92 V. Abhandlung: Schönbach. tums ist hinlänglich bekannt, zudem noch aus der trefflichen Arbeit Regniers. Wer sich einigermaßen in Augustinus eingelesen hat, dem gewährt seine Darstellung ein so scharf umrissenes Bild seines Stiles, daß es nicht vergessen wird und einen Maßstab darbietet, der auch an Material von geringem Umfang (viel leicht zwanzig Druckzeilen) den Autor wiederzuerkennen ver- stattet. Und Berthold war mit Augustinus ganz genau vertraut, ihm sind die passenden Zitate bequem zur Hand, natürlich am meisten aus den Hauptwerken, aber auch aus Schriften, die nicht ganz am Wege liegen. Ich meine nun nicht, daß Berthold seine Rednerkünste und den lebhaften Ausdruck des Stiles, der den Zuhörer angreift, einfach Augustinus abgelernt hat, wohl aber behaupte ich, daß Bertholds Anlage und schulmäßige Rhe torik durch das Studium Augustins ungemein gefördert und in die besondere Richtung dieses Schriftstellers gedrängt worden sind. Fast in noch höherem Grade behaupte ich Ähnliches über die Beziehung Bertholds zu Bernard von Clairvaux. Dieser Autor des 12. Jahrhunderts ist das bedeutendste Vorbild für die Schriftstellerei des 13., insbesondere der Mendikantenorden geblieben, ja noch ins 14. Jahrhundert hinein wird er am häufigsten angeführt und nachgebildet. Berthold hat sich ihn zum Muster genommen, nicht bloß in bezug auf seine Predigten an Geistliche und Religiösen im engeren Sinne, wo ja Bernards Sermone an die Kongregationen der Zisterzienser sich von selbst als höchstes Beispiel darboten, sondern auch im allgemeinen für die rednerische Technik, welche die Gemüter erschüttern will. Darin war nun allerdings Bernard ein ausgezeichnetes, ja ein Vorbild einzig in seiner Art, wie schon die Charakteristik lehren mag, die ich in den Studien zur Erzählungsliteratur des Mittelalters 1, 96 ff. versucht habe. Ihm hat Berthold. das zeigen die Ziffern der Zitate, mit noch größerer Beflissenheit nachgestrebt als der Rhetorik Augustins und wirklich ist auch ein Teil der Macht, die Gemüter zu ergreifen, durch diese Studien von Bernard auf Berthold übergegangen. Von Augusti nus über Bernard zu Berthold läßt sich eine direkte Linie der Entwicklung des oratorischen Stiles ziehen. Nicht minder zeichnen sich die Homilien Gregors des Großen durch Lebhaf tigkeit aus, allein sie ist von anderer Art als die Bertholds. Dagegen hat in anderem Bezüge Gregors Prosa für Berthold