92 v. Ka r aj a n. Schon ihre Seltenheit lockt, denn unter zehn Bruchstücken der ersten Art findet sich kaum eines der zweiten. Mehr noch ihr Inhalt, weil gerade diese zweite Richtung durch die grössere Freiheit, welche sie dem Dichter bei der Behandlung seines Stoffes gewähren durfte, ungleich mehr geeignet ist, die Eigenthümlichkeit des deutschen Geistes und Wesens erkennen zu lassen, während jene andere, noth- wendig typische Richtung mehr an eine allgemeine christliche Anschauung gewiesen, ja geradezu gebunden war. Der eben erwähnten, nun einmal nicht wegzuläugnenden That- sache gegenüber wird es zur Pflicht, die Reste neu aufgefundener weltlicher Dichtungen um so sorgfältiger zu beachten, je seltener sie zu Tage treten. Leider aber ist auch hier, und ganz besonders gilt dies von der epischen Dichtung, das häufiger Begegnende, gerade das dem Stoffe nach weniger eigentümlich Deutsche. Es ist als hätte die Nation ihren Blick, namentlich in späterer Zeit, mit Absicht von sich gewendet, denn nur selten begegnen deutsche Stoffe als Inhalt epischer Dichtungen. Man kann, um auch hier ein Zahlen- verhältniss hinzustellen, annehmen, dass unter hundert neu aufgefun denen Bruchstücken kaum eines einer Dichtung aus dem Kreise der deutschen Heldensage angehören wird. Die heute von mir zum Gegenstände einer kurzen Erörterung gewählten Bruchstücke, deren Mittheilung wir der Güte des Biblio thekars im Stifte St. Peter zu Salzburg, Dr. Theodor Stabell, ver danken, gehören nun allerdings einem alten Gedichte weltlichen Inhaltes an, wenn auch nicht gerade aus dem Kreise der deutschen Heldensage, so doch wenigstens aus einem der deutschen Nordseesage räumlich verwandten Theile der bretonischen. Diese Bruchstücke verdienen in mehrfacher Hinsicht Beachtung, ist auch ihr Umfang leider nur ein geringer zu nennen. Sie bestehen nämlich aus der ersten, zweiten, fünften und sechsten Spalte eines Blattes, das einst wahrscheinlich den letzten Lagen einer zierlichen Pergamenthandschrift des dreizehnten Jahr hunderts in Quartformat angehörte. Von «Jen beiden weggeschnittenen Spalten der Randseite des Blattes haben sich nur einige Worte und Buchstaben erhalten, welche unten, an der ihnen gebührenden Stelle des Textes, sollen mitgetheilt werden. Hier wollen wir uns vor Allem mit dem Inhalte der 204 Zeilen vertraut machen, um für unsere Bemerkungen die nöthige Unterlage im Voraus gesichert zu haben.