238 Prof. Loewe, Das speculative System des Rene Descartes, seine Vorzüge und Mängel. Von Prof. Joh. lleinrich Loewe. I. Die Geschichte der Philosophie ist schon oft, und wohl nicht mit Unrecht, mit dem scheinbaren Laufe der Planeten verglichen worden, um dessen Verständniss die Wissenschaft so lange vergeblich sich mühte. Auch die Philosophie hat ihre Zeiten, in denen die Bewegung von einem völligen Stillstand unterbrochen, oder gar in eine rückläufige umgesprungen scheint. Dass insbesondere wir heut zu Tage in einem ähnlichen Falle uns befinden, wird uns nicht nur von dem lauten Schwarme derjenigen mit Zuversicht verkündet, deren Kenntniss überall nicht weiter als das Hörensagen reicht, sondern wird selbst von den Eingeweihten mehr oder minder unumwunden als ein offenkundiges Geheimniss behandelt. Und in der That fehlt es an Versuchung für ein gleichlautendes Urtheil nicht, wenn man den Stand der Zeitphilosophie erwägt, und wie die Einen uns zumuthen, vor dem wirren Durcheinander rufen gegenseitig sich anklagender Stimmen in die verlassene Burg irgend eines entthronten Systemes neuerdings uns einzuschliessen, während Andere das undankbare Geschäft eines von beiden Seiten zurückgewiesenen Vermittlers übernehmen, und die feindseligsten Gegensätze zu einem „ewigen Frieden“ zu verquicken bestrebt sind. Ich will hier nicht näher darauf eingehen, oh ungeachtet dieser unleugbar vorhandenen unbefriedigenden Zustände nicht dennoch anderweitig einiger Baum für eine tröstlichere Auffassung sich öffne, ja ob nicht überhaupt von vornherein gestattet sein möchte, auch die vermeintlichen Stillstands- oder Rückschritts-Perioden der Philo sophie mehr für scheinbare als wirkliche zu betrachten, obschon es hier allerdings bisher nicht gelang, in gleicher Weise wie hinsicht lich der planetarischen Umläufe den Schein auf seine Ursachen und Gesetze zurückzuführen.