11. Abhandlung: Monzel. Untersuchungen zum äokrates-Procosse. l II. Untersuchungen zum Sokrates-Processe. Von Dr. Adolf Menzel, ord. Professor der Kochte an der Universität Wien. I. Zur Kritik der Quellen. Gesichertes Wissen in Bezug auf den Sokrates-Process besitzen wir nur hinsichtlich der Anklageschrift und des Aus ganges der Verhandlung. Die Begründung der Anklage in der öffentlichen Sitzung ist uns nicht überliefert und kann nur auf indirectem Wege reconstruirt werden. Die Vertheidigungs- rede des Sokrates ist uns in literarischer Verarbeitung er halten; wie weit hier ein realer Vorgang geschildert ist, muss sorgfältig geprüft werden. Die sonstigen Vorgänge bei der Gerichtsverhandlung sind lückenhaft und zum Theile wider sprechend dargestellt, so namentlich die Verhandlung über das Mass der Strafe. Ueber die Persönlichkeit der Ankläger ist — abgesehen von Anytos — nichts Sicheres überliefert; sie und ihre Motive erscheinen uns nur in der sicherlich nicht unparteiischen Darstellung der sokratischen Schule. Es sind im wesentlichen drei Schriften, aus welchen wir unser Wissen über den Sokrates-Process schöpfen: Platons Apo logie, Xenophons Memorabilien und die unter dessen Namen überlieferte Apologie. Die Bewerthung dieser Werke ist ver schieden, je nachdem man, wie dies gewöhnlich geschieht, einen literarischen oder — wie dies hier versucht wird — einen juristisch-kritischen Massstab anlegt. Um das Ergebnis dieser letzteren Würdigung gleich hier festzustellen, kann man sagen, dass die Apologie Platons einen sehr begrenzten Werth für die Erkenntnis des Sokrates-Processes besitzt, Xenophons Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXLV. Bd. 2. Abli. 1