SITZ UNGrSBERICHTE
DER
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN CLASSE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
HUNDERTFÜNFUNDDREISSIGSTER BAND.
(MIT VIER TAFELN.)
WIEN, 1896.
IN COMMISSION BEI CARL GER OLD’S SOHN
BUCHHÄNDLER DER KAIS. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
300122
______
Druck von Adolf Holzkausen,
k. und k. Hof- und Universitäts-Buchdrucker in Wien.
INHALT.
I. Abhandlung. Jurenka: Der ägyptische Papyrus des Alkman.
II. Abhandlung. Gomperz: Zu Aristoteles’ Poetik. II.
III. Abhandlung. Schön hach: Studien zur Geschichte der altdeutschen
Predigt. Erstes Stück: Ueber ICelle’s ,Speeulum Ecclesiae“.
IY. Abhandlung. Gomperz: Zu Aristoteles’ Poetik. III.
LY. Abhandlung. Iiarabaeek: Die Involutio im arabischen Schriftwesen.
A r i-
/VII.
J 111 -
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XIV,
Abhandlung. Fr. Müller: Die armenischen Handschriften von Se-
wast (Siwas) und Senqus.
Abhandlung. Stein: Notes on Ou-k’ong’s account of Ka<;mlr.
Abhandlung. Biihler: Zwei neue Landschenkungen des Guijara-
Fürsten Dadda-Prasäntaräga IV.
Abhandlung. Haffner: Die Homilie des heiligen Ephram von Syrien
über das Pilgerleben. Nach den Handschriften von Rom und Paris
herausgegeben und übersetzt.
Abhandlung. Sickel: Römische Berichte. II. (Mit zwei Tafeln.)
Abhandlung. Fr. Müller: Zwei armenische Inschriften aus Galizien
und die Gründungs-Urkunde der armenischen Kirche in Kamenec
Podolsk. (Mit zwei Tafeln.)
Abhandlung, v. Rosthorn: Confucius, Legge, Kühnert.
Abhandlung. Beer: Urkundliche Beiträge zu Johannes de Segovia’s
Geschichte des Basler Concils auf Grund von Forschungen in den
Archiven und Bibliotheken von Basel, Genf, Lausanne und Avignon
im Aufträge der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften.
Abhandlung. Mussafia: Zur Kritik und Interpretation romanischer
Texte. Zweiter Beitrag.
a*
IV. SITZUNG VOM 5. FEBRUAR 1896.
Der Präsident macht Mittheilung von dem am 28. Jänner
in -Brünn erfolgten Ableben des c. M. im Inlande, Herrn Hof-
rathes Christian R. d’ Elvert.
Die Mitglieder erheben sich zum Zeichen des Beileides.
Der Secretär legt eine Abhandlung des Herrn Dr. Franz
Kuhnert, Privatdocent an der lc. k. Universität Wien: ,Nan-
king-Syllabar sammt Vocabularium' vor, zu deren Herausgabe
der Verfasser um eine Subvention ersucht.
Die Arbeit wird einer Commission zur Begutachtung
übergeben.
Der Secretär legt weiter eine Abhandlung des Herrn Dr.
Hugo Jurenka, k. k. GymnasiahProfessors und Privatdocenten
an der Universität Wien: ,Der egyptische Papyrus des Allc-
man‘ vor, um deren Aufnahme in die Sitzungsberichte der
Verfasser ersucht.
Auch diese Abhandlung wird einer Commission zur Be
gutachtung übergeben.
Das w. M. Herr Hofrath Dr. Bühler legt Namens der
Commission für die Herausgabe von Quellenschriften der in
dischen Lexikographie den 2. Band dieser Quellenwerke: ,Das
Unadiganasutra des Hemachandra*, herausgegeben von Johann
Kirste, vor.
VL
V. SITZUNG VOM 12. FEBRUAR 1896.
Der ; Verein für Geschichte und Alterthum Schlesiens'
ladet zu dem am 1. März zu feiernden Feste seines fünfzig
jährigen Bestehens ein.
Es werden folgende Druckschriften vorgelegt:
,Wissenschaftliche Mittheilungen aus Bosnien und der
Ilercegovina', herausgegeben vom bosnisch - hercegovinisclien
Landesmuseum in Sarajevo, III. Bd.;
,Forschungen zur Kunstgeschichte Böhmens. Veröffent
licht von der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissen
schaft, Kunst und Literatur in Böhmen. I. Mittelalterliche Wand
gemälde und Tafelbilder der Burg Karlstein in Böhmen', von
Jos. Neuwirth (mit Kunstbeilagen).
VI. SITZUNG VOM 19. FEBRUAR 1896.
Der Secretär legt eine für die Sitzungsberichte bestimmte
Abhandlung des c. M. Herrn Dr. Anton E. Schönbach, Pro
fessor an der Universität Graz: ,Studien zur Geschichte der
altdeutschen Predigt. I. Stück. Ueber Kelle’s Spectrum Eccle-
siae' vor.
Das w. M. Herr Hofrath Th. Gomperz überreicht eine
für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: ,Zu Aristoteles’
Poetik. II.'
Das w. M. Herr Hofrath Vratoslav Jagi6 hält einen
Vortrag: ,Ein vierter bibliographischer Beitrag'.
VII. SITZUNG VOM 4. MÄRZ 1896.
Der Secretär legt eine Abhandlung des Herrn Dr.
Friedrich Raimund Kaindl, Privatdocent an der k. k. Uni
versität Czernowitz: ,Das Entstehen und die Entwicklung der
Lippowaner Colonien in der Bukowina. Zumeist nach urkund
lichen Materialien aus dem Nachlasse des Finanzrathes a. D.
Franz Adolf Wiclienhauser‘ vor, um deren Aufnahme in das
Archiv der Verfasser ersucht.
Die Abhandlung wird der historischen Commission über
geben.
Von Druckwerken werden vorgelegt:
,The Basque verb found and defined' von Edward Spencer
Dodgson, im Aufträge des Verfassers übersendet vom w. M.
Herrn Professor Dr. Schuchardt;
,Institut international de Bibliographie. Bulletin/ I. Jahrg.
Nr. 1—3, und
,Ein allgemeines bibliographisches Repertorium und die
erste internationale bibliographische Conferenz in Brüssel 1895‘
von Carl Junker, überreicht im Aufträge des Institut inter
national de Bibliographie vom Verfasser.
Die Kirchenvater-Commission legt vor: ,Corpus scriptorum
eccles. lat., Vol. XXXIII (Sectio I, Pars I), S. Aurelii Augustini
confessionum libri XIII. ex rec. Pii Knöll/
VIII. SITZUNG VOM 11. MÄRZ 1896.
Der Secretär legt eine Abhandlung des Herrn Dr. Gustav
Turba, Lehrers an der k. k. I. Staats-Realschule im II. Bezirk
in Wien: ,Verhaftung und Gefangenschaft des Landgrafen Phi-
VIII
lipp von Hessen 1547—1550' vor, um deren Aufnahme in die
akademischen Schriften der Verfasser ersucht.
Die Abhandlung geht an die historische Commission.
Der Secretär überreicht weiter eine Abhandlung des Herrn
Dr. Anton Becker in Wien: ,Narbonne’s Einfluss auf den
Wiener Frieden und auf die Vermählung der Erzherzogin
Maria Louise.'
Auch diese Abhandlung, deren Verfasser um Aufnahme
derselben in das Archiv ersucht, wird der historischen Com
mission übergeben. 1
Es werden folgende Druckschriften vorgelegt:
,Tabellen zur Währungs-Statistik.' Verfasst im k. k. Finanz-
Ministerium. 2. Ausgabe. 1—3. Heft, übermittelt vom genannten
Ministerium;
,Acta Borussica. Getreidehandelspolitik.' I. Bd., über
sendet von der akademischen Commission für die Herausgabe
der Acta Borussica;
,Libri citationum et sententiarum.' T. VI. ed. Vinc. Brandl,
übersendet vom mährischen Landesausschusse;
,Sammlung national-literarischer Gedichte und Schriften',
XII. Bd., übersendet vom fürstlich bulgarischen Unterrichts
ministerium im Wege des Ministeriums für Cultus und Unterricht.
IX. SITZUNG VOM 18. MÄRZ 1896.
Das Landeseonsistorium der evang. Landeskirche A. B.
in den siebenbtirgischen Landestheilen Ungarns dankt für die
Zuwendung der Sitzungsberichte an die evang. Gymnasien in
Bistritz, Mediasch und Schässburg.
IX
Das w. M. Herr Hofrath Dr. Th. Gomperz überreicht
eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: ,Zu Ari
stoteles Poetik. III.'
Das w. M. Herr Professor Dr. J. Karabacek überreicht
eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: ,Die In-
volutio im arabischen Schriftwesen'.
X. SITZUNG VOM 15. APRIL 1896.
Der Secretär verliest eine Zuschrift Sr. Excellenz des
Ministers für Cultus und Unterricht vom 28. März 1896, Z. 777,
an den Präsidenten der kais. Akademie, worin dieser ersucht
wird, auf den Vertrieb von Losen für die im Jahre 1896 zu
Gunsten des Vereins vom goldenen Kreuze zu veranstaltende
Lotterie nach Thunlichkcit hinwirken zu wollen.
Der Secretär legt zwei Abhandlungen des Herrn Dr.
W. Rudow in Okrös (Ungarn):
1. ,Die Gestalten des rumänischen Volksglaubens. Ent
wurf einer romanischen Volksmythologie',
2. ,Morgenländische Belege zu türkischen Lehnwörtern
im Rumänischen' vor, um deren Publication durch die kais.
Akademie der Verfasser ersucht.
Die Abhandlungen werden einer Commission überwiesen.
Der Secretär legt weiter eine Arbeit des Herrn Dr. Josef
Schatz in Innsbruck: ,Die Mundart von Imst' vor, zu deren
Herausgabe der Verfasser um eine Subvention ersucht.
Die Abhandlung wird einer Commission übergeben.
X
Der Secretär legt endlich eine Abhandlung des Herrn
Dr. Arthur v. Rosthorn: ,Confucius, Legge, Kuhnert* vor, um
deren Aufnahme in die Sitzungsberichte der Verfasser ersucht.
Auch diese Abhandlung wird einer Commission zur Be
gutachtung übergeben.
Von Druckschriften werden vorgelegt:
,Erzherzog Carl von Oesterreich als Feldherr und Heeres
organisator' von Moriz Edlen v. Angeli, k. u. k. Oberst, I. Bd.
2. Hälfte, übermittelt im Aufträge Ihrer kais. und königl.
Hoheiten der durchlauchtigsten Herren Erzherzoge Friedrich
und Eugen ;
,Das fictive Capital als die Ursache des niedrigen Arbeits
lohnes* von Alfred Offermann, eingesendet im Aufträge des
Verfassers.
Das w. M. Herr Professor Dr. Friedrich Müller über
reicht eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung:
,Die armenischen Handschriften in Siwas und Schenkusch*.
XI. SITZUNG VOM 22. APRIL 1896.
Der Secretär legt eine in englischer Sprache geschriebene
Abhandlung des Herrn Dr. M. A. Stein in Labore: ,Notes on
Ou-k’ong’s account of Kacm.Tr* vor, um deren Aufnahme in die
akademischen Schriften der Verfasser ersucht.
Dieselbe wird einer Commission zur Begutachtung über
geben.
Der Secretär legt weiter eine Abhandlung des Herrn Dr.
August Haffner in Wien: ,Die Homilie des heiligen Ephräm
von Syrien über das Pilgerleben* vor, um deren Aufnahme in
die Sitzungsberichte der Verfasser ersucht.
Auch diese Abhandlung wird einer Commission zur Be
gutachtung überwiesen.
XI
Der Secretär legt weiter die von der Akademie heraus
gegebenen ,Monumenta concilioram generalium seculi XV. Con-
cilium Basileense, Scriptorum Tomi III. Pars IV. Joannis de
Segovia Hist, gestorum gener. synodi Basil.' Yol. II, Liber
XVIII ed. Rud. Beer, und
das von der Akademie subventionirte Werk: ,Actus epi-
stolaeque apostolorum palaeoslovenice' ed. Kal'uzniacki vor.
Weiter werden folgende Druckschriften vorgelegt:
,Regesta imperii XI. Die Urkunden Kaiser Sigmunds
(1410—1437)', vei’zeiclmet von Wilhelm Altmann. I. Lief.;
,Nuntiaturberichte aus Deutschland', herausgegeben durch
das königl. preuss. hist. Institut in Rom und die königl. preuss.
Archiv-Verwaltung. III. Abth., III. Bd. und IV. Abth., I. Bd.
XII. SITZUNG- VOM 6. MAI 1896.
Se. Excellenz der Minister für Cultus und Unterricht
übermittelt mit h. Erlass vom 16. April, Z. 8463, ein Exemplar
der Regierungsvorlage des Staatsvoranschlages für das Jahr
1896, Capitel IX. Ministerium für Cultus und Unterricht, Ab
theil. A, B, C, sowie des Finanzgesetzes und theilt mit, dass
die ordentlichen Ausgaben der kais. Akademie der Wissen
schaften in Wien mit 64.000 Gulden, die ausserordentlichen
mit 18.000 Gulden genehmigt worden sind.
Weiter wird vorgelegt: ,Die Baltica des Libellus Lasicki.
Untersuchungen zur litauischen Mythologie' von Dr. Theodor
v. Grienberger, Scriptor der k. k. Universitäts-Bibliothek in
Wien, geschenkt vom Verfasser.
XII
Das Curatorium der Savigny-Stiftung tlieilt mit, dass die
der kais. Akademie für die Zwecke dieser Stiftung im Jahre
1896 zur Verfügung stehende Zinsenrate 4600 Mark betrage.
Das w. M. Herr Hofrath Dr. Gr. Bühler überreicht eine
für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: ,Zwei neue
Landschenkungen des Gurjara-Königs Dadda-Prasäntaräga IV J
XIII. SITZUNG VOM 13. MAI 1896.
Se. Excellenz der Herr Curator-Stellvertreter Dr. Karl
von Stremayr theilt mit, dass Se. kais. und königl. Hoheit der
durchlauchtigste Herr Curator der kais. Akademie der Wissen
schaften Herr Erzherzog Rainer mit höchstem Handschreiben
vom 7. Mai 1. J. gnädigst bekanntgegeben habe, dass Höchst-
derselbe bei der am 3. Juni d. J. abzuhaltenden feierlichen
Sitzung der kais. Akademie nicht erscheinen kann, weil Höchst-
derselbe an dem besagten Tage in Dienstangelegenheiten von
Wien abwesend sein werde.
Der Vorsitzende der Centraldirection der ,Monumenta
Germaniae historica' übersendet eine Abschrift des Jahres
berichtes über den Fortgang dieses Unternehmens.
Das c. M. Herr Dr. J. A. Tomaschek Edler von Stra-
dowa, emer. Professor der Universität Wien, ersucht um eine
Subvention zu den Druckkosten seines Werkes: ,Das alte
Bergrecht von Iglau und seine bergrechtlichen Schöffensprüclieh
XIII
XIV. SITZUNG VOM 20. MAI 1896.
Der Präsident gedenkt, während die Mitglieder sicli er
heben, des schmerzlichen Verlustes, welchen das Allerhöchste
Kaiserhaus und die kaiserliche Akademie durch das am 19. Mai
erfolgte Ableben ihres Ehrenmitgliedes Seiner kais. und kön.
Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Karl Ludwig
erlitten hat.
Der Secretär legt eine Abhandlung des w. M. Herrn
Hofrath Dr. Theodor v. Sickel: ,Römische Berichte. II.‘ vor,
in welcher dieser das in seinem ,Römische Berichte. I.‘ be
gonnene Referat über die im Vaticanischen Archive befind
lichen Acten des Concils von Trient fortsetzt.
Das w. M. Herr Hofrath G. Btihler legt Photographien
eines graeco-buddhistischen Piedestals des Museums zu La-
hore vor.
XV. SITZUNG VOM 10. JUNI 1896.
Der Secretär legt eine Abhandlung des Herrn Dr. Fritz
Pichler: ,Die Noreja des Polybios und jene des Castorius'
vor. um deren Aufnahme in die akademischen Schriften der
Verfasser ersucht.
Dieselbe wird einer Commission zur Begutachtung über
geben.
Es werden folgende Druckschriften vorgelegt:
jBohemia. An historical sketch' by Francis count Lützow,
übersendet vom Fürsten Edmund Batthyäny-Strattmann;
XIV
,Oesterreichische Reichsgeschichte. II. Theil. Die Zeit von
1527'—1867' von Dr. A. Luschin v. Ebengreuth, geschenkt
vom Verfasser;
,Hauptresultate der Volkszählung in Bosnien und der
Hercegovina vom 22. April 1895, nebst Angaben über terri
toriale Eintheilung u. s. w.', übersendet von Sr. Excellenz dem
gemeinsamen Finanzminister.
Das w. M. Herr Hofratb Dr. Bübler legt eine Notiz des
Herrn Dr. L. v. Schröder, Professor an der Universität in
Innsbruck, vor.
XVI. SITZUNG VOM 17. JUNI 1896.
Der Secretär legt Namens der Conciliencommission einen
Bericht des Herrn Dr. Rudolf Beer unter dem Titel: ,Urkund
liche Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte des Basler
Concils auf Grund von Forschungen in den Archiven und
Bibliotheken von Basel, Genf, Lausanne und Avignon im Auf
träge der kais. Akademie der Wissenschaften' vor.
Der Bericht wird in die Sitzungsberichte aufgenommen.
Es werden folgende Druckwerke vorgelegt:
,Padesate let Verejne literarni cinnosti 1846—1896';
,Nozze Biadego-Bernadinelli'.
Das w. M. Herr Professor Dr. Friedrich Müller legt
eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: ,Zwei
armenische Inschriften aus Galizien und die Gründungsurkunde
der armenischen Kirche in Kamenec-Podolski' vor.
XVII. SITZUNG VOM 1. JULI 1896.
Der Secretär legt eine Abhandlung des Herrn Dr. Victor
Wolf Edlen v. Glanveil in Graz: ,Die Canones-Sammlung
des Cod. Vatican. lat. 1348' vor, um deren Aufnahme in die
Sitzungsberichte der Verfasser ersucht.
Die Abhandlung wird einer Commission zur Begutachtung
überwiesen.
XVIII. SITZUNG VOM 8. JULI 1896.
Der Secretär überreicht eine Abhandlung des Herrn Dr.
P. Altmann Altinger, Capitular des Stiftes Kremsmünster:
,Die zwei ältesten Necrologien von Kremsmünster', um deren
Aufnahme in die akademischen Schriften derselbe ersucht.
Die Arbeit geht an die historische Commission.
Das k. k. Finanzministerium übersendet den Bericht:
,Die Gebarung und die Ergebnisse der Unfallstatistik im Jahre
1894'.
Das w. M. Herr Hofrath Dr. A. Mussafia legt eine für
die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: ,Zur Kritik und
Interpretation romanischer Texte. II. Beitrag' vor.
Das w. M. Herr Hofrath Dr. Th. Gomperz erstattet
Namens der Thesaurus-Commission einen Bericht.
I. Abhandlung: Jurenka. Der ägyptische Papyrus des Alkrnan.
I.
Der ägyptische Papyrus des Alkman.
Von
Dr. Hugo Jurenka,
k. k. Gymnasialprofessor und Pfivatdocenten an der Universität Wien.
Von dem Papyrus des Alkman, den Mariette im Jahre 1855
aus einem ägyptischen Grabe ans Licht des Tages gezogen,
musste fünfzehn Jahre später Friedrich Blass im Rhein. Museum
XXV (1870), S. 179 gestehen, dass immer noch ein gewisser
Nebel über dem Ganzen schwebe. Seither hat die sieghafte
Kraft sowohl des forschenden Auges dieses Gelehrten, als auch
seines Scharfsinnes und seiner Gelehrsamkeit diesen Nebel so
sehr gelichtet, dass er heute nur mehr einem dünnen Schleier
gleicht, der die herrlichen Formen dieses poetischen Gebildes
schon klar durchschimmern lässt. Ihre volle Erkenntniss freilich
ist uns auch jetzt noch versagt, was am deutlichsten wohl
daraus hervorgeht, dass wir bis auf den heutigen Tag den
Versuch einer aus logisch geordneten Gedanken bestehenden
Uebersetzung nicht zu verzeichnen haben. Und so habe ich
es unternommen, auch meine schwache Kraft in den Dienst
dieses wertvollsten Bruchstückes der älteren griechischen Lyrik
zu stellen, nachdem ich über Stellen, die auch nach Blass’ sorg
fältigsten Untersuchungen des Papyrus mir noch immer unklar
waren, durch eine neuerliche Revision des Originals, die ich
der Güte Alfred Croiset’s verdanke, mir Aufklärung ver
schafft hatte.
Zunächst also habe ich zu der Aufzählung der im
Kampfe mit Herakles gefallenen Plippokoontiden Folgendes
nachzutragen: 1
1 Meine eigenen Vermuthungen sind durch gesperrten Druck kenntlich
gemacht.
Sitzungsbor. d. pliil.-bist. CI. CXXXV. Bd. 1. Abb. 1
BcOY.ÖXo] V TS TÖV ß LUT UV,
5 'l'imödotjv ts töv y.oovoiäv,
Evrsr/fj ts, Eccvccxtcc t Agrjiov,
'Azuov\a % sJgoyov lji.ua iaiv.
OTQ. £C -f- 1
Kl(lyjuo]v, töv ayotTUv
arum(7)\ fisyav, EHovtöv ts,
10 äoyöv a/i] mbou) y.lövov,
^AXyjuvci] ts, Twg ägioTwg
alvsv oü] 7TaQrjaof.isg.
Im zweiten Verse nehme ich unbedenklich die Lesart Bergk’s
an, erstens weil auch Blass gegen sie von diplomatischer Seite
keine Einwendung hat, zweitens, weil sie durch das Scholion
ihre Bestätigung findet. Dieses lautet nun in den Ergänzungen
von Blass 1 : töv Amai\ov oö owxaTa\giE/u((ii) [roig] ül'ko[tg |
‘l7t7tcvA.co\vTld(ug | _ _ _ | on/i _ _ | tov _ _ \ Isia _ _ |
ELTca ov uövov | tov Amaio(v), al/l[d[ zat Tovg Xo'ißyitobg \ Aggi-
Tidag. Av(v.uiov) sjt d\v6/.iaTog ģy[e]i.. Wir sehen daraus,
dass die alten Erklärer sich nicht besser zu helfen wussten
als die neuen. Da der Name Avyaiaog in ihren Verzeich
nissen der Hippokoontiden sich nicht vorfand, so verstanden
sie Alkman’s Worte entweder so: ,den Lykaithos allein zähle
ich nicht unter den Tod ton' und erklärten dies dahin, dass
der Dichter ihn nicht unter den anderen 2 Hippokoontiden
angeführt (ov avyy.araoiEi.u7)), weil er eben keiner war, oder
aber so: ,nicht den L. allein (ov uövov töv A.) zähle ich
unter den Todten', und diese zweite Möglichkeit, die Worte
des Dichters zu verstehen, legten sie sich so zurecht, dass sie
ihnen die freilich unmögliche Ergänzung gaben: ,. . . sondern
auch die andei’en Doritiderb (aXka v.ai Tovg 'kourovg AijgiTidag).
Denn sie fanden den Namen Lykaithos unter den Söhnen des
Dereites: Dereites aber ist Sohn des Harpalos (Paus. VII IS, 5),
1 Rhein. Mus. XL (1885), S. 4.
2 Es ist, wenn man beim Lesen hinter aXXoig ein wenig 1 absetzt und ein
,nämlich 4 hinzudenkt, kein Grund vorhanden, es in xafxovaiv zu ändern.
sj
Der ägyptische Papyrus des Alkman
3
dieser der Bruder des Kynortas (Paus. III 1, 3), welcher durch
seinen Sohn Oibalos Grossvater des Hippokoon ist (Apollodor.
III 10, 4). Daher war den Scholiasten die Annahme gestattet,
dass die Dereitiden als Verwandte (Vettern) im Kampfe an der
Seite der Hippokoontiden standen. Auch wir wussten von
einem Hippokoontiden Lykaithos lange nichts; erst neuestens hat
ihn Rieh. Wagner, Ramenta Apollodorea (in ,Griech. Studien,
Herrn. Lipsius zum 60. Geburtstag dargebracht', Leipzig 1894),
p. 48 aus einem cod. Paris. (Nr. 2722) von grosser Autorität
$0
hervorgezogen: Ivxai, und somit erkennen wir, dass Alkman,
nur um die Monotonie einer nackten Herzählung zu vermeiden,
das homerische ovx oiog (hier ov dem olov nachgestellt wie
bei Iderod. VIII 119 [.iiav oh/. statt ovdsuiav) &fia %S> ys . . .
nachahmend, gesagt hat: ,nicht den Lykaisos allein zähle ich
unter den todten (Hippokoontiden).' Lykaithos war also nicht,
wie Bergk ohne allen Grund annahm, entflohen, sondern ebenso
gefallen wie die anderen: V. 13 xjjarjjcre yäo Aiaa jtavrwv.
Freilich wäre nun dies Auskunftsmittcl des Dichters ein
annseliges gewesen, wenn er dann wirklich die übrigen Hippo
koontiden einfach hergezählt hätte. Aber er wendet noch einen
zweiten Kunstgriff an. Mit V. 8 tritt eine Pause ein, und die
weitere Aufzählung wird dann, von der obigen Wendung ovx
oiov, ukka . . . unabhängig, in neuer Weise weitergeführt. Kak-
xifiov . . . aivsv oi> naQTjffo /.leg.
Jene Ruhepause wird durch den Anhub einer neuen
Strophe bewirkt. Mit dem wievielten Verse diese begonnen
habe, darüber zweifelt wohl Blass nicht mehr, wie er früher
(Rhein. Mus. XXIII [1868], S. 548) gethan. Es ist nicht un
wichtig, hier zu wiederholen, dass bei Alkman die Strophe
stets inhaltlich scharf abgegrenzt ist, immer durch starke Inter
punktion, einmal, V. 36, und wahrscheinlich auch V. 22 sogar
asyndetisch. Und dies ist mein wichtigstes Bedenken gegen
Westphal-Rossbach’s (Spec. Metrik, S. 578 3 ) Auseinanderlegung
der Strophe. Daher möchte ich auch die Ansicht von 0. Crusius
in den ,Comment. philol. quibus Ottoni Ribbeckio congregatu-
lantur discipuli Lipsienses' p. 20 ff. dahin eingeschränkt sehen,
dass wir zwar die alkmanische Strophe noch nicht in oroocpi],
ävTiGTQocpog und huodog strenge zu scheiden haben, dass aber
l*
4
I. Abhandlung: Jurenka.
allerdings in ihr die Keime dieser Dreigliederung, und zwar
sehr entwickelt vorliegen. Der mangelnde Sinnesabschluss ist
das Einzige, was die Selbständigkeit der drei Theile noch in
Frage stellt. Jenes Gesetz gilt nicht mehr für Pindar, wiewohl
sich natürlich auch bei ihm Gedichte finden, wo eine solche
Abgrenzung der Strophen öfter vertreten ist, worauf denn
Croiset (La poesie de Pind., Paris 1886) aufmerksam zu machen
nicht unterlässt. Bei den Tragikern ist es wieder durchwegs
gewahrt, und wir können wohl aus dieser Erscheinung den
Schluss ziehen, dass dort, wo die ausdrückliche Bestimmung
für eine öffentliche musikalische Aufführung gegeben war, dieses
musikalische Element für eine solche Scheidung der Strophen
ausschlaggebend war. Denn für Pindar werden wir wohl an
nehmen dürfen, da sich ihm die Leitung der öffentlichen Auf
führung in vielen Fällen entzog, und da für ihn jedenfalls die
Musik nicht das Wichtigere war, dass er nicht auf die Auf
führung, sondern auf die Lectüre seiner Gedichte das Hauptge
wicht gelegt haben wird. Oder will man wirklich annehmen, dass
er z. B. die 13 Triaden (= 39 Strophen, 299 Verse) der vierten
pythiseken Ode alle hergesungen wissen wollte? — Um die me
trische Gestalt des Gedichtes übrigens gleich hier zu erledigen,
so sei noch Folgendes bemerkt. Die zwei daktylischen Verse
schliessen die Strophe überaus wirksam ab, und es ist ein
Zeichen, dass sie den Schluss der Strophe bilden, meines Er
achtens auch darin zu erblicken, dass die letzten Versfüsse des
letzten Verses freier behandelt sind, entweder daktylisch oder
trochäisch. Bergk sucht diese eigenthümliche Erscheinung geist
reich, aber recht gekünstelt zu erklären: PLGr. 4 p. 27. Ich habe
dafür folgende Erklärung. Es ist vielleicht nicht ganz Zufall,
dass in den rein daktylischen Schlussversen 7. 21. 35. 91 die vor
letzte Silbe wenigstens prosodisch ausgezeichnet ist. Möglich nun,
dass die am Ende der Strophe infolge der Verlangsamung des
Tempos •— jedes musikalische Gebilde schliesst ritardando —
eintretende Ausgleichung der Zeitdauer der einzelnen Silben diese
prosodisch betonten Kürzen den Längen nahezu gleichmachte.
Zu V. 6 möchte ich noch ergänzen, dass der Streit, ob
APHION ein nomen proprium, oder ein Epitheton sei, dessen
Entscheidung jetzt auch durch die Deutung des bezüglichen
Scholions (Blass, Rhein. Mus. XL, S. 5) nahegerückt ist, des-
Der ägyptische Papyrus des. Alkraan.
5
halb überflüssig war, weil die Form als Adjectiv gebraucht speci-
iisch ionisch-epischen Charakter trägt (Etym. M. 139, 51 tigsiog
■/.cd 'Icßvr/fj dialvasL aotiog xai 'VQOitfj &qrjiog), während der
Dialekt des Alkman dgrjog erheischen würde (Spiess, Curt.
Stud. X, p. 348) oder etwa noch dosog (Boeckh, Expll. Pind.
p. 4G0 sq.). Es mag zwar dem Dichter erlaubt gewesen sein,
nomina propria auch in der epischen Form herüberzunehmen
— ich neige übrigens sehr zur Aufnahme der Namensform
Aotji'cog nach Pherekydes im Scholion 1 hin —, aber in Hin
sicht der Epitheta ist er der Uebung der Lyriker, sie dem
jeweiligen Dialekte anzupassen, auch dort, wo die ganze Stelle
episches Colorit trägt, treu geblieben. So hat er in unserem
Partheneion Y. 71 das epische d-Eoeidrjg in aisidifi verwandelt,
V. 48 7trp/ov in itayöv, V. 44 v.leivd (orac. bei Hdt. VII 228)
in y.Xsvvd, V. 48 y.ava’/fjitoöa in ■/avaydnodu (lies, bei Plut.
mor. p. 154 A), V. 49 vnonizgcov (Mimn. Fr. 12, 7) in bno-
nsTQid'uov, V. 55 ägyvQSOv in dgyvQiov , V. 67 iray/oiiaeog in
nayygvaiog, V. 62 aslgiog (Hes. opp. 417) in fft'jotog. Ebenso
gieng Aeschylos vor, z. B. in der gleichfalls homerisches Colorit
tragenden Aufzählung Pers. 957 ff., woselbst die hier verkom
menden Epitheta dva% V. 968 (hier V. 6, übrigens vorangestellt
wie Homer 0 453, P’ 588), ueyag V. 984 (hier V. 9), äygerat,
cyrgcaov Y. 1002 (hier V. Sf.; vgl. Herod. VII 5) und V. 995
lioeiov wiederkehren. 3 Agrjiog wird zwar sonst unter den Hippo-
koontiden nicht angeführt, aber wir haben ja ihre Liste (20 nach
Diod. IV 33, 5) nirgends vollständig überliefert, und anderer
seits ist ‘ytmjiog wirklich Heroenname: Apollon. Rhod. I 118,
Orph. Argon. 148 ed. Abel (Argonaut), Ovid Metam. XII 310
(Kentaur).
Gegen den Namen Jogysa, welchen man V. 7 gerne
einsetzen möchte, liegt ein zweifaches Bedenken vor: erstlich die
Spuren eines Acuts auf dem a im Papyrus, zweitens die Posi
tion der zweiten Kürze des vorhergehenden Daktylus, die Alk
man consequent vermeidet. Ich habe daher — aus Ovid Metam.
XIV 484 — einen Namen aufgenommen, der diesen Anfor
derungen entspricht und vielleicht besser ist als ^'Ahypova
(Christ), was Bergk ein nomen inauditum nennt.
1 S. auch Schol. zu Hom. X 287.
6
I. Abhandlung : J u r c n k a.
V. 10 ergänze ich so am Anfänge mit Bezug auf Stellen wie
Hom. E 824 yiyvtiaKw yäg ^Agrja j-iaxrjv ävä KOiQaveovxa, vgl.
B 207, A 250, E 332. Ueber -rttigu vlovov ist jetzt zu vergleichen
Schubert, Sitzungsber. der Wiener Akademie der Wissensch.
1878 (Bd. 93), S. 580 ff. — V. 11 xwg äoiozug mit Bergk nur
auf Eurytos und Alkon zu beziehen und es zu a/x n(hgio vlovov
zu denken, halte ich wegen der allzu freien Wortstellung, die
wohl mit Frgm. 9 nicht hinlänglich belegt wäre, für unzu
lässig; ich beziehe es auf sämmtliche Hippokoontiden, die seit
Beginn der Strophe aufgezählt werden, ügtoxog so allein steht
sehr häutig bei Homer (Etym. M. 143, 9 Kvoiwg ö sv nol.e/xip äv-
dgayad-wv, und vgl. Aristoph. Lysistr. 1300 zöv Ai.iv/lac, owv v.ai
XoIkooikov Ad-ävav Tvvdagidag t’ äyaod)g, Herod. VII 10 a
ozoazEvoai.tEvög zs TCoXXovg ] xe Kai äya&ovg xijg axgaziäg äzto-
ßaliov &7tfj'kd'8). Endlich fülle ich die Lücke des letzten Verses
der Strophe mit aivev oi aus. Ueber die Form aivev s. Schu
bert a. a. O. S. 524 not.; in Hinsicht der Bedeutung kann
man das Wort allgemein für ,sagen, nennen* nehmen, oder
auch in lobendem Sinne mit Bezug auf die rühmenden Epitheta
der aufgezählten Helden.
Ueber V. 13—21 habe ich in den ,Serta Harteliana* (1896),
p. 36ff. ausführlich gesprochen. Ich schreibe also:
y.oäzTjfTE y\ao Alaa ztavzmv,
irj IlögogJ, ysgaixaxoi
15 oeCjv, a x' ä7T]ecilog A1k&.
urjXig ävd-]gü)7twv eg ciigavov jTOzrjoda),
jxrjöe rtei\gr)Xio ya/xiv xäv Acpgodixav,
Aboyevfj\ lavaooav, xiv
evalbav,] i) nedda TIöqkcli.
20 KallbKÖjxoL] Xctgixeg de Aiög dö/.iov
ä[xßaivob]obv egoylecpagoi.
Neu ist hier nur ä[ißccivoi(nv; dies und vielleicht V. 21 wgaviov
statt Kclhv.ouoL dürfte dann dem in Frgm. 86 adoi Aiög äöixm
6 yooog ai.wg Kal xoi, lavah, und Frgm. 59 Mwa«, Aiög dvya-
xsq , digavtaepb Viy ue'kjouul enthaltenen und hier geforderten
Sinne noch angemessener sein: Hom. A 497 ävsßrj fxsyav oi-
gavöv. Endlich, wer an der zweimaligen Auflösung der Arsis
V. 19 und 20 Anstoss nimmt, dem gefällt vielleicht V. 19
Der ägyptische Papyrus des Alkman.
7
ygvoiav: s. ,T. Sitzler, Die Lyriker . . . Alkman (in ,Fest-
schrift der Bad. G-ymn . . . Karlsruhe 1886), S. 46. Zum
einsilbigen oilov V. 15 vgl. liier V. 98.
Es folgt jener Theil des Gedichtes, den der linksseitige
Abriss des Papyrus gänzlich verschlungen hat, und der nur
durch unsichere Vermuthungen — und als solche, im Einzelnen
ohne jede Zuverlässigkeit, nur den Sinn der Stelle errathend,
wollen die folgenden Ergänzungen aufgefasst werden •— ersetzt
werden kann. Aber eines scheint mir aus den erhaltenen Resten
der Verse hervorzugehen, dass darin nur ganz allgemeine Be
trachtungen über das Schicksal der Hippokoontiden angestellt
waren, ehe der Dichter von diesem ersten Theile seines Ge
dichtes zum verliebten Getändel mit den Mädchen übergieng.
Ich ergänze:
arg. x -f- 2
oiol ’yctd oTs 7T,LOxw\xcnoi •
eY7toif.1l 'a syd>v]ya * daifuov
fivQL Fol töcp] cpiXoig
25 Txgöcpgwv 7tage]dcuxe dwga,
%öv de foi oxv]yageov
avxä xdx’ ä7t]wleo’ rjßci '
da gor ovy 6' ye y]gövov
87% eXnldoc, 7] fia]xaiag
30 fieya)^a AOfiTtswv] eßcc • xwv d‘ HXlog iw
ecfd-ir, HXXog ä' ad-re] fiagudgw ftvläxQw.
Ttävxag d’ eigen o]oev iAtdag,
ytag* S7tel J-äv ffcpaZotv] adroi
äcpgadlatoiv e7teo^Ttov ' HXaoxa de
35 fegya. tz&oov xaxd firjoafievoi.
Was den Gedankengehalt dieser Restitutionen hetrilft, so glaube
ich denselben nicht anderweitig belegen zu müssen. Solche
allgemeine Sentenzen begegnen auf allen Gebieten des griechi
schen Schriftthums, besonders aber hei den Tragikern und hier
wieder vornehmlich in den Chören. Aus diesem Grunde geht
meine Besorgniss vielmehr dahin, es möchte der so wieder
hergestellte Alkman zu sehr nach einem Tragiker schmecken.
Aber man wird billigerweise zugeben, erstlich dass im ersten
Theile des Gedichtes wirklich ,ernstes religiöses Pathos' (Cru-
8
I. Abhandlung: Juronka.
sius in Pauly-Wissowa’s Rcal-Encykl. I 1571) waltet, weiters
aber, und darauf lege ich nicht geringeres Gewicht, dass die
Sprache einfacher ist, und dass auch die Entwicklung der Ge
danken naiv-umständlicher erfolgt.
Im Einzelnen diene noch Folgendes zu meiner Recht
fertigung. Ich halte daran fest, dass Herakles in seinem Kampfe
gegen die Hippokoontiden sich des Beistandes der Dioskuren
zu erfreuen hatte. Dem Mangel an directer Ueberlieferung steht
als sprechendes Zeugniss gegenüber der Name ITco'lvdevxyg an
der Spitze der ersten Columne des Papyrus. Aber es scheint
mir überdies geradezu undenkbar, dass in einem Thema rein
local-spartanischen Charakters bei so günstig sich darbietender
Gelegenheit der Dichter die Dioskuren, die spartanischen aioi
xar s^oxrjv, sollte unerwähnt gelassen haben. Diese Gelegen
heit war aber folgende: Herakles war im ersten Kampfe mit
den Hippokoontiden verwundet worden und musste sich zurtick-
ziehen: Paus. III 15, 5 töte /xev di] triywaxErai xai la&iov caix-
XMQrjaev (s. auch Clem. Alex. Protr. p. 31 P. und dazu Schol.
p. 107 Klotz). Es lag nun überaus nahe, dem Streiter in ge
rechter Sache die Dioskuren zur Seite zu stellen, die xälhavoi
ounrjQeg, die aonijotg saäloi xayadoi naqaa%är,ai (s. Roscher,
Mythol. Lex. I, Sp. 1157). Die Dioskuren sind nun Siegbringer
überhaupt, und so verleihen sie auch den Männern den Sieg
im Agon als Lohn für Frömmigkeit. Das sagt Pindar Nem.
X 54 und schliesst dort: f.iaXa ]isv ävdy&v dixaiwv nsyixadö-
f.ievoi ‘ xai [xav d-ewv niotöv ysrog. Diese Stelle ist es, welche
ich zur Wiederherstellung des ersten Verses benützt habe.
Wie dort, so wird auch hier der allgemeine Gedanke aioi
^ya&olg 1 uiarurcciToi von dem Beistände abgeleitet, den die
Dioskuren geleistet haben. Und noch eines: V. 64ff. jenes pin-
darischen Gedichtes f.ieya feyyov Sfxrjaavz^ tixecug xai nad-ov
dsivöv TtaX&naig xhög nehmen sich wirklich wie eine Remi-
niscenz an die zwei Schlussverse unserer Strophe aus: üXccoxa
de J 1 syya nccaov xaxä a^ievoi.
Die sprachlichen Details anlangend ist eYitoi]ii x sycovya
(dies letzte Wort Frgm. 51, Spiess a. a. 0. S. 342) variiert nach
1 Eine Aphärese bei Alkman auch Frgm. 55 S> ’/U öalfxtov. Elision und
Syniaese verbunden Sopli. Ant. 95 ähV la fie.
Der ägyptische Papyrus des Alkrnan.
9
V. 85 unseres Gedichtes, zu daigcov rcaqedcoy.e d'cöqa vgl. in der
inhaltlich völlig identischen Stelle Pind. Pyth. II 52 ff. die Worte
kcsqoLGi de xvdog aygqaov Ttaqedca-x (sc. -deög) und etwa noch
Soph. 0. C. 708 ■dü>QOv xov geycclov daigovog. In V. 26 habe ich
-yixgsov zu einem neuen Adjectiv oxvyaqeov ergänzt, wofür ich
allerdings keine directe Belegstelle anführen kann: denn Hesych.
cjxvywG) (= oxvypqsq) ?) ist unsicher, seitdem L. Dindorf Tlies.
L. Gr. VII 903 auf goyrjqög als Nebenform von /.toyeqög ver
wiesen hat. Für -aqeog als Bildungssuffix für Adjectiva ver
mag ich vorläufig nur olvaqeog (olvaqeog?) bei Ibyk. 1, 6 {•cp'
eqvecuv olvaqeoLg anzuführen. — Weiterhin wäre der Ausdruck
avTcc -/«/.’ ujcwleo’ rjßa zu verstehen wie das homerische cpd-loec
oe xd adv fievog. zu daqov ovy o ye yqövov vgl. Soph. Ant. 625
izqäaaeL d' 1 ollyiaxov yqovov exxdg axag, zu en elrtldog . . . eßa
Soph. 0. C. 189 eioeßiag emßaivovreg (= evoeßovvxeg) und Phi-
lokt. 1463 do£/;g noxe xrjgd’ imß&vxeg, wegen vor g.a-
xalccg ,quod singulorum adiectivorum äuget vim‘ vgl. J. Rumpel
lex. Pind. s. v. Zu V. 30 geyäla yognecov vgl. Soph. Ai.
1230 vxpfil' ey.6f.meLg, zu nävxag ö’ e^enaaev '/Jtäag Soph.
El. 96 dv cpohiog ^Ldqrjg ovy e^encjev, V. 33 habe ich yäqa
(= d-ävaxov) und ocpaloiv entnommen Alkm. Frgm. 56 A crcpolg
ädehpideoTg xaqa xal cpövov und bemerke wegen avxoi (nicht
avxwv), dass in der Wendung xäqcc Etxv eiteortov das Verbum
ecpEfcut noch etwas von seiner ursprünglichen Kraft ,besorgen'
besitzt (hier s. v. a. ,beschleunigten'), noch nicht also zu dem
Sinne des lat. oppetere abgeschwächt ist; endlich acpqadiaicnv
habe ich entnommen Hom. % 27 avxa>v yäq umoloped-' äcpqadirjOiv.
Mit den Worten:
oxo. x -f- 3
"Ecttl 7,7g mwv xlffig ‘
o d’ ZiXßtog, fiffxig el ! cpqcov
ägeqav dian;XsY8L
üxkavoxog ’ eywv d' äeldco
40 L^ytdwg xd (p&g ■ . . .
verlässt der Dichter die mythische Erzählung und geht zum
zweiten Theile seines Gedichtes über, nicht unvermittelt und
ohne Wechselbeziehung der beiden Theile, etwa so, dass
er, nachdem er kurz einer stetigen Tradition seinen Zoll ent-
10
I. Alihandlun g: J u r e n lc a.
richtet, auf seinen eigentlichen Gegenstand zu kommen sich
beeilte, wie man gewöhnlich annimmt ■— Spiess a. a. 0. S. 335
not. postquam heroes breviter (?) celebravit, subito incidit,
orationem verbis sycbv d' dstdoj ’Ayidwg rö cpwg, Piccolomini,
Studi di fil. gr. I, p. 195 —vielmehr sind die Gedanken
reihen aufs Feinste in einander verwoben. Das Schicksal
der Hippokoontiden hatte in Alkman dieselben Gedanken an
geregt wie das der Atriden in Aeschylos und Euripides,
das der Labdakiden in Sophokles; sie betrachten es als Wir
kung eines göttlichen Strafgerichtes (aiwv riaig), vor dem
sich derjenige am meisten hüten muss, der auf den Höhen des
menschlichen Schicksals, wie Aeschylos Choe. 62 sagt sv cpetei,
Euripides Iph. Aul. 19 sv npatg, wandelt. Diesem stellen
sie den gegenüber, og axivdvvov ßiov s^snsgaa' äyvwg dx|gp|
(Eur. Iph. A. 17). In gleichem Sinne sagt Pindar in der XI.
pythischen Ode, nachdem er die Schicksale des Atridenhauses
erzählt, zum Lobpreise seines Siegers zurückkehrend, V. 50 ff.
S-söiXsv sgalpav xaXwv, | dvvard paiöpsvog sv aXixiq. | rwv ydg
ävu rcdXiv svgiaxcov rd usaa paxQoregcp | oXßw rsdaXöra,
cpop aloav rvgavvidwv, Worte, zu deren Verständniss man
noch V. 29 f. desselben Gedichtes l'tryfii re ydg oXßog ov psiova
cpd-ovov ■ 6 de xap-rjXä nvsiov äcpavrov ßgi/.iEi heranziehen mag.
An unser l'an rig aiwv riaig klingen desselben Dichters Worte
an, die er gebraucht, indem er das glückliche, weltfremde Dasein
der frommen Hyperboreer verherrlicht, Pyth. X 43 f. olxsoiai
pvyovrsg vnsgdixov Nspsaiv. In 6 d' SXßiog, Sang sücpgwv
apeQav dianXexei äxlavorog liegt also kein gedanklicher Wider
spruch mit Stellen wie Aesch. Agam. 553 rig de TtXrjv $swv
anavr mrrpunv rbv di alwvog ygcivov, Soph. 0. C. 1722 xaxwv ydg
dvadXiorog ovdsig, Eurip. Iph. Aul. 161 3-vqrwv ö’ oXßiog slg
rsXog oidsig oi'd’ svdaipwv ’ ol'nm ydg epv rig iiXvnog. An
kleine Leiden, wie sie der Tage Wechsel gebiert, darf auch
an solchen Stellen gedacht werden wie der unsrigen und Aesch.
Eum. 313 xobg psv xa&agwg yslgag ngovsuovcaq oi) rig hpignsi
urjvig &<p fjfiiäv, doivrjQ d’ caCöva dioiyysl und Soph. Ant. 582
sväut[.ioveg oiai xaxwv üysvarog aiwv. Unter UxXavarog bei Alk
man ist also nur der verstanden, der von furchtbaren Schicksals
schlägen verschont bleibt — Aesch. Eum. 552 TtavwXsdgog
ol'nor Uv ysvoiro —, und sb'cpgwv dürfte am besten durch
Der ägyptische Papyrus des Alkman.
11
,stillvergnügt' (vgl. Semonid. Frgm. 7, 99 oi yag y.or eVcpginr
fjj.ieyijv ditoyt-Lul anaaav, oazig avv yvvaivl nekezai) wieder
gegeben werden.
Als einen solchen reichen Armen bezeichnet nun der
Dichter mit eycov cf äslöiß sich selbst, der am heiteren Spiel
der Musen und Chariten seine Freude findet. 1 Auch dies ist
ja ein bekannter Gedanke, bei welchem wir, der persönlichen
Verhältnisse des Dichters eingedenk, am meisten an Horaz
(carm. I 17, 13f. di me tuentur, dis pietas mea et Musa cordist)
erinnert werden. Auch in Bezug auf den Anlass der Feier
unserer Stelle innig verwandt ist z. B. carm. II 12, 13$'. me
dulcis dominae Musa Licymniae \ cantus, me voluit dicere
lucidum | fulgentis oculos et bene mutuis \ fidum pectus
amoribus. \ quam nec ferre pedem dedeeuit choris | nec cer-
tare ioco nec dare bracchia \ ludentem nitidis virginibus
sacro | Dianae celebris die.
40 Ayiöwg %ö cpüg ' oqw
o oh' llhov, bvneo &piv
Ayidw iMiocvoinai
cpaivijv '
Zur Erklärung dieser Stelle übergehend sehen wir nun, wie
der Dichter, nachdem er AyidCog ’iö <pwg — %ö cpüg nicht an
ders gemeint als ßiy ‘HgaxÄyeir] — umschreibend gesagt hat
statt ,die schöne Agido‘, aus dieser Umschreibung heraus den
weiteren Gedanken ableitet, er schaue in Agido die Sonne
selber 1 (vgl. Shakespeare ,Romeo and JulietC Itisthemorn, and
Juliet is the sun, citiert von Farn eil“), deren Leuchten Agido
gewissermassen durch ihre eigene Person bezeuge, darthue. Dass
dies der Sinn der Worte ist, darf man schon wegen der so nahen
Zusammenstellung von Ayidwgzd cpätg mit lihov und epaivyv nicht
bezweifeln. uagivostaL mit acc. c. inf. hat hier die Bedeutung
von gä/rivg sozi, also wie sonst uacnvotZ, wofür ein Beleg zu
linden ist in Fiat. Phileb. 47 D zavza ysv tot' o£x iuaQZVQÖuet)a,
viw de leyopev, also yauzvoea-Ocu ein starkes leyeiv, wie das lat.
antestari. Sonach übersetze ich: ,und also sing’ ich Agidos Licht:
1 Vgl. G. S. Farnell, Greek Lyrie Poetry, p. 309.
2 tikiov ist also prädicativer Aceusativ, der Objectsaccusativ (s) ist leicht zu
ergänzen. Es läge übrigens sehr nahe statt p’ zu schreiben: p\
12
I. Abhandlung: Jurcnka.
ich schaue sie (ja) wie die Sonne, deren Leuchten uns Agido
bezeugt'. Ist aber die Stelle so richtig erklärt, so ergibt sich
daraus die Nothwendigkeit, dass das Partheneion für eine
Nachtfeier gedichtet war (Eurip. Heraclid. 781 oXolvy^mu nav-
rvyloig vnö trag D erwv laysZ nodüv Y.goTOunv) 1 oder vielmehr,
was sich noch später unzweifelhaft ergeben wird, für eine
Feier zu Ehren der ,Göttin des Morgens', für eine Tages
zeit, wo die Sonne, die jetzt durch Agido vertreten ist, noch
nicht über die Berge gekommen ist. Vorläufig sei nur auf
V. 60 ff. und 87 yhxv% verwiesen.
Der Dichter fährt fort:
c’fie (f oVv srttuvev
oVxs uoiuijfj&cu viv ä xlevva yogccyög
45 orb' uuwq sfj ' Öoy.sZ yccq fyisv a&tcc
EY.ltQErtTjg Tlög, ÜüTtSg CU Ttg
SV ßotoig OTCCOEISV UtTtOV
itayov äsd't.ocpöoov xavayditoda
tü>v VTtoitsrQLÖltov dveiqcov.
OTQ. X -J- 4
50 II ovy öofjg; 6 idv xshjg
’Evetiyös ‘ « bi yd ha
tccg iuäg ärslfJtag
Ayi:tny6gag ETtav&sZ
yqvodg wt (x/.rjocctog '
55 to t äqyvqiov Ttoöotojtov — -
dicapaöav rt tol )Jyu>;
Ayrynyögu fj.lv avfa.
u di ösvtsou nsö' Ayiduiv rd sidog
iitrtOQ eIßZjvcj Kolatgcäog ögausitai.
Vom Lobpreis der Agido, des schönsten der Mädchen, wendet
sich Alkman zu dem der Hagesichora, die, an Schönheit
die zweite, ihn nicht länger bei Agido verweilen lässt, und
der er in Bildern von lieblicher Pracht vielleicht den umfang
reichsten Theil seines Gedichtes widmet, weil sie als Chor
führerin für den Dichter die wichtigste ist. Der Sinn der
1 Vgl. noch Xen. conv. 1, 9: utamo Srav (fiyyog n iv wxrl (pavij,
TXÜvrmv ngogccysTcu ö u ac. ia. oi}r<o xal töt£ tov AvtoXvxov rö
xällog naiTiny eiXxt rag Öxjttig rrQÖg avräv.
Der ägyptische Papyrus des Alkman.
13
Worte oVz eTzaivsr ovze pwprjff&ai ist so klar, die ganze
Wendung so echt griechisch, dass diese Vortheile allein die
Lesung der unsicheren Spuren des Papyrus (Blass oüt enw-
peaS-äi [Hiller inopeodai]; Egger las -/.apeodai, Canini con-
jiciert xcoprjO&at,) entscheiden müssen. Dieser Ansicht ist auch
v. Wilamowitz-Moellendorff, der (Herakl. II 2 , S. 232) die Stelle
als weiteres Beispiel für die bekannte Zusammenstellung ent
gegengesetzter Begriffe zum Zwecke der Erschöpfung des Ge
dankens anführt: ,oI ! t sTzairrjv ol ! zs pwprjGd-ca ifj, wo an einen
Tadel ebensowenig gedacht ist, sondern der Begriff pvrjprjv
7toiEiadcu erschöpft werden soff. Ich füge noch zwei Stellen
hinzu, Hom. K 249 prjz’ üo pe pal’ eures prpee tl vel'/.el und Se-
monid. Frgm. 7, 112f., wo dieselben zwei Verba, wenn auch
nicht zum angegebenen Zwecke, zusammengestellt sind: zrpr
TjV d e'/.aaiog aiveaet pepvtjpevog yvvaZy.a, zrpv 6s zovzioov poi-
prjoevai.. Hier muss jedermann zugeben, dass die Erklärung
Blass’ (Rhein. Mus. XL, S. 8f.) im höchsten Grade verwickelt
ist und zu jenen gehört, die einer zweiten Erklärung bedürfen.
Und dabei muss der Gelehrte dem Scholion zu V. 43 wider
sprechen , das uns als die yoqayog die Ilagesichora namhaft
macht, nicht die Agido: wie er dann damit die unvermittelte
Nennung der Hagesichora V. 53 in Einklang bringt, ist mir
völlig unerfindlich.
An obä’ &pwg ,ne tantillum quidem‘ V. 45 nimmt Bergk,
der ovds Iwa' schreibt, Anstoss: ,languidum foret versus com-
plementum neque eo antiquiores poetae utuntur. 1 Es dürfte
genügen, auf das homerische ovd' ’fjßaiov, z. B. B 380, N 106,
702, hinzuweisen, welches in solcher Anwendung dazu dient,
die Negation zu verstärken. — Nachdem jrayöv äsdi.ocpöoor als
Reminiscenz an Hom. 1 124 'hircovg | Ttrp/ovg äe&lorpdooig er
kannt ist, diene zum Verständniss des Epithetons y.avaydrroäa
Xenoph. n. inn. 1, 3 nodag (nämlich zwv ’ltztzwv) d’ är zig
do/.iuä'Coi ttowzov per zotig ovvyag o/.otiöiv ■ oi yuq nayeig nolv
zcöv Isnzcör duapsoovGiv sig eetcoöLuv ' ejteiza ovds zovzo öeZ
/.uvOavEiv, jtozsQor ai öizlai eiolv izprß.ai y.ai euTTpoo-dsv y.ai
oruo&ev 7j yaurß.ai • ai per yäo vipijkal zmoqoj änö zov daizedov
eyovoi rijv yekidova wxXovpenjv, ai de zazcEivai opoiwg ßaivovai
zp ze iayvowzäui) v.ai zw paXaxcozdzq) zov noddg, ügrreo oi
ßXaiaol zwv avß'Qwnwv • y.ai zw rfföcpw de cpnjOi 2ipcuv brjXovg
14
I. Allhandlung: Jurenka.
sivai roig ellrtodag, xaXcHg Xeywr ■ wo/teo yctQ xvfiß ccXov
ipotpeT fCQÖg xü> dartedco t) %oiXrj dnXrj.
Im Vorbeigehen bemerke ich, dass in 6 fisv xeXrjg 'Eve-
xv/.og der Artikel demonstrativ und xeXrjg ’Ev. prädicativ zu
verstehen (jenes [Ross] ist ein enetischer Renner') und ’Eve-
xixog als ein rühmendes Beiwort beim Vortrag hervorzuheben
ist: Frgm. adesp. bei Bergk PLGr. 4 p. 701 nr. 43 B "Evexidag
nwXug oxecpavrfcpoQwg (wahrscheinlich dem Alkman gehörig),
Eurip. Hippol. 231 ff. "Aoxefii, ei-dx yevoifiav ev aoig danedoig,
xcwXovg ’Evexag dafLaXiQoueva, ferner daselbst 1131 oixexi av-
'Qvy'iuv m'oXuv ’Evexäv emßüaei, vgl. noch Strabo V 212, Hesych.
s. v. ^Evexidag TtwXovg und Schol. zu Eurip. Hippol. 230. ■—
Das logische Verhältniss der durch fitv und de aneinander
gereihten Theile ist klar: & de yalxa ,und so auch . . .' Um
den Vergleich eines Mädchens mit einem Rosse, über dessen
Sinn noch später gehandelt wird, und ferner um diese Bevor
zugung der yogayög vollinhaltlich zu verstehen, vgl. noch die
von Ahrens angezogene Stelle Aristoph. Lysistr. 1307 ff. Hn&Qxav
vf.ivlujA.eg, xä ffiwv yoool fisXovxL xal nodüv xxvnog. axe tt, Cd X o i
xcd xöqcu TtctQ xöv Evqüxav äfimxXXovxt xcvxva nodovv äyxoviüca,
xal de xoficu oetovx 5 aneg Baxyäv d-vgaaddcoäv xcä rcaduäv '
äyrjxai d 5 ä jLvjdu.g nalg äyvä yoqayög eiitQeTtrjg.
V. 52 xäg Efiag aveipiag tritt mit Ifiag die individuelle Per
son des Dichters, die zuerst V. 39 eycov d’ äeiöco, dann V. 43 efie
aus dem Chore sich abgelöst hatte, dann V. 41 mit auiv wieder
in ihm aufgegangen war, ganz selbständig hervor. Dies ver
anlasst mich, über die Verwendung der Pronomina bei einem
Chorlyriker einiges anzumerken. Das also muss ausser Zweifel
bleiben, dass das Pronomen der ersten Person den Dichter
bezeichnet. Es gilt dies auch für Pindar, bei welchem das
Festhalten an diesem Erklärungsprincip Uber manche wichtige
strittige Stelle (z. B. Pyth. V 75 Alye'idai, ifiol xcaxeqeg) hinweg
hilft; auch dies zu betonen wird Croiset a. a. 0. nicht müde.
Daran ändert es nichts, wenn im weiteren Verlaufe unseres
Gedichtes der Chor zu dramatischer Bedeutung kommt und
nun wirklich sprechende Person wird (V. 60 äfuv cpegoiacag,
73 evd-oiaa, 81 afß (— rjuexega), 85 avxä naoosvog, 89 äfuv).
Hierin stellt unser Gedicht ein kleines Bild der genetischen Ent
wicklung der Chorpoesie dar. Zunächst setzt nämlich jedes Lied
Der ägyptische Papyrus des Alkman.
15
als Schöpfung eines individuellen Dichters monodischen Vortrag
voraus. Nimmt eine lauschende Schar an dessen Inhalte innigen
Antheil, so drückt sie dies durch Zurufe (die Ephymnien) aus.
Das letzte Stadium der Entwicklung ist dies, dass das Wort
des Dichters der ganze Chor vorträgt. So kommt es, dass
sowohl der Dichter als auch der Chor seine eigenen Gedanken
und Gefühle aussprechen kann, beide nebeneinander, aber auch
mit gegenseitiger Durchdringung so, dass der Dichter im Chore
aufgeht, der Chor hinter dem Dichter bescheiden zurücktritt.
Hagesichora ist also das ,Büschen' des Dichters (v. Wila-
mowitz-Moellendorff a. a. 0. I 72f.). Daraus darf man aber
nicht mit diesem Gelehrten mit Rücksicht auf die angebliche
niedrige Herkunft des Dichters den Schluss ziehen, dass unsere
Mädchen nicht zur ritterbürtigen Gesellschaft gehörten. Schon
die Befähigung, das chorisch-melische Werk eines Dichters
vorzutragen, spricht für feinere Ausbildung, die wieder von
edler Geburt zeugt. Aber geradezu entscheidenden Wert haben
die Worte Theocrits Id. XVIII 1 ff. sv nov? aoa Enäoiu
igavdchor/i nao MsveXäio | naoitevi'/.ui d-txXXovva VMficag vcixiv-
&ov syotaai | noonfls vsoygamw 9aXäf.ia> yooöv sardaavro, \
dwdsv.a, tai nqarai nöXiog, (.i&ya yqvjfia Aanaiväv. Auch
so vornehme Namen wie KXerjaiffrjQa, Aivrjfftqßoora, zlauaoha
sprechen für ein edles Geschlecht. Das muss uns veranlassen,
auch dem Dichter eine seinem Namen (AXxf.iav heisst z. B.
bei Pind. Pyth. VIII 46 der Sohn des Königs Ampliiaraos)
gemässe Abstammung, die ihn würdig erscheinen liess, in die
vornehmsten Kreise Spartas Zutritt zu erlangen, zu vindicieren.
Ich trage nicht das geringste Bedenken, hier K. Sittl (Gesell,
der griech. Literatur I 296) beizupflichten, der sagt, dass Alk
man ein freier Mann gewesen sein muss, und dass er, wenn
er aus der Fremde kam, gleich Terpandcr und anderen einen
ofliciellen Ruf erhalten hatte. Man darf hier so selbstbewusste
Worte wie Frgin. 24 ovv. eig avrjq äyqoiv.og ovde \ analog oöds
naq’ uaöcpoiiv (Eltern) | oids QsaaaXög yevog \ ovd 1 'Eomiyalog
ovös noiiu'jv, | aXXa Eaodlotv an dv.uüv nicht unterschätzen.
Und verkehrte er so in den besten Familien der Stadt, so
war es sicher ein Leichtes, zwischen dem eigenen Geschlecht
und einem spartanischen verwandtschaftliche Beziehungen aus
findig zu machen, die er hier durch das vertrauliche üveipiäg
16
I. Abhandlung: Jurenka.
kennzeichnet. Man wird übrigens gut thun, den Sinn dieses
Wortes nicht zu pressen: es kann ganz gut auch losere Bande
andcuten. Nicht unmöglich ist übrigens, dass in dieser Be
zeichnung ein feiner Scherz enthalten ist, den sich aber natür
lich nur ein Ebenbürtiger erlauben durfte. — Was übrigens
den Namen ‘Ayrjoiyöqa anlangt, so mag sein Zusammenpassen
mit yoqayög ein Spiel des Zufalls sein — s. G-ildersleeve in
der Einleitung zu seinem Pindar (London 1893), S. VII —,
man könnte aber auch annehmen, dass es ein erworbener
Ehrenname ist, dessen sich im ,musikliebenden' Sparta kein
Mädchen zu schämen brauchte.
Für die nächsten Worte liegt noch keine befriedigende
Erklärung vor. Bergk schreibt:
55 %6 'V äoyvoiov nqöawTTOv
diarpädav — zl zoi leyio; —
’AyyGiyöqa, pev aVzcc. —
und erklärt: ,laudare cum vult virginis fadem, fingit se ne-
scire, qua comparatione commode uti possit, itaque orationem
non continuat, reticentia usus‘ und weiter ,fingit Agesichoram
se avertere vel recedere, ne cor am laudes suas exaudiat 1 , eine
Auslegung, die an Gesuchtheit nichts zu wünschen übrig lässt.
Ich halte jetzt an Blass’ Schreibung fest, aber mit folgender
Interpunction:
55 zö z' äoyvoiov jioöoojirov — -
diacpäöav zl zoi Xsya>;
l Ayrj<yiyöqa pev ccvzu.
und gehe auch in der Erklärung eigene Wege. Eine genauere
Prüfung des Wortes äqyvqiov führte mich nämlich zu folgender
neuen Deutung. Ich ergänze zu zö z’ äqyvqiov nqöawnov nicht
mit Blass aus dem Vorhergehenden ÖQjjg, sondern setze nach
nqöowTtov statt des Punktes Pausen und glaube, dass die
Worte einen unterbrochenen Satz darstellen. Was der Dichter
sagen wollte, lehrt zunächst die Stelle Sophokl. Frgm. 713 D.
'rtQÖöwrta v.alXvvovaa xat nIrjgovpevr] vom Monde, wozu sich
noch Pind. Ol. III 20 oXov yovoaouazog lampag ocpdalt-idv
ävzecpXege Mrjva anführen lässt. Von Sapph. Frgm. 3 derzeosg
psv äpcpl y.aXav oehxvvav \ cchf &7iovpv7izoiai cpäevvov slöog, |
ojtnoza nhifXowa ixä’Uoza Läiuig j yuv . . . \ üoyvoia hat
Der ägyptische Papyrus des Alkman.
17
L. Sternbach (Melet. Graeca p. 135) aus Julian or. III, p. 140, 17
nachgewiesen, dass hier ein schönes Mädchen mit dem Monde,
ihre Gespielinnen mit Sternen verglichen werden. Zu den von
Sternbach a. a. 0. zusammengestellten Belegen für diesen Ver
gleich füge ich noch hinzu: Hesiod. frgm. 154, 4 Rzach &>>ooj
•v sisiösa ?//J;h]v cpassaai asXrjvrjg, Theokr. XVIII 27 rtörvia
wmi aeXctva ... dt öe y.al ä yovasa ElAva diacpaivev’ ev auiv.
Ueberzcugt man sich ferner aus 0. Lünning’s ,Die Natur
in der altgermanischen und mittelhochdeutschen Epik 4 Zürich
1888 und St. Prato ,Sonne, Mond und Sterne als Schön
heitssymbole in Volksmärchen und -Liedern 4 in ,Zeitschr. für
Volkskunde 4 , V. Jahrgang 1895, Heft 4, S. 363 ff., wie geläufig
dieser Vergleich der volksthümlichen Dichtung ist, so wird
man zugeben, dass die blosse Bezeichnung des Antlitzes als
eines silbernen in den Zuhörern sofort jene Vorstellung auf
tauchen liess. Der Dichter brauchte also den Gedanken
nicht mit klaren Worten (diacpüdav) auszuführen, sondern
durfte, durch jenes Abbrechen der Rede und durch die Frage
ÖLacpadav %L xoi leyat; ,was braucht’s da deutlicher Rede? 4
die Diction zugleich lebendiger gestaltend, die Ergänzung der
Worte xo % äqyvQiov TtqoautTtov getrost dem Publicum über
lassen. Dennoch sei mir die Bemerkung gestattet, dass die
überlieferten Spuren des Papyrus eine Conjectur überaus nahe
legen. Jenes MEN gemahnt doch deutlich an Mfjva (das E
wäre ein Rest aus der ,antiqua scriptura 1 wie V. 43 cpaLvEv
und 44 iuof.iEod-cu), und es hätte die Lesart ‘Ay. prjva aixa
in metrischer Beziehung nicht viel Bedenkliches. Denn der
dispondeische Ausgang des Pherekrateus _ L o)
lässt sich auch sonst belegen: s. Westphal-Rossbach a. a. 0.
III 3 , S. 538 f.; H. Gleditsch in Müller’s Handbuch II 2 , S. 754
(§. 89). War aber einmal das E als rj verstanden, so verlor
das schliessende a von nrjva jede Berechtigung und wurde
fortgelassen. Vielleicht liess es der Dichter selbst weg: bei
Pindar 01. III 21 findet sich iM/m mit Perispasis thatsächlich
in einigen Handschriften, darunter einer sehr guten (C), und
es entspricht dies auch der von den Grammatikern bezeugten
Verkürzung der Endsilben im Dorischen: Cherobosc. in Bckk.
Anecd. III, p. 1182, s. Ahrens, Dial. Dor. p. 27—35; Spiess a. a. 0.
S. 355; Schubert a. a. 0. S. 538 (auch Note)ff.; der richtige
Sitzuugsber. d. pliil.-liist. CI. CXXXV. Bd. 1. Abli. 2
18
I. Abhandlung: Jurenka.
Accent wäre aber vielleicht trotzdem utjva wie hier V. svdoluu
(= sXd-ovaa) und Frgm. 68 AYäg (Schubert S. 539 oben).
Der Dichter sagt von Hagesichora weiter:
& öe dsvTsga neS' Ayidcov rö siöog
’inrcog slßrjvco Kohx^ccTog dgauslzat.
Dass hier ad«... nicht ein anderes Mädchen einführen muss,
sondern vielmehr ,fortleitet', macht Blass mit Recht gegen Bergk
geltend (s. auch zu V. 101). Man fasse nur den Artikel demon
strativ und dsvuega prädicativ, ganz so wie V. 50 ö fdv -/Ahß
^Evszr/.ög, und ebenso dann Znnog Kola^alog prädicativ als
devTsoa und etßrjvw als Ayiöcov entsprechend: ,sie aber wird,
nach Agido an Schönheit die zweite (vgl. Herod. I 31 iTtsigwza,
ziva ösvtsqov atz' ey.stvov ’idoi), wie (die Vergleichungs
partikel weggelassen, s. Sitzler a. a. 0. S. 57) ein kol. Ross
mit einem Fuchshunde um die Wette laufen'. So erscheint
dann der schwierige V. 59 als von Bergk endgiltig richtig
erklärt: es ist auch nicht nöthig, den Dativ eißrjvci) des Pa
pyrus zu verleugnen. Da nämlich dga^isizai vollständig einem
specialisierten jiayshai gleichkommt, wie vier Verse später
f.KxXOvT<xL zeigt, so ist der Dativ slßrjvu) jener, der bei Verben
des ,Wetteiferns' so häufig vorkommt, und zwar gerade solchen,
welche die einzelnen Arten der Wettkämpfe andeuten: Hom.
■9- 188 Qair)Y.eg id Lg/.so v uXh'jloiaiv, Theocr. VIII 6 Xfjg ixoi
äsZoav (vgl. I 136 v.rfe oqscov zei GyZönsg ärjdoai yagvacuvzo),
Xenoph. oec. 17, 2 nollaZg tr^iimg naXa iGavisq (gegen . . .
ankämpfend) ol tzqiv vtxXevod-Tjvai vztö zov d-eov GTtsioavzsg, s.
Kühner, Gr. Gr. II 1, 356, A. 11.
Die grösste Mühe haben den Erklärern die Verse 60 ff.
bereitet, welche Blass so schreibt:
60 red nelsiädsg yaQ äuiv
dod-oicu cpccgog (fsgolaaiq
vvy.za Si äußooalav uze orjQiov
Ugzqov uvsigo^isvat uä/orzai.
Der Grund hiefür Hegt einfach darin, dass die Worte rat
(demonstr.) Hsleidösq (prädic.) u(uv . . . las Gt)giov ugzoov \id-
yonai eine unmögliche Zusammenstellung enthalten. Denn die
Gleichheit der Casus von IleXeiädeg und gtjqiov ugzoov hat zur
Der ägyptische Papyrus des Alkman.
19
nothwendigen Folge, dass die TTeXeiadeg als gtjqlov bcaxgov be
zeichnet würden. Da ich aus Verg. Georg. IV 231 sq. Taygete
simul os terris ostendit honestum | Pleas et Oceani spretos
pede reppulit amnes | aut eadetn sidus fugiens ubi piscis
aquosi | tristior hibernas caelo descendit in undas schliessen
zu sollen glaubte, dass die Plejaden bei ihrem Untergange im
Herbste ein matteres Licht haben als bei ihrem Aufgange im
Frühlinge, so wandte ich mich um Aufklärung an den Director
der Wiener Sternwarte Professor Dr. Edmund Weiss. Das
Erste nun, was mir der ausgezeichnete Gelehrte sagte, als ich
ihm unsere Stelle vorlegte, war, er wundere sich, wie die
Plejaden als ein agoiov daxgov bezeichnet werden könnten. Denn
die Plejaden, so fuhr er fort, fallen zwar jedem Auge sofort
auf — nur deshalb nennt sie Athen. XI, p. 490 c xd ivöogöxaxov
xwv änXavwj’ doxgtov —, aber nur dadurch, dass sie eine ge
drängte Gruppe bilden. Ihre Sterne seien — im Gegensätze
zu denen der Hyaden — durchwegs untergeordneter Grösse,
ihr Licht müsse ein mattes genannt werden. Alle Auskunfts
mittel, eine verschiedene Lichtkraft der Plejaden im Frühling
und Herbste zu erklären, seien abzuweisen. Damit stimmen
nun die Beschreibungen, die die Alten von den Plejaden geben,
vollkommen überein: Aratos Phainom. 255 6 d’ ov uiilcx no'Ll.bg
änaoag \ yügog eyei, v.al d’ avzal enicv.EXpaad-ai, äcpavgai,
263 al per opcög ö't.'r/ai v.al äpeyyeeg, Nikander im Schol. zu
Arat. p. 74 ed. Bekk. cdAP irrö Tavgov ölv.airjv ipaigovcrai
dlitwvsg cpogeovxai. Jenes tristior in der Vergilstelle ist daher
mit den Erklärern wirklich nur von der Jahreszeit zu verstehen,
ebenso Posidipp. bei Athen. XI, p. 49 l c ob de toi &HQÖwyoL
ipvygai dbvovm rW.eiai. Aber selbst wenn wir eine solche
Verschiedenheit — die dann nur durch die Einbildungskraft
erklärt werden könnte -— zugeben wollten, eine solche Er
klärung der Stelle würde unmöglich gemacht durch die Worte
bgdgica und cpcxoog (Pflug, d. i. die Zeit des Pflügens) cpegoiaaig.
’Ogd-giai kann nicht, wie man wollte, die Frühlingsplejaden
bezeichnen, weil oodgiog nicht ,des Frühlings', sondern ,des
Morgens' bedeutet. Da nun aber für die Festsetzung der Jahres
arbeiten (Säen und Pflügen) nur der Früh-Auf- und der Früh-
Untergang der Plejaden bestimmend war (s. Schol. zu Arat.
p. 75, 16 spät . . . ägyousrov deoovg ävaxsllovair, eijfrcu de dv-
2*
20
I. Abhandlung: Jurenka.
vovotv uqyoixe.vov yeiuätvog, ferner ewav yuo ävazohfjv uvazehhovaat
GmialvovOL d-egovg äqxfjv, ewav de ävaiv dvvovaai uvzihrgptv zwv
v.uzu 671‘ooov egyaiv), so wäre mit ogOoica ihr Aufgang im Früh
ling sehr schlecht bezeichnet: clas könnte nur dann geschehen,
wenn für den Herbst ihr Untergang am Abend bezeichnend
gewesen wäre. Dass dies aber nicht der Fall war, sagt wieder
unser Scholiast ausdrücklich: rrjg de earteolug dvaewg oix. e-
iAvrpd)] diu to avfzßatveiv avzijv negl zqv euqtvryv larniegiav xal
ftydev e^aigezov nageyeiv oygelov. Gegen diese Erwägung
hilft nichts die Bemerkung von Ahrens, dass der Früh-Aufgang
mit avetgogsvai V. 63 bezeichnet werde: denn die grammatische
Construction und die Wortstellung gebietet avetgoijävai auf Tat,
nicht auf og&giai zu beziehen; es müsste sonst heissen Tat
liehet adeg yäo aijtv ägdglai aveioogevui — (fägog (fegolaatg . . .
(.luyovzai.
Alle diese Schwierigkeiten aber lassen sich wie mit einem
Schlage beseitigen, wenn wir ein einziges Strichelchen zu lie
he tad eg hinzusetzen und schreiben lleheiadeai, eine Form,
die in epischer ,Zerdehnung £ vorliegt bei Oppian cyn. I 351
llehjiadeaGi. Dann geben, um zunächst den zweiten Vers fort
zulassen, die Worte Tat TlehetadeGi yäo uij.lv uze gi)qiov äazoov
. . . jjäyovzat einen ganz klaren Sinn: ,jene wetteifern mit uns,
wie mit den (matten) Plejaden ein hellleuchtendes Sternbild“.
Ich merke gleich hier an, dass itazgov zunächst ,Sternbild“
bezeichnet: Schob zu Pind. Ol. 16, p. 56 ed. Abel: ätacpegei
uazijo xai Uazgov. äazijo yäg govoeidrjg, dazoov de zö ex noh-
hwv ußzeootv avy/.eiuevov und s. Ach. Tatius in Arat. Isagog.
p. 88 ed. Flor., was für unsere Stelle deshalb wichtig ist,
weil mit Zcgtqov die zwei bisher besungenen Jungfrauen Agido
und Ilagesichora gemeint sind. Jenes aietoouevai ,surgentes,
sich emporhebend“ will aber nichts Anderes bezeichnen als ihr
Vorragen in dem Chore sowohl durch Schönheit und Ge
wand, als insbesondere durch hohen Wuchs, das ja der ganze
Vergleich veranschaulichen soll. Denn hier handelt es sich
nur um auffallende Erscheinung. Es will ein blosser Zufall,
dass wir für diesen Sinn des Verbums ,sich emporheben“ die
Stelle eines deutschen Dichters anführen können, die gerade
von den Plejaden handelt: Tiedge ,Urania“, 2. Gesang: ,Es
heben sich der lieblichen Plejaden | bekränzte Häupter schön
Der ägyptische Papyrus des Alkman.
21
empor', was nur heissen kann ,sie heben sich (vom übrigen
Sternenhimmel) ab'. Diese Bedeutung des Verbums aveigopm
aus alten Dichtern zu belegen, werden Stellen dienen wie
Ilom. l F 501 uvttol | vxfiöa äeigeodyv, wobei man unwillkürlich
an V. 46 ff. evjKosmjq rüg, coaneg ca rüg iv ßorotg azäasLsv
’iTtnov . . . erinnert wird. ,Nam laudatur equus non solum
cum pernix celerque est (Verg. Georg. III 195), sed etiam cum
simul praeditus est membris teretibus (nayov), cervice ardua
(Verg. Georg. III 79, Hör. Sat. I 2, 89) et arrecta, specie
tota ac forma generosa, decora, conspicua. l)e eguis Tlies-
salis verba sunt oraculi apud schol. id. XIV 48 ycärjg [ieV n&orjg
tö Jlt'kaoyiv.dv ’Agyog dpeivov, 'iitrtoi Qgrjuyuau, Acmedaipönau
de yvvcctxeg, dvdgeg ou nivovauv üöwg xaXrjg Agedovogg . . .
Cf. etiam Lucian. Amor. 45, Nonn. XXIX 16, Flut. Pyrrh. 17.
Arrian. Anab. III 11, 10.' Fritzsche zu Theokr. id. XVIII 30.
Den zweiten Vers unserer Stelle gibt der Papyrus so:
OPGPIAI <1>AP0Z OEPOIZAIZ,
und daran ist trotz des Scholions ooduai epagog nichts zu ändern,
wenn wir schreiben:
’Ogdgia epdegog epegoiaaug.
Die ‘OgDola ist eine ,Göttin des Morgens' und gewiss keine
andere als die A einig V. 87, welche als eine solche erkannt
hat Schubert a. a. O. S. 523 f.: denn der Name ist mit äug
(bei Pind. z. B. Ol. II 91), aurora zusammenzustellen. Diese
Göttin des Morgens ist aber keine andere als die bei den
Spartanern so vielfach und besonders durch Jungfrauenchöre
gefeierte (schon Hom. JT 183, dann hymn. XXVII 18 und
s. H. Flach, Gesch. der griecli. Lyrik I, S. 306 über Alkm.
frgm. 101 A Agrepurog d-Egdnovza) Artemis. Diese heisst bei
Eurip. Iphig. Taur. 21 geradezu cpcoocpogog Oeä, ebenso er
wähnt Paus. IV 31, 10 eine Agrepug Ouxrcpögog im Tempel des
Asklepios zu Messene; zu Phlyai in Attika verehrte man sie
als ZeXaocpögog (Paus. I 31, 4). Ihr bringen nun die Jung
frauen für Rettung aus der Noth (V. 88 novutv yäg äpiv la-
Twg eyevTo) ein cpägog dar (epegoioeug wie Alkm. 16, 1 %al rlv
eliyopau cpegoloa tövcV Ekuygvcuß itvlem’a . . . und Hom. Z 293)
nach dem Scholion (Sosibios oder Sosigenes?, s. Schubert S. 520
22
I. Abhandlung: Jurenka.
Note 1 ) einen ,Pflug*. Wenn es nun V. 90 f. heisst vsävidsg si-
qrjvtts egartig snsßav, so sind mit jenen tt.ovol wohl die Mühen
eines Krieges gemeint. Für Befreiung aus Kriegsnöthen zu
danken steht Jungfrauen, denen von den Feinden stets grosse
Gefahr droht, sehr wohl an; so heisst es hei Pincl. Pyth. II 18f.
mit Bezug auf den Schutz, den König Hieron den Lokrern gegen
Anaxilas von Rhegion gewährte: ob d\ ti> Asivojjsvsis 7taZ,
Zecpvgia ttqö öou(»v | yLonglg nagd-evog utcvel , noXsjiluv
-/ap.äzwv et; Ccjiayccvwv \ dia teäv dvvajj.iv ägaxeZo' aocpa-
leg, man denke auch an die Bitten des Jungfrauenchors in
Aeschylos’ Sieben. Sie danken übrigens derselben Artemis,
der die Spartaner im Felde eine Ziege zu opfern pflegten, Xen.
Hell. IV 2, 20 acpayiaaajjsvoL oi ylav.eöaitMvioi zfj 'Aygorega,
äorceg voultsTcu, zijv yij.iaioav: dass es gerade die Aygorega
ist, erklärt sich daraus, dass Artemis Göttin der Fluren ist
und somit auch Schützerin der Saaten, was wieder mit ihrem
Namen als ’Og&gia innig zusammenhängt, weil am Morgen
der Thau fällt, der die Fruchtbarkeit befördert: Alkm. frgm. 48
o\a (jedenfalls sind damit Vegetabilien gemeint) Aiog d-vyävrjg
egocc Tgecpei xai Seltivag. Da nun die Saaten in Kriegszeiten
vom Feinde gefährdet sind, ,so rief man die Hilfe der Aygo-
rsga im Kriege an, wie es vor der Schlacht bei Marathon
geschah. Das damals vom Polemarchen gelobte Ziegenopfer
wurde seitdem regelmässig dargebracht und war mit einem
kriegerischen Festzug verbunden, in welchem die ägiozeZa von
Jünglingen getragen wurden' Mommsen, Heortol. S. 212ff. bei
Roscher, Mythol. Lex. I, S. 564 ff. Das Alles passt nun für
unsere Stelle vortrefflich. Mit V. 90 Ayrjoc/ogag de veävideg
elgrjvag igartig erteßav wäre angedeutet, dass ein Chor von
Jungfrauen, an deren Spitze unsere Hagesichora stand, in einem
Kriege den Schutz der Göttin für die Saaten anflehte und ihr
als üyaljia einen Pflug gelobte. Dieser wird ihr jetzt, nach
dem die Göttin den Mädchenchor erhört, dargebracht, und
zwar so, dass die Jungfrauen vollständig jenen Jünglingen
des athenischen Artemisfestes entsprechen. Nach einem Kriege
schliesslich, auf den dies passen würde, müssen wir nicht lange
suchen. Alkman blühte in der zweiten Hälfte des 7. Jahr-
1 Vgl. L. A. Mickelangeli, Melica gr. I, p. 18.
Der ägyptische Papyrus des Alkman.
23
hunderts. Zu Beginn des zweiten messenischen Krieges um 645
war Sparta von den aufständischen Messeniern, die sich im
Hochlande um Aristomenes geschart hatten, schwer bedroht; die
Messenier waren seinen Heeren entgegengetreten und wussten
das Feld zu behaupten. Den Spartanern sank der Muth völlig.
Dazu kam jener Unfriede im Innern, der schon vor Beginn
des Krieges Sparta veranlasst hatte, Terpander aus Lesbos zu
berufen, um durch die Macht der Töne die Harmonie im
Staatswesen wiederherzustellen. Nicht viel später kam auch
Thaletas aus Gortyn nach Sparta, der Begründer der zweiten
musikalischen Katastasis in Sparta, dessen Gymnopaidien als
Vorläufer der alkmanischen Partheneia anzusehen sind. Als
Dritter, der die Kräfte Spartas gegen Messene mehren sollte,
war Tyrtaios von Aphidna erstanden; er geleitete seit 640
die Spartaner zum Siege. Zwar war es so den Spartanern
gelungen, die Messenier ,am grossen Graben' zu besiegen, trotz
dem ,gelang es in der Folgezeit durch eine Reihe von
Jahren dem Aristomenes, von der gebirgigen arkadi
schen Grenze aus in kühnen Streifzügen bis in das
Herz von Lakonien einzudringen und selbst aus dem
sicher gelegenen Pharis (Paus. IV 16, 8), einem locus
condendis fructibus, mit Beute beladen zurückzu
kehren. Während er selbst kein Heer mehr aufzu
bieten vermochte, zitterten doch vor ihm die Lace-
daimonier am Eurotas und sahen mit tiefem Unmuthe
Jahr aus Jahr ein ihre Aecker von seinen Streif
scharen verwüstet' Curtius, Gr. Gesell. I, S. 203 und
die Quellen bei Busolt I, 156 ff. In diese Zeit schwerer Noth,
vielleicht dem Anlasse auch unseren Dichter nach Sparta zu
berufen (s. oben S. 15), mag also die Aufführung jenes Par-
theneions gefallen sein, in welchem die Jungfrauen der Artemis
den Pflug gelobten, den sie ihr jetzt, am Schlüsse des Krieges,
darbringen.
Nach diesen Betrachtungen ist nun unsere Stelle mit der
Schreibung:
60 Tal Ilslsiädsai yäo §[Mv
’OoOpia cpcxQog (psooloaig
vvxza öl äfxßooaiav Ute arjgtov
Uotqov avsioofuivai udyovrui.
24
I. Abhandluug: Jure nie a.
keinerlei Zweifel mehr unterworfen, und ich brauche für die
metrische Form des ersten Verses nur noch auf Alkm. frgm.
24, 2 oxccloq obde nag äaocpoüv hinzu
weisen. Was aber den Papyrus anlangt, so glaubte ich in
dem Facsimile (Hermes XIII) thatsächlich einen senkrechten
Strich nach IleXeiadeg zu erkennen. Aber Croisct schreibt mir
über diese Stelle: ,Blass a bien lu. Ce qui peut, sur la
reproduction photographique, laisser supposer la pre-
sence d’un I apres IleXeiadeg, c’est une coupure du pa-
pyrus, mais je ne vois aucune trace de lettre. 1 Ent
weder hat also jener Riss das I verschlungen, oder es liegt
eine Verderbniss vor.
Zur Begründung des Gedankens vom Wettstreit der Mäd
chen dienen V. 64ff.:
azg. x -j- 5
obre yäg zi noqcpvgag
65 zoaaog y.dgog war äpiivai,
obre TtoiKikog dgäy.oiv
nayygvaiog, ovde plzga
ylvdia, veavidatv
iavoyXecpdgwv dyaXpa,
70 ob de Tal Narvwg v.ouca,
äXX' oid’ Ägina aieidrjg,
obde 2vXayJg ze mal KXeqaiayga,
obd 1 eg WIvqaipßgozag evd-oioa (paasig •
jAozacplg ze poi yevoizo,
75 y.al noziyXenoi OiXvXXa,
Aauagiza z egazu ze Bavileplg 1 . . .
Wie oben V. 59 bei elßrjvcp dgaiielzai müssen wir auch hier
bei der Erklärung von dpvvai von jenem /.uiyovzai V. 63, das
ja derselben Gedankensphäre angehört, ausgehen. Es ist ab
solut gebraucht und kann daher nichts Anderes bedeuten als
,sich wehren*, wie Hom. N 814 bkpag de ze yeigsg äpvveiv elal
y.ai fyuv, daselbst 312 vrpval per ev peaayaiv äpvveiv elal y.al
liXXoi, I 575 zdv de Xlaaovzo yegovzeg | egeXOeiv y.al dpvvai
vnoayöusvoi peya düqov; vgl. auch das absolute enalijaolha
in ganz ähnlichem Sinne Soph. Ai. 166. Das gibt nun für
unsere Stelle einen vollkommen brauchbaren Sinn: jene kämpfen
Der ägyptische Papyrus des Alkman.
25
mit uns einen ungleichen Kampf: denn nicht besitzen wir
solche Fülle an Purpur, um uns gegen die Siegreichen zu
wehren, es mit ihnen aufzunehmen.' Uebrigens scheint mir
das Scliolion zu Hom. E 206 (= Eustath. 346, 29), das
unsere Stelle citiert, cprjal ycto 6 yoauuazLxdg ’AQLOzocpavrjg zo
apvvsad-ai . . . zLd-so&ca xat ävzi zov (xpieLipaff&ai' cpsoti yäg yoTj-
<uv ex zs Alxpiävog zo • ob ydo noqtpvoag zöaoog xöqog ibaz’
äf.Lvvao&<xL (sic!) weder Bergk (ä/xsiipaad-ai, ,wechseln', nämlich
ein Kleid) noch Blass (,lohnen, vergelten') richtig verstanden
zu haben. Der Sclioliast führt unsere Stelle offenbar als Beleg
an für die Bedeutung &pivvaoS-cu ,überholen' ,praeverti‘. Damit
soll äpsißsod-ai identisch sein, und das ist es z. B. Pind. Pytli.
VI 74 yXvxela de rpotjv . . . uehaaäv äuslßszcu zQtjzdv növov
(wozu das Schob: wäre zä xrjQia naqaXXccaosiv xcd naqano-
QevsaüaL, ävzl zov vlx&v zo fieXl). Thatsächlich könnte man
an unserer Stelle apivvcu auch in dem Sinne von äpieißeo&ca
fassen, da ja ,abwehren' hier dem Sinne nach sehr nahe kommt
der Bedeutung ,einholen'.
Die im Folgenden ausser dem Purpurgewand angeführten
Schmuck- und Putzgegenstände, der ,bunte Di’ache ganz aus
Gold' (Armband), das ,lydische Stirnband' (auf ein solches spielt
auch Pindar Nein. VIII 15 an cpsoiov Avdlav ulzoav nsrcoixik-
fisvav), gehören natürlich Agido und Hagesichora an. V. 70
obds zai Navvcbg xöftai sagt nun, dass auch die schönen Haare
der Nanno, einer der Jungfrauen des Chores, mitverstanden in
dem äpuv V. 60, gegen jene Pracht nicht aufzukommen ver
mögen, so dass der Wortlaut so zu vervollständigen ist: obds
zal Navvwg xdfiai, zoiavzaL sioiv üoz' äfivvat. Auf diese
Weise ist ein logischer Zusammenhang mit dem Vorhergehenden
hergestellt, zugleich aber die allgemeine Annahme zurückge
wiesen, dass im Folgenden Jungfrauen hergezählt werden, die
dom Chore nicht angehören. Ich wüsste wahrlich nicht, wo sie
denn dann unterzubringen wären. Wenn dagegen unsere Auf
fassung gebilligt wird, wonach die der Leitung der Agido und
Hagesichora unterstehenden Mädchen sagen, dass sie mit jenen,
weder was den Schmuck (V. 64—69) noch was körperliche
Vorzüge (V. 70—76) betrifft, Wettstreiten können, so lässt sich
auch V. 71 ff. leicht verstehen: es ist bei der Herzählung der
einzelnen Namen immer wieder der Gedanke zu supplieren
26
I. Abhandlung: J u r e n k a.
. . . iazi zoiama tior äfivvcu, so zwar, dass jenes töaaog . . .
olcrx’ <ij.ivvaL V. 65 die ganze Stelle grammatisch beherrscht.
Aber wie wir bei der Aufzählung der gefallenen Iiippokoon-
tiden die Wahrnehmung machten, dass der Dichter geschickt
die Eintönigkeit vermied, so hat er auch hier V. 73 durch
einen Kunstgriff seinen Zweck erreicht. Man muss sich nämlich
die Sache so vorstellen, dass der Dichter die Mädchen Revue
passieren lässt, worauf besonders der Ausdruck eg — evdoiaa
V. 73 deutlich hinweist. So kommt er zu den zwei Jung
frauen, die beide Xlvrfiiixßqcna heissen (also yiivrpnußqozag
plur., nicht genet. sing. [Blass]). Hier macht der Gedanken-
gang eine plötzliche Wendung, indem der Dichter, statt fort
zufahren ,noch wirst du, bei den beiden A. angekommen, sagen:
Astaphis und Pliilylla . . . elaiv zoiavxai dkrid duvvat 1 , die neue
Wcndung gebraucht: ,noch wirst du . . . sagen, Astaphis werde
die meine, und Pli. sehe mich gnädig an und D. und I.‘ So
ist einerseits Abwechslung erzielt — diesem Zwecke dient auch
die Verkürzung eg ylhnfCjvußqmag sv-d-oToa, die nichts Beleidi
gendes enthält, weil ja die blosse Nennung im Gedichte eine
schmeichelhafte Aufmerksamkeit ist: gewiss hatten schon die
Alten für das Fortleben in dem Werke eines grossen Dichters
Verständniss —, andererseits ein sanfterer Uebergang zu neuen
Gedanken hergestellt: denn innerlich verwandt sind die Ge
danken ifjzl xoiavrct (= oVrcog y.akd) laoz äfiuvcu und fxoi
yevoLxo und noziylAnoi doch jedenfalls.
Mit V. 77 kehrt der Dichter zu seiner Hagesichora zurück:
OTQ. X -|- 6
dH' AyL]OLy6qa us rrjqsL.
ov yäq & y.alliacpvoog
Ayr[OLyÖQa näq avzst;
80 AyidoZ (T r/.Taq jxevei
&(0(JT7JQLCC T CCf.l’ ETtULVEL.
älla xuv svyäg oiol
delgaG&E ‘ dvüv yäq dvu 1
■ml ztlog • ,yoqoarmig‘,
85 SL7tOLf.ii y.\ ,sya>v uev avxa
Ttaqoevog udrav and Oqdva> lÄlay.a
1 äva, nicht ävct: Schubert a. a. O. S. 523.
Der ägyptische Papyrus des Alkman.
27
ykav§ ‘ eyiav de zä uev Ident fxa/.ujZH
avddvrjv eoü ■ növiov ydo
df.it v idzatg eyevxo ‘
90 ylygor/dgag de vedvtdeg
elq]rjvag eoeeväg erteßav 1 .
Das Verbum zggeZ des ersten Verses dieser Partie wurde aus
V. 90 f. erklärt, man verstand ,beschützt mich*. Doch lässt
sieh damit ein gedanklicher Zusammenhang nicht herstellen,
und daher gilt es, nach einer Bedeutung des Wortes zu suchen.
Nun ist zrjqeZv ganz bedeutungsgleich mit cpvldooetv: das zeigt
z. B. Demosth. XVIII 276 qjvldzzetv efie v.ai zrjqeZv ev.eXevev.
Wvkdzzeiv aber wird Xen. rep. Laced. 1, 17 ei ye fievcot avfi-
ßah] yegaiiö veav eyetv, öowv zotig zrfkr/.ovzovg cpv’käzzovzag
ftdltirza zag yvvaTxag . . . und Lysias I, 48, p. 96 ot ztreg
(sc. vofiot) zotig ftev tpvXdzzovzag zag eavzCov yvvaZxag zaZg
eoydzatg Krjutatg 'Qr.uubüovai, zoZg de ßovXofieroig eig avzccg
dfiagzavetv rroXXip’ üäetav noirjoovot von eifersüchtigem Auf
passen gebraucht, und dies stimmt zu unserer Stelle vor
trefflich. Ein solches Bewachen nämlich setzt räumliche Nähe
voraus, und diese ist mit V. 78 f. ov yag a xaXXtocpvgog y/yryn-
yoga nag avzeZ; angegeben. Der Sinn kann demnach nur
folgender sein: ein Mädchen (das fern, evd-oiaa) macht die
Kunde, um zu sehen, ob nicht doch eine da sei, die es mit
Hagesichora aufnehmen kann. Mit dieser Suche ist die Gefahr
verbunden, dass es wirklich eine findet, der sie den Vorzug gibt.
Darum ist Hagesichora auf der Hut: keines ihrer Schäfchen
soll ihr untreu werden. Mit V. 78 und 79 ist also blos jenes
zijgeZ begründet; aizeZ bezieht sich auf das letztgenannte Mäd
chen, bei welchem angelangt der Dichter am Schlüsse seines
Rundganges, d. i. wieder bei Hagesichora, angekommen ist.
Hagesichora aber steht, mit ihr gleichsam ein Ganzes bildend
(das Bild vom üazqov), nächst der Agido: AyiäoZ A Yxzao uevei.
So sehen wir, dass der Dichter, wie er in Wahrheit im Kreise
geht, so auch eine geschlossene Gedankenkette flicht, die sich
freilich aus sehr 'verschiedenartigen Gliedern zusammensetzt.
Dass auch Agido an bevorzugter Stelle — eine cpiXöipiXog —
steht, ist aus dem Vorausgehenden unzweifelhaft. Man versteht
es, warum Blass von ihr als ,Respectsperson‘ spricht. Die
28
T. Abhandlung: Jureuka.
Sache ist aber vielmehr folgende. Agido ist Leiterin des choreo
graphischen Theiles: eine Andeutung hiefiir erblicke ich in dem
zweiten Theile des Wortes yoooo'ichig. Die Gedanken der directen
Rede V. 84 ff. betreffen zwar vornehmlich die Hagesichora, aber
da diese selbst V. 90 genannt ist, so sind die Worte zu der
anderen gesprochen. Für diesen Sinn passte nun freilich V. 82
ihoOT^OL 8 TÜLL STiaLVSL,
eine Kürzung des Relativpronomens, die bei Pind. 01. I 89 8
csxe (Ah S) die Uebereinstimmung aller guten Handschriften
für sich hat; über das r in crasi mit äfiöc s. Blass S. 15 oben.
Entscheidet man sich für diese Lesart, dann läge in dem Ge
danken, dass Hagesichora der Agido stets zur Seite weilt und
diese die Opferhandlung der Mädchen lobt, eine neuerliche An
deutung dafür, dass Agido eine führende Rolle bekleidet. Aber
auch ohne diese Textesänderung wird man die Vorstellung dieses
Ausnahmsverhältnisses der Beiden in den Worten finden:
(xk’Lu zäv evyag oioi
ds^ao-9-s ■ dvüv yao Uva
v.al rs).og.
Mit diesen Worten nämlich zieht sich der Chor bescheiden hinter
Agido und Hagesichora zurück, als wäre Festgesang und Fest
zug nur ihr Werk, und als brauchten die Götter nur ihre Bitten
zu erhören. Denn die Worte aü.u zäv sv/ag oloI ös^aads
enthalten nur scheinbar einen Widerspruch zu unserer An
nahme vom Anlass und von der Adresse unseres Chorliedes:
ein Dankopfer begreift in sich die Bitte um fernere Huld,
und was cnoi betrifft, so sei daran erinnert, dass es Sitte war,
bei so feierlicher Gelegenheit stets aller Götter zu gedenken.
Indem Hippolytos bei Euripides der Artemis einen frisch
gewundenen Kranz weiht und nur sie anspricht, erinnert ihn
der Chor V. 89 Iba!;, iH:ovg yäo Öeoiiütuq xakslv yqswv.
Der Sinn der Worte V. 84 ff. ergibt sich, indem man
aus Uva v.al zs?.og für Hagesichora schliesst, dass ihr Gesang
allein das erreichte, was der ganze Chor bezweckte, ein Ge
danke, der V. 85—87 yl.avS. genauer ausgeführt wird. Schon
oben V. 46 ff. hat der Chor sich selbst gegenüber Hagesichora
degradiert, dort in Bezug auf das Aeussere, hier in Bezug
Der ägyptische Papyrus des Alkman.
29
auf die Stimme. Sonacli kann avzä V. 85 nur heissen ,allein 1
(ohne die Chorführerin), wie Idom. 0 99 Tvöetdr;g avzöq tzeq
etov jTQOuayoiGLv ii.dyßtj, N729 oh' zrcoq liua navza dvvrjGEai avzoq
eXea&ai, s. Apollon, de pron. p. 71, a. 80, b., zahlreiche Bei
spiele hei Kühner, Gr. Gr. II 1, S. 562, A. 2.
Etwas anstössig sind für den ersten Blick die beiden so
nahe aneinandergerückten iycbv. Aber wir finden das Gleiche
schon oben Y. 40 und 42 und Y. 77 und 79, an letzterer
Stelle allerdings das Intervall zwischen zwei Strophen als
Entschuldigung. Gemildert wird diese kleine Unebenheit da
durch, dass man das Gefühl hat, dass das zweite jedesmal
dem ersten gedanklich untergeordnet ist, also hier: ,Ich allein
singe vergeblich, ein Käuzlein vom Simse: nun wünsch’ ich
aber innig, der Aotis zu gefallend In sprachlicher Beziehung
ist naehzutragen, dass die Dativform Aiozi nach Ausstossung
des ö und Contraction der zwei i sich auch noch findet im
lakon. Aiuväzi (gleichfalls Epitheton der Artemis) IA. 61. 73,
ebenso Aozapl (Cauer, Del. 2 57), bei Homer schon Qszl, bei
Anakreon vrjvl: G. Meyer §. 321 und 348; über uaXiaza der
selbe §. 388, endlich yevzo für eysvezo auch Hes. Theog. 199,
283, Theogn. 640.
Um die Worte 'Ayi]<n%ÖQag de veändsq elorp’aq ioazäq
eneßav logisch in die Rede eingefügt zu sehen, braucht man
die coordinierende Satzverbindung nur so zu deuten: ,lch allein
vermag mit Singen nichts (/.itczav Xslaxa); da ich aber doch
der Aotis gefallen (also nicht gerne uüzuv singen) möchte, so
schicke ich wieder Hagesichora voran (ich selbst verberge mich
hinter ihr, wie Bittende hinter dem Sprecher pflegen), deren
Gesang der Göttin schon einmal Wohlgefallen hat/ So ergibt
sich ein inniger Gedankenzusamnienschluss mit V. 82 ff. dva>v
ydo äva y.ai ze/.oq, s. oben S. 28.
Ob die Ansprache an Agido schon mit V. 90 zu Ende
ist, ob sie noch weiter geht und wie weit, lässt sich nicht
entscheiden; wahrscheinlich wollte der Dichter im Weiteren die
Anrede unbemerkt im Contexte verlaufen lassen.
Von der Restitution des Schlusses sagt Blass, Rhein. Mus.
XL, S. 18: ,Wir können uns nicht verhehlen, dass für eine
sichere Herstellung aller dieser Verse des Feststehenden zu
wenig und des Unsicheren zu viel ist/ Ich habe mich redlich
30
I. Abhandlung: Jurenka.
bemüht, dies wenige Feststehende meinen Vermuthungen zu
Grunde zu legen, wobei ich aber freilich in geringfügigen
Dingen die Unsicherheit der Schriftzüge zu meinen Gunsten
in Anspruch nehme. Ich schreibe:
axq. x -f- 7
T<7) xs ydo GTjQacpoqco
avxwg sdäqrjfLsv ädav,
Tto y.vßsovaTq de %qfj
95 y.ijv vai fiaX e l'x s v äy.ci ■
d de xäv TSrjoijvldüJv
doidoxeqa — fxey eins
gl& yüq, — dvxl d’ evdsxa
TtuLdwv dsy.dg oV äeidsi. ‘
100 cpd-eyyexai d’ tiq wt etta Sdvdw qoaiai
v.vv.voq ‘ ä d‘ ecpifiequ) t-avd'cc y.oulayq
Zu den zahlreichen Bildern, die der Dichter auch V. 59, 60 fif.,
87 ohne Vergleichspartikel lässt, fügt er hier zwei neue hinzu,
untereinander verwandt und eines das andere erklärend. Er
vergleicht die yoqayoq einem imzog Gijqacpöqog, dem im Wett
lauf vornehmlich die Aufgabe zufiel, das Gespann in der rich
tigen Bahn zu erhalten, weshalb Hesychios sagt: oeiqcKpöqov ■
•fjyef.ioviy.6v. Besonders wichtig war seine Function beim Um
biegen ums Ziel (Sopli. El. 720 ff. y.euog d’ vn avxijv eoyäxijv
aiijhjv eywv \ eyqi ftnx‘ dei avqiyya, de^iov x äveig \ aeioalov
ijinov eiqye xdv nqooxeifievov, Eurip. Iph. Aulid. 223 xobg d'
e^co oeiqozpöqovq ävxrjqeig y.afinalol dq ö uw v), wobei es selbst
einen weiteren Bogen zu beschreiben und die Jochpferde in
engerem Halbkreis ums Ziel zu drängen hatte. Indem nun
der Dichter hier an die führende Rolle der Hagesichora beim
Einüben des Chores denkt, lässt er den Chor in scherzhafter
Uebertreibung sagen, dass er ,zwar ohne viele Umstände (aixwg)
vom Seilrosse sattsam (icdav, Alkm. frgm. 76, 4) geschunden
wurde -(man denkt unwillkürlich an 6 uij daosig avOqonrog ov
naidevsxai), dass man ja aber auch dem Steuermanne auf dem
Schiffe gar flink zu Willen sein müsse 4 . In V. 94 f. befreit
uns meine Herstellung von der Nothwendigkeit, die ungewühn-
Der ägyptische Papyrus des Alkmau.
31
liehe Construction von xqtj mit Dativ, die Blass statuierte,
anzunehmen. Und den von Blass notierten Scliriftzeichen des
Papyrus ist dabei genau Rechnung getragen: ,MA.[A]H, näm
lich von H der untere Theil einschliesslich des Ver
bindungsstriches, von A nur der Ansatz an H. Dann
eine Lücke von zwei Buchstaben.' Jenes H kann nämlich
sehr wohl ein 61 darstellen, indem der Halbkreis des 6 weniger
gerundet, der Mittelstrich aber mit dem folgenden I verbunden
ist. Man vergleiche auf dem Facsimile die Schreibung von
enANOEI V. 53. Zur Bedeutung von sixsr vgl. Dem. de cor.
§. 136 sycb zw UvihovL doaavvou£vw -/.cd noVUh oeovzl ~/u3-' v/iwv
otbc ei Ai oitf v 7T. e yw o 7j er ci äV/.' avaazag ävzeiTtov, Isokr. ad
Demon. §. 31 IhyiovuEvoig sr/siv, Thuc. I, 38 rliku zfj Ijuezeoci
öoyfj, und über die Infinitivform ev/ev E. Ililler in Burs.
Jahresber. 1888, S. 169 (zu Allan. 22, 3; 26, 2).
Meine Ergänzung V. 97 pe'/ eAy.e (= eoly.e) aiä yäg (Blass:
,M6rA . . 6 . . . gleich nach dem letzten 6 hört alle Schrift auf')
geht von der Annahme aus, dass hier, wo es sich nur um
Gesang handelt, unmöglich von Hagesichora und Agido (oicti)
die Rede sein kann. Da ferner das letzte 6 mit Nothwendig-
keit auf die 3. Pers. Sing, führt, so muss der Gravis auf
21 AI — an dessen Vorhandensein jedoch, wie mir sowohl Blass
als auch nach neuerlicher Revision Croiset bestätigen, nicht zu
zweifeln ist — ein Versehen des Schreibers sein: ein solches
liegt unzweifelhaft auch in yooöaraTig vor. Was pe/ ei/e an
langt, so genügt es, auf Hom. E 800 öllyov oi TiaZda koi-
'/6 za ycdvcizo Tvdsvg zu verweisen.
Dass V. 98 f. so hergestellt werden müssen, dass der
Zahl 10 die Zahl 11 entgegengestellt wird, folgt sowohl aus
den deutlichen Spuren des Papyrus in V. 99 z1EK, als auch
aus dem Inhalte des beigeschriebenen Scholions. Das ,Räthsel'
dieser Worte aber, wie es Blass nennt, zu lösen, hat schon
den alten Erklärern viel Mühe gekostet, wie sich aus dem
Scholion ergibt. Zwar wissen wir nicht genau anzugeben, wie
der Scholiast sich geholfen, jedenfalls nahm aber auch er wie
Blass, ohne den mindesten Anhaltspunkt innerhalb des übrigen
Gedichtes zu haben, zwei Chöre an, den einen von 11, den
anderen von 12 Sängerinnen. Wahrscheinlich deutete er dann
so: da der Chor bald aus 11, bald aus 10 Mädchen bestehe,
32
I. Abhandlung: Jurenka.
so sage der Dichter, dass Hagesichora dem Chor der 11 gegen
über allein wie ein Chor von 10 singe (rfjv yoQrjyöv ävxl
üx ädeiv i). Man merkt dieser Erklärung das Gewundene
sofort an, nicht minder aber der von Blass, nach welcher mit
den 11 der Gegenchor, mit den 10 der eigene ohne Agido
gemeint ist. Ich löse die Frage so:
Es müsste doch mit sonderbaren Dingen zugehen, wenn
es blosser Zufall wäre, dass beim Zusammenzählen der V. 70 ff.
angeführten Jungfrauen gerade die Zahl 10 herauskommt, näm
lich 1. Nccvviü, 2. Aqsxa, 3. 2vXamg, 4. KXepfJimrjnu, 5. Aivrj-
aif-ißgöta I., 6. AlvrjOifißQÖra II. (der plur. von zweien wie
bei Horn. JXavceg H 164, 0 262, 2 157, N 313, A 273, 280,
M 353, P 668, 707), 7. Aaxacpig, 8. OiXvXXa, 9. Jaj-iagsra,
10. 'lav&sulg. Nehmen wir zu diesen 10 noch Hagesichora
und Agido so haben wir jene Zwölfzahl, welche in dem oben
S. 15 angeführten Epithalamion des Theokrit als Zahl der Chor
sängerinnen genannt ist. Nun ist aber, wie wir gezeigt haben,
Agido nicht Sängerin, sondern yoQo-axaxLg, und es singen
somit im Ganzen nur 11. Wenn also Hagesichora den Chor
im Stiche lässt, so singen nur 10, wenn sie mitsingt, 11. Das
ergibt den nach allen Richtungen hin befriedigenden Sinn:
,Wie schlecht (oicc) geht es doch, wenn wir nur 10 singen
statt 11!‘ Da der Unterschied zwischen jenem Singen und
diesem nur von der Mitwirkung der Hagesichora abhängt, so
enthält auch dieser Gedanke ein sehr beredtes Lob der Chor
führerin.
Uebersetzung.
Ich gebe zum Schlüsse eine deutsche Uebersetzung, in
freien Rhythmen, nach Art einer Rhapsodie gestaltet, deren
vornehmster Zweck darin besteht, die Ergebnisse vorstehender
Untersuchungen über den Aufbau und inneren Zusammenhang
der Gedanken unseres Gedichtes in klarer, durchsichtiger Weise
zur Anschauung zu bringen. Obwohl ich auch um Erzielung
poetischen Colorits nach Kräften bemüht war, so möchte ich
doch auf diese Seite der Uebersetzung geringeres Gewicht ge
legt wissen: vielmehr wäre es für mich die grösste Befriedigung,
Der ägyptische Papyrus des Alkman.
33
wenn meine Vorarbeit einen poetisch veranlagten Nackbildner
bestimmen sollte, dieses wertvolle Bruchstück griechischer
Dichtkunst durch eine allen Anforderungen entsprechende, den
Duft echter Poesie athmende Uebersetzung in weitere Kreise
zu verbreiten.
.... Polydeukes.
Nicht zähl’ ich Lykäthos nur in der Todtenschar;
Auch Enarsphoros, dann Sebros, flink an Beinen,
Bukolos' gewalt’ge Stärke,
5 Hippothos im Schmuck der Waffen,
Auch Euteiches und den Fürsten Areitos,
Akmon zugleich, den erlesenen Halbgott.
Ihn auch, der die Mannen schart,
Held Alkimos, auch den Eurytos,
10 Walter im Gewühl der Schlacht,
Alkon auch: die Trefflichen alle
Soll mein Sang nicht übergeh’n.
Denn alle bezwang das bitt’re Verhängniss —
Nein, ,Urkraft', die ält’ste der Götter,
15 Mit ,Hilfe' geeint, die herfliegt nackenden Fusses.
Keiner stürm’, ein Erdenkind, zu den Höhen des Himmels,
Nie auch giere sein Herz nach Aphroditens Ehbund,
Der gold’nen Königin: nicht begehr’ er
Der Nereiden eine, noch des Porkos Tochter:
20 Nur holdseligen Blicks die Charitinnen
Steigen empor zu des Vaters Saale.
Treu den Guten ist der Gott.
Drum höret mein Wort: Die Gottheit
Spendet dem, der nach ihrem Sinn,
25 Willfährig der Gaben Fülle.
Doch wer ihren Hass entfacht,
Sinkt elend dahin in der Jahre Blüte.
Wahrlich, eine kurze Zeit
Hat solchen in nichtigem Hoffen
30 Arger Hochmuthssinn gebläht: so traf von jenen
Den ein Pfeil und den ein mühlsteinschwerer Felsblock.
Sitzungsber. d. phil.-hisrt. CI. CXXXV. Bd. 1. Abh.
3
34
I. Abhandlung: Jurenka.
Sie alle beherbergt nun der Hades,
Da durch eig’nen Unverstand sie
Selbst in den Tod sich gejagt und kläglich
35 Weh erlitten für frevles Sinnen.
Es gibt ein göttlich Strafgericht!
Doch der ist beglückt, der heiter
Seiner Tage Kette flicht
Thränenlos. Ein solcher besing’ ich
40 Schön Agidos Licht; mich däucht’s
Die Sonne zu sein: denn dass sie leuchtet,
Gibt Agido klare Zeugenschaft!
Doch mich nicht lohen lässt
Noch schmähen sie des Singc.hors edle Führerin,
45 Keineswegs; denn selbst sie scheinet vorzuragen,
Wie wenn unter Kühen einer
Einen Renner hingestellet,
Stramm, klanghufig, den Sieger im Wettkampf,
Wie ihn der flatternde Traum nur zaubert.
50 Seht ihr’s nicht? Mein Rösslein ist
Enetischer Zucht: und dort die Mähne
Bäschen Hagesichoras
Nicht anders ums Haupt ihr schäumet,
Laut’rem Gold an Farbe gleich.
55 Ihr Silbergesicht — —
Was soll’s, noch deutlicher hier zu reden?
So, nicht anders ist Hagesichora.
Zweit’ an Schöne nach Agido wird mit ihr,
Ein kolaxaisch Rösslein mit dem Fuchshund sie Wettlaufen.
GO Traun, dies Paar mit uns Plejaden, die den
Pflug der ,Frau des Morgens' bringen,
Kämpfet und hebt sich vor wie ein leuchtendes
Doppelgestirn in ambrosischer Nachtzeit.
Denn nicht ist des Purpurs hier
65 Solch’ Fülle, um uns zu wehren,
Auch das schillernd Schlänglein nicht,
Ganz gülden, und auch kein lydisch ,
Band, das stolz die Stirne krönet
Sammtwimpriger Jungfräulein.
Was hilft Nannos reiches Haar,
70
75
80
85
90
95
100
Der ägyptische Papyrus des Alkman.
35
Die göttliche Maid Arete,
Was auch Sylakis, und was Kleesisera?
Nah den beiden Ainesimbroten nicht sagst du:
,Wär doch Astaphis die meine,
Nur ein Lächeln von Philylla,
Von Damarete, der holden Ianthemis.'
Denn Hagesichoras Blicke lauern!
Siehst denn dort die knöchelschöne
Hagesichora du nicht halten?
Weicht nicht von Agidos Seite, wird
Nicht müde mein Opfer zu lohen.
Neiget gnädig ihrem Fleh’n,
Ihr Götter, das Ohr: der Beiden Wirken
Ist Anfang uns und End’. ,Chorstellerin',
So möcht’ ich sagen, ,alleine
Krächz’ ich Mädchen ohn’ Erfolg, dem Käuzchen gleich
Hoch im Gebälk: und dennoch, dass ich Frau Aotis nur
Wohlgefall’, ist heiss Begehr,
Die mich zog aus argen Nöthen.
Doch Hagesichora ist es, ihr Mägdelein,
Die euch ersang den holden Frieden.
Zwar vom Seilpferd wurden wir
Nur so geschunden, ganz zur Genüge:
Doch musst auch dem Steurer du
Im Schiffe behend dich fügen.
Selbst als die Sirenen ist
Sangkundiger sie, die einer Göttin
Gleicht: wenn die eilfte fehlet,
Ach, wie singen so schlecht wir zehne!
Ihr jedoch klingt’s aus der Kehle, wie an des Xanthos
Fluthen dem Schwan; ihr Liebreiz athmend blond
Gelocke . . .
3*
II. Abhandlung: Gomperz. Zu Aristoteles’ Poetik. II.
l
II.
Zu Aristoteles’ Poetik. II.
Yon
Theodor Gomperz,
wirkt. Hitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
Cap. 7, 1451 a 6: "ou ijw^ous opoQ p.ev Trp'oc toIk; aymaq v.oii
TYjv afaßiqaiv ou whv ■ • • ° Ss zaF aim)v tyjv «p6aiv tou
^paY^ato? opo<; v.zk.
Die unleugbare Unangemessenheit des Ausdrucks hat
Bursian durch den Einschub des Artikels zwischen opoq und
H-sv zu beseitigen versucht. So scheinbar die Conjectur auch ist,
sie vermag eindringender Prüfung doch nicht Stand zu halten.
Einen allgemeinen Massstab für die Länge der thatsächlichen
Aufführung von Tragödien kann Aristoteles unmöglich aner
kennen. Dient doch der im Folgenden vorgebrachte extreme
Fall mit den daraus abgeleiteten Consequenzen nur dazu, den
Gedanken zu beleuchten, dass hier äussere Rücksichten den
Ausschlag geben, die natürlich nicht in mehreren Fällen die
gleichen sind. Da scheint es doch nicht wenig bedenklich,
durch den Einschub jenes b den Schein, als ob die Frage eine
allgemeine Lösung zuliesse, zu erzeugen und dem Autor auf
zudrängen. Ungleich räthlicher dürfte es sein, dem schad
haften Texte durch die Umstellung von zwei Wörtchen (xpo?
|J.sv statt piv zpoc,) mit der Aldina aufzuhelfen. Derartige kleine
Störungen finden sich auch 47 1 ’ 15, wo die Schreibung der
Wolfenbütteier Handschrift (y.ata tyjv statt vf ( v y.atct) unbedingt
sicher und allgemein anerkannt ist, und 48 b 22, wo meine Yer-
muthung zscpuy.ötei; (ei?) aüxa y.a; statt TCtpux.ö'.e? y.at aütä schwerlich
ernster Anfechtung unterliegt. Der noch immer zurückbleibende
Mangel an straffer Concinnität' hängt in unserem Falle wie so
häufig bei Aristoteles mit seinem Streben nach übergrosser
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXXV. Bd. 2. Abh. , 1
2
II. Abhandlung:- Gomperz.
Knappheit des Ausdrucks eng zusammen. Ausgeführt würde
der nur angedeutete Gedanke etwa also lauten: einen allge
meinen Massstab der Länge in Rücksicht der actuellen Auf
führung gibt es nicht und ihn aufzustellen kann daher nicht
eine Aufgabe der Kunsttheorie sein.
Beiläufig bemerkt, alle Versuche, die an dieser Stelle sinn
losen Worte oxrrcsp 'Koxk y.al akXoxe oactv (öl 3, 9) zu rechtfertigen,
scheinen mir gleich sehr misslungen. Aristoteles hat unmöglich
sagen wollen: wenn hundert Tragödien nach einander auf
geführt werden sollten, so müsste die Uhr über ihre Länge ent
scheiden, wie dergleichen einst und zu anderer Zeit an
geblich geschehen ist. Denn um von dem Anstoss nicht zu
reden, den ©adv bietet und den auch M. Schmidt’s siwOacriv
nicht vollständig beseitigt: die Beziehung auf den Gebrauch
der Wasseruhr bei Gerichtsverhandlungen ist einfach darum
ausgeschlossen, weil dieser zu Lebzeiten des Aristoteles (also
nicht ,einst‘) zu Athen, wo er schrieb, in Uebung stand; die
Annahme aber, dass der Autor auf eine wirkliche irgendwo
und irgendwann vorgekommene Gepflogenheit bei Dramen
aufführungen anspiele, ist womöglich noch verkehrter. Denn
von der Thorheit abgesehen, eine Bühnenaufführung etwa wie
eine Gerichtsrede nach dem Glockenschlage zu bemessen —
unmöglich ist es, dass Aristoteles aus einer hyperbolischen Prä
misse eine thatsächliche historische Conclusion abgeleitet hat.
Man pflegt doch nicht das Flügelross der Phantasie zu be
steigen , um sich von ihm an die nächste Strassenecke tragen
zu lassen. Es bedurfte der kühnen, ja überkühnen Fiction
von den hundert zu einer Gesammtaufführung vereinigten
Dramen nicht, wenn man ohne solchen Umweg auf einen
gleichartigen Brauch verweisen konnte, der in nicht allzu
grosser räumlicher und zeitlicher Ferne (denn wie weit reichte
die Geschichte der Tragödie zurück?) thatsächlich anzu
treffen war.
Cap. 9. Ueber die Thatsache, dass am Eingang und am
Schlüsse des Capitels, hier 51“ 36, dort 51 b 31 f., die an erster
Stelle neben ola av -fevorre lächerlich pleonastischen Worte xai
-Mt SuvaTct, die an zweiter Stelle völlig vernunftwidrigen Worte
y.al ouva-iä ysyecOai von der Mehrzahl der Herausgeber noch ge-
Zu Aristoteles’ Poetik. II.
3
duldet werden, ist es schwer ohne Bitterkeit zu sprechen. Man
lässt in aller Gemüthsrulie den Stagiriten sagen: ,denn nichts
hindert, dass einiges von dem wirklich Geschehenen von der
Art sei, wie es nach Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit
geschehen mochte'. Als ob nicht alles Wirkliche möglich sein
müsste, als ob Aristoteles dies jemals verkennen konnte, ja als
ob er es nicht erst wenige Zeilen vorher mit nackten Worten
anerkannt hätte: ta 3e Y sv ®I J - sva 9«vepov Sn Suvaia • oü fap äv
sfsvsTo ei vjv dSuvara (51 ^ 19)! In Wahrheit hat bisher nur Vor
länder (vgl. Ueberweg’s Uebersetzung, Anhang S. 102) diese
Worte angezweifelt und Christ sie neuerlich ausgeschieden,
während Susemihl und M. Schmidt einen wenig glücklichen
Versuch gemacht haben, den Schaden durch Einschiebung der
Worte oiiy. z/Jmc zu heilen. Richtiger wird es sein, an beiden
Stellen die Hand eines Interpolators zu erkennen. Den Anlass
zur Interpolation aber gab wohl ohne Zweifel ein an der ersten
Stelle zu oTa av yevono beigeschriebenes erklärendes tä Suvatd.
Hier wenigstens haben ältere verständige Kritiker wie Maggi
und Buhle den Fehler längst erkannt und beseitigt.
Doch enthält nicht — so mag jemand entgegnen —- der
Rest des Satzes einen kaum geringeren Widersinn? Nichts soll
hindern, dass ,einige' der thatsächlich erfolgenden Geschehnisse
mit Wahrscheinlichkeit erfolgen. Nur einige und nicht viel
mehr die meisten? Heisst dies nicht den Begriff der Wahr
scheinlichkeit in sein gerades Gegentheil verkehren? Und ist
diese Behauptung etwa minder ungereimt, als wenn man sagte:
nichts hindert, dass einige der an diesem Ort und in dieser
Jahreszeit beobachteten Temperaturen den Normaltemperaturen
dieser Zeit und dieser Oertlichkeit entsprechen ? Sie wäre ohne
Zweifel ganz ebenso ungereimt, wenn der Begriff des eiz.6? in
der Anwendung, die Aristoteles von ihm in diesem Abschnitte
macht, mit jenem des Wahrscheinlichen schlechtweg zusammen
fiele. Das ist jedoch keineswegs der Fall. Wir müssen das
Wort hier immer mit ,innerer Wahrscheinlichkeit' oder ,Natur-
geinässheit' übersetzen und dabei an das Verhältniss zwischen
einem beschränkten Ursachenkreis (den gegebenen Charak
teren und Situationen) und den daraus entspringenden Wir
kungen denken. Das Verständniss dieses Capitels liegt, wie
die auch in den jüngsten Uebersetzungen begegnenden schweren
1*
4
II. Abhandlung: Go mp er z.
Missverständnisse zeigen, noch gar sein- im Argen. Es würde
wesentlich gefördert, wenn der eben angedeutete, bisher von
dem einzigen Ueberweg (vgl. die Anmerkung 39 seiner Ueber-
setzung) namhaft gemachte, aber auch von ihm nicht stetig
festgehaltene Gesichtspunkt in den Vordergrund der Betrachtung
treten würde. Damit hängt es zusammen, dass wir über die
berühmte, das Verhältniss der Poesie zur Geschichte betreffende
Aeusserung, die dieser Abschnitt enthält, so viel Hochtönendes,
aber so wenig Zutreffendes zu hören bekommen. Auf unrich
tiger Wiedergabe beruht zum Beispiel Susemihl’s Ablehnung
des aristotelischen Gedankens. Er übersetzt die Worte oOCka
toutw Sia^epsi, "iw "bv [j.ev ra fevögeva Xsysiv xov Se ola oiv yivono
also: ,vielmehr das ist der Unterschied, dass der Geschicht
schreiber darstellt, was wirklich geschehen ist, der Dichter
dagegen, wie etwas geschehen kann'. Dazu die Anmerkung:
,wir verlangen heutzutage auch von der Geschichte zugleich
das letztere und können daher diese und die folgenden Be
stimmungen nicht mehr unbedingt für richtig erkennen 1 . Nicht
viel anders Gustav Freytag, der in seiner ,Technik des Dramas' 3
S. 14 die fraglichen Worte also wiedergibt: ,— weil die Ge
schichte vorführe, was geschehen ist, die Poesie, wie es hätte
geschehen können/ und nun gegen die aristotelische Bevor
zugung der Poesie vor der Geschichte den Einwand erhebt,
dass ,wir Modernen, die wir von der Wucht und Grösse der
geschichtlichen Ideen durchdrungen sind . . . die vergleichende
Schätzung zweier grundverschiedener Gebiete des Schaffens
ablehnen' u. s. w. All dies hat mit dem vorliegenden Gegen
stände nichts gemein. Aristoteles, der ja in seiner Weise auch
ein Geschichtsphilosoph ist (oder was sonst als Geschichts
philosophie wäre die in der Politik vorgetragene Lehre von
der Abfolge der Verfassungsformen?), versteht hier unter Ge
schichte nichts Anderes als die blosse Erzählung thatsächlicher
Begebenheiten. Wenn er das ergötzliche Spiel der Poesie mit
bewusster Paradoxie für eine philosophischere und ernstere
Sache als die Geschichte' erklärt, so will er damit nicht mehr
und nicht weniger sagen als dieses. Der Dichter, der echte
und bedeutende wenigstens, kann und wird uns einen Verlauf
von Ereignissen vorführen, die sich aus gegebenen Situationen
und Charakteren, insbesondere aus den letzteren, mit innerer
Zu Aristoteles 1 Poetik. II.
O
Nothwendigkeit entwickeln. Im wirklichen Leben spielt fort
während ein Ursachenkreis in den anderen hinein; der Zufall
trübt somit die Anschauung reiner und strenger Ursächlichkeit;
die Bahn, die eine individuelle Charakteranlage ihrer Natur
nach beschreiben würde, erleidet gleich jener der Planeten un
aufhörliche ,Störungenf Darum unterscheidet Aristoteles das
,Allgemeine', dass nämlich ,dem so oder so Gearteten solches
oder anderes zu thun oder zu sagen nothwendig oder natur-
gemäss ist', von dem ,Einzelnen', von dem was beispielsweise
,ein Alkibiades gethan oder erlitten hat'.
51 b 33 ff. Ttov örcXwv p.6öuv SS itpo^swv cd exeiuoSii&Seii; sicrl
ydpiG-cr.t.
Das Befremden darüber, dass hier von den einfachen
Fabeln gehandelt wird, während die Eintheilung der Fabeln
in einfache und verflochtene etwa fünfzehn Zeilen später nach
folgt, ist ein wohlbegründetes. Die zur Entschuldigung dieses
so auffälligen Verfahrens beigebrachten Parallelen können uns
unmöglich als zutreffend gelten. In unserem Falle handelt es
sich weder um einen Begriff, welchen der vorliegende Zu
sammenhang zu erwähnen nöthigt, während seine systematische
Erörterung einer weit späteren Stelle Vorbehalten bleibt (etwa
wie ,Peripetie' und ,Erkennung' in Capitel 6 erwähnt und erst
Capitel 11 eingehend besprochen werden), noch um einen
Definitionsbestandtheil, dessen Anführung seiner Erläuterung
naturgemäss vorangeht (man denke an die ,verschönte Rede'
oder an die ,Entladung der Leidenschaften' in der Definition
der Tragödie). Hier wird eine Classe von Fällen besprochen,
während die Classeneintheilung selbst erst nachher, und zwar
unmittelbar nachher erfolgt. Für eine derartige Umkehr der
natürlichen Reihenfolge lässt sich schwerlich ein stichhältiger
Grund ersinnen oder eine wirklich gleichartige Parallele bei-
bringen. Es liegt, wenn nicht alles täuscht, in Wahrheit ein
Textesschaden vor. Diesen durch eine Umstellung zu heilen,
davon mahnt jedoch zweierlei ab. Erstens: es zeigt sich kein
Ort, der das von dieser Stelle verdrängte Textesstück aufzu
nehmen wohl geeignet wäre. Wollte man es an den Schluss
des zehnten Capitels stellen, so würde die Erörterung der
,Peripetie', die ihrer Erwähnung doch naturgemäss unmittelbar
nachfolgt, weiter hinabgerückt, was zur Vornahme jener
6
II. Abhandlung: Gomperz.
Transposition nicht eben einladen kann. Zweitens aber — und
dies bedeutet mehr —: die Umstellung lässt einen erheblichen
Anstoss unvermindert fortbestehen. Dass nämlich ein Ueber-
mass des Episodenhaften gerade bei den ,einfachen Fabeln*
gerügt wird, dies lässt sich wohl nicht ohne Künstelei da
durch rechtfertigen, dass derartige Fabeln an sich dürftig sind
und somit mehr als stoffreiche zur Anwendung solcher Füllsel
auffordern. Nicht ohne Künstelei, sage ich, weil der Unter
schied zwischen einfachen und verflochtenen Fabeln nicht so
wohl in dem stofflichen Gehalt (man denke an 59 b 14: -fj p,ev
’Ucäc äirXoüv!) als in der Art der Entwicklung gelegen ist.
Die einfache Fabel nimmt gleichsam einen geradlinigen Verlauf,
während die verflochtene zu einem Höhepunkt (Peripetie oder
Erkennung) ansteigt, um von diesem wieder herabzusinken
(vgl. 52 a 15ff.). Und wollten wir selbst zugeben, dass jene
Auffassung nicht jedes Haltes entbehrt, schon der Umstand,
dass man diesen Gesichtspunkt errathen muss, dass er ganz
und gar nicht hervorgehoben wird, wäre auffallend genug und
müsste uns hindern, das Heilmittel der Transposition dort an
zuwenden, wo es trotz seiner Gewaltsamkeit einen so gewich
tigen Anstoss hinwegzuräumen unvermögend ist. Darum greife
ich lieber auf Castelvetro’s Vorschlag zurück und schreibe mit
diesem äcrXw? oe töv p.uOwv -/.cd 7cpäEewv—. Ehe Aristoteles sich
über die ihm wünschenswerth scheinende Beschaffenheit der
Fabel des Näheren verbreitet, knüpft er an die so weitläufig
begründete Forderung der Einheit und innerlichen Geschlossen
heit derselben die allgemeine Bemerkung (cb-Xu? nicht viel
anders als tüccw, im Gegensatz zu einem v.olV r/.acvov, ocupiorepov
oder deytptßecrxspov), dass die eines strengen Zusammenhangs er
mangelnden Fabeln die schlechtesten sind.
Er wendet sich alsbald dazu, jene ihm Uber alles wich
tige Forderung des strengen Causalzusammenhanges von einer
anderen Seite her zu stützen. Nicht nur ein Corollar des Ver
langens nach Einheit und Ganzheit der Fabel sei sie; auch die
Erregung der tragischen Affecte werde dadurch gefördert. Die
anerkannt schadhafte Stelle 52 a 1 ff. glaube ich nämlich durch
Annahme einer Lücke nicht zwischen -/.et: \>£kvjvx und -/.ai ;j.5XXov,
sondern nach 3t’ aXXvjXa heilen zu sollen und schreibe sie also:
exei cs oü p.cvov -zhdac, itsv. rcpi'sw? [•(] (nämlich die Tra-
Zu Aristoteles’ Poetik. II.
7
gödie) äXka v.w. ooßspwv zai eXeeivwv, locüia os -|L £ ' ta! y - a ’- [AdXiaia
[•/.al p.äAAov] oiav -pi'/v^oa xapä vrf) oöijav, St’ aXXtr)Xa (y.ai y.aia iouio
SvjXov w? osT Ytve<J0at iä p.£i’ aXAv)ka). io fap Oaup.atj-bv oüiw? sJ-et
1-i.äXXov y.il. Die Argumentation besitzt hier jene Gestalt, die
Imelmann, Zur Topik, Berl. Gymn.-Progr. 1870, S. 10) ,eine
intermittirende' genannt hat, indem dem Schlusssatz ein Theil
der Begründung vorangeht, ein anderer, vorher zurückbehaltener
mit yap angeknüpft nachfolgt. Zur grammatischen Form des
Satzes vergleiche man 62“ 4: -/stpwv SrjAov Sit av e?ij oder de
anima, B2, 413 b 27f.: iot 3s Aotxä gopta -ri;? 6uy;?j? cpavepov iv.
io6iwv S-t oiiy. Ig-.t /«ptoiä. Den besten Commentar liefert viel
leicht G. H. Lewes’ Kernwort: ,Surprise Starts frörn a back-
ground of knowledge or fixed belief.' Die Anwendung des
Gedankens auf unseren Fall aber ist diese. Affecterregend wirken
Begebnisse vorzugsweise dann, wenn sie in überraschender
Weise erfolgen; die Ueberraschung aber ist ein Erzeugniss, das
nur aus dem Boden strenger Causalverknüpfung hervorwächst;
wo Zufall und Willkür walten, dort ist für sie keine Stätte.
Cap. 10 und 11. Hier scheint mir der Text an mehreren
Stellen noch der Richtigstellung zu harren. Einige von diesen
sind bereits als schadhaft anerkannt. So 52“ 19f.: &<ne iv. i<3v
xpov£YevY;|j.EVwv cup,ßa£vetv r t sc; avay/.r); y) y.aia io siy.bc ykpeatiai
iauia. Dass das letzte Wort fehlerhaft ist, bedarf in der That
keines Beweises. Dass aber Bonitzens idvavifa das richtige sei,
darf man wohl bezweifeln. Von der Peripetie ist im Folgenden
die Rede, und sie wird als r, ei? io evavtiov iwv xpanopivwv
p.siaßoÄf, bezeichnet. Wie unwahrscheinlich, dass Aristoteles
wenige Zeilen vorher das charakteristische Merkmal der Pei’i-
petie schon mit einem Worte vorwegnahm! Doppelt unwahr
scheinlich, da der Wortlaut der Stelle nur die Auffassung zu
gestatten scheint, dass die einfache und peripetielose und die
verwickelte oder mit Peripetie versehene Fabel hier noch als
eine ungeschiedene Einheit, ohne Rücksicht auf die sie tren
nenden Differenzen behandelt werden. Minder gewaltsam in
jedem Sinne ist meines Erachtens die Schreibung ia u{<j)i(sp)a.
Freilich ist, falls unsere Erörterung als zutreffend erkannt wird,
damit auch der letzte Versuch gescheitert, die Worte y.aödxsp
dpr t w. (52“ 23) durch eine befriedigende Erklärung zu retten.
8
II. Abhandlung: Gomperz.
Sie werden eben nichts Anderes sein als ein Interpretamentum
zu dem nur durch drei Wörtchen davon getrennten fiicxsp ~ki-
1-opev, deren riickweisende Bedeutung der Glossator zum min
desten richtig erkannt hat.
52“ 29 ff. dvafaipiGic oe tocrcep y.at -toüvop.a CY)|j.ai'vet sie yvüeriv
p.staßoXvi, ^ sic atXiav •)) si? syGpav “TAo ti) twv irpoc eütuyiav ^
Sucruyjav (i)piap.svü)v • v.z/jJ.czr, Bs ävaYvwpici? oi;av ap.a xspnreTsiai
Ytvwvcai olov syst r, ev tu OiBreoSi. siaiv p.ev oOv y.at öi'Kkoa ävafvto
pfest? • y.at yap xpb? atltuya xai ta Tjyovta eauv 30’ OTcsp eipvjTai aup.-
ßaiVEl ■/."£.
So will ich die Stelle schreiben und interpungiren und
glaube meine Neuerungen, so weit sie einer besonderen Dar
legung bedürfen, also rechtfertigen zu sollen. Nach [j.exaßob^
ist ein ,und zwar' zu denken gerade so wie z. B. Cap. 13,
53“ 15 vor irr, Bia |jwy6r)piav v:te. oder Cap. 22, 59“ 23 vor 5ca
ev toütu CTuvdßv; ‘/.te. und sonst öfter. Dass das Folgende einer
Ergänzung bedarf, zeigt wohl am besten ein Blick auf die
bisherigen Uebersetzungen der Stelle: ,oder dass ein Freund
schafts- oder Feindschaftsverhältniss unerwartet zu Tage tritt
bei Personen, deren Glück oder Unglück dadurch bedingt
wird' (Ueberweg), ,welcher zum Glücke oder Unglücke präde-
stinirte Personen in freundschaftliche oder feindliche Bezie
hungen setzt' (M. Schmidt, ähnlich Susemihl und Adolf Stahr).
Statt den Worten etwas zuzumuthen, was nicht füglich in ihnen
liegen kann, und überdies mit der Mehrzahl der Interpreten
hier ein Stück Schicksalstheorie einzuführen, von der die ari
stotelische Lehre vom Drama im übrigen völlig frei ist, so frei,
dass wir jede Spur derselben auch dort vermissen, wo man
sie nach modernen Begriffen kaum entbehren zu können glaubt
(vgl. das über die Schuld des Oedipus 53“ lOf. Gesagte) —
statt derartige Unwahrscheinlichkeiten zu häufen, glaube ich
durch die Annahme des Ausfalls weniger Worte (sei es nun
das kurze •), äXko ti oder auch eine ganze Zeile (r t ei? äXko
bxtoüv)) einen völlig befriedigenden Sinn gewinnen zu dürfen.
Ich übersetze den Satz wie folgt: ,eine Erkennung aber ist,
wie dies auch das Wort selbst besagt, eine Verwandlung von
Unkenntniss in Kenntniss, und zwar mit dem Erfolg, dass
daraus Freundschaft oder Feindschaft oder sonst ein dem Be
reiche des Glücks oder Unglücks zugehöriges Verhältnis er-
Zu Aristoteles’ Poetik. II.
9
wächst/ Einen Cömmentar zu dieser Stelle können die schönen
Erörterungen Gustav Freytag’s in seiner ,Technik des Dramas'
( 3 S. 88 ff.) liefern. Von opi^w xpo? ~i gibt der Bonitz’sche Index
nur ein Beispiel (Meteorol. IV 4fin.): — Syjaov oti -/.cd ~b oxXyjpbv
y.w. t'o p,«Äay.bv dxXök xpb? tr,v ä^v wply.ap.Ev, eine Gebrauchsweise,
die jedenfalls der von uns liier vorausgesetzten ungleich näher
stellt als der herkömmlichen Auffassung der Stelle. Auch haben
.Freundschaft' und ,Feindschaft' nicht an sich, sondern nur als
Quellen von ,Glück' und ,Unglück' in der Tragödie und somit
auch in diesem Bestandtheil derselben ihre natürliche Stelle.
Im nächsten Satze haben wir nur den Accent in xEpixsxsiat von
der drittletzten auf die vorletzte Silbe gerückt (in Wahrheit
eigentlich blos das Properispomenon der Handschrift in ein
Paroxytonon verwandelt). ,Der schönste Fall von Erkennung'
•— so verstehe ich das Sätzchen — ,ist derjenige, wo die Er
kennungen von Peripetie begleitet sind'. Der Wechsel des
Numerus, der Christ so unerträglich schien, dass er y.yXklcvi] bk
ävayvilipioic in y.ccXXiovai Be ävayvwpfast? verwandelt hat, und den
Spengel durch die Schreibung Stav ap.a xspixsTsta yhrjTat vermeiden
wollte, dünkt uns nicht im mindesten befremdlich; man ver
gleiche 48 ’’ 6 f.: y.al toutw SiaipEpouoi twv dXXwv £wwv oti p,ijjw)Tiy.<j>-
xaTov eot; -/.ts., 52 b 3f.: eitel Sy) y; ävayv/üpto«; tivwv eutlv avayvApio’.;,
ai p.ev OaTEpou xpo? tov ETspov -/.te. oder 55“ 33 ff.: oio euepuöu^ r t
xoiY)T'.y.v; eotiv y) p.avty.ou • to6twv ydp ot ptev — ot 8s -/.ts. Zu ap.a icept-
xeteG vergleiche man, wenn es Noth thut, Meteor. II 8, 368 il 34:
o-ou 3’ ap.a y.up.a aewptw yeyovev -/.te. Die ap.a xepwtSTEta erfolgenden
Erkennungen werden c. 16, 54 11 29 «i e y. xepuceTeiae genannt. —
In dem letzten der angeführten Sätze endlich habe ich die
anerkanntermassen vorhandene Lücke so ausgefüllt, wie dies
zur Hälfte schon im Riccardianus, zur anderen Hälfte von M.
Schmidt und Spengel geschehen ist. Genauer gesprochen, es
bedarf zur Erklärung der Corruptel jetzt nicht mehr der An
nahme einer Lücke, da 060I16P durch das gewöhnlichste aller
Buchstabenverderbnisse zu dem (jüCriGP der Handschrift zu
sammengeschmolzen sein kann.
Cap. 12. Ueber die Unechtheit dieses Abschnittes sollten
die Acten längst geschlossen sein. Dass derselbe an völlig
ungehörigem Ort erscheint und den Zusammenhang der Dar-
10
II. Abhandlung: Gomperz.
Stellung aufs empfindlichste unterbricht, dies hat auch die con-
servativste Behandlung der Poetik anzuerkennen nicht umhin
gekonnt. Dass aber der Eindringling nicht nur der vorliegenden
Stelle des Buches, sondern diesem überhaupt, ja den Werken
des Aristoteles fremd ist, das ist noch immer nicht so allgemein
anerkannt, wie man erwarten sollte. Darum werden ein paar
die alte Athetese bekräftigende Bemerkungen hier vielleicht an
ihrem Platze sein. Sogleich Anfang und Ende, die sich in
ihrer UebereinStimmung stützen und eine tiefeingreifende Aen-
derung nicht gestatten (pip») os -payMCilccq olg piv w? eföeot Sd
/pvjsOat und pspv; Ss ~pa-pooiac oTc pev (wq eiSecrt Susemihl) Sei /pr r
cOat), dürfen als des Aristoteles völlig unwürdig gelten. Die
Theile, deren man sich als Arten bedienen soll oder gar deren
man sich schlechtweg bedienen soll — dies ist und bleibt ein
Unsinn, den keine Interpretationskunst in Sinn verwandeln
kann. Dass der verkehrte Ausdruck aus der dem Interpolator
bereits verstümmelt vorliegenden Stelle 50 a 12f. geflossen ist,
kann überdies kaum bezweifelt werden. Was frommt da
M. Schmidt’s Restitutionsversuch, der aus 6; sT8e« ein an sich
allerdings wohlverständliches wc £l'(pv;-at ev fezat ~o\g si)5ect ge
winnen will? Ein Leck wird zugestopft, ein anderes und noch
grösseres thut sich auf. Denn aus den Worten ehe el’Seui schim
mert doch etwas wie ein ungeschickter Versuch hervor, den
Begriff qualitativer Verschiedenheit auszudrücken. Wo aber
bleibt dann der Gegensatz zu zaea ok tc iroopv, zu den quan
titativen Bestandteilen? Kann irgend ein anderer als der
schlimmste Stümper zwei Species eines Genus einander derart
entgegensetzen, dass er die eine Unterart ihrem Wesen nach
(mehr oder weniger geschickt) charakterisirt, von der anderen
aber nichts Anderes zu sagen weiss, als dass man sich ihrer
überall bedienen soll? Doch von dem erwähnten Rettungsver
such abgesehen, wie widersinnig ist in jenem Eingangs- und
Schlusssatz auch der Ausdruck oel /pija0ai, der sich mit dem
völlig sachgemässen vA/pr t -n<xi (50 a 13) ganz und gar nicht ver
gleichen lässt. Denn unmöglich kann Aristoteles es dem Tra
gödiendichter rathen, empfehlen oder vorschreiben wollen, dass
er sich der eilte, der XsE'.c, des p.uöoc u. s. w. zu bedienen nicht
unterlassen möge. Sind doch diese u.epr, aus der Analyse des
Bühnenbildes selbst gewonnen als die jeder Tragödie, ja man
Zu Aristoteles’ Poetik. II.
11
darf sagen jedem Drama inhärirenden Bestandtheile. Ich will
auf weitere Einzelheiten nicht eingehen. Nur die Definition
des Stasimon: ,ein Chorlied ohne Anapäste und Trochäen', also
nach seinem Versmasse gekennzeichnet, während die unmittel
bar vorhergehende und augenscheinlich (man beachte auch ;j.ev
und os) contrastirend entgegengesetzte Parodos nach ihrer
Stelle im Drama charakterisirt wird, mag den Freunden dieses
Abschnitts noch zu weiterer Erwägung empfohlen sein. Unser
Urtheil über denselben kann nicht anders lauten als also: das
zwölfte Capitel macht, abgesehen von der ungehörigen Stelle,
an der es erscheint, abgesehen auch von der Schiefheit seiner
Begriffsbestimmungen und Gegenüberstellungen, inmitten der
Poetik den Eindruck, den eine Polizeiverordnung inmitten eines
rechtsphilosophischen Werkes hervorbringen würde. Ueberall
sonst der schärfste Sinn für das Wesentliche, alle Forderungen
aus der Sache selbst heraus begründet, mit weitherzigem Sinn,
fern von aller Kleinlichkeit, ohne einen Gedanken daran, dass
das zur Zeit Geltende in allen Einzelheiten unwandelbar und
unverbesserlich sei (vgl. vor allem 49 a 7, 51 b 11 ff. und 21 ff.);
hier im besten Falle die dürre Aufzählung des eben zur Stunde
Ueblichen und Gütigen.
Die Verfechter der Echtheit des Abschnittes werden viel
leicht auf die so auffällige Ungleichmässigkeit der Behandlung
hinweisen, die verschiedene Gegenstände im ,Staatswesen der
Athener' erfahren haben, auf die erstaunliche Breite, mit der
die Einzelheiten des Gerichtswesens geschildert werden, im
Vergleich zu der Dürftigkeit, mit der andere Seiten des Ver
fassungslebens erörtert, wenn nicht (wie die Formen der Ge
setzgebung) ganz und gar verschwiegen werden. Allein die
Analogie ist nur eine scheinbare. Der entscheidende Grund
für die Athetese liegt nicht in dem Mangel an Gleichmässigkeit
der Ausführung sondern darin, dass jenes Capitel Dinge als
principiell wichtig behandelt, die nach der in den übrigen
Abschnitten vorherrschenden Auffassung blos. accidenteller
Art sind. Eine andere Stütze der Ueberlieferung könnte der
Vergleich mit den bekannten Mittheilungen ,über die Komödie'
(Anecd. Paris, ed. Cramer, I 403ff.) zu gewähren scheinen, in
denen man einen Auszug aus dem verlorenen zweiten Buche
der Poetik erkannt hat. Dort erscheinen als ,vier Theile der
12
II. Abhandlung: Gomperz.
Komödie* der Prolog, der Chor, der Act und der Nachact
(irpoXofoc -/optttbv OTeiaoStov äjoSo?). Damit sind die vier Haupt-
hestandtheile eines griechischen Dramas bezeichnet, die aus
dem Zusammenwirken von Chor und Schauspielern sich mit
Nothwendigkeit ergaben. Wenn diese allein in unserem zwölften
Capitel aufgezählt und erläutert wären, so Hesse sich gegen
dasselbe wenig sagen, falls es an geeigneter Stelle und nicht
mitten in einem dadurch gewaltsam auseinandergerissenen Zu
sammenhang erschiene, falls es nicht den Gegensatz der con-
stitutiven Elemente zu den äusseren Bestandtheilen in stam
melnden Worten zum Ausdruck brächte, falls es endlich nicht
durch seine seltsame, das Ende an den Anfang ängstlich
schmiegende Stilisirung unseren Verdacht erregte. Nun liegt
freilich der Einwand nahe, dass jenes Uebermass der Theilung
und Untertheilung der Bestandtheile des Dramas, das in un
serem zwölften Capitel so wohlgegründeten Anstoss erregt, in
jenen Excerpten nur darum fehle, weil es eben Excerpte sind.
Dem gegenüber darf man jedoch wohl darauf hinweisen, dass
jene schematische Darstellung zwar so viel als möglich über
Bord geworfen und in allem gespart hat, nur eben nicht in
Einteilungen und Definitionen. Man vergleiche das Schema,
welches die Ursachen des Komischen enthält, mit seinen zwei
Haupt- und seinen ungefähr zwanzig Nebenrubriken. Nicht zu
wenig sondern zu viel hat in diesem Betrachte der excerpirendc
Bearbeiter gethan; wie er denn bei der ersten Einteilung der
Poesie der von Aristoteles einzig und allein anerkannten mi
metischen eine nicht-mimetische gegenüberstellt und in eine
historische, paideutische u. s. w. gliedert! Wie viel des Falschen
dieses aus Echtem und Unechtem wunderlich zusammengewobene
Machwerk im übrigen enthält, das zeigt der erste Blick auf Wen
dungen wie i/v. oe [rrpspa iyjv Xfiirijv, was von der Tragödie, und
l/u 8l p.r/cspa tbv fiXma, was von der Komödie gesagt wird (vgl.
übrigens Bernays im Rhein. Mus. VIII 561 ff.). Man sieht, es ist
eine schwache Stütze, die jene Excerpte dem fragwürdigen Ab
schnitt der Poetik gewähren können. Um das Geringste zu sagen:
der Möglichkeit, dass die Untertheilung jener vierfachen Ein-
theilung durch die Schuld des Excerptors verloren ist, steht
mindestens gleichwerthig die andere Möglichkeit gegenüber, dass
selbst jene Viertheilung nicht aristotelischen Ursprungs ist.
Zu Aristoteles’ Poetik. II.
13
Cap. 14, 53 b 22 ff.: tou? p,ev ouv 7tapEiXr)p.pivou? p.60ou<; X6eiv
ouy. euriv — otutbv Se süplcrasiv (§’ eoeuptV/.siv ?) Sei y.al Tote ■jrapa-
3eSo|j.£vo!(; /pyjdki y.aAöp. Icli setze diesen Satz hierher, um an
seine auffallende formelle Verwandtschaft mit 49 a 7 ff. zu er
innern : to p.ev ouv eotozotceTv ap’ b/v. t;3y) fj "pa^toSia xöiq EiSeatv
biavw? r] ou ■— oaaoc Xö-pS- An beiden Stellen nämlich nimmt
Aristoteles einen Einwand vorweg, um ihn vorgreifend zu
beantworten. Und diese Antwort besteht in einer der nach
folgenden Aufstellung vorangeschickten Einschränkung. In
jenem Satze des Cap. 4 geht diese einschränkende Rechtferti
gung ihrem Gegenstände ziemlich weit voraus. Und so konnte
es geschehen, dass Leser und Herausgeber, denen es an zu
länglicher Vertiefung fehlte, diesen Sachverhalt verkannt haben.
Will man den Schluss des Capitels richtig beurtheilen
und die unleugbaren Widersprüche, die sich zwischen dieser
und anderen in der Poetik enthaltenen Erörterungen vorfinden,
nicht durch willkürliche Conjecturen vertuschen, so darf man
nicht vergessen, dass Aristoteles mehr als eine blosse Denk
maschine ist. Sein persönlicher Geschmack und die Ableitungen
aus seinen theoretischen Grundsätzen stimmen nicht durchweg
überein. So wenn er die bei wechselseitiger Unkenntniss der
Personen erfolgende Wehethat bevorzugt oder gar der unter
solchen Umständen nicht zum Vollzug gelangenden, sondern
blos drohenden That den höchsten Rang einräumt. Dass im
ersteren Falle doch immer ein Element des Zufalls waltet,
übersieht der sonst so unermüdliche Verfechter strengster Cau-
salität; und die Ueberlegenheit des leidvollen als des die Affecte
stärker erregenden Ausgangs erkennt er zwar bereitwillig an,
so lange er die Frage gleichsam abstract erörtert, allein sie
tritt sofort in den Hintergrund angesichts der Erinnerung an
jene Scene der Merope, die seinem verfeinerten, aller groben
und crassen Bühnenwirkung abholden Gesehmacke so volles
Genüge gethan hat. Hat ihn doch dieselbe Geschmacksver
feinerung sogar dazu verleitet, die Bühnenwirkung in einem
grundsätzlich gewiss ganz und gar nicht zu rechtfertigenden
Masse zu unterschätzen. Man fragt sich seiner wiederholten
Versicherung gegenüber (50 b 18, 53 b 4 und 62 :l 11), dass das
Drama auch bei der Lectüre seine volle Wirkung thue, welchen
Zweck denn die Aufführung überhaupt erfülle und warum man
14
II. Abhandlung: Gomperz.
es nicht bei Buchdramen bewenden lasse. Vor conjecturalen
Correcturen dieser Geschmacksurtheile aber hätte schon die
unverkennbare Klimax (-/et'ptcrcov, Seutspov, ßeX-nov und -/.pättoxov)
bewahren können — ein Fingerzeig, dessen nicht misszuver
stehende Weisungen man nicht ungestraft verachtet hat.
Cap. 15, 54“ I7ff. t Sb YjOoc p.bv bav woxsp s)\iyßr) ic'oifi
savipbv b Xo-poc ■?, r, xpäljt? xpoafpsaiv Ttva f h /pYj<7rbv Sb eav xpYjanjv.
Diese, die handschriftliche Gestalt der Stelle bietet drei
Anstösse dar: 1) f t entzieht sich jeder Construction und jedem
Verständniss. Die Apographa haben durch eine willkürliche
Interpolation, manche neuere Kritiker durch Tilgung des Wört
chens, Vahlen in seiner Ausgabe endlich durch Einschaltung
der völlig sinngemässen Ergänzung (y; ~ic äv) Rath geschafft.
2) Der Mangel an Congruenz zwischen ©avspov und xpoaspeatv ist
schon in der Aldina durch die Schreibung oavspav beseitigt
worden. Allein so gering die Aenderung ist, sie kann kaum
für wahrscheinlich gelten, weil die Tendenz der Schreiber und
Correctoren allezeit weit mehr dahin ging, vorhandene schein
bare oder wirkliche Incongruenzen zu verwischen als deren
zu schaffen. Wenn Vahlen die Incongruenz für erträglich er
klärt, so hat er uns doch keine Belege mitgetheilt, die dieses
sein Urtheil zu stützen vermögen. 3) Das Subject zu best kann
hier nicht die Tragödie bilden, die ja jedesmal mehr als einen
Charakter in sich schliesst (und von individuellen Charakteren
ist, wie das Nachfolgende zeigt, an diesem Ort allein die Rede),
sondern man muss dazu denken: eine Figur des Dramas.
Diese Brachylogie ist im Munde des Verfassers der Poetik
keineswegs auffällig, wohl aber darf man erwarten, dass die
Umgebung sie deutlicher, als es bei der herkömmlichen Fassung
des Satzes geschieht, hervortreten lasse. Eine Schreibung des
selben, die ohne jedes Aufgebot gewaltsamer Heilmittel den
drei namhaft gemachten Anforderungen genügt, dürfte sich
selbst ausreichend empfehlen. Ich nehme an, dass eine Zeile
von 16 Buchstaben ausgefallen ist, und schreibe: ecjst Sb rßoe
jj.bv iäv foaxsp iht/Jir, xocy) ©avspbv o Acvoc r, xpa^tg xpoai'psat'v uva
(b'yovta, öxola tic av) y), ypYjmov Sb bav /pYjtTtijv.
54“ 22 ff. habe ich bereits anderwärts (Eranos Vindobo-
nensis S. 80) behandelt. Ich füge nur die Bemerkung hinzu,
Zu Aristoteles’ Poetik. II.
15
dass mir 22 nur die Wahl gelassen scheint zwischen Seuxspov
3s t'o appiTTov oder, was wahrscheinlicher weil minder gewalt
sam ist, SsÖTepov os t'o äpp.0TT0VTa (nämlich eTvai Ta v^Orj). So wollte
Vahlen in seinen ,Beiträgen' II 33 die Stelle schreiben und
erklären, desgleichen in seiner ersten Ausgabe. Die Verwand
lung des to in das toc der Handschrift ist ein Fall jener man
möchte fast sagen unvermeidlichen Angleichung benachbarter
Worte, die uns in den Handschriften unaufhörlich begegnet.
Musste ich soeben das, was Vahlen jetzt als einen ,error'
bezeichnet, gegen ihn selbst in Schutz nehmen, so muss ich
nunmehr einen Interpretationsversuch anfechten, den er in den
,Beiträgen' vorgebracht und in seiner Ausgabe unentwegt auf
recht erhalten hat. Es gilt die Rechtfertigung der Worte
54 a 28 f. eoriv OS orapaosiYP-a -ovv)ptac p.sv p i;9ouc p.rj ava-piatov oTov o
MsvsXaop o ev tw ’Opssrrj—. Hier soll ,ein unmotiviertes Exempel
der Charakterschlechtigkeit' (a. a. 0. 34) oder ein ,exemplum
non necessarium, quod facile euitari potuit' gemeint sein, wäh
rend wir, wenn irgend eine derartige Bestimmung, so doch nur
die der unmotivirten oder unnöthigen Charakterschlechtigkeit
erwarten können. Statt jedoch mit Spengel avaf/.alov in ävay-
v.aiao zu verwandeln, ziehe ich es vor, die zwei Worte p.t] avay-
zafov für den ungeschickten Zusatz eines male sedulus lector
zu halten, der sich der Parallelstelle 61 b 19 ff. zwar mit Recht
erinnert, dabei aber übersehen hat, dass dort das pw) avct-po)?
o'JOYjc dem Zusammenhang wohl entspricht, hier aber demselben
ganz und gar fremd ist.
Cap. 16. Auf die ,Sterne', die Karkinos in seinem
•Thyestes' als Erkennungszeichen verwendet hat (54 b 22 f.),
würde ich nicht zurückkommen, wenn es sich blos um die
Sammlung des hieher gehörigen literarischen Materials han
delte, die bereits der treffliche Tyrwhitt aufs beste besorgt
hat. Nur der Möglichkeit möchte ich gedenken, dass dieses
Muttermal ganz ebenso wie jenes des thebanischen Geschlechtes
der Gegeneis (wozu gleichfalls Tyrwhitt das Erforderliche bei
gebracht hat) ein thatsächliches Vorkommniss gewesen sei. Die
Dynastie der Pelopiden in das Reich der Fabel zu verweisen
haben wir doch angesichts der mykenischen Funde wahrlich
keinen Grund, mag auch der Ursprung und die Geschichte
16
II. Abhandlung: Go mp er z.
derselben noch so sehr mit Mythen verwoben sein. Es ist die
geschichtliche Analogie, die mich vermuthen lässt, dass uns in
dem Bericht über dieses erbliche Muttermal keineswegs ein
poetisches Figment vorliegt und dass Welcher’s Ausspruch:
,die Sterne . . . scheinen den hellen Glanz zu bedeuten, der
als Muttermal die Pelopiden, wegen der elfenbeinenen
Schulter des Pelops, auszeichnete* (Griech. Tragödien 1063)
in sein Gegentheil zu verkehren ist. Die elfenbeinene Schulter
des legendarischen Ahnherrn dürfte ein Erklärungsmythos sein,
der eben das Vorhandensein jenes Muttermales bei den Mit
gliedern des mykenischen Fürstengeschlechtes zu rechtfertigen
bestimmt war. Noch heute besteht in Süd-Arabien ein Fürsten
haus (das Geschlecht der Fodli), dessen Mitglieder seit andert
halb Jahrhunderten durch eine erbliche Missbildung — sechs
statt fünf Finger — ausgezeichnet und darob vom Volke hoch
geehrt sind (vgl. H. von Maltzan, Reise nach Süd-Arabien,
S. 259 und Herbert Spencer, Political institutions, p. 354).
Drei Stellen dieses und des folgenden Abschnitts versucht
Vahlen dadurch verständlich zu machen, dass er annimmt, das
Compositum ävayvwpüji) habe gleichfalls die bisher nur für das
Simplex yvwpüjo nachgewiesene Bedeutung des ,Bekanntmachens*
besessen. Es sei mir erlaubt, die Gründe darzulegen, die mich
diesen Versuch als einen gelungenen zu betrachten verhindern.
Die erste dieser Stellen lautet also: oTov ’0pe<rn)<; ev -ri) ’[<piy£VEta
ävsyvwptasv öv. ’OpscTY]i; (54 11 31 f.). Wer sieht nicht, dass jene
Auskunft nur einen Theil der hier vorhandenen Schwierigkeit
hinwegräumt? Es bleibt eine kaum erträgliche Unbehilflichkeit
des Ausdrucks zurück (in ’Opecjxr)c — dvEyvwpiaev oxt ’OpsaTY)?).
Und während Vahlen’s Arzenei hier zum mindesten keine aus
reichende Heilkraft bethätigt, erscheint uns von anderer Seite
eine Hilfe, die von diesem Heilmittel ganz und gar abzusehen
gestattet. Die, allerdings nur mit grosser Vorsicht zu be
nützende, arabische Uebersetzung kennt jenes erste 'Opiavqi;
nicht und führt uns somit zu einer schon vorher von Diels ver-
mutheten, ganz befriedigenden Gestaltung des Satzes: ,wie in der
Iphigenie (diese) erkannt hat, dass (jener) Orestes ist*. Noch
weniger frommt uns jener Versuch Cap. 17, 55 b 21 f.: aü-co; 3e
dtpty.vet'ai /u[mcOs.\q y.ai avayvioplcrat; Tivac v.ik. Müssen doch hier
zu der Hypothese, dass dvayvupi£u) so viel bedeute als ,bekannt
Zu Aristoteles’ Poetik. II.
17
machen', noch die zwei ungleich gewagteren Hilfshypothesen
treten, dass das Activum von avayviop^w reflexivische Bedeutung
habe und das dazu gehörige Object die Person bezeichnen
könne, der sich jemand bekanntgibt. Es soll also dvayviop^M
Tcvi gleich sein einem ävaYvtop^op.ai ttvi oder %poq uw. Doch
lassen wir Vahlen selbst sprechen: ,— exspectamus solummodo
„postquam nonnullis ipse se declarauit quis esset.“ quod in
illis uerbis inesse nec nego neque uero affirmare audeo'. Ich
sollte meinen, dass die Behutsamkeit des Kritikers in jenen
von uns hervorgehobenen Worten das statthafte Mass über
schreite. Auf alle Fälle kann diese Stelle auch von dem Ur
heber jenes Versuches nicht für seine These verwerthet werden.
(Da hier die Nothwendigkeit einer Emendation unverkennbar
vorliegt, so wage ich den Vorschlag: dv«fvü)piad(|j,eSoi; rcpb? <j>!Xous)
tiva? o'juoq [so schon M. Schmidt statt atnfcx;] ETriOep.Evo? abzbq p.sv
sctwÖy; tou? 8’ iyßpobq StäpÖstps). 1 So bleibt denn von jenen drei
1 Meine Aufmerksamkeit ist durch eine freundliche Mittheilung Herrn
Dr. Rudolf Münsterberg’s auf einige Schriftstellen gelenkt worden, die
mit der hier in Frage stehenden eine gewisse Verwandtschaft besitzen.
Apollodor schreibt I 9, 8 von den Söhnen der Tyro: teXeicoOevces oe ave-
yvtopiaav T7]v [Aiyclpa xai n)v (j.7]ipuiav cbtEXTEtvav SiSrjpw; desgleichen sagt
derselbe Schriftsteller (III 5, 5) von Ampliion und Zethos: oi os ava-
yvtoptaavTEi; T7jv [j.rjxepa xov [J.sv Auxov xtEtvouat, T7)v oe Aipxqv xtL Ein
Scholion zu Apollonius Rhodius (A 1091, p. 516, 12 f. Merkel) endlich
enthält in der dem zweiten Buch des Pherekydes entnommenen Er
zählung der Schicksale des Perseus den Satz: auxos 8s s?<; Aaptaaav,
xai acptxojj-Evo^ ’Axpiaiov avayvtopi^Et %oci auv auxw EjcsaOai £t$ "Apyog tceiGei.
Die Ausdrucksweise ist in den sämmtlichen drei Stellen eine einiger-
massen befremdliche. Ist doch die Erkennung jedesmal eine wechsel
seitige, während von ihr so gesprochen wird, als ob sie eine einseitige
wäre. Es lässt sich jedoch, wenn wir nicht irren, ein Grund dieser
Seltsamkeit angeben. Akrisios war vor seinem Enkel geflohen; er wird
von diesem ereilt und zur gemeinsamen Heimkehr nach Argos bewogen.
War auch der Enkel dem Grossvater bis dahin ebenso unbekannt wie
der Grossvater dem Enkel, so fällt doch das Schwergewicht der Er
kennung auf die Entdeckung des flüchtigen Akrisios durch Perseus.
Und nicht wesentlich anders steht es in den zwei übrigen Fällen. Die
Söhne der Tyro und jene der Antiope finden ihre Mutter wieder und
rächen die eine wie die andere an ihren Feinden. Das der allerdings
wechselseitigen Erkennung nachfolgende Handeln beruht somit auf der
Erkennung nicht sowohl der Söhne durch die Mutter als der Mutter
durch die Söhne.
Sitzungsber. d. phil.-liist. CI. CXXXV. Bd. 2. Abh.
2
18
II. Abhandlung: Gomperz.
Stellen nur eine einzige übrig: sXOwv 3e viat X^aOct? G6saÖai piXXwv
aveyvtbpterev. Hier wird es wohl, da der Annahme jenes eigen-
thümlichen Gebrauches von keiner Seite eine Stütze erwachsen
ist, bei dem sein Bewenden haben, was ehemals Vahlen selbst
und später M. Schmidt vermuthet hat, dass nämlich hier
eine leichte Buchstabenverderbniss vorliegt (£N statt GH), und
dass avs-pitopkOY] zu lesen ist, geradeso wie wir 54 15 26f. olov
’OSuorcebs ota XTfi oüXvj? aXXwc avsy/upicOY) v.-k. und 55 a 3f. oGev
ave^viDptaOrjcav lesen. Zu allem Ueberfluss würde ja auch an der
letzten dieser drei Stellen die Doppelannahme Noth thun, dass
dvayvtop^ci) ,bekanntgeben' bedeutet und dass das Activum
dieses Verbums in medialem Sinne verwendet wird.
Als die dritte Erkennungsweise erscheint bei Aristoteles
die durch das Gedächtniss vermittelte: •/) tpcty) Sia p.vr)p,v)s tw
euaöeaöod v. iSövta— (54 b 37f.). Es folgen zwei Beispiele: der
Held in den Kypriern des Dikaiogenes, der beim Anblick eines
Gemäldes aufschluchzt, und Odysseus bei den Phaiaken, der,
als er des Demodokos Lied vom Kampf um Troja vernimmt,
seiner eigenen Vergangenheit gedenkt und von Rührung über
mannt wird. In beiden Fällen, so fährt Aristoteles fort, führte
dies zur Erkennung (oöev dvs" l 'vwp(aQr)av.v). Was bedeuten hier
die Worte tm al'cOeaÖai? Die Uebersetzer sprechen von ,kund
gegebenen Empfindungen 1 ' (M. Schmidt), von den .Empfindungen',
die jemand ,äussert' oder ,verrätk' (Uebenveg-Susemihl); doch
Wenden wir uns nunmehr zu dem Satz der Poetik, von dem wir
ausgegangen sind, so erweist sich die Analogie dieser Parallelstellen als
eine mehr scheinbare denn wirkliche. Denn wechselseitig ist die Er
kennung nur in Betreff des Telemachos, und auch da ist es aus nahe
liegenden Gründen — da Telemaeli von Eumäos in Odysseus’ Gegenwart
als Herrscher begriisst und mit Namen genannt wird — kaum statthaft,
von einer Erkennung im technischen Sinne zu sprechen, wie denn die
Inhaltsangabe jenes Gesanges mit Fug dvayvtoptapös ’Oäuaaäus ük'o T/jks-
p.dj(ou, nicht aber umgekehrt lautet. Alle anderen Personen sind dem
Odysseus wohlbekannt, während es für den in Lumpen heimkehrenden
und von Athena absichtlich entstellten König jedesmal einer durch be
sondere Umstände herbeigeführten Erkennung durch dieselben bedarf.
Das dvayvwpiaa? uvd? gestattet somit nicht die in jenen anderen Fällen
zulässige Rechtfertigung, dass die wechselseitige Erkennung als eine
einseitige dargestellt werde; auch würde es an einem zureichenden
Motiv für diese Darstellungsweise fehlen.
Zu Aristoteles’ Poetik. II.
19
hat uns noch niemand darüber belehrt, wie al'oftecOat, das ,wahr
nehmen' oder ,merken' bedeutet, zu dem ihm hier beigelegten
Sinne gelangen kann. Oder vielmehr der einzige Vahlen hat
hier einen Interpretationsversuch unternommen, dem wir bei
zupflichten ausser Stande sind: ,tw a’fcöccöat. . . si recte intelligo
non tarn „percipiendo“ significat quam „offerendo obiiciendo
quod sensibus percipi possit“, ut quae in exemplis dicuntur
y.Xaujat oazpuaad. Dazu in der 3. Auflage ein Zusatz, der auch
der Möglichkeit gedenkt, dass das Verbum akOivsaOat hier
nichts Anderes bedeute als ,sensu quodam af'lici uel moueri'.
Die erste dieser Erklärungen scheint mir kaum triftiger zu
sein, als wenn jemand behaupten wollte, scöfto sei nicht immer
gleich ,cibo vescor', sondern könne auch so viel bedeuten als
,cibum offero quo alius vescatur'. Gegen die zweite Erklärung
muss ich die Thatsache geltend machen, dass akOocvscOca schwer
lich jemals und atcöscöai (so weit meine Umschau reicht) wohl
sicherlich niemals zur Bezeichnung von Gemüthsempfindungen
oder Affecten verwendet wird. Ich halte die Stelle für emen-
dationsbedürftig und glaube nach der Heilung nicht weit suchen
zu müssen. Ich nehme an, dass a/0sa0ai vermöge der leich
testen aller Irrungen im Archetypus als AK0GC0AI erschienen
ist; dass aber K und IC in den herculanischen Rollen z. B.
häufig gar nicht zu unterscheiden sind, weiss jeder, der mit
diesen vertraut ist. Ich beeile mich hinzuzufügen, dass, wenn
es eine Lücke auszufüllen gälte, ich nicht ä/0sc6ai, sondern ein
Verbum von allgemeinerer Bedeutung, wie etwa Tapd—scOai, für
die angemessenste Ergänzung halten würde. Doch hat diese
Specialisirung des Gedankens für den Verfasser der Poetik,
der sich gern in einer mittleren Höhe der Abstraction erhält
und dem die zwei Beispiele, die ihm hier gegenwärtig sind,
die Richtung weisen, ganz und gar nichts Auffälliges. Wie
wenig es ihm in solchen Fällen um weitgehende Verallgemeine
rung zu thun ist, dies kann uns ja in eben diesem Satze das
so specielle v. iSöv-ra lehren, das ihm nur darum in die Feder
kömmt, weil die Wahrnehmung in dem ersten seiner Beispiele
durch den Gesichtssinn vermittelt ist und er es nicht der Mühe
werth erachtet hat, das äy.ouwv seines zweiten Beispieles vorweg
m Betracht zu ziehen. Denn pedantisch ist M. Schmidt’s Zusatz:
loovta (f t iy.cAavia), gerade so pedantisch wie eines anderen
2*
20
II. Abhandlung: Gompcrz.
Kritikers Vorschlag, Cap. 15, 54 a 22f. zu schreiben: lo-uv yzp
avSpstov piv (efvat f, easeiv'ov) tto ^öo?, weil ja im Folgenden auch
der weibische Klaggesang des Odysseus in der Skylla als Bei
spiel des Unziemlichen angeführt, der Leser aber auf dieses
Beispiel nicht vorbereitet werde.
War ich soeben genöthigt, Vahlen zu widersprechen, so
freue ich mich, seiner Auflassung des aus dem ,Trugboten
Odysseus* entnommenen Beispiels der Erkennung beipflichten
zu können. Wir lesen 55 a 14 ff.: 6 psv yap tb tocov stprj yvd)<7£j6a!
o ob/ stopiy.Et, iz Ss w; St’ ezstvou ava-p^uptouvtoc oia tojtou Tcotijtrai r.y.-
pakoytspiv. Darin steckt ohne Zweifel der Gedanke: A hatte
— in einer Situation, die für uns, wenn nicht etwa ein neuer
Fund Licht gewährt, immer eine dämmerhafte bleiben wird —
erklärt, er werde den Bogen des B und eben dadurch den B
selbst erkennen, während er jenen Bogen in Wahrheit nie ge
sehen hatte. Dadurch in Schrecken versetzt, sucht B ,das ver
meintlich verrätherisehe Moment zu beseitigen oder zu bemän
teln, und gibt damit dem anderen nun erst einen wirklichen
Anhalt, um ... zu der Erkennung zu gelangen* (Vahlen, Zur
Kritik und Erklärung u. s. w., S. 17). Zur Herstellung des
verderbten Satzes hat Vahlen einen Schritt gethan durch den
Vorschlag, nach OTirjuat einen Beistrich zu setzen und irapako-
yicpiv in -apa/.c-pTp.ic zu verwandeln; ferner hat er die Lesart
einer Handschrift : Sia toüec statt oiä toutcu mindestens der Er
wähnung werth erachtet. Mir gilt TOifjaai als völlig unver
ständlich, und ich verlange an seiner Statt ein Wort, das eben
jenes .Beseitigen*, aber wohl nicht in dieser abstracten All
gemeinheit bezeichnet hat. Welche gründlichere Art der Be
seitigung aber gäbe es als ein Verbrennen, mag nun dieses
vollbracht oder (was wahrscheinlicher ist) nur versucht worden
sein? Kurz, ich glaube den zweiten Theil des Satzes also
schreiben zu müssen: t'o oh <I>c 5t’ sxsfvou ava-p/upio'jvTOc Sta -routo
■j-OKpijcra!, xapaXoYtqii?. Und nun noch eines. Soviel ich sehen
kann, hat bisher niemand daran gezweifeit, dass der Besitzer
des Bogens, also unser B, kein anderer als Odysseus selbst sei.
Es lag so verführerisch nahe, an den gewaltigen Bogen zu
denken, den dieser in seinem Palast zu Ithaka allein zu spannen
vermochte. Man hat jedoch hierbei, falls ich nicht irre, zweierlei
übersehen. Erstens, Odysseus tritt nur in seiner Heimat, wo das
Zu Aristoteles’ Poetik. II.
21
Drama nicht wohl gespielt haben kann, nicht aber im Krieg
als Bogenschütze auf. Zweitens aber und hauptsächlich: wie
unwahrscheinlich, dass dort, wo eine feinberechnete Täuschung
mit vollendeter Kunst vollführt ward, der geriebene Schlaukopf
Odysseus der Getäuschte und nicht vielmehr der Täuschende
gewesen ist.
Den Schluss des Capitels bildet jener entweder ganz und
gar auf Interpolation beruhende oder doch aufs gröblichste
entstellte Satz (55 a 19 f.): ai yäp tooxü-m piva: aveu toW seron)-
pivwv cr^.vMv y.a). Sspafwv. Wahrlich, wie Ironie klingt es, wenn
Valilen hierzu im Commentar bemerkt: ,haec planissima sunt
quamquam a Spengelio praue intellectah Spengel hat (Aristot.
Studien IV 51) unseres Erachtens das Vorhandensein eines
Textesschadens vollkommen richtig erkannt, aber seine Hei
lung mit unzulänglichen Mitteln in Angriff genommen. Der
Thatbestand ist einfach dieser. Aristoteles hatte im Voran
gehenden fünf Arten der Erkennung durchmustert: die durch
Wahrzeichen erfolgende, die vom Dichter gleichsam gemachte,
die durch Vermittlung der Erinnerung bewirkte, die auf einem
Schluss oder einer Combination beruhende, endlich die aus
dem Verlauf der Begebenheiten von selbst hervorgehende Er
kennung. Dass er der letzten Art den obersten Rang ein
räumt, das steht wie mit seiner allgemeinen Theorie vom Aufbau
der Fabel so mit der Reihenfolge, in der die fünf Erkennungs
weisen erscheinen und die augenscheinlich eine sorgsam
durchgeführte Klimax bildet, im besten Einklang. Eine wei
tere Begründung dieses Vorrangs, etwa durch den Hinweis
darauf, dass diese Erkennungsweise allein von jedem Anflug
von Willkür und Absichtlichkeit frei sei, ist zwar völlig ent
behrlich, aber darum nicht unmöglich. Vielleicht hat etwas
Derartiges in Wahrheit einmal dagestanden, und die Worte
povat fap ä'vs'j mögen ein Rückstand dieses verständlichen und
verständigen Gedankens sein. Der Rest des Satzes aber ist
heller Unsinn. Wenig frommt es, mit Spengel zwischen r.vr.y.-
lipivuv und GYjpduv ein v.a : . einzuschalten, was auch darum kaum
zulässig scheint, weil Aristoteles zwar ava-p/upics:; -s-nripiva:
aber damit noch keineswegs uiuoiTjp-Eva innerhalb der avoqvwpfceic
kennt. Ich schweige von dem Anstoss, den die Coordination
des Genus und der Species (der Wahrzeichen und der Hals-
22
II. Abhandlung: Gomperz. Zu Aristoteles 1 Poetik. II.
bänder) darbietet, ein Anstoss, den man vielleicht mit unge
wöhnlicher Lebhaftigkeit der Rede — zu der nur eben kein
besonderer Anlass vorliegt — zu entschuldigen versuchen
könnte. Allein nichts und niemand vermag den Widersinn
hinwegzuräumen, der darin liegt, dass jenes ,sie allein sind
frei von den gemachten Wahrzeichen und Halsbändern* auch
den durch die Erinnerung und den durch Combination ver
mittelten Erkennungsweisen diesen Makel anheftet, während
selbst die nachträgliche, freilich folgewidrige Milderung dieses
Urtheils, die der vierten Erkennungsweise zu Theil wird (oeuxspai
8e cd £•/. auXko-ftagoo), der dritten ganz und gar versagt bleibt.
III. Abh.: Schönbacb. Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
l
III.
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
Von
Anton E. Schönbach,
corresp. Mitglied der kais. Akademie der Wissenschaften.
Erstes Stück:
Ueber Kelle’s ,Speculum Ecclesiae'.
Auf den folgenden Blättern wird der Versuch gemacht,
die lateinische Vorlage der wichtigen Sammlung altdeutscher
Predigten, die Johann Kelle 1858 (München, Franz) veröffent
licht hat, zusammenzustellen. Zwar hat bereits R. Cruel in
seinem ausgezeichneten Werke ,Geschichte der deutschen Pre
digt im Mittelalter' (Detmold 1879), S. 169 f. für eine bedeutende
Anzahl von Stücken die Quellen mit grosser Mühe ermittelt,
allein seine Angaben bedürfen doch in vielen Punkten der Be
richtigung. Ich habe deshalb auch hier das Verfahren ein
geschlagen, welches sich, wie mir scheint, beim zweiten und
dritten Bande meiner , Altdeutschen Predigten' (1888. 1891) be
währt hat: ich habe die gefundenen lateinischen Vorlagen, so
weit sie von dem deutschen Bearbeiter benutzt worden waren,
zusammengetragen und in stetem Vergleiche mit dem deutschen
Texte zum Abdrucke gebracht. Es ist damit, glaube ich, die
urkundliche Grundlage für das Studium dieser Sammlung deut
scher Predigten gegeben, und von welcher Seite her immer
man an sie herantreten und sich mit ihnen wissenschaftlich
beschäftigen mag, man wird diese lateinischen Quellen nirgends
entbehren dürfen. Die Ai’beit ist von mir zuerst 1887 unter
nommen und im Wesentlichen durchgeführt worden, seither
habe ich sie noch zweimal genau überprüft, so dass ich jetzt
nichts Besseres zu bieten weiss.
Sitzungsber. d. pliil.-Uist. CI. CXXXV. Bd. 3. Abh.
1
2
III. Abhandlung: Schönbach.
Einige Zeit hindurch habe ich geschwankt, oh ich die
behandelte Predigtsammlung nicht zweckmässiger nach dem
ältesten nachweisbaren Aufenthaltsorte der Handschrift, dem
Kloster Benedictheuern, benennen sollte, da der vom Heraus
geber gewählte Titel ,Speculum Ecclcsiae' sich sachlich kaum
rechtfertigen lässt und zu Schlüssen auf Beziehungen verleitet,
die nicht zutreffen. Allein diese Bezeichnung des Denkmals
ist einmal in der deutschen Philologie herkömmlich, bei allen
Wörterbüchern, Grammatiken u. s. w. im Gebrauch, und eine
Veränderung wäre nur dann räthlich, wenn es gelänge, eine
vollkommen passende ausfindig zu machen. Das ist aber so
lange nicht der Fall, als wir das alemannische Kloster nicht
kennen, in dem diese deutsche Arbeit ursprünglich entstand,
und so lange wir nicht wissen, woher die Abschrift kam, die
nachmals in Benedictbeuern eine bleibende Stätte fand. So
mag es bis auf weiteres bei dem bekannten Titel bleiben.
Den Eingang der Handschrift bilden sieben vollständige
liturgische Stücke und der Anfang eines achten; sie sind sämmt-
lich zuletzt unter der Ueberschrift ,Benedictbeurer Glaube und
Beichte IIP in der dritten, durch Steinmeyer besorgten Auflage
von Müllenhoff-Scherer’s Denkmälern als Nr. XCVI heraus
gegeben worden, vgl. dazu die Anmerkungen 2, 451 ff. Nach 3 b
folgt eine Lücke von zwei Blättern. Da, wie sich zeigen wird,
von der ersten Predigt nur ein kleines Stück fehlt, so hat auf
den mangelnden Blättern entweder eine ganz kurze Predigt ge
standen, oder, was ich für wahrscheinlicher halte, noch ein paar
Gebete, vielleicht eines des Predigers oder eine Ansprache an
die Zuhörer, wie sie gelegentlich vorkamen; vgl. Guibertus de
Novingento, Liber, quo ordine sermo fieri debeat, Migne 156,
24C. Gottfried von Admont, Liber de benedictionibus Jacob
cap. 11, Migne 174, 1158. Hugo de St. Victor, Miscellanea j(Ex-
cerpte aus seinen echten Werken, aber nicht von ihm, sondern
von Victorinern zusammengestellt, vgl. Haureau, Notices et Ex-
traits 2, 269), Lib. 6, tit. 15, Migne 177, 819 B. Petrus Cantor,
Verbum Abbreviatum cap. 7, Migne 205, 40 ff. Demnach wäre
das Stück, welches 8, 10 beginnt, die erste Predigt der Sammlung.
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt
3
1. 8, 10 — 13, 16.
Die fehlende Ueberschrift des Stückes wird gelautet
haben De adventu Domini; Steinmeyer hat Anz. f. d. Alterth.
2, 228 etwas zu enge den ersten Adventsonntag angenommen.
Als Quelle der Predigt hat Cruel S. 169 den Sermo de ad
ventu Domini ermittelt, der in den Deflorationes Patrum des
Werner von Ellerbach, Migne 157, 751 ff. steht. Er sagt über
dieses Verhältniss: ,Den Schluss hat der Verfasser hinzugefügt,
die ganze übrige Predigt ist eine Uebersetzung —, woraus
nur eine Anzahl längerer und kürzerer Stellen weggelassen ist'.
Diese Angabe kann ich nicht ganz als richtig gelten lassen.
Es gibt nämlich von dieser lateinischen Predigt noch eine
zweite gedruckte Fassung, die von Beaugendre und Bourasse
als Eigenthum Hildeberts von Lavardin, Bischof von Le Mans,
später Erzbischof von Tours, angesehen und in ihrer Samm
lung der Sermones de Tempore dieses Autors als Nr. I In ad
ventu Domini, Sermo priinus, gedruckt worden ist, Migne 171,
343—347. Aber auch Hildebert ist nicht der Verfassei - dieser
Predigt, sondern Gaufredus Babion, der Scholasticus von Angers
(vgl. Bourgain, La chaire frangaise au XII 0 siede, p. 63 f.), das
hat Haureau, Notices et Extraits 2, 100 gezeigt, der hinzufügt
S. 101: ,Faisons remarquer que ce sermon n’est pas complet
dans l’edition de Beaugendre. La lin manqued Die Vergleichung
des deutschen Stückes mit den beiden lateinischen gedruckten
Fassungen bestätigt diese Beobachtung von Haureau. Vor
allem aber ergibt sich, dass nicht die Fassung in Werner’s
Deflorationes dem deutschen Bearbeiter Vorgelegen hat, sondern
eine andere, welche dem Drucke in Hildeberts Werken ganz
nahe steht, wahrscheinlich aber mit der handschriftlich über
lieferten des Cod. 12420 der Bibliotheque Nationale identisch
ist. Den Text der Predigt bildete Isai. 35, 4—6: Dicite pu-
sillanimis (pusillanimes hat Hildebert und das Pariser Ms.):
confortamini et nolite timere: ecce Deus vester (ultionem ad-
ducet retributionis, Deus ipse — fehlt bei Hildebert und Werner)
veniet et salvabit vos. tune aperientur oculi caecorum, et aures
surdorum patebunt, tune saliet sicut cervus claudus, et aperta
erit lingua mutorum —. Der Anfang der Predigt, welcher im
Deutschen mangelt, lautete lateinisch: Ante adventum Domini,
4
III. Abhandlung: Schönbach.
fratres charissimi, in tanta caligine genus humanum volvebatur,
quod nec Deum cognoscebant, neque verba ejus audire vole-
bant, neque bene operabantur, neque peccata sua confitebantur.
cumque uiultis animae infirmitatibus detinerentur, placuit sumrno
medico eos visitare et suis medicinis eos relevare. sed notat
Isaias propheta in quatuor languoribus eos specialiter laborare.
caeci enim ei’ant, et surdi, et muti, et claudi. Mit dem näch
sten Satze beginnt das deutsche Stück.
8, 10—13 Hildebert 343 B: cum aegritudines eorurn sanare
vellet, ne miseri desperarent, voluit eis adventum suum prae-
n untiare, voluit consolationibus suis eos confortare. Werner
liest 751 D: voluitque eos confortationibus suis consolare; der
deutsche Text hat: unte mit sinem tröste sterehen, woraus
schon erhellt, dass die Fassung im Drucke bei Hildebert be
nutzt wurde. Ich merke an, dass in diesem Stücke durch die
einfachen Worte zwiveln 8, 12. 17. 10, 32. 11, 5; zmvil 10, 26.
11, 11 desperare und desperatio übersetzt werden. Althoch
deutsch war das, wenn Grraff 5, 724ff. gut unterrichtet ist,
noch nicht der Fall, und die Beispiele des Mhd. Wtb. 3, 960
scheinen zu lehren, dass diese Bedeutung in alter Zeit auf die
geistliche Prosa beschränkt war.
8, 13 f. Hildebert 343 B: vultis audire qui sunt legati?
Isaias et alii prophetae. — Daraus und aus der allzu grossen
Knappheit des deutschen Ausdruckes scheint mir hervorzu
gehen, dass hier etwas ausgefallen ist, vielleicht: wellet ir ver
nemen, wer die boten sint (die) er da vur sante? oder eine
kürzere Construction.
8, 15—22 Hildebert 343 B: Audite quam consolationem
legatis injunxit: vos, ministri mei, dicite miseris, qui jacent in
doloribus, qui desperant in infirmitatibus: o, ,pusillanimes, con-
fortamini, quia ecce Deus vester venieth ecce medicina vestra.
ecce salus vestra veniet et salvabit vos. eas infirmitates, quibus
subjacetis, sanabit. quia ,tunc aperientur oculi caecorum, et
aures surdorum patebunt, tune saliet sicut. cervus claudus, et
aperta erit lingua mutorund. Weil der deutsche Bearbeiter
16 ligent für das Präsens jacent schreibt, braucht man nicht
zu schliessen, er habe für sein die da gezwivelt habent in der
Vorlage desperaverunt gefunden: er fasste die Verzweiflung
als einen vorübergehenden, das Krankenlager als einen dauern-
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
5
den Zustand auf. — 19 ff. got iioir, iu, iuch, iwirrn (mit la
teinischer Wortstellung) weist auf Hildeberts Fassung vester,
vestra, vos, gegen Werner’s noster, nostra, nos. — 19 f. ziehen
die Vorlage zusammen, dagegen sind die hotin 21 verdeut
lichend eingeschaltet.
8, 22—27 Hildebert 344 A: caeci erant, quia Deum ignora-
bant; surdi, quia verba ejus negligebant; claudi, quia recte per
bona opera non incedebant; multi, quia peccata sua tacebant.
haec surditas et caecitas et alia, quae sequuntur, a primo ho-
mine initium sumpserant.
8, 27■—9, 13 Hildebert 344 AB: Adam enim in primo prae-
cepto sibi a Deo injuncto surdus effectus est. cum enim dictum
sit ei: ,in quacunque die de ligno scientiae boni et mali come-
deritis, morte morieminP (Genes. 2, 17), non audisse visus est
,morte morieminP, cum non fuerit observator mandati. caecus
fuit, cum verba daemonis intellexit, dicentis: ,et eritis sicut diP
(Genes. 3, 5). cum enim putaret se fieri Deum, excaecatum
jam gerebat animum. quod deinceps ei iniproperavit Dominus,
di eens: ,ecce, Adam factus est quasi unus ex nobis‘ (Genes.
3, 22). quod deridendo dixit. qui putavit se futurum Deum,
modo invenit se miserum. ,factus est quasi unus ex nobis', id
est, siinilis Patri et Filio et Spiritui sancto, id est, factus est
Deus, quod sub ironia dictum est, quia se aliter invenit, quam
putavit. — Der deutsche Bearbeiter hat also in Wirklichkeit
nur ein paar kleine Zusätze aus seiner Kenntniss der biblischen
Erzählung des Sündenfalles beigefügt, im Uebrigen die Abfolge
der Gedanken vereinfacht und ist der Freiheit des französischen
Predigers ausgewichen, indem er Gottes Worte nicht als Spott
und Ironie bezeichnete. — 6 gewizzin bedeutet hier unzweifel
haft ,Sinne, sensus - ': Gesicht und Gehör, daz er gotis gebot ver-
chos braucht nicht in clo er geändert zu werden, vgl. C. Kraus,
Deutsche Gedichte des 12. Jahrhunderts (1894), Anna, zu
XI, 477.
9, 13—23 Hildebert 344 B: claudicavit Adam, quia, dum
coepit incedere, id est operari (das fehlt Werner, im deutschen
Texte muss es statt: do er got solte haben geworft heissen: do
er guot solte haben geivorht), pravo gressu incessit. vulneratus
est enim aculeo mortis et venenosi serpentis, et male operando
claudicavit. primum, quod legitur fecisse, peccatum est. duos
6
TII. Abhandlung: Schönbach.
pedes debet habere homo, dilectionem Dei et proximi. qui
altero eorum caret (somit ist 19 zu lesen: swer der dewedirs
ane ist), claudus est. Adam vero claudicavit, quia nimium
uxorem dilexit, sed ab amore Dei se retraxit. Deum non di-
lexit, cujus mandatum neglexit. uxoris amorem Dei amori
praetulit, cum libentius uxoris persuasioni quam Dei obediyit
voluntati. itaque claudicavit (fehlt Werner). — Der deutsche
Bearbeiter hat hier seine Vorlage ein wenig zusammengezogen.
9, 23—30 Hildebert 345 A: mutus vero fuit in confessione
peccati, quia non solum non confessus est peccatum, sed ex-
cusare coepit malefactum, dicens: ,mulier, quam dedisti mihi,
dedit mihi de ligno, et comedff (Genes. 3, 12). cum enim ait:
,mulier, quam dedisti mihi‘, in mulierem culpam convertit, et
Deum etiam infamare voluit in hoc verbo, quod dedit. —
24 1. leider sine schulde, wofern nicht überhaupt etwas aus
gefallen ist, vgl. Zeitschr. f. d. Alterth. 24, 88. — Die Fassung
Werner’s schliesst hier S. 755 f. zwei grössere Citate aus Augu
stinus an und die Bemerkung: hic dividatur senno, si placet.
Das fehlt Hildebert und dem deutschen Texte gleichermassen.
9, 30 — 10, 8 Hildebert 345 A: audistis, fratres, quomodo
Adam surdus, caecus, claudus et mutus effectus est. in haec
eadem vitia genus liumanum devolutum erat, antequam Christus
in mundum venisset. adeo homines excaecati erant, quod idola
colerent (33 an pettin, Werner coluerunt). ■— surdi erant juxta
hoc quod Isaias ait: — ,Domine, quis credit auditui nostro‘?
(Isai. 53, 1 = Joann. 12, 38. Rom. 10, 16 — fehlt Werner). —
claudicaverunt male operando, juxta illud: ,omnes declina-
verunt —; non est qui faciat bonum‘ (Psalm. 13, 3). muti facti
sunt tacendo peccata. — Sechs Bibelcitate sind im Deutschen
fortgelassen, offenbar weil es dem Bearbeiter unmöglich schien,
sie ohne Erläuterung zu verstehen.
10, 8—19 Hildebert 345 C: haec omnia, fratres charissimi,
sanavit medicus coelestis. caecos illuminavit, cum aperuit sen-
sus hominum, ut intelligerent Scripturas, et cum Patrem suum
annuntiavit mundo (wird im Deutschen in den verständlicheren
heilant umgesetzt) —. aures aperuit, cum clamabat: ,qui habet
aures audiendi, audiat' (Matth. 7, 16). et gentilis populus
habuit aures apertas, cum praedicationem ejus libenter suscepit.
— et haec sunt (illa duo Werner), quae promisit propheta, cum
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
7
ait: ,tunc aperientur oculi caecorum, et aures surdonim patebunt'.
— Hier sind drei Bibelstellen im Deutschen weggelassen.
10, 19— 11, 5 Hildebert 345 D: Sequitur — claudi erant,
ut diximus, quia recte non incedebant, bonis operibus non va-
cantes; sed gressus hominum direxit, cum corda eorum ad viam
coelestis patriae direxit (es ist also 22 statt erwachte zu lesen
errachte). corda directa sunt, cum neque ad dexteram, neque
ad sinistram divertunt. dextera est misericordia Dei. sinistra
autem est desperatio, unde ait Isaias: ,haec est via, ambulate
in ea, neque ad dexteram, neque ad sinistram divertentes' (Isai.
30, 21). Judas et diabolus, qui desperaverunt, ad sinistram
diverterunt (311. verwielin). Origenes vero, qui nimium con-
fidendo in misericordia Dei praedicavit diabolum salvandum
esse, idque post mille annos, nimis ad dexteram exorbitavit.
itaque medius callis sequendus est, ut neque desperent liomines,
neque contidentes in misericordia licenter peccent. — Ein fol
gender Vergleich mit der Bundeslade bleibt im Deutschen weg.
11, 6—17 Hildebert 346 B: ideo David ait: ,beneplacitum
est Deo super timentes eum, et in eis, qui sperant super mise
ricordia ejus' (Psalm. 149, 4 -f- 32, 18). utrumque posuit, spem
et timorem. spes sine timore praesumptio est; timor sine spe de
speratio est. timor aufert nimiam securitatem, ne nimis ad-
haereat dexterae (zu ergänzen wird sein: spes in misericordia
aufert praesumptionem, ne nimis adliaereat sinistrae. Beide
Sätzclien sind im Deutschen 12 f. zusammengezogen). de hac
via recta ait Johannes: ,parate viam Domini, rectas facite se-
mitas Dei nostri' (Isai. 40, 3. Matth. 3, 3. Marc. 1, 3. Luc. 3, 4).
sed in hac recta via saliendum est, unde dicitur: ,et saliet
sicut cervus claudus'. ■— Bei Werner steht darnach eine grosse
Einschaltung über die genera cervorum, die bei Hildebert und
im Deutschen fehlt.
11, 17 — 12, 3 Hildebert 346 C: cum venerit ad loca spi-
nosa et lutosa, transiliet (Werner: saliendo transilit). similiter,
peccator, si occurerit tibi amor divitiarum, quae pungunt solli-
citudine, si lutum (so Werner, bei Hildebert: tactus amore)
luxuriae vel alicujus voluptatis fetidae, transilito mente (so
Werner, Hildebert: transiliendo dimitte). Hier setzt der
deutsche Text eine Fassung voraus, die der Werner’s näher
steht. Das geht schon aus den letzten Worten hervor, die 23
8
III. Abhandlung: Schönbach.
wiedergegeben werden: so schuln ivir mit vrumchlichem muote
drubir springin; das Folgende wird dann zu lesen sein: unt
schuln diz ze gemuote (diz ze guotef) da bicherin. Die la
teinische Vorlage hält den Gegensatz des Bildes fest: spinae—
lutum. Vielleicht ist darnach im Deutschen 22 ein unbelegtes
sunftecliche zu schreiben = lutosa, vgl. Otfrid 5, 23, 110:
wir birun zi unmezze hiar emmizzen mit hazze, in suntono
sunftin mit grozesn ungizunftin. — cervus deserit valles et
ascendit montes. tu desere terrena et pete coelestia. (Darnach
bleibt eine Bibelstelle im Deutschen weg.) cervus senescens
devorat serpentem et tune nimio ardore currit ad fontem, post
cujus potum deponit veterem pellem et cornua et rejuvenescit
(Werner: reviviscit). sic, peccator, occide serpentem et curre
ad fontem, id est ad Christum, et depone veterem hominem,
id est superbiam, ut dicas cum David: ,quemadmodum desi-
derat cervus ad fontes aquarum, ita desiderat anima mea ad
te ! (Psalm. 41, 1). — Ausser einigen kleinen Zusätzen aus der
Bibelsprache ist im Deutschen 35 f. als Erläuterung beigefügt.
12, 3—15 Hildebert 346 D: Sequitur: ,et aperta erit
lingua mutorumf cum enim clamaret Christus (der Zusatz im
Deutschen hält die Disposition aufrecht): ,agite poenitentiam 4
(Matth. 3, 2), qui prius erubcscebant contiteri peccata sua,
tune poenituerunt; confessione peccata sua detexerunt. cla-
mavit veniam Maria, quae prius muta erat, clamavit veniam
latro in cruce, qui prius tacebat (peccata nach Werner), ecce
muta locuta est, ecce mutus locutus est. ostendimus, quid utili-
tatis adventus summi medici mundo intulit. completa est pro-
plietia, venit medicus, aegrotos curavit. — Hiermit schliesst
Werner’s Fassung; dass er aber seine Vorlage nur abgebrochen
hat, lehren seine eigenen Worte 755 D: verum quia de primo
adventu Christi quaedam protulimus, congruum est, ut et de
secundo ejus adventu aliqua proferamus.
12, 15—30 Hildebert 346 D: sed quae utilitas nobis salus
aliorum, nisi nobis haec curatio profuerit. timendum, ne aliquis
inter nos adhuc in infirmitate jaceat. omnium tarnen nostrum
oculi sunt aperti, quia fideles estis, Deum cognovistis —. sed
aliquando surdi estis, quia verbum Dei audire fugitis, aut
auditum contemnitis. cavete, ne vobis dicatur: ,propterea vos
non auditis, quia ex Deo non estis 4 (Joann. 7, 37). aliqui enim
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
9
vestrum claudicant, quia male operantur. aliqui etiam ob-
mutescunt, quia peccata confiteri erubescunt. sed modo est
tempus confessionis et satisfactionis, quia imminent jejunia.
(Es ist also klar, dass die Predigt auf einen Sonntag des Ad
ventes fällt.) quid autem est jejunium nisi satisfactio? quid
autem valet satisfactio, nisi praecedat confessio? prius dimitte
culpam et recognosce eam, antequam quaeras veniam et susti-
neas satisfactionis poenam. parate ergo vos Domino venienti
et praecinite Domino in confessione peccatorum, ut in die
Nativitatis ejus psallatis ei in confessione laudum. dies enim
Adventus non sunt nisi praeparatio quaedam, — ut videlicet
digni simus futura solemnitate et gaudio Nativitatis nostri regis.
antiqui Patres contra Adventum Christi se praeparabant, ut
digni essent redemptione futura. — 24 f. gemelichen. — Die Er
wähnung des jüngsten Gerichtes ist ausgeführt mit Hilfe der
bekannten Stellen: Matth. 16, 27. 2 Tim. 4, 1. 1 Petri 4, 5.
Job 19, 25ff. Joann. 5. 25ff. 1 Cor. 15, 35ff. Wahrscheinlich
fand sich das schon in der benutzten Fassung der lateinischen
Vorlage.
12, 31 —13, 16 Hildebert 347 C: ergo ,hora est jam nos
de somno surgere. abjiciamus ergo opera tenebrarum et in-
duamur arma lucis, sieut in die honeste ambulemus. non in
comessationibus et ebrietatibus* (Röm. 13, 11 f.). vitate ebrie-
tates, abstinete a carne. gula vos non inquinet. amator enim
munditiae et sobrietatis est Dominus, quem exspectamus. nonne
domus vestras egregie ornaretis (daher 1. 6: so ziertit irz),
si ad vos venturus esset imperator temporalis? ornate corda
vestra vii’tutibus, ut digne recipiatis Regem angelorum. — Es
ist nicht unbedingt nöthig, dass für 9—15 noch eine Vorlage
angenommen werde, da sich hier nur bereits vorgekommene
Gedanken wiederholen. 13 1. sinen zorn ruoch von uns ze
ehern. Die Formel 16 lautet: Adjuvante eodem Domino nostro,
qui cum Patre et Spiritu sancto vivit et regnat per saecula
saeculorum. So heisst sie auch in der Fassung Hildeberts.
2. 13, 17— 17, 11.
Hier verhält sich die Sache fast ebenso wie bei dem
ersten Stück. Cruel hat zuerst die Quelle dafür angegeben
und spricht sich darüber S. 169 folgendermassen aus: ,Auch
10
III. Abhandlung: Schönhach.
diese Predigt ist die Uebersctzung einer Rede in Werner’8
Deflorationes (col. 788), und zwar der zweiten Hälfte, während
der doctrinäre Inhalt der ersten Hälfte in ein paar einleitenden
Sätzen erledigt wird. Dass der Uebersetzer einzelne Stellen
ausgelassen, ist hier wie überall selbstverständlich, dagegen
hat er den Passus über das Einhorn aus der Weihnachts
predigt des Honorius entlehnt und hier eingefügt/ Der Sermo
de Nativitate Domini bei Werner 788—794 ist aber eine Be
arbeitung dessen, der als In Nativitate Domini sermo tertius
unter dem Namen Hildeberts von Lavardin in der Sammlung
De tempore Nr. 11 (Migne 171, 390—394) abgedruckt ist.
Und dieser hinwiederum gehört nicht Hildebert, sondern aber
mals dem Gaufredus Babion, wie Haureau a. a. 0. 1, 34 f. nach
gewiesen hat. Wenn Cruel meinte, der deutsche Bearbeiter
habe so sehr Vieles aus seiner lateinischen Vorlage fortgelassen,
so steht es nunmehr so, dass er eine andere Fassung genau
benutzt hat, indess das Original durch Werner bedeutend er
weitert worden ist.
13, 18—14, 1 Hildebert 390 C: ,Apparuit benignitas et
humanitas Salvatoris nostri Dei, non ex operibus justitiae,
quae fecimus nos, sed secundum misericordiam suam salvos nos
fecit‘ (Tit. 3, 5: lectio zur zweiten Messe des Weihnachtsfestes).
Acquisierat sibi, fratres, genus. human um astutia diabolicae
fraudis. subdiderat illud suae ditioni per peccatuin primi pa-
rentis. Dominus vero — sic voluit genus humanum per gratiam
redimere —. tali ergo consilio egit Dominus de humana repa-
ratione. necessarium erat, ut — talis mitteretur, qui — cum
sapientia omnia tractaret. Adam purus homo fuit et ideo ex
humana fragilitate tentationibus diabolicis succubuit; et prop-
terea purus homo ad redemptionem mittendus non foret, qui
vel per se, vel, cum tentaretur, peccare potuisset. angelus
tarnen non erat mittendus in hac militia, quia peccare poterat,
qui prius peccavit in superbia. necessario igitur mittendus erat,
qui peccare non poterat. — missus est ergo Filius —. Dabei
ist eine Erörterung über das Verhältniss der Personen der
Trinität im Deutschen weggeblieben. 13, 29 ist statt niemen
wolte er sentin zu lesen: deheinen reinen menschen wolte er sentin.
14, 1—26 Hildebert 391 B: ,apparuit‘ ergo ,benignitas et
humanitas Salvatoris nostri Dei 4 , id est Deus et homo. ,non 4
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
11
tarnen ,ex operibus justitiae, quae fecimus nos, sed secundum
misericordiam suam salvos nos fecit. revelata est enirn Christi
nativitas multis modis. revelata est per angelos pastoribus,
revelata est per stellam regibus. audivimus enim in Evangelio,
quod ,pastores erant in regione eadem vigilantes et custodientes
vigilias noctis super gregem suam. et ecce angelus Domini
stetit juxta illos, et timuerunt timore magno, et dixit eis an
gelus: nolite timere. ecce enim evangelizo vobis gaudium ma-
gnum, quod erit omni populo, quia natus est vobis liodie Sal
vator, qui est Christus Dominus' (Luc. 2, 8 ff.), et ubi est natus ?
in civitate David, id est Bethlehem. ,et hoc vobis signum:
invenietis infantem pannis involutum et positum in praesepio.
et subito facta est cum angelo multitudo militiae coelestis exer-
citus laudantium Deum et dicentium: gloria in excelsis Deo,
et in terra pax hominibus bonae voluntatish hoc audientes pa-
stores venerunt usque Bethlehem, et viderunt, sicut dictum
fuerat, ad illos per angelum. — 14, 9 (jelern übersetzt audivimus;
12 allin (jähes = ecce. Dass 12 der Engel bei den Hirten
Gabriel heisst, steht nicht im Evangelium, ist aber eine alte
Ansicht der Kirchenlehrer; vgl. Gregor M., Homil. in Evang. 34,
Migne 76, 1250 f.; Beda im Lucascommentar, Migne 92, 332. —
13 Luc. 2, 9: et claritas Dei circumfulsit eos. Es muss daher
gelesen werden: unt wiel (statt vil) michil lieht al umbe si.
Der deutsche Bearbeiter citiert also das Evangelium genauer
als die Vorlage. — 14f. gemäss dem Texte ,nolite timere, ecce
enim evangelizo vobis gaudium magnum —' ist hier etwas
ausgefallen; ich vermuthe, es ist zu lesen: niwit furhtit iu,
ivan ich tuon iu hie ze stete chundunge —. 18 f. chint, 20 f.
menige sind aro v.oivou construiert, aber unter dem Zwange der
lateinischen Vorlage. — 19 Es darf nicht iz vor ist geleit ein
geschaltet werden, vgl. Kraus a. a. 0. Anm. zu II, 107. X, 39.
— 21 Auf eine Ergänzung weist wohl das Einschaltungszeichen
der Handschrift nach got (Zeitschr. 24, 89).
14, 26 — 15, 7 Hildebert 391 D: merito hoc angelus nun-
tiavit, quia ßex angelorum natus erat, et dignum erat, ut cum
magna luce apparuisset angelus, quia solem justitiae, lumen
.in tenehris declaravit exortum. pastoribus nuntiatus est, quia
natus est ille, qui ait: ,ego sum pastor bonus' (Joann. 10, 11).
per stellam apparuit regibus, quia Rex erat et Stella. Rex,
12
III. Althandlung: Schimbach.
unde scriptum est: ,ego autem constitutus sum Rex ab eo'
(Psalm. 2, 6); Stella, unde scriptum est: ,oriotur stella ex Jacob'
(Rumer. 24, 17). merito itaque apparuit pastoribus et regibus,
quia ipse erat rex et sacerdos natus de regali et sacerdotali
genere. de regali semine, quia de semine David; de sacer
dotali, quia Maria cognata Elisabetb erat. — 14, 30 wesin offin-
bare inrunnin ist ganz der Vorlage nach construiert; mit der
Auffassung von inrunnin hatte übrigens Bech, Germania 4, 495
recht. — Die selbständige Bibelkenntniss des Bearbeiters zeigt
sich 33, wo er aus Joann. 10, 11 noch übersetzt: bonus pastor
animam suam dat pro ovibus suis, dann 35f., die nach ,Rex
regum et Dominus dominantium' 1 Timoth. 6, 15. Apoc. 19, 16,
sowie nach Ps. 146, 4. 148, 3 erweitert sind. — Zu 15, 1
vgl. Rabanus Maurus, Migne 112, 1051. — Gemäss der Vor
lage ist 15, 5 nach geslahte ausgefallen: was er geborn, wan er
ivas uz kunic Davidis geslahte; von ewartlichem geslahte —.
Die überlieferte Verbindung zwischen Christi Abstammung und
der Verwandtschaft Maria’s und Elisabeth’s ist Unsinn.
15, 7—25 Hildebert 392 A: sed audite, quid attulit:
,ecce evangelizo vobis gaudiuni magnum, quia natus est vobis
hodie Salvator', vere gaudium magnum. captivi eramus in car-
cere, jacebamus in infirmitate. natus est medicus. ecce gaudium
magnum. multo magis erat gaudendum (so Werner, Hildebert
gaudium) hominibus, cum angeli gauderent et dicerent: ,gloria
in excelsis Deo', gaudium erat apud angelos de restauratione
diminuti ordinis. laudabant Dominum de reparatione hominum
ad restaurationem angelorum. — notandum est, quare dixit
,bonae voluntatis', et non actionis, quia voluntas bona sufficit,
si facultas operationis desit. itaque bona voluntas valet ali-
quando sine operatione bona; operatio vero nunquam sine bona
voluntate. —- Fortgelassen ist im Deutschen ein dogmatisches
Stück, zugesetzt 16 f. die wohlbekannte Auffassung des zehnten
Engelchores und seines Falles mit Lucifer. Gemäss der Vor
lage ist 22 zu schreiben: der genuogit da ze guote und 23 hilf et
da ze guote.
15,25—16,13 Hildebert 392 C: ostendimus, fratres cha-
rissimi, quomodo apparuit benignitas et humanitas Salvatoris,
sed non est silendus ordo gloriosae ejus nativitatis. — ait enim
Isaias: ,egredietur virga de radice Jesse, et flos de radice ejus
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
13
ascendet — 1 (Isai. 11, 1). hoc etiam ostensum est prius in figura
Aaron. Dominus enim praeeepit de singulis tribubus virgas
afferri. allatae sunt virgae duodecim, inter quas etiam una,
quae fuerat Aaron sacerdotis; positae sunt a Moysi in taber-
naculo testimonii. virga autem Aaron post alterum diem in-
venitur produxisse fiores et fron des, et peperisse nuces (Numer.
17, 1—8). ecce prophetia et figura: Jesse fuit pater David,
radix Jesse familia Judaeorum, virga est Maria, fios filius ejus —.
similiter virga Aaron, quae sine semine produxit nuces, signat
Mariam, quae sine semine genuit Christum, in nuce, quae
signat corpus Dominicum, tria sunt: cortex, testa, nucleus.
cortex amarus designat carnem, quae habuit passionis aniari-
tudinem. testa significat ossa. nucleus interior animarn virtu-
tibus candidam. — Nur an einer Stelle 15, 28 ist vor dem
Citat ein Satz ausgelassen, der auf die Fülle der Prophezien
und Vorbilder hinweist. — 26 1. guotheit (statt gotheit). —
28 1. Dannin sprichit s. Isaias. — 30 ff. Die Erzählung von
Aarons Gerte ist hier sowohl nach den Angaben der Vulgata
selbst als nach denen der Commentatoren (denn dass die Gerten
dürr waren, steht nicht im biblischen Text) bestimmter gegeben
worden. Sie war besonders bekannt durch die Nachbildung
im Evangelium Pseudo-Matthaei, ed. Tischendorf cap. 8, p. 66 ff.
— 16, 31. wahrscheinlich: do iz des andern morgins wart. —
4 1. giwunnin. — 7 fehlt gemäss der Vorlage nach bezeichente:
der Jüdin kunni, diu gerte bezeichente —. Vgl. dazu Anselm
Salzer, Die Sinnbilder und Beiworte Mariens (1893), bes. 118,
Anm. 1. — Recht geschickt ist 10 ff. die schwierige Auslegung
der Vorlage vereinfacht worden.
16, 14—23 ist, wie schon Cruel angab, aus der Weihnachts
predigt bei Honorius Augustodunensis im Speculum Ecclesiae,
Migne 172,819B übertragen. Die Uebereinstimmung ist wörtlich,
daher nicht daran gedacht werden darf, der deutsche Bearbeiter
habe vielleicht einen Physiologus benutzt. Es heisst bei Ho
norius: Unicornis dicitur bestia uno tantum cornu ferocissima;
ad quam capiendam virgo bella (so zu lesen statt puella) in
campum ponitur, ad quam veniens et se in gremio ejus reclinans
capitur. per bestiam hane Christus exprimitur, per cornu
(schon Kelle hat im Glossar born zu horn gebessert) insupera-
bilis fortitudo exprimitur. qui in uteruin virginis se reclinans
14
III. Abhandlnng: Schönbacli.
captus est a venatoribus, id est, in humana forma inventus
est a suis amatoribus.
16, 23 — 17, 10 Hildebert 393 A: missus est itaque Gabriel
angelus ad Mariam in Nazareth, et nuntiavit descensum Domini
in uterum ejus (Luc. 1, 26). Der Satz verschmilzt sehr gut
mit dem Schlüsse der Einschaltung aus Honorius durch die
gemeinsamen Bestandtheile. Es bleibt dann ein grösseres Stück
aus Hildebert fort: die Deutung von Nazareth und der Besuch
Marias bei Elisabeth. Dann folgt Hildebert 393 C: postea con-
tigit Joseph ire in Bethlehem cum uxore sua praegnante; cum-
que impleti essent dies, ut pareret, diverterunt in stabulum, et
peperit sine dolore, et pannis eum involvit (Luc. 2, 7). Daran
schliesst sich 16,30'—17,2 eine Einschaltung, die besonders
Isai. 1, 3 verwendet, wie es in der Weihnachtspredigt bei Werner,
Deflorationes 778 D geschieht: Legerat in Isaia: ,bos cognovit
possessorem suum, et asinus praesepe Domini sui*. videbat in
praesepio Dei Filium, — unicum Filium vagientem. An diese
Stelle knüpft auch der Aberglaube an, dass die Thiere, be
sonders die Rinder im Stalle, während der Christnacht sprechen.
Vgl. schon Honorius a. a. 0. 816 A: fertur etiam brutum animae
hodie fuisse humana voce locutum, insinuans videlicet, quod
ad laudem Domini os gentium debuit aperiri, prius mutum.
Mit 17, 3 geht der deutsche Bearbeiter wieder auf Hildebert
393D über: hodie, fratres charissimi, celebramus temporalem
nativitatem propter nos acceptam. hodie suscepit mundus in-
firmus (so ist mit Werner 794 C zu lesen) sanitatem, hodie
captivus libertatem, hodie reeuperavit exul haereditatem. sus-
cipiamus ergo hodie Regem venientem, praeparemus ei habita-
cula pectorum contra talem imperatorem, ut nos dignetur susci-
pere in coelesti Jerusalem, qui vivit et regnat per omnia
saecula saeculorum, Amen. Durch die Einfügung 17, 8 f. ist
der deutsche Schluss sehr gut geworden.
3. 17, 11 — 20, 17.
Für dieses Stück ,In octava Domini* (seil, nativitatis)
weist Cruel S. 169f. die Quelle in Beda’s Homiliae Genuinae
Lib. 1, Nr. 10 nach (Migne 94, 53 ff.). Sein Ausdruck, der
deutsche Text bilde ,eine auszügliche Uebersetzung*, kann leicht
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
15
missdeutet werden; jedenfalls verfährt der Bearbeiter hier kaum
weniger genau als in den beiden ersten Stücken, und wo er
Sätze und Abschnitte der Vorlage weglässt, sind seine Gründe
dafür leicht zu erkennen.
17, 12—30 Beda 53 C: ,Dum consummati essent dies octo,
ut circumcideretur puer, vocatum est nomen ejus Jliesus, quod
vocatuni est ab angelo, priusquam in utero conciperetur' (Luc.
2, 21). sanctam venerandamque praesentis festi memoriam
paucis quidem verbis evangelista comprehendit, sed non pauca
coelestis mysterii virtute gravida (so statt gravidam) reliquit.
— Hier wird von dem Bearbeiter ein Satz weggelassen, der
sich auf frühere Vorgänge bezieht. — subjunxit atque ait:
(folgt der Textspruch), haec sunt festivitatis hodiernae gaudia
veneranda, haec sacrae solemnitatis diei, haec illa supernae
pietatis munera sacrosancta, quae fidelium cordibus commendans
apostolus ait: ,ubi venit plenitudo temporis, misit Deus Filium
suum factum ex muliere, factum sub lege, ut eos, qui sub lege
erant, redimeret, ut adoptionem filiorum reciperemus' (Galat.
4, 4). — Darnach fällt ein Satz aus über die Sendung nicht
eines Engels, sondern des Sohnes Gottes. — quem — providit,
ut hunc factum ex muliere, hoc est, ex maternae carnis sub-
stantia, ad humanos verum hominem proferret aspectus, qui —
veram naturae mortalis infirmitatem — indueret. et ut nobis
necessariam obediendi virtutem praecipuo commendaret exem-
plo — suscepit ergo circumcisione lege decretam in carne. —
17, 20- gemeint ist also erwirdeclichen. Ich nehme nicht mit
Lexer 1, 717 an, dass eioirdeclichen ,aus einer alten Ver
wechslung' entstanden sei, sondern glaube, dass hier r ebenso
abgefallen ist wie in dem parallelen er (prius) > e. Vgl.
Weinhold, Mlid. Gramm. 2 § 213; Schaper, Zur Laut- und
Flexionslehre des Spec. Eccles. (1891) § 16. — 25 Nach ivibe
fehlt wohl geborn. — 27 den ivunsch siner kinde übersetzt ad
optionem filiorum etwas seltsam. Das Wort adoptio kommt
m der Vulgata nur in den Paulinischen Briefen (Römer und
Galater) vor. Ahd. Glossen aus St. Gallen (Steinmeyer 1, 758)
geben adoptionis Rom. 8, 15 durch kasazzit wieder. Das Ver
bum adoptare enthalten Exodus und Esther in der Vulgata; so
findet es sich in Karlsruher Glossen zu Exod. 2, 10: adoptavit
sibi m filium, zua kiuunscta hiru zi suniu (Steinmeyer 1, 335,
16
III. Abhandlung: SchÖnba cli.
15 f.) und ohne bestimmte Stelle in Oxforder Junius und Karls
ruher Glossen: adoptantes, zua uunscante (Steinmeyer 1, 271.
18). Diefenbach’s Novum Glossarium belegt für adoptio: ze
wünschend, für adoptivus: zogewunsciter, für adoptatus czw-
gesaczt und cswgehunscht erben. Daraus erhellt schon die Un
vollkommenheit der Uebersetzung hier.
17, 30 — 18, 10 Zunächst sind die Angaben über die Be
schneidung von dem Bearbeiter aus eigener Kenntniss hinzu
gefügt, vgl. Genes. 17, 12: infans octo dierum circumcidetur
in vobis; Levit. 12, 3: et die octavo circumcidetur infantulus.
Dazu Beda 55 A: cuncta et legalis et evangelicae purificationis
genera, qui nullo indiguit, Dominus suscipere non despexit,
ut consummandae jam legis decreta suo tempore doceret esse
saluberrima, et advenientis Evangelii cunctis fidelibus osten-
deret aequa subeunda remedia. — 54 D: sed veniens in carne
Dei Filius, qui — nullam peccati contagionem contraxit de
Adam — utrumque genus purificationis subire dignatus est, et
circumcisus videlicet a parentibus octava die circumcisionis —
salutaris hostiae munus ipse templi Dominus pro se non respuit
offerri. — scire etenim debet vestra fraternitas, quia idem sa-
lutiferae curationis auxilium circumcisio in lege contra origi-
nalis peccati vulnus agebat, quod nunc baptismus agere reve-
latae gratiae tempore consuevit, excepto, quod regni coelestis
januam necdum intrare poterant, donec adveniens benedictio-
nem daret, qui legem dedit. — Da 18, 2 des allis wohl kaum
etwas anderes sein kann als der Genetiv zu gehorsam (in Bezug
auf das Alles?), so wird der zweite Genetiv sinir gebot schwer
lich bleiben dürfen, sondern zu sinem gebot geändert werden
müssen. Vgl. Beda 54 A: non quia ipse legi quidquam debeat,
qui — unus est legislator et judex —.
18,11-—19,2 Beda 55A: sed et hoc, quod eodem die
suae circumcisionis nomen, ut Jesus vocaretur, accepit, ad imita-
tionem fecit priscae observationis, quam ex eo c-redimus sumptam,
quod Abraham patriarcha, qui primus circumcisionis sacra-
mentum in testimonium suae magnae fidei et divinae ad eum
promissionis accepit, eodem die suae suorumque circumcisionis
etiam nominis amplificatione simul cum sua conjuge benedici
promeruit, ut, qui eatenus Abram ,pater excelsus' dictus est,
deinde Abraham, id est, ,pater multarum gentium' vocaretur —.
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
17
quac fidelissima promissio tarn late per orbem jam patet im-
pleta, ut etiam nos ipsi de gentibus ad fidei illius devo-
tionem vocati, ipsum nos patrem spiritualiter habere gaudeamus,
dicente etiam nobis apostolo: ,si autem vos Christi, ergo semen
Abrahae estis, secundum promissionem haeredes £ (Galat. 3, 29).
,et Sarai', inquit, ,uxorem tuam, non vocabis Sarai, sed Saram'
(Genes. 17, 15), id est, non ,principem mearn', sed ,principem';
videlicet aperte docens, ut eam — absolute ,principem £ , id est,
omnium recte credentium feminarum vocaret et intelligeret
esse parentem. — 18, 33 frouwe übersetzt hier noch princeps,
und dasselbe Wort mit weiblichem Bezug wird 19, 1 durch
das männliche vurste wiedergegeben.
19,2—12 Beda 55 C: ,sicut Sara', inquit, ,obediebat
Abrahae, dominum eum vocans, cujus estis iiliae benefacientes,
et non timentes ullam perturbationem' (1 Petri 3, 6). liaec di-
lectionem vestram, fratres, admonere curavimus, ut singuli
vestrum meminerint etiam seipsos percepta fide Christi cum
patriarchis nominis excelsi meruisse consortium, si percepta in
Christo purificatione, baptismi salutaris derivatum a nomine
Christi gaudeant mutuasse cognomen. — 19, 11 ist nach vroude
ausgefallen: mit den heiligen patriarchen.
19, 12—26 Beda 55D: — nomen datum est hominibus,
in quo oporteat eos salvos fieri. — quare autem puer — Jesu,
id est, Salvatoris nomen acceperit, non expositione, ut a nobis
possit intelligi, sed sollicita ac vigili eget intentione, ut etiam
nos possimus ejusdem nominis participatione salvari. legimus
quippe, angelo interpretante, quia ,ipse salvurn faciet populum
suum a peccatis eorum' (Matth. 1, 21). et indubitanter credimus
ac speramus, qui a peccatis salvat, ipse etiam a corruptionibus,
quae ob peccata contigerunt, et ab ipsa morte salvare non
omittit, psalmista testante, qui ait: ,qui propitius fit omnibus
iniquitatibus tuis, qui sanat omnes languores tuos‘ (Psalm. 102, 3).
— et haec est vera et plenaria nostra circumcisio, cum in die
judicii, cunctis simul animae carnisque corruptionibus exuti,
mox peracto judicio ad videndam perpetüo Creatoris faciem
aulam regni coelestis ingredimur. — vera enim circumcisione
purgatus templum Domini cum muneribus ingreditur, qui gloria
resurrectionis — cum bonorum fructibus operum supernae civi
tatis gaudia sempiterna subit. — 19, 12 ff. ist die Darstellung
Sitzungsber. d. phil.-bist. CI. CXXXV. Bd. S. Abh. 2
18
III. Abhandlung: Schönbach.
aus der Auffassung Beda’s sehr praktisch auf den Engel allein
gewendet. — 20 ist zu lesen: unde gedingen das (er) unsich
niwet einost heilet von den sunten, sunder —. Vgl. Schaper
a. a. 0. § 14. 22. — 23 ff. sind im Deutschen zwei lateinische
Sätze in einen zusammengezogen, und zwar so, dass die Form
des ersten massgebend bleibt.
19,26 — 20,4 Hier wird zunächst ein Citat (Psalm. 115,
17 f.) weggelassen und dann ein Satz, der aber zum Ver-
ständniss des Ueberganges unentbehrlich ist, Beda 56C: quod
desideratissimum tempus coelestis introitus illa dies octava, qua
eircumcisio celebratur, indicat. sex etenim sunt hujus saeculi
aetates, — in quibus pro Deo laboribus insistere et pro adipis-
cenda requie sempiterna ad tempus operari necesse est. septima
est aetas non in hac, sed in alia vita quiescentium usque ad
tempus resurrectionis animarum. octava autem aetas ipsa est
dies resurrectionis sine ullo temporis fine beata, quando —
non ultra corpus — aggravat animam. — et ideo necesse est,
fratres charissimi, ut, qui ad hujus pulcherrimae renovationis
— desideramus praemia pertingei’e, curemus circumcisionis —
subire remedia. deponamus veterem hominem, qui corrumpitur
secundum desideria carnis (so 1. statt erroris), renovemur — et
induamus novum hominem, qui secundum Deum creatus est in
justitia et sanctitate veritatis. — 20, 2 1. unde leigin an den
niwen man.
20, 4—17 Hier ist die Wiedergabe der Vorlage sehr frei:
es kommen zwar alle erwähnten Punkte bei Beda 57 vor, aber
vielfach anders gefasst: neque circumcisionem in uno corporis
nostri membro nos castigare sufficere credamus •—. est utique
cordium et aurium eircumcisio, — est et omnium exterioris
interiorisque hominis nostri sensuum. — incircumcisus est
visus, qui viderit mulierem ad concupiscendam eam. — in-
circumcisi sunt auribus, incircumcisi lingua et manibus sunt,
quorum os locutum est vanitatem, et dextera eorum dextera
iniquitatibus: qui loquuntur pacem cum proximo suo, mala
autem sunt in cordibus eorum, et dextera eorum repleta est
muneribus. incircumcisi sunt gustu — olfactu et tactu —. at
qui omni custodia servant suum cor, qui avertunt oculos suos,
ne videant vanitatem, qui sepiunt aures suas, ne audiant linguam
nequam, qui gustant —, qui custodiunt vias suas, ut non delin-
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
19
quant in lingua sua, — in naribus eorum, non loqnuntur labiis
iniquitatem, nec lingua eorum meditatur mendacium, qui levant
manus suas ad mandata Dei, qui ab omni via mala prohibent
pedes suos, — isti omnes suos sensus petra spiritualis exercitii
se ostendunt habere circumcisos. — Zu dem gern behandelten
Gegenstände vgl. Weimer 804 C, Hildebert 400 B, Honorius
842B; bei Werner 804C steht auch das Citat Jerem. 9, 21:
ne mors intret ad animas nostras per fenestras. Ferner vgl.
meine Altdeutschen Predigten 1, 188, 26 ff. 265, 6 ff. 2, 26, 36 ff.
und die Anmerkungen dazu. — Beda 57 D: petrinis quippe
cultris circumcisionem fieri legimus: petra autem erat Christus,
cujus fide, spe et cliaritate — devota purificantur corda bonorum,
quae et ipsa quotidiana nostra circumcisio, id est, continua
cordis mundatio, — quia nos in exemplum Dominicae resur-
rectionis, quae octava die -—• sanctificare consuevit, ut quomodo
surrexit Christus a mortuis per gloriam Patris, ita et nos in
novitate vitae ambulemus, praestante Deo, qui vivit et regnat
in saecula saeculorum. Amen. — Die letzten Sätze von 20, 10
ah werden so stark zusammengezogen und gekürzt, dass sie
ohne Vorlage kaum verständlich sind. Wahrscheinlich ist für
rawichlichen 15 rainichlichen zu lesen.
4. 20, 18—27.
Vgl. über dieses stille Gebet vor der Predigt Linsenmayer,
Geschichte der Predigt in Deutschland S. 137, Anm. 1, wo
noch eine zweite Fassung in einer Münchner Handschrift (clm.
19112, Tegernsee, 12. Jahrb.) nachgewiesen wird.
5. 20, 28 — 22, 17.
20,29 — 21,8 Psalm. 144,18 f.: Prope est Dominus Om
nibus invocantibus eum in veritate. Dazu noch 19: voluntatem
timentium se faciet et deprecationem eorum exaudiet, et salvos
faciet eos. Aus diesem Textspruch wäre an sich nicht genau
festzustellen, für welchen Zeitpunkt des Adventes die Predigt
bestimmt ist. Denn er wird verwendet in Feria quarta qua-
tuor temporum adventus im Graduale der Messe und an der
selben Stelle auch in der Messe des 4. Adventsonntages. Die
20
III. Abhandlung: Schönbach.
zweite Bestimmung wäre hier am wahrscheinlichsten, weil das
nächste Stück In vigilia nativitatis Domini gesetzt ist. Aber
der andere 21, 18 gebrauchte Text Rom. 13, 11 stammt ans
der Epistel des ersten Adventsonntags (vgl. Steinmeyer, Anz.
f. d. Alterth. 2, 228; meine Altd. Pred. 3, 177 ff.), und dahin
wird die Predigt auch gehören. Der Eingang stimmt so ziemlich
mit dem des lateinischen Stückes in meinen Altd. Pred. 1, 250,
Nr. 161. Die deutsche Fassung bis 21, 8 ist in jüngerer Ge
stalt beinahe wörtlich auch in eine deutsche Predigt einer
Oberaltaicher Handschrift (clm. 9611) 12./13. Jahrhundert ein
gegangen, die von Steinmeyer a. a. 0. 223 f. abgedruckt wurde.
Ygl. Linsenmayer S. 209, Anm. 1. — Für den ersten Abschnitt
ziehe ich den Eingang des entsprechenden Stückes der Leip
ziger Sammlung an, das auch in der Blaubeurer Handschrift
überliefert ist: dilectissimi fratres, propheta sanctus David
blande nos alloquitur, et quamvis peccatores, benigne nos con-
solatur, nam, sicut testatur, omnipotens Deus, qui nos sanguine
suo redemit, prope nos est, quocienscunque eum invocamus
ex medullis cordis, paratus est ad exaudiendum et ad omne
bonum, quod in ejus nomine pecierimus tribuendum. — Do
minus a regione dissimilitudinis, in quam praeceptis suis non
parendo devenimus, revocat nos dicens: ,revertimini ad me et
ego revertar ad vos‘ (Malach. 3, 7). — modo blanditur ut pater
mitissimus. Vgl. noch den Psalmencommentar des Haymo (aber
nicht von Halberstadt), Migne 116, 682 f.; Gerhoh von Reichers-
berg, Migne 194, 968 f.
21, 9—-18 Vgl. das Leipziger Stück (meine Altd. Pred.
1, 250): blanditur ad illos, quibus dicit: ,venite, filii, audite me,
timorem Domini docebo vos' (Psalm. 33, 12). — specialiter
tarnen in salutem populo suo venit, quando per nativitatem
suam genus humanum ad gaudia, unde ceciderat per culpam,
redemit. — Rabanus Maurus, Homil. Nr. 2, Migne 110, 12 BC:
ita gratiae suae misericordiam dispensabit.
21, 18—28, Rom. 13, 11: scientes quia hora est jam nos
de somno surgere, nunc enim propior est nostra salus, quam
cum credimus. Die Auslegung ist die ganz gewöhnliche, wes
halb ich aus der Tradition nur ein Beispiel anzuführen brauche,
Haymo’s Expos., Migne 117, 483 C: quia hora est, nos de somno
— vitiorum surgere. ille surgit, qui jacebat, et nos si hactenus
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
21
jacuimus in vitiis et torpore vitiorum, surgamus ad bona opera
agenda. — quae est ista salus? vita aeterna, gaudium sine
fine mansurum, beatitudo perpetua (vgl. dazu 21, 11 ff.), quam soli
electi cum angelis possessuri sunt (vgl. 22, 3 ff.), ista beatitudo
et salus aeterna propior est modo nobis quam eo tempore quando
credidimus, quoniam dum finis mundi magis ac magis appro-
pinquat, vita futura et salus aeterna magis ac magis festinat.
— Rom. 13, 11: abjiciamus ergo opera tenebrarum et induamur
arma lucis, ut in die boneste ambulemus. Vgl. noch meine Altd.
Fred. 1, 87, 34 f.
21, 28 — 22, 17 Vgl. ausser der angegebenen Haymostelle
noch Rabanus Maurus, Homil. 1 und 2 (ante natalem Domini),
Migne 110, 10 ff.: (10 B) appropinquante jam sacratissima so-
lemnitate, qua Salvator noster inter homines nasci misericor-
diter voluit, fratres charissimi, attentius considerate, qualiter
oporteat nos — praeparare, ut Dominum nostrum ■— merea-
mur suscipere et in conspectu ejus inter coetus felices sanc-
torum gratulabundo exsultare magis —•. et ideo — cum Dei
adjutorio laboremus, ut in illo die cum sincera et pura con-
scientia, mundo corde et casto corpore — possimus accedere.
— ad natalem Domini Salvatoris cum secura conscientia proce-
dant: castitate — charitate — eleemosynis —. Christus enim
Dominos, si vos ita compositos ■—- cognoverit (22, 15) — ipse
in perpetuum in illis dignabitur habitare. 12 AB: — omni
Studio ac sollicitudine sacrarum virtutum ornamento vosmetipsos
praeparare statuite, ut condigni fieri valeatis coelesti convivio
ct societate sanctorum, cum quibus gaudere appetitis. — nam
Christus Dominus noster, licet post passionem resurrexerit et
in coelum ascenderit — considerat tarnen — secundum quod
unumquemque ornatum bonis operibus viderit (22, 9) —. ecce
qualem sententiam in die judicii acceperit —. festinent se a
malis eruere, ut quae bona sunt mereantur implere, ut cum
dies judicii advenerit, non cum impiis et peccatoribus puniantur,
sed cum justis et misericordibus pervenire ad aeterna praemia
mereantur. — Gregor, Homil. in Evang. Nr, 8 (Migne 76,
1105 A): curemus ergo, fratres charissimi, ne qua nos immun-
ditia polluat, qui in aeterna praesentia et Dei cives et angelis
ejus aequales (socii 1104 D) sumus. Vgl. ferner Werner, De-
florationes, Migne 157, 788 B. Hildebert, Sermones de tempore
22
III. Abhandlung: Schönbach.
Nr. 10, Migno 171, 389 f. (= Babion nach Iiaureau 2, 101,
auch fälschlich unter Augustinus und Maximus von Turin ge
druckt). -— 22, 6 1. den die deheinen.
6. 22, 18 — 25, 11.
Der Textspruch Psalm. 95, 11 f. (statt quando hat die
Vulg. quia) steht im Offertorium der ersten Messe am Weih
nachtsfest, auch im Brevier als Antiphon in tertio nocturno
desselben Tages. Das Stück ist in allem Wesentlichen nach
der Weihnachtspredigt des Honorius August., Spec. Eccles.,
Migne 172, 815 ff. gearbeitet.
22, 19 — 23, 16 Honorius 815 A: merito jubentur hodie
coeli laetari —. hodie namque rex coelorum terras sua prae-
sentia visitare et damnum in coelo — per homines voluit re-
parare. — justi — hodie laetati sunt, quia quod multis precibus
diu praeoptaverant, desiderium suum in Christi nativitate hodie
impletum est et suum adventare praemium senserunt. pecca-
tores hodie exultare monentur, quia ad veniam vocari merentur.
Vgl. dazu und zu 23, 3 ff. die beim vorigen Stücke ausgeho
benen Abschnitte aus Babanus Maurus. — Die unbiblische
Stelle 22, 28 f. (Aehnliches sehr oft bei Augustinus) kann ich
im Wortlaute derzeit nicht nachweisen. — 23, 3 ff. Honorius
816 C: hi, qui fuerunt in tristitia, hodie a Domino consolantur —.
pauperum quoque suorum miserebitur. pauperes sunt mei con-
similes, qui mandata Domini facere neglexerunt —. hi a mi-
seria peccatorum et poenarum ab eo liberari toto corde concu-
piscunt. pauperes etiam sunt, quia se non posse salvari nisi
sola Domini gratia norunt. ideo eorum Dominus miseretur, cum
eis spem veniae pollicetur. festivae ergo laetitia hodiernae
lucis —. verumtamen cum brevitate volo vobis intimare, qua-
liter in liunc mundum venit genus humanum de potestate dia-
boli liberare. — et ideo cum magna debetis intentione audire —.
23, 16—30 Gregor, Homil. i. Evang. 8, Migne 76, 1104 C:
prius quippe quam Redemptor noster nasceretur per carnem,
discordiam cum angelis habuimus, a quorum claritate atque
munditia per primae culpae meritum, per quotidiana delicta
longe distabamus. — Rab. Maur., Migne 110, 15 D: et dicetur
de vobis: ecce populus meus, quem acquisivi sanguine meo —•
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
23
21 ff. vgl- Act. 20, 28. Rom. 5, 9. Ephes. 1, 7. Hebr. 9, 12ff. —
23 f. Gral. 4, 4: at ubi venit plenitudo temporis, misit Deus
Filium suum (in terris fehlt der Vulg., erklärt sich aber aus
Honorius 817 D: tune plenitudo temporis advenit, in quo Deus
de coelo in terram prospicere decreverat). — Rab. Maur., Migne
110, 14 D: hodie totius mundi peccatum tollitur.
23,30 — 24,10 Honorius 817 B: ut refert Evangelium,
Augustus Caesar illo tempore Romanum regebat imperium, qui
suae ditioni omnia regna subjugaverat •—. hic edidit edictum,
ut totus mundus subiret census inscriptum; et tale decretum
promulgaverat, ut omnis homo in patriam remearet, unde ge-
neris originem duxerat. — ibique quisquis judici provinciae
suae familiae genealogiam recitaret. — (818 B) legitur, quod
quidam interempti sunt, qui generationis suae seriem ignora-
verunt. — (817 C) eo tempore quidam de Bethleem, Joseph,
nomine, fuerat, qui sanctam Domini virginem Mariam — a re-
gali prosapia ortam desponsaverat. — abiit et Joseph profiteri
censum cum sponsa sua Maria in Bethleem regis David civi-
tate, eo quod ipse et virgo descenderint de David familiae
generositate. — Psalm. 84, 12: veritas de terra orta est et
justitia de coelo prospexit. Citiert bei Honorius 815 A, steht
im Brevier zur Weihnacht in secundo nocturno.
24,10—25 Luc. 2,6 f.: quia impleti sunt dies Marie, ut
pareret filium suum primogenitum. — Honorius 817 D: cum
hospitium deesset, manserunt in platea. —■ et illa nocte beata
virgo — partum fudit, qui totum mundum pugillo conclusit. —
nativitatem mox coeli gratulando nova stella prodiderunt —.
18 Luc. 2, 14. Honor. 818 D: angeli se — magniloga voce
laudis hominibus demonstrabant, quia eos ad — perpetuam
Conditoris laudem per Regem hodie natum futuros praesigna-
bant. — 818 B: quod vero omnes patriam repetebant, signi-
ficat, quod cuncti per Christum ad patriam paradysi reverti
debebant. ablatum eis patrimonium restituitur, quia amissa pa
radysi possessio fidehbus per Christum restituitur.
24,25—32 Honorius 818D: fons olei in Roma de terra
erupit et in Humen Tyberim larga vena cucurrit, quia fontem
misericordiae munda Virgo hodie produxit, qui largiter in hu-
manum genus profluxit. Vgl. Werner, Deflorationes 786 B:
septimum signum erat, quo tota die nativitatis Dominicae rivus
24
III. Abhandlung: Schönbach.
olei in urbe Roma Tiberi effusione emanavit. oleum significat
misericordiam, et in hoc demonstrabatur, quod in illa die natus
est, qui sola sui misericordia venit quaerere et salvum facere,
quod perierat.
25, 1—11 Rabanus Maurus, Migne 110, HD: haec ergo,
fratres charissimi, assidue cogitantes, qui boni sunt, cum Dei
gratia contendant perseverare in opei’ibus bonis. Vgl. dazu
die zu 21, 28 fF. citierten Stellen. Dann 13 B: haec fideliter si
volueritis Christo adjuvante implere et in hoc saeculo ad altare
Domini cum secura conscientia poteritis accedere et in futuro
ad aeternam beatitudinem feliciter pervenire. Dazu vgl. den
schon genannten Sermon bei Hildebert, Migne 171, 390 B, der
hauptsächlich aus der zweiten Homilie des Rabanus Maurus
schöpft.
Das lateinische Citat 22, 28 ff., die Beschaffenheit des
Schlusses, die Unterschiede von Honorius und die freie Art,
wie die dort vorhandenen Stellen hier durcheinander geschoben
sind, legen die Yermuthung nahe, der deutsche Text sei nicht
unmittelbar nach Honorius gearbeitet, sondern schon nach einer
Umbildung von dessen Weihnachtspredigt.
7. 25,12 — 29, 8.
Die Quellen dieses Stückes sind bereits von Cruel S. 170
folgendermassen angegeben worden: ,Die ersten drei Sätze ge
hören dem Anfang von Sermo 22 des Papstes Leo an. Nach
ein paar eingeschobenen Sätzen folgt dann als Hauptbestand
teil die abgekürzte Predigt des Bischofs Maximus von Turin
In natali Domini I über die zwei Geburten Christi, die ewige
und die zeitliche. Den Beschluss macht ein Auszug aus Gregors
Hom. VIII über das Weihnachtsevangelium Luc. 2/
25, 13—28, Joann. 1,14: Verbum caro factum est et habi-
tavit in nobis. Leo M., Migne 54, 193 f.: Exsuitemus in Domino,
dilectissimi, et spirituali jucunditate laetemur, quia illuxit nobis
dies redemptionis novae, praeparationis antiquae, felicitatis
aeternae. Der nächste Satz wurde als zu schwierig vom Bear
beiter fortgelassen, der praeparationis übersetzt hat, als ob re-
parationis stünde, vielleicht veranlasst durch die folgenden
Worte: Reparatur enim nobis salutis nostrae annua revolutione
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
25
sacramentum —. Es müsste also 16f. heissen: der tah ainer
alten garwunge, der tak der ewigen scelicheit. — (17) in quo
dignum est nos erectis sursum cordibus divinum adorare my-
sterium, ut, quod magno Dei munere agitur, magnis Ecclesiae
gaudiis celebretur. Deus enim omnipotens et clemens, cujus
natura bonitas, cujus voluntas potentia, cujus opus misericordia
est, statim ut nos diabolica malignitas veneno suae mortificavit
invidiae, praeparata renovandis mortalibus suae pietatis remedia
inter ipsa mundi primordia praesignavit; denuntians serpenti
futurum semen mulieris, quod noxii capitis elationem sua vir-
tute contereret (Genes. 3, 2): Christus scilicet in carne venturum
Deum hominemque significans, qui natus ex Virgine violatorem
bumanae propaginis incorrupta nativitate damnaret. Eigentlich
enthält also das deutsche Stück bis 28 nichts Selbständiges,
denn auch die Botschaft Gabriels ist bei Leo 195 B ausführ
lich besprochen.
Von 25,28 — 28, 9 reicht die Maximuspredigt, Homil. Nr. 10,
Migne 57, 241 ff.: Hodie, fratres carissimi, Christus natus est,
nos renati. hodie Salvator mundi per matrern nascendi tempus
accepit, qui de Patre nativitatis non habet tempus. hodie per
hominem Filius Dei ingressus est mundum, cujus manu ante
hominem factus est mundus. Darauf werden zwei kurze Sätze
und ein Citat aus dem 67. Psalm über Gottes Wunder weg
gelassen, wodurch es geschieht, dass 26, 2 er nicht auf Gott, wie
in der lateinischen Vorlage, sondern auf Christus bezogen werden
muss. Zu dem Uebergangsstück vgl. noch die Homil. Nr. 7
des Maximus, Migne 57, 237 ff. — 26, 3 si mirabilis in Joanne,
quem nasci de patre senissimo et sterili de matre praecepit,
quanto magis in se est mirabilis, qui, ut nostrae conditionis
carnem indueret, novum virgini et conceptum dedit et partum.
26, 6 steckt in novum. — 26, 7 ait S. Habacuc propheta: ,Do
mine, audivi auditionem tuam, et timui; consideravi opera tua,
et expavih In der Vulgata steht Habac. 3, 2 nur die erste Hälfte
des Citates, die zweite könnte sich höchstens auf Habac. 3, 16
beziehen: audivi, et conturbatus est venter meus, a voce contre-
muerunt labia mea. Der Wortlaut bei Maximus und in der
deutschen Bearbeitung findet sich in der Vulgata nicht. Viel
leicht darf man aus Habac. 3, 2 noch hinzunehmen: Domine,
opus tuum, in medio annorum vivifica illud. — 26, 10 Maxi-
26
III. Abhandlung: Scbönbach.
mus 242 B: quis non expavescat et metuat tanti profunditatem
mysterii, quandoquidem nnus idemque sine conceptione natns
est Dens et sine creante factns est homo. dnas in Christo
generationes legimus, fratres carissimi, sed in ntraque incom-
prehensae divinitatis est virtus. ibi enim illum ex semetipso
gennit Deus (vgl. Maximus 237 B); hie eura virgo Deo operante
(26, 15) concepit. ibi sine initio, hie sine exemplo. ibi natns, ut
conderet vitam; hie factns, ut tolleret mortem, ibi Patri natns,
hie hominibus (1. 26, 18: den mennisclien) procreatus. (Die
beiden Sätze sind im Deutschen vertauscht.) illa (somit ist 26, 20
das euer der Handschriften berechtigt, vgl. Zeitschr. 24, 89) ho-
minem fecit, hac generatione hominem liberavit. — Vier Sätze
werden fortgelassen. Dann Maximus 243 A: ibi quod erat
natus est, hie quod non erat factns est (die Uebersetzung er
läutert also zugleich), ait de bis beatus evangelista Johannes
(Joann. 1, 1) et iternm (Joann. 1, 14). — 26, 26 ist nach fleisk
ein Punkt zu setzen. Zwei Sätze werden fortgelassen, dann:
itaque non bis natus est Deus, sed ex duabus nativitatibus, id
est, Dei et hominis seipsum Unigenitus Patris atque sese ho
minem unum voluit esse Deum. Darauf Isai. 53, 8 = Act.
8, 33. — 26, 29 fratres, generatio Christi, si narrari non potest,
credi potest. magnus enim profectus est fidei, cum tantum de
Deo suo concipit, quantum sermo non potest parturire. -— quia
si homo non valet explicare, quod sentit, Deus sine dubio potest
implere, quod voluit. Es sind dabei mehrere kleine Sätze ab-
stracten Inhaltes fortgelassen worden. — 27, 3 Maximus 243 B:
amentiae res est, ut operationes majestatis immensae inter exigua
corruptibilis oris nostri conemur verbo concludere. quomodo
enim comprehendere potest homo Deum, factus ingenitum, mor-
talis aeternum V si investigare niteris, qualiter Deus in hominem
vel homo transivit in Deum, investiga prius, si potes, quomodo
ex nihälo factus est mundus, coelum unde resplenduit, aquarum
liquor, terrae soliditas, qua ratione (hier wird gemäss celliu dinch
27, 9 einzuschalten sein: omnia) subsistunt; quomodo etiam de
terra homo, de masculo femina; quid illud est post omnia, quod
lumen gignit ac tenebras, quod vitam facit ac mortem? Diese
Sätze sind im Deutschen zu einem verbunden. — 27, 12 Maxi
mus 244 A: si ergo te ipsum, o homo, et quae propter te facta
sunt (anders 14), qualiter aut unde sint facta, comprehendere
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
27
non vales: qua praesumptione quave stultitia tuum ipsius atque
omnium discutis creatorem? natum ergo de Deo Patre Deurn,
eumdemque hominem factum de virgine eonfitemur. sed haec,
carissimi, rationi caeca sunt, fidei manifesta. Der nächste Satz
wird fortgelassen. — 27, 22 Exod. 33, 20 — ut ait Dominus ad
Moysen (ausgeführt — 26). id est, non potes (Druck potest)
camalibus oculis meam, sicut est, inspicere Deitatem. beatus
namque David, virtutem omnipotentiae ejus intendens (29 zu
genau übersetzt), clamabat dicens: Psalm. 138, 14 (den Text
des Spec. bat auch Maximus, die Vulgata lautet: M. o. t. et
anima mea cognoscit nimis). — Wunderlich und stümperhaft
wird 27, 31 — 28, 3 ein Satz des Maximus in zwei zerlegt, weil
der Bearbeiter meinte, mit dem ersten nicht alles wieder
gegeben zu haben: valde enim sciebat anima prophetalis opera
Dei omnem meditationem humanae mentis excedere, propter
quod sapientissimus patriarcha, mortalis sensus conclusus angu-
stiis, quae investigare non poterat, mirabatur. — 28, 3 Maximus
244 A: et ideo, fratres (für den Uebersetzer bedeutet ,Brüder'
nicht mehr das zuhörende Volk, sondern ,Klosterbrüder'), non
discutiamus, qualiter Deus de Deo natus est, sed credamus: nec
retractemus (wird 28, 6 durch betrahten etymologisch übersetzt)
partum virginis, sed miremur, ut — inoffensam teneamus coe-
lestis fidei veritatem. Der Uebersetzer hat 28, 7 ff. das finale
ut qualitativ genommen und darauf hin miremur falsch wieder
gegeben. — Damit schliesst die Homilie des Maximus.
28, 9 — 29, 8 Der erste deutsche Satz gibt nur den unent
behrlichen Inhalt der evangelischen Lection (Luc. 2, 1—14)
wieder, die der Homilie Gregors (Nr. 8, Migne 76, 1103 ff.)
vorangeht. Sie ist auch schon in Nr. 5 der deutschen Sammlung
benutzt worden. — 28, 11 Gregor 1103 D: quid est, quod nasci-
turo Domino mundus describitur, nisi hoc quod aperte monstra-
tur quia ille veniebat in carne, qui electos suos ascriberet in
aeternitate? quo contra de reprobis per prophetam dicitur:
Psalm. 68, 29. qui bene etiam in Bethleem nascitur; Bethleem
quippe ,domus panis' interpretatur. ipse namque est, qui ait:
Joann. 6, 51. — Es ist also 19 kint für Mut verschrieben, und
damit erledigt sich die Annahme von Bech, Germania 4, 497,
der kint als masc. fassen wollte. — 28,21 Gregor 1104A:
qui non in parentum domo, sed in via nascitur, ut profecto
28
III. Abhandlung; Schönbach.
ostenderet, quia per humanitatem suam, quam assumpserat,
quasi in alieno nascebatur. Das ist wieder unrichtig übersetzt,
weil per humanitatem missverstanden und in alieno nicht be
tont wurde (wie 24). — 28, 23 Gregor 1104B: in natura
etenim sua ante tempora natus est, in nostra venit ex tempore,
qui ergo aeternus permanens temporalis apparuit, alienus est
ubi descendit. et quia (also 24) per prophetam dicitur: Isai.
40, 6. factus bomo, fenus nostrum vertit in frumentum, qui
de semetipso ait: ,nisi granum frumenti cadens in terram mor-
tuum fuerit, ipsum solum manct £ (Joann. 12, 24). Das Citat ist
nicht übersetzt, sondern nur angedeutet worden, und dadurch
entsteht Unklarheit. — 28, 28 unde et natus in praesepio recli-
natur, ut lideles omnes videlicet sancta animalia carnis suae
frumento reficeret, ne ab aeternae intelligentiae pabulo jejuna
remanerent. Durch die Weglassung von fideles omnes und des
Schlusses ist der ganze Passus im Deutschen unverständlich
geworden. — 28, 30 quid autem est, quod vigilantibus pastoribus
angelus apparet, eosque Dei claritas circumfulget, nisi quod illi
prae caeteris videre sublimia merentur, qui fidelibus gregibus
praeesse sollicite sciunt? (Auch hier fehlt im Deutschen die
Pointe.) regem vero natum angelus nuntiat (29, 1 undeutsch
übertragen), ejusque voci angelorum chori concinunt et congau-
dentes clamant: Luc. 2, 14. — 29,4 Gregor 1105 A: nec habere
dedignantur angeli hominem socium, qui super se adorant ho-
minem Deum. curemus ergo, fratres charissimi, ne qua nos
immunditia polluat, qui — angelis aequales simus. vindicemus
moribus dignitatem nostram —. — qui vivit et regnat in ornnia
saecula saeculorum.
Die deutsche Uebersetzung ist in Nr. 7 sehr schlecht ge-
rathen: nicht überall in gleicher Weise, sondern verschieden
nach dem Grade der Schwierigkeit. Erzählendes und Um
schreibung der Thatsachen gelingt eher, gar nicht fügt sich
die Uebertragung abstracter Gedanken. Darum ist der Eingang
am übelsten ausgefallen. Vielleicht war das auch der Grund,
weshalb mit dem Sermo Leos so rasch abgebrochen wurde;
hat ja doch auch im weiteren Verfolge des Stückes der Bear
beiter alle, selbst die wenigst entbehrlichen Sätze fortgelassen,
deren Gedankengehalt er nicht zu bewältigen vermochte. La
teinische Constructionen zeigen sich darum auch dort am
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
29
meisten, z. B. 25, 9. 10. 12. 16. 18. 27, 14. 29, 1), wo die Kräfte
des Uebersetzers der Vorlage am wenigsten gewachsen sind.
Man braucht darnach, was sich sonst vermuthen liesse, nicht
anzunehmen, dass die Stücke aus Leo, Maximus, Gregor schon
in einer besonderen lateinischen Predigt vorhanden waren (vgl.
übrigens den Sermo Nr. 9 unter Hildebert’s Namen, Migne
171, 381 ff.). Im Homiliarius des Paulus Diaconus stehen die
drei hier benutzten Predigten als Nr. 24. 25 und 18 nahe bei
sammen.
8. 29, 9 — 30, 31.
Cruel sagt S. 177 über das Stück: ,Die erste Rede über
S. Stephanus ist aus Augustini De Sanctis entnommen, und
zwar der Hauptsache nach aus De S. Stephano V, während
einzelne Sätze aus II eingeschoben und nach VII summarisch
die Wunder aufgezählt werden, die durch seine Reliquien ge
schehen sind.' Diese Angaben bedürfen der Besserung und
Ergänzung.
29, 10 — 19 Matth. 5, 44. Pseudo-Augustinus, Appendix,
Sermo Nr. 210 (Migne 39, 2137 ff.; ohne Einleitung in den Ho-
milien des Maximus von Turin, Nr. 64, Migne 57, 379ff., das
Fehlende folgt dann 701 f. als Sermo 85; auch dem Caesarius
von Arles zugeschrieben): Hesterno die Natalem habuimus
Domini Salvatoris, hodie summa devotione veneramur sancti
martyris Stephani passionem. — hodierno provocamur ad exem-
plum. — omni ergo Ecclesiae beatus Stephanus datus est ad
profectum. adhuc laicus diaconii meruit electionem —. in plebe
adhuc positus erat, sed jam virtutibus eminebat. humilis erat
loco, sed celsus fide. discipulus erat ordine, sed factus est ma
xister exemplo. quos sequebatur devotione fidei, praecessit
velocitate fidei. Vgl. noch die Stellen der echten Sermone
Augustins über Stephanus Nr. 316, Migne 38, 1432; Nr. 317,
Migne 38, 1435 f.; Nr. 314, Migne 38, 1426.
29, 19—24 Pseudo-Augustinus, Appendix, Sermo Nr. 211
(Migne 39, 2141 f.; auch als Lection in secundo Nocturno des
Breviarium Romanum in octava S. Stephani), 2141: ecce athleta
Christi (vgl. Notker’s Sequenz von St. Stephan, Mone 3, 507:
alacer Domini athleta — miles nennen ihn wiederholt die
Hymnen des Brevieres). — 2140: cujus passionis vestigia prior
30
III. Abhandlung: Scbönbacb.
secutus beatissimus Stephanus confitendo Christum, lapidatus
a Judaeis coronam meruit (das deutsche Verspaar 21 ist richtig
gebaut), tanquam suo sibi nomine impositam. Stephanus enim
graece, latine ,Corona* appellatur. jam ,corona* nomen habebat,
et ideo palmam martyrii suo nomini praeferebat. Vgl. Ennodius,
Carm. 44; Petrus Chrysologus, Sermo 154, Migne 52, 608 f.
Hildebert, Migne 171, 720 f.
29, 24—27 Posuisti, Domine, super caput ejus coronam
de lapide pretioso heisst es in der Antiphon ad Landes im
Brevier des Tages. Vgl. noch Augustinus im echten Sermo
Nr. 314, Migne 38, 1426: quando ergo beatus Stephanus pro
Christo primus sanguinem fudit, quasi corona processit de
coelo -—. quicumque postquam sanguinem pro Christi con-
fessione fuderunt, imposuerunt coronam illam capiti suo, et eam
secuturis integram servaverunt.
29, 27 — 30, 1 Pseudo-Augustinus, Migne 39, 2138: scrip
tum est enim de eo in Actibus Apostolorum (6, 1—5), quod ad
ministerium viduarum sit ab Apostolis deputatns. in hoc etiam,
quod praepositus est feminis, testimonium meruit sincerissimae
castitatis.
30, 1—23 ist hauptsächlich die Erzählung Act. im 6. und
7. Capitel benutzt. Ausserdem noch Einiges aus dem Pseudo-
Augustinischen Sermo 210, Migne 39, 2138: videte, dileetissimi
fratres, affectum beati viri, videte magnarn et admirabilem
charitatem. in persecutione positus erat, et pro persecutoribus
deprecabatur —, atque in Iapidum ruina — ille Domino com-
mendabat inimieos. — 30, 4 Act. 6, 8. — 9 ff. Pseudo-Augu
stinus Sermo 211, Migne 39, 2140: qui cum lapidaretur, non
solum non expetebat de persecutoribus reportare vindictam,
sed eis potius a Deo veniam postulabat. meminerat enim di-
xisse Dominum—. 2138 f. quid enim dicebat, cum lapidaretur:
.Domine, ne statuas illis hoc peccatum! £ — 2141: ecce mem-
brum Christi —. inspice illurn, qui primo pependit in ligno.
crucifigebatur ille, iste lapidabatur. ille dixit: .Pater, ignosce
illis, quia nesciunt quid faciunt* (Luc. 23, 34): iste quid dicht?
audiamus illum. si forte vel ipsum possimus imitari. primo beatus
Stephanus stans oravit pro se, — dein de genu flexit, et ilexo
genu ait: .Domine, ne statuas illis hoc peccatum!' — 20ff.
Act. 7,55: ,ecce f (inquit beatus Stephanus) ,video coelos apertos,
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
31
et Filium hominis stantem a dextris Dei‘. Bei Hildebert, Migne
171, 720ff. (der Sermon gehört Babion nach Haureau 2, 101 £):
viclit ergo eum stantem, quia in passione eum habuit adjutorem.
30, 23—26 Diese Wunder des heil. Stephanus sind sehr
ausführlich erzählt von Augustinus, De civitate Dei lib. 22,
cap. 8: De miraculis, quae, ut mundus in Christum crederet,
facta sunt, et .fieri mundo credente non desinunt; Migne 41,
besonders 766 ff. Das Stück ist dann auch selbständig weiter
überliefert worden, so steht es bei Gregor von Tours, De gloria
martyrum, cap. 32. (Vgl. Hildebert a. a. 0. S. 721 f.: suscitavit
enim beatus Stephanus post mortem in Africa, sicut beato
Augustino referente didicimus, sex mortuos —.) Dort heisst
es Abs. 10: ibi caeca mulier — protinus vidit. Abs. 14: sanati
sunt illic per eumdem martyrem podagri duo —.
30, 26—31 Pseudo-Augustinus, Sermo 211, Migne 39, 2141:
ergo, charissimi, si non potestis imitari Dominum, imitamini
conservum, imitamini sanctum Stephanum. — a Christo sunt
coronati. — 2139: unde rogo vos, fratres, quantum possumus,
cum Dei adjutorio cor nostrum ad patientiam praeparemus —
pro malis oremus —. Vgl. Hildebert a. a. 0. 721 CD: imitemur
ergo saltem hujus tarn praeclari magistri dilectionem. diligamus
in Ecclesia hoc animo fratres nostros, quo ille tune dilexit ini-
micos suos. imitemur charitatem ejus, ut virtutis consortes simus
et praemii participes. Ferner Honorius, Spec. Eecl., Migne 172,
832 D: itaque, karissimi, implorate sanctum Stephanum, ut
possimus eum in hoc imitari, quo valeatis pro inimicis vestris
deprecari, ut quia Stephanus dicitur ,coronatus‘, mereamini
cum illo in illa gloria coronari —.
Diese Uebereinstimmung des deutschen Schlusses mit dem
des Sermons bei Hildebert-Babion legt es nahe, zu vermuthen,
dass die deutsche Arbeit überhaupt nicht selbständig aus den
drei Stücken unter Augustins Namen zusammen gefügt wurde,
sondern auf eine lateinische Predigt zurückgeht, in der das
bereits geschehen war - . Auch das Citat aus dem Brevier spricht
dafür. Sehr bemerkenswerth scheint, dass zwei von den be
nutzten Stücken, der Pseudo-Augustinische Sermon Nr. 210,
unter dem Namen des Maximus, und die Beschreibung der
Wunder aus Augustins De civitate Dei bei Paulus Diaconus im
Homiliarius de Tempore als Nr. 32 und 34 hinter einander stehen.
32
III. Abhandlung: Schönbach.
9. 31, 1 — 32, 21.
Das Stück ist identisch mit Nr. 166 des ersten Bandes
meiner Altd. Pred. S. 256ff., dort sind auch die vier anderen
Ueberlieferungen verglichen. Hier ist von der Predigt nur der
reflectirende Theil bewahrt, dort der Vorspruch Prov. 11, 8
angegeben.
31, 2—9 Honorius, Spec. Eccl., Migne 172, 832 C; — quia
totum ad laudem Dei refertur, quicquid a fidelibus honori
sanctorum quolibet tempore exhibetur; quemjubemus in sanctis
suis laudare et in omni tempore benedicendo magnificare. ita-
que, karissimi, implorate sanctum —, ut vester interventor sit
apud Deum —.
31, 9—18 Maximus von Turin, Homil. Nr. 65 (Migne 57,
383ff.): solemnitatem nobis diversorum martyrum, fratres caris-
simi, vitae praesentis occasus et suscepta ab eis pro Christi
nomine passio consecravit. multimoda namque veterum re-
latione didicimus nonnullos martyrum prostratos gladio, igni
alios concrematos, complures bestiarum dilaceratos dentibus, in-
numeros et variis tormentorum cruciatibus affectos, spreta sui
corporis morte Christianae fidei testimonium reddidisse. Vgl.
noch Rabanus Maurus, Homil. 36, In natali martyrum, Migne
110, 68 CD; Honorius Augustod., Spec. Eccl., Migne 172,
1016 C.
31, 18—23 Vgl. die erwähnte Homilie Rabans, Migne
110, 69 C: si tibi aliquis dicat, ut virtutes — debeas imitari,
justa potest esse excusatio tua, quia virtutes et mirabilia facere
non omnibus datum est; juste autem et caste vivere, et casti-
tatcm cum omnibus custodire cum Dei adjutorio omnibus prae-
ceptum est. — imitemur ergo sanctos martyres Christi in fiele,
in humilitate, in mansuetudine, in patientia, in longanimitate,
in dilectione; et sic poterimus ipsos martyres apud Deum habere
intercessores, ita ut deleantur peccata nostra et praemia aeterna
nobis conferantur — (31, 7 ff.). Vgl. die Anm. zu meinen Altd.
Pred. 1, 257, 5 ff.
31,24 — 32, 3 gibt die Erzählung Act. Apost. 6 und 7
wieder, zum Theil (31, 30 ff.) mit denselben Worten wie im
vorhergehenden Stück (30, 20 ff.). Vgl. das Responsorium in
tertio Nocturno im Brevier des Tages: S. Stephano, qui in numero
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
33
martyrum inventus est primus et ideo triumphat in coelis coro-
natus. Honorius a. a. 0. 832 B.
32, 3—17 Maximus, Homil. 64, Migne 57, 381 BC =
Pseudo-Augustinus, Sermo 210, Migne 39, 2139 (bei Nr. 8 be
nutzt): o quicunque ille es, attendis quid tibi fecerit homo, et
non consideras quid tu feceris Deo; cum enim tu multo gra-
viora in Deum peccata commiseris, quare non dimittis bomini
parum, ut tibi Deus dignetur dimittere multum? recole quod
tibi in evangelio Veritas ipsa promiserit, et quam tibi quodam-
modo cautionem fecerit, vel quäle pactum inierit. ,si enim' in-
quit, ,dimiseritis hominibus peccata eorum, dimittet et vobis
Pater vester coelestis peccata vestra. si autem non dimiseritis,
nec Pater vester dimittet debita vestra' (Matth. 6, 12. 15) vi-
detis, fratres, quia cum Dei gratia in potestate nostra positum
est, qualiter a Domino judicemur. Vgl. Augustinus, Sermo 315,
Migne 38, 1431.
32, 17—21 Vgl. 30, 26 und die dazu angeführte Stelle
des Honorius. Aehnlich lautet die Oration, die dreimal im
Brevier des Tages (sie steht auch im Introitus und zum Theil
in der Postcommunio der Messe) vorkommt: da nobis, quae-
sumus, Domine, imitari quod colimus, ut discamus et inimicos
diligere: quia ejus natalitia celebramus, qui novit etiam pro
persecutoribus exorare Dominum nostrum —.
Zu beachten ist, dass der in meinen Altd. Pred. 1, 257 f.
bewahrte erzählende Theil des Stückes genauer mit der auch
hier benutzten Predigt des Honorius übereinstimmt. Wahr
scheinlich ist dafür schon eine einheitliche lateinische Vorlage
anzunehmen.
10. 32,22 — 34,26.
Cruel hat S. 179 ermittelt, dass dieser Textspruch aus dem
Brevier, und zwar dem Responsorium nach Lectio I der Matutin
des Tages, genommen ist. Vgl. meine Altd. Pred., Anm. zu
3, 17, 7 sowie überhaupt die dort angeführten Quellen. —
Valde honorandus est beatus Joannes, qui supra pectus Domini
in coena recubuit. —
32, 23—31 Dass Johannes seinen Vater Zebedaeus ver
lässt, steht im Tagesevangelium von S. Joannes Evangelista
ante Portam Latinam: Matth. 20; Marc. 10. — Honorius, Spec.
Sitznngsber. d. phil.-Mst. CI. CXXXV. Bd. 8. Abh. 3
34
III. Abhandlung: Schönbach.
Eccl., Migne 172, 834 B: qui nuptias celebrans Christum cum
matre sua invitavit; sed deficiente vino Christus, aquam in
vinum commutans., convivas laetificavit. hoc viso Johannes
sponsam suam deseruit, Yirginis filio ipse virgo adhaesit. et
quia carnis copulam ejus amore despexit, Christus eum prae
omnibus apostolis dilexit. Vgl. Petrus Damiani, Sermo 63,
Migne 144, 863 C: qui nimirum nuptialis copulae thalamum de-
serens, omnem illecebrae carnalis ardorem in coelestium delicia-
rum transtulit voluptatem —.
32,32 — 33,4 Honorius 834 B: cum enim Regina austri
corpus et sanguinem suum discipulis suis tradidit, Johannes supra
pectus Jesu recubuit (Joann. 13, 23), et de hoc fonte sapientiae
tune potavit, quod postmodum mundo eructavit, arcanum verbi
scilicet in Patre reconditi, quia in pectore Jesu sunt omnes
thesauri sapientiae et scientiae absconditi (Coloss. 2, 3). Petrus
Damiani 858 D: hanc denique supereminentem divinae scien
tiae celsitudinem tune divinitus illustrata mente concepit, cum
in sacrosancto mysticae coenae convivio supra pectus recubuit
Redemptoris. et quia in pectore Jesu sunt omnes thesauri sapien
tiae absconditi, ex illo coelesti gazophylacio summarn traxit,
— imo supra fontem perennis vitae recubuit. ut et ipse tune
semper manentia fluenta divinae doctrinae hauriret, et eadem
nobis postmodum praefixo certi temporis articulo propinaret. —
Vgl. noch Haymo, Hom. de Temp. Nr. 11, Migne 118, 75D.
— 32, 2 nach ezzenne Punkt. —
33, 4—12 Hugo von Folieto, De bestiis lib. 1, cap. 56
(De natura aquilae), Migne 177, 53 D: nam et contra radiuni
solis fertur obtutum non flectere, unde et pullos suos, ungue
suspensos, radiis solis objicit, et quos viderit immobilem teuere
aciem, ut dignos genere conservat; si quos vero perspexerit
reflectere obtutum, quasi degeneres abjicit. — 54B: aquilae
vocabulo subtilis sanctorum intelligentia exprimitur. unde idem
propheta, dum sub animalium specie evangelistas quatuor se
vidisse describeret (Ezech. 1), in eis quartum animal, id est
Joannem, per aquilam significavit, qui volando terram deseruit,
quia per subtilem intelligentiam interna mysteria Verbi videndo
peneti'avit. similiter, qui haec terrena mente deserunt, velut
aquila eum Joanne per contemplationem coelestia quaerunt. —
Petrus Damiani 857 D: hodie scilicet illa mirabilis aquila, quain
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
35
et olim Ezechiel eminere caeteris quatuor animalibus vidit, et
ipse Joannes suimet, ut ita loquar, propheta factus, volantem
in mystica visione conspexit. iste tarnen tanto familiarius ad
yitae pabulum, corruptionis vinculis jam solutus accedit, quanto
et in carne adbuc positus in ipsum aeterni solis orbem, hoc est,
in divinae substantiae claritatem, radios purificatae mentis infixit.
33, 12—30 Petrus Damiani 858 C: propterea igitur Re-
demptor noster dileetum sibi speciali praerogativa discipulum ad
declarandam suae divinitatis essentiam quoddam quasi organum
fecit, atque ut — hic coessentialis et coaeterni Deo Yerbi pan-
deret sacramentum dicens: Joann. 1, 1 (33, 14). — 859 B: ad
tantum scilicet gratiae provectus est privilegium, ut omnem
transgrediens ereaturam illuc acie mentis attingeret, quo non
propheta, non patriarcha, non denique quisquam ab ipso mundi
primordio -cognoscatur in carne positus aspirasse. nec mirum,
si Redemptor noster beato Joanni vicem suam ad declarandum
divinitatis suae mysterium delegavit, quem et ad custodiendam
venerabilem matrem suam, perpetuam videlicet Virginem, quasi
alterum filium sui loco supposuit. (Joann. 19, 26 f.: cum vidisset
ergo Jesus matrem et discipulum stantem, quem diligebat,
dicit matri suae: ,mulier, ecce filius tuusb deinde dicit disci-
pulo: ,ecce mater tuah et ex illa hora accepit eam discipulus
in sua.) Vgl. noch 858CD. — Honorius 834C: Christus —
cernens comminus matrem suam cum Johanne cruci adstare,
Optimum duxit Virginem virgini commendare. — Tran situs B.
Mariae (Tischendorf, Apocalypses Apocryphae p. 124f.) cap. 1:
igitur cum Dominus et Salvator Jesus Christus pro totius seculi
vita confixus clavis crucis pen deret in ligno, vidit circa crucem
matrem stantem et Johannem evangelistam, quem prae ceteris
apostolis peculiarius diligebat, eo quod ipse solus ex eis virgo
esset in corpore, tradidit igitur ei curam sanctae Mariae, dicens
ad eum: ecce mater tua, et ad ipsam inquiens: ecce filius tuus.
ex illa hora sancta Dei genitrix in Johannis cura specialius
permansit, quamdiu vitae istius incolatum transegit. — cap. 17
lP- 136): apostoli autem susceptis (Domino et Maria) in nubibus
reversi sunt unusquisque in sortem praedicationis suae, narrantes
magnalia Dei —. 33,23 nach ganzen fehlt sol und wahrscheinlich
noch ein Substantivum. Dagegen gibt 24 heilichaite wohl nur
einen lat. Genet. qualit. wieder. Spuren von Reimen 19 f. 24.
3*
36
III. Abhandlung: Schönbach.
33, 30 — 34,19 Vgl. Jacobus de Voragine, Legenda Aurea
Nr. 9 (ed. Graesse p. 56 ff.) cap. 1: divisis apostolis in Asiam
est profectus, ubi ecclesias multas (die Siebenzahl der vom
Apostel Johannes gestifteten Kirchen ist eine alte Ueberlieferung,
die schon der Prolog zum Johannesevangelium enthält; über
diesen vergl. Lipsius, Apokr. Apostelgesch. 1, 445ff.) fundavit.
— cap. 5: — tune apostolus calicem accipiens et signo crucis
se muniens totum venenum bibit et nullam laesionem incurrit.
— cap. 1: Domitianus igitur imperator — eum in dolium fer-
ventis olei rnitti jussit, ille autem inde exiit illaesus. — impe-
rator — eum in Pathmos insulam in exsilium relegavit, ubi solus
degens Apocalipsim scripsit. — sieque factum est, ut sanctus
Johannes ■— cum honore Ephesum rediret. — cap. 5: et apo
stolus: vade et mitte tunicam meam super corpora defunc-
torum —. quod cum fecisset, illico surrexerunt. — cap. 11:
cum igitur esset nonaginta octo annorum — apparuit ei Do
minus cum discipulis suis dicens: veni, dilecte mi, ad me, quia
tempus est, ut in mensa mea cum tuis fratribus epuleris. —
veniente igitur dominica (missas celebravit, omnes dominicis sa-
cramentis communicavit — Honorius 836 B) — hortans eos —.
fossam quadratam juxta altare fecit fieri —. (deinde fossam de-
scendit — Honorius 836 B). — cap. 1: sicut a corruptione car-
nis exstiterat alienus. — Die Erzählung bei Honorius ist im
Allgemeinen viel kürzer und stimmt vielfach mit Pseudo-Isidor,
De ortu et obitu patrum, cap. 72, Migne 83, 151 f. (vgl. Lipsius,
Apokr. Apostelgesch. 1, 213 ff.).
34, 20—26 Honorius 836 D: nunc, karissimi, in auxilium
vestrum invocate hunc, assiduis precibus pulsate, ut — vobis
et Omnibus christianis obtineat omnipotentis Dei gratiam in
superna patria, quatenus post hujus vitae terminum exultetis
cum eo in perpetuum in illa gloria —.
11. 34, 27 — 35, 25.
Dieses Stück enthält im Vergleich mit dem vorhergehen
den fast gar nichts Neues und schöpft aus denselben Quellen.
Der Textspruch gehört derselben Antiphon des Brevieres an,
die in Nr. 10 benutzt wurde: cui Christus in cruce matrem
virginem virgini connnendavit.
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
37
34, 28 — 35, 8 Diese Züge aus dem Leben des Heiligen
stehen sämmtlich in der Legenda Aurea (welche hauptsächlich
die Virtutes S. Johannis umschreibt) und bei Honorius 834 f.
Die ersten Punkte gehören zu den ,quatuor privilegia, quae
fuerunt in beato Johanne', mit denen Jacobus de Voragine
seinen Bericht einleitet. 35, 7 bezieht sich auf dieselbe Ge
schichte mit Aristodemus, die 34, 6f. erwähnt wurde. — Zu
34, 32 f. vgl. die wiederholten Versilcel des Brevieres: Qui privi-
lcgio amoris praecipui ceteris altius a Domino meruit honorari.
35, 8—25 Diese Erzählung ist etwas reichlicher mit Ein-
zelnheiten ausgestattet als 34, 8 ff., geht aber natürlich ebenso
wie jene durch die lateinischen Bearbeitungen auf die gnosti-
selien Johannesacten zurück, deren Abfassung Lipsius noch
an das Ende des zweiten Jahrhunderts setzte. Vgl. Honorius
836 B: liuic Dominus — apparuit et eum ad coeleste convivium
invitavit. — 35, 15 Der Spruch ist nicht biblisch (die gewöhn
liche Form citirt schon Hieronymus im Commentare zum
Galaterbriefe: Filioli, diligito alterutrum), sondern stammt aus
der Legende, wo er die Anschauung wiedergibt, die sich aus
dem ersten Johannesbriefe über die Lehre des Apostels von
der caritas gebildet hatte. — 35, 17 ff. Honorius 836 B: et subito
lux immensa de coelo super eum resplenduit. post haec in
l'ossa illa non nisi manna inveniebatur —. unde ereditur sanctus
Johannes in illo lumine ab angelis ad coelcstia raptus fuisse—.
Vgl. Anno 89 f. und Roediger’s Anm. — 12 f. ist eigentlich ein
Missverständnis, denn gemäss der Construction ist 13 nach
hete Punkt zu setzen, während dem Inhalte nach der Passus
da er — hete schon zum Folgenden gehört. — 20 f. Honorius
836 B: sed beatus Johannes, karissimi, si adhuc in fragili
carne manens in tantum potuit peccatoribus subvenire, quanto
magis nunc cum Christo regnans cunctis eum invocantibus
praevalct intervenire. Zu dem Schlüsse ist noch 34, 20 ff. (und
Honorius dort) zu vergleichen.
13. 35, 26 — 36, 20.
35, 27 — 36, 11 Apoc. 3, 4. Vgl. im Homiliarius des
Paulus Diaconus, De Tempore Nr. 38 (Severianus), Migne 95,
1174B: zelus quo tendat, quo prosiliat livor, invidia quo fera-
38
III. Abhandlung: Schönbach.
tur, Herodiana hodie patefecit immanitas. quae dum tempo-
ralis regni aemulatur augustias, aeterni regis ortum molitur
exstinguere. Beda, Homil. 9, Migne 94, 51 C: Herodes quo-
que in diabolo fremit, et auferri sibi iniquitatis suae regnum
in bis, qui ad Christum transeunt, ingemiscit. Vgl. noch die
Historia Scholastica des Petrus Comestor, In evangelia cap.
7—18, Migne 198, 1541 ff. — 36, 1 ff. Matth. 2, 1—15.
36, 11—20 Severianus bei Paulus Diac., Migne 95, 1174C:
ad sinus matrum militum cogit castra, intra ubera arcem pie-
tatis oppugnat. (Das Stück steht auch in den Sermonen des
Petrus Chrysologus als Nr. 152, Migne 52, 606 C.) Honorius
836 D: hi etiam flores martyrum dicuntur —. hi quoque primi-
tiae appellantur, quia sicut in lege primi fructus, sicut ipsi in
Ecclesia primi Deo immolantur. Vgl. Ambrosius, Comm. i.
Apoc., Migne 17, 888 ff. Pseudo-Augustinus, App. Nr. 219, Migne
39, 2151. Fulgentius, Sermo Nr. 4, Migne 65, 732ff. Radul-
phus Ardens, Hom. de Temp. Nr. 7, Migne 155, 1328 B. Auch
die schon erwähnte Homilie Beda’s, Migne 94, 52 C. — 14 Apoc.
14, 4: hi empti sunt ex hominibus primitiae Deo et Agno.
Das ist auch der Messtext (Apoc. 14,1—-5) des Tages. — Paul.
Diac., Migne 95, 1175B: praemisit ergo Christus suos milites —.
Vielleicht ist auch der Hymnus im Brevier des Tages ,Audit ty-
rannus anxius‘ hier benutzt. — 36, 16 Apoc. 14, 5: sine macula
sunt ante thronum Dei. — Honorius 836 D: nulla sorde corpora
sua unquam commaculaverunt —. qui corpora sua post baptis-
mum gravibus criminibus non inquinabunt, in sempitema laetitia
cum Christo ambulabunt (835 D). Vgl. Pseudo-Augustinus,
Sermo 221, Migne 39, 2155. — Zu der Schlussformel vgl. Hono
rius 840 C: hos, karissimi, deposcite tota devotione, ut vobis —
fautores apud Christum existant —. Bemerkenswerth ist, dass
mehrere der Stücke, aus denen hier Phrasen verwendet scheinen,
im Homiliarius des Paulus Diaconus, De Tempore Nr. 37—40,
beisammen stehen.
13. 36, 21 — 37,18.
Die unmittelbare Quelle dieses Stückes kann ich zur Zeit
nicht nachweisen, wohl aber die Einzelnheiten belegen.
36,21 — 37, 1 Beda, Homil. 10, Migne 94, 54f.: suscepit
ergo circumcisionem lege decretam in carne, qui absque omni
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
39
prorsus labe pollutionis apparuit in carne, et qui in similitudine
carnis peccati, non autem in carne peccati advenit, remedio,
quo caro peccati consueverat mundari, non respnit: sicut etiam
unda baptismatis, qnae novae gratiae populos a peccatorum
sorde Iavari voluit, ipse non necessitatis, sed exempli causa
subiit. — sed veniens in carne Dci Filius, qui solam carnis
naturam, nullam autem peccati contagionem contraxit de Adam,
et quia Spiritus sancti virtute de virgine conceptus et natus
est, nullo eguit munere gratiae renascentis: utrumque genus
purificationis subire dignatus est, et circumcisus videlicet a
parentibus octava die nativitatis — imo etiam tertium salutaris
hostiae munus ipse templi Dominus pro se non respuit offerri.
— cuncta, inquam, et legalis et evangelicae purificationis
genera, qui nullo indiguit, Dominus suscipere non despexit,
ut consummandae jam legis decreta suo tempore doceret esse
saluberrima, et advenientis evangelii cunctis fidelibus ostenderet
aeque subeunda remedia.
37, lff. Vgl. Beda a. a. 0. 54A: providit — ut ad hu-
manos verum hominem proferret aspectus: qui in divina vir
tute ac substantia manens per omnia, quod erat, veram naturae
mortalis infirmitatem, quam non habebat, induerat. Die An
sicht, dass Christus sich der Beschneidung ebenso wie anderen
menschlichen Dingen unterworfen habe, um den Teufel zu
täuschen, ist meines Wissens zuerst aufgestellt von S. Zeno,
Episcopus Veronensis, Sermo de circumcisione, Bibliotheca
Maxima Patrum 3, 389 C. Dann findet sie sich bei Ambrosius
im Lucascommentar, Migne 15, 1699 ff. Beda im Lucascom-
mentar, Migne 92, 365ff. Vgl. noch Maximus, Homil. 35,
Migne 57,299; Rabanus Maurus, Homil. 6, Migne 110, 17 f.;
Haymo, Homil. de Temp. 14, Migne 118, 90 ff.; Ivo von Chartres,
Sermo 9, Migne 162, 571 f.; Bernhard von Clairvaux, Sermo I
in circumcisione, Migne 183, 133 C. Besonders aber findet sich
in einer Predigt, die unter Augustins Namen, Migne 47, 1135 ff.
(= Fulgentius, Migne 65, 833 ff.), veröffentlicht ist, ausgeführt,
die Beschneidung sei geeignet, den Manichaeus über Christi
menschliche Natur zu täuschen; von da war der Uebergang
zum Teufel leicht gefunden. Vgl. noch meine Altd. Pred. 3,
65 f. und die Anm. dazu. Honorius stellt dieselbe Auffassung
im Spec. Eccl. Migne 172, 841 f. dar, nur eingekleidet.
40
III. Abhandlung: Scliönbacli.
in die allegorische Deutung von Gedeons Kampf wider die
Madianiter (Judi. cap. 6 und 7). Jacobus de Yoragine führt
Leg. Aur. cap. 13 (Graesse p. 84) unter den Gründen der Be
schneidung des Herrn an: quarta ratione daemonum, ne sci-
licet incarnationis mysterium cognoscerent. cum enim circum-
cisio fieret contra originale peccatum, credidit diabolus et hunc,
qui circumcidebatur, similiter peccatorem esse, qui circum-
cisionis remedio indigeret.
14. 37, 19 — 39, 5.
Im Wesentlichen ist das Stück nach Honorius gearbeitet.
37, 20—30 Isai. 60, 1: surge, illuminare, Jerusalem, quia.
venit lumen tuum. Honorius 843 D: sancta Ecclesia, karissimi,
Hierosolima nominatur, quod dicitur ,visio pacis‘, quia aeter-
nam et veram pacem visura est, Christum videlicet in coelis.
huic in mundo desideriis jacenti dicitur: ,surge‘, id est, terrena
respuens ad coelestia appetenda te subrige, et tune a vera luce
mereberis illuminari et donis Spiritus sancti illustrari. Schon
bei Hieronymus im Isaiascomm., Migne 24, 610 f.
37, 20— 38,16 Honorius 845 A: qualiter hoc lumen mundo
illuxerit, eyangelista nobis in Evangelio dicit. cum Christus
sponsus Ecclesiae de thalamo virginei Uteri processit, stella
rutilans veniente luce tenebras detersit et Regem stellarum
venisse expressit. qua visa tres reges ab Oriente ad regiam
urbem Hierosolimam venerunt et cum muneribus natum Regem
quaesierunt. — magi autem, mox stella duce cupitum iter per-
egerunt. illa vero, ut eos ad Bethlehem perduxit, super domum,
in qua coeli habitator hospitabatur, gradum hxit. tune illi tres
nimium felices feliciter domum cum tribus muneribus intra-
verunt, et tres ultra omnes homines et angelos felicissimos
invenerunt, videlicet Dei unigenitum —, ejus genitricem felicita-
tem omnium in gremio gestantem et Joseph —. protinus eurn
ut Deum adoraverunt, ut regi munera obtulerunt. — pro nobis
mortalem factum invenerunt. — aurum ei offertur, dum rex
omnium et principium nostrae redemptionis creditur. thus ei
immolatur, dum Deus super omnia se sacrificium Deo Patri pro
nobis obtulisse praedicatur. myrra ei sacrificatur, dum sua mor-
talitate putredo vitiorum nostrorum exterminata affirmatur.
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
41
38, 16—25 Exod. 23,15. Eccli. 35, 6. Pseudo-Augustinus,
Serino Er. 135, Migne 39, 2013: per hoc ergo pervigili inten-
tioue cordis coelurn semper studeamus aspicere, si ad Christum
cupimus pervenire. dirigat ergo nobis semitas vitae perfecta
stella justitiae, qui dixit: ,non apparehis in conspecto meo
vacuush offeramus ei aurum fidei, pietatis aromata, castitatis
holocausta. spiritualem quoque mjrrham' haheamus in nohis,
quae ita animas nostras condiat, ut illaesas a peccati corrup-
tione custodiat. — Vgl. Gregors Homil. i. Evang. Nr. 10,
Migne 76, 1113. Raban. Maur., Homil. 7, Migne 110, 19 A.
Haymo, Homil. de Temp. 15, Migne 118, 114.
38,25 — 39,5 Die drei Erscheinungen Christi an dem
Tage bilden das Thema einer grossen Anzahl von Predigten.
Honorius 847 B: hodie, karissimi, Christus a Johanne in Jordane
post triginta annos baptizatur. — hodie etiam Dominus —• de-
iiciente vino sex hydrias aquae in vinum commutavit. —
Wernher, Deflorationes, Migne 157, 809 C: in tertio (miraculo)
divina potentia declaratur. — Vereinzelt steht die Notiz 38, 30,
wonach der Herr an diesem Tage auch den Lazarus zu Be-
thania von den Todten erweckte. Es wird zwar zuweilen noch
eine vierte Erscheinung Christi zu dem Tage berichtet, das ist
aber das Speisewunder (oa-pepavia) Beda im Lucascomm.; Mar-
bodus, De Epiphania, Migne 171, 1663; Joannes Belethus,
Rationale divin. offic. cap. 73. 74, Migne 202, 79 ff. — Die Er
weckung des Lazarus wird von der abendländischen Ueber-
lieferung gemeinhin auf den 17. December angesetzt, das
Lazarusevangelium wird gelesen feria sexta post quartam Do-
minicam in Septuagesima. Vgl. Andreas Cretensis, Oratio 10,
Bibliotheca max. Patr. 10, 640 ff. Amphilochius von Iconium
Homil. Bibi. max. Patr. 5, 1067 f. Alcuin, Johannescomm., Migne
100, 905 f. Rupert von Deutz, Johannescomm., Migne 169, 649.
Ferner Stadler, Heiligenlexikon 3, 725 ff. Vielleicht ist das Datum
hier auf eine Zusammenstellung zurückzuführen, wie sie Gar-
nerius, Sermo 8, Migne 205, 625 bringt, wo an diesem Tage
die Auferstehung der Gläubigen durch die Taufe mit der Auf
erweckung des Lazarus verbunden wird. — 38, 31 Hono
rius 850 A: hunc diem — solemnem Ecclesia judicat et Regi om-
nium cum triumphali laude jubilat —-. hujus imperio vos,
karissimi, tota mente et corde subdite. debitum servicium ei
42
III. Abhandlung: Schönbach.
omni tempore solvite, ut post hujus miserae vitae inopiam per-
cipiatis ab illo gloriam —.
15. 39, 6 — 44, 6.
Dieses Stück (früher bereits gedruckt durch Pfeiffer,
Zeitsclir. f. d. Alterth. 1, 285 ff.) ist wörtlich aus dem Sermon
übersetzt, der unter dem Namen Hildeberts als Nr. 5G, Migne
171, 611 ff, veröffentlicht wurde, aber dem Gaufrcdus Babion
gehört, wie Haureau 1, 35 gezeigt hat. Dieselbe Vorlage ist
auch in einer Predigt der grossen Leipziger Sammlung, in
meinen Altd. Pred. 1, Nr. 6, S. 34—40 bearbeitet worden.
39, 7 — 40, 3 Postquam impleti sunt dies purgationis
Mariae, secundum legem Moysi, tulerunt Jesum in Jerusalem,
ut sisterent cum Domino -— et ut darent hostiam, secundum
quod dictum est in lege Domini, par turturum aut duos pullos
columbarum (Luc. 2, 22. 24). Hildebert 611 A: consuetudo erat,
fratres charissimi, in veteri lege, ut, si mulier masculum pepe-
risset, ipsa ab ingressu templi per quadraginta dies abstineret;
postea veniens ad templum offerebat cum hostiis filium (Levit.
12, 12; darauf bezieht sich wohl auch 39, 14). praeceperat
autem Dominus in lege offerre pro filio agnum, si posset, simul
et turturem vel columbam. qui vero non sufticeret ad offeren
dum agnum, duos turtures aut duos pullos columbarum offerret.
Dominus igitur, qui non venerat legem solvere, sed implere —,
voluit octavo die circumcidi, et in quadragesimo in templo cum
hostiis praesentari. sed quia de paupertate nos instructurus
erat, ubique exemplum paupertatis proponebat; et ideo maluit
par turturum aut duos pullos columbarum, quae erat hostia
pauperum, quam agnum, qui erat hostia divitum. pauper enira
Filius Virginis, in humili loco natus, vilibus pannis invo-
lutus, in vili praesepio repositus (der Dativ in ainer armen
hripjpe 39, 29 ist durch das Latein der Vorlage bestimmt),
in mundo non habens ubi caput suum reclinaret (der deutsche
Satz müsste der Construction nach 39, 30 mit Der beginnen,
nicht 31 mit Vil, vgl. Zeitschr. 24, 90), multa opprobria passus,
et in famoso loco turpi morte occisus, per omnia documentum
paupertatis et humilitatis et contemptus omnium praesentium
tribuit.
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
43
40,3 — 15 Hildebert 611 C: et erat quidam beatus senex,
qui desiderans videre diem Domini, ,responsum acceperat a
Spiritn sancto, non visurum se mortem, nisi videret Christum
Domini* (Luc. 2, 25; das Deutsche hält sich genauer an das
Evangelium: 40, 5 der was reht — homo iste justus; 9 von des
heiligen geistes ordenunge missverstanden aus in spiritu Luc.
2,27). veniens itaque hodie in templum in spiritu, promis-
sionem suam accepturus, vidit quem desideraverat, recepit,
portavit et ait: ,nunc dimittis servum tuum, Domine, secundum
verbum tuum in pace — quia viderunt oculi mei salutare tuum*
(Lue. 2, 29 f.).
40,15 — 41,1 Hildebert 611D: haec est hodie, fratres
charissimi, festivitas, quam tanto gaudio celebratis (im Deutschen
ist celebretis übersetzt), si non in re, saltem in specie. (40, 16
ist iivere herzen zu lesen statt iiceriu herze; vgl. meine Altd.
Pred. 1, 35, 17). lumen in candela Christum de Virgine natum
designat. Christus enim exortus est lumen rectis corde. cera
virginitatem Mariae designat. virgo est apicula, quae ceram
fabricat et sine coitu procreavit (hier ist die lateinische Vorlage
nicht in Ordnung: zum wenigsten fehlt mel und es soll pro-
creatur heissen), de melle enim apes nascuntur. eamdem
speciem virginitatis habet cera, sed sicut gestatis eum (seil.
Christum in eereo) in specie, ita in mente portate (40, 27 1.
also sidt ir Mute), sed si vultis eum ita portare, etiam tur-
turem et eolumbam Offerte (dafür im Deutschen 40,28 nur
die turteltuben, wahrscheinlich, weil im Folgenden columba
und turtur wechseln), columba enim simplicitatem, turtur in-
dieat castitatem. castitatis enim ita turtur amator est, ut, si
conjugem casu perdidit, non aliam ultra quaerere curet. —
Der Zug 40, 32 f. fehlt in der Vorlage (vielleicht nur durch
Zufall), ist aber sonst wohl bekannt, vgl. die Anm. zu meinen
Altd. Pred. 1, 36, 9 ff'. — 41, 1 ez, also Wechsel des Pronomens
rasch nach einander bei derselben Person.
41,2—10 Hildebert 612 A: ille igitur eolumbam offert,
qui se innocentem custodit, neminem laedit, nullius odii fei in
mente gerit. turturem vero offert, qui caste vivens cum uxore,
ab altera se a mente gerit et abstinet (der Herausgeber schlägt
vor: ab altera tarn mente quam corpore abstinentem se gerit;
aber nach dem Deutschen ist wohl eher zu lesen: ab alterivs
44
III. Abhandlung: Scbönbacb.
inquinamento se abstinet). vel si uxore caret, ab omni inqui-
namento luxuriae se removet. nec solus justus, sed et peceator
turturem vel columbam offert. utraque avis, quao gemitum pro
cantu edere solet, in hoc saeculo ploratum designat poeniten-
tium. tune ergo peceator columbae vel turturi comparatur,
cum peccatorem se recognoscendo pro nequitiis lamentatnr (das
wird im Deutschen vereinfacht).
41, 10 — 42,2 Hildebert 612 A: sed sunt duo genera poe-
nitentium. alii enim publice, alii in occulto, pro diversitate
criminum poenitentiam agunt. qui enim publice peccant et
malo exemplo alios corrumpunt, publice debent poenitere —.
caeteri autem privatim puniuntur. — nam turtur solivagus
gemere consuevit. columba vero in grege aliarum gemitus suos
edit. turtur itaque eos, qui in occulto, columba vero designat
publice poenitentes. hae ergo aviculae, fratres charissimi, sunt
vobis (so 1. statt nobis) forma vitae. qui libros ignoratis (nach
kunnet 41, 21 Komma), dt in eis, quid facere debeatis, legite.
creaturae enim Dei non solum vobis ad cibum sunt, sed etiam
ad exe'mplum. —■ in his avibus reperit justus, quid imitari
debeat; hae aves docent peccatorem, quid faciat. sed spiritua-
liter columba nos informans septem virtutum nobis est exem-
plum. feile caret; non vivit de cadavere (41, 27 botich), nec
de vermibus; semine pascitur; meliora germina eligit (im Lateini
schen fehlt hier nichts, wie Hugo de Folieto zeigt, Migne
177, 19D); gemitum pro cantu habet; alienos saepe nutrit pullos;
super aquas sedet, ut, cum viderit umbram venientis accipitris,
illum devitet; in foramine petrae vel in caverna nidificat. in
his omnibus, fratres, liaec avis est imitanda (so zu lesen statt
mirandci; vgl. auch Hildebert 615 D, hier 43, 28).
42, 3—33 Hildebert 612 C: omnis enim fellis amaritudo
debet abesse a cordibus nostris; nullum adeo pessimum vitium
est sicut odium; nullum martyrium (durch guottate übersetzt,
weil martyrium den Zeitverhältnissen nicht angemessen ist)
valet, si odium in corde habitet (hier und im Folgenden lässt
der Bearbeiter viele Schriftcitate weg, die in der Uebersetzung
der Leipziger Sammlung bewahrt sind), rursum columba nec
cadavera nec vermes comedit (kevere ist 42, 6 natürlich falsch,
es muss gelesen werden: der botiche noh der wurme), sic
homo mortuis operibus non debet delectari; vermes, id est
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
45
pravas conscientias (daraus erklärt sich 42, 8 böser, vgl. Zeitschr.
24, 90) — curet devitare. cadavera enim sunt peccata, vermis
prava conscientia. — non auderet homo in conspectu hominum
apparere (42, 9 nach lute Komma), si dicerent sibi homines
(stand in der Vorlage discerent?), quod sibi conscientia objicit
quotidie. — vitanda sunt peccata, quia homo est servus tot
dominorum, quot vitiorum (ist 42, 11 schlecht übersetzt, weil
er einen falschen Bezug hat). — item columba semine pascitur
et meliora grana eligit (42, 13 ist der Sing, und Plur. körn
gut auseinander gehalten), sic justus Dominicis verbis debet
satiari. ait enim Christus: Matth. 4, 4. sicut enim in homine
duae sunt substantiae, id est corpus et anima, sic duo cibi sunt
necessarii, id est corporalis, qui corpus pascit, et verbum Dei,
quod animam relicit. sumus in peregrinatione, et ideo viatico
(phruonde — provenda ist eine wunderliche Uebersetzung von
viaticum) indigemus. hunc panem petimus in Dominica ora-
tione, dum dicimus: Matth. 6, 11; id est in praesenti vita, quem
Dominus donat omnibus, dicens: Matth. 15, 32. in via deficit,
si peccatori cibus praedicationis subtrahitur. (Bei den deutschen
Uebersetzungen fehlt die Erklärung von meliora grana eligit,
wohl weil sie zu subtil ist.) — est et alia virtus columbarum,
quae multum imitanda est. nutrit enim alienos pullos. in hoc
virtus misericordiae designatur. — qua etiam alienos amare
praecipitur, dum dicitur: Luc. 6, 30 (das Citat 42, 29 Grego-
rius ist falsch), quod et alibi: Luc. 6, 36. ergo alieni sunt
diligendi propter Dominum (42, 32 1. fremeden — got unsern
lierren).
42,33 — 43,27, Hildebert 614 B: quinta virtus admirabilis
columbae est, quod juxta fluenta habitat, ut videns umbram
venientis accipitris illum devitet; quod melius in columba se-
quendum est. habemus enim quemdam hostem spiritualem per
aera volitantem, qui semper circuit, quaerens quem devoret.
nec omnino inter nos habitat, nec multum a nobis remotus est
(daher 1. 43, 4: und ist ouch niht [vilfj verre von uns), si
semper in terra habitaret, vix posset aliquis ejus insidias devi
tare. unde daemones aeris potestates nominantur. et quanto
invisibilior, tanto formidabilior est. sed umbram ejus videmus
in aqua, quia similitudinem astutiarum ejus discimus in Scrip-
tura. fugiamus ergo ad Scripturam, quoties sentimus tenta-
46
Hl. Abhandlung: Schönbach.
tionem ejus callidam. — gemitum pro cantu habet columba.
in hoc aviculam peccator imitari debet. vertat gaudium in
lacrymas. Luc. 6, 21. lacrymis peccata lavit Maria. — Petrus
post peccatum amare flevit et meruit veniam. — nec solum
pro nobis, sed et pro ruiseris proximis sunt lacrymae fundendae.
— sequitur ultima virtus. in foraminibus petrae vel in caver-
nis maceriae nidificat. petra Christus est, supra quam Ecclesia
debet nidificare. nil valet alicui bene operari, si sibi, non
gratiae Dei ascribat —. foramina petrae sunt vulnera Christi,
unde sanguis profluit, pretium redemptionis nostrae. caverna
est latus apertum, unde sacramenta nostrae salutis, scilicet san
guis et aqua exierunt; alterum ad redemptionem, alterum ad
regenerationem.
43,27 — 44,6 Hildebert 615 B: in Omnibus his, fratres
charissimi, imitemur columbam, sic nos in templo columbam
offeramus. quod factum est figuraliter antiquo tempore, modo
spiritualiter impleamus. sequamur vestigia beatae Mariae vir-
ginis —. rogamus beatissimam Reginam, quae — porta est
coeli, spes miserorum, consolatio peccatorum, ut Filium, quem
hodie praesentavit in templo, faciat nobis placabilem et tribuat
nobis illam pacem, quam senex beatus intellexit, cum ait: Luc.
2, 29. ut mereamur videre salutare Dei, de quo ait idem:
Luc. 2, 30. — Dominum nostrum Jesum Christum, qui vivit et
regnat Deus per omnia saecula. saeculorum Amen.
16. 44,7 -47, 16.
Das Stück ist im Wesentlichen getreu übersetzt aus des
Ivo von Chartres Sermo Nr. 12, de Septuagesima, Migne 162,
577 ff., der seinerseits zum grossen Theile übereinstimmt mit
dem Liber de divinis officiis, cap. 9, der fälschlich Alcuin zuge
schrieben wurde, Migne 101, 1184 ff. Vgl. Zs. f. d. Phil. 15, 31 f.
44, 8—18 Psalm. 136, 4: quomodo cantabimus canticum
Domini in terra aliena. Ivo 577 A: scientes, dilectissimi, quia
quamdiu sumus in mundo, peregrinamur a Domino (2 Cor.
5, 6), quotidianis lacrymis oportet nos hujus exsilii mala deflere,
et ad aeternam patriam toto desiderio anhelare. sed quia
Ecclesia, multis lionorata sacramentis, hoc publicis conventibus
quotidie frequentare non valet, sub typo universi temporis com-
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
47
mendati sunt nobis specialiter hi Septuaginta dies, quibus reci-
tatione lectionum et canticorum casum generis humani reco-
limus, et mortalitatis nostrae dolores attendentes quotidie
doleamus.
44, 18—25 Ivo 577 C: ad hoc etiam significandum vocem
usitatissimam in Ecclesia, jAUeluia* scilicet, ab hodierna die
nsque ad Pascha intermittimus et pro hac hebraica voce lati-
nam: ,laus tibi, Domine, Rex aeternae gloriae‘ frequentamus.
sicut enim terrena Jerusalem gerit imaginem patriae coelestis,
sic vox ista, a supradicta civitate quondam in Dei laudibus
frequentata, signat laudes civium supernae Jerusalem, matris
nostrae —. unde in introitu hodiernae missae sancta Ecclesia
per lapsum primi parentis mortem sibi illatam esse deplorat,
et in doloribus hujus vitae ad haec inferiora detrusae, dolere
se elamat: ,circumdederunt me dolores mortis —. dolores in-
ferni circumdederunt me‘ (Psalm. 17, 5. 6).
44,25 — 45, 14, Ivo 577 C: lrnic significationi Septuaginta
dierum concordat significatio Septuaginta annorum, quibus cives
terrenae hujus Jerusalem sub rege Assyriorum ducti sunt cap-
tivi et in Babylonia servitute detenti —. Pseudo-Alcuin, Migne
101, 1184C: qui sacrae legis, veteris scilicet historiae libros
legunt, satis in promptu habent, Israeliticum populum saepius
contra Deum deliquisse. unde frequenter admoniti per pro-
phetas, poenitentiam agere noluerunt. quapropter, sicut legitur
in libro Regum et beati Ezechielis prophetia, post multas
correctiones, sicut diximus, in impudentia illis permanentibus,
tradidit illos Deus in manus diripientium. (Einzelne Ausdrücke
im Deutschen sind aus der Bibelkenntniss des Bearbeiters
geschöpft.) — unde regressus rex Assyriorum Nabuchodonosor
cum exercitu regiones illorum vastavit et civitatem Hierusalem
munitionibus circumdedit et tamdiu obsedit, quousque defi-
cientibus alimentis victi omnes cederent, et relicta civitate, rex
Sedechias cum filiis et paucis, qui secum remanserant, fugeret.
quem, capta civitate, persequens populus Assyriorum appre-
bendit et in conspectum regis sui Nabuchodonosor cum filiis et
principibus populi filiorum Judaeorum, qui residui fuerant,
adduxit. — praecepitque rex Nabuchodonosor in conspectu
regis Sedechiae interficere filios ejus et omnes principes Judaeo-
runi (daher ist 45, 6 zu lesen die tiweristen, wie schon Becli,
48
III. Abhandlung: Schönbach.
Germania 4, 500 vermuthet hatte), qui remanserant (daher ist
frume 45, 8 schwerlich richtig; etwa die da vore waren?), oculos
autem Sedechiae jnssit eruere, et vinctum catenis duxit in
Babylonem. — unde, sicut illic scribitnr, Nabuzardam, prin-
ceps coquorum, destruxit muros Hierusalem. et ita omnes
dncti snnt in captivitatem in Babyloniam •—. in qua captivitate
morati ^unt in magna afflictione et penuria et Servitute per
annos Septuaginta, postea vero, miserante divina elementia, —
magna illorum pars reversa est Hierusalem —.
45, 14—23, Ivo 577 D: Assur quippe ,elatus‘ interpretatur;
Babylon ,confusio‘: Jerusalem ,pacis visio'. ergo rex Assy-
riorum, rex superborum, idem rex Babyloniorum, id est, inordi-
nate viventium rex diabolus est, qui filios pacis, populum ad
supernam visionem suspirantem, duro premit jugo servitutis,
et quantum praevalet, retardat a reditu et introitu supernae
civitatis.
45, 23 — 46, 1, Ivo 578 B: malorum itaque Babyloniae
taedio fatigati, et supernae civitatis desiderio afflati, quasi in
salicibus organa nostra suspendimus, dum, in mundi cupidi-
tatibus radicatis oppressoribus saeculi nostri, imo contemptoribus
divinae gratiae coelestis regni gaudia praedicare dissimulamus,
ne margaritas spargere ante porcos, et sanctum dare canibus
videamur. unde captivati suis captivatoribus dicunt: ,quomodo
cantabimus canticum Domini in terra aliena?' (Psalm. 136, 4;
das Citat 45, 25 war = Psalm. 136, 3: et qui abduxerunt nos:
,hymnum cantate nobis de canticis Syon‘). ■— 45, 30 Psalm.
136, 5. Die Vulgata liest den Vers: si oblitus fuero tui, Jerusalem,
oblivioni detur dextera mea. Augustinus jedoch, aus dessen
Enarratio des 136. Psalms (Migne 37, 1761 ff.) alle diese Er
läuterungen geflossen sind, hat 1770: — obliviscatur me dextera
mea. — Ivo 577 D: quo tempore Dei laudes patrio more cele-
brare non poterant, sed exsilii sui mala deflebant. hoc psalmista
praevidens — dicens: super flumina Babylonis illic sedimus et
flevimus, dum recordaremur Syon. — 45, 35 ist s. d. aufzulösen
in sicut dicitur?
46, 1—11 Pseudo-Alcuin 1185B: hanc ergo captivitatem
Judaici populi, quae nostram praefiguravit peregrinationem, an-
nuatim colens sancta Ecclesia, et in memoriam reducens celebrat
Septuagesimam: ut sicut ille populus Septuaginta annos, quam-
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
49
vis invitus, in captivitate et peregrinatione est detentus (46, 3
wartin — ivartetin; ygl. Schaper § 21, 5), ita nos, id est Christia
nus populus, Septuaginta dies nostram peregrinationem et prae-
sentis vitae aerumnam voluntarie recolentes, ad patriam, quae
est superna Hierusalem, redire cum omni aviditate, bonis dediti
operibus, vigiliis scilicet et jejuniis et orationibus, intente
studeamus.
46, 12—23 Ivo 578 C: his ergo diebus, quod omni tempore
faciendum est, specialius et propensius gemitibus et fletibus
operam demus, ut ad patriam nostram, a qua mortifera delecta-
tione corruimus, per amaritudinem cordis et lamenta redeamus.
— terra aliena reproborum est multitudo, ad supernam non
pertinens civitatem ■—. nos ergo in hac servitute detenti, quasi
super flumina Babylonis sedemus, dum transitoriis hujus mundi
concupiscentiis mentem non immergimus (46, 19 1. dar ane
denchet), et tarnen flemus, quia miseri sumus et frequenti desi-
derio visionis supernae et aeternae suspiramus. Ferner die
Stelle, welche bereits zu 45, 23 ff. ausgehoben wurde. Deshalb
ist praedicare = 46, 22 vürleigen = mir legen, wie schon Kelle
im Glossar wollte. — 46, 23 Matth. 7, 6: nolite sanctum dare
canibus.
46,23 — 47,3 Hugo von St. Victor, Allegoriae in Vetus
Testamentum, lib. 7, cap. 42, Migne 175, 726 D: venit Nabu-
zardan, qui interpretatur. ,ventilabrum‘, cum aliquis Spiritus
malignus plebem invadit fidelium, et domum regis et domos
Hierusalem, id est rectores et eos, qui videbantur in visione
pacis manere, inflammatos cupiditate subvertit. omnem domum
comburit, cum uniuscujusque conscientiam per illiciti amoris
flammam succendit. muros Hierusalem in circuitu destruxit,
cum intentionem orationis et virtutum studia, quae contra se
valere novit, in desperantibus dissolvit, ne per spem veniae ad
divina currant auxilia, et correptionis vitae apprehendant muni-
mina. — Hugo schöpft da wörtlich aus der alten Ueberlieferung,
nämlich dem Commentar des Rabanus Maurus zu den Büchern
der Könige 4, 25 (Migne 109, 276 f.) und aus desselben Autors
Commentar zu Jeremias cap. 52 (Migne 111, 1178). — 46, 33
die Stelle stammt nicht aus der Bibel, sondern aus Augustinus,
Senno 5. de verbis Domini. — 47, 1. m. daz vl. br., vgl. Kelle
im Glossar.
Sitangsb. der phil.-hist. 01. CXXXV. Bd. 3. Abh.
4
50
III. Abhandlung: Schönbach.
47, 3—-14 Ivo 578 D: ibi (seil, in patria coelesti) nunc
intermissum ,Alleluia 4 recuperabimus et cum supernis civibus
Deum sine fine laudabimus. — interim ergo lugeamus in via,
ut postmodum gaudeamus in patria. amarescat nobis, quidquid
dulce est in rebus saeculi, prae dulcedine Dei et decore domus
Dei: quanto quisque prae Omnibus diligit, tanto se amplius ad
supernam patriam pertinere intelligat. — Pseudo-Alcuin 1186 C:
ergo quicunque in bis diebus Septuagesimae saluberrime in-
stitutis cursum suum, id est, vitae liujus praesentis statum bene
direxerit, ut deposita omni inepta laetitia et vanitate, in jejuniis
et vigiliis et orationibus eleemosynisque ac caeteris bonis operi-
bus assidue insistat, et peregrinationis suae assidue recordatus
fuerit, liic sanctum Pascha feliciter celebrabit —. transitum
faciamus a vitiis ad virtutes, et de terrenis ad coelestia, et de
transitoriis ad semper manentia et aeterna transmigrare studea-
mus. — 47, 8 Psalm. 26, 13.
Die Vorstellungen dieses Stückes sind von der Theologie
des 12. Jahrhunderts öfters verknüpft worden: vgl. Honorius,
Gemma Animae, Migne 172, 690f. Werner, Deflorationes 157,
847 f. Hildebert, Sermo 25 de Diversis, Migne 171, 852 f. (besser
Petrus Lombardus, Haureau 1, 219). Petrus Blesensis, Sermo 13,
Migne 207, 599 f. Hugo von St. Victor, Spec. Eccl. (gehört
einem jüngeren Prediger, Haureau 1, 25 f.), Migne 177, 104311'.
Abälard, Sermo 6, Migne 178, 428 f. Bernhard v. Clairvaux,
Migne 183, 164f.
17. 47, 15 — 52, 2.
Quelle dieses Stückes ist der unter dem Hamen Hildeberts,
Nr. 22, bei Migne 171, 440—443 gedruckte Sermon, der aber,
wie Haureau gezeigt hat 1, 35, dem Gaufredus Babion zuzu
schreiben ist. Die Bearbeitung lässt den Eingang 440 A—C nach
Baruch 3, 9—11 fort und beginnt 440 D. Vgl. Zs. f. d. Phil. 15,32.
47, 18—33 Der Textspruch ist 2 Cor. 6, 2. Hildebert
440 D: duae civitates sunt, diaboli et Dei, infernus scilicet et
paradisus: et duae familiae, justi et injusti. milites Dei in libro
viventium scribuntur. milites diaboli cum his, qui in inferno
sunt, deputantur. de quibus dicit: Psalm. 68, 29. et quare?
,coinquinatus es et cum mortuis deputatus'' (Baruch 3, 11). quia
,dereliquisti fontem aquae vivae 4 , id est Christum, qui est fons
Studien znr Geschichte der altdeutschen Predigt.
51
aeterni boni, de quo (47, 30 1. der des brunnin) aliquis potatus
non sitiet in aeternum, qui abluit peccata raun di, unde fluit
aqua viva, id est, copia (daher hat Bech, Germania 4, 499
gnussam 47, 32 richtig gedeutet) aeternae vitae.
47,33 — 48,30 Hildebert 441 A: audistis, fratres charis-
simi, quam terribilis sententia super vos (Druck nos) est data
(daher ist 47, 34 nach getan ist ein Punkt zu setzen, der
Punkt nach sunti zu streichen), quia peccavistis, in inferno
deputati estis. heu, quam malum meritum, quam grave prae-
mium! de malo opere fructus malus, de turpi militia turpis
corona. ,stipendia enim peccati', ut ait apostolus, ,mors‘ (Rom.
7, 23). non haereditaria (wilgelich 48, 4 bedeutet daher: vom
Schicksal bestimmt, schicksalsgemäss), non transitoria, sed
aeterna. — quo fugietis, gens caeca? vitam deseritis et in
mortem itis. in inferno nulla est redemptio, in inferno nulla
est confessio utilis. ,quoniam non est in morte — confitebitur
tibi' (Psalm. 6, 6). utiliter debemus intelligere. dives enim in
inferno peccatum Abrahae conlitebatur, sed inutiliter, quia ibi
tantum est locus poenitentiae, ubi est locus confessionis. (Im
Deutschen wird dieser Satz zerlegt und das Ganze etwas reich
licher nach dem Evangelium gegeben) unde apostolus: Galat.
6, 10. dicit enim Dominus per Isaiam: ,tempore accepto ex-
audivi te — (Isai. 49, 8). sed quando est tempus illud exaudi-
tionis idoneum? — Zu 48, 27—30 vgl. Idonorius 883 A: ideo
isti (quadraginta) dies sunt ad hoc constituti, ut nos orationibus
purgemus et Creatori nostro pro peccatis nostris satisfacere
jejuniis curemus, quia per haec duo hostes sternuntur, vitia
vincuntur, daemones expelluntur.
48, 30 — 49, 28 Hildebert 441 B: ,ecce nunc tempus ac-
ceptabile —‘ (2 Cor. 6, 2), id est, in praesenti est tempus accep-
tabile ad poenitendum, ad confitendum, ad orandum, ad bene
operandum (daher 49, 1 nach vrumin Punkt), in quo Dominus
exaudiet et in quo salutem promereri potestis. dies duo sunt, dies
hominum (49, 3 1. der mennischn), dies Domini, dies hominum
est (diese drei Worte fehlen bei Hildebert), quamdiu vivitur,
quia tune homines in potestate sua sunt, ut ad vitam tendant,
si velint, vel in mortem se praecipitent (wahrscheinlich ist
49, 7 statt werche zu lesen werbin), dies hominum sunt, quia
homines in manu hominum sunt, id est sacerdotum, ut modo
4*
52
III. Abhandlung: Schönbach.
eos solvant, modo eos ligent. ultra vero potestas eorum non
porrigitur. unde dicitur: Deus, cui soli competit medicinam
praestare post mortem, itaque post mortem eorum dies Domini
‘est, quia tune homines in manu ejus sunt, ut non secundum
veile eorum vel ad mortem vel ad vitam ducantur, sed secundum
gratiam vel justitiam Domini omnia agantur. dies Domini est,
quia tune Dominus apparet, sicuti est. —• unde dicitur: 2 Petri
3, 10. quid ergo exspectamus hic, ubi positi sumus (49, 22 f.
ist daher zu schreiben: Von diu — in dizze ellendi; diese
letzten Worte sind hier dich y.o'.voü gebraucht), ut operemur, ut
mereamur in patria Christi esse cohaeredes. in praesenti militia
exercetur, in futuro munus reddetur. in praesenti seritur, in
futuro colligetur. ,tempus vero breve est‘, ut ait apostolus,
,praeterit enim figura hujus mundh (1 Cor. 7, 31).
49, 28 — 50, 25 Hildebert 441 D: exspectat nos Dominus
(daher 1. Nu bitit er — unser becherde ist Gen. Vgl. Zeitschi’.
24, 90), qui dicit: ,nolo mortem peccatoris, sed ut convertatur
et vivat‘ (Ezech. 18, 33). —- 49, 30 ff. Nach dem falschen Citat
ist auch die Uebersetzung falsch gerathen; überdies muss liebir
statt leider geschrieben werden, wie schon Bech, Germania
4, 500 annahm. — exspectat, ut poeniteamus. sed nisi poeni-
tuerimus (49, 34 1. buoztin), exspectatio illa nobis iram. generat,
dicente apostolo: Rom. 2, 4. 5 (bonitas Hildebei’t). — Von dem
Citat wird 49, 35 f. nur der erste Theil gegeben, 50, 3—5 über
setzt aber auch den zweiten: secundum autem duritiam cordis
tui et impoenitens cor, thesaurizat tibi iram in die vel irae vel
judicii. — 50, 5 nach zorn Fragezeichen. -— ,surge igitur, qui
dormis', ut ait apostolus, ,et exsurge a mortuis, et illuminabit
te Christus' (Ephes. 5, 14). dormimus, quia obliti sumus coelestis
patriae, hic veras divitias per somnum videmur invenisse,
sed in morte excitati nihil inveniemus, quia nudi discedemus,
dicente psalmista: dives, cum interierit, non sumet omnia, neque
descendet cum eo gloria ejus (Psalm. 48, 18). excitemur ergo
in praesenti, comperientes hic non esse veras divitias, quia
hora est jam nos de somno surgere, scilicet de somno oblivionis.
— Nun werden im Deutschen 30 Zeilen des Migne’schen Textes
weggelassen: 50, 15 ist digna jooenitentia allein daraus ent"
nommen. — sed vos, fratres charissimi, negligentes in poeni-
tentia estis, quia venientes ad confessionem non defletis peccata
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
53
vestra. et tarnen plus valent lacrymae poenitentiae quam multi
temporis cum gaudio et risu jejunia. Petrus ter negans Do
minum flevit amare. unde quidam dixit: ,lacrymas legi Petri,
satisfactionem non legi' (ist 50, 20 f. wunderlich übersetzt).
Maria mulier peccatrix accessit ad Christum, pedes ejus rigavit
lacrymis. — David enim poenitens ait: Psalm. 6, 7.
50,25 — 51,17 Hildebert 442 D: et alibi: exaudivit Do
minus vocem fletus mei (Psalm. 6, 9). haec secunda ablutio est,
prima praecessit in baptismate. Im Deutschen wird das aus-
geführt. — 50, 31 Psalm. 125, 5. — vita enim praesens pro
lacrymis fuit extenta, velut cum dictum est Ezechiae: ,niorieris
tu, et non vives', et conversus ad parietem flevit (4 Reg. 13).
et adjuncti sunt ei quindecim anni. — flete ergo peccata vestra
in praesenti spontanei (das ist dancwillen 51, 6), ne defleatis in
futuro coacti. unde scriptum est: Matth. 8, 12. — addendum
tarnen est jejunium lacrymis, ut, cum anima particeps peccati
cruciatur, caro, quac peccavit, per abstinentiam puniatur. —
Das Citat fehlt Hildebert und ist hier wohl vorausgenommen
aus In capite jejunii: Honorius 876 D. Ivo von Chartres, Migne
162, 579C. — 51, 12 Joel 2, 12; daher muss es heissen: per
Joelem prophetam. — 51, 15f. ist zu lesen: ir schult wizzin,
daz diu vaste niwet frumit an almüsin, unde niwet mer hilfet
daz almosin äni vastin den diu vaste ane almosin. Denn nach
puniatur heisst es bei Hildebert: sed jejunium sine eleemosyna
nihil plus valet quam eleemosyna sine jejunio.
51, 17 — 52, 2 Hildebert 443 A: jejunium cum eleemosyna
duplex bonum. jejunium sine eleemosyna nullum bonum est. et
iterum nihil valet abstinere a cibis, nisi abstineatur a peccatis.
— 21—23 fehlen Hildebert, bei dem sofort das Citat 51, 24:
Isai. 58, 7 folgt. Doch ist der kleine Zusatz nur aus dem Vor
hergehenden erschlossen. — 51, 24 1. Denchet dar ane di ir
da v. v. — Hildebert 443 B: cum Dominus prohibeat in jejuniis
peccare, postea ostendit, quid e contrario faciamus. scilicet ut
solvamus peccata poenitendo, confitendo, lacrymando, jejunando,
eleemosynam dando, ut purilicati a peccatis in his sanctis je
juniis (daher 1. 30: dietvaste, vgl. Bech, Germania 4, 499) me-
reamur Dominum recipere corde puro in die resurrectionis, et
gaudere cum eo per omnia saecula saeculorum. Amen.
54
III. Abhandlung: Scbönbach.
18. 52, 3 - 53, 12.
Cruel hält S. 177 diese Predigt nur für einen Auszug
aus Nr. 10 der Wiener Sammlung bei Hoffmann, Fundgruben
1, 88 f. Ist nun auch die Aehnlichkeit sehr stark, so sind die
beiden Stücke doch durchaus nicht identisch. Jedenfalls darf
unsere Predigt hier als eine freiere Arbeit angesehen werden,
wie sich schon aus der Abwesenheit von Citaten ergibt. Für
die hier ausgesprochenen allgemeinen Gedanken scheinen haupt
sächlich zwei Quellen verwendet zu sein: Ambrosius und Gregor.
Von Ambrosius kommt (ausser den Sermonen Nr. 23 und 25)
besonders Sermo 17, Migne 17, 654 ff. in Betracht: ideo sollici-
tiores vos esse oportet in vigiliis, in jejuniis, in eleemosynis
et orationibus. qui usque modo eleemosynam fecit, amplius his
diebus faciat, quia sicut aqua exstinguit ignem, ita eleemosyna
exstinguit peccatum (Eccli. 3, 33). — nam quamvis omni tem
pore Christianus a maledictionibus et conviciis et juramentis
et risu nimio atque verbis otiosis se abstinere debet, maxime
tarnen sanctis his diebus, qui ad hoc constituti sunt, ut peccata
totius anni in his quadraginta diebus per poenitentiam delean-
tur. — ita et vos, si ex toto corde — ad Deum clamaveritis,
divinam super vos misericordiam provocabitis, in tantum, ut
laetiores et securiores diem Dominicae resurrectionis celebretis,
et felices ad coelestem patriam post hanc vitam transeatis —.
Aus Gregor ist insbesondere anzuführen Homil. 16 in Evan-
gelia, und zwar Migne 76, 1137 f.: sed quia his diebus lectio
congruit, nam quadraginta dierum abstinentiam nostri Redemp-
toris audivimus, qui Quadragesimae tempus inchoamus, discu-
tiendum nobis est, cur haec ipsa abstinentia per quadraginta
dierum numerum custoditur. — nos quoque, in quantum pos-
sumus, annuo Quadragesimae tempore carnem nostram per
abstinentiam affligere conemur. — dum vero per trecentos et
sexaginta quinque dies annus ducitur, nos autem per triginta
et sex dies affligimur, quasi anni nostri decimas Deo damus,
ut qui nobismetipsis per acceptum annum viximus, auctori
nostro nos in ejus decimis per abstinentiam mortificemus. —
ita ei offerre contendite et decimas dierum. unusquisque, in
quantum virtus suppetit, carnem maceret, ej usque desideria
affligat, concupisc.entias turpes interficiat —•. caro nos laeta
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
55
traxit ad culpam, afflicta reducat ad veniam. — illud ergo je-
junium Deus approbat, quod ad ejus oculos manus eleemosy-
narum levat, quod cum proximi dilectione agitur, quod ex pie-
tate conditur. hoc ergo, quod tibi subtraliis, alteri largire, ut
unde tua caro affligitur, inde egentis proximi caro reparetur.
— jcjunium quippe sanctificare est, adjunctis bonis aliis, di-
gnam Deo abstinentiam carnis ostendere. cesset ira, sopiantur
jurgia. incassum enim caro atteritur, si a pravis voluptatibus
animus non refrenatur —. Vgl. Rabanus Maurus, Homil.
Nr. 9, Migne 110, 21 A: nobis ergo in his omnibus Redemptor
noster, fratres dilectissimi, exemplum dedit, quia nobis jejunavit,
nobis contra tentatorem conflixit, nobisque superavit. victoria
Christi gloria est nostra: sicque nos per abstinentiam carnem
nostram mortificantes, animas nostras debemus praeparare ad
tentationem, et per orationem — victoriam capientes, aeternam
cum sanctis angelis in coelo sperare beatitudinem. — Ferner
vgl. Leo M., Sermones Nr. 39 und 42, De Quadragesima
I et IV, Migne 54, 263 ff. 275 ff. Psendo-Augustin, Appendix,
Migne 39, 2019ff. Beda, Homil. 23, Migne 94, 124CD. Werner,
Deflorationes, Migne 157, 872 ff. Honorius, Migne 172, 884 AB.
— 52, 7 ist wahrscheinlich wtzen zu lesen. 53, 4 ivaize = iveiz.
19. 53, 13 — 55,15.
Diese Homilie erläutert das Evangelium des Palmsonntags
in der seit den ältesten Commentatoren üblichen Weise. Be
sonders nahe steht sie der unter dem Namen Haymos von Hal
berstadt gedruckten Homil. de Temp. Nr. 63, Migne 118, 353 ff.,
auch Nr. 1, ebenda S. 11. Vgl. Beda bei Migne 94, 121 f. Hilde-
bert, Sermo Nr. 31, Migne 171, 490 f. = Werner, Deflorationes,
Migne 157, 999 ff. Honorius 919 f.
53, 14 Joann. 12, 12; ist eine Antiphon der Messe des
Tages. — Vgl. Beda, Homil. 23, Migne 94, 121 A: Christus
Jesus, qui pro humani generis salute passurus de coelo descen-
derat ad terras, appropinquare voluit loco passionis —. hodie
incipiat, quicunque cum turbis illis fidelibus fidei opera assumat,
implorans pietatem ejus — salvari se superna in patria flagitet.
53,23. 25 Matth. 21, lf. Hayrno 118, 354C: cum ergo
venisset Dominus per incarnationis mysterium ad populum
56
III. Abhandlung : Schönbach.
Judaeorum salvandum, misit duos discipulos Jerusalem, hoc
est, in hunc mundum, ut sua praedicatione rebellium corda
gentilium fidei Christi subjugarent. — quia totus mundus ju-
gum fidei recipere nolebat, misit duos discipulos — propter
geminae dilectionis praeceptum, quo praecipimur, ut diligamus
Deum ex toto corde, et proximum nostrum tamquam nos ipsos.
54, 1 Haymo 354 D: juxta spiritalem intelligentiam per
haec duo animalia onus duorum populorum aperte declaratur.
asina enim, quae oneribus ferendis assueta est, populum Ju
daeorum significat, qui longo tempore sarcinam legis traxerat.
pullus ergo, qui lascivus et über est, significat gentilium
plebem, quae ante adventum Domini sine legis doctrina et pro-
phetarum quasi libera et vaga incessit. et bene utrique alli-
gati dicuntur fuisse, quia veniens Redemptor in mundum
utrumque populum yinculis peccatorum suorum alligatum invenit.
— solvite gentes a yinculis peccatorum, et adducite mild vestra
praedicatione et miraculis.
54, 13 Haymo 357 C: ramos ergo de arboribus caedunt,
qui de Scripturis diyersis utilia quaedam excerpunt ad utili-
tatem eorum, qui ad coelestem patriam tendunt. — Matth. 21, 9.
—■ ,osanna‘ interpretatur autem ,salva‘ sive ,salvifica‘ populum
tuum vel totum mundum. — sed spiritualiter quod turba, quae
Dominum praecedebat et quae sequebatur, consona voce laudis
Dominum collaudabant, hoc significat, quod populus Judaeorum,
qui in fide praecessit, et gentes, quae eos secutae sunt, pari
et aequali fide et concordi Deum omnipotentem collaudant.
54, 21 Haymo 353 D: Jerusalem ,visio pacis' coelestem
patriam significat, — Bethania quippe interpretatur ,domus
obedientiae', ut aperte ostenderet, quia per summam obedien-
tiam ad passionem veniret. — Bethphage enim interpretatur
,domus buccae* — (Migne 118, 11C) significat Ecclesiam, quae
sine intermissione os, quod vulgo ,bucca‘ dicitur, in confessione
apertum habet —. — Matth. 21, 4 f.: hoc autem totum factum
est, ut adimpleretur, quod dictum est per prophetam dicentem:
,dicite filiae Sion: ecce Rex tuus venit tibi mansuetus; sedens
super asinam et pullum filium subjugalis' (Isai. 62, 11. Zachar.
9, 9. Joann. 12, 15) — id est, non superborum, sed humilium
mentes inhabitans, ut discat ab eo, qui mitis est et humilis
corde (Matth. 11, 29).
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
57
55, 6 Diese Auslegungen stehen auch in den Messora-
tionen des Tages. Vgl. Beda, Homil. 23, Migne 94, 124D: —
quia quanto districtius se sanctis his diebus Domino manci-
passe meminit, tanto amplius gaudens sanctum Dominicae resur-
rectionis tempus exspectat. — quicunque ergo — cum tentatore
superbo certare coeperunt, videant caute, ne coepta deserant,
priusquam hoste prostrato ministeriis donentur apgelicis. —
sternat vestimenta sua in via, id est, membra sui corporis hu-
miliet in praesenti —. sicque gressus suae actionis prae-
muniat ac sic etiam ipse cum caeteris iidelibus redemptoris sui
vestigia sequatur, passionis et resurrectionis ejus mysteria digna
mentis puritate veneretur — et coelestium gaudiorum pignus
dare dignatus est Jesus Christus —.
Vgl. zu dem Schluss noch die Anmerkung zu meinen Altd.
Fred. 2, 77, 6 ff.
20. 55, 16 — 56, 1.
Schon Steinmeyer hat im Anzeiger f. d. Alterth. 2, 229
erkannt, dass zwischen den Seiten 43 11 und 44 11 der Handschrift
etwas fehlt (vielleicht nur ein Blatt), und dass daher mit 55, 17
ein Bruchstück beginnt, welches er wohl mit Recht dem ersten
Sonntag in Quadragesima zuweist. Vgl. Stejskal, Zs. f. d. Phil.
15, 32. Es ist für diese wenigen Zeilen eine besondere Quelle
nicht auszumachen, nnr das sei angemerkt, dass die einfachen
Gedanken 23 ff., 30 ff. bei Honorius im Spec. Eccl., Migne
880 BC. 884 sich finden. — 55, 17 Isai. 55, 7: — et vir iniquus
cogitationes suas. — 26 latten ist jedenfalls unrichtig, vielleicht
laiten? — 28 Zachar. 1, 3.
21. 56, 1 — 61, 9.
Das Stück gehört, wie schon Steinmeyer a. a. 0. ermittelt
hat, für ,Coena Domini', und zwar mit dem Textspruche 1 Cor.
H, 20. Es kann davon nicht viel fehlen. Dass man sonst
nicht gemerkt hat, wie hier zwei verschiedene Predigten an
einander stossen, ist nicht zu verwundern. Denn auch in la
teinischen Sermonen In coena Domini werden ähnliche Ge
danken und Citate, wie hier S. 55, in der Einleitung verwendet,
vgl. Abbo von St. Germain, Sermo 2, Migne 132, 764 ff.
Katherius von Verona, Sermo 3, Migne 136, 714f. Honorius
58
III. Abhandlung: SchÖnbach.
921 ff., Bernhard v. Clairvaux 183, 273 f. — Nur Einzelnheiten
vermag ich bei diesem Stücke nachzuweisen, aber nicht die
Quelle des Ganzen.
56, lff. Ygl. dazu den ,Sermo in coena Domink, der in
Werner’s Deflorationes, Migne 157, 911 ff. steht: fratres, ista
dies, quam hodie celebramus, magna est et excelsa et nulla
rnajor per totum annum. hodie coenavit Dominus cum disci-
pulis suis, hodie tradidit illis corpus et sanguinem suum. hodie
consecratur tribus modis oleum trium officiorum. — et ideo
ista dies magna et consecrabilis est Domino, et plena laetitia
et exsultatione. — in eadem quoque die consecratur oleum ad
tria oflicia, oleum ad inlirmos, ad neophytos, chrisma quoque,
unde confirmantur homines post baptismum, et unde ipsum
baptismum consecratur, per quod homines salvantur. — congrue
in ea consecratur oleum pro poenitentibus, ubi eorum sacrifi-
cium Deo offertur. — 56, 6 ff. Werner 907 C: quid mirum, si
misit aquam in pelvim, unde lavaret pedes discipulorum, qui
in terram sanguinem fudit, quo immunditiam dilueret pecca-
torum? — 7 1. jungem und gab —•.
56, 24 ff. Werner 910 A: sciendum, quia tota natura hu-
mana in anima et corpore erat corrupta. oportuit ergo, ut Deo,
qui veniebat utrumque liberare, uniretur uterque, ut anima
per animam, corpus per corpus competenter liberaretur. — Die
folgenden drei Nutzen des Altarssacramentes kann ich, obwohl
jeder für sich wohl bekannt ist, zusammen jetzt nachweisen
nur bei Jacobus de Voragine, Sermones Aurei 1, 418 ff. (Aus
gabe von Figarol, Toulouse 1874). Radulfus Ardens, Migne
155, 1835 f. — 57, 2 Luc. 22, 19. — 57, 4 Joann. 6, 57: qui
manducat carnem meam et bibit sanguinem meum, in me
manet et ego in eo. — 57, 11 Joann. 6, 54: nisi manducave-
ritis carnem filii hominis et biberitis ejus sanguinem, non ha-
bebitis vitam in nobis. ■—- 57, 17 1 Cor. 11, 27. 29 ist die
Epistel des Tages. — 57, 26 1 Cor. 11, 28. — Zu der Erläu
terung vgl. Ivo v. Chartres, Migne 162, 589 CD, Hildebert
(Babion), Migne 171, 536 CD.
58, 2 ff. Beda zu Luc. 9, 38: ,et tollat crucem suamh
duobus modis crux tollitur, cum aut per abstinentiam afficitur
corpus, aut per compassionem proximi affligitur. — Pseudo-
Augustinus, Sermo 149, Migne 39, 2036: unde, dilectissimi
Studien zur Goschichte der altdeutschen Predigt.
59
fratres, rogo et admoneo vos, ut unusquisque recurrat ad —
conscientiam suam, confugiat ad remedium lacrymarum —
poeniteat se fecisse, quod fecit. — illud — pia fide et tota
animi devotione cogitate, accessuros vos ad altare Domini Dei
nostri. inspicite universa latibula cordis vestri, ne forte sint ibi
aliqua peccata, quae necdum curata sint eleemosynis atque
jejuniis, et timete illud apostoli: 1 Cor. 11, 27 f. — et ideo sic
agere debetis, ne per unius diei negligentiam perdatis, quod
per totam Quadragesimam acquisistis. — 58, 12 1. dei nuwe
getoufet sint. — 58, 33 Matth. 26, 28. — 58, 35 Luc. 22, 20 —
elfundetur. — 59, 3 ff. ist das Evangelium des Tages: Joann.
13, 1—16. — 59, 20ff. Beda, HomiL Lib. 1, Nr. 25, Migne 94,
131 B: surrexit autem a coena et posuit vestimenta sua, quando
temporaliter cum liominibus amplius conversari desistens mem-
bra corporis assumpti deposuit in cruce. — coepit lavare pedes
discipulorum et extergere linteo, quo erat praecinctus, quando
defunctus in cruce aquam una cum sanguine de latere suo pro-
fundit in terram, quibus credentium opera mundaret, eademque
opera non solum passionis sacramentis sanctificare, sed etiam
ejusdem exemplis confirmare dignatus est. — Hildebert, Migne
171,531: cum enim Judas pravam voluntatem suam nulli pa-
tere putasset, notilicavit eum sine nomine multoties ante pas-
sionem. velut cum dixit: ,nonne duodecim vos elegi, et unus
ex vobis diabolus est?‘ (Joann. 6, 70). — et post coenam dixit:
,vos mundi estis, sed non omnes* (Joann. 13, 10). ■— 532 D:
qui ergo lotus est in baptismate, totus per baptismum est lotus.
sed cum necessarium sit ei transire per hunc mundum, et pul
vis pedibus adhaereat, id est, venialia peccata committat •—,
sic indiget quisque, ut pedes, id est, transitum hujus mundi a
venialibus purget, vel affectus mentis —. unde consuetudo fuit
pedes sanctorum hospitio receptorum abluere, ut si quid madi-
dum in via contraxerint, communicatio dilectionis fratrum
purificet. — 60, 25 Luc. 6, 37. Beda a. a. 0. 132 C: ob quo-
l’um quotidianam sordidationem simul et emundationem quo-
tidie dicimus orantes : et dimitte nobis debita nostra, sicut et
nos dimittimus debitoribus nostris (Matth. 6, 12). dimittite et
dimittemini (Luc. 6, 37). — Dass die Verbindung der in diesem
Stücke behandelten Stoffe für die Predigt des Tages bereits
überliefert war, zeigt am deutlichsten die Sammlung Werner’s,
60
III. Abhandlung: Schönbach.
deren vier Stücke In coena Domini, Migne 157, 907 ff. eben
diese Themata erörtern.
22. 61, 10 — 64, 12.
Cruel hat S. 170 die Quellen dieses Stückes nachgewiesen
und zwei davon auch S. 174—176 abgedruckt; ich beschränke
mich daher hier auf eine Ueberprüfung im Vergleich mit dem
deutschen Texte.
61, 11 = 1 Cor. 5, 8: Pascha nostrum immolatus eet
Christus, itaque epulemur in azymis sinceritatis et veritatis.
Der Textspruch ist nicht willkürlich gewählt, wie Cruel meint,
sondern stammt aus dem Graduale der Messe des Tages. Auch
Pascliasius Radbertus bringt im Matthäuscommentar die Stelle
in Verbindung mit der Auferstehung Christi und erklärt sie
wie hier, Migne 120, 928 f.
61, 12—20 bearbeitet den Anfang der Homilie 58 des
Maximus von Turin, Migne 57, 363 ff., bei Cruel S. 174. —
61, 24 — 62, 32 gibt in freier Auswahl die Predigt wieder,
welche als pseudo-augustinisch im Appendix als Nr. 159 steht,
Migne 39, 2058 f., bei Cruel S. 175 f. — 61, 29 Psalm. 117, 24:
— exsultemus et laetemur in ea. — 62, 8 qui facit peccatum,
servus est peccati (Joann. 8, 34). — 62, 9f. Pseudo-Augustin:
de domibus suis non egrediebantur. Der deutsche Bearbeiter
hat aber nicht dieses Präteritum in die Zustände der Gegen
wart übertragen, denn es heisst später: illi per diem sabbati
non ambulant in itinere. -—- 62, 11 Joann. 14, 6. — 62, 12
Psalm. 118, 1: — qui ambulant in lege Domini. — 62, 30—32
ist eingeschaltet, um den Uebergang zu vermitteln, wiederholt
aber nur 28—30. Vielleicht darf man darnach doch annehmen,
dass die Vorlagen von dem deutschen Bearbeiter selbst zu
sammengestellt worden sind.
62, 33. Hier beginnt das dritte, von Cruel a. a. 0. nicht
gedruckte Stück, Gregors Homilie in Evang. Nr. 21, Migne
76, 1173: quod bene in libro Judicum Samson illius facta signi-
ticant (Judic. 16, 1 ff.), qui cum Gazam civitatem Philistinorum
fuisset ingressus, Philistaei ingressum ejus protinus cognoscentes,
civitatem repente obsidionibus circumdederunt, custodes depu-
taverunt (63, 5 1. wohl: läge und mit htitärn), et Samson for-
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
61
tissimum jam comprehendisse gavisi sunt, sed quid Samson
fecit agnovimus. media nocte portas civitatis abstulit et montis
verticem ascendit. quem, fratres charissimi, hoc in facto, quem
nisi Redemptorem nostrum Samson ille significat? quid Gaza
civitas nisi infernuni designat? quid per Philistaeos nisi Judaeo-
rum perfidia demonstratur ? qui cum mortuum Dominum
viderent ejusque corpus in sepulcro jam positum, custodes
illico deputaverunt, et eum, qui auctor vitae claruerat, in in-
ferni claustris retentum, quasi Samsonem in Gaza se deprehen-
disse laetati sunt. Samson vero media nocte non solum exiit,
sed etiam portas tulit, quia videlicet Redemptor noster ante
lucem resurgens (63, 16 1. van den totin), non solum über (daher
63, 17 nicht vridelichen sondern mißlichen wie 66, 5. 6. 8. 27)
de inferno exiit, sed et ipsa etiam inferni claustra destruxit.
portas tulit et montis verticem subiit (63, 18 1. berch, wände-),
quia resurgendo claustra inferni abstulit, et ascendendo coe-
lorum regna penetravit. hanc ergo resurrectionis ejus gloriam,
fratres charissimi, quae et prius demonstrabatur ex signo, et
post patuit ex facto, tota mente diligamus, pro ejus amore
moriamur. — 63, 23 1. des allir st. S. —. ecce in resurrectione
auctoris nostri ministros ejus angelos concives nostros agno
vimus. — 63, 26 nach dienste Punkt, dann habt, wie —. 27 1.
vil fruo, do der tac erran- vgl. Bech, Germania 4, 495. •—
63, 26 — 64, 4 sind hier zugesetzt, aber es sind lauter wohl-
bekannte Dinge, vgl. Werner, Deflorationes, Migne 157, 920 C:
prius itaque eum ostendit sibi, et tune praeposuit caeteris —.
Galilaea autem ,transmigratio facta' interpretatur. et jam Re-
demptor a passione ad resurrectionem, a morte ad vitam —
transmigraverat. Ferner meine Altd. Pred. 1, 155, 22 ff. 2, 34, 40.
66, 31 und Anm. — 64, 1 nach an bettin Fragezeichen. —
64, 3 Gregor a. a. 0.: ad horum ergo civium illam frequentem
solemnitatem festinemus. his, cum needum visione possunrus,
desiderio et mente jungamur. transmigremus a vitiis ad vir-
tutes, ut in Galilaea Redemptorem nostrum videre mereamur.
adjuvet omnipotens Deus ad vitam desiderium nostrum, qui
pro nobis in mortem dedit unicum Filium suum, Dominum
nostrum Jesum Christum, qui cum eo vivit et regnat Deus in
unitate Spiritus sancti (so also auch 64, 12 zu lesen) per om-
ma saecula saeculorum. Amen. — Ueber die Auslegung Sam-
62
III. Abhandlung: Schönbach.
sons auf Christum in diesem besonderen Falle vgl. den Liber
de promissionibus et praedictionibus Dei, Pars 2, cap. 21. 22,
Migne 51, 790 ff. als Anhang zu Prosper von Aquitanien. Ferner
die anonyme Osterpredigt bei Paulus Diaconus im Homiliarius
de Temp. Nr. 124, Migne 95, 1328. Rabanus Maurus, Comm.
in libr. Judicum, Migne 108, 1194 f. Rupert von Deutz, De Tri-
nitate et operibus ejus, Lib. 42, Migne 167, 1041 ff.
23. 64, 13 — 65, 30.
Der Textspruch 64, 14 = Psalm. 117, 24 stammt aus
dem G-raduale der Messe des Tages. Die Bearbeitung benutzt,
so weit ich sehe, verschiedene Quellen.
64, 14 ff. Vgl. Honorius, Spec. Eccl., Migne 172, 927 ff.
Nach demselben Vorspruche heisst es dort: omnes dies, ka-
rissimi, Dominus in sua majestate fecit, sed hanc prae omnibus
sua pietate et angelis et hominibus ad gaudium elegit. nocti
quippe mortis et miseriae, quae a peccato Adae inchoans
cunctos suae caligini involvit, haec sacra nox finem imposuit. —
totum tempus ab Adam usque ad Christum dies mortis dice-
batur —. hac enim die — de carne subtracti, mox gaudium
Domini intrabunt. — Vgl. Maximus von Turin, Migne 57,
601 f. 613 f.
64, 27 ff. Gregor, Homil. in Evang., Lib. 2, Nr. 25, Migne,
76, 1196: adest testis divinae misericordiae, haec ipsa, de qua
loquimur Maria —. quid itaque, fratres, quid in hac re debe-
mus aspicere, nisi immensam misericordiam conditoris nostri,
qui nobis velut in signo ad exemplum poenitentiae posuit eos,
quos per poenitentiam vivere post lapsum fecit? perpendo enim
Petrum, considero latronem, aspicio Zachaeum, intueor Mariam,
et nihil in his aliud video, nisi ante oculos nostros posita spei
et poenitentiae exempla. — ecce omnipotens Deus ubique oculis
nostris, quos imitari debeamus, objicit, ubique exempla suae
misericordiae exponit.
65, 12 ff. Vgl. Leo, Sermo Nr. 54, Migne 54, 359: effusio
enim pro injustis sanguinis justi tarn potens fuit ad privilegium,
— ut si Universitas captivorum in Redemptorem suurn crederet,
nullum tyrannica vincula retinerent. ,quoniamf, sicut apostolus
ait, ,ubi abundavit peccatum, superabundavit et gratia‘ (Rom.
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
63
5, 20; nach der Vulgata delictum). et cum sub peccati prae-
judicio nati potestatem acceperint ad justitiam renascendi, vali-
dius donum factum est libertatis quam debitum servitutis.
Zum Schlüsse vgl. den Schluss bei Honorius 942 A. Die
Benediction = Psalm. 128, 8.
24. 65,31 — 70,8.
Cruel sagt S. 170 über dieses Stück, ,es ist eine Ueber-
setzung der berühmten Predigt des Caesarius Arelatensis über
die Höllenfahrt Christi, welche auch in Augustini Sermones de
tempore als Nr. 137 steht. — Vor dem Schluss aber schiebt
der Uebersefzer eine Anzahl Sätze zur Verherrlichung des
Ostertages ein, die aus Augustin und Maximus an einander ge
reiht sind, wozu ihn wohl die Erinnerung an den Vorspruch:
Hac est dies etc. veranlasst hat/ Das lässt sich noch genauer
feststellen. Zunächst bemerke ich, dass die von Cruel nach
gewiesene lateinische Osterpredigt schon vor P. Morin, weder
in der Caesariusausgabe, Migne 67, 1041 f., noch im Appendix
zu Augustinus Nr. 160, Migne 39, 2059 ff. für das Eigenthum
des Caesarius gehalten worden ist. An der zweiten Stelle
heisst es sogar in der Anmerkung: consarcinatus ex Gfregorii
et Eusebii sententiis. et quidem hic plura sunt ansulis inclusa,
quae minime reperiuntur in manuscriptis, quibus detractis cae
tera in se aptius cohaerent. Dann werden Stellen zur Ver
gleichung citirt.
65, 32 Psalm. 117, 24. In der Vorlage kein Textspruch.
Migne 39, 2059: Passionem vel resurrectionem Domini et Sal-
vatoris nostri Jesu Christi, fratres dilectissimi, licet omnia Ve-
teris Testamenti volumina multo ante praedixerint; tarnen etiam
per os David prophetae Spiritus sanctus evidenter ostendit
dicens (66, 3 fehlt vor David wohl ivissagen): Deus ultionum
dominus, Deus ultionum libere egit (Psalm. 93, 1). solus etenim
ipse libere egit, qui nobis hodie ostendit, quid egerit. libere enim
egit, de quo multo ante fuerat prophetatum, quia — (Psalm.
87, 5. 6). vultis tarnen sei re quid egerit? audite quid fecerit.
nulla necessitate, sed propria voluntate in ligno se suspendi
pernnsit, clavis corpus suum perforari non renuit, animam po-
nendo (pro suis ovibus) mortem sustinuit, carnem in sepulcro
64
III. Abhandlung: Schönbach.
reposu.it, et comitante secum anima ad infera descendit. —
Dann beginnt im lateinischen Texte eine Einschaltung aus
Gregors Homil. in Evang. Nr. 22, welche aber dem Ueber-
setzer fehlt, dem also eine Fassung ohne Interpolationen vorlag;
denn er fährt sogleich fort:
66, 19: tune enim Dominus noster Jesus Christus illum
tenebrarum et mortis principem colligavit, legiones illius pertur-
bavit, portarum inferni vectes ferreos (fraislichen!) confregit,
omnes justos, qui originali peccato astricti tenebantur (es ist
also von viwerime gebeiiti 66, 23 nicht die Rede, das wider
spräche auch den Descensuserzählungen und der kirchlichen
Auffassung), absolvit, captivos in libertatem pristinam revo-
cavit, peccatorum tenebris obcaecatos splendida luce perfudit.
(Man sieht daraus, wie fehlerhaft 66, 25 überliefert ist, 1. die
unsaligen Hinten von der vinstir der sunti erlüchte er —.) ecce
audistis, quid defensor noster, ultionis dominus libere egisse
describitur. postquam enim exaltatus, id est, a Judaeis in cruce
suspensus est, ut haec breviter cuncta perstringam (dafür 66, 29
und — 30 was), mox ut spiritum reddidit, unita suae divini-
tati anima ad inferorum profunda descendit. cumque tenebrarum
terminum quasi quidam depraedator splendidus ac terribilis
attigisset, aspicientes eum impiae ac tartareae legiones, territae
ac trementes inquirere coeperunt dicentes: ■—. Hier beginnt
wieder im lateinischen Texte der Drucke eine Interpolation
aus Eusebius, Homil. 1 de Pascha, welche der deutsche Bear
beiter nicht kannte, der weiter übersetzt
66, 1: unde est iste tarn splendidus, tarn fortis, tarn prae-
clarus, tamque terribilis? mundus ille, qui nobis subditus fuit,
semperque nostris usibus mortis tributa persolvit, nunquam no
bis talem (mortuum fehlt) misit, nunquam talia inferis munera
destinavit. quis ergo iste est (67, 5 wird wohl die Interjection
wergot sein), qui sic intrepidus nostros iines ingreditur, et non
solum nostra supplicia non veretur, insuper et alios de vinculis
nostris absolvit? an forte ipse est ille, de quo princeps noster
paulo ante dicebat, quod per ejus mortem totius mundi acci-
peret potestatem ? sed si ipse est, in contrarium est nostri prae-
liatoris (principis?) versa sententia, et dum sibi vincere visus
est, ipse potius victus atque prostratus est. o princeps noster,
liicne est ille, de cujus tibi semper futura morte plaudebas?
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
65
ipsene est, in cujus cruce omnem mundum tibi subjugandum
esse credebas? — quid est quod egisti? — ecee jam totas tibi
tenebras suo spiendore fugavit, et omnes tuos carceres fregit,
captivos ejecit, ligatos solvit (1. 67, 17 gelosit), luctus eorum in
gaudium commutavit. ecce ipsi, qui sub nostris solebant suspi-
rare tormentis, insultant nobis de perceptione salutis. — nun-
quam hic ita superbi erant mortui nec aliquando sic potuerunt
laeti esse captivi. — utquid buc istum adducere voluisti, quo
veniente omnes sunt laetitiae restituti, qui ante fuerant despe-
rati (also 67, 22 1. verzwivelet hetin?). Darauf wird wieder
eine Stelle aus Eusebius interpoliert, die im Deutschen fortbleibt.
67, 22: o princeps noster, illas tuas divitias, quas primum
acquisieras per paradisi amissionem, nunc perdidisti per crucem.
— dum tu Christum suspendis in lignum, ignoras — quia ever-
sorem regni tui in mortem sine reatu aliquo perducebas? — in
quo nihil mali cognoveras, quare eum ad nostram patriam per
ducebas? istum liberum adduxisti, et totos obnoxios perdidisti.
post istas — voces sine aliqua mora — omnes ferrei confracti
sunt vectes: et ecce subito innumerabiles sanctorum populi, qui
tenebantur in morte captivi, Salvatoris sui genibus obvoluti,
lacrimabili cum obsecratione deposcunt, dicentes: advenisti,
Redemptor mundi; advenisti, quem desiderantes quotidie spera-
bamus; advenisti, quem nobis futurum lex nuntiaverat et pro-
phetae; advenisti donans in carne vivis indulgentiam peccatoribus
mundi: solve defunctos et captivos inferni. — Die lateinische
Formel 67, 35 stimmt nicht mit der hier, wohl aber mit der
Fassung in der Osterpredigt der Legenda Aurea. Eine Ein
schaltung aus Eusebius fehlt dann wieder im Deutschen.
68, 8: descendisti pro nobis ad inferos; noli nobis deesse,
cum fueris reversurus ad superos. posuisti titulum gloriae in
saeculo, pone signum victoriae in inferno (daher ist 68, 10 zu
lesen: ein herzeichen dines siges in der helle). — Von nun an
wird die deutsche Bearbeitung freier. — nec mora; — statim
Domini jussu omnes antiqui justi jura potestatis accipiunt, —
humili supplicatione cum ineffabili gaudio clamantes Domino,
atque dicentes: ascende, Domine Jesu, — redde jam laetitiam
mundo, jucundentur in ascensu tuo tideles tui, aspicientes
cicatrices corporis tui. fecit hoc Christus, sicut jam superius
dictum est. facta praeda in inferno vivens exiit de sepulcro:
Sitzungsber. d. phil.-kist. CI. CXXXV. Bd. 3. Abk. 5
66
III. Abhandlung: Schönbach.
ipse se sua potentia suscitavit (also 1. 17 bechucti, wie Bech,
Germania 4, 498 vermuthete), et iterum se immaculata carne
vestivit. discipulis suis apparuit, ut dubitationem auferret in-
credulis: clavorum vulnera demonstrayit —. manifeste mandu-
cavit et bibit, postea vero in eonspectu multorum apparuit.
— Vier Sätze der lateinischen Vorlage sind nunmehr fort
gelassen, der letzte ist dann wieder 70, 5 übersetzt: unde exul-
tantes voce liumili supplicemus, nt pro cpiibus ista pertulit,
cum venit in mundnm, liberatos nos de manu inferi attollere
secum dignetur in coelum: cui est bonor et gloria cum Patre
et Spiritu sancto in saecula saeculorum. Amen.
69, 1 Born. 13, 12. — 69, 5 Joann. 1, 9: erat lux vera,
quae illuminat omnem hominem venientem in hunc mundnm.
— 69, 7 Isai. 9, 2: —, lux orta est eis. — 69, 9 das Citat ist
nicht richtig, denn es heisst Psalm. 88, 30: et ponam in saecu-
lum saeculi semen ejus et thronum ejus sicut dies caeli. —
69, 20 Luc. 23, 42.
Die ganze eingefügte Stelle 68, 21 — 70, 4 stimmt am
meisten mit dem Sermo Nr. 168 im Appendix der unechten
Predigten Augustins, Migne 39, 2068 f. = Maximus von Turin,
Sermo Nr. 33, Migne 57, 600 f. Sermo 39, Migne 57, 613 ff.
Vgl. noch dessen Sermone 29 und 30, Migne 57, 5941F. —
Der bezügliche Passus lautet: Pascha Christi, fratres dilectis-
simi, regnum est coeli, salus mundi, vita credentium, occasus
inferni, gloria superorum, resurrectio mortuorum, testimonium
miserationis divinae, praemium redemptionis humanae, contritio
mortis abolitae. quae festivitas Dei sacrata mysterio et cognita
sacramento, virtutem Dominicae resurrectionis per angelos in-
dicat, per apostolos manifestat, per corda credentium bona
multiplicat. hic igitur est dies, dilectissimi, quem fecit Dominus,
ut audistis, excelsior cunctis, lucidior universis, in quo Dominus
resurrexit, in quo sibi novam plebem, ut ipsi videtis, regene-
rationis spiritu conquisivit, in quo singulorum mentes gaudio et
exultatione perfudit. hic ergo dies resurrectionis Christi, de-
functis vita, peccatoribus venia, sanctis est gloria: si quidem
operatione virtutum elevat de imis, suscitat de terrenis, collocat
in excelsis, consummat justos, firmat dubios, damnat incre-
dnlos. ad hoc enim Dominus hodie resurrexit, ut imaginem
nobis futurae resurrectionis ostenderet: et ideo hodie vitali
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
67
lavacro resurgens Dei populus ad instar resurrectionis Ecclesiam
nostram spien dore nivei candoris illuminat. — Darauf die Ge
schichte des rechten Schächers mit dem Citat aus Lucas und
dem Beisatz: attendite ergo, charissimi, et videte quid fidelis
obtinet, quid meretur. regnum Salvatoris latro posuit in cruce,
et dum poenae multitudinem patitur, ad praemia aeterna per-
ducitur. imitamini ergo ejus devotionem, imitamini amare Chri
stum: quod poscit latro moriendo, yos desiderate bene vivendo.
— Uebrigens vergleiche zu dem Ganzen den Eingang von
Augustins echtem Sermo 189, Migne 88, 1005, und insbesondere
Sermo 226, Migne 38, 1098 f. und Sermo 170, Migne 38, 926 ff.
— Zu dem Passus 68, 27 ff. vgl. den Liber de promissionibus et
praedic. Dei, Pars 1, cap. 37. Migne 51, 764 = Rabanus Mau
rus, Allegoriae in Sacr. Script., Migne 112, 909 £ — Zu 68,32
Gregor in einem Briefe ad Petrum, Domitianum et Elpidium,
Migne 77, 860 ff. — Zu 69, 1 Alanus de Insulis, De arte prae
dic., cap. 48. — Zu 69, 26 Leo, Migne 54, 498, cap. 4. -— Zu
69, 32 die Glossa Ordin. zu Psalm 117, 24, Migne 113, 1040.
Es ist übrigens noch zu bemerken, dass die Einschaltung
mit mehreren Stellen der beiden vorangehenden deutschen Pre
digten stark übereinstimmt; also vgl. 68, 22 mit 61, 14; 68, 27
mit 61, 21; 64, 15; 69, 9 mit 61, 24; 69, 12 mit 65, 9; 69, 15
mit 64, 27.
25. 70, 9 — 75, 15.
Cruel bemerkt S. 170f. über dieses Stück, es ,ist in der
ersten Hälfte mit Auslassungen und Veränderung des Anfanges
eine Uebersetzung der Homilie des Maximus „In Letaniis et
de jejuniis Ninivitarum“ und findet sich auch unter den un
echten Sermonen des Ambrosius Nr. 40. Die zweite Hälfte
enthält nach Hinweisung auf Evangelium und Epistel des
Tages verschiedene Ermahnungen zur Beichte, Busse und
Gebet, Versöhnlichkeit, wie Liebe Gottes und des Nächsten,
und ist wohl Zusatz des Verfassers 1 . Dass diese Annahme
nicht richtig ist, wird sich im Folgenden zeigen.
70, 10, Jacob. 5, 16: — vestra et orate pro invicem, ut
salvemini. Zu dem einleitenden Satze vgl. die Predigt ,in Lita-
niis 1 des Rabanus Maurus, Homil. 19, Migne 110, 37 ff., in welche
überdies ein grosser Theil des Sermones des Maximus auf-
68
III. Abhandlung: Schönbach.
genommen worden ist: oportet, fratres charissimi, ut conventus
istius causam non ignoretis, quo, secundum patrnm praeceden-
tium constituta omnes in unum, viri et feminae, pueri et senes
convenistis. ad conciliandum ergo nobis Dei misericordiam tem-
pus est opportunum —. Die folgende Erzählung stimmt we
niger mit den ersten Sätzen des Maximus als mit Jonas selbst
1, 2. — 70, 19 1. subvertetur. — 70, 20 1. daz got in gebot —.
70, 21 Maximus: dicitur enim in illa tribulatione ipse rex,
deposita imperiali purpura, regali ambitione submota, membra
sua cilicio praecinxisse atque in sacco se diebus ac noctibns
volutasse. — Die deutsche Stelle schliesst sich aber mehr an
Jonas 3, 6 ff.: et pervenit verbum ad regem Ninive, et surrexit
de solio suo et abjecit vestimentum suum a se et indutus est
sacco et sedit in cinere. et clamavit et dixit in Ninive ex ore
regis et principum ejus, dicens: homines et jumenta et boves
et pecora non gustent quidquam nec pascantur, et aquam non
bibant. et operiantur saccis homines et jumenta et clament ad
Dominum in fortitudine et convertatur vir a via sua mala et
ab iniquitate, quae est in manibus eorum. — 70, 30 = Jonas
3, 9. — 70, 32 f. nicht bei Maximus, sondern Jonas 3, 3: et
Ninive erat civitas magna itinere trium dierum.
71, 1 Maximus (aus zwei Sätzen): sapiens ergo rex, qui
sciret, quemadmodum adversa (= vraise) sibi superare deberet:
hostes enim virtute superabat, Deum autem humilitate vincebat.
sapiens plane rex, qui intelligeret, quibus armis uteretur pro
temporis qualitate: cum enim insidiantur illi homines, appre-
hendit arrna bellica; cum irascitur ei Deus, corripit arma ju-
stitiae. sapiens, inquam, rex, qui pro salute civium peccatorem
se magis confitetur esse quam regem; obliviscitur enim se regem
esse, ubi Deum regem omnium pertimescit; nec potentiae suae
meminit (daher 1. 71, 9: er negehugte s. g.), ubi potentiam divi-
nitatis agnoscit. obliviscitur ergo se regem esse, dum projicit
purpuram, dum diadema deponit, cilicio autem vestitur et sacco,
jejuniis perseverat, orationibus immoratur.
71, 13 Maximus: religiosus igitur princeps non perdidit
imperium, sed mutavit. principatum enim ante militai’is disci-
plinae tenuit, nunc coelestium disciplinarum obtinet princi
patum. non, inquam, perdidit imperium, quia sive ferro, sive
justitia, pro civium salute primus invigilat: primus plane in-
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
69
vigilat, quia, ut tota civitas jejunaret, famem sibi rex primus
indixit, et solus omnium causa prior coepit esurire quam miles;
necesse enim erat, ut qui potentior caeteris fuerat, devotior
fieret universis. — additur religioso exercitui numerus, cum in
tali devotione etiam infantia militare compellitur. — 71, 19—22
liat nur wenig Berührung mit dem Sermo des Maximus.
71, 22 Maximus 461 B: aliter ergo proximi Deo esse non
possumus, nisi ad eum jejuniis, orationibus et eleemosynis pro-
pinquamus. Deus enim ipse misericors, jejunus et sanctus est;
atque ideo qui vult proxiinus Deo esse, debet imitari hoc esse
quod Deus est. tota igitur in tribulatione Ninivitarum civitas
jejunavit (daher 1. 71, 29: durch daz vastot elliu diu stat;
schon vorgeschlagen durch Bech, Germania 4, 501); bene, quod
dixit tota; non solum enim senes, juvenes et infantes, sed etiam
pecudes legimus jejunasse. mira res: jejunat pro civitatis pec-
cato, quem peccati conditio non constringit.
72, 1 Maximus: unde et nos, fratres carissimi, temporum
angustias sustinentes omnes pariter jejunare debemus et mise-
ricordiam Dei cunctorum abstinentia implorare. nam quäle sit
hoc Christianum, pro salute sua non facere, quod pecudes pro
hominum salute fecerunt? nisi quod stolidior pecude est, qui
indicto pro se a sacerdote jejunio non jejunat; nonne enim
pecus est, qui non intelligit quid illi immineat, quid illi in-
cumbat. et pecus quidem videns declinat foveam, cavet prae-
cipitia. — 72, 11—14 entspricht bei Maximus nur: tu autem non
vis jejunando periculum declinare quod cernis? — 72, 14—16
Maximus: desperationis enim genus est tune te manducare,
cum abstinere debes; tune gaudere, cum debeas deplorare. —
Dann schliesst Maximus mit einer allgemeinen Ermahnung, die
hier erst am Ende des Stückes benutzt wird.
72, 18 Matth. 5, 6: — quoniam ipsi saturabuntur. —
72,20, Matth. 5, 5: — quoniam ipsi consolabuntur. — 72, 22
Jacob. 5, 16.
Das Folgende ist nun keineswegs blos ein Zusatz des
deutschen Bearbeiters. Zu 72, 24—32 vgl. Haymo, Homil. de
Temp., Nr. 91 (Feria secunda post ,Vocem jucunditatis' in
Litaniis majoribus), Migne 118, 529 A: ad Optimum salutis no-
strae remedium hortatur nos apostolus Jacobus, ut praesenti
lectione, cum legeretur, audistis: —. non quod Deus indigeat
70
III. Abhandlung: Schönbaeh.
confessione nostra, cui omnia praesto sunt, quae cogitamus,
loquimur et agimus, sed nos aliter salvi esse non possumus,
nisi confiteamur poenitentes, quod inique gessimus delinquentes.
nam qui seipsum accusat in peccatis suis, tune diabolus non
habet iterum accusare in die judicii. debet enim poenitens di-
luere poenitendo, quae fecit, et non itei’um revocare, quod
flevit. qui autem abscondit scelera sua, non dirigetur: qui autera
confessus fuerit et reliquerit ea, a Deo misericordiae veniam
merebitur aeternam.
72, 32 Isai. 43, 25 f.: ego sum, ego sum ipse, qui deleo
iniquitates tuas propter me et peccatorum tuorum non recor-
dabor. reduc me in memoriam et judicemur simul: narra si
quid habes, ut justificeris. Das wird auch in der Einleitung
von des Radulphus Ardens Homil. 64, In Litania majori, Migne
155, 1899 mit der Bemerkung angeführt: quod vero sine con
fessione habenti tempus et locum peccata non dimittantur,
ostendit propheta, cum dicit —.
73, 2 die Erwähnung der Leprosen folgt hier gemäss
Beda’s Commentar zum Jacobusbrief cap. 5, Migne 93, 40, der
vom 16. Vers ab als Homilia in Evang. et Epist. Nr. 92, Migne
94, 223 f. gilt. Dann vgl. auch Radulphus Ardens a. a. 0.:
sicut et leprae judicium solis sacerdotibus in lege erat com-
missum etc.
73, 5 Luc. 17, 14. — 73, 8, Jacob. 5, 16. — 73, 10 Jacob.
5, 17. Das Folgende bis 20 umschreibt den Jacobustext, be
ziehungsweise die Erzählung 3 Reg. 17, mit Anklängen an
Beda und Idaymo. Vgl. Honorius, Spec. Eccles., Migne 172,
954 D. — 73, 20—22 vgl. Radulphus Ardens a. a. 0. 1901 D.
— 73, 23 ist nicht eine Bibelstelle, sondern stammt aus Au
gustinus, Sermo I, Dominica in octava Paschae, Nr. 157.
73, 26 vgl. Radulphus Ardens a. a. 0. 1900 B, der ,philosophus‘
(= Boetius, De consol. philos. 4, 21) citiert: ,si Operand, inquit,
,medicantis exspectas, oportet, ut vulnus detegas’.
73, 29 das Citat stammt nicht aus Gregor, obschon sich
bei diesem (besonders Moral. Lib. 22, cap. 9) Aehnliches findet,
sondern aus Hieronymus, Super Eccles. cap. 10 = Caesarius
von Arles, Homil. 4 und 13. Vgl. die Beschlüsse des Triden-
tinums, Sessio 19, cap. 5, de Confessione: si erubescat aegrotus
vulnus medico detegere, quod ignorat, medicus non curat. —
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
71
Das Deutsche 28 und das lateinische Citat 29 decken sicli nicht,
das Deutsche passt besser zu dem Citat bei Kadulphus Ardens. —
Das ganze Bild ist hauptsächlich von Augustinus sehr häufig ver
wendet worden und hat sich von da durch die gesammte kirch
liche Literatur (z. B. Haymo, Migne 118, 530 BC) verbreitet.
73, 31 Matth. 7, 7 (= Luc. 11, 9): petite et dabitur vobis,
quaerite et invenietis, pulsate et aperietur vobis. Dieses Tages
evangelium wird dann im Folgenden erklärt, indem der Bear
beiter dabei Beda’s Homilie Lib. 2, Nr. 8, Migne 94, 168 ff. zu
grunde legt.
73, 33 Beda 168 D: petenda est ergo janua regni orando,
quaerenda recte vivendo, pulsanda perseverando. non enim
snfficit verbo tantummodo rogare, si non etiam quaesierimus
diligentius, et qualiter nobis vivendum, ut digni simus impe-
trare quae poscimus, ipso attestante, qui ait: ,non omnis, qui
dicit mihi: Domine, Domine, intrabit in regnum coelorum, sed
qui facit voluntatem Patris mei etc/ (Matth. 7, 21). non aliquid
prodest bona inchoasse, si non quisque studeat ea, quae bene
inchoaverat, usque ad finem firma perducere.
74, 10 Matth. 10, 22: — hic salvus erit. — Auch 11—13
sind durch das Nächste in Beda angeregt. — 74, 13 Marc.
11, 25, was der Parallele zu Matth. 7, 7 folgt. — 74, 15—17
Beda 170D: male petunt, qui vocem Domini jubentis venire,
audire obtemperando contemnunt; et nihilominus Dominum suam
vocem supplicantium exaudire miserando deposcunt. Luc. 6, 46.
— 74, 17—25 sind freier aus Beda 170 D, 171 A geschöpft.
74, 25 vgl. Beda 171 A: charitas vera est, quae et Deum
ex toto corde, tota anima, tota virtute, et proximum tamquam nos
diligere praecipimur. nec tantum proximis et amicis, verum
etiam inimicis perfectus quisque beneficium dilectionis impen-
dere debet, Domino dicente (30) = Matth. 5, 44. Luc. 6, 17.
— 74, 33 Rom. 13, 8: qui enim diligit proximum, legem im-
plevit. — Zu 75, 2—10 vgl. Rabanus Maurus, Ilomil. Nr. 19
(In Litaniis), Migne 38 B. 39 B C.
74, 10 — 15 übersetzt wieder den Schluss der Homilie des
Maximus, Migne 57, 462 B: jejunemus ergo, fratres, sine inter-
missione (daher ist 10 wileclichen statt willeclichen zu lesen), ut
hostes nostros orationibus et abstinentia superare possimus auxi-
liante Domino nostro, qui r. —.
72
III. Abhandlung: Schönbach.
26. 75, 16—32.
Cruel hat S. 156 und 177 bereits erkannt, dass dieses
Stück theilweise identisch ist mit dem letzten Absätze (78, 13 ff.)
von Nr. 3 der Wiener Sammlung in Hoffmann’s Fundgruben I,
und hält unsere Fassung für die jüngere. Zugleich nennt er
S. 156 im Allgemeinen Honorius als Quelle, und das ist wenig
stens insoferne der Fall, als der Schlusssatz des Sermo in
Rogationibus bei Honorius, Spec. Eccles., Migne 172, 956 A
mit dem Eingänge hier übereinstimmt: karissimi, quo crux
ante nos portatur, nos sequimur, ita exempla crucifixi Christi
sequamur, ut per triumphum victoriosae crucis ad illa gaudia
pervenire mereamur. — 75, 24 = Wiener Sammlung 78, 21;
hier wird Johannes, dort Paulus citiert, Beides mit Recht, indem
1 Joann. 2, 6 und Rom. 6, 4 im Wesentlichen stimmen. —
26 mut, Wiener S. lip. Der Satz 27—29 fehlt der Wiener
Sammlung, ebenso 30—32, an dessen Stelle sich dort die An
rufung von S. Marcus findet. — Zum Ganzen vgl. noch Joannes
Belethus, Rationale divinorum officiorum, cap. 122. 3, Migne
202, 128 ff.
27. 76, 1 — 78, 33.
Für dieses Stück kann ich nur Einzelnheiten nachweisen.
Mit 77, 21 beginnt Strauch’s Münchner Fragment, Zeitschr.
f. d. Alterth. 38, 207 f. 76, 2 Act. 1, 4: — praecipit eis (so ist
wohl zu lesen) ah Jeros. — 1 76, 4 ff. gehen zurück auf Psalm.
67, 19 = Ephes. 4, 8: Dominus ascendens in altum captivam
duxit captivitatem; das ist eine Antiplion nach der Epistel im
Brevier des Tages, indess der Text der Apostelgeschichte die
Epistel bildet. Vgl. Atto von Vercelli, Sermo 10, Migne 134,
846 BC. — 76, 8 Matth. 6, 21. Die Beziehung und Auslegung
hier ist schon angedeutet in der Glossa Ordinaria, Migne 114,
104. Fernerbei Paschasius Radbertus im Matthäuscomm., Migne
120,303 ff. Rupert von Deutz, Matthäuscomm., Migne 168,1438 ff.
Vgl. noch Pseudo-Augustin, Append. Nr. 180, Migne 39, 2086
Abs. 2. — 76, 16 und 18 Joann. 16, 7. Die Stelle findet sich auch
im Brevier zwischen Stücke einer Homilie Leos eingeschaltet.
—- 77, 4 Luc. 24, 41 ff. — 77, 7 Luc. 24, 50; montem Oliveti
steht dort nicht. — 77, 10 Joann. 14, 27: — pacem relinquo
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
73
vobis. — 77, 12 Act. 1, 9. — 77, 14 luft überträgt nubes. —
77, 15 Psalm. 46, 6: ascendit Deus in jubilo et Dominus in
voce tubae. Zu der Erklärung stimmt genau Atto von Ver-
celli, Sermo 10, Migne 134, 845 D: jubilum est, cum tanta
laetitia corde concipitur, quanta sermonis efficacia non expletur.
quod ideo dixit, quia apostoli, videntes tale miraculum, ineffa-
bili laetitia cordis repleti sunt, quia Redemptorem nostrum,
quem mortuum jam resurrexisse veraciter credebant, illuc cor-
poraliter ascendere videbant. Entweder ist 17 icuoffin zu strei
chen oder, was ich für richtig halte, 16 das zweite sahen zu
tilgen und 17 icuoftin zu schreiben; es müsste denn wuofin
einen lateinischen passiven Infinitiv vertreten. — 77, 19 1. uf
vuoren sahen, sone —; schon Bech, Germ. 4, 501. — 77, 24 1.
si unsers herrin botich sahen, si erchomin harte u. w. —.
77, 26 und 28 Act. 1, 11: — est a vobis in c. —. 77, 31 ff.
Gregor, Homil. 1. Evang. Nr. 29, Migne 76, 1218: in albis
autem vestibus gaudium et solemnitas mentis ostenditur. quid
est ergo, quod nato Domino non in albis vestibus, ascendente
autem Domino in albis vestibus angeli apparent, nisi quod tune
magna solemnitas angelis facta est, cum coelum Deus homo
penetravit? — 78, 3 ff. Die ganze Ausmalung des Empfanges
Christi durch die Engel im Himmel bildet eine feste Ueber-
lieferung der kirchlichen Literatur, hoi der immer dieselben
Psalmenstellen wieder verwendet werden. Vgl. Augustinus,
Sermo 387, Migne 39, 1671 ff. Pseudo-Augustinus im Appendix
Nr. 179, Migne 39, 2085. Beda’s Homil. Lib. 2, Nr. 9, Migne
94, 174f. und sein Hymnus in Ascensione Domini, Migne 94,
624 ff. Hildebert, Sermo de Temp. Nr. 49 (Bahion, Haureau
1, 38), Migne 171, 583 B, und von da in Werner’s Deflorationes,
Migne 157, 976 A—C. Abälard, Sermo 15, Migne 178, 495ff. —
78, 8 Psalm. 23, 7. — 78, 12 Psalm. 23, 8. — 78, 15 Der Ge
danke findet sich noch bei Thomas a Kempis. — 78, 21 hier
sollte nach frouwin wohl auch übergeschrieben werden.
28. 79, 1 — 80, 3.
Dieses Stück bearbeitet im Auszuge den ersten Theil der
Homilie des Rabanus Maurus In Ascensione Domini, Migne
110,42: Sacratissimae festivitatis, fratres charissimi, quam
74
III. Abhandlung: Schönbach.
liodie celebramus, lectiones sacrae, quae inter haec missarum
solemnia recitatae sunt, pandunt exordium. ante dies ergo qua-
draginta Dominico Paschae resurrectionis Domini tempus cele-
bravimus, hodie ejusdem Redemptoris nostri Ascensionis so-
lemnia veneramur: quia Salvator noster post resurrectionem
suam per dies quadraginta apparens discipulis suis, veraciter
se resurrexisse in multis argumentis manifestavit. novissime
recumbentibus illis undecim apparuit, et verba praedicationis ob
confirmationem eorum jam ascensurus in coelum impertivit,
fideique magnitudinem ostendit, ac signa, quae per praedica-
tionem eorum credituros subsecuta erant, praedixit, eisque be-
nedicens, Spiritus sancti promisit, adventum. — ecce, cum Do
minum in coelum ascendisse auditis, in cordibus vestris immensa
laetitia exhilaramini, laudes debitas ore depromitis, gaudium
vestrum etiam in vultu ostenditis, quia majestatem Christi et
gloriam regni coelestis mente recogitatis. et revera magna est
et ineffabilis causa gaudendi, cum audimus et corde credulo
tractamus, quod in conspectu sanctae multitudinis supra omnium
coelestium creaturarum dignitatem humani generis natura con-
scenderit, supergressa angelicos ordines et ultra cunctarum
altitudinem potestatum elevata, ad Dei Patris provecta est con-
sessum. quia igitur Christi ascensio nostra provectio et, et quo
praecessit gloria capitis eo spes tendit et corporis, dignis exsul-
temus gaudiis et pia gratiarum actione laetemur. hodie enim
non solum paradisi possessores firmati sumus, sed etiam coe-
lorum in Christo superna penetrabimus, ampliora adepti per
ineffabilem Christi gratiam, quam per diaboli amiseramus invi-
diam. — ascendamus, dilectissimi, cum Christo interim corde,
cum dies ejus promissus advenerit, sequemur et corpore. —
mundemus — quia sic solummodo Deum videre possumus, sicut
ipsa Veritas dixit. — 79, 21 f. Christus = porta, das ist ein
weitverbreitetes altes Bild, vgl. Gregor, Iiomil. i. Ezech., Lib. 2,
Nr. 10, Migne 76, 1063 f. — Zu dem Schlüsse vgl. Pseudo-
Augustin, Append. Nr. 176. 177, Migne 39, 2083 f. — 79,5
hier ist ein grösserer Passus, wahrscheinlich nach urchunde
warn ausgefallen, wie man aus Rabanus Maurus sieht. Viel
leicht bezeugten die Apostel und Jünger die Identität des be
grabenen mit dem auffahrenden Christus. Jedesfalls fehlt vor
daz er mindestens ein Sätzchen wie: wir gelouben — wizzen. —
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
75
Auch 79, 25 kann unmöglich so bleiben; vielleicht ist einfach
zu lesen: von diu, lieben Hute, —>
29. 80,4 — 86,20.
Cruel sagt über dieses Stück S. 171: ,Die Pfingstpredigt
— ist der Hauptsache nach eine Bearbeitung von Gregors
Homil. 30, indem als Einleitung eine kurze Betrachtung des
Pfingstevangeliums vorausgeschickt wird/ Das bedarf der Er
gänzung: die Einleitung ist aus Rabanus Maurus, Homil. de
Festis Nr. 22, Migne 110, 43 ff. übersetzt.
80, 6 Psalm. 32, 6; in Feria quarta der Pfingstwoche steht
dieser Vers imMissale nach der Epistel. — Rabanus Maurus 44 A:
hodierna etenim die, ut novimus, positis in coenaculo discipulis,
factus est repente de coelo sonus et Spiritus sanctus in visione
ignis apparens, scientiam illis omnium linguarum tradidit. —•
80, 9 Joann. 16, 12: — sed non potestis portare modo, cum
autem venerit —. 80, 19 zwischen zungin und allir zungin
ist ein Passus ausgefallen, dem in der nächsten Predigt das
Stück 86, 33—87, 2 entspricht.
80, 21 Rab. Maur. 44 B: facta autem hac voce convenere
viri religiosi, qui de diversis nationibus Hierosolymam paschalis
festivitatis gratia confluxerant, stupebantque mirantes, quo-
niam audiebat unusquisque lingua sua illos loquentes mägnalia
Dei. — 24 Act. 2, 7: — omnes isti, qui loquuntur, Galilei
sunt? —■ exponentibus autem discipulis, quia Spiritus sanctus
esset gratia, quam cernebant, olim quidem voce propketarum
promissa, tune autem Christi munere missa, crediderunt ex eis
tria millia virorum, et baptizati etiam ipsi donum sancti Spi
ritus acceperunt. haec est diei hujus annua celebritas, haec
(81, 1) gratiae coelestis semper grata festivitas. ob hujus me-
moriam — pulcherrimus sanctae Ecclesiae mos inolevit, ut annis
singulis in ea baptismatis mysteria celebrentur — supervenienti
Spiritui sancto templum venerabile paretur (daher 1. 81, 5 ge-
icihit). — Der Vergleich 81, 6 ff. ist alt: Isidor, De ecclesiast.
offic. Lib. 1, cap. 34, Migne 83, 768 f. Pseudo-Augustin, Append.
Nr. 186, Migne 39, 2094. Beda, Ascetica Dubia, Migne 94,
537. Pseudo-Alcuin, Liber de divin. offic. cap. 26, Migne 101,
1226 B—D. Ratherius von Verona, Sermo 10, Migne 136, 746 f.
76
III. Abhandlung: Schönbach.
Ilildebert (Babion, Haureau 1, 38), Sermo 52, Migne 171, 593 ff.
— Rab. Maur. 44 C: qualiter ergo liuic nostrae festivitati le-
galis festi typus et figura concinnat, cbaritas vestra attendat:
liberati de Aegyptiaca servitute filii Israel, post immolationem
agni paschalis, exierunt per desertum, ut venirent ad terram
repromissionis (81, 9 1. got ir vordirn), perveneruntque ad mon-
tem Sinai (81, 10 1. Synai. an deme v.); et descendens Dominus
in igne super montem, ■— quinquagesimo die peracti Paschae,
legis decalogum eis aperta voce disposuit (Exod. 19). atque in
memoriam datae legis statuit eo die, per annos singulos, sibi
sacrificium novum de frugibus ejusdem anni, panes videlicet
primitiarum duos ad altare deferri. sic quoque per immolationem
veri Agni, hoc est Christi, quia Pascha nostrum immolatus est
Christus (1 Cor. 5, 7), quinquagesimo aeque die, hoc est hodie
(81, 20 fehlt wohl und nach schalchait. —• 81, 26 Komma vor
und nach also hiute ist), data est gratia Spiritus sancti disci-
pulis in coenaculo constitutis, hoc est, in sublimitate coelestium
praeceptorum: quia apparente foris igne visibili invisibiliter
eorum pectora luce scientiae irradiavit et inexstinguibili chari-
tatis ardore succendit.
81, 32 — 82, 2 ist aus dem folgenden Satze entwickelt bei
Rab. Maur. 44 D: novumque statim sacrificium ipsi quoque apo-
stoli, mox accepto dono Spiritus sancti, in duobus obtulerunt
panibus, hoc est duobus populis, cum evangelizantes his qui
convenerunt, plurimos converterunt ad fidem, et hos de fonte
baptismatis renatos de Spiritus gratia sanctificatos, vivas utique
Novi Testamenti primitias, ad communionem Dominici altaris
obtulerunt. -— 81, 33 ist nach gehugdi einzuschalten gesetzit
waren.
82, 2 — 83, 3 Gregor, Homil. i. Evang. 30 (die Lection
des Breviers am Pfingstsonntag), Migne 76, 1220 C: in ipso
autem lectionis exordio audistis, quid Veritas dicat: ,si quis
diligit me, sermonem meum servabit £ (Joann. 14, 23). probatio
ergo dilectionis exhibitio est operis. —• vere etenim Deum dili-
gimus, si ad mandata ejus a nostris voluptatibus coarctamus.
nam qui adhuc per illicita desideria diffluit, profecto Deum
non amat, quia ei in sua voluntate contradicit. pensate, fratres
charissimi, quanta sit ista solemnitas, habere in cordis hospitio
adventum Dei. certe si domum vestram quisquam dives ac
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
77
praepotens amicus intraret, omni festinantia domus tota mun-
daretur, ne quid fortasse esset, quod oculos araici intrantis
offenderet. tergeat (Druck: tergat) ergo sordes pravi operis,
qui Deo praeparat domum mentis (also ist 82, 17 zu lesen:
der goti garwet sine sele ze huse — vgl. Beeil, Germ. 4, 501
und Strauch, Zeitschr. f. d. Alterth. 38, 208 f.). sed videte quid
Veritas dicat: (Joann. 14, 23). in quorumdam etenirn corda
venit et mansionem non facit, quia per compunctionem quidem
Dei respectum percipiunt (also 1. 82, 21: sint si mit vil grozzir
riwe gotis vorhte ofte gewinnint, vgl. das Münchner Fragment,
Zs. 38, 208), sed tentationibus tempore hoc ipsum, quo com-
puncti fuerant (23 1. geriioetin, vgl. Zs. 38, 208), obliviscuntur;
sicque ad perpetranda peccata redeunt, ac si haec minime
planxissent. qui ergo Deum vere diligit, qui ejus mandata cu-
stodit, in ejus corde Dominus et venit et mansionem facit, quia
sic eum amor divinitatis penetrat, ut ab hoc amore tentationis
tempore non recedat. ille ergo vere amat, cuj-us videlicet de-
lectatio prava ex consensu non superat. nam tanto quisque a
superno amore disjungitur, quanto infernis delectatur. unde et
adhuc subditur: (Jann. 14, 24). ad vosmetipsos, fratres charissimi,
introrsus redite; si Deum vere amatis, exquirite. — nunquam
est Dei amor otiosus. operatur enim magna, si est in corde.
Darauf bleibt Gregor 1221 B — 1224 D untibersetzt, wohl
wegen der Schwierigkeit des Inhaltes dieser dogmatischen Er
örterungen.
Dafür wird hier 83, 3—14 die Uebersetzung einer Stelle
eingeschaltet, welche in der Pfingstpredigt hei Werner, Deflo-
rationes, Migne 157, 988 BC steht, die ,Divisio‘ überschrieben
ist: olim genus liumanum habebat tantum unius linguae usum.
sed LXX et duo gigantes turrim contra Deum construebant;
inde offensus linguas eorum confundebat, ita quod nullus alte-
rius linguam intelligebat, sicque per orbem disperserat, quos
omnes hodie Spiritus sanctus in unitatem fidei per genera
linguarum congregaverat.
Mit 83, 14 beginnt wieder Gregor 1224 D : de isto quippe
Spiritu scriptum est: (Job 26, 13). ornamenta enim coelorum sunt
virtutes praedicantium. quae videlicet ornamenta Paulus enumerat
dicens: ,alii datur per Spiritum sermo sapientiae, alii sermo
scientiae secundum eumdem Spiritum, alteri fides in eodem
78
III. Abhandlung: Schönbach.
Spiritu, alii gratia sanitatum in eodem Spiritu, alii operatio vir-
tutum, alii prophetia, alii discretio spirituum, alii genera lin-
guarurn, alii interpretatio sermonum. haec autem omnia operatur
unus atque idem Spiritus, dividens singulis prout vult ( (1 Cor.
12, 8 ff.). — liinc rursus scriptum est: verbo Domini c.oeli
firmati sunt et spiritu oris ejus omnis virtus eorum (Psalm.
32, 6). Daher 1. 83, 27: alii die tugindi —.
83, 28 Gregor 1225 A: verbum enim Domini Filius est Pa-
tris. coelorum ergo virtus de Spiritu sumpta est, — nisi eos sancti
Spiritus fortitudo solidasset. quales namque doctores sanctae Ec-
clesiae ante adventum hujus Spiritus fuerint, scimus et post adven-
tum illius, cujus fortitudinis (participes?) facti sint, conspicimus.
certe iste ipse pastor Ecclesiae (fortgelassen: ad cujus sanctissi-
mum corpus sedemus), quantae debilitatis, quantae formidinis
ante adventum Spiritus fuerit, ancilla ostiaria (84, 2 smelinge
ist die ,schmelge £ = Mädchen aus der alemannischen Mundart
des Bregenzerwaldes; vgl. jetzt Strauch, Zeitschr. 38, 208) re-
quisita dicat. una enim mulieris voce perculsus, dum mori
timuit, vitam negavit (ein verlougenote, wahrscheinlich das von
84, 4 ist zu streichen; das bestätigt Strauch, Zeitschr. 38, 208).
Joann. 18, 17. et tune Petrus negavit in terra, cum latro con-
fiteretur in cruce (Luc. 23, 41 f.). Daher ist 84, 6 zu lesen:
an dem der schachare —; 7 lougenote er uf, diesmal darf das
Pronomen nicht fehlen. — sed vir iste tantae formidinis, qualis
post adventum Spiritus existat, audiamus. fit conventus magi-
strorum atque seniorum, caesis denuntiatur apostolis, ne in no
mine Jesu loqui debeant. — 84, 10 also Mute ist muss zwi
schen Kommata gesetzt werden. — 84, 16 Act. 5, 29. — 84, 17
Act. 4, 19 f. — Der Bericht ist ergänzt durch des Bearbeiters
eigene Kenntniss der Apostelgeschichte.
84, 25 Gregor 1225 C: ecce gaudet Petrus in verberibus,
qui ante in verbis timebat. et qui prius ancillae voce requisitus
timuit, post adventum Spiritus vires principum caesus premit.
libet oculos fidei in virtutem opificis hujus attollere atque spar-
sim Patres novi testamenti ac veteris considerare. implet nam-
que citharoedum puerum et psalmistam facit (84, 28 1. gewiste
Daviden, der herphare was, daz der den saltir tickte-, zum
Theil schon von Bech vermuthet, Germ. 4, 501: bestätigt durch
Strauch, Zeitschr. 38, 208; das Münchner Fragment schliesst
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
79
mit 84, 29). 1 Reg. 16, 18. — implet pastor em armen tarium,
sycomoros vellicantem, et prophetam facit (Arnos 7, 14). implet
abstinentem puerum et judicem senum facit (Daniel 13, 46 ff.),
implet piscatorem et praedicatorem facit (Matth. 4, 19. Das ist
84, 32 begreiflicher Weise geändert, denn Gregor konnte als
Papst nicht wohl anders reden), implet persecutorem et docto-
rem gentium facit (Act. 9, 1 ff.), implet publicanum et evan-
gelistam facit (Luc. 5, 27 f.). o qualis est artifex iste Spiritus!
nulla ad discendum mora agitur in omne quod voluerit. mox
et tetigerit mentern, docet, solumque tetigisse docuisse est. nam
humanum animum subito ut illustrat immutat; abnegat hunc
repente quod erat, exhibet repente quod non erat, pensemus
sanctos praedicatores nostros quales hodierna die reperit, quales
fecit. certe qui in uno conclavi pro Judaeorum metu reside-
bant, nativitatis suae singuli linguam noverant. — venit Spi
ritus et in ore eos per diversitatem linguarum docuit, in mente
autem ex auctoritate roboravit. — Dann werden drei ausfüh
rende Sätze Gregors fortgelassen.
85,10 Gregor 1226 B: pensate, fratres charissimi, post
incarnationem unigeniti Filii Dei, qualis sit hodierna (12 also
hüte ist zwischen Kommata zu setzen) solemnitas de adventu
Spiritus sancti. — in illa quippe Deus in se permanens suscepit
hominem, in ista vero homines venientem desuper susceperunt
Deum. in illa Deus naturaliter factus est hoino, in ista homines
facti sunt per adoptionem dii. — Nun wird ein längerer Passus
Gregors über die Wirksamkeit des heil. Geistes fortgelassen.
Gregor schliesst mit einer Ausführung, die er schon in der
Homil. i. Evang. Nr. 26, Migne 76, 1198 f. gegeben hatte.
85, 16 Gregor 1227 B: idem Spiritus secundo legitur disci-
pulis datus, prius a Domino in terra degente (85, 19 1. lipMchen
statt liebilichin — Joann. 20, 23), postmodum a Domino coelo
praesidente. in terra quippe datur, ut diligatur proximus; e
coelo vero, ut diligatur Deus, sed cur prius in terra, post
modum e coelo, nisi quod patenter datur intelligi, quia juxta
Joannis vocem: 1 Joann. 4, 20. (85, 30 vor zem ersti und vor
da mit Kommata.) diligamus ergo proximum, fratres, qui juxta
nos est, ut pervenire valeamus ad amorem illius, qui super nos
est. meditetur mens in proximo, quod exhibeat Deo, ut per-
fecte mereatur in Deo gaudere cum proximo. — tune ad illarn
80
111. Abhandlung: Schönbach.
supernae frequentiae laetitiam perveniemus, de qaa nunc sancti
Spiritus pignus accepimus. ad istum finern (86, 12 fehlt vor
scliulin zum allerwenigsten dar) toto amore tendamus, in quo
sine fine laetäbimur. ibi supernorum civium societas sancta, ibi
solemnitas certa, ibi requies secura, ibi pax vera, quae nobis
jam non relinquitur, sed datur per Domiuum nostrum — (ganz
wie 86, 19 f.).
30. 86, 21 — 88, 11.
Dieses ganze Stück bat keine eigene Quelle, sondern
stellt nur eine verkürzte Bearbeitung des vorhergehenden dar.
Es genügt zum Beweise, wenn folgende Stellen verglichen
werden: 86, 27ff. = 80, 6ff. — 86, 30ff. = 80, 17 ff. — 87,10
vgl. 84, 11. 85, 8. — 87, 11 = 84, 3. 26. — 87, 15 ff. vgl. 80,
21 ff. — 87, 33 f. vgl. 82, 6f. — 88, 5 ff. = 82, 10 ff. + 87, 6 f.
86, 22 Act. 2, 1. Ygl. dazu die Homilie des Rabanus
Maurus, Migne 110, 43 f., welche für den Eingang von Nr. 29
benutzt wurde. — 87, 3 Joann. 15,26: -— spiritus veritatis —.
Vgl. Haymo, Homil. de Temp. Nr. 87, Migne 118, 518: xapa-
v.A-rj-o; enim Graece, Latine ,consolator‘ sive ,advocatus‘ dicitur.
— 87, 15 ff. zuerst Act. 2, dann Act. 5, 14 ff. — 87, 30 Act.
5, 30. — 87, 32 1. wie g. wart s. Petrus, daz —.
31. 88, 12 — 89, 5.
Dass dieses Stück, welches, so weit sein Inhalt greifbar
ist, die sieben Gaben des heil. Geistes in besonderer Anwen
dung auf Reue, Busse, Sündenvergebung bespricht (wie das
von Augustinus angebahnt, von Rupert von Deutz ausgeführt
wurde), nicht als eine Predigt im engeren Sinne aufgefasst
werden kann, zeigt sich bald. Das Stückchen bat aber sonst
noch eine sehr merkwürdige Eigenschaft: .es ist nämlich durch
aus in einer rhythmischen Prosa geschrieben, ja es kann sogar
ohne besondere Kunst in 28 Hexameter geschieden werden,
die sich zwar anfangs recht holprig lesen (freilich nicht viel
schlimmer, als wir die daktylischen Verse der Minnesänger zu
scandieren pflegen, vgl. Wilmanns, Beiträge zur Geschichte
der älteren deutschen Literatm- 4, 25), aber gegen Ende besser
werden. An sich wäre das ja gar nichts Unmögliches; weshalb
Studien zur Geschichte dor altdeutschen Predigt.
81
soll nicht etwa ein lateinisches Gedicht über das Pfingstfest,
wie es dergleichen im 12. Jahrhundert reichlich gibt, von einem
Deutschen nachgebildet worden sein? Dass das bairische Gedicht
vom Himmelreich Hexameter nachahmt, hat zuerst W. Wacker
nagel gemeint, Literaturgesch. S. 273 (2. Aufl. S. 349), dann
Bartsch, Germania 7, 371, darnach Moriz Haupt in seiner Aus
gabe des ,Uebelen wibes‘, Anm. zu V. 787. Hävemeier’s Ab
handlung (Bückeburg 1891) hat meines Erachtens nicht alle
Zweifel behoben. Das altdeutsche geistliche Stück, welches
Docen (in Hormayr’s Archiv 1822, S. 200, vgl. Wackernagel,
Kleine Sehr. 2, 20) für hexametrisch halten wollte, kenne ich
nicht. Zur Literatur vgl. noch: Weichelt, Versuch einer Ge
schichte der Einführung der antiken Metra in die deutsche
Poesie. Demmin, 1861. — Um hier alle Bedenken zu besei
tigen, müsste das lateinische Gedicht, nach dem die deutsche
Arbeit hergestellt wurde, nachgewiesen werden. Das vermag
ich zur Zeit nicht, und deshalb verzichte ich auch darauf, die
Herstellung dieser ältesten deutschen Hexameter hier vor
zulegen.
32. 89, 6 - 90, 32.
Ueber dieses Stück sagt Cruel S. 177: ,Anfang und Ende
gehören Augustini De Sanctis Nr. 21 an, und dazwischen wird
nur die evangelische Geschichte erzählt/ Das ist nicht ganz
richtig, wie sich zeigen wird. Vgl. Zs. f. d. Philol. 15, 33.
89, 7 Matth. 11, 11. Zunächst wird die von Cruel be-
zeichnete Pseudo-Augustinische Predigt auf Johannes den Täufer
benutzt, Appendix Nr. 197, Migne 39, 2113ff. = Rabänüs
Maurus, Homil. de Festis Nr. 26, Migne 110, 50ff. Es heisst
dort: natalem sancti Joannis, fratres charissimi, hodie cele-
bramus, quod nulli unquam sanctorum legimus fuisse concessum.
solius enim Domini et beati Joannis dies nativitatis in universo
mundo celebratur et colitur. illum enim sterilis peperit, istum
virgo concepit. in Elisabeth sterilitas vincitur, in beata Maria
conceptionis consuetudo mutatur. Elisabeth virum cognoscendo
filium genuit, Maria angelo credidit et concepit. hominem con
cepit Elisabeth et hominem Maria; sed Elisabeth solum hominem,
Maria Deum et hominem. — Dazu vgl. Augustinus, Sermo
Nr. 287, Migne 38, 1301. Nr. 289 und 290, Migne 1308. 1312.
Sitznngslier. d. pliil.-liist. CI. CXXXV. Bd. 3. Abh. G
82
III. Abhandlung: Schönbach.
89, 17 Luc. 1, 5: — regis Judaeae, sacerdos —. 89,26
Luc. 1, 7: — sine querela —. 90, 4 Luc. 1, 13: — est omnis
deprecatio tua et Elisabeth, uxor tua, pari et tibi filium. —
Die evangelische Erzählung (Luc. 1, 13—17) ist, wie sich aus
den Zusätzen ergibt, nach Pseudo-Augustinus, Appendix Nr. 199,
Migne 39, 2117 f. bearbeitet; nach Lucas 1, 5 ff. hat nämlich
dieser Sermo den Passus: beati igitur, fratres, quos in saeculo
isto aliqua culpa non percutit, nullum vulnerat crimen, beati
plane isti, quos ulla non potuit aliquando tangere querela. —
Zu 90, 4 vgl. die Grieshaber’schen Bruchstücke, Germania
1, 445.
90, 17 vgl. Pseudo-Augustin 2114 = llab. Maur. 51 B:
magnus igitur Joannes, cujus magnitudini etiam Salvator testi-
monium perhibet, dicens: Matth. 11, 11. praecellit cunctis, eminet
universis; antecellit prophetas, supergreditur patriarchas, et
quisquis de muliere natus est, inferior est Joanne.
90, 21 ff. Pseudo-Augustin 2117: — nascitur major homi-
num, par angelis — praeco Christi — Filii nuntius, signifer
superni regis, vocatio gentium et, ut proprie dicam, Legis et
Gratiae (d. i. alter und neuer Bund) fibula, quae diploidem
summi sacerdotis sancto Patri jungebat in corpore. — Aus
90, 25 surgite sieht man, dass des Bearbeiters Kenntniss des
Latein mangelhaft war, denn er hat offenbar fibula trotz des
Beisatzes für fistula gehalten.
Der Schluss 90, 25 ff. bearbeitet den letzten Absatz des
Sermo des Rabanus Maurus, der sich darin von dem Pseudo-
Augustinischen Stücke unterscheidet, mit dem er sonst über
einstimmt, Migne 110, 52: — curramus ad eum, audiamus quid
resonet. ipse quidem vox est, sicut dicit Isaias: vox clamantis
in deserto etc. (Isai. 40, 3. Matth. 3, 2: — enim regnum coe-
lorum). — tollamus offensiones peccatorum per confessionem
et poenitentiam —. cujus visione perpetua nos perfrui, prae-
cursoris sui precibus exoratus, ipse concedat —.
33. 91, 1 — 92, 25.
Cruel meint S. 177 von diesem Stücke, es sei aus Theilen
der Grieshaber’schen Fragmente, Germania 1, 441 ff. zusammen
gesetzt. Auch hat er S. 207 bereits bemerkt, dass ein von
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
83
Hoffmann, Altdeutsche Blätter 2, 32 f. abgedrucktes Wiener
Pergamentblatt ein Stück dieser deutschen Predigt enthält.
Ueber den Schluss vgl. Cruel S. 227. Nach Cruel’s Angaben
wäre es zunächst überflüssig, über die Quellen des Stückes zu
sprechen, doch lässt sich immerhin Einiges dazu bemerken.
Der Inhalt der Predigt entspricht nämlich, wie ich meine,
der Hauptsache nach der ,adhortatio‘, mit welcher der Pseudo-
Augustinische Sermon, Appendix Nr. 197, Migne 39, 2115 Abs. 4,
schliesst, den Cruel für das Original des vorangehenden Stückes
erklärte. Vgl. auch Rabanus Maurus, Migne 110, von 51 D ab.
Nos vero, fratres charissimi, ut tarn sanctam festivitatem
non solum corporali, sed etiam spirituali cum gaudio celebrare
possimus, secundum vires nostras ad dandas eleemosynas et ad
tenendam cum omnibus pacem nostros animos praeparemus: et
ab omni scurrilitate vel turpiloquio non solum nosmetipsos, sed
et omnem familiäm nostram et universos ad nos pertinentes
pro amore Dei et zelo sanctae disciplinae prohibere totis viri
bus laboremus, nec permittamus voluptuosos quotque solemni-
tntem sanctam cantica luxuriosa proferendo polluere. tune enim
pro nobis sanctus Joannes, quidquid petierimus, poterit obti-
nere, si nos festivitatem suam pacificos, sobrios, castos, absque
ullo turpiloquio cognoverit celebrare. haec ergo, fratres cha
rissimi, pro paterna sollicitudine suggero: nam Deo propitio
ita de vestra devotione confido, quod non solum vos ipsos, sed
etiam omnes, qui ad vos pertinent, cum omni honestate castos
sobriosque conservetis. unde Deo gratias agens supplico, ut qui
vobis dedit ea, quae sancta sunt, fideliter incipere, concedat
vobis felicem perseverantiam custodire, qui cum Patre et Spi-
ritu sancto etc.
34. 92, 26 — 94, 8.
Auch dieses Stück hält Cruel S. 177 für einen Auszug
aus Grieshaber’s Fragmenten, meint aber selbst, dass sich dies
,bei deren Unvollständigkeit nicht genau nachweisen lässt'. Der
weggelassene Textspruch war Genes. 1, 16: fecitque Deus duo
luminaria magna —. Die unmittelbare Quelle der Predigt kann
ich nicht nachweisen, doch zeigt sich der einfache Inhalt meh
reren älteren Sermonen verwandt, z. B. Appendix zu den
Werken Leos, Sermo 16, Migne 54, 511. Maximus von Turin,
84
III. Abhandlung: Schöubacli.
Sermo 66, Migne 57, 666 A—C. Besonders findet sich der
grössere Theil bei Babanus Maurus, Homil. Nr. 27, Migne
110, 52 ff.
Zu dem Eingänge 92, 27 ff. vgl. Beda, Homil. Lib. 2,
Nr. 15, Migne 94, 219 A: non solum autem maxima illa Eccle-
siae luminaria, sed et reliqua electorum turba, vel vivendo,
vel moriendo Deum suo quique tempore clarificat. Bernhard
von Clairvaux beginnt seinen Sermon über Petrus und Paulus,
Migne 183,405: gloriosa nobis solemnitas illuxit, quam prae-
clari martyres, martyrum duces, apostolorum principes morte
clarissima consecrarunt. isti sunt Petrus et Paulus, duo magna
luminaria, quos Deus in corpore Ecclesiae suae constituit quasi
geminum lumen oculorum. Aebnlicb leitet Petrus Damiani
seinen 27. Sermon ein, Migne 144, 649 und vgl. Hugo von St.
Victor (?), Sermo 64, Migne 177, 1098 ff.
93, lff. Rab. Maur., Migne 110, 53 A: ergo, fratres, Do
minus Christus merito hos duos apostolos in coetu sanctorum
suorum eminere fecit, quos suo judicio in tantam gloriam exal-
tavit. nam Petro, sicut bono dispensatori, clavem regni coelestis
dedit —. Vgl. Beda, Homil. Lib. 2, Nr. 16, Migne 94, 222 f.:
ut constaret omnibus, quia absque ea confessione et fide re-
gnum coelorum nullus posset intrare. — nec non etiam nunc
in episcopis ac presbyteris omni Ecclesiae officium idem com-
mittitur, ut videlicet agnitis peccantium causis, quoscunque hu-
miles ac vere poenitentes aspexerit, bos jam a timore perpe-
tuae mortis miserans absolvat; quos vero in peccatis, quae
egerint, persistere cognoverit, illos perennibus suppliciis obli-
gandos insinuet. — tales nec vinculis peccatorum absolvi, nec
januarn possint regni coelestis intrare. — Vgl. Henricus Autissio-
dorensis’ Sermo im Homiliarius des Paulus Diaconus, Migne
95, 1485 AB. — Zu den erzählenden Stückchen vgl. Honorius,
Spec. Eccl., Migne 172, 969 ff.
93, 26 Rab. Maur. 53 B: non enim sine causa factum pu-
temus, quod una die, uno in loco, unius tyranni toleravere
sententiam. uno die passi sunt —. Petrus crucis exitium tulit —.
Paulus vero capite caesus est. — ecce, fratres, quantos patronos
babemus, quales duces — adjutores —. honoremus sanctos
apostolos — qui nobis salutem pro effusione sui sanguinis pe-
pererunt —. et sic per eorum orationem perveniemus ad gaudii
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
85
ipsorum perpetuam societatem, praestante hoc auctore et largi-
tore omnium bonorum, Domino J. Cbr. etc.
35. 94, 9 — 96, 25.
Der Textspruch Psalm. 138, 17 ist das Offertorium in der
Vigil des Tages, und ebenso bei der Messe in commemora-
tione S. Pauli. Vgl. Bernhard von Clairvaux, Sermo 2 de P.
et P., Migne 183, 410 f.
Zu der Einleitung vgl. Augustinus, Enarrationes in Psal-
mos, Migne 37, 1799: factum est in eis os illud per resurrec-
tionem Domini in abscondito, et pro ejus nomine passi sunt,
in cujus passione trepidaverunt. facti apostoli, facti duces Eccle-
siae, valde confortati sunt principatus eorum. — 94, 23 Joann.
15, 14: —, si feceritis, quae ego praecipio vobis. — 94, 30 1.
ze zwein -—.
95, 4ff. vgl. Honorius, Spec. Ecch, Migne 172, 969: ex
quibus unum Dominus pisces insequentem de navi vocavit,
claves regni coelorum ei donavit, principem Ecclesiae exaltavit.
alterum homines persequentem de coelo elegit, claves scientiae
ei dedit, praeceptorem gentibus eum praefecit. haec est rnu-
tatio dexterae Excelsi, quia de piscatore principem, de perse-
cutore constituit doctorem mundi. igitur Paulus aperit sua
clave credentibus januas Scripturae; Petrus aperit sua clave in
hono perseverantibus portas vitae mansurae. — 95, 32 1. an
gesigit—. — 96, 5 ff. vgl. Honorius 976 CD. — 96, 14 Matth.
19,28: — sedebitis et vos super sedes duodecim, judicantes
duodecim tribus Israel.
36. 96, 26 — 97, 32.
Das Tagesevangelium ist Luc. 7, 36 ff. Benutzt ist in
diesem Stücke hauptsächlich Honorius, Spec. Eccles., Migne
172, 979 ff. und die 33. Homilie Gregors in Evang., Migne 76,
1238 ff. Der Gedanke der Einleitung findet sich bei Gotfrid
von Admont, Homil. Festiv. Nr. 60, Migne 174, 933 CD; die
Umschreibung des Evangeliums ähnlich bei Augustinus, Sermo
Nr. 99, Migne 38, 595 f.
86
III. Abhandlung: Schönbach.
96, 32 ff. Gregor a. a. O. 1244 B: pensemus quantae pie-
tatis peccatricem mulierem non solum ad se admittere, sed ei
etiam ad tangendum pedes praebere. consideremns gratiam
misericordis Dei et damnemus mnltitndinem reatus nostri. ecce
peccatores videt et sustinet, resistentes tolerat, et tarnen quo-
tidie per Evangelium dementer vocat. — apparuit Conditor et
Redemptor noster in came, confessioni peccatorum non poenam,
sed vitam promittit; mulierem sua vulnera confitentem suscipit
et sanam dimittit. inflexit ergo ad misericordiam duritiam legis,
quia quos juste illa damnat, ipse misericorditer liberat. — Ho-
norius 979 C: revera, karissimi, prius Dominus actibus decla-
ravit, quod verbis praedicavit. vocavit enim — qui se pecca
tores humiliter affirmabant. — venit in lmnc mundum peccatores
salvos facere. — ex quibus nobis, ut hodie evangelium sonuit,
beatam Mariam Magdalenam exemplum suae clementiae posuit.
Folgt die Erzählung ihres Lebens.
97, 7 ff. Gregor 1242A: quae cum alabastro venit, un-
guentum fudit, retro secus pedes Domini stetit, lacrymis pedes
rigavit, capillis tersit, eosdemque, quos infundebat et tergebat,
pedes osculari non desiit. nos ergo, nos illa mulier expressit,
si toto corde ad Dominum post peccata redeamus, si ejus poeni-
tentiae luctus imitemur. — Honorius 980 B C: ad pedes Domini
procubuit, exitus aquaruin oculi ejus deduxerunt, quia legem
Dei non custodierunt: lacrimis sordes pedum se lavantis lavit,
et ipsa a sordibus criminum ablui meruit. — nunc non veretur
coram convivantibus hominibus confundi, et quomodo ipsum
fontem misericordiae ibi invenit, ab omni labe purgata recedit.
at infelix hospes scandalizatur, quod se Dominus tangi a pecca-
trice non dedignatur. — de ea etiam fertur, quod postquam
Dominum cum aliis discipulis coelum ascendere viderit, Spiri-
tumque sanctum cum aliis acceperit —. unde et angelum vi-
dere meruit Dominusque resurgens primo omnium ei publice
apparuit —.
97, 18 ff. Gregor 1244D: banc nobis sequentibus miseri
cordiae promissionem innotuit, cum per propbetam dicit: nolo
mortem peccatoris, sed ut convertatur et vivat (Ezech. 33, 11).
Mit ähnlicher Betrachtung wie hier verbindet Odo von Clugny
im Sermo 2 über Maria Magdalena, Migne 133, 718 A das hier
verwendete Ezechielcitat. Und ebenso Innocenz III., Sermo 23,
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
87
Migne 217, 562 D. — Die hier gebrauchte Form des Citates
07, 21 ist sehr gewöhnlich, weicht aber von der Vulgata stark
ab. Doi’t heisst es Ezech. 18, 21f.: si autem impius egerit
poenitentiam ab Omnibus peccatis suis, quae operatus est, et
custodierit omnia praecepta mea et fecerit judicium et justitiam:
vita vivet et non morietur. omnium iniquitatuin ejus, quas ope
ratus est, non recordabor.
97, 25 ff. Honorius 981 C: nunc ad nosmetipsos, karissimi,
redeamus et quid de nostris criminibus agendum sit yideamus.
propter hoc enim scripti sunt lapsus sanctorum et poenitentia
ipsortun, nt qui casum fragilitatis eorum imitati sumus in ma-
lum proruendo, eorum etiam exemplo per poenitentiam ad honum
convertamur malum deserendo. — saltem hodie exemplo hujus
mulieris transacta honis sequentihus contingere satagamus. —
Vgl. Gregor 1245 B C, und zum letzten Satze den Introitus der
Messe des Tages: Beatae M. M. quaesumus, Domine, suffragiis
adjuvemur —.
37. 98, 1—20.
Vielleicht ist das Stück ein Auszug einer grösseren Pre
digt, deren Fragment Leyser in der Einleitung seines W erkes
S. XXV veröffentlicht hat (= Anz. f. Kunde d. d. Vorzeit 1833,
S. 233). Wenigstens stimmt der Schlusssatz wörtlich mit 98, 7ff.:
nu bittet den guten sente Laurentium hiute der irne fiure lach
unt nicht nebran (ygl. Eccli. 51, 6: et in medio ignis non sum
aestuatus), daz er uns helfe wider got, daz wir von dem ewigen
fiure erlöset werden daz da lip unt sele brinnet. Das Gleich-
niss 98, 11 ff. steht schon im Messgebet des Tages zum In
troitus: Da nobis, quaesumus, omnipotens Deus, vitiorum no-
strorum flammas extinguere, qui beato Laurentio tribuisti
tormentorum suorum incendia superare. — Desgleichen ent
spricht der Schluss 98, 16 ff. den Secreta heim Offertorium der
Messe: et beati Laurentii suffragantibus meritis ad nostrae sa-
lutis auxilium provenire concede. — Demgemäss braucht nach
einer besonderen Quelle des Stückes nicht gesucht zu werden.
38. 98, 21 — 101, 21.
Das Stück ist eigentlich eine Predigt über die Eigen
schaften des vollkommenen Almosens, wobei nur die Einleitung
88
111. Abhandlung: Schönbach.
mit einem kurzen Auszug der Legende und ferner Anwendungen
auf St. Laurentius eingeschaltet sind. In ganz ähnlicher Weise
wird die Erörterung des Almosens und die Legende des Hei
ligen auseinandergehalten bei Radulphus Ardens, Homil. de
Temp. Nr. 29, Migne 155, 1415 ff., der 2 Cor. 9 als Text dient.
Die Gedanken, welche hier über das Almosen vorgetragen
werden, finden sich schon frühzeitig und werden durch die
kirchliche Literatur hin ununterbrochen (bis auf die Gegen
wart) überliefert. So handelt schon Ambrosius, Epist. 4, Migne
17, 330 A über die Eigenschaften des Almosens kurz in zwei
Punkten, ferner im Commentar zu 2 Cor. 9, 6, Migne 17, 331 f.
Maximus von Turin, Homil. 74, Migne 57, 407 ff., wo auch
Psalm. 111 angezogen wird. Cassiodor erörtert das vollkom
mene Almosen im Commentar zum 36. Psalm, Migne 70, 265 f.,
vgl. noch zu Psalm. 111, 5, Migne 70, 806. Mit Anwendung
des hier benutzten Textspruches St. Laurentius, Bischof von
Novara, Homil. 2, Migne 66, 105 ff. Pseudo-Augustinus im
Appendix Nr. 309, Migne 39, 2337 f. Rabanus Maurus, Homil.
Nr. 147 über 2 Cor. 9, Migne 110, 431 f. Bei Haymo, Homil.
de Temp. Nr. 26, Migne 118, 188 f. ist die Erörterung des Al
mosens mit Psalm. 111, 5 verknüpft. Ratherius von Verona,
Praeloquiorum Lib. 4, cap. 23, Migne 136, 272 f.; im Sermo 2
(In Quadrag.) hat er die Hauptpunkte und Stellen unserer
Predigt schon beisammen, Migne 136, 698 ff. Petrus Cantor,
Verbum Abbreviatum, cap. 104—107, Migne 205, 286 ff. Be
sonders vgl. Guntherus Cisterziensis, De oratione, jejunio et
eleemosyna, Lib. 13, cap. 2, Migne 212, 211 ff. Alanus ab In-
sulis, Summa de arte praedicatoria cap. 33, Migne 210, 175f.
Innocenz III., Lib. de Eleemosyna cap. 5, Migne 217, 753 ff.
98, 21 Psalm. 111, 5: — miseretur — disponet — judicio,
quia in aeternum non commovebitur. — 98, 32 ist zusammen
geflossen aus Rom. 14, 10: omnes enim stabimus ante tribunal
Christi — itaque unusquisque nostrum pro se rationem reddet
Deo — und 2 Cor. 5, 10: omnes enim nos manifestari oportet
ante tribunal Christi, ut referat unusquisque propria corporis,
prout gessit, sive bonum, sive malum. — 99, 10 Psalm. 111, 9,
ist der Introitus (auch im Graduale) zur Messe in vigilia S.
Laurentii. Die Stellen 99, 10 (= 2 Cor. 9, 9). '100, 29. 101, 4
stammen aus der Epistel des Tages 2 Cor. 9, 6—10. — 99, 21
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
89
ist die bekannte, von der Vulgata abweichende Stelle der Ge
nesis 4, 7, über die Cruel S. 217 f. ausführlich gehandelt hat.
— 99, 16 ff. Das Beispiel behandelt Gregor, Moralia Lib. 22,
cap. 14, Migne 76, 229 f.: eleemosynae meritoriae conditiones.
— Radulphus Ardens bringt a. a. O., Migne 155, 1416 A fol
gende Eintheilung vor: primo ostendit, ob quam causam de-
beamus eleemosynam facere large; secundo, quomodo; tertio,
quo fine; quarto, qua fiducia eam debeamus donare. Das
stimmt in der Sache völlig mit der deutschen Behandlung.
Desgleichen Innocenz III. a. a. 0., Migne 217, 753 C: restat
modo, ut circa eleemosynam quatuor diligenter attendas, videlicet
causam et finern, modum et ordinem. causam, ut fiat ex cha-
ritate; finem, ut fiat propter beatitudinem; modum, ut fiat ex
hilaritate; ordinem, ut fiat secundum regulam. — 100, 3 Matth.
6, 5. 16. — 100. 6 1. tuont. — 100, 7 1. almuosen unt wanent —-.
100, 9 ff. die Augustinusstelle findet sich De Spiritu et Littera,
Migne 44, 230: sicut enim non imp. — nihil prosunt impio
aliqua bona opera, — invenitur. — 100, 17 1. der nie einer äne
ist —. Nach 100, 20 f. hat man es hier, wie ich bereits an
deutete, mit keiner eigentlichen Laurentiuspredigt zu thun. ■—
Von 100, 19 auf 22 ist ein Stück des deutschen Satzes aus
gefallen, vielleicht nur: — gesaget in der heiligen scrift —.
100, 25 ff. vgl. Radulphus Ardens 1416 B: large seminate, quia
secundum quod aliquis seminat, metet. qui nihil seminat, nihil
metet; et qui parce seminat, parce et metet; et qui seminat in
benedictionibus, id est in largitatibus, de largitatibus large
metet. vocat autem semen largitatem benedictionibus, quoniam
causa est benedicendi. vocat quoque datorem eleemosynae semi-
nantem. — et in aetate copiam colligit messis, ita dator elee
mosynae modicum dat in hac vita et aeternam beatitudinem
recipiet in futura. — 100, 33 Luc. 6, 38. —- 101, 4 Eccli. 35, 11.
2 Cor.. 9, 7. — 101, 8 1. gewinnunge. Unter der heil. Schrift ist
Eccli. 34, 24 zu verstehen: qui offert sacrificium ex substantia
pauperis, quasi qui victimat filium in conspectu patris. Das
wird schon von Augustinus, Migne 40, 1068 so citiert: ex ra-
pma sive ex substantia pauperis — und so überhaupt in der
späteren Zeit, z. B. Innocenz III., Migne 217, 758 B, der hinzu
fügt: de illis, in quibus dominium non transfertur, ut de furto,
rapiua, sacrilegio et usura, non licet eleemosynam erogare;
90
III. Abhandlung: Schönbach.
quia, cum sint aliena, non tua, teneris a his, quorum sunt,
restituere, non autem ea invitis dominis contrectare.
39. 101,21 — 104,26.
Dass dieses Stück für sicli eine Predigt auf Assumptio
Mariae bildet, bat schon Steinmeyer bemerkt, Anz. f. d. Alterth.
2, 233. Es ist in der Hauptsache nach dem Commentar des
Rupert von Deutz zum Hohen Liede gearbeitet.
101, 21 Cant. 3, 6: — pulveris pigmentarii? — Es sind
das die Lectionen des Breviers an dem Tage. — 101, 32 1.
lobet unser vrowen. — Cant. 2, 10: surge, propera, amica mea.
(speciosa ist aus 2, 13), columba mea, et veni. jam eniin hieins
transiit, imber abiit et recessit. flores apparuerunt in terra no-
stra — vox turturis audita est — vineae florentes dederunt
odorem suum etc. — Zu der Predigt vgl. im Allgemeinen:
Honorius Augustod.. Sigillum B. Mariae, Migne 172, 495ff.
Spec. Eccles. 991 ff. Bernhard von Clairvaux, Sermo de Diversis
91, Migne 183, 710 ff., dann Ad S. Mariarn Sermo Panegyr.,
Migne 184, 1009 ff. — Zu 102, 5 ff. vgl. Bernhard, Sermo in
Cant. 58, Migne 183, 1056 BC. 1061 B—D. Innocenz III., Sermo
28, Migne 217, 581 f. Aber schon die Commentare des Am
brosius und Beda enthalten Migne 15, 1885 A; 91, 1110 das
Entsprechende. — 102, 17 1. ze libe und darnach Punkt. —
102, 19 Rupert von Deutz im Commentar zum Hohen Liede,
Migne 168, 867 B: tu autem ,amica mea' per humilitatem, ,co
lumba mea' per charitatem, ,formosa mea' per castitatem. tu
contra Deum non tenuisti, immo mente humili Altissimo com-
placuisti et ecce amica es. tu serpenti aurem non praebuisti,
imo inimicitias inter te et serpentem ego posui, et ecce co
lumba es. tu nuditatem libidinis non incurristi, imo Spiritus
sanctus obumbravit tibi, et ecce formosa- es. (Daher 1. 102, 27:
durc daz bistu min vil sconiu, womit der Satz zu Ende ist.)
veni ergo, Maria, veni; nam Eva ad latebras fugit. — Dann
wird ein kleiner Passus fortgelassen, darauf 102, 18 Rupert
867 D: ex ipsa ergo qualitate temporis auspicium cape magnae
felicitatis, quia per istud quod dicitur tibi, quod agitur tecum,
transiit, id est, certissime pertransibit, hiems peccati abiit et
recessit, id est, certissime abibit et recedet imber irae coelestis,
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
91
quae videlicet hiems ex eo venit, quod Eva jam dicta fugiens
abscondit se a facie Dei, et qui imber idcirco terram, id est,
omne genus humanum verberavit, quia peccavit. hic est imber,
haec est ira coelestis. — Genes. 3, 16 f. — bic talis imber abiit
et recessit etc.
103, 9 ff. vgl. Bernhard, Sermo de Diversis 91, Migne
183, 711 AB, und Guillebertus Abb., In Cantica Sermo 15,
Migne 184, 76 f. Rupert v. Deutz 877 A: o felicem mentis ha-
bitum, qui tarn magnum habet praeconium. humilitas tua est,
o ancilla Domini, beata Maria, quam tali admiratione Spiritus
sanctus collaudat. odor tuus, odor humilitatis tuae praecipuus
ascendit ad eum ut vere sacrificium contribulati Spiritus, quid
enim est fumus et quid pulvis nisi Spiritus lacrymosus et con-
scientia valde liumilis?
103, 15 ff. ist sehr stark zusammengezogen aus Rupert
895 ff. vgl. Bernhard, Sermo de Diversis 91, Migne 183, 711 D.
— 103, 21 Cant. 4, 12. — 103, 22 Rupert 896 B: nam inde
noininatur hortus, quod semper ibi aliquid oriatur. — unde
ergo hortus es tu, o dilecta dilecti, nisi quia a te natum est
aliquid, quod nun quam desinit, et fructus tuus nunquam mar-
cescit et deficit, quomodo enim hortus sic conclusus ? hic uterus
unus est fecundus et incorruptus. unde autem ,fons signatus'' ?
nimirum ex eo, quod Spiritus sanctus — obumbravit tibi, ipse
Spiritus sanctus signaculum est hujus fontis nostri, signaculum
pectoris tui. — 103, 31 Cant. 7, 1 wird ebenfalls von Rupert
941 f., aber sehr ausführlich, auf Maria Himmelfahrt bezogen.
— 103, 34 Cant. 6, 9.
104, 3ff. vgl. Bernhard, Sermo de Diversis 91, Migne
183, 711 f. Innocenz III., Migne 217, 582 £, das bezeugt die
Tradition. Rupert 936 D: quando nata es, o Virgo beata, tune
vera nobis aurora surrexit, aurora. praenuntia diei sempiterni,
quia sicut aurora quotidiana finis praeteritae noctis et initium
diei sequentis, sic nativitas tua — finis dolorum et consola-
tionis fuit initium —. quando autem Spiritus sanctus in te su-
peravit et filium virgo concepisti, virgo peperisti, tune tu —
,ut luna-'. sicut enim luna lucet et illuminat luce non sua, sed
ex sole concepta, sic tu, o beatissima, hoc ipsum, quod tarn lu-
cida es, non ex te habes, sed ex gratia divina, gratia plena.
quando autem de hoc mundo assumpta atque ad aethereum
92
III. Abhandlung: Schönbach.
thalamum translata es, tune tu — ,electa ut soP; electa, in-
quam, nobis, quia sicut ex te natum Dei filium solem verum,
solem aeternum adoramus et colimus ut Deum verum, sic et
te honoramus atque veneramur ut veri Dei genitricem, scientes
quia totus honor impensus matri sine dubio redundat in gloriam
Filii. — Im Folgenden wird die Umgestaltung durch den
deutschen Bearbeiter immer freier und der Auszug immer
kürzer. Zu 104, 11 ff. vgl. Rupert 937 B: finis cantici idem
sonat, quod principium ,terribilis ut castrorum acies ordinata',
sicut superius jam dictum est. Die Auslegung steht 933 AB.
40. 104, 27 — 105, 33.
Dieses Stück (durch Pfeiffer bereits gedruckt, Zeitschr.
f. d. Alterth. 1, 289 f.; auch in der Leipziger Handschrift über
liefert, vgl. meine Altd. Predigten 1, 219 f.) wird schwerlich
eine besondere Quelle haben, denn es bewegt sich ohne
charakteristische Einzelnheiten in den gewöhnlichen Formeln
der älteren Busspredigt. Darum zeigt es ziemliche Berührung
mit des Rabanus Maurus Homil. 26, Migne 110, 55 f. und noch
weitergehende Uebereinstimmung mit der Sequenz des 11. Jahr
hunderts zu dem Feste, die bei Kehrein als Nr. 246, S. 190 f.
abgedruckt ist.
41. 106, 1 — 110, 18.
Wie weit dieses Stück (auch gedruckt von Pfeiffer, Zeitschr.
1, 290 ff.) reicht, ist nicht ganz sicher. Ich fasse es als eine
ganze Predigt auf Maria Geburt, weil die Angabe 108, 5: ,hec
predices in quocunque festo beate Marie velis‘ nur auf Möglich
keiten des Gebrauches, nicht aber auf die ursprüngliche Be
stimmung zu schliessen gestattet; vgl. die ganz ähnliche An
gabe 100, 20 f., nach welcher das Stück doch mit deutlichster
Beziehung auf Laurentius schliesst. Ferner wird die Theophilus
geschichte 109, 32 ff. herkömmlich (vgl. Honorius August., Spec.
Eccl., Migne 172, 992 ff. Legenda Aurea ed. Graesse S. '593 f.)
an diesem Feste erzählt. Endlich und hauptsächlich schöpft
das ganze Stück gleichermassen aus den drei Predigten auf
Maria Geburt, die unter den Sermonen des Fulbert von Chartres
(t 1028) bei Migne 141, 320 ff. als Nr. 4—6 gedruckt sind.
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
93
Ich weiche daher diesmal von Steinmeyer ab, der 108, 5 bis
110, 18 als besonderes Stück (De s. Maria) auffasst, Anz. f. d.
Alterth. 2, 232. Vgl. Zs. f. d. Philol. 15, 34.
106, 1 f. 13 ff. Diese Stelle wird zwar als heil. Schrift
citiert, stammt jedoch aus der 56. Oratio Anselms von Canter-
bury ,ad sanctam Virginem Mariam, in nativitate ejus‘, Migtie
158, 962 D : quando nata es, Virgo sanctissima, tune illuminatus
est mundus. stirps beata, radix sancta, et benedictus fructus
tuus —. 106, 7 Psalm. 44, 11 f.: — et vide et inclina aurem
tuam — et concupiscet rex decorem tuum. — 106, 11 Sap.
4, 1: — est casta generatio cum claritate —.
106, 18 ff. Fulbert von Chartres, Migne 141, 321 C: hinc
breviter attingamus. nata est igitur beatissima Virgo matre
Betlehemita, patre Nazareno, quas urbes Christi nativitati vel
conversationi destinatas esse prophetae non tacuerunt. descendit
autem ab radice illius fide praeclari Abrahae, cui superna pro-
missa fuerat benedictio omnium gentium in semine suo, et ab
stirpe David, quem Deus propter notam sibi probitatem egregia
laude sublimavit, dicens: (Psalm. 88, 21 in der Fassung von Act.
13, 22: i. D., filium Jesse, virum secundum cor meum, qui
faciet omnes voluntates meas). de regali nempe tribu Jsimul et
sacerdotali duxit originem, quae summum regem atque ponti-
ficem erat paritura. non tarnen haec idcirco diximus, quod Do
minus, qui peccatores vocare venit, dedignatus sit matrem suam
peccatores habere cognatos, inter quos speciosa velut inter spinas
lilium appareret. — 107, 7 Cant. 2, 1. — 107, 14 Isai. 11, 1:
— et flos de radice ejus ascendet.
107, 24 ff. Fulbert 321 A: acceptae sunt a sancto Moyse
smgulae virgae de singulis tribubus Israel, nominibus earum
inscriptae, jubente Domino, et positae in tabernaculo ejus: inter
quas una, quae fuerat Aaronis inventa est sequenti die germi-
nasse, floruisse, fronduisse et peperisse amygdala. -— quod ergo
Deus designavit miraculo, hoc a secreto Isaias prodit vaticinio.
et quod vates cecinit, consequenter rei exitus approbavit. nam
sicut illa virga siire radice, sine quolibet naturae vel artis ad-
miniculo fructificavit: ita virgo Maria sine conjugali opere filium
procreavit, filium sane fiore designatum et fructu.
108, 6 ff. Fulbert 322 A: Maria interpretatur ,maris stellah
miutis quippe mare transeuntibus notare opus est stellam haue,
94
III. Abhandlung: Schönbach.
longe a summo coeli cardine coruscantem, et ex respectu illius
aestimare atque dirigere cursum suum, ut portum destinatum
apprehendere possint. simili modo, fratres, oportet universos
christicolas inter fluctus hujus saeculi remigantes attendere maris
stellam hanc, id est Mariam, quae supremo reram cardini Deo
proxima est, et respectu exempli ejus cursum vitae dirigere.
— prospere veniet ad portum quietis aeternae.
108, 14 ff. Fulbert 328 B: haec est, inquam, dies, in qua
praelucida stella, imo lumen insuperabile maris, hoc est, hujus
mundi, velut Eous, cum decoris amoenitate ex mortali geni-
tura cunctis, qui salvandi sunt, illuxit.
108, 21 ff. Fulbert 330: bodie — congratulentur ei cunctae
virgines, quia nascitur pudica puella, quae amatorem peperit
integrae castitatis. — gaudete, omnes virgines —•. hilares estote
et vos, puellae aevo tenerae, quia habetis et vos puellam an-
gelorum Dominam quasi primis auspiciis nunc pubescentem. ad-
vocate angelos ad custodiam puritatis vestrae —. laetamini
etiam, vos jam maturae virgines —. ne subtrahatis vos a prae-
fatae matris jubilatione, conjugatae et conjugali jugo subnexae,
quoniam qui suae Matri et Omnibus piis virginibus contribuit
integritatis palmam, ipse vos naturali foedere mutua copula-
tione junxit, quo decentem et genuinum servantes modum ca
stitatis filios procreetis. — ne desperetis, o viri vel feminae
quocunque modo carnaliter corrupti, quoniam illa coelestis
mansio, non de virgineo tantum ordine, sed et de quibusdam
non solum justis, sed et publicanis et ante peccatoribus im-
pletur. quantoque vos conspicitis apud majestatem Domini no-
xios existere, eo amplius respirate ad Geuitricem Domini plenam
misericordiae: habetis apud Patrem advocatum ipsum Filium
Virginis et ipse propitiatur peccatis vestris tantum, ut veniam
de ipso ac matre ejus speretis, qui etc. —. 108, 35 Matth. 9, 13.
— 109, 3 Luc. 15, 7: — p. poenitentiam agente —. 109, 20
Isai. 24, 22. -—■ Die Eintheilung der castitas stammt von Am
brosius und ist nachmals sehr beliebt geworden: docemur tri-
plicem castitatis esse virtutem: unam conjugalem, alium virgi-
nalem, tertiam vidualem (Ambrosius, De Viduis).
109, 30 ff. Fulbert 323 B: illa etiam te, o peccator quon-
dam Theophile, poenitentem et suppliciter invocantem ab ipsis
diaboli faucibus potenter eripuit. Darauf folgt die Erzählung.
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
95
110, 7 ff. Honorius August., Schluss seines Sermo zu Maria
Geburt, Spec. Eccl., Migne 172, 994 0: ad hanc omnes, karis-
simi, tota mente fugiamus, vota precum, hostias laudum ei
reddamus, quatenus eam cum Filio suo coetibus angelorum im-
perantem videamus et aliquam particulam gaudii ejusdem regni
ea favente obtineamus.
42. 110,19— 116,25.
Cruel sagt S. 171 von diesem Stücke: ,Die Predigt Ex-
altationis crucis S. 110 ist nur eine Zusammenstellung von
Sätzen mehrerer augustinischer Sermone. Dieselbe deutet näm
lich die beiden Erzählungen von der Erhöhung der ehernen
Schlange durch Moses, wie von der Opferung Isaaks durch
Abraham auf den Kreuzestod Christi, und zwar nach Augu
stinus, De tempore Nr. 101 und 71. Den Beschluss bildet eine
Erklärung der vier Theile und vier Masse des Kreuzes nach
Augustinus, De verbis apostoli Nr. 7 und De tempore Nr. 181.
Die der letzteren Stelle vorangehenden Gedanken hat der Ver
fasser zur Einleitung benutzt/ Das ist nicht richtig, denn das
Stück übersetzt den Sermon, der unter dem Namen des Hilde-
bert von Le Mans als Nr. 71 bei Migne 171, 683 ff. gedruckt
ist, aber, wie Haureau 1, 40 gezeigt hat, dem Gaufredus Ba-
bion gehört. Der Text dieses Sermons ist 1 Cor. 1, 18, wes
halb dann das Citat nicht mehr ausdrücklich vorgebracht wird.
Im Deutschen ist, da ein anderer Textspruch gewählt wurde,
die Anführung 110, 28 uncorrect. Vgl. Zs. f. d. Philol. 15, 35.
110, 20 Joann. 3, 14. Es ist das Responsorium im Brevier
in tertio nocturno. Die Lection des Breviers bildet Numeri 21.
— 110, 28 1 Cor. 1, 18: verbum enim crucis pereuntibus stul-
titia est; iis autem, qui salvi fiunt, id est nobis, Dei virtus est.
110, 21 ff. ist erweitert aus dem Anfänge bei Hildebert
683 A : quia fidelibus, fratres charissimi, de mysterio crucis
locuturi sumus, ideo non credimus vos stultitiam judicaturos,
Deum vobis crucifixum praedicare; iniidelibus autem, quibus
Deus consilii sui arcana non revelavit, iis ,quidem pereuntibus',
nt ait apostolus, ,stultitia est', Deum omuium creatorem et im-
mortalem mortuum esse praedicare, et in tarn vili supplicio,
sicut crux erat eo tempore, suspensum fuisse afürmare. sed
96
III. Abhandlung: Schönbach.
,his qui salvi bunt', id est fidebbus, quibus per Spiritum sanc-
tum Deus misericordiae suae. majestatem cognoscere praebuit,
non solum non dedecus, sed etiam maxima ,virtus Dei, verbum
crucis' esse videtur. quod autem dedecus et scandalum et stul-
titia infidelibus crux Domini, audite iterurn apostolum dicentem:
1 Cor. 1, 23.
111, 6 Hildebert 683 B: Judaeis scandalum erat, quoniam
Dominum suum crucifixisse dicebantur, cum a gentibus deride-
bantur. gentibus autem stultitia reputabatur, quia eis impossibile
videbatur Deum mori. quanta autem virtus Dei fuisset, tantum
se pro nobis humiliasse, et quam necessarium, audiamus. facta
enim erat quaedam inimicitia (Druck: mutatio) inter Deum et
bomines peccato primi bominis; quia cum bomo prius (also 1.
111 B: gote e gelicli was) similis esset Deo vivendo (Druck: vi-
dendo) innocue, factus est dissimilis a crimine; et quia verus
(Druck: vetus) homo postea malus fuit, jumentis similis factus
est, dicente psalmista: Psalm. 48, 13. 21: — jumentis insi-
pientibus et similis factus est iHis.
111, 20 Hildebert 683 C: in bonore erat bomo, cum esset
similis Deo. non intellexit, quando peccavit. simibs igitur
factus est jumentis, quando peccando factus est irrationalis.
duae creaturae peccaverant, scilicet diabolus et bomo; sed alius
per se, alius per alterum. quia igitur per se diabolus peccavit,
reparari non meruit —; bomo, quia de limo factus est, cum a
tarn callido tentatore deceptus fuerit, spem veniae non amisit.
cum igitur ita essent Deus et bomo contrarii — (bier ist ein
grösserer Passus fortgelassen, wegen der Schwierigkeiten dogma
tischer Erörterung), itaque justo judicio Deus volens genus
bumanum reconciliare, factus est bomo. — prius enim multis
praefiguravit adventum suum symbobs, in multis prophetiis
praenuntiavit, ut auctorabilis esset tantis temporibus prae-
signatus. sed de multis abis dicamus —. cum filii Israhel propter
peccata sua (112, 1 1. vuoren) in deserto ab igneis serpentibus
urgerentur et interimerentur, jussit Dominus (112, 3 ire leitere
ist Apposition zu Moyses, vgl. 107, 25) serpentem aeneum fieri
et in virga exaltari ante lilios Israel, quem qui respiciebant ab
abis serpentibus vulnerati, auxibo ilbus restituebantur sanctitati
(Num. 21). quod autem per banc figuram Dominus voluisset
intelligi, se manifestat, cum dixit in evangebo Joann. 3, 14:
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
97
sicut exaltavit Moyses serpentem in deserto, ita exaltari oportet
Filium hominis. — 112, 9 1. in dem evangelio.
112, 11 Hildebert 684 B : serpens dnplicem significationem
continet. venenosum est animal et astutum. oaput enim ab-
scondit, cum pereutitur —. (Die jährliche Verwandlung der
Haut ist aus dem Physiologus eingeschaltet.) in bona signifi-
catione accipitur, cum dicitur: Matth. 10, 16. et in mala (daher
1. 112, 18: In ubeler bizeichenunge sculen wir in versten), cum
dicitur Judaeis: Luc. 3, 7 (1. genimina). itaque serpens Domi
num significat, in quantum prudens est, quia ipse est sapientia
Patris; diabolum significat, in quantum venenosus est. voluit
enim Dominus per serpentem designari, quia contra serpentes
spirituales erat pugnaturus. Daher ist 112, 24 ausgefallen:
wände er vehtende was wider die gaistlichen slangen; es ist beim
Abschreiben von einem slangen auf das andere versehen worden.
112, 25 Hildebert 684 C: per aeris materiam fortitudo
Christi describitur. serpens aeneus foit, quia duo sunt necessaria
in bello, fortitudo et prudentia. — 112, 28—30 entspricht
nichts bei Hildebert. — cum ergo ipse esset verus David, id
est ,manu fortis', qui pugnaturus erat contra Goliath, id est
diabolum, merito aeneus ut fortis, merito dicitur serpens, ut
prudens describitur. in summitate virgae ponitur, id est, in
altitudine erucis suspenditur. vulnerati ab aliis serpentibus, id
est daemonibus, peccando, respiciunt ad verum serpentem, id
est prudentem, credendo et bene operando salvantur liberati a
peccatorum venenis.
113, 11 Hildebert 684 D: audite etiam figuram evidentius
mysterium incarnationis designantem. unicus filius erat Abrahae,
id est Isaac, quem Dominus tentans praecepit immolare in
monte, quem monstraret ei. Abraham stravit asinum suum,
ducens secum duos juvenes, et Isaac collegit ligna, et tandem
tertia die pervenit ad locum. — Dann Genes. 22, 5: ego et
puer illuc usque properantes, postquam adoraverimus, reverte-
mur ad vos. Daher ist 113, 25 zu lesen: wellen da beten; so
wir gebetoten —. cumque paravisset, filium suum posuit super
struem lignorum, et sic volenti filium suum immolare ait angelus:
non extendas man um tuam super puerum (Genes. 22, 12; die
übrigen Einzelnheiten ergänzte der Bearbeiter aus seiner Bibel-
kenntniss).
Sitzungsber. d. phil.-hist. CL CXXXV. Bd. 3. Abi.
7
98
III. Abhandlung: Schönbach.
114, 6 Hildebert 685 A: tanc Abraham respiciens vidit
arietem inter vepres haerentem cornibus, quam immolavit pro
filio suo. Abraham Deum Patrem significat, qui immolavit Filium
suum, mittendo (ergänze: eum in mundum) et tradendo (er
gänze: pro peccatoribns). unde apostolus: proprio filio suo non
pepercit, sed pro nobis omnibus tradidit illum. Abraham ,mul-
tarum gentium pateF interpretatur. Isaac Christum significat,
qui interpretatur gaudium. (Hier ist die Ueberlieferung des
lateinischen Textes sehr mangelhaft: Isaac wird seit Hieronymus
als ,risus, gaudium* erklärt; das Deutsche ist besser.) Christus
vero est gaudium hominum et angelorum. duo juvenes, qui se-
cum ibant, sunt populus Judaeorum, qui ideo duo dicuntur,
quia post mortem Salomonis divisus est in duo regna: in decem
videlicet tribus Israel, quibus Jeroboam imperavit (vgl. 114, 21),
et in duas alias tribus, scilicet Benjamin et Juda, super quas
Roboam, filius Salomonis, regnavit. asinus vero designat stulti-
tiam Judaeorum; ligna crucem; tertia dies venturum eum ad
locum (wohl falsch überliefert), quia in tertio tempore mundi
sub gratia immolatus est Jesus. — Da ist 114, 27 — 115, 6
viel ausführlicher behandelt; entweder weil der Bearbeiter
deutlicher sein wollte, oder weil ihm eine andere Fassung des
lateinischen Textes vorlag. 114, 28 lies daz aine statt anante.
— 114, 33 vgl. 1 Timoth. 1, 15. — 115, 2 Genes. 22, 5.
115, 6 Hildebert 685 B: nec immolatus est Isaac, quia non
est immolata divinitas, id est Filius Dei, sed aries, id est caro
Christi, quae haerebat vepribus, id est tribulationibus, cornibus,
id est brachiis extensis in cruce. — 115, 13—16 entspricht
nichts bei Hildebert; wahrscheinlich ist von dem Bearbeiter ein
reicherer Text benutzt worden. — haec crux tot temporalibus
figuris praesignata, tandem salus mundi effecta est; et est ratio,
quare voluit Dominus hoc genus supplicii potius quam aliud,
hinc quadrifaria est, quasi amplectens quatuor mundi partes. —
115, 21—25 stehen nicht bei Hildebert, wohl aber beginnt mit
dem Citat Joann. 12, 32 (— exaltatus fuero a terra, omnia tra-
ham ad me ipsum) das nächste Stück bei Hildebert, Nr. 72:
De laudibus sanctae crucis, das nach Haureau 1, 223 dem
Petrus Lombardus gehört.
115,25 Hildebert 685 C: hinc etiam alia significatio (also
fehlt anderiu vor bizeichenunge 115, 26) in partibus ejus con-
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
99
tinetur. — Hildebert fährt gleich fort (für 115, 26—28 ist nichts
vorhanden): altitudo spem salntis, quam habemus in coelestibus,
significat; latitudo charitatem, quae extensa est usque ad ini-
micos; longitudo perseverantiam (das wohlbekannte Citat Matth.
10, 22 fehlt Hildebert; 115, 34 1. vol stcete) bonorum operum;
profunditas, id est illa pars quae latet, profunda mysteria ju-
diciorum Dei. unde apostolus: incomprehensibilia sunt judicia
tua, Domine (Rom. 11, 33). — 116, 4 steht das verwandte
Citat Sap. 17, 1. — Hildebert lässt noch Ephes. 3, 18 folgen. —
Vgl. den Excurs in den Anmerkungen zu meinen Altd. Pred.
2, 6, 24 ff.
116, 5 Hildebert 685 C: hanc igitur crucem debemus omnes
venerari, in qua pependit pretium mundi. datum est pretium
pro omnibus nobis, si volumus exire a vitiis. — 116, 18: hodie
exaltata est in Jerusalem, nos similiter exaltemus eam in sin-
gulis ecclesiis, ut nobis sit communiter salus, juvante Domino
n. J. Chr. etc. •—■ Für das dazwischen liegende Gebet suche
ich keine besondere Quelle. Dagegen beziehen sich die Worte
116, 24 f. (1. utrique festo) auf die allbekannten Legenden von
Kreuzerfindung und -erhöhung. Vgl. dazu meine Altd. Pred.
1,202, 1 ff. 206, 28 ff. und Anm.; besonders 3, Nr. 95 und 96,
S. 217 ff. und Anm.
43. 116,26 — 119,2.
Cruel nennt S. 177 dieses Stück .dürftige Excerpte aus
Beda oder dessen Quelle Gregor'. Das ist nicht ganz richtig,
wie sich zeigen wird. Das Stück beginnt mit dem evangelischen
Berichte über die Berufung des Matthäus, wie sie fast alle
Homilien zu diesem Aposteltage enthalten.
117, 9 Matth. 9, 11. — 117, 12 Matth. 9, 12. — 117, 15
Matth. 9, 13. — 117, 18 Matth. 9, 13. — 117, 22 ff. Beda,
Homil. Genuin. Nr. 22, Migne 94, 255 B: libet autem memi-
msse, fratres charissimi, ad quantam Dominus arcem justitiae
Matthaeum, quem de publicanis actibus elegit, ut spem re-
missionis peccatoribus amplificaret, advexerit. qualis namque
sit factus, ipse apostolorum numerus, cui insertus est, docet.
117, 30 ff. Honorius, Spec. Eccl., De s. Matthaeo, Migne
172, 1005 C: liunc quippe de theloneo in apostolatum vocavit,
7*
100
III. Abhandlung: Schönbach.
jndicem orbis super thronos XII collocavit. hie primus Evan
gelium soripto edidit, per quod gloria Christi universo mundo
innotuit. — 1H? 30 1. erwelte. — 117, 33 Matth. 19, 28. Luc.
22, 30. — 118, lf. und 8f. stimmen fast wörtlich.
118, 3 1. daz ist daz v. r. ■— Die Stelle bezieht sich auf
Ezechiel 10, 9: et vidi, et ecce quatuor rotae juxta Cherubim:
rota una juxta Cherub unum, et rota alia juxta Cherub unum.
species autem rotarum, quasi visio lapidis chrysolithi: et aspectus
earum similitudo una quatuor, quasi sit rota in medio rotae.
cumque ambularent, in quatuor partes gradiebantur et non re-
vertebantur. Das ist auf die Evangelisten (besonders V. 10)
sehr früh ausgelegt worden: eingehend bei Gregor, Homil. in
Ezech., Lib. 1, Nr. 4, Migne 76, 815 ff. ßabanus Maurus, Comm.
in Ezech., Migne 110, 635. 637 CD. Petrus Damiani, Sermo
49, Migne 144, 780 CD.
118, 8 ff. Honorius a. a. O.: in Aethiopia verbum vitae
disseminavit, multum fructum signis et portentis Deo congre-
gavit. — unde jussu regis apostolus missas celebrans super
altare decollatur. — Beda a. a. 0. 255 B: docet et ipsa gens
Aethiopum, quam de finibus terrae ultimis ad sanctae Ecclesiae
societatem praedicando convertit, ablutamque fonte baptismatis
de fusca formosam reddidit, quia vitiorum nigredinem exuit ac
virtutum decoravit ornatu.
118, 16 ff. Gregor a. a. O. 815 A: nam quia ab humana ge-
neratione coepit, jure per hominem Matthaeus designatur. —
Das ist dann von den späteren theilweise wörtlich übernommen,
theilweise aber auch ausgeführt worden, wie bei Petrus Da
miani a. a. 0. 781B: Matthaeus itaque in declaranda regia
stirpe Domini familiarius vacat, et sicut ab hac narrationis ex-
ordium sumpsit, sic in eadem intentione totam styli sui seriem
ad fines usque perducit. generationis quippe lineam texens ad
David pervenit, deinde per Salomonem transiens, caeteros reges
in enumeranda generis successione percurrit. et paulo post re-
fert etc. — Ganz kurz Honorius: hunc inter evangelistas forma
hominis repraesentat, quia Christum pro peccatoribus in hu
mana forma prae aliis narrat. — 118, 28 Matthäus als ,columna‘
ausführlich bei Petrus Damiani 779 D, aber auch bei Rupert
von Deutz u. A.
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
101
44. 119, 3— 120, 12.
Dieses Stück ist nur ein verkürzender populärer Auszug
von Nr. 43. — 119, 4 vgl. 117, 27 f. — 119, 6—26 umschreiben
zum Theil wörtlich 116, 30— 117, 22. 119, 26 ff. = 119, 4 ff.
— 119, 29 f. vgl. 117, 29 f. — Die Schlussformel ist ganz all
gemein. Das Allegorische ist durchaus vermieden. — 119, 28
1. er nenphach iuch. — 119, 33 Matth. 24, 42: — Dominus
vester venturus sit.
45. 120, 13 — 126, 14.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass dieses Stück nur nach
einer einzigen lateinischen Predigt gearbeitet ist: der gesammte
Aufbau, die wörtliche Uebertragung einer Gregorstelle, das
Wortspiel Lucifer, letifer, Alles spricht dafür. Aber ich kann
sie zur Zeit nicht nachweisen, höchst wahrscheinlich stammt
sie von einem französischen Prediger des 12. Jahrhunderts.
Ich muss mich daher damit begnügen, nach Kräften wenig
stens die mittelbaren Quellen aufzuzeigen.
120, 14 ist natürlich unbiblisch. Ganz ähnliche Formeln
enthält zum Michaelstage das Missale mixtum secundum regu-
lam beati Isidori, Migne 85, 878 ff. — Ebenso wie hier werden
in der Einleitung die neun Chöre der Engel behandelt und
dann auf S. Michael übergegangen bei Honorius, Spec. Eccl.,
Migne 172, 1007 C. Ygl. Bernhard von Clairvaux, Migne 183,
dl7ff. — 121, 22. 125, 27 = coelestis praepositus, eine be
kannte liturgische Formel. — 120, 24 1. s. Michaelis statt
s. Marien. —
Von 120, 25 bis ungefähr 121, 30 reicht eine Darstellung,
deren Grundlage sich im Commentar des Hieronymus zu Da
niel 10, 12 ff. (diese Danielstelle ist im Brevier Lection ad
Laudes) findet: vicesima quarta die mensis primi, id est Nisan,
expletis tribus hebdomadibus, hoc est viginti diebus et uno,
cernit hanc visionem et audit ab angelo, quod ex die primo,
quo orare coeperit et affligere se in conspectu Dei, exaudita
sunt verba ejus, quaeritur, si statim exauditus est, cur non
statim ad eum missus sit angelus. data est ei per moram occasio
amplius Deum deprecandi: ut ex eo quod plus desiderat, per
102
III. Abhandlung: Schönbach.
laborem plus audire mereatur. quod autem ait: ,et ego ingressus
sum ad verba tua‘, hunc habet sensum: postquam tu coepisti
bonis operibus et lacrymis atque jejunio Dei invocare miseri-
cordiam, et ego accepi occasionem, ut ingrederer in conspectu
Dei et orarem pro te. — ,princeps autem etc/ videtur mihi
hic esse angelus, cui Persis.credita est juxta illud, quod in
Deuteronomio legimus —. ,et ecce Michael unus de principi-
bus etc/ resistente Persarum angelo precibus tuis et meae le-
gationi, qui orationes tuas Deo offerebam, venit in adjutorium
mihi angelus] Michael, qui praeest populo Israel, principes
autem primos archangelos intelligimus. — Etwas mehr bietet
schon die Sammlung des Paterius, Testimonia in Danielem,
Migne 79, 1001 f.: cumque, ut adversus Persarum principem
praelietur, egreditur, Graecorum sibi princeps apparet adve-
niens: qua ex re innuitur, quod adversus Graecos quoque
Judaea aliquid commiserat, quorum profecto causa ereptioni
illius resistebat. prophetae igitur preces angelus exaudit; sed
Persarum princeps resistit, quia etsi jam vita justi deprecantis
ereptionem populi exigit, ejusdem tarnen populi adhuc vita con-
tradicit; ut quia nec plane hi, qui in captivitatem fuerant ducti,
purgati sunt, jure ejus adhuc Persae dominantur. Michael ad-
juvat, sed Graecorum princeps ad proelium venit: quia mereri
quidem veniam tarn longa oppressorum captivitas poterat, sed
ereptionis eorum beneficio hoc quoque, quod in Graecos delin-
querant, obviabat. recte ergo dicitur, quod contra se angeli
veniunt, quia subjectarum sibi gentium vicissim merita contra-
dicunt. nam sublimes Spiritus eisdem gentibus principantes ne-
quaquam pro injuste agentibus decertant, sed eorum facta juste
judicantes examinant. cumque uniuscujusque gentis vel culpa
vel justitia ad supernae curiae Consilium ducitur, ejusdem gentis
praepositus, vel obtinuisse in certamine, vel non obtinuisse per-
hibetur: quorum tarnen omnium una victoria est et sui super
se opificis voluntas summa; quam dum semper aspiciunt, quod
obtinere non valent, nunquam volunt. — Daraus lassen sich
die Anschauungen unserer Predigt leicht ableiten. Vgl. dazu
noch Rupert von Deutz, De Trinitate et operibus ejus, in Da
nielem, Migne 167, 1509 f., anlässlich Balthasars: Babylon civitas
diaboli. et illius quidem Babylonis regnum datum est hominibus
Medis et Persis, — dabitur non hominibus, sed daemonibus,
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
103
non Medis et Persis, sed malignis spiritibus, non Dario (das
ist der rex Persiae), sed diabolo et angelis ejus. — 120, 28
nach liute Punkt. -—- 121, 1 das seltsame vrolichen erklärt
sich wohl aus Daniel 10, 3: panem desiderabilem non cornedi —.
121, 10. 18 1. ruogte. ■— 121, 11 1. zalte daz durc —.
121, 25 Deuteron. 32, 8: quando dividebat Altissimus
gentes, quando separabat filios Adam, constituit terminos po-
pulorum juxta numerum filiorum Israel. Die Uebersetzung
darnach ist schon Auslegung. Benutzt scheint hier Gregor,
Homil. in Evang. 34 (die auch in den Lectionen des Brevieres
vorkommt), Migne 76, 1252 ff. Ferner desselben Moralia, Lib. 4,
cap. 29, Migne 75, 665 C. — Zu 121, 30 ff. vgl. Pseudo-Augu
stinus, Sermones ad fratres in eremo, Nr. 46, Migne 41, 1324 f.
Rabanus Maurus, De Universo, Lib. 1, cap. 5, Migne 111,28 ff.,
besonders 31 BC. Vgl. den Tractatus Theologicus cap. 22 (De
missione angelorum), der unter dem Namen Hildeberts von Le
Mans bei Migne 171, 1009 (bes. 1015) gedruckt ist, aber nicht
ihm gehört, sondern richtig unter der Ueberschrift ,Sententiae‘
in die Werke des Hugo von St. Victor aufgenommen wurde, wie
Haureau 5, 251 zeigt. — 121, 35 Matth. 18, 10: videte, ne con-
temnatis — mei, qui in coelis est. Das ist das Tagesevangelium,
der Commentar des Hieronymus dazu dient als Lectio 7—9
des Breviers. Damit beginnt ein zweiter Gegenstand, der be
sonders bei Honorius, Spec. Eccl., Migne 172, 1008 BG er
örtert wird.
122, 17 Matth. 21, 33. Marc. 12, 1. Luc. 20, 9. Diese Aus
legung steht zuerst bei Beda im Matthäuscomm., Migne 92, 94:
Deus Pater ,plantavit vineank, quia in terra repromissionis ejectis
gentibus populum suum collocavit. ,sepem circumdediff, vel
murum urbis, vel auxilia angelorum. Das wird bei den spä
teren Commentatoren und in der Glossa Ordinaria immer aus
führlicher. — 122, 19 darf es sicher nicht win heissen, sondern
etwa winzurel — vinitor. — 122, 111. den ubelen geisten.
122, 31 ff. vgl. dazu die Anm. in meinen Altd. Predigten
1, 123, 11, woraus hervorgeht, dass hier auch nicht unter der
heil. Schrift die Vitae Patrum verstanden sind, denen diese
Geschichte des Paulus Eremita sonst zuzutrauen wäre. Die
Fassung hier stimmt ziemlich genau mit der, welche Honorius
Augustod. in sein Spec. Eccles. zur Dominica in Quinquagesima
104
III. Abhandlung: Schönbach.
aufgenommen hat, Migne 172, 881 D: unde legitur, quod qui-
dam sanctorum hanc gratiam a Deo habuerit, quod posset sin-
gulorum merita per vultus illorum discernere. quadam itaque
die, dum fratres ecclesiam frequentarent, vidit eos hilari vultu
et splendida facie intrantes et angelos Dei laeti eis comitantes.
unum vero turpi ac deformi et nebuloso vultu vidit, et daemones
horribili visu ignem et fumum ex ore et naribus exhalantes
(1. 123, 9: stauche unde mit) juxta eum ambulare et utrumque
catena eum trahere, angelum autem Domini longe retro tristem
sequi, hoc ut senex conspexit, magno ejulatu flevit. peracto
divino officio iterum intuetur eos gloriosa facie egredientes et
angelos Dei cum eis hilariter incedentes, et eum, quem tarn
miserabili vultu viderat prius ingredientem, nimis perfulgida
facie conspicit egredientem, atque angelum Dei amplexibus ejus
inhaerentem, diabolum vero longe cum catena sequentem. hoc
viso senex exaltavit, et cunctos convocans, omnia quae prius
et quae postea viderit, narravit. quem cum rogarent, ut eis
sua facta manifestaret, ait: ,hactenus in immun ditia vixi (123,
25 1. huorare); sed hodie ingressus ecclesiam, lectionem de
poenitentia audivi et mox eadem mala nunquam me perpetra-
turum Deo promisi'.
123, 32 Luc. 15, 7. — 124, 9 Gregor a. a. 0., Migne 76,
1251 A: et quoties mirae virtutis aliquid agitur, Michael mitti
perhibetur, ut ex ipso actu et nomine detur intelligi, quia
nullus potest facere, quod facere praevalet Deus. (Vorher:
Michael namque ,quis ut Deus?') unde et ille antiquus hostis,
qui Deo esse per superbiam similis concupiscit, dicens: Isai.
14, 14. — dum in fine mundi in sua virtute relinquetur ex-
tremo supplicio perimendus, cum Michaele archangelo proelia-
turus esse perhibetur, sicut per Joannem dicitur: Apoc. 12, 7.
— ut qui se ad Dei similitudinem superbus extulerat, per
Michaelem peremptus discat, quia ad Dei similitudinem per
superbiam nullus exsurgat.
124, 24 ff. vgl. Rabanus Maurus, De Universo, Lib. 9,
cap. 15, De Lucifero. Das Wort wird in zweierlei Sinne ge
braucht, im guten und bösen: in contrarium vero ponitur Lu-
cifer, ubi per Isaiam prophetam (cap. 14) in onere Babylonis
sub typo regis Babyloniae ad apostatam angelum dicitur: ,quo-
modo cecidisti de coelo, Lucifer, qui mane oriebaris ?' nam ibi
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
105
ruina ejus de claritate aeterna in infernales tenebras ostenditur.
Vgl. ferner Gerlioh von Reichersberg, Gregorianum Lib. 1,
cap. 8, Migne 193, 43 f. Petrus Blesensis, Sermo 55, Migne 207,
722 f.: lucebat olim ille filius irae, ille filius perditionis, qui de
coelo corruit. unde et Lucifer vocabatur, nunc autem noctifer
sive tenebrifer. qui si arsisset, nullo unquam tempore cecidisset.
— Die ihm folgen: ardebunt igne illo, ,qui praeparatus est
diabolo et angelis ejus' (Matth. 25), cujus fetor occidit, cujus
ardor mortificat etc. Weiteres über die Umwandlung Lucifers
in den Antichrist Alanus de Insulis, Contra Haereticos, Lib. 1,
cap. 12, Migne 210, 317 f.
124, 33, 2 Thessal. 2, 4: extollitur super omne, quod dici-
tur deus aut quod colitur deus. Das ist auch die Tagesepistel
im Missale Isidors, Migne 85, 877. — 125, 5 Daniel 12, 1:
Michael princeps magnus, qui stat pro filiis populi tui —. Das
Folgende ist nach der Auslegung des Hieronymus gegeben,
der darstellt, wie dieses Capitel sich auf die Auferstehung
der Todten, die Regierung des Antichrist bezieht, und mani
feste de adventu Christi atque sanctorum ejus handelt, hunc
(Michaelem) autem esse angelum clementissimum, qui orationes
Danielis in conspectu Dei obtulerat: quando ei viginti et uno
diebus Persarum angelus resistebat. interrogabat autem haec
mirabilia, quae in praesenti visione dicuntur, quo complenda
sint tempore: quod Porphyrius more suo de Antiocho, nos de
Antichristo interpretamur. — 125, 11 Daniel 10, 20 f.: — ad
te? et nunc revertar, ut praelier adversus principem Persarum.
cum ego egrederer, apparuit princeps Graecorum veniens.
verumtamen annuntiabo tibi, quod expressum est in scriptura
veritatis: et nemo est adjutor meus in omnibus his nisi Michael
princeps vester. — 125, 23 das Citat ist falsch. —
Zu dem ganzen Stück ist noch Radulphus Ardens, Homil.
de Temp. Nr. 38, In festo angelorum, Migne 155, 1456 ff. zu
vergleichen.
46. 126, 15 — 127, 10.
Dieses Stück excerpiert nur das Vorhergehende, be
sonders den Schluss, und benutzt in etwas die dort verwendete
Homilie Gregors genauer, ist jedoch im Allgemeinen ziemlich
inhaltsleer.
106
III. Abhandlung: Scbönbacb.
47. 127, 11 — 128, 33.
Auch dieses ist ein ganz simples Stück, das eigentlich
nur aus der Angabe der acht Seligkeiten besteht, und für das
eine besondere Quelle weder zu suchen noch zu finden ist. —
127, 12 Matth. 25, 34: — possidete paratum vobis regnum a
constitutione mundi. — 127, 20 Matth. 5, 3 ff.
48. 129, 1 — 130, 7.
Sämmtliche Punkte der Legende, die dieses Stück ent
hält, finden sich in dem Sermon des Honorius, Spec. Eccl.,
Migne 172, 1021 ff.
129, 1 ff. Honorius 1021 C: Sanctus Martinus, dilectissimi,
fuit Deo dilectus —. hominibus extitit dilectus, quia nimirum
populus Dei ejus patrocinio ab hostibus animae et corporis est
protectus. — hic a Romanis parentibus, tarnen gentilibus —
generatur. duodennis toto animo heremum concupiscit —. adhuc
unda baptismatis eum non abluebat, et tarnen evangelica prae-
cepta sollicite implebat, scilicet carentes alehat, et oppressis
prout potuit in tribulatione subveniebat, uno tantum servulo
contentus, cui ipse saepius vice versa serviebat. quodam hiemis
tempore dum pergit Martinus —, ohviat ei nudus pauperculus,
poscens misericordiam a transeuntibus; et dum omnes praeter-
eunt miserum, Martinus arripuit gladium, clamidem, qua in-
dutus erat, dividit, partem pauperi tribuit. cui Dominus nocte
insequenti cum multitudine angelorum apparuit, partem vestis
a Martino datam practulit; hac se a Martino — vestitum re-
tulit. — 129, 18 Matth. 25, 40. — 129, 20 Eccli. 3, 33: ignem
ardentem extinguit aqua et eleemosyna resistit peccatis. —
129, 25 Honorius 1021D: nam absque multis signis, quibus
est glorificandus, tres mortuos per eum ad vitam resuscitavit.
— 1024 D: — sicque a dolore et morte pariter eripitur, atque
angelis et sanctis concinentibus gaudium Domini sui laetus in-
greditur, sed coelestis modulatio a multis percipitur. — quando
anima Martini a carne soluta coeli templa adibat. qui angelicam
audiens armoniam — Martinum de hac vita migrasse retulit
atque animam illius choros angelorum excepisse: sed turbain
daemonum occurrisse et nichil suum invenisse, confusos ab-
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
107
scessisse et ideo coelestem exercitum laudisonuin ymnum tanta
exultatione concrepuisse. lieu, karissimi, quid fiet de miseris
omnibus flagitiis involutis, si turba daemonum Martino occurrit,
qui omnibus virtutibus floruit? — bunc, karissimi, devota
mente flagitemus, quatenus ejus suffragio in superna patria
cum Cbristo regnemus.
49. 130, 8 — 131, 14.
Solche ganz unbestimmte Ermahnungen wie hier finden sich
in verschiedenen Predigten, die ganz allgemein von einem
Heiligen handeln, z. B. in den vier Stücken (z. Th. des Cae-
sarius von Arles), welche in den Appendix der Augustinischen
Sermone eingereiht sind als Nr. 280 ff., Migne 39, 2274 ff. Ygl.
Rabanus Maurus, Homil. de Festis Praecip. Nr. 41, Migne
110, 76 ff.
50. 131, 15— 137, 5.
Cruel hat S. 171 die Quelle dieses Stückes bereits nach
gewiesen, nämlich Gregors Homil. in Ezech. Nr. 4, Migne
76, 814 D. — Ygl. Zs. f. d. Philol. 15, 35.
131, 15 f. Der deutsche Bearbeiter hält, wie sein erster
Satz lehrt, diese Worte für ein Citat aus Ezechiel, es ist aber
eine Anführung aus Gregor a. a. 0. 815 C. — 131, 16 ff. Gregor
814 D: per sanctum prophetiae Spiritum pennata animalia (aZs
vögele 19 ist ein erläuternder Zusatz) quatuor subtiliter descri-
buntur, ut per haec evangelistarum significari personas ipsa
nobis subtilitas descriptionis aperiat, nihilque sermo Dei nostro
intellectui dubietatis relinquat. — 131, 22 Ezech. 1, 10 ff. —
131,29 Gregor 815 C: quod enim quatuor haec pennata ani
malia sanctos quatuor evangelistas designent, ipsa uniuscujus-
que Mbri evangelici exordia testantur. nam quia ab humana
generatione coepit, jure per hominem Matthaeus; quia per cla-
morem in deserto, recte designatur per leonem Marcus. —
132, 4 ist mit dem er Johannes der Täufer gemeint, Matth.
3, 2: agite poenitentiam, appropinquabit regnum coelorum. —
132,5 Gregor 815 C: quia a sacrificio exorsus est, bene per
vitulum Lucas; quia vero a divinitate Verbi coepit, digne per
aquilam significatur Joannes. — dum in ipsam divinitatis sub-
108
III. Abhandlung; Schönbach.
stantiam intendit, quasi more aquilae oculos in solem fixit. sed
quia electi omnes membra sunt Redemptoris nostri, ipse autem
Redemptor noster caput est omnium electorum, per hoc quod
membra ejus figurata sunt, nihil obstat, si etiam in bis Omnibus
et ipse signetur. — Das ist 15 f. etwas gekürzt.
132, 16 Gregor 815 B: ipse enim unigenitus Dei filius
veraciter factus est homo; ipse in sacrificio nostrae redemptionis
dignatus est mori ut vitulus; ipse per virtutem fortitudinis
surrexit ut leo. leo etiam apertis oculis dormire perhibetur,
quia in ipsa morte, in qua ex humanitate Redemptor noster
dormire potuit, ex divinitate sua immortalis permanendo vigi-
lavit. ipse etiam post resurrectionem suam ascendens ad coelos,
in superioribus est elevatus, ut aquila. totum ergo simul nobis
est, qui et nascendo homo et moriendo vitulus et resurgendo
et ad coelos ascendendo aquila factus est. sed quia per
haec animalia evangelistas quatuor et sub eorum specie simul
perfectos omnes jam superius significari diximus (das ist in
der 2. und 3. Homilie Gregors ausführlich geschehen; hier aber
132, 32 ist diese Verweisung mit übersetzt worden, weil der
Bearbeiter sie auf den Eingang des Stückes bezog), restat, ut
quomodo unusquisque electorum istis animalium visionibus ex-
primitur, ostendamus. omnis etenim etc. (das wird 133, 3 wieder
für ein Schriftcitat gehalten), homo enim rationale est animal
(133, 7 sehr merkwürdig übersetzt durch: der mennesce reit).
vitulus autem in sacrificio mactari solet. leo vero fortis est
bestia, sicut scriptum est: Proverb. 30, 30: — ad nullius pavebit
occursum. aquila ad sublimia evolat et irreverberatis oculis
solis radiis intendit. omnis itaque, qui in ratione perfectus est
(133, 12 wieder übersetzt durch: der den geivalt hat, daz er wol
reden mac ■—), homo est. et quoniam semetipsum ab hujus
mundi voluptate mortificat, vitulus est (mit begreiflicher, aber
komischer Scheu und den Zusammenhang durchaus störend
wird vitulus 133, 15 durch ein salic man übersetzt), quia vero
ipsa sua spontanea mortificatione contra (ergänze wahrscheinlich
diaboli tentationem) fortitudinem securitatis habet, unde scriptum
est: (Proverb. 28, 1), leo est. quia vero sublimiter contemplatur
ea, quae coelestia atque aeterna sunt, aquila est. igitur quoniam
justus quisque per rationem (133, 22 von guoter rede) homo,
per sacrificium mortificationis suae vitulus, per fortitudinem
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
109
securitatis (Druck: securitas) leo, per contemplationem vero effi-
citur aquila, recte per haec sancta animalia signari unusquisque
perfectus potest. Demnach ist die Uebersetzung 133, 26 falsch
und es muss heissen: zu den vieren vihen —.
133, 27 ist der ganze Passus Gregor 816 A—D fortgelassen,
weil die Erörterung über die Stellung der vier Thiere, bezogen
auf die Evangelisten, zu schwierig schien. Dann folgt Gregor
817 A das Citat Ezech. 1, 11 (hier 133, 28). facies et pennae
extentae desuper describuntur, quia omnis intentio omnisque
contemplatio sanctorum super se tendit, ut illud possit adipisci,
quod in coelestibus appetit. sive enim bono operi, sive vero
invigilet contemplationi, tune veraciter hoc quod agit bonum
est, quando ei complacere concupiscit, a quo est. nam qui bona
agere videtur et per haec non Deo sed hominibus placere de-
siderat, intentionis suae faciem deorsum premit. — Ein Passus
gegen die gelehrten Prediger, die nicht um der Seligkeit willen
lehren, wird fortgelassen. — qua in re pensandum est, ut omne
bonum quod agitur per intentionem semper ad coelestia levetur.
qui enim per bona quae facit terrenam gloriam concupiscit,
pennas suas et faciem suam deorsum deprimit. hinc etenim per
prophetam de quibusdam dicitur (134, 12): Osea 5, 2. quid
enim sunt aliud lacrymae orationis nisi victimae oblationis
nostrae? sicut scriptum est (134, 15): Psalm. 50, 19. et sunt
nonnulli, qui idcirco se in prece lamentis afficiunt, ut aut ter-
rena commoda acquirant, aut hominibus (daher ist 134, 20 vor
heilec zu ergänzen mennescen) sancti esse videantur. quid isti,
nisi victimas in profundum deferunt ? qui per hoc quod in imo
sunt quae requirunt, orationis suae sacrificium deorsum depo-
nunt. electi autem, qui et in bono opere omnipotenti Deo pla
cere appetunt, et per contemplationis gratiam aeternam jam
beatitudinem degustare concupiscunt, facies et pennas desuper
extendunt.
134, 27 Ezech. 1, 11. Gregor 817 C: dictum fuerat: ,et
facies et pennae eorum extentae desupeP, atque mox subjunctum
est, quod protulimus, qui ,duae pennae singulorum jungebantuP.
ubi aperte intelligitur, quia et extendebantur desuper et junge-
bantur, duae vero tegebant corpora eorum. quia autem pennae
animalium (also wird 135, 1 wieder unrichtig übersetzt, statt
der vier vihe oder wenigstens der heiligen allein) nisi alae
110
III. Abhandlung: Schönbach.
nominantur? qua in re nobis diligenti perscrutatione quaerendum
est, quae sint quatuor pennae sanctorum, ex quibus duae su-
perius extensae junguntur, duae vero eorum Corpora contegunt.
si enim vigilanter aspicimus, quatuor esse virtutes invenimus,
quae a terrenis actibus omne pennatum animal levant, in fu-
turis videlicet ainor et spes, de praeteritis autem timor et poeni-
tentia. Das wird 135, 3 ff. schlecht übersetzt, denn es werden
nur zwei Tugenden besprochen, trotzdem vorher vier = den
Flügeln erwähnt wurden. Ein Passus bleibt fort, es wird nur
der'nächste Satz berücksichtigt: pennae ergo sibimet junctae
superius extenduntur, quia sanctorum mentem amor et spes ad
superna sublevant. quae apte quoque conjunctae nominantur, quia
electi procul dubio et amant coelestia quae sperant, et sperant
quae amant. Das ist 135, 11 f. frei, aber nicht gut umgestaltet.
135, 12 ff. Gregor 818 A: duae vero corpora contegunt,
quia timor et poenitentia ab omnipotenti Deo oculis eorum
mala praeterita abscondunt. duae itaque, ut dictum est, pennae
junguntur sursum (also fehlt 17 nach gevuoget wohl oiene),
quando amor et spes electorum corda ad superiora elevant, ad
coelestia suspendunt. duae autem pennae tegunt corpora, quando
eorum mala praeterita a conspectu aeterni judicis timor et
poenitentia abscondunt.
135, 22 ff. wird ein längerer Passus Gregors über die
Verwendung der Flügel bei den Heiligen mit biblischen Citaten
fortgelassen und nur der Schluss des Abschnittes übersetzt:
quatuor itaque pennis sancta animalia utuntur, quia per amo-
rem et spem ad coelestia evolant, et per timorem et poeniten-
tiam facta in se illicita deplorant. Wieder fehlt ein Passus
über die Verbindung der Flügel. — 135, 27 Ezech. 1, 9. Dieses
Zurückgreifen auf einen früheren Vers begründet Gregor, der
Bearbeiter lässt das weg. — 135, 31 ff. zieht zusammen, was
bei Gregor 819 C steht: omnis etenim justus, qui vitam suam
sollicitus aspicit et diligenter considerat, quantum quotidie in
bonis crescat, aut fortasse quantum a bonis decrescat, iste quia
se ante se ponit, coram se ambulat, quippe qui vigilanter videt,
utrum surgat an defluat. — 136, 5 Ezech. 1, 12. Der Schluss
der 4. Homilie Gregors bleibt nun wegen seiner subtilen Erör
terungen über Moral ganz weg, und es wird ein Abschnitt der
folgenden fünften bearbeitet.
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
m
136, 7 Gregor 821 C (nach ganc ist ein Punkt zu setzen):
in electis videlicet impetus Spiritus (also ist 136, 9 ernestet
richtig und mein Vorschlag Zeitschr. f. d. Alterth. 24, 93 un
richtig), in reprobis impetus carnis. impetus quippe carnis ad
odium, ad elationem, ad immunditiam, ad rapinam, ad exteriorem
gloriam, ad crudelitatem, ad perfidiam, ad desperationem, ad
iram, ad jurgia, ad voluptates animum impellit. (Es ist sehr
bezeichnend, wie diese Liste im Deutschen verändert wurde:
grobe Laster sind statt der feineren geistigen eingesetzt.) im
petus vero Spiritus ad charitatem, ad humilitatem, ad conti-
nentiam, ad largitatem misericordiae, ad interiorem provectum,
ad pietatis opera, ad aeternorum fidem, ad spem sequentis
gaudii, ad patientiam, ad pacem, ad considerationem vitae mof-
talis, ad lacrymas mentem protrahit.
136, 17. Die Stelle Apoc. 4, 8 wird aus dem Gedächtnisse
citirt und sollte eigentlich Ezech. 1, 18 sein, worauf der Pre
diger sich noch besonnen hatte. Die folgenden Gedanken
rühren aber nicht von dem Verfasser her, wie Cruel S. 171
meint, sondern sind aus Gregors Homil. in Ezech. Nr. 7 (also
der zweitnächsten) entnommen, Migne 76, 841 A: corpora ita-
que animalium idcirco plena oculis describuntur, quia sanctorum
actio ab omni parte circumspecta est, bona desiderabiliter pro-
videns, mala sollerter cavens. — circumspecta ergo est vita
sanctorum, ne sic sit libera, ut superba sit, quia saepe superbia
excedit in verbis et videri appetit libertas puritatis. ne sic sit
humilis, ut formidolosa, quia aliquando timor restringit animum,
et loqui quae recta sunt non praesumit, sed tarnen in ipsa
timida agitatione humilitatem esse se simulat. ne sic sit parca,
ut tenax sit, quia plerumque tenaciam parsimonia appetit etc.
Vgl. Moralia, Lib. 19, cap. 12, Migne 76, 109 A. Ferner Homil.
in Ezech. Lib. 2, Nr. 9, Migne 76, 1054 B: et saepe etiam con-
tingit, ut disciplinae regulam quam seit dicere nesciat tenere,
quia aut, nimio zelo motus, minus se per mansuetudinem tem-
perat; aut, nimia mansuetudine placidus, minus se contra vitia
in zeli stimulo inflammat. Es folgen dann wieder die Vergleiche
der sacerdotes mit den Thieren, und darauf: tanta quippe debet
esse discretio, ut nec disciplina nimia, nec misericordia sit re-
missa, ne si inordinate culpa dimittitur, is, qui est culpabilis,
in reatu gravius astringatur; et rursus, si culpa immoderate
112
III. Abhandlung: Schönbaoh.
retinetur, tanto qui corrigitur deterior fiat, quanto erga se nil
ex benignitatis gratia agere considerat etc. Die Verbindung
der Ezechielstelle mit der der Apokalypse findet sieb ebenso
bei Rupert von Deutz, De Trinitate, In Ezech., Lib. 1, cap. 5. 6,
Migne 168, 1425 ff.
51. 137, 6 — 139, 19.
Cruel nennt S. 177 dieses Stück ,dürftige Excerpte aus
Beda oder dessen Quelle Gregor“. Benutzt ist zunächst die
unter Beda’s Namen bekannte Redaction von Alcuins Johannes-
commentar.
137, 7 Joann. 15, 12. Beda bei Migne 92, 840 D. Dort
ist allerdings die hier 137, 14 citierte Stelle 1 Joann. 4, 16 nicht
ausdrücklich angeführt, aber es heisst 841 A: etsi in charitate,
hoc est in dilectione, concluduntur duo sua praecepta. Dadurch
mochte der Prediger auf sein Citat gekommen sein. Vgl.
übrigens die Pseudo-Augustinische Homilie de apostolis, App.
Nr. 222, Migne 39, 2157, die auch sonst benutzt wurde.
137,18 Beda 841 B: discernitur quippe ista dilectio ab
ea dilectione, qua se invicem diligunt homines sicut homines.
nam ut discerneretur, adjuncturu est: ,sicut dilexi vos“. ut quid
enim nos dilexit Christus, nisi ut possimus regnare cum Christo?
ad hoc ergo et nos invicem diligamus, ut dilectionem nostram
discernamus a caeteris, qui non ad hoc se invicem diligunt,
quia nec diligunt. — 137, 23 ist bei Beda 1 Joann. 3, 16 citiert,
hier 3, 14 f., wozu dann die Beda fehlende Bemerkung, die
nur das Gebot übersetzt, nicht passt. — 137, 29 Joann. 15,14.
Vgl. Gregor, Homil. in Evang. Nr. 27, Migne 76, 1206 C: ,vos
amici mei estis“: o quanta est misericordia conditoris nostri!
servi digni non sumus et amici vocamur. Beda 841 D: magna
dignatio, cum servus bonus esse non possit, nisi praecepta
Domini sui fecerit, hinc amicos suos voluit intelligi, unde boni
servi possunt probari. — 138, 1—5 übersetzt nur Joann. 15, 14f.
Vgl. Beda 842 C: cum servire non possimus, nisi praecepta Do
mini fecerimus, quomodo praecepta faciendo servi non erimus?
— 138, 5 Joann. 15, 16: —- et posuit vos u. e. — Von 138, 9
ab steht dann nichts mehr bei Beda.
138, 9—34. Solche Aufzählungen der Thaten der Apostel
sind sehr häufig. Das nächstliegende Beispiel bietet Honorius,
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
113
August., Spec. Eccl., Migne 172, 1016. — 138, 13 Psalm. 18, 5.
Rom. 10, 18.
Schon 138, 34 beginnt der Einfluss der genannten Pseudo-
Augustinischen Predigt (35 Matth. 13, 16), erst 139, 3 wird er
ganz deutlich; Pseudo-Augustin, Migne 39, 2157: isti sunt lux
mundi, quia per ipsos lumen fidei et verae scientiae primum
Dominus huic mundo tradidit. — isti sunt lapides pretiosi, quos
in fundamento coelestis aedificii positos Joannes in Apocalypsi
sua describit (cap. 21); quia praedicatio eorum ecclesiae funda-
menta locavit. — isti sunt duodecim portae Jerusalem novae,
quae de coelo descendit; quia per ipsos januam fidei primum
intravimus et inter cives sanctorum annumerati sumus. hic
ergo considerantes, fratres charissimi, quae tanti duces populi
nos docuerunt, studeamus factis implere, quae illi jusserunt.
discamus eorum exemplo mundi divitias contemnere, praesentis
saeculi voluptatem non amare, regnum coeleste desiderare,
Christo nihil praeponere, sed ejus mandatis in omnibus obedire.
— et si ita dileximus, — et sancti apostoli — exorant pro
nobis, ut in universali judicio Christi cum ipsis in perpetuum
coronemur. — Die Vergleichungen der Apostel mit ,lux, la
pides angulares, portae' werden in dieser Reihenfolge aus
führlich behandelt bei Radulphus Ardens, Iiomil. de Sanctis
Nr. 1, Migne 155, 1489 ff.
52. 139,20 — 141,6.
Steinmeyer setzt im ,Anz. f. d. Alterth.' dieses Stück für
,Martyrum omnium' an und, wenn man 140, 34ff. liest, mit
gutem Grunde. Trotzdem spricht eine gewisse Wahrscheinlich
keit noch dafür, dass man das Stück als eine zweite Nummer
,De apostolis' gelten lässt, weil die besondere Ueberschrift fehlt,
weil der Eingang 139, 20 ff. dazu passt, und weil darin die Ho-
milia de Sanctis Nr. 6, De apostolis, des Radulphus Ardens bei
Migne 155, 1509 ff. benutzt erscheint. Vgl. Zs. f. d. Philol. 15,36.
139, 20 Matth. 10, 16. Luc. 10, 3. Radulphus Ardens a.
a. O. 1509 B: in hac sancti Evangelii lectione, fratres charis
simi, Dominus ac redemptor noster discipulos suos, quos ad
praedieandum per Universum mundum erat missurus, praein-
struit. mitto vos, non ad securitatem, sed ad timorem; non ad
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXXV. Bd. 3. Abh. 8
114
III. Abhandlung: Schönbach.
dominationem, sed ad subjectionem; non ad gloriam, sed ad
passionem. — porro lupormn nomine daemones et daemoniacos
homines designat, qui more luporum ovibus Christi insidientur,
eis mala irrogent, in eis saeviant et eas devorent. contra quo-
rum malitiam boni Christiani more ovium benefici, mansueti,
patientissimi perseverant, —• 139, 32 Matth. 10, 16.
140, 1 Hieronymus, Mattliäuscomm., Migne 26, 64 C: ut
per prudentiam devitent insidias, per simplicitatem non faciant
malum. Rabanns Maurus, Matthäuscomm., Migne 107, 897: con-
traria sunt ista sibi animalia, ut alia ab aliis devorentur. Ra-
dulphus Ardens 1510 C: quorum profecto prudentiam non solum
pastores, sed etiam omnes tideles tenentur imitari, ut scilicet
fidem Christi, qui caput n ostrum est, prae ceteris cunctis custo-
diamus, sine qua non est nobis salus. — porro nec prudentia
sine simplicitate, nec simplicitas sine prudentia pi-odest. —•
simplicitas quippe columbae est, quam a malitia fellis aliena est,
ecce mansuetudo. — simus itaque, fratres mei, simplices sicut
columbae, ut videlicet nemini irascamur, nemini noceamus.
140, 12 Matth. 7, 13. Das Folgende linde ich nur bei
Radulphus Ardens, der auch die Beiziehung dieses Citates ver
ständlich macht, 1510D: est et alia serpentis astutia, quoniam
jejunans et per angustias se coarctans, pellem exuit veteranam.
cujus prudentiam omnes quoque imitari debeinus, ut videlicet
carnem nostram macerantes (140, 18 f.) et per angustam prae-
ceptorum Dei portain nos coarctantes (140, 11. 19) veterem
hominem exuamus. — Matth. 10, 17: — enim vos in conciliis,
et in synagogis suis flagellabunt vos. et ad praesides et ad
reges ducemini propter me, in testimonium illis et gentibus. —
140, 28 Matth. 10, 22: et eritis odio Omnibus propter nomen
meum; qui autem perseveraverit usque in finem, hic salvus erit.
— 140, 35 1. vehten wider die l. s.
140, 31 ff. Nur bei Radulphus Ardens 1512 B wird das auf
den Teufel ausgelegt, nur dort 1511 D werden die Märtyrer
aufgeführt. Auch der Schluss des Stückes stimmt zu Rad. Ard.:
et si non est externis, qui nos torqueat, qui nos crucifigat et
occidat, saltem nos ipsi per abstinentiam et continentiam nosmet
crucifigamus et torqueamus, cum vitiis et concupiscentiis morti-
ficemus, quatenus ipsis martyribus pro nobis intercedentibus
socii eorum in coelo esse mereamur (141, 5) largiente Deo etc.
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
115
53. 141,7 — 142,18.
In diesem Stücke kommen nur Deutungen des evangeli
schen Textes vor, die sich zuerst bei Beda im Lucascommentar,
Migne 92, 495 f. linden und von da aus eine feste Ueberlieferung
bilden. Vgl. die Homilie unter Beda’s Namen, Migne 94, 465 ff.
Radulphus Ardens, Homil. de Sanct. Nr. 26, Migne 155, 1590 ff.
141, 8 Luc. 12, 35: et lucernae ardentes in manibus vestris.
Beda a. a. 0. 495: docet, et lumbos praecingere propter con-
tinentiam ab amore rerum saecularium. — lumbos praecingimus,
cum carnis luxuriam per continentiam coarctamus. lucernas
autem ardentes in manibus tenemus, cum per bona opera pro-
ximis nostris lucis exempla monstramus.
141, 22 Luc. 12, 36: — exspectantibus dominum suum,
quando revertatur a nuptiis. Beda 495 D: ad nuptias quippe
Dominus abiit, quia resurgens a mortuis ascendens in coelum
supernam sibi angelorum multitudinem novus bomo copulavit,.
qui tune revertitur, cum nobis jam per judicium manifestatur.
141, 34 Luc. 12, 36: ut, cum — aperiant ei. Beda 495D:
venit quippe, cum ad judicium properat, pulsat vero, cum jam
per aegritudinis molestias esse mortem vicinam designat. cui
confestim aperimus, si hunc cum amore suscipimus. aperire
etenim judici pulsanti non vult, qui exire de corpore trepidat;
et videre eum, quem contempsisse se meminit, judicem for-
midat. qui autem de sua spe et operatione securus est, pul
santi confestim aperit, quia laetus judicem sustinet; cum tempus
propinquae mortis agnoverit, de gloria retributionis hilarescit.
142, 9 Luc. 12, 37: beati servi illi, quos cum venerit do
minus, invenerit vigilantes. Beda: vigilat, qui ad aspectum
veri luminis mentis oculos apertos tenet. — Zu 142, 13 vgl.
Rabanus Maurus, Homil. de Fest, praec. Nr. 37, De confessori-
bus, Migne 110, 70 C: confessores vero latine laudatores signi-
ficant. — quia in verae fidei confessione persistentes coronam
vitae acceperunt.
54. 142, 19 — 144, 17.
In diesem Stücke ist hauptsächlich des Augustinus Sermo
93, Migne 38, 576 f. benutzt, ausserdem die unter Beda’s Namen
8*
116
III. Abhandlung: Scliönbacli.
bekannte Bearbeitung des Mattbäuscommentars von Claudius
von Turin und Rabanus Maurus.
142, 20 Mattb. 25, 1. Die Verse folgen bier in der Ord
nung: a e b c d. — Beda, Migne 92, 106 D: regnum coelorum
Ecclesiam nominavit. — et quia ex utroque sexu fidelium multi-
tudo colligitur, sancta Ecclesia decem virginibus similis denun-
tiatur, in qua quia mali cum bonis et reprobi cum electis ad-
mixti sunt: recte similis virginibus prudentibus et fatuis esse
perhibetur.
143, 4ff. Vgl. Gregor, Homil. in Evang. Nr. 12, Migne
76, 1119 D: quia dum venire judex ad extremum judicium
differt, electi et reprobi in mortis somnio sopiuntur. dormire
etenim mori est. — Den Beisatz ab Adam = 143, 5 bat nur
Augustinus a. a. 0. 576. — 143, 9 Mattb. 25, 6: — et ecce
sponsus venit, exite obviam ei. — 143, 14 Act. 1, 7. — 143,18
1 Thessal. 5, 2.
143, 12 Augustinus a. a. 0.: quid est ,media nocte?‘ noc-
tem posuit pro ignorantia. — dum nescis, veniet. Nur bei
Augustinus stehen die beiden Citate 143, 14. 18 und die Er
klärung: ergo vigila nocte, ne furem patiaris. nam somnus
mortis, velis nolis, veniet (= 143, 22).
143, 25 Augustinus 577: quid est ,in vasis suis?‘ in cor-
dibus suis. — ibi oleum, magnum oleum: de dono Dei est hoc
oleum, etenim ecce istae virgines stultae, quae non portaverunt
oleum secum, abstinentia sua, qua virgines appellantur, et bonis
operibus suis, quando lampades ferre videntur, hominibus volunt
placere. et si hominibus volunt placere, et ideo omnia ista
laudabiliter faciunt, oleum secum non portant.
143, 31 Mattb. 25, 8. Augustinus 577: hoc quaerebant
quod consueverant, id est, alieno oleo lucere, ad alienas laudes
ambulare. — 144, 1 Mattb. 25, 9. — 144, 4 Augustinus 578:
non consulentium, sed irridentium est ista responsio. — vix
enim de nobis judicamus, quanto minus possumus judicare de
vobis? Nur bei Augustinus folgt dann, wie bier 144, 9, die
Anführung von Matth. 25, 34. Vgl. Bernhard von Clairvaux (?)>
De decem virginibus, Migne 184, 1046. — Die Schlussformel
von 144, 13 ab ist wohl Eigenthum des deutschen Bearbeiters.
Es folgen nun 524 deutsche Verse, die ich hier nicht
weiter berücksichtige. Jedesfalls erklärt sich die Einschaltung
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
117
gerade an dieser Stelle durch die Uebereinstimmung des In
haltes mit dem soeben vorhergehenden Stücke.
55. 157,1 — 158, 19.
Ueber die Quelle dieses Stückes vgl. Heinzei, Anz. f. d.
Alterth. 14, 269 ff. und meine Altd. Pred. 3, 412.
157, 2 Matth. 5, 8: — deum videbunt. Vgl. die unter Beda’s
Namen bekannte Allerheiligenpredigt, Migne 94, 452 f.: legimus
in ecclesiasticis historiis, quod sanctus Bonifacius, qui quartus
a beato Gregorio Komanae urbis episcopatum tenebat, suis
precibus a Phoca Caesare impetrarct, donari Ecclesiae Christi
templum Romae, quod ab antiquis Pantheon ante vocabatur,
quia hoc quasi simulacrum omnium videretur esse deorum. in
quo eliminata omni spurcitia fecit ecclesiam sancte Dei geni-
ti'icis atque omnium martyrum Christi, ut, exclusa multitudine
daemonum (157, 9), multitudo ibi sanctorum a fidelibus in me
moria haberetur, et plebs universa in capite Kalendarum No-
vembrium, sicut in die natalis Domini, ad ecclesiam in honore
omnium sanctorum consecratam conveniret, ibique missarum
solemnitate a praesule sedis apostolicae celebrata (157, 13 ff.)
omnibusque rite peractis, unusquisque in sua cum gaudio
remearet. ex hac ergo consuetudine sanctae Romanae Ecclesiae,
crescente religione Christiana, decretum est, ut in ecclesiis Dei,
quae per orbem terrarum longe lateque construuntur, honor et
memoria omnium sanctorum in die, qua praediximus, haberetur,
ut quidquid humana fragilitas per ignorantiam vel negligentiam
seu per occupationem rei saecularis in solemnitate sanctorum
minus plene peregisset (die Fassung bei Honor., Spec. Eccl.,
Migne 172, 1021 f. liest neglexisset = versumpten 157, 19), in
hac observatione solveretur, quatenus, eorum patrociniis pro-
tecti, ad superna populorum gaudia pervenire valeamus.
157, 23 ff. Es ist im Folgenden nur ein Satz aus dem
Tagesevangelium (158, 1 Matth. 5, 10) herausgegriffen. Im
Uebrigen könnten die nächsten Sätze der ebep angezogenen
lateinischen Predigt wohl auch den allgemeinen zweiten Theil
des deutschen Stückes angeregt haben, vgl. a. a. 0. 453 AB:
orationibus non deficiendo instantes, jejuniis adhaerentes, vigi-
lias sacras adamantes, eleemosynas sectantes, pauperes recre-
118
III. Abhandlung: Schönbach.
antes, nudos vestientes, infirmos visitantes, in tribulationibus
gaudentes, in verbis calumniae vel contumeliae patientes, in
augmento suae profectionis humiles, in damno rerum tempora-
lium Deo gratias agentes. his omnibus et his similibus pro
desiderio regni coelestis et propter spem aeternae remunera-
tionis ardentissimo amore indesinenter atque libenter insistentes
— Deo soli vitam finire gaudebant. Vgl. noch die unter Beda’s
Namen gehende Fassung des Matthäuscomm. Migne 92, 25 B:
ad Domini resurrectionem pertinere videtur, quia — caput
surrexit Ecclesiae devicto persecutionis labore — unde et nos,
Spiritus sancti gratia et remissione peccatorum accepta, in
coelorum regnum inducimur.
56. 158,20 — 160,25.
Für die Einleitung dieses Stückes kann ich eine beson
dere Quelle nicht namhaft machen. Vgl. (Pseudo-)Beda’s Homil.
subdit. Nr. 66, Migne 94, 439ff. Werner, Deflorationes 157,
1225 ff, die beide nur aus den entsprechenden Abschnitten von
Beda’s Lucascommentar, Migne 92, 559 ff hergestellt sind, der
wieder seinerseits hauptsächlich den Sermo Nr. 174 Augustins
ausgeschrieben hat, Migne 38, 939ff, aber auch noch den
Sermo 99 des Maximus von Turin, Migne 57, 729 ff. benutzt.
158, 21 Luc. 19, 1. — 158, 26 1 Cor. 3, 17. — 158, 30
möchte man fast tougen statt ougen lesen, wofern nicht 159, 25
bedenklich machte. — 158, 31 ist vielleicht geheilte statt ge
teilte zu lesen? aber geteilte mag die allzu enge Uebersetzung
eines lat. divisa sein.
159, 1 ff Vgl. den Eingang des Sermo 100 des Maximus
von Turin, Migne 57, 731 B: superioris dominicae tractatu credo
divites quosque laetari et gratulari eos, quibus patrimonii causa
praeclusam coelestem januam Zachaeus aperuit. aperuit enim
ille coelestem januam, dum eos docuit hoc ipso pervenire ad
regnum, quo arcebatur a regno, scilicet ut substantia, quae eis
exprobrabatur ad perniciem, proficeret ad salutem.
159, 12 Beda’s Lucascomm., Migne 92, 559 D: mystice
autem Zachaeus, qui interpretatur ,justifieatus‘, credentem ex
gentibus populum significat. qui quanto curis saecularibus occu-
patior, tanto flagitiis deprimentibus erat factus humilior. sed
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
119
ablutus est, sed sanctificatus, sed justificatus in nomine Domini
nostri Jhesu Christi et in spiritu Dei nostri, qui intrantem Je
richo Salvatorem videre quaerebat, sed prae turba non poterat.
quia gratiäm fidei, quam mundo Salvator attulit, participare
cupiebat, sed inolita vitiorum consuetudo, ne ad Votum per-
veniret, obsistebat. Die Deutung Jericho = Welt 159, 13 ist in
diesen Sätzen schon implicite enthalten, aber auch sonst sehr
wohl bekannt, und zwar durch Beda’s Commentare selbst, z. B.
zu Josua cap. 7, zum 86. Psalm u. s. w. Vgl. die Anm. zu meinen
Altd. Pred. 1, 125, 19. 2, 154, 16. 3, 95, 18. 96, 1.
159, 16 Beda 560 A: — ita pusillus necesse est turbae
nocentis obstaculum altiora petendo transscendat, terrena relin-
quat, arborem crucis ascendat. sycomorus namque, quae est
arbor foliis moro similis, sed altitudine praestans, unde et a
Latinis celsa nuncupatur —. quam videlicet arborem pusillus
statura Zachaeus, quo exaltari possit, ascendit, dum quilibet
humilis et proprie conscius infirmitatis —. ascensa autem sy-
comoro transeuntem prope Dominum cernit, quia per lianc
laudabilem fatuitatem, et si necdum, ut est solide, jam tarnen
raptim, et quasi in transitu luci sapientiae coelestis intendit. —
hodie autem in domo pusilli Zachaei oportet illum mauere, hoc
est, novae lucis gratia coruscante in humili credentium natio-
num corde quiescere. — 159, 26 Luc. 19, 5. — 159, 32 Apoc.
3, 20. — Vgl. Honorius, Migne 172, 1105ff. zu 159, 30: o quam
beatus, in quo habitat Deus! — 160, 7 Luc. 19, 6. — 160, 10
Luc. 19, 8. — 160, 17 ff. Beda 561 D: filius Abrahae dicitur
Zachaeus, non quia de ejus stirpe generatus, sed quia ejus est
fidem imitatus. ut sicut Abraham terram, cognationem, domum-
que paternam ob spem futurae haereditatis, Domino jubente,
deseruit, ita et ille, quo thesaurum in coelis acquireret, bona
sua pauperibus partienda relinqueret. et pulchre dicit ,et ipse‘,
ut non solum eos, qui justi perseverant, sed et eos, qui ab in-
justitia resipiscunt, ad filios promissionis pertinere declaret.
57. 160, 26 — 165, 30.
Dieses grosse Stück übersetzt, mit Ausnahme des Schlusses,
den Sermon, der unter dem Namen des Hildebert von Le Mans
als Nr. 83, De dedicatione ecclesiae, bei Migne 171, 733ff. ge-
120
III. Abhandlung: Schönbacli.
drückt ist, aber wahrscheinlich dem Gaufredus Babion gehört,
wie Haureau 5, 134 vermuthet.
160, 26 Genes. 28, 17. — 160, 31 Hildebert a. a. O. (wo
Psalm 86, 1 als Textspruch verwendet wird) 733 B: gloriosam
super omnia tabernacula Jacob, fratres charissimi, civitatem coepit
ab initio mundi aedificare Dominus, necdum tarnen consummata
est. voluit namque habere (domum), in qua habitaret; voluit
etiam familiam habere —; non quia ipse indigeret, sed ut sibi
servientibus causam benefaciendi inveniret. sed quia rex ditior
— omnibus dominantibus erat (161, 4 ist) voluit mirabiliorem
domum habere, ut qui aeternus erat (161, 6 ist), aeternam sibi
civitatem aedificaret. ut autem esset aeterna, stabile ejus aedi-
ficium voluit (161, 7 nach cimberen Punkt, 8 nach sprichet ist
wolt er zu ergänzen), et ideo ,fundamenta ejus in mont.ibus
sanctis, diligit Dominus portas Syon super omnia tabernacula
Jacob* (Psalm. 86, 1).
161,11 Ilildebert 733 C: portae enim illius civitatis me-
liores quam omnia tabernacula Judaeorum, quia huic domui
non potest templum Salomonis comparari (13 nach gezierde
Komma), de hac civitate multa gloriosa dicta sunt et dicuntur,
quae multi prophetae et apostoli dixerunt. liaec est civitas
rnultis nominibus nuncupata, Sion, Jerusalem, regnum coelorum,
Ecclesia — appellatur. liaec in coelo aedificatur, sed in terra
lapides quadrantur et postea ad coelum sublevantur (21 hus
für coelum der Deutlichkeit halber), laborant omnes angeli in
aedilicatione ejus, quia hoc ministerium usque in finem saeculi
eis est injunctum (eis ist 22 zu uns umgebildet im Zusammen
hang mit der Kürzung), ut ea perfecta in aeternum ibi Deum
glorilicent. — et qui bene operantur, non pecuniam, sed re
gnum sibi acquirunt; qui vero male, in carcere aeterno reli-
gantur. archiepiscopi, episcopi (25 sus und biscove sind zu
trennen) et sacerdotes hujus aedificii artilices constituti sunt;
ab angelis (27 1. engelen) quotidie visitantur, et quod lapides
praeparant, ad alta praecepta deferunt.
161,29 Hildebert 733 D: Dominus dedit (die von Beau-
gendre vorgeschlagene Ergänzung eos ist unrichtig, nach un
serem Texte etwa iis praecepta sua) in terra, quibus operarii
instruantur. et qui aliter operatur, a summo judice vel in prae-
senti corrigitur, vel in futuro damnatur. non fuit conventio cum
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
121
operariis, ut laborarent una die, sed spatio unius diei praesentis.
tota enim vita est una dies. — sed operarius desidia saepe
fatigatur. sed suinmus rex (162, 1 1. oberoste), qui tot operarios
habet, qui tot angelos laborare facit, artifices suos tot prae-
ceptis instruit, multos adversarios habet, qui illud aedificium
conantur destruere —. allicit enim blande, dum falsa bona
promittit; et ita. ab opere Dei removet et secum miserum ducit,
et deceptum morte perpetua occidit. —
162, 10 Hildebert 734 B: civitas haec, fratres charissimi,
de qua locuti sumus, nihil aliud est quam collectio beatorum.
— de hac civitate ait David: Psalm. 121, 3. aedificatur civitas,
dum ad coelum animae beatae transferuntur, et numerus bea
torum augmentatur. — quia apostoli sunt fundamenta Eccle-
siae —; unde apostolus: Eplies. 2, 20: superaediiicate super -—.
Durch die zahlreichen Auslassungen wird bisweilen im Deutschen
Undeutlichkeit hergestellt statt der beabsichtigten Klarheit.
162,21 Hildebert 734 B: portae illius civitatis sunt fides
et baptismus, quia post baptismum relapsis est poenitentia et
Confessio et satisfactio (23 die drei der sind Genet. Plur. =
eorum), quae sunt meliores quam omnia tabernacula Jacob. —•
lapides hujus civitatis sunt singuli fideles —. artifices sunt prae-
dicatores — sicut autem ait apostolus Paulus: 1 Gor. 3, 9. Die
beiden Citate 28—33 (30 1 Cor. 3, 10: — architectus —) stehen
bei Hildebert als eines. — angeli ministri sunt hujus civitatis,
quia deputati sunt ad custodiam nostram (ist 163, 1 ganz an
ders wiedergegeben).
163, 2. Vor Michel fehlt ein grosses Stück Hildeberts.
Dadurch wird das Folgende im Deutschen ganz sinnlos. Man
merkt den Ausfall schon aus dem Citat 163, 2, welchem der
lateinische Text fehlt; übrigens war das ein Satz Hildeberts,
nicht die heilige Schrift. In dem ausgelassenen Stück ist zu
nächst von den adversarii = daemones die Rede und von
ihrer Thätigkeit. Daraus wird die Nothwendigkeit abgeleitet,
ihnen abzuschwören. Auch allen weiteren Versuchen des Teufels
muss man widerstehen, mit Berufung auf Matth. 12, 14. —
Hildebert 735 B: melius est enim veritatem non agnoscerc quam
post agnitam retro abire; quia tune facit labi in unum pecca-
tum, deinde in aliud et sic vertit in consuetudinem (im Deut
schen übel umgestaltet), accidit ergo illud, quod ait Salomon:
122
III. Abhandlung: Schönbach.
Proverb. 18, 3 (irnpius — contemnit). quia tune non erubescit
pro peccatis, nec patitur correctionem — sed vertitur in despe-
rationem. Von dem letzten Wort ist in 5 eine Spur geblieben.
— iste lapis non poterit — poni in aedificio Domini. — Das
Folgende wird sehr gekürzt: est aliud genus hominum, quos
adeo amor saecularium amplectitur, ut audita quidem prae-
dicatione emollescant; sed funis consuetudinis eos retrabit et
collectam pecuniam non possunt negligere. unde Dominus: Matth.
19, 24: — per foramen acus transire, quam divitem intrare in
regnum coelorum. — 13 1. olbente. — Ganz fortgelassen wird
dann die Begründung des Vergleiches, ebenso die folgende
Ausführung über den Schaden der Gier nach Reichthümern.
Die Sätze 163, 13—17 bilden den Rest des bei Hildebert vor
gebrachten Citates 1 Timoth. 6, 9 f.
163, 17 Hildebert 735 D: propterea ait David: Psalm.
61, 11. — sunt alii, quos retinet aliqua voluptas carnis; hi nec
curant pecuniam, sed adeo fragiles sunt, quod tentationi gulae
et luxuriae vix possunt resistere; imo tota die, vel in com-
messationibus et ebrietatibus delectantur, vel in lupanaribus cum
meretricibus demorantur, vel domum suam faciunt lupanar. hi
multoties poenitent, et tarnen ad eadem revolvuntur, et sic
augmentant peccatum, cum ad vomitum redeunt. (Das Alles
liegt 19—21 zugrunde.) hi jümentis comparantur, quia quasi
jumenta computruerunt in stercore suo. — Die nächsten Aus
führungen über Unkeuschheit und Mord werden vom Ueber-
setzer weggelassen. Erst mit Hildeberts 736 B beginnt er wieder,
kürzt aber sehr stark (163,24): sunt alii homines, qui non
possunt nocere manifeste, nec possunt esse divites, sed divitibus
invident et detrahunt et tacite accusant, et semper illis mala
machinantur, cum tarnen de illis coram bone loquantur. de
quibus David: Psalm 27, 3.
Damit bricht die Predigt Hildebert-Babions im Drucke
bei Migne ab. Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass der
Rest des deutschen Stückes den Theil des lateinischen Ser-
mones übersetzte, der bei Migne fehlt. Die Vorstellungen,
welche dieses Schlussstück verwendet, sind auch anderwärts
zu belegen. So von 164, 18 ab bei Hugo von St. Victor (?),
Sermo 1, Migne 177, 901. Vgl. ferner Pseudo-Augustinus im
Appendix, Sermo 230, Migne 39, 2168 ff., besonders Absatz 3;
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
123
Beda, Homil. 21, Migne 94, 244 B; Babanus Maurus, Homil. de
Fest. Praecip. 40, Migne 110, 75 B. — 164, 4 1 Cor. 3, 17. —•
164, 9 Ephes. 3, 14. Die deutsche Bearbeitung übersetzt das
Citat in folgendem Ausmasse: — ex quo omnis paternitas in
coelis et in terra nominatur, ut det vobis secundum divitias
gloriae suae, virtute corroborari per Spiritum ejus in interiorem
hominem, Christum habitare per fidem in cordibus vestris: in
charitate radicati et fundati, ut possitis comprehendere cum
omnibus sanctis, quae sit latitudo et longitudo et sublimitas et
profundum. — 164, 21 Psalm. 118, 96. — 164, 23 die erste
Hälfte des Satzes steht nicht genau 1 Cor. 8, 3. Ephes. 6, 24;
genau Matth. 22, 37. 39. Marc. 12, 30 f. Luc. 10, 27. Die zweite
Hälfte Born. 13, 8. 9. Galat. 5, 14. — 165, 17 also war die Ge
schichte des Zachäus auch hier das Tagesevangelium. Vgl.
noch 166, 24.
58. 165,31 — 166,32.
Für dieses kurze populäre Stück, das sich hauptsächlich
mit 3 Beg. 8, 29 ff. befasst, weiss ich keine besondere Quelle.
59. 166, 33 — 167, 17.
Dieses Stück ist entnommen dem Sermo primus de de-
dicatione ecclesiae im Spec. Eccl. des Honorius Augustod.,
Migne 172, 1105 f. (vgl. Kelle, Einleitung S. Vn). — 166, 35
2 Cor. 6, 16. 2 Cor. 3, 17. — 167, 1 2 Cor. 6, 18. — 167, 3 ist
nach Deus ein Passus fortgelassen. Was hier folgt, steht schon
1106 A. — Honorius liest Verschiedenes anders, 167,5 for-
matur statt fabricatur. — spiritualia cogitat. — 8 Deo ojfe-
runtur. — 10 über fenestrae und lucerna ist hier fortgelassen.
— perpetrat. — 11 immunditia vel aliguo criminali peccato
— disperdens damnabit. — Von 12 ab steht bei Honorius,
dessen Sermon offenbar aus ganz verschiedenen Stücken zu
sammengestellt ist, etwas völlig Anderes. Dagegen stimmt der
Schluss bei Honorius mit den Darstellungen über Zachäus
165, 16 ff. 166, 24ff. auffällig überein: ita, charissimi, debemus
hodie templum sancti Spiritus scopis confessionis purgare, ster-
cus peccatorum eliminare et lacrymis poenitentiae lavare, flori-
bus bonorum operum et auleis virtutum decorare. et sicut
124
III. Abhandlung: Schönbach.
Zachaeus ascendit in arborem, ut posset Jesum videre, ita nos
ascendamns in arborem charitatis, ut mereamur Christum in
superna patria conspicere. et sicut eum Zachaeus in domuni
suam excepit et convivium ei fecit, ita et nos eum in cordis
nostri liospitio suscipiamus et sanctis operibus ei convivium facia-
mus, ut ipse in nobis babitare et (nos) ad Agni nuptias dignetur
vocare, atque post laborem liujus miseriae in templum aeterni
regis in laetitia et exsultatione adducere.
60. 167,18 — 171,21.
Dass dieses Stück den Sermo Generalis des Honorius
August, im Spec. Eccl. bei Migne 172, 861 ff. benutzt, haben
Pfeiffer und Kelle bereits gesehen, Cruel bezeichnet es S. 171
als einen ,Auszug'. Diese Bezeichnung scheint mir nicht ganz
passend gewählt, weil die vom deutschen Bearbeiter ausgeho
benen Stücke wirklich übersetzt sind.
167, 18 Psalm. 33, 12. Honorius 861 C: hodiernum ser-
monem, fratres karissimi, debetis omnes instantissima aure
percipere, quia hodie dicturus sum vobis, quomodo divites vel
pauperes Domini — ad gaudia aeterna possitis pertingere. [ad
sacerdotes.] nos sacerdotes debemus linguam vestram esse et
cuncta, quae in divinis officiis canuntur vel leguntur, vobis
interpretando exponere. — quae autem verbis docemus, spe-
culum nos factis exhibere debemus. si enim vobis bonum dici-
mus et nos malum facimus, similes candelae erimus, quae aliis
lumen praebet et ipsa liquescendo a lumine deficiet. nobis
dicitur a Domino: Ezech. 3, 17. speculator solet in alto stare,
ut praevisos hostes possit civibus nuntiare. Ecclesiae pastores
vel speculatores sunt sacerdotes, quorum vita in alto virtutum
debet locari. — si igitur verbum Dei vobis praedicamus, nos
quidem absolvimus et vos fortiter obligamus. si autem salutem
anirnae vestrae vobis non annuntiaverimus (ist 168, 1 falsch
übersetzt), et vos moriemini in criminibus, sanguis autem vester
de manu nostra requiritur.
168, 3 Honorius 862 C: legati summi Regis omnium rerum
sumus, ejus mandata (also ist 3 diu gebot zu lesen, nicht die
botescaß, was übrigens auch aus 4 hervorgeht) vobis referimus.
quibus si humiliter obedietis, — ab illo autem aeterna praemia
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
125
capietis; quod si contempneritis, nullum damnum a nobis, sed
a Domino vestro ut rebelles servi aeterno supplicio subacti
detrimentum animae feretis. — Das Citat 168, 6 f. ist vom Ueber-
setzer eingeschaltet. Charakteristischer Weise ist es falsch, denn
die Stelle kommt bei Paulus gar nicht vor, wohl aber Matth.
8, 12 etc. Luc. 13, 28. Ein grösserer Passus wird dann fort
gelassen, der sich auf die Folgen schlechter Pflichterfüllung
seitens der Prediger bezieht.
168, 9 Honorius 862 D: in veste nostra duo ligamina
(Druck: linguae) formantur, quia potestas peccantes ligandi et
potestas poenitentes solvendi nobis divinitus commendatur. igitur,
karissimi, cum sitis vos oves Domini, et nos vestri pastores,
nos pro vestra salute et vos pro nostra (Druck: vestra) salva-
tione debetis preces effundere, quatenus ea, quae vobis praedi-
camus, factis vobis implere valeamus —. Die Auslassungen und
Aenderungen lassen es klar erkennen, dass der deutsche Bear
beiter den Priesterstand vor den Zuhörern rücksichtsvoller be
handeln will als die lateinische Vorlage.
168, 18-—31 = Honorius 863 AB: praesul quidam —.
19 fehlt ab aliis vor rebus. — 26 nach angelorum fehlt ad se
venisse. — 28 cum ymnologa angelorum jubilatione ad sidera
vehitur. o karissimi, quam beata anima, quae meruit angelorum
consortia.
168, 32 Honorius 863 B: ad judices. nunc vos alloquor,
o judices, quos Deus justus judex constituit populi sui prin-
cipes. verba aeterni judicis non debetis moleste ferre, — tune
et hic divitias et gloriam, et in futuro obtinebitis gaudium et
laetitiam. — nun quam propter pecuniam vel munera judicium
subvertere, pauperibus vero in judicio parcere, quia scriptum
est: Jacob. 2, 13. (Es werden dann verschiedene Ermahnungen
zur Gerechtigkeit fortgelassen, auch der Satz des Evangeliums:
es möge lieber Einer verderben, denn Viele zugrunde gehen.)
ipsi debetis omne malum declinare et omnes quos potestis ab
injustitia prohibendo revocare. — si hoc facere nitimini, a justo
judice Deo coronabimini. si autem per potentiam populum Dei
(dem Bearbeiter lag vielleicht vor: pauper es Dei) vultis oppri-
mere, timeo vos tremendum Dei judicium incidere. ne autem
vento oblivionis haec a memoria vestra tollantur, vinculo hujus
exempli fixa teneantur. — 169, 14 respondet —. 16 J. v. eam
126
III. Abhandlung: Schönbach.
prosecutam firmavit. — 20 in memoriam reduxit. — 21 tr.
uberrime lacrimari. —- adst., se exaud. — 22 ausführlicher bei
Honorius.
169,23 Honorius 864 B: ad divites. nunc moneo vos, divites,
quos dives Dominus voluit esse pauperum patres, mementote
quod nudi in hunc mundum venistis et quod nudi hinc exituri
estis. et cum necesse sit vos alienis divitias vestras relinquere,
festinate nunc eas per manus pauperum in coelestes thesauros
praemittere —. Es wird nun Folgendes weggelassen : ecclesias
debetis libris, palliis et aliis ornamentis decorare, lapsas vel
destructas restaurare, praebendas Deo servientium ampliare,
per hoc orationes eorum comparare, pontes et plateas aedificare,
per hoc vobis viam ad coelum parare. Diese Auslassung ist
sehr bezeichnend, weil sie darauf hinweist, dass dieser Theil
der deutschen Sammlung für kleine einfache Pfarren, wohl auf
Dörfern, bestimmt war. — pauperibus et egenis et peregrinis
hospitia, victus et vestitus necessaria praebere —. si hoc, ka-
rissimi, facitis, divitias non minuetis, sed centupliciter ubi non
possunt auferri vel minui invenietis.
169, 32 Honorius 864 C: ad pauperes. pauperes autem
paupertatis onus patienter ferant, ut — indeficientes divitias
accipiant. sciant se peccata hominum in eleemosynis accipere
et ideo pro eis satagant orationem reddere —. 169, 35 h. hoc
desideranti r. — 170, 3 c. g. de carcere corporis excepit —.
4 ad coeleste palatium cum ymnis perd. — 7 d. horribili aspectu
d. i. — 9 rec. Nunc sol vitae tibi obscuratur. N. i. t. n. auxi-
liatur. — 13 inv. cum cereis et lampadibus s. tr. — inf. inter
daemones er.
170, 14 Honorius 865 A: ad milites. vos, milites, estis
brachium Ecclesiae, quia debetis eam ab hostibus defendere. —
convenit vos a rapina et fornicatione vosmetipsos custodire,
hos, qui malis actibus Ecclesiam impugnant, reprimere —. tali
militia obtinebitis a summo rege praeclara beneficia. — Die
weitere Ermahnung und die Erzählung sind fortgelassen. 170,18:
1 Cor. 2, 9.
170, 20 Honorius 865 C: ad mercatores. nunc vos hortor,
qui mercatores estis, ne in tantum terrenis lucris inhietis, ut
animam vestram venalem faciatis et eam fraudibus, perjuriis,
mendaciis perdatis. cavete, ne simplices et ignaros decipiatis —.
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
127
omnium nationum ministri estis —. itaque omnes gentes debi-
tores sunt vestro labori orationes reddere. quam gratiam, ka-
rissimi, non debetis vili re amittere. — Schluss und Erzählung
bleiben fort, nur der letzte Satz aus dieser ist 27 wiedergegeben.
170, 28 Honorius 866 A: ad agricolas. vos quoque, fratres,
— pedes Ecclesiae estis, quia eam pascendo portatis (ist im
Deutschen geändert, aber dadurch unverständlich geworden),
sacerdotibus debetis obedire, ■— terminos agrorum non arando
— excedere, non fenum, non ligna nisi statutis terminis succum-
bere (dieses Wort ist entschieden falsch, vielleicht succidere?
Die Wendung, welche der Satz im Deutschen bekommen hat,
ist lehrreich und lässt wohl auf ein Kloster oder auf eine geist
liche Herrschaft schliessen). decimam omnium rerum vestrarum
Deo fideliter (was meine Lesung Zeitschr. f. d. Alterth. 24, 92
bestätigt) reddere. qui enim decimam retinuerit, — ipse ei
norem auferet, nunc per grandinem, nunc per uredinem, nunc
per pestilentiam. 171, 2 mit aller slahte note gibt verkürzt
wieder: nunc per judicum vel militum violentiam, nunc per
ignis invasionem, nunc per furum vel latronum direptionem.
Die Ermahnung und ein Satz, der zu der Erzählung überleitet,
bleiben weg, die Erzählung selbst wird stark gekürzt. 171,
19—21 wird vom deutschen Bearbeiter hinzugefügt. Dafür
wird der Abschnitt ad conjugatos und der ganze 'Schluss des
,Sermo Generalis* fortgelassen.
61. 171,22 — 174,31.
Cruel sagt S. 171 von diesem Stücke über den Antichrist:
,Es ist eine stellenweise Uebersetzung der Narratio de Anti
christo in Werner’s Deflorationes. Letzterer hat dieselbe einem
anonymen Tractate entnommen, der auch in Augustini Opera
1569, Tom. IX, 1187 gedruckt ist.* Das ist nicht ganz richtig.
Die lateinische Schrift, die hier verwerthet wurde, ist nämlich
ein Brief des Abtes Adso von Moutier-en-Der, f 992, den er
zwischen 949 und 954 noch als Mönch zu Luxeuil an die
Königin Gerberga gerichtet hat. Nach einander ist sein Büch
lein dem Augustinus, Alcuin, Rabanus Maurus zugeschrieben
und in deren Werken veröffentlicht worden. Es ist selbst eine
Compilation, vornehmlich aus Augustinus, Gregor, Alcuin, Ra-
128
III. Abhandlung: Schönbach.
banus Maurus (was er übrigens selbst zugestellt 1292 A: hoc
autem obtestor in Christo, quod dicturus sum, ex proprio sensu
non fingo, sed in libris authenticis diligendo haec omnia scripta
invenio), so dass dem Verfasser eigentlich so Unrecht nicht
geschah, wenn seine Schrift diesen Autoren beigelegt wurde.
Die deutsche Bearbeitung liier steht dem Originale Adso’s
(Migne 101, 1289 ff.) in manchen Punkten näher als der Fas
sung Werner’s (Migne 157, 744 ff.), bei dem das Stück ver
schiedentlich umgestaltet wurde. Es bleiben aber doch noch
Unterschiede übrig, und zwar von einer solchen Beschaffenheit,
dass sich nur vermuthen lässt, auch die unmittelbare Vorlage
der deutschen Uebersetzung sei gleichfalls eine, meines Wissens
ungedruckte Bearbeitung des Adso’schen Tractates gewesen.
Die vorgenommenen Einschübe wenigstens lassen sich nack-
weisen.
171, 22 die ersten Sätze fehlen bei Adso und Werner.
24 1 Cor. 10, 11. — 28 Adso a. a. 0. 1291 C: inprimis pro-
ferendum est nobis, quare Antichristus dicitur. ideo scilicet,
quia in cunctis Christo contrarius erit, id est, Christo contraria
faciet. Christus venit humilis, ille venturus est superbus. Chri
stus humiles venit erigere, peccatores justificare. ille e contrario
humiles dejiciet (171, 30 1. nidert die deumuotigen) et pecca
tores magnificabit, impios exaltabit et semper vitia, quae sunt
contraria virtutibus, docebit. legem evangelicam dissipabit, dae-
monum culturam in munduin revocabit, gloriam propriam quae-
ret et omnipotentem Deum se nominabit. — nunc quoque nostro
tempore multos Antichristos novimus esse; quicunque enim,
sive laicus, sive canonicus, sive monachus, contra justitiam vivit
et ordinis sui regulam impugnat — Antichristus et minister
Satanae est (Plural bei Werner). Antichristus ex populo Ju-
daeorum nascetur de tribu Dan, secundum prophetiam dicentem:
,fiat Dan coluber in via, et cerastes in semita, mordens un-
gulam equi, ut cadat ascensor ejus retro' (Genes. 49, 17; also
keine Prophetie, sondern der Jacobssegen). — Der nächste
Satz über die Schlange wird fortgelassen und dafür eine Deu
tung des cerastes eingeschaltet, die aus einer anderen Ueber-
lieferung gekürzt ist, nämlich Gregor, Moralia Lib. 31, cap. 24,
Migne 76, 596 D: qui non solum coluber, sed etiam cerastes
vocatur. Kipcaoc enim graece, ,cornua‘ latine dicuntur, serpens-
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
129
que hic cornutus esse perhibetur, per quem digne Antichristi
adventus asseritur, quia contra fidelium vitam cum morsu pesti-
ferae praedicationis armatur etiam cornibus potestatis. quis
autem nesciat semitam angustiorem esse quam viam? fit ergo
Dan coluber in via, quia in praesentis vitae latitudine eos am-
bulare provocat, quibus quasi parcendo blanditur. sed in via
mordet, quia eos, quibus libertatem tribuit, erroris sui veneno
consumit. fit cerastes in semita, quia quos fideles reperit, et
sese ad praecepti coelestis angusta itinera constringentes, non
solum nequitia callidae persuasionis impetit, sed etiam terrore
potestatis premit et in persecutionis angore, post beneficia
fictae dulcedinis, exercet cornua potestatis. Das ist dann in
Isidors Etymologien übergegangen und von da zu Rabanus
Maurus, De Universo, Lib. 8, cap. 3, De serpentibus, Migne
111, 228; die Beschreibung ist da etwas ausführlicher: est
autem flexuosus plus quam alii serpentes, ita ut spinam non
habere videatur. Dorther entnimmt es Hugo von Folieto, De
bestiis etc., Lib. 3, cap. 42, De ceraste, Migne 177, 100 f.
172, 10 Adso 1292B: nascetur autem ex patris et matris
(Werner: maris et feminae) copulatione, sicut alii homines, —
totus in peccato concipietur, in peccato generabitur et in pec-
cato nascetur. in ipso vero conceptionis suae initio diabolus
simul intrabit in uterum matris ejus, et ex virtute diaboli con-
fovebitur et tutabitur in ventre matris ejus, et ipse diabolus
semper cum illo erit (Cod. Yatic. Adsos). — ut quod natum
fuerit, totum sit iniquum, malum, perditum. unde et ille homo
,filius perditionis 1 appellatur (2 Thessal. 2, 3) —.
172, 16 Adso 1293 A: ecce audistis, qualiter nascetur,
audite et locum, ubi nasci debeat. nam sicut Dominus Betlehem
sibi praevidit (die hieronymianische Deutung des Deutschen
steht in den mir bekannten Fassungen des Tractates nicht),
sic diabolus illi homini perdito, qui Antichristus dicitur, locum
novit aptum, unde radix omnium malorum oriri debeat, scilicet
civitatem Babyloniae. in hac enim civitate — Antichristus na
scetur, et in civitatibus Bethsaide et Corozaim nutriri et con-
versari dicitur; quibus civitatibus Dominus in Evangelio im-
properat, dicens: ,vae tibi, Corozaim; vae tibi, Bethsaida* (Matth.
11, 21. Luc. 10, 13). habebit autem Antichristus magos et ariolos
et maleficos et incantatores et divinatores (Drucke: divinos),
Sitzungsber. d. pbil.-hist. CI. CXXXV. Bd. 8. Abb. 9
130
ITT. Abhandlung: Schönbach.
qui enm nutrient et docebunt et imbuent in omni iniqnitate et
falsitate et nefaria arte; et maligni spiritus ernnt duces ejus
et socii semper et comites indivisi. deinde Hierosolymam veniens
— suam sedem in templo sancto parabit. — et Filium Dei
omnipotentis se esse mentietur. — 172, 32 2 Tbessal. 2, 4: et
extollitur supra omne, quod dicitur Deus, aut quod eolitur, ita
ut in templo Dei sedeat ostendens se tamquam sit Deus.
173, 2 Adso 1293C: — omnes Christianos, quos ad se non
poterit convertere, per varia tormenta jugulabit. — loca vero,
per quae Dominus Jesus Christus ambulavit, et ipse peram-
bulabit, sed prius destruet, quae Dominus illustravit. deinde
per univei’sum orbem mittet nuntios —. praedicatio autem ejus
et potestas tenebit a mari usque ad mare, ab Oriente usque
ad occidentem. faciet quoque signa multa et miracula magna
et inaudita. faciet — arbores subito florere et arescere, —
aquarum cursus et ordinem converti — mortuos in conspectu
hominum resuscitari, ut in errorem inducantur, si fieri potest,
etiam electi (Matth. 24, 14). — 1294 A: cum enim tanta et
talia signa viderint, etiam illi, qui perfecti et electi Dei sunt,
dubitabunt, utrum ipse sit Christus, qui in fine mundi secun-
dum scripturas venturus est, annon. excitabit persecutionem sub
omni coelo (173, 14 ist ungenau übersetzt) super Christianos
et omnes electos. — eriget itaque se contra fideles tribus modis,
id est, terrore, muneribus et miraculis. dabit credentibus in se
auri atque argenti copias. quos autem muneribus corrumpere
non poterit, terrore superabit; quos autem terrore non poterit
vincere, signis et miraculis seducere tentabit; quos nec signis
poterit illudere, in conspectu omnium miserabili morte cruciatos
crudeliter necabit.
173, 21. Abgesehen von dem Fehler (Jan für Van ist hier
im Deutschen Verwirrung eingetreten. Der Uebersetzer ist
von einem Tune erit tribulatio auf den gleichlautenden Beginn
des nächsten Abschnittes übergesprungen und dann zu dem
Satze: Tune abbreviabuntur dies propter electos. Deshalb hat
er diesen Satz dann auch nicht als Citat (Matth. 24, 22) kennt
lich gemacht. — Adso 1294 C: tempus siquidem, quando Anti
christus venerit, vel quando dies judicii apparere coeperit,
Paulus apostolus in epistola ad Thessalonicenses demonstrat
dicens: nisi venerit discessio primum etc. (2 Thessal. 2, 3).
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
131
scimus autem quoniam post regnum Graecorum sive etiam post
regnum Persarum, ex quibus unum quodque suo tempore magna
gloria viguit et magna potentia floruit, ad ultimum quoque post
caetera regna regnum Romanorum incoepit (Alexander wird
bei Adso erst 1296 B genannt); quod fortissimum omnium
regnorum superiorum fuit et omnia regna sub dominatione sua
habuit: omnes quoque populorum nationes Romae subjacebant
et serviebant ei sub tributo. inde ergo dicit apostolus, Anti
christum non antea in mundum esse venturum, ,nisi venerit
discessio primum‘, id est, nisi omnia regna discesserint a Romano
imperio, cui prius subdita erant. — Erst dadurch versteht man
den Zusammenhang der deutschen Bearbeitung.
173, 33 — 174, 6. 174, 13—17 fehlen in den verschiedenen
Fassungen Adso’s. Nur die 173, 33 ff. dargelegte Falschheit der
Wunder des Antichrists wird auch bei Adso 1294 A erwähnt,
doch werden dort die Wunder des Simon Magus zum Vergleich
herangezogen. — 174,7 Adso 1296 A: tune ad eum concurrent
omnes Judaei et existimantes se recipere Christum, recipient
diabolum. — 174, 12 1. unde von viunf wunden w. w. — 174, 14
Joann. 19, 37. 174, 16 eigentlich Malach. 4, 5, dann anders
Luc. 1, 17. — 174, 17 Adso 1296 C: tune mittentur in mundum
duo magni prophetae, Elias et Enoch, qui contra impetum Anti
christi fideles divinis armis praemunient et instruent eos et con-
fortabunt et praeparabunt electos ad bellum, tune implebitur
Scriptura, quae dicit: Rom. 9, 27. — 174, 26 Adso 1296 D:
postquam vero impleverint praedicationem suam, insurget Anti
christus in eos et interficiet eos. — post caeteros fideles per-
sequens reddet gladio aut apostatas faciet. — Der Anfang des
Satzes 174, 31 kann sich nur auf das jüngste Gericht beziehen,
dessen Darstellung bei Adso nun folgt. Uebrigens mag von
dem Quaternio, der in der deutschen Handschrift jetzt fehlt,
kaum noch eine Seite zu der Predigt über den Antichrist ge
hört haben, denn bis zum Ende von Adso’s Büchlein bleiben
(inclusive der Schlussformel) nur etwa 40 Druckzeilen Migne’s
unbearbeitet.
62. 174, 32. 33.
Welchem Stücke diese Schlussworte angehört haben, ist
ans der Formel durchaus nicht zu entnehmen.
9*
132
III. Abhandlung: Schönbacli.
63. 175,1 — 176,21.
Dieses Stück hat ziemlich viel Berührung mit dem all
gemeinen Sermon ,Acl quamlibet diem', der unter den unechten
Homilien Beda’s als Nr. 102 steht, Migne 94, 503 f. Lateinische
Predigten wie diese und die folgende Nr. 103 haben jedesfalls
den deutschen Bearbeiter dort angeregt, wo er sonst keine
bestimmte Vorlage gehabt hat.
175, 1 Psalm. 37, 6. — 175, 8 ff. vgl. Honorius, Spec. Eccl.,
Domin. in Quadrag., Migne 172, 880 A: dum igitur vivimus et
sani sumus, ad poenitentiam et satisfactionem curramus, ne
tenebris mortis praeventi velimus et nequeamus. nemo apud
se dicat: adhuc juventute floreo, sanitate vigeo, ideo gaudiis
mundi et carnis deliciis frui bene adhuc potero. cum vero
senex fuero vel infirmari coepero, tune satis emendare valeho.
est enim Deus misericors et praestabilis super malitia et sicut
unum, ita multa mihi relaxat flagitia. — Es ist das dieselbe Stelle,
welche Hartmann von Aue beim Eingänge seines Gregor im
Sinne gehabt und dort fast wörtlich wiedergegeben hat. —
175, 14 Matth. 25, 13. Marc. 13, 33. — 175, 27 Matth. 25, 41,
aber pabuluvi mortis ist nicht biblisch. — 175, 33 ff. vgl. Bern
hard von Clairvaux, Sermones in Cant. Nr. 28, Migne 183, 926 f.
Der Rabe als Sinnbild der Sünde und des Sünders kommt
schon bei Hilarius von Poitiers vor, später bei Rabanus Maurus,
De universo, Lib. 8, cap. 6, De avibus, Migne 111, 252 C. —
176, 12 Psalm. 64, 5.
64. 176, 22 — 178, 11.
Dieser Predigt liegt eine Anpreisung des Sonntags zu
grunde, die allem Anscheine nach sehr alt ist. Sie steht unter
den Pseudo-Augustinischen Sermonen Nr. 280, Migne 39, 2274ff.,
dann hei Beda unter den Ascetica Dubia, Migne 94, 531 f., in
dem Pseudo - Alcuin’schen Liber de divinis officiis, cap. 27,
Migne 101, 1226 f., bei Rabanus Maurus, De clericorum insti-
tutione, Lib. 2, cap. 2, Migne 107, 355 f. und anderwärts.
176, 22 Psalm. 96, 3. Beda 531 C: dies quique ideo Do-
minicus appellatur, ut in eo a terrenis operibus et mundi ille-
cebris abstinentes tantum divinis cultibus serviamus, dantes
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
133
scilicet diei hujus honorem et reverentiam —. 176, 29 Beda
532 C: ipse est enim dies primus saeculi, in ipso formata sunt
elementa mundi, in ipso creati sunt angeli, in ipso mortuis
resurrexit Dominus, in ipso de coelis super apostolos descendit
Spiritus sanctns. manna autem eodem die in eremo primum de
coelo data est. —- 176, 33 £ Dass sich die armen Seelen in der
Hölle am Sonntag freuen, ist eine Volksmeinung des Mittel
alters, welche mit einer Erzählung zusammenhängt, die sich
als Homilie Nr. 100, Migne 94, 501 £ unter den unechten Beda’s
findet: S. Paulus und der Erzengel Michael besuchen die Hölle.
Es erbarmt sie der Elenden, und sie legen bei Gott Fürbitte
ein, dass am Sonntag die PIöllenstrafen ausgesetzt werden
möchten. Darauf erwidert der Herr: ,propter Michaelem et
Paulum et angelos meos et maxime pro resurrectione mea con-
cedo vobis requiem ab hora nona sabbati usque ad horam pri-
mam feriae secundae'. — tune laetati sunt omnes, qui erant
in poenis, clamantes una voce: ,benedicimus te, fili David, qui
dedisti nobis misericordiam. nam plus prodest nobis remedium
unius diei.ac noctis, quam totum tempus vitae nostrae, quod
consumpsimus super terram/ et dixit Angelus: ,qui custodierit
diem Dominicum, habebit partem cum angelis DeiJ — 177, 2
Psalm. 117, 14. — 177, 29 ist vermengt aus dem Textspruch
und Hebr. 10, 27: terribilis autem quaedam exspectatio judicii
et ignis aemulatio, quae consumptura est adversarios. —• Ebenso
ist 177, 34 zusammengezogen aus Rom. 14, 10 und 2 Cor. 5,10.
Derartige Mischungen von Bibelcitaten traut man am besten
dem mangelhaften Gedächtnisse des deutschen Bearbeiters zu.
— 177, 25 Beda 531 C: nam sicut ipse Dominus Jesus Christus
et Salvator noster tertia die resurrexit a mortuis, ita et nos
resurrecturos in novissimo saeculo speramus. unde etiam Do-
minico die stantes oramus, quod est signum futurae resur-
rectionis.
Die übrigen heiligen Bedeutungen des Sonntags, welche
dieses Stück vorbringt, finden sich fast alle in einem Pseudo-
Augustinischen Sermo Nr. 167, Migne 39, 2070: bene quoque
dominicus sermo ac resurrectio Domini conjunguntur. venera-
bilis est hic dies, qui dominicus dies et dies primus atque per-
fectus est, et dies clarus, in quo visa est prima lux (Genes.
1, 3), in quo transgressi sunt filii Israel mare Rubrum siccis
134
III. Abhandlung: Schönbach.
pedibus (Exod. 14), et in quo pluit manna filiis Israel in de-
serto (Exod. 16), et quo Dominus baptizatus est in Jordane
(Matth. 3). quo vinum de aqua in Cana Galilaeae factum est
(Joann. 2), quo benedixit Dominus quinque panes, quibus sa-
tiavit quinque millia hominum (Matth. 14). in quo resurrexit
Dominus a morte (Matth. 28), quo intravit Dominus in domos
clausas, ubi erant discipuli congregati pröpter metum Judaeorum
(Joann. 20, 19). in quo Spiritus sanctus descendit in apostolos
(Act. 2, 4), et in quo speramus Dominum nostrum Jesum Chri
stum ad judicium venire, in quo die omnis creatura reforma-
bitur in melius: ut sol et luna septuplum lumen accipiant, et
sancti homines vitam aeternam propter merita bonae obedien-
tiae recipiant a Domino —•. hodie fides Ecclesiae confirmata est
in Christo et in semine Abrahae omnes gentes benedicuntur,
ac Salvator mundi innotuit. Dass am Sonntag der Census,
dann die Himmelfahrt Christi stattgefunden haben, steht noch
in den namenlosen Q.uaestiones de veteri et novo Testamento,
welche im Appendix Augustinischer Werke abgedruckt sind,
Migne 35, 2289 Nr. 95. So bleibt nur das eine Datum noch
übrig, dass am Sonntag die Arche Noe auf den Bergen Ar
meniens festsass 177, 6 f.; dieses kann ich bis zur Stunde nicht
nachweisen.
65. 178, 11 — 180, 9.
Cruel gibt für dieses Stück als Quelle an S. 171 den
Tractat De quinque septenis in Werner’s Deflorationes, Migne
157, 1066 ff. = Hugo v. St. Victor (?), Migne 175, 405 ff. (zur
Dominica VII. post octavam Pentecostes). Es finden in der
That ziemliche Berührungen zwischen diesem und dem deut
schen Stücke statt, sie reichen aber nicht aus; auf keinen Fall
ist der genannte Tractat die alleinige Quelle der deutschen
Arbeit. Vgl. Scherer in den Denkmälern 3 2, 263.
178, 11 Matth. 26, 41. Marc. 14, 38. Luc. 22 , 40. 46.
Die Einleitung bis 178, 28 fehlt bei Werner. -— 178, 28 Werner
1066 B: primo loco septem ponuntur vitia, id est superbia,
secundo loco invidia, tertio ira, quarto tristitia, quinto avaritia,
sexto gula, septimo luxuria, contra haec secundo loco consti-
tuuntur septem petitiones, quae in Dominica oratione continentur.
— Vgl. dazu meine Erörterung in den Mittheilungen aus alt-
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
135
deutschen Handschriften 2, 36 f. (= Sitzungsberichte 94, 220 f.).
— 179, 7 die sieben Gaben des heil. Geistes finden sich zwar
hei Werner sofort erwähnt, aber nicht angeführt, erst in dem
Stück De septem petitionibus 1068 ff. und in dem dritten De
petitionibus, quae conveniant praesentibus et futuris 1071 f.
werden sie eingehend in diesem Zusammenhänge behandelt.
Vgl. zu diesen Siebenzahlen (ausser Isidor): Aldhelm, Epistola
ad Acircium sive Liber de Septenario, Migne 89, 161 ff.; Walafrid
Strabo, Glossa Ord. zu Matth. 6, 1 ff., Migne 114, 100; Ivo von
Chartres, De oratione Dominica, Migne 162, 599; Anselmus
Laudunensis, Enarrationes in Matthaeum, Migne 162, 1305ff.;
Hugo von St. Victor, Allegoriae in novum Testamentum Lih. 2,
cap. 6, Migne 175, 777, besonders 779ff.; Hugo Rothomagensis
Archiep., Super Eide Catholica et Oratione Dominica, Migne
192, bes. 1330 ff. Dagegen bietet das Werkchen des Joannes
Saresberiensis, de septem septenis, Migne 199, 945 ff. gar nichts.
179, 12 Werner 1066 D: de bis septem vitiis vastatoribus
humani generis et universam integritatem naturae corrumpenti-
bus simulque malorum omnium germina producentibus, quantum
ad praesens negotium explicandum sufficere putamus, loquamur:
— invidia aufert homini proximum, ira aufert ei se ipsum;
tristitia spoliatum flagellat, avaritia flagellatum ejicit, gula ejec-
tum seducit, luxuria seductum servituti subjicit. Erst in dem
nächsten Stück Werner 1068 ff. werden die sieben Bitten den
Hauptlastern entgegengestellt, und zwar so ausführlich, dass
davon im Deutschen nur die Anfänge der Abschnitte Vor
kommen. 179, 20 Werner 1068 D: prima ergo petitio contra
superbiam est — secunda contra invidiam — tertia contra
iram — quarta contra tristitiam — quinta contra avaritiam —
sexta contra gulam — septima contra luxuriam.
179, 30 (182, 26) vgl. Walafrid Strabo, Glossa Ord., Migne
114, 100: ,amen‘ significat in Omnibus his petitionibus indubi-
tanter a Domino tribui quod petitur, si ultimae conditionis
pactum servare non negligimus. Martinus Legionensis, Sermo
29, In rogationibus (darin eine ausführliche Expositio des
Vaterunsers), Migne 208, 1079 A: ,amen‘ igitur hujus Dominicae
orationis signaculum est, sicut sigillum confirmatio est alicujus
edicti. Auch die Angabe des Joslenus Suessionensis, Expos,
de orat. Domin., Migne 186, 1496, bezeugt, dass diese Deutung
136
III. Abhandlung: Schönbach.
sehr verbreitet gewesen ist. — 179, 34 die Theilung in 4 —(— 3
kommt bei allen Auslegungen vor, vgl. zu 180, 11 ff. — 180, 7
1. teilnunftech.
66. 180, 10 — 183, 6.
Zunächst ist der Anfang dieses Stückes 180, 11—26
übersetzt aus Honorius, Spec. Eccl., Migne 172, 822A, im
Anschluss an die Auslegung des Paternosters: Karissimi, hac
oratione mundus Deo conciliatur. corpus nostrum aniinae eon-
foederatur. sunt enim in ea septem petitiones, quae dividuntur
in tres et quatuor partes, per tria Pater et Filius Spiritus
sanctus intelligitur; per quatuor vero mundus, qui ex quatuor
elementis constat, scilicet ex terra, ex aqua, ex aere, ex igne
accipitur. tria quoque pertinent ad animarn, quatuor ad corpus.
anima est irascibilis, quia indignatur malis; est concupiscibilis,
quia delectatur bonis; est rationalis, quia discernit bona a malis.
corpus autern constat ex supradictis quatuor elementis. homo
ergo, qui minor mundus dicitur, per banc orationem Deo con-
jungitur. — Zu 180, 15 ff. vgl. noch Gregor, Moralia, Lib. 25,
cap. 8, Migne 76, 757 ff Wilhelm von Conches, De philosophia
mundi, Lib. 1, cap. 23, Migne 172, 55. Honorius (wenn er der
Verfasser ist'?), Elucidarium, Lib. 1, cap. 11, Migne 172, 1116B:
unde corporalis substantia hominis? de quatuor elementis: unde
et microcosmus, id est minor mundus dicitur: habet namque
ex terra earnein, ex aqua sanguinem, ex aere flatum, ex igne
calorem. —
180, 26 Werner, De septem petitionibus, 1068 D: prima
ergo petitio contra superbiam est, qua Domino dicimus: sancti-
ficetur nomen tuum. hoc enim petimus, ut det nobis timere et
venerari nomen suum —. huic petitioni datur Spiritus timoris
Domini. •— secunda petitio est contra invidiam, qua dicitur:
adveniat regnum tuum. regnum siquidem Dei salus est homi-
num, quia tune Deus in hominibus regnare dicitur, quando
ipsi homines Domino subjiciuntur et modo ei adhaerendo per
fidem —. tertia petitio est contra iram, quae dicitur: fiat vo-
luntas tua. — huic ergo petitioni datur Spiritus scientiae, —
ut sciat homo — si quid autem boni habuerit, ex misericordia
Domini procedere —. quarta petitio est contra tristitiam, qua
dicitur: panem nostrum quotidianum da nobis hodie. tristitia
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
137
namque — quando mens — interna bona non appetit. — quinta
petitio est contra avaritiam, qua dicitur: dimitte nobis debita
nostra, sicut et nos dimittimus debitoribus nostris. huic ergo
petitioni datur Spiritus consilii, qui doceat nos in hoc saeculo
libenter peccantibus in nos misericordiam impendere —. Was
181, 23 f. steht, findet sich nicht bei Werner. —- 181, 25 Werner
1070A: sexta petitio est contra gulam, qua dicitur: nc nos in-
ducas in tentationem. (27 f. fehlt Werner.) in quam profecto
tentationem nequaquam inducimur, si sic studemus secundum
mensuram necessitatis naturae subsidium impendere —. quod
ut implere valeamus, datur nobis petentibus Spiritus intelligen-
tiae, ut interna refectio verbi Dei appetitum exteriorem cohi-
beat —. propterea namque- Dominus ipse tentatori suo — re-
spondit dicens: Matth. 4, 4. Der folgende deutsche Satz 182, l
enthält nur so ungefähr den Sinn, welcher in den weiteren
Ausführungen bei Werner steckt: ut aperte demonstraret, quia,
cum mens illo pane intus reficitur, non magnopere curat, si
foris ad tempus famem carnis patiatur. datur ergo contra gulam
Spiritus intelligentiae, sed ille ad cor veniens emundat illud
atque purificat, et illum interiorem oculum ex ratione verbi Dei
quasi quodam collyrio sanans, eo usque luminosum atque sere-
num efficit, ut ad ipsam etiam deitatis claritatem contemplandam
perspicax fiat, contra vitium igitur gulae remedium opponitur,
scilicet Spiritus intelligentiae. ex Spiritu autem intelligentiae
munditia cordis nascitur. munditia vero cordis visionem Dei
promeretur, sicut scriptum est: Matth. 5, 8. — 182, 8 Werner
1070C: septima petitio est contra luxuriam, qua dicitur: libera
nos a malo. convenienter sane servus libertatem petit, idcirco
huic petitioni datur Spiritus sapientiae, qui amissam captivo
libertatem restituat et jugum iniquae dominationis — per gratiam
adjutus evadat. — Für den übrigen deutschen Text bietet
Werner nichts mehr. — 182, 32 beruht auf Isai. 29, 13, aber
in Vermengung mit anderen Stellen.
67. 183,7—30.
Das Stück handelt De die dominico. Vgl. im Allgemeinen
die Anmerkungen zu Nr. 64. — 183, 19 ff. wird bei Berthold
von Regensburg des Oefteren erwähnt und eingeprägt. —183, 24 ff.
138
III. Abhandlung: Schönbach.
eine allbekannte Sache, vgl. Haymo, De varietate librorum,
Lib. 1, cap. 12, Migne 118, 884: septem enim diebus Universum
teinpus volvitur. aeterna enim quies, quae expleta sex dierum
vicissitudine sequitur — Dominicus dies, sabbatum = requies.
Vielleicht sind in dem Stück auch die gewöhnlichen Vorschriften
der Heiligung des Sonntags benutzt, vgl. z. B. Paulinus von
Aquileja, Concil. Forojuh, Can. XIII, Migne 99, 500 f. und die
Note dazu 535 f.
68. 183,31 — 184,16,
69. 184,17 — 185,2.
Eine besondere Vorlage wird für diese beiden Leichen
reden schwerlich aufzutreiben sein. Sie zeigen einige Verwandt
schaft mit dem schönen Stück der St. Pauler Sammlung. So
ziemlich alle Gedanken, welche sie enthalten, finden sich in
dem Sermon bei Honorius, Spec. Eccl., Migne 172, 1081 ff.: si
potens defunctus est sepeliendus, taliter populus est admonendus.
Aber Ordnung und Fassung sind verschieden. — 184, 5 Eccle.
7, 3. Honorius 1083CD: in convivio quippe homines mortis et
aeternae vitae obliviscuntur; in luctu mortui hominis futurae
mortis recordabuntur. In 183, 31 ff. passt das Vorhergehende:
post pusillum alienis divitias suas reliquit. — 184, 30 1 Cor.
2, 9. — 184, 17 Der Vergleich findet sich ausführlich bei
Gregor, Moralia, Lib. 12, cap. 7, Migne 75, 991 C: qua in re
vigilanter intuendum est, quia vita praesens, videlicet quous-
que anima moratur in corpore, mari comparatur et fluvio.
Auch Lib. 22, cap. 2. Er ist alt, geht wahrscheinlich schon
auf die antike Literatur (Seneca) zurück, findet sich bei Chryso-
stomus, Homil. 82 super Matthaeum, bei Augustinus, Quae-
stiones in Heptateuchum, Lib. 5, Nr. 54, Migne 34, 772 u. s. w.
70. 185, 3 — 186, 10.
Die ganze Deutung ist aus Honorius, Spec. Eccl., Migne
172, 820 ff. genommen. 185, 4 Honorius 821A: et si opera, quae
Patri vestro placent, ut filii fiatis, haereditatem absque dubio
cum Jesu a Deo percipietis. per haec verba admonendi rogare,
ut ipsi coeli fiatis, in quibus Deus velit habitare. — illud
Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
139
nomen, quod vester Pater dicitur, petitis tali modo in vobis
sanctificari, ut per bona opera digni sitis ejus filii vocari. —
185, 21 ff. stammt aus der früheren Exposition Nr. 65. 66. —
185,24 Honorius 821B: hoc est, sicut ei complacet in coelo
in angelis, qui nunquam peccaverunt, ita in terra ei quoque
placeat, et nos aequales angelis, ut promisit, faciat. rogatis
quidein Deum, ut, sicut ejus voluntas est in justis bona, ita
vos a malo ad justitiam convertens in vobis quoque fiant bene-
placita. — 185, 31 Honorius 821 C: panis etiam corpus Christi
intelligitur. — 186,2 Honorius 821D: si in vobis peccantibus
dimittitis, dimittet vobis Deus, quae in eum peccatis. si vos non
remittitis, nec Deus remittet vobis; et his verbis vobis maledicitis,
quia Deum, ut non dimittat, rogatis. si autem illud reticetis,
orationem Dominicam non dicitis, et ideo non exaudiet vos
Deus. — 186, 6 Honorius 822 A: rogatis itaque Deum, ut nun
quam sinat vos in tantum a diabolo temptari, ut per consensum
et delectationem peccati possitis superari. — Vgl. mit dem
ganzen Stück noch die kleine Expositio, welche unter den
Opuscula spuria des Anselm von Lucca steht, Migne 149, 576 f.
71. 186,11—18.
Uebersetzt das Vaterunser.
Ueberblickt man die hier mitgetheilten lateinischen Vorlagen
von Kelle’s ,Speculum Ecclesiae‘, so scheiden sich darnach die
deutschen Stücke von selbst in drei Reihen, die mit den Unter
schieden des Umfanges, welche Cruel schon besprochen hat,
zusammenfallen. Die 20 grossen Stücke gehen zumeist auf
die Predigten berühmter französischer Kanzelredner aus dem
Anfänge des 12. Jahrhunderts zurück; ich meine, dass dies
noch mehrfach bei solchen Nummern der Fall sein wird,
die sich jetzt als Compilationen aus Theilen von Sermonen
der Kirchenväter uns darstellen: die Verarbeitung wird eben
schon ein französischer Theologe besorgt haben. Die 25 Stücke
mittleren Umfanges stützen sich auf Honorius Augustodunensis
140
III. Abhandlung: Schönbach.
und auf die weitverbreiteten Sammlungen von Gregor, Beda,
Rabanus Maurus und wenigen anderen. Dasselbe ist der Pall
bei den 21 kleinen Stücken, soweit für diese überhaupt un
mittelbare Quellen namhaft gemacht werden können. Die
Verschiedenheit der Vorlagen hängt mit der des Zweckes der
Predigten zusammen. Die grossen Stücke wenden sich ohne
Zweifel an ein gebildetes Publicum; ich vermuthe, dass sie für
ein geistliches Haus, ein Kloster, eine Domkirche berechnet
waren. Die mittleren Stücke einfacheren Gehaltes entsprechen
den Bedürfnissen des Laienpublicums in grösseren Gemeinden,
die kleinen mögen zunächst auf Zuhörer in Landpfarren zählen.
Es muss jedoch zugegeben werden, dass diese Unterschiede
auch in den persönlichen Wünschen der Prediger selbst be
gründet sein können, die sehr mannigfach sein mochten und
in den Fähigkeiten der Einzelnen ihre Erklärung fanden. Die
Hauptsache war, dass in der ganzen Benedictbeurer Sammlung
für alle wichtigen Feste des Kirchenjahres eine Auswahl brauch
barer Predigten dargeboten wurde.
Wie von selbst wirft sich da die Frage auf, ob diese
deutsche Arbeit von einem Verfasser herrühre oder von meh
reren. Eines ist so wahrscheinlich und möglich als das andere.
Scherer hat einmal (Denkmäler, 3. Aull. 2, 180) auf formel
hafte Erwähnungen Gottes und der Heiligen hingewiesen, deren
Beobachtung und Sichtung vielleicht als Kriterium benutzt
werden könnte, die verschiedenen Bearbeiter zu sondern. Ich
habe es mir angelegen sein lassen, daraufhin das Denkmal
zu untersuchen, und habe Manches verzeichnet, was Anhalts
punkte für Scheidungen zu bieten schien. Stets wurden aber
diese Wahrnehmungen durch beobachtete Uebereinstimmungen
gekreuzt und widersprachen sich so oft selbst, dass ich zu gar
keinem brauchbaren Ergebniss gelangt bin. Dass Unterschiede
in Stil und Syntax vorhanden sind, kann schon einem ober
flächlichen Blick nicht entgehen. Sie erklären sich jedoch zum
Theil bereits aus der Verschiedenheit der Arbeit: die Ueber-
setzung der grossen Stücke gieng, mit Respect vor der Vorlage,
in genauem Anschlüsse daran vor sich; bei den kleineren fühlte
sich der Bearbeiter freier, er gebrauchte gerne die erbaulichen
und eindrucksvollen Wendungen, an welche die Gemeinde ge
wöhnt war, und die neben den schwerfälligen Perioden der
Studien zur Geschichte der altdeutschen'Predigt.
141
langen Reden stehen wie die poetischen Formeln des Volks
epos neben der zierlichen Sprache des höfischen Romanes.
Trotzdem wird sich vielleicht noch eine Möglichkeit finden,
auf verschiedene Arbeiter in der Benedictbeurer Sammlung
zurückzuschliessen, und zwar von der Geschichte der Ver
breitung einzelner Nummern aus, wie sie durch ihr Vorkommen
an anderen Stellen uns erkennbar wird. Da scheint mir vor
allem die eine Thatsache bedeutsam, dass nur die mittleren
und vornehmlich die kleineren Stücke sich auch in anderen
Predigthandschriften antreffen lassen, nicht aber die grossen.
Das weist meines Erachtens mit ziemlicher Sicherheit darauf
hin, dass diese zwei Kategorien von Predigten in Collectionen
für sich verbreitet waren. Damit ist freilich noch nicht be
hauptet, sie könnten nicht mit den grossen zugleich entstanden
und in eine Sammlung verbunden worden sein; diese Annahme
wird aber sich als wenig wahrscheinlich herausstellen. Die
Vorarbeiten für die Geschichte der Beziehungen des ,Speculum
Ecclesiae' zu den übrigen Handschriften und Bruchstücken alt
deutscher Predigten habe ich vor zehn Jahren bereits gemacht,
werde jedoch die Resultate erst am Schlüsse der Reihe von
Studien mittheilen, deren Anfang diese Blätter bilden.
Durch die Untersuchung der Sprache der Benedictbeurer
Sammlung von Wilhelm Scliaper (Halle a. S. 1891) ist mit
grosser Wahrscheinlichkeit festgestellt worden, dass die Hand
schrift von alemannischen Schreibern aufgezeichnet, demnach
wohl in Alemannien entstanden ist. Da dürfen wir uns denn
wohl erinnern, dass in diesem Lande auch Werner von Eller
bach gewirkt hat, der von 1102—1126 Abt zu St. Blasien im
Schwarzwalde gewesen ist. Seine ,Deflorationes PatrunP sind
nach Cruel’s Ansicht (S. 145) um 1120 entstanden. Er hat
schon viele der neuesten französischen Predigten aufgenommen,
ja er muss zu denjenigen Prälaten gehört haben, die durch
eigens nach Paris geschickte Scholaren sich Niederschriften
der dort gesprochenen Sermone berühmter Kanzelredner ver
schafften, denn es liegen zwischen seinem Sammelwerk und
den von ihm aufgenommenen neuen Predigten (z. B. denen
des Gaufredus Babion) kaum zehn bis zwanzig Jahre. Das
bestätigt, nebenbei gesagt, die Meinung, welche ich an anderem
Orte (Ueber eine Grazer Handschrift lateinisch-deutscher Pre-
142 in. Abli.: Schimbach. Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt.
digten 1890) über die Lebhaftigkeit des literarischen Verkehres
zwischen Frankreich und Deutschland in der ersten Hälfte des
12. Jahrhunderts ausgesprochen habe. Aehnlichen Antrieben wie
Werner’s .Deflorationes' dankt auch das ,Speculum Ecclesiae'
seinen Ursprung. Sie herrschten aber nicht nur in Alemannien,
auch in Bayern, wie uns Linsenmayer’s Analysen z. B. der
Kaisersheimer und Tegernseer Sammlungen, ,Geschichte der
Predigt in Deutschland' (1886), S. 226 ff. 229 ff. überzeugen.
Eine Arbeit von der Art, wie sie in Kelle’s ,Speculum Ecclesiae'
vorliegt, musste, wenn sie etwa 1220—1230 von einem Ale
mannen unternommen war, alsbald auch in Bayern Anklang
und Verbreitung finden. Freilich, wie wir uns diese Bezüge
in einandergreifend vorzustellen haben, auf welchen Wegen,
durch welche Mittel die einzelnen Abschriften, Sammlungen,
Bearbeitungen, neuen Ordnungen zu Stande gekommen sind,
darüber wird sieh erst Klarheit gewinnen lassen, wenn auch
die Bestände der ungedruckten Handschriften lateinischer Pre
digten aus dem 12. und 13. Jahrhundert in Deutschland genau
werden verzeichnet worden sein.
IV. Abhandlung: Gomperz. Zu Aristoteles’ Poetik. III.
1
IV.
Zu Aristoteles’ Poetik. III.
Von
Theodor Gomperz,
wirkt. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
Itis hat uns zunächst die Frage nach der Anordnung des
in den Capiteln 15—18 behandelten Stoffes zu beschäftigen.
Schon der Umstand, dass das Capitel 15 in seiner zweiten
Hälfte manches enthält, was nicht zu dem dort ex professo be
handelten Gegenstände, den Charakteren gehört, hat die
Verwunderung mancher Kritiker erregt. Jeden Zweifel au der
einheitlichen Conception dieses Abschnitts schlägt jedoch die
Wahrnehmung nieder, dass die weitere Ausführung einer der
an die Charakterschilderung gestellten Forderungen (des ö\j.oiov
nämlich) mit offenbarem Bedacht für den Schluss des Capitels
aufgespart ist. Auch der Grund dieses Verfahrens ist unschwer
zu erkennen. Es liess sich eben dieser Punkt nicht gleich den
anderen mit wenig Worten und dem raschen Hinweis auf ein
oder zwei Beispiele erledigen. Die Abschweifungen von dem
unmittelbar vorliegenden Gegenstand, die eben dieses Capitel
im übrigen unzweifelhaft aufweist, möchte ich durch die Ver-
muthung zu erklären versuchen, dass es dem Autor darum zu
thun war, hier noch manches nachzutragen, wofür er vorher
keine passende Stelle gefunden hatte, um so den Boden frei
zumachen für die Behandlung der noch allein übrigen ,Tra-
gödientheile', der Sioevota und Asche. Den Ausgangspunkt dieser
Vermuthung liefern die Schlussworte des Capitels mit ihrem
flüchtigen Blick auf den vom Stagiriten am wenigsten ge
schätzten Tragüdientheil, die s’-ftc, der zugleich ein Hinweis auf
Sitzungsber. d. pbil.-hist. CI. CXXXV. Bd. 4. Abh. 1
2
IV. Abhandlung: Gomporz.
die ey.Seoop.evoi Xc-foi, d. h. auf den Dialog über die Dichter ist.
So pflegen doch Schriftsteller mit einem Gegenstände abzu-
scbliessen; man behandelt das Geringwerthigste zuletzt und
verweist zugleich den nach reicherer Belehrung verlangenden
Leser auf andere Erörterungen desselben Themas. Im übrigen
ist es, wie wir meinen, die Ideenassociation, die dem Verfasser
der Poetik hier mehrfach die Feder lenkt. Er hat von der
,Gleichmässigkeit‘ oder Consequenz der Charaktere gehandelt.
Dies legt ihm die allgemeinere Erwägung nahe, dass bei diesen
nicht minder als beim Aufbau der Fabel strenge Ursächlich
keit zu walten habe. Und dies gibt ihm wieder den Anlass,
einiges auf die ,Lösung' Bezügliche nachzutragen, insbesondere
in Betreff der Verwendung des deus ex macliina, woran sich
wieder ohne Gewaltsamkeit eine allgemeine Bemerkung über
die Statthaftigkeit des ä'Xoyov (wozu ja in gewissem Sinne auch
das Auftreten und die Allwissenheit der Götter gehört) in der
Tragödie anschliesst.
So viel über das Capitel 15, wo zur Annahme von Lücken,
zu Athetesen oder Transpositionen nicht der mindeste ernste
Anlass vorliegt.
Die Capitelfolge 15—16 hingegen ist und bleibt eine
völlig unbegreifliche. Mag man nun mit uns aus dem Schluss
des Cap. 15 die Absicht des Autors erkennen, mit allen p.spvj
tv)? Tpa^wStczc ausser der Stdvoia und Xetjic aufzuräumen oder
nicht, mit der Behandlung der ,Fabel' war jedenfalls am Ende
des Cap. 14 in einer keinen Zweifel gestattenden Weise ab
geschlossen worden durch die Worte: Trspl p.sv ouv tv;c twv xpa-
YP-a-wv Guordcrscoc y.ai vroiouc xiva? sivat Sei tou? p.üOouc, elpvjTai iy.avöc.
Die dva-fviopitjii;, über die das Cap. 16 handelt, ist nicht nur
Offenkundigermassen ein Bestandtheil der Fabel, sie wird auch
von Aristoteles in unzweideutigen Worten als solcher anerkannt
(Cap. 10, 52“ löff. und Cap. 11, 52’’ 9f.). Dass er nunmehr,
nachdem er in Cap. 15 den zweiten p.spoc, die vjOv;, erledigt hat,
zu einem Theil des ersten, des p.uOo;, zurückkehre, dass er mit
Vorbedacht diese sachwidrige Anordnung gewählt habe —
das ist eine Voraussetzung, die dem gesunden Sinne jederzeit
als unannehmbar gelten wird. Nur über die Erklärung der
Art und Weise, wie dieser Sachverhalt entstanden ist, sollte
unter Kritikern eine Meinungsverschiedenheit möglich sein.
Zu Aristoteles’ Poetik. III.
3
Nichts liegt näher als der Gedanke, dass die zwei Capitel ihre
Stelle zu tauschen haben. Allein kaum hat man diesen Ge
danken näher ins Auge gefasst, so wird man auch die ernsten
Bedenken gewahr, die an ihm festzuhalten uns verhindern.
Der Uebergang von Cap. 14 zu Cap. 15 erfolgt, wie die oben
ausgehobenen Worte zeigen, in völlig naturgemässer Weise.
Schieben wir das 16. ausschliesslich mit einem Theil der Fabel
sich befassende Capitel dazwischen, so erscheint jene allgemeine
Wendung jedenfalls nicht angemessener, eher minder ange
messen, als sie es jetzt ist. Doch das ist von mehr neben
sächlicher Bedeutung. Der Haupteinwurf gegen diesen Trans
position svorschlag ist ein anderer. Man muss es sich zweimal
überlegen, che man zu der Annahme greift, dass ein ganzer
in sich wohl geschlossener Abschnitt eine Versetzung erfahren
hat. Derartige Vorgänge pflegen ja nicht dem Muthwillen
sondern dem Zufall zu entspringen. Ihre Ursachen sind äusser-
licher oder mechanischer Art: eine Blattvertauschung, die Aus
lassung einer grösseren Stelle und die der Unkenntnis ent
springende nachträgliche Einfügung an einem ihr fremden
Ort u. s. w. Die Fälle einer wirklich stattgehabten Transposition
verrathen sich durch eine unmittelbare Störung des Zusammen
hanges, und zwar an zwei Stellen: an derjenigen, wo das Stück
fälschlich steht, und an der anderen, wo es stehen sollte. Doch
wir haben wohl schon zu viele Worte an das gewendet, was
selbstverständlich sein sollte. In einem Falle wie der unsrige
spricht die Präsumtion für eine andere als eine rein mechanische
Entstehung des vorhandenen Misstandes. Nicht blindes Un
gefähr sondern Unvollständigkeit der Redaction, Hinzufügung
eines Nachtrages, der mit seiner Umgebung nicht verwoben
wurde, sind in einem derartigen Falle mit weit grösserer Wahr
scheinlichkeit vorauszusetzen. Solch einer Präsumtion erwächst
diesmal eine besondere Stärke aus einer Wahrnehmung, die,
so viel ich sehe, bisher noch keine Verwerthung gefunden hat.
Der Widerstreit zwischen Cap. 16 und 15 ist längst bemerkt
worden, nicht ebenso der Widerstreit zwischen Cap. 16 und 17.
Die Art, wie Polyeidos die Erkennung des Orestes durch Iphi
genie vor sich gehen liess, wird in diesem und in jenem Ca
pitel erwähnt; man vergleiche:
l*
4
IY. Abhandlung: Go mp er z.
c. 17, 55” 9 ff. el’O’ wc Eu-
ptlrf87)C £10’ W? IloAUctOOi; STTOlTjCeV,
•/.axa -r'o eiy.oc ewrwv oti öux apa
p.ivov TYjv äScAwr,'/ xAAa y.at «ot'ov
ISei TuO^vat —.
Dazwischen liegen 35 Zeilen (der Berliner Akademie-Ausgabe).
Sollen wir erst darauf hinweisen, wie wenig die zweite Stelle
eine Bekanntschaft des Lesers mit der ersten voraussetzt, in
wie hohem Masse unwahrscheinlich es ist, dass Aristoteles die
zwei Stellen, beziehentlich die Capitel, in denen sie erscheinen,
in einem Zuge geschrieben hat? Die Annahme einer blossen
Unterbrechung der schriftstellerischen Arbeit aber würde
schwerlich genügen, wie sich denn eine derartige Auskunft
auch in anderen Fällen als eine wenig zulängliche erwiesen hat;
vgl. des Verfassern Herodoteische Studien II 79 [597], Denn
der Schriftsteller, der eine unterbrochene Arbeit wieder auf
nimmt, pflegt das vorher Geschriebene zu lesen; besitzt er doch
kein anderes Mittel, um sich zu orientiren und den plumpsten
Wiederholungen oder noch schlimmeren Missgriffen vorzubeugen.
Die Hypothese hingegen, dass Cap. 16 nachträglich verfasst
und mit dem Vorangehenden wie mit dem Nachfolgenden nicht
zusammengearbeitet ward — diese Voraussetzung entspricht
allen Bedingungen des Falles und empfiehlt sich überdies durch
den Inhalt des Abschnittes, die genauere Ausführung eines
Nebenpunktes, die bei der ersten Ausarbeitung eines viel
umfassenden Themas leicht übergangen wird, während sie sich
naturgemäss dann einstellt, wenn der Schriftsteller und insbe
sondere wenn der Lehrer zu erneuter Behandlung eines in
seinen Grundzügen erledigten Gegenstandes zurückkehrt. Um
alles zu sagen, was sich mir hier an Vermutliungen aufgedrängt
hat: ich möchte glauben, dass Aristoteles die Lehrvorträge
über Poetik dreimal gehalten hat. In der Niederschrift, in der
er seinen ersten Vortragscursus fixirt hat, werden die Cap. 16
—18 noch gefehlt haben. Auf eine solche Phase der Ab
fassung weist eben, wenn wir nicht irren, die Beschaffenheit
der Schlusspartie und insbesondere des eigentlichen Schlusses
des Cap. 15 hin. Bei einer Wiederholung des Curses wurde,
so darf man vermuthen, die Detailausführung über die ,Arten
c. 16, 55 a 6 ff. y.at r t IIo-
XuetSoU TOU OOffitOTOÜ TCSpl Tvjc ’lffil-
-fivstac • sty.b? yap t'ov ’OpsoTYjv <jua-
Ao-poaoOat 5ti r { t’ aSsXtpY] ItMt)
y.a't ai)TW oup.ßatvei OusaOat.
Zu Aristoteles’ Poetik. III.
5
der Erkennung' nachgetragen, bei einer anderen (ob früheren
oder späteren, darüber lässt sich nicht einmal eine Vermuthung
wagen) die Cap. 17 und 18, die ihrerseits ganz und gar den
Charakter solch einer nachträglichen Zuthat besitzen. Um dies
zu erkennen und um bei diesem Anlasse die kritischen An
fechtungen, mit denen diese Abschnitte so oft heimgesucht
wurden, auf ihre Begründung zu prüfen, thut es Noth, den In
halt derselben genauer zu durchmustern.
Die zerstreuten Bemerkungen, aus denen sich Cap. 17
zusammensetzt, schliessen sich dadurch zu einer inneren Ein
heit zusammen, dass es durchweg Winke oder Bathschläge
sind, die den Process des dichterischen Schaffens selbst
zu ihrem Gegenstände haben. Dem Dichter wird in diesem
und nur in diesem Abschnitte gesagt, nicht sowohl was als
wie er zu dichten habe. Dass dies der ungemein angemessene
Inhalt eines Nachtragscapitels ist, braucht kaum gesagt zu
werden. Den objectiven Forderungen, die an die Tragödie
gestellt wurden, schlossen sich sehr passend, wie wir meinen,
die subjectiven Forderungen an, durch deren Befriedigung die
Erfüllung der ersteren gefördert und erleichtert werden sollte.
Ich gehe auf das Einzelne nur insoweit ein, als es sich
um Punkte handelt, die von keinem der Kritiker bisher in
einer Weise geordnet worden sind, bei der ich mich be
ruhigen zu können glaube, oder in denen die Ansicht, die
mir als die richtige gilt, doch noch einer wesentlichen argu
mentativen Verstärkung fähig und bedürftig scheint. Zunächst
ein Wort über den Verstoss gegen die Bühnentechnik, der dem
Karkinos vorgeworfen ward. Ampliiaraos hatte das Heilig
thum verlassen, während die Bühnenvorgänge seine Anwesen
heit darin voraussetzten; dies kam erst bei der Aufführung
ans Licht und verursachte das Fiasco des Stückes. Un
möglich, so dürfen wir bemerken, konnte dies in der Weise
vor sich gehen, dass der Schauspieler, der die Bolle des
Ampliiaraos gab, einfach die Bühne verliess und sie während
jener Scene, in der er hinter der Bühne im Heiligthum
anwesend gedacht werden sollte, nicht wieder betreten hat.
Denn woraus sollte dann das Publicum seine Entfernung aus
6
IV. Abhandlung: Gomperz.
dem Heiligthum erschlossen haben? Vielmehr kann die Sache
sich nur so zugetragen haben, dass jener Schauspieler auf
der Bühne mittlerweile in einer anderen Rolle erschienen ist,
während gleichzeitig (um einen von mehreren möglichen Fällen
zu nennen) eine andere Person das Heiligthum besuchte, um
mit dem darin angeblich befindlichen Amphiaraos Zwiesprache
zu pflegen. Ein solcher Conflict der Rollen konnte einem
Dichter, der sich mit Regie und Proben wenig zu schaffen
machte und sein Werk nicht auf seine scenische Wirkung
prüfte, gar leicht entgehen. Was die Textesworte betrifft, so
scheint es mir zweifellos, dass Dacier die Stelle richtig ver
stand, als er den Oeavijv durch den xoiYjrijv ersetzen wollte.
Doch ist die Aenderung zu gewaltsam, um keinen Scrupel
zurückzulassen. Ich nehme den Ausfall eines Buchstabens und
die ihm fast unvermeidlich nachfolgende Interpolation eines
Wortes an. Aus 3 p.v; öpövx’ a(u)tbv eXavOavcV (55 il 27 f.) konnte
sehr leicht das werden, was jetzt in der Handschrift steht:
3 p.l) Spwvua t'ov Osarr)v eXavOavev. Vahlen’s Schreibung 3 p.r,
opiovc' ä(v) xbv Oeaxljv sXdvÖavsv heisst doch nichts anderes als:
,was dem Zuschauer verborgen bliebe, wenn er in diesem
Falle eben kein Zuschauer wäre'. Vielleicht führt jemand zur
Vertlieidigung dieser Seltsamkeit die Erwägung ins Feld, dass
das Wort Osav/jq nicht sofort und immer an seine Grund
bedeutung erinnern musste. Die Oeazcd oder das Oeaxpov können
einfach das Publicum bedeuten, und so angesehen würde die
Vahlen’sche Fassung des Textes etwa besagen: wenn das
Publicum dem Drama nur mit dem Ohre, nicht mit dem
Auge folgte, so könnte ihm jener Verstoss entgehen. Doch
was wäre mit dieser Vertheidigung gewonnen? Auch vom
Publicum kann hier nicht die Rede sein, da ja eben die
Bühnenaufführung und der Eindruck, den sie auf das Publi
cum hervorbrachte, diesem Satze contrastirend gegenüber ge
stellt wird: sxi oe ~r,c raijVYjs sljexecev (Subject ist der Dichter,
wie 56 a 18 f.) Suayspavavxcov xoüxo xwv Oedtfuv.
Der unmittelbar folgende Satz: oaa 3k Suvaxov v.otl toR
<ruvaxspYa'C4|J.£vov — hat, soviel ich weiss, bisher keine befrie
digende Erklärung gefunden. Ich verzichte auf jede Polemik
und begnüge mich damit, zu bemerken, dass hier dem Dichter
einfach der Rath ertheilt wird, ,insoweit als dies möglich ist,
Zu Aristoteles’ Poetik. III.
7
(d. h. insoweit als dies noch vor den Proben und ohne die
Einwirkung des Regisseurs geschehen kann) ,die G-esticulation
festzustellenh An den Rath, sich bei der Composition der
Fabel und der Ausarbeitung der Diction das Bühnenbild so
lebendig als möglich vor Augen zu halten, schliesst sich, ich
meine sehr passend, der weitere Rath an, auch jenen Tlieil des
Bühnenbildes, der sich nicht im Gehen und Kommen, in der
wechselnden Stellung und Gruppirung der Schauspieler erschöpft
sondern die Gesticulation des Einzelnen begreift, gleichzeitig zu
fixiren. Ueber solche Bühnenweisungen, die icapeitifpa?«! hiessen,
vergleiche man übrigens Karl von Holzinger’s lehrreiche Zusam
menstellung ,Ueber die Parepigraphä zu Aristophanes' (Wien
1883). So wenig xvj Xsijsi a^spYd'CecOai — oder auch cuvaTOpfct-
iiecOat, was sich meines Erachtens als = ap’ omepyaCeaOai halten
lässt •— ein Vordeclamiren des Stückes bedeutet, ebenso
wenig kann tou; G/r^xaciv cuvaTrspYaCecOai ein Vorspielen des
selben besagen. Denn beides lässt sich unmöglich trennen.
Zuerst wird die Feststellung der Diction unter gleichzeitiger Ver
gegenwärtigung der scenischen Vorgänge, dann wird die Fest
stellung der Action unter der gleichen Bedingung gefordert.
Beides zusammen umfasst die doppelte Sprache, in der der
Schauspieler zu uns redet, die des Wortes und jene der Geherde.
Es folgt eine Begründung der zweiten dieser Forde
rungen, die einen Gedanken, man darf wohl sagen als einen
selbstverständlichen, zunächst unausgesprochen lässt, den Ge
danken nämlich, dass der Dichter während seines poetischen
Schaffens von dem jedesmaligen Affect, den er darstellt, zeit
weilig selbst erfüllt ist. Mit Ueberspringung dieses Gedanken
gliedes, das übrigens nach einigen Zeilen wieder an die Ober
fläche tritt, begründet Aristoteles seine Forderung einfach mit
dem Satze: xiOavwxa'iOi Y“P “F a’u~?jc ty)c ipiastoc ot ev toic xaOedv
etaiv. Das heisst: Pectus facit disertum, und die also dem
Affect entspringende Beredsamkeit beschränkt sich keineswegs
auf die Ausdrucksweise, deren Vehikel der articulirte Laut
ist. Leider ist uns dieses Sätzchen nicht unversehrt über
liefert. Aus aV abzrjq -ri)c, (yöcewc hat Laune oder Irrthum eines
Schreibers das thörichte, längst schon von Twining, Tyrwhitt,
G. Hermann und vordem auch von Valden berichtigte aVo tyjc
aimjs (jpücew; gemacht. ,Mit dem höchsten Grade von Natur-
8
IV. Abhandlung: Gomperz.
Wahrheit' — so ungefähr fährt Aristoteles fort — ,rast der
Rasende und tobt der Zornerfüllte.' Da es nun aber, so mag
man den Gedanken ergänzen, unthunlich ist, die von wirklicher
natürlicher Leidenschaft erfüllten Personen auf die Bühne zu
bringen, die dieser einen Forderung, aber freilich keiner
anderen vollständig genügen würden, so ist es die Sache
des nachempfindenden Dichters, und zwar in dem Zeitpunkte,
da sein Nachempfinden das kräftigste ist, die das Geberden
spiel betreffenden Anweisungen zu ersinnen und niederzu
schreiben. Und da hier das Nachempfinden des Dichters den
Stagiriten beschäftigt, so drängt sich ihm zugleich eine Ant
wort auf die naheliegende Frage in die Feder, welche Eigen
schaften den Dichter für diesen hochwichtigen Theil seiner
Aufgabe am besten befähigen. So entstand das inhaltschwere
Sätzchen: ot'o eü<püoü? yj toiy;!««; egtiv y; [j,avr/.oü ■ toütiov yäp oi
p.ev s'jxXaaroi oi Se bunamval sioiv, zu deutsch: ,darum ist das
Dichten Sache theils ungemein geistvoller, theils überaus tem
peramentvoller Naturen; denn jene wissen sich leicht in alles zu
finden, diese treten gar leicht aus sich heraus'. In dem einen
Fall, so mag man den Gedanken weiter ausführen, ist die posi
tive Fähigkeit, sich in fremde Gemüthszustände zu versetzen,
die Bildsamkeit oder Plasticität des Talentes entscheidend, in
dem anderen die geringe Widerstandskraft gegen die der
artige Naturen so leicht überwältigende Macht des Affectes.
Man könnte in diesem Sinne von solchen sprechen, die aus
dem Geist heraus, und von solchen, die aus dem Temperament
heraus dichten, wobei man natürlich nicht vergessen darf,
dass auch der geistvollste Poet nicht des Temperamentes, der
temperamentvollste nicht des Geistes ganz und gar entrathen
darf. In dem höchsten Dichtergenius, so in einem Shake
speare, werden beide Elemente einander nahezu die Wage
halten. Will man aber die zwei Typen in schöpferischen Na
turen wenn auch von ungleichem Werth verkörpert sehen, so
denke man an Goethe und an Victor Hugo. Fast hätte ich
des kleinen Fehlers der Ueberlieferung vergessen, der aus
dem ursprünglichen 6KCTATIKOI wahrscheinlich durch Ver
mittlung der Schreibung GZCTATIKOI das absurde 6E6TA-
CTIKOI gemacht hat. In einer der Handschriften, die ihm
Vorlagen, hat schon Pietro Vettori die richtige Schreibung vor-
Zu Aristoteles’ Poetik. III.
9
gefunden; Tyrwhitt hat sie in den Text gesetzt. In neuerer
Zeit war es vorzugsweise Vahlen’s Einfluss, der die Schrei
bung der massgebenden Handschrift wieder zu Ehren bringen
half. Darnach soll der |mm.oc der süxÄa!7-;oc, der pjcur,? aber
der ^s-rac-f/.oc sein. Gegen die erste Gleichstellung kann ich
nur an das gesunde Gefühl jedes unbefangenen Lesers appel-
liren. Der von irgend einer Art der gavia Ergriffene und
Uebennannte, der Besessene, wenn wir die Sache so stark aus-
driicken wollen, wie der Grieche es zu thun liebt, soll ai-
7tXac-oq heissen können. Schon das Präfix su, so darf man
wohl sagen, erhebt dagegen Einspruch und weist deutlich auf
e o <p uf,c hin, in dem wieder das Stammwort von der Paarung
mit e-sioca-iy.oq ganz und gar nichts wissen will! Wenn das
eines vollgültigen deutschen Aequivalents entbehrende Adjectiv
irgend etwas in sich schliesst, so ist es der Begriff der ge
nialen Leichtigkeit. Wir schämen uns unseres Fleisses und
verstecken ihn Tv’ eocpusü; eb/ai oo§o)|j.£v (Topik III 2, 118“ 22).
Gute Metaphern zu bilden ist das einzige, was man nicht von
anderen lernen kann, eücpuiac, ts cY)|j.stöv ictt (Poet. 22, 59“ 6f.).
Sollen wir an den stehenden Gegensatz der ouct? und [WAsir,
erinnern? Und bedarf es eines Beweises dafür, dass, wenn ein
Dichter jemals a^ezacziv.iq heissen konnte (ein Wort übrigens,
das in den echten Schriften des Aristoteles nur einmal und
dort in Verbindung mit Dialektik begegnet, Topik I 2, 101 b 3),
damit nur ein solcher gemeint sein konnte, dem die natür
liche Leichtigkeit abgeht und der — etwa wie Lessing sich
selbst, wenngleich mit Unrecht, schildert — auf den Krücken
der Kritik nicht mühelos zur Höhe poetischen Schaffens empor
klimmt? Wenn jenes Adjectiv jemals in solch’ einem Zu
sammenhang auftreten konnte, so musste es in scharfem Gegen
satz stehen zu aller Unmittelbarkeit, zu aller Intuition, zum
instinctiven Treffen des Richtigen, und gerade dies ist im
Begriffe des süour,; beschlossen. Schliesslich vergleiche man
dieselbe Corruptel und ihre Beseitigung durch Bywater (Con-
tributions to the textual criticism of Aristotles Nicomaehean
Ethics, Oxford 1892, p. 2 n. 1) in des Aspasios Commentar
zur Nikomachisehen Ethik p. 136, 3 ed. Heylbut.
Es folgt ein anderer hochbedeutsamer Wink für den
schaffenden Dichter, ein Wink, der von des Stagiriten scharfem
10
IV. Abhandlung: Gomperz.
Blick für das Wesentliche das ehrenvollste Zeugnis ablegt.
Der Dramatiker soll, um nicht etwa durch schöne Einzelheiten
über die Unzulänglichkeit der Fabel getäuscht zu werden, diese
vorerst auf ihren Wesenskern zurückführen, von allen äusser-
lichen Zuthaten entkleiden und so gleichsam ihr Knochen
gerüste nackt und scharf vor das geistige Auge stellen. Der
Eingang dieses zweiten Haupttheils des Cap. 17 leidet an
zwei kleinen Textesstörungen, deren erste (xoüxouc xs statt xoüc
xe) bereits von den Anfertigern eines Theiles der Apographa,
deren zweite (xepixefvetv statt xapaxefveiv) von Pietro Vettori be
seitigt ward. Der Satz hat also zu lauten: xoüc -cs Xo-j-ooi; zat
-coli? xexo!Y)|J.evo’J<; Sei zat aüxov xoiouvxa szilöscflat y.aOöXou, eiO’ oüxcoc
ETCEtdoStouv zat xapaxefvstv. Ich würde diesen Satz nicht anführen,
wenn ich nicht die überaus befremdliche Wahrnehmung zu
verzeichnen hätte, dass der klare Wortsinn desselben von den
Interpreten, soweit ich sehen kann, durchweg nicht richtig er
fasst worden ist. Man hat den Unterschied zwischen xexon)-
pivou? und aüxov xoioüvxa auf die Verschiedenheit traditioneller
und selbsterfundener Stoffe bezogen. Die einen haben, um
für diese Unterscheidung einen angemessenen Ausdruck zu
gewinnen, x£xo«)|jUvoSfc in xapetXY)ppivoo<; geändert, andere sind
dafür eingetreten, dass xexoi7)p.evouc seinen Platz behaupten und
soviel als xapE(Xv]|j.|jivooc bedeuten könne. Gegen die letztere
Aufstellung genügt es, auf den gesammten Sprachgebrauch der
Poetik zu verweisen, der zugleich trotz vereinzelter Stellen, in
denen xoietv = fingo ist (wie 51 b 20—22), in entscheidender
Weise lehrt, dass aü-cov xoioüvxa sich nicht auf die eigene Er
findung des Dichters beziehen kann. Man denke an Stellen
wie zav apa aup,ß^ yevop.£va xotslv oder st xic xov xyjc ’lXiaooi; SXov
xoioi (jluOov oder oaoi xepaiv ’lXiou SXyjv exof-qa-av oder ei aüxa (näm
lich xa ev ’OouooEia aXofa) cpauXos xoiy]xf ( i; xonjoeiEV (51 b 29 f.; 56“
13, 16; 60 b 1); xoieIv heisst eben dichterisch bearbeiten
oder gestalten — gleichviel ob der Stoff ein erfundener
oder ein überkommener ist. Darum und überdies auch weil
der Fall völlig freier Erfindung eines Tragödienstoffes ein so
völlig vereinzelter ist (vgl. c. 9, 5L b 21), dass wir einem Hin
weis darauf in diesem Zusammenhänge zu begegnen unmöglich
erwarten können, hat auch jene conjecturale Aenderung nicht
die mindeste Berechtigung. Der Unterschied der durch xe-
Zu Aristoteles’ Poetik. III.
11
xoiy)(A£vou? und der durch aurbv toioövto bezeiclmeten Fälle
ist kein anderer als der zwischen Vergangenheit und
Gegenwart. Soll der Dichter zur Zeit, da ihn die Compo-
sition eines Dramas beschäftigt, die Fähigkeit besitzen, jene
ihm liier so dringend ans Herz gelegte Scheidung des Wesent
lichen vom Unwesentlichen mit Sicherheit vorzunehmen, so
muss er sie gleich jeder anderen Fähigkeit durch Uebung er
worben oder doch vervollkommnet haben. Und den Gegen
stand solcher Uebung können lediglich bereits vorhandene,
von anderen Poeten gedichtete Dramen bilden. Auf diese pro-
gymnasmatische Thätigkeit weist Aristoteles, wie es seine
Art ist, mit knappen aber unzweideutigen Worten hin und
stellt zugleich Musterstücke solcher Analysen, diese aber in
grosser Ausführlichkeit dem Leser vor Augen. Dass das
Sätzchen si(f ou-w? — wapaxslvsiv wieder ausschliesslich dem im
dramatischen Schaffen begriffenen Dichter gilt, auf den das
Augenmerk des Autors ja vorzugsweise gerichtet ist, kann
uns weder Wunder nehmen noch an unserer Deutung irgend
irre machen.
Jene meisterlichen Probestücke von analytischer Behand
lung dichterischer Stoffe sind mehrfach durch Interpolationen
entstellt, welche die Absicht des Stagiriten in ihr Gegentheil
verkehren und die man erheiternd nennen könnte, wenn nicht
der sogenannte Conservatismus der Herausgeber den einleuch
tenden Besserungen, die Castelvetro, M. Schmidt und Adolf
Torstrik vorgeschlagen haben, zumeist einen hartnäckigen
Widerstand entgegensetzte. Meine Zustimmung zu jenen Aus
scheidungsvorschlägen im einzelnen zu registrieren, erspare ich
mir um so lieber, als meine ungefähr gleichzeitig mit dieser
Abhandlung veröffentlichte Uebersetzung der Poetik ein Ver
zcichnis der mir billigenswerth scheinenden Textesänderungen
überhaupt enthalten wird.
Der Inhalt des Cap. 18 setzt Umstellungsversuchen einen
minder nachhaltigen Widerstand entgegen als jener des vor
angehenden Abschnitts. So will es wenigstens scheinen. Denn
zu Gunsten der von Heinsius und Spengel vorgeschlagenen,
von Susemihl und M. Schmidt befolgten Anordnung, wonach
12
IV. Abhandlung: Gomperz.
die Cap. 17 und 18 vor dem Cap. 15 zu stehen hätten, sprechen
in Ansehung dieses Capitels in Wahrheit gar manche Umstände.
Mit der ,Fabel', deren Behandlung jene Gelehrten erledigt
wissen wollten, ehe die Charaktere mit Cap. 15 in Angriff ge
nommen werden, beschäftigen sich ja in der That mindestens
ansehnliche Stücke dieses Abschnitts. Man muss genau Zusehen,
um zu erkennen, dass diese Vorbedingung jener Transposition
(ganz abgesehen von den unlöslichen Schwierigkeiten, die dann
Cap. 16 und 17 bereiten) in Wirklichkeit doch nicht vor
handen ist. Die Unterscheidung der Partien des Dramas, die
zur Schürzung und zur Lösung des Knotens gehören, wird
nicht zur Grundlage irgend welcher den Bau der Fabel be
treffender Vorschriften gemacht. Sie dient einzig und allein,
wie schon Valilen vollkommen richtig erkannt hat, zur Vor
bereitung des Satzes: ,Vielen Dichtern gelingt die Schürzung
wohl, während ihnen die Lösung missräth; es gilt aber stets,
beider Aufgaben Herr zu werden.' Und dieser Satz stellt wieder
nur einen Einzelfall der vielumfassenden Bemerkung dar: ,In
erster Reihe muss man nun darnach trachten, alle Vorzüge zu
vereinigen, oder doch jedenfalls die meisten und bedeutendsten.'
Dass der Stagirit hier unmöglich die Fabel allein im Auge
haben kann, dass nicht der mindeste Grund vorliegt, die weite
Allgemeinheit dieser Empfehlung an die Erörterung eines ein
zelnen Tragödienbestandtheils geknüpft zu denken, dies darf
als selbstverständlich gelten. Wenn im übrigen die in diesem
wie in Cap. 16 zerstreuten Einzelwinke sich mehrfach auf die
Fabel beziehen, so hat dies seinen natürlichen Grund darin,
dass dieser Theil der Tragödie in den Augen des Aristoteles,
der dessen Vorrang mit so nachhaltigem Eifer behauptet hat,
eben den Haupttheil derselben bildet. Was hätte aber in einem
der Fabel ausschliesslich gewidmeten Abschnitt die den Chor
und die richtige Art seiner Verwendung betreffende, mit so
behaglicher Breite ausgeführte Erörterung am Schluss des Ca
pitels zu bedeuten ?
Ich wende mich zur kurzen Besprechung einiger Einzel
heiten. Die durch zwei Lücken verunstaltete Stelle 55 b 26ft.
lese ich mit leichter Modificirung der Verbesserungsvorschläge
von Vahlen, Spengel und Christ (dessen Ergänzung durch die
arabische Uebersctzung bestätigt ward) wie folgt: Xs-fio oe Seciv
Zu Aristoteles’ Poetik. III.
13
p.ev eTvat tv]V ott’ <xp/f t q p.eypt toöxou xoö p.epoup ei; oü p.exaßat'veiv (ei?
BucxuyGv uup.ßaivei £ i? eüxuyiav, Xuaxv Se x?]v äno tvj? apyvjc ~?)?
[letaßaeeo)? p.eypi xeXouc • Sraep ev xS Au-ptef xm Bsoosy.xou oect? p.sv
xd xs itpoTOÜcpaYixeva y.ai rj xou iroiiSiou XyjiJh? y.ai ttccXiv vj aiixoiv 3v)(X(ooi?,
X6ct? S’ vj) aito xrj? aixiaaewc xou Aavaou p.r/pi xou xeXouc. Es folgt
die vielbehandelte Stelle: xpayMSfa? oe el'Sv) eicr: xso-oapa, xooauxa
yäp y.ai -ca [J.epv; eXeyOy], v; p,ev 'xsTxXe-j'p.svv] y.xe. Hier will ich
nur mit wenigen Worten meine Ueberzeugung aussprechen,
dass uns bloss die Wahl gelassen ist zwischen der Tilgung und
der Verbesserung des hervorgehobenen Sätzchens in dem Sinne,
den Tyrwhitt und Ueberweg als den allein angemessenen er
kannten, indem statt xd pipr ( jener xd p.uOwv, dieser xd p,60ou
oder xou p.uOou zu schreiben vorschlug, während der sprach
lich zulässige Ausdruck xa xou p.uOou sich allerdings von den
überlieferten Worten am weitesten entfernt. Alles, was über
die Stelle zu sagen Noth thut, ist bereits von Ueberweg
in Nr. 84 seiner Anmerkungen und von Vahlen (Beiträge
II 49 f.), soweit seine Darlegung sich gegen die Ueberlieferung
kehrt, gesagt worden. Bei dieser Berufung von dem Her
ausgeber der Poetik auf den Verfasser der ,Beiträge' darf es
hoffentlich sein Bewenden haben. Ebenso mag es uns gestattet
sein, von einer eingehenden Widerlegung jener Darlegung ab
zusehen, die in dem Stücke 56 a 18—21 einen ungestörten Ge
dankenzusammenhang nachweisen will. Dass der Archetypus
eben in dieser Partie eine schwere Schädigung erlitten hat,
dies bezeugen die vier unleugbaren Lücken 55 1 ’ 28, 31, 34 und
56 a 3 (an letzterer Stelle bisher freilich nur von Ueberweg an
erkannt, aber ebenso unabweisbar als Schrader’s treffliche
Besserung: xo 3e xspaxoioec). Da wird man sich denn auch be
sinnen dürfen, ehe man den Gedankensprung von Agathon zu
den ,jüngeren Tragikern' 56“ 19 unternimmt und ehe man
zwischen cxoyai^ovxat Sv ßoüXovxat Oaupacxwc und xpa-py.bv ~(dp xouxo
y.ai (ptXavOpüJTtov einen ununterbrochenen Gedankenfluss anerkennt,
den kein unbefangenes Auge wahrzunehmen im Stande ist.
Oder sollte es wirklich Noth thun, darauf hinzu weisen, dass
jenes ev Se xal? TOpHTexsiai? y.al ev xot? ckcXoI? rcpcq'p.aai (y.ai dkXw?
ev xolc ■xpaYp.aa'i ?) oxoya?ovxat Sv ßou?.ovxat Oaup.acxwc nur von einer
Classe von Tragikern gesagt werden konnte, vielleicht in der
That von jenen veSxepoi, deren Werke zumeist dr,f)stc waren
14
IV. Abhandlung: Gomperz.
(50 a 25) und die diesen Mangel durch Geschick in der Füh
rung der Handlung (als antike und tragische Scribe’s) com-
pensiert haben mögen, — dass diese aber unmöglich in dem
einen Punkte übereinstimmten, dass sie allzu weitschichtige
Stoffe in den Rahmen eines Dramas zwängten. Denn dies ist
ein specieller, man möchte sagen zufälliger Fehler, in dem
gewiss Dichter der verschiedensten Richtungen gelegentlich zu
sammentrafen. Wenn Aristoteles in dem angeführten Satze die
jüngeren Tragiker meinte, so hat er dies gewiss auch aus
drücklich gesagt und uns nicht zugemuthet, in Agathon (der
übrigens fast sicherlich nicht um seines Stoffreichthums willen
im allgemeinen sondern ob dieses in einem bestimmten Drama
begangenen Fehlers getadelt wird) den Typus der jüngeren Dra
matiker schlechtweg zu erblicken. Die innere Unwahrscheinlich
keit dieser Annahme erhellt auch aus der folgenden Erwägung.
Die einzige gemeinsame Eigenschaft der jüngeren Tragiker',
mit welcher der Verfasser der Poetik uns bekannt macht, ist
ihre mangelhafte Charakterzeichnung (a-^Osi? -paycoolat, s. oben);
Agathon aber wird in einem bestimmten derartigen Falle in Be
treff der Art, wie er den ,Starrsinn' Achills geschildert hat,
als Vorbild hingestellt und neben Homer genannt (54 b 14)!
Jenes -payixov yccp toüto y.al iptXdvÖpcöieov mit dem, was sich
daran reiht, 56“ 21 ff., enthält übrigens einen scheinbaren
Widerspruch mit dem, was 53“ 1 ff. gesagt ward, der soviel
ich sehen kann noch nicht beleuchtet worden ist. An unserer
Stelle wird das Unterliegen des Bösewichts und des Unge
rechten ,zugleich tragisch und menschenfreundlich' genannt,
während an jener früheren Stelle solch einem Fall nur die
letztere, nicht die erstere Bestimmung zuerkannt wird. Der
Widerspruch lässt sich nicht einfach und unmittelbar dadurch
lösen, dass hier von Bösewichten die Rede ist, die zugleich
durch Intelligenz hervorragen (6 uoa'oc [piv] p.s.'ccc xorripiaq), und
dass der hier gemeinte Ungerechte sich durch Tapferkeit aus
zeichnet (6 ävopiloi; piv ci.biv.oq oi). Nicht einfach und unmittelbar,
sage ich; denn die Begründung, mit welcher an jener früheren
Stelle diesem Falle die tragische Wirkung abgesprochen ward
(,das Mitleid gilt dem schuldlos Leidenden, die Furcht dem
uns Gleichartigen'), wird durch die hier eingeführte Combi-
nation nicht eigentlich entkräftet. Was diese wirklich leistet,
Zu Aristoteles’ Poetik. III.
15
ist das Folgende. Den verwerflichen Eigenschaften werden
Vorzüge beigesellt, die uns deren Träger zwar nicht anziehend
machen, aber die abstossende Wirkung, die sie sonst üben
würden, wesentlich mildern. So entspringt ein Eindruck, der
aus Freude über die Niederlage des Helden und aus innerem
Antlieil an seinem Loose sich zusammensetzt. Dies darf man
zwischen den Zeilen lesen. Und auch noch ein anderes.
Der Einwand liegt nahe, dass die hier vorausgesetzten Vor
gänge, die Täuschung des Schlauen und das Unterliegen des
Tapferen, gegen die innere Wahrscheinlichkeit (das ei/.öc) ver-
stossen. Diesem stillschweigend erhobenen Einwurf begegnet
Aristoteles durch die Anwendung des erweiterten Wahrschein
lichkeitsbegriffes, durch den Hinweis auf Agathons Wort, dass
eben das Unwahrscheinliche oft das Wahrscheinliche sei. Dabei
sagt er sich wohl im Stillen, das man jenen zwiefach genuss
reichen, weil zugleich tragischen und menschenfreundlichen
Eindruck auch durch eine Ermässigung der strengen Wahr-
scheinlichkeitsforderungen zu erkaufen geneigt sein wird. Geben
wir uns doch der dramatischen Illusion um so williger hin,
je reicher der Genuss ist, den wir von dieser Hingabe em
pfangen. Wie natürlich es übrigens ist, dass ein complicirter
Fall, wie ihn die Behandlung gemischter Charaktere darbietet,
und desgleichen die aus ihm sich ergebende ausnahmsweise
Ermässigung der in der Regel geltenden strengen Anforde
rungen eben in nachträglichen Zusätzen Platz gefunden hat,
braucht kaum gesagt zu werden.
Es folgt das 19. Capitel, dessen erster Satz den Inhalt
der vier nächsten Abschnitte ankündigt mit den Worten: ttspl
|j.L oöv töv aXXcov vjSy) sl'p?;"ai, Xoktov ok nspt v.txl Sia-
vota? swrsTv. Die Siavoca wird in Wahrheit nur ihres engen
Zusammenhanges mit der Xeljic wogen erwähnt, nicht um hier
behandelt, sondern um aus dem Rahmen dieser Untersuchung
hinaus- und der Rhetorik zugewiesen zu werden. Nicht anders
wird jener Theil der Xeljic, der der Stavota am nächsten steht,
die cr/^p.a-ca tyj<; Xsijsw?, der Vortragskunst überwiesen. So ist
endlich Raum geschafft für die weitläufige, drei ungewöhnlich
lange Capitel einnehmende Behandlung der Xsijic. Nichts kann
auf den ersten Blick verwunderlicher scheinen, als dass hier,
16
IV. Abhandlung: Gomperz.
wo in Wahrheit noch immer eine Dichtungsart, die Tragödie,
in Frage steht, ein Gegenstand in Angriff genommen wird,
der nicht nur mit allen anderen Zweigen der Poesie ganz
ebensoviel als mit dem Trauerspiel zu schaffen hat, dessen
Bedeutung vielmehr über den Bezirk der Poesie überhaupt
hinausreicht, dieser mit der Prosa gemein ist und seine natür
lichste Stelle vielleicht in einer der Poetik und Rhetorik ge
meinsamen Einleitung gefunden hätte. Dennoch ist gerade
dies der Punkt, an welchem wir die Disposition des Verfassers
als eine ungemein kunstvolle zu bewundern allen Grund haben.
Als er die ,Poetik' schrieb, war die ,Rhetorik' noch nicht vor
handen. Aber auch davon abgesehen spielt der Schmuck
der Rede in der Poesie eine so weit grössere Rolle als in der
Prosa, dass sobald nur die Wahl offen stand zwischen der
Behandlung dieses Themas in der Poetik oder in der Rhe
torik (und das müssen wir in der That als eine gegebene
Thatsache hinnehmen), die Entscheidung nicht zweifelhaft sein
konnte. Wie Aristoteles in Betreff der Siavota hier auf sein
Werk über die Redekunst, so hat er in Betreff der Ziermittel
der Rede in jenem Werke (Rhet. III 2) auf die Schrift über
die Dichtkunst verwiesen. Darüber handeln nun in Wahr
heit allerdings nur die Cap. 21 und 22. Dem systematischen
Geiste des Stagiriten aber widerstrebte es, die ov6p.aioc, eiSv), das
heisst die Abarten eines Bestandtheils der Rede, zu erörtern,
ehe er diesem seine Stelle unter den übrigen Bestandteilen
angewiesen und ehe er gesagt hatte, was Rede überhaupt ist
und in welcher Stufenfolge sie sich aus ihren Urelementen
vom Sprachlaut bis zum "kofoc in dem weiten Sinne, der sogar
die ganze Ilias als eine Einheit umfasst, auf baut und gliedert.
Wo aber sollte innerhalb der Poetik diese ganze Erörterung
Platz finden? Der Eingang des Werkes blieb in naturgemässer
Weise der Aussonderung der Poesie aus dem Gesammtbereich
der ihr nächstverwandten, der musischen Künste Vorbehalten.
Daran schloss sich nicht minder naturgemäss die Gliederung
der Poesie in ihre Gattungen an. Die nächste Stelle nimmt
die Frage nach dem Ursprung und der Entwicklung der
von Aristoteles anerkannten Hauptgattungen der Dichtung ein.
Durch diese hatte er sich unmerklich den Weg gebahnt
zur Feststellung der Werthunterschiede und der dadurch be-
Zu Aristoteles' Poetik. III.
17
stimmten Reihenfolge jener drei Hauptgattungen: Tragödie,
Epos und Komödie. Die Betrachtung der Tragödie hat ihn
zur Unterscheidung ihrer Bestandtheile und im Anschluss
hieran zur Feststellung der Rangfolge derselben geführt. Der
,Sprache* ward keineswegs der oberste oder einer der obersten
Plätze zugewiesen. Ebensowenig aber einer der letzten. Sie
aber an letzter Stelle zu behandeln war ein Gebot zwingender
Nothwendigkeit, und zwar aus zwei Gründen. Der so sehr
beträchtliche Umfang, den diese Erörterung erheischte, musste
das Ebenmass der Darstellung, wenn diese an einem früheren
Orte stattgefunden hätte, aufs empfindlichste stören. Weit
mehr aber besagt ein anderes: die Xei;i£ ist ein pipcc der Tra
gödie; aber sie ist ganz ebenso sehr ein pipoc des Epos und
ein pipop der Komödie, um von den dem Stagiriten nicht als
vollwerthig geltenden Dichtungsarten zu schweigen. Da war es
denn ein überaus glücklicher Griff, diese weitläufigen Sprach-
capitel an den Schluss der von der Tragödie handelnden Partie
und damit zugleich unmittelbar vor den Anfang der die an
deren Dichtungsarten, zunächst der das Epos betreffenden Ab
schnitte zu setzen. Man versuche es im Geiste diese Ordnung
zu ändern; man denke, dass irgendwelche die Tragödie allein
angehenden Bemerkungen, etwa jene, die jetzt die Schluss
partie des Cap. 15 bilden, sich zwischen Cap. 22 und 23 ein
geschoben hätten, und man wird das bis zur Lächerlichkeit
Ungereimte solch einer Reihenfolge empfinden. Daraus ergeben
sich uns zwei Folgerungen. Es wird uns erstens völlig ver
ständlich, dass das Cap. 15, das ex professo über die Cha
raktere handelt, manches andere damit nur in sehr losem
Zusammenhänge stehende enthält; denn wir begreifen jetzt die
gebieterische Nothwendigkeit, die es dem Verfasser anbefahl,
mit allem, was zur Tragödie aber nicht zur Xeipc gehörte,
gründlichst aufzuräumen. Zweitens aber und hauptsächlich:
es darf uns nunmehr als unbedingt unglaubhaft gelten, dass
ein Schriftsteller, der so viel verständige Ueberlegung auch
an die blosse Anordnung seines Stoffes gewandt hat, die grelle
Verkehrtheit begehen sollte, die in der Abfolge der Capitel
15—16 gelegen ist.
Es ist Zeit, zur Betrachtung einiger Stellen dieser Ab
schnitte überzugehen. C. 19, 56’’ 7 f. bietet die Handschrift:
Sitzimgsber. d. phil.-hist. CI. CXXXV. Bd. 4. Abh. 2
18
IV. Abhandlung: Gomperz.
t£ yäp av sl'v) toü XeyovTo; Spyov st cpavorro rjBsa y.ae |R) Siä tov
Xoyov; Mit der Meinung, dass rjSea ,einen weder unrichtigen
noch unklaren Gedanken darbietet', und dass man darum ,bei
der Ueberlieferung ... zu beharren' gut thun werde (Beitr.
III 303), blieb Yahlen vereinzelt, und er gab sie in seiner
zweiten Ausgabe auf mit den Worten: ,cuius nec olim aptam
explicationem inueni neque nunc reperio', während er in seiner
dritten Auflage wieder zu seiner ersten Ansicht, wenn auch
mit geminderter Zuversicht zurückkehrt. Ich kenne nur eine
gründliche Heilung des hier vorliegenden Textesschadens und
erwähne sie darum, weil ihr Urheber, der nicht selten durch
allzu grosse Zuversicht gefehlt hat, diesmal meines Erachtens
allzu zaghaft gewesen ist. Es ist dies Leonhard Spengel, der in
seiner Flugschrift (,Aristoteles’ Poetik und Joh. Vahlen’s neueste
Bearbeitung derselben', Leipzig 1875, S. 8) sich über diese
Stelle wie folgt äussert: ,Man erwartet ein Substantivum, wovon
das Folgende den Gegensatz bildet, z. B. ty) Osa, durch blosses
Anschauen, die Darstellung (c. 7 Öswpfa dreimal, 14 oiä rr^
oijjswc dreimal, avsu toü cpäv, 24 3:ä to [j.v] opav si? tov upcertovTa),
ich sage beispielsweise, damit V. nicht etwa glaube, ich wollte
mit diesem seltenen Ungethüme, wie er mit seinem verfehlten
Yj Seot, den schlimmen Text des Ar. beglücken.' Ich halte das
,beispielsweise' Vorgebrachte für eine wohlgelungene Emen-
dation. ty) 0£a bildet genau den hier erforderten Gegensatz
zu p.Y) Sta tov Xiyov. Das Wort begegnet zwar nicht häufig,
aber doch mehrmals in echten Schriften des Aristoteles, dar
unter einmal Phys. IV 2, 209 b 20 als ganz gleichwertig mit
Oswpla (wodurch auch Simplicius in seinem Commentar p. 542,
26 D. es wiedergibt). Auch wäre nicht der mindeste Grund
abzusehen, warum Aristoteles das bei Platon ungemein häufige
Wort hätte meiden sollen, zumal in der Besprechung des
Dramas, wo es neben Oaavr,q, Öexrpov u. s. w. ganz und gar an
seinem Platze ist. Allerdings glaube ich Spengel’s unwillkür
liche Emendation noch dadurch vervollständigen zu sollen, dass
ich Castelvetro’s Conjectur fjSr, damit verbinde. Aus HAH-
THA6A konnte sehr leicht HAGA entstehen, während es der
Verlesung von 9 zu A an einer genau entsprechenden Paral
leie im Texte der Poetik nicht fehlt. C. 23, 59 b 36 bietet die
Handschrift Sic, wenn auch unter einer Rasur, statt des dort
Zu Aristoteles’ Poetik. III.
19
allein möglichen und allgemein als richtig erkannten oT;. Ganz
ebenso ist 55 b 31 aus dem von Vahlen und Spengel zweifel
los richtig erschlossenen Aavaoo das Oavarau der Handschrift
geworden. Das 1 adscriptum fehlt z. B. ebenso 56 a 23 in
vjTtijöv) (sic).
Die Frage, ob die Nennung und Definition des vierten
der von Aristoteles allein anerkannten Redetheile, des apOpov,
nicht etwa auf Interpolation beruhe, kann schwerlich als eine
endgiltig gelöste gelten. Das Für und Wider dieser Frage
scheint mir wenigstens noch nicht einlässlich genug durch
gesprochen zu sein. Gegen die Echtheit spricht die ausdrück
liche zweimalige Meldung des Dionysios von Haliltarnass (V 7 f.
und VI 1101 Reiske), dass Aristoteles diesen Redetheil noch
nicht gekannt habe. Das Gewicht dieses Zeugnisses wird durch
Vahlen’s sehr wohl erwogene Bemerkungen entkräftet (Beitr. III,
S. 233 ff.), aus denen jedenfalls hervorgeht, dass des Dionysios
Angabe, erst die Stoiker hätten diesen vierten Redetheil ge
kannt, eine zweifellos irrige ist. Auch eine Erklärung des Irr
thums hat Vahlen geliefert, indem er daran erinnerte, dass
Dionysios an beiden Stellen Aristoteles mit Theodektes ver
bindet und dadurch gleichwie durch sein sonstiges Ignoriren
der Poetik (auch dort, wo man diese genannt oder benützt zu
finden mit Fug erwarten könnte) klärlich zeigt, dass seine
Meldung nicht auf die Sprachcapitel der Poetik, sondern auf
die 0£oäev.T£ta zielt. Allein aus eben jener Beweisführung Vah
len’s erwächst eine neue Schwierigkeit. Theophrast hat einen
Redetheil apOpov gekannt, aber darunter den Artikel verstanden,
was schlechterdings nicht der Sinn des in der Poetik erschei
nenden apOpov sein kann. Da darf es uns denn zunächst höchst
auffällig, ja kaum glaublich scheinen, dass ein neuer technischer
Ausdruck, kaum dass er aufgekommen ist, alsbald wieder seine
Bedeutung wechselt. Vor Aristoteles und wenn nicht in einem
Theile seiner Schriften, so doch in dem von ihm gebilligten und
herausgegebenen Buche seines Freundes Theodektes noch keine
Spur des a'pöpov als eines besonderen Redetheiles; dann bei
seinem Schüler Theophrast das apOpov im Sinne des Artikels
gebraucht und dazwischen derselbe Kunstausdruck von Ari
stoteles selbst zur Bezeichnung von etwas ganz anderem ver
wendet, nämlich entweder bloss der Präpositionen, worauf die
20 IV- Abhandlung: Gomperz.
Beispiele, oder dieser und einer zweiten Gattung von Partikeln,
worauf der uns erhaltene Definitionsbeginn hinweist. Da darf
man wohl stutzig werden. Und der also neugeweckte Verdacht
erhält frische Nahrung noch von einer anderen Seite her, näm
lich von dem Umstande, dass die Stelle, an der dieser Rede-
theil bei seiner ersten Nennung auftritt (56 b 21), im Parisinns
und in der arabischen Uebersetzung eine verschiedene ist (vor
dem Svofjwt am letztgenannten, nach svotj.z pv;;j.a am erstgenannten
Orte).
Dennoch gibt es eine Ueberlegung, die uns zu dem Er
gebnis führt, dass wir diesen Verdachtsgrund und jene Unwahr
scheinlichkeiten hinnehmen müssen, und dass die Einführung
des äpflpov in die Poetik von ihrem Urheber selbst herrühren
muss. Fehlte dieser Redetheil, so bliebe neben ävo;xa und pvjgz
und ihren wcwretc nur der suvBsqAcc übrig. Dann müsste diese
Rubrik alles umfassen, was wir, wenn wir uns der aristoteli
schen Unterscheidung von <n)[*a(vovax und icv;;ua anzubequemen
versuchen, im Gegensätze zu Stoff- oder Gehaltworten, Be-
ziehungs- oder Formworte nennen können, d. h. diese Kategorie
müsste alle Arten von Partikeln im weitesten Sinne des Wortes
mit Einschluss der Präpositionen umschliessen. Dann wäre aber
eines völlig unverständlich. Aristoteles erklärt den c-jvoecp.o;
für eine owvr; a<jYjp.oc, aber nicht für eine solche schlecht
weg; vielmehr nennt er mehrere Functionen derselben, die sie
zum oüvosq/c; machen. Ein guvSsoiaoc ist nach ihm die cwvij
welche (um alles zweifelhafte Detail bei Seite zu lassen
und durch eine schematische Darstellung zu ersetzen) die
Functionen A und B erfüllt; welchen Sinn hätte dies, wenn
es ausserhalb des GÖySsspoc überhaupt keine als siüvt, asr,jxoc zu
bezeichnende Wortart gäbe? Jene Aufzählung kann nur dem
Zwecke der Differenzirung dienen, der Unterscheidung einer
ans zwei jeder Sonderbezeichnung ermangelnden Unterarten
bestehenden Art der cwvf, äcTjpoc, während daneben mindestens
noch eine andere Art derselben anerkannt ward. Auch lässt
sich nur unter dieser Voraussetzung die von der Kürze, mit
der das Dexa nnd das pvj.xa definirt werden, so auffällig ab
stechende Weitläufigkeit in der Begriffsbestimmung des euvSsegoc
erklären. So dunkel hier übrigens vieles bleibt, man fühlt sich
versucht, den genetischen Vorgang zu errathen, der bei dieser
Zu Aristoteles’ Poetik. HI.
21
Erweiterung des grammatischen Schemas stattgefunden hat.
So lange ®w8feop.Qc für Aristoteles der einzige Redetheil war,
der neben Svojjü* und pv;;j.a eine Stelle fand, so lange genügte
dafür die Definition als p<*w; äcry-oc, mit einem Zusatz, der
diesen von der gleichfalls als swvr, actjjj.:: zz-Airr, bezeiehneten
Silbe unterschied (denn nebenbei bemerkt: so wundersam uns
dies auch anmuthet, es ist eine Thatsache, dass die sonst so
überreiche griechische Sprache dem Aristoteles noch keinen
von störenden Nebenbedeutungen freien Ausdruck für den Be
griff .Wort"' zur Verfügung stellte!). Als der Verfasser der
Poetik es als zweckdienlich erkannte, das ctpöpov vom oövSsspoc
abzuspalten, behielt er den gemeinsamen Gattungsbegriff (fwvr,
ü:n;ti.oc) bei und bildete die Definition so, dass die artbildende
differentia deutlich, nur leider nicht mehr für uns deutlich,
hervortrat.
Kurz vor dem Schlüsse des Capitels erscheint jene Defi
nition des Satzes oder vielmehr des Redegefüges im weitesten
Sinne des Wortes, an den sich einige begründende Sätze an-
schliessen, die mir bisher nicht durchweg richtig verstanden
worden zu sein scheinen. Ich setze die Stelle zunächst in der
Gestalt und insbesondere mit der Interpunction hieher, die mir
als die angemessene gilt, und lasse ihr eine Uebersetzung sammt
einer Darlegung meiner Auffassung naebfolgen: 57* 23 ff. Xs-yoc
zk öWYr, zs/bizr, zr/t.zvztxr, r,z i-r.y. J.izr, vjiV xjzt. oijfMcivs' ob --ap
xzzz /.dvc- =■/. cTjgaraDv xad Svopaiwv sirpcseKo, olo* o xm avftp&zo-j cptcr-
i.zz • aXX’ hzzyzzzi («k) ivej pijpurewv stvat: Xiyov • jaipsc pevtoi ä=:
uyunvov Sei, oliv xsl. .Ein Redegefüge ist ein zusammengesetztes
bedeutsames Lautgebilde, dass mindestem einige durch sich
selbst bedeutsame Theile besitzt. Denn nicht jedes Redegefüge
besteht aus Nenn- und Aussageworten, wie etwa die Definition
des Menschen : kann ein solches doch sogar der Aussageworte
entrathen : irgend ein selbstbedeutsamer Bestandtheil wird aber
immer darin vorhanden sein, wie z. B.' n. s. w. Man pflegt den
ivOp'v-jj zz-.ztcz als Beispiel eines kurz gesagt unvollständigen
Satzes zu betrachten und stützt diese Auffassung auf die ver
meintliche Parallelstelle in der Schrift de interpretatione c. 5,
17 1 ft ff: avxpiii 51 «sfersa XSesoMcnqStdf ix zi;yazzz_ sivat r, ~ü-
:=u: pr,pures; * xa: -;ap 5 vs5 avfea&cco- äzv j«r, ss srö» ij r,v i; Srsa: f, t:
-i’-sütsv -scsteW;- ct/zw Xs*'sc äxapavsrass. Diese Zusammenstellung
22
IV. Abhandlung: Gomperz.
(die sich hei Prantl, Gesch. d. Logik I 141 Anm. 188 ebenso wie
bei Vahlen, Beitr. III 242 vorfindet) gilt mir als wenig be
gründet. In dem soeben angeführten Satze der Schrift de
interpr. wird das Definiens durch den Zusatz: sav p.r ( t'o eotiv
y.-zi. deutlich hervorgehoben im Gegensätze zu dem durch die
Copula damit verbundenen Definiendum. Es wird damit ge
sagt, dass jenes, nämlich £mov Sfeouv tte?6v keinen Aussagesatz
(\6'{oq aTio$av-r/.öc) sondern nur einen Satz im weiteren Wort-
verstande, eine bedeutsame Lautgruppe bilde. Nun ist an
unserer Stelle allerdings gleichfalls vom hiyoq cr\\j.z'nw.6q die
Rede, und es lag nahe genug, auch hier die Verwendung des
selben Beispieles vorauszusetzen. Man hat aber dabei zweierlei
übersehen. Erstens, dass die blossen Worte 6 toü dvöpwwou
cptop.oc für sich genommen und unbefangen angesehen zu einer
derartigen Deutung nicht den mindesten Anlass geben. ,Die
Definition des Menschen 4 , das besagt doch nicht so viel als *
ein Theil, es bedeutet vielmehr das Ganze dieser Definition.
Zweitens aber: das, was wir einen unvollständigen Satz nennen
können, der blosse Ko^oq cr ( p,avTty.oc, wird am Schlüsse der Stelle
exemplificirt; warum sollte auch die erste Exemplification ihm
und nicht vielmehr dem vollständigen Satze gelten, der ex
pyjjjiotTwv y.al övop.dxwv ff6f/.srtai ? Auch bedurfte es dazu nicht
des Bestandtheiles einer Definition; vielmehr hätte jede beliebige
nicht eben sinnlose Wortgruppe denselben Dienst geleistet.
,Nach dem Mahle 4 , ,in Bewegung 4 , ,hoher Baum 4 , ,schönes
Pferd 4 — jedes derartige Beispiel hätte ausgereicht, wie denn
in der That das letzte derselben in der Schrift de interpr.
c. 2, 16“ 21 f. diese Aufgabe erfüllt: ev yap to> KocXXiroto?
to Iroco? oüSsv aÜTo y.aO’ eaux'o cr^J.ahei, Mctrep ev xm Abyw tm
v.aX'oq tixitoc. 1
Man kennt die Abzweckung der ganzen Stelle. Platon
hatte den Xoyoq als eine Verbindung von Nenn- und Aussage-
1 Die nächsten Zeilen, wo die einfachen den zusammengesetzten Worten
gegeniibergestellt werden, scheinen mir einen schweren Textesschaden
zu enthalten, der noch nicht bemerkt, geschweige denn geheilt ist: ev
exeIvoi; ij.ev ystp to pipos oGSapcn; or)p.«vTixov, Iv oe toutoi? ji0 6 X £ X a 1 piv,
«XV ouSevö; xs^copiap-Evov (aXV 0u Sövaxou si prj oder y.aO’ oaov oO '/.£/_w-
ptcpevov?). Man vergleiche etwa Polit. I 6, 1255 b 2ff.: rj oe ipucn? ßo-iXeTat
jJ.£v xouxo raisiv jcoXXdx:?, ou pivxoi Suva"«.
Zu Aristoteles’ Poetik. III.
23
Worten bezeichnet (vgl. die platonischen Aeusserungen hei
Vahlen, Beitr. III 242). Nun will der Stagirit diese Lehre
seines Meisters zwar nicht in Betreff des eigentlichen, des
Aussagesatzes, oder doch nur andeutungsweise insoweit be
streiten, dass er neben den avjiJ.alvovta auch den aaTji-ia ihren
Platz im Satze gewahrt wissen will; wohl aber soll auch jede
nicht sinnlose Wortverbindung, selbst wenn sie noch keine
Aussage enthält, ein Satz heissen dürfen. In Betreff eines
solchen muss ihm denn die platonische Bestimmung als fehler
haft gelten. Denn in einem derartigen Wortcomplexe muss
nicht nothwendig ein ovo\>.a und ein pnjp.a auftreten; eg genügt,
damit die Wortgruppe einen Inhalt habe, dass irgend ein
|j.spo? crYj|AC«vov, d. h. ein Svopa oder ein prjp.a darin erscheine.
Dass aber nunmehr gerade das pvjpa (und somit nicht das
ovop.a) darin fehlen dürfe, wie kann man dem Stagiriten solch
einen monströsen Gedanken Zutrauen ? Man verstehe A6-po(
im logischen Sinn oder im rein sprachlichen, immer ist das
cvop.a weit eher zu entbehren als das pv;|j<.a. Darum schalte
ich nach ivStyevxt ein y.ai ein und verstehe das Sätzchen so,
dass Aristoteles das vorher Gesagte: ,nicht jeder Satz besteht,
■wie Platon will, aus Aussage- und Nenn Worten' — durch die bei
ihm so beliebte Anführung eines extremen Falles noch schärfer
zuspitzt und bekräftigt, indem er hinzufügt: ,kann ein Satz
doch sogar ohne Aussagewort bestehen'.
Ich schliesse diese nothgedrungen langwierige Ausführung
mit der Bemerkung, dass das dem letzten Satzgliede: pdpo:
p.evcot äst ~i (TYinaivov e^ei nachfolgende Beispiel: oTov ev tw ßa8t-
?st Kaemv o Kasmv mir nach wie vor als sinnlos gilt. Wenn
Vahlen es hinnimmt, dass Aristoteles in dem Satze ,Kleon
geht' Kleon als den ,für sich bedeutenden Bestandtheil' be
trachtet (Beitr. III 243), so kann ich meinerseits nur mit
Tyrwhitt ausrufen: ,neque sane ulla ratio est, juxta ipsius
doctrinam superius traditam, cur KXscov in hac enuntiatione
magis quam ßaSti^st significare dicatur'. Bis auf weiteres wird
man sich wohl bei M. Schmidt’s auf der Schreibung der
Handschrift (ßaS^stv) beruhender und tlieilweise durch die ara
bische Uebersetzung (KAewvoc) bestätigter Herstellung beruhigen
dürfen: olov ,sv "ö> ßaSi£siv‘, ,Kaswv 6 KXswvoc'.
24
IV. Abhandlung: Gomperz.
Hat uns vor kurzem die unbefangene Erwägung aller in
Frage kommenden Momente zur Abwehr eines Interpolations
verdachtes geführt, so gelangen wir bei sorgfältigster Be
trachtung der auf die Geschlechtsunterschiede der Nennworte
bezüglichen Schlusspartie des Cap. 21 (58 a 8—16) zu dem
entgegengesetzten Ergebniss. Es scheint mir völlig unmöglich,
jenen Kritikern, die gleich Ritter dieses Stück dem Aristoteles
abgesprochen haben, die Zustimmung zu versagen. Von ent
scheidendem Gewicht sind hier nicht die manchen als ver
dächtig geltenden Anfangsworte: aÜTwv Se xwv övojjGtwv , die
man zur Noth als Gegensatz zu ivöp.a-oq ge e’törj im Beginn
des Capitels auffassen kann, ähnlich wie es im Eingänge der
Poetik heisst: Trspi towitix,?}? aur/j? ts y.c/X töv eiSüv od}-f ; q —.
Ebensowenig ist der Umstand entscheidend, dass ovop,a hier
wieder im engeren, ja im engsten Sinne als Substantiv ge
braucht wird, während es im Verlaufe des Capitels bereits mehr
fach in der weitesten Bedeutung (Wort 1 verwendet worden ist.
Befremden kann uns freilich auch dies, und man mag es mit
manchen Kritikern nicht wenig verwunderlich finden, dass
dieses Stück, wenn es schon in der Poetik seinen Platz linden
sollte, vom Verfasser nicht lieber dort untergebracht wurde,
wo das ovop.a im engeren Wortverstande den Gegenstand
der Betrachtung gebildet hat. Unsere Verwunderung wächst,
ohne jedoch noch zur Begründung einer Athetese auszu
reichen, wenn wir bedenken, wie wenig das liier behandelte
grammatische Detail mit den Absichten der Poetik zu tbun
hat, und wie ganz anders geartet doch jene rasche Umschau
über Sprachlaute, Redetheile und Sätze ist, die Aristoteles
seiner Behandlung der für die dichterische Diction ernstlich
in Frage kommenden ,Wort-Arten' voranschicken zu müssen
geglaubt hat. Doch über all dies könnte man allenfalls streiten.
Lässt sich doch die Neigung zu Abschweifungen, zumal dort,
wo es sich um Bestandtheile eines Wissensgebietes handelt,
das noch nicht umfänglich genug geworden ist, um eine
selbständige Behandlung zu erfahren, nicht in unverrückbare
Grenzen bannen. Allein der Inhalt dieses Gelegenheitsexcurses
zeigt eine Beschaffenheit, die es unmöglich macht, Aristoteles für
seinen Urheber zu halten. Zunächst freilich muss man diesem
Stücke manch ein kritisches Heilmittel verabreichen und manch
Zu Aristoteles’ Poetik. III.
25
eine interpretatorische Krücke leihen, damit es nur überhaupt
gehen und stehen und sich als das Werk eines alten Griechen
darstellen könne, was es ja unzweifelhaft ist. Kein solcher
konnte jemals schreiben oder sagen wollen: ,männlich sind jene
Nennworte, die auf N P (und 2) ausgehen', was wunderbarer
Weise selbst Yahlen dem Verfasser dieses Stückes, ja sogar
dem Verfasser der Poetik zutraut. Konnte denn dieser oder
konnte irgend ein Grieche auch nur einen Augenblick Femi
nina wie voito? /dp <pprfy> und die ungezählten Scharen der auf
-t? ausgehenden Verbalsubstantive vergessen ? Etwa auch nur
die Xeip?, von der dieses Capitel, oder die , von der
dieses Buch handelt? Es ist natürlich unbedingt nothwendig,
nach oippeva gev öaa ein scrzl entweder mit Ueberweg zu setzen
oder doch zu denken. Dann enthält jener Satz nur die an
sich richtige Angabe, dass alle Masculina — aber freilich nicht
nur diese — auf jene drei Buchstaben ausgehen. Desgleichen
ist der auf die kurze Zwischenbemerkung über V und 2 als
Abarten des 1 folgende Satz gleichfalls mit Ueberweg also zu
schreiben: GijXea Se oaa [sz.] xwv cpwvr^vuwv s’i? xe xa äst (j.ay.pä,
o'iov sic H y.ai Q, y.ai xwv E7C6v.Xctvop.evwv et? A. Und auch hier
kann GijXea Se oaa nur so viel als oaa ok 6i^Xed sexi bedeuten;
möglicherweise ist sy. eben aus scxt verdorben. Dann entbehrt
auch diese Angabe nicht der thatsächlichen Wahrheit; denn
sie besagt nicht mehr als dies: alle weiblichen Nomina, die
mit einem Vocal endigen, gehen auf die immer langen Buch
staben H und Ü und von den doppelzeitigen auf A (nicht
aber auf T oder Y) aus. Welche aber ist die Abzweckung
dieser Gegenüberstellung? Zu Grunde liegt ihr die rich
tige Wahrnehmung, dass die Masculina überhaupt nur drei,
und zwar consonantische, die Feminina nebst diesen drei
consonantischen, von denen bei ihnen keine Erwäh
nung geschieht, auch noch drei vocalische Ausgänge be
sitzen. Aus diesem Sachverhalt wird nun der wundersame
Schluss gezogen: mcxe Eca o-u[jtßatV£t ‘£Krf)r l sic oaa xa appsva y.ai xa
O’^Xsa. Das heisst: den drei consonantischen Endungen, auf
welche alle Masculina ausgehen, werden die drei vocalischen
gegenübergestellt, auf welche jene Feminina, die keine
consonantische Endung haben, ausgehen. Das Verhältnis
der weiblichen zu den männlichen Endungen ist in Wahrheit
26
IV. Abhandlung: Gomperz.
das von 6 : 3. Damit es aber 3 : 3 werde, wird über die conso-
nantischen Endungen der Feminina geschwiegen! Die Freude
an dieser Spielerei, an der Aufstellung eines ganz und gar
schiefen und schielenden Gegensatzes ist augenscheinlich Grund
und Anlass des ganzen Excurses. Es folgt noch die sachlich
richtige Bemerkung, dass kein Nomen auf eine Muta noch
auf E und 0 ausgeht (— oüäe et? <pwvvjev ßpa/6, d. h. auf einen
Buchstaben, der immer einen kurzen Vocal bezeichnet, während
die eTcey.Tetvop.eva die bald kurz bald lang gebrauchten Vocal-
zeichen bedeuten). Daran reiht sich die Namhaftmachung der
drei einzigen auf I und der fünf einzigen auf Y ausgehenden
Substantive; dass die letzteren im Archetypus nicht nur erwähnt
sondern aufgezählt waren, dies macht jetzt die Uebereinstimmung,
die in diesem Punkte zwischen der arabischen Uebersetzung
und einem Theile der Apographa besteht, wahrscheinlich. Die
verstümmelte, von G. Hermann durch die Einsetzung von A
und P ergänzte Aufzählung der Ausgänge der Neutra bildet
den Schluss des Excurses, dessen abgeschmackte Spitzflndelei
dem Verfasser der Poetik ebenso fremd ist wie seine zwischen
breiter Kleinkrämerei und geflissentlichem Verschweigen selt
sam schillernde Eigenart. Doch die Hauptsache ist, dass man
eben diese Eigenart des Stückes richtig erkenne und rück
haltlos anerkenne. Wer dies thut und dasselbe dennoch für
aristotelisch hält, darf es jedenfalls nicht unterlassen, das Ge-
sammtbild, das er von der Geistesart des Stagiriten in der
Seele trägt, mit dem Eindruck, den er von diesem Stück
empfangen muss, in Einklang zu setzen.
Das Capitel 22 bietet mir nur Stoff zu einer kleinen
kritischen Nachlese. Nachdem 58“ 25 f. das Kauderwelsch,
das aus der Anwendung von lauter Fremdworten entstehen
würde, kurz erwähnt ist (eav Be et. yXwttcov, ßapßaptap.6?), kehren
Z. 30f. die ähnlichen Worte wieder: sz. -wv yAwttwv ßapßapw-
p.o?. Hier ist nur ein Zweifel darüber möglich, ob dies, wie Us-
sing will, eine mechanische Wiederholung des Vorangehenden
oder ob es, wie Vahlen vermuthet, der Rest einer die Sache
erklärenden Bemerkung ist. So geringfügig die Frage auch
ist, so will ich zur Stütze der letzteren Ansicht doch auf
den Umstand binweisen, dass eine unabsichtliche Wiederholung
Zu Aristoteles’ Poetik. III.
27
nicht wohl den an der ersten Stelle fehlenden Artikel auf
weisen könnte. Dies und die eine Fortsetzung heischende
Partikel xk in amypaxii; ts yap iSea y.xk. (Z. 26) scheinen mir
die Frage zu Gunsten der Annahme einer Lücke, sei es nun
vor, sei es nach den in ihrer Vereinzelung unverständlichen
Worten zu entscheiden.
Es scheint noch nicht bemerkt zu sein, dass Aristoteles
nicht zwei sondern drei die metrischen Licenzen der Dichter
verspottende Knüttelverse des ,alten Eukleides' namhaft macht.
Er führt diesen mit den Worten (58 b 7 ff.) ein: olov Eüy.Xet'är,?
b dp/atoc, ü? paotov itoieiv, st xiq odxret sy.Tetvsiv bizbcov
ßouXsvat, iapwioxonfcai; ev aüxij Ti) XeSjet. Die von uns hervor-
gehobenen Worte lauten doch ganz und gar nicht wie der
natürliche ungekünstelte Ausdruck des Gedankens: wenn man
dem Dichter jede beliebige Längung verstattet. Kaum würde
jemand ohne besonderen Anlass hier Swost, sicherlich würde er in
diesem Zusammenhang nicht ecp’ bxoaov gebrauchen. Man lese:
Seiest | ey.xe!- j vetv | iq>’ ot:6g- | ov ßcXs- j xo. 1.
Der Spötter hat seine Klage über Freiheiten der Dichter selbst
in einen mit solchen Freiheiten reich ausgestatteten Vers ge
kleidet, und eben dies besagen die bisher in gar gewundener
Weise erklärten und seltsam übersetzten Worte: tap.ßoxoo)aa<;
ev atm) xf[ Xscsi. (So Ueberweg: ,er legt den Spott in die
Redeform selbst [durch Silbenverlängerung] hinein'. Aehnlich
Susemilil. M. Schmidt: ,und ihr Verfahren in seinem eignen
Ausdruck persiflirte: r, x 1/6.pvjv q tSoiv y.xs.' Vahlen endlich
gibt sv aind) as^si durch ,in purer Prosa' wieder.) Ich habe
ßoXe-tat geschrieben in Erinnerung an die Homerstellen, die ja
sicherlich auch Euklid vor Augen hatte, A 319 und r. 387.
Wendet uns jemand ein, dass hier ja nur von Längungen,
nicht von Kürzungen die Rede und somit jenes ßiXexat oder
ßouXexat nicht am Platze sei, so ertheilt ihm die arabische
Uebersetzung, die vor ey.-si'veiv auch ein cruotdXXeiv gekannt hat,
die erforderliche Antwort. Vielleicht haben wir auf Grund
derselben den Text so zu gestalten: et xic eue-sXXstv Seiest r,
i-Axslvetv ats. Damit käme freilich eine der parodistischen Län
gungen in Wegfall, aber der Charakter des Verses wäre da
durch nicht verändert, und massvoll war ja im Alterthum jede,
28
IV. Abhandlung: Gomperz.
auch die parodistische Gattung der Dichtung. Auch an den
als solchen anerkannten Spottversen des Eukleides bleibt noch
einiges zu bessern. Ich sehe wenigstens keinen Grund, wes
halb man dort, wo es sich um willkürliche Längungen handelt,
das iSov (sic) der Haupthandschrift mit den Apographis in
sTSov ändern soll, während man doch (insoweit mit M. Schmidt)
ebensogut lesen kann: ’Emydprf) 1 iäwv MapaÖwvocSe ßaSl&ma. Auch
aus dem yspagevoc (sic) der Handschrift möchte ich nicht mit
den Apographis und den Ausgaben das jeder Construction
widerstrebende y’ ipap.svo? sondern lieber das nicht eben weit
abliegende ■jrptap.ävo? machen. Liest man aber: oijy. av rp'.äij.ävc:
t'ov s-/.si'vou eTAsßopov, so hat man einen crtrovSssdi^ov vor sich,
dessen vierter Fuss gleichfalls einen Spondeus bilden soll. Das
wäre eine metrische Seltsamkeit, die allerdings nur von Ni-
kander, Koluthos und Tryphiodor vollständig, von anderen
späteren Dichtern nahezu vollständig gemieden ward, die je
doch auch in der Ilias und Odyssee nicht einmal in dem vierten
Theil aller Spondeiazontes vorkommt (vgl. A. Ludwich, Quae-
stionis de hexametris poet. graec. spondiacis capita duo, Halle
1866, p. 24 sq.). Da mag es räthlich scheinen den vorliegenden
Vers als einen Pentameter anzusehen und mit dem vielleicht
von einer ähnlichen Erwägung geleiteten Immanuel Bekker
y.slvou statt r/.sivou zu schreiben.
58 b 11 xo p.ev ouv (pcdvsaGod otoc; ypwp.evov toutw tw TpoTtu
ysXoiov —. Da mindestens Twining und G. Hermann, I.
Bekker und M. Schmidt, Christ und vormals auch Suse-
mihl die Worte <pa{vsij6a( itm? /pibp.svov für verbesserungs
bedürftig gehalten haben oder halten, so ist es vielleicht nicht
unnöthig, auf eine Parallelstelle zu verweisen, an die wahr
scheinlich auch Vählen in seinem Commentar gedacht hat. Ich
meine Rhet. III 7, 1408 b 5, eine Stelle, über die ich einst
1 Man wird übrigens gut tbun, sicli daran zu erinnern, dass die Lesung
’Emxäpqv eine blosse, von den erhaltenen Zeichen ijtet x*P lv ziemlich
weit abliegende Vermuthung ist. Wer meine oben ausgesprochene Ver-
muthung billigt, wird aus ij vielleicht das zur Verbindung mit dem vor
hergehenden Citat erforderliche xai entnehmen. Was in dem übrigblei-
bendeu T6IXAPIN stecken mag, weiss ich freilich nicht zu sagen.
Die arabische Uebersetzung ,appellatum cum favore £ könnte auf ein als
RXeo^ocpiv aufgefasstes KXeo^aprjv zu führen scheinen. Oder sollte Tet(po)-
/apiv das ursprüngliche sein?
Zu Aristoteles’ Poetik. III.
29
in meinen ,Beiträgen' III 5 (565) gehandelt habe nnd ans der
ich die hier in Frage kommenden Sätze in gereinigter Gestalt
hiehersetze: eti toi? avaXofov jA] xäctv aga /p^uaaöat • outw yap
y.X4xTSTat 6 ä-/.poa-v)c • Xeyw Se oiov eav Ta ovop.aTa GxXvjpa 7j, p.-r,
y.ai tt) owv?) y.ai wo xpoowxw toi? äp|J.OTTOUcrtv • et 3! \>:r\, oavepov
flveTat ' eav 8e t'o p.ev t'o Se XavÖotvet xotwv t'o atrcb. Es
folgt nach einem Zwischensätzchen, welches das richtige Mass
als ein gemeinsames Erfordernis in all diesen Dingen bezeichnet,
der Satz: y.ai yap pteTaipopai? y.ai YAtbtxatc y.ai tot? ä'XXot? etSect
/pwp,evoc axpexw? y.ai exiTYjSe? [exi Ta feXoTa] tc auto äv axepfacatTO.
Ich vermag die Ausscheidung der von mir eingeklammerten
Worte allerdings nicht durch eine zwingende Beweisführung
zu begründen. Nur so viel scheint mir festzustehen. Man
erwartet hier nach dem Vorhergehenden und auch im Hinblick
auf das Folgende (to 3’ dpp.ÖTTov ccov Stäupet y.-e.) am ehesten
den Gedanken anzutreffen : ,eine geschmacklose und gleichsam
geflissentliche Verwendung würde in Ansehung dieser sämmt-
lichen Kunstmittel eine lächerliche Wirkung erzeugen'. Dem
Ausdruck dieses Gedankens entsprechen auch alle Theile des
Satzes mit Ausnahme der auch von ihrem Inhalt abgesehen
bedenklichen, weil, wenn mein Sprachgefühl mich nicht täuscht,
an ex(~y)3ec in kaum zulässiger Weise angeschlossenen Worte:
sxi Ta feXota. Wollte Aristoteles von einem absichtlichen, auf
eine komische Wirkung abzielenden Gebrauche jener Zier
mittel sprechen, so würde er, meine ich, von der Erreichung
eines Zweckes (wie M. Schmidt übersetzt: ,würde diesen Zweck
ebenfalls erreichen'), nicht von dem blossen Hervorbringen einer
Wirkung reden. Es lag nahe genug, exi'^Sec, das neben äxpe-
woc nur die Beflissenheit (das exiTrjSeieiv Ta TotaÜTa, derartiges
wie ein Geschäft oder einen Sport betreiben) bedeuten sollte,
im Sinne des bewussten Anstrebens eines Effectes zu verstehen
und durch das beigefügte exi Ta yeXdia zu vervollständigen.
Für die jambischen, d. h. dramatischen Dichtungen passen,
weil sie sich dem Conversationston am meisten nähern, jene
Wortarten ooon; y.av ev toÜc Xc-fctc ti? /p-^eatTO (59 a 13f.). Statt
toXc, bietet die Handschrift Sooi?, das die Herausgeber einfach
tilgen, während mir der Artikel hier geradeso am Platze zu
sein scheint wie c. 6, 50 b 6: oxep ext twv Xo-fwv xte. und 14f.:
o y.ai exi twv sppiTpwv y.ai ext twv Xb^wv e'xst ty)V auTvjv 36vap.tv.
30
IV. Abhandlung: Gomperz,
Ein einigermassen erschöpfender Commentar der Poetik
sollte übrigens diesen Abschnitt nicht verlassen, ohne mit Ver
wunderung dessen zu gedenken, was darin vermisst wird.
Unerwähnt lässt Aristoteles mindestens drei Kategorien stili
stischer Verschönerungsmittel: 1. den Gebrauch alterthüm-
licher Ausdrücke. Ist es doch nicht nur die räumliche sondern
ebensosehr auch die zeitliche Entfernung, die den Eindruck
des Ungewohnten und Fremdartigen zu erzeugen und dadurch
die Diction zu veredeln geeignet ist. Das Schweigen darüber
erklärt sich wohl daraus, dass der Verfasser der Poetik hier
den Blick fast ausschliesslich auf die alte epische, nicht auf
die jüngere tragische Dichtung geheftet hat. 2. Mit keinem
Worte wird der sinnlichen Klangschonheit oder auch der
Tonmalerei gedacht. Ein oder das andere Beispiel, wie jenes
vpcvs? ßoöui, wohl auch Ooivökai (statt sudlet), gehört hierher,
aber die Kategorie selbst wird nicht namhaft gemacht. Ebenso
wenig 3. die ungewöhnliche Art der Wortverwendung,
die weder unter die Rubrik der Metapher noch unter jene
des Fremdwortes fällt; so in dem eben hier angeführten oXlfi)
upcfes^a oder in g.ay.pbc "OXupwco?. Mindestens auf die letzten zwei
Gesichtspunkte haben die späteren Bearbeiter dieses Themas
vielfach hingewiesen, wie wir jetzt insbesondere aus den Ueber-
resten der hiehergehörigen Schriften Philodems ersehen können.
Cap. 23. Ich beginne mit einer Kleinigkeit. Der An
fang des Abschnittes lautet: xepl 3e t?)? SwiYfip-arowjs xal sv p.£"p“
[Aip.Y]Te/.i)s —. Das ungewöhnliche sv pi-pw möchte ich beileibe
nicht mit M. Schmidt zu sv (etxXw) piipw ergänzen (oder auch nur
mit Vahlen an axXouv p.s-pov dabei denken), ebensowenig aber
mit Heinsius (dem noch Susemihl gefolgt ist) in sv (s?a)-
pti-cpM verändern. Denn wenn auch das ,heroische' Versmass
dem Stagiriten als ständiges Merkmal der epischen Dichtung
gilt (so wenige Zeilen vorher: ai 3s yAü--:oa toTc yjpwaotc und
y.a.\ sv [j.sv -y.z ^pwaol?), so darf man doch nicht hier, wo
anders als Cap. 6 in. eine begriffliche Abgrenzung gegen
das Gebiet der Tpa-ppSlac y.ai sv tw xpavrsiv p-tg.-justoc ver
sucht wird, dieses äusserliche Kennzeichen dem Text durch
Conjectur aufdrängen wollen. Wohl aber ist es völlig an
gemessen , das Epos eben durch seine metrische Form von
Zu Aristoteles’ Poetik. III.
Bl
anderen Unterarten jener grossen gemeinsamen Gattung, die
auch die Mimen des Sophron gleichwie die platonischen Dia
loge umfasst (vgl. 47“ 28ff.), zu unterscheiden. Dazu genügt
aber die Erwähnung der gebundenen Rede überhaupt. Und
da nun Aristoteles sehr häufig ev pixpoie und p.sxa p.e-pou, nie
mals aber ev p.dxp<i> geschrieben hat, so darf man wohl mit
Fug voraussetzen, dass hier ev pexpw aus dem sprachüblichen
spp.e-pou entstanden ist. Sobald die Assimilation wie so häufig
in Handschriften vernachlässigt und somit evpexpou geschrieben
war, musste die Schlimmbesserung ev p.sxpw fast mit Noth-
wendigkeit. nachfolgen.
Die Ermahnung, dem Epos strenge innere Einheit zu
verleihen und sich bei ihm nicht mit der zeitlichen Einheit
zu begnügen, die für die Geschichtsdarstellung ausreicht, wird
in Worten ertheilt, deren Schluss fehlerhaft überliefert, aber
von Dacier durch eine ,pulcherrima conjectura', die Tyrwhitt
seinem Text unbedenklich einverleibte, berichtigt worden ist.
Statt v.a't p.r; Spoia.; Urop!a? xap cuvjöeip eivco hat der französische
Kritiker, dem neuei'lich Spengel, Ueberweg, M. Schmidt und
Christ gefolgt sind, '/.ai p.vj öp.oiac tc■■zopiaig xac o-uvOsasu; geschrieben.
Da Vahlen nicht müde wird, die Ueberlieferung durch ein
Aufgebot immer neuer Parallelen zu vertheidigen, so mag
die Bemerkung nicht überflüssig sein, dass sein Hinweis auf
Vergleiche, bei denen ,uariant interdum ueteres ita ut ex
nostro more dicendi contrarium potius exspectaueris' (ed. tertia,
p. 3B7), unseren Fall nicht im mindesten berührt. Vahlen
übersieht hier den eingreifenden Unterschied, der zwischen
einer thatsächlichen Constatirung und einer Vorschrift ob
waltet. Hätte Aristoteles wirklich hier, wo er dem Epiker
Rathschläge ertheilt, bemerkt, dass die Geschichtsdarstellung
in dem fraglichen Punkte nicht dem Heldengedicht gleichen
dürfe, statt umgekehrt, so wäre seine Ausdrucksweise genau
so verkehrt gewesen, als wenn jemand seinem Schneider ein
schärfen wollte, nicht dass der Rock zum Körper, sondern
dass der Körper zum Rocke passen solle. Zu allem Ueberfluss
unternimmt Vahlen nicht den geringsten Versuch, das von
Dacier so glücklich beseitigte cuvujÖei? zu erklären. Auch wäre
jeder solche Versuch ein vergeblicher, da Aristoteles himmel
weit davon entfernt ist, die ,übliche' Geschichtsdarstellung
32
IV. Abhandlung: Gomperz.
etwa einer anderen vollkommeneren entgegenzusetzen. Spricht
er doch auch im 9. Capitel in ganz analoger Weise von dem
Unterschied, der zwischen Poesie und Historie besteht, ohne
dort mehr als hier durch den leisesten Wink zu verrathen,
dass ihm ein diesen Unterschied beseitigendes oder modifi-
cirendes Ideal der Geschichtschreibung vor Augen stehe.
Hat sich uns hier die konservative' Kritik als ein Abweg
erwiesen, so gelangen wir nunmehr zu einer Stelle, die fast
jeder Herausgeber mit anderen Aenderungsvorschlägen bedacht
und die, soviel ich sehen kann, noch nicht die einfache Er
klärung gefunden hat, die sie vor jedem Missbrauch der Kritik
und Hermeneutik zu sichern geeignet ist. Homer wird darum
gerühmt, weil er weit entfernt davon, das Epos wie eine Ge
schichtsdarstellung zu behandeln, nicht einmal den trojanischen
Krieg, der doch die Merkmale einer einheitlichen Handlung
besitzt, in seinem ganzen Umfange darzustellen unternommen
hat. Denn solch eine Darstellung wäre entweder durch ihre
Ausdehnung unübersichtlich oder bei massigem Umfang durch
die Buntheit ihres Inhalts verwirrend gewesen, vüv o’ sv jjipo?
xzoAaßwv ETCEtaoSfot? y.eyprjTai auxwv liokXoT?, oTov y.xk. (59 a 35 f.).
Ich glaube diese Worte wie folgt verstehen zu sollen. Sobald
Aristoteles durch Sv iJ.epoq owioXaßchv den einen Theil aus der
Gesammtheit der Theile herausgehoben hat, stehen ihm die
übrigen Theile oder doch die Thatsache ihres Vorhandenseins
so lebhaft vor Augen, dass er keinen Anstand nimmt, aütwv
zu schreiben, gerade als ob er von den pdp-q in der Vielzahl
ausdrücklich gesprochen hätte. ixeitjoSioi*; v.i/pr^ca aü-cwv noKAoic
besagt so viel als: ,er bedient sich vieler der übrigen Theile
als Episoden.' Niemand hätte an dem Satz Anstoss genommen,
wenn er also lautete: vüv 3’§v -i -GW [J.spöiv anroXaßwv wc exei-
croSioi^ -/.t/pr-.y.'. izokXoiq aüxüv. In Wahrheit besteht aber zwischen
dieser und der uns vorliegenden Fassung kein wesentlicher
Unterschied. Ich bemerke erst jetzt mit Vergnügen, dass
Tyrwhitt die Stelle ganz ebenso verstanden zu haben scheint.
Denn er übersetzt sie wie folgt: ,Nunc autem unam partem
pro argumento a ceteris desumens, multis ipsarum partium
usus est ut episodiis.'
Im Gegensätze zur strengen Einheit und Uebersichtlicli-
keit der Handlung, die den Stoff der Ilias bildet, werden nun-
Zu Aristoteles’ Poetik. III.
33
mehr andere Epen genannt, und zwar die Kyprien sowohl als
die kleine Ilias. Während man aus Ilias und Odyssee nur je
eine oder höchstens zwei Tragödien mache, haben die Kyprien
den Stoff zu vielen, die kleine Ilias zu mehr als acht Trauer
spielen geboten, von denen nun zehn aufgezählt werden. Hier
hat man sich über jenes ,mehr als acht' (ttXeov oxtiü), da ja
acht keine runde Zahl ist, mit Recht verwundert. Nicht minder
befremdet es mich, in dieser Aufzählung den rasenden Aias
zu vermissen, mit dessen Inhalt die äschyleische "OtcXwv y.pkic
nicht identisch war, da vielmehr das zweite Stück dieser Tri
logie, die öprjccat, nach dem Zeugnis der Scholiasten zu So
phokles’ Aias 134 und insbesondere 815 den Selbstmord des
Helden zu seinem Gegenstände hatte. Es scheint mir völlig
unbegreiflich, dass Aristoteles, dem es doch darum zu thun
ist, möglichst viele dem Sagenstoff der kleinen Ilias entnommene
Dramen aufzuführen, weder den sophokleischen Aias noch das
äschyleische Paralleldrama genannt hat, während wir doch aus
Proklos’ Chrestomathie mit Sicherheit wissen, dass der Wahn
sinn des Aias, sein Wüthen gegen die Herden und schliesslich
gegen sich selbst in jenem Epos zur Darstellung gelangt
ist. Darum hat sich mir die Vermuthung aufgedrängt, dass
an zweiter Stelle, nach den Worten: oTov "O-Xtov y.ptcric die Nen
nung des Aias ausgefallen ist. Billigt man diese Vermuthung,
so steigt die Anzahl der hier genannten Dramen auf elf. Das
erste der unter dieser Voraussetzung über die Achtzahl hinaus
gehenden wird im Unterschied zu der bis dahin statthabenden
asyndetischen Anreihung mit y.ai eingeführt. Es ist die ’IXlou
%£pms, die zum achten der angeführten Stücke wird; darauf
folgen (als 9—11) y.a! axäx:Xoui; y.a'i Zivwv y.ai TpwdSs?. In diesem
Wechsel der Aufzählungsweise glaubte man vordem das An
zeichen einer Interpolation zu erkennen. Dem gegenüber hat
Vahlen mit bestem Recht auf eine Parallele in xepi I 1,
403“ 16ff. hingewiesen: soae äs y.a'i tä 'iuyyjc xdOr ( wdvca
sivai p,£Ta cwp.aTO? • Öup.oq xpaoTYjc «pößoc eXeop Öapcoc, sti yapä y.ai
tb ipiXsiv ts y.ai p.tssiv. Allein wie es hier doch zum mindesten
dem Autor auch darauf ankam, das zusammengehörige Paar
des Liebens und Hassens enger zu verbinden, und wie das die
neue Anreihungsweise einleitende sti gewiss nicht ohne Grund
und Absicht gewählt ward, so darf man auch in unserem Falle
Sitzungsber. d. phil.-liist. CI. CXXXV. Bd. 4. Abli. 3
34
IV. Abhandlung: Go mp er z.
vermuthen, dass es irgend ein den letzten zwei oder drei
Dramen gemeinsam anhaftendes Merkmal war, das zu ihrer
Sonderung von der vorangehenden Reihe den Anlass gab. Und
da werden wir denn vermuthen dürfen, dass es eben dasselbe
Merkmal war, welches diese drei Dramen wie eine Art von
Ueberschuss erscheinen liess, so dass die beiden uns auffälligen
Umstände, jenes ,mehr als acht' und dieser Wechsel in der Art
der Anreihung innerlich Zusammenhängen und Aristoteles etwa
sagen wollte: streng,genommen ist der Inhalt der kleinen Ilias
zu acht selbständigen (keine Doubletten bildenden und jenen
Stoff unter sich vertheilenden) Dramen verarbeitet worden;
man kann aber, wenn man es minder genau nimmt, auch
noch drei andere Dramen hieherrechnen. Weiter kann unsere
Muthmassung nicht mehr auch nur mit einiger Sicherheit vor
schreiten. Allein vielleicht verdient es doch in diesem Zu
sammenhang einige Beachtung, dass die Sinon-Episode und
ebenso die Vertheilung der Beute, die Opferung der Polyxena
und anderes, was den Inhalt der euripideischen Trojanerinnen
bildet, von Proklos nicht mehr dem Sagenstoffe der kleinen
Ilias sondern jenem der im Cyklus zunächst folgenden Dichtung,
der ’IXfou 7-sps:c, zugewiesen wird. Vielleicht ist der wahre
Sachverhalt, der die Lösung unserer Aporien enthält, der ge
wesen, dass die kleine Ilias jene den Abschluss des Krieges
bildenden Vorgänge nur mehr in summarischer und andeutungs
weiser Darstellung enthielt, so dass man von Tragödien, welche
diese Schluss-Scenen behandelten, nicht mit derselben strengen
Wahrheit wie von der Reihe, die sich vom ,Waffengericht'
bis zur ,Uiupersis' erstreckte, sagen konnte, ihr Stoff sei der
kleinen Ilias entnommen. Eine Stütze dieser Muthmassung —
deren Unsicherheit ich keineswegs verhehlen will — kann man
in dem Umstand finden, dass der Scheinrückzug der Griechen
(sk TsveSov äyc&Yovi;ai) von Proklos noch der kleinen Ilias, die
Rückkehr aus Tenedos aber und die ihr unmittelbar voran
gehende Herbeirufung durch das Feuerzeichen des Sinon bereits
der Iliupersis zugetheilt wird. Da ja jede dieser Dichtungen
eine selbständige und ihre Zusammenfügung zu einem Cyklus
keineswegs von vornherein beabsichtigt war, so darf es als
nicht wenig unwahrscheinlich gelten, dass die eine derselben
mitten in einer Action abbrach oder vielmehr die Vorbereitung
Zu Aristoteles' Poetik. III.
35
zu einer solchen, nicht aber ihre Ausführung' in sich schloss.
Ganz und gar nicht unwahrscheinlich aber ist es, dass der
Schluss des einen Gedichtes gewisse Vorgänge nur mehr in
raschester Uebersicht vorführte, während eben diese Kürze
den Nachfolger zu breiter Ausführung derselben einlud.
Cap. 24 zeigt in seinen ersten zwei Drittheilen einen völlig
durchsichtigen Gedankengang. Nachdem im Cap. 23 zunächst die
Hauptforderung, die an den nach aristotelischer Schätzung weit
aus wichtigsten Theil jeder Dichtung, an den Bau der Fabel
zu stellen ist, die Einheitlichkeit und innere Geschlossenheit
der Handlung nachdrücklich betont ward, wendet sich der
Autor nunmehr zur Betrachtung der Uebereinstimmungen so
wohl als der Unterschiede, die zwischen Epos und Tragödie be
stehen. Die auffällige Zusammenschiebung der auf die ,Arten 1 '
sowohl als die ,Theile‘ bezüglichen Bemerkungen, in der Weise,
dass die Begründung für beides gemeinsam erfolgt und nicht,
wie man zunächst erwarten möchte, gesondert, hat wohl darin
ihren Grund, dass es Aristoteles darum zu thun ist, zu zeigen,
wie sehr weitgehend diese Uebereinstimmung ist. Der also
erzeugte Eindruck würde abgeschwächt, wenn die (vollständige)
Identität der Arten und die (nahezu vollständige) Identität der
Theile jede für sich abgehandelt und durch die der ersten
Behauptung sofort nachgeschickte Begründung derselben aus
einandergehalten wäre. Die Emphase aber, mit der das den
beiden Dichtungsarten Gemeinsame hervorgehoben wird, soll
wohl zwei Zwecken dienen: 1. der Rechtfertigung der ver-
hältnissmässigen Kürze, mit der das Epos behandelt wird, und
2. der Vorbereitung auf die vergleichende Schätzung der beiden
im Schlusscapitel, wo der Tragödie, welche toxv-’ eye', octx'aep vj
«coTOtfa, auf Grund dessen, was sie vor dieser voraus hat, der
Vorrang zuerkannt wird. Die Stelle ist in der Handschrift,
von zwei längst berichtigten kleinen Irrungen abgesehen, voll
kommen wohl erhalten; wenn einige neuere Herausgeber eine
Erwähnung der vjOvj vermissen, so vermag ich ihnen nicht bei
zupflichten. Dass eine Handlung handelnde Personen voraus
setzt, und dass diese wieder nicht qualitätlos sein können, dies
brauchte, nachdem es einmal anlässlich der Tragödie gesagt
war, nicht beim Epos wiederholt zu werden. Nur in Betreff
3*
36
IY. Abhandlung: Gomperz.
der Sicevoiai (man beachte den Plural), die ja im Epos in Wahr
heit eine viel geringere Rolle spielen, konnte eine besondere
Erwähnung nöthig scheinen, und diese zog, da Stavoia und
Asqic zumeist zu einem Paar vereinigt sind, auch die Nennung
der letzteren und der auf sie zu verwendenden Sorgfalt nach
sich. Nur die Interpunction der Stelle lässt wohl in allen
Ausgaben einiges zu wünschen übrig und verdunkelt den Ge-
dankenzusammenhang. Man muss, wie ich meine, wie folgt
interpungiren: ext os xa sYSyj xauxa Set s/siv xrp eixoicottav xrj xpa-
Ywota, äirXvjv •?, 7C£7iks^p,dvy)v •?, ^0iy.Y]v -p 7ca0r,xty.v}v, -y.at xa pipv]
p.cA07rodac y.at i'ttswq xaoxct • y.ai y«P itspwcexsiöv Set y.ai dvafvw-
pfaswv y.ai 7xa0v]p.dxtov, sxi xd? oiavola? y.ai xvjv As^iv I^siv y.aAöic.
Es folgt die Besprechung der Unterschiede, von denen
zunächst zwei namhaft gemacht werden, die Verschiedenheit
der Länge und jene des Versmasses. Des dritten und eigent
lichen Hauptunterschiedes, der erzählenden Form, war bereits
bei der Einführung des ganzen Gegenstandes, Cap. 23 in.,
gedacht worden. Nun wird er 59 b 22 unter einem neuen
Gesichtspunkt ins Auge gefasst, insofern nämlich die erzählende
Form im Gegensätze zur dramatischen die Ausdehnung des
Umfanges der Dichtung begünstigt. Es folgt 59 b 31 die Be
sprechung des zweiten Unterschiedes, der das Versmass betrifft,
und zwar so, dass die Eigenart des heroischen Versmasses zu
der sonstigen Eigenart des Epos in Beziehung gesetzt wird.
Bis hierher ist die Anordnung eine durchaus systematische.
Von 60 il 5 angefangen zerfällt die Darstellung in Einzel
bemerkungen, die man mit Vahlen, auf dessen lesenswerthe
Ausführungen (Beitr. III 229 ff.) ich gern verweise, den ebenso
vereinzelten Winken, wie sie Cap. 17 und 18 für die Tragödie
enthalten, einigermassen vergleichen kann. Nur in einem Punkte
besteht ein auffälliger Unterschied. Die Ertlieilung von Vor
schriften, die aus der Sache selbst geschöpft werden, wechselt
mit Aeusserungen des Lobes ab, deren Gegenstand Homer
und seine Dichtungen sind. Einen Ansatz hierzu hat übrigens
schon das vorhergehende Capitel, 59 a 30ff., aufgewiesen, des
gleichen auch Cap. 4, 48 b 34ff. und Cap. 7, 51 a 22ff. Dieser
Unterschied der Darstellung hat M. Schmidt bewogen, eine
dieser Partien (60 a 5—11) als ,von den Umgebungen grund
verschieden' und ,ihrem Charakter nach ähnlich wie 60 a 18—26'
Zu Aristoteles’ Poetik. III.
37
einzuklammern. Soll das besagen, dass diese zwei Stellen darum,
weil sie auf Homer Bezug nehmen, unmittelbar zu einander
gehören, so erhebt dagegen der Autor selbst kaum ein Dutzend
Zeilen vorher den kräftigsten Einspruch, to yctp op.oiov -za/b
skrjpouv y.TI. (59 b 30 f.)! Warum sollte Aristoteles das ,Einerlei,
das bald Uebersättigung erzeugt 4 , in der Theorie ängstlich ge
mieden, in seiner stilistischen Praxis eifrig aufgesucht haben?
Die Sache ist völlig plan. Es läuft auf dasselbe hinaus, ob dem
epischen Dichter ein Rath direct ertheilt wird, oder ob dies auf
dem Wege geschieht, dass ein Vorzug Homer’s gerühmt und
damit seinen Nachfolgern zur Nachahmung empfohlen wird.
Das Epos besass eben einen anerkannten Musterdichter, was
bei der Tragödie nicht der Fall war. Hätte es statt der drei
grossen Tragiker nur einen gegeben, wäre z. B. der Vorrang
des Sophokles ein ebenso unbestrittener gewesen wie jener
Homer’s, dann hätte Aristoteles auch einen Theil jener Winke,
aus denen sich die Cap. 17 und 18 zusammensetzen, in dieses
Gewand zu kleiden vermocht und dies zu thun schwerlich
unterlassen. Man darf hinzufügen, dass diese Art, allgemein
giltige Normen zu gewinnen, seiner empirischen Denkweise,
welche Kunstregeln lieber aus der Betrachtung der Meister
werke abstrahirt als auf synthetischem Wege auf baut, ganz
und gar gemäss ist. Nichts aber kann wohl verkehrter sein
und der Absicht des Schriftstellers entschiedener widerstreiten,
als wenn man alles, was die eine und die andere der hier
verwendeten Darstellungsformen aufweist, auf einen Haufen
zusammenträgt.
Entbehrt diese Partie einer eigentlich planmässigen An
ordnung, so lassen sich doch fast durchweg die Gedanken
faden erkennen, welche die einzelnen Bestandtheile im Geiste
des Schreibenden Zusammenhalten und ihn von einem Punkte
zum anderen hinüberleiten. Im Vordergründe steht für den
Verfasser der Poetik allezeit der Begriff der lArr^'c. und darum
wird zuvörderst Homer das vielsagende Lob ertheilt, dass er
allein hinter seinem Gegenstände zu verschwinden und sich
dadurch als ein wahrhaft mimetischer Dichter zu bewähren
wisse. Dann wendet sich das Augenmerk des Stagiriten der
Wirkung der Dichtung zu. Die Erregung von Affecten, die
ihr eigentliches Ziel ist, wird durch Ueberraschung gefördert
38
IV. Abhandlung: Gomperz.
(vgl. Cap. 9, 52 a 1 ff.); darum wird es als ein Vorzug - des
Epos gerühmt, dass es der Einführung des Wunderbaren
einen grösseren Spielraum gewähre. Daran schliesst sich ein
innerlich verwandter Rathschlag: man solle von Homer lernen,
wie man Unwahres vorzubringen habe, mit anderen Worten,
wie man die Illusion des Lesers und dadurch die Anziehungs
kraft der Dichtung zu steigern vermöge. Eng hängt damit
wieder der Rath zusammen, die Scheinbarkeit höher als die
Naturwahrheit zu achten. Da das Unwahre, das Unmögliche,
das Wunderbare und das Ungereimte eine Gruppe verwandter
Begriffe bilden, so kann es uns nicht befremden, wenn hier
die Ermahnung einfliesst, nicht das ganze Gedicht aus lauter
Ungereimtheiten bestehen zu lassen. Hieran reiht sich wieder
ganz naturgemäss eine über den Bereich des Epos hinaus
greifende allgemeine Anweisung in Betreff des Gebrauches des
a'Xo-fov oder Ungereimten und desgleichen der Hinweis auf das
Beispiel Homer’s, der auch derartiges durch die Kunst seiner
Darstellung zu verdecken und dem Sinn des Lesers einzu
schmeicheln wisse. Den Schluss bildet eine an diesen Hinweis
sich zwanglos anlehnende, wieder ganz allgemein gehaltene Ent
scheidung der Frage, welchen Partien einer Dichtung aus
nehmende stilistische Sorgfalt zuzuwenden und in welchen hin
wiederum eine solche nicht nur entbehrlich sondern sogar vom
Uebel sei.
Es ist nicht der Schatten eines Grundes vorhanden, irgend
welche Stücke sei es aus diesem Capitel auszuscheiden, sei es
darin umzustellen oder auch nur als nachträgliche Zusätze des
Autors zu betrachten. Von M. Schmidt’s hiehergehörigen Ver
suchen haben wir bereits gesprochen. Wo Schmidt’s Klammern
enden, dort lässt Christ seine Sternchen beginnen (60 a 12—19:
Sei [j.ev oüv—wc /api'(o[j.£voi). Susemihl endlich hat vor 60 a 5
("0;j.Y)poi; 3s a'AAa ts zoAAa y.ts.) eine ,längere Lücke' angenommen,
ferner eine kleinere Lücke vor 27 ff. (toü; -re Xovouc jA] uuvf-
ciacöai y.Te.), wo aus seinen Ergänzungsversuchen hervorgeht,
dass ihm der Uebergang zur Tragödie als ein allzu schroffer
gegolten hat. Dieses Befremden lässt sich begreifen, da ja in
der That die Unterscheidung zwischen dem, was innerhalb, und
dem, was ausserhalb des p.60eup.« gelegen ist, einzig und allein
auf das Drama Bezug hat. Dennoch scheint die Annahme
Zu Aristoteles 1 Poetik. III.
39
eines Ausfalls nicht wohl begründet. Bildet doch den Anfang
dieses Absatzes eine Vorschrift von ganz allgemeiner Art, die
Warnung vor Häufung oder allzu starker Anwendung des
aXoyov. Erst daran schliesst sich die specielle, lediglich auf
das Drama gemünzte Regel. Und von dieser aus schlingt sich
sofort wieder ein Gedankenfaden zur Poesie überhaupt zurück,
der in eine specielle, auf die Odyssee bezügliche Anwendung
und von hier aus alsbald in jene allgemeine, den Abschluss
der ganzen Epos und Tragödie behandelnden Partien aufs beste
markirende Stilregel mündet.
Ich berühre nur wenige einzelne Stellen dieses Capitels.
59 b 37 f. bietet die Handschrift: xb ok tap.ßiov y.at x£xpdp.expov
y. ivrjxiy.at. xb p.sv 6pyY]OXty.bv. xb ok itpax.xiy.6v. Dass hier nur y.tvr r
xty.d möglich ist, hat zuerst Goulston und nach ihm wohl jeder
Herausgeber erkannt. Desgleichen haben sie y.at hinzugefügt,
was eine zwar sehr gelinde, aber, wie ich meine, nicht völlig
gedankengemässe Aenderung ist. Ist doch der Zusammenhang
dieser. Es ward gezeigt, dass das hexametrische als ,das
stetigste und wuchtigste der Versmasse* der Wucht und Ho
heit des Epos am meisten entspricht. Wenig geeignet für diese
Aufgabe sei das jambische und das trochäische Mass, weil sie
unruhiger Art, y.tvvjxty.d, sind. Hier hat Aristoteles keinen Grund,
also fortzufahren: und zwar besitzt das eine Tanzrhythmus,
das andere einen solchen, der die Btihnenaction am passendsten
begleitet. Denn davon abgesehen, dass die eine dieser Be
merkungen bereits im Cap. 4 (49 “ 22f.) zu lesen war, woran
der Verfasser nicht eben zu denken braucht, kann es ihm an
dieser Stelle nicht darum zu tliun sein, jenes Urtheil zu ex-
pliciren, sondern es zu begründen. Das öpyrjcxtxöv und das
npay.xix.6v sind Unterarten des Gattungsbegriffes xtvyjxtxct. Da
scheint es sachgemässer und mindestens ebenso wenig gewalt
sam, also zu schreiben: xb os iap.ßeiov y.at xexpap.sxpov xtVY]xcxd, ei
xo p.ev opyijcrctxov, xb ok npxxtixcv. Für diesen Gebrauch von et
vergleiche man, wenn es Noth thut, Krüger 65, 5. 7. Der
artige durch den Itacismus verschuldete Schreibfehler begegnen
z. B. 59 b 8, 60“ 33, 60 11 8, 61“ 8, um nur Fälle anzuführen,
die jedem Meinungsstreit entrückt sind. — ,Aus diesem Grunde
hat denn/ so heisst es auf der nächsten Zeile, ,auch niemand
eine umfängliche (epische) Composition in einem anderen als
40
IV. Abhandlung: Gomperz.
dem heroischen Versmass gedichtet; es lehrt eben, wie wir
schon einmal bemerkten, die Natur selbst das Passende er
greifen/ Der Schluss dieses Satzes hat eine Verunstaltung
erlitten, die erst Bonitz (im Jahre 1862!) beseitigen musste,
indem er das wahnwitzige ätaipewäai durch das allein ange
messene — seither auch durch die arabische Uebersetzung
bestätigte — aipstcOat ersetzt hat (Aristotelische Studien I 98).
Damit ist die Stelle jedoch noch nicht völlig geordnet. In
den Worten: aXX’ wcnrsp e&copiev, ofer ( fj otSacxst t'o äppiövcov
abvfj [3t]alpeiG0at ist noch das widersinnige au-ri; (im Parisinus
aÜTYj) zurückgeblieben. Denn nicht von dem Naturgemässen
sondern von der dem jedesmaligen Gegenstand gemässen Be
handlung, von der dem Inhalt entsprechenden Form muss
hier die Rede sein. Wer Parallelstellen mehr als der Vernunft
vertraut, der möge den Satz nachlesen, an den Aristoteles
hier ausdrücklich erinnert (Cap. 4, 49 a 23ff.): Xeqsu? ok ysvo-
p.svvj? autr, f, tpücrti; to otxetov |j.expov süps, p.ctXto'ca *pap Xex.Tix.bv töv
p.eTpwv XTE.
In dem Lobspruch, der Homer alsbald darum ertheilt
wird, weil er allein unter den Dichtern wisse, was der Dichter
selbst zu thun hat, nämlich so wenig als möglich in eigener
Person zu reden, wird sein Verfahren also geschildert (60 a 9ff.):
b äs iXc-fa ^potp.’acap.ivoc eüOb; eirayec aväpa r ( yuvatxa aXXo t:
[vjOoc] xat ouäev’ avjOvj dXX’ syovca tjQtq. Da Vahlen das von Reitz
als unecht ausgeschiedene rfioc vertheidigt hat, so scheint es
nothwendig, seine Beweisführung, der es an äusserem Erfolge
nicht gefehlt hat, kritisch zu beleuchten. Es sind zwei Stellen
der aristotelischen Rhetorik, auf die er (Beitr. III 337) seine
Rechtfertigung gründet. Wer die Stellen aufschlägt und
darin in dem hier von Vahlen postulirten Sinne von
,Person' oder Figur verwendet zu sehen erwartet, wird arg
enttäuscht werden. Die eine der beiden Stellen (Rhet. III 7,
1408 a 28 ff.) handelt von verschiedenen Menschenarten, be
zeichnet je eine solche als yivoc und illustrirt diesen Begriff
durch Beispiele olov Tcatc fj dvr,p f, yipm, xat yurr, r t dvvjp, xai
Adxwv -q öe—aXic. Hierbei zu verweilen fehlt jeglicher Anlass.
Die andere Stelle (Rhet. II 12, 1388 b 32ff.) lautet wie folgt:
Ta 3b vjör, izbioi Ttvsc xa-d Ta ttocöyj xat Tac xal tdp fjXtxta? xat
Ta? ~byac, StsXÖtöjxsv p.scd TauTa. Das heisst: ,wie die Menschen
Zu Aristoteles’ Poetik. III.
41
aber in ihrer Eigenart beschaffen sind, je nach ihren Leiden
schaften und moralischen Qualitäten, nach ihrer Altersstufe
und Lebenslage, wollen wir nunmehr erörtern.' Wie das ge
meint ist, zeigt sogleich die erste Anwendung 1389 a 2ff.: ol
(J.sv ouv veo! ra rfir, etoiv era0u|j.v)Taoi v.od olot xoieÜv tov äv extOup. 1 ^-
(7wu(v. Darin liegt doch wahrlich nicht, dass ,die rfir, . . . nach
f/Ar/ia vsvoc u. s. w. unterschieden' werden. Wenn ,junge Leute
— wie Aristoteles hier bemerkt — starke Begehrungen und
die Neigung besitzen diesen zu willfahren', so werden ihre vjör,
insoweit durch ihre Altersstufe bedingt. Andere Charakter
typen werden durch andere Altersstufen, Nationalitäten, Lebens
stellungen u. s. w. bedingt. Dem Schöpfer der Logik aber
zuzumuthen, dass er das Bedingende mit dem Bedingten
verwechsle, dazu läge auch dann kein Grund vor, wenn nicht
mehrere Umstände gegen die Annahme solch einer Verwechs-
lung zeugten, ävrjp und yuvV) können sehr wohl als je ein
yLoc, aber angesichts der unendlichen Mannigfaltigkeit, die
unter den Gliedern dieser '{btr i besteht, wahrlich nicht als die
Träger je eines vjOo; oder Charaktertypus gelten. Die Ver
bindung rjöo? ■/.«: ouSev’ cb'Ör / aW b/mm müsste man dann,
aber auch nur dann hinnehmen, wenn die liier hngirte Be
deutung von 9)0o; irgend einen Anhalt im Sprachgebrauche
hesässe und nicht ausschliesslich für diese eine Stelle ersonnen
wäre. Endlich: wie wenig die Worte ak\o n der Anlehnung
an ein Substantiv in diesem Zusammenhang bedürfen, das
kann ein Blick auf die Stelle lehren, an welcher der Verfasser
der Poetik den hier ausgeführten Gedanken bereits skizzirt
hat, Cap. 3 in.: y.ai yap ev toi; äutoI; y.ai toc aÜTa ptpslaGai g<rav
ote p.£v ÄjcaYYiXXovta r, exepiv Tt yiyvc^Evov t&oxEp "Op.r;poc wotei
v.T£. Eine wirkliche Schwierigkeit muss uns noch einen Augen
blick festhalten. Sollen wir ouSev’ a-j0y; mit der Aldina und
Bekker in oüSev ar;0e; verändern, sollen wir es beibehalten
und als Plural des Neutrums verstehen? Wäre xyj0s; über
liefert, so brauchte uns der Mangel an strengem Parallelismus
nicht im mindesten zu beunruhigen. Im ersten Satzglied wäre
der Gedanke eben distributiv, im zweiten collectiv ausgedrückt:
•kein Wesen ohne ausgeprägte Eigenart; nur derartige, die
eine solche besitzen'. Ob aber die Aenderung unvermeidlich
ist, das wage ich nicht zu entscheiden. Während oüosve; bei
42
IV. Abhandlung: Go mp er z.
attischen Rednern nicht selten ist und auch schon bei Herodot
begegnet, scheint es an sicheren Belegen für den Plural des
Neutrums überhaupt zu fehlen. Darnach könnte dieses
As-fsptsvov (das übrigens erst aus dem süssva ifir, der Hand
schrift gewonnen ist) überaus bedenklich scheinen, wenn nicht
bei Aristoteles selbst ein Parallelfall (Phys. Z 4, 234 b 33) nach
gewiesen wäre. Leider ist auch dieser die heikle Frage end-
giltig zu entscheiden nicht geeignet. Denn dem y.a: ouSevvwv
(sic) aXXcov von E steht y.a: oi>y. oXawv anderer Handschriften
gegenüber. Und auf welcher Seite hier die grössere Autorität
zu linden ist, das werden vielleicht auch jene nicht zu sagen
wissen, die gleich Diels die ,Textgeschichte der aristotelischen
Physik' zum Gegenstand eines eindringenden und ergebnis
reichen Studiums gemacht haben (vgl. des genannten Gelehrten
also betitelte akademische Abhandlung, Berlin 1882, insbe
sondere S. 10, 11, 16f. und 19 f.); leider versagt uns auch
Simplicius hier seine Hilfe. Nachdem wir hierüber so weit
läufig gehandelt haben, mag über den Anfang des auf der
selben Zeile beginnenden Satzes die kurze Bemerkung genügen,
dass dem von Christ hier, wie ich meine, mit Recht empfun
denen Mangel durch die Einfügung des blossen, anerkannter-
massen mehrfach ausgefallenen Wörtchens y.a! in ausreichender
Weise abgeholfen wird: viv sSv (y.ai) Iv zxi: -pa-ppSia:; troistv
w 0ajp.aarsv, gäAAsv 8’ i'iciyßzxi Iv rr ( i-szoiuz zo xAs-j'sv y:zk.
(60 s 12 ff.).
Die verderbte Stelle 60 1 22 ff. erachte ich als durch
Bonitz nahezu vollständig geordnet ; nahezu, weil ich Vahlen,
dessen Behandlung des Satzes ich im übrigen nicht billige
und dessen Begründung derselben ich nicht zu folgen ver
mag, darin beipflichte, dass das r, vor 7ipoa0stva: nicht zu
tilgen sondern als f, aufzufassen ist. Ich schreibe mithin: eis
sst, äv fs TrpwTsv As38cs, oaas ss tsstsj svtss iva-f/.r; stvai r, '(S.'ti-
söa: ■£, -sssOstvat. Zur Erklärung der Stelle hat Ueberweg in
der Anmerkung 116 seiner Uebersetzung das beste gethan.
Er hätte allenfalls noch hinzufügen können, dass der hier
vorausgesetzte Schluss von der Wirkung auf die Ursache nur
darum ein Fehlschluss ist, weil in der Natur das existirt, was
J. St. Mill die ,Plurality of Causes' genannt hat, vermöge deren
zwar jede Ursache allezeit dieselbe Wirkung hervorbringt oder
Zu Aristoteles' Poetik. III.
43
doch hervorzubringen strebt, nicht aber jede Wirkung jedesmal
durch dieselbe Ursache erzeugt wird. Den hier von Aristo
teles ins Auge gefassten ,Fehlschluss 1 begehen wir somit dann,
wenn wir aus dem Vorhandensein einer Wirkung ohne Zögern
und ohne jedes Bedenken auf eine unter mehreren dieser
Wirkung fähigen Ursachen zurückschliessen. Diese Schluss
weise wird hingegen dann zu einer völlig berechtigten und
sie führt je nach den Umständen zu bloss wahrscheinlichen
oder auch zu völlig sicheren Ergebnissen, wenn die verschie
denen Möglichkeiten der Verursachung nach Gebühr gewürdigt
und auf Grund eines wohlerwogenen Eliminationsverfahrens eine
derselben als die in dem betreffenden Fall allein in Frage
kommende erkannt wird (,Zusammentreffen der Umstände* der
Criminalisten, besonnene Conjecturalkritik u. dgl. m.).
Der ganz erstaunlich gedankenreiche Schlusssatz des Ca-
pitels wird hoffentlich bei künftigen Commentatoren der Poetik
eine reichere Beleuchtung finden, als ihm bisher zu Theil ge
worden ist. Der Rath, den an sich unergiebigen Partien einer
Dichtung die grösste stilistische Sorgfalt zuzuwenden, bedarf
freilich keiner Erläuterung, wohl aber die daran geknüpfte,
vom erlesensten Geschmack eingegebene Bemerkung: x-oy-pü-xs:
fap racXtv r t Xtav Xapwxpä XiEtc xd xs r,f)rj y.ai xd; Siavoiac. Der Grund
dieser mit so überraschendem Feinsinn beobachteten Thatsaehe
ist ein zwiefacher: 1. Eine übermässig glänzende und aus
gearbeitete Sprache zieht einen allzu grossen Theil der Auf
merksamkeit auf sich und thut somit der vollen Vertiefung in
den Gefühls- und Gedankengehalt eines Kunstwerkes Eintrag
(man denke an die ,over-elaborateness*, die z. B. englische Kritiker
an Kinglakes’ ,Geschichte des Krimkrieges* mit Recht getadelt
haben, um von heimischen Beispielen zu schweigen). 2. Die
Illusion wird gestört und wo Illusion nicht in Frage kommt,
doch jedenfalls der Eindruck gehindert, wenn wir die Ab
sicht des Schriftstellers und seine führende Hand allzu deutlich
merken und empfinden. (Aus beiden Gründen sind z. B.
einige der affectreiehsten Partien des jüngst wiederentdeckten
Ur-Faust wirksamer als ihr mit weit grösserer Kunst aus
gearbeitetes Gegenstück in der vollendeten Dichtung Goethe’s).
Ein anderer und der Beachtung gar werther Gesichtspunkt
ist jener, den anlässlich des Wilhelm Meister August Wilhelm
44
IV. Abhandlung: Gomperz.
Schlegel und nach ihm Victor Hehn (Gedanken über Goethe
I 113) hervorgehoben hat und der sich auf die durch ein der
artiges Vorgehen ,des Künstlers über das Ganze verbreitete
harmonische Ausgleichung' bezieht.
Cap. 25, 60 b 16ff. habe ich an einem anderen Orte (Zu
Philodem’s Büchern von der Musik, Wien 1885, S. 26) ein
gehend besprochen. Vielleicht ist es einem oder dem anderen
Leser nicht unerwünscht, wenn ich die dort begründete Schrei
bung der Stelle hieher setze: ei p.sv yap xpoelXexo jjujA^aasOai
(cpOto;, x’xixir/y 8e 8i’) dcSuvapdav, a r jT?j<; r t äimpxia. • st 8s xo xpoeXe-
cOat p.Y) op0to? aXXa tcv txxov äp.cu xa Se^ta xpoßeßXvjy.oTa, y.aO’ ivAaxry
xiyyry xo äp.äpTrjp.a, olov v.ax' la.xpiv.ry a'XXvjv xiyyry oxotavovv, ob
y.a0’ sau-^v.
60 b 33 f. oTov y.at Zocpoy.Xr/? s$v) au-cb? p,sv otou? Set xoceTv,
EupixiSr)? 8s olot stcrt'v —. Hier pflegt man Heinsius zu folgen,
der E’jptxtS-pc in E : jptx(Sr,v verwandelt hat. Es will mich be-
dünken, dass der lässliche Gang der aristotelischen Rede dieser
schulmeisterlichen Berichtigung entrathen kann. Eine völlig
genau zutreffende Parallele bietet c. 3, 48“ 36 f.: outoi p.ev -pap
vMtp.ac xx- xsptof/.tSac y.aXstv <patjtv, ’A0Y;vaioi Ss Sr ( p.ou?. Und auch
davon abgesehen, wer nur die bei Krüger 65, 11, 7/8 oder
bei Kühner II 3 595 f. verzeichneten Fälle des Uebergangs von
obliquer in directe Rede und seines Gegentheils und des Nomi
nativs ,in Gegensätzen nach vorausgegangenem Acc. c. Inf.‘
durchsieht, wird einen principiellen Unterschied von dem hier
auftauchenden sprachlichen Vorkommnis nicht wahrzunehmen
vermögen.
61“ 25 ist der zweite empedokleische (Halb-)Vers durch
den Ausfall eines Buchstabens geschädigt worden. Man schreibe:
Zwpä ts (<x) xpiv y.ey.pYj-o. Und die zwei Möglichkeiten der Inter-
punction und der dadurch bedingten verschiedenen Auffassung
bestehen darin, dass die einen das aus dem vorangehenden
Verse zu ergänzende etpbovxo zum Hauptsatz, die anderen zum
relativen Nebensatz zogen, also: £wpct te (e^üorco) & xpiv v.iv.pryo
oder: 'Cwpa xe a xpiv (ecpüov-co oder tjv) y.ey.pyjTo. Ich behandle
das kleine Problem und was damit zusammenhängt an einem
anderen Orte. Zu der ebendaselbst 25 f. hier und anderswo
vielfach erörterten homerischen Aporie werden künftige Inter-
Zu Aristoteles’ Poetik. III.
45
preten der Poetik ihren Lesern hoffentlich sagen, dass deren
Lösung eine sehr einfache ist. Man setze einen Beistrich nach
zapur/Yjzsv 8s xX£(üv vöi;, verstehe tüv 86o p.otpawv als = 860 tuv
potpwv, was Apposition zu xXscov v6£ ist, und man wird es nicht
verwunderlich finden, dass nach Ablauf von zwei Drittheilen
der Nacht das letzte noch übrig ist: -pixavt] 8’ sxt [J.öipa. ÄeXsurcat.
Es erscheint mir geradezu unbegreiflich, wie Ebeling (Lexicon
Homericum s. v. p.oipa, 1114 b ) diese Erklärung eine künstliche
nennen kann. Von neueren Homerherausgebern deutet nur
Nauck durch seine Interpunction an, dass er die Stelle so
versteht, wie sie (vgl. Ebeling a. a. 0.) bereits von Döderlein
und Koch verstanden worden ist. — Gern wüsste ich, wie
dem Widersinn abzuhelfen ist, den man 61 b 19 f. in den Worten
liest: orav p.Yj avcfpu;; oücy); jj.Yj0ev /pvfcYjtat v<T> akö'(ii>. Auch M.
Schmidt, der zwei Zeilen vorher aii-rev glänzend zu 7o>-sov emen-
dirt hat, 1 nimmt an [j.yjOev keinen Anstoss. Und doch weiss ich
mir Vahlen’s Rechtfertigung des Wortes: ,nunc p.Yj0ev ponitur
quasi non |j.yj ava-f/.Y); ouo-yjq sed p,Yj ava-ptatou cvto; ante scriptum
esset 1 nicht zurechtzulegen. Den von ihm selbst angeführten
Parallelen |J.7j"e ävaf/.Yj; vj,u.Tv jj.Yj8sp.tai; fevop.svyj;, p,Y)Se avavzY] p.rj-
8s|j.t'a, jj.Vjvs ötXXrj; ava-f/.r;; [j.Y]8sp.tä; würde unter jener an sich
gewagten Voraussetzung doch nur ein p.YjOsvo; entsprechen.
Wenig empfiehlt es sich |j.yj0sv durch jj.cfaqv zu ersetzen; soll
man etwa (rcpb;) oder (st;) [ayjösv für das Richtige halten und
darin den Hinweis auf die völlige Zweck- und Nutzlosigkeit
der von Aristoteles getadelten Verwendungen des äXo-pv und
der zovtjpta erblicken?
Ueber das Schlusscapitel der Poetik habe ich bereits im
,Eranos Vindobonensis 1 (1893), S. 71—82, gehandelt.
1 Unfassbar ist es mir, wie Christ diese treffliche Besserung ignoriren
konnte. Fast ebenso unfassbar, dass man das von Heinsius gefundene
va 8’ uTCsvavtia (statt urcsvavn'a d>;) Etp7]piva, was den hier erforderten
Gedanken xa 8’ uTCSvavxuos £?p7]a0at öoxouvra aufs beste ausdrückt, wieder
fallen gelassen hat.
V. Abhandlung: Karabacek. Die Involutio im arabischen Schriftwesen.
l
V.
Die Involutio im arabischen Schriftwesen.
Von
Joseph Karabacek,
wirkl. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
Unter Involutio verstehe ich einen graphischen Vorgang,
welcher darin besteht, dass in zwei aufeinanderfolgenden Wör
tern gleichlautend zusammenstossende Buchstaben oder Silben
einmal geschrieben und zweimal gelesen werden, wodurch eine
versteckte Zusammenziehung der beiden ungekürzten Wörter
stattfindet. Es kann umgekehrt auch geschehen, dass die nicht-
punktirten Buchstabenelemente eines Wortes zweimal gelesen,
zwei verschiedene sinnentsprechende Wörter geben. Ulrich
Friedrich Kopp hat die beiden ersterwähnten Erscheinungen
zunächst in lateinischen Texten festgestellt und hiefür mit dem
Satze ,atque eadem ratione in libris quoque manuscriptis lite-
ras, quin etiam integras syllabas, in aliis involutas esse
etc/ den zutreffenden Ausdruck gefunden. Allein seine Exem
plifikationen sind nicht mit der nöthigen Schärfe abgegränzt.
Involutio-Beispiele sind: CVlVS für CVl Ivs (Inschrift), ne-
cesset für necesse esset, foreceperint für fore receperint,
presenteste für praesente teste (Manuscript der florentinischen
Pandekten); 1 ferner ad comparationemali für comparationem
mali (Veron. Palimps., ca. saec. VIII) 2 u. a. Dagegen enthält
CVIVSVS für CVI IVSSVS (Kopp, 1. c. 184) nur eine Involutio,
sodann eine vereinfachte Schreibung (Haplographie) innerhalb
desselben Wortes, und VIRTVS IN AMO VIVET (Kopp, I, 185),
1 Kopp, Palaeographia critica, I, 184, 186.
2 Mon. graph. I, 2; vgl. auch I, 3.
Sitzungsber. d. püil.-liist. CI. CXXXV. Bd. 5. Abh.
1
2
V. Abhandlung: Karabacek.
wo AMO = ANIMO ist, böte eigentlich nur eine Ligatur (Ni),
welche in doppelter Schriftgeltung (auch als M) zu lesen wäre,
wenn diese Zergliederung richtig ist. 1
Aus meiner Definition ergibt sich, dass die Involutio we
sentlich verschieden ist von der ,Abkürzung durch Zusammen
ziehung' im eigentlichen paläographischen Sinne; 2 auch zeigt
sie das Gegentheil der auf dem Principe der Wortverstümme
lung beruhenden Abbreviatur, hat aber wie diese und jene für
sich die Raumersparniss zum Zwecke.
Beobachtet wurde die Involutio auch im Sanskrit. 3 Dort
nennen sie die Fachgelehrten nach dem Muster der Philologen
Haplographie. Das, was die Letzteren mit diesem seit langem
fixirten Ausdruck zu bezeichnen pflegen, ist zumeist ein Wirr
warr von Corruptelen, Abkürzungen und vereinfachten Schrei
bungen (innerhalb eines Wortes), wogegen die echte Involutio,
meiner Ansicht nach, alle diese Dinge vollkommen ausschliesst. 4
Was nun das Arabische betrifft, so glaubte J. G. Stickel
in der ZDMG., 1866, XX, 357 f., die Involutio an Bleisiegeln
,in zwei völlig sicheren Beispielen' entdeckt zu haben. Ich
werde sogleich zeigen, dass diese Entdeckung auf irrigen Le
sungen beruht. Nichtsdestoweniger bin ich in der Lage, die
Involutio in arabisch-epigraphischen Texten nachweisen zu kön-
1 Kopp, 1. c. 495 s. v. Involutio syllabarum.
2 Vgl. dazu C. Paoli, Die Abkürzungen in der lateinischen Schrift des
Mittelalters, übersetzt von K. Lohmeyer, 1892, p. 8 f.
3 J. Burgess, Archaeologieal Survey Reports of Western India, vol. IV,
p. 106, steht in den Worten patihäralchia Lotüya ,durch die patihärakln
LotS-, pa(ihäralchl nach Note 5 für Sanskrit pratihäraraksi ,die erste
Kammervorsteherin“. Diese von G. Bühler erklärte Inschrift gehört in
den Anfang des 2. Jahrhunderts n. Chr. — M. Bloomfield, The Kau-
sika Sütra, p. LXI: ,A few cases of haplography occur: caranäninaya-
nejyä for caranänininayejyä (und noch drei andere Fälle). Manuscript aus
später Zeit. (Nach einer freundlichen Mittheilung von Georg Bühler.)
4 Den Beweis hiefür liefert die Zusammenstellung von ,Haplographien‘ in
II. Hagen’s Gradus ad criticen, Leipzig 1879, p. 78—80. Beispiele wie:
taurum für Tartarum, pro legione für pro religione, mare für me-
rere u. a. sind einfach sinnlose Verderbungen, aber nicht Haplographien.
Darunter finden sich jedoch: deartii! für dea artium und memorestote
für memores estote als Beispiele echter Involutio litterarum sive sylla
barum.
Die Involutio im arabischen Schriftwesen.
3
nen. Seit achtundzwanzig Jahren bildet sie, im Anschluss an
die Lehre von den Ligaturen, ein Capitel der arabischen Paläo
graphie in meinen Vorlesungen an der Wiener Universität. Ihr
Vorkommen ist, von jenen Fällen abgesehen, die sich als Zu
fälligkeiten aus Verschreibungen darstellen, allerdings ein sel
tenes. Die Beachtung der Involutio dürfte aber trotzdem in
den ebenerwähnten Fällen zu textkritischer Erkenntniss in pa-
läographiscliem Sinne verhelfen und dadurch die Vermeidung
von Zweifeln und Irrthümern befördern. Denn in keinem anderen
Schriftsystem sind die Beziehungen zwischen Absicht und Zu
fall einander so nahe gerückt, wie in der arabischen Schrift
mit ihrem vieltausendfältigen Formengewirr.
Ich bespreche zunächst die beiden vermeintlichen Fälle
einer Involutio an den obenerwähnten Bleisiegeln. Die Legenden
des mit Nr. 1 bezeichneten Stückes,, 1. c. 341, 356, liest und
übersetzt Stickel folgendermassen:
,cj (jOjii «Uli ^Jc AoLJ.1 Ä.ili- Ä'TjJl «Ul «Üll
4L* «.Jab fjf A.C- ^.^1 U* «Uli
,Im Namen Gottes! Gotte ist der Segen für die Schutz
genossenschaft von al-Karadsch und al-Burdsch! — al-Mu’tamid
a’l-Allah, der Fürst der Gläubigen, den Gott verherrliche! —
Einer der Befehle des Emir Abd-ul-Aziz, Sohnes Dulaf’s, im
Jahre zweihundert sieben und fünfzig. — Gültig/
Die Involutio, meint Stickel, liege darin, dass der ,über
der Zacke des _ befindliche Punkt, die folgenden Elemente,
ausser für L gültig, noch zu einem zweiten Male zur Ver
vollständigung der für [dg]L erforderlichen und sonst fehlen
den Buchstaben verwendet haben wollte* (1. c. S. 357). Nun
stellt aber jener ,Punkt* sehr deutlich die Schlinge des vom
Eigennamen ,_Jib vor, was Stickel in dem Wirrsal der stern
förmig angeordneten Schriftzüge, nachdem er den Eigennamen
schon richtig gelesen, zu guter Letzt übersah. Aber wie die
Worte, Silben und Buchstaben hier behufs Erreichung des or
namentalen Zweckes abgebrochen, versetzt und durcheinander
geworfen erscheinen, zeigt es sich, dass die vermeintliche Sigle
l*
4
V. Abhandlung: Karabacek.
^ ,gütig' den Schlusspunkt der Inschrift und sohin den zweiten
Theil der Hundertzahl, d. i. Jo zu DbU bildet. 1
Der Schluss der Inschrift lautet demnach:
und die Uehersetzung, welche sich bei Stickel überdies auf
eine irrige Auffassung der Bedeutung von äJU- gründet:
,Im Namen Gottes! Gottes ist der Segen! Für die Kopf
steuer von al-Karadsch und al-Burdsch — al-Mu’tainid 'ala
Allah, Fürst der Gläubigen, den Gott verherrlichen möge! —
(Dies ist) von dem, was verordnet hat der Emir 'Abd ul-Aziz,
Sohn des Abu Dulaf, im Jahre sieben und fünfzig und zwei
hundert/
Dies Stück gehört also zu jenen Toleranzmarken, die
zur Bestätigung des geleisteten Kopfgeldes an den Händen oder
Hälsen der nichtmuhammedanischen Tributarier befestigt und
auf die Dauer der finanziellen Controlszeit zur Schau getragen
werden mussten. 2
Genau so verhält es sich mit dem anderen Bleisiegel (1. c.
Nr. 4), an welchem nur eine sehr arge Verlesung zur Annahme
einer Involutio führen konnte. Hier der Text und die Ueber-
setzung nach Stickel:
^ - tir
(j'Lj (j-u* ♦ ♦_} öl’ 4L* (<jr) jy\ li"
1 Ueber die Schreibung i ^öLo für vgl. meine Abhandlung: Der
Papyrusfund von el-Faijftm, Denkschr. der kaiserl. Akad. der Wissensch.,
1882, XXXIII, p. 26. Stickel hat in der ZDMG. XLIX, 70 f., die Lesung
des g, auf Grund eines Einwandes von Casanova zuriiekgenommen. Die
Abhandlung des Letzteren ist mir unbekannt geblieben, doch möchte es
mich freuen, wenn wir in der Emendirung übereinstimmen sollten.
2 Papyrus Erzherzog Rainer: Führer durch die Ausstellung, p. 177.
Wenn Stickel auch noch zuletzt, 1. c. XLIX. 70, an der Fassung ,Schutz
genossenschaft 1 für ÖJU*. zähe festhielt, so irrte er, trotz des einmal an
diese Stelle tretenden äÖjJl au f dem Siegel in der Sammlung
Drouin. Es sind ihm offenbar meine vorausgegangenen diesbezüglichen
Publicationen: Susandschird, 1881, p. 110, und Mittheilungen aus der
Die Involutio im arabischen Schriftwesen.
O
,Im Namen Gottes! Segen der Schutzgenossenschaft von
al-Karadsch und al-Burdsch! — al-Mu’tamid 'ala-Allah, Fürst der
Gläubigen. — Einer der Befehle des Ahmed Emirs des Sohnes
von Abd-ul-Aziz, im Jahre zweihundert und drei und sechzig/
Vor Allem bemerke ich, dass nach der Basmala, deren
zweiter Theil zerstört ist, durchaus kein Raum für <5j; zur Ver-
fligung steht. Die Jahrzahl ist richtig zu lesen: ,_Jo
d. i. ijLj »AAj; die Schreibung des Zehners Ju. für
beruht auf einer üblichen Abkürzung, ist daher keine Verstüm
melung infolge Raummangels. Ein Protokoll der Papyrus Erz
herzog Rainer, Inv. Ar. Pap., Nr. 4068, 1 vom Jahre 164 H. =
780 n. Chr. aus der Papyrusfabrik in Phragonis (ö^sVO bietet
in seiner Jahrzahl
4)1»} <jVJ
den Zehner in gleicher Kürzung geschrieben. Die Falschlesung
der Befehlsformel endlich hat Stickel zur Entdeckung seiner
Involutio verholfen, indem er seine Wortgruppe jul (richtig:
(j^) auf Grund einer Doppellesung in ,j> jul auflöst. Auf dem
Siegel steht nun keineswegs Ir, sondern 4) ^ L», wie auf
dem Exemplar Nr. 2 (p. 341); denn der Graveur, welcher an
^»1 irrthümlich gleich den Namen setzte, fügte nach diesem
das vergessene 4) ein und versah das darauffolgende zu a?-I ge
hörige Jy mit dem diakritischen Punkt am Be, damit es eben
nicht jul gelesen werden könne, wie Stickel auf Grund der
Sammlung der Papyrus Erzherzog Rainer, II/III, 1886, p. 176, entgangen.
Im Anhänge zu dieser Arbeit werde ich aus Stickel’s letzter Abhand
lung einen weiteren Beweis gegen seine Annahme erbringen.
1 Papyrus Erzherzog Rainer: Führer, p. 22, Nr. 91.
6
V. Abhandlung: Karabacek.
Vieldeutigkeit dieser Schriftzüge tliat. Die Inschrift lautet dem
nach bis auf die Umstellung ganz correct:
jv>\ «Oil Ajull [aäI
'
,JO} 41*» -Lc- (_/ x 4) Ss~\ u
,Im Namen Gottes! Kopfsteuer von al-Karadsch und äl-
Burdsch. — al-Mu’tamid c alä Allah, Fürst der Gläubigen. —
(Dies ist), was verordnet hat Ahmed Sohn des 'Abd ul-'Aziz
im Jahre drei und sechzig und zweihundert/
Damit sind auch die chronologischen Schwierigkeiten, wel
che Casanova (bei Stickel, 1. c. XLIX, 71) zu der graphisch
ganz unstatthaften Lesung für verleiteten, insoferne be
hoben, als Ahmed vor seinem Regierungsantritt (265 H. = 878
n. Chr.) ersichtlich an der Spitze der Finanzen als jVc die Ver
waltung der Steuern inne hatte. Und deshalb fehlt vor seinem
Namen der Emirstitel. 2
Die nachfolgenden Beispiele wirklicher Involutio sind
durchwegs epigraphischen Charakters. Massgebend für ihre
Bestimmung muss, soweit mir Belege bis jetzt vorliegen, stets
die Feststellung ihrer beabsichtigten Anwendung sein, gleich
viel ob auf Grund vorausgegangener Raumberechnung oder in
folge nachträglichen Zwanges bei gebotener Raumausnützung.
I.
Steininschrift von Sevilla, aus der Zeit des 'Abbäditen
Muhammed II. al-Mu’tamid 'ala Allah, 461—484 (1068—1091
1 Lies *>^.1 <jo.
2 Wenn Stickel, 1. c. XX, 354, bemerkt, dass mit el-Härith (f 284 H.),
einem der Söline des 'Abd ul-'Aziz das Geschlecht, der üulafiden oder
'Idschliden aus der Geschichte des Islam verschwindet, so ist dies ein
Irrthum; denn am 15. Dscliumäda I, 739 H., starb der im Jahre 606 II.
geborene Oberstrichter von Aegypten und berühmte Rechtslehrer Mu
hammed ibn ‘Abd ar-rahmän, ein directer Abkömmling des Ahmed,
Bruders des oben genannten ‘Abd ul-'Aziz und Oheims von Ahmed ibn
'Abd ul-'Aziz. Vgl. die ausführliche Biographie mit der genealogischen
Kette bis auf Abu Dulaf, bei ‘Askaläni, ad-Durrar al-kämine, Handschr.
der k. k. Hofbibi, in Wien, Mxt. 245, III. Bd., fol. 187 a—189 a.
Die Involutio im arabischen Sebriftwesen.
7
n. Chi'.), in Conde’s Hist, de la dominacion de los Arabes en
Espaiia, I, zu Seite 517 abgebildet.
Ich gebe hier den Text, welcher meines Wissens noch
nicht correct publicirt worden ist, sowie die Uebersetzung:
Uebersetzung.
1 Im Namen Gottes des Barmherzigen, des Erbarmenden!
Segen Gottes über Muhammed den Letzten der Propheten!
2 Es hat befohlen die grosse Herrin, Mutter des ar-Raschid
Abü-l-Husein 'Abdallah, Sohnes des al-Mu’tamid
3 ‘ala Allah al-Mu’ajjad bi-nasr Allah Abü-l-Käsim Muham
med, Sohnes des 'Abbäd — Gott lasse dessen Beistand,
4 und Macht, sowie Beider Verherrlichung lange dauern! —
die Aufstellung dieser Zelle in ihrer Moschee — Gott be
wahre sie (diese Stätte) mit dem Wunsche
5 nach reichlicher Vergeltung! Vollendet wurde sie nun mit
Hilfe Gottes unter der Leitung des Wezir, Kätib (und)
Emir Abü-
6 1-Käsim, Sohnes des Iladdschädseh — dem Gott beistehen
möge! — und Solches geschah im Scha’bän vom Jahre
achtundsiebzig und vierhundert (— 22. Nov. bis 20. Dec.
1085 n. Chr.). 1
1 Der volle Name des hier genannten Wezirs ist: ^
j-Usf“ - . Manche Quellen schreiben das Patronymicon mit dem
Artikel, mit Unrecht, wie unsere Inschrift zeigt. Ihn Iladdschädseh
war Gouverneur von Sevilla. Al-Makkari, The hist, of the moham. Dy-
nasties in Spain, by P. de Gayangos, II, 439, 451.
s
V. Abhandlung: Karabacek
Die Involutio findet sich, wie die beifolgende Copie der
dritten Schriftzeile zeigt, in der Wortgruppe ,»bL, welche in
Doppellesung *bl aLc ergibt. Ein Blick auf das Facsimile lehrt
weiters, dass der Baum der Schriftzeile von dem Schreiber am
Steine für die Buekstabenfolge wohl abgezirkelt worden, dass
somit die versteckte Zusammenziehung der beiden ungekürzten
Wörter keine zufällige sein kann.
II.
Moscheeinschrift zu Thobäd bei Ta'izz in Arabien, vom
15. April bis 14. Mai des Jahres 540 H. = 1146 n. Chr., bei
Xiebulir, Beschreibung von Arabien, Tab. IX, C, zu Seite 96,
Textschluss:
jrul JjuLJj AjJljj
(£2 V.* <jrl <jrl jf-
j£Z 4jl'l J-C- Jjfc» b äiL .
jjuLil Lg)jSU_j Ui
p—b-J 4*' Jpj
1
2
3
4
5
6
Uebersetzung:
1 Die verehrungswürdigen Imäme und seine Eltern und
sännntlicke Muslimen, Amen.
- Geschrieben von Omar, Sohne des Ahmed, Sohnes des
Muhainmed im Dsü-l-hiddscha des Jahres vierzig
0 und fünfhundert. Er baute, und baute für seinen Bruder
Abd alläli — Gott verzeihe
1 Orig.
Die Involntio im arabischen Schriftwesen.
9
4 ihnen Beiden, ihren Beiden Eltern nnd sännntliclien Mus
limen! O Gott segne
5 unseren Herrn Mnhammed, den Propheten
6 und seine Familie und gebe (ihnen) Heil!
Die vorstehende Abbildung der dritten Schriftzeile lässt
wiederum deutlich die Gesetzmässigkeit der Involutio erkennen.
In der festgefügten Buchstabenfolge tritt uns hier die versteckte
Zusammenziehung der beiden Wörter 4A-V b in entgegen,
wofür sich der monumentale Schriftductus des 6. Jahrhunderts
d. H. ganz besonders geeignet erweist. Denn die unten offene
Form des verschlungenen V lässt in der Verbindung von rechts
die linke obere Spitze schriftgerecht als das Elif von b er
scheinen; für sich allein betrachtet gibt sie hinwieder das V
zu
HI.
Marmor-Stuhl in der Basilica di S. Pietro del Castello in
Venedig, 6, Jahrhundert d. H. (= 12. Jahrhundert n. Chr.).
Lanci, Trattato delle simboliche ecc., H, 26, Tav. XVIII. 2
Vorstehendes Schriftfragment zeigt den Beginn der inscrip-
tionellen Bandhordure, Koran, Sure HI, Vers 190:
1 Eeisfce hat (Hieb. L e. p. XXVII) diese Inschrift znin Th eil unrichtig
und znm Thell gar nicht entziffert. Bezüglich der Bauformel verweise
ich auf eine mir vorliegende Thurminsehrift von Radekän, wo aJbi <jJ Lo
^ aJ zu lesen ist.
2 Dieses merkwürdige Schaustück gelangte gegen 1310 als Geschenk des
byzantinischen Kaisers mit dem Bedeuten nach Venedig, dass es der
10
V. Abhandlung: Karabacck.
kl» I] jL>\ (öO cPb U[b* k«- b*l bj
,0 Herr, wir haben einen Prediger 1 gehört, uns mahnend
zum Glauben mit den Worten: glaubet an euren Herrn! und
wir haben geglaubt/
Die Involutio, welche hier aus der ingeniös erdachten und
kunstvoll ausgeführten Eintheilung der die Bordüre füllenden
Inschrift resultirt, zeigt sich klar in der Gruppe für
0' ölcMJ.
IY.
Thonsiegel. In zwei Exemplaren auf Papyrusurkunden des
7. Jahrhunderts n. Chr. — Papyrus Erzherzog Bainer, Inv. ar.
Pap., Nr. 20 und 20a (Führer durch die Ausstellung, p. 144,
Nr. 572; 20 a defect wegen unvollkommener Aufprägung des
Petschafts).
'<ü§l!a
Die vorstehende, sehr stark vergrösserte Abbildung lässt
folgende Transcription zu:
^PE)
Den Schlüssel zur sicheren Lösung liefert der griechi
sche Text der Urkunde, Inv. Nr. 20, welcher beginnt:
cjy^ aßsu Eip. ui° ’.y.z'.z ~ j.t.o Xaup a~spa" ^o)/ apjtvst;;
d. i. div Osio • ’Aßol» Iv.p. uibc ’lasiE ~öic, fach Xaipa; ’Axspcsroü rShzu:
’ApCIVÖK)? •
,Mit Gott! Abu Eim, Sohn des Jaeje an die Bewohner
der Strasse Aperatu der Stadt Arsinoe/ 2
vom heiligen Petrus in Antiochia benutzte Stuhl sei, infolge dessen ihm
in Venedig von Seiten der Gläubigen andächtigste Relicjuienverehrung
widerfuhr. Die Inschriften enthalten Sure in, Vers 190—196 und Sure
XXIII, Vers 118 des Koran.
1 Muhammed.
2 Nach der Lesung von K. Wessely.
Die Involutio im arabischen Schriftwesen.
11
Aus der zweiten Urkunde (Inv. Nr. 20a) erfährt man, dass
die fragliche Persönlichkeit ein dp«pa, Emir war. 1 Ihr Name
ist zweifellos arabisch
fjr't <j. y)
Abu Häim Sohn des Jahja
wobei zu bemerken ist, dass beide Namenstheile laut griechi
scher Umschreibung mit der Imäle gesprochen worden sind. 2
Darnach bleibt nur noch ^Vl b übrig, das für sich allein jJl,
bei Gott! oder jJl (= «Üll) 0 Gott! gelesen, sinnlos und über
haupt mit Rücksicht auf den gebotenen Zusammenhang in der
arabischen Sigillographie ganz ohne Analogie wäre. Hier tritt
also der in der eingangs gegebenen Definition vorgesehene
zweite FaU einer Involutio ein, nämlich, dass die nichtpunk-
tirten Buchstabenelemente nach ihrer Beanspruchung als
Patronymicon, ein zweites Mal in sinnentsprechendem Zusam
menhänge mit dem folgenden Wort jJl, gelesen werden müssen.
Unter dieser Voraussetzung ergibt sich wie von selbst die Formel
mll ,Errette mich 0 Gott! 1 , also die ganze Siegelinschrift:
<j.p*y)
Abu Häim, Sohn des
Jalija, errette mich 0 Gott!
Zur Rechtfertigung dieser Lesung möchte ich in Kürze
Einiges beibringen. Als nächstes Beispiel einer Involutio werde
ich eine historisch überlieferte Siegelinschrift gleicher Art mit
theilen. Unsere Siegelformel ist koränisch, Sure XXVIII, Vers 20,
und begegnet uns auf dem prächtigen Tahsman der Papyrus
sammlung Erzherzog Rainer, Führer, S. 249, Nr. 948, einem
1 Beide Documente werden in meinem ersten arabischen Bande des Cor
pus Papyrorum Baineri publieirt werden.
2 Vgl. meine Abhandlung: Zur Kenntniss des Umlautes im Arabischen,
Jlitth. Papyrus Erzh. Bainer, V, 59 ff.
12
V. Abhandlung: Karabacek.
Modeldruck des 10. Jahrhunderts n. Chr. Dort gibt die Formel
y* ,errette mich von —‘ dem Besitzer des Talisman die
Freiheit, seinen Wunsch einzufugen. Sie findet sich ferner in
allen Erzeugnissen der arabischen Gebetlitteratur, wo Exorcis-
men, Talismane und Zaubermittel eine grosse Rolle spielen, in
verschiedenen Variationen vor. So liest man z. B. in einem
Gebetbüchlein 1 unserer Siegelinschrift entsprechend: y*
«tfll jRl jeJäc Er rette mich vor jeglichem grossen Kum
mer, o Gott! o Gott!' Ein anderes Gebetbuch 2 hat: y,
jJä»!' n. s. w. Auf einem mir zur Entziffe
rung überwiesenen Carneolsiegel las ich die gereimte Inschrift:
Ir
ö
2
O unsichtbarer Spender der Wohlthaten (Gott)
errette mich von dem, was ich fürchte!
Sein (d. i. Gottes) Knecht:
Mahmud 3
92 = 1092 d. Id. (1681 n. Chr.)
An die Stelle der im Singular gefassten Gebetformel tritt
zuweilen auch der Plural: 4 kr wofür ic(i zum Schlüsse
1 Manuscript in meinem Besitz, letzte Seite.
2 Manuscript in meinem Besitz, fol. 97 a. Diese prächtig 1 ausgestattete Hand
schrift ward, laut Einzeichnung 1 , im Jahre 1700 von dem Prager könig
lichen Appellationsrath Ritter ,Ioannes Carolus Zitschy de Znoriza 4 , wel
cher den kaiserlichen Botschafter Wolfgang Grafen in Oettingen und
Wallerstein nach Constautinopel begleitete, daselbst gekauft worden.
3 Dies ist der Name des Besitzers.
4 Reinaud, Monuments etc., H, 281.
Die Involutio im arabischen Schriftwesen.
13
noch ein sehr altes Beispiel aufführen möchte, weil es die Lesung
unseres Thonsiegels bekräftigt.
Es handelt sich um die von Stickel, ZDMG., XX, 368 ff.
veröffentlichte Bleibulle mit dem Christusbild am Avers und
einer arabischen Legende am Revers, welche letztere Michel
angelo Lanci in seinem nichtswürdigen, gegen den hochacht
baren Jenenser Gelehrten gerichteten Pamphlete 1 nach eigener
Manier gleichfalls zu entziffern versucht hat. Ich beziehe mich
indes hier nur auf die der Wahrheit näher kommende Lesung
Stickel’s:
Durch Gott — Simon Petrus . . .
Der zweite Name ist etwas defect, kann jedoch nur ojai
Petre (= Hevpoq) gelesen werden; von einem nach woraus
sich ergehen würde, ist keine Spur, statt dessen steht
vielmehr deutlichst L», d. i. b», somit hat die Inschrift zu
lauten:
Simon, Sohn des Petre, errette uns o Gott!
Der Annahme Stickels, dass ohne Zweifel ein Wort einer
dritten Zeile verloren gegangen sei, weil ein grosses Stück des
Feldes bis in die zweite Zeile hinein zerfressen ist, kann ich
nicht beipflichten: es mag höchstens ein ornamentales Beizeichen,
wie etwa ein Stern * oder ein Ringelchen o, oder auch der
im Abschnitt arabischer Siegeltexte ebenso häufig anzutreffende
Stern im Halbmonde cb u. dgl. dagestanden haben.
Man ersieht unschwer aus meiner Lesung, dass diese zwei
fellos um die Wende des 3. Jahrhunderts d. H. (= 9./10. Jahr-
Lettera filologica — al Cavaliero Vincenzo Tommasoni da Fano, Koma
1867, p. 35, und dazu Stickel’s ebenso würdige als gründliche Abfertigung
in der ZDMG., XXIII, 326 ff.
14
V. Abhandlung: Karabacek.
hundert n. Chr.) entstandene Bulle ägyptischer Herkunft ist,
einem Kopten und wahrscheinlich höheren geistlichen Würden
träger, Namens ciMecon uevpe angehört habe. 1 Im gleichen
Sinne möchte ich auch die von Stickel auf Pius II. (Aeneas
Sylvius) bezogenen (!!) schwach sichtbaren und plump geschnit
tenen griechischen Buchstaben der Vorderseite links und rechts
vom Christushilde deuten. Da sie sich wie CU —- TF darstellen,
können sie meines Erachtens kaum anders, als für CIM — EIET
(ET in Ligatur), d. i. Sljxwv IIs-pou genommen werden.
V.
Siegelring. Nach der historischen Ueberlieferung des Chalil
ben Schahin az-Zähiri in seinem: J^ÜI di! LU SJuj
dULib bei de Sacy, Chrest. arabe, 2 e ed., II, p. 1. f.; vgl. auch
Reinaud, 1. c. I, 83. Ich lasse hier vorerst den kurzen interes
santen Originaltext folgen:
4) I I 0^)
L'L- LjJZka aS
As l^>^.9 4ÜL U \yu 4lli-l 0^
4*0 ^L*» AiJli-l JjV) JuC Lid ijfr) JtJl «jL^d
\ «üil \ 4>L»-ld dicL>- t~, -iI.A& L
<Ul J ^r>d \ jii ^ a! jLi
, . . . Dieser Wezir hiess Nedschm. Der Chalife hatte
einen Sohn, Namens Jahja. Da der Wezir dem jungen Prinzen
1 Ich denke an den eines Klosters, oder einen Bischof. Bezüglich der
Namensformen vgl. Corpus Papyrorum Raineri, II. Bd. Koptische Texte,
herausgegeben von J. Krall, Index s. v. Dass der Doppelname nach be
kannter koptischer Schreibung auch in der arabischen Transcription im
zweiten Theile das Patronymicon enthalte, wird aus den Beispielen in
meinem ersten arabischen Bande des Corpus Papyrorum Raineri hervor
gehen.
Die Involutio im arabischen Schriftwesen.
15
in liebevoller Weise zugetkan war, brachten ihn die Neider,
wegen einiger Worte, die auf dem Steine seines Siegelringes
standen, fälschlich in Verdacht und machten alle Anstrengungen,
den Chalifen dahin zu bringen, dass er die Inschrift jenes Siegel
ringes lese. Als dies geschah, fand derselbe darauf die (unpunk-
tirten) Worte: (welche er ^ ,Nedschm
liebt leidenschaftlich den Jahja' deuten zu müssen glaubte).
Der Chalife befahl sofort die Hinrichtung des Wezirs. Dieser
aber bat, noch einmal vor dem Herrscher erscheinen zu dürfen,
und als er vor diesem stand, frag er ihn nach seiner Schuld.
Da sprach der Chalife zu ihm: ,Was besagt diese deine Siegel
inschrift?' Der Wezir gab zur Antwort: ,Es ist der Name des
Allmächtigen G-ottes aus dem Koran/ ,Lies ihn', erwiderte der
Chalife, worauf Nedschm las: ,Bei (der Wahr
heit von) HM—‘ASK errette mich!' Der Chalife war von
dieser Rechtfertigung so sehr befriedigt, dass er dem Wezir
ein Ehrenkleid schenkte und ihn um Verzeihung bat'.
Die zwei taJismanischen Buchstabengruppen jin
welchen manche Commentatoren versteckte Namen Gottes er
blicken, sind in der That koränisch; sie leiten die XLII. Sure
ein und werden in Gebeten vielfach aufgerufen, so z. B. in der
oben citirten Handschrift (S. 12, Note 2), Fol. 124 r, wo entgegen
der elliptischen Fassung an dem in Rede stehenden Siegeltexte,
voll ,Bei der Wahrheit von HM'ASK!' zu lesen ist.
Sehr interessant ist nun das ans dem hübschen Geschicht-
chen für uns sich ergebende Beispiel einer beabsichtigten
Involutio, wobei wir davon absehen können, dass die hiefür
ingeniös ersonnene Combination des Formeleinganges mit dem
Namen des schändlicher Knabenliebe beinzichtigten Siegelinha
ber
diesem sehr bald den Kopf gekostet hätte.
r j - - .(*”
Dies Involutiobeispiel kann als Specimen einer ganzen Classe
von Siegelinschriften, in welche sich auch die unter IV. vor
beschriebene einreiht, gelten, bezüglich welcher zu hoffen ist,
dass noch andere lehrreiche Beispiele dereinst zum Vorschein
kommen werden.
16
Y. Abhandlung: Karabacek.
Ausser diesen Beispielen wirklicher Involutio an epi-
graphischen Denkmälern begegnet man noch ungemein häufig
Schreibungen, welche auf den ersten Anblick vielleicht als solche
aufgefasst werden könnten. Allein hei genauerer Ueberlegung
und mit Berücksichtigung meiner Definition, durch welche eine
sachlich - kritische Scheidung versucht worden ist, wird man
finden, dass es sich in diesen Fällen entweder um Haplogra-
phien oder Ligaturen handle. Zu den ersteren möchte ich
auch jenen Fall rechnen, welchen ich in diesen Sitzungsberichten,
Bd. CXXIX, Ahh. V, p. 22, in weiterem Sinne noch auf die
Involutio zu beziehen mich versucht fühlte. Das fragliche Woi’t
steht in der vierten Zeile der a. a. 0. publicirten Globus-Inschrift
vom Jahre 622 H. (= 1225 n. Chr.), deren Facsimile hier folgt:
Man ersieht hieraus, dass vereinfacht geschrie
ben ist, indem das einmal gesetzte und zu lesende V ein zweites
Mal in Verbindung mit dem daneben gestellten letzten zu
lesen ist. Dass dieser, durch die Nebeneinanderstellung positiv
gewordene Fall arabischer Haplographie aus einem Versehen
des Graveurs resultirt, ist zweifellos.
Was die Ligaturen betrifft, deren ungeheuere Zahl von
der Entwicklungsfähigkeit der arabischen Schrift Zeugniss ab
legt, so giebt es manche, welche sich dem graphischen Anschein
nach der Involutiobildung nähern, dennoch aber einer wirkli
chen Involutio nicht entsprechen. Ich führe nur zwei Beispiele
an: 1. die Wortgruppe (Fig. 1) aus einer persischen Inschrift
der inneren Festung (Itsch Kala’a) von Erzerum, Jahr 351 H.
Die Involutio im arabischen Schriftwesen.
17
— 962 n. Chr.: 1 und 2. den Namen dl) J,L Säti-beg
(Fig. 2), der llchaniden Sultanin, 739 H. = 1339 n. Chr. auf
einer Kupfermünze. 2 In diesen beiden Fällen treten zwei auf
einander folgende Wörter, nämlich Name und Titel, graphisch
nur in das Verliältniss einer Ligatur, da in Fig. 1 die Eiifs bei
der Wörter und Fig. 2 der Balken von mit dem Ja von J,
lediglich blos zusammenstossend (ligirt) angesehen werden können.
Von der Beachtung der Involutio an epigraphischen Denk
mälern zu Gunsten textkritischer Erkenntniss in paläographi-
schem Sinne habe ich bereits in den einleitenden Worten an
deutungsweise gehandelt. Ist, wie ich annehme, das Vorkommen
derselben an den ersteren gesichert, so werden sich nothwendig
auch in handschriftlichen Texten gewisse Erscheinungen damit
in Beziehung bringen lassen, schon wegen des von mir stets
betonten Schriftparallelismus. Freilich aber führt die Betrach
tung dieser paläographischen Beispiele durchaus zu keinem ge-
setzmässigen Ergebniss; mit anderen Worten: eine wirkliche,
meiner Definition entsprechende Involutio habe ich in Hand
schriften bisher nicht feststellen können. Dem Buch- oder Ur
kundenschreiber gestattete seine Kunst eine freiere Ausübung,
nicht so dem Schreiber auf Stein und anderem epigraphischen
Materiale, welcher eben durch das Missverhältniss zwischen der
gegebenen Schriftvorlage und dem ihr zur Verfügung gestellten
Raume mit Vorbedacht die Involutio anzuwenden veranlasst
werden konnte, ohne dadurch seinem Texte eine unverständ
liche graphische Gestaltung zu geben. Wenn daher Fälle einer
der Involutio ähnelnden Erscheinung in paläographischem Sinne
sich dennoch constatiren lassen, so liegen ihnen oft nur un
beabsichtigte Auslassungen des Schreibers zu Grunde, der,
wenn er auch seinen Irrthum gewahr wurde, die Auslassung
nur selten berichtigte, sondern vielmehr die textkritische Er
kenntniss des involutioartigen Charakters derselben dem Scharf
sinne seines Lesers anheimstellt. Höchstens geschieht es, dass
er durch Ansetzung eines zuweilen doppelgiltigen diakritischen
Punktes oder anderer Auxiliarzeichen die Aufmerksamkeit des
1 Journal asiatique, 1852, IV. Serie, 19. Bel., PI. II (wo unrichtig ge-
lesen ist).
2 In der Sammlung des Prinzen Philipp von Sachsen-Coburg-Gotlia.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXXV. Bd. 5. Abk. 2
18
V. Abhandlung: Karabacek.
Lesers auf das Vorhandensein jenes Vorkommnisses hinlenkt.
Wenn also beispielsweise ein Codex bietet, so ist diese
Gruppe, ohne dass etwa vorher die Vergleichung eines zweiten
handschriftlichen Exemplares nothwendig wäre, positiv durch
\f> Ol 0*4 aufzulösen: hier resultirt die involutioartige, durch
den diakritischen Punkt gekennzeichnete Erscheinung aus der
versteckten Zusammenziehung des ö mit j von Ljf;, welche
nur möglich geworden ist infolge der verschleiften Schreibung
des ö in einem Zuge, wodurch derselbe gewissermassen wie
ein einziges Buchstabenelement mit der j-Form graphisch
identificirt erscheint.
Beispiele dieser Art lassen sich in grosser Menge den
Handschriften entnehmen. Denn im Principe gilt das Gesagte
überhaupt von der B, e - Form in der Zusammenziehung mit ö.i
selbst auch, wenn sie eine Verbindung von rechts her einge
gangen ist. Man vergleiche: Muschtabih, ed. de Jong, tat,
N. 4, Cod. A yj. l* y) für yj. ö y) (da ^ = cursivisch j
ist); 1. c. rn, N. 8, Cod. C für ö. i;
Belädsori, ed. de Goeje, m, N. i ö^O ju' Jm>- für
öl yu&- u. s. w. In diese Kategorie gehören auch solche
Buchstaben, deren cursivische Umformung den constitutiven
Schriftcharakter so verändert, dass sie eine graphische Zusam
menziehung mit öl recht wohl einzugehen vermöchten, daher
die Auslassung des letzteren leicht erklärlich ist, z. B. Musch
tabih, 1. c. rn, N. 10 UJ' für U-)l ö <_rL*B aus
U-Ji oi? da^= ( _ r un d ö sein kann.
Hieran schliessen sich die anscheinend involutioartigen Zu
sammenziehungen durch Auslassung von Silben, denen bis
weilen dieselben graphischen Veränderungen zu Grunde liegen,
wie sie eben geschildert worden sind: Belädsori, 1. c. iai, N. c,
Cod. B jlj>für Jpij ci i sodann: Muschta
bih, 1. c. rrA, N. 4, Cod. C jZ yclsjl für J,\ j, ]
1. c. roA, N. 11, Cod. A jbf für ji/-ö. u - a -
Die Involutio im arabischen Schriftwesen.
19
Als dritte Reilie endlich, in welche sich Beispiele für den
in der eingangs gegebenen Definition vorgesehenen zweiten
Fall einer Involutio einordnen lassen, treten involutioartig in
paläographische Erscheinung die Auslassungen, beziehungsweise
Einmalschreibungen von Wörtern: Belädsori, 1. c. vv, N. e, Cod. A
<jj Jj>. für J,l Jl Jt;>. aus indem hier
vorauszusetzen ist, dass die beiden unpunktirten Wörter
(J,l des Leidener Codex vom Jahre 623 H. (1226 n. Chr.) in
dem Ductus seines Jerusalemitischen Schreibers Ahmed ibn
Ni'me 1 sich graphisch decken, dass also, weil ? von J,l fast die
Höhe des 1 von Jj hatte, sehr leicht die involutioartige Zu
sammenziehung beider Wörter stattfinden konnte. Diese An
nahme fand ich zu meiner Ueberraschung in der That bestätigt
bei Heranziehung der von mir 1879 in Leiden angefertigten
photographischen Copie von S. 543 des Codex (Ausgabe p. gvi),
wo sich zufällig dieselben Worte vorfinden: dort ist = J^
(Z. 4 v. u.) und Jj = (Z. 5 v. u.) geschrieben. — Ferner
1. c. riA, N. c, Cod. A Ja-aM jjb'j> ,jl für
1. c. r£=i, N. b, Cod. A \ für DuLi' (^J>' i>_ ^ (wo
^ mit offenem Mim = ^y); 1- c. m, N. c, Cod. A
für ötlj aUS j Al-
Bondäri, Hist, des Seldjoucides de l’Iraq, ed. Houtsma, o-,
1.15, Cod. 0 plÜI je für ^-tUI 1. c. i rr, 1.1, Cod. 0 JS"
für JT"(wo mit offenem Mim = 1- c - iv»,
1. 5, Cod. 0 a.>-l für «.»d L>.l v_sL7?V; 1. c. tas, 1.12, Cod. C
^o) für bj-—L aus der cursivischen Schrei
bung \)pA u. v. a.
Derjenige, welcher die Mühe nicht scheut, viele Hand
schriften auf ihre Lesevarianten hin zu prüfen, wird bald zu
der Ueberzeugung gelangen, dass den besprochenen, wenn ge-
1 Vgl. Muschtabih, 1. c. orr s. y.
20
Y. Abhandlung: Karabacek.
radezu systematisch sich wiederholenden Eimnalschreibungen
eine gewisse Praktik, aus welcher keineswegs eine gemeine
Nachlässigkeit, sondern vielmehr die Schreiberindividualität her
vortritt, zugrunde liegt. Ich verweise in dieser Beziehung nur
auf den vorhin citirten Erzerümer Codex des Al-Bondäri vom
Jahre 725 H. (1325 n. Chr.) in der Oxforder Bibliothek. Die
scharfe Beobachtung seines Herausgebers, Herrn Iloutsma, 1
über das handschriftliche Yerhältniss dieses Buches zu seinen
anderen Vorlagen, scheint mir in dem Gesagten durchaus eine
Stütze zu finden.
Indem ich diese vorläufigen Ausführungen beschliesse, bin
ich weit entfernt, die fürs Erste in der arabischen Epigraphik
nunmehr positiv nachgewiesene lnvolutio ohneweiters in glei
cher Gesetzmässigkeit auch aus den geschilderten paläographi-
schen Erscheinungen ableiten zu wollen. Aber ich meine, dass
die Thatsache des Auftretens der lnvolutio im arabischen
Schriftwesen an sich wichtig genug ist, um wohl beachtet zu
werden. Dadurch würde der Conjecturalkritiker in bestimmten
Fällen sicherer, als dies mit anderen Mitteln zu geschehen ver
möchte, die zunächst aus logischer Nöthigung festgestellte Text-
verderbniss auf graphisch natürliche Weise alsbald zu erklären
und darnach zu verbessern im Stande sein.
Anhang.
Bemerkungen zu den Hamadaner Bleisiegeln.
S. 4, Anm. 2 habe ich mich gegen die Gleichstellung des
Terminus JJU mit JaI auf den Bleisiegeln ausgesprochen
und die Beweisführung für diesen Anhang in Aussicht gestellt,
zumal der Herausgeber, J. G. Stickel, von seiner irrigen An
sicht über die zweckliche Bedeutung dieser Bleisiegeln auch in
seiner letzten Abhandlung, ZDMG. XLIX, 70, abzugehen nicht
vermochte. So sehr mich das Andenken des nunmehr heini-
1 Al-Bondäri, 1. c. XLI f.
Die Involutio im arabischen Schriftwesen.
21
gegangenen Gelehrten und insgleichen die Erinnerung an die
vor Jahresfrist erfolgte Zusendung dieser letzten litterarischen
Gabe des Neunzigjährigen mit verehrungsvoller Gesinnung er
füllt, muss ich doch offen aussprechen, dass mich diese Arbeit
zu einem von dem Verfasser gewiss nicht erwarteten Urtheil
geradezu herauszufordern schien. Indem ich mich jetzt der mir
selbst auferlegten Zurückhaltung für entbunden erachte, muss ich
meinem Erstaunen Ausdruck geben über die Fülle von gelehrten
Verirrungen, welche sich auf dem engen Raum von wenigen
Blättern zusammendrängen. Kaum eine einzige Aufstellung ist
stichhältig. Ich kann natürlich hier nicht auf alle Einzelheiten
eingehen und beschränke mich auf das Nüthigste.
Dass die von Stickel publicirten, in vorstehender Ab
handlung besprochenen Hamadäner Bleisiegeln als Toleranz
oder Kopfsteuern!arken zu betrachten sind, bestätigt neben
den von mir anderwärts gegebenen Nachweisen ein von ihm
1. c. XLIX, 66, publicirtes, S. 67 in achtfacher photographischer
Vergrüsserung abgebildetes Bleisiegel des Jenaer Münzcabinets.
Stickel liest und übersetzt dessen Inschrift folgendermassen:
J^ ÄiU
,Gott gebe dir Frieden, Fürst der Gläubigen! For
derung des Proviantmagazins vom Jahre 135. Acht
hundert und sechzehn Scheffel ihrer Dörfer vom Flach
land ihrer Inhaber/
22
V. Abhandlung: Karabacek.
So viele Worte, fast ebensoviele Verlesungen! Und welch’
inhaltliche Ungereimtheiten! Die Heilsformel für den Chalifen,
wenn sie wirklich so da stehen könnte, würde nicht diic ^ju
tjiUjü jt»\ <ü>l, sondern I <üll dULj lauten; ferner soll
wenn sie
jjjil ,Proviantmagazin' bedeuten! Aus Belädsori, 1. c. rio,
Z. 2, hätte Stickel hiefür die ächte Bezeichnung Jjj\ jb, eine
Nachbildung von griech. aaap/iix, schöpfen können. Der Vor
steher solch eines Provianthauses, der Proviantmeister (ct-ap-/o;),
begegnet uns in einer griechisch textirten Papyrusurkunde ara
bischer Zeit. 1 Doch wozu die sprachlichen Vergewaltigungen
in Stickel’s Entzifferungsversuch einzeln hier vorführen? Bei
allen Schwierigkeiten einer Lesung ohne Original und blos auf
Girund einer undeutlichen Abbildung, scheint sich mir der Siegel
text klar und einfach so darzubieten:
«OllJuJ «Oll
<P' J- f !
ßz
,Im Namen Gottes! Segen Gottes dem l Abd alläh,
Fürsten der Gläubigen! Für denjenigen, welcher seine
(rückständige) Kopfsteuer des Jahres einhundert fünf-
unddreissig, im Jahre einhundert siebenunddreissig
bezahlt hat. Düna, Bezirk Hamadän/
1 Papyrus Erzherzog Rainer: Führer, p. 146, Nr. 579.
Die Involutio im arabischen Schriftwesen.
23
Man sieht, dass hier an Stelle von DU-, welcher Termi
nus im Mafätih al-'olüm 1 als in einigen Ländern gebräuchlich,
durch ^ Jl« ,Kopfgeld' erklärt
wird, die andere parallele Bezeichnung Zj>- tritt. 2 Dieser
Wechsel ist auch urkundlich gesichert, sowohl was die Kopf
steuerlisten, als auch was die Kopfsteuerquittungen be
trifft. Den Gebrauch von DU in den letzteren habe ich schon
vor Jahren in den Urkunden der Papyrus Erzherzog Rainer
nachgewiesen. 3 Da der von mir herauszugebende, derzeit im
Drucke befindliche, erste arabische Band des Corpus Papyro-
rum Raineri zahlreiche Belege dieser Art bieten wird, begnüge
ich mich hier mit der Aufführung von ein paar Beispielen 1
wechselweiser Anwendung jener parallelen Kunstausdrücke.
In den Kopfsteuerlisten begegnet man entweder (Pap.
Erz. Rainer, Führer, Nr. 677) der Rubriküberschrift:
^3-lc Auf ihnen liegt von ihrer Kopfsteuer
in Gold:
ihre Kopfsteuer
in Gold:
die Kopfsteuer
in Gold:
Eine Kopfsteuerquittung vom Jahre 229 H. (= 843/4
n. Chr.), 1. c. Nr. 752 beginnt:
&' ÄJlLl ^ 4^ Lf- cP'
,Es hat bezahlt Zimnis Chael gemäss dem, wozu er ver
pflichtet ist in Betreff der Kopfsteuer einen Viertel(-Dinar), 1 /, 1 etc/
1 Ed. van Vloten, p. os
2 Am Bleisiegel ^\j)\ AJüps. für Dpa.. Vgl. Papyrus Erzherzog
Rainer: Führer, Taf. XIV, Nr. 670, Z. 6: u. a. a. O.
3 Mittheilungen aus der Sammlung der Papyrus Erzherzog Rainer, 1887,
Il/in, p. 162, 164 ff.
JtO
und einfach:
p-S-JJ \jT-
jip
oder, 1. c. Nr. 715:
Dlfl
jio
24
V. Abhandlung: Karabacek.
Eine andere, ausgefertigt am Donnerstag den 14. Paoplii
241 H. (= 10. October 855 n. Chr.) auf Grund der Eintragung
in Folio 5 der Steuerlisten, 1. c. Er. 762 beginnt:
,Es bat bezahlt Athanasios der Schneider gemäss dem,
was ihm obliegt von wegen seiner auf die Hauptstadt entfallenden
Kopfsteuer, einen Viertel-Dinar des- Mitskäl-Fusses, V 4 etc/ 1
Aus dem Doppeldatum des Jenaer Bleisiegels erhellt zur
Evidenz, dass es sich um die Bezahlung eines das vor ver
gangene Jahr betreffenden Steuerrückstandes handle, also, dass
das Stück in dieser Beziehung eine Controlsmarke sei, die der
Tributarier, wie oben bemerkt, öffentlich zur Schau trug, um
sodann dieselbe nach Ablauf der Controlszeit gegen eine neue
umzutauschen. Damit gehen auch wieder die Textirungen der
Kopfsteuerquittungen mit ihren Doppeldaten parallel. Sie lehren
uns, dass derlei verspätete Zahlungen von Steuerrückständen,
die sich selbst auf eine Frist bis zu vier Jahren erstreckten,
nicht ungewöhnlich waren. Als Muster diene die folgende
Quittung.
Papyrus Erzherzog Rainer, Inv. ar. Pap. Nr. 4432
(Führer, S. 222, Nr. 823), vom 16. December 878 n. Chr.:
1 Das liier angezogene ,Folio 5‘ der Steuerliste hat sich wunderbarer
Weise gleichfalls in der erzherzoglichen Papyrussammlung, Inv. Ar. Pap.
Nr. 11345, gefunden. In dieser, von derselben Hand wie obige Quittung
geschriebenen Kopfsteuerliste, erscheint ,Athanasios der Schneider 4 genau
mit der Rate , 1 / 4 Dinar 4 eingetragen.
Die Involutio im arabischen Schriftwesen.
25
41} Ml <J,I (Jlat« j IO
A?"l ^JiJji
c3* J- 4 ^ ^ sj* <y.
6
L. S.
8
Uebersetzung,
1 Choiak 20. Folio 1. Dinar
7*
2 Im Namen Gottes des Barmherzigen, des Erbarmenden!
3 Es hat bezahlt Georgios, Bruder des Menas Petschoie, ge
mäss dem wozu er verpflichtet ist bezüglich der Kopfsteuer
4 der Hauptstadt, für die Monate des Jahres zweihundert
fünfundsechzig, l / 2 ,
5 einen halben Dinar des Mitskal-Fusses an Antonios
6 Sohn des Kyrillos, den Säckelmeister, in Gegenwart zweier
Stellvertreter des Ahmed,
7 Sohnes des 'Amr, und des el-Hasan, Sohnes des 'Ali, Tri
buteinnehmers des Abu ‘Isa,
8 den Gott geehrt machen möge! für die Steuer des Jahres 264.
L. S.
Auf Gott
Antonios Sohn des Kyrillos
vertraut
Ich halte diese Belege für ausreichend zur Erklärung auch
jenes Doppeldatums auf dem Bleisiegel Nr. 2 bei Stickel,
26
V. Abhandlung: Karabacek. Die Involutio im arabischen Schriftwesen.
1. c. 64, welches Herr Casanova so sehr räthselhaft findet, dass
er sich durch dasselbe zu einer — fast möchte ich sagen aben
teuerlichen -— Conjectur verführen liess, wogegen Stickel das
Doppeldatum überhaupt nicht gelten lassen will. Es ist hier
nicht der Ort, noch weiter auf diese Fragen einzugehen oder
andere Falschlesungen, wie S. 68 f., Nr. 9, berichtigen zu wollen.
Diese Bleisiegeln bieten so viel des Wichtigen und Interessanten,
dass es sich wohl verlohnt, dieselben ein anderes Mal für sich
allein einer eingehenden Behandlung zu unterziehen.
Nachtrag zu Seite 7. Die Marmor-Inschrift befindet sich,
wie ich aus Amador de los Rios, Inscripciones Arabes de
Sevilla, Madrid 1875, p. 106 f. ersehe, jetzt im Museo Provin-
cial de Sevilla, wohin sie aus der äusseren Mauer der Kirche
San Juan de la Palma gebracht worden ist. Der Herausgeber
las Zeile 5 falsch I b und Zeile 6 das Patronymicon des
Wezirs ohne historische Kenntniss: ,BattähM Die Jahr
zahl 1086 J. C. ist in 1085 zu verbessern. Das beigegebene
Facsimile zeigt gegenüber der vortrefflichen Abbildung bei
Conde, wie sehr die Beschädigung der Schriftzüge durch äussere
Einflüsse in der Zwischenzeit Fortschritte gemacht hat.
VI. Al>li.: Fr. Müller. Die armenischen Handschriften etc. etc.
l
VI.
Die armenischen Handschriften von Sewast (Siwas)
und Senqus.
Von
Dr. Friedrich Müller,
Professor an der Wiener Universität.
Neben der Sammlung der armenischen Handschriften des
Klosters von Aryni (Arghana), deren Verzeichniss ich in den
Sitzungsberichten der kaiserl. Akademie der Wissenschaften,
Bd. CXXXIV (Wien, 1896), veröffentlicht habe, 1 sind vor Allem
die beiden Sammlungen von Sewast (Siwas) und S§nqu§ (Sen
qus) zu erwähnen, deren Beschreibung ich im Nachfolgenden
mitzutheilen mir erlaube.
I. Die armenischen Handschriften von Sewast
(Siwas).
Die Zahl der in Sewast vorhandenen armenischen Hand
schriften beläuft sich im Ganzen auf 86. Davon sind 20 im
Privatbesitz, 66 werden in dem dortigen Kloster aufbewahrt.
Sewast (Siwas), das alte leßdcrsia, SeßaG-fa, Zeßactr t liegt
am rechten Ufer des oberen Kizil Irmak (des alten Halys) und
ist die Hauptstadt des türkischen Wilajets Siwas.
Das Material zu dem nachfolgenden Handschriften-Ver
zeichnisse ist derselben Quelle wie jenes des Handschriften-
Verzeichnisses von Aryni (Arghana), nämlich dem Werke von
Sruandzteantsh, ""/p"'r, Bd. I, S. 183—200 (Constantino-
pel, 1879), entnommen. Leider hatte der Autor wahrscheinlich
1 Diese schöne Sammlung soll leider nicht mehr existiren; sie soll hei der
Zerstörung des Klosters durch die Türken verbrannt worden sein.
Sitznngsber. d. phil.-hist. CI. CXXXV. Bd. 6. Abli. 1
2
VI. Abhandlung: Fr. Müller.
niclit die Zeit, die Handschriften von Sewast genau zu unter
suchen, da er blos drei derselben (eine Bibel- und zwei Evan-
gelien-Handschriften) näher beschreibt, dagegen von den an
deren blos die Titel mittheilt.
Bei der Aufzählung der Handschriften habe ich das in
meiner oben citirten Abhandlung ,Die armenischen Handschrif
ten des Klosters von Aryni (Ärgliana)' befolgte System beibe
halten.
1. Die Biiclier der heiligen Schrift.
(8 Handschriften.)
1. Die Bibel (m»//«#»»h.i»S-/«2<m5/£). — Geschrieben im Jahre «■<{p
(1089 == 1640).
2—3. Der Psalter. Zwei Exemplare.
4. Ecclesiastes ( tt-nijuti£tit hrnt-
5. Die vier Evangelien. — Geschrieben im Jahre }<>"• (711 =
1262) in Hromklah, als Hethum König und Kostandin I.
Katholikos war.
6. Die vier Evangelien. Pergament-Handschrift.
7—8. Die vier Evangelien. Zwei Exemplare.
2. Erklärungen der heiligen Schrift.
(14 Handschriften.)
1. Mgchithar Gös (12 Jahrh.). Commentar zur Genesis («Ä-^W-
P[tuh hVbr^.ntj\,
2. Wardan oder Grigor oder Cornelius. Commentar zur Ge
nesis (•Urlp-iii-P'fii-'ii mit noch anderen kurzge
fassten Commentaren. 1
3. Nerses Lambronatshi (12. Jahrh.). Erklärungen der zwölf
Propheten (<//.^..-/<7/.t>- bftl^ntniuunfh Jtu.
4:—5. Erklärung des Propheten Isaias. 2 Zwei Exemplare.
6—7. Grigor Tathewatslii (14. Jahrh.). Commentar zum Buche
Hiob. Zwei Exemplare.
8. Commentar zum Buche Hiob 3 {}»/»«/).
1 t ifiuijnLrjiulf von Edämiatsin, S. 142, Nr. 1068 ff.— S. 144, Nr. 1090.
S. 144, Nr. 1093.
2 Vgl. Jiujf, gn Lg .ul l von Ed/.miatsin, S. 151, Nr. 1200 ff.
3 Von demselben?
Die armenischen Handschriften von Sewast (Siwas) und Sonqus.
3
9. Commentar zu den Parabeln der Evangelien {,ll.lfh„,pp'i,
tun-u. iut-lruiiupiuhp,
10. Moses Chorenatshi (5. Jahrh.). Commentar zum Evangelium
Matthäi. Dazu bemerkt Sruandztean ausdrücklich:
f-p ippnuiub-,
11. Commentar zum Evangelium Johannis J, „fapwitk
l[>
12. a) Commentar zur Offenbarung Johannis; 2
b) Commentar zu den Definitionen Dawith’s von Afaqel Siu-
netshi (15. Jahrh.).
13. Ausführlicher Commentar zur Offenbarung Johannis. 3
14. Nerses Lambronatshi (12. Jahrh.). Erklärung der sogenann
ten katholischen Apostelbriefe //
3. Canones.
(1 Handschrift.)
Canones (ifuAttfhun^f»^).
4. Rituale und Missale.
(1 Handschrift.)
Messbuch t/'P4?)•
5. Hyinnologium.
(2 Handschriften).
1. Sarakan. Pergament-Handschrift.
2. Sarakan.
6. Horologium.
(1 Handschrift.)
Horologium oder Breviarium
7. Calendariuin.
(1 Handschrift.)
Jacob rrimetshi (15. Jahrh.). Commentar zum Kalender («A-fW-
ppy, UlOlflllfip) ,
1 Vgl. Jh-jii ijnLßiuli von Edzmiatsin, S. 157, Nr. 1306 ff.
2 Vgl. tPu-jp gaufjiul( von Ed2miatsin, S. 163, Nr. 1385 ff.
3 Vgl. a. a. O.
1*
4
VI. Abhandlung: Fr. Müllor.
8. Predigten.
(19 Handschriften.)
1. Grigor Tathewatshi (14. Jahrh.). Predigten (.p'"/""/■(-’)■
2. Grigor Tathewatshi (14. Jahrh.) und Jacob Frimetshi (15.
Jahrh.). Predigten.
3. Karapet Gandzaketshi, Patriarch von Jerusalem (18. Jahrh.) 1
4. Predigten (.p' u [""]""il'i’.p)-
5. Predigten (^?'"r’t/’Pp)■
6. Predigten (.p“ , i""p" , i['['.p)■
7. Predigten 'i/'p.p) in der Volkssprache ("”/""'/’‘>"'f"'")-
8. Commentar (wozu?) und Predigten von einem unbekannten
Verfasser.
9. Getezereantsh. Lobrede (z»««. ’i>bpp,u l b,u"i.'}.
10. Johannes. Predigt (.p 1 " (""/)■
11. Busspredigt ( .puipnt^ m / y mp m .
12. Predigten. ^fuipiirj L~ («?/ /» l ifl^punn £i) I. nth.
13. ÄYamalean. Sonntags-Predigten (J/l"["" f ikf,'/)-
14. Jacob Nalean Zimaratshi, Patriarch von Constantinopel und
Jerusalem (18. Jahrh.).
15. Simeon. #/"-/< tu Wa-
16. fnpiuin .
*17. Evagrios: £up m ui m luhp» %
18. Mgchithar Gö§ (12. Jahrh.) und Komitas, Katholikos von
Edzmiatsin (617—625). p"‘\ ; .
19. Efrem. p-^ip.
9. Gebete und Lieder.
(2 Handschriften.)
1. Gesangbuch ( in m r^iu p ii/fj^J #
2. Liederbuch ( Y iuhXu<mÄ) e
10. Theologiselic Tractate.
(16 Handschriften.)
1. Erklärung der sieben heil. Sacramcnte t.»p'h
/'"V'Vv "//)• 3
1 Vgl. Tsliamtshean III, S. 8G6, 8G7.
2 Von Jacob, Patriarch von Constantinopel? vgl. Xujp von Edü-
Die armenischen Handschriften von Sewast (Siwas) und Senqus.
0
2. Nerses Lambronatslii (12. Jahrh.). Erklärung des heil. Mess
opfers (illilpnl.pp'h u/lliiiiili/liiii/ ./,).
3. Ueber die vier letzten Dinge (fehl i ,f vp"':i)-
4. !j111111^liitisl, /in l, iu‘h,
5. —6. 1 Zwei Exemplare.
7. a) Dionysius Areopagita. uiuuini-iuhrtup.itfbult*h f jt iJ/rpnij ^p/ii-
tniuf^uiij *
b) Stephannos Lehatshi (17. Jahrh.). /■'"'![’■
8. Gfuilielmus Theologus (l["'//' / -/_' / '"' Die Prophe
zeiung Isaias’ 1
9. Duns Scotus. Theologie
10. Thomas von Aquino. Theologie ( tu//uin£./«&-tu[iit///n' P'fi. X. Tkeil.
11. Johannes, Erzbischof. Testament
1 *j. m f^nip ^lu^tubiujfiy, %
13. luninnuiu 5 ,uhJ'.uh„und andere Tractate.
14. u/iiiiiiÜiiiii Ul/itutint p Iti'h mit ,/l/’ i/ /uiij.'
15. Martinus Becanus. mh,„ l a^fui y d. i. Vergleichung des alten
und neuen Testaments. 4
16. P“"h limti /. i. tlL 1/timppvon einem unbekannten Verfasser.
11. Leben der Heiligen.
(2 Handschriften.)
1. Martyrologium '*F h )-
2. Leben der Väter •p'i’.p) ■
12. Philosophie.
(9 Handschriften.)
1.—3. i' 11 ’ 1 ',!’ !ntuii,iuiii“[i/i“iij. ;1 Drei Exemplare.
4. a) Isagoge des Porpliyrius;
b) Dawiths’ Definitionen;
1 S. Die armenischen Handschriften des Klosters von Aryni (Arghana) X,
Nr. 8 (S. 10).
b. ifiiij/i ,jin ijiul/ von Edzmiatsin, S. 46) Nr. 741.
3 Vgl. von Edzmiatsin, S. 178, Nr. 1608?
4 Vgl. iHnj/i //m ,/,„// von Edzmiatsin, S. 3, Nr. 30 ff.
5 Vgl. (Venedig, 1853.) I. und Jac. Dashian ,Das
Leben und die Sentenzen des Philosophen Secundus des Schweigsamen 1
Wien, 1895. 4°. Denkschriften der kais. Akademie der Wissenschaften.
Phil.-hist. Classe, Bd. XLIV/3.
6
VI. Abhandlung: Fr. Müller.
c) Aristoteles, Kategorien und Ttspi ipp.YjVci'c«;;
d) Brief des Aristoteles an Alexander;
e) Vergleichung des alten Testaments mit dem neuen: 1
f) Araqel’s Commentar zu Dawith’s Definitionen;
g) 111 tll.'h 111 jll *111^1 lll ill'l 1$ L/fl,
5. Dawith Bagrewandatshi (7. Jahrh.). Ueber die zwei Naturen
in Jesus Christus r‘ h, l
6. Dawith. ebenso von Wardan und Grigor Ma-
gistros. 2
7. Afaqel Siunetshi (15. Jahrh.). Commentar zu den Defini
tionen ( utu Dawith’s.
8. Grigor Tathewatshi (14. Jahrh.). ’ppp.p ■> tuflljlfuflitj» ^
9. Grigor Tathewatshi (14. Jahrh.). jjtL.p tru turjjii tu
tj tuh tu sj t
Araqel Siunetshi (15. Jahrh.). Commentar der Definitionen Da
with’s, s. II. Erklärungen der heil. Schrift, Nr. 12.
13. Geschichte.
(4 Handschriften.)
1. Moses Chorenatshi (5. Jahrh.). Brief an Sahak Bagratuni.
2. Geschichte des Concils von Nicäa («y tu tu tPu/ [J i V/
3. Mattheos Eretsh (11. Jahrh.). Geschichte des Johannes Chry-
sostomus. (itpiiiiiil'n’^i)-[ii-ii ^\,iljl,-j-l,[i„i’i,[i.)
4. 11^111 milnt ,p ju tl j *.[lij l, ptpnLJp
14. Rechtswissenschaft.
(1 Handschrift.)
Nerses Lambronatshi (12. Jahrh.). Rechtsbuch ( Y_ ##/ in tu u uttult tu
■i hwY
1 Vgl. X. Theologische Traotate, 15.
2 Grigor (11. Jahrh.), Sohn des Nahapet Wasak, aus dein Geschleclite der
Pahlawunier, war von dem Kaiser Constantin IX. Monomaclios (1042—
55) mit der Würde eines Magistros ausgestattet worden. Darüber be
merkt Tshamtlhean: m'imi V, ,y, fi *(mii/mi ji} /.muiijiii
il"<i l '‘P !*’{'£'t-lr[fl y opiuufh Iiunij Ul. imui^L luiuij.
3 Vgl. Neumann, Geschichte der armenischen Literatur, S. 215 ff.
4 Vgl. Die armenischen Handschriften des Klosters von Aryni (Arghana).
S. 13, Note 2.
Die armenischen Handschriften von Sewast (Siwas) und Senqus.
7
15. Poesie und Briefstcllerei.
(4 Handschriften.)
1. Kerses Klajetshi Snorhali (12. Jahrh.). (»/>„<«-« »w/.
2. ftiu^iiijinl^tnli Itl. ^unilnntiniL ijhin Ifiifh ijm injiT^uifji ifiainni.il
3. Grigor Magistros (11. Jahrh.). *hmifin/fiuiffoJ61’
tun. y nih in y nfh n,
4. Jeremias (17. Jalirh.). Musterbuch der Testamente und Briefe
i ini, utptul^ !jiulutpup 1. t V«//(/i«^(my),
Der Koran (v"'/'/""" 7 ' Jp"^'^"'"/'). 1
II. Die armenischen Handschriften des Klosters
v y
von Senqus.
Diese Sammlung umfasst 43 Codices; da jedoch von dem
Berichterstatter der Codex 32 nicht erwähnt wird, so kann,
wenn ein Irrthum bei der Zählung stattgefunden hat, die
Sammlung blos aus 42 Handschriften bestehen.
Sgnqus oder Snqus (oder wie die ältere Schreibart lautet:
Senqus) ist eine Ortschaft im Süden von Aryni (Arghana).
P. Leon Alischanean schreibt in seinem Werke /v> W;/".'/
.//.,V„„y ; S. 43, § 69 darüber Folgendes: /> v<7""'-',7 1 Li'"t
‘11,f j *;^,pliiiiiruij ln. ^| ’“/"//'/ / ‘f OlJ lilltq “'l/f' “impftlt tpuh 'fl'
^/.puffifj L i hpnt i ln. j ’ J n C" ^ ^’ L bOO “““ j.[‘ I' 1 ''/
um uffjtxjfl/ .„„ .„y'hnfm up .• ; hn Süden von Aryni zwischen dem
Euphrat und' seinem Zuflusse K§z§ll§buk befinden sich die
kleinen Ortschaften Dzermig, Snqus und Adis, in welchen auch
600 armenische Familien unter eigenen Vorständen wohnend
Die in dem nachfolgenden Verzeichnisse beschriebene
Handschriftensammlung von Ögnqus befindet sich in dem Klo
ster ,der liebeblickenden heiligen Gottesmutter' ("/v""‘>";/ i '"W "•
Sie enthält, wie man sehen wird, manchen
werthvollen Codex und verdient es, den europäischen Arme
nisten näher bekannt gemacht zu werden.
Das Material zu dem vorliegenden Handschriften-Ver
zeichniss ist derselben Quelle wie jenes zu dem vorangelien-
1 Vgl. Verzeichniss der armenischen Handschriften der k. Bibliothek zu
Berlin von N. Karamianz, S. 78, Cod. 96.
8
VI. Abhandlung: Fr. Müller.
den Verzeichniss, nämlich dem Werke //jyffi/ßfi- y f,litj <|^. || .
||^l III Ulli X Ut L 111*1/tj. Band II. (Constantinopcl, 1885.) S. 452—486,
entnommen.
1. Die Biiclier der heiligen Schrift.
(11 Handschriften.)
1. Die Bücher der heil. Schrift (»/»«MS/^inij). — Mit Rand
notizen aus dem 18. Jahrhundert. Ohne Zeitbestimmung.
— Nr. 36.
2. Die Bücher der heil. Schrift Mit Malereien
und Vergoldungen. — Geschrieben im Jahre (1075 =
1626). — Nr. 38.
3. Der Psalter. Alte Handschrift. — Ohne Zeitbestimmung. —
Nr. 10.
4. Die vier Evangelien. Geschrieben vom Schreiber Kasbar
nach einem guten und schönen Exemplar in Senquä. Ein
Andenken der Fürstin Mihre. —• Ohne Zeitbestimmung.
— Nr. 4.
5. Die vier Evangelien. — Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 14.
6. Die vier Evangelien. — Stark abgenützt. Geschrieben im
Jahre (913 = 1464). — Nr. 27.
7. Die vier Evangelien. Pergament-Handschrift. — Geschrieben
in Constantinopcl im Jahre «-yc (1098 = 1649). — Nr. 28.
8. Die vier Evangelien. — Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 30.
9. Die vier Evangelien. Mit Malereien. — Geschrieben im Jahre
«4 (1070 = 1621). — Nr. 31.
10. Die vier Evangelien. — Geschrieben im Jahre 2^L (990 =
1541). — Nr. 34.
11. Die Apostelbriefe (die Briefe des Apostels Paulus und die
sogenannten katholischen Briefe) und die Apostelgeschichte.
— Geschrieben im Jahre (787 = 1338). — Nr. 21.
3. Erklärungen der heiligen Schrift.
(3 Handschriften.)
1. Commentar zum Buche Hiob und dem Psalter, von einem
nicht zu bestimmenden Verfasser. Mank. — Ohne Zeit
bestimmung. — Nr. 25.
9
Die armenischen Handschriften von Sewast (Siwas) und Senqus.
2. Grigor Tathewatshi (14. Jahrh.). Cummentar zum Evangelium
des heil. Matthäus. — Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 29.
3. Mattheos Wardapet, Schüler des Grigor Tathewatshi (15.
Jahrh.). Commentar zur Apostelgeschichte (.ll.ifi,,,, p
'l "p ",-j — Geschrieben im 15. Jahrh. — Nr. 42.
3. Canones.
(1 Handschrift.)
a) Canones ; y«A.Am^:
b) Mgchithar Gös. Rechtsbuch ( rj um in m n m u*h ui t£ •
Geschrieben im Jahre (1136 = 1687). — Nr. 37.
6. Rituale und Missale.
(7 Handschriften.)
1. Mastotsh. Tauf-Rituale (Jtu^mng • n ir Ul UL. piruA>). — Ohne Zeit
bestimmung. — Nr. 7.
2. Mastotsh. Rituale der Taufe und der Ordination ( iPtu iuiulj
L ufh Ul. /r,pt. «A). — Geschrieben im Jahre
«.% (1163= 1714). — Nr. 22.
3. Mastotsh. — Geschrieben im Jahre gpk (917 = 1468). —
Nr. 33.
4. Mastotsh ( j. 1 — Geschrieben im Jahre (907
= 1458). — Nr. 40.
5. Mastotsh (</?"//> _ Geschrieben im Kloster Aryni
ji p iny mrup:u £tj Uui*!/ inmlGffiuij ujuiul.iT' muijftli. Ul. [l ! r P U-
p f.iuh ^. 1 h'V"/ “1‘ (1470—1490). — Nr. 41.
6. Missale (A»^,.. ? ^>). — Geschrieben im Jahre >■ (915 =
1466). — Nr. 39.
7. Missale (/""/Gr if.iuiuUuip ). — Geschrieben in Jerusalem im
Jahre (1126 = 1677). — Nr. 13.
5. Hymnologium.
(2 Handschriften.)
1. Sarakan. Pergament-Handschrift. Der Anfang von anderer
Hand. — Geschrieben im Jahre ”-^p (1179 = 1730). —
Nr. 9.
1 Ueber den Unterschied, der zwischen tfuuftuuij und *Ttujp Jiu^tnutj be
steht, s. meine oben citirte Abhandlung ,Die armenischen Handschriften
des Klosters von Aryni (Argliana)‘, S. 5, Note.
10
YI. Abhandlung: Fr. Müller.
2. Hymnologium (Sarakan). Kleines Format, stark abgenützt.
— Gescbrieben im Jahre «/•!'/ (886 = 1437). — Nr. 26.
6. Horologium oder Breviarium.
(3 Handschriften.)
1. Horologium (</•>■,fl,,././, /;i ,) oder Breviarium. — Ohne Zeitbe
stimmung. — Nr. 12.
2. Horologium oder Breviarium. — Ohne Zeitbe
stimmung. •— Nr. 16.
3. Erbauungsbuch, {upiuuig /. / fu/b^ Anfang und
Ende beschädigt. — Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 3.
7. Cal eil da ri um.
(1 Handschrift.)
Festkalender — Geschrieben im Jahre <■ £<> y (1114
= 1665). — Nr. 23.
8. Predigten.
(4 Handschriften.)
1. Grigor Tathewatshi (14. Jahrh.). Predigten, II. Theil. ('/•'•-
(""//';/ '■ uhr'Vi 't('i'-p) — Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 2.
2. Predigten. Mank. — Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 5.
3. Predigt. Mank. — Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 6.
4. Predigten (’i"'i""l-p)- Mank. — Ohne Zeitbestimmung. —
Nr. 8.
9. Gebete und Lieder.
(3 Handschriften.)
1. Gebet- und Liederbuch für die heil. Messe (y ,„'//). —
Geschrieben ’/> tjitiim | i”'i im
Jahre "i&k (887 = 1438). — Nr. 1. 9
2. Gebet- und Liederbuch für die heil. Messe (.f/«ü/»/..«t<). —
Ohne Zeitbestimmung. — N1 1 . 15.
3. Gebet- und Liederbuch für die heil. Messe mit Noten. —
Grosses Format. — Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 18.
Die armenischen Handschriften von Sewast (Siwas) und Scnqus.
11
10. Theologische Tractate.
(2 Handschriften.)
1. a) Nerses Lambronatshi (12. Jahrh.). Erklärung der Gebete
der Kirche, sowie der heil. Messe. — ( ^ Ul!J 111 //Y# // l'll
tu tj ui i Pfitj Ir l. fiih ip^inij L i^IrijLiji.uj Iru *y in tu tu p m y ji ) *
b) Nerses Klajetshi Önorhali (12. Jahrh.). Glaubensbekennt-
niss der armenischen Kirche (•/-<u,„/i,„ipf,P/, -™ /( ,y
L, i L 'i L ;r n .i);
c) Chosrow Andzewatshi (10. Jahrh.). Erklärung des Horo-
logiums oder Breviers pl.lpmpp'/.
Ohne Zeitbestimmung. — Nr. 11.
2. Nerses Lambronatshi. Erklärung der Mysterien der heil.
Messe (ilhlpm.p-fiüii "// u^umii/ptui£ji). — Geschrieben
vor dem 17. Jahrh. — Nr. 43.
11. Lehen der Heiligen.
(1 Handschrift.)
Legendarium (,/<«/ nifinunufip ). — Geschrieben im Jahre jpp- (989
■ = 1540). Am Ande findet sich $iui/uuuiut[iu-p-L .Ji,
ijini'li jrn mij'li np /• .y/.( ^ p jruj [J . tf Iru t * p
gtlty_y jiiFmtjn/lt ^nijnij intjt^Jm lutppb ^nniii/nij fru ijpmij f ipjinituij
hu ■ . . Sonst findet sich noch eine Menge von
Bemerkungen darin verzeichnet. — Nr. 20.
13. Philosophie.
(2 Handschriften.)
1. Dawith (5. Jahrh.). Definitionen (’i/'i'.p -<«G</<V/,„,,y). — Ge
schrieben im Jahre (1043 = 1594). — Nr. 19.
2. Dawith. Definitionen {'ih'.p und die Isagoge ftlr/-
«z/5,,.pfui.^) des Porphyrius. — Ohne Zeitbestimmung. —
Nr. 24.
13. Geschichte.
(1 Handschrift.)
Faustos von Byzanz. Geschichte. 1 Mank. — Ohne Zeitbestim
mung. — Nr. 17.
1 Vgl. Die armenischen Handschriften des Klosters von Aryni (Arghana),
S. 10, XIII. Geschichte, 3 und WZKM. HI, S. 52.
12
VI. Abhandlung : F r. M ü 11 e r.
14. Rechtswissenschaft.
(1 Handschrift.)
Mgchithar Gös. Rechtsbuch s. 3. Canones.
Bruchstücke einer alten Handschrift mit Notizen aus dein 18.
Jahrhundert:
a) tu .. . Qf,\ppiMnnuf, S.lyp-lrtf, u[, $Z"l ['"’i' !{!' i""
|)^ tru mpuutjuL. A fz//i i/ij u, |^/z;/;//L/i/^z//j ...
C) tu iul 7 [l tj ipfeupil | IflUpptptf.ljfi, ■ • *
d) tu ufjui// ijuißirq tuiyt uiu . , .
Dann folgen Notizen über die TheuerungsVerhältnisse
in Senqus um die Mitte des 18. Jahrhunderts.
Dann findet sich noch folgende interessante Notiz:
P~*Z* >*-[>[? iuij.lrt.iij, luitiMifj tffg Itjjuu» £//£/// tuiljin guijit/- Ir rjuu., /•.
PlUtJ.1UL.UJI U|ui^f(/^ lfLlI.tl/1.. tfl^fj ^ l/l^ "| UlJlUjJtJj i/^ ^
ifll.tjz IIIJ! it li UIJ P ij^ njttrtij. j,uiTi.tr,Jlfi, ij.tr tj tu, [•
iuij.trL.ujt u uiiirj i/£i tujj trjjui.. [uutiii. f**-ji rjiu t.jtiui-j, Ijnjtiut. :
P mji&lriuj- Pi- nJ&ft-tj. junrulriulih jnuliijji iuij.tri.uji tumnrj itj. " , JJ_
Irjtuu • . .
,Im Jahre 1027 = 1578 erschien ein Komet, der sich
vier Monate am Himmel bewegte; zwei Könige der Perser
starben; der eine war Bäh Ismail, der andere Säh Thah-
maz: dann im Jahre 1114 = 1665 im Monate Dezember
erschien wieder ein Komet um Mitternacht; Thahmaz Chan
ging mit seinem Heere zu Grunde. Dann im Jahre 1114
= 1665 im Monate Januar 1 erschien wiederum ein Ko
met . . .
Anhang
(einige wichtige Handschriften enthaltend).
I. Ägn (IV/")- 2 Kirche des heil. Georg.
Michael Asori. Geschichte. — Ohne Zeitbestimmung.
II. Charberd (|>»"7'/ j O"f0-
Eyiäe. Geschichte Wardan’s und seiner Genossen (t| <«/•-
'/'"■"'“'z/y'/i). — Geschrieben im Jahre «y/4® (837 = 1388).
1 Das armenische Jahr beginnt mit dem Monate ?der unserem
Monate August entspricht.
2 Agn (Agin, F.gin) liegt am oberen westlichen Euphrat, nördlich von Arabkir.
3 Angeblich .yj,, was nur ein Druckfehler für ,y L t sein kann.
Die armenischen Handschriften von Sewast (Siwas) und Senquä.
13
III.
1.
2.
3.
4.
5.
G.
7.
8.
9.
Tigranakert d. i. Dijärbekr. 1
Bibliothek des Biscliofs Jacob im Vorstandshause der
Kirche des heil. Kirakos.
Sammelhandschrift:
tutnifti t/_V> ipinpAfi |jj nuitnuhrpftiu^nufi fr m ppfiuuiiiljlznufd-ftt?h z
ttpum ,rn,pi„ r l, nntp j’ finujjiii np ^mijiii-hlriiih /[n[fi Lt- npit[t^u ipmp-
ÄtitL. fr tu pufitj iii^fnuip^/J, ftuufjß um tun ruitSy/fj f[tui^ t Ire. ifiuifli phtyiu-
lp~ u /_ uifilyhn^fl* J :
iiputn ifiu_f3~fujfi 11 iu^ii t[' u J tip iphiurj [tlt y. ip l„tT uiiuZC/yiuij.
‘hnpf/h :
h/7/I[iuf3~iir[ftl[nufi f3~ni-i[fd~ ^p^iuplr piiilyu/li Irt. Ipiftnitip l. f[L-
tytrijiiilpuli:
ttputniPni-fchfn*It \^f,pitilp,u[i ifutprptuuyb tnft t|Ayy:
fp-nt^typ- <B ^fiipinnniifi itin. ^fipfrpfiini fyuiyirp z
’lf'm* [’ '/*' l ,1 "tl pl /n,w ^' ^uAptuipuh Irt- iTtuiihiulyufh t jni-ifL illiI;
iV-zi“ tulitiuh :
* | iiulifif^ifi iFiupipuipt^iu. [<)/" ?,.f, :
upuinifiu^P fn^h f ^nifiif^ifrriij Irt- |' mi/hl;^3 iiij ifjuiptmiiihnpl/h z
Ohne Zeitbestimmung.
Ausser den in Arghana, in Sewast und in S§nqus auf
bewahrten und von mir mitgetheilten armenischen Handschriften
hat P. G-. Sruandztean in seinem Werke inrypiiip nicht
weniger als ungefähr 200, an verschiedenen Orten aufbewahrte
Codices, darunter meistens schöne und ziemlich alte Bibel-Hand
schriften nachgewiesen.
1 Alischanean a. a. O., S. 44, § 72: . ./..////y/.yi/'i 'jr iji> j'"'/ ft’
,SV-y "// i/&&- £[ ,n ‘[ iu p\[ , f[ t "c ^' lh?"/ /[nur
^jmtlftiii. Irr. [UHU *fiu fthb n tj i/bpuij ^fiippiifhiiify/r put.
VII. Akk.: Stein. Notes on Ou-k’ong’s account of Kagmir.
l
VII.
Notes on Ou-k’ong’s account of Kagmir.
By
M. A. Stein, Ph. Dr.
ln the number of the Journal Asiatique for September-
October 1895 wliich bas recently reacbed me, I have greeted
with no small pleasure Messrs. Lim and Chavannes’ learned
article on the ,Itinerary of Ou-Jc’ong‘ whicb unexpectedly
opens up to us a fresb source of most valuable Information
for an obscure period of Indian history.
In the account wliich we receive there of Ou-k’ong’s
wanderings tbrough Central Asia and India, the notices relating
to the Chinese pilgrim’s visit of Kagmir have naturally attracted
my special interest, in view of the labours I have devoted for
some years back to the elucidation of Kalhana’s Chronicle of
Kagmir. Considering the attention wliich Messrs. Levi and
Chavannes’ important publication is sure to receive among
Indologists, it will, perhaps, be acceptable if I venture to
communicate here the observations wliich a rapid comparison
of these new data with tliose furnished by the Räjatarangini
has suggested to me. I need scarcely say that they are put
forward with all the reserve wliich my ignorance of Chinese
and consequent inability to judge independently in matters likc
the Chinese transcriptions of Indian names, enjoins upon me.
In olfering these remarks I am actuated only by the liope
that the learned editors and other competent scholars may
possibly find them of some use for further investigation.
Ou-k’ong reached Kagmir from the Kabul Valley and
Gandhära (the modern Peshawer district) in the year 759 a. d.
Sitzungsber. d. pbil.-bist. CI. CXXXV. Bd. 7. Abli. 1
2
VII. Abhandlung: Stein.
He took there the final vows of a Buddhist Qramana and spent
there no less tlian four years, engaged, as we are told in the
Itinerary (L’ Itineraire d’Ou-K’ong, Journal Asiatique, 1895,
VI, p. 356), in the study of Sanskrit and in pilgrimages to
sacred sites of which the Valley has always boasted in abun-
dance. If we may judge from this long stay — the longest
which Ou-k’ong seems to have made anywhere in India after
assuming the monk’s garb, — our pilgrim appears to have
fully realised the attractions both spiritual and material, which
the Valley has at all times offered to pious visitors, — in parti-
cular if they hailed from northern climes. 1
To this circumstance we may attribute the comparative
fullness of the notices relating to Ka§mlr which strikingly con-
trast with the very meagre Statements given by the biography
as to Ou-k’ong r s visits to the most sacred sites in India pro
per, such as Kapilavastu, Ku^nanagara, etc.
Messrs. Levi and Chavannes have already pointed out
in an instructive note, L’Itineraire, p. 362, that the picture
which Ou-k’ong’s relation gives us of the flourishing condition
of the Buddhist establishments and shrines in Kacmlr during
the time of his visit, fully agrees with tlio numerous notices
which we find in the Räjataranginl as to the erection of Vihäras
and Stupas under King Lalitäditya-Muktäplda. In the reign
of the latter or the period immediately following must have
fallen the visit of the Chinese pilgrim. 2
1 To this day the Meeca pilgrims from Yarkand, Kasligar and othor parts
of Chinese Turkestän regularly pass the summer months in Kaijmlr,
whether on their way to the Indian plains or on the return journey en
route for Ladäk. They can be seen in numbers at the pilgrimages to
the more populär of the Muhammadan shrines in the Valley. I have
never met on the mareh tliese ruddy-faced pilgrims from the North,
cheerful to hehold in their homely fur-coats and imposing boots, without
thinking of Hiouen-tsang and other Buddhist pilgrims wlio may have
followed his track through the ,paradis terrestre des Indes 1 to the sacred
places of the dusty hot plains.
2 That the data of the Annals of the T’ang dynasty necessitato an adjust-
ment in Kalhana’s Chronology of the Ivärkota dynasty, and in particular
indicate a later date for Lalitäditya-Muktäplda tlian that assumed in the
Chrouicle (699—735), has already been pointed out by General Cun-
ningiiam, Ancient Geograpliy of India, pp. 91 sq., and Professor Bühleu,
Notes on Ou-k’ong’s account of Ka$mir.
3
Ou-k’ong found in the kingdom more than three hundred
monasteries or Vihäras, nine of which are distinctly named in
the Itinerary (Journal Asiatique, p. 354). But none of these
liave yet been identified,
The first in the list is ,the monastery of Moung-ti‘ in wliich
Ou-k’ong appears chiefly to liave pursued his studies. Its
Sanskrit name was Moung-ti-wei-houo-lo which is re-transcribed
by tbe editors into Mundi-vihära. The Itinerary clearly indi-
cates tbe identity of Wei-liouo-lo witb tbe term Viliära and
furtber informs us that ,tliis monastery was built by the King
of Northern India after be had obtained tbe dignity'. That
tbe signs Moung-ti are intended to represent tbe name of this
king, can be shown from twofold evidence.
In tbe account of Gandhära which follows immediately
after that of Kagmir, tbe Itinerary, p. 356, mentions a number
of monasteries founded there by members of tbe royal family
descended from Kaniska or by relatives of tbe king of the
Turks (Tou-kiue). With reference to these establisbments we
are distinctly told that each of tkem had received its name
from the founder.
Though no express Statement of this kind is found witb
reference to tbe Kagmir monasteries, yet we find among tbe
names of the latter designations exactly corresponding to, or
identical with, those used for tbe Gandhära Vihäras. Tlius we
have in botb lists a monastery of tbe K'o-toen wbo is des-
cribed as tbe queen of the Turks. Tbe Editors are unques-
tionably right in recognizing in this name the well-known Tur-
kish title Kätün which is borne by the Ivhän’s wife. Again
hotli lists mention monasteries founded ,by the son of the king
of Turks': they are designated as the monasteries of Yeli-fe-le
and T’e-k’in-li, respectively, both names evidently representing,
as assumed by the Editors, Turkish titles for younger members
of the ruling family. In view of these coincidences the assump-
tion seems justified that the same System of nomenclature for
religious estaplishments prevailed in both countries, and that
Indian Antiquary, II, p. 106. The exact extent of this adjustment eannot
be determined without fresh evidence, independent of Kalhana’s State
ments as to the lengths of the individual reigns, the accuracy of which
we have at present no means of testing.
1*
■
T
4 VII. Abhandlung: Stein.
accorclingly the Kagmlr Vihäras whose founders are referred
to in Ou-k’ong’s account, bore the names or titles of those
who established them.
We are led to the same conclusion by an examination
of the names which Kalhana’s Ghronicle has recorded of Vihäras
founded in Kaemir. Apart from fonr Vihäras referred to in
the first and least historical canto of the Chronicle — the State
ments of which regarding particular foundations can often be
shown to be based on very vague traditions — we find that all
Vihäras whose names are specified, were with one exception
called after the founders or, in rare instances, after the
latters near relatives. 1
1 The Vihäras thus named are the following: The Vihära called Amrta-
bhavana, III. 9, fonnded by tlie queen Amrtaprabhä; the Indradeviblia-
vanavihära, III. 13, VIII. 1172, comp. VIII. 1172, founded by queen In-
dradevl; Vihäras founded by Khädanä, Sammä and otlier queens of
Megliaväliana under their own names, III. 14; the Jayendravihära, esta
blished by Jayendra, III. 355, V. 428; the Anangabliavana founded by
queen Anaiigalekhä, IV. 3.; the PraJcägikävihära of queen PrakäijadevI;
IV. 79; the Räjavihära, called after King (Räja) Muktäplda, IV. 200
(VII. 1335); the Kayyavihüra, founded by King Kayya of Lata, IV. 210;
the CanJcunavihära built by the Tuhkhära Cahkuna, IV. 211 (see below);
the S/candabhavanavihära. VI. 137 (VIII. 1442), evidently the vihära
mentioned in III. 380 as having been built by Skandagupta; the Diddü-
mhära, built by queen Diddä, VI. 303, VIII. 580; the Stdlävilmra, built
in lionor of Sulla, VIII. 248. 3318; the Bijjävikära, erected by Dhanva
in memory of his deceased wife Bijjä, VIII. 3343.
The Vihäras mentioned with special names in the first Tarahga
are the Narendrabhavana and Saurasa Vihäras ascribed to King Su-
rendra, I. 93 sq.; the Vihära of Jalora (probably a local name) attributed
to King Janaka, and the Dharmäranyavihära connected with the legen-
dary account of King A<joka. Regarding the grave doubts attaching to
the names of Surendra, Janaka and otlier kings which Kalliana took
from Helaräja’s Pärtkivävali, see the very just remarks of Dr. Hultzsch,
Indian Antiquary XVIII, p. 69. — The solitary exception alluded to
above is the name Kndärämavihära which King Muktäplda is said to
have given to a monastery he founded while at play (kndan) IV, 184.
Aceording to Kalhana’s Statement IV. 182 sqq., this kind of fanciful
name-giving appears to have been a personal fad of Muktäplda.
The following is a list of passages in which the Chronicle men-
tions particular vihäras without, however, indicating their names: I. 147.
169. 199; ni. 11. 380. 464. 476; IV. 188. 215. 210. 507; VII. 121; VIII.
246. 3352.
Notes on Ou-k’ong’s account of Kacmir.
5
The identical System of naming can he traced through
the whole of the Chronicle in the far more numerous names
of Brahminical shrines. They are almost invariably formed
by adding the term -igvara (iga), in the case of (Jiva-temples
(or liiigas), or -svämin (Icecava), in the case of Visnu temples,
to the name of the person who erected the shrine or sacred
image. 1
It must, however, v be noted in Connection herewith that
the names of monasteries and other sacred places whicli are
formed in the manner above indicated, show often the names
of the founders in an abbreviated form. Thus we liave
Amrtabhavana for Amrta[prabhä]bhavana, Anangabhavana for
Anafiga[lekhä]bhavana, Skandabhavanavihära for Skandafgupta]-
bhavanavihära (see p. 4, note 1) and similarly in the case of
Brahminical shrines names like Mihiregvara for a foundation
of king Mihirakula (Räjat. I. 307), etc. 2
It is to be regretted that the king from whom the
Moung-ti Vihära received its name, cannot at present be identified
with absolute certainty. The form Mundi with wliich Moung-ti is
transcribed by the Editors, bears no resemblance to any name
f'ound in the Chronicle nor is it Sanskrit. If a conjecture
departing from the transcription of the editors can claim
consideration I should venture to suggest the possibility of the
form Moung-ti hiding an abbreviated and prakritised form of
the name of king Muktäplda of Kacmlr. This king whom
the Chronicle generally calls by his other name Lalitäditya,
is mentioned by the Annals of the T’ang dynasty under the
name of Mou-to-pi as liaving sent an embassy to the Imperial
court with the offer of an alliance. 3
1 Compare Professor Bühlek’s remarks in Report of a tour made in search
of Sanskrit Manmcripts in Kashmir, p. CXXXI, note.
2 Other examples in the Chronicle are: Pravareqvara, founded by King
Pravarasena III. 100; Rayeqvara (Ranäditya) III. 454; Amrteqoara (Ainrta-
prabhä) III. 463; Muldasvämin (Muktäplda) IV. 188; Avantisvämin
(Avantivarman) V. 45, and many more.
8 See Abel-]{i : ;siusAT, Nouveaux milamges asiatiques, I, p. 197. The iden-
tity of Mou-to-pi with Muktäplda appears to have been first recognized
by Reinaud; comp, his Memoire sur 1’Inde, in Memoires de l’Academie
des Inscriptions et BeUes-Lettres, tome XVIII, 2 e partie, p. 189 sqq.
6
VII. Abhandlung: Stoin.
The Chronicle describes Muktäplda as a most powerful
monarch whose march of victory extended over the whole of
India and reached in the North the countries of the Tuhkhäras
(Tokhäristän) and Bhautfas (Tibet). The traditional account
of these conquests, as preserved for us in Kalhana’s lengthy
relation IV. 126—180, is, no doubt, greatly exaggerated. But
whatever the facts underlying it may have been, the existence
of such a tradition itself appears sufficient to explain wliy Ou-
k’ong visiting Kacmlr, perhaps, a number of years after Muktä
plda’s death, should have heard bis liame mentioned there as
that of a great king who ruled over the whole of northern India.
It is exactly in connection with such a tradition that we
find Muktäplda referred to in Alberüni’s India. The latter
speaks of a king of Kacmir called Muttai whose victory
over the Turks was commemorated by the inhabitants of that
country by a special festival. “According to their account he
ruled over the whole world.” 1
Alberüm adds some remarks criticising this belief as
unhistorical and in the course of them acquaints us with the fact
that the time which the people of Kay mir assigned to this
king, was ,not rauch anterior' to his own time. This circum-
stance leaves little doubt as to the identity of Muttai with
Muktäplda. 2
In Muttai as well as in the Mou-to-pi of the Chinese
Annals we have evidently attempts to represent a prakritised,
i. e., Kaymirl foi - m of the name. In such a form the k of the
Sanskrit Muktä- would necessarily appear assimilated to the
following t. The double t is, as usually in such cases, not
indicated in the Chinese transcription, 3 but it appears in the
form given by the MS. of the India.
I must leave it to competent Chinese scholars to determine
whether and in wliat manner the Moung-ti of Ou-k’ong could
be aceounted for as the transcription of a form * Mutta or
1 See Professor Sachau's translation of itZÄerän»’« India, II, p. 178; also
his text-edition, p. PAV.
a [Compare regarding au earlier Identification of these two names the
supplementär!/ note below, p. 31.]
3 See Stanisi.as Julien, Methode pour dechiffrer et transcrire les noms San-
scrits, p. 50.
Notes on Ou-k’ong’s uccount of Kafinir.
7
*Muttä foi - Mukta- or Muktä-. 1 Botli the latter forms appear
as abbreviations of Muktu pul a in the names of temples mentioned
by Kalhana. Tims one of the great temples erected by the
king at Parihäsapura 2 bore the name of Muktäkecava, IV. 196.
201, whereas the Visnu-temple wliich he erected at Huskapura,
IV. 188, was called Muktasvämin.
The last named verse mentions also a great Vihära which
Muktaplija founded at Huskapura, but does not record its
name. 3 This Vihära is the only one in the long list of Muktä-
pida’s foundations of which the name is not specifically stated
by Kalhana. May we conclude from this particular circum-
stance and the analogy of the name Muktasvämin given to a
shrine at the same place, that the name of this Vihära was
*Muktavihüra, the conjectured original of Ou-k’ong’s ,Moung-
ti-wei-houo-lo‘?
If so, we could easily understand why another great Vihära
which the king is subsequently said to have built at ParihCisa-
pura (IV. 200, see also VII. 1335), received in evident contra-
distinction the designation of Röjavihära ,the King’s Vihära'.
The town of Huskapura is undoubtedly the modern Uskür,
situated opposite to Varämul (Skr. Varähamüla, vulgo Bärämüla)
on the left bank of the Vitastä where the latter leaves the
Valley of Kagmlr. 4 The position of Muktäpida’s Vihära is
possibly indicated by the remains of a large Stüpa which can
still be traced about 400 yards to the west of the village of
Uskür immediately at the foot of the hills. Kalhana distinctly
mentions in the verse quoted above the buildiug of a Stfipa
along witli that of a Vihära at Huskapura. 5
1 Stan. Juli ex, l. c. p. 49, mentions a few rare instances in which the
final letters ng of certain Chinese syllables must ho left out of conside-
ration in restoring the Sanskrit words transcrihed.
s See p. 20, note 1 below.
3 tena ITuxkapure p-imän Muktasvämi vyadhiyata | brhadvihäro bhüpena sa-
stuparca mahätmanä ||
4 Comp. General Cuxxingham’s Ancient Geogi-apliy of India, p. 100 and
floss on Bäjatarangini I. 168, where the foundation of the place is
ascrihed to the Turuska kinf Huska, the OOHpKI of the indo-Scy-
thian coins and tlie Huviska of tlie inscriptions.
5 General Cuxxixgham, l. c., p. 100, states that the Eev. G. W. Cowie who
visited Uskiir on bis behalf (prohablv in 1865), found there a ,Buddhist
8
VII. Abhandlung: Stein.
If our suggested identification of Ou-K’ong’s Moung-ti
Vihära with Muktäpida’s convent at Huskapura is well founded,
tke mention of the former at the head of Ou-k’ong’s list can
scarcely be considercd accidental. The Chinese pilgrim coming
from Gandhära must have entered Kaemir through the pass
of Varähamüla which the Itincraiy suhsequently (see page 23)
refers to as the Western entrance of the kingdom. Muktäpida’s
Vihära at Huskapura was then likely to have been his first
place of rest and study in the Valley. We can thus easily
explain why the Itinerary, otherwise so sparing of details,
should have recorded just of the Moung-ti Vihära, that Ou-
k’ong heard there the cilas read and suhsequently studied
there the Vinaya of the Mülasarvästivädins. The places first
visited and the subjects first studied on the entry into a new
country are likely to leave a lasting impression.
Hiouen-tsang too had, more than a Century earlier, entered
Ka9mir by ,1a porte de pierre qui est la porte occidentale du
royaume' (Vie de Hiouen-tsang, trad. Stan. Julien, p. 90)
and had passed his first night there ,dans un couvent appele
Hou-se-kia-lo‘. Gen. Cunningham, Ancient Geography of India,
p. 100, has long ago recognized in this name which Stan. Julien
restored as Huskara, the equivalent of Huskapura and the
modei’n Uskür. The reception accorded to Hiouen-tsang by
the priests of this convent, after a vision during that first
night had revealed to them the spiritual greatness of their
guest, might seem a curious parallel to what the Itinerary
records of the studies which Ou-k’ong, his humble successor,
carried on in the Moung-ti Vihära.
It has been necessary to discuss at some length the evi-
dence supporting the indentification proposed for the first monas-
tery in Ou-k’ong’s list, as the Chinese rendering of its name
Stupa quite instact 1 . It was not destined to remain so rauch louger. In
the summer 1891 when I first visited the spot, I found there only a
mass of shapeless d6bris covering the site of what was once the Stüpa
referred to. According to the villagers’ statements the mound had been
dug into years ago by some ,Sähib’s‘ Orders. He appears to have found
there some relics and in the course of his excavations to have levelled
the strueture to the ground. I have not been able to trace any report
of this "exploration”.
Notes on On-k’ong's account of Ka$mir.
9
would not immediately lead us in the right direction. We
are in far better position in regard to the second monastery
which the Itinerary mentions under the name of Ngo-mi-t’ o-
p’o-wan.
This name the Editors have proposed, though with hesita-
tion, to restore to Amitäbha-vana. But according to the phone-
tic value indicated in Stak. Juuen’s Methode pour dechiffrer
et transcrire les noms sanscrits for the several characters and
in particular for t’o (No. 2069 in his list of phonetic cha
racters) , Ngo-mi-t’ o-p’ o-wan can equally well he taken as a
transcription of * Ara i ta-bhavan a. Adopting the latter reading,
it is difficnlt not to recognize in it a prakritized form of the
name Amrtabhavana given according to Kalhana's Statement,
III. 9, to the high Vihära which Amrtaprabhä chief queen of
Meghavähana of Kacmir erected ,for the henefit of foreign
Bhiksusf 1
Amrtabhavana is composed of Amrta, a form of the
queen’s name, shortened bhlmavat, used after the cnstom indi
cated above, and of the term bhavana ,house‘, .residcnce'
which we have met already in the names of several Vihäras. 2
In order to account for the form underlying the Chinese
transcription of the first part of the name, we must utilize the
evidence of the form in which the word amrta has survived
in modern Kacmlri.
1 bhogaya degyabhikxunam vallabhasyamrtaprabha \ viharam uccair Ämrtabha-
vanäkkyam dkärayat ||
2 See p. 4, note 1; compare also the Moräkabhavana, founded by Moräka,
IIL 356.
The word bhavana as the designation of a sacred site survives to
this day in the Kacmlri name Bavan (shortened from Matz a bavan, i. e.,
Skr. Matxyabhavana) by which the famous spring and tirtha of Märtanda
in the eastern part of the Valley is commonly known. It is also con-
tained in the name Lokßbavan given to a fine Näga or sacred spring
sitnated in the Bring Pargana, 75° 12' Long., 33° 38' Lat. (the place
is probably the same as the Lokapunya of Kalhana IV. 193, VII. 1239,
1357 etc.). The site of the Skandabhavanavihära, VI. 137, VIII. 1442,
has been traced by me in a quarter of Crinagar, bearing to this day
the name of Khand^bavan (for Skandabhavana). Karmin regnlarly re-
places the sonant aspirates by the corresponding unaspirated sonants
(bh by b, etc.), comp. Indian Antiquary, XXIV. 343.
10
VII. Abhandlung: Stein.
The Kagmirl derivative of amrta is found in the words
änt a clärä and änt a lav u 1 which correspond to Sanskrit amrtadhärä
and amrtalava. The first term is used for the designation
of a continuous small stream of water such as is found oozing
throngh the rock in several of the sacred caves of Kacmir
(e. <7., in the cave of Bum a zu near the Märtända tlrtha); the
second is applied, eupliemistically it would seem, to the marks
left on the slcin of those who have suffered from smallpox. 2
In these words as well as in the name of the village Ant a bavan
which, as will he seen below, has in all probability received
its name from the Amrtabhavana Vihära itself, we find Skr.
amrta represented by Kacm. änt a .
This phonetic development is easily accounted for. Though
the particular form of Apabhraihga Prakrit which formed the
intermediate stage between Sanskrit and Kacmlrl is no longer
accessible to us, it is certain that the general phonetic changes
which characterize the process of conversion of Sanskrit words
into their Apabhramga forms, affected that intermediary Pra
krit also.
One of the most prominent factors in this process is the
action of the stress accent, the important influence of which
over the whole phoiiology of the Prakrits and the modern Indo-
Aryan Yernaculars has been recently so lucidly established by
Prof. Jacobi and Dr. G-rierson. 3 In all those languages a ten-
1 The Kacmlrl sound here represented by ü closely resembles that of au
in English autumn, aunt. In the imperfect transcriptions of Kacjmlri in
Persian or Devanägarl (£äradä) eliaracters this ä is written sometimes ä,
sometiraes ö. Compare Dr. Bürkiiard’s Essays on Kacmlrl Grammar,
edited with most valnable notes by Dr. G. A. Grierson in the Indian
Antiquary XXIV, p. 337 sqq., para. 4.
I must refer to Dr. Grierson’s remarks for a full description of
tlio peculiar Kacmlrl sounds occurring in the words quoted liore and in
the following. I indieate by ® the sound often found at the end of a
Word forming the first part of a compound; it resembles the peculiar
short vowel which Professor Buhler writes ä, but is pronounced so
faintly as to be almost inaudible, like the corresponding final » and “.
2 Compare with these “drops of nectar” the name Qitalä given to the
goddess of small-pox, “the cooling one”.
3 Compare Professor Jacobi’s essay in the Zdmg. XLVII, p. 574 sqq. and
Dr. Grierson’s equally important paper On the Plionoloyy of the Modern
Indo-Aryan Vernaculars, Zdmg. XLIX, p. 395 sqq.
Notes on Ou-k’ong’s account of Katjmir.
11
dency asserts itself from the earliest times to elide a sliort vowel
following after the syllable which bears the stress-accent (as
distinct from the old musical accent). There is good reason
to helieve that this elision was preceded in most cases by a
reduction of that vowel to the neutral (or irrational) vowel:
thus Skt. pügaphala turns through *pug’phala, *pugphala into
Pkt. popphala, etc. 1
According to the traditional accentuation rules of San
skrit the stress-accent in dmrta falls on the antepenultimate,
i. e., the first syllable. In compound words each member retains
its own stress-accent, 2 and accordingly we must expect in the
Apabhramca forms derived from Skt. amrtabhavana, amrta-
dhärä, amrtalava, to see dmrta turned into *dm’ta and sub-
sequently *ämta. i. e., with the necessary assimilation of the
nasal, *dnta. The further change of *dnta- into Kc. änt a - (in
änt a bavan, änt a därä, ant a lav u ) is fully explained by the tendency
to lengthen the short vowel of an initial syllable if the accent
falls on it. 3
As this tendency manifests itself also in Sanskrit and
Prakrit, it is possible that already the Apabhramca stage knevv
forms like *Am’tabhavana or *Äntabhavana. i And in this res-
pect it must be noted that Ou-k’ong’s Ngo-mi-fo-p'o-wan can
according to the value sh own for the character Ngo, 1254, in
Stan. Julien’s list be restored also to Ämitabhavana.
Whichever of the two forms Amitabliavana or Ämita
bhavana we accept as that intended by Ou-k’ong, it is clear
that his transcription reproduces a Prakrit form * Am’tabhavana
1 Compare Zdmg. XLVII, p. 575; XLIX, p. 396.
2 See Zdmg. XLVII, p. 577 sq. — The stress-accent of the first member
appears as a secondary accent whenever the stress-accent of whole Word
must under the general rule rest on the accented syllable of the second
member.
3 Compare Zdmg. XLVII, p. 580; XLIX, p. 397.
1 I write in tliese forms the initial consonant of the second member as
i/i, but it is possible that the Sanskrit aspirated sonants had already in
the Apabhrarinja which gave birth to Karmin, lost their aspiration. In
this case we ought to represent those forms as * Am’ tabavana and *Än-
tabavana. The point is immaterial for our enquiry and cannot be settl-
ed on the present oceasion. The Chinese sign p’o can be read both ba
and 57ta; see nos. 1120 and 1421 in Stan. Julien’s list.
12
VII. Abhandlung: Stein.
or * Am’tabhavana, corresponding to Kalhana’s Amrtabhavana.
The rendering of m’ (m-f- neutral vowel) by mi is exactly what
we liave to expect. In the written Prakrit too the neutral
vowel for which the Indian alphabets afford no special sign,
is expressed by a full short vowel, which is very frequently
i; compare, e. g., the use of i to represent the neutral svara-
bhakti vowel in forms like clarisana <C Skr. darcana, sin <C Skr.
cri, etc. 1
In Order to complete our argument we have only to point
out that should the form of the name recorded Ou-k’ong have
contained an r in the second syllable, as shown by Skt. Amrta-
bhavana, we could, to judge from the practice uniformly obser-
ved in all Chinese transcriptions of Indian words, not fail to
lind tliis vowel expressed by the sign li. 2
It has already been stated that we have the exact phonetic
derivative of the name Amrtabhavana preserved in Ant a bavan,
the name of a small village situated to the north of Qrinagar,
about tliree miles from the centre of the city and close to the
suburb of Vicär Nag. When visiting the place in June 1895,
I found in the open ground between it and the ancient canal
called Lachämkul (Skt. Laksmlkulyä) the remains of what ap-
pears to have been once a Vihära. A solid mound constructed
of stone and concrete which rises in the centre of the site and
is still in its ruined state over 20 feet high, can scarcely bo
any thing eise but a Stüpa. Around it can be traced the foun-
dations of a great quadrangular building marked by large carved
slabs yet in situ. The base of a staircase leading to the Stüpa
mound can also be distinguished. About 30 yards to the east
lies a tank-like depression which has retained parts of a mas
sive enclosing wall of evident antiquity. According to the
Statement of the villagers many large carved blocks of stone
1 We have a parallel in the modern spelling of Karmin when written in
Persiau cliaracters: the vovel ü (a) which closely approaclies in its pro-
nunciation the neutral vowel, is as often represented there by , i as
— o; see Indian Antiquary XXIV, p. 341.
2 Compare the table of traditional transeription-systems in Stan. Julien’s
Methode pour dechiffrer, p. 26; also the transcriptions of mr (mi-li)
no. 1130, kr (ki-lij no. 547, and the several signs li with the value r,
p. 139 sqq.
Notes on Ou-k’ong’s account of Ka^mir.
13
have been removed from this site to serve in the construction
of temples and other buildings erected during the reign of
the late Mahäräja.
A fuller description of this interesting site must be reserv-
ed for another place. Here it will be sufficient to add that
notwitlistanding a subsequent search I failed to trace over-
ground any other remains in the village or its immediate vici-
nity which could be attributed to ancient buildings. It becomes,
therefore, probable that we have in the ruins above described
the very remains of the Amrtabhavana Vihära wliich Ou-K’ong
visited. Just as this ancient convent has left its name to the
o
village of Änt a bavan, so the name of the Skandabhavana Vihära
(see Räjat. VI. 137; VIII. 1442; also III. 380), as I hope to
prove elsewhere, survives in that of Khand a bavan, one of the
Mahals or quarters of modern Crlnagar.
We must attach special importance to the Identification
of Ou-k’ong’s qnonastery of Ngo-nii-fo-p’o-wan 1 as it supplies
us with a clear instance in which our pilgrim can be shown to
have recorded the name of a Kacmlr Vihära not in its San
skrit, but in its Apabhramca form. This observation makes it
possible for us to identify also the fourth Vihära in Ou-k’ong’s
list, the name of which looks puzzling enougli, viz., ,le monas-
tere du mont Ki-tche‘.
The Vihära here named is the only one among the Kag-
mlr monasteries mentioned in Ou-k’ong’s list which is plainly
called after a locality and not, as evidently all the rest, after
the founder. This circumstance makes it at once clear that this
Vihära cannot be among those whose names have been given
above in our list from Kalhana’s Chronicle (see p. 4, note 1).
Nor does a reference to the geographical index of the Rä-
jataranginl on the first look promise a better result in regard
to the identification of the name Ki-tche.
To the sign ||| transcribed Ki which does not occur in
Julien’s list, we can after the analogy of the numerous other
syllables Ki which are shown in that work, attribute only the
value guttural -f- i (or i, e); tche judging from Julien’s entries
sub no. 1795, seems to be a regulär representative of Indian
ca (or cf?). But no local name is found in the Räjatarangini
14
VII. Abhandlung: Stein.
the sounds of whicli could directly be reconciled to tbe plionetic
value of tlie Chinese transcription.
Yet a closer searcb will show tliat tbe monastery intended
by tbe Chinese pilgrim was well-known also to the Kacmlrian
Chronicler. Kalhana in bis acconnt of tbe reign of Jaloka,
King Agoka’s son, relates to us, I. 131—147, a curious
legend of unmistakeably Buddhist origin wbicb is briefly as
follows.
When tbe king wbo is otherwise represented as a fer-
vent worsbipper of Civa, was once on bis way to Vijayecvara
(tbe modern Vijäbrör on the Yitastä), he was stopped on tbe
road by an old woman who asked for food. When the king
bad promised to give her whatever food sbe wanted, sbe show-
ed herseif in her real form as a witch (krtyä) and asked to
be allowed to feast on human flesh. Tlie king, unwilling to
permit tbe killing of living beings, offered up to her bis own
body. Thereupon tbe witch addresses tbe king as a Bodbisattva
and teils bim that she is one of tbe demons of darkness (täma-
syali hrtyakäh) 1 wbo live on Mount Lokäloka expecting from
the Bodhisattvas liberation from tbeir sinful darkness. Tbe
king had aroused tbe wratli of tbe Bauddlias by having once
in a fit of anger ordered tlie breaking up of tbeir Vihäras
when tbe music from tbe latter bad disturbed his slumber,
and tliey had sent her fortb to stay bim. But tbe former
Bodhisattvas had stopped and told her that tbe king was liirn-
self a great Cäkya (i. e., a Buddha), against wbom sbe could
not prevail, and wbose sight would bring her liberation. Tliey
bad ordered her instead to urge bim to erect from his own
treasure a Vihara wbicb was to serve as an atonement for bis
former wrong deeds.
After delivering tbis message and blessing tbe king, tbe
Krtyä disappears, and the story ends in Kalhana’s words,
I. 147: ,Then tbe lord of the earth erected a Vihära at Krtyä-
1 I. 137. — Thus we have to read for Krttikäh, of the Manuseripts, whicli
is an old mistake of spelling common in Kacjmir Sanskrit texts. Medial
ya and i camiot be distinguished in Kacmlrian pronunciation. The error
has liitherto escaped attention as the term was mistaken for the name
of the Pleiads (Krttikäh).
Notes on Ou-k’ong's account of Ka^mir.
15
grama and at tlie same place paid worship to the Krtyä tvho
freed from darkness (liad turned into) a goddess/ 1
The local name Krtyägrama had by former Interpreters
of the Chronicle — and also by myself, until the search for Ou-
k’ong’s Ki-tche had directed my attention to this point — been
taken in its literal meaning as the ‘abode (ägrama) of the Krtyä’.
The proper significance of the Word — which the tennination
ägrama yery frequent in Kacmlr local names might have already
suggested — is clearly established by the Fourth Chronicle,
the Bäjävalipatäkä of Präjyabhatta and Cuka, composed in the
second half of the 16 th Century.
Here we find in verse 240 Krtyägrama distinctly referred
to as a locality in the neighbourhood of Varähamüla. 2 This
passage places the identity of Krtyägrama with the modern
village of Kitsähöm, about five miles below Varähamüla on the
left bank of the Vitastä, beyond all question.
The name Kitsähöm is the direct phonetic derivation of
Krtyägrama. The change of Skr. r into Prakrit i is well-
known 3 and is illustrated in Kaemlrl by words like mits C Skr.
mrttikä ,clay‘, pitli ,above‘ < Skr. prsthe, lcim u , worin 4 < Skr.
krmi, etc. ty becomes regularly through palatalization in Prakrit
cc and subsequently in the Modern Indo-Aryan Vernaculars
(eventually with compensatoi’y lengthening of the preceding
vowel) c, pronounced in Kacmirl as <s. 4
1 I translate according to tlie reading avandayat of the newly discovered
Laliore Manuscript (see my notice in the Academy, July 20, 1895). The
readings asaiiuLhayat of (received in the text of my edition) and
abandhayat A 2 give no snitable sense.
2 The printed edition (Calcutta 1835) reads wrongly jnätyäkrtyä gramä-
slnän for jnätvä Kytya^rama-sinän of the Manuscripts, the editors, as so
often, having failed to recognize the local name.
3 Compare Beames, Comparative Qrammar of the Modem Aryan Languages
of India I, p. 159; Jacobi, Ausgewählte Erzählungen in MaKärashtn,
p. XXI.
4 Compare Beames, l. c., I, p. 326 sq.; Jacobi, l. c., p. XXXIII; Buhler,
Kaqmir Report, p. 84.
Examples of this palatalization in Kaemlrl are Vnats ,to dance 1
from Skr. nrty[ati through Pr. nacc[ai, and all the numerous cases in
which a feminine stem in ts corresponds to a masculine in t, e. g.,
mät ,mad‘ < Skr. matta, feminine mäts; mörmut ,killed‘, feminine mormüts;
in the plural JnUt ,how many‘, feminine küts, etc.
16
VII. Abhandlung: Stein.
Äcrama as the termination of Kacmlr local nanies appears
now invariably as -höm (nominative; stem in the inflected forms
-häm-); r is already in the Prakrit stage assimilated to preced-
ing c, and the resulting gg reduced to c which again in Kag-
mirl is always replaced by h. 1 Thus we find Khüyäcrama,
Rajat. VIII. 2698, represented by the name of the modern
Pargana Khuyähöm; Häyägrctma VIII. 2937, by Häyähöm (name
of a 'village in the Lölav Pargana); Mäksägrama, Qrlvara’s
Rajat. IV. 351, by Mänch'höm, (name of Pargana); Vyäghrä-
grama, gloss on Rajat. V. 23, by Vägähöm (village near Vijäbrör
in Dachilnpär Pargana); Madavägrama, Vitastämähätmya, V. 36,
by Marhöm (village on the Vitastä not far from Vägähöm), etc.
Finally it must be noted that the shortening of the originally
long vowels in the first two syllables of the modern name,
Kitsä- < *Kicä- < Skr. Krtyä-, is fully accounted for by the
influence of the stress accent, which lies on the antepenultimate
(Ki'tsähom). 2
The phonetic history of the name Kitsähöm may thus
be traced as follows: Skr. Krtyägrama > Pr. *Kiccaggama >
* Kicägama > Kg. Kitsähöm (in oblique cases Kitsähäm-).
For the identity of Krtyäcrama with Kitsähöm we can
adduce also direct textual evidence. The context of the verses
preceding verse 240 in the Räjävalipatäkä makes it clear that
by the Krtyäcrama mentioned there is meant the same loca-
lity which in verse 234 is referred to as Klcägrama. This
second form which is used by the author also in verse 384,
1 Compare Beames, l. c., p. 320; Jacobi, l. c., pp. XXXII, XXIII, § 12.
[The question as to how Skr. g which now appears as h in Kaijmlrl,
was pronounced in the intermediary Prakrit Apabhrarinja, is immaterial
here.] For the regulär change Skr. § > K(j. h compare Kf;.. liatli <. Skr.
gnta, will ,twenty‘ < Skr. vimgati, lcruh ,a kos“ < Skr. kroga, etc.
2 According to the rule fully establislied by Dr. Gkiekson in para. 34 (c)
of bis masterly essay on the Phonology of the Modern Indo-Aryan
Vernaculars, Zdmo., XLIX., p. 413 sq., the accent on the antepenultimate
of a word in the IAV. acts as follows: The vowel following the accented
syllable is, if long, shortened and moreover, in some of the IAV., the
accented syllable is also itself shortened if the word ends in a long vo
wel beai'ing the secondary accent. The name Ki'tsähom pronounced
with the stress-accent on the first and tlie secondary accent on the last
syllable, exactly illustrates this rule.
Notes on Ou-k’ong’s account of Ka^mir.
17
is evidently a mere transcription of the Kacmlrl name Kitsahöm
which by the end of the lG th Century must have already reach-
ed a pronunciation closely resembling the present one.
Another transcription of the modern name, slightly modi-
fied for the sake of a learned etymology, is found in the late
Pandit Sähibräm’s brief survey of Kacmlrian tlrthas, called
the Tlrthasamgraha, which mentions immediately after the de-
scription of the sacred sites of the Varähaksetra, i. e. Varä-
hamüla, a 'mahärudrasthäna’ at Kicakägrama. 1 There too
Amdoubtedly our Kitsahöm is meant.
These transcriptions show conclusively that the meaning
of the second part of the local name, ägrama ,abode‘, was at
all times clear. Going back further we see from Kalhana’s
story that the first part of the name was in earlier times popu-
larly connected with the legend of a witch or Krtyä who was
supposed to have resided and received worship there. Kalhana
does not speak of the Vihära which king Jaloka was alleged
to have built at the Krtyä’s bidding, as the Krtyävihära (which
would have meant that the Krtyä built it), but as the c Vihära
of Krtyäcrama’. We have already seen that in the Apa-
bhramga of Ou-k’ong’s time the word Krtyä would necessarily
appear as *Kiccä or *Kicä, the form actually represented by
the Ki-tche of the Itinerary. If Ou-k’ong then speaks of a
monastery of the Ki-tche hilf we have in his expression the
exact parallel to Kalhana’s 'Vihära of Krtyägrama’.
All what remains to be shown in support of our identi-
fication, is that there is in the immediate vicinity of Krtyä
grama: Kitsahöm a hill which could have fitly borne the desig-
nation indicated by the Itinerary. The village of Kitsahöm is
1 See Deccan College Manuscript, No. 61 of Professor Bühler’s Collection,
1875/76.
The form jKicakägrama in the recent Tlrthasamgraha shows that
it would not be safe to see in the long l of the Klcagrama of the Rä-
jävalipatäkä the trace of an older form of the name such as we had to
assume above for an intermediate Apabhrarinja stage. — Pandit Sähi-
bräm in Order to give a proper Sanskritic look to the village name, the
old form of which he did not know , renders the meaningless Kicu in
its first part by Skr. klcaka (,bamboo c ; also proper name). Otlier ancient
local names have been similarly metamorphosed by that learned author.
Sitznngsbcr. d. phil.-hist. CI. CXXXV. Bd. 7. Abh. 2
18
VII. Abhandlung: Stein.
situatecl on a small plateau between the left bank of tbe Vi-
tastä and the foot of a high spur clothed with majestic deodars
whicli runs down from the main ränge of the mountains in the
south. This spur forms the western boundary of a little plain
about two miles broad which is very prettily situated in an
amphitheatre of mountains and is known as Näraväv. Immedia-
tely to the west of Kitsähöm the valley contracts; rocky ledges
from the above named spur project into the river bed, and
the Vitastä which is navigable to a short distance above the
village, now turns into a foaming torrent. Näraväv, though
geographically outside the limits of the Kacmlr Valley, has in
administrative and populär tradition always been included in
the territory of Kacmtr proper and is inhabited by a Kagmirl
speaking population.
Though I have often passed on the new Jhelam Valley
Road the village of Kitsähöm, I have hitherto never had occa-
sion to examine the site from an antiquarian point of view.
I have, however, heard it repeatedly asserted by villagers and
otliers that when this portion of the road was being made
some ten years ago, remains of ancient buildings from the
neighbourhood were largely utilized for the construction of the
raised embankments over which the road is carried in parts
of the Näraväv plain. Whether such remains existed near
Kitsähöm or are still to be found there, I hope to ascertain
on my next visit to the Valley. In the meantime I may point
out that Baron von Hügel who passed down the valley in the
autnmn 1835, distinctly notes near ‘Kizenhamma’ the remains
of a ruined fort and stone wall. 1 As the Baron travelled on
the opposite or right river bank which formed in old days the
favorite route of communication, these remains must then have
been conspicuous to attract his attention.
Our remarks on the remaining monasteries which the
Itinerary mentions, can be far briefer. Regarding the names of
the Ngo-nan-i, Nao-ye-lo and Je-je monasteries mentioned in the
list immediately before and after the ,monastery of the Ki-tche
hilk it is unsafe at present to hazard even a conjecture. 2
1 See Kaschmir und das Reich der Siele, III, p. 3.
2 Tlie aame Ngo-nan-i is read by the Editors doubtfully as Ananda. Could
it possibly be a rendering of Anaiiga, tbe abbreviated form of Ananga-
Notes on Ou-k’ong’s account of Ka^mir.
19
It is, too, only with hesitation that I venture to submit
for tlie consideration of Chinese scholars a Suggestion regard-
ing the naiiie of the next monastei’y which in Messrs. Lkvi
and Chavannes’ translation appears as 'le monastere du general
(tsiang-kiun, senäpati)’. I must regret in this case more tlian
ever my total ignorance of Chinese as well as my present
inability to consult the opinion of a competent sinologist.
With all the deference due to the learning and acriby
of the editors, it is difficult not to think in eonnection with
the designation thus translated of the name of the Tuhkhära
Cankuna whom Kalhana mentions as a founder of Vihäras
under Muktäpida. The syllable Tsiang does not appear in
Stan. Julien’s list of phonetic characters. But judging from
the analogy of the values assigned there to Tsa (2133), Ise
(2149), 2 sie (2158), Iso (2179) and otlier characters beginning
with ts, and from the general rule indicated by Stan. Julien
in para. XIV A (Methode, p. 47) regarding the phonetic signi-
ficance of ng (— n) as the termination of syllables used for the
transcription of Sanskrit names, it seems clear that Tsiang may
he loolced upon as the exact representative of the syllable Can
in Cankuna. In the same way we find that three characters
i - ead Kiun (707—709) in Julien’s list occur as renderings of
Skr. Icun in Chinese transcriptions. As Cankuna is clearly
described by Kalhana as a Tuhkhära or Turk it is evident that
we have in the name given by the Chronicle only the Sans-
kritized transcription of a Turkish name of which Tsiang-kiun
is an equally accurate rendering in Chinese characters.
In the Chronicle Cankuna figures as an alchemist from
the Tuhkhära land (Tokhäristän) 1 who rose to high rank as a
lekhä, the name of Durlabhavardhana’s queen? The Vihära founded by
her is, however, called Anavgabhavana, III 3.
The name Je-je distantly reealls that of the Jayendrcmihära,
founded by King Pravarasena II.’s uncle, Räjat. III. 355; V. 428; VI. 171,
which the biography of Hiouen-tsang mentions as the Che~ye-in-lo-lo
Vihära (Vie, p. 92). But I am unable to find the link of an Apabhraiiicja
form which would permit us to conneet the two names.
1 Compare IV. 211 sq., 215 sq., 246—263. Verse 211 speaks of the magician
as the ,Tuhkhära Cankuna'-. In 246 the text of A, as sliown in my
edition, makes Cankuna come to Ka(:m ir from the ,Bhuhhhäradega l . This
Wilson and others after him wished to identify with Bokhära. The La-
20
VII. Abhandlung: Stein.
minister of Muktäplda and distinguished himself by performing
works of magic in tlie king’s Service. He built at Parihüsapura
(Paräspör) a monastery called after him tlie Cankunavihära,
with a high stüpa and golden images of Buddha (IV. 211).
Caükuna is also said to bave founded a second Vihära
witb a caitya ‘at tlie other Capital 3 , adhisthänäntare (IV. 215).
By this expression only Crlnagara, the actual Capital of Kacmir
since Pravarasena II, can be meant in contradistinction from
Parihäsapura which the fancy of its founder Muktäplda could
but temporarily raise to the rank of a royal residence. 1 That
this second Vihära of Cankuna also bore the founder’s name,
is clearly established by a subsequent passage of the Chronicle,
VIII. 2415 sqq. Here Kalhana relates to‘ us how in his own
time Sussalä, the pious wife of the minister Rilliana, restored
in the city of Qrlnagara the famous Cankunavihära which had
fallen into utter ruin. 2
We have no means to determine which of the two Vi-
liäras of Cankuna Ou-k’ong is more likely to have visited or
höre Manuscript above referred to, however, gives the correct reading
Tuhlchära which the editors of Ou-K’ong (see their note, p. 352) had
already rightly conjectured. In Qäradä writing tlie aksaras tu and bhu
may easily be mistaken for each other.
1 It is probable that Parihäsapura was wholly deserted and its temples
in ruins in Kalhana’s time. It was abandoned already by Muktäplda’s
son and successor Kuvalayäpida (IV. 395), and the materials of its build-
ings were subsequently, towards the close of the nintli Century, carried
away by King Camkaravarman for his new town of Pattana, the mo
dern Patan; see V. 161. This early desertion of the site explains the
state of utter destruction in which the remains of Muktäplda’s splendid
structures are now found. They have been traced by me in ruined
mounds of great extent situated on the Udar or alluvial plateau of
Paräspör near the village of Trigäm and about 3 miles to the South
west of the junction of the Sind and Vitastä. (See Anzeiger der phil.-
liist. Classe of the Imperial Academy, Vienna 1892, No. XXVII.)
2 For the reason stated in the preceding note it must be assumed that it
was at this second Vihära in Qrlnagara tlia,t Kalhana saw the Buddha
statue which King Muktäpuja was believed to have brought from Ma-
gadha on the back of an elephant and to have granted to Cankuna at
the latter’s request in return for his magic Services. The statue was
placed in Caiikuna’s Vihära, and on its base there were still shown in
Kalhana’s days the iron fastenings by which the image was supposed to
have been secured on the back of the elephant; compare IV. 248—262.
Notes on Ou-k’ong’s account of Kacmir.
21
remembered, and it is, therefore, impossible to say at which
of fliese two places his monastery of Tsiang-Jciun or Cankuna
must be located.
Messrs. Levi and Chavannes have already indicated (L’Jti-
neraire, note, p. 352) tbe remarkable confirmation which Kal-
hana’s story of Cankuna, the Tuhkhära, affords for Ou-k’ong’s
Statements regarding the relations of the Tou-kiue or Turks
witli Kacmir. These relations are attested in the Itinerary by
tlie notices of the remaining two nionasteries which are —
the monastery of the Ye-li-t’e-le founded 'by the son of the king
of the Tou-kiue and the monastery of the K’o-toen ‘founded
by the queen of the Tou-kiueh
Regarding these names I have nothing to add to the learn-
ed remarks of the Editors. K’o-toen is clearly, as pointed out
by them, L’Itineraire, note, p. 355, the well-known Turkish
title Kätün. In the name of prince Ye-li-t’e-le we have the
same title te-le which is found attached to numerous names of
Turkish princes as recorded by the Chinese Annals (ib., pp. 379,
383). According to Chinese evidence (quoted from Stan. Juiaen’s
Documents historiques sur les Tou-kioue, Journal Asiatique,
1864, II, p. 201) it was given to the sons and brothers of the
Khäkhän. Assuming then our identification of the monastery of
Tsiang-kiun with the Cankunavihära to be correct, we can easily
understand why the monastery of the Turkish minister should
have been mentioned in the list of Ou-k’ong immediately be-
fore the pious foundations of a ruling family of the same nation.
In order to complete our survey of Ou-k’ong’s information
on Kacmir it is necessary to notice briefly a few other data
of antiquarian and topographical interest. Our Chinese visitor
found in the kingdom of Kacmir more than three hundred
nionasteries and a considerable number of Stupas and sacred
images (L’Itineraire, p. 355). As Hiouen-tsang mentions only
about hundred convents with five thousand monks in the coun-
try (Memoires sur les contrees occidentales, I, p. 168), we may
conclude tliat the Century intervening between the visits of
the two pilgrims had seen a rise in the popularity of Buddhism.
This would well agree with the Statements of the Räjatarafiginl
as to the numerous Vihäras built in the reign of Muktäpüja-
Lalitäditya and his predecessor.
22
VII. Abhandlung: Stein.
Among the Stupas Ou-k’ong singles out for special men-
tion tliose whicli King A9oka (Ngo-yu) and the 500 arliats had
erected. Hiouen-tsang, too, refers particularly to the four Stupas
built by Acoka, which were of wonderful height and great
magnificence and contained eacli one measure of relics of
Tathägata (Memoires, l. c.; Vie de Hiöuen-Tsang, p. 90). Regard-
ing the position of these Stflpas I should have only conjec-
tures to offer which, as they could hitherto not be tested hy
excavations, need not he detailed here. The story of the 500
arliats and their flight to Kacmlr in the reign of King Acoka
is related at length hy Hiouen-tsang (Memoires, p. 170 sq).
The Itinerary descrihes the kingdom of Kacmlr correctly
enough as enclosed on all sides by mountains forming natural
ramparts. Three roads in all have been opened through them,
and these again are secured by gates (fermetures). In the
east a road leads to T'ou-fan or Tibet; in the north a road
penetrates to the ldngdom of Po-liu (Baltistän); the road
which Starts from the gate in the west, goes to K’ien-t’o-lo or
Gandhära.
I have already had occasion to show in another paper
[Abtes on the andent topography of the Pir Pantsäl Route,
Journal of the Bengal Asiatic Society, 1895, Part I, p. 377 sqq.]
that the roads here referred to by Ou-k’ong can easily be
identified with the great routes through the mountains which
since ancient times have been the main lines of communication
between the Valley and the outer world.
The road to Tibet can be no other than the route which
leads up the Valley of the Sind River and over the Zoji-la
Pass into the Ladäk territory and hence to Tibet and Chinese
Turkestän. By the second road to Po-liu must be meant the
route which crosses over the mountain-range on tho north into
the upper Valley of the Kisangangä (Skr. Krsnagangä) and
thence leads either over the high plateau of the Deosai or
over the Burzil Pass to the modern Skardo or Astör, respec-
tively. 1 Botli these territories, situated in the Indus Valley,
1 The present ,Gilgit Road 1 which corresponds to Ou-k’ong’s road to
Po-liu, crosses tho high ränge which forms the watershed between the
Valley of the Kisangangä and Kai;mir, by the TrUg a bal Pass, to the
Notes on Ou-k’ong’s account of Kapinir.
23
evidently formed part of the country of the Po-liu as described
by Ma-touan-lin (see A. Remdsat’s Nouveaux Melanges Asia-
tiques, I, p. 194 sqq.)
In tbe third road which Starts from the gate in tbe west
and leads to Grandhära, we cannot fail to recognize the route
which passes through the gorge of the Vitastä below Varfiha-
müla and has at all times been the favorite route to the west.
Hiouen-tsang had followed it when he entered Kacnilr ,by the
stone gates, the Western entrance of the kingdonr (Vie, p. 90).
AlberünI speaks of it as the best known route to Kacmlr in bis
days. He had also heard c of the watch-station Dvär established
‘at the other end of the ravine, on both sides of the river
Jailam’ (Alberüni’s India, translated by Prof. Sachau, I, p. 207).
In the above quoted paper I have already spoken at some
lcngth of the frontier forts or watch-stations which in old days
closed all passes leading into the Valley. Here it will be
sufficient to point out tliat they are often mentioned in the
Chronicle under the designations of dvära, drdnga or dhakka,
and that they have on most of the routes survived until quite
modern times. 1 There can be no doubt that a reference to
tlies eancient frontierposts is intended by the 'fermetures’ men
tioned in the Itinerary.
Ou-k'ong knew besides the above three roads yet another:
‘this, however, is always closed and opens only for an instant
when an imperial army honors it with a visith It is possible
that we have here an allusion to one of the routes which cross
the monntain-range of the Pir Pantsäl to the south of the Valley
and lead towards the Panjäb.
north of the Vulur Lake. The Pass used in ancient times was guarded
by a frontier fort which is repeatedly referred to by Kalhana under the
uame of Dugdhaghäta or Durgacjhäla (see VII. 1171, VIII. 2468. 2715).
I have traced this name in that of the T)ud<‘khitt Pass which crosses the
ränge about 8 miles to the north-east of the Träg^bal.
1 Thus the ruius of a wall and gateway closing the narrow space between
the mountain side and the right river bank are to this day visible be
low Varähamüla and locally known under the name of Drang. Compare
also Moorcroft’s Travels, II, p. 280. — It is very probable that the
site referred to is the same where the stone-gates of Hiouen-tsang and
Ou-k’ong’s ,porte de Tonest' once stood.
24
VII. Abhandlung: Stein.
An interesting passage of Alberfl.nl shows ns how care-
fully in his own time the approaches of Kaemir were guarded
against strangers from tlie soutb. “The inhabitants of Kaemir
are particularly anxious abont the natural strength of their
country, and, therefore, take always much care to keep a
strong hold upon the entrances and roads leading into it. In
consequence it is very difficult to have any commerce with
tbem. In former times they used to allow one or two foreig-
ners to enter their country, particularly Jews, but at present
they do not allow any Hindu whom they do not know perso-
nally, to enter, much less other people” (India, I. 206). In
another passage he speaks of Räjawari (Skr. Räjajmrl, the
modern Rajauri) as “the farthest place to which our merchants
trade, and beyond which they never pass” (ib., I. 208).
In the time of Alberüni it was undoubtedly the danger
of Muhammadan invasion which caused such strict seclusion.
From the conquered Panjäb Mahmud of Ghazna had led more
than one expedition against Kaemir, and his forces had on one
occasion actually reached the fortress of Lauhur, the Lohara-
kotta of the Chronicle, at the very foot of the Plr Pantsäl
Range. Might the Itinerary’s curious notice about the route
closed to travellers in Ou-k’ong’s days, not be the reflex of a
similar danger which then threatened Kaemir from the same
direction?
It is exactly at that period tliat the Arabs who had es-
tablished themselves on the lower Indus since the beginning of
the eightli Century, were actively engaged in extending their
power to the north. Düring the reign of the Khallfa Al-Mansflr
(754—775) the Amlr Ilashäin, governor of Sind, is reported
to have sacked Gandhära which was then in the possession of
the Gab i ruler of Kabul, and to have at the same time actually
invaded the territory of Kaemir. 1 This extension of the
Muhammadan power on the Indus was only temporary and did
not result in a lasting conquest even of the northern Panjäb.
Yet the danger it represented for Kaemir, may have been se-
o
1 See Reinaud, Memoire sur l’Inde, p. 195, and his trauslation of an ex-
traet from Belädorl in Fragments Arabes et Persans relatifs a l’Inde
p. 212.
Notes on Ou-k’ong’s account of Katjmir.
25
rious enough to have caused an interruption of all relations with
the disturbed regions to the south and tlic consequent closing
of the routes leading there.
The notices which we have examined, are not without
their special interest for the question of the reliability and
accuracy of Ou-k’ong’s relation. Twenty seven years had pass-
ed hetween the pilgrim’s departure from Kacmlr (763) and
the time wlien after long wanderings he returned to his native
land (790), and related there to the Cramana Yuen-tchcio, the
author of the Itinerary, the story of his life and travels.
Notwithstanding this long interval we have found that
several of the sacred localities which Ou-k’ong saw in Kacmlr,
can still be identified thanks to the accurate reproductions of
their names in the Itinerary. We have seen that the names so
carefully recorded by the Chinese pilgrim are not the quasi-
official Sanskrit ones which the Räjatarangini has preserved
for ns, but the corresponding Apabhramca forms wliich we must
assume to have been in populär use in Ou-k’ong’s days. This
interesting fact fully confirms what has already on other
grounds been concluded as to Ou-k’ong’s imperfect literary
training.
The Editors have in their introductory remarks riglitly
pointed out how inferior in this respect Ou-k’ong’s qualifi-
cations were to those of Hiouen-tsang, in whose footsteps he
followed. Yet the explanations given above will, I hope, show
that this undoubted deiiciency has not interfered with the
accuracy of the information which Ou-k’ong has left us regard-
ing Kagmir. We have found him here trustworthy and accu
rate, and tlius the belief seems justified that the remarkable
new facts which the narrative of Ou-k’ong’s travels has brought
to light in regard to the history and antiquities of Gandhära,
Udyäna and other interesting regions, will find equal confir-
mation by further researches.
26
VII. Abhandlung: Stein.
ADDITIONAL NOTE.
THE K ACM IR CAPITAL IN CHINESE ANNALS.
I may be allowed to take the pi’esent opportunity for
communicating a few remarks regarding the narae given to the
Capital of Kaemlr in a notice of the Annals of the T’ang dy-
nasty which has already been mentioned above as recording the
embassy of King Muktäplda (Mou-to-pi) to the Chinese court.
This notice has been reproduced in Ma-touan-lin’s encyclo-
pedia and has been first made known to us by the trans-
lation of extracts from the latter work, which A. Remusat gave
in his Nouveaux Melanges Asiatiques (see Vol. I, P- 196 sqq.).
In the opening remarks of the notice as translated there we
are infonned that the King of Kaemlr l’esides in a town, called
Po-l o-wo-h o an-p ou-lo.
For this name which has puzzled me for some time back,
Messrs. Levi and Chavannes’ note (Journal Asiatique, 1895,
VI, p. 352) now supplies the correct form Po-lo-ou-pou-lo, as
found in the original text of the Annals. As the Editors in
the same note propose to restore the name as Bäramüla-pura,
it must be concluded that they identify the Kaemlr Capital of
the period to which the notice of the Annals refers, with the
small town of Varämül, Skr. Varähamüla, situated at the Wes
tern entrance of the Valley and generally known to European
travellers by the Panjäbl form of its name, Bärämüla.
There are, however, serious difficulties in the way of this
identification. In the first place it must be noted that neither
the old name Varähamüla nor its modern derivative Varämul
(Bärämüla) is ever found combined with the termination -pura.
The town has received its name from the site which it occu-
pies. The latter has since ancient times been held sacred as
the dwelling-place of Visnu in his avatära of Ädivaräha 'the
primeval boar' (see Professor Bühleii’s Kashmir Report, p. 12)
and is offen mentioned in the Chronicles and the various
Mähätmyas under the indifferently used names of Varähaksetra,
Varähatlrtha and Varähamüla.
Notes on Ou-k’ong’s account of Ka^mir.
27
, As in the case of many Kacmirian tlrthas, the liame of
the sacred site is used also for the designation of the town which
has sprung up near it, 1 and in this sense we find the name Varä-
hamüla, without the addition of -pura, used in Räjat. VII. 1309,
VIII. 451. 1229; Qrlvara, I. 323. 568; PräjyabhaRa, 240.
A still more decisive argument against the suggested
identification is furnished by topographical considerations.
The notice of the Annals, as translated by A. Rbmusat
(l. c., p. 196), distinctly places to the west of the Capital (Po-
lo-ou-lo-pöu-lo) a great river called there Mi-na-si-to. This
makes it quite certain that Varähamüla which occupies a narrow
strip of ground between a high hill ränge on the north and
the right bank of the Vitastä on the south, cannot beintended.
In looking for the real position of Po-lo-ou-lo-pou-lo we
must be guided in the first place by this topographical indi-
cation. It is in full agreement with Hiouen-tsang’s account which
speaks of the Capital of KacmTr as ,bordered on the west side
by a great river’ (Memoires, I, p. 163; Vie, p. 90). Hiouen-
tsang does not name this river, but other details given by him
prove beyond all doubt that General Cunningham was right
in identifying long ago the site of Hiouen-tsang’s Capital with
that of the modern Orlnagar and ,the great river’ with the
Vitastä which flows to the west of it (see Ancient Geography
of India, p. 93. 97 sq.).
General Cunningham has also l'ightly recognized that the
Capital of Hiouen-tsang’s time (ca. 631—633) which the account
in the Si-yu-ki (Memoires, p. 180) calls ,the new Capital“ in
contradistinction from ,the old capitak situated in its close
proximity, was the new city founded by King Pravarasena II.
This we know from Kalhana’s full and interesting account,
1 Among modern villages and towns in Kacjmir the following, e. ff., liave
names directly derived froin the designations of the sacred objects wor-
shipped there: Vijabrör (Vijaye<;vara); Mafan (Märtända); Anatnäy
(Anantanäga); Köther (Kapate9vara); Ir/tbür (h^vara), etc. — Among
the very numerous old village names ending in -pör (pura) for which
the earlier Sanskrit forms liave been ascertained by me, I have failed
to trace one in which the word preceding that termination is the name
of a god, shrine or other sacred object. This word is usually the name
of the person who founded the place.
VII. Abhandlung: Stein.
III. 339—363, to have been built on tlie site of the present Qri-
nagar and not far from tlie former Capital, Acoka’.s Crinagarl. 1
Tlie new city wliicli was destined to remain tlie Capital
of Kacmlr until the present day, received after its founder the
liamo Pravarapura (for Pravarasenapura). 2 Tliis name can
be traced throughout the Räjatarangini and the later Chro-
nicles as well the works of other Kacmirian authors, such as
Bilhana and Mankha, as the appellation of the city occupying
the site of the modern Qrlnagar, and it has continued to be used
to the present time in colophons of Sanskrit Manuscripts,
janmapattras and other documents; compare Rajat. IV. 311,
VIII. 2408; Vikramänkadevacarita, XVIII. 1. 70; Crlkanthacarita,
III. 21 (also Jonaräja’s commentary on III. 31. 68); Crlvara
III. 277; IV. 205. 336; Fourth Chronicle 938, Lokaprakäca
(MS.), passim, etc. 3
The eai’liest mention of Pravarasena’s City is found, how-
ever, in the notice of the Chinese Annals, in whose Po-lo-ou-
lo-pou-lo we cannot fail to recognize now an exact transcrip-
tion of the name Pravarapura. Po-lo, lo and pou are regulär
representatives of the Sanskrit aksaras pra, ra and pu, re-
spectively; compare Stan. Julien, Methode, nos. 1476, 1058,
1491. The character ty) is transcribed by Messrs. Levi and
Ciiavannes as ou and by Stan. Julien as wou. To attribute
to it the value va in the transcription of our name seems
scarcely hazardous considering that the same character is used
in contraction with li (an ordinary representative of Skt. r,
no. 813) to express the Skt. aksara vr-, compare Stan. Julien,
l. c., no. 2217.
1 The position of tlie ,old Capital 4 , the Puränädhistliäna of Kalhana’s
narrative, is still marked by the village of Pändrenthan, about 2 J / 2 miles
to the soutli-west of Qrlnagar, whose name is derived from that desig-
nation. The curious and exact topograpliical details of the above cpioted
account can still be traced on the map of the modern Crinagar and will
be found fully explained in my notes on the passage.
2 For cases of similar shortening in appellations of temples, etc., see above
p. 5, note 2.
3 The term pura, very frequently used by Kalhana for the designation
of the Ka^mir capital, must be understood as an abbreviation for
Pravara-pura^ compare Preface to my Räjatarangini Edition, Vol. I,
p. xvn, note.
Notes on Ou-k’ong’s account of Ka^mir.
29
Our Identification is fully confirmed by a consideration
of the chronological and historical facts. The information con-
tained in the notice of the Annals clearly goes back to the
Kacmlrian embassies of which we read there. The first of
these is said to have reached the Imperial Court about the
year 713, and the succeeding ones there referred to cannot be
later than the year 907, the closing date of the Annals of the
T’ang dynasty. The date of Pravarasena II. cannot at present
be fixed with certainty. It is, however, very probable that he
ruled some time about the middle of the 6 th Century. 1 The
Capital of Pravarapura which he founded, was , as we have
seen, already about 631—633 visited by Pliouen-tsang who
knew it as the 'new Capital’ in the position of the present
Qrlnagar.
For the period which lies between Hiouen-tsang’s visit
and the close of the T’ang dynasty, we possess in the Räja-
tarangim a full and on the whole thoroughly reliable historical
record, and as the latter knows nothing of a subsequent change
of the real Capital, it is clear that the Capital of which the
Annalists heard tlirough the Kagmlr embassies, can only have
been Pravarapura.
General Cunningham has already (l. c., p. 97) noticed and
explained the curious fact that the name of the old Capital,
Qnnagara or Qrinagari, was applied also to the new city and
ultimately replaced the name Pravarapura, at least in common
use with the people, as the customary designation of the Ca
pital. This transfer is fully accounted for by the contiguity
of the two cities and finds its exact parallel in the application
of the old name Delhi to the new cities which were founded
successively in the vicinity of that Capital and were originally
named each after its founder.
There is, however, good reason to believe that the name
Pravarapura was retained as the proper official designation of
the Capital throughout the Plindu period. Thus alone we can
readily understand, e. g., the exclusive use of the abbreviated
form Qripre for Qrlpramarapure in the numerous formularies
for Sanskrit documents which are given in the Lokapraltäga
1 Compare Max Müller, India, What can it teach ns, p. 317.
30
VII. Abhandlung: Stein.
ascribed to Ksemendra, and the continued use to the pre
sent day of this abbreviated local name in all janmapattras
made by Qrlnagar Pandits.
It remains for us only to explain the name Mi-na-si-to
wbich the notice of the Annals, as reproduced by Ma-touan-lin
(.Nouveaux Melanges Asiatiques, I, p. 196), gives to the great
river bordering the Kagmlr Capital on the west. In view of
the proofs given above we cannot doubt the identity of this
great river with the Vitastä; but the Cliinese form of the name
seems strangely different. This difficulty, however, disappears
on closer examination.
Stan. Julien’s list shows a character read mi 1 ^ (1135)
as a phonetic representative of Sanskrit vi. We can accept
this testimony with all the more confidence, as the Chinese
transcription of King Iiarsa-Clläditya’s Sanskrit poem recently
edited by Professor Levi (Actes du X e Congres International
des Orientalistes, 1894, I, p. 198) shows similarly in half-päda
26 the character mei (1108 of Stan. Julien) as the equivalent
of the aksara vai.
For a character read na (1206) we find the phonetic
value da given in one of the old Chinese transcriptional alpha-
bets reproduced by Stan. Julien, Methode, p. 30. Here too the
transcription of the above quoted poem of King Harsa furnishes
welcome confirmation, as tliat very character is used there
regularly as the representative of Skr. da (see the Word daga
in half-pädas 14, 22, 30, 32). Finally the characters si-to can
in view of the values assigned in Julien’s list to si in conso-
nantal nexus (1569 —1572) and to the several characters to
(see nos. 2026, 2030, 2045, 2064, etc.) be accepted witliout
hesitation as a correct rendering of Skr. stä.
It is evident from this analysis tliat the form Vidastä is
the name actually indicated by the Annalist. Whetlier the
Substitution of this form for the correct Sanskrit Vitastä is to
be explained by an error of hearing or an inaccuracy of trän-
1 Abel-Ricmusat’s translation does not indicate the actual Chinese cha
racters used for the transcription of the name. Hence I am unable to
find out whether the first character is identical with Julien’s no. 1135
or another character of the same phonetic value.
Notes on Ou-k’ong’s account of Ka^mir.
31
scription, woukl not be easy to decide now, nor is it a que-
stion of much importance.
There was, no doubt, a stage in the process of phonetic
conyersion leading from the Skr. Vitastä to its modern Kacmlri
derivative Vyath or Viatli, when the medial surd t had been
softened into the sonant d before being tinally elided. This
stage is ropresented by the forms Bidaspüs (Ptolemy) or Hy-
daspes, under wliich our river name was known to the Greeks.
But it is difficult to believe that such an intermediary form
*Vidastä was actually used in the genuine Apabhramga of
Kagmlr as late as the 8 tu Century of our era. 1
As we have found already the name of the Kagmir Ca
pital correctly recorded by the Annalists in its Sanskrit form,
we must assume, that the river too was mentioned to the Chi
nese authorities under the name which it bore in the official
Sanskrit, i. e., as Vitastä.
SUPPLEMENTÄR! NOTE TO P. ß.
Since this paper lias been sent to the press, Hofrath Prof.
Büiiler has been kind enough to point out to me that the
identification of Aiyreruni's Muttai witli Muktäpida has already
been proposed by him in bis review of Prof. Sachau’s trans-
lation of the India, Indian Antiquary, xix., p. 382. There too
is given a most convincing explanation of the form under
1 It is a curious coincidence that we find the same slight error of hear-
ing or transcription in the references which some modern authors make
to tlie old river name as still known to the Brahman inhabitants of the
Valley. Tlius Drew, Jammoo and Kashmir territories, p. 163, speaks of
,Vedasta‘ as an older name for the river 'still used by those who follow
Sanskrit literature’. Similarly, e. g., R. Lawrence, Valley of Kashmir,
p. 17, and McCrindle, Ancient India as described by Ptolemy, p. 89
('By the natives of Kasmir it is called the Bedasta 1 ). —- As a matter
of fact, the name Vitastä is familiär enough to most of the Brahmans
of Kaifmlr, liowever slight their knowledge of Sanskrit inay be, from its
frequent oecurrence in the Mähätmyas and otlier populär religious texts.
But I have never heard the old name pronounced by them in any other
way than with the surd dental in the second syllable.
32
VII. Abh.: Stein. Notes on Ou-k’ong's account of Ka^mir.
which tlie name is found in the MS. of tlie India. Prof. Bühler
ingeniously sees in a mistake of tlie copyist for "which
latter may stand according to Berünl’s method of transcription
eitker for Muttapir or Muttapid”. The second form is tliat in
which the name Muktäpida was most likely to appear in tlie
Kagmirian Prakrit. (Compare the form J'iipid which Prof.
Bühler and myself have still heard from the mouth of Kagmlr
villagers for the name of king Jayäpida. Muttapid höre no
douht the stress-accent on the antepenultimate.)
The emendation proposed by Prof. Bühler has, as 1
understand, received the approval on palaeographical grounds
of several well-known Arabic scholars. The clear explanation
it affords for the second part of the name in its Arabic garb,
strengthens indirectly the argument which we have drawn above
from the first part regarding the identification of Moung-ti and
Mutta- (for Skr. Mukta-).
Mohand Marg, Kashmir: July 29, 1896.
VIII. Abh.: Büliler. Zwei neue Landschenkungen des Gurjara-Fürsten etc.
l
VIII.
Zwei neue Landschenkungen des Gurjara-Fürsten
Dadda-Prasäntaräga IY.
Yon
G-. Bühler,
wirkl. Mitgliedo der kais. Akademie der Wissenschaften.
Zu Neujahr 1896 sendete mir ein früherer Untergebener,
Mr. Vithal Nägar, jetzt erster Planzeichner im Bureau des
Chef-Ingenieur von Baroda, eine Durchzeichnung einer alten
Sanskrit-Inschrift mit der Bitte den Inhalt derselben zu be
stimmen. Er fügte hinzu, dass dieselbe auf einer Kupfertafel
stehe, die er nebst drei anderen im Besitze eines Bauern in
Dabhol (DarbhävatI, der alten östlichen Grenzfestung des
mittleren Gujarat) gefunden habe. Er habe diese Tafel als ein
Specimen von dem Besitzer entliehen, und vergeblich versucht
in Bombay eine Erklärung der darauf eingravirten Inschrift
zu bekommen. Er wende sich desshalb an mich, um zu er
fahren, ob das Document historischen Werth besitze.
Der erste Blick belehrte mich, dass ich den zweiten
Theil einer unpublicirten Schenkungsurkunde vor mir hatte,
die von dem Gurjara-Fürsten Dadda-Prasäntaräga IV. im
laufenden oder abgelaufenen Jahre 392, wahrscheinlich der
Cedi-Aera von 249 p. Chr., also 641—2 ausgestellt war. Ich
theilte dies Mr. Nägar mit, und bat ihn mir entweder Papier-
Abklatsche oder Photographien der vier Tafeln zu senden
oder die Originale für mich zu erwerben. Im März erhielt ich
dann zwei photographische, vielleicht retouchirte Blaudrucke
von Abklatschen aller vier Tafeln und einen Blaudruck der
directen Photographie einer Tafel (A. II) nach denen ich die
Inschriften herausgebe.
Sitzungsber. d. pbil.-hist. CI. CXXXV. Bd. 8. Abh.
1
2
VIII. Abhandlung: Buhler.
Die vier Tafeln enthalten zwei, beinahe wörtlich gleich
lautende Documente, Ä. und B., die an demselben Tage von
demselben Schreiber und zu Gunsten desselben Mannes her
gestellt sind. Die Tafeln von A. sind 24 Centimeter lang und
13 Centimeter hoch. Die von B. haben dieselbe Länge, ihre
Höhe beträgt aber 14 Centimeter.
Die Schrift läuft, wie fast stets der Fall ist, der Breitseite
parallel, und findet sich nur auf der inneren Seite der Tafeln.
A. I und B. I zeigen am unteren Ende und A. II und B. II
am oberen je zwei Löcher, durch welche die Hinge gingen,
die sie zusammenhielten. Da Mr. Nägar weder Binge noch
Siegel erwähnt, so vermuthe ich, dass dieselben verloren ge
gangen sind. Die Ränder der Tafeln sind, nach dem directen
Blaudruck von A. II zu urtheilen, nicht, wie sonst oft zum
Schutze der Schrift geschieht, nach Innen umgebogen und ver
dickt. Denn auf der linken Seite stehen die ersten Buch
staben der Zeilen unmittelbar am Rande. Die Zahl der
Zeilen ist 15 auf A. I, 14 auf A. II, 14 auf B. I und 15
auf B. H. B. II Z. 15 enthält nur die Zeichen ntarägasya j|.
Die Buchstaben der beiden Teste zeigen den bekannten
südwestlichen Typus, 1 der sich in einigen Inschriften der Gupta-
periode aus der Central Indian Agency und dem östlichen Raj-
putana, auf allen Kupfertafeln der Könige von Valabhi, der
Gnrjara von Broach und ihrer Kachfolger, der Räthor, so wie
in der Mehrzahl der Calukya-Inschriften aus Gujarat, Nasik,
dem nordwestlichen Marathenlande und dem Konkan findet.
Mit denen der früher in Khedä gefundenen Gurjara-Inschriften
von (CediVSamvat 380 und 384 stimmen dieselben besonders
genau überein, auch im Gebrauch der kleinen Knöpfchen, die
sich über jedem Buchstaben finden. Ebenso zeigt auch in
diesen beiden Documenten die königliche Unterschrift die,
mit dem sogenannten nordwestlichen Gupta-Alphabete eng zu
sammenhängende, archaische Varietät der Nägarl. Reine Nägarl-
formen zeigen insbesondere die Buchstaben fco, ga und sa,
sowie das mittlere i und i, und die für die Nägarl charakte
ristischen langen Deckstriche fehlen nicht. In Einzelheiten
finden sich sowohl im Texte als in den Unterschriften kleine
Vgl. Grundriss der Indo-Är. Phü. n. Alterihumsk., Bd. I, Heft 11, § 2S A.
Zwei neue Landsclienlrangen des Gurjara-Fürsten Dadda-Prasantaruga IV.
o
D
Unterschiede zwischen den beiden Documenten, obwohl die
selben, wie bemerkt, von demselben Schreiber und an dem
selben Tage hergestellt sind.
So bietet B. ein mittleres l, das ans zwei kleinen Kreisen
neben einander besteht, aber in A. nicht vorkommt, sowie ein
mal in svasti (Z. 1) ein Verschleißes ta, das überhaupt im süd
westlichen Typus sehr selten ist. Koch auffälliger sind die in
beiden Inschriften vorkommenden Varianten von va, das bald
rundlich und dem ca ganz gleich, bald dreieckig und bald wie
in der Nägarl geschwänzt gemacht wird. Ganz ähnliche, ja
noch stärkere Abweichungen kommen in ValabhMnsckriften
vor, die den Unterschriften zufolge von demselben Schreiber
angefertigt sind, nie eine Vergleichung der zahlreichen, von
dem divirapati Skandabhata verfassten Säsana leicht darthut.
Als Interpunctionszeichen kommt neben dem einfachen und
dem doppelten Verticalstriche, mehrfach, z. B. nach °simni
A. I, 12, und nach 0 sandhüca, A. I, 14, ein Punkt vor, und
einmal in B. I, Z. 11 hinter vatavrksasca ein Doppelpunkt. Die
Sprache beider Inschriften ist recht gute Sanskrit-Prosa, neben
der in den Segens- und Fluchformeln, wie gewöhnlich, einige
Verse des , Vyasa, des Diaskeuasten der Veden 4 aus dem
Mahäbhärata Vorkommen. Selbst die Zahl der Verschreibungen
und der orthographischen Fehler ist sehr gering.
Die Form der beiden Documente unterscheidet sich von
der der Kliedä - Landschenkungen Dadda-Prasäntaräga's IV.
hauptsächlich durch die Kürze der Prasasti. Während in
jenen, wie die Regeln der Srnrti erfordern, 1 drei Fürsten ge
schildert werden, beschränkt sich die Einleitung der Dabhol-
Sehenkungen auf das Encomium des frommen Gebers. Dieses
stimmt dann aber, abgesehen von Schreibfehlern, Wort für
Wort in allen vier Inschriften. Auch das Formular der eigent
lichen Schenkungsurkunde ist im Ganzen in den vier Docu
menten gleichlautend. Indessen zeigen sich hie und da kleine
Verschiedenheiten, welche sich sogar auf die beiden Dabhol-
Insehriften erstrecken. So gleichgiltig die Abweichungen für
den allgemeinen Sinn der Inschriften sind, so lehrreich sind
1 Siehe Grundriss der Indo-Ar. Phil. n. Alterthumsk., Bd. II, Heft 8,
p. 114, und Jolly's dort citirten Aufsatz in der Zeifcsehr. D. Morgv Ges.
1*
4
VIII. Abhandlung: Bühl er.
sie für die Art und Weise, in welcher die indischen Kanzlisten
arbeiteten. Auf Genauigkeit kaut es ihnen sicher nicht an, da
hier derselbe Schreiber in zwei für denselben Empfänger an
demselben Tage ausgestellten Urkunden kleine Abweichungen
im Wortlaute für zulässig hielt, obwohl er augenscheinlich ein
älteres Formular vor sich hatte.
Der Zweck der beiden Inschriften ist die Schenkung von
zwei Feldern in Suvarnarapalli (A) und Ksirasara (B) zu beur
kunden, welche der erlauchte Dadda dem Brahmanen Sftiya
gab, damit er die Kosten seiner Opfer bestreiten könne.
Der Gewinn, der aus denselben für die Geschichte der
Gurjara-Könige resultirt, ist nicht sehr bedeutend. Die beiden
Daten, Vollmondstag des Monats Vaisäkha (April—Mai) des
Jahres 392 (der Cedi-Aera), welche in Folge des Fehlens
näherer astronomischer oder kalendarischer Angaben nicht mit
Sicherheit genau berechnet werden können, zeigen jedoch, dass
Dadda-Prassntaräga IV. bis zum Jahre 641 oder 642 p. Chr.
regierte. Sie beweisen ferner, dass die von Herrn H. H.
Dhruva veröffentlichte Landschenkung 1 (Sankhejä-Grant Xr. H)
des Ranagraha, des Sohnes des Vitaräga vom Jahre 391, die
den erlauchten Dadda erwähnt, noch in die Regierungszeit
Dadda ? s IV. fällt, und Herrn Dhrnva’s Vermuthung, dass
Ranagraha ein Bruder dieses Königs sei, wird vollständig
bestätigt. Sodann belehren sie uns, dass sich das Reich der
Gurjara bis hart an die Grenze von Khandesh und Mäiva er
streckte. Denn die Provinz (cis-aya) Saingamakhetaka, in
welcher die verschenkten Felder lagen, entspricht ohne Zweifel
dem heutigen Sankhedä. Saygamakhetaka bedeutet seiner
Etymologie nach ,das Dorf an dem Zusammenflüsse* (zweier
Flüsse' und bei Sankhedä vereinigt sich die Unchh mit der Or. 2
Sankhejä ist noch jetzt der Hauptort des gleichnamigen, dem
Gaikowar von Baroda im Osten des mittleren Gujarat gehörigen
Prant oder Districtes, und der angrenzende Theil der Revä-
käpftiä Agency, s Sankhenjä - Meväs, ist gleichfalls danach be
nannt. Es ist nicht zweifelhaft, dass beide Districte ursprünglich
* Epigraphe* tndiea. Vol. It, j>. 2 t f.
5 Bombay Gazetteer. Vol. VH, p. 3Ö">.
s Bombay Gazeneer, Vol. VI, p. Uff.
Zwei neue Landschenknngen des Gurjara-Fürsten Dadda-Prasäntaräga IV.
O
zusammengehörten, und Theile einer grösseren Provinz waren,
wie der visaya von Samgamakhetaka gewesen sein durfte.
Leider sind mir die Karten des Trigonometrical Survey
für die betreffenden Districte nicht zugänglich, und es ist mir
desshalb nicht möglich die vorgeschlagene Identification durch
die Aufspürung der in den beiden Inschriften genannten Dörfer,
Atavipätaka, Kukkutavallikä, Ksirasara und Suvarnära-
palli vollständig zu erhärten. Es mag indess erwähnt werden,
dass eine alte Bombayer Karte von Gujarat, südöstlich von
Saonkaira (Sankhedä) ein Dorf Kookreylee d. h. Kukrell
aufweist, dessen Namen eine Gujaräti Form von Kukkutavalli
sein dürfte.
Der Beschenkte, der in Ksirasara wohnhafte Brahmana
Sörya, war ein Angehöriger des Geschlechtes des Bharadväja,
und ein Anhänger der Mädhyandhina - Schule des weissen
Yajurveda, und aus DaSapura, dem heutigen Man-Dasor im
östlichen Rajputana, ,ausgewandert'. Die letztere Notiz deutet
wahrscheinlich darauf, dass es damals in Gujarat eine Dasa-
purtya genannte Unterabtheilung der Brakmanen gab, die sich
aber jetzt nicht mehr findet.
Unter den genannten Beamten ist der Schreiber der
beiden Documente, der Minister für Allianzen und Krieg Reva
aus den in Kkedä gefundenen Schenkungen bekannt. Neu ist da
gegen der düta Karkka, welcher in B. Z. 27 erwähnt wird und
den Titel bkoyikapährka, wörtlich ,Schützer der Bhogika oder
Gutsherren', erhält. Dieser Titel, dessen specielle, technische
Bedeutung nicht bekannt ist, findet sich auch in Ranagraha’s
Landschenkung, wo Z. 9 dMakotra bhoyiknpälaka-Dujjäna zu
lesen ist, nicht, wie Herr Dhruva tkut, bhoyika-Pnlakntujnäna.
Dujjän ist ein noch gebräuchlicher Personenname.
Umschrift von A mit den Varianten von B.
2. hTTTiTHHfTTfs»-
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1 Die erste Zeile endigt in B. mit ^f^T° — B. hat
6
VIII. Abhandlung: Buhler.
3. TUUTTf^TWTtsfTTTTTfT?TTfTfTTTJTTTTTTT ^Tf^TT-
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1 Zeile 2 endigt in B. mit »T^TTo. -
2 Zeile 3 endigt in B. mit °ufWTT° — Lies UTZ> mit B.
3 Zeile 4 endigt in B. mit xrf^rT. - B. hat T^TTTT -
4 Zeile 5 endigt in B. mit “UrfTTt- - B. hat TWfr° -
5 Zeile 6 endigt in B. mit — B. hat fT^TT 0 ; °TTTT- —
6 Zeile 7 endigt in B. mit TWt -
7 B. liest »TTfTTTfTTT 0 - — Zeile 8 endigt in B. mit °TTTT^TTcTT*T.
8 Lies OUTTUT - - Tfrfr -
9 Lies TTTTTi- — Das Interpunctionszeichen hinter «TcT sieht wie
ein Visarga aus.
Zwei neue Landsclienkungen des Gurjara-Fürsten Dadda-Prasänteräga IY.
7
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1 Lies ^'3'^'t^t:. —
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2 Lies °^^T- - Für TT^STf. -
3 Lies w:. -
4 Zeile 11 endigt in 13. mit oigfrl 0 . —
5 Lies UIT° mit B. — Zeile 12 endigt in B. mit °f^fSTTT° — B. liest
%T^f^ft 0 . -
6 Mit Zeile 15 beginnt Tafel II in A. Zeile 13 endigt in B. mit f^TfTPR“ 0 .
— Lies mit B. °üfi-p«fr4. -
7 B. lässt o^fTff 0 aus und liest °1WfUrf° — Zeile 14 endigt in B. mit
— Lies ^To mit B. —
8 Lies mit B. Tr5TU%^T 0 . — B. hat o^ffa^o. _ I n B. beginnt Tafel II
mit uafr^o und endigt Zeile 15 mit °%^° -
9 Lies mit B. o-jfr^ftlfTirT?^. - B. hat ofbff*RUg°. — Zeile 16 en
digt in B. mit — B. om. °^T und hat %HT*inMrJTT^'UT o , sowie
fälschlich ÜJrfT —
10 Zeile 17 endigt in B. mit — Lies mit B. o ^fTffr° und
8
VIII. Abhandlung: Bühl er.
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28]ftMwpsr- flprearfv- [z.
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1 Zeile 18 endigt in B. mit ft*R> (sic). —
2 Zeile 19 endigt in B. mit tftt- -
3 Zeile 20 endigt in B. mit U’JtjTT 0 - — Lies mit B. °TJTrT^j°. — Lies
WS?:; B. hat °W*T?fiWr° _
4 Zeile 21 endigt in B. mit (Sfjfi 0 - — B. hat ^TT?f»r I 'ErfS=f°. —
6 Lies mit B. rTT"*Tcf- — Zeile 22 endigt in B. mit -4|| ■'SjtTT; — B. hat
^T*T?TnTT Wi — B. lässt den Vers '^[ftJ'^T^tff^WTft aus - —
0 B. hat ^TöffüTW 0 ; Zeile 23 endigt in B. mit ^f; — lies mit
b. *ntl? ^tttüsi -
7 Zeile 24 endigt in B. mit “^ü^TTftr; — B. hat fsmift 0 ; — lies mit
B. ^tTT; - B. hat uf^^TTf. -
8 Zeile 25 endigt mit ; — lies TTflTfUT; - B. hat °^FT _
Zwei neue Landsclienkungen des Gurjara-Fürsten Dadda-Prasfintaräga IV.
9
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^ITCTRITTW [||*] TT^IUWr: WlTTäTT- [Z.
29] «ffTT-T^f II
Uelbersetznng' von A.
Om, Heil! Aus Nändipura, 1 — Der erlauchte Dadda,
welcher das Himmelsgewölbe mit den Ranken seines Ruhmes
verhüllt, der weiss erglänzt wie eine von den Strahlen des
aus einer wasserschwangeren Wolkenmasse hervorgetretenen
Mondes erweckte Wasserlilie; — dessen blanken Schwertes
Macht gleichsam 2 laut besungen wird durch das in der Morgen
frühe ertönende Klagegeschrei der edlen Weiber zahlreicher
feindlicher Vasallenfürsten, die in vielen gefährlichen Kämpfen
(ihm) entgegen traten und (von ihm) erschlagen wurden; —
dessen Haupt umstrahlt wird von einem Diademe, das mit
den hellen Strahlen von zehn Millionen Demanten funkelt, die
durch seine Verbeugungen vor den Lotus-Füssen der Götter,
der Brahmanen und (anderer) Ehrwürdiger polirt sind; — der
einen Schatz von Verdienst, dem einzigen Mittel zur (Erlangung
des) Himmels, stets mehrt, indem er die Wünsche der Unglück
lichen, der Schutzlosen, der Kranken, der Fremdlinge und der
Bittsteller nach Hab und Gut ohne Beschwerde 3 befriedigt; —
der seine kluge, höfische Sinnesart offenbart durch die zuerst
mit Fussfall, dann mit süssen Worten erwirkte Besänftigung aus
Liebe erzürnter schmollender Frauen; — der die dichte Finster
niss des eisernen Weltalters in den Käfig seiner fleckenlosen
Tugenden stiess; — der die fünf mahä&abda 4 erworben hat; —
1 Der Ablativ gehört zu dem Verbum cfpa^frT ,richtet (folgenden) Be
fehl 4 an ... .
2 Ich gebe frei durch ,gleichsam 4 wieder. Der Vergleich gründet
sich auf den indischen Brauch, nach dem die Barden täglich in der
Morgenfrühe einen Lobgesang auf ihren Herrn anstimmen.
3 w * e m * r J e t z t scheint, die richtige Lesart,
und adverbiell als Vertreter von d. li. zu
fassen.
4 D. h. entweder ,(das Recht) die fünf grossen Musikinstrumente (spielen
zu lassen) 4 , oder ,fünf grosse Titel 4 , vgl. Indian Antiquary, Vol. V, p. 100
Note und Vol. £11, p. 95 f.
10
VIII. Abhandlung: Bübler.
richtet, im Besitze voller Gesundheit, (folgenden) Befehl nach
vorausgehender Ehrung 1 an alle Könige, Vasallen, Gutsherren,
Statthalter der Provinzen, Bezirkshauptleute, Dorfoberste,
Beamten und so weiter: ,Es sei euch kund, dass ich, behufs
Mehrung meines und meiner Eltern Ruhmes und Verdienstes
(im Himmel), dem aus Dasapura 2 ausgewanderten und in
dem Dorfe Ksirasara wohnhaften Brahmanen Sflrya, einem
Angehörigen des Bharadväja-Geschlechtes und Anhänger der
Väjasaneyi-Mädhyandina Schule, zur Bestreitung der Kosten
der fünf grossen Opfer — des Streuopfers, des Reisbreiopfers,
des Allgötteropfers, des Agnihotra [und der Brandopfer] 3 —
sowie anderer heiliger Handlungen ein Feld, das eine Aussaat
von einem pitaka 4 Reis, nach dem Provinzialmaasse, 5 erfordert
(und das) in der östlichen Mark des zu der Provinz Samgama-
khetaka gehörigen Dorfes Suvarnärapalli (liegt), — dessen
Grenzen durch die folgenden vier Male genau bestimmt sind,
im Osten durch die Grenze der Mark des Dorfes Ksirasara,
im Norden durch die Grenze der Mark des Dorfes Kukkuta-
vallikä, im Westen durch ein einem Brahmanen geschenktes
Feld, einen Banianen-Baum und einen Teich, im Süden durch
den nach dem Dorfe Suvarnärapalli führenden Weg —
sammt dem udraiiga. sammt dem Zinse der auswärtigen
Ackerbauer, sammt allen Abgaben und Auflagen, befreit vom
ditya, Frohnarbeit und prätibhedikä, befreit von der Betretung
durch irreguläre und reguläre Truppen, (in Uebereinstimmung)
1 Wegen der Uebersetzung von samanuvarnya durch ,uach vorausgehender
Ehrung- 1 vgl. B. W., unter varnay -)- arm.
2 Jetzt Man-Dasor im östlichen Rajputana vgl. Fleet, Corp. Inscr. Indic.,
Vol. III, p. 79, Note 2. Die Angabe ist gemacht um anzudeuten, dass
Sürya der Kaste oder Corporation der Dasapurlya Brahmanen angehörte.
3 Das eingeklammerte Wort findet sich nur in B. Richtiger Weise sollte
ätithya ,die Bewirthung von Gästen 4 nach agnihotra folgen.
4 Pitaka bedeutet gewöhnlich ,Korb‘, muss hier aber, wie SUrpa ,Korb,
Schwinge 4 ein bestimmtes Getreidemaass bezeichnen. Im Maräthi wird
pifakem nach Molesworth zur Bezeichnung einer Quantität von 1 / 8 Ser,
etwa ein */ 4 Pfund, verwendet. Dies ist indess hier zu wenig.
5 In Indien hatte fast jede grössere Stadt und jede Provinz ihre beson
deren Maasse. So kommt in den Inschriften aus Gujarat noch das Kheta-
kamäna ,das Maass der Stadt Khetaka 4 (Khedä) vor; vgl. Indian Anti-
quary Vol. XV, p. 336.
Zwei neue Lanäschenkungen des Gurjara-Fürsten Dadda-Prasäntaruga IV.
11
mit dem auf uncultivirtes Land bezüglichen Grundsätze, (mit
der Bedingung, dass die Schenkung gilt) so lange Mond, Sonne,
Ocean und Erde bestehen, mit Gewährung des Successions-
rechtes der Söhne, Enkel und (entfernterer) Descendenten (des
Empfängers), heute am fünfzehnten Tage der lichten Hälft» des
Monats 1 Vaisäkha durch eine Wasserspende geschenkt habe.
Desshalb muss von zukünftigen Herren der Provinz, seien
sie unseres oder fremden Geschlechtes, die den (himmlischen)
Lohn für Landschenkungen, dessen Genuss (allen Königen)
gemeinsam ist, zu erlangen, und auf lange Zeit einen Ruhm,
glänzend wie die Strahlen des Mondes, zu erwerben wünschen,
diese unsere Schenkung gutgeheissen und geschützt werden,
indem sie bedenken, dass das Leben unbeständig ist wie eine
Welle des sturmgepeitschten Oceans, dass Sinnesgenüsse ver
gänglich und werthlos sind, dass aber Tugend sehr langen
Bestand hat.
Wer aber, den Sinn von der Finsterniss der Unwissen
heit umhüllt, (diese Schenkung) wegnimmt oder erlaubt, dass
sie weggenommen wird, der soll mit den fünf Todsünden be
haftet sein. Und es ist von Vyäsa, dem Diaskeuasten der
Veden, gesagt:
,Wer Land schenkt, bleibt sechzigtausend Jahre im
Himmel; wer (Land) raubt oder den Raub gutheisst, der soll
ebenso viele (Jahre) in der Hölle weilen. 1
,Die, welche eine Landschenkung wegnehmen, werden in
den wasserlosen Einöden des Vindhya als schwarze Schlangen
geboren, die in trockenen Höhlen wohnen. 1
,Viele Könige, Sagara und andere, haben die Erde be
sessen; wem immer die Erde gehört, dem gehört der Lohn
(der früher gemachten Landschenkungen). 1
, Welch er Fromme wollte die Landschenkungen wieder
für sich nehmen, die frühere Fürsten gemacht haben um Ver
dienst, Glück und Ruhm zu erlangen, und die gebrauchten
Kränzen gleichen? 1
,Wache sorgfältig, o Yudhishthira, über (jede) Land
(-Schenkung), sei sie von dir selbst oder von Anderen gemacht;
bester der Landbesitzei’, Bewachen ist besser als Geben. 1
1 D. h am Vollmondstage, wie die Variante in B. ausdrücklich angibt.
12
VIII. Abh.: Bühl er. Zwei neue Landschenkungen des Gurjara-Fürsten etc.
Dieses ist im Jahre dreihundert zweiundneunzig am fünf
zehnten (lunaren Tage der) lichten (Hälfte des Monats) Vai-
säkha, (in Ziffern) Jahr 292 Vaisäkha lichte (Hälfte, Tag) 15,
nach dem eigenen mündlichen Befehle (des Fürsten) von Reva
geschrieben, der dem Ministerium für Allianzen und Krieg
vorsteht.
Dies ist die Hand(-schrift) des erlauchten Prasäntaräga,
des Sohnes des erlauchten Vitaräga, der sich an der Ver
ehrung der Fiisse des Sonnen(gottes) erfreut.
Uebersetzung von B. Z. 8—11.
.... Der erlauchte Dadda richtet, im vollen
Besitze seiner Gesundheit, (folgenden) Befehl an
,Es sei euch kund, dass ich dem Brahmanen Sürya
in der südwestlichen Mark des zu der Provinz
Samgamakhetaka gehörigen Dorfes Kslrasara ein Feld,
das zur Aussaat zehn prastha Reis nach dem grossen Maasse 1
erfordert, und dessen Grenzen durch folgende vier Male genau
bestimmt sind, an der Ostgrenze durch einen Ankolla-Baum,
im Norden durch einen Säka-Baum und einen Banianen-Baum,
im Westen durch einen Vihira- und einen Badari-Baum, im
Süden durch eine Salball (Salmali, Baumwollenbaum) und durch
einen (von) Gespenstern (bewohnten) Banianen-Baum
durch eine Wasserspende geschenkt habe.
1 Das ,grosse Maass 1 wird das sein, welches jetzt in Indien pakka genannt
wird und bei den meisten Gewichten u. s. w. neben dem kacca oder
kleinem vorkommt. So ist ein pakka Man ungefähr 40 Pfund, ein kacca
Man dagegen nur 20.
IX. Abh.: Haffner. Die Ilomilie des heiligen Ephram von Syrien etc.
l
IX.
Die Homilie des heiligen Ephräm von Syrien
über das Pilgerleben.
Nach den Handschriften von Rom und Paris
herausgegeben und übersetzt
von
Dr. August Haffner.
Einleitung.
In der grossen römischen Ausgabe der Werke des hei
ligen Ephräm von Syrien findet sich im VI. Bande (= III. der
syrisch-lateinischen Edition) unter der Kapitelüberschrift: Ser-
mones de diversis als sermo XVI. eine Homilie des Heiligen de
peregrinatione (p. 650 sq.), gleich den anderen in diesem Kapitel
mitgetheilten im siebensilbigen Metrum. Eigenthümlicherweise
aber zählt, entgegen der sonstigen Bildung von Strophen zu je
vier Versen diese Dichtung hier 79 Verse. Da über diesen
Gegenstand noch andere Handschriften vorhanden sind, die
zweifellos dem Verfasser der römischen Ausgabe nicht zur Ver
fügung gestanden, und ich in anderweitigen Ausgaben von
Werken des heiligen Ephräm nichts über diese Homilie und ihre
eventuelle Verstümmelung vorfand, wollte ich dieser auffallenden
Erscheinung nachgehen und wandte mich deshalb nach Rom
und Paris, um von den dortigen Handschriften über diese Ab
handlung des grossen syrischen Heiligen Abschriften zu be
kommen. Durch Vermittelung eines derzeit in Rom weilenden
Freundes, des akademischen Malers Herrn Philipp Schumacher,
und das freundliche Entgegenkommen des Herrn Secretärs der
Propaganda, Monsignore Miwschinsky, erhielt ich von dort die
Abschrift des gewünschten Manuscriptes (Assemanus, Biblio-
theca orientalis Clementino-Vaticana p. 149 Nr. 27) von der
Sitzuugsber. d. phil.-hist. CI. CXXXV. Bd. U. Abh. 1
IX. Abhandlung: Haffner.
Hand des hochw. Herrn Joseph Idabra, Procurators des sy
rischen Patriarchates in Antiochia, und durch Vermittelung
der Herren Professoren Dr. A. Barbier de Meynard und Dr.
R. Duval vom Herrn Abbe Chabot, einem Schüler des letzt
genannten Herrn, die Collationen, bezw. Abschriften der Pariser
Handschriften (H. Zotenberg, Catalogue des manuscrits syriaques
[mandaites] et sabeens de la bibliotheque nationale Nr. 197 und
Nr. 270); ausserdem noch später die Collation einiger Stellen
des karschunischen Textes durch Herrn Prof. Dr. R. Duval. Es
ist mir eine angenehme Pflicht, allen genannten Herren, welche
mir mit so grosser Liebenswürdigkeit und seltenem Zuvor
kommen zur Erlangung der Abschriften behilflich waren, auch
an dieser Stelle meinen tiefgefühlten Dank zum Ausdrucke
zu bringen.
Aus den Abschriften ergab sich nun folgende Merkwürdig
keit: wie die Handschrift der Propaganda in Rom, so besitzt
auch der Pariser Codex Nr. 197 nur die ersten 79 Verse der
Homilie, während die Pariser Handschrift Nr. 270 im Ganzen
160 Verse enthält neben der vollständigen karschunischen Paral
lele; es sind also, wenn nicht die römische Handschrift und
die Pariser Nr. 197 in einer directen Abhängigkeit stehen,
beide nach einer Vorlage angefertigt, die mit dem 79. Verse auf
einem Blatte endigte, und deren Fortsetzung ihrem Schreiber
entgangen oder von ihm verloren war.
Bemerkenswerth ist, wie hiebei in der römischen Hand
schrift und nach ihr in der Ausgabe von Assemanus die
Strophenabtheilung erfolgte: erstere punktiert die Strophen
abtheilung regelmässig nach je vier Versen bis Vers 52, dann
theilt sie, ohne Rücksicht auf den Inhalt nach Vers 59 ab,
und von da regelmässig nach je vier Versen bis Vers 79; Asse
manus dagegen regelmässig bis Vers 40, dann nach Vers 42
und Vers 48, und von da an wieder gleichmässig nach je vier
Versen bis zum Schlüsse, so dass die letzte Strophe nur drei
Verse enthält.
Ich habe die regelmässige und gewöhnliche Abtheilung
in Strophen zu je vier Versen beibehalten; hiebei wurden die
Verse 56 und 57, sowie 63 und 64, wie sie sich in der
grossen römischen Ausgabe gemäss den Handschriften finden,
ausgelassen, und so die ursprünglichen Strophen 14—16 in
Die Homilie des heiligen Ephram von Syrien über das Pilgerleben.
3
zwei vierzeilige Strophen zusammengezogen, da mit dem 59.
und 65. Verse gewiss jedesmal eine neue Strophe beginnen
muss, und mir zur Annahme zweier sechszeiliger Strophen nicht
genug Anlass vorzuliegen scheint, nachdem die ausgelassenen
Verse sicher nur spätere Zusätze und Weiterführung der be
treffenden Gedanken sind, die einen anderen Autor als den
heiligen Ephräm haben; dementsprechend enthält also der ge
gebene Text nur 156 statt der Vorgefundenen 160 Verse. —-
Von diesen werden noch die vier im Texte durch eckige
Klammern bezeichneten Verse, Strophe 18 Vers 1 und 2 als
ursprünglicher Zusatz am Rande, und Strophe 20 Vers 1 und 2
als erklärende Glosse, zu tilgen sein; vgl. die Anm. zu Str. 18.
Der karschunische Text schliesst sich im Ganzen sehr
eng an die syrische Vorlage an, ist jedoch an manchen Stellen
weitläufiger, selten kürzer gefasst und auch hie und da freier
gegeben. Ueber das Sprachliche findet sich das Nähere in
den Anmerkungen.
Die Homilie ist auf folgendem Gedankengange aufgebaut:
Das Pilgerleben ist ein sehr beschwerliches, voller Mühsale,
Demüthigungen und Verdächtigungen; gleichwohl ertrage der
Pilger diese mit Freuden, denn sein Lohn ist schon hienieden
die Liebe der Gottergebenen und Auserwählten, und in der
Nachfolge Christi wird er seihst vollkommen. Unbeirrt durch
Versuchungen und durch geringere Vergehen nur zu neuem
Kampfe gegen die Nachstellungen des Teufels angeeifert, richte
er sein Augenmerk vor Allem auf die Bewahrung der Keusch
heit, denn deren Verletzung wäre sein Untergang und seine
Verzweiflung. Er sei daher nicht stolz auf die Ueberwindung
kleinerer Versuchungen, sondern betrauere seine Unvollkommen
heiten und Irrungen, denn nur ein zerknirschtes Herz giebt
Sicherheit vor sündhafter Regung. In diesem schweren Kampfe,
in dem die Befreiung von fleischlicher Lust allein den end
lichen Sieg gewährt, sei er standhaft und tapfer, demüthig
und nicht kleinmüthig, und vertraue auf Gott und dessen
Barmherzigkeit.
Poetischer Sinn und Lebhaftigkeit der Darstellung zeichnen
auch diese Dichtung des heiligen Ephräm in hohem Grade aus,
wobei die Sprache, wie ja auch in anderen Liedern der ,Harfe
des heil. Geistes“ sich oft an ,Bilder, Aussprüche und Vor-
1*
4
IX. Abhandlung: Haffner.
Stellungen der Bibel' anlehnt. (Vgl. Baumgartner, Die Dich
tungen des heil. Epliräm des Syrers' in: Stimmen aus Maria
Laach, 1896. Heft 2.
Indem ich diese bislang nur unvollständig bekannte Ho-
milie des grossen syrischen Heiligen der Oeffentlichkeit über
gebe , erfülle ich gerne die Pflicht, meinem hochverehrten
Lehrer, Herrn Professor Dr. Gf. Bickell, der die Ausgabe zu
überprüfen so gütig war, und mit manchem nützlichen Winke
und Rathe meine Arbeit förderte, auch hier meinen besten
Dank auszusprechen.
Syrischer Text.
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Die Homilie des heiligen Ephram von Syrien über das Pilgerlehen.
11
^.IjJ^a.k' ct3^,^,=.jsc\ cra_^_i<''i’v= rcTcnJ^zaK-Vci
K«\il<t\ -a-S^-CViaH ,_>3 -jJK' >A\.j) A.<\ r cUT<' Kia wen
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.;. v ,K V ‘ ~ r - T^-* vyAviaKcn V^CVAj vy"Vx^C\
12
IX. Abhandlung: Haffner.
rOr<CV vyilOa^O VOAJ -X-OAaj iO^V*Aa<\ 39
aji.^3 cnasa rA^rCcv _«.^v=t<<\ cn*.± ^gnAvsrCcx joK'i-äK'
.;. tC,<~\,.2jAt<' VT^Vä-^CV ^OJ^Ttr
^»>aT^
Uebersetzung.
Homilie des heiligen Ephram über das Pilgerleben.
1. Das Pilgerleben ist sehr beschwerlich,
Ein Weg voll Mühen für den Unerfahrenen,
Und für alle Thörichten eine Plage,
Sowie für die Einfältigen eine Beschwerlichkeit.
2. Und für die Weisen ein Kampf,
Und für die Armen eine Pein,
Wie für die Angesehenen hinwieder eine Herabsetzung,
Und für die Reichen eine Demüthigung.
3. Wer also auf die Pilgerfahrt sich begeben will,
Der sage sich los und verzichte auf seine Ehrung,
Und nur den Schimpf erwähle er sich,
Denn so erfordert es die Gebühr.
4. Sein Bett wird die Erde sein,
Und einen Stein legt er unter als sein Kissen,
Und am kalten und frostigen Tage
Muss er im ganzen Lande herum anklopfen.
5. Und während an reichlicher Nahrung voll die Erde,
Bleibt ihm selbst doch nur Hunger beständig,
Und während das Wasser sonst in Ueberfluss vorhanden ist,
Brennt ihn selbst der Durst.
6. Und während jeder Andere in seinem Plause sich’s be
haglich macht,
Ist seine Seele gequält,
Und er verachtet wie ein Schädling,
Und schuldlos geschmäht.
7. Der Eine nennt ihn Dieb,
Und der Andere schlechten Sklaven,
Der Eine nennt ihn Bettler,
Und der Andere Vagabund.
Die Homilie des heiligen Ephram von Syrien über das Pilgerlehen.
13
8. Der Eine nennt ihn Verführer,
Und der Andere Feind seines Landes,
Der Eine nennt ihn Spion,
Und der Andere Einbrecher in Häuser.
9. Der Eine nennt ihn vom Teufel besessen,
Und der Andere kenntnisslos.
Und der Eine wiederum nennt ihn Thor,
Und der Andere unverständig.
10. Solche und solcherlei Beschimpfungen
Sind aufgestellt für das ganze Pilgerleben,
Und wer daher wünscht sich diesem hinzugeben,
Der ertrage zuerst Unannehmlichkeiten.
11. Lasst uns erdulden diese Leiden,
Und ertragen alle Beschwerden,
Ihr Diener Christi, meine Brüder,
Denen das Pilgerleben lieb ist!
12. Wohin immer aber er sich wendet,
Jeder Einzelne von den Gottergebenen,
Vor ihm her geht seine Ehre,
Und seine Brüder kommen, ihn zu begrüssen.
13. Und sie umarmen ihn in der Pilgerschaft,
Und fallen in Ehrfurcht vor ihm nieder, sie alle,
Und tragen ihn in ihren Armen
Und führen ihn in ihre Behausungen.
14. Und sie salben und küssen seine Fiisse,
Und bereiten vor ihm den Tisch,
Und setzen auf diesen allerlei Gutes,
Und erquicken damit wiederum seine Seele.
15. Wer Christus sucht,
Der gehe auf die Pilgerfahrt, ihn suchen.
Und, siehe, er wird ihn in Wahrheit finden,
Gott, im Pilgerleben.
16. Wer die Vollkommenheit anstrebt,
Der erwähle sich das Pilgerleben;
In diesem kann er vollenden
Jenen Weg, in dem er unterwiesen worden.
17. Und er wird gereinigt von den Vergehen,
Und geläutert von den schlechten Eigenschaften,
Und er entäussei't sich von Allem
14
IX. Allhandlung: Haffner.
Und nimmt Erduldnng und Demüthigung auf sieb.
18. [Und wenn er auch noch auf Erden weilt,
So ist doch sein Herz im Himmel.]
Wer also vollkommen zu sein wünscht,
Der gehe aus seinem Orte und lasse sich belehren;
19. Dort erwirbt er sich Weisheit,
Und wird demüthig in der Fremde.
Und lernt gute Sitten,
Und schliesst sich an die der Vollkommenen,
20. [An jene, welche die Macht haben,
Wenn er wünscht, dass sie ihm helfen,]
Und er tritt nieder seinen Willen,
Und thut den Willen seiner Rathgeber.
21. So oft auch unterliegt in allen Kämpfen,
Der Einsame im Streite,
Nicht entfremdet er sich seiner Krone
Wegen des Gesetzes seines Wandels.
22. Denn alles Straucheln und alle Schläge
Reizen ihn nur wieder zum Kampfe;
Wenn er aber an ein Weib sich wegwirft,
So ist er fertig mit dem Streite.
23. In dem Falle hat ihn der Satan erniedrigt,
Und er hat die Krone von seinem Haupte genommen,
Er hat ihn gefesselt unter seine Füsse gelegt,
Und ist tretend auf seinen Nacken gestiegen.
24. Dann schweigt seine Zunge,
Dann hat er ihn beraubt seiner Waffen;
Dann hat ein Ende für ihn
Sein ganzer Kampf mit dem Widersacher.
25. 0 unsägliches Unglück!
O Stunde der Verzweiflung!
0 schmerzvolle That!
0 herzbrechender Anblick!
26. Ausgehalten hat er die Fülle der Leiden
Und das Pilgerleben und die Armuth,
Und Weinen und Hunger und Abtötung:
Und entäussert sich seiner verdienstlichen Werke!
27. Es ist voll Trauer für die Verständigen,
Und ganz eine Sache des Weinens:
Die Homilie des heiligen Ephram von Syrien über das Pilgerlehen.
15
Der ganz heilig war,
Ist dem Leibe eines Weibes genaht!
28. Wehe mir, mein Inneres ist erregt,
Verdunkelt sind meine Augen vor Schauder:
Vielleicht werde ich ein solcher sein
, Nach einer langen Reihe von Jahren!
29. Wohin soll ich gehen mich verbergen?
Wo soll ich meine Zuflucht suchen?
Ich rufe den Tod an, aber er antwortet nicht,
Wehe mir, lange dauert mein Weilen! 1
30. 0 Kraft, die Alles hält,
Und Arm, der die Welt trägt,
Gieb mir Weinen ohne Auf hören,
Damit ich trinke meine Thränen becherweise!
31. Gieb mir, dass ich mich wasche in meinen Thränen,
Gieb mir Traurigkeit ohne Ende,
Und nimm von mir alle Fröhlichkeit,
Die Thür zu aller Lässigkeit!
32. Nicht wird lässig der Sinn,
Und nicht regt sich eine sündhafte Regung
In einem zerknirschten und betrübten Herzen,
Das traurig und voll Klagen.
33. Dies ist jener Kampf,
Welcher bezeichnet wird mit dem ausgezeichneten Namen:
,Kampf bis aufs Blut' 2 nennt man ihn,
Denn mit dem Blute der Seele wird der Sieg darin erfochten.
34. Für nichts erachte ich all die Siege
Von der Jugend bis zum Alter
Und jeglichen Triumph des Pilgers,
Wenn er unterliegt in diesem Kampfe.
35. Schüttle von dir die schmutzige Begierde,
Und speie ihn an, den Dämon der Unreinheit,
Und nicht erzürne dich über deinen Bruder,
Und ereifere dich nicht über deinen Mitmenschen.
36. Verschliesse dich gegen den Teufel,
Der dich hasst und deinen Bruder mit dir;
Fürchte dich nicht vor den Schrecknissen
1 Ps. 119, 5.
2 Hebr. XII, 4.
16
IX. Abhandlung: Haffner.
Der Dämonen, Ausgeburten der Nächte.
37. Aengstige dich nicht wegen der Verdrossenheit,
Die tagsüber bei dir ist,
Und zittre nicht vor dem bösen Geiste,
Dem frechen und lästernden.
38. Wirf auf ihn einen Stein aus der Schleuder:
Worte aus den Psalmen,
Es kehre zurück deine Lästerung auf dein Haupt,
Du Teufel und lästernder Dämon!
39. Und unser Herr, Jesus, sei gelobt,
Und ich, sein Diener, will mich seiner freuen,
Und will von ihm Verzeihung erbitten,
Wie auch Vergebung der Sünden.
Amen.
Anmerkungen.
Das Karschunische ist naturgemäss in einem späten sy
rischen Dialecte des Arabischen geschrieben und weist dem
entsprechend jüngere Formen in Declination und Conjugation,
wie auch Abweichungen in der Syntax auf; vgl. hiezu Wahr
mund, Handbuch der neuarabischen Sprache, und Wetzstein,
Sprachliches aus den Zeltlagern der syrischen Wüste, ZDMG.
XXII.; einiges Bemerkenswerthe siehe an den betreffenden
Stellen.
Cod. Par. 270 hat vor dem Titel noch -cjoZ. und dement
sprechend im Karschunischen rd-^rd
Kar. Mscr. Iqjj ;
Mscr. abgekürzt: KöArd
1. Syr. Cod. Par. 197:
Kar. Mscr. wie auch später öfter, wahrscheinlich unter Ein
fluss der syrischen Vorlage, statt _^\. s_.
m r-i.lpArVey ohne Hinweis im Cod. am Bande.
2. Kar. rdnan..^ mit rd am Schlüsse, um das voraufgehende
Wort als Substantivum zu kennzeichnen.
Mscr. "rxArd und
Zur Transposition . -,S statt yS vgl. Wetzstein, 1. c. 117
(bis) 164.
Die Homilie des heiligen Ephram von Syrien über das Pilgerlehen.
17
Beachtenswert}! ist der Plural dem ein Singular
entsprechen würde (jAä\).
3. Syr. Cod. Par. 270 an Stelle von za=ci\
Kar. Zu am Schlüsse W statt zu erwartendem j.
ohne Femininendung des Adjectivs, welches
vollständig indeclinabel gebraucht erscheint.
4. Syr. Cod. Rom. V“ 0 -
Cod. Par. 270
Assemanus setzt hier, entgegen den Handschriften: Vaz>
VAz, w ie es auch dem Gebrauche von .iü (vgl. Payne
Smith, Thes. syr. s. v.) entsprechen würde, doch er
scheint mir diese Correctur nicht unbedingt notliwendig,
da das selbstverständliche Object zu -*zz hier wohl auch
fehlen kann.
Kar. Mscr. cnXvya. für
5. Syr. Cod. Rom.
Kar. Auffallend ist die Weiterführung des Satzes mit 5 ,
wie ebenso in Str. 6.
Mscr. für »U3.
6. Kar. Mscr. ctutCoAcv cn/va A-J.
Mscr. -V.s- statt Ajs_ v. s.
8. Kar. Zur Form: JJLi statt JU= vgl. Wahrmund, 1. c.
p. 83.
Mscr. Anzu.
vgl. Fraenkel, Die aramäischen Fremdwörter im
Arabischen, p. 243.
Mscr. cna "v/va n-c\K~ für
9. Syr. Cod. Par. 197. bb*--
Kar. Das m\n-n hinter ist ein mir unerklärliches
Wort, vielleicht zu lesen: minzj = aXSjo (?).
. 1 < v ' v i y, wäre eine mögliche Adjectivbildung von k,L;
vielleicht aber standen an dieser Stelle drei Adjective (wie
z. B. in der ersten Strophe drei Substantive für b*-*-°)
die dann h^L, gUJLi» und JaU. lauteten, und von denen
die beiden ersten durch die gleiche Schreibung von Jp
und L im Karschunischen (^) in einander geflossen sind.
10. Kar. hier, wie auch später (Str. 18) ohne folgende
Conjunction, gegenüber Strophe 3, wo der abhängige Satz
durch verknüpft ist.
Sitzungsher. d. phil.-hist. CI. CXXXV. Bd. 9. Abh.
2
18
IX. Abhandlung: Haffner.
11. Syr. Cod. Par. 270. ^JJo.
Cod. Rom. und Cod. Par. 270 abgekürzt: ö r üi>.
Kar. Mscr.
Mscr.
12. Syr. Cod. Rom. abgekürzt: 52»^.
Cod. Par. 270 abgekürzt: 5»|.
13. Syr. fehlt im Cod. Par. 270.
Cod. Par. 197 beginnt Vers 50 und Vers 51
auch wieder mit
Cod. Rom.
Kar. Mscr. v
Mscr. -}sCTa_5.
14. Syr. Cod. Rom. und Cod. Par. 197 abgekürzt: qLmoä.
Cod. Rom. abgekürzt: ö^.o.
Cod. Par. 197
Kar. Mscr. r<«w>3j*-ac\.
üoJLJl vgl. Fraenkel, 1. c. p. 83.
Mscr. vcu»j)T_,c\.
indecl. gebraucht, obschon später (Str. 25) auch
vorkommt.
15. Syr. Cod. Par. 270 p-»|o.
Kar. Mscr. cnMVrC' iCV
-»''■i 1 ohne vorhergehendes o.
VcvV=c\ für
für
Ausgelassen wurden hier die Verse 56/57:
,| * » y, • p * y y
cu-i. <_.*.^,oaiLoo
«n » 7 . P x „ 7
(71^.0^01 T __ cn__- _i._t.alDO
und 63/64:
x 0 0 tv <»i y y
culi- oriVrtn
o y\ t * ti ti y o
mit dem entsprechenden karschunischen Texte:
Cnt\,N CTlA V CVVVa-iC\ CT3V(Ujx>(\
und
vyiA.j tCAcv ^pcn_=> |Or<c\Av. )*jAc\ oiT-S>A-< j ^mV-, ■<>
Syr. Cod. Rom. ^1,-.
16. Kar. Mscr. ctx=A^At<^
17. Kar. Transposition, vgl. Wetzstein, 1. c.
Die Homilie des heiligen Ephram von Syrien über das Pilgerlehen.
19
18 — 20. Ich hatte zuerst gemäss der Handschrift hier,
wie der Text zeigt, drei Strophen zu je vier Versen
angenommen und die wohl schwer zu haltenden zwei
ersten Verse der Strophe 20 durch ein eingeschobenes, im
Manuscript nicht Vorgefundenes, o vor —einiger-
massen selbständiger zu machen gesucht, wenngleich in
diesem Falle zwischen den Strophen 19 und 20 keine
schärfere Abgrenzung der Gedanken vorhanden gewesen
wäre, und hiebei an den engeren Anschluss auch in den
beiden ersten Strophen dieser Homilie gedacht. Ich bin
jedoch der Ansicht geworden, dass diese beiden Verse
eine selbst grammatisch anschlusslose Glosse zum letzten
Verse der 19. Strophe darstellen und dementsprechend
zu tilgen sein werden. Ebenso sind auch die beiden
ersten Verse der Strophe 18 zunächst wohl nur eine
Randbemerkung gewesen und erst später in den Text
aufgenommen worden, so dass sich der echte Text hier
gemäss der gemachten Interpunction mit Fortlassung der
in eckigen Klammern stehenden vier Verse gestalten
müsste, deren Verlegung in die Anmerkungen (wie bei
den ursprünglichen Strophen 14—16, jetzt 14. und 15.
Strophe) unterblieben ist, um in dem bereits vorge
schrittenen Drucke des Textes eine Störung zu ver
meiden.
18. Syr. Cod. Rom. abgekürzt:
Kar. ohne folgendes o! v. s. (Str. 10).
19. Kar. defectiv geschrieben, wie auch später noch
manchmal der Infinitiv der VIII. Form (vgl. Str. 28. 31).
statt pl. von
20. Syr. Cod. abgekürzt: SäfTNv».
Kar. Auffallend ist die abweichende Schreibung mit
statt cd in und AvirC'nrC'
Mscr. crj^nrC'V
21. Syr. Mscr. ohne \
Kar. vgl. Fraenkel, 1. c. p. 62.
22. Kar. Mscr. knAArVn.
comm. gebraucht.
Mscr. Aiv wohl statt If. H.
2*
20
IX. Abhandlung: Haffner.
Das Wort ist hier zweimal, wie das syrische
in der folgenden Strophe, umgekehrt auf die Zeile
gesetzt.
vgl. Fraenkel, 1. c. p. 267/268.
23. Kar. Mscr. ■^jcnK'cv
24. Die zwei ersten Verse fehlen, wohl wegen des gleichen
Anfanges mit dem Folgenden übersehen, der karschuni-
schen Parallele in der Handschrift.
25. Kar. Mscr. cnjrCAAKi
Das rF am Schlüsse von rVh.oa.nAK' wohl Ersatz eines
eventuellen ca, da das Wort als Femininum gebraucht
ist; möglicherweise vertritt es auch ein langes cc, .welches
mitunter an Vocative tritt.
26. Syr. Cod. abgekürzt: a.h^oo.
Kar. Mscr. -x.h.nArVcv
Mscr. a.t<!otAK<\.
27. Syr. Cod. m-4.a erst hinter im dritten Verse.
Cod. abgekürzt öS-»!? und 5ö-o.
Der karschunische Text ist hier nicht ganz klar gehalten,
jedenfalls wegen des verderbten syrischen Textes; sodann
dürfte auch der Uebersetzer statt V*--^? ein 1*=? gelesen
oder vermuthet haben, was das sonst nicht direct be
gründete ysU» und das Fehlen eines Ausdruckes für
erklären würde.
28. Syr. Mscr. H?icuo.
Mscr. V 3 ! Jo?.
Kar. Mscr. cntj^.iAr<^
Mscr. statt eines defectiv geschriebenen ^Ihüh (oder
AöÄM) v. s.
29. Syr. Im Cod. fehlt das FM vor dem zweiten Verse.
Mscr. '-»ZooZo |Zj^jo.
Kar. Mscr. t_£v-
Mscr. XLxJp.
Mscr.
30. Kar. Auffallend ist das W in ^IhSil U, wie es sich ähnlich
noch weiter unten (Str. 34. 36. 39. j-ijk\)
findet.
Die Homilie des heiligen Ephram von Syrien über das Pilgerlehen.
21
31. Syr. Mscr. p-^1.
Kar. Mscr. V*L>.
defectiv geschrieben v. s.
32. Syr. Mscr.
Kar. für
Mscr.
Transposition (v. s. Str. 18 vgl. Wetz
stein 1. c.
Mscr. für
33. Syr. Cod. abgekürzt: °X-»1 und Söo|^d.
Kar. Mscr.
Gemeint ist jedenfalls die Stelle in den Evangelien Matth.
10, 39. 16,'25. Marc. 8, 35. Luc. 9, 24. 17, 33.
34. Kar. Zu v. s. (Str. 30).
Mscr. cn.*:njsc\ statt
35. Syr. Cod. jZa*jjo.
Kar. Mscr. wyOuiK” s...
36. Kar. Mscr. Wem Ai wohl mit fehlendem .= am Schlüsse zur
Schreibung des W v. s. (Str. 30).
37. Syr. Mscr. zusammengezogen.
L-gar. ,Kleinmüthigkeit‘ oder ,Verdrossenheit' bezeichnet
die in den ascetischen Schriften sogenannte az-rjäta, acedia;
vgl. Joannis Cassiani opera omnia, über X.
Kar. .oV^nA* wie oben (Str. 32).
und vgl. Fraenkelj 1. c. p. 227/228.
38. Syr. Cod.
Kar. Mscr.
Zu rC'icoaiÄs vgl. Fraenkel, 1. c. p. 248.
39. Syr. Mscr. plo.
Kar. Zur Schreibung v. s. (Str. 31).
X. Abhandlung: v. Sickel. Römische Berichte. II.
l
X.
Römische Berichte.
Von
Dr. Th. R. von Sickel,
wirkt. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
II.
(Mit zwei Tafeln.)
TI. Das Gfcneralregister der an die Concillegaten
gerichteten Proposte.
1. Von dein Generalregister, welches 1565 amtlich als mit den
Minuten übereinstimmend beglaubigt tvorden ist, haben sich nur
Thcil II (Januar bis October 1562) und III (Octobcr 1562 bis
Decembcr 1563) erhalten. Ersatz für Theil I bietet ein unter
Gregor XIII. angelegtes GR. für 1561.
Die Besprechung der einzelnen Register der conciliaren
Correspondenz beginne ich am täglichsten mit der des tom. 55,
eines Bandes von ganz schlichtem Aussehen, ohne alle Bezeich
nung auf dem Einbande, im Eingänge defect, daher auch ohne
Titel, 1 aber, offenbar um des hohen Werthes willen, welchen
die betheiligten Personen auf die hier gebotene Briefsammlung
legten, vor allen anderen aus gleicher Quelle stammenden Bänden
ausgezeichnet durch förmliche Beglaubigung als Amtsregister.
Unmittelbar auf den letzten hier eingetragenen Brief (fol. 407,
s. Facsirhile I) folgt nämlich die Erklärung: concordat cum
originalibus minutis Ptolomaeus cardinalis Comensis, und zwar
von diesem eigenhändig geschrieben. Diese Recognition kann
erst nach dem 12. März 1565, an welchem der Geheimsecretär
Galli zum Cardinal creirt wurde, und muss noch zu Lebzeiten
Pius IV., also im Laufe des Jahres 1565 stattgefunden haben.
Gewiss hatten diejenigen, welche die so wichtige Corre
spondenz mit den Concillegaten geführt oder besorgt hatten,
1 Weitere Beschreibung’ folgt S. 35.
Sitzungsber. d. pbil.-bist. CI. CXXXV. Bd. 10. Abh.
1
2
X. Abhandlung: v. Sick ei.
auch das grösste Interesse, dass sie in der an der Curie von
jeher üblichen Weise der Registrirung der Nachwelt überliefert
werde, wie wir denn auch in tom. 55 Notizen eingetragen
finden werden, welche zweifelsohne auf persönliche Erinnerung
zurückgehen. Selbst wenn man, was unwahrscheinlich ist, erst
nach dem Schlüsse des Concils mit dem Copiren der Briefe
begonnen haben sollte, würde das Jahr 1564 genügt haben,
diese Arbeit, obwohl sie nicht in einem Zuge durchgeführt
worden ist, zu bewältigen und die Abschriften auch noch, wie
es thatsächlich geschehen ist, zu revidiren und zu corrigiren.
Spricht schon das dafür, dass auch die Beglaubigung noch im
Jahre 1565 erfolgt sei, so stösst die andere Annahme der
Entstehung und Vollendung von tom. 55 unter den nächst
folgenden Päpsten Pius V. und Gregor XIII. auf mehr als
eine Schwierigkeit. Unter jenem war der Cardinal von Como
von jeder amtlichen Thätigkeit ausgeschlossen, und trat er
dann unter Gregor XIII. wieder an die Spitze des Geheim-
secretariats, so würde er die Registrirung der conciliaren Corre-
spondenz nach den Minuten erst nach mehreren Jahren haben
anordnen können. Es geht nämlich aus den wenn auch
lückenhaften und zum Theil unbestimmt lautenden Nachrichten,
welche ich im Excurs IV zusammenstelle, mit Sicherheit hervor,
dass der Cardinal Borromeo, als der Tod des Oheims seinem
Regimente ein Ende machte, die gesammten aus diesem stam
menden Akten und insbesondere auch die auf das Concil bezüg
lichen mit Vorbedacht an sich genommen hatte, dass er der
Aufforderung Pius V., sie an die Curie abzuliefern, nur unter
Bedingungen Folge leisten wollte, welche nicht erfüllt wurden,
und dass auch unter Gregor XIII. noch einige Zeit verstrich,
bevor dieses Material an die Curie kam. Da tom. 55 unter
solchen Umständen gar nicht entstehen konnte, haben wir ihn
als schon unter Pius IV. und von dem damaligen Personal
des Geheimsecretariats geschrieben und sofort auch unterfertigt
zu betrachten. In etwas kommt diese relative Gleichzeitigkeit
auch der Glaubwürdigkeit zu statten, an welcher uns so gut
wie den Zeitgenossen gelegen ist. Nebenbei hat sie besonderen
Werth für die Untersuchungen, welche ich hier anstellen will.
Als Prototyp der in jenem Amte geführten Register bietet uns
tom. 55 den sicheren Massstab für die Prüfung und Abschätzung
Römische Berichte. II.
3
anderer Exemplare, vornehmlich derer, welche den äusseren
Merkmalen nach noch in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts
gehören. Ich halte es für durchaus berechtigt, die tom. 55
ganz gleichen Register, obwohl sie der ausdrücklichen Recogni-
tion entbehren, als in demselben Secretariat und unter dem
selben Pontificat entstanden zu bezeichnen, desgleichen die ihm
in gewissen Punkten gleichen, in anderen Punkten dagegen
jünger erscheinenden Bände als zwar ebenfalls im Geheim-
secretariat, aber erst unter den folgenden Päpsten angelegt.
Welchen Inhalts und von welchem Umfange ist nun dieser
so gut beglaubigte Band? Die erste Frage will ich hier vorerst
nur im Allgemeinen beantworten, soweit als es schon bei flüch
tiger Durchsicht geschehen kann. Jedem der hier eingetragenen
Briefe geht eine Ueberschrift voraus, welche als Adressaten
einen oder mehrere oder auch die gesammten Legaten des
Trienter Concils nennt; dementsprechend ist in allen Briefen
von Concilangelegenheiten die Rede. Dagegen werden der
oder die Schreiber der regelmässig von Rom datirten Briefe
nicht ein Mal namentlich aufgeführt. Es bedurfte dessen eben
nicht in einem Expeditsregister, denn stammte dasselbe, wie
die Recognition bezeugt, aus dem Geheimsecretariat, so konnten
die Autoren keine anderen sein als diejenigen, welchen dieses
Amt als Organ diente, nämlich dazumal der Papst und sein
Nepote Cardinal Borromeo, und es genügte, in irgend einer
Weise die Papstbriefe als solche kenntlich zu machen und so
beide Kategorien auseinanderzuhalten. Es liegen uns also hier
auf das Concil bezügliche Proposte vor, wie die in die Ueber-
schriften aufgenommenen Zeitmerkmale beweisen, chronologisch
geordnet, und da hier proposte in commune und proposte in
particulari in eine Reihe zusammengestellt worden sind, erscheint
tom. 55 als ein Stück eines, wie ich zu sagen vorgeschlagen
habe, Generalregisters. Und zwar beginnt dies Stück mit dem
7. October 1562 und reicht bis zum 11. December 1563.
Dass mit letzterem Datum die Correspondenz Rom—Trient ab-
schliesst, bemerkte ich schon I, S. 53. Dass sie aber in unserem
Bande mit dem erstgenannten Datum anhebt, ist lediglich
Zufall: es liegt auf der Hand, dass in tom. 55 nur eine Fort
setzung oder genauer gesagt der Schluss des für die betreffende
Correspondenz angelegten GR. erhalten ist.
1*
4
X. Abhandlung: v. Sickel.
Erinnerte ich mich nun, im Vaticanischen Archive, in
welchem ich von Material aus der Zeit Pius IV. ausser den
Concilakten vornehmlich die aus derselben Werkstätte hervor
gegangenen Nuntiaturen ins Auge gefasst hatte, bereits jenem
Bande gleiche oder doch ähnliche Handschriften gesehen zu
haben, so liess ich alle Bände der beiden Abtheilungen noch
mals Revue passiren, um an sie den jetzt gewonnenen Mass
stab anzulegen und um womöglich wieder aufzufinden, was
tom. 55 vorausgegangen sein musste. Meine Mühe wurde durch
zwei glücklich ineinander greifende Entdeckungen belohnt. Die
erste bestand darin, dass ich auf fünf umfangreiche Register
fragmente stiess, welche mehr oder minder dieselbe Combi-
nation an äusseren und inneren Merkmalen aufweisen, deren
Bedeutung mir durch die Recognition von tom. 55 erschlossen
worden war: nämlich ein in Nunziatura di G-ermania 10 ge-
rathenes Fragment und vier in N. di G. 4 zusammengebundeno
Bruchstücke. Eines derselben, ich will es NG. 4° bezeichnen,
muss und werde ich gleich eingehend besprechen. Von den
anderen genügt es hier, unter Hinweis auf den Excurs V, in
welchem ich die beiden Nuntiaturbände genau beschreibe und
den Nachweis liefere, dass sie alle aus dem Geheimsecretariat
Pius IV. stammen, den Hauptinhalt und die Bestimmung an
zugeben.
In dem f. 154 beginnenden zweiten Theile von NG. 10
liegt uns, wie die Aufschrift besagt, das Registro di lettere
scritte a Mons. Delfino (Nuntius am Kaiserhof) vor, also eben
falls ein Expeditsregister, welches vom 21. September 1560 bis
zum 27. März 1563 reicht. — Als Fortsetzung desselben er
scheint NG. 4 d , welches Fragment mit einer Proposte an den
selben Nuntius vom 3. April 1563 anhebt und gleiche Schreiben
bis zum 5. October 1565 bietet; dazu kommen Weisungen an
andere damals am Kaiserhofe weilende ausserordentliche und
ordentliche Nuntien bis zu einer Proposte an Melchior Biglia
vom 1. December 1565, wohl der letzten aus dem Pontificate
Pius IV. — Dass NG. 4 b gleichfalls ein Expeditsregister ist,
lehrt schon die Heberschrift zu dem ersten Briefe: al S. car-
dinale di Ferrara legato in Francia; es umfasst die Jahre
1561 und 1562. — Dagegen liegt in NG. 4“ nur eine Auslese
von Briefen in Registerform vor, von Briefen, welche der Papst
Komische Berichte. TI.
5
und der Cardinal Borromeo im Jahre 1560 an verschiedene,
theils in Spanien heimische, theils von der Curie dahin ge
sandte Personen gerichtet hatten; aber wie diese Briefe nur
im Geheimsecretariat zur Verfügung standen, so ist dort auch
die Auswahl getroffen und die Arbeit ausgeführt worden, so
dass NG. 4 a bis auf einen Punkt ganz so wie die zuvor auf
gezählten Register angelegt und ausgestattet worden ist.
Der dritte Theil von NG. 4 oder 4 C wird gleich durch
die Ueberschrift zu dem ersten Briefe A li R mi legati a di VII.
di Gennaro als zur conciliaren Correspondenz gehörig gekenn
zeichnet, und folgen dann auf f. 186—342 in chronologischer
Ordnung bis zum 3. October 1562 fortlaufende Schreiben an
die Legaten insgesammt oder an einzelne, genau so behandelt
und geschrieben wie die Briefe in tom. 55, so ist uns in diesem
Fragmente zweifelsohne der zweite Theil des Originalregisters
erhalten, als dessen letzten Theil wir tom. 55 kennen lernten. 1
Indem dieser zweite Theil frühzeitig mit Nuntiaturregistern
zusammengebunden worden ist, ist er allen denen, welche den
Concilakten des Vaticanischen Archivs nachgeforscht haben,
entgangen und sind die nur in ihm überlieferten Briefe bisher
unbekannt geblieben. 2 Ich aber kann mich fortan, insoweit
1 Dass zwischen dem am Schlüsse verstümmelten NG. 4 C und tom. 55 eine
Lage fehlt, kann ich erst später zeigen.
2 Das klingt so seltsam, dass es eingehender Erklärung bedarf. Zunächst
bemerke ich, dass ich in keinem der älteren Indices des Archivs einen
Verweis auf den Inhalt des Fragments NG. 4 C gefunden habe: da er
dort nicht verzeichnet war, entging er auch Pallavieino und den Ver
fassern der Annales ecclesiastici, respective denen, welche diesen die
Vorarbeiten lieferten. Es war eben nur was den Titel Concilakten an
der Stirn trug, in die betreffende Abtheilung eingestellt worden. Die
übrigen Secretariatsakten, zu denen die Nuntiaturen gehörten, waren,
wie uns Donninus de Pretis (s. I, S. 98) berichtet, wenig beachtet worden
und mit der Zeit in grösste Unordnung gerathen. Als sie endlich um
das Jahr 1735 geordnet und inventarisirt wurden, ist entweder übersehen
worden oder doch unberücksichtigt geblieben, was auf dem ersten Blatte
von NG. 4 C zu lesen war: das Fragment verblieb also unter den Nun
tiaturen. Dass der Band in der Folge nicht unbenutzt geblieben ist,
ist unzweifelhaft. Unter Anderen hat Lagomarsini aus NG. 4 d in Epist.
Pogiani 3, 184 eine Proposte an Zacc. Delfin vom 8. Juni 1563 veröffent
licht; aber das gab ihm keinen Anlass , sich über den Charakter des
vorhergehenden Theiles auszusprechen. Zweitens sind in NG. 4 C befind
liche Briefe in den Schedae Garampianae verzeichnet worden; aber da
6
X. Abhandlung: v. Sichel.
es sich um die Correspondenz der Curie mit den Legaten
handelt, auf zwei Jahrgänge berufen, welche vom bestbe
glaubigten Generalregister auf uns gekommen sind und, inso
weit es sich überhaupt um die vom Geheimsecretariat besorgte
Correspondenz der Curie mit ihren Vertretern in der Ferne
handelt, auch noch auf die zwei anderen Exemplare von Ex
peditsregistern, welche mir bisher aufzufinden gelungen ist. 1
Von dem NG. 4 C vorausgegangenen Theile des 1565 be
glaubigten GR. habe ich keine Spur entdeckt, ja ich bin zu
der Ansicht gelangt, dass man an der Curie bereits zur Zeit
Gregor XIII. ihn vermisst und die Hoffnung, ihn wieder auf
zufinden, aufgegeben hat. Sie zu begründen rede ich erst noch
von der zweiten Entdeckung, welche ich bei der nochmaligen
Prüfung des Materials an der Hand des tom. 55 machte. Da
fand ich nämlich in der Abtheilung der Concilakten nicht weniger
als fünf Bände (tom. 49, 50, 51, 54, 57) jenem Musterbande
insoweit gleich, dass sich mir sofort der Gedanke aufdrängte,
dass sie aus derselben Werkstätte wie tom. 55 hervorgegangen
war nicht der Ort, den besonderen Inhalt dieses Bruchstückes hervor
zuheben. So war auch Theiner nicht aufmerksam gemacht worden,
dass sich in NG. 4 C conciliare Briefe, denen er mit allem Eifer nach
spürte, befanden. Ich schalte hier ein, dass die schlechte Gewohnheit
Theiner’s, in die von ihm ausgebeuteten Handschriften allerlei hinein
zuschreiben, mit ziemlicher Sicherheit erkennen lässt, welche Hand
schriften von ihm beachtet worden sind und welche nicht. Insbesondere
hat er, als er die conciliaren Briefe behufs Publication copiren liess,
die in den Registern üblichen Ueherschriften der einzelnen Stücke
(s. S. 20) gleich so umgemodelt, wie er sie drucken lassen wollte: so
hat er z. B. in tom. 55 f. 243.in die ursprüngliche Uebersckrift A li
detti a 6 di Luglio als viertes Wort legati eingeschaltet. Dass nun
NG. 4 C von Theiner unangetastet geblieben ist, gilt mir als Beweis,
dass es ihm bei seiner Forschung nach Concilakten entgangen ist.
1 Wie ich NG. 4 C und tom. 55 als ein Exemplar zusammenfasse, so auch
NG. 10 b und NG. 4 a . — Dass NG. 10 b (s. Excurs V) mit einem nicht
in Rom entstandenen und um fünfzehn Jahre jüngeren Register zu
sammengebunden worden ist, legt den Gedanken nahe, dass sich in den
zahlreichen Bänden der Nuntiaturen noch andere den oben angeführten
gleichwerthige Bruchstücke aus der Zeit Pius IV. finden lassen mögen.
Darauf hin hunderte von Bänden durchzusehen, habe ich mich doch
nicht eutschliessen können. Ich überlasse es denen, welche sich mit
den jüngeren Partien dieses Archivfonds befassen, auf solche etwa ver
schlagene Stücke zu achten und aufmerksam zu machen.
Komische Berichte II.
7
sind, aber zugleich in mehr als einer Beziehung so von
diesem verschieden, dass ich sie auf den ersten Blick hin als
später entstanden betrachten musste. Obwohl ich die genaue Be
schreibung dieser Gruppe dem nächsten Capitel Vorbehalte, muss
ich einiges aus ihr schon hier hervorheben. Die fünf Bände
enthalten ebenfalls Proposte an die Concillegaten, aber, wie
ich schon I, S. 93 bemerkte, in bestimmter Gliederung: während
sich tom. 50 als GR. erweist, sind in tom. 54 die proposte in
commune zusammengestellt und sind die proposte particolari
auf tom. 49, 51, 57 vertheilt worden. 1 Ergibt sich nun nicht
allein aus dieser Disposition des Stoffes, sondern auch daraus,
dass durch alle Theile ein und dasselbe Schema der Registrirung
hindurchgeht, dass uns hier eine einheitliche Arbeit vorliegt,
so muss dieselbe nicht allein auf bestimmten Befehl und be
stimmte Anweisung zurückgeführt werden, sondern muss sie
auch, da sie so gleichmässig ausgefallen ist, binnen kurzer
Zeit ausgeführt worden sein. Nur in einem Punkte unter
scheidet sich tom. 50 von den übrigen Bänden. Während
nämlich das CR. die drei Jahre umfasst, in welchen das Concil
nochmals tagte, und während jede der Unterabtheilungen der
PR. in tom. 49, 51, 57 der Dauer jeder einzelnen Legation ent
spricht, bietet tom. 50 nur die Schreiben aus dem ersten Jahre
der letzten Concilsperiode (21. März bis 31. December 1561).
Ist das nun dem Plane der Auftraggeber gemäss ge
wesen oder ist es blos Zufall? Obwohl letzterem, was die
1 Zu dem, was ich I, S. 55 ff. über die Scheidung zwischen Iettere in
commune und Iettere in particolari gesagt habe, trage ich nach, dass
für Mittheilungen an die gesammten Legaten, welche streng geheim
gehalten werden sollten, die Form von Particularbriefen au den ersten
Präsidenten gewählt wurde, indem von diesem erwartet wurde, dass er
die an ihn gerichteten Briefe abgesondert und besonders gut aufbewahren
werde. So wurde am 24. April 1563 an Simonetta geschrieben (tom. 51
f. 107'): Se il cardinale Morone non fasse anchora tornato da Inspruck,
V. S. R m * (poträ) aprir lei la lettera ch’ io gli scrivo (gemeint ist der
Brief an Morone vom gleichen Tage in tom. 27 Nr. 8) et mostrare a li
S ri colleghi la risposta data al re catliolico; ma non ne lasserä giä
pigliar copia da nissuno et la consignerä poi al prefato S. cardinale
Morone, che per questo et non per altro non si e voluto mandarla in
commune, acciö non rimanesse in mano di secretarii communi. Dass
Morone in der That die ihm zugegangenen Particularbriefe von den
Communebriefen gesondert hat, werden wir S. 25 sehen.
8
X. Abhandlung: v. Sickel.
Erhaltung archivalischen Materials anbetrifft, alles zuzutrauen
ist, so stosse ich mich doch an der Annahme der Rolle, welche
er in diesem Falle gespielt haben müsste, dass nämlich von
dem 1565 beglaubigten vollständigen GR. der erste Jahrgang
verloren gegangen sei, während die zwei folgenden auf uns ge
kommen sind, und dass umgekehrt von einem zweiten ebenfalls
vollständigen GR. gerade der erste Jahrgang sich erhalten habe,
während die zwei folgenden spurlos verschwunden sind. Dom
Sachverhalte lässt sich doch noch eine andere Deutung geben.
Wir werden sehen, dass die Aktensammlung des Cardinais
Borromeo, zu welcher, wie ausdrücklich gesagt wird, auch
Minuten und Register gehörten, trotz seiner Fürsorge einigen
Schaden erlitten hatte. Weitere Verluste konnten bei der Ueber-
gabe an den Vatican entstehen. Da nun das GR. von 1565,
welches uns hier besonders interessirt, geraume Zeit hindurch
nur aus losen Heften bestanden hat (sonst hätten auch in der
Folge NG. 4 C und tom. 55 nicht voneinander getrennt werden
können), so ist es jedenfalls denkbar, dass schon bei der Ab
lieferung der erste Theil nicht mehr aufgefunden wurde. Er
konnte aber, als man zu einer nochmaligen Registrirung des
gesammten Materials nach neuen Gesichtspunkten schritt, recht
wohl ersetzt werden, da die Minuten, auf welche auch die
jüngeren Register zurückgehen, nach Ausweis der tom. 49, 51,
54, 57 damals noch vollständig erhalten waren. Kurz ich
denke mir den Vorgang so, dass entweder bei der Ueber-
nahme der Borromeo-Papiere seitens des Vaticans oder bei
einer späteren Revision derselben der erste Jahrgang des alten
GR. vermisst wurde, und dass deshalb die sämmtlichen Briefe
aus dem Jahre 1561 nochmals nach den Minuten copirt wurden,
um in tom. 50 das Supplement zu den Heften zu erhalten,
welche im weiteren Verlaufe auseinandergerissen in NG. 4 C und
in tom. 55 auf uns gekommen sind. Jedesfalls besitzen wir
das GR. der Proposte bis auf eine geringe Lücke im ganzen
Umfange, wenn auch der erste Theil etwas später geschrieben,
etwas anders ausgefallen und nicht so beglaubigt ist wie die
zwei folgenden Theile. 1
1 Wo lediglich der Inhalt in Betracht kommt, können wir also tom. 50
als GR. I, NG. 4 C als GR. II und tom. 55 als GR. III bezeichnen. Da
Römische Berichte. II.
9
2. Programm für das ältere Generalregister.
Von den jüngeren Registern der conciliaren (Korrespondenz
sehe ich zunächst ganz ab, um an der Hand von NG. 4 C und
tom. 55 und den auf gleicher Linie stehenden Nuntiatur
registern zu verfolgen, wie das Geheimsecretariat Pius IV.
diese eine der ihm gestellten Aufgaben gelöst hat. Um Ein
blick in die Gebahrung zu gewinnen, sind wir fast ganz auf
diese paar Bände angewiesen, da sich die diesbezüglichen
directen Aussagen auf Folgendes beschränken. Carga (bei
Lämmer 463, 466) bemerkt nur: li scrittori delle lettere in
netto . . . anco son registratori di essi, und rechnet es zu den
vielen Obliegenheiten des secretario intimo, dass er auch Acht
habe auf 1’ ordine col quäle si ripongono e si tengono le
lettere e registri. 1 Dass Galli als damaliger Amtschef auch
die ganze Gruppe von Registern, zu welcher tom. 50 gehört, nicht vor
Gregor XIII. entstanden sein kann, und da auch die Schrift zu dieser
Zeit passt, werde ich fortan der Kürze wegen von Registern aus diesem
Pontificat reden, ohne damit in Abrede stellen zu wollen, dass sich die
Herstellung dieser Bände auch bis in die Zeit Sixtus V. verzögert
haben kann.
1 Etwas mehr erfahren wir aus zwei allerdings erst 1628 geschriebenen
Briefen, welche, bereits von G. Marini citirt, von D. Greg. Palmieri im
Reg. Clementis V., Proleg. LXIII veröffentlicht worden sind. Da auch
damals noch die Amtspapiere vielfach verschleppt wurden, liess Ur
ban VIII. per ricuperare tutte le scritture spettanti alla segretaria di
stato et alla camera e sede apostolica die Nepoten seiner Vorgänger,
so wie deren Untergebene und Erben zur Ablieferung der Akten an-
halten. Eine Mahnung der Art erging auch an den damaligen Nuntius
in Venedig G. B. Agucchia, welcher, unter Clemens VIII. in das Staats-
secretariat eingetreten, dort nahezu 30 Jahre gedient hatte und unter Gre
gor XV. von dessen Nepoten Cardinal L. Ludovisi beauftragt worden war,
die Aufbewahrung der eingelaufenen und die Registriruug der abgesandten
Briefe zu überwachen. Aus der Antwort, welche Agnccliia umgehend
ertheilte, hebe ich gleich alles hervor, worauf ich mich hier und auch
später berufen will. Die Hauptmasse der beim Tode Gregors XV. in
seinen Händen befindlichen Papiere, so erwiderte Agucchia, habe er
sofort den und den Cardinälen übergeben, aber zwei Partien habe er
behalten und mit den eigenen Papieren nach Venedig schaffen lassen:
die eine nur aus Versehen und diese stelle er hiemit zurück, die
andere jedoch aus Vorbedacht, nämlich le lettere da porsi in eifra
e decifrate, welche er auch jetzt noch eine Zeitlang bei sich be
halten werde. Früher seien nämlich diese Stücke nicht registrirt, noch
10
X. Abhandlung: v. Sickel.
dieser Verpflichtung bis zu einem gewissen Grade nachge
kommen ist, wird uns einerseits bezeugt von Borromeo mit
den Worten: 1 il cardinale di Como fu qucllo che le (le scrit-
ture) ripose per 1’ ordine dove hora sono, und andererseits
durch die Beglaubigung des älteren GR. von Galli’s eigener
Hand: gerade diese lässt vermuthen, dass er auch auf die
Anlage des Registers Einfluss genommen habe. Vor allem hat
da über zwei Fragen entschieden werden müssen: was sollte
hier aufgenommen werden, und in welcher Form sollten die
einzelnen Stücke gebucht werden?
Die erste dieser Fragen war mit dem Beschlüsse, für die
Proposte nach Trient ein eigenes Register anzulegen, doch nur
im Principe beantwortet worden; es musste noch die Ent
scheidung getroffen werden, ob sämmtliche nach Trient expe-
dirte Briefe oder nur gewisse Kategorien aufgenommen werden
sollten. Bemerkte ich nun schon S. 3, dass das GR. offenbar
mit anderen Briefen vereinigt worden, vielleicht um das Geheimniss
besser zu wahren. Dennoch habe er, was ihm der Cardinal befohlen
habe, ausführen wollen und habe die Absicht gehabt, di farle (le mi-
nute delle ciffre) ciliare tutte in libri o quinterni distinti e di unirle
co’ deciferati; nur habe er, da die von ihm in Eile hingeworfenen
Minuten für andere unleserlich seien, die Arbeit selbst übernehmen
müssen, wozu er weder früher in Eom noch jetzt in Venedig die Zeit
gefunden habe. Nachdem Agucehia versprochen hatte, alles baldigst
nachzuholen und nach und nach die Concepte zu den Chiffern und die
Klarschriften einzusenden, bemerkt er noch zur Rechtfertigung seines
einstigen Verhaltens: delle istruzioni non ne trovai niuna nella
segretaria con l’esempio delle quali mi potessi governare,
ne feci tuttavia come seppi il meglio ... e le feci registrare
tutte in un libro etc.
Gab es also zu Ende des 16. Jahrhunderts, als Agucehia in den
Dienst trat, keine eigentlichen Vorschriften, sondern nur Amtsgepflogen
heiten, welche die jüngeren Secretiire von den älteren lernten, so wird
es dreissig Jahre zuvor nicht anders gewesen sein, und die Bräuche
werden früher wie später wohl in der Hauptsache festgehalten, in den
Details der Ausführung aber abgewandelt worden sein, je nachdem es
dem mit der Leitung dieser Arbeit betrauten Secretär oder auch dem
einzelnen Registrator beliebte. Und war Agucehia mindestens fünf Jahre
mit der ihm obliegenden Buchung der Briefe im Rückstände geblieben,
so können gleiche oder ähnliche Umstände auch zu früherer Zeit die
liegistrirung verzögert haben.
1 Brief an Ormauetto vom Februar 1570 im Excurs IV.
Römische Berichte. II.
li
nur für Schreiben des Papstes und seines Nepoten bestimmt
gewesen ist, so dass es der Nennung derselben als Autoren
nicht bedurfte, so habe ich hier nachzutragen, dass schon darin
eine programmmässige Beschränkung lag. Unter den Origi
nalen der von der Curie an die Concillegaten gesandten Briefe
finden sich nämlich auch zahlreiche von Galli geschriebene
und unterfertigte, welche so gut wie die Briefe des Papstes
und des Cardinais von diesen approbirte Weisungen enthalten
und von den Legaten laut deren Antworten den anderen Pro
posten gleich geachtet worden sind. Es mag wohlberechnete
Bescheidenheit Galli’s gewesen sein, dass er alle auf seinen
eigenen Namen lautende Briefe aus der Eegistersammlung aus
geschlossen hat.
Aber auch die Schreiben des Papstes und seines Nepoten
an die Legaten sind nicht sämmtlich in das ältere Gß. auf
genommen worden. Den Legaten sind z. B. fortwährend päpst
liche Breven zugestellt worden, und zwar, obwohl sie vom
Brevensecretariat ausgefertigt waren, durch Vermittlung des
Geheimsecretariats, welches auch sehr häufig in den Proposten,
denen sie beigeschlossen wurden, auf sie Bezug nahm; dennoch
ist nicht eines dieser Breven in das Gß. eingetragen worden.
Es sind ferner von den eigentlichen Papstbriefen die an die
einzelnen Legaten gerichteten so gut wie unberücksichtigt ge
blieben. Ebenso ist bei der Begistrirung eine Auswahl unter
den Borromeo-Briefen getroffen und sind insbesondere zwei
Kategorien ausgeschieden worden, nämlich die zahlreichen
Schreiben, durch welche sich nach Trient reisende Geistliche
den gesummten Legaten oder dem ersten Präsidenten em
pfehlen Hessen, und die ebenfalls häufigen Schreiben, in welchen
Borromeo den ihm persönlich näher stehenden Legaten Mantua,
Altaemps oder Morone vertrauliche Mittheilungen privater Natur
machte; nur wenn etwa an derartige Schreiben Weisungen
im eigentlichen Sinne des Wortes angehängt worden waren,
wurden sie auch in das Eegister eingetragen. Auch noch
in anderer ßichtung ist damals die Buchung wesentlich ein
geschränkt worden. Sowohl den Proposten des Papstes als
denen des Cardinais wurden öfters Beilagen beigefügt, eventuell
äusserst wichtige Documente, welche geradezu benöthigt wurden,
um die in den Hauptbriefen gebotenen kurzen Weisungen zu
12
X. Abhandlung: v. Sickcl.
verstehen. 1 Dessenungeachtet ist von deren Regiatrirung in
der Regel abgesehen worden, so dass ich nur zwei Ausnahmen
gefunden habe. In NG. 4 C f. 248 folgt auf ein ganz kurzes
Schreiben des Papstes vom 29. Juni 15G2 die Instruction, welche
dem Erzbischof von Lanciano ertheilt wurde, um den Legaten,
.welche ihn nach Rom gesandt hatten, auf alle ihre Fragen
und Bedenken Bescheid zu geben. 2 Und in tom. 55 f. 367
sind aufgenommen Alcune considerazioni sopra il finir del con-
cilio mandate a li legati a 6 di novembre (1563). 3 In diesen
zwei Fällen mögen die Registratoren besondere Weisung er
halten haben, während sie wahrscheinlich auf eigene Faust
gehandelt haben, wenn sie das eine oder das andere Schreiben
des Cardinaluepoten privaten Inhalts aufgenommen haben. Dass
der Ausnahmen von den Regeln so wenige sind, bestärkt mich
in der Annahme, dass behufs Registrirung die vorhandenen
Minuten nach bestimmten Gesichtspunkten gesichtet worden
sind. Die letzteren festzustellen haben wir mehr als einen
Grund. Die Frage, inwiefern unser GR. auf Vollständigkeit
Anspruch erheben kann, lässt sich doch nur beantworten, wenn
wir uns klar gemacht haben, in welchem Umfang das Material
hat gebucht werden sollen. Wir werden ferner sehen, dass
einer der wesentlichen Unterschiede zwischen dem älteren GR.
und den unter Gregor XIII. angelegten Registern darin besteht,
dass man in der Folge die Grenzen weiter gezogen hat. Und
vollends heben sich private Sammlungen der conciliaren Corre-
spondenz von den im Secretariat entstandenen namentlich darin
ab, dass sie sich nicht auf mehr oder minder abgegrenzte
Kategorien von Briefen beschränken, sondern auch nebenbei
bieten, was dem Sammler zugänglich wurde und lehrreich
erschien.
1 In tom. 55 werden auf f. 53—60 nicht weniger als vier solcher Beilagen
erwähnt.
2 Der Erzbischof traf am 10. Juli wieder in Trient ein. Pallavicino XVII,
8, Nr. 1 hat nur ganz oberflächliche Kunde von dieser Instruction. AVie
mir Dr. Katti versichert, hat sich diese Beilage zu dom Papstbriefe in
der Mailänder Sammlung nicht erhalten. Sie fehlt auch in tom. CVIII.
Somit scheint NG. 4° die einzige Quelle für die Instruction zu sein. Ich
veröffentliche sie im Anhänge Nr. 19.
3 Benutzt von Pallavicino XXIII, 7, Nr. 16.
Römische Berichte. II.
13
Die Reihenfolge, in welcher die einzelnen Stücke copirt
werden sollten, muss ebenfalls im voraus bestimmt worden sein,
und ihr entsprechend müssen die Minuten, bevor sie den ver
schiedenen Registratoren zugetheilt wurden, geordnet worden
sein. In erster Linie sollte die zeitliche Aufeinanderfolge
<?
berücksichtigt werden; unter den Schreiben von gleichem Tage
aber sollten die des Papstes denen des Cardinalnepoten voran
gehen und die an die gesammten Legaten denen an den ersten
Präsidenten oder an die anderen einzelnen Legaten. Zugleich
ist offenbar allen Registratoren vorgeschrieben worden, wie sie
die Stücke der einen oder der anderen Art beim Abschreiben
zu behandeln hatten.
Dass in diesem Punkte die im Geheimsecretariat geführten
Expeditsregister (denn zunächst habe ich nur von diesen zu
reden) sich von den gleichen Registern anderer curialen Aemter
unterscheiden, hat vor allem darin seinen Grund, dass das
Geheimsecretariat mit Material besonderer Beschaffenheit und
Bestimmung manipulirte, nämlich nur mit frei stilisirten Briefen.
Diese wurden schon zur Zeit, da nur eine Kanzlei für alles
Schreibgeschäft bestand, anders gebucht als die mehr oder
minder aus stereotypen Formeln zusammengeschweissten Bullen,
Mandate u. s. w. und auch anders als die ihnen in der Fassung
am nächsten kommenden und doch ganz anderen Zwecken
dienenden Breven des späteren Mittelalters. Von jeher sind
aus gutem Grunde die Contexte der Briefe vollständig in die
Register eingetragen und sind nur die Protokolle und Eschato-
kolle als formelhafte Theile unterdrückt oder wenigstens gekürzt
worden, was dann eventuell durch den Copien beigefügte Auf
schriften und Glossen wettzumachen gesucht wurde. Diese
alten Normen für Registrirung der Briefe wurden dann in dem
neuen Geheim- oder auch Staatssecretariat fortgebildet, seit
dem dieses allein die auf gewisse Agenden bezügliche Corre-
spondenz und nichts anderes als sie zu besorgen hatte, und
seitdem es, wie das nahe lag, die Register einerseits nach den
seiner Competenz vorbehaltenen Agenden und andererseits auch
nach den Adressaten zu gliedern (s. I, S. 69) begonnen hatte.
So ist es namentlich die Behandlung der eingetragenen Schrift
stücke, durch welche sich schon um die Mitte des 16. Jahr
hunderts die Register des Geheimsecretariats in ersichtlicher
14
X. Abhandlung: v. Sickel.
Weise von anderen Registern abheben und eine eigene Species
bilden. Von dieser und anderer Arbeit desselben Bureaus
mag im Allgemeinen auch zur Zeit Pius IV. gegolten haben,
was später Agucchia berichtet, dass sie nicht durch eigentliche
Vorschriften geregelt wurde, sondern durch Amtsgepflogenheiten,
welche, von den jüngeren Beamten den älteren abgesehen und
als zweckentsprechend erprobt, trotz des häufigen Wechsels des
Personals in der Hauptsache festgehalten wurden. Dadurch
war nicht ausgeschlossen, dass einmal ein Chef oder dessen
Substitut, auf strengere Ordnung bedacht, allen Untergebenen
gewisse Normen vorschrieben und deren Beobachtung über
wachten, so dass die Arbeit so gleichmässig ausfiel wie z. B.
in den S. 4 aufgezählten unter Pius IV. geschriebenen Registern
der Correspondenz mit den Legaten und den Nuntien. Und
ebenso wenig war ausgeschlossen, dass, als so hochwichtiges
Material, wie es die nach Trient gesandten Proposte waren,
gebucht werden sollte, im Voraus ein bis in die Einzelheiten
reichendes Programm aufgestellt wurde, was in unserem Falle
Galli um so mehr zuzumuthen ist, da er auch die Mühe der
Revision und Beglaubigung des. GR. nicht gescheut hat. That-
sache ist, dass durch NG. 4° und tom. 55 ein und dasselbe
Schema hindurchgeht, und dass sich dasselbe noch mehr auf
Details erstreckt als das den gleichzeitigen Nuntiaturregistern
zu Grunde gelegte Schema. Haben so die beiden Theile des
älteren GR. ein ganz stereotypes Gepräge erhalten, so wird uns
dadurch auch die Unterscheidung desselben von den jüngeren
Registern erleichtert.
Allerdings erfordert diese die Beachtung aller Kenn
zeichen, auch solcher, die an und für sich geringfügig er
scheinen, denn, da es nur die Eingangs- und die Schlussformeln
sind, welche in diesen Registern gekürzt oder eventuell auch
unterdrückt zu werden pflegen, da sich also die Differenzirung
in ziemlich engen Schranken bewegt, kommt es vornehmlich auf
das Ausmass der Kürzungen an. Dasselbe hing jedoch keines
wegs nur vom Belieben der Registratoren oder ihrer Auftrag
geber ab, sondern in erster Linie von der Beschaffenheit des
zu registrirenden Materials, d. h. hier von der Beschaffenheit
der Minuten, welche selbst schon des Beiwerks der Formeln in
etwas entkleidet waren. Wir müssen also auf die Minuten
Römische Berichte. II.
15
uncl deren Eigenschaften zurückgehen, um den rechten Mass
stab dafür zu gewinnen, was die Registratoren aus den ersteren
gemacht haben. 1
3. Vergleich der Register cojncn der Briefe Borromeo’s
mit den Minuten.
Es verschlägt bei solcher Untersuchung wenig, dass die
sämmtlichen Concepte zu den Proposten an die Concillegaten
zu Grunde gegangen sind (s. I, S. 64), denn, um zunächst von
den in Borromeo’s Namen expedirten Briefen zu reden, welche
viel zahlreicher als die Papstbriefe sind, so ist seine Corre-
spondenz mit den Legaten genau so wie die mit den Nuntien
geführt und behandelt worden, und von letzterer Correspondenz
liegen uns wenigstens zwei Stücke in Form von Originalminuten
vor. Da diese Exemplare jedoch defect sind, und da es über
haupt gerathen sein wird, an einer grösseren Anzahl von
Exemplaren zu zeigen, was diese Species von Minuten kenn
zeichnet, greife ich über die wenigen Jahre des Regiments des
Nepoten Pius IV. hinaus. Derselbe Mann, welcher in diesen
Jahren die Geschäfte des Geheimsecretariats geleitet hatte,
nämlich der Cardinal von Como, leitete sie auch wieder seit
1572, und zwar, wie sich aus den noch erhaltenen Akten der
einen und der anderen Periode ergibt, in fast gleicher Weise,
so dass wir zu der Annahme berechtigt sind, dass auch zwi
schen den Minuten kein wesentlicher Unterschied bestanden
hat, um so weniger, da die in Hülle und Fülle auf uns ge-
1 Indem ich mich entschliesse, gleich an das erste Beispiel, das ältere
GE., welchem dieses Capitel gewidmet ist, die Beantwortung sämmt-
licher für die Beurtheilung der Register in Betracht kommenden Fragen
(mit Ausnahme einer einzigen, welche ich besser im nächstfolgenden
Capitel erledige) anzuknüpfen, sehe ich mich genüthigt, über mehrere
Bände der Vaticanisclien Concilakten, welche Minuten, Originale oder
Copien der Correspondenz enthalten (nämlich tom. 26—29, 32, 49—51,
54, 57—61, 68, 151), schon hier vorläufigen Bericht zu erstatten.
Nur so kann ich das ältere GE. mit den anderen Registern vergleichen
und sofort an bestimmten Beispielen darthun, welche Folgerungen sich aus
diesen Untersuchungen ziehen lassen. Um so kürzer kann ich mich
in der Folge bei der Kennzeichnung der anderen Register fassen.
16
X. Abhandlung: v. Sickel.
kommenen Minuten aus dem Secretariat Gregor XIII. ein sehr
stereotypes Gepräge an sich tragen.
Die zwei mir aus dem Pontificate Pius IV. bekannten
Minuten gehören zu der mit dem 1561 als Nuntius nach Frank
reich gesandten Cardinal Ippolito von Ferrara geführten Corre-
spondenz, genauer gesagt zu einer Proposte vom 15. März 1562
(a) und zu einer vom 19. December desselben Jahres (ß). 1
Da von beiden nur die zweite Hälfte erhalten ist, spreche ich
zuerst von dem Schlüsse der hier gebotenen Concepte. In a
folgt auf das letzte Wort des Contextes (relatore) noch: cosi
in buon gratia sua quanto piii humilmente posso mi raccomando.
Di Roma a li XV. di Marzo 1562, so dass uns der übliche
Schlussgruss und die Datirung vollständig geboten werden.
Dagegen fehlt in a die Unterschrift mit allem Zubehör: es
blieb dem Mundanten überlassen, in der Originalausfertigung,
in Anbetracht, dass sie an eiben Cardinal gerichtet war, hinzu-
zufligen: di V. S. Ill ma et R ma humilissimo servitor als Ein
leitung zu der autograplien Unterschrift. Ganz ebenso ist der
Schluss nicht allein in der Minute ß gehalten (er lautet: che
1 Wo ich a fand, sage ich im Excurs V, wo ich ß fand, S. 36. — In beiden
Stücken lassen sich zwei Hände, die des Concipienten und die des
Revidenten, unterscheiden, Hände, welche uns in den Secretariatsakten
dieser Zeit immer und immer wieder begegnen. — Ursprünglich be
standen beide Minuten aus je zwei Bogen. Bei a war der eine Bogen in
den anderen eingelegt; da der letztere, dessen Hälften die Bezeichnung
fol. 1 und 4 zukommen würde, verloren gegangen ist, fehlt uns mit f. 1
der Eingang des Conceptes (f. 2 hebt an mit cosi havemo piü presto a
far opera) und mit f. 4, auf welches das Concept nicht mehr hinüber
reichte, der gleich zu erklärende Registraturvermerk. Wenn ich auch
auf die Behandlung des Contextes erst später eingehe, will ich gleich
hier bemerken, dass uns die Registerabschrift von a vorliegt in NG.
4 b f. 146—149 und f. 152. Für ß dagegen sind zwei aufeinander fol
gende Bogen verwendet worden, von denen aber das erste Blatt ver
loren gegangen ist, so dass sich hier nur f. 2—4 befinden. (Bei der
Foliirung der Handschrift ist f. 2 des Conceptes als f. 409 und f. 3 als
f. 410 bezeichnet worden, während f. 4 keine Blattnummer erhalten hat;
f. 2 ist aber verkehrt eingebunden worden, so dass der Anfang des
Fragmentes auf f. 409' steht). Somit fehlt uns auch hier der erste
Theil des Concepts: wir kennen dasselbe, da die Eintragung dieses
Stückes in das Amtsregister NG. 4 b unterblieben ist, nur von den
Worten an mit denen f. 2 beginnt: dieono che non so etc. Dagegen
bietet uns f. 4' den üblichen Registraturvermerk.
Römische Berichte. II.
17
e tutto quello che per liora m’ occorre dire a la S. V. Ul m “, a
la quäle, quanto piü huruilmente posso, mi raccomando et desi-
dero ogni contento. Di Roma a li 19 di Decembre 1562), sondern
auch in den zahlreichen Minuten aus den Jahren 1572—1585,
welche unter anderen in den Nunziature di Germania 6, 7,
87, 96 vorliegen. 1 Der Name des Schreibers, auf den uns,
alles anzukommen scheint, ist also mit der Unterschrift unter
drückt worden und kommt auch an keiner anderen Stelle der
Minuten vor: er lässt sich lediglich dem Umstande entnehmen,
dass die Minuten zu den Akten des Geheimsecretariats einer
bestimmten Periode, respective zu den Akten des gerade die
Geschäfte führenden Cardinais gehörten. 2
1 Betreffs des in den Minuten nie fehlenden Schlussgrusses bemerke ich,
dass von Fall zu Fall auf die Fassung desselben Werth gelegt worden
ist. Daher ist in einer vom 7. März 1573 datirten Minute in NG.
87, f. 3', welche sehr wenig Correcturen aufweist, gerade die vom
Concipienten beliebte salutatio finalis bei der Revision verworfen und
durch eine andere ersetzt worden. — Nicht ganz gleiclimässig ist in
den späteren Minuten die Datirung behandelt worden. So sind z. B.
in NG. 7 den Concepten eben solche Ueberschriften gegeben worden,
wie wir sie gleich als in den Registern üblich kennen lernen werden:
es steht dort am Kopfe von f. 1 Al Nuntio Delfino il primo di Gen-
najo 1575, und dem entsprechend ist der Schluss des Conceptes gekürzt
worden zu Di Roma etc. Dieses Vorweguehmen der Datirung hat oft
einen besonderen Grund. Ich habe schon I, S. 64 auf Minuten in Rein
schrift hingewiesen, habe aber nachzutragen, dass es deren mancherlei
Arten gibt. Die Zeitgenossen haben auch solche Stücke als Minuten
bezeichnet und in die für diese bestimmten Bände eingereiht, welche
ursprünglich als Originalausfertigungen dienen sollten, solchem Zwecke
aber nicht mehr entsprachen, als im letzten Augenblicke eine wenn
auch nur geringfügige Abänderung für nothwendig erachtet wurde. Der
artige Stücke reichen eventuell bis zu den auf den Schreiber bezüg
lichen Worten humilissimo servitore, so dass nur die eigenhändige Sub
scription desselben und die Aussenadresse fehlen. Häufiger aber hat
man das für die Expedition bestimmte Stück nur bis Di Roma mundirt
und hat Raum gelassen für die noch nicht ganz feststehende Datirung.
Ist dann ein solches Schriftstück ebenfalls, weil an ihm noch mehr oder
minder abgeäudert wurde, in der Registratur zurückbehalten worden,
so hat man die Datirung bald am richtigen Orte, bald aber auch am
Kopfe nachgetragen. Das sind aber doch nur Ausnahmsfalle, welche
die oben formulirte Regel nicht umzustossen vermögen.
2 Allerdings drängt sich hier die Frage auf, ob denn nicht unter Pius IV.,
da neben Borromeo auch Ptolomeo Galli (s. I, 49) Proposte unter seinem
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXXV. Bd. 10. Abh. 2
18
X. Abhandlung: v. Sicke 1.
Unumgänglich dagegen war, dass auf jedem Briefconcepte
ersichtlich gemacht wurde, an wen der Brief gerichtet wurde.
Man sollte erwarten, dass die diesbezügliche Angabe am Kopfe
der Minute sich befinde. Aber da bieten die Minuten aus dem
Pontificate Gregors XIII., auf die wir hier angewiesen sind,
weil die älteren Exemplare a und ß kopflos sind, zumeist nur
die dem Contexte vorangehende Anrede, wie sie einerseits
der Stellung des Adressaten und andererseits dem Verhältnisse
des Schreibers zu dem Adressaten entsprach. So heben alle
in NG. 7 zusammengebundenen Minuten an mit Molto Rev do
Mons re come fratello, wie der Cardinal von Como als Schreiber
den Nuntius Giovanni Delfino als Empfänger anzureden hatte,
und desgleichen die in NG. 87 gesammelten Concepte für
Briefe an den 1573 nach Salzburg gesandten Dominikaner
Fra Feliciano Ninguarda 1 einige Jahre hindurch mit Molto
Rev do in Christo patri, dann aber, als Ninguarda Bischof von
Scala geworden war, mit Molto Rev do Mons re come fratello. 2
Solches Aufsteigen in der Hierarchie gab allerdings den Con-
cipienten eventuell Anlass, von denselben auf der ersten Minute,
welche sie nach der Beförderung zu schreiben hatten, Notiz
zu nehmen und dabei auch den Namen des Adressaten zu
nennen. 3 Auch andere Nebenumstände mögen bewirkt haben,
Namen verfasste, die Concepte zu diesen in irgend einer Weise kennt
lich gemacht worden sind. Oder hat etwa Galli, was er in seiner amt
lichen Eigenschaft schrieb, doch als Privatsache betrachtet und von den
Amtsakten abgesondert? — Obgleich ich mich mit Vorbedacht, weil ich
das Material aus den vorausgehenden Jahrhunderten nicht genügend
kenne, in diesen Berichten des Versuchs enthalte, auf analoge Er
scheinungen älterer Zeit liinzuweisen, so will ich hier eine Ausnahme
machen und bemerken, dass schon die Briefconcepte des 14. Jahr
hunderts, welche sich in den sogenannten Kladdenbänden erhalten haben,
in mancher Beziehung (s. Donabaum in Mitth. 11, 103) unseren Minuten
gleichen.
1 S. Hansen I, Einl. XXIX.
2 Ehrerbietiger lautet in NG. 9G die Anrede des Cardinais von Como
an den Cardinal Morone, nämlich 111 mo et llev m ° S r mio Col mo , so ins
besondere auch auf der schon niundirten Minute ib. f. 11; auf den
gewöhnlichen Minuten wird diese Anrede zumeist abgekürzt zu 111 mo etc.
3 So hat fol. 41 des zuletzt genannten Bandes die Ueberschrift Al P. Fel.
Ninguarda eletto vescovo di Scala, 2 di Marzo 1577. — Zuweilen schreibt
Römische Berichte. II.
19
dass schon am Kopfe von Einzelconcepten dex - Adressat genau
bezeichnet wird: 1 das ändei’te um so weniger an der Gepflogen
heit, bei dieser Stelle den Namen zu übergehen, als ihm ein
für alle Male eine andere Stelle angewiesen war. Fast särnrnt-
liche Minuten sind nämlich mit einem Registraturvermerk ver
sehen worden, der z, B. bei ß, von dem uns ja auch fol. 4
erhalten ist, lautet: 62. 19. X bris | Al S or Car le di Ferrara | in
cifra | R ta . 2 und als Minimum den Namen bietet, womit zugleich
der Concipient dem Mundanten auch vor, wie fortan die Aussenadresse
zu lauten hat.
1 Hier kommt es nur auf die Beschaffenheit der einzelnen Stücke an.
Deshalb habe ich auf die Titel der Bände nicht Rücksicht zu nehmen,
auch wenn die Minuten zu den Proposten an diesen oder jenen Nuntius
gleich nach Beendigung der Nuntiatur oder auch während derselben zu
Ende eines Jahres in einen Band vereinigt worden sind und der Band
auch sofort als die und die Nuntiaturen enthaltend bezeichnet worden
ist. Es mag auch, um die zahlreichen Minuten, bevor es zum Ein
binden kam, in Ordnung zu halten, eine Sonderung nach Jahren statt
gefunden haben und auf dem ersten Stücke einer Periode wie in NG. 7
f. 1 bemerkt worden sein al Nuntio Delfino il primo di Gennajo 1575.
Es genügt, solche nicht ins Gewicht fallende Ausnahmen anzudeuten.
2 Ich werde noch Gelegenheit finden, an einzelnen Beispielen darzuthun,
dass es, um die vielfach gestörte Ordnung der Papiere wiederherzustellen,
der Mühe werth ist, darauf zu achten, wie einst die zu einem Akte zu
sammengehörigen Bogen und Blätter gefaltet worden sind, um sie, wenn
sie Reinschriften enthielten, zu einem geschlossenen Briefe, oder, wenn
auf ihnen Concepte geboten waren, zu einem in der Registratur zu repo-
nirenden Convolute zu vereinigen. Hier fasse ich den Vorgang im letz
teren Falle ins Auge. Ich erwähnte schon, dass a und ß aus je zwei
Bogen bestanden. Zu einer Zahl von ganzen Bogen kamen oft noch
einzelne Blätter oder Papierstreifen, auf welchen Correcturen oder Zu
sätze, besonders häufig eigentliche Nachschriften eingetragen waren. Alles,
was zu einem Akte gehörte, wurde, um ein Convolut zu bilden, in be
stimmter Weise zusammengefaltet: unter Pius IV. sind, entsprechend dem
damals üblichen Formate des Papiers (s. S. 36), die Convolute im Durch
schnitt 20 Cm lang und 7 Cm breit. Sie wurden, solange die Akten noch
täglich benüthigt wurden, in Repositorien mit zahlreichen kleinen Fächern
(noch jetzt haben sich solche alte Aktengestelle erhalten) untergebracht.
Das Auffinden der Akten zu erleichtern und die Ordnung derselben zu
sichern, erhielt jedes Convolut am Kopfe der einen Aussenseite sein
Indorsat. Schon bei den wiederholten Transporten sind durch Auflösung
der Convolute fliegende Blätter entstanden, von denen es in Ermanglung
von Signaturen zweifelhaft ist, zu welchem Akte sie gehören. Und als
in der Folge die Akten gebunden worden sind, ist manches der ein-
2*
20
X. Abhandlung: v. Sickel.
dem mit den Titulaturen vertrauten Ingrossator die erforder
liche Anweisung für Anfertigung der Aussenadresse des Briefes
gegeben wurde. 1
Haben wir so die Beschaffenheit der Minuten kennen
gelernt, so mögen folgende Beispiele, welche ich den ersten
Seiten von NG. 4 C und von tom. 55 entnehme, veranschaulichen,
wie Anfang und Schluss der italienischen Schreiben Borromeo’s
an die Legaten in dem älteren GR. lauten. 3
Jener Band hebt f. 186 an mit: A li R™ 1 legati a li VII.
di Gennaro. | Ho communicato con N. S re — che S. S t:l sera
d’ accordo qui circa le spese con Mons. Ul mo di Trento. Di
Roma etc., worauf f. 187 folgt: Al Card le di Mantova | a li
VII. di Gennaro. | In risposta de la lettera — et ricordarle
liberamente quel che ha da fare. Di Roma etc. — Tom. 55
f. 1 bietet: A li 111™* legati a 7 d’ Ottobre. | Perche Mons rc
Hlm° — necessaria etc. Di Roma etc., dann: A li detti. |
Per risposta de 1’ ultima lettera — (f. 2') ubidito etc. Di
Roma etc., und drittens: Al S r Car*° di Mantua. | Non accade
per risposta — (f. 3) per tenerlo piü amarevole che si puö etc.
Di Roma etc. 3
zelnen Blätter an Unrechte Stelle gerathen. Genügt nun nur in sel
tenen Fällen der Inhalt, den Hauptbogen herauszufinden, zu welchem
ein Beiblatt gehört, so bietet zuweilen die Faltung eine Handhabe, um
die rechte Ordnung wiederherzustellen.
1 Bei flüchtiger Durchsicht der oben citirten Minutenbände aus dem Pon-
tificate Gregor XIII. ist mir noch Folgendes aufgefallen. Vielen Minuten
sind ganz kleine Blättchen mit Inhaltsangaben aufgeklebt. So besagen
drei Blättchen zu einer Minute in NG. 87: 1. loda F. Felieiano della
sua opera nel synodo — 2. che presenti i brevi, et gli manda i rifatti —
3. scritture mandate da F. Feliciano della synodo. Punkt 1 und 2 sind
in dem eigentlichen Briefe, Punkt 3 ist in der Nachschrift besprochen.
Möglicherweise sind diese drei kurzen Aufzeichnungen erst nach der
Minute entstanden, um für Estratti oder auch für einen Indice ver-
werthet zu werden. Wahrscheinlicher dünkt mir aber, dass uns hier
kurze Weisungen an den Concipienten vorliegen, nach denen er diese
Proposte abfassen sollte.
2 Weitere Beispiele biete ich, indem ich ans denselben Bänden mehrere
Proposten abdrucken werde, und zwar, wie ich schon I, 119 Anm. be
merkte, genau nach diesen Registerbänden.
3 In den drei letzten Fällen ist Di Roma etc. erst von zweiter Hand
liinzugesetzt worden, worauf ich S. 42 zurückkomme.
Komische Berichte. II.
21
Nach welchen Gesichtspunkten die Registratoren hier
vorgegangen sind, liegt auf der Hand. So wenig wie in den
Minuten brauchte in dem Register für die Correspondenz Rom
—Trient der jeweilige Schreiber ausdrücklich genannt zu
werden: indem die Papstbriefe, wie wir noch sehen werden, auch
in der gekürzten Form als solche ersichtlich gemacht wurden,
ergab sich für alle anderen Briefe Borromeo als Autor. Bei der
Bestimmung des Bandes für die an die Concillegaten gerichteten
Schreiben brauchten nur noch die proposte in commune und
die an die einzelnen Legaten auseinandergehalten zu werden:
die Scheidung, welche in den Minuten durch den Registratur
vermerk erzielt wurde, wurde im Register gleich in den Ueber-
schriften durchgeführt. Mit dieser möglichst kurzen Adresse
wurde die Angabe von Monat und Tag verbunden; dazu auch
das Jahr hinzuzufügen, wie es auf dem Rücken der Minuten
geschah, wurde für überflüssig erachtet, da sich das Jahr der
Reihenfolge der Briefe entnehmen liess. Vollends entbehrlich er
schien die Anrede am Kopfe der Briefe, weshalb der Registrator
auf die von ihm formulirte Ueberschrift sofort den Context folgen
liess. Damit, dass in den Minuten die Unterschriften mit allem
Zubehör fehlten, begnügten sich die Registratoren unseres GR.
nicht, sondern sie suchten auch noch was unmittelbar voraus
ging zu kürzen: sie liessen den Schlussgruss vollständig aus
und zogen, da sie die Zeitangaben vorausgenommen hatten,
die in den Minuten gebotene Datirung zu Di Roma etc. zu
sammen.
Von diesem für den Schluss der Briefe aufgestellten
Schema wird in NG. 4° und in tom. 55 nur äusserst selten
abgewichen. 1 Es ist auch, was auf eine bestimmte und wenig
stens in den betreffenden Jahren festgehaltene Vorschrift
schliessen lässt, in den S. 4 als gleichzeitig aufgezählten
1 Was den Finalgruss anbetrifft, so sind mir nur zwei Ausnahmen von
der Regel aufgestossen. NG. 4 C f. 294 (Particularbrief an Mantua)
hat der Registrator denselben zu copiren begonnen, hat dann aber sich
der Vorschrift erinnert; so endet das Stück mit: et quanto piü liumil-
mente posso etc. Di Roma etc. Die zweite Ausnahme (s. das Facs. I)
will noch weniger besagen: am Schlüsse der Arbeit angelangt, mag der
Schreiber der Versuchung, denselben feierlicher zu gestalten, nachgegeben
haben.
22
X. Abhandlung: v. Sickel.
Nuntiatur-Registern beobachtet worden. In diesem Zusammen
hänge komme ich nochmals auf die Originalminuten a, ß und
auf die Eintragung von « in NG. 4 1 (s. S. 16) zurück.
Letztere schliesst ab mit relatore. Di Roma etc., lässt also
die salutatio finalis aus. Und daran scheint der Registrator
ausdrücklich erinnert worden zu sein, indem in dem ihm zum
Copiren übergebenen Concepte a die Worte Cosi — mi racco-
mando durchstrichen worden sind. 1
Dass ich zuvor das eine und das andere Mal von der
italienischen Correspondenz Borromeo’s mit den Legaten ge
sprochen habe, geschah, weil die lateinischen Briefe des Cardi
nais von den Registratoren etwas anders behandelt worden und
daher für sich zu betrachten sind. Da die lateinische Sprache,
deren man sich nur im Briefwechsel mit Hosius bediente, den
Beamten des Geheimsecretariats minder geläufig war, Hess man
die betreffenden Proposte von G. B. Amaltheo und anderen
concipiren (s. I, S. 73, 78, 84). Wie die in diesen Fällen ge
lieferten Minuten beschaffen waren, weiss ich nicht. Aber
1 Ebenso ist in ß der Schlussgruss getilgt, was nur insofern minder be
zeichnend ist, als in ß ein 15 Zeilen langer, den Context abschliessender
Passus durchstrichen worden ist. — Ich trage hier noch einiges zur
Beschreibung jener beiden Originalminuten nach. Dass auf das in ß
vorliegende Dictat grosse Mühe verwendet worden ist, bezeugen zahl
reiche und zum Theil sehr umfangreiche Correcturen. Da die eine und
andere Correctur mehr angedeutet als ausgeführt worden ist, muss es
dem Registrator schwer geworden sein, den schliesslich beliebten Wort
laut festzustellen. Der Revident des Conceptes a, welches ebenfalls
allerlei Abänderungen aufweist, hat dem Mundanten und dem Registrator
mehr zu Hilfe zu kommen gesucht. Hier handelt es sich namentlich
um eine die Disposition des Briefes betreffende Aenderung. Ein vom
Concipienten in die Mitte des Briefes gesetzter Passus von 8 Zeilen hat
nämlich an den Schluss versetzt werden sollen. Der Revisor hat ihn
also zuerst durchstrichen, dann aber an den Rand geschrieben: hoc caput
vivit, sed ponendum est in fine, ut ibi videbis; dazu ein Verweisungs
zeichen, welches dann am Schlüsse, wo der Passus eingeschaltet werden
soll, wiederholt worden ist. Der Registrator hat daun auch den be
treffenden Passus an die richtige Stelle gebracht. Wie genau in diesem
Falle nach der Minute gebucht worden ist, ergibt sich daraus, dass
sich bei der Vergleichung einer Seite der Registercopie mit dem Con
cepte nicht allein wörtliche, sondern buchstäbliche Uebereinstimmung
ergab, bis auf die einzige Variante, dass gli Ugonotti in a im Register
zu li Ugonotti geworden ist.
Römische Berichte. II.
23
schon der Umstand, dass die Registratoren nicht mehr gewohnt
waren, lateinische Stücke zu buchen, mag sie bestimmt haben,
ihre Vorlagen etwas mehr zu respectiren und sich der Kür
zungen im allgemeinen mehr zu enthalten, und mag bewirkt
haben, dass die Registerabschriften dieser Briefe minder gleich-
massig ausgefallen sind. Das kann man folgenden Beispielen
entnehmen. NG. 4° f. 187 (erster Brief an Hosius im GR. II):
Car u Varmiensi VII. Januarii. | Legi S mo D. N. earum lite-
rarum exempla — mittatque mihi saepius quae S 4i S. in hanc
sententiam legere possim: vale. Dat. Romae etc. — Ib. f. 294'
zu 11. Juli 1562: Card 11 Varmiensi. | Ex litteris — ad quas,
cum nihil aliud habeam quod respondcam, D. V. R ma0 me
etiam atque etiam ex animo commendo. Dat. Romae etc. —
Tom. 55 f. 11' zu 17. October 1562: Car 11 Varmiensi. |
Quod ad me scripsit R ma et Ill ma D. V. — ego operam Studium
ac diligentiam meam eidem sepius delatam nunc iterum toto
animo defero manusque deosculor etc. Dat. Romae etc. — Ib.
f. 20' zu 29. October d. J.: Car 11 Varmiensi. | Audivit ad-
modum libenter S mus D. N. — ad s. hoc negotium ad optatum
finom producendum etc. Dat Romae etc. Ueberblicken wir die
Gesammtheit dieser Briefe, so bewegt sich die salutatio finalis
zwischen dem schlichten vale und einem viele Zeilen langen
Satze: wird sie nun in der Regel von den Registratoren ganz
wiederholt, so wird sie doch auch zuweilen gekürzt oder ganz
ausgelassen.
4. Briefe und Postscripte des Papstes und ihre Behandlung
in dem Generalregister.
Um zu der zweiten im GR. gebotenen Kategorie von
Proposten, d. h. zu den Papstbriefen überzugehen, hebe ich
nochmals die Momente hervor, welchen sie ihre Entstehung und
auch ihre Wirkung verdankten. Borromeo betont fast in jedem
seiner Briefe, dass er lediglich des Papstes Willen zum Aus
drucke bringe, und sagt auch gelegentlich, dass er keinen Brief
ohne Genehmigung des Papstes befördere; kann er zuweilen
auf die Bitten der Legaten um Weisung nicht sofort antworten,
so pflegt er sich damit zu entschuldigen, dass er dem Papste
noch nicht habe Vortrag halten oder dass er dessen Ent-
24
X. Abhandlung: v. Sichel.
Scheidung noch nicht habe erwirken können. Pius IV. genügte
bei allem Vertrauen zu seinem Nepoten nicht, dass sein Willen
durch diesen kundgegeben wurde. Wie er zumeist die Ver
handlungen des Concils mit lebhaftem Interesse verfolgte und
sich oft durch momentane Eindrücke bestimmen Hess, gab ihm
gerade die Vorlage der Briefe Borromeo’s an die Legaten An
lass, persönlich einzugreifen. 1 Andererseits legten auch die
Legaten Werth darauf, in schwierigen Fällen sich der Willens
meinung des Papstes zu versichern: so verlangten sie in einem
Schreiben an Borromeo vom 29. Juni 1563 (Anhang Nr. 28)
geradezu, dass der Papst, wenn er das und das wolle, ne man-
dasse ordine fermato di sua mano. Für solche ganz directe
Aeusserungen der Päpste waren mit der Zeit ebenfalls be
stimmte Normen aufgekommen; aber die Schranken, welche sie
der stark ausgeprägten Eigenart dieses Papstes zogen, wurden
unter Umständen auch überschritten. So bediente sich Pius IV.,
wenn er seine Willensmeinung persönlich verlautbaren wollte,
der mannigfaltigsten Formen. Derartige Briefe richtig zu be
handeln, allen Besonderheiten derselben Rechnung zu tragen
und sie ersichtlich zu machen, musste den Registratoren, welche
nach einem Schimmel zu arbeiten gewohnt waren, schwer fallen.
In Folge dessen sind die Abschriften und die übliche Zuthat
zu denselben (s. S. 40) nicht immer gelungen, ja es sind zu
weilen gerade die formelhaften Tlieile, welche solche Stücke
als Papstbriefe kennzeichnen, verunstaltet oder verwischt
worden, so dass die Benützer der Registercopien, wenn sie
nicht mit dem besonderen Stile dieser persönlichen Kundgebungen
vertraut sind, leicht betreffs der Autorschaft irregeführt werden
können.
Gilt es also, die Ueberlieferung der Papstbriefe in den
Registern zu controliren, und ist uns dabei die Handhabe be
nommen, deren wir uns bei der Betrachtung der Borromeo-
Briefe bedienen konnten, da Concepte zu dieser Species von
Papstbriefen mir wenigstens noch nicht zu Gesichte gekommen
sind, 2 so muss ich mich, um auf die Kennzeichen aufmerksam
1 Vgl. die letzte Nachschrift zu dem Briefe vom 3. October 1562 im An
hang Nr. 21.
2 Dass in gewissen Fallen Concepte im eigentlichen Sinne des Wortes
gar nicht vorhanden gewesen sind, werden wir S. 33 sehen.
Römische Berichte. II.
25
zu machen, an die noch vorhandenen Originale halten. Zum
Glück haben sich deren viele erhalten, in grösserer Zahl aus
der Periode, in welcher der Cardinal von Mantua den Vorsitz
führte, in geringerer aus der Morone-Periode. Dass ich aber
jene, welche auf der Ambrosiana erliegen, noch nicht aus eigener
Anschauung kenne, bestimmt mich, hier nur gelegentlich von
ihnen Gebrauch zu machen und für die folgenden Bemerkungen
mich fast ausschliesslich auf die im Vaticanischen Archiv
befindlichen, vom April bis December 1563 reichenden Exem
plare zu stützen und zu berufen. 1
1 Die Particularcorrespondenz mit Morone beginnt mit einem Briefe Borro-
meo’s vom 25. März 1563, welcher, zwei Tage nach der Abreise des
Adressaten von Rom geschrieben, diesem noch vor dem Eintreffen in
Trient zuging. Nach der Ankunft dort wurden in Morone’s Registratur
mit den an ihn gerichteten Schreiben auch die proposte in commune
vereinigt. Die ersten Papstbriefe dieser Sammlung datiren vom 8. und
9. Mai. — Um Auskunft über den Vorrath an Papstbriefen und über
deren Ueberlieferung zu geben, sehe ich mich genöthigt, den frü
heren Angaben über die Morone-Papiere (s. I, S. 77) Folgendes hinzu
zufügen. Was von ihnen nach Ablieferung an das Vaticanische Archiv
dort in die Abtheilung der Concilakten eingereiht worden ist, ist recht
und schlecht in 10 Bänden, nämlich in tom. 26—34 und 68 untergebracht
worden. Der letzte Band ist offenbar nur durch ein Versehen zu seiner
jetzigen Nummer gelangt. Wir sahen schon I, S. 91—95, dass er unter
Paul V. und bis in die Zeit von Pallavicino hinein stets in Verbindung mit
den tom. 26—32 genannt wurde. Dazu kann ich jetzt hinzufügen, dass er
noch im Inventar von 1672 als Nr. 288 angeführt und damit an die Spitze
der zehn aus Morone’s Nachlasse stammenden Bände der Concilakten
gestellt wird (tom. 26—34 sind nämlich = Bissaigliam Nr. 289—297),
während der jetzige tom. 25 (eine der von Massarello besorgten, jedoch
nicht vollständige Reinschrift der Decreta concilii) dort als Nr. 330
erscheint; also wird tom. 68 einst tom. 25 gewesen und wird der jetzige
tom. 25 damals eine andere Nummer geführt haben. Aus alledem kann
man mit Sicherheit folgern, dass tom. 68 auch in der Serie der für
Pallavicino (I, S. 95) excerpirten tom. 1—8 delle lettere nell’ archivio
Vaticano als tom. 1 an der Spitze gestanden haben wird. Dass da nur
von 8 Bänden die Rede ist und nicht auch von den Bänden gleicher
Herkunft 33 und 34, hat seinen guten Grund: für den Historiographen
des Concils kamen eben nur tom. 25 — 32 in Betracht und nicht auch die
zwei folgenden, welche nämlich Briefe an Morone vom Kaiser, von Erz
herzogen, Cardinälen u. s. w. aus den Jahren 1530—1580 und darunter
nur sehr wenige auf das Concil bezügliche enthalten, so dass sie zu
den der Zeit vor oder nach dem Concil angeh origen und nur von un-
26
X. Abhandlung: v. Sickel.
Als Beispiel für normale Papstbriefe, wie sie vom General-
secretariate ausgeben, kann unter anderen der in I. Anhang Nr. 1
gefälir in diese Abtheilung eingestellten Bänden (s. I, S. 101) zu rechnen
sind. Gerade diese zwei Bünde mit bis zum Tode Moroue’s reichendem
Material beweisen, dass der Cardinal, so lange er lebte, seine Papiere
zusammengehalten und nicht an den Vatican abgeliefert hat, was auch
durch die von mir I, S. 17 angeführte Notiz aus dem Ende des 16. Jahr
hunderts bestätigt wird. Wann nun zuerst ein grosser Theil der Morone-
Akten an den Vatican gekommen und dort dem Archiv überwiesen
worden ist, kann ich noch immer nicht genau sagen. In den von Ga-
sperolo veröffentlichten Verzeichnissen der unter Paul V. dem neuen
Geheimarchive einverleibten Handschriften findet sich eine einzige, näm
lich Lettere del vescovo di Modena sotto Paolo HI., welche aus Morone’s
Nachlass stammen könnte. Dass aber die zuvor genannten 10 Bände
der Concilakten bereits unter Paul V. dem Geheimarchive angehörten,
sahen wir schon I, S. 91. Doch ist jedesfalls ein anderer Theil der
Morone-Papiere erst später dem Vatican ausgeliefert worden, so die I,
S. 89 citirten Codices der Bibliothek, deren über 6000 hinausgehende
Nummern auf Erwerbung nach 1630 oder 1640 hinweisen.
Auf den Inhalt der tom. 27, 29, 32 und 68 gehe ich noch weiter
ein. Wie ich schon sagte, hat Morone gleich seinem Vorgänger im
Präsidium des Concils auch die ihm als Vorsitzenden zugestellten lit-
terae in commune als sein Privateigenthum betrachtet. Die ganze Samm
lung ist schon zu seiner Zeit, wie noch ersichtlich ist, in eine bestimmte
Ordnung gebracht worden. Aus der Masse der Proposte wurden die
jenigen, welche entweder vom Papste ausgegangen oder doch mit Nach
schriften des Papstes versehen waren, ausgeschieden, um als gesonderte
Abtlieilung aufbewahrt zu werden. Die übrigen weit zahlreicheren und
daher die Hauptabteilung bildenden Proposte wurden wieder zerlegt
in die Briefe des Cardinalnepoten (eventuell auch des Gelieimsecretärs
Galli) in commune (d. i. der jetzige tom. 68) und in die Particularbriefe
an Morone (d. i. tom. 27). Minder gut als diese Sammlung ist die Neben
abtheilung der päpstlichen Proposten behütet und zusammengehalten
worden. Es sind lediglich die der Communecorrespondenz angeliürigen auf
uns gekommen und auch die nicht vollständig und nicht alle in Originalen,
sondern vielfach nur in gleichzeitigen Abschriften. Und was sich von dieser
Nebenabtheilung erhalten hat, ist auseinandergerissen worden: ein Theil
ist in den leidlich geordneten tom. 29 eingereiht worden, ein anderer in
tom. 32, in welchem sehr mannigfaltiges, vielleicht gelegentlich wieder auf
gefundenes Material untergebracht worden ist. In den Arcliiv-Indices habe
ich keine Spur von weiteren hiehergehörigeu Stücken entdeckt. Auch in
den Sammelbänden der Vaticanisclien Bibliothek habe ich vergeblich nach
solchen gesucht. Ob sich Papstbriefe gleicher Bestimmung in anderen
Sammlungen, in welche Bruchtheile des Morone-Nachlasses gerathen sind,
noch auftreiben lassen werden, muss ich dahingestellt sein lassen.
Römische Berichte. II.
27
aus clem Originale abgedruckte dienen. Auf die Persönlichkeit
des Adressaten wurde nicht allein in der Aussenadresse und in
der Anrede am Eingang des Briefes Rücksicht genommen, son
dern nach ihr wurde auch die Sprache gewählt: an die Legaten
insgesammt und an die Mehrzahl der einzelnen, an die Nun
tien, an die Bischöfe in Italien u. s. w. wurde italienisch ge
schrieben, an Hosius dagegen lateinisch, an den Kaiser, den
Cardinal von Lothringen u. a. bald italienisch und bald la
teinisch. 1 Immer aber wurde das Protokoll lateinisch gehalten,
1 Vgl. Sickel, Nr. 78 und 112, wo jedoch Originalbrief zu lesen ist. —
Dass ein Papstbrief ein Breve nicht ersetzen konnte, geht aus einem
Briefe Pius IV. an die Legaten vom 1. Juli 1563 hervor. Er betrifft
die von Pallavicino XXI, 14, Nr. 8—14 recht gut dargestellten Verhand
lungen über den der Ketzerei verdächtigten Patriarchen von Aquileja
Grimani. Um die Entscheidung über seine Eechtgliiubigkeit dem Concile
zuzuweisen, bedurfte es eines Breves. Der Papst sagt nun: se il breve
non fü spedito, & stato perche nissuno P ha sollicitato, n6 1’ oratore d’ essa
signoria (Venedig), n5 anclie la parte; hora questa nostra valerä per
breve. Damit sollten die venetianischen Oratoren augenblicklich be
ruhigt werden: zwei Tage später wurde das erforderliche Breve expedirt.
Dass sich von jenem Briefe in den Concilakten nur eine gleichzeitige
Abschrift erhalten hat (tom. 32 f. 152), wird damit Zusammenhängen,
dass das Originalschreiben den Venetianern ausgefolgt wurde. — Anderer
seits wurden an Fürsten gerichteten Bullen und Breven oft eigenhändige
Papstbriefe (so die oben citirten an K. Ferdinand) beigefügt, Höflichkeits
halber oder auch um ein etwaiges Versprechen durch persönliche Kund
gebung zu bekräftigen. Der letzteren Art ist das autograpke Schreiben
Pius IV. an K. Philipp von Spanien vom 16. Juli 1561 in Döllinger,
Beiträge 1, 366, Nr. 103. Wurde zuerst durch dieses bezeugt, dass der
Papst noch vor der ersten Sitzung sich für die Continuation erklärt hatte,
so war doch der Wortlaut des betreffenden Breves vom 17. Juli un
bekannt; Pallavicino insbesondere wusste nur aus deu späteren Ver
handlungen über diese Frage (s. XVII, 3, Nr. 2 und XX, 10, Nr. 5—20),
dass Philipp eine derartige Zusage gemacht worden war. Da ich dieses
wichtige Stück in tom. 12 f. 66 (hier noch andere, offenbar in Trient
gesammelte Aktenstücke theils in Originalen, theils in gleichzeitigen
Copien) gefunden habe, theile ich es im Anhang Nr. 18 mit. In den
beiden Serien der Breve-Minuten (s. I, S. 64, Anm. 1) hat es sich nicht
erhalten, und auch in dem 1726 von Jac. Ant. de Pretis angelegten Index
brevium a Clemente VII ad Gregorium XIII (Vat. Arch., Arm. LI,
tom. 20) ist es nicht verzeichnet worden. Ich vermuthe, dass dieses
Breve von Anfang an sehr geheim gehalten worden ist (dass man es
z. B. am Kaiserhofe nicht kannte, geht aus Sickel Nr. 192, 193 hervor),
und dass in den Brevensecretariaten weder das Concept noch eine Copie
28
X. Abhandlung: v. Sickel.
und zwar lautete es im Eingänge wie in den Breven: Pius
papa IV . . . salutem et apostolicam benedictionem, 1 zwischen
welchen Worten der oder die Adressaten angeredet wurden.
Hier zweien nun, wenn wir die 1561—1563 nach Trient ge
sandten Papstbriefe vergleichen, in der Regel die aus der ersten
und die aus der zweiten Periode: stets wird der Cardinal von
Mantua angeredet mit Dilecte fili und die Giesammtheit der
Legaten mit Dilecti filii, während an Morone als Cardinalbischof
geschrieben werden sollte Venerabilis frater, desgleichen an
ihn und seine Collegen V. frater et dilecti filii; aber mit die
sem und einigen anderen geringfügigen Punkten hat es das
Secretariat nicht so streng genommen wie das Brevenbureau. 2
Ueber das Eingangsprotokoll reicht der Anschluss an die
Breven nicht hinaus. Vor diesen hat die Mehrzahl der Briefe den
Schlussgruss voraus, für welchen noch die Sprache des Con-
textes beibehalten wird. 3 Lautet dagegen das Eschatokoll
wieder in allen Fällen lateinisch, so unterscheidet es sich von
dem der Breven durch die Kürze, denn es entfallen der Hin
weis auf die Art der Besiegelung und die Angabe des Ponti-
ficatsjahres. Vollends gehen Briefe - und Breven in den
äusseren Merkmalen auseinander. Für jene ist immer nur Pa
pier, und zwar so wie bei Briefen anderer Schreiber verwendet
worden. Der Papst als Autor beschränkt sich darauf, an den
Kopf eigenhändig Pius pp. IIII. zu setzen. 4 Geschlossen sind
aufbewalirt worden ist, so dass wir die Erhaltung einer gleichzeitigen
Abschrift in tom. 12 nur dem Zufalle verdanken.
1 Dass in einigen Originalbriefen, wie in Nr. 31 c und 34 des Anhangs
nach benedictionem nocli etc. gesetzt worden ist, kann ich nur als lap&us
calami betrachten.
2 Bichtig lautet die Anrede in den beiden Hauptbriefen vom 6. Juli 1563
(Anhang Nr. 31), während am 15. October 1563 (ib. Nr. 34) die ge
summten Legaten mit Dilecti filii angesprochen wurden. Dagegen fand
ich die Aussenadressen stets correct gefasst, nämlich Venerabili fratri
Johanni et dilectis filiis Stanislao, Ludovico etc.
3 Vgl. Anhang Nr. 1, 7, 19. Er kann aber in Briefen, welche weniger den
Destinatären gelten, als zuf Kundmachung durch diese bestimmt waren,
auch entfallen, so in dem S. 25 erwähnten Briefe vom 8. Mai 1563.
4 Den Originalproposten an die^ Legaten wurden oft Copien von Briefen
beigefiigt, welche der Papst an Fürsten oder an deren Conciloratoren
gerichtet hatte und seinen Legaten mittheilen zu müssen glaubte. Ob-
Römische Berichte. II.
29
nun diese Briefe, wie es damals allgemein geschah: nachdem sie
gefaltet worden waren, 1 wurde ein schmaler Papierstreifen
durch Einschnitte gezogen und wurden dessen breitere Enden
durch ein aufgedrücktes Siegel zusammengehalten. So viel ich
weiss, hat sich das G-eheimsecretariat für alle von ihm expedirten
Papstbriefe des ovalen Secretsiegeis bedient, auf welchem das
Medici-Wappen von zwei Schlüsseln und der Tiara gekrönt
dargestellt ist, wozu die Umschrift PIVS PP. IIII. kommt. 2
gleich diese Stücke als Copien bezeichnet werden, hat sie Pius IV. zu
weilen dadurch beglaubigt, dass er selbst das übliche Pius pp. IIII.
vorgesetzt hat.
1 In der Höhe wurde der Halbbogen sechsfach und in der Breite vierfach
zusammengelegt.
2 Der Stempelschneider hat die Umschrift sehr ungeschickt angebracht:
um sie lesen zu können, muss man das Bild auf den Ivopf stellen, denn
der Name steht auf dem unteren rechten (vom Beschauer aus gesehenen)
Rande und die Titulatur gegenüber links.
Briefe aus dem Gelieimseeretariat uud mit dem Wappensiegel ge
schlossen kamen als auf des Papstes und der Kirche negotia secreta
bezüglich nicht in den allgemeinen Verkehr. Daher machte der von
Simonetta am 9. December 1561 überbrachte Originalbrief des Papstes
an die Legaten (gedruckt in Beccadelli 2, 304) auf den Schreiber, welcher
ihn in Trient in das dort geführte AR. (s. I, S. .80) eintragen sollte,
solchen Eindruck, dass er der Abschrift beifügte: sigillata et piegata
come una lettera, con un sigillo scolpitovi I’ arma de Medici con lo
chiavi et mitra.
Papierstreifen und Siegelabdruck haben sich nur selten ganz er
halten, so dass ich, da mir bisher ein einziges Original unversehrt vorliegt,
es nur als Vermutliung aussprechen kann, dass auf dem Streifen in der
Nähe des Siegelabdruckes eventuell bemerkt worden ist, wer das Schreiben
öffnen sollte. Auf dem Streifen des einen Papstbriefes vom 8. Mai 1563
(tom. 32 f. 136—137) steht nämlich in ganz kleinen uud feinen Buch
staben Presid., was ich deute zu Händen des Vorsitzenden Legaten. —
Ein Analogon glaube ich in einem Originalschreiben des Cardinais
Iiosius an den Papst vom 15. October 1560 (Original in Nunz. di
Germ. 64 f. 199) gefunden zu haben: hier stehen nämlich dicht neben
dem Siegel die vier Buchstaben S. D. N. C. Die drei ersten bedeuten
offenbar sanctissimus dominus noster. Soll nun damals, falls ein Schrift
stück dem Papste zu eigenen Händen zugestellt werden sollte, die Formel
gebraucht worden sein S. D. N. ipse, so stimmt dazu nicht die vierte
Sigle; ich vermutlie also, dass es hier heissen soll: sanctissimo D. N.
consignanda. Dass dieser Brief dem Papste direct in die Hände gespielt
werden sollte, entspricht dem Inhalte und einer gleich auf den Brief
geschriebenen Weisung. Iiosius unterbreitete nämlich im zweiten Theile
30
X. Abhandlung: v. Sickel.
Diese Art, seinen Willen kundzugeben, bei der er an her
kömmliche Formen gebunden war und sich eines Dictators und
eines Mundanten bedienen musste, hat, wie ich schon sagte,
Pius IV. nicht immer genügt. Zuweilen hat er auch an die
Legaten ein ganz eigenhändiges und wahrscheinlich auch von
ihm allein concipirtes Schreiben gerichtet, wie z. B. am
14. August 1563 (Anhang Nr. 33). Hat ihm hier offenbar die
Fassung vorgeschwebt, welche wir eben als die normale kennen
gelernt haben, so hat er sich doch nicht streng an sie gehalten,
sondern hat die gesammten Legaten mit Venerabiles fratres
angeredet und hat auch noch die Datirung in italienischer
Sprache geboten. Häufiger hat er seinen eigensten Gedanken
in eigenhändigen Nachschriften Ausdruck verliehen, in Nach
schriften zu Briefen seines Nepoten oder auch zu den vom
Secretariat hergestellten Papstbriefen. In diesen sieht er zu
meist von allem Aufputz des Einganges und des Schlusses ab
(so im Anhang Nr. 1), beobachtet aber auch den einen und
anderen guten Brauch des Briefstiles. So redet er einmal
(Nr. 20) den Cardinal von Mantua vertraulich mit Monsignore
an und ein anderes Mal ebenso die gesammten Legaten (Nr. 34).
Jenes Postscriptum schliesst er überdies mit freundlicher salu-
tatio finalis ab ünd versieht es (ebenso die Nachschrift von
Nr. 7) mit der üblichen Unterfertigung Pius papa IV. Dass
er sich ganz durch die momentane Eingebung bestimmen lässt,
lehrt das Schreiben vom 7. August 1563 im Anhänge Nr. 32.
Hier liegt uns eine im Namen Borromeo’s stilisirte Proposte
vor, für welche wie gewöhnlich eine Minute angefertigt worden
sein wird. Als diese bis se cosi vorra pur l’imperatore mun-
dirt worden war, mag der Papst nochmals um Gutheissung
des weiteren Wortlautes gebeten worden sein: da hat er denn
mitten in der Zeile mit eigener Hand eingesetzt, um den Brief
ganz nach seinem Ermessen zu vollenden, wobei er nicht
seines Schreibens dem Papste eine Bitte zu Gunsten seines Geheim
schreibens Valentinus (d. i. Kutzborsky, vgl. den auf dieselbe Angelegen
heit bezüglichen Brief des Cardinais von Augsburg in Epist. Pogiani
2, 142), und Pius IV. wies das Gesuch zu, wie auf der Rückseite be
merkt ist: Coste qui diligentissime commendat hoc negotium R. Joanni
Baptistae de Rubeis (damals Decan der Rota) nomine S tis S. pro celeri
expeditione.
Römische Berichte. II.
31
unterliess, in correcter Weise Gruss, Datirung und Unterschrift
hinzuzufügen. 1
Wie sind nun diese mannigfaltigen Aeusserungen des
Papstes in die Register eingetragen worden? Was das GR.
anbetrifft, welches seiner Bestimmung nach nur Proposte des
Papstes und seines Nepoten, und zwar mit thunlichster Kür
zung der formelhaften Theile bieten sollte, so galt es die er-
steren insoweit kenntlich zu machen, dass sie sich von den an
deren hinlänglich abhoben. Handelte es sich um eigentliche
Papstbriefe, so genügte es, dass nach alter Gewohnheit, welche
Galli seinen Untergebenen nur einzuschärfen brauchte, an die
Spitze der Abschriften die dem Papste allein zukommende An
rede des Adressaten mit Dilecto lilio gesetzt wurde. Dagegen
mussten blosse Nachschriften, da sie solcher Anrede darbten,
durch irgend einen Zusatz ausdrücklich als vom Papste aus
gehend bezeichnet werden. Diese und einige andere mehr
in das Detail gehende Normen sind bei der Eintragung in das
ältere GR. fast ausnahmlos befolgt worden. Dass dennoch in
diesem Register die Proposte des Papstes nicht so gleichmässig
1 Ich bemerke gleich hier, dass dieses Stück im GE. tom. 55 f. 270 richtig
behandelt worden ist, nämlich als Proposte des Cardinais, deren Schluss-
passns aber die Bemerkung beigefügt worden ist manu propria sanctis-
simi. Dagegen ist in dem jüngeren CE. tom. 54 f. 285' der ganze
Brief schon in der Ueberschrift als vom Papste ausgehend bezeichnet
worden. — Dass auch Schreiben des Papstes in Chiffern gekleidet worden
sind, kann nicht Wunder nehmen. Belege der Art fand ich aber nur
im GE., nämlich in tom. 55 f. 309 und 324. An ersterer Stelle steht
ein Communebrief vom 11. September 1503 mit der Ueberschrift A li
medesimi eodem die und mit der Eandglosse in cifra, wozu erst der
Eevisor hinzugefügt hat a nome di S. S ta : dies Stück (Vi havemo fatto
scrivere — a tolerare etc.) ist aller Formeln entkleidet und lässt nur
durch den Stil den Papst als Autor erkennen. An der zweiten Stelle
folgt auf einen Brief Borromeo’s an Morone vom 23. September des
selben Jahres, dessen Original in tom. 27 Nr. 54 erhalten ist, unter der
Ueberschrift al medesimo nome proprio di S. S 4 “ und mit der Eand-
bemerkung in cifra ein Schreiben: Noi siamo avisati — piü di quello che
liavereste fatto, se non 1’ havessimo scritta. Dat. Eomae etc., welches
der üblichen Anrede am Eingang darbt und dann doch mit Datum ver
sehen ist. Nach diesen zwei Beispielen zu urtheilen würden die Auf
zeichnungen päpstlicher Proposte, welche in Chiffern übertragen werden
sollten, noch willkürlicher behandelt worden sein als die den Legaten in
gewöhnlicher Schrift zugegangenen persönlichen Weisungen des Papstes.
32
X. Abhandlung: v. Sickel.
wie die des Cardinais Borromeo behandelt worden sind, und
dass in den jüngeren Registern bei Wiedergabe der ersteren
geradezu Fehler unterlaufen sind, hängt wohl damit zusammen,
dass es ihrer nicht viele waren. Die Weisungen des Papstes
verhalten sich zu denen des Cardinais der Zahl nach etwa
wie 1 zu 20, 1 sind aber, wie ich schon S. 11 bemerkte, nicht
insgesammt in das ältere G-R. aufgenommen worden. Eine
Kategorie derselben, nämlich die Briefe an die einzelnen Le
gaten, scheint sogar principiell ausgeschlossen worden zu sein,
denn von den vielen Stücken dieser Art welche in den Particular-
registern überliefert worden sind, findet sich ein einziges in
das GR. eingetragen. 2 Ist somit die Zahl der persönlichen
Aeusserungen des Papstes, welche bei der ersten Registrirung
berücksichtigt werden sollten, eine noch geringere geworden
und waren überdies diese Stücke, wie wir bereits sahen, recht
mannigfaltiger Art, so konnte es nicht so leicht zu einer festen
Norm der Behandlung seitens der Registratoren kommen, wie
das bei der zwanzigmal grösseren Anzahl der durchaus gleich
artigen Proposte des Cardinais der Fall war.
Dass unter den Aeusserungen des Papstes verhältniss-
mässig viele von ihm selbst geschrieben sind, gibt mir Anlass,
hier von der Eintragung aller Autographen, mögen sie von
seiner Hand oder auch von der Borromeo’s stammen, in die
Register zu reden und die Erklärung des Cardinais von Como,
dass die Copien unseres GR. nach den Originalminuten an
gefertigt worden seien, als hier nicht zutreffend zu bezeichnen.
Alle eigenhändigen Proposten sind zu gleicher Zeit concipirt
und zu Papier gebracht worden, so dass es von ihnen gar keine
1 So nach meiner bisherigen Kenntniss des gesammten Materials. Ich
füge noch hinzu, dass Pius IV. im letzten Jahre häufiger als zuvor
persönlich in die Verhandlungen eingegriffen hat. Dagegen scheint er
mehr eigenhändige Schreiben an Mantua gerichtet zu haben als an
Morone.
2 Brief an Navagero vom 20. October 1563 mit additum manu propria
sanctissimi D. N. in tom. 55 f. 348Fehlt also auch der von mir in I,
S. 125 veröffentlichte Particularbrief an Mantua vom 11. Jänner 1562,
so ist das sehr bezeichnend, da ein päpstlicher Communebrief vom
gleichen Tage sich in NG. 4 C f. 188 copirt findet. Diese Einschränkung
gilt aber nur den selbständigen Briefen: Nachschriften des Papstes zu
den Particularbriefen Borromeo’s sind regelmässig aufgenommen worden.
Römische Berichte. II.
33
Minuten gegeben hat. Darüber, wie sie in den Registern über
liefert worden sind, klärt uns eine Randglosse des tom. 55
auf, welche ich S. 41 veröffentliche und erläutere: von den
Briefen oder Nachschriften manu propria sanctissimi oder m. p.
illustrissimi (d. i. Borromeo’s) sollten im Secretariat vor der
Expedition Copien angefertigt werden, um seinerzeit auch
den Registratoren als Vorlagen zu dienen. Die uns in den
Registern gebotenen Abschriften dieser Stücke sind also Ab
schriften zweiten Grades, was namentlich betreffs der Auto-
graplien des Papstes zu beachten ist, welche absonderlich con-
cipirt und minder leserlich, nicht leicht zu copiren waren.
Werde ich später an bestimmten Beispielen zeigen, wie sehr
da die Registercopien von den Urschriften abweichen, so will
ich doch gleich hier bemerken, dass die Registratoren gar
nicht oder nur zum Theil für die schlechtere Ueberlieferung
dieser Stücke verantwortlich gemacht werden können. Dass
hier Copien in der Mitte liegen, hat noch anderen Schaden
angerichtet. Es scheint in ihnen nicht immer das manu pro
pria sanctissimi betont worden zu sein, und es scheint nicht
immer in jeden Zweifel ausschliessender Weise ersichtlich ge
macht worden zu sein, dass ein autographes PostScript des
Papstes zu diesem oder jenem Briefe gehörte: durch Mängel
der Art konnte der gewissenhafteste Registrator zu Irrthümern
verleitet werden. Dabei spielte dann der Zeitabstand eine
grosse Rolle. In dem so gut wie gleichzeitigen GR. sind die
Fehler, welche auf solche Weise entstanden sind, äusserst selten:
, die damaligen Registratoren oder diejenigen, welche ihnen das
Material zurechtgelegt hatten, werden sich noch ausgekannt
und werden sich etwa auch noch des einstigen Vorganges er
innert haben. Dagegen befanden sich die späteren Registra
toren, wenn sie es mit mangelhaften oder zweideutigen Copien
von päpstlichen Autographen zu thun hatten, in misslicher Lage.
Wir können in gewissen Fällen nacliweisen, dass sie gerade
in dieser Beziehung Fehlgriffe gethan haben, und müssen
gegenüber der uns durch sie vermittelten Ueberlieferung vor
sichtig sein.
Ich kehre zu dem Hauptthema, der Beschreibung des
älteren GR. zurück. Die mehr oder minder gemeinsamen
Kennzeichen der hier registrirten Briefe des Papstes (von den
Sifczungsber. d. pliil.-hist. CI. CXXXV. Bd. 10. Abh. 3
34
X. Abhandlung: v. Sickel.
Nachschriften sehe ich augenblicklich ah) sind folgende. Die
Ueberschriften unterscheiden sich in nichts von denen der
Borromeo-Briefe, d. h. sie geben nur den oder die Adressaten
an, dazu Monat und Tag. Als das wesentliche Merkmal der
Registercopien der päpstlichen Proposte habe ich bereits die
Wiederholung der Eingangsformel bezeichnet. Zn Beginn des
NG. 4 C wird uns diese vollständig geboten, z. B. Dilecti filii
salutem et apostolicam benedictionem. Wird sie dann zumeist
gekürzt, so geschieht dies in verschiedenem Grade: neben D.
filii etc. begegnet D. f. salutem etc. oder in der Folge Vene-
rabilitis frater et d. f. salutem etc. Dass die Registratoren mit
der Zeit sich kürzer zu fassen suchen, zeigt die Behandlung
des Schlnssgrusses: in NG. 4° scheint er, wenn er im Original
gesetzt worden war, regelmässig wiederholt worden zu sein;
in tom. 55 begegnet er nie mehr. War endlich die Datirung
in lateinischer Sprache als charakteristisch hervorzuheben, so
wurde dafür, da die Angabe von Monat und Tag schon in
der Ueberschrift vorweg genommen war, die kurze Form Dat.
Romae etc. beliebt. Inwieweit demnach die Registratoren an
ein Schema gebunden waren, und inwieweit ihrem Ermessen
Spielraum gelassen blieb, mögen zwei Beispiele lehren. Der
erste Papstbrief in NG. 4 C ist f. 188' folgendermassen ein
getragen worden: A li R 11 " legati a XI. die Gennaro. || Dilecti
filii salutem et apostolicam benedictionem. Non mandamo costa
— preghiamo il S 01 ' Dio che vi conservi et conceda la sua santa
gratia. Dat. Romae etc. Und in tom. 55 f. 180 findet sich der
Brief, dessen Lesarten ich S. 58, Anm. 1 mittheile, so gebucht:
A li legati a 9. di Maggio. |j Dilecti filii. Poiche questi prin-
cipi — mediante una buona et severa riforma. Dat. Romae etc.
In beiden Fällen ist, worauf es besonders ankam, der Brief
hinlänglich als vom Papste ausgehend kenntlich gemacht worden.
Ich habe bisher in NG. 4 C und in tom. 55 höchstens zwei
Verstösse gegen obige Normen gefunden. Sie zu besprechen
muss ich noch einer weitern Vorschrift, auf die ich S. 39 zurück
komme, gedenken, der Vorschrift, dass autographe und dass
chiffrirte Stücke im Register durch Randglossen (manu propria
oder in cifra) als solche gekennzeichnet werden sollten. Finden
wir nun in NG. 4 C f. 273 und f. 321' zwei Papstbriefe vom
10. Juni und vom 26. August 1562 eingetragen mit dem Schluss
Römische Berichte. II.
35
Di Roma etc., so erscheint hier die italienische Fassung in-
correct, vorausgesetzt, dass die Briefe von einem Mitgliede des
Secretariats mundirt worden waren, erscheint aber zulässig
(s. S. 30), wenn die Briefe vom Papste selbst geschrieben waren;
im letzteren Falle wäre nur darin gefehlt worden, dass die Eigen
händigkeit nicht angezeigt worden wäre. 1 Nun folgt aber auf
den Hauptbrief vom 26. August ein als autograph hezeichnetes
PostScript des Papstes, woraus sich ergibt, dass jener nicht
vom Papst selbst geschrieben war, und dass der Registrator
statt des Datum Romae etc. des Originals das ihm geläufigere
Di Roma etc. gesetzt hat. So wird auch im anderen Falle der
Registrator die Norm ausser Acht gelassen haben. 2 In diesem
Zusammenhänge will ich noch bemerken, dass bei der Ein
tragung von autographen Nachschriften des Papstes, welche
fast von Fall zu Fall differirten, noch leichter Versehen unter
laufen konnten; es wird genügen, das mit einem Beispiel zu
belegen. Das Schreiben Borromeo’s an den Cardinal von
Mantua vom 15. August 1562 und das ihm vom Papst eigen
händig beigefügte PostScript (im Anhänge Nr. 20) sind in
NG. 4° f. 316' so copirt worden, dass letzteres, indem es vor
der Datirung des Hauptbriefes eingeschoben worden ist, als
ein eigener Papstbrief mit der ungewöhnlichen Anrede Mon
signore und mit lateinischer Datirung erscheint.
5. Die äusseren Merkmale des älteren Generalregisters
und seine Schicksale.
Die Behandlung der Briefe des Papstes und seines Ne-
poten, wie wir sie hiemit kennen gelernt haben . weist ebenso
wie die Auswahl derselben auf ein im voraus für das GR.
aufgestelltes Programm hin. Gehen wir nun zur Betrachtung
der äusseren Merkmale des GR. über, so bezeugen auch diese
und unter ihnen vornehmlich die Anlage des betreffenden
Bandes, dass mit Ueberlegung vorgegangen worden ist. Besteht
nämlich zwischen den Registern, welche ich S. 4 als noch
1 Einen Fehler analoger Art, welcher erst bei der Revision gntgemacht
wurde durch den Zusatz a nome di S. S, habe ich bereits S. 31,
Anm. 1 angeführt.
2 Mehrere ganz gleiche Fehler weist auch das Nuntiaturregister NG. 4 b auf.
3*
36
X. Abhandlung: v. Sickel.
unter Pius IV. vollendet und als gleichzeitig bezeichnet habe,
folgender Unterschied, dass in NG. 4 C , in tom. 55 und in
NG. 4 b regelmässig drei Bogen (einmal gefaltet, so dass sechs
Halbbogen oder Folien entstanden) zusammengeheftet worden
sind, dagegen für NG. 4 a fünf Lagen zu je 20 Blättern und
für NG. IO 1 ’ zwei Lagen von 46 und von 50 Blättern ver
wendet worden sind, während in NG. 4 ll auf ein erstes Heft
von 28 Folien dieselben kleinen Hefte wie in NG. 4 C folgen, 1
1 Will man (lies verfolgen, so muss man von der späteren Foliirung ab-
seken, bei welcher z. 13. in NG. 4° die Zahl 250 übersprangen ist, so
dass die sechs Blätter des betreffenden Heftes numerirt worden sind
f. 246—252, und bei welcher in tom. 55 die Zahlen 92 und 305 je zwei
Folien gegeben worden sind. — Hie einzige Ausnahme von der oben
angegebenen Regel besteht darin, dass der Registrator, um mit dem
Papier auszureichen, am Schlüsse des tom. 55 eine Lage von vier Bogen
(f. 401—408) gebildet hat. An diese letzte Lage sind beim Einbinden
mehrere Blätter angeklebt worden, von denen drei das S. 16, Anm. 1
beschriebene Concept (3 bieten.
Ich füge hier einige Bemerkungen über das Papier hinzu. Es
wurde damals an der Curie für Minuten, Reinschriften, Register u. s. w.
vornehmlich und im Geheimsecretariat ausschliesslich Papier ein und
desselben Formats gebraucht, etwa 28 Cm. hoch und 21 Cm. breit. Es
scheinen eben alle Fabriken, von denen man in Rom das Papier bezog,
das gleiche Format adoptirt zu haben, so dass nur einmal von ungefähr
ein um ein geringes abweichendes Fabricat in den Handel und zur Ver
wendung kam, wie in tom. 55 f. 198—221 (also vier Lagen) um je 1 Cm.
kleineres Papier aufweisen. Weit grösseres Format lieferten die Fa
briken in Deutschland. Daher lassen sich die von Z. Delfin aus Wien
nach Rom eingesandten Originalbriefe, wenn sie mit Akten römischen
Ursprungs zusammengebunden sind, wie z. B. im Cod. Borgli. I, 973
(5 Stück aus dem Jahre 1563) und im Cod. Barber. LXI, 23 (ein Stück
aus demselben Jahre), sofort erkennen, weil sie entweder eingeschlagen
worden sind oder noch über die in Rom geschriebenen Stücke hinaus
ragen. Und das in Trient gebrauchte Papier, welches laut dem Libro
delle spese theils über Bologna aus italienischen und theils aus deutschen
Fabriken bezogen wurde, ist verschiedener Grösse. —■ Ueber die Fili
granen sind wir noch nicht genügend unterrichtet, um aus dem Vor
kommen derselben sichere Schlüsse zu ziehen; doch werde ich noch
Gelegenheit haben, Fälle anzuführen, in welchen auch die Species der
Wasserzeichen in die Wagschale fallen. In unserem nach und nach an
gelegten GR. wechseln die Wasserzeichen fast von Heft zu Heft. Be
stehen dagegen andere Register aus nur wenigen umfangreichen Heften,
so geht zuweilen durch den ganzen Band dieselbe Filigrane, also auch
das gleiche Fabricat hindurch. — Im Geheimsecretariat ist es damals
Komische Berichte. II.
37
so ist das offenbar nicht Zufall, sondern der Zeitpunkt, in
welchem die Registrirung einer Correspondenz in Angriff ge
nommen wurde, hat für die eine oder die andere Art den
Ausschlag gegeben. War eine Correspondenz, wenn man sie
abzuschreiben beginnen wollte, bereits ganz abgeschlossen, so
dass man ihren Umfang übersehen konnte (das war der Fall
bei NG. 4 a ), so gab man grösseren Heften den Vorzug. Dies
that man auch, wenn eine Correspondenz zwar noch fortlief,
aber bis zum Augenblicke, da die Registrirung beschlossen
wurde, bereits stark angewachsen war: der bereits vorhandene
Vorrath von Briefen wurde dann ebenso behandelt wie eine
bis zu ihrem Ende gediehene Serie (so NG. 10 b ). Wurde da
gegen gleich bei Beginn einer Correspondenz die Registrirung
derselben für nöthjg erachtet und sollte sie möglichst parallel
neben dem Fortgange der Correspondenz herlaufen, sollten also
die Registratoren sozusagen von der Hand in den Mund leben,
so wählte man im Secretariat nach alter bewährter Gewohn
heit kleine Hefte von drei Bogen: so sind NG. 4 b , NG. 4 C
und tom. 55 gebildet worden, desgleichen auch der zweite Theil
von NG. 4 d , d. h. die allmählich entstandene Fortsetzung,
welche der in einem Zuge geschriebene erste Theil dieses
Nuntiaturregisters erhalten hat. Somit ist das uns hier besonders
beschäftigende GR. noch in anderem Sinne als z. B. NG. 4“
gleichzeitig: es wurde in der Absicht angelegt, dass die Buchung
der Briefe an die Concillegaten gleichen Schritt mit der Füh
rung dieser Correspondenz halten sollte, und dieser Absicht
scheint, soweit die Arbeitskräfte ausreichten, entsprochen worden
zu sein. 1
Im GR. wie in den anderen Registern dieser Zeit lassen
sich mehrere Hände unterscheiden. 2 Der einzelne Registrator
nicht wie sonst in Rom Brauch gewesen, die zu einem Bande zusammen
gehörigen Hefte mit Zahlen oder auch Buchstaben zu versehen; man
hat sich zumeist begnügt, durch Reclamanten auf das nächstfolgende
Heft zu verweisen, und in NG. 4 C und in tom. 55 sind diese regelmässig
gesetzt worden.
1 In dieser Zusammensetzung des älteren GR. aus kleinen Heften erblicke
ich einen Grund mehr, die Annahme (s. S. 2) zurückzuweisen, dass es
erst nach Schluss des Concils begonnen worden sei.
2 Wie es sich mit der Schrift in den Secretariatsakten verhält, kann ich
erst im folgenden Berichte, nachdem ich die jüngeren Register genau
38
X. Abhandlung: v. Sickel.
hat in der Regel ein Heft oder auch mehrere aufeinander fol
gende beschrieben, bis ein anderer an seine Stelle tritt. Hat
aber vereinzelt auch innerhalb einer Lage ein Wechsel statt
gefunden, so mag der Anlass dazu ein zweifacher gewesen
sein: ein Schreiber kann momentan nicht Zeit gehabt haben,
sein Pensum fortzusetzen, oder es kann auch einmal der Vor-
rath einzutragender Briefe erschöpft worden sein. Ich glaube
in diesem Zusammenhänge eine Bemerkung über die Auswahl
und über die Zahl der für unser GR. verwendeten Schreiber
einschalten zu sollen. Schon in I, S. 73 habe ich bemerkt und
hier im Excurs V führe ich es an der Hand von NG. 10 b aus,
dass der Wechsel der Registratoren eventuell darin seinen
Grund hatte, dass man nicht jedem Einblick in alle Geheim
nisse gestatten wollte. Ein solcher Unterschied ist zwischen
den Männern, welche das ältere GR. geliefert haben, nicht ge
macht worden. Schon daraus folgt, dass die Zahl der Mitglieder
des Secretariats, welchen man das Vertrauen schenkte, alle
die hier berührten negotia secreta und auch die, um deren Ge
heimhaltung man sich der Chiffern bedient hatte, kennen zu
lernen und copiren zu lassen, eine sehr beschränkte gewesen
sein wird. Hatten nun diese wenigen Männer eine Summe von
keinen Verzug erleidenden Schreibgeschäften (ich verweise auf
das Beispiel, das ich S. 64 ff. besprechen werde) zu besorgen,
so werden sie nur mit Mühe die Zeit erübrigt haben für un
unterbrochene und minder dringende Eintragung in die Register:
ich berufe mich da auf die Erklärungen des ebenfalls bei der
Registrirung betheiligten Carga und auf die Thatsache, dass
sich der volle Abschluss dieser so hochwichtigen Arbeit bis in
das Jahr 1565 hinein verzögert hat. Diese Sachlage erklärt,
was auch der Augenschein lehrt, dass das GR. absatzweise
entstanden ist.
Von Zeit zu Zeit wird die Arbeit wieder aufgenommen
und wird zu diesem Behufe der Vorrath von Minuten oder
auch von Copien, die sich angesammelt hatten, gesichtet und
in die dem Programm entsprechende Ordnung gebracht worden
sein. Dabei konnte leicht ein Versehen unterlaufen, oder die
beschrieben habe werde, sagen: ich komme dann auch auf die Unter
scheidung der Iliinde zurück.
Römische Berichte. II.
39
Papiere konnten auch in den Händen des Registrators, welchem
eine Partie zugewiesen worden war, wieder in Unordnung ge-
rathen. Dafür bietet uns NG. 4 b einen Beleg. Dort folgt näm
lich f. 117' auf eine Weisung an Ferrara vom 14. October 1561
von der Hand desselben Schreibers eine, welche überschrieben
ist A di primo di G-ennaro 1562. Erst nachdem von der
letzteren 10 Zeilen copirt worden waren, wurde wahrgenommen,
dass zwei Stücke vom 17. October und vom 1. November 1561
übersprungen worden waren. Das gutzumachen strich der
Registrator jene 10 Zeilen, trug die übersehenen Briefe nach
und kehrte schliesslich auf f. 123 zu dem Schreiben vom
1. Jänner zurück. Hier liegt auf der Hand, dass in der Regi-
strirung eine Unterbrechung von mindestens zwei Monaten ein
getreten war. Ein Fall ganz gleicher Art ist mir in unserem
GR. nicht aufgestossen. Aber dass dieses ebenfalls in Absätzen
und sogar weit auseinander liegenden geschrieben ist, geht
nicht allein aus der erst nach Jahren erfolgten Vollendung her
vor, sondern auch aus zwei erst bei der Revision verbesserten
Stellen. In NG. 4° f. 208' findet sich an richtiger Stelle eine
Proposte vom 21. Februar 1562 und in tom. 55 f. 57 ebenfalls
an richtiger Stelle eine vom 9. December desselben Jahres.
Aber ursprünglich lautete die Ueberschrift zu der ersteren a di
21. di Settembre und die zu der zweiten a di 9. di Luglio.
Diese Verwechslung der Monatsnamen erklärt sich am leichte
sten durch die Annahme, dass den Registratoren die Namen
der eben laufenden Monate in die Feder gerathen sind, woraus
sich ergeben würde, dass der Brief vom Februar erst im Sep
tember und dass der vom December erst im darauf folgenden
Juli copirt worden sind, wenn nicht, was ja auch nicht aus
geschlossen ist, mehr als ein Jahr nach der Expedition dieser
Briefe verflossen ist, bis es bei der Ueberbürdung der wenigen
des vollen Vertrauens gewürdigten Männer bis zur Buchung
dieser Stücke gekommen ist.
Als charakteristisch für die Entstehung unserer Register im
Geheimsecretariat betrachte ich, dass sie gewisse auf die ein
getragenen Briefe bezügliche Randglossen aufweisen. 1 Zuweilen
1 Glossen überhaupt begegnen in den ältesten Kanzleiregistern; es fragt
sich aber, was sie besagen, und in diesem Punkte unterscheiden sich die
40
X. Abhandlung: v. Sickel.
wird in ihnen wie in den Ueberschriften für das Ersatz geboten,
was in Folge der üblichen Kürzung ausgelassen worden ist;
zumeist aber unterrichten sie uns über die Details der Be
schaffenheit und Bestimmung der expedirten Stücke. Am häu
figsten begegnet zur Bezeichnung der Schlusstheile poscritta,
eventuell mit Zusätzen wie p. a nome di S. S ta oder additum
manu propria S mi oder additum 111™ (d. i. Borromeo) manu
propria. Die ebenso oft begegnende Bemerkung in cifra (ein
Mal in cifra dettata da S. S t& propria) wird im älteren GR.
regelmässig durch den aus dem Facsimile II. ersichtlichen
Schriftzug hervorgehoben. Ein Mal (KG. 4 a f. 340') findet
sich die Angabe: lettera per potere mostrare. Ich rede hier
von Randglossen, weil derartige Bemerkungen unter Pius IV.
in der Regel in margine geboten worden sind. 1 Zweifelsohne
sind die derartigen Angaben von den Registratoren zumeist
den Minuten entnommen. 2 Aber vereinzelt begegnen in den
Registern auch Zusätze, welche, wie ich schon sagte, nur einer,
welcher die Vorgänge mit erlebt, beachtet und im Gedächt-
niss behalten hatte, eintragen konnte. Das schlagendste Bei
spiel wird uns in tom. 55 f. 389' geboten. Drei Seiten zuvor
(f. 388) ist ein Brief a li legati a li 27 di Rovembre (1563)
gebucht, in welchem wiederum auf Beschleunigung des Schlusses
im GE. und in den gleichzeitigen Exemplaren von allen der Kanzlei
oder dem Brevensecretariat geläufigen Glossen.
1 Ausnahmsweise werden sie allerdings schon damals mit den Ueberschriften
verbunden; so findet sich in tom. 55 f. 278 A li medesimi manu propria
sanctissimi und ib. f. 324' Al medesimo (Morone) in mano propria di
N. S re , wozu dann am Rande noch in cifra beigefügt wird. — In den
jüngeren Secretariatsregistern werden die Glossen häufiger zur Ueber-
schrift hinzugezogen, werden aber eventuell noch am Rande wiederholt. —
In Copien der Secretariatsregister, wie sie sich nicht allein im Vati-
canischen Archive befinden, sondern auch in der Bibi. Barber. und in
anderen römischen Sammlungen, sind diese Glossen, wenn sie überhaupt
wiederholt werden, fast durchgehends in die Schriftzeilen hineingerückt
worden. So lernen wir noch folgende Bemerkungen kennen: ritenuto
fin a 18; trattenuto fin a 12 e niente oceorre di piü; lettera distesa;
dupplicata; appartato (= a parte, ad partem) in un foglio deutro la
soprascritta lettera; in un mezzo foglio dentro la lettera; con un foglio
in cifra u. s. w.
2 Vgl. den S. 19 citirten Registraturvermerk. Ebenso sind die Nach
schriften u. s. w. in den Minuten ersichtlich gemacht worden.
Römische Berichte. II.
41
des Concils gedrungen und in einer Nachschrift bemerkt wird:
S. S ta voleva scrivere lei propria di suo pugno, ma per esser
l’hora tarda, ciob un’ hora di notte, ha poi detto che lo fara
dimane. Nun folgen von gleichem Tage 1) f. 389 eine irrele
vanter Brief an Morone und 2) f. 389' einer an Morone und
Simonetta mit einem PostScript ad partem, d. h. auf gesondertem
Blatte. Dem Ermessen dieser beiden Legaten wird in letzterem
Briefe anheimgestellt, ob sie ein hier beigeschlossenes und als
avviso bezeichnetes Schreiben Borromeo’s ihren Collegen mit
theilen wollen oder nicht. Jedem Leser des Registers musste
einleuchten, dass mit dem Avviso nicht der auf f. 388 gebotene
Communebrief gemeint sein konnte, und musste sich die Frage
aufdrängen, wie die hochwichtige und vertrauliche Mittheilung
gelautet habe. Darauf antwortet nun ein offenbar in den Her
gang eingeweihter Mann mit der Randbemerkung: questo fu
l’avviso de la pericolosissima infirmita nella quäle si trovava il
papa; ma per fretta non fu tenuta copia de la lettera. 1
Diese Worte sind nicht wie die gewöhnlichen Zusätze
von einem der Registratoren geschrieben worden, sondern von
einem Manne, welcher an der Revision unseres GR. betheiligt,
hie und da auch Correcturen vorgenommen hat. Was die
letzteren anbetrifft, so lässt sich allerdings nicht immer ent
scheiden, ob sie den ersten Schreibern oder den Revisoren zu ver
danken sind. Das gilt z. B. von der am allermeisten in die
Augen fallenden Correctur auf f. 234' von NG. 4°- Von einem
dort eingetragenen Briefe an Mantua vom 4. April 1562 be
sagen die ersten fünf Zeilen, dass sein Brief vom 26. März
durch den soeben expedirten Communebrief beantwortet sei.
Es folgen dann 14 Zeilen, welche, wie aus der Anrede a
le SS. VV. Ill me ersichtlich wird, zu einem Communebriefe
gehören und insofern mit Recht durchstrichen sind, was aber
ebenso gut gleich wie später geschehen sein kann. 2 Von
1 Es handelt sich um den in tom. 68 Nr. 166 a im Original erhaltenen Be
richt Borromeo’s über die Erkrankung des Papstes, den ich schon I,
S. 48 und 60 erwähnt habe und den ich seinerzeit veröffentlichen werde.
2 Der getilgte Passus beginnt Quanto a la precedenza di Spagna con
Francia und besagt betreffs dieser Frage, welche später so viel Staub
aufwirbelte, dass S. S 1 * non mancherä di deciderla, come Dio 1’ inspi-
rerä. Ob nun eine derartige Mittheilung an die Gesammtheit der Le-
42
X. Abhandlung: v. Sickel.
Correcturen jedenfalls späteren Datums liebe ich zunächst aus
NG. 4° folgende hervor. Wenn der Cardinal von Mantua,
wie häufig geschieht, beauftragt wird, Mitgliedern des Concils
die gewöhnliche Subvention von monatlich 25 scudi auszuzahlen,
pflegen die Namen, sobald sie zahlreich sind, erst am Schlüsse
des Schreibens, eventuell auf einem Beiblatte angegeben zu
werden: daher erscheinen solche Namenlisten auch im GR. als
Zusätze. Hatte nun der Registrator eines Briefes gleichen
Inhalts vom 4. Februar 1562 (f. 199), in welchem auf li sei
infrascritti verwiesen wird, die letzteren nicht namentlich auf
geführt, so wurde gelegentlich der Revision die Liste am Rande
nachgetragen. Ebenso sind auf f. 256 und 263' Auslassungen
von mehr als einer Zeile nachträglich gutgemacht worden.
F. 337' sind in einem offenbar flüchtig copirten Schreiben vier
Stellen corrigirt worden. Im allgemeinen weist tom. 55 minder
zahlreiche und minder eingreifende Correcturen auf; aber an
Belegen dafür, dass es der Revisor hier ebenso streng wie zuvor
genommen hat, fehlt es doch nicht. Zu dem schon S. 31, Anm. 1
verzeichneten kommt unter anderen, dass der Revisor auf den
ersten Blättern des tom. 55, auf welchen der eine Registrator
ziemlich oft Di Roma etc. ausgelassen hatte, dies regelmässig
nachgeträgen hat, ein Beweis mehr dafür, dass auf die gleich-
massige Behandlung der Stücke Werth gelegt worden ist.
Auch die Nuntiaturregister NG. 4 b und 4 ä sind in gleicher
Weise revidirt und emendirt worden, und zwar von dem Manne,
welcher die S. 16 besprochene Minute geliefert hat. Ausser
der aus Facs. II ersichtlichen Correctur (NG. 4 d f. 397') 1 hebe
gaten von Rom abgegangen ist oder nicht, konnte ich noch nicht con-
statiren. Es lauten nämlich die an diesem Tage an die Legaten und
an Mantua gerichteten und zum Theil auch in tom. 49, 54 und CVIII
eingetragenen Briefe überall verschieden. Offenbar sind, worauf ich
S. 51 zuriickkomme, die betreffenden Minuten ungenügend oder auch
falsch bezeichnet worden, so dass die Registratoren irregeführt wurden.
Den Sachverhalt richtigzustellen werden die Mailänder Originale ein
gesehen werden müssen.
1 Fol. 397 steht ein kurzes Schreiben an Delfin vom 1. Juli 1564, be
ginnend Con la presente occasione di mandar a V. S. alcuni exemplari
de la tanto desiderata bolla de la confirmatione, und weiter besagend,
dass auf seinen Bericht vom 15. (Juni) ihm geantwortet wird per 1’ in-
clusa cifra. In der That passt zu diesem Briefe das auf f. 399' und
Römische Berichte. II.
43
ich noch eine hervor: in NGr. 4 b f. 178 ist an der Spitze eines
Briefes nachgetragen worden Dilecte fili etc., um denselben als
vom Papste ausgehend kenntlich zu machen.
Als letztes den Registern aus dem Pontificate Pius IV.
gemeinsame Kennzeichen führe ich an, dass der Versuch ge
macht worden ist, die Seiten behufs Orientirung in den Bänden
mit Aufschriften zu versehen. Er hängt damit zusammen, dass
in den Ueberschriften zu den einzelnen Briefen die Jahre gar
nicht angegeben waren und die Monate und Tage auch nur an
der Spitze des je ersten Briefes einer jeden Postsendung: wurde
dadurch das Aufsuchen der einzelnen Stücke sehr erschwert, so
ist man mit der Zeit auf Abhilfe bedacht gewesen und hat
über den Schriftcolumnen Jahr und Monat nachgetragen. Jedoch
ist der Versuch nicht consequent durchgeführt worden. Hie
zwischen die Briefe vom 22. Juli und 5. August gerathene capitolo,
welches lautet: Poscritto. Ancor che fasse giudicato poco necessario il
fare bolla particolare per la confirmatione del concilio, potendo bastare
la confirmatione fatta in concistorio et stampata nel fine del volume de
li decreti, nondimeno perche si veda piü chiaramente 1* intentione di
S. S circa la confirmatione sopradetta et per chiuder la bocca ad ognuno
et levar ogni scrupulo a le persone che S. B ne non habbi sollennamente
confirmato ogni cosa, la S tä S. non ha voluto rnancar di publicar la
detta bolla, la quäle V. S. non manchera di far publicare et seminare
con destrezza, maxime fra li prelati dicendo loro la causa che ha mosso
N. S re a farla etc. Um jeden Zweifel zu beheben, ist dieser Passus auf
f. 399' eingeklammert und mit der Glosse versehen worden questo capi
tolo va due carte inanzi al segno (folgt dasselbe Zeichen wie f. 397').
Spricht das alles zu Gunsten der Revision, so will ich doch meine
Bedenken nicht verschweigen, dass auch bei ihr Fehler gemacht und
Schlimmbesserungen vorgenommen worden sind. Auf die f. 397' be
ginnende und auf f. 398 endende chiffrirte Stelle folgt nämlich ein nur
7 Zeilen ausfüllendes Schreiben an Delfin vom 8. Juli, Antwort auf
seinen Bericht vom 22. Juni, mit Hinweis auf 1’ incluso foglio. Unter
demselben hat nun der Revident bemerkt: la cifra che va qui e 1’ante-
cedente. Ob die cifra wirklich zum Brief vom 8. gehört oder zu dem
vom 1. (dort wird nicht wie hier ausdrücklich auf sie verwiesen), wird
sich erst entscheiden lassen, wenn Delfin’s Berichte vom 15. und vom
22. Juni vorliegen: in welchem derselben hat er die Angelegenheiten
des Kelches und der Priesterehe berührt, auf welche sich die chiffrirte
Weisung bezieht? Mag der Registrator Recht haben, welcher sie zum
1. ansetzte, oder der Revisor, welcher sie zum 8. einreihen wollte,
offenbar ist das Concept zu der Chiffre wiederum nicht ganz deutlich
bezeichnet worden, sonst hätte kein Zweifel auf kommen können.
44
X. Abhandlung: v. Sickel.
und da sind Reihen von Blättern unberücksichtigt geblieben.
Zweitens sind beide Angaben bald auf derselben Seite einge
tragen und bald auf zwei Seiten vertheilt worden, wobei das Jahr
das eine Mal links und das andere Mal rechts gesetzt worden
ist. Drittens sind die Aufschriften nicht immer richtig: so hört
die Notiz December 1562 auf, bevor der Monat abgeschlossen
ist, und eine andere geht auf Seiten über, welche bereits Briefe
aus dem folgenden Monate aufweisen. Das alles macht den
Eindruck, dass diese Aufschriften gelegentlich und zu verschie
denen Zeiten je einer beliebigen Anzahl von Seiten hinzugefügt
worden sind, einige wohl schon vor der Revision. Erst die nächst
folgende Generation scheint den Nutzen dieser Zusätze mehr
gewürdigt zu haben: unter den jüngeren Registern der conci-
liaren Correspondenz sind tom. 49, 54 und 57 durchgehends
mit solchen Seitenaufschriften versehen worden. Dass damit
späteren Benützern ebenfalls sehr gedient war, veranlasst mich,
auch die Frage ins Auge zu fassen , inwieweit diese Hand
schriften Spuren an sich tragen, dass sie in der Folge zu Rathe
gezogen worden sind. An den Registern mit Briefen an die
Concillegaten habe ich nicht eine Spur der Art entdecken können,
habe sie aber auch nicht erwartet. Das ältere GR. ist ja Jahre
lang von Borromeo unter strengem Verschluss gehalten worden,
und nach der Ablieferung an die Curie wird es gleich den
jüngeren Registern nur sehr wenigen Personen zugänglich ge
wesen sein, so dass die Benützung all dieser Bände eine sehr
beschränkte gewiesen sein wird. Nicht so ängstlich sind die
Nuntiaturregister behütet worden, und zur Einsichtnahme in
dieselben hat es nicht an Anlass gefehlt. Und so sind ins
besondere im Originalregister der Proposte an den Nuntius Z.
Delfino NG. 10 b und 4 a zahlreiche Stellen entweder durch
Unterstreichen einzelner Worte oder durch Kreuze am Rande
hervorgehoben worden: sie handeln zumeist von den Calixtinern
oder von der Maximilian II. zugemutheten Obedienzleistung,
also von Fragen, die noch viele Jahre hindurch die Curie be
schäftigten und ihr die Verwerthung der Vorakten nahe legten.
Wie weit nun die Geheimhaltung der Concilregister ge
gangen sein mag und wo sie aufbewahrt worden sein mögen,
weiss ich nicht zu sagen; dass sie nicht in ganzem Umfange
gut und sorgfältig behütet worden sind, berichtete ich schon
Römische Berichte. II.
45
Die IIeite, aus denen das ältere GK. bestand, wurden aus
einandergerissen und gingen zum Thcil verloren, und was
von ihnen erhalten blieb, wurde, als einmal wieder Ordnung
gemacht wurde, nicht als zusammengehörig erkannt, sondern
wurde in zwei Hälften geschieden in verschiedenen Bänden und
Archivabtheilungen untergebracht. Wann sich diese dauernde
Scheidung vollzog, glaube ich annähernd feststellen zu können.
Dass sich die Bände NG. 4 und tom. 55 in dem von Paul V.
begründeten Geheimarchiv befanden, steht fest (s. I, S. 90—91).
Da sie nun in den Verzeichnissen der unter diesem Papste an
das neue Archiv abgelieferten Bänden nicht Vorkommen, 1 so
sind sie wahrscheinlich schon vor dem Jahre 1611, zu dessen
Ausgang der erste grössere und uns genau bekannte Trans
port angeordnet wurde, aus der Guardarobba in die Geheim
bibliothek gekommen, von welcher sie dann in das Archiv
übergingen. 2 Dass unsere zwei Convolute von Heften so ziem-
1 Am ehesten könnte man vermuthen, dass sie inbegriffen gewesen seien
in den 21 Volumina diversarum scripturarum et litterarum variorum
nuntiorum (oontinent materias insignes et notabiles concilii generalis
Tridentini et fidei in partibus Germaniae et Poloniae) quae S u suae
donata fuerant per R. D. Bartliolomeum Caesium. S. E. E. presbyterum
cardinalem (Studii e documenti, anno VIII [1887], S. 43). Aber, obwohl
es mir noch nicht gelungen ist, diese sämmtlichen 21 Bände wieder auf
zufinden, glaube ich aus zwei Gründen diese Vermuthung zurückweisen
zu müssen. Was mir bisher von Artikeln dieser Gruppe bekannt ge
worden ist (so z. B. NG. 65, 66, Nunz. di Polonia 1 “, 4, 5, Arm. LXIV,
tom. 11 — alles Bände, in denen materiae concilii enthalten sind, wie
es oben heisst), besteht aus wirklichen älteren Volumina und nicht aus
Bündeln von Heften, und alle diese Bände sind auf dem Titelblatt
ausdrücklich als von Cesi geschenkt bezeichnet worden.
2 Sowohl im Engelsburgarchiv als in der Geheimbibliothek hat meines
Wissens schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts so weit Ord
nung gewaltet, dass dort auch ungebundene Register nicht so verwahrlost
worden sind, wie es unserem GR. widerfahren ist. Dagegen herrschte
in der Guardarobba, worüber immer und immer wieder geklagt wird,
heillose Unordnung, um so mehr, da eben dorthin alles abgeliefert wurde,
was das Geheimsecretariat und andere Aemter nicht mehr Tag für Tag
benöthigten und aus dem Wege schaffen wollten. Dass die Nuntiatur
akten zunächst dort reponirt wurden, steht fest. Kamen dazu auch
Coneilakten, so konnten Register des einen wie des anderen Inhalts,
zumal wenn sie einander so ähnlich waren, leicht untereinander ge-
rathen und konnten Fragmente derselben schliesslich, so wie es in NG. 4
geschah, vereinigt werden.
46
X. Abhandlung: v. Sichel.
lieh zu derselben Zeit an sicherem Orte geborgen und bei
diesem Anlass gebunden worden sind, schliesse ich aus der Be
schaffenheit der Einbände des tom. 55 und des NGl. 4: der
Buchbinder ist nämlich, um sie herzustellen, in gleicher Weise
vorgegangen und hat sich des gleichen Materials bedient. Nach
dem er die ihm für zwei Bände übergebenen Lagen zusammen
geheftet hatte, fügte er vorne und hinten eine Anzahl von Bogen
(1—3) zum Schutze hinzu und verwandte dazu in beiden Fällen
absolut gleiches, aber von allen für die ursprünglichen Register
benützten Sorten verschiedenes Papier. Statt die Bände mit
festem Rücken und steifen Deckeln auszustatten, begnügte er
sich mit einem Umschläge von Pergament, welchem durch Ein
legen von Packpapier und durch Einkleben einiger Blätter der
zum Schutze dienenden Bogen mehr Halt gegeben wurde.
Wie dabei jedes Detail gleich behandelt worden ist, so sind
auch die Pergamente gleicher Herkunft und Beschaffenheit: sie
stammen aus der Kanzlei, welche auf ihnen Bullen zu mundiren
begonnen, dann aber die Arbeit unterbrochen und die halb
beschriebenen Blätter verworfen hatte. Wie das Pergament, um
als Hülle von NGr. 4 zu dienen, zugeschnitten worden ist, sind
nur acht halbe Schriftzeilen aus der Mitte der Urkunde er
halten, aus welchen ich nichts Sicheres herauszulesen vermochte.
Aber auf dem Pergamente, welches tom. 55 umkleidet, finden
sich vom Eingänge der Bulle folgende Worte: Clemens epi-
scopus servus servorum Dei. Dilecto filio, vicario venerabili, und
zwar in Schrift und mit Federzeichnung, wie sie in Bullen
Clemens VIII. begegnen. Können somit diese Einbände erst
unter diesem Papste entstanden sein, welcher (s. I, S. 87) wenig
stens von Fall zu Fall für Erhaltung der Archivalien sorgen
liess, so dürfen wir wohl bis auf weiteres annehmen, dass man
damals auf die betreffenden Hefte aufmerksam geworden ist,
sie, wenn auch ohne Berücksichtigung des Inhalts, in zwei
Gruppen zusammengestellt, jede für sich mit einem schlichten
Umschlag versehen und beide Bände an sicherem Orte, wohl
in der Bibliothek geborgen hat. 1
1 Dafür, dass alle diese Fragmente gleichzeitig aufgefunden und gebunden
wurden, spricht auch, dass die zwei offenbar zusammengehörigen Con-
cepte, welche ich S. 10, Anm. 1 beschrieben habe, damals von einander
getrennt worden sind. Dabei scheint doch ein Versuch gemacht worden
Römische Berichte. II.
47
6. Wie verhält sich im Allgemeinen, was Zahl, Umfang und
Wortlaut der Progwste anbetrifft, das ältere Generalregister zu
den auf uns gekommenen Originalen?
Der Werth eines jeden Registers hängt in erster Linie
davon ab, inwieweit es innerhalb der ihm durch seine Be
stimmung gezogenen Schranken Ersatz für den Verlust von
Originalen bietet. Bezüglich der Proposte, um die es sich bei
dem GR. handelt, habe ich bereits I, S. 76 gesagt, dass es im
Allgemeinen mit der Erhaltung der Originale der Commune-
briefe und der an Mantua und Morone gerichteten Particular-
briefe gut steht, aber recht schlecht mit der der Originalbriefe
an die anderen Legaten, so dass wir für die erstgenannten
Kategorien weniger auf die subsidiären Quellen angewiesen
sind, dagegen für die letzteren fast ganz auf die Register,
nämlich auf die gleichzeitigen GR. II und III und auf die der
zweiten Registrirung angehörigen GR. I und die Particular-
register in tom. 49, 51, 57. Das will ich hier an der Hand des
mir in Rom zur Verfügung stehenden Materials, nämlich der
Collection der Originale aus der Morone-Periode in tom. 27
und 68 und des correspondirenden Theiles von tom. 55, etwas
weiter ausführen. 1
zu sein, die fliegenden Blätter in entsprechende Ordnung zu bringen,
so dass das Concept a in die Nähe der betreffenden Registercopie ge
kommen ist; dagegen wusste man das hier nicht copirte Concept ß nicht
unterzubringen und reihte es auf gut Glück dem GR. der conciliaren
Correspondenz an.
1 Tom. 27 (s. zuvor S. 26) soll enthalten die Originale von 83 Briefen an
Morone und tom. 68 die von 170 Briefen an die Gesammtlieit. Von
diesen Zahlen lässt sich jedoch kein rechter Gebrauch machen. Um den
Vergleich mit dem Inhalt von tom. 55 anstellen zu können, müssen wir
nicht allein die in tom. 27 und 68 inbegriffenen Briefe Galli’s und die
dort befindlichen Duplicate in Abzug bringen, sondern auch viele Nach
schriften und Beilagen, welchen als auf gesonderte Bogen geschrieben
eigene Nummern gegeben worden sind. Mit dieser Reduction der Zahlen
ist es jedoch noch nicht abgethan. Wir müssen auch wieder diejenigen
Proposte, welche in der einstigen Morone-Registratur abgesondert auf
bewahrt wurden und so in andere Bände gerathen sind, hinzuzählen.
Andererseits ist auch kein Verlass auf einfache Zählung der in tom. 55
unter eigenen Aufschriften gebotenen Stücke, denn wie wir noch sehen
werden, sind auch in diesem Register zuweilen zwei Briefe in einen
48
X. Abhandlung: v. Sicke .
Den 139 Communebriefen in tom. 55 stehen in tom. 68
etwa 140 Originale von Briefen gleicher Kategorie gegenüber;
aber höchstens 100 Stück sind beiden Collectionen gemeinsam,
denn ein Drittel der in der Urschrift erhaltenen Briefe war
durch das für das Gl!, aufgestellte Programm von der Auf
nahme ausgeschlossen, und von einem Drittel der in tom. 55
copirten Briefe sind die Originale zu Grunde gegangen oder
doch nicht in tom. 68 eingereiht worden. Und von den Pro
posten an Morone allein, welche wir aus tom. 27 und 55 kennen
lernen, finden sich etwa drei Fünftel an beiden Orten, während
je ein Fünftel nur in dem einen oder dem anderen Bande vor
liegt. Dabei vertheilt sich das Plus in tom. 55 auf die einzelnen
Zeitabschnitte sehr verschieden: in ruhigeren Zeiten fast Null,
beträgt es in der letzten Woche dieser Correspondenz nicht
weniger als 7 Stücke. Ist somit schon betreffs dieser Kategorie
aus tom. 55 reiche Ausbeute zu gewinnen, so wird sie weit
durch die übertroffen, welche uns hier für die Particularbriefe
an die anderen fünf Legaten geboten wird: ich schätze sie
auf 100 Nummern.
Um die Entstehung eines weiteren Plus zu erklären, muss
ich wiederum auf die Behandlung der Akten durch die Zeit
genossen zurückgehen. An Morone wurde am 10. Juli 1563
in Chiffern geschrieben: Di quelle lettere che si sono scritte
questa settimana da N. S ra per corriero et mandatone il duppli-
cato per staffetta, S. S t; ' desidera hora tanto piii che sia conser-
vato il secreto, et per questo effetto S. S ta vorrebbe che V. S.
111 ma le tenesse appresso di se et conservarle senza lasciarle
andare in man’ d’altri. 1
Dass er thatsächlich die Papstbriefe von den Borromeo
briefen getrennt hat, sahen wir schon S. 26. Ebenso hat er es
mit den cifre und den decifrate gehalten: 2 sehr wenige von
diesen sind in die tom. 27, 68 übergegangen, die Mehrzahl
zusammengezogen oder ist auch ein einziger Brief etwa in zwei Theile
zerlegt worden. Bedarf es" also sehr mühsamer Untersuchung, um hüben
und drüben genaue Zahlen zu erhalten, so begnüge ich mich, hier das
Verhältniss annähernd festzustellen.
1 Tom. 55 f. 248': gemeint ist die Correspondenz, welche ich S. 65 ein
gehend bespreche. — Vgl. dazu S. 7, Anm. 1.
- Er folgte darin den Gebräuchen des Gelieimsecretariats; s. S. 9.
Römische Berichte. II.
49
derselben scheint in der Registratur des ersten Legaten mit
den Papstbriefen vereinigt und in der Folge gleich diesen ver
zettelt worden zu sein; der geringe auf uns gekommene Rest
findet sich in tom. 29, wo er von einer Hand aus dem Be
ginne des 17. Jahrhunderts bezeichnet worden ist Cifre inter-
pretate da S. Carlo et altri. Da bietet uns nun wiederum
das ältere GrR. vollen Ersatz. Uebrigens mag schon Morone
selbst, um weder sich noch andere zu compromittiren, manche
Chiffer und Klarschrift vernichtet haben: die einst in Trient
angefertigte Klarschrift einer Weisung vom 8. Mai 1563, welche
ich im Anhang Nr. 26 mittheile, fand ich in tom. 29 f. 109,
aber doch nur zum Theil, indem die untere Hälfte, welche das
zweite uns in tom. 55 überlieferte Alinea enthalten haben muss,
abgeschnitten worden ist. 1
Nur selten jedoch sind ganze Briefe in Geheimschrift 2 ex-
pedirt worden; zumeist ist sie für Nachschriften auf den Haupt
briefen beigefügten Blättern verwendet worden. So können
wir die weiteren Schicksale der chiffrirten Stücke am besten
verfolgen, wenn wir zugleich die in gewöhnlicher Schrift ge
botenen Postscripte in die Betrachtung einbeziehen. Kurze Zu
sätze zu Briefen und auch zu den Proposten pflegte man auf
den Hauptbogen einzutragen. 3 Für längere dagegen wählte
man fogli (auch mezzi f.) inclusi (alligati), welche man wie
andere Beilagen in den mit Aussenadresse versehenen und ver
siegelten Hauptbrief einzulegen für genügend hielt und nicht
besonders signirte. Wenn nicht schon der Empfänger nach
Oeffnung eines Schreibens die beigeschlossenen losen Blätter als
1 So ist auch für folgende chiffrirte Stelle vom 10. Juli 1563 tom. 55
f. 248 unsere einzige Quelle: N. S re tiene il presidente Ferreriis per
persona che si possa facilmente guadagnare; pero se a V. S. R ma pa-
rerä che sia a proposito donargli lei stessa di man propria in un fazo-
letto cinque o sei cento scudi, S. S ta se ne rimette al suo buon giudicio,
sapendo che quando 1’ habbi a fare, pigliera il tempo et T occasione
opportuna; et per suo avviso sapera che il detto presidente e povero,
et non gli sono anche troppo ben pagate le sue provisioni, onde qualche
volta si 5 trovato in bisogno.
2 Mit jedem der Legaten wurde in eigener Chiffer correspondirt.
3 Für derartige Nachschriften hat meines Wissens das damalige Geheim- ,
secretariat Chiflfern nicht verwendet. Aber Briefe des Hosius weisen zu
weilen derartige Zusätze in Geheimschrift auf.
Sitzungsb. der pbil.-hist. CI. CXXXV. Bd. 10. Abb. 4
50
X. Abhandlung: v. Sickel.
zu demselben gehörig bezeicknete, waren diese mit der Zeit der
Gefahr ausgesetzt, zu anderen Briefen zu geratlien oder auch,
wenn man sie nicht mehr unterzubringen wusste, vernachlässigt
und endlich verworfen zu werden. Die Gefahr wurde dadurch
gesteigert, dass man sowohl in Rom als in Trient derselben Post
in der Regel mehrere Briefe übergab, deren jeder eine Anzahl
von Einlagen erhalten konnte. 1 Was die Proposte an die Concil-
legaten anbetrifft, so sind Morone zu gleicher Zeit bis fünf
an die Gesammtheit oder an ihn allein gerichtete Briefe mit
vielleicht zehn Einschlüssen zugegangen: dass das alles in
rechter Ordnung zu halten schwer war, liegt auf der Hand.
Inwieweit der Bestand schon geschädigt und die Ordnung
bereits gestört war, als die Originale in Einlaufsregister gebucht
wurden, werden wir später verfolgen. Hier haben wir, um den
Vergleich mit dem GR. anzustellen, die uns in tom. 27 und 68
vorliegende Sammlung der Originale der Correspondenz Rom—
Trient ins Auge zu fassen und insbesondere die noch auf uns
gekommenen losen Blätter mit Postscripten in gewöhnlicher oder
in Geheimschrift. Dass Morone einen Theil derselben ausschied,
um sie gesondert aufzubewahren, sahen wir schon. Aber auch
von der bis in seine Zeit zurückreichenden Hauptsammlung ist
dann manches fliegende Blatt verloren gegangen, und andere
sind, als alles zusammengebunden wurde, am Unrechten Orte
eingereiht worden. Es kann uns also nicht Wunder nehmen,
dass ein Stück im GR. umfangreicher erscheint als in dem
noch zur Verfügung stehenden Originale, indem dort auch
das PostScript aufgenommen ist, welches, auf ein Beiblatt ge
schrieben, mit diesem abhanden gekommen ist, und es kann uns
ebenso wenig Wunder nehmen, dass ein PostScript im GR. in
anderer Verbindung erscheint als in den tom. 27, 68.
1 Wurden zu gleicher Zeit demselben Adressaten mehrere Briefe zugesandt,
so wurden sie auf der Aussenadresse als littera prima, secunda u. s. w.
bezeichnet. Auch von der Expedition der Briefe durch den dem Geheim-
secretär unterstehenden Postmeister spricht Carga in Lämmer 1. c. 466
und 467. Der Postmeister hatte die Briefe mit ihren Beilagen zu einem
plico zu verschliessen und hatte die eingelaufenen plichi zu öffnen.
Wird somit plico für das einzelne Briefconvolut gebraucht (vgl. auch
Schellhass X. B. III, S. 200, Anm. 2), so wird auch das ganze der Post
übergebene Packet, in welchem alle Briefconvolute zusammengeschnürt
wurden, plico genannt.
Römische Berichte. II.
51
Sind wir nun, was Zahl, Umfang und Fassung der Briefe
anbetrifft, auf den Vergleich des GR. mit dem jetzigen Vor-
rathe an Originalen angewiesen, so dürfen wir doch nicht ausser
Acht lassen, dass zwischen diesen beiden Ueberlieferungsformen
die Minuten in der Mitte liegen. Sie wie es sich gebührt zu
berücksichtigen, fasse ich zuerst den normalen Vorgang ins
Auge, dass seinerzeit die Originale ebenso aus den Minuten
geflossen sind wie in der Folge die Registercopien. Ist es aber
auch derselbe Stock von Minuten, welcher dem einen und nach
Verlauf einiger Zeit dem anderen Zwecke gedient hat? Das
ist an und für sich unwahrscheinlich. Indem auch die Con-
cepte auf einzelnen Bogen, auf losen Blättern und Zetteln nieder
geschrieben waren, konnten einzelne Exemplare oder deren
Theile ebenso, wie wir das bei den Originalen gesehen haben,
in Verlust oder untereinander gerathen. Dass schon in den
ersten Jahren die Minuten zu einzelnen Briefen aus der Regi
stratur verschwunden sind, glaube ich in all den Fällen an
nehmen zu sollen, in denen noch in der Urschrift vorhandene
Stücke hochwichtigen Inhalts (so z. B. eine Proposte vom
25. April 1563 an alle Legaten in tom. 68 Nr. 23) weder in
das ältere GR., noch in das jüngere CR. oder tom. 54 auf
genommen worden sind, denn dass eine und dieselbe Minute
bei zweimaliger Registrirung übersehen worden sei, ist doch
unwahrscheinlich. Leichter konnten Beiblätter schon frühzeitig
verloren gehen: so erkläre ich mir, dass in denselben zwei
Registern die nicht minder wichtigen Nachschriften zu dem in
der Serie der Originale nächstfolgenden Communebriefe vom
28. April (tom. 68 Nr. 24) fehlen. Die Vergleichung des tom. 55
mit den Originalen aus der zweiten Hälfte desselben Monats
ergibt noch andere, wenn auch geringfügigere Abweichungen,
was den Gedanken nahelegt, dass damals wenig Ordnung in
dem Secretariat geherrscht hat, so dass den späteren Regi
stratoren minder gut erhaltenes Material vorlag. Auch im GR. II
oder NG. 4 C treten die bedenklichen Stellen gruppenweise
auf. Gleich auf den S. 41 besprochenen Fall folgt f. 235 der
offenbare Fehler, dass der noch im Original erhaltene Commune-
brief vom 6. April 1562 als Fortsetzung eines Briefes vom
8. April eingetragen worden ist; da er auch bei der Revision
nicht wahrgenommen noch gutgemacht worden ist, scheint die
4*
52
X. Abhandlung: v. Sichel.
Minute unrichtig bezeichnet gewesen zu sein. Ueberhaupt waren
die Registratoren abhängig von denen, welche die Minuten ge
liefert hatten, und von denen, welche sie aufzubewahren und in
Ordnung zu halten hatten: damit haben wir zu rechnen nicht
allein wenn Briefe in der einen und der anderen Ueberlieferungs-
form verschiedenen Umfanges sind, sondern auch wenn sie in
anderen Punkten differiren. Ich citirte S. 22 eine Minute, in
welcher bemerkt worden ist, dass ein capitolo umgestellt werden
solle; wenn solcher Wink auf einer anderen Minute nicht ein
getragen worden war oder übersehen wurde, mussten die ein
zelnen Alineas in der Registercopie anders aufeinander folgen
als in dem Originale. Wenn endlich zuweilen ein einzelner
Passus im Register anders lautet als in dem Original, so kann
auch das darauf hinauslaufen, dass eine Aenderung des ursprüng
lichen Concepts beliebt worden und die neue Fassung auf
einem Beiblatte geboten worden ist, welches entweder verloren
ging oder doch bei der Registrirung unbeachtet blieb.
Es geschieht im Hinblick auf die jüngeren Register, dass
ich die Möglichkeiten der Schädigung des einstigen Bestandes
und Zustandes der Minutensammlung, welche die Registrirung
beeinflussen konnten und mussten, aufzähle. Wie ich im nächst
folgenden Berichte zeigen werde, weichen die jüngeren Register
nicht allein zuweilen von dem älteren GR. ab, 1 sondern sie
weichen auch häufiger und mehr als dieses von den noch
vorräthigen Originalen ab. In erster Linie ist das darauf
zurückzuführen, dass in den mindestens fünfzehn Jahren, welche
zwischen der ersten und der zweiten Buchung der Minuten
liegen, deren Sammlung wenn auch nicht gerade Verlusten aus
gesetzt gewesen, so doch etwas in Verwirrung gerathen zu sein
scheint. Und, das kommt in zweiter Linie in Betracht, den
Registratoren aus der Zeit Gregors XHI. gingen die Erfahrungen
und die Erinnerung ab, welche ihren Vorgängern zu statten ge
kommen waren. Dass es ein und derselbe Kreis von Männern
war, welche unter Pius IV. erst die Minuten geliefert, bald
darauf für das GR. zusammengestellt, dann copirt und schliess-
1 Hier habe ich nur von dem minderen Werth der jüngeren Eegister zu
reden, will aber nicht verschweigen, dass sie, nach anderem Plane an
gelegt, in einem Punkte das ältere GR. an Werth nbertreffen.
Römische Berichte. II.
53
lieh revidirt hatten, das hat sie vor Missgriffen in grösserer
Zahl und ärgerer Art bewahrt, aber doch nicht, wie ich be
reits constatirte und noch weiter constatiren werde, vor ge
ringeren Fehlern.
Nun trifft aber, was ich bisher angenommen habe, dass die
auf uns gekommenen Originale aus den einst im Secretariat auf
bewahrten und dort von den Registratoren benützten Minuten
geflossen seien, oder mit anderen Worten, dass sich von An
beginn die Originale mit den Minuten gedeckt haben, nicht
immer und nicht vollständig zu. Es sind vielmehr nicht selten
im Augenblicke, da die Reinschriften hergestellt wurden, Aende-
rungen am Wortlaute der Concepte vorgenommen, aber nicht
jedesmal in diesen ersichtlich gemacht worden. Hat es daher
von einzelnen Briefen sozusagen eine erste und eine zweite
mehr oder minder abweichende Fassung gegeben, so hat es nur
von Zufälligkeiten abgehangen, nämlich einerseits von dem Grade
der auf die betreffenden Stücke im Secretariat verwendeten
Sorgfalt, und andererseits von der Erhaltung der verschiedenen
Aufzeichnungen, ob solche Briefe in übereinstimmenden oder
in differirenden Ueberlieferungsformen auf uns gekommen sind.
Dass ich in einigen Fällen bestimmt nachweisen und in anderen
wenigstens sehr wahrscheinlich machen kann, dass zwei Redac
tionen nebeneinander bestanden haben, bestimmt mich, auch zu
anderen Malen von der gleichen Voraussetzung auszugehen,
um Abweichungen der Registercopien von den Originalen zu
erklären.
Nahm ich zuvor an, dass die Eintragung von Postscripten
in das GR. unterblieben sei, weil Zettel, auf denen sie zu den
Minuten nachgetragen waren, abhanden gekommen seien, so
fasse ich jetzt als zweite Möglichkeit ins Auge, dass es versäumt
worden ist, sie nachzutragen. Und ich gebe ihr in gewissen
Fällen den Vorzug. Fehlen z. B. in tom. 55 die Nachschriften
zu den Originalen vom 5. Juni und vom 30. November 1563
(tom. 68 Nr. 43 und 170), so lässt schon deren Stellung zwischen
der Datirung und der Subscription erkennen, dass sie erst im
Augenblicke der Expedition entstanden sind, und lässt ver-
muthen, dass sie dem Secretariate gar nicht mitgetheilt worden
sind. Einen ähnlichen Vorgang nehme ich an bei Entstehung
eines zweiten Originals vom 30. November (ib. Nr. 169), von
54
X. Abhandlung: v. Sicke 1.
dem sich nur die ersten acht Zeilen in tom. 55 f. 392' gebucht
finden: wenn die weiteren sechs Zeilen des Originals erst dem
Mundanten in die Feder dictirt worden sind, so ist es bei der
an diesem Tage die ganze Curie beherrschenden Bestürzung
sehr begreiflich, dass die entsprechende Ergänzung des Concepts
unterblieben ist. Einen zweiten von mir ebenso gedeuteten
Fall, dass ein Originalbrief drei Zusätze aufweist, von denen
im GR. nicht Notiz genommen ist, bespreche ich S. 56. Dafür,
dass im letzten Augenblick im Original etwas gestrichen worden
ist, was doch in der Minute stehen geblieben und aus ihr in
das GR. übergegangen ist, habe ich bisher nur einen Beleg ge
funden. In einem Communebrief vom 26. Mai 1563 (ib. Nr. 39)
wurde unter Anderem gesagt, dass dem Cardinal Navagero vom
Papste bewilligt worden sei, schon für den ganzen Monat April,
obwohl er erst am 28. in Trient eingetroffen war, die Provision
von 500 scudi pro Monat zu beheben; das ging aber im Grunde
nur den mit der Geldgebahrung betrauten ersten Präsidenten
an, und es war nicht rücksichtsvoll, es die Collegen wissen zu
lassen: so wurden die betreffenden Zeilen der Reinschrift un
leserlich gemacht, während der Passus in der Minute nicht
getilgt und so in das GR. aufgenommen wurde.
Um zweierlei Redactionen handelt es sich auch in einigen
der zahlreichen Fälle, in welchen den Legaten von wichtigen
Briefen sicherheitshalber Duplicate zugesandt wurden. Lag
auch nur ein Tag zwischen den beiden Expeditionen, so gaben
inzwischen eingelaufene Nachrichten oder nochmalige Erwä
gungen leicht Anlass zu theilweiser Modification der zuerst
ertheilten Weisungen. Aber auch wenn man einen Passus ge
strichen oder hinzugefügt oder den Wortlaut eines anderen
geändert hatte, so nahm man keinen Anstand, die neue Aus
fertigung auf der Aussenadresse oder am Kopfe als duplicata
zu bezeichnen. Es wird genügen, dafür einen Beleg anzuführen.
Von einer Proposte vom 28. April 1563 mit chiffrirtem Post
scripte sind zwei Originalexemplare auf uns gekommen, in
dessen späterem das PostScript einen Zusatz von fünf Zeilen
sehr wichtigen Inhaltes erhalten hat; 1 dass dasselbe auch in
1 Das erste Exemplar in tom. 68 Nr. 24 Hauptbrief und Nr. 26 Klar
schrift der Chiffer (ein zweites Decifrat gleichen Umfanges fand ich in
Römische Berichte. II.
55
der Minute nachgetragen worden ist, beweisen die Register-
copien in tom. 55 f. 171' und in dem jüngeren tom. 54 f. 219.
Hier trifft es von ungefähr zusammen, dass die Ergänzung des
Conceptes erfolgt ist, und dass uns auch die zweifachen Ori
ginale erhalten sind, so dass der ganze Vorgang offen zu Tage
liegt. Wenn in einem anderen Falle im Drang der Geschäfte
die Eintragung des Plus in die Minute unterblieben ist, und
wenn zweitens nur das umfangreichere Duplicat auf uns ge
kommen ist, so muss die Registercopie beim Vergleiche mit
dem Original ein Minus aufweisen. Ob nun von Anbeginn an
die Minuten und die Originale in etwas differirt haben oder
erst in der Folge, indem jene Schaden erlitten haben, läuft
ziemlich auf dasselbe hinaus: die Registratoren und auch die
etwaigen Revisoren der Register mussten sich an die ihnen
vorliegenden Minuten halten. Höchstens konnten die Männer,
welche, an allen früheren Phasen der Arbeit betheiligt, schliess
lich auch bei der Anlage des älteren GR. mitwirkten, sich
entsinnen, dass einmal etwas anderes vorgegangen war, als aus
den Minuten ersichtlich war, und konnten eine diesbezügliche
Notiz eintragen; aber wie ein Originalbrief oder ein Passus
eines solchen gelautet hatte, vermochten auch sie nicht anzu
geben, wenn die Minuten sie im Stiche Hessen.
Ich stelle hier noch eine Vergleichung an des Wortlautes
eines Briefes vom 15. August 1562 in dem Mailänder Original,
nach welchem ich ihn im Anhang Nr. 20 veröffentliche, und
in dem NG. 4 C f. 315. Dafür, dass sich sowohl der Ingrossator
als später der Registrator genauer Wiedergabe der beiden vor
liegenden Minuten befleissigt haben, spricht die geringe Zahl
der Varianten der einen Art. Im ersten Drittel des Schreibens
begegnen nur folgende: statt anche, furono, la breve expedi-
tione del concilio, far il medemo con Mons. de L. des Originales
bietet die Copie anco, furno, l’expeditione d. c., far il medemo
officio con M. de L. Dass der Schreiber des Originals im
letzten Falle ein Wort ausgelassen hat, liegt auf der Hand.
Im vorhergehenden Falle kann der Registrator den gleichen
Fehler gemacht haben, aber es kann auch im Original ein
tom. 29). Das Duplicat mit Klarschrift des erweiterten Postscripts in
tom. 68 Nr. 27. |
56
X. Abhandlung: v. Sickel.
Wort eingesetzt worden sein. Und das dünkt mir wahrschein
licher in Anbetracht von drei weiteren und stärkeren Diffe
renzen. Im Register bricht nämlich das erste Alinea ab mit
piu voltc, das zweite mit siano honeste und das allerletzte mit
non si possa finire. 1 Dass sich der Registrator an einem Stücke
drei Kürzungen vorzunehmen erlaubt habe, kann ich nicht
glauben; dieser Vorgang stünde ganz vereinzelt da. Dagegen
ist die Wahrscheinlichkeit, dass hier im letzten Momente, etwa
in Folge von dem Mundanten nur mündlich ertheilter Weisung,
Zusätze zu dem ursprünglichen und unverändert gebliebenen
Concepte gemacht worden sind, um so grösser, als die zwei
letzten 2 im Grunde nur mit sich steigerndem Nachdrucke
wiederholen, was bereits zuvor gesagt war. Die Berufung auf
des Papstes Willen an beiden Stellen legt den Gedanken nahe,
dass er es war, welchem die ihm unterbreitete Fassung nicht
genügte; bezeugt doch auch das PostScript, welches er eigen
händig hinzufügte, seinen lebhaften Antheil an der Lösung der
eben auf der Tagesordnung stehenden Fragen.
In diesem Zusammenhänge will ich auch gleich die äusserst
zahlreichen Differenzen in den Datirungen besprechen. Zum
Theil laufen sie blos auf Schreibfehler in den Originalen oder
in den Registercopien hinaus: ich fand sie nicht allein, wo noch
römische Zahlzeichen verwendet wurden, sondern auch, wo sich
die Schreiber der arabischen Ziffern bedient haben. 8 Andere
Differenzen erklären sich durch den häufigen Verzug der Expe
dition. Wir sahen, dass er eventuell auf den Minuten und
nach ihnen in den Registern vermerkt wurde. Dafür, dass dies
unter Umständen auch unterblieben ist, will ich wenigstens ein
Beispiel anführen: in dem in tom. 27 Nr. 1 eingereihten Origi-
1 Hier folgt «also im GR., welches stets den Schlussgruss unterdrückt,
gleich Di Koma etc. — Die Ueberlieferung des Postscripts von Nr. 20
habe ich bereits S. 35 besprochen.
2 Der erste wiegt nicht mehr als die zuvor erwähnte Hinzufügung von
breve zu expeditione.
3 So steht «an der Spitze der Mailänder Collection (J. 139 inf. Nr. 1)
ein Origin.albrief Borromeo’s «an den Mantu.aner mit 20 dicembre 1560,
statt 1561. — Schreibfehler glaube ich auch in den wenigen Fällen «an
nehmen zu dürfen, in denen Originale um einen oder mehrere Tage
früher d«atirt erscheinen als die Abschriften.
Römische Berichte. II.
57
nale ist das ursprüngliche Datum 24. März 1563 in 25 corrigirt
worden, bis zu dem sich die Absendnng verzögerte; in der
Abschrift in tom. 55 f. 146 ist aber der 24. beibehalten worden.
Auf stärkere Differenzen dieser Art, welche den Forscher beirren
könnten, bin ich bisher nicht gestossen.
7. Eingehende Vergleichung einzelner Gruppen von Briefen,
ivie sie im Generalregistcr und sonst überliefert sind.
Um ein sicheres Urtheil über den quantitativen und quali
tativen Werth des älteren GR. fällen zu können, habe ich mich
nicht begnügt, zahlreichen einzelnen Briefen, welche hier über
liefert sind, nachzugehen, sondern ich habe auch ganze Gruppen
von zeitlich und inhaltlich zusammengehörigen Briefen in meine
Untersuchungen einbezogen. Auch in diesem Berichte will ich
die auf diesem zweiten Wege gewonnenen Ergebnisse mit
theilen, nicht allein um des nächstliegenden Zweckes willen,
sondern auch um auf eine unabweisbare Frage wenigstens
auf Grund von Stichproben eine erste Antwort zu ertheilen,
auf die Frage nämlich, inwieweit wir uns von planmässiger
Ausbeutung der vaticanischen Concilakten bessere Kunde ver
sprechen können, als sie uns bisher von Pallavicino, als dem
einzigen, der dieses Material für eine Geschichte des Concils
benützt hat, geboten worden ist. 1
Zum Verständnisse der Briefe, welche ich besprechen und
zum Theil auch veröffentlichen will, schicke ich einiges voraus.
Pius IV. war als Oberhaupt der Kirche und des Kirchenstaates
voller Sorgen, als im März 1563 der Grosscomthur Alcantara
D. Luigi d’Avila als ausserordentlicher Gesandter des Königs
Philipp in Rom eintraf. In Trient waren bei der Abstimmung
über den Tag der nächsten Sitzung die Legaten dem Cardinal
von Lothringen gegenüber in der Minorität geblieben. Was
Morone, welcher sich zunächst zum Kaiser nach Innsbruck be
geben sollte, dort ausrichten werde, war noch ungewiss. An
gesichts dieser und anderer Gefahren, die ihm drohten, war
der Papst mehr denn je geneigt, sich eng an Spanien anzu-
1 Für die hier von mir angezogenen Bücher hat Pallavicino die ihm von
den Archivaren zur Verfügung gestellten Akten bereits selbst eingesehen.
58
X. Abhandlung: v. Sickel.
schliessen, von dem er am ehesten wirksame Hilfe erwarten
konnte, und auf die zahlreichen und weittragenden Forderungen
einzugehen, welche K. Philipp seit Monaten formulirt, durch
Vargas hatte ankündigen lassen und jetzt unter Androhung
des Abbruches des diplomatischen Verkehres durch d’Avila
wiederholen liess. Die eine betraf die Freiheit des Concils, wie
sie K. Philipp verstand: sie wurde durch das Breve vom
8. Mai 1563 Poiche questi principi bewilligt. 1 In Folge dieser
Erklärung erhielten die Legaten von Borromeo am 9. Mai
(Anhang Nr. 27) neue Weisung, wie sie sich fortan auf dem
Concil und der Curie gegenüber verhalten sollten. 2
Zu gleicher Zeit entschied der Papst in einer anderen
Frage zu Gunsten von Spanien. Die Franzosen hatten die
Gelegenheit nicht vorübergehen lassen wollen, vor allen auf
dem Concil vertretenen Nationen ihre Ansprüche auf Vorrang
vor den Spaniern geltend zu machen, und ihr Orator Lansac
hatte in der ersten Unterredung, die er mit den Legaten nach
seiner Ankunft in Trient hatte, die Präcedenzfrage wieder auf
das Tapet gebracht. Auch der Papst war schon im April
1562, wie wir S. 41 gesehen haben, um eine Entscheidung an
gegangen worden. Seit der Ernennung des Grafen Luna zum
Concilorator hatten die Legaten immer dringender um Wei
sungen, wie sie sich verhalten sollten, gebeten. Dass der Papst
zögerte, wurde ihm am meisten in Madrid verargt, und die zu-
1 Original in tom. 29 Nr. 2. — Mit dem richtigen Datum in Martene,
Vet. monumenta 8, 1405. — In lateinischer Uebersetzung und zu 4. Mai
Ann. eccles. = Le Plat 6, 47. — Pallavicino XXI, 5, Nr. 7 zu 9. Mai,
wie der Tag auch in tom. 55 f. 180 angegeben ist. — Letzterer Druck
ist nach dem Original so zu ergänzen und zu verbessern: Pius papa IV. ||
Dilecti filii salutem et apostolicam benedictionem. Poiche — instantia
— et par — legatis, quali furno — levi la detta libertä — proponere
a li padri — congregation — la mente vostra — perö che voi n. et
declarate — declarar — li padri — volemo far — severa riforma. Dat.
Romae die VIII. Maii MDLXIII. — In der Aussenadresse ist zuerst
Morone genannt, welcher jedoch erst am 17. Mai wieder in Trient ein
traf, während dieser Brief laut Registraturvermerk bereits am 12. ein-
gelaufen war.
Original in tom. 68 Nr. 32, zu dessen Abschrift in tom. 55 f. 181'
gelegentlich der Revision bemerkt worden ist in cifra, offenbar fälschlich,
da dieser Zusatz auch in der jüngeren Copie im CR. tom. 54 f. 222 fehlt.
Römische Berichte. II.
59
vor erwähnte Drohung, den spanischen Gesandten von Rom
abzuberufen, wurde insbesondere mit der lauen Haltung des
Papstes in dieser Streitfrage motivirt. 1 Nachdem nun Luna
am 12. April 1563 in Trient eingetroffen war, erneuerten Vargas
und d’Avila die diesbezüglichen Forderungen ihres Königs und
diesmal mit Erfolg. Ohne den Präcedenzstreit ein für alle Male
schlichten zu wollen, sprach sich der Papst am 8. Mai betreffs
des Luna in den Sessionen und Congregationen anzuweisenden
Platzes, so wie es L. d’Avila gewünscht hatte, aus. Borromeo
fügte dem Papstbriefe zwei chiffrirte Weisungen hinzu, eine
kurze an die gesammten Legaten und eine etwas längere an
Morone, welchem zugleich im Vertrauen mitgetheilt wurde, was
Pius IV. zu seinem Entschlüsse bestimmt hatte; letzterer sollte
bis zum Augenblicke der Ausführung geheim gehalten werden. 2
1 Erklärung vom 5. März 1563 in Döllinger, Beiträge 1, 486: visto en
cuan poco (el papa) estima la obediencia y humildad con que S. M. le
propone todas las cosas en el camino que S. S a “ d ha tomado para reme-
diar la controversia que en el concilio podia haber entre el embajador
de S. M. y los del rey de Francia.
2 Obgleich der Inhalt dieser drei Stücke bereits von Pallavioino XXI, 1,
Nr. 6—7 recht gut und in möglichstem Anschlüsse an den Wortlaut an
gegeben worden ist, glaube ich sie doch im Anhang Nr. 26 veröffent
lichen zu sollen. Den Hauptbrief drucke ich nach dem Original in
tom. 32 f. 136 ab und beide Postscripte nach tom. 55 fol. 179'. Gleich
hier füge ich einige Bemerkungen über die Ueberlieferung hinzu. Der
Papstbrief ist im GR. tom. 55 wieder sehr genau copirt worden; die
einzigen Varianten sind a la ragion de le parti und ne crederemo. Da
gegen weicht die Registercopie des ersten Postscripts vielfach von der
in Trient angefertigten, jetzt in tom. 29 f. 109 eiugereihten Klarschrift
ab, worauf ich S. 79 zurückkomme. Dass ich auch das PostScript nach
tom. 55 veröffentliche, hat seinen Grund in der schon S. 49 erwähnten
Verstümmelung des Blattes in tom. 29 f. 109, auf welchem einst das
Decifrat geboten worden war. — Auch was Pallavieino über die Wir
kung dieser Briefe in Trient berichtet, ist recht gut. Es ist insbesondere
richtig, dass die Proposten vom 8. Mai schon am 12. in Trient eiu-
gelaufen waren, dass aber die Weisungen Borromeo’s in cifre Moroniane
gekleidet erst nach der Heimkehr Morone’s von Innsbruck am 17. ent
ziffert werden konnten. Immerhin waren sie den Legaten und Luna
bekannt, bevor dieser zum ersten Male in der Generalcongregation vom
21. Mai (s. Theiner, Acta 2, 280) erschien. — Die im Papstbriefe er
wähnte Zeichnung (disegno) ist wahrscheinlich erhalten. Mir sind meh
rere solche Zeichnungen schon zu Gesichte gekommen, aber da sie, jeder
60
X. Abhandlung: v. Sickel.
Um ersichtlich zu machen, wie es sich mit der Ueber-
lieferung der gesummten Correspondenz Rom—Trient vom 8.
und 9. Mai einerseits in Originalen und andererseits im GR.
verhält, trage ich nach, was an Briefen dieser Tage auch an
deren Inhalts bekannt ist. Tom. 27 weist in Nr. 12 einen
Particularbrief Borromeo’s an Morone vom 9. auf, welcher, als
nur Complimente enthaltend, in das GR. nicht aufgenommen
worden ist. Dagegen lernen wir aus dem GR. als Plus kennen
den Schluss der einen Chiffre, deren in tom. 29 eingereihte
Klarschrift verstümmelt ist, und zwei Particularbriefe vom 9.
an Simonetta und an Navagero (tom. 55 f. 182'—183).
Aus den in den nächsten Wochen über die Präcedenz
gepflogenen Verhandlungen habe ich hier nur hervorzuheben,
dass auf Anregung Luna’s die Frage immer mehr in den
Vordergrund trat, welcher Platz ihm als spanischem Orator bei
kirchlichen Feierlichkeiten angewiesen, und wie es mit der
Darreichung de la pace e de l’incenso gehalten werden solle.
Auch sie hatte der Papst zu Gunsten Spaniens durch einen
Brief vom 8. Juni lösen wollen. 1 Durch Borromeo liess er am
Erklärung bar, mir unverständlich waren, habe ich mir die Bände nicht
vermerkt. — Ich schalte hier noch ein, dass ich gegen die Erzählung
von Pallavicino 1. c. sehr wenig einzuwenden habe. Aber an früherer
Stelle (XX, 17, Nr. 5) hat er auf die später von ihm selbst ge
botenen Aufschlüsse noch nicht Rücksicht genommen. Er knüpft da an
die oben angeführte Erklärung vom 5. März 1563 an und verfolgt den
Verlauf des Präcedenzstreites bis zum 20. Mai nach dem an diesem
Tage von den Legaten nach Rom erstatteten Berichte. Schildert er nun
die Verlegenheit der Legaten mit den Worten: adunque non venendo
allora spezial commessione del papa e non liavendo i legati balia d’ inno-
vare, non si trovava compenso, so widerlegt er sich dann selbst. Offen
bar hat er dieses Capitel niedergeschrieben, bevor er das ganze ihm zur
Verfügung stehende Material sich zu eigen gemacht hatte, und hat es
in der Folge nicht revidirt.
1 So das Datum im Original in tom. 32 f. 145 und in der Abschrift in
tom. 55 f. 235; darnach ist der 9. Juni bei Pallavicino XXI, 8, Nr. 4
(desgleichen dann Le Plat 6, 102) zu verbessern. — Nach dem Original
ist der Druck bei Pallavicino so zu verbessern: Li oratori — dato
luogo — et la pace et 1’ incenso di maniera — a li oratori — farli daro —
dexterita — parerä, pur che — exeguito omninamente che non ne po-
tete — Dio N. S. vi contenti et eonservi. Rome VIII. Juuii 1563.
Römische Berichte. II.
Gl
9. und 12. den Legaten noch sehr eingehende Weisungen über
die Ausführung seines diesbezüglichen Befehls zugehen. 1
Auch hier lasse ich folgen, was überhaupt von Proposten
vom 7.—9. Juni des gleichen oder auch anderen Inhaltes, ent
weder in Originalen oder abschriftlich im GR. vorliegt. In den
tom. 27, 32, 68 sind in den Urschriften auf uns gekommen
1 Papstbrief, 2 Particularbriefe Borromeo’s an Morone und
2 Communebriefe desselben. Nur die ersten drei sind in das
GR. eingetragen worden. Das Fehlen des einen Briefes an die
Legaten lässt sich aus dem Inhalte erklären: es wird' ihnen
nämlich nur gemeldet, dass der Generalthesoriere einen Unter
beamten nach Trient senden werde behufs Revision der Kasse.
Handelt aber der zweite Brief von den in Rom und in Trient
gepflogenen Verhandlungen über die Reform, so hätte er wohl
in das GR. aufgenommen werden sollen: dass die Minute noch
vorhanden war, beweist die spätere Eintragung in das CR.
tom. 54 f. 239'. — Dagegen sind im GR. vier weitere Briefe
überliefert: 2 Communebriefe vom 8. und 9. Juni, 1 Brief an
Simonetta vom 8. und 1 an Hosius vom 9. — Ueber die beiden
Particularbriefe an Morone (Orig, in tom. 27 Nr. 22, 23, ricev.
14. Juni, copirt im GR.) berichte ich ausführlich. Der erste
vom 7. Juni mit PostScript (in ihm ist vornehmlich unter Hin
weis auf eine Proposte an den Nuntius Delfino die Rede von
dem vom K. Maximilian II. zu fordernden Eide) ist ganz co
pirt in tom. 55 f. 211. Hier folgen dann noch 1. neun Zeilen:
A N. S re e stato grato — per rispetto di V. S. Ill ma (Pius ist
1 Gutes Excerpt dieser Proposte bei Pallavicino 1. c. — Nur aus dem
zweiten Theile der Proposte vom 12. will icli eine für die Strenge des
Papstes charakteristische Stelle nachtragen. In einem Berichte vom
3. Juni hatten die Legaten Massarello und die Notare des Concils an
geklagt als revelatori delli secreti di N. S rc , weil sie hanno dato fuora
quelle scritture (Brief des Papstes vom 8. Mai und andere diesbezügliche
Stücke) contra 1’ expressa commissione nostra che volevamo che fossero
tenute secrete. Darauf liess der Papst die Legaten wissen: S. S 1 “ & re-
stata forte offesa de la disobedientia del secretario et notari del con-
cilio, et poiche per colpa loro e seguito un disordine si grande, se ben
spera che le SS. VV. 111 mc troveranno qualche buon modo per rime-
diarlo, & pero di parere che non si lasci la cosa impunita, et del castigo
che s’habbi a dar loro, la S li S. si rimette a le SS. VV. IH"“, se ben
volessero privarli degli officii.
62
X. Abhandlung: v. Sickel.
zufrieden mit der jetzigen Haltung des Cardinais von Lothringen)
und 2. zehn Zeilen in cifra: II Nuntio scrisse —- per avviso.
Der erstere Passus findet sich nun in einem anderen Original
brief vom 8. Juni (Nr. 23), aber mit folgender Einleitung:
Oltra quello ch’io scrivo a Y. S. Ill ma con la qui alligata, ho
voluto con questa accusar le sue dell’ ultimo del passato; et
quanto a la prima a N. S re h stato grato etc. Offenbar hat
das Eintreffen der Risposte vom 31. Mai am 8. Juni Anlass
gegeben, eine zweite Proposte aufzusetzen, in welche der schon
Tags zuvor concipirte Passus eingeflochten wurde —- eine so
geringfügige Aenderung, dass es nicht nothwendig erachtet
wurde, sie auf der Minute ersichtlich zu machen. Was aber
den zweiten Passus anbetrifft, so liegen dem Original Nr. 22
allerdings zwei Blätter mit cifra und deeifrato bei, jedoch an
deren Inhaltes und Wortlautes, als sie im Register geboten
werden, und solchen Inhalts, dass er hierher nicht passt. Was
wir im GR. lesen, fand ich schliesslich wiederum in der S. 49
besprochenen kleinen Sammlung, nämlich in tom. 29 f. 116:
wir brauchen also das betreffende Blatt nur an seine rechte
Stelle zurückzuversetzen, und die Concordanz zwischen den
Reinschriften und der Registercopie ist hergestellt. 1
Wie es Pius IV. befohlen hatte, wurde sein Brief vom
8. Juni (eingetroffen in Trient am 13.) dem Grafen Luna eben-
1 Die interlineare Klarschrift lautet: II Nuntio scrive con le ultime sue
che oltra il presente che V. S. E mn haveva fatto al dottore Seldio, saria
stato a proposito fargline hora un altro di maggior pretio; pero liavemo
facto fare al meglio che si e possuto cosi all’ imprescia un vaso in
forma di scatola di oro massiccio che pesa trecenti scudi et li liavemo
posto dentro una catena et una crocetta attaccata o sia libriceiolo pieno
di reliquie che pesa dugento altri scudi, et se li e fatta una coperta
indrizzata al detto Seldio, come il Nuntio ha ricereato, il che sarä a
V. S. R ma per avviso. — Fast mit denselben Worten wird ebenfalls in
Geheimschrift dem Nuntius am Kaiserhofe Delfin am 8. Juni 1563 ge
meldet (NG. IV a f. 346), dass sein von Rom nach Wien heimkehrender
Secretär ihm dieses neue Geschenk für Seid überhringe. Dem fügt dann
Borromeo noch hinzu: havessimo havuto caro che V haveste vista, perehe
forse per cosa fatta cosi al imprescia, non vi saria dispiaciuta; ma poi
che vi e parso che sia meglio indirizzarla al Seldio cosi chiusa, la ve-
drete poi con qualehe occasione; resta che voi con la destrezza vostra
ne sappiate cavar quel frutto che merita non tanto la qualitä del pre
sente, quanto la buona santa et sincera intentione de S. ü ne .
Komische Berichte. II.
63
falls mitgetheilt, bevor dieser am 21. um den Kaiser zu be-
grüssen nach Innsbruck aufbracb. Die Legaten sahen voraus,
dass die Franzosen gegen die Ausführung dieses neuen Befehles
noch lauter Verwahrung einlegen würden, als sie es am 21. Mai
gethan hatten, ja sie fürchteten, dass es zur Auflösung des
Concils kommen könne; thatsächlich wurde damals von mehr
als einer Seite die Möglichkeit, das Concil zu Ende zu führen,
angezweifelt, 1 und wurde sogar der Papst beschuldigt, auf
Sprengung desselben hinzuarbeiten. Leiteten also die Legaten
in Trient allerlei Verhandlungen ein, so hatten sie doch noch
keinen Erfolg erzielt, als Luna am 27. von Innsbruck heim
kehrte und erklärte, am Tage Peters und Pauls in der Messe
erscheinen zu wollen, wo er nach der Weisung des Papstes
empfangen zu werden erwarte.
Ueber die Vorgänge, welche sich an diesem Tage während
des und nach dem Gottesdienste abspielten, liegen zahlreiche
und ausführliche Berichte vor, von denen auch mehrere be
reits gedruckt sind. 2 Die der Legaten sind überdies von
Pallavicino XXI, 8, Nr. 6—7 benutzt worden. Ich glaube letz
tere, in denen zuerst kurz recapitulirt wird, was in den Briefen
der letzten Wochen über den Verlauf dieser Angelegenheit
nach Rom gemeldet worden war, dann ausführlich über die
jüngsten Geschehnisse referirt wird und schliesslich die Gründe
dargelegt werden, welche die Legaten bestimmt hatten, von der
Ausführung der stricten Befehle des Papstes abzusehen, ich
glaube diese Berichte ganz veröffentlichen zu sollen, da sie
1 Auch in den Proposten dieser Zeit ist von solcher Eventualität die Rede,
und dass der Papst selbst für alle Fälle vorbereitet sein wollte, beweist
unter anderem folgende Weisung vom 12. Mai 1563 (Original in tom. 68
Nr. 33): Quanto al far nuova provisione de danari, io ho giä scritto
che Mons or thesoriere generale ha mandati sei mille altri scudi in Ve-
netia, li quali non doveranno servire se non per un’ urgente bisogno
che potesse venire a le SS. VV. Ill me a 1’improviso, et due altri mille
se ne rimette hoggi, li quali, aggionti a li quattro mille che il Manelli
haverä ultimamente portati da Venetia, doveranno portarci sin’a qualchi
giorni di Luglio; per il quäl tempo tra tanto si farä provisione d’ un’
altra honesta somma, acciö li sei mille non si tocchino, come ho detto,
se non per un bisogno urgente.
2 Vgl. unter anderen Le Plat 6, 116—126; Paleotto ed. Mendham 502:
Sickel, Acta 554; Döllinger, Urkunden 1 b , 124.
64
X. Abhandlung: v. Sickel.
offenbar bei der nochmaligen Berathung in Rom besondere
Beachtung gefunden und den Ausschlag gegeben haben. 1
Als Ergebniss dieser Berathung bezeichnet Pallavicino
XXI, 10, dass der Papst an dem gleichen Tage zwei Briefe
an die Legaten gerichtet habe, einen langen, welcher geheim
gehalten werden sollte, und einen kurzen zu eventueller Mit
theilung geeigneten: aus dem Eingänge des ersteren theilt er
nur einen Satz im Wortlaute mit, während er die zwei letzten
Drittel wörtlich abdruckt; ebenso bietet er den ganzen Wortlaut
des zweiten Schreibens. Aber es haben sich noch drei Beilagen
zu diesen Briefen erhalten, welche uns erst den rechten Schlüssel
zu deren Verständniss bieten, und was in meinen Augen
wichtiger ist, alle diese Aeusserungen sind vom 6. Juli 1563
und nicht, wie Pallavicino angibt, vom 16. 2 Dem Abdrucke
sämmtlicher Aeusserungen des Papstes vom 6. 3 füge ich eine
Beschreibung der noch vorhandenen Originale bei.
Der Brief, den ich als offenbar zuerst aufgesetzt I be
nenne, füllt die vier Seiten des Bogens aus, welcher in tom. 32
die fol. 163, 164 bildet, so dass für eine Aussenadresse kein
Raum blieb; 4 gerade weil diese und ebenso jede Spur von
1 Anhang Nr. 28—30 nach den Originalen in tom. Gl 1'. 289—293, 296—300,
in welchen offenbar in Rom zahlreiche Stellen unterstrichen sind. Ab
schriften dieser Berichte sind damals allen Nuntien zugesandt und von
diesen einerseits in ihre Register eingetragen und andererseits verbreitet
worden: so finden sich die Berichte in zahlreichen abgeleiteten Samm
lungen, wie z. B. im Cod. Barber. LXII, 19. — In tom. 61 f. 294, 295
noch zwei Originalrisposte vom 30. Juni, welche aber von anderen An
gelegenheiten handeln. — Da nicht von allen Berichten der Legaten
die Originale erhalten sind, bemerke ich, dass weitere Berichte aus
den letzten Tagen des "Juni und aus den ersten des Juli weder aus
der in I, S. 114 erwähnten Minutensammlung, noch aus den abge
leiteten Sammlungen der Correspondenz Trient—Rom bekannt sind.
2 Die beiden Briefe in Pallavicino 1. c., Nr. 2 und 4 zieht le Plat 6, 158
zu einem zusammen. Mir ist nicht bekannt, dass die unrichtige Datirung
bereits berichtigt oder auch nur bemängelt worden sei.
3 Anhang Nr. 31, I—V. Jedoch wiederhole ich nicht den schon von
Pallavicino gebotenen grosseren Theil von I. Die anderen Proposte aus
diesen Tagen und die dann aus Trient eingelaufenen Risposte bestätigen
nur die Deutung, die ich oben den Briefen gebe.
4 Von der Reihenfolge in dem betreffenden Bande muss man ganz ab-
sehen: in ihm steht V an der Spitze und I am Ende.
Römische Berichte. II.
65
Besiegelung fehlt, betone ich, dass I alle anderen Kennzeichen
der Originalität trägt, insbesondere auch am Kopf die eigen
händige Bezeichnung des Schreibers. Wurde also für I ein
Umschlag benüthigt, so ist dazu der Bogen f. 157, 160 ver
wendet worden. Auf f. 157 stehen die wenigen Zeilen von II,
ein einfacher avis au lecteur ohne alles Beiwerk von Formeln,
und auf f. 160' die übliche Aussenadresse; neben dieser sehen
wir einerseits das leidlich erhaltene Wappensiegel des Papstes
und andererseits den nach Einlauf des Briefes geschriebenen
Registraturvermerk: Responde alli romori fatti per la pace et
lo incenso. In denselben Umschlag sind aber noch andere
Bogen und Briefe eingelegt worden. Jedenfalls der jetzt
f. 158, 159 bezeichnete Bogen, auf welchem III (ebenfalls
ohne Aufschrift, ohne Datirung und ohne Adressse — von
Pallavicino 1. c. Nr. 4 in Kürze erwähnt) geschrieben war, und
vermuthlich ein weiterer Bogen, welchen ich bisher nicht auf
gefunden habe. Was dieser enthalten hat (IV), ist uns nur
durch das GR. (tom. 55 f. 242') überliefert, so dass sich die
Frage aufdrängt, ob wir IV als gesonderten Brief oder als
eine Beilage gleich II und III ansehen sollen. Sie zu beant
worten schicke ich voraus, wie alle diese Stücke im GR.
eingetragen erscheinen. Auf die Ueberschrift A li legati a 6.
di Luglio folgt zuerst auf f. 240', durch die Anrede Vene-
rabilis frater et dilecti filii etc. als Papstbrief kenntlich gemacht,
I, dann f. 242 unser II und noch III, endlich f. 242' IV,
welches im Register abschliesst mit Datum Romae etc., also wie
ein besonderer Brief. Da jedoch die vorausgehenden Stücke
keine gekürzte Datirung aufweisen, so liegt auf der Hand, dass
der Registrator I—IV als zusammengehörig betrachtet und
auch so, wie ich es thue, geordnet hat, dass er aber die Dati
rung, mit welcher der Hauptbrief I endet, nach dem üblichen
Schema gekürzt erst nach IV geboten hat: somit ist auch IV
nur eine Beilage.
Von dem in II angekündigten und im vorhinein zur Mit
theilung an den Cardinal von Lothringen und den Grafen Luna
bestimmten Briefe V liegen in tom. 32 noch zwei Exemplare
vor: das eine V a steht auf f. 154 und 156, das andere V ,J
auf f. 161—162; an beider Kopf steht von des Papstes eigener
Hand Pius papa IV, und beide weisen die Aussenadresse und
Sitzungsbor. d. phil.-hist. CI. CXXXV. Bd. 10. Abh. 6
86
X. Abhandlung: v. Sickel.
Siegelspuren auf. 1 Ist nun jetzt in V“ ein Blatt (f. 155) ein
gelegt, auf dem wir lesen: Questa seconda lettera si e fatta in
maniera che a S. S 41 pare che si possa sicuramente mostrare
a Loreno; pero se per tirar inanzi la concordia mediante l’omis-
sione de la dottrina etc., giudicheranno espediente di mostrar-
glila, potranno farlo a piacer Ioro, so ist es klar, dass solche
Weisung nur von Borromeo oder von Gralli dictirt worden sein
kann, aber es ist zugleich sehr fraglich, oh sie auf V bezogen
werden darf.
Aufschluss über diesen und über andere Punkte bieten
uns die Briefe des Cardinalnepoten aus diesen Tagen, obwohl sie
die Präcedenzfrage entweder gar nicht oder nur oberflächlich
berühren. Ich verzeichne sie also hier und gebe ihren Inhalt
insoweit an, als ich mich auf denselben berufen will.
Da man sich in Trient bis Ende Juni noch immer nicht
Uber die institutio episeoporum und über die Reformartikel
hatte verständigen können, hatten sich die Legaten nochmals
an den Papst gewendet, dass er eine Entscheidung treffe. So
ungehalten Pius IV. darüber war, da er ja erst vor kurzem
(s. S. 58) dem Concil volle Freiheit lassen zu wollen erklärt
hatte, hatte er doch eine Congregation von Cardinälen ein
berufen, ihr Gutachten über diebetreffenden Fragen zu erstatten;
auch Vargas hatte an den Verhandlungen theilgenommen und
ein Votum abgegeben, welches der Papst den Legaten mit-
zutheilen befahl. Das ist der Hauptinhalt eines Schreibens
Borromeo’s vom 5. Juli (A). 2 Aus einem Communebriefe vom
1 Die Differenzen zwischen den Texten beschränken sich darauf, dass
in V a , welches ich dem Abdrucke zu Grunde lege, nach benedictionem
ein überflüssiges etc. steht, und dass es hier fratanto, dagegen in V b
tratanto heisst. — Die Aussenadresse lautet auf f. 156' correct Ven.
fratri Joanni et dilectis filiis Stanislao . . ., dagegen auf f. 162'
(V b ) Ven. fratri et dilectis filiis Joanni, Stanislao ... In Trient hat V a
den Registraturvermerk erhalten: Rome 6. Julii, suspende T ordine del-
T incenso et pace et lo rimette al concilio; die gleiche Hand hat V b
kürzer bezeichnet mit Rome 6 Julii, pace et incenso.
2 Original in tom. 68 Nr. 63, auf der Aussenadresse: littera prima. Dazu
5 Beilagen (Nr. 64—68), unter denen die im Anhang Nr. 31. III. er
wähnte scrittura del Musotto und, da das in Nr. 31. IV erwähnte voto
di Vargas nicht so schnell hatte copirt werden können, ein von Vargas
selbst geschriebener Extract seines Votums. — Dass Pallavicino XXI, 6,
Römische Berichte. II.
67
6. (B) 1 erfahren wir, dass presente spaccio, in welchem A in
begriffen war, schon am 5. früh abgehen sollte, aber zurück
gehalten wurde, weil der Papst erst hören wollte, was der am
4. Abends eingetroffene Abgesandte des Lothringers, Musotto,
berichten werde; im übrigen werden in Kürze die Weisungen
des Briefes A wiederholt. Vom 6. datiren noch ein Commune-
brief (C), ein Particularbrief an Morone (D) und ein anderer
an Simonetta (E). 2 Nach C traf der Courier, welcher die
Legatenbriefe vom 29. und 30. Juni und vom 1. Juli über
brachte, in Rom ein domenica sul hora di pranso (also 4. Juli,
11 Uhr Vorm.) und bald darauf auch der Ordinario mit Briefen
vom 28. Juni: auf letztere, welche minder wichtige Angelegen
heiten betrafen, wurde in 'C geantwortet. In D und E wird
unter Hinweis auf la lunghezza de le lettere communi den
Adressaten nur gesagt, dass der Papst volles Vertrauen in sie
setze. Wichtig ist, dass auf D vermerkt worden ist ricevuta
9 Luglio hora 18 (d. i. 2 Uhr Nachm.). Am 7. Juli endlich
wurden für den Fall, dass dem Tags zuvor abgegangenen
Courier etwas zugestossen sei, den Legaten Duplicate aller
hiersera geschriebenen und beförderten Briefe zugesandt: das
besagt der Originalbrief Gr 3 , mit dem zugleich ein Particular
brief an Simonetta (II) expedirt wurde. 4 Offenbar sind diese
letzten Briefe der am 7. abgehenden Ordinaripost übergeben
worden, denn laut dem Vermerk auf Gr trafen sie erst am 14.
in Trient ein. Dem gegenüber ist hervorzuheben, dass die am
1. Juli von Trient expedirten Briefe in höchstens drei Tagen in
Rom angelangt sind, und dass die in Rom am 6. Abends einer
Staffette übergebenen Briefe nur etwa 66 Stunden unterwegs
Nr. 3—4 und 11, Nr. 1 unser A als vom G. Juli datirt bezeichnet, be
ruht auf einer Verwechslung mit dem Briefe B.
1 Tom. 68 Nr. 70, bezeichnet als 1. tertia. Dazu kommt ein Duplicat
von B mit einem Beiblatte (B 2 ), eingereiht als Nr. 71.
2 C in tom. 68 Nr. 69 (littera secunda), D in tom. 27 Nr. 30, E nur in
tom. 55 f. 245'. Hier sind alle diese Briefe sö geordnet: f. 237' A,
f. 240'—243 die Aeusserungen des Papstes, f. 243' B, f. 244 C, f. 245 D,
f. 245' E.
3 Tom. 68 Nr. 72, copirt in tom. 55 f. 246.
4 Nur abschriftlich in tom. 55 f. 246 und in dem Particularregister.
68
X. Abhandlung: v. Sickel.
geblieben sind: 1 das ist, was die Schnelligkeit der Beförderung
anbetrifft, die höchste Leistung, welche sich aus dieser Corre-
spondenz ergibt und sich wohl nur durch den guten Zustand
der Strassen in dieser Jahreszeit erklären lässt.
Die zuvor erwähnte Beilage zu dem Duplicate B 2 enthält
nun den S. 66 abgedruckten Passus Questa seconda lettera
etc., welche auch zu B in Anbetracht des Verhältnisses von
B zu A sehr gut passt, weit besser als zu dem von vorhinein
auf Kundmachung berechneten Papstbriefe La menta nostra.
Und so ist er auch im GR. der Copie von B als letztes Alinea
angehängt worden. Der ersten Ausfertigung von B, jetzt
Nr. 70, muss ein Blatt gleichen Inhaltes beigelegen haben,
offenbar das Blatt, welches aus Versehen in tom. 32 gerathen
ist. •— Noch eine Bemerkung will ich an die Aufzählung der
Briefe vom 5.—7. Juli knüpfen: ihre grosse Anzahl bezeugt
von neuem, dass das Geheimsecretariat in kritischen Momenten
im höchsten Grade in Anspruch genommen wurde.
Auch hier vergleiche ich wieder das GR. mit den auf
uns gekommenen Originalproposten. Von deren am 7. ex-
pedirten Duplicaten habe ich bisher nur gefunden das des
letzten Papstbriefes La mente nostra und das von B mit
seiner Beilage. Für die Registrirung kamen die Duplicate nicht
in Betracht. Dagegen bietet uns das GR. auch hier Ersatz
dafür, dass die Originale der Proposte an die einzelnen Legaten
(Morone ausgenommen) nicht in das Vaticanische Archiv ge
kommen sind. Sonst decken sich der Zahl nach die in den
Urschriften und die in den Registercopien überlieferten Stücke.
Was aber den Umfang der einzelnen Stücke betrifft, so ver
missen wir in den Originalsammlungen nur das eine Beiblatt,
auf welchem sich der uns aus dem GR. bekannte Passus Nr. 31.
IV befunden haben muss. So sind die Differenzen bei dieser
dritten Gruppe geringer als bei der ersten (Briefe vom 8. und
9. Mai) und bei der zweiten (Briefe vom 7.—9. Juni), aber sie
sind der gleichen Art, und die nähere Betrachtung der drei
1 Der 9. Juli ist auch auf A und C als Einlaufsdatum angegeben. Da
gegen steht auf B ricev. 16 Luglio. Ist aber kein Grund erfindlich,
dass B in Rom liegen geblieben sei, als die anderen Briefe vom 5. und
6. dem Eilboten übergeben wurden, so scheint hier ein Fehler unter
laufen zu sein.
Römische Berichte. II.
69
Gruppen bestätigt, was ich S. 47 ff., auf andere Beispiele ge
stützt, über den relativen Werth des älteren GR. gesagt habe.
Ich gehe noch auf den Inhalt der Briefe vom 6. Juli in
soweit ein, als es die Nachprüfung der Erzählung Pallavicino’s
erfordert. Indem er diese Briefe vom 16. Juli datirt, hat er
nichts über deren Wirkung zu berichten; er betont vielmehr,
dass noch bevor die Kunde von den Vorgängen am 29. Juni an
die Curie gelangt sei, in Trient dank der versöhnlichen Stim
mung der in erster Linie betheiligten Franzosen und Spanier
und dank den Bemühungen der Legaten und ihres Anhangs
die Ruhe wieder hergestellt worden sei. In der That hatte
sich der Sturm dort sehr bald gelegt, da alle, welche zum
Concil gekommen waren, dessen ungestörten Fortgang selin-
lichst wünschten und diesem allgemeinen Interesse ihre Sonder
interessen unterordneten. Schon am 4. Juli konnten die Le
gaten nach Rom melden, dass man auf dem besten Wege sei,
sich in der Präcedenzfrage zu verständigen, und dass sowohl
die Franzosen als die Spanier von Eifer beseelt seien, die an
deren in Verhandlung begriffenen Fragen zu erledigen und es
so zu ermöglichen, dass am 15. Juli endlich wieder eine feier
liche Sitzung abgehalten werden könne. Die anderen gleich
zeitigen Berichte aus Trient sind ebenfalls voll des Lobes der
Legaten, des Grafen Luna, des Lothringers u. s. w. und voll der
Hoffnung, dass die angebahnte Versöhnung zu Stande komme.
Aber dazu, dass diese Hoffnung in Erfüllung ging, haben
offenbar die den Legaten bereits am 9. zugegangenen Briefe
des Papstes und insbesondere der letzte auf die Beruhigung
der Franzosen berechnete beigetragen. Somit muss, bei aller
Anerkennung der versöhnlichen Haltung Luna’s und des Loth
ringers und der Bemühungen der Legaten, den Frieden herzu
stellen, auch dem Papste und der Curie der gebührende
Antheil an der momentanen Beilegung des Präcedenzstreites
zugeschrieben werden. Es handelt sich aber nicht allein um
Feststellung der grösseren oder geringeren Wirkung, welche die
Papstbriefe in Trient ausübten, sondern auch um die richtige
Beurtheilung dieser Briefe und der durch sie bezeugten Haltung
des Papstes in diesem kritischen Momente. Pallavicino hebt
den wesentlichen Unterschied zwischen den am gleichen Tage
ausgestellten Briefen I und V nicht genügend hervor und
70
X. Abhandlung: v. Sickel.
schwächt damit die Thatsache, wie sehr der Papst geschwankt
hat, ab. Dieses Schwanken wäre auch kaum begreiflich, wenn
Pius IY. über eine Woche Zeit gehabt hätte, mit sich zu Rathe
zu gehen, und vollends nicht, wenn inzwischen bereits ganz
beruhigende Nachrichten aus Trient eingelaufen wären. In
Wirklichkeit musste in kürzester Frist eine Entscheidung ge
troffen werden. Wir sahen, dass der jüngste Bericht vom
1. Juli schon am 4. der Curie zugegangen war, und dass schon
am 5. Musotto die Briefe des Cardinais von Lothringen über
reichte und dessen Anschauungen zur Geltung brachte. Noch
stärkeren Druck als Musotto übte der den entgegengesetzten
Standpunkt vertretende Vargas aus. Aber auch hervorragende
Cardinäle werden sich je nach ihrem Standpunkte eingemischt
haben. So hatte der Papst mit allerlei Factoren zu ringen, ja
mit sich selbst, denn trotz seiner Zuneigung zu Spanien musste
er der im äussersten Falle drohenden Gefahr eines Schismas
Vorbeugen. Dass sich so alles in den Zeitraum von einem bis
zu zwei Tagen zusammendrängte, das erst macht diese Briefe
und ihre Nachschriften verständlich. Weicht Pius IV. schon
in I um ein weniges zurück, so redet er doch noch, wie es ihm
ums Herz ist. Indem ihm Vorstellungen gemacht sein werden,
erklärt er in II, dass er selbst den ersten Brief zu stark finde
und ihn durch einen anderen ersetzen wolle, welcher eventuell
auch dem Lothringer und Luna gezeigt werden könne. Nichts
destoweniger wird I den Legaten zugesandt, damit sie sich
in gleichem Sinne äussern mögen. Ja ihnen gegenüber ver
sucht der Papst in III seinen Entschluss vom 8. Juni nochmals
zu rechtfertigen als ihm von Gott inspirirt und als auch von
Erfolg gekrönt, da der Lothringer jetzt erkläre, sich dem
Fortgange der conciliaren Verhandlungen nicht mehr wider
setzen zu wollen. Dem entsprechend wird den Legaten in IV
befohlen, dass die jetzige Weisung, dass der am 8. Juni er-
theilte Befehl unausgeführt bleibe, möglichst lange geheim ge
halten und erst im äussersten Falle veröffentlicht werde. Und
in dieser letzten Weisung V war jedes Wort so reiflich erwogen
worden, dass sie, wie ich schon sagte, die rechte Wirkung er
zielte: auf diese feierliche Erklärung des Papstes hin stimmten
die Franzosen und die Spanier dem vom Kaiser gemachten
und in Trient aufgenommenen Vorschläge bei, dass allerseits
Komische Berichte. II.
71
auf die Darreichung von pace et incenso Verzicht geleistet
werde, bis dem spanischen und dem französischen Gesandten
neue diesbezügliche Instructionen zugehen würden.
8. Das ältere Generalregister II scliliesst sich unmittelbar an
das jüngere I an, während mischen dem GE. II und III eine
Lage fehlt. — Schlussfolgerungen.
Zum Schlüsse dieses Capitels versuche ich auf die bisher
nur gestreifte Frage Antwort zu ertheilen, oh sich NG. 4° oder
GR. II unmittelbar an das jüngere GR. I in tom. 50 anschliesst
oder nicht, und wieviel zwischen jenem und GR. III oder
tom. 55 fehlt. 1 Tom. 50 (s. S. 8) endet mit drei Proposten
vom 31. December 1561, gerichtet an Simonetta (f. 89), an
die gesammten Legaten (f. 89') und an Mantua (f. 91), 2 und
NG. 4 C hebt an mit einem Briefe überschrieben A li R mi legati
a li VII di Gennaro (1562), auf welchen Particularbriefe an
Mantua, Hosius und Simonetta vom gleichen Tage folgen.
Beide Expeditionen fallen auf den Mittwoch, d. h. auf einen
der zwei Wochentage, an welchen die Ordinaripost von Rom
abging, so dass, obwohl die Correspondenz damals noch nicht
lebhaft war, auch an dem dazwischen liegenden Samstage
(3. Jänner) Briefe nach Trient hätten befördert werden können.
In der That findet sich in Mailand das Original eines Briefes
von Borromeo an Mantua vom 3. Jänner 1562, welcher dann
auch in das Particularregister tom. 49 f. 35 und in das Einlaufs
register Mantua’s, d. i. tom. CVIII f. 2 eingetragen worden ist. 3
1 Muss ich mich dabei immer wieder auf andere amtliche oder auch
ausseramtliche Eegister berufen, so werde ich diese, soweit ich es noch
nicht gethan habe, hier vorläufig kennzeichnen.
2 Das jüngere GE. weicht, also von dem älteren (s. S. 13) unter anderem
auch in der Anordnung der Briefe ab.
3 Was ich über diesen Band in I, S. 81 und 103 gesagt habe, habe ich
jetzt in einem Punkte zu berichtigen. Nachträglich ist mir nämlich aus
Mailand gemeldet worden, dass sich in der dortigen Sammlung die
Briefe an C. Olivo, nämlich der vom 28. Jänner und der vom 14. Februar
1562 doch vorgefunden haben. Dessenungeachtet kann ich bislang aus
dem bereits angegebenen Grunde betreffs der Entstehung von tom. CVIII
nur Vermuthungen aufstellen. Da mich aber zahlreiche Stichproben
von der Güte der hier gebotenen Ueberlieferung überzeugt haben, glaube
ich mich auch auf dieses Eegister berufen zu dürfen.
72
X. Abhandlung: v. Sickel.
Heisst es nun hier, dass der Cardinalnepote dem Adressaten
augenblicklich nichts mitzutheilen habe und ihm nur zum
neuen Jahre Glück wünschen wolle (nur zum Schluss wird
dann bemerkt, dass dem Briefe eben aus Spanien eingelaufene
Avvisi beigeschlossen werden sollen), so ist dies eine der Pro
posten, welche nach dem für das ältere GR. aufgestellten
Programme nicht in dasselbe aufzunehmen waren, so dass die
Auslassung dieses Stückes noch keine Lücke bezeichnet. So
schliesst sich NG. 4° unmittelbar an den tom. 50 an, welcher,
wie ich meine, den frühzeitig verloren gegangenen ersten Theil
des älteren GR. ersetzen sollte. 1
So zweifellos es ist, dass zwischen GR. II und III eine
Lücke besteht, so stösst die Beantwortung der Frage, wie viele
und welche Stücke hier ausgefallen sein mögen, auf Schwierig
keiten, über die ich, offen gestanden, nicht hinausgekommen
bin. Ich muss mich begnügen, den Sachverhalt, wie er mir
erscheint, darzulegen. Tom. 55 beginnt mit zwei Commune-
briefen (Perche Mons. Ill mo Savello und Per risposta del’ ultima
lettera) vom 7. October 1562 (Mittwoch), welchen mehrere
Particularbriefe von demselben Tage folgen. Dass am Kopfe
des f. 1, also vor dem ersten Briefe, die ungekürzte Ueber
schrift A li Ill mi SS. legati a 7 d’Ottobre steht, besagt, dass
kein Stück gleicher Art und gleichen Datums vorausgegangen
ist, und dass davon hier nur zwei gebucht worden sind, wozu
stimmt, dass auch sonst ein drittes nicht bekannt ist. Schliesst
nun NG. 4 C mit dem im Anhänge Nr. 21 gedruckten Briefe ab,
dessen letzte Zeilen jedoch schon in die Lücke fallen, so wird
dieser ebenfalls durch die Ueberschrift als erster Brief der am
3. October (Samstag) erfolgten Expedition gekennzeichnet.
1 Es kommt noch in Betracht, dass mit des letzteren Fragments erstem
Blatte (f. 186) ein neues Heft beginnt, und dass die oben citirte Auf
schrift des ersten Briefes als Incipit einer neuen Abtheilung erscheint:
für einen Brief vom 3. Jänner war hier kein Platz. — Aller Wahrschein
lichkeit nach hat man ursprünglich das GE. nach Jahrgängen gliedern
wollen und hat deshalb den Brief vom 7. Jänner auf einem neuen Hefte
eingetragen und mit mehr in die Augen fallender Ueberschrift versehen.
Als dann jedoch wider Erwarten das Coneil sich in die Länge zog, hat
man den Uebergang zu 1563 in tom. 55 f. 81 nicht mehr hervorgehoben.
Aber der früheren Absicht entspricht es, dass der jüngere tom. 50 als
den ersten Jahrgang bildend bis zum letzten Deeember 1561 reicht.
Römische Berichte. II.
73
Da aber nicht das geringste für die Annahme spricht, dass zwi
schen den beiden Wochentagen, an welchen die Ordinaripost
von Rom abging, ein Brief per Courier nach Trient befördert
worden sei, welcher dann im Register hier einzureihen gewesen
wäre, so können auf den fehlenden Blättern nur weitere
Schreiben vom 3. October an alle oder an einzelne Legaten
gestanden haben.
Um alle Briefe von diesem Tage, welche in der einen
oder der anderen Form auf uns gekommen sind, aufzuzählen,
beginne ich füglich mit den in der Mailänder Collection er
haltenen Originalen. Nach gütiger Mittheilung des Herrn Dr.
Ratti befinden sich dort: 1) Borromeo an die Legaten Poiche
per levar — raccomandandomi in buona gratia loro mit drei
Nachschriften. Zuerst wurde auf Beiblatt hinzugefügt Mons 1 ' 0
Rm° Alessandrino — mandera loro; zu zweit auf dem Haupt
blatte vom Papst geschrieben Se si ha da legere — remetten-
dola el concilio; zu dritt wieder auf dem Beiblatte die auf das
PostScript des Papstes bezügliche Bemerkung Essendosi — di
sua mano. 1 — 2) Pius IV. an den Cardinal von Mantua Oltre
quello che’l Cardinal mit eigenhändiger Nachschrift Ci pare che
si possi legere — come gia vi ne avisassimo. 2 — 3) Borromeo
an Mantua N. S le ha veduto volontieri — a la quäle io bacio
humilmente le mani mit drei Nachschriften, nämlich einer auto-
graphen V. S. Ill ma vedera — pregandole ogni contento, einer
zweiten von Schreiberhand 11 S. Cardinal di Ferrara — et per
la cifra inclusa und einer dritten Havendosi a far — al buio
de la volontä di S. B ae . 3
1 Cod. Ambr. J. 141 inf. f. 120 sq. •— Den Hauptbrief und die erste Nach
schrift drucke icli im Anhang Nr. 21 nach NG. 4° ab. Auf die Schlussworte
des Briefes im Gß. folgt im Original noch et a V. S. 111bacio humi-
lissimamente le mani raccomandandomi in buona gratia loro nebst Da-
tirung und Unterschrift. Das autograplie PostScript des Papstes ver
öffentliche ich nach dem Original, desgleichen die letzte Nachschrift.
2 J. 141 inf. f. 118. Im Anhänge Nr. 22 theile ich den Hauptbrief mit
nach der Registerabschrift in tom. 49, die Nachschrift dagegen nach dem
Original.
3 Alles im Anhänge Nr. 23, und zwar die autograplie Nachschrift nach dem
Mailänder Original in J. 141 inf. und alles andere nach der ltegistercopie
in tom. 49. — Im Mailänder Codex bilden f. 113 und 117 einen Bogen,
auf welchem zuerst der Hauptbrief eingetragen ist bis zur Datirung und
74
X. Abhandlung: v. Sickel.
Da die Vollständigkeit der Mailänder Sammlung, welche
ausser den Proposten an alle Legaten auch die an Mantua
allein enthält, nicht verbürgt ist, ziehe ich auch die Register
für diese beiden Kategorien von Briefen zu Rathe, d. i. für
beide Kategorien tom. CVIII, für die erstere tom. 54 und 15t
und für die zweite tom. 49. 1 Sie alle zusammengenommen
den die Unterschrift einleitenden Worten di V. S. Ill ma et Rev ma (welche
Schlussformeln wie gewöhnlich im Register ausgelassen worden sind) und
dann noch das autographe PostScript; dieses reicht von f. 113 recto unten
bis f. 117 verso und schliesst mit der üblichen, auch für den Hauptbrief
geltenden Subscription. Indem für die Copie dieses Postscripts, welche
im Gelieimsecretariat angefertigt und dort der Minutensammlung ein
verleibt wurde, ein besonderes Blatt gewählt worden war, lagen den
Registratoren ausser dem Blatte mit dem Hauptbriefe drei weitere Blätter
vor, welche bei der Eintragung des Stückes in tom. 49 nicht ganz
richtig geordnet wurden, nämlich so, dass die zweite Nachschrift an
die erste Stelle und die autographe an die zweite Stelle gesetzt wurden,
eine Verschiebung, welche bei der zweiten Registrirung der conciliaren
Correspondenz wiederholt stattgefunden hat.
1 Alle diese Register, desgleichen das noch zu citirende PR. tom. 51, sind
reichhaltiger als das ältere GR., indem auch die minder wichtigen Briefe
in sie Aufnahme gefunden haben; hat es Briefe gegeben, welche nicht
wertk befunden worden sind, in die jüngeren Register eingetragen zu
werden, so sind sie sicherlich aus dem älteren ausgeschlossen worden. —
Den notliwendigen Aufschluss über die tom. CVIII, 49, 51, 54 habe ich
schon gegeben. Was tom. 151 anbetrifft, so ergänze ich hier, was ich
über ihn in I, S. 71, 81 gesagt habe. Dieser Band bildet die Fortsetzung
von tom. 150. Die in beiden gebotene Sammlung von Briefen der con
ciliaren Correspondenz ist auch in tom. 52, 53 überliefert. Beide Paare
von Bänden gehen auf das einst in Trient von Tag zu Tag geführte,
den Einlauf und das Expedit der Communecorrespondenz zusammen
fassende AR. zurück. Schon dessen Anlage verbürgt, dass hier sämmt-
liclie in Trient eingelaufene proposte in commune gebucht worden sind.
Wie die einzelnen Stücke geordnet und behandelt worden sind, mögen
folgende tom. 151 b f. 64—67 entnommene Notizen veranschaulichen:
F. 64 steht unter der Aufschrift Ali SS ri legati il C. Borromeo, rice-
vuta alle 9 venerdi der oben als 1) citirte Brief so gebucht: Poiche per
levar — non dico altro con questa, et a VV. SS. 111 ma etc. Di Roma
alle 3 di Ottobre 1562. Dann Questo che segue e di propria mano del
papa. Se si ha da leggere — rimettendola il c.oncilio. Es folgt Post-
scritta di mano della lettera medesima: Mons. R. Alessandrino — di
man sua, d. h. es sind hier zwei Nachschriften in eine zusammen
gezogen worden. Die sich f. 66' unmittelbar an die Proposte vom
3. October anschliessende Aufschrift A S. cardinale Borromeo besagt,
Römische Berichte II.
75
kennen keine anderen Briefe vom 3. October als die drei in
Urschrift erhaltenen und lassen auf sie gleich die vom 7. folgen.
So gut wie an Mantua können an gleichem Tage und über
dieselben Agenden an die anderen Concillegaten Seripando,
Simonetta und Hosius Particularbriefe vom Papste und von
Borromeo gerichtet worden sein; ja es müsste uns Wunder
nehmen, wenn es nicht geschehen wäre. Bei den Fragen,
welche eben auf der Tagesordnung standen, ob das kaiserliche
Libell dem Concil mitgetheilt werden sollte oder nicht, und ob
die Reform Vorschläge der kaiserlichen und der französischen
Oratoren in Verhandlung genommen werden sollten oder nicht,
stand auch die Autorität des Papstes und der Curie auf dem
Spiel, und was deren Wahrung anbetraf, verliess man sich
weniger auf Mantua als auf die anderen Legaten: dafür zeugen
zahlreiche Particularbriefe an Seripando und Simonetta (von
Hosius muss ich besonders reden) früheren oder späteren
Datums. Hier kommt nur in Frage, was uns von Briefen an
beide gerade vom 3. October bekannt ist, und so falu’e ich
in deren Aufzählung fort. Als 4) ist ein im PR. tom. 49 f. 138
überlieferter Brief Borromeo’s an Seripando, obgleich durchaus
belanglos, zu verzeichnen. Dazu kommen 5) Brief des Papstes
und 6) Brief seines Neffen, beide am 3. October an Simonetta
gerichtet. 1
Sind also nachweisbar mindestens sechs Briefe an dem
selben Tage von Rom nach Trient abgegangen, so könnten
eventuell ausser dem einen auf dem letzten Blatte des Frag
mentes NO'. 4 U copirten noch fünf auf den jetzt fehlenden
Blättern des älteren GR. eingetragen worden sein. Eventuell
will besagen, wenn einmal bei der Registrirung von dem für
sie aufgestellten Programm abgesehen worden sein sollte; denn
dass nun eine Risposte der Legaten vom 12. October folgt; ihr reiht
sich f. 67 unter der Aufschrift Al medesimo eine zweite vom gleichen
Tage an. Dagegen f. 08 wieder unter Aufschrift A li SS rl . . . Borromeo,
rieevuta il di 13 das zuvor citirte Schreiben des Cardinalnepoten vom
7. October Per risposta dell’ ultima lettera etc.
1 Diese im PR. tom. 51 f. 52—53. Zu 6) gehört ein PostScript in ge
wöhnlicher und ein zweites in Geheimschrift, das letztere im Register
wie immer deehiffrirt. Ich veröffentliche 5) im Anhänge Nr. 24 und von
6) in Nr. 25 das zweite auf das Libell und die Reformvorschläge bezüg
liche PostScript.
76
X. Abhandlung: v. Sickel.
sonst wurde ja von Briefen wie dem unter 4) erwähnten im
GiR. nicht Notiz genommen und waren Particularbriefe des
Papstes wie 2) und 5) von der Aufnahme ausgeschlossen. Somit
kommen, wenn diese Regeln beobachtet worden sind, nur der
Schluss von 1) und die Briefe 3) und 6) in Betracht, für welche
zusammen höchstens sechs Schriftseiten benöthigt sein würden.
In diese Berechnung ist aber noch die Particularcorrespondenz
mit Hosius einzubeziehen. Allerdings haben sich Briefe an
ihn aus diesen Tagen weder in Rom noch meines Wissens
an anderen Orten 1 erhalten, so dass ich nur Vermuthungen
geltend machen kann. Da der Papst Hosius für gut vertraut
mit den Verhältnissen und Anschauungen des Kaiserhofes und
für dort einflussreich hielt und sich gern seiner bediente,
wenn mit den Wiener Kreisen und mit den kaiserlichen
Concilsoratoren zu verhandeln war, ist es sehr wahrscheinlich,
dass am 3. October auch an ihn Particularbriefe gerichtet
worden sind. War das der Fall, und lag den Registratoren
auch noch ein solcher Brief vor, so würden vielleicht durch
dessen Copie noch zwei weitere Seiten ausgefüllt worden sein.
Jedoch selbst ein Maximum von acht Seiten reicht nicht aus,
wenn auch in diesem Stadium der Arbeit der Brauch befolgt
worden ist, dass für gleichzeitig geführte Register stets Hefte
von je sechs Blättern gebildet und dass alle Seiten beschrieben
worden sind. 2 So bleibt mir nur die Wahl und lasse ich anderen
1 Siehe I, S. 73, Anmerkung 1. — In Cyprianus, Tabularium eeelesiae
Romanae folgt auf einen Brief Borromeo’s an Hosius vom 15. Juli 1562
(p. 235) sofort einer vom 21. October (p. 253). Aber die dort abgedruckte
Gothaer Sammlung der Briefe ist durchaus nicht vollständig. Ob sich
weitere Briefe Borromeo’s an Hosius und insbesondere solche aus dem
October 1562 in der Krakauer Bibliothek erhalten haben, konnte ich
noch nicht erfahren.
2 Ich muss hier noch in etwas der Beschreibung der jüngeren Register mit
conciliarer Correspondenz vorgreifen und weitere Unterschiede zwischen
ihnen und dem älteren GR., soweit es uns vorliegt, hervorheben. In
jenen mit ihren umfangreichen Heften sind nicht allein einzelne Seiten
unbeschrieben geblieben, sondern sind Blätter in geringer oder grosser
Zahl übersprungen worden , um Abschnitte zu machen und zu mar-
lciren oder auch um ein Blatt als Titelblatt für eine neue Abtheilung
zu verwenden; in der Folge sind dann auch leer gebliebene Blätter
ausgeschnitten worden. Von alledem ist hei dem GR. und den gleich
zeitig geführten Nuntiaturregistern nicht die Rede. Dadurch ist aller-
Römische Berichte. II.
77
die Wahl zwischen zwei Annahmen, zwischen der, dass einmal
bei der Anlage des Registerbandes oder hei der Ausnützung
des Schreibmaterials von den sonstigen Bräuchen abgewichen
worden sei, und der anderen, dass ebenfalls ganz vereinzelt
hei der Auswahl der zu registrirenden Briefe minder streng
vorgegangen und die Aufnahme von sonst ausgeschlossenen
Stücken beliebt worden sei. Was durch den Verlust des einen
Heftes unserer Kenntniss allein entzogen worden sein kann,
sind etwaige Schreiben an Hosius.
Ich habe von der römischen Correspondenz vom 3. October
1562 verhältnissmässig viel abgedruckt, um weitere Belege für
das, was ich bereits über die Ueberlieferung durch die Register
gesagt habe, bieten und um noch andere Mängel dieser Ueber
lieferung an bestimmten Beispielen ersichtlich machen zu können.
Auch die Proposten von diesem Tage sind nämlich verschieden
überliefert worden, weil die Registratoren die Beilagen zu den
Hauptbriefen nicht immer richtig behandelt haben. 1 So ist
die Reihenfolge der drei Zusätze zu dem Hauptbriefe Nr. 21
nur in NU. 4 gut wiedergegeben, vorausgesetzt, dass auf dem
verloren gegangenen Hefte auch der dritte Essendosi stand.
Dagegen ist im CR. tom. 54 das PostScript des Papstes an die
letzte Stelle gesetzt worden. Und in tom. CVIII f. 459' folgt
auf den Brief Nr. 21 (f. 455'-—458) unter neuer Ueberschrift a
li medesimi etc., also als zweiter Brief Borromeo’s, die Nach
schrift des Papstes, dann Mons re R mo Alessandrino und Essen
dosi. Zur Ueberlieferung des Papstbriefes Nr. 22 ist zu be
merken, dass die Nachschrift weder im PR. tom. 49 noch im
tom. CVIII f. 454' als eigenhändig bezeichnet worden ist. 2 Was
dings nicht die Möglichkeit ausgeschlossen, dass gerade das in Verlust
gerathene Heft von Anbeginn an oder als es ausgefüllt werden sollte,
anders behandelt worden ist.
Dazu kommen Flüchtigkeitsfehler. Der Schluss von Nr. 21 wird z. B.
in tom. CVIII f. 459 so geboten: eonfidamo che la prudenza di VV. SS.
111™° la (Lücke für etwa 10 Buchstaben, indem der Copist la cervicositä
nicht hat lesen können oder auch nicht verstanden hat) d’ altri confi-
dando che in ogni evento, d. h. dieser oder auch ein früherer Schreiber
ist von dem einen VV. SS. Ill me zu dem nächstfolgenden übergesprungen.
2 In letzterem steht allerdings poscritta, aber erst von der Hand Theiner’s. —
Dass in diesem Register Nr. 23 vorangeht, Nr. 22 folgt und Nr. 21 den
78
X. Abhandlung: v. Sickel.
Nr. 23 anbetrifft, so habe ich von dessen Behandlung in tom. 49
schon S. 74 gesprochen und füge hier nur hinzu, dass die
Abschrift dieses Stückes in tom. CVIII noch schlechter aus
gefallen ist. Hier ist nämlich von dem Hauptbriefe (f. 451)
durch neue Ueberschrift ein zweiter (f. 451') geschieden
worden, welcher mit Y. S. 111 ma vedera beginnt und, indem
gleich zur Klarschrift Havendosi — al buio de la voluntii di
N. S ro (sic) ohne erklärende Glosse übergegangen wird, ab-
schliesst mit II S. cardinale di Ferrara — per la cifra inclusa. 1
Aus diesen Stücken hebe ich noch eines hervor. Indem
der Papst an gleichem Tage den gesammten Legaten und Mantua
allein in gleicher Angelegenheit schreibt, bedient er sich zum
Theil derselben Worte: sagt er allen Se si ha da legere el vo-
lume, so sagt er dem ersten Präsidenten Ci pare che si possi
legere a li patri quel volume. Ebenso berühren sich die
chiffrirte Stelle in Nr. 23 an Mantua Havendosi a far deputa-
tione und die ebenfalls chiffrirte in Nr. 25 an Simonetta Et
quando a la deputatione. Solche Anklänge oder Wiederholungen
kommen nicht allein in gleichzeitigen Briefen vor, sondern auch
in Briefen, welche Tage und Wochen auseinander liegen. Stehen
sie nun bald in Hauptbriefen und bald in Nachschriften auf
fliegenden Blättern, so konnten die Registratoren leicht irrege
führt werden, und so sehen wir gerade so mehr oder minder
gleichlautende Stellen in verschiedene Verbindung gebracht.
Welches die richtige ist, ist, wenn uns die Originale abgehen,
sehr schwer zu entscheiden.
Ich habe endlich noch die Häufigkeit der wenn auch
geringfügigen Varianten in den Klarschriften und in den auto-
graphen Aeusserungen des Papstes zu betonen und zu erklären.
Dem aufmerksamen Leser wird wohl aufgefallen sein, dass ich
als Schluss der an Mantua gerichteten Chiffre in Nr. 23 nach
tom. 49 citirt habe de la volonta di S. B ne und nach tom. CVIII
de la voluntä di N. S re , dass also hüben und drüben der Papst
in anderer Weise bezeichnet wird. In diesem Falle scheint
der Schreiber von tom. CVIII, welcher nach den Originalen
Schluss bildet, beweist nur, dass liier die Briefe vom gleichen Tage ganz
willkürlich geordnet worden sind.
1 Genauer gesagt folgt noch e qui etc., womit in diesem Register die
salutatio finalis angedeutet werden soll.
Römische Berichte. II.
79
copirte, sich die kleine Aenderung erlaubt zu haben, denn die
in Mailand dem Original des Hauptbriefes beiliegende Klar
schrift soll gleichfalls S. B ne bieten. Aber in anderen Fällen
laufen solche, eventuell auch weiter reichende Differenzen darauf
hinaus, dass ein römischer Registrator nach dem für den segre-
tario delle ciffre aufgesetzten Concepte arbeitete, derjenige aber,
welcher am Einlaufsorte oder doch am Aufbewahrungsorte
des Einlaufs registrirte, nach dem dort angefertigten Decifrat:
kurz die Vorlagen waren verschieden und deckten sich nicht
vollständig. 1
Mit der Ueberlieferung alles dessen, was der Papst manu
propria geschrieben hatte, hatte es insofern analoge Bewandt-
niss, als die in Trient in das dort geführte AR. eingetragene
Copie eines solchen Autographen unmittelbar aus diesem floss,
während die uns im römischen Expeditsregister gebotene Ab
schrift, wie wir schon S. 33 sahen, Abschrift zweiten Grades
war. Was ich dort zugleich über die Beschaffenheit der Auto-
gräphen des Papstes sagte, führe ich hier weiter aus. Pius IV.
Handschrift gab zu Lesefehlern Anlass: so ist (ich knüpfe
wieder an das in Nr. 21 gebotene Beispiel an) 2 moderanno des
Originals 3 in tom. CVIII zu vederanno geworden. Noch mehr
fällt ins Gewicht, dass sein Stil und vollends seine Art die
Worte zu schreiben, so gegen die Gewohnheiten der Mitglieder
des Geheimsecretariats verstiessen, dass diese vieles überarbeiten
zu müssen glaubten und dann in den Aenderungen auch weiter
gingen, als nothwendig war. So ergaben sich hei der Collation
der Abschrift des Postscripts Ci pare in tom. 49 mit dem
1 Ich verweise hier auch auf das, was ich S. 59, Anm. 2 zu dem ersten
PostScript des in Nr. 26 abgedruckten Briefes sagte, und trage einige
der Varianten nach, welche sich bei der Collation der Registercopie mit
der Klarschrift iu tom. 29 f. 109 ergeben; in letzterer heisst es unter
anderen tenghi secretissimo fin al tempo — S. S 11 dice — della cifra
di quello scrissero 1’ altro di in questa materia.
2 Zu diesem Behufe drucke ich auch hier die letzten Worte auf f. 342'
von NG. 4° ab: Se si ha da leggere il volume del imperatore come
ricercano, volemo che si — che si schon als Reclamante geschrieben,
also offenbar auf dem in Verlust gerathenen Hefte wiederholt.
3 Mein Copist in Mailand las zuerst anderanno und sandte mir, als ich
dies Wort beanstandete, ein Facsimile, da er der Lesung nicht sicher
war. — Richtig steht in tom. 54 f. 136 moderano.
80
X. Abhandlung: v. Sickel.
Originale in Mailand (s. Anh. Nr. 22) mehr als zwanzig ortho
graphische Varianten; ihnen reiht sich der Versuch an, die
Stelle b meglio se remetta a noi verständlicher zu machen
durch Einschiebung von che nach meglio. 1 Noch lehrreicher
ist der Vergleich des kurzen Postscripts Se si ha in Nr. 21
in den vier uns vorliegenden Ueberlieferungen. Der Schreiber
von tom. CVIII hat aller Wahrscheinlichkeit das Original vor
sich, der des CR. tom. 54 dagegen die in Rom zurückgebliebene
Copie: dennoch bieten sie übereinstimmend, weil sie sich der
üblichen Schreibart befleissigen, leggere il volume, ricercanno
che si leggano ancora u. s. w. Dagegen geht der Schreiber
des älteren GR. über Gebühr weiter, ersetzt de sua M t "' C.
durch del imperatore und schiebt, weil ihm che si legano nicht
gefällt, ein volemo ein, 2 Willkürlichkeiten, welche auch bei der
Revision übersehen oder doch nicht gutgemacht worden sind.
Gerade zu Lebzeiten Pius IV. scheint man im Secretariat
darauf bedacht gewesen zu sein, alle persönlichen Aeusserungen
des Papstes aus- und aufzuputzen: so hat z. B. derselbe
Registrator, dem ich S. 55 nachgerühmt habe, einen Brief
Borromeo’s sehr genau copirt zu haben, an dem unmittelbar
folgenden Postscripte des Papstes (Nr. 20 b ) nicht weniger als
32 Emendationen vorgenommen. 3
Ich habe keinen der Mängel des älteren GR., auf welche
ich bisher gestossen bin, verschwiegen. Es lohnt sich nicht,
zum Schlüsse nochmals von den kleinen Fehlern, wie von der
incorrecten Wiedergabe einzelner Zahlen, Buchstaben oder
Worte zu reden, d. h. von Fehlern, welche aller abgeleiteten
Ueberlieferung anhaften und Niemand irreführen können.
1 Heisst es in tom. 49 einige Zeilen weiter et ci avvisi pur liberamente
statt piü ]., so ist das wohl nur ein Lesefehler.
2 Ich setze diese Aenderungen auf seine Rechnung, denn, wenn sie schon
in der im Secretariat zurückgebliebenen Copie gestanden hätten, müssten
sie auch in tom. 54 wiederkehren. Dazu bemerke ich noch, dass ich,
soweit ich NG. 4 C mit den anderen Ueberlieferungen verglichen habe,
nicht eine zweite so weit reichende Abweichung gefunden habe.
3 Borromeo dagegen schreibt ganz so, wie es in dem Secretariat üblich
war (das ersichtlich zu machen habe ich in Nr. 23 sein eigenhändiges
PostScript genau nach dem Original abgedruckt), so dass dann auch die
Registercopien der vom Cardinal selbst geschriebenen Briefe nur ge
ringe Varianten aufweisen.
Römische Berichte. II.
81
Aber auf die beiden gewichtigeren Punkte komme ich noch
mals zurück, dass wir das GR. als nur bis zu gewissem Grade
vollständig und zuverlässig befunden haben. Von Vollständig
keit kann nur im beschränkten Sinne die Rede sein, denn
nur was den Registratoren noch in der nicht intact gebliebenen
Minutensammlung vorlag, konnten sie copiren, und von diesem
Vorrath sollte noch einiges nach bestimmten Gesichtspunkten
ausgeschieden werden. Aber was das Secretariat Pius IV. so
zusagen in seinem Programme versprochen hatte, ist auch
geleistet worden: das müssen wir anerkennen, auch wenn uns
das eine und das andere Stück übersehen worden zu sein
scheint. Und noch mehr müssen wir es diesem Amte zum
Verdienste anrechnen, dass es auf die sofortige Registrirung
der von ihm geführten Correspondenz bedacht gewesen ist,
denn wie wir überhaupt der wiederholten Buchung allein die
Kenntniss zahlreicher Stücke verdanken, so sind nicht wenige
nur durch das ältere Generalregister auf uns gekommen.
Was das zweite Ergebniss der Vergleichung anbetrifft,
dass nicht wenige Registercopien im Umfange der Briefe, der
Anordnung und der Fassung einzelner Theile sich nicht mit
den noch vorhandenen Originalen decken, ein Ergebniss, welches
die Frage nahelegt, ob das ältere GR. wirklich so viel Glauben
verdient, als ich im Eingang dieses Berichtes unter Berufung
auf seine Entstehung und Beglaubigung für dasselbe in An
spruch genommen habe, so haben wir wiederum zu berück
sichtigen, dass die Minuten das Mittelglied zwischen jenen
zwei Ueberlieferungen gebildet und, wie wir in einigen Fällen
nachweisen konnten, die Ueberlieferung durch das Register
beeinflusst haben. Insofern als die Glaubwürdigkeit des GR.
in solcher Weise eine bedingte ist, ist sie auch fraglich. Aber
weder deshalb, noch weil auch bei dem Copiren der Concepte
geringfügige Fehler sich eingeschlichen haben, ist an der Er
klärung des Geheimsecretärs Galli, dass diese Abschriften mit
den ihnen zu Grunde liegenden Minuten übereinstimmen, zu
mäkeln oder zu rütteln. Auch in der gebotenen Beschränkung
auf ihre Tragweite bietet uns diese Beglaubigung willkommene
Bürgschaft für den hervorragenden Werth des älteren General
registers.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXXV. Bd. 10. Abh.
6
82
X. Abhandlung: v. Sickel.
E x e u r s IV.
Rede ich in meinen Berichten oft von Amtspapieren des
Cardinais Borromeo, so meine ich immer nur diejenigen, welche
sich auf sein, des Cardinalnepoten Regiment in den Jahren 1560
—1565 beziehen. Dieselben sind von jeher und auch in der
Folge scharf von denen geschieden worden, welche uns von
seinem Walten als Erzbischof Kunde geben. Aber zwischen
ihnen und den Privatpapieren ist die Grenze nicht gleich
streng gezogen und innegehalten worden; überdies finden wir
die ersteren zuweilen in den letzteren erwähnt. So muss ich
behufs Begründung dessen, was ich über die Amtspapiere sage,
auch über die Privatpapiere einigen Aufschluss geben.
Mit Testament vom Jahre 1576 hatte der Cardinal seine
Privatpapiere, die vornehmlich aus Briefen bestanden, an Ludo-
vico Moneta vermacht. 1 Dieser stellte sie 1585 dem Bischof von
Novara Bescape, welcher die Biographie des heil. Carl schreiben
wollte, zur Verfügung. Einen Theil sandte Bescape nach
flüchtiger Durchsicht nach Mailand zurück, nämlich 30 Bände
und zahlreiche Bündel von Briefen: insoweit die Briefe bereits
zu Bänden vereinigt worden waren, waren sie nach den
Schreibern und diese wieder nach dem Range (so principi,
cardinali, vescovi, famigliari) geordnet worden. Moneta hinter-
liess bei seinem Tode (1598) diese Partie dem Cardinal Federigo
Borromeo, welcher sie der Libreria degli Oblati del s. Sepolcro
schenkte, von welcher sie dann seit 1730 nach und nach an
die Ambrosiana überging. Anlass zu letzterem gab, dass die
Ambrosiana bald nach ihrer Gründung in den Besitz der
zweiten Hälfte der einst von Borromeo hinterlassenen Sammlung
gekommen war. Bescape hatte sich mit deren Zurückstellung
so wenig beeilt, dass darüber Moneta 1598 gestorben und dass
er selbst so altersschwach geworden war, dass er die Ablieferung
1 Ich halte mich hier zunächst an Baldassare Oltrocchi, welcher als Pro-
präfect der Ambrosianischen Bibliothek auf Grund der Bibliotheksakten
über diesen Theil des Nachlasses des Cardinais in den Ragionamenti
apologetici (Milano 1753, S. 63 ff.) eingehend berichtet hat und noch
heute in Mailand als der beste Gewährsmann für diese Dinge gilt.
Römische Berichte. II.
83
an Moneta’s Erben, den Cardinal Federigo Borromeo, seinem
Neffen Angelo Marchesi überlassen musste. Der Transport
dieser Partie nach Mailand erfolgte im Jahre 1609. Der Cardinal
wies alles sofort der eben eröffneten Bibliothek zu. Auch
damals ist die Rede von 35 Volumina und von moltissime carte
sciolte, zhm Theil in eine grosse und in eine kleine Kiste
verpackt, zum Theil in einem grossen Convolut zusammen-
geschnürt. In der Bibliothek bewahrte man vier dieser Bände,
welche lettere appartenenti al concilio enthielten, an besonders
sicherem Orte (luogo piii riguardato) auf und brachte die
fliegenden Blätter der Briefe zunächst im Archiv der Biblio
thek unter. Mit der Zeit nahm man die Sichtung dieser und
der später von den Oblaten erworbenen Briefe vor, und zwar
ordnete man sie zum Theil wiederum nach den Schreibern,
zum Theil aber auch chronologisch. Oltrocchi, welcher die
Gresammtzahl der Briefe auf 30.000 schätzt, erwähnt, dass der
an die Bibliothek gekommene Nachlass des heil. Carl aus
142 Bänden (da sind die vier Bände mit Concilakten inbegriffen)
und grossen Massen noch nicht geordneter und eingebundener
Briefe bestehe. Ich füge gleich hinzu, dass die Zahl der
Bände bis 1893 zu 180 angewachsen und doch noch nicht alles
Material aufgearbeitet war. Die Benützung der gewaltigen
Briefsammlung zu erleichtern, sind auch Verzeichnisse angelegt
worden, so ein zweibändiger Indice de’ cognomi di chi ha
scritto o ricevuto le lettere, der aber auf dem 1. Blatte als
unvollständig bezeichnet wird und thatsächlich nicht einmal
den Inhalt der in ihm berücksichtigten Bände erschöpft.
Alle weiteren Angaben entnehme ich Berichten der Herren
Dr. Starzer und Dr. Pogatscher oder Briefen, in welchen
H. Dr. Ratti in zuvorkommendster Weise die zahlreichen von
mir an ihn gerichteten Anfragen beantwortet hat. 1 Dr. Starzer
hatte, als er 1893 in den Archiven und Bibliotheken der Lom-
1 Erst nachdem ich diesen Excurs niedergeschrieben hatte, ist es mir
möglich geworden, die Ambrosianischen Handschriften, welche ich hier
besprechen werde, selbst einzusehen. Da ich alles bestätigt gefunden
habe, was mir die genannten Herren mitgetheilt hatten, habe ich an
dem Excurse gar nichts geändert, sondern habe nur hie und da bei der
Beschreibung der Handschriften kleine Zusätze gemacht.
6*
84
X. Abhandlung: v. Sickel.
bardei Nachlese nach Nuntiaturberichten halten sollte, 1 die
Mühe nicht gescheut, auch die Correspondenz Borromeo’s seit
dem Jahre 1566 darauf durchzusehen, ob der Cardinal etwa
letztwillige Verfügungen betreffs seiner einstigen Amtspapiere
getroffen habe, und ob diesen so auf die Spur zu kommen sei.
Jedoch hatte er in Anbetracht des Umfanges und der jetzigen
Beschaffenheit der Briefsammlung, welche wir eben kennen
gelernt haben, sich darauf beschränken müssen, die Corre
spondenz mit gewissen Personen, soweit diese bereits geordnet
und aus den Indices ersichtlich war, für seinen besonderen
Zweck auszubeuten, die Correspondenz nämlich, welche Borro
meo auch nach seinem Rücktritt von den Geschäften mit dem
Cardinal von Como, mit den Nuntien aus der Zeit Pius IV.,
mit seinen einstigen Untergebenen und Familiären geführt
hatte. Das reiche Material ist also auch für die Frage, welche
Starzer ins Auge gefasst hatte, und die auch uns hier be
schäftigt, noch keineswegs erschöpfend ausgenützt worden.
Dazu kommt, dass die Mehrzahl der Excerpte, welche Starzer
gemacht und mir zur Verfügung gestellt hat, aus einem gleich
zu erwähnenden Grunde sich nur mit Vorsicht verwerthen lässt.
Dass es ihm dennoch gelungen ist, den einen und den anderen
wesentlichen Punkt in der Geschichte der Akten des Geheim-
secretariats Pius IV. aufzuhellen, wird die folgende Darstellung
lehren.
Als sich Borromeo, um der Residenzpflicht nachzukommen,
noch zu Lebzeiten seines Oheims nach Mailand begab, Hess er
zunächst seine sämmtlichen Papiere in Rom zurück, vertheilte
sie aber, wie sie des mannigfachsten Inhalts waren, an ver
schiedene Personen. Ist nun in vereinzelten Briefen der
folgenden Jahre nur schlechtweg von scritture die Rede, so ist
es unmöglich, zu entscheiden, ob amtliche oder private Papiere
gemeint sind. Ich halte mich also in erster Linie an die
Stellen, in denen Concil- oder andere Amtsakten ausdrücklich
erwähnt werden, und in zweiter Linie an solche, von denen es
im Hinblick auf die Stellung des Correspondenten zum Cardinal
wahrscheinlich ist, dass sie auf Amtsakten Bezug haben. Einen
1 Ueber seine diesbezüglichen Funde werde ich an anderem Orte be
richten.
Komische Berichte. II.
85
Passus der ersteren Art habe ich bereits in I, S. 66 Anm. aus
einem Briefe des Cesare Speziano vom 24. Sept. 1569 1 mit-
getheilt. Der hier genannte Bonomo, damals Abt von No-
nantola, der von dem Cardinal nach Rom gesandt worden war,
um vom Papste die Bestätigung der Decrete des zweiten Mai
länder Provinzialconcils zu erbitten, hatte die betreffenden
Akten wahrscheinlich behufs Transportes nach Mailand über
nehmen sollen. Aber statt seiner scheint dann Speziano be
auftragt worden sein, für den Transport zu sorgen, indem er
am 15. October 2 an Borromeo schreibt: le scritture sono qui
in casa et farö opera di mandarle con buona occasione et per
huomini fidati, acciö non si guastino per il viaggio ne portino
pericolo di smarrirsi. 3 Dass die Versendung doch nicht er
folgte, erfahren wir aus Briefen des folgenden Jahres, zu deren
Verständniss ich einige Notizen über die hier genannten Ver
trauten und Agenten des Cardinais vorausschicken muss.
Was den ziemlich bekannten Nicolö Ormanetto anbetrifft,
so brauche ich hier nur in Erinnerung zu bringen, dass er unter
Pius V. Protonotar geworden und im September 1571 zum Bischof
von Padua ernannt worden war; bis dahin hatte auch er
mancherlei Geschäfte für Borromeo besorgt und hatte zu diesem
Behufe gleichfalls Papiere desselben in Verwahrsam gehabt.
In mehr als einer Hinsicht erscheint als sein Nachfolger Ber-
nardo Carniglia. Wie dieser einst dem Nepoten Pius IV. als
Secretär gedient hatte, wurde er nach dessen Abreise von
1 Bibi. Ambr. F. inf. 42 Nr. 150. — In diesen Schrank ist fast die ganze
zuvor besprochene Briefsammlung eingestellt worden. — Ueber Speziano
s. Hanssen, N. B., Abtli. III, Bd. 1.
2 F. inf. 42 Nr. 176.
3 Dass Borromeo damals auch Privatpapiere nach Mailand schaffen lassen
wollte und Bonomo diesbezüglichen Auftrag gegeben hatte, geht aus
des letzteren Brief an den Cardinal vom 5. November (ibid. Nr. 211)
hervor. Hier ist die Rede von duoi libri, welche Sommariva, und an
deren, welche Carniglia anvertraut worden waren, und welche der Car
dinal ebenfalls nach Mailand gesandt haben wollte. Carniglia erklärte
aber ch’ era necessario havergli qua per molti accidenti che occorrono
alla giornata, si come e soverchio mandargli a Milano, dove V. S. III ral *
tiene gli originali tutti delle scritture che sono copiate in questi libri,
e servono qua per memoria e quasi indice di ritrovare le gratie e le
facoltä, le pensioni, le donationi e simili che le furono fatte gia dalla
s. memoria di Pio IV.
86
X. Abhandlung: v. Sickel.
Rom zum Agenten bestellt: er hatte als solcher Gelder einzu-
cassiren und auszuzahlen, Bücher und Kunstwerke zu kaufen
oder auch zu verkaufen, private und auch amtliche Angelegen
heiten an der Curie zu betreiben u. s. w. 1567 in den geist
lichen Stand getreten und von seinem Patron und dessen ganzem
Anhänge warm empfohlen, machte er schnell Carriere: als Or-
manetto zum Bischof designirt wurde, wurden Carniglia zuerst
dessen bisherige Geschäfte und im September 1570 auch das
Protonotariat übertragen. 1 Blieb er nun bis zu seinem Tode
1576 Agent des Cardinais in Rom, so wurden ihm ausser den
seit lange anvertrauten Privatpapieren (s. S. 85 Anm. 3) vor dem
Aufbruche Ormanetto’s nach Padua auch die bislang in dessen
Händen befindlichen Briefschaften übergeben. 2 Die eigentliche
Amtsregistratur aber, welche 1569 Speziano in seiner Behausung
gehabt hatte, scheint, nachdem der beabsichtigte Transport
nach Mailand unterblieben war, an einer grössere Sicherheit
darbietenden Stätte untergebracht worden zu sein. Das ent
nehme ich zwei in jeder Beziehung lehrreichen Briefen, einem
Briefe Ormanetto’s an den Cardinal vom 27. Jänner 1570 und
der auf ihn ertheilten Antwort. 3
Aus jenem hebe ich hervor: N. S re ha desiderato di dar
qualche ordine alle lettere et scritture pertinenti a quella santa
1 Dementsprechend schreibt ihm Borromeo bis 1565 segretario nostro magni-
fico, 1569 reverendo agente nostro, seit 1570 aber molto reverendo S re
come fratello, Mons re etc.
2 Borromeo an den Bischof von Padua am 13. September 1570 (F. 183,
f. 21): V. S. R raa ha fatto bene et secondo la intentione mia a con-
signare in mano di M. B. Carniglia le lettere et scritture mie ch’ erano
appresso di lei.
3 Jener in F. inf. 42 Nr. 28 und diese als Postscriptum auf besonderem
Blatte, welches in F. inf. 43 fälschlich dem Nr. 23 signirten Briefe Bor-
romeo’s an Ormanetto vom 25. Jänner beigeheftet worden ist, aber zu
einem bisher noch nicht gefundenen Briefe jüngeren Datums gehören muss.
Am Schlüsse der Nachschrift, den hier abzudrucken überflüssig ist, werden,
wie mir Dr. Ratti mittheilt, Vorgänge erwähnt, die sich in Mailand am
5. Februar zugetragen haben, so dass der Cardinal frühestens an diesem
Tage den Brief vom 27. Jänner beantwortet haben kann. Dieser Ansatz
wird dadurch bestätigt, dass der Cardinal von Como laut seinen Briefen
damals von Rom abwesend war. Auffallend ist, dass in dieses letzteren
Correspondenz (s. A. Monti in den Publicationen der Societä storica di
Como, vol. 7—9) nie von dem Verbleib der Borromeo-Papiere die Rede ist.
Römische Berichte. II.
87
sede et alle cose publiche de’ pontificati, le quali per tempi
passati hör stan in tal disordine, massimamente le lettere et
scritture passate per le mani de’ nipoti de’ papi che non se ne
ha mai potuto veder con se, ma ogn’ un se le ha portate per
la maggior parte a casa sua, massimamente dopo la morte del
cardinale Vitellio, che ne haveva raccolte assai; si fa diligentia
di ricuperarle et metterle sotto qualche buona custodia et or-
dine. se V. S. Ill ma si trova haver lettere et scritture di questa
natura, la consiglio et essorto a farle consignar a S. S ta per
satisfar alla volonta di S. B ne , quäl perö non mi ha parlato in
particulare di lei, et far anche quello che, par a me, si con-
venghi per servitio publico di questa santa sede.
Die betreffende Antwort lautet: Mi piace sommamente il
pensiero, che ha N. S re di dar ordine alle lettere et altre scrit
ture pertinenti alla sancta sede apostolica et alle cose publiche
de’ ponteficati. et S. B ne puö ricordarsi che a questo fine le
dissi nel partir mio da Borna, che le scritture delle cose pu
bliche del mio tempo trattate come nipote di papa, cosi lettere
come altre scritture si servavano presso di me diligentemente et
si lasciavano da me in Borna sotto buona custodia per farne
quel che S. S til liavesse poi ordinato. se bene io desideravo
che S. B ne mi facesse gratia di non levarle di mano mia, se
non quando fosse incaminata la pratica et essecutione di questa
raccolta che haveva N. S re animo di fare di queste scritture
publiche per riporle nell’ archivio perpetuo, accioclie non avve-
nisse ch’ io le consignassi a questo fine di conservarle per ser
vitio della santa sede apostolica et non andando poi 1’ impresa
inanzi, capitassero a diverse mani curiose o che havessero altri
fini diversi da quello di N. S re , il che non le sarebbe di ser
vitio essendovi pur molte cose d’ importanza, quali non e forse
espediente che si risappino da molti per la qualitä de maneggi
et negotii che passarono in quel pontificato, massime a tempo
del concilio di Trento, cosi partendo le lasciai ben custodite
in Borna et come son hora del medesimo parer, che all’ hora
cosi potrete dire a N. S re che le scritture presente stanno costi
a ordine di S. B n0 , sicome hora commetto al Carniglia che li
consegni sempre che S. S til la commettera, confidatomi che ha-
vera consideratione per il rispetto che ho detto, quando le
vorrh di non lasciarle andare in mano d’ altri che di quel
88
X. Abhandlung: v. Sickel.
medesimo che ne devera haver eure d’ ordine suo. et perche
il cardinale di Como fu quello che le ripose per 1’ ordine dove
hora sono, sark hene in ogni modo aspettare 1’ occasione del
suo ritorno a Roma, et si deveranno forse anche consignare per
inventario, in che pero mi rimetto a quel che ne concerterete
voi et Carniglia.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass hier von den
selben Akten die Rede ist, welche von Speziano in seinem
Briefe vom September 1569 als damals in seinem Hause be
findlich erwähnt wurden. Ihren Werth wusste Borromeo so
gut zu schätzen, dass er hei aller Anerkennung des Anrechtes
der Curie auf dieselben selbst dem Papste gegenüber sich
weigerte sie auszuliefern, so lange ihm nicht rechte Bürgschaft
für die Erhaltung und Geheimhaltung derselben geboten wurde.
Er hielt es für gerathener, sie vorerst noch in eigenem Ver
wahrsam, in Roma sotto huona custodia zu halten. Darauf,
dass er sich täuschte, habe ich schon hingedeutet und komme
ich noch zurück. Der Hinweis auf die von ihm ergriffenen
Massregeln lässt aber vermuthen, dass die Akten nicht in der
Wohnung Speziano’s verblieben waren, wo sie, wie wir gleich
sehen werden, nicht vor Beschlagnahme gesichert waren; viel
leicht waren sie bereits an dem Orte geborgen, wo sie sich acht
Jahre später befanden. In das Geheimniss waren nur wenige,
nämlich Speziano und Carniglia, eingeweiht. Dagegen scheint
Ormanetto nicht einmal gewusst zu haben, ob der Cardinal
die Amtsakten aus der Zeit seines Regimentes an sich ge
nommen hatte oder nicht, der beste Beweis, dass die ihm
einst von Borromeo anvertrauten und im September 1570 Car
niglia übergebenen scritture e lettere anderen Charakters waren.
Ueber deren Beschaffenheit erfahren wir etwas Genaueres
aus zwei Briefen des Jahres 1576, welche uns zugleich über
die Gefahren belehren, welchen zu jenen Zeiten in Privat
wohnungen aufbewahrte Briefschaften ausgesetzt waren. Am
Morgen des 21. September 1576 war Carniglia gestorben. Am
Abend desselben Tages schrieb Speziano an Borromeo: 1 farö
ogni diligenza che le scritture di V. S. Ill ma mi capitino in
mano per esequire poi cio che lei mi ordinerk. Aber er hatte
1 F. inf. 87 Nr. 100.
Römische Berichte. II.
89
die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Schon am 26. Sep
tember berichtete Teseo Raspa 1 an den Cardinal: Per una
altra mia laquale non so se gli sara capitata, avvisai V. S.
quel transito di Mons. nostro Carniglia a miglior vita, e Dio
sa quanto ci ha lasciati sopra modo afflitti ... et benche ha
fatto testamento et in esso ha lassato carico al R. P. M. Enrico
et a me di distribuire et haver cura di quelle poche robbe
che gli son restate, mi & parso 1’ avisar V. S. Ill ma che degni
farci sapere quello vole si facci di alcune scritture le quali
V. S. Ill ma per confidentia che haveva con Mons. Carniglia gli
ha scritte. si sono raccolte insieme, nh si darano a persona
senza espressa sua commissione overo ordine di N. S re . . . ma
questo dico per esser venute persone per voler dette lettere.
et perche si sono negate, hanno trattato da monitori e cose
simili. con tutto gli e convenuto haver pacientia, et questo
F ho conferito con Mons. Datario il quäle mi ha detto ch’ io
ho fatto benissimo. — Ueber den Ausgang dieser mysteriösen
Geschichte schrieb nun Speziano am 30. October 1576 2 an
Borromeo: io non ho mai potuto ricuperare scrittura alcuna di
quelle di Y. S. Ill ma ch’ erano in mano di Mons. Carniglia con
qualche mia meraviglia di questi padri, nfe meno le risolutioni
della congregatione del concilio che V. S. Ill ma me gli feci
dare, et quel che e peggio, dicono questi padri che si siano
smarrite ne sanno dove sono. Wird hier der Verlust der
Entscheidungen der Concilscongregation, welche sicher Privat
eigenthum des Cardinais waren, besonders beklagt, und werden
dabei Amtsakten gar nicht erwähnt, so ist kaum anzunehmen,
dass auch solche inbegriffen gewesen seien in den Carniglia
von Ormanetto übergebenen, noch in den ihm von jeher von
Borromeo anvertrauten Briefschaften. 3
1 F. inf. 73 Nr. 71. — Ueber Raspa habe ich nur eine einzige nichts
sagende Notiz in Moroni’s Dizionario 31, 110 gefunden.
a F. inf. 50 Nr. 180.
3 Dass es selbst den Cardinälen schwer wurde, sich diese Entscheidungen
zu verschaffen, geht aus einem Briefe des Cardinais von Como an Borro
meo vom 1. Juli 1581 (Societä storica di Como 8, 269) hervor.
Als ich I, S. 33, Anm. von diesen Resolutionen der ersten Jahre
gesprochen und sie als noch unbekannt bezeichnet habe, habe ich, wie
ich offen eingestehe, ganz übersehen, dass eine lange Reihe von auf
ihnen fussenden Briefen (8. October 1564 bis 15. September 1568) von
90
X. Abhandlung: v. Sickel.
Der letzte diesbezügliche Brief, welchen Starzer fand,
ist wieder von Speziano am 15. März 1578 1 an Borromeo ge
richtet und lautet: la settimana passata mi occorre an dar a
S. Prassede per cercar una certa scrittura publica in quelli
Lagomarsini in den Epist. Pog. 1, 335—496 veröffentlicht worden ist,
neben denen jedoch die von mir hervorgehobene Handschrift noch immer
Werth behält.
Führt hier Lagomarsini unter seinen Quellen Graziani manuscripta
au, von welchen er überhaupt sehr ausgiebigen Gebrauch gemacht hat,
so gibt mir das Anlass zu der Mittheilung, dass diese für die Geschichte
der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts äusserst werth volle Sammlung
sich bis auf den heutigen Tag in Cittä di Castello erhalten hat, aber
leider unzugänglich ist. Besitzerin derselben ist die S ra Teresa Gra
ziani vedova Libri. Ihr Gemahl Niccolo Libri hatte in einem von Pietro
Berti verfassten und 1864 in Florenz erschienenen Catalogo delle per-
gamene e manoscritti giä spettanti alla famiglia Graziani di Cittä di
Castello die hier verzeiehneten 211 Pergamenturkunden (1232—1498)
und die 388 Handschriften zum Verkauf ausgeboten, und laut einem
Avviso am Schluss des Kataloges wollte die inzwischen verwittwete Dame
die Sammlung ebenfalls verkaufen. Warum und weshalb sie anderen
Sinnes geworden, weiss ich nicht. Sobald ich im Mai 1895 der Samm
lung auf die Spur gekommen und durch den Katalog über ihren Werth
unterrichtet worden war, habe ich Schritte gethan, Zutritt zu ihr zu er
halten, aber ohne Erfolg. Es erging anderen Personen nicht besser.
Nachdem ich nämlich in Kom auf diese dort unbekannt gebliebenen
Schätze aufmerksam gemacht hatte, wurden Verhandlungen eingeleitet,
um sie womöglich für das Vaticanische Archiv zu erwerben. Die Be
sitzerin erklärte aber auf das bestimmteste, dass sie die Sammlung nicht
verkaufen und auch niemand Einsicht in dieselbe nehmen lassen wolle,
dass sie dieselbe aber gewissenhaft aufbewahre und auch in den letzten
Jahren noch bereichert habe, endlich dass sie Sorge dafür tragen werde,
dass das Archivio Graziani nach ihrem Tode den Forschern eröffnet
werde. — So können wir bis auf weiteres nur dem ausgezeichneten
Kataloge entnehmen, dass der grössere Theil der Handschriften von An
tonio Maria Graziani stammt, dass aber auch die Papiere seines ein
stigen Patrons Commendone in diese Collection gekommen sind, und
insbesondere auch die 12 Bände der Correspondenz des letzteren, nach
denen ich seit Jahren (s. Mitth. des österr. Instituts 13, 666) geforscht
habe. — Meines Wissens ist diese Sammlung nach Lagomarsini nur noch
ein Mal zu Anfang dieses Jahrhunderts benutzt worden. Damals ange
fertigte Abschriften von Briefen Commendone’s finden sich nämlich in
den Egerton-Handschriften des British Museum Nr. 1077 und 1078, aus
welchen die von Döllinger in den Beiträgen 3, 317—330 gedruckten
Briefe geschöpft sind.
1 F. Inf. 141 Nr. 140.
Römische Berichte. II.
91
armarii, come V. S. Ill" ia sa che vi sono, et trovai che li sorgili
le hanno in modo gnastato che se ne e perito una gran parte.
il che feci intendere a N. S re F ultima volta che gli parlai,
acciö si pensasse a metterle in luoco sicuro, o nella libreria
Vaticana o in palazzo. S. S ta ci ha pensato et hoggi mi ha
fatto dire dal S. cardinale di Como, che glieli faccio consi-
gnare quelle che sono di piü importanza et che le altre si
puotranno dar al fuoco. il che io reputo che sia stato buona
Ventura per quelle scritture le quali in poco tempo andavano
tutte a male, con tutto ciö io vedro di tirar le cose piü lungo
che puotrö per intendere il senso di V. S. Ill ma et se ella si
contenta.
Dass hier Borromeo gehörige Papiere gemeint sind, geht
daraus hervor, dass sie sich in S. Prassede befanden, 1 und
daraus, dass der Cardinal um Zustimmung zu einem Transporte
an anderen Ort gebeten wurde. Es muss sich auch um mehr
als die eine erwähnte scrittura publica, es muss sich um Amts
akten gehandelt haben, da sie Sicherheits halber in die Vati-
canische Bibliothek oder doch in den dortigen Palast, ver-
muthlich also in die Guardarobba, geschafft werden sollten, kurz
um dasselbe oder doch um analoges Material wie das unter
Pius V. in Speziano’s eigener Wohnung untergebrachte. Dem
steht nicht im Wege, dass Papst Gregor XIII. von dem Archive
zu S. Prassede Kunde hatte, dass er dasselbe von seinen
Beamten (denn als solcher fungirte in diesem Falle Speziano)
benützen liess, und dass er über dasselbe verfügen wollte. Das
Anrecht der Curie auf die Akten aus dem Jahre 1560 — 1565
hatte ja Borromeo nie bestritten, und wenn er unter Pius V.
Bedenken getragen hatte sie abzuliefern, so kann er nach
Jahren anderen Sinnes geworden sein. Wie schwer es hielt,
die Akten vor Schaden und Missbrauch zu sichern, hatte er
inzwischen selbst erfahren. Ueberdies mag er, da er mit dem
neuen Papste Gregor XIII. auf besserem Fusse stand, auch
dessen Absichten, die der Curie entfremdeten Archivalien wieder
1 1564 wurde dem Cardinal diese auf dem Esquilin gelegene Titular-
kirche zugewiesen, welche er sofort umbauen und restauriren liess, und
neben der er sich den Palast errichtete, den er, so oft er nach Rom
kam, bewohnte; vgl. Armellini, Chiese di Roma (2 11 ediz.) 237.
92
X. Abhandlung: v. Sicke 1.
zu erwerben 1 und für deren rechte Erhaltung Fürsorge zu
treffen, volles Vertrauen geschenkt und die Ablieferung der
ihm noch verbliebenen Akten dem neuen Papste bereits zu
gesagt haben. Nur weil in diesem Briefe von 1578 die Concil-
akten, Nuntiaturen und dergleichen nicht ausdrücklich genannt
werden, lasse ich es dahingestellt, ob sie gerade in dem da
mals geplanten Transporte von S. Prassede in den Vatican in
begriffen gewesen sind. Sollte es sich 1578 um minderwerthiges
archivalisches Material gehandelt haben, so wird zweifellos auch
dasjenige, welches Borromeo am meisten am Herzen lag, früher
oder später in Sicherheit gebracht worden sein: so nehme ich
an, dass es unter Gregor XIII. geschehen sei.
Dass Speziano 1578 die zu S. Prassede befindlichen Akten
bereits arg beschädigt fand, beweist, dass Borronieo und seine
Agenten doch in der Wahl der Mittel zu ihrer Erhaltung fehl
gegriffen hatten. So werden auch die Secretariatsakten auf
ihren Wanderungen von Ort zu Ort Einbusse erlitten haben,
bevor sie an den Vatican abgeliefert wurden. In einem Falle
(s. S. 72) lässt sich das noch heute constatiren. Sonst wissen
wir von dem Bestände und dem Zustande dieser Papiere zur
Zeit, da die Curie sie übernahm, nichts. Da drängt sich also
die Frage auf, ob die vom Cardinal einst gehegte und aus
gesprochene Absicht, alle Amtsakten aus dem Jahre 1560—1565
an die Curie abzuliefern, in vollem Masse zur Ausführung ge
kommen ist, oder ob nicht etwa Bruclitheile mit oder wider
seinen Willen in seiner Verwahrung geblieben, zunächst unter
seine Privatpapiere gerathen und dann an seine Erben ge
kommen sind. Insbesondre handelt es sich dabei um die
Bände mit conciliarer Correspondenz, welche ich wiederholt als
in der Ambrosiana befindlich erwähnt habe. 2
1 Vgl. Reg. Clementis V. Praef. LIV.
2 Für Starzer kam auch ein Band Nuntiaturen in Betracht. Von Mai
länder Fachgenossen hatten wir erfahren, dass in einem 1837 angelegten
Repertorium des Familienarchivs der Grafen Borromeo ein Band Nun-
tiature di Germania sotto Pio IV. verzeichnet war. In Folge besonderer
Verhältnisse war dieses Archiv seit 1848 absolut verschlossen gewesen
und wurde erst 1892 wieder zugänglich. Da es erst neu geordnet
werden sollte, erhielt Starzer nur mit Mühe die Erlaubniss, wenigstens
diesen einen Band zu benutzen. Der Titel erwies sich als irreführend:
es liegen hier nur Berichte von Delegirten vor, welche der Cardinal in
Römische Berichte. II.
93
Die eben aufgeworfene Frage soweit es bislang möglich
ist zu beantworten, zähle ich erst auf, was mir durch Starzer,
durch Dr. Ratti oder sonst von älteren Handschriften der
Ambrosiana mit conciliarer Correspondenz bekannt geworden
ist. 1 Am werthvollsten sind die von mir schon oft erwähnten
Codices J. 139—141 inf., enthaltend die Originale der Pro
posten an die Legaten insgesammt oder an Mantua allein vom
8. März 15G1 bis 24. März 1563 mit zahlreichen Beilagen. 2
den Jahren 1564 und 1565 behufs Kirchenvisitation nach der Schweiz
gesandt hatte.
1 Unter älteren verstehe ich diejenigen, welche sicher oder doch aller
Wahrscheinlichkeit nach der Zeit vor oder bald nach 1600 angehören.
Es haben sich nämlich, besonders im vorigen Jahrhunderte, mehrere
Doctoren der Ambrosiana eifrig mit der Geschichte des Tridentinum
beschäftigt und in der Nähe und Ferne reiches Material gesammelt.
Die so entstandenen Handschriften, mögen sie sich auf der Ambrosiana
oder in anderen öffentlichen und privaten Bibliotheken Mailands be
finden, kommen hier nicht in Betracht.
2 Ein eigentliches Inhaltsverzeichnis dieser Codices liegt mir noch nicht
vor. Die Zahl der Briefe in den drei Bänden soll sich auf 469 belaufen,
die Zahl der Autographen des Papstes auf 13; dazu kommen als Beilagen
fünf Chiffern mit Klarschrift und eine ohne Auflösung. C. Olivo scheint
als Secretär des Cardinais von Mantua gute Ordnung gehalten und den
Einlauf gewissenhaft aufbewahrt zu haben. Indem ich um vieler Pro
posten willen in Mailand angefragt habe, habe ich nur in zwei Fällen
die Antwort erhalten, dass die betreffenden Stücke nicht vorhanden
oder wenigstens unter den angegebenen Daten nicht eingereiht seien.
Und ich habe erst in einem Falle constatirt, dass ein Originalschreiben
Borromeo’s aus der Mantua-Periode, nämlich das vom 6. April 1562,
statt in der Mailänder Sammlung an anderem Orte sich erhalten hat.
Indem dieser Brief besagt, dass der Papst den Bangstreit zwischen den
regulären Canonikern und den Benedictinern vorläufig so und so ge
schlichtet habe, wird er dem Concilsecretär Massarello behufs Kund
machung übergeben und von ihm dann nicht zurückgestellt worden
sein: so ist er in den jetzigen tom. 72 (s. I, S. 110) gerathen.
Eigenthiimlich verhält es sich mit der Zeitgrenze zwischen der
Mantua- und Morone-Sammlung. Ich sagte schon I, S. 76, dass jene
über den Tod des Mantuaners hinausreicht. Um das weiter zu ver
folgen, gebe ich von den letzten Briefen derselben nicht allein den Tag
der Ausstellung an, sondern auch das hier den Ausschlag gebende
Empfangsdatum. Cod. J. 141 inf. bietet zum Schluss folgende Stücke
(sämmtlich ai legati) : f. 280 einen Papstbrief vom 25. Februar 1563
(ricevuta 4. März) und f. 282—304 neun Borromeobriefe vom 25. Fe-
94
X. Abhandlung: v. Sickel.
Wenigstens eine auf diese Sammlung bezügliche Notiz habe ich
in jüngster Zeit aufgefunden. Am 13. März 1563 antwortete
nämlich Borromeo auf einen Brief, welchen Simonetta unmittel
bar nach dem Tode des Mantuaners geschrieben haben muss:
il ricordo che Y. S. Ill m “ ha dato circa il ricuperar le lettere
importanti che si sono scritte al Cardinal di Mantua di bona
memoria, e piacciuto a N. S re et per essequirlo s’ e pensato
che basterk pai’larne qui col cardinale Gonzaga. 1 Von den
zwei Neffen des Verstorbenen, welche damals dem Cardinals-
collegium angehörten, wurde der ältere, Francesco (creirt am
20. Februar 1561, gestorben am 10. Jänner 1566) Gonzaga
genannt: durch ihn hat also das von Simonetta vorgeschlagene
Geschäft vermittelt werden sollen, und durch ihn meine ich,
obwohl ich weitere Nachrichten noch nicht gefunden habe,
wird früher oder später der Cardinal C. Borromeo in den
Besitz dieser werthvollen Sammlung gekommen sein. Jeden
falls ist sie in guten Händen gewesen und besser bewahrt
worden als die an sie sich anschliessende Sammlung Morone’s.
Diesen drei Handschriften steht der Codex H. 244 insofern
nahe, als er f. 1—30 ebenfalls Originale enthält, nämlich ein
Schreiben Delfin’s an Borromeo vom 3. Juni 1561 und fünf des
bruar bis 24. März (r. 6. bis 31. März), unter denen sechs von Rom,
erst nachdem dort die Todesnachricht eingelaufen war, expedirt worden
sind. Es folgt daraus, dass die Papiere des Verstorbenen von den
Erben erst nach dem 31. März übernommen worden sind. Nun sind
aber andere bis zu dem gleichen Tage in Trient eingelaufene Commune-
proposten nicht in die Mailänder Sammlung gekommen, sondern in die
in tom. 68 vorliegende Sammlung Morone’s. Hier stehen an der Spitze
Briefe vom 9. Februar (r. 27. März), 2. März (r. 20. April), 8. März
(r. 21. Mai), 10. März (r. 15.), 20. März (r. 28.), 24. März (r. 31.). Zum
Theile sind es Empfehlungsschreiben, welche erst nach Wochen prä-
sentirt worden sind. Aber das eine Empfehlungsschreiben vom 9. Fe
bruar und drei eigentliche Proposten lagen am 31. März in Trient
schon vor. Es ist also bei der Theilung der Präsidialakten in solche,
welche den Erben des Mantuaners ausgefolgt werden, und in solche,
welche zunächst in Trient verbleiben sollten, etwas willkürlich zu
gegangen.
1 Tom. 55 f. 140 und tom. 51 f. 94. — In letzterem PR. f. 99 fand ich
noch eine weitere die Papiere Seripando’s (s. I, S. 77) betreffende Stelle
(3. April): il ricordo di ricuperare quelle scritture si haverä a core, et
se ne fai'ä la debita diligentia col nuntio di Napoli.
Römische Berichte. II.
95
Legaten Seripando’s an denselben; 1 dazu kommen f. 31—44
zwei in Trient von den Gesandten Spaniens und Portugals
gehaltene Reden. — Ueber einen fünften Mailänder Codex, den
von Borromeo nach 1573 erworbenen Codex R. 100 habe ich
schon in I, S. 85 berichtet. 2 Es handelt sich endlich um die
zwei nach Inhalt und Anlage den Einlaufsregistern nahe kommen
den Codices J. 133 inf. und D. 206 inf. In ersterem linden
sich zahlreiche Notizen von der Hand des Giov. Vincenzo
Pinelli, aus denen hervorgeht, dass dieser die hier gebotenen
Copien für seine reichhaltige Bibliothek anfertigen Hess. Eine
erste Abtheilung ist überschrieben Lettere del S. cardinale
Borromeo comuni alli SS. legati del concilio cominciando da
marzo 1563 fino dicembre. Dass die Abschriften auf die
Originale zurückgehen, folgt aus der Bemerkung Pinelli’s, dass
die Auf- und die Unterschriften als stets gleichlautend aus
gelassen worden sind. Da die Serie der Abschriften ebenso
beginnt und abschliesst wie die der Originale in tom. 68, 3
so muss Morone als Besitzer der Originale Pinelli gestattet
haben, sie copiren zu lassen. Dafür spricht auch die zweite
1 Diese Briefe vom 17. Mai, 16. Juli, 6. September, 29. October 1562 und
vom 1. März 1563 (alle eigenhändig) zeichnen sich durch freimiithige
Kritik der in den Congregationen und Sessionen gefassten Beschlüsse
vom Standpunkt des Cardinais aus und bezeugen, dass sich dieser
nicht mit der Verwahrung vom 16. September 1562 (bei Döllinger, Ur
kunden 2, 41) begnügt hat. Den ersten dieser Briefe drucke ich im
Anhänge Nr. 18 a ab, obgleich er bereits Pallavicino in Abschrift vorlag
und von ihm mehrfach (s. besonders XVI, 9) benutzt worden ist. —
Was ich sonst in jüngster Zeit von abschriftlichen Briefen Seripando’s
an Borromeo kennen gelernt habe, werde ich zu I, S. 77 nachtragen,
wenn ich über die Particularregister berichte.
2 Die hier gebotenen Lettere del S r8 Giov. Batt. Amaltheo . . . nel ponti-
ficato di Pio IV. füllen die f. 2—55. Sie sind von einer Hand ge
schrieben, wie es scheint von einem Mitgliede des Geheimseeretariats.
Die Reihe beginnt mit einem Schreiben an Hosius vom 3. April 1563.
Die dann im Codex folgenden Stücke, welche bis 1595 reichen und aus
Jesuitenkreisen zu stammen scheinen, sind nur von ungefähr mit den
Amaltheo-Briefen zusammengebunden worden.
3 Die Angabe in der Ueberschrift März bis December scheint auf die
Empfangsdaten Bezug zu nehmen; tliatsächlich beginnt die Serie mit
einem Briefe vom 9. Februar und schliesst mit einem vom 30. November
— also genau wie in tom. 68.
96
X. Abhandlung: v. Sickel.
Abtheilung des Codex, welche Pinelli bezeichnet hat als Lettere
delli legati in comune a Borromeo, und welche läuft vom
3. März bis 4. December 1563, denn diese Copien fliessen aus
der ebenfalls Morone gehörigen Minuten Sammlung. Sind also
hier zwei Register geboten, das der Communecorrespondenz
Rom—Trient und das der gleichen Correspondenz Trient—
Rom, beide die ganze Morone-Periode umfassend, so haben
doch diese Register keinen amtlichen Charakter, sondern zählen
nur zu den von mir in I, S. 68 besprochenen privaten Arbeiten.
Wie sie aber in die Ambrosiana gekommen sind, liegt auf der
Hand. Cardinal F. Borromeo hat bekanntlich bald nach dem
Tode Pinelli’s (1601) Handschriften desselben für die von ihm
gegründete Mailänder Bibliothek zu kaufen gesucht, hat aber
erst um das Jahr 1616, nachdem die Handschriften die selt
samsten Schicksale gehabt hatten, einen Theil derselben, dar
unter auch J. 133 inf., von den Erben erwerben können. 1
Ueber den Inhalt von D. inf. 206 wird uns von einer
Hand des 18. Jahrhunderts auf f. 1 folgende, durchaus richtige
Auskunft gegeben: Lettere 483 delli legati del concilio di
Trento a S. Carlo. Das ist dieselbe Aufschrift und Inhalts
angabe, welche wir im Cod. Barber. XVI, 22 (s. Calenzio,
Documenti inediti 377) finden, so dass uns nahegelegt wird,
beide Codices miteinander und mit dem dieselbe Serie von
Risposten bietenden Cod. Borgh. I, 184 (s. I, S. 79) und den
Vaticanischen tom. 58, 59 zu vergleichen. Allerdings sind
die Originalrisposten ziemlich vollständig in tom. 60 und 61 auf
uns gekommen, aber um die kleinen Lücken dieser Sammlung
auszufüllen, gilt es doch den Werth der abgeleiteten Samm
lungen festzustellen; es fragt sich vor Allem, ob wir in letzteren
Amtsregister dieser Correspondenz besitzen oder nicht. Da er
scheint es nun wichtig, dass die Hand, welche den Inhalt von
D. 206 angibt, fortfährt copie fatte da Silvio Antoniano il quäle
serviva al Santo nella secretaria. Obwohl dies nur besagen kann,
1 Nur auf einen Punkt hin wird es sich lohnen, den ersten Theil dieses
Manuscriptes genauer zu untersuchen. Es sind hier nämlich auch zahl
reiche Beilagen zu den Proposten copirt worden. Da nun tom. 68 nicht
mehr alle in den Originalbriefen erwähnte Beilagen bietet, lassen sich
möglicher Weise aus dem abgeleiteten Mailänder Codex Ergänzungen
gewinnen.
Römische Berichte. II.
97
dass Antoniano diesen Codex oder dessen Vorlage habe schreiben
lassen, 1 so würde es doch in Anbetracht seiner Stellung viel
bedeuten, denn er war, während das Concil tagte, einer der
Privatsecretäre Borromeo’s, begleitete denselben auch 1565 nach
Mailand, kehrte aber unter Gregor XIII. nach Rom zurück,
wo er bis zum Cardinal emporstieg: 2 insofern hätte er ebenso
gut schon unter Pius IV. als später unter dessen zweitem
Nachfolger, nachdem die Originale der Risposten an die Curie
abgeliefert worden waren, diese copiren lassen können; in
beiden Fällen könnte D. 206 als amtliches Einlaufsregister der
Correspondenz Trient—Rom betrachtet werden. Der Schrift
nach ist der Codex aber erst zu Ausgang des 16. Jahrhunderts
entstanden und jedesfalls jünger als Borgh. I, 184. Dazu
kommt, dass die Angabe copie fatte da S. Antoniano in keiner
Weise verbürgt ist, so dass es sich der grossen Mühe, die an
Mailand vinculirte Handschrift mit den ebenso an Rom ge
bundenen Vaticanischen Bänden der Concilakten genau zu ver
gleichen, kaum lohnen wird.
Die sieben Handschriften, welche ich hier aufgezählt habe,
oder diese fünf Sammlungen der conciliaren Correspondenz ge
hören sämmtlich zum ältesten Bestände der Ambrosiana. Von
1 Schon Dr. Ratti versicherte mir, dass der Codex von mehreren Händen
geschrieben ist, aber gerade die Hand Antoniano’s nicht aufweist. Er
hat mir dann, als ich in Mailand war, zahlreiche autographe Briefe
Antoniano’s aus früherer und aus späterer Zeit (Codices F. inf. 77
87, 92) vorgelegt, die mich überzeugt haben, dass Antoniano nicht ein
Stück des Cod. D. 206 selbst geschrieben hat. Mehrere der hier be
theiligten Copisten schreiben wie die Secretäre, aber nicht wie die
Secretäre des Pontificats Pius IV., sondern wie die Secretäre aus der
Zeit Gregor XIII. oder Sixtus V.
2 Nach Ciacconius hätte er als Nachfolger von Boccapaduli 24 Jahre hin
durch das Amt eines Geheimsecretärs bekleidet. Dies halte ich nicht für
richtig. Den jüngst in die Vaticanische Bibliothek übergegangenen Ruoli
di famiglia entnehme ich Folgendes. Schon im Ruolo di PioIV. von 1562
erscheint Antoniano unter den Diversi maggiori. Unter Pius V. wird er
in den Röteln nicht erwähnt. Die Gregors XIH. sind noch nicht wieder
aufgefunden worden; aber ich kenne auch keinen Beleg dafür, dass
Antoniano unter diesem Papste im Secretariat gedient habe. Unter
Sixtus V. endlich war er laut dem Ruolo von 1589 chierico del collegio.
Den Cardinaishut erhielt er 1596.
Silzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXXV. Bd. 10. Abli. 7
98
X. Abhandlung: v. Siclcol.
jenen ist J. 133 inf. nachweislich erst von Federigo Borromeo
erworben worden, während die übrigen sechs bereits im Be
sitze seines Oheims gewesen sein können. Werden nun unter
den 1585 Bescape geliehenen und 1609 von ihm zurückgestellten
Archivalien quattro volumi di lettere appartenenti al concilio
di Trento besonders hervorgehoben, so liegt es am nächsten,
an die vier Bände, welche Originale enthielten, zu denken, d. h.
an J. 139—141 inf. und H. 244 inf. Das bestärkt mich in der
Annahme, dass schon C. Borromeo die drei aus dem Nach
lasse des Mantuaners stammenden Bände ebenso wie R. 100
an sich gebracht hat. Des weiteren mag zu den von ihm hinter-
lassenen Bänden als sechstes Stück D. 206 inf., wenn diese
Handschrift so hohen Alters ist, gehört haben. Für die Beant
wortung der Frage jedoch, ob der einstige Cardinalnepote, wie
es sein Vorsatz gewesen ist, alle seine Amtsakten, insoweit
sie in Rom geblieben und dort vor Schaden bewahrt worden
waren, wirklich der Curie ausgefolgt hat oder nicht, kommen
wohl nur H. 244 inf. und eventuell D. 206 inf. in Betracht:
sie allein sind vielleicht mit oder ohne Absicht von der Aus
lieferung ausgeschlossen worden. Dass Borromeo auch in der
Folge die Gelegenheit wahrgenommen hat, Concilakten zu er
werben und aufzubewahren, beweist ebenfalls, welchen Werth
er auf sie legte. Und so lästig es für uns Forscher ist, dass
ein Bruchtheil der conciliaren Correspondenz aus den Jahren
1561—1563 frühzeitig von der Hauptmasse abgezweigt worden
ist und an anderer Stätte aufbewahrt wird, so haben wir
die Erhaltung überhaupt vor allem Borromeo zu verdanken,
und um dieses sein Verdienst in vollem Masse zu würdigen,
brauchen wir uns nur in Erinnerung zu rufen, wie wenig von
dem gleichartigen Material aus den früheren Perioden des
Concils auf uns gekommen ist.
Ex cur s V.
Band 4 der Nunziature di Germania wird bereits im
Repertorium des P. Donninus de Pretis (s. I, S. 98) vom Jahre
1735 in der Hauptsache richtig als Registro di lettere scritte
in Germania, Francia e Spagna dall’ a. 1560 fin al 1566, also
Römische Berichte. II.
99
als ein Sammelband bezeichnet, so dass ich hier nur die vier
Theile desselben genauer zu scheiden und zu kennzeichnen habe.
Der erste Theil oder N. Gr. 4 a besteht aus fünf Lagen zu
je 20 Blättern in dem im Gleheimsecretariat üblichen Format.
Indem das erste Blatt mit der Aufschrift Registro di lettere
per Spagna de F anno 1560 bei der späteren Foliirung über
gangen worden ist, reicht dieses von einer Hand geschriebene
Briefregister von f. 1—99. Wenn wir den Fehler des Buch
binders wieder gutmachen, welcher das 4. Heft (jetzt f. 40—
59) vor das 3. (jetzt f. 60—79) setzte, so erscheinen die
eingetragenen Briefe in genauer chronologischer Ordnung. F. 1
beginnt mit zwei Briefen vom 31. December 1559 al re catho-
lico und al duca d’Alva, welche der Anrede, dem Stile und
dem Inhalte nach päpstliche Briefe sind: sie sind von Pius IV.
unmittelbar nach seiner Wahl und noch vor seiner Krönung
geschrieben worden. In der Folge stossen wir auf Briefe,
welche durch den Zusatz di manu propria di N. S re noch deut
licher als vom Papste ausgehend bezeichnet werden; so zuerst
f. 5 vom 11. März 1560. Wird aber bei der grossen Mehrzahl
der Briefe kein Autor genannt, sondern nur Rom als Aus
stellungsort, so werden wir sie am füglichsten wiederum dem
Cardinalnepoten beilegen. Dagegen sind der in den kurzen
UeberSchriften genannten Adressaten sehr viele. Zu den schon
angeführten kommen der Vicekönig von Sicilien, der Beicht
vater des Königs, nicht weniger als vier Bischöfe, welche in
dem einen Jahre mit Aufträgen an den spanischen Hof ge
sandt wurden, der Collector in Spanien u. s. w. Dass alle
diese Briefe vom Geheimsecretariat expedirt worden waren
und nur in diesem zusammengestellt werden konnten, liegt
auf der Hand. Für Entstehung des Bändchens in diesem
Amte zeugen auch die Behandlung der Stücke und die äussere
Ausstattung, welche letztere offenbar seinerzeit den Anlass
gegeben hat, NG. 4 a mit den drei folgenden Theilen zusammen
zubinden. Weicht es doch inhaltlich und in dem einen äusseren
Merkmale von den anderen ab, so hängt "das, wie wir noch
sehen werden, mit seiner besonderen Bestimmung zusammen.
NG. 4>' ist aus 14 Lagen zu je sechs Blättern wiederum
desselben Formats zusammengesetzt, reicht aber von f. 100 — 185,
weil in die 9. Lage zwei nicht zu dem Register gehörige Blätter
100
X. Abhandlung; v. Sickel.
eingeschaltet worden sind. 1 Dass uns hier, wie ich wiederholt
gesagt habe, ein gleichzeitiges Expeditsregister geboten wird,
ist zweifellos. Von den zwei Autoren der Briefe wird nur der
Papst durch die Anrede am Kopfe seiner Briefe kenntlich
gemacht. Da der Adressat stets derselbe war, genügte es,
dass er durch die ziemlich gleichzeitige Aufschrift auf dem
ersten Blatte f. 100: 1561. 1562. Al S. cardinale di Ferrara
legato in Francia bezeichnet wurde. Dieser, welcher früher
zumeist Cardinal Ippolito da Este benannt wurde, war, un
mittelbar nachdem er am 26. Juni 1561 das Legatenkreuz
empfangen hatte, von Rom aufgebrochen, sollte sich aber
nicht beeilen und reiste so gemächlich, dass er noch am 16. Juli
in Florenz weilte: dort muss ihm die erste dieser Proposte
vom 2. Juli (f. 101) zugegangen sein. Die Briefe an ihn sind
so wenig zahlreich, dass z. B. auf den f. 122 eingetragenen
vom 1. November 1561 schon f. 123 der nächste vom 1. Jänner
1562 folgt. Sie laufen, abgesehen von einem sofort (s. S. 39)
und einem zweiten gelegentlich der Revision gutgemachten Ver
sehen, genau nach den Daten geordnet bis zu einem Schreiben
vom 19. Deeember 1562 (f. 183') fort. 2 Auf den ersten Seiten
lassen sich zwei Hände unterscheiden: der zweiten ist nämlich
anvertraut worden, hier in Klarschrift einzutragen, was dem
Cardinal in Chiffern geschrieben worden war; von f. 108 an
besorgt dann die zweite Hand die ganze Arbeit, und zwar
absatzweise. Aus irgend einem Grunde ist die Registrirung
in dieser Serie von Heften sistirt worden. Nicht einmal das
uns aus dem Concepte in tonn 55 bekannte ckiffrirte Schreiben
von demselben 19. Deeember 1562 ist, obwohl f. 185 noch leer
war, hier gebucht worden, geschweige die weitere Correspondenz
mit dem Cardinal von Ferrara, welcher erst im Frühjahre 1563
von seinem Posten in Frankreich nach Rom zurückkehrte. 3
1 Nämlich f. 150, 151 mit dem einen schon oft (zuerst S. 16) erwähnten
Concepte. — Das f. 146 beginnende Schreiben vom 15. März 1562 läuft
fort bis Ende des f. 149' und füllt dann noch das ganze f. 152 aus.
2 f. 131' hat der Revisor am Rande bemerkt: qui va la lettera quäle e
hora dopo due carte et comincia Dilecte fili noster etc.
3 Meine Annahme, dass für diese Correspondenz ein neues Register an
gelegt worden sei, stützt sich namentlich darauf, dass die Minute zur
Chiffre vom 19. Deeember (s. S. 19) ausdrücklich als registrata bezeichnet
Komische Berichte. II.
101
Da wir NG. 4 C bereits zur Genüge kennen gelernt haben,
ist nur noch über NG. 4 a zu berichten. Aber da dieser Theil
nur Fortsetzung ist eines in Nunziatura di G. 10 gerathenen
Fragments, schicke ich des letzteren Beschreibung voraus.
Schon die Bückenaufschrift dieses Bandes: Registro di lettere
del legato e del nunzio in Germania 1578-—1580, 1560—1563
weist auf zwei hier von ungefähr zusammengebundene Theile
hin. Im ersteren sind uns die quinterni 1, 2 und 4 des von
J. B. Castagna in den Jahren 1578—1580 geführten Registers
seiner gesammten Correspondenz erhalten. 1 Der zweite, mit
worden ist. Ueberdies hatte man allen Grund, die mit dem Nuntius iu
Frankreich geführte Correspondenz besonders geheim zu halten. Da sie
für die Geschichte des Concils sehr wichtig ist, gebe ich hier an, was
mir von ihr bisher bekannt geworden ist. — Die ziemlich geschlossene
Serie der nach Frankreich gesandten Proposte beginnt erst mit dem
Jahre 1567, so dass wir für die letzte Concilsperiode auf Fragmente
wie in NG. 4 b und in einigen gleich zu erwähnenden Manuscripten an
gewiesen sind. Dasselbe gilt von den Nuntiaturberichten, von denen
allerdings grössere Partien aus den Jahren 1527—1554 erhalten sind,
dann aber bis 1570 in der Abtheilung der Nuntiaturen nichts zu finden
ist. Da bieten für das Pontificat Pius IV. zunächst einigen Ersatz die
Estratti des-I, S. 66 angeführten tom. 138: sie gehen auf die Depeschen
des Bischofs von Viterbo, des Cardinais von Ferrara und des Cardi
nais S. Croce (1560—1562) zurück. Eine offenbar von dem letzten
angelegte und vom 31. Juli 1563 bis 25. September 1565 reichende
Sammlung von Proposte liegt im Cod. Barber. LXII, 19 f. 1—231 vor,
an welche sich dann eine Auswahl von Risposte anschliesst. Aus der
Registratur desselben Prälaten stammt auch der erste Theil des Cod.
Barber. XVI, 53, in welchem allerdings die Correspondenz aus den
Jahren 1560 und 1561, in denen S. Croce die Curie in Spanien und in
Portugal vertrat, vorherrscht, dann aber auch auf die Nuntiatur in
Frankreich bezügliche Briefe begegnen. Aus beiden Handschriften hebe
ich noch eins hervor. S. Croce musste von Rom aus genau über die
Vorgänge in Trient am 29. Juni 1563 (s. S. 63) und über die von
der Curie getroffenen Entscheidungen unterrichtet werden: so finden
sich im ersteren Codex dem Nuntius zugesandte Copien der damals von
den Legaten eingelaufenen Berichte und im zweiten unter anderen Estratti
di lettere del card. Borromeo et dell’ arcivescovo Sipontino . . . al ve-
scovo S. Croce nuntio appresso al re Chr“° circa il negotio della prece-
denza tra Francia et Spagna.
1 Vgl. Haussen, N. B. II, Abth. III, 1,11. — Auch die Nuntien sind bei An
lage und Führung ihrer Register nach gewissen traditionellen Normen
vorgegangen, welche mehr, als bisher geschehen ist, beachtet und fest-
102
X. Abhandlung: v. Sickel.
f. 154 beginnend, besteht aus zwei Heften von ursprünglich 23
und 24 Bogen, welche aber, in Bogen anderen Papiers ein
geschlagen, jetzt je zwei Blätter mehr aufweisen. Auf diese
Umschlagsbogen hat eine etwas jüngere Hand f. 154 geschrieben:
Registro di lettere scritte a Mons. Delhno nunzio all’ impera-
tore dalli 21 Settembre 1560 a tutto li 21 Gennaro 1562, und
f. 201: Registro (wie zuvor) dal ultimo di Gennaro 1562 sino
a li 27 di Marzo 1563. 1 Vom letztgenannten Tage datirt das
letzte Stück des zweiten Heftes von NG. 10 b . Und so schliesst
sich hier unmittelbar f. 243 von NG. 4 ä an mit einem Briefe,
dessen Incipit lautet: A quello che V. S. mi scrive per le
ultime sue, und dessen Datirung lautet: Di Roma a li 3
d’ Aprile 1563. An Delfin ist nämlich in der Regel ein Mal
in der Woche geschrieben worden, und zwar am Samstag, an
welchem die Ordinaripost von Rom nach dem Norden abging,
so dass zwischen dem auf diesen Wochentag fallenden 27. März
und dem 3. April 1563 höchstens ein durch Courier beförderter
Brief angenommen werden könnte. 2
gestellt werden sollten. Wem etwa der hier fehlende quinterno 3 in irgend
einem anderen Bande der Abtheilung Nunziature unter die Hände kommen
sollte, müsste, um ihn als zur Registratur des Castagna gehörig erkennen
zu können, von derselben mehr wissen, als Hanssen angegeben hat. Ge
rade NG. 10 a weist allerlei besondere Kennzeichen auf. So hat Castagna
selbst auf f. 1' geschrieben: In nome di S or Dio la partita di Roma verso
Germania fu il gioruo nove di Settembre 1578, dann f. 42', wo der
Brief vom 29. December 1578 endet, a laude di S or Dio finito 1’anno
1578, con 1’anno nuovo si eomincierü nuovo quinterno pro registro, und
so hat er bei jedem Jahreswechsel ähnliche Bemerkungen eingeschaltet.
1 Wie f. 155 von anderer Hand f. 1 bezeichnet worden ist, so geht durch
beide Hefte eine ältere Blattbezeichnung hindurch, welche aber viel
fach der Seheere des Buchbinders zum Opfer gefallen oder von dem
späteren Foliator getilgt worden ist, so dass wir von ihr nicht Gebrauch
machen können. — Z. Delfin war bereits im Juli 1560 als Nachfolger
von Hosius, d. h. als Nuntius am Kaiserhofe auserwählt worden (s. Sickel
Nr. XLV, wozu ich bemerke, dass das Original von Nr. XLIH wirklich
das Datum vom 10. Juli trägt, aber, wie zuerst Reimann betont hat,
erst vom 10. August datirt), reiste jedoch erst am 2. September von
Rom ab. Seine ersten Briefe aus Florenz und Mantua wurden von
Borromeo am 21. September beantwortet, womit die Reihe der lettere
scritte al D. beginnt.
2 Allerdings verstreichen zuweilen auch zwei bis drei Wochen, ohne dass
am Samstag an Delfin geschrieben wird, zumal wenn die Legaten in
Römische Berichte. II.
103
Auch NG. 4 a weist zu Anfang eine grössere Lage von
28 Blättern (f. 343—370) auf mit Briefen bis zum 19. September
1563 (f. 370). Von da folgen 14 Hefte zu je sechs Blättern 1 mit
Briefen vom 15. October 1563 (f. 371) bis zum 1. December
1565 (f. 455—456). Hier wie in dem vorausgehenden NG. 10 h ist
die chronologische Reihenfolge beobachtet worden. Ueberhaupt
rede ich fortan von NG. IO* und 4 d als von einem einzigen
Register. In diesem ist wiederum ein Autor des Briefes nicht
genannt: Briefe an den Nuntius in Deutschland, wie die Auf
schriften zu den zwei ersten Heften besagen, konnten aber nur
vom Cardinalnepoten und eventuell vom Papste ausgegangen
sein. Eigentliche Papstbriefe scheinen hier nicht eingetragen
worden zu sein, 2 sondern es sind nur einige Nachschriften als
addita manu propria sanctissimi bezeichnet worden. Somit haben
wir Borromeo als Schreiber sämmtlicher Briefe zu betrachten.
Dagegen wird uns der Adressat, wenn auch nicht in den Brief-
copien, so doch in den Aufschriften zu den ersten Heften und
von f. 444 an in den Aufschriften zu einzelnen Briefen als
Cardinal Delfin bezeichnet. Das geschah nicht, weil Delfin
am 12. März zum Cardinal creirt worden war, denn darauf
hätte schon früher Rücksicht genommen werden müssen, sondern
aus anderem Grunde. Wir finden f. 429 — 441 unter dem
21. Mai 1565 eingetragen Istruzione data a 1’ arcivescovo di
Lanciano et a Mons re Guicciardini auditore di ruota a 1’ im-
peratore super negotio connubii sacerdotum, eine Instruction,
welche natürlich dem ordentlichen Nuntius am Kaiserhofe mit-
getheilt werden musste und dann auch in das Register der ihm
ertheilten Proposte eingetragen wurde. Man benützte dasselbe
fortan zugleich für die Correspondenz mit den zwei ausser
ordentlichen Sendlingen und trug zuerst f. 444 ein von Borromeo
am 23. Juni an sie gerichtetes Schreiben, und zwar mit der
entsprechenden Aufschrift ein. Nothwendiger Weise musste
auch dem auf derselben Seite gebuchten Briefe an Delfin vom
30. Juni al card. D. vorgesetzt werden, und musste fortan am
Trient beauftragt wurden, den Nuntius in Wien auf dem Laufenden zu
erhalten.
1 Nur das vorletzte f. 443—450 ist um zwei Blätter stärker.
2 leb drücke mich hier vorsichtig aus, da ich selbst das Register noch
nicht Stück für Stück geprüft habe.
104
X. Abhandlung: v. Sickel.
Kopfe eines jeden Briefes der Adressat in Kürze angegeben
werden. Uebrigens war Delfin’s Abberufung seit lange be
schlossen. Als am 5. October der letzte Brief an ihn (f. 453)
abgesandt wurde, war sein Nachfolger Melchior Biglia bereits
unterwegs. Offenbar wollte man das Register auch für die
(Korrespondenz mit diesem verwenden und trug in ihm noch
Briefe an denselben vom 3. und 17. November und vom
1. December ein (f. 453'—454'). Doch eine Woche darauf
starb Pius IV., und sein Gleheimsecretariat löste sich auf: damit
fand auch das Register sein Ende.
Ich führe an anderem Orte aus, inwieweit NG. 10 b und
4 a auf einer Linie stehn mit NG. 4 C , mit tom. 55 u. s. w.
Dass es ihnen in der Schrift sehr nahe kommt, möge das
Facsimile II (NG. 4 a f. 3dl") veranschaulichen. Ich hebe hier
nur die eine und andere Besonderheit dieses Nuntiaturenregisters
hervor. Was dessen ersten Theil oder NG. 10 b betrifft, so
wird uns durch ein schon I, S. 73 berührtes Moment erleichtert,
mindestens zwei Hände von Registratoren zu unterscheiden. Bis
f. 195', d. h. bis zu einem Briefe vom 17. Jänner 1562 ist alles
von einem A geschrieben, welcher auch in der Folge die Haupt
arbeit besorgt. Aber offenbar sollte er damals noch nicht in
alle Geheimnisse eingeweiht werden. So trat, als hier zum
ersten Male eine chiffrirte Proposte in Klarschrift einzutragen
war, ein B ein und buchte auf den letzten Seiten dieses
ersten Heftes, was bis zum 21. Jänner 1562 Delfin in geheimer
oder auch in gewöhnlicher Schrift gemeldet worden war. Im
zweiten Hefte verwendete man wieder A, um die gewöhnlichen
Briefe zu copiren. Waren aber im Jahre 1562 an den Nuntius
zahlreiche chiffrirte Depeschen (sie betreffen meist die An
gelegenheit von Pitigliano, s. Sickel, Acta S- 101) abgesandt
worden, so wurden diese von B so gut es ging am Rande nach
getragen. Erst von f. 235 an (Brief vom 20. December 1562) er
scheint A des Vertrauens gewürdigt, Klarschriften zu buchen:
fortan erscheinen diese in Reihe und Glied mit den anderen
Stücken und werden wie in den anderen Registern mit der
Randglosse in cifra versehen.
Bricht unser Register mit dem Tode des Papstes ab, so
macht schon dieser Umstand wahrscheinlich, dass es bereits zu
Lebzeiten desselben angelegt, und bis zu Ende geführt worden,
Römische Berichte. II.
105
also so gut wie gleichzeitig mit der hier eingetragenen (Korre
spondenz ist. Dem entsprechen auch die Glossen und Correc-
turen und die mit f. 371 beginnenden kleinen Lagen. Aber
es gehen drei grosse Lagen voraus, welche ich nicht als in
gleichem Sinne gleichzeitig betrachte. Aus der Fortsetzung
ergibt sich allerdings, dass auch die ersten drei Jahrgänge
dieses Registers der Nunziature di Germania unter Pius IV.
und in dem von Galli geleiteten Geheimsecretariat entstanden
sind. Aber wie die ganze diesem Amte obliegende Arbeit nur
mit Mühe bewältigt werden konnte, so wird geraume Zeit
verstrichen sein, bis die Registrirung der Proposte an Delfin
in Angriff genommen wurde. Wurde somit den Registratoren
sofort eine grössere Partie von Minuten zum Abschreiben zu
gewiesen, so entschied man sich einerseits für die Verwendung
grösserer Hefte und andererseits für die Ausscheidung der in
Chiffern übertragenen Minuten, um, wie wir eben gesehen haben,
die letzteren erst nachtragen zu lassen, nachdem die Minuten
für die gewöhnlichen Briefe bereits copirt worden waren.
Dieselbe Deutung, welche ich hier der Wahl umfang
reicher Hefte gebe, gebe ich auch der Zusammensetzung von
NG. 4 a aus lauter Heften von 20 Blättern. Dies Register hatte
ja, wie ich schon andeutete, eine andere Bestimmung als alle
anderen bisher besprochenen Register und bietet uns auch
Correspondenzen anderer Art. Wohl konnten in einem Registro
di lettere per Spagna per l’anno 1560, so gut wie in NG. 10 b
und 4 d , die Briefe an alle vier Bischöfe, welche damals als
Abgesandte des Papstes nach Spanien gingen, vereinigt werden,
aber in Nuntiaturenregister pflegten nicht die Schreiben an
die Monarchen, an deren Rathgeber und an andere ebenda
weilende Personen aufgenommen zu werden; Ebenso auffallend
als die Zahl der Adressaten ist der andere Umstand, dass hier
weder alle Briefe an den König Philipp, noch alle Briefe an
die päpstlichen Nuntien aufgenommen worden sind. 1 Es wird
uns also hier nur eine Auslese aus dem damaligen Briefwechsel
der Curie einerseits mit ihren Organen und andererseits mit
1 Mit Absicht habe ich S. 101, was mir von der damaligen (Korrespondenz
des Prospero S. Croce bekannt ist, aufgezählt: die betreffenden Barberini-
Codices enthalten mehr Briefe an ihn aus der Zeit seines Aufenthaltes
am spanischen Hofe als die in NG. 4“ eingetragenen.
106
X. Abhandlung: v. Sick ei.
den Machthabern in Spanien geboten. Solche für gewisse
Zwecke und nach bestimmten Gesichtspunkten ausgewählte
Akten wurden sehr häufig den Nuntien behufs ihrer Infor
mation mitgegeben. 1 In unserem Falle denke ich an Ver
handlungen, welche bald nach dem Jahre 1560 in Madrid ge
pflogen werden sollten und um derentwillen hier Documente
zusammengestellt worden sind, welche das Verhalten des Papstes
zu K. Philipp im günstigsten Lichte erscheinen liessen. Da
solche Aufgabe nur im und vom Geheimsecretariat gelöst
werden konnte, entstand dort ein Opus, welches trotz seiner
besonderen Bestimmung den dort geführten Registern in der
Behandlung der Stücke, in der Schrift und in anderen Punkten
sehr nahe kommt. Diese Merkmale aber verbürgen uns ebenso
wie die Bestimmung, dass NG. 4 a gleichfalls unter Pius IV.
entstanden ist. Kurz es hat sich gefügt, dass, als einmal um
1600 (s. S. 46) herum Bruchstücke von Registern mit Corre-
spondenz aus den Jahren 1560—1565 Beachtung fanden und,
weil sie gleiches Aussehen hatten, zusammengebunden wurden,
vier Stücke vereinigt worden sind, welche thatsächlich nicht
allein derselben Werkstätte, sondern auch derselben Zeit ent
stammen, wobei jedoch übersehen oder doch nicht berücksichtigt
wurde, dass NG. 4“ nicht wie die anderen drei Stücke Original
register war, und dass NG. 4 C nicht wie die anderen (Korre
spondenz mit Nuntien bot, sondern Correspondenz mit Concil-
legaten.
1 Unter Umständen wurden ihnen auch Originalaktou oder Origiualregister
anvertraut, was dann zuweilen deren Verschleppung und Verlust zur Folge
gehabt hat. In Arm. XXXVI, tom. 38, einer unter Urban VIII. ent
standenen und für die Geschichte des Archivs wichtigen Sammlung,
finden sich f. 537 die dem Cardinal Ginetti, als er nach Köln gesandt
wurde, übergebenen Akten verzeichnet und werden f. 543 elf Bände
französischer Berichte aus den Jahren 15(59 —15 95 als für ähnliche
Zwecke ausgeliehen aufgezählt.
Römische Berichte. II.
107
Anhang. 1
18.
Br Ave des P. Pius IV.
Rom 1561, Juli 17.
Vatic. Archiv. Tom. 12 fol.b'6. — Gleichzeitige Abschrift. — Vgl. S.27, Anm. 1.
Pius Papa IV.
Ad perpetuam rei memoriam. Nuper edidimus bullam
de oecumenico generalique concilio in civitate Tridentina cele-
brando, cuius hie est tenor: Pius etc. ex cuius bullae contentu
et verbis quibus suspensionem omnem sustulimus, satis apparet
non novum a nobis concilium convocatum, sed continuationem
inclioati indictam fuisse. quia tarnen nonnullos, his minime
attentis nee satis diligenter eonsideratis, dubitare audimus
utrum ea continuatio sit an novi concilii indictio: iccirco nos
dubitationem omnem in perpetuum tollere volentes per has
literas declaramus, mentem et sensum nostrum hunc fuisse et
esse, ut illis verbis continuatio significetur, volumusque perinde
haberi ac si continuationis verbum in ea bulla expressum
fuisset. Dat. Romae apud sanctum Mar cum etc. die 17. Julii
1561, anno secundo.
1 Auf die 17 Belegstücke, welche ich im Anhänge zu dem Berichte I
S. 119—141 abgedruckt habe, lasse ich hier die Nummern 18—34 (als
Nr. 18 a habe ich einen mir erst jüngst in Mailand bekannt gewordenen
Brief eingeschaltet) folgen, und zwar, um einem mir geäusserten Wunsche
Rechnung zu tragen, in chronologischer Ordnung. Die zeitliche Reihen
folge aller Stücke, welche ich bisher veröffentlicht habe oder noch ver
öffentlichen werde, werde ich am Schlüsse des letzten Berichtes in einer
Tabelle ersichtlich machen. — Zu der in I abgegebenen Erklärung
habe ich noch hinzuzufügen, dass ich manche Stücke nicht nach den
noch vorhandenen Originalen abdrucke, sondern nach dieser oder jener
Registercopie, um die Besonderheiten der einzelnen Register zur An
schauung zu bringen, wie ich denn überhaupt nicht eine Edition von
Documenten um deren Inhaltes willen veranstalten will, in welcher alle
Stücke möglichst gleichmässig zu behandeln sein würden, sondern eine
Sammlung von Specimina von mannigfaltiger Form, um alle Unter
schiede zwischen den Minuten, den Originalen und den Arten der
Copien zu veranschaulichen.
108
X. Abhandlung: v. Sickel.
18 a .
Cardinal Seripando an Borromeo.
Trient 1562, Mai 17.
Ambrosianische Bibliothek in Mailand, Codex H. 244 inf. foL 13. — Original
brief. — Vgl. S. 95.
Ill mo et R mo S r mio osservatissimo.
Poich’ io ho cominciato a scrivere a V. S. Ill raa ogni volta
che si fa sessione, di quanto in quella si conclude et decreta
et di quanto e passato ne i trattati et congregationi intermedie,
non voglio lasciar di farlo finche vedrö, com’ ho fin qui visto,
che non sia per dispiacerli. et perseverarö nella metafora che
presi dopo la prima sessione, assomigliando i trattati et le con
gregationi a una navigatione, la quäl di raro e senza qualche
borasca alle volte maggiore et piii pericolosa, alle volte leggiera
et senza molto spavento; la sessione poi fe come pigliar porto
et refiatar alquanto, rinfrescandosi et apparecchiandosi a nuova
navigatione.
Dopo la prima sessione che fii alli 26. di Febraro, fa-
cendo instantia gl’ ambasciatori cesarei che si allargasse pur
assai il tempo della sessione seguente et che non si procedesse
nelli dogmi, colorando questa lor dimanda con gran speranza
della riduttione de gl’ heretici et altri beni che ne potevano
seguire, dicendo di piü che per buon esempio non solo di Ger
mania ma de tutto ’l christianesimo si potrebbe in quello spatio
di tempo attendere alla riforma se non d’ Italia et degl’ altri
paesi, de i quali c fama che n’liabbino gran bisogno, almeno
di Germania, perche cosi desiderava la M ta C., discorrendo poi
noi sopra questa lor proposta quanto allo spatio sin’ all’ altra
sessione fummo d’un medesimo parere, che se li concedessero
due mesi et mezo, ma quanto al trattar della riforma fü tra
noi disparere, perche alcimi volevano che assolutamente se li
promettesse, alcuni, tra i quali fui io, dissero che non si do-
veva mutar 1’ ordine del concilio sempre osservato qui in Trento,
il quäl’ e stato, trattar insieme li dogmi con la riforma, perche
con li dogmi si sodisfanno i varij cervelli et vi si consuma buona
parte del tempo, della riforma poi appresso la sessione si fa-
ceva in poco spatio qualche buona speditione, et che per non
Römische Berichte. II.
109
mostrar la continuatione, si sarebbe potuto trovar qualche
dogma straordinario et non metter mano a quella parte che si
lasciö sotto Crescentio. convennimo finalmente in questo di
rimetter il giuditio di questo nostro disparere in N. S re , et
cosi ne fü scritto a V. S. IU m!l et R ma . venne di corto la risposta
molto contraria a quel cli’io mi pensavo, che non solo si com-
piacesse alla M ta Ces a del tempo, ma ancora di non trattar
altro che della riforma, il che ancor ch’ io laudasse per esser
di mente di S. S ta , non lasciai perb di temere che fusse poco
a proposito, che in tanto spatio si desse luogo a molti prelati
che qui si trovavano, di sfogar gl’ animi loro, quäl’ io sapevo
ch’ erano ben gravidi di questa materia; pur fü fatto quanto
ci fü ordinato.
Venendo poi alle cose che si potevano proporre della
riforma, fii dato carrigo a quattro persone che raccogliessero
quel che loro pareva che fusse a proposito, et che niente
toccassero quella parte di riforma che N. S. havea riservato a
farla lui. le persone furno scelte come confidentissime, 1’arci-
vescovo di Rossano, il vescovo di Vesti, il Paleotto et il pro-
motore, tutti fatture di cotesta corte et vassalli della chiesa.
dopo alcuni giorni ci fü detto da tutti questi quattro unita-
mente, che non havevano trovato cosa che paresse loro a
proposito o che non fusse stata decretata in questo medesimo
concilio 1’ altre volte che si b congregato.
In questo mezo furno dati a me da alcuni prelati Italiani,
huomini di virtü et dottrina singolari, circa nonanta capi perti-
nenti alla riforma, i quali subito io consegnai a Mons re Ill m0 et
R mo Simonetta, come quello che poteva ben sapere quanto sopra
questa materia di riforma si poteva et doveva procedere, de i
quali S. S. Ill ma et R ma mi disse haverli mandati a Roma et
non haverne mai havuto risposta. sentendo io molto mormorio
de prelati d’ importanza, che non si faceva niente et che piü
presto il concilio pareva prorogato che altrimente, perche non
si facevano ne congregationi ne attione alcuna, feci scelta di
deciotto di quelli articoli, et venendo un giorno da me solo
per officio di salutatione di lor propria volonta et non chiamati
le prefate quattro persone nominate di sopra, nel discorso del
parlare si venne a dire che non si sapeva che cosa proporre
circa la riforma et che quell’ otio dispiaceva universalmente, io
110
X. Abhandlung: v. Sichel.
li mostrai li 18 articoli cupati da me, lasciandone il giuditio a
loro come persone da me riputate da bene et amorevoli di
cotesta S. sede et di piü dati a noi come confidenti. a loro
tutti ne piacquero dodeci, non riprobando gl’ altri, ma dicendo
che questi sarebbeno a bastanza. non glieli lasciai in mano,
perche non li havevo mostrati a quest’ altri miei S ri . non so che
giorni dopo, essendo noi insieme, fecimo chiamare questi quattro
a i quali fü di nuovo ordinato che vedessero pure di trovar
qualche cosa per questa benedetta riforma, accioche non si
perdesse affatto il tempo.
Pigliorno 1’ impresa di nuovo et quell’ istessa sera di notte
tutti quattro insieme vennero da me et mi pregorno ch’ io li
desse quelli articoli che gia li havevo mostrati. io ce li diedi,
parendomi che da loro potessero essere ben pesati et giudicati.
io non so dire cioche vi mutassero, aggiungessero o levassero,
ma presentorno a tutti noi quelli che poi furno proposti. et
alcuni giorni piacquero a tutti noi indifferentemente, senza che
vi si facesse pur un minimo scrupolo, anzi da tutti noi fii
giudicato che si potessero mostrare a gl’ ambasciatori Ces. prima
ehe si proponessero in congregatione, per mostrare di tener
conto di loro, come dovemo. furno da loro laudati allhora, et
dopo ci dissero haverli mandati alla M t; ‘ C. dalla quäle have-
vano ordine di laudare cosi buone proposte et di rendercene
gratie come di cosa pertinente alla riforma di Germania.
Il giorno poi, che si dovevano proporre alla congregatione,
essendo quasi 1’ hora di essa congregatione, poco prima che
fussemo insieme, Mons re Ill m0 Simonetta disse al Musotto mio
secretario che il primo articolo della residenza non li piaceva
in modo alcuno per il gran pregiuditio che poteva portare a
cotesta corte. udito io questo dal Musotto, restai stupido che
questo buon signore tanto intendente di queste materie non
een’ havesse prima avvertito. et cosi io mandai 1’ istesso Mu
sotto a dirlo all’ Ill m0 di Mantua, et poco dopo noi ci trovammo
insieme, et udito quanto diceva Mons re Ill mo Simonetta, fecimo
chiamare il secretario Thilesio, che gih haveva havuti detti
articoli per proporli poco dopo, et fecimo cassar il primo in
nostra presentia. ci ricordammo dopo d’ haverli mostrati a
gl’ ambasciatori Ces., i quali stavano aspettando la congregatione
in un’ altra camera. ci parve mandar 1’ Ill mi Varmiense et Ma-
Römische Berichte. II.
in
drucci a renderli buone ragioni per le quali ci eramo mossi a
torre via quel primo capo. ci fecero rispondere che loro si
meravigliavano di questa mutatione, conciosia che tutti gl’ altri
capi erano di cose frivole et di nissun momento et che in
questo solo si vedeva un vero capo di riforma gratissimo a
tutti i Christiani. mentre stavamo in questo pensiero, arri-
vorno le lettere di Y. S. Ill ma de li 8. di Marzo mandate per
corriero espresso in risposta delle nostre di 26. di Febraro, nelle
quali li havevamo scritto che ci avisasse, se a N. S. piaceva o
che si trattasse questo articolo o che si domandassero li padri
che dessero in scritto quello che havevano nelle loro chiese
particolari che havesse bisogno di riforma. in quanto al primo
capo non ci fü risposto; al secondo V. S. Ill ma diceva che
piaceva a N. S re . havendoci queste lettere trovati con gl’animi
sospesi per le cause sudette, io dissi che noi dovevamo fare
quello che ci ordinava S. S ta , il che non parve a Mons rc Ill m0
Simonetta, ma concorse con gl’altri che si restituisse quel primo
articolo. laonde fummo costretti a restituirlo. et di questo
progresso io non so dir altro se non: sic erat in fatis. et cosi
furno proposti questi articoli.
Vengo hora alle congregationi et alli trattati dell’ altra
congregatione. dopo la proposta de gl’ articoli si comincib a
votare, et il primo che disse con efficacia grande del primo
articolo che la residentia tante volte deeretata sotto pene et
altri modi non haveva altro rimedio che metterla nelle coscienze
de i prelati, mostrandoli se era de iure divino o no, facendolo
prima disputare da i theologi, fü 1’ arcivescovo di Granata, il
quäle da molti non solo fü seguitato, ma aggiunto di piü che
la residenza era de iure divino, et provato per scritture et
raggioni. da altri non solo non fü seguitato, ma oppugnato
quanto piü si poteva. di qua nacquero le dissensioni et s’ in-
fiammorno gl’ animi talmente che ciascuno parlö non piü per
modo di dir voto, ma di prediche et dottrine, con le quali
sforzandosi persuader la parte che tenevano, non facevano altro
che irritarsi fra loro et far pigliare la cosa piü a denti, et
massime dopo che alcuni non solo nelle congregationi, ma per
le piazze cominciorno a parlare di questo fatto et meschiarvi
publicamente 1’ interesse di cotesta corte et il dispiacer grande
che se n’era preso costi. bisogno ch’ io dica qui la pertur-
112
X. Abhandlung: v. Sickel.
batione che ha patito 1' animo mio, et che di niente m’ asconda
a V. S. Ill ma , con la quäl’ io ho servitü conditionata di doverli
et poterli liberamente dire quel che ho nell’ animo, ma poi
fare quanto lei giudicara che sia espediente a commandarmi,
perche questo modo io ho tenuto in tutta la vita mia con i
signori et padroni coi quali mi e convenuto conversare. a me
piacevano coloro che dicevano et provavano residentiam esse
iuris divini; perche sono stato sempre di quest’openione, ma
senza pensiero perö che mai per tal cosa si fusse per scemare
o minuire punto dell’ autorita della sede Apost ca . non mi
dispiacevano coloro che dicevano et provavano il contrario;
perche mi pareva che 1’ uni et 1’ altri parlassero secondo la
scienza et coscienza loro. et le conseguentie dubbiose et, com’ al
tri dicono, pregiuditiali et pernitiose non le facevano, se non
coloro che tenevano la residentia non essere divini iuris, per
mostrarsi, com’io credo veramente che siano, amorevoli a chi
debbono essere. ma io havrei voluto che queste conseguentie
le havessero taciute et tenute ne i lor petti ascose et havessero
atteso a difendere il punto principale; perche gl’ adversarii loro
dicevano che per mancamento de ragioni et di buona dottrina
s’ appoggiavano a queste conseguentie, come quelle che pote-
vano spaventar gl’altri. et in questo concilio, Mons re mio
Ill m0 , sono cervelli che hanno lasciato il timore nel ventre delle
lor madri et tanto piü s’ accendono, quanto piü vedeno che si
cerca di metterli briglia.
Questo passö, credo, in quattordeci congregationi. et
lascio stare le sporche prattiche che furno fatte, per quanto
intendo, non liavendone altro che un’ oscuro mormorio senz’ una
vera certezza. volendo finalmente noi chiarirci dei voti, li
trövammo notati con tanta confusione che fii impossibile d’ acqui-
starne vera notitia. il che non nacque gik per difetto del
secretario, ma per la longhezza confusa de molti, che parlando
lungamente non appariva dal lor parlare una chiara risolutione.
di quh nacque che noi ci trovammo costretti a ripigliar breve
mente per verbum placet et non placet i voti detti. questo fü
consultato fra noi una sera nella quäle non se ne pigliö risolu
tione, perche ad alcuni non pareva. il giorno poi seguente
che fii la congregatione delli 20. fecimo piü volte leggere le
parole della proposta, et per dir quel ch’ io mi ricordo, non si
Römische Berichte. II.
113
vidde gran ripugnantia, anzi piü presto concorso de tutti, che
si facesse la proposta. si fece. et qui a me piacquero coloro
che dissero assolutamente placet, et niente dispiacquero coloro
che dissero assolutamente non placet, per le ragioni dette di
sopra, ma ben mi diedero crudel ferita coloro che v’ inter-
posero il nome di N. S re per quelle ragioni per le quali credo
che sia dispiaciuto ancor costi, et di piü perche se quei tali
havessero detto assolutamente non placet. il partito era vinto
almeno da i piü voti, et si poteva, non gia con dignita, decre-
tare secondo quelli che havean detto non placet, ma differire
ragionevolmente a miglior consideratione, al che nissuno ha-
vrebbe potuto contradire. ma io qui non so altro che dire, se
non quel che ho detto di sopra: sic erat in fatis, intendendo
per il fato la providenza di Dio, il quäl cava ancor dal male
al suo tempo il bene.
Bisogna qui ch’ io dica quel che so intorno ad alcuni
dubii fatti costi forsi per mala informatione, quali mi sono ve-
nuti all’ orecchie. il primo e che questa prattica si doveva
sopire, quando furno detti i voti lungamente, essendo allhora il
numero maggiore di coloro che dicevano la residentia non
essere de iure divino. a questo io dico due cose. la prima e
che questo magior numero a noi non costava, et forsi che non
era cosi, et perö bisognava che ce ne chiaressimo, ma si che
si sarebbe ben sopita, se coloro che si rimesero a S. Beat“
havessero detto non placet. appresso fu considerato et ancor
scritto costa, che bisognava tener conto delle nationi et delle
qualitä delle persone, dove P eccesso de i voti non e molto
grande, ma de pochissimi com’era in questo caso. il secondo
dubio che mi e veuuto all’ orecchie e che si doveva dar’ in
bocca alli prirni che cominciorno a toccar questo passo, come
cosa da noi ne intesa ne proposta. questo non ci fü ricordato
da persona a tempo et non si fece per quanto io credo, per
non mostrare di voler torre la liberta ancor’ nelle parole. et
di piü loro ben ligavano con la proposta P intention Ioro,
perche dicevano che questo solo modo et questa dechiaratione
farebbe residere; essendosi fatto esperienza de tutti gl’ altri et
l’iusciti vani. et ancoi’che da noi si potesse dire che questo
non era dogma secondo che a noi fü proposto, harebbeno
replicato, come si sapeva di certo, che si disputasse tra i
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXXV. Bd. 10. Abh. 8
114
X. Abhandlung: v. Sickel.
theologi seconclo il costnme di trattar i dogmi. et noi eramo
piü che certi che tutti i theologi che sono qui harehheno detto
in un modo et stabilito la residentia de iure superdivino, i
quali havrebbono forsi dato lume a niolti prelati che non F have-
vano cosi chiara.
Qui parmi di dover aggiungere che prima che si venisse
alla propositione di quest’ articoli, era un gran mormorio fra li
prelati, i quali dicevano che in questo concilio si dovesse trattar
et vedere, se la residentia fusse de iure divino o no, et era
tanto grande il mormorio che si poteva pensare che un giorno
in qualche congregatione potesse esser proposto da loro chiara
et apertamente, si come ne gl’ articoli che a me furno dati,
era stato posto. il che sarebbe stato con poca dignith nostra,
se F havessemo tolerato, et con pericolo di scandalo, se ha
vessemo voluto opponerceli, non sentendosi altro fra questi prelati
forastieri che ragionar della poca liberta che h nel concilio.
onde non fü forsi errore tentare, se per questa strada et modo
che fii proposto si potesse schifar et fuggire questo pericolo,
perche se ben’ a me da quei prelati fü dato chiaro, si penso
perö d’ingarbarlo nel modo che si fece, per veder di fuggire
che non si venesse a. disputar di questo. parveci ancora di
dover havere consideration di quello che s’ intende che dicono
particolarmente li Spagnuoli. et e che vedendo che in questo
concilio non e quella liberta che si ricerca ne i concilii ecu-
menici (cosi dicono essi) et che si ha poca voglia di far bene
alcuno, vogliono domandar al suo re che li conceda un concilio
nationale, ma quel elf importa piü, per lo che credo, che non
si facesse, e che V. S. Ul ma per la sua lettera di 29. di Marzo
ci scrisse, che quando non si fusse potuto schifare de trattare se
la residentia fusse o non fusse de iure divino, et che il resistere a
i padri potesse partorire scandalo, S. S ta si contentava che se ne
trattasse. et di piü dopo che furno proposti, che fü a 11. di Marzo,
sinche se ne comincio a parlare nelle congregationi, che fü a
7. d’ Aprile, se ben s’ hebbero molte lettere da V. S. Ill ma , non
ci rnoströ pero mai che fusse per despiacere a S. Beat ne .
Il terzo dubio e che questa residenza era stata trattata
in questo concilio, et per questo non se ne doveva piü par
lare. questo sarebbe stato un hacco argomento, perche gia si
diceva da molti che non havendo il decreto di questo concilio
Römische Berichte. II.
115
fatto frutto alcuno, anzi essendo stato giudicato da molti che
si poteva non far residenza se non tre o quattro giorni dopo
sei mesi, bisognaya rinforzare qnel decreto et dechiararlo bene,
togliendone ogni fraudolente sentimento. et di piü perche in
quel decreto la residenza si fonda nella scrittura sacra, pareva
che non potesse restare mai ben chiaro, se non si disputava o
determinaya, se quelle et altre scritture costringevano tanquam
praecepta iuris divini. queste cose che aggiungo hora, forsi
che non parranno necessarie, ma non so che spirito - non me le
lascia tacere. io ho tenuto per parola horribile et non ho
saputo tolei-arla, ma me ne sono tra me stesso acerbamente
ramaricato, quando ho sentito in un concilio generale, che a
questo tempo (perche cosi ha voluto S. Beat ne ) si puö riputar
maggiore del Niceno fatto in quei tempi che fü fatto, siano
state persone che s’ habbiano lasciato dire su le porte di Ger
mania, che la residenza & ben de iure divino, ma taglia la
testa al papa, destrugge la sede apostolica et manda in pol-
vere la corte di Roma. 1’ importanza di queste parole sparse
(com’ io credo) per il mondo di quanto momento sia, V. S. Ill”" 1
mi perdoni s’ io non gliela dico, perche sono sicuro ch’ ella
molto bene 1’ intende, et io ho in horrore pensaryi, non che
scriverlo. persone di momento s’ hanno lasciato dire, che mai
fii detta parola piii favorevole ai nemici che questa.
Appresso le lettere particolari, o vere o finte ch’ eile siano
state, con le quali si sono fatte le prattiche, hanno dato non
poco scandolo, et massime quelle nelle quali e scritto nominata-
mente d’ alcuni prelati, che per haver dato il placet, sono
venuti exosi ai lor padroni, et altri per haver dato il non
placet o rimessisi, hanno acquistata gratia et promessa di ri-
munerati&ne. b stato ancora scritto che alcuni ne i loro voti
hanno straparlato fuor di modo, tra i quali h stato nominato
il vescovo di Sinigaglia. et percid m’ ha ricercato ch’ io renda
appresso di V. S. Ill ml testimonio alla verith, la quäl’ e questa,
che con ogni riverenza ha detto il voto suo, senza usar parola
che si potesse se non da i maligni interpretar in male: et
cosi io non ho potuto mancare per consolar questo da ben
prelato di prometterli di scriverne, et con questa 1’ho fatto.
giudico a proposito dir ancora et affirmar con giuramento che
dopo che e aperto il concilio, io non ho mai appartamente
8*
116
X. Abhandlung: v. Sickel.
parlato con Mons r Ill mo di Mantua, di modo che tra noi non
ha potuto essere consei'to alcuno. et quanto a questo punto
della residenza tra noi mai b stato parlato se non in pre-
sentia degl’ altri. b den vero che qualche volta i nostri secretarii
hanno parlato da parte di S. S. Ul ma a me et da parte mia a
S. S. Ill ma , ma di questo passo della residenza non n’ e stata
fatta neanco per questa via una minima parola. non credo
che V. S. Ill m “ et R ma ne altri possano con ragione essersi
imaginate, che per quanto tocca a Mons re Ill m0 di Mantua et a
me, fusse passato mai questo decreto senza salvare in tutto et
per tutto 1’ autorith di cotesta S. sede et di S. Beat“ e . et
certo che cosi si poteva fare, et non ci sarebbe mancato il
modo per bonta di Dio. a me pareva molto a proposito che
cosi conditionatamente si facesse, per la voce commune de
tutte le nationi che dicevano che, quando mai non si facesse
altro in questo concilio, questo solo decreto sarebbe stato baste-
vole ad anteporlo a tutti gl’ altri concilii. et io che ho tutto
1’ occliio volto dopo la gloria di Dio alla fama di S. S til et alle
parole che ha dette a me piene di pieta et di desiderio di
rassettar le cose mal fatte et di dare splendore del suo pon-
tificato con opere rare et degne della persona sua, et a pro
posito delle presenti calamitä confesso ingenuamente d’ esser
forsi scioccamente trascorso in pensare che questa determina-
tione della residenza fusse molto a proposito. ma hora che
ho havuto qualche lume della mente di S. S ta et ho cono-
sciuto che con molta prudenza habbia giudicato, che questo
passo o si differisca ad altro tempo o si stabilisca con pene
acerbe, lasciando da parte questo che s’ era trattato nel modo
ch’ io ho detto, mi sforzarö accommodare in tutto et per
tutto et aiutar quel modo che a questi SS. Ill mi piü piacerii di
seguire. et cosi faro in tutti gl’ altri trattati, mettendovi del
mio il manco ch’ io possa. ma non lasciarö di dire et ricor-
dare, che qualsivoglia di questi modi, se non b trattato molto
destramente et con gran pacientia et senza tanti romori et
bravarie, quanto dicono che siano state fatte per il passato,
1’errore sara molto maggiore; ma voglio sperare in N. S. Dio
che ci guidarii per la sua misericordia.
Il porto che si e preso dopo tanti disturbi della navi-
gatione, b molto piccolo, come lei vedrh dal decreto; per questo
Römische Berichte. II.
117
io non ne dirö altro. finita la sessione, perclie io mi trovai
molto stracco, non potei per lo spaccio del medesimo giorno
mandar questa mia lettera. ma havendola poi scritta la matina
seguente, gionsero le lettere di N. S. et di V. S. IIl ma deli 11.
di questo mandateci per corriero espresso, le quali m’ inducono
a dirli questo di piü, cioe ehe nelli negotii ne i quali inter-
viene numero di persone, non mi par miracolo che vi na-
schino de dispareri, ma hen mi pare che sia grand’ errore di
coloro che dovriano tenerli secreti, et li publicano et forsi
fanno magiori di quel che siano in vero. se parrk a V. S. Ill ma
et R ma communicare o tütta o parte di questa lettera a N. S.,
me rimetto al prudentissimo suo parere. ben le dico che al
parer mio non sara bene, che sia veduta da altri, non per
mio interesse, ma per altri degni rispetti. perö tutto sia ri-
messo alla prudentia di lei. et con questo basandoli humil-
mente la mano, me raccomando in sua huona gratia.
Di Trento 17. di Magio del 62.
Di Y. S. Ill ma et R ma
humilissimo servitore
il cardinale Seripando.
19.
P. Pius IV. an clie Legaten.
Rom 1562, Juni 29.
Yatic. Archiv. Nunziatura di Germania 4 fol. 284—288'. — Registercopie. —
Vgl. S. 12.
A li R mi legati a 29 di Giugnio.
Dilecti filii etc. Havemo veduto et ascoltato volentieri
1’ arcivescovo di Lanciano et fatta matura consideratione sopra
tutti i capi de la sua instruttione et di quanto ci ha esposto
a bocca. et perche havemo ragionato a longo con lui et lo
rimandiamo ben informato de la mente nostra sopra tutte
le cose, ci rimetteremo senz’ altro a la sua relatione, et pre-
garno il S r Dio che vi conservi ne la sua santa gratia. Datum
Romae etc.
118
X. Abhandlung: v. Sickel.
Istruttione data a F arcivescovo di Lanciano a 29. di Giugnio.
Venerabilis frater etc. Voi risponderete a li legati nostri
circa F instruttione loro die voi havete portato, ne la forma ehe
qui appreso segue.
Et prima che ci e piacciuta piü la vostra venuta che di
qualunque altro potesse venire per esser voi informato et tanto
accetto a noi come sete, di maniera che se occorrera altro
bisogno importante, intendemo che siate voi quello che vada
et venga sempre, tanto piü che con questo si fara manco stre-
pito che se venisse il Car le d’ Altemps nostro nepote, quäle
non intendemo che si parta di lk per occasione alcuna che
possa venire, perche ha da star li per subsidio et sicurezza
del concilio.
Quanto a le cose che si dicono costi, parte per lettere
scritte da Eoma et parte per discorso de le persone di la, circa
la dessolutione del concilio, voi haverete a rispondere che tutti
parlano a caso et senza fondamento alcuno, ne noi possiamo
tener le lingue de le persone, se ben potemo fare che dicano
la bugia, si come credemo d’ haverlo fatto et di farlo tuttavia,
se si guarda a le attion nostre le qnali sono indicative del
animo et delF intentione. et veramente non sappiamo, perche
si possa far questo giudicio di noi, conciosia che quanto a
F impaccio che havemo a le spalle et a la spesa ancora, noi
credemo d’ haver assai ben mostrato che per beneficio publico
non stimamo nh F uno ne F altro, essendo noi stati quelli che
havemo esshortati pregati et quasi sforzati li principi a questo
concilio, nel quäle non e da credere che non havessimo pre-
visto et la spesa et il fastidio che fussimo per haverne, se
non per altro al meno per F esperienza del’ altre due volte
che noi medesimi havemo visto questo concilio aperto: oltre
che il mondo puo hormai conoscere dal tenore de la nostra
vita et inanzi et dopo F assumptione al pontificato, se noi ne
le cose importanti et honorate et massime in quelle che con-
cerneno il servitio di Dio et beneficio publico, havemo alcuna
consideratione a la spesa. et quanto al respetto del danno de
la corte per conto de la riforma e assai ben noto che questo
non potrebbe haver luogo in noi per farci dissolvere il con
cilio, poi che noi havemo gia fatta et essequita una rigoro-
Römische Berichte. II.
119
sissima riforma de le cose de la corte con danno nostro parti-
colare di piü di 200 mila scudi di capitale di officii, oltra quel
che a la giornata si perde de gli emolumenti del datariato et altri
officii, che e una somma notabile, il quäl danno noi estimamo
perö grandissimo guadagno vedendo che cede in beneficio pu-
blico et edificatione de la chiesa di Dio. perö concludemo che
le persone in far giudicio di nöi ci doveriano guardar a le
mani et a li fatti et non dar fede a le chimere et sogni di
chi parla, perche da .che il concilio e aperto, mai fü nostra
intentione di dissolverlo, ma si ben di finirlo confermarlo et
esseqnirlo. ma quanto a quello che dicano i vescovi di la del
pericolo de le lor chiese et de la incommodith per conto del
vivere et de gli alloggiamenti, non crederessimo che nanche
questo dovesse esser sufficiente causa a far dissolvere et trans-
ferire il concilio, perche stando la speranza che li legati danno
ne la vostra instruttione di finire per tutto Ottobre il concilio,
non vediamo che questa sia si longo termine, che possa o
debbia sgomentare i detti vescovi, ma piü presto li dove
rebbe inanimare et accender a star Saldi, vedendo loro la
speranza si propinqua di finir presto questa santa opera di
Dio et di tornar a casa et useir di questi incommodi. perö
non accade pensare a dissolutione ne a translatione, ma si
bene ad essequire la speranza dataci di linir presto, il che
oltra che sara piü servitio di Dio et del publico, sara anche
causa di liberal - li prelati da le molestie che li moveno a pen
sare a dissolutione ne a translatione et di serrar la bocca a
tutte le persone le quali, se havessero visto che si fusse proce-
duto gagliardamente et senza tante prorogationi, come sempre
e stata mente nostra, haverebbeno liavuto manco occasione di
imarginarsi quel che non ö, et di straparlare.
Quanto a Ja continuatione noi sin dal principio habbiamo
fatto intendere in piü modi 1’ animo nostro a li legati, et dopoi
havemo ancora scritto di nostra propria mano che volevamo
che senza interposition di tempo si reassumesse il concilio
Tridentino, pigliando li dogmi che restavano da decidere et
cosi la riforma, il che ci dolemo che non sia stato essequito.
tanto piü sapendo loro che per un nostro breve havemo espressa-
mente declarata la continuatione, et se a buon’ hora si fusse
essequito, tanto 1’ imperatore quanto gli altri haverebbeno havuto
120
X. Abhandlung : v. Sickel.
patientia. per questo non improbamo perö 1’ attione degli legati,
anzi pensamo che habbiano fatto il tutto con buon zelo et
buona consideratione, ancor che dovevano credere qualclie cosa
di piü a noi, quia eramus pontifex anni illius; ma poi che le
cose sono condutte a qnesto termine, non havemo da pensar
piü al passato, ma si ben provedere a 1’ avvenire. et perö
direte a li legati die ogni volta che da parte del re sia lor
presentato il detto breve, lo vogliano subito essequire con far
conoscere a tutti che ad instanza di S. •M ta Cat ca sin’ a li xvij
di Luglio passato havemo concesso questo breve et fatta questa
declaratione, la quäle ö conforme a la bolla et mente nostra,
perche noi non havessimo mai altro animo. et se il breve non
sarii lor presentato, volemo nondimeno che ne la prima sessione
et poi di mano in mano si faccia la continuatione effettuale,
pigliando li dogmi et abusi che restano, come se fusse espressa
continuatione. et se ben li legati potran dire che gia 1’ hanno
in un certo modo fatto col trattare gli articoli che hora si
trattano del S ,no sacramento, desideramo perö che lo faccino
anco meglio col pigliar 1’ articuli che restano, ciofe quello del
matrimonio et quel del ordine. et che si metta qualclie parola
signihcante 1’ effetto, come dire quae supersunt vel quae restant
o simile, se gia i ministri del imperatore et quelli del re
Cat co non fussero ben d’ accordo tra loro a non metterci la
detta parola, nel quäl caso bastera far la continuatione effet-
tuale nel modo sopradetto. et questo facciamo prima che ci
par che cosi convenga al servitio di Dio et benefieio publico,
et poi perche le dilationi ne le quali si e speso sin’ hora tutto
il tempo, sono a noi sopra modo nocive, dando tempo et ansa
a nostri nemici di machinarci contra come fanno. nö noi sapemo
veder perche li principi habbino a sentir tanto male nissuna
di queste due deliberationi, conciosia che noi havemo sempre
detto a li loro oratori qui et fatto lor dire da li nostri nuntii,
che questo concilio era continuatione, et essi non solamente
con 1’ assistenza de loro oratori mandati a Trento hanno mos-
trato di contentarsene, ma ci hanno fatto intendere che non
erano per impedir in ciö alcuna nostra deliberatione. onde
havemo a credere che tutte le minaccie che di poi hanno fatto
di far partire li detti loro oratori, siano piü presto per dare
una certa apparente satisfattione a li principi protestanti et
Komische Berichte. II.
121
altri heretici, che per animo che habbino d’ essequirle. ma
quando anche al’ ultimo volessero pur essequirle, non per
questo dovemo restar di far noi il debito nostro, perche facen-
dolo Iddio haverh lui protettione et cura di far che non si
perda alcuna parte Cat ca , anzi penseremo di guadagnar de gli
altri, et se non potremo convertire gli Ugonotti, protestanti et
altri simili, conserveremo almeno i buoni et forsi ridurremo
qualche un di loro, de li manco perduti, come sariano gli elet-
tori di Brandeburg et di Sassonia, se cosi piacerä a Dio. nostro
nipote dice che ha ancora non so che del duca di Virtimbergh,
il che egli esporra a li legati, a li quali volemo che ogni cosa
si rimetta; oltre che potria anche ricuperarsi la Bohemia, quäl
saria di molta consequenza. et per tornare a le minaccie sopra
dette, noi non vedemo con che ragione, quando ben partissero
gli oratori del’ imperatore et di Francia, non si havesse a
dire che questo concilio fasse universale, perche a 1’ ultimo
1’ auttoritä sta nel capo che h il papa, et quest’ altri hanno
da essere assistenti adiutori et consultori, ma non gia arbitri
ne che diano legge, et noi ci ricordamo che a tempo di papa
Julio secondo si fece concilio solo con Italiani et Spagnoli, et
gli altri erano nemici etiam con’ 1’ arme in mano, et pur fa
giudicato oecumenico. et dopo molte contentioni tutti gli ad-
herirno, parte a tempo di detto papa, parte a tempo di Leone
suo successore. et anche a tempo di Julio terzo non vennero
al concilio ne Francesi ne Venetiani, et con tutto cid quel con
cilio e oecumenico et buono. noi gli havemo dimandati tutti
et aspettato il tempo debito et piii del debito; hora se non vo-
gliono venire o vero se chi ci e venuto, se ne vorra partire, che
potemo noi fare se non lassargli ne la loro contumacia et
supplire con la presenza di Dio et sperare che da santa divina
bontii saranno un giorno inspirati ad accettare tutto quello che
dal concilio sarä stabilito? ancorche come havemo detto di
sopra, noi non credemo che in alcun caso li detti oratori cesa-
rei et Francesi fassero per partirsi, perche a noi li lor prin-
cipi non parlano di questa lingua, anzi si mostrano disposti a
seguire il voler nostro, oltre che ciascun d’ essi ha tal bisogno
di noi che non fa per alcun di loro ad irritarci in cosa alcuna.
Quanto a 1’ articolo de la residenza a noi non importa
che si faccia o no la dichiaratione quo iure teneantur episcopi
122
X. Abhandlung: v. Sickol.
residere, ma perche habbiamo a core che le diffinitioni del
concilio siano in edificatione del populo cbristiano et non occa-
sione di scandalo, ci pare inconveniente che contra la voluntä
di tanti padri s’ habbi a trattare un’ articolo si fatto, il quäle
non doveria pur trattarsi, quando il numero de li contradicenti
fusse molto inferiore a gli altri, purche fusse notabile, non che
essendo del pari et forse superiore, essendo sempre stata la
chiesa solita ne le diffinitioni dogmatice di procurare la con-
cordia de padri, come fu fatto nel decreto de iustificatione, et
dove la chiesa non ha potuto ridurre i padri a concordia, ha
sempre lasciato di diffinire i dogmi. credemo adunque che sia
bene veder prima la voluntk de’ padri an expediat declarari
de quo iure sit residentia, et in caso che siano tutti concordi
o senza discrepantia notabile, alhora poi li legati haveranno a
tener mano che si tratti con quelli advertimenti et reservationi
che v’ havemo detto a bocca, aggiungendo quel di piü in
questa et altre materie, che a la prudenza vostra pärera in
conformitii de li ragionamenti che in questi pochi giorni havemo
piii voltc tenuti con voi. Datum Romae in palatio nostro aposto-
lico etc.
20.
Borromeo und Pius IV. an den Cardinal von Mantua.
Rom 1562, August 15.
Ambrosianische Bibliothek, Cod. J. 140 inf. f. 355. — Originalbrief mit auto-
grapher Nachschrift des Papstes. — Vgl. S. 55.
Ill mo et Rev™° S or mio Oss m °.
Non potrei dire a V. S. Ill ma di quanta satisfattione sia
stata a N. S 1 ' 0 la lettera sua di 6. del presente, ne la quäle lei
mostra d’ haver tanto a core la fine et conclusione di questo
concilio, quanto a punto h, il desiderio di sua S t;L et forse anche
il bisogno di questi tempi, per quei rispetti che ho scritti piü
volte a le SS. VY. IU me in commune.
Hora rispondendo a capo per capo come lei desidera, dico
che quanto a le cose concluse nel’ assemblea di Francia (inten-
dendo del’ assemblea de prelati fatta a Poyssi et non di quella
de stati fatta a Orleans, dove intervennero molte persone here-
Komische Berichte II.
123
tiche et vi furono concluse di molte impertinentie) non sola-
mente non sono state mandate a S. S ta per la confirmatione,
come dissero di voler fare, ma liavendone fatto far instanza
dal legato et dal nuntio che le mandassero, non e stato possi-
bile ottenerlo, o sia per gli impedimenti et travagli che hanno
havuti et hanno tuttavia, o pure per poco buona voluntä che
portino a questa santa sede. certa cosa e che se 1’ havessero
mandate o se le mandassero, troveriano la S til sua facilissima a
confirmargline da se una gran parte che con effetto gli par
buona, et quelle cose che pur son buone et S. S ta giudicasse
nondimeno che fusse bene a farle trattar dal concilio, si re-
metteriano subito costä, talmente che in pochi giorni si leve
rebbe ogni impedimento, che per conto di.queste cose di Francia
si possa pretendere che sia per hayere la breve expeditione
del concilio; et con questo animo S. S til farä replicare al le
gato et nuntio di Francia che facciano di nuovo instanza etc.
et se a V. S. Ill ma parerä come da se et in qualche buona
occasione di far il medemo con Mons 1 ' 6 di Lansach, non sarh
forse se non bene, acciö resti sicuro d’ haver a trovare questa
dispositione in N. S re in tutte le cose che siano honeste, man-
dandole qua a S. S ta , come di sopra ho detto.
Q.uanto al particulare de la riforma di Spagna, a S. S ta
pare che giä si sia satisfatto in buona parte con quci capi di
riforma che giä sono stabiliti in universale in questo concilio
et si stabiliranno in questa sessione. ma se hanno alcuna cosa
di piü da domandare o ricordare, V. S. Ill ma potrebbe per
1’ auttoritä et preeminentia che ha in quel concilio far intendere
o a quel solo che le ha detto che pensano a una rigorosa ri
forma, o a chi altro de la natiorie le parerä, che e tempo di
scoprire tutto quel che desiderano per le chiese loro, procu-
rando che lo mandino quä a Roma, perche S. S t; ‘ si sforzerä di
mostrarseli benigna et gratiosa in tutto quel che poträ hone-
stamente con honore et dignitä sua; et se alcune cose giudi-
chera degne de la mano del concilio, le rimetterä di lä et le
favorirä con ogni poter suo.
II medemo pare a S. S t; ‘ di poter rispondere a V. Ill ma
S. circa li prelati Italiani, li quali non hanno a dubitare che
la S ta S. possa o debba esser men gratiosa et propitia a loro,
di quel che sia per essere con li oltramontani.
124
X. Abhandlung: v. Sickel.
Restaci 1’ interesse de la Germania, circa la quäle Y. S. Ill ma
ha prudentissimamente toccato il punto che a N. S r0 occorre per
risposto, cioe che quella satisfattione che si dark a le petitioni
del imperatore per li stati suoi hereditarii, servirk ancora per il
resto de la Germania, havendo come hanno una si gran confor-
mitk insieme. pero sark bene che le SS. VV. Ill me non differiscano
piü a cavar dal volume di S. C. M* 4 quei capi che honestamente
et senza pregiuditio di questa santa sede si possono concedere,
come ho lor scritto piii volte, et proporli in concilio a luogo et
tempo debito tra gli altri capi di riforma. et se pur ciascuna
chiesa di quella provincia ha qualche cosa di particolare da
chiedere, potriano le SS. VV. Ill me (tratanto che si lavora intorno
al dar satisfattione a 1’ imperatore) far anche intendere a quei
pochi procuratori che sono costi per li vescovi di Germania,
che per via di supplicatione (poi ch’ essi non hanno voto in
concilio) espongano presto i lor bisogni, perche si procurerk di
farli quella provisione che sia conveniente, benche a N. S re piace
assai quei che V. S. Ill ma tocca ne 1’ ultimo de la lettera sua,
cioe che fatti prima in universale piü decreti che sia possibile,
si venga poi a la concessione de li particulari per questa et
per quell’ altra natione. al che S. S fcl aggionge che le cose
particolari non doveriano in aleun modo ritardare la fine et
conclusione del concilio, perche etiam finito il concilio (per non
tener senza necessitk occupati tanti prelati con si evidente danno
de le chiese loro) si potrk provedere a le dette cose da S. S u
qui, con 1’ informatione che le sark data de li hisogni di cia-
scuna provincia, et da S. S ta potranno promettersi ogni gratia
et cortesia honesta, anzi la S ta S. dice che le materie di ri-
forme non doveriano occupar il concilio, se non fin a tanto che
ci saranno materie dogmatice d’ accompagnar con loro, ma
che finiti i dogmi si doveria rimettere le dette cose di riforma
a trattarle fuor di concilio et finir quello senza alcuno in-
dugio: il che se da VV. Ill me SS. sark fatto, S. S tt non vede,
perche in poche settimane non si possa finire. et quando
poi anche s’ habbi per maggior contento de le nationi a trattar
costi ogni cosa, usando le diligenze che ho detto di sopra con
ciascuna natione, S. S ta spera pure et tien per certo, che in
pochi mesi potranno arrivare al fine, come S. S ,k infinitamente
desidera.
Römische Berichte. II.
125
II che e quanto occorre di dir per questa, dopo essermi
humilmente raccomandato in buona gratia di V. S. Ill ma pre-
gando N. S re Dio che la conservi.
Di Roma a li 15. d’ Agosto 1562.
Di V. S. Ill raa et Rev“ a
humilissimo servitore
C. cardinale Borromeo.
Monsignore. Tutto sta nella prndentia et bonta vostra et
in lei confidiamo el tutto. se attenda a la brevita sopra tutto
et non se dia alcuna dilatione. noi non mancheremmo de le
cose honeste, ma hormai bisogna pensare a diffendersi con le
arme in mano, poiche li nimici nostri sono sopra Carpentrasso
et minaccianno a Avignone. 1’ Ingelterra se arma per li Ugonotti
et per proprio interesse. la Helvetia et Germania h divisa,
armata et incitata chi in favore de Ugonotti et chi in favore
dei catholici, et h da dubitare che non venghino a le mani
tra loro, maxime in Helvetia., si che attendiammo a sbrigarsi
de questo concilio per poter meglio aiuttare li catholici, a quali
in tutte le bande non intendemmo mancare di cosa alcuna. voi
che seti in fatto, meglio sapreti pigliar lexpediente di finir
presto questo concilio. et con li principi lassati fare a noi, che
sono tutti in mano nostra. circa le dottrine, se portano tanta
dilatione, se lascianno. et Dio N. S re la conservi et le doni
quanto desydera.
Pius papa IV.
21.
Borromeo an die Legaten.
Rom 1563, October 3.
Thetis (vgl. S. 73—80) nach Vat. Archiv, Nunz. di Germania 4 fol. 341 -342,
theils nach dem Original der Ambros. Bibliothek in Mailand.
A li Rev™ 1 legati 3. Ott re .
Poiche per levar le SS. VV. Ill me dal gran fastidio et
travaglio nel quäl si trovano per il mottivo fatto da gli ora-
tori cesarei et Francesi circa le materie di riforma, come ha-
vemo inteso per le lor lettere di 26, non bisogno altro che gli
126
X. Abhandlung: v. Sickol.
effetti de la buona et santa intentione che la S a S. ha sempre
havuta in queste cose, spero, anzi son certo che a 1’ arrivo
del presente spaccio quelli diranno d’ essere in tutto liberate,
et conosceranno da gli effetti che la S ta S., per molto che
habbi promesso in questo genere et a gli ambassadori de prin-
cipi et ad altre persone, ha perö promesso molto meno di
quello che ha in animo di fare per restituir la chiesa cätho-
lica al sno pristino candore.
Et prima quanto al vohime mandato da 1’ imperatore, S fi S.
s’ e ricordata che gia, piu giorni sono, le SS. VV. Ill me ci man-
dorno una scrittura ne la quäle da loro si erano fatte due
classi de le materie di detto volume, 1’ una di quelle che si
potevano trattare con farli perö qualche moderatione, 1’ altra
di quelle che, per esser o scandalose o superflue o trattate
altre volte in questo medesimo concilio, non erano da propo-
nersi. et se ben pareva a S ta S. che in ogni cosa le SS. VV.
Ill me havessero prudentissimamente et piamente risposto, et che
S. M ta cesarea dovesse contentarsene, non di meno vedendo
hora questa nuova et si gagliarda instanza degli oratori suoi,
ha risoluto di ripigliar in mano il detto volume et sforzarsi di
dar loro quella maggior satisfattione che fusse mai possibile,
ancora in alcuna di quelle cose che secondo la detta scrittura
erano gia state lor negate da SS. VV. Ill me , si come quelle
potranno vedere per le decretationi fatte in un foglio annesso
al sommario cavato dal detto volume che sarh con questa, per
il quäle vederanno quali siano le cose in quel volume che
S. S ta giudichi doversi proporre et trattar in concilio et quali
no. il che perö dopo che haveranno inteso questo parere,
S. S ta pur anche rimette col restante al arbitrio et giudizio
loro. ma quando pur il Quinqueecclesiense persistesse in volere
che il volume si leggesse tutto a la synodo, la S Ml S. dice
che, se a quelle parera, potranno anche farlo, advertendo pero
che si legga simplicemente et che non per questo s’ intenda
che sia proposto a li padri per haverne il voto loro, anzi sara
bene che nel atto del leggerlo si proponga di far fare una
deputatione di parecchi prelati piu presto canonisti che theo-
logi, per esser questa materia di riforma et non di dogmi, a
li quali si commetta che insieme con un legato scegliano dal
volume quelli capi che saranno degni d’ esser proposti in con-
Komische Berichte. II.
127
cilio, accennando che ve ne siano come sono de gli indegni.
il che sia detto a le SS. VY. Ill me per semplice ricordo, rimet-
tendo con effetto a la prudenza loro tutto che parera lor di
fare per che il volume tutto non s’ intenda proposto, se ben
sarii letto. et perche quella parte che sara proposta s’ espe-
disca poi con quella brevita che si sono fatte 1’ altre cose di
questa medesima natura, S. S tö ha ancora letto et ben con-
siderato il sommario del assemblea de li prelati di Francia,
quäle si manda decretato con tutta la benignita et cortesia
che al mondo si possa disiderar maggiore.
Videranno poi le SS. VV. Ill me la decretatione de gli arti-
culi mandati qua da loro ultimamente, de la quäle so che si
sattisfaranno tanto, che aggionto a 1’altre cose sopradette non
sapranno forse che piu desiderare in questa parte da S. B ne ,
la quäle sara perö pronta in tutto quel che potra con dignita
sua et senza ruina di questa S. sede a conceder an cor piu
oltre, se da VV. Ill me SS. sara ricercata d’altro, non volendo
mancar in conto alcuno a quel che gli sara fatto conoscere
esser debito al servitio di Dio et a la salute de F anime Chri
stiane et a la grande espettatione, che, come VV. Ill me SS.
dicono, e excitata nel mondo del buon exito di questo concilio.
pero con queste si perfette resolutioni doveranno hora atten-
dere a caminare innanzi allegramente, facendo esse il debito
loro circa queste benedette riforme. et se di tutto questo non
resterrano satisfatti qualchi prelati o vero oratori, doveremo
credere facilmente che non siano mossi da desiderio di riforma,
ma piu tosto da interessi suoi o da espressa malignita, da la
quäle confidamo che la prudenza di VV. Ill me SS. ci sapra
defendere.
Quanto a F altro disturbo che hanno per conto de le
parole levate da quello articolo del ordine, S. S t:l stara aspet-
tando d’ intendere quäle haverii potuto piu o la buona mente
di VV. Ul me SS. o la cervicosita d’ altri, confidando che in ogni
evento sapranno schermirsi d’ esser tirate un’ altra volta in un
pelago di discordie et di contentioni, come fu de la residenza,
circa la quäle havendo scritto a lungo con F ultime mie, non
diro altro con questa.
128
X. Abhandlung: v. Sickel.
(Poscritta). Mons r R rao Alessandrino ha detto che vedra di
trovare et far autenticar quanto prima la bolla che fece Gre-
gorio XI. sopra la condennatione de i libri di Raimondo Lullo,
dimandata da quei SS ri deputati sopra la riforma de! indice, et
che la mandera loro.
Se si ha da legere el volume de sua M til Ces a come
recercano, che se legano anchora le sue lettero, maxime le
ultime che moderanno in qualche parte. et de la residentia,
se vi h desparere, non recusaremmo noi di pigliare la fatica
di accomodare le cosa, remettendola el concilio.
Essendosi mostrata la lettera comune a S. S ta secondo
il solito, lei gli ha fatto come vederanno un postscripta di
sua mano.
22.
Pius IV. an den Cardinal von Mantua.
Rom 1562, October 3.
Vatic. Archiv, Tom. 49 f 61. 81, Registercopie. — Dazu die autographe Nach
schrift des Papstes nach dem Original in der Ambros. Bibi, zu Mailand, Cod.
J. 141 inf. p. 118. — Vgl. S. 73—80.
Al S. Cardinal di Mantova a li tre d’ Ottobre 1562.
Dilectissime fili salutem et apostolicam benedictionem.
Oltre quello che ’l Cardinal Borromeo scrive d’ ordine nostro a
tutti voi legati in commune, noi havemo voluto scrivervi la
presente a parte per dirvi che, se ben havemo detto il parer
nostro sopra gli articoli de 1’ imperatore, et de 1’ assemblea
Francese et de 1’ altre scritture pertinenti a riforma, et se bene
oltre di questo noi faremo di qua la parte nostra con ogni de-
bito rigore: nondimeno ci rimettemo in tutto a quel che parerä
a la molta prudenza, integrith et valor vostro, confidando che
voi guiderete ben presto et sicuramente questa nave al porto
desiderato. vi pregamo adunque a seguitare allegramente et a
credere che dopo Dio havemo in voi principalmente collocate le
speranze del buon essito di questo Santo negotio. Datum Romae,
die o. octobris 1562.
Komische Berichte. II.
129
Ci pare che si possi legere a li patri quel volume de 1’ im-
perator, con leger anchora le sue lettere che a torno a questo
le ha seritto, dove mette pero tntto in arbitrio vostro, quel che
se ha da trattare et quel che non. et circa la residentia non
essendo li patri piu che concordi, e meglio se remetta a noi,
come fu de la communione sub utraque. et noi iudicammo la
residentia piu che necessaria quocunque iure sit, e intendemmo
che la facciano etiam li cardinali; la faccia mo lei, ne la quäle
reposiammo et remettemmo el tutto. et ci avvisi piu libera-
rnente di quel che bisogna, che non mancharemmo del debito
nostro, et vadi animosamente et liberalinente nel tutto, accio
vincammo questo fatto d’ arme, et sapemmo che Ihavera sempre
al core la dignita di questa sede et nostra, et noi faremmo
quel che debba fare un bono papa et un bono christiano. lei
governi mo el tutto, et con piu authorita et a vantaggio che si
po, et che se revochino li prelati che se ne sono andati, et an
chora noi li scriveremmo et contra alchuni procederemmo. de
Lorena credemmo non verra, et se verra, se li facci tutti li
honori, ma se domandara cosa deshonesta, se le risponda et
faccia respondere, come se deve. et vadisi pur inanti a reforma
et dogmati, dichino cio che si voglia, et inanti che votare per
natione, piu presto rompere ogni cosa, perche cosi facendo in
concilio, el vorrebbero ancho fare in la elettione del papa, si-
come e mente et concerto di quello amico, come gia vi ne
avisassimo.
23.
Borromeo an den Cardinal von Mantua.
Rom 1562, October 3.
Vatic. Archiv, Tom. 49 fol. 8T—83, Registercopie. — Der zweite Absatz aber
(erstes PostScript) nach Borromeo's Autograph in der Ambros. Bibliothek in
Mailand, Codex J. 141 inf. fol. 113. — Vgl. S. 73.
Al medesimo, il medesimo di.
N. S. ha veduto volentieri quel che V. S. Ill ma scrive per
1’ ultima sua di 24. del passato, et la copia de la lettera del
S r Cardinal Granvela, et perche da quel ch ! io scrivo in commune
ella vedera distesamente la mente di S. S“ circa le riforme, mi
rimettero senz’ altro a quelle, et la presente servira solamente
Sitzungsber. d. phiL-hist. CI. CXXXV. Bd. 10. Abh. 9
130
X. Abhandlung: v. Sickol.
per rallegrarmi con la vostra Ill"' a S. del figliuol maschio nato
al S r duca suo Ill m0 , il che fo tanto di core quanto di cosa ch’ io
potessi desiderare in questo mondo. e son ben certo ch’ ella
che conosce 1’ osservanza ch’io porto a tutta quella casa 111™ 1 *,
et li oblighi ch’ io ho seco, restera facilmente persuasa di cio.
cosi piaccia al S r Dio d’ accrescer sempre ogni loro prosperith
et conservar felice V. S. Ill m % a la quäle io bacio humilmente
le mani etc.
V. S. Ill mil vedrk per lettere communi ch’ io scrivo et per
quella risolutione ch’ io mando insieme sopra i capi de rifor-
matione mandati dalle VV. SS. Ill" lc et il volume del impera-
tore et quelle riforme di Francia, 1’ animo sincero di N. S re in
tutte le cose che siano giudicate di servitio di Dio et della
sua cliiesa, come potrii anche cönoscere dalla lettera che le
scrive S. S ta , di che spero che Y. S. Ill ra “ restark sodisfatta.
tanto piii che se altro da V. S. Ill mu sark ricordato in questo
proposito, conoscera quanto S. S t;l stimi il giudicio suo, sapendo
certo che da lei non puö uscir cosa che non sia tutta piena di
buon zelo verso il servitio di Dio prima, poi anche particular-
mente verso la persona propria di S. S ta et della grandezza di
questa sede dove ella h posta da Dio, per la quäle sa certo
che V. S. Ill ma metterh sempre ogni cosa.
Havrk anche veduto ch’ a S. S ta hora non dispiace il parer
di V. S. Ill ma circa il volume del imperatore di leggersi ai
padri: pero potrk hör lei con la prudenza sua et et di quei
altri SS. Ill ml governar le cose come a lor parerk piü servitio
a quello Santo negotio, poi che S. S til si rimette a loro, et ca-
minar inanzi con ferma speranza che Dio che ha guidato le
cose sin qui con maggior quiete tal’ hora di quello che essi si
sono qualche volta promesso dalle subite turbolenze, provcderk
anche alli presenti fastidii in che si trovano, et li dark gratia
di condur questo Santo negotio a quello fine che da lei et da
tutti boni le k desiderato, che h quanto mi occorre doppo ha-
verli di novo basciate le mani pregandole ogni contento.
humillissimo servitore
C. cardinale Borromeo.
Komische Berichte. II.
131
II S. Cardinal di Ferrara ha cominciato a procedei'e contra
il cardinale Sciattiglione con le citationi et similmente contra
altri ecclesiastici nganotti et seguiterh senza alcnn rispetto usque
ad privationem, il che V. S. Ill ma potra scriver per risposta al
Cardinal Granvela, acciö non resti piu lungamente scandelizato
de la patientia nostra. quel che di piu occorre, V. Ill ma lo
vedera per la lettera che le scrive S. S ta et per la cifra inclusa.
[In zifra.] Havendosi a far depntatione di prelati che veggano
il scritto de 1' imperatore, come scrivo ne le lettere communi,
N. S. ricorda a V. S. Ill ma , se ben sa che non ne e bisogno,
che si advertisca che almeno F Italiani che si haveranno a de-
putare et anche li Spagnuoli et altri forastieri siano piu nostri
conlidenti et amorevoli di questa sede che possibil sia, li quali
V. S. Ill ma sa molto bene quali sono. dice anche S. S ta che
sark bene che si communichi co i prelati Spagnoli nostri amore
voli come Salamanca, Patti, Dertosa et simili, quel che a la
giornata occorrera dove essi possano giovare, e cio dico, perche
essi hanno detto che se fossero a le volte informati de li desi-
derii el volonta di N. S. ? fai’iano mille servitii a la causa nostra,
che non possono cosi fare essendo colti da Granata et suoi
compagni a F improviso, et al buio de la volonta di S. B ne .
24.
Pius IV. an den Cardinal Simonetta.
Rom 1562, Oktober 3.
Vatic. Archiv. Tom. 51 fol. 52, Registercopie. — Vgl. S. 75.
A 3. d’ Ottobre.
Dilecte fili salutem etc. Havemo detto il parer nostro,
come intenderete da le lettere del cardinale Borromeo, sopra
li capi de la proposta de 1’ imperatore et de F assemblea Fran-
cese et de le altre scritture pertinenti a la riforma. hora
dicemo a voi che volemo rimetter tutto anche al buon voler
vostro, conoscendovi amorevole figlio nostro et di questa S.
sede. cosi vi raccomandamo F honor et dignitk nostra et la
corte ancora, et nel resto fate quel che vi parera meglio, che
9*
132
X. Abhandlung: v. Sickel.
da noi non resterä mai di adimplir prontamente quel che sarh.
giudicato esser servitio di Dio et beneficio publico. se 1’ arti-
culo de la residentia non si puo finir senza gran contrasto,
facciasi che si rimetta a noi, perche quocunque iure sit resi
dentia faremo che ognuno riseda, non eccettuando ne anche i
cardinali. qnanto al libro de 1’ imperatore ci piacerä che si legga
a i padri, raa si dovera tutto insieme legger le lettere di S. C.
M ta ne le quali si rimette assai a voi legati. volemo anche
che sieno richiamati li vescovi che sono partiti da Trento, a i
quali havemo fatto scrivere noi ancora, et procederemo contra
li disubedienti senza rispetto, poi che essi non vogliono haver
rispetto al servitio di Dio et a noi. se Loreno comparirli,
faccisigli honore, ma se vorra toccare quel che non sara ho-
nesto, non se gli habbia rispetto alcuno. vi esshortamo a perse-
verar allegramente in questo Santo negotio, il buon fine del
quäle dopo Dio riconosceremo da voi et dal cardinale di
Mantua principalmente. Datum Romae.
25.
Borromeo an den Cardinal Simonetta.
Rom. 1562, Oktober S.
Vatic. Archiv, Tom. 51 fol. 53, Registercopie des Ooncepts zu dem zweiten
chiffrirten PostScript. — Vgl. S. 75.
In queste materie di riforme che si hanno da trattare et
in tutte le altre cose che potessero generar dispareri o con-
fusione da la banda de Spagnuoli N. S re dice che saria bene
che voi S r ! legati communicaste i disegni coi nostri confidenti
di quella natione, cioe con Patti, Dertosa, Elna, Salamanca et
quei che a lei pareranno, scoprendo loro quelle cose che saranno
a proposito per far contramina a i disegni di Gran ata et de gli
altri, il che sara a proposito si per tenerli disuniti tra loro, et
si ancora perche essendo instrutti de le cose potranno con piii
fondamento far star a segno gli altri, senza che essi sieno
colti piü a 1’ improviso; et ciö si dovera far tanto piü volen-
tieri, quanto che ci vien scritto che essi prelati mostrano di
desiderarlo grandemente et si sono doluti che per non saper
a le volte la mente di N. S ro , non possono far servitio piü che
Römische Berichte. II.
133
tanto. et quanto a la deputatione de i prelati ehe habbino a
essaminar il libro de 1’ imperatore, so che V. S. 111™ advertira
che sieno nostri amorevoli et confidenti et maxime li Italiani,
et che siano piü presto canonisti che theologi, essendo materia
di reformatione et non de dogmi. la sostanza e che N. S ro
confida assai ne la particular prudenza et circonspettione di
V. S. 111™.
26.
Pius IV. und Borromeo an die Legaten.
Rom 1563, Mai 8.
Valle. Archiv, Tom. 32 fol. 136, Original des Papstes und Tom. 55 fol. 179'—180,
Registercopie der Nachschriften. — Vgl. S. 59 und 79.
Pius papa IIII.
Dilecti filii salutem et apostolicam benedictionem. Vedemo
che la M ta del re Cath co preme assai in questa cosa de la
precedenza et gli par strano che 1’ ambasciator suo non habbi
qualcbe luogo in le sessioni et congregationi. a noi pare con-
veniente che si habbi consideratione a un tanto principe et che
si trovi per ogni modo qualche via di satisfarlo, non preiudicando
perü a le ragioni de le parti ne in petitorio ne in possessorio. et
ne pareria honesto et conveniente quel luogo terzo che vede-
rete per il disegno che con questa vi si manda, ne crederemo
che alcuno habbia a potersene giustamente dolere. questa e la
mente nostra, per execution de la quäle userete mo voi quella
dexterita che vi parerh conveniente, accio la cosa passi piü
quietamente che sia possibile, lasciando protestare a chi vuole
et far ciö che gli piace, purche il presente ordine si exequisca,
come non doverete mancare d’ exequirlo. Datum Romae die
8. Maii 1563.
A li legati a 8. di Maggio in cifra.
Questo ordine di dare il luogo al conte di Luna N. S re
hauera caro che si tenga secreto sin’ al tempo che si hauera,
da exequire et che allhora si faccia 1’ effetto a F improuiso. et
se di tal ordine li Francesi non si contenteranno et vorranno
per cio protestare et an che partirsi dal concilio, N. S re dice
134
X. Abhandlung: v. Sichel.
che le SS. VV. Ill me non se ne curino et li lascino andare piix
presto, che lasciar di fare 1’ effetto sopradetto. il che insieme
con quello che S. S tt propria scrive a la distesa, e tntto quello
che occorre in risposta de la cifra che quelle scrissero 1’ altro
giorno in questa materia. Di Roma etc.
Al cardinale Morone in cifra.
Per la grande instanza che ha fatto il re Cat 00 non e
parso a S. S ta di poter mancare di far dar questo luogo al
suo ambasciatore in concilio. ma S. S ta vuole V. S. lll raa sola
sappia quel che non ho voluto conferire a gli altri legati, et e
bene che si tenga secretissimo, cioe che Don Luigi d’ Avila et
Yargas hanno fatto una poliza a S. S ta sottoscritta et sigillata
d’ ambidui, ne la quäle promettono a nome del re che S. M f l
Cat ca pigliera sempre 1' anni et esporra le forze, li stati et la
persona per defensione et augumento del’ auttorita di S. S t: ‘ et
di questa S. sede et de la religion nostra Cat“. S. S ta ha vo
luto che V. S. Ill ma lo sappia, acciö conosca che non senza
gran causa S. S ta ha fatta questa resolutione, ma come ho detto,
e bene che si tenga secretissimo.
N. S re ricorda a Y. S. IU ma quel che se gli scrisse piü di
sono circa il trovar modo di guadagnare il vescovo di Cinque-
chiese, et se per questo effetto lei gli prometterk cosa alcuna,
dico sin’ al farlo cardinale inclusive, lei puo ben assicurarsi
che S. S ta non mancherk d’ attendergli. Di Roma etc.
27.
Borromeo an die Legaten.
Rom 1563, Mai 9.
Vatic. Archiv, Tom. 68 Nr. 32. Originalhrief. — Vgl S. 58.
IU ,ni et R mi SS ri Oss mi .
Ancor che N. S re habbi fatto scrivere costk molte volte
che in tutte le cose del concilio vuole del tutto rimettersi a le
SS. V V. Ill me et a li padri, ricordando loro solamente ad liaver
1’ occhio a 1’ auttorita et dignita di questa S. sede, nondimeno
—
Römische Berichte. II.
135
hora che si pub in un certo modo dire che habbino a comin-
ciare da dovero le facende, S. S til ha voluto che di nuovo io
scriva, loro il medesimo, dicendo in sostanza che parte per
mozzare le dilationi che necessariamente porta seco il voler
consultare qui a Roma et aspettar risposta d’ ogni cosa, et
parte ancora per mancar di questo fastidio, la S‘“ S. vuole che
le SS. VV. Ill me risolvano per se stesse tutte le cose che le
pareranno convenienti, sapendo che sempre haveranno a me
moria quel che di sopra ho detto. non dico gia che non hab
bino a dar conto a S. S fö de le occorrenze del concilio nel
modo che hanno fatto per F adrieto, ma F haveranno a fare
solamente per tenerla ragguagliata di cio che passa, come
sogliono fare tutti gli altri ambasciatori et ministri verso il
lor principe, et non per affettare alcnna regnla di qni. perb
quelle saranno contente per beneficio pnhlico et particolar con-
tento di S. B ne di exequir da mö inanzi F ordine sopradetto,
et col nome di Dio mettansi drieto a le facende et tirino
inanzi allegramente non ricusando sopra tutto di proponere
tutte le cose, de le quali VV. Ill ,ne SS ne da quäl si voglia
principe o vero prelati saranno ricercate, purche a quelle
paiano convenienti, accioche ogn’ uno conosca la libertä che
S. S u vuole che sia in questo concilio, et il desiderio che ha
di farlo fruttuoso. il che e tutto quello che m’ occorre aggion-
gere a F altra mia qui alligata, dopo essermi humilmente racco-
mandato in buona gratia diVV. Ill me SS™. Di Roma a li 9. di
Maggio 1563.
Di VV. 111™ et R™ SS™
humilissimo servitore
C. cardinale Borromeo.
28.
Die Legaten Morone, Hosius, Simonetta und Navagero
an Borronieo.
Trient 1563, Juni 29.
Vatic. Archiv. Tom. 61 foL 289—293. — Originalbrief. — Vgl. S. 64.
Per esecutione delle lettere di N. S re delli 8. di Maggio
noi ci risolvemmo di dar luogo in congregatione et sessione al
S r conte di Luna, il quäl domandava iusieme d’haver luogo
136
X. Abhandlung: v. Sickel.
alle capelle, nelle quali pretendeva ehe dovesse darseli lo in-
censo et la pace nel medesimo tempo nel quäle si dava a
Francesi. noi per troncar ogni controversia, pensavamo di risol-
vere tutto in un tratto et determinare in un tempo medesimo
et del luogo et della pace nel modo proposto dall’ imperatore,
cioh che due ministri dessero ad amhedue in nn tempo mede
simo et la pace et 1’ incenso. questo pensiero inteso da Fran
cesi commosse molto gl’ animi loro et ne fecero gran risenti-
mento, hravando stranamente di appellatione et di proteste
contra questo concilio et contra la persona medesima di S. B De .
noi intendendo questi mottivi di Francesi et considerando 1’ or-
dine di S. B ne il quäle parlava solo del luogo et non faceva
alcuna mentione dell’ incenso et della pace, iudicammo ispe-
diente di quietar il conte et di ammetterlo solamente al luogo
ordinato da N. S re , soprasedendo dal resto sino a novo aviso
et ad espressa Commission e da S. B no , et cos'i fix esequito et
di tutto fix dato conto particolare a V. S. Ill ma per le lettere
nostre delli 20. et 21. di Maggio. il conte ch’ era gik stato
ammesso alla congregatione et faceva instantia d’ esser ammesso
similmente alle cappelle con 1’ incenso et pace nel modo sopra-
detto, fii causa che noi replicammo a V. S. Ill ma supplica che
ci facesse intendere la mente di S. B ue et, caso che ella volesse
satisfare al detto conte, ne mandasse ordine fermato di sua
mano, si com’ liaveva mandato prima 1’ordine del luogo da
darsi in congregatione. per risposta di questa nostra replica
havemmo la lettera di S. B ne delli 9. di Giugno la quäle cornman-
dava espressamente, che satisfacessimo al conte ad ogni modo,
admettendolo alla capella et all’ egualita dell’ incenso et della
pace; et di piü havemmo lettere di V. 'S. Ill ma del medesimo
giorno, per le quali ella ne commetteva il medesimo et n’ aggiun-
geva che per questo effetto dovessimo eleggere il giorno di S.
Pietro, tenendo la cosa segretissima et in modo tale che nissuno
potesse immaginarsela non che presentirla, communicandola
perö al conte di Luna et concertando seco il modo dell’ essecu-
tione. questi ordini di N. S re et di V. S. Ill ma giunsero in
tempo, che ’l conte di Luna stava per cavalcare in Inspruch
per vedere la M ta C. prima che partisse per Vienna, et per
questo rispetto noi non havemmo molto tempo da concertare
quanto bisognava; nondimeno lo communicammo con detto
Römische Berichte. II.
137
conte. et per quanto egli credeva, noi speravamo che questo
fatto tolto all' improviso dovesse passare con poco romore di
Francesi, come fu scritto a V. S. Ill ma per una nostra lettera
a parte delli 21. di questo. et partendo poi il conte, ne ricordö
che per fuggire i romori facessimo destramente tentare 1’ animo
di Francesi per mezzo del vescovo Cinquechiese, per vedere
se poteva venirsi a questo atto senza rottura. il vescovo conie
da se fece F offitio che si desiderava con Mons r Ill mo di Lo-
rena, et propose prima il primo partito proposto dall’ imperatore
di due paci et doi incensi con due ministri, et non essendo
accettato questo, propose un secondo partito, ciö b che a
nissuno ambasciatore fosse data nb pace ne incenso. ma a
Mons r Ill mo di Lorena non piacque nb F uno ne F altro di
questi doi partiti, et all’ incontro dimandato esso dal Cinque
chiese del suo parere et di qualche mezzo, egli propose che ’l
conte di Luna aspettasse di venire alla sessione sin doppo
finita la messa, o veramente che si contentasse d’ esser F ultimo
di tutti F ambasciatori ad haver la pace et F incenso, dicendo
che a lui ch’ aveva luogo straordinario, non poteva preiudicare
haver la pace et F incenso estraordinariamente, si come all’
ambasciatore laico di Cesare et all’ ambasciatore di Franza non
preiudica che la pace et F incenso sia dato a Polonia et a
Savoia prima che a loro, il che si fa, perche sedendo gl’amba
sciatori ecclesiastic.i tutti in un luogo a parte, si da la pace et
F incenso a tutti loro, et poi si viene alli laici etc. nissuno di
questi partiti proposti da Lorena piaccjuero al Cinquechiese il
quäle, per quanto ci fece intendere, reputava difficile et quasi
impossibile che Francesi s’ accordassero in questa parte con
Spagnuoli. il conte di Luna tornö da Inspruch la sera innanzi
la vigilia di S. Pietro che fü alli 27, et noi legati, come
stemmo occupati in nostre congregationi sino a notte, non
potemmo per quel giorno negociar altrimente con detto conte.
la mattina seguente che fii hieri alli 28, mandammo a visi-
tarlo et gli facemmo intendere quanto haveva ritratto il Cinque
chiese da Lorena, et lo pregammo a considerare gl’ incon-
venienti che potrebbono nascere, se per questo si venisse a
rottura con Francesi; nondimeno ci esibimo pronti ad esequir
F ordine di N. S re a riceverlo alla capella ne i debiti modi ad
ogni suo piacere. il conte mostrb satisfattione della eshibitione
138
X. Abhandlung: v. Sickel.
nostra et accettö di venire questa mattina alla capella, dicendo
nondimeno che ’l doppo pranso verso il vespro sarebbe venuto
a trovarci per risolver meglio tntto qnello ehe fosse dovuto
farsi, et quanto al sospetto ch’ avevamo noi di tumulto ehe
potesse nascere per conto di Francesi, egli ne fece intendere
che credeva che, facendosi 1’ effetto all’ improviso, Francesi
havrebbero taciuto et per questa causa non sarebbero venuti
a rottura. hieri il doppo disinare noi legati fummo al vespro
et doppo vespro vennero a congregarsi a casa nostra li Ill mi
Lorena et Madruzzo in compagnia di qualch’ altri prelati per
li negoci conciliari che hora occorrono, et essendo stati insieme
sino alle 23 höre, il conte non hebbe commoditk di venir altra-
mente secondo il concerto preso la mattina, di che mandö a
scusarsi per il suo segretario senza perö farci intender altro
del suo venire alla capella, per il che noi credevamo che non
dovesse venire altramente. ma quando questa mattina inten-
dessimo a caso che egli era preparato per venire con alquanti
prelati, rimandammo a visitarlo et a dimandare che risolutione
havesse presa; egli ne fece rispondere che restava risoluto di
venire et che sarebbe venuto subbito che vi fossimo stati noi.
sino a questo punto ch’ era gib hora di andare alla messa et
erano molti ambasciatori et gran numero di prelati congregati
a casa nostra per accompagnarne al solito, la cosa era stata
segretissima senza essere communicata a nissuno; all’ hora fü
necessario ordinäre al mastro di cerimonie che facesse portare
una sedia alla sacrestia et facesse insieme provisione di turri-
buli et di preti di fuora via che portassero et 1’ incenso et la
pace, acciö che del tutto fossero le cose eguali, il che non
sarebbe stato, quando il ministro ordinario che serve alla
messa havesse servito a Francesi et un prete di fuori havesse
servito al conte etc. con questo concerto ci avviammo tutti
verso la chiesa, et alla porta di essa trovammo il cardinale di
Lorena et gl’ ambasciatori Francesi, co i quali andammo tutti
alla capella et ne ponemmo a i nostri luoghi ordinarii senza
un sospetto al mondo di alcuna innovatione. poco doppo com-
parve il conte, al cui arrivo il mastro di cerimonie prese la
sedia che stava. parecchiata in sagrestia et la porto in luogo
destinato per il conte il quäle si mise a sedere, et incontinente
cominciö la messa. parve strano ai Francesi questo fatto et
Römische Berichte. II.
13S
ne restarono molto admirati et sospesi et cominciö il cardinale
di Lorena a dolersene con, noi legati et col R mo Madrucio,
esaggerando sopra tutto che si fosse fatto senza dirli pur una
parola et come la cosa fü certo molto impensata, cosi diede
molt’ occasione di ragionamento a tutti i prelati. gli amba-
sciatori Francesi che sono tre, doppo haver fatti molti bisbigli
tra loro, chiamarono il mastro di cerimonie dimandandoli conto
di questo fatto et di quello si dovesse farsi all’ incenso et alla
pace, et inteso da lui ch’ erano parecchiati doi incensi et due
paci, mandorno il medesimo mastro di cerimonie a farne grave
querela con noi legati, et tornarono su le loro bravure dell’
altra volta, con minacciare di appellatione et di proteste, etiam-
dio contra la persona et contra 1’ elettione di S. B ne , et a
questa imbasciata mandatane dagl’ ambasciatori Francesi, sog-
giunse il cardinale di Lorena molte parole simili, dicendo che di
Francia erano venuti mandati espressi di venire alle sopradette
proteste et di esplicar il tutto al synodo, il che era insomma
che essi si sariano appellati et havriano protestato contra Pio
pretenso papa, il quäle essi non havevano per legitimo, perche
dicevano essere eletto simoniacamente et che erano in mano
della regina di Franza lettere di mano di S. B ne che ciö pro-
vavano, et che anco quando fosse stato papa legitimo, non-
dimeno si sarebbono appellati, come di papa ingiusto et
tirannico, il quäle meritava d’ essere deposto per la notoria
ingiustitia che faceva, privando dell’antico suo possesso un re
pupillo et innocente, senz’ haver odita ne intesa la causa sua,
et si sarebbono appartati dall’ obbedientia di S. S u con pro-
testo di non tornar mai, sin che un’altro pontefice giusto non
havesse reintegrato il re loro di quello che hora ingiustamente
veniva privato, et aggiungeva che tutti se ne sarebbono andati,
per provedere ai casi loro con concilii nationali et per quäl
altra via li fosse paruta migliore, se forse non fosse restato in
Trento qualch’ un di loro per far peggio. questi ragionamenti
et simili con molte ambasciate mandate innanzi et indietro alli
ambasciatori di Francia et al conte di Luna durorno fino al
fine dell’ Evangelio con intervento del Pragense et del Cinque-
chiese, che sedono poco lontano a me Cardinal Morone. al
fine volendosi cominciare il sermone et crescendo il romore,
noi legati con li R ml Lorena et Madrutio et con gl’ amba-
140
X. Abhandlung: v. Sickel.
sciatori cesarei et quello cli Poloma ci ritirammo in sagristia,
per piü quietamente considerare qnel che dovesse farsi, et dal
cardinale di Lorena furono dimandati lo ambasciatore Ferrerio
et Mons 1 ' di Sans et Mons r d’ Orliens, et da noi legati fii fatto
dimandare 1’ arcivescovo di Granata, il quäle arrivando ne dissi
ch’ aveva parlato al conte et ne riferiva per suo ordine, che
egli desiderava che si esequissero le commissioni di Roma alle
quali si rimetteva. nondimeno perche per relatione del mede-
simo Granata noi havevamo inteso che ’l conte haveva ordine
dal suo re di non rompere con Francesi, ci parve bene di
andare trattenuti, dubitando forse che ’l conte si ritirasse, et
che tutta la colpa restasse addosso a S. B ne et a noi, come
quelli che cercassimo diseminare rottura. da Francesi alla
presentia de i sopradetti ritirati in sacristia furno replicate le
medesime parole et le medesime bravure di appellatione et
Proteste, et da noi fii risposto sempre modestamente, dichia-
rando che non era ordine del papa ne intentione nostra di far
alcuno aggravio o pregiuditio a Francesi ne di levarli alcuna
preminentia o pi’etendentia loro, ma non si poteva manch sfor-
zare 1’ ambasciatore del re Cath co a cedergli, se non voleva, et
come senza pregiuditio di Francesi si era dato luogo a parte
al conte, cosi poteva darsegli la pace et 1’ incenso a parte, et
questo non poteva in alcun modo preiudicare ad essi Francesi;
il che era chiaro non solo per 1’ ordine espresso di S. B ne et
per 1’ assertion nostra che n’ havressimo fatto ogni testimonio
che fosse bisognato, ma anco per decreto di questo et d’ altri
concilii. in somma non fü possibile che Francesi volessero
quietarsi, per il che doppo molte repliche et contese noi man-
dammo 1’ arcivescovo Granata a dir al conte di Luna che, se
per fdggire questi romore, gli fosse paruto bene che si fosse
ommesso di dare all’ ambasciatori la pace et 1’ incenso, noi ce
ne saressimo contentati; nondimeno ci • eshibivamo pronti ad
esequire le commissioni di Roma ad ogni suo piacere. il conte,
intesa 1’ ambasciata nostra, restö contento che si lasciasse per
questa mattina la pace et 1’ incenso et riserbandone 1’ esecu-
tione ad altra volta, il che a noi piacque molto per la ragione
che diremo appresso. ma perche quest’ atto ne pareva di
molta importantia, noi non volemmo restar contenti alla rela
tione sola di Granata, et perö mandammo il R mo Madrutio et
Römische Berichte. II.
141
1’ ambasciatore cesareo con quello di Pollonia a replicare al
conte a nome nostro la medesima ambasciata mandatali prima
per 1’ Are™ di Granata ; il che essi fecero volentieri et hebbero
dal conte la medesima risposta, et li Francesi similmente si
contentarono che per questa mattina si ommettesse di dare la
pace et 1’ inc.enso alli ambasciatori, purche si ommettesse di
darla a noi legati ancora, di che noi ci contentammo per non
constituire noi medesimi in colpa della rottura ; et con questa
risolutione uscimo di sagrestia et tornammo tutti a i nostri
luoglii, ove stemmo sino al fine della messa etc.
La ragione che, come s’ e detto di sopra, ci ha fatto parer
bene il differir per hoggi di dar la pace et F incenso per fuggir
la rottura, b questa: cioe che noi vedevamo i Francesi con le
Proteste dette di sopra apparecchiate sino F altra volta et vede
vamo che molti padri colti all’ improviso inclinavano a lor
favore, et noi che per tenere la cosa segreta non havevamo
potuto far pratica con alcuno, temevamo che non potesse succe-
dere qualche cosa che portasse cai'rico a S. B ne , di che havemo
hora pensato di assicurarci con i debiti modi, temendo ad
ogni modo che s’ habbia da venire alla rottura, perche il cardi-
nale di Lorena hoggi b stato con noi et doppo essersi essibito
di far offitio con F ambasciatori Francesi per acquietarli, ne
dice risolutamente che non lo spera, et crede al fermo che, se
a loro non si da la pace et F incenso prima che al conte, essi
faranno le proteste sopradette et piü acerbe ancora. da altra
parte il conte di Luna che e stato con noi esso ancora, ne
dice che e risoluto di comparire alla prima messa che si dica
alla presentia di noi legati, il che dovera esser al piii tardi tra
tre o quattro giorni, che cominciaranno le congregationi, et di
voler la pace secondo F ordine di Roma, al quäle non potemo
noi mancare, et vedendo che Francesi mo stiano risoluti di fare
queste loro insolenti proteste, havemo risoluto il detto conte
di promovere di concerto tutti i prelati Spagnuoli et Italiani,
acciocche rispondino alle parole di essi Francesi nel modo che
conviene per discolpa et discarico di S. B ne et delle obbiettioni
che saranno fatte, et speramo che da Francesi in poi non sara
huomo che parli senza la debita riverentia di S. B ne . et dalla
dilatione d’ hoggi havremo guadagnato tempo da fare queste
pratiche con quella destrezza che conviene, et speramo che ne
142
X. Abhandlung: v. Sickel.
debba riuscire quanto si procura a satisfattione et honore di
S. B nc . et trattanto ancora non restaremo (come non ci fosse
alcun rornore) di attendere gagliardamente ai negotii del con
cilio, trattando con la solita dolcezza il cardinale di Lorena et
questi prelati Francesi, a quali non daremo noi occasione
alcuna di discontentezza, et forse che la bontä di Dio inspi-
rarü loro et gl’ ambasciatori a migliore risolutione, che non &
quella che hora mostrano di volere pigliare et li fara conten-
tare dell’ honesto, il che piaccia a sua divina M' ; ‘ che cosi sia.
et a V. S. Ill ma hasammo humilmente le mani. Di Trento alli
29. Griugno 1563.
29.
Dieselben an denselben.
Trient 1563, Juli 1.
Vatic. Archiv. Tom. 61 fol. 296—298. — Originalbrief, bezeichnet prima. —
Vgl. iS. 64.
Scrivemmo hieri a longo quanto era succeduto sopra il
dare 1’ incenso et la pace al conte di Luna et come noi sem
pre s’ eravamo eshibiti di esequire quello che ’l detto conte
voleva secondo F ordine havuto da Roma. dessimo ancora
conto della causa per la quäle stimammo esser necessario gover-
narsi a quel modo per fuggire la protesta contra la persona di
N. S re , per la quäle essendo gl’ ambasciatori del re di Francia
sempre apparecchiati, si metteva a pericolo evidentissimo
1’ honore di S. S* 1 , tanto piü che tutti li amici nostri et anco
del re Cath 00 erano colti all’ improviso, et la loro protesta saria
passata con gran plauso del concilio per essere communemente
stimata etiam d’ alcuni Spagnuoli et princ.ipalmente da Portu-
ghesi la causa del re di Franza in questo caso assai piü giusta
che quella del re Cath 00 . scrivemmo ancora il disegno che have-
vamo di esequire 1’ ordine dato ogni volta che ’l conte havesse
voluto, et le pratiche che si disegnavano di fare, perche
F istesso concilio defendesse 1’ honore di N. S re , quando Fran
cesi havessero voluto toccare la propria persona di S. S til noi
modo c’ hanno deliberato di fare, conforme a quello che si
contiene nelle dette lettere nostre. hora perche il rornore va
crescendo et perche Francesi si sono imaginati, che dominica
Komische Berichte. II.
143
prossima s’ habbia a fare questo effetto, hanno risoluto di fare
questa loro protesta et lunedi prossimo di partirsi per Franza,
con animo di separarsi in tutto dalla cbiesa Romana et far il
concilio nationale et passare avanti con tutti quelli modi che
sapranno et potranno per vendicarsi della ingiuria, che preten-
dono che un re pupillo riceve da S. S t; ‘, minacciando di voler
procedere contra S. B no et venire alla creatione d’ uno nuovo
papa, procedendo per le vie solite a scismatici i quali credono
poter bavere raolte forze unite della Germania, Inghilterra et
altri regni et provintie settentrionali. vedendo ancora che la
maggior parte del concilio intende male questo fatto, et se
bene gl’ ambasciatori dell’ altri principi non si vogliono intra-
mettere tra questi due re potentissimi, inclinano pero piu nel
favorire la causa di Franza, et vedendo che per giuditio com
mune s’ accende un fuoco il quäle bastara per consumare tutta
la Christian itk, et specialmente per portare la rovina totale della
sede Ap c “, et intendendosi ancora dalli nostri medesimi prelati,
dottori et valent’ huomini et affettionatissimi, che si fa una
gravissima ingiuria a questo pupillo, et essendosi presentito
ch’ al concilio pare cosa indegna lassarlo opprimere senza esser
lui citato nfe udita la causa sua, massime che nella corte dell’
imperatore zio del re Cath 00 non b stato fatto simile aggravio
all’ ambasciatore Francese, et similmente in Roma non si e
fatto ove sarä stato piü tollerabile che in Trento. et vedendosi
da ogni parte la calumnia che si da a N. S re che per questa
via voglia dissolvere il concilio et fuggire la riformatione, siamo
stati constretti, prima che si passi piii oltre, rappresentare
avanti gl’ occhi di S. S til tutte le cose soprascritte, et sebene
la bontk et pietk di N. S re et la sincerith delle attioni sue b
nota et approvata da tutti et etiam da essi Francesi sin’ hora,
humilmente pero supplicarla, si degni per sua deinentia accet-
tare in bene questa replica nostra, perche in vero tante ragioni
et disordini presenti et che possono venire et in spetie la
divulgatione nel concilio d’ una scrittura tanto offensiva dell’
honore di S. S t; ‘, ci spaventono talmente che se ’l cielo cas-
casse, credemo quasi, non sarebbe di maggior rovina. a questo
si aggiunge la perdita che si fa di tutte le fatiche et spese
che S. S bl ha fatte in questo concilio, et la speranza che si
era havuta da pochi giorni in qua di poterlo finire fra pochi
144
X. Abhandlung: y. Sickel.
mesi con qualche lionorato frutto et benefitio della chiesa,
mostrandosi il cardmale di Lorena et li prelati Francesi assai
piü inclinati alla speditione di tutti li dogma et reformatione
che per il passato. per le quali cose pensando che N. S re con
F occasione dell’ incenso et pace forse non voglia lasciare che
si disturbi la pace del mondo, ci h parso mandare il presente
corriero con diligentia con animo d’ intertenere con diversi
mezzi di trattare concordia la total esecutione delli ordini dati,
tanto piü che non viene occasione signalata sino al giorno
della sessione, che & destinato alli 15. del presente, se ben per
questo gran mottivo et per non haver ancora risposta da Roma
sopra il capo della quinta dottrina dubitamo assai che non si
poträ fai’e. et se a S. S ta parera bene, come per vero quasi a
tutto questo concilio pare o revocare o sospendere questi ordini
per schiffare tanta rovina di tutta la christianitk et tanti tra-
vagli che S. S tä e per riceverne, havera tempo di rescriverci
et potrk anco con ragione escusarsi con il re Cath co , perche
questi suoi ministri facevano la cosa piü facile, tenendo per
fermo che Francesi fossero per comportarlo con poca offensione;
s’ ancora vorra che si essequisca, sara sempre in tempo et il
re Cath c0 gl’ havera tanto maggior obligo.
Havemo ancora voluto mandare questo corriero con dili
gentia per advertire N. S ro che ’l cardinale di Lorena sta per
ispedire messer Filippo Musotto a S. S t;i con darle ragguaglio
di questi inconvenienti et chiedere licentia di ridursi in Franza.
perö supplichiamo V. S. Ill ma si degni remandare presto la
risposta et far scrivere da quelli ministri regii al conte di
Luna quel che sara deliberato, perche credemo che si penti di
non havere voluto il giorno di S. Pietro la totale esequutione,
dubitandosi di non essere biasimato, sebene 1’ ha fatto per bene
et per differire 1’ evidentissima turbatione di tutto ’l concilio,
pensando poterlo fare ogni volta che gli parerk, per 1’ eshibi-
tione che noi gli havemo fatta, se bene intendemo che li arn-
basciatori Francesi dimane vogliano venire a farci instantia
ehe noi come legati apostolici non possiamo di ragione es-
equire 1’ ordine di Roma in preiudicio del suo re pupillo et in
scandalo di tutta la christianitk senza il consenso di esso con
cilio, il quäle S. S t;l ha voluto et vuole che sia libero et sicuro
et che non sia fatta ingiuria et torto a persona alcuna.
Römische Berichte. II.
145
Et perche pare acl alcuni valent’ huomini che questo sia
ancora di ragione, sarh necessai’io che V. S. Ill ma habbia an-
cora consideratione a questo punto et ci ordini quello c’ have-
remo a fare in tale caso. et per maggior informatione di S.
B ne aggiungeremo, c’ havemo inteso che le proteste apparec-
chiate da Francesi mostravano divotione alla sede Ap ca et al
papato et al concilio et si lodavano di noi legati et de i padri
tutti et lodavano il conte di Luna et il re Cath c0 con rüolta
attestatione di benevolenza, et poi voltavano tutto il veleno
contra la persona privata di papa Pio, come contra huomo
irretito in molti crimini et eletto per simonia et il quäle doppo
1’ elettione ancora havesse fatti altri atti simoniaci, et dicono
estarne scritture di sua mano et esserne in concilio testimonii
fide digni. aggiungevano che opprimendo vedove et pupilli
pugna di directo contra la legge evangelica che commända la
protettione loro et dicono altri particolari, che trattano di
depositione, il che tutto havemo voluto che sia noto a V. S.
Ill ma , accio S. B M possa meglio risolversi a quanto le parerk
ispediente di comandarci. pregando Nv S r Dio guidi bene la
prudentia di S. S ta . alla quäle humilmente basamo li piedi, in-
sieme le mani a V. S. Ill ma .
Di Trento al primo di Lüglio 1563.
30.
Dieselben an denselben.
Trient 1563, Juli 1.
Vatic. Archiv. Tom. 61 fol. 290—300. — Originalbrief. — Vgl. S. 64.
Doppo scritto le altre lettere et serrato il plico havemo
inteso che il conte, di Luna doppo diversi ragionamenti havuti
con suoi Spagnoli et con gl’ ambasciatori cesarei ha risoluto di
volere ad ogni modo instare che domenica sia essequito 1’ ordine
di N. S ro in farli dare la pace et 1’ incenso, conforme a quanto
gli fu promesso da noi il giorno di S. Pietro, et detti amba
sciatori Ces rei sono uniti con lui et faranno la medesima instanza.
et perche il conte ha inteso che Francesi dicano che questo e
motivo del papa et non instanza del re Cath 00 et che per
Sitzungsb. der phil.-bist. CI. CXXXV. Bd. 10. Abh. 10
146
X. Abhandlung: v. Sichel.
questo vogliano f'ar proteste terribili contra la persona di S. S‘%
come si c scritto nell’ altre lettere, per tanto esso conte doppo
alcuni uffici fatti per mezzo de’ medesimi ambasciatori Ces ei ,
per quanto s’ intende, mandara hoggi tre vescovi Spagnoli a
dire al cardinale di Lorena che esso e risoluto di proeurare
F essecutione dell’ ordine di S. B ne , perche cosi e mente del sno
re, et vuol anche dolersi della freddezza di noi legati in haver-
10 essequito, et questo per chiarire che non e motivo di S.
B ne , ma commissione che viene dal re medesimo. di poi farä
dire al medesimo Lorena per li medemi prelati che ha inteso
delle proteste che vogliano fare gl’ ambasciatori Francesi contra
11 papa, aggiungendo che gli pare tanto strano che a pena puo
crederlo. et quanto pur sia, si maraviglia di esso Lorena che
lo comporti et in ultimo protestara che, se Francesi veniranno
a termine alcuno poco honorevole verso la persona di S. B ne ,
che esso sark forzato di rispondergli per i medesimi termini,
non potendo il suo re comportare che sia fatto ingiuria al papa,
padre commune et padre suo particolare, et protestando in-
sieme che il re Chr mo havera co ’l tempo occasione di dolersi
et risentirsi contra di loro che F haveranno appartato dalla
chiesa nell’ eta sua puerile, et concludendo che se bene essi
Francesi partiranno di Trento, nondimeno il concilio non resterh
per questo di havere il suo bon fine.
Questa e la risolutione del conte la quäle perö s’ intende
sark essequita con le debite circonstanze, et in questo gl’ ora-
tori cesarei sono uniti co ’l conte et hanno la causa per com
mune, parendoli che Francesi habbin o torto a non contentarsi
della pace et incenso straordinario.
Noi siamo in gran travaglio per questi intrichi et prega-
remo Iddio che c’ indirizzi et aiuti, et vederemo di differire la
cosa quanto sia possibile et di far trattare accordo per ogni
via. et quando sia necessario che una delle parti resti offesa,
eleggeremo il manco male, ora supplichiamo V. S. Ill ma che ci
facci gratia di farci risponder subbito et particolarmente, et
per non tardar piü il corriere, le basciamo humilmente la
mano. Di Trento il primo di Luglio 1563.
Römische Berichte. II.
147
31.
Zwei Briefe Pius IV. (1 und V) an die Legaten mit
drei Beilagen [II, III, IV).
Rom 1563, Juli 6.
Vatic. Archiv. I. Original in Tom. 32 fol. 163—164. — II. Original ib.fol. 157. —
III. Original ib. fol. 158—159. — IV. Registercopie in Tom. 55 fol. 242'. —
V. hier nach der Originalausfertigung in Tom. 32 fol. 154 und 156. Vgl.
S. 64—68.
Pins papa IIII. j.
Venerabilis frater et dilecti filii salutem et apostolicam
benedictionem. Havemo visto quel che havete scritto circa il
strepito et rumore che si fece il giorno di san Pietro per la
pace et 1’ incenso da darsi a 1’ ambasciatore del re Cat co , et ci
h piacciuto 1’ espediente che pigliaste et crederemo che ’l simile
haverete fatto questa dominica passata, o che il conte di Luna
non sara venuto et che haverete voluto aspettar nostra ri-
sposta, si come era dovere, et ne le lettere vostre promettevate
di f’are, perche dove e pericolo di scisma, s’ ha da far ogni
cosa per evitarlo, et lassar li puntigli, si come commandano
tutte le leggi. canoni et santi dottori. hora la mente nostra e
che voi trattiate la concordia, se si puo havere con buona
volunta di tutte due le parti, et non potendola havere tenerete
la nostra lettera et commissione sospesa sin’ ad altro nostro
avviso, fuggendo tutte le innovationi. et se tutte due le parti
si contenteranno che la cosa si rimetta al concilio, noi ne sa-
remo contentissimi, et questa sara una via di far tacere il
conte di Luna, quando direte che Francesi fanno instanza che
si rimetta al concilio, al quäle noi saressimo contenti di rimet-
tere ancora tutta la causa, se cosi piacesse a 1’ una et 1’ altra
parte, et lo faressimo volentieri non solo per componere questa
differenza, ma ancora per levar noi d’ un gran fastidio, perche
dopo che siamo papa . . . (und so weiter wie Pallavicino l. c.)
Perche questa lettera k un po piü gagliarda di quel che IL
voressimo che fusse visto da altri che da voi et anche con-
tiene altri particolari oltre quello de la suspensione de la pace
et incenso, havemo pensato che sia a proposito farvene un’
io*
14B
X. Abhandlung: v. Sickel.
altra che non tratti d’ altro che di questo solo, la quäle si
possa mostrare a Loreno, al conte di Luna et a chi altri sark
di bisogno, quando vi risolverete di scoprir la cosa: sark ad-
unque qui alligata. et de F altra cioe de la presente si servi-
ranno per dir a hocca senza mostrarla.
III. Noi speramo in ogni modo che questa attion nostra del
haver voluto far dar la pace et incenso al conte di Luna, non
sark stata senza inspiration divina, imperoche, quando ben non
si potesse per F ostination de Francesi venir in qualche forma
di concordia, per il manco male ne risultera che li Francesi per
paura di poter ogni di ricevere qualche affronto simile a questo,
si renderanno piü facili a consentire per qualche huona via a
la espeditione del concilio, del che gik si vedono segni mani-
festi per la scrittura che vederete del Musotto, la quäl desi-
deramo che da voi sia ben considerata. noi non havemo voluto
lasciarsi intendere da lui ne da altri, che diamo questo ordine
di sospendere la cosa de la pace et incenso, ma piü presto gli
havemo parlato acerbamente. et questo a fine che Francesi
condescendano tanto piü facilmente a qualche accordo, nel che
doverete insistere, et anche perche si rendano piü pronti ad
espedir questa benedetta sessione, la quäl noi vorressimo che
per ogni modo si facesse al tempo statuito; con la omissione
che offene il cardinale di Loreno, essendo veramente manco
male passar inanzi a questo modo, che restar piü lungamente
inarenati con si gran scandalo della chiesa di Dio.
Qualchuno ha ricordato per un modo di concordia che si
potrebbe far dare una incensata sola a tutto il banco de gli
ambasciatori seculari et un’ altra poi al conte di Luna, ma non
credemo che Francesi se ne satisfacessero, oltre che ci saria
ancora la difficulta della pace.
E cardinale di Loreno vorrebbe che noi F invitassimo che
fatta la sessione venisse subito a Roma per trattar con noi del
modo di spedir presto tutto il restante: et se ben il Musotto
lo dice come da se, vedemo perö che e mottivo del cardinale.
noi havemo animo, quando il Musotto partirk, di fargli questo
invito, et tratanto havemo voluto avvisarvelo.
Komische Berichte. II.
149
Per fare honore al voto di Vargas il quäle sarii qui alli- IV.
gato, ci e parso mandarlo per staffetta. ne altro occorre di
piü se non che haveremo caro che si tenga secreto piü tempo
che sia possibile tanto a Francesi quanto al conte di Lnna
questa nostra suspensione de la pace et incenso, attendendo
tratanto a cercar di concordar la cosa et scusandovi, se non
vi risolverete ne a fare ne a negare, sopra il non haver ri-
sposta da noi et sopra altri pretesti che sovveniranno a la pru-
denza vostra, et quando poi vi troviate condutti a le strette,
puhlicherete 1’ ordine a piacer vostro. Datum Romae etc.
Pius papa IIII. V.
Venerabilis frater et dilecti filii salutem et apostolicam
benedictionem etc. La mente nostra non fe stata con quell’
ordine che mandassimo di dar la pace et incenso, di voler
preiudicare ad alcuna de le parti, ne manco pensamo d’ haver-
gli preiudicato. se Francesi pretendono il contrario, siamo
contenti che voi insieme co ’l concilio lo intendiate et prove-
diate che a nissuno si faccia torto: et se questi del re Cath 00
fuggiranno questo iudicio, voi ci avviserete, et fratanto tenirete
questo ordine di pace et incenso per sospeso. et faremo ogn’
opera di qua et di la per la concordia et di giustitia non
mancheremo a nissuno. Dio N. S re vi conservi. Datum Romae
die 6. Julii 1563.
32.
Borromeo und Pius IV. an die Legaten.
Rom 1563, August 7.
Vatic. Archiv. Tom. 29 Nr. 3, Original erst von Schreiberhand, dann von
benche el finirlo an bis zum Schluss von des Papstes Hand. — Vgl. S. 30.
111 mi et Rev mi SS. Oss mi .
Tutto quello che le SS. VV. Ill me fanno per resistere a
la intentione et disegni del conte di Luna di tirar il concilio
in lungo, e tanto conforme a la mente et risolutione de la S a
di N. S re che in questa parte la S t; ‘ S. resta satisfattissima et
non desidera altro, se non che facciano come fanno, lasciando
150
X. Abhandlung: v. Sickel.
dire al conte cio che vuole et facendo loro quel che h con-
veniente per finir il concilio quanto prima, poi che cosi ricerca
il bisogno di tutta la christianitk. il quäl rispetto dovera in-
durre le SS. VV. Ill me non solo a non consentire in generale
ad alcuna dilatione, ma a cercar particularmente d’ abbreviar
questa prossima sessione, de la quäle S. S til con molto piacer
suo intende per diverse vie che si poträ fare inanzi la fine del
presente mese et haverh caro che si faccia et che di mano in
mano s’ attenda con ogni celeritk a 1’ espeditione del resto,
procedendo inanzi animosamente senza rispetto di nissuno. et
poi che il conte di Luna non ha rispetto di far prattica con
gli altri oratori de principi per unirli tutti a dimandar la de-
putatione de le nationi contra la volunta di VV. Ill me SS. et
contra ogni dovere, crederemo, che esse ancora s’ aiuteranno
in far le loro honeste contramine, si come noi ancora di qua
non havemo mancato di fare che sii scritto caldamente a li
oratori di Venetia et di Fiorenza, ac.ciö in questo et in ogn’
altra cosa stiano ben uniti con le SS. VV. 111 me le quali perciö
doveranno valersi de 1’ opera loro et anche de F altri oratori,
perche sapemo et siamo assicurati che non mancheranno. con
quello di Portugallo vedemo non esser bisogno d’ altro che di
ringratiarlo et perö se gli e fatto F alligato breve il quäle fa-
ranno presentare con quella compagnia di parole che ricerca
lo stato de le cose presenti. et con questi presidii et (quel
che piü importa) con F aiuto et favore del S or cardinale di
Loreno et del ambasciator Ferreriis anderanno innanzi ardita-
mente, procurando non solo di far questa sessione quanto piü
presto potranno, ma d’ espedire (se possibil sara) tutto quel
che resta, prima che il conte di Luna habbi le risposte che
aspetta di Spagna; impero che se ben da quel re havemo a
prometterci tutto quello che da un principe catolico par suo
si deve aspettare conforme a quello che con molta instanza S.
S t: ‘ ha scritto a la M t; ‘ S. et fatto dir dal nuntio et che il S 01 '
Don Luigi et Vargas lianno medesimamente scritto et repliche-
ranno presto con un’ altro corriero, e nondimeno piü sicuro
partito, che le cose s’ espediscano prima che venga altro, con-
ciosia che il conte non havendo in instrnttione da S. M ta di
far le cose che fa, non procedera perö mai si caldamente come
farit poi quando la S. gli ne davesse commissione, et noi non
Römische Berichte. II.
151
potemo esser sicuri che diversi rispetti mondani non possano
mutare in qualche parte o ritardare la buona mente naturale
che S. M t: ‘ ha mostro sin qui ne le cose del concilio. tanto
piti se fusse vero quel che S. S u ha inteso da qualchuno, cioe
che 1’ imperatore non desideri ne voglia la fine del concilio, che
quando questo fusse, non haveressimo a credere, che fusse
difficile a S. C. M a tirare un re suo nipote in sua sententia.
questo avviso si come S. S til non F ha per il piu. autentico del
mondo, cosi non le pare anche che sia in tutto da disprezzare;
et perche le SS. VV. Ill me possano esse ancora farne il lor
giuditio, mando qui alligata la propria lettera, la quäle b del
dottor Solis. et S. S* 1 dice che quando lor trovino che la
cosa habbi fundamento, tanto piii doveranno avvertire che
questi principi non s’ accordino a tenerci perpetuamente legati
con il concilio aperto et senza speranza ne intentione di finirlo,
et se pur F imperatore b per voler la suspensione, a F ultimo
S. S t; ‘, quando havera fatto quel che puö per finirlo et conclu-
derlo, si contentera anche di suspenderlo per uscir di questo
travaglio, nel quäle S. S t;l e risoluta di non voler stare piii
longamente o per via di finirlo o per via di suspenderlo, se
cos'i vorra pur F imperatore — benche el finirlo e piu honorevole
et piu servitio de la christianita a! che se ha da attendere et
non guardare in faccia a nessuno et truncare tutte le dilationi,
accio non intervenghi impedimento alchuno o intoppo, come
differendo facilmente interverra, consyderati che tutte le dila
tioni ne hanno sempre portato preiuditio; pero fate presto; et
circa la reforma noi reportiammo in tutto et per tutto le cose
a voi et ve le remettemmo plenanamente, accio che per
questo non habbiati a restare di fare una bona et fruttuosa et
presta resolutione di questo concilio a laude et honore di Dio
et di sua santa cliiesa. siammo stati per mandarvi homo a
posta, ma pensiammo che questa basterk et havemmo voluto
scrivere questo di nostra mano, anchora che cl resto fusse in
nome di nostro nepote Mons re Borromeo, et benevalete. di
Roma a li 7. de Augusto 1563.
152
X. Abhandlung: v. Sickel.
33.
Pius IV. an die Legaten.
Rom 1563, August 14.
Vatic. Archiv. Tom. 29 Nr. 4. — Originalbrief von des Papstes Hand. —
Vgl. S. 30.
Pius papa IIII.
Venerabiles fratres salutem et apostolicam benedictionem.
Di novo dicemmo et vi stringhiammo quanto potemmo, cbe
atendiati al progresso del concilio et properati al fine, antici-
pando piu cbe si po la sessione et non guardando in facia a
nessuno, facendo reforme honeste et bone, nel che se siamrno
reportati et rapportiammo a voi et a li patri, sapendo cbe non
fareti se non cose iuste et honeste; et secondo che noi por-
tiammo patientia, cosi dovera ancho tare li altri, et qualunque
principe catholico a 1’ ultimo ne laudara et voi et noi, oltra
che sara cosa tanto accetta a Dio et tanto profitevole a la
christianita, si che andati inanti allegramente, che non ne
poteti fare cosa piu grata. al cardinale de Lorena dareti
ogni honore et satisfattione possibile, che invero le havemmo
grande obligo et ne terremmo sempre grata memoria, et benche
laspettiammo con desyderio, pero se iudicareti che sii a
proposito lintertenerlo un pocho piu per la bona expeditione
del concilio, voi lo pregareti di questo che vi parera expe-
diente, et le darreti linclusa. stavammo per expedire homo a
posta, ma dove sono le lettere di nostra mano, crediammo
che non habbiati bisogno de maggiore sollicitudine. Dio N.
S. vi conservi et ve doni quanto desyderati. Di Roma 14. di
Augusto 1563.
[Aussenadresse von Schreiberhand: Venerabili fratri Joanni
et dilectis filiis Stanislao, Ludovico et Bernardo cardinalibus,
nostris in concilio de latere legatis. — Registraturvermerk:
1563 commune di N. S. Pio IIII. di 14. di Agosto, ricev.
il 19: di spedir quanto prima et di trattener Loreno con ogni
honore.]
Römische Berichte. II.
153
34.
Pius IV. an die Legaten.
Rom 1563, Oktober 15.
Vatic. Archiv. Tom. 29 Nr. 6. — Originalbrief von Schreiberhand mit eigen
händigem PostScript des Papstes. — Vgl. S. 30.
Pius papa IIII.
Dilecti filii salutem et apostolicam benedictioneni etc.
Havemo visto quanto havete scritto, et insieme considerato il
dispaccio del Uelfino et vi dicemo per ultima risolutione, che
debbiate andar’ inante et non guardar in faccia a nissuno et
lasciare protestare a cbi vuole, che a noi basta che habbiate il
consenso dela piu parte de prelati, del che non dubitamo. et
se vi par bene d’ anticipar la sessione con decidere il sacra-
mento de matrimonio solo o con quelli xxi capi di riforma
gia risoluti, fatelo per ogni modo, che havendone noi parlato
con Loreno a lui pare benissimo che si faccia, accid che nel’
avvenire ci resta manco fatica. esso Loreno partira lunedi
ben satisfatto di noi et ben risoluto lui et suoi prelati di fare
quanto voi yorrete, et cerchera esso il fine piii che nissuno.
resta che voi moderiate in maniera le cose, che offendiate
manco li principi che sia possibile, a fine che si possa meglio
andar inanzi et con manco querele. et per questo non si ha
perö a mancar’ a li prelati dele cose che sono honeste come
gia altre volte vi havemo scritto; et doverä lor bastare, che si
confermino i canoni in genere et li concilii antichi et etiam le
legi imperiali, dove ogni cosa e compresa, senza far nuovi
anathemi ne nuove censure, sapendo maxime che noi non semo
per mancare in alcun tempo dela protettion loro, il che gli
potete prometter largamente. noi havemo disputato qua la
materia de clandestini con tutta 1’ inquisitione et tutti i theo-
logi; et tutti hanno concluso che possimus et debeamus et
maxime in quelli che sono di minore eta, intendendo la mi-
norith ne 1’ eth minore di xxv anni, il che si potrih perö
moderar in qualche parte. perö doverete operare co ’l cardi-
nale Madruzzo et con gli altri che vogliano acquetarsi con li
piu, et se vedeste tanta contradittione che vi paresse esser la
cosa scandalosa, la potreste omettere o rimetterla a noi, ma mi-
154
X. Abhandlung: v. Sickel. Römische Berichte. II.
glior sara che concordiate insieme, pur che si possa concordar
presto, si mandano certi brevi richiesti per potervene servire
quando bisognera, avvisandovi che circa il proponentibus
legatis questi oratori catholici qui rimasero contentissimi de la
nostra lettera di Maggio et ne mandorno copia in Spagna; se
ben’ hora se ne fa tanto rumore, perö noi rimettemo la cosa
a voi che facciate insieme con li padri quel che vi pare giusto
et honesto. et quanto a 1’ altre cose che resterebbono dopo
questa sessione, vedete di levar gli intoppi et le cose che allun-
gano, perche ogni modo queste materie sono terminate da altri
concilii et noi sempre potremo provedere. Datum Romae die
15. Octobris 1563.
Monsignori, noi vedemmo che e servitio de Dio et bene
universale de christiani, che si finischi presto questo concilio,
pero usati in cio ogni ingegno vostro et levati le longuezze et
intoppi et impedimenti et non dati licentia a nessuno, se bene
di qua vi fusse seritto; noi confidiamo in voi ogni cosa et
sapemmo che non manchareti; et provedeti voi come vi pare
senza remettervi qua et haveti fatto bene a non da-re licentia
a larcivescovo di Otronto, et revocati li absenti et usati ogni
remedio per liniria una volta.
v - Sickel. Römische Berichto. I[.
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Fase. I., siehe S. 1.
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XI. Abh.: Fr. Müller. Zwei armenische Inschriften etc.
l
XI.
Zwei armenische Inschriften aus Galizien und die
Gründungs-Urkunde der armenischen Kirche in
Kamenec Podolsk.
Von
Di*. Friedrich Müller,
wirkl. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
(Mit zwei Tafeln.)
Die zwei armenischen Inschriften, welche ich sammt deren
Entzifferung mittheile, und die Gründungs-Urkunde der arme
nischen Kirche in Kamenec Podolsk wurden mir am Anfänge
des Monats März d. J. von Herrn Dr. Johann von Boloz An-
toniewicz, Professor der Kunstgeschichte an der Universität in
Lemberg, mitgetheilt. Dieser Gelehrte, ein Armenier aus der
edlen Familie der Boloz Antoniewicz ist mit der Aus
arbeitung jener Abtheilung des von weiland dem Kronprinzen
Rudolf unternommenen Werkes über die Völker Oesterreich-
Ungarns betraut, welche über die Armenier handelt, und hat
infolge dessen alle Denkmäler dieser Nation, welche sich in
Galizien und den benachbarten Ländern finden, zu sammeln
unternommen, namentlich aber die schriftlichen Documente,
welche über die Schicksale seines Volkes Aufschluss gehen
können. Da er selbst des Altarmenischen nicht mächtig ist
und auch unter seinen engeren Landsleuten kein Gelehrter
sich fand, der die von ihm gesammelten Inschriften und Ur
kunden hätte lesen und übersetzen können, so wandte er sich
an mich, mit dem Ersuchen, dieses zu thun, welches Ersuchen
ich mit der grössten Bereitwilligkeit und Freude ihm erfüllt habe.
Da ich nun glaube, dass die beiden hier mitgetheilten In
schriften, sowie auch die Gründungs-Urkunde der armenischen
Kirche in Kamenec Podolsk auch die armenischen Philologen
Sitzungsber. d. plil.-hist. CI. CXXXV. Bä. 11. Al>li. 1
XI. Abhandlung: Fr. Müller.
2
interessiren dürften, so habe ich sie in den Sitzungsberichten
der kais. Akademie zu veröffentlichen mir gestattet.
Ich glaube zu dieser Publication umso mehr berechtigt zu
sein, als Minas Bzskean in seinem Reisewerke über Polen und
die armenische Diaspora 1 diese Original-Urkunden gar nicht
erwähnt.
A) Zwei armenische Inschriften aus Galizien.
Die beiden auf der Tafel I abgebildeten Inschriften stammen
aus Jazlowiec, 2 wo sie an der ehemals armenischen, jetzt grie
chisch-unirten Kirche angebracht sind. Jazlowiec besass, wie
mir Prof, von Boloz Antoniewicz mittheilt, ehemals bis zur
Mitte des vorigen Jahrhunderts eine grosse armenische Colonie
mit einem eigenen Bischof und Gemeinde-Vorsteher.
M. Bzskean (a. a. 0. S. 129) schreibt über unsere Stadt:
| *my fittfgm• l| //f [lhfiuij tfiuitiiii fih | t^^uiij. l.fifiLith
P^nfiutfU uuitfu pfmilfl, jiij fi litPui fiuiifiiiiP mtj tf.mijj hifiiiihoft ^^uijji
uijhfuitfi tj op tuifiuh itfihfl, t. itiiPlini.f~ ‘linijiu fzuitfiit-iP m y tu tun t.fDfi t*h u jiuft—
4""J» 1 b^iuij t nPtitrm// uiliXfih if_tuiniupui'ti, ^jj 'UP 1 tf-iinnutuiifiii t
'hi Hilft- btiffiutfnufuu : |\ ft ui iPtuh uitjfih juipiiffitf "liiiifiiinuftiiinfiii m pb ft ^puiifiupfiti
bfih "['P l ~ ItP* Ch* Iftun-iii.tjfili Jn L m[ j[fitnuiu&-ii ^fiiuffiu—
tflrfiinu Itl. ui tfp.fii. fiu “^«/y tu fiXufhui tf.fi nt. fch Lm tffi :
| ^.Iflriflrtjfiji jiujiifj illi briutf.iifi (V l- Itl. if. Ir iflrtjfi !f lfm n tt t tjL mf fi iflrfiiuj
iftifjlffjttinf.fip pffliij fiujfiiHftpi jintinuh ^Pjitniiuiubrtuh^hffli. tun. ufintf m‘htjttihf
l'"!' ! V„J’ ,,r thp “t'-’i ib 'i 1 -" ’tfr [’ ‘hnijuUif uiliijfili ij\*p[ n, l) ^
Ifbu tffi fi || imflflifiij frt_ [i \fiih- ui ui fi h :
,Jazlowtsha. Ist eine alte Stadt der Provinz Wolhynien
von Polen. Ehemals sehr berühmt, weil in ihr mehrere Völker
wohnten, unter denen die Armenier so sehr überwogen, dass
1 ~^>^tuh ui uf ui fi ^tifi if.ni.ftPfi Pli fi 1 frC^iutiimuh Itl. jiujf tfniftPiuhu phtulflr tufu
ft ^mjlfiu tfiiihtj ul.fil.fiiij fi "fi ui fiPh Ir mtj .ftiutfui pfth 1*«^» tu tffi t* ///y
^iuii if.fr fl X iftiPbui ifufh ptti fi tu Ufi ft tutf tu fi ui l.ifl.lfii tpPL utiPpfi uiit. ^ Wh
h um uij | ff iftf Ir nfhij iftu ft if.m uflr uifi fi iffiifiJf)~ ui fi Ir tuh ni.fuui l~h luii.ttifpi iifiif.fi
f> ^uit. fi fi ui. /Pit Ir in fi ff. 9 fi tfufhu “['fff * j uitfiu ftui., 1330. lKP4f<>‘
8°. 424 S.
2 Jazlowiec liegt in Ost-Galizien, südlich von Bnczacz am linken Ufer der
Strypa, eines Nebenflusses des Dnjestr.
/
Zwei armenische Inschriften aus Galizien und die Gründungs-Urkunde etc.
3
sie viele Privilegien vom König von Polen erhielten, indem sie
ein eigenes Gericht, einen Vogt, 1 ebenso Richter und einen Bi
schof hatten. In der damaligen Zeit waren die angesehensten
in der Stadt die Armenier, welche auch eine Burg erbauten,
prächtige Gebäude und Brunnen mit armenischen Inschriften
aufführten.
Die Kirche der Armenier ist ein grosses und schönes
Gebäude, aufgeführt auf einem prächtig gelegenen Hügel, aus
Stein aufgebaut, auf den Namen der Gottesgebärerin. An ihr
fliesst der Fluss vorüber. Gegenwärtig gibt es dort keinen Ar
menier; denn ein Theil von ihnen ist nach Lemberg, ein Theil
nach Kamenec und nach Sniatyn gezogen/
Die grössere Inschrift (I) befindet sich auf einer Stein
tafel über dem Hauptthor der Kirche, während die kleinere In
schrift (II) ebenfalls auf einer Steintafel über dem Seitenthor,
unterhalb des offenbar erst später zugebauten Glockenthurmes,
angebracht ist.
Obwohl die Inschriften von einer des Armenischen völlig
unkundigen Person copirt worden sind, so sind die Copien doch
so beschaffen, dass sie von Jedermann, der eine genaue Ivennt-
niss des Armenischen besitzt, ohne grosse Schwierigkeiten ge
lesen werden können.
Die grössere Inschrift (I) lautet:
DllD'l X'ßWJ Will DlW.tiKl,
vilVl.DKl» UPIMK» Uo'UoG/Ki, 1)1 LS
un.'Uui' (i‘) iD f-piLKi, 4- i , ;i» , i' wen)
mjimii'FF o.wAO'p. <i>r
iiüki» 1'in i‘irm'D'iA kmiiiu ijikj
irniG,'P>
ITi»
4l\S lJ'UKii PUIFDUK AIDUOll
Ul* cl'll'IJl
»1 I* l“l'Ki, P'i.l'lil'U 1'
i
*
1 Polnisch: icojt.
4
XI. Abhandlung: Fr. Müller.
(iVo'UIJK) l j»r*(b) IVI'1‘1,
‘N'EKSFl,
8(n)'Uir-Vi»b(u) <K<HrL
unrFi,
Auf der Inschrift beginnt die erste Zeile mit
‘I und die zweite Zeile mit wo augenschein
lich das (J an die Unrechte Stelle gerathen ist. Statt
(}l'l, liest man auf der Inschrift i.'iMfi.r.bi, nvii'o'i.iM,
in der zweiten Zeile kann nichts anderes als r. vr.o'i/Fi,
sein. Der Name in der letzten Zeile kann nur
gelesen werden, da unter den mit (j(II)'l beginnenden
Namen nur dieser passt.
Die Uebersetzung lautet:
,Diese himmlische Kirche, auf den Namen der heiligen
Gottesgebärerin, wurde vollendet im Jahre 1000 der Zeitrech
nung der Armenier (= 1551). Damit sollen mit der Erbarmung
und den Gnaden des Erlösers die Räucherungen des Weihrauchs,
das Leuchten der Lichter dieser Kirche ohne Unterbrechung
sein. Von der versammelten ganzen Gemeinde, den von aussen
Kommenden und den Einheimischen zusammen, soll lustig und
fröhlich sein das Eden des Gartens. Der Erzpriester Johannes
war es, der diese (Inschrift) eingraben liess (oder verfasst hat?)/
Bei näherer Betrachtung der Inschrift zeigt es sich, dass
es ursprünglich Verse sind, welche aber jener Mann, der die In
schrift für den Steinmetz niedergeschrieben hat, nicht verstand
und verballhornte. Der ursprüngliche Entwurf der Inschrift
mag nach meinem Dafürhalten gelautet haben:
J ijLljftll l//y« l. [llfhn,jff 1,
jiuhntUi 111 «V/// fl"/t
Ifiumtupbji il [3 nutuffti/lijfh:
flinp ifin'/i^t ftS/i/jnij jrit iji/rii *//£>
hljl-ll JH Hill ^ 111111 ißtlföl !
jlllllf/. lllf ^ Hl L111II111 £1 fi ni^lltjjl^1Jih
l. IftUlJ ^hllllfttltj ft lljlllltlflll
t' L C l lC ,U Lb ibäb /{-(Iiufuiti iniffS/i:
■ tulthl~n L pty t^b-nr^ iinpfffr *
Zwei armenische Inschriften aus Galizien und die Gründungs-Urkunde etc.
5
Wegen der Aehnliclikeit der Composition vergleiche man
die Inschrift am Kloster (*y." A (später ||'"yv / uut t) in der
Krim, das im Jahre 1338 erbaut wurde, bei Minas Bzskean
a. a. 0., S. 324.
Die kleinere Inschrift (II) lautet:
fT'Ubr'in j'KiraKb'iu'r |
•iinii^hrjvK4in'( > iiHnDdii'‘i'
(IKidMTnirh'lU'CiM 1J1 l*U> II
d. i. mit Auflösung der Abkürzungen und Abtheilung der Worte:
G(h)e\(u)s(u)ii ‘i'fiHi'i» ('injn* ‘MiMfl'irdrii) um*
(l)l‘)(‘(U)l»(U)ua‘) SMIMM*. u(ll)['(l') F
ai* iMiijCiDi» wraKi» mut n
(ih v.bVJK iiiM.'ßKi, finiuih rj’K4iruiMiMrKi,
ih“hiki, imti» iphuwih jd, r.v muhmum
Uebersetzung:
,Dieses Thor ist das Andenken ganzen Glaubenseifers.
Kalk gaben wir dazu eifrig und freudig; zwei Pferde zogen
den ganzen Sommer Stein und Sand herbei. (Deswegen) er
barmt sich Gott des Herrn Michael, des Sohnes des seligen
Schalhmarum (Sah-Marum?) aus Musul (?)/
ist das polnische pan. Das vor dem Worte U'HI (Sh
stehende Zeichen kann nichts anderes als ein Kreuz sein. Der
obere Strich ist offenbar weggefallen. ||] JIIMJ'1' = ||‘l JlfMDl*-
B) Die Gründlings-Urkunde der armenischen Kirche in
Kamenee Podolsk.
!'</" f" r h tu iPtlttJ l.U ^111IIIII lll IIIII l[) L tllllA jl h aL tt III t^JtJt L
"r'l 'tJ ^ [unu Pl nuujL t j[i y///y///y_f/ "P"/ IfnUuittiiF “ imuiu^ft mj tj y[pn y#/////
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innt<yL» Lu lujtLtF uip i jti^ti//ß/ T ii ’ uyiy)/. "[/' tutP ptununtutj Lu int-jjn[uiutj
1
ttfiif i iij.
2 Neuarmenisch = *»"'"■ •
3 t jnt[^tni/li^ //•
6
XI. Abhandlung: Fr. Müller.
lligfiiuip^fi bt. fi ‘itl.ptfb tu ^ r/-///iPtubtutpt ^ntpbt-iip tntt ittf^lnrptp /; ’h iti^itt'li^-
tffm ^ bt. t/Inj- tfuinit npnj fu nu ui mp b tu£ t;f ^ffhbp bt^btjbpfi juSlintbh uppttpt
*I*f* ff tu ipujnufi up uih^bpu tp tipb~ ^lujpuiiijb tnffli. bt. utjctiP tuj tu n. lufPhnp rp nt.f3~pli
jutltlf bfbtup fjtuiiiutpbpuir.. b t. btt ptttn fit tut tu iPtbl/h ftPtn.tP ^ttfftpbpf ^ utj
bt. pit.uuu.n.p^[3t up tuf3 tut rtjh bt. tu n. tttf^Ii ttprj.fi ^itu^tiilil^ftn. bt. tu tj tu tu
/pit.uin5tbiP 0 ft tPtiip tflt tu t. np tu t r p tt/htj ■ ^ ttp ft^[utuhnt ftbft pttbhft np infipt;
ttp tu tu T^tu pfut btf bt. n£ fuP uitit-lili bt- n£ fttP inrpuj m pi. btl u£ tujputj —
tpiulpuh^g n£ ^btt.iui.tip bt. tt£ tfbp&tutnp bt. ntf np jiulupipiifi bt. tnfpnt-ftbf
Iput U/h tuj um *hbj tiiit.tii t; bt. ufhfpiut. f jtutP ipiuinuiuiniiiii, bt. innutpiuiiii
unutjb ^ntpbt np bt. tPup iflt tu t-tip tpiuiuuittipiiitj. bt. tun.pt; tjiiflit;\uh tj utj
bt. l J" f’ iuti.iu^pbpiijli bt. tj ^ tttjp tu ly b tu ttiijh • tffi'itft* tujtt up pk
Ul tu "C ,//" r tjuu inlpiiijh hu // tutP t jtutppuilpt/hturjh ‘P^ tfo'f*' ^ rt
utut-pfjth iptut.ttiltiii.f3~ph jjihfi • bt. ptt-tt tu t.nppflt tu f3~ ttn.trfh *^?/ tu tj tt/lt tp iß h f-
‘fttu f J ^tulttj f ptu3~fiit tun/htu. ft 'jbl^bijbijnjli ® tPuttttpi ^ ttp pltttilptiti bp[;tj
‘ff *UJL n £_ mfptu.f3~f tun*hl; bl^b rjjrpttflt: ^ tpu.f3~p up bt. tup r/ uih tu tu t. tu ui
•Hl'Vh "bp ,uu,n u[ u'tu tu ^ bpuih. -^.pbtjtui. Iffpu ft p-lfftt ^titjiirj u^fitf;,
ft iPuptufi uiiPinij fi fib Abn.tutPp tfiftjjiupm fipfitjtu. ü uin-uiffji •••'' l" r ",i ■
Uebersetzung:
,Dies ist die Urkunde meines Willens und der festen Ent-
scldiessung meiner Person Sinan’s, des Sohnes Chuthlubej’s. Zu
diesem Zwecke stelle ich aus vor Gott diese Schrift dem Sitze
des ,Erleuchters‘ und den Vorständen dieses Landes, wer immer
da ist. Und jetzt ist Herr Johannes Erzbischof des ganzen
Landes der Russen und Lechen und in gegenwärtiger Zeit der
geistliche Vorstand dieser Provinz und auch von uns. Deshalb
habe ich gelobt eine Kirche zu erbauen auf den Namen des
heil. Nikolaus, des wunderwirkenden Patriarchen. Und dieselbe
1 r hh[,li„,j.
'frrijJiii.
3 < hnt-fi pbtjft.
* *htu/ ) tultippii.
3 Neuarni enisch = ""ui>h,r.
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8 ijb^(bt/bijt.tifh•
'* — b IpiiiPtuttiijli 9
10 b b tjbtjl ttfh.
11 L vhi"'-
Zwei armenische Inschriften aus Galizien und die Gründungs-Urkunde etc.
7
wurde jetzt mit der Hilfe Gottes fertig gestellt und vollendet.
Und ich habe sie gemäss meinem Gelöbniss Gott, dem heiligen
Stuhle des ,Erleuchters‘ und dem Vorstande dieser Provinz als
Gabe dargebracht. Und ich mache sie frei von allen weltlichen
Herren; Niemand soll die Gewalt haben über diesen heiligen
Tempel Herrschaft auszuüben, weder ich noch mein Haus und
auch nicht meine Kinder; und auch kein Fremder, weder ein
ferner, noch auch ein naher und wer sich erkühnt und Herrschaft
üben will, der ist ein Lügner und Ungerechter vor jedem Ge
richt. Und er wird btissen vor den geistlichen und weltlichen
Richtern. Und er wird auf sich laden die Flüche Gottes und
der heil. Apostel und der Patriarchen. Jedoch nur dann, wenn
es stattfindet, dass einer von meinen Nachkommen oder Lands
leuten Geistlicher wird und dem Glaubensbekenntnisse des ,Er-
leuchters* anhängt und dem Sitze des ,Erleuchters‘ unterthan
ist, da soll er aus dem Bergwerke, aus den Einkünften der
Kirche einen Antheil empfangen, wenn er nämlich ein einhei
mischer Priester ist, aber keine Plerrschaft über die Kirche aus
üben. Unter der Zeugenschaft Gottes und glaubwürdiger Zeugen,
welche hier anwesend waren, wurde diese Urkunde geschrieben
im Jahre 847 der Zeitrechnung der Armenier (= 1398), am
25. des Monats März von der Hand des Priesters Philippos, vor
meinem Herrn/
Das Original der mitgetheilten Urkunde befindet sich
im Archiv der betreffenden Kirche aufbewahrt.
Man vergleiche dazu die Beschreibung der Kirche zum
heil. Nikolaus bei Bzskean a. a. 0., S. 136 und besonders das
■ nnt-pfi S. 140. — Der Verfasser bemerkt
darüber: yr n L n U‘ll'l 1 iV' /.^/.y/.//'7/ 'V7'y/ / '
i r „ l ujjn„[, .• dort steht an der Spitze der Stifter, welche aufgezählt
werden, tuh-ul^t Iru piu[ilru£iu£in nft *l| tuftitlß Jtbtuli . . . tifftiiui-
#i/y// /y.; iniu'£m pu jt juflinult iippiijh ijiujniifi nJ^iuhsJ,^ju‘f-uf>&' 11 f-
; Ein gottgeliebter frommer Mann, Namens Baron
Sinan . . . begann zu erbauen diesen heil. Tempel auf den Namen
des heil. Nikolaus, des wunderwirkenden heil. Patriarchen. 1
Der Name Sinan, Sohn Chuthlubej’s (dXjjL'jä), darf an
einem christlichen Armenier nicht auffallen. Offenbar stammte
der betreffende Edelmann aus einer Familie, die nacli der
sechsten Einnahme Anis im Jahre 1239 in das Gebiet von
8
XI. Abhandlung: Fr. Müller. Zwei armenische Inschriften aus Galizien etc.
Astrachan (IV mf-jt jii tuh ) sich geflüchtet hatte (vgl. Bzskean,
S. 83, 397 ff.) und später nach Polen gezogen war (Bzskean,
S. 86 ff.). Bekanntlich gibt es eine Reihe von armenischen
Drucken in der sogenannten türkisch-tatarischen Sprache; auch
zahlreiche Handschriften dieser Art werden in den armenischen
Bibliotheken, so z. B. bei den PP. Mechitharisten in Wien, auf
bewahrt (vgl. Bzskean a. a. 0., S. 88).
In Betreff der Form dieses Schriftstückes vergleiche man
die Urkunde bei Minas Bzskean a. a. 0., S. 104—105: «y«
Ijiuifmtj U u ^mummnj l; . . . »Y' mnnup ijiujii mmnj ij.fipn' z/yz
nufuinfr ijutg tjuiuh »y» |' <V /// cVV/ffh. Lu yfä* Lfj ///^ nif m pmtjiupn, ^umjiu —
ij-iuutuii /y» | nuu uti_zyz£ [ih tu<.jiffhmi-^ili • . • /y/ jusjutF ^lr ml- zy dirjt njtrj.fi ^ y
tj.nutimji f /y lrrjp.tujjt f nj ii/tjtj /y fd muh f y iiijiij. y // y / yz //// ifdft r 7/ /yz m tuhldh } <//y^
ufl/u[i/_h juttuhlFh ft tfL jim fr ijtr ijuiijh IjtutP m ptu^ft fjnnf' miuhnum juutj
ljuuF ft tfbjiin Irljlr y/. yyy phjfttj, nif iiji jtuh ij.tjjifi IjmtP ^ tu tuhl- ^
*lim tut um /- juiif* ij .mmmtimufli f fiu itjmmd-fi, jzizy /rz. ft iiji Irljlr ijLijnj fiu
[, zy- mKmVlt&i Ir, (, #y» zzzzi-zzzyz/y/>zy// , JI{" , [ C ^ [ ! “[) ' miiihiiumjiiuiji
Fß. Mü’LLER. Zwei armenische Inschriften aus Galizien etc.
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I. Inschrift über clem Hauptthor.
Sitzungsb. d. kais. Akad. d. Wissenscli., pbil.-hist. Classe; CXXXV. Bd., 11. Abk., 1896.
II. Inschrift über dem Seitenthor.
Fr. MÜLLER. Zwei armenische Inschriften aus (lalizien etc.
Taf. II.
. . JV.i . ...
Tt
UjU/ttiM~-, h- u-i«fdäui^JO-^i
|f |.|vjQ%nri,ik < uüt/*ltuhffUuU~*fbarijuiuS<?-
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i-untt-nfH.
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Die Griindungs-Urkuncle der armenischen Kirche in Kamenec Podolsk.
Sitzungsb. d. kais. Akad. d. Wissenscb., phil.-kist. Classe, CXXXY. Bd., 11. Abh., 1806.
II. Abhandlung: v. Rosthorn. Confucius, logge, Kuhnert.
XII.
Confucius, Legge, Kühnert.
Ton
A. von Rosthorn.
Uer CXXXII. Band der Sitzungsberichte der kais. Aka
demie der Wissenschaften enthält eine Arbeit des Herrn Dr.
Fr. Kühnert über die Philosophie des Confucius, 1 welche nicht
verfehlen kann durch ihren Inhalt und ihre Form in sinolor
gischen Kreisen Aufsehen zu erregen.
Indem ich dieselbe im Nachstehenden einer eingehenden
Besprechung unterziehe, glaube ich einer doppelten Pflicht zu
genügen. Ich hoffe der Wissenschaft einen Dienst zu leisten,
und ich glaube es meinem verehrten Lehrer Herrn Professor
J. Legge schuldig zu sein, den gegen ihn gerichteten, mehrfach
in verletzende Form gekleideten 2 Angriffen entsprechend zu
begegnen.
Wenn Herr Dr. Kühnert es für befremdend erklärt, dass
,man £ über eine Lehre oder Theorie aburtheilt, obwohl ,man £
eingestehen muss, sie nicht zu verstehen, so muss für den nicht
Eingeweihten hinzugefügt werden, dass hier eine Entstellung
der Thatsachen vorliegt. Legge urtheilt über die in Frage
stehende Lehre nicht ab, sondern er bemüht sich sie zu er
klären, und wenn er gelegentlich sagt, dass ihm dieses oder
jenes nicht völlig klar geworden ist, so ist dies eben eine be
scheidene Wendung, welche den Nestor der Sinologie, der
1 Die Philosophie des Kong-dsy (Confucius) auf Grund des Urtextes. Ein
Beitrag zur Revision der bisherigen Auffassungen. Von Dr. Fr. Kühnert,
Sitzungsber. der kais. Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Classe,
Bd. CXXXII. Wien, 1895.
2 Siehe z. B. Fussnote 2 zu Seite 33 von Herrn Dr. Ivühnert’s Abhandlung.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXXV. Bd. 12. Abh. 1
2
XII. Abhandlung: v. Rosthorn.
seinem Fache seit mehr denn einem halben Jahrhundert
lernend und lehrend obliegt, vortrefflich kleidet. Echtes Wissen
ist stets mit Bescheidenheit gepaart, und wo Eigendünkel die
Feder führt, kann man sicher rechnen auch auf Unwissenheit
zu stossen.
Der Titel des Werkes ist geeignet irre zu führen. Da
Confucius seihst kein philosophisches Werk geschrieben hat,
und da er nach eigener Aussage nicht schuf, sondern nur über
lieferte, 1 so ist es schwer die Grenzen zu definiren, welche
seine Philosophie umschreiben. Man thut indessen Recht daran,
als directe Quelle für die Kenntniss seiner Lehre zunächst
nur diejenigen Aussprüche heranzuziehen, welche von den An
hängern des Weisen bald nach dessen Tode aufgezeichnet
wurden und als solche gekennzeichnet sind. Dieselben
sind unter dem Namen Lun yü, ,Gespräche und Aphorismen',
bekannt und von James Legge im ersten Bande seiner Chinese
Classics herausgegeben und übersetzt worden. 2 Dem Lun yü
schliessen sich in diesem Bande, dem chinesischen Usus gemäss,
das Ta hsio und das Chung yung an, — das erstere gewöhnlich
Tseng tsi, das letztere Ts'i Ss'i zugeschrieben. Jener war ein
unmittelbarer Schüler, dieser ein Enkel des Confucius; und
obsclion, wenigstens hinsichtlich des Ta hsio, die Urheberschaft
einigermassen strittig ist, so fallen doch beide Werke, sowohl
der Zeit ihrer Entstehung, wie ihrem Inhalte und ihrer
Tendenz nach, mit den ,Gesprächen' hinlänglich zusammen,
um als echte Producte confucianischer Philosophie gelten zu
können. 3 Eine Beurtheilung der Philosophie des Confucius
hätte sich demnach in erster Linie an die Analects zu halten,
dürfte aber in zweiter Reihe auch aus dem Ta hsio und Chung
yung schöpfen. So haben es Alle gehalten, in China wie in
Europa, welche über den Gegenstand handelten, von Legge
angefangen bis auf Dr. Rudolf Dvorak, dem wir .neuestens
eine recht verdienstvolle Arbeit verdanken. 4
1 äb ffn ^ fä Ch - C1 - 15<J -
2 The Chinese Classics: with a translation, critical and exegetical notes,
Prolegomena, and Indices. Vol. I. Hongkong & London. 1861.
3 Ch. CI. I. Prol. 27. 36.
4 China’s Religionen. 1. Theil. Confucius und seine Lehre. Von Dr. Rudolf
Dvorak. Münster i. W., 1895.
Confucins, Legge, Kühnert.
3
Dr. Kühnert allein macht eine Ausnahme. Für seine
,Philosophie des Confucius auf Grund des Urtextes' ist nicht
nur das Ta hsio allein genügend; sie beschäftigt sich überhaupt
nur mit der Analyse von vier Seiten der Legge’schen Aus
gabe (S. 220—223).
Der Text dieser vier Seiten gliedert sich in sieben Para
graphen und diese wollen wir nun der Reihe nach betrachten.
»•* m z m. * m m i.« a *it k
ä *o
Legge: What the Great Learning teaches, is — to illustrate
illustrious virtue; to renovate the people; and to rest in
the highest excellence.
Kühnert: Der Plan der Philosophie besteht in der Erhellung
schimmernder Tugend (= Geistesfähigkeit, Geistesha
bitus), in der Volkserneuerung (= Verwandtschaftlichung),
(d. i.) im Standpunkte auf der höchsten Vollkommenheit.
Die Legge’sche Uebersetzung ist als wörtliche Wiedergabe
unanfechtbar. Ich kann jedoch dem Schüler Legge’s (wer er auch
sei), dem Kühnert (S. 51) eine Rüge ertheilt, nur beipflichten,
wenn er sagt, dass die Etymologie der chinesischen Wörter in
den meisten Fällen nicht genügend festgesetzt sei. Man braucht
nicht nach China zu gehen, um die Erfahrung zu machen, dass
die Wörter einer Sprache, insbesondere Abstracta, zu verschie
denen Zeiten und von verschiedenen Schriftstellern in sehr ver
schiedenem Sinne angewendet werden. Nur ein ideales Wörter
buch, wie wir keines besitzen, vermag der Ideologie einer
Sprache annähernd gerecht zu werden. Im Chinesischen ist die
Vieldeutigkeit der Wörter noch weiter gesteigert durch den Um
stand, dass die Unterscheidungen von Nomen und Verbum, sowie
Tempus, Modus und Numerus, am Worte selbst äusserlich nicht
gekennzeichnet sind. Wer sieh eine Vorstellung davon machen
will, wie vielerlei und wie verschiedenes ein einziges chinesisches
Schriftzeichen bedeuten kann, der lese den Aufsatz über das
Wörtchen jH) tao in Watters’ vortrefflichen Essays. 1 Es wäre
zu wünschen, dass wir mehr Monographien dieser Art hätten.
1 Essays on tlie Chinese Language, by T. Watters. Shanghai 1889,
p. 152-2+4.
1*
4
XII. Abhandlung: v. Kosthorn.
Wenn demnach die Auffassung, und damit die Ueber-
setzung, einer Stelle von jener Legge’s abweicht, so braucht
sie darum noch nicht falsch zu sein. Wären die alten Texte
so klar, wie Kuhnert sie hinstellt, so gäbe es keine Commen-
tare. Man kann aber kühn behaupten, dass die Commentare zu
den fünf Classikern diese an Umfang wohl tausendfach über
treffen. Vorausgesetzt, dass eine Interpretation den gramma
tischen Anforderungen und dem Sprachgebrauche entspricht,
wird man sie zu berücksichtigen haben, und es wird dann der
Zusammenhang und die innere Wahrscheinlichkeit darüber ent
scheiden, welche Auffassung die annehmbarste ist. Man darf
aber nicht dem Sprachgebrauch Gewalt anthun, um eine Pro
position in das System subjectiver Anschauungen zu zwängen.
Mit anderen Worten, die Interpretation muss durch Belege ge
stützt sein, und zwar durch Belege aus der Literaturperiode,
welcher das Werk selbst angehört.
Der Titel des Werkes recapitulirt, dem Usus des Lun
yü gemäss, die einleitenden Worte des Textes. Der Ausdruck
Ta lisio lässt verschiedene Auslegungen zu, nur die eine von
Kuhnert beantragte nicht. Die Chinesen haben eine ausge
dehnte philosophische Literatur, aber nirgends wird die Philo
sophie als solche Ta lisio genannt. Man findet ^ tsi lisio
oder 3|Jf li lisio (das letztere insbesondere für die Natur
philosophie der Sung Dynastie) so angewendet, aber niemals
ta lisio. Ta lisio, oder richtiger üti hsio, bezeichnet vielmehr
in erster Linie eine Schule. Es war die höchste Schule im
Staate. Hier erhielten der Erbprinz, die Söhne des Kaisers,
die legitimen Söhne der Fürsten und obersten Beamten, kurz
alle, die bestimmt waren den Regenten zu umgeben und in
administrativen Functionen zu vertreten, ihre letzte Ausbildung.
Die Erziehung war vorwiegend moralisch; die Pflichtverhält
nisse in einem patriarchalisch gedachten Staatshaushalte standen
im Vordergründe, und als wichtigster Grundsatz wurde gelehrt,
dass die Manifestation der Tugend von oben herab einen
regenerirenden und harmonisirenden Einfluss auf das Volk
ausübe. 1
1 Vgl. Biot, Essai sur l’histoire de rinstruction publique eu Chine, Paris
1845, Mein. I, par. 2—4, und Plath, Ueber die Verfassung und Ver-
Confucius, Legge, Kuhnert.
5
Es stellt nun nichts im Wege, dass man, statt Ta hsio als
,liohe Schule' zu fassen, darunter, wie Legge, das verstehe,
was in derselben gelehrt wurde, also etwa ,die grosse Lehre'.
Lässt doch unser Wort ,Schule' dieselbe Auslegung zu. Meiner
persönlichen Auffassung entspricht jedoch die erste Version
besser. Die Uebersetzung von tao wird von der Auffassung
des Vorhergehenden abhängen. Es ergiebt sich für uns unter
den vielen Bedeutungen des Wortes die Wahl zwischen Princip,
Methode, Inhalt, Ziel. Die Substitution einer dieser Bedeu
tungen für die andere hat indessen auf den Sinn des Ganzen
wenig Einfluss. Wir können also sagen, dass der vorliegende
Paragraph eine Definition ist dessen, worauf der höchste Unter
richt abzielt und was das höchste Wissen ausmacht.
Es besteht a) in m m ti- Hing hat adjectivische Grund
bedeutung; das erste ming verbale Function. Als Adjectivum
bedeutet es ,leuchtend (jjf! }, hell', und in übertragener Bedeu
tung ,deutlich, offenbar (= conspicuous, distinguish-
ed)'. In verbaler Anwendung ist es entweder factitiv ,etwas
klar und deutlich machen (jjf; BJJ manifestiren, an den Tag
legen)', oder es bezeichnet den Zustand der Klarheit ,etwas
verstehen'. Es liessen sich noch verschiedene Abschattungen
hinzufügen, die sich ohne Schwierigkeit von den obigen Bedeu
tungen ableiten und auf dieselben zurückführen lassen. Te in
seiner allgemeinsten Bedeutung ist ,Können, Vermögen', dann
die Summe der Vermögen, ,Charakter', und so gebraucht es Han
yü, wenn er sagt ,es gebe einen guten und einen schlechten
Charakter'. 1 Der Sprachgebrauch hat jedoch die Bedeutung
von te ebenso eingeengt, wie jene von tao, ,Princip' =
,gutes Princip' (IHE [ unprincipled), oder von 3j§l li. .Vernunft',
welches in nicht-wissenschaftlichem Sinne, wie bei uns, die
Unvernunft (Ijl! J oder ^ |) ausscliliesst; und man wird daher
te, wo es nicht besonders qualificirt ist, stets mit,Tugend' über
setzen. So übersetzen es Alle, von Legge bis auf Dvorak, und
waltung Chinas unter den drei ersten Dynastien. Abh. der k. Akad. der
Wissensch. München 1865, p. 533 ff. Auch Chu Hsi’s Einleitung au in
Ta hsio.
1 Han yü, Yuan tao. Zottoli, Cursus. Litt. Sin. IV., p. 3*26 Sfr»
6
XII. Abhandlung: v. Rosthorn.
so ist es meines Erachtens hier zu übersetzen. Es Hesse sich
gleichwohl, vom Standpunkte der Sung Philosophen, über diesen
Punkt noch mit Kühnert reden; aber seine Auffassung von ming
ist ganz verwerflich. Er schiebt diesem Worte die Bedeutung
von ,noch nicht da, hervorleuchtend also kommend wie in 0JJ
^ morgen = der morgige Tag, BJj = nächstes Jahr'
unter (S. 7, Note 3), und erläutert dies (S. 51) wie folgt: ,Nach
dem das Heute, als Einheit, schon im Ablaufe ist, bin ich der
kommenden Einheit, dem ,morgen' schon näher gerückt, es
leuchtet oder schimmert diese kommende Einheit gleichsam
schon in die laufende herein.' Das heisst doch einer Schlange
Füsse geben (Ä ftg ffi Ji) ! Der unbefangene Leser, auch
der Nicht - Sinologe, wird erkennen, dass diese Erklärung,
statt die Sache zu erklären, sie verdunkelt. Für m % und
fjjj 4^, heute sehr gebräuchliche Ausdrücke, kann ich gleich
zeitige Belege nicht finden, wohl aber für ming ji. 1
J'i ist erst die Sonne, und dann auch der Tag; ming ji daher
,Sonnenaufgang' oder ,Tagesanbruch'. Die Anwendung dieses
Ausdruckes auf den kommenden Tag ist unserem Gebrauche
von ,der Morgen' und ,morgen' ganz analog; und die spätere
Uebertragung dieser Anwendung vom Tage auf das Jahr ist
eine einfache Analogiebildung. Dies ist alles ganz verständlich,
und man braucht nicht zu einer so künstlichen Erklärung zu
greifen, wie, dass der kommende Tag gewissermassen schon in
den heutigen ,hereinschimmert', oder das kommende Jahr als
facultativ schon vorhanden gedacht werde. Mit der Hinfällig
keit dieser Erklärung wird aber dem ganzen Aufbau philoso
phischer Speculation, mit welcher Dr. Kühnert die Sinologie
bereichert hat, der Boden entzogen.
Der erste Punkt, welchen das Ta hsio lehrt, ist demnach
die Pflicht der Höchstgestellten, glänzende Tugend an den Tag
zu legen, aller Welt zur Leuchte und zum Vorbild. Die alten
Kaiser, Yao, Shun und Yü, Ch'eng Tang, Wen wang und Wu
wang, wie auch Chou kung, waren nach chinesischer Tradition
solche leuchtende Voi’bilder der Menschheit. Ihre hohe Sittlich
keit theilte sich den Massen mit, und ihr Zeitalter gilt als die
aurea aetas Chinas, auf welche Confucius, Mencius und die
1 Ch. CI. I, p. 158. 199.
Confuoms, Logge, Kuhnert.
Philosophen ihrer Schule beständig hinweisen und welche sie
Wiedererstehen sehen möchten. Der regenerirende Einfluss des
persönlichen Wandels der herrschenden Classe auf die Massen
ist in der That der Kern confucianischer Weisheit. ,Ein Herr
scher, der durch Tugend herrscht/ heisst es in den Ge
sprächen, ,ist dem Polarstern vergleichbar, der auf seinem
Platze bleibt und alle Gestirne wenden sich ihm zu/ 1 Oder:
,Lenke es durch Gesetze und corrigire es durch Strafen, und
das Volk wird zwar die Strafe meiden, aber kein Scham
gefühl kennen: aber lenke es durch Tugend und corrigire es
durch Sittlichkeit, und es wird Scham empfinden und sich
bessern/ 2 Und ähnlicher Stellen Hessen sich unzählige bei-
bringen. ,Ist der Herrscher menschlich, sind Alle menschlich;
ist der Herrscher gerecht, sind Alle gerecht/ sagt Mencius. 3
Gerechtigkeit und Menschenliebe sind die Gardinaltugenden
confucianischer Ethik.
Wie die ,hoke Schule' nur den Prinzen des kaiserlichen
Hauses, den Söhnen der höchsten Beamten und besonders be
günstigten Individuen zugänglich war, 4 so wird auch das, was
in ihr gelehrt wurde, zunächst nur an diese gerichtet gewesen
sein, und die Bemerkung Legge’s, welche Kuhnert lächerlich
zu machen sucht, dass diese Philosophie eigentlich nur für
einen Regenten passe, erweist sich als durchaus zutreffend und
sachgemäss. Was Confucius von der Intelligenz des Volkes
hielt, geht aus dem Ausspruch hervor, dass es wohl veranlasst
werden könne einen bestimmten Weg zu gehen, aber nicht ihn
auch zu verstehen. 3
Nachdem wir uns bei dem ersten Punkte so lange auf-
gehalten haben, können wir über den zweiten umso rascher
hinweggehen, als Kühnert hier von Legge kaum abweicht und
daher keinen Anlass zur Kritik bietet. Er besteht nach der
1 Ch. CI. I, p. 9.
2 Ib. p. 10.
3 Ch. CI. II, p. 196.
Hsi, a. a. 0.
5 Ch. CI. I, p. 75.
8
XII. Abhandlung: v. Rostliorn.
älteren Version in lo) der Annäherung, oder Liebe zum
Volke. CIi in bezeichnet eigentlich die nächsten Verwandten. 1
Als Verbum bedeutet es dann ,gleich Verwandten anschen und
behandeln*, was die Nebenbedeutungen von .Annäherung m
und Liebe ('^)* in sich schliesst. 3 Das innige Verhältniss
zwischen Herrscher und Volk, die gegenseitige Antkeilnalimo
in Freude und Leid, ist ein unerschöpfliches Thema der Con-
fucianer, 3 und bedarf keiner weiteren Erläuterung. Cli'eng tsi,
der Sung Herausgeber des Ta hsio, war es, der zuerst
hsin für ctiin las, wie mir scheint, ohne genügenden Grund;
denn die im Commentar citirten Stellen sind, wie Legge richtig
bemerkt, irrelevant. Der Sinn leidet jedoch nicht sonderlich
durch die veränderte Lesung: statt ,Annäherung oder Liebe
zum Volke* müssen wir ,Läuterung oder Regeneration des
Volkes* übersetzen.
Wir kommen nun zum dritten Punkt, dem c) Ifc M
Die Uebersetzung an sich bereitet keine Schwierig
keit. Der Parallelismus und die Construction gebieten chi als
Verbum zu nehmen, als welches es ,verharren* bedeutet. K'ung
Ying-ta amplificirt es durch was genau dasselbe besagt.
Kühnert leugnet dies zwar, und glaubt Legge damit einen
Fehler nachgewiesen zu haben, giebt sich aber dadurch nur
eine Blosse. Ctiu hat nämlich zwei Bedeutungen: 1) im dritten
Tone hat es verbale Bedeutung und wird im Wörterbuche
durch oder [[-. ,bleiben, verharren* erklärt, 2) im vierten
Tone ist es Subslantivum und bedeutet ffi, ;Ort*. In meiner
Ausgabe, in welcher die Töne markirt sind, trägt es den
dritten Ton. Doch abgesehen davon, liegt uns hier offenbar
eine gewöhnliche Worterklärung durch ein Synonymcoinpositum
vor. Ist chi Verbum, so muss auch chu verbal genommen
werden, um so mehr da die beiden Wörter sich nur in der
verbalen Bedeutung decken. Diese Dinge sind alle für den
Sinologen selbstverständlich, und ich habe sie nur deshalb be
sonders erwähnt, um sie einem grösseren Kreise zugänglich zu
machen. Kühnert’s Uebersetzung durch ,Standpunkt* ist also
2 Vgl. Cli. CI. I, p. 4.
3 Vgl. Mencius, Ch. CI. II, p. 34 ff.
Dict.
Confucius, Legge, Kühnerfc,
9
unrichtig: ich sehe aber auch gar nicht ein, was damit ge
wonnen wäre, wenn wir sie acceptiren könnten. Wir über
setzen demnach, mit Anlehnung an Legge, ,im Beharren im
höchsten Guten*.
Was die Schwierigkeit dieses Passus bildet, ist, ihn in
logischen Zusammenhang mit dem Folgenden zu bringen. Wir
müssen dieses erst kennen lernen, ehe wir darauf eingehen
können.
m ^ i® ß m Jt.. j* iS ß m #„
Legge: The point where to rest being known, the object of
pursuit is then determined; and, that being determined, a
calm unperturbedness may be attained. To that calmness
there will succeed a tranquil repose. In that repose there
may be careful deliberation, and that deliberation will be
followed by the attainment (of the desired end).
Kühnert: Kennt man den (genannten) Standpunkt, dann hat
man einen Fixpunkt; hat man einen Fixpunkt, dann
kann man in Ruhe sein; ist man in Ruhe, dann kann
man zufrieden sein; ist man zufrieden, dann kann man
ruhig überlegen; kann man ruhig überlegen, dann kann
man ihn auch erreichen.
Ich kann nicht entdecken, worin die Uebersetzung Küh-
nert’s genauer oder deutlicher sein soll denn jene Legge’s. Sie be
sagt fast genau dasselbe und rechtfertigt keineswegs den bitteren
Antagonismus, der sich in Kühnert’s Anmerkungen darüber aus
drückt. Ueber it = It ik habe ich mich oben bereits aus
gesprochen. Es bildet den Ausgangspunkt der Kette. Während
es oben eine adverbiale Bestimmung (im höchsten Guten) hatte,
ist es hier elliptisch für it £ oder (nach Chu Hsi) pjf
U It £ d - h - (man muss wissen) wo man verharren
soll (nämlich im höchsten Guten), dann ^ hat man ein
festes Ziel. Hat man ein festes Ziel, dann gewinnt man innere
Ruhe (|p equanimity). Mit der inneren Ruhe stellt sich Zu
friedenheit (ein, mit der Zufriedenheit Ueberlegung (^ ).
mit der Ueberlegung Erfolg (^)-
10
XII. Abhandlung: v. Rosthorn.
Die vorstehende Uebersetzung ist mit unbedeutenden Ab
weichungen von allen Uebersetzern angenommen. 1 Der Leser
ist somit in der Lage beurtheilen zu können, ob es gerecht
fertigt ist, wenn Legge darüber sagt: I confess that I do not
well understand tliis par., in relation of its parts in itself, nor
in relation to the rest of the chapter, — und ob Kuhnert ein
Recht hat dies in ein Bekenntniss der Incompetenz zu con-
struiren (S. 33, 34, 47)? Die Schwierigkeit, auf welche Legge
hinweist, liegt darin, das die Kette der Folgerungen einen
Cirkel vorstellt. Ist die Kenntniss dessen, -worin man beharren
soll, der Ausgangspunkt der Kette, wozu bedarf es dann am
Ende derselben noch besonderer Ueberlegung? Und wozu,
möchte ich hinzufügen, der anderen Zwischenglieder? Man
kann sich den Sinn vielleicht so zurechtlegen, dass man sagt,
erst müsse das Ziel gekannt sein, und die Mittel es zu er
reichen bleiben der Ueberlegung Vorbehalten; doch das ist
unsere eigene Zuthat. Der Text bleibt gleichwohl enigmatisch
und gilt als einer der schwierigsten, welche einheimische Com-
mentatoren je gehandhabt haben. Ich glaube, man wird Legge
Recht geben, wenn er sagt, dass hier ein Werk der Rhetorik
vorliege, an welches ein zu streng logischer Massstab nicht an
gelegt werden darf.
3 - * f $ jK • fr m Mo rfr % # m
Legge: Things have their root and their completion. Affairs
have their end and their beginning. To know what is
first and what is last will lead near to what is taught
(in the Great Learning).
Kühnert: Bei Dingen gibt es Ursprung und Gipfel (bei der
Entwicklung), bei Handlungen Ende und Anfang. Weiss
man, was man zum Früheren und zum Späteren zu
machen hat, dann nähert man sich wohl dem Plane (des
Da-hjo).
Die Uebersetzung auch dieses Paragraphen weicht nicht we
sentlich von jener Legge’s ab. Dagegen sind die Meinungen dar-
1 Vgl. auch Dvorak a. a. O. p. 110, und die am Ende mitgetlieilte Ueber
setzung von Dr. Faber.
Confucius, Legge, Külmert.
11
über getheilt, ob der Paragraph sich auf das Vorhergehende
oder auf das Nachfolgende beziehe. Kuhnert theilt mit Chu
Ilsi die erstere Ansicht, während Legge und die älteren Com-
mentatoren die letztere vertreten. Man kann nicht umhin die
Gründe, welche für und wider diese Hypothesen ins Feld ge
führt werden, kleinlich zu finden. Der Text ist durch seine
allgemeine Fassung wie geschaffen subjectiven Auffassungen
freies Spiel zu lassen. Pen mo heisst ,Wurzel und Krone', shi
chung ,Anfang und Ende'. Man hat nun ein Argument daraus
gemacht, dass das erstere sich auf concrete Dinge beziehe und
ein örtliches Verhältniss bezeichne, das letztere sich auf Hand
lungen oder Ereignisse beziehe und ein zeitliches Verhältniss
darstelle. Dieser Gegensatz besteht aber in Wirklichkeit nicht,
und die beiden Parallelsätze, welche genau dasselbe besagen
wollen, stellen eine rhetorische Doppelung dar, welche unter
das folgende hsien liou, ,antecedens ei consequens‘, subsumirt
ist. Dieses hsien liou ist hier verbal zu fassen, und drückt
nicht allein ein zeitliches ,vor und nach' aus, sondern auch ein
qualitatives ,first and last (in importance)', und ein causales
post hoc ergo propter hoc. In den ,Gesprächen' sagt Tsi Yu von
den Schülern Tsi Hsia’s, sie wären bewandert in den Aeusser-
liehkeiten (mo), aber von der Hauptsache (pen) wüssten sie nichts.
Darauf antwortet Tsi Hsia: In der Bildung des Edlen, — was ist
voranzustellen ^ ), was hintanzusetzen ( ^ )?....
Nur der Gottbegnadete vermag Anfang und Ende (Jj^ in
sich zu vereinigen (d. h. er ist eine in sich abgeschlossene
Natur, sich selbst Gesetz, und in ihr heben sich alle Gegen
sätze auf). 1 Hier haben wir alle drei Wörterpaare in syno
nymer Verwendung.
Der Paragraph ist meines Erachtens nichts weiter als ein
Ausdruck für das Causalitätsprineip. Weiss man Ursache und
Wirkung zu erkennen, oder das Wesentliche vom Unwesent
lichen zu unterscheiden, dann ist man der Wahrheit nahe, und
der Vollendung. Darum heisst es in den ,Gesprächen': Der
Edle legt Gewicht auf die Grundlage (pen)] ist die Grundlage
fest, dann ergiebt sich das Rechte von selbst. Kindliche und
brüderliche Liebe sind die Grundlage aller Menschlichkeit.' 3
1 Ch. Cl. I, p. 207.
Ch. Cl. X, p. 3.
12
Xlf. Abhandluug: v. Rosthorn.
Die Frage, ob der vorliegende Paragraph sich auf das
Vorhergehende oder auf das Folgende beziehe, lässt sich nur
auf Grund innerer Wahrscheinlichkeit beantworten. Ktihnert’s
Polemik gegen Legge (S. 35) ist ganz ungerechtfertigt und
seine Berufung auf den chinesischen Sprachgebrauch dient nur
dazu, seine Unkenntniss dieses Sprachgebrauches darzuthun.
In mint] te kann ming ebenso gut wie te psychologisches Sub-
ject sein. Ob die Thätigkeit (die Offenbarung der Tugend)
oder das Resultat dieser Thätigkeit (die offenbarte Tugend)
gemeint sei, ist syntaktisch, d. h. grammatikalisch, nicht aus-
gedrückt. Kuhnert übersetzt selbst (S. 7) hsin min mit , Volks
erneuerung*, und sagt doch (S. 35) hsin min sei ,the renovated
(new) people* und nicht ,the renovation of the people*. Dem
Verfasser scheint es eben nur darum zu thun, dem berühmten
Uebersetzer der Classics von irgend einer Seite beizukommen.
Wer sich aber etwas darauf zu Gute thut den chinesischen
Sprachgebrauch zu kennen, sollte nicht solche Ungeheuerlich
keiten produciren wie f|ä ^ Bfj £ % $ oder ßg f|i HJj
%
Um auf die oben angeregte Frage zurückzukommen, glaube
ich, dass es sich zeigen wird, dass die Beziehung des Para
graphen auf das Folgende die natürlichere ist. Wir werden
im nächsten Paragraphen darauf zurückkommen.
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05 B ^ S. # 3S 05 B H fn. H 'In 05
Js H tfo
Legge: The ancients who wished to illustrate illustrious virtue
throughont the empire, first ordered well their own States.
Wishing to order well their States, they first regulated
Confucius, Legge, Kühnert.
13
their families. Wishing to regulate their families, they
first cultivated their persons. Wishing to cultivate their
persons, they first rectified their hearts. Wishing to rect-
ify their hearts-) they first sought to be sincere in their
thoughts. Wishing to be sincere in their thoughts, they
first extended to the utmost their knowledge. Such ex-
tension of knowledge lay in the investigation of things.
Things being investigated, knowledge became complete.
Their knowledge being complete, their thoughts were sin
cere. Their thoughts being sincere, their hearts were then
rectified. Their hearts being rectified, their persons were
cultivated. Their persons being cultivated, their families
were regulated. Their families being regulated, their
States were rightly governed. Their States being rightly
governed, the whole empire was made tranquil and happy.
Kühnert: Diejenigen der Alten, welche die schimmernde
Tugend in der Welt leuchtend zu machen wünschten, re
gelten vorerst ihre Staaten; die ihre Staaten zu regeln
wünschten, brachten erst ihre Familien in Ordnung; die
ihre Familien in Ordnung zu bringen wünschten, bildeten
zuvor ihr Selbst aus; die ihr Selbst auszubilden wünschten,
machten zunächst ihr Herz (d. i. ihr Denken, Fühlen,
Streben) richtig; die ihr Herz (und ihren Geist) richtig
zu machen wünschten, machten erst ihre Herzensergies-
sungen (d. i. ihre Gedanken, Gefühle .und Begierden)
wahr; die ihre Herzens- (und Geistes-) Aeusserungen wahr
zu machen wünschten, bildeten erst ihr Wissen bis ins
kleinste Detail aus. Die vollständige Ausbildung des
Wissens besteht (aber) in der Erforschung des Wesens der
Dinge. Ist das Wesen der Dinge erforscht, dann ist das
Wissen (bis ins kleinste Detail) vollständig ausgebildet;
ist (aber) das Wissen vollständig ausgebildet, dann ist
die Geistes- und Herzensemanation wahr; ist die Geistes
und Herzensemanation wahr, dann ist das Herz (d. i. das
Denken, Fühlen, Streben) eorrect; ist das Denken, Fühlen,
Streben correct, dann ist das Ich ausgebildet; ist das Ich
ausgebildet, dann ist die Familie in Ordnung; sind die
Familien in Ordnung, dann ist der Staat geregelt; sind
die Staaten geregelt, dann ist die Welt im Ebenmass.
14
XIL Abhandlung: v. llosthorn.
Ich habe die beiden Paragraphen zusammengezogen, nm den
Parallelismus deutlicher zu machen, und weil die Erklärung
des einen für alle beide gilt. Denn man wird bemerkt haben,
dass die Glieder der beiden Gedankenreihen ganz genau mit
einander correspondiren, nur dass sie in der einen in absteigen
der, in der anderen in aufsteigender Reihenfolge angeordnet
sind. Es sei jedoch darauf aufmerksam gemacht, dass der
Ausgangspunkt der einen Reihe mit dem Endpunkt der an
deren Reihe nicht ganz zusammenfällt: jener ist die Offenbarung
glänzender Tugend, dieser der universelle Frieden. Allein die
beiden werden, wie schon angedeutet, in causalem Zusammen
hang gedacht: jene ist die Wurzel, dieser die Krone. Das
Motiv des letzten Paragraphen könnte nicht deutlicher wieder
holt sein als in dein welches in jedem Gliede der ersten,
und dem welches in jedem Gliede der letzten Reihe er
scheint. Haben wir hier nicht deutlich eine weitere Ausführung
jenes Motives: des (antecedens et consequens) ?
Es sei ferner auf das einleitende .unter den Alten,
im Alterthum', hingewiesen und daran erinnert, dass das Alter
thum den Chinesen das goldene Zeitalter vorstellt, dessen
Rehabilitirung das Um und Auf der confucianischen Lehre
ausmacht. Ich glaube, dieser Paragraph zwingt uns zu der
Annahme, welche wir Eingangs erörtert haben, dass die Vor
schriften des Ta hsio zunächst an die herrschende Classe ge
richtet waren, welcher sie, unter Hinweis auf die Vorbilder
der Vergangenheit, die strengste Sittlichkeit (im weiteren Sinne
des Wortes) zur Pflicht machen nach dem Grundsätze: Qualis
rex, talis grex.
Für den Uebersetzer ist endlich zu beachten, dass die
Verba ('/p, 7^, etc.) in par. 4 sich mit den Adjectivis (yjp,
etc.) in par. 5 inhaltlich genau decken, und als die ent
sprechenden Factitiva anzusehen sind. In einzelnen Fällen ist
die transitive Function am Worte selbst kenntlich gemacht; so
bei yjp, welches als Verbum transitivum, ,ordnen (^| Dict.)',
den ersten Ton trägt, während es als Adjectivum (oder Part,
perf. pass.), ,geordnet (2, Dict.)', den vierten Ton hat.
Ebenso ist das Factitivum von ig, und ist jenes mit ,er
weitern, vervollkommnen', dieses mit ,erweitert, vollkommen'
zu übersetzen.
Confucius, Legge, Kühnert.
15
,Wenn die alten (Kaiser) ihre glänzende Tugend im ganzen
Reiche offenbaren wollten, so ordneten sie erst ihren Staat/
Man muss sich erinnern, dass die Kaiser der drei ersten Dy
nastien keineswegs eine directe Herrschaft über das ganze
Reich ausübten; dass sie vielmehr Reichsfürsten waren, denen
die Hegemonie zugesprochen wurde; dass sie auch als Kaiser
nur ihr eigenes Stammland direct verwalteten und sich vor
den übrigen Reichsfürsten (den chu hou) nur durch gewisse
Prärogative auszeichneten, auf die wir hier nicht näher ein
zugehen brauchen. Das Gesagte genügt um das Verhältniss
von ,Staat' und ,Reich' klar zu machen, welches demjenigen
von Selbst (dem Oberhaupt) und der Familie ganz analog ge
dacht wurde. Der Ordnung des Staates hat die Regelung der
Familienverhältnisse, dieser die Pflege (im moralischen Sinne)
der eigenen Person voranzugehen. Die erstere Vorschrift ist
natürlich auf alle Fürsten, die letztere auf jeden Familienvater
anwendbar. Darum heisst es auch im nächsten Paragraphen:
Vom Kaiser bis auf den gemeinen Mann gilt unterschiedslos,
dass für Alle die Pflege der eigenen Person die Hauptsache ist.
Worin diese Selbstpflege besteht, wird im Folgenden ge
zeigt: Sie setzt voraus die Rechtschaffenheit des Herzens, diese
die Ehrlichkeit des Wollens, und diese die Erweiterung der
Einsicht. Die letzte endlich beruht in der Untersuchung der
Dinge (der Aussenwelt). Damit schliesst Paragraph 4. Die
Reihenfolge wird nunmehr umgekehrt und gezeigt, wie das
Verständniss der Aussenwelt zur Vervollkommnung der Ein
sicht, diese zur Aufrichtigkeit des Wollens, diese zur Recht
schaffenheit des Herzens führt, u. s. w., bis mit der guten
Ordnung im Staate dem ganzen Reiche, der Welt, der Segen
des Friedens und der Eintracht mitgetheilt wird.
In dieser Philosophie, welche sich durch hunderte von
Stellen aus der confucianischen Literatur belegen Hesse, findet
die Metaphysik keinen Platz: sie ist durchaus praktisch. Die
Ausdrücke ie m ,rectitude of mind, and sincerity
of purpose', sind landläufige Redensarten, nicht wissenschaft
liche Termini. Erst die Sung Philosophen haben in dieselben
vielfach die ihnen eigenen Anschauungen hineingetragen, und
Kühnert hat diese noch obendrein falsch verstanden. Denn
trotz seiner langen Demonstration (S. 39 und 40) und trotz
16
XII. Abhandlung: y. Rosthorn.
seiner Berufung auf die Sprachgesetze und den Spracbgeist des
Chinesischen, sind seine Uebersetzungen der Definitionen Chu
Hsi’s falsch.
Chu Hsi definirt das Herz als % z m was Legge
richtig übersetzt ,what the body has for its lordf Kühnert
führt einen langwierigen Beweis dafür, dass diese Uebersetzung
falsch ist, und verdeutscht obige Definition wie folgt (S. 40):
sin ist das vom Ich Beherrschte (das, was das Ich
beherrscht),
woraus ersichtlich ist, dass Legge’s Uebersetzung gerade das
Gegentheil ist. ,Hier‘, setzt er hinzu, ,zeigt sich so recht deut
lich, wohin ein exclusiver, d. h. ausser der Sache liegender
Standpunkt führt. Man übersetzt geradezu falsch, vergewaltigt
den Sprachbau des Chinesischen/ u. s. w. Wer soll nun dar
über entscheiden, ob Legge oder Kühnert Recht hat? Ich ge
wiss nicht; aber die Chinesen selbst, denen man immerhin so
viel Vertrautheit mit ihrer Sprache Zutrauen darf, wie unserem
selbstbewussten Verfasser. Schlagen wir zunächst K'anghsi auf.
An erster Stelle wird als das centrale Organ des körper
lichen Organismus beschrieben. Dann wird folgende Stelle aus
Hsün tsi angeführt: ^ [ft fy} £ z£ jfa,
das Herz ist der edelste Theil des körperlichen und Beherrscher
(lord) des Intellects. Im Tsi hui heisst es:
w z das dem Körper innewohnende und ihn beherr
schende (Organ oder Princip) und der Sitz des Intellects. Das
Ku chin t'ung su wen tsi sagt einfach: , der
Beherrscher des Körpers, also genau wie Legge’s ,what the
body has for its lordb Oder nehmen wir einen Commentar
her, wie das Ssi shu chiang i, welches sich strenge an Chu Hsi’s
Erklärungen hält, und wir finden obigen Passus erklärt durch
den Zusatz: Hfl JL# || ^ ^ J=p ^ jjj,,
das Herz ist daher das, wodurch man seinen Körper regiert.
Und ähnliche Erklärungen finde ich in fast jedem Commentar,
den ich aufschlage; dagegen nicht eine, welche Kühnert’s Ueber
setzung rechtfertigt. Die vorstehenden Belege dürften genügend
beweisen, dass Kühnert seinen Gewährsmann falsch verstanden
hat. Das Herz ist für den Chinesen, wie für uns, erstens der
Sitz der Seele, und dann die Seele selbst. Diese wird überall
Confucius, Legge, Kühnert.
17
im Gegensatz zum Körper und als ihn beherrschend dargestellt.
Die obigen Belege appelliren vornehmlich an das Urtheil der
Sinologen. Wenn aber Kühnert Chu Idsi die Worte in den
Mund legt (S. 40), das Ich sei der Herr des Vorstellens, Fuhlens
und Begehrens: wird nicht auch der Philosoph und jeder den
kende Mensch fragen: Was will der gute Mann damit sagen?
Ist nicht das Ich eben die Summe des Vorstellens, Fühlens
und Begehrens? Und wenn es weiter heisst, Gedanken, Ge
fühle und Begehrungen seien das vom Vorstellen, Fühlen und
Begehren Ausgesandte, Geoffenbarte: ist das nicht eine einfache
Tautologie? Wenn wir also Kühnert’s Uebersetzungen vom
sprachlichen Gesichtspunkt verwerfen mussten, können die
selben vom logischen Standpunkt als ein Gewinn bezeichnet
werden? Die Beantwortung sei dem Leser überlassen.
S A T 0 M l A W #
Legge: From the emperor down to the mass of the people,
all must consider the cultivation of the person the root
(of every thing besides).
Kühnert: Vom Kaiser herab bis zum gemeinen Manne ist
(daher nur) dies das Einzige, alle müssen die Ausbildung
des (eigenen) Selbst zur Grundlage (= Wurzel) machen.
Wir brauchen uns bei diesem Paragraphen nicht lange auf
zuhalten, weil sich der Sinn aus dem Obigen von selbst ergiebt.
Zu Kühnert’s Uebersetzung sei nur bemerkt, dass jjb durch
,ist dies das Einzige' nicht richtig wiedergegeben ist. Chu
Hsi’s Commentar und nach ihm das Wörterbuch, definiren
vielmehr durch jj/J, was ,alle, insgesammt' bedeutet. 1 Man
hat also zu übersetzen, ,Es gilt für Alle' oder ,unterschiedslos'.
’• 3t * IL tfo * Hä % § Ä If #
o
Legge: It cannot be, when the root is neglected, that what
should spring from it will be well ordered. It never has
1 Vgl. Gabelentz, Chin. Gram. §. 4SI.
Sitzungsber. d. phil.-bist. CI. CXXXV. Bd. 12. Abh.
18
XII. Abhandlung: v. Rostliorn.
beeil the case that what was of great importance has
been slightly cared for, and, at the same time, that what
was of slight importance has been greatly cared for.
Kuhnert: (Denn) das Normalsein des Wipfels bei dem, dessen
Wurzel in Unordnung (nicht normal) ist, kann wohl nicht
sein; (und) nocli nichts giebt es, bei welchem etwas von
dem, worin es dicht (mächtig) ist, dünn (schwach) wäre,
und bei welchem etwas von dem, worin es dünn (schwach)
ist, dicht (mächtig) wäre.
Dieser Paragraph knüpft gedanklich an § 3 an und fasst
gewissermassen den Inhalt des ganzen Stückes zusammen. Die
Wiederholung des Motives 2f\ 7^. ,Wurzel und Krone*, oder,
in übertragenem Sinne, des Primären und Secundären, an
dieser Stelle und in dieser Fassung, dürfte den letzten Zweifel
darüber beseitigen, dass wir in den §§ 4 bis 6 eine Amplifica-
tion jenes Motives haben. Alles, hiess es oben, hat seine
,Wurzel und Krone*, ,seinen Anfang und sein Ende*. Die
richtige Unterscheidung dessen, was antecedens und was con-
sequens ist, und was demnach unsere erste und letzte Sorge
sein muss, bringt uns der Wahrheit, der Vollendung nahe. Es
wird dann die natürliche Succession der Wirkungen darge-
than, deren eine nothwendig die andere nach sich zieht, welche
aber keine Sprünge gestattet, und in letzter Linie auf die mo
ralische Selbstpflege zurückgeht. Hier wird nun der allgemeine
Schluss gezogen: dass etwas in der Wurzel verdorben und in
der Krone gesund sei, ist undenkbar.
Der nun folgende Satz ist in der Legge’schen Ueber-
setzung unklar; in derjenigen Kühnerts lässt sich überhaupt
keine Vorstellung damit verbinden. Dass es nicht vorgekommen
sei, dass das, was wichtig war, vernachlässigt wurde, und dass
auf das, was unwichtig war, Sorgfalt verwendet wurde, lässt
sich prima facie nicht wohl behaupten. Was aber damit ge
sagt sein soll, dass es nichts gebe, ,bei welchem etwas von
dem, worin es dicht (mächtig) ist, dünn (schwach) wäre*, und
umgekehrt, bleibt mir beim besten Willen räthselhaft. Ich
möchte Js|! und ^ vor ^ (der Participialendung) verbal,
sonst adjectivisch auffassen, und mit aller Reserve folgende
Uebersetzung Vorschlägen: ,Noch ist es vorgekommen, dass man
Confucius, Legge, Külmerfc.
19
in dem, worauf man Sorgfalt verwendete, schwach, und in dem,
was man vernachlässigte, stark gewesen wäre/ Nicht nur ist
diese Uebersetzung grammatisch gerechtfertigt, sondern sie ist
auch verständlich und in Uebereinstimmung mit dem Vorher
gehenden.
Dr. Ktihnerts Broschüre schliesst mit einer Uebersetzung,
die einige Bemerkungen erfordert. In Chu Hsi’s Commentar
zu § 6 heisst es: JE $ _£ 0 ff
^ J£i ~E M ^ itk ffil Ih ^ Kuhnert übersetzt:
,Die Kichtigstellung des Herzens (i. e. des Denkens, Fühlens
und Strebens) ist das Erste, wodurch jeder sein Selbst
bildet, die Regelung der Familie das Zweite, denn stellte
man dieses an die Spitze, würde man es zweifelsohne
fehlerhaft machen/ Ich will nichts darüber sagen, dass
unser Autor den Ausdruck M ift W5 !h £ nicht versteht.
Man muss wissen, dass hier für ^ steht, was in meiner
Ausgabe durch eine Randnote angemerkt ist, und dann kann
man im Wörterbuch unter die Stelle im I ching
Üj ^ leicht finden. Schlimm ist es dagegen, wenn ein
Sinolog iE Jßt _t mit ,die Richtigstellung des Herzens
ist das Erste', und II0T mit ,die Regelung der
Familie ist das Zweite' übersetzt. und B T sind
bekanntlich Ortsadverbien und durch ,oberhalb' und ,unter
halb', oder ,von . . . aufwärts' und ,von . . . abwärts' zu
übersetzen. 1 Der Complex JE $ ± kann daher kein
selbständiger Satz sein, sondern nur ein Satztheil, und zwar
ist er eine relative Bestimmung des folgenden Subjects ^,
,alles'. Es ist demnach zu übersetzen ,Alles was oberhalb
jEa$ ist' oder , Alles von JEtä aufwärts'. Nun folgt das
Prädicat m ja tt n ,ist (oder bezieht sich auf)
das, worin die Pflege der eigenen Person besteht'. Es
ist damit gesagt, dass alle Glieder in § 5 (wo zuletzt von (jjjj
i\£> die Rede war) von ^ bis incl. Jf (also die
Prüfung der Aussenwelt, die Erweiterung der Einsicht, u. s. w.)
sich auf die Pflege des eigenen Ich (welches die Grundlage
des ganzen Systems bildet) beziehe. Ebenso ist 7^. ^
T ,Alles von ^ ^ abwärts', also die Regelung der
1 Gabelentz, Anfangsgründe § 85.
20
XII. Abhandlung: v. Kosthorn.
Familie, die Ordnung des Staates und die Verbreitung von
Glück und Frieden im ganzen Reiche; und von diesem wird
gesagt, dass es ^ ^ tffi |h (= fa) £ ^ Jenes zu
sammenfasst und anwendet', dass es sieb also auf die An
wendungen oder Consequenzen der Selbstcultur beziehe. tü
Jl», die Pflege des eigenen (moralischen) Icks (die ,Wurzel'
oder Grundlage des Systems) steht im Text zwischen
und so dass Chu Hsi’s Anmerkung vollständig ver
ständlich ist.
Zum Schlüsse theile ich eine Uebersetzung des oben be
sprochenen Textes mit, welche mir Dr. Ernst Faber, einer der
besten Kenner der confucianischen Literatur, freundlichst zur
Verfügung gestellt hat.
Ta Hioli. Text.
1. Das Wesen höherer Bildung besteht in Kundgebung
brillanter Tüchtigkeit, in Sympathie mit dom Volke, im Bleiben
beim Besten.
2. Versteht man das Bleiben, so kommt man zur Gewiss
heit, von der Gewissheit zur Beruhigung, von der Beruhigung
zur Zufriedenheit, von der Zufriedenheit zum Nachdenken,
vom Nachdenken zum Erfolg.
3. Jedes Ding hat Grund und Folge, jedes Geschehen
hat Ende wie Anfang. Die Erkenntniss des Zusammenhangs
nähert alsbald dem Wesen.
4. Wer im Alterthum brillante Tüchtigkeit im Reiche
kundgeben wollte, regierte zunächst seinen Staat; wer seinen
Staat regieren wollte, ordnete zunächst seine Familie; wer seine
Familie ordnen wollte, cultivirte zunächst seine Person; wer
seine Person cultiviren wollte, erneuerte zunächst sein Herz;
wer sein Herz erneuern wollte, klärte zunächst seine Gedanken;
wer seine Gedanken klären wollte, vollendete zunächst sein
Wissen. Die Vollendung des Wissens besteht in Unterscheidung
der Dinge.
5. Sind erst die Dinge unterschieden, so wird das Wissen
völlig, dann die Gedanken geklärt, dann das Herz erneuert,
dann die Person cultivirt, dann die Familie geordnet, dann
der Staat regiert, dann herrscht Friede im Reiche.
Confucius, Legge, Kühnert.
21
6. Vom Kaiser abwärts zum gemeinen Mann ist eines
gemeinsam — persönliche Cultur ist für Alle die Grundlage.
7. Wo die Grundlage unsicher, da kann unmöglich die
Folge in Ordnung sein. Nie und nimmer wird das uns Be
deutende unbedeutend und das uns Unbedeutende bedeutend.
Die vorstehende Uebersetzung empfiehlt sich ebenso sehr
durch ihre getreue Wiedergabe des Originals, wie durch ihre
prägnante, klare Diction.
XIII. Abh.: Beer. Urkundl. Beitr. zu Joli. de Segovia’s Gesch. d. Basler Concils. 1
XIII.
Urkundliche Beiträge zu Johannes de Segovia’s
Geschichte des Basler Concils
auf Grund von Forschungen in den Archiven und Bibliotheken
von Basel, Genf, Lausanne und Avignon
im Aufträge der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften.
Von
Rudolf Beer.
JJer nunmehr in Bälde zu gewärtigende Abschluss der
akademischen Ausgabe der ,Monumenta conciliorum generaliuufl,
enthaltend den zweiten (Schluss-) Band von Johannes de Se
govia’s ,historia gestorum generalis synodi Basiliensis*, hat die
Notlrwendigkeit nahegelegt, das von dem ersten Herausgeber
Ernst Ritter v. Birk seit geraumer Zeit für die Einleitung ge
sammelte Material zu überprüfen und in einer den jetzigen
Anforderungen entsprechenden Weise zu ergänzen. Zu diesem
Zwecke hat der Schreiber dieser Zeilen, welchem die Weiter
führung der Publication von der kaiserlichen Akademie über
tragen wurde, im Aufträge und mit Unterstützung derselben
im verflossenen Herbste eine Reise nach der Schweiz und nach
Frankreich behufs Durchforschung einer Reihe von Bibliotheken
und Archiven unternommen. Es schien angezeigt, über die ge
wonnenen Ergebnisse schon jetzt einen vorläufigen Bericht zu
erstatten, da sich hiebei auch die erwünschte Gelegenheit er
gab, an den letzten von Palacky in den Sitzungsberichten
der kaiserlichen Akademie Bd. XI (1854), S. 277—307 erstat
teten Bericht über die Publication der ,Monumenta‘ anzu
knüpfen, die seither für dieselbe ausgeführten Arbeiten kurz
zu skizzieren und die Grundsätze darzulegen, welche für die
Weiterführung der Arbeit massgebend waren.
Sitzungsber. d. phil.-kist. CI. CXXXV. Bd. 13 Abb.
1
2
XIII. Abhandlung: Beer.
Aus dem erwähnten Berichte Palacky’s ist bekannt, dass
für die Herstellung des Textes der Collectiones des Johannes
vonSegovia vorzüglich zwei Handschriften herangezogen wurden:
der Codex der Wiener Hofbibliothek Nr. 5048 und 5049 (V)
und der Codex der Basler Stadtbibliothek, signiert A III 40
und A III 41 (B), und zwar in der Weise, dass zunächst die
Wiener Handschrift vollständig von dem erst kürzlich ver
storbenen Beamten der k. k. Hofbibliothek, Regierungsrath
Wenzel Hartl, copiert, von Birk in Gemeinschaft mit ihm
collationiert, und hierauf das ganze Werk neuerdings mit der
in liberaler Weise nach Wien übersendeten Basler Handschrift
verglichen wurde. Die Varianten der Basler Handschrift wurden
auf dem Rande der Copie vermerkt und liefern auch heute
noch die Grundlage der Adnotatio critica.
Die erwähnten Arbeiten wurden nach den mir vorliegen
den Aufzeichnungen im Jahre 1869 abgeschlossen, und nach
weiterer fünfjähriger Arbeit konnte der erste Band des Johannes
von Segovia erscheinen. Die Vorarbeiten für die Herausgabe des
zweiten Bandes des Werkes beschäftigten Ernst v. Birk un
ausgesetzt und dergestalt, dass die erste Lieferung desselben
(Liber XIII—XV) erst im Jahre 1886 erscheinen konnte. Eine
weitere Fortsetzung zu liefern war dem hochbetagten Heraus
geber nicht mehr vergönnt; er starb 1891 im 80. Lebensjahre.
Soweit war das Werk gediehen, als mir mit Rücksicht
auf den Umstand, dass ich bei der Publication der letzten
Bücher mitgewirkt und Birk mich auch mit der Sammlung
von Material zu der Fortsetzung betraut hatte, die Weiter
führung der Ausgabe übertragen wurde. In meinen Besitz ge
langten aus der Verlassenschaft des Verstorbenen durch Ver
mittlung der hohen Akademie das Manuscript zu den Büchern
XVI—XIX, ferner als Material für künftige Arbeiten eine Ab
schrift ,Relacio magistri Joannis de Ragusio de sua Ambassiata
ad Grecos; Instructiones pro oratoribus sacri concilii ituris ad
serenissimum principem dominum Iohannem Paleologum impe-
ratorem Romeorum et ad reverendissimum patrem d. Ioseph
patriarcham Constantinopolitanum; de modo quo Greci fuerant
reducendi ad ecclesiam per concilium Basiliense; Propositio
reverendi magistri Iohannis de Ragusio coram rege Romanorum
Alberto et ambasiatoribus electorum de auctoritate et processu
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
3
sacri concilii Basiliensis et contra EugeniunP, sowie Abschriften
von kleineren Briefen und Tractaten aus den Handschriften der
Basler Stadtbibliothek, endlich eine grössere Anzahl von Zetteln,
welche theils Nachweise über die veröffentlichten Urkunden,
theils bibliographische Daten für die Einleitung enthalten. Diese
vertheilen sich (nach der von mir vorgenommenen Sichtung)
auf: 1. Basel (Stadt, Geschichte), 2. Basler Concil, allgemeine
Darstellungen (Drucke), 3. Manuscripte zur Concilsgeschichte
im Allgemeinen, 4. Felix V. (Savoyen), 5. Segovia (Stadt),
6. Ioannes de Segovia (Werke) und 7. Ioannes de Segovia
(vita).
Bevor ich Näheres Uber diese für die Einleitung be
stimmten Materialien berichte, scheint es nothwendig, ganz kurz
die Grundsätze zu berühren, welche Birk bei der Publication
des Werkes leiteten. Das bereits bei der Edition des ersten
Bandes beobachtete Princip, einzig und allein den Text zu
geben, und zwar genau so, wie er sich nach Prüfung der zu
Grunde gelegten Handschriften ergab, ohne sachlichen Com-
mentar, ist auch für Birk massgebend gewesen. 1 Was uns
also in Band II und III der ,Monumenta* vorliegt, ist der Text,
wie er sich unter Zugrundelegung der Basler Handschrift —
denn diese ist die bessere — und mit Heranziehung des Wiener
Codex ergibt, unter Beobachtung der Methode, aus diesen beiden
Handschriften den Archetyp herzustellen, wie er aller Wahr
scheinlichkeit und dem vereinigten Zeugnisse der genannten
Quellen gemäss aus der Feder des Autors geflossen. Das ist
der Grundsatz, den Birk bei der Reconstruction des Textes
beobachtete, und von welchem sich auch jeder Herausgeber an
Birk’s Stelle hätte leiten lassen müssen, wenn er sich nicht
den Boden unter den Füssen hinwegziehen wollte. Man darf
bei der Reconstruction solcher Texte — es kann dies nicht oft
genug wiederholt werden — wohl emendieren, aber nicht corri-
gieren; auch dann nicht, wenn man bestimmt weiss, dass der
Autor sprachlich oder sachlich irrt. Die sprachlichen Eigen-
1 Ueber den Plan der Herausgabe ,concilii Basiliensis monumenta nulla
in parte imminuta omnium oculis proponere 4 — ,nullus hic dabitur locus
editorum commentariis 4 — ,ad ampliorem operum cognitionem de auctorum
patria . . . notitias . . . praemittere institutura habemus 4 vgl. die Vorrede
zu Bd. I der ,Monumenta 4 .
1*
4
XIII. Abhandlung: Beer.
heiten Segovia’s sind ausserordentlich mannigfaltig, sie sind,
wie unschwer gezeigt werden kann, gar oft Ausfluss des soge
nannten spanischen Lateins, wofür eine Reihe Belege anzu
führen wären. 1 Die sachlichen Irrthümer treten am schärfsten
bei der Vergleichung der vom Autor mitgetheilten Urkunden,
Briefe, Tractate u. dgl. hervor, für welche uns andere und gar
oft bessere Textquellen zu Gebote stehen. Aber gerade hier
wäre es total verfehlt, selbst die als sicher und richtig aner
kannten Lesarten in den Text aufzunehmen: dann hätten wir
allerdings einen sachlich berichtigten Text, aber nicht das, was
Johannes de Segovia geschrieben. Die Richtigstellung von Les
arten (darunter auch Namen und Zahlen) auf Grund anderer
Textquellen, endlich die Kritik dieser im Vergleiche zu den
Quellen für den Text des Autors gehören theils in den Index,
theils in die Adnotatio eritica, theils in die Vorrede. Für diese
letztere hatte Birk nicht nur alle Erörterungen über die Ueber-
lieferung, sondern auch die Besprechung einzelner wichtiger
Stellen in dem Texte selbst aufgespart. Ich habe in der Fort
setzung der Ausgabe insoferne einen geänderten Standpunkt
eingenommen, als ich die Textvarianten sofort den einzelnen
Büchern am Schlüsse beifügte und auch andere Quellen, Drucke
wie handschriftliche Zeugnisse, soweit sie eben Vorlagen, zu
Rathe zog, das letztere jedoch nur in dem Umfange, als es mit
Rücksicht auf die Nothwendigkeit, die vor so viel Jahren be
gonnene Ausgabe nun endlich möglichst rasch dem Abschlüsse
zuzuführen, thunlich war. 2 Hätte ich es unternommen, sämmt-
liche handschriftliche Zeugnisse, welche für die eingestreuten
1 Johannes de Segovia gestellt selbst in der noch unveröffentlichten Vor
rede zur Uebersetzung des Korans (Cod. der Biblioteca Nacional zu
Madrid, C. c. 78 fol. 118) ,Aliis etiam aut novitatibus aut incongruita-
tibus usus fui, latina verba, quamvis alia suppeterent, iuxta hispanum
idioma componens.
2 Dass ich es unterliess, die einzelnen Urkunden von Buch XVII an fort
laufend am Rande zu numerieren, bat seinen Grund in dem Umstande,
dass das Kriterium, ob irgend ein eingestreutes Actenstück als selbst
ständige Urkunde zu betrachten sei, nicht gleichmässig festgebalten wurde
(vgl. z. B. III, S. 241) und sämmtliche aufgenommenen, nicht zum er
zählenden Texte gehörigen Stücke ohnedies zum Schlüsse in einem ge
sonderten Verzeichnisse ersichtlich gemacht werden sollen.
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
5
Urkunden, Briefe u. dgl. vorhanden sind, heranzuziehen, mit
dem von Johannes de Segovia gebotenen Text zu vergleichen,
um den eigentlich genuinen Text herzustellen, so wäre das
Resultat dieser Arbeit die Reconstruction von zahllosen Einzel
überlieferungen, welche denn doch eigentlich mit dem von Juan
de Segovia gebotenen Werke nicht direct in Beziehung stehen,
und es hätte diese Arbeit den Abschluss des Werkes in ganz
unabsehbarer Weise verzögert. Gleichwohl werde ich bemüht
sein, in der Einleitung die wichtigsten Quellen für das Acten-
material, welches dem Autor Vorgelegen, namhaft zu machen.
Hierüber noch weiter unten.
Während auf dem genannten Gebiete die Hauptarbeit noch
für die Einleitung reserviert bleibt, habe ich auf einem anderen,
nämlich bei den Nachweisen über vorhandene Drucke und die
massenhaft eingestreuten Citate — namentlich in dem eben jetzt
zur Ausgabe gelangenden Theile (Liber XVIII) — die noth-
wendigen Angaben überall dort angeführt, wo dies zur Her
stellung oder zum Verständnisse des Textes dienlich erschien.
Im Gegensätze zu der bei der allerjüngst veröffentlichten Samm
lung von Documenten zur Geschichte des Basler Concils be
liebten Methode, gehäufte Citate aus den Kirchenschriftstellern
einfach aus dem Texte zu eliminieren, schien es mir wichtig,
dieses Citatenmaterial, welches zu dem nothwendigen Rüstzeug
der damaligen historischen wie theologischen Darstellung ge
hörte, mit derselben Sorgfalt zu behandeln wie die übrigen
Theile des Textes und, was allerdings schwierig und mühsam
ist, auch, soweit dies immer möglich war, zu verificieren. So
wurden beispielsweise sämmtliche Citate des bekannten Trac-
tates des Nicolaus de Tudeschi für das Basler Concil, sowie
der Entgegnung des Nicolaus von Cusa, welche Juan de Se
govia dem 18. Buche seiner ,Collectiones' einverleibt hat, nach
gesehen und an wichtigeren Stellen in der Adnotatio critica
vermerkt, wenn sich eine Variante, ein Irrthum im Vergleiche
zu dem anderweitig überlieferten Text ergab. Dies gilt nament
lich mit Rücksicht auf die in den bezeichneten Tractaten vor
kommenden Citate aus dem ,Corpus iuris canonici und civilis',
rund tausend an der Zahl: die Verification derselben war eine
der mühseligsten Aufgaben, welche ich, Geduld fordernder
Arbeiten nicht ungewohnt, je ausgeführt zu haben mich ent-
6
XIII. Abhandlung: Beer.
sinne. 1 Aehnlich.es gilt von den Citaten aus den Kirchenschrift
stellern und den Decreten älterer Synoden, Citaten, welche in
der Regel unvollständig, wiederholt auch falsch überliefert
sind. 2 Ich erwähne diesen Umstand nur aus dem Grunde, weil
ich es entschuldigen möchte, dass die Herausgabe dieses Buches
fast eineinhalb Jahre in Anspruch genommen hat.
Ueber dieses Mass von Thätigkeit bei der Herausgabe
eben dieses nunmehr abgeschlossenen 18. Buches hinauszugehen,
erschien aus den erwähnten und anderen Gründen unzweck
mässig. Einige Worte über die Verschiedenheit der Ueber-
lieferung innerhalb eines und desselben Buches mögen dies
erläutern.
Eigentlich sind vier verschiedene Texttraditionen in diesem
Buche zu berücksichtigen: erstens die Ueberlieferung des Haupt
werkes selbst, d. h. die Eedaction des Johannes von Segovia;
zweitens die Ueberlieferung des Tractates von Nicolaus de Tu-
deschi; drittens die Antwort auf denselben von Nicolaus de
Cusa; viertens die Bulle Eugens an die Universität von Mont
pellier. Alle drei eben angeführten Stücke sind in dem Buche
vereinigt, für alle drei sind specielle Quellen vorhanden, die
jedoch nur in den oben angedeuteten Grenzen benützt werden
konnten. Für die Vergleichung des Textes des Tractates von
Nicolaus de Tudeschi habe ich in erster Linie die zuletzt be
sorgte Ausgabe von Stephan Alexander Würdtwein in den
,Subsidia diplomatica', Bd. 8, S. 120 — 350, herangezogen;
Würdtwein hat einen in manchen Theilen vollständigeren
1 Ebenso wie bei der Correctur der Druckbogen bat mich bei dieser Arbeit
mein Amtsgenosse Dr. Othmar Doublier wirksam unterstützt.
2 Die Stelle S. 1141, 12 ff.: ,Quomodo restabat plenarium coneilium post
iudicium Melcliiadis pape, in quo de ipso iudice et iudicio eius iudicari
potuisset 1 etc. heisst im Originaltext (August. Epist. XL1I1** Glorio et
Eleusio cap. VII, 19, Migne XXXIII, 169):
.Ecce putemus illos episcopos, qui Romae iudicarunt, non bonos
iudices fuisse; restabat adhuc plenarium Ecclesiae universae coneilium,
ubi etiam cum ipsis iudicibus causa posset agitari“ etc. Interessant ist
auch das Citat S. 1188, Z. 15ff. aus dem ,Liber de gestis concilii Con-
stanciensis compositus per bone memorie cardinalem sancti Marci 1 . Die
Stelle wird von Johannes de Segovia auch anderweitig vervverthet, hier
jedoch wird Wilhelm Fillatre ausdrücklich als Verfasser des von Finke
herausgegebenen Tagebuches genannt.
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
7
Text benützt als derjenige war, welcher Johannes de Segovia
vorlag. Diese Ergänzungen fanden in der Adnotatio critica
Aufnahme. Bei einigen schwierigeren Stellen habe ich auch die
Ausgabe: ,Nobilissimus ac prestantissimus tractatus domini Ni
colai de Tudisco abbatis Panormitani super concilio Basiliensi
editus et de eius potestate ac pape in quo amplissime consi-
liorum materia pertractatur, Lugduni s. a/ heran gezogen, wäh
rend in anderen Fällen, namentlich hei Herstellung der richtigen
Lesart bei Canonesstellen u. dgl., die französische Uebersetzung
,Traite du celebre Panorme touchant le concile de Basle, mis
en Franpois par Monsieur Gerbais, Paris 1697‘ von Nutzen war.
Mansi (XXXI, Col. 205 ff.) hat, wie mich eine Probevergleichung
lehrte, ein schlechterer Text Vorgelegen, auch die Ausgabe in
der ,Pragmatica Sanctio Caroli VII. - ' (Parisiis, 1666, fol.) konnte
ohne Schaden unberücksichtigt bleiben. Auf die Neu Vergleichung
der zahlreichen Handschriften dieses Tractats musste aus den ange
führten Gründen verzichtet werden; die entsprechenden Nachweise
der einschlägigen Codices bleiben für die Einleitung aufgespart.
Wesentlich anders steht es mit der Textreconstruction der
,Responsio‘ des Nicolaus von Cusa; sie ist meines Wissens nur
einmal durch den Druck veröffentlicht; Cusa’s ,allegationes‘
werden von Prantl (Deutsche Biographie s. v.) als conden-
siert angesehen in dem Briefe ,De potestate ecclesiae ad Ro-
dericum de Trebino oratorem regis Castellaeh 1 Das ist jedoch,
wie die Vergleichung lehrt, nicht der Fall. 2 Ungefähr identisch
mit dem von Johannes de Segovia gebotenen ,Responio‘ ist der
von Wlirdtwein ,Subsidia diplomatica*, Bd. IX, S. 1—56 ge
botene Text; die Recension desselben ist jedoch, wie selbst
oberflächliche Durchsicht ergibt, so mangelhaft und willkürlich
entstellt, dass auch augenscheinlichen Besserungen des Textes
nicht urkundliche Gewähr beigemessen werden kann. Wichtiger
als dieser Druck, mit dessen zahllosen, mitunter jeden Sinnes
baaren Varianten ich die Adnotatio nicht belasten wollte, 3 war
1 In den ,Opera 1 , Paris, 1514, Bd. II, Abth. 2, fol. III ff.
a Vgl. auch Scharpff, Der Cardinal und Bischof Nicolaus von Cusa, Tü
bingen 1871, S. 79 ff.
8 So steht z. B. wiederholt ,racione ecclesie“ für ,romane ecclesiae“ u. dgl.
Die verhältnissmässig wenigen besseren Lesarten des Druckes habe ich zum
Schlüsse meiner Adnotatio zusammengestellt,
8
XIII. Abhandlung: Beer.
mir die Epitome des Textes in der Wiener Handschrift Nr. 4701
(Fol. 397“—407“), welche zwar den Eingang ziemlich verstüm
melt bringt, im späteren Verlaufe jedoch wünschenswerthe Bei
träge zur Abschätzung des Textes, wie er Johannes de Segovia
vorlag, liefert. 1 Die Bulle Eugens an die Universität Mont
pellier findet sich in einer von Thomas v. Haselbach revi
dierten Abschrift in dem Wiener Codex Nr. 4954 (Fol. 253“
bis 262“). Auch hier habe ich es für nützlich gehalten, die
Varianten, soweit sie für die Recension des Johannes von Sego
via von Werth waren, in die ,Adnotatio critica' aufzunehmen,
konnte aber ebensowenig wie bei den anderen Stücken von so
heterogener Ueberlieferung mich darauf einlassen, die ganze
Ueberlieferung eingehend darzustellen.
Es liegt überhaupt in der Natur solcher Publicationen,
für welche eine Unzahl von Quellen massgebend ist, dass ihnen
gewisse Unvollkommenheiten und Mängel anhaften, deren Aus
gleichung nicht in der Macht des Herausgebers steht, am aller
wenigsten bei dem heutigen Stande der Erforschung von Bi
bliotheken und Archiven. 2 Dass derlei Mängel sich auch in
der Ausgabe des Werkes von Johannes de Segovia finden
würden, dieser Einsicht hat sich auch schon der erste Heraus
geber keineswegs verschlossen. Der Hauptgrund für diese That-
sache liegt in einem Umstande, den man, wenn man das Werk
auch nur halbwegs eingehender Betrachtung würdigt, sofort zu
erkennen in der Lage ist. Johannes von Segovia’s ,Collectiones‘
1 Die Pariser Handschrift Nr. 1522 bietet den Tractat vollständig und hat
einen an einzelnen Stellen wesentlich von der Recension des Johannes
de Segovia abweichenden Text. So steht z. B., wie mir Herr Dr. Josef
Zingerle freundlichst mittheilt, gleich am Eingänge (S. 1126, Z. 13 der
Ausgabe) statt des suspecten ,audiri vetantur. credi in . cautum sit‘ Fol
gendes: ,audiri vetantur XXI di in tantum sic‘, ferner S. 1127, Z. 2 statt
des gleichfalls unsicheren ,vinci* das Wort ,omnia‘ (hier wie Wiirdt-
wein).
2 Für die Verhältnisse, unter welchen Birk mit seiner Arbeit einsetzen
musste, und für den erheblichen Mangel an Quellen und Daten über
Johannes de Segovia, welcher noch zu seiner Zeit herrschte, ist wohl
nichts bezeichnender als der Umstand, dass Gams, dem wir ja so viele
Aufschlüsse über Details der spanischen Kirchengeschichte verdanken, in
seiner Biographie Johannes de Segovia’s von seinem Hauptwerke, den
,Collectiones‘, gar nichts zu wissen scheint.
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
9
nehmen, was Umfang des Werkes, die zahllosen benützten
Quellen, die Bedeutung des behandelten Gegenstandes, endlich
was die tausendfältigen in demselben dargelegten Beziehungen
von Staat und Kirche, von Fürsten und Völkern, geistlichen
und weltlichen Interessen anbelangt, in der gesummten histo
rischen Literatur eine ganz einzige Stelle ein. Dementsprechend
sind die Anforderungen, welche an den Herausgeber gestellt
werden, ganz aussergewöhnliche, und der Schreiber dieser Zeilen
kann bei dem Umstande, als ihm an dem Abschlüsse des Werkes
nur das allergeringste Verdienst zufällt, der eigentliche Heraus
geber aber bereits seit Jahren verstorben ist, nicht umhin, es
rühmend hervorzuheben, dass Birk mit staunenswerth er Hin
gabe sich an die Lösung einer Aufgabe gemacht, welche lange
vor ihm von den verschiedensten Seiten in Angriff genommen,
jedoch niemals bis zum Abschluss befördert worden war. Copien
der besten, der Basler Handschrift, wurden für die preussische
Regierung, zweimal für Oesterreich, zweimal für Frankreich,
einmal für Madrid angefertigt, die Herausgabe wiederholt beab
sichtigt, aber Birk war es durch Unterstützung der kaiser
lichen Akademie Vorbehalten, die Publication endlich ins Werk
zu setzen und fast bis zum Ende weiterzuführen. Schon die
exacte Copie des Werkes, welches in seiner Vollendung etwa
dritthalbtausend .Druckseiten in Folioformat umfassen wird, ist
eine Arbeit, welche ungewöhnliche Geduld und Hingabe er
fordert. 1 Die Publication selbst ist natürlich eine Aufgabe, die
noch viel höhere Anforderungen stellt: fast zu gross für die
Kraft eines Einzelnen und andererseits doch nur — mit Rück
sicht auf die Gleichmässigkeit der Arbeit — von einem Heraus
geber zu lösen. Ausserdem finden sich so viele Probleme,
welche in das Gebiet des Juristen, des Theologen, des Cultur-
1 Interessant ist in dieser Beziehung ein Schreiben des Professors Iselin
(auf dessen Arbeiten an dem Werke Johannes de Segovia’s wir später
noch zurückkommen) vom 4. März 1720 an Bürgermeister und Rath von
Basel, in welchem er seinem Bedenken bezüglich der Fortsetzung der
Copierungsthätigkeit Ausdruck gibt: ,Sieben in 8 Tausend, nicht seiten,
sondern ganze geschriebene Bögen, mit alten sehr schwären, fast un
leserlichen, in denen meisten Worten abgekürzten Schriften collationiren,
und, wo die Copisten gefehlet, verbessern . . . kan ja eine weit stärkere
Gesundheit, alß die meinige ist, schwächen und erschöpfen/
10
XIII. Abhandlung: Beer.
Historikers fallen, dass die eigentlich philologische Thätigkeit
bei der Herausgabe förmlich in Schatten gestellt wird. Aus
diesem Grunde ist es hocherfreulich, dass nach dem faustum
omen, welches niemand Geringerer als Georg Yoigt der aka
demischen Ausgabe gestellt hatte, 1 die Kritik bis in die aller
jüngste Zeit das Verdienstliche der Publication voll anerkannte. 2
Wichtiger ist, dass sofort nach dem Erscheinen von Birk’s
Ausgabe und auch in der weiteren Folge eine ganze Reihe von
Arbeiten erschienen sind, welche sich speciell mit derselben
beschäftigen oder in gewissen Theilen auf derselben fussen, so
z. B. die Schrift Otto Richters über Organisation und Ge
schäftsordnung des Basler Concils; 3 ferner die Dissertation von
Alfred Zimmermann ,Juan de Segovia“, 4 auch enthalten in
desselben Autors Schrift,Kirchliche Verfassungskämpfe“ ; 5 ferner
Bressler’s Untersuchungen über die Stellung der deutschen
Universitäten zum Basler Concil; 6 Paul Joachimsohn’s Mono
graphie über Gregor Heimburg; 7 Adolf Bachmann, Die
deutschen Könige und die kurfürstliche Neutralität 1438—1447,
Archiv für österreichische Geschichte, Bd. 75 (1889), S. 1—201;
Birck, Enea Silvio de’ Piccolomini als Geschichtsschreiber des
Basler Concils (Theologische Quartalsschrift, Bd. 76 [1894],
S. 577 ff.) u. a. m. 8
1 Enea Silvio I, 236: ,Die k. k. Akademie der Wissenschaften zu Wien
gedenkt, wie wir hören, das voluminöse Werk vollständig zu edieren und
sich zu ihren vielfachen Verdiensten um die österreichische Geschichte
auch dieses grosse um die Welt- und Kirchengeschichte zu erwerben. 1
2 Ausser den rühmenden Worten, welche Ottokar Lorenz in seinen
,Deutschen Geschichtsquellen“, Bd. II, S. 378 der Ausgabe gewidmet hat,
vgl. man die Besprechungen in der Zeitschrift für österreichische Gym
nasien 1 , Bd. 45 (1894), S. 322 f., in der ,Oesterreicliischen Literaturzeitung 1
II (1893), S. 682, und in dem ,Historischen Jahrbuch der Görres-Ge-
sellschaft“, Bd. XV, S. 464.
3 Leipzig 1877.
1 Inaugural-Dissertation, Breslau 1882.
5 Breslau 1882.
6 Inaugural-Dissertation, Leipzig 1885.
7 ,Historische Abhandlungen aus dem Münchener Seminar 1 , Heft I, Bam
berg 1891.
8 Auf die in vieler Beziehung vereinzelt dastehende Abhandlung von
J. Haller in ,Sybel’s Historischer Zeitschrift, 1 , Bd. 74, S. 385 ft'., ein
gehend zurückzukomrnen und die gegen die Herausgeber der ,Monumenta“
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
11
Darum erschien es denn wünschenswert^, das von so
vielen Seiten als nützlich und aufschlussreich anerkannte Werk
baldigst zu Ende zu führen und namentlich die Einleitung,
welche die ,subsidia critica - ' der Ausgabe und die ,vita £ des
Autors enthalten soll, entsprechend vorzubereiten. Zu diesem
Zwecke, insbesondere zur Ergänzung des von Birk hinter-
gerichteten, nicht näher zu qualificierenden Anwürfe gebührend zurück
zuweisen, verbietet die Würde dieses Ortes. Die Vorbereitungen zur
Edition der ,Monumenta 4 fallen noch in die erste Hälfte dieses Jahr
hunderts, und es ist mehr als ungerecht, an dieselben jenen kritischen
Massstab anzulegen, den wir heute, ausgestattet mit dem reichsten Rüst
zeug, anwenden dürfen. Ob gerade Herr Haller berechtigt war, die
Ausgabe zu bemängeln, wird unschwer Derjenige erkennen, der die von
ihm selbst geübte Textgestaltung näher prüft. In den wenigen Zeilen,
die er a. a. O. S. 393 aus Birk’s Edition aushebt, finden sich zwei
Fehler, darunter das sinnlose ,non obstantibus quod eiusmodi proro-
gacio die feriata et non in publica sessione facta fuerit £ (Birk, Monum.
II, 466 ganz richtig ,obstante‘). Ausserdem fehlt kurz vorher das Wort
,sacrum‘. Ebenso sind die Sätze, welche Haller in seinem Buche ,Con-
cilium Basiliense £ S. 46 ff. aus Birk’s Edition einfach abzuschreiben
hatte, durch Fehler derart entstellt, dass einzelne Stellen ganz unver
ständlich werden. Der ganz richtig überlieferte Satz aus einem Briefe
Enea Silvio’s (Mansi XXXI, 220) ,Credo me non solum heri mei . . . £
wird S.. 13 als corrupt überliefert hingestellt und für ,heri £ ,domini £
gesetzt; ,heri £ heisst für Herrn Haller wohl nur einzig und allein
,gestern 4 u. ä. m. Diese Proben -werden genügen.
Auf Herrn Haller’s Polemik gegen meine in diesen Sitzungs
berichten 4 Bd. CXXIV, VII unter dem Titel: ,Die Quellen für den Liber
diurnus concilii Basilicensis des Petrus Bruneti 4 veröffentlichte Abhand
lung an dieser Stelle zu reagieren, kann ich um so leichter unterlassen,
als die Details den hier behandelten Gegenstand nicht berühren und ich
die Frage noch eingehender klarzulegen gedenke. Nur einige allgemeine
Gesichtspunkte mögen hier erwähnt werden. Palacky’s Ansicht mich
anschliessend, habe ich a. a. 0. S. 10 erwähnt, dass das Werk tliat-
sächlich chronologisch fortlaufende Berichte bilde, die Bruneti
wahrscheinlich selbst aus seinen Collectaneen zusammengestellt und dann
später in Reinschrift uns überliefert hat. Haller erklärt, ich komme zu
dem Schlüsse, der ,Liber diurnus 4 stelle die ,eigene Reinschrift einer
Zusammenstellung (!) dar, die der Notar aus seinen Collectaneen gemacht
habe 4 . Da man aus irgend einer ,Zusammenstellung aus Collectaneen 4
natürlich alles Mögliche machen kann, so folgt, dass Haller gerade das
Wichtigste aus meiner Inhaltsangabe herausescamotiert, nämlich die Be
zeichnung: ,chronologisch fortlaufende Berichte 4 . Und nun vergleiche
man die Polemik Haller’s S. 387 f.: ,es ergibt sich, dass das Werk
12
XIII. Abhandlung: Beer.
lassenen Materials, habe ich vorläufig die Untersuchungen in
den Archiven und Bibliotheken von Basel, Genf, Lausanne und
Avignon unternommen. In erster Linie handelt es sich darum,
die Geschichte der, wie mehrfach hervorgehoben wurde, grund
legenden Basler Handschrift so genau wie möglich darzustellen.
Es ist bekannt, dass bereits Ochs in seiner Geschichte der
grundfalsch charakterisiert ist, wenn man es, wie Beer, für Zusammen
stellung aus Collectaneen erklärt; der Codex bietet eine fortlaufende
Reihe chronologisch sich folgender Eintragungen 1 . Man sieht,
dass Haller’s Charakteristik hier einfach aus meinem Aufsätze abge
schrieben wurde!
Nach Herrn Haller sind die Pariser Handschriften ein officielles
Exemplar der Protokolle des Basler Concils. Nun lautet die Aufschrift
auf denselben nicht ,Protocollum‘, sondern ,Acta‘, aber gerade dieser
Umstand ist für Herrn Haller ,ein Argument dafür, dass der Inhalt sich
mit den offieiellen Acta decken dürfte 1 . Es wird uns also zugemuthet,
aus der allgemeinsten und am häufigsten vorkommenden Bezeichnung
,Acta‘ ohne die geringste hinzutretende Beglaubigung seliliessen zu müssen,
dass wir es hier mit einem offieiellen Protokolle zu tliun haben. Wie
eine wirklich offieielle Actensammlung beglaubigt wird, kann man aus
der weiter unten beschriebenen Basler Handschrift der Concilsdecrete
und Constitutionen entnehmen. Dort wird nach einem fast feierlichen
Eingänge ausdrücklich versichert, dass die Schriftstücke ,de verbo ad
verbum* angeführt erscheinen; der Notar bestätigt ihre Concordanz mit
den Originalen, ja er zählt die Blätter, auf denen die Sammlung ge
schrieben wurde. Dem Mangel an äusserer Beglaubigung jener ,Acta‘
entspricht auch der Tenor des Textes. Bruneti berichtet gleich am An
fänge u. a.: ,. . . de qua eleccione domini ambassiatores universitatis pe-
cierunt a me sibi fieri publicum instrumentum“ . . . ,admissus in proeu-
ratorem Bruneti nomine dominorum meorum de capitulo Attrebatensi 1
. . . ,de mane illa die dominus abbas de Verzelayo tradidit raichi de-
creta correcta ad conscribendum tres aut quatuor copias“ . . . Das sollen
die übrigen Notare mitgeschrieben haben •— denn nach Haller waren
ja die Aufzeichnungen Bruneti’s keine persönlichen, sondern die Hand
schrift bildet den Text des ,offieiellen Protokolles' in dem für ihn be
stimmten Handexemplare! — Auf die weiteren Hypothesen, zu welchen
Haller durch Heranziehung des Codex Regin. 1017 gelangt, dass die
,Notare anfangs protokollierten, ohne sich um einander zu kümmern 1 ,
,dass sich dann die Nothwendiglceit herausgestellt habe, besser Ordnung
zu schaffen' (!), bis endlich Uebereinstimmung erzielt wurde — alles
Dinge, über welche kein Wort überliefert wird — gehe ich hier nicht
ein. Haller’s Untersuchungen bedeuten einen entschiedenen Rückschritt,
und Palacky’s Charakterisierung des Werkes als amtlich geführtes
Journal Bruneti’s bleibt unerschüttert aufrecht.
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
13
Stadt und Landschaft Basel wichtige Urkunden für die Schick
sale der beiden Codices geliefert hat. Wenn diese Urkunden
hier von Neuem in wesentlich berichtigter und ergänzter Ge
stalt vorgelegt werden, so erscheint hiedurch sein Verdienst in
keiner Weise geschmälert. Ochs war der Erste, welcher, ge
leitet von der traditionellen Werthschätzung, welche Universität
und Rath, ja alle Gebildeten Basels, diesen beiden Codices an
gedeihen Hessen, die Geschichte derselben auf Grund documen
tarischer Zeugnisse zu illustrieren unternommen hat, manchmal
unbewusst und ohne die Beziehung von Urkunde und Hand
schrift festzustellen, aber doch als einer der Ersten, welchem
wir aus jener Zeit eine auf Jahrhunderte ausgedehnte Unter
suchung über eine und dieselbe Textquelle verdanken. Ueber
die Art und Weise, wie die von Ochs zusammengestellten An
gaben und die Urkunden zu ergänzen seien, wird im Folgenden
noch gesprochen werden. Gleich liier aber möchte ich hervor
heben, dass diese Sammlung mehr bietet als gewöhnliche Daten
zur Geschichte einer Handschrift, und sei diese auch von dem
Werthe, wie er den Basler Manuscripten der ,Collectiones' des
Johannes de Segovia zukommt.
Die weiter unten vorzulegende Actensammlung bietet einen
Beweis dafür, dass die beiden Codices mit den ,Collectiones'
des Juan de Segovia als historisches Denkmal nicht blos in der
wissenschaftlichen Welt eine hervorragende Rolle spielen, son
dern aucli in politischer Beziehung als ein Denkmal tiefgreifender
religiöser Verfassungskämpfe ein unbestrittenes Ansehen ge
nossen. Es wäre ganz unverständlich, wie sich Monarchen und
Staatsmänner hätten um die Beschaffung der Copie dieses
Werkes bemühen können, wenn ihr nicht noch eine andere
Bedeutung als die einer wenn auch ausserordentlich reichen
und lauteren historischen Quelle innegewohnt hätte. Für die
uns obliegende Classiticierung der handschriftlichen Zeugnisse
für den Text sind diese Urkunden auch insoferne wichtig, als
sie uns die äusseren Belege dafür bieten, dass eine gewisse Zahl
von Copien des Werkes direct aus den Basler Manuscripten
geflossen sind. 1 Indem ich mir Vorbehalte, über die sonst vor-
1 Auch das Manuscript der Madrider Nationalbibliotholc, welches übrigens
nur fünf Bücher: VII, XIV—XVII enthält, ist nach der Note am Schlüsse;
14
XIII. Abhandlung: Beer.
handenen Abschriften der ,Collectiones‘ zu berichten, möchte
ich hervorheben, dass sich die Einleitung in G-emässheit der
oben auseinandergesetzten Principien nicht darauf beschränken
wird, ausschliesslich die Textquellen zu dem Werke als solche
zu registrieren und ihrem Werthe gemäss zu classificieren. Eine
methodische Untersuchung wird naturgemäss von den Mate
rialien auszugehen haben, welche ihm bei der Abfassung seines
Werkes Vorlagen; dass hiebei die officielle Sammlung von
Sessionsdecreten und Briefen eine hervorragende Stellung ein
nimmt, ist selbstverständlich. Es wird die Untersuchung zu
zeigen haben, welche Redaction dieser Sammlung, die uns durch
den Druck wiederholt, z. B. in der ,Amplissima conciliorum
collectio' und bei Mansi, Bd. XXIX, zugänglich gemacht ist,
sich am meisten der von Johannes de Segovia benützten nähert.
Für diese und ähnliche Forschungen wird auch das bisher fast
ganz vernachlässigte Material aus spanischen Bibliotheken und
Archiven heranzuziehen sein.
Unter den zahlreichen handschriftlichen Exemplaren der
erwähnten officiellen Sammlung dürfte besondere Autorität eine
Redaction beanspruchen, welche bisher so gut wie gar nicht
bekannt war. Es ist dies das in der Universitätsbibliothek zu
Salamanca aufbewahrte Exemplar der Decrete und Briefe des
Basler Concils. Aus den kurzen Notizen, welche Valentinelli
in dem Bande XXXIII (1860) der Sitzungsberichte der kaiser
lichen Akademie', S. 60, und das ,Anuario del cuerpo faculta-
tivo de archiveros, bibliotecarias y anticuarios', Bd. II (1882),
,Nos Consul et Senatus Reipublieae Basiliensis attestamur praesentibus
praemissum volumen, continens collectionem decimam tertiam Historiae
actorum Concilii Basiliensis a Iohanne de Segobia exaratae a folio . .
ad folium 566 inclusive ac in Bibliotheca Regis Christianissimi reponen-
dum de verbo ad verbum ex vetusto manuscripto codice membranaceo
in folio, qui in nostro archivo asservatur, descriptum, cum eoque exactis-
sima diligentia et fide collatum et ei consonum repertum fuisse. In cuius
rei fidem re omni cognita et explorata, hacce (?) a secretario nostro
maiori corroborari iussimus. Die 28° iunii anno 1724. D. Christ/; eine
Abschrift der Basler Handschrift. Auffällig ist es, dass in dem Werke
,Ensayo de una Biblioteca espanola de libros raros y curiosos, formado
con los apuntamientos de D. B. J. Gallardo, coordinados y aumentados por
D. M. R. Zarco del Valle y D. P. Sancho Rayon 4 , Bd. II, diese Abschrift
nicht erwähnt wird.
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
15
S. 150, über diese Handschrift mittheilen, glaubte ich zunächst
vermuthen zu dürfen, dass es eine Handschrift der ,Collec-
tiones' des Johannes de Segovia sei, zumal ja bekanntlich Jo
hannes de Segovia von der Universität Salamanca zum Concil
entsendet wurde. Dem Beamten der Universitätsbibliothek
Salamanca, Herrn Manuel Castillo, welcher die Freundlichkeit
hatte, auf mein Ersuchen hin die beiden Bände einer Prüfung
zu unterziehen, verdanke ich nähere Mittheilungen über dieses
interessante Manusc.ript. Es besteht, wie bemerkt, aus zwei
Theilen, ist durchwegs auf feinem Pergament im 15. Jahrhundert
geschrieben; sämmtliche Blätter sind von einer Seidenschnur
durchzogen, an welcher zwei Siegel hängen, das des Concils
von Basel und das des Concils von Lausanne. Alle Sessions-
decrete, sowohl die auf Basel, wie auch die auf Lausanne be
züglichen sind, wie Herr Castillo schreibt, ,visadas, certifi-
cadas, firmadas y rubricadas por los notarios del concilioh Der
zweite Band enthält die Briefe der Synode, nicht blos die
jenigen, welche in den genannten Ausgaben stehen, sondern
auch einige andere. Bezüglich der Geschichte der Handschrift
theilt Herr Castillo mit, dass dieselbe von dem Bischof Diego
Anaya Maldonado mitgebracht worden sei. 1 Anaya liegt in der
alten Kathedrale Salamancas in der Kapelle, welche seinen
Namen führt, begraben. Ich gedenke noch Genaueres über dieses
Manuscript, ebenso wie über die übrigen Quellen, welche bei
der Redaction des Werkes des Johannes de Segovia zu be
rücksichtigen sind, und von denen ich ja einige bereits bei der
Besprechung der Redaction des 18. Buches erwähnte, mittheilen
zu können. Es ist zweifellos, dass auch hiefür in Spanien, nicht
blos in Salamanca und Madrid, sondern auch in Barcelona, noch
wichtige Quellen zu heben sein werden. Ganz besonders gilt
dies für die gleichfalls der Einleitung vorbehaltene Vita des
Autors. Ich habe, um" die Untersuchung methodisch zu führen,
zunächst eine Zusammenstellung über die biographischen Quellen
Spaniens versucht 2 und hiebei eine Reihe von wünschenswerthen
1 Diese Mittheilung beruht auf einem Missverständnisse. Anaya ist lange
vor Schluss des Concils gestorben.
2 ,Der Stand der biographischen Studien in Spanien. 4 (Biographische Blätter,
Bd. I, Heft III.)
16
XIII. Abhandlung: Beer.
Daten für die Biographie des Autors gewinnen können. Werth
volles Material liegt nach den Angaben von Jimenz de la
Espada 1 auch in einer Handschrift der Madrider National-
bibliothek C c 78, Fol. 108—151 ,Praefatio de la Version del
Coran que hizo Juan de Segovia‘, und der genannte Gewährs
mann charakterisiert dieses Manuscript als ,copia, en donde se
hallan noticias de la ultima epoca de la vida de Juan de Se-
goviah 2 Wichtige Daten dürften auch aus der Erforschung des
Registers der Universität Salamanca und der Urkunden und
Actensammlung, welche Tomas Baeza y Gonzalez, der Ver
fasser des Werkes ,Apuntes biograticos de escritores Segovianos 43
hinterlassen, zu gewinnen sein. Baeza hat auch nach Nicolaus
Antonio’s Vorgang auf eine interessante Correspondenz hin
gewiesen, welche sich in der vaticanischen Handschrift 2923
findet. Dass diese Correspondenz für die Einleitung in aus
gedehnter Weise benützt werden wird, ist selbstverständlich.
Ausser den bereits angeführten gedruckten spanischen Quellen
sind Colmenare’s ,Historia de Segovia*, die ,Crönica de Don
Juan II. c , die Mittheilungen im 19. und 20. Bande der ,Colecciön
de documentos ineditos para la historia de Esparia* und einige
andere zu verwerthen. Auffallend ist es, dass ein Johannes de
Segovia in dem ,Testamentum Fortuni Episcopi Segoviensis
a. 1460* als Testamentsvollstrecker erscheint. 4 Bevor nicht die
oben erwähnten handschriftlichen Daten vollständig durchforscht
sind, wage ich keine Vermuthung über die Identität auszu
sprechen. 5 Ausser den hier erwähnten und, wie bemerkt, noch
1 In (len Noten zu Pero Tafnr’s ,Andanc;as e viajes 1 (Coleceion de libros
espanoles ravos o curiosos VIII, 2, 521).
2 In dem Handschriftenverzeichnisse der Nationalbibliothek, welches Gal-
lardo dem zweiten Bande seiner ,Biblioteca‘ beifügte, s. v., ist dieses
Manuscript S. 150 unter dem Titel ,Praefatiq in translationem, noviter
editam, vulgaremque hispanam libri Alcoran 1 angeführt. — Mittlerweile
ist mir durch die liebenswürdige Unterstützung des Herrn Castil 1 o eine
Abschrift dieser Vorrede zugekommen. Die für die Arbeitsweise des Ver
fassers hochinteressanten Ausführungen hoffe ich gelegentlich wenigstens
im Auszuge mittheilen zu können.
3 Segovia 1877, 8°.
4 Espana Sagrada, Tom. XXXVI, Apend. LXXVIII, p. CLXXXVI.
6 Ein Johannes de Segovia erscheint auch als Verfasser eines ,Liber artis
praedicationis“ im 16. Jahrh., vgl. Gallardo, Bd. IV, s. v.
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
17
nicht entsprechend benützten spanischen Quellen ist natürlich
Segovia’s Hauptwerk für uns von weitaus grösstem Interesse.
Die bezüglichen, allerdings nur aus dem damals allein publi-
cierten I. Bande des Werkes gesammelten Daten wurden schon
von Zimmermann in der bereits erwähnten Biographie, der
besten, welche wir für den Autor besitzen, in sachgemässer
Weise vervverthet. 1 Die anderen Quellen werden aus einer
systematischen Durchmusterung der Archive und Bibliotheken in
der Weise zu beschaffen sein, dass alle wichtigeren auf ihn be
züglichen Documente und Textstellen chronologisch zusammen
gestellt werden. Der Anfang hiezu ist bereits in den Mitthei
lungen über die von mir besuchten Archive und Bibliotheken
gemacht worden, auf welche ich hiemit übergehe.
Basel.
Hier kamen für meine Forschungen das Staatsarchiv
des Cantons Basel-Stadt' und die ,Stadtbibliothek' in Betracht.
Das Archiv der Universität enthält, wie aus dem von Professor
Dr. Jakob Wackernagel veröffentlichten Verzeichniss 2 hervor
geht, keine das Baseler Concil betreffenden Urkunden.
Staatsarchiv.
Das Archiv, welches sich jetzt, dank der umsichtigen
Leitung des gegenwärtigen Archivars Rudolf Wackernagel, in
musterhafter Ordnung befindet, ist im ersten Stockwerke des
Rathhauses untergebracht und steht täglich von 8—12 und
1 Die Stellen, in welchen sich Johannes de Segovia selbst auch unter der
Bezeichnung horum relator oder scriptor, praesentium memorator u. s. w.
nennt, werden im Index genau ersichtlich gemacht sein. Die Anferti
gung desselben hat im Aufträge der kaiserlichen Akademie Herr Dr.
Edmund Groag übernommen und auch für den ersten Band bereits
durchgeführt.
2 Inventar des Archivs der Universität Basel von Professor Dr. Jakob
Wackernagel. Anzeiger für Schweizerische Geschichte (Beilage). Bern,
1895. — Die ältesten Bücher (Statuarien und Matricula studiosorum)
beginnen mit dem Jahre 1460. Die älteste der (30) in dem Archiv vor
handenen Pergamenturkunden datiert aus dem Jahre 1492.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXXV. Bd. 13. Abb. 2
18
XIII. Abhandlung: Beer.
2 — 6 Uhr zur Benützung offen. Die ausserordentlich reichen
Schätze bildeten die vorzüglichste Fundgrube für meine Unter
suchungen, bei welchen ich mich der thatkräftigsten Förderung
seitens des Herrn Vorstandes, wie auch der Herren Beamten
erfreute. Es gereicht mir zur angenehmen Pflicht, hiefür
meinen besten Dank öffentlich auszusprechen. Die Quellen,
welche ich zur Orientierung benützte, sind folgende:
A. Handschriftliche Inventare und Aufzeichnungen.
1. Kleinere Verzeichnisse aus dem 15. Jahi’hundert. Vgl.
Wackernagel, Inventar, p. 3.
2. Das Inventar Hans Gerster’s. Vgl. Wackernagel,
a. a. 0., p. 4.
3. Das ,blaue Register'. Vgl. Wackernagel, a. a. 0., p. 28
(Concil).
4. Die neu angelegten Regestenzettel über die Urkunden
des Archivs.
B. Druckwerke.
1. Ochs, Peter, Geschichte der Stadt und Landschaft
Basel. Basel, Schweighauser, Bd. III, p. 573ff.: Siebzehntes
Capitel. Ueber die Acta concilii.
2. Wackernagel, Rudolf, Das Staatsarchiv des Cantons
Basel-Stadt. Basel, Baur, 1882. 8° (35 p.).
3. Wackernagel, Rudolf, Inventar des Staatsarchivs des
Cantons Basel-Stadt. Anzeiger für Schweizerische Geschichte
(1892) und in Separatabdruck, I. Wyss, 1892 (32 p.) erschienen,
nach welchem ich citiere.
Die Eingangs erwähnten kleineren Inventare aus dem
15. Jahrhundert beziehen sich auf vereinzelte Gruppen des
Archivbestandes, bei welchen eine einheitliche Ordnung und
planmässige Eintheilung nicht beachtet wurde'. 1 Immerhin ist
es bemerkenswerth, dass in diesen Gruppen neben ,composi-
ciones, exulciones et vidimus privilegiorum quam plurium, reiss-
hriefe, rodel, unnütz missiven' auch ,gesta concilii' ange
führt erscheinen. Ueber die Bezeichnung ,gesta‘ (nicht ,acta'),
welche hier wohl auf keine Documentengruppe, sondern auf
1 Wackernagel, a. a. 0., p. 3.
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
19
ein Sammelwerk hinweisen dürfte, Näheres noch weiter unten.
Schon hier sei hervorgehoben, dass diese Notiz, welche aus
dem Beginn der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammt,
den ältesten Beleg für das Vorhandensein urkundlicher Zeug
nisse über das Concil darstellt.
Ausführlicheres bietet das von Hans Ger st er ange
legte Inventar. 1487 mit der Ordnung des Archivs betraut,
legte er ein genaues Verzeichniss der Urkunden an, welches
noch heute zum Archivgebrauche dient. Es umfasst zwei starke
Bände in 4° und klein Folio, 518 und 291 Blätter in festen,
mit Leder überzogenen Holzbänden. Der erste Band ist fast
ganz von Gerster’s Hand geschrieben und enthält nur ver
einzelte spätere Eintragungen, der zweite wurde von ihm
begonnen und bis Folio 85 geführt. Der Titel des ersten
Bandes lautet:
Tiber He<ji|lrat[ure Prfvi]
legior Altimiq [Chartar]
(fiuitntiö Baftlienfts
der des zweiten:
Liber Secundus registrature
litterar Civitatis Basiliensis
Die Rückentitel der Bände lauten:
Alte j geheime Registr. | über das | Obere Gewölb | Tom. I.
[Tom. II.] A—0 III [P III—A V].
Das Inventar verzeichnet nur Einzelurkunden, daher ist
es vergeblich, Beiträge zu unserer Concilsgescliichte dort zu
suchen; die das Concil betreffenden Documente sind Bd. I,
fol. 38 a —44 b registriert — nach Angabe der Regesten betrifft
keines derselben Johannes de Segovia. Im Uebrigen ist betreffs
dieses Inventars Wackernagel’s Inventar zu vergleichen.
In dem sogenannten ,Blauen Register' findet sich eine
grössere Zahl von Urkunden des Archivs von jüngerer Hand
verzeichnet. Unter der Abtheilung ,Concil' und mit der Ueber-
schrift ,ecclesiastica varia — die Herkunft dieser 30 Urkunden
ist unbekannt, die Conciliumsbullen befanden sich im Steinen-
Kloster ohne Angabe, woher sie dahin gekommen' u. s. w. sind
Regesten über 18 Acten (zumeist Decrete) des Basler Concils
angeführt. Von diesen ist ein Document Nr. 14, II. non. Febr.:
2*
20
XIII. Abhandlung: Beer.
,Papst Felix V. ernennt eine Anzahl Cardinäle* für uns von
Interesse. Dasselbe ist heute wohl conserviert im Archiv vor
handen, Original, mit dem an einer Schnur hängenden Bleisiegel
des Gegenpapstes. Die für uns wichtigen Theile des Textes
lauten:
Felix episcopus servus servorum dei ernennt zu Cardi-
nälen venerabiles fratres Alexandrum patriarcham Aquilegiensem
Othonen(!) dertusiensis absentem Georgium Vicensis Franciscum
Gebennensis Bernardum Aquensis. Johannem Argentinensis
Episcopos et dilectos filios Johannem de Bavaria utriusque
iuris doctorem et Johannem de Segobia in Sacra pagina
professorem u. s. w. in sequenti consistorio tt dedimus vide-
licet Alexandro Patriarche Aquilegiensi sancti Laurentii in
damaso... et Johanni de Segobia sancti Calixti. . . Dat
Basilee II Non Februar. Anno a Nativitate domini Millesimo
quadringentesimo quadragesimo primo Pontilicatus nfi Anno
Primo.
Die neu angelegten Zettel über die in den vorerwähnten
Verzeichnissen nicht oder nur unvollständig beschriebenen Ur
kunden enthalten Regesten über verschiedene das Basler Concil
betreffende Acten (Papst Felix V. 1440, April 28; Friedrichs
Aufkündigung des Geleites 1447, August 18; Appellation hie-
gegen 1447, October 17; neuerliche Appellation 1448, Jänner 25;
Lyon als künftiger Concilsort genannt 1448, Juni 15, vgl. a.
1448, Februar 23, 1448, Mai 31, 1448, Juni 28, u. s. w.), doch
betrifft keine direct unseren spanischen Historiographen.
Die urkundlichen Quellen über ihn und sein Werk sind
an einer anderen Stelle zu suchen, über welche die angeführten
Verzeichnisse keine Kunde bieten.
Das von Ochs beschriebene sogenannte Concilienbuch hat
sich nämlich ebenso wie die von ihm excerpierte Actensamm-
lung, welche die Textgeschichte der Handschriften von Johannes
des Segovia’s collectiones aufhellen, glücklicherweise bis zum
heutigen Tage erhalten.
Der von Ochs, Geschichte der Stadt und Landschaft
Basel, Baud III, p. 605 E gelieferten Beschreibung und Inhalts
angabe des Concilienbuches ist nur wenig nachzutragen. Es
ist ein grosser Quartband von 147 Papierblättern, in Pergament
gebunden und von verschiedenen Händen beschrieben. Es
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
21
enthält ausschliesslich Abschriften, keine Originale, wenigstens
keine Original-Urkunden.
Da das Buch vorwiegend städtische Angelegenheiten be
handelt, wurde es vom Herrn Archivar Wackernagel nicht wie
die meisten das Concil betreffenden Codices des Archivs an
die Universitätsbibliothek abgegeben, sondern für das Stadt
archiv zurückbehalten. An der Spitze steht die Aufschrift:
Das Concilift Buri] 1
Das Buch beginnt mit Bestimmungen über die- Geschäfte
der öffentlichen Wechsler und schliesst mit der sittenpolizei
lichen Verordnung, welche Ochs mittheilt, auf welchen (a. a. 0.)
bezüglich des übrigen Inhalts verwiesen sei. Auf Johannes de
Segovia beziehen sich folgende Stellen:
Fol. 49 R Dar zu als die zwen Cardinei sti Calixti und
sti Marcelli van dem tage ze Gennff wider gen Basel kament,
Schicktent die Rete Ir erber Bottschafft zu Inen zu erfaren
wie der tag zergangen | was da beschloßen Und wie die Statt
versorget were. Antwurtent sy under anderm, daß der Ertz-
bisschoff von Reuß sich der Statt Sachen angenommen hette
und versprochen an dem Kunge van Franckrich forderlich ze
werben, dass durch sin zutun dem Römischen Kung treffe-
lich geschriben oder eyn Bottschafft zu Im gevertiget wurde
u. s. w. und
Wie d’r Statt geleit den vettern vffgeseit wart. 1448 71
Juni 28, ein Act, der sich vollzog presentibus dominis Cardi-
nalibus Johanne sancti Calixti Bernhardo quatuor Coronatorum
et Guillermo sancti Marcelli nec non Reverendis dominis epi-
scopis etc. Im Verlauf dieses Documents wird wieder auf die
dieta Gebbennensis angespielt: tune incidebat dieta Gebennensis 72
per quam sperabantur huiusmodi impedimenta tolli et pax
atque vnitas ecclesie parari. Ad quam cum accessissent ex ipso
Sacro concilio duo Reverendissimi patres domini Cardinales
sanctorum Calixti et Marcelli legati missi fuerunt iidem domini
ante ipsorum ab hac civitate recessum proparte sepedicti consu-
latus debita cum instancia rogati vt tarn apud dominum nostrum
felicem papam quam Reverendissimos dominos Cardinales cum
1 Neuere Signatur: Hint. Canzlei B 0. 2.
22
XIII. Abhandlung: Beer.
Tl vo sua sanctitate | existentes Sic eciam oratores principum illue
missos et mittendos dignarentnr ipsam civitatem Basiliensem
sibi cordialiter habere reconmissam u. s. w.
Was die von Ochs bereits auszugsweise mitgeth eilte
Sammlung von Aktenstücken zur Geschichte der im Archive
auf bewahrten, das Concil betreffenden Codices betrifft, so habe
ich der unten folgenden revidierten und ergänzten Neuver-
öffentlichung nur wenige erklärende Worte beizufiigen. Die
von Ochs benützten Urkunden haben sich dank der freund
lichen Unterstützung des Herrn Archivars Wackernagel voll
ständig wieder auffinden lassen, und manch interessantes Stück
— wie z. B. die Empfangsbestätigung König Ferdinand I. —
ist neu hinzugekommen. Die Urkunden wurden vor kurzer
Frist mit Rücksicht auf ihre Wichtigkeit in einen grossen Folio
band vereinigt und mit fortlaufender Numerierung versehen.
Dass das Entlehnungsansuchen des Königs mit den damaligen
religiösen Kämpfen im Zusammenhang stand, ist ebenso ausser
Zweifel, als der Umstand, dass auf die verlangten acta schon
damals auch in weiteren Kreisen hohes Gewicht gelegt wurde.
Ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich unter denselben die
beiden Pergament-Codices mit den collectiones des Johannes
de Segovia verstehe. Sie allein bilden eine fortlaufende und
urkundlich beglaubigte Darstellung der Concilsereignisse; die
Bezeichnung: ,wegen zwaier puecher darjnn die Acta des Conci-
liums zu Basel gehallten, beschriben und begriffet passt auf
dieses Werk, welches auch sonst im Gegensatz zu den gesta
des Johannes de Ragusia schlechthin acta concilii genannt wird.
Gleichfalls politisch-religiösem Interesse entsprang das mehr als
eineinhalb Jahrhunderte nachher von dem Gesandten des öster
reichischen Hofes Franz Ehrenreich Graf von Trauttmansdorff 1
gestellte Ansuchen. Die weitaus grösste Anzahl der Acten,
welche sich an den eben erwähnten anschliessen, betreffen die
eingehende und langjährige Thätigkeit des Professors der Theo
logie an der Basler Universität Jakob Christoph Iselin, welche
1 Geb. am 21. Jänner 1662, gest. am 8. März 1719, ein Sohn des Grafen
Adam Maximilian und der Regina Katharina Gräfin Windischgrätz,
österreichischer Vice-Kammerpräsident und zuletzt Gesandter in der
Schweiz.
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segoyia’s Geschichte d. Basler Concils.
23
derselbe dann speciell den Collectiones des Johannes de Segovia
widmete. Abgesehen von den eigenhändigen Aufzeichnungen
Iselin’s Uber seine Thätigkeit, welche sich auf den Vorsteck
blättern der Original-Codices und der Copie (in der Univer
sitäts-Bibliothek Basels) vorfinden und die wir unten mittheilen,
werden seine Arbeiten durch nichts besser charakterisiert, als
durch eine Stelle in dem ihm von de Boze gewidmeten Nach
rufe in der ,Histoire de l’Acadfime Royale des Inscriptions et
Belles-Lettres/ Tome XII, 1740, p. 851 ff. Da diese Mittheilung
auch über fast alle in den Acten erwähnten Persönlichkeiten
und Arbeiten Aufschluss gewährt, lasse ich sie hier im Wort
laute folgen, nicht ohne auf den zum Schlüsse ausgedrückten
Wunsch hinzuweisen, der sich auf die vollständige Publication
der Collectiones des Johannes de Segovia bezieht und erst
durch die akademische Ausgabe seine Erfüllung fand:
En 1716 il prit d’autres arrangements pour venir ä Paris, passer
de la en Angleterre, et s’en retourner par la Hollande et l’Allemagne;
mais il s’arreta ä Paris au dela meme du temps prescrit pour le tout,
et l’Universite de Basle obligee de le rappeller, le rappella, a son ordi-
naire, par quelque nouvelle marque de distinction; eile luy eonfdra, en
son absence, la dignite de Becteur.
Il emporta avec l’estime et les regrets de tous les Scavans qu’il ^
avoit frequentez a Paris, une haute idee de nos etablissements litte-
raires, et une vdneration singuliere pour Monsieur le Chancelier, avee
qui il avoit eu plusieurs Conferences sur des points de Litterature,
d’Histoire, de Theologie meme, et qu’il avoit trouve sur chacun toü-
jours aussi profond, et communement plus sublime, plus delicat et plus
perqant que ceux qui paroissoient en avoir fait le principal objet de
leurs etudes.
Dans une de ces confdrences il fut question du Concile de Basle:
Monsieur le Chancelier avoit extremcment ä coeur qu’on en donnät une
bonne histoire; il en avoit luy meme rassemblö ou fait rassembler bien
des materiaux epars, et M. Baluze s’estoit clmrge de les mettre en
oeuvre. Mais il estoit persuade que l’on en devoit trouver a Basle un
plus grand nombre encore que nous ne connoissiöns point, et M. Iselin
se presentoit trop a propos pour qu’on ndgligeat de s’en eelaircir. Per
sonne, en effet, ne pouvoit en rendre un meilleur compte; toutes ces
pieces sembloient estre entre ses mains, et rien n’auroit este plus sur-
prenant que le detail qu’il en fit.... Ce fait estoit que M. Lenfant Cha-
pelain du Boy de Prusse, qui venoit de publier l’Histoire du Concile
24
XIII. Abhandlung: Beer.
de Constance en deux Volumes in-quarto, se proposant de donner de
meme celle du Coneile de Basle, et ayant aussi juge qu’il devoit y avoir
sur cela beaueoup de elioses dans les Arcbives de la Tille ou dans la
Bibliothdque de l’Universite* il avoit engagd le Boy son maitre a en
demander la eomniunication; mais que le Magistrat; n’ayant jamais
voulu consentir ä la sortie ni au deplacement d’aucun des Originaux, il
s’estoit contente des extraits qu’on luy en avoit olferts, et que c’estoit
luy (M. Iselin) qui avoit este Charge de les faire.
Monsieur le Chancelier, accoutume a penser en Grand et ä chercher
la perfection en tout, luy dit que ces extraits, dont il oflroit gendreuse-
ment les duplieata eerits de sa main, quelqu’exacts qu’on dut les sup-
poser, n’estoient cependant rien au prix d’une copie tout entiere, si on
pouvoit l’avoir, quelle que fut la depense ou la longeur du travail; car
dans le nombre prodigieux de pidees qu’il indiquoit, il y en avoit qui
formoient seules de tres gros Volumes.
Telle estoit, entri’autres, une Histoire ou ample Journal du Con
eile, redige par un des Membres de T Assemblee, Jean de Segovie, Docteur
Espagnol, que FUniversite de Salamanque y avoit depute et dont Aeneas
Sylvius, alors Secretaire ou Agent du Coneile, et depuis Pape sous le
nom de Pie II, parle magnifiquement en oinq ou six endroits de son ou-
vrage. Ce Journal, totalement oublie, eonsistoit en deux grands Volumes
in folio eerits ä deux colomnes, d’un caractere assez serre; et ce qui
marque le cas qu’on en faisoit, sans doute, dans le temps, c’est qu’on en
avait depose tout 4 la fois deux exemplaires, l’un en papier, l’autre en
velin, dans la Bibliotheque des Cordeliers de Basle, ou le Coneile s’estoit
assemble; et que lors du changement de Beligion, ces deux exemplaires
avoient este soigneusement transportez de la Bibliotheque des Cordeliers
dans les Arcbives de la Ville.
M. Iselin ne put disconvenir de l’extreme difference et du peu
d’utilite de ses extraits, en comparaison des copies entieres, dont la pre-
miere proposition l’avoit effraye; il prepara les voyes et sur les espe-
rances qu’il donna, on demanda au Magistrat de Basle, et le Magistrat
de Basle permit de faire copier sur les lieux tout ce que l’on souhaitoit.
Monsieur le Chancelier choisit pour cette Operation une personne
intelligente, qui la consomma heureusement dans l’espaee de deux
annees, avec le secours de M. Iselin, qui, Charge par la Kepublique
d’administrer les Originaux, en facilitoit la lecture, guidoit- les Copistes,
prevenoit. ou corrigeoit- leurs fautes et faisoit assez souvent des notes
separees, pour l’intelligence du texte.
Quand ces copies furent achevees, ou voulut leur donner la plus
grande authenticite qu’il seroit possible: on demanda qu’elles fussent
collationnees eontradiotoirement avec le Commissaire du Boy en cette
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
25
partie, qui estoit M. l’Abbe Jourdain, Secretaire de la Bibliotheque de
Sa Majeste, par teile autre personne qu’il plairoit au Magistrat de nom-
mer, et qui fut encore M. Iselin; on les fit ensuite legaliser au nom de
la Republique, representde par les Offieiers du Corps de Ville. Enfin,
on poussa l’exaetitude et le scrupule au point, que la copie du premier
yolume de l’histoire du Concile par Jean de Segovie, n’ayant pu se faire
d’abord que sur l’exemplaire en papier, paree que eeluy de velin estoit
egare, des que M. Iselin eut donne avis qu’on l’ayoit retrouve, M. 1’Abbe
Jourdain reporta sa copie a Basle, pour la faire surabondamment colla-
tionner et legaliser en conformite des deux exemplaires. Toutes ces
pieces rangees par ordre de dates et de matieres font aujourd’huy ä la
Bibliotheque du Roy, un corps de trente-trois yolumes in-folio, dont on
peut user aussi surement et bien plus commodement que des originaux:
qu’on les joigne aux differentes collections qu’on y avoit deja faites sur
le Coneile de Basle, c’est la source plus pure, la plus abondante ou puisse
jamais puiser quiconque en entreprendroit l’histoire. Heureux! si cette
digression naturellement liee ä l’eloge de M. Iselin, faisoit renaitre
icy quelque plume digne du projet de Monsieur le Chancelier, dont
l’ouvrage posthume de M. l’Enfent n’a pas eteint le desir, et dont la
mort de M. Baluze a fort eloigne l’accomplissement. 1
Ich lasse nunmehr die mehrerwähnten Acten im Wort
laute folgen und schliesse auch die Abschrift aus zwei Raths-
protokollen des Basler Archivs (aus den Jahren 1715 und 1724)
bei, welche gleichfalls die Concils-Codices betreffen.
Ferdinannd von gotes genaden Römischer,
Kunig zu allen Zeiten merer des Reichs etc.
Ersamen lieben getrewen, Als wir hieuor mit Euch, von
wegen zwaier puecher, darjnn die Acta des Conciliums zu Basel
gehallten, beschriben, vnd begriffen, hanndien lassen, dieselben,
des Ersamen weisen vnnser besonder lieben vnnd getrewen n.
Burgermaister vnnd Rat vnnser Stat Freyburg in Preysgaw
Gresandtn, gegen ainem Reuerß, das wir Ewch solche Buecher
1 An einen ähnlichen Bericht über diese Erwerbung- wird im Catalogue
des livres imprimez de la Bibliotheque du Roy, Paris 1739, vol. I, p. 62
die Bemerkung geknüpft: Rous pouvons assürer que par cette augmen-
tation Sa Majeste possede le plus ample recueil qu’il y ait sur tout ce
qui s’est passe dans le fameux concile de Basle, dont l’histoire a este
assez peu connue jusqu’icy.
26
XIII. Abhandlung: Beer.
oder Acta jn jarsfrist widerumb zuestellen wellen, ze vberannt-
wurttn, Ynnd jr Ewcli darauf, vnns dieselben volgen zelassen
vnderthenigclicli bewilligt, das wir dann von Ewch zu sonnderm
gnedigem gefallen angenomen, haben wir demnach bemeltem
Burgermaister vnnd Rat vnnser Stat Freihurg, solche Acta,
gegen vberantworttung vnnsers Reuers, durch jre Gesanndtn,
von Ewch zu emphahen, vnnd vnns die furtter, bey gewisser
Botschafft, Sicherlich vnnd förderlich zuezeschicken aufgelegt,
vnnd beuolhen. Ist hierumb vnnser gnedigs ansuechn vnnd
hegern an Ewch, jr wollet vorbeschehner Ewr bewilligung nach,
gedachter von Freiburg Gesantn, auf jr ansuechen vnnd begeer,
offtgemellte Acta, gegen vnnserm Reuers, vberantwurten vnd
zuestellen. Sollen Ewch dieselben Inhallt vnsers Reuers, in
Jarsfrist widerumb behendigt werden, An dem beschicht vnns
von Ewch sonder annemigs wolgefallen gegen Ewch in gnaden
zuerkhennen, Geben zu Passaw den xviii tag Februarij A° etc.
jm xxxvij vnnserer Reiche des Römischen jm vij tn vnnd der
andern jm Ailfften.
Ferdinand
Ad mandatum domini u. s. w.
Den Ersamen vnnsern vnd des Reichs lieben
getrewen n. Burgermaister vnd Rat der Stat
Basel.
(Nr. 55 der Sammlung.)
Wir Ferdinannd von Gotes genaden Römischer Kunig zu allen
Zeiten merer des Reichs, jn Germanien zu Hungern Behem
Dalmacien Croatien vnnd Sclauonien etc. Kunig, Infant in Hi-
spanien Ertzhertzog zu Österreich, Hertzog zu Burgundi, vnd
Wirtemberg etc. Graue zu Tirol etc.
Bekhennen, als vnns die Ersamen vnnsere vnnd des Reichs
lieben getrewen Burgermaister vnnd Rat, der Stat Basl, auf
vnser gnedigs ansynnen vnd begern, die Acta des gehaltnen
Concilij zu Basl, durch hannden, der Ersamen weisen vnnser
besonder lieben, vnnd getrewen Burgermaister vnnd Rats
vnnser Stat Freiburg jn Breisgaw, vberantwortten, vnnd der
gestallt zuestellen lassen, das wir jnen solche Acta jnnerhalb
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
27
Jarsfrist, widerumb beihendigen, vnnd gewislicli vberantworttn
lassen sollen, Gereden vnnd versprechen wir demnach jn crafft
ditz briefs, das wir gemellte Acta, jnmaß vnns die zuegestellt
worden sein, obbenenntn Burgermaister vnnd Rat der Stat
Basel on alle Waigerung in berurter Jarsfrist, widerumb vber-
anntwurttn, vnnd zuestellen lassen wellen, ongeuerde, mit vr-
khundt ditz briefs, Geben zu Passaw den xviii dn tag Februarij
Anno etc. jm xxxvii t0Q vnnserer Reiche des Römischen jm
Sibendtn, vnnd der andern jm Ailfftn,
F erdinand
Ad mandatum domini u. s. w.
(Nr. 54 der Sammlung.)
Unser fruntlich willig dyenst Seyen euch zuuor fursichtigen
Ersamen weysen Besundren lieben vnnd guten freundt.
Wir haben ewer schreyben vns mit Zuschickhung der
Artickel welcher gestalten gewesnen Conciliums bey euch aller-
ley notwendigkeyten halben Verordnung vnd fursehung gethon
Wie auch ewer hohe Schul aufgericht, fundiert vnnd Priui-
legiert worden seye, nach lengs gantz fruntlichs, nachpaurlichs
wolgefallens vernomen Bedanken vns desselben mit erpietung
solches der Römischen Kun. M* etc. vnserm allergnedigisten
herren von euch zuberuemen. Die es Sünder Zweyfel gegen
euch jnn gnaden zuerkennen vnd vnser gnedigister herr der
Cardinal von Tryent gnedigs willens gegen euch zuuergleichen
nit vergessen werden, vnnd für vnser personen mit freuntlicher
gueter nachpaurschafft zuerwidern vnd zuuerdyenen. Vnnd
Nachdem vnder andrem jnn obberurtem ewerm schreyben er-
meldet Das jr auf hochgemelter Kun r ' M* gnedigist ersuchen
derselben, was von anfang Biß zu end obberurten Conciliums
gehandelt worden, jnn zweyen büchern, Acta Concilij Basiliensis
genempt, beschriben, doch auf eyn Reuerßbrief das euch die
selben jnn Jarsfrist widerumb behandiget worden seyn, ver
gangnen Sybenunddreyssigisten Jars vberschickht die aber noch
bey Irer Kun. M* handen seyn sollen, mit begern Bey seyner
M*, dieselben euch zum Böldisten das seyn mochte, widerumben
zugestelt zewerden, zu sollicitieren etc. Das wollen wir alles
Vleyß gern vnd mit willen thun Wolten wir euch denen wir
28
XIII. Abhandlung: Beer.
Inn allweg freundt vnd gute Nachpaurschafft zu beweysen ge-
neygt zu danckgefelliger antwort nit verhalten, Datum Ensiss-
heym den xx sten tag Januarij Anno etc. xlv.
Ro 1 ' Kun 1 ' M 4 Stathalter Regenten
vnd Rate jnn obern Ellsaß.
Hanß von Andlaw,
Zott (?)
Den fursichtigen Ersamen vnd weysen Bürgermeister vnnd
Rat der Statt Basel vnseren besundren lieben vnnd gueten
Freunden.
(Kirchenacten A. 4. Fol. 205.)
Supplication Herrn Rectoris u. Regent bei löbl. Universität allhier
wegen Actis concilii Basileensis u. a.
Demnach seit geraumer Zeit von vielen einheimischen,
sonderlich auch außländischen Gelehrten, und darunder hohen
Persohnen so etwan Unsere Bibliothecam publicam Besichtiget,
denen Actis Concilij Basiliensis Vielfältig nachgefragt
worden, Alß wird hierdurch E. Ehrw. Regentz Veranlaßet, . . .
in Underthänigkeit vorzuestellen: Ob, umb obgedachte gleich
wohl so Beriiehmte Acta Concilij Basiliensis auß dißmahliger
Finsternuß, zur Curiosen Besichtigung und Gebrauch der ge
lehrten Welt an das Liecht und zum Vorschein zuebringen . . .
Auch zue mehrer: und sorgfältigerer Verpflegung und Conser
vation deroselben die sonsten in denen Gemäclieren des Rath
hauses, worinnen Sie Bißanhero eingeschlossen gehalten worden,
durch den staub . . . schaden leiden möchten ... in allhiesige
Bibliothec . . transportiert . . . werden solten.
Die Petition trägt kein Datum; doch ist der darauf hin
erflossene Rathsbeschluss von moderner Hand auf der Ur
kunde angemerkt: Mit Abfolgung der Acten des alhiesigen
Concilii. . . soll Einer Löbl. Universitet. . . willfahrt . . werden . .
(vom 8. Nov. 1713 datiert).
(Nr. 57 der Sammlung.)
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
29
Von Gottes gnaden Friderich Wilhelm
König in Preußen, Marggraf zu Brandenburg
u. s. w. u. s. w.
Vnsern günstigen Gruß und geneigten willen zuvor, Wol-
gebohrne, Edle, Ehrenveste, Hochweise und Hochgelehrte be
sonders liebe Freunde Alliirte und Bundsverwante. Wir geben
Euch hiemit in gnaden zu vernehmen, was maßen Unser Hof
prediger Jacques l’Enfant im Werck begriffen, die Historie des
in Eurer Stadt gehaltenen Concily zu beschreiben und durch
den Druck public zu machen, weshalb Er auch die allerunter-
thänigste Ansuchung bey Unß gethan, Wir wolten durch Unser
Vorwort Euch dahin zu disponieren bemühet seyn, daß Ihr zu
beforderung seines zum besten des Publici angesehenen guten
Vorhabens, die in Euerm Archiv vorhandene, zu dieser materie
gehörende Briefschafften und Urkunden, Ihm communicieren
möchtet. Gleichwie Wir nun außer Zweifel stellen, daß Ihr
Euch dazu gantz geneigt werdet erfinden laßen, Also haben
Wir Euch auch darumb hiedurch in Gnaden ersuchen wollen,
mit der Versicherung, daß Eure hierunter erzeigende Willfährig
keit Unß nicht allein zu einem angenehmen Gefallen, und wo
gegen Wir Euch Unsere Königliche Hulde und propension, bey
vorkommenden Gelegenheiten zu erweisen, nicht ermangelen
werden, gereichen soll, sondern Wir wollen auch sorgetragen
laßen, daß die von Euch anhero communicirende Documenta
und Brieffschafften, Euch mit dem förderlichsten sicher und
unbeschädiget wieder zurück gesandt werden sollen. In Er
wartung Eurer Antwort und Erklährung verbleiben Wir Euch
mit günstigem und geneigten Willen wol beygethan.
Geben Berlin den 1* Decembris 1714.
Wilhelm
Die Stadt Basel wird ersuchet,
dem Frantz. Hoffprediger
l’enfant so die historie des aldort
gehaltenen Concily zu beschreiben
willens, die zu dieser materie
gehörende und in dasigem Archiv
vorhandene Brieffschafften zu
communicieren. ML. von Printz
(Nr. 58 der Sammlung-.)
30
XIII. Abhandlung: Beer.
Hochgeacht: WohlEdlgebohrne, Gestreng Fromb, Yest, Vor
sichtig und weiße HochgeEkrte Herren:
Es leben S 1 ' Kays, und Königl. Cathol. Mayt. der Zu
versicht, M Hg Herren werden nicht abseyn, von denuen Acten
Concilii Basileensis die abschriften gegen bezahlung der ienigen
so darmit umzugehen haben verabfolgen zu lassen, wie ich
dann dieselbe gebührend hierumben zu ersuechen allergnädigst
befelcht worden, Nicht zweiflend, M Hg Herren werden solche
anstalten vorzukehren belieben damit selbige unter aufsicht
iemanden, in welchen löbl. Statt und Universität ein Völliges
Vertrauen setzet, verfertigt wurden, zumahlen auch H. Pro
fessor Iselin, der mir sonderlich wohl bekandt und ohne dem
alle zu dem Concilio gehörige Schriften und acten unter handen
hat umb darmit dem Königl. Preußischen HofFPredigern M r
l’Enfant bedient zu seyn, die bemühung dießfalls gern auff sich
nemben wird, wobey dieselbe in Gottes Schutz erlassend all-
stets verbleibe
M Hg Herren
Waldshuth d. 22. 8 Ms 1715.
dienstwilliger
Franz Ehrnreich Graff und Herr
zu Trauttmansdorff.
(Nr. S9 der Sammlung.)
Magnifiques Seigneurs,
II y a deja quelque temps que dans la vüe de faire donner
au public vn recüeil de tous les actes et de tous les anciens
monumens qui regardent le concile de Basle, j’ay fait faire des
recherches exactes dans le Royaume de tout ce que la curio-
site publique et particuliere avoit pü ramasser sur vne matiere
si interessante, et j’avois cru la france fort riche en ce point, par
le nombre des pieces que Ton a deja recouvrees. Mais j’ay
reconnu depuis que tout ce que nous possedons sur l’histoire
et les actes de ce concile n’est rien en comparaison des Thre-
sors que vous aves dans vos archives; Et 11 n’est pas surpre-
nant qu’vn concile qui a ete tenu dans votre ville soit devenu
en quelque maniere votre bien propre et comme vn patrimoine
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia's Geschichte d. Basler Concils.
31
precieux que la sagesse et la curiosite de vos predecesseurs a
conserve soigneusement a la posterite. II est donc bien juste
que toutes les nations, et surtout celles qui ont eu le plus
depart aux deliberations de ce concile, et qui le regardent
comme le rempart de leurs libertes, s’adressent a vous comme
a la souree des lumieres qu’ils peuvent recevoir sur vn sujet
si important, et que ce soit a votre generosite qu’eiles soient
redevables de ces anciens monuments dont vous etes les dignes
et fideles depositaires. Vous aimes trop le bien public pour
ne pas etre disposes a repandre des tbresors que vous ne cesses
point de posseder, en les communiquant aux autres nations
pour les enrichir sans vous appauvrir. Je me flate meine que
vous en feres part plus volontiers a vn Royaume avec lequel
vous aves vne si ancienne, et si etroite aliance; Le Prince qui
le gouverne a present a tant d’amour pour les lettres, Et II
est d’ailleurs si remply d’affection pour votre republique, que
je suis persuade que le plaisir que vous feres en cete occasion
a S. A. R. est encore vn nouveau motif qui vous portera h
entrer dans ce que je vous demande; 11 ne me conviendroit
point apres cela de vous parier en mon nom, Mais je puis au
moins vous assurer de la parfaite reconnoissance que j’auray
de tous les secours que vous voudrds bien nous donner pour la
perfection d’vn ouvrage vtile a la france, et glorieux a la ville
de Basle, a la quelle tout l’honneur en sera deub; Je ne perdray
aucune occasion de vous donner des marques d’vne si juste
reconnoissance, Et de vous assurer par mes Services que je suis
Magnifiques seigneurs
Votre tres humble serviteur
A Paris le 4. 7 bre 1717 Daguesseau
Adresse: A Messieurs
Messieurs Les Bourgmaistres Et
Consuls de la ville de Basle
a Basle Chancelier
Darauf von der Hand des Basler Stadtschreibers: begehrte
communication der Acta des alhießigen Concilii verlesen den
12*en 7nris 1777.
(Führt im neuen Aetenband die Nummer 60; unter Nr. 61 folgt eine freie
und nicht ganz richtige Uebersetzung des Stückes.)
32
Xlir. Abhandlung: Beer.
Magnifiques seigneurs,
Je vous dois deux sortes de remercimens, l’vn que je ne
vous fais pas seulement en mon nom, Mais au nom de S. A. R.
Mgr. le duc d’Orleans pour le Service que vous rendes a la
france, en nous accordant avec tant d’honnestete la communiea-
tion des pieces importantes que vous possedes sur l’histoire et
les actes du concile de Basle; L’autre sur l’exemplaire de ce
concile dont vous voules bien me faire part: Je ressens comme
je le dois et le bien que vous faites au public et la distinction
personelle que je re§ois en cette occasion: Je conserveray pre-
cieusement cet exemplaire du concile de Basle comme vn mo-
nument de votre amitie pour moy, et II tiendra vne place encore
plus distinguee dans mon coeur que dans ma bibliotheque: Mais
je ne seray point content jusques (so) a ce que j'aye trouve le
moyen de m’acquitter de ce que je vous dois et pour le public
et pour moy. J’en rechercheray les occasions avec empressement,
Et je m’estimeray fort heureux si je puis vous convaincre par
mes Services qu’on ne peut etre plus veritablement que je suis
Magnifiques seigneurs
Votre tres humble serviteur
a Paris le 5. 8 bre 1717. Daguesseau
(Adresse wie bei dem vorhergehenden Schreiben. Verlesen den 16. 8 bris 1717.
Nr. 65 der Sammlung.)
Magnifiques Seigneurs,
Je prends trop de part a tout ce qui regarde la gloire
de votre republique et le bien general de la litterature, pour
ne pas vous feliciter du bonheur que vous aves eu de retrouver
en fin l’exemplaire original du premier volume des actes du
Concile de Basle dont la perte paroissoit presque irreparable.
Quand la generosite avec laquelle vous aves bien voulu me
faire part, ou plutost a. S. A. R. Mgr Le Regent, et h toutte
la france, des monumens precieux que vous conserves sur ce
concile ne m’engageroit pas a en ressentir vne joye particuliere.
II me suffiroit d’aimer les lettres, et d’etre aussi sensible que
je le suis a vos avantages, pour applaudir hautement a vne si
heureuse decouverte, Mais vous aves sgu m’y interesser d’ailleurs
si parfaitement qu’il m’est permis en quelque maniere de me
Urltundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
33
feliciter moy meine du plaisir que vous aves eu de retrouver
vn thresor vnique et que vous etes si dignes de posseder, C’est
dans cette confiance et apres avoir deja fait vne experience
favorable de votre affection pour la france, et de votre hon-
nestete pour moy, que je m’adresse encore a vous pour vous
supplier de vouloir bien que M. Isselin puisse avoir la liberte
de collationner sur cet original la copie du p. er volume des actes
du concile de Basle que le S. Jourdain a faite, avec votre
permission, sur vne autre copie qui älors tenoit Heu de l’Original,
mais qui n’en avoit ny l’authorite ny la perfection, Et puisque
j’ay commence a vous demander des graces, permettes moy
de vous prier d’en adjouter vne seconde a la premiere quej’at-
tends de votre bonte, C’est de vouloir bien ordonner que l’on
cherche dans vos archives les six dornicres Collections de Jean
de Segovie qui manquent a la perfection de l’ouvrage dont vous
aves trouve bon que l’on me fist part. Je ne scay si ces six
dernieres collections ont jamais existe et si ce Cardinal a acheve
cette derniere partie de son recueil, II y a des raisons asses fortes
pour en douter, Mais d’vn autre coste Le S rl Jourdain pretend
que quelques vns de ses amis qui ont des habitudes dans la chan-
cellerie de votre ville luy ont parle d’vne maniere, qui malgre
les doutes fort vray semblables de M. Isselin sur ce sujet donne-
roient lieu d’esperer que ces six collections pourroient s’y trouver,
Ce qu’il y a de certain c’est que si eiles existent, eiles ne peu-
vent se trouver que dans ce depost La recherche que je vous
supplie d’en faire faire mettra le comble et comme le sgeau a
touttes les obligations que S. A. R et tout ce Royaume vous
auront de touttes les richesses que vous nous aures communiquees
sur le Concile de Basle, Et puisque vous aves bien voulu que j’en
fusse le canal; Je ne sgaurois asses vous temoigner combien j’en
conserveray de reconnoissance, et combien je m’estimerois heu-
reux si je pouvois vous assurer par mes Services que je suis
Magniliques Seigneurs
Votre tres humble serviteur
a Fresnes le 18. mars 1720. Daguesseau.
(Adresse wie bei den früheren Schreiben. Verlesen am 27. März 1720. Nr. 81
der Sammlung.)
3
1 Le Sr. von Daguesseau eigenhändig später ergänzt.
Sitzungsber. d. pliil.-liist. CI. CXXXY. Bd. 13. AbU.
34
XIII. Abhandlung: Beer.
Aus dem Briefe des Abbe Bignon:
Messieurs
. . . J’ose donc esperer que vous me pardonnerez vn
Empressement que m’inspirent et la passion que j’ay depuis
mon Enfance pour tout ce qui interesse les Sciences, et le desir
de contribuer a enrichir la Bibliotheque du Roy, dont S. M.
m’a confie le soin depuis cinq ans.
J’y ay trouve des Copies des Actes de tout ce qui regarde
le Concil de Basic que vous aviez permis de tirer sur vos
Originaux du vivant de M. l’Abbe de Louvois Bibliothecaire
du Roy, mon predecesseur. Des Pieces si curieuses m’ont paru
man quer d’une formalite considerable. II ne paroist point sur
ces Copies qu’elles ayent ete collationnees sur vos originaux, et
je les ay donc fait reporter sous vos yeux, Messieurs, par le
Secretaire de la Bibliotheque du Roy. La grace que j’ose
vous demander est d’ordonner que cette collation se fasse avec
exactitude et avec authenticite. Peut etre vn Esprit de vanite
me seduit-il en me faisant croire que ce ne me sera pas vn
mediocre honne.ur d’avoir ajoute cette nouvelle curiosite pariny
tant d’autres, qui forment de cette Bibliotheque vn si riche
Thresor . . .
L’abbe Bignon.
A Paris le 14. Avril 1724.
(Nr. 89 der Sammlung-. Adresse nicht mehr vorhanden.)
Magnifiques Seigneurs
Cette lettre vous sera remise par M. Jourdain secretaire
de la Biblioteque du Roi. II a eu ordre de donner la forme
la plus autentique qu’il sera possible, aux copies qui ont ete
tirees en 1717. 18. et 19. des Manuscrits originaux concernant
le Consile de Basle qui sont tant dans le Tresor des Archiues
que dans la Biblioteque de l’vniversite de votre ville, et II
s’y est rendu pour cet eifet, Sa Majeste ayant resolu de ne
faire remettre ces copies dans sa Biblioteque qu’aprez que
l’ouurage auquel il va trauailler aura ete mis dans sa perfection;
Pour y reussir il a besoin de votre authorite afin de mieux
paruenir aux decouuertes qui lui sont necessaires et j’ai ordre
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
35
de vous le recommander: Je vous prie donc, Magnifiques
Seigneurs de vouloir bien ordonner qu’on lui fournisse, a cette
occasion, touts les eclaircissemens qu’ii pourra desirer et qu’on
lui communique les pieces qu’il croira lui etre utiles. Je serai
tres sensible a touttes les facilitds que je me Hatte que vous
luy procurerez et Sa Majeste, ä qui J’en rendray compte, vous
en scaura bon gre.
Je prie Dieu quil vous Maintienne dans la prosperite de
tout ce qui peut vous etre le plus auantageux.
a Soleure le 25. Auril 1724.
Magnifiques Seigneurs
Votre affectionne a vous servil -
Davaray.
(Auf der ersten Seite unten: M" de Basle. Nr. 90 der Sammlung;.)
Memoire
Le S r Jourdain qui est a Basle de la part et sous les
ordres de Mgr L’abbe Bignon Conseiller d’Etat ordinaire et
Bibliotecaire du Boy, suplie bumblement Les Seigneurs du
Conseil en consequence de la lettre de recommandation de son
Excellence Mgr rambassadeur de France, Premierement de luy
communiquer de la maniere qu’ils jugeront ä propos, le premier
Volume MS. des actes du Concile de Basle, lequel est dans
le tresor des Archives, afin qu’il le puisse collationner avec
M r le Docteur Iselin, ou teile autre personne liabile qu’il plaira
au Conseil, ou ä Mr. Iselin meine de mettre a sa place, en cas
que sa sante ou ses occupations, ne luy permettent pas de
vaquer a ce travail autant que le d. S r Jourdain le souhaiteroit.
En second lieu le S r Jourdain demande tres humblement
aux d. Seigneurs du Conseil qu’au cas qu’il se trouve dans
les archives quelques autres volumes concernant le meine Con
cile de Basle, ils ayent aussi la honte de luy en donner com-
munication, et de luy permettre d’en tirer copie s’il est besoin.
Troisiemement pour executer pleinement la coinmission
dont il est charge par le d. Seigneur abbe Bignon, le S r Jour
dain souhaiteroit qu’il plüt au souverain Magisrat d’apposer son
attestation autentique et son sceau aux copies qui ont ete faites
36
XIII. Abhandlung: Beer.
et collationnees cy devant en cette Ville, en la maniere et en
la forme que le S r Jourdain aura l’honneur de Ten suplier
quand il en sera tems.
Jourdain. 1
(Nr. 91 der Sammlung.)
Magnifiques Seigneurs
Depuis la lettre que je vous ecrivis le 25. par M. Jour
dain, J’en ai receu vne pour vous de M. L’abbe Bignon Bibliote-
caire du Boi et Conseiller D’Etat auquel Je suis persuade que
vous serez ravis de faire plaisir, et de donner des marques des
egards qui sont deus a vne personne de son rang et de son
merite. II vous fait la meine priere que Je vous ai faitte par ordre
du Roi, ainsi Je me contente de Joindre ici cette lettre u. s. w.
a Soleure le 29. Auril 1724.
Magnifiques Seigneurs
Votre affectionne a vous servir
Davaray.
M rs de Basle
(Nr. 92 der Sammlung. Verlesen am 1. Mai 1724.)
Messieurs
Je n’aurois pas differe si longtemps a vous temoigner ma
tres humble et tres vive reconnoissance des honnetetez dont
vous me comblez, si je n’avois voulu auparavant rendre comte
au Roy, ä Monseigneur Le Duc, et a Messieui’s les Ministres
de Sa Majeste de la maniere obligeante dont vous aviez la
bonte de contribuer a renrichissement de sa Bibliothfeque , . .
A Paris le 30. May 1724.
Messieurs
Votre tres bumble et tres obeissant serviteur
L’abbe Bignon.
(Nr. 93 der Sammlung. Adresse verloren. Verlesen am 12. Juni 1724.)
1 In den Memoires de la Soeiete de l’Histoire de Paris, tom. XX (1893),
p. 207—294 findet sich das Journal Jourdain’s von Henri Omont ver
öffentlicht; Nr. 6 und 16 behandeln die Copien in Basel. Dazu eine
Note (p. 216): II y a parmi les papiers de la Bibliotheque une notice
de ce que contiennent ces 39 volumes.
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
37
Magnifiques Seigneurs
Sans les differens voyage 1 du Roy, qui m’ont empeche
de luy rendre compte, comme je l’aurois souhaite, de la maniere
pleine de bonte dont vous m’aves accorde la grace que j’avois
pris la liberte de vous demander; je n’aurois pas manque de
vous en faire mes tres sinceres remercieiuens, aussitot apres le
retour de M. Jourdain, qui m’en a parfaitement instruit. Ce
n’est que depuis quelques jours que j’ay pu entretenir Sa Ma-
jeste aussi bien que S. A. S. M. Le Duc et les Ministres de
l’empressement que Vous aves eü en cette occasion a nous
faire plaisir; et vous ne deves pas douter qu’ils n’y ayent etd
bien sensibles. En mon particulier je suis penetre de la plus
vive reconnoissance des egards qu’il vous a plu d’avoir a la
recommandation de M. Le Marquis d’Avaray et a ma tres
humble priere . . .
Ces Volumes oü sont attaches les sceaux de votre Repu-
blique, seront desormais autant les monumens eternels de votre
amour pour les Lettres, qu’un des principaux ornemens de la
Biblioteque du Roy.
Je ne scay apres cela si ce ne seroit pas abuser maintenant
des bontes dont vous aves daigne m’honnorer, que de Vous de
mander encor une nouvelle faveur. Dans les deux Volumes
MSS. que Vous aves trouves cette annee, parmy les titres de
vos archives, il se trouve quelques pieces qui nous manquent,
et dont les copies rendroient notre recueil plus digne de pa-
roitre sous l’siutborisation de votre Republique; Me seroit-il
permis de Vous suplier tres humblement d’accorder sur ces
nouveiles pieces a M. Le Docteur Iselin les facilites que Vous
luy aves deja ac.cordees par le passe; Ce seroit un surcroit
d’obligation que vous auroit la Biblioteque du Roy, et pour
moy un nouveau titre de reconnoissance.
J’ay rhonneur d’etre avec un profond respect
a Paris le 23 e aoust 1724.
Magnifiques Seigneurs
Votre tres humble et tres obeissant serviteur
L’abbe Bignon.
(Nr. 94 der Sammlung.)
1 So!
38
XIII. Abhandlung: Beer.
(Ohne Ueberschrift)
Nachdeme bey M. G-n. Herren den XIII. angebracht worden,
wie dass Se Excell. der königl. frantzös. Herr Ambassador Mar
quis de Courteille das Ansuchen thue, Ihro eine Copiam von
denen zwey Tbomis Actorum Concilii Basileensis nemmen zu
lassen; als haben Hochged. M. On. Herren dieses Begehren in
Deliberation gezogen und Erachteten lloehdieselben, dass,
weilen ehemahls ein gleiches dem königl. Cantzier Herren
D’Aguesseau bewilliget worden Ihro in diesem Ansinnen
ohne Anstand entsprochen, jedoch dabey wegen der Wichtig
keit dieses Werckhs für hiesigen Stand, alle nöthigen Praecau-
tionen genommen werden könten.
Auf der Aussenseite: Ratlischlag weg. von Ihro Exc. dem
tranz. II. Ambassadoen begehrter Abschrift des Concilii. Ver
lesen d. 18. 7 bns 1748. (Nr. 97 der Sammlung.)
Folgt (Nr. 101 der Sammlung) ein Bericht über die Voll
endung der Abschrift an die XIII er . Verlesen den — 1 August
1753, sowie (aus Paris 23. aoüt 1753, Nr. 103 der Sammlung)
ein Schreiben Courteille’s an den Rath: Je connois tout le prix
de F ouvrage dont M. Schweighauser est Charge de m’Envoier
une copie de vötre part et Je sens combien cette marque de
distinction, doit m’inspirer de reconnoissance etc.
Endlich eine Empfangsbestätigung:
J'ay receu de Monsieur Schweighauser du Conseil de Basle
Deux Volumes relies en veait de la copie du Concile de Basle
que je m’oblige de faire passer, ou de remettre moy meme a
Monsieur de Courteille, Conseiller d’Estat cy devant ambassadeur
du Roy en Suisse, que le louable Canton de Basle a bien voulu
luy faire present. Fait a Soleure le 5. octobre 1755. 2
Mariane.
Rathsprotokoll, 5. Januarii 1715.
Auff errinnern meines Herrn Bürgermeisters Ihr E. Wht.
seind vordrist diejenige jn dem obern Gewölb befindtliche foli-
1 Fehlt.
2 Eine gleichfalls vorfindliche Buchbinderrechnung von Basel, 6. August
1753, Herrn Gerichtsherrn Schweighausser für Acta Concilii Basiliensis
2 Theile, das Stück a 4 fl., bezieht sich offenbar auf diese Copie.
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
39
anten oder Acta des alliier gehaltenen Concilij, wie solche in
nachfolgender Specification begriffen abgelesen, und hatt Ihr
E. Wht. dabei ferners angebracht, daß diese Büecher jn keiner
Registratur Sich befinden, dabei bedenckhlich seye, Originalia
von der Statt zu lassen, obe nicht diese Büecher durch die
Herrn Theologos und Beide Herrn Juristen durchgangen vnd
Ihr Gutachten begert werden solte, ob und was und auf was
weise Sie vermeinten, daß etwas zu communiciren were.
Specification
Der auß dem Oberen Gewölb herabgenommener Büchern.
1. Ein grosser foliant in Schweinen Leder eingebunden,
auf Papyr geschrieben, dessen Anfang: Sequunt' gesta sacro
sanctae Sinodi Basileensis, Universalem Ecclesiam repraesen-
tantis, zu End: In vigilia Natalis Deo Gratias.
2. Ein grosser foliant, wie obiger und dessen zweiter
Tomus auf gleiche weiß eingebunden und Einer Hand auf
Papyr geschrieben: fangt am ersten Blatt an. XIII. Januarij,
De suspensione Papae Instantiisque Principum, ut amplius non
procederet' zu End: Sequunt' gesta Anni Dni. 1444.
3. Ein grosser foliant in Schweinen Leder gebunden in
Pergament geschrieben, mit einer schaafledernen Deekhe und
zween Riemen, ist sonst in dem Anfang und End dem vor
stehenden zweyten Tomo gleich.
4. Ein Mittelmässiger foliant auf Pergament, dessen An
fang: In nomine sanctae et Individuae Trinitatis Patris & filii
et Spiritus sancti feliciter, amen, und am End: quam nobis
cedere dignet~ qui unus, Trinus, et unus in secula seculorum,
amen, daran ein eyserner Rinckhen.
5. Item ein kleiner foliant mit einer schafledernen Deekhe
auf Pergament geschrieben, auf der Deekhe stehet: Decreta
Concily Basiliensis, fangt an, und lautet schier biß zu End wie
ehnetstehendes letstes, in fine aber: Datum Romae apud sanc-
t.nm Petrum anno Incarnationis Dominicae, Millesimo Quadrin-
gentesimo, Tricesimo primo, secundo Calendas Juny Pontificatus
nostri anno primo.
XB. Ist das Rechte und von dem Notario des Concily
vidimirte und von den Originalien gezogene, jns Nett gebrachte
Protocoll und mit des Sinodi Insigel behengt.
40
XIII. Abhandlung: Beer.
6. Ein ander Buch in Mittel folio in Holte; und mit rotliem
Leder halbgedeckt, von Papyr, darauf ein Pergamenten Blättli
darauf stehet: Gesta Concily H. T. 2. an welchem ein Eyserne
Ketten hanget, an dessen Anfang stehet: Hartmannus de
Münchenstein, Capellanus, et Joh. Pastor, Rector Scholarum,
zu End Item quod de praedictis omnibus et Singulis fuit et
est publica vox et fama. Et protestat~ etc: gehet biß auf
fol. 1469. Ist dem Ansehen nach Ein Original Protocoll.
7. Ist ein ander alt Buch in folio, Ist ein Glossator über
das Corpus Juris, dessen Anfang ein Register und Pag: prima
steth: Quoniam Vita brevis et incerta, qua fruimur, und in
fine, pag. 278 hae fuerunt allegata Dni. Johannis de fune
Deo Gratias.
Diese Büecher sollen den Herren Theologis und
beiden HH. Juristen vmb Ihr Bedenckhen, ob und was
und auf was weise Ichtwas darauß zu communiciren sein
möchte, zugestelt, auch dem einten annoch ermanglenden
folianten nachgeforscht werden, wo Selbiger hienkommen,
oder wer dene Innhanden haben möchte.
Rathsprotokoll vom 10. Juni 1724.
Der Stadtschreiber hat berichtet, was massen zu folg der
den 1. May letsthin ergangenen Erkantnus dem H. D. Iselin
der Erste Original Tomus Actorum concilii Basileensis zu vor
habender Collationierung übergegeben und in dem Oberen Ge-
wölb annoch fünf andere Stuck dieses Concilium betreffend
gefunden worden; als erstlich ein vidimierte Copie der vier
Bullen, dardurch Pabst Nicolaus V. die Acta des Concilii be
stätiget; zweytens ein copie der Decretorum concilii, darvon das
Originale auch im oberen Gewölb; drittens ein Collection von
allerhand briefen, Ordnungen, geleiten etc. so von Keyseren,
der Stadt Basel, währendem concilio geschrieben und gegeben
worden; viertens und fünftens zwey Tomi in groß quarto an
ketten angeschlossen, welche enthalten allerhand bullen, ora-
tiones, Dissertationes, relationes, Sessiones etc. die das concilium
angehen und von Johanne de Ragusio zusammengelesen worden,
wie dan darunder einige stuck so er selber geschrieben, als
die reis, so er nahmens des Concilii naher Constäntinopel gethan
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
41
etc. bey diesen zwey Tomis ward angezeigt, daß Eine löbl.
Universitet darzu den dritten, auf gleiche weis gebunden habe,
welchen Meine Gr. Hh. ihnen vormals zugestellet; werde hiemit
Meine G. Hh. anheim gestellt, was sie darvon dem Mr. Jour-
dain zu copieren erlauben wollen.
Sollen diese stuck, wo nöhtig paginiert, dem H.
D. Iselin zugestellet, darüber ein register verfertiget und
dan dem H. Jourdain von welchen stucken er will copien
erlaubet, nach verrichteter Arbeit aber deliberiert werden,
wo diese hücher ferners zu versorgen seyen.
Aus dem Rathsprotokoll vom 18. Mai 1720 erhellt mit
Rücksicht auf die gestellte Anfrage die Antwort, dass: ,von
den Sex Collectionen des Cardinais Jean de Segovia nichts ge
funden worden seye. Ob die Nothdurfft nicht erfordere dem
Herrn Cantzier von Frankreich .... zu berichten'.
Eine Ergänzung zu den von Palacky in der Einleitung
zum 1. Bande der Monumenta gelieferten Daten über Johannes
de Ragusio bietet eine Urkunde, welche die Schenkung der
Bibliothek dieses Cardinais an das Predigerkloster Basels be
trifft, datirt Lausanne, 1443, Juli 19. Da ich diese interessante
Urkunde an einem andern Orte 1 veröffentlicht habe, verweise
ich hier kurz auf die betreffende Mittheilung mit der Be
merkung, dass wir in dem Schenkungsact wohl das letzte
Zeugniss aus dem Leben des Kirchenfürsten vor uns haben.
A. a. 0. bespreche ich auch ein Bücherverzeichniss, welches
sich gleichfalls im Staatsarchiv Basels findet, die Bibliothek
des Predigerklosters (welche bekanntlich der Universitätsbiblio
thek einverleibt wurde) betrifft und ungefähr — wenigstens
der Hauptsache nach — jene Handschriften begreifen dürfte,
welche Johannes de Ragusio dem Predigerkloster schenkte. 2
Das Verzeichniss enthält auf Seite 7 r unter anderen folgende
Werke (Handschriften): Panormitani opera | Novella Andreae |
Heinricus Bohitt super decretales | Summa Hostiensis | Bern-
1 Serta Harteliana. Wien, Tempsky, 1896. Nr. 47 I ff.
2 Die Redaction des Inventars erfolgte etwa 80 Jahre später als die eben
erwähnte Schenkung.
42
XIII. Abhandlung: Beer.
hardus super decretales | Liber optimus de rebus ecclesiasticis |
Gesta concilii Basiliensis | Summa Raymundi | Sololoqium Ysidoi’i |
Historia ecclesiastica abbreviata cum aliis quibusdam | u. s. w.
Ausserdem fol. 6 r Decreta generalium conciliorum [ De Con-
cilio Basiliensi quedam etc. Unter den Gesta sind augen
scheinlich die Relationen des Johannes de Ragusio gemeint;
dass des Johannes de Segovia acta nicht erwähnt sind, darf
nicht Wunder nehmen, da, wie wir später sehen werden, die
selben ursprünglich dem Minoritenkloster Basels gehörten und
erst auf dem Unwege durch das Staatsarchiv in die Universitäts
bibliothek gelangten.
Universitätsbibliothek.
A. Handschriftliche Kataloge.
1. Catalogus codicum historicorum, Folio-Band, getheilt:
Libri Historici Manuscripti Membranacei und Libri Historici
Manuscripti Chartacei. Verschiedene ältere Handschriftenauf
nahmen, welche auch heute noch zur Orientierung dienen sollen.
2. Bericht über die acta concilii Basiliensis auf der öffent
lichen Bibliothek zu Basel. 1
3. Cathalogus librorum D. Arnaldi Zem Luft | In Regal | .
Dieses Verzeichniss wurde wahrscheinlich von Bonifacius Amer
bach im zweiten Decennium des 16. Jahrhunderts revidiert.
Es enthält mehr Druckwerke als Handschriften und ausschliess
lich Bücher juristischen Inhalts. Beg.: Vocabularius utriusque
juris, schliesst mit Beschreibung eines Lexicon sive diccionarium
utriusque juris. Die Büchersammlung des Arnaldus Zem Luft
wurde der Universitätsbibliothek Basels einverleibt. 2
4. Indices Codicum manu exaratorum | qui ad Basiliensis
Concilii historia | pertinentes in praecipuis Europe Bibliothecis
1 Verfasst von Professor Daniel Hüter. Darin die Bemerkung p. 10:
Wichtig zur Geschichte des Basler Concilium ist die Historia Concilii
von Joh. de Segovia, davon zwei Exemplare, jedes in zwei Regal Folio
bänden , sich auf der Bibliothek vorfinden. Eines ist sehr schön auf
Pergament, das andere von verschiedenen Händen auf Papier geschrieben.
2 Vgl. C. dir. Bernoulli ,lieber unsere alten Klosterbibliotheken 1 , Basler
Jahrbuch, Jahrgang 1895, S. 79 ff.
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils. 43
| quaram necdum publice exstant Indices ad hunc diem ad-
servantur | Collegit et in hanc Bibliothecam intulit | Jac. Christo-
phorus Iselius SS. Th. D. et Prof. h. + Ord. Th. Dec. Diesen
Index hat der mehrfach genannte Professor Jakob Christoph
Iselin eigens zum Zwecke seiner Studien über Johannes de
Segovia angelegt; die Daten sind natürlich heute ziemlich
antiquiert, bieten jedoch immerhin manches Interessante.
B. Druckwerke. 1
1. Schöpflin, Commentationes historicae. et criticae, Ba-
sileae 1741, 2 S. 549 ff.
1 Die Kataloge, welche die Handschriften der Basler Universitätsbibliothek
betreffen, sind von P. Gabriel Mayer ira Centralblatt für Bibliotheks
wesen, Bd. 4, S. 2 f. zusammengestellt. Ich erwähne hier nur jene Ver
zeichnisse, welche speciell Concilsaeten betreffen.
2 Da das genannte Werk schon ziemlich selten geworden (es lag z. B.
P. Gabriel Mayer nicht vor), so gebe ich hier eine Probe aus dem Ver
zeichnisse, in dem wir allerdings den Nachweis der Handschriften, in
welchen sich die erwähnten Tractate befinden, vermissen: In Basileensis
Academiae Bibliotheca Acta sequentia, quae Concilium Basileense re-
spiciunt, asservantur. — Johannis de Segobia Acta Concilii Basileensis
3. Vol. fol. Mss. — Eiusdem über de auctoritate Episcoporum in Con-
cilio generali. — Eiusdem circa materiam Neutralitatis Principum, quoad
saerum Basileense Concilium generale et Gabrielem de Condulmario
olim Eugenium. — Invectiva Gabrielis olim Eugenii contra Saerum
Concilium Basileense. — Responsio Concilii super huiusmodi Bulla. —
Tractatus super potestate universales Ecelesiae et generalium Coneilio-
rum illam representantium per R. P. Dominum Ludovicum Pontanum
de Urbe, utriusque Juris Professorem, Sedis Apostolicao Protonotarium.
— Parvus alius tractatus ad Illustrissimum Principem Ducem Sabau-
diae per D. Ludovicum de Roma editns super eo, quod summus
Pontifex generale Concilium legitime congregatum dissolvere vel trans-
ferre non potest. — Senno compositus et promulgatus per Eeveren-
dum Patrem Ludovicum Pontanum de Urbe in conspectu Illustris-
simi Principis Ducis Sabaudiae, deinde in praesentia universitatis et
Cleri Coloniensis, in quo ostendit quomodo non peccat sancta Synodus
in refutando pacem, quam sibi offert Dominus Eugenius. — Ludovici
de Roma determinatio pro Concilio Basiliensi. — Magistri Johannis de
Ragusio Episcopi Argensis Volum, super translatione Concilii Basil.
ad petitionem Principum . . . Joh. de Ragusio de auctoritate Sacri
Concilii Basil. et contra Eugenium ad Electores Imperii Considerationes
sex. u. s. w.
44
XIII. Abhandlung: Boer.
2. Ochs, Peter, Geschichte der Stadt und Landschaft
Basel, Bd. III, p. 573 ff.
3. Streuber, Wilhelm Theodor, Handschriften der öffent
lichen Bibliothek zu Basel. Handschriften, das Basler Concil
betreffend. Serapeum XVII [1856], p. 132—134.
4. Muralt, E. v., Urkunden der Kirchenversammlungen zu
Basel und Lausanne. Anzeiger für Schweizerische Geschichte,
Neue Folge, Bd. III, p. 326—330.
Ich gebe zunächst eine Beschreibung der beiden Codices,
welche, wie erwähnt, der akademischen Ausgabe der collec-
tiones des Johannes de Segovia zu Grunde gelegt wurden.
Sie führen jetzt die Signatur A III40 und A III 4L Eine alte
Signatur hat sich in Notizen am Schluss der Bände erhalten;
Band I, Fol. 321 r :
Ad librariä frm mior i basillea R. II. — Bd. II, Fol. 330 T :
Ad librariä frm mior i basillea R. 4.
Pergamentcodices, 2 Columnen, Fol. Bd. I enthält 332,
Bd. n 322 Blätter. Pergament gut geglättet; Einband modern:
Holz mit gepresstem Leder und starken, 27 mm breiten Leder-
schliessen. An die Innenseite des Einbandes von Bd. I ein
Stück einer Bibel (altes Test., 2 Col., s. XV) eingeklebt, bei
Bd. II ein liturgisches Stück mit Neumen. Grösse des Ein
bandes 295 X 410 mm bei ca. 100 mm Dicke. Blattgrösse
290 X 390 mm. Grösse jeder Columne 82 X 275 mm. Zeilen
zahl in jeder Columne beider Bände 66; dieser Ueberein-
stimmung entspricht der Umstand, dass ein genaues Linien
schema in das Pergament eingeritzt wurde. Initialen in Roth,
in Dunkel- und Blassblau mit wenig bemcrkenswerthen Rand
leisten.
Auf dem zweiten vorderen Custos von Band II steht
die Notiz:
Quum ex hocce Codice pro Regia Parisiensi
Bibliotheca, atq adeo ad usus Ecclesiae Nationisq Galli-
canae magnam omni tempore Basiliensi Concilio auctoritatem
tribuentis satagente opusq urgente Illustrissimo Daguessaeo
Magno Franciae Cancellario ac certe ornamento, exemplum
fieret cum isto recens facto exemplo pariterq alio papyraceo
jam olim ad hoc idem membranaceum descripto recensendo
Urkundl. Beiträgo zw Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basier Concils.
45
operam dans hunc ipsum quoq Codicem membranaceum partim,
quod ad Synodi liujusce Decreta atq Epistolas, Bullasq Ponti-
ficum attinet quae in publicam lucem editae sunt cum exem-
plis hisce typis expressis contulit, partim et ex ingenio qualiter-
cunque emendare atq explicare conatus est, 1 manu usus in isto
quidem membranaceo Codice Christophori Bratphii A. L. M.
Jac. Christophorus Iselin
S. Th. D. et Prof. Ord. in Acad. Basil.
Susceptus hic
descriptionis ac recensionis
labor mense Quinctili MDCCXVII
perductus ad finem atq exantlatus
Octobri mense afii sequentis
MDCCXVIII.
Bd. I, Fol. 1 beginnt:
(roth) Januarius Februarius M°CCCC ü XXXr i
(roth) L I
Sequütur gesta Sacrosancte generalis Synodi
Basilien vniuersalem eccliam repentantis
Col 1 (roth) De primis duabus auctibus concurreti
bus u. s. w.
Unten am Rande der Stempel der Universitätsbibliothek.
Der Text schliesst mit der 12. Sessio Dec. XXXVII 0 Fol. 224 v
Quod omnibus nobis sic laborantibus altissimus donare et con-
cedere dignetur amen.
Fol. 225 r -—330 v folgt das Register mit der Ueberschrift
Sequütur Rubricae seu capitula u. s. w. bis in vigilia natalis
explicuerat verbo | Deo gras (blau). Bd. II genau in der gleichen
Ausstattung; wichtig ist die Schlussnotiz (roth) : Sequütur gesta
Anni dni MCCCCXLIIII (welche sich übrigens auch im zweiten
Bande des Wiener Manuscriptes findet.)
Von diesem Werke ist eine Copie in den Handschriften
ANI. 9 und A. N I 9 il vorhanden. Bemerkenswerth sind die
1 In beiden Bänden finden sich Randbemerkungen, zum Theil auch Emen-
dationen auf eingelegten Zetteln, von Iselins Hand.
46
XIII. Abhandlung: Beer.
umfangreichen Einzeichnungen Iselin’s, welche die oben mit-
getheilten Nachrichten über seine Arbeiten an den collectiones
in wünschenswerther Weise ergänzen. 1 Ich lasse dieselben hier
folgen und erwähne zugleich, dass die Eingangs angeführte
,peculiaris dissertatio' ,de hoc toto opere et eius praestantia
itemque de auotore Job. de Segovia‘ aufzufinden bisher nicht
gelungen ist. Da in dem Verzeichnisse der Schriften Iselin’s
bei Gl. E. Haller, Bibliothek der Schweizer Geschichte, Band 7
(Hauptregister) p. 186 und Acta historica eeclesiastica II
(Th. 7—12, Weimar 1737), p. 964ff.: Jacob Christoph Iselin
(Bibliographie seiner Werke p. 979—982 vgl. a. III, p. 1156—
1162) die Dissertation nicht erwähnt ist, nehme ich an, dass
sie Ma.nuscript geblieben. Die Forschungen nach demselben
(in Basel, Universitätsbibliothek und Paris, Bibliotheque Na
tionale) blieben bisher erfolglos.
Jacobi Christophori Iselii Monita quaedam de exemplo
hoc Actorum concilii Basiliensis duobus constante Voluminibus
Chartaceis.
NB. De hoc toto opere et eius praestantia, itemq de
auctore Joh. de Segovia, viro pro ea aetate, qua vixit, plane
eximio, actum est a me in peculiari Dissertatione. Quare nihil
eorum hic repeto. Proponam tantum, quae ad hoc ipsum eius
operis exemplum pertinere videbuntur.
I. Ac primo exemplum hocce Actorum Concilii Basiliensis
quantum quidem coniectura licet assequi, haud ita longo tem
pore post exarata duo Volumina membranacea, quae in publico
civitatis tabulario adservantur, fuit confetum. Qui illud partitis
inter se operis confecere amanuenses operam omnes diligenter
dederunt, ut siuguli versuum ordines sive columnae quernad-
modum vulgo vocant, imo etiam ipsi plerumq versus aut lineae
Codici isti in membranis scripto, qui pro exemplari ipsis erat,
responderent.
1 Die dreibändige Abschrift s. XVIII der Collectiones wird gleichfalls in
der Universitätsbibliothek aufbewahrt und trägt den Vermerk: ,Vom
Staatsarchiv an die Universitäts-Bibliothek abgetreten am 4. Februar
1882‘. Die Angabe: Copie des cod. membr. A. III. 40 und 41 ist in
ihrem zweiten Tlieile unrichtig.
Urkündl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
47
II. At non impedivit kaec res profecto, quominus utumq
Volumen chartaceum mendis scateat, primo bis, quae in ipsum
iam Codicem membranaceum irrepserant, quorum quidem vix-
tria aut quatuor in singulis Voluminibus vitata, atq adeo emen-
data esse ab istis amanuensibus observare potui; deinde etiam
aliis longo plurimis quae ipsimet amanuenses pro se quisq pas
sim invexere, dum aut siglas notasq exemplaris sui, ifno etiam
non raro voces liic satis integre expressas non recte legunt et
explicant, aut ordinem tarn verhör um singulorum, quam inte-
grorum etiam saepe versuum turbant; aut deniq aflinitate vel
iteratione certarum vocum post brevia intervalla recurrentium
decepti plures saepe versus omittunt; qua re (non) nihil est,
quod sensum cuiusq loci penitus evertat, vel ita crucem figat
Lectori, etiam perito et attento.
III. Hisce de caussis placuit Senatui Academico, geminos
hosce Codices cum suo quemq exemplari conferri, atq etiam,
si quid medelae aliunde peti posset, quo istiusmodi naevi ex
opere alias quantivis pretii tollerentur, id omnino tentari ad-
hiberiq. Et accidit omnino peropportune, ut Aliis a C. N.
MDCCXVII. XVIII. XIX. cupiente ita et rem urgente illu-
stri Galliarum cancellario Nicolao Hieronymo Daguessaeo, viro
omni genere laudis atq ornamenti abundantissimo, novum borum
Actorum conficeretur exemplum, in Regia Galliarum Bibliotheca
ponendum ac dedicandum; et ut in eo exemplo cum Codicibus
exemplaribus conferendo, ac quantum pote emaculando, meam
hanc qualemcunq operam vir sumus requireret. Ibi ergo visum
est mihi, temporis compendi faciendi gratia tarn huic veteri,
quam isti novo exemplo simul succurrendum, et, quod pro-
verbio dicitur eadem fidelin geminos dealbandos esse parietes.
Opus ita institutum, ut ego quidem liocce exemplum cbarta-
ceurn baßerem prae manibus membranaceü Codicem studiosus
ad latus mihi adsideim teneret, novü deniq exemplum utriq
nosti-um praelegeret ipse, qui et exaraverat, doctissimus Jor-
danus, 1 Ambianensis, ex illo tempore ad partem aliquam curae
in Bibliotheca Regia custodienda ornandaq veluti ad liuius na-
vatae egregiae omnino operae praemium vocatus, ac tum quidem
ab illustri Daguessaeo mea quadam comendatione ad id operis
1 Jourdain.
48
XIII. Abhandlung: Beer.
delectus probatusq. Ceterum quid a me in kisce Yoluminibus
chartaceis fuerit praestitum, aliorum esto iudicium. — — —
IV. Superest unum porro quod comemorem de Decretis
Concilii ceterisq, quae pariter cum Decretis iam olina ab ipsomet
Concilio publicata et in Sessionibus quas vocabant, praelecta
fuere, ac hisce quoq actis nostris passim reperiuntur inserta:
Scilicet cum ubiq multi exstent Codices suffla cura a Notariis
Concilii descripti plaueq authentici, illa eadem omnia continentes
et cum etiam ex huiuscemodi Codicibus plurimae iampridem factae
sint editiones; non putavi in hisce quoq cum Codicibus mem-
branaceis actorum confligendis, variisq lectionibus nimium scru-
pulose adnotandis, tempus mihi terendum impendendumq esse.
Itaq in prima quidem Collatione comissä haec a me cura studioso
est, eumq ego praeter Codicem membranaceum actorum, etiam
authenticum Decretorum exemplar iussi adhibere, quod ab scriba
Concilii celebri atq industrio Michaele Gralterii exaratum hodieq
in tabulario Civitatis iuxta ipsa membranacea actorum Volumina
servatur et custoditur, Tantum!
Datum Basileae prid. Eid. Iun. MDCCXXIV. quum tertio
ante die labor ille secundae Collationis feliciter ad finem esset
deductus. DEO 0. M. sit laus in sempiterna saecula! 1
De fideq diligentia Joh. Segoviensis item quod pleraq,
quae narrat hauserit ex chartis autenticis et cum illa eum de-
hciebant silere maluerit, quam incerta dicere argumentum prae-
bent loca sequentia: Coli. VI. Cap. 29. col. 2. post med. quo loco
agit de confoederatione inter Imperatorem et Cardinal es in
Concilio tractata post expositam Oratione Sigismundi haec addit:
De responso autem Cardinalium quäle fuerit, quia, uti de prae-
1 Dann folgen noch die Citate:
Agit de se coli. I. cap. 20 in init.
Idem coli. III. cap. 42. col. ult. citat librum suum de auctoritate
Episcoporü in Concilio Gen.
Auctor se ipse diserte nominat coli. IV. cap. 20.
item cap. 24. in fine, item coli. VI. cap. 3.
Coli. X. cap. 12. quo loco et se a concilio constitutum . . . esse
testatur qui in publica Collatione imaculatam conceptionem B. Yirginis
defenderet.
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
49
missis, scripta non vidit, libri autor attestari vult minime. Item
ibid. cap. 33. eol. 2. post med. Quos a. elegerit Imp., vel quid
desuper propositis cum eo gestum fuerit, non aperitur, quia
huiusmodi referenti non constat. His autem similia. atq etiam
expressiora loca passim in seq. occnrrunt.
Ex Goll. VI. Cap. 12. prope init. liquet iam inde ab initio
concilii äliqua acta fuisse confecta, quo maior videlicet habenda
tides hisce actis Segoviensis nostri.
Am Rande rechts:
Idem Legatus Uniy. Salamanticensis Coli. IV. Cap. 38.
col. 2. in concilio, atq hancce personam sustine're coepit, sedemq
accepit proximam sedi Legatorum Acad. Paris, mense Augusto
A. 1434 hie noster Joh. de Segovia. Vid. Coli. VIII. Cap. 27.
Die mehrfach erwähnten ,gesta' des Johannes de Ragusio
befinden sich gleichfalls in der Universitätsbibliothek. Es sind
drei Bände, deren Inhaltsangabe handschriftlich vorhanden ist.
Band I hat den Rückentitel: G-esta Concilii Basiliensis. | cornpi-
lata a | Johanne de Ragusio | I Ex bibliotheca Praedicatorum |
Heutige Signatur EI. 1. i. Das detaillierte Inhaltsverzeichniss
geht voran. Es sind 123 verschiedene Tractate auf 469 Seiten.
Band II hat den Rückentitel wie Band I (nur mit ent
sprechend geänderter Zahl), Signatur: E I.1. k. Als Einband
dienen Holzdeckel, wie bei den anderen Bänden; bei diesem
zweiten hat sich auch die Kette erhalten. Das Inhaltsver
zeichniss hat den Titel: Notice de ce, qui est contenu dans
l’Autre Volume M. S. cotte tom 12. Die alte Signatur von
einer Hand s. XVI — sehr ähnlich derjenigen welche den oben
erwähnten Index der Predigerbibliothek geschrieben — lautet:
Band III: Rückentitel wie oben, nur Zahl III. Signatur
E. I. 1. 1. Mit Bleistift ist auf dem zweiten vorderen Custos
vermerkt: Das Inhaltsverzeichniss dieses Bandes in EV. 20
p. 43 ff. Damit sind die oben bereits erwähnten Indic.es codi-
Sitzungsber. d. phil.-Uist. CI. OXXXV. Bd. 13. Abh. 4
Gesta gcili i Ba
siliensis
Ad Coenobiii
praedicator
1; T. 12.
50
XIII. Abhandlung: Beer.
cum ad Concilium Basiliense pertinentium collegit Jac. Christ.
Iselin gemeint.
Die bereits oben S. 12, Anm. erwähnte officielle Samm
lung der Concils-Decrete und -Constitutionen findet sich im
cod. A. III. 44 und beginnt folgendermassen:
In nomine sancte et individue trinitatis Patris et filii et
spiritus sancti feliciter Amen. Censetur utique dignum et con-
gruum prout id singulariter exposcit nimium labilis hominum
memoria ut ea que per sacrorum generalium conciliorum sanc-
tiones ad dei laudem et communem rei publice utilitatem fore
noscuntur instituta illa debite scripture commendentur ut per
hanc iugis eorum etiam ad posteros transeat recordacio. Hinc
est igitur quod in subscriptis continentur et sunt de uerbo
ad uerbum inserta decreta constituciones acta ordinaciones ce-
teraque gesta in hoc sacro generali Basiliensi Concilio presidente
in eodem auctoritate Apostolica Reverendissimo in Christo patre
et domino Juliano miseracione divina sacrosancte Romane ec-
clesie sancti Angeli dyacono Cardinali apostolice sedis legato
collecta visa ordinata per nos Prothonotarios Notarios et scribas
infrascriptos ad id per dictum dominum presidentem sacro
eodem approbante Concilio deputatos sub Annis Indictionibus
etc. annotatis et descriptis.
Die Schlussnote heisst:
Suprascripta decreta et gesta supradicte sacrosancte Synodi
Basiliensis concordant cum originalibus facta collatione per me
Michaelem G-alteri Notarium ipsius sancte Synodi que redacta
sunt in nonaginta octo cartis sive foliis pergameni presenti in
ipso numero computato.
Hierauf folgt die Unterschrift von Mich. G-alteri Not.
In einem Quartbande, signiert E I. 2, befinden sich laut
vorangesetztem wohl gleichzeitigem Inhaltsverzeichnis:
Lib’ dom9 Vallis beate margarete
ord Cartul’9 in Basilea minori
In quo subnotat. 9tinent u
Decreta Concilii Basilien seu Sessiones eiufdem.
d. Jo. de Segobia postea Card. S. Calixti. sc’pta con pri’cipu
neu titate
Bulla quedä Tuectiua ppe Eugenii con Conciliü Basilien
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
51
Rnsio Conoilii Basilien ad dictm Invectivä ipdT Eugenii
Crakovien vniversitat. in polonia scripta Concilio
Baf9 et ppa felice.
Sophologiü de amo’e sapie. über vtilis. cdita a quodam
Augustinen.
Die bekannte, auch in anderen Exemplaren erhaltene Ab
handlung Johannes de Segovia’s de neutralitate hat hier folgende
Ueberschrift in rother Umrahmung: Dicta famosissimi sacre
theologie doctoris magistri Johannis de Segobia ctc. circa ma-
teriam neutralitatis principum quo ad sacrum Basiliense Con-
cilium generale et Gabrielem de Condulmario dim 1 Eugenium
etc. introducte 1439.
Endlich fand ich auch zufälligerweise bei einem Besuche
der Kunstabtheilung des Museums einen damals vom Conser-
vator Dr. Daniel Burckhard entlehnten starken Quartband,
dessen vornehmster Inhalt die ,Papaliste* mit Porträts der
Päpste (auch dem Eugen IV.) ausmacht. In derselben Hand
schrift findet sich auch eine Abschrift von Nie. de Tedeschi’s
ofterwähnter defensio.
Lausanne.
Archiv.
Dieses ist in dem zweiten Stock des Münsterthurmes
untergebracht und der Benützung nicht leicht zugänglich. Die
wenigen Stunden Arbeit, welche mir in demselben vergönnt
waren, benützte ich zur Durchsicht des handschriftlichen In-
ventaire analytique dit bleu, l ro Partie, aus dem ich entnahm,
dass nur ganz wenige heute noch erhaltene Urkunden des
Archivs das Basler Concil betreffen. Ich gebe zwei Proben:
1436 Sept. 3. Lettre monitoire, emanee du commissaire du
concile de Bäle ä tous les officiers ecclesiastiques etc. touchant
un debat entre le prieur de Lutry et la ville d’Yverdun (aus
Nr. 9 des Inventars ,Divers Ordonnances ecclesiastiques*).
1440 Aoüt 6, Sept. 3. Mandement d’Ogie, legat du pape
date de Bäle, 3. Sept. 1440 et bulle du pape Feix V. datee de
1 So, fehlerhaft, natürlich dictum.
4*
52
XIII. Abhandlung: Beer.
Bäle VIII des ides d’Aoüt 1440 touchant les biens de la mense
episcopale de Lausanne (aus Nr. 7 d. J. ,Bulles papales').
Auch im zweiten Bande des Inventaire finden sich einige
das Concil berührende Urkunden (a. d. J. 1435) verzeichnet,
sie sind jedoch für unseren Zweck ohne Interesse.
Cantonalbibliothek.
Druckwerke.
Catalogue de la Bibliotheque Cantonale Vaudoise II.
Histoire. Lausanne 1854.
Muralt, E. v. Urkunden der Kirchenversammlungen zu
Basel und Lausanne. Anzeiger für Schweizerische Geschichte,
Neue Folge Bd. III, p. 326—330.
In dem an erster Stelle erwähnten Katalog wird P. 266
(unter der Signatur Litt. F. 863) ein Manuscript: Acta concilii
Lausannensis anno domini MCCCCXXXIX celebrati Ms. chart.
in fol. angeführt. Ich dachte zunächst an einen Druckfehler
(1439 für 1449); bei näherer Prüfung stellte sich aber heraus,
dass die Jahreszahl richtig sei, der Codex, in Wirklichkeit das
Basler Concil betreffend, einen Liber deputationum enthalte, und
zwar denselben, welchen Muralt a. a. 0. näher beschreibt,
fol. l a heisst es:
Inceptus XVIII Aug.
anno (nach Correctur) XXXIX,
daneben p9 sexti p depu ones .
Beginnt: R ml p. Cum devotus ecclesie filius Nicolaus Hu-
gonis subdiaconus rector parrochialis ecclesie de soflivo Leo-
diensis diocesis infra tempora a iure statuta infra annum ad dya-
conatus et presbyteratus ordines promoveri posse dubitet....
Folgt die Petition und die Entscheidung auf Grund von Änte-
cedentien. Zum Schluss die Unterschrift des Notars: M. Galteri.
— Fol. XXI 1 ': Inceptus XI. Sept. 1439. Daneben Secundus
Libri sexti saerarum deputacionum. Fol. CCLXXXI die Ueber-
sehrift Quintus decimus Libri sexti saerarum deputacionum;
schliesst CCC V . Es ist eine Fortsetzung des in der Genfer
Bibliothek vorhandenen Liber deputationum, wie schon Muralt
zeigte, auf den bezüglich anderer Details verwiesen sei.
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segevia’s Geschichte d. Basler Concils.
53
Genf,
Oeffentliche Bibliothek.
Senebier, Jean, Catalogue raisonne des manuscrits con-
serves dans la Bibliotheque de la Ville et Republique de Geneve.
Geneve 1779. p. 82—104 (über die Urkunden), p. 191 f. (über
den über deputationum).
Muralt vgl. oben S. 52.
Die grosse, von Sennebier beschriebene Sammlung der
das Basler Concil betreffenden Acten hat sich, wenige Stücke
ausgenommen, bis heute erhalten. Die auf Johannes de Segovia
bezüglichen Urkunden, drei an der Zahl, lasse ich hier folgen.
Die erste ist von ihm in den Collectiones, Mon. III, 30 in ihrem
wesentlichen Inhalt fast wörtlich wiedergegeben, die zweite
Mon. III, 317 angedeutet. Die dritte bietet eine Ergänzung zu
den Mon. III, 560 ff. erzählten Begebenheiten.
Saorosancta generalis Sinodus Basiliensis. . . Venerabilibus
Ludouico tituli sancte Cecilie presbitero Cardinali Arelatensi vul-
gariter nuncupato . . . ac Johanni de Segobia magistro in Theo-
logia apud nos Basilee constitutis . . . benediccionem. Cum nuper
dominum Eugenium papam . . . suspenderimus ... ipsumque ab
omni administratione papatus suspensum declarauerimus vigilem
curam impendimus ad ea salubriter . . . exequenda que
nobis incumbunt precipue in Ciui-
tate Bononiensi exarchatu Rauennatensi prouincia Romandiole
aliisque Ciuitatibus ... In ipsis quoque dominiis terris Ciuitatibus...
iusticia cultus fidei puritas ... vigeant. . . nos vniuersaliter circa
ea .. . annuos nostros applicare non valentes Yos de quorum fide-
litate industria et circumspectione plenam fiduciam obtinemus ...
cum pleno mandato duximus deputandos et tenore presencium
deputamus in dominiis Ciuitatibus et terris predictis nostro et
vniuersalis ecclesie nomine Legatum seu Legatos gubernatorem
seu gubernatoi’es cum plena potestate nominandi et a quibusuis
sentenciis absoluendi u. s. w. Dat. Basilee II kl. Februarii Anno a.
Natiuitate domini Millesimo quadringentesimo tricesimo octauo.
grat~ pro sancta Sinodo
p. Juuenis.
54
XIII. Abhandlung: Beer.
Sacrosancta generalis Synodus Basiliensis u. s. w. Venera-
bilibus Ludouico Lausanensi et Ludouico Massiliensi episcopis
ac dilectis ecclesie filiis Raymundo Taloni Electo Sistaricensi
u. s. w. et Johanni de Segobia Archidiacono de Villauissoza in
ecclesia Ouetensi Magistris in Theologia u. s. w. Salutem et
omnipotentis dei benediccionem .... Cum itaque per decretum
nostrum . . . dominum Eugenium papam citauerimus . . . ipsum-
que rcputauerimus merito contumacem ... et suspenderimus et
suspensum esse declarauerimns omnem huiusmodi papatus ad-
ministrationem ad nos aduocando . . . pluresque Archiepiscopos
Episcopos . . ^ Commissarios nostros deputauerimus ac eis pro-
cessum contra dictum dominum Eugenium formandi per nostras
litteras dederimus et concesserimns facultatem . . . Quarum vi-
gore et auctoritate predicti deputati et Commissarii. . . pro-
cesserint et nos processerimus.... de circumspectionibus et
discretionibus vestris plenam in domino fiduciam gerentes vobis
aut maiori parti vestrum auctoritate vice et sub nomine nostris
Citacionem seu citaciones in ecclesie Basiliensis valuis aut
alibi contra prefatum dominum Eugenium . . . per nos ferri
et promulgari decernendi ordinandi . . . plenam et liberam
tenore presencium potestatem concedimus ac eciam facultatem.
Datum Basilee in nostra generali Congregatione XVIIII kl.
Julii Anno a Natiuitate domini Millesimo quadringentesimo tri-
cesimo nono.
de curia
Mi. Galten
Sacrosancta generalis Synodus Basiliensis in spiritu sancto
legitime congregata vniuersalem ecclesiam representans | Di
lectis ecclesie filiis Johanni tituli sancti Martini in montibus et
Johanni tituli sancti Calixti sancte Romane ecclesie Cardi- |
nalibus sedis apostolice Legatis Salutem et omnipotentis dei
benediccionem. Ubi audiuimus fideli relatione congregatos apud
Maguntiam | nolle vestras deuotiones ad dicendi et audiendi
locum admictere nisi- depositis vestris insigniis et maxime su-
perinduci minas | ad rupturam Salui conductus per Ciuitatem
Maguntinam concessi nisi a manifestatione vestrorum abstineatis
honorum extemplo | digesta maturius huiuscemodi materia
negociique qualitate ac rerum diligencius inspecta iacencia
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
55
quamquam concernentibus inter | se diuersis sentenciis pro ca-
pitum diuersitate in lianc opinionem demum descendimus nemine
discrepante expediencius esse | yos regredi vbi senseritis admis-
sionem et recepcionem vestras sine insigniorum deposicione fieri
non posse. Quocirca vestris prefa|tis deuocionibus mandamus
quatenus si post diligenciam sufficientem videatis nos ad ho
norem ecclesie et sedis apostolice minime | exaudiri regrediamini
ad nos indilate. Non enim conuenit ut dum maiestatem et
auctoritatem ecclesie exaltare et conseruare | studemus Legatos
ipsius et oratores videamus et sinamus debitis priuari honori-
bus maxime dum nil aliud suspicamur hac ] in re aduersarios
machinari quam pedetentim quandam interlocutoriam contra
ipsam ecclesiam et sedem prefatam obtinere veile | et quibus-
dam latentibus cuniculis in artem tandem conscendere. Re-
cessum autem vestrum precedant protestationes legitime | pre-
sentibus Notariis et adiectis aliis que facienda ad solemnitatem
negocii videbuntur quibus actis in nomine domini redejatis
qui ut nos prospere duxit ita et reducat. Dat Basile kl. Aprilis |
Anno a Natiuitate domini Millesimo quadringentesimo quadra-
gesimo primo.
G. Fabri.
Der Codex der Genfer öffentlichen Bibliothek mit der
Signatur Ml. 26. enthält, wie von alter Hand richtig auf dem
vorderen Deckel des Einbandes bemerkt wird:
Decreta concilij basilief. | Et lausanen Concilior. Fol. 99 rl) :
Sequunt~ decreta Concilij Lausanenfs darunter: Sacrosancta
generalis synodus Lausanensis In spiritu sancto legitime con-
gregata.... presidente in ea sanctissimo domino Felice papa
quinto ad futuram rei memoriam.
Handelt zunächst über die Wichtigkeit der Concile im
Allgemeinen, über die Bedeutung der Basler Synode und dessen
Transferierung nach Lausanne, da das freie Geleite in Basel
aufgesagt worden war:
Deinde post reditum dictorum oratorum qui sequenti
applicuerunt ebdomada non obstantibus requisicione et exhor-
tacione nostro ex mandato quomodo alias pluries factum erat
per dilectissimos ecclesie filios Johannem tituli Sancti Calixti
et Guilhelmum tituli Sancti Marcelli sancte Romane ecclesie
56
XIII. Abhandlung: Beer.
presbiteros Cardinales aliosque prelatos et doctores In consulatu
dicte Civitatis factis quatenus persistere vellent in salvo con-
dnctu per eos nobis concesso revocacio dicti salvi conductus
facta est. . .
Am Ende:
Datum Lausanum (so!) In sessione publica ipsius sancte
Synodi In ecclesia maiori Lausanensi solemniter celebrata Nono
Klas Augusti Anno a Nativitate domini MCCCCXLVIII.
Es folgen:
Decreta Sessionis secunde Sacri Concilii Lausanensis de
alacione (so) censurarum fulminatarum per Concilium Basiliense.
XVI Kl. Mai 1449.
Sessio tercia Sacri Concilii Lausanensis de eleccione Nicolai
Pape Quinti.
XIII Kl. (freier Raum) Anno A nativ. 1449. —■ Decretum
sessionis quarte et ultime* de dissolucione concilii Lausanensis
VII Kl. Mai 1449 (darauf noch die Bulle Nicolaus V.)
In der sessio tertia über die Wahl des Papstes Nicolaus
heisst es:
Sancta hec synodus in spiritu sancto legitime congregata
universalem ecclesiam representans matura unaniini concordique
deliberatione prehabita in suis sacris deputacionibus votis di-
lectissimorum ecclesie filiorum Ludovici tituli Sancte Cecilie
Arrelatensis Ludovici tituli Sancte Susanne de Varembona
Georgii tituli sancte Marie Transtyberini viceü (so) wlgariter
nuncupatorum Johannis tituli Sancti Calixti, Johannis tituli
Sancti Stephani u. s. w. ac omnium et singulorum
eidem sancte synodo incorporatorum dilectissimum ecclesie
filium Thomam in summum eligit pontificem nomine quo nunc
appellatur Nicolaum quintum.
Die ,I)ecrete‘ des Basler Concils sind Auszüge aus ver
schiedenen Sessionen bis fol. 98™ sessio quadragesima quinta
seu ultima. Am Ende: XVII Klas Junii 1448., die Ueber-
tragung betreffend. Die Transsumpte sind nicht ohne Lücken.
Ueber den über deputationum concilii Basiliensis vgl.
Sennebier und Muralt 1. c.
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils. 57
Archiv.
Handschriftliches Verzeiehniss.
Repertoire par ordre alphabetique des noms d’hommes,
de faits et de lieux mentionnes dans les Pieces Historiques qui
sont deposees aux Archives de Geneve.
Druckwerke.
Vgl. Langlois, V. und Stein, Henri, Les Archives de
l’histoire de France (Manuels de bibliographie historique I),
Paris 1891, p. 827 f. 1
In dem handschriftlichen Repertoire finden sich unter
dem Schlagworte ,Concile de Bäle* (p. 162 f.) folgende Ur
kunden verzeichnet:
(513) Lettre du Roi Rene, comte de Province, qui accorde
a Nicod de Menthon, commandant des galeres destinees ä trans-
porter les Grecs au concile de Bäle, la permission de se pour-
voir de vivres et de marins dans ses Etats. 1437.
(514) Commission donnüe ä quatre eveques de conduire
l’empereur des Grecs le patriarche de Constantinople et leur
suite au nouveau Concile oecumenique 1437.
(524) Decret portant que le dit Concile ne peut etre dis-
sous par la retraite de ceux qui y assistent 1439.
(525) Bulle du Concile sur le mode d’elire un pape en
remplacement d’Eugene IV. 1439.
(527) Lettre de notification adressee par le Concile de
Bale a Amedee VIII, due de Savoie au sujet de son elevation
au pontificat 1439.
(522) Eugene IV demande aux Electeurs du Sainte-Empire
Romain leur appui contre les decisions du concile de Bäle,
en 1439.
Ferner unter dem Schlagworte
reits erwähnten Urkunde Nr. 527):
1 S. auch Pastor, Geschichte der Päpste I 2 ,
Bullar lag mir nicht vor.
Felix V. (ausser der be-
S. 265; das von ihm erwähnte
i
58
XIII. Abhandlung: Beer.
(530) Lettre de Felix V. au Chapitre a l’occasion de
son election 1440.
(531) Saufs-conduits donnes par Berne et Fribourg ä
Felix V. en 1440.
(532) Ce pontife confirme deux transactions entre Ame II,
comte de G-ennevois et Guillaume et Jacques de Lully, prieurs
de Sb Victor, 1444.
(555) Bulle du meine pape, en confirmation de l’ordonnance
de Francois de Mies, par laquelle il Charge deux commissaires
d’employer aux edifices et aux fortifications de S. Gervais les
revenus de 1’entree du vin de ce cote-la etc. 1444.
(557) Sentence d’excoinmunication lancee par Felix V.
contre ceux qui molestent l’eglise de Geneve.
(558) II confirme les franchises de Geneve 1444.
(574) Bulle du meme pontife en faveur des pauvres et
les lepreux 1445.
(581 et 584) Troupes envoyees par Geneve ä Felix V. a
Lausanne. Armement et paie de ces troupes 1448.
(585 et 586) Divers actes relatifs au secours envoye
par Geneve a Felix V. 1448 et 1449.
Aus den an letzter Stelle genannten Acten ist eine Ur
kunde zu erwähnen, welche im Regest richtig bezeichnet wird
als Piece du synode tenu a Lausanne 1449. 23 Avril: Acte
par lequel le Synode de Lausanne accorde certains Privileges
a ceux qui y ont pris part et en particulier ä Jean Ogier
Clerc de Geneve Secretair au Synode, la permission de se
choisir un confesseur et a celui a de l’absoudre.
Dass die interessante Urkunde kein Original sei, bezeugt
die Notiz am Ende:
Concordant littere premisse cum originali colla per me
not sacri concilii
mich! Galterii.
Die Stadtrathsbeschlüsse aus jener Zeit fehlen merk
würdigerweise in Genf ebenso wie in Basel.
Urkundl. Beiträge zu Johannes de Segovia’s Geschichte d. Basler Concils.
59
Avignon.
Archiv. 1
Das musterhaft geordnete und von dem Archivar Herrn
Duhamel trefflich geleitete Archiv enthält relativ wenige auf
das Basler Concil bezügliche Acten. In dem Cartular der
Universität finden sich (Regesten und Beschreibung nach dem
Index) folgende einschlägige von verschiedenen Notaren "Unter
zeichnete Urkunden:
(67) Bulle du Concile de Bäle portant qu’il vient d’ap-
prendre que le Pape Eugene IV avait convoque au Concile de
Ferrare et invitant FUniversite d’Avignon ä n’y point envoyer
des delegues.
Ides de Novembre 1437.
Original sur parchemin en bon etat mais depourvu des
liens avec sceau pendant.
(68) Bulle du meine portant que le Concile a lieu ä cause
des abus du Pape Eugene IV Invitant FUniversite d’Avignon
a y envoyer un ou plusieurs de ses docteurs et lui recommen-
dant que pendant la suspense d’Eugene eile n’obeisse point h
ses commendements et n’envoyer pas non plus de docteurs au
Concile de Ferrare convoque par lui.
Nones de Fevrier 1438.
(Zustand wie oben.)
(69) Bulle d’Eugene IV annongant a FUniversite d’Avignon
que l’Empereur et le Patriarque Sont arrives h Ferrare pour
assister au Concile general et la priant d’y envoyer un de ses
docteurs.
5. des Id. Avril 1438.
(Zustand wie oben.)
(70) Bulle du meme, datee de Florence et portant invitation
k FUniversite d’Avignon de faire des processions pour la con-
1 In der Bibliothek, von deren Handschriften wir den von L. H. Labande
verfassten Catalogue sommaire (Avignon 1892, vgl. auch Catalogue ge
neral des Manuscrits des Departements tom. 25 und 26) besitzen, findet
sich nichts auf das Basler Concil Bezügliches.
60 XIII. Ah.: Beer. Urkundl. Beitr. zu Joh. de Segovia’s Gesch. d. Basler Concils.
Version et l’obeissance promise a l’Eglise Romaine par les Ar
meniens; et d’autres peuples infldeles.
Nones de Juillet 1439.
(Zustand wie oben.)
(71) Bulle du Concile de Basle a l’Universite d’Avignon
pour lui annoncer cpi’il a declare depose a cause de ses de-
merites le Pape Eugene IV et qu’il a eleve ;i la Papaute Felix V.
duc de Savoy.
Ides de Mars 1440.
Aus dem Stadtarchiv (vereinigt mit dem Universitätsarchiv
und der erzbischöflichen Kirche, jetzt mit dem Hauptarchiv
einen Fonds bildend) wären zu erwähnen: Lettres du Roy
Charles VII. nomment seze personnes ecclesiastiques sur les
quelles on exigera la decime imposee par le Concile de Basle de
l’an 1437. Cottees P. D Nr. 28 Boette 34. Trägt das Datum
10. Mai 1437. (Original mit Siegel.) Aehnlich CC. Nr. 37 EE.
Nr. 29. und PP. Nr. 39. Boette 34. Endlich: Procuration passee
par le Concile pour exiger les decimes du Concile de Bäle
en 1437 N. N. Nr. 37. Boette 34.
Die Stadtrathsbeschliisse aus jener Zeit fehlen auch hier.
XIV. Abh.: Hussafia. Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
1
XIV.
Zur Kritik lind Interpretation romanischer Texte.
Zweiter Beitrag.
Von
Adolf Mussafia,
wirkt. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
L’ ESCOÜFLE. 1
I. Allgemeine Bemerkungen.
Der Dichter hat eine entschiedene Vorliebe für expletives
Pronomen (Pronominalpartikel).
A) Proleptisch.
a) Nominativ:
1774 A un castel pres de Venice
estoit la contesse aeouchie.
Bien fu enbordee et joncliie
!a chambre ou eie jut, la dame. 2
b 1 ) Accusativ, ein Substantiv vorausnehmend:
465 prient Dieu qui maint en haut,
par sa pitie, qu’ il les eonsaut,
trestos ceus qui avoec lui sollt. 2
2246 Quant 1’ emperere les vit estre
environ lui, ses haus barons,
il se pense ... 2
1 L’Escoufle, roman d’aventure, edd. H. Miehelant et P. Meyer. Paris, 1894.
M. bezeichnet Meyer.
2 Wenn, wie in diesen Stellen, das Wesen, auf welches sich das Personale
bezieht, bereits genannt wurde, so lässt sich das nachträglich ausge
drückte Substantiv, das allenfalls auch Ausbleiben könnte, als Apposition
zum Personale anselien.
Sitzungster. d. phil.-hist. CI. CXXXV. Bd. 14. Abt. 1
2
XIV. Abhandlung: Hussafia.
4120 He Dieus! ja les amoit il tant,
les enfans qui s’ en sont ale.
6272 ne cuidies mie
que 1’ aie pris par nul outrage,
cest mur, mais . . .
Es ist demnach nicht nöthig, in der Stelle
1948 El grant palais ou 1’ einperere
est et li quens et sa maisnie
50 1’ en mena la dame et s’ amie
par grant chierte, le damoisel.
zu vermuthen, dass V en zu la zu ändern sei.
b 2 ) Accusativ, einen indirecten Fragesatz oder einen que
Satz vorausnehmend:
2818 Nus de ijaiens ne le vos ose dire
dire, quel vie il ont andui.
2820 Encor le nos a on dit hui,
qu’ il gisent toute nuit ensemble.
2942 il le jura et si baron,
que sa fille avroit a baron
le damoisel . . .
3242 Li rois mes pere et si baron
le jurerent, que il m’ aroit.
7380 Sire, en ma terre le dist hom,
qu’ il fu Chevaliers.
c) Genetiv:
5608 Dui de ciaus qui grant joie en ont,
de la venue as damoiseles.
5706 plus dolente s’ en consire,
de son ami que del baron.
6734 con grant joie il en a,
de ce qu’ il ert ore a cheval!
7952 Mout par s’ en estoit traveillie
la contesse, la bone dame,
de li atorner.
B) Wieder aufnehmend.
a) Nominativ, wenn das nominale Subject durch längere
Einschiebsel — meistens handelt es sich um Relativsatz — von
dem A^erbum getrennt ist:
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
425 Li quens, qui inout fu desirans,
1’ endemain, quant il fu jors grans,
il demande son oste en oirre.
1054 Li quens Eichars, qui en fut mestre
d’ atorner et d’ apareillier,
il fait les Chevaliers l-engier.
1741 uns evesques qui 1’ en seigne,
qui fait bei quanques li enseigne,
il les encense et beneist.
2919 li Chevalier,
li träitor, li losengier,
qui 1’ enfant heent durement,
il ne sevent . . .
7498 Cele qui sist deles le eonte,
qui estoit sa ferne et s’ amie,
el nel conoist encore mie. 1
Es ist daher
1092 Li quens, qui tote met s’ estuide
et son euer por honor conquerre,
il vit covrir tote la terre.
die zu ’94 vorgeschlagene Aenderung zu i vit nicht unbedingt
nöthig.
b) Object, wenn dem Verbum vorangestellt.
b 1 ) Dativ:
6036 a tos ciaus qui les ont
acointies lor grieve et poise. 2
1 Dazu die Fälle mit qui.. ü:
926 qui n’ i fera chevalerie,
ja n’ ait il mais en terre droit.
1424 qui tel ostesse a et tel oste,
il ne doit pas estre honteus.
2 Abundierendes Pronomen auch:
5020 Ne cuidies pas que ne li mete
du fain devant lui a fuison.
Es genügte li m. devant oder m. dev. lui. — Auch Demonstrativ wird
wiederaufnehmend gebraucht:
6480 al saint qui ne faut nul home
qui de euer li prit, qu’ il ne 1’ oie,
a celui promet jou la voie.
1*
4
XIV. Abhandlung: Mussafia.
b s ) Accusativ:
4160 G-uillaume le gentil, le preu,
u le ferai je jaraais querre?
5194 Une grant route qui ci va,
veis la tu?
8430 L’ anelet qui mout estoit gens,
que li escoufles em porta,
li biaus quens Gruillaumes 1’ osta 1
de son doit . . .
Für sich zu betrachten sind die Fälle, in denen das vor
angehende Substantiv in einem anderen Satzverhältnisse er
scheint als es das Verbum fordert und das wieder aufnehmende
Pronomen aufweist. Zuerst zwei Stellen, in denen das eigent
lich oblique Substantiv in Nominativform den Satz beginnt;
das Personale weist ihm dann die richtige Stellung im Satze zu: 2
7945 la damoisele
lorains et sambue novele
ot tele com il li convint.
Et Isabiaus, qui o li vint
et qui avoec li s’ en rira,
50 sacies de fi que li quens 1’ a
mout l'icement apareillie.
Der Grund der Anacoluthie ist klar ersichtlich; an den
Nominativ la demoisele schliesst sich — bei der Identität des
Berichtes — gerne wieder ein Nominativ an, als ob gesagt
werden sollte: Et Isabiaus fu. ..; dann wird in eine andere
Construction eingelenkt. Man vergleiche auch:
1 Demonstrativ durch dasselbe Demonstrativ wieder aufgenommen. Vom
Tode heisst es:
2427 eels qui ont les grans avoirs
et qui sont pres de lor voloirs
acomplir, ciaus prent eie et tue.
Vom Gesichtspunkte solcher Wiederholungen aus lässt sich auch recht-
fertigen
7202 il ot mout tost tot äune
tot ce dont il avoit mestier.
wo M. meint, eines der zwei tot müsse fehlerhaft sein.
2 Hieher gehören bis auf die Stelle aus Claris alle Fälle, die Tobler
(VB. I 202) verzeichnet.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
5
2997 Li damoisiax, la damoisele,
qui tant fu avenans et bele
qu’ a lor biautes n’ ert riens pareille,
2300 c’ iert dolors s’ on les despareille.
M. bemerkt zu ’97: ,Ce vers... ne parait pas etre le
commencement d’ une phrase et s’ accorde mal avec le vers
suivant. On peut supposer qu’il y a ici une lacune ou que le
texte est corrompu. 1 Ich würde die Ueberlieferung nicht ver
dächtigen. Von bele und lor biautes soll später die Rede sein;
li damoiseaus, la dam . . . c’ iert dolors s’ on les desp. steht für
c’ iert dol. s’ on desp. le dam., la dam. Die Anacoluthie erklärt
sich dadurch, dass der Dichter gerne von den Wesen aus
geht, denen die Aussage gilt; er meint: ,der Knabe und das
Mädchen sollten nicht getrennt werden 1 ; die Aenderung der
Construction, die selbst möglich wäre, wenn 2300 unmittelbar
auf 2997 folgte, wird durch die Einschiebung des Relativsatzes
um so leichter.
Das in präpositionalem Verhältnisse stehende Substantiv
wird in Accusativform vorausgenommen:
568 prie Dieu si faitement
que, si com il fu mors et vis,
li doinst les morteus anemis
de la foi et de la, creance
vers eus tant vertu et poissance
qu’ il puist sor eus, par fine guerre,
terre et honor et pris conquerre.
M. fragt, oh die Stelle verderbt sei. Ich halte sie für
acht; li doinst les morteus anemis de la foi . . . vers eus tante
vertu steht für li doinst vers les m. an t. vertu. Der
Sprecher fühlt sich gedrängt das Object, als den Träger des
wichtigsten Theiles der Aussage, so früh wie möglich auszu
drücken und beginnt mit li doinst les anemis de la foi, worauf
man ein Transitiv wie vaintre, confondre u. s. w. erwarten
würde; dadurch dass der Ausdruck von der zuerst einge
schlagenen Richtung in eine andere einlenkt, ergibt sich eine
allerdings weder klare noch schöne Construction. 1
1 Es seien hier noch zwei anders geartete Fälle von Vermischung ver
schiedener Constructionen erwähnt:
6
XIV. Abhandlung:: Mussafia.
Wie ist folgende Stelle zu beurtheilen? Aelis geht allein
nach Toul:
4868 Plorant prie samt Julien
que de bon ostel la conseut,
70 et Guillaume, que 1 si li seut,
porchacier ostel bei et bon,
sans lui n’ a gaires de son bon,
sans lui ne prise riens sa vie.
Dass Guillaume nicht Accusativ zu prie sein kann, ver
steht sich von selbst. Nicht ausgeschlossen ist es, dass es coor-
dinierter Accusativ zu la sei, als ob Aelis den heiligen Julian
anflehe, er möge sowohl ihr als Guillaume gute Herberge ver
schaffen. Vielleicht aber lässt sich eine andere Auslegung ver
suchen. Der Inhalt von 4870—74 hängt mit dem von 4868—69
nur durch den Begriff ostel zusammen; ,Sie betet zum heiligen
Julian um eine gute Herberge; einst freilich sorgte dafür Wil-
2556 Se Dieus de la ou je me sies
me laist a tot mon sen lever,
s’ il ne devoit m’ ame grever,
se j’ orendroit ne m’ ocioie
et se je mieus la rnort n’ amoie,
s’ eie me prenoit orendroit.
M. bemerkt richtig: ,La phrase est mal construite. 11 faudrait
quelque cliose eomme Et Dieus ... me me laist . . .‘ Es Hesse sich etwa,
da das Ausweichen in andere Bahnen eigentlich bei dem zweiten Theile
der Periode stattfindet, besser sagen: ,man erwartet: je m’ociroie et ame-
roie‘. ,So Gott mich mit meinem Verstände aufstehen lassen möge, ich
würde, falls dies ohne Schaden meiner Seele geschehen könnte, mich
selbst tödten und den Tod lieben, wenn er mich allsogleich hinwegraffen
wollte 1 . Die ungelenke Aufhäufung der se-Sätze illustrirt die von M. ge
machte Bemerkung, dass unser Dichter, dessen Stil in der Regel schlicht
und anmuthig ist, beim Versuche, grössere Perioden zu bauen, leicht
verunglückt.
8415 Tel erent lie de vo venue,
s’ il (euer Vater) lor eust desconeue
ne honte fait a son vivant,
ja, tant com il fuissent poissant,
n’ eussies si en pais 1’ onor.
,Manche freuten sich, die euch die Herrschaft nicht zuerkannt hätten,
falls euer Vater u. s. w.‘
1 Jedenfalls qui.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
7
heim, ohne welchen ihr das Leben nunmehr werthlos erscheint'.
Et würde die lose Verbindung der zwei Gedanken lierstellen.
In diesem Zusammenhänge möge noch folgende Stelle zur
Sprache gebracht werden:
6626 Un jor passoient par devant
la maison pelerin fran9ois;
a un de eeus, qui poinst anehois
en sa maison por ostel prendre, 1
30 uns clous le fiert parmi le tendre
del pie de sa chevauceure.
/
Vor Allem ist uns clous le fiert u. s. w. zu bemerken,
wodurch nicht etwa gemeint ist, dass der Reiter selbst Schaden
erlitt, sondern lediglich ausgesagt wird: ,ein Nagel verletzt am
Fusse das Maulthier eines Pilgers'. Zu dieser seltsamen Iden-
tificierung des Reiters mit dem Thiere gesellt sich dann Ana-
coluthie; a un de ceus [etwa avient que] uns clous le fiert und
uns clous fiert un de ceus kreuzen sich; die daraus sich er
gebende Ausdrucksweise ist, wenn auch äusserst ungelenk,
doch so klar, dass M. sie unbeanstandet liess. 2
# %
*
Die aus dem Provenzalischen und Italienischen u. s. w.
bekannte Construction, nach welcher das Subject des g'we-Satzes
an der Spitze des Gefüges steht, ist, soweit ich es übersehe,
im Französischen selten. Unser Text bietet uns als willkommene
Belege:
4576 Mes jeters ne mes corre apres
ne euit qu’ a nule riens m’ aidast.
7784 Vos vallös
ja dist on qu’ il est fius a conte.
1 Ich interpungiere so, weil ich den Relativsatz als appositiv zu un ansehe.
Bringt man qui mit ceus in Verbindung, so entfallt das Komma; wegen
des Verbums im Singular vgl. Tobl. VB. I 167.
2 Man könnte etwa 6630 li emendieren und durch Annahme einer kühnen
Anwendung des Dativs der betheiligten Person erklären: ,Einem unter
ihnen verletzt ein Nagel den Fuss seines Thieres 1 ; li wäre expletives
Pronomen. Da aber fiert einen Accusativ fordert (es müsste dann le pie
heissen), so wird man dieser Vermutliung entsagen.
8 XIV. Abhandlung: Mussafia.
In letzterer Stelle mit abundierenclem Pronomen 1 statt
vos valles ja dist on que est f. a c. 2
t-
Constructionen wie ,Es giebt Niemand, dem er nicht an
böte', ,es gibt keinen Ort, wo er nicht hinginge' drückt das Alt
französische entweder in eben dieser Weise oder dadurch aus,
dass die relativische Anknüpfung mittelst adverbiellen que statt-
lindet und das grammatische Yerhältniss durch Personale (Pro
nomen oder Partikel) angegeben wird: n’ a nul home, cui il
n’ offre oder qu’il ne li ojfre; n’ a nul Heu, ou il ne voise
oder qu’ il n’ i voise. So gewöhnlich auch unser Dichter; doch
fehlt es nicht an Belegen für Anwendung des blossen que:
126 il n’ avoit enfant ne ferne
qu’ il puisse laissier sa contree.
7914 ainc n’ i ot dame ne pueele,
je cuit, qu’ eie ne donast
joel, ains qu’ eie s’ en tornast.
8353 El n’ avoit laissie a 1’ ostel
damoisiele qu’ eie n’ envoit
des plus biaus joiaus qu’ eie avoit.
M. schlägt in den Anmerkungen zu 127 cui vor; 7915
setzt er, wohl zugleich des Metrums wegen, schon in den Text
cui an; 8354, wo er leicht cui el vorschlagen konnte, lässt er
1 In Guill. de Dole heisst es, dass der Kaiser
610 nulz marcheanz qui alast,
he siens ne antres, par sa terre .
ne soufrist qu’ il fust destorbez
für ne soufrist que n. m. fust dest.
2 Im Relativsatze hätten wir [vos volles] qui on dist que est fius a roi, die
ursprüngliche Construction, die sich dann in mehrfacher Richtung modifi-
cierte. Zuerst 1) Das Relativum wird zu que, entweder weil als Accu-
sativ zu dist gefühlt (es kommt in der That auch cui vor) oder weil
durch Adverbium ersetzt, ,betreffs dessen es heisst*. Hat sich nun que
statt qui eingefunden, dann entweder 2) Vor est findet sich expletives
Personale ein; das zweite que ist selbstverständlich noch immer Con-
junction: qu’ on dist qu' il est, oder 3) Die instinctive Neigung, unmittel
bar vor dem Verbum ein Subject auszudrücken, führt dazu, die Con-
junction que durch das Relativum qui zu ersetzen: qu’ on dist qui est.
Es schwebt eben dem Sprechenden vor: qui est, « ce que V on dit, fils . . .
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
9
unberührt. Es lässt sich indessen fragen, ob eine andere
Aenderung als 7915 que eie nöthig sei. Der Dichter mag sich
mit dem blossen Adverbium begnügt haben. An ängstlichen
Gebrauch der Personalia hielt sich die frühere Sprache nicht
gebunden. 1
Man vergleiche noch:
5408 il n’ avoit eontree ne terre
clesci as mons qu’ eles ne fuissent.
Es wird n’ i vorgeschlagen. Man kann aber auch mit ne
auskommen.
Ist das Relativum Subject, so ist in der Regel nur qui
gebräuchlich: n’a home qui ne die; es sei indessen bemerkt,
dass die Handschrift hie und da qu’ il zu bieten scheint.
8339 n’ avoit Chevalier quil n’ eust
remue . . .
8358 Jou ne cuit pas qu’ en la route ait
deus Chevaliers quil ne ploraissent. 2
Dazu auch:
8670 II ne remest el palais ame
au jor que la muete dut estre
kil n’ i venist
wo il auf ame sich nach dem Sinne bezöge.
1 880 Li quens, sor cui li rois ot mis,
fist T ost logier sor le rivage
nicht V ot mis. Der Zusatz des Pronomens ist daher auch anderswo nicht
streng geboten.
723 Apres mangier fist on oster
napes et tables; eil qui[s] mistrent
mout bei de F oster s’ entremistrent.
3157 espoir mout m’ airne poi et prise,
et par li a ses pere prise
de moi häir ceste enresdie.
Ja ne[l] querrai.
7186 II li traist le euer, si[l] manga
tot sanglant.
2 Ygl. Guill. de Dole:
668 II n’ est Chevaliers, s’ il F amast,
qu’ il ne cuidast bien estre rois.
,Es gibt keinen Ritter, der, wenn er (der Herr, von dem die Rede ist)
ihn liebte, sich nicht wie einen König dünkte.“
10
XIV. Abhandlung: Mussafia.
Einmal findet sich auch blosses que:
7407 el n’ ot ainc puis veu
home qu’ eie ot cestui perdu,
que li seist au euer si bien.
Da die Handschrift an manchen anderen Stellen quil (kil)
und qui (ki) mit einander verwechselt, und auch zwischen que
und qui nicht immer sauber unterscheidet, so kann in allen
vier Stellen leicht qui gelesen werden. So verfährt M., der
nur 7409 que belässt.
* *
*
Wenn zu mehreren Subjecten dasselbe Prädicat gehört,
so kann dieses zuerst nur einem Subjecte zugewiesen werden;
das andere folgt, durch et eingeleitet, nach: li rois vient et li
quens, li rois vient et li conte. Diese Wendung, die in an
deren Denkmälern spärlich auftritt, ist bei unserem Dichter
geradezu zur Manier geworden. Es ist nicht überflüssig zahl
reiche Beispiele vorzuführen. Erstes Subject kann sein so
wohl Substantiv, meist persönlichen Begriffes (Eigennamen),
als (ausgedrUcktes oder nicht ausgedrücktes) Personale. Am
einfachsten sind die Fälle, in denen das Prädicat entweder
allein oder mit kurzen Ergänzungen versehen ist, die Subjecte
also nahe gerückt sind; je grösser der Abstand des zweiten
Subjectes von dem ersten ist, desto fühlbarer wird die Eigen-
thümlichkeit der Construction.
a) Subjecte persönlichen Begriffes:
287 si compaignon mandent les lor (ihre Pferde)
et li baron.
510 II desceudi et sa gens toute.
528 Li rois moute
et li quens.
1412 L’ empereis qui en est lie
li vait encontre et P emperere.
1468 0 son congie, o sou bon gre
s’ en part et tuit si compaignon.
1948 el graut palais ou 1’ emperere
est et li quens et la maisnie.
11
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
2307 puis que 1’ emperere le lait
et sueffre et veut et la röine.
2941 Qu’ il le jura et si baron
que . . .
2965 la chambre . . .
ou sa fille est et ses puceles.
3566 Gardes que vostre oste s’ esjoie
por vo biau samblant et vostre home.
5785 Quant li camberlens fu venus
de mangier et li damoisel.
6970 mout en est li maistre dolens,
pour soii duel, et si eompaignon.
Am bezeichnendsten ist folgendes Beispiel:
1954 Meisraes li peres i cort;
de baisiel' 1 ne se pot tenir,
que que 1’ en deust avenir,
que nel baisast, et 1’ emperere.
b) andere Subjecte:
3212 por cui la dolors que je souffre
m’ est venue et li grant contraire.
Einige Stellen erfordern besondere Besprechung:
Ritter und Mädchen sind über das Scheiden des kleinen,
von seinem Lehrer begleiteten Guillaume betrübt:
1910 En plorant dient eil et eeles:
,A Dieu, Guillaume, a Dieu, biaus mestre,
a Dieu. £ Tuit lors issent de 1’ estre
et li serjant quil vindrent querre
Zn 1913: ji serjant qui le v. qu.? On pourrait anssi, sans
toucher au v. 1913, ponctuer le v. 1912: a D. tuitLors ist
s’ en de l’ estre. 1 Der zweite Vorschlag ist, insofern a Dieu tuit
zur nämlichen Rede gehört, schwer annehmbar. Mit Bezug auf
nur zwei Personen, Guillaume und seinen Lehrer, ist tuit nicht
passend; die Stellung von s’ en wäre ungewöhnlich; welches
wäre das Subject von ist? Aber auch erstere Emendation,
nach welcher tuit zu li serjant gehört, befriedigt nicht; hinaus
getreten sind gewiss nicht bloss die Boten, sondern auch, und
1 Vgl. unten die Besprechung dieser Stelle.
12
XIV. Abhandlung: Mussafia.
zwar in erster Linie, Guillaume, der Lelirer und die grüssenden
Genueser. Diese sind unter tuit gemeint; zweites Subject ist
li serjant; ,eben so die Boten'. 1
Weniger sicher bin ich, ob auch an folgender Stelle die
in Rede stehende Construction angenommen werden dürfe:
530 Li cuens ehevauche ades si pres
del roi qü il le tient. par la resne.
Mout par 1’ aparole et aresne,
et eil qui grant honor li porte;
et elievauchent dusqu’ a la porte.
Zu 532: ,et, corr. com?' Vielleicht bezieht sich eil auf
den König; ,eben so Jener, der u. s. w.'
Da durch Zuweisung des Prädicates an das erste Subject
der Satz abgeschlossen ist, und das folgende et... ,eben so'
einen zweiten elliptischen Satz bildet, so ist es selbstverständ
lich, dass nur Congruenz mit dem ersten Subjecte möglich ist:
eine Fügung wie li emperere vienent et si Chevalier kommt
nicht vor, und darf auf keinem Falle durch Emendation ein
geführt werden, wie es an folgender Stelle geschehen ist:
6580 Li uns des borjois le sace
vers lui, se li dist a conseus
que ses escroes vaudroient mieus
du loier et si autre afaire;
que laiens avoit grant repaire
5 de pelerins et d’ autres gens.
,Et vous estes si preus, si gens
que vous les savres bien avoir.
Vous i conquerres mout d’ avoir
ains que vous issies de la ville. 1
Im Texte erscheint 6582 ses estre und im Glossare wird
diese Stelle unter jenen verzeichnet, in denen der Infin. estre
als Substantiv gebraucht, ,etat, Situation sociale' bedeutet. Abge-
1 Man kann auch, etwa mit grösserer Lebendigkeit der Darstellung, inter-
pungieren •
,A Dieu, Guillaume, a Dieu, biaus mestre. 1 —
,A Dieu tnit.‘ Lors issent . . .
,A Dieu tuit‘ wäre der Abschiedsgruss G.’s, etwa auch des Lehrers, an
die Genueser. Das oben in Bezug auf die Subjecte von issent ange
nommene Verhältniss bliebe unverändert.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
13
sehen von der starben Aenderung, so handelt es sich hier nicht
um gesellschaftliche Stellung, sondern um den sehr realistischen
Rath, der Guillaume ertheilt wird; mehr als der Lohn würden
ihm die Nebeneinnahmen eintragen; si autre afaire sind die
verschiedenen Geschäfte, zu denen sich Dienern in Gasthöfen
so oft Gelegenheit bietet; escroes sind die auf einem Stücke
Papier geschriebenen Rechnungen, die Rechnungszettel. Das
Versmaass wird durch Streichung von que leicht hergestellt.
Das bisher Bemerkte gilt auch für den Fall, in dem
Postponierung der Subjecte durch Einleitung gefordert oder
durch Relativpronomen als Object begünstigt wird. Wie li
cuens s’ atorne et si home, V empereris V ot tenu chier et V em
perere, so:
1364 au matinet por ehevaucliier
s’ atorne li cuens et si home.
1454 li cuens, cui mout ot tenu chier
1’ empereris et 1’ emperere.
5028 la hone chiere
que li fait la Alle et la vieille.
7872 Par tel covent s’ ala couchier
li gentius cueus et la contesse. 1
Erstes Subject ist ein Personale, ein lebendes Wesen be
zeichnend;
und
3668 al matin monte il et ses gens.
450 Ains i sejorne volentiers
lui et sa gens a mout grant aise.
Hier ist lui statt il zu bemerken.
Als Subjecte erscheinen Abstracta:
2370 Ensi depart en tel maniere
li parlemens et 1’ assemhlee. 2
1 Selbstverständlich kommt das Verbum auch im Plural vor:
3622 A tant repairent de la messe
1’ empereris et 1’ emperere.
2 Aber unmittelbar darauf
2372 Ainc puis ne furent a celee
lor parlemens ne lor delis
entre Guillaume et Aelis,
14
XIV. Abhandlung: Mussafia.
Eine prädicative Ergänzung congruiert selbstverständlich
mit dem ersten, zunächst stehenden Subjecte:
588 defors . . .
estoit entaillies a esmaus
Tristrans et maistre G-overnaus
et Yseus et ses chiens Hudains.
1812 Mout par en est joians et lies
li bons cuens et sa bone mere.
910 Mout lor doit estre cloier vendus
lor outrages et lor venue.
4478 Ensi li fu ramenteue
1’ aumosniere et li aniausi 1
Das zweite Subject kann Plural sein:
3652 Apres mangier fu grans la tresce
par la maison et les Caroles.
Etwa zu bemerken:
II ne tenoient pas pour foles
celes eui orent convoie;
puis sont au cbemin avoie
eeles et eil qui les en mainent.
Avoie ist richtig, da bei verschiedenem Geschlechte die
prädicierende Ergänzung im Masculinum steht; wollte man
Congruenz mit dem zunächst stehenden, in unserem Falle auch
begrifflich wichtigerem Subjecte (Aelis und Isabel), so wäre es
leicht in beiden Versen -iees anzusetzen.
Wenn die Subjecte vorangehen, so wird Singular zumal
dann gebraucht, wenn sie verwandte Begriffe — daher am
häufigsten bei Abstracten — bezeichnen:
1870 1’ ore et li tens vient et aproche.
Bei ne wäre Singular noch leichter als bei et zu erwarten. Doch mag
das folgende e. G. et A. nicht ohne Einfluss gewesen sein.
1 Es folgt
qui mout estoit et bons et biaus.
Der Relativsatz mag sich bloss auf li aniaus beziehen. Nicht ausge
schlossen ist indessen, dass auch die aumosniere als gut und schön be
zeichnet werden sollte.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
15
2772 vos voles qu’ estris et noisc
sorde.
3274 la doutjors du tens et li mais
vos devroit bien partir des lis.
3408 avoirs, richece ne tresors
ne me porroit faire avoir joie.
Auch wenn eines der Subjecte — jedoch nicht das letzte,
dem Verbum zunächst stehende 1 — Plural ist:
3381 la grant rage et les Caroles
et 1’ abondanee des paroles
les fait endormir.
Auch hier congruiert die prädicative Ergänzung mit dem
zunächst stehenden Subjecte:
2386 uns grans maus et une destrece
est prise au conte et 2 mout soudaine.
2554 ma bautece et mes grans pris
est hui por vos mout abaissies.
Einigermassen auffallend sind:
3424 La colors blance et la vermeille
si soutilment vo face aorne
da von zwei Farben die Rede ist. Es schwebt indessen der
Begriff ,die Färbung eueres Antlitzes* vor. Ebenso werden in
556 li mostiers et la place emple
Münster und Platz als Eine Oertlichkeit angesehen.
1 Verdächtig sind daher:
1004 li cheval, li ors, li argens
et li prisonier qu’ il ont pris
lor done mout honor et pris
et li hardement (-s ?) qu’ il ont fait.
Es kann immerhin der Begriff ,Diess Alles 1 als Subject vorschweben; man
fühlt sich aber um so eher versucht, dement zu lesen, als anderswo der
Schreiber ähnliche Versehen beging.
6470 ses grans travaus, ses grans dolors
la met le jor en cent penses.
Da an mase. dolors nicht zu denken ist, so wird wohl sa gr. d. zu
lesen sein.
2 et = ,und zwar 1 .
16
XIV. Abhandlung: Mussafia.
Aber selbst dann kommt Singular vor, wenn die zwei
Subjecte verschiedene lebende Wesen 1 bezeichnen:
8522 Ses peres et 1’ empereis
estoit ja mors. 2
Zu bemerken auch:
848 se vos et vos consaus J’ esgarde
que m’ en voellies faire le don.
Wenn consaus ,Rathgeber‘ bedeutet, so ist auch die Per-
sonalcongruenz eigenthiimlich. Bedeutet es aber ,Meinung, An-
sichP, so ist vos consaus nur ein Synonym für vos, und die
3. Sing, in Ordnung.
6626 Un jor passoit par dedevant
la maison pelerins franijois.
M. setzt in den Text passoient par devant la m. pelerin.
Es ist aber daran zu erinnern, dass bei nachgesetztem Plural-
Subjecte das Verbum im Singular erscheinen kann; ist doch
diese Construction noch im Neufranzösischen unter bestimmten
Bedingungen gestattet. Die Emendation pelerin werden wir
gerne annehmen, da die Frage, ob bei solcher Construction das
Subject in der Obliquus-Form erscheinen dürfe, noch strittig
ist; vgl. Tobler, VB. I 192. 3
1 Und zwar gleichberechtigte, denn wenn es GHiill. de Dole heisst:
3856 L 1 empereres et autre maint
1’ aloit visiter
so ist diess leichter zu erklären; es wird zunächst an die wichtigste Per
sönlichkeit gedacht.
2 Congruenz mit dem entfernteren Subjecte, weil Masc. über Fern, den
Sieg davon trägt.
3 Um alle Möglichkeiten ins Auge zu fassen, sei gefragt, ob der Dichter,
der zahlreiche Formvarianten verwendet, sich nicht gelegentlich ein
silbiges oient f-ointj gestattet habe. Durch solche Annahme würden drei
der bisher besprochenen Stellen ihre Erledigung finden:
6582 que ses escroes vaudroint mieus
8522 estoint ja mort
6626 un jor passoint par dedevant.
Zur Kiitik und Interpretation romanischer Texte.
17
Etwas verschieden steht es mit
1924 A lor deseendre mout acort
de vassaus.
Wenn für unsere Zeit des v. zulässig sein sollte, so hätten
wir die gleiche Construction wie im Neufranzösischen; mout
würde, wie üblich, zum Verbum gehören ,in grossem Maasse,
in grosser Mengeh Nach Dem was vorliegt ist mout de v. zu
construieren; Singular wegen mout statt Plural nach dem Sinne.
Noch eigenthümlicher ist
1718 poi i ot barons el roiame
qui ne venist.
Beim Fehlen von de lässt sich das Quantitätsadverbium
nur zum Verbum ziehen: ,in geringer Menge gab es Barone 1 ,
und doch Verbum im Singular. Es schwebt der Gedanke vor:
,Kaum gab es einen Baron, der nicht gekommen wäre 1 .
Auch attributives Adjectiv, das zu zwei oder mehreren
Substantiven gehört, congruiert manchmal nur mit dem un
mittelbar voranstehenden.
8668 Eobes, sambues, lorains fres
eurent autel 1 eonme lor daine.
7945 la damoisele
lorains et sambue novele
ot tele com il li convint.
,Corr. lor. ot, samb. nov. \ et sele . . Es wären der Aende-
rungen zu viele. 2 M. hat offenbar daran Anstoss genommen, 3
dass t. com il li c. nur auf sambue und nicht zugleich, wie es
doch der Sinn fordert, auf lorains sich bezieht. 4
1 Aclverbiell, oder auteus?
2 Wenn sambue wirklich nur ,seile de femme* (so das Glossar) bedeutete,
würde überdiess das Einsetzen von sele eine Tautologie herbeiführen.
Andere indessen erklären das Wort durch ,housse‘.
3 Wohl nicht an tele, denn wenn auch tel bei weitem häufiger ist (dazu kann
man auch die Fälle von tele vor Vocal rechnen), so kommt auch tele vor:
4563 quant tes puors, tele faiture, 5305 en ce qu f eie a tele compaigne.
4 Vgl. folgende zwei Stellen, in denen die Adjectiva als Apposition oder in
einem Relativsatze erscheinen:
Sitzungsber. der phil.-liist. CI. CXXXY. Bd. 14. Abh
2
18
XIV. Abhandlung: M u s s af i a.
Man vergleiche auch die bereits angeführte Stelle:
2997 Li damoisiaus, la damoisiele,
qui tant fu avenans et bele
qu’ a lor biautes n’ ert riens pareille,
c’ iert dolors s’ on Ies despareille.
Aus lor biautes und aus der Antithese zwischen pareille
und despareille erhellt es deutlich, dass die Eigenschaften der
avenantise und beaute beiden jungen Leuten in gleichem Maasse
zugeschrieben werden. Die — hier in Form eines Relativ
satzes auftretende — Attribution findet aber nur zu dem zweiten
Substantive statt. Reimnoth hat zu einer allerdings sich recht
sonderbar ausnehmenden Construction geführt.
Eine ziemlich kühne Construction nach dem Sinne be
gegnet in:
854 Mont par ot li rois bele gent
en cels qui fürent assemble;
tot en sont plain et emblae
plus de -x- liues la campaigne
als ob li camp Subject wäre. 1
Der König hat geschworen :
2942 que sa fille avroit a baron
le damoisel, et or le nie;
iceste est passe-vilenie.
306 sor un oheval tondu, ferrant
estoit sa sele et ses harnes,
si bons et si biaus et si fres
eom a tel pelerin eouvient.
Auch liier soll eigentlich nicht gesagt werden, dass auf dem Rosse ein
Sattel war (denn diess versteht sich von selbst), sondern dass der Sattel
so schön war, wie es einem solchen Pilger ziemt.
654 Sor couches et sor dras de lis
ont. mis tapis et kieutes pointes
qui mout erent beles et cointes.
Hier kann tapis ohne Angabe ihrer Eigenschaft genügen; aber selbst
wenn, wie es wahrscheinlich ist, auch die Teppiche als schön und schmuck
bezeichnet werden sollten, können die Adjeetive nur mit dem letzten
Substantive congruieren.
1 Vgl. Guill. de Dole:
2562 Lors veissiez maint bei conroi . . .
assez plus d’ une lieue entiere
en sont tuit li champ emblae.
Zur Kritik und Interpretation romauiseher Texte.
19
Vorerst ist das Genus von p.-v. zu bemerken. Das Com
positum aus Imper. -f- Accus, müsste Masculinum sein; doch
drängt sich das Genus des Accusativs auf. Es sollte ferner
neutrales icest vorliegen; die Congruenz beruht auf einer durch
die prädicative Ergänzung ausgeübten Attraction.
Zur Congruenz des Participiums Perf. oder Pass,
a) Mit dem Auxiliäre esse:
2746 La chose est ja a ce venu (: beu) 1
erklärt sich leicht durch die neutrale Bedeutung von la chose.
Sehr eigenthümlich ist
3954 Mes amis [m’] est venue (: desconvenue)
querre
wo der Reim die Congruenz sichert. Man wird daher auch zu
4668 eil qui m’ erent venue querre
keinen Emendationsversuch machen. Es liegt Attraction vor,
die sich etwa dadurch erklärt, dass venir-querre als ein
Begriff und zwar als ein Transitivum (= einfachem querre)
aufgefasst wird. Aehnliches kommt zwar bei Modalia mit dem
Auxiliäre habere vor; so imltah: non li ho voluti vedere, und
auch an altfranzösischen Beispielen wird es nicht fehlen. Dass
aber in unserem Falle das Auxiliäre esse ist, macht die Con-
struction sehr bemerkenswert!). 2
Tobler hat (Verm. Beitr. II 57) dargelegt, dass, wenn in
der Conjugatio periphrastica eines Transitivums esse statt habere
1 Neben
4588 La chose est ja a che venue (: venue).
2 Ein anderes, jedoch nicht ganz sicheres Beispiel. Aelis und ihre Zofe
kommen zur Gräfin von S. Gilles. Diese sagt:
5623 Bien veignids vos.
Mout vos f'fes petit de nos,
qui or primes m’ estes venue
veoir.
Wenn vos sicher Plural wäre, so würden wir auch hier Congruenz von
venu-veoir mit dem Accusativ me constatieren. Es kann aber leicht nur
Aelis, die Herrin, gemeint sein; wie es denn unmittelbar darauf heisst:
lors V a par la main nue \ prise, si V en maine en sa cambve.
2*
20
XIV. Abhandlung: Mussafia.
aus dem Grunde zur Anwendung kommt, weil sich dem Accu-
sative ein Reflexivpronomen als Dativ zugesellt, das Particip
nicht mit dem Accusativ congruiert, beziehungsweise unflectiert
bleibt, sondern mit dem Subjecte congruiert (eile s’ est achetee
deux livres, nicht -es, wie altfranzösisch — wenigstens theoretisch
•— möglich wäre, oder -e wie die neue Grammatik fordert;
vgl. ital. essi si sono giurati eternci amicizia neben üblichem -a
und denkbarem -o). Eben so in unserem Gedichte
2678 Mieus li venist qu’ il se fust trais (: les a atrais)
un des eus.
Wenn also die Hs. liest
7228 II s’ est tant cop del poing dones (: il fu nes)
so ist es wenigstens überflüssig, tans cous in den Text zu
setzen. Und wenn Tobler in der Behauptung Recht hat, die
— eigentlich illogische, auf Attraction beruhende — Congruenz
mit dem Subjecte sei nicht bloss facultativ, sondern ausschliess
lich üblich, so würde die Emendation dadurch, dass sie Con
gruenz mit dem Objecte erreichen will, geradezu irreführend
sein. Eine dritte Stelle
5104 Lors s’ est (i. e. G-uillauraes) par mautalent ferus (: creus')
de son poing tel cop les 1’ oreille
ist insoferne nicht ganz sicher, als s’ est ferus achtes Reflexivum
und tel cop loserer Accusativ sein könnte. Man sage dasselbe von
5182 Mout a le vis et taint et nuble
et pers des cols qu’ il s’ est ferus (: les eusse aeonseus).
b) Mit dem Auxiliäre habere:
6380 eil qui sis ans a estes (: maleurte)
esseillies.
7434 an^ois qu’ il ait deus mois estes (: creantes 2 )
chaiens. 3
1 ßectus Sing.
2 2. Plur.
3 Neben 122
et quant il ot ■ xv . ans este (: este — aestatem).
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
21
Die Annahme, dass estes — etwa wie passes — mit dem
als ächten Accusativ aufgefassten Substantiv der Zeitbestim
mung congruiere, wird Niemanden befriedigen. 1
Dazu kommt
774 Quant il lor a congie dones (: vos vos leves).
Bei der zweiten Stelle könnte man zur Noth auf Rectus
maleurte, bei der dritten auf Plural congies reeurrieren; für
die erste bietet sich nichts Derartiges. Soll man überall un
reinen Reim -e : -es annehmen? Wenn das Ohr sich vielfach
mit Assonanzen — darunter manche sehr starke, wie chiere :
vieille — zufrieden gab, so mag auch das Auge (denn -s ist
längst verstummt) an so geringen Unterschieden kaum Anstoss
genommen haben.
Noch andere Stellen sind zu erwägen:
2986 Mout ot biaus bras et beles gemmes
teus com li ot faite Nature.
Hier wäre leicht faites zu lesen. Wenn auch teus . . sich
sowohl auf Arme wie auf Beine bezieht, so lässt sich (wie in
den oben besprochenen Fällen) Congruenz mit dem letzten Sub
stantiv annehmen.
7769 comment est ce que j’ ai trovöe
celi u tout a esprovee
Nature quanqu’ eie a de sens?
Aenderung zu -e : -e bietet sich wie von selbst.
2830 taut ont durees les paroles.
Man wird, den Ausführungen Tobler’s (Arch. f. d. St. d.
n. Spr. XC1 110) folgend, sont lesen.
Also unter sechs Fällen nicht ein einziger, der für Con
gruenz eines mit avoir verbundenen Partie. Perf. mit dem Sub-
jecte 2 beweisend wäre.
1 Ein anderes Beispiel wäre
8255 [El eonte] ra tant de biautes,
qu’ a P encontre n’ a nus estes.
Weniger wichtig, da Singular des Abstractums sich noch besser als
Plural empfiehlt. M. setzte auch ohne Weiteres -e : -e in den Text.
2 Eine solche Congruenz nennt Tobler (a. a. 0.) ,eine so seltene Er
scheinung, dass ich schwer daran glaube 1 . [Während des Druckes dieser
99
XIV. Abhandlung: Mussafia.
Durch den Reim gedrängt, gestattet sich der Dichter eine
eigenthümliche Vermischung der Numeri in der Anrede:
2546 ,Mors‘ fait eie ,nial inarrement
aies tu qui tel mal me faltes,
qui moi et mes dames dcsliaites 1 .
Anderswo ist Gleichheit leicht herzustellen:
3764 ,Fieus‘ fait eie ,ne laissies 1 mie;
se Dieus en la terre te maine,
s’ on la te rent en ton demaine,
si le me fai par tans savoir.
Hier ändert M. zu ne laissier. Bald darauf:
3780 ,Fieus‘ fait eie ,a Dieu te conmant.
Salue moi ta damoisele,
a Dieus soies et vos et eie,
se le 2 cuidies veoir jamais.
M. druckt cuidies und nur in der Anmerkung fragt er,
ob cuides zu lesen sei. Ich würde — wenn auch hier die
Anwendung von Singular (’80—’81) und Plural (’82—’83) nicht
wie in der früheren Stelle durcheinandergeht — unbedenklich
cuides lesen; 3 dann aber ist auch vos, zu welchem der Schreiber
durch soies verleitet wurde, zu tu zu ändern.
* *
*
Wiederholt begegnet uns das wirksame rhetorische Mittel,
Betrachtungen des Dichters oder Selbstreden der im Gedichte
auftretenden Personen derart dialogisch darzustellen, dass der
Sprechende sich selbst Einwände macht, auf die er dann er
widert. Ich hebe eine besonders anziehende Stelle aus, welche
Blätter ist (Zeitschr. f. rom. Phil. XX 546) eine Recension von A. Stimming
erschienen, worin er die in Rede stehende Congruenz sowohl im Provenz,
als im Altfr. als zurecht bestehend anerkennt. Er fügt hinzu, sie sei
vielfach auch bei neueren franz. Schriftstellern nachzuweisen. Es würde
sich lohnen, auf die Frage näher einzugehen.]
1 Mit Bedacht setze ich keinen Accent; vgl. die zweitnächste Anmerkung.
2 le = la.
3 Dass es sich beide Male um ie-Verba handelt, ist vielleicht kein Zufall;
in laisses, cuides hätte sich das i eingeschlichen. Es liesse sich daher
auch bei ersterem Verbum mit engerem Anschlüsse an die Hs. statt
Infinitivs prohibitiver Conjunctiv anwenden.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
23
durch angemessenere Interpunction an Deutlichkeit wesentlich
gewinnt. Es ist die Rede von Guillaume:
6352 Or n’ ama mais en tel maniere
nus hom ja. — Si fist viaus Tristans; 1
mout ot il ore plus ahans,
55 ains qu’ il fust mors, pour la röine. 3 —
Car ce fu pour la medecine
que Brangiens li dona a boire;
dont fu ce force, force voire,
qu’ il n’ i ot onques point de grace. 3 —
60 Et Piramus, qui la crevace
trova, ne fu il mors d’ amors? —
Ce ne sai je, qu’ ire et dolors
fait tote rien fole et hardie;
por ce ne sai jou que j’ en die,
65 se ce fu folie u amors.
Pour ce s’ uns lions u uns ors
ensanglenta une touaille,
que savoit que ce fust caille 4
qui dut estre Tisbe s’ amie? —
70 II cuidoit qu’ il n’ i deust mie
autre venir se cele non. —
Le cuidier 5 et la sospechon
deust il bien oster ancois
qu’ il s’ ocesist, qu’ en nule[s] lois 6
75 ne doit hom pas vengement faire
de cuidier; 0 ne de cest afaire
n’ en doi jou pas sans conseil dire
s’ amors fu ocoisons u ire
de sa mort u maleurtes. 7
80 Mais eil qui sis ans a estes
esseillies et en grant dolour,
s’ il vausist, des le premier jour
qu’ il la perdi, si fust il mors,
mais sospechons et desconfors
1 Druck: ja; si fist.
2 Druck: ro'ine, car ce.
3 Druck: force : force voire! K’ il n’i ot o. p. de grace; et Piramus.
4 Im Glossar wird caille mit einem Fragezeichen versehen; zu ’69 in
der Fussanraerkung ein sic. Offenbar ist caille aus coagul-; entweder
Femin. aus Neutrum oder deverbal aus coagulare. Es hat gleiche Be
deutung mit nfz. caillot.
5 cuidier hat hier die Nebenbedeutung ,AV;ihnen, wahnwitzige Vorstellung 1 .
6 oder: -ois : oi?
7 Im Drucke Semicolon.
24
XIV. Abhandlung: Mussafia.
85 ne la graut paine qu’ il en a
ne le pot onques dusques la
mener qu’ il se vausist ocire.
Gegen die Behauptung, dass Niemand je wie Guillaume
geliebt habe, wird zuerst auf Tristan hingewiesen, der so viel
Drangsal um der Königin willen erlitt. Es wird erwidert,
Tristan’s Leidenschaft sei durch den Zaubertrank, also durch
äussere Gewalt, nicht durch inneres Gefühl hervorgebracht
worden. -— War aber nicht Liebe die Ursache von Piramus’
Tode ? — Nicht unbedingt Liebe, eher Thorheit, unglückseliger
Wahnwitz. In der That, woher wusste er, dass es gerade
Tisbe’s Blut war? — Er konnte doch nichts anderes ver-
muthen. — Er musste vielmehr sich vorerst Sicherheit ver
schaffen ; auf eine blosse Vermuthung hin schreitet man nicht
bis zum Aeussersten. Es bleibt also in Bezug auf Piramus’
Tod noch immer zu erwägen, ob da wirklich Liebe oder nicht
vielmehr unüberlegter Schmerz oder Unglück obgewaltet hat.
Anders verfuhr Guillaume; er hätte sich schon am ersten Tage,
da er seine Aelis verlor, oder später, als er soviel Ungemach
erlitt, tödten können; er wusste aber aller Pein Widerstand
zu leisten. Zu ergänzen ist: ,und gerade durch diese Seelen
stärke zeigte sich seine wahre, ächte Liebe'.
Noch eine Stelle. Guillaume, dem der Zutritt zu Aelis
verboten worden ist, sagt:
Se li mal serf en ce mis m’ ont
que je n’ os aler ne venir
a li, bien porra avenir
qu’ eneor irai je, s’ eie veut.
Ce ferai mon, s’ eie se deut
autant por moi eom je me duel
por li. •— Jou pens 1 ce que je vuel,
qu’ espoir mout m’ aime poi et prise
et par li a ses pere prise
de moi häir ceste enresdie. —
Ja ne querrai, que que nus die,
qu’ a la doueor de ses biaus ieus
apercui je qu’ eie amoit mieus
moi tot seul que tos ceus del monde.
ruck: por li; jou pens.
3150
55
60
m
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
25
G. zweifelt einen Augenblick an Aelis’ Liebe und sagt:
,Wenn ich annehme, dass A. um mich so trauert wie ich um sie,
so ist diess eine Täuschung; der Mensch glaubt eben gerne das,
was er wünscht; 1 in der That schätzt sie mich nicht; sie hat
ihren Vater angestiftet, mir den Laufpass zu gebend Gleich
darauf aber wird er anderer Meinung: ,Diess werde ich nie
glauben, denn . . . d
# &
*
Die Wortstellung ist nicht selten gezwungen. So Trennung
von Wörtern die innig zusammen gehören:
7407 el n’ ot aine puis veu
home qu’ eie eestui ot. perdu.
7716 ,Dame‘ fait il, j’ ai puis eu
mainte souffraite de tout bien
que je vous perdi.
Wenn es also heisst:
7516 puis fu je un an, que qu’ ot este,
tous sire a cort empres le roi
so wird man nicht eingeschobenen Temporalsatz, etwa ,während
Diess gewesen ist' annehmen, sondern que c’ ot este lesen, ,nach
dem Diess stattgefunden hatte'. Die Kommata sind demnach
zu tilgen.
138 Et li euens dist qu’ a tous donroit
reubes, ehevaus, eeus qui n’ en orent
für a tous ceus qui.
650 N’ i a un seul cui inout ne place
li euens de tos ceus qui le voient
für un seul de tos.
1 Derselbe Gedanke kehrt noch einmal wieder. Guillaume wähnt, eine
Schaar entführe Aelis; er fragt einen Burschen: une graut route qui ci
va, veis la tu? Als dieser antwortet, er habe Niemanden gesehen, sagt
G. zu sich:
5204 ,11 pueent bien estre passe,
onques eil gars ne s’ en prist garde‘.
II pense en son euer et esgarde
quanqu’ il veut par position.
,Er gibt sich gerne der Täuschung hin 1 .
26
XIV. Abhandlung: Mussafia.
69 cascuns mieus morir voloit Q 1
de trestot quanqu’ il emprenoit
qu’ il nel veist venir desus
für m. to. vol. qu’ il nel v. v. d. de trestot . . .
116 il n’ est biens, s’ il s’ i ademist,
c’ on peust faire ne savoir,
qu’ il, par son sens et par savoir,
n’ en seust trop en un seul jor
wo s’ il s’ i ademist nicht bloss, wie gang und gäbe, dem Satze
qu’ il n’ en s. vorangestellt wird, sondern selbst den Relativsatz
c’ on p. f. von dem Substantive biens trennt.
Ich erwähne noch:
26 qui en tens et en saison
puet metre un bei conte en memoire
et feire un dit de bone estoire
(et mout bien fait eil qui s’ en paine)
30 qui vertes soit, c’ est bele paine.
wo es allerdings leicht wäre 29 auf 30 folgen zu lassen.
* *
*
Dass der Dichter es liebt, nach dem ersten Verse eines
Reimpaares eine mehr oder weniger starke Sinnpause eintreten
zu lassen, hat M. (S. XLIX) hervorgehoben und nach dieser
Wahrnehmung die Interpunction eingerichtet. 2 Es sei dazu
noch angeführt:
1 Da zwischen mieus vol. und que kein Komma am Platze ist, so schloss
ich das von M. verwendete in Klammern ein.
2 Es sei bemerkt, dass die Beobachtung, die Meyer in erschöpfender Weise
(Romania XXIII, Jahrg. 1894) durch eine ganze Reihe von Gedichten
verfolgte, schon im Jahre 1S9Ü von Tobler in seiner Recension des Lai
de V ombre (Arch. f. d. St. d. n. Spr. LXXXV 353) gemacht und zur Inter
pretation mehrerer Stellen des Lai’s benützt worden war. — Der Zweck
dieses Kunstmittels, das Klipp-Klapp des Reimpaares zu mildern, wird
eben so gut dadurch erreicht, dass die Sinnpause innerhalb des zweiten
Verses eintritt; so z. B.:
3771 ,ne cuit veoir riens que j’aime tant
com je fais toi‘. Tot en moutant
T a eil baisie.
4229 Ses deus remest por la fiance
des quereors, et 1’ esperance
li proraet ....
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
27
7920 il retint eiaus de sa maisnie
entour lui a vair et a gris,
qui le jour ont lor ados pris.
Pour s’ onour et pour sa liautece
font li Chevalier: ,Ore est ce
25 bons comencemens de jovene home‘.
Es empfiehlt sich, auch vom Standpunkte des Sinnes,
’23 in Verbindung mit ’22 zu bringen und darnach die Inter-
punction zu ändern.
Aelis erfährt den Tod ihrer Aeltern:
8610 De dales le conte u eie ere
cäi pasmee de pitie;
s’ en eust el plus la moitie
de leece que de dolor,
pities li ramaine 1’ amor
15 de sa mere et la noreture;
ruais la joie de 1’ aventure
de 1’ empire qu’ eie ravra
1’ a mout tost garie.
Die Inversion des Subjectes zeigt, dass s’ en eust nicht
,wenn sie hätte', sondern ,wenn sie auch hatte', .und doch
hatte sie' bedeuten. 1 ’12—’13 gehören innig zu TO und TI
(Semicolon nach TI kann bleiben; besser schiene mir einfaches
Komma). Nach ’13 Schlusspunkt. ,Sie fiel in Ohnmacht vor
Rührung, wenn gleich die Freude grösser war als der Schmerz.
Sie trauerte um die Mutter, freute sich über die Erbschaft.'
Die Barone versammeln sich im Palaste, um Guillaume
zur Krönung zu begleiten:
8910 Ne cuic c’ onques nasqui 2 de mere
uns rois qui plus fust honeres,
quant il fu au mostier menes.
Ausi fu me dame Aelis.
1 Si en eut el wäre klarer, ist aber keineswegs nöthig.
2 Man möchte ohne weiteres nasquist lesen, wie denn an vielen Stellen
unseres Gedichtes auf verneintes cuidier regelrecht Conjunctiv folgt;
doch vergleiche man
3002 Ne cuit que Dieus a faire endure
wo endure analogische Form sein könnte, und
3640 Ne cuit mais que vous me vees (• salues).
XIV. Abhandlung: M u s s a f i a.
Nach dieser Interpunction wäre gemeint, Aelis sei eben
so geehrt gewesen. Trägt man der metrischen Gewohnheit
Rechnung, so wäre nach ’ll Punkt, nach ’12 Komma zu
setzen. Es hiesse dann, beide Eheleute seien in das Münster
geleitet worden.
* *
*
Mehrmals scheint ein ganzes Yerspaar keinen anderen
Zweck zu haben als den Reim zu vermitteln. Es lässt sich
nämlich bemerken, dass von vier aufeinander folgenden Versen
der vierte sich dem Sinne nach eng an den ersten anschliesst;
die zwei mittleren bilden ein Füllsel, das oft recht ungeschickt
ist, aber selbst dort, wo es Annehmbares sagt, die Betrachtung
oder die Erzählung störend unterbricht.
14 qui verte trespasse et laisse
et fait venir son conte a fable,
ee ne doit estre chose estable
ne recetee 1 en nule cort,
car puis que men^oigne trescört
et vertes andere remaint,
20 ceste chose sevent bien maint
qu’ a cort a roi n’ a cort a conte
ne doit contere conter conte,
puis que mencoigne passe voir.
Dies ergiebt: , Lügenhafte Erzählung soll an keinem
Hofe Aufnahme fipden, [denn wenn die Lüge vorauseilt 2 und
die Wahrheit zurückbleibt 3 ,] diess wissen wohl Viele (= Alle),
dass Niemand an Fürstenhöfen eine Erzählung Vorbringen darf,
wenn die Lüge der Wahrheit den Rang abläufth Eine ge
zwungene Redeweise, die glatt wird, sobald man von den in
Klammern gesetzten Worten absieht.
1 ,aufgenommen“, it. ricettata. M. setzt in den Text als Emendation re-
citee ein.
2 Das Glossar übersetzt trescovre ,courir, circuler 4 ; V. 23 aber zeigt, dass
der Begriff des Vorauseilens vorherrscht.
3 Ich habe nach 19 M.’s Komma (sieh die Berichtigungen auf S. 327) bei
behalten, weil puis que von 23 in der That das puis que von 18 zu wieder
holen scheint. Punkt nach 19 und et als Einleitung des Hauptsatzes
nach Temporalsatze (,wenn die Lüge vorauseilt, da bleibt die Wahrheit
zurück 4 ) würde wohl der Meinung des Dichters nicht entsprechen.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
29
Der Tod gefällt sich die Menschen gerade in dem Augen
blick hinwegzuraffen, als die Erfüllung ihrer heissesten Wünsche
beyorsteht:
2430 Male costume en a eue;
si criem que jamais ne li cliaie.
33 Mout par est de pute nature,
que n’ a de nul home pitie.
Dazwischen:
31 Des le tens Saint Crespin en Cliaie
conmenQa ce et encor dure.
Guillaume lässt seine bevorstehende Heirath verkünden:
8877 Par le eonseil de son barnage
fait la gent de son regne sage
90 qu’ il portera par tens corone.
Se Damedieus grace 1’ en done
92 mout i metra poi de respit .
95 Pait li uns a 1’ autre: ,Quant iert ce?‘
,A Pentecouste ‘
Zwischen ’92 und ’95 lagern sich:
Or doinst Dieus que nus nel respit
qui li redeliait sa hautece!
Ein gewundener Ausdruck für ,Gott gebe, dass Niemand
sein Vorhaben störe'. Und ein völlig unnützes Einschiebsel, da
in der Folge nichts dergleichen geschieht.
Die Dame von Montpellier entschuldigt sich darüber, dass
sie nicht schon längst die Bekanntschaft Aelis’ gesucht hat:
5639 ,Ne cuit qu’ il ait dame orendroit
qui ne deust voloir par droit
qu’ eie fust de vos bien acointe.“
Or 1’ a de parole bien ointe
cele qui mout se fait s’ amie.
Sachies qu’ eie ne li a mie
45 a cest mot la teste brisie.
Mout est esgardee et prisie
de ciaus de la cort Aelis.
Diese Stelle verdient Beachtung, weil sie möglicherweise
über Reim- und Sprachgebrauch des Dichters einen Wink gibt.
Die Verse ’44 — ’45 besagen so ziemlich dasselbe wie ’42.
30
XIV. Abhandlung: M u s s af i a.
Aehnliches findet sich sowohl in G. de Dole als im Lai de
1’ ombre. Dort preist Nicolas, vor dem Kaiser den Gesang
Lienor’s:
1409 ,Et que sez tu?‘ — ,Je 1’ ai öie“.
Ne le feri pas lez 1’ öie
qui si li loe la pucele.
Im Lai begrüsst der Ritter die Dame:
714 ,Bone aventure ait liui
ma dame, a cui je sui et iere“.
Ne 1’ a ore en autre maniere 1
ferue del poing lez 1’ öie. 2
Der Ausdruck ferir lez V öie ,neben dem Ohre“ entspricht
dem irisier la teste in unserem Gedichte. Es liegt hier die
beliebte Figur der Litotes vor ,hat ihr nicht den Kopf zer
spaltet“, oder ,hat ihn (sie) nicht neben dem Ohre geschlagen“
= ,hat ihr (ihm) Angenehmes erwiesen. 3
Es fragt sich nun ob der Zusatz im Escoufle lediglich
der Vorliebe des Dichters zu solchen launigen Wendungen
oder irgend einem technischen Grunde sein Dasein verdanke.
Man möchte sagen: amie reimt nicht reich mit prisie. Oder:
der Sprache des Dichters war nur -iee eigen. Beiden Ver
muthungen scheinen freilich die Bindungen chevalerie : chalengie
und maisnie : amie 4 zu widersprechen. Bedenkt man indessen,
1 en a. m. = autrement, das wie pas gerne zur Negation tritt. Die Lo-
cution ist dalier in G. de Dole und im Lai identisch.
2 Auch hier im Reime mit Participium öie.
3 Mit Rücksicht auf die besondere Situation paraphrasiert Tobler (VB.
I 165) die Stelle im Lai mit: ,so voller Verehrung hat er sie begrüsst 1 .
— Es sei bei dieser Gelegenheit eine andere Stelle desselben Lai’s er
wähnt. Die Dame, tief gerührt über die Handlung des Ritters, richtet
an ihn liebevolle Worte:
930 Sachies qu’ eie n’ en bleca mie
quant eie dist: ,Beaus dous amis, . . .
Tobler in seiner oben erwähnten Recension der Ausgabe Bedier’s emen-
diert blesa ,sie redete nicht undeutlich“. Ich denke, ne bleca sei hier
gerade so gebraucht wie n’ a pas la teste brisie und ne feri lez V öie;
,sie hat ihn nicht gerade verwundet“ = ,sie erfüllte ihn mit Freude“.
4 Die Stellen lauten:
996 Li Normant n’ ont pas fait sejor
qui ont fait tel chevalerie.
Mout ont richement calengie
la sainte terre o les bons brans.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
31
dass in einer sehr grossen Anzahl von Fällen centralfrz. -iee
nur mit sich selbst reimt und erwägt man die Vorliebe des
Dichters für reichen Reim, so verlieren die angeführten Reime
wesentlich an ihrer Bedeutung. Gerade die Verbindung der
zwei so seltenen Vorkommnisse zeigt, dass hier der Dichter,
ins Gedränge gekommen, einerseits eine seinem Sprachgebrauche
fremde Form verwendete, andererseits der Gewohnheit, reich
zu reimen, entsagte. An ersterer Stelle hätte er allerdings zu
dem Mittel greifen können, zwei Verse (auf -rie und -giee)
einzuschieben, hat es aber doch nicht versucht oder nichts
Passendes gefunden; 1 an unserer dagegen lagerte sich leicht
zwischen amie und prisiee die beliebte Wendung.
Manchmal umfasst der Zusatz mehr als zwei Zeilen:
S8ü9 Les damoiseles et lor dames
s’ en vont es cambres atillier.
74 Li cuens remest o son barnage
el grant palais de marbre noir.
Dazwischen:
70 Tel i ot qui mieus sot tillier
qu’ eie ne sot trescier en bende.
On dist que mal naist qui n’ amende,
tel ert fole qui puis fu sage.
M. bemerkt im Glossare zu tillier ,tiller [le chanvrej, mais
ici ce mot est employe au figure, et le sens en est obscurh
Meines Erachtens hat nur der Reim den Zusatz herbeigeführt.
Von den Zofen, die sich schmücken, wird gesagt: ,Manche
unter ihnen verstand [wohl: in früherer Zeit] besser grobe
Arbeit zu verrichten, als sich schön zu frisieren. [Begabte
Menschen machen aber Fortschritte], sagt man doch im Sprich-
worte u. s. w/ Zu sage findet endlich der Dichter ein Reim-
1949 el grant palais ou 1’ emperere
est et li cuens et sa maisnie
1’ en mena la dame et s’ amie.
1 In der zweiten Stelle war Diess geradezu unmöglich; doch mag maisnie
frühzeitig allgemein geworden sein. Es will mir wenigstens scheinen,
als ob diese Form auch in Denkmälern vorkomme, die sonst nnr -Ue
kennen. Irre ich nicht, so würde sich die Verwendung von -ie statt -iee
auf eine einzige Stelle reducieren.
32
XIV. Abhandlung: Mussafia.
wort, das ihm möglich macht, die Erzählung fortzusetzen.
Sonst hätte sich der Einschub noch mehr in die Länge gezogen.
Es wäre vielleicht lohnend, nach dieser Richtung hin
zahlreiche altfranzösische Gedichte in Reimpaaren zu unter
suchen. Es dürfte sich da Folgendes heraussteilen:
a) Reimnoth beeinflusst in der Regel nur den zweiten
Vers. So bei Pause am Schlüsse des Couplets:
420 Si compaignou se sont en couche 1
couchie devant lui par la sale
sor linceus qui ne sont pas sale
wie denn auch anderswo die Seltenheit von Wörtern auf -ale
zu ähnlicher Litotes oder zu sonderbar sich ausnehmenden Zu
sätzen Anlass gab. Vgl. G. de Dole 3252 La dame estoit de
vant la sale | qui n’ ama onques chainse sale.
77 7 Apres eus s’ est couchies li ber,
qui n’ ot talent d’ aler rober
wo der launige Zusatz zunächst durch den Wunsch des Dich
ters, reich zu reimen, herbeigeführt wurde. Bei Brechung des
Couplets: die Gäste des Grafen Richart kehren heim
759 la jus el borc, a lor osteus.
Li cuens qui n’ iert autres que teus
remest o sa privee gent.
Der beliebte Reim ostel : tel wird dadurch noch einmal ge
wonnen. Wie ist der Relativsatz zu verstehen? Etwa ,der ein
ächter Edelmann war'? 2
b) Bei Brechung des Couplets wird man ausserdem einem,
zwei (vielleicht noch mehr) Verspaaren begegnen, die lediglich
den Zweck haben, die Reime herzustellen. Je nach dem Ge
schicke des Dichters sind diese Zusätze entweder nach Form
und Inhalt gezwungen und daher befremdend, oder sie fügen
sich so anmuthig in das Ganze ein, dass der Leser daran
keinen Anstoss nimmt.
* *
1 reimend mit couche — collocat. Collectiver Singular oder l_e : j_es?.
2 Vgl. 6176 et li bons murs qui estoit teus (: osteus) j li morut.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte,
33
Wie hält es der Dichter mit dem Hiatus? Meyer bemerkt,
dass Hiatus am häufigsten vor Monosyllaben eintritt. Ausser
zwei Belegen, wo et im Spiele ist:
226 conmencie et 1’ abeesse
392 d’ iave douee et de vins cuis
führt er zwei vor a an:
252 en chapitre a 1’ abeesse
490 de la vile a grant eflxoi.
Dass die Einsilbigkeit des zweiten Wortes Anwendung
des Hiatus erleichtere, ist (so weit ich es übersehe) eine bisher
nicht ansgesprochene Ansicht. Es wird, wie ich glaube, schwer
werden, die Thatsache zu constatiren, noch schwerer wäre sie
zu erklären. Wenn vor et bei so vielen Dichtern Hiatus er
scheint, so hat Diess seinen Grund in der logischen Pause, die
vor der copulativen Conjunction bald stärker bald schwerer
eintritt. Im ersten der zwei Fälle mit a wird man eher auf
-tre recurrieren; vgl. qu’ il lor couvient prendre ostel wo M.,
der, wie es scheint, Hiatus nach Muta cum liquida nicht an
erkennt, que il lesen möchte.
Andere Verse, in denen M. Hiatus zulässt, sind:
vor et: 4
4743
„ a: 4263
6932
„ u: 8132
„ est: 7924
Dazu
5415
mout honore home et alose
m’ a laissi'e et il s’ en va
qu’ on aeate 1 a grant largesce
il en sace a tont le mains
eil qui vos mist 1’ ame u eors
font li Chevalier : Ore est ce.
Fait eie: ,Ysabel, ma bele
wo nur in der Anmerkung gefragt wird, ob nicht F. e. a Ts.:
Ma b. zu lesen sei.
Hiatus wird schon im Texte beseitigt nicht bloss in
3147 li deusse [je] avoir mande
sondern mehrfach vor Monosyllaben. So vor et:
3119 deffendue, et qu’ il [bien] se gart
7340 [et] qui mout li prie et enorte
7777 en la [grant] sale et al bei estre.
1 Conjunctiv, daher nach dem steten Gebrauche des Dichters acat\ man
lese que on.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXXV. Bd. M. Abh. 3
34
XIV. Abhandlung: Mussafia.
Weniger ansprechend ist die Ergänzung in
7168 il avoit gros et vairs les eus,
le chief [ot] un poi erespe et bloi
wo, abgesehen davon, dass in derartigen Schilderungen das
Verbum nicht wiederholt zu werden pflegt, ot nicht zu avoit
passt. Wenn schon nicht erespe, so et le chief oder et erespe.
6169 fu [el] 1 puis en cambre o sa dame.
Hier wäre nach M. wegen o, nach Anderen wegen -hre
Hiatus zulässig. Nach seiner Theorie hätte M.
3085 Quant dist: Sire, a vo congie
2802 du pere ait si grant hauteee
nicht zu qu. [il] d., si grande h. bessern sollen.
Am bedenklichsten ist es, wenn an Stelle von
2955 vers la chambre a la pueele
der Text de la p. bietet, während der Dichter fast ausschliess
lich präpositionslosen Genetiv 2 oder possessiven Dativ verwendet.
Wenn man bei der bisherigen Theorie bleibt: Hiatus ist
am leichtesten zu dulden nach Muta cum liquida und nach
Pausa, selbst nach jener schwächeren, die vor den Conjunc-
tionen et, ow*sich ergibt, so wird man nur betreffs Zulassung
von vile a, sace a, ame u, ore est, pere ait, deusse avoir einige
Zweifel hegen.
II. Zu einzelnen Stellen.
Graf Richart tint Rueem en son demaine.
56 De fores et de venisons
ert sa terre bien aaisie,
et il 1’ avoit si abaissie
que nus ne li faisoit enchaus.
1 Nicht [il], da von Ysabel die Rede ist.
2 Selbst beim Genetiv Plural: 879 V ost lor morteus enemis. Nur an einer
Stelle, innerhalb zwei Versen:
2801 que li fius por la grant proece
du pere ....
925 el non du fil sainte Marie.
Dann
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
35
Zur Notli liesse sich ,er hatte das Land so bezwungen,
niedergehalten' übersetzen, wenn auch die folgenden Verse, in
denen von der bereitwilligen Hilfe zahlreicher Ritter die Rede
ist, diese Auffassung nicht gerade 'unterstützen. Man vergleiche
indessen eine andere Steile. Der Graf von S. Gilles hat durch
ein hartes Wort seine Gemahn verletzt; dann wiegelt er ab,
5940 lues droit 1’ a li cuens abaissie.
Hier müsste abaissier geradezu ,besänftigen, versöhnen'
bedeuten. Man wird geneigt sein, apaisie zu lesen; und thut
man es hier, so wird sich die gleiche Emendation auch für 58
empfehlen. Nicht zu übersehen ist, dass man dadurch beide
Male (5939 : envoisie) reichen Reim erreicht, der bei den En
dungen -er, -e', -ier, -ie u. s. w., wenn auch nicht streng ein
gehalten, doch sehr beliebt ist.
362 il et sa maisnie toute
sont ja venu dusqu’ a Mongiu:
au passer n’ ot ne ris ne giu.
65 Quant il sont outre, [en] Lombardie,
ne sai por coi vos conte et die
des osteus ne de la viande,
que chascuns a ce qu’ il demande
et a souhait et a devis.
70 Tant oirre qu’ il vint a Brandis.
Durch die Ergänzung ergibt sich: ,Wie sie in der Lom
bardei sind, ich weiss nicht warum ich über alle Herbergen
berichten sollte'; eine Ausdrucks weise, die wir keinen Grund
haben dem Dichter zuzuschreiben. Man kann bei der Ueber-
lieferung bleiben und ’66—’69 als eingeschobene Bemerkung
auffassen : quant il sont outre Lombardie — ne sai u. s. w. —
tant oirre qu’ il vint a Brandis. Solche längere Zwischensätze
kommen in unserem Denkmale auch anderswo vor. Dass zuerst
von der ganzen Gesellschaft, dann aber nur von Graf Richart
die Rede ist, kann bei der Länge des Zwischensatzes nicht
stören.
318 au departir ot graut demonte (: monte)
Das Glossar verzeichnet: ,dem. chagrin, affliction'. Das
Wort ist sonst unbekannt. Ich lese temonte, das an zwei an
deren Stellen (die eine V. 4008, wo die Hs. remonte liest,
3*
36
XIY. Abhandlung: Mussafia.
wurde vom Herausgeber trefflich emendiert) mit monte reimt.
Nicht anders in Guill. de Dole:
2499 a graut joie et a grant temonte (: honte)
s’ en vet et ses genz apres lui.
Temonte aus tumultus, mit l aus n, eher als temoute mit
unreinem Keim. 1
407 Li cuens issi premiers del tre;
apres s’ en issent du rivage
si compaignon.
Man wird nicht anstehen, au oder ou rivage zu lesen.
713 Venisons, lardes et dainties
et lardes qui ne sont pas vies.
,714 lardes ici ou au vers precedent, a pris la place d’ un
autre mot.‘ Ich schlage für die zweite Stelle pastes vor.
Die Ritter bieten ihre Dienste dem Grafen Richart an:
750 Cil li presentent lor servise
et lor avoir por lui servil"
,Et Dieus le me doinst deservir,
que si ferai ge a mon pooir;
et s’ il auques de mon volon-
en fait, vos i avres tot preu‘.
M. fragt, ob nicht etwa nach 751 eine Lücke anzu
nehmen sei. Wohl nicht desshalb, weil die directe Rede nicht
durch Angabe der Person, die zu sprechen beginnt, eingeleitet
wird; denn solcher unvermittelter Uebergang von der erzäh
lenden zur dramatischen Darstellung ist in unserem Gedichte
ziemlich häufig und gereicht ihm zu Zierde. Es könnte dem
nach nur der Inhalt der Rede Anlass zur Annahme einer Lücke
geben. Man vermisst aber nichts, sobald man deservir in der
Bedeutung ,lohnen, vergelten* auffasst. Den Rittern, die ihre
Dienste anbieten, sagt Graf Richart: ,Gott möge mich in den
Stand setzen, euch diess zu vergelten, ich meinerseits will es
nach Kräften thun; wenn Gott diesen meinen Wunsch erfüllt,
so wird es euch wohl ergehen.* — Man vergleiche
1 [Ygl* j©tzt Tobler in den Sitzungsb. der preuss. Akad. der Wiss. 1896,
XXXVII 11: ,diese Form (temonte) ist sicher auch im Escoufle 318 an
die Stelle des unerhörten demonte zu setzen.]
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
37
5022 Apres s’ en revint en maison
por la damoisele servil',
qui bien le savra deservir
en liu et en tens, s’ eie vit.
Eine dritte Stelle ist folgende. Die Frau Richart’s be-
scheidet zu sich die Richter:
1872 la ferne au gentil conestable
ses Chevaliers mande et fait querre:
ne voisent n’ a tornoi n’ a guerre,
7 5 qu’ il remainent 1 por li servir.
E[l] le 2 set inout bien deservir,
la gentius dame debonnaire;
a caseun done reube vaire
as festes anveus, cui 3 que faille.
Auch hier ist dess. am besten durch ,lohnen* wiederzu
geben. Das Glossar verzeichnet nur diese Stelle und erklärt:
,meriter*. Dass auch damit das Auslangen zu finden ist, hängt
mit der Affinität der zwei Begriffe zusammen; vgl. ital. meri-
tare und rimeritare.
779 Tote la nuit dort et repose . .
781 jusque vers prime; ains qu’ eie sont,
il se lievent; lev6 se sont
si compaignon.
Es ist offenbar lieve zu lesen.
869 Cos fu maistres et connestables.
So die Handschrift im Beginne eines Absatzes; im Texte
Tos, in der Anmerkung der weitere Vorschlag: De V ost fu
maistre et c. Da der Rubricator sich öfters vergriff, so ist
erstere Emendation unzweifelhaft richtig. Anwendung von totus
vor Bezeichnung von Würden findet sich auch:
1 ,denn sie bleiben* = ,d. sie sollen bleiben*. Oder remaignent, und que
mit leiser adversativer Bedeutung? mais remaignent wäre eine zu starke
Aenderung.
2 Die Emendation ist annehmbar, doch wäre auch Eie bei nicht ausge
drücktem Objecte zulässig. Da El (Eie) proleptischer Nominativ oder,
anders ausgedrückt, la g. d. d. Apposition zu El (Eie) ist, habe ich am
Schlüsse von 76 Komma gesetzt.
3 Hs. und Druck qui.
38
XIV. Abhandlung: M u s s a f i a.
2623 1’ estre
dont ses bona aire aoloit estre
tous conestables et baillius.
6196 G-uillaumes fu toua sire et maistres,
apres le segnour, de 1’ ostel.
7516 puis fui je un an
tous aire a cort empres le roi. 1
1186 Li paiens 1’ aperciut de loing
qu’ il a por joster 1’ escu pris.
Statt V wird s’ vorgeschlagen. Es dürfte aber die Con-
struction vorliegen, die Tobler Zeitschr. für rom. Phil. (XX
57) besprochen hat. Entweder wie sonst oft quil (kil) für
qui oder mit einer kleinen Variante der Construction: je le vois
qu’ il vient = qui v.
1322 Apres la triue ot (G-raf Eichart) tel porpens
qu’ il les semont qu’ il s’ en retort
a ses arais et qu’ il s’ atort
por repairier en sa conte.
Auf wen bezieht sich les? Wenn auf die — übrigens
früher nicht genannten — Christen des heiligen Landes, so
müsste semont in der Bedeutung ,auffordert ihm zu gestatten'
angenommen werden. Mit allem Rückhalte möchte ich die
1 Vgl. Guill. de Dole:
1489 vos estes tot au desus
et trestoz maistre de la cort.
il ere
2305 uns bons Chevaliers ....
toz mestres dou duc de Louvain.
Mit einiger Verwunderung liest man daher zu letzterer Stelle die An
merkung: ,toz mestres, faute de lecture du copiste sans doute; conjectu-
rant que ces deux mots sont la corruption de qnelque mot allemand ou
neerlandais, M. Huet propose d’y voir un eomposd de meister, tel que
stalmeister ou mot analogue. 1 Vgl.:
1919 il ere
toz sires de 1’ empereor.
3313 il est toz sires et toz maistre
de mon segnor.
Jeder Zweifel wird behoben durch
1489 vos estes tot au desus
et trestoz mestres de la cort.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
39
Vermuthung wagen, dass se sem.ont. zu lesen sei: ,er richtet an
sich selbst die Ermahnung* = ,er sagt zu sich, dass es nun
mehr an der Zeit sei*. Es würde ot tel porpens oder il se
semont genügen; unser Dichter lieht aber umständliche Rede;
vgl. etwa
2930 Tunt li ont priiet qu’ il 1’ ont pris
en tel point qu’ il dist qu’ il fera
lor volente
wo Tant li ont priiet qu’ il dist genügen würde.
1440 Saves que mout embelissoit
la feste et 1’ onor et 1’ afaire,
que 1’ emperere li fist faire
de jor en jor presens divers.
’40 hat die Hs. hi. M. fragt überdiess, ob nicht saves zu
sacies zu ändern sei. Ich fasse qui als neutrales interrogatives
Pronomen auf; ,wisst ihr was die Herrlichkeit des Festes be
deutend erhöhte? Dass der Kaiser u. s. w.*
Graf Richart nimmt Abschied von der Kaiserin:
1462 Grans mercis quant si volentiers
m’ aves honere et veu.
Veoir in Begleitung einer adverbiellen Ergänzung, die ,gut,
freundlich u. s. w.* bedeutet, ist recht üblich; die vorgeschlagene
Aenderung zu peu würde ein weniger höfisches Wort einführen.
Zum Lobe Richart’s heisst es:
1590 En tel home est bien emploi'e
1’ onors, quant Dieus li veut doner.
Die Wendung mit quant ist der alten Sprache geläufig;
li = la li. M. setzt in den Text que Dieus.
Richart sagt zum Kaiser:
1638 inetes vos haus horaes desus
si les ames et tenes chiers . .
41 ne vos faudront, s’ ensi le faites.
Se besoins vous vient en souhaites
il aideront a amender
les bas consaus et amender
les conmunes et les vilains.
40
XIV. Abhandlung: Mnssafia.
Mit Recht bemerkt das Glossar, en souhaites sei hier
wenig Mar; ,peut-etre döit-on corriger en soufraites 1 . Es Hesse
sich etwa die Lesung der Handschrift halten, wenn man en
souh. als Adverb zu aideront ansieht; ,nach [euerem] Wunsche'
oder ,nach eigenem Wunsche', also ,gerne, mit einander wett
eifernd'. Freilich würde man, heim Fehlen jedes metrischen
Zwanges, Nachsetzung des Subjectspronomens erwarten. Sollte
die abverbielle Wendung en souliciites das coordinierte Sub
stantiv ersetzen, also an Stelle von et souliaite 1 stehen ,wenn
ihr es braucht und wünscht'? — Zum zweiten amender wird ge
fragt, ob nicht a mander zu lesen sei. Doch ,entbieten' passt
nicht in den Zusammenhang; dieser fordert ein Verbum mit
der Bedeutung ,nieder drücken, beseitigen'. Soll amendrer ge
lesen werden? Oder, da Wiederholung der Präposition will
kommen wäre, a monder im Sinne von ,wegräumen, entfernen';
s. Tobler, Prov. au vil. Anm. zu 176, 5?
1728 Li pavemens fu de la biautes (-. autres)
de la chainbre ou les dames sont.
M. emendiert d’ alebastres, mit einem unreinen Reim
a(s)tres : autres, wofür das Denkmal kein anderes Beispiel bietet.
Ob Alabaster zu Fussböden verwendet wurde? Ich vermuthe
de la Bautre] vgl. Guill. de Dole 5519 desus le pavement de
Bautre und 3501: Die, die ich liebe, ist mehr werth als die
anderen, autant com pierre de la Bautre vaut mieus que li
quarriaus de Rains. Wir hätten dann den bloss für das Auge
unreinen Reim L re : L res.
Die Kaiserin geleitet die Neuvermählten;
1740 la nuit les maine andeus as lis
et uns evesques qui F en saigne,
qui fait bei quanques li ensaigne, 2
il les eneensse et beneist.
Was ist Accusativ von saigne (wohl auch von enc. und
6en.)? die Neuvermälten oder die Bette? Ich meine eher letz
tere. Aber auch da erwartet man les. — Es folgt
1 Oder ist geradezu so zu lesen, mit unreinem Reim j_es : le?
2 An die Echtheit von ens. ist schwer zu zweifeln. Der Sinn fordert:
,was ihm zukommt, was seines Amtes ist 1 .
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
41
1744 Bien puet dire qui ces veist
qu’ aine ne vit si bei ne si gent
ne si blans de dras ne de gent.
Also wieder ein Hin- und Herschwanken zwischen Sin
gular und Plural bei Angabe der Lagerstätte. M. bemerkt
zuerst: ,Mieux vaudrait biaus.. . gens se rapportant h lis‘. Wenn
man sich scheut, dem Dichter die Tändelei zuzumuthen, dass
er die zwei lis zugleich als eines habe darstellen wollen, so
wird man ’41 les und ’45 nach M.’s Vorschlag lesen. — M.
fügt hinzu : ,gent ou gens, au vers suivant (’46), reste obscur.'
Sollte der Dichter nicht, in etwas preziöser Art, gemeint
haben: ,Schmuck und weiss waren die Leintücher und die
darauf liegenden Leiber'?
Die Boten sind mit dem Knaben Guillaume an den Hof
gekommen
1926 et 1’ empereres i avale
lues droit qu’ il en seut les noveles.
Bele Aelis et ses pueeles
s’ en vont jouant a sa venue;
30 de par sa mere le salue
que ses maistres li ot apris.
La dame 1’ a baisie et pris
par la main et puis Aelis.
Zu ’31 sagt die Fussnote, es sei sa maistre zu bessern;
Subject zu salue wäre demnach Aelis, die den Ankommenden
im Namen ihrer Mutter, der Kaiserin, begrüssen würde. Diese
aber ist (V. ’32) gegenwärtig. Es ist also vor Allem ’26 V em-
pereris (oder -reis) und ’27 el statt il zu lesen. Denn die erste
Begrüssung findet nur von Seite der römischen Frauen statt.
Diese führen später den Knaben zum Kaiser und zum Grafen
Richart: 1948 el grant palais ou V emperere j est et li cuens et
sa maisnie \ V en mena la dame et s’ amie | (d. i. die Kaiserin
und Aelis 1 ) par grant chierte le demoisel. Subject zu salue ist
amie als Bezeichnung der eigenen Tochter auch
2173 n’ en doutes mie
que il n’ ait ma fille et m’ amie
a oisor
wo man sich sonst versucht fühlen könnte, am. zu lesen.
42
XIV. Abhandlung: Mussafia.
Guillaume; dieser überbringt die Grüsse seiner Mutter, denn
diess zu thun hatte ihn der ihn begleitende Lehrer gelehrt.
Von diesem heisst es 1894 sans celui ne pooit il estre, qu’ il V en-
troduit et si V aprent. Vgl. auch 2018 li damoisiaus avoit un
maistre, qui li aprent de V escremie . . . Nule chose n’ i veut
laissier, de coi il fust repris a cort, que ne li aprende. 1 Es
liegt endlich näher, le in ’30 zu les zu ändern (-s ausgefallen
vor s-) als le = la aufzufassen.
1954 Meismes 2 li peres i cort;
de baisiei' ne se pot tenir,
que que 1’ en deust avenir,
que nel baisast, et 1’ emjierere.
Mit Recht wird gefragt, ob de bais. nicht verderbt sei;
es ist in der That bei der Kürze des eingeschobenen Satzes
kaum denkbar, dass der Dichter beide Constructionen ne se pot
tenir mit de -f Inf. und que ne -(- Conj. zugleich gebraucht
habe. Etwa i cort por baisier- ne etc.? Oder etwa de plaisir
,vor Vergnügen, vor Freude*?
Aelis nennt Girillaume sowohl ami als frere:
1989 frere por couvrir 1’ autre non,
si que tot eil de la maison
i notent plus chierte qu’ amor;
mais qui son vis et sa color
et si esgardast ses biaus ieus,
c’ est la riens par qu’ il seust mieus
95 li queus des nons li fust plus dous,
c’ un faus souspirs et uns senglous
la prent enmi le non d’ ami;
et li oel li sont pres de mi
apetisie de fine angoisse.
1 Bezieht sich etwa de coi f. r. a cort als eingeschobener Satz auf ne veut
laissier? ,Er will keine Lehre unterlassen, denn solches Versäumniss
würde ihm Tadel einbringen. 4 Oder ist de coi Relativ zu nule chose1
Gemeint wäre: ,er lehrte ihn alle Dinge, deren Unkenntniss ihm (dem
jungen Manne) Tadel zuziehen könnte 1 . Bei adfirmativer Ausdrucks
weise hiesse es Tot li aprist, de coi il fust prisids a cort; die Anwen
dung der (doppelten) Negation hätte den Dichter zu repris verleitet.
2 Meismes kann hier (vgl. die Wendung meismes ses cors) nur ,der Vater
in eigener Person* bedeuten; ,selbst der V.‘ passt nicht, denn gerade
vom Vater versieht man sich, dass er sich am meisten beeile.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
43
Zu ’96 wird gefragt, ob, statt faus, fains zu lesen sei?
Es ist damit wenig gewonnen. Die Leute meinen, Aelis’ Nei
gung sei die einer Schwester; wer aber ihr Antlitz und ihre
Augen genau beobachtet hätte, hätte wahrgenommen, dass es
Liebe war: denn wie sie ihn ,ami‘ nennt, da seufzt und
schluchzt sie, und ihre Augen verrathen wahre Herzensangst/
Ich möchte fors vorschlagen.
2004 Andui ont il robe tot d’ un
ou il n’ a graine ne bresil,
qu’ il sont de soie et de chainsil,
d’ emperiaus et de samis.
Worauf bezieht sich il in ’6? Auf ein vorschwebendes
drap? Oder ist rohes... qu’ eis zu lesen? Oder etwa qu’il
V ont ?
Der Kaiser ist in Gedanken versunken;
2112 Li cnens li voit penser, si n’ ose
demander ce qu’ est qu’ il pensoit.
Dativ bei intransitivem Infinitive (und zwar ohne Object,
das ihn der Geltung eines transitiven näher brächte) ist wenig
wahrscheinlich; etwa V i, oder, da i kaum berechtigt ist, le.
Wegen le statt li vgl. unten zu 4604.
2328 Ce li (dem Kaiser) met Dieus en euer, qu’ il face
des deus enfans le mariage . . .
32 Por plus seurement passer,
que ne set qu’ est a avenir,
1’ empereres a fait venir
les sains.
,Um sicherer vorzugehen, da er nicht weiss, was geschehen
kann*. Vgl. folgende Stelle. Kichart ist schwer krank;
2410 puisqu’ il ne sue ne termine
n’ il ne quiert nule garison,
il n’ i a se del morir non,
que ne puet pas sans mangier vivre.
Sowohl 2333 als 2413 setzt M. in den Text qu’ e[n], wo
durch ohne Noth als allgemeiner Satz das hingestellt wird, was
sich auf den speciellen Fall recht gut bezieht.
44
XIV. Abhandlung: Mnssafia.
23G1 et je serai li vos amis.
Tonlose Form des Possessivums nach Artikel ist ver
dächtig; wohl vostre.
Der Tod handelt doch unschön, da er den Tüchtigen
ebenso wie den Schlechten hinwegrafft;
2428 ne 1’ en fali, espoir, jamais
si avoir fait de ne sai quant (: tant).
M. fragt, ob die Stelle verderbt sei. Ich meine nicht;
,es ging ihr nicht ab' = ,sie hat es nie unterlassen, in gleicher
Art . . 4 zu handeln' = ,sie hat es stets so gehalten'.
Graf ßichart wird von schwerer Krankheit befallen, kurz
bevor sein Sohn Guillaume des Kaisers Tochter Aelis heim
führen sollte. Der Kaiser klagt darüber:
243G ,Las! la dolors, las! 1’ amistie,' (: pitie)
fait 1’ emperere ‘que j’ avoie
ert de cest home que j’ amoie!
grant joie atendions ensemble.
Zur Bedeutung vergleiche man zuerst folgende Stelle. Die
verlassene Aelis ist tief betrübt; in ihrem Kummer hat sie
eine einzige Freude, dass sie auf den Leintüchern liegt, auf
welchen Gruillaume einst gelegen war.
5246 Taut, de solas, tant de delit
com eie ot, si fu des linceus,
que eil qu’ eie amoit sor tos ceus
de tout le mont i 2 ot geu.
Ebenso heisst es später von Aelis, die eine Gefährtin ge
funden hat,
5400 Tant de solas, tant de delit
conme eie a, si est d’ Ysabel.
,Was sie an Freude hatte (hat), kam (kommt) ihr von . . .
her' = ,ihre einzige Freude waren die Leintücher, war Isabel.'
1 Wie ist de ne sai quant zu deuten? Darf quant als eine Art collectiven
Singulars aufgefasst werden? Es wäre dann durch ,mit vielen Anderen
(tüchtigen)“ wiederzugehen. Oder ist quant = quando ,seit ich weiss
nicht wann“ = ,seit jeher“?
2 que ,denn“, oder que (relat. Adv.) . . . i — ou.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
45
Tn der Stelle 2436 würde nun dolors die Yerba im Prä
sens oder Futurum fordern: la dolors quej’ ai (avrai) est (iert)
de cest home; ,über diesen Menschen [allein oder : zumeist]
trauere ich (werde ich trauern)'. Imperfectum jDasst nur zu
amistie; ,die (= alle) Freundschaft, die ich hatte, kam mir Von
diesem Manne her' oder ,war für diesen Mann' = ,er war
mein einziger Freund'. Da der Dichter auch anderswo in
seinem Ausdrucke sich nach dem zuletzt Ausgesagten richtet,
so lassen sich beide Substantive als Nominative auffassen; ,nur
über ihn traure ich; er war mein einziger Freund', oder la d.
ist exclamativ, und der Relativsatz bezieht sich bloss auf am.
Las! la dolors! 1 Las, 1’ amistie 2
que j’ avoie u. s. w.
An V. 2439 schliesst sich an
2440 Au samblant que fait, ce me semble,
ne puet mie veoir le terme.
M., für den die Rede des Kaisers mit ’39 zu Ende ist,
fragt zu '40 an, ob nicht Du s. zu corrigieren sei. Wenn damit
gemeint ist, du s. hänge von terme ab, so vermag ich der Stelle
keinen rechten Sinn abzugewinnen. Nach meiner Anschauung
gehören ’40 — ’41 noch zur Rede des Kaisers. ,Wir sahen
grosser Freude entgegen; nach seinem Aeusseren zu urtheilen,
kann er sie nicht erleben'; n’ en wäre deutlicher; en ist aber
leicht entbehrlich.
2736 Quant il voudra armes avoir,
si reviegne a vos por le prendre.
M., gegen die Grammatik, por le[s] prendre. Wenn es
auch überflüssig ist, Belege für substantivirten Infinitiv bei
zubringen, so mögen einige aus unserem Texte folgen:
724 Apres mangier fist on oster
napes et tables; eil qui mistrent
mout bei de 1’ oster s’ entremistrent.
1 Oder dolor.
2 Man erwartet amisti&s. Mehrere Erklärungen bieten sich: a) -U : -ies-,
b) Femin. im Eectus gelegentlich ohne -s; c) amistie ist Accnsativ, durch
Attraction wegen que.
46
XIV. Abhandlung: Mussafia.
1218 Que que. li Turs chäi aval,
tos li os as paiens desroute
por le seoourre, et une route
des Normans repoint por le prendre.
Besonders in letzterem Beispiele darf man sich nicht ver
leiten lassen, le als Pronomen aufzufassen.
Auch an anderer Stelle führt M. tonloses Pronomen vor
Infinitiv in den Text ein:
6562 Ainc mais ne vi
nul vallet si bien [s’] entremetre
de drecier.
Es ist kaum nöthig zu erinnern, dass nach faire, laissier,
veoir, oir u. s. w. der Infinitiv des Reflexivpronomens entrathen
kann oder muss. 1
Wie sehr haben die Rathgeber des Kaisers Guillaume
geschadet:
2826 E Dieus! com il ont ore nuit
le damoisel qui ne s’ en garde,
que es chambres s’ amie garde
les puceles qui font Caroles!
Wenn ’28 que Conjunction wäre, so würde ne garde oder
eher ne gart folgen. Ich lese qui.
Guillaume ist wunderschön:
2980 jamais ne cuit, non, que Dieus face
si bei.
,Corr. monWenngleich mon zur Bekräftigung auch
negativer Aussagen üblich ist, so ist non unbedenklich.
1 Zunächst bei intransitiven Reflexiven; so noch heutzutage: je le ferai
repentir. Dann bei solchen Transitiven, in denen das Reflexivpronomen
nicht leicht durch ein Nominalobject ersetzt werden könnte und die daher
den intransitiven Reflexiven nahe kommen; so bei entremetre. Am sel
tensten bei Verben, die ihre transitive Bedeutung noch voll bewahren.
Doch lässt sich immerhin annehmen, dass
966 Qui donques veist lor signor
metre derriere entre deus routes!
ursprünglich sei. M. fragt, ob estre zu lesen sei.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
47
2982 Sa eolors ]i croist et avive
•i- cerele d’ or qu’ il ot el chief,
entor larde de chief en chief
de fins rubins et d’ autres gemmes.
Am Fusse der Seite wird angemerkt, die Hs. lese eolors
und lardes. Man möchte in dieser Angabe an einen Fehler,
statt color, denken; da aber S. XLVII zu eolors ein sic hin
zugefügt wird, so scheint die Hs. wirklich -ors zu haben. An
Stelle der Lesung im Texte, die unhaltbar ist, fordern die
Berichtigungen (S. 327) color . . uns cerele (oder -es) . . lardes;
die zwei Verben croistre und aviver wären demnach transitiv.
Dagegen finden wir
4716 Sa dolors croist tant et avive
qu’ eie s’ asiet, ou voelie ou non.
Hier sind die zwei Verba entschieden intransitiv. Nicht
anders in der von M. angeführten Stelle aus dem Lai de F ornbre:
La eolors li croist et avive
de ce qu’ il dit qu' il est tos suens.
Man vergleiche ferner betreffs croistre in unserem Gedichte:
1964 Mout 1’ en croist li cuers et oisele
de qou qu’ eie a tel compaiguon.
Da einerseits intransitives croistre als transitiv (mit facti-
tiver Bedeutung) und andererseits aviver, zunächst transitiv,
als intransitiv (dadurch dass das Reflexivpronomen unausge-
drückt bleibt) auch sonst Vorkommen, erregt eigentlich die zwei
fache Construction keine Bedenken, und es gibt keinen genü
genden Grund, etwa 2982—83 d' un cerele. . larde zu lesen.
Transitiven Gebrauch nimmt nachträglich M. in Anspruch für
eine weitere Stelle, in welcher die gleiche Formel wiederkehrt.
7688 mout li (der Aelis) croist li cuers et avive
ce qu’ il (Guillaume) la nonme par son non.
Der Text belässt die handschriftliche Lesung; S. XLVII
heisst es jedoch: ,11 faudrait corriger le euer 1 . Man erwäge in
dessen noch folgende Stelle:
5630 Cascune d’ eles s’ esmerveille,
ce qu’ eie avoit si grant biaute.
48
XIV. Abhandlung: Mussafia.
Man wird nicht s’ streichen, so dass ce que Subject und
cascune Object von esmerveille wäre. Da nun Refiexiva, die
Gemüthsbewegung bezeichnen, Intransitiven gleichkommen, so
decken sich li cuers li croist ce que . . . und cascune s’ es
merveille ce que . . genau. Zur Erklärung dieser beim ersten
Anblicke seltsamen Construction möchte ich auf Folgendes hin-
weisen. Es scheint, als ob ce nach Art eines absoluten Accusativs,
statt de ce, mit Ausdrücken der Geiniithsbewegung angewandt
wurde. G. de Dole 3325 ,ne vendra eie — ,Nenil, ce sui je
mout dolente 1 , wo Servois c’ e[n] 1 liest. Lai de 1’ ombre 496
par foi, ce doit il estre lies- andere Handschriften haben en
doit, de ce doit; Tobler emendiert: s’ en doit. Die Stellen im
Escoufle bieten nun das Nämliche; dass dort der Inhalt von ce
aus dem Vorhergehenden bekannt ist, hier mittels des gwe-Satzes
ausgedrückt wird, macht keinen Unterschied. Man könnte in
letzterem Falle kurz sagen: der Genetiv-Satz wird statt durch
que durch ce que eingeleitet. 2
1 Jedenfalls s’ en.
2 Vergleicht man
3314 Ce qu’ on la vest et apaveille,
li samt sonent a la capele
wo ce que unbedenklich zu que que zu ändern ist (vgl. 1320 cele =
qu’ eie), so könnte man dasselbe für 7688 Vorschlägen: li cuers li croist,
que qu’ ü la nome. Zu 5631 Hesse sich ferner noch vergleichen Lai de
F ombre 556 ce que onques n’ en parla li cient a merveille, wo li v. a m.
= s’ esmerveille. Indessen ist hier möglich, wenn auch nicht wahr
scheinlich, dass ce que ... als Subjectsatz zu li v. a m. fungiere. —
Schliesslich sei noch erwähnt, dass unser Dichter es lieht, eine vorher
gehende Aussage mittelst c’ est zu begründen.
Der Kaiser
1574 vait en ost plus seurement
quant il a les cuers des barons;
c’ est par son sens et par ses dons,
par 1’ onor qu’ il lor fait et porte.
2080 Deduis de fores et d’ oisiaus
lor plaist ore plus c’ autre chose,
c’ est por ce que nus ne lor ose
livrer enui.
6078 II n’ est hom qui aler 1’ (Aelis) en voie
qui ne li ourt hone aventure;
or s’ en vait; c’ est par la <;ainture
u li lion furent tissu.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
49
Die Natur hat Guillaume mit Schönheit ausgestattet:
2988 eie s’ estoit a desinesure
en lui seul faire entendue.
Der Text liest: en lui faire seule entendue. Was bedeutet
diess? Die Lesung der Handschrift gibt dem typischen Ge
danken Ausdruck, die Natur (Gott) habe beim Schaffen des
gepriesenen Wesens ihre (seine) ganze Aufmerksamkeit (die
ganze Schaffenskraft) verwendet.
Der Kaiser und die Kaiserin treten in das Zimmer ein,
wo die zwei jungen Leute beisammen sind; Aelis arbeitet mit
ihren Mädchen, Guillaume spielt mit zwei Knappen. Der Dichter
preist wieder ihre unvergleichliche Schönheit;
3001 jamais, taut com li mons dure,
ne cuit que Dieus a faire endure
si beles riens; et il de coi
andui se tindrent um et coi,
et tuit li autre par laiens.
Zu 3003 wird gefragt, ob nicht et en (oder a) recoi zu
lesen sei. Diess passt aber nicht zur Situation. Es soll nur
gesagt werden, dass sowohl G. und A. als die Knappen und
Zofen beim Eintreten des Kaisers in ihrer lauten Unterhaltung
innehielten. Ich verstehe: et il de coi? ,aus welchem Stoffe
,Jeder wünscht ihr Gutes; und diess Alles geschah deshalb, weil sie der
Dame von Montpellier den Gürtel geschenkt hatte.“ [Da c est .. . mit
qui ne li ourt innig zusammenhängt, ist or s' en vait als eingeschobener
Satz anzusehen. M. setzt Punkt nach ’81.]
6331 Li pelerins vausist mout mieus
qu’ il (Guill.) remansist, s’il peust estre;
e’ est por sa dame et por son mestre,
qui ’n ont andui au euer graut ire.
7342 ,en ceste ore
me ment mes euers devaut ma ge nt“,
et c’ est por son ami le geilt,
se Dieu plaist, qu’ eie verra ja.
8198 La castelaine fi-st puurtendre . .
200 sa cambre; c’ est pour les noveles
de la Alle 1’ empereor.
Immer e’ est par, c est por-, man könnte indessen auf den nach dem Be
merkten kaum haltbaren Einfall kommen, dass in den zwei untersuchten
Stellen ce que für c est que stünde.
Sitzungsber. <1. phil.-bist. CI. CXX XV. Bd. 1-i. Abh. 4
50
XIV. Abhandlung: Mussafia.
möchte Gott andere ähnliche Geschöpfe schaffen?' Derartige
hyperbolische Ausdrücke sind wie der Lyrik so der höfischen
erzählenden Poesie geläufig.
3196 Viaus la chambre u eie sejorne
verroie je de sor ce suel,
las, dolans, eaitis, cui je suel
estre a tel joie et a delit.
’98: ,cui, corr. u. ?' Ich zöge vor qui i 1 suel.
Aelis denkt an Guillaume
3222 Amors li refait un assaut
qui li remet celi devant
si bei ....
Lies celui.
3354 11 sont jusqu’ au palis de fust
venu qui clooit. le jardin;
li valles qui mout sot d’ engin
en ovri 1’ uis d’ un poi de boise.
,poi, corr. pel?‘ Da boise schon ,Span, Scheit' bedeutet,
so ist pel = palus wenig angemessen. Wohl aber ist un poi
de — un petit leicht zu verstehen.
Aelis zu Guillaume:
3561 ,11 eovient nostre oirre atirier,
angois qu’ on viegne del mostier.' —
,Dame, je n’ i voi tant de tel'.
Zu ’63: ,corrompu?' Der Sinn ist wohl: ,ich sehe nicht,
wie diess zu thun sei', rien de tel wäre deutlicher; doch ist
tant haltbar.
Guillaume erzählt seiner Mutter, wie die schlechten Path-
geber den Kaiser veranlassten, ihm die versprochene Hand
seiner Tochter zu verweigern,
3702 et conment il [1’] ont fait partir
de sa fille par lor consaus;
et 1’ emperere a ses iaus
5 le vit qui bien i puist adonques.
,Fius‘ fait eie ,qu’ il n’ ama onques
vo bon pere, n’ aine n’ en fu[i] lie
tant com il fu de la maisnie
1’ empereor'.
1 Die Hs. hat selbstverständlich ie.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
51
So der Text; am Fusse der Seite zu ’5: ,puist, corr.
pert‘. Die Anmerkungen auf S. 398 bieten die trefflichen Emen-
dationen ’4 empereris, ’6 el ri ama und stellen fu wieder her.
Ob zugleich der Vorschlag zu ’5 zurückgenommen wird oder
nicht, ist nicht zu ersehen. Dieser ist mir unverständlich;
weder paret noch perdit gibt einen befriedigenden Sinn; auch
stimmt Präsens nicht zu adonques, das hier nur temporale Be
deutung haben kann. Ich gestehe, keinen Rath zu wissen.
Nimmt man paroir an, so wäre die starke Aenderung le vit.
,Bien i parut adonques, fius‘ fait eie ,qu’ el..nöthig. Oder
ist etwa gemeint: ,die da [etwas dagegen zu thun] wohl ver
mochte' oder ,vermocht hätte'? es müsste dann pot (peut) oder
piiust donques heissen. Wenn die Rede wirklich erst mit Fius
beginnt, so ist que als Einleitung directer Rede deshalb auf
fallend, weil in ungewohnter Art nach Vocativ. 1
Vernunft und Liebe streiten im Herzen Aelis’, die im
Begriffe steht, aus dem väterlichen Hause zu entfliehen.
3952 ,Or ne fist ce onques
fille a roi, 2 tel desconvenue.' —
,Por coi? Mes amis [in’] est venue
55 querre, et je [ne] m’en iroie?
Sachies que je n’ en mentiroie
ma foi, et se je m’ en aloe,
sans biasine.' L’ aler amors loe,
quanques raisons vait destornant.
1 Es sei bei dieser Gelegenheit an qwe nach interjectionalem Comment
erinnert:
2774 Conment! que cis seroit barons
no damoisele et rois du regne!
6760 Conment! que nos nous en irons
sans oisel! ainc mais ce n’ avint.
Etwas verschieden nach interrogativem Comment:
4704 Donc s’ en va il? Ci a mal donques,
qu’ il en aroit trop desonor.
Conment? Qu’ il avoit ci la flor
de gentillece et de biaute.
,Wie so? weil er...‘ Der Gebrauch von que entspricht dem häufigen
nach Por coi? z. B.
6451 ,Por coi vos leves vos si matin?' —
,Qu’ il n’ a‘ fait il jusqu’ a demaiu etc.
* Ich habe das Komma hinzugefügt.
4*
52
XIV. Abhandlung: Mussafia.
Man möchte sans blasme mit n en mentiroie in Verbin
dung bringen: ,ohne Tadel würde ich die versprochene Treue
nicht brechen“; wie ist aber dann et se je m’ en aloe zu ver
stehen? Sollte gemeint sein: ,ich würde nicht ohne Tadel die
Treue brechen (= ,Treubruch würde mir Tadel einbringen“),
selbst wenn [ich nur dadurch mein Wort halten könnte, dass]
ich entfliehe?“ Wenn man stärkere Aenderungen wagen wollte,
so liesse sich Vorschlägen:
,Sachies que je n’ en mentiroie
ma foi; 1 et se je m’ en aloe,
sans blasme [ert] 1’ aler[s].‘ Amors loe
quanque Raisons vait destornant.
Gr. auf der Flucht mit A. begriffen, zeigt sich freigebig:
4264 Ses grans sens et sa gentillesce
sueffre qu’ il est de grant afaire.
M.: cuevre? Der Sinn würde aber fordern: ,[Trotzdem
er und A. in dürftiger Kleidung auftreten,] verräth sein Hoch
sinn seine Stellung.“ Ob s’ uevre? 2 Vgl. 4651, wo die Handschrift
ebenfalls sueffre ses ieus schreibt.
4254 Ja li damoisiaus (Guillaume) n’iert seurs
devant que si mul soient aise:
il fait bien tant c’ on les aaise
de conroi d’ avaine et de fain:
il nes laist pas rnorir de fain,
lui ne son oste ne s’ amie.
10 Por deniers ne remaint il mie
qu’ il n’ aient trop cliar et viande.
nes in ’57 kann nur ne se bedeuten. 3 Nach ’58 Schluss
punkt, nach '59 besser Semikolon.
Guillaume und Aelis halten es auf ihrer Flucht in fol
gender Weise: il se lievent, ades mout main, et chevauchent
1 Vielleicht je en m.; das in V. ’55 unerlässliche, etwa am Rande der
Vorlage nachgetragene ne hätte sich hieher verirrt.
2 s’ wäre selbstverständlich = si, das auch nach Suhject zulässig ist.
3 Beim ersten Anblicke wäre man versucht zu glauben, nes sei ne les,
auf die Maultliiere bezogen; lui stünde für il und statt son oste wäre
ses ostes zu lesen. Doch ’58 —’59 zeigen, dass diese Interpretation un
haltbar ist.
*
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte. 53
jusques vers prime; et quant il voit que V ore aprime et
li tens c’ on se doit disner et il puet fontaine trover sor
ckemin, en plain u en bos } fait il: ,. . Nos descendrons ci por
mangier 1 . Sie vertreiben sich da die Zeit mit Speisen und
Kosen bis gegen Abend; dann sor les muls . . . montent . . et
chevauchent jusqu' as osteus. Auf solche Art wandern sie mehr
wie eine Woche fort. Sie kommen da zur monjoie de Toul;
c’ est un des plus biaus lius . . de bos, de pres et de riviere.
43G0 Cd jor, quant il fu ajorne,
fait cascuns amener son mur
um, wie an allen früheren Tagen, den Morgenritt anzutreten.
Sie hätten sich zwar gerne in dem lieblichen Orte längere
Ruhe gegönnt; doch fürchten sie das Fragen der Leute und
reiten weiter. Die Gegend war indessen so schön, die Sonne
brannte so heiss, dass Aelis den Wunsch ausdrückt, wenigstens
heute die Reise abzukürzen und früher als sonst Rast zu nehmen.
4378 ,Je voel que nos i herbejons
sempres de haute heure ambedui,
80 ear mout in’ avra anui'e hui 1 ,
la inatinee, et li grans chaus
in’ a hui tant fait mal et enchaus
que li eines me deut ovendroit.“
Que qu’ il en vont parlant tot droit
85 vers la eite graut aleüre,
il a öi par aventure . . .
87 un ruisselet. . .
4404 ,Biaus dous ainis’, fait de, ,1a
voel je descendre por mangier 1 .
Die Situation ist also deutlich. Dass sie an der monjoie
übernachteten, wird nicht ausdrücklich gesagt, aber durch
V. 4360 klar angedeutet. Man wird daher den Zweifel M.’s
1 Der Punkt nach hui ist nur Druckfehler. Bemerkenswerth ist der Ge
brauch des Futurum exactum statt (hier zugleich neben) Perfectum Prae
sens; vgl. Tobler, VB. I 207. Unser Gedicht bietet dafür ein anderes
interessantes Beispiel. Von G. und A., die sich endlich wieder gefunden
haben, heisst es:
7824 Or n’ en a mais Fortune envie,
ains li plaist inout cele assemblee;
mout lor ara lonc tens emblee
la joie dont il ore ont tant.
a
54
XIV. Abhandlung: Mussafia.
nicht theilen, der zu ’61 fragt, oh etwa arester zu lesen sei.
Schon hei Tagesanbruch, also noch vor Beginn der Wanderung,
halten sie wohl nicht inne.
Guillaume willfahrt ihrem Wunsche:
4411 II saut jus, si 1’a descendue;
la pucele s’ est estendue
as floretes et au deduit.
,Corr. entenclue? : Schwerlich; die folgenden Verse
4418 Sa eote li fait graut a9ainte
tot entor li, sor 1’ erbe drue
deuten auf ein sich (ganz oder halb) Hinstrecken auf der Wiese.
4423 li cort cavelet et li blont
par mout grant maistrie li vont
par devant le tor des oreilles
desci jusqu’ a faees vermeilles.
Besser as.
4450 Quant la bele a en un lieu mors
si done a mordre a son ami.
Ne li reut pas tant ne demi
de savöur ne poivres ne seus
conme faisoit la grans douceurs
55 de la 1 ou les levres touchierent.
M. (vgl. auch S. 327) möchte ne foivres ne seus de saveur
lesen. Da aber Reim von Cons. mit Cons. + s nicht sicher
ist, während Cons. mit r -f- Cons. häufig vorkommt, so wird
man die Ueberlieferung nicht verdächtigen.
4470 La bele a mis por la suor
sa main sous sa blanche chernise;
el ne set mot dös que 1’ a mise
vers 1’ aumosniere qui pendoit
en son sain.
Man vergleiche damit: Guillaume, verzweifelt über den
Verlust des Ringes,
5112 si durement se tire et Sache,
qu’ il ne set mot jusqu’ il s’ abat.
Unser Dichter hat einige Vorliebe für den Ausdruck ne
savoir mot, gewöhnlich absolut in der Bedeutung ,nichts davon
1 Man bemerke de la = ,der Stelle, des Ortes 1 .
Zur Kritik und Interprotation romanischer Texte.
00
wissen, es nicht gewahr werden'. Der Geier ergrpift den Beutel
si que Guillaumes ne set mot ,ohne dass G. es bemerkt'. Aelis
entfernt sich immer mehr von G., mais il ne set encore mot.
Sie ist ihm so nahe, mais il n’ en set mot ne vent ne voie; er
ist sehr nahe seiner Geliebten, mais n’ en set mot. Dann wie in
den zwei oben citierten Stellen mit einem Complement; 4472 mit
der Bedeutung ,unversehens, zufällig'; etwas eigenthümlicher
ist 5113: ,er zerrt an sich, so dass er fast ohne es zu
bemerken (= bewusstlos?) niedersinkt'. Die Anwendung von
jusque lässt sich verstehen, weniger die von des que; es ist
also wohl desque zu lesen.
Guillaume ist unschlüssig, ob er bei der schlafenden Aelis
bleiben oder dem Geier nachsetzen soll:
4602 Mout s’ en ala pres qu’ il ne volt
remanoir: s’ eust fait que sages.
,Er wäre beinahe geblieben; [hätte er sich dazu entschlossen,]
so würde er weise gehandelt haben.' Mi liest:
Mar s’ en ala; pres qu’ il ne volt
remanoir, s’ eust etc.
Anlass zu dieser Aenderung bot wohl nicht der — aller
dings etwas umständliche — Ausdruck pres s’ en ala qu’ il ne
volt remanoir statt des schlichteren pr. s’ en ala qu’ il ne re-
mest, sondern die Meinung, dass auf va pres que ... ne (meist
mit s’en oder bloss se) Conjunctiv folgen müsse. Zu 4739
pres s’ en va qu’ eie ne se naie gibt das Glossar naie als Con
junctiv an. Zu 5322—3 com pres s’ en va qu’ el ne recroit a
une liue linden wir im Glossar: ,recroire, Subj. pres. recroit
(corr. recroie) 1 . Diese Ansicht ist aber nicht richtig, wie denn
5844 pres vait qu’ il ne ront et descire, 7646 pres s’ aloit que
jou n’ esrajoie unbeanstandet blieben.
Auf die zwei so eben angeführten Verse folgt:
4604 mais li anuis et li damages
qu’ il en devoit avoir si grant
li fait estre mout plus en grant
de 1’ aler que del remanoir.
Der Dativ wäre durch die Erwägung zu retten, dass estre
en grant de l’ aler — desirer V al. sei, so dass die bei letzterem
56
XIV. Abhandlung: Mussafia.
Ausdrucke übliche Construction auf ersteren übertragen wurde;
einfacher ist V i oder eher le zu lesen. — Es sei zugleich ge
fragt, wie die Stelle zu verstehen ist. Wird da auf die —
thatsächlich eingetroffenen — Folgen seines Entschlusses, den
Vogel zu verfolgen, hingewiesen, so dass zu erklären wäre:
,aber das Verhängniss, das ihn schwer schädigen wollte, trieb
ihn eher zum Gehen als zum Verbleiben'? Um diese Inter
pretation zu erlangen, müsste allzu viel ergänzt werden. Dazu
kommt, dass es im Folgenden heisst:
4608 Cis pensers li 1 faisoit movoir
en son euer une grant bataille.
,Wenn ich nicht gehe, wird meine Dame mir vorwerfen, ich
hätte ihr erstes Geschenk gar lässig bewahrt:'
4622 ja n' avrai vnloir que m’ en ost
que jou n’ aille apres les joiaus 1 . . .
2ß Ne set lequel voloir il veut
u 1’ aler u la clemourance.
fl estoit mout en grant balance.
Es wird also 4604—7 gemeint sein: ,Der Gedanke an
die grosse Unannehmlichkeit, an den Schaden, der ihm von
Seiten seiner Geliebten erwachsen würde.'
Aelis, die sich von Guillaume verrathen wähnt, sagt:
4690 Nel doi pas tenir por amant,
qu’ il n’ est mie amis qui s’ amie
guerpist ensi. Je ne di mie,
se jou 1’ ensse en dit n’ en fait
vers lui porchacie ne forfait,
95 qu’ il m’ en denst avoir grant ire.
M. liest ’95 n’ en .Hätte ich mich gegen ihn vergangen,
so sage ich nicht, dass er nicht (= gebe ich zu, dass) er das
Recht hätte mir zu zürnen.' Diess gibt einen guten Sinn. Es
schwebt mir vor, wenn ich auch keine Belege beibringen kann,
einer Verwendung von je ne di mie begegnet zu sein, durch
welche das früher Gesagte eingeschränkt wird: ,Ein wahrer
Freund verlässt nicht die Freundin. Was ich sage, gilt nicht
1 Wie ist dieses li zu deuten? Stellt es das Subject zum Transitiv movoir
dar, dessen Accus, bataille wäre? Schwerlich. Eher movoir intransitiv
und li . . . en son euer statt en son c. oder li . . . d euer.
Zar Kritik und Interpretation romanischer Texte.
57
für den Fall, dass icli es verdient hätte, denn da hätte er mir
mit Recht gezürnth Bei solcher Interpretation käme nach ’94
Semikolon.
Aelis liegt in Ohnmacht; es geht Jemand vorüber und
hielt sie:
4766 II ne sot pas que ce fut cele
qui en li ot toutes biautes.
que wäre zur Noth haltbar; besser qui.
4790 ne set qu’ il est. Da qui schwer zu qu’ elidiert
wird, besser qui est.
Der junge Mann bittet Aelis ihm zu sagen, wer sie ist.
Sie antwortet ausweichend:
4814 por ee qu’ il ne la reut irer,
il inet sa proiere a noient
et si la scrt mout douceinent,
mout li sot bien son mul restraindre.
Ne s' en puet pas palir ne taindre
1’ aigue qui li descent des eus
20 sor le bei vis, ou li vermeus
est si bien el bläue entaillies;
eneor soit il ades moillies
s’ est il plus fins que nule rose.
Cil est si pris que ne li ose
26 demander son nom ne son estre.
De li veoir quidoit il estre
mout honeres.
Die Hs. beginnt mit 4717 einen neuen Abschnitt und
M. folgt ihr. Dieser Vers schliesst sich aber an den vorher
gehenden eng an; daher die von mir angewandte Interpunction.
Zu ’IS wird bemerkt: ,Ce vers se rattache mal ä ce qui pre-
cede. Y a-t-il une lacune?* Ich vermisse nichts, wohl aber
glaube ich, dass ein Sinn nur durch Aenderung von s’ en zu
V (= la) en zu erhalten ist: ,Der junge Mann steht von seiner
Bitte ab und gürtet ihr Maulthier. Die Thränen vermochten
nicht die weisse und rothe Farbe Aelis’ zu trüben. Ihre Schön
heit nimmt den Jüngling gefangen u. s. wJ Das Pronomen V
ist also Accusativ zu deu Transitiva palir et taindre; blosses
la wäre genügend; indessen ist en des Bezuges gut am Platze.
58
XIV. Abhandlung: Mussafia.
Nach Begründung der Aussage, dass der Knappe sich
durch den Anblick des edlen Mädchens erhoben (honeres)
fühlte, heisst es weiter:
4830 Mout a este
o celi seule, ce me semble;
por ce qu’ aucuns nes truist ensemble
qui i notast mal ou folie,
eie se rafuble et ralie.
Die — durch ’32—’34 unterstützte — Erwägung, dass
eher Aelis als der junge Mann Anstoss an der Situation nehmen
musste, könnte zur Conjectur celui führen (vgl. oben zu 3222);
indessen mag durch ce me sernble, so formelhaft diese Wendung
ist, die Ansicht des Dichters zum Ausdrucke kommen. Ist li
valles Subject von a este, so ist zur Construction a celi seule
7019 quant il (li cuens) est o sa seule gent zu vergleichen.
Nach ’31 empföhle sich dann Schlusspunkt zu setzen.
4876 Eie ne cesse ne demeure,
ains chevauche tote la rue.
Einer asyndetischen Construction (nach cesse käme dann
Komma) wird man el ne c. ne ne d. vorziehen.
Aelis bescheidet sich, mit dem armen Mädchen das Lager
zu theilen,
4888 que de Gruillaume, ce li semble,
est mais tos arriere conseus.
Corr. ert mais (ou mis) arriere tos c. ?' Der Sinn ist klar:
,An G. ist nunmehr nicht zu denken; die Hoffnung, G. zu
finden, ist dahin' u. dgl. Est ist angemessener wie ert, da die
gegenwärtige Situation geschildert wird; Praesentia gehen voran
und folgen, mais ist unbedenklich ,nunmehr'. Aber auch die
Stellung von tos ist nicht anzutasten. Arriere ist attributiv
gebrauchtes Adverbium zu conseus. Es erscheint entweder
nachgesetzt: li cons. arr. (vgl. le temps jadis) oder es steht
voran und wäre am besten als erstes Element eines Compo-
situms anzusehen: arriereconsaus. Der Ausdruck' bedeutet
,Verstand, Rath nach der That', il senno di poi, V esprit d’ esca-
lier, also ,zu spät kommend', daher ,nunmehr unnütz'; conseuz
ariere main n est prouz Prov. au vil. ed. Tobler 232, wo con-
Zur Kritik und Interpretation romanischor Texte.
59
seuz ariere valt petit Rou III citiert wird. Eben so in unserem
Gedichte. Guillaume bedauert, dass er die verlorene Aelis
nicht in der nahen Stadt Toul, wo sie sieh aufhielt, sondern
in weiter Ferne gesucht hat: 6281 Tout c’ est ore ariere consaus
,zu spät sieht er diess ein - '. In unserer Stelle wiegt die Be
deutung ,unnütz' vor, woraus sich der Begriff des Aufgebens
eines Gedankens, des Entsagens einer Hoffnung sich entwickelt.
Isabel bindet das Maulthier:
5016 a une estacc
d’ im chevestre qu’ il ot el chief;
ne 1’ alonga pas jusc’ au chief
por son harnas qu’ il ne[l] malmete.
Der Zusatz des Pronomens verwischt einen Zug der
älteren Syntax, die es liebt, einen Bestandtheil des Neben
satzes in Beziehung zu dem Verbum des Hauptsatzes zu setzen
und dann relativische Anknüpfung zu verwenden; statt por
qu’ il ne malmete son liarnas heisst es por son h. qu’ il ne
malm.-, que ist nicht Conjunction ,auf dass', sondern Pronomen
relativum. Vgl.
4612 mout li venra a grant merveille
de son anel que j’ ai perdu.
Nicht ,sie wird sich über den Ring verwundern', sondern ,dar
über, dass ich u. s. w.' Eben so
5220 La table n’ iert ne grans ne lee,
por la nape qui n’ ot q’ une ausne.
Die Aussage gilt dem gedeckten Tische. Das Brett mag
vielleicht gross und breit gewesen sein, der gedeckte Theil
war es nicht, por que la nape n’ ot qu’une ausne. Ferner:
6252 Or se rebaudist et enhaite
li pelerins et aseure
por la bone chevaucheure,
ou li vassals ne claime rien.
Er freut sich darüber, dass Guillaume keine Ansprüche
auf das Reittliier macht. 1
1 Dass bei derartigen Constructionen auch Pronomen im Nebensatze er
scheint, so dass dann que Conjunction ist, soll übrigens nicht geleugnet
werden:
60
XIV. Abhandlung: Mussafia.
5029 Quant vint c’ on parla du souper
Dieus! eie 1 n’ ot sergant ne per.
Eies 2 n’ ont denier ne maaille
ne qui lor porehacast vitaille
ne achater lor estouvoir.
La damoisele ot mout d’ avoir
35 qu’ eie ot aporte de sa terre.
Mit cler zu ’35 vorgeschlagenen Aenderung a ach. ist
wenig gewonnen, denn weder porch. vit. a ach. noch p. v., a
ach. (wo a ach. asyndetisch angereihter Accus, zu porch. wäre)
ist irgendwie befriedigend. Offenbar bezieht sich '32 auf '30
und ’33 auf ’31: Aelis hatte hei sich keinen Diener oder Ge
nossen, der Lebensmittel herbeigeschafft hätte, [musste daher
solche von ihren Wirthinnen erwarten,] diese ihrerseits hatten
kein Geld. Daher gibt ihnen Aelis welches. Dass der Dichter
nun seinen Gedanken in der verworrenen Form der Ueber-
lieferung ausgedrückt habe, ist schwer zu glauben. Ich möchte
vorschlagen:
ne per
ne qui lor 3 porchaqast vitaille.
Eies n’ ont denier ne maaille
a achater lor estouvoir.
Die Verstellung von ’31—’32 verleitete zum irrigen ne in '33.
Es ist die Rede von Aelis, die bei den zwei Frauen eine
ärmliche Unterkunft gefunden hatte;
1385 lies est (lei conte qu’ il i vint
Wenn auch die Hs. hie und da quil für qui schreibt, so ist nicht gerade
nöthig, hier qui zu setzen. Etwas verschieden ist folgender Fall:
6965 il se repenti de cest mot,
que li maistres et cascuns 1’ ot
entendu.
de c. m. wäre auch nach moderner Auffassung ein passendes Object zu
se repenti, que kann Kelativ (dann V expletiv) oder Conjunction sein.
Und wiederum entschieden nur Conjunction liegt vor in
7280 Quant la bele ot öi. . .
... de celui qu’ il regretoit
la douqor et 1’ amor s’ amie.
Gemeint ist ot öi que eil regretoit; gesagt wird ,sie hörte über ihn [be
richten], dass er u. s. w.‘
1 Aelis.
2 Die Witwe und ihre Tochter.
3 Statt li, weil Aelis zugleich an die zwei Frauen denkt.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
61
5240 panni tote la mesaise
eie a pris en bon gre 1’ osteus.
Eie avoit dras tos blans et nes
et oreillier en sa besace.
Zu ’41: ,11 faudrait ostel, mais de toute facon la rime est
defectueuse. Lacune?' Ich vermuthe eine Ableitung von oste :
ostes (-ez) ,Bewirthung‘womit visnes ,Nachbarschaft' 2 zu ver
gleichen ist, das uns an zwei Stellen unseres Gedichtes be
gegnet:
6039 Eie ala par tout le visnes
as puceles et as valles.
7782 II li aehoint (?) lues demanes (: barnes)
et sa ferne et eil du visnes (: valles). 3
Bisher sind nur adjectivische Bildungen (zum Theil in sub
stantivischer Function) mittels -erez nachgewiesen worden (Meyer-
Lübke, Gramm. II 462). Hier hätten wir zwei Abstracte, die
1 Ob nicht auch in Guiil. de Dole dasselbe Wort zu treffen ist? Lienor
nimmt Abschied;
4495 eie dona a la borjoise
por s’ onor et ses ostez
un anel a deus castonez.
ostez kann Plural von ostel sein, und so fasst es Servois auf, der im
Glossare castond verzeichnet. Uebliclier ist aber castonet, und der Plural
von ostel ist durchaus unpassend. Ich denke, der Dichter habe soll ostez
angewandt; der Schreiber, dem das Wort unbekannt gewesen sein wird,
hat es als Plural aufgefasst und demnach son zu ses geändert.
2 Das Glossar gibt an: ,1’ensemble des voisius, des habitants d’un lieu‘.
Dass Abstracta häufig in persönlichem, und zwar collectivem Sinne an
gewandt werden, ist richtig; an obigen Stellen scheint mir indessen diess
nicht der Fall zu sein. Gleiche Bedeutung wird dem Worte visnage zu-
gesebrieben. Richart ist todt; von seiner Witwe heisst es:
2626 en poi li est cangies li gius
et li visnages et la cort.
Auch hier will mir der collective Sinn nicht passend erscheinen. Ge
meint ist: ,in kurzer Zeit schlug ihr die Freude und die Annehmlichkeit
in solcher Umgebung, an solchem Hofe zu leben, ins Gegentheil um 1 .
3 Wenn es im Glossare heisst, visn'es reime mit volles und demanes, so
ist diess ein lapsus calami; beide Male ist das Keimwort volles. In
7781—84 haben wir den im Escoufle mehrmals vorkonnnenden Fall, dass
zwei aufeinander folgende Verspaare den gleichen Reim aufweisen.
Hier wäre allerdings leicht, wie schon M. bemerkt, harnois (die Form
kommt im Yersinneren vor) und demanois (: 4205 espanois) anzusetzen.
62
XIV. Abhandlung: Mussafia.
aus Substantiven mittels -ez gebildet wären. Von diesen war
visnez bereits bekannt und nur deshalb nicht richtig gedeutet
worden, weil es in der Ivcctusform mit der Ableitung mittels
-atus zusammenfiel. 1 Wenn -ez von -erez unzweifelhaft auf
-iciu- zurückgeht, so gilt diess wohl auch von einfachem -ez}
Amor gestattet nicht, dass Guillaume, trotzdem er in der
Nähe Aelis’ ist, sie sogleich finde;
5161 . . li dieus d’ amors . . n’ a eure
qu’ il de si gentil creature
puist encore a la joie ataindre;
ains veut que li maus 3 soit graindre,
li souspir, les lermes, li plor,
car tot revient a fausse amor
quant li amant ne sont ensemble,
s’ en sont plus plaisans, 4 ce me semble,
apres 1’ anui, la joie et 1’ aise.
Ich verstehe so die nicht gerade klare Stelle: ,Amor will,
dass die Liebenden, bevor sie sich vereinigen, viel Ungemach
leiden; denn da die Freude nach der Qual um so grösser ist,
so kommt die Trennung der Liebenden Amor zu statten/
Statt revient zöge ich ce vient vor. Das Epitheton fausse kann
ich mir nicht gut erklären. Wäre die Conjectur a oes Amor
zu kühn?
Nachdem Aelis längere Zeit mit der Dame von Mont
pellier sich unterhalten hatte
5668 Ysabiaus qui n’ ert pas vilaine
li (der Dame) tent la eainture et 1’ orel.
70 La pucele n’ atendoit el
fors taut qu’ el li tent, se li baille.
Del chief d’ une blanche touaille
les a desvolepes et trais.
1 Vgl. ital. vicinato. Godefroy vereinigt in der That visnez ßs) und visnet
f-ed, -6) zu einem Artikel.
2 Ich werde die Frage über Suff, -ece nicht wieder aufrollen. Ich be
gnüge mich zu fragen: Wenn meine Ausführung das Richtige trifft und
Abstracta mittels -ez aus -iciu- anzuerkennen sind, liegt nicht darin eine
Stütze für die Ansicht, dass -ece = -icia sei?
8 Hs. und Druck mal.
4 Hs. und Druck jplaiscmt; da aber beide Substantive Feminina sind, so -ans.
Zur Kritik und Interpretation romanischer Toxic.
63
Zu ’71 : ,se, corr. et 1 . Die Acnderung ist überflüssig, da
si (se, wegen folgendem li) als copulative Conjunction eben so
berechtigt ist wie et. Auch wäre bei Anwendung von et
Wiederholung des li weniger üblich. — Gemeint kann nicht
sein: ,sie erwartete nichts als den passenden Augenblick, der
Dame die Kostbarkeiten zu überreichen', denn dann müsste es
tende und bei M.’s Lesung et li baut heissen. Es wird also
in ’71 noch einmal die thatsächlich eingetroffene Handlung des
Ueberreichens geschildert. ’70—’71 sind ein müssiges Füllsel,
dadurch veranlasst, dass sieh zur Fortsetzung der Erzählung
kein Reimwort auf -el fand. Die Gewundenheit des Ausdruckes
verräth die Verlegenheit des Dichters. — Unsere Stelle erinnert
einigermassen an eine andere. Die Jagdgesellschaft kehrt heim;
6976 si s’ en revont vers maison
qu’ il est tans d’ aler a F ostel.
11 u’ orent pris ne un ne el,
fors tant [que] cascuns s’ esmerveille
80 del grant duel et de la merveille
que avoit fait li damoisiaus.
’78 ist nichtssagend, denn die Wiederholung des Um
standes, dass die Jagd ergebnisslos gewesen war, ist an dieser
Stelle völlig müssig. Die Anknüpfung mittels fors tant que
—• an welcher el allerdings einigen Antheil haben dürfte — ist
eben so eigenthümlich wie in 5671.
Aelis nimmt sich vor, une chainture et une mout riche
aumosniere d’ orfrois zu verfertigen; anelet et boucle et mor-
dant fist faire d’ or en la gainture.
5696 Li oevre fu mout bele et gente,
d’ or ert ases d’ orfrois par mi.
Der Text liest: d’ or ert asis V orfrois, und der Glossar
erklärt orfr. asis d’ or ,orfrois, dans la texture duquel il entre
de 1’ or'. Wenig überzeugend. Ob d’ or ert, a ses di orfr.
,mit genug'. Oder besser: d’ or ert as les, d’ orfr. par mi ?
5724 Ja mar ares doute
d’ ome qui en la vile viengne,
ne ja tant conme il i remaingne
ne vos diront pis de vo non.
64
XIV. Abhandlung: Mussafia.
’25 wird viengne zu maingne emendiert. Wenn des Reimes
halber, so hätte dazu die Form vaigne genügt. Ich würde das
Ueberlieferte bewahren; die Gräfin meint: ,Ihr braucht euch
vor keinem Fremden zu fürchten; und die Einheimischen, so
viele deren da sind, werden euch keinen Schimpf anthun'.
5835 cel tissu
ou li lion sont ens tissu,
uns teus com ses sire le porte.
Die Anmerkung fragt: Autel c. s. s. les p.? Die Lesung
der Hs. dürfte ächt sein; im Wappen des Herrn von Mont
pellier erscheint nur ein Löwe (vgl. 5702 li lions de son escu
i est portrais)-, es liegt eine etwas ungelenke Construction vor,
deren Sinn ist: ,das Gewebe, in dem der Löwe wiederholt
eingearbeitet erscheint, den ihr Gemahl als Wappen führt'.
Der Graf von S. Gilles, der in Montpellier seine Geliebte
besucht hat, kehrt wieder heim:
5896 il ne fait en uul leu sejor
dusqu’ il vint arriere en maison,
car ses gens et si compaignon
n’ aperclioivent la chevauchie.
5900 -lusqu’ en la graut sale joncliie
vint la contesse encontre fors.
Der Besserungsvorschlag zu ’98-—’99 quant s. g. et si c.
ap. 1 ist wenig befriedigend. Es ist offenbar gemeint: ,er eilt,
damit man nicht bemerke, er sei weggeritten'. Also que; oder
geradezu car in der Bedeutung ,damit'?
6174 mainte povrete a puis üue.
Der Text bietet povrece; S. 327 heisst es wieder: ,povrece,
corr. povrete 1 . Also die Lesung der Hs., die das Metrum ver
letzt. Vielleicht Druckfehler für ,corr. poverte'-.
6199 serjant ne de si bonne afaire
Hat die Hs. wirklich bonne? Selbst für den Schreiber
ist das Femininum auffallend.
6232 ne sai qui est, n’ en eonnuc onques.
1 Müsste nicht daun nach ’97 Punkt, nach ’i)9 Punkt stehen?
Zur Kritik nnd Interpretation romanischer Texte.
65
en wäre am Platze, wenn ein Substantiv wie pas, mie
folgte. Es wird neu — nel zu lesen sein. Vgl. eu = el, nicht
bloss 8834 eu plus biau d’ este, sondern wahrscheinlich auch
7232 eil graut duel et en mautalent
qu’ il avoit et en la graut rage.
Wie das dritte Substantiv, so auch die zwei ersten sollten
mit Artikel versehen sein. 1
6281 il terce et tert le mul les eus.
Nach dem Glossare liegt tercier oder terser 2 vor; ich
wäre geneigt torce = torclie zu lesen.
Die Alte bittet Guillaumc,
6464 que, s’ il voit sa fille et s’ amie,
que pour Diu li salut ansdeus.
li ist ethischer Dativ; les vor li bleibt unausgedrückt;
hier um so leichter, als ansdeus schon als Accusativ fungiert.
Die im Texte erscheinende Aenderung von li zu les ist über
flüssig.
6606 il set inout bien bouter arriere
ce qu’ on li done et ee qu’ il a.
Toute 1’ entencions qu’ il a
si cst d’ esparnier et d’ aquerre.
Zu ’7: ,1a fiii du vers est sans doute fautive 1 . Wieder
holung desselben Wortes im Reim kommt auch sonst vor, und
eine kleine Nüance in der Bedeutung ist wohl zu constatieren.
Im ersten Male ist a — ,er besitzt 1 , im zweiten bildet es einen
Bestandtheil der Locution a entencion. Die kleine Tautologie
,was man ihm gibt und er (folglich) hat 1 , lässt sich leicht dem
durch den Reim gedrängten Dichter zu gute halten.
Ein Pferd ist verletzt worden. Der Besitzer will es ver
kaufen.
1 6640 si voit,. le clau en pi6 qui mout est Ions (der Relativsatz bezieht
sich auf clau). Vielleicht eu pie, indessen ist Gebrauch des artikellosen
Substantivs, wie z. B. in en maison, nicht ausgeschlossen.
2 Da ein solches Verbum nur aus dem Participium terms gebildet sein
gönnte, so ist tercier unmöglich.
>Sitznngsber. d. phil.-hist. Cl. CXXXV. Bd. 14. Abh. 5
66
XIV. Abhandlung: Mussafi
6660 II en eust le jor eu
de fors, ce dist, plus de - x- livres,
inais or en est por mains delivres.
Zu ’61: ,de fors, corr. devant? 1 Ob nicht de for (de fuer)
gemeint ist ,nach dem Marktpreise, nach seinem eigentlichen
Werthe?'
0690 tous seus venoit tencliant le pas.
,Corr. trenchantDer Sinn scheint zu sein: ,den Schritt
beschleunigend'. Und da dürfte tenchier besser passen. ,Kampf'
ist Anstrengung'.
6 776 il le (den Falken) tient plus bas et plus eoi
deles sa cuisse mieus qu’ il pot.
Text: [al] mieus. Ohne Noth; vgl. Tobler VB. I 143.
6876 II ne s’ est nul liu arestes.
M.: il n’ est [en] n. I. a. Ohne zwingenden Grund, nul
lieu (als absoluter Accusativ) ist gang und gäbe. Das Pronomen
reflexivum kann in der Conjugatio periphrastica leicht fehlen,
muss es aber nicht.
6886 grant atrait fist et grant afaire
d’ estrain, d’ esteule et des seclions.
Auch das dritte Substantiv wird artikellos sein; die Vor
lage mag dessechons gehabt haben, für de ssech., mit der üb
lichen Gemination des Anlautes nach Procliticis.
Der Falkenmeister hört, dass der Graf, erzürnt über
dessen Fernbleiben, ihn zu sich entbietet:
7086 ,Par saint Grille' fait il ,por tont- ce
n’ irai je mais devant demain'.
En tant com on porroit sa main
li rest del vallet souvenu
und hoffend, durch Erzählung des seltsamen Abenteuers den
Missmuth über den schlechten Erfolg der Jagd zu verscheuchen,
entschliesst er sich doch zu gehen. V. ’88 fragt der Hg., ob
en levoit zu lesen sei, und meint wohl ,als er, um seine Aus-
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
67
sage zu bekräftigen, die Hand erhob'. 1 Besser würde eine
Locution mit der Bedeutung ,plötzlich, in einem Hu, im Hand
umdrehen' passen. Ellipsis des Infinitivs nach pooir ist doch
unmöglich, denn in allen bisher nachgewiesenen Fällen ist die
Art der Ergänzung leicht zu erkennen, hier aber fehlt dazu
jeder Anhaltspunkt. Ich möchte fragen, ob nicht ,reichen
würde' gemeint sei. Ausser puirier kommt auch ein -re- oder
-fr-Verbum vor, dessen 3. Präs. Ind. puert lautet, also puerdre
oder porir, das auf porrigere zurückweist. 2
7164 II estoit si par le pis les
et gens par desous la cainture
ne de biaute ne de faiture
n’ ert il el monde ses pareus.
Zu ’66 wird in den Text que de b. eingesetzt. Ohne
Noth, da si hier mehr exclamative als intensive Bedeutung hat,
,gar sehr'. Selbst wenn man si als intensiv auffasst, kann que
unausgedrückt bleiben.
7246 aussi que ee ne fust noiens
während es bei der identischen Situation hiess
6969 aussi que se ce fust noiens.
Könnte nicht da Gleichheit hergestellt werden?
Der Graf von S. Gilles verspricht dreissig Mark dem G.,
wenn er ihm erzählt, warum er den Geier verbrannt hat
7438 jou cuit, s’ il avoit conte
tout 1’ afaire et tout 1’ errement,
qu’ il en feroit tel paiement
qu’ il devroit bien prendre a ereant.
Zu ’40: ,feroit, corr. avroit‘. Dann würde das erste il
des Accusativsatzes qu’ il en feroit . . . ereant auf Guillaume, 3
das zweite auf den Grafen sich beziehen. Es ist zu einer
1 Handerheben ist ein Zeichen der Freude in G. de Dole:
2103 11 en lieve ses mains en haut
de la grant joie que il a.
2 Andere Versuche, etwa torroll = torneroit oder dorroit, wären weit
weniger befriedigend.
3 Oder ist etwa unpers, il en avroit gemeint?
68
XIV. Abhandlung: Mussafia.
Aenderung kein Anlass vorhanden; ,wenn Gr. Alles berichtet
hätte, so würde ihn der Graf so reichlich belohnt haben, dass
er zu diesem Zwecke Geld hätte entlehnen müssen/
Guillaume erzählt, wie die Ehe zwischen ihm und Aelis
in Folge der Rathschläge der Hofleute zurückging
7522 ,Ains que les noces fuissent faites
fu mes peres mors et fenis.
Li rois tourna la cose envis
pour le felon conseil qu’ il ot‘.
Zn ’24: ,envis, corr. en pis?‘ Ich finde keinen Grund zu
einer Aenderung. Der Kaiser hat sich nur nach langem Wider
streben dem Wunsche seiner Rathgeber gefügt; tourna la chose
bedeutet ,machte die Sache rückgängig'.
Guillaume erzählt, wie er mit Aelis die Flucht ergriffen:
7542 ,Nostre oires fu tost aprestes
que nous aviens apense.
Cascuns a mout tost devise,
mais on met mout la cliose a faire 1 .
M. fragt, ob im letzten Verse mist zu lesen sei. cascuns
würde dann ,Jeder von uns 1 , also ,wir‘ bedeuten. Ich behalte
met und sehe in den zwei Versen einen allgemein gütigen
Satz, ungefähr mit der Bedeutung ,zwischen Kelch und Lippen
rand 1 u. s. w.
Aelis folgt mit wechselndem Gefühle der Erzählung
Guillauine’s; ist er wirklich ihr Verlobter; ist er es nicht?
Liebe und Verstand kämpfen in ihrem Inneren.
7552 Se ses sens ne 1’ eust tensee,
el li fust lues saillie au col.
Puis se pense: ,Se jou 1’ aeol
55 et ce n’ est il, jou arai honte.
Qui que soit a conte cest conte
a eestui, que ce n’ est il mie 1 .
Si est desloiaus anemie.
59 Fait Amors ,C’ est il voirement 1 .
So interpungiert M. und bemerkt zu ’58 ,Le sens ne se
suit pas. Lacune de plusieurs vers entre ce vers et le prece-
dent? 1 Es ist aber zu lesen:
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
69
,Si est, clesloiaus anemie 1 ,
fait Amors ,c’ est il voirement 1 .
Es folgt:
75G0 Fait ses sens : ,Amors, et conment
saves vous que c’ est ses amis?‘
Oe que eele en doute ra mis
eu son euer une grant descorde;
ne traient pas a une corde
5 sens et amours uniement.
Das Pronomen cele kann sich nur auf sens beziehen. Hat
sich der Schreiber versehen ? Oder dachte der Dichter an
Raison?
7818 Onques par bouco ne par eus
ce ne fu eserit n’ esgarde.
,durch den Mund geschrieben* ist seltsam. Liegt ein Versehen
vor? (Die Stelle rührt von dem zweiten, weit nachlässigeren
Schreiber her.) Ob pliCme oder fu pas dit ?
7830 Quant ont asses d’ unes et d’ autres
parle et fait pluisors delis,
si restut il faire les lis,
car sans dormir ne repuet liorn.
Fait li bourjois : ,Or reparlon 1
5 a cui Guillaumes fu a mestre.
,Guillaumes‘, fait il ,bien puet estre
huimais tens d’ aler a 1’ ostel 1 .
Unwillkürlich bessert man repartons. Dass sich dadurch
reicher Reim ergibt, ist zwar keine Bestätigung, aber immer
hin eine Unterstützung der Emendation.
Die Gräfin von S. Gilles verabschiedet sich von Aelis
mit den Worten:
7903 ,Darne, or soies tous jours m’ amie‘.
Fait la pucele: ,Or n’ est ce mie
5 raisons asses, dame, que j’ oi:
tonte 1’ onor que j’ onques oi
oi je par vous et par le conte.
Et ceste priere amour monte
que tout ce vous doi jou requerre . .
’3 ,vers corrompu; on pourrait remplacer amour par a
cou?‘ Wie dann die Stelle zu verstehen wäre, ist mir. nicht
70
XIV. Abhandlung: Mussafia.
recht klar. Ich schlage vor a moi; ,was ich höre (d. k. eure
Bitte, ich möge euch meine Freundschaft gewähren) entspricht
nicht den Verhältnissen: mir kommt es vielmehr zu, an euch
eine solche Bitte zu richten/
Es kommen Boten von Rouen, die melden, der Erzbischof
erkenne Guillaume als seinen Lehensherrn:
8240 Or sera il mout fous s’ il s’ ire
de 1’ onor que faite li a.
Li quens ses Cousins li mena
lues droit que ce fut avenu.
M. setzt in den Text son cousin. Warum? Man behalte
die Lesung der Hs., trenne aber V i.
8462 Li departirs fu biaus et gens
des Proveneiaus et des Normans . . .
66 Au departir nous dist qu’ il ont
li uns d’ aus a la feine a 1’ autre
mande salus.
’66 corr. vous di? Vgl.
8496 La grans bontes 1 qui est en li (Aelis)
la fait prisier par tout le monde,
mais ses grans sens vaint et seuronde
sa biaute avoec la largece
500 qui est en li, dist encor es[t] ee
la davne de plus sainte vie.
8500: ,dist, corr. dunt?‘. — Man vergleiche noch fol
gende Stelle. Nach einer Beschreibung der Schönheit Guillaume’s
wird die Stellung, in der er beim Spiele sass, geschildert:
2990 Et dist qu’ il avoit estendue
lonc la mino la jambe destre.
Hier hat dist kein Bedenken erregt.
Es liegt hier jener Gebrauch von dicit ,es heisst' vor,
welches sowohl im Mittellateinischen wie im Romanischen
üblich war. Vgl. darüber Diez, Gramm. III 3 208. Auch in Ver
bindung mit einem anderen Verbum
2686 Or conte et dist que 1’ emperere
en aloit un jor en riviere u. s. w.
1 Hs. und Druck honte..
Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
71
Als Subject schwebt vor ,das Buch, die Chronik, die Erzählung'.
So, wegen des Dativs nous, besonders in 8466. Unser Dichter
will in der That metre en memoire un viel conte. 1 V. 8500 ist
demnach dist zwischen Kommata zu setzen. Es hört sich wie
ein Intercalare ,heisst es', ,sagt er'. 2
Noch ist folgende Stelle zu erwähnen: — ,Sollen wir
Guillaume zum Kaiser machen? Was sagt ihr dazu?'
851J8 ,Nos le volons,
que c’ est biens et raisons a faire,
qui dist qu’ il est de tel afaire
com fu li quens Kichars ses pere.'
Zu ’70: ,c’on dist ?' Es genügt qui zu que, ,denn es
heisst'.
Aelis ist überaus freigebig
8504 ses robes, ses ors, ses argens
as frances dames de la terre
estoit eommuns; el les 3 fait querre
7 a grans joies, a festes anveus.
1 Mehrfach kommt als Subject V estoire, li livres 38 V estoire nos dist et
conte que c’ est li contes de V Escoufle, 1801 si com li contes dist u. s. w.
2 In 45 Si dist k' ü ot en Normandie am Beginne eines neuen Abschnittes
könnte man dist eben so auffassen. Da indessen 46 si comance V aven-
ture lautet, so kann V av. Subject sein. Eben so
454 se li contes ne me ment,
apres mangier dist qu’ il s’ atornent.
Es sei bei dieser Gelegenheit eine nicht sehr klare Verwendung von
dist erwähnt:
317 Quant li cuens voit qu’il n’ i a plus
que del inonter, il dist qu’ il monte.
Man erwartet ,da besteigt er das Ross“, ü dist auf den Grafen zu be
ziehen, macht Schwierigkeit; sollte es wie einfaches dist aufzufassen
sein? il d. qu’ il m. wäre eine Umschreibung von il m. Eine andere
ähnliche Stelle ist, weil lückenhaft, noch schwerer zu deuten:
124 Mont par li (dem Grafen Richart) est grans
talens pris
d’ aler outre mer sauver s’ ame.
Mais il n’ avoit enfant ne ferne
qu’ il puisse laissier sa contree . . .
N’ avroie a piece racontee.
Il dist qu’ il se croise et atorne.
Ob ,er (der Graf) sagt, dass er das Kreuz nimmt“ oder ,die Märe sagt“?
s Hs. ela fait.
72 XIV. Abh.: Mussafia. Zur Kritik und Interpretation romanischer Texte.
V. ’7 zählt neun Silben. Etwa a graut joie as f. a.
Guillaume schickt sich an, Rouen zu verlassen, um sich
nach Rom zu begeben. Von seinen Baronen heisst es:
8630 Erraument la ou il le seurent
sont affuble triste et pensif.
Dass affuble irrig ist, unterliegt für mich keinem Zweifel.
Man könnte enuble vermuthen; assemble stimmt besser zu ’30.
Aelis, im Begriffe, mit Guillaume nach Rom zu ziehen,
entbietet zu sich die normannischen Damen:
8650 par pluissors inessages envoie,
pour le conte, querre les dames
,wegen des Grafen' ist nicht gut verständlich. Ich vermuthe
conie = conje — congie. Vgl. was unmittelbar folgt:
8654 Taut en i vint bien qu’ cles ereilt,
soisante dames de graut pris.
Anijois que li congies fu pris
i ot mainte lärme ploree. 1
1 Es seien liier noeli einige Stellen verzeichnet, die ich weder gut zu er
klären noch zu emendieren weiss: 796-7, 1850-3, 24G7, 5361-2, 6921.
Lexicalisclies zum Escoufle wird im dritten Beitrage folgen.
BIBL ÖAW
iiiiiiiiiinniiiiiiiii 1
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