdach, ähnlicli
dem Altarhimmel, unter dem der ehrwürdige Herr Bischof von
Vannes bei der Fronleichnamsprozession einhergeht. Der Riese
hielt sich dort auf zum Schutze gegen die Sonnenstrahlen, die
Beine übereinandergekreuzt wie ein Gutsbesitzer, der sein Korn
hereingebracht hat, und rauchte aus einem Tabaksspitz von
purem Gold. Als er das Füllen erblickte, auf dem Peronnik
und die in schwarzen Atlas gekleidete Dame saßen, hob er
den Kopf und sagte mit einer Stimme, die wie der Donner
widerhallte:
— Beim Beizebub, unserem Herrn! das ist mein Füllen
von dreizehn Monaten, auf dem der Junge sitzt. —
— So ist es! o erhabenster aller Zauberer, antwortete
Peronnik. —
— Und wie hast du’s gemacht, um seiner habhaft zu
werden? fragte Rogear. -—
— Ich habe die Worte wiederholt, die mich euer Bruder
Bryak gelehrt hatte, gab der Dümmling zurück. Als ich an
den Rand des Waldes gekommen war, habe ich gesagt:
Rößlein mit den schnellen Füßen,
Rüßlein mit den flinken Zähnen,
Rößlein, ich bin hier! Komm schnelle!
Denn ich wart auf dich!
und das Rößlein ist sofort gekommen. —
— Du kennst also meinen Bruder? fragte der Riese. —
— Wie man seinen Herrn und Meister kennt! antwortete
der Knabe. —
— Und wozu schickt er dich her? —
— Um euch zwei seltene Kostbarkeiten als Geschenk
zu überbringen, die er eben aus dem Maurenland erhalten hat:
den Freudenapfel hier (,la pomme de joie‘) und die ,Fx - au Ge
horsam' (,la femme de soumission 1 ), die ihr da seht. Wenn
ihr den ersteren aufspeiset, werdet ihr immer ein ebenso zu
friedenes Herz haben, wie ein armer Mann, wenn er eine Börse
mit hundert Talern in seinem Holzschuh findet; und wenn
ihr die zweite in eure Dienste nehmet, habt ihr auf der Welt
überhaupt nichts mehr zu wünschen übrig. —
— Dann gib den Apfel her und laß die Maurin absteigen,
erwiderte Rogear. —
32
IV. Abhandlung: Junk.
Der Dümmling gehorchte; kaum aber hatte der Riese in
die Frucht gebissen, rührte ihn die gelbe Dame an, und er
fiel zur Erde nieder wie ein Ochse, den man schlachtet.
Peronnik trat sofort in den Palast ein, in der Hand die
lachende Blume. Er durchschritt nacheinander mehr als fünfzig
Säle und kam endlich vor dem unterirdischen Gewölbe mit der
Silberpforte an. Diese öffnete sich von selbst vor der Blume,
die dem Dümmling leuchtete und ihm gestattete, bis zum gol
denen Becken und zur diamantenen Lanze hinzugelangen.
Aber kaum hatte er diese beiden angerührt, als die Erde
unter seinen Füßen erzitterte; ein schrecklicher Krach ließ sich
hören, der Palast verschwand und Peronnik befand sich mitten
im Walde, versehen mit den zwei Talismanen, mit denen er
sich zum Ilof des Königs der Bretagne aufmachte. Unterwegs
kaufte er sich in Vannes das prächtigste Gewand, das er finden
konnte, und das schönste Pferd, das zu haben war im ganzen
Land.
Als er hierauf nach Nantes kam, war diese Stadt belagert
von den Franken (,par les Frangais‘), die das Land so ver
wüstet hatten im ganzen Umkreis, daß nur mehr die Bäume
übrig waren, die eine Ziege abfressen konnte. Auch war
Hungersnot in der Stadt, und die Soldaten, die nicht an ihren
Wunden starben, kamen um durch, Mangel an Brot. Eben an
dem Tag, wo Peronnik ankam, verkündete ein Trompeten
bläser, daß der König der Bretagne den als Erben anzunehmen
versprochen habe, der die Stadt befreien und die Franken aus
dem Land verjagen würde.
Als Peronnik dies Versprechen hörte, sagte er zum Trom
peter: Rufe nicht mehr aus und führe mich vor den König,
denn ich bin imstande zu tun, was er verlangt. —
— Du? sagte der Trompeter, der sah, daß er so jung
und so klein war, geh du deines Weges, lieber Stieglitz, 1 der
König hat keine Zeit, um kleine Vögel in die Strohdächer zu
setzen. 2 —
Statt jeder Antwort ritzte Peronnik den Soldaten mit
seiner Lanze, und im selben Augenblick fiel dieser tot zur
1 ,beau cliardonnereV, ein gewöhnlicher Spottausdruck der Bretonen.
2 Sprichwörtlich für ,keine Zeit zu verlieren 4 .
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
33
Erde, zum großen Schrecken der zusehenden Menge, die nun
fliehen wollte; aber der Dümmling rief:
— Ihr seht, was ich gegen meine Feinde vermag; er
fahret nun, was ich für meine Freunde kann. —
Als er das Zauberhecken den Lippen des Toten näherte,
erhielt dieser alsbald das Leben wieder.
Der König, dem man von diesem Wunder berichtete,
übergab dem Peronnik das Kommando über die noch iibrig-
gebliebenen Soldaten; und so wie der Dümmling mit seiner dia
mantenen Lanze Tausende der Franken tötete, erweckte er
mit dem goldenen Becken alle Bretonen, die getötet worden
waren, zum Leben wieder. So schlug er das feindliche Heer
in wenigen Tagen zurück und eroberte alles, was sie in ihren
Feldlagern hatten.
Weiter eroberte er Anjou, Poitou und die Normandie ohne
jede Mühe und fuhr schließlich sogar über See, um das Heilige
Land zu befreien. Er zwang den Kaiser der Sarazenen zur
Taufe und heiratete dessen Tochter, die ihm hundert Kinder
schenkte, von denen er jedem ein Königreich geben konnte.
Manche sagen, daß er und seine Söhne noch heute leben,
dank jenem goldenen Becken, und daß sie im Lande regieren;
andere wieder versichern, dem Bruder des Rogear, dem Zau
berer Bryak, sei es gelungen, die beiden Talismane wieder
zu erobern, und wer sie haben möchte, der brauche sie bloß
zu suchen.
Dieses Märchen ist offenbar — wie von Souvestre nicht
anders zu erwarten — von Seiten des modernen Erzählers nicht
ohne künstlerische Feile geblieben.
Mit einer gewissen Überarbeitung eines aus dem Volks
mund aufgelesenen Märchenstoffes durch den Sammelnden
müssen wir ja immer rechnen. Die Geschichte unserer Mär
chensammlungen beweist dies zur Genüge: schon die alten
italienischen Sammelwerke Straparolas (um 1550) und Ba-
siles (1637) enthalten bekanntlich kunstmäßige Zutaten: des
gleichen zeigen die berühmten französischen ,Contes de fees 1
Perraults (1697) eine feine Überarbeitung — nicht so sehr
durch die lose angehängten gereimten ,Moralites‘, als vielmehr
durch den mit echt französischem Geschmack gewählten Aus-
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 168. Bd. 4. Abh. 3
34
IV. Abhandlung: Junk.
druck im allgemeinen —; und bekanntlich ist dann am An
fang des 18. Jahrhunderts (besonders verstärkt auch durch das
Erscheinen von Gallands Übersetzung von ,Tausend und eine
Nacht',) die Freude an dieser Poesie allgemein und ,die
Märchendichtung zur Orgie' geworden. 1 Am meisten zu
rückhaltend in Bezug auf eigene Retouchen ist wohl das ,Stand
ard icork 1 aller Märchenforschung, die Grimmsche Sammlung
der ,Kinder - - und Hausmärchen' (1812 u. ff.); sie bringen den
Stoff in völlig reiner, unangetasteter Volkstümlichkeit, bemerken
aber in der Vorrede doch, daß ,der Ausdruck und die Aus
führung des Einzelnen großenteils von ihnen herrührt'.
Wir haben keinen Grund, Souvestres Texten Volks
tümlichkeit und Originalität abzusprechen, müssen ihm aber
zugestehn, daß er ,im Ausdruck und der Ausführung des Ein
zelnen' größere Freiheit sich erlauben durfte als etiva die
Brüder Grimm.
Ein Zug, der auf einen gewandten Erzähler hindeutet,
ist z. B. die Wiederholung der sich dem Helden entgegen
stellenden Hindernisse; 2 es ist dies ein beliebter Kunstgriff,
der dem Hörer oder Leser die des Helden noch harrenden
Aufgaben im Gedächtnis erhalten soll. Die humoristische Fär
bung und Ausschmückung der Erzählung an einzelnen Stellen
scheint auch hierher zu gehören: das Auftreten des Dümmlings
gegenüber den Riesen, Zrvergen, wilden Tieren usf., auch gegen
über der personifizierten ,Frau Pest', und manche andere Wen
dung, wie die, daß der Verstand, l’esprit, nichts so Gewöhnliches
im Lande sei, daß man ihn auf der Straße finden könne; oder,
wenn Peronnik Gott dafür dankt, daß er ihm so viel in den Schoß
fallen lasse, ohne ihn dafür zu verpflichten (,de lui avoir fait
tant de presents scms y etre oiligtf) usf. ZAvar die bretonische
Lokalisierung ist jedenfalls alt, dagegen ist die Einflechtung
der zahlreichen bretonischen Sprichwörter und Redensarten
wohl dem begeisterten Sänger seiner bretonischen Heimat,
Emile Souvestre, zuzuschreiben.
Vielleicht auch der Charakter des Dümmlings selbst,
respektive die deutlich spürbare Übertreibung der Charakte-
1 H. Morf, Die romanischen Literaturen, in Hinnebergs ,Kultur der
Gegenwart 1 , Teil I, Abt. XI, 1; p. 219.
2 Souvestre, a, a. 0., II, p. 150; vgl. oben p. 23.
Gralsage und Graldiclitung des Mittelalters.
35
ristik! Peronnik ist keineswegs so dumm, wie er geschildert
wird: an esprit fehlt es ihm nicht, sonst könnte er nicht die
Gefahren bestehn. Was ihm fehlt, ist durch Erziehung ge
wonnene Routine und Erfahrung. Dagegen zeichnet ihn gerade
sein Mutterwitz aus und befähigt ihn, das höchste irdische
Giück zu erreichen. Hier hat sich Souvestre offenbar beein
flussen lassen durch die faibles d’esprit seiner Heimat, von
denen er selbst erzählt, daß man sie dort keineswegs gering
schätzt wie anderen Orts, sondern die im Volksglauben eher
etwas Seherisches, Überirdisches an sich haben und denen man
deshalb dort besonders mildherzig begegnet. 1
Immerhin geht diese Überarbeitung nicht so weit, daß
das altertümliche Gepräge des Märchens dadurch gestört würde;
,Überarbeitung 1 ist überhaupt ein zu starker Ausdruck; es läuft
darauf hinaus, was Wilhelm Grimm (in der ,Literatur 1 zu
den Kinder- und Hausmärchen, Bd. III) für das Märchen von
Peronnik aussprach: daß es (vom strengen Standpunkt der
Grimm aus) ,schon eine verschiedene Färbung 1 trage. 2
Unser Märchgn enthält jedoch des Altertümlichen gerade
genug. Abgesehen von den typischen übersinnlichen Gestalten,
Riesen, Zwergen, Ungeheuern mannigfacher Art, Menschen mit
Zauberwaffen, gefährlichen Tieren, Drachen usf., verdienen hier
genannt zu werden, weil sie mit der Parzivalfabel auf den ersten
Blick nichts zu tun zu haben scheinen: der ,Irrwald 1 (,le bois
trompeur 1 ), in dem der Wanderer vom Wege abkommen muß;
der Drachensee, der scheinbar unpassierbar ist; der Apfelbaum
auf der großen Wiese, davor der Zwerg mit dem Feuerstachel;
das Beet mit der lachenden Blume, davor der Löwe mit dem
Schlangenhaar; endlich das Motiv des Schlaraffenlandes. Auf
ein paar solcher Züge und ihr durch indische Entsprechungen
garantiertes hohes Alter hat schon L. v. Schroeder, p. 68, Anm. 2,
hingewiesen: die von selbst wieder zurückkehrende Waffe: hier
die Eisenkugel des ,schwarzen Mannes 1 , und das Einschläfern
dieses gefährlichen Feindes durch den Gesang. 3
1 Souvestre, a. a. 0 , II, p. 178.
- Vg], Willi. Grimm in der ,Literatur 1 zu den Kinder-und Hausmärclien,
Bd. III, Beclam-Ausgabe, p. 416.
3 Auch zum Schlaraffeumotiv vgl. die Stellen aus dem Atharvaveda bei
L. v. Schroeder, p. 19.
3*
36
iV. Abhandlung: Junk.
Aber selbst von diesen Dingen abgesehen, finden wir die
in der vorangehenden Abhandlung L. v. Schroeders, wie mir
scheint, überzeugend nachgewiesene mythische Grundidee des
Gralmärchens mit allen den dazugehörigen Urvorstellungen im
,Peronnik‘ wieder: freilich ist nicht alles gleich deutlich er
halten, aber doch so, daß man sagen darf, es ist keiner der
wesentlichen Züge ganz verloren gegangen: das Märchen vom
Peronnik stellt sich dar als poetisch-märchenhafter Niederschlag
einer Variante des von L. v. Schroeder nachgewiesenen arischen
Naturmythus, und zwar derjenigen Variante, nach welcher das
himmlische Gefäß zugleich mit der Waffe des Gewittergottes
einem Räuber abgewonnen wird. Die Beschränkung auf zwei
Symbole (ein Gefäß und die Donnerwaffe) teilt diese keltische
Fassung mit jener nordgermanischen, aus welcher sich die
beiden parallelen Dichtungen der Edda, Hymeskvidha (Gefäß
raub) und Thrymskvidha (Raub der Waffe), als Kunstdichtungen
einer späteren Zeit ableiten lassen müssen, 1 während die zweite
1 Vgl. v. Schroeder, a. a. 0., p. 67 und auch die Zusammenstellung am
Ende des ersten Abschnittes dieser Abhandlung, p. 12 f. Wie nahe diese
beiden Dichtungen zusammengehören, ist nicht bloß durch die Person
Thors gegeben und durch das Motiv der Wiedergewinnung eines ge
raubten Gegenstandes (über die Trennung der beiden Lieder durch die
dazwischen eingeschobene Loltasenna vgl. Detter-Heinzel, Saemundar-
Edda II, p. 266), sondern wird sich unschwer durch weitere Parallelen
erhärten lassen; hierher darf man vielleicht rechnen die kunstvolle
äußere Form dieser beiden, ihren reinen gleichmäßigen Strophenbau, das
gleiche Versmaß, Fornyrdhislag, unter den ,Götterliedern 1 das seltenere
Versmaß! (Die Vgluspä ist darin abgefaßt, dann nach fünf anderen Ge
dichten erst Hymeskvidha und Thrymskvidha, unterbrochen durch die
andersartige Lokasenna.) — Daß mit dem in der Hymeskvidha Erzählten
der Gehalt des im Volksmunde bekannten Mythenmärchens nicht er
schöpft ist, beweist ja schon die folgende Prosaüberleitung zur Lokasenna,
auf deren sagengeschichtliche Wichtigkeit auch schon L. v. Schroeder,
p. 56 verwiesen hat: die deutliche Anspielung auf das himmlische Ge
fäß, welches glänzt wie helles Gold (so daß es die Beleuchtung im Saale
ersetzt) und automatisch Met kredenzt." Auch Detter-Heinzel machen
(a. a. O., p. 248) die Beobachtung, das Gedicht (die Lokasenna) scheine
,von Haus aus mit prosaischen Zwischensätzen versehen gewesen zu sein,
die nicht von dem Sammler und Anordner der poetischen Edda her
stammen 1 , und verweisen weiters auf Fehler in der Überlieferung, die
man als ,Spuren selbständiger literarischer Existenz der Lieder vor ihrer
Aufnahme in die Sammlung 1 ansehen dürfe.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
37
germanische, speziell deutsche Fassung dieses Mythenmärchens,
das vom ,Tischlein-deck-dich', die uralte Dreiheit der Symbole
(zwei Gefäße und Waffe) bewahrt hat: Tischlein, Esel und
Knüppel.
»Sehen wir die einzelnen Züge im Besonderen an!
Das ,goldene Becken' (,le bassin d’or‘) besitzt die Eigen
schaften, die dem märchenhaften Wunschkleinod schon in Ur
zeiten beigelegt wären:
es gibt Speise nach Wunsch und ebenso alle Reiehtümer
nach Wunsch: ,produit, ä Vinstant, les mets et les richesses
que l’on desire';
heilt Kranke von allem Übel: ,il suffit d’y boire pour
etre gueri de tous ses maux l \
ja es erweckt Tote selbst zum Leben wieder: ,les morts
aux-memes ressuscitent en le touchant de leur levres 1 -
es kann somit seinem Besitzer ewiges Leben gewähren,
darauf deutet die »Schlußwendung: ,il y en a meme qui disent
que lui (= Peronnik) et ses fils vivent encore, grdce au bassin d’or‘.
Die leuchtende Kraft des Beckens ist gegeben durch seine
Materie: es ist ,d’or‘;
und selbst von der so charakteristischen Eigenschaft des
Freischwebens in der Luft läßt sich in unserem Märchen ein
Rest nach weisen: es gehört offenbar hierher die selbständige
Beweglichkeit, die dem Becken eigen zu sein scheint, denn
innerhalb des Schlosses Kerglas kann Rogear, der Besitzer
selbst, es nicht an sich tragen: da versinkt es von selbst in
den Keller. Daß diese Eigenschaft hier auch der Lanze zu
geschrieben wird, stört ebensowenig wie etwa die Bemerkung,
daß dies Versinken in die Tiefe eine Wirkung göttlichen Ge
botes sei: ,Vordre de Dieu lui (= dem Rogear) defend de s’en
servir au chdteau de Kerglas. Des qu’il y arrive, la lance et
le bassin sont deposes au fond d’un souterrain obscur‘. Das
Ursprüngliche scheint mir auch hinter dieser märchenhaften
Variante noch deutlich sichtbar.
Die ,diamantene Lanze' (,la lance de diamant') tötet
und erschlägt alles, was sie berührt: ,elle tue et brise tout ce
qu eile touche 1 . Sie wird darum auch die ,unerbittliche Lanze'
genannt: ,la lance sans merci‘l Sie ist mit dieser Eigenschaft
am nächsten zu stellen dem Hammer des Thor, der alles trifft
38
IV. Abhandlung: Junk.
und der Zermalmer, Mjolnir, heißt; auch der Holzkeule des
iranischen Helden Keresaäpa (vgl. oben p. 12).
Höchst bedeutsam ist die Bemerkung, sie leuchtete wie
eine Flamme: ,brillait comme une flamme 1 ; es ist dies augen
scheinlich ein Rest der alten Beziehung zu Gewitter und Blitz.
Peronnik tötet den ungläubigen Soldaten durch Berührung
mit der Lanze und erweckt ihn sofort zum Leben wieder
durch das Becken; ebenso schlägt er im* Krieg die Feinde
mit der Lanze und rettet die Seinen, die Bretonen, durch
das Becken.
Etwas ganz Ähnliches erzählt die bekannte keltische Sage
von dem Becher Brans des Gesegneten: Bran hat dieses wunder
bare Gefäß der Wiederbelebung seinem Schwiegersohn, dem
irischen Fürsten Martholouc'h, geschenkt, gerät aber mit ihm
in Streit und fällt in Irland ein. Nun sind die Iren aber nicht
zu besiegen, weil jeder gefallene Soldat durch das Becken wie
der lebendig gemacht wird. 1
Durch die Zusammenstellung dieses Heilgefäßes mit der
die gegenteilige Wirkung ausübenden Waffe, der ,unerbittlichen'
Lanze, scheint es, daß dem Märchen von Peronnik größere
Ursprünglichkeit zukomme als dem von Bran, das bloß die
Eigenschaft des Gefäßes kennt.
Wie märchenhaft nämlich gerade diese, durch den Peronnik
überlieferte Situation: das Töten der Feinde mit der Lanze
und Heilen der Freunde durch das Gefäß, ist, zeigt eine ganz
übereinstimmende Parallele unter den Grimmschen Märchen.
Es ist Nr. 97, ,Das Wasser des Lebens'. Der Prinz, 2 dem es
geglückt ist, das Wasser des Lebens, also auch den Quell der
Wiederbelebung, zu gewinnen, dazu ein zauberhaftes Schwert,
welches Kraft hat, ,ganze Heere zu schlagen', und ein Brot,
das ,niemals alle wird', kommt mit diesen drei Wunderdingen,
Lebenswasser, Schwert und Brot, ,in ein Land, wo Hunger und
Krieg war, und der König glaubte schon, er müßte verderben,
so groß war die Not. Da ging der Prinz zu ihm und gab
ihm das Brot, womit er sein ganzes Reich speiste und sättigte;
und dann gab ihm der Prinz auch das Schwert, damit schlug
1 Villemarque, Les Romans de la Table Ronde, p. 143f.
2 Es ist bezeichnenderweise der dritte (jüngste) von drei Brüdern.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
39
er die Heere seiner Feinde und konnte nun in Ruhe und Frie
den leben. Da nahm der Prinz sein Brot und Sclnvert wieder
zurück und die drei Brüder ritten weiter. Sie kamen noch in
zwei andere Länder, wo Hunger und Krieg herrschten, und
da gab der Prinz den Königen jedesmal sein Brot und Schwert
und hatte nun drei Reiche gerettet.'
Der Wunschcharakter des Gefäßes wird in unserem Mär
chen nicht exemplifiziert: es wird nirgends Speise gewünscht.
Reichtümer (die aus dem Feldlager der Feinde) erwirbt Peronnik
allerdings, aber indem er eben mit der Lanze die Feinde ver
nichtet, wieder nicht durch das Wunschgefäß. Aber doch ist
auch hiervon wiederum wenigstens ein kleiner Rest zu be
merken. Peronnik, der ja ein armer Teufel ist, kann sich,
nachdem er das Becken erworben hat, in Vannes prächtige
Kleider kaufen und ein schönes Pferd dazu. Auch müssen wir
uns denken, daß ihn das Becken sättigt, da er doch seit dem
Beginn seiner Unternehmung nichts gegessen, sein Frühstücks
brot dem Rößlein hingestreut hat und die Speisen des Schlaraffen
landes verschmäht. Es ist dies wohl keine zu weit getriebene
spintisierende Rekonstruktion, sondern entspricht nach unsrer
Meinung nur dem Gedankengang des Märchens: nachdem der
Held das Zauberding in Händen hat, kann er erlangen, was er
will, ohne daß in jedem Falle eigens gesagt zu werden braucht,
daß dies eine Folge des Zaubers ist.
Eine weitere Parallele mit Bekanntem ist vielleicht darin
gelegen, daß speziell die diamantene Lanze, sobald sie im Be
reich des Schlosses ist, als tief unterirdisch verborgen gilt
(,au fond d’un Souterrain obscur'); dies erinnert nämlich ganz
merkwürdig an die Angabe der Thrymskvidha, Thors Hammer
(der ja dem Wesen nach mit der ,diamantenen Lanze' iden
tisch ist) sei ebenfalls unterirdisch, tief im Berge verborgen.
Darauf geht vielleicht schon v. 5 des eddischen Gedichts:
Loki fliegt dahin zum Hause des Räubers
unz iitan Icom
dsa gardha
ok fyr innan kom
jotna heima 1
1 Ich zitiere nach der Edda-Ausgabe von Finnur Jönsson, Halle 1888.
40
IV. Abhandlung: Junk.
denn Riesenheim ist in nordischer Vorstellung oft unterirdisch
gedacht; 1 ganz deutlich aber drückt sich v. 7 dieses Gedichts
aus in den Worten des riesischen Diebs:
hefk Hlöridha
hamar of folgenn
ätta rqstom
fyr jqrdh nedhan,
also ,acht Meilen tief unter der Erde' hat er den geraubten
Hammer verborgen.
Wir erinnern uns gleichfalls an das esthnische Märchen
von der Donnertrommel, nach welchem das gestohlene Donner
instrument ,hinter sieben Schlössern verborgen' ist. 2
Merkwürdigerweise findet sich auch für das zweite Wunder
ding, das Gefäß, eine ähnliche Parallele mit der eddischen
Fassung. Von ihm heißt es in unserem Märchen, daß der
Riese Rogear es am Halse (,au cou‘) trägt; ganz dasselbe gilt
von dem herrlichen Halsschmuck der Freyja, dem Brisinga
men, das in dem gleichen symbolischen Bezug zum ,himm
lischen' Gefäß steht wie unser Becken. Und höchst beachtens
wert erscheint mir da auch die auffällige Angabe des rumäni
schen Märchens, daß die jüngste der drei Prinzessinnen, die
der Held befreit, ,die Sonne auf der Stirne und den Mond auf
der Brust' trägt! 3
Ich erwähnte schon, daß das Verborgensein tief unter
der Erde in unserem Märchen nicht bloß von der Lanze, son
dern auch vom Gefäß gesagt sei: gehört dieser Zug vielleicht
(nach der eddischen Parallelstelle zu schließen) ursprünglich
bloß der Lanze zu, so konnte er natürlich von da aus leicht
auf das mit ihr gepaart auftretende Becken übertragen werden.
Beim Gefäße begegnete er sich ja mit der Eigenschaft des
1 Vgl. E. Mogk, Germanische Mythologie, Leipzig, Göschen, 1906, p. 27;
wo unter anderem auf Bezeichnungen wie bergrisar, bergfolk, fjallgautar
für die Riesen verwiesen wird.
2 Vgl. Leopold von Scliroeder, Germanische Elben und Götter beim
Esthenvolke, Sitzungsberichte der Kais. Akad. der Wissenschaften, philo
sophisch-historische Klasse, Band 153, Wien 1906, p. 80 u. ff.
3 Vgl. Victor La2ar, Die Südrumänen der Türkei und der angrenzenden
Länder. Beitrag zur Ethnographie der Balkauländer. Bukarest 1910,
p. 288, auch p. 297; in dieser Abhandlung oben p. 12 f.
Gralsage und Graldiclitung des Mittelalters.
41
Freisch webens, die wiederum nur für das Gefäß ursprünglich
originell sein konnte, hier in unsrem Märchen aber auch von
der Lanze mitverstanden wird, denn auch diese sinkt auto
matisch in den Keller (vgl. oben p. 20 und 37).
Eine weitere nicht zu übersehende Parallele zu der
Person des Gewittergottes ist die Bemerkung, daß Rogears
Stimme rolle wie der Donner (er spricht ,d’une voix qui re-
tentissait comme le tonnerre'). Rogear ist zwar nicht Herr des
Instruments, wie der Gewittergott in seinen verschiedenen
Bildern (die L. v. Schroeder p. 65 u. ff. verzeichnet hat), er
hat es nur an sich gebracht; er ist ein Riese, dem Thrymr
vergleichbar, aber das Donnern gehört eben zu dem Gewitter
instrument und ist von diesem auf seinen zeitweiligen Besitzer
übertragen worden. Also auch hier eine kleine Verschiebung
wie bei den beiden Talismanen, die aber für das Wesen der
Sache gewiß belanglos ist und uns weiter nicht auffallen darf.
Man beachte auch das Erdbeben und den furchtbaren Schlag,
der ertönt, als Peronnik, der rechtmäßige Besitzer des Instru
ments, es in seine Hand nimmt und der natürlich ganz deut
lich dem Donner entspricht: ,mais ä feine les (= die beiden
Wunschdinge, Lanze und Becken!) eut-il saisis, que la terre
trembla sous ses pieds; un eclat terrible se fit entendre 1 . Und
wiederum hat die Paarung der beiden Talismane es mit sich
gebracht, daß das Donnergeräusch nicht vom Berühren der
Lanze allein, sondern vom Berühren beider gesagt wird.
Daß der Held nach überstandenen Abenteuern und Be
freiung des Zauberschlosses sich weit weg auf einem indifferenten
Ort, auf einer Wiese, im Wald, auf der Straße usw., befindet,
ist im Märchen ganz gewöhnlich, meist so, daß er im Zauber
schlosse abends einschläft und am nächsten Morgen schon im
Freien erwacht.
,Der Palast verschwand und Peronnik befand sich mitten
im Wald', heißt es in unserem Märchen.
Erwähnen will ich noch, daß der Mann mit den zwölf
Augen auch in einer Variante der Fionnsage vorkommt, 1 aber
dort in anderer Umgebung und mit anderen Funktionen. Auf
fallend ist in seiner Gesellschaft bloß ,a hag clad in dark ash
1 A. Nutt, Studies on the Legend of the Holy Grail, p. 201.
42
IV. Abhandlung: Junk.
coloured garment 1 , wobei man an unsere schwarzgekleidete
zauberhafte dame jaune erinnert wird. Am Ende dieser Er
zählung werden jedoch die Personen allegorisch ausgedeutet:
,the twelve-eyed old -man is the „icorld
Das, wie L. v. Schroeder, a. a. O., p. 76 u. ff. gezeigt hat,
mit der Gewitterwirkung unmittelbar zusammenhängende und
im arischen Ritual diese Wirkung (das Gewitter) geradezu be
dingende Motiv der Keuschheit, respektive sexuellen Un
erfahrenheit, tritt nun auch in unserem Märchen, wie ich glaube,
ganz bedeutsam hervor. Ich glaube zwei Züge hierher rechnen
zu dürfen. Einmal hat das Motiv hier eine besondere Färbung
erhalten in dem echt märchenhaften Charakter des sogenannten
,Dümmlings'. Das Wesentliche ist, trotzdem der französische
Nacherzähler übertrieben zu haben scheint, noch deutlich zu
erkennen. Peronnik wird genannt: idiot, pauvre idiot, pauvre
innocent, d’un air innocent; es wird sein knabenhaftes Aus
sehen betont: le garcon, jeune garcon sind konstante Bezeich
nungen für ihn: der Trompeter des Königs spottet über ihn, da
er sieht, wie jung und klein er ist: cjui le voyait si jeune et si petit.
Aber wenn auch Souvestre durch die eingehende Schilderung
der Gattung der pauvres innocents eine etwas geringschätzige
Meinung dieser Sorte von Menschen beim Leser hervorzurufen
geneigt scheint, so sagt er doch in einer Anmerkung ausdrück
lich, daß es gerade die listige Verschmitzheit jener Schwachen
sei, die den Sieg davonträgt über die rohe Kraft: Vidiot des contes
populaires est la personification de la faiblesse rusee Vemportant
sur la force; man vgl. dazu das auf p. 34f. Gesagte!
Dieser Charakter des ,Dümmlings' ist bekanntlich im
Märchen überhaupt beliebt: gewöhnlich ist es der jüngste von drei
Brüdern, dem das Glück zuteil wird, der Mißachtete, Zurück
gesetzte unter seinen Brüdern, auch das Aschenbrödel gegen
über den beiden verzogenen Schwestern, also ein Wesen, wel
ches wegen seiner Unerfahrenheit von seiner Umgebung für
dumm, zurückgeblieben gehalten wird: das In-sich-gekehrt-sein,
hier offenbar ein Anzeichen des langsamen, aber sicheren Reif
werdens, erscheint der Umgebung eben als Stumpfheit, Dumm
heit. Darin liegt bekanntlich für das Märchen eine starke
Kontrastwirkung, wenn dann gerade diese anfangs zurück
gedrängte Gestalt schließlich die höchste Stelle einnimmt. Die
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
43
hierhergehörigen Märchencharaktere sind überaus zahlreich; 1
aus dem deutschen Epos wäre noch zu erinnern an die Ge
stalt des jungen Dietleib, aus dem angelsächsischen an die
Jugend des Beowulf; auch der starke Rennewart der altfranzö
sischen Sage wird anfangs zurückgesetzt und muß Küchen
dienste verrichten. 2 Desgleichen erweist sich der alte Angeln
könig Offa ,in früher Jugend als untauglich: er ist stumm,
wohl auch stumpfsinnig. In der Stunde der Not aber . . . offen
bart er seine Heldennatur/ 3 Auch der heilige Alexius muß im
Hause seines kaiserlichen Vaters wie ein Knecht unter der
Stiege wohnen.
Eine zweite wichtige Einzelheit aber in unserem Märchen,
die unter diesem Gesichtswinkel betrachtet werden muß, ist
die sensationelle Wendung am Schlüsse: als Peronnik endlich
heiratet (die Tochter des getauften Sarazenen fürsten), erhält er
von ihr hundert Kinder! Niemand wird leugnen, daß damit
ein deutliches Zeichen geschlechtlicher Fruchtbarkeit gegeben
ist; diese aber kennen wir als eine Folge langer Zurückhaltung,
respektive völliger Keuschheit, Jungfräulichkeit des Helden be
reits aus den von L. v. Scliroeder a.-a. 0., p. 76 u. ff. beigebrach
ten Parallelen primitiver Dichtung.
Peronnik ist offenbar auch, ganz wie jener Märchentypus,
in geschlechtlichen Dingen unerfahren; er ist d’un air si
innocent 1 , wie schon erwähnt wurde, und das einzige weib
liche Wesen unseres Märchens, die ,gelbe Frau', nennt ihn stets
pauvre innocent. Man darf darauf ein gewisses Gewicht legen,
weil darin eben die alte Beziehung der Keuschheit zu der da
durch gesteigerten Fruchtbarkeit auch in unserem Märchen
hervorzutreten scheint.
Freilich vom Fruchtbarwerden des verödeten Lan
des durch das Erscheinen des Helden, einem Motiv, das uns
1 Vgl. bei Grimm, Kinder- und Hausmärchen, Band HI, die Anmerkungen
zu den Märchen Nr. 4. *21. (36). (46). 53 (u. z. die ,aus Wien 1 mitgeteilte
Variante, worin Schneewittchen die jüngste von drei Schwestern ist).
57. 63. 64. (97). 106. 130. 165 und diese Märchen selbst.
2 Wie der Prinz im Märchen vom ,Eisenhans‘, bei Grimm Nr. 136. Vgl.
auch die Anmerkung im III. Bande, Reclam-Ausgabe p. *235.
3 B. Ten Brink, Altenglische Literatur, in Pauls Grundriß der german
Philologie, 1. Auflage, II. 1, p. 534.
44
IV. Abhandlung: Junk.
aus den Gralromanen zur Genüge bekannt ist 1 und durch
L. y. Schroeder zum ersten Male in seiner Urbedeutung auf
gezeigt worden ist, wird in unserem Märchen nicht ausdrück
lich gesprochen. Dafür aber haben wir, wie wir gleich sehen
werden, auf der einen Seite höchstwahrscheinlich die wenn
gleich nur mehr schattenhafte Erwähnung des wüsten, unfrucht
baren Landes und auf der anderen die auffallende von der
sexuellen Fruchtbarkeit des Helden selbst. Tritt also in den
Gralromanen des Mittelalters die Abfolge ,Verwüstetes Land —•
fruchtbar gewordenes Land' allein hervor, so entschädigt uns
unser Märchen dafür, indem es die mit zur Urvorstellung ge
hörige sexuelle Fruchtbarkeit als eine Folge der langen Zurück
haltung, respektive Keuschheit, Unerfahrenheit etc. des Helden
klar erhalten zeigt, also einen Zug enthält, der wiederum in
den mittelalterlichen Graldichtungen fehlt.
Ich glaube nämlich, daß wir berechtigt sind, auch auf Fol
gendes zu verweisen: Hinter dem Zauberwald, dem ,Irrwald, der
gleichsam die Grenze des verzauberten Gebietes bedeutet, ist das
erste Lokal, das Peronnik betritt, un lieu aride et plus triste qu’un
cimetiere; es ist die Ebene mit den Skeletten der vergeblieh daher
gekommenen Ritter: darauf geht das zweite Attribut triste, das
erste, aride, aber wird nicht näher bestimmt, es steht also allein
und ist vielleicht prägnant gebraucht für ,wüstes, unfruchtbares
Land'. Man vergleiche auch die Bemerkung, daß dort die
früher gekommenen Ritter sich verirrt haben und durch Kälte,
Ermattung und Hunger umgekommen sind: s’y sont egares et
y ont peri de froid, de fatigue ou de faim. Und da darf wohl
daran erinnert werden, daß, als die Stadt Nantes von den
Feinden belagert und verwüstet und ihre Bevölkerung aus
gehungert ist, das Erscheinen Peronniks abhilft. An sich
würden ja auch diese Züge nichts beweisen, aber aus dem
angedeuteten Zusammenhänge heraus scheinen selbst sie nicht
gleichgiltig.
Was den oben hervorgehobenen ,Dümmlings'-Charakter
betrifft, der also auf der Forderung absoluter seelischer Rein
heit, beziehungsweise auch körperlicher Jungfräulichkeit basiert,
1 Vgl. R. Heinzei, Über die französischen Gralromane, a. a. O., p. 184 u. ff.
und L. v. Schroeder, Die Wurzeln der Sage vom heiligen Gral,
a. a. 0., p. 71 u. ff.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
45
• so glaube ich, daß die sexuelle Reinheit Peronniks sich auch,
nur sozusagen ins Christliche projiziert, wiederspiegelt in dem
Vertrauen auf geweihte Sachen: auf den Rosenkranz, auf die
in Weihwasser getauchte Schlinge usw.
Ferner dürfen wir daran erinnern, daß zum Dümmlings
charakter des Märchens die überhüfliche Bereitwilligkeit zum
Grüßen gehört. Peronnik zieht seine Mütze nicht bloß vor dem
den Apfelbaum behütenden Zwerg, sondern auch vor dem Löwen
bei der Lachenden Blume, vor der Maurin zweimal, das zweite
mal, ,um sie nicht mehr aufzusetzen'. Und in der einen und
einzigen Situation, wo der Dümmling seine Mütze nicht zieht,
nämlich vor den gefährlichen Drachen im Drachensee, hebt
es der Erzähler ausdrücklich hervor! Noch bei Wolfram gibt
Herzeloyde dem jungen Parzival den Rat, er solle der werlde
grüezen bieten, 127, 20. Wilhelm Hertz hat in den An
merkungen zu dieser Stelle 1 darauf verwiesen, daß dieser Zug,
dem Dümmling einzuschärfen, ,vor allen Begegnenden sein
Käppchen zu ziehen und ihnen einen schönen guten Tag zu
wünschen', im deutschen Märchen wiederkehrt.
Aus dem angedeuteten Gesichtspunkte heraus verdient
auch Peronniks Enthaltsamkeit Beachtung. Er, dessen jugend
liche Unersättlichkeit in der ersten Szene mit der Bäuerin zu
so köstlicher Schilderung Anlaß gibt, enthält sich der Nah
rung, während er die Talismane gewinnt; er hat sein Früh
stücksbrot auf den Boden ausgebröckelt, um das Füllen an
zulocken, er enthält sich weiterhin der verlockenden Speisen
im vallon des plaisirs.
Mögen also auch vom Standpunkt des einzelnen Märchens
aus diese Dinge, wie der Dümmlingscharakter des Helden,
seine Enthaltsamkeit, das öde Land, die fruchtbare Ehe mit
einer morgenländischen Prinzessin, bloße für sich bestehende
Episoden sein, aus den nun schon bekannten Zusammenhängen
heraus ergibt sich ihre Grundbedeutung für den Sinn des
Märchens und zugleich ihre enge kausale Zusammengehörig
keit. Gerade diese abnorme Fruchtbarkeit des Helden in
der Ehe sieht auf den ersten Blick aus wie eine Übertreibung
zugunsten des Gedankens von der Gründung eines neuen christ-
Parzival, 4. Aufl., p. 487, Anm. 51.
46
IV. Abhandlung: Junk.
liehen Reiches im Orient. 1 Mit der Bemerkung aber, daß der
Held ,hundert' Kinder zeugt, steht unser Märchen ganz ver
einzelt da. Und es ist dies begreiflich, denn an dem gewöhnlichen
Dümmling des Kindermärchens wird diese Seite begreiflicher
weise nicht berührt. Hier ist sie dagegen von der höchsten
Bedeutung und hat sich vielleicht infolgedessen in einem so
starken Ausdruck erhalten, wie er mir sonst in keinem Märchen
begegnet ist. 2 Die Naivetät und Kindlichkeit unseres Märchens
hat übrigens dadurch keine Einbuße erlitten und es wird
niemandem einfallen, etwa deshalb die Ursprünglichkeit des
Märchens in Zweifel zu ziehen.
Ja, es darf hiebei bemerkt werden, daß ,Peronnik‘ in
dieser Hinsicht von unschätzbarem Wert ist: es scheint das
einzige keltische Märchen, überhaupt die einzige keltische
Tradition zu sein, die diesen wichtigen Zug: Reinheit, Keusch
heit in Verbindung mit der Bechergewinnung (, Gralsuche')
bringt. ,No Celtic tale‘, sagt Alfred Nutt, 3 ,1 have exermined
with a vieic to throwing light upon the Grail romances insists
upon this idea (== Reinheit, Unerfahrenheit), hut some Version,
noiv lost, may possibly have done so 1 , und er hat selbst kel
tische Tradition in Menge herangezogen, die nur irgendwie
geeignet ist, Licht auf das Entstehen des Gralmärchens zu
werfen, — nur nicht den ,Peronnik'! Vgl. p. 17 f. dieser Ab
handlung. Die große Bedeutung der Keuschheit für das Ge
lingen so gefährlicher Wagnisse im Märchen war Nutt ganz
klar, wenn er sagt, 4 ,ln populär traditions the incident (= Be-
1 Aus dem Kreis der Gralsage erinnern wir uns dabei an das im fernen Asien
begründete Reich des Priesters Johannes (vgl. Wolfram, 822, 21 u. fl’.).
2 Aber wir erinnern uns dabei an die drastische Schilderung der Wirkung
des indischen Generationsritus im Vrishäkapilied (vgl. Leopold von
Schroeder, Mysterium und Mimus im Rigveda. Leipzig 1908, p. 304 u. ff.,
besonders p. 312. 323): Vrishäkapi bat sich mit Par^u, Manus Tochter,
vereinigt und die Wirkung des phallischen Akts ist so stark, daß sie
zwanzig Kinder auf einmal gebiert (Strophe 23). Die beiden Schluß
strophen des Sängers heben diese wichtige Fruchtbarkeit hervor, die
,für die Menschheit von Vrishäkapi ausgegangen* ist (L. v. Schroeder,
a. a. O., p. 315; vgl. auch p. 165 über die Wirkung der Fruchtbarkeits
zeremonie nach dem Agastyaliede).
3 Studies on the Legend of the Holy Grail. By Alfred Nutt, London
1888, p. 247.
4 A. Nutt, a. a. O., p. 247.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
47
such im ,Lande der Schatten“) takes the form of entry into the
liollow hill-side where the fairy hing holds his court and hoards
untold riches. Poverty and simplicity are the frequent quali-
fications of the successful quester; oftener still some mystic birth-
right, the beeing a Sunday’s child for instance, or a seventh
son; or again freedom from sin is required, and, perhaps, most
frequently maidenhood! Nur konnteNutt dafür keine keltischen
Belege beibringen, sondern mußte sich begnügen, auf Grimms
Deutsche Mythologie, II, 811 ,and his references 1 zu verweisen.
Der Zusammenhang unsres Märchens mit den von
L. v. Schroeder aufgestellten Grundvorstellungen wird aber
noch durch weitere Parallelen erhärtet: das gefahrvolle Wagnis
Peronniks ist im Grunde nichts andres als eine Fahrt ins
Totenreich, in die Welt der abgeschiedenen Seelen.
Darauf deuten mehrere Umstände ganz klar; so schon die
schwere Auffindbarkeit der Burg und die mannigfachen Ge
fahren, die auf dem Wege dorthin zu überwinden sind und
die sich dem Eingang ins Infernum vergleichen lassen. Diese
Unzugänglichkeit der Paradiesburg für gewöhnliche Menschen
ist etwas im Märchen ganz selbstverständliches; auch Plein-
l’ich von Melk denkt sich in ,des tödes gehugde‘ das irdische
Paradies von hohen Bergen eingeschlossen. 1
Auch sonst erweist die spezielle Lage des Schlosses die
nahe Beziehung zum Jenseits: ,The castle lies, as a rule, on
the other side of a river 1 , sagt A. Nutt. 2 Hierher gehört in
unserem Märchen ,la riviere qui n’avait qu’un seul gue‘; 3 das
Füllen (= der Führer in die Unterwelt?) kennt diese Furt
und betritt sie ganz von selbst. Zur selben Vorstellung gehört
der reißende Fluß, der das Beich der nordischen Totengüttin
Hel, den Niflheim, umströmt. 4 Durch dieses mit Schrecken
aller Art (Schneiden und Schwertern in der nordischen Vor
stellung) versehene Wasser muß hindurch, wer in das selige
Reich gelangen will. Das spiegelt sich auch im deutschen
1 V. 970—976; vgl. Grimm, Deutsche Mythologie, 4. Au8., III. 244.
* Studies on the Legend of the Holy Grail, etc., p. 190.
3 Souvestre, a. a. 0., II, p. 162.
4 Auf anders Hierhergehörige verweist E. Mogk, Mythologie (in Pauls
Grundriß der germanischen Philologie, Bd. I. 1. Aufl. Straßburg, 1891)
p. 1116.
48
IV. Abhandlung: Junk.
Kindermärchen von der ,Frau Holle' 1 wieder: die Kinder ge
langen durch das Wasser (eines Brunnens) auf die selige
Wiese, wo es ihnen schlaraffenmäßig ergeht.
Und auch dies Letztere ist höchst wichtig. Vor jenem
Fluß hat nämlich Peronnik das. vallon des plaisirs zu passieren,
welches geschildert wird als un jardin rempli de fruits, de
fleurs et de fontaines, mais les fontaines etaient de vins et de
liqueurs delicieuses, . ... les fruits venaient s’offrir d’eux-memes,
und das mit seinen grandes tables servies comme pour des rois,
seinen pdtisseries usf. so deutlich als ein wahres Schlaraffen
land erscheint. 2 Es ist ganz dasselbe wie die ,schöne grüne
Wiese', das ,weite Feld' im deutschen Märchen, wo die Sonne
scheint und viel tausend Blumen sind, 3 wo das Brot im Back
ofen längst ausgebacken ist und ruft ,zieh mich raus, sonst
verbrenn ich'; wo die Apfel am Baum rufen ,schüttel mich,
wir Äpfel sind alle miteinander reif'. ,Eine rote Kuh', heißt es
in einer Variante des Märchens, ,bittet gemelkt zu werden,
damit ihr der Euter nicht zerspringe'; 4 wieder in einer anderen
kommt das Mädchen ,in einen herrlichen Garten und in ein
Haus, wo niemand ist: in der Küche will die Suppe über
laufen, will der Braten eben verbrennen und der Kuchen im
Backofen eben schwarz werden' 5 usf. Es ist dies die sinn
lichste und gewiß älteste Vorstellung vom Jenseits, vom Para
dies', dessen Name selbst ja geradezu soviel bedeutet als ,blühen
der Garten' 0 und gewiß identisch ist mit dem .Rosengarten'
der Heldensage. ,Achilles wandelt auf der Blumenwiese, dem
äacpodeXög Xeitubv der Unterwelt, wohin die Seelen der er
schlagenen Freier Hermes geleitet (Odyssee 11, 539. 24, 13.. . .)'. 7
Jakob Grimm hatte auch schon auf die interessante Stelle
im mittelalterlichen Epos verwiesen, wonach der Selbstmörder
nicht auf die ,Wiese', auf die ,Aue der Seligen' kommt:
1 Grimm, Kinder- und Hausmiirchen Nr. 24; ygl. Band III, p. 46 u. ff.
2 Souvestre, a. a. 0., II, p. I60£.
3 ,Frau Holle 1 , Grimm Nr. 24, vgl. die Anmerkungen dazu, Bd. III.
4 Vgl. Grimm, a. a. 0., Bd. III, p. 49.
5 Grimm, a. a. O., Bd. III, p. 48.
6 Nach Benfey 1, 438 ist gr. nciQudtiaog ,Garten“ = zend. paradfahas
,schönstes Land“, zu skr. deSas ,Land“. Vgl. Grimm, Mythologie, 4. Aufl.
III, p. 244.
7 Grimm, Mythologie, 4. Aufl,, 111, p. G86.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
49
,swer im selber den tot tuot,
den geriuwet diu vart,
und ist im ouch verspart
diu ivise, dar dü liomen wilt,
an der Blanscheflür nü spilt
mit andern genuogen,
die sich niht ersluogen. 1
Und unseren deutschen Bezeichnungen ,blühendes Gefilde',
,grüne Aue' hatte ebenfalls schon Jakob Grimm a. a. 0. die
französischen camp flori, paradis flori gegenübergestellt. Und
bekannt sind ja auch die Bezeichnungen für das Paradies im
Ileljand: gröni wang wird mit dem Paradies verglichen, V.3136;
ganz deutlich ist ausgedrückt: godes wang an himile, V. 1323,
und qroni qodes wanq wird geradezu synonym gebraucht mit
himil-riki, V. 3083.
Sehr wichtig ist in dieser Beziehung, wie sich der Held
zu den ihm dargebotenen Speisen etc. verhält: er genießt näm
lich nichts davon. Auch dies läßt sich auf die Zugehörigkeit
zur Unterweltsvorstellung deuten: Mythus und Märchen kennen
in unzähligen Varianten den Gedanken, daß der Genuß von
Speise und Trank bei den Unterirdischen gefahrvoll sei, also
z. B. das Vergessen der gestellten Aufgaben bewirke, u. dgl. m.
Man vgl. etwa Grimms Kinder- und Hausmärchen, Nr. 93,
,Die Rabe' und die dazugehörigen Anmerkungen im III. Bd.,
p. 184: der Held wird vor dem Schlaftrunk, der ihm gereicht
wird, gewarnt. —
Noch in der ,Krone' des Heinrich von dem Türlin
enthält sich Gawein des Trinkens auf der Gralsburg (,Kröne',
V. 29.325), und zwar auch auf die Aufforderung des Wirtes,
zu trinken, vermeidet er es (V. 29.339); die beiden Genossen,
die wirklich trinken, Lanzelet und Calocreant, versinken in
tiefen Schlaf (V. 29.526 u. ff.; auch 29.450 u. ff.; besonders
wieder 29.459 u. ff.). Und daß die Gralsburg bei Heinrich
1 Flore und Blanscheflür von Konrad Fleck, V. 2422 u. ff. Vorher spricht
der Dichter von der mate, V. 2326, der Matte, als dem Gefilde der Se
ligen. Ein Minnesinger vergleicht sein Glück dem, das die Seele
empfindet über die Wonnen jener ,Wiese 1 : ich wart aller fröuden vol als
ein s&le von der wise, diu ze himelriche sol (vgl. das Mittelhochdeutsche
Wörterbuch von Beneeke-Müller-Zarneke, Bd. III, p. 765 a).
Sitzungsber. d. pliil.-Uist. Kl. 168. Bd. 4. Abli. 4
50
IV. Abhandlung: Junk.
wirklich = das Totenreich ist, darüber vergleiche das nächste
Kapitel.
Auf der Wiese steht der Paradiesbaum mit dem Apfel.
Die Verbindung von Äpfeln mit dem Paradies hat Jakob
Grimm gerade für den keltischen Vorstellungskreis aufgezeigt:
den ,heiligen Apfelwald' in Villemarques Barzaz Breiz 1 und
die ,insula pomorum 1 der ,vita Merlini'. 2 Dieses Land der
Apfelbäume, Avalon, berührt sich natürlich nahe mit dem
Garten der Hesperiden im griechischen Mythus, dessen goldene
Apfel der Drache Ladon bewacht (wie hier der Zwerg mit dem
Feuerstachel) und mit der nordgermanischen Idun, deren Äpfel
ewiges Leben verleihen; und selbstverständlich spielt dieser
Zug wiederum im Märchen eine große Rolle. Die Situation aus
dem ,Peronnik', wie Peronnik zum Baum des Lehens gelangt,
um einen Apfel abzureißen, aber ein wildes Tier den Baum
beschützt, ähnelt sogar sehr derjenigen, in die ,der Königssohn,
der sich vor nichts fürchtet', 3 gelangt. Auch er holt einen
,Apfel vom Baume des Lebens'. Der Garten, worin der Baum
steht, ,ist von einem eisernen Gitter umgeben und vor dem
Gitter liegen wilde Tiere, eines neben dem andern, die halten
Wache und lassen keinen Menschen hinein'. Und auch das schon
erwähnte rumänische Märchen ,Der Garten mit den Goldäpfeln'
(vgl. oben p. 12 f.) beruht in seinem ersten Teil geradezu auf
dieser Vorstellung: der Baum trägt neun Äpfel, die aber der
behütende Drache selber einen nach dem andern auffrißt.
Und nachdem der Jüngling das Abenteuer bestanden hat,
kommt er, wie es ausdrücklich heißt, ,in die Unterwelt'! 4
Zu diesen Andeutungen auf die Unterwelt darf noch ge
rechnet werden das schreckliche Aussehen der dame jaune, ihre
Bezeichnung als ,la Peste‘ und ihre Rolle im Märchen über
haupt. Hier laufen jedoch wieder mehrere Fäden zusammen.
In Bezug auf ihr schreckenerregendes Äußere kann erinnert
werden an die Gestalt der nordischen Hel, insbesondere wie
sie ihr die spätere Volkssage in christlicher Zeit beilegt: ,sie
1 Villemarque, Barzaz Breiz. Contes populaires de la Bretagne, 1, 50.
57. 90.
2 Vgl. Grimm, Mythologie, 4. Aufl , III, p. 244.
3 Grimm, Kinder- und Hausmärchen, Nr. 121.
* Victor Lazär, Die Südrumänen etc., p. 289.
mssssm
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters. 51
ist halb schwarzblau, halb fleischfarben, von schrecklichem
Aussehen.' 1 Und sie entspricht auch der im deutschen Märchen
so häufig auftretenden ,Teufels Großmutter'; auch Frau
Holle wird (in dem früher angezogenen Grimmschen Märchen
Nr. 24) als ,eine alte Frau' eingeführt. Dann aber gehört hie-
her der wesentlichste und auffallendste Charakterzug jener Ge
stalt: sie hilft dem Helden bei seiner Aufgabe, sie unterstützt
ihn, obwohl man nach ihrer Zugehörigkeit zum Jenseits doch
das Gegenteil erwarten sollte. Und da sei wieder ,des Teufels
Großmutter' zuerst genannt. Sie ist dem mutvollen Jüngling
hold, wie die dame jaune dem Peronnik. Sie verschafft ihm
die ,drei goldenen Haare', 2 sie versteckt den Mutigen vor dem
eintretenden Teufel, 3 so wie die mitleidige Riesenfrau, Tyrs
Mutter, Thor und Tyr vor dem zornigen Hymir verbirgt.
Hier ist sie es auch, die dem Thor den guten Rat gibt, den
Krystallkelch dem Riesen, ihrem eigenen Gemahl, an den Schädel
zu werfen, und so dem Thor das Gelingen seiner Aufgabe er
leichtert. Andere Belege aus dem Märchen, zum Teil solche,
die die Beziehung zur Unterwelt ganz deutlich zeigen, siehe bei
Grimm, Kinder- und Hausmärchen, Bd. III, Reclam-Ausgabe,
p. 82, 189 (,die hilfreiche alte Frau; sie geht fort und ist er
löst, gleichwie jener [= der Derwisch in dem entsprechenden
Märchen von 1001 Nacht] stirbt, nachdem er seine Be
stimmung erfüllt hat'), p. 223, 268. Auf p. 63 bemerken die
Brüder: ,Von des Teufels Mutter oder Großmutter ist in der
„Deutschen Mythologie“ die Rede. Sie ist hier gutmütig und
steht dem Bedrängten bei, wie in dem englischen Märchen von
Jack und dem Bohnenstengel. 4 Auch die Töchter der Riesen
zeigen sich dem Fremdling geneigt.' Einen keltischen Beleg
für die mitleidige Riesenfrau habe ich bei A. Nutt gefunden,
in der Fionn-Sage: Fionn und seine Kameraden suchen den
schrecklichen Riesen , Yellow Face' auf, ,a giant that lived upon
the ßesh of men. A icoman greets them, and bids them begone
1 E. Mogk, Mythologie (in Pauls Grundriß der germanischen Philologie,
I. Bd., 1. Aufl. Straßburg 1891), p. 1108 f.
2 In dem Märchen ,DerTeufel mit den drei goldenen Haaren 4 , Grimm, Nr.29.
3 In dem Märchen ,Der Teufel und seine Großmutter 4 , Grimm, Nr. 125.
4 Dieses Märchen haben wir schon einmal in einer anderen Beziehung
herangezogen, vgl. oben p. 14.
4*
52
IV. x\bhandlung: Junk.
before the Face returns 1 , 1 aber Fionn macht von dem guten
Rat der Frau keinen Gebrauch, sondern bleibt.
Anhangsweise will ich auf ein Märchen verweisen, das
auch den Weg zur Unterwelt, Hölle, respektive die Entführung
großer Schätze aus der Unterwelt, erzählt und in der Schilde
rung dieses Weges die größte Ähnlichkeit mit unserem ,Peronnik'
hat, nämlich das Grimmsche ,Der Teufel mit den drei goldenen
Haaren': 2 ein Brunnen, der Wein statt Wasser gibt, vertritt das
Schlaraffenmotiv; der Baum mit goldenen Äpfeln deutet auf
dieselbe Paradiesvorstellung; das große Wasser, Uber das der
Held gesetzt wird von einem Fährmann, entspricht dem Fluß
im ,Peronnik' mit der dame jaune, die diesen hindurchführt,
und endlich begegnet die Entsprechung dieser Figur selbst, der
mitleidigen Frau im Reich der Unterwelt, zweimal: einmal als
,des Teufels Ellermutter', die den Jungen in eine Ameise ver
wandelt und vor dem Teufel verbirgt, und das zweitemal als
die alte Frau im Räuberhaus, die ihn vor den Räubern ver
steckt.
Zu den bisher aufgezählten Momenten, die die Vor
stellung: Kerglas = Totenreich erhärten, kommt noch die Un
sterblichkeit Rogears selbst, der erst sterblich wird durch
Peronnik, respektive durch die schwarze Frau, deren Be
rührung tötet.
An zwei Stellen unseres Märchen wird übrigens direkt
auf das Totenreich, respektive Paradies angespielt: die Bäuerin
erschrickt heftig bei den Worten des fremden Ritters, er
suche das Schloß Kerglas; als er sich nicht abhalten läßt
dorthin zu gehn, erklärt sie ihn geradezu als einen Toten (,en
declarant que c’etait un inort de plus que le Christ allait
avoir ä juger‘). Und auf der andern Seite wird der Apfelbaum
von der dame jaune näher bezeichnet als ,une bouture de l’arbre
du bien et du mal, plante dans le paradis terrestre par Dien
lui-meme. Son fruit, comme celui qui fut mange par Adam
et Eve, rend les immortels susceptibles de mourir. 1
Nicht -unwichtig erscheint mir auch von diesem Stand
punkte aus die wiederbelebende Eigenschaft unseres bassin
1 A. Nutt, Studies on the Legend of the Holy Grail, p. 201 f.
2 Kinder- und Hausmärchen, Nr. 29.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
53
d’or-, die Kraft, Tote wieder zum Leben zu erwecken, gehört
naturgemäß unter die Zauber, deren das Totenreich selber
fähig ist. Aus der germanischen Mythologie ließe sich da
erinnern an die Aussage der Heimskringla 8, 22, wonach
Odhin, der Totengott, Tote wieder zum Leben erweckt.
Noch wichtiger aber ist das übrige in jenem Zauberreich
befindliche weibliche Personal: die verlockenden Mädchen,
deren Beschäftigung in Singen und Tanzen besteht; daß solche
elbische Gestalten von dem Helden badend angetroffen werden,
steht ,in klarem Bezug auf die Schwanenverwandlung'. 1
Und über die Zugehörigkeit dieses gerade auch für die Gral
sage hervorragend wichtigen Zuges, der Schwanengestalt, vgl.
L. v. Schroeder, a. a. 0., p. 81 u. ff.
Diese Vorstellung vom Eindringen in das Totenreich ist
ein Moment, das in der Stoffgeschichte der keltischen, respek
tive der von dieser beeinflußten französischen (und dann natür
lich auch der deutschen) Literatur des Mittelalters eine viel
größere Rolle spielt, als bisher zugegeben wurde.
Auf die milde Vorstellung vom Totenreich bei den Kelten
ist wiederholt aufmerksam gemacht worden: bekannt ist, daß
schon Caesar, de hello Galileo 6, 14, als besondere Eigen
tümlichkeit der Gallier ihr starkes Interesse für die Zukunft des
Menschen nach dem Tode hervorgehoben und ihren Glauben
betont hat: ,in primis hoc volunt persuadere non int er Ire
animas, sed ab aliis post mortem transire ad alios‘. Ernst
Martin hat 2 bei Besprechung der Gefahren, die ein andrer
Gralsucher, Gawein, auf dem zweiten merkwürdigen Schloß
der Gralsage, dem Schastel marveil, besteht und durch die
er doch schließlich die größte Herrlichkeit gewinnt, auf die
Schwierigkeiten hingewiesen, , welche nach keltischen Legenden
der Eintritt in die Unterwelt mit sich bringt. In Irland zeigte
man eine Höhle, das sogenannte Feuer des heiligen Patrick,
in welches eintretend man schauerliche Orte durchwandern
mußte, bis man endlich zum Paradiese durchdrang: besonders
ausführlich wird ein Besuch dieser Höhle durch den Ritter
Hoenus 1153 erzählt'. Martin vergleicht dann noch die seit
1 E. Martin, Zur Gralsage, Straßburg 1880, p. 45.
2 Zur Gralsage, Straßburg 1880, p. 41.
54
IV. Abhandlung: Junk.
Mitte des 12. Jahrhunderts vielverbreiteten Visionen des iri
schen Ritters Tundalus, und bemerkt: ,selbst die Fahrten
Brandans bieten ähnliche Vorstellungen von Orten des Schreckens
und der Freude darb
Demnach dürfen wir uns nicht verwundern, in der keltischen
Dichtung wiederholt auf das Motiv eines Besuches der Unter
welt, respektive des lebhaften Verlangens nach dem Lande
der abgeschiedenen Seelen, zu stoßen. An den aus solchen
mythischen Vorstellungen geflossenen Märchenmotiven, also z. B.
von einer Entrückung in dieses selige Land des Friedens, von
einem Besuche, einer waghalsig unternommenen freiwilligen Fahrt
in dieses Wunderland, die natürlich nur unter Überwindung
der größten Mühen und Gefahren vor sich gehn konnte, also
mit schweren ,Abenteuern' verbunden war, endlich auch von
der Anknüpfung persönlicher (Liebes)beziehungen zu den Be
wohnern jenes Elysiums ist nun gerade die keltische Tradition
überreich. Für das Motiv von der Entrückung eines Helden
nach dem Lande der Seligen lassen sich unter deutlichen und
schlagenden Parallelen die irischen Sagen vergleichen von der
Wunderinsel mit den heilkräftigen Feenköniginnen, von dem
,Lande der Jugend', das von mächtigen, zauberischen Königinnen
bewohnt wird, 1 also der uns wohlbekannte literarische Typus
,Artus': im Rachekampf gegen seinen Neffen Modred, der die
Königin Ginevra verführt hatte, wird Artus verwundet, nach
der Insel Avalon entführt und von den dort hausenden schönen
Feenköniginnen geheilt. Daß damit eine Entrückung in die
Unterwelt, also ein symbolischer Ausdruck für des Königs Tod
gemeint ist, geht aus der oft zitierten (noch den französischen
Dichtern des 12. Jahrh. geläufigen) Prophezeiung hervor, Artus
werde von dort, wo er also immer noch ist, wiederkommen, um
das herrliche Britenreich zu erneuern. Wir haben darin die kel
tische Variante einer, wie ich glaube, gemein-arischen Vorstellung
von der Bergentrückung eines großen Königs oder Helden,
wie sie die bekannten germanischen Sagen von Friedrich Barba
rossa, oder auch Kaiser Karl dem Großen, von Holger Danske,
die slawische von dem Serbenfürsten Marko Kraljewitsch u. a.
1 Über diesen Gegenstand vgl. insbesondere Alfred Nutt, The Voyage of
Bran, Son of Febal, to the Land of the Livingj Yol. I The happy
Otherworld, London 1895; Yol. II The Celtic Doctrine of Rebirth, 1897.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters. 00
voraussetzen. 1 Außerdem sei daran erinnert, daß Avalon wört
lich bedeutet = der ,Ort der Apfelbäume'. Ganz nabe heran
gehört die irische Sage von Mongan, der im ,Lande der Ju
gend' erzogen worden ist, mit 16 Jahren auf die Erde kommt,
aber am Ende seines ruhmreichen Lebens lebendig wiederum
in das Land der Jugend entführt wird, wo er mit seinem
Vater Manannan über die Gefilde der Seligen herrscht. 2 Und
selbstverständlich gehört hierher jener Bestandteil der Tristan
sage, welcher, nach einer sehr glaublichen und einleuchtenden
Vermutung Wolfgang Golthers 3 den ersten Abschluß der
Tristansage gebildet haben mochte: der Mythus, daß der im
Kampfe schwer verwundete (mit giftiger Waffe auf den Tod
verwundete!) Held auf übernatürliche Weise (durch eine Fahrt
ohne Steuer und Segel) nach einer Insel des Westmeeres (Ir
land) gelangt und dort von einer zauberkundigen Fee (dem
Urtypus der blonden Isolde) von allen Wunden geheilt wird,
d. h. bei ihr oder mit ihr in das Reich des Friedens, der
Seligkeit eingeht. 4
Auch das zweite Motiv: das absichtliche Aufsuchen der
Unterwelt, das waghalsige Eindx'ingen in dieselbe ist an die
1 Vgl. dazu mein Buch ,Tannhäuser in Sage und Dichtung. München 1911*,
p. 12 f.
2 Vgl. Julius Pokorny, Der Ursprung der Arthursage (in den ,Mit
teilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien*, XXXIX. Band,
Wien 1909), p. 98 f.
3 Tristan und Isolde in den Dichtungen des Mittelalters und der Neuen
Zeit. Leipzig 1907, p. 18.
4 Genauer möchte ich meine Ansicht über diesen Punkt (nach dem Er
gebnis meines früher zitierten Buches ,Tannhäuser in Sage und Dich
tung*; vgl. besonders p. 7 u. ff.) so ausdrücken: nicht Einzellieder über
den politischen Helden Tristan, Drostan (wie Golther a. a. O., p. 14 u. ff.
annimmt) haben den Ausgangspunkt der Tristansage gebildet, sondern
jener Mythus von der Entrückung ins Jenseits und der Anknüpfung von
Liebesbeziehungen mit einer diesem Bereiche angehörigen Feenkönigin.
Daß man zum Helden einer solchen Geschichte natürlich bloß einen
außerordentlich mutigen, bevorzugten Menschen macht, ist klar, aber
nicht das Wesentliche. Denn darauf lege ich auch hier Gewicht, daß
nicht die Person, sondern das Motiv der Ausgangspunkt für die Sage
war. — (Diese Annahme würde auch keinen Widerspruch dadurch er
fahren, wenn wirklich erwiesen werden könnte, daß auch die Gestalt
der Isolde Weißh^nd, Tristans Gemahlin, schon dem ältesten Kern der
Sage angehörte.)
56
IV. Abhandlung: Junk.
überragende Heldengestalt des Königs Artus geknüpft: von
ihm heißt es, daß er einen Raubzug nach der Unterwelt unter
nimmt und von dort mit reicher Beute zurückkehrt. 1
Unsere Untersuchung soll es im weiteren Verlaufe er
weisen, daß auch die Abenteuer der Gralsuche nichts andres be
deuten, als eine Variante dieses dem keltischen wie dem deutschen
Märchen so geläufigen Motivs. Es wird sich zeigen, daß in
der mittelalterlichen Gralsage aus dem ursprünglich einen Lokal
des Totenreichs zwei geworden sind, die Gralsburg und das
Schastel maroeil, — jene mit allem Zauber der Heiligkeit um
geben, der Umrankung durch legendarische Züge ausgeliefert,
dieses aber in seinem altheidnischen Kern noch deutlich als
das teuflische, gefährliche Zauberschloß erkennbar.
Also gerade die beiden größten mittelalterlichen, auf kel
tischer Grundlage emporgewachsenen französischen Roman
komplexe, Tristan und Parzival, gehn in letzter Linie auf
diesen Zug zurück. Tristan wird in jenes Reich ohne sein
Zutun, durch überirdische Mächte entrückt, Parzival dringt
mit Absicht dort ein, überwindet die Schrecken und gewinnt
die dort ruhenden Schätze, respektive Heiligtümer, so wie Artus
von seinem Raubzug aus der Unterwelt mit reicher Beute be
laden zurückkehrt.
2. Kapitel.
,Perroiinik l’idiot 4 im Verhältnis zur mittelalterlichen
Giral-Parzival-Literatur: das bretonische Märchen enthält
Altertümlicheres als die mittelalterliche Sage.
Ich habe schon früher (p. 16 u. ff.) erwähnt, daß das Mär
chen von Peronnik bisher, wenn überhaupt, so nur in der
Weise mit der Parzivalfabel in Zusammenhang gebracht wor
den ist, daß man es als eine durch französische Parzivaldich-
tungen beeinflußte, respektive ganz aus solchen geflossene
sekundäre Bildung auffaßte.
Dies ist erklärlich, denn es sind ja Übereinstimmungen
genug vorhanden, — und es ist auch begreiflich, daß jene
1 J. Pokorny, a. a. O., p. 92.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
57
Meinung auf kommen konnte, denn da man nicht wußte, was
hinter der Parzivalfabel eigentlich steckt, so konnte man
auch nicht die Priorität unseres Märchens vor den Parzival-
dichtungen erkennen. Die hie und da übertriebene Charakter
darstellung des französischen Erzählers, wonach Peronnik einem
idiotischen Kuhhirten gleichsehen konnte, der mit offenem
Munde blöd umherlief, mochte zu dieser Auffassung das Ihrige
beigetragen haben: von dieser Seite betrachtet, konnte man
sich natürlich den Peronnik nicht als das Urbild der idealsten
Heldengestalt des Mittelalters vorstellen. 1 Aber wir sahen, daß
diese Auffassung des Charakters eben auf einer Übertreibung,
respektive Andersfärbung beruht, die indessen doch aus dem
Grundcharakter des ,Dümmlings', des völlig Unerfahrenen,
Reinen, Keuschen geflossen ist, — übertrieben und abgeändert
bloß durch das bretonische Lokalkolorit und wohl auch durch
den modernen Erzähler.
Aber die Priorität des ,Peronnik' vor den französischen
Graldichtungen läßt sich geradezu beweisen: was er an alten
Zügen enthält, ist altertümlicher als der Inhalt der alten Gral
dichtungen, trotzdem er erst im 19. Jahrhundert aufgezeichnet
worden ist; hier gilt, was Friedrich von der Leyen 2 ge
sagt hat: ,Wir dürfen in der Mythologie zweierlei nicht mit
einander verwechseln: das Alte nicht mit dem Altertümlichen.
Ein Märchen, das sich in unsern Tagen das Volk erzählt,
kann, weil es immer noch dieselben uralten Motive wiedergibt,
die es schon vor Jahrtausenden wiedergab, viel altertümlicher
sein als eine Dichtung, die tausend Jahre älter ist, die aber
diese Motive, dem Kunstbedürfnis ihrer Dichter und Hörer
entsprechend, umgestaltete und aus ihnen gerade das eigenste
fortnahm, weil sie es vielleicht für albern und unzulänglich
hielt.' In den Volksmärchen sind ,manche alten Motive klar
und deutlich erzählt und in ihrer ursprünglichen Verbindung
stehn gelassen', während z. B. ,die Dichter der Edda sie eigen
willig umformten und aus ihrem Zusammenhang herauslösten.
Hier ist also die Edda bloß alt, unsere Volksmärchen sind
mehr, sie sind altertümlich'.
1 Von dieser Auffassung war z. B. selbst der geniale Wilhelm Hertz be
fangen, vgl. noch seine Nachdichtung des ,Parzival‘, 4. Auf!:, p. 493.
2 Pr. von der Leyen, Die Götter und Göttersagen der Germanen, p. 31.
58
IV. Abhandlung 1 : Junk.
Die ganze mittelalterliche Gral-Parzival-Dichtung ist durch
setzt mit christlichen Vorstellungen: keine einzige unter
ihnen erzählt die Ereignisse rein märchenhaft, überall klingt
die zum Märchen im Laufe der Entwicklung hinzugetretene
Legende durch. Der Schüssel haftet überall schon der Charakter
der Heiligkeit an, fast überall auch der Lanze. 1
Nun finden sich christliche Elemente im ,Peronnik' aller
dings auch zahlreich. Wir wollen dabei ganz absehen von
kleinen poetischen Ausschmückungen der Erzählung, die Zu
taten des Erzählers selbst sein* können, wie die witzige Um
schreibung, ,la cloche du Benedicite‘ läute in Peronniks Magen,
für ,er hat Hunger'; oder das Zitieren der Meßgesänge beim
Einschläfern des schwarzen Mannes, die Anspielung auf den
mächtigen Erzbischof von Vannes, auf die Frohnleiclmams-
prozession u. dgl. Christliche Elemente sind auch im Gang
der Handlung ganz stark bemerkbar: so am Schluß der Kampf
gegen die Sarazenen zur Befreiung des Heiligen Landes (ein
Motiv, welches durch seinen Zusammenhang mit der Heirat
Peronniks, respektive der sich daraus ergebenden auffallenden
sexuellen Fruchtbarkeit gar nicht gestrichen werden kann).
Auch im Innern des Märchens finden wir mit jedem Fortschritt
der Handlung den Sieg des Christentums über das Heidentum:
der Zwerg, der sich in der Vogelschlinge fängt, kann nicht
mehr heraus, weil sie in geweihtes Wasser getaucht worden
war: dadurch ist der Knoten unauflösbar gemacht; ebenso der
Sack mit Vogelleim und Federn, worin der die Lachende Blume
1 Der Einzige, bei dem die Lanze nicht heilig ist, ist Wolfram.
Bei ihm ist es die Lanze eines Heiden: 479, 13 ez was ein hei den,
der da streit, auch 479, 18 der selbe beiden, und ihr Bluten wird auf
die bekannte von der Legende durchaus abweichende Art erklärt: es
ist das Blut aus der Wunde des vergifteten Aufortas: 489, 30 f.
daz sper muost in die wunden sin:
dä half ein not für d' andern not:
des wart daz sper bluotec rot,
desgleichen 492, 30 daz sper man in die wunden stach. Dagegen kann
Heinrich von dem Türlin wohl kaum als Ausnahme gelten; zwar wird
bei ihm die Heiligkeit von Gral und Lanze nicht ausdrücklich betont,
aber es erscheinen die (drei) Wunderdinge, die Schüssel, das toblier
(r= taiUeoir) und die Lanze in der feierlich-kirchlichen Prozession, und
diese Prozession spricht für den heiligen, legendarischen Charakter der
Stelle (vgl. die ,Krone 1 , V. 29. 361 u. ff.).
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
59
behütende Löwe gefangen wird, weil Peronnik das Kreuzzeichen
darüber macht; die Drachen, die an den Körnern des Rosen
kranzes krepieren; der Mann mit der eisernen Kugel, der durch
die Meßgesänge eingeschläfert und so wehrlos gemacht wird.
Als Peronnik in das verführerische ,Tal der Wonnen' eintritt,
ruft er ,alle Heiligen der Bretagne zu Hilfe' und macht das
Kreuzzeichen; ja selbst der böse Magier Rogear wird durch
göttliche Macht, ,Vordre de Dieu‘, gehindert, sein Eigentum,
Becken und Lanze, in seinem eigenen Hause zu gebrauchen.
Aber: wir finden an dem Gefäß und an der Lanze selbst
nicht die geringste Spur von Heiligkeit, diese beiden sind rein
magische Wunsch- und Zauberdinge.
Ein vom Französischen abhängiger Erzähler, der also die
französische Grallegende des Mittelalters gekannt hätte, hätte
— so behaupte ich — unmöglich innerhalb dieses christlichen
Milieus die Schüssel ihres christlich-symbolischen heiligen Cha
rakters wieder entkleidet: sie kann ihn einfach noch nicht ge
habt haben, oder mit anderen Worten: auch hierin zeigt sich,
daß unser ,Peronnik l’idiot' im Kern eine von der christlichen
Legende gänzlich unberührte rein märchenhafte Tradition dar
stellt. Von dem, was den mittelalterlichen Charakter des
,heiligen' Grales ausmacht, ist hier vollends keine Spur zu
finden.
Ja noch mehr! Bei der letzten und gefährlichsten Probe,
im ,Tal der Wonnen', scheint sogar das Anrufen der Heiligen
und das Kreuzzeichen umsonst zu sein: da hilft ihm einzig der
Gedanke an das bassin d’or und die lance de diamant! Hätten
diese auch nur den Schimmer eines christlichen Glaubenssym-
boles gehabt, so hätte dies hier, wo alles Übrige versagt, nicht
unterdrückt werden können, denn es empfindet sich wie ein
Widerspruch, daß da, im Augenblick der höchsten Gefahr, der
Gedanke an die märchenhaften Wunderdinge mehr Kraft hat
als Gebet und Kreuzeszeichen vorher.
Sieht man genauer zu, so lassen sich auch alle jene christ
lichen Beigaben leicht wegdenken: die Schlinge kann natürlich
auch ohne geweihten Knoten so lange festhalten, bis Peronnik
auf und davon ist, der schwarze Mann kann auch anders als
durch Meßgesänge eingeschläfert werden, ja selbst Peronniks
Vermählung mit ihrem reichen Kindersegen kann auch durch
60
IV. Abhandlung: Junk.
eine andere Heirat als durch die des christlichen Glaubens
helden mit einer Sarazenenprinzessin erfolgen. Der Grundzug
des Märchens, der durch die christliche Ausschmückung aller
dings so reizend modifiziert worden ist, ist eben ein uralt heid
nischer und beruht lediglich auf den uralten Wunderdingen,
dem zauberkräftigen Gefäß und dem mächtigen Gewitter
instrument. Alles Christliche in dem Märchen haftet auch bloß
an den sekundären Zügen, die sich um die wesentlichen, die
Handlung tragenden und fortführenden, gruppiert haben, also
an jenen Zutaten, die den alten heidnischen Märchenkern, die
Gewinnung der beiden Wunderdinge, weiter ausschmücken
durch Schilderung der zu überstehenden einzelnen Abenteuer:
an dem zwergischen Hüter des Apfelbaumes, dem Löwen bei
der Lachenden Blume, an den Drachen, dem Mann mit der
Kugel. An sich mögen also jene aus schm licken den Einzelzüge,
wie der zwergische Hüter beim Apfelbaum, der Löwe bei der
Lachenden Blume, der Mann mit der Kugel u. s. f. uralte Märchen
züge sein, viel älter als die Dichtung der christlichen Ära,
und in dieser bloß charakteristisch ausgestaltet, der Kern des
Märchens aber, die beiden Wunderdinge selbst und ihre Ge
winnung, sind auch jetzt rein heidnisch geblieben.
Die Priorität unseres Märchens gegenüber den Vorstellungen
der altfranzösischen Graldichtungen läßt sich überdies leicht
beweisen durch einen bloßen Vergleich der altertümlichen Züge:
das Märchen enthält deren mehr als die mittelalterliche Gral
literatur, es kann also unmöglich das Märchen aus dieser ge
flossen sein, sondern umgekehrt, das Märchen erscheint auch
dadurch als das altertümlichere von beiden.
Es läßt sich dies z. B. an der Lanze ganz deutlich
zeigen. Im Märchen erschlägt sie, was sie berührt, und leuchtet
wie eine Flamme, mit anderen Worten: sie erscheint als deut
licher Abkömmling des alten Gewitterinstrumentes. In der
Graldichtung des Mittelalters suchen wir diese Eigenschaften
vergeblich. Selbst bei Kiot, wo doch die Lanze durchaus
heidnischen und nicht christlichen Charakter hat, wird vom
Zerstören und Leuchten der Lanze nichts berichtet. Dagegen
hat die Lanze.in der Gralsage noch eine bedeutsame Eigen
schaft, nämlich übernatürliche heilende oder doch schmerz
lindernde Kraft, so daß sie also in gleicher Weise heilen wie
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
61
verwunden kann. 1 Diese Fähigkeit, ebenso zu heilen wie zu
verwunden, wird der Lanze in den jüngeren französischen
Dichtungen, dem Grand Saint Graal und der Quete, aber aus
drücklich als eine Wirkung des Blutes Christi zugeschrieben. 2 Dies
ist sicher jung, wie schon das Fehlen dieser Motivierung bei
Kiot-Wolfram zeigt, bei dem die Lanze die eines Helden ist
und auch jene übernatürliche Kraft besitzt. Es steckt dahinter
vielleicht eine alte, doch kaum eine wesentliche Eigenschaft
der Lanze, vielmehr wahrscheinlich bloß einer jener akziden-
tiellen ausschmückenden Züge, an denen der mittelalterliche
Gralstoff so überreich ist und die ihn im Vergleich zu dem
einfachen Bericht des Mäi’chens so kompliziert machen. Oder
sollte die alte, im Peronnikmärchen deutliche Heilkraft des
Gefäßes auf die Lanze übertragen worden sein? Es wäre dies
nicht undenkbar. Es wird sich im Verlaufe dieser Untersuchung
herausstellen, daß dem Schöpfer der mittelalterlichen Gralsage das
Bestreben eigen ist, Ereignisse doppelt zu erzählen, Charaktere
und selbst Lokalitäten in merkwürdiger Weise zu paaren, diese
paarweise auftretenden Elemente aber charakteristisch vonein
ander zu trennen. Damit würde es wohl vereinbar sein, wenn
auch die beiden ursprünglich eng zusammengehörigen ,Gral und
Lanze' getrennt und mit konformen Eigenschaften ausgestattet
worden wären: also das Heilen wie das Verwunden auf die Lanze
konzentriert worden wäre, wie vielleicht umgekehrt das Leuchten
der alten Gewitterwaffe auf das Gefäß allein (welches diese
Eigenschaft allerdings schon besitzt) beschränkt wurde.
Aber noch eine bedeutsame Eigenschaft besitzt die Lanze
der Gralsage, die im ,Peronnik‘ fehlt: sie blutet! Auch diese
1 Die Stellen sind Kiot-Wolfram 489, 30. 490, 12; Grand Saint Graal,
Hu eher, Tome II, p. 310; Quete, ch. X. XI; Suite Merlin des Robert
de Borron zugeschriebenen Graal-Lancelot-Zyldus: König Pellehan wird
von Balain mit der heiligen Lanze verwundet. Vgl. Heinzei, Über
Wolframs von Eschenbach Parzival, a. a. O., p. 82 und Ed. Wechssler,
Zur Beantwortung der Frage nach den Quellen von Wolframs Parzival
(Philologische Studien. Festgabe für Ed. Sievers), Halle 1896, p. 245.
2 Die Belege siehe bei R. Heinzel, Über die französischen Gralromane,
p. 131; vgl. auch R. Heinzei, Über Wolframs von Eschenbach Parzival,
a. a. 0., p. 82 und Ed. Wechssler, Zur Beantwortung der Frage nach den
Quellen von Wolframs Parzival (Philologische Studien. Festgabe für
Eduard Sievers), Halle, 1896, p. 245.
62
IV. Abhandlung: Junk.
Eigenschaft gehört nach meiner Meinung nicht zum Ursprüng
lichen, sondern dürfte erst im Laufe der literarischen Entwick
lung eingedrungen sein, ob von Seite der christlichen Legende
(als Lanze des Longinus, wie es die gewöhnliche Auffassung
ist) oder (was nach dem Zeugnis Kiot-Wolframs, bei dem die
Lanze, wie gesagt, einem Heiden gehört, wahrscheinlicher ist)
aus heidnischer keltischer Quelle (etwa als die rächende blutige
Lanze, mit der das Königreich Logres nach kymrischer National
sage dereinst vernichtet werden soll . . -), 1 mag vorläufig dahin
gestellt bleiben. Es ist für unsere Frage zunächst gleichgiltig,
weil diese Eigenschaft durchaus nichts Altertümliches in sich
zu schließen scheint. 2 Das Altertümliche an der Lanze ist,
wie wir wissen, ihre Beziehung zum Donnerinstrument und
dies findet sich nur in unserem Märchen, nicht aber in der
mittelalterlichen Gralliteratur.
Das Gleiche lehrt die Betrachtung der Schüssel. Die
Eigenschaften stehn sich folgendermaßen gegenüber. 3
1 Vgl. noch Crestien, V. 7542, wo dieselbe Prophezeiung erwähnt wird.
— Daß es die Lanze des Longinus sei, wird überhaupt erst in den
späteren, sicher nach-Crestienschen Dichtungen gesagt; bei Crestien ist
sie es noch nicht und das muß auffallen, da ja bei ihm die Lanze größere
Bedeutung hat als der Gral selbst! Bei Wolfram ist sie nicht einmal heilig!
2 Es wäre übrigens nicht unmöglich, daß auch das Bluten der Lanze eine
ältere mythisch-symbolische Bedeutung hat: in dem Ringe Draupnir f
von dem jede 9. Nacht 8 neue Ringe abtropfen, sieht Von der Leyen
(Die Götter und Göttersagen, etc, p. 58) ein selbständig geformtes Symbol
für die ewige Fruchtbarkeit und den ewigen Reichtum der Götter 4 . Da
die Lanze (wie der Hammer des Thor und der Speer des Indra) ja eben
geradezu Regen und Fruchtbarkeit schafft, so könnte diese Vorstellung
vom Herabtropfen (etwa ursprünglich von Wassertropfen?) alt und viel
leicht erst später zum Bluttropfen gewandelt worden sein — nur gewiß
nicht unter Einfluß der christlichen Legende von Longinus. Darüber
waren selbst Birch-Hirschfeld berechtigte Zweifel aufgestiegen: ,die
älteren Legenden kennen die Lanze des Longinus wohl, aber von dem
geheimnisvollen Bluten der Lanzenspitze ist nirgends in der Legende die
Rede 4 . (Die Sage vom Gral, p. 122.) Eine solche symbolische Erklärung
des Blutens aus dem ursprünglichen Fruchtbarkeitsmythus selbst wäre
also sehr wohl möglich; auffallend ist dann freilich, daß unser ,Peronnik 4 ,
der doch die alten Züge sonst ziemlich deutlich erhalten hat, vom Bluten
der Lanze nichts weiß.
3 Man vgl. dazu die übersichtliche Zusammenstellung der Eigenschaften,
die dem Gral in den altfranzösischen Gralromanen beigelegt werden, bei
Gralsage und Graldielitung des Mittelalters.
63
In Bezug auf die Form des Gefäßes stimmen sie über
ein : der Schüssel, dem graal, entspricht vollkommen das bassin
des Peronnik; ebenso deckt sich die Eigenschaft des Grales,
Licht zu verbreiten, den Saal auf der Gralburg zu erhellen,
sodaß der Schein der Kerzen dadurch geradezu verdunkelt
wird, respektive die von Kiot-Wolfram hervorgehobene Feuer
natur des Grales (lapis electrix oder l. ex celis für das ver
derbte lapsit exillis, 469, 7) mit dem Glanz des bassin, es ist
ja aus glänzendem Gold (d’or). Auch für das freie Herum
schweben des Grales, speziell um den Tisch während des
Speisens, fanden wir eine Parallele in der Bemerkung des
Märchens, wonach das Becken (freilich hier auch die Lanze!
Vgl. aber oben p. 37) durch eine ihm seihst eigene magische
Kraft versinkt, also seinen Platz verändert. Die für das ideali
sierende Mittelalter nur zu bald als rationalistisch empfundene
speisengebende Kraft, wodurch jeder Speise und Trank nach
Wunsch erhalten konnte, ist in unserem Märchen ungeschmälert,
ja noch viel ausführlicher zu finden: das bassin d’or gibt nicht
nur Speisen, sondern auch Reichtümer jeder Art nach
Wunsch. 1 Der Anblick des Grales verleiht Jugendkraft, er
hält Kranke am Leben, hindert sie zu sterben 2 und hat hei
lende Kraft, 3 ganz ebenso wie das bassin d’or, doch besitzt
dieses außerdem die Eigenschaft, Verstorbene zum Leben wieder
zu erwecken. Beide verschaffen den Sieg in Schlachten.
Was die mittelalterliche Gralliteratur außerdem an altertüm
lichen Zügen aufweist, hat ebenfalls seine Entsprechung in unserem
Märchen oder läßt sich darin wenigstens noch in Rudimenten
erkennen.
R. Heinzel, Über die französischen Gralromane, p. 178; was an den hierher
gehörigen Vorstellungen bei Heinzei fehlt, der sich ja auf die altfranzö
sischen Romane allein beschränkt hat, führe ich im Text genauer an.
1 Dies könnte übrigens auch die Ansicht der mittelalterlichen Graldichter
gewesen sein. Noch im Lorengel gewährt der Gral alles, erfüllt er
jeden Wunsch; vgl. Str. 75, 7:
er (= Parzefal) hat vom stein wes er hegert,
heit er sich dar mit rechte.
(Zeitschrift für deutsches Altertum, Bd. 15, p. 181 u. ff.)
2 Kiot 469, 14 u. ff. 480, 27 u. ff., u. ö.
3 Die Belege bei Heinzei, Über Wolframs von Eschenbach Parzival,
a. a. 0., p. 80.
64
IV. Abhandlung: Junk.
Hierher gehört das Motiv von der Unfruchtbarkeit
des Landes, die durch das Erscheinen des Gralhelden be
hoben wird. Als Ursache dieses trostlosen, verödeten Zustan
des werden in den Graldichtungen, die den ursprünglichen Zu
sammenhang natürlich noch viel weniger deutlich erkennen
lassen als das Märchen, verschiedene Gründe angegeben: Mord
an einem Mitglied des Gralhauses (so hei Chrestien und einigen
seiner Fortsetzer), Frevel an den Brunnenfeen (hei Manessier). 1
Unser Märchen hat diesen Zug, wie ich auf p. 43 u. ff. wahrschein
lich gemacht zu haben glaube, in anderer Form erhalten; wichtig
ist, daß in beiden Quellen nur der (Gral-) Held jene Unfrucht
barkeit durch sein Erscheinen beheben kann.
Auch die Vorstellung vom Seelenland mit seinem himm
lischen, der Schwanenverwandlung fähigen Personal reizender
Jungfrauen war im ,Peronnik‘ noch zu erkennen (vgl. oben
p. 58). Die Vorstellung von den dort zu genießenden Selig
keiten tritt überdies durch die echt märchenhafte Ausmalung
des Schlaraffenmotivs besonders stark hervor.
Diese Vorstellung vom Seelenreich aber ist, wie schon
L. v. Schroeder p. 81 u. ff. hervorgehoben hat, in der Gralsage
des Mittelalters bedeutsam, und es erscheint auch hier wiederum
die Vermittlung durch das Märchen durchaus möglich und
wahrscheinlich. Nur müssen wir selbstverständlich damit rechnen,
daß irgend ein Motiv in den altfranzösischen Quellen weiter
ausgeführt worden sein kann, als in unserem im 19. Jahrhun
dert aufgezeichneten Märchen der Fall sein muß. So hat schon
E. Martin 2 auf die auffallend deutliche Stelle in der ,Krone'
des Heinrich von dem Türlin, V. 29.182 u. ff. verwiesen,
wo Gawein (der hier der ersehnte Held ist) die Frage tut,
was denn die Wunder bedeuten, deren er Zeuge ist:
Gawein fragt (== V. 29.434 u. ff.):
,Tuont mir daz durch Got bekant,
herre, und durch sin magenkraft,
waz disiu grdz herschaft
und daz wunder bediute! 1
Da springt die ganze Gesellschaft jubelnd von den Tischen auf:
1 Vgl. Heinzel, Über die französischen Gralromane, a. a. 0., p. 184 f.
2 Zur Gralsage, p. 30 f.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
65
(V. 29438 u. ff.) : Nach der wäge diese Hute -
ritter und vrouwen alle
mit michelme schalle
Sprüngen von tischen über al,
die da säzen über al,
und huop sich grozer vröuden schal.
Der Wirt des Schlosses, der alte Burgherr, erklärt ihm
das Geheimnis : er und seine Umgebung seien längst verstorben:
(V. 29532 u. ff.): Ich bin tot., swie ich niht tot schm,
linde daz gesinde min
, daz ist ouch tot mit mir.
swie daz si, so haben wir
doch kein witze über al
und haben aller dinge wal
diu nach vröuden ziehent
und jämers not vliehent.
wan dise vrouwen sint niht tot.
sie hänt ouch kein ander not,
wan daz sie sint, da ich bin. 1
Durch die Frage Gaweins also sind sie ,erlöst' worden: dies
spricht Y. 29483 ganz direkt aus: daz sie da von sint erlöst.
Von Parzival, der die Frage nach dem Gral unterlassen,
sagt der Gralherr, V. 29494 u. ff.: hätte er gefragt,
so hete er manic muoterbarn
da mite erlöst von grozer not,
die beidiu lebent und ouch sint tot.
Sie haben also nur zum Schein gelebt: in Wirklichkeit waren
sie tot.
Der Abschluß dieser Episode bei Heinrich von dem
Türlin, in der wir jedenfalls etwas sehr Altes erkennen müssen,
ist auch bemerkenswert: nachdem Gawein das erlösende Wort
gesprochen hat, verschwindet der Gral mitsamt dem ganzen
Gesinde vor seinen Augen, V. 29605 u. ff.:
1 Also die Frauen auf der Burg, als die von Gott eingesetzten Behüter
des speisengebenden, am Leben erhaltenden (vgl. V. 29547 f.) Kleinods
des Grals, unterließen keinem Zauber! Bloß das männliche Personal
auf der Gralsburg scheint verzaubert zu sein und der Erlösung zu be
dürfen: der altherve und seine Ritter.
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 108. Bd. 4. Abli.
5
66
IV. Abhandlung: Junk.
Nach diser rede sä zehant
dirre altherre so verswant
vor sineii ougen und der gräl 1
und mit im zuo dem seihen mal
ditze gesinde über al
daz vor ime ivas üf dem sal
ivan diu vrouwe und ir meide.
Dies erinnert an den Effekt der ,Erlösung' im Märchen von
Peronnik: unter furchtbarem Krach stürzt das Schloß Kerglas
zusammen, verschwindet und Peronnik befindet sich plötzlich
mitten im Walde. Der ganze Spuk ist verschwunden. (Vgl.
oben p. 41.)
Auch bei Pseudo-Gautier, V. 20304u. ff. erwacht Gawan,
nachdem er abends in der Gralsburg eingeschlafen ist, am näch
sten Morgen auf freiem Felde.
Und ebenso erwacht er in der ,Krone' V. 14884 u. ff. auf
einem breiten gevilde und wundert sich, wo auf einmal das velt
hergekommen sei.
Zu den deutlichen Anspielungen auf das Totenreich hat
man auch schon längst die Angabe des Gedichtes vom ,Wart
burgkrieg' gezählt über die Heimat Lohengrins, des Scliwanen-
ritters, Str. 83 u. ff. 2
Und von Perceval selber heißt es in der französischen
Schwanenrittersage, im Chevalier au cygne, daß er ins Toten
reich gehe!
Die Märchenhaftigkeit dieses Gedankens und seine Zu
gehörigkeit zum keltischen Sagenschatz ist klar, wie die schon
früher p. 54 f. angezogenen Parallelen mit Artus, Finn, Mongan,
Connor, auch Tristan, zeigen. Nun kennen wir den Zusammenhang.
Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß auch in unserem
Märchen von Peronnik ursprünglich einmal viel deutlicher vom
1 Die Lesart der (einzigen!) Handschrift: dem gräte erklärt sich als Fehler
infolge der nächsten Zeile.
2 Vgl. die Anmerkungen dazu von Karl Simrock in seiner Ausgabe des
Wartburgkrieges, Stuttgart und Augsburg 1858; R. Heinzei, Uber die
französischen Gralromane, a. a. O., p. 67; Ernst Martin, Wolframs von
Eschenbach Parzival und Titurel, herausgegeben und erklärt, II. Teil:
Kommentar, Halle a. S. 1903, p. LX.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
67
Totenreich, als dem Ziele von Peronniks waghalsiger Fahrt,
gesprochen war. 1
Die christliche Dichtung des Mittelalters betont naturge
mäß von diesem Himmel und Hölle in sich schließenden Unter
weltsgedanken mehr die Paradiesvorstellung allein. Beide, Para
dies und Totenreich, gehören aber enge zusammen, wie ja auch
nach griechischer Vorstellung Elysium und Hades an gleicher
Stelle, am westlichen Okeanos gelegen gedacht werden.
Je später die Dichtungen also liegen, die vom Gral diese
Beziehung erwähnen, um so deutlicher ist vom Himmelreich
die Bede. Hugo von Montfort spricht in einem allegorischen
Gedicht von der Gralburg, die für ihn das Himmelreich
geradezu bedeutet.; 2 bekannt ist ferner die Angabe des hol
ländischen Chronisten Veldenaer (Ende des 15. Jahrhunderts),
der Schwanritter sei ,aus dem Grale (dat greal) gekommen, wie
früher das Paradies auf Erden geheißen habe. Aber das ist
das heilige Paradies nicht, sondern es ist ein sündiger Ort', 3
worin wir also das Gralreich als = Hölle aufgefaßt finden.
Auf der Vorstellung: Gral == Himmelreich beruht auch
die Bemerkung der Hercules Prodicius betitelten Reisebeschrei
bung des Stephanus Vinandus Pighius vom Jahre 1584,
Lohengrin sei ,e paradisi terrestris loco quodamfortunatissimo,
cui Graele nomen esset', zu Schiffe gekommen; 4 während
andererseits in der Notiz der Halberstädter Sachsenchronik,
der Schwanenritter ,sei aus dem Berge gekommen, wo Venus
in dem Grale ist', 5 und in anderen verwandten Berichten
wiederum die Vorstellung vom höllischen Jenseits deutlicher
hervortritt: in Fischarts ,Gargantua‘ bedeutet der Gral ge
radezu = Venusberg. 6
Aus dem engeren Kreise unserer Gralsage ist hier noch
an ein besonders wichtiges Lokale zu erinnern, das die Be-
1 Ist vielleicht der Name des Schlosses ,Kerglas‘ = ,das graue Schloß 1 (vgl.
Kapitel IV) eine poetische Umschreibung, eine Art Jeenning' für ,Toten
reich 1 ?
2 Ausgabe von Karl Bartsch, 138 u. ff.
3 W. Hertz, Parzival, 4. Auf!., p. 465.
4 Derselbe, a. a. O., p. 466.
6 Derselbe, a. a. 0., p. 465.
0 Derselbe, a. a. O., p. 465.
5*
68
IV. Abhandlung: Junk.
Ziehung zum Totenreich ganz deutlich offenbart: das Schastel
maroeil. Schon was uns die Dichter, besonders Crestien,
Y. 10109 u. ff., auch schon V. 8889 u. ff. über die Bestimmung
der Burg erzählen, ist bemerkenswert: die verwitwete Königin
Igerne hatte sich nach dem Tode ihres Gemahls Uterpendragon
mit ihrer gleichfalls verwitweten Tochter und allen ihren
Schätzen dorthin zurückgezogen. Wir kennen dieses Sich-
zurückziehen am Ende eines ruhmreichen Lebens aus keltischer
Sage: es bedeutet in vielen Fällen nichts anderes als ein Ein
gehen in das Reich des Todes, eine Umschreibung für das ge
meinen Menschen vorbehaltene ,Sterben'.
Diese Königinnen nun (bei Kiot-Wolfram sind es gar vier:
Igerne-Arnive und ihre beiden Töchter, außerdem die Mutter
Gawans, eine Schwester Artus’) warten mitsamt ihrem großen
Gefolge an Männern, Frauen und Jungfrauen auf einen, der
sie erlöst! 1 Bekanntlich ist es Gawan, der diese Erlösung
vollbringt, indem er das Abenteuer mit dem Wunderbett be
steht. Alfred Nutt hat dieses Wagnis Gawans und die üb
rigen Proben, die er im Wunderschloß bestehn muß, richtig
charakterisiert als ,a Version of a wide-spread tale of how gods
or heroes penetrating to the other world are made mock of by
its inmates <2 und damit Thors Besuch bei Utgardha Loki ver
glichen, auch die Fionn-Sage herangezogen. Eine der bekann
testen Märchenfassungen dieses Themas ist Nr. 121 der ,Kinder-
und Hausmärchen', ,Der Königssohn, der sich vor nichts fürchtet'.
Die Qualen, die der Prinz nachts auf seinem Lager durch die
kleinen Teufel zu erleiden hat, erinnern lebhaft an die unsicht
baren Angreifer Gawans auf seinem Wunderbett. Ganz märchen
haft ist die Szene noch bei Heinrich von dem Türlin in der
,Kröne' geschildert, wo dem Helden für sein mutiges Wagnis
auch sofort Reich und Prinzessin zugesprochen wird, vgl.
Y. 20416 u. ff.:
würde aber ein ritter vunden
dem sine tagende des gunden
daz er eins nahtes da belibe,
1 Crestien, V. 8945 u. ff. Daß das Schloß ,verzaubert 1 ist, sagt V. 8966
ausdrücklich.
2 Studies on the Legend of the Holy Grail etc., p. 200.
Gralsage und Graldiehtung des Mittelalters.
69
daz in diu schände niht vertribe,
dem gcebe man die schcene meit
mit so ganzer Sicherheit
daz sie wcere sin amte,
imde hüs und massenie,
lant liute unde gelt,
walt, xoazzer unde velt,
man unde dienestman ....
Der unberufen Eindringenden harrt der Tod, vgl. Cre-
stien, Y. 8915 u. ff.:
que Chevaliers ne puet entrer
qui i puisse mie arriester
en nule fin, ne vis ne sains,
qui de couardise soit plains
ne qu’il ait en lioi nul malisse
de losenge ne d’avarisse;
couars ne tra'itres n’i dure;
li foi-mentie, li parjure,
eil i muerent si ä delivre
qu’il n’i pueent durer ne vivre.
Wichtig ist ferner folgende Stelle bei Crestien: Nachdem
Gawan das Abenteuer auf Schastel marveil bestanden hat und
Herr der Burg geworden ist, bekommt er Lust, in der Um
gegend zu jagen. Aber er darf plötzlich das Schloß nicht
verlassen, V. 9386 u. ff.: das Totenreich, in das er gedrungen,
läßt ihn eben nicht wieder los. R. Heinzei hat sehr fein be
merkt: ,Auch nur aus dem märchenhaften Motiv, daß das
Wunderschloß ein Totenreich ist, erklärt sich die Melancholie
Gawans, als ihm die Kunde wird, daß er als Herr der Burg
dieselbe nicht verlassen dürfe, Crestien 9400. 9420. 9447. 9573.
Aber die Vorstellung ist nicht eingehalten, denn er ist durch
das Gespräch mit Yguierne Arnive rasch getröstet und darf
auch alsbald das Schloß verlassen, nachdem er Orgelusen mit
ihrem Begleiter gesehen/ 1 Und ebenso ist nicht unwichtig,
worauf E. Martin verwiesen hat, daß nämlich die vielen auf
Schastel marveil befindlichen Frauen getrennt sind ,von den
1 Über Wolframs von EschenbaeÜParzival a. a. 0., p. 71.
70
IV. Abhandlung: Jank.
Rittern und Knappen, die erst nach Gawans Erscheinen mit
jenen Zusammenkommen dürfen. Natürlich, im Jenseits hört
der Verkehr der Geschlechter unter den Schatten auf'. 1
Besonders wichtig aber ist, daß jene Frauen bei Crestien
wirklich tot waren, als sie den Hof Artus’ verlassen haben,
während sie hei Kiot und Pseudo-Gautier (vgl. V. 10961 u. ff.)
leben. ,Bei Crestien ist Artus’ Mutter Ygierne gestorben, aber
auf übernatürliche Weise mit ihrer Tochter, der Mutter Gawans,
die auch starb, nach ihrem Tode aber noch eine Tochter, Cla-
rissans, zur Welt brachte, mit der sie sterbend schwanger ging,
in ein fernes Land gezogen, wo sie sich von ihren mitgenom
menen Schätzen ein zauberhaftes Schloß, La Roce de Sanguin
10018, 10186, durch einen weisen Astronomen bauen ließ . . ,‘ 2
Bei Kiot-Wolfram ist die ganze Episode gar zu einer
interessanten Entführungsgeschichte geworden: vgl. besonders
66, 1 u. ff., ferner Buch XI, XII und XIII im allgemeinen, speziell
wieder 334, 6 (die Königinnen sind gevangen) und 658, 26 u. ff.
Ich denke, der Weg, den dieses Motiv ging, war folgender:
Gawan (den man längst als Parallelfigur zu Parzival, dem
eigentlichen Gral-Helden, erkannt hat) unternimmt auch eine
Fahrt in das Totenreich, er dringt in das dieser Vorstellung
entsprechende zauberhafte Schloß ein. Für ihn bedeutet dieser
Besuch im Toten reich aber soviel als das Zusammentreffen mit
seinen verstorbenen Verwandten: tatsächlich sind die drei
Frauen seine Mutter (Wolframs Sangive), seine Großmutter
(Ygierne-Arnioe) und seine Schwester (Clarissans-Itonje), bei
Wolfram sogar noch seine zweite Schwester (die den Namen
der Gralsbotin Kundrie führt); an der Begegnung mit diesen
seinen verstorbenen Verwandten soll es Gawan offenbar merken,
daß er im Totenreiche weilt. Dann aber wurde notwendig, zu
erzählen, wieso die Frauen dorthin kamen, daher die Geschichte
von der Erbauung der Burg, Crestien V. 8910 u. ff., Kiot-Wolfram
658, 9 u. ff., und schließlich wurde gar eine pikante Ent
führungsgeschichte daraus. So bei Kiot-Wolfram an den an
gegebenen Stellen.
1 Wolframs von Eschenbach Parzival und Titurel. Herausgegeben und
erklärt von Ernst Martin. II. Teil: Kommentar. Halle a. S. 1903,
p. LXII.
2 R. Heinzei, Über Wolframs von Eschenbach Parzival a. a. O., p. 30 und 79.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
71
Der phaffe der icol zouber las (66, 4), das ist Klinschor,
der lüsterne Entführer der Frauen (mit dem diu frouwe ist
hin gewant, 66, 5), entspricht dem sages clers d’astrenomie,
V. 8910, bei Crestien, der dort die Burg geradezu in Diensten
der Königin Ygierne zu erbauen hat.
Dieselbe Entwicklung des Motivs hält auch Richard
Heinzei 1 für wahrscheinlich: die Entführungsgeschichte ist
rationalistische Umänderung einer älteren einfacheren Sagenform.
Welches die ■ älteste Grundlage war, wissen wir jetzt: der
Besuch im Totenreich. Und Ernst Martin hat gewiß nicht
Unrecht, den Herrn von Schastel maroeil geradezu einen ,Todes
gott' zu nennen. 2
Aus der Vorstellung, daß das Gralreich = das Paradies
bedeute, erklärt sich leicht die Anknüpfung der Gralsage an
Avalon, das keltische Paradies, und weiters auch die Lokali
sierung Josephs von Arimathia daselbst. Ich denke an die
Anspielung Roberts, im ,Joseph von Arimathia' 3123. 3221, auf
die Täler von Aoaron, respektive die Gleichsetzung von Glaston-
bury, wo Joseph ja (als Bekehrer Englands) begraben sein soll,
mit der insula Avallonis. 3
Was diese in der Gralsage zutage tretende Paradiesvor
stellung betrifft, so wollte L. E. Iselin 4 darin eine direkte Be
ziehung zum biblischen Paradies erkennen, so zwar, daß die
biblische Vorstellung der Grund gewesen sei für die Erwähnung
des Paradieses beim Gral. Wir wissen jetzt, daß der umge
kehrte Weg der wahrscheinlichere ist: die vom Wasser um
flossene, weltabgeschiedene Burg, die Wiese mit den tanzenden
Mädchen, das Schlaraffenmotiv usw. legten die Erinnerung an
das biblische Paradies nahe und ergaben so einen neuen Be
rührungspunkt des ursprünglich zugrunde liegenden Märchens
mit der daran angetretenen christlichen Legende.
Wenn Wolfram 235, 20 den Gral den ,iounsch von pardis 1
nennt (worin Iselin eine direkte Anspielung auf das biblische
* Über Wolframs von Eschenbach Parzival, a. a. O-, p. 40.
2 Wolframs von Escheubach Parzival und Titurel, herausgegeben und er
klärt. II. Teil: Kommentar. Halle 1903; zu 548, 5.
3 Vgl. R. Heinzei, Über die französischen Gralromane, a. a. 0., p. 45,
auch p. 41 u. ff.
4 Der morgenländische Ursprung der Grallegende. Halle 1909, p. 35.
72
IV. Abhandlung: Junk.
Paradies sieht), so halte ich dies (trotz der konkreteren Stelle
im Titurel, IV, 221, 4: wünschelzwige uz paradise, die aber mit
unserer nichts zu tun hat) für bloße poetische Umschreibung
in dem bekannten Sinne: es ist das Wort Paradies nur zur
Steigerung des Begriffes Wunsch verwendet; vgl. auch Titurel
I, 12, 4: der grdl was der Wunsch ob irdeschem riche. Bedeut
samer ist Parzival 244, 16: obez der art von pardis, Obst, wel
ches von einem der Paradiesbäume abstammt (nicht: das aus
dem Paradiese geholt ist, also nicht ,Obst aus dem Paradies';
vgl. in unserem ,Peronnik' p. 164: le pommier garde par le
korigan est une bouture de l’arbre du bien et du mal, plante
dans le paradis terrestre par Dieu lui-meme; bloß der Baum,
auf dem das Obst gewachsen ist, stammt aus dem Paradies,
dies entspricht dem Wolframschen Ausdruck der art von pardis).
Ja, die zweite Stelle, Parzival 481, 19 u. ff., schließt
geradezu aus, daß die Gralgegend mit dem biblischen Paradies
identisch gedacht wurde: das Wasser der dort genannten vier
Paradiesesflüsse (mit seinem kostbaren Wohlgeruch, 481, 23)
gehört zu jenen vielen Heilmitteln, die für Anfortas von weit
hergeholt werden müssen.
Nach allem Vorausgesagten werden wir die bisherige An
schauung, das Märchen sei ,aus den französischen Graldichtungen
geflossen', entschieden zurückweisen müssen. Wie sollte denn
überhaupt ein Märchen aus einer Kunstdichtung hervorgehn?
Ich halte die ganze Fragestellung für verfehlt. Was aus Kunst
dichtungen wurde, wenn sie in die Hand ,des Volkes' gelangten,
vom Volk und für das Volk hergerichtet wurden, das sind die
Volksbücher. Produkte also, die — so bedeutend mitunter ihr
Eigenwert sein mag — doch vom Wesen des Märchens grund
verschieden und von der kindlichen Einfalt des Märchens so
weit entfernt sind wie ein kindisch gewordener Alter von der
Jugend. Die ganze hierher gehörige Literatur, vom Augs
burger Tristandruck des Jahres 1495 angefangen, der Prosa-
Wigalois, desgleichen Flore und Blanscheflui’, oder die ,Historie
von dem gehörnten Siegfried' usf. sind Beispiele für die spezi
fische Originalität dieser Art von ,Volksdichtung'. Ein Mär
chen aber ist aus diesen Stoffen niemals und nirgends geworden.
Es scheint mir dem Wesen des Märchens geradezu zu wider
sprechen, will man in ihm etwas Abgeleitetes, Sekundäres er-
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
73
blicken. 1 Und sollte speziell die große keltische Märchenlite
ratur, die von den Tagen der Barden angefangen bis in unsere
Zeit in so zahlreichen Varianten Motive erhalten hat, die uns
in der Gralsage begegnen, in allen diesen Motiven, Situationen,
wunderbaren Talismanen etc. sich einzig und allein von der
mittelalterlichen Gralsage, der Grallegende, genährt haben?
Sprechen nicht vielmehr alle Umstände dafür, daß wir es hier
mit einer ungeheuer umfangreichen und lebenskräftigen volks
tümlichen Tradition zu tun haben, die der Dichtung des Mittel
alters wie der Neuzeit Nahrung bot? Und wie lebendig jene
mythisch-märchenhaften Vorstellungen bei den Kelten, speziell
den Bretonen, gewesen sein müssen, geht daraus hervor, daß
sie einerseits im Mittelalter dem Schöpfer der Gralsage ein so
mächtiges, charakteristisch ausgeprägtes, reiches Material an
Zügen liefern konnten, deren Erklärung und Sichtung der ge
lehrten Forschung soviel Schwierigkeit bereitet hat, — und
andrerseits noch in der neuen Zeit, im 19. Jahrhundert, ein so
herrliches, in sich festgefügtes, aller Widersprüche und Rätsel
lediges und lebensvolles Stück, wie es eben unser Märchen
von Peronnik ist, der schriftlichen Aufzeichnung überliefern
konnten!
Haben wir aber einmal die Priorität des Märchens von
Peronnik gegenüber den Graldichtungen in den wesentlichen
Bestandteilen des Stoffes erkannt, so dürfen wir weitergehn
und fragen, ob nicht auch im Einzelnen Übereinstimmungen
nachweisbar sind.
1 Aus diesem Grunde scheint auch mir W. Golthers Ansicht, das islän
dische Märchen von ,Fertram und Isol' (vgl. Wolfgang Golther, Tri
stan und Isolde in den Dichtungen des Mittelalters und der Neuen Zeit,
Leipzig 1907, p. 185 ff., 189, 190 f.), die dänischen und farüischen Lieder
über Tristan und Isolde seien sämtlich aus dem Urtristan, also einem
französischen epischen Kunstwerk, unmittelbar oder mittelbar geflossen,
einfach unmöglich.
Speziell das ersterwähnte isländische Märchen, das zuerst in dem
großen Sammelwerke von Jon Arnason, 1862—1864, dann in dem
schönen Buche von J. G. Poestion, ,Isländische Märchen, aus den Ori
ginalquellen übertragen, Wien 1884‘, bequem zugänglich gemacht worden
ist, verdient eine genauere, auch die offenkundige Verwandtschaft mit
den deutschen Märchen vom Typus ,Jungfrau Maleerd (Die schwarze
und die weiße Braut usw.) berücksichtigende Untersuchung.
74
IV. Abhandlung: Junk.
Wenig Gewicht lege ich natürlich auf die Art der im
Märchen zu üherstehenden gefährlichen Proben, in denen man
leicht die Vorbilder der Abenteuer' des mittelalterlichen Gral
romans erkennen kann; Kämpfe gegen Riesen und Zwerge,
Drachen, Löwen und allerhand anderen Zauber bilden ja eben
sogut den Inhalt des mittelalterlichen Epos wie des Märchens.
Einen wie großen Platz das Märchenhafte im Stoff kreise des
höfischen Epos einnimmt, hat ja jetzt Gustav Ehrismann 1
gezeigt.
Am auffälligsten sind mir die Übereinstimmungen in
einigen Gestalten der beiden Fassungen; manche Figuren des
Märchens scheinen geradezu zu den bekannten Personen der
Gralsage hinüberzuleiten.
Da ist zunächst der rätselhafteFi scherkönig! L.v. Schroe-
der hat a. a. 0. p. 70f. darauf verwiesen, daß wir auch hinter
dieser Erscheinung eine märchenhafte Gestalt vermuten dürfen.
Nun erinnern wir uns, daß der Fischerkönig in einem Teile
des Conte du Graal, nämlich der Pseudo-Crestienschen Ein
leitung, in der Tat ein Zauberer ist, V. 221 f.:
qui moult savoit de ningremance
qu’il muast . C . fois sa samblance,
der sich also auf die schwarze Kunst, die Nigromanzie, ver
steht und seine Gestalt hundertfältig verwandeln kann.
R. Heinzel, dem diese Stelle aufgefallen war, 2 sah ihre
Erklärung darin, daß dem anonymen Verfasser dieser Einleitung
jenes Zauberschloß (Klinschors) vorgeschwebt habe, das im
späteren Verlaufe des Conte du Graal (bei Gautier; aber u. a.
auch in der Quote) die bekannte große Rolle spielt: ,er sah
nun in dem Zauberer seines Märchens (= des Märchens „von
dem Gespenst, das nicht sterben kann, oder nicht zur Ruhe
kommen kann, da es eigentlich schon tot ist, bevor ihm nicht
ein Erlöser naht“, 3 ) den Fischerkönig'. 4 Es scheint mir zweifel
haft, ob die Sache lediglich auf einem Irrtum dieses Anonymus
1 ,Märchen im höfischen Epos‘ (Beiträge zur Geschichte der deutschen
Sprache, Bd. 30, p. 44 u. ff.).
2 Über die französischen Gralromane, a. a. O., p. 78.
3 A. a. O., p. 67.
4 A. a. 0., p. 71.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
75
beruht, und zwar deshalb, weil es nicht die einzige Stelle ist,
in der dem Fischerkönig ähnliche Eigenschaften beigelegt
werden. Heinzei selbst hat 1 noch zwei solcher Stellen ange
führt: ,in der portugiesischen Demanda 2 hat der Fischerkönig
Pelles einen Zauberer bei sich und Corberic, die Gral
burg, ist von einem Zauberer erbaut worden; in der
Huthschen Fortsetzung des Merlin kann Garland, der Bruder
des Fischerkönigs Pellean, sich unsichtbar machen'.
Besonders wichtig ist aber, daß die in der Pseudo-Cre-
stien sehen Einleitung erwähnte Verwandlungsfähigkeit des
Fischerkönigs ja doch tatsächlich in der Erzählung vorkommt:
der Fischerkönig ist derselbe, der dem Helden vorher — in
verwandelter Gestalt — beim Flusse begegnet ist und ihm den
Weg zur Gralsburg gewiesen hat! Auch daß er als weißer
Mann geschildert wird, gehört zu demselben Märchentypus:
der weißbärtige Alte, der den Helden dorthin führt, wo ein
Schatz zu heben ist. Vgl. Eduard Wechssler, Die Sage vom
heiligen Gral, Anm. 39, p. 129 f. — Da das Gralschloß und
das Wunderschloß Klinscliors höchstwahrscheinlich Varianten
einer und derselben Vorstellung sind, so darf wohl auch an
Klinschor selbst hier erinnert werden.
Unter diesen Umständen brauche ich kaum daran zu er
innern, daß in unserem Märchen Rogear ein Zauberer ist, un
magicien, geant ) der als unsterblich gilt; ja selbst einen zauber
kundigen Bruder, le sorcier Bryak, hat er, wie Pelleant (im
Merlin, Huthsche Eortsetzung) den Bruder Garland.
Dann aber ist eine zweite Gestalt da, die eine vielleicht
noch auffälligere Parallele aufweist, la dame janne, ,Madame
la Peste 1 und ihre merkwürdige Rolle im Märchen, ihr ganzes
Wesen, auch ihr plötzliches Verschwinden und das Lokal, in
'reichem sie auftritt und zu handeln hat.
Ich kann mich bei dieser Gestalt des Gedankens an die
Kundrie der Gralsage nicht erwehren.
1 Über die französischen Gralromane, a. a. O., p. 79.
2 Gemeinst ist jene portugiesische Queste, die unter dem Titel ,Demanda
do Santo Graall“ von Reinhardstöttner, Berlin 1887, teilweise heraus
gegeben und von Heinzei, a. a. O., p. 162 u. ft', nach einer Handschrift
der Wiener Hofbibliothek vollständig untersucht worden ist.
76
IV. Abhandluug: Junk.
Sie wird im Märchen mit folgenden auffälligen Zügen
ausgestattet: sie sitzt auf einem Felsblock (,assise sur un
rochen 1 ), ist ganz schwarz gekleidet (,vetue de satin noir‘), ihr
Gesicht, ihre Hautfarbe ist aber gelb (,sa figure etait jaune
comme celle d’une Mauresque 1 ); sie wird deshalb auch meist
genannt ,la dame jaune 1 . Aber noch mehr: sie reitet wie ein
Mann auf dem Pferde! Denn sonst kann sie doch nicht hinter
Peronnik auf dem Füllen sitzen (,que je puisse m’asseoir der-
riere toi‘; ,Peronnik la prit en croupe 1 ).
Wer denkt bei dieser Beschreibung nicht an das ab
schreckend geschilderte Aussehen und das unweibliche Auf
treten der ,häßlichen Gralsbotin'?
Weiter heißt es im ,Peronnik': alle Welt weicht vor ihr
zurück (,toutes les nations cedent devant moi‘) mit einem schönen
Wortspiel, — denn sie ist ,die Pest'.
Die Schilderung der ,häßlichen Gralsbotin' weist Über
einstimmungen im Einzelnen auf.
Die Überschriften der Crestienschcn Handschriften be
zeichnen sie folgendermaßen: die Hs. Montpellier als la laide
damoisele; die Pariser Hs. 12577: une damoisele, qui estoit
la plus lede du monde; der Pariser Druck aus dem Jahre 1530:
la Damoiselle Hydeuse. 1
Crestien selbst sagt von ihr das Folgende. Die an Artus’
Hofe versammelte Gesellschaft erblickt
une damoisiele lei vint
5990 sor une fauve mule et tint
en sa main destre une escorgie;
la damoisele fu trechie
ä . II. tresces trestoutes noires
et, se les paroles sont voires
5995 teus com li Uwes les devise,
onques riens si laide ä devise
ne fu neis dedens infer;
ains ne veistes si noir fer
comme eie ot les mains et le cor;
1 Vgl. Ch. Potvin, Perceval le Gallois ou le Conte du Graal, publid
d’apres les manuscrits originaux. Mons (Soeiätd des Bibliophiles Beiges,
No. 21 des Publications) 1866—1871. Tome II, zu V. 5981.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
77
6000 mais del mains estoit gou encor
ä l’autre laidesse qu’eie ot;
quand si oel erent andui clot,
petit erent con oel de rat;
ses nes fu de singe u de cat,
6005 et ses levres d’asne u de buef;
si dent sambloient mioel d’uef
de color, tant estoient ros;
et si ot barbe come bous;
emmi le pis ot une boce,
6010 devers l’eskine sembloit croce,
et s’ot les rains et les epaules
trop bien faites por metre baules;
s’ot bas le dos et hances tortes,
qui vont ausi com . II. root.es,
6015 bien sont faites por mener dance.
Das Reiten auf dem Maultier und die Schwärze ihrer
Hautfarbe ist eine direkte Übereinstimmung zwischen der
Schilderung im ,Peronnik‘ und bei Crestien.
Daß hier nicht etwa eine ,Erfindung' Crestiens vorliegt
(die dann Wolfram nachgeahmt hätte), scheinen die Verse 5994 f.
zu bestätigen, wo Crestien sich in bezug auf die Häßlichkeit
des Mädchens ausdrücklich auf seine Quelle, li livres, beruft.
Dann die berühmte Stelle bei Kiot-Wolfram: 312, 2 —
314, 12. Besonders Avichtig sind daraus die folgenden Angaben:
Ihr Reittier ist
312, 7 f. ein miil höh als ein kastelän,
val, ....
312, 15 si was nilit frouwenlich gevar.
Sie versteht alle Sprachen:
312, 21 u. ff. laiin, heidensch, franzoys.
sie was der loitze curtoys,
dialetilce unt jeometri:
ir wären ouch die liste bi
von astronomie.
sie hiez Cundrie,
surziere was ir zuoname.
7S
IV. Abhandlung-: Junk.
313, 1 u. ft’, diu maget witze riche
was gevar den ungeliclie
die man da heizet heä sclient.
Dann schildert Wolfram ausführlich ihre Kleidung: den
überlasurblauen Mantel, in den sie eingehüllt ist, darunter ein
Gewand aus Seidenstoff; auf dem Rücken hängt ein ganz neuer
Pfauenfedernhut aus London, mit Goldstoff unterfüttert; über
den Hut weg baumelt ein Zopf bis auf das Maultier herab:
313, 18 u. ff. (unz üf den miil:) der ivas so lanc,
sivarZj herte und niht ze clär }
linde als eins sivtnes rückehdr.
si was genaset als ein hunt:
zwen ebers zene ir für den raunt
giengen wol spannen lanc.
ietweder wintprd sich dranc
mit zöpfen für die hdrsnuor.
Cundri truoc Ören als ein her. .
ruch was ir antlitze erkant.
ein geisel fuorte se in der hant:
dem warn die swenkel sidin
und der Stil ein rubbin.
gevar als eines affen hüt
truoc hende diz gaebe tritt,
di nagele wären niht ze lieht:
ivand’ mir diu dventiure giht,
sie stüenden als eins lewen clän.
Man sieht, im Wesentlichen stimmen beide Dichter über
ein: die Hautfarbe des Affen, von der Kiot-Wolfram spricht,
paßt vielleicht noch deutlicher zur dame jaune des ,Peronnik‘
als die schwarze Farbe bei Crestien. Übrigens ergänzt Kiot-
Wolfram später, beim zweiten Auftreten des Mädchens, die
Schilderung seiner Häßlichkeit: ihre Augen waren
778, 20 u. ff. gel als ein thopazius,
ir zene lanc: ir munt gap schm
als ein viol weitin.
25
29
314, 1 u. ff.
5
Gralsage lind Graldichtung des Mittelalters.
79
Dabei ist nicht unwichtig, daß hier auch die schwarze
Farbe des Mantels erwähnt wird, im Gegensatz zu der blauen
bei ihrem ersten Auftreten:
778, 19 f. ir kappe ein richer samit
noch swerzer denne ein genit.
Auch die dame jaune ist, wie wir gehört haben, in satin
noir gekleidet.
Aber noch in einer viel wichtigeren Hinsicht scheint Kiot-
Wolfram unserem Märchen näher zu stehn als Crestien. Cre-
stien sagt nicht, daß die damoisele die Botin des Grales sei;
bei Kiot-Wolfram dagegen ist sie die offizielle Botin des Grals
und trägt als solche sogar sein Abzeichen: auf ihrem schwarzen
Mantel sind, bei ihrem zweiten Erscheinen, als sie Parzival
sein Gralkönigtum verkündet,
778, 22 wol geworht manc turteltiubelin
nach dem insigel des gräles.
Ebenso erkennt die höfische Gesellschaft, 780, 13:
des gräles iväpen daz sie truoc,
und daher wird sie auch jetzt diu maget wert genannt, 784, 22.
Cundrie ist es auch, die am Ende des XV. Buches Par-
ziväl und Feirefiz an den Gralhof führt: die beiden Ankom
menden würden auch nicht ohne sie eingelassen worden sein,
sie erfüeren nu strites maere,
792, 16, nämlich vonseiten der wehrhaften Gralhüter,
ivan Cundrie ir geleite
schiet sie von arbeite
vgl. die folgende Episode bis 793, 30. Aber Cundrie hilft der
Gefahr ab.
Daß die Jungfrau bei Crestien nicht diese Bolle der
,Gralsbotin' und der , Führerin zum Gral' hat, mag in der Un
vollständigkeit dieser Dichtung seinen Grund haben. Dies
wird umso wahrscheinliche! - , als bei einem Fortsetzer an der
betreffenden Stelle des Conte du Graal, nämlich bei Manessier,
sie wirklich auch in dieser Funktion auftritt. Die Stelle ist
80
IV. Abhandlung: Jun k.
V. 45185 u. ff. Potvin, Bd. VI, p. 149: nachdem Perceval dem
König Artus seine Erlebnisse auf der Gralburg erzählt hat,
45185 vint une damoisiele ä court
sour . I. caceor hi tost court,
desous le pin descent d’eslais,
et puls est montee el palais,
le roi Artu comme segnor,
45190 salue premiers par honor,
et puis salue Piercheval,
et ses compagnons contreval
et contremont trestous salue,
puis est ä Piercheval vertue,
45195 unes lettres li livre et halle;
on les Hut et trova sans falle
que de vie fines estoit
ses oncles, qui moult covoitoit
que ä Corhierc se sejournast,
45200 venist et si se couronast,
la tiere gardast et tenist
et le roiaume maintenist.
Es ist zwar nicht ausdrücklich gesagt, daß das Mädchen
Perceval nach Corhierc führt (die folgenden Ereignisse werden
auffällig kurz, fast könnte man sagen kursorisch mitgeteilt:
Percevals Ankunft auf der Burg und seine Krönung), aber aus
drücklich zeigt die vorzitierte Stelle, daß das Mädchen die
Funktion der Gralsbotin hat: sie bringt den Brief, der Perce
val zum Gralkönigtum bescheidet und zur Besitzergreifung
auffordert.
Auch zu jenem merkwürdigen Schloß, auf dem Perceval
das Abenteuer mit dem von unsichtbaren Gegnern gespielten
Schachspiel erlebt hatte, Gautier, V. 22393 u. ff., geleitet ihn
an der zweiten Stelle, wo er das wunderbare Schloß mit Absicht
sucht, eine Jungfrau mit einem Maultier, Gautier, V. 27731
u. ff.: sie gibt ihm das Tier, damit es ihn zum Schloß bringe,
V. 28264 u. ff., und einen Ring, der das Maultier durch magi
sche Kraft verhindert, seinen Reiter abzuwerfen, V. 28306 u. ff
Auf dem Maultier reitend, passiei’t er einen Fluß (allerdings über
eine gläserne Brücke) und gelangt endlich auch zum Schloß.
Gralsage und Graldiulitung des Mittelalters.
81
Wir haben es in dieser sonderbaren Gestalt offenbar mit
einer Variante der Gralsbotin zu tun, so wie ja das Zauber
schloß selbst eine Variante zur Gralsburg ganz unzweifelhaft
ist. Ja, seine Jungfrau steht selbst zum Gral in deutlicher
Beziehung: in ihrer Begleitung erblickt Perceval plötzlich das
den tiefen Wald taghell erleuchtende Lichtphänomen, V. 27881
u. ff., und von ihr erhält er die Auskunft, daß dies der Gral
gewesen sei, mit dem der Fischerkönig im Walde geweilt habe,
V. 28063 u. ff.
Was aber soll man dazu sagen, wenn in der ,Krone'
Heinrichs von dem Türlin fast genau dasselbe erzählt wird?
Gawein, bekanntlich in der ,Krone' der Gralheld, kommt hei
dem Besuche jenes merkwürdigen verwunschenen Schlosses,
welches schon durch die Erscheinung des blutenden Schaftes
und des Gralgefäßes ganz deutlich das Gralschloß selber be
deutet, V. 14410 u. ff. ze einer vluot, diu was tief unde breit, sucht
einen Übergang, findet aber weder vurt noch brücke, V. 14427;
das Wasser wird aber, als er es betritt, zum Morast, in dem
er zu versinken droht. Da erscheint eine Frau: ein vrouwe
zuo dem wazzer reit, V. 14458, und hilft ihm hinüber, indem
sie das Wasser durch ein hineingeworfenes Zauberglas (daz ivas
innen niht leeere; waz aber dar inne weere, daz sagt uns niht
ditz mcere, V. 14468 u. ff.) hart macht wie ein Stein:
zehant reit sie selp dar an
und liiez in üf den satel stän;
sie bot ime daz leitseil,
V. 14494 u. ff., usf., und so gelangt er vor das Zauberschloß.
Enge dazu gehört das Erlebnis Percevals bei Gautier,
bevor er auf die Burg mit dem wunderbaren Schachbrett ge
langt: er kommt an einen Fluß, sucht vergebens eine Brücke
oder eine Furt (V. 22316); da begegnet ihm eine Jungfrau auf
einem Maultier (V. 22338 f.) und zeigt ihm einen Nachen
(V. 22344 u. ff.).
Diese enge Beziehung der Kundrie zum Gralschloß, die
hei Kiot-Wolfram und bei Manessier so deutlich zutage tritt,
stimmt wiederum zu der Rolle, die die dame jaune im ,Peron-
nik' spielt. Sie erwartet den Helden vor dem Schlosse, ebenso
wie der Gralheld auf der Burg erwartet wird, und sie führt
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 168. Bd. f 4. Abh. 6
82
IV. Abhandlung: Junk.
ihn zum Schlosse Kerglas, so wie Kundrie Parzival zum
Gralschloß geleitet. Und so wie diese den beiden Eintretenden
(denn Feirefiz geht mit) eine sich ihnen entgegenstellende Ge
fahr (= die ritterlichen Verteidiger der Gralsburg!) überwinden
hilft, so hilft auch die dame jaune dein Jüngling des Märchens
das letzte Hindernis zu beseitigen, um in die Burg zu kommen. 1
Wilhelm Hertz 2 hat auf Parallelfiguren der Sage
verwiesen, so auf das ,schwarze Mädchen' im ,Peredur‘, wel
ches ,ein verwandelter Jüngling ist, der dem Helden in ver
schiedenen Gestalten begegnet (Loth, Mabinogion II, 96. 109)',
auch an das ,greuliche Weib in der altirischen Erzählung von
der Verwüstung des Palastes des Da Derga 1 hat Hertz a. a. 0.
erinnert: andere irische Belege hat H. Zimmer beigebracht. 3
Von ähnlichen Erscheinungen gehört aus unserer Sage
hierher jene häßliche damoisele, die dem Perceval der Didot-
schen Handschrift begegnet, 4 über die Perceval lacht und sich
bekreuzigt, was ihm den Zweikampf mit dem Ritter jener
damoisele, Li Beaux Mauves, einträgt.
Dem Stoffe nach scheint diese Gestalt kaum zur Kundrie
nähere Beziehung zu haben, wohl aber in Bezug auf ihre ge
schilderte äußere Erscheinung. Da ist sie zum mindesten als
eine Variante derselben von Belang. Bei der Schilderung ihrer
Häßlichkeit hebt der Dichter ebenfalls hervor, ,que eie avoit le
col et le mains plus noires et le vier, que fer et les gambes
toutes cortes, et oil estoient plus roges que feu; et si avoit entre
les . II. euz, plaine paume et plus. Et sachiez que de lie ne
1 Wenn die Gestalt bei Souvestre die ,Pest‘ genannt wird, so ist dies
keine gröbere Übertreibung, als wenn Wolfram ihr die Kenntnis aller
Sprachen und Wissenschaften, sogar der cUcdeti/ce, jeometrie und astro-
nomie zuschreibt. Es ist im einen Fall wie im andern übertriebene
poetische Manier.
2 Parzival, 4. Auflage, Anm. 129, p. 514.
3 In Kuhns Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung 28, 559. Vgl.
auch Heinzei, Über Wolfram von Eschenbachs Parzival, a. a. 0., p. 62f.
— G. Baist dagegen spricht sich gegen die ,keltische Herkunft der
Häßlichkeitsschilderung 1 aus und findet diese ,so echt chrestienisch“ (Par
zival und der Gral. Rektoratsrede, Freiburg i. Br. 1909, p. 43).
4 Le Saint Graal ou Le Joseph d’Arimathie. Premiere branche des Ro
mans de la Table ronde. Publid d’apres des textes et des documents in-
edits par Eugene Hucher, Au Mans, 1875 —1878. I, p. 453.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
83
paroit mie plain pie desus les argons; et avoit les piez si crocez
que eie ne se poit tenir es estrieux; et estoit trecee ä une trece
et sachiez que eie avoit trece noire et corte et mieux resemblot
estre coe de rat que autre chose. Si chevaüchot orgoillossement
et tenoit sa corgie en sa main, et avoit mise la jambe, par
noblece, sor le col de son palefroi
Ebenso schildert Gautier, V. 25381 u. ff., jene ,dame u
damoisiele 1 :
que c’est la plus laide riens nee
qui onques fust d’ious esgardee;
se de li vos voel dire voir,
si ceviel gstoient plus noir
que ne soit peine de cornelle; . . . usf.
in der aus den zitierten Stellen, besonders auch aus Kiot, be
kannten Weise; u. a. heißt es
25409 le col avoit plus noir que fer, usf.
Endlich ist zu erwähnen die vieille sorciere, welcher Per-
ceval bei Gerbert begegnet, 1 und vielleicht auch jene zwölf
Ellen lange, scheußliche Gestalt, ein wildez wip, dessen ab
stoßendes Außere Heinrich von dem Türlin in der ,Krone - '
fast hundert Verse lang ausmalt, V. 9340 u. ff. E. Martin hat
sie zum Vergleich mit der häßlichen Gralsbotin herangezogen. 2
Auch an Malcredtiure ist zu erinnern, der offenbar als
eine Parallelfigur zur Cundrie anzusehen ist: er ist ja ihr
Bruder
517, 18 f. Cundrie la surziere
was sin swester wol getan,
auch 519, 23, und ist ihr völlig gleichgestaltet, bloß mit dem
Unterschied, daß er ein Mann ist
517, 20 f. er muose ir antlitze hän
gar, ican daz er ivas ein man.
Vgl. auch Crestien, V. 8350 u. ff.
1 Potvin, a. a. O , Bd. VI, p. 183 u. ff.
- Wolfram von Eschenbachs Parzival und Titurel, herausgegeben und er
klärt von Ernst Martin. II. Teil: Kommentar, Halle a. S. 1903,
p. LX1.
6*
84
IV. Abhandlung: Junk.
Auffallend ist im Märchen von Peronnik die Erwähnung
des , Eremiten von Blavet', der im Besitze der wertvollen Kennt
nis von den Zauberdingen, Becken und Lanze, und auch der
Mittel ist, um diese zu erlangen (vgl. oben p. 21). Es läge nahe,
hierin eine dritte Übereinstimmung in Bezug auf Figuren des
Märchens und der Gralsage zu sehen und an den Einsiedler
Trevrizent bei Wolfram, den ,Oheim-Eremiten“'Crestiens und
seiner Fortsetzer und li rois hermites im Prosaroman ,Perles-
vaus' zu denken. Der Letztere gibt Perceval wichtige Beleh
rungen, die ihm schließlich zur Gewinnung des Grals verhelfen;
so erfährt auch Peronnik (allerdings indirekt, aus dem Munde
des Ritters), wie man in den Besitz der auf Kerglas verwahrten
kostbaren Talismane gelangt.
Auch die tanzenden und singenden verführerischen Mäd
chen im vallon des plaisirs, die Peronnik anrufen, dürfen ver
glichen werden mit jenen elbischen Wesen, hier allerdings
Männer und Frauen, die Gawan in dem zauberhaften Baum
garten, aus dem er für Orgeluse das Pferd holt, warnen, Kiot-
Wolfram, 512, 28—30:
da such er maniger frouwen schtn
und manigen riter jungen
die tanzten unde sungen.
Eine weitere sichere Parallele im Einzelnen zwischen Gral
sage und Peronnik liegt in der Unzugänglichkeit der
Gralsburg, respektive in dem Umstande, daß ihre Zugänge
verteidigt werden.
Das Wichtigste hierüber bietet wiederum Kiot-Wolfram,
nicht Crestien. Es ist die bekannte Stelle, wo von den wehr-
lichen Hütern der Gralsburg gesprochen wird, die die Eingänge
zur Burg im Kampf auf Leben und Tod verteidigen. Man
erblickte darin einen Gegensatz zu der Bestimmung, daß der
Gral unwizzende gefunden werden sollte: ,war diese (= die
Gralsburg) durch ein Wunder jedem Suchenden unfindbar,
so war die Bewachung der Zugänge überflüssig; waren aber
die Wächter nötig, so konnte sie nicht unnahbar sein.' 1 Auf
der märchenhaften Grundlage der Gralsuche löst sich dieser
Wilhelm Hertz, Parzival, 4. Auf!., Anm. 158, p. 523.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
85
scheinbare Widerspruch in völlig befriedigender Weise: auch
den Schatz im Märchen findet nicht, wer ihn sucht, sondern
bloß wer ,unwizzende‘ dazu bestimmt ist; aber auch seiner
harren tausenderlei Gefahren, die er aber, der vorausbestimmte,
erwartete Befreier, leicht überwindet: denn sie sind ja eben
bloß da, um unrechtmäßige Werber abzuhalten.
Es ist also wiederum nur in Ordnung, wenn Kiot-Wolfram
von der Gralsburg sagt, 250, 26 u. ff.:
swer die suochet flizecliche,
leider der envint ir niht.
vil Hute man’z doch werben siht.
ez muoz unwizzende geschehen,
swer iemer sol die hure gesehen!
und 468, 12 u. ff.:
jane mac den gräl nieman hejagen,
ioan der ze himel ist so bekant
daz er zem grdle si benant.
Nur Einer ist unbenennet (473, 12) zum Gral gekommen:
Parzival selbst.
Die Unzugänglichkeit der Gralsburg wird ausdrücklich
betont in den Versen 443, 16 u. ff.:
Munsalvcesche ist niht gewent
daz lernen ir so nähe rite,
ez’n weer der angestliche strite,
ode der alsolhen wandel bot
als man vor’m walde heizet tot.
Daß die Gralsburg nicht bloß unfindbar, sondern auch
unsichtbar ist, sagen fast alle Fortsetzer Crestiens, ferner
die Quete und die Demanda, der Perceval der Didotschen
Handschrift, der Prosaroman ,Perlesvaus‘ und der Prosatristan. 1
1 Die Belege s. bei W. Hertz, Parzival, 4. Auf!., 1906, Anm. 109, p. 508.
Wichtig ist hiebei die von Hertz am Schlüsse seiner Anm. 109 ange
führte Parallele: ,Auch das Grab des wilden Jägers Hackelberg findet nur
der Absichtslose und nie zum zweiten Male 4 : das nur zufällige Finden
und vergebliche Suchen haftet also geradezu an dem Totenreich!
86
IV. Abhandlung: Junk.
Die Bewachung und Verteidigung der Burg aber
wird bei Kiot-Wolfram bekanntlich von einer riterlichen bruoder-
schaft (470, 19) besorgt, die in den Versen 468, 24 u. ff. näher
geschildert wird:
ez wonet 7)ianc werlichiu hant
ze Munsalvcesche bime gräl.
durch dventiur die alle mal
ritent manege reise:
die selben templeise,
swa si kumber ode pris bejagent,
für ir sünde sie daz tragent.
und 469, 1 da wont ein werlichiu schar.
Die wichtige Stelle von der Bewachung der Burg vor
Unberufenen ist dann 473, 5 u. ff.; da heißt es:
da wont ein werdiu bruoderschaft:
die hänt mit werlzcher kraft
erwert mit ir handen
der diet von al den landen,
daz der gräl ist anerkennet,
wan die dar sint benennet
ze Munsalvcesche an’s gräles schar.
Endlich die wichtigen Stellen im XVI. Buche, wo sie uns
der Dichter am Werk zeigt, 792, 16 u. ff.: Cundrie führt Par-
ziväl und Feirefiz nach dem Gralschloß, aber die Gralritter
rüsten sich zur Verteidigung: die beiden Eindringenden würden
nicht eingelassen werden (792, 16 u. ff.):
si erfüern nu strites mcere:
wan Cundrie ir geleite
schiet sie von arbeite, (vgl. oben p. 79) . . . .
da gähte gein in harte
manc wol geriten templeis
gewäpent,
aber bald erkennen sie an Kundrie des gräls insigel (792, 29)
und beschließen, vom Streit abzustehn. Dies rät auch Cundrie
dem ungestümen Feirefiz (793, 13ff.):
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
87
,dort habt niht ivan’s gräles schar:
die sint vil diensthaft iu gar. 1
dö sprach der werde beiden
,so si der strit gescheiden!‘
Parzivdl Cundrien bat
gein in (= den Gralrittern entgegen) riten
üf den pfat.
diu reit und sagete in mcere
waz in fröuden kamen locere.
swaz da templeise was,
die ’rbeizten nider üfe ’z gras,
an den selben stunden
manc heim wart abe gebunden.
Parziväln enpfiengen sie ze fuoz:
ein sagen dühte sie sin gruoz.
si enpfiengen och Feirefizen
den swarzen unt den wizen.
üf Munsalvcesch dö wart geriten
al weinde und doch mit fröude siten.
Die Unfindbarkeit der Gralsburg also und ihre strenge
Bewachung sind, auf der märchenhaften Grundlage betrachtet,
keine Widersprüche. Ebenso hätte man übrigens das Motiv,
daß der erlösende Gralheld auf der Burg erwartet wird, un
vereinbar finden müssen mit den jeden Fremden abhaltenden
Wächtern. Aber es ist eben im Märchen nicht anders.
Diese Verteidigung des Zauberschlosses ruft uns die Feind
lichkeit der Riesen, Zwerge, Drachen, Löwen, des schwarzen
Mannes und der schönen Jungfrauen des ,Peronnik‘-Märchens
in Erinnerung, die ja auch trachten, den Jüngling von der
Burg abzuhalten. Nur dürfen wir nicht diese Märchenwesen
selbst mit den Gralrittern Wolframs vergleichen, sondern bloß
das Motiv der Feindseligkeit des Personals der beiden Burgen
gegen den Helden. Denn die Ritterlichkeit, der ritterliche
Charakter der Gralhüter scheint etwas Altes zu sein, was im
,Peronnik‘-Märchen nicht deutlich ausgeprägt ist (vgl. das
3. Kapitel dieser Abhandlung). L. v. Sehroeder hat ja schon,
a. a. 0., p. 86, die ritterliche Gralsbrüderschaft mit den streitbaren
Hütern des himmlischen Soma verglichen.
88
IV. Abhandlung: Junk.
Die ritterlichen Hüter und Verteidiger sind demnach uralt.
Sie finden sich aber auch nicht bei Kiot-Wolfram allein! Ri
chard Heinzei hat auf eine höchst bemerkenswerte Stelle
verwiesen, die in der vom Grafen Tressan auszugsweise mit
geteilten Kontamination der Quete mit dem Tristanroman vor
kommt. 1 Dem Fischerkönig ist prophezeit worden, daß ein
jungfräulicher Ritter kommen werde, pour toucher et enlever
les saintes reliqit.es; ,sein Name wird sein Perceval le Gallois. Da
der Fischerkönig durch diesen jungfräulichen Ritter den Gral
zu verlieren fürchtet, läßt er ihn durch eine Armee be
wachen, gegen welche Artus u. a. mit Tristan zu Felde zieht'.
Man sieht, die Sache ist zeitgemäß verändert, aber der Kern
ist derselbe.
Daß hier etwas Altertümliches vorliegt und keine freie
Neubildung Wolframs, wird außerdem noch durch die Parallele
mit dem ,Perlesvaus' wahrscheinlich: der Mönchsstaat auf der
Insel, über welchen Perlesvaus herrscht und der ,mit Zügen
ausgestattet wurde, welche an geistliche Ritterorden und spe
ziell an die Templer erinnern', 2 deutet vielleicht auf etwas
Ähnliches. Es fällt auf, wie die Kleidung jener Mönche geschil
dert wird: weiße Gewänder mit einem roten Kreuz auf der
Brust (,iZ avoient blans dras vestuz et n’i avoit celui qui n’eust
une vermeille croiz enmi son piz‘). B Doch möchte ich darauf
allein keinen Schluß bauen: wir sind über das Verwandtschafts
verhältnis der französischen Graldichtungen untereinander noch
zu wenig genau unterrichtet und es wäre immerhin möglich,
daß die Ähnlichkeit mit den Templern in beiden Fällen auf
nähere Verwandtschaft zwischen dem ,Perlesvaus' und Iviot be
ruht. Wichtig ist, wie gesagt, der Charakter der Ritterlichkeit
der Hüter. Und auch dazu ließe sich in der merkwürdigen
Funktion jener Mönche im .Perlesvaus' vielleicht eine Parallele
1 Tressan, Corps d’JExtraits de Romans de Chevalerie I (1872), 167; vgl.
R. Heinzei, Uber Wolframs von Eschenbach Parzival, a. a. 0., p. 82 f.
— Es ist dies dieselbe Stelle bei Tressan, die (kurz vorher) auch die
Sünde des Gralkönigs und die zur Strafe dafür erfolgte Verwundung
durch die heilige Lanze kennt und somit eine wichtige Parallele zu der
bekannten Erzählung Kiot-Wolframs abgibt.
2 R. Heinzei, Uber die französischen Gralromane, a. a. 0., p. 176.
3 Potvin, Perceval le Gallois, Tome I, p. 329.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
89
zu dem aus Wolfram Bekannten vermuten. Jene Mönelie im
,Perlesvaus‘ nämlich ,regieren andere Inseln, über welche sie
Statthalter mit. königlichen Würden einsetzen, die, wenn sie
sicli bewähren, zu höheren Würden befördert, wenn nicht, ab
gesetzt und bestraft werden'. 1 Dies leitet hinüber zu der glän
zendsten Gestalt jener Gralritter, zu der Lohengrins, von der
wir wissen, daß sie nicht bloß bei Kiot-Wolfram, sondern auch
sonst in der französischen Gralliteratur wohlbekannt war.
Einen wichtigen märchenhaften Zug in der Gralsage, den
gleichfalls der ,Peronnik' vermittelt haben kann und den man
wiederum ganz irrigerweise aus legendarischen Elementen ab
zuleiten versucht hat, möchte ich in der Lage der Gralsburg
jenseits eines Flusses erblicken. Wir kennen die Märchen
haftigkeit dieser Vorstellung aus dem 1. Kapitel dieser Abhand
lung (s. oben p. 47 f.). Besonders wichtig scheint mir hier wieder
die Angabe des Prosaromans Perlesvaus 2 zu sein, die schon
öfter in anderer Beziehung zitiert wurde; von der Grals
burg heißt es da wörtlich: ,11 avoit derriere le chastel un
fiuns, ce tesmoingne l’estoire, par coi touz li biens venoit el
chastel; icil fiunz estoit moult biax et moult planteureus. Jo-
sephus nos tesmoingne qu’il venoit de paradis terrestre et avi-
ronoit le chastel et corroit tresqu an la forest chies un prodome
hermite et illec perdoit son cors et euroit an terre pes; partout
lä oü il s’espandoit, estoit grant plantez de toz lues, el riche
chastel que Perceval ot conquis, ne failloit nulle rien‘; dann
folgt die öfters erwähnte berühmte Stelle über die drei Namen
des Schlosses: ,li chastiax avoit III nons, ce dist li contes.
Edein estoit li uns des nons, et li autres: Chastiax de Joie, et
li tierz: Chastiax des Armes. 3 Orre dist Josephus que onques
n’i desvia nus que Väme n’alast en paradis
Der Fluß und das durch ihn befruchtete Land (vgl.
die Wiese des deutschen Märchens mit dem Schlaraffencharak-
ter!) konnte hier um so leichter mit dem biblischen Paradies
verbunden werden, als ja auch diese Vorstellung, wie wir sahen,
enge zu dem ganzen Kreis von Vorstellungen gehört, um den
1 Heinzei, a. a. 0., p. 175. Die Stelle ist: Pot.vin, a. a. O., Tome I, p. 330.
2 Potvin, a. a. 0., Tome I, p. 249.
3 Dieser dritte Name wird auch schon früher genannt: Potvin, a. a. O.,
Tome I, p. 100.
90
IV. Abhandlung: Junk.
es sich da handelt. Die (doppelte) Erwähnung des Paradieses
also ist noch durchaus kein Anhaltspunkt, hier christlich-legen
darischen Einfluß anzunehmen, sondern war durch sachliche
Gründe nahegelegt und ist sehr begreiflich bei dem Dichter
des ,Perlesvaus‘, der beständig seinen biblischen Gewährsmann
Josephus zitiert und der jedes Kapitel im Namen der Drei
einigkeit, el non del pere et del fiuz et del seint esperit,
beginnt.
Sodann gehört hierher die bekannte Stelle bei Crestien,
wo Perceval beim ersten Besuch auf der Gralsburg mit dem
Fischerkönig zusammentrifft. Es geschieht an dem Fluß, der
eben die Gralsburg von der übrigen Welt trennt: Crestien,
Y. 4164 une riviere, darauf das Schifflein mit den zwei Män
nern, von denen einer der Fischerkönig ist. Wichtig ist dabei
die Bemerkung, daß im Umkreise von zwanzig Meilen weder
eine Brücke noch eine Furt über dieses Wasser zu finden sei,
V. 4199 u. ff.:
, . XX . liues amont ne aval ;
ci ne puet-on passer ceval,
qu’il n’i a bac ne pont, ne gue : ,
denn es deutet dies eben auf die märchenhafte Abgeschieden
heit der Burg. Auch ist der Fluß so reißend, daß die Männer,
um in Percevals Nähe halten zu können, Anker werfen müssen:
V. 4184.
Bei Kiot-Wolfram ist das Wasser bekanntlich ein See,
225, 2 u. ff.:
er kom des äbents an einen se.
da heten geankert weideman:
den was daz wazzer undertän.
Es ist der See Brumbäne, worin Anfortas zu fischen pflegt:
473, 23. 491, 6 u. ff.
Eine interessante Parallele hiezu bietet der Perceval der
Didotschen Handschrift: mit seinem Weiher, auf dem Perceval
das Schiff mit den drei Männern sieht: Einsi comme il chevau-
choit } si arriva en une bele prairie (!); et au chief de ce
pre, avoit moult riches molins. Si ala cele part et vit ä une
viviere . III. ho7nes en une nef}
1 Huch er, Le Saint Graal, Tome I, p. 463.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
91
Es wäre ja nicht undenkbar, daß hier durch irgendeine
(vorläufig nicht aufgeklärte) Verwandtschaft der Überlieferung
der Anlaß dazu gegeben wäre, daß Wolfram oder Kiot das
Wasser, den Weiher oder Fischteich, viviere, als einen See
faßte. Doch ist die Schilderung des Lokales in diesem Denk
mal auf der anderen Seite so echt märchenhaft-altertümlich, die
Erwähnung der ,schönen Wiese' so deutlich, daß man eher ge
neigt sein möchte, rivibre statt viviere, das die Handschrift hat,
zu lesen. Dann wäre die Übereinstimmung mit dem altertüm
licheren Crestien hergestellt.
Auch das Schastel marveil liegt jenseits einer riviere
profonde, Crestien V. 8587, 8593 u. ff., ebenso liegt das Schloß
in Heinrichs ,Krone', auf dem Gawan Lanze und Gral er
scheinen, an einer vluot, diu was tief unde breit, V. 14410;
und so ist auch das Schloß mit dem wunderbaren Schachbrett,
welches Perceval bei Gautier besuchen muß, jenseits eines
Flusses, souz la riviere, gelegen, V. 22394; vgl. auch V. 28410ff.
— Über denselben Fluß im ,Peronnik' vgl. oben p. 29, 47 f.
Ein anderes Wasser, das Wolfram in der Nähe des Gral
schlosses kennt, ist die Funtäne la salvätsche, 452, 13 und
456, 2, der snelle brunne, 435, 8, bei der Klause des Trevrizent.
Sollte auch dieses auf die zugrunde gelegte Märchenvor
stellung zurückgehn? Es wäre wohl kaum eine ärgere Ab
weichung als das Meer, über welches Lancelot und Galaad in
der Quete zum Gralschloß Corbenic gelangen. 1
Es wurde oben p. 63 (Kap. 2) erwähnt, daß das bassin d’or
Peronniks nebst vielen anderen, auch dem Gral anhaftenden
Eigenschaften noch die besondere Kraft besitzt, Verstorbene
wieder zum Leben zu erwecken. Daß auch diese Eigenschaft
zum Ursprünglichen gehört, hat L. v. Schroeder a. a. 0., p. 62,
glaubhaft gemacht; sie berührt sich ja nahe mit der, das Leben
auf übernatürliche Weise zu verlängern, von welcher die Gral
dichtung ausführlich berichtet: aus der lebenerhaltenden ergibt
sich ja die wiederbelebende Kraft wie von selbst. Für diese
letztere, die wiederbelebende Kraft — die nicht bloß dem
Kessel des sogenannten Ultonischen Mythenzyklus (dessen
Hauptheld Cuchulainn ist) eignet, sondern auch dem Kessel
1 Vgl. Bircli-Hirschfeld, Die Sage vom Gral etc., p. 48.
92
IV. Abhandlung: Junk.
des Bran, derCeridwen, und in zahlreichen lebenden Märchen
begegnet —, haben wir nun innerhalb der französischen Gral
literatur eine höchst auffällige Stelle, die freilich nicht an das
Gralgefäß anknüpft, aber eine greifbare Parallele zu der ent
sprechenden Szene des Peronnik-Märchens enthält. Es ist die
Stelle bei Gerbert, wo die Feinde des Gornumant, die Per-
ceval am Tage erschlagen hat, in der Nacht immer wieder be
lebt werden; und zwar geschieht dies durch une vieille, une
sorciere, eine alte, abschreckend häßlich geschilderte Hexe. 1
Cette sorciere tient ä la main
. II. barisiax d’ivoire gent:
li cercle ne sont pas d’argent,
mais de fin or cler et vermeil.
Elle y conserve un philtre, ,une poison 1 , qui a servi au
Christ dans le sepulcre et qui sert dans les mains de la sorciere
ä ressusciter les morts et ä ,rejoindre‘ les tetes coupees:
a la teste maintenant prise,
si ia desor le bu assise. 2
Im Folgenden wird ausführlich geschildert, wie sie mit
diesem wunder wirken den Balsam verfährt. Aber Perceval be
siegt sie und macht ihrer Zauberei ein Ende, 3 erprobt aber im
Folgenden selbst die wiederbelebende Kraft des Balsams an
seinem getöteten Roß, am stärksten seiner toten Gegner, den
er nur belebt, um ihn neuerdings zu erschlagen, und an Gor
numant.
Ich habe oben gesagt, daß diese Eigenschaft an der be
trachteten Stelle bei Gerbert nicht am Gralgefäß haftet, sondern
1 Potvin, a. a. 0., Tome VI, p. 183f. Alfred Nutt, Studies on the Legend
of the Holy Grail etc., p. 187 hatte zu dieser Stelle verglichen: ,the vessel
of balsam‘, welches ,revivifies tlie dead warriors whom Conall Gulban has
just slain, and heals the latter‘.
2 Potvin, a. a. O., Tome VI, p. 184.
3 Alfred Nutt, Studies on the Legend of the Holy Grail etc., p. 166 u. ff.
hat auf die Highlandstale von dem ,Knight of the Red Shield‘ verwiesen:
a great tootliy carlin bringt die Toten wieder zum Leben, indem sie
ihnen ihren Finger in den Mund steckt. Der Held erschlägt sie. Sie
ist im Besitze eines vessel of balsam wherewith the hero’s foster-brotliers
anoint and malte hiiti whole (p. 167).
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters. 93
an den ,.II. barisiax 1 . Trotzdem ist eine merkwürdige Be
ziehung zum Gral gegeben durch die Besitzerin der beiden
Balsamfäßchen, jene sortiere; ihr werden folgende Worte in
den Mund gelegt: ,tant qu’eile vivra, dit-elle, Perceval sera
impuissant:
Et d’une chose vous faz sage
que ja tant com je soie vive
ne sarez vous ne fons ne rive
du Graal, tres bien le vous jur.‘
Sodann ist zu erinnern an jene merkwürdigen Stellen, die
dem Gral selbst die Kraft zusprechen, Helden, die dem Tode nahe
sind, zu stärken, also doch gewissermaßen auch neu zu beleben.
Es zeigt sich darin, wie enge die Kraft der Wiederbelebung
mit der der Lebenerhaltung sich berührt. Die Stellen sind
Manessier, V. 44157 u. ff.; Quete IV 51, und Prosa-Lancelot,
Ffr. 344, fol. 471a. 1 Perceval und Hector (Estor) haben sich
fast zu Tode bekämpft, Manessier, V. 44202 u. ff.:
Ne se porent plus en estant
tenir; ä caoir les estuet;
car l’uns ne l’autres ne se puet
desour ses pies plus sostenir,
ne la bataille maintenir ....
Beide sind auf den Tod vorbereitet, vgl. ihr Zwiegespräch
V. 44222 u. ff., besonders die Worte Percevals:
, Biaus dous sire, ne dotes onques
que je nai force ne pooir
de moi chi alueques movoir
por vous, di-jou, c’ocis m’aves;
mais, par la foi ke Diu deves,
se vous mores, pardones-moi
vostre mort! ....
Hector bedauert V. 44265 f.:
si est damages et grans deus
k’ensi morrons entre nous deus.
1 Vgl. R. Heinzei, Über Wolframs von Eschenbaeh Parzival, a. a. 0.,
p. 80; dazu Ed. Wechssler, Zur Beantwortung der Frage nach den
Quellen von Wolframs Parzival, a. a. O., p. 244.
94
IV. Abhandlung: Junk.
So bleiben sie hilflos liegen, V. 44272 u. ff.:
ensi giurent tout estendu
en tes tormens, en tes anuis,
tant c’aproga la mienuis.
Um Mitternacht zieht aber der Gral vorüber, V. 44282,
44289; darauf heißt es, V. 44290 u. ff.:
moult s’ en esjo'i Pievcheval
et moult li plot et molt li sist;
maintenant en seant s’asist,
tous sains et haities se senti.
Und auch Hector fühlt,
qu’il ert refait
de la clarte au Creatour,
qu’il ne sent ne mal ne dolour:
,tous sui garis et respasses 1 .
Ein paar hundert Verse später, als Perceval mit seinem
Bruder am Plofe Artus’ weilt und dem König seine Abenteuer
berichtet, wird auch diese Wiederbelebungsepisode nochmals
erzählt, V. 45153 u. ff.:
puis conta d’Ector la batalle,
ausi com par ci le me talle,
coment li uns l’autre feri
et coment il furent gari
par le saint Greal, sans doutance,
dont Dex lor fist la demontrance.
Aus der wiederbelebenden, respektive lebenerhaltenden
Kraft des Beckens folgt, daß der Gralkönig nicht sterben
kann. Dies ist am deutlichsten zu sehen an jenem altherren,
der in der ,Krone' Heinrichs von dem Türlin dem Gral
könig, Fischerkönig, entspricht (vgl. die oben p. 65 besprochene
Stelle!). Hierher gehört es auch, wenn in einigen französischen
Dichtungen der alte Gralkönig nach seiner ,Erlösung' durch
Perceval tatsächlich stirbt. Dies ist der Fall z. B. im Perce
val der Didotschen Handschrift: et Bron fust tout ades devant
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
95
son vessel et devia, 1 und in dem von Rochat mitgeteilten Per-
ceval: ,Percheval fragt alsdann nach der Lanze. Nachdem der
König ihn auch darüber zufriedengestellt und Percheval sich
durch das Zusammenlegen des Schwertes als den besten Ritter
zu erkennen gegeben hat, wird er zum Gralkönig gekrönt.
Drei Tage darauf ward der rois peschieres zu Grabe getragen/ 2
Bei anderen Dichtern, so bei Kiot-Wolfram, 796, 8 u. ff.,
genest der Fischerkönig; auch bei Crestien wäre der Fischer-
köuig durch die Frage geheilt worden, vgl. V. 6048 u. ff.:
car, se tu demande l’eusses,
li rices rois qui moult s’esmaie,
fust or tost garis de sa plaie.
Vgl. auch V. 4768. — Bei Manessier wird das plötzliche Ge
heiltwerden des Fischerkönigs besonders auffällig geschildert:
dem Fischerkönig wird die Ankunft Percevals (= des Ritters,
der den Partinel erschlagen hat) gemeldet, V. 44616 u. ff.; und
da heißt es, V. 44622 u. ff.:
li rois, ä grant joie et grant feste,
est rnaintenant salis en pies
et se senti sain et haities,
lies et joians, et de son gre
est venus au pie dou degre.
Doch möchte ich in der Heilung des Fischerkönigs, wo
immer sie auftritt, bloß einen vorübergehenden momentanen
Zustand erblicken, auf den dann wahrscheinlich doch der Tod,
ein ruhiger Tod, als die eigentliche Erlösung folgen sollte. 8
Vgl. den Perceval der Didotsehen Handschrift, wo der Fischer
könig, wie wir eben sahen, stirbt, aber trotzdem auch vorher
geheilt worden ist: Einsi comme Percevaux ot ce dit (= näm-
1 E. Huch er, Le Saint Graal, Tome I, p. 484.
8 Über einen bisher unbekannten Percheval li Galois. Von Alfred Ro
chat. Zürich 1835, p. 90.
8 Daß dies die Absicht Crestiens gewesen sei, halten auch R. Heinzei
(Über Wolframs von Eschenbach Parzival, a. a. 0., p. 83; Über die fran
zösischen Gralromane, a. a. 0., p. 186) und Ed. Wechssler (Zur Beant
wortung der Frage nach den Quellen von Wolframs Parzival. Festschrift
für Sievers, Halle 1896, p. 246) für wahrscheinlich.
96
IV. Abhandlung: Junk.
lieh die Frage nach dem Gral), si vit que lo rois pec.heor estoit
gariz et tot muez de sa nature. 1 Und sehr bedeutsam sind
hier auch jene Worte gleich im Anfang dieser Dichtung, die
die Stimme des heiligen Geistes zu Älein li Gros, dem Vater
Percevals spricht: Bron, der Großvater, ne porra passer de
vie ä mort, devant que ton fiz que tu as de ta famme, l’ait
trove et que il ait comandee la gräce de son vessel et aprises
les secroites paroles que Joseph li aprist; et lors sera gariz de
so ’nfermetez. Et lors vendra ä la grant joie son pere qu’il a
touzjorz servi. 2
Es scheint also auch dort, wo vom Heilen und Sterben
des Fischerkönigs zugleich die Rede ist, das Sterben die eigent
liche Folge der Entzauberung, die eigentliche Erlösung zu sein.
Und da dürfen wir wieder an das bretonische Märchen
erinnern, in dem der Zauberer Rogear unsterblich ist, und in
dem es eben die Aufgabe Peronniks ist, ihn sterblich zu
machen. 3
Haben wir im Vorhergehenden Parallelen in einzelnen
Figuren oder Sagenzügen feststellen können, so verweise ich
nunmehr auf eine Ähnlichkeit zwischen ,Peronnik‘ und Gral
sage, die in überraschenderweise eine ganze Reihe von Aben
teuern und den darin auftretenden Personen betrifft. Ich meine
jene Abenteuer, die Gawein, der erwählte Gralheld der ,Krone'
Heinrichs von dem Türlin, in diesem Gedichte zu bestehn
bat, bevor er in das eine Variante der Gralsburg deutlich vor
stellende Zauberschloß gelangt. Gawein trifft einen schreck
lichen schwarzen Mann, der einen stählernen Schlägel als Waffe
führt, V. 14287 u. ff.; dies erinnert direkt an den schwarzen
Mann mit der eisernen Kugel des ,Peronnik'-Märcliens; das
Land mit den schönen Rosen, deren Duft Gawein so wun
derbar stärkt, V. 14338 u. ff., entspricht der Wiese mit dem
Blumenbeet (il y avait lä des roses de toutes couleurs . . . .), 4
aus dem Peronnik die ,Lachende Blume' zu pflücken hat; auch
der verlockende, süße Gesang der verführerischen Mädchen im
,Peronnik' ließe sich vergleichen, und zwar mit der Stelle der
1 E. Hücker, a. a. O., Tome I, p. 482.
2 Derselbe, a. a. O., Tome I, p. 420.
3 Souvestre, ,Peronnik Vidiot 1 II, p. 1G4 der angegebenen Ausgabe.
4 Derselbe, a. a. 0., II, p. 156.
Krone V. 14280 u. ff., allerdings kommt der vroeliche sanc hier
aus einem mitten auf einem Anger stehenden krystallenen Pa
last; genau aber entspricht wieder das folgende Abenteuer: die
Frau, die Gawein über das Wasser hilft, V. 14410 u. ff. (vgl.
oben p. 81), was doch der Rolle der dame jaune am Schlüsse
des ,Peronnik‘ entspricht. Wichtig erscheint mir auch, daß
diese ganze Gruppe von Abenteuern (bis V. 13932), die nach
dem großen Hoffeste bei Artus beginnt und mit der deutlich
ein neues Kapitel von Heinrichs Roman, nämlich Gaweins Be
such auf der Pseudo-Gralsburg angefangen wird, damit anhebt,
daß Gawein ein wüstes Land betritt, V. 14116 u. ff.:
daz was allez verbrämt
ganz gar unde wüeste:
swer da wesen müeste,
der het den Up gar balde verlorn:
da wuohs weder gras noch körn,
niht wan hecken unde dorn,
und Gawein das seltsame Schauspiel erlebt, daß sechshundert
Ritter vergebens gegen einen unsichtbaren Gegner kämpfen,
alle von ihm erschlagen werden und als Leichname daliegen,
V. 14073 u. ff. Das ist doch dieselbe Situation, wie die des
,Peronnik‘, wo von dem verödeten traurigen Lande die Rede
ist, das der Jüngling ganz zu Beginn seiner waghalsigen Unter
nehmungen betritt, und auf dem die Gebeine der Ritter umher
liegen, denen das Bestehen der Abenteuer nicht gelungen war.
So überraschend stimmen hier die einzelnen Abenteuer,
wenn auch in Bezug auf die Reihenfolge eine kleine Verschie
bung eingetreten ist.
3. Kapitel.
Nähere Bestimmung des Verwandtschaftsverhältnisses.
Nach dem im vorigen Kapitel Besprochenen läge der
Schluß am nächsten, daß das bretonische Märchen von ,Peron-
nik l’idiot 1 selbst die unmittelbare Quelle für die mittelalter
liche Gralsage gewesen sei.
Sitzungsber. d. phil.-liist. Kl. 168. Kd., 4. Abb. 7
98
IV. Abhandlung: Junk.
Der nähere Vergleich der beiden Fassungen ergibt jedoch,
daß dem ,Peronnik‘, wenigstens in der auf uns gekommenen,
von Souvestre aufgezeichneten Gestalt, diese direkte Ver
mittlerrolle nicht zugesprochen werden kann: es fehlen ihm
einige Züge, die wir deshalb als wesentlich erklären müssen,
weil sie einesteils den von L. v. Schroeder hervorgehobenen
ursprünglichen Vorstellungen entsprechen, und andrerseits auch
in der Gralsage deutlich Vorkommen. In diesen Punkten kann
also das bretonische Märchen nicht der Vermittler sein.
Hierher gehören die im vorigen Kapitel erwähnten ritter
lichen Hüter des himmlischen Wunderschlosses, vgl. oben
p. 86 u. ff., von denen der ,Peronnik' keine Spur aufweist.
Dieser Mangel wird besonders deutlich, wenn wir uns vor
Augen halten, daß Lohengrin, die glänzendste Gestalt dieses
himmlischen Personals, schon in der verwandten arischen Schwan
elbensage vorgebildet ist. 1 Aus der knappen Anspielung unseres
Märchens auf die Möglichkeit der Schwanenverwandlung durch
die badenden Mädchen (vgl. oben p. 53), hätte kein Dichter
des Mittelalters die Gestalt des Schwanenritters Lohengrin
zeichnen und ihr ähnliche Schicksale nacherzählen können, wie
sie uns die uralten indogermanischen Märchen übereinstimmend
berichten.
Das ,Fisehen' des ,Fischerkönigs', ein, wie L. von
Schroeder gezeigt hat, 2 altertümlicher Zug des uns beschäf
tigenden Sagenkreises, fehlt gleichfalls vollständig.
Unter den magischen Eigenschaften, die dem Gral zu
kamen, scheint sich auch die Kraft der Verjüngung be
funden zu haben. Dafür haben wir eine ganz merkwürdige
und höchst wichtige Angabe bei Kiot-Wolfram, 469, 4 u. ff.
Da heißt es vom Gralstein:
des geslähte ist vil reine.
hat ir des niht erkennet,
der wirt iu hie genennet.
er heizet lapsit exillis.
von des Steines kraft der fenis
1 Vgl. L. v. Schroeder, Die Wurzeln der Sage vom heiligen Gral, a. a. 0.,
p. 81 u. ff.
2 A. a. O., p. 70 f.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
99
verbrinnet, daz er z’aschen wirt:
diu asche im aber leben birt.
sus rert der fenis müze sin
und git dar nach vil liehten schin,
daz er schoene ivirt als e.
Nach der gewöhnlichen Auffassung sammelt der Phönix
in seinem Nest Weihrauch, Myrrhe und andere Kräuter und
Harze, setzt sich dann darauf, den Blick gegen die Sonne
gerichtet und gerät dadurch in Brand; aus seiner Asche wird
ein Wurm, aus welchem wiederum ein Phönix hervorgeht. 1
Bei Wolfram aber gerät der Vogel nicht von selbst, oder durch
die Sonne in Brand, sondern durch die Kraft des Grales, durch
den Stein lapsit exillisl Vgl. die vorzitierte Stelle. Wenn das
Märchengefäß, welches der Gralvorstellung zugrunde liegt, die
Kraft der Verjüngung besessen hat, was immerhin wahrschein
lich ist durch keltische Parallelen, 2 so müßten wir sie auch im
,Peronnik‘ finden, sollte dieser die direkte Quelle gewesen sein.
Für den phantastischen Dichter des Mittelalters, bei dem sich
die Vorstellungen in ganz unkontrollierbarer Weise gemischt
haben, lag es nahe, dabei an den sich selbst verjüngenden
Vogel Phönix zu denken und auch ihn für seinen großen Ro
man heranzuziehen, gleichsam um an ihm diese Eigenschaft
des Gralsteines zu exemplifizieren. Etwas ganz Ähnliches wird
im Grand Saint Graal erzählt: der Vogel Serpilion verbrennt
sich mit dem Stein Pirastite. Dies muß noch keine nähere
Verwandtschaft der beiden Dichtungen bedeuten; die Heran
ziehung des Vogels Phönix kann man sich wohl sehr gut als
die Tat Kiots denken und der Dichter des Grand Saint Graal
kann es von Kiot übernommen haben, aber bei dem allgemeinen
Bekanntsein der Phönixsage kann ja auch der Dichter des
Grand Saint Graal ganz gut von selbst darauf verfallen sein.
Bei ihm steht die Episode ja auch in keiner Weise in Ver
bindung mit dem Gral. Bei Kiot-Wolfram dagegen ist es
geradezu der Gralstein, der dieses Wunder wirkt.
1 Vgl. auch L. E. Iselin, Der morgenländische Ursprung der Grallegende,
Halle 1909, p. 51.
2 Vgl. K. Heinzei, Über die französischen Gralromane, a. a. O., p. 97.
L. v. Schroeder, Die Wurzeln der Sage vom heiligen Gral, a. a. 0.,
p. 60 f. •
7*
100
IV. Abhandlung: Junk.
Wenn der Weg zur Gralsage direkt über den ,Peronnik‘
ginge, so müßte in diesem auch wenigstens eine Anspielung
darauf zu finden sein, daß das Wundergefäß für gewöhnlich
verhüllt sei; vgl. die schon bei L. v. Schroeder, a. a. 0., p. 45
und 46, Anm. 1, angeführten Stellen, was allerdings voraus
setzt, daß jene Angaben der mittelalterlichen Dichter direkt zu
denen des Veda gestellt werden dürfen, was ja L. v. Schroe
der, a. a. 0., p. 64, vorsichtig genug ausgesprochen hat. Aber
es fehlt ja auch, wie wir gesehen haben, die in den Gral
dichtungen so oft und ausführlich geschilderte Speisung der
Gralbesitzer, die sog. ,Graltafel‘, in dem bretonischen Märchen.
Daß dies etwas Altertümliches sei, das der Gralsage durch ein
ihr zugrunde liegendes Märchen vermittelt worden sein muß,
wird wahrscheinlich durch die von L. v. Schroeder a. a. 0.,
p. 56 f. und 64 gewiß mit Recht herangezogene auffallende
Parallelstelle in der Edda: das sich seihst kredenzende Bier in
der Prosaeinleitung zur Lokasenna. Immerhin aber werden
wir dabei mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß diese spe
zielle Art, wie die speis- und trankgewährende Kraft des
Wunderbechers exemplifiziert wird, in der Phantasie eines jeden
Volkes, dem jenes wunderbare Gefäß bekannt war, doch in
ziemlich derselben Weise geschehen konnte: durch die Schil
derung eines Gelages, einer Festtafel u. dgl., wobei das Gefäß
automatisch bedient.
Was aber wieder höchst wichtig ist und uns ganz deut
lich beweist, daß im ,Peronnik‘ Manches verkümmert ist, was
Gralsage und Urdichtung in gleicher Weise klar ausgebildet
besitzen, ist das, was ich (oben p. 14 f.) das ,dritte Symbol' des
zugrunde liegenden arischen Naturmythus genannt habe. Neben
dem Gewitterinstrument begegneten uns zwei Gefäße, Symbole
für Sonne und Mond; demnach im deutschen Märchen neben
dem Knüppel das Tischlein und der goldspeiende Esel.
Wenn im ,Peronnik‘ neben der diamantenen Lanze das
bassin d’ or als einziges Gefäß auftritt, so erinnert diese Einschrän
kung daran, daß auch in der nordischen Fassung des Märchens
das Symbol für die Sonne zurücktritt neben dem bedeutungs
volleren für den Mond: neben dem Bierkessel der Hymeskvidha,
der den Mond darzustellen scheint, wird bloß flüchtig erwähnt
das Halsband der Freyja, das offenbar auf die Sonne deutet.
Gralsage und Graldiehtung des Mittelalters.
101
Die Gralsage aber kennt neben dem Gral noch den Teller,
den tailleor d’argent, welcher in der Gralprozession zugleich
mit Gral und Lanze feierlich einhergetragen wird, und welchem
bekanntlich die beiden Silbermesser bei Wolfram entsprechen.
Daß diese Messer auf einem Irrtum Wolframs, einem Mißver
ständnis der französischen Vorlage beruhen, wie zuerst Adolf
Birch-Hirschfeld 1 ausgesprochen hat, wonach Wolfram ein
französisches tailleor seiner Vorlage (von tailler, schneiden, also
Vorschneidebrett = Teller) nicht verstanden, aber auf Grund
seiner durchschimmernden Etymologie als ,Zerschneidet =
Messer gedeutet habe, war bis vor kurzem die gangbare Er
klärung dieser Sonderbarkeit Wolframs. Der Ausdruck, den er
dafür gebraucht: snidende silier, 255, 11 und 316, 27, scheint
in der Tat wörtliche Übersetzung von tailleor d’argent zu sein.
Auch die beiden anderen Stellen, an denen davon gesprochen
wird, drücken es ähnlich aus: zwei mezzer snidende als ein
grät, . . . daz was silier herte iviz 234, 18 u. ff. und zwei mezzer
. . . . uz silier 490, 21 f. Und die seltsame, der übrigen Gral
dichtung unbekannte Verwendung dieser Geräte: zum Ab
schaben des sich an der Wunde des Anfortas ansammelnden,
respektive mittelst der Lanze aus der Wunde herausgezogenen
Eitei-s, 490, 13 u. ff., hielt man demnach für eine freie Ei’fin-
dung Wolframs, hervoi'gerufen eben durch die Verlegenheit, in
die er sich selbst durch die falsche Übersetzung seiner Vorlage
gebracht habe. Miss Weston aber hat uns gezeigt, 2 daß
Wolframs Messer, fei’ner die Zweizahl der Messer und die
sondei’bare Art ihrer Verwendung nicht auf einem Mißverständ
nisse, l-espektive auf durch dieses Mißverständnis verursachter
freier Kombination Wolframs beruhen, sondern einer speziellen
legendarischen Tx-adition entsprechen: der Legende der Abtei
von Fecamp. 3 Hiei-in wird in der Tat von zwei Messei’n ge
sprochen, welche bei der Gründung der Abtei eine Rolle gespielt
1 Die Sage vom Gral etc., p. 278. Vgl. auch R. Heinzei, Über Wolframs
von Eschenbach Parzival, a. a. 0., p. 14.
2 The Legend of Sir Perceval. Studies upon its Origin Development, and
Position in the Arthurian Cycle by Jessie L. Weston. Vol. I. Chre-
tien de Troyes and Wauehier de Denain. London 1906; Chapter V,
,The visit to the Grail Castle 1 , Part II.
3 Weston teilt diese Legende a. a. 0., p. 157 u. ff., mit.
102
IV. Abhandlung: Junk.
haben, von denen überdies eines dazu verwendet worden war,
um das getrocknete Blut von den Wunden Christi abzuschaben
und die außerdem auch einmal bei feierlicher Gelegenheit in
Gesellschaft von Kelch und Patene auftreten. 1 Ich bin durch
aus nicht der Meinung, daß hierin, in der Legende von Fe-
camp, der Ausgangspunkt, gleichsam die Veranlassung zur Gral
sage gegeben war, aber für Wolframs seltsame Abweichung
haben wir hier tatsächlich eine nicht nur glaubliche, sondern
über Alles befriedigende Erklärung: sowie Kiot-Wolfram in
Bezug auf die Gestalt des Grales einen andern Weg gegangen
ist, indem er, unter morgenländischem Einfluß, daraus einen
Stein machte, so hat er auch hier eine abseits liegende Tradition
benützt, aus ihr die beiden mezzer herübergenommen und an
die Stelle des tailleoir gesetzt.
Doch ist dies hier Nebensache. Wesentlich dagegen für
uns ist, daß auch diese beiden Silbermesser bei Wolfram in
der Prozession hereingetragen und immer zwischen Gral und
Speer eingereiht werden. Vgl. im V. Buch: 231, 18 Speer —
234, 18 die zivei mezzer — 235, 23 Gral; ebenso im V. Buch
im Munde der Sigune: 255, 7 Gral — 255, 11 smdende silber
und bluotec sper- und ebenso endlich im VI. Buch in den
Scheltworten Kundriens: 316, 26 f.: den grdl, und snident silbr
und bluotic sper.
Ebenso bedeutungsvoll begegnet der tailleor d’argent in
der Prozession mit Gral und Lanze bei Crestien und seinen
Fortsetzern. Bei Crestien ist die eingehaltene Reihenfolge:
Lanze — Gral — Teller. So schon beim ersten Besuche Perce-
vals auf der Gralsburg
V. 4369 u. ff. uns varles d’une cambre vint,
qui une blance lance tint,
empoingnie par emmi leu; hierauf
V. 4398 u. ff. un graal entre ses . II . mains
une damoisiele tenoit
qui avoec les varles venoit,
biele, geilte et acesmee-
quant eie fu laiens entree
1 Weston, a.
O., p. 161.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
103
atout le graal qu’ele tint,
une si grans (Hartes i vint
que si pierdirent les candoiles
lor clarte, com font les estoiles
quant li solaus likve ou la lune;
apries igou en revient une
qui tint une taule ensement.
Heinzei 1 hat hervorgehoben, daß an Stelle des letzten
Verses 4409 die Lesart der Hs. Mons qui tint le tailleoir
d’arg ent zu setzen ist: der Tisch (taule) hat hier nichts
zu tun.
Die gleiche Aufzählung erfolgt bei der späteren Stelle,
wo Percevals cosine (Sigune) ihn fragt, ob er die Wunderdinge
auf der Gralsburg gesehen habe. Die Reihenfolge ist wieder:
Lanze — Gral — Teller.
V. 4724 u. ff. } Or me dites se vous veistes
la lance dont la pointe saine,
et si n’i a ne car ne vaine —
V. 4732 ,Et veistes-vous le Greail?‘ —
V. 4741 u. ff. ,Et apres le Graail, hi vint? 1
pme autre puciele qui tint
. I . petit talleoir d’argent. 1
Bei dem ersten Interpolator in Pseudo-Gautier (Ms.
Montpellier) sieht Gawan beim Mahle auf dem Schlosse des
Fischerkönigs 2 V. 8 une blanche lance reonde, hierauf V. 21
. I . petit tailleor d’argent und erst V. 37 f. . I . graal trestout
descovert; Gauvains le vit tout en apert, etc., also in der
Reihenfolge, die zu Wolfram und (dem gleich zu besprechenden)
Heinrich von dem Türlin stimmt, nicht aber zu Crestien.
Auch im Perceval der Didotschen Handschrift 3 werden
die Dinge in der Reihenfolge hereingebracht: une lance —
. II. petiz tailloers d’argent — . I. vessel oü li sanc notre seygnor
fut repost.
1 Über die französischen Gralromane, a. a. 0., p. 3, Anm.
2 Potvin, Perceval le Gallois, Tome III, p. 369,
3 E. Hu eher, Le Saint Graal, Tome I, p. 465.
104
IV. Abhandlung: Junk.
Dieselbe Dreiheit findet sich bei Manessier, 1 bald in
der Reihenfolge: Lanze— Gral — Teller, V. 34957 u. ff.:
par devant la table roiaus
passa la lance et li Greaus
et uns bons talleors d’argent,
ebenso V. 34980 f., was also völlig mit Crestien übereinstimmt,
bald in der Reihenfolge: Gral — Lanze — Teller, was fast mit
Crestien übereinstimmt, und zwar V. 44696 u. ff., 45234 u. ff.,
45305 u. ff. und 45355 f. Hier darf wohl auch an den Grand
Saint Gr aal erinnert werden, wo Joseph 2 zuerst Lanze und
Gral (esquiele, auf p. 177 un moult rice vaissiel d’or) erblickt,
hierauf (p. 178) die von den beiden Engeln hereingetragenen
beiden großen Goldbecken, die dem tailleour d’argent der üb
rigen Dichtungen entsprechen (vgl. später p. 112).
An erster Stelle gar erscheint der Teller bei Gerbert:
Joseph kommt mit zwei Edelfrauen,
Philosophine ot ä nom l’une,
. 7. tailleoir plus cler que lune
aporta; et l’autre une lance
qui onques de sainier n’estance;
et Joseph ot .7. tel vaissel,
onques nus hom ne vit si bei, usw. 3
Ich habe alle diese Stellen ausführlicher mitgeteilt, als
vielleicht für den vorliegenden Zweck: zu zeigen, welch große
Rolle der geller' spielte, nötig erscheint; denn es gehört zu
den Aufgaben dieser meiner Untersuchung, zugleich die Märchen
haftigkeit dieses ,dritten Symbols' zu erhärten und den Ver
suchen, den Teller lediglich aus der Legende abzuleiten: ihn
auf die Patene des Meßopfergerätes zu deuten, die Stütze zu
entziehen.
Wenn Wilhelm Hertz 4 auf Grund des Umstandes, daß
der silberne Teller zugleich mit dem Gral in den Saal getragen
wird, meinte, der Teller sei unverkennbar die Patene der Le-
1 Potvin, a. a. O., Tome V und VI.
2 E. Hucher, Le Saint Graal, Tome II, p. 176.
3 Potvin, a. a. 0., Tome VI, p. 243.
4 Parzival, 4. Auflage, p. 430.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
105
gende, der Deckel zu dem als Kelch gedachten Gral*, so fragen
wir, was denn die Lanze für eine legendarische Beziehung zum
Gral habe? Denn, wir wir sahen, steht der Teller in gar keiner
engeren Beziehung zum Gral, als die Lanze zum Gral oder als
der Teller zur Lanze: sie alle drei sind gleich bedeutungsvoll,
erscheinen immer nebeneinander; keines hat dem andern was
voraus! Aber die Hertz sehe Ansicht beruht eben wieder auf
der von Adolf Birch-Hirschfeld 1 vorgebrachten, ganz und
gar nicht zwingenden Folgerung, für Gral und Teller stehe
,die heilige Bedeutung fest; denn der talleor d’argent ist weiter
nichts als der flache Deckel (platine) des Abendmahlsgefäßes,
er gehört zum Gral (!) und dient für uns auch zum Beweise,
daß Chrestien nichts anderes unter dem Gral verstanden hat,
als das heilige Gefäß*. Daß der Teller enger zum Gral gehöre,
ist, wie wir sahen, nicht wahr, und es fällt somit wenigstens
dieses Argument für die Identifizierung des Grals mit dem
Abendmahlsgefäß weg.
Würde es uns aber wundern, wenn Robert de Borron,
dessen ,Joseph von Arimathia* ein Vierteljahrhundert nach
Crestien gedichtet ist, oder die noch späteren Dichtungen
Grand Saint Graal oder Quete es wirklich so auslegen?
Gewiß nicht! Die Sache ist von großer Bedeutung, denn es
zeigt uns dieses Element der Gralsage ganz deutlich, wie die
Sage zur Legende sich gewandelt hat.
Robert sagt bekanntlich im poetischen ,Joseph von Ari
mathia 12 V. 907 u. ff.:
Cist veissiaus oü men sanc meis,
quant de men cors le requeillis,
calices apelez sera.
La platine ki sus girra
iert la pierre seneßee
qui fu deseur moi seelee,
quant ou sepuchre m’eus mis.
Er erwähnt also wirklich neben dem als Kelch gefaßten
Gralsgefäß die platine, den darauf liegenden Deckel. Alle
1 Die Sage vom Gral etc., p. 121 f.
5 Le Roman du Saint-Graal, publie pour la premiere fois . . . par Fran-
cisque Michel. A. Bordeaux 1841.
106
IV. Abhandlung: Junk.
Zeugnisse aus der eucharistischen Literatur aber, die Richard
Heinzei 1 beigebracht hat, können nicht die Vermutung glaub
haft machen, geschweige denn den Beweis erbringen, daß Ro
bert unter jener platine den tailleor d’argent gemeint habe.
Von diesem ist nämlich bei ihm gar nicht die Rede, ja nicht
einmal die Patene, platine, die er V. 910 genannt hat, spielt
weiter eine Rolle in seinem Werk! Erst bei Manessier, der
nach 1214 seine Fortsetzung des Crestienschen Werks dichtete,
finden wir diese Meinung deutlich ausgesprochen: da dient der
Teller offenbar dazu, als Deckel auf dem Gefäß (nicht,Kelch 4
wie Heinzei, a. a. 0., p. 8 sagt) das heilige Blut zu schützen, 2
du tailleoir qui par ci vint
d’argent que la pucelle tint
fist cel saint vessel contenir
por que le sanc vost bien tenir;
c’est li sainz graaux sans doutance.
Aber es ist doch wiederum höchst beachtenswert, daß die
Stelle nicht im Kontext der Manessierschen Verse steht, son
dern in einer bloß dem Ms. Montpellier angehörigen und darum
vom Herausgeber mit Recht unter den Strich gesetzten Variante,
während der Text davon kein Sterbenswörtlein erwähnt! Die
Stelle gehört also vielleicht gar nicht Manessier an; dann aber
fällt auch das Gewicht jenes Verses 45307 bei Manessier weg,
wo dieser den Teller heilig nennt, li saint talleors d’argent:
die Heiligkeit des Tellers involviert sicherlich noch keine spe
zielle Beziehung zur Eucharistie.
,Auch in der Quete ch. XII 245 ist der Gral von der
platine bedeckt 4 , sagt Heinzei 3 und fügt das Zeugnis der ,De-
manda Fol. 186 b< hinzu, aber ich finde auch in der Quete
nichts, was diese platine mit unserem tailleoir d'argent als iden
tisch erscheinen ließe. Wenn im Perceval der Didotschen
Handschrift von den zwei Silbertellern die Rede ist, von denen
,wohl der eine als Untersatz, der andre als Deckel des Grals
dient 4 , wie W. Hertz und R. Heinzei annehmen, 4 so ist
1 Über die französischen Gralromane, a. a. O., p. 7.
2 Potvin, Perceval le Gallois, Tome V, p. 152.
3 A. a. 0., p. 8.
4 W. Hertz, Parzival, 4. Auf!., Anm. 177, p. 528. E. Heinzei, Über
Wolframs von Eschenbach Parzival, a. a. 0., p. 14.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
107
dagegen zu sagen, daß der Dichter davon jedenfalls nichts
gewußt hat.
An sich wäre diese Identifizierung ja gewiß begreiflich
und ließe sich verstehn in einer Zeit, wo der Gral, die Blut
schüssel, auch schon die Funktion des Abendmahlskelches an
genommen hatte, aber dies war eben eine sehr späte, nicht die
ursprüngliche Auffassung. 1 Ursprünglich hat der Gral auch
mit der Hostie nichts zu tun; dann kann aber auch der tail-
leour, der neben dem Gral auftritt, nicht etwa die ursprüng
liche Bestimmung gehabt haben, die Hostie (als Grabdeckel) zu
schützen. Und noch weniger kann eine Beziehung des Tel
lers zur Blutreliquie das Älteste sein, denn der Gral ist bei
Crestien keine Blutreliquie: er ist leer. Wenn trotzdem
der tailleour seit je in seiner Begleitung erscheint, so ist eben
nur der eine Schluß erlaubt, daß er, gleichwie der Gral selbst,
etwas rein märchenhaftes, und ihm völlig gleichwertiges be
deutet.
Gegen eine untergeordnete Rolle des Tellers im Vergleich
zu Gral und Lanze würde auch sprechen, daß, wiederum bei
Manessier, sogar die Frage Percevals (die sonst auf Gral
und Lanze beschränkt ist), 2 auf den Teller mit ausgedehnt wird.
V. 34979 u. ff. fragt Perceval den Fischerkönig:
,biaus dous sire, dist Percheval,
de la lance et dou Saint-Graal
et des talleours k’ai veus
que je n’en soie deceus,
s’il vos vient ä comandement,
me dites tout premierement
quel liu il sont et dont il viennent, 1 ,
usw. Ebenso fragt Perceval wenige Verse später, nachdem er
über die Lanze bereits Auskunft erhalten, V. 35009 u. ff.:
1 Zu meiner Freude sehe ich, daß Miss Weston ganz und gar derselben
Meinung ist und diese mit fast denselben Worten ausgedrückt hat:
,iohen tlie Identity of the Qrail with the chaiice was firmty established, and
the full symbolism of the Mass hrouyht to bear on the story, then the trans-
formation of „tailleor“ into paten woidd follow almost automaticaUy'. (The
Legend of Sir Perceval etc., Vol. I, p. 171.)
2 Vgl. W. Hertz, Parzival, 4. Auf!., Anm. 177, p. 528.
108
IV. Abhandlung: Junk.
,sire, dit m’aves de la lance,
mais del greal, sans demorance,
et del talleour vcel savoir,
se del demander fae savoir. 1
Nun hat man aber wiederum aus dieser Stelle ganz falsche
Schlüsse auf die legendarische Herkunft des Tellers gezogen.
Wenn Wilh. Hertz sagt: ,Bei Manessier fragt Perceval auch
nach dem Teller und erhält die Erklärung, derselbe habe
als Deckel für die heilige Blutschüssel gedient', 1 so muß
eben wieder betont werden, daß diese Erklärung der Bestim
mung des tailleour nicht im Texte Manessiers, sondern ledig
lich in jener Variante des Ms. Montpellier vorkommt, die ich
oben p, 106 abgedruckt habe und die schon deshalb nicht mit
dem Texte Manessiers vereinbar ist, weil sie die Geschichte
von Lanze und Gral (die Rolle des Longinus, das Auffangen
des Blutes durch Joseph etc.), die gleich darauf erzählt wird,
vorwegnehmen würde. 2 Im Texte Manessiers wird zwar, wie
wir gesehen haben, zweimal nach Lanze, Gral und Teller
gefragt, aber der Fischerkönig erzählt bloß von der Lanze,
V. 34993 u. ff., und vom Gral, V. 35003 u. ff., nicht aber gibt
er die von Perceval gewünschte Auskunft über den Teller! Ja,
es ist sehr auffällig, daß gerade dort, wo die Erzählung über
den Gral als Blutreliquie gegeben wird, auf den tailleour gänz
lich vergessen wird! Man vergleiche doch die lange Erzählung
V. 35017—35138, aus welcher ja Perceval erst die Identität
des Grals mit der Blutschale erfährt, worin aber der Teller,
der, wenn er wirklich Deckel, Patene, gewesen wäre, doch ge
nannt sein müßte, gar nicht vorkommt. Und auch Perceval,
der doch zweimal nach dem Teller gefragt hat, hat jetzt (wo
doch die schönste Gelegenheit gewesen wäre, den Deckel zum
Blutgefäß unterzubringen) darauf vergessen, daß ihm der Fischer
könig die dritte Antwort noch schuldig ist. V. 35145 u. ff. fragt
er plötzlich nach den . II. puceles, die die Herrlichkeiten in den
Saal getragen haben (wobei in der Antwort des Fischerkönigs
ausdrücklich auch die genannt wird, hi le talleour porte,
V. 35167), und V. 35175 u. ff. sagt der Fischerkönig, Perceval
1 Parzival, 4. Auf!., Anra. 177, p. 528.
2 Vgl. Potvin, Perceval le Gallois, Tome V, p. 152 f.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
109
habe nun genug von Gral und Lanze gehört, es sei Zeit, zur
Ruhe zu gehn; aber Perceval will noch Auskunft über das
zerbrochene Schwert (!).
Die Stelle bei Manessier beweist also nicht nur nicht, was
sie nach Ansicht der Gelehrten beweisen sollte, nämlich daß
der tailleour als Patene verwendet wurde, sondern sie beweist
geradezu das Gegenteil: über die Verwendung des Tellers wußte
der Dichter absolut nichts zu sagen. 1
Kehren wir zum Ausgangspunkte dieses längeren Ex
kurses zurück, so ist also die Existenz des Tellers als eines
völlig gleichberechtigten und gleichwichtigen dritten Symbols
in der Gralsage nicht zu bestreiten.
Und dies beweist auch das letzte der zu betrachtenden
Denkmäler unseres Sagenkreises: die ,Kröne' des Heinrich
von dem Türlin. Hier ist die Reihenfolge wiederum so, daß
der Teller zwischen Speer und Gral erscheint. Die Stelle ist
V. 29357 u. ff. und lautet:
nach ieglicher meide
zwen juncherren giengen,
die under in heviengen
deswär ein vil lcluoc 2 sper.
1 ß. Heinzei, Über die französischen Gralromane, a. a. 0., p. 73 hält
allerdings jenen von Potvin nach dem Ms. Mons gegebenen Text Manes-
siers für eine jüngere Redaktion. Ob es sich aber nicht gerade umge
kehrt verhält? Über die Wichtigkeit und Altertümlichkeit der Hs. Mons
gerade in Bezug auf ihre Angaben vom tailleour vgl. oben p. 103,
wo eben bloß diese Hs. das alte tailleoir d'argent überliefert, statt taule
ensement (Crestien, V. 4409), das Potvin in den Text gesetzt hat.
2 Hs liegt nahe, hier eine Verderbnis für bluotec anzunehmen. Über die
Fehlerhaftigkeit der einzigen Handschrift, die uns das Gedicht überliefert
hat, vgl. G. H. F. Scholl in der Vorrede zu seiner Ausgabe (Bibi, des
Literarischen Vereines, XXVII, 1852), p. V u. ff. Der Speer ist doch wohl
derselbe, der Gawan schon früher einmal, V. 14682 u. ff., in jenem un
heimlichen Zauberschlosse erschienen war: An der Wand des Saales
sack er zwo hende,
die i)z der rnüre rahten
die solhe wäfen dahten,
sam sie eins ritters waren,
einen Schaft vil swceren
habten sie, dä was ein steft
110
IV. Abhandlung: Junk.
Nach den giengen aber her
zwo ander juncvrouwen :
die waren wol erbouwen
an libe und an gewande
sunder alle schände
mit richer geziere;
von golde ein tobliere 1
und von edelem gesteine
truogen sie gemeine
vor in in einem sigeldt.
Nach disen vil lise trat
diu schcenste vrouwe
diu nach der iverlde schouive
Got ie gescliuof ze wibe:
an kleidern und an libe
was sie gar vollelcomen-
diu hat vür sich genomen
in einem tiuren plialt
ein kleinot das was gestalt
als ein rost von golde rot:
dar üf ein ander Meinot
was gestalt unde gemachet,
deswär daz niht swachet:
gestein 2 ivas ez und goldes rieh;
oben von golde an gesekeft,
der bluotete vil starke ....
Und auch der mit dem Erscheinen der Lanze verbundene Weheruf stellt
sich ein (trotzdem ja Gawan allein ist), V. 14698 f.:
Nu horte er eine stimme we
mit jämer riiefen dristunt.
1 Wahrscheinlich ist zu lesen einen tobliere, denn das Wort erscheint sonst
als Maskulinum, vgl. V. 29415, 29420; V. 29410 ist indifferent.
2 Man hat wegen dieses Wortes manchmal versucht, die Stelle Uber den
Gral (denn dieser ist natürlich hier gemeint) mit Wolframs Auffassung
vom Gral als einem Steine in Zusammenhang zu bringen. Sicher mit
Unrecht: gestein(e) ist Gen.-Pl., ebenso abhängig von ricli wie goldes.
Zur Schilderung dieses mit Gold und Edelstein geschmückten Heilig-
tumes vgl. die vorhergehende Schilderung des toblier: auch dieses ist
von golde und von edelem gesteine. Beide ruhen auf kostbaren Seiden
stoffen: plialt — sigeldt. Vgl. auch später, p. 112, Anna. 1.
Gralsage und Graldiehtung des Mittelalters.
111
einer kefsen was es glich,
diu üf einem alter stet,
diu vrouwe üf dem houbet het
ein guldine kröne.
Der toblier, welcher offenbar nichts anderes ist als der
= tailleour der französischen Romane, ist also völlig gleich
wertig dem Gralschrein und dem Speer. Es ist gewiß bemer
kenswert, daß toblier und Gral in gleich herrlicher Weise ge
schmückt sind, vgl. Anm. 2 auf p. 110: der toblier steht nach
der Auffassung Heinrichs an dieser Stelle dem Grale offenbar
um nichts nach. Man beachte noch im Folgenden die ständige
Paarung toblier und sper, so Vers 29410, 29413 —15 und
29418—20. Wie weit wir hier entfernt sind von der späteren,
christlich-eucharistischen Auffassung, wonach der tailleor nichts
anders sei, als der Deckel, die Patene, zum Gral als Hostien
bewahrer, zeigt, daß auch an dieser Stelle der Gral zwar einen
Deckel hat:
V. 29426 f. Von der kefsen nam sie (die Graljungfrau)
daz lit
und stalte ez üf die tavel dar
(lit. = ahd. hlit. — Deckel), daß aber nicht annähernd der Ge
danke aufkommen kann, daß unter dem toblier jenes lit zu
verstehn sei. Es ist dies um so auffallender, als der Inhalt
des Gralschreines, V. 29429:
einen brosem er (= Gawan) dar inne sacli
doch eben sehr an die im Gral auf bewahrte Hostie erinnert!
Auf der andern Seite dürfen wir wieder nicht übersehen,
daß bei jenem vorerwähnten Besuche Gawans auf dem ver
wunschenen Schloß, wo ihm der blutende Schaft erscheint, der
von zwei aus der Mauer ragenden Händen gehalten wird, 1
zwar auch eine dem Gral entsprechende Erscheinung vorkommt,
nicht aber etwas, was sich dem toblier vergleichen ließe. Es
heißt bloß, daß bei dem Essen vier gekrönte Jungfrauen er
scheinen mit vier-goldenen Leuchtern, und V. 14754 u. ff.:
1 Vgl. oben p. 109, Anm. 2 die Verse 14682 u. ff.
112
IV. Abhandlung: Junk.
nach disen vier meiden
gienc ein magt gezieret baz
diu truoc vor ir ein schoenez vaz
von einer cristalle, 1
daz was vol mit alle
vil gar vrisches bluotes.
Hier also fehlt das ,dritte Symbol'. Es tritt dieser Unter
schied zwischen der vorerwähnten und der hier besprochenen
Stelle zu den vielen Rätseln hinzu, die uns das Heinrichsche
Gedicht inhaltlich ohnedies schon gibt, ebenso wie auch die
merkwürdig differierenden Angaben über den Gral: einmal ein
Schrein, eine Kapsel (kefse) und das andremal ein Gefäß (vaz).
An dem Ergebnis, daß der Teller neben Gral und Lanze
seine volle Gleichberechtigung und Wichtigkeit hat, ändert es
natürlich nichts, wenn im Perceval der Didotschen Handschrift
zwei kleine Silbersteller statt des einen Vorkommen (s. oben
p. 103), oder im Grand Saint Graal zwei große goldene Becken:
deus grans vaissiaus d’or autreteus comme deux bachins. 2 Viel
leicht hat W. Hertz Recht in der Annahme, auch Wolfram
habe die Zweizahl für seine mezzer in seiner Quelle (Kiot) vor
gefunden. 3 Mehrere Teller erscheinen ja auch beiManessier
(Ms. Mons) V. 34981 des tailleours k’ai veus, vgl. oben p. 107.
Einen gewöhnlichen tailläoir d’argent neben dem bedeutungsvollen
kennt auch Crestien V. 4465; es wird darauf eine Hirschkeule
zerschnitten. Das Wort also kann auch ganz Unheiliges, Pro
fanes bezeichnen. Und Ernst Martin hat mit Recht hiezu
bemerkt, es wäre doch , wunderlich, wenn Crestien einen vom Zer
schneiden genannten Teller und die Patene verwechselt hätte'. 4
Ich bemerke noch ausdrücklich, der Vollständigkeit wegen,
daß der Prosaroman Perlesvaus den Teller oder etwas ihm
Entsprechendes nicht kennt, sondern bloß Gral und Lanze.
1 Die Stelle ist zugleich wichtig, weil sie zeigt, daß doch auch in Hein
richs Gralvorstellung das Gefäßartige die Hauptsache ist und nicht der
Stein. Vgl. das oben p. 110, Anm. 2 Bemerkte.
2 E. Hucher, Le Saint Graal, Tome II, p. 178.
8 Parzival, 4. Auf!., Anm. 177, p. 528. Vgl. dazu auch oben p. 101 f. Kiot
kann die Fdcamp-Legende sehr wohl vermittelt haben.
4 Wolframs von Eschenbach Parzival und Titurel. Herausgegeben und er
klärt von E rnst M artin. II. Teil: Kommentar. Halle a. S. 1903, p. LIV.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
113
Außer diesem wichtigsten Sagenelement, welches im bre-
tonischen Märchen fehlt, könnte dann noch erinnert werden an
die Ungenauigkeit in der Übereinstimmung zwischen Gralsage
und ,Peronnik‘ in Bezug auf das Motiv von dem Fruchtbar
werden des Landes. 1 Auch dadurch wird es unwahrschein
lich, daß der ,Peronnik‘ direkte Quelle gewesen sei.
Anderes, wie der vergebliche erste Besuch des Gralhelden
auf der Gralsburg, also die Erzählung von zwei Fahrten,
kann Einfall des eigentlichen Sagendichters sein (wie er ja auch
mehrere Gralsucher eingeführt zu haben scheint) und muß nicht
unbedingt aus dem zugrundeliegenden Märchen stammen, wenn
es sich auch sehr wohl mit der märchenhaften Grundlage der
Sage in Einklang bringen ließe: daß der zum Erlöser auser
korene Jüngling ein erstesmal aus kindlicher Unwissenheit ver
säumt, das erwartete Zauberwort zu sprechen, ist ein bekanntes
Motiv aus den ,überall und besonders bei den Kelten weit ver
breiteten Erlösungssagen'. 2 Hierher gehört auch z. B. das gleich
falls echt märchenhafte, in der Gralsage begegnende Motiv, daß
der Held im Zauberschlosse einschläft und daher der Erfolg
das erstemal nicht erreicht wird, u. a. m.
Was sonst an namhaften Differenzen zwischen ,Peronnik' und
Gralsage existiert, scheint auf der künstlerischen Ausschmückung
und auf Zutaten des mittelalterlichen Dichters der Sage zu
beruhen, so die Art, wie das Erlösungsbedürfnis des Fischer
königs erscheint und wie diese Erlösung sich schließlich voll
zieht, auch das Motiv von der Krankheit des Fischer
königs, von welchem L. v. Schroeder 3 wahrscheinlich ge
macht hat, daß es an die Stelle eines älteren Märchenmotivs,
nämlich eben des Motivs von der (irgendwie hervorgerufenen,
respektive anderweitig motivierten) Unfruchtbarkeit des Landes,
getreten sei. Und so noch manches Andere.
1 Nebenbei sei bemerkt, daß auch bei Wolfram 222, 12 f. vom Fruchtbar
werden eines wüsten Landes die Rede ist; freilich an anderer Stelle und
mit anderer Motivierung 1 , aber es kann aus dem alten Vorrat an Motiven
stammen. — Im Allgemeinen vgl. oben p. 43 u. ff.
2 Vgl. Eduard Weehssler, Die Sage vom heiligen Gral, p. 30 und die in
Anm. 39, p. 129 verzeichnete Literatur.
3 Die Wurzeln der Sage vom heiligen Gral, a. a. 0., p. 71 u. ff.
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 168. Bd , 4. Abb. 8
114
IV. Abhandlung: Junk.
Auch ist es ja wahrscheinlich, daß der Graldichtung des
Mittelalters eine walisische und nicht eine bretonische Fas
sung des Märchens Vorgelegen habe; dafür würde außer dem
Namen des Helden: Perceval li Galois, d. h. der ,Walliser',
der ,Kymre aus Wales', auch der Umstand sprechen, daß die
Verbindung des Märchens mit der Legende, d. h. die Aufnahme
christlich-legendarischer Elemente in das Märchen, höchstwahr
scheinlich in Britannien erfolgt ist.
Daß die Tracht, in der Perceval bei Crestien ausreitet,
der der walisischen Bauern entspreche, hat man längst bemerkt.
Fragen wir weiter: Ist der ,Peronnik' die einzige Form
des keltischen Gralmärchens? Diese Frage ist mit Ja! zu be
antworten. Es sind zwar mehrere keltische Überlieferungen
auf uns gekommen, aus denen man schon in früherer Zeit die
französischen Gralstoffe abzuleiten versucht hat; doch ist das
Meiste jetzt, und zwar mit Recht, fallen gelassen worden: es
hat sich als von den französischen Gralromanen (meist Crestien)
abhängig erwiesen.
Auszunehmen sind bloß jene märchenhaften Berichte von
anderen zauberhaften Gefäßen, Bechern, Schüsseln . . . keltischer
Tradition, die ähnliche oder verwandte Eigenschaften mit denen
unseres goldenen Beckens besitzen. Hierüber hat L. v. Scliroe-
der a. a. 0. p. 59 u. ff. bereits eingehend gehandelt, und es wird
seine Feststellung, daß alle diese zauberhaften Gefäße, mögen sie
nun die Speis und Trank gebende Kraft allein besitzen, oder
auch die der Wiederbelebung, oder bloß diese letztere, unter
einander innig verwandt, weil aus derselben Urvorstellung ge
flossen sind, — durch die vorliegende Untersuchung, insbesondere
durch die Heranziehung des ,Peronnik', wohl nur noch weiter
gefestigt: denn gerade unser bcissin d’or vereinigt alle diese
Eigenschaften in sich. Das bassin d’or des Peronnik ist der
vollkommenste Ausläufer, die schönste und poetischeste Blüte
der uralten märchenhaften Vorstellung von dem goldenen,
Nahrung wie Reichtum spendenden, alle Wünsche erfüllenden
wunderbaren himmlischen Gefäß, dem Symbol der Sonne oder
des Mondes.
Wir begreifen, daß einzelne der Eigenschaften von der
ursprünglichen Gesamtvorstellung sich loslösen und auf be
stimmte Gefäße im Besonderen beschränkt werden konnten, so
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
115
daß also auf ,das Becken von Diwrnah, den Korb Gwyddnens
und die Pfanne mit den Tellern von ßhegynydd Ysgolhaig* 1
bloß die Speis und Trank gewährende Kraft, auf den Kessel
Brans dagegen bloß die der Wiederbelebung, auf das Gefäß der
Fionnsage bloß die Kraft, den Schmerz der Wunden zu lindern,
oder auf den Kessel Ceridwens bloß die Fähigkeit, Begeisterung
zu erwecken, übergegangen ist.
Es ist also die unserem bassin d’or zugeschriebene Eigen
schaft der Wiederbelebung Toter, die auf den ersten Blick
nicht zu den Eigenschaften des Grales zu stimmen scheint,
nicht etwa von dem Becken Brans des Gesegneten 2 auf unser
bassin übertragen worden, sondern umgekehrt: diese eine Eigen
schaft hat sich abgetrennt und führt in der Geschichte Brans
gesonderte Existenz. 3
Natürlich sind die oben angeführten Gefäße nicht die
einzigen, die in keltischer Sage mit zauberhaften Eigenschaften
ausgestattet sind. Die speisengebende Kraft allein besitzt z. B.
auch jenes bassin merveilleux (unter den dreizehn Wundern
Britanniens, die Merdhyn in seinem Krystallschifflein entführt)
qui se remplit ... de toutes sortes de mets au gre de son pro-
1 Richard Heinzei, Uber die französischen Gralromane, a. a. O., p. 97.
2 Vgl. oben Kapitel 1, p. 38.
3 Daß dem Becken Brans auch noch andere Eigenschaften, und zwar ge
rade die wichtige: Speis und Trank zu gewähren, einst eigen war, könnte
man vermuten aus einer Verwendung des Beckens in derselben Sage
vom Zwist Brans mit seinem Schwiegersohn. Da heißt es nämlich bei
der Schilderung des Versöhnungsgelages, Bran ,fit servir ä manger clans
le bassin magique 1 (Vil 1 e m arque, Les Romans de la Table Ronde,
p. 143). Vielleicht beruht diese seltsame Profanierung des Gefäßes auf
einer älteren, unverstandenen Wendung, daß das Gefäß selbst Speise
spendete. —
Ich weiß, daß man in literar-historischen Kreisen Villemarque
und seine Arbeiten nicht ernst genommen, sondern sogar als Schwinde
leien bezeichnet hat; es mag sein, daß seine Schlußfolgerungen vor einer
strengen Kritik nicht bestehn können (wie ich es z. B. für seine etymo
logischen Ableitungsversuche ohne weiteres zugebe) und daß sich aus der
geistreichen und etwas spielerischen Art seiner Kombinationen ein solches
Urteil ableiten läßt. Für unseren Standpunkt ist dies von geringerem
Belang, weil das Vorgetragene nicht auf Vil 1 emarque basiert, sondern
ihn bloß zur Stütze einer, nach unserer Meinung, an sich feststehenden
sagengeschichtlichen Ableitung heranzieht.
8*
116
IV. Abhandlung: Junk.
prietaire, 1 und welches eines Tages verschwindet, ebenso der
,Tisch und die Schüssel des Königs Rhydderch, worauf jedes
gewünschte Essen erschien'. 2 Ferner gehört hieher eine Speis
und Trank nach Wunsch gewährende Holzschüssel, von der
Souvestre gleichfalls im ,Foyer Breton' erzählt hat: 8 Der
Teufel tritt, als Pfarrer verkleidet, bei zwei alten armen aus
gehungerten Eheleuten am Charfreitag ein und gibt ihnen un
plat de hetre (also eine Schüssel aus Buchenholz). Ceux qui
le possedent n’ont qu’ä nommer les mets qu’ils desirent pour
qu’il y paraisse aussitot. Aber er leiht ihnen die Schüssel
bloß für einen Abend. Sie setzen die Schüssel auf den Tisch
und wünschen sich nun Speis und Trank nach Herzenslust
herbei. Weil es aber Charfreitag ist, an dem sie so übermütig
schmausen, so hat der Teufel ihre Seelen gewonnen.
Diese Einzelzüge also gehören gewiß insoferne zur ältesten
Tradition, als sie sich daraus selbständig abgezweigt haben.
Dagegen ist entschieden zurückzuweisen, was man an
fertigen Sagenstoffen unter die Quellen oder doch unter die
Vorläufer der mittelalterlichen Gralsage hat rechnen wollen.
Hierher gehört vor Allem der Peredur. Man hat ihn
bekanntlich lange Zeit 4 für eine rein keltische Fassung der
Parzivalsage gehalten, ist aber hievon jetzt mit Beeilt abge
kommen: er enthält in der uns vorliegenden Form gewiß
nationalkeltisches Sagengut, ist aber zum anderen Teil jedenfalls
auch von der französischen Graldichtung beeinflußt, und zwar
beruht er, wie zuletzt Heinzei 6 wahrscheinlich gemacht hat,
auf der Crestien und Kiot gemeinsamen Quelle, woneben aber
auch andere französische Quellen benutzt sind.
Was man auf diese Tradition, den Peredur, allein auf
baut, das hat also geringe Gewähr. Und der Peredur ist des
halb auch für die vorliegende Untersuchung ganz beiseite ge
blieben, 6 trotzdem auch dieses Denkmal von der Gewinnung
1 Villemarque, a. a. O., p. 144.
2 Wilh. Hertz, Parzival, 4. Auf!., p. 432.
3 In der Geschichte ,Le diable devenu recteur‘ im ,Foyer Breton 4 , Vol. II ?
p. 90 u. ff. der von mir herangezogenen Ausgabe.
4 San Marte, Die Arthursage, p. 43.
5 Uber Wolframs von Eschenbach Parzival, a. a. O., p. 110 f.
6 Ich halte es allerdings für unwahrscheinlich, was Heinzei (,Ein fran
zösischer Roman des 13. Jahrhunderts 4 , Kl. Schriften, p. 85) für wahr-
Gralsage und Graldiehtung des Mittelalters.
117
eines Wunderbeehers handelt und ein wichtiger Zeuge dafür
ist, daß die per-Geschichte in mehreren keltischen Traditionen
auf uns gekommen ist.
Eine andere keltische Sage, die man als Urbild der Par
zivalsage hat ansehen wollen, die Geschichte des bretonischen
Helden Morvan (Lez Breiz), hat mit der Bechergewinnung
nichts zu tun. Die Ähnlichkeit beruht bloß in dem sogenannten
Motiv der ,unritterlichen Erziehung“; worüber später!
In neuerer Zeit glaubte Ed. Wechssler im englischen
Sir Percevall und im niederländischen Moriaen stoffliche
Vorläufer der Parzivalsage gefunden zu haben, und zwar ist
es Wechsslers Meinung, daß diese zwei literarischen Denkmäler
uns die Parzivalsage überliefern ,aus einer Zeit, da sie noch
nicht mit dem Gral verknüpft war“. 1 Beide Werke sind nach
Wechssler ,Übersetzungen verlorener französischer Romane, die
ihrerseits auf keltischen Rittergedichten beruhen: gibt uns das
englische Gedicht die Jugendgeschichte Parzivals, teilweise in
der Gestalt, wie sie später noch bei Crestien wiederkehrt, so
behandelt das niederländische Werk die ritterlichen Abenteuer
seines Sohnes Morien“.
Wechssler befindet sich hier in Bezug auf den Sir Per
cevall, so vorsichtig er sich ausdrückt, auf den Spuren der
zuerst von Gaston Paris ausgesprochenen Vermutung, die
Percevalerzählung sei ursprünglich rein keltisch und werde am
authentischesten repräsentiert ,par un poeme anglais du treizieme
siecle, Syr Percyvelle, dans lequel le Graal ne joue encore au-
cun röle‘} Und ebenso war dies die Meinung von Wilhelm
Hertz, daß das englische Gedicht ,nach einer unbekannten
scheinlich hielt, daß der Peredur ,am Ende des 10. Jahrhunderts oder im
11. seines Namens wegen mit dem Beckenmythus in Verbindung gebracht“
worden sei; vielmehr dürfte auch von Peredur eine ähnliche ^''-Ge
schichte bekannt gewesen sein, die dann durch das literarische Über
gewicht der französischen Percevaldiclitung so verändert wurde, wie wir
sie heute vor uns haben. Oder: es ist der Name Perceval aus irgend
einem Grunde in Peredur verwandelt worden, vielleicht um das franzö
sische Kolorit der Geschichte durch ein nationalkeltisches zu verdrängen.
Hier müßte vor Allem die Namenforschung Aufschluß geben.
1 Ed. Wechssler, Die Sage vom heiligen Gral, a. a. 0., p. 39 f.
2 Socidte Historique et cercle Saint Simon. Bulletin No. 2. Paris 1883,
118
IV. Abhandlung: Junk.
französischen Quelle gerade nur dieses Märchen (== das Mär
chen von dem schönen Dümmling) mit derbem Volkshumor
behandelt'. 1
Bezüglich des Sir Pereevall hat schon Steinbach und
dann Golther 2 die Abhängigkeit von Crestiens Gedicht be
hauptet, und Heinzei hat dies 3 näher präzisiert: das Gedicht
sei abhängig von der Crestien und Kiot gemeinsamen Quelle.
Dies scheint mir auch durch die von Wechssler 4 geäußerten
Bedenken nicht erschüttert. Wechssler bekämpft die Ansicht
der beiden genannten Gelehrten hauptsächlich aus zwei Gründen,
nämlich weil im englischen Gedicht Percevals Besuch auf der
Gralsburg fehlt und weil der englische Dichter sich auf die Er
zählung von der unritterlichen Erziehung des Helden überhaupt
beschränkt. Anzunehmen, daß ein Dichter aus der Fülle der
französischen Gral-Perceval-Stoffe eine solche Auswahl treffe,
sei, nach Wechssler, eine ,logische Unmöglichkeit'. Ich kann
dem nicht beistimmen: trennt doch auch die französische spätere
Graldichtung' ganz deutlich die ,Vorgeschichte des Grals' von
den eigentlichen ,Questen'! Man erwäge den inhaltlichen Gegen
satz zwischen dem ,Grand Saint Graal' einer- und der ,Quete‘
andrerseits, oder auch zwischen Koberts ,Joseph' und dem Per-
ceval der Didotsohen Handschrift. Warum konnte nicht auch
der mittelenglische Dichter auf eine ,Queste‘ von vornherein
verzichtet und bloß auf die Schilderung der ,unritterlichen Er
ziehung' Gewicht gelegt haben?
Dabei ist natürlich gar nicht ausgeschlossen, daß der eng
lische Dichter (ebenso wie der kymrische des Peredur) andere
Quellen benützt und so seinem Werk den Anschein höherer
Altertümlichkeit (vielleicht ganz unbewußt) gegeben habe. Da
es nach meiner Meinung zu den Ergebnissen der vorliegenden
Untersuchung gehört, daß Gralmärchen und Parzivalsage ur
sprünglich unzertrennlich, identisch sind und erst in späterer,
1 Parzival, 4. Aufl., p. 436.
2 ,Chrestiens Conte del graal in seinem Verhältnis zum wälschen Peredur
und zum englischen Sir Perceval 1 (Sitzungsberichte der Bayer. Akademie
der Wissenschaften zu München, Philosophisch-philologische Klasse, 1890,
Band II, p. 174 u. ff.).
3 Über Wolframs von Eschenbach Parzival, a. a. O., p. 50 f.
4 A. a. O , Anm. 57, p. 143.
Gralsage und Graldichtung des-Mittelalters.
119
literarischer Zeit eine Trennung in ,Vorgeschichte des Grals‘
und ,Suche nach dem Grab stattgefunden habe, so scheinen
schon aus diesem Grunde alle Versuche überflüssig, innerhalb
der erhaltenen Literatur ,das alte Parzival-Märchen', d. h.: das
Märchen von dem Dümmling Parzival, ohne Gral, selbständig
nachzuweisen.
Bezüglich des Moriaen hat Gaston Paris erwiesen,
daß ihm eine französische Darstellung von der Gralsuche Per-
cevals zugrunde liegt. 1 Es ist undenkbar, daß aus diesem
Gedicht die Parzivalsage erwachsen sei, schon deshalb, weil
der eigentliche Gralheld, Perceval, hier ausgeschaltet und durch
seinen Bruder Agioval ersetzt ist.
* *
*
Wir dürfen also dabei bleiben, daß uns die reinste Form
des Beckenmythus im bretonischen ,Peronnik £ tatsächlich über
liefert ist, und behaupte^ daß dieser der Quelle, aus welcher
die mittelalterliche Gralsage ihren Hauptbestandteil, den mär
chenhaften, geschöpft hat, unter allen bekannt gewordenen Über
lieferungen am nächsten steht. ,Peronnik‘ ist zwar nicht selbst
die Quelle gewesen, wie aus dem Fehlen einiger uralter Züge
hervorgeht, die die Gralsage besser bewahrt hat; aber er ist
auch als indirekter Zeuge für die Märchenhaftigkeit der Grund
lage der Sage von unschätzbarem Wert.
Im Stoff der Sage selbst aber nimmt das Märchen, wie
eben angedeutet, den hervorragendsten Platz ein: nicht bloß
Gral und Lanze mit ihren übernatürlichen Eigenschaften stam
men aus der märchenhaften Grundlage, sondern auch das die
ganze Sage bewegende Motiv von der Suche dieser Wunder
dinge. An die märchenhaften Eigenschaften konnten sich christ
lich-legendarische leicht anschließen, so daß jene Talismane all
mählich zu den höchsten Symbolen christlichen Glaubens und
Ringens sich gewandelt haben, aber dieser Zug nach dem Er
langen jener höchsten Güter, das treibende Motiv der Gralsage,
stammt lediglich aus dem Märchen. Dort weiß der junge Held,
daß es etwas überaus Kostbares zu erwerben gibt, er macht
1 Histoire litteraire, XXX, p. 247. Vgl. Ed. Wee.hssler, Die Sage vcm
heiligen Gral, Anm. 58, p. 143 f.
120
IV* Abhandlung: Junk.
sich auf und erwirbt es durch so und so viele Abenteuer und
Gefahren. Und da die Wunderdinge am Ende der Entwick
lung heiligen Charakter erhalten haben, so umgibt auch ihn
am Ende seines Ringens und Strebens die Strahlenkrone des
Erlösers.
4. Kapitel.
Peronnik — Pereeval — Peredur.
Beziehung - der drei Kamen zum Gegenstände.
Das vorstehende Kapitel hat, wie ich glaube, erwiesen,
daß zwischen dem bretonischen Märchen von Peronnik und
der mittelalterlichen Sage von Pereeval ein ursächlicher Zu
sammenhang besteht.
Nichts liegt näher, als auch die Namen dieser beiden
Helden, wie es ja schon sehr früh geschehen ist, nun wiederum
miteinander in Verbindung zu bringen, umsomehr, als der be
kannte Held der kymrischen Überlieferung der Percevalsage,
Peredur, als dritter Zeuge für die Namensähnlichkeit hinzutritt.
Das Aufrollen dieser alten wissenschaftlichen Streitfrage
ist aber, wie das folgende Kapitel zeigen wird, von größter
Wichtigkeit für die schwebenden Fragen überhaupt, und gibt
uns, wie man wohl behaupten darf, Einblick in höchst wichtige
neue Zusammenhänge.
Wir müssen da zurückgreifen auf die bekannten älteren
etymologischen Deutungen des Namens Pereeval; ich betone
aber gleich ausdrücklich, daß ich, als nicht Keltologe, es gar
nicht unternehmen will, von dieser rein etymologischen Seite
aus dem Namen beizukommen. Es würde, wenn die etymo
logische Deutung in dem von mir vermuteten Sinne gelänge,
dies für mich selbstverständlich nur erwünscht sein, aber ich
lege auf die etymologische Auslegung des Namens eben kein
so großes Gewicht. Mir scheint die Deutung dieses Namens
aus sachlichen Gründen, wie sich im folgenden zeigen wird,
ohnedies nahezu sichergestellt.
Der Name Pereeval ist, in seine beiden Bestandteile per
und ceval (keval) zerlegt und dann mit den beiden gleich-
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
121
anlautenden und sicher auch gleichkomponierten Peredur und
Peronnik gemeinsam betrachtet, wiederholt das Objekt etymo
logischen Scharfsinnes geworden; freilich haben sich die meisten
der beigebrachten Etymologien als unhaltbar, zum Teil phan
tastisch, erwiesen.
Unter den vielen aufgestellten Etymologien interessieren
mich bloß jene, welche in dem ersten Bestandteile der drei
Namen, per, das keltische Wort für ,Gefäß', ,Becken', ,Becher',
,Opferschale' erblicken.
Hier ist zu erinnern an die zuerst von Uhlenbeck im
,Etymologischen Wörterbuch der altindischen Sprache' gegebenen
Zusammenstellungen, auf die auch L. v. Schroeder, p. 55 f.
mit dem nötigen Nachdruck verwiesen hat: altindisch carus
,Kessel, Topf, Opferbrei' — altnordisch hverr ,Kessel' — alt
hochdeutsch und angelsächsisch hwer ,Kessel' — ferner die
keltischen Entsprechungen, und zwar irisch coire — kymrisch
pair — komisch per — dann die slawischen: russisch cdra —
polnisch czara ,Trinkschale'. Weitere etymologische Parallelen
finden sich bei Miklosich in seinem ,Etymologischen Wörter
buch der slawischen Sprachen Wien 1886', p. 30, und zwar:
kleinrussisch Sarocka — litauisch cerka ,Trinkbecher'. L. von
Schroeder hat aber auch, a. a. 0., die sachlichen Zusammen
hänge, insbesondere die Urverwandtschaft des mit dem indi
schen cciru und dem nordischen hverr bezeichneten Gegenstandes,
des Kessels oder Bechers in den betreffenden Märchenzügen
festgestellt, so daß aus diesem, dem sachlichen Gesichtspunkt
eine kräftige Stütze auch für die etymologische Zusammen
gehörigkeit der Wörter sich ergibt. Da nun unsere drei, mit
per zusammengesetzten Namen in gleicher Weise zur Benennung
von Helden verwendet wurden, die die Aufgabe haben, ein
wunderbares, zauberkräftiges Gefäß, Becken oder Becher, zu
gewinnen, so sollte an der etymologischen Verwandtschaft der
Wörter wohl nicht länger gezweifelt werden dürfen.
Jedenfalls dürfen wir sagen: solange nicht von Seiten der
keltischen Wort- und besonders Namenforschung der strikte
Beweis erbracht ist, daß keltische Sprachgesetze die Zusammen
stellung jenes ersten Bestandteils Per mit den übrigen als ver
wandt angeführten Entsprechungen ausschließen, dürfen wir,
aut die sachliche völlige und die sprachliche fast völlige Uber-
122
IV. Abhandlung: Junk.
einstimmung gestützt, an dieser Deutung festhalten und den
ersten Bestandteil jener drei Namen mit ,Gefäß, Becken oder
Becher 4 übersetzen. 1
Hier erscheint auch jene, von Villemarque 2 herangezo-
gene, gewiß auf dem keltischen per = ,Becken 4 beruhende
neufranzösische Bildung une peree beachtenswert, deren Be
deutung Villemarque mit ,plain un bassin 1 (!) wiedergibt. 3
Freilich: die größte Schwierigkeit bereitet die Frage, in
welcher Weise diese drei Komposita: Per-lceval, Per-eclur und
Per-onnik entstanden seien? was der jeweilige zweite Bestand
teil des Namens bedeute?
Derselbe Villemarque hat bekanntlich den Namen Peredur
übersetzt als Kompagnon du bassin 1 und dies erklärt ,de per
et de Tcedur, en construction, edur‘. Villemarque fügt hinzu
Je maintiens cette etymologie 4 . 4 Den Namen Perceval erklärte
Villemarque als ,synonyme de Peredur 4 , und zwar ,de per, bas
sin, et de keval (aujourd'hui cyfaill), compagnon 4 . 6
Friedrich Zarncke 6 hat diese von Villemarque aufge
stellte Etymologie, Peredur = compagnon du bassin, bekämpft,
und zwar insoferne mit Recht, als der Ausfall des k in kedur
nach dem ersten Kompositionsgliede per im Keltischen unerhört
ist; daß ein solcher Übergang, Peredur aus Per-kedur, unmög
lich sei, hat mir auch Rudolf Much bestätigt. Damit aber
ist meines Erachtens doch bloß der zweite, von Villemarque
1 Eine gewisse Schwierigkeit liegt ja allerdings in der verschiedenen
Qualität der Stammsilben: auf der einen Seite langes e (p&r), respek
tive Diphthong (pair, coire), in den Namen dagegen Kürze des Vokals
Per-(pnnik, -edur, -ceval). Aber diese Schwierigkeit ist nicht unüber
brückbar. Eine unter den möglichen Lösungen wäre die Annahme, daß
neben der reinen Wurzel, wie sie die indischen, germanischen und sla
wischen Entsprechungen bieten, auch eine solche, die mit einer »-Ab
leitung versehen -war (altgall., respektive noch kymr.parjv), bestanden
habe.
' Les Romans de la Table ronde, 141 f.
3 Was ist mit dem Namen des Milchmädchens Perelle, von dem Lafon
taine eine so reizende Geschichte erzählt? Es ist ein Mädchen mit
einem vollen Milchtopf!
4 A. a. 0., p. 144.
5 A. a. O., p. 147.
6 ,Zur Geschichte der Gralsage“ in den ,Beiträgen zur Geschichte der
deutschen Sprache“, Bd. 3, p. 307.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
123
aus ked = con und ur — gier = vir konstruierte Kompositions
teil kedur zurückgewiesen, nicht aber die unbestreitbare Tat
sache, daß wir hier ein Kompositum mit per ,Gefäß* vor uns
haben. Wir müssen also so sagen: was der zweite Bestand
teil, -edur, -ceval, -onnik, bedeutet, ist bisher nicht klar
gestellt.
Damit ist aber natürlich noch gar nicht ausgemacht, daß
dieser zweite Bestandteil nicht doch den Becher-,Finder“, ,-Ge
winner“ oder -,Helden“ schlechtweg in irgendeiner kompositori
schen Beziehung ausdrücken kann. Worauf besonderes Gewicht
fällt, ist die Übereinstimmung aller drei Komposita im ersten
Bestandteil per und die Beziehung aller drei Helden zu einer
Sage von einem wunderbaren ,Gefäß“. Man möchte denken,
es könne gar nicht anders sein, als daß die drei Namen im
Hinblicke auf den per gebildet sind. Nur das Nähere dieser
Bildungsart, das rein Etymologische der zweiten Bestandteile,
entzieht sich dermalen noch unserer Beurteilung.
ö
* *
*
Und nun zu der sachlichen Untersuchung des Namens!
Wir gehn dabei aus von der Frage: Welche Namen kennt
denn die alte Gralsage? das heißt: welche Namen finden sich
in gleicher oder fast gleicher Form mindestens bei den vier
Hauptvertretern, bei Crestieu, bei Kiot, bei den Fortsetzern
Crestiens und bei Heinrich von dem Türlin? 1
Ich glaube recht zti gehn, wenn ich gerade diesen vier
Vertretern eine besondere Stellung in Bezug auf Altertümlich
keit einräume. Für Crestien und Kiot bedarf dies keiner Be
gründung. Von den Fortsetzern Crestiens ist bekannt, daß sie
(besonders dort, wo sie von Crestien abweichen) zum Teil sehr
Altertümliches berichten. Dies geht sowohl aus der Unter
suchung L. v. Schroeders an vielen Stellen, als auch aus der
1 Eine übersichtliche und zugleich peinlich sorgfältige Zusammenstellung
der Namen hat A. Nutt gegeben, Studies on the Legend of the Holy
Grail, Index I, p. 266 u. ff.; nur ist hiebei das (ungeheure) Namenmaterial
Wolframs, also gerade die wichtigste Quelle, zu ergänzen, den Nutt be
kanntlich bei seiner Untersuchung mit Absicht ausgeschaltet hat. Wich
tig für unseren Zweck sind auch die Anmerkungen von W. Hertz zu
seiner Bearbeitung des Wolframschen Parzival, 4. Aufl. 1906, p. 467 u. ff.
124
IV. Abhandlung: J unk.
meinigen klar hervor. Die,Rolle Heinrichs von dem Türlin
innerhalb der Sagenentwicklung ist jedenfalls eine ganz be
sondere; auch ist sie speziell zu wenig aufgeklärt, als daß sein
Werk übergangen werden dürfte. Da scheiden sich nun ganz
von selbst schon die legendarischen von den übrigen, den
alten märchenhaften Bestandteilen der Sage aus: die Namen,
die der Legende zugehören, sind jeweils bloß in einem be
schränkten Teil der Denkmäler nachweisbar. Die legendari
schen Gestalten bei Robert de Boron, im Grand Saint
Graal und in der Quete heißen ganz anders als diejenigen,
die etwa bei Wolfram oder Crestien zur Legende hinüberleiten:
auf der einen Seite haben wir da z. B. Joseph von Arimathia,
Bron, Alein, ferner Pierre, Seraphe, Nasciens, Evalach, Mor
drains usf. (die man vergeblich bei Wolfram, aber auch bei
Crestien suchen wird), auf der anderen Seite, bei Wolfram:
Titurel und Trevrizent-, bei Crestien sind alle diese Figuren
noch namenlos! Keiner dieser Namen, weder die durch die
,geistliche' Serie der Überlieferung belegten, Joseph, Bron etc.,
noch die in der märchenhafteren vorkommenden, Titurel, Trev
rizent u. dgl., können einen Platz in der ältesten Gralsage be
anspruchen : sie sind von verschiedenen Seiten hergeholt und
sämtlich verhältnismäßig jung.
Aber auch in Bezug auf die Namen der wirklich im alten
Märchen spielenden Personen zeigt sich etwas Merkwürdiges,
nämlich: die wenigen, in jenen vier altertümlichen Q.uellen-
gruppen, also auch schon in der über ihnen liegenden ältesten
Graldichtung gemeinsam vorhandenen Namen sind aus dem
Kreis der Tafelrunde oder aus der französischen Heldensage
genommen, d. li. auch schon entlehnt. Und es zeigt sich
andrerseits, daß die Träger dieser Namen für die Handlung
des Märchens selbst meist unwichtige Nebenpersonen sind: die
wichtigen, die handelnden Personen des alten Gral
märchens hatten überhaupt keine Namen.
Was den ersten Punkt betrifft, so wird das Gesagte klar
und bedarf keines weiteren Beweises z. B. für den Namen des
Königs Artus. 1 Er findet sich sowohl bei Crestien als bei
i Die Belege siehe bei Nutt, a. a. O., Index I. Ebenso die für die fol
genden Namen: Gawan und Keie.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
125
Iviot, bei den Fortsetzern Crestiens und bei Heinrich, — und
kein Mensch wird sich darüber wundern. Er mußte ganz von
selbst in ein französisches Rittergedicht gelangen; ebenso na
türlich aber ist auch, daß er mit der Parzivalfabel von Haus
aus nichts zu tun hat.
Der nächste Name, der ebenso allgemein begegnet, ist der
Gawans. Wieso dieser seit Jahrhunderten bekannte Name 1
dazu kam, in das Parzivalmärchen eingeführt zu werden (das
ursprünglich bloß einen einzigen Gewinner der Zauberdinge
kannte), und mit ähnlichen Abenteuern verknüpft zu werden,
wie sie der Held Parzival selbst erlebt, ist eine andere Frage.
Der Name Gawans führt ja eine lange und sicher beglau
bigte Existenz, betrifft er doch den bekanntesten Helden der
ganzen Tafelrunde, die ,Sonne der Ritterschaft'', wie ihn Crestien
selbst nennt. 2 Er spielt in jedem Epos dieses Stoffkreises eine
bedeutende Rolle. Daher auch hier.
Von Keie gilt dasselbe wie von Artus. Als sein Sene-
schall,. der überdies meistens die Erzählung charakteristisch be
leben hilft, mußte er allüberall in des Königs Begleitung auftreten. 3
Ein anderer Name, den Crestien, Kiot-Wolfram und ein
Fortsetzer Crestiens in der gleichen Form nennen, der des
kunstreichen Schmieds Trebuchet, zeigt deutlich seine fremde
Herkunft. Crestien kennt ihn als Trebucet, Wolfram als Tre
buchet, Manessier als Tribuet. Daß er bei Heinrich von dem
Türlin fehlt, ließe sich daraus erklären, daß dessen Dichtung
kein eigentlicher Gralroman ist, er somit möglicherweise gar
keine Gelegenheit gehabt haben mag, den Namen des Schmieds
zu nennen. Aber selbst wenn dieser Name Heinrich bekannt
gewesen, somit auch in den vier wichtigen Gruppen der Über
lieferung gleich überliefert gewesen sein sollte, zeigt er wieder
nur ganz deutlich, was ich behaupte, daß er nämlich nicht dem
alten Parzivalmärchen angehört, denn es ist der berühmte
1 Galfried von Monmouth erwähnt ihn bekanntlich als Walgueinm in
seiner Historia regum Britanniae im Jahre 1135, und zwar offenbar als
einen längst bekannten mythischen Helden.
2 Crestiens Yvain V. 2400 u. ff.
8 Die Literatur s. bei Ernst Martin: Wolframs von Eschenbach Parzival
und Titurel, herausgegeben und erklärt. II. Teil: Kommentar, Halle
a. S. 1903, zu Parzival 150, 13.
126
IV. Abhandlung: .hink.
Schmied der französischen Heldensage. 1 Trebuchet ,spielt in
der französischen Sage dieselbe Rolle wie in der deutschen
Wielant 1 . 2 Er hat also gewiß von Haus aus mit der Perceval-
sage nichts zu tun.
Außer diesen vier Namen von deutlich fremder Provenienz
sind nur noch zwei gemeinsam belegte da, nämlich Gurnemanz
und Gramoflanz. Und diese beiden bereiten allerdings einige
Schwierigkeit.
Gurnemanz erscheint bei Crestien als Gonemans, Gonemant,
hei Wolfram in der vorangestellten Form, ähnlich auch bei den
Fortsetzern Crestiens (Gerbert: Gornumant) und bei Heinrich
von dem Ttirlin (wo er allerdings irrigerweise durch Vertau
schung zu einem Lokalnamen geworden ist: die Gestalt heißt
dort Goorz von Gornomant für das gewöhnliche Gurnemanz de
Gräharz; vgl. Kiot-Wolfram 68, 22. 162, 6 u. ö.). Der Name
könnte als traditionell gelten, wenn man die Häufigkeit seines
Auftretens bedenkt. Er begegnet z. B. in Crestiens Erec, V. 1695
(Hartmanns Erec V. 1631), ferner in Reinaud de Beaujeus Biaus
Desconneus V. 5434, im Lanzelet des Ulrich von Zatzikhoven
V. 2628 und 2824. Ob es erlaubt ist, den Namen Cornumarant
heranzuziehen, der als fils de Corbadas, roi de Jerusalem im
französischen Chevalier au cygne wiederholt begegnet (der In
dex in der Ausgabe von Reiffenberg und Borquet, Tome III,
Brüssel 1854, p. 531, verzeichnet etwa 240 Stellen!), scheint
mir nicht ganz sicher. Auffallend aber ist wieder seine Ähn
lichkeit (besonders wenn man die Differenz zwischen den Formen
Crestiens einerseits und Gerbert-Heinrich-Kiots andrerseits be
denkt: Gonemant — Gornumant/) mit dem Namen Guinemant
der Heldensage, der als einer der zwölf Pairs Karls des Großen
in den chansons de geste (so im Rolandslied, im Floovent u. a.)
öfter vorkommt. 3 Ich sehe kein Hindernis, die Namensformen
aus der Überlieferung der Gralsage, Gonemant, Gornumant, aus
diesem bekannten Heldennamen des karolingischen Sagenkreises
1 Vgl. Ernst Martin, a. a. 0., zu Parzival 253, 28.
2 Karl Bartsch in seiner Ausgabe des Parzival und Titurel (in Franz
Pfeiffers Deutschen Klassikern des Mittelalters, IX. 1. Leipzig 1875)
zu Parzival, 261, 1.
3 Vgl. Ernest Langlois, Table des noms propres de toute nature com-
pris dans les chansons de geste imprimdes. Paris 1904, p. 311 f.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
127
abgeleitet anzunehraen: eine kritische Behandlung der Über
lieferung fehlt doch sowohl für Crestien, als natürlich auch für
seine Fortsetzer, und auch für Heinrich; und Wolframs Namen
formen sind nichts weniger als kritisch gebildet. Wir können
also für diesen Fall nicht einmal die Urform des Namens in
der ältesten Gralsage angeben.
Ähnlich darf der letzte der gemeinsam belegten Namen
betrachtet werden, der des Gramoflanz. Bei Crestien (als Guiro-
melant), bei Wolfram in der vorangestellten Form belegt, des
gleichen hei den Fortsetzern Crestiens (i. e. Pseudo-Gautier:
Guilomelain) und bei Heinrich von dem Türlin (Giremelanz).
Auch dieser ist sonst bekannt. Vgl. die Erwähnung im Prosa-
Merlin (Giromelan) und im Livre d’Artus (Grinomelant). 1 Hier
könnte man vielleicht versucht sein (besonders wegen der auf
fallenden Unstimmigkeit: Guiromelant — Guilomelain der beiden
französischen Gewährsmänner), an den Gui(on) de Mellent im
Aubery de Bourgoing zu denken, 2 umsomehr, als Wolframs
Namensform Gramoflanz recht weit von den übrigen absteht.
Welches die älteste ist, läßt sich auch hier schwer sagen.
Also auch diese sechs gemeinsam belegten Namen werden
nicht der ältesten Gralsage, dem ,Gralmärchen', ursprünglich
angehört haben. Wenn der Beweis hiefür auch für die beiden
Namen Gurnemanz und Gramoflanz nicht ganz strikte geführt
werden konnte, so müßte uns eine einfache Überlegung ans
Ziel führen: Wie wäre es denn denkbar, daß neben dem Hel
den Parzival gerade diese beiden Figuren (von denen Gramo
flanz wenigstens eine unbedeutende Rolle spielt) schon in der
ältesten Sage henannt gewesen seien, so viele andere wichtige
Gestalten, wie die Kundrie oder der Fischerkönig, dagegen
nicht? Daß wir im Augenblick keine unbedingt sichere Er
klärung dafür geben können, woher jene beiden Namen ent
lehnt sind, stößt nicht die Annahme um, daß sie entlehnt sind.
Und es ändert natürlich ebenso nicht das Geringste an
dem Ergebnis der vorstehenden Namensuntersuchung, wenn die
Namen Artus und Gawan auch in den Denkmälern der geist
lichen Serie' Vorkommen: Artus bei Robert de Borron, im Grand
1 Die Literaturallgaben s. bei W. Hertz, Parzival 4 , p. 536, Anm. 205.
2 Langlois, a. a. 0., p. 318.
128
IV. Abhandlung: Junlc.
Saint Graal und in der Quete, Gawan im Grand Saint Graal
und in der Quete. Die vier übrigen der gemeinsam belegten
Namen: Gurnemanz, Gramoflanz, Keie und 'Trebuchet, sucht
man dort vergebens.
Ich bemerke, daß sich auch dadurch wieder eine deut
liche Absonderung der geistlichen Serie' (unter welchem Namen
ich hauptsächlich jene drei: die Dichtung des Robert de Borron,
dann den Grand Saint Graal und die Quete verstehe) von der
mehr märchenhaften Gruppe der vorgenannten vier Vertreter
(Crestien; Kiot; Crestiens Fortsetzer; Heinrich) ergibt.
Wir finden also, daß unter den vielen hundert Namen,
die die Graldichtung des Mittelalters kennt, bloß jene sechs
(Artus, Gawan, Keie; Gurnemanz, Gramoflanz, Trebuchet) alter
tümliche Gewähr haben, und auch von ihnen ist es höchstwahr
scheinlich (für Artus, Gawan, Keie; Trebuchet sogar sicher),
daß sie aus anderen Stoffkreisen entlehnt sind. Dies gilt na
türlich erst recht für die ungeheure Masse derjenigen Namen,
die die einzelnen Denkmäler abweichend voneinander bringen.
Sie alle sind erst in späterer Entwicklungsphase irgendwie in
die Sage eingedrungen.
Mit einer einzigen Ausnahme: und die betrifft den
Namen des Gralhelden Parzival selbst.
Dieser ist — so behaupte ich — der einzige Name, der
im ältesten Gralmärchen überhaupt vorkam.
Der Name Parzival unterscheidet sich hiedurch (ebenso
wie der Tristans) von den übrigen Namen der Artushelden:
er gehört, wie der Tristans, einem ursprünglich dem König
Artus ganz fernstehenden Mythenmärchen an und ist erst in
relativ später Zeit an die Table ronde angeschlossen worden.
In allen den eigentlichen Artusromanen laufen, wie Heinrich
Morf treffend bemerkt, ,die Fäden der Handlung an der Tafel
runde des Königs Artus zusammen', 1 nicht aber im epischen
Komplex des Tristan und des Parzival: diese beiden sind (und
das sieht man am Tristan noch besonders deutlich!) nur ober
flächlich, einer Mode zuliebe, mit Artus verknüpft worden.
Die romanischen Literaturen (,Die Kultur der Gegenwart, ihre Entwicke
lung und ihre Ziele. Herausgegeben von Paul Hinneberg 1 . Teil I,
Abteilung XI. I), Berlin und Leipzig 1909, p. 150.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
129
Zwar begegnet der Name Perceval schon früh, schon bei
seiner ersten Erwähnung, Mitte des 12. Jahrhunderts, in einem
wirklichen Artusroman: in Crestiens Erec V. 1526, und zwar
als Percevaus li Galois. Aber wir wissen, daß Crestien nicht
der erste Percevaldichter war, daß es vor ihm schon Gral
dichtungen gab. An jener Erec-Stelle wird P. offenbar als ein
schon bekannter, d. h. durch ein literarisches Werk bekannt
gewordener Held zitiert. 1 Ob er in jenem uns nicht erhaltenen
Werk, nach welchem Crestien ihn zitiert, auch schon mit der
Tafelrunde verknüpft war, kann immerhin fraglich bleiben,
wenn es auch das wahrscheinlichere ist.
Umgekehrt sind jedenfalls dann, nach Anknüpfung des
Parzivalmärchens, des Bechermärchens, an König Artus, die
übrigen Helden der Tafelrunde, Gawan, Keie, auch Lanzelot . . .
von der Artussage aus in unser Märchen eingedrungen.
Bevor wir auf den Namen Parzivals selbst näher eingehn,
wollen wir einen Blick werfen auf die Eigentümlichkeit der Be
nennungen bei den übrigen in der Sage auftretenden Personen.
Das Resultat, dem diese Untersuchung zusteuert, dürfte dadurch
klarer und genauer werden. Schon dem flüchtigen Beobachter
fällt die Tatsache auf, daß einzelne Gestalten der Sage (und
gerade sehr wichtige!) in irgendeiner alten Fassung, meist bei
Crestien, aber auch bei anderen Graldichtern, anonym sind,
während andere Überlieferungen bestimmte Namen für sie auf
weisen.
Der Schluß liegt nahe, daß die Anonymität das Ursprüng
liche sei und erst später die einzelnen Dichter bestimmte Namen
wählten.
Aber auch dort, wo Namen von Anfang an (also auch
bei Crestien) vorhanden sind, gehn diese so weit auseinander,
daß sie wiederum nur den einen Schluß zulassen, daß die Fi
guren eben vom Hause aus gleichfalls namenlos gewesen sein
müssen.
1 Vgl. auch W. Hertz, Parzival 4 , Anm. 59, p. 491. — Es wird sich wohl
kaum jemand der Ansicht Gottfried Baists anschließen, daß den
Namen Percevals ,Chrestien in seinem Erek erfunden und in der Gral
suche dem unbekannten Knaben gegeben habe' (Gottfried Baist,
Parzival und der Gral. Rektoratsrede, Freiburg i. Br. 1909, p. 43).
Sitzungsber. d. pliil.-hist. Kl. 168. Bd. 4. Abh. 9
130
IV. Abhandlung: Junk.
Für den ersten Fall, wo die Anonymität noch in einem
Teile der Überlieferung erhalten ist, verweise ich z. B. auf die
sicher zum ältesten Bestand des Märchens gehörige Kundrie.
So heißt sie bekanntlich nur bei Kiot-Wolfram (Cundrie la
Surziere 812, 26. 313, 29. 314, 19 usf.), Crestien kennt für sie
keinen Namen, er nennt sie bloß une damoisiele, V. 5989; das
Manuscrit Montpellier la laide davioisele. 1 Vielleicht unter dem
Einflüsse Crestiens wird sie im welschen Peredur als ,das
schwarze Mädchen 1 bezeichnet (?). 2 Ebensowenig führt sie einen
bestimmten Namen bei seinen Fortsetzern Manessier V. 45185,
und Gautier V. 25384, und im Didotschen Perceval. 3 — Mit
anderen Worten: diese Gestalt war ursprünglich ebenso namenlos
(oder bloß durch ein charakteristisches Appellativum bezeichnet),
wie die ,dame jaune‘ des ,Peronnik‘, das ,schwarze Mädchen 1
des Peredur, das ,greuliche Weib 1 in der altirischen Erzählung
von der Verwüstung des Palastes des Da Derga und die gar
stige alte Hexe 1 , der Perceval bei Gerbert begegnet. 4
Dasselbe zeigt sich auch bei den folgenden Figuren, wo
bei wir gar nicht darauf Rücksicht nehmen wollen, ob sie zum
ältesten Bestände der Sage gehören oder etwa erst spätere Zu
taten sind. Es kommen bloß die folgenden in Betracht:
Die Mutter Parzivals heißt bekanntlich nur bei Wolfram
Herzeloyde (84, 9. 84, 13. 85, 14 u. ö.), bei Crestien dagegen
la veuve dame (V. 1288 u. ö.); sie ist also ebenso appellativisch
benannt wie die vorerwähnte Kundrie.
Sigune, so benannt bei Wolfram (138, 17. 139, 23 u. ö.),
kennt Crestien bloß als germaine cosine des Helden (V.4774 u. ff.);
ebensowenig wissen die übrigen sie erwähnenden Dichtungen
einen Namen für sie, nämlich der Didotsche Perceval und die
Quete. 5
Trevrizent, so benannt bei Wolfram (251,15. 268,30 u. ö.),
wird von Crestien bloß als Oheim des Fischerkönigs bezeichnet
1 Ch. Potvin, Perceval le Gallois, Tome II, zu V. 5981; vgl. noch oben
p. 76.
2 Ygl. E. Loth, Mabinogion, II. 96. 109.
3 E. Hucher, Le Saint Graal, Tome I, p. 453, 457.
4 Die Belege s. bei W. Hertz, Parzival 4 , Anm. 129.
5 Siehe W. Hertz, Parzival 4 , Anm. 58.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
131
(V. 7717 u. ff.), ebenso bei seinen Fortsetzern; im Didotschen
Perceval und im ,Perlesvaus' als li rois hermites}
Jeschute bei Wolfram (130, 1) ist bei Crestien bloß eine
damoisiele (V. 1865 u. ö.); W. Hertz bemerkt, 2 ,ihr Name fehlt
auch im Peredur und im Sir Perceval'.
Malcreatiure bei Wolfram (517, 16) ist bei Crestien
(V. 8350 u. ff.) ebenso wie bei Heinrich von dem Tiirlin
(V. 19621 u. ff.) anonym.
Für den zweiten Fall, wo die Namen abweichend lauten,
ist zu verweisen auf:
Kondwiramürs (Kiot 177, 30 u. ö.) — Blancheflour
(Crestien V. 3593 u. ö.; ebenso seine Fortsetzer) — desgleichen
Blancheflür (Heinrich von dem Türlin V. 1545) — Lufamour
(Sir Perceval 956. 973). Wenn der Wolframsche Name dieser
Gestalt wirklich ,coin de voire amürs, Stempel (= Typus, Ideal)
der wahren Minne' bedeutet, wie Bartsch 3 annahm, so muß
diese schöne Umschreibung einer anonymen weiblichen Person
schon an der betreffenden Stelle in Wolframs französischer Vor
lage gestanden haben; noch wahrscheinlicher aber ist, daß der
Name aus amürs und condeivieren gebildet ist, wie Wechssler 4
zeigte, da die beiden Worte an mehreren Stellen (495, 22. 736,
6. 741, 15) getrennt auftreten und selbst der Eigenname ge
trennt vorkommt (508, 22: dne Condwirn amürs wart nie geborn
so schcener Up). Nur kann ich Wechssler in der Annahme
nicht beistimmen, Wolfram habe den überlieferten Namen (d. h.:
den bei Crestien überlieferten Namen Blancheflour) ,gegen diesen
selbstersonnenen' (= Condwirämürs) vertauscht, und zwar aus
dem Grunde, weil ,der Name Blancheflour durch die verschie
denen Versionen des gleichnamigen Gedichts wie in Frankreich
so auch in Deutschland sprichwörtlich geworden' war und
Wolfram sich gesträubt habe, ,seiner Heldin diesen verbrauchten
1 Ch. Potvin, a. a. 0., Tome I, p. 105.
2 W. Hertz, a. a. O., Anm. 54.
3 K. Bartsch in seiner "Ausgabe von Wolframs Parzival und Titurel
(Pfeiffers Deutsche Klassiker des Mittelalters), Bd. I, 2. Auflage, 1875,
zu 177, 30.
4 Ed. Wechssler, Zur Beantwortung der Frage nach den Quellen von
Wolframs Parzival (Philologische Studien. Festgabe für Ed. Sievers),
1896, p. 250.
9*
132
IV. Abhandlung: Junk.
Namen beizulegen'. Der Hauptgrund, warum Wolfram einen
anderen Namen, als den er bei Crestien vorfand, wählte, ist für
mich: weil er den Namen des Weibes in seiner bevorzugten Vor
lage eben nicht fand und deshalb an der Crestienschen Namens
form zweifelte; Crestien steht er ja überhaupt skeptisch gegen
über (vgl. die oftzitierten Worte 827, 1 u. ff.). Denn es ist
natürlich nicht anzunehmen, daß eine so unfranzösische Bildung
wie Condwirämürs ein französischer Dichter, der ,Provenzale
Kiot', geschaffen habe: sie kann wohl nur von Wolfram selbst
herrühren. 1 Dann aber ergibt sich daraus, daß die Figur noch
bei Kiot anonym gewesen sein muß und Wolfram erst änderte.
Ist aber Kiot auf der älteren Stufe der Namenlosigkeit stehn
geblieben, so erklärt sich der Name bei Crestien, Blancheflour,
als ein vollständig in der Luft hängender, als eine willkürliche
Wahl von Seiten Crestiens — was wir ja schon aus der Ver
schiedenheit der für das ursprüngliche Anonymon eingeführten
Namen ohnedies schließen mußten.
Kiot also ist hierin altertümlicher als Crestien.
Und dazu stimmt trefflich die bekannte Stellungnahme
Wolframs gegenüber den beiden französischen Meistern: er
verschmäht Crestien gegenüber Kiot, der auch hier ,diu rehten
mcere 1 bietet, d. h. die unbenannten Personen, für die Crestien
willkürlich bekannte Namen einführte. (In diesem Zusammen
hänge scheint es nicht ganz gleichgültig, daß die Gestalt im
Peredur tatsächlich anonym erscheint; 2 doch möchte ich daraus
allein keinen Schluß ziehen, da auch ich davon überzeugt bin,
daß derPeredur von den Franzosen beeinflußt ist; vgl. oben p. 116.)
Itonje (Kiot 586, 22 u. ö.) — Clarissans, Clarissant, Cla-
risse (Crestien V. 9639; Pseudo-Gautier V. 13631) — ebenso
Clarisanze (Heinrich von dem Türlin V. 21616). 3
Orgelüse (Kiot 508, 26 u. ö.) — La Orguellouse de
Logres (Crestien V. 10007), also deutlich .kein Eigenname, son-
1 Auch ist der Name gewiß nicht, wie E. Martin (Zur Gralsage, 1888
p. 8) annahm, aus einem andern französischen Namen umgeformt. Wolfram
hat ihn ebenso frei und neu gebildet, wie etwa Munsalvmsche, Terre de
Saivcesche, Terdelaschoye, vielleicht auch Malcri&tiure, u. a. m.
2 E. Loth, Mabinogion II. 63.
3 Vielleicht hat Karl Bartsch hier Recht, wenn er den Wolfram
schen Namen aus einem Appellativum erwachsen sein läßt: afrz. idonie,
idoine — die Kluge, Anstellige (Germanistische Studien, II. 146).
Gralsage und Graldiclitung des Mittelalters.
133
dern Bezeichnung für Charakter und Herkunft ,die Stolze aus
Logres (= Britannien)'; hier sind auch die übrigen, bei Crestien
für diese Gestalt verwendeten Umschreibungen lehrreich:
V. 8618 la plus male riens del mont
V. 9743 la puciele sans merci
V. 9839 la male damoisiele.
— Mancipicelle (Heinrich von dem Türlin, V. 21098), was der
Dichter (wohl nach Crestien) ergänzt mit
diu vil übel meit (V. 21680).
Urjäns (oder Vriäns, Friäns? 1 ) bei Kiot (524, 19) —
Griogoras (Crestien V. 8480) — Lohenis von Rahaz (Heinrich
von dem Türlin V. 19366).
Damit ist auch diese Gruppe zu Ende.
Eine dritte Gruppe bilden jene Namen, bei denen in einem
Teile der Überlieferung die Anonymität sich erhalten hat, in.
den übrigen Denkmälern dagegen untereinander abweichende
Namen Vorkommen: hier sieht man also deutlich, wie die Dichter
verschiedene Wege gingen, um die ursprüngliche Anonymität
zu beseitigen. Hierher gehören:
Obie (Kiot 345, 24, 26 u. ö.), anonym bei Crestien V. 6226
u. ff. (sie wird bloß ,die Tochter des Tiebaut' genannt), ebenso
ohne bestimmten Eigennamen im Didotschen Perceval (Hucher,
I. 473): la damoisele du blanc chastiel-, bei Heinrich von dem
Türlin dagegen abweichend: FursensepMn (V. 17894). 2
Dasselbe zeigt sich beim Namen ihrer Schwester: Obilot
(Kiot 345, 25 u. ö.), bei Crestien: la puciele as mances petites
(V. 6367, 6815), und wieder abweichend von Kiots Namen bei
Heinrich von dem Türlin: Quebeleplus (V. 17994).
Der Vater Parzivals: Gahmuret (Kiot 5, 23. 6, 14 u. ö.)
— Bliocadrans (Pseudo-Crestiensche Einleitung V. 510 u. ö.),
hei Crestien selbst nicht genannt; Robert de Borron, der Didot-
1 Hier dürfte Bartsch wohl wieder Recht haben mit der Herleitung des
Namens vom afrz. friant — ,der Wollüstige 4 (vgl. Bartsch, Germanisti
sche Studien, II. 149); dann ist natürlich auch seine Schreibung Vriäns
zn wählen, wie auch schon der Pleier im ,Garei 4 V. 3949 las: Friäns.
2 Die bekannte Deutung dieser Namensform als Fltirs sans espine hat wieder
viel Ansprechendes.
134
IV. Abhandlung: Junk.
sehe Perceval, desgleichen der Rochatsche nennen Alain li
Gros den Vater des Perceval, ähnlich (bloß entstellt) der ,Per-
lesvaus': Vilains li Gros. 1 Die Quete nennt ihn Pelleant; 2 im
englischen Sir Perceval heißt der Vater so wie der Sohn (5.
15. 58 u. ö.).
Schiänatulander (Kiot 138, 21 u. ö.) ist bei Crestien
anonym (vgl. V. 4641: cel Chevalier; vgl. auch V. 5001), hat
dagegen im Didotschen Perceval einen von Kiot abweichenden
Namen: Hurgains oder Hurganet, 3
Klinschor (Kiot 548, 5 u. ö.), bei Crestien bloß un sages
clers d’astrenomie (V. 8910), bei Heinrich von dem Türlin:
Gansguoter von Michelolde (V. 13034; ein ff affe ivol gelert
V. 13025).
Cunnewäre (Kiot 135, 15 u. ö.), bei Crestien bloß une
pucele (V. 2227, 4071), bei Heinrich von dem Türlin: Lede
(V. 2229).
Antikonie (Kiot 404, 23 u. ö.), bei Crestien eine namen
lose pucele (V. 7169). Bei Heinrich von dem Türlin hat sie
sogar zwei untereinander stärker abweichende Namen: Seimeret
(V. 18881) und Soreidoz (V. 22750).
Selbst die Gralsburg ist bei Crestien anonym. Die
,geistliche' Serie der. späteren Dichtungen hat dafür den Eigen
namen Corbenic, im Grand Saint Graal und der Quete, darnach
auch Corbierc, bei Manessier (V. 45199); daß dieser Name freie
Erfindung ist, geht aus der Stelle im Grand Saint Graal her
vor, wo der Dichter hinzufügt, das Wort sei chaldäisch und
bedeute soviel als ,le saintisme vassel 1 } Ebensowenig Wert hat
der in Heinrichs Krone V. 13998 angegebene Name Gornomant,
der, wie wir sahen, auf einer Verwechslung beruht (s. oben
p. 126). Wichtig sind dagegen wieder die Namen von durch
sichtiger Etymologie, wie die drei berühmten: Edein, Chastiax
de Joie, Chastiax des Armes, ,Eden, Schloß der Freuden,
Schloß der abgeschiedenen Seelen' im Prosaroman Perlesvaus 0
und der Kiot-Wolframsche Name: Munsalvcesche (251, 19 u. ö.),
1 Ch. Potvin, a. a. O., I. 19; Ad. Birch-Hirschfeld, a. a. O., p. 171.
2 Ad. Birch-Hirschfeld, a. a. O., p. 46.
3 E. Hucher, a. a. O., I. 428 und 430.
* E. Hucher, a. a. O., III, p. 289.
6 Ch. Potvin, a. a. O., Tome I, p. 249.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
135
weil sie uns über die älteste Bezeichnung des Gegenstandes
aufklären: kein Eigenname, sondern poetische Umschreibung
durch ein Epitheton. Übrigens ist jener Name Corbenic, Cor-
bierc vielleicht gerade lehrreich. Es wäre nicht ausgeschlossen,
daß sein erster Kompositionsteil Cor- entstellt sei- aus jenem
Subst. kar, kaer, das ,Schloß' bedeutet und uns schon im
Namen Kerglas des bretonischen Märchens 1 begegnet ist. Das
selbe Wort ist offenbar auch der erste Bestandteil im Namen
Kar-ampM, welchen in der ,Krone' Heinrichs ein Schloß trägt. 2
Wir erinnern uns da natürlich sofort an den Namen Kar-idoel
für die Burg des Königs Artus, an Caer-leon u. a. Trotzdem
wird hier, in dem Falle Cor-benic, ebensowenig ein bestimmter
Lokalname gemeint sein, wie etwa in Ker-glas, sondern, wie
eben in dem letzteren Falle wahrscheinlich ist, irgendeine
poetische speziellere Bezeichnung des betreffenden ,Schlosses'.
Vielleicht ist die erwähnte Verwechslung des Namens Gornomant
bei Heinrich von dem Türlin hervorgerufen durch eine ähn
liche in seiner Vorlage vorhanden gewesene, mit Cor-, Car
oder so ähnlich anlautende Bildung. 3 Aber wenn auch, so ist
dies immer noch kein Beweis, daß der damit gebildete Name
ein Eigenname war, und noch weniger, daß er ein alter Eigen
name für das Gralschloß war.
Schließlich sei noch erwähnt Schanpfanzün (Kiot 321, 20
u. ö.), die Hauptstadt von Ascalün (321, 19); die Stadt ist nicht
benannt bei Crestien, trotzdem er (V. 7132 u. ff.) ausführlich von
ihr spricht; sie heißt dagegen Karamphi bei Heinrich von dem
Türlin (V. 18765 u. ö.). Da der Kiot-Wolframsche Name des
Königreichs Ascalün, dessen Hauptstadt eben Schanpfanzün
ist, mit dem Crestienschen Escavalon, Cavalon (V. 6694 und
6169) übereinstimmt, so ist es die Frage, ob hier der Name
der Stadt bei Wolfram, der von dem Heinrichs allerdings be
trächtlich absteht, auf reiner Erfindung beruht.
Wir werden aber diese Tätigkeit, Appellativa in Eigen
namen umzuschaffen, nicht Wolfram allein zubilligen dürfen,
1 Vgl. oben p. 67, Anm. 1.
2 Vgl. die ,Krone 1 , V. 18765. 18826. 18850. 22684. 22721. 29699 und
29704.
3 Vgl. den zu Gornomant früher (oben p. 126) herangezogenen Namen Oor-
numarant im ,Chevalier au cygne“.
136
IV. Abhandlung: Junk.
wie dies z. B. noch Ed. Wechssler 1 anznnehmen scheint, sie
scheint vielmehr allen jenen Dichtern anzugehören, die an Stelle
alter Anonymität wirkliche Namen einführen mußten; oder
besser gesagt: nicht erst Wolfram wird es gewesen sein, der in
die Notwendigkeit versetzt wurde, anonyme Personen der Vor
lage zu benennen. Dafür spricht die immerhin beträchtliche
Zahl von Namen, die sich aus einem charakteristischen Beiwort,
einem Epitheton einer anonymen Gestalt unserer Sage erklären
lassen. Nicht bloß bei Wolfram, wo man die Namen Condwzr-
ämürs, Itonje, Orgeluse, Urjäns so erklärt, sondern auch bei
Heinrich von dem Türlin finden sich solche Umbildungen, wie
Fursenseplnn, Quebeleplus.
In diesem Zusammenhänge gewinnt besondere Bedeutung
jene Personsumschreibung, die einerseits in gleicher oder fast
gleicher Form allen beteiligten Dichtungen gemeinsam ist,
andrerseits aber eben kein Nomen proprium ist: der ,Fischer
könig', oder auch der ,reiche Fischer'. Diese alte Form der
Bezeichnung hat sich in der gesamten in Frage kommenden
Überlieferung offenbar wegen der großen Bedeutung, die ihrem
Träger in der Sage zukommt, erhalten: sie ließ sich nicht leicht
durch irgendeinen fremden, gleichgiltigen Namen verdrängen.
Der Name ist nicht, wie noch immer die allgemeine An
sicht ist und wie zuletzt Wilhelm Hertz 2 so entschieden aus
gesprochen hat, ,ein Erbstück der Legende und nur aus ihr
zu erklären'. Hier ist an die märchenhaften Parallelen zu er
innern, die L. v. Schroeder a. a. 0., p. 70 f., hervorgehoben
hat, an den fischenden Riesen Hymir in den nordgermanischen,
1 In seiner Abhandlung: Zur Beantwortung der Frage nach den Quellen
von Wolframs Parzival (Philologische Studien. Festgabe für Ed. Sievers),
Halle, 1896, p. 250.
" Parzival, 4. Auf!., Anm. 179, p. 529. — Vollends abzuweisen ist der Ver
such von Willy Staerlc (Über den Ursprung der Grallegende. Ein
Beitrag zur christlichen Mythologie. Tübingen und Leipzig 1903, p. 5of.),
die Bezeichnung ,Fischer“, ,reicher Fischer 1 der Graldichtung mit baby
lonischen Mythen zusammenzubringen: von Adapa, der als ,fischender
Herr in dem paradiesischen Heiligtum von Eridu“ eine Parallelfigur
,zu dem „Fischerkönig“ genannten Herrn der Gralsburg 1 sei; oder zu
Atra-Hasis aus der babylonischen Sintflutsage, der als Schutzpatron des
Meeres und Behüter der Quelle des Lebens ein unsterbliches Leben
führe, u. dgl. m.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
187
und an den Fischer Lijon in der esthnischen Ausprägung des
zugrundeliegenden Mythus. (Vgl. auch L. v. Schroeder a. a. 0.,
p. 67.) Dies hat uns aber zunächst nicht zu beschäftigen.
Wichtig ist für uns die Konstatierung, daß der Name ursprüng
lich nicht etwa als Attribut zu einem bestehenden wirklichen
Nomen proprium aufzufassen ist, sondern daß er selbst die
eigentliche und einzige Bezeichnung der betreffenden Person
ist. Dafür spricht schon die Differenz in jenen Namen, zu
denen er später, wo seine Eigenbedeutung nicht mehr ver
standen wurde und sich aus dem Märchen selbst nicht mehr
verstehn ließ, als tatsächliches Attribut erscheint: Bron (bei
Robert de Borron und im Didotschen Perceval), Alain (im
Grand Saint Graal), Pelleant oder Pellehan (in der Quete und
in der Huthschen Fortsetzung des Merlin), Joseph von Ari-
mathia (im ,Perlesvaus'); ja im Grand Saint Graal wird sogar
allen Nachfolgern Alains, also der ganzen Dynastie Josue,
Eminadap, Carceloys, Manuiel, Larnbor, Pellehan, Pelles dieser
Beiname beigelegt. 1 Und wieder ganz abweichend davon er
scheint uns der bekannte Name Anfortas bei Wolfram und
seinen Nachfolgern.
Zum Unterschiede von diesen abweichenden Eigennamen
erscheint das ,Attribut' selbst, wie gesagt, in den einzelnen
Denkmälern konstant, und zwar auch in solchen, wo kein Nomen
proprium dabei steht. Dieses letztere ist der Fall im ganzen
Conte del graal, also bei Crestien und seinen diversen Fort
setzern :
Crestien: rois Pesciere V. 4698. 6030. 7746.
le rice Pesceour V. 7791.
le rice rois Pesceour V. 4673.
Pseudo - Crestiensche Einleitung: rice pescour V. 100.
220 u. ö.
Gautier: roi pecheur V. 29842. 31437. 34607.
le rice roi V. 34646.
Pseudo-Gautier: kennt weder einen bestimmten Namen,
noch die Bezeichnungen ,Fischerkönig' oder
1 Vgl. ß. Heinzei, Über die französischen Gralromane. Denkschriften der
kais. Akademie der Wissenschaften zu Wien. Philos.-histor. Klasse, Bd. 40
(Wien 1892), p. 101.
138
XV. Abhandlung: Junk.
,reicher Fischer'; es wird bei ihm bloß vom
,Gralkönig' gesprochen. 1
2. Interpolation in Pseudo-Gautier (= Ms. Montpellier):
li riches Pescheor V. 187 (womit natürlich, trotz
der nicht ganz konzisen Ausdrucksweise der Stelle, 2
der gegenwärtige Gralkönig gemeint ist).
Manessier: roi Pesceour V. 44581 u. ö.
Gerbert: roi Pescheor VI. 162. 177 u. ö.
Rochats Perceval: rois pescheor p. 83, 90 u. ö.
Ich erwähne nochmals, daß in allen diesen Fällen die Be
zeichnung allein steht, ohne jeglichen speziellen Namen. Der
Vollständigkeit und Übersicht halber führe ich noch jene vor
hin erwähnten Stellen auf, die wirkliche Eigennamen für diese
Person kennen und ihnen die alte Benennung bloß mehr als
Attribut zuteilen. Es sind :
Robert de Borron: Bron = le riche Pescheeur V. 3387.
Bron = li hoens Pescherres V. 3456 u. ö.
Didots Perceval: Bron = roi pecheor, Hucher I. 418.
Grand Saint Graal: Alain = li riche pescheour, vgl. Birch-
Hirschfeld, a. a. 0., p. 16; mit demselben Bei
namen auch die ganze Dynastie der Gralkönige
von Josue bis Pelles (vgl. oben p. 137).
Quete: Pelleant — le riche pescheour, vgl. Heinzel, a. a. 0.,
p. 65.
(Merlin, Huthsche Fortsetzung): Pelleban = le roi pecheor,
vgl. Heinzel, a. a. 0., p. 66.
Perlesvaus: Joseph d’Arimathie = KÄowPescAteres,331 u.ö. 3
Kiot-Wolfram: Anfortas = der vischcere 226,26. 227,3 u.ö.;
erklärt wird es 491, 14.
Es ergibt sich also die ursprüngliche Anonymität für
sämtliche Personen der alten Gralsage (Parzival ausgenommen!)
als höchst wahrscheinlich.
Die Anonymität der handelnden Personen aber ist etwas
echt Märchenhaftes. Und ebenso ist die Umschreibung der
1 Vgl. E. Heinzel, a. a. O., p. 28.
2 Vgl. K. Heinzel, a. a. O., p. 38 und 50.
3 Heinzel, a. a. 0., p. 101, bemerkt hiezu ganz richtig: ,Das ist eine
Vererbung nach rückwärts.*
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
139
Figuren durch charakteristische Epitheta (wie der vorerwähnte
,Fischerkönig') dem Stil und der Technik des Märchens eigen
tümlich. Wir gewinnen also von dieser Seite wiederum den
Faden, der uns zum Märchen als dem Ausgangspunkt für die
mittelalterliche Gralsage zurückführt.
* • *
*
Ich habe, um das Verhalten einer größeren Zahl von
Märchen nach dieser Richtung zu prüfen, die Grimmschen
Kinder- und Haus mär dien' untersucht, denn diese Samm
lung bildet gewissermaßen einen Kanon, aus welchem man
wiederholt allgemeine Beobachtungen über Wesen und Technik
des Märchens geschöpft hat.
Die Ausbeute an wirklichen Namen ist, wie nicht anders
zu erwarten, unter diesen rund 200 Märchen eine ganz kärg
liche. Immerhin sind — da ja keine Regel ohne Ausnahmen
ist — ein paar Namen in die Märchen eingedrungen. Es läßt
sich aber für die meisten Fälle deutlich zeigen, wieso sie ein
gedrungen sind.
Da sind einmal ein paar geläufige Vornamen, wie das be
kannte Paar ,Hänsel und GreteV und die übrigen Hänse und
Greten des Märchens. Oft aber werden diese Namen verwendet,
um schon eine bestimmte Charakteristik ihres Trägers anzu
deuten, sie z. B. geradezu verächtlich zu machen (vgl. die
Redensart,dumme Gredl 1 , auch ,Dummerjan 1 u. dg].). Hierher
gehört z. B. der ,dumm Hans‘ (Nr. 165), der dann wohl die
Namen für seine beiden (geseheidten) Brüder Uele und Säme
mit in das Märchen gebracht haben dürfte. Es zeigt sich aber,
wie auch schon hier, die Vorliebe des Märchens, solche wirklich
der gewöhnlichen Sprache angehörige Vornamen mit einem
charakteristischen Attribut, einem vom Namen untrennbaren
Adjektiv zu verbinden, und auf diesem, nicht auf dem Namen,
ruht dann der Ton. Also neben dem eben erwähnten ,dumm
Hans‘ (Nr. 165) der ,gescheidte Hans‘ (Nr. 32), der ,starke Hans‘
(Nr. 166), die ,kluge Gretel 1 (Nr. 77), die ,kluge Else 1 (Nr. 34),
die ,hagere Liese 1 , der ,faule Heinz 1 und die ,dicke Trine 1
(Nr. 168), der faule Heinz‘ (Nr. 164), der ,treue Johannes 1
(Nr. 6), ,Ferenand getrii und Ferenand ungetrü 1 (Nr. 126), ,Gold-
Marie und Pech-Marie 1 (zu Nr. 24), der ,eiserne Heinrich 1 (Nr. 1);
140
IV. Abhandlung*: Junk.
der ,Eisenhans‘ (Nr. 136), der ,Spielhansel 1 (Nr. 82), ,Hans mein
Igel‘ (Nr. 108). Niemals wird in diesen Fällen das Adjektiv vom
Eigennamen getrennt, wohl aber kann dieser selbst ganz fehlen,
er ist eben Nebensache, es genügt das Adjektiv: ,der Dicke 1 ,
,der Faule‘ u. dg].; ,der Starke 1 , ,der Bläser 1 , ,der Läufer 1 usf.
(Nr. 71) und vor allem auch ,der Dümmling‘ (Nr. 63. 64).
Auch sieht man in einem Beispiel ganz deutlich, wie zu
fällig sich ein geläufiger Name dem Erzählenden mitten in die
Erzählung eindrängt, in ,Des Teufels rassiger Bruder' (Nr. 100).
Der Held wird darin lange Zeit bloß als ,abgedankter Soldat'
bezeichnet, heißt aber in der zweiten Hälfte des Märchens
plötzlich ,Hans 1 . Der Name steht hier gleichsam für das Pro
nomen ,er'. Ebenso besagen Namen wie ,Hänsel‘ oder ,Gretel'
im Grunde nichts weiter als ,ein Knabe' oder ,ein Mädchen'.
Für eine andere Gruppe von Namen läßt sich eine andere
Erklärung geben: so ist in Nr. 95 der alte, von seiner Frau
mit dem Pfarrer hinters Licht geführte Bauer zu dem Namen
des ,alten Ilildebrand 1 doch nur wegen des Reimes (: Ofenbank)
gekommen. Man vgl. den versifizierten Schluß des Märchens.
Genau so sind zu beurteilen die vier durch Reime ge
bundenen Namen Malcho, Hohenstolz, Käsetraut und Katrinelje
in Nr. 131. Wahrscheinlich sind auch die beiden andern Namen
dieses Märchens, Hollenthe und Pif Paf Poltrie, so zu erklären,
obwohl die entsprechenden Reime nicht da sind.
In diese Kategorie der durch Bedürfnis des Reimes ein
geführten Namen gehört auch Rapunzel (: herunter) in Nr. 12;
desgleichen Hutzelbein (: grün und klein) in den beiden Märchen
,Die drei Federn' (Nr. 63) und ,Der Eisenofen' (Nr. 127).
Verse finden sich wiederum in dem kurzen launigen Mär
chen von ,Herrn Korbes‘ (Nr. 41). Sie sind vielleicht in älterer
Überlieferung die Veranlassung des sonderbaren Namens ge
wesen.
Durch den Reim gesichert ist wiederum Oll Rinkrank
(Nr. 196), und auch der zweite darin begegnende Name, Fro
Mansrot, erklärt sich aus den Reimen; man braucht bloß
umzustellen:
hier sta ik arme Rinkrank
up min söventein Benen lanlc,
up min ein vergällen Vot,
Gralgage und Graldichtung des Mittelalters.
141
wask im d’ Schottels, j
mak mi t Bedd, . p ro Mansrot!
do mi (V Dör apen,
Der Name Reginer in Nr. 135 ist schon den Brüdern auf
gefallen (vgl. die Anmerkung, Bd. III, p. 234). Auch dieses
Märchen hat Verse am Schlüsse, und es wird nahe liegen, den
Namen daher zu erklären, trotzdem ein entsprechendes Keim
band fehlt. Aber daß die Verse tatsächlich mehr enthielten,
zeigen die Anmerkungen (Bd. III, p. 233).
So wahrscheinlich auch ,Jungfrau Maleen‘ (Nr. 198), wegen
der hier besonders zahlreich eingestreuten Verse.
Auch für ,Jorinde und JoringeV (Nr. 69) scheint mir dies
wahrscheinlich; der zweite Name, der des Jünglings Joringel,
war vielleicht durch den Reim auf Ringel (vgl. das Ringlein
in den vier wirklich vorkommenden Verszeilen) gegeben und
konnte (durch ähnliche alliterierende Ausschmückung, wie das
vorerwähnte Pif Paf Poltric in Nr. 131 oder das gleich zu
besprechende ,Fitze Fitchers Vogel‘ in Nr. 46) den Namen des
Mädchens, Jorinde, nach sich gezogen haben.
Hierher gehört sicher auch der Name Knoist (Nr. 138),
da auch dieses Märchen einen Reimvers enthält und noch dazu
im Eingänge selbst das hiezu passende Keimwort: Soist bietet.
Ähnlich dürfte der Name in dem folgenden ,Dat Mäken
von Brakei 1 (Nr. 139) zu erklären sein: die übrigen darin vor
kommenden Lokalnamen stehn tatsächlich im Reim!
Im Reim erscheint auch der Name des ,Königs Drossel
hart 1 (Nr. 52). (Vgl. aber zu diesem die nächste Kategorie der
nach Eigenschaften ihrer Träger gewählten Namen!) Ebenso
steht im Reim ,Marlenichen l (: Benichen) in dem Märchen
,Vom Machandelboom' (Nr. 47). Desgleichen ,Ilsebill‘ (: will)
in dem Märchen ,Von dem Fischer un siner Fru' (Nr. 19).
Endlich auch Kürdchen (: Hütchen) in der ,Gänsemagd'
(Nr. 89). Vielleicht ist auch der zweite darin vorkommende
Name, Falada, in dieser Gestalt durch den Reim zu erklären; 1
1 Man ist wohl berechtigt, zwischen dem Vorkommen gereimter Verse und
bestimmten Namensformen einen Zusammenhang anzunehmen, denn Verse
begegnen sonst nicht gerade häufig: unter den 200 Märchen der Grimm
schen Sammlung sind es (außer den oben angeführten) bloß noch 36,
142
IV. Abhandlung: Junk.
es ist offenbar Umformung zu ,Fohlen, Füllen' (vgl. die in den
Anmerkungen der Brüder, Bd. III, p. 170, mitgeteilte Variante
,0 Folie, da du hangest' etc. und was sie sonst zur Beliebtheit
dieses Namens beigebracht haben!). — Auffällig bleibt bloß die
Nennung der ,Frau Holle 1 (Nr. 24. Und für einen einzigen Namen
weiß ich gar keine Erklärung: es ist der ,Liebste Roland'
(Nr. 56). Der Name fällt auf, weil er aus der Heldensage stammt
und dasselbe der Fall ist bei den beiden (freilich durch Reime
erklärlichen) Namen Hildebrand und Reginer (Nr. 95. 135).
Eine freischöpferische Tätigkeit des Märchens in Bezug
auf die Namen haben wir in den bisher betrachteten Fällen
nicht gefunden, es sei denn in den schon erwähnten Pif Paf-
Poltrie und Fitze Fitchers Vogel (Nr. 131 und 46), wo die vor
handene Alliteration den Eindruck freier Erfindung erweckt;
vgl. dazu noch Jorinde — Joringel (Nr. 69).
Natürlich kann es auch Vorkommen, daß ein Märchen
sich irgendwo lokalisiert, einen Lokalnamen einführt, also zur
Sage wird. Es ist aber in der Grimmschen Sammlung selten,
ich habe mir bloß den einzigen Fall notiert Keuterberg (in
Nr. 96).
Was den Namen des Berges ,Simeli‘ (Nr. 142) betrifft, so
haben die Brüder in den Anmerkungen (Bd. III, p. 241) einer
seits auf die merkwürdige Ähnlichkeit mit dem orientalischen
Namen Sesam in ,Tausendundeine Nacht' (VI. 345) erinnert,
andererseits aber verwandte Namensformen in Deutschland
selbst nachgewiesen: ,Similis‘ } } Simeli‘selbst, ,Simsimseliger Berg 1
u. dgl. Wenn die von ihnen dazu gegebene Erklärung (simel,
schweizerisch für sinbel = rund) richtig ist, dann gehört der
Name in die letzte der von uns zu besprechenden Kategorien:
der aus Eigenschaften abgeleiteten (s. weiter unten p. 143).
Nicht mehr eigentliche Namen, aber schon echt märchenhafte
Bezeichnungen sind die folgenden der Grimmschen Sammlung:
,Doctor Allwissend 1 (Nr. 98), ,Bruder Lustig 1 (Nr. 81), ,Meister
Pfriem' (Nr. 178), auch ,Frau Trude 1 (Nr. 43), die Personifi-
die eingestreute Verse enthalten (Nr. 1. 5. 11. 13. 15. 21. 24. 28. 30.
36. 38. 39. 40. 45. 46. 53. 55. 60. 80. 83. 96. 105. 107. 119. 126. 128.
130. 141. 156. 167. 169. 179. 183. 186. 188 und 193) = 36, mit den oben
angezogenen 16 zusammen also 62, ungefähr ein Viertel der ganzen
Sammlung.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
143
kation des bösen Alps. Und diese führen hinüber zu der letzten
und wichtigsten Kategorie der im Märchen vorkommenden
Personenbenennungen, den einzigen, die wir dem Märchen selbst
zuschreiben können. Es sind Namen, welche sich aus einer
bestimmten Eigenschaft der Person, aus einer charakte- '■
ristischen Beschäftigung derselben oder aus einer be
stimmten Situation, in die sie geraten ist, gebildet haben.
Diese Namen hat sich das Märchen selbst geschaffen, und sie
unterscheiden das Märchen von anderen Dichtungsgattungen
in hervorstechender Weise. Zu den aus Eigenschaften ihres
Trägers gebildeten gehören die bekanntesten Märchennamen:
Schneewittchen (Nr. 53), Schneeweißchen und Rosenrot (Nr. 161),
Rotkäppchen (Nr. 26), Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäug
lein (Nr. 130), Damiesdick und Däumerling (Nr. 37 und 45),
der Bärenhäuter (Nr. 101), vielleicht auch der Eisenkerns (Nr. 136),
so benannt wegen seiner Stärke (vgl. p. 140), ,König Drosselbart 1
(Nr. 52); vgl. aber p. 141 wegen des Reimes. Fundevogel (Nr. 51),
wegen seiner geheimnisvollen Abkunft, ,Grünrock 1 (Nr. 101)
und wahrscheinlich auch der Berg Simeli (Nr. 142) = der runde,
hohle Berg; vgl. aber hiezu oben p. 142.
Nach ihren Beschäftigungen sind benannt: der Tanndreher
und der Felsenklipper er (Nr. 166); diese beiden sind geradezu
nomina agentis. Frau ,Katz von Kehrewitz' (Nr. 38); ferner
das Aschenputtel oder Aschenbrödel (Askenpüster, Aschengruttel,
Aeschengriddel, Aescherling usf., vgl. die Anmerkungen in Bd. III,
p. 42 f.), weil sie, wie gewöhnlich der Mißachtete, in der Asche
sitzen muß (Nr. 21). Allerleirauh (Nr. 65) heißt bekanntlich
so, weil sie ihre königliche Schönheit unter allerlei Rauchwerk
verbergen muß. Hierher gehört wohl auch das Rumpelstilzchen
(Nr. 55). Ich sehe in diesem Namen bloß eine Verballhornung,
bezw. Verfeinerung, Stilisierung des volkstümlichen Ausdruckes
,Grumpelsitzer‘ = der auf dem Gerümpel, den ungeordnet auf
gehäuften, unterirdischen Schätzen sitzt, hockt, wie ihn tat
sächlich eines der im heanzischen Dialekt aufgezeichneten
Märchen bewahrt hat, 1 einen Namen also, der nichts weiter
bedeutet als = der ,Schatzhüter'. Darauf beruht ja auch der
1 Schwänke, Sagen und Märchen in heanziseher Mundart. Aufgezeichnet
von J. R. Biiuker. Leipzig 1906, Nr. 50.
144
IV. Abhandlung: Junlc.
Witz dieses Märchens, daß die Königin auf alle möglichen
wirklichen Namen vergeblich rät, während der kleine Kerl
sich einfach seinen ,Namen' nach seiner Beschäftigung selbst
gegeben hat, worauf natürlich die Königin von selbst nie
kommen kann. Die übrigen in den Anmerkungen der Brüder
(Bd. III, p. 102 f.) mitgeteilten Namensformen, wie Flederflitz,
Purzinigele, Knirrficker, Hans Donnerstag, das französische
Ricdinricdon stehn schon weiter ab, wogegen Hopfenhütel 1
an das ältere anzuklingen scheint. 2
Und hierher gehört auch noch der letzte der bei den
Grimm begegnenden Namen: Dornröschen (Nr. 50). Es ist
rein aus der Situation ihres Zauberschlafes heraus gebildet, —
ein echter Märchenname! Dies also, die freie Namenerfindung,
ist die Art des Märchens, Namen einzuführen, nicht das Heran
ziehen bekannter, geläufiger Namen aus der wirklichen Welt.
Daß sieh ein paar landläufige Namen eingeschlichen haben,
Hans, Gretel, Else, Heinz . . ., wundert uns weiter nicht und
hat sich erklären lassen. Ebenso fanden durch das Bedürfnis
des Reimes andere Namen Eingang, — die für das Märchen
charakteristischen aber sind die von der zuletzt betrachteten
Art. Ich zitiere noch Friedrich Panzer, der in seiner
schönen Untersuchung über ,Märchen, Sage und Dichtung' 8
ganz dasselbe feststellt: die Personen des Märchens ,führen
keine Namen; ... wo ja einmal Namen auftreten, sind sie von
„redender“ Art, zu Eigennamen gewordene Appellativa'.
Was hiebei noch besonders ins Gewicht fällt, ist, daß in
der Regel bloß eine Gestalt des Märchens (Schneewittchen,
Dornröschen, Aschenputtel . . .) den charakteristischen ,Namen'
trägt, die übrigen dagegen anonym sind (die böse Königin,
1 Insoferne dieser Name aus ,hupfen 4 und ,hüten 4 (,der auf dem Schatz
herumspringt 4 ?) entstanden sein könnte. Von Anderen wird er als Ko
boldname angesehen: der seinen Hut mit Hopfenlaub umkränzt trägt,
wozu man den Koboldnamen Eisenhütel vergleichen kann (C. Fr. Gla
sen app, Siegfried Wagner und seine Kunst, Leipzig 1911, p. 136, bei
Besprechung des ,Kobold 4 -Textes). Selbst den Namen Rumpelstilz (neben
Rumpelgeist = Poltergeist) erklärt Glasenapp (p. 141) als = Hausgeist.
2 Auch die Benennungen ,Tischlein-deck-dick ( , } Esel-streck-dich e , ,Knüppel-
aus-dem-Sack 4 sind hierher zu stellen.
3 Märchen, Sage und Dichtung. München 1905, p. 16.
Gralsage und Graldiclitung des Mittelalters.
145
der Prinz, die sieben Zwerge; die dreizehn Feen; die beiden
,Schwestern' usf.).
Und ebenso wichtig ist, daß jene eigentlichen Märchen
namen, wie Schneewittchen, Dornröschen, Rotkäppchen, nur je
einem einzigen Märchen angehören: man sieht auch daraus,
daß der Name bloß für das jeweilige Märchen zur Bezeichnung
des ,Helden' gilt, sonst aber nicht weiter gebräuchlich ist.
Und nun sind wir so weit gekommen, um zurückzugreifen
auf die einzige Gestalt des mittelalterlichen Gralmärchens,
welche einen, und zwar einen in allen Überlieferungen über
einstimmenden Namen besitzt — Parzival! (vgl. oben p. 128).
Es hat für mich den höchsten Grad von Wahrscheinlich
keit, anzunehmen, daß auch dieser Name nichts weiter sei als
eine ähnliche märchenhafte Bildung, eine Benennung aus der
Situation heraus, wie wir sie eben für das Märchen so charak
teristisch gefunden haben. Die folgende Untersuchung dürfte,
wenn mich nicht alles trügt, erweisen, daß Richard Heinzei,
der große Skeptiker, vollkommen Recht hatte, als er im Jahre
1872 in seinem schon genannten Aufsatz 1 den Helden der Gral
sage bezeichnete als den ,Ritter, der den per, den Zauber
becher erringt', und daß er ebenso Recht hatte, wenn er im
Folgenden gar von den beiden ,durch den Namen schon als
Gralsritter bezeichneten: Peronnik und Peredur' redet.
Die folgende Betrachtung ist aber auch geeignet, manche
bisher rätselhafte Stelle der mittelalterlichen Überlieferung zu
erklären. Zu diesen bisher unerklärten Rätseln gehört, daß
Perceval bei Crestien seinen Namen nicht weiß, ihn aber in
einem auch sonst merkwürdigen Augenblicke von selbst errät.
Aus dem hier betrachteten Zusammenhänge gewinnt die Stelle
eine befriedigende Erklärung.
Bei Crestien heißt die Mutter Percevals bekanntlich
bloß la veuve dame (vgl. oben p. 130), und es wird auch Per
ceval nicht anders eingeführt denn als ,der Sohn der verwit
weten Frau'; so V. 1288 li fius ä la veuve dame; später heißt
er li valles, li varles (V. 1847. 1871. 1875 . . . 2026. 2051 usf.),
1 Ein französischer Roman des 13. Jahrhunderts. Österr. Wochenschrift für
Wissenschaft und Kunst, N. F. 1872; jetzt wieder abgedruckt in den
.Kleinen Schriften von Richard Heinzei 1 . Herausgegeben von M H.
Jellinek und C. v. Kraus. Heidelberg 1907; daselbst p. 84.
Sitzungsber. d. phil.-hisfc. Kl. 168. Bd., 4. Abh, 10
146
IV. Abhandlung: Junk.
dann Chevaliers (V. 2907. 3129. 3174 . . .) und, nach Besiegung
des ,Roten Ritters' trägt er bekanntlich diesen Namen: li Che
valiers vermels (V. 3772) oder li varles ä armes vermelles
(V. 3944 u. ö.). An der berühmten Stelle aber, wo seine ger-
maine cosine (V. 3776), d. i. Wolframs ,Sigune', nach dem Namen
des eben von der Burg des Fischerkönigs kommenden Knappen
fragt, heißt es bekanntlich, daß dieser seinen Namen, den er
bisher nicht wußte, errät: er sei Perceval li Galois. Die Stelle
hat mit Recht das Erstaunen aller wachgerufen, die sich mit
ihr beschäftigten. Sie lautet (nach dem Text Potvins):
V. 4748 fragt die Base
jComent aves-vous nom, amisf 1
darauf fährt der Dichter fort (V. 4749 u. ff.):
Et eil ki son nom ne savoit
dev ine et dist que il avoit
Percevaus li Galois ä nom. 1
Und seither heißt er auch für die Erzählung Percevaus, V. 4795.
4914. 4971. 5073 . . ., also wie man sieht bei jeder Gelegen
heit: jetzt erst hat der Held seinen Namen!
1 So lautet der Text bei Potvin, so daß also Perceval selbst seinen Namen
errät. Es ist die Frage, ob die Stelle nicht in der zu erwartenden kri
tischen Ausgabe anders lauten wird. Daß nicht der Held, sondern das
Mädchen seinen Namen errät und zum erstenmal ausspricht, erscheint mir,
wie die ganze obige Untersuchung lehren wird, als das Ursprüngliche,
und so hat es auch unter den Gelehrten z. B. Birch-Hirschfeld auf
gefaßt, der in der Inhaltsangabe des Crestienschen Gedichts (,Die Sage
vom Gral 1 , p. 77) ausdrücklich berichtet: ,Er weiß seinen Namen nicht,
doch sie errät denselben: Percecal li Galois sei sein Name! 1 Dagegen
faßt Heinzei (.Über Wolframs von Eschenbach Parzival“, Sitzungsbe
richte der philos.-histor. Klasse der kais. Akademie der Wissenschaften,
130. Band, Wien 1894, p. 34) die Stelle in dem Sinne, daß Perceval
seinen Namen errate. Ebenso übersetzt es, strenge nach dem Potvin-
schen Text, Eduard Wechssler (,Die Sage vom heiligen Gral“, Halle
1898, Anm. 56, p. 142): ,bei Crestien errät er seinen Namen, als das
Mädchen ihn darnach fragt“. Ich wage keine altfranzösische Konjek-
turalkritik zu treiben, etwa für das bestimmte maskuline Demonstrativ
pronomen eil etwas anderes einzusetzen (das fern, cele wäre metrisch
anstößig), halte aber die Stelle für entweder in der vorliegenden Über
lieferung verderbt oder vom Dichter selbst entstellt. Denn daß ur-
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
147
Daß hier etwas (durch Crestien) verwischt sei, was ur
sprünglich minder auffällig war, scheint auf der Hand zu liegen;
und Richard Heinzei hat Recht, es einen ,wunderlichen Ein
fall 1 Crestiens zu nennen, ,Perceval seinen eigenen Namen er
raten zu lassen'. 1
Die Erklärung für diese poetische Verdunkelung des Sach
verhaltes, wenn ich es so nennen darf, gibt die wohlbekannte
Episode bei Kiot-Wolfram. Parzival, der von seiner Mutter
bloß Kosenamen gehört hat:
bon fiz, scher fiz, beä fiz (113, 4)
antwortet, als ihn Sigune nach seinem Namen fragt (140, 6 u. ff.):
,bon fiz, scher fiz, beä fiz,
alsus hat mich genennet
der mich da lieime erkennet 1 .
Und nun, auf dieses Indizium hin, erkennt sie ihn (140, 9f.):
dö diu rede was getan,
si erltant in bi dem namen sän;
und nennt ihn bei seinem Namen (140, 15f.):
ir roter raunt sprach sunder twäl
,deiswär du heizest Parzival 1 .
Das Wesentliche der Übereinstimmung mit Crestien möchte
ich darin erblicken, daß der Held bis zu diesem Augenblick
nicht mit Namen genannt wird, sondern daß er erst von diesem
Augenblicke an so heißt. (Daß ihm Sigune bei dieser Ge
legenheit auch sagt, wes Geschlechtes er sei und welche Lande
ihm gehören, ist nebensächlich.) Denn auch bei Kiot-Wolfram
sprünglich nur sie die Erratende und den Namen Nennende sein kann,
wird schon durch die gleich zu besprechende doppelte Parallelstelle bei
Kiot-Wolfram erwiesen und durch andere Stellen bestätigt. — Daß
Crestien hier geändert hat, ist auch die Ansicht Wechsslers (a. a. 0.,
Anm. 56, p. 142), der (a. a. O., Anm. 85, p. 161 f.) den Grund für diese
,ungeschickte Neuerung' Crestiens darin vermutet, daß der Dichter es
vielleicht für des Helden unwürdig gehalten habe, seinen Namen erst
durch das Weib zu erfahren, und deshalb vorgezogen habe, Perceval
seinen Namen selbst aussprechen zu lassen.
1 Heinzei, a. a. O., p. 34.
10*
148
IV. Abhandlung: Junk.
wird der Name Parziväl früher nicht genannt. Er heißt: ir
sun 117, 19. 128, 18. des werden Gahmuretes ltint 117, 15. fil
li roy Gahmuret 122, 28; ferner der knappe 117, 30. 119, 9-
119, 26. 120, 27. 121, 1. 121, 4. 121, 29. 122, 21. 123, 3 usf.
dirre knabe 129, 3. 129, 5. unser toerscher knabe 138, 9. junc-
herre 123, 8. 125, 20. 131, 9. 132, 10; oder der Name wird
poetisch umschrieben: mim herzen trüt 117,24. aller manne
schcene ein bluomen kränz 122, 13; desgleichen einmal (vor
seiner Geburt) der aller ritter bluome wirt 109, 11. Niemals
wird er innerhalb dieser Partie Parziväl genannt! Mit einer
einzigen Ausnahme, die aber lehrreich ist: hier spricht näm
lich der Dichter in eigener Person, und zwar in einem Ver
gleich, um die Schönheit Kaylets zu schildern, 39, 23 u. ff.:
sin varwe an schcene hielt den strit,
unz an zwen die nach im wuohsen sit,
Beäcurs Lotes kint
und Parziväl, die dä niht sint:
die wären dennoch ungeborn
und wurden sit für schcene erkorn.
Man sieht, diese einzige Stelle, an der der Name genannt wird,
widerspricht nicht dem konstatierten Prinzip.
Es fällt auch auf, daß was sonst in den mittelalterlichen
Epen umständlich geschildert wird, nämlich die Zeremonie der
Namengebung, respektive der touf, hier ganz wegfällt. 1
Hier ist aber eine höchst wichtige Differenz von Crestien
zu konstatieren: bei Crestien nennt die Base Percevals Namen,
unmittelbar nachdem er auf der Gralsburg gewesen war, als
er eben von da fortreitet. Die angeführte Stelle bei Kiot je
doch, an welcher Parzival seinen Namen hört, liegt früher:
noch vor dem Besuche bei Artus, der Tötung des roten Ritters,
den Lehren des Gurnemanz und der großen Episode .Condwira-
mursh Also lange vor dem Besuch der Gralsburg! Bei Cre
stien liegen jene vier Episoden: Artus, Ither, Gurnemanz und
Condwiramurs, weit früher, so daß bei ihm (was höchst be-
1 Vgl. Gottfrieds Tristan: 50, 35—52, 22, also = 68 Verse lang. Oder
K. Fleckes Flore, V. 589 —598 usf.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
149
deutsam ist!) der Besuch der Gralsburg und die Namengebung
von seiten der Base unmittelbar aufeinander folgen. 1
Ich glaube nun, wir können die Fuge erkennen, an welcher
sieh auch bei Kiot-Wolfram der Spalt wieder schließt. Denn
nachdem alle jene bei Crestien dem noch namenlosen Perceval
beschiedenen Abenteuer: Artus, Ither, Gurnemanz, Condwira-
murs, dem bei Kiot nun schon benannten Parzival begegnet
sind, widerfährt ihm bei Kiot bei einer zweiten Begegnung mit
Sigune mit fast denselben Worten noch einmal das Auffällige:
daß Sigune ihm seinen Namen sagt, 251, 29 ,du bist Parzival 1 }
Diese zweite Begegnug mit Sigune ist die wichtige, die
ursprüngliche, sie allein entspricht der Begegnung Percevals
mit seiner cosine bei Crestien. Der zweimalige Bericht des
selben Zusammentreffens der beiden bei Kiot ist gewiß nicht
das Ursprüngliche, und zwar ist, wie gesagt, die erste Begeg
nung bei Kiot die Imitation, die zweite dagegen, die unmittel
bar auf den Besuch des Gralschlosses folgt, die eigentliche! 3
1 Die Differenz zwischen Crestien und Kiot zeigt sich vielleicht auch
darin, daß, während Perceval bei Crestien, nachdem er seinen Namen
erfahren hat, in der folgenden Erzählung selbst immer bei diesem
seinen Namen genannt wird, Parzival bei Kiot noch eine Zeit lang ohne
Namen auftritt: er heißt weiter der knappe 142, 19. 143, 1. 144, 11 u. ö.
juncherre 149, 7. fil li roy Gahmuret 153, 22. (wobei bloß wieder einmal,
nämlich 148, 27 der Dichter in einer subjektiven Bemerkung den Namen
ausspricht). Erst von 155, 4 an (155, 19. 156, 7. 156, 10. 12. 28. 157, 16
usf.) wird er regelmäßig Parziväl genannt.
2 Bedeutsam ist auch, daß sie, gleich darauf, ihn daran erinnert, daß sie
es war, die ihm seinen Namen schon einmal gesagt hat: 252, 11:
sie sprach ,dä bin ichz diu magt
diu dir & kumber hät geklagt
und diu dir sagte dinen namen 1 .
Wichtig für unseren Zusammenhang ist auch jene spätere Stelle, an der
die häßliche Gralsbotin vor Artus den Namen Parzivals nennt und aus
drücklich hinzufügt, ,es ist der, den Ihr den roten Ritter nennt 4 , 315, 11:
,ir nennet in „der R'iter Rot“. Da zwischen Kundrie und Sigune, wie
sich noch zeigen wird, offensichtlich eine nahe Verwandtschaft besteht,
so ist auch dieses Wort im Munde der Kundrie von großer Wichtigkeit,
und jedenfalls nur eine Bestätigung für unsere Ansicht, nicht etwa ein
Widerspruch dazu.
3 Es gehört dies wieder zu jenen Variationen, zweifachen Erzählungen
eines und desselben Ereignisses, an denen die mittelalterliche Gralsage
so reich ist.
150
IV. Abhandlung: Junk.
Hier, an der zweiten Stelle bei Kiot, erkennt Sigune ihren
Vetter, ohne daß man begreift, wie? Es heißt bloß, 251, 28:
bi der stimme erkante sie den man. Dies ist aber natürlich.
Durch die Vorausnahme dieser wichtigen Episode der Namen
gebung (140, 16) mußte die zweite (251, 29; also die eigentlich
an der richtigen Stelle erfolgt) verändert werden. Ein Grund
zum zweimaligen ,Erraten' des Namens war nicht mehr vor
handen. Man erkennt die Verlegenheit, in die der Dichter
durch eigene Schuld geraten ist, vielleicht noch aus eben dieser
Motivierung: an der Stimme habe sie ihn erkannt. Wichtig
aber ist, daß an beiden Stellen Sigune es ist, die den Namen
ausspricht, die dem Helden seinen Namen nennt.
Nun begreifen wir auch, warum das Verschweigen, resp. Um
schreiben des Namens bei Kiot zwischen der ersten und zweiten
Begegnung mit Sigune nicht mehr so konsequent durchgeführt ist
wie vor der ersten Begegnung (vgl. p. 149, Anm. 1): das ältere ist
jedenfalls (was Crestien ganz klar zeigt und Kiot bis zur ersten
Begegnung ebenfalls ganz klar!), daß der Held anfangs, d. h.
bis zu seinem Besuch auf dem Gralschloß nicht genannt wird
und erst bei der Begegnung mit Sigune, respektive durch sie,
seinen Namen erfährt. Kiot (oder seine Quelle) hat aus dieser
einen Begegnung zwei gemacht und läßt den Helden schon bei
der ersten seinen Namen erfahren, rvas erst bei der zweiten
(nach Besuch des Gralschlosses) geschehen sollte: daher sein
Schwanken in Bezug auf die Benennung und Nichtbenennung
des Helden zwischen den beiden Begegnungen. 1
Fassen wir das vorläufige, bloß aus Crestien und Kiot,
also den beiden wichtigsten und gewiß sehr altertümlichen
Quellen geschöpfte Ergebnis zusammen, so zeigt sich:
1. Der Held wird lange Zeit nicht genannt, weder vom
Erzähler, noch von den handelnden Personen, ja nicht einmal
1 Ich muß hier Crestien in Schutz nehmen gegen einen Vorwurf, den ihm
sein präsumtiver kritischer Editor Gottfried Baist (in seiner Rekto
ratsrede: ,Parzival und der Gral 1 , Freiburg i. Br. 1909, p. 36) gemacht
hat; wenn Baist daselbst sagt, Wolfram habe ,den Namen Parzivals
früher und schicklicher, als es bei Crestien geschieht, eingeführt', so
wissen wir jetzt, welches der Grund hiefür war: nicht Ungeschicklich
keit Crestiens, sondern treueres Festhalten an dem älteren Zusammen
hang, den ihm gewiß seine Vorlage dargeboten hat.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
151
von seiner Mutter: 1 er hat überhaupt keinen Namen erhalten.
(Dies alles übereinstimmend bei Crestien und Kiot.)
2. Er wird zuerst genannt bei der Begegnung mit seiner
Base (wiederum ganz übereinstimmend bei Crestien und Kiot),
unmittelbar als er von der Gralsburg kommt (dies- bei Crestien
allein ganz deutlich; bei Kiot getrübt durch die Veränderung
der Reihenfolge der Abenteuer), und zwar sagt sie ihm seinen
Namen (vgl. Kiot an beiden Stellen, während hier Crestiens
Bericht verändert scheint).
* *
*
Sehen wir die übrige mittelalterliche Parzivaldichtung
daraufhin an, so finden wir keine einzige Stelle, die diesem
Tatbestand widerspräche.
Der englische Sir Percevall sagt auf die Frage, wer er
sei, V. 506: ,1 cime myne awnne mocUrs childe 1 und an einer
späteren Stelle, V. 1094, heißt es ganz entsprechend: ,His dame
sonne, he said, he hight!
Im Prosaroman Perlesvaus -wird der Held eingeführt als
bons Chevaliers (Potvins Ausgabe, Bd. I, p. 2) und behält diesen
Namen auch dann noch, als seiue Familie mit Namen bedacht
wird: seine Mutter heißt Ygloas (Iglais), seine Oheime sind
der rois Peschierres, ferner Pelles und U rois qui fu nommez
du Chastel Mörtel; seine Schwester ist Dindrane (Dandrane),
sein Vater Juliens (,Julians), sein Großvater Glais li Gros, der
von Nicodemus abstammt (Potvin I, p. 2 f.).
Nun wird freilich, entsprechend der geistlichen Wendung
dieses Romans, anfangs von anderen Ereignissen gesprochen,
bei denen der ,gute Ritter 1 nicht Gelegenheit hat vorzukommen.
Dann aber werden plötzlich folgende beiden wichtigen Ereig
nisse unmittelbar nacheinander gebracht:
1. die Erzählung von dem Besuch des jungen Ritters'
auf der Burg des Fischerkönigs, wobei jener die Frage ver
säumt hat (das Ganze wird dem König Artus berichtet aus
dem Munde eines Einsiedlers), und
1 Auch Gurnemanz erkennt ihn nicht (169, 28), obwohl Parzival ihm seine
Geschichte erzählt: er nennt ihn bloß den roten ritter (170, 6).
152
IV. Abhandlung: Junk.
2. die Begegnung des Königs Artus mit einer Jungfrau,
die den Namen Perlesvaus ausspricht.
Wir haben also auch hier wieder das Wesentliche bei
sammen. Der nähere Zusammenhang ergibt sich aus dem
Texte selbst: Artus hat, eben den Eremiten verlassend, einen
Zweikampf mit einem fremden Ritter zu bestehn, der ihn an
rennt; der König besiegt und tötet ihn und schenkt das Haupt
des Toten der Jungfrau, denn diese hofft, mit Hilfe dessen ihr
geraubtes Schloß wieder zu gewinnen. Diese Jungfrau nun,
die schon durch das Haupt des erschlagenen Ritters an Sigune
erinnert, ist es auch, die dem Könige die erwünschte Auskunft
über den Helden der Erzählung gibt. Sie sucht ihn nämlich,
damit er ihr helfe, und auf die Frage des Königs, wer es denn
sei: ,Damoisele, fet li rois, et qui est li Chevaliers? 1 , antwortet
sie, es sei der Sohn Vileins le gros (= der früher Julians ge
nannt wurde) aus den Tälern von Kamaaloth und heiße Per-
lesvax: ,Sire, fet-elle, il fu fiuz Vilein le gros des vaus de Ka
maaloth, et est apeles Perlesvax. 1 Es folgt dann die etymolo
gisierende Erklärung des Namens: wegen des Verlustes dieser
Täler von Kamaaloth sei er von seinem Vater Per-les-vax ge
nannt worden. Schon diese gesuchte Etymologie zeigt, daß
hier willkürlich etwas verändert wurde. Die Stelle lautet:
,Sire, fet-ele, quant il fu nez, si demanda son pere conmant il
auroit non (!) an droit bautesme (1. baptesme) (!). Et il dist
qu’il vouloit qu’il eust non Perlesvax; quar li sires de Mores
li toloit la greignor partie des vaus de Kamaaloth, si voloit
qu’il an souvenist son fil par cel non, se Diex le multiplioit
(Hs. monteploioit) tant qu’il fust ChevaliersDieselbe Ety
mologie wird noch einmal wiederholt, als Perlesvaus Rache an
jenem feindlichen sires de Mores nimmt, der dem Vater die
Täler von Kamaaloth geraubt hat; da sagt seine Mutter, die
Veve Dame, zu ihm (Potvin I, p. 181 f.): ,Vos avez non Perceval
por ce que, avent que vos fussiez nez, conmenga l’en ä vostre
pere ä tolir les vaus de Kamaalot; car il estoit enciens Cheva
liers, si estoient tuit si frere niort; et por ce vos mist-il cest
non en bauptesme (!), por ce que il vos membrast de son
doumache et del vostre et que vos l’aidissiez ä recouvrer se vos
en aviez le povoirHier also ist ihm der Name mit bewußter
Absicht gegeben worden, und selbst von der Taufe wird ge-
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
153
sprachen. Dies hängt mit dem relativ jungen Charakter des
Prosaromans zusammen; das Altertümliche aber ist auch hier
noch deutlich zu erkennen: das Mädchen nennt zuerst den
Namen Perlesvaus’, und zwar geschieht es auch hier unmittelbar
nach dessen Besuch auf der Gralsburg.
Es beirrt uns auch weiter nicht, wenn im Verlauf der Er
zählung, trotzdem wir den Namen des Helden schon erfahren
haben (und zwar, wie wir sagen dürfen: an der richtigen Stelle),
ihm noch immer der Name des ,guten Ritters' bleibt; vgl. Pot-
vin, I, p. 25 u. ö.; vgl. auch die Inhaltsangabe bei Birch-
Hirschfeld, a. a. 0., p. 123. 124. 125 usf. Später, nachdem
Gavain absolviert ist und die Reihe wieder an Perlesvaus
kommt, wird dieser li fiuz ä la Veve Dame genannt (Potvin,
I, p. 105), hierauf gleich wieder li Bons Chevaliers (id.); dann
wird wieder sein wirklicher Name genannt (Potvin, I, p. 106 f.).
Die reinliche Scheidung also zwischen der ursprünglichen Ano
nymität, respektive Umschreibung des Namens und der späteren
exakten Benamsung des Helden, wie wir sie bei Crestien und
Kiot finden, ist hier verloren gegangen. Endlich wird der
Held sogar mit beiden Namen genannt: Perceval, li fiuz ä la
Veve Dame (Potvin, I, p. 158).
Interessant aber ist, daß, als der Fischerkönig beim Be
suche Lanzelots auf der Gralsburg von den beiden Besuchen
Perlesvaus’ und Gavains erzählt, die beide nicht gefragt hatten,
er bloß vom zweiten den Namen weiß: wie der erste hieß,
weiß er nicht! ,Je ne sai conment li premerains ot non, . . .
Li autres fu misires Gauveins 1 . Und Lanzelot muß ihm den
Namen sagen: ,Sire, fet Lanceloz, li premiers fu Percevax, vostre
nies 1 (Potvin, I, p. 131).
Auch das Werk, das man als den dritten Teil des Robert-
schen Zyklus ansieht, der Perceval der Didotschen Hand
schrift, 1 zeigt Übereinstimmungen, zum mindesten keine Wider
sprüche.
Zwar wird, wie wir bei diesem gleichfalls späten Erzeugnis
wiederum begreifen, der Held nicht mehr, wie in den mehr
1 Zitiert nach der Ausgabe von E. Hu eher, Le Saint Graal ou le Joseph
(TArimathie. Premiere Branche des Romans de la Table Ronde. Tome I.
Au Mans 1875, p. 415 u. ff.
154
IV. Abhandlung: Junk.
märchenhaften Fassungen (Crestien und Kiot) anonym einge
führt, sondern gleich beim Namen genannt; zuerst mit den
Worten: ,En cel tens estoit le fiz Alein li Gros dont vous
avez oi patter, cä en carrieres, petit enfes et ot non Perce-
vaux . . ‘ (Hucher, I, p. 420). Mit diesem Namen erscheint
er auch im Folgenden (p. 424. 425. 426. 427 usf.), und zwar
immer bloß mit diesem Namen. Dem gegenüber bedeutet es
wohl etwas Besonderes, wenn an der Stelle, wo Pereeval nach
seinem vergeblichen Besuch auf dem Gralschloß die klagende
Jungfrau im Walde findet (p. 466), diese Jungfrau ihn sofort
erkennt und ihn bei seinem vollen Namen ruft: ,Percevaus
le Galois!‘ und ihn verflucht. Die Stelle verdient gewiß Be
achtung, da, wie gesagt, der Held vorher immer bloß Pereeval
schlechtweg genannt worden war, — mit einer einzigen Aus
nahme! Als nämlich der von ihm besiegte Kitter Li Beax
Mauveis von dem Sieger an den Hof des Artus geschickt wird
und dort den Namen seines Besiegers zu nennen hat, geschieht
es allerdings in der ausführlichen Form: Pereeval le Galois
(p. 456). Daß diese Stelle aber eine Ausnahme ist, beweist
der Umstand, daß auch nach unserer zitierten wichtigen Stelle
(Hucher, I, p. 466) dem Helden der bloße Name Pereeval
bleibt. 1
Unter diesen Umständen und unter Berücksichtigung
dessen, was bei Crestien, Kiot und ,Perlesvaus‘ konstatiert werden
konnte, erscheint auch die zitierte Stelle des Didotschen Per-
ceval als Bestätigung: der volle Name wird erst von der kla
genden Jungfrau genannt; und daß die Jungfrau dieselbe ist
wie die, die Pereeval früher (p. 429) mit dem toten Geliebten
Hurganet im Arm angetroffen hat, also = unsere Sigune, ist klar,
wenn es auch der Dichter, wie es scheint, nicht ausdrücklich sagt.
Daß wir in der Qüete nichts mehr von dieser merkwür
digen Übereinstimmung finden, ist nicht zu verwundern, weil
das Ursprüngliche hier schon durch die Vielheit der Gralsucher
naturgemäß zerstört worden ist; auch ist der Gralfinder hier
bekanntlich nicht mehr Pereeval, sondern der jungfräuliche
Galaad.
1 Wieder mit einer einzigen Ausnahme, wo der volle Name Percevaux le
Galois genannt wird, und wieder handelt es sich um eine Botschaft: der
Besiegte ist der Bruder vom Chevaliers du tombel (p. 470).
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
155
Wie sich der Peredur zu unserer Frage verhält, ist mir
nicht ganz klar, doch scheint (vgl. San Marte, Die Arthursage
und die Märchen des rothen Buchs von Hergest, 1842, p. 191)
auch dort der Name Peredur erst spät genannt zu werden.
Dagegen könnte ich zu den Stützen meiner Ansicht über
den Zusammenhang zwischen dem Besuch auf der Gralsburg
und der Namengebung noch verweisen auf Manessier. Bei
ihm kommt Perceval W 44579 u. ff. mit dem Kopf des von
ihm erschlagenen Ritters Partinel auf die Burg des Fischer
königs und dieser wird sofort gesund. Und nachdem der Gral
beim Mahl alle Anwesenden gesättigt hat, erfährt der Fischer
könig den Namen seines Retters. Perceval selbst nennt sich
auf die Frage des Wirtes: j’ai nom Pierchevaus li Galois,
V. 44746, und ist der Sohn des Gloval li Galois, V. 44762. 1
Auch dies verdient Beachtung, einmal, weil die Namensnennung
auf der Gralsburg selbst erfolgt, und dann, weil auch hier der
Held nie vorher mit dem vollen Namen genannt worden ist,
sondern stets mit dem bloßen Pierchevaus.
Um der Vollständigkeit willen vermerke ich das sonder
bare, direkt entgegengesetzte Verhalten in dem von Rochat
mitgeteilten poetischen Percheval li Galois: 2 hier nennt der
Held wiederholt seinen Namen selbst, so p. 23 im Zweikampf
mit dem Biaus Desconeus, dem Sohne Gaweins:
,Percheval, fait-il, sui nomes,
de Gales sui.‘
Ferner p. 27 gegenüber Blanceflors:
,damoisele ia de mon non
ne vos ferai trop lonc sermon,
car ne seroit pas cortesie;
jai non, se Dex me beneie,
1 Die Stelle lautet:
V. 4474G u. ff. j’ai nom Pierchevaus li Oalois,
onques mes noms ne fu c flies,
en Gales fui nouris et nes,
2 Über einen bisher unbekannten Percheval li Galois. Eine literarhistorische
Abhandlung von Alfred ßochat. Zürich 1855.
■
156 IV. Abhandlung: Junk.
Percheval. ensi suj nomes,
de Gales suj noris et nes.‘
Ebenso sagt er selbst seinen Namen, als er unerkannt seiner
Schwester gegenübertritt, p. 35, und offenbar ebenso auf die
Frage ctes Bagomedes, p. 78 (was aus Rochats Wiedergabe nicht
hervorgeht). Aber dieses unseren sonst übereinstimmenden
Ergebnissen widersprechende Verhalten des einen Gedichts,
dessen Entstehung übrigens niemand mit Rochat (p. 175) auch
nur einen Augenblick lang vor Crestien ansetzen wird, beweist
nichts gegen die festgestellte Tatsache:
Die Jungfrau mit dem toten Ritter, das Mädchen im Walde
ist es, welches Perceval seinen Namen nennt; vorher hat er
keinen. Und besonders wichtig ist der Moment, in dem dies
geschieht, in welchem er also seinen Namen erhält: unmittel
bar als er von der Burg kommt, die das kostbare Gefäß be
herbergt!
Der Name selbst ist also offenbar nichts anderes als eine
Umschreibung dieses Faktums: ihm ist es gelungen, in die den
Becher einschließende Burg einzudringen, er wird darum gleich
sam mit den Worten angesprochen: (du bist ja der) ,Becher
finder!', (bist der erwartete) ,Gralheld!'
Ganz ausgezeichnet stimmt dies zu der früher besprochenen
Anonymität der Figuren des Gralmärchens: es entspricht voll
kommen dem Wesen des Märchens, daß alle seine Personen
namenlos sind und bloß der Held seinen Namen erhält nach
seiner Bestimmung, respektive aus einer ganz bestimmten Si
tuation heraus. Genau so also, wie das ,Dornröschen' erst am
Schlüsse, weil es eben ein hinter der Dornenhecke verborgenes
Röschen geworden ist, so benannt wird, und genau so wie das
Rumpelstilzchen erst in Bezug auf seinen Schatz den Namen
,Schatzhüter' (falls diese Deutung richtig ist!) sich selbst gibt.
Neben unserem Namen Perceval hat höchstens noch der
des ,Fischerkönigs', wie wir gesehen haben, alte Gewähr (vgl.
oben p. 136 u. ff.).
Also auch der Name ,Parzival' ist (wie übrigens ja auch
der Name ,Gral‘) ursprünglich ein Appellativmn. Strenge ge
nommen müßte der Held demnach sogar ,der Parzival' genannt
werden und jedenfalls ist er auch einmal so genannt worden
Gralsage und Grald-ichtung des Mittelalters.
157
(so wie ,der Tanndreher“, ,der Felsenklippercr“, ,das Dorn
röschen“ usw.). 1
Zu unserem Ergebnis stimmt ferner aufs wunderschönste,
daß das Mädchen, das rätselvolle Weib, das ihm seinen Namen
gegeben hat, in Jammer ausbricht, als sie erfährt, daß er die
an die Gewinnung des Bechers geknüpfte Bedingung nicht er
füllt, die Frage nicht getan hat, daß er also diesen Namen
noch nicht verdient. Die Stellen sind: Crestien, V. 4757 u. ff.
und Kiot-Wolfram 255, 2 u. ff. 2
Wir begreifen nun auch, daß dieses Motiv der ursprüng
lichen Namenlosigkeit einen Dichter wie Kiot-Wolfram inspi
rieren konnte, es so wunderbar psychologisch zu wenden: die
Mutter nennt ihren kleinen Liebling nicht beim Namen (weil
die Kinder im Märchen keine Namen haben), sondern gibt ihm
Kosenamen: ,Mein gutes, mein teueres, mein schönes Kind“. 8
Diese Kosenamen werden indes auch schon angedeutet bei
Crestien, wo die Mutter den Kleinen biaus fils (V. 1567. 1582.
1590 u. ö.), auch biaus dous fius (V. 1602) nennt. 4
Wir begreifen auch jetzt, warum dieser Name sich als
der einzige in all den betreffenden ,Questen“ erhalten konnte,
1 Es ist daher ganz richtig, wenn auf dem Titel der bekannten Abhand
lung von Wilhelm Hertz steht ,Die Sage vom Parzival und dem
Gral*; aber allerdings scheint dies nur ein Druckfehler auf dem Um
schlagsblatt zu sein, denn auf dem inneren weißen Titelblatt steht ,voil‘.
2 Es hat vielleicht diese von den späteren Dichtern nicht mehr richtig
verstandene Klage des Mädchens die Veranlassung geboten, um als eine
neue Ursache für diesen ihren Jammer die Geschichte von dem getöteten
Geliebten, Schionatulander, zu erfinden. Doch sei dies nur als ganz be
scheidene Vermutung ausgesprochen. — Hier darf übrigens wieder an
die auffallende Parallele zwischen Sigune und Kundrie erinnert werden
(vgl. oben p. 149, Anm. 2): nämlich an den herzlichen Jammer, in den
die Gralsbotin bei Kiot 318, 5 u. ff. über Parzival ausbriclit.
8 Eduard Wechsslers Erklärungsversuch, die Namenlosigkeit des ,Feen
sohnes 4 (Die Sage vom heiligen Gral etc., Anm. 54) aus juristischer
Übung herzuleiten: nur der Vater sei berechtigt gewesen, dem Sohne
einen Namen zu verleihen, ist weit hergeholt und, wie ich denke, über
flüssig. Dagegen hat Wechssler vollkommen Recht, wenn er den Augen
blick, in dem der Vaterlose Namen und Herkunft erfährt, eine ent
scheidende Stunde seines Lebens 4 nennt.
4 Heinzeis Angabe (Über Wolframs von Eschenbach Parzival. Sitzungs
berichte der Wiener Akademie, Bd. 130, p. 34) ist also nicht ganz genau.
158
IV. Abhandlung: Junk.
— und warum die Dichter sich so eifrig bemühten, iiin zu er
klären: es hing etwas Besonderes an diesem Namen, er konnte
nicht getilgt und durch einen anderen ersetzt werden. Schon
dieses überall bemerkbare Bestreben, den Namen zu erklären,
deutet auf das Besondere, das gerade an ihm haftete.
Die schönste Bestätigung dafür, daß unsere Herleitung
richtig sei, erhalten wir durch eine schlagende Parallele mit —
dem ,Peronnik‘. Auch dieser wird im ganzen Märchen von
keinem so genannt (bloß vom Erzähler), die handelnden Per
sonen sprechen von ihm als vom paitvre innocent, idiot: mit
Namen aber wird er erst genannt, als er das letzte und gefähr
lichste Hindernis, unmittelbar vor dem Erblicken der das
Becken einschließenden Burg, besteht: die verführerischen jun
gen Mädchen, die ihn abhalten sollen, rufen ihn beim Namen:
,de helles jeunes filles, qui sortaient du hain et qui dansaient
sur Vherhe, l’appellaient par son nom et l’invitaient ä con-
duire le hal‘. x Der Grund hiefür ist ganz klar: in ihm sehen
sie den erwarteten ,Gewinner des Beckens' leibhaftig vor Augen,
er ist der } Per‘- Gewinn er und erhält daher von ihnen diesen
Namen.
Wiederum sind es weibliche Wesen, die diese Aufgabe
haben, ihm den Namen zu geben, und wiederum erfolgt dies
unmittelbar in dem Zeitpunkte, der durch das Erreichen des
Per-Schlosses gegeben ist. Die geringe Differenz, daß in der
Gralsage Parzival von der Gralsburg kommt, als er seinen
Namen erhält, hier aber unmittelbar vor ihr steht, als dies
geschieht, braucht uns nicht zu beirren. Der Bezug der
Namengebung auf die den per einschließende Burg ist augen
fällig.
Diese gewiß merkwürdigste Übereinstimmung zwischen der
mittelalterlichen Gralsage und dem neubretonisclien Märchen
von Peronnik zeigt wiederum, wie nahe diese beiden unter
einander verwandt sind und wie enge sie zusammengehören:
das moderne Märchen vermittelt auch hier wieder die auffälligen
Einzelheiten der mittelalterlichen Gralliteratur, die wir aus dieser
allein gar nicht begreifen könnten.
1 In der von mir zitierten Ausgabe des ,Foyer Breton“ (Collection Levy),
Vol. II, p. 161.
Gralsage und Graldichtnng des Mittelalters.
159
Hier sei es mir gestattet, ein Wort über den Namen Per-
onnik selbst zu sagen. Wilhelm Hertz hatte schon 1 gefunden,
daß dieser Name die,deminutive Koseform eines mitper zusammen
gesetzten Vollnamens' sei; und er fährt fort: ,durch diese drei
Formen Perceval, Peredur und Peronnilc ist per als der erste
Teil des ursprünglichen Namens gesichert; der zweite bleibt
zweifelhaft'. Was Hertz aber im Folgenden über die Etymo
logie dieses ersten Bestandteiles, per, vorbringt, hängt in der
Luft; er denkt dabei nämlich an ein kymrisches Substan-
tivum per = Lanze, Spieß, oder auch an ein Adjektivum per
= wonnig, süß.
Wie ich mir erzählen ließ, ist der Name Peronnilc noch
heute in der Bretagne nicht selten: er wird dort in Verbindung
gebracht mit Pierre, Peter, und gilt als Deminutiv von Petrus.
Dies ist gewiß sekundär, spricht aber nicht gegen ein hohes
Alter des Namens selbst. Ich bin in der Lage, auf ein ganz
ähnliches Verhältnis bei einem anderen, noch gegenwärtig be
liebten Namen verweisen zu können, dem man eine gleichfalls
ganz junge Deutung gibt, der aber trotzdem große Altertüm
lichkeit besitzt. Es ist der schweizerische Name Vreneli. Er
gilt heute als Deminutiv von Veronika und ist ungemein beliebt
und verbreitet. Er ist aber ursprünglich nichts als die schwei
zerische Form für jene Frü Frene, die mit der altgermanischen
Göttin Freia, Holda, identisch ist. Die Schweizer Lesarten
des Volksliedes von dem dem Berge der Venus—Freia ver
fallenen Tannhäuser beweisen dies. 2 Erst später, als der ur
sprünglich zugrunde liegende mythologische Bezug nicht mehr
deutlich genug war, trat an dessen Stelle die Herleitung aus
dem kirchlichen Namen. Ebenso konnte ein Franzose, der das
keltische Per nicht verstand, dieses mit dem geläufigen Pierre
in Zusammenhang' bringen.
Zur Bildung dieses Namens, speziell zur letzten Silbe
-ilc, respektive -nik, kann man vergleichen den Namen des
Jannilc Skolan, von dem Vi 11 em arque 3 eine rührende Ge
schichte (er ist ein revenant) mitgeteilt hat. Auch diese Er-
1 Die Sage von Parzival und dem Gral, ]). 25.
2 Vgl. mein Buch ,Tannhäuser in Sage und Dichtung 1 , München 1911,
p. 26 u. ff., besonders p. 28.
3 Barzaz Breiz 1867, p. 340 u. ff.
160
IV. Abhandlung: Junk.
Zahlung gehört dem pays des Vannes an, aus dem unser Per-
onnik aufgezeichnet ist. Der Name Jannik ist aus dann
abgeleitet, der auch in unserem Märchen von Peronnik be
gegnet. 1 Er scheint eine ähnlich verächtliche Bezeichnung zu
sein, wie es dem Dümmlingscharakter unseres Peronnik ent
spräche: Jannik — ,Hänschen', Peronnik = ,Peterchen'. 2
Das Beim-Namen-Angerufen werden ist wiederum etwas
echt Märchenhaftes. Wir brauchen nur zu verweisen auf Nr. 181
der Grimmschen Kinder- und Hausmärchen, ,Die Nixe im
Teich'. Von ihr heißt es, ,sie nannte ihn beim Namen' und
fragte, warum er so traurig wäre'. Die Dämonen wissen eben,
nach volkstümlicher Vorstellung, die Namen der Sterblichen
und wollen durch das Anrufen des Namens Gewalt über den
Menschen selbst gewinnen. Daher rufen ja auch die verführe
rischen tanzenden Elfenjungfrauen im ,Peronnik' den Eindring
ling: sie wollen ihn ja aufhalten, in die Burg zu dringen; er
soll ihnen verfallen, d. h. zugrunde gehn vor Erreichung seines
hohen Zieles. Der Held weilt ja, wie wir wissen, im Toten
reich: aus dem Infernum holt er sich das Zaubergefäß, er
schwebt beständig in Gefahr, dem Totenreich selbst zu ver
fallen.
Aus dem Gesagten folgt aber mit Notwendigkeit, daß
Sigune, jenes rätselvolle Weib, das einen Toten im Schoß
hält (!!) und dem Helden seinen Namen nennt, oder, was da
mit gleichbedeutend ist: ihn beim Namen anruft, selbst ur
sprünglich ein solches überirdisches Wesen, eine Elbin oder
eine Hexe, ist, urverwandt mit den verführerischen Jungfrauen
des ,Peronnik'. Zur Bekräftigung dessen führe ich an, was
Eduard Wechssler in seinem schon oft zitierten Buche über
,Die Sage vom heiligen Gral, Halle 1898', p. 142 (Anm. 56)
sagt und wozu er von ganz andrer Seite gekommen ist: ,Ur
sprünglich ist sie, die über Gral und Gralburg wunderbarer
Weise so genau unterrichtet ist, eine Fee oder Hexe (wie die
Hexen des Peredur) 1 .
Aus dem über die Umschreibung des Namens Perceval
Gesagten erklären sich nebst anderem auch die vielfachen, zum
1 In der von mir zitierten Ausgabe, Vol. II, p. 140.
Vgl. die Stelle bei Souvestre, a. a. 0., p. 140, und seine Anmerkung dazu.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
161
Teil übertriebenen, manierierten Wiederholungen dieses Ge
dankens in der Literatur der Folgezeit. Ein so originelles
Motiv mußte zur Nachahmung reizen. Und zu diesen Nach
ahmungen der bloß für die Gralsage originellen und wohl be
gründeten Anonymität, respektive geheimnisvollen Namengebung
des Helden rechne ich alle die Stellen, die von den Gelehrten 1
irrtümlich zur Erklärung des Phänomens herangezogen worden
sind. Alle diese Stellen sind keineswegs literarhistorische Vor
läufer unserer Stelle, sondern aus ihr imitiert. Zum Beispiel:
Als Guinglain, der ,Schöne Unbekannte', au den Hof des Artus
kommt, antwortet er auf die Frage nach seinem Namen, seine
Mutter habe ihn Mel fil genannt. 2 Meriadeuc, der Chevalier as
deus espees, ,der überhaupt an Perceval erinnert, weiß seinen
Namen nicht, erinnert sich nur, daß er Mel vallet genannt
wurde'. 3 Lanzelot hat, so lange er bei der Fee ist, keinen
anderen Namen als fils le roi, heau vallet, vielte orphelin. i
Besonders lehrreich ist die Stelle aus dem Chevalier au
cygne, also einem Denkmal, welches stofflich in die nächste
Verwandtschaft des Grals gehört, wo der junge Schwanenritter,
um seinen Namen befragt, antwortet
Jou ai ä non hiau fis et des or en avant
Nen ai-je point de non, pour voir le vous creant, 5
Wir erinnern uns dabei, daß auch der Schwanenritter im
Französischen durchaus noch namenlos ist und erst bei Kiot-
Wolfram den geheimnisvollen Namen Loherangrin aufweist,
1 Vgl. Wilhelm Hertz, Parzival, 4. Auf!., p. 443 f.; Richard Heinzei,
Uber die französischen Gralromane, a. a. O., p. 24, Anm. 1; Derselbe,
Über Wolframs von Eschenbach Parzival, a. a. 0., p. 90; Eduard
Wechssler, Die Sage vom heiligen Gral, Halle 1898, p. 142, Anm. 53.
2 Le Bel Inconnu, publid par C. Hippe au, Paris 1860, p. 115.
8 R. Heinzei, Über die französischen Gralromane, a. a. O., p. 24, Anm. 1;
,Li Chevaliers as deus espees £ , herausgegeben von W. Foerster, Halle
1877, V. 10773.
4 Im Prosa-Lanzelot; vgl. Paulin Paris, Les romans de la Table Ronde,
Paris 1868, III, p. 27. Vgl. dazu die Bemerkung Wechsslers: ,Wie
Parzival heißen auch Lanzelot, Guinglain u. a. m. buens filz, chers filz,
beaus filz‘ (Die Sage vom heiligen Gral, Anm. 53, p. 142).
5 La chanson du Chevalier au cygne et de Godefroid de Bouillon, publid
par C. Hippeau, Paris 1874, p. 35.
Sitzungsber. d. pkil.-hist. Kl. 1G8. Bd. 4. Abh. 11
162
IV. Abhandlung: Junk.
den man 1 als eine Entlehnung nach dem berühmten französi
schen Helden Garin, dem Lothringer, ansieht. 2 ,Auch der
junge Bastard Gawains in der ersten Fortsetzung Crestiens,
der mit Parzival gleichfalls Verwandtschaft zeigt, kann nichts
anderes angeben, als daß er der Neffe seines Oheims heiße': 8
gemeint ist die Stelle hei Pseudo-Gautier (Potvin, IV. Band),
V. 20655 u. ff.:
,. . . de mon nom mie ne sai
fors itant com jä vos dirai:
en la court oil je fu noris,
en la riche sale du lis,
soi, de voir ; que tuit m’apeloient
parmi le castel et nommoient
le neveu son oncle, et messire
me faisoit issi ä tous dire.‘
Im Lai de Tyolet aus dem 12. Jahrhundert heißt der Held,
wie Perceval, filz ä la veve dame (V. 127). 4
In dieselbe literarische Tradition gehört es wohl auch,
wenn Lanzelot seinen ihm noch nicht bekannten Namen auf
Douloureuse Guarde unter der Platte eines Grabsteins (zugleich
mit dem Namen seines Vaters) verborgen findet. 5 Es ist dies
eine jedenfalls ganz junge Ausschmückung des bekannten
Motivs, vielleicht angelehnt an das ,Erraten' des Namens bei
Crestien.
Ebenso halte ich für nicht ursprünglich die Bezeichnung
,Namenlos' jenes Helden, von dem uns die späte niederdeutsche
Bearbeitung einer älteren verloren gegangenen französischen
Dichtung erzählt. 0
1 Seit Wolfgang Golthers Untersuchungen in Vollmüllers Romani
schen Forschungen, V, p. 103 u. ff.
2 Vgl. auch Wilhelm Hertz, Parzival, 4. Aufl., Anm. 5)50, p. 549.
3 Derselbe, a. a. O., p. 443.
1 Derselbe, a. a. 0., p. 440.
3 Paulin Paris, a. a. O., II, p. 166; Wechssler, Die Sage vom heiligen
Gral, Anm. 55, p. 142.
3 W. Hertz, Parzival, 4. Aufl., p. 442 f.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
163
5. Kapitel.
Folgerungen aus dem Vorhergehenden: Gralmärehen und
Parzivalmärclien sind von allem Anfang an dasselbe.
Per älteste Gralsucher ist Parzival, nicht Gawan oder
Galaad.
Die wichtigste Konsequenz aus dem Ergebnis des letzten
Kapitels ist, daß die Sage von Parzival, dessen Name also im
Hinblick auf den Gral gebildet ist, und das Märchen vom
Gralbecher selbst voneinander nicht zu trennen sind. Es gab
keine ursprünglich selbständige Parzivalgeschichte, die, wie es
die Meinung der Gelehrten bisher war, erst später und ganz
äußerlich mit dem Gral verbunden worden sei. Die beiden
sind vielmehr von Urzeiten her miteinander identisch.
Daß man den ,GraP als einen Stoff für sich betrachtete,
ist schließlich begreiflich: die Schilderung dieses kostbaren
Talismans und seiner Wunderkräfte und wohl auch seiner Ge
winnung durch irgendein begnadetes Menschenkind könnte ja
für sich bestanden haben, in der Weise, wie uns das naive
Märchen vom ,Süßen Brei' oder die von den übrigen Wunsch
dingern, Wunschmühlen, Wunschtieren usf. es schildern. Diese
Meinung von der selbständigen Existenz eines Gralmärchens
(ohne Parzival) konnte sich umso leichter festsetzen, als das
legendarische Element der mittelalterlichen Gralsage naturgemäß
bloß am Gral haftete und diesen so in einen gewissen Gegen
satz zu dem Weltkind Parzival brachte, das erst durch den
Besitz des Grales die gewisse Weihe empfing.
Anders steht es aber um das sogenannte ,reine Parzival-
märchen'. Dieses erblickte man in dem Märchen vom Dümm
ling, besser gesagt: in dem Motiv des Dümmlings. Denn
ein bloßes Dümmlingsmärchen, d. h. eines, das bloß den Cha
rakter des Dümmlings vorführt, gibt es nicht. Das Märchen
begnügt sich niemals damit, zu zeigen, worin die Dümmlings
natur besteht, wie sie sich äußert, sondern die Hauptsache,
das treibende Motiv aller Dümmlingsmärchen ist: zu zeigen,
wie der Dümmling trotz dieser seiner Natur am Ende zu
164
IV. Abhandlung: Junk.
den höchsten Ehren gelangt: immer gewinnt der Dümmling
zuletzt einen Schatz oder die Prinzessin, was dasselbe ist.
Insbesondere hat Wilhelm Hertz ein solches Dümmlings
märchen, d. h. ein selbständiges Parzivalmärchen, welches ,mit
der Sage vom Gral ursprünglich gar nichts zu tun hatte und
ihr nur äußerlich angefügt wurde', 1 aus unserem Sagenkomplex
abzweigen wollen und sich dabei hauptsächlich auf den Inhalt
des englischen Sir Percevall gestützt, der allerdings vom Gral
nichts enthält. Da aber das englische Gedicht eine Überarbei
tung der französischen Gralsage ist (vgl. oben p. 117 f.), so ist es
allein kein ausreichender Zeuge. Und was W. Hertz sonst
beigebracht hat, ist, wie wir gleich sehen werden, eher eine
Stütze für unsere Ansicht als ein Gegenargument.
Nahe verwandt dem Typus des Dümmlings sind jene
Helden der keltischen Sage, die, wie Setanta-Cuchulinn oder
Amadan mor, in der Einsamkeit bei der Mutter aufgewachsen,
aber, mannbar geworden, sich nicht länger zurückhalten lassen,
sondern siegreich in die Welt stürmen.
Ganz natürlich wurde dieses Aufwachsen in der Einsam
keit, dem Geiste des 12. Jahrhunderts entsprechend, als ein
Mangel an speziell ritterlicher Erziehung empfunden.
Aber auch die genannten, Setanta-Cuchulinn und Amadan
mor, können nicht als Vorbilder für die Parzivalsage angesehen
werden, da der eigentliche Inhalt der betreffenden Sagen mit
dem der Parzivalgeschichte nichts gemein hat, sondern sie
können höchstens als Vorbilder gedient haben für die spezielle
Ausgestaltung des Dümmlingscharakters aus der (im ersten
Kapitel dieser Arbeit ausführlich besprochenen) Eigenschaft der
gänzlichen Unerfahrenheit und Reinheit des Helden. Daß diese,
wie wir sahen, für den Helden des arischen Beckenmythus
geradezu geforderte Eigenschaft völliger sexueller Reinheit
und Unerfahrenheit in der keltischen Ausprägung des Märchens
dadurch menschlich nähergebracht und begründet wurde, daß
der Junge eben weit weg von der Welt, einsam bei seiner
Mutter aufwächst, mag immerhin auf jenen Parallelen keltischer
Sage beruhen; weiter aber reichte gewiß der Einfluß jener
Sagen auf unser Märchen nicht, als in diesem immerhin bloß
ausschmückenden Zug.
1 W. Hertz, Parzival, 4. Aufl., p. 435 u. ff.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
165
Was uns sonst an literarischen Bearbeitungen dieses Mo
tivs bekannt geworden ist, ist durchweg Nachahmung des
Parzivaltypus: auf den ,Schönen Unbekannten', Tyolet, Lanzelet,
Wigamur, dann besonders Fergus, aber auch Blancandin, den
Findling Degore und viele andere 1 ist die Jugendgeschichte
Parzivals, mehr oder weniger ausführlich, übertragen worden.
Interessant ist, daß auch dieses Motiv auf den Schwanen-
ritter angewendet worden ist: er wächst bei einem Einsiedler
im Walde auf, weiß gar nichts, nicht einmal, was ein Roß ist, 2
hält sich beim Reiten zuerst am Sattelbogen fest, lernt es aber
rasch und wird einer der tüchtigsten Ritter. 3
Wie beliebt dieses Motiv werden mußte, erklärt sich aus
der großen Bedeutung, die im Epos des Mittelalters eben der
ritterlichen Ausbildung und Erziehung beigelegt wird; man
denke an die Erziehung des jungen Tristan. Gerade der Kon
trast machte den Gegenstand so überaus interessant.
Dieses Motiv von der ,unritterlichen Erziehung' recht
fertigt somit noch nicht eine Abtrennung der Parzivalfabel von
der Gralsage: es ist vielmehr bloß spezielle Ausschmückung
eines in der Gralsage selbst gegebenen wichtigen Zuges.
Eine selbständige Parzivalsage ohne Gral ist auch nirgends
in der auf uns gekommenen Literatur nachweisbar. Wo Per-
ceval vorkommt, steht er in Beziehung zum Gral. Mit einziger
Ausnahme des englischen Sir Percevall; über diesen aber vgl.
oben p. 117 ff. und p. 164.
Anders steht es um die Geschichte des Grals allein; da
kennt die französische Literaturgeschichte allerdings Werke,
die nichts anderes als die Vorgeschichte des Grals behandeln,
aber von dem märchenhaften Gralfinder, also von Perceval,
nichts wissen. Das wichtigste dieser Denkmäler ist der ,Jo
seph von Arimathia' des Robert de Borron; der zweite
Teil des Robertschen Zyklus, der ,Merlin', enthält Dinge, die
mit der Gralsage nichts zu tun haben, und der vermeintliche
dritte, der ,Perceval' des Manuscriptes Didot, behandelt schon
die Beziehungen Percevals zum Gral.
1 Die Belege s. bei W. Hertz, Parzival, 4. Aufl., p. 439 u. ff.
2 Vgl. C. Hippeau, La chanson du Chevalier au cygne, etc., p. 34 f. 51.
3 Vgl. W. Hertz, Parzival, a. a. 0., p. 441 f.
166
IV. Abhandlung: Junk.
Reine Vorgeschichte des Grals enthält ferner der Grand
Saint Graal.
Daß aber auch diese Werke nicht als allein für sich be
stehend gedacht sind, ist leicht zu beweisen. Roberts , Joseph'
ist das erste Stück, die erste brauche könnte man sagen, eines
großen Zyklus. Darüber kann nach seinen eigenen Versen
3495 u. ff. am Schlüsse des ,Joseph' kein Zweifel sein: 1
meis je fais bien ä touz savoir
qui cest livre vourront avoir
que, se Diex me donne sante
et vie, bien ei volente
de ces parties assembler,
se en livre les puis trouver.
Diese einzelnen parties des Zyklus hatte er kurz vorher,
V. 3461 u. ff., aufgezählt, nämlich ,Alein‘, ,Petrus 1 , ,Mopses 1 und
,Li riches Peschierres‘. Es ist natürlich unsicher, ob aus jedem
dieser Teile ein so umfangreiches Gedicht werden sollte, wie
es der ,Joseph d’Arimathie 1 ist, aber es geht daraus hervor,
welch großgedachte Anlage das Robertsche Werk hatte: auf
keinen Fall wollte er die Vorgeschichte des Grals allein be
handeln.
Dasselbe gilt für den Grand Saint Graal. An mehreren
Stellen finden sich daselbst Vorausdeutungen auf Ereignisse,
die ein späteres Werk behandeln sollte und die die ,Quete'
tatsächlich behandelt. 2 Der Grand Saint Graal ist stofflich ein
Torso, auf den sicher schon nach dem ersten Plan seines Ver
fassers die eigentliche , Gralsuche' folgen sollte.
Auch die Ableitung der langen Dynastie der Gralbewahrer
deutet ja schon auf die Absicht, damit den eigentlichen Gral
helden vorzubereiten.
Eine zweite wichtige Folgerung aus den Ergebnissen der
letzten Kapitel ist die, daß der älteste, der eigentliche Gral
held, kein anderer sein kann als Perceval-Parzival, — der
selbe also, der in fast allen Graldichtungen auch wirklich als
1 Le Roman du Saint-Graal, publid pour la premi&re fois par Francisque
Michel. Bordeaux 1841.
2 Vgl. Richard Heinzei, Über die französischen Gralromane, a. a. 0.,
p. 125 u. ff.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters. 167
Gralsucher und Gralfinder erscheint. Nicht Gawan und nicht
Galaad!
Was den ersten betrifft, so brauche ich bloß auf das in
der Einleitung Gesagte zu verweisen (s. oben p. 9 f.). Schon
der Mangel des Dümmlingscharakters schließt nach meiner
Meinung Gawan von dieser Rolle aus. Dieser Dümmlings
charakter aber scheint bei Galaad auf den ersten Blick gegeben
zu sein durch den bekannten Zug, daß dieser nicht bloß keusch,
sondern jungfräulich geradezu gewesen sei. Aber bei näherem
Zusehen ergibt sich, daß auch diese Figur nicht geeignet ist,
unser Ergebnis zu erschüttern. Galaad ist der Gralheld in der
Quete, also einem gewiß späten Denkmal, und in jenen, gleich
falls relativ spät zusammengeschweißten Gral-Lanzelot-Zyklen,
die von der Einfachheit der märchenhaften Grundlage schon
himmelweit entfernt sind. Die Forderung der Jungfräulichkeit
des Helden ist, wie man ja auch schon erkannt hat, eine Über
treibung des Charakterzugs von der Reinheit zugunsten der
sich im Laufe der Entwicklung der Sage immer mehr ein
drängenden christlichen, respektive geradezu kirchlichen Ideen.
Galaad ist eine reine Legendenfigur, und sein Name ist einfach
aus der Bibel genommen. Wenn er schließlich sogar wie Christus
selbst erscheint, 1 so ist dies gewiß nicht das Ursprüngliche, sondern
der Gipfelpunkt jener einseitigen Sonderentwicklung. Himmel
hoch erhaben über alle menschlichen Schwächen, ist Galaad
auch nicht im Geringsten geeignet, unsere menschliche Teil
nahme zu erwecken: er braucht seine Fehler nicht zu über
winden, braucht sich nicht durchzuringen, weil er Fehler über
haupt nicht hat, weil er von Anfang an auf der Höhe einer
Gottheit steht. Das sind aber die Helden der mittelalterlichen
Kunstdichtung nie gewesen.
* *
*
Es würde mich reizen, im Anschlüsse an die vorstehende
Arbeit, in welcher doch zum erstenmale ein einzelnes Märchen
als die Grundlage, als der Grundstoff sozusagen der mittelalter
lichen Gralsage untersucht und wahrscheinlich gemacht worden
1 In der Quete und in der Demanda wird er geradezu mit Christus ver
glichen; vgl. Heinzei, Über die französischen Gralromane, a. a. 0.,
p. 111.
168
IV. Abhandlung: Junk.
ist, den Versuch zu unternehmen, auf Grund der aus dem Vor
hergehenden gewonnenen Gesichtspunkte an die Filiation der
mittelalterlichen Graldichtungen zu schreiten. Dies ist gewiß
im gegenwärtigen Augenblick noch verfrüht. Noch immer liegt
uns ja der wichtigste französische Text des ganzen Sagenkreises,
der Conte du graal, nicht in kritischer Edition vor. Aber ein
paar Worte darf ich vielleicht doch schon hier anfügen, die an
deuten sollen, wie ich mir einige Stadien der Entwicklung,
so z. B. die besonders wichtige Anfügung des legendarischen
Elementes an das märchenhafte, oder die weitere Ausbildung
des legendarischen Gedankens, vorstelle.
Vorausschicken will ich das Folgende.
In Bezug auf die Frage, wie Wolframs Parzival innerhalb
der sagengeschichtlichen Entwicklung zu betrachten sei, ist mein
Standpunkt der: an der Existenz Kiots zu zweifeln, sehe ich
keinen Grund (vgl. oben p. 3); ja, ihm gebührt, auf Grund der
vielen Zeugnisse, die gerade sein Werk für altertümliche Züge
der Sage bietet, ein ganz hervorragender Platz, — vom sagen
geschichtlichen Standpunkte aus vielleicht ein bedeutenderer
als selbst Crestien.
Auf keinen Fall kommen wir mit Crestien als einziger
Quelle aus. Ich brauche nur zu erinnern an die zum ersten-
male von Bötticher, 1 dann besonders eingehend von Heinzei 2
zusammengestellten Parallelen altertümlicher Züge zwischen
Kiot-Wolfram einer- und den französischen Graldichtungen
(außer Crestien) andererseits, insbesondere auch auf die verein
fachte und übersichtlichere Behandlung dieser Frage beiWechss-
ler. 3 Diese Quellen, die Wolfram neben Crestien den Stoff
geliefert haben können, hat er aber nicht bloß in jenen Stücken,
die von Crestien weit abstehn, oder die wir wegen der Unvoll
ständigkeit des letzteren Gedichts nicht mit dem seinigen ver
gleichen können, herangezogen, sondern, was wichtig ist, auch
1 In der Zeitschrift für deutsche Philologie, Bd. 13, p. 420.
2 Über Wolframs von Eschenbach Parzival, in den Sitzungsberichten der
Kais. Akad. der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse. Wien
1894, Bd. 130, p. 78 u. ff.
8 Zur Beantwortung der Frage nach den Quellen von Wolframs Parzival.
(Philologische Studien. Festgabe für Eduard Sievers.) Halle 1896,
p. 237 u. ff.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
169
innerhalb der großen Partie, die im Großen und Ganzen zu
Crestien stimmt, also Buch III bis XIII (648, 30). 1
Daß mündliche Vermittlung für diese Stellen ausgeschlossen
ist, hat Wechssler 2 gezeigt: ,auf mündlichem Wege hätte er
(= Wolfram) sicher über die legendarische Vorgeschichte (des
Grals) etwas erfahren müssen'. Es bleibt also nur schriftliche
Vermittlung übrig für diese von den genannten Gelehrten auf
gezeigten Parallelen.
Und da scheint es mir doch am nächsten zu liegen, jene
französische Quelle dafür verantwortlich zu machen, die uns
Wolfram selbst so oft und so emphatisch nennt, nämlich Kiot
selbst! Mit anderen Worten: Jene über Crestien hinausgehenden
Übereinstimmungen zwischen Wolfram und der französischen
Gralliteratur beruhen auf näherer Verwandtschaft zwischen Kiot
und jenen Quellen. Und es wird sich bloß darum handeln,
festzustellen, in welcher Weise Kiots Werk sich zu jenen fran
zösischen Romanen (z. B. besonders zu Gerbert oder auch zum
Prosaroman Perlesvaus, mit denen ja Wolfram in so vielen
wichtigen Punkten zusammentrifft) verhält. Da bleiben natür
lich wieder mehrere Möglichkeiten offen; eine darunter wäre
die, daß Kiots Werk, dem doch auf jeden Fall hohe Altertüm
lichkeit zukommt, auch für die Fortsetzer Crestiens, soweit sie
für jene Übereinstimmungen in Frage kommen, die Quelle
gewesen sei.
Dadurch würden nebst manchem Anderen auch die be
geisterten Worte, mit denen Wolfram diese seine Quelle preist
und Crestien gegenüberstellt, am leichtesten verständlich.
Diese Sachlage scheint mir z. B. für Gerbert höchst wahr
scheinlich.
Ich bemerke nochmals ausdrücklich, daß das Folgende
bloß Andeutungen enthält und keine erschöpfende Darstellung
sein soll, was ja schon wegen der großen Zahl der sich auf
drängenden Probleme gar nicht der Fall sein kann.
Daß Gerbert Kiot gekannt habe, und nicht umgekehrt,
ergibt sich schon aus der Chronologie. Gerbert liegt später,
später sogar als Wolfram, der seinerseits Kiot voraussetzt.
1 Vgl. Wechssler, a. a. O., p. 240 f.
2 A. a. 0., p. 241.
170
IV. Abhandlung: Junk.
Aber auch innere Gründe machen dieses Verhältnis wahr
scheinlich. Hierher gehört vor allem einer der wesentlichsten
Punkte des Gegenstandes: die Schwanenrittersage! Diese ist
bei Gerhert bloß angedeutet, bei Kiot-Wolfram dagegen aus
führlicher erzählt.
Es wäre unschwer zu zeigen, in wie vielen wichtigen
Punkten Kiot ältere Züge der Sage bewahrt hat als Crestien.
Ich erinnere bloß an das Motiv von der speisengebenden Kraft
des Grales, die von Crestien geradezu unterdrückt worden ist,
oder an den heidnischen Charakter der Lanze bei Kiot, usw.
Die Ansichten, die z. B. Gottfried Baist von den stoff
lichen Grundlagen der Parzival-Dichtung hat und lehrt, beruhen
auf einer für den künftigen Herausgeber Crestiens geradezu
unverständlichen Nichtbeachtung der französischen Gralliteratur.
Die ,nahrungspendende Eigenschaft des Grals', die er (p. 37)
einfach als ein ,Mißverständnis' Wolframs bezeichnet, 1 wird doch
ebenso ausführlich wie bei Kiot vom zweiten Interpolator in
Pseudo-Gautier, vom Dichter des Grand Saint Graal, der Quete,
in der portugiesischen Demanda und im Prosalancelot ge
schildert. 2
Wechssler hat vollkommen Recht, wenn er auf die große
Differenz zwischen Wolfram und Crestien in diesem Punkte auf
merksam macht, daß nämlich letzterer den Gral beim Mahle bloß
vorübertragen läßt, und sagt: ,Nimmermehr konnte Wolfram
aus der Erwähnung, daß der Gral beim Essen erschienen sei,
seine ausführlichen und so anschaulichen und mit behaglicher
Breite vorgetragenen Schilderungen von der Wunderkraft des
Grales schöpfen', und Birch-Hirschfelds Bemerkung zurück
weist, der Unterschied sei hier nur ein quantitativer, nicht
qualitativer. ,Wolfram muß hier, um so genaue Kenntnis vom
Wirken des Grales zu erlangen, eine weitere Überlieferung be
nützt haben.' 3
1 Parzival und der Gral, a. a. O., p. 37; vgl. dazu auch L. v. Schroeder,
Die Wurzeln der Sage vom heiligen Gral, a. a. O., p. 39.
2 Die Belege bei R. Heinzei, Über Wolframs von Eschenbach Parzival,
a. a. 0., p. 80, und Ed. Wechssler, Zur Beantwortung der Frage nach
den Quellen von Wolframs Parzival, a. a. O., p. 242.
3 Ed. Wechssler, a. a. O., p. 243.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
171
Wenn also Baist (a. a. 0., p. 41) die Meinung ausspricht,
die nahrungspendende Kraft des Grales sei ,erst von den Nach
bildnern (Crestiens) in die Tischszene hineingelesen worden',
so braucht man bloß die Frage zu stellen, wieso es denn mög
lich sei, daß der deutsche Wolfram und die französischen
Dichter der vorgenannten Romane in genau der gleichen Weise
auf diese Auslegung der Crestienschen Stelle verfallen wären?
Ebenso muß ich Baist energisch widersprechen, wenn er
(a. a. 0., p. 37) die Engel beim Gral unter die absichtlichen
Erweiterungen' von Seite Wolframs zählt, — und ihn daran
erinnern, daß Engel beim Gral auch die französische Grallite
ratur kennt: außer den drei Stellen bei Kiot-Wolfram 454,
24. 471, 15 im IX. und 798, 16 im XVI. Buch habe ich mir
notiert Manessier, V. 44281 f. un angle (Potvin, VI, p. 119),
ferner 44288. 44305; Gerbert (Potvin, VI, p. 177); Grand
Saint Graal (Hucher, II, p. 178f.); Prosalaneelot (Ffr. 344,
fol. 471a). 1 Dabei ist mir am wichtigsten die Übereinstimmung
zwischen Kiot einer- und Manessier und Gerbert andrerseits.
Daß die französischen Dichter dies (ebenso wie die ,nah
rungspendende Eigenschaft' des Grals) nicht von Wolfram
haben konnten, brauche ich kaum erst zu sagen.
Ebenso falsch ist Baists Schlußbehauptung: ,Einen anderen
Graldichter als Crestien hat er (Wolfram) nicht gekannt; was
er über ihn hinaus bietet, ist sein Eigentum und trägt durch
aus den Stempel seiner Eigenart.' 2
Die zahlreichen Parallelen zwischen Wolfram einer- und
den französischen (außer Crestienschen!) Dichtungen andrer
seits, die Bötticher, Ileinzel, Weclissler u. a. festgestellt
haben, hätten ihn vor einem solchen Ausspruch bewahren
müssen.
Auch sei daran erinnert, daß man heutzutage doch in
Bezug auf die Steinsgestalt des Grales bei Wolfram längst
darüber hinaus ist, hierin ein Mißverständnis der französischen
Vorlage (die etwa von einem aus kostbarem Edelstein gefertigten
Gefäß erzählt habe) durch Wolfram anzunehmen. Schon
1 Vgl. Heinzei, Über Wolframs von Eselienbach Parzival, a. a. O., p. 9 f.
und p. 16; Wechssler, Zur Beantwortung der Frage nach den Quellen
von Wolframs Parzival, a. a. O., p. 214.
2 G. Baist, a. a. 0., p. 39.
172
IV. Abhandlung: Junk.
Alexander Wesselofsky hatte mit Recht geltend gemacht:
der Gral spiele doch in Wolframs Gedicht ,eine hervorragende
Rolle, . . . Daß Wolfram sich nicht bemüht haben sollte, sich
die Bedeutung desselben klar zu machen, ... ist einfach un
denkbar'. 1 Und ebenso ■werden wir Wesselofsky vollkommen
beipflichten müssen, wenn er behauptete, ,nicht durch Mangel an
Verständnis der gewöhnlichen Erzählung, sondern durch eine
besondere Redaktion derselben (sei) hei Wolfram seine
Vorstellung vom Gral zu erklären'. 2 Ob nun seine Vorstellung
vom Gral als Stein zurückgeht auf jene uralten Symbole für
Sonne oder Mond, die L. v. Schroeder 3 herangezogen hat,
wie das brisingamen Freyjas, oder — was wahrscheinlicher ist
— orientalischen legendarischen Vorstellungen entstammt, dies
aufzuklären, können jene zahlreichen Untersuchungen herge
nommen werden, die, wie die oben p. 4 u. ff. genannten, von der
Steinsgestalt bei Wolfram ihren Ausgang nehmen und nur
irrigerweise aus dieser auch die Bechergestalt des franzö
sischen graal ableiten wollten.
Vielleicht darf ich der Vermutung Raum geben, daß der
Grund für Wolframs Tadel an Crestien darin gelegen sein
mochte, daß dieser Dichter von der (mit Recht als altertümlich
empfundenen) Darstellung Kiots (von dessen ,rehten maeren')
dadurch eigenmächtig abgewichen sei, daß er dem legendari
schen Bestandteil einen neuen, noch größeren Spielraum ge
währte: denn es gehört zu den wichtigsten Unterschieden
zwischen der Erzählung Crestiens und Kiots, daß nur bei dem
Ersteren die Lanze mit der Wunde Christi in Verbindung ge
bracht wird. Es konnte sehr wohl dadurch der Anstoß ge
geben worden sein, die Legende vom Blute Christi überhaupt
erst heranzuziehen. Wolfram weiß davon kein Wort zu sagen.
Aber auch bei Crestien gibt einzig und allein die Lanze die
Verbindung mit dem Blute Christi, während der Gral selbst
bezeichnenderweise noch nicht die Eigenschaft der Blutschüssel
1 Der Stein Alatyr in den Lokalsagen Palästinas und der Legende vom
Gral (Archiv für slawische Philologie, Bd. VI), Berlin 1882, p. 57.
2 Al. Wesselofsky, a. a. 0., p. 58.
3 L. v. Schroeder, Die Wurzeln der Sage vom heiligen Gral, a. a. 0.,
p. 29, Anm. 3, auch p. 5 f. und p. 58.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
173
besitzt. Der Gral bei Crestien ist leer, enthält kein Blut! Es
ist dies bisher viel zu wenig beachtet worden und macht die
noch immer, selbst noch von Wechssler mit den Worten ver
tretene Ansicht: ,Mit Birch-Hirsclifeld und Heinzei halte ich
daran fest, daß die älteste uns erreichbare Form der Sage die
der Josephslegende ist und daß diese auch von Crestien vor
ausgesetzt wird', 1 — hinfällig. Die Josephslegende beruht
doch gerade auf der Verbindung der Person Josephs von Ari-
matliia mit der Blutschüssel und hat mit der Lanze gar
nichts zu tun. 2 Wieviel Heidentum übrigens selbst in Crestiens
Schilderung der von ihm schon als heilig empfundenen Gegen
stände steckt, hat Gottfried Baist hervorgehoben: ,Bei nä
herem Zusehen ist es klar, daß die Prozession bei Chrestien
einen religiös-mystischen Charakter überhaupt nicht trägt, sonst
würden die Anwesenden in irgend einer Weise ihre Verehrung
zeigen, es würden solch hohe Reliquien nicht von beliebigen
Fräulein getragen werden, bei einem reichen König sind dafür
Geistliche da. Von der Lanze hören wir, daß das Königreich
LogreSj d. i. England, dereinst durch sie zerstört werden solle,
— auch nicht die Aufgabe eines Heiligtumes; die Hostie, welche
von der Graljungfrau dem alten König zur Nahrung gebracht
wird, kann nicht konsekriert sein, das wäre eine undenkbare
Häresie. 13
Also: das Bluten der Lanze (an sich, wie wir sahen,
keltisch-nationaler Sagenzug) deutete vielleicht zuerst Crestien
auf die mit dieser Lanze geschlagene Wunde Christi, und, da
Crestien erwiesenermaßen an die Spitze der Chronologie gehört,
1 Ed. Wechssler, Zur Beantwortung der Frage nach den Quellen von
Wolframs Parzival (Philologische Studien, Festgabe für Ed. Sievers).
Halle 1896, p. 241, Anm. 2.
2 Vgl. R. Heinzei, Über die französischen Gralromane, a a. 0., p. 107 u. ft’.,
besonders p. 109; Ed. Wechssler, Die Sage vom heiligen Gral etc.,
p. 12 u. ff., besonders p. 16: ,Endlich brachte ein Dichter eine andere
heilige Reliquie mit dem Gral in enge Beziehung: die Lanze . . . .‘
Weclisslers Anmerkung 21, p. 117, ist meiner Ansicht über den Gegen
stand diametral entgegengesetzt. Den Sagenzustand, den uns Robert de
Borron bietet: Joseph-J-Blutschüssel, aber vollständiges Fehlen der Lanze,
halte ich eben nicht für alt, sondern für etwas aus Tendenz Verändertes.
3 Gottfried Baist., Parzival und der Gral. Rektoratsrede. Freiburg
i. Br. 1909, p. 4L
174
IV. Abhandlung: Junk.
erklärt es sich leicht, wie bei den folgenden Dichtern, vor allem
hei Robert, gerade dieses neue, für das mittelalterliche Epos
gewiß höchst originelle Element, die eingemengte Legende,
ganz in den Vordergrund rückte.
Einen geistlichen Einschlag hatte die Sage sicher schon
vor Crestien. Überall, auch bei Kiot, ist derselbe zu bemerken.
Aber das Hinlenken auf die Josephslegende, respektive (was
ja dasselbe ist) auf die Legende von der Blutreliquie Christi,
scheint mir die Tat Crestiens gewesen zu sein.
Der Weg, den die folgenden Dichter einschlugen, der Weg
also, der von Robert de Borron zum Grand Saint Graal und
der Quete führt, zeigt die naturgemäße Entwicklung der Dinge
bei den Epigonen;. Übertreibung, Häufung der Mittel und Ver
gröberung des Ausdrucks ohne künstlerischen Plan: neben Gral
und Lanze als heiligen Reliquien treten noch die Dornenkrone
Christi, sein Leichentuch, ein Stück seines blutgetränkten Kleides,
die Kneifzange mit den Nägeln von der Kreuzabnahme usf. 1
Ein Gralsucher genügt nicht mehr: es wird die ganze
Ritterschaft Artus’ hiezu aufgeboten und die Zahl der Abenteuer
-dadurch ins Maßlose gesteigert; die bloße Sittenreinheit des
Gralfinders (denn erlangen kann den Gral doch schließlich
nur Einer) reicht nicht mehr aus: es wird sogar Jungfräulich
keit des Helden gefordert. Hierin liegt, wie Ernst Martin
treffend bemerkt hat, ,ein weiterer Fortschritt der Verkirch-
lichung' 2 des ursprünglich von der Legende bloß gestreiften
Märchens. Den Kern der Sage wird man also jedenfalls nicht
aus diesen späten schlechten Erzeugnissen herausschälen wollen,
in denen das alte und eigentliche Thema auf den ersten Blick
entstellt und überwuchert erscheint, ob man diesen Kern nun im
Märchen selbst oder in der Legende erkennen will, — sondern
aus jenen Dichtungen, die schon durch ihr höheres Alter und
ihre Konzentration des Gegenstandes mehr Erfolg versprechen,
also vor allem aus dem Werk Crestiens und seiner Fortsetzer,
dem ganzen conte da graal, und dem Werke Kiots, respektive
der Dichtung Wolframs von Eschenbach.
1 Vgl. R. Heinzel, Über die französischen Gralromane, a. a. O., p. 180.
2 Ernst Martin, Zur Gralsage, a. a. O., p. 40.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
175
Nachträge und Verbesserungen.
p. 55, Anra. 4. — Daß auch Isolde Weißhand schon dem ältesten Kern der
Tristansage angehörte, hat jetzt Leopold v. Schroeder in seinem
eben erschienenen Buche ,Die Vollendung des arischen Mysteriums
in Bayreuth. München, J. F. Lehmanns Verlag 1911“ durch die Auf
deckung der märchenhaften Grundlagen der Sage, resp. Zurückführung
derselben auf den uralten Naturmythus, erwiesen. — Diese von den
Kunstdichtern des Mittelalters und der Neuzeit eigentlich arg ver
nachlässigte Gestalt (die auch bei Richard Wagner naturgemäß
durch seine grandiose Wendung des Stoffes ins Seelische keinen Platz
haben konnte), ist (wenn sie auch schon bei einigen Dichtern, wie
namentlich in Emil Luckas Roman ,Isolde Weißhand, Berlin 19D9‘
eine Rolle spielen durfte) erst in allerjüngster Zeit zu ihrem vollen
Recht gekommen in der schönen, wenn auch kleinen und anspruchs
losen Szenenfolge ,Der Tod des Tristan 1 von L. Andro (erschienen
in der Österr. Zeitschrift für Musik und Theater ,Der Merker“, II. Jahr
gang, 2. Heft, 25. Oktober 1910. Wien). Doch kann ich hier nicht
weiter darauf eingehn. —
p. 73, Anm. 1: Damit soll die Möglichkeit und sogar Wahrscheinlichkeit der
Goltherschen Annahme von einem französischen ,Urtristan‘-Roman
gar nicht bestritten werden; nur jene dänischen und faröischen
Lieder sowie namentlich das isländische Märchen kann daraus nicht
geflossen sein. — Die erwartete gründliche Untersuchung dieses Ver
wandtschaftsverhältnisses hat L. v. Schroeder in seinem neuen
Buche (vgl. den vorhergehenden ,Nachtrag“) geliefert.
p. 136, Abs. 2: Eine Ausnahme macht bloß Heinrich von dem Türlin.
Dieser kennt die Bezeichnung ,Fischer“ oder ,Fischerkönig“ nicht,
sondern führt den Wirt des Gralschlosses immer nur als der altherre
auf. Vgl. auch oben p. 65 f. 94. Er steht hierin Pseudo-Gautier
nahe, der die Gestalt bloß als ,Gralkönig“ aufführt; vgl. oben p. 137
und 138.
p. 138: Eine höchst bemerkenswerte Stellung nimmt Heinrich von dem
Türlin in dieser Beziehung ein: nicht bloß, daß er, wie eben be
merkt, den Namen ,Fischerkönig 1 nicht kennt, sondern daß bei ihm
die betreffende Gestalt (der cdtlierre) tatsächlich anonym ist, kein
Nomen proprium besitzt.
p. 139 ff.: Selbstverständlich liefern die Anmerkungen der Brüder Grimm
im III. Bande der ,Kinder- und Hausmärchen“ ein größeres Material
176
IV. Abhandlung: Junk.
an Namen; aber auch sie lehren dasselbe. Besonders die von mir
als wichtigste Kategorie der eigentlichen Märchen-,Namen 4 bezeich-
nete Gruppe, wo die Namen also nichts anderes sind als die Um
schreibung des Charakters oder -der Beschäftigung der Person oder die
Beziehung derselben auf eine besonders charakteristische Situation
,benennen 4 , erhält aus den ,Anmerkungen 4 reichliche Stützen. Man
vgl. Bildungen wie ,Der Horcher 1 (zu Nr. 71; Reclam-Ausgabe, p. 129),
,Scharfschütz, Feinohr. Blasius, Saufaus, Vielfraß 4 (daselbst, p. 130);
ferner die bezeichnenden Namen ,Schlichtaf Halfut, Stutpum 4 oder
,Randaus, Haibaus, Ganzaus 1 (zu Nr. 2; III, p. 11). Dann mit Bezug
auf bestimmte Erlebnisse: ,Wasserpeter 1 und ,Wasserpaul 1 , sowie die
beiden Brüder , Wassersprung* (denen dann noch zur bequemen Aus
einanderhaltung gebräuchliche Vornamen: Johannes und Kaspar ge
geben werden; zu Nr. 60; III, p. lllf.; vgl. die beiden Peter und Paul
in einer Variante desselben Märchens, daselbst, III, p. 113). ,Brunnen
hold 1 und ,Brunnenstark 1 , ,Glücksvogel 1 und ,Pechvogel* (daselbst, III,
p. 113) usf.
Zu den durch Bedürfnis des Reimes eingedrungenen Namen
wäre zu nennen ,Hans Budeidee 4 und ,Frau Binderlinde 4 (zu Nr. 19;
III, p. 33). Der Mann heißt auch ,Bomine l und dies reimt auf: ,so
weh 4 und ,See‘!
Zu p. 158: In Bezug auf die Namen scheint sich sonst das Märchen von
Peronnik l’idiot allerdings weiter von dem zu entfernen, was wir
oben (p. 139 u. ff.) für die Namen des Märchens feststellen konnten.
Aber auch hier läßt sich leicht zeigen, daß nicht alle Namen gerade
diesem Märchen eigen sind; man vgl. nur die Lokalnamen le pdys du
ble blanc, le fortt de Paimpont und Elven (p. 139), ferner Vannes
(p. 141), Nantes (p. 168), Anjou, Poitou, die Normandie, la Terre Samte
und Palestine (p. 170). Ebenso wenig bedeutet die Erwähnung der
Bretagne, der Bretons (p. 169), der Frangais (p. 168) und der Sar-
rasins (p. 170); des ,Eremiten von Blavet 1 (p. 144), der genets d’Es-
pagne (p. 156).
Den Spottnamen Jean le Veau (== lann ar lue), den die Bäuerin
dem Dümmling gibt (p. 140), hat Souvestre (in der Anm. a. a. O.)
erklärt; man könnte ihn mit ,Schwachhansel 4 wiedergeben. Dann
vgl. zu ihm oben p. 139 f. — Für Kerglas habe ich eine märchenhafte
Etymologie vermutungsweise ausgesprochen; vgl. oben p. 67 und
135. — Rogear und Bryak bleiben rätselhaft. Im Munde des letzteren
werden Reimverse eingeführt; sollte sein Name ursprünglich damit
in Zusammenhang stehn?
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
17t
Index.
(Die Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)
A.
Abendmahlgefäß 105, 107.
Achilles 48.
Adapa 136.
Aeschengriddel, Aesclierling: s. unter
,Aschenbrödel*.
Agastyalied 46.
Agioval 119.
Alein li Gros 96, 124, 134, 137f., 154.
,Alein‘, als ,branche* des Robertschen
Romanzyklus 166.
Alexius, Der heilige 43.
Allerleirauh 143.
Altarstein auf Zion 4, 7.
Altartisch bei Robert de Borron 4.
alte Hildebrand, Der — als Märchen-
name 140.
Altertümlichkeit und Alter der Über
lieferung 57.
altherre, der — 65f., 94, 175.
Altjüdische Legende 7 f.
Amadan mor 164.
Andro, L. 175.
Anfortas 58, 72, 90, 101, 137 f.
Anjou 3, 33, 176.
Anonymität: s. unter ,Namen im
Märchen* und ,Namengebung*.
Antikonie 134. ,
Apfelbäume 50, 55.
Arnason, Jon 73.
Arnive 68 u. ff.
Artus 54, 56, 66, 76, 79, 88, 94, 97,
135, 148 f., 151 f., 154, 161, 174.
— in die Gralsage eingeführt 124ff,
127 £, 129, 174.
Asbjörnsen 14.
Ascalün 135.
Aschenbrödel, Aschenputtel usf. 143.
Astronom, Der weise — (s. auch unter
Klinschor) 70f., 134.
Atharvaveda 35.
Atra-Hasis 136.
Aubery de Bourgoing 127.
Aue der Seligen 48 f.
Augsburger Tristandruck 72.
Automatische Bedienung beim Mahle
durch das Gefäß 36, 100.
Automatisches Versinken von Becken
und Lanze 37.
Avalon 50, 54f., 71.
Avaron, Die Täler von — 71.
B.
Babylonische Mythen 136.
,Bärenhäuter, Der —* 143.
Bagomedes 156.
Baist, Gottfried 82, 129, 170f., 173.
Balain 61.
Balsamfäßchen 92 f.
Barbarossa im Berge 54.
Bartsch, Karl 67, 126, 131 u. ff.
Basile 33.
bassin d’or 20, 37, 39 u. ft'., 59, 62 f.,
91, 100, 114f.
Baum des Lebens 50.
Baumgarten der Orgeiüse 84.
Beäcürs Lotes kint 148.
Beaux Mauves, Li — 82, 154.
,Becherfinder, Der —* 156, 158.
Begeisterungweckende Kraft 115.
Benfey, Theodor 48.
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 108. Bd., 4. Abh.
12
IV. Abhandlung: Junk.
178
Beowulf 43.
Berg Simeli 142f.
Bergentrückung 54 f.
Besuch im Totenreich 53 u.ff., 65 u.ff.,
68 u. ff., 71, 85, 160.
Biaus Desconneus 126, 155, (161),
(165).
biaus (dous) fils 157.
Bibel 167.
biel fil; biel vallet 161.
Bier, das sich selbst kredenzt 36, 100.
Bierkessel der Edda: s. unter Hymes-
kvidha.
Birch-Hirschfeld, Adolf 18, 62, 91.
101, 105, 146, 170, 173.
Bischof von Vannes 31.
,Bläser, Der —‘ (als Märchenname)
140.
Blancandin 165.
Blanchefleur, Blanscheflür 49, 131 f.,
155.
Blasius, als Märchenname 176.
Blavet, Eremit von — 21, 84, 176.
Bliocadrans 133.
Blut Christi 106, 172 f.
Blutende Lanze 61 f., 109 u. ff., 173-
Blutschüssel 17, 106 u. ff., 112, 172
u. ff.
boens Pescherres, Li —: s. unter
,Fischerkönig 1 .
Boetticher, G. 168, 171.
bon fiz, scher fiz, beä fiz 147, 157.
bons Chevaliers, Li — 151, 153.
Brakei 141.
Bran der Gesegnete 38, 92, 115.
Breitöpfchen, unerschöpfliches 13 f.
Bretonische Sprichwörter 24, 32, 34.
Bretonisclies Märchen: s. unter ,Per-
onnik l’idiot 1 und ,Souvestre‘.
Bricklebrit 15, 37.
Brink, Ten 43.
Brisinga men 40, (100), 172.
Britannien als das Lokal, wo die
Aufnahme legendarischer Ele
mente in das Märchen erfolgte
114.
Bron 96, 124, 137 f.
,Bruder Lustig 1 142.
Brüderschaft, ritterliche 86 u. ff.
Brumbäne 90.
Brunnen = Fluß der Unterwelt 48.
Brunnenhold und Brunnenstark, Mär
chennamen 176.
Bryak 23, 31, 33, 75.
—, der Name 176.
Bünker, J. Reinhard 143.
Busken Huet lOf.
C.
Caerleon 135.
Caesar 53.
Calocreant 49.
camp flori 49.
cara, carocka 121.
Carceloys 137.
caru 121.
Cavalon 135.
Ceridwen 92, 115.
cerka 121.
Chansons de geste 126.
Chastel Mörtel 151.
Chastiax de Joie, Chastiax des Armes
89, 134.
Chevalier au cygne 126, 161.
— as deus espees 161.
— du tombel 154,
Christliches im Märchen 37, 45, 58
u. ff.
Christus 5, 102, 167, 172 u. ff.
Clarissaris, Clarissant, Clarisse, Clari-
sanze (s. auch unter Itonje) 70,
132.
coin de voire amürs 131.
coire 121.
Conall Gulban 92.
Condwirämürs s. Kondwirämürs.
Connor 66. ,
,Contes de fees 1 33.
Corbenic, Corbierc 80, 91, 134f.
Cornumarant 126, 135.
Crestien de Troyes 3, 7f., 16, 62 f-,
68 u. ff., 76f., 79, 83f., 90f. r 95,
102 u. ff., 105, 112, 114, 123 f.,
125 u. ff., 129 u. ff., 137 f., 145 u. ff.,
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
179
154, 166 f., 168 u. ff., 171 u. ff.,
174.
Crestieus Fortsetzer 85, 123, 125 u. ff.,
137 f., 169.
Cuchulainn 91, 164.
Cuudrie s. Kundrie.
Cunnewäre 134.
cyfaill 112.
czara 121.
1).
Da. Derga 82, 130.
Dänische Tristanlieder 73, 175.
Däumerling 143.
dame jaune 21, 29 u. ff., 42f., 50 u. ff.,
75 u. ff., 81 f., 97, 130.
damoisele du blanc ehastiel 133.
— hydeuse 76.
Dandrane 151.
Daumesdick 143.
Deckel zum Gralgefäß 104 u. ff., 108
u. ff., 111.
Degore 165.
Demanda do santo Graall 75, 85,
106, 167, 170.
Detter, Ferdinand 36.
,diable devenu recteur, Le — 1 116.
,Dicke, Der —‘ (als Märchennaine)
110.
,dicke Trine, Die —‘ 139.
Didotsche Handschrift: Percevaldich-
tung aus derselben 82, 85, 90 f.,
94 f., 103, 106, 112, 118, 130 f.,
133 f., 137 f., 153 f., 165.
Dietleib 43.
Dinderlinde, Frau — 176.
Dindrane 151.
Diwrnah, Becken von — 115.
,Doctor Allwissend“ 142.
Domine, als Märchenname 176.
Donner 41.
Donnerkeil Indras 12.
Donnerinstrument: s. unter Gewitter
instrument.
,Donnerstag, Hans — 1 144.
Donnertrommel 14, 40.
Dornenkrone Christi 174.
,Dornröschen, Das — ‘ 144 f., 156 f.
Douloureuse Guarde 162.
Drachentötung und Befreiung des
Wassers 13.
Draupnir 62.
Drei Brüder 38, 42.
,drei Federn, Die —‘ 140.
Drittes Symbol der Gralsage neben
Gral und Lanze 100 u. ff., 109.
,Drosselbart, König —‘ 141, 143.
Dudeldee 176.
Dudelsack als Gewitterinstrument 14.
,Dümmling, Der —‘ (als Märchen
name) 140.
Dümmlingscharakter 9 f., 34 f., 42
u. ff., 57, 167.
Dümmlingsmärchen 118 f., 163 u. ff.
,dumm Hans, Der —‘ 139.
,dumme Gredl“, ,Dummerjan“ 139.
E.
Ecks'tein auf Zion 4.
Edda 12 u. ff., 36, 39 f., 51, 57, 100.
Edein, Chastiax de Joie, Chastiax
des Armes 89, 134.
Ehrismann, Gustav 74.
Einäuglein, Zweiäuglein und Drei
äuglein 143.
Einschlafen im Zauberschlosse 49,
113.
Einschläfern eines Feindes durch
Gesang 28, 35.
Einschläferungsteufel 28.
,Eisenhans, Der —‘ 140, 143.
Eisenhütel 144.
,Eisenofen, Der —‘ 140.
,eiserne Heinrich, Der —‘ 139.
Elfenjungfrauen, tanzend, singend,
badend 53, 64, 84, 158, 160.
Else, als Märchenname 139, 144.
Elven 176.
Elysium und Hades 67.
Eminadap 137.
Engel beim Gral 104, 171.
Epigonenmanier 174.
Erec 126, 129.
Eremit von Blavet 21, 84, 176.
12*
180
IV. Abhandlung: Junk.
Eridu 136.
Erlösungssage 64 f., 113.
Erraten des Namens 145 u. ff., 150,
162.
Erste Interpolation in Pseudo-Gautier
103.
Erster Besuch auf der Gralsburg ver
geblich 113.
Erwachen auf freiem Felde oder im
Walde 41, 66.
Escavalon 135.
Esel Bricklebrit 15, 37, 100.
,Esel-streck-dich‘ (der Name) 144.
Esthnisehes Märchen 14, 40, 137.
Estor 93 f.
Eucharistie 5.
Evalach 124.
Ewiges Leben, durch das Gefäß ge
währt 37.
F.
Fahrt ins Totenreicli 53 u. ff., 68 u.ff.
faibles d’esprit 35, 42.
Falada 141 f.
Faröische Tristanlieder 73, 175.
,Faule, Der — 1 (als Märchenname)
140.
,faule Heinz, Der —‘ 139.
Fecamp, Abtei 101 f., 112.
,Feensohn 1 157.
Feinohr, als Märchenname 176.
Feirefiz 79, 82, 86 f.
,Felsenklipperer, Der — 1 143, 157.
,Ferenand getrü und Ferenand un-
getrü“ 139.
Fergus 17, 165.
Fertram und Isol, isländisches Mär
chen 73 (175).
Feuer des heiligen Patrick 53.
Feuernatur des Grales 63.
Fionnsage 41 f., 51 f., 66, 68, 115.
Fischart 67.
,Fischer, Von dem — un siner Fru‘
141.
Fischerkönig 74 f., 88, 90, 94 u. ff.,
98, 107f., 113, 136 u.ff., 153, 155f.,
173, 175.
Fitze Fitchers Vogel 141 f.
fius ä la veuve dame 145, 162.
Fleck, • Konrad 49.
Flederflitz 144.
Floovent 126.
Flore und Blansclieflur 49, 72.
Flurs sans espine 133.
Fluß vor dem Schloß 47 f., 80 f.
89 u. ff.
Fornyrdhislag 36.
Fortsetzer Crestiens 85, 123, 125 u.ff.,
137 £, 169.
Foyer Breton 15, 116.
Frage 3, 65, 95 f.
— auf den Teller ausgedehnt 107 f.
Frantzen 3, 7 f.
Französische Heldensage 126.
— Märchensammlungen 33 f.
,Frau Dinderlinde 1 176.
,Frau Holle 1 48, 51.
— als Märchenname 142.
Frau Katz von Kehrewitz 143.
,Frau Trude 1 142.
Frauen als Gralhüter unterliegen
keinem Zauber 65.
— auf Schastel marveil 68 u. ff.
Freia — Holda — Venus 159.
Freies Feld, worauf der Held er
wacht oder wohin er plötzlich ver
setzt wird 41, 66.
Freischweben in der Luft (36), 37,
63, (94).
Frene, Frü — 159.
Freyja 40, 100, 172.
friant 133.
Friedrich Barbarossa im Berge 54.
Fro Mansrot 140 f.
Frü Frene 159.
Fruchtbarkeit, sexuelle — 43, 45
u. ff., 64.
Fruchtbarkeitssymbole 62.
Fruchtbarwerden des verödeten Lan
des 43 f., 113.
Fundevogel 143.
Funtäne la salvätsclie 91.
Fursensepliin 133, 136.
Furt, Einzige — 47.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
181
G.
,Gänsemagd, Die —‘ 141.
Gahmuret 133, 148 f.
Gaiaad 91, 154, 163, 167.
Gales 155 f. (vgl. auch unter ,Wali
sisch 1 ).
Galfrid von Monmouth 125.
Galland 34.
Gandharven als Hüter des himm
lischen Somatrankes 12.
Gansguoter von Michelolde 134.
Ganzaus, als Märchenname 176.
Garei 133.
Gargantua 67.
Garin 162.
Garland 75.
Gautier 74, 80 f., 83, 91, 130, 137.
Gawan, Gawein 49, 53, 64 f., 68 u. ff.,
81, 84, 91, 96 f., 109 u. ff., 124 f..
127 f., 153, 155, 162.
— als Gralsucher 9 f., 70, 125, 153
163, 167.
Gehörnten Siegfried, Historie von
dem — — 72.
,Geistliche Serie 1 der französischen
Graldichtungen 128, 134.
Generationsritus, Indischer 46.
Gerbert 83, 92 f., 104, 126, 130, 138,
169 u. ff.
Gesang als Waffe 28, 35.
,gescheidte Hans, Der — 1 139.
Gewittergott 41.
Gewitterinstrument 11 f, 14, 41, 60
62.
Ginevra 54.
Giremelanz, Giromelan: s. unter ,Gra-
moflanz 1 .
Glais li Gros 151.
Glasenapp, C. Fr. 144.
Glastonbury 71.
Gloval li Galois 155.
Glücksvogel, als Märchenname 176
godes wang an himile 49.
Götterlieder der Edda 36.
Gold-Marie und Pech-Marie 139.
Goldenes Gefäß 37, 63.
Golther, Wolfgang 55, 73, 118, 162,
175.
Gonemans, Gonemant: s. unter ,Gur-
nemanz 1 .
Goorz von Gornomant 126.
Gornomant, Gornumant 92, 126 u. ff.,
134 f.
Gral als christliche Blutreliquie 17,
106 f.
— als Himmelreich 67.
— als Hölle 67.
— eine Schüssel 3 u. ff., 63, 112.
— ein Stein 3 u. ff.,’ 98 f., 110, 112,
171 f.
— besitzt die Kraft der Verjüngung
98 f.
— erfüllt jeden Wunsch 63.
— erhält am Leben 91.
— für gewöhnlich verhüllt 100.
— gewährt ewiges Leben 37.
— hat wiederbelebende Kraft (?) 91
u. ff.
— leer 107, 173.
— leuchtet 37, 62, 81.
— schwebt frei in der Luft 63 (94).
— spendet Speis und Trank nach
Wunsch 63, 170.
— verschafft Sieg in der Schlacht 63.
— verschwindet 65 f.
— wird nur ,unwizzende‘ gefunden
84 f.
— Teller und Lanze 102 u. ff.
— und Parzival 117, 163 u. ff.
Graldeckel 104 u. ff, 108 u. ff.
Gralheld 9 f., 156.
Graljungfrau 111, 173.
Gralkönig: s. unter ,Fischerkönig 1 .
— kann nicht sterben 94 u. ff.
Gralkönigtum 3.
Gralreich = Paradies 67, 71 f.
— = Venusberg 67.
Gralritter 3, 65, 79, 98.
Gralsbotin 79 u. ff.
Gralsburg 56, 134 f., 146, 148 u. ff.,
161, 153, 156, 158.
— von wehrhaften ritterlichen Hütern
verteidigt 79, 82, 84 u. ff,, 98.
182
IV. Abhandlung: .Tunk.
Gralsburg liegt jenseits eines Flusses
89 u. ff.
— unsichtbar 85.
— unzugänglich 84 f.
Gralschüssel in der ganzen Grallite
ratur schon heilig 58.
Gralsprozession 58, 101 u. ff., 173.
Gralsucher, mehrere 113, 174.
Graltafel 100.
Gral-Lanzelot-Zyklen 167.
Gramoflanz 126 u. ff.
Grand Saint Graal 6 u. ff., 61, 99,
104 f., 112, 118, 124, 127 f., 134,
137 f., 166, 170 f., 174.
Grete(l), als Märchenname 139f., 144.
greuliche Weib, Das — 82, 130.
Grimm, Jakob 48 f.
— Brüder: Kinder- und Hausmär
chen 14, 34 f., 38 f., 43, 47 u. ff.,
68, 139 u. ff., 160, 175 f.
Grinomelant: s. unter ,Gramoflanz 1 .
Griogoras 133.
groni wang; groni godes wang 49.
Grotti 13.
Grünrock, als Märchenname 143.
Grüßen, Überhöfliches — 45.
,Grumpelsitzer, Der — 1 143.
Guinemant 126.
Guinglain 161.
Gui(on) de Mellent 127.
Guiromelant, Guilomelain: s. unter
,Gramoflanz 1 .
Gurnemanz de Gräharz 126 u. ff.,
148 f., 151.
Gwyddneus Korb 115.
H.
Hackelbergs Grab 85.
Hades und Elysium 67.
,Hänsel und Gretel 1 139.
häßliche Gralsbotin, Die — 76 (vgl.
auch unter Kundrie).
Häufung der Reliquien 174.
,hagere Liese, Die —‘ 139.
Haibaus, als Märchenname 176.
Halberstädter Sachsenchronik 67.
Halfut, als Märchenname' 176.
Hammer des Thor 12, 39 f.
Hans, als Märchenname 139 f., 144.
— Donnerstag 144.
— Dudeldee 176.
,Hans mein Igel 1 140.
Hartman von Aue 126.
Hector 93 f.
Heilende Kraft der Lanze 60.
— Kraft des Gefäßes 37, 61.
,Heiliger 1 Gral 6, 59, 120, 163.
Heilung oder Tod des Fischerkönigs
durch die Frage 94 u. ff., (155).
Heimskringla 53.
Heinrich, als Märchenname 139.
— von Melk 47.
— von dem Türlin 49, 58, 64 u. ff.,
68 ff, 81, 83, 91, 94, 96 f., 103,
109 u. ff., 123 u. ff., 131 u. ff., 134 f.,
175.
Heinz, als Märchenname 139, 144.
Heinzei, Richard 16 u. ff., 36, 44, 61,
63 f., 69 u. ff., 74 f., 82, 89 f., 93,
95, 99, 101, 103, 106, 109, 115
u. ff., 118, 137 f., 145 u. ff, 157,
161, 166 u. ff., 170 f., 173 f.
Hel 47.
Heldensage, französische 126.
— keltische 14, 38, 46, 73, 114 u.ff,
164, 173.
Heljand 49.
Hercules Prodicius 67.
Hermes 48.
Hertz, Wilhelm 18, 45, 57, 67, 82,
84 f., 104 u.ff., 107 f., 116 f., 123,
127, 129 u.ff, 137, 157, 159,
161 f., 164 f.
Herzeloyde 130, (145), 147, (151).
Hesperidengarten 50.
Hexe mit den zwei Balsamfäßchen
92 f., 130.
Hexen des Peredur 160.
Hildebrand als Märchenname 140,
142.
Hilfreiche Frau im Totenreich 51 f.,
79 u. ff., 97.
Himmelreich 67.
Hippeau, C. 161, 165.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
183
Hölle 67.
Hoenus 53.
Hohenstolz 140.
Holda 159.
Holger Danske 54.
,Holle, Frau —‘ 48, 51.
— —, als Märchenname 142.
Hollenthe 140.
Holzkeule, Die ,geliebte' — 12.
Hopfenhütel 144.
,Horcher, Der —‘ 176.
Hostie beim Gral 107, 111, 173.
Hucher, Eugene 82, 153.
Huet, Busken 10 f.
Hüter der Gralsburg 79, 82, 84,
86 u. ff.
Hugo von Montfort 67.
Hundert Kinder 33, 43, 46.
Hurgains, Hurganet 134, 154.
Huthsche Fortsetzung des Merlin 75,
137 f.
Ilutzelbein 140.
hverr, hwer 121.
Hymeskvidha 12 f., 36, 51, 100, 136.
I.
lann, lannik, Iannik Skolan 159 f.
Iann ar lue 176.
idoine 132.
Idun 50.
Igerne (Yguierne) 68 u. ff.
Iglais 151.
Ilsebill, als Märchenname 141.
Indra 12, 14.
Iselin, Ludwig Emil 6 f., 71 f., 99.
Isländisches Märchen 73, 175.
Isolde von Irland, mythische Figur
55.
= Weißhand 55, 175.
Italienische Märchensammlungen 33.
Ither 148 f.
Itonje 70, 132, 136.
J.
Jack and the beanstalk 14, 51.
Jean le Veau 176.
Jeschute 131.
,Johannes, Der treue —‘ 139.
— Wassersprung, als Märchenname
176.
—, Priester — 46.
Jönsson, Finnur 39. _
,Jorinde und Joringel' 141 f.
Joseph von Arimathia (die Person der
Legende) 17, 71, 89 f., 96, 104,
108, 124, 137 f., 173.
Joseph von Arimathia, die Dichtung
des Robert de Borron 105, 118,
165 f.
Josephslegende 173 f.
Josue 137 f.
Julians (Juliens) 151 f.
Jungfräulichkeit des Helden 42, 47,
167, 174.
Jungfrau im Walde: s. unter ,Sigune‘.
— Maleen 73, 141.
Junk, Victor 55, 159.
K.
kaer 135.
Käsetraut 140.
Kamaaloth 152.
Kanne, silberne 14.
kar 135.
Karamphi 135.
Karidoel 135.
Karl der Große im Berge 54.
Karolingischer Sagenkreis 126.
Kaspar, als Märchenname 176.
Katrinelje 140.
Ivatz von Kehrewitz 143.
Kaylet 148.
kedur 122.
kefse 111.
Iveie 124 f., 128.
Kelch des letzten Abendmahles 105,
107.
Keltische Heldensage und keltisches
Märchen 14, 38, 46, 73, 114 u. ff.,
164, 173.
— Herkunft der Gralsage 9, 17 f..
46, 114.
Keresaspa 11 f., 38.
184
IY. Abhandlung: Junk.
Kerglas 20, 22, 26 f., 29, 37, 52, 66 f.,
82, 84, 135, 176.
Kessel des Bran 92, 115.
— der Ceridwen 92.
— des Ultonischen Mythenzyklus 91.
Keuschheit 42 f., 47, 167, 174.
Keuterberg 142.
keval 122.
Kinder- und Hausmärchen: s. unter
,Grimm“.
Kiot, meister — 3 u. ff., 7, 61, 63,
70 f., 77 u. ff., 81, 83 f., 86 f., 88f.,
95, 98 f., 102, 112, 123, 125 u.ff.,
132 f., 138, 147 u ff., 154, 157,
161, 168 u. ff., 171 f., 174.
— altertümlicher als Crestien 132,
168, 170, 172.
Kirchliches in der Gralsage 167, 174.
Kleid Christi, mit Blut getränkt, als
Reliquie in die Gralsage einge-
führt 174.
Klinsehor 71, 74 f., 134.
,kluge Else, Die —‘ 139.
,kluge Gretel, Die — 1 139.
Kneifzange und Nägel von der Kreuz
abnahme Christi 174.
Knight of the Red Shield 92.
Knirrficker 144.
Knoist 141.
Knüppel-aus-dem-Sack 12, 15, 37,
100.
—, der Name 144.
Koboldnamen 144.
,König Drosselbart“ 141, 143.
,Königssohn, der sich vor nichts
fürchtet, Der —‘ 50, 68.
Kondwirämürs 131 f., 136, 148 f.
,Korbes, Herr —‘ 140.
Krankheit des Fischerkönigs 113.
,Krone“ Heinrichs von dem Türlin
49, 64 u. ff., 68 f., 81, 83, 91, 94,
96 f., 109 u.ff , 123 u.ff., 131 u.ff.,
134 f.
Ivrystallschifflein des Merdhyn 115.
Kürdchen, als Märchenname 141.
Kundrie (I.) la surziere 75 u.ff., 86 f.,
130, 149, 157.
Kundrie (II.), die Schwester Gawans
70.
Kymrische Sage: s. unter ,Peredur“.
1.
La Roce de Sanguin 70.
Lafontaine 122.
laide damoisele, La — 76.
Lambor 137.
Land der Jugend 54 f.
Langlois, Ernest 126 f.
Lanze beim Gral, meistens schon
heilig, aber noch nicht überall
58, 170, 173.
— bei Heinrich von dem Türlin
109 u. ff.
— Diamantene — des Peronnik 12,
20, 37 u. ff., 59, 60 u. ff., 63.
Lanzelet, Lanzelot 49, 91, 93, 126,
153, 161 f., 165, 170 f.
lapsit exillis 63, 98 f.
,Läufer, Der —‘ (als Märchenname)
140.
Lazär, Victor 12 f., 40, 50.
Lebenerhaltende Kraft des Grales 91
(vgl. auch unter ,Wiederbelebende
Kraft“).
Lede 134.
Legende vom Gral 6 u. ff., 58, 136,
174.
Legendarisierung des alten Märchen
stoffes 56, 119 f., 124, 163, 168,
172 u. ff.
Legende der Abtei von Fecamp 101 f.,
112.
— und Märchen 119 f., 124.
Leichentuch Christi 174.
Leuchtende Kraft der Lanze 38, 60.
— des Gefäßes 37, 63.
Leyen, Friedrich von der — 57, 62.
Lez Breiz 117.
,Liebste Roland, Der —‘ 142.
Liese, als Märchenname 139.
Lijon 137.
Literarhistorisches 168 u. ff.
Livre d’Artus 127.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
185
Logres 62, 132 f., 173.
Lohengrin (66 f.), 89, 98, 161 f., (165),
(170).
Lohengrins Heimat das Totenreich
66 f.
Loheniz von Rahaz 133.
Loherangrin, der Name 161 f.
Lolcasenna 36, 100.
Loki 39.
Longinus 62, 108.
Lorengel 63.
Loth, E. 130.
Lucka, Emil 175,
Lufamour 131.
M.
,Machandelboom, Vom —‘ 141.
,Mäken von Brakei, Dat —‘ 141.
Märchen, mit der Gralsage verwandt
11 u ff., 47, 68, 113.
— künstlich überarbeitet 33 u. ff.
— für die Gralsage wichtiger als die
Legende 119 f.
— und Volksbücher 72.
Malcho 140.
Malcreätiure 83, 131 f.
male damoisiele, La — 133.
,Maleen, Jungfrau — 1 73, 141.
Manannan 55.
Mancipicelle 133.
Manessier 64, 79 f., 81, 93 u.ff., 104,
106 u.ff., 112, 125, 130, 134, 138,
155, 171.
,Mansrot, Fro‘ 140 f.
Manuiel 137.
Marie, als Märchenname 139.
Marko Ivraljewitsch 54.
Marlenichen, als Märchenname 141.
Martholoue’h 38.
Martin, Ernst 3f., 10, 53, 64, 69 u. ff.,
83, 112, 125 f., 132, 174.
Maultier 76 u. ff.
Mehrzahl von Gralsuchern 113, 174.
,Meister Pfriem' 142.
Merdhyn 115.
Meriadeuc 161.
Merlin 61, 127, 165.
Merlin, Huthsche Fortsetzung 137 f.
Meßopfer 107.
mezzer, diu 101 f., 112.
Michel, Francisque 105, 166.
Michelolde 134.
Mildosich, Franz 121-.
Mimir 14.
Mjolnir 38.
Modred 54.
Mönchsstaat 88 f.
Mogk, Eugen 40, 47, 51.
Mongan 55, 66.
Mons, Handschrift, besser als die
übrige Überlieferung 103, 109.
Montpellier, Handschrift 106, 108,
138.
,Moralites‘ der französischen Märchen
33.
Mordrains 124.
Mores, Li sires de — 152.
Morf, Heinrich 34, 128.
Morgenländische Einflüsse 4 u. ff.,
102, 172.
Moriaen 117, 119.
Morvan 117.
,Moyses‘ als .branche' des Robert-
schen Romanzyklus 166.
Much, Rudolf 122.
Munsalvtesehe 85 f., 132, 134.
Mutter Gawans (s. auch unter San-
give) 68, 70.
Mythus von dem himmlischen Gefäß,
urarisch 1.
N.
Nägel vom Kreuz Christi 174.
Namen der Gralsage entlehnt 124u.ff.
Namengebung 146 u.ff., 160, 175 f.
Namen im Märchen 67, 117, 120 u. ff.,
123 u.ff., 129 u.ff., 139 u.ff., 145
u.ff., 156 u.ff., 160, 175 f.
,Namenlos', Held einer niederdeut
schen Dichtung 162.
Namenlosigkeit der Figuren des alten
Gralmärchens 124, 128, 129 u. ff.,
145 u. ff., 156 u. ff.
— im Märchen überhaupt 139 u. ff.
186
IV. Abhandlung: .Tunk.
Nantes 32, 176.
Nasciens 124.
Nicodemus 151.
Niflheim 47.
,Nixe im Teich, Die — 1 160.
Normandie 33, 176.
Norwegisches Märchen 14.
Nutt, Alfred 9, 17 f., 41, 46 f., 51 f.,
54, 68, 92, 123 f.
0.
Obie; Obilot 133.
Obst, von einem der Paradiesbäume
abstammend 72.
Odhin 14, 53.
Odhrerir 14.
Offa 43.
Oheim-Eremit (s. auch unter Trevri-
zent) 84, 130 f.
Oll Rinkrank 140.
Orgelüse 69, 84, 132 f., 136.
Orientalische Einflüsse 4 u. ff., 102,
172.
P.
Paimpont 176.
pair 121.
Palestina 176.
Panzer, Friedrich 144.
Paradies 5, 67, 71 f., 89 f.
Paradiesesflüsse, Die vier — 72.
paradis flori 49.
Parallelfiguren in der Gralsage 70,
81 u. ff., 113, 125, 149.
Parqu 46.
Paris, Gaston 9, 117, 119.
— Paulin 161.
Partinel 95, 155.
Parzival, der Name 120 u. ff., 128,
145 u. ff., 156 u. ff., 159 f.
— Umschreibung des Namens 145
u. ff., 160.
Patene des Meßopfergerätes 15, 104
u. ff., 108 u. ff., 111 f.
Patrick, heil. 53.
Paul, als Märchenname 176.
pays du ble blanc 176.
Pech-Marie, als Märchenname 139.
Pechvogel, als Märchenname 176.
Pellean, Pelleant, Pellehan 61, 75,
134, 137 f.
Pelles 75, 137 f., 151.
per 120 u. ff., 145, 158 f.
Perceval, Bildung und Bedeutung
dieses Namens 120 u. ff., 128, 145
u. ff, 156 u. ff., 159.
— Umschreibung des Namens 145
u. ff., 160.
— der Hs. Didot: s. unter ,Didot‘.
Peredur 16, 82, 116 u. ff., 130 f., 155,
160.
— der Name 120 u. ff., 145, 159.
peree 122.
Perette 122.
Perlesvaus, Prosaroman 84f., 88 u.ff.
112, 131, 134, 137 f., 161 u. ff.
169.
— Auslegung des Namens 152.
Peronnik l’idiot 2, 10, 13, 15 u. ff.,
51 f., 56 u. ff., 66, 72 u. ff., 76, 84,
87, 91 f., 96 u. ff., 158, 176.
— Ausgabe von Souvestre 15 u. ff.
— Christliche Züge 58 u. ff.
— Französische Überarbeitung 33
u. ff.
— Humoristische Färbung 34 f.
— Inhalt 19 u. ff.
— Übereinstimmungen mit der Gral
sage 73 u. ff.
— Differenzen zwischen beiden 97
u. ff.
— die einzige Form des keltischen
Gralmärchens 114 u. ff., und des
arischen Beckenmythus 119 f.
— der Name 120 u. ff., 145, 158, 159 f.
— Namengebung durch die Elfen
jungfrauen 168.
— die übrigen Namen dieses Mär
chens 176.
Perrault, Charles 33.
Peste, Madame la — 50, 75 u. ff., 82
(s. auch unter ,dame jaune‘).
Peter, als Märchenname 176.
Petrus 159.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
1-87
,Petrus“ als ,branche‘ des Robertschen
Romanzyklus 166.
Philosophine 104.
Phönixsage mit dem Gral verbunden
98 f.
Pierre, Figur in der Gralsage 124.
— Zusammenhang mit .Per“ 159.
Pif Paf Poltrie 140 u. ff.
Piper, Paul 19.
Pirastile 99.
platine: s. unter ,Patene“.
Pleier, Der — 133.
Poestion, I. C. 73.
Poitou 33, 176.
Pokorny, Julius 55 f.
Potvin, Charles 76, 106, 109, 146.
Prophezeiung 54, 62.
Prosa-Lancelot 93, 170 f.
Prosa-Merlin 127.
Prosa-Tristan 85.
Prosa-Wigalois 72.
Provence 8.
Prozession 58, 101 u. ff., 173.
Pseudo-Crestiensche Einleitung 74 f.,
133, 137.
Pseudo-Gautier 66, 132, 137, 162, 175.
— — erste Interpolation 103.
— — zweite Interpolation 138, 170.
puciele as mances petites 133.
puciele sans merci 133.
Purzinigele 144.
Quebeleplus 133, 136.
Quete (du Saint Graal) 6 f., 16, 61,
74, 85, 91, 93, 105 f., 118, 124,
128, 130, 134, 137 f., 154, 167,
170, 174.
— kontaminiert mit dem Tristan
roman 88.
R.
,Rabe, Die —‘ 49.
Rächende blutige Lanze 62, 173.
Rahaz 133.
Randaus, als Märchenname 176.
Rapunzel 140.
Raubzug nach der Unterwelt 56.
Reginer, als Märchenname 141 f.
,reiche Fischer, Der —“: s. unter
,Fischerkönig“.
Reiehtümer, von dem Gefäß nach
Wunsch gespendet 37, 63.
Reimverse im Märchen 140 u. ff.,
176.
Reinaud de Beaujeu 126.
,reine Tor“, Der — 9 f.
Reinhardstöttner 75.
Reliquien, Häufung derselben 174.
Rennewart 43.
Rhenygydd Ysgolhaig 115.
Rhydderch, König 116.
Riedinriedon 144.
ric(h)e roi, Le —: s. unter ,Fischer
könig“.
,riches Peschierres, Li —‘ als ,branche“
des Robertschen Romanzyklus 166.
Rinkrank 140.
Rishya(jringa 9.
Ritterliche Hüter 3, 65, 79, 98.
Robert de Borron 4, 6, 71, 105 f.,
118, 124, 127 f., 133, 137 f., 153,
165 f., 173 f. '
Rochat, Alfred 95, 156.
Rochats Perceval 95, 134, 138, 155 f.
Rogear 20, 22 f., 31, 33, 37, 40 f.,
52, 75, 96.
— der Name 176.
rois du Chastel Mörtel 151.
— hermites, Li — 84, 131.
— pescheour, rois pesciere usf.: s.
unter ,Fischerkönig“.
Roland, als Märchenname 142.
Rolandslied 126.
Rosengarten 48.
Rosenrot, als Märchenname 143.
Rote Ritter, Der — 146, 148, 151.
,Rotkäppchen, Das —‘ 143, 145.
Rumänisches Märchen (Gewitter
mythus) 12 f., 40.
Rumpelstilzchen, Das — 143 f., 156.
Russisches Märchen 13 f.
188
IV. Abhandlung: Junk.
S.
Sachsenchronik, Halberstädter — 67.
Säme 139.
sages clers d’astrenomie 70 f., 134.
Sampo 13.
San Marte 116.
Sangive 70.
Sanguin, La Eoce de — 70.
Sarrasins 176.
Saufaus, als Märchenname 176.
Schachspiel mit unsichtbaren Geg
nern. Das Zauberschloß mit
diesem Schachbrett 80 f., 91.
Schanpfanzün 135.
Scharfschütz, als Märchenname 176.
Schastel marveil 53, 56, 67 u. ff., 71,
91.
Schatzhüter-Namen 143 f., 156.
Schiänatuland er 134, 157, (160).
Schirmeisen, K. 11 f.
Schlaraffenland 28 f., 35, 45, 48, 89.
Schlichtaf, als Märchenname 176.
Schmerzlindernde Kraft 115.
Schneeweißchen und Kosenrot 143.
Schneewittchen, Das — 43, 143, 145.
,Schöpfer 1 der Gralsage, der eigent
liche — 61, 103.
Schöne Unbekannte, Der — 126, 155,
161, 165.
Scholl, G. H. F. 109.
Schreckenerregendes Äußere der Frau
im Totenreich 50 u. ff., 92.
Schroeder, Leopold von 1 u. ff., 9, 11
u. ff., 17, 19, 35 f., 40 u. ff, 44,
46 f., 53, 64, 74, 87, 98 u. ff., 113 f.,
121, 123, 136 f., 170, 172, 175.
,Schwachhansel 1 , als Märchenname
176.
Schwanenritter 66 f., (89), 98, 161,
165, 170.
Schwanenverwandlung 53, 64.
Schwarze Mädchen, Das — 82, 130.
— und weiße Braut, Die — 73.
Schwert, zerbrochenes 3, 95, 109.
Schwester Gawans (s. auch unter
Kundrie II.) 70.
See Brumbäne 90.
Seelenland 47 u. ff., 64.
Seimeret 134.
Selbstmörder kommen nicht auf die
,Wiese 1 48 f.
Selige Wiese 47 u. ff.
Seraphe 124.
Serpilion 99.
Sesam 142.
Setanta-Cuchulinn 164.
Sid 10 f.
Siegfried, Historie von dem gehörn
ten — 72.
Sigüne 103, 130, 146 f., 149 f., (151),
(152 f.), 154, (156), 157, 160.
Simeliberg, Similis, Simsimseliger
Berg 142 f.
Siutflutsage, Babylonische — 136.
Sir Percevall, das englische Gedicht
117 f., 131, 134, 151, 164 f.
sires de Mores, Li. — 152.
Skolan 159.
snelle brunne, Der — 91.
snidende silber: s. unter ,mezzer‘.
Somahüter 12, 87.
Somatrank 12, 14.
Sonne und Mond 11, 100, 172.
sorciere mit den zwei Balsamfäßchen
92 f., 130.
Soreidöz 134.
Souvestre, Emile 25 u. ff., 33 u. ff.,
47 f., 82, 96, 98, 116, 160, 176.
Speer: s. unter Lanze.
Speise und Trank, bei den Unter
irdischen genossen 49.
— nach Wunsch 5 f., 37, 63, 115,
170.
Speisung der Gralritter: s. unter ,Gral
tafel “.
Spielhansel 140.
Staerk, Willy 4 u. ff., 136.
,Starke, Der — 1 (als Märchenname)
140.
,starke Hans, Der —‘ 139.
Stein des Lebens 7 f.
Steinbach 118.
Steine in der Stiftshütte Davids 4.
189
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
Stephanus Yinandus Pighius 67.
Sterben, symbolisch ausgedrückt 54,
68.
Sterzenbach, Th. 6, 10.
Straparola 33.
Stülpum, als Märchenname 176.
Süße Brei, Der — 13 f.
T.
Tabart, Benjamin 14.
Tafelrunde 124 f., 128.
tailleoir d’argent 58, 101 u. ff., lllf.
Tanndreher, Der — 143, 157.
Tannhäuser 159.
Teller: s. unter ,tailleoir d’argent 1 .
Tempelritter, templeise 3, 86 f., 88 f.
Ten Brink, Bernhard 43.
Terdelasehoye 132.
Terre de Salvsesche 132.
— Sainte 176.
iTeufel mit den drei goldenen Haaren,
Der — 1 51 f.
,— und seine Großmutter, Der —‘51.
,Teufels russiger Bruder, Des — 1 140.
Teufelsgroßmutter 51.
Thor 12 f., 36 f., 39 f., 51, 68.
Thrymr 41.
Thrymskvidha 13 f., 36, 39 f.
Tiebaut 133.
Tiroler Sage von der silbernen Kanne
14.
Tische, die vom Himmel fallen; auch
Tischtücher 6.
Tischlein-deck-dich 12, 15, 37, 100.
— der Name 144.
Titurel, der Name 124.
— Wolframs Gedicht 72.
toblier 58, 110 u. ff.
Tod des Fischerkönigs die eigentliche
Erlösung 94 u. ff.
Totenreich 47 u. ff., 53 u. ff., 65 u. ff.,
68 u. ff., 71, 85, 160.
touf, der — 148, (152).
Trebuchet, Trebucet, Tribuet 125 f.,
128.
Tressan, Graf 88.
itreue Johannes, Der — 1 139.
Trevrizent 84, 91, 124, 130 f.
Tribuet: s. unter ,Trebuchet 1 .
Trine, als Märchenname 139.
Tristan 56, 66, 85, 88, 128, 165.
Tristanroman -j-Quete 88.
Tristansage, Mythisches in derselben
55 f., 66.
— Verhältnis zum Märchen 73, 175.
Trude 142.
Tundalus 54.
Tyolet 162, 165.
Tyrs Mutter 51.
U.
Überarbeitung von Märchen 33 u. ff.
Uele 139.
Uhlenbeck 121.
Ulrich von Zatzikhoven 126.
Ultonischer Mythenzyklus 91.
Unfruchtbarkeit des Landes 64, 113.
Unritterliche Erziehung 117, 164 f.
,unwizzende‘ findet man den Gral
84 f.
Unzugänglichkeit der Gralsburg 84 f.
Urjans 133, 136.
Urtristan 73, 175.
Uterpendragon 68.
Utgardha Loki 68.
Y.
Vannes 15, 31, 39, 176.
Variation von Motiven und Figuren
in der Gralsage 56, 61, 70, 75,
81 u. ff., 96, 113, 125, 149.
Veda 100.
Venus 159.
Venusberg 67.
Veldenaer 67.
Verjüngung 98 f.
Veronika 159.
Verse im Märchen 141 f., 176.
Verteidiger der Gralsburg 79, 86 u. ff.
veuve dame 130, 145, 152, 162.
Vielfraß, als Märchenname 176.
Vilains, Vileins li Gros 134, 152.
Villemarque, Hersart de 38, 50, 115 f.,
122, 159.
190
IV. Abhandlung: Junlc.
viviere 90 f.
Volksbücher und Märchen 72.
VyluspA 14, 36.
,Vom Machandelboom 1 141.
,Von dem Fischer un silier Fru‘ 141.
Von der Leyen, Friedrich 57, 62.
Vreneli 159.
Vrians 133, 136.
Vrishäkapi 46.
Vf.
Wagner, Richard 175.
— Siegfried 144.
Walisische Fassung des ältesten ,Gral
märchens 1 114.
Wartburgkrieg, Gedicht vom — 66.
Wasser der vier Paradiesesflüsse 72.
,Wasser des Lebens, Das — 1 38 f.
Wasserpeter und Wasserpaul, Wasser
sprung, als Märchennamen 176.
Wechssler, Eduard 61, 75, 93, 95,
113, 117 u. ff., 131 f., 136, 146 f.,
157, 160 u. ff., 168 u. ff., 173.
Wesselofsky, Alexander 4, 6, 172.
Weston, Jessie L. 9 f., 101 f., 107.
Wiederhelebende Kraft des Gefäßes
33, 37 f., 52 f., 63, 91 u. ff, 115.
Wielant 126.
Wiese — Paradies 48 f., 89* u. ff.
Wigalois 72.
Wigamur 165.
Wilder Jäger 85.
Wolfram von Eschenbach 3 u. ff., 7
45, 58, 70 {., 77 u. ff., 81 f., 83,
86 f., 88 f., 91, 95, 98 f., 101 f.,
110, 112 f., 123 f., 125 u. ff, 130 f.i
137 f., 147 u. ff., 157,161, 168 u. ff.,
171 f., 174.
Wunderbett 68.
Wunsch von pardis 72.
Wunschcharakter des Gefäßes 37, 39.
Y.
Yellow Face 51.
. Ygloas 151.
Yguierne: s. unter ,Igerne‘.
Yvain 125.
Z.
Zarncke, Friedrich 122.
Zaubergefäße bei den Kelten 91 f.,
114 u. ff.
Zauberschloß mit dem geheimnis
vollen Schachbrett 80 f, 91.
Zimmer, H. 82.
Zweite Interpolation in Pseudo-Gau
tier 138, 170.
Zweizahl der Teller, Becken, Messer
101, 104, 106, 112.
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters.
191
Inhaltsübersicht.
Einleitende Bemerkungen p. 1—15
A. Zur bisherigen Behandlung des Gegenstandes . p. 1—11
Bisheriger Mangel einer befriedigenden Aufklärung über
die Grundlagen der Gral-Parzivalsage, p. 1. — Die Entdeckung
LeopoldvonSchroeders, p. 1. —Wichtigkeit des bretonischen
Märchens von ,Peronnik l’idiot 1 für die Sage, p. 2. — Aufgabe und
Zweck der vorliegenden Untersuchung, p. 2. — Abgrenzung des
Gegenstandes, p. 2. — Wichtigkeit der Quelle Kiot für die Sage,
p. 3. — Stellungnahme zu den Versuchen, den Gral aus morgen
ländischen Traditionen abzuleiten: Wesselofsky, p. 4. — Staerk,
p. 4. — Sterzenbach, p. 6. •— Iselin, p. 6. — Erantzen, p. 7.
— Diese Theorien können für die Geschichte der mittelalterlichen
Gralsidee bedeutsam sein, klären aber nicht über das ursprüng
liche Wesen des Grales auf, p. 8. — Keltische Elemente in
der Gralsage, p. 8. — Die neueste Theorie der Miss Weston,
p. 9. — Zusammentreffen im wesentlichsten Punkt, p. 10. —
Busken Huet, p. 10.
B. Zum Gegenstände selbst p. 11—15
Der zugrundeliegende Mythus in den Märchen der arischen
Völker, p. 11. — Mehrfache Abstufungen: Die alte Dreiheit der
Symbole ist nur selten bewahrt, p. 11. — Daß Gefäß durch die
Gewitterwaffe erobert, p. 12. — Gefäß und Waffe zugleich ge
wonnen, p. 13. — Loslösung einzelner Teile, z. B. des speisespen
denden Gefäßes, zu selbständiger Märchenbehandlung: Gefäß allein
gewonnen, p. 13. — Waffe allein zurückerobert, p. 14. — Wich
tigkeit der Gralsage wegen der Bewahrung der altertümlichen
Dreiheit der Symbole, p. 14.
1. Kapitel: ,Peromiik l’idiot 4 ist die reinste Märehenfassung des
arischen Beckenmythus p. 15—56
Emile Souvestres ,Foyer Breton 1 , p. 15. — Stellung der
gelehrten Forschung zum ,Peronnik‘ p. 16. — Inhalt des
Märchens von Peronnik dem Dümmling, p. 19. — Kritik
des Märchens: Spuren kunstmäßiger Überarbeitung, p. 33. — Ver
gleich mit anderen Märchensammlungen, p. 33. — Hohe Alter-
IV. Abhandlung': Junk.
192
tümlichkeit seines Inhalts, p. 35. — Nachweis der einzelnen Züge:
Das Becken, p. 37. — Die Lanze, p. 37. — Weitere märchenhafte
Parallelen, p. 39. — lleste des Gewittermythus, p. 41. — Das Mo
tiv des Dümmlings, p. 42. — Fruchtbarwerden des Landes und
sexuelle Reinheit des Helden, p. 43. — Motiv von der Fahrt ins
Totenreich, p. 47. — Totenreich — Paradies — Rosengarten —
Schlaraffenland etc., p. 48. — ,Des Teufels Großmutter 1 , p. 50. —
Schwanelbenland, p. 53. — Wichtigkeit des Motivs von einer
Fahrt ins Totenreich für die Märchendichtung, p. 54. — Tristan
und Parzival, p. 55.
2. Kapitel: ,Peronnik l’idiot 4 im Verhältnis zur mittelalterlichen
Gral-Parzivalliteratur p. 56—97
Das bretonische Märchen enthält Altertümlicheres als die
mittelalterliche Sage, p. 56. •— Das christliche Element im ,Per-
onnik 1 , p. 58. — Vergleich einzelner Züge: Die Lanze, p. 60. —
Das Bluten der Lanze, p. 61. — Die Schüssel, p. 62. — Unfrucht
barkeit des Landes, p. 64. — Reich der abgeschiedenen Seelen,
p. 64. — Gral als Himmelreich; Gral als Hölle, p. 67. — Das
Schastel marveil, p. 68. — Paradies, p. 71. — ,Peronnik l’idiot“
kann also nicht aus der Gralsage abgeleitet werden; prinzipielle
Bedenken, p. 72. — Versuch, weitere Parallelen im Einzelnen
nachzuweisen, p. 73. — Der ,Fischerkönig 1 , p. 74. — Kundrie,
p. 75. — Ihre Rolle als Gralsbotin, p. 79. — Varianten dieser Ge
stalt, p. 81. — Übereinstimmung mit dem ,Peronnik“, p. 81. —
Weitere Parallelfiguren, p. 82. — Trevrizent?, p. 84. — Unzu
gänglichkeit der Gralsburg, p. 84. — Die Gralsburg unwizzende
gefunden, p. 84. — Bewachung und Verteidigung der Burg, p. 86.
— Diese beiden Punkte bedeuten keinen Widerspruch, p. 87. —
Die Burg liegt jenseits eines Flusses, p. 89. — Die Kraft der
Wiederbelebung, p. 91. — Der Gralkünig kann nicht sterben,
p. 94. — Gruppenweise Übereinstimmung, p. 96.
3. Kapitel: Nähere Bestimmung des Yerwandtschaftsverhält-
nisses p. 97—120
,Peronnik‘ ist nicht direkte Quelle gewesen: es fehlen ihm
einige wesentliche Züge, p. 98. — Die ritterlichen Hüter, p. 98..
— Das ,Fischen“ des ,Fischerkönigs“, p. 98. — Die Kraft der
Verjüngung, p. 98. — Das Gefäß verhüllt?, p. 100. — Graltafel,
p. 100. — Das ,dritte Symbol“: taillioir d’argent ■— zwei mezzer,
p. 100. — Fruchtbarwerden des Landes, p. 113. — Der erste (ver
gebliche) Besuch auf der Gralsburg, p. 113. — Andere Differenzen,
p. 113. — Bretonische oder walisische Quelle der Gralsage, p. 114.
— Es gibt keine anderen keltischen ,Gralmärchen“ außer dem
,Peronnik“, p. 114. — Die wunderbaren Gefäße der keltischen
Sage, p. 114. — Peredur, p. 116. — Morvan, p. 117. — Sir Per-
cevall, p. 117. — Moriaen, p. 119. — Unter allen Märclientradi-
Gralsage und Graldichtung des Mittelalters. 193
tionen steht ,Peronnik‘ der Quelle der Gralsage am nächsten,
p. 119. — Bedeutung des märchenhaften Bestandteiles der Sage
gegenüber dem legendarischen, p. 119,
5. Kapitel: Peronnik — Perceval—Peredur. Beziehung der drei
Kamen zum Gegenstände p. 120—162
Ältere etymologische Deutungen des ersten Bestandteiles
per, p. 120. — Beziehung auf das Gralgefäß, p. 121. — Wich
tigere Aufschlüsse als die sprachliche gibt die sachliche Unter
suchung des Namens, p. 123. — Die Namen der ältesten Gral
sage, p. 123. — Das Märchen kannte wahrscheinlich bloß einen
einzigen Namen: Parzival, p. 128. — Die übrigen Personen des
alten Gralmärchens waren anonym, p. 129. — Anonymität der
Personen ist aber charakteristisch für das Märchen, p. 138. — Ex
kurs über die Namen in den Grimmschen Kinder- und Haus
märchen, p. 139. — Der Name Parzivals, p. 145. — Parzival ist
anfangs auch namenlos, erhält seinen Namen erst an einer be
stimmten Stelle der Parzivaldichtungen, p. 147. — Bedeutung des
Namens, p. 156.-—• Parallele mit dem ,Peronnik 1 , p. 158. — Über
den Namen ,Peronnik 1 , p. 159. — Märchenhaftigkeit dieser Bil
dung des Namens des Gralhelden, p. 160. — ,Sigune‘, p. 160. —
Nachahmungen der Namensumschreibung in der altfranzösischen
Literatur, p. 161.
5. Kapitel: Folgerungen aus dem Vorhergehenden . . . p. 163—174
Gralsage und Parzivalsage sind identisch, p. 163. — Das
sog. Motiv der ,unritterlichen Erziehung 1 , p. 164. — Spätere Tren
nung der Sage in ,Vorgeschichte des Grals 1 und ,Gralsuche‘,
p. 165. — Der eigentliche und älteste Gralheld ist Parzival,
p. 166. — Weitere Ausblicke, p. 167.
Nachträge und Verbesserungen p. 175—176
Index p. 177—190
Anmerkung.
Die vorliegende zweite Auflage ist ein wörtlicher Ab
druck der ersten, im Oktober 1911 erschienenen. Bloß einige
Druckfehler wurden berichtigt.
Wien, 18. April 1912. V. J.
Sitzungsber. d. phil.-liist. Kl. 168. Bd., 4. Abh.
13
Sitzungsberichte
der
Kais. Akademie der Wissenschaften in Wien.
Philosophisch-Historische Klasse.
168. Band, 5. Abhandlung.
Über
die ältesten bis jetzt aufgefundenen
Hadernpapiere.
Ein neuer Beitrag zur Geschichte des Papiers.
Von
J. v. Wiesner,
wirkl. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
(Mit drei Textfiguren.)
Vorgeiegt, in der Sitzung am 10. Mai 1911.
Wien, 1911.
In Kommission hei Alfred Holder
k. u. k. Hof- und Universitätsbuchhändler,
Buchhändler der kaiserlichen Altä^ßmie der Wissenschaften.
k. und
Druck von Adolf Holzhausen,
c. Hof- und Universitäts-Buchdrucker in Wien.
V. Abli.: v. Wiesner. Über die ältesten Hadernpapiere. 1
y.
Über die ältesten bis jetzt aufgefundeuei]
Hadernpapiere.
Ein neuer Beitrag zur Geschichte des Papiers.
Von
J. v. Wiesner,
wirkl. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
« (Mit 3 Textfiguren.)
(Vorgelegt in der Sitzung am 10. Mai 1911.)
Uie Geschichte des Papiers und insbesondere die Ge
schichte der Papiererzeugung wird erst jetzt nach und nach
auf sichere Grundlagen gestellt: seit man erkannt hat, daß bei
Untersuchungen über diesen Gegenstand materielle Prüfun
gen nach streng naturwissenschaftlicher Methode un
entbehrlich sind. Was durch die Quellen in bezug auf das
Material und auf die technische Darstellung des Papiers auf
geschlossen wird, muß — so viel als möglich — durch die
naturwissenschaftliche Kontrolle gesichert werden, so wie jene
Aufstellungen, welche aus naturwissenschaftlichen Erwägungen
bezüglich der Papiererzeugungsvorgänge abgeleitet werden, viel
fach historische Bestätigung erheischen. Vor allem bleibt die
Feststellung des Alters der jeweils in Frage kommenden Papiere
natürlich der historischen Forschung Vorbehalten.
Also erst durch das Zusammenwirken der historischen
und der naturwissenschaftlichen Untersuchung können tiefere
Einsichten in die wahre Geschichte des Papiers gewonnen
werden. Dies ist erstlich daraus zu ersehen, daß, solange man
versuchte, ausschließlich auf historische Studien die Geschichte
des Papiers aufzubauen, man in vielen Grundfragen und in
zahlreichen Details irrte, und ist zweitens der Tatsache zu ent
nehmen, daß eine gründliche Bearbeitung der betreffenden Fragen,
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 168. Bd., 5. Abh. 1
2
V. Abhandlung: v. Wiesner.
vom historischen und naturwissenschaftlichen Standpunkt aus
einmal ernstlich in Angriff genommen, gewissermaßen mit einem
Schlage zu klaren, unwiderleglichen Resultaten führte.
Eine solche von beiden genannten Seiten her in Angriff
genommene Untersuchung über die Geschichte des Papiers liegt
mit absolut sicherem Resultat nur rücksichtlich des arabischen
und europäischen Hadernpapiers vor, wobei die Uranfänge des
Hadernpapiers, nämlich die Entstehungsgeschichte des chine-
siehen Hadernpapiers, obgleich auch hier bereits die natur
wissenschaftliche Untersuchung die historische Forschung zu
unterstützen beginnt, wie weiter unten auseinanderzusetzen sein
wird, mehrfach noch in tiefes Dunkel gehüllt erscheint.
Bis gegen das Ende der achtziger Jahre des abgelaufenen
Jahrhunderts galt als feststehend, daß das Hadernpapier eine
europäische Erfindung sei, welche spätestens am Anfänge des
14. Jahrhunderts in Deutschland gemacht wurde. Doch lauteten
andere Daten dahin, daß die Erfindung dieses damals in Europa
fast auschließlich als Beschreibstoff benützten Papiers auf euro
päischem Boden hinabreiche bis in das 11., ja 10. Jahrhundert
und daß auch andere europäische Kulturnationen, insbesondere
Italiener, als Erfinder des Hadernpapiers in Frage kommen.
Die Bearbeitung der Papiere der Sammlung ,Papyrus
Erzherzog Rainer' hat zum ersten Male eine umfassende natur
wissenschaftliche Untersuchung ermöglicht, welche mit einer
historisch-antiquarischen Hand in Hand ging. Die dadurch
zustande gekommenen Arbeiten haben zu dem heute, allgemein
anerkannten Resultat geführt, daß die europäische Hadern
papierfabrikation auf eine arabische Erfindung zurück
zuführen ist, welche im 8. Jahrhundert gemacht wurde
und später über Spanien und Italien sich nach dem
übrigen Europa verbreitete. 1
Aber die Araber sind nicht — wie ich sagen möchte —
die Urerfinder des Papiers. Denn es ist längst festgestellt, daß
1 J. Karabacek, Das arabische Papier. Mitteilungen aus der Sammlung
Papyrus Erzherzog Rainer, Bd. II und III (1887). J. Wiesner, Mikrosk.
Untersuchungen der Papiere von El-Faijüm. Ebendaselbst, Bd. I, p. 45ff.
(1885). Ferner J. Wiesner, Die Faijümer und Uschmüneiner Papiere.
Ebendaselbst, Bd. II und III (1887).
Über die ältesten bis jetzt aufgefundenen Hadernpapiere.
3
die Araber durch kriegsgefangene Chinesen die Methode, echtes,
d. i. gefilztes Papier zu erzeugen, kennen lernten, und es handelt
sich nun darum, die Brücke zu finden, welche von dem chine
sischen zum arabischen Papier hinüber leitet, um, wenn möglich,
auch zu den ersten Anfängen der Hadernpapiererzeugung hinab
zugelangen.
Bis in die allerjüngste Zeit befand sich die Geschichte
des chinesischen Papiers auf derselben Stufe wie bis gegen das
Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts die euro
päische Papiergeschichte. Wenn von meinen eigenen gleich zu er
wähnenden materiellen Untersuchungen alter chinesischer Papiere
abgesehen wird, so fußte diese Geschichte ausschließlich auf
der Benützung von Quellen, ohne alle Heranziehung materieller
Prüfungen. Diese Einseitigkeit hatte zur Folge, daß viele Er
gebnisse dieser Forschungen als unsicher anzusehen sind und
nur sehr wenige als gänzlich einwandfrei aufgenommen werden
können.
Als sicher ist die Erfindung des Ts’ai Lun, aus Pflanzen
fasern ein (gefilztes) Papier herzustellen, anzusehen. Das Jahr
100 gilt als beiläufige Zeit dieser wichtigen Erfindung. Genauer
bezeichnet Ed. Chavannes 1 in seinen eingehenden Studien
über die dem Pflanzenfaserpapier vorangegangenen Beschreib-
stoffe der Chinesen das Jahr 105 A. D. als Zeitpunkt der Er
findung des Ts’ai Louen (wie Chavannes schreibt). Unter
Angabe bestimmter Quellen, welche in Chavannes’Abhandlung
nachzusehen sind, wird nachzuweisen gesucht, daß Ts’ai Lun
gleichzeitig Baumrinde, Hadern (,de vieux chiffons de toile')
und Fischernetze (,filets de pecheurs‘) als Rohmateriale der
Papiererzeugung in Anwendung brachte. Was die Baumrinde
anlangt, so sei darunter nichts anderes als der Bast des Papier
maulbeerbaumes (Broussonetia papyrifera) zu verstehen. Hin
weise auf materielle Prüfungen fehlen; Chavannes stützt sich
hier auf Angaben von St. Julien und P. Champion, 2 die sich
1 Les livres chinois avant l’invention du papier, par Edouard Chavannes.
Journal Asiatiqne. Paris, Janvier—Fevrier 1905.
2 Stanis. Julien et P. Champion, Industries anciennes et modernes de
l’empire chinois. Paris 1869. Siehe auch Hirth, Die Erfindung des Papiers
in China. Chinesische Studien, Bd. I, München 1890 und Blanchet,
• Essay sur l'histoire du papier. Paris 1900.
1*
4
V. Abhandlung: v. Wiesner.
auf chinesische Quellen berufen. Es wird ausdrücklich hervor
gehoben, daß diese verschiedenen Materialien ungemischt ver
arbeitet wurden und daß man nach der Qualität des Rohmate
riales ganz bestimmte Arten des Papiers unterschied. Bei
genauem Studium der Quellen konnte aber Chavannes eine
Bestätigung dieser Angabe nicht finden. Ein weiter unten
folgendes Resultat der materiellen Beschaffenheit altchinesischer
Papiere widerspricht dieser Angabe.
Daß Ts’ai Lun neben dem Baste des Papiermaulbeer
baumes noch die Fasern des chinesischen Hanfes (Ramiefasern,
nämlich die Bastfasern vom Boehmeria nivea) und Hadern zur
Papierfabrikation benützt haben soll, steht nicht unwidersprochen
da. Nach Karabacek fing die Fabrikation des aus der Bast
faser von Boehmeria nivea gefertigten Papiers erst unter der
Regierung des Kaisers Kao-Tsung (649—683) an (1. c. p. 28).
Nach demselben Autor haben die Chinesen anfangs ihr Papier
bloß aus dem Baste des Papiermaulbeerbaumes verfertigt und
viel später, nämlich erst nach 940 A. D. Hadernpapier erzeugt,
als man schon im ganzen Umkreise des arabischen Länder
gebietes des Lumpenpapiers sich bediente und die Fabrikation
desselben schwunghaft betrieb (Karabacek, 1. c. p. 31).
Uber die dem Pflanzenfaserpapier vorangegangenen Be
schreibstoffe der Chinesen stimmen die Angaben nur in wenigen
Punkten überein. Chavannes hat diesem Gegenstand die früher
genannte eingehende Abhandlung gewidmet. Die weit verbreitete
Angabe, daß die Chinesen vor Erfindung des (gefilzten) Papiers
die Schriftzeichen auf Bambusblätter mit glühenden Nadeln
eingeritzt hätten, wird hier nicht erwähnt. Es werden als dem
Ts’ai Lun sehen Pflanzenfaserpapier vorausgegangene Beschreib
stoffe nur Seide und aus Bambusrohr oder echtem Holze ange
fertigte ,H olztäfelclien' genannt, Angaben, welche auch in
zahlreichen anderen Quellen zu finden sind.
An der Existenz alter mit chinesischen Schriftzeichen ver
sehener Holztäfelchen ist nicht zu zweifeln. Die neueren
ostturkestanischen Ausgrabungen haben dieselben reichlich zu
tage gefördert. Uber ihre materielle Beschaffenheit ist mir aus
der Literatur nichts bekannt geworden. Ich selbst habe auch
nicht Gelegenheit gefunden, diese ,Holztäfelchen' zu unter
suchen. Es wäre ein leichtes zu konstatieren, ob sie tatsächlich
Über die ältesten bis jetzt aufgefundenen Hadernpapiere.
5
zum Teile aus dem festen Gewebe des Bambusrohres verfertigt
sind, wie Chavannes angibt. Selbstverständlich könnte auch
leicht nachgewiesen werden, ob echtes Tiolz gleichfalls zu ihrer
Anfertigung diente. Schwieriger wäre es allerdings, die hiezu
benützte Holzart oder die hiezu verwendeten Holzarten zu er
mitteln.
Was die aus Seide hergestellten Papiere anlangt, so ist
die Existenz derselben meines Wissens bisher noch niemals durch
materielle Untersuchungen festgestellt worden. Wir finden in
den schon genannten Quellen die übereinstimmende Angabe,
daß diese Seidenpapiere aus Seidenabfällen (bourre de soie) be
reitet wurden, also aus jenen Teilen der Seidenkokons, welche
nach dem Abhaspeln der Seide Zurückbleiben. Solche Seiden
abfälle werden längst auch zur Herstellung minderer Sorten
von Seidenstoffen benützt, sie repräsentieren also immerhin, im
Vergleiche zu den Holztäfelchen, ein teueres Rohmateriale. Diese
Seidenpapiere sollen eine dichte Filzmasse gebildet haben, welche
angeblich aus dem Rohmateriale durch Stampfen hergestellt worden
wäre. Die ältesten Nachrichten über solche Seidenpapiere reichen
bis etwa zum Jahre 300 v. Chr. zurück. Nach Chavannes
verschwanden mit Einführung des Ts’ai Lunschen Papiers
sowohl das Seidenpapier als die zum Beschreiben dienenden
Holztäfelchen rasch aus dem Gebrauche; besonders rasch die
Seidenpapiere, weil das Rohmateriale zu kostbar war, aber auch
die schweren voluminösen Holztäfelchen konnten dem dünnen
leichten Pflanzenfaserpapier nicht standhalten.
Außer den genannten Rohmaterialien sollen die Chinesen
auch Baumwolle zur Papiererzeugung benützt haben. Diese
Ansicht vertraten namentlich die deutschen und italienischen
Paläographen, welche ohne triftige Gründe annahmen, daß dem
Hadernpapiere ein Baumwollpapier (Charta bombycina) voran
gegangen sei und daß die Chinesen als die Erfinder dieses
Papiers anzusehen seien. Dem widersprechen aber die chine
sischen Quellen, und all die Papiere, welche man früher wegen
ihrer langfaserigen Beschaffenheit als Baumwollepapier bezeich-
nete, haben sicli nach den von mir vorgenommenen mikro
skopischen Untersuchungen als Hadernpapier herausgestellt. Der
Entstehung der Fabel vom Baumwollepapier (d. i. einem aus
roher Baumwolle erzeugten Papier) hat Karabacek ein be-
6
V. Abhandlung: v. Wiesner.
sonderes Kapitel gewidmet. 1 Baumwolle als Rohmaterial der
Papiererzeugung ist also vollständig ausgeschlossen. 2
Es soll nun dargelegt werden, inwieweit materielle
Untersuchungen bis jetzt schon zur Klärung der Frage über
die Rohmaterialien, welche den Chinesen zur Papiererzeugung
dienten, beitrugen und inwieweit es bisher auf Grund solcher
Untersuchungen gelungen ist, die arabische Hadernpapierfabri
kation auf eine chinesische Hadernpapierfabrikation zurück
zuführen.
Wenn auch kein Zweifel darüber bestehen kann, daß die
Chinesen die Lehrmeister der Araber (beziehungsweise Perser)
in der Papiererzeugung waren, so ist keineswegs gewiß, daß
die ersteren den letzteren schon lehrten, aus Hadern Papier zu
erzeugen. Es war für die Araber bereits ein hoher Gewinn,
daß sie erfuhren, wie man aus feinfaserigen Pflanzenstoffen durch
1 1. c. p. 43 ff.
2 So weit mir die neuere paläographische Literatur bekannt wurde, schien
es mir, als hätte man die alte Behauptung, es habe ein Baumwoll-
papier existiert, aufgegeben, und ich fühlte mich in meiner Meinung
um so mehr bestärkt, als Wattenbach, der Hauptvertreter der Existenz
einer Charta bombycina, nach Kenntnisnahme der antiquarischen Studien
Karabaceks und meiner materiellen Prüfungen seine Ansicht fallen
ließ. Aus einer Abhandlung des bekannten Pharmakologen Prof. R. Kob er t
in Rostock (Zeitschrift für angewandte Chemie und Zentralblatt für tech
nische Chemie 1910, p. 1249 ff.) entnehme ich, daß die Fabel des Baum
wollepapiers wieder aufgetaucht ist, indem in dem von Alfr. Gercke und
Ed. Norden verfaßten Werke: ,Einleitung in die Altertumswissenschaft 4
(1910—1911) folgendes zu lesen ist: ,Die Klöster (Monte Cassino etc.)
waren lange Zeit die Zentren der Bildung. Unzählige Abschriften antiker
Werke wurden hier angefertigt, die alten Papyrusrollen, die noch exi
stierten, in dauerhafte Pergamentbände übertragen, denen erst seit
dem 12.—13. J ahrhundert bisweilen Bücher von schlechtem
Baumwollpapier (charta bombycina) zur Seite traten. 4 Prof.
Kobert hatte Gelegenheit, zahlreiche Papiere aus der kritischen Periode
zu untersuchen, unter anderem auch Papier von Khoton und Turfan, und
kam gleich mir zu dem Resultate, daß das Baumwollepapier ins Reich
der Fabeln gehöre. Die im wesentlichen eine Bestätigung meiner Unter
suchungen über das arabische und ostturkestanische Papier bildende
Abhandlung des Herrn Prof. Kobert führt den Titel: ,Über einige echte
gefilzte Papiere des frühen Mittelalters 4 und bildete den Inhalt eines
Vortrages, der in der Hauptversammlung des Vereines Deutscher Che
miker zu München am 20. Mai 1910 gehalten wurde.
Über die ältesten bis jetzt aufgefundenen Hadernpapiere.
7
,Schöpfen' einen brauchbaren Beschreibstoff herstellen könne.
Ein weiterer Nachweis, daß die Araber von den Chinesen lernten,
Papier aus Hadern zu erzeugen, ist trotz sehr eingehender anti
quarischer Studien nicht erbracht worden, so daß voraussicht
lich wohl erst materielle Prüfungen genau datierter Papiere
zu sicheren Resultaten in der genannten Frage führen können.
Die im British Museum befindlichen, auf Papier geschrie
benen alten Manuskripte, welche die ostturkestanischen Aus
grabungen der Engländer zutage förderten, wurden über Vor
schlag des Bearbeiters, Prof. Hoernle in Oxford, in entspre
chenden Proben mir zur materiellen Untersuchung übersendet, 1
später auch die wichtigen Funde M. Aurel Steins; 2 über die
meisten in Ostturkestan gemachten Ausgrabungen berichtet
D. Klementz in den Berichten der Akademie der Wissenschaften
zu St. Petersburg unter dem Titel: ,Turfan und seine Alter
tümer', Petersburg 1899. Materielle Untersuchungen der dort
gemachten Papierfunde liegen meines Wissens von russischer
Seite nicht vor. Aber der oben genannten Abhandlung des
Prof. Kobert ist zu entnehmen, daß die Deutsche Ausgrabungs
kommission das in Turfan zutage geförderten Papiermaterial
ihm zur naturwissenschaftlichen Prüfung übergeben hat. Die
auf die Rohmaterialien dieser Papiere bezugnehmenden, von
Kobert gewonnenen Resultate stimmen vollständig mit den von
mir erhaltenen überein.
Die von mir durchgeführte materielle Untersuchung der ost
turkestanischen Papierfunde hat folgende Hauptresultate ergeben:
Als wichtigstes Rohmaterial der chinesischen Papiere er
scheinen nach Untersuchungen, die sich auf Papiere aus dem
4.—8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung beziehen, die Bast
fasern dicotyler Pflanzen, in erster Linie die Bastfasern aus
der Rinde des Papiermaulbeerbaumes. Doch treten in diesen
Papieren auch andere Bastfasern von Dicotylen, insbesondere
vom chinesischen Hanf (Ramie oder Chinagras, Boehmeria
1 S. näheres hierüber in meiner Schrift: ,Mikroskopische Untersuchung alter
ostturkestaniseher und anderer asiatischer Papiere nebst histologischen
Beiträgen zur mikroskopischen Papieruntersuchung 1 . Mit 18 Testfiguren.
Denkschriften d. kais. Akad. d.Wissensch., math.-nat. Klasse, Bd. 72 (1902).
2 J. Wiesner, Ein neuer Beitrag zur Geschichte des Papiers. Diese Be
richte, Bd. 148 (1904).
8
V. Abhandlung: Wiesner.
nivea) auf; es konnten aber auch die Fasern anderer Dicotylen-
baste nachgewiesen werden, die zum Teile anderen Boehmeria-
Arten angehören, zum Teile sich bisher botanisch nicht be
stimmen ließen.
Baumwolle wurde in diesen Papieren, wie nach früheren
materiellen Untersuchungen zu erwarten war, niemals nach
gewiesen (s. oben p. 6). Auch Seide wurde in diesen Papieren
niemals gefunden, womit natürlich nicht gesagt sein soll, daß
die Chinesen sie zur Papierbereitung nicht verwendet hätten.
Es steht mit der historischen Forschung nur im Einklang, wenn
in den zur Untersuchung vorgelegenen Papieren aus dem 4. bis
8. Jahrhundert die Seide fehlt. Denn es ist nachgewiesen, daß
mit dem Jahre 105 n. Chr. oder bald darauf die Erzeugung von
Papier aus Seide aufgehört hat und dem Pflanzenfaserpapier
gewichen ist.
Die Erfindung Ts’ai Luns konzentrierte sich offenbar
nicht gleich vom Anfänge an auf die Verwendung der Bast
fasern des Papiermaulbeerbaumes. Es ist zweifellos, daß man
anfangs sehr verschiedene Pflanzenfasern benützte und darunter
auch die Fasern verschiedener Dieotylenbaste, bis man schließ
lich erkannte, daß die Faser des Papiermaulbeerbaumes sich
für die Papiererzeugung besonders eigne.
Der Zustand der in den alten chinesischen Papieren ent
haltenen Fasern läßt darauf schließen, daß die Methode der
Abscheidung der Papierfasern anfänglich noch keine einheitliche
gewesen ist, sondern daß man in der ersten Periode der chine
sischen Papierfabrikation die Fasern mechanisch, nämlich durch
Stampfung, später durch chemische Prozeduren (Mazeration)
gewann. Auch ein gemischtes, nämlich ein mechanisch-chemisches
Verfahren scheint eine Zeit hindurch in Anwendung gewesen
zu sein, bis schließlich die Bereitung der Papierfasern aus der
Binde des Papiermaulbeerbaumes, und zwar durch Mazeration,
den Sieg über alle früheren Verfahren errang.
Ein wichtiges Ergebnis der materiellen Untersuchung
widerspricht der auf Grund von ausschließlich historischen
Daten gewonnenen Angabe, daß nämlich die Chinesen stets nur
ganz einheitliches Material zur Papiererzeugung verwendeten.
Ich konnte mit aller Bestimmtheit verschiedene Bastzellen,
nämlich die Bastzellen verschiedener Pflanzen, in einem und
Uber die ältesten bis jetzt aufgefundenen Hadernpapiere.
9
demselben Papier nachweisen. Diese meine Auffindungen wurden
durch die späteren Untersuchungen von Papieren aus Turfan
und Khoton durch Kobert bestätigt. Und von besonderer
Wichtigkeit ist der von mir geführte Nachweis, daß neben
mazerierten Rohfasern des Papiermaulbeerbaumes, von Hadern
herrührende Fasern (insbesondere von chinesischem Hanf) in
einem und demselben Papier auftreten.
Aus dieser letzten Auffindung ist zunächst abzuleiten, daß
die Chinesen faktisch schon verstanden, wertlos gewordene Ge
webe (Hadern) zur Papiererzeugung heranzuziehen. Aus dieser
Auffindung ist aber auch abzuleiten, daß sie die aus Hadern
erzeugte Papiermasse als Surrogat den edleren, aus dem Baste
des Papiermaulbeerbaumes durch Mazeration erzeugten Fasern
beimengten.
Ich hatte Gelegenheit, die Verwendung von Hadernmasse
als Surrogat besserer Papierfasern in mehreren alten chinesischen
Papieren (aus dem 4.—8. Jahrhundert) nachzuweisen. Und so
kann es gar keinem Zweifel unterliegen, daß die erste
Verwendung der Hadern zur Papierbereitung den Chi
nesen zu danken ist.
Damit ist aber nicht gesagt, daß die Chinesen, wie die
Araber, aus Hadern allein Papier erzeugt hätten. Bisher
hatte ich kein einziges altes chinesisches Papier gefunden,
welches mit voller Klarheit als reines Hadernpapier sich heraus
gestellt hätte.
Ich werde in dieser Abhandlung den unwiderleglichen
Beweis liefern, daß die Chinesen reines Hadernpapier erzeugten,
und zwar schon im Beginne der Epoche ihrer Papiererzeugung
aus Pflanzenfasern. Voraussetzung dieser letzteren Aussage ist
die Richtigkeit der Altersbestimmung der betreffenden Papiere,
an welcher indes zu zweifeln kein Grund vorliegt.
Bevor ich diese für die Geschichte der Papiererzeugung,
wie ich glaube, höchst wichtige Tatsache feststelle, möchte ich
in Kürze den Zusammenhang, welcher zwischen der chinesischen
und arabischen Papierfabrikation besteht, so weit dies bisher
möglich war, darlegen.
Daß die Araber die Kunst, echtes Papier zu erzeugen,
von den Chinesen übernahmen, ist als völlig sichergestellt schon
oben betont worden. Sind aber die Araber ganz selbständig
10
V. Abhandlung: v. Wiesner.
auf den Gedanken gekommen, aus Hadern Papier zu erzeugen,
nachdem sie das Prinzip der Erzeugung gefilzten Papiers durch
die Chinesen kennen lernten? Oder haben sie die Anregung,
aus Hadern allein Papier zu bereiten, von den Chinesen er
halten? Es ist dies wohl sehr wahrscheinlich. Denn wenn auch
das ältere chinesische Papier nur aus pflanzlichen Rohfasern
bestand, welche gewissermaßen der Pflanze direkt entnommen
wurden, jedenfalls noch nicht im Gewebe ausgenützt wurden,
so wurden doch später, und was besonders zu betonen ist in
der kritischen Zeit, nämlich im 8. Jahrhundert, als die arabische
Papierbereitung begann, von den Chinesen Papiere erzeugt,
welche als Surrogat Iladernmasse enthielten. Da nun in Per
sien, wo die arabische Papierbereitung ihren Anfang nahm,
das allerwichtigste Rohmaterial der chinesischen Papiererzeugung,
nämlich der Bast des Papiermaulbeerbaumes, nicht zu erhalten
war, weil dieser Baum in Persien fehlte, so mochten die chine
sischen Papiermacher, welche die Perser mit dem Verfahren
der Papiererzeugung bekannt machten, wohl auf den Gedanken
gekommen sein, den Persern zu empfehlen, das, was sie als
Surrogat zur Papiererzeugung' verwendeten, versuchsweise zum
ausschließlichen Rohmateriale der Fabrikation des Papiers zu
machen. Historische Zeugnisse liegen aber hierfür ebensowenig
vor als darüber, daß die Perser ganz selbständig auf den Ge
danken kamen, Hadern als ausschließliches Materiale der Papier
erzeugung zu verwenden. Es ist übrigens gar nicht ausge
schlossen, daß der Übergang der chinesischen zur arabischen
Papierbereitung ein ganz anderer war, als ihn die eben vor
geführte Alternative darstellt. Es kann ja sein, daß man über
Rat der chinesischen Papiermacher zuerst versuchte, die Bast
fasern von Holzgewächsen zur Papierbereitung heranzuziehen,
welche dem Papiermaulbeerbaum (Broussonetia papyrifera =
Morus papyrifera) nahestehen und die in Persien zu finden
waren, z. B. der schwarze Maulbeerbaum (Morus nigra), welcher
in Persien zu Hause ist. 1
Um die hier aufgerollte Frage zu lösen, müßten materielle
Untersuchungen von Papieren aus der ersten Zeit der persischen
(arabischen) Papierfabrikation ausgeführt werden. Um darzutun,
1 Wiesner, Mikr. Unters, ostturkestan. Papiere. Denkschriften, p. 620.
Über die ältesten bis jetzt aufgefundenen Hadernpapiere.
11
daß solche materielle Untersuchungen nicht ausgeführt werden
konnten, muß ich daran erinnern, daß nach der gründlichen
Untersuchung Karabaceks 1 die arabische Papierbereitung mit
dem Jahre 751 n. Chr. beginnt, daß aber bisher nur arabische
Papiere aufgefunden wurden, welche aus dem Jahre 796 stammen
oder noch jüngeren Datums sind. Dies ist so geblieben bis
auf den heutigen Tag. Es fehlen also arabische Papiere aus
der Zeit des Beginnes ihrer Fabrikation. Eine sichere Ent
scheidung über die Frage, wie die arabische Papierfabrikation
aus der chinesischen sich entwickelt hat, konnte nicht herbei
geführt werden. Aber nach unseren dermaligen Kenntnissen
über die chinesischen Papierbereitungsarten ist es wohl am wahr
scheinlichsten anzunehmen, daß die Araber, welche die Bereitung
des echten, d. i. gefilzten Papiers von den Chinesen lernten, von
ihnen auch dahin geleitet wurden, Hadern als Materiale zur
Papierbereitung zu verwenden.
Ich komme nun zur Beschreibung eines alten chinesischen
Papieres, welches zweifellos ganz und gar aus Hadern
bereitet wurde. Ein solches chinesisches Papier lag bisher
nicht vor.
Dieses für die Kenntnis der Geschichte der Papierbereitung
höchst wichtige Papier wurde mir wie viele andere alte asia
tische Papiere von Herrn Dr. M. Aurel Stein zur Untersuchung
übersendet. Es stammt von der nunmehr schon sehr bekannt ge
wordenen zweiten Expedition des genannten hochangesehenen
Forschers aus den Jahren 1906—1908. 2
Ich erhielt dieses Papier im Januar 1. J. Herr Dr. Stein
schrieb mir über dasselbe aus Oxford am 18. Januar 1. J.: ,Die
übersendete Probe (T XII a ii l a ) stammt aus einem Fund
sehr wichtiger Dokumente in aramäisch-ähnelnder Schrift, aber
völlig unbekannten Sprache, den ich an einer verfallenen Wacht-
station des alten Limes, westlich von Tun-huang, machte. Die
damit zusammen entdeckten chinesischen Dokumente auf Holz,
1 1. c. p. 72.
2 S. hierüber M. A. Stein, Explorations in Central Asia 1906—1908. Geo-
graphical Journal for September 1909.
12
V. Abhandlung: v. Wiesner.
sind aus den ersten Jahren n. Chr. datiert. Und weiter heißt
es in demselben Schreiben: ,Die Wachtstation muß schon im
2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung völlig in Ruinen gelegen
sein/ Wann der Wachtturm verlassen und zur Ruine wurde,
ist nicht gesagt und konnte wohl nicht mehr festgestellt werden.
Man hat es also in dem Papier T XII a ii l a mit einem Fund
zu tun, welcher spätestens aus dem 2. Jahrhundert unserer Zeit
rechnung stammt, vielleicht aus dem Anfänge des 2. Jahrhunderts,
also aus der Zeit der chinesischen Erfindung des Pflanzenfasern
papiers. Jedenfalls stammt dieses Papier aus einer Zeit, welche von
dem Datum dieser Erfindung nicht weit entfernt ist, möglicher
weise könnte das Papier aber noch älter sein. In einem späteren
Schreiben (Oxford, 2. März I. J.) wird genauer gesagt, daß die
chinesischen auf Holz geschriebenen Dokumente aus den Jahren
3 und 20 n. Chr. stammen und fest datiert sind. ,Aus archäo
logischen Gründen', so heißt es in dem Briefe weiter, ,würde
ich für die Papierdokumente a priori ein ähnliches Alter an
nehmen, stünde nicht das gut beglaubigte Alter 105 n. Chr.
für die Ts’ai Lunsche Erfindung der Pflanzenfaserpapiere ent
gegen/ Läßt man diese Erwägung gelten, und man hat wohl allen
Grund, das Jahr der Erfindung des Pflanzenfaserpapiers durch
Ts’ai Lun als sicher anzunehmen, so haben wir es in T Xlla
ii l a wohl nicht mit einem Papier zu tun, welches älter ist als
das chinesische Pflanzenfaserpapier — nach unserer jetzigen
Kenntnis könnte dies nur ein Seidenpapier gewesen sein, was
durch die vorgenommene mikroskopische Untersuchung voll
ständig auszuschließen ist — vielmehr haben wir hier ein Pflanzen
faserpapier anzunehmen, welches aus der ei'sten Zeit der T s’ai
Lunschen Erfindung stammt und auch aus diesem Grunde von
hoher Wichtigkeit ist.
Daß Ts’ai Lun Papier aus den Bastfasern des Papier
maulbeerbaumes herstellte, ist vollständig beglaubigt. Es scheint
ferner sicher zu sein, daß Ts’ai Lun auch chinesischen Hanf
und Hadern zur Papierbereitung benützte. In welcher Reihen
folge er diese Rohmateriale zur Papierbereitung herangezogen, ist
imerwiesen. Der in Rede stehende Papierfund bezeugt, daß
Hadern sehr frühzeitig zur Erzeugung des Papiers in Anwen
dung standen; es ist sogar nicht unwahrscheinlich, daß gerade die
ersten Versuche, Pflanzenfaserpapier zu erzeugen, mit Hadern
Über die ältesten bis jetzt aufgefundenen Hadernpapiere.
13
unternommen wurden. Ich kam auf diese Vermutung durch
das Studium der Textur des Papiers, von dem hier gehandelt
wird. Ich kann erst weiter unten, wenn ich die Textur dieses
Papiers erläutert haben werde, den Versuch machen, meine hier
einstweilen nur angedeutete Vermutung zu stützen.
Die mir zur Untersuchung überschickte Papierprobe war
unbeschrieben wie alle anderen mir übergebenen Proben. Da
ich zur materiellen Untersuchung der Schriftzeichen nicht be
durfte, so ist es begreiflich, daß Herr Dr. Stein die für die
archäologische Forschung so wichtigen beschriebenen Papiere
zurückbehielt und mir nur solche Papiere, beziehungsweise Teile
derselben zukommen ließ, welche unbeschrieben waren. Meine
Probe hatte eine beiläufige Länge von 10 cm und eine Breite
von 4 cm. Es scheint mir bemerkenswert, daß dieses Papier
keine Stärkeleimung aufwies; auch die später zu erwähnenden,
gleichzeitig mit diesem aufgefundenen Papiere entbehrten dieser
von den Chinesen erfundenen Leimungsart. Nach den bisher
veröffentlichten Untersuchungen in betreff der Stärkeleimung
der chinesischen Papiere geht diese Erfindung ins 7. Jahr
hundert hinab. 1 Da die späteren chinesischen Papiere fast
durchgängig mit Stärke geleimt wurden, so scheint der Mangel
an Stärkeleimung der in Rede stehenden Papiere für das hohe
Alter derselben zu sprechen, und zwar um so mehr, als meinen
neuesten Forschungen zufolge der Beginn der Stärkeleimung
noch weiter zurückreicht, als bisher anzunehmen war. 2
Im auffallenden Lichte erschien unser Papier homogen,
dichtgefügt, matt, licht gelblich gefärbt. Im Riß erschien es
1 Wiesner, Mikr.Unters, ostturkestan. Papiere. Denkschriften, 1. c. S. ferner
diese Berichte, Bd. 148, p. 5.
2 Unter den alten datierten Papieren, welche mir Herr Dr. M. Aurel Stein
zur materiellen Untersuchung übermittelte, sind einige mit Stärke ge
leimt. Das älteste derselben mit der Signatur DA. VI ii, Nr. 904, chi
nesisches Dokument von der Ruinenstätte N. von Lop-nor, ist genau datiert
und stammt aus dem Jahre 312 n. Chr. Dieser Ermittlung zufolge geht
also die Stärkeleimung des chinesischen Papiers in das 4. Jahrhundert
zurück, ist also schon etwa zwei Jahrhunderte nach der Erfindung des
Pflanzenfaserpapiers in Gebrauch gekommen. Ich habe mich eingehend
mit der Geschichte der so wichtigen Stärkeleimung des Papiers beschäftigt
und werde später in einer besonderen Abhandlung über diesen Gegen
stand berichten.
14
V. Abhandlung: v. Wiesner.
langfaserig. Höchst überraschend war das Bild, welches dieses
Papier im durchfallenden Lichte darbot. Während die Probe
im auffallenden Lichte ganz homogen und papierartig aussah,
erschien es im durchfallenden Lichte der Länge und der Quere
nach gestreift. Man bekam den Eindruck, als läge hier ein
nur wenig zerstörtes Gewebe vor. Beistehende Figur, eine im
durchfallenden Lichte bei starker elektrischer Beleuchtung aus-
geführte Photographie, gibt eine ziemlich gute Vorstellung von
der Textur dieses Papiers. Unwillkürlich leitet diese Textur
zu Gedanken, auf welche Weise diese
Papiere erzeugt worden sein mochten.
Es traten dabei zwei Möglichkeiten in
den Vordergrund. Die erstere lautet:
man verwendete eine langfaserige Masse
als Rohmaterial, vielleicht halb zer
stampfte Pflanzenrinden (Baste), welche
man durch eine Art Schöpfverfahren
zur Kreuzung und Bindung zu bringen
wußte, wodurch eine größere Homo
genität der Beschreibstoffe zustande ge
kommen sein mochte, als wenn man die
halb zerstampften Baste so gebunden
hätte, daß die Längsrichtung der Fasern
herrschend geblieben wäre. Indem man
sich die Vorstellung bildet, daß bei Er
zeugung dieses Papiers mit Absicht die
Fasern zur Kreuzung gebracht wurden,
erinnert man sich wohl an die alten Papyri, bei deren Er
zeugung man es darauf abgesehen hatte, die aus dem Marke
der Papyrusstaude geschnittenen Längsstreifen in zwei aufein
ander senkrechten Richtungen zu binden. Die andere Möglich
keit geht von der Vorstellung aus, daß die gekreuzte Faser
richtung ihren Grund in einer faktischen Gewebetextur habe.
Mit anderen Worten ausgedrückt: Das Papier wurde aus einem
Gewebe bereitet, wohei seine dünne, flächenartige Beschaffen
heit und damit, in mehr oder minder verletztem Zustande,
der gewebeartige Charakter erhalten blieb. Diese Aufstellung
hat zur Voraussetzung, daß die sich kreuzenden Fäden nicht
rohe Bastbündel sind, sondern Garnfäden. Dies hat nun die
’r .<<•*• S
gs PS
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lüg. i.
Photographie eines Bruchstückes
des Papiers T XII a ii la. Im durch
fallenden Lichte hei elektrischer
Beleuchtung aufgenommen.
Natürliche Größe.
Über die ältesten bis jetzt aufgefundenen Hadernpapiere.
15
Beobachtung glänzend bestätigt. Sowohl die Längs- .als die
Querfasern dieses Papiers sind stark gedrehte Garn-
faden. Fig. 2 ist eine photographische Reproduktion eines
solchen Garnfadens, der sich durch seine schraubige Textur
sofort als solcher zu erkennen gibt, wodurch die Möglichkeit,
Fig. 2.
Ein Garnfaden ans dem Papier TXIIa ii Ja. Photographische Aufnahme
bei etwa fünfzigfacher linearer Vergrößerung.
es lägen Streifen rohen Bastes vor, vollkommen ausgeschlossen
ist. Es ist höchst bemerkenswert, daß man nicht an jedem
einzelnen Faden die schraubige Textur an allen Stellen erkennt.
Bei aufmerksamer Untersuchung sowohl der Längs- als der
Querfäden erkennt man, daß sie allerdings an vielen Stellen
grob beschädigt sind, aber doch an einzelnen Stellen, oft lange
Strecken hindurch, die Beschaffenheit des gedrehten Garnfadens
zu erkennen geben. Es lag, wie ich meine, die Absicht vor,
16
V. Abhandlung: v. Wiesner.
das Gewebe seiner ursprünglichen Textur zu entkleiden und in
einen homogenen Beschreibstoff umzuwandeln, was, wie kaum
zu bezweifeln sein dürfte, durch einen Stampfprozeß erfolgt
sein mochte. Um aber den Stoff noch homogener zu machen,
hat man ganz fein zerstampfte Fasernmasse zur Füllung des
Papiers verwendet. In der Tat, bei mikroskopischer Unter
suchung des genannten Papiers findet man zwischen den mehr
oder minder stark demolierten Garnfäden reichlich eine fein
faserige Masse, welche substanziell mit den Garnfaden überein
stimmt. Uber die Art der Faser, welche in diesem Papier vor-
kommt, werde ich später weiter unten berichten.
Einstweilen möchte ich aus dem angeführten Befunde ab
leiten, daß wir vielleicht in unserem Papier TXIla ii l a den
ersten Versuch oder einen der ältesten Versuche vor uns haben,
ein Gewebe in einen Beschreibstoff umzuwandeln. Heute zer
kleinert man die Hadern auf das feinste, erhält kleine Fäser
chen, welche man durch das ,Schöpfen' oder ähnliche Prozeduren
dicht zu binden versteht und auf diese Weise dünne flächen-
förmige, richtiger blattdünne (ein Blatt Papier!) Beschreibstoffe
erhält.
Ob man sofort die Hadern in feine Fäserchen zerteilte
und diese durch ,Schöpfen' zu Papier verband, ist nicht sicher
gestellt, es läßt sich vielmehr annehmen, daß man zu einem
solchen Verfahren erst nach und nach kam. Und gerade unsere
Papierprobe gibt einen Fingerzeig, wie eine Vorstufe der ratio
nellen Papiererzeugung zu denken sei. Unsere Probe besteht
aus einem halb zerstampften Gewebe, deren noch erkennbare
Garnfäden gewissermaßen das Skelett des Papiers bilden, welches
in eine kurz- und feinfaserige Fasermasse eingebettet erscheint.
Dieser Charakter der Beschreibstoffe führt auf den Gedanken,
daß die Chinesen auf der Suche nach einem dünnen, leichten
Beschreibstoff als Ersatz der kompakten Holztäfelchen es unter
nahmen, dünne leinwandartige Gewebe in einen solchen Be
schreibstoff umzuwandeln. Das Stampfen solcher Gewebe trieb
man aber — so denke ich mir die Sache — nicht bis zur
völligen Zerstörung des Gewebes; man wollte eben die Bindung
der Garnfäden benützen, um die Flächengestalt des beabsich
tigten Beschreibstoffes zu erhalten. Aber auf dem halbzer
stampften Gewebe konnte man noch nicht schreiben, es war
Über die ältesten bis jetzt aufgefundenen Hadernpapiere.
17
zu wenig dicht, und deshalb schritt man, wie ich meine, zu
einer Art ,Füllung-', indem man vollständig zerstampfte Fasern
dem Garnskelett einverleibte, bis es homogen geworden ist. Aber
wie hat man sich diese Einverleibung, besser gesagt, diese Um
hüllung der Garnfäden mit feinfaseriger Pflanzenfasermasse zu
denken? Es liegt nahe, daß man diese feinen Fasern aus Wasser
sich auf das Gewebe niederschlagen ließ. Auf diese Weise mochte
es gelungen sein, die Garnfäden so zu umhüllen, daß ein homo
gener beschreibfähiger Stoff zustande kam, der dann durch Pressen,
Glätten, vielleicht auch Plätten in der Wärme etc. zum Beschrei
ben noch tauglicher ward.
Wenn die hier entwickelte Vorstellung richtig ist, so hätte
diese Art der Papiererzeugung schon auf die Methode des
,Schöpfens' geführt und es war dann naheliegend, einen weiteren
Schritt in der Papiererzeugung dadurch zu machen, daß man
die Gewebe sogleich fein zerkleinerte und die feinfaserige Masse
durch ,Schöpfen' vereinigte. Dadurch hätte man gleich folgende
Vorteile erreicht:
1. Man brauchte keine guten, unverletzten leinwandartigen
Gewebe zur Herstellung der Beschreibstoffe; man konnte die
im Gewebe bereits ausgenützten Stoffe (Hadern, Lumpen) zur
Papierbereitung benützen, denn es handelte sich ja um Gewin
nung feiner Fäserchen, die man ebensogut, ja leichter, aus
Hadern als aus guten Geweben, die aus kräftigen, intakten
Garnfäden bestehen, herstellen konnte.
2. Die Herstellung des Papiers aus einer feinfaserigen
Masse durch ,Schöpfen' führte zu einem homogenen, also besseren
Papier, als die Bereitung eines Beschreibstoftes aus einem halb
zerstampften Gewebe, welchem man durch Uberdeckung mit
feiner Fasermasse nur äußerlich das Gepräge der Homogenität
verleihen konnte.
3. Es ist einleuchtend, daß ein ganz und gar aus feinzer
stampfter Hadernmasse durch ,Schöpfen' erzeugtes Papier sich
in doppelter Beziehung als Fortschritt darstellen mußte: es war
nicht nur besser, sondern auch weitaus billiger herzustellen.
Wenn die Sache sich so verhalten haben sollte, wie ich sie
hier darstellte, so wäre es zu begreifen, daß man die hier hypo
thetisch vorgeführte Methode der anfänglichen Bereitung des Pa
piers aus guten leinwandartigen Geweben rasch aufgegeben hat.
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 1G8. Bd. t 5. Abh. 2
18
V. Abhandlung: v. Wiesner.
Die hier vorgeführte Hypothese über eine Vorstufe der
Hadernpapiererzeugung steht insoferne auf schwachen Füßen,
als das Papier, welches uns hier so sehr beschäftigt hat, ein
Unikum ist. Die anderen in demselben Wachtturm gefundenen,
wie ich annehme jüngeren Papiere, zeigten die bezeichneten
Charaktereigenschaften nicht. Wohl wurde an einzelnen der
selben eine Streifung beobachtet, die aber, wie ich weiter unten
zeigen werde, auf ganz andere Weise zustande kam, da in diesen
letzten Papieren keine Garnfäden mehr nachgewiesen werden
konnten.
Wenn nun auch die ganze hier vorgeführte Hypothese
sich als unhaltbar heraussteilen sollte, so lehren meine an
diesem unzweifelhaften Pflanzenfaserpapier Angestell
ten Untersuchungen doch mit aller Bestimmtheit, daß
schon in der ersten Zeit der chinesischen Papiererzeu
gung ein ausschließlich aus Hadern erzeugtes Papier
existiert hat.
In bezug auf die Art der Pflanzenfasern, aus welchen das
Papier T XII a ii 1“ besteht, habe ich folgendes zu berichten.
Es ist nicht leicht, sich über die Art dieser Pflanzenfasern ein
Urteil zu bilden, weil durch das Stamjifen die Fasern sehr
gelitten haben. Die mikrochemischen Reaktionen ergaben zu
nächst, daß diese Pflanzenfaser gänzlich unverholzt ist und direkt
die bekannten Reaktionen auf Zellulose gibt. Baumwolle ist
vollkommen ausgeschlossen. Die Fasern sind eben Bastzellen.
Lein- und Hanffasern (von Canabis sativa) sind gleichfalls mit
Sicherheit auszuschließen. Einzelne, bis 2 cm lange, ziemlich intakt
gebliebene Fasernfragmente deuten nach Bau und nach den Di
mensionen auf eine ostasiatische Nesselfaser (Boehmeria, Urtica)
hin und es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Faser dem chi
nesischen Hanf (Boehmeria nivea) entspricht, welcher seit uralter
Zeit in China kultiviert wird und auch heute noch dort als
tschou-ma in Verwendung steht, übrigens gegenwärtig in vielen
wärmeren Ländern gewonnen und als ,Chinagras', ,Ramie' etc.
auch für die europäische Industrie von Wichtigkeit geworden
ist. 1 Die Papiermasse unserer Probe besteht, wie schon oben
1 S. hierüber Wiesner, Rohstoffe des Pflanzenreiches, 2. Auf!., Leipzig,
Engelmann. Bd. II (1903), p. 318 ffd.
Über die ältesten bis jetzt aufgefundenen Hadernpapiere.
19
bemerkt wurde, aus Strängen und einer kurz- und feinfaserigen
Grundmasse; diese beiden Bestandteile sind im Papier ganz
innig verbunden, so daß dasselbe, wenigstens im auffallenden
Lichte, ganz homogen erscheint. Im durchfallenden Lichte aber
gibt sich die schon erörterte Textur zu erkennen. Da man
aber in diesem Papier Stränge und Grundmasse unterscheiden
kann, so entsteht die Frage, ob die ersteren aus derselben
Pflanzenfaser bestehen wie die letztere. Es ist mir nicht ge
lungen irgend einen Unterschied zwischen den Fasern der
Stränge und denen der Grundmasse zu finden und ich halte
es für so gut wie gewiß, daß hier nur eine und dieselbe Faser
art vorliegt, und daß sowohl die Füllmasse als die Stränge
von Hadern herrühren.
Eine Leimung konnte in dem Papier nicht nachgewiesen
werden. Insbesondere wurde auf Stärkeleimung geprüft, welche,
wie ich konstatierte, von den Chinesen zur vollkommenen Be-
schreibbarmachung des Papiers erfunden und von den Arabern
übernommen wurde. 1 Es konnte, wie schon oben bemerkt,
konstatiert werden, daß unser Papier völlig frei von Stärke, be
ziehungsweise eingetrocknetem Stärkekleister ist. Für unser Papier
erscheint es charakteristisch, daß es ,halbfließend' und infolge des
Gehaltes an gröberen Fasern nicht gleichmäßig fließend ist.
Diese beiden Eigentümlichkeiten sollen hier kurz erläutert
werden. Bringe ich auf ein modernes, homogen erscheinendes
Fließpapier einen kleinen Wassertropfen, so breitet sich der
selbe in wenigen Sekunden gleichmäßig auf dem Papiere aus,
einen kreisförmigen, transparenten Wasserfleck hinterlassend.
Bringt man hingegen auf ein modernes, vollkommen (mit
Stärkekleister) geleimtes Papier einen kleinen Wassertropfen, so
wird derselbe nicht aufgesaugt, sondern verdunstet ohne sich
auszubreiten. — Wenn man auf unser Papier einen kleinen
Wassertropfen (von 3—5 mm Durchmesser 1 ) bringt, so breitet
sich derselbe wohl auf der Papierfläche aus, aber nicht so rasch,
wie auf einem modernen Fließpapier, es sind vielmehr 150 bis
230 Sekunden erforderlich, bis derselbe ganz aufgesaugt ist und
einen transparenten Wasserfleck auf dem Papier zurückläßt.
1 Wiesner, Ostturkest. Papiere, 1. c. p. 630, 631. Derselbe, Ein neuer
Beitrag zur Geschichte des Papiers, 1. c. p. 24 ffd.
2*
20
V. Abhandlung: v. Wiesner.
Aber noch etwas anderes ist zu bemerken: der Wassertropfen
breitet sich nicht gleichmäßig zu einer kreisförmigen Fläche
aus, sondern man erhält als Ausbreitungsfigur des Wassers eine
ganz unregelmäßige, zackenförmig begrenzte Fläche. Diese Un
regelmäßigkeit der Ausbreitung des Wassers ist auf die In
homogenität des Papiers zu stellen und beruht hauptsächlich
auf dem Umstand, daß sehr lange grobe Fasern in dem Papier
mit sehr feinen kurzen Fasern abwechseln. Warum breitet sich
aber der Tropfen auf unserem Papier so außerordentlich langsam
aus, obgleich kein Leimungsmittel nachweisbar ist? Ehe ich
diese Eigentümlichkeit zu erklären versuche, möchte ich be
merken, daß dieser ,halbfließende' Charakter des Papiers den
Vorteil bietet, daß auf demselben auch mit einer dünnen Be
schreibflüssigkeit geschrieben werden kann, während fließen
des' Papier nur mit einer sehr dicken, also flüssigkeitsarmen
Beschreibflüssigkeit, z. B. mit Tusche, beschreibbar ist. Aber
auf unserem Papier T XII a ii l a läßt sieh zur Not, nämlich
vorsichtig und in dünnen Strichen, selbst mit modernen dünn
flüssigen Tinten (z. B. mit der sogenannten Alizarintinte) schreiben.
Wieso es kommt, daß unser Papier, in welchem ich
keinerlei Leimungsmittel nachweisen konnte, nicht ,fließt', son
dern einen ,halbfließenden' Zustand aufweist, in welchem es
selbst mit leichtflüssigeren Tinten beschreibbar wurde, kann ich
nicht ausreichend erklären. Auffallend ist die ungemein fein
körnige, wie es scheint wesentlich aus mineralischen Substanzen
bestehende Masse, welche zwischen den Fasern vorkommt und
diesen zum Teil anhaftet. Daß atmosphärischer Staub in alten
Papieren reichlich nachweisbar ist, habe ich schon früher ein
gehend erörtert. 1 Ich vermute, daß nur ein Teil der feinkörnigen
Masse, welche in unserem Papier vorkommt, auf atmosphärischen
Staub zurückzuführen ist. Ein großer Teil der Masse scheint
einer mineralischen ,Füllung' anzugehören, die vielleicht einem
starken Fließen des Papiers Einhalt tut. Es ist aber gar nicht
ausgeschlossen, daß durch bestimmte mechanische Prozeduren
(Glätten, Plätten in der Wärme u. dgl.) eine Dichtung des
Papiers zustande kam, welche das ,Fließen' einschränkte und
zu vollkommener Beschreibbarlceit des Papiers führte.
1 Die Faijünier und Uschmüneiner Papiere etc., p. 52—63.
Über die ältesten bis jetzt aufgefundenen Hadernpapiere.
21
Fig. 3.
Photographie eiöes Fragmentes des Manuskriptes T XII a ii3, aufgenommen ira durchfallen
den Lichte bei etwa zweimaliger linearer Vergrößerung. 1 Da Querlinien fehlten, konnte nicht
an das Vorhandensein eines Gewebes gedacht werden. Es wurde indes an einem unbeschrie
benen Stück dieses Manuskriptes, welches an mich gesendet wurde, direkt konstatiert, daß die
Längslinien nicht auf die Anwesenheit von Garnfäden zurückzufübren sind. Diese Längslinien
können nur als ein Wasserzeichen (im Sinne der ira Text begründeten Begriffserklärung) angesehen
werden, welches auf die angowendete Siebform zurückzuführen ist.
In dem alten Wachtturm, aus welchem das eben charak
terisierte Papier stammte, wurden auch noch andere beschrie
bene Papiere gefunden, von welchen mir zwei von Dr. Stein
zur materiellen Prüfung überlassen wurden. Das eine trägt die
Signatur T XII a ii 1, das andere die Signatur T XII a ii 4. Beide
stimmen untereinander im wesentlichen überein und stellen eine
vollkommenere Stufe der Papierbereitung dar als das Papier
T XII a ii 1“. Substanziell stimmen sie mit letzterem überein,
sie bestehen aus den Bastzellen einer Boehmeria-Art. Beide sind
bereits unzweifelhaft geschöpfte Papiere, versehen mit charak-
1 Das betreffende Manuskript blieb in England und wurde auf mein Er
suchen von der University Press, Oxford, im Aufträge des Herrn Dr.
M. Aurel Stein im durchfallenden Lichte photographiert. Es sei
hier noch bemerkt, daß die im Texte genannten Papiere TXII a ii 1
und TXII a ii 4 genau dieselben Wasserzeichen aufweisen wie das oben
photographierte Papier TXII a ii 3.
22
V. Abhandlung: v. Wiesner.
teristischen Wasserzeichen, 1 welche auf eine Siebform zurück
zuführen sind, mit welcher das Schöpfen des Papiers erfolgte
(s. Fig. 3.) Das Rohmateriale, welches zur Erzeugung dieser
beiden Papiere diente, bestand ausschließlich aus Hadern, welche
durch Stampfen in feine Fasern zerlegt wurden. Deutliche Garn
fäden waren in diesen beiden Papieren nicht mehr zu finden;
da die Bereitung rationell auf eine weitgehende Zerkleinerung
abzielte und die Bindung der Fasern durch Schöpfen erfolgte,
so ist es begreiflich, daß nur Spuren von Garnfäden in diesen
Papieren vorhanden waren. Das Wasserzeichen von T XII a ii 1
besteht aus parallelen Streifen, es ist, um ein modernes Wort
zu gebrauchen, ein geripptes Papier, aber vergleichsweise von
ungleichmäßiger, aber sehr feiner Textur. Zur Herstellung
dieses Papiers ist ein Sieb verwendet worden, welches aus neben
einander stehenden feinen Stäben (oder Fäden, möglicherweise
sogar Drähten) bestand. Das Papier XII a ii 4 hat ein kom
plizierteres Wasserzeichen, indem zu den parallelen Rippen sich
noch eine Streifung gesellt, welche in sehr weiten Abständen die
erstgenannte Streifung kreuzt. Das Sieb, welches zum Schöpfen
dieses Papiers diente, war schon etwas komplizierter gebaut
als das bei der Erzeugung des ersteren benutzte, indem es
aus zwei sich kreuzenden Systemen von Stäben (oder dgl.)
bestand. Jedenfalls stellen diese beiden Papiere schon ein viel
vollkommeneres Erzeugnis dar als das Papier T XII a ii 1\
Bei Erzeugung dieser beiden Papiere hatte man schon ein
einfacheres, aber rationelleres Verfahren angewendet als jenes,
welches zur Herstellung des Papiers T XII a ii 1“ gedient
haben mochte.
Auch diese beiden Papiere sind wie das oben beschriebene
,halbfließend'. Auch auf diesen Papieren läßt sich mit leichtflüssi
gen Tinten schreiben, selbst mit der modernen Alizarintinte. Aber
1 Ich gebrauche hier das Wort,Wasserzeichen 4 im weiteren Sinne, nämlich
als Bezeichnung der verdünnten Stellen des Papiers, welche im durch
fallenden Lichte transparent erscheinen. Die im Texte genannten ,Wasser
zeichen* sind alle durch die Siebform bestimmt. Bestand das Sieb aus
untereinander parallelen Stäben, Fäden oder Drähten, so erscheint das
Papier fein gestreift (gerippt), bestand es aus sich kreuzenden Stäben
od. dgl., so treten sich kreuzende Linien oder Streifen im Papiere als
,Wasserzeichen* (in unserem Sinne) auf.
Über die ältesten bis jetzt aufgefundenen Hadei'npapiere. 23
homogen, wie moderne Papiere, sind auch diese beiden Papiere
nicht, indem sich ein Flüssigkeitstropfen auf ihnen nicht gleich
mäßig zu einer Kreisfläche ausbreitet, vielmehr zu einer un
regelmäßigen, zackig begrenzten Fläche. Der Grund hierfür ist
auch hier in der Inhomogenität der Fasern zu suchen. Es wech
seln auch hier noch gröbere Fasern mit feinen ab. Offenbar
wurde die Verkleinerung der Hadern noch in roher Weise durch
Stampfen ausgeführt.
Da diese Papiere ,halbfließend' befunden wurden, so ent
steht die Frage, durch welche Mittel diese Eigenschaft herbei-
geführt wurde. Man denkt hier zunächst an eine Art Leimung.
Sicher ist, daß weder Stärkeleimung noch eine Leimung mit
tierischem Leim vorliegt.
Die mikroskopische Untersuchung hat einige Anhaltspunkte
gegeben, um eine Art von Leimung ausfindig zu machen.
Ich muß aber hier bemerken, daß die mikroskopische
Untersuchung dieser beiden Papiere große Schwierigkeiten be
reitete, nicht nur weil die Fasern in mechanisch stark ange
griffenem Zustande vorliegen, sondern weil zwischen den Pflanzen
fasern noch zahlreiche andere Körper in diesen beiden Papieren
vorhanden waren, deren Natur nach und nach aufgeklärt werden
konnte, aber deren Zusammenhang mit der Papierbereitung,
nicht immer nachzuweisen war. Ich fand, wie in vielen anderen
Hadernpapieren, Spuren von Seide und (gelbgefärbten) Woll-
haaren. Dazwischen fanden sich Fermentorganismen verschie
dener Art, stellenweise auffallend große Massen einer Hefe.
Hin und wieder (reichlicher in T XII a ii 1 als in T XII a ii 4)
Bestandteile von Flechten, und zwar sowohl Gonidien als Hyphen.
Die Ansiedlung und Vermehrung der Bakterien in den Papieren
ist nichts auffälliges, wohl aber das reichliche Auftreten von
Hefe, welche insbesondere in dem erstgenannten Papier in ganzen
Nestern nachweisbar ist. Die Anwesenheit von Flechtenbestand
teilen leitet auf den Gedanken, daß Flechten zur Leimung des
Papiers verwendet worden sein mochten. Ich habe eine solche
Flechtenleimung schon früher an einem alten ostturkestanischen
Papier nachgewiesen. 1
1 Über ostturkestanische Papiere in den Denkschriften, 1. c., p. 615 ffd.
24
V. Abhandlung: v. Wiesner.
Noch möchte ich bemerken, daß das Manuskript T XII a ii 4
vom antiquarischen und sprachlichen Standpunkte aus bereits
von A. Cowley 1 bearbeitet wurde. Seine Abhandlung bringt
auch eine Abbildung des Manuskriptes und bespricht ausführ
licher, als es hier geschehen ist, die Fundstätte dieses Schrift
stückes, welche ja auch den Ort bezeichnet, an welchem die
beiden anderen hier abgehandelten Papiere gefunden wurden.
Zusammenfassung.
Bis gegen das Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahr
hunderts herrschte die Ansicht, daß das Hadernpapier eine
europäische, am Ende des 13. oder am Anfänge des 14. Jahr
hunderts gemachte Erfindung sei. Die von mir ausgeführten
naturwissenschaftlichen Untersuchungen alter Papiere, nament
lich der Papiere der Sammlung ,Papyrus Erzherzog Rainer', deren
Resultate durch die historisch-antiquarischen Studien J. v. Kara-
baceks ihre vollständige Bestätigung und vielfache Erweiterung
fanden, bewiesen, daß die europäische Papiererzeugung aus der
arabischen hervorgegangen ist, welch letztere nach den genauen
Feststellungen J. v. Karabaceks mit dem Jahre 751 anhebt.
Wenn es nunmehr keinem Zweifel unterliegt, daß die
Araber von den Chinesen in der Kunst, echtes, nämlich ge
filztes Papier herzustellen, unterrichtet wurden, so blieb doch
die Frage offen, ob die Araber die ersten Erzeuger des Hadern
papiers waren, oder ob sie nicht auch die Verwendbarkeit der
Hadern zur Papiererzeugung durch die Chinesen kennen lernten.
Die historische Forschung führte bis jetzt nicht zu einer
eindeutigen Lösung der Frage. Aber schon meine früheren
materiellen Untersuchungen, welche sich auf die von den Eng
ländern in Ostturkestan gemachten Manuskriptfunde beziehen, be
wiesen, daß die Chinesen schon Hadern zur Papiererzeugung ver
wendeten, wobei allerdings nur gezeigt werden konnte, daß die
Hadern nur als Surrogat edlerer Papierfasern Verwendung fanden
und faktisch neben letzteren im Papiere noch zu finden sind.
A. Cowley, Another unknown language from Eastern Turkestan. Journal
of the Royal Asiatic Society. January 1911.
Über die ältesten bis jetzt aufgefundenen Hadernpapiere.
25
Unter den Papieren, welche M. Aurel Stein von seiner
letzten zentralasiatischen Expedition (1906—1908) mitbrachte
und die dem Verfasser zur Untersuchung übergeben wurden, be
fand sich auch ein höchst wichtiges Papier (signiert: T XII a ii l a ),
welches in einem verfallenen Wachtturm des alten Limes, west
lich von Tu.n-huang, neben fest datierten Dokumenten ge
funden wurde. Der Wachtturm lag schon im 2. Jahrhundert
n. Chr. völlig in Ruinen, so daß angenommen werden darf, daß
dieses Papier der ersten Periode der Erfindung des Pflanzen
faserpapiers durch Ts’ai Lun, welche Erfindung in das Jahr
105 n. Chr. fällt, angehört.
Dieses Papier beweist zunächst, daß schon in der ersten
Zeit der chinesischen Papiererzeugung aus Pflanzenfasern Papiere
hergestellt wurden, zu welchen ausschließlich (vegetabilische)
Hadern als Rohmateriale dienten. Im auffallenden Lichte
erscheint dieses Papier ganz homogen, papierartig; im durch
fallenden Lichte erscheint es hingegen der Länge und der
Quere nach gestreift, es zeigt eine gewebeartige Textur. Die
Streifen erwiesen sich als Garnfäden. Dieses offenbar durch
Stampfen stark veränderte Gewebe erscheint in eine feinfaserige
Masse eingebettet. Das ganze Papier, Fäden sowohl als Grund
masse, besteht aus Bastzellen derselben Pflanzenart (einer Boeh-
merfa-Spezies angehörig), welche durch Stampfen aus den ur
sprünglichen Geweben in mehr oder weniger veränderten Form
abgeschieden wurden.
Die gewebeartige Beschaffenheit des Inneren dieses Papiers
brachte den Verfasser auf die Vermutung, daß man zur Zeit
der Erfindung des Pflanzenfaserpapiers unter anderen auch den
Versuch machte, aus Geweben durch Stampfen einen Beschreib
stoff herzustellen, dessen flächenartige Beschaffenheit auf das Zu
sammenhalten der Garnfäden beruhte und der durch ,Füllung' mit
fein zerteilter Pflanzenfaser, wohl unter Anwendung eines Schöpf
verfahrens und nachfolgenden Glättens u. dgl. soweit dicht und
homogen gemacht wurde, daß er zum Beschreiben geeignet war.
Durch diese Aufstellung sollte nur angedeutet werden,
daß man im Beginne der Papiererzeugung (aus Pflanzenfasern)
nicht nur sehr verschiedene Rohmaterialien verwendete, sondern
auch verschiedene Verfahren versuchte, bis man schließlich zu
einer rationellen Methode gelangte.
Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. 168. Bd., 5. Abh.
3
26
V. Abh.: v. Wiesuer. Über die ältesten Hadernpapiere.
Mehrere andere in demselben Wachtturm aufgefundenen
Papiere erwiesen sich gleichfalls als Hadernpapiere, in welchen
aber nur Spuren von Garnfäden nachgewiesen werden konnten.
Diese beiden Papiere haben schon vollständig den Charakter
von gefilztem Papier und scheinen wohl jüngeren Datums als
das Papier T XII a ii 1“.
Aus den vorliegenden Untersuchungen des Verfassers läßt
sich im Zusammenhalte mit den bis dahin historisch gewonnenen
und naturwissenschaftlich erschlossenen Kenntnissen Uber die
Bereitung des Papiers folgendes ableiten:
1. Das vom Mittelalter bis auf die neuere Zeit wich
tigste Papier, um nicht zu sagen, das in dieser
Zeit allein verwendete Papier, nämlich das Hadern
papier, ist von den Chinesen erfunden worden.
2. Schon in der ersten Periode ihrer Papiererzeugung
aus Pflanzenfasern haben die Chinesen, wie später
die Araber, es verstanden, Papier ganz und gar
aus Hadern herzustellen. Die chinesische Hadern
papiererzeugung ist also etwa sechshundert Jahre
älter als die arabische.
3. Die Verwendung der Hadern als Rohmateriale der
chinesischen Papiererzeugung hat sich erwiesener
maßen insoferne bis in das achte Jahrhundert er
halten, als noch in dieser Zeit Hadern als Surrogat
edlerer Papierfasern benützt wurden.
4. Da die Chinesen lange vor den Arabern vollstän
dige Hadernpapiere erzeugten und erwiesener
maßen noch in der Zeit, in welcher die arabische
Papierbereitung begann, chinesische Papiere mit
Hadernzusatz verfertigt wurden, ferner, wie all
gemein bekannt, die Chinesen die Araber in der
Papierbereitung unterrichteten, so ist wohl nicht
mehr zu bezweifeln, daß die Araber von den
Chinesen nicht nur die Methode erlernten, ein ge
filztes Papier herzustellen, sondern auch in der An
wendung von Hadern zur Papiererzeugung unter
richtet wurden.
Sitzungsberichte
der
Kais. Akademie der Wissenschaften in Wien.
Philosophisch-Historische Klasse.
168. Band, 6. Abhandlung.
Über
Wahrnehmung.
Von
Jos. Klem. Kreibig.
Vorgelegt in der Sitzung am 15. März 1911.
Wien, 1911.
In Kommission bei Alfred Holder
k. u. k. Hof- und TJniversitäts-Bncbhändler,
Buchhändler der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften.
Druck von Adoll Holzhausen,
k. und k. Hof- und Universitäts-Buchdrucker in Wien.
VI. Abhandlung: Kr ei big. Über Wahrnehmung.
1
VI.
Uber Wahrnehmung.
Von
Jos. Klein. Kreibig.
(Vorgelegt in der Sitzung am 15. März 1911.)
1.
Ls gehört zu den Paradoxien der Geschichte der Philo
sophie, daß die Frage nach dem phänomenalen Wesen des
Wahrnehmens, trotzdem sie sich sehr wohl unter Absehen von
metaphysischen Rücksichten behandeln läßt, bis zum heutigen
Tage zu den durchaus unerledigten zählt. Nur zum Teile mag
dieser Sachverhalt mit der eigenartigen Lage des Problems im
Grenzgebiete der Psychologie und Erkenntnistheorie zu be
gründen sein. Wenn wir nun im folgenden den Versuch er
neuern, eine zutreffende Analyse des Wahrnehmungsaktes zu
liefern, so darf wenigstens -— im Hinblick auf die Zald und
Vortrefflichkeit der vorhandenen historischen und kritischen
Darstellungen der bezüglichen Theorien — jede weitere Ein
leitung entfallen und die gestellte Aufgabe in dogmatischer Dar
bietungsweise in Angriff genommen werden.
Nur eine Vorausschickung dürfte unentbehrlich sein, die
Feststellung, nämlich, daß bei der Denkfunktion (vom ,Akt‘ als
solchem sei hier abgesehen) zwei erkenntnistheoretische Funda
mente zu unterscheiden sind: der Inhalt und der Gegenstand
des erkennenden Denkens. Den Inhalt des erkennenden Den
kens, d. i. das seelische Verhalten beim Urteilen und Schließen,
beschreibt die deskriptive Psychologie; der Gegenstand, auf
welchen sich das erkennende Denken bezieht, wird durch die
Sitzungsber. d. pkil.-hist. Kl. 168. Bd. 6. Abh. 1
2
VI. Abhandlung: Kr ei big.
Erkenntnistheorie näher bezeichnet. Die für unser Unter
suchungsgebiet in Betracht kommenden Substrate sind einer
seits die Dinge und Vorgänge der psychischen Welt, anderer
seits die Zustände und Abläufe der psychischen Welt; hinsicht
lich dieser Objekte behaupten die Urteile entweder das Sein
oder eine Bestimmtheit oder endlich ein Inbeziehungstehen als
objektiv gegebenen Tatbestand, beziehungsweise das objektive
Vorhandensein des Gegenteiles dieser Tatbestände. (Von den
Schlußgegenständen sei im gegenwärtigen Belange abgesehen.)
Inhalt und Gegenstand sind auch hinsichtlich der zweiten ak
tiven Grundseite des Psychischen, dem Wollen, zu unterscheiden,
während bei den passiven seelischen Grundseiten, dem reinen
(d. h. urteilsfreien) Empfinden und Fühlen jener Gegensatz nicht
besteht. Die Bedeutung der vorstehenden Feststellung wird im
Verlaufe unserer Analyse die erforderliche Klärung finden.
2.
Das praktische Beispiel einer äußeren Wahrnehmung mag
uns nunmehr in medias res führen. Nehmen wir eine Uhr zur
Hand, so ist uns zunächst der Vorstellungsinhalt einer weißen,
runden Platte mit schwarzen Strichen von gewissem Gewichte
im Raume und ein Geräusch bestimmter zeitlicher Abmessung
gegeben, welchen zusammengesetzten Inhalt wir auf einen indi
viduellen Gegenstand der Außenwelt beziehen. Bei der Ana
lyse dieses Erlebnisses, das augenscheinlich eine Unzahl von
Instanzen derselben Art vertritt, ergeben sich vom psychologi
schen Standpunkte folgende Bestandteile:
1. der Empfindungsanteil, bestehend in dem Vorfinden der
erwähnten Farben, Geräusche, Drücke, Raumerfüllungen . . .
(vermittelt durch die Sinne),
2. der Auffassungsakt, bestehend aus einem Willensanteil
— der Aufmerksamkeit — und einem Denkanteil — dem
Wahrnehmungsurteil. Wir wollen nämlich den Gegenstand Uhr
klar und deutlich zum Bewußtsein bringen (was ein Aufmerken
bedeutet) und verhalten uns zu diesem Gegenstände in einer
Weise, die dem bejahenden Urteile, daß die Uhr vor uns exi
stiere und gewisse Bestimmtheiten zeige, entspricht. Das Er
lebnis in seiner Gesamtheit stellt eine Wahrnehmung, und zwar
Über Wahrnehmung.
3
eine äußere oder sinnliche dar. In unserem Falle, in dem wir
die Beschaffenheiten Farbigkeit, Geräuscherzeugung, Gewicht. . .
gesondert beachtet und doch wieder auf das einheitliche Objekt
Uhr bezogen haben, hegt ferner eine (sekundäre) Anschauung
vor, welche das ,Ding' — eine sogenannte Gestaltqualität —
erfaßt. Diese Wahrnehmung ist ferner (wie alle Wahrnehmun
gen überhaupt) von emotionalen Korrelaten, nämlich Wert
gefühlen und Willensregungen begleitet, wovon jedoch im
Sinne des Zweckes der gegenwärtigen Untersuchung in der
Folge abgesehen werden soll. Soviel berichtet uns die Psycho
logie.
Auf weitere Seiten des Erlebnisses weist uns die Er
kenntnistheorie. Sie kritisiert nicht nur das Wahrnehmungs
urteil nach seinem allgemeinen Erkenntniswerte, sondern zeigt
auch, daß das Sein, das Bestimmtsein und die Räumlichkeit
(beziehungsweise die Zeitlichkeit) in ihrer Vereinigung die ge
genständliche Bedingung des realen Charakters des Erkannten
darstellcn und auf das Bestehen ,von Wahrnehmungsformen'
oder nach üblichem Sprachgebrauch ,Anschauungsformeil' auf
der psychischen Gegenseite hinweisen.
Mit gewissen Modifikationen gilt das Schema unserer frühe
ren Analyse auch für innere Wahrnehmungen. Die inneren
Erlebnisse sind mit der Eigentümlichkeit gegeben, daß sie von
dem Wissen um ihr Stattfinden begleitet sind. Von dieser be
zeichnenden Besonderheit abgesehen, ergeben sich weitgehende
Gleichartigkeiten mit der äußeren Wahrnehmung. An meinem
Erlebnis der ,Lust aus einer Phantasievorstellung' sind jeden
falls auch ein Empfindungsanteil, ein Auffassungsakt mit Auf
merken und Urteilen als phänomenale Seiten unterscheidbar.
Eine solche Analyse ist freilich etwas Ungewöhnliches, und zwar
nicht nur für den naiven Menschen, sondern auch für manche
Psychologen, die sich so gehaben, als ob die innere Wahrneh
mung nur ein leerer Name ohne konkreten Untergrund wäre.
Eine Wahrnehmungstheorie aber, die nicht auch das Erkennen
des Psychischen mit voller Sorgfalt behandeln würde, wäre eben
nur eine Halbheit.
Es wird uns nun obliegen, die angeführten Merkmale des
Wahrnehmungsprozesses einzeln einer genaueren Prüfung zu
unterziehen.
l*
4
VI. Abhandlung: Kreibig.
3.
Wenden wir uns zunächst der Empfindung zu. Wenn
wir den Begriff ,Empfindung' rein für sich fassen, so liegt in
ihm noch kein Urteilselement und somit auch noch keine Er
kenntnis. Jede Erkenntnis von Tatbeständen hat nämlich die
Form des Urteils. Empfindung ist zunächst etwas psychisch
Passives, ein Vorfinden von Qualitäten in gewisser Intensität
oder Stärke; als aktives Element muß lediglich ein Minimum
von Aufmerksamkeit hinzutreten, ohne welches das Bewußt
werden eines Erlebnisses überhaupt nicht eintritt. Eine reine
Empfindung in dieser theoretischen Isolation kommt selbstver
ständlich nicht vor; vielmehr wird der Empfindungsstoff, wenn
er hinreichende Bewußtseinshelligkeit gewonnen hat, stets vom
Denken ergriffen und zu einer Wahrnehmung gestaltet.
Die äußere Empfindung wird durch die Sinne vermittelt,
d. i. von Organen des Leibes, welche zur Aufnahme und Ver
arbeitung bestimmter Reize der Außenwelt adaptiert sind. Die
Empfindung als Psychisches kann natürlich durch den Hin
weis auf die Sinne als Physisches nicht definiert, sondern
nur gekennzeichnet werden. Die Annahme einer inneren
Empfindung in dem Sinne des Vorfindens von Zuständen
und Abläufen in der eigenen Psyche scheint uns zu dem
Zwecke unentbehrlich, um am Erlebnisse das Was und dessen
Intensität gegenüber dem darauf gerichteten Aufmerken und
Urteilen beschreibend zu sondern. Irgendein metaphysisches
Präjudiz wird durch die Einführung des Begriffes des inneren
Empfindens natürlich nicht geschaffen. Dagegen müßten wir
uns gegen die Aufstellung eines ,inneren Sinnes' in Analogie
zu den äußeren Sinnen erklären, da die psychischen Erleb
nisse der Erkenntnis unmittelbar — nicht durch Vermitt
lung von Organen — dargeboten sind. Jenes ,Was' des Er
lebnisses, wodurch Lust, Schmerz, Urteil, Schluß, Willens
akt . . . voneinander unterscheidbar werden, können wir als
,psychische Modalität' oder besser als ,psychische Qualität'
bezeichnen; ob ferner statt Intensität etwa ,Lebhaftigkeitsgrad'
oder ,Intensität' bevorzugt wird, ist gleichfalls eine ledig
lich terminologische Angelegenheit. Auch die ,innere Empfin
dung' ist nur ein theoretischer Grenzfall und wird bei un-
Über Wahrnehmung.
5
gehemmtem Verlauf durch die Auffassung zur ,inneren Wahr
nehmung'.
4.
Innerhalb des Aktes der Auffassung, durch den die Emp
findung zur Wahrnehmung wird, hatten wir einen Willensanteil
(Aufmerken) und einen Denkanteil (Urteilen) gesondert. Auf
merken ist ein Wollen, das darauf gerichtet ist, einen Vor
stellungsgegenstand klar und deutlich bewußt zu machen, wobei
,Klarheit' auf das Sichabheben von anderem, ,Deutlichkeit' auf
das Bemerken der Bestimmtheiten des Gegenstandes selbst geht.
Die Begriffe des erwartenden und fixierenden Aufmerkens, der
Enge, Spannung und Konzentration der Aufmerksamkeit dürfen
als bekannt vorausgesetzt werden. 1 Welches Objekt aus einer
dargebotenen Mannigfaltigkeit in einem Zeitpunkte von der
Aufmerksamkeit ergriffen wird, bestimmt das herrschende Inter
esse, also in letzter Linie ein Wertgefühl.
5.
Wesentlich verwickelter liegt die Sache beim Wahrneh-
murigsurteil, durch das der Gegenstand ,erkannt' wird. 2 Beim
Wahrnehmen verhält sich das Subjekt zum Objekt in einer
Weise, die dem bejahenden Existenzialurteil ,dieser Gegenstand
existiert hier' oder ,dieses Etwas hat Dasein in der Außenwelt'
entspricht. Das Existenzialurteil, welches wir als ,primäres'
Wahrnehmungsurteil bezeichnen, wird in der Regel nicht in
ausdrücklicher Urteilsform (explizit) gefällt, sondern bleibt meist
implizit als urteilsmäßiges Verhalten des Wahrnehmenden zum
1 Vgl. Kreibig, Die Aufmerksamkeit als Willenserscheinung. Wien 1892,
p. 29 f.
2 Das Urteil ist (psychologisch) jener psychische Akt, durch den ein be
stimmter Tatbestand als objektiv vorhanden gedacht wird. ,Objektiv
vorhanden 1 bedeutet bei Erfahrungsurteilen das Sein- oder Bestimmtsein
eines Etwas der Außen- oder Innenwelt, bei apriorischen Urteilen das
Bestehen eines Beziehungsverhältnisses zwischen Vorstellungsgegenstän
den. Genau genommen ist somit der spezifische Urteilsgegenstand ein
(positiver oder negativer) Tatbestand. Wenn also in dieser Arbeit
zuweilen von einem Ding, Zustand usf. gesprochen wird, auf den sich
das Wahrnehmungsurteil bezieht, so liegt darin eine verkürzte Ausdrucks
weise für ,objektives Sein- oder Bestimmtsein eines Dings, Zustands usf. 4
6
VI. Abhandlung;: Kreibig.
wahrgenommenen Gegenstände. Zuweilen kann jedoch das
Existenzialürteil explizit werden, beispielsweise nach der Zweifel
erweckenden Frage: ,Halluzinierst Du nicht eine Uhr?', worauf
das Urteil folgen könnte: ,Diese Uhr ist ein wirklicher Gegen
stand in der Außenwelt, ich nehme sie als solchen wahr/ Dem
Existenzialürteil der äußeren Wahrnehmung ist zweifellos auch
ein Merkzeichen, gewissermaßen ein ,Index' eigen, demzufolge
das Objekt als ein Etwas, das nicht das urteilende Subjekt ist,
und zwar als ein Objekt der Außenwelt, gesetzt wird. Da
gegen ist es dem Existenzialürteil der inneren Wahrnehmung
eigen, das Erlebnis — beispielsweise das Lustgefühl — als
solches des eigenen Subjektes zu erkennen. 1 Das Existenzial-
urteil, welches die Uhr als seiend behauptet, und jenes, das sich
auf die erlebte Lust bezieht, sind eben tatsächlich durch ihren
Index verschieden. Die idealistische Erkenntnistheorie wird
diesen Index als ein letztes, nicht weiter erläuterungsfähiges
Datum hinzunehmen haben, während der erkenntnistheoretische
Realist eben in den Indizes die überwältigende Beglaubigung
für die Verschiedenheit der Außenwelt und Innenwelt innerhalb
der Wirklichkeit an sich erblickt. Aber noch in einem anderen,
entscheidend wichtigen Punkte sind die Existenzialurteile der
äußeren und der inneren Wahrnehmung, wenn sie auch beide
aposteriorische, d. h. erfahrungsmäßige sind, ungleicher Natur.
Wie eine nähere Prüfung zeigt, ist nämlich das Existenzial-
urteil über Dinge und Vorgänge nur wahrscheinlich —
allerdings meist bis zum Grade empirischer Sicherheit — da
jedermann durch den Hinweis auf die Möglichkeit einer Sinnes
täuschung zum Zweifel über die Wahrheit jenes Urteils bewogen
werden kann. Es wäre ja sehr wohl möglich, nach längerem
Anblicken einer realen Uhr beim Abwenden des Blickes das
positive Nachbild derselben zu erhalten und bei geringer Auf
merksamkeit das Nachbild für das Bild einer zweiten realen
Uhr zu halten. Da alle Sinne, sogar der im allgemein maximal
verläßliche Tastsinn, der Täuschungsmöglichkeit unterworfen
sind, so wird jedermann leicht zur Überzeugung geführt werden,
1 Es gibt nur einen Weg der Scheidung zwischen Physischem und Psy
chischem: Das Physische ist uns als Etwas, das nicht das erlebende
Subjekt ist, gegeben, das Psychische aber als ein Erlebnis des eigenen
Subjekts.
Über Wahrnehmung.
7
daß Existenzurteile über Objekte der Außenwelt niemals evi
dent gewiß sein können. Eben dies sind aber die Existenzial-
urteile der inneren Wahrnehmung. Wenn ich in einem be
stimmten Zeitpunkte Lust fühle oder Entschlüsse fasse oder
nachdenke . . ., so ist dies während des Erlebens und des Wissens
um dieses Erleben Gegenstand einer unmittelbaren Einsicht und
damit jedem Zweifel entrückt. Daß das Existenzialurteil einer
inneren Wahrnehmung mit Evidenz der Gewißheit statthat,
wird auch durch den selbstverständlichen Umstand nicht berührt,
daß Erinnerungsurteile über Psychisches wie alle sonstigen
Erinnerungen nur Wahrscheinlichkeit aufweisen. Der Fall ist
ja, namentlich in affektiven Verfassungen, nicht ausgeschlossen,
daß wir kurze Zeit nach einem psychischen Erlebnis nicht mehr
sicher wissen, ob der betreffende Zustand oder Ablauf in uns
tatsächlich vorhanden gewesen ist oder nicht, und mit dem
Wachsen der Zeit zwischen Erlebnis und Reproduktion wächst
auch der Einschlag von Unsicherheit im Erinnern. Das am inne
ren Wahrnehmen selbst beteiligte Urteil hingegen ist gleichwohl
evident-gewiß. Es verdient jedoch hervorgehoben zu werden,
daß die Existenzialurteile der inneren Wahrnehmung ganz regel
mäßig implizit bleiben, also nur ein urteilsmäßiges Verhalten des
Subjektes zu seinen Zuständen und Abläufen bedeuten. Der
Fall eines expliziten Urteilens ist hier auf künstliche Ausnahmen
beschränkt, von denen vielleicht ein Annäherungsbeispiel in der
Antwort eines Menschen läge, der auf die Frage: ,Freust Du
Dich denn wahrhaftig darüber? £ ausriefe: ,Ja, ich fühle wirk
liche Freude/ Der Umstand, daß es zwar eine Beobachtung
physischer Phänomene, aber keine eigentliche Beobachtung eige
ner Seelenverfassungen gibt, mag diesen Sachverhalt verständ
lich erscheinen lassen. Jedenfalls besteht für die wissenschaft
liche Analyse kein Grund, an dem komplexen Erlebnis einer
Lust, Wollung, Überlegung . . . nicht auch die urteilsmäßige
Seite neben dem Was des Erlebnisses anzuerkennen, welche Seite
die Erkenntnistheorie überall da anzunehmen Grund hat, wo
ein Wissen um Etwas zustandekommt.
6.
An dieser Stelle sei noch eine wichtige Feststellung ein
geschaltet. Auf die Frage nach dem Kennzeichen, welches eine
8
VI. Abhandlung: Kreibig.
Wahrnehmungsvorstellung von einer reproduzierten Vorstellung
unterscheidet, kann weder mit dem Hinweis auf die geringere
Intensität des reproduzierten Vorstellungsinhaltes, noch mit der
Annahme einer minderen Lebhaftigkeit des erneuernden Vor
stellens (als Akt) geantwortet werden. Das unterscheidende
Kriterium der beiden Grundarten der Vorstellungen liegt viel
mehr im Existenzialurteil: Wahrnehmungen enthalten ein Exi-
stenzialurteil über den vorgestellten Gegenstand, Reproduktionen
entbehren dieses Urteilsbestandteiles. (Daß reproduzierte Vor
stellungen, welche ,Erinnerungen‘ sind, von einem Erinnerungs
urteil begleitet werden, bleibt hiebei außer Betracht.) Auf unser
konkretes Beispiel angewandt, stellt sich der Sachverhalt fol
gendermaßen: Die wirkliche Uhr wird unter Mitwirkung des
Urteiles wahrgenommen, daß der Gegenstand außer mir vor
handen sei; diese Überzeugung fehlt bei der bloß gedachten
Uhr, mag nun ihr Bild noch so lebhaft vor unsere Seele ge
stellt sein. Der Gegenstand einer Erneuerungs vor Stellung be
sitzt eben lediglich ,intentionales' Sein, dem Gegenstand der
Wahrnehmungsvorstellung wird aber ,reales' Sein beigelegt. Nur
im Zustande der Fieberextase kann jene scharfe Grenze zwi
schen Wahrnehmen und Reproduzieren fallweise verwischt er
scheinen, ohne daß hiedurch unsere Aufstellung des Urteils
kriteriums ihre Richtigkeit einbüßte. Unschwer läßt sich ein-
sehen, daß auch der Unterschied einer real erlebten Lust von
einer erinnerten Lust eben im Existenzialurteil liegt, das die
erstere begleitet, die letztere nicht.
7.
Mit dem Urteile, daß der Gegenstand der äußeren oder
inneren Wahrnehmung existiere, ist nun nicht der Inhalt der
wahrnehmenden Erkenntnis erschöpft, zu dieser gehört offenbar
auch die Zuerkennung gewisser Bestimmtheiten 1 an die Objekte.
1 An dieser Stelle mag der Hinweis genügen, daß sich alle Bestimmtheiten
der Wirklichkeit entweder als ,Beschaffenheiten 1 oder als ,Räumlichkeit',
beziehungsweise ,Zeitlichkeit* darstellen. Die nähere Erläuterung hiezu
folgt an späterer Stelle anläßlich der besonderen Erörterung von Raum
und Zeit.
Über Wahrnehmung.
9
Diese Bestimmtheiten sind teils Beschaffenheiten, teils räumliche,
beziehungsweise zeitliche Bestimmtheiten. Nicht bloß, daß die
Uhr und die Lust ein Dasein haben, sondern auch das Weiß,
Ticken, Gewicht. . . der Uhr und die Lebhaftigkeit, Darbietungs
weise, Reinheit . . . der Lust gelangen beim Wahrnehmen zur
Kenntnis des Subjekts. Überdies wird die Uhr als in einem
Raume befindlich, die Lust als in einer Zeit verlaufend erfaßt.
Das Innewerden des Subjekts, daß einem Gegenstände gewisse
Beschaffenheiten und räumliche, beziehungsweise zeitliche Be
stimmtheiten zukommen, entspricht einem solchen Verhalten des
Subjekts zum Objekt, wie es dem Urteilsakt eigen ist. Wir
erblicken kein Wagnis darin, das Erkennen von Bestimmtheiten
am Wahrgenommenen dem sekundären Wahrnehmungs
urteil, das ein Beschaffenheits-, beziehungsweise Einordnungs
urteil ist, zuzusprechen. Daß die Uhr weiß und rund, die Lust
hochgradig und kurzwährend ist, wird durch solche Urteile er
kannt. Das Sein und Bestimmtsein wird dem Gegenstand beim
Wahrnehmen unter einem prädiziert, denn es ist wohl aus
geschlossen, ein einfaches Etwas ohne alle Bestimmtheit in quali
tativer, intensiver und räumlich-zeitlicher Hinsicht zu erfassen
— mögen nun auch die Beschaffenheiten oder die räumlich-
zeitlichen Verhältnisse zuweilen wenig klar und deutlich zum
Wissen gelangen. Existenzial- und Bestimmungsurteil der Wahr
nehmung sind eben nicht zwei zeitlich getrennte Urteils
akte, sondern zwei Seiten, die der Erkenntnistheoretiker an ein
und demselben Verhalten des Subjekts zu sondern Anlaß hat.
Damit stimmt auch die Tatsache überein, daß die Bestimmungs
urteile der äußeren Wahrnehmung ebenso wie deren Existenzial-
urteile bloß Wahrscheinlichkeitscharakter besitzen, während den
Bestimmungsurteilen der inneren Wahrnehmung Evidenz der
Gewißheit (gleich den Existenzialurteilen über Psychisches) zu
kommt. Sollte gefragt werden, wieso es komme, daß den Be
stimmungsurteilen über die Dinge und Vorgänge erfahrungs
gemäß viel geringere Zuversicht zugemessen zu werden pflegt
als den Existenzialurteilen über Objekte der Außenwelt, so wäre
auf die Häufigkeit der Sinnestäuschungen hinsichtlich der Un
terscheidung der Qualitäten physischer Erscheinungen hinzu
weisen. Es ist in der Tat leichter, in einem naiven Menschen
Zweifel darüber zu wecken, daß die flüchtig gesehene Schlange
10
VI. Abhandlung 1 : Kreibig.
grün war, als daß sie überhaupt nicht vorhanden gewesen sei.
Wohl aber wird das Urteil, daß die gesehene Schlange ,eine
Farbe überhaupt' besaß, gleichen Zuversichtsgrad wie die An
erkennung ihres Vorhandengewesenseins aufweisen. Wenn auch
die beiden Aste des Wahrnehmungsurteils vielleicht nicht gleich
leicht dem Zweifel zugänglich sind, so liegt darin noch kein
Grund, sie als phänomenal gesonderte Akte nebeneinander oder
gar nacheinander zu stellen. Bei den Bestimmungsurteilen der
inneren Wahrnehmung besteht jedenfalls Evidenz. Eine Ver
wechslung von Wollen und Denken oder von Lust und Schmerz
ist ausgeschlossen, wenn auch zuweilen in komplizierten Seelen
verfassungen hinterher ein Zweifel darüber bestehen kann, ob
das Ei’lebte (z. B. eine Rührung, ein Motivkampf) unter diese
oder jene psychologische Kategorie zu subsumieren sei. Des
halb hatte doch das Erlebnis während ihres Stattfindens seine
unzweideutig erkannte Qualität und Intensität. Es bedarf wohl
keiner ausdrücklichen Erörterung, daß die Erinnerungsurteile
über die Bestimmtheit von Psychischem keine Evidenz der Ge
wißheit haben, sondern lediglich die Zuversicht des Wahrschein
lichen. Werden daher psychische Abläufe wahrgenommen, die
nicht in einem Bewußtseinsakt zusammengefaßt werden können,
so mischt sich mit dem Erinnerungsbestandteil ein Element mit
bloßer Wahrscheinlichkeit in den Prozeß. Ein Kranker kann
sich denn auch ausnahmsweise darüber täuschen, ob sein Schmerz
seit einer Stunde zugenommen hat oder nicht.
8.
Die soeben durchgeführten Analysen haben die Bestand
stücke vor Augen geführt, welche den Auffassungsvorgang zu
sammensetzten. Zur Vollendung der Schilderung des Tatbestan
des einer Wahrnehmung scheint uns jedoch noch ein Letztes
zu gehören, jenes eigenartige Vereinigen der einem Seienden
zukommenden Bestimmtheiten zu dem individuellen Ganzen, das
wir mit den Namen Ding, Vorgang, Zustand und Ablauf fest-
halten. Diese vier Namen bezeichnen, insofern wir uns auf das
erfahrungsmäßig Gegebene beschränken, ,Gestaltqualitäten' oder
,Gestalten'.
Über Wahrnehmung.
11
Der Begriff der Gestaltqualität ist vergleichsweise jung
und noch nicht unbestritten definiert. 1 Der damit zu bezeich
nende Sachverhalt liegt jedoch mit voller Klarheit vor. Eine
weiße runde Scheibe, die Ziffern I—XII, zwei Zeiger, Tick
laute, Glätte, Schwere . . . neben- oder nacheinander gesetzt liefern
noch nicht das Ding ,Uhrh Damit das Ding als solches erfaßt
werde, bedarf es eines einigenden Bandes, das diese Bestimmt
heiten zusammenhält. Dieses Band wird durch die Relationen,
welche zwischen den Bestimmtheiten bestehen, erzeugt und mag
Gestaltqualität, Gestaltmerkmal, fundierter Inhalt oder Gestalt
in einem weiten, nicht bloß Körperliches betreffenden Sinne ge
nannt werden. Die Gestalt ist keinem Bestandstück des Kom
plexes, sondern nur dem Ganzen eigen, es bildet ein neues
Merkmal desselben, das zu der Summe der Bestandstücke hin
zutritt. Weder die Weiße und Scheibenform, noch die Ziffern
und Zeiger, noch endlich die Ticklaute und Glätte . . . sind
einzeln genommen das Ding, welches die Uhr darstellt; das
Ding wird erst dadurch ein Ding, daß sich jene Qualitäten und
Formen zur gleichen Zeit im gleichen Raumbezirk durchdringen,
wobei sie in gewissen Beziehungen, deren Art wir an späterer
Stelle bezeichnen werden, zueinander stehen. Versuchen wir
diesen Sachverhalt in eine Definition zu fassen, so ergibt sich
die folgende: Gestaltqualität ist das zur Summe der Bestand
stücke auf Grund gewisser Relationen hinzutretende neue Merk
mal des komplexen Ganzen. Gestalt weist ebenso auch die
Melodie vermöge der Anordnung der darin enthaltenen Töne
und Pausen auf (nämlich eine musikalische Gestalt). Nicht
minder bedeuten der sinfonische Satz und die Sinfonie Gestalt
qualitäten, und zwar solche ,höherer' Ordnung. Natürlich sind
alle geometrischen Figuren, Menschenleiber, Maschinen . . . aber
in übertragener Bedeutung selbst Ehepaare, politische Verbände,
Rassen . . . Gestalten, welche ihre Teile zu einem neue Merk
male aufweisenden Ganzen zusammenschließen. Die substantivi
schen Worte der entwickelten Sprache sind zu einem großen
Teile Zeichen für solche Gebilde des verbindenden Denkens.
1 Eine genaue Prüfung der Gestaltqualität und den Nachweis der Literatur
über diese« Begriff enthält das Buch ,Kreibig, Die intellektuellen Funk
tionen 1 , Wien 1909, p. 111 ff. Wir beschränken uns hier auf die Hervor
hebung des für die vorliegende Untersuchung Wichtigsten.
12
VI. Abhandlung: Kreibig.
Kehren wir zu unserem Ausgangspunkt zurück, so stellt sich
uns das ,Ding' der Erfahrung als Gestaltqualität seiner Be
stimmtheiten dar. Die Annahme einer von den Bestimmungen
unabhängigen ,Substanz' als Träger derselben ist außerempirisch.
Gestalt im erörterten Sinne bildet auch das Wesen des
,Vorganges' der Außenwelt, welcher eine Mehrheit wechselnder
Bestimmtheiten desselben Gegenstandes innerhalb der Zeitreihe
umfaßt. Die wichtigste Art von Vorgängen innerhalb des Kör
perlichen ist die Bewegung; sie vereinigt die Reihe verschiede
ner Orte eines Dings innerhalb der Zeitreihe in einer Weise,
die das Ganze zu einem Kontinuum stempelt.
Zu den Gestaltqualitäten rechnen wir endlich die ,Zu
stände' der Innenwelt, eines für wissenschaftliche Zwecke er
forderlichen Querschnittes aus dem ,Ablauf' des psychischen
Erlebens. Ein Zustand oder ein Ablauf bedeutet, wenn er über
haupt als individualisiertes Erlebnis auftritt, nicht etwa die bloße
Summation von Empfindlings-, Denk-, Gefühls- und Willens
bestandteilen, sondern ist der Ausdruck für ein qualitativ be
reichertes Ganzes. Im letzten Grunde stellt nicht nur jeder
Wachzustand, sondern das Ganze, was wir ,Seele' eines Subjekts
nennen, eine Gestalt dar; die Seele ist die Gestaltqualität höch
ster Ordnung der psychischen Gegebenheiten in einem Subjekt.
Die- Gestaltqualität, sofern sie einem geeinten Ganzen ein
neues Merkmal auf drückt, ist es auch, welche das einzelne
Ding, den konkreten Zustand . . . inmitten der Totalität beson-
dert und dadurch zu einem Individuum macht, d. h. in der
Gestaltqualität haben wir das wahre principium individuationis
der Erfahrung zu erblicken.
Noch eine hieher gehörige Frage bedarf kurzer Erörterung.
Es kann ein Zweifel darüber entstehen, ob die Erfassung der
Gestaltqualität noch zu den Bestandteilen des eigentlichen Wahr
nehmens zu rechnen sei oder nicht. Wir glauben einen ver
neinenden Standpunkt einnehmen zu müssen. Was zum Wahr
nehmen als solchem gehört, ist unseres Erachtens mit dem Wahr
nehmungsurteil abgeschlossen. Am Erkennen der Gestalt ist
jedoch auch trennendes und verbindendes Denken (Unterschei
den der Bestimmtheiten, Beziehen derselben auf einen gemein
samen Gegenstand) beteiligt. Am richtigsten dürfte es sein, die
Gestalterfassung für eine Ergänzung der Wahrnehmung zu
Über Wahrnehmung’.
13
erklären, die in natürlicher Fortsetzung der primären Anschau
ung einer sekundären Anschauung zu danken ist. An manche
(nicht alle) Wahrnehmungen schließen sich ferner Assimilationen
(Verschmelzungen) und Kolligationen (Vereinigungen) von homo
genen oder heterogenen Bewußtseinsinhalten an, welche Denk
akte jedoch auf keinen Fall für die Wahrnehmung konstitutiv
sein können.
Sind wir mit unserer bisherigen Untersuchung auf dem
rechten Wege, so ergibt sich folgendes allgemeines Schema des
ergänzten Wahrnehmungsprozesses:
I. Empfindungsanteil;
II. Auffassungsvorgang:
A. Willensanteil: Aufmerksamkeit,
B. Denkanteil: Wahrnehmungsurteil, einschließend die
1. Existenzial-Prädikation,
2. Bestimmungs-Prädikation, und zwar
a) Beschaffenheiten, nämlich Qualitäten ge
wisser Intensität;
b) Räumlichkeit gewisser Extensität oder
Zeitlichkeit gewisser Dauer;
III. Ergänzung durch Erfassung der Gestaltqualität.
9.
Wir hatten sowohl hei den äußeren als bei den inneren
Wahrnehmungen den Wahrnehmungsinhalt und den Wahrneh
mungsgegenstand auseinandergehalten. Der Wahrnehmungs
inhalt ,Uhr' bestand aus den Eindrücken weiße, runde Platte
mit schwarzen Strichen, Geräusch, Gewicht . . .; der Wahrneh
mungsgegenstand war die Uhr selbst, auf welche jene Inhalts
bestandteile bezogen werden. Die Erkenntnistheorie lehrt uns
jedoch, daß wir bei dieser Beschreibirng bisher eine unberech
tigte Vereinfachung des Sachverhaltes platzgreifen ließen. Der
Erkenntnis des Physischen ist nämlich der reale Gegenstand
nicht unmittelbar zugänglich, sondern nur der phänomenale
Gegenstand, die ,Erscheinung'. Was wir in der äußeren Wahr
nehmung direkt ergreifen, ist das Phänomen, welches sich
zwischen den Wahrnehmungsinhalt und dem wirklichen Ding
der Außenwelt eingeschoben darstellt. Die Erscheinung der.
14
VI. Abhandlung*: Kreibig.
Ulir ist das uns direkt Dargebotene und das Existenzialurteil
greift über dieses Datum hinaus, indem es auf die Realität
des Objekts Uhr geht. In diesem Hinausgreifen liegt ein Tran
szendieren, aber ein solches, das unwiderstehlich und unentbehr
lich ist. Der absolute Idealist muß — vermöge der als Fak
tum hinzunehmenden Natur unseres Erkenntnisvermögens —
ebenso wie der naive Realist beim Anblick des Wahrnehmungs
gegenstandes das realisierende Seinsurteil und damit eine Tran
szendenz vollziehen, welche durch keinerlei erkenntnistheoreti
sches Raisonnement hinwegdisputiert werden kann. Wir glauben,
daß der Idealist nicht berechtigt ist, diesem Zwang seine wahre
Bedeutung abzusprechen, die darin liegt, daß damit das Phä
nomen als Zeichen der Realität dokumentiert wird. 1 Das
notwendige Hinausgreifen des Existenzialurteiles (und auch des
Bestimmungsurteiles) der Wahrnehmung ist nur verständlich,
wenn den Erscheinungen eine funktional zugeordnete Realität
entspricht, andernfalls wäre unser Erkenntnisvermögen von
vorneherein sinnlos eingerichtet, ein decipi in infinitum. Daß
unser Glaube an die Existenz und bestimmte Beschaffenheit der
Außenwelt einen außerordentlich bedeutenden Wahrheitsgehalt
besitzt, zeigen die Tatsachen, daß wir leben, Wissenschaft treiben
und die Natur beherrschen. Und wenn auch für die Behaup
tung einer wirklichen Außenwelt, als deren Zeichen uns die
Phänomene dargeboten sind, kein Beweis mit Evidenz der Ge
wißheit möglich ist, so quillt doch aus jenen Tatsachen ein
Wahrscheinlichkeitsbeweis mit dem Grade empirischer Sicher
heit, dem wir uns — nach jeder Art Logik — unterwerfen
1 Auf die Frage, welcher Seinsstufe die Phänomene zugehören, wäre fol
gendes zu antworten. Wir unterscheiden drei Arten oder Stufen des
Seins:
a) die reale Existenz der Dinge und Vorgänge in der Außenwelt,
der Zustände und Abläufe der Innenwelt;
b) das phänomenale Sein der Erscheinungen, als Zeichen der Realität,
c) das intentionale Sein, d. h. das Vorhandensein in der Vorstellung.
Die Dinge und Vorgänge der äußeren Wirklichkeit fallen also
unter a), ebenso aber die Wahrnehmungsinhalte, welche psychische Er
lebnisse mit realer Existenz sind. Die Phänomene erfüllen das Gebiet b),
während die Gegenstände der Reproduktionsvorstellungen (mit Einschluß
der Erinnerungs- und Phantasievorstellungen von den äußeren Dingen
und Vorgängen) unter c) fallen.
Über Wahrnehmung-.
15
müssen. 1 Es ist irrig, wenn die absoluten Idealisten behaupten,
daß ihre Annahme der Nichtexistenz einer Realität außer den
Erscheinungen deshalb glaubhaft sei, weil diese Annahme nicht
denkunmöglich, d. h. den formalen Denkgesetzen nicht wider-
streitend sei. Die Denkmöglichkeit ist keine Instanz zugunsten
einer solchen Annahme und den Idealisten verbleibt die volle
Beweislast für die These, daß unsere Wahrnehmungsurteile samt
und sonders absurd seien, weil sie auf ein Nichts gerichtet sind.
Diese Beweislast ist aber angesichts der maximalen Wahrschein
lichkeit des Gegenteiles nicht zu bewältigen. 2 Gegen unsere
Auffassung, daß die Phänomene funktional zugeordnete Zeichen
der äußeren Wirklichkeit seien, können auch die Sinnestäu
schungen nicht ins Feld geführt werden, da selbst in einer
Welt, die aus bloßen Erscheinungen besteht, Täuschungen in
gleichem Ausmaße möglich sind. Jedes Unterfangen, die reale
Außenwelt zu etwas Psychischem verflüchtigen und damit ,im
manent bleiben zu wollen, führt zuletzt notwendig zu den Un
geheuerlichkeiten des Solipsismus, mag nun das Ich, welches
die Erscheinungen produziert, eng oder weit, individuell oder
überindividuell genommen werden. Das Überschreiten der Grenze
des unmittelbar Gegebenen durch den Realisten stellt ein Mini
mum an Transzendenz dar, welches die Voraussetzung für den
Bestand des Lebens, der Wissenschaft und der Technik liefert,
aber andererseits über den Rahmen des Unumgänglichen nicht
hinausgeht.
Daß unsere Argumentation im Wesen ebenso jenen ge
mäßigten Idealismus widerlegt, welcher behauptet, daß die äußere
1 Um nicht mißverstanden zu werden, bemerken wir ausdrücklich, daß
uns eine Anerkennung des pragmatistischen Wahrheitsbegriffes ferne liegt.
Für uns ist die Wahrheit das Merkmal eines Urteiles, das denjenigen
Tatbestand behauptet, der im Bereiche der beurteilten Gegenstände vor
handen ist. Bei den äußeren Wahrnehmungsurteilen wird der Bereich
der beurteilten Gegenstände durch die realen Objekte der physischen
Wirklichkeit gebildet. Die Hervorhebung der praktischen Bewährung
der Wahrnehmungsurteile soll im Grunde dem Zwecke dienen, nachzu
weisen, daß die Zuversicht in die gegenständliche Wahrscheinlichkeit
dieser Urteile logische Berechtigung besitzt und nicht zu den grundlosen
Meinungen zu rechnen ist.
2 Genauere Ausführungen hierüber finden sich in Kreibig, Die intellek
tuellen Funktionen. Wien 1909, S. 266 ff.
16
VI. Abhandlung: Kreibig.
Realität, mag sie auch bestehen, der Erkenntnis in jedem Sinne
unzugänglich sei; bedarf keiner weiteren Erörterung. Es genügt
für das philosophische Weltbild des kritischen Realismus, wenn
das reale Sein der Außenwelt und ihr Besitz an verschiedenen,
nicht näher bekannten Bestimmtheiten, denen unsere Sinnes
qualitäten und Intensitäten korrespondieren, indirekt erkannt
wird. 1 Daß aber in dieser Beschränkung eine Erkenntnis tat
sächlich erfolgt, wird eben durch unsere Beherrschung der Natur
im nachhinein empirisch gesichert.
Das soeben Dargelegte fordert noch eine Ergänzung. Es
kann auf den ersten Blick befremden, daß dem Wahrnehmungs
inhalte zwei Gegenstände, der phänomenale und der reale Ge
genstand, gegenüberstehen. Tiefere Prüfung zeigt aber, daß
auch der Vorstellungsinhalt ein anderer ist, wenn uns das
Sinnesdatum als bloße Erscheinung (wie beispielsweise beim
Nachbild) entgegen tritt; es gibt daher in Wahrheit zweierlei
Inhalte, die zweierlei Gegenständen entsprechen, welcher Um
stand die angeführte Paradoxie beseitigt. Der Inhalt einer echten
Sinneswahrnehmung hat eben nur einen Gegenstand zum Kor
relat, nämlich den realen, zur äußeren Wirklichkeit gehörigen
Gegenstand. Beim Wahrnehmen der Uhr vor mir glaube ich
an die Existenz des wirklichen Dings, nicht an das Vorhanden
sein einer Erscheinung. Davon, daß das Phänomen die Ver
mittlerrolle spielt, weiß der Wahrnehmende beim sinnlichen
Wahrnehmen nichts und erst die erkenntnistheoretische Kritik
berichtigt den naiven Realismus des Wahrnehmenden für wissen
schaftliche Zwecke, natürlich ohne daß der letztere deshalb
fortan dem Zwange zum Transzendieren entrückt wäre.
Auf die Frage nach dem eigentlichen Träger der Sinnes
qualitäten und Intensitäten antwortet der kritische Realismus
1 Fechner hat in seiner ,Tagesansicht gegenüber der Nachtansicht, Leip
zig 1879“ bekanntlich folgenden Gedanken entwickelt: Es könne freilich
nicht mit Evidenz bewiesen werden, daß die Dinge der Welt an sich
licht, farbig, tönend . . . seien, ebensowenig lasse sich aber beweisen, daß
dieselben dunkel, farblos, stumm . . . seien, die Wahrscheinlichkeit neige
sich vielmehr der ersteren Ansicht (der Tagesansicht) zu. Gegen die
Tagesansicht spreche gewiß nicht die Lehre der Physik, daß die auf die
Sinnesorgane wirkenden Reize Atorasehwingungen seien; der Ton, der in
das Telephon eingeht, werde ja auch in der Form elektrischer Wellen
zum Empfiinger geleitet, welcher wiederum einen Ton höre.
Über Wahrnehmung.
17
folgendermaßen: Farbe, Schwere, Geruch . . . kommen jedenfalls
keinem psychischen Erlebnis zu und sind nicht Beschaffenheiten
des Inhaltes der Wahrnehmungsvorstellung, d. h. des in der
Psyche vorhandenen Bildes der äußeren Dinge. Andererseits kann
für wissenschaftliche Zwecke auch keineswegs dem naiven
Realismus, der jene Qualitäten ohneweiteres als Eigenschaften
des Wirklichen nimmt und damit über Gebühr transzendiert,
beigepflichtet werden. Der einzige und zugleich richtige Ausweg
liegt vielmehr darin, in den Sinnesqualitäten und Intensi
täten Beschaffenheiten der Erscheinung zu erblicken und
die Frage nach dem Wie der Beschaffenheiten der äußeren
Realität offen zu lassen. Von der Außenwelt als solcher wissen
wir in diesem Punkte nicht mehr, als daß sie überhaupt Be
stimmtheiten verschiedener Art besitze und daß mindestens
einem Teile dieser Bestimmtheiten die wahrgenommenen, phä
nomenalen Beschaffenheiten verschiedener Art eindeutig ent
sprechen. 1 Im letzten Grunde ist somit nicht mehr, aber auch
nicht weniger als eine funktionale Verbindung zwischen der
independent Variablen der Wirklichkeit und der dependent
Variablen des Phänomens gegeben.
10.
Von dieser Grundlage aus gelingt es denn auch, die Er
kenntnis der inneren Erlebnisse, die Wahrnehmung des Psy
chischen, in ihrer Eigenart zu kennzeichnen. Es gibt eine
reale Innenwelt, welche hinsichtlich der Existenz und der Be
stimmtheiten direkt erkennbar ist. Die Gegenstände des in
neren Wahrnehmens sind die realen psychischen Zustände und
Abläufe selbst, nicht etwa Phänomene als Zeichen der Realität.
Beim inneren Wahrnehmen schiebt sich nicht etwa die Er
scheinung zwischen die Wirklichkeit und dem der Wahrneh-
1 Daß die Außenwelt eine viel größere Zahl von Bestimmtheiten besitze,
als uns durch die sinnliche Erfahrung- vermittelt wird, hat zuerst Fech-
ners Tagesansicht glaubhaft gemacht. Sehen wir recht, so ist auch die
räumliche Bestimmtheit zunächst als solche der Erscheinung gegeben,
bedeutet aber wiederum das Zeichen einer korrespondierenden Art von
Bestimmtheit der physischen Realität.
Sitzungsber. d. phil.-hi.st. Kl. J68. Bd. G. Ahh. 2
18
VI. Abhandlung: Kreibig.
mung direkt Dargebotenen ein. 1 Das innere Wahrnehmungs-
urteil transzendiert nicht, es ist vermöge der direkten Zugäng
lichkeit seines Gegenstandes evident gewiß, und zwar sowohl
hinsichtlich der Existenz als in bezug auf die Bestimmtheiten
des Wahrgenommenen. Nur solche Bestimmtheitsurteile über
Psychisches, deren Materie auch reproduzierte Bestandteile (z. B.
erinnerte Gefühle und Motivenkonflikte) einschließt, besitzen,
wie an früherer Stelle hervorgehoben, lediglich die Beglaubigung
wahrscheinlicher Erkenntnisse. So selbstverständlich auch diese
Charakteristik auf den ersten Blick erscheinen mag, so bedarf
sie doch noch der Rechtfertigung gegen einen wichtigen Ein
wand prinzipieller Natur.
Es wird von manchen Seiten behauptet, daß bei psychi
schen Erlebnissen Wahrnehmungsinhalt und Wahrnehmungs
gegenstand dasselbe seien, weshalb der Fortfall der Unter
scheidung von Inhalt und Gegenstand diese Erlebnisse geradezu
definiere. Die nämlichen Erkenntnistheoretiker pflegen damit
die skeptische Ansicht zu verbinden, daß überhaupt die innere
Wahrnehmung etwas Unmögliches sei, weil sie eine Spaltung des
Ich in einen urteilenden und einen (Gefühl, Wollung, Denk
vorgang . . .) erlebenden Teil voraussetze, was einen Widersinn
darstelle. Allein vor dieser Skepsis brauchen wir nicht die
Waffen zu strecken. Das Auseinanderhalten von Inhalt und
Gegenstand bedeutet ja kein materielles Teilen des Erlebnisses
und noch weniger ein zeitliches Nacheinander. Durchaus zweifel
los ist unseres Erachtens die Tatsache, daß wir um das Statt
finden und die Art unseres Erlebnisses wissen, und zwar wäh
rend des Erlebens selbst. Wie sollten sonst Erlebnisse eines
Bewußtseinszustandes in dem darauffolgenden eine Rolle spielen
können (man denke etwa an den Vorgang eines Motivenkonflik-
tes) und wie wäre anders die Erinnerung an frühere psychische
Zustände und Abläufe möglich? Wenn wir aber um jene Er
lebnisse wissen, dann verhält sich unser Subjekt jedenfalls auch
urteilsmäßig und dies fordert wiederum einen Urteilsinhalt,
dem ein Urteilsgegenstand entspricht. Der Gegensatz zwischen
1 Es ist daher unzutreffend, von psychischen Phänomenen oder Erschei
nungen zu sprechen, statt von Erlebnissen oder — wenn dies nicht etwa
abundant sein sollte — von psychischen Erlebnissen.
Über Wahrnehmung.
19
Inhalt und Gegenstand ist eben ein rein erkenntnistheoretischer,
kein Ausdruck für verschiedene Abschnitte, welche die deskrip
tive Psychologie nachzuweisen hätte. Beim inneren Wahrnehmen
wird das Ich nicht gespalten, sondern am Ich in erkenntnis-
theoretischem Belange zweierlei beachtet. Die ganze scheinbare
Schwierigkeit schwindet mit einem Schlage, wenn man bedenkt,
daß sich psychische Erlebnisse überhaupt dem Bewußtsein als
ein ganzes Ungeteiltes (und zwar als Stadien eines Ablaufes)
darbieten, welches Ganze jedoch von der psychologischen Ana
lyse für komplex befunden und hinsichtlich ihrer verschiedenen
Aspekte beschrieben wird. An dem komplexen Wahrnehmungs-
vorgange beachtet die Wissenschaft eine Empfindungsseite
(z. B. Schmerz), eine Urteilsseite (z. B. Existenzialurteil), eine
Willensseite (z. B. Fliehen) . . ., ohne damit ein Neben- oder
Nacheinander statuieren zu wollen. Dies gilt offenbar von den
inneren Wahrnehmungen ebenso wie von den Akten des Er
fassens physischer Objekte.
11.
Wir hatten bereits bei der ersten vorläufigen Analyse des
Wahrnehmungsvorganges darauf hingewiesen, daß den Wahr
nehmungsobjekten neben den Beschaffenheiten noch andersartige
Bestimmtheiten, die Räumlichkeit und Zeitlichkeit, zukommen.
Es wird sich im folgenden zeigen, daß die besondere Stellung
dieser Bestimmtheiten zu ihren Gegenständen die Kennzeichnung
des Raumes und der Zeit als objektive Bedingungen des Wahr
nehmens, welchen auf der psychischen Seite sogenannte Wahr-
nehmungs- oder Anschauungsformen entsprechen, rechtfertigt.
Zunächst sei die Räumlichkeit als wahrgenommene Be
stimmtheit der Außendinge näher ins Auge gefaßt. 1
Eine Definition des Raumes zu geben, ist in jedem Sinne
unmöglich und bei seiner Natur als Element der Erkenntnis
auch entbehrlich. Gleichwohl erscheint es uns sehr wichtig,
das Wesen des Raumes und dessen Verhältnis zu den sonstigen
1 Wir verweisen bezüglich der in diesem Abschnitte behandelten Frage
auf die vortreffliche, hier teilweise verwertete Abhandlung von Sclimied-
Kowarzik ,Raumanschauung und Zeitanscliauung‘ im Archiv für die ges.
Psychologie, Bd. 18, 1. Heft, Leipzig 1910.
2*
20
VI. Abhandlung: Kr ei big.
Bestimmtheiten des sinnlichen Wahrnehmungsobjektes zu kenn
zeichnen, freilich ohne daß wir es deshalb als unsere Aufgabe
ansehen können, das ungeheuere Baumproblem im Rahmen der
vorliegenden Studie, die nur an einem ziemlich beschränkten Aus
schnitt dieses Problems interessiert ist, aufzurollen. Zunächst
sei, einer alterprobten aristotelischen Maxime stattgebend, eine
Anzahl von Aquivokationen des Namens Raum hervorgehoben.
In der Tat lehrt eine Umschau Uber die verschiedenen An
wendungen dieses Namens, daß wir es hier mit mindestens vier
unterscheidungsbedürftigen Sinnvarianten zu tun haben: dem
Raum als Wahrnehmungsbestandteil, als Begriff der physikali
schen Erfahrungswissenschaften, als Begriff der Geometrie und
als Begriff der Erkenntnistheorie. Diese Varianten entstehen
vermöge verschiedener Grade der Verallgemeinerung, beziehungs
weise vermöge verschiedener Richtungen der Abstraktion vom
sinnlich Gegebenen. Der Raum der Physiologie, welcher Züge
des physikalisch-erfalirungswissenschaftlichen Begriffs und der
Wahrnehmungspsychologie vereinigt, kann wohl nicht als selb
ständige terminologische Schöpfung gelten und es sei nur so viel
darüber festgestellt, daß sich aus unserer späteren Erörterung
die volle Haltlosigkeit der Annahme eines ,Raumsinnes‘, welcher
dem Sehsinn, Hörsinn, . . . nebengeordnet wäre, ergeben wird.
Auch vom metaphysischen Raumbegriffe, der sich an erkennt
nistheoretische Erwägungen anlehnt, sei hier nicht die Rede.
Daß von den Raumauffassungen der Erkenntnistheorie im fol
genden speziell die Kantsclie in den Vordergrund gerückt wird,
möge dem Verfasser im Interesse gewisser prinzipieller Entgegen
stellungen zugute gehalten werden. Es wird nun beim Vergleich
der hier aufgezählten Sinnvarianten sofort klar, daß Wahr
nehmungspsychologen, Physiker, Geometer und Erkenntnistheo
retiker von beträchtlich verschiedenen Gegenständen sprechen,
wenn sie das Wortzeichen ,Raum‘ anwenden, und ein Großteil
des Streites um die Wesensbestimmung des Raumes ist schon
damit der Klärung nahegebracht. Wer wollte zweifeln, daß der
Raum als Bestimmtheit der getasteten Dinge ein endliches,
erfülltes Kontinuum mit drei Abmessungen darstelle, das in den
Bereich der Wahrnehmung fällt und in auschaulichen Erinne
rungsvorstellungen reproduziert wird, während der Raum der
geometrischen Wissenschaft ein Reihengebilde unendlicher Art
Über Wahrnehmung.
21
ist, welches wie jeder Begriff durch ein Zusammenwirken tren
nenden und verbindenden Denkens (der Abstraktion und Notioni
sation) entsteht und in welchem Begriffe die Zahl der Dimen
sionen zur beliebigen Besonderung offen bleibt. Ebenso ein
leuchtend ist es, daß die Erfahrungswissenschaften vom Schlage
der Physik mit einem ganz andern Baumbegriffe operieren, als
ihn die apriorische Anschauungsform des äußeren Sinnes nach
Kant darstellt. Es wäre unseres Erachtens ganz unberechtigt,
diese verschiedenen Raumauffassungen gewissermaßen zum Tur
niere herauszufordern und dann eine spezielle Auffassung durch
den Nachweis ihrer Begründung — die natürlich den gegneri
schen Wesensbestimmungen fremd ist — siegen zu lassen. Der
wahre Feind der wissenschaftlichen Problemerforschung ist hier
wie anderwärts jener schwächliche Synkretismus, der Züge
aus den verschiedenen Auffassungen zusammenträgt und sie
durch, gewaltsame Umdeutungen ,versöhnen' möchte, ohne zu
bedenken, daß die Wissenschaften durch Zweckgesichtspunkte,
also in letztem Grunde durch Wertmomente, ihre wohlberechtigte
Gebietsabgrenzung vollziehen und vollziehen müssen. Zur Illu
stration dieser Tatsache und im Interesse der Vereinfachung der
später versuchten Stellungnahme zur Raumfrage vom Stand
punkte der Wahrnehmungslehre sei gestattet, an dieser Stelle
eine kleine Tabelle mit Schlagworten beizufügen, die selbstver
ständlich auf sachliche Vollständigkeit keinen Anspruch erheben
und nur Durchschnittsmeinungen verzeichnen kann (s. S. 22).
Wie bereits bemerkt, wollen wir uns auf eine Erörterung
des Raumes als Wahrnehmungsdatum beschränken, und zwar
in der weiteren Verengerung der Fragestellung auf den Punkt,
in welchem Sinne von der räumlichen Bestimmtheit der einzelnen
Außendinge zu sprechen ist. Um den Gedankengang klarer
gliedern zu können, sei es uns erlaubt, die schließliche Antwort
vorwegzunehmen: Die räumliche Bestimmtheit der Außendinge
ist dahin zu definieren, daß dieselben als im Raume befindlich
wahrgenommen werden, womit eine durchaus andere Relation
gekennzeichnet ist als die des ,Eigenschaft-Habens' und des
,An-Etwas-Seins'. Jene eigenartige Relation des Einwohnens ist
es, die uns berechtigt, den Raum für keine Beschaffenheit zu
erklären, ohne damit auch den ganzen Komplex der Erkenntnis
theorie Kants übernehmen zu müssen.
to
L-O
Kennzeichnung
Als Wahrnehmungsdatum
haptisch |
optisch akustisch j usw.
Als Begriff der physikali
schen Erfahrungswissen
schaften
Als Begriff der Geometrie
Als Begriff der Kant-
schen Erkenntnis
theorie
Allgemeine
Kennzeichnung
Bestimmtheit der einzelnen Außendinge nach
Richtung, Entfernung, Ort, Lage, Ausdeh
nung, Größe, Gehalt.. . Die einzelnen Außen
dinge werden als im Raume befindlich wahr
genommen
Kontinuum der
Reihengebilde
Kontinuum
Genesis
Unterscheidendes Denken, gerichtet auf das
äußere Wahrnehmungsobjekt. Physiologisch
psychologische Grenzfrage: Empirismus: Ab
straktion aus der Erfahrung, durch verbin
dendes Denken zum Begriff gebildet. Nati
vismus: Angeborene Disposition, durch Er
fahrung entwickelt
Gemeinsame Bestimmtheit
aller Außendinge hinsicht
lich der Relationen rechts-
links, oben-unten. vorne-
rückwärts, piäzisiert durch
3 Koordinaten
Kontinuum, auch zwi
schen den Dingen
Physikalische Be
schreibung der Körper
welt
Bedingung für die Mög
lichkeit geometrischer
Gebilde
Anschauungsform,
d. h 1 nhalt der reinen
Anschauung und Be
dingung der sinn
lichen Erfahrung
Reihengehilde aus diskreten
Punkten (Scheinkontinuum)
Kontinuum; es gibt
nur einen Raum
Analyse der geometri
schen Gebilde. Be
griffsbildung
a priori gegebene
reine Anschauung
Dimensionen
3 Tiefendi-
mens. urspr.
undeutlich
3 gemäß dreier Koordi
naten
Beliebige Anzahl, ohne
"Vorzug der Dreizahl
Endlichkeit
oder
Unendlichkeit
Endlich
Zu Zwecken der Erfahrungs
wissenschaften wird ein sehr
großer endlicher Raumbezirk
(meist der Fixsternhimmel)
verwendet
Unendlich
Unendlich
Erfülltsein
oder Leere
Erfüllt. Der Bezirk jedes Dings ist erfüllt;
in die Wahrnehmung fallen auch Zwischen
räume, die durch Tast- oder Bewegungs
empfindungsdaten erfüllt sind
Erfüllt, zwischen den
Sinnesdingen wird
Äther postuliert
Leer
Sowohl erfüllt als
leer anschaulich
vorstellbar
Seinstufe
Reale Existenz als Bestimmtheit der ein
zelnen Dinge
Reale Existenz als Be
stimmtheit der Außen
welt
Die Kategorie Sein-Nichtsein
kommt außer Betracht.
Gegenstandstheoretischer
Standpunkt
Immanentes Sein
VI. Abhandlung: Kreibi
Über Wahrnehmung.
23
Zunächst erscheint uns eine nachträgliche Festlegung er
forderlich: 1 Alle ,Eigenschaften' der Sinnesdinge (Farbe, Glätte,
Geruch . . .) sind zuletzt in Qualitäten auflösbar; die Intensität
(Leuchtkraft, Tonstärke, Schwere . . .) ist ,Merkmal 1 der Qua
lität, somit nota notae des Dings. Die Eigenschaft steht zu
ihrem Träger in der (nicht umkehrbaren) Haben-Eelation, d. h.
das Ding hat die Eigenschaft, die Eigenschaft wird vom Ding
besessen. Ein Merkmal steht zu seinem Gegenstände in einer
Inhärenzrelation, d. h. das Objekt weist das Merkmal auf; das
letztere ist an dem Ding zu finden und nicht auch außerhalb
desselben gegeben. Wird von einem ,Moment' gesprochen, das
an etwas zu bemerken ist, so liegt offenbar ein Merkmal vor.
Nun sind für die Wahrnehmungslehre auch Richtung, Ent
fernung, Ort, Lage, Ausdehnung, Größe, Gestalt . . . eines
Außendings etwas Wahrgenommenes; der vom Ding erfüllte
Raum ist ein Sinnesdatum (z. B. des Tastsinnes), kein Begriff.
In diesem Belange steht also die räumliche Bestimmtheit den
physischen Beschaffenheiten gleich. Grundsätzlich unterscheidet
sich aber die Räumlichkeit von den letzteren durch die Art der
Beziehung zum Gegenstand. Die räumliche Bestimmtheit ist
keine Eigenschaft und kein Merkmal der Dinge, denn die Dinge
befinden sich im Raum, in einer gewissen Richtung, Entfernung
und örtlichen Lage, sie erfüllen den Raum in der durch Größe
und Gestalt gegebenen Ausdehnung. Die Uhr befindet sich
aber nicht in der weißen Farbe, der Ton a nicht in seiner Stärke,
der belastende Körper nicht in der Schwere usw. Die Aus
dehnung und die Lage der Uhr im Raume sind andererseits
keine Eigenschaften, keine Merkmale derselben, mag auch der
außerwissenschaftliche Sprachgebrauch die Relation des Habens
und des An-Etwas-Seins oft nicht gewissenhaft genug ausdrücken.
Wohl aber sind wir berechtigt, die Räumlichkeit als eine Be-
1 Die Bestimmtheiten der Wirklichkeit, sind wie früher bemerkt, entweder
Beschaffenheiten oder Bestimmtheiten durch Wahrnehmungsformen. —
Beschaffenheiten (oder Akzidenzen in empirischer Bedeutung) können
sein a) Merkmale, d.h. für sich bewußt erfaßte Beschaffenheiten, b) Eigen
schaften, d. h. Merkmale in Habenrelation zum dinglichen Träger, c) Zu
stände, d. h. Verfassungen des Tuns und Leidens; in unzulässig weitem
Sinne zählt Bolzano auch das In - Relation - Stehen zu den Beschaffen
heiten. — Die Bestimmtheiten durch Raum und Zeit werden in der Folge
näher besprochen.
24
VI. Abhandlung: Kr ei big.
stimmtheit der Sinnesdinge zu bezeichnen, da dieser Terminus
nicht auf Beschaffenheitsbeziehungen allein zielt, sondern auch
die hier in Betracht kommende Relation des Einwohnens unter
sich begreift.
Gegen die übliche Zuordnung der räumlichen Bestimmt
heit zu den Eigenschaften oder Merkmalen sprechen aber noch
weitere ausschlaggebende Gründe. Wir hatten bisher nur von
der räumlichen Bestimmtheit eines Einzeldings gesprochen; wie
aber steht es mit den sogenannten Zwischenräumen, d. h. den
Räumen zwischen den Objekten? Daß die Zwischenräume durch
den Tastsinn, in minder vollkommener Weise aber auch durch
die übrigen Sinne erfaßt werden, steht außer Zweifel und es
wird sich nicht umgehen lassen, diese Erfassung zu den echten
äußeren Wahrnehmungen zu rechnen. Betasten wir zwei ent
sprechend weit getrennte Uhren, so bieten sie sich nicht nur
als getrennt dar, sondern lösen auch die Empfindung eines (durch
Muskelempfindung erfüllten) Zwischenraumes bestimmter Größe
aus — mit anderen Worten: die Raumwahrnehmung findet nicht
einen Abschluß durch die Grenzlinie, welche die Qualitäten der
Dinge (z. B. die weiße Scheibe) umschließt. Die Raumwahr
nehmung hat somit ein anschauliches Kontinuum ,Raum‘
zum Gegenstände, wenn auch durch die Qualitäten und In
tensitäten Teile innerhalb dieses Kontinuums gesetzt erscheinen.
Aus den wahrgenommenen Einzelräumen entsteht die (nicht mehr
anschauliche) Allgemeinvorstellung Raum durch abstrahierende
Aufmerksamkeit wie sonstige Allgemeinvorstellungen. Es zählt
jedenfalls zu jenen früher berührten Synkretismen, wenn Wahr
nehmungspsychologen sich damit abmühen, den Raum als Zu
sammensetzung diskreter Orter von der Art mathematischer
Punkte zu beschreiben — ein Beginnen, das gewiß nur den
Begriff des Raumes der Geometrie angehen kann, denn mathe
matische Punkte und Punktreihen sind nicht wahrnehmbar.
Wenn aber der Raum ein echtes Kontinuum ist, dann ist er als
Wahrnehmungsgegenstand ein Ganzes und es gibt nur einen
Raum, und zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit einen gemein
samen Raum für alle Sinne. Dieser wahrgenommene Raum ist
endlich; die Vorstellung des unendlichen Raumes ist Gebilde
der Phantasie, beziehungsweise der wissenschaftlichen Begriffs-
konstruktion. Wenn andererseits im Wahrnehmungsraume Teile
Über Wahrnehmung-.
25
unterschieden werden, so sind diese Teile keine Elemente, die
sich in eine Reihe von Abstufungen bringen ließen, 1 wie dies
bei Qualitäten und Intensitäten der Fall ist.
Voll berechtigt ist die Frage, ob es einen realen Raum
außerhalb des wahrnehmenden Subjekts gebe? Unsere Stellung
zu dieser Frage kann nach dem Vorausgeschickten nicht zweifel
haft sein: Unserer Raumwahrnehmung bietet sich unmittelbar
nur die Erscheinung der Räumlichkeit dar; gleichwohl be
zieht sich das sekundäre Wahrnehmungsurteil auf die Bestimmt
heiten der realen Gegenstände selbst. Hierin liegt nach unserer
früheren Bemerkung ein Moment der Transzendenz, das unter
dem Gesichtspunkte verständlich wird, daß jede phänomenale
Bestimmtheit, auch die räumliche, das Zeichen für eine funk
tional zugeordnete Bestimmtheit der äußeren Wirklichkeit ist. Nach
dieser These des kritischen Realismus, für welche wir bei Be
sprechung der Qualitäten und Intensitäten die Begründung bei
zubringen suchten, gibt es somit einen realen Raum in der
Außenwelt, von dem wir durch die Vermittlung der Phänomene
so viel wissen, daß er parallele Bestimmtheiten zur Richtung,
Entfernung, Ort, Lage, Ausdehnung, Größe, Gestalt . . . der
Sinnesdinge besitzt. Aus diesem Parallelismus darf ferner ab
geleitet werden, daß auch der Raum der realen physischen Welt
ein Kontinuum und ein Ganzes sei. Selbstverständlich besteht
aber kein Grund zur Annahme, daß der Wirklichkeits-Raum
nicht noch andere als die uns mittelbar erkennbaren Prädi
kate besitze.
Diese Gedankengänge leiten naturgemäß zu der Frage über,
welche allgemeine erkenntnistheoretische Bedeutung dem Raume
(neben seiner Rolle als Wahrnehmungsdatum) zuzumessen sei.
Eine nähere Prüfung des Koexistenz-Verhältnisses der Qualitäten
und räumlichen Bestimmtheiten führt u. E. zur Überzeugung,
daß der Raum vor allem eine Wahrnehmungsbedingung dar
stelle, und zwar eine objektive Bedingung, weil dieselbe von
Seiten der Dinge erfüllt sein muß, um ihr Erkennen zu ermög
lichen. Das Existenzialurteil wird nur dann jenen Index er
halten, vermöge dessen das Wahrgenommene als ein Seiendes
außerhalb des Subjekts gesetzt wird, wenn das dargebotene
1 In treffender Weise aufgezeigt durch Schmied-Kowarzik, a. a. O. p. 111 ff.
26
VI. Abhandlung-: Kreibig.
Sinnesdatum Räumlichkeit aufweist. Die Erfahrungen, daß nicht
nur alle äußeren Wahrnehmungsgegenstände räumlich bestimmt
sind, sondern daß auch die anschauliche Vorstellung eines Außen
dings, das nirgends ist, überhaupt unvollziehbar bleibt, führen
zu dieser Überzeugung. Der Satz, daß unräumliche Außen
dinge notwendig unwahrnehmbar sind, ist nicht a priori gewiß
und keine evidente Einsicht, genießt aber wohl denselben Wahr-
scheinlichkeitsgrad, wie ihn die äußeren Wahrnehmungsurteile
überhaupt besitzen. Offenbar ist das Urteil, daß der Raum eine
objektive Bedingung der Wahrnehmbarkeit darstelle, transzendent,
da es die Notwendigkeit' von einem Verhältnisse ausspricht,
dessen eines Glied nicht direkt erkennbar ist.
Der objektiven Wahrnehmungsbedingung entspricht auf der
Seite des Psychischen die subjektive Wahrnehmungsform, d.h.
der notwendige Modus der Auffassung. des die Außenwelt er
kennenden Subjekts. Die Natur unseres Erkenntnisvermögens
ist so eingerichtet, daß die Sinnesdinge nur dann erkannt werden
können, wenn sie im Wahrnehmungsurteil in den Raum einge
ordnet werden. 1 Auch dieser Behauptung kommt nach der Er
kenntnistheorie des kritischen Realismus nur empirische Sicher
heit zu. Diese Erkenntnistheorie vermag die Beweislast für die
Behauptung Kants, daß der Raum evidentermaßen a priori sei,
nicht zu übernehmen.
Was die Frage anlangt, ob der Raum eine Wahrnehmungs
form oder eine Anschauungsform zu nennen sei, so neigen wir
uns der ersteren Bezeichnung zu. Anschauung ist u. E. keine
Art der Erkenntnis außer oder neben der Wahrnehmung, sondern
nur ein besonderer Name für die letztere, gebildet zu dem
Zwecke, um die Momente der ,Unmittelbarkeit' und ,Einheit'
für besondere Untersuchungsrichtungen hervortreten zu lassen.
Anschauliches Erfassen ist unmittelbares, nicht durch Reproduk
tionen, Urteile und Schlüsse vermitteltes Erfassen; die Objekte
der Anschauung werden zirgleich als Einheiten oder Individuen
ergriffen, mögen auch an ihnen hinterher noch so viele Teile,
1 Man vergleiche hiezu die Lehrmeinung Bolzanos: ,Die Orte der (wirk
lichen) Dinge seien diejenigen Bestimmungen an denselben, die wir zu
ihren Kräften noch hinzudenken müssen, um die Veränderungen, welche
sie, das eine in dem andern, hervorbringen, zu begreifen. 4 Bolzano,
Wissenschaftslehre I, S. 366.
Über Wahrnehmung;.
27
Seiten, Eigenschaften . . . bemerkt werden. Die Uhr vor uns
bietet beim ersten naiven Anblicken eine Anschauung dar, d. h.
sie geht unmittelbar und als Einheit in die Wahrnehmung ein.
Bei einer Unzahl von Anlässen des täglichen Lebens wird aber
das Anschauen durch trennendes Denken abgelöst, welches Be
standteile des Eindrucks unterscheiden läßt, worauf die gegebene
Mannigfaltigkeit neuerdings zu einer Ansckauungs - Einheit
größeren oder kleineren Gehalts zusammengeschlossen wird.
Letzteres Zusammenschließen durch verbindendes Denken be
zeichnet man als Anschauungssynthese. An der Uhr werden Kon
turen, Farben, Geräusche . . . unterschieden, andererseits jedoch
wieder als Bestimmtheiten auf ein und denselben Gegenstand
bezogen, aus welchem Beziehen die Dingvorstellung hervorgeht.
Daß alle diese hier durch Analyse gesonderten Bestandteile des
Vorganges im Leben zu einem komplexen Bewußtseinsakt zu
sammenfließen, bedarf wohl keiner näheren Ausführung. Mit
dieser Anschauung im Sinne der deskriptiven Psychologie ist offen
bar die ,reine Anschauung' Kants nicht identisch; die letztere
bedeutet eine formale Beschaffenheit des Subjekts mit a priori
gesicherter objektiver Gültigkeit und liefert eine Raumvorstellung,
die anschaulich vollziehbar ist, ohne an ein Ding gebunden zu
sein. Der Raum Kants ist eine Bedingung der Möglichkeit des
äußeren Wahrnehmens und somit nicht der Erfahrung entnommen.
Daraus ergibt sich, daß die reine Anschauung ein Erkenntnis
vermögen. oder wenigstens eine Erkenntnisart für sich (neben
der Wahrnehmung) bedeutet.
Eine kritische Stellungnahme zu Kants Lehre von der An
schauungsform des Raumes würde das Untersuchungsgebiet
unserer Arbeit überschreiten, doch kann nicht unterlassen werden,
darauf hinzuweisen, daß weder der psychologische Befund, noch
die erkenntnistheoretische Prüfung - des Wahrnehmungsprozesses
das Recht dartut, die reine Anschauung für eine eigene Er
kenntnisart und den Raum für ein apriorisches Element (das
synthetische Urteile a priori begründet) zu erklären. Bekannt
lich war es Kant darum zu tun, eine apodiktische (dabei aber
nicht analytische) Geometrie zu fundieren, was nach seiner
Meinung nur unter Ausgehen von einer apriorischen, d. h. von
der Erfahrung unabhängigen Raumanschauung zu leisten war.
Dieses Motiv fällt jedoch für unseren erkenntnistheoretischen
28
VI. Abhandlung: Kreibig.
Standpunkt nicht ins Gewicht; die Absicht, einer Wissenschaft
ihren evidenten Charakter zu retten, ist noch kein Erkenntnis
grund für die erwähnte These. (Übrigens erscheint die Apo-
diktizität der Geometrie jedem Zweifel entrückt, wenn einmal
eingesehen ist, daß ihr Gegenstand ein System von Relationen
zwischen exakten Begriffen darstelle, welche Relationen durch
apriorische Urteile zum Ausdruck gebracht werden.) Das un
anfechtbare große Verdienst Kants bleibt es aber, gezeigt zu
haben, daß die Räumlichkeit keine Beschaffenheit der Dinge
bedeute, wodurch die Lehre von der Wahrnehmung eine wert
volle Berichtigung erfuhr.
Noch eine ergänzende Bemerkung mag hier angeknüpft
werden. A priori bedeutet nicht ,angeboren' und Kant erklärt
denn auch die Raumanschauung für ,ursprünglich erworben' mit
dem Zusatze, daß lediglich die Möglichkeit (Fähigkeit) des
Raum-Vorstellens angeboren sei. Die Raumanschauung trete
erst im Augenblicke des Wahrnehmens in Wirksamkeit. Daran
ist gewiß so viel richtig, daß keine Vorstellung, auch nicht die
des Raumes, angeboren ist. Angeboren sind nur intellektuelle
Dispositionen zur Betätigung bestimmter Funktionen, unter
welche wir auch die Funktion des räumlichen Auffassens der
Dinge in der Wahrnehmung zu zählen haben; ein besonderes
Anschauungsvermögen neben den im Wahrnehmungsprozesse be
teiligten Funktionen anzunehmen, fehlt für den kritischen Rea
listen der Anlaß.
13.
Es obliegt uns nunmehr die Untersuchung der Zeit als
Wahrnehmungsdatum der inneren Wahrnehmung. Zeitliche Be
stimmtheit der Erlebnisse ist in demselben Sinne die gegen
ständliche Bedingung für die Erfassung des eigenen Psychischen
wie die Räumlichkeit für die Erkenntnis der Außenwelt. Die
Verhältnisse auf dem Gebiete der inneren Wahrnehmung liegen
eigentlich durchsichtiger als auf dem Gebiete der Sinneswahr
nehmung; sie werden nur durch die so häufig anzutreffende
Nichtbeachtung der Aquivokationen des Terminus ,Zeit' ver
dunkelt. Auch hinsichtlich des letzteren haben wir mit min
destens vier Sinnvarianten zu rechnen: die Zeit als Wahr
nehmungsdatum, als Begriff der psychologischen Erfahrungs
wissenschaften, als Begriff einer gegenstandstheoretischen Zeit-
Über Wahrnehmung.
29
Wissenschaft, welche etwa Chrononomie zu nennen wäre, und
als Begriff der Erkenntnistheorie, speziell der Kantschen. Jene
Varianten ergehen sich durch das verschiedene Ausmaß von
Verallgemeinerung, beziehungsweise aus verschiedener Abstrak
tionsrichtung. Wir dürfen im vorliegenden Untersuchungsbereiche
die Zeit der Physiologen (denen wir das Recht der Annahme
eines besonderen Zeitsinnes absprechen müßten) und den meta
physischen Zeitbegriff als Synkretismen unerörtert lassen. Daß
das Durcheinanderwerfen der Standpunkte in der Zeittheorie
große Verwirrung verschuldet, läßt sich an bezeichnenden Proben
leicht erweisen, und zwar ohne ein Unterfangen, das überaus
schwierige und verzweigte Zeitproblem in diesem Zusammen
hänge in extenso behandeln zu wollen. Man denke nur an das
vergebliche Bemühen, der innerlich wahrgenommenen Dauer
eines Zustandes die Natur eines echten Kontinuums absprechen
und ein Reihengebilde aus diskreten Gegenwartsmomenten unter
schieben zu wollen, oder die zeitliche Bestimmtheit eines Er
lebnisses als ,Begriff' von verwickelter Genesis zu nehmen, oder
endlich die,Zukunft' der Chrononomie im Wahrnehmungsbereiche
zu suchen u. a. m. Die Grundbedeutungen des Namens Zeit sei
uns gestattet in der nachfolgenden Tabelle von Schlagworten,
welche freilich keine erschöpfenden Vergleiche darbieten kann
und soll, zusammenstellen zu dürfen (s. S. 30).
Fassen wir die Zeitlichkeit als Wahrnehmungsbestand
teil ins Auge, und zwar als Bestimmtheit einzelner psychischer
Erlebnisse, so ist zunächst feststellbar, daß der Erfahrung kein
dauerloses, absolutes Jetzt dargeboten ist, sondern ein Zustand
oder Ablauf von längerer oder kürzerer Dauer (die Angaben
der Psychologen über das Maximum schwanken zwischen 2 und
12 Sekunden), welcher eben noch eine Art ,Bewußtseinseinheit'
bildet. Eine solche Bewußtseinseinheit ist ein Werk der Auf
merksamkeit, welche in dem kontinuierlichen Fluß einer Wach
periode Teile verschiedener qualitativ-intensiver Beschaffenheit
isoliert; eine Einheit in diesem Sinne hat ,Gegenwart' in der
weiteren Bedeutung eines Jetzt, verbunden mit der noch damit
zusammengefaßten frischenVergangenlieit, 1 während das chrono-
1 Vgl. die Unterscheidung und Würdigung der Inhalte ,Ebenvergangenes*
und ,Längstvergangenes 1 bei Schmied-Kowarzik, a. a. O. p. 140 f.
w
o
Als Wahrnehmungsdatum
Empfindungs-
zeifc
Denkzeit
Gefühlszeit Willenszeit
Als Begriff der psycho
logischen Erfahrungs
wissenschaften
Als Begriff der Chrononomie
Als Begriff der Kant-
schen Erkenntnis
theorie
Allgemeine
Kennzeichnung
Bestimmtheit der einzelnen psychischen Er
lebnisse als gegenwärtig und als gleichzeitig
mit anderen, sowie hinsichtlich der Dauer.
Die einzelnen Erlebnisse werden als in der
Zeit stattfindend wahrgenommen.
Gemeinsame Bestimmtheit
aller Zustände und Abläufe
hinsichtlich der Relationen
früher-später, jetzt-nicht
jetzt, Anfang-Ende
Bedingung für die Mög-
1 i chkeit psychisch er Er*
lebnisse
Anschauungsform,
d. h. Inhalt der reinen
Anschauung und Be
dingung der Erfahrung
des inneren Sinnes
Kontinuum oder
Reihengebilde
Kontinuum, sofern eine Dauer in Betracht
kommt
Kontinuum, auch zwi
schen den Erlebnissen
Reihengebilde aus diskreten
Zeitpunkten (Scheinkonti
nuum)
Kontinuum; es gibt
nur einen Baum
Genesis
Unterscheidendes Denken, gerichtet auf das
innere Wahrnehmungsobjekt. Empirismus:
Abstraktion aus der Erfahrung, durch ver
bindendes Denken zum Begriff gebildet.
Nativismus: Angeborene Disposition, durch
Erfahrung entwickelt
Psychologische Be
schreibung der Än
derung der Bewußt
seinsinhalte
Analyse der physischen
Bewegungen; Begriffs-
bildung
a priori gegebene
reine Anschauung
Dimensionen
Das Jetzt hat keine Dimension, das Früher
und die Dauer haben eine Dimension von
nicht umkehrbarer Richtung
Eine Dimension für die Ver
gangenheit, eine für die Zu
kunft, entsprechend den zwei
Gegenrichtungen der Zeit
Fort- und Rückschreiten nnch
dem Symbol der Linie; Um
kehrbarkeit in bestimmtem
Sinne
Endlichkeit
oder
Unendlichkeit
Endlich
Zu Zwecken der Erfahrungs-
wissenschattwird eine lange
endlicho Zeit (Lebensdauer
eines Individuums, Zeit des
Vorhandenseins von beseel
ten Wesen) verwendet
Unendlich
Unendlich
Erfülltsein
oder Leere
Erfüllt. Während der Dauer unterschiedener
Bewußtseinszustände besteht Erfüllung; in
die Wahrnehmung fallen auch Zwischenzei
ten, die von Gemeinemptindungen erfüllt sind
Erfüllt; zwischen den
gesonderten Erlebnis
sen finden somatische
Reize statt
Leer
Sowohl erfüllt als
leer anschaulich
vorstellbar
Seinsstufe
Reale Existenz als Bestimmtheit der ein
zelnen Erlebnisse
Reale Existenz als Be
stimmtheit der Innen
welt
Die Kategorie Sein-Nicht
sein kommt außer Betracht
(Gegenstandstheoretischer
Standpunkt)
Immanentes Sein
VI. Abhandlung: Kreibig.
Über Wahrnehmung.
31
nomische Jetzt einem ausdehnungslosen mathematischen Punkt
vergleichbar und wie dieser unwahrnehmbar ist.
Von entscheidender Bedeutung erscheint uns die Fest
stellung der Art der Beziehung zwischen Erlebnis und Zeitlich
keit. Die innere Wahrnehmung liefert diesbezüglich den evi
denten Befund, daß das Erlebnis in der Zeit stattfinde; die zeit
liche Bestimmtheit — das Wort Bestimmtheit dürfte auch hier
das einzig treffende sein — besteht sohin darin, daß der psy
chische Zustand oder Ablauf zur Zeit im Verhältnis der Ein
wohnung stehe. Die Zeitlichkeit ist, wie unbefangenes Sich-
besinnen sofort lehrt, keine Beschaffenheit, und zwar weder eine
Eigenschaft noch ein Merkmal. Daß ich eben jetzt denke, ist
keine Eigenschaft des Denkens, das Denken hat die Gegenwart
nicht; ebensowenig ist das Jetzt ein Merkmal oder Moment am
Denken, d. h. eine Beschaffenheit, die außerhalb des Denkens
nicht vorhanden wäre.
Zu den Wahrnehmungsdaten zählen auch die Gleichzeitig
keit (z. B. eines Gefühls und einer Willensregung) und die Dauer,
letztere allerdings nur dann, wenn die Schwelle für das Zu
sammenfassen der Erlebnisteile zu einer Bewußtseinseinheit nicht
überschritten wird. Längere Dauer wird unter Mitwirkung der
Erinnerung erkannt. Daß auch Zwischenzeiten (z. B. musika
lische Pausen) wahrgenommen werden, scheint uns unleugbar
zu sein; die Erfüllung mit psychischer Qualität und Intensität
besteht bei solchen (nur scheinbar leeren) Zwischenzeiten in
Gemeinempfindungen, welche in Wachzuständen nie fehlen, wenn
sie auch oft nicht deutlich bemerkt werden. Eine absolut leere
Zeit wäre nicht wahrnehmbar und selbst beim anschaulichen
Reproduzieren von Zeiten wird stets Qualitatives als Substrat
mit vorgestellt. Da nun die Zeitwahrnehmung beim Aufhören
eines bestimmten Zustandes, beziehungsweise Ablaufes nicht ab
bricht, so hat sie ein anschauliches, endliches Kontinuum zum
Gegenstände, welches zwar Teile unterscheiden läßt, aber keines
wegs ein Reihengebilde aus diskreten Zeitpunkten — als welches
die Chrononomie ihren Zeitbegriff definiert — darstellt. Auch
Zeitreihen von der Art der Qualitäts- oder Intensitätsreihen sind
für den Psychologen ein Unding. Die Zeit der Wahrnehmungs
lehre ist im angedeuteten Sinne ein Ganzes und es gibt hier
nach nur eine Zeit, welche offenbar endlich ist. Unendliche
32
VI. Abhandlung: Kr ei big.
Zeit ist ein durch verbindendes Denken gebildeter Begriff, was
Kant infolge Vermischung der Standpunkte übersehen hat.
Die wahrgenommene Zeit ist mit gleichem Rechte als real
zu bezeichnen wie die Qualität und Intensität des darin statt
habenden Erlebnisses. Dagegen ist die Frage, ob die Außen
welt mit Rücksicht auf die an ihr wahrgenommenen Verände
rungen zeitlich bestimmt sei, nicht anders als mittels Tran
szendenz zu bejahen. Physische Veränderungen sind nur in der
Zeit wahrnehmbar, weil die Inhalte der äußeren Wahrnehmung,
d. h. die psychischen Korrelate, der Form der Zeit unterliegen;
die Grenze dieses Tatbestandes wird überschritten durch die
Aussage, daß physische Veränderungen der objektiven Wirklich
keit in der Zeit (der außenweltlichen Zeit) ablaufen. Auch dieses
Transzendieren halten wir zum Begreifen des physischen Welt
bildes für notwendig, wie denn auch kein physikalisches Welt
modell ohne Zeitprinzip auszukommen vermag.
Als Bestimmtheit des Psychischen, also des Erkannten,
bedeutet die Zeitlichkeit eine gegenständliche Bedingung für die
Möglichkeit der inneren Wahrnehmung, zugleich aber — von
der Seite des Erlcennens betrachtet —- eine Wahrnehmungsform. 1
Diese Behauptung ist evident gewiß und fließt aus der uns un
mittelbar bekannten Natur der psychischen Zustände und Ab
läufe. Ein Transzendieren findet durch dieses Urteil nicht statt.
Das Existenzialurteil der inneren Wahrnehmung erhält jenen In
dex, wonach das beurteilte Erlebnis als ein solches des Subjekts
genommen wird, nur unter der Voraussetzung des Stattfindens
des Erlebnisses in der Zeit. Unser Standpunkt enthält jedoch
keineswegs die Annahme der Apriorität der Zeit in dem Sinne,
daß die Zeitlichkeit des Psychischen außerempirisch erkannt
werde. Das Wissen um die Natur unseres Psychischen ist
aposteriorisch, wenn auch das daraus geschöpfte Urteil über die
Notwendigkeit der Zeitform, d. h. des Einordnens des Erleb
nisses in die Zeit evident ist.
1 Im Grunde ist dies auch die Meinung Bolzanos: ,Unter dem Worte „Zeit“
denken wir uns durchaus nichts anderes als eben nur diejenige Be
stimmung au einem Wirklichen, die als Bedingung stattfinden muß, da
mit wir ihm eine gewisse Beschaffenheit in Wahrheit beilegen können. 4
Bolzano, Wissenschaftslehre I, S. 365.
Über Wahrnehmung.
33
13.
Unsere Erörterung ist nunmehr bis zu einem Punkte ge
diehen, hei welchem sie sich zur Kernfrage nach der allgemeinsten
Bedingung der Erkennbarkeit der Wirklichkeit überhaupt zu
sammendrängt. Bei der Analyse der äußeren wie auch der
inneren Wahrnehmung waren wir wiederholt genötigt, wenigstens
vorläufig als jene allgemeinste Voraussetzung'den realen Cha
rakter des Erkenntnisgegenstandes zu supponieren, welchem Be
standteil unserer Wahrnehmungslehre nunmehr der letzte Teil
dieser Überlegungen zu widmen sein wird.
a) Wir sind überzeugt, daß ein Sinnesding unwahr
nehmbar ist, wenn es nicht einen Bestandteil der äußeren Wirk
lichkeit bildet. Ein Irreales kann nicht die independent Variable
abgeben, welcher die dependent Variable der Erscheinung funk
tional zugeordnet ist. Daran machen uns auch die Sinnes
täuschungen nicht irre, wenn wir den Ort des Irrtums in den
Index des Wahrnehmungsurteils verlegen, welcher unter unge
wöhnlichen Bedingungen ein bloß psychisch Gregebenes für
das phänomenale Zeichen äußerer Wirklichkeit nehmen läßt;
bei Sinnestäuschungen liegen eben keine echten, beziehungsweise
reinen äußeren Wahrnehmungen vor. Jedenfalls erinnern jedoch
die Sinnestäuschungen daran, daß das gesamte Gebiet der Er
kenntnis des Physischen eine Beglaubigung durch Evidenz der
Gewißheit nicht besitzt.
Prüfen wir die Überzeugung, daß der reale Charakter der
Gegenstände eine objektive Bedingung für die Wahrnehmbar
keit sei, auf ihren innersten Gehalt, so zeigt es sich, daß sie
auf dem Satz vom zureichenden Grunde ruht: Das Nichts kann
nicht Bedingung für das Vorhandensein eines zugeordneten Et
was sein, Da nun Kant mit Recht darauf aufmerksam gemacht
hat, daß die Kausalität und am Ende jede Relation zwischen
Bedingung lind Bedingtem nur subjektiv gilt und auf die Wirk
lichkeit außerhalb des Subjekts nicht schlechthin übertragen
werden dürfe, so folgt daraus, daß auch in jener Statuierung
des realen Charakters der Außenwelt ein Transzendieren be
schlossen ist.
Gegen die hier vorgetragene Lehrmeinung wurde einge
wendet, daß die Wahrnehmungstheorie in der Realitätsfrage nicht
Sitznngsber. d. phil.-hist. Kl. 168. Bd 6. Abh. 3
34
VI. Abhandlung: Kr ei big.
auf einen ,Kausalschluß‘ (auch nicht auf einen impliziten) ge
gründet werden dürfe, weil zu diesem Schluß die Prämisse des
Kausalgesetzes oder doch Kausalhegriffes erforderlich sei, der
die sinnliche Erfahrung als Quelle voraussetze. Allein dieses
Bedenken läßt sich entkräften. Zum äußeren Wahrnehmen ist
kein deduktiver Schluß aus einer allgemeinen Prämisse erforder
lich, sondern nur ein Beziehen des einzelnen konkreten Wahr
nehmungsinhaltes auf den einzelnen konkreten (primären) Denk
gegenstand im Sinne des zureichenden Grundes; ein solches ein
zelnes kausales Beziehen aber für eine in der Natur des Intellekts
gelegene Gegebenheit anzusehen, dünkt uns unausweichlich. Das
allgemeine Kausalgesetz freilich ist wie alle anderen Gesetze
erst für das mit vielen Erfahrungen erfüllte Subjekt formulierbar.
Und auch die Bildung des Kausalbegriffs (wie die Bildung
des Begriffes des Seins, der Beschaffenheit, der Beziehung . . .)
setzt zahlreiche vorangegangene Wahrnehmungen voraus. Der
Wahrnehmende bedarf aber zu seinem Akt noch keiner Ge
setze oder Begriffe.
Das kausale Beziehen nun, welches uns zur Anerkennung
des realen Seins der Außenwelt nötigt, gilt offenbar auch für
die Realität jener Bestimmtheiten, die den Beschaffenheiten
(Qualitäten und Intensitäten) und der räumlichen Einordnung
des wahrnehmend Erfaßten entsprechen: Eine Nichtbestimmtheit
kann nicht Bedingung einer zugeordneten Bestimmtheit sein.
Hiermit ist natürlich nicht zugleich behauptet, daß die realen
Bestimmtheiten dieselben sind wie die wahrgenommenen. Es
genügt, wie an früherer Stelle ausgeführt, wenn die äußere Wirk
lichkeit derartige Unterschiede in ihren Bestimmtheiten besitzt,
daß eine funktionale Zuordnung an die Mannigfaltigkeit der
wahrgenommenen Bestimmtheiten möglich wird.
Sehen wir recht, so geben uns diese Erwägungen die volle
sachliche Befugnis, den realen Charakter der Außendinge
für die allgemeinste äußere Wahrnehmungsbedingung
zu erklären, d. h. für die gegenständliche Bedingung der Möglich
keit alles Wahrnehmens überhaupt, welcher Bedingung auf der
subjektiven Gegenseite die allumfassende und einzige Wahrneh
mungsform des realisierenden Auffassens der Außendinge
entspricht. Wenn an früherer Stelle der Raum als eine Wahr
nehmungsbedingung angesprochen wurde, so ist dies mit unserer
Über Wahrnehmung.
35
schließlichen These sehr wohl verträglich: Das objektive Kor
relat zur Räumlichkeit bildet eben, wie wir ausführten, die eine
Seite jener Bestimmtheit, welche der reale Charakter beinhaltet.
Die andere Seite jener Bestimmtheit liegt aber im objektiven
Korrelat der Beschaffenheiten, das ebenso wie die Räumlichkeit
eine spezielle Wahrnehmungsbedingung genannt werden sollte.
Mit dem gegenständlichen Sein und Bestimmtsein erfüllt sich
aber das Ganze, was erkenntnistheoretisch den realen Charakter
der Außenwelt konstituiert. Der analoge Sachverhalt ergibt sich
für die allgemeine Wahrnehmungsform des realen Auffassens,
welche die speziellen Wahrnehmungsformen des qualitativen und
räumlichen Bestimmens mit der Prädizierung des Seins ver
einigt und damit die Gesamtheit der subjektiven Bedingungen
der Möglichkeit alles Wahrnehmens überhaupt bedeutet.
Unsere Erklärung, daß der reale Charakter die eigentliche
äußere Wahrnehmungsbedingung und -form sei, birgt — da sie
die Relation zwischen Bedingung und Bedingtem auf die außer
psychische Wirklichkeit an wendet — ein Transzendieren. Die
Gefahr einer kritisch-realistischen Erkenntnistheorie liegt aber
unseres Erachtens nicht darin, daß an bestimmten Punkten trans
zendiert wird, welches Minimum von Transzendenz für das Er
kennen der Außenwelt faktisch erforderlich ist — sondern in
der üblichen Nichtregistrierung dieser Überschreitungen der
Grenze des Gegebenen. Die transzendenten Elemente im Er
kennen des Realisten bedeuten Schwächen seines Standpunktes,
aber sicherlich ganz unvergleichlich geringere als sie die — wie
uns dünkt unbegreifliche — Phantasiewelt der nicht trans
zendierenden Idealisten aufweist. Mit dem kleinsten Ausmaße
an Voraussetzungen das Weltbild zu beschreiben und zu erklären,
war aber immerdar ein Hauptziel der Philosophie.
b) Eine mittelbare Bestätigung der Tragkraft unseres soeben
entwickelten erkenntnistheoretischen Prinzips liefern, wie uns
scheint, auch die folgenden Überlegungen. Wenn wir als die
allgemeinste Wahrnehmungsbedingung und Wahrnehmungsform
der inneren Wahrnehmung den realen Charakter des Erkannten,
beziehungsweise das realisierende Auffassen des Subjekts be
zeichnen, so drücken wir damit eine Selbstverständlichkeit aus,
die nur im Interesse des systematischen Abschlusses der Fest
stellung bedarf. Daß ein eigener psychischer Zustand oder Ab-
3*
36
VI. Abhandlung;: Kr ei big;.
lauf nur dann innerlich wahrgenommen werden kann, wenn er
wirklich vorhanden ist, zählt zu den Evidenzen, an die sich
noch keine Skepsis ernstlich gewagt hat. Ein Zweifeln daran,
daß ein Erlebnis ohne qualitativ-intensive Beschaffenheit oder
ohne zeitliche Bestimmtheit unwahrnehmbar wäre, darf ebenso
als Ungedanke gelten. Täuschungen gibt es im Bereiche der
inneren Wahrnehmung nicht. Das Bestehen eines Unbewußten
psychischer Natur würde nur beweisen, daß das Bemerken
eigener Zustände oder Abläufe ausbleiben, nicht aber, daß ein
Nichts unmittelbar erfaßt werden könne. Der Umstand, daß
das innere Wahrnehmungsurteil, wie bereits erörtert, das Sein
und Bestimmtsein seines realen Gegenstandes unmittelbar und
ohne Mitwirkung des Prinzips vom zureichenden Grunde er
faßt, macht das Erkennen des Psychischen frei von Transzendenz
und evident gewiß, wenn auch nicht a priori im Sinne der Un
abhängigkeit von der Erfahrung. 1 Jene Immanenz verbürgt aber
andererseits die Richtigkeit der These, daß das realisierende Auf
fassen die allgemeine Wahrnehmungsform der inneren Wahr
nehmung ist, womit sich der Kreis unserer Betrachtungen wider
spruchsfrei schließt.
14.
Es sei uns gestattet, zum Beschlüsse unserer Untersuchun
gen nach bewährtem Brauch ihre allerwesentlichsten Ergeb
nisse in einige rekapitulierende Thesen zusammenzufassen:
1. Für die äußere Wahrnehmung ist konstitutiv: a) der
Empfindungsanteil, b) der Auffassungsakt, bestehend aus einem
Willensanteil (der Aufmerksamkeit) und aus einem Denkanteil
(dem Wahrnehmungsurteil).
2. Das primäre äußere Wahrnehmungsurteil entspricht einem
bejahenden Existenzialurteile, welches das reale Sein der Außen
dinge und Vorgänge (des Physischen) setzt; das sekundäre äußere
Wahrnehmungsurteil prädiziert den Objekten ihre Bestimmt
heiten (Beschaffenheit und Räumlichkeit).
1 Unseres Erachtens sind überhaupt Urteile, die ein Sein oder Bestimmt
heit aussagen, grundsätzlich aposteriorisch; apriorische Urteile, die in
der Natur der beurteilten Materie beglaubigt sind, gibt es nur über Be
ziehungen zwischen deutlich erfaßten Vorstellungsgegenständen. Näheres
in Kreibig, Intellektuelle Funktionen, Wien und Leipzig, 1909, p. 172,
293—298.
Über Wahrnehmung.
37
3. Dem erkennenden Subjekt sind nur die Phänomene un
mittelbar gegeben; die Phänomene stellen Zeichen dar, welche
dem Sein und den Bestimmtheiten der äußeren ■ Wirklichkeit
funktional zugeordnet sind; sie ermöglichen damit eine indirekte,
partielle Erkenntnis der Außenwelt.
4. Die äußeren Wahrnehmungsurteile sind wahrscheinlich
hohen Grades und beinhalten, da sie direkt auf das Sein und
die Bestimmtheiten der physischen Wirklichkeit gehen, eine
Transzendenz; diese Transzendenz ist unvermeidlich und für die
Erkenntnis unentbehrlich.
5. Der wahrgenommene Baum ist keine Beschaffenheit
der physischen Objekte, sondern eine besondere Art von Be
stimmtheit (als Einwohnen der Objekte im Raum). Der Raum
wird als erfülltes, endliches Kontinuum wahrgenommen. Er be
deutet eine gegenständliche Bedingung für die Möglichkeit des
äußeren Wahrnehmungsurteiles, deren psychisches Gegenstück
eine spezielle Wahrnehmungsform darstellt.
6. Für die innere Wahrnehmung sind die gleichen Anteile
wie für die äußere konstitutiv; das innere Wahrnehmnngsurteil
ist der Ausdruck für unser Wissen um die eigenen psychischen
Zustände und Abläufe.
7. Dem erkennenden Subjekt sind die eigenen Erlebnisse
unmittelbar (ohne Vermittlung von Phänomenen) gegeben; die
Erkenntnis der Innenwelt ist eine direkte.
8. Die inneren Wahrnehmungsurteile sind evident gewiß
und beinhalten keine Transzendenz.
9. Die wahrgenommene Zeit ist keine Beschaffenheit des
Psychischen, sondern eine besondere Art von Bestimmtheit (als
Stattfinden der Erlebnisse in der Zeit). Die Zeit wird als er
fülltes, endliches Kontinuum wahrgenommen. Die innere Wahr
nehmung unterliegt der gegenständlichen Bedingung der Zeit
lichkeit. Dieser Bedingung entspricht auf psychischem Gebiete
die Wahrnehmungsform der Zeit.
10. Der ,reale Charakter' ist die allgemeinste Bedingung
für die Möglichkeit der Wahrnehmungsurteile und schließt die
gegenständlichen Bedingungen des Seins und Bestimmtseins
(durch Beschaffenheiten, Raum,’ beziehungsweise Zeit) ein. Das
psychische Korrelat zum realen Charakter ist die allgemeine
Wahrnehmungsform der ,realisierenden Auffassung'.
Sitzungsberichte
der
Kais. Akademie der Wissenschaften in Wien.
Philosophisch-Historische Klasse.
168. Band, 7. Abhandlung.
Das
eheliche Güterrecht
in der
Summa Ravmunds von Wiener-Neustadt.
Von
Prof. Dr. Robert Bartsch.
Vorgelegt in (1er Sitzung am 3. Mai 1911.
Wien, 1912.
In Kommission bei Alfred Holder
k. u. k. Hof- und Universitäts-Buchhändler,
Buchhändler der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften.
Druck von Adolf Holzkausen,
k. Hof- und Universitäts-Buchdrucker in Wien.
VII. Abh.: Bartsch. Das eheliche Güterrecht etc.
1
vn.
Das eheliche Güterreclit
in der Summa Raymunds von Wiener-Neustadt. 1
Von
Prof. Dr. Robert Bartseh.
(Vorgelegt in der Sitzung am 3. Mai 1911.)
U ie Summa legum Raymunds von Wiener-Neustadt ist
von Tomaschek entdeckt worden. In einer ausführlichen Ab
handlung 2 hat er die ihm bekannten drei lateinischen (deren
eine verschollen) und eine deutsche Handschrift, Zweck, Form,
Inhalt des Werkes behandelt, über Quellen, Heimat und Ent
stehungszeit, über die Person des Verfassers, endlich über die
Beziehungen der Summa zum Wiener-Neustädter Stadtrecht und
zum Tripartitum des Stefan Werböcz eingehende Untersuchungen
angestellt. Danach ist das Werk in der ersten Hälfte des
1 Als die vorliegende Untersuchung abgeschlossen wurde, hatte ich keine
Kenntnis davon, daß die Herausgabe der Summa Kaymunds vorbereitet
werde. Während der Schlußredaktion des Manuskripts erhielt ich die
hocherfreuliche Kunde, daß Privatdozent Dr. Gal (Wien) im Auf
träge der kais. Akademie der Wissenschaften in Wien die Herausgabe
vorbereite. Im Einvernehmen mit dem Herrn Herausgeber, der Be
denken trägt, die Ergebnisse meiner Arbeit ohne deren Veröffentlichung
verwerten zu dürfen, lege ich meine Untersuchungen der Öffentlichkeit
vor. Mit Rücksicht auf die bevorstehende Herausgabe der Summa habe
ich mir jedoch begreiflicherweise in allen nicht unmittelbar zur Sache
gehörenden Punkten namentlich über den Inhalt der bisherigen Ver
öffentlichungen entsprechende Beschränkung auferlegt.
2 J. A. Tomaschek: Über eine in Österreich in der ersten Hälfte des
14. Jahrhunderts geschriebene Summa legum incerti auctoris und ihr
Quellenverhältnis zu dem Stadtrechte von Wiener-Neustadt und dem
Werböczischen Tripartitum, Sitzungsb. der kais. Akademie der Wissen
schaften, phil.-hist. Klasse 105, 2, 241 ff. (1883 auch als Sep.-Abdr. er
schienen).
Silznngsber. d. phil.-liist. Kl. 168. Bd., 7. Abh. 1
2
VII. Abhandlung: Bartsch.
14. Jahrhunderts in Österreich vermutlich von einem Wiener-
Neustädter Stadtschreiber, der in Bologna studiert hatte, unter
Benutzung des Justinianischen und des kanonischen Corpus juris
sowie der italienischen Juristen, namentlich der Werke des
Johannes Andreae, des Jakohus Butrigarius, vor allem aber der
Summa IJostiensis verfaßt worden.
Die Forschungen Tomascheks sind durch Seckel (Beiträge
zur Geschichte beider Rechte im Mittelalter 1, 483ff.) ergänzt
worden. Seckel entdeckte außer einer vollständigen und einer
fragmentarischen Handschrift in der Münchener Staatsbibliothek
einen Abdruck der Summa im Privilegium regni Poloniae (Krakau
1506), das als Verfasser der Summa einen Doctor Raymundus
Parthenopeus nennt; dadurch ist nicht nur der Name des
Verfassers, sondern auch dessen Herkunft, und zwar in Über
einstimmung mit Tomascheks Forschungen, die uns nötigen,
bei Parthenope weder an Neapel noch an Magdeburg, sondern
an Wiener-Neustadt zu denken, überliefert worden. Seckel
hat auch zur Quellenanalyse beigetragen, indem er die fast
wörtliche Entlehnung ganzer Kapitel der Summa aus dem
Tractatus notularum des Rolandinus Passagerii nachweist. 1
Zweck der vorliegenden Studien an der Summa ist, fest
zustellen, ob die Mitteilungen Raymunds für das deutsch-öster
reichische eheliche Güterrecht von Wert sind. Da das eheliche
Güterrecht, wie schon Tomaschek bemerkt hat, gleich den
übrigen Teilen der Summa römisch-kanonisches Gewand trägt,
mußte es erstes Ziel der Arbeit sein, die fremdrechtlichen Be
standteile herauszuschälen. Dazu war es nötig, die unmittel
baren Vorlagen Raymunds festzustellen. War das gelungen,
1 Zur Vervollständigung der Quellenanalyse möchte ich bemerken: das
testamentarische Erbrecht der Summa (II 44—60) stammt, wie ich be
reits in meiner Abhandlung: Seelgerätstiftungen im 14. Jahrhundert
(Festschrift für Karl von Amira S. lf.) bemerkte, aus Rolandinus’ Flos
testamentorum. Das Eherecht j(I 25—28) einschließlich eines Teils des
ehelichen Güterrechts sowie die Lehre von der Schenkung stammt aus
der Summa des Monaldus. Bei den Kapiteln, die die Stadtverfassung
betreffen, scheint wenigstens die Systematik mit dem Liber de regimine
civitatum des Johannes Viterbiensis (Scripta anecdota glossatorum III
15 ff.) verwandt zu sein.
Das eheliche Güterreeht in der Summa Raymunds etc.
3
so war dann die Vorlage, aus der Raymund in der im Mittel-
alter üblichen Weise sklavisch abhängig geschöpft hatte, Wort
für Wort mit der Summa zu vergleichen. Bei diesem Vergleich
mußte sich das Eigenartige und darin auch das Deutschrecht
liche der Summa finden; in der Art, wie Raymund aus seiner
Quelle entlehnt, in dem, was er ausläßt, verändert, hinzufügt,
mußte sich seine persönliche Art und auch wohl sein eigenes
unabhängiges Rechtsempfinden feststellen lassen.
Tomaschek hat das eheliche Güterrecht Raymunds als
Entlehnung aus der Summa des Erzbischofs Heinrich von Em-
brun (Hostiensis) 1 beizeichnet. Er nennt dieses Werk als un
mittelbar benütze Quelle für den größten Teil der Summa Ray
munds. ,Die Benutzung stellt sich als eine Art Auszug dar,
während der Gang der Darstellung und der Inhalt größtenteils
wörtlich übereinstimmen. Man vergleiche ... im II. Buche
die cap. 30—42 . . . mit dem IV. Buche Hostiensis S. 89, 2 50,
53' (S. 43 f.), ,das in II c. 37—43 entwickelte eheliche Güter
recht schließt sich zwar äußerlich an das römische Dotalrecht an,
wie es namentlich in der Hostiensis vorgetragen wird, ist jedoch
in Wirklichkeit nur eine romanisierende Darstellung deutscher
Güterrechtssysteme mit Anschluß an die römische Terminologie
und bei dem nicht allzu großen Reichtum der Bestimmungen der
deutschen Rechtsquellen in diesem Gebiet (?) sehr lehrreich. Es
werden hier verschiedene eheliche Güterordnungen als Gewohn
heiten, die an verschiedenen Orten gelten, angeführt' (S. 49).
Ein Vergleich der Hostiensis mit Raymunds Summa zeigte
aber, daß gerade das eheliche Güterrecht bei aller Ähnlichkeit
einzelner Stellen eine unmittelbare Entlehnung nicht als wahr
scheinlich erscheinen läßt. Die Quellen mußten daher anderswo
in der ziemlich umfangreichen Literatur des römischen und
kanonischen Rechts gesucht werden.
Diese Absicht ist großenteils gelungen, es haben sich die
Quellen feststellen lassen, aus denen Raymund den größeren
1 Siehe über dieses Werk Schulte, Geschichte der Quellen und Literatur
des kanonischen Rechts 2, 123 ff.
2 An diesem Lesefehler bemerke ich, daß Tomaschek das auch von mir
benutzte Exemplar der Hostiensis in der Wiener Universitätsbibliothek
Vorgelegen ist. Die alte Paginierung bezeichnet S. 49 so, daß man
leicht 89 lesen kann.
1*
4
VII. Abhandlung: Bartsch.
Teil seiner römischrechtlichen Ausführungen über das Dotal-
recht entnahm, und es haben sich Vergleiche zwischen dem, was
Raymund anderswoher hatte, und dem ehelichen Güterrecht
Österreichs im Spätmittelalter anstellen lassen.
Die Kenntnis dieses österreichischen Rechts verdanken wir
nebst Schroeders grundlegender Arbeit (Geschichte des ehelichen
Güterrechts in Deutschland II. 1.) namentlich Hradils Unter
suchungen zur spätmittelalterlichen Ehegüterrechtsbildung nach
bayrisch-österreichischen Rechtsquellen (I das Heiratsgut. Wien
1908), die in desselben Verfassers jüngst veröffentlichter Arbeit
über die Gerade (ZRG 44. 67 ff.) eine wertvolle Ergänzung er
halten haben. 1 Endlich gaben die reichhaltig fließenden Quellen
des 16. Jahrhunderts, die ich vor mehreren Jahren zu fassen
versuchte (Bartsch, Ehel. Güterrecht im Erzherzogtum Öster
reich im 16. Jahrhundert, 1905), die Möglichkeit zu Vergleichen
und Rückschlüssen auf die Zeit Rayraunds.
Die erwähnten Forschungen haben im wesentlichen fol
gendes über das eheliche Güterrecht Österreichs festgestellt.
Nach Hradil bestand ursprünglich kein Recht des über
lebenden Gatten an der Habe des Verstorbenen, bei kinder
loser Ehe fällt sie an die Verwandten des Verstorbenen heim.
Bei bekindeter Ehe brachte aber die Verfangenschaft für die
Kinder eine Leibzucht des überlebenden Gatten an dem unbe
weglichen Nachlaß des Verstorbenen hervor (S. 27). Von den
Fahrnissen wird nur ein bestimmter Komplex, den Hradil mit der
Gerade identifiziert, an den überlebenden Gatten vererbt (S. 32ff).
Aus diesem Rechtszustand entwickelt sich ein lebensläng
liches Nutzungsrecht des Überlebenden an der Habe des Ver
storbenen auch bei kinderloser Ehe mit Wiederkehr an die
Verwandten des Gebers (S. 39 ff.). Dieser Rechtszustand war
im 13. Jahrhundert allein nachweisbar und er bildet auch am
Ende des Mittelalters die weitaus überwiegende Regel (S. 53).
Vorwiegend auf stadt- und hofrechtlichem Gebiet entsteht
das ,freie' Heiratsgut, das dem überlebenden Gatten zu freiem
Eigen zufällt. Es findet sich meistens nur für den Fall der
Kinderlosigkeit.
1 Siehe auch desselben Verfassers Aufsatz: Zum ursprünglichen Wesen der
ehegüterrechtlichen Widerlegung (ZRG 43. 307).
Das eheliche Güterrecht in der Summa Raymunds etc.
5
Die Gütergemeinschaft entstand aus einer Gemeinschaft
der gegenseitigen freien Ehegaben als sogenannte ,gerennte Ehe'
und wird erst allmählich auch auf andere Gütermassen, schließ
lich aufs Gesamtvermögen beider Gatten erstreckt.
Alle diese Formen finden sich noch im 16. Jahrhundert
(siehe Bartsch a. a. 0. 49ff.), auch jetzt noch ist wenigstens
für den Adel bei bekindeter und unbekindeter Ehe Leibzucht
des Überlebenden als der Normalfall anzusehen (gesamte Hand
genannt), daneben aber findet sich auch die Urform, der sofortige
Heimfall nach dem Tode eines Gatten, und das freie Heiratsgut.
(Siehe besonders die auf Walther zurückgehende Darstellung der
n.-ö. Landtafel II 28.) Außerdem besteht das Erbrecht an dem
besonderen Fahrhabekomplex fort (S. 59ff.). Ferner kommen
Gütergemeinschaftsformen vor, unter denen die ,gerennte Ehe'jetzt
als allgemeine Gütergemeinschaft eine bedeutende Bolle spielt.
Untersuchungen an ungedruckten Quellen ohne deren
gleichzeitige Herausgabe haben immer etwas Mißliches, sie lassen
de Angaben des Verfassers oft als willkürlich erscheinen und
gestatten in der Kegel keine Kontrolle. Bei der üblichen Art,
die Ergebnisse der Untersuchung in systematischer Ordnung
darzustellen, ist die Gefahr willkürlicher Wahl der Belegstellen
noch vergrößert. Im folgenden ist der Versuch einer anderen,
mehr Gewähr für die Verläßlichkeit der Schlüsse bietenden
Darstellungsform gemacht. Es ist der nicht allzu umfangreiche
Text des in Betracht kommenden Teils der Summa vollständig
wiedergegeben 1 und daran die Untersuchung in Form eines
Kommentars zum Text geknüpft.
1 Der Text ist unter Benutzung 1 aller bisher bekannten Mittel hergestellt
worden. Es sind die von Tomaschek angeführten Handschriften in
Wien (W) und Olmiitz (0'), sowie die deutsche Übersetzung in Preß-
burg (P), ferner die von Seckel entdeckte vollständige Münchner Hand
schrift (M) (die zweite Münchner Handschrift enthält nicht die uns
interessierenden Partien) und die Editio im Privilegium Poloniae (JE)
benutzt worden. Sie gliedern sich in zwei Gruppen, der einen gehören
M und W an, während die übrigen (0, E, P) auf eine jüngere, be
wußt emendierte Bearbeitung zurückgehen. Dem Original steht M
vielleicht am nächsten. Während der Korrektur erfahre ich, daß Gäl
weitere Handschriften in der Krakauer Universitätsbibliothek entdeckt
hat. Sie konnten leider nicht mehr benutzt werden.
6
VII. Abhandlung: Bartsch.
De {lote 1 (II. Buch cap. 37).
Circa tertiam donationem que Vocatur dos plura 2 sunt
notanda: Primo 8 quid sit dos, secundo quot sint 4 eius species,
tertio quando debeat dari, quarto quantum de iure communi 5
debeat dari, 3 quinto quando dos repeti poterit, sexto ex quibus
causis dos lucretur, septimo quando et cui 7 dos sit restituenda,
octavo utrum 8 vir totam dotem teneatur res titriere, nono quis
possit petere dotem, decimo utrum 9 uxor possit resignare dotem
vel doti renunciare, 10 undecimo utrum uxor quovis modo poterit
dotem alienare, duodecimo utrum dotem esse salvam 11 debeat
credi marito vel utrum debeat cautio 13 prestari de ipso, 13 tertio-
decimo 14 si vir fecit impensas in res dotales, utrum sibi debeant
restitui, 15 quartodecimo 16 utrum dos antecedat omnes 17 cre-
ditores.
Quid sit dos vel donatio 18 (cap. 38).
(1) . Dos vel donatio est datio 19 quedam facta viro a parte
mulieris propter onera matrimonii sustinenda. 20
(2) . Species dotis 21 sunt tres sc. (a) provectitia, (h) advcn-
titia et (c) estimata.
(a) Provectitia dos est, 32 quam dat pater filie' 23 vel 24 avus
nepti 25 propter nuptias, et illud est proprium patrimonium 26 ipsius,
cum quo facere potest quidquid vult liberis 27 non exstantibus, 28
nisi aliud pactis 29 fuerit statutum; videlicet si exstant 30 liberi
1 Notabile circa dotem M, de dote et eius speciebus 0, E. Von
dem hewratguet und des gestalten P. 2 pluria M. 3 Dieses und die
folgenden Zahlwörter fehlen in 0 und E. 4 Fehlt in W, 0, E. 5 quo-
modo 0, E. 6 dari debeat W. 7 et cui fehlt in 0 und E. 8 an M.
9 Fehlt in 0. 10 renuncciare M. 11 salva M. 12 d. c. — cautio de
beat 0. 13 ipsa W, p. d. i. — de ipso prestari E. 14 tertio M. 15 Fehlt
in M y resartiri 0, E. 16 quarto M. 17 M fügt hinzu debitores. 18 v. d.
fehlt in 0 und E. 19 0 und E: Dos est datio vel donatio. 20 susten-
tanda E. 21 eius E. 22 W, 0 und E fügen hinzu datio. 23 filio M.
24 Fehlt in 0. 25 neptis 0. 26 matrimonium W und E. In M stand
matrimonium, es ist getilgt und durch patrimonium ersetzt. P übersetzt die
aygen Ee derselbigen. Wahrscheinlich stand in der gemeinsamen Urvorlage
matrimonium. Siehe auch unten S. 20. 27 libere W 28 existentibus 0,
extantlbus E. 29 pactum 0 und E. 30 extant M, 0 und E.
Das eheliche Güterrecht in der Summa Raymunds etc.
7
tune filia habet usumfructum dotis et proprietas maneat 1 apnd
illos. Si autem ipsa filia intestata decesserit, tune liberorum
est prima successio 2 et non patris neque 3 matris neque ali-
cuius 4 coniuncti, a quo res primum 5 advenerunt 6 et hii li-
beri 7 possidebunt illam dotem 8 pleno iure. Taceat igitur
omnis homo, qui dicit, quod propter 9 liberos proprium patri-
monium 10 matri 11 debeat detineri.
(b) Adventicia dos est, que provenit a matre vel ab aliis
coniunctis, et cum illa 12 similiter 13 potest facere quidquid yult,
si non 14 ratione matrimonii vel 15 pacto 10 fuerit ei 17 data.
(cj 18 Estimata dos est fundus ante certam et 19 nominatam
pecuniam resignatus. 20
Quando dos expediri debeat 21 (cap. 39).
(3) . Vir debet uxori sue 22 dotem 23 expedire, quando ipsa
aut parentes eius petunt 24 sive ante nuptias sive post; et
quocumque tempore 25 hoc fiat, hoc ei 26 in nullo debet 27 pre-
iudicare. Ipsa 28 expedita tenetur idem facere viro suo.
(4) . 2S Quantum uxor donat viro 30 tantum vir de iure com-
muni debet dare uxori et tertiam partem plus, nisi pactis et
conventionibus aliud statuatur.
1 manet E. 2 pr. s. — decessio 0, successio E, die aygen erbschafft P
(scheint propria. s. gelesen zu haben). 3 nec M. 4 alius 0. 5 primo E.
P: des vaters, in der Vorlage stand also patris. 6 advenerat 0, adveniat E.
7 libere M. 8 i. d. — dotem illam 0, E. 9 preter 0, E. 10 matri-
monium 0, E. Die aygen Ee P. 11 Fehlt in 0, E. M hat matri verbessert
aus patri. 12 eadem M. 13 schlechtlich P, also simpliciter. 14 Fehlt E.
15 vel non 0, non E. 16 pacti M. 17 Fehlt E. 18 Fehlt in Wgänzlich.
19 a. c. et — aut cum 0, E. 20 exsignatus M, resignamus 0, E. P lag
ein ähnlicher Text wie 0 zugrunde. Eie Übersetzung lautet nämlich'. Die ge-
schetzt dos ist der grundt oder genents geltt wie auffgebung. In der Vor
lage stand also aut (nicht antej, eine Form von resignare (nicht von exsignare)
und nicht das Wort certam. 21 Que dos expediri debeat 0\ Dos quomodo
debeat expediri E. In der Vorlage von P stand das allein passende quando.
Diese und die folgenden Rubriken fehlen in M und W. 22 u. s. — sue
uxori 0, E. 23 suam fügt W hinzu. 24 expetunt 0, E. 25 Fehlt in
W — ipse fügen W und M ein. 26 h. c. — fehlt in 0, E. 27 debeat 71/,
debet ei 0, E. 28 vero fügen 0 und E hinzu. 29 Sed fügen 0 und E
ein. Dadurch soll eine engere Verbindung mit der vorigen Frage her gestellt ?md
der Zusammenhang beider Fragen in einem Kapitel gerechtfertigt werden.
30 Fehlt in M', suo fügen 0 und E hinzu.
8
VII. Abhandlung: Bartsch.
Dos potest repeti (cap. 40).
(5) . Dos 1 potest repeti, quando vir sua substantia propria
abutitur (id est 2 male utitur) 3 vel quando est dilapidator
opum. Si autem vergeret 4 ad 5 inopiam ex infortunio vel ex
grandi 6 infirmitate vel ex alia legittima causa 7 tune nulla
competit 8 repetitio, quia coniuges 9 omne bonum et 10 malum
simul 11 pati 12 debent; nichil enim 13 eos separare 14 debet 15
nisi mors.
(6) . Dos 16 vel donatio tripliciter lucratur viro aut uxori;
primo ex pacto convento, 17 secundo ex consuetudine, tertio ex
delicto 'adulterii. 18
(7) . Donatio 19 provectitia 20 restituenda est patri fllia mortua
intestata liberos non habente et hoc post obitum mariti ipsius.
Donatio 21 autem adventitia restituenda est matri vel aliis pro-
ximis ipsius, a quibus advenit, 22 etiam post mortem mariti.
De restitutione dotis (cap. 41).
(8) . Maritus in restitutione dotis tenetur 23 facere quidquid
potest, ita tarnen quod non egeat. Nam secundum leges non
totum quod habet est extorquendum, sed et 24 ipsorum ratio 25 ha
ben da est, ne egeat.
(9) . Dotem 26 petere potest 27 omnis, qui dat dotem, (quia
dicitur in autentica: qui 28 nihil dat, nihil recipiat), 29 nisi pactis
aut conventionibus aliud statuatur.
1 uxoris fügen 0 und E hinzu. 2 i. e. — idem in W offenbar falsche
Auflösung einer Kürzung. 3 Das Eingeklammerte (eine Glosse ?J fehlt in 0,
E und P. 4 vir vertatur 0, vergit E. h in M. 6 ex grandi —
gravi 0, E. 7 a. 1. c. — causa alia legitiina 0 und E. 8 repetit 0.
9 in simul fügen 0 und E an. 10 omne W. 11 Fehlt in 0 und E. 12 com-
pati M. 13 Fehlt in M. 14 separari W, separat 0 und E. 16 Fehlt
in 0 und E. 16 autem fügen 0 und E zur Anknüpfung an das vorige
hinzu. Siehe S. 7, Note 29. 17 p. e. — delicto adulterii E. 18 d. a. — pacto
convento E. 19 Dos vero 0, Donatio vero E. 20 proventicia W. 21 dos 0,
widdergebung (also wohl donatio) P. 22 devenit W. 23 Fehlt in 0.
24 Fehlt in 0 und E. 25 moderatio 0 und E, messigung P. 26 autem
fügen 0, E und P ein. 27 p. p. — potest petere W, repetere potest 0, E
und P. 28 quod 0. 29 recipit 0 und E.
Das eheliche Güterrecht in der Summa Raymunds etc.
9
De cautela 1 (cap. 42).
(10) . Mulier nulla de causa dotem 2 resignare 3 aut doti 4
renunctiare 6 potest, 9 nisi ex legittima causa 7 et coram dominis
de consilio; 8 et hoc ideo constitutum est, 9 ne 10 sexus 11 mulie-
bi'is fragilitas in perniciem substantiae 12 earum convertatur.
Quod si super hoc aliter factum fuerit, nullius est firmitatis.
(11) . Ipsa 13 etiam nullo casu dotem 14 alienare potest, 15 quia
eam iure precario possidet, quod si faceret, perdet 16 eam.
(12) . Licet dotem esse salvam absque alienatione 17 posset
credi marito, cui confiditur et committitur corpus uxoris, tarnen
hoc non obstante mariti debent dare 18 fideiussores propter me-
tum mortis, ne fragilis 19 sexus muliebris 29 bonis suis dotalibus
defraudetur.
(I) . Dos'potest repeti secundum consuetudinem et secundum
pacta, quia in aliquibus locis est consuetudo, quod statim mortua
uxore liberis non exstantibus 21 repetitur dos et paraferna. 22
(II) . In aliis 23 locis repetitur dos solum post mortem viri, 24
si est 25 in rebus immobilibus, paraferna autem 26 et omnia
mobilia, que mulier viro 27 adduxit 28 non repetuntur quia 29
ipsa 30 viro remanebunt. 31
(III) . In aliis 32 locis fiuut pacta, quod quecumque 33 coniu-
gum 34 premoritur, tune reliquum 38 servat doteni et donationem
1 in dote habenda fügt 0 hinzu. 2 suam fügen 0, E und P hinzu.
3 debeat fügen 0 und E hinzu, auffgeben P. 4 dotem M. 5 renuntiare
0, E, verzeyhen P. 6 Fehlt in 0. 7 1. c. — causa legittima 0. E.
8 c. d. d. c. — cum consilio et coram domino hereditario 0, — cum con
silio coram domino hereditario E, — mit rad vor dem Erbherrn P. 9 Fehlt
in 0. 10 huius fügt 0 ein, hujusmodi E. 11 et fügt E ein. 12 Fehlt
in 0 und E. 13 mulier fügen O und E hinzu. 14 suam fügen 0 und E
hinzu. 15 debet 0 und E. 10 perdit W, parderet 0 und E. 17 que
et fügen 0 und E ein. 18 ponere 0 und E. 19 fragilitas M, die blüdi-
kaytt P. 20 mulierum 0 und E. 21 extantibus E, existentibus 0.
2 2 parafarna 0. Diese Schreibioeise ist in 0 konsequent durchgeführt. 23 vero
fügen 0, E, P (aber) hinzu. 24 uxoris 0, E, P. Irrtümliche Emendation
des Bearbeiters, dem es offenbar unverständlich war, daß hier vom Tode des
Mannes die Rede sein sollte, der doch am Schlüsse als der Überlebende be
zeichnet ist. 25 s. e. — solum vero 0, E, P. 26 vero E. 27 non 0,
E, P. 28 aduxit 0. 29 sed 0, E. 30 Fehlt in 0, E, ipso W 31 v. r.
— remanebunt viro M. 32 tarnen fügen 0, E, P hinzu. 33 quicumque 0, E.
edlichs P. 3 * coniugium M. 35 reliquus 0, E, P.
10
VIT. Abhandlung: Bartsch.
et paraferna pleno iure etiam 1 liberis exstantibus 2 sive non; et
illa dicitur libera dos.
(IV). Alia 3 consuetudo est, 4 quod uno coniugum mortuo
reliquum 6 servat dotem et donationem 6 ad dies suos et cum
paraferna 7 facit quidquid vult, et post mortem amborum, si
exstant s liberi, 9 istorum 10 sunt dos et donatio pleno iure. Si
vero non exstant liberi, tune dos 11 redit ad proximiores 12
uxoris.
Si autem ista bona vir et uxor simul elaboraverunt 13 [vel
ad invicem comportaverunt], 14 tune media pars illarum rerum
revertitur ad proximiores uxoris et ad' 5 alteram medietatem
succedunt proximiores mariti. 16
De paraferna (cap. 43).
Sunt autem paraferna 17 omnia bona mobilia que mulier
habet extra dotem, ut vestes, lectisternia 18 clenodia 10 etc; et di-
cuntur 20 a para, quod est iuxta et ferna dos, quasi res iuxta
dotem.
(V). Alia videtur esse sanior via 21 inter has omnes; vide-
licet 22 quod si uxor premoritur, tune vir servat donationem 23
ad dies suos non peioratam 24 nee alienatam 25 etiam liberis exstan
tibus 26 vel non. Cum dote autem, 27 quam uxori dederat, 28
1 et W. 2 existentibus 0, E. 3 eciam fügen 0 und E hinzu. 4 Fehlt
in 0. 6 reliquus in 0, E, ,das ander 4 in P (also reliquum). 6 pro se
fügt 0 hinzu (,durch sich 4 in P). 7 parafernis E. 8 existant A7. 9 seu
heredes fügen 0 und E hinzu (,oder Ir erben 4 P). 10 tune fügen 0 und E
hinzu. 11 Fehlt in W. 12 proximos propinquiores 0 und E. In W ist
hier eingeschaltet: mariti et donacio revertitur ad proximiores. Weil proxi
miores das letzte Wort vor der Einschaltung sowie der eingeschalteten Stelle ist,
liegt es nahe, den Einschub für einen Bestandteil des Originals zu halten. Poch
stehen dem Bedenken entgegen, s. unten S. 42. 13 elaboraverint 0. 14 com-
paraverunt 0 und E, dagegen P: zwsammengebracht. Pas Eingeklammerte
fehlt in W. 15 Fehlt in W und M. 13 viri M. 17 S. a. p. — Paraferna
sunt 0, E, P, hier wird die Anknüpfungspartikel weggelassen, iveil ein anderes
Kapitel beginnt. 18 betgevvand P. 19 clinodia 0, klaineth P. 20 dici
tur 0. 21 Sed et alia via que videtur esse arcior, so bisher in 0, sed alia
via que videtur esse sanior E. 22 Fehlt in 0 und E. 23 dotem et dona
tionem in 0, E. 24 peiorando in 0, E. 26 aliendo in 0, alienando E.
26 existentibus in 0. 27 ante in M. offenbar ein Lesefehler. 28 dederit in 0.
Das eheliche Güterrecht in der Summa Raymunds etc.
11
disponit 1 prout vult, quia sibi vacat, nisi aliter pactis et con-
ventionibus sit statutum. Eo vero mortuo revertitur donatio
[ad liberos, si exstant; si non, tune revertitur donatio] 2 ad pa-
trem vel matrera 3 vel ad alios coniunctos, a quibus advenit,
[si hii 4 exstant: Si vero 5 non exstant, tune vacat 0 civitati]. 7
(VI). Alia consuetudo est, si unus 8 coniugum non exstan-
tibus 9 liberis intestatus 10 moritur, tune reliquus servat dotem
et donationem et paraferna 11 pleno iure; et est notandum 12 quod
omne ius, quod habet dos, idem 13 habet paraferna.
(13) . Multiplices 14 sunt inpense in res dotales, videlicet: 15
necessarie, utiles et voluntarie; primas duas impensas heredes
restituere tenentur, tertia 16 autem impensa, 17 si causa delecta-
tionis 18 eam fecerat, 19 illa non restituitur ei. 20
(14) . Mulier 21 in dote prefertur omnibus creditoribus prio-
ribus 22 et posterioribus non habentibus ypothecam. 23 expressam,
in donatione propter nuptias ymmo, mulier 24 in parafernalibus
prefertur creditoribus habentibus taeitam vel expressam 25 ypo
thecam, 23 id est pignus immobile. 20
De successione uxorum (cap. 67).
Deficiente legittima sobole ascendentium et 27 descendentium
et eollateralium tune uxor succedit 28 viro intestato in bonis per
eum quesitis 29 quoad usum, proprietas autem 30 fiscum exspectat. 31
1 disponat in M. 2 Das Eingeklammerte fehlt in 0 und E aus Ver
sehen (gleiche Endworte). 3 uxoris fugt E hinzu. 4 Fehlt in 0 und E.
5 Fehlt in O und E. 6 vacant in M. 7 Das Eingeklammerte fehlt in W.
8 una 0, einer der Eeleut P. 9 existentibus 0. 10 intestatum IV- i. m.
— moritur intestatus 0, E. 11 et p. — cum parafernis E. 12 e. n. —
nota 0, E, vero W. 13 hoc idem 0, E. 14 Sciendum, quod multiplices
0 und E. 15 ut 0 und E. 16 tertiam W', 0, E. 17 impensam W t
0, E. 18 deleccionis W, dilaccionis 0, dilationis E, verzihung P. Die
sukzessive Textverschlechterung ist deutlich zu sehen; delectatio in M ist quellen
mäßig , W hat einen Schreibfehler (Auslassung zweier Buchstaben), 0 ändert
bewußt die Vokale, um zu einem Sinn zu kommen, E und P endlich lesen be
reits dilatio, ivas 3u einem ganz falschen Resultat führt. 19 fecit W, 0, E.
20 ei fehlt in M und. 0. 21 Mulier enim M. Et nota quod mulier 0, E, P.
22 Fehlt in M. 23 hypothecam E. 24 etiam fügt 0 hinzu. 25 v. e.
fehlt in W. 2,5 mole 0, in mobile W, pignus immobile übersetzt P: ein
ligends guet. 27 Fehlt in M. 28 succedat M. 29 conquesitis 0, con-
quisitis E. 30 ad fügten 0 und E hinzu. 31 exspectant W, spectat 0, E.
12
VII. Abhandlung: Bartsch.
In bonis autem per virum et nxorem simul 1 quesitis aut ela-
boratis 2 aut emptis liberis non extantibus 3 viro defuncto in-
testato uxor ad suum veile disponit. [Extantibus 4 autem liberis
et legittima uxore hii equis partibus succedunt 5 ]. 6
Consuetudo autem tenet, quod uxor illarum rerum tantum-
modo usum habet; 7 debet 8 habere non proprietatem ; quod
michi videtur valde absurdum, cum 9 nullus heres ex parte
defuneti exstet 10 nisi fiscus, qui tarnen nullum ius in hiis videtur
habere ex eo, quia uxor una 11 cum viro illas res magnis 12 la-
boribus acquisivit; 13 [ex eo eciam, 14 quia uxor et vir 15 habe-
bant 16 res indivisas et res indivise ab uno in alium devolvun-
tur 17 ]. 18 Equum enim est, si vir relinqueret 19 veros heredes, 20
quod 21 tune uxor de media parte rerum 22 disponeret prout
vellet, 23 alterius medietatis usum 24 ad dies suos haberet 25 pro-
prietate 26 rerum heredibus 27 illesa 28 servata. 29
Zur Einleitung - (Kap. 37).
Die Lehre von der Dos folgt unmittelbar auf die Lehre
von der Schenkung, als deren dritte Unterart neben der donatio
simplex und der donatio mortis causa die donatio angeführt
wird, 1 que fit propter nuptias inter virum et uxorem contra-
hendas.
Die Systematik ist die bei Raymund übliche: An die
Spitze des Kapitels werden die zu erörternden Fragen gestellt,
die ganz nach den üblichen scholastischen Mustern mit einer
1 Fehlt in 0 und E. 2 0 und E fügen hinzu aut comparatis. 3 ex-
stantibus W. 4 Hier stehen in M die getilgten Worte viro defuncto.
5 p. s. — succedunt partibus 0, E. 6 Das Eingeklammerte fehlt in W.
7 Fehlt in W und O. 8 debeat E. 9 cuius M, quod 0, E. 10 extet M,
extat 0, E. 11 Fehlt E. 12 0 und E fügen hinzu suis. 13 acquisierunt
M, conquisierunt 0, E. 14 ex eo eciam — eciam ex eo 0, E. 15 u. et v
— vir et uxor 0, E. 16 illas fügt 0 hinzu, habebat illas E. 17 divol-
vunlur 0. 18 Das Eingeklammerte fehlt in W. 19 relinquerit W. 20 v. h.
— heredes veros 0, E. 21 quia M. 22 Fehlt in 0. 23 et fügen 0
und E hinzu. 24 usque W. 25 habeat 0, E. 26 proprietatem W.
27 Fehlt in 0, E. 28 illese E. 29 servat M, reservata 0, reservatam E.
1 Siehe Tomaschek 27.
Das eheliche Güterrecht in der Summa Raymunds etc.
13
gewissen Regelmäßigkeit wiederkehren: quid sit (Definition)
. . . unde dicatur (Etymologie) . . . quis possit (Fähigkeit des
Subjekts) . . . que res (Objekt) . . . quibus modis . . . usw.
Ähnlich, wenn auch vom allgemeinen Schema etwas abweichend,
werden im Abschnitt von der Dos vierzehn Fragen aufgestellt,
die in der älteren Handsehriftengruppe numeriert sind. 1
Die folgenden Antworten sind wie auch sonst bei Raymund
knappe kurze Sätze, zum Auswendiglernen wie geschaffen. In
dem oben abgedruckten Text bedeutet die den einzelnen Sätzen
in Klammer vorangestellte arabische Ziffer die Nummer der
Frage, auf die sich der Antwortsatz bezieht. Vergleicht man
den Antwortteil mit den Fragen, so geben zwei Umstände zu
kritischen Erwägungen Anlaß.
1. Zunächst bemerken wir, daß zwischen die Beant
wortung der zwölften und dreizehnten Frage ohne jede Über
leitung oder Motivierung ein Exkurs über gewohnheitsrechtliche
und vertragsmäßige Abweichungen von dem als gemeinrechtlich
geschilderten Güterstande 2 eingeschoben ist. Dieser Einschub
behandelt durchaus die Schicksale des Vermögens der Gatten
bei Auflösung der Ehe, er wäre allenfalls an die siebente oder
neunte Frage anzuschließen gewesen, hinter der zwölften ist er
systematisch unverständlich.
Die Textkritik gibt keinen Aufschluß. 3 Der Exkurs ist
nicht nur in allen Vorlagen überliefert, er ist auch überall an
1 Solche Fragen aufzustellen ist in der damaligen Summenliteratur nicht
allzu selten, Monaldus und sein Vorgänger Bernardus Papiensis pflegen
den gleichen Gebrauch zu beobachten.
2 Der Exkurs umfaßt nebst einem kurzen Einleitungssatz sechs, oben
durch römische Ziffern kenntlich gemachte Güterstandsformen.
3 Im Gegensatz zu andern systematischen Verschiebungen, die sich mit
unter leicht aufklären. So die mit dem Fragenschema im Widerspruch
stehende Einschiebung des Kap. 62 quis dicatur intestatus decedere hinter
Kap. 55 in M. In der Vorlage hat der Schreiber beim nachträglichen
Einsetzen der Rubriken in die freigelassenen Räume irrtümlich bei
Kap. 55 die falsche Rubrik quis dicatur intestatus decedere eingeschoben.
So in W, wodurch Rubrik und Inhalt nicht zusammenpassen. Der
Schreiber von M, der den Widerspruch bemerkte, schob hinter Kap. 55,
dem er eine entsprechende Rubrik gab, sofort Kap. 62 mit der aus der
Vorlage entlehnten Rubrik ein. M hat den Widerspruch von Rubrik
und Inhalt beseitigt, dafür einen systematischen Widerspruch hervor
gerufen.
14
VII. Abhandlung-: Bartsch.
dieser auffälligen Stelle eingereiht. Auch entspricht er in Stil
und Inhalt ganz dem Werke Raymunds. Ich möchte nament
lich auf die geradezu als Parallelstelle anzusehende Aufzählung
von Gewohnheiten bei letztwilligen Verfügungen in II 50 1 ver
weisen, die ganz unverdächtig ist. An der Echtheit des Ein
schubes ist daher nicht zu zweifeln.
Für die Stellung dieses Exkurses, der, wie noch auszu
führen sein wird, für das österreichische Recht von größtem
Interesse ist, gibt es zwei Erklärungen.
Seine Stellung kann auf einem Redaktionsversehen be
ruhen, er wurde irrtümlich hinter (12) statt als Ergänzung zu
(7) oder (9) gestellt. Diese Erklärung befriedigt nicht ganz,
da der Exkurs doch viel mehr enthält, als die erwähnten
Fragen besagen.
Für wahrscheinlicher halte ich folgendes: Frage 1 bis 8
werden, wie noch zu beweisen ist, mit Exzerpten aus der Summa
des Monaldus beantwortet, die Antworten auf Frage 9—12
enthalten zum Teil wohl Hinweise auf römische Rechtsquellen,
sie sind aber selbständig in germanistischem Sinne verfaßt, Nr. 9
ist allerdings wohl kaum mehr als ein Lückenbüßer und eine
Wiederholung von bereits Bekanntem.
Hieran schließt sich nun der vorliegende Exkurs. Die
noch restlichen Punkte 13 und 14 sind wieder romanistischer
Herkunft, und zwar nicht aus Monaldus, sondern vermutlich
aus der Summa Astesana. Die ganze Aneinanderreihung ist eine
äußerliche nach den Vorlagen, denen die einzelnen Punkte ent
nommen sind, ähnlich wie die Kompilatoren der Digesten die
Auszüge der Edikts, Sabinusmasse usw. nebeneinander stellten.
Der Redaktionsfehler liegt offenbar darin, daß die das heimische
Gewohnheitsrecht bildende Masse zu einer Zeit eingereiht
wurde, als die Fragen schon verfaßt waren, und daß Raymund
vergaß, im Fragenschema darauf Rücksicht zu nehmen. Vielleicht
hatte er die Absicht, den Exkurs an den Schluß (als 4. Gruppe),
also außerhalb des Fragenschemas zu stellen, und das Versehen
bestand darin, daß er vor die letzte Gruppe geraten ist.
2. Eine Vergleichung des Antwortteils mit den zuge
hörigen Fragen zeigt die Unechtheit der Kapitelteilung und
1 Abgedruckt von Tomaschek 66 (305).
Das eheliche Güterrecht in der Summa Raymunds etc.
15
der Rubriken der zweiten Vorlagengruppe (0, E,P). Die Ru
briken stellen durchaus im Widerspruch zu der Einteilung in
vierzehn Fragen, indem jeweils mehrere Fragen ganz willkürlich
zu einem Kapitel zusammengestellt werden, dessen Rubrik meist
nur der ersten in dem Kapitel behandelten Frage entspricht.
Am auffälligsten ist die Rubrik zu Kap. 43, sie zerreißt
Nr. IV des Exkurses in zwei Stücke und überschreibt das
43. Kapitel, das den Rest von Nr. IV, die letzten zwei Gewohn
heiten des Exkurses (V und VI) sowie die Antworten auf die
Fragen 13 und 14 enthält mit der ganz unpassenden Be
zeichnung ,de paraferna 1 , weil das Kapitel mit der zu IV ge
hörigen und daran auch sprachlich (mit autem) angereihten
Erläuterung des Begriffs der Paraphernen beginnt. Zugleich
mit der willkürlichen Kapitelbildung hat der Beabeiter der
zweiten Vorlagengruppe die jeweils in ein Kapitel zusammen
gefaßten Sätze durch eine Partikel wie autem, vero, sed zu
sammengefaßt.
Schon diese Redaktionsarbeit zeigt die geringere Ver
läßlichkeit der Textgestalt dieser Vorlagengruppe, die auf einer
nachträglichen Umarbeitung (vielleicht des Verfassers des vierten
Buches der Summa) beruht.
Zu (1).
Die hier definierte Ehegabe an den Mann wird in der
älteren Vorlagengruppe als dos vel donatio bezeichnet, während
die jüngere Redaktion sie bloß dos nennt, offenbar in der roma
nistisch richtigen Erwägung, daß donatio propter nuptias die
technische Bezeichnung für die Gabe des Mannes an die Frau ist.
Der Sprachgebrauch Raymunds zeigt, daß der ältere Text
richtiger ist. Dos hat nämlich die klassisch-römische Bedeutung
als Gabe der Frau oder für sie an den Mann sicher nur in
(2), (5), (8), (I), (II), (IV), 1 wahrscheinlich auch in (3), (10),
(11), (12), (13), (14). Der Ausdruck donatio für die Gabe
der Frau findet sich dagegen in der älteren Textgestalt
sicher in (7), 0 hat den Ausdruck durch dos ersetzt, 2 ferner
1 Wenn man den nur in W überlieferten Zusatz wegläßt. Nach dem Text
in W würde dos in (IV) die Gabe des Mannes und donatio die Gabe
der Frau bedeuten.
2 Nicht auch E und P.
16
VII. Abhandlung: Bartsch.
in (V). 1 In (IV) heißt es uxor donat: sie bringt ein Heirats
gut ein.
Die Gegengabe des Mannes trägt die Bezeichnung dos in
(V), donatio in 14. Ganz ungewiß ist die Bedeutung von dos in (9).
Häufig findet sich die Verbindung dos et (vel) donatio
zur Bezeichnung beider Gaben (6), (III), (IV), (VI). 2
P übersetzt durchwegs dos mit hewretguet, donatio mit
vbergebung } vbergab, widdergebung.
Diesen wechselnden Sprachgebrauch hat schon Tomaschek
(87) bemerkt.
Die Definition ist den Romanisten entnommen. Bei Azo
(Summa in Cod. 5. 12 § 1) lautet sie: quod a muliere vel eius
parte marito vel eius parti propter onera matrimonii datur
ut perpetuo sit penes eum, wörtlich gleichlautend findet sie
sich bei Hostiensis (IV 50). Die Glosse des Nicolaus Supe-
rantius in seiner Ausgabe der Hostiensis (Basel 1573) bemerkt
dazu: Dotis definitionem ex Martino desumpsisse videtur H.
sic enim ille definit: Dos est quaedam donatio a parte mulieris
patri (!) viri facta pro oneribus matrimonii sustinendis. Die
Definition des angeblichen Martinus ist, wie man sieht, der
Raymunds fast wörtlich gleichlautend. Wie schon Seckel
(Beiträge 197 Note 165) bemerkt, ist unter Martinus häufig
nicht der bekannte Glossator Martinus Gosias oder ein anderer
Martinus, sondern der Franziskaner Monaldus verstanden, dessen
Summa der beiden Rechte 3 sich großer Verbreitung erfreute.
Tatsächlich lautet die Definition des Monaldus, so wie sie die
1 0 hat auch hier emendiert, ebenso E.
2 Bei O und E auch in (V).
3 Summa perutüis atque aurea venerabüis viri fratris Monaldi in utroque
iure tarn civili quam canonice fundata. Ihre Abfassungszeit fällt vor 1274.
Einzige Ausgabe ohne Jahr zwischen 151G und 1540. (Siehe Schulte,
Quellen und Literatur des kanon. Rechts II. 414 ff. und Ott, Wiener
Sitzungsberichte 117. IV: Die Tabula juris der Klosterbibliothek zu
Raygern.) Mit dem von Ott behandelten Auszug der Monaldina hat
Raymund nichts zu tun, da Raymund Stellen des Monaldus benützt, die
in dem Auszug fehlen. Die folgenden Zitate aus der Summa Monaldi
haben den Text des Druckes (nach dem Exemplar der Wiener Hof
bibliothek) zur Grundlage. Doch wurde stets auch der Text der Hs.
III E 26 der Prager Universitätsbibliothek (Truhläf, Catalogus I. S. 499
Nr. 501) mit berücksichtigt, deren einschlägige Stellen mir Privatdozent
Dr. Peterka (Prag) in freundschaftlicher Weise mitteilte.
Das eheliche Güterrecht in der Summa Raymunds etc.
17
Glosse zur Iiostiensis angibt: Dos est quedam donatio a parte
mulieris parti viri facta pro oneribus matrimonii sustinendis.
Zur Zerstreuung jedes Zweifels darüber, daß nicht der be-
berühmte Glossator Martinus Gosias gemeint sei, stelle ich die
Definition des Placentinus, eines Schülers des Martinus, da
neben (Summa in Cod. 5, 12 pag. 204). Est autem dos quae
graeco vocabulo plierna vocatur, donatio quae a muliere datur
marito partive mariti ea mente ut perpetuo sit apud maritum
propter onera matrimonii expedienda. Sie steht der des Azo
nahe, der des Monaldus ferner.
Für uns ergibt sich als Resultat in bezug auf die Quellen
analyse: die unmittelbare Vorlage für Raymunds Definition
war die des Monaldus, von ihr hat Raymund die Auslassung
des Gedankens: ut perpetuo sit apud eum übernommen, den
die übrigen Zivilisten ausdrücken. Die Veränderung, die Ray
mund dem Vorbild gab, ist nur unbedeutend, aber charakte
ristisch, nicht parti viri, sondern viro wird die dos gegeben,
er kennt keinen Ehemann alieni iuris.
Zu (2).
Die Dreiteilung Raymunds ist wenig logisch. Die Roma
nisten kennen zwei Dichotomien, deren jede erschöpfend ist.
Nach dem einen Einteilungsgrund unterscheidet man dos pro-
fectitia und dos adventitia, diese Einteilung steht überall vor
an; eine andere Einteilung unterscheidet dos aestimata und
non aestimata; so z. B. Placentinus pag. 204 zu Cod. 5. 12.,
der auch wie nach ihm alle Späteren als praktische Bedeutung
bei der ersten Einteilung die verschiedene Berechtigung bei
der Restitution, bei der zweiten Einteilung aber die verschie
dene Behandlung von commodum und periculum anführt. Das
alles ist bei Raymund durch Weglassung der dos inaestimata
und durch Anreihung der dos aestimata als drittes Eintei
lungsglied an die beiden ersten völlig verwischt.
Die Summa des Monaldus hat nur die Einteilung in pro-
fectitia und adventitia, wohl aber erwähnt Monaldus im spä-
1 Die Definition des Monaldus stammt, wie überhaupt fast alles, was
Monaldus über die dos enthält, aus der Summa Decretalium des Ber-
nardus Papiensis IV. tit. 21. (Ausgabe von Laspeyres 1860). Dieser
schöpfte wieder aus Faventinus, Huguccio, Lipsiensis, Rolandus usw.
(Schulte I 175).
Sitzungsber. d. pbil.-hist. Kl. 168. Bd, 7. Abh. 2
18
VII. Abhandlung: Bartsch.
teren Verlauf seiner Darstellung den Unterschied von aesti
mata und inaestimata, und zwar bei Besprechung der Frage,
wen hierum und damnum treffe. Die betreffende Partie be
ginnt Item si dos aestimata donetur (der sehr schlechte Text
des Druckes hat existimata), den Gegensatz enthält der fol
gende Absatz, der mit den Worten beginnt Item si in aesti
mata detur (extimata im Druck). Ich vermute nun, daß Ray-
munds Vorlage gleichfalls das in von aestimata abgetrennt
hatte und daß er infolgedessen in für eine Präposition hielt
und keine Unterscheidung zwischen aestimata und inaesti
mata vor sich sah.
Die Definitionen der beiden ersten Arten (profectitia:
quam dat pater filie vel avus nepti propter nuptias; ad-
ventitia: que provenit a matre vel ab aliis coniunctis) sind
bewußt veränderte, weil germanistisch gefärbte Fachbil
dungen der Definitionen des Monaldus. Dieser definiert die
profecticia unter Berufung auf D. 23. 3. fr. 5.: que a patre pro
filia, ab avo pro nepte vel de bonis eorum proficiscuntur vel
quis alius de mandato ipsorum constituit. Die adventitia ist
nach demselben Autor: que mutier dat pro se ipsa vel alius 1 ' a
patre vel aliquo 2 ascendentium sive fr ater 3 sive avunculus vel
quis alius. Der römische Grundgedanke, daß die profectitia
vom Gewalthaber stammt, ist bei Raymund schon verwischt,
an seine Stelle tritt der Gegensatz der Herkunft des Gutes
von Vater- und Mutterseite, der seine praktische Bedeutung
beim Heimfall des Gutes nach erblosem Tode findet. Darum
findet der noch bei Monald vorgesehene Fall, daß die Frau
selbst die dos gibt, bei Raymund keinen Platz mehr. Die dos
ist entweder bonum paternum oder maternum, jenes ist die
dos profectitia, dieses die dos adventitia. Aus dieser Verände
rung des Einteilungsgrundes geht auch eine Verschiebung
der Wirkungen hervor, der römische Gegensatz (bei der pro
fectitia Heimfall an den Geber, bei der adventitia Restitution
zu freiem Eigen an die Frau) geht unter, an seine Stelle tritt
eine Gleichstellung beider Arten in bezug auf ihr Schicksal.
Raymund schließt an die Definition der profectitia,
den Romanisten folgend, eine Schilderung der Wirkungen,
1 avus im Druck, Beruardus Pap. hat alius.
3 ebenso Bernard., im Druck ■pater (1).
2 alio bei Bernard.
Das eheliche Güterrecht in der Summa Raymunds etc.
19
die die Auflösung der Ehe auf die dos ausübt. In dieser Schil
derung Anden sich verstümmelte Zitate aus dem Corpus iuris
civilis; sie ist nämlich auf mehrfach abgeleitetem Weg durch
eine berühmte Glossatoren-Kontroverse hindurch über Mo-
naldus zu ihrer endgültigen Gestalt gekommen. Wie wir aus
vielfachen Überlieferungen wissen, 1 bestand unter den Glossa-
toren Streit darüber, ob die dos profectitia auch bei beerbtem
Tod der Frau ihrem Vater als dem Geber zufallen solle, oder
ob dieser nicht in diesem Fall durch die Kinder der Tochter,
seine Enkel, ausgeschlossen sein solle. Die Glosse zu C. 5.18
c. 6. sagt: Hie autem illud qüaeritur, si sunt filii ex eo matri-
monio, an nihilominus habeat locum haec lex (nämlich Heim
fall an den Vater). Jo (Hannes) et B(ulgarus) et Azo et nos
(Accursius) quod sic, nisi sit factum pactum retentionis et
pro nobis est l. un. C. 5.13. (folgt ausführliche Beweisführung
aus der angeführten Stelle). M(artinus) autem dixit contra
et Hane et alias praedictas intelligebat liberis non existentibus
et pro eo I. 2.19. §2 et D. 28. 2 fr. 11. Sed M. opinio usu
praevalet, quia haec lex intelligitur, si decedat sine liberis.
Ebenso erzählt die alte anonyme Kontroversensammlung
des 12. Jahrhunderts 2 (§ 55): Contra sentiunt in dote a
patre profecta, nam solus M. dicit debere ad patrem redire
tantum liberis non exstantibus et hoc probunt lege 19. C. 6. 20-
■ ■ ■ . et quia dos proprium patrimonium filiae est ut D. 4. 4.
fr. 3 § 4. Affirmant hoc etiam ex D. 23. 4. fr. 3 & 26 § 2 et
D. 24. 3. fr. 40. Alii vero contra dicunt, nam dotem profecti-
tiam omnimodo patri restituendam non habita distinctione
non existentium liberorum ut C. 5.18 c. 4 et quia silere debeb
ob liberos retentio ut C. 5. 13. c. un. § 5 . . . .
Wir sehen hieraus, daß Kaymund zu der Kontroverse im
Sinne des Glossators Martinus Stellung nimmt, die gegen
teilige Meinung gar nicht anführt, wir sehen aber auch, daß
verstümmelte Reste der Argumente pro und contra in Kay
munds Darstellung erhalten sind.
1 Außer dem im Text angeführten Zeugnissen siehe die Kontroversen
sammlungen des Rogerius § 25 bei Haenel, Dissensiones dominorum
S. 87 und des Hugolinus § 87 ebenda S. 441; Azo, lectura zu C. 5. 18 c. 4,
ferner Panzirolli, De Claris legum interpretibus II. 15, Glück, Erl. 27. 205,
Savigny, Geschichte des röm. Rechts im MA. 4. 90.
2 Haenel, Dissensiones S. 40.
2*
20
VII. Abhandlung: Bartsch.
Es taucht nun vor allem die Frage auf, ob Eayrrmnd hier
vielleicht bloß die dem heimischen Gewohnheitsrecht entspre
chende Lösung der Kontroverse geben wollte, wiewohl ihm
auch die gegenteilige Meinung, vielleicht sogar deren Vor
herrschen bei den Theoretikern bekannt war ?
Diese Frage ist zu verneinen. Raymund gibt nicht selten
Kontroversen an, auch bezeichnet er öfters eine Auffassung
als secundum leges und stellt ihr die consuetudo gegenüber.
Hätte Raymund die Lösung des Bulgarus und seiner Nach
folger in seiner Vorlage als die richtige bezeichnet gefunden,
so hätte er sie wahrscheinlich als die Vorschrift der leges an
geführt. Man muß daher aus dem Schweigen Raymunds
schließen, daß er eine Vorlage benützte, die nur die Meinung
des Martinus enthielt. Eine solche ist die Summa des Monal-
dus. Dieser lehrt nämlich: Item profectitia redit ad patrem
mortua in matrimonio filia C. 5.18. c. k. Si tarnen liberi ex-
tarent tune in actione succederent, quia dos est propriumi
patrimonium (Druck matrimonium (!), Prager Hs: primo-
rum [?]) uxoris D. 4. 4. fr. 3 § 5 et liberorum est prima suc-
cessio J. 2.19 § 1. Dagegen soll ein solches Klagerecht den
Kindern nicht zustehen, wenn die Ehe durch divortium ge
löst wird, was aus D. 24. 3. fr. 2 u. 40 und aus X. 4. 20. c. 1.
bewiesen wird. Die beiden Belegstellen für die Ansicht des
Martinus (,dos est proprium patrimonium uxoris‘ und ,libero
rum prima successw) sind sonach in die Summa Raymunds
durch Vermittlung des Monaldus übergegangen. Für die un
mittelbare Benutzung der genannten Schrift spricht aber
noch ein Umstand. In den textkritischen Noten (s. oben S. 6)
wurde gezeigt, daß wahrscheinlich im Original die dos als
proprium matrimonium (statt patrimonium) bezeichnet war.
M, W, E und P lasen das sinnlose matrimonium, in M ist erst
durch Korrektur patrimonium hergestellt. Nur 0, das ohne
dies nachträgliche Emendationen enthält, hat patrimonium.
Nun steht im Druck der Summa Monaldi gleichfalls matri
monium. Bei dem schlechten Zustand des gedruckten Textes
darf zwar nicht ohneweiters darauf geschlossen werden, daß
dieser Fehler bereits dem Original der Monaldina angehört,
ebensowenig, daß er in der Handschrift enthalten war, die Ray
mund bei Abfassung seines Werkes benutzte. Allein merkwür-
Das eheliche Güterrecht in der Summa Raymunds etc.
21
dig bleibt das Zusammentreffen doch und man wird darum, so
lange eine kritische Textausgabe des Monaklus nicht das Ge
genteil beweist, für sehr wahrscheinlich halten müssen, daß
der sonderbare Fehler aus der Vorlage Raymunds stammt. 1
Diese Vermutung gewinnt an Wahrscheinlichkeit, weil
derselbe Fehler wenige Zeilen später (S. 7 bei Note 10)
wiederkehrt. Jetzt haben M und W emendiert, dafür haben 0,
E und P den Fehler. Sollte wirklich Raymund einmal matri
monium, einmal patrimonium geschrieben haben ? Liegt nicht
vielmehr die Annahme nahe, daß er eben in Anlehnung an
Monaldus beidemale matrimonium schrieb ?
Noch ein drittes Zitat aus römischen Rechtsquellen findet
sich bei Raymund; es ist allerdings fast bis zur Unkenntlich
keit entstellt. Raymund sagt: Taceat igitur omnis homo, qui
clicit, quod propter liberos proprium patrimonium matri de-
beat detineri. So die beste Textüberlieferung; der Sinn des
Satzes ist rätselhaft, sein Wortlaut erinnert aber doch an
die Kodexstelle (5. 13. c. un. § 5): Sileat ob liberos retentio.
Mit dieser Bestimmung hat Justinian die Einrede wegen
vorhandener Kinder gegen die Klage auf Restitution der dos
aufgehoben. Die Anhänger der Meinung des Bulgarus ver
wendeten daher diese Stelle als Argument für ihre Ansicht.
Die Schule des Martinus erwiderte darauf, daß diese Auf
hebung der retentio propter liberos nur dann stattfinde, wenn
die Ehe bei Lebzeiten der Frau durch divortium gelöst werde.
Die Antinomie mit den oben angeführten Stellen wird daher
durch das scholastische Hilfsmittel der restriktiven Inter
pretation aufgehoben. So Placentinus zu Cod. 5.18 pag. 215
(<quod ergo dicitur: sileat ob liberos retentio, non obloquitur;
hoc enim. tune est cum matrimonium est solutum divortio).
Ihn zitiert Hugolinus § 269 (ILaenel, Dissensiones S. 441).
Bei Raymund kehrt das Zitat in ganz willkürlicher und
mißverstandener Weise ergänzt wieder. Bei Monaldus ist die
Sache sehr unklar. Er lehrt: Die profectitia fällt beim Tode
1 Dafür daß matrimonium wirklich aus Monald stammt, spricht auch der
Umstand, daß schon von Monalds Quelle, der Summa des Bernardus Pa-
piensis, zwei Handschriften bekannt sind, die an dieser Stelle matri
monium haben. Laspeyres S. 190 Note 10. Die Prager Handschrift hat
an der fraglichen Stelle nach der Mitteilung Peterkas primorum, vermut
lich eine falsche Auflösung einer aus patrimonium gebildeten Kürzung.
22
VII. Abhandlung: Bartsch.
der Gattin an deren Vater, wenn jedoch Kinder vorhanden
sind, an diese. Bei Auflösung der Ehe wegen divortium fällt
die dos an den Vater und die Tochter, yel saltem filiae, die
adventitia fällt stets der Frau. Quidam autem dicunt, quod
semper talis dos redit ad patrem indistincte G. 5. 13. I. un.
Was Monald mit dem letzten Satz in dieser Reihenfolge
sagen wollte, ist unsicher. Seine Vorlage führte zweifellos
hier die Meinung des Bulgarus aus, die talis dos ist die pro
fectitia und das indistincte bezog sich auf das Vorhandensein
oder Fehlen von Kindern. 1
In dem geschilderten Zusammenhang aber kann talis
die adventitia bezeichnen, das indistincte kann Gleichgültig
keit des Umstandes, ob adventitia oder profectitia oder ob
Tod oder divortium bedeuten. 2 Diese Unklarheit erklärt aber,
wieso Raymund das Zitat aus dem Kodex (5.13. § 5 ) miß
verstehen konnte und nicht bemerkte, daß es ein Argument
gegen die von ihm vorgetragene Lehre enthält. Eine
Schwierigkeit besteht nur darin, daß Monald zwar die Kodex
stelle allegiert, aber ihren Wortlaut nicht anführt. Sie läßt
sich nur durch die Annahme aufheben, daß entweder Ray
mund neben Monald noch eine andere Quelle benutzte, was
wenig wahrscheinlich ist, oder daß in der Raymund vor
liegenden Handschrift das Zitat, wahrscheinlich als Glosse,
enthalten war, während der Druck es unterdrückte. Auch
hierüber könnte nur eine kritische Ausgabe der Summa Mo
naldi Aufklärung bringen.
Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, daß Raymund
Frage 2 unter Zuhilfenahme der Summa des Monaldus be
antwortete, daß sich eine mittelbare Überlieferung aus dem
Corpus iuris bis in unsere Summa spinnt. Und doch wird
eine inhaltliche Analyse dessen, was Raymund lehrt, dartun,
wie überraschend selbständig und unabhängig von romanisti-
scher Auffassung er seine Aufgabe löste.
Zunächst ist festzustellen, daß sich Frage 2 damit be
faßt, wem die dos zu restituieren ist. Sie kollidiert dadurch
1 Bei Bernardus Pap. wird gelehrt: der Satz dos 'profectitia redit ad
patrem gelte, wie quidam iuris praeceptores behaupten, nur fiir kinder-
losen Tod, alii vero dicunt contra.
3 So nach dem Prager Text, in dem das Wort talis fehlt.
Das eheliche Giiterrecht iu der Summa Raymunds etc.
23
mit Frage 7 (quando et cui dos sit restituenda). Die Ant
worten sind aber unter sich ganz verträglich, weil sie ver
schiedene Fälle behandeln. In der uns vorliegenden Frage
beschäftigt sich nämlich Raymund ausschließlich mit dem
Falle, daß die Frau den Mann überlebt; denn es ist die Rede
davon, daß die Frau Eigentum mit voller Verfügungsfähig
keit oder Nießbrauch an der dos erhält. Beides kann nur
nach Auflösung der Ehe stattfinden. Denn während der
Dauer der Ehe steht begrifflich die Nutzung dem Manne zu
und die Verfügung ist der Frau während der Ehe untersagt
(Frage 11, s. unten). Frage 7 bespricht aber ausdrücklich
die Restitution filia mortua.
Wenn die Frau den Mann überlebt, so ist zunächst zu
fragen, ob Kinder vorhanden sind oder nicht. Sind keine
vorhanden, dann ist die Frau freie Eigentümerin der dos.
Sie kann mit ihr machen, was sie will. 1 Sie wird also auch
durch Schenkung oder Vermächtnis darüber verfügen
können; eine Ausnahme tritt nur ein, wenn sie im Dos-Be-
stellungsvertrag vereinbart wurde. Es gibt somit nur ver
tragsmäßigen, keinen gesetzlichen Heimfall. Das Grund
prinzip der römischen dos profectilia ist damit verlassen, der
praktische Unterschied zwischen ihr und der adventitia hin
fällig, Raymund kann sich daher bei Besprechung der ad
ventitia darauf beschränken, analoge Anwendung der Sätze
von der profectitia (,similiter’) zu lehren.
Bei bekindeter Ehe hat die überlebende Gattin bloß
usumfructum dotis, das Eigentum fällt den Kindern zu, die
dos ist also den Kindern verfangen, die Frau hat Leib
zucht am Kindergut.
Raymund könnte kiernit schließen, besondere Regeln
für die Folgen des Todes der Mutter sind nicht nötig. Das
Eigentum der Kinder konsolidiert sich selbstverständlich
zum vollen Eigentum. Die genaueren Erklärungen, die Ray
mund noch gibt, machen die Sache nicht klarer. Er lehrt
zunächst, daß beim Tode der Tochter die dos ihren Kindern
zufällt und nicht Heimfall an den Geber eintritt. Das ist
1 facere jiotest quidquid vult ist eine formelhafte Wendung im Urkunden
stil des MA. zur Bezeichnung der Freiheit von Beschränkungen
durch Anwartschaftsrechte.
24
VII. Abhandlung: Bartsch.
doch selbstverständlich, oder wollte er damit sagen, daß beim
Tode der kinderlosen Witwe, soweit sie nicht über ihre dos
verfügt hat, doch ein Heimfallsrecht an Stelle des gesetz
lichen Erbrechts tritt? Das ist unwahrscheinlich, der
Zweifel wäre aber gar nicht aufgestiegen, wenn Raymund
hier die irreführende Erläuterung unterlassen hätte. Sie
dürfte nur den Sinn einer Polemik gegen das Heimfallsrecht
überhaupt haben, die ja nicht so ferne lag, als Gewohnheiten
existierten, die das Heimfallsrecht kennen (darüber unten
beim Exkurs).
Höchst auffällig ist aber, daß die Nachfolge der Kinder
nur stattfindet, wenn die Witwe intestata stirbt; also sollte
sie, obwohl nur Nutznießerin, ihren Kindern das Eigentum
entziehen können ? Ich kann das nicht glauben, umso weniger
als Raymund einen derartigen Zustand bloß als vertrags
mäßigen kennt (die libera dos unter Gewohnheit III). Es
ist vielmehr anzunehmen, daß das aus den Institutionen
stammende Zitat (liberorum prima successio), das Martinus
zur Abwehr des Heimfallsrechtes des Vaters an wendet, Ray
mund verführte, hier die Intestaterbfolge besonders betonen
zu müssen.
Die Kinder endlich sind gleichfalls von Heimfalls
rechten frei, sie erhalten die einstige dos ihrer Mutter nach
deren Tode pleno iure. 1 Die dos, das Eigentum der Mütter,
darf den Kindern nicht vorenthalten werden. Dies der Sinn
des Satzes: Taceat igiiur etc. Die Kodexstelle, aus der er
stammt, hatte bestimmt, der Mann dürfe wegen Vorhanden
seins von Kindern die Restitution an den Heimfallsberech
tigten nicht verweigern, also so ziemlich das Gegenteil von
dem, was Rävmund lehrt.
Die dos adventitia wird bei Vorhansein von Kin
dern wohl ebenso wie die profectitia zu behandeln sein. Denn
die Frau ist similiter Eigentümerin, soweit sie nicht ratione
matrimonii oder durch besondere Vereinbarung darin be
schränkt ist. Der Unterschied der beiden Arten der dos ist
also wirklich ein rein nomineller geworden. 2
1 d. h.nicht bloß auf Lebenszeit, sondern frei vererblich. Über die Be
deutung des plenum ius siehe unten hei (III).
" Gegenüber dem römischen liecht ist zu betonen, daß sonach auch die ad
ventitia den Kindern verfangen ist. Deutlicher ist dies bei Frage 7 gesagt.
Das eheliche Güterrecht in der Summa Raymunds etc.
25
Die Definition der dos aestimata erscheint wie barer
Unsinn. Sie ist ein Beispiel dafür, wie das Werk ans unver
standenen Exzerpten entstand. Die Definition kam etwa in
folgender Weise zustande: Der Verfasser suchte eine Defini
tion der dos aestimata, für die er ein Einteilungsglied offen
gelassen hatte. Mag er nun in seinem Material eine solche
nicht vorgefunden oder mag er eine solche übergangen haben,
kurz es fiel ihm eine Notiz in die Hände, die vom fundus do-
talis handelte. 1 Von diesem lehren aber die Glossatoren, daß
er unveräußerlich sei, es sei denn, daß er aestimatus ist, d. h.
daß er unter Schätzung in Geld in das freie veräußerliche
Eigentum des Mannes übertragen wurde. Diese Bestimmung
drehte Raymund um, er vertauschte Subjekt und Prädikat
und erklärte: dos aestimata ist ein gegen Geld übertragenes
Grundstück. Außerdem fügte er dem veränderten Bild eine
Nuance bei. Wenn auch die im allgemeinen glaubwürdigere
Textgestalt exsignatus sagt, so ist diesmal die jüngere Text
gestalt zuverlässiger und im Original dürfte resignatus ge
standen haben. Die Übertragung eines Grundstückes als
dos aestimata setzt resignatio, d. h. Auflassung voraus; a con
trario darf man hieraus wohl schließen, daß Raymund für
die anderen Arten der dos keine Auflassung forderte, sondern
eine bloße Übertragung mit Heimfallsrechten, mag man sich
nun darunter die Einräumung eines dinglichen Hechts an
fremder Sache unter Vorbehalt des Eigentums oder die Über
tragung eines zeitlich beschränkten Eigentums vorstellen.
Die Schätzungssumme der dos aestimata wird konsequenter
weise als Kaufpreis aufgefaßt, die Verwendung von ,ante‘
in der Bedeutung ,für‘ oder ,gegen' ist zwar ungewöhnlich,
allein immerhin denkbar. 2
Schon dem Redaktor der jüngeren Textgestalt war
diese Definition nicht recht plausibel, offenbar wußte er aus
1 Monald-behandelt die dos aestimata, den fundus dotalis erwähnt er
nur flüchtig am Schlüsse.
2 Die Beschränkung der dos aestimata auf unbewegliche Sachen entspringt
übrigens deutschrechtlichen Erwägungen. Bewegliche Sachen faßt
Kaymund entweder überhaupt als paraferna auf oder es entstand an
ihnen ex lege ein Verfügungsrecht des Hannes. Nur bei Grundstücken
hatte es daher einen Sinn, dem Mann unter Feststellung einer
Schätzungssumme das ausdrückliche Verfügungsreeht einzuräumen.
26
VII. Abhandlung: Bartsch.
den Quellen, daß auch bewegliche Sachen als dos aestimata
gegeben werden können. Er verwandelte daher das ante in
aut und certam in cum, er emendierte den Text, so wie er sich
den ursprünglichen Wortlaut dachte. Dabei kam aber ein
ganz falscher Sinn zutage. Nach dem Text in 0 ist dos aesti
mata jeder fundus, außerdem wenn man eine benannte Geld
summe aufläßt. So las es auch der Übersetzer ; x nur wußte er
mit der Auflassung nichts anzufangen und so stammelt er
hilflos: ,Der grundt oder genents geltt wie auffgebung/
Die Beschränkung der dos aestimata auf Grundstücke
kann übrigens auch ihren Grund in der Vorlage haben.
Monaldus fügt der Definition der dos hinzu: et est patri-
monium mobile. 2 D. 4. 4. fr. 3. § 5. Das Zitat zeigt, daß hier
ein Lesefehler (mobile statt mulieris 3 ) vorliegt, es ist die
oben (S. 20) erwähnte Stelle gemeint, die die dos als proprium
patrimonium bezeichnet. Wenn nun dieser Fehler in Ray-
munds Vorlage enthalten war, ist es sehr naheliegend, daß er
in der ihm als dritte Art erscheinenden dos aestimata den bei
Monaldus später gelegentlich erwähnten fundus dotalis ver
mutete.
Zu (3).
Das Verständnis dieser Stelle hängt von der Bedeutung
des expedire (P: ausrichten) ab. Sicherlich ist die hier ge
meinte Leistung, nach deren quando gefragt wird, nicht die
Rückstellung der dos nach Auflösung der Ehe, mit der sich
Frage 7 beschäftigt, auch könnte davon ante nuptias keine
Rede sein.
Man könnte also an Bestellung der dos denken. In der
Tat kann sowohl expedire als auch ,ausrichten' den Sinn von
,entrichten, zahlen* haben. 4 Hier aber ist von einer Verpflich
tung des Mannes die Rede. Es ist nur ein zweifaches möglich;
entweder heißt dos hier die Gabe des Mannes und dann
1 Siehe oben S. 7 Note 20.
a So der Druck und die Prager Hs.
3 Bernardus Papiensis hat mulieris.
4 Siehe Du Cange v. expedire. Nach Grimm Wb. I 935 ff. heißt ausrich
ten : 2) bezahlen, entrichten, berichtigen, mit Akkusativ der Person in
der Bedeutung von expedire = abfertigen oder berichten. In den Pan
dekten findet sieh expedire.im Sinn von bestreiten (onera) in D. 23. 4.
fr. 4.; vgl. dazu D. 26. 7. fr. 7 § 10.
Das eheliche Güterrecht in der Summa Raymunds etc.
27
heißt die Stelle: der Mann muß der Frau eine Widerlegung
leisten, gleichviel ob sie oder ihre Eltern es vor oder nach der
Eheschließung verlangen. In diesem Falle würde die Frau
nur dann dem Mann ein Heiratsgut mitzubringen schuldig
sein, wenn sie von ihm eine Widerlegung empfangen hat.
Das würde dem alten deutschen Recht entsprechen, wonach
der Muntschatz die primäre Ehegabe bildet, ein Zubringen
der Frau aber zur Ehe nicht erforderlich ist.
Es ist auch möglich, daß dotem expedire die dos (der
Frau) versichern heißt. Diese Ansicht wird durch die Ent
stehung der Stelle wesentlich gestützt. Bei Monaldus heißt
es: Item expedit mulieribus dotes salvas habere, ut nubere
possint D. 24. 3. fr. 1. Das unpersönliche expedit hat Ray-
mund falsch als Prädikat von einem ausgelassenen vir ver
standen. Der Mann stattet der Frau ihre dos so aus, daß sie
ihr salva bleibt. Aus Monald ist der Akkusativ von dos und
der Dativ von uxor (mutier) übernommen. Der Mann, dem
eine dos zugesichert wurde, ist jederzeit vor oder nach Ab
schluß der Ehe verpflichtet, die dos der Frau sicherzustellen.
Unterlassen die Eltern oder die Frau, Anspruch hierauf zu
erheben, so kann das dem Sicherstellungsanspruch der Frau
nicht schaden, es präjudiziert ihr 1 nicht. Erst wenn sie
solche Versicherung empfangen, ist sie schuldig, den An
spruch des Mannes auf die dos sicherzustellen. Diese Aus
legung stimmt mit Hradils Forschungsergebnissen, 2 wonach
die Widerlegung in erster Linie Ersatzfunktion hat, der
Mann bezeichnet ein Gut, das als Ersatz der dos zu dienen
hat. Im 16. Jahrhundert ist diese Art der Versicherung der
Frau allgemein üblich, sie ist völlig selbständig neben der ge
setzlichen Generalhypothek auf dem Vermögen des Mannes. 3
Ich halte die zweite Auffassung wegen ihrer Überein
stimmung mit dem österreichischen Recht und wegen der
leichten Erklärbarkeit der sprachlichen Form dieser Stelle
für die richtigere.
1 Daß ei auf die Frau zu beziehen ist, bestätigt P: sol Ir nit schaden
'bringen,
2 Hradil ZKG 43. 307 ff.
2 Dartsch, iShegüterrecbt S. 17—27.
28
VII. Abhandlung: Bartsch.
Zu (4).
Nach ins commune sind dos und donatio gleich groß. So
wie alle Romanisten auch Monaldus: Item equalitas inter dotem
et donationem propter nuptias in quattuor casibus observanda
sc. in constituendo, in pacto de lucrando, in augendo, et in
quantitate. Sed in hoc ultimo membro equalitas secundum
consuetudinem observatur X.4. 20. c. 8.
Raymund weicht hievon einigermaßen ah. Zunächst,
daß der Mann tertiam partem plus zu gehen hat. Tomaschek
(S. 56) hat bereits gezeigt, daß dies in Böhmen und Mähren
üblich war. Siehe auch Schroeder RG. § 61 IST. 172. der diese
Gewohnheit für Wien und Böhmen feststellt. 1 Im 16. Jahr
hundert ist in Österreich allgemein Gleichstellung üblich,
doch betrachten die Quellen diese Gleichstellung nicht als
zwingend und berichten von Abweichungen nach unten wie
nach oben. 2
Abweichend von Monaldus verweist Raymund auch auf
consuetudines et pacta, die anderes bestimmen. Dies stimmt
mit dem österreichischen Recht des 16. Jahrhunderts überein.
Raymund selbst berichtet uns nichts Näheres über solche Ge
wohnheiten.
Zu (5).
Raymund lehrt ein Rückforderungsrecht bei Bestand
der Ehe wegen Mißbrauchs der dos oder Verschwendung des
Mannes. Dagegen lehnt er ein solches Recht bei unverschul
detem Vermögensverfall des Mannes ab.
Nach römischem Recht hat umgekehrt gerade bei Ver-
mögensverfall des Mannes die Frau Anspruch auf Heraus
gabe des Heiratsgutes C. 5.12. c. 29. Diese Ansicht vertritt
auch die Summa Ilostiensis IV. fol. 50 b (wörtlich gleich
lautend mit Azo Summa cod. de jure dotium § 1), indem sie
1 z. iS. JtSrünners Schöffenbuch c. 201: promissio dotalitii est arbitraria,
secundum voluntatem promittentis possibiliter minui vel augerij con-
suevit tarnen frequenter mairitus in parte teriia plus uxori pro dote
promittere, quam e contra solet, et secundum istam consuetudinem
quasi communiter approbatäm, quando dos unius coniugum nominatim
est expressa, debet dos alterius, si est dubia, moderari. Rössler,
JJeutsclie Rechtsdenkmäler in Böhmen und Mähren 2, 08.
- Bartsch, Ebel. Güter recht S. 32 f.
Das eheliche Güterrecht in der'Summa Kaymunds ect.
29
im Anschluß an die Worte der Definition der dos: ut perpetuo
sit penes eum lehrt: id est quamdiu durat matrimonium, nisi
maritus vergat ad inopiam.
Der Grund für die abweichende Meinung Raymunds ist
abermals bei Monald zu suchen. Nach diesem -findet eine
Rückforderung statt: cum maritus ad inopiam vergat secun-
dum quosdam (C. 5.12. c. 29. Nov. 97. c. 6) vel est dos seque-
stranda cum vir suus suspectus habetur de dissipatione (D.
24. 3. fr. 22. § 7, 1 c. 7. X. 4. 20; c. 3. X. 2.17), Sed hoc quibus-
dam non placet cum uxor non teneatur alere virum egentem
(D. 23. 3.1. 73 § 1) et exponunt leges predictas non de viro
qui ad inopiam vergit, sed de illo qui dilapidat bona sua (arg.
c. 7. X. 4. 20).
Aus dieser Vorlage, die ihm zwei Meinungen zur Ver
fügung stellt, hat Raymund die zweite gewählt; allerdings ist
sie sprachlich einigermaßen verändert worden, wenn ihr auch
die Ausdrücke vergere ad inopiam und dilapidator ent
stammen.
Nur die Motivierung ist anders als bei Monald. Während
dieser einen juristischen Grund anführt, die Frau muß auch
dem armen Mann die dos lassen, weil sie ihn anderweitig zu
erhalten nicht verpflichtet ist, ist es bei Raymund der Hin
weis auf das gemeinsame Geschick der Gatten, die alles Gute
und Böse gemeinsam tragen müssen. Diese Begründung,
ebenso die Bemerkung über die Unauflöslichkeit der Ehe,
sind zweifellos kirchlichen Ursprungs.
Übrigens ist die Entziehung der Gewere am Frauengut
bei Mißbrauch des Mannes deutsches Recht. Nach dem
Brünner Schöffenbuch Nr. 501 (Rößler II 232) kann die
Frau, wenn ihr Mann ein bonorum dissipator ist, ihr Ver
mögen, das sonst der Mann inne hat, selbst verwalten. Ähn
lich nach Iglauer Stadtrecht. 3
Zu (6).
Raymunds Beantwortung der Frage, in welchen Fällen
die dos und donatio lukriert werden, ist eine etwas verallge-
1 richtig fr. 23 pr.
2 infortunium ist gleichfalls quellenmäßig, es stammt aus C. 5.12. c. 30
ex quo hoc infortunium eis illatum esse claruerit.
3 Siehe Bartsch, Rechtsstellung der Frau S. 95, Note 2.
30
VII. Abhandlung: Bartsch.
meinerte, in die Form einer Aufzählung gebrachte Wieder
gabe einer Stelle des Monaldus mit bloßer Weglassung eines
Zwischensatzes und der Quellenzitate. Die Stelle lautet: Item
lucratur maritus dotem et uxor donationem propter nuptias
ex pacto convento C. 5.14. c. 9 & C. 5. 3. c. ult. Item lucratur
ex consuetudine X. 4. 20. c. 8.
Et nota quod nisi pactum intervenerit de lucrando dotem
post mortem tenet pactum sive alter moriatur sive monasterium
ingrediatur C. 1. 3. c. 56.
Item lucratur dotem propter adulterium X. 4. 20. c. 4
etiam si consuetudo obsistat C. 5. 12. c. 24.
Raymund verwendet, wie man sieht, lucrari als Passi-
vnm abweichend von der Vorlage, die es — sprachlich rich
tiger •— als Deponens verwendet. Consuetudines und pacta,
nach denen die Ehegabe dem überlebenden Gatten verbleibt
und nicht heimfällt, sind im Exkurs mehrfach angeführt, so
das „freie Heiratsgut“ in (III) und in (VI) und die Fahr-
habe in (II).
(Zu 7).
Frage 7 beschäftigt sich gleich Frage 2 damit, an wen
die dos nach Auflösung der Ehe zurückzustellen ist. Dennoch
ist hier, wie schon bemerkt, keine Wiederholung vorhanden.
Frage 2 behandelte den Fall, daß der Mann bei Lebzeiten der
Frau stirbt, hier ist vom Tode der Frau (filia mortua) die
Rede.
Es wird nur für den Fall der Kinderlosigkeit Vorsorge
getroffen; sind Kinder vorhanden, so fällt ihnen wohl die
dos nach Analogie der Frage 2 als Eigentum zu, belastet mit
dem lebenslänglichen Nießbrauch des Vaters. Daß Be
stimmungen nur für den Fall der Kinderlosigkeit getroffen
werden, kommt bei der Selbstverständlichkeit der Folgen der
bekindeten Ehe auch sonst häufig vor (siehe unten bei [I]).
Stirbt nun die Frau kinderlos, so behält zunächst der
Mann die dos auf Lebenszeit. Nach seinem Tode tritt Heim
fall an die Geber ein, profectitia und adventitia werden gleich
behandelt, nicht nach verschiedenen Kegeln wie im römischen
Recht. 1 Die hier gelehrten Rückfallsregeln (Heimfall der
1 Nach Raymund tritt bei der dos, auch bei der adventitia, soferne nicht
Kinder vorhanden sind, Heimfall, nicht Verwandtenerbrecht ein.
Das eheliche Güterrecht in der Summa Raymunds etc.
31
dos erst nach dem Tode des überlebenden Mannes) sind ger
manistische Umgestaltungen des römischen Dotalrechts. Sie
stimmen mit den unten erörterten Formen II, IV und V des
Gewohnheitsrechts überein. Da von der donatio des Mannes
keine Bede ist, diese offenbar sein Eigentum bleibt, ist es sehr
wahrscheinlich, daß die hier als gemeines Becht geschil-
derten Bestimmungen mit der Form des Gewohnheitsrechts
übereinstimmen, die Baymund selbst als sanior (Form be
zeichnet.
(Zu 8).
Die von Baymund gelehrte Kompentenzwohltat für den
Mann hat auch Monald. Bei diesem heißt es: Item maritus
non condemnatur in dote reddenda, nisi in quantum potest'
habita ratione, ne egeat. D. 50. 17 fr. 173 und D. 42. 1
fr. 19 § 1.
Baymund ist nur insoferne ausführlicher, als er ein
Quellenzitat hinzufügt, das aus der von Monald zuerst an
geführten Stelle stammt. Der Eingang dieser Stelle (aus
Paulus) lautet nämlich: Non totum quod Tiabent extorquen-
dum est, sed et ipsarum (sc. personarum) ratio habenda est,
ne egeant. Während sich Baymund im allgemeinen enge an
Monald hält (man sehe dieÜbertragung der Quellenstelle in den
Singular), stand ihm außer dessen Text, wie schon bei Frage 2
zu bemerken war, der Text der in der Vorlage angeführten
Quellenstellen vielleicht in Form einer Glosse, jedenfalls
aber in einer Gestalt zur Verfügung, die den Charakter der
Anführung erkennen ließ, worauf die Bemerkung ,secundum
leges r hinweist.
Mit dieser Frage schließt die Benützung von Monaldus ab.
(Zu 9).
Dotem petere kann zweierlei heißen: das Becht des
Mannes auf die versprochene dos geltend machen, oder die
dos im Bestitutionsfall vom Manne herausverlangen. Es
Man beachte die Ausdrucksweise: restituenda in (7), potest repeti
in (I), repetitur dos in (I) und (II), dos redit, revertitur ad proxi-
miores in (IV), donatio revertitur in (V). Im Gegensatz dazu fällt die
Errungenschaftshälfte als Erbteil den Verwandten des Verstorbenen
zu: succedunt proximiores in (V).
32
VII. Abhandlung: Bartsch.
kann hier nur der zweite Sinn gelten, weil sich der Berech
tigte darnach bestimmt, wer die dos gegeben hat. Dann ist
aber die Bestimmung überflüssig (bei Frage 2 und 7 ist schon
das nötige gesagt worden) und obendrein mit den früheren
Lehren im Widerspruch, weil nach diesen unter Umständen
die dos auch anderen als den Gebern zufallen kann (z. B. den
Kindern). Das Zitat stammt aus Nov. 2. c. 5 1 und bezieht sich
auf die exceptio non numeratae pecuniae, die der Mann der
ihre dos zurückfordernden Frau entgegensetzen kann. Die
Stelle lautet vollständig: Quae mutier nil omnino dat, nil
omnino percipiat, quae vero minus quam professa est, dedit,
tantum recipiat solum quantum obtulit. Das Zitat würde in
seiner Urgestalt als Antwort auf die Frage quantum possit
repeti passen, in der Stilisierung Raymunds hat es auch in
der angenommenen Gestalt wenig Sinn.
Die ganze Frage stammt nicht aus Monaldus.
Zu (10) und (11).
Die restlichen dem Exkurse vorhergehenden Fragen ent
halten in viel stärkerem Maße als die aus Monald stammenden
deutschrechtliches Gepräge, das fremde Recht ist nur äußer
lich berücksichtigt. Die Fragen 10 und 11 befassen sich mit
der Veräußerung der dos. Frage 10 verbietet der Frau das
resignare und renuntiare. Unter resignare (aufgeben P) ist
vermutlich die Übertragung an Dritte zu vollem Recht = Auf
lassung, unter renuntiare der Verzicht gegenüber dem die dos
besitzenden Manne gemeint. Aus dem Ausdruck resignare
läßt sich schließen, daß die Frau, nicht der Mann als Eigen
tümer der Dotalsachen angesehen wird, was mit der Anwen
dung des Ausdrucks proprium patrimonium in Frage 2 zu
sammenstimmt. 2
Ausnahmsweise werden der Frau die im allgemeinen
verbotenen Geschäfte gestattet. Diese Erlaubnis ist aber an
das Erfordernis des wichtigen Grundes (legitima causa) und
1 Siehe Tomasehek S. 39.
“Auch Frage 11 ist nur zu verstehen, wenn die Frau Eigentümerin der
Dotalsachen bleibt. Darum fehlt auch bei Raymund das römische an
den Mann gerichtete Veräußerungsverbot. Die ital. Jurisprudenz hat
übrigens, gestützt auf C. 5. 20. c. 30, ein Eigentum der Frau an der
dos anerkannt. Vgl. Azo Summa Cod. zu 5. 12. § 29.
Das eheliche Güterrecht in der Summa Raymunds etc.
33
an eine besondere Form des Geschäftsschlusses geknüpft. Die
ältere Textgestalt verlangt, daß die Erklärung vor Mit
gliedern des Stadtrats abgegeben werde. Es entspricht dies
dem von Tomasckek nachgewiesenen Zusammenhang der
Summa mit städtischen Einrichtungen. Die jüngere, offenbar
für ländliche Verhältnisse berechnete Textgestalt verlangt An
wesenheit des Grundherrn (dominus hereditarius, Erbherr)
und dessen Rat (consilium). Cum consilio ist eine der Ge
schäftssprache des 14. Jahrhunderts geläufige Wendung. Sie
bedeutet eine zur Gültigkeit des Geschäfts nicht notwendige
Zustimmung im Gegensatz zum ,guten Willen' oder der
,Gunst' (bona voluntas, Consensus), die die rechtlich not
wendige Zustimmung bezeichnen. 1 Nach der jüngeren Fas
sung soll die Frau vor ihrer Erklärung, die sie vor dem
Grundherrn abzugeben hat, dessen Rat einholen. Auch aus
dieser Stelle ist ersichtlich, daß bei Heiratsgut nur an Grund
stücke gedacht wird.
Ist die vorgeschriebene. Form nicht eingehalten, so ist
das Geschäft ungültig.
Einigermaßen abweichend ist die alienatio dotis in
Frage 11 behandelt. Sie ist ausnahmslos verboten (verb.
nullo casu). Wird sie doch vorgenommen, so verliert die Frau
die dos.
Der Zusammenhang der beiden Bestimmungen ist nicht
sofort klar. Welcher Unterschied besteht zwischen resignare
und renuntiare einerseits und alienare andererseits 1 Ein
solcher Unterschied muß aber bestehen, weil beide Fälle ver
schieden geordnet sind. Während jene Geschäfte ausnahms
weise zulässig sind, ist alienatio absolut verboten. Die Sank
tion für jenes Verbot ist Ungültigkeit des Geschäftes, für die
Übertretung dieses Verbots ist eine Verwirkung des Rechts
des Veräußerers bestimmt.
Man könnte vielleicht daran denken, Frage 11 auf Ver
äußerungen des Mannes zu beziehen, während Frage 10 Ver
äußerungen der Frau betrifft. Für diese Annahme scheint
der Zwischensatz quia eam iure precario possidet zu sprechen;
denn in der Tat hat der Mann am TIeiratsgut einen der Ge-
1 S. Bartsch, Seelgerätsstiftungen S. 17 f.; vgl. auch Bartsch, Die Rechts
stellung- der Frau S. 83 f.
Sitzungsber. d pliil.-hist. Kl. 168 Bd., 7. Abh. 3
34
VII. Abhandlung: Bartsch.
were des Beliehenen nicht unähnlichen Besitz, er ist eine Art
Nutzungseigentümer. Auch die Rechtsfolge der Übertretung,
Verwirkung des ehemännlichen Hechts, würde passen. Dieser
Annahme stehen aber Bedenken entgegen. Vor allem müßte
die Beantwortung von 11 entgegen der einmütigen Textüber
lieferung mit ipse statt mit ipsa beginnen. 1 Sodann wäre
zwischen resignatio oder renuntiatio und alienatio kein Unter
schied. Auch ist sonst kein Anhaltspunkt für eine Auffassung
zu linden, daß die beiden Fragen die verschiedenen Berech
tigungen der beiden Geschlechter regeln wollen.
Die Schwierigkeit findet in anderer Weise eine, wie ich
glaube, ganz befriedigende Lösung. Nach der oberöster
reichischen Landtafel von 1609 III 39 § 2 ff. sind für die Zu
stimmung der Frau zu Veräußerungen und Belastungen des
Ileiratsguts, der Widerlagsgüter und der zur Sicherstellung
des Ileiratsguts verschriebenen Güter des Mannes durch den
Mann Formen vorgeschrieben, die sich mit der bei Frage 10
angegebenen Form im wesentlichen decken. Die Frau muß
nämlich, nachdem sie von der Obrigkeit der Jiochen Gfahr
eines Verzichts erinnert worden ist, sich vor der Obrigkeit
eidlich ihres Rechts auf das Gut begeben. Eine Veräußerung
ohne diese Form ist ,uncreftig‘, die Frau und ihre Erben
können die Güter von den Inhabern vindizieren. 2
Neben diesem Verbot von Veräußerungen ohne oder mit
nicht formgerechter Zustimmung der Frau findet sich in den
Landtafeln ein besonderes Verbot von einseitigen Ver
äußerungen der Frau, oberösterreichische Landtafel III 59 § 3
(vgl. dazu niederösterreichische Landtafel von 1573 II 28
§§54 ff.). 3
Dieses zwei Jahrhunderte jüngere Recht, das sich auch
sonst (siehe namentlich unten bei dem Exkurs über Gewohn
heitsrecht) als eine nur gering veränderte Fortbildung des
älteren Rechts dar stellt, gibt uns den Schlüssel zum Verständ
nis unserer Stellen. Frage 10 behandelt die Zustimmung der
1 Aucli die Frage würde dann falsch gestellt sein, denn in Frage 10
und 11 wird beidemale gefragt, ob die uxor die betreffenden Rechts
handlungen vornehmen könne.
2 Bartsch, Ebel. Güterrecht S. 22.
3 Ebenda S. 23.
Das eheliche Güterrecht in der Summa Kaymunds etc.
35
Frau zu Veräußerungen des Mannes oder doch Veräußerungen
der Frau mit Zustimmung des Mannes; sie sollen im all
gemeinen ausgeschlossen sein, sind aber doch gültig, wenn die
Frau aus wichtigen Gründen im Bewußtsein der Bedeutung
ihrer Handlung vor der Obrigkeit ihren Willen erklärt.
Mangel dieser formellen Zustimmung macht das Rechts
geschäft unverbindlich für die Frau, sie kann das Gut zu
rückfordern. 1
Frage 11 behandelt dagegen Veräußerungen, die die
Frau selbst (richtig mit ipsa angereiht) vornimmt. Die Frau
kann (oder richtiger: soll) unter keinen Umständen ihr
Heiratsgut ohne des Mannes Willen veräußern, weil sie nicht
freie Eigentümerin ist, sondern nur ein Anwartschaftsrecht
hat, was Raymund in einigermaßen irreführender Weise als
ein possidere iure precario bezeichnet. Tut sie es trotzdem,
so verliert sie das Anwartschaftsrecht, ohne jedoch (was Ray
mund als selbstverständlich nicht erwähnt) das Recht des
Mannes auf Besitz und Nutzung während der Dauer der Ehe
zu beeinträchtigen.
Zu (12).
Die zwölfte Frage behandelt die Sicherstellung des
Heiratsguts, oder besser gesagt des Rückforderungsanspruchs
durch Bürgen.
Im konzessiven Vordersatz ist eine Entlehnung aus dem
kanonischen Rechtsbuch enthalten. In X. 4. 20. c. Y heißt es:
Cum satis possit ei modicum credi dotis, cui credituvi est
corpus uxoris, ebenso sind Anklänge an eine Kodexstelle ent
halten (C. 5.14.C. 8): Quamvis enim bonum erat midierem, quae
se ipsam viro committit, res etiarri eiusdem pati arbitrio guber-
nari. In beiden Stellen ist der gleiche Gedanke wie bei Ray
mund wiederholt: Wenn die Frau dem Mann ihre Person
anvertraut, muß man daraus schließen, daß sie ihm auch ihr
Vermögen anvertraut. Die Stelle des kanonischen Gesetz
buchs steht Raymund näher (possit ei credi — cui — corpus
uxoris), aber auch aus der römischen Stelle ist ein Wort
(comittere) entlehnt.
1 Die Form ist sicherlich im Anklang an das römische Recht, Verzieht
auf das beneficium des S. C. Velleianum, Veräußerung des fundits do-
talis, aufgestellt worden.
36
VII. Abhandlung: Bartsch.
Das römische Recht bestimmt gerade auf Grund der Er
wägung, daß die Frau sich und das Heiratsgut (sese suamque
dotem) dem Mann oder dessen Vater anvertraut, daß eine
Bürgschaft für das Heiratsgut ungültig sei (C. 5. 20. c. 2).
Das kanonische Recht (a. a. O.) läßt dagegen eine solche
Sicherstellung zu, nur hat auch ihr gegenüber der Mann die
Kompetenzwohltat, er hat Sicherstellung nur soweit zu
leisten, als es sein Vermögen zuläßt. Raymund folgt hier dem
kanonischen Recht, aber er geht sogar darüber hinaus, indem
er den Mann unbeschränkt zur Bürgenstellung verpflichtet.
Diese Stelle ist in Übereinstimmung mit der Beantwortung
der Frage 3, die eine Versicherung der dos als Pflicht des
Mannes erklärt. Raymund adaptiert hier offensichtlich eine
Bestimmung des kanonischen Rechts für einheimische Zwecke.
An einer anderen Stelle finden wir jedoch in unlösbarem
Widerspruch mit der vorliegenden Bestimmung den römi
schen Satz aufgestellt, daß Verbürgung für das Heiratsgut
ungültig ist und daß es den Parteien nicht freistehe, ab
weichende Vereinbarungen zu treffen, die einen Verzicht auf
dieses ,beneficiuni enthalten.
Im letzten Kapitel des 2. Buches der Summa (cap. 7-4 de
beneficiis) findet sich nämlich folgende Stelle: Item lex illa
rubj’i et nigri tituli Codicis (prohibet) ,ne fideiussores velt
mandatores dotium den tu/ prohibet (etiarn) fideiussorem
dari pro dote restituenda in eventu(m) restituende dotis.
Unde licet quidam faciant huiusmodi 1 fideiussorem renun-
tiare rubro vel nigro titulo Codicis: ,ne fideiussores vel man
datores dotium dentur, ipsa tarnen renuntiatio non valet,
quia talem dari fideiussorem prohibetur a lege et id quod fit
contra legem pro non facto debet haberi.
Diese Stelle ist, wie bereits Seckel S. 500 bemerkte, dem
tractatus notularum des Rolandinus tit. 5 fast wörtlich ent
nommen. Kur hat Raymund nicht verstanden, daß die Worte
,ne fideiussores — dentur'' der Rubriktitel (Cod. 5. 20) sind
und darum die oben eingeklammerten sinnstörenden, bei Ro
landin fehlenden Wörter eingeschaltet.
Man sieht, daß Raymund dort, wo er schlechtweg fremde
Quellen ausschreibt, unverläßlich wird und offenbare Wider
sprüche übersieht.
1 Hier fehlt bei Raymund (las bei Rolandin stehende Wort instrumenta.
Das eheliche Güterrecht in der Summa Raymunds etc.
37
(Zum Exkurs.)
Der Exkurs enthält sechs Güterstandsformen (oben im
Text durch römische Ziffern kenntlich gemacht), die sich, wie
bereits erwähnt, ausschließlich mit der Frage des Schicksals
des Vermögens beim Tode eines Teiles befassen. Sie sind
zum Teil als Gewohnheitsrecht (consuetudo), zum Teil als
bloßer Brauch bezeichnet, der sich in Eheverträgen kundgibt
(pacta). Dieser Teil greift über das Dotalrecht insoferne hin
aus, als nicht nur das Schicksal des Heiratsguts und der
Widerlage, sondern vielfach auch das Hecht des übrigen Ver
mögens, meist mit paraferna bezeichnet, behandelt wird.
Form I und II enthalten nur Hegeln für den Fall des
Vortodes der Frau, dasselbe gilt von Form V, dagegen gelten
III, IV und VI für den Tod eines Gatten schlechthin, also
auch für den Vortod des Mannes. Als consuetudo sind I, IV
und VI bezeichnet, III enthält pacta, die übrigen sind nicht
näher gekennzeichnet, doch ist II sicherlich, V wahrschein
lich als Gewohnheitsrecht aufzufassen.
Die Formen I—III werden als Hecht oder Brauch be
stimmter Gegenden bezeichnet (in aliquibus locis, in aliis
locis), die letzten drei Formen enthalten keinen lokalen
Hinweis, sie sind vermutlich, soweit sie nicht consuetudines
waren, ohne örtliche Beschränkung als pacta üblich gewesen.
Zu (I).
Form I bestimmt nach kinderlosem Tode der Frau so
fortigen Heimfall ihres ganzen Vermögens (dos und para
ferna). Das Vorhandensein von Kindern ist nicht vorgesehen,
wir müssen wohl annehmen, daß in einem solchen Fall der
Mann das Gut der Frau behält und den Kindern bewahrt,
daß also Beisitz oder Verfangenschaftsrecht eintritt..
Diese Form entspricht dem von Hradil (20ff. 39) als Ur
form- bezeichneten Güter stand. Die Nichterwähnung von
Verfangenschaft und Beisitz ist nicht nur häufig in gleich
zeitigen Quellen (Hradil 27, Kote 30), sondern auch noch in
Quellen des 16. Jahrhunderts (Bartsch 52) zu bemerken.
Wesentlich an dieser Form ist, daß dem Mann am Heiratsgut
nach dem Tode der Frau, wenn keine Kinder vorhanden sind,
keinerlei Hecht zusteht.
38
VII. Abhandlung: Bartsch.
Diese Form findet sich im 16. Jahrhundert noch hei
Walther als einer der drei Hauptfälle angeführt. In der
niederösterreichischen Landtafel von 1573 wird sie folgender
maßen geschildert (II 28 § 11): ,do aber . . .. so feit der uber-
lebent chonpersohn sein vermocht und des verstorbnen gegen
vermacht seinen hindern oder negsten befreundten frei ledig
mit eigenthumb und fruchtgeniessung wieder haimb! Dieser
Fall tritt ein, wenn keine andere Verabredung getroffen
wurde.
Man beachte: Raymund stellt diese Form an die erste
Stelle, im 16. Jahrhundert gilt sie als Subsidiärform; beides
sind Indizien für die Richtigkeit des von Hradil auf anderm
Weg gefundenen Ergebnisses, daß diese Form die Urform
sei. Das Indizium der Reihenfolge bei Ravmund wird noch
dadurch verstärkt, daß auch die zweite und dritte Form unter
einander in der Reihenfolge gebracht werden, in der sie sich
nach Ilradil entwickelt haben.
Zu (II).
Auch hier wird nur der Fall des Vortodes der Frau be
handelt. Die dos immobiles fällt heim, jedoch erst nach des
Mannes Tod, er hat also bis dahin eine Leibzucht, die para-
ferna und das Zuhringen an Fahrhabe bleiben dem Manne,
sie werden sein Eigentum.
Diese Form wird von Hradil als Hör malform des spä
teren Mittelalters bezeichnet. Sie ist es, die als die Form des
Landrechts, Stadtrechts und Hof rechts von zahlreichen Ur
kunden angerufen wird (Hradil S. 39 ff.). Das österreichi
sche Landrecht des 13. Jahrhunderts (Art. 26) und das steiri
sche aus dem 14. Jahrhundert (Art. 189) führen ausdrücklich
zwar nur an, daß die Fahrnis an die Witwe zu fallen habe,
allein diese Bestimmung steht der unserigen, wonach beim
Tode der Frau die Fahrnis dem Witwer zufällt, gewiß nicht
zu ferne.
Im 16. Jahrhundert finden wir diese Form im Gewohn
heitsrecht des Adels erhalten.
So beschreibt uns ein Traktat des 16. Jahrhunderts über
das oberösterreichische Ehegüter recht 1 stellenweise in über-
1 Siebe ZUG. 34. 275 fl', und Bartsch, Ebel. Güterrecht, S. 56 f.
Das eheliche Giiterrecht in der Summa Raymunds etc.
39
raschender Übereinstimmung mit Raymund diesen Güter
stand folgendermaßen: Wann ater das iveib vor dem mann
stirbt, so feit im sein widerlag und morgengab . . . sampt'
aller ierer verschribenen varunden haab frei widrumb haim
. . . ier zubraclit hairatguet aber hat er allein sein lebenlang
unverthönlich inn zuhaben, zu nuzen und zu niessen . . .
Form II steht auch im großen und ganzen mit dem
Güterstand, den man im 16. Jahrhundert als Gesamthand be-
zeichnete, in Übereinstimmung. Doch steht die Gesamthand
des 16. Jahrhunderts der unter V geschilderten Spielart noch
näher.
Zu (III).
Die dritte Form unterscheidet sich in mancher Hinsicht
von den beiden bisher behandelten Formen. Vor allem ist sie
nicht Gewohnheitsrecht (consuetudo) wie die anderen, son
dern, wie der Ausdruck funt pacta zeigt, kommt sie nur als
gewillkürte Form, als Parteiabrede vor. Schon dadurch gibt
sie sich als späteste jüngste Form zu erkennen. (Über die
Diagnostizierung des Alters verschiedener gleichzeitig vor
kommender Güterrechtsstände siehe Bartsch, Ehel. Giiterr. 7 f.)
Ferner ist bemerkenswert, daß diese Form von beiden
Gatten ohne Unterschied ob Mann oder Frau spricht; auch
das ist ein Zeichen, daß es sich um eine jüngere Bildung
handelt, wie schon Hradil 39 mit Hecht bemerkt.
Inhaltlich genommen ist die vorliegende Form eine
Nachfolge in das gesamte Vermögen des vorverstorbenen
Gatten, denn der Überlebende erhält nicht bloß die dos, son
dern auch die para ferna, 1 selbstverständlich behält er die eigene
Gabe (donatio) gleichfalls. Zur Bezeichnung des Charakters
dieser Nachfolge wird der Ausdruck pleno iure angewendet.
Der Ausdruck plenum ins ist uns schon bei Frage 2 be
gegnet (siehe oben S. 24 bei Note 1), er wird uns auch in
Form IV und V entgegentreten. Er könnte romanistisch ge
deutet werden. In diesem Sinne wäre plenum ius = plena
proprietas, das mit der Fruchtnießung vereinigte Eigentum
1 Es ist übrigens nicht ausgeschlossen, daß damit bloß eine Nachfolge
in die Ehegaben und die Gerade (siehe unten bei IV) gewährt werden
soll, so daß liegende Güter, die nicht als Ehegaben verschrieben
werden, von der Gemeinschaft ausgenommen wären.
40
VII. Abhandlung: Bartsch.
im Gegensatz zum nudum ius, dem durch die Fruchtnießung
eines anderen beschränkten Eigentum. Raymund verwendet
jedoch den Ausdruck in germanistischem Sinne, plenum ius
steht im Gegensatz zum zeitlichen Eigentum, der Leibzucht,
und bedeutet das freivererbliche, keinem Ileimfall unter
liegende Recht. Sicher ist die zuletzt angeführte Bedeutung
hier gebraucht, wo das plenum ius in Gegensatz zu den Leih
zuchtsrechten der Formen II und IV (ad dies suos) gestellt
ist, und ebenso sicher ist dies in Form VI, wo der über
lebende Gatte nur bei Kinderlosigkeit plenum ius erhält,
während sonst offenbar Verfangenschaft eintritt. Desgleichen
erhalten die Kinder des zuletzt verstorbenen Gatten, der das
Gut nur zu Leihzucht besessen hatte, dieses frei pleno iure
nach Frage 2 und Form VI.
Die geschilderte Form (Nachfolge am gesamten Gut des
Verstorbenen frei von jedem Ileimfall) wird als libera dos be
zeichnet. Hradil hat an der Hand zahlreicher LTrkunden
nachgewiesen, daß tatsächlich im Spätmittelalter in Öster
reich und Steiermark die heimfallsfrei an den überlebenden
Gatten übergehende Ehegabe ,freies' Heiratsgut genannt
wurde (Hradil 53 ff.).
Die hier geschilderte libera dos ist aber noch mehr als
Hradils freies Heiratsgut. Sie ist vor allem eine Verschmel
zung der Gabe des Verstorbenen mit der eigenen Widmung
des Überlebenden (dos et donatio) zu einer Einheit, wäre also
das, was Hradil uns als späteres Produkt des freien Heirats
gutes, als älteste Form der ,gerennten‘ Ehe beschreibt
(Hradil 66 ff.). Dadurch, daß aber auch die paraferna in
diese Heiratsgutsgemeinschaft einbezogen werden, stellt sich
diese Form möglicherweise als die spätere erst im 15. Jahr
hundert häufigere Form der gerennten Ehe dar, der all
gemeinen Gütergemeinschaft mit Alleinerbrecht des über
lebenden Gatten. 1
Endlich ist diese Form noch dadurch verschärft, daß sie
im Gegensatz zu den beiden früheren Formen auch hei Vor
handensein von Kindern eintritt, deren Verfangenschafts
recht hiemit beseitigt ist, eine Form, die man im Mittelalter
nur ungern zuließ (Hradil 62 ff.). Die gerennte Ehe in
1 Siehe jedoch oben S. 39, Note.
41
Das eheliche Güterrecht in der Summa Raymunds etc.
der geschilderten Form als allgemeine Gütergemeinschaft ist
seit dem 15. Jahrhundert vielfach bezeugt. Nachweise bei
IJradil 67 ft'., 1 ferner Bartsch 83 f.
Mit diesen drei Formen sind die Haupttypen der mittel
alterlichen Güterrechtsbildungen des österreichischen Ge
biets erschöpft. In der Tat weiß auch Kaymund keine selbst
ständige weitere Form anzuführen. Die drei noch folgenden
Formen sind bloße Spielarten der bereits geschilderten For
men II und III.
Zu (IV).
Die vierte Güterstandsform ähnelt der zweiten. Der
Überlebende behält Leibzucht an der dos, freies Eigen an den
paraferna. Doch unterscheiden sich beide Formen in manchen
Stücken. Dort war nur vom Tod der Frau und dem Schicksale
ihres Vermögens die Bede, hier wird ohne Bücksicht auf das
Geschlecht, der Todesfall eines Gatten behandelt; dort war
von der Gabe des Überlebenden keine Bede, hier ist die
Gabe des Verstorbenen samt der des Überlebenden den
Kindern verfangen. Dort war vom Gegensatz des beweg
lichen und unbeweglichen Nachlasses der Frau die Bede,
hier ist dieser ünterschied nicht gemacht. Gleichwohl wird
unter den paraferna doch nur bewegliches Gut gemeint sein.
Es scheint, daß auch beim Manne paraferna Vorkommen
können. Der wichtigste Unterschied scheint darin zu liegen,
daß hier das Heiratsgut mit der Widerlage zu einem Gut
zusammenschmilzt, also eine Art Heiratsgutsgemeinschaft
eintritt, 2 durch die sich diese Form als Übergangsstufe
zwischen II und III stellen würde.
An dieser Stelle sind genauere Vorschriften über das
Schicksal des Vermögens nach dem Tode des überlebenden
Ehegatten gegeben. Sind Kinder vorhanden, so erlangen diese
das plenurn ius an den ihnen schon bisher verfangenen Ehe
gaben. Sind keine Kinder vorhanden, so tritt Heimfall ein.
Nach dem vorliegenden Text ist nur vom Heimfall der dos
‘Siehe auch Hradil, Ein Friesaeher Heiratsbrief, Carinthia 1908,
Heft 4—6.
2 Auch hier liegt also eine Verwandtschaft mit der gerennten Ehe
älterer Form vor.
42
VII. Abhandlung: Bartsch.
an die Verwandten der Frau die Rede, nach der Textgestalt der
Wiener Handschrift, die, wie in der textkritischen Note 12 S. 10
gezeigt wurde, an sich recht wohl die ursprüngliche Lesart ent
halten könnte, ist auch eine Bestimmung über das Schicksal der
donatio vorhanden, dos und donatio gehen auseinander, eines
fällt an die Verwandten des Mannes, eines an die der Frau.
Aber abgesehen davon, daß diese Lesart vereinzelt ist, würde
sie dazu zwingen, dos als Gabe des Mannes, donatio als Gabe
der Frau anzusehen, wenn nicht etwa diese Gaben übers
Kreuz verfallen sollen. Ich getraue mich jedoch nicht, dies
ohneweiters dort anzunehmen, wo nicht der Text dazu
zwingt (wie in Form V).
Die hier beschriebene Form finden wir im 16. Jahr
hundert im Zaiger in das Landrechtbuch III 10 §§ 3 ff.
wieder (abgedruckt bei Bartsch 49 f.). Einen schönen Be
leg für die germanistische Bedeutung des plenum ins auch an
dieser Stelle (nämlich = widerfallsfrei) gibt der Zaiger, in
dem nach ihm die Kinder ,macht haben an iren lezten Zeiten
oder wie sie verlangt zu geben und zu verschaffen, als der
erberhhait gezimbt nach irem willen.
Bemerkenswert ist schließlich in dieser Form eine Be
stimmung über den gemeinschaftlichen Erwerb, von dem wir
sonst nichts hören. Auch er bleibt dem Überlebenden, doch
mit einem Erbrecht je zur Hälfte für die beiderseitigen
Verwandten, das setzt also Erwerbsgemeinschaft der Ehe
gatten voraus. 1 Eine solche Gemeinschaft stimmt mit unseren
Nachrichten über das mittelalterliche Güterrecht in Öster
reich überein (Schroeder II 1., 206 ff., Hasenöhrl, 133).
Dunkle Spuren finden sich bis über das 16. Jahrhundert hin
aus (Bartsch 87 ff.). Das Hecht der Verwandten, einmal
mit revertitur, das anderemal mit succedunt bezeichnet, 2 ist
•wohl kein Heimfallsrecht, sondern gesetzliches Erbrecht der
Seitenverwandten mit Halbteilung des Gemeinschaftsgutes,
beschränkt durch das Leibzuchtsrecht des überlebenden Gatten.
An die Schilderung der Güterstandsform IV knüpft der
Verfasser eine Erläuterung des Begriffes der Paraphernen.
1 Raymund selbst erklärt sie als geltendes Recht in der Lehre vom
Gattenerbrecht. Siehe unten S. 48.
2 Siehe oben S. 31, Note 1.
Das eheliche Güterrecht in der Summa Raymunds etc.
43
Diese Erläuterung paßt offensichtlich nicht in den Zusammen
hang, der Ausdruck paraferna kommt hier weder zum ersten
mal vor, noch wird hier von Paraphernen im allgemeinen ge
handelt. Diese Erläuterung würde viel besser in Form VI
hinter die Worte pleno iure passen, hinter denen, wie der
Text jetzt lautet, eine anscheinend nicht zu VI allein ge
hörige, sondern allgemeine Bestimmung über Paraphernen
steht (est notandum . . . om n e ius). Dann würde an den
Schluß des ganzen Exkurses über das Gewohnheitsrecht mit
allen seinen Formen eine Erklärung des beinahe bei allen
Formen gebrauchten Ausdrucks paraferna gestanden haben,
an die sich naturgemäß die ebenso allgemein gehaltene Be
stimmung über deren rechtliche Behandlung angeschlossen
hätte, etwa in dem Sinne, daß, soweit nicht im Vorstehenden
anderes gelehrt wurde, das Recht der dos auch auf paraferna;
anzuwenden sei.
Was die Erklärung selbst betrifft, so enthält sie zwei Be-
standteilej einen romanistischen und einen germanistischen.
Romanistisch ist vor allem die Etymologie. Sie geht auf die
Erklärungen der römischen Quellen zurück (vgl. D. 35. 2
fr. 95 pr. oder C. 5. 12. c. 29) ,res extra dotem constitutae‘ und
stimmt mit der Erklärung der Hostiensis überein, wo es in
der Rubrik quid sit dos (fol. 50 b.) heißt: Sunt et quedam
alie res que parafernales vocantur et a mutiere iuxta dotem in
domum viri inferuntur et sic dicte a para, quod est iuxta et
ferna, quod est dos, et si ea mente inferantur, quod fiant viri,
eins erunt, alias mulieris. vgl. dazu Azo Summa Cod. zu
5. 12 § 2.
Im Gegensatz zu diesen romanistischen Bestandteilen
steht der übrige deutschrechtliche Inhalt der Stelle. Die Ho-
stiensis erwähnt nichts von einer Beschränkung der Para
phernen auf bewegliche Sachen, dafür lehrt sie Eigentum des
Mannes unter gewissen Umständen.
Rach Raymund werden zu den Paraphernen nur beweg
liche Sachen gerechnet. Das legt die Annahme nahe, daß hie-
mit Fahrhabe in jenem Sinne gemeint ist, in dem sie von
den süddeutschen Rechtsbüchern (z. B. Schsp. 26) oder von
den österreichischen Urkunden (Hradil, Güterrechtsbildung,
33 ff.) verstanden wird, nämlich im Sinne der Gerade.
44
VII. Abhandlung: Bartsch.
Die angeführten Beispiele: Kleider, Schmuck und Bett sind
liiefür ungemein bezeichnend, denn sie umfassen die beiden
Gruppen der Gerade: Toilette und Hausrat, 1 und sie sind ge
rade diejenigen Gegenstände, die als besonderer Voraus
für die Frau im Spätmittelalter und noch lange nachher
bei der Auseinandersetzung ausgeschieden wurden. 2 So
ist der Schluß nicht allzu gewagt, daß liavmund überhaupt
unter paraferna die Gerade versteht, die er subsidiär (bei
Form VI Schlußsatz) dem Dotalrecht unterstellt. Er sieht sie
als Eigentum der Frau an 3 und er wendet auf sie alle Be
stimmungen an, die er in Beantwortung der einzelnen Fragen
rücksichtlich der dos auf stellte, also namentlich die Wider
legung und Sicherstellung, die Veräußerungsverbote usw.
Zu (V).
Diese Form ist besonders ausgezeichnet, weil sie der
Verfasser als sanior via-, als die entsprechendste, die seinem
Empfinden nach gerechteste bezeichnet. Gleich dem vorher
gehenden Fall haben wir auch hier eine Variation der
zweiten Form (Leibzucht des Überlebenden), und zwar im
Gegensatz zur Form IV nur den Fall des früheren Todes der
Frau behandelt. Dos bedeutet hier die Gabe des Mannes (doto
— quam uxori dederat), donatio die Gabe der Frau.
Vom vorigen Fall unterscheidet sich diese Form haupt
sächlich dadurch, daß die beiden Ehegaben verschieden be
handelt werden, die Gabe des Überlebenden wird dessen
freies Eigen, wenn nichts anderes vereinbart worden ist, an
der des Verstorbenen erhält er Leibzucht, sie bleibt den
Kindern verfangen oder fällt, wenn solche nicht vorhanden,
den Verwandten des Verstorbenen, von denen die Gabe
stammte, heim. Wichtig ist namentlich, daß auch für die
Kinder keine Verfangenschaft an der Gabe des Überlebenden
eintritt. Eine Gemeinschaft der Heiratsgüter tritt somit
nicht ein.
1 Siehe Hradil, Theorie der Gerade ZRG. 44. 95 mit dem dort auf-
gestellten Diagramm.
2 Hradil a. a. O. 88, für die spätere Zeit Bartseh, Ehel. Güterreeht 63
Note und 68.
3 Vgl. Hradil a. a. O. 110.
Das eheliche Güterrecht in der Summa Baymunds etc.
45
Im Mittelalter finden wir sonst diese Form nicht in aus
geprägter Gestalt. Es ist aber für Raymunds Verständnis
und feines Empfinden bezeichnend, daß die von ihm bevor
zugte Form später zur herrschenden wurde. So habe ich sie
schon seinerzeit auf Grund der Quellen des 16. Jahrhunderts
als den Normalfall dieser Zeit bezeichnet (Bartsch 51 f.).
Sie ist die Form Walthers (ebd. 53), sie ist als eine der
üblichen ,Paktionen 4 , und zwar ,auf gesamte Hand 4 bei
Finsterwalder und in der niederösterreichischen Landtafel
geschildert (ebd. 54), nach der oberösterreichischen Land
tafel gilt diese Form als gesetzliches Güterrecht bei bekindeter
Ehe, nach dem oberösterreichischen Traktat als das Gewohn
heitsrecht des Adels (ebd. 56).
Zu (VI).
Wie Form IV bloß eine Spielart von II, so ist Form VI
eine Variation zu III. Auch hier findet sich die gerennte
Ehe weiteren Umfangs, jedoch mit Beschränkung auf die
unbekindete Ehe. Diese Form wird im Gegensatz zu III als
consuetudo bezeichnet. Sie scheint daran anzuknüpfen, daß
das freie Heiratsgut bei Vorhandensein von Kindern schon
im Mittelalter vielfach verboten war (Hradil 63 ff.). Diese
Form ist in der oberösterreichischen Landtafel von 1609
III 38 § 6 erhalten (Bartsch 56), während bei bekindeter
die Form V gilt.
Der Schlußsatz, der sich mit den Paraphernen befaßt,
wurde bereits im Zusammenhang mit der Begriffserklärung
der Paraphernen unter IV besprochen.
Zu (13) und (14).
Die letzten zwei Fragen (nach dem Ersatz der Auf
wendungen und nach dem Vorrang der Dotalforderung vor
älteren Forderungen) sind zweifellos von römischem Geiste
eingegeben. Sie sind durchaus im Gedankenkreis eines Ro
manisten gelegen, der sich mit Einzelheiten der actio rei
uxoriae oder ihrer Nachfolgerin, der actio ex stipulatu, befaßt.
Die Antworten Raymunds, soviel ist sicher, stammen
wenigstens nicht unmittelbar aus der Hostiensis. Zwar werden
dort im Titel De dote post divortium restituenda beide Fragen,
noch dazu sehr ausführlich behandelt, allein trotz mancher
Ähnlichkeit in der Darstellung fehlt es durchaus an Anhalts-
46
VH. Abhandlung: Bartsch.
punkten, clie unmittelbare Benutzung dieses Werks durch
Baymund anzunelunen.
Näher steht Baymund für Frage 13 ohne Zweifel Mo-
naldus. Dieser lehrt über die Aufwendungen im wörtlichen
Anschluß an Bernardus Papiensis: Sed si maritus impensas
fecit in rebus dotalibus (Druck: mobilibus) necessarias com-
putabit et dotem minuit, utilem actione mandati (Druck:
mariti) vel negotiorum gestorum (Druck: negotio gesto),
voluntarias (Bern.: voluptarias) tollet absque mutatione
prioris status.
Ganz ähnlich lautet in diesem Punkte aber auch ein
anderes Werk, die Summa Astesana. 1 Dort lautet es (VIII 40
de dotibus ad 5. am Schlüsse): Nota etiam quod expense facte
in rebus dotalibus a viro aut fuerunt necessarie et he minuunt
dotem ipso iure, aut utiles et ille repetuntur actione mandati
vel negotiis gestis, aut negligenter et voluntarie ut picture et
huiusmodi et in his nulla datur actio usw.
Wenn es auch nach dem oben (S. 14) Gesagten nicht
gerade wahrscheinlich ist, daß die Beantwortung der Frage 13
aus Monald stammt, so spräche doch nichts direkt gegen diese
Annahme. Anders ist es mit der Antwort auf Frage 14. Für
diese ist bei Monald keine Vorlage zu finden, dagegen steht
sie in unverkennbarer Verwandtschaft zu den Ausführungen
der Summa Astesana (VIII 40 ad. 6. de privilegiis dotis).
Dort heißt es nämlich von der der Frau zustehenden hypotheca
tacita: uxor cquoad dotem prefertur omnibus creditoribus
etiam tempore prioribus actiones personales vel etiam tacitasi
hypothecas habentibus, non autem prefertur prioribus credi
toribus hypothecas expressas habentibus sicut nec fiscus qui
simile privilegium habet cum mulieri X. 3. 21. c. 5 in glo. c. e.
In donatione autem propter nuptias prefertur mutier po-
sterioribus tantum. Die Stelle der Astesana entstammt, wie
eine Vergleichung ergibt, der angeführten Stelle der Dekre-
talenglosse von Johannes Andreae.
Baymund scheint sonst, wenigstens auf dem Gebiet des
persönlichen Familienrechts, des ehelichen Güterrechts und
1 Die Summa de casibus von dem Minoriten Astesanus (Astaxanus) ist
nach dem ihr vorhergehenden Widmungsschreiben 1317 vollendet
worden. Schulte a. a. 0. 2. 425 ff.
Das eheliche Güterrecht in der Summa Raymunds etc.
47
des Erbrechts aus der Astesana nicht, geschöpft zu haben. Da
er aber hier in zwei unmittelbar aufeinander folgenden
Stellen unverkennbare Anldänge an zwei auch in der Astesana
unmittelbar aufeinander folgende Stellen aufweist und Bay-
mund auch sonst die derselben Quelle entlehnten Stellen un
getrennt zusammenstellt, ist es naheliegend, anzunehmen, daß
die beiden vorliegenden Fragen der Astesana entnommen
wurden.
Inhaltlich wäre folgendes zu bemerken. Frage 13 ist
bei Baymund sehr summarisch behandelt. Der Unterschied
in der Behandlung des notwendigen und nützlichen Auf
wands ist getilgt, die Form voluntaria (statt voluptuaria) ist
im Mittelalter nicht selten, auch die Hostiensis hat volun-
tarius neben voluptarius gestellt.
In Frage 14 nimmt Baymund abermals zu einer Glossa-
torenkontroverse Stellung. Während Martinus die heute all
gemein als zutreffend anerkannte Meinung vertritt, das Pfand
recht für die Dotalforderung gehe allen, gesetzlichen wie ver
tragsmäßigen, Pfandrechten vor, hat Bulgarus behauptet,
nur vor älteren stillschweigenden, nicht aber vor älteren aus
drücklichen Pfandrechtgläubigern habe Justinian der Frau
den Vorzug einräumen wollen. Durch die Autorität des
Accursius (Glosse zu C. 8.17 c. 12.) hat diese Meinung weite
Verbreitung und namentlich im Usus modernus im Interesse
des Bealkredits viele Anhänger gefunden (siehe Glück, Ausf.
Erläuterungen 19. 271 ff.). Zu diesen Anhängern zählt gleich
der Summa Astesana auch die Baymunds. Bur nimmt Bay
mund eine bedeutende Erweiterung des Privilegs der Frau
vor, indem er es auf die donatio propter nuptias ausdehnt, ja
sogar darüber hinaus scheint er es auf die Paraphernal-
forderung erstrecken zu wollen, doch ist die Stelle insoferne
unklar, als sie offenbar für Paraphernen etwas anderes fest
setzen will als für die dos, schließlich aber doch das Gleiche
bestimmt. Vielleicht ist der Schlußsatz nur eine mißver
standene Wiedergabe des Schlußsatzes der Astesana. Bei der
weiten Verbreitung der Meinung des Bulgarus ist es natür
lich nicht auffallend, daß das österreichische Gewohnheits
recht des 16. Jahrhunderts (Zaiger, niederösterreichische
Landtafel, Walther) gleich den meisten Partikularrechten
48
VII. Abhandlung: Bartsch.
der Zeit dieselbe Meinung vertritt, wiewohl auch die Gegen
meinung Anhänger findet (siehe Bartsch, Ehel. Güterrecht
27 f., 29, Note 1), es ist aber vielleicht doch mehr als ein
Zufall, daß auch hier Rajunund mit dem späteren österreichi
schen Gewohnheitsrecht in Übereinstimmung ist.
Zum Kapitel de successione iixorum.
Die Lehren Raymunds über das eheliche Güterrecht
wären nicht vollständig, wenn nicht auch seine Darstellung
des Gattenerbrechts wenigstens flüchtig erwähnt würde. Sie
ist im Kap. 67 des zweiten Buches enthalten und ist hinter
dem Verwandtenerbrecht, vor dem Erbrecht des Fiskus
eingereiht.
Das Gattenerbrecht Raymunds weicht von jeder romani
stischen Grundlage völlig ab. Es ist durchaus frei dargestellt.
Raymund behandelt nur das Erbrecht der Witwe, nicht auch
des Witwers, und gibt dieser Ansprüche auf erworbenes Gut
des Gatten. Dabei unterscheidet er den Alleinerwerb des Ver
storbenen vom gemeinschaftlichen Erwerb. Das Erbgut des
Gatten wird nicht erwähnt, es scheint in Ermanglung von
Verwandten unmittelbar dem Fiskus zuzufallen, während
am Alleinerwerb des Mannes die Frau wenigstens eine Leib
zucht erhält.
Das Erbrecht der Gattin am gemeinschaftlichen Er
werb wird uns in dreifacher Form dargestellt: gesetzliches
Recht, abweichendes Gewohnheitsrecht und de lege ferenda
,richtiges* Recht.
Gesetzlich fällt die Errungenschaft bei Ermang
lung von Kindern an die Frau vollständig zu freiem Eigen
(ad suum veile disponit). Da nur bei Vorhandensein von
Kindern anderes bestimmt wird, gebührt der Gattin die
ganze Errungenschaft auch bei Konkurrenz mit Vorfahren
und Seitenverwandten des Verstorbenen. Sind Kinder vor
handen, so teilt sie mit ihnen zu gleichen Teilen; ob Ivopf-
teilung oder ILalbteilung eintritt, ist nicht gesagt.
Als Gewohnheitsrecht wird uns geschildert,
daß die Frau an der Errungenschaft nicht Eigentum, sondern
bloß Leibzucht erhält, und zwar in jedem Fall, auch wenn gar
Das eheliche Gtiterreclit in der Summa Raymunds etc.
49
keine Verwandten vorhanden sind und das Gut, ebenso wie
der Alleinerwerb des Mannes nach dem Tode der Frau dem
Fiskus zufällt. Auffällig ist, daß Leibzuchtsrechte der Gattin
bei anderem Nachlaß des Mannes, wie sie sich aus dem Beisitz
oder dem Verfangenschaftsrecht bei bekindeter Ehe ergeben,
nicht erwähnt sind.
Gegen das Gewohnheitsrecht, namentlich wenn es zu
einer Bevorzugung des Fiskus vor der Witwe führt, richtet
sich eine schon von Tomaschek (S. 55) erwähnte scharfe
Kritik; es erscheint Baymund höchst widersinnig (valde
absurdum) aus zwei Gründen, die beide deutschrechtlichen
Gedanken entspringen: einmal darum, weil die Frau zum
Erwerb durch ihre Mitarbeit beigetragen hat (die deutsch
rechtliche Vorstellung, daß die Sache dem gehört, durch
dessen Arbeit sie entstand), dann aber, weil gemeinschaftliche
Sachen beim Wegfall eines Miteigentümers dem andern zu
fallen, res indivise ab uno in alium devolvuntur (das deutsch
rechtliche Gesamthandsverhältnis ist nicht vererblich, sondern
es konsolidiert sich im Überlebenden).
Baymund spricht sich jedoch für das Alleinerbrecht der
Witwe an der Errungenschaft nur mit einer Einschränkung
aus. Hinterläßt der Mann veros heredes (d. h. wohl ,rechte'
Erben = Nachkommen 1 ), so zerfällt die Errungenschaft in
zwei gleiche Teile, der eine fällt der Frau zu freiem Eigen,
der andere nur zur Leibzucht zu und bleibt den Erben ver
fangen. Baymunds Ansicht ist ein Kompromiß zwischen
den beiden eben damals in Österreich um die Herrschaft
ringenden Bechtssystemen, dem Verfangenschafts- und dem
Teilrecht. Dem ersten entstammt die Idee, Leibzucht der
Mutter mit unverletzlichem (v. ,illesa‘) Anwartschaftsrecht
der Kinder zu verbinden, dem letzten der Gedanke, der
Mutter sofort einen Teil zu freier Verfügung einzuräumen.
Baymunds Ansicht ist der Witwe sehr günstig, weil sonst die
Vorteile des Teilrechts für den verwitweten Teil an den Ver
zicht auf die Leibzucht am restlichen Vermögen geknüpft sind.
1 Bartsch, Seelgerätsstiftungen S. 19.
Sitzungstier. d. phil.-hist. Kl. 168. Bd. 4. Abh.
4
50
VII. Abhandlung: Bartsch.
Ergebnisse.
Aus der vorliegenden Untersuchung lassen sich folgende
Ergebnisse ableiten:
1. Die Behauptung Tomascheks, das eheliche Güterrecht
der Summa gehe auf die Hostiensis oder auf Azo zurück,
ist insoferne unrichtig, als diese Schriftsteller jedenfalls
nicht die unmittelbare Quelle der Summa bildeten.
2. Dagegen ist sicher, daß die die 1.—8. Frage be
handelnden Sätze die Summa des Monaldus, und zwar deren
Artikel de dote zur unmittelbaren Grundlage haben, außer
dem kannte Raymund den Wortlaut mehrerer von Monald
angeführter Belegstellen aus dem Corpus juris.
3. Die Monaldinische Vorlage ist nur in Frage 2 und 7,
und zwar in deutschrechtlichem Sinne umgearbeitet worden.
4. Die Antworten zu den Fragen 9—12 sind nach
römisch-kanonischen Vorlagen verfaßt, jedoch ohne Be
nutzung der Summen des Monaldus, des Azo oder des IIo-
stiensis und stärker in deutschrechtlichem Sinne um
gearbeitet.
5. Der. hinter Frage 12 eingeschobene Exkurs über Ge
wohnheitsrecht und vertragsmäßige Güterstände schildert das
österreichische Ehegüterrecht des Spätmittelalters. Es stimmt
mit dem Bild, das aus anderweitigen Quellen der gleichen
und späteren Zeit gewonnen wurde, völlig überein und liefert
damit eine überraschende Bestätigung für die Dichtigkeit
vieler bisher von der Wissenschaft nur indirekt erschlossener
Rechtssätze und Rechtsgebräuche. Zugleich lehrt diese Über
einstimmung, daß Raymund, dessen Kenntnisse des fremden
Rechts nur mäßige Tiefe und geringe Beherrschung verraten,
ein gründlicher und ausgezeichneter Kenner des einheimi
schen Rechts war.
6. Die Antworten der Fragen 13 und 14 stammen höchst
wahrscheinlich aus der Summa Astesana, nicht aus der Ho
stiensis oder der Monaldina.
7. Endlich läßt sich noch aus einer negativen Tatsache
ein Schluß ableiten. Raymund erwähnt auffälligerweise
nichts von der Bestellung der dos, die doch die bedeutenderen
Das eheliche Güterrecht in der Summa Kaymunds etc.
51
Schriftsteller, namentlich auch Placentin, Azo, Hostiensis
recht ausführlich, meist in unmittelbarem Zusammenhang
mit der Erläuterung des Begriffs der dos und ihrer Arten be
handeln. Diese Lücke erklärt sich dadurch, daß Monaldus
unter der Rubrik ,de dote dieselbe Lücke hat. Bei Monald
ist aber die Lücke gerechtfertigt, weil er die hier über
gangenen Bestimmungen kurz zuvor unter der Rubrik De
donatione (letzter Untertitel de donatione facta propter nup--
tias) angeführt hat. Daraus läßt sich schließen, daß Raymund
für sein Dotalrecht Monalds Artikel de dote als Hauptquelle
benutzte, und daß er die anderen Vorlagen entnommenen Be
stimmungen lediglich als Ergänzungen hinzufügte, ohne daß
er die anderen Quellen systematisch verarbeitete.
4*
BIBL ÖAW
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