SITZUNGSBERICHTE
DER
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN CLASSE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
HUNDERTACHTUNDZWANZIGSTER BAND.
(MIT EINER TAFEL.)
WIEN, 1893.
IN COMMISSION BEI E. TEMPSKY
BUCHHÄNDLER DER KAIS. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
3001 22
Druck von Adolf Holzhausen,
k. und k. Hof- und Univeraitäta-Buchdrucker in Wien.
XVII. SITZUNG VOM 13. JULI 1892.
Se. Excellenz der Präsident gedenkt des Verlustes, den die
Akademie durch das am 7. Juli erfolgte Hinscheiden des c. M.
im Inlande Professor Dr. Arnold Busson in Graz erlitten hat.
Die Mitglieder erheben sich zum Zeichen des Beileides.
Das Präsidium der , Böhmischen Kaiser Franz Josef-
Akademie der Wissenschaften, Literatur und Kunst* in Prag über
sendet die aus Anlass ihrer Gründung geprägte Gedenkmedaille.
An Druckwerken werden vorgelegt:
.,Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien für das Jahr 1890*,
übersendet vom Stadtmagistrate, und
,Nuntiaturberichte aus Deutschland*, I. Abth., 1. und
2. Bd., herausgegeben durch das königl. preuss. historische In
stitut in Rom und die königl. preuss. Archivverwaltung, über
mittelt durch das k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht.
XVIII. SITZUNG VOM 20. JULI 1892.
Der Vorsitzende Secretär der königl. preussischen Akademie
der Wissenschaften in Berlin übersendet ,Corpus inscript. Lat.,
Vol. II. Suppl.*
Das w. M. Hofrath Professor Dr. Otto Benndorf be
richtet über eine Reise im Orient.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXVIII. Bd.
a
VI
XIX. SITZUNG VOM 5. OCTOBER 1892.
Der Präsident begrüsst bei der Wiederaufnahme der
Sitzungen die Mitglieder der Classe und das neu gewählte
Mitglied Herrn Hofrath A. Beer insbesondere.
Hierauf gedenkt derselbe der Verluste, welche die Aka
demie und die Classe während der Ferien durch den Tod des
wirkl. Mitgliedes Hofrath Anton Winckler, des corresp. Mit
gliedes im Inlande Regierungsrath Ignaz v. Zingerle und des
corresp. Mitgliedes im Auslande geh. Justizrath Rudolf v. Ihering,
von denen der erste am 30. August, die beiden letzteren am
17. September gestorben sind, erlitten haben.
Die Mitglieder erheben sich zum Zeichen des Beileides.
Die w. M. Herr Hofrath Dr. A. Beer in Wien und Pro
fessor Dr. A. Luschin v. Ebengreuth in Graz und das c. M.
im Auslande Excellenz C. Graf Nigra erstatten ihren Dank
für die auf sie gefallenen Wahlen.
Professor Dr. v. Luschin übersendet zugleich für die
akademische Bibliothek ein Exemplar seines eben erschienenen
Aufsatzes ,Herbersteiniana‘, Graf Nigra sämmtliche von ihm
publicirten Werke.
Der Secretär überreicht eine vom c. M. Dr. Gustav
Winter, Sectionsrath und Vice-Director des k. u. k. Haus-,
Hof- und Staats-Archivs, übergebene Arbeit: ,Der Ordo consilii
von 1550. Ein Beitrag zur Geschichte des Reichshofrathsh
Der Secretär legt weiter vor eine Arbeit des Herrn Dr.
Wilhelm Altmann, Gustos an der Universitätsbibliothek in
Greifswald: ,Zur Resignation Karls V. und Kaiserwahl Fer
dinands 1/
Beide Arbeiten werden der historischen Commission über
wiesen.
VII
XX. SITZUNG VOM 12. OCTOBER 1892.
Der Präsident gibt Nachricht von dem am 15. August
erfolgten Ableben des c. M. im Auslande geheimen Rathes
August Nauck in St. Petersburg.
Die Mitglieder erheben sich zum Zeichen des Beileides.
Das c. M. im Inlande Professor Dr. G. Bickell in Wien
dankt für die auf ihn gefallene Wahl.
Von Druckwerken werden vorgelegt:
,Archäologisch-epigraphische Mittheilungen aus Oester
reich-Ungarn, herausgegeben von 0. Benndorf und E. Bormarin',
Jahrgang XV, Heft 2, übersendet von den Herausgebern.
,Neu-Brünn* von Chr. R. d’Elvert, 1. Thcil, eingesendet
von der historisch-statistischen Section der k. k. mährisch
schlesischen Gesellschaft zur Beförderung des Ackerbaues u. s. w.
,Sammlung national-bulgarischer Gedichte und Schriften*,
übersendet im Wege des k. k. Ministeriums des Aeussern von
dem fürstlich bulgarischen Unterrichtsministerium.
,Papyrus Erzherzog Rainer. Führer durch die Ausstellung,
1. Theil.* Wien 1892, im höchsten Aufträge Sr. kais. Hoheit
des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer eingesendet
vom w. M. Professor Karabacek.
Der Secretär legt vor eine Abhandlung des Herrn Dr.
J. Loserth, Professor an der k. k. Universität in Czernowitz:
,Der Anabaptismus in Tirol vom Jahre 1536 bis zu seinem
Erlöschen*, um deren Aufnahme in das Archiv der Verfasser
ersucht.
Die Abhandlung gellt an die historische Commission.
VIII
XXL SITZUNG VOM 19. OCTOBER 1892.
Die zur Verwaltung der Widmung- Seiner Durchlaucht
des regierenden Fürsten Johann von und zu Liechtenstein
eingesetzte Commission für archäologische Erforschung Klein
asiens übergibt einen Bericht der Herren Dr. Rudolf Heberdey
und Dr. Adolf Wilhelm über eine zweite Reise in Kilikien.
XXII. SITZUNG VOM 2. NOVEMBER 1892.
Die Nachricht von dem am 24. October 1. J. erfolgten
Ableben des wirkl. Mitgliedes Herrn Professor Dr. Anton
Gindely in Prag wurde bereits in der Gesammtsitzung der
kaiserlichen Akademie vom 27. October 1. J. zur Kenntniss
genommen und das Beileid über diesen Verlust von der Ver
sammlung ausgedrückt.
Der Secretär legt eine Abhandlung des c. M. Herrn Dr.
Wilhelm Tomaschelc, Professor an der Universität Wien:
,Die alten Thraker. I. Uebersicht der Stämme* vor.
Die Abhandlung wird in die Sitzungsberichte aufge
nommen werden.
Der Secretär legt weiter eine Arbeit des Herrn Dr. Carl
Wessely, Professor am k. k. Staatsgymnasium im III. Bezirk
in Wien: ,Neue griechische Zauberpapyri* vor.
Die Arbeit wird einer Commission zur Begutachtung
übergeben.
Derselbe legt endlich vor eine Abhandlung des Herrn
Dr. Adalbert Abramowski in Bukarest: ,Maximilians Ge
fangennahme zu Brügge und der Reichskrieg K. Friedrichs III.
gegen Flandern I486*.
Dieselbe wird der historischen Commission überwiesen.
Das w. M. Herr Hofrath Dr. H. Siegel überreicht eine
Abhandlung: ,Das erzwungene Versprechen und seine Be
handlung im deutschen Rechtsleben*.
Die Abhandlung wird in die Sitzungsberichte aufgenommen
werden.
Das w. M. Herr Professor Dr. Leo Reiniscli übergibt
eine Abhandlung, betitelt: ,Die Bedauye-Sprache in Nordost-
Afrika. I. Texte im Idiom der Beni-Amer, der Halenga und
der Bischari* mit gegenüberstehender deutscher Uebersetzung.
Diesem ersten Theil wird in Kürze ein Wörterbuch und die
Grammatik der genannten Sprache nachfolgen.
Auch diese Arbeit wird in die Sitzungsberichte aufge
nommen werden.
XXIII. SITZUNG VOM 9. NOVEMBER 1892.
Der Vorsitzende der Gesellschaft zur Förderung deutscher
Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen - zeigt an, dass
diese Gesellschaft im Monate Mai 1891 ihre Thätigkeit auf
genommen hat, übermittelt die Statuten und den ersten Rechen
schaftsbericht und sendet für die akademische Bibliothek zwei
mit ihrer Unterstützung herausgegebene Werke: Dr. Joseph
Ncuwirth, Geschichte der bildenden Kunst in Böhmen vom
Tode Wenzels III. bis zu den Husitenkriegen, 1. BdJ und ,Mit
theilungen der deutschen mathematischen Gesellschaft in Prag.
Die Gründung dieser Gesellschaft wird zur Kenntniss
genommen und derselben für die eingesendeten Werke der
Dank ausgesprochen.
Die Concilien-Commission legt vor: Monumenta conci-
liorum generalium, Concilium Basileense Scriptorum tomi tertii
pars III, enthaltend Collectio XVII von Ioannes de Segovia,
Hist, gestorum gener. synodi Basileensis, herausgegeben von
Dr. Rudolf Beer.
X
Das w. M. Hofrath V. Jagi6 überreicht eine für die
Denkschriften bestimmte Abhandlung: ,Slavische Beiträge zu
den biblischen Apokryphen I. Die altkirchenslavischen Texte
des Adambuches'.
• XXIV. SITZUNG VOM 16. NOVEMBER 1892.
Der Secretär legt eine mit der Bitte um Aufnahme in
das Archiv übersendete Arbeit des Herrn Ferdinand Menöfk,
Scriptor dar k. k. Hofbibliothek: ,Die Correspondenz des Land
grafen Georg von Hessen aus den Jahren 1697 und 1698' vor.
Die Abhandlung geht an die historische Commission.
XXV. SITZUNG VOM 30. NOVEMBER 1892.
Der Secretär übergibt eine für die Sitzungsberichte be
stimmte Abhandlung des c. M. Herrn Professor Dr. Anton
Zingerle in Innsbruck: ,Zur 4. Decado des Livius'.
Weiter wird vorgelegt: ,The Jätaka-Mälä or Bodhisatt-
vävadäna-Mälä by Arya-Qüra edited by Dr. H. Kern' und
.Mittheilungen aus der Sammlung der Papyrus Erzherzog
Rainer', Bd. V, Heft 3 und 4.
Das w. M. Herr Professor Th. Gomperz berichtet auf
Grund brieflicher Mittheilungen des Herrn J. P. Mahaffy in
Dublin über einen zu Teil Gurob in Aegypten aufgefundenen
und von dem genannten Gelehrten entzifferten Plato-Papyrus.
XI
XXVI. SITZUNG VOM 7. DECEMBER 1892.
Das k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht über
mittelt: ,Nuntiaturberichte aus Deutschland', III. Abth., 1572
bis 1585, 1. Bd., herausgegeben durch das königl. preussische
historische Institut in Rom und die königl. preussische Archiv
verwaltung.
Der Secretär legt die Fortsetzung und den Schluss der
Arbeit des Herrn Dr. Rudolf Beer, Amanuensis der k. k. Hof
bibliothek in Wien: ,Handschriftenschätze Spaniens. Bericht
über eine im Aufträge der kais. Akademie der Wissenschaften
in den Jahren 1886—1888 durchgeführte Forschungsreise' vor.
Dieselbe wird der Kirchenvater-Commission übergeben.
Das w. M. Herr Hofrath Dr. Heinrich v. Zeissberg
überreicht eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung:
, Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls
(1793—1794)', I. Theil.
Das w. M. Herr Professor Dr. Leo Reinisch überreicht
für die Sitzungsberichte eine Abhandlung, betitelt: ,Die Be-
dauye-Sprache in Nordostafrika. II. Grammatik'.
XII
I. SITZUNG VOM 4. JÄNNER 1893.
Das Ehrenmitglied der kais. Akademie Se. Excellenz
Freiherr Alexander von Bach spricht seinen Dank aus für die
ihm aus Anlass der Vollendung seines 80. Geburtsjahres ge
sendete Adresse.
An Druckwerken werden vorgelegt:
je ein Exemplar der von der kais. russischen Botschaft
überlassenen und durch das k. u. k. Ministerium des Aeussern
und das k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht über
mittelten officiellen russischen Publicationen: 1. Liste der wäh
rend des Jahres 1891 promulgirten russischen Gesetze und
Nachträge zu den früher bestandenen Gesetzen, 2. Fortsetzung
des russischen Code administratif, 3. weitere Folge der russi
schen Gesetzsammlung, Ausgabe 1891; und
,Feldzüge des Prinzen Eugen von Savoyen, Orts-, Namen-
und Sachregister', übersendet von der Direction des k. und k.
Kriegsarchives.
Dr. Julius Samuel Spiegler, pens. Schuldirector in Buda
pest, übersendet für die akademische Bibliothek sein gedrucktes
Werk: ,Geschichte der Philosophie des Judenthums' und eine un
gedruckte Abhandlung: ,Die Unsterblichkeit der Seele', um deren
Veröffentlichung oder Subventionirung der Verfasser ersucht.
Der Secretär legt eine für die Sitzungsberichte bestimmte
Abhandlung des c. M. Professor Dr. Theodor Nöldeke in
Strassburg: ,Die von Guidi herausgegebene syrische Chronik' vor.
XIII
Herr Franz Müller in Siegenfeld bei Baden übersendet
behufs Wahrung der Priorität ein versiegeltes Schreiben mit
der Aufschrift: ,Beitrag zum Studium der Sprachen'.
II. SITZUNG VOM 11. JÄNNER 1893.
So. Exccllenz der Präsident macht Mittheilung von dem
Verluste, welchen die Akademie durch das am 7.. Jänner er
folgte Ableben ihres Vice - Präsidenten, des k. k. Hofrathes
Dr. Josef Stefan, erlitten hat.
Die Mitglieder erheben sich zum Zeichen des Beileides.
Das w. M. Professor H. Schuchardt in Graz über
sendet eine für die Denkschriften bestimmte Abhandlung:
,Baskische Studien. I. Ueber die Entstehung der Bezugsformen
des baskischen Zeitwortes'.
III. SITZUNG VOM 18. JÄNNER 1893.
Se. Excellenz der Präsident überreicht ein im Namen
des französischen Ministers des Aeussern durch die französische
Gesandtschaft in Wien übermitteltes Werk: ,Inventaire som-
maire des arckives du departement des affaires etrangeres.
Mdmoires et documents. Fonds divers.'
Der Secretär überreicht eine für die Sitzungsberichte be
stimmte Abhandlung des c. M. Herrn Professor Dr. Anton
Zingerle in Innsbruck: ,Der Hilarius-Codex in Lyon'.
Sitzungslier. d. phil.-hist. CI. CXXVIIL Bd.
b
XIV
Der Secretär legt weiter eine für das Archiv bestimmte
Abhandlung des c. M. Herrn Professor Dr. Franz v. Krones in
Graz: ,Zur Geschichte des Jesuitenordens in Ungarn seit dem
Linzer Frieden bis zum Ergebnisse der ungarischen Magnaten
verschwörung 1645—167 P vor.
Der Secretär übergibt weiter eine für das Archiv be
stimmte Abhandlung des Herrn Professor Dr. Eduard Wert-
lieimer in Pressburg: ,Wien und das Kriegsjahr 1813b
Die Abhandlung gebt an die historische Commission.
IV. SITZUNG VOM 1. FEBRUAR 1893.
Das w. M. Herr Professor Biidinger legt für die Sitzungs
berichte bestimmte Untersuchungen vor, welche den Titel
führen: ,Mittheilungen aus der spanischen Geschichte des 16.
und 17. Jahrhunderts. 1/
Das w. M. Herr Professor Dr. J. Schipper überreicht
den vierten Theil seiner Arbeit, betitelt: ,The Poems of
William Dunbar‘ zur Aufnahme in die Denkschriften.
I. Abhandlung: Meyer. Türkische Studien. I.
l
I.
Türkische Studien. I.
Von
Gustav Meyer,
corresp. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften. 0
I.
Die griechischen und romanischen Bestandtheile im Wortschätze
des Osmanisch-Türkisehen.
Der Wortschatz cles Osmanisch-Türkisehen erweist sich
der etymologischen Analyse als ein ziemlich bunt zusammen
gesetzter. Zu den alten, einheimischen Elementen, welche den
'Zusammenhang des Osmanischen mit den ost- und nordtiirkischen
Dialekten begründen, hat die Annahme des Islam durch die
Osmanen eine so grosse Anzahl arabischer und persischer ge
fügt, dass sie, wenigstens in der Sprache der Literatur und
der Gebildeten, den alten echt türkischen Grundstock des Wörter
buches völlig überwuchern. Die Kluft zwischen der Sprache
des Volkes und der des Gebildeten ist derartig, dass, wie Vämbery
(Das Türkenvolk 615) bezeugt, in der Gesellschaft von Efendis
eine geheime Conversation geführt werden kann, ohne dass
die anwesenden türkischen Diener die türkische Sprache ihrer
Herren verständen. Wenn aber auch das arabisch-persische
Element die erste und dominirende Stelle im türkischen Lexikon
einnimmt, so ist dieses doch auch von der Berührung mit anderen
Sprachen nicht ganz unbeeinflusst geblieben. Eine etymologische
Durchmusterung entdeckt Griechisches, Lateinisches und Roma
nisches, Slavisches und Magyarisches, ja sogar Deutsches und
Englisches im Wörtervorrath des Osmanisch-Türkisehen.
Die slavischen und magyarischen und von den roma
nischen die rumänischen Elemente im Türkischen hat Miklosich
in einer seiner letzten Abhandlungen zum Gegenstände einer
Sitznngsber. d. pliil.-hist. CI. CXXVIU. Bd. 1. Abh. 1
2
I. Abhandlung: Meyer.
Untersuchung gemacht (Die slavischen, magyarischen und rumu-
nischen Elemente im türkischen Sprachschätze. Wien 1889). Ich
trage einige hieher gehörige Worte nach, welche Miklosich ent
gangen sind. barda ,Böttcheraxt; Art Schleifstein' Barbier
de Meynard I 257 ist das rumänische barda ,Axt', das aus
magy. bdrd stammt und im letzten Grunde auf ahd. barta be
ruht. Cihac II 479. Mi. Et. Wörterb. 19. Eng damit ver
wandt ist s^>\y bradova ,Art Böttcheraxt' Jussuf 124, das aus
serb. bulg. bradva = aslov. bradvoh ,Axt' entlehnt ist. Heber
«jly brctjjva ,Thürschloss' Bianchi I 342, bei Zenker perava,
habe ich bereits im Etym. Wörterbuche des Alb. 45 gesprochen:
sein Ursprung ist unbekannt, es stammt im Serbischen, wo es
seit dem 16. Jahrhundert belegt ist, vielleicht aus dem Roma
nischen. Vergleiche auch Blau, Bosnisch - türkische Sprach
denkmäler 7. yS ginez ,Fürst' Zenker 764 b ist asl. kbnezb, se.
knez. kasatura ,sabre-bai'onnette' Jussuf 546 scheint mit
aslov. ltosa koson ,Sense' = se. kosa ,Sense', kosor ,Art Messer'
zusammenzuhängen (daraus magy. kasza ,Sense'); vielleicht ist
das alb. kostrs., das aus kosor entstanden ist (Etym. Wörterb.
des Alb. 201), die vermittelnde Form, in der die drei zusammen-
stossenden Consonanten s-t-r durch Vocale getrennt worden sind,
vgl. unten. ladinga ,Art Patrontasche' Jussuf 644 ist
offenbar das magy. lädika ,Kistchen, Schatulle', das deutschen
Ursprungs ist. Ueber den eingeschobenen Nasal vergleiche
unten unter londza. major ,Meierei' Zenker 804 a ist ein
durchs Mag. (major) und Deutsche gegangenes romanisches
Wort, mukan ,Schafhirt oder Schafzüchter aus Sieben
bürgen' Zenker 893 b ist rum. mocan aus magy. mokdny ,bäurisch'.
(UbUxi mamaliga ,Polenta' Barb. II 786 ist rum. mamaliga, das
auch im Magyarischen (mamaliga), Serbisch-Kroatischen (mama-
Ijuga), Kleinrussischen (mamalyga) vorkommt; der Ursprung der
Bezeichnung dieses aus Maismehl bereiteten Nationalgerichtes der
südöstlichen Donauländer ist nicht klar, man hat an Zusammen
hang mit venez. melega ,holcus sorglium, welsche Hirse' = it. me-
lica, gedacht. paljoi ,petite epbe a deux tranchants, poi-
gnard, coutelas' Barb. 1386 ist magy.pallos, rum,pälo$, serb.palos.
Das auch sonst weit verbreitete Wort hängt wohl mit tli. <*Jb
pala ,Säbel' zusammen, das echt türkisch zu sein scheint (Budagov
I 310), ist aber in dieser Form wahrscheinlich magyarisch,
Türkische Studien. I.
3
plaSka ,Beute' Jussuf 957 aus serb. pljacka, vgl. Etym. Wörterb.
des Alb. 344. «Ij vampir ,Sorte de gründe chauve-souris;
revenant, vampire' Jussuf 1223 kommt auch im Serb. und Bulg.
vor und ist wohl daher ins Türkische eingedrungen; die Her
kunft des Wortes ist noch nicht endgiltig festgestellt, vgl. Mi.
Naclitr. n 61. vladika, auch laclika ,mötropolitain‘ Jussuf
1240 ist die slavische Benennung vladyka, bulg. vladika für
den griech. ösffnövijg ,Metropolit, Erzbischof'.
Die griechischen Elemente sind ins Osmanische auf
verschiedenen Wegen gelangt.
Eine beträchtliche Anzahl griechischer Wörter hat schon
in früher Zeit ins Arabische und Persische Eingang gefunden,
fast alle durch Vermittlung des Aramäischen, und ist von dort
aus ins Türkische gelangt. Ich habe mich bei den unten
folgenden Zusammenstellungen bemüht, jedesmal auf diesen
Weg der Entlehnung hinzuweisen, bin aber weit davon entfernt,
zu glauben, dass dies in erschöpfender Weise geschehen ist,
oder dass ich nicht manchmal Irrthümer begangen habe. Man
möge dies damit entschuldigen, dass die orientalistischen Studien
meinen Arbeitsgebieten fern liegen, und dass die Vorarbeiten
auf diesem Felde sehr dürftig sind. Es scheint mir eine sehr
nothwendige und zu gleicher Zeit sehr lohnende Aufgabe zu
sein, den Einfluss, welchen das Griechische auf die Sprachen
des Ostens geübt hat, auf Grund des vollständig gesammelten
Materials im Zusammenhänge darzustellen. Es handelt sich
dabei um eine Untersuchung der griechischen Lehnworte im
Aramäischen, Arabischen und Persischen; ferner um die grie
chischen Elemente im Armenischen und Georgischen; auch eine
Zusammenstellung der ins Indische übergegangenen griechischen
Worte wird nicht ohne Interesse sein. Gelegentlich sind ja
diese Sachen schon gestreift worden, so die griechischen Ent
lehnungen im Sanskrit von A. Weber in den Monatsberichten
der Berliner Akademie 1871, S. 613 ff. und von H. Kern im
I. Bande der 'Eklag, beidemal mit Rücksicht auf die Geschichte
der griechischen Aussprache. Aber eine zusammenhängende
Darstellung fehlt noch. Einiges enthält die Breslauer Disser
tation von Sigmund Fränkel De vocabulis in antiquis Arabum
carminibus et in Corano peregrinis' (Leyden 1880), sowie das
vorzügliche Buch desselben Verfassers über die ,Aramäischen
l*
4
I. Abliandlnng: Meyer.
Fremdwörter im Arabischen' (Leyden 1886). Die griechischen
Elemente im Persischen hat jetzt Nöldeke in seinen ,Persischen
Studien' II 34 ff. untersucht (Sitzungsberichte CXXYI 12), die
mir durch die Güte des Verfassers in den Aushängebogen zu
gänglich gemacht worden sind.
Zu den durch Vermittlung des Arabischen ins Türkische
gelangten griechischen Lehnwörtern gehören unter anderen
eine Anzahl Pflanzennamen, wie abanoz, afiun, kantarion, ka-
ranfil, karnabit, pentafilion, türfnüs und andere; Ausdrücke,
die das .Christenthum vermittelt hat, wie faraklit, indzil; zu
ihnen sind wohl auch zunnar, kanun, santur zu rechnen;
Wörter des Handelsverkehrs, wie dirliem, Icerat, kile; solche,
die wohl zunächst in die medicinische Literatur Eingang fanden,
wie zernik, masarika, belgcim, melhem. Aus dem Persischen
stammt z. B. das wichtige und interessante sim ,Silber', das
über pehlevi pccN auf griechisch lx<7r,uov zurückgeht; ferner
Jcilid , defter, und Pflanzennamen, wie asfiradz, iskardiun,
ispanak, nerdzis.
Seitdem die Osmanen Herren über den grössten Theil des
ehemaligen byzantinischen Reiches geworden waren, lebten sie
in ausgedehnten Gebieten ihres Besitzthums in fortwährender
Berührung mit griechisch redender Bevölkerung. Die Aufnahme
türkischer Wörter in das Vulgärgriechische war infolge dessen
eine massenhafte; sie haben*, allerdings in beschränkterem Masse,
selbst in die Dialekte solcher Gegenden Eingang gefunden, die
niemals unter türkischer Herrschaft standen, wie in die der
ionischen Inseln. Miklosich hat in seinen ,Türkischen Elementen
in den südosteuropäischen Sprachen' auch den türkischen Ein
dringlingen im Griechischen seine Aufmerksamkeit zugewendet,
ohne den Gegenstand zu erschöpfen. Es war das um so noth-
wendiger, als die Griechen nicht selten von rein türkischen
Wörtern die spasshaftesten Etymologien aus griechischen Mitteln
gegeben haben. Die Literatursprache und der Schulunterricht
haben begreiflicherweise im Königreich Griechenland gegen die
türkischen Lehnwörter einen unbarmherzigen Vertilgungskrieg
eröffnet; aber sie nehmen in den Volksmundarten und den
Erzeugnissen der Volksdichtung immer noch einen sehr breiten
Raum ein. Besonders interessant ist es, dass sich der türkische
Einfluss auch auf die innere Sprachform erstreckt hat. So sagt
Türkische Studien. I.
5
man nivio y.anvov ,ich rauche 4 , was die Uebersetzung des tür
kischen oVV icmeli, eig. ,Tabak trinken 4 , ist;
man fragt tvov y.ad'STai ,wo wohnt er? 4 , ganz gleich türkischem
t>jj nerede oturior, eig. ,wo sitzt er? 4 , was der Lebens
weise der Osmanen trefflich entspricht, wie Fallmerayer, Ge
sammelte Werke I 293 richtig bemerkt hat.
Aus naheliegenden Gründen ist der Einfluss der Sprache
der griechischen Raja auf die ihrer Beherrscher nicht von der
gleichen Stärke gewesen. Trotzdem ist, wie man aus meinen
Zusammenstellungen ersehen kann, eine immerhin beträchtliche
Anzahl von Worten in den osmanischen Sprachschatz einge
drungen, die zum Theil durch ihre jüngere, neugriechische
Lautform sich von dem über das Arabische und Persische ein
gewanderten griechischen Sprachgute abheben. Eine grössere
compacte Masse bilden hier die Benennungen der Seefische und
anderer Seethiere, die fast ausnahmslos aus dem Griechischen
stammen. Die Vorfahren der Osmanen waren ein Binnenvolk,
das mit den Geschöpfen des Meeres erst bei seinem Vordringen
nach Kleinasien und Europa Bekanntschaft machte. Dort trafen
sie an den Meeresküsten überall auf Griechen, die naturgemäss
ihre Lehrer in der Benennung der Erzeugnisse der See wurden.
Auch von anderen auf die See und das Seewesen bezüglichen
Ausdrücken sind einige griechisch, wie fener, kadsrga, karavi,
Körfüz, liman, navlun, prame, talas und die Windnamen imbat,
lodos, pojraz-, auf die wirkliche Ausbildung des Seewesens und
die marine Terminologie haben freilich, wie bei den Türken,
so auch bei den Griechen, erst die Italiener entscheidenden
und nachhaltigen Einfluss ausgeübt. Aber auch auf anderen
Gebieten ist der griechische Cultureinfluss, so weit er sich in
der Sprache erkennen lässt, ersichtlich; so sind eine Anzahl
auf Ackerbau und Viehzucht bezügliche Ausdrücke griechisch,
ferner Namen von Gefässen, Geräthen und Werkzeugen u. s. w.,
selbstverständlich Alles, was sich auf den christlichen Cultus
bezieht.
Gegenüber diesen beiden Hauptwegen, auf denen grie
chisches Sprachgut ins Osmanische eingedrungen ist, tritt alles
Uebrige fast ganz zurück. Bei dem einen oder dem anderen Lehn
worte kann man ja vermuthen, dass es durch slavischen Mund
gegangen ist, ehe es das Türkische aufnahm. Das wird z. B.
6
I. Abhandlung: Meyer.
für logofet wahrscheinlich gemacht durch das i_s / für '} an
Stelle des diesen Laut sonst vertretenden O oder h t, was der
russischen Vertretung des & entspricht (auch rumänisch logofet).
Griechisch rtoeuvov scheint auf dem Wege aslov. trenn —
rum. tarhn — (magy. terem) zu türk, tarsm geworden zu sein.
Aber solche mehr oder weniger entscheidende Kriterien lassen
sich sehr selten anführen. Auch auf dem Umwege über das
Italienische hat das Türkische hie und da ein griechisches Wort
recipirt; so, um von Neologismen abzusehen, die heute allen
europäischen Sprachen gemeinsam sind, das Wort sirinka,
üiringa ,Spritze*, das gr. ovQiyt; ist, aber direct erst aus ital.
sciringa stammt.
In ähnlicher Weise wie bei den griechischen, sind bei
den aus romanischem Sprachgebiete stammenden Lehnwörtern
verschiedene Schichten zu unterscheiden. Lateinisches im Os-
manischen erklärt sich durch die Vermittlung der Byzantiner
und Araber. Es gibt im Arabischen lateinische Wörter, die
aus dem Griechischen des Ostens Eingang in diese Sprache
gefunden haben, wie für einige ihre Lautform bezeugt: so sind
candela denarius zunächst zu griech. v.avögka dtjvüoiog und
weiter zu arab. kandil dinar geworden; in dieser Form er
scheinen sie auch im Türkischen. Auch Wörter wie camisia,
centenarius, follis, saburra sind so als kamis, kantar, fels, safra
ins Türkische gelangt. Den Namen des grossen Caesar haben die
Orientalen wohl direct aus dem Munde der römischen Legions
soldaten aufgenommen: nur so erklärt sich die Bewahrung des
alten ai, das in griechischem Munde damals gewiss schon zu
ä geworden war. Da das byzantinische Griechisch voll von
lateinischen Worten war, die zum Theil noch heute im Neu
griechischen weiter existiren, so konnte es nicht fehlen, dass
auch noch nach der Eroberung des byzantinischen Reiches solche
Lehnwörter ins Türkische kamen; hieher scheinen z. B. aspre,
gümriilc, iskele, iskemle, Teiler, tugla zu gehören.
Der bei Weitem grösste Bestand an romanischen Elementen
gehört dem Italienischen an und erklärt sich aus den bekannten
Beziehungen der italienischen Städte, besonders der Venezianer
und Genuesen, zur Levante. Wie viel die Türken hier direct
entlehnt haben, wie viel erst durch griechische Vermittlung,
ist selten mit einem grossen Grade von Wahrscheinlichkeit zu
Türkische Studien. I.
7
entscheiden. Sehr Vieles ist dem Türkischen jedenfalls mit
dem Neugriechischen gemeinsam, lind diese Gemeinsamkeit
würde sich vermuthlich in noch grösserem Umfange nachweisen
lassen, wenn wir den ins Neugriechische aufgenommenen ro
manischen Worthestand irgendwo zuverlässig übersehen könnten.
Aber das ist noch nicht der Fall; denn die Zusammenstellungen
von Deffner in der Nm ^ElXcxg (1874) Nr. 19. 20 und von Pappa-
dopulos in der Hdvödtga XVII, 217—226. 265—272 erschöpfen
den Gegenstand nicht im Geringsten. Hielier gehört denn auch
die Frage nach dem Wesen der viel genannten, aber wissen
schaftlich nicht greifbaren Lingua franca, die wohl nichts
Anderes war als Italienisch im Munde der Levantebewohner.
Wenn wir Wörter wie ital. barbone, pisello im Türkischen als
barbunia, pizelia, also mit griechischer Endung, finden, oder
wenn wir in tugla aus tubulum einen specifisch griechischen
Lautwandel beobachten, so ist ohne Weiteres klar, dass sie
durch ein griechisches Medium gegangen sind. Aber in anderen
Fällen lassen uns solche Kriterien durchaus im Stiche.
Die venezianische Herkunft der italienischen Lehnwörter
wird in vielen Fällen durch ihre Lautgestalt in entscheidender
Weise bezeugt. Man beachte z. B. die Media in videla, vida,
kadena, limonada, bugcida, foga, sigurta, den dünneren Zischlaut
in pisi, sia, bekatsa, brizola, das r in salamora, den Ausfall
des -v- in manela gegenüber italienischen vitello, vite, catena,
limonata, bucato, fuoco, sicurtä, pesce, sciare, becaccia, bra-
ciuola, salamojci, manovella.
Eine grosse zusammenhängende Masse italienischer Wörter
bilden die im vorletzten Abschnitte zusammen gestellten Aus
drücke der marinen Terminologie, deren Verzeichniss hoffentlich
nicht allzu unvollständig ist. Leider ist es mir trotz aller auf
gewendeten Mühe nicht in allen Fällen gelungen, die türkischen
Wörter befriedigend zu deuten; meine eigenen praktischen
Kenntnisse von Dingen der Marine sind sehr gering, und das
vortreffliche Glossaire nautique von Jal, das der Wortforschung
auf diesem Gebiete ein unentbehrlicher Wegweiser ist, versagte
doch in einigen Fällen.
Noch in neuester Zeit sind einige italienische Wörter ins
Osmanli aufgenommen worden, die aber an Zahl nicht mit den
französischen Neologismen zu vergleichen sind. Das von Jahr
8
I. Abhandlung: Meyer.
zu Jahr zunehmende Eindringen occidentalischer Einrichtungen
und Erfindungen in die Türkei hat eine grosse Menge fran
zösischer Worte in das türkische Lexikon eingeführt, meistens
solcher, die in den anderen europäischen Sprachen längst das
Bürgerrecht haben. Die neueren türkischen Wörterbücher, wie
das von Jussuf oder das von Sami-Bej, verzeichnen sie sehr
ausführlich. Ich habe bei den einzelnen Abschnitten meiner
Zusammenstellungen auf sie Rücksicht genommen, auch am
Schlüsse eine bunte Reihe solcher Neologismen gegeben, habe
aber geglaubt, von dem Anstreben einer Vollständigkeit bei
ihnen absehen zu sollen. Dieser Theil der romanischen Elemente
wird erst in hundert oder zweihundert Jahren dem Sprach
forscher und dem Culturhistoriker ein dankbares Forschungs
object bieten.
Eine besondere Stellung unter den romanischen Elementen
des Türkischen nehmen die paar rumänischen Fremdwörter
ein, die sich nachweisen lassen. Sie sind im Principe richtig
von Miklosich in der am Anfänge erwähnten Abhandlung mit
den slavischen und magyarischen Elementen gemeinsam be
handelt worden. Ich habe sie, der Vollständigkeit halber, nicht
ausschliessen wollen. Thatsächlich finden sich bei Miklosich
von rumänischen Wörtern nur drei, nämlich gelate ,Kübelgebühr',
kalarcis ,Eilbote' und masa ,Speisetisch', von denen die beiden
ersten Provinzialismen der Walachei und dem türkischen Schrift
thum fremd sind, das erste zudem deutschen Ursprungs ist.
Ich habe frandzela, kaSer, lundra, tabla hinzugefügt. Es mag
an dieser Stelle erwähnt werden, dass bei einigen türkischen
Wörtern romanischen Ursprungs die Thatsache vorliegt, dass
sie durch slavische Vermittlung den Türken zugeführt worden
sind, z. B. bei ispilata, Sapka und kopuska.
Wenn wir das ganze Gebiet der Entlehnungen, deren
Wege im Vorstehenden in kurzen Umrissen zu zeichnen ver
sucht wurde, überblicken, so beanspruchen ein besonderes Inter
esse diejenigen Wörter, welche, ursprünglich orientalischen Ur
sprungs, in die europäischen Sprachen Eingang gefunden haben
und aus einer derselben in das Türkische aufgenommen worden
sind, also eine Wanderung von Osten nach Westen und eine
Rückwanderung von Westen nach Osten durchgemacht haben.
So stammt das persisch-türkische aus griech. äanaqayog,
Türkische Studien. I.
9
dieses selbst ist aber ein Fremdwort lind wahrscheinlich dä
nischen Ursprungs, «w-db zeigt europäische Lautform, aber
das zu Grunde liegende ßaloagov ist ursprünglich semitisch.
Ebenso ist türk. 0 LLo gegenüber arabisch die europäische
Form dieses fremden Namens. Griechisch äyyageia bezeichnet
eigentlich den Dienst der persischen Hyyaqoi oder Eilpostboten
ist aus dem Griechischen, allerdings in wesentlich erweiterter
und veränderter Bedeutung, in das Lateinische und die roma
nischen Sprachen übergegangen und erscheint auch im Türkischen
als angarie.
jScharlachtuchf ist orientalisch, aber in dieser Form
europäisch; ebenso ist die europäische Form des arabischen
ist griechisches aggaßibv, das seinerseits aus dem
Semitischen stammt. Der arabische Ursprung von Admiral
und Dragoman ist bekannt; beide finden sich in der occiden-
talischen Gestalt im Türkischen (amiral, dragman). Die beiden
Marinewörter gomana und kalafat geben italienisches gomena und
calgfatare wieder, aber beide stammen vielleicht aus dem Ara
bischen; das erste entspricht vermutlilich arab. dessen Ur
sprung allerdings auch nicht aufgeklärt ist (vgl. Fränkel 228
und vgl. -/.afuXog xo nayv oyoiriov Suid., den Scholiasten zu den
Wespen des Aristophanes 1030 und Theophylaktos zu Matthäus
XIX 24: Tivsg de -/.äurjlov ob ro cpaaiv, älla rö nccyb oyoivlov,
5> xqwvtcu oi vavrai rcgog to g Litze iv Tag c<y/.vgag). Noch in neuerer
Zeit hat sich solche Rückwanderung vollzogen, z. B. in dem
Birnennamen bergamot. Auch griechische Wörter haben ähn
liche Schicksale erlebt: agr. grjxivi] ist über das Lateinische,
Arabische und Türkische als gexoln ins Neugriechische zurück
gekehrt, omov über das Arabische und Türkische zu ngr. ätpiövi
geworden.
Weder die griechischen noch die romanischen Bestand -
theile des türkischen Lexikons sind bis jetzt Gegenstand einer
besonderen Untersuchung gewesen, so weit mir bekannt ist.
Allerdings haben die Lexikographen des Türkischen hie und
da auch dem Ursprünge der nicht arabischen und persischen
Wörter ihre Aufmerksamkeit zugewendet, und Manches ist von
ihnen richtig erklärt worden. Ich nenne liier, ausser dem be
kannten Werke von Zenker, besonders Ahmed Vefyk Pascha,
den Verfasser des und Barbier de Meynard, dessen
10
T. Abhandlung: Meyer.
grosses Werk (Dictionnaire turc-francais, 2 Bände, Paris
1881—1886) zum Theil auf dem Material dos eben genannten
türkischen Buches beruht. Ein kleines Verzeichniss griechischer
Wörter findet sich in dem ‘Eklrjvo- dd-cofiavixov iynölTUOv von
Alexandros Konstantinidis (Constantinopel 1875), S. Iff. Es
schien nützlich und wünschenswerth, die vereinzelten und zer
streuten Bemerkungen zu sammeln, zu revidiren und zu er
gänzen und durch Vorlage des ganzen Materials, soweit dasselbe
mir erreichbar war, den Gegenstand aus dem Bereiche zu
fälliger Observationen in das Licht wissenschaftlicher Forschung
zu rücken. Die unten folgenden Wörterlisten sind nach sach
lichen Gesichtspunkten zusammengestellt, mit Rücksicht darauf,
dass auch die eulturgeschichtliche Betrachtung an den aus ihnen
zu ziehenden Schlüssen ein Interesse haben mag; innerhalb
der einzelnen Abschnitte habe ich die Wörter, soweit nicht eine
Zusammenstellung einzelner zu kleineren Gruppen wünschens
werth schien, alphabetisch angeordnet, und zwar nach der Buch
stabenfolge unseres Alphabetes. Die Register am Schlüsse werden
das Auffinden des Einzelnen erleichtern. Eine Sonderung der
griechischen von den romanischen Elementen habe ich nicht
durchgeführt, weil, wie aus den voranstehenden Erörterungen
hervorgehen dürfte, die Sprachentwicklung beide vielfach durch
einander gewirrt hat. Eine Untersuchung der Eigennamen habe
ich vorläufig ausgeschlossen.
Ich mache hier noch einige auf die sprachliche Form der
Lehnwörter bezügliche Bemerkungen.
Bei der Aufnahme der griechischen Wörter pflegt die
Endung abzufallen. So aytapod oyzanödi, sgrsb ygTrtog, sskorpit
axoQidÖL, izmarid agagida, kefal xscpalog, levreit Xaßqd-/.L, livar
ßißagi(ov), mürsin ousgvva, palamud nakagvöa, sinarit avva-
ygida, sünger acpovyyäqi, tun dvvvog, gajzar yatdagog, büber
TtircsQt, fsndsk novuxöv, fsst.sk mara-Aiov, fidan cpurav'i], isterek
otvqdKi, karanfil xagvöcpvXkov, karnabit '/.qagßidiov, kiraz v.r.oa-
aiov, mantar i.iamdoi, mir sin [ivgairrj, nerdzis väoyuaaog, pentafil
nswdtpvllov, psrnar ngcvagi, portukal jtogTOY.dkXi, simfit avg-
tpvtov, terter zdgzugog, tiriak ÜggictM], tirfil rqtcpvXXi, mermer
gaggccgog, orfan dgcpavög, marjol gaqyiölog, yoirat ■/loqidzgg,
matis gs&uaog, tomar zogdgi, semer oagaqi, ipsid aipidcc, defter
öicpd-sgUf iskelet cfÄskszög, anafor ävacpöoi, f urun cpovgvog, keremit
Türkische Studien. I.
11
y.sgagldi, kiler •/.eXXagi, liilid xheida, temel 3-sgsXiov, anaytar
ctvcnyiaot, kandil xavdrjXa, karavit xgsßßaxi, dilcel dvdlli, srgat
sgyaxi]g, kalem -ydXagog, eukal xGOvyaXi, tsgan xrjyavg kamis
y. aglaiov, zunnar t^wvdgi., üsliül oxovXi, demet dsgaxi, dögen xv-
yuxvrj, evlek apXav.L, terpan dgsndvL, gümrülc vMvgsov.i, fsndek
TtavdoKEiov, dinar dip’dgiov, Sinilc yoivhu, despot dsanoxrjg, yristian
ygiaxiavog, indS.il etinyyeXiov, faraklit nagdyXrjXOg, istifan gxe-
epavog, latin Xaxtvog, manastsr flovaaxrjgi, metropolit grjxgoTtoXixrjg,
panajsr naviiyvgi, patreli riaxgiuog, taks xäigig, tslsem xsXsoga,
vaftis ßanxioia, mart gdgcig, sidzill or/lXXiov, kondak y.ovic'c/.i,
mendzenik gayyavr/.ov, dümen xigövi, fener cpavdgt, imbat eg-
rtaxrjg, iskandil awxvxiXi, liman Xigeva, palamar rcaXagagi, talaz
i‘XdXaooa, u. a.
Ebenso ist die Endung italienische:’ Wörter abgefallen
z. B. in izbandit : sbandito, avokat : avvocato, estudz : astuccio,
fotin : bottino, iskerlet: scarlatto, vardifan : guardiano, fesliet:
fischietto, paracol : bracciuolo, kapudan : capitano; kavalir :
cavaliere, herber : barbiere, bukal: boccale, varil: barile, kor dun :
cordone, simsar : sensale, pinial : pugnale, bastun : bastone,
kaliun : galeone, puntal: pontale, vapor : vapore; üsliüf: scuffia,
roket : rocchetta.
In allen diesen italienischen und den allermeisten grie
chischen Beispielen liegt die Tonsilbe unmittelbar vor der
Endung, und der Abfall dieser kam daher dem Bedürfniss des
Türkischen nach Betonung der Endsilbe aufs Trefflichste ent
gegen. Von den Ausnahmen lassen sich vielleicht noch einige
beseitigen; man wird es vorziehen, pentafil und istifan auf
nevxacpvXXi und axsepavi statt auf nevxdcpvXXov und ozstpavog zu
beziehen, fsndek : -rtovziyöv, nerdzis : vdgyiooog sind als persisch,
karanfl: ■y.agvöcpvXXov, tiriak: S-rjoiayf, mermer: gdogaoog, kalem:
yaXagog, faraklit: nag&yXgzog, tslsem : zsXeogct, mendzenik : gay-
yavixöv als arabisch von dieser Betrachtung eigentlich auszu
scheiden. So bleiben blos gajzar : yatdagog, simfit: avgcpvxov,
terter : zdgxagog, orfan : dgcpavög, matis: gs&vGog, iskelet: ayeXszog,
üsliül: av.ovX'i, fsndek : itavdovjeiov, talaz : 3-dXaooa übrig.
Daneben ist nicht selten die ganze Nominativform ins Tür
kische übergegangen. So bei griechischen männlichen Wörtern
auf -og, das im Türkischen als oder erscheint: ispinoz
GTilvog, ciroz xaigog, bedenos nezeivög, koljoz v.oXiög, likorinoz
12
I. Abhandlung: Meyer.
’lvY-ouogivog, orkinoz oovxvog, vatoz ßavog, saliangoz odtfaayxog,
abanoz sßsvog, marangoz pagaynög, ispazmoz onaopog, diakoz
Siaxog, istavroz atuvoog, martoloz dgparüjXög, eskarmoz axaXpög;
istakos aca/.ög, kalinos yXavög, tiryos ior/ög, varjos ßagsiög,
agustos äyovarog, sekiros avAQQOg, balios pnaiXog, fanos cpavog
u. a. Für merlanos : it. merlano kann geoXävog vorausgesetzt
werden; aforoz scheint verkürzt aus capoQLapög; konsolos hat
sich diesem Typus angeschlossen. Bei diesen Beispielen sind
die griechischen Wörter zum Theil auf der Endsilbe betont,
zum Theil auf der vorletzten oder drittletzten. Als -üz erscheint
-og in korfiiz : v.ocppog für KoXrcog.
Männliches -äg ist durch türk, -az wiedergegeben in pojraz:
ßoQLäq, papaz oder papas : rcanäg.
-is = gr. -gg oder -ig erscheint in majs : pdig aus paiog
und anderen Monatsnamen, magnitis : payvrjrr]g u. a.; = weib
lichem -ig in betaris : meglg.
Sächliches -ov ist -on oder -un z. B. in afiun : omor,
anasun : dvgaov, eleniun : eXevlov , garikun : dyagiy-öv, iskolu-
fendrion : crzoXonevögiov, iskardiun : (jvmoÖlov, kantarion : -/.evTctv-
qlov, pentafilion : *jtevrcc(pvXhov, fsrfjun: sicpögßLOv, Sizfun : 'Qltv-
cpov, navlun : vavXov. Dazu ist zu fügen festigen : ßaaiXiKov. Die
meisten dieser Wörter sind bereits arabisch oder persisch.
Das weibliche -a ist sehr häutig als -a oder -e herüber
genommen, z. B. in bekasa : pnexccraa, lalierda : Xatiegda, lapina :
Xaniva, morina : povgovva, pecota : rtETGOvöa, sipia: orpiid, torina:
Tovviva, burandza : pnogavraa, engelika : äyysXL'm, gazja : Kaoaict,
papadia : TtaitaSia, palavra : TtaXaßga, loyusa : Xeyovoa, panukla :
jtavovv.Xa, und in vielen anderen. Ebenso das italienische -a
in balena : balena, ringa : aringa, sardela : sardella, sarpa : sarpa,
eruka : eruca, lavanda : lavanda, veranikci : veronica, familia :
famigtiä, fantazia : fantasia, pjasa : piazza, vizita : visita und
vielen anderen. Weibliches -g ist -i z. B. in pilaki : nXav.rj,
yondrili : yopdoiXg; sächliches -i ebenso z. B. in ispari : '*arraoi,
vgl. iskite : <r/.a$L, eskumru : a-/.ovpngL. Italienisches -o z. B. in
fino, tifo, cinko, cemento, torno.
-La erscheint als -e z. B. in kestane : zaoravia, titre : y.sdoiä,
fisne : ßvaGLVLCi, giibre : v.ongiu, kilisse : h.y.Xrp’ia.
Das nominativische -s ist abgefallen in lipari : Xinaglg,
pirebulu : ngonoXig, efendi: äcpevrgg, kerata : /.sgaräg.
Türkische Studien. I,
13
Die Herübernahme der männlichen Endung -og aus grie
chischen Substantiven findet sich vereinzelt auch bei Ent
lehnungen in andere Sprachen; vgl. z. B. altslov. christosT>
chimosh aus Xourvöq, yvp6q, alb. kopos ristos meine Alb. Stud.
1 37; in ziemlich grossem Umfange ist die Endung -os im
Zigeunerischen auch über den ihr ursprünglich zukommenden
Kreis hinaus verbreitet worden, nach föros : cpÖQog, chöros : yogog
u. a. hat man grähos, rizos, zböros u. s. w. gebildet, aber fast
nur in nichtindischen Substantiven. Vgl. Miklosich, Mundarten
und Wanderungen X 4, wo von der Erscheinung eine unrichtige
Erklärung gegeben ist, die der Verfasser selbst später, in der
Abhandlung ,Ueber die Einwirkung des Türkischen auf die
Grammatik der südosteuropäischen Sprachen' (Sitzungsberichte
Bd. CXX) S. 8 zurückgenommen hat.
In einer Reihe von Fällen ist der Nominativ Plural zum Aus
gangspunkte der türkischen Nominalbildung genommen worden,
und zwar fast immer der sächliche auf -a. So verhalten sich
fsluria : cplwqi, kanaria : v.aväqi, pupla : novnov'kov, barbunia :
(.iTtaqimovvL, istridia : azoldi, midia : gtidi, paguria : jtayovgi,
kukulia : v.ov/.ovLl, fasulia : cpaaovh, izmaola : apsovqov, lahana :
Xaxavov, lastaria : ßlaat&Qi, musmula : geanikov, pizelia : niQs'ki,
prasa : jtqaoov, radilcia : (jadixi, ispitalie : omzcdi, %ulja : yokiov,
salja : aakiov, tugla : zovßlov, piata : jwktov, Her ata : Y.eoctTOv,
kadsrga : Y.chsqyov. Aehnlich sind entstanden pines und domates
von den Pluralen zu nivva und vropara, und kaSer aus dem
rumänischen Plural casuri. Diese Erscheinung des Ausgehens
vom Neutrum Plural erinnert durchaus an die romanische Er
scheinung, dass die Neutra auf -a in die erste Declination
übertretend zu Femininen werden (Diez, Grammatik H 23), eine
Eigentümlichkeit, welche das Albanische mit den romanischen
Sprachen theilt (meine Alb. Studien I 99).
Eine andere aus den romanischen Sprachen wohl be
kannte Erscheinung ist die Verschmelzung des Artikels. mit
dem Substantivum, die in lostaria ,Gasthaus' aus it. l’osteria
beobachtet wird.
Von lautlichen Erscheinungen, die bei der Aufnahme der
fremden Wörter ins Türkische auf ihre Gestaltung Einfluss
gehabt haben, seien hier einige kurz besprochen.
14
I. .Abhandlung: Meyer.
Ein tonloses i oder e wird im Türkischen zu a in der
Nachbarschaft von dunklen Vocalen; vg'l. z. B. anaytcir: ävoiyiäQi,
anasun : üvrjoov, cicarun : Cicerone, kumandarici : y.ovj.ievTagLo:,
malluta : /.nftwvrj, panajir : navryyvgi, camariva : cima arriva.
Auf diese Weise erklärt sich auch istambol ,Constan-
tinopef, das zweifellos aus elg %rjv IIoliv entstanden ist; man
hat thöricliter Weise zur Erklärung des a an ein dorisches
rav 7c6I.lv anknüpfen wollen. Durch Volksetymologie ist der
Name in J^\Uo\ islambol ,le foyer de l’islanf (Barbier de
Meynard I 48) umgedeutet worden. Analog ist istanlcöj
für ; Kos' = vrjv Kü, woraus das ital. Istanchio entstanden ist •
am Schlüsse liegt wohl volksetymologische Anlehnung an türkisch
.Dorf vor. Sonst ist das griechische rty als tin zu er
kennen, vgl. istindil = Trjvog. Auf das hier besprochene
Lautgesetz hat schon Korsch im Archiv für slavische Philologie
VIII 649 hingewiesen.
Umgekehrt ist a o u neben hellen Vocalen zu i geworden;
vgl. z. B. islcite: o/.aDL, kalinis: ylaoog, ivatine: äßoözovov, misltet:
moschetto, pinial: pugnale. Gewiss steht diese so wie die vor
hergehende Erscheinung im Zusammenhänge mit der Vocal-
harmonie der Türksprachen, die hier gewissermassen noch in
ihren letzten Zuckungen wirkt, da von einer gesetzmässig be
gründeten Einwirkung der Vocalharmonie auf Fremdwörter der
osmanischen Schriftsprache und der von ihr beeinflussten Volks
sprache kaum die Rede sein kann. Vgl. Radloff, Phonetik der
nördlichen Turksprachen 48.
Auch der Uebergang betonter a und o in e nach soge
nannten palatalen Vocalen hängt wohl mit der Vocalharmonie
zusammen. Man vergleiche levreit : laßgani, isterek : mvodyi,
evlek : aisXccxi, lüfer : Xovcpaqi, sünger : ocpovyyagi, semer : oapdgi,
fener : cpavagi, Kiler : ■/.ellagi, demet : degäri, dümen : xluovi,
aber mantar : uavLtdoi, ispanak : a/cavuy.i. Merkwürdig ist liman :
XiLLeva.
Von den in das Gebiet der Consonanten gehörenden Er
scheinungen ist schon öfters auf die Behandlung anlautender
Doppelconsonanz in Fremdwörtern hingewiesen worden. Vgl.
z. B. Blau, Bosnisch-türkische Sprachdenkmäler 38ff. Miklo-
sich, Die slavisclien u. s. w. Elemente im türkischen Sprach
schatz 24f. In den aus dem Griechischen und Romanischen
Türkische Studien. I.
15
stammenden Wörtern wird anlautende Doppelconsonanz in
folgender Weise beseitigt:
1. durch Vorschlag eines Vocales, und zwar, allerdings
nicht ganz regelmässig, i vor e und i der nächsten Silbe, e
(== §) vor a o u, ü vor ü.
sic-: iskite : axaS-i, eskorpit : axognldi, sskumru axovfmol,
sskurcune : scorzonerci, iskardiun : a-xogdiov (persisch), iskelet :
oxelszög, sslcorbut: axogprcovro, iisküf: scuffia, islierlet: scarlatto,
üskül : axövlL, sskaca : scassa, eskalera : scala reale, sskandze :
scangio, eskarce : scarico, sskarmoz : <rx.alf.i6g, eskarso : scarso,
sskopamar : scopamari, sskute : scotte, iskele : scala, iskandil :
axavdili, iskemle : axufivi Auch eskara ist auf ngr. Gxdga, nicht
auf loyaga zu beziehen.
st-: sstakos : azaxög (nicht = daxaxog'), istavrit : Gxavgni]g,
istrongilo : axQoyyvla, istridia : gzqlöi, isterek : mvotc/.i,, üstüpü :
ozovTti, sstofa : Stoff‘a, sstufato : stufato, istavroz: azavQÖg, istifan:
ozscpavog, estabel : stabulum, esturpa : stroppo, istalia : stallia,
istif: stivare, istinga : aziyyctQco, istralie : straglio, istromaSa :
stramazzo.
sp-: ispinoz : arr.lvog, sspari : anauog, ispanak : onaväxi
(persisch), ispinöiar : speziale, ispitalie : muzah, Eiporta : sporta,
ispirito : spirito, ispaoli : spaolo, isparcina : sparcina, ispati
(auch izbati) : anadi.
sbizbandit : sbandito, isbir : sbirro.
sm-\ izmarid : Oftagida, izmaola : apeovgov. Vgl. den Stadt
namen izmir ,Smyrna'.
gr-: egreb : yglnog.
pt-: ipteri : msgig.
Der Vorschlag eines Vocals vor mit s beginnenden Con-
sonantengruppen ist auch aus anderen Sprachgebieten bekannt,
z. B. aus dem Vulgärlateinischen, dem Romanischen und dem
Litauischen. In meiner Griechischen Grammatik 2 116 habe
ich aus eine] - griechischen Inschrift Pisidiens 'Iaxvpvog, ' lorga-
•vuozrjg angeführt; ebenfalls aus Pisidien stammen Eiaxgaxiüvgg
American Journal of Archeology II 266, 57 und 'iaxepainaiv
Bulletin de correspondance hellenique XI 194, 4. Aus den
Inscriptiones Siciliae et Italiae graecae von Kaibel notire ich
iangg 48 (aus Syrakus) = angg 42, lat. spes, und £tazaß(l)agi(g)
16
I. Abhandlung: Meyer.
2253 (aus Pesaro) = stab (u)lärius, beides natürlich auf
Rechnung vulgärlateinisclier Lautgewohnheit kommend.
Es mag hier bemerkt werden, dass auch in den türkischen
Städtenamen, die auf die griechische Verbindung von sig mit
folgendem Accusativ zurückgehen, das anlautende i auf Rech
nung dieser türkischen Lautgewohnheit zu setzen ist. Man hat
aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr von der vollen Form
der Präposition sig, sondern von dem verstümmelten vulgären ’g
auszugehen: istambol ist nicht sig zrjv JloXiv, sondern ’g zrjv
Tlöhv. Es gehören hierher ausser den schon oben genannten
istindil und istanlcöj noch die ohne Artikel gebildeten Formen
izmid aus 3 g (Niv.o)prjdsiav (auch iznikmid Bianchi
I 66), iznik = ’g Niy.cuav. samsun — ’g '[/luiaov
konnte des Vorschlages entbehren, ebenso susam = ’g
2äpov, wo u lautliche Entwicklung ist. Die beiden letzten
Formen beweisen direct, dass ’g, nicht sig ins Türkische über
ging. Ueber die Bedeutung der Verbindung von sig mit
Städtenamen vgl. Miklosich, Nachträge II 130.
2. Durch Einschiebung eines Vocals in die Consonanten-
grüppe; dies geschieht meistens bei solchen Consonantengruppen,
deren zweiter Bestandtheil eine Liquida ist.
kr-: ksreb : crepe, ksranete : clarinetto. Die Insel Kreta
heisst neben
kl-: kalinos : ylavög, liilid : yiXelda, Icilisse : exxXgala.
/r-: yirizrna : yoürua.
tr-: tsrapeza : zoans'Qa, tsragss : xqdyog, tirinliet: trinchetta.
Vgl. den Stadtnamen tsryala : TqixaXa.
pr-: pirebulu : nqonoXig, paracol : bracciuolo.
pl-: pilaki : nXay.rj, pslatine : platina, pslanja : irXana,
pslancete : planchette.
fl-:filcimur : cpXapovqi, fsluria : cpXcbqi, fsluri : cpliogi, filama:
flamma. Hielier gehört auch das durch Vermittlung des bulg.
flinta aus dem Deutschen stammende filinta ,kleines Jagd
gewehr'. Barb. II, 427.
gr-: gurus : grossus, gsram : gramme.
br-: boros : brocke, bsrage : braga, bsranda : branda, bsrasia :
braccia.
Türkische Studien. T.
17
Ausserdem in betaris neben ipteri : msglg, silierlet neben
istterlet : scarlatto, suturlab neben usturlab : äarooläßog.
3. Bei Consonantengruppen, deren zweiter Bestandteil eine
Liquida ist, kann Umstellung der Liquida mit dem folgenden
Yocale eintreten. So in tsrpan : ögenccvi, ferkata : fregata (gr.
(pegyada), gurcata : crocetta, perJcende : brigantino.
4. Die Consonantengruppe wird durch Verdrängung eines
Consonanten erleichtert. So in fanila -.flanella; hier ist Dissi
milation von dem zweiten l mit im Spiele, sünyer : acpovyyctQi. la-
staria : ßXaurdot. Vgl. das aus dem Slavischen stammende
ladilca neben vladika.
Wie übrigens dem Osmanli selbst in echt türkischen
Wörtern doppelconsonantischer Anlaut nicht ganz fremd ist
(brakmak ,wegwerfen*, tras etmek ,rasiren*), besonders in vulgärer
Aussprache (vgl. Blau a. a. 0. 38), so kommt er auch in Lehn
wörtern vor, z. B. trampa, trampeta, trapeza neben terapeza u. s. w.
Die Stadt Trapezunt heisst A ^j^A, gesprochen trabzun
und tarcibozan. Ueber das Verhalten der nördlichen Türkdialekte
zu zweiconsonantischem Anlaut vgl. Radloff, Phonetik 170 ff. Er
ist hier in einheimischen Wörtern meist durch Ausfall eines
Vocals später entstanden und wird in Lehnwörtern durch die
selben Mittel beseitigt wie im Osmanischen.
Vorschlag eines Vocals stellt sich auch bei r ein, ,welches
als Anlaut im Westtürkischen nur mit Hilfe eines Vorgesetzten
Vocals ausgesprochen werden kann* (Vämbery, Etymologisches
Wörterbuch, S. XVI). Dies gilt nur von der Volkssprache; die
Sprache der Gebildeten kann anlautendes r- sprechen, wie auch
die Schrift den Vorschlagvocal nicht consequent ausdrückt. In
arabischen und persischen Wörtern ist , häufiger Anlaut, und
auch ausserhalb dieses Kreises spricht man ^ rum und urum
,Römer*, rus und urus ,Russe*, ruba und uruba aus it. roba,
rial und irial aus span. real.
Inlautende Consonantengruppen sind nichts Ungewöhn
liches. Bei solchen mit einer Liquida hat sich manchmal, ganz
analog den Verhältnissen in den arischen Sprachen, ein Vocal
entwickelt, so dass z. B. aus -/Jatoov Icestere, aus (povovog furun
geworden ist. Aehnlich tanida neben tanta = — it. tenda. -gr- zu -r-
in sinarit : avvctyoiiia; -vr- zu -v- in ivatine : äßoövoror, zu -r- in
Sitzungsber. <1. phil.-hist. CI. CXXVIII. Bd. 1. Abb. 2
18
I. Abhandlung: Meyer.
suturis neben setevris : GeTe(g.)ßQig, ayteris : d'/.TibßQig, dagegen
aber pedavra : tzetuvoov.
Umstellung der Liquida im Wortinnern zeigt sich neben j
in yojrad neben yorjad aus ycugiax^g, pojraz neben porjaz aus
ßoQLäg, baljos neben bajlos aus bailo. Aehnlicli zelve aus £sD/la
^svyXa. Beim Nasal ,^-ÖLo manja = Maina, die gr. TMävri ge
nannte G-egend des Peloponnes. Zu vergleichen ist bajrak barjak
,Fairneß bajram barjam ,Fest', aderbidzanisch ’arvat statt ’avrat
,Frau', kerpi statt liöprü ,Brücke'. Vgl. Vämbery, Etymologisches
Wörterbuch XVII; Zenker, Grammatik der türkisch-tatarischen
Sprache XIV. Auch gümrülc aus xovfieQxioi', also für * gümürll
ist in diesem Zusammenhänge zu erwähnen.
Dissimilation zweier r liegt in silistra aus ovylaxga vor,
die gleiche Erscheinung bei zwei n in torina aus xovviva. Wie
Nasal und Liquida bei Dissimilationen sich vertreten, zeigen
die romanischen im Et. Wtb. d. Alb. S. 300 unter ndsron zu
sammengestellten Beispiele.
Was die Vertretung einzelner Laute anbetrifft, so ist etwa
noch Folgendes zu bemerken.
Gi'iech. & ist türk, t (o und b); z. B. iskite : crx.a-9-i, aterine:
a-9-eoLva, matis : ge&vaog, temel : S-sgehov, tolos : &6Xog, kavata:
xaßa&ct, talaz : d-alaoaa. Das f in logofet : loyod-sxrjg weist
deshalb auf russische Vermittlung, vgl. oben. In ajaslug
,Ephesus' aus "Ayiog Qsolöyog ist & durch das arabische ö,
das ist arabisch = d-, wiedergegeben; entsprechend d durch
> in gajzar aus ycetdagog.
Griech. 71 ist türk. ci> in fendsk aus tcovtly-ov und aus
Tcavdov.eZov, festsk aus nlaxamov, faraklit aus nagär/kryiog-, vgl.
fulja aus it. Puglia. Ebenso ist ß (= v) wiedergegeben in
fesligen : ßcKuXixöv, fees : ßovrai, ferfjun : svcpoqßLOv, vgl. fotin:
bottini. 1 > für ß deutet auf gelehrte Herkunft.
ts wird £: capa : zappa, culcal : %aovv.aXi, cinko : zinco,
polica : polizza, macuna : mazzona. Die slavische Deminutiv
endung -ica erscheint als -ica oder -id£a (Miklosich, Slav. Ele
mente 25) und ist an ein romanisches Wort angetreten in im-
peratorica ,Kaiserin'.
k ist durch Assimilation zu t geworden in titre : xedgia;
st zu sk in patiska : batista, kopuska : kapusta.
Türkische Studien. I.
19
l erscheint als v in pistov ,Pistole', was auf ein slavisches
Medium (l) deutet. Für n ist l eingetreten in lodos : vörog,
womit 05j .U für 0ir k> zu vergleichen ist.
In der Transscription der türkischen Laute bezeichne ich
den ,unbestimmten Vocal' mit s, die Zischlaute oJ ^ ^ mit
s, > ■ jp h mit z, mit s, j mit &, g mit c, E mit dz; ^ und
£ mit /, ü mit h, im Auslaute gar nicht, j mit k, £ mit g,
Kif mit Ti, mit g. Das Uebrige ist selbstverständlich.
Es folgen nun die Wortverzeichnisse in folgenden Ab
schnitten: I. Vögel. II. Fische und andere Wasserthiere. III. An
dere Thiere. IV. Pflanzenreich. V. Mineralreich. VI. Der
Mensch, seine Eigenschaften und Beschäftigungen. VII. Der
Körper und seine Krankheiten. VIII. Natur, Land, Stadt.
IX. Haus, Wohnung. X. Hausgeräth. XI. Handwerke, Gleräthe
u. ä. XH. Gefässe. XIII. Kleidung und Schmuck. XIV. Stoffe.
XV. Nahrungsmittel. XVI. Ackerbau, Viehzucht. XVII. Spiele
und Künste. XVIII. Plandel und Verkehr. XIX. Münzen,
Masse, Gewichte. XX. Christliche Kirche. XXI. Staatswesen.
XXH. Militärwesen. XXIII. Seewesen. XXIV. Verschiedene
Neologismen.
I. Vögel.
JUuLäj bekasa Bilguer 28, bekatsa Loebel 188 ,Schnepfe':
it. bec,accia, venez. becazza, ngr. iniaz.uT.aa.
Jo bedenos ,Art Vogel mit einer Haube' Bianchi I 337:
ngr. rrsTSLvog heisst nur ,Hahn', und dies bedeutet das Wort
auch im Osttürkischen nach Pavet de Courteille 157.
«.Äili fanta ,nom d’origine etrangere qui s’applique a un
oiseau au plumage bleu, de l’ordre des passereaux' Barb. II 398:
gr. cpaveza ,Hänfling' Pandora VIII 422 aus it. fanetto ,canna-
bina linota' Giglioli I 82.
fsluria, felorja, florja ,Goldammer, emberiza citri-
nella' nach Jussuf, richtig oriolus galbula: gr. (plwQi Bik. Vyz.
,loriot, verdier' neben ylotoiov ,loriot' Legrand, agr. yhoolon’
yhogtg. Ind. Arist. 851, wo aus Erhard, Fauna der Cykladen
44, 20 ngr. tpiogi angeführt wird. Auf die Form mit <p ist
vielleicht schon Suidas II 1516 Bernh. zu beziehen: cpXÖQog, %ö
dovEOv, dicc TOÜ o fUKQOV.
2*
20
I. Abhandlung: Meyer.
^>.s>.^yXS filordzin ,oiseau de la famille du pinson' Barb.
II 427: wohl it. fringuello, wovon Giglioli I 52 die dialektischen
Formen frungillo, frongillo, filinguello u. a. anführt.
axCwl iskite, iskete ,kleiner Vogel, arab. Barb. I 55;
nach Juss. 483 ,serin vert': gr. öY.ad-l ,tarin' (,Zeisig') Vyz.
aus agr. äy.avdig.
ispinoz ,Fink': gr. amvog dass.
(j«..t..t.Jb' kalinis, nach Barb. II 471 eine Art Möwe mit
essbarem Fleisch, nach Jussuf 525 ,Wasserhuhn', ,fulica': wohl
it. galinazza (de mär) Giglioli I 580; oder einfach gallina mit
griechischem Plural -eg.
20. Lti' kanarja ,Kanarienvogel': ngr. y.aväoi; vom Plural
y.avaoia.
fjuyXSyji kuknus ,wunderbarer Vogel, Art Phönix'. Barb.
II 568 vermuthet, das Wort sei lediglich die Transscription des
gr. ytvy.vog, und weist darauf hin, dass in den Sagen von diesem
Wundervogel sich Züge finden, die an den Gesang des sterbenden
Schwanes ebenso erinnern wie an den Tod und die Wiederkehr
des Phönix. Unrichtig ist auf jeden Fall die Ansicht Barbier
de Meynard’s II 567, dass auch kogu ,Schwan' aus
griech. v.vYvog stamme, denn das Wort findet sich auch sonst
in den türkischen Sprachen: osttürkisch ,cygne' Pavet de
Courteille 433; tat. ys kü ,Schwan', uigur. ? i!yi ,Wildgans'
Budagov II 85.
jiyi kuku ,Kukuk' ist ein lautnachahmendes Wort, das
nicht aus den occidentalisclien Sprachen entlehnt ist.
^yi lori ,rother ostindischer Papagei', ,psittacus lori' Bai-b.
II 707: frz. lori dass. Das Wort ist natürlich ein fremdes.
^vLo marti ,Eisvogel, alcedo ispida': it. niartin pesca-
tore dass.
ulftbb, (jbLo papagan ,Papagei'. Es ist fraglich, ob
dieses fremde Wort aus den europäischen Sprachen ins Tür
kische gekommen ist.
adb^j pupla ,Flaumfeder' Barb. I 412: gr. rtovitovlov
,Flaumfeder, Milchhaar', das wohl romanisch ist. Vgl. Et. Wtb.
d. Alb. 358, wo Meyer-Lübke pavesisch pupla ,mazzochio'
nachgetragen hat. Unrichtig Mi., Naclitr. II 15.
Türkische Studien. I.
21
y&*o sakr ,Falke, Sperber* Bianchi II 114: arabisch, aus
lat. sacer. Hehn, Kulturpflanzen 2 526.
tavus ,Pfau* Barb. II 271. Aus dem arab. oder
pers. Dies ist das griech. tätig, über dessen Ursprung
Benfey, Wurzellexikon II 236; Hehn, Culturpflanzen 304 ge
handelt haben.
zaganos ,oiseau de cliasse, du genre faucon* Barb.
II 34, der an griechischen Ursprung denkt. Ich weiss kein
griechisches Wort zur Vergleichung; taixvtäg, an das man allen
falls denken könnte, ist nach Bik. 14 ,Reiher*, das ihm ent
sprechende agr. xvxv'iag wird mit ,weisser Adler* erklärt.
II. Fische und andere Wasserthiere.
ayiapod, sytapot ,Art Polyp*, auch ,Polyp* und
,Krebs* als Krankheit: dytartööi ,Polyp* = oxtairödi DC., ov.ra-
itöörjs bei Nikandros. Alb. aftapöd-, eftapöd-, bu. se. ahtapod.
Uol ania ,Sardelle* RadloffI243: frz. anchois ,Sardelle*,
,Anchovis*.
aterine, nach Zenker 7 b atrsna ,atherina hepsetus,
Aehrenfisch*: gr. ddsoiva ,halvet, epi*, agr. ädsolvg.
xUU balenci ,Walfisch*: it. balena. Aus gr. (pakiavog
stammt ^ falionos ,baieine*; ,c’est le nom scientifique que
les auteurs turcs donnent a ce cetace* Barbier II 398. Ueber
cpalittvog, das gewiss von cpdlcava stammt, sagt Yyzantios 497:
,xfjtog tö bnolov (paivetai ev'iots sig tdv Oocr/.r/.öv BötJirooov ;* er
ist geneigt, darin den Pottfisch oder den delphinus phocaena
(Meerschwein) zu sehen.
barbunia, barbonie ,Meerbarbe*: it. barbone ,mullus
barbatus*. Die türkische Form stammt zunächst aus dem Plural
von gr. ;iTtccQfXTtoivL.
U«jÄ.c.Ua. Saganos ,Seekrebs*. Du Cange hat tQayavög
,cancer* aus dem Schol. zu Oppian. Hai. I 280: xciqyZvol, trj/.oj-
tLxüg t^ayavoi. Der Ursprung des Wortes ist unklar, das von
Du C. angeführte span, zangano existirt, wie es scheint, in
dieser Bedeutung nicht. Budagov I 477 nimmt für das tür
kische Wort griechischen Ursprung an. taayavög ,Krabbe* wird
22
I. Abhandlung: Meyer.
Syll. VIII 604. IX 353 aus Konstantinopel und Kesan (in Rume-
lien) angeführt, raaydva f. ebenda XVIII 168 aus dem Pontus.
Siroz ,scombre seche au soleil*; übertragen von einem
sehr mageren Menschen. Jussuf 1327. Ist der bei Theod.
Prodromos I 28 Legrand = I 96 Korais vorkommende Tffvuog,
von Legrand mit pnaquereau* übersetzt, von Korais als ff/.ou-
ßo'iov st t i.uy.oov 7taoTw(.i£vov erklärt; aus agr. ov.iooög ,hart*?
dalian, talian ,sorte de cahute en bois
disposee sur F eau pour prendre le poisson*. Barbier I 727,
II 267: gr. tuXluvl ,vivier, piscine*. Ich vermag nicht zu ent
scheiden, welche Sprache die entlehnende ist; das griechische
Wort ist im Griechischen fremd.
delfin, diilfin ,Delphin*, Zenker 433 b: it. delfino,
ngr. dslcpivb.
w-j.jljI sgreb ,grosses Netz zum Fischfang*: gr. yqlnog
,Fischernetz*. Vgl. kroat. grip, bu. se. grib ,Netz*.
yüj sskorpit jMeerscorpion*, ,scorpaena‘: gr. ir/mmißi.
^sskumru, uskumru ,Makrele*: gr. rrÄOuumd., agr.
oy.öußoog. Daraus auch lat. scomber, it. scombro.
yorospine ,poisson large et plat, d’aspect dds-
agreahle et qui fretillc bcaucoup* Barbier I 699; nach Jussuf
427 ,Meerschwein*, ,delphinus phocaena*. Offenbar fremd; ver
dorben aus youoovvmpaoov ?
ipsoros Art Fisch, den die Lexicographen nicht
näher bestimmen. Nach Barbier I 7 aus gr. ipcigog. Ein solches
neugriechisches Wort existirt nicht; ipccQL ist der allgemeine
Name für ,Fisch*, den man hier schwerlich erkennen darf.
ispari, sspari ,Meerbrasse*; ,sparus Salvani*: gr.
OrtctQoq, wahrscheinlich zunächst aus einer Deminutivform anaqi.
ispindilc ,poisson ä levres plates, de Fespece
du Ajß l Barbier I 47. Gewiss fremd.
f istaJcos, sstakos ,Hummer*, auch ,Flusskrebs*:
gr. (jTa/.ög, aus daiay.ög ,Hummer*.
istavrit, nach Jussuf 487 ,sansonnet*, nach
Barbier I 49 ,poisson qui a sur le dos une espece de croix*:
gr. GTuvgbtTjg, das ich aber als Fischname nicht nachweisen kann.
Türkische Studien. I.
23
istrongilo, nach Jussuf 498 ,girelle*, Art Lipp-
fisch: gr. arqoyyvXa, für das hei Vyzantios 4i)2 die Bedeutungen
,mendole‘, ,girelle*, ,cagarel‘, ,susolc*, angegeben werden.
sjJoyUut istridia, sstridia , Auster*: gr. arqidi, ,Auster*
aus datqidiov; vom Plural.
Jo^Lo^l izmarid ,Meergründling*: gr. auaoida ,smaris vul
garis*, agr. afiaqig.
^joIaj, jakamoz ,phosphorescence que laissent voir
certains poissons pendant la nuit*. Jussuf 1247: gr. * diav.af.L0g
(von vai(o)‘i
U*UajU kajtas ,baieine, cetace*. Barb. II 59G. Wohl gr.
vrjrog] aber die Lautgestalt des türkischen Wortes ist sehr
befremdlich. Gelehrtes Wort?
;UlS kalamar ,Tintenfisch*: gr. vaXafiaQi; it. calamaro.
U^-UJUs kalinos ,Wels, silurus glanis*, ein Süsswasserfisch:
gr. yhxvog Bik., yluvog, bei Vyzantios auch yovharög; agr. ylavig
oder ylavlg. Den Lauten entspricht besser ylfjvog, ylXvog Vyz. 95
,baveuse, boujaron*.
kanbot, kunbut, nach Barb. II 540 ,mugil cephalus*:
aber cabot oder chabot, das er sowohl als auch Jussuf 529 als
den französischen Namen des Fisches angeben, ist vielmehr
,cottus gobio*, ,Kaulkopf*. Der türkische Name ist aus einem
dem frz. cabot, chabot, port. chaboz entsprechenden italienischen
Worte entlehnt.
karidis ,Meerkrebs*: gr. vaqiöa, agr. vaoig ,Meiner
Seekrebs*. Vom Plural vaq'idsg.
jydfS koljoz ,Art Makrele*: gr. voXiog, agr. voXiag ,scomber
scombrus*.
JlöS' liefal ,mugil cephalus*: gr. vscpalog dass. Eine Ab
art heisst JUS jl.
lalierda ,eingesalzener Thunfisch*: gr. Xavegda aus
lat. lacerta, das auch einen der Makrele ähnlichen Seefisch,
den Stöcker, bezeichnete. Korais ""Aravra IV 277.
xÄ-oif lapina ,roth und grün gesprenkelter Fisch mit
schlecht schmeckendem Fleisch*: gr. Xarciva ,tanche* Legrand,
d. i. ,Meerschleie*, labrus tinca. Bei Bikelas 26 XrjitaLva ,creni-
labrus lapina*.
24
I. Abhandlung: Meyer.
. V levrelc,Seewolf, ,anarrhichas lupus': gr. haßguu ,lo up-
marin', agr. Xaßouß
syXjjyi*! likorinoz ,Art Meeräsche' Barb. II 710; nach
Jussuf 659 ,geräucherte Meeräsche': gr. Iv/moolvl ,mulet blanc'
Legrand, 'Lv/mvooIvi oder kv/.ovgou’og Vyz., der hinzufügt ,zoivo-
tsqov r)vofiÜLovi,ai tu ßrjou ij ‘/Miiviaxa xecpcclörcovla (Meeräschen)'.
lipari ,Fisch aus der Familie der scombri': gr.
hnuQig, Bik. 27 nach Belon.
y va] livar ,Fischbehälter': byz. ßißüoiov aus lat. vivarium.
Ngr. hßcigi aus dem Türkischen.
*i«J lufer, lüfer ,Art Thunfisch': gr. lovcpdgt,, yovipdqi
,lichia amia' Bik., ,bonite, boniton' Legr. Vyz. Berühmt waren
schon im Alterthum die bei Byzanz gefangenen äplai. Der
Name stammt von yöpcpog.
^merlanos,Weissling, gadus merlangus': it. merlano.
mürsin, mersin ,Stör, acipenser sturio'. Ngr. psqaivi
stammt aus dem Türkischen. Zu Grunde liegt apsqvva, auvowa,
Nebenform von govqovva, ,esturgeon', s. u.
20A.« inidja ,Muschel': gr. pvöt, Deminutiv von uvg, wie
frz. moule deutsch Muschel = musculus ist. Das türkische Wort
ist vom Plural gebildet.
morina ,Muräne', ,muraena helena und in. conger',
auch ,Kabeljau', ,gadus morhua': ngr. uovgovvu (ffpeqvva, auvgiva)
aus agr.- gvqcuva ist nach Bik. ,muraena helena', nach Vyz.
,esturgeon'.
\1 orliinoz ,Butzkopf, delphinus orca': ngr. ooymvoq
,tonno' Somav. 454, agr. dg/.vg, doxvvog ,grosse Thunfischart'.
Vgl. alb. orgun, rejjün Etym. Würterb. 316. Die für das Grie
chische angegebenen Bedeutungen sind ungenau; vgl. auch Bonitz,
Ind. Aristot. 525.
pacuz ,espece de gros muge ou mulet' Jussuf 933,
also mugil cephalus oder mullus barbatus. Erinnert an gr. naraög
,stumpfnasig' Korais, At. V 280.
paguria, pagurie ,Art kleiner Taschenkrebs': ngr.
uayovüi ,eerevisse de mer' von agr. miyovoog. Vom Plural
gebildet.
Türkische Studien. I.
25
palamud ,scomber pelamys (Bonito)' oder ,scomber
thynnus (Thunfisch)': ngr. tcaXapvda von agr. nrjXapvg.
peSota ,Fisch aus der Familie der scombri': ngr.
rteiaovda ,grosser Thunfisch'. Der Name bedeutet ,ein grosses
Stück' und ist ein Augmentativum zu dem Deminutivum jcetoovÖl
(vgl. Hatzidakis, Einleitung in die ngr. Grammatik 93. 364),
das von it. pezzo stammt. Auch nevaa und rcevai gehören dazu.
pelatrine, platrina ,poisson de la famille du muge
ou mulet' Barb. I 405. Jussuf958: ngr. ist rcXaxixaa der Name
einer Art mulet (Vyz. 388), doch das kann nicht die Quelle
des türkischen Wortes sein. Man ist versucht, an ein gr. * nXa-
TVQQivog zu denken: derselbe Fisch heisst geräuchert Xvv.oooivL,
s. o. unter
pilalci ,Art Fischgericht mit pikanter Sauce': ngr.
nXccAfj. Vyz. 388.
pines ,Art essbare Seemuschel': gr. rcivva ,Stoch-
muschel'. Die türkische Form ist der Nom. Acc. Plural jtivveg.
pisi ,turbot ou barbue' Barb. I 400, wohl ,pleuro-
nectes maximus'. Ist nach Barb. it. pesce (venez. pesse): der
Fisch soll pesce di mare heissen.
ringa ,Häring': it. aringa; daraus auch ngr. äqsyya,
qeyya.
salamon ,Lachs, Salm' Zenker 572c: it. salcimone.
Aus dem Türkischen ngr. aaXapöv Legrand.
hii^Lw, LJö)La sardela, sardelja ,Sardelle': it. sardella,
gr. oaqdeXXa. Die zweite Form ist Plural naoösUja von aaqdeXXi.
sarpa ,Art Fisch' Jussuf 1025: it. sarpa ist sparus
salpa, Goldstrich.
sinarit ,Sorte de requin' Jussuf 1069: gr. avva-
ygida ,sparus dentex, Zahnbrassen' aus agr. ovvuyqig.
L.^w, sipid, siibje ,Tintenfisch': ngr. arj-itiä, aovma
aus agr. arptia.
j&jm sünger ,Schwamm': ngr. ffcpovyyccqi. von agr. acpöyyog.
xibJa terpane ,Art Haifisch' ,dont la queue se termine
en faucille' Barb. 11 283: also offenbar gr. dqejzavi, obwohl ich
dies als Fischname nicht nachzuweisen vermag.
26
I. Abhandlung: Meyer.
tiryos ,Sardelle': gr. zoiyog, zgiyiog ,Sardine', agr.
ZQi/lag, zoi'/jS-
Je trayonja, trciyunja ,Art Fisch aus der Familie der
scombri': man kann an trachinus draco denken, gr. doäv.aiva
oder ÖQaxaivig (vielleicht ein Deminutivum * dgaxaivLov?) oder
an den von den Alten zgayougog genannten Fisch.
xäjjyio torina, turina ,Art Delphin': ist wohl gr. zovviva
aus it. tonnina ,Thunfisch'; die Bedeutung wäre dann ungenau.
Vgl. übrigens zu dieser Verschiebung der Bedeutung, sowie zu
der Dissimilation des ersten n galizisch-portugiesisch toulino ,del-
phinus phocaena, Meerschwein'.
tun, tun ,Thunfisch': gr. 0-vvvog. Das Wort ist aus
dem Griechischen bereits ins Arabische und von da ins Tür
kische eingedrungen. Arabisch neben auch
vatoz, nach Barb. II 837 eine Art Haifisch, nach
Jussuf 1227 eine Art rhombus (turbot): ngr. ßazog ,Stachel-
roche', ,raja pastinaca'; vgl. Ind. Aristot. 135.
zargana ,Meeraal, muraena conger' Jussuf 1296:
ngr. Gagywvog, nuoyilm] ist nach Bik. ,belone acus'.
Occidentalischen Ursprungs verdächtig, aber mir vorläufig
nicht Idar sind noch folgende Fischnamen: f Uo_,b oder
barsam oder varsan ,poisson de la famille des scomberoides'
Barb. I 257; f 2,U barlam ,gros poisson de la famille du scombre'
Barb. I 259; citari ,gade' Jussuf 172; nisgra
,poisson de la famille des murenes; grosse anguille' Barb. II 806;
sülna ,petit coquillage de mer' Barb. II 113; torik
,petit pelamide' Jussuf 1195; vunus ,petit d’une espece
de scombre de petite taille' Barb. II 846.
III. Andere Tliiere.
ygaizar ,Esel' Bianchi II 337: ngr. yatdaoog. Vgl.
meine Ausführungen in den Indogermanischen Forschungen
I 320 f.
birzun, bürzun ,Wallach; Lastpferd' Bianchi I 348:
arabisch, aus byz. ßovgdiov, lat. burdo. Frankel 106.
picin ,kleiner Affe', vieux mot nach Jussuf
955. Man denkt an it. piccino ,klein'.
Türkische Studien. I.
27
xJOj videla junges Kalb'; auch ,Kalbleder': it. vitello
,Kalb, Kalbfell', venez. vedelo; ngr. ßiöllo.
■pw\\ Jl saliangoz ,Schnecke': ngr. aähayxog dass. Das
Wort kommt von aialov ,Speichel, Geifer', ngr. aa/.iov.
Ich schliesse hier an:
nj.Sy.syls, kukulja, kukunja ,Cocon der Seiden
raupe': ngr. y.ov/Mvh,, vom Plural. Vgl. Etym. Wörterb. des
Alb. 211.
pirebulu , Vorwachs, Bienenharz': gr. ngonoUq.
(Xjjljyo mürvarid ,Perle' Bianchi II 872: persisch, aus
gr. gagyagicgq. Nöldeke, Pers. Stud. II 44.
IV. Pflanzenreich.
abanos, abcmoz ,Ebenholz': agr. sßevog. Das
Wort stammt im Türkischen zunächst aus dem Arabischen.
Mi., Tü. El. I 5. Man vergleicht hehr. D'jan, das auch fremd
zu sein scheint. Vgl. Pott in Lassen’s Zeitschrift V 74. Aus
dem Türkischen ngr. «gnavdQi. Legrand.
I absent, ,Absinth' Jussuf 3: Neologismus aus frz.
absinthe für ^..Jo. Aus äxfjivd-u/v stammt, mit Umstellung von
-ps-, arab. KuLW
^«.Ail afiun, afion ,Opium': agr. otuov. Das türkische
Wort stammt zunächst aus dem Arabischen, aus dem Türkischen
ngr. dcpiibn u. s. w. Mi., Tü. El. I 6. Nachtr. I 2. Anders Korsch,
Archiv für slav. Philol. VIII 647. ebiun Bianchi I 13
stammt direct aus otuov.
agridos ,especc de daphne, Kcllerhals, Seidel
bast' Radloff I 175; nach Barb. I 78 ,daphne gnidium'. Scheint
aus y.viäiov entstanden.
akantiun ,Distelart' Bianchi I 160: gr. dzüvd-iov;
auch arabisch.
Lywül akasia ,Akazie': frz. acacia.
ananas ,Ananas': frz. ananas.
anisun Zenker 110a, bei Radloff 1230 anason
,Anis': mgr. ngr. üvloov; bei Herodot IV 71 liest man üw^aor,
28
I. Abhandlung: Meyer.
als attische Form wird dvrftov angeführt. Arabisch ist
oder ü5 ^bb. Vgl. Mi., Tü. El. I 12. Nachtr. I 5. Korsch im
Archiv für slav. Philol. VIII 649. Arabisch sind äviaovv und
ävaoav bei Du Gange.
aristoloyia Bianchi I 54: dourroloyla.
arnika ,arnica montana' Jussuf 44: it. arnica.
asfiradz, isfiradz ,Spargeh ist persisch; das pers.
Wort nach Vullers I 98 griechisch. Gr. darrägayog ist selbst
iranisches Lehnwort (awestisch spareya). Ngr. ist GTtugayyi oder
(xGcpagüyyi.
baldsran ,Schierling' Bianchi I 318. Budagov
I 237: nach Mi., Tü. El. I 19 lat. it. valeriana, unser Baldrian.
Die Bedeutungen weichen von einander ab.
balsama Barb. I 277, bei Jussuf 74 balsam
,Balsamstrauch': gr. ßalaagov, it. balsamo u. s. w. Das lautliche
Verhältniss von ßulGagov zu hebr. ist nicht klar, vgl. Benfey,
Griech. Wurzellexikon II 65; Muys, Griechenland und der
Orient 25. Arab. 0 l.^b stammt ebenfalls aus dem Griechischen,
und daher türk. viCU^b. Vgl. Lagarde, Abhandlungen 17.
baristarion ,Eisenkraut, verbena officinalis'
Zenker 160 c : gr. TtegiGteqeibv.
barkuk ,prune jaune' Bianchi 1351: arabisch, aus
byz. TCQaiKomov, von praecox, woher Aprikose u. s. w. stammt.
Vgl. Kluge u. d. W.
U^JdL batos ,Art Johannisbeerstrauch' Bianchi I 312: gr.
ßdxog. Nach Ausweis von i_j für ß gelehrtes Wort.
cdbergamot, bergamut ,Art Birne': frz. bergamote.
Dieses selbst stammt aus türk. ^ bej armude , Herren
birne'. Pott in Lassen’s Zeitschrift VII 107.
U^Uäj betaris oder ipteri ,Farnkraut': gr. megig.
bugals, bughtsun ,anchusa officinalis'
Zenker 222 a: gr. ßovyfauooov.
y~yi büber, uj biber, zuweilen auch ^.jL; beberi, Pfeffer'
Barb. I 317. 251: ngr. tutceol oder Ttircsoi, agr. rceuegi. Vgl.
Loew, Aramäische Pflanzennamen 317.
Türkische Studien. I.
29
burandza ,borrago officinalis, Borretsch': ngr. pjto-
odvcaa aus it. borage, borrace, vgl. Strekelj im Archiv für slav.
Philologie XIV 517.
LJI^Uä. eineralia ,Aschenpflanze, cineraria maritima': it.
eineraria, ceneraria.
&Xsl> defne, tefne ,Lorbeerbaum, laurus nobilis': gr. däcpvg.
Bei Blau 271 lefne. Vgl. lacpvrj. öacpvrj. Usoycuoi bei Hesycliios.
düralci, deraJci ,Art Pfirsich': lat. persicum dura-
cinum. Das türkische Wort stammt zunächst aus arah.
und dies aus mgr. öcngaxivov; letzteres ist auch, mit volksety
mologischer Anlehnung an göcSov, zu godätuvov, goöcnuvöv (So-
phoklis, Lex. 971; Korais, At. I 189) geworden. Vgl. Mi.,
Nachtr. II 106.
(jMjLojis domates, tomates ,Liebesapfel, lycopersicum escu-
lentum': ngr. vropara, rogena = span, tomate. Vom Nom.
Acc. Plural.
^2) dzentiane-rumi Blair 156, 32, mit slav. stavje
erklärt, d. i. nach Sulelc 398 rumex acutus: eig. römische Gen
tiana, ngr. ysvviavrj.
■S\, I etjir, Blau 160, 68 ager ,Kalmus', enir Barb. I 96
,Galgant': gr. dyogov. Mi., Nachtr. I 34. II 111. Zunächst aus
persisch jS\ (Vullers 1116) ,acorum'. Im Griechischen wohl fremd.
eleniun ,Alant' Zenker 92 a: gr. h'kl.viov.
LiülAil engelika ,Engelwurz, angelica': gr. äyyehxa, äyye-
hy.rj. Barb. I 128. Nach Zenker 108 c angeline.
^Lüo! enyinar ,Artischocke'. Radloff I 736. Barb. I 128:
ngr. dyyuvaga.
ergamuni ,Anemone, Windrose' Zenker 28 c:
arabisch, aus gr. ägyeuomy
eruka ,Gartenkresse' Barb. I 40. Radloff I 774: it.
eruca. Daneben roka, aus ngr. orr/.a, uov/.a, das auf eirüca
zurückgeht.
eskurcune ,Schwarzwurzel' Barb. I 55: it.
scorzonera.
ferasiun ,marjolaine bätarde' Bianchi II 359:
arabisch ,wilder Lauch', aus gr. ngaatov.
30
I. Abhandlung: Meyer.
xA-wli, x.dya.i fasulia .Bohne/: ngr. (pcxoovh, aus lat.
phaseolus und dies von agr. qiäaglog. Vom Plural qtuaovha.
fsndsk ,Haselnuss': gr. jtovtlkov (xäqvov) dass. Aus
dem Türkischen wieder ngr. cpovvrovyu. Vgl. Mi., Tu. El. I 60.
Pers. arab. Vullers II 693. Frankel 139. Der weiche
Dental kommt auf Rechnung der griechischen Aussprache.
iyi fsrfjun,Euphorbium': gr. sicpÖQßiov. Es ist möglich,
dass das griechische Wort die volksetymologische Umgestaltung
eines Fremdwortes ist. Arab. oder daraus cpagcpidvi,
bei Du Cange. Pott in Lassen’s Zeitschrift VII 98.
fesligen, feslijen ,Basilicum': gr. ßaaiXinöv. Mi.,
Tu. El. I 60. Mein Et. Wtb. d. Alb. 44. Pott in Kuhn’s Bei
trägen VI 321.
festek ,Pistazie': arabisch, aus gr. tuot<x-/.lov. Et.
Wtb. d. Alb. 109. Persisch aaUaaj.
fidan ,junge Pflanze, Schössling': spätgr. cpvx&vrj.
Dasselbe bedeutet fide, aus ngr. cpvxsia.
fisne, vime ,Weichselkirsche': gr. ßvoennä. Et. Wtb.
d. Alb. 473.
LJ^i fulja Name einer Pflanze, die um 1480 aus Apulien
nach der Türkei gebracht wurde, vulgär sogan ciceji ,Zwiebel
blume' genannt. Barb. II 434: it. Puglia ,Apulien'.
^jü^Lc garikun ,Blätterschwamm' Zenker 644 a: gr.
uyuqiv.öv.
20^Lc gazja ,Kassie, mimosa farnesiana' Barb. II 379:
gr. y.aaala.
yondrili ,cliondrilla juncea': gr. yovÖQikrj.
I iskardiun ,wilder Lauch, allium silvestre' Blau
153, 17. Persisch nach Vullers I 99: gr. gy.öqölov
,eine Pflanze mit Knoblauchsgeruch' zu g-mq(o)öov.
iskolofendrion Bianchi I 91: gr. ir/.rAo-
ttIvÖqlov.
ispanak ,Spinat': ngr. (Jnavav.i aus mgr. gtt.lvciy.iov
= lat. spinaceum. Et. Wtb. d. Alb. 390. Auch pers.
arab. £U_ö_ao\.
Türkische Studien. I.
31
I istereli ,Storaxbaum, Storaxharz': gr. acvoa^, vulgär
arvQÜxi Langkavel 64.
istoyodos ,eternelle' Bianchi I 89: wahrschein
lich gnaphalium stoechas, also aus gr. azoiyäg, *azotyddi.
I istratekos ,Päonie' Zenker 48 c: offenbar
griechisch, doch kenne ich keine Bezeichnung der Pflanze,
welche passte. Etwa azoazrf/og ? die Päonie heisst auch ,Königs
blume, Königsroseh
aüioljj! ivatine ,Eberraute': gr. afioöxovov.
izmaola, szmavla, ezmavula Barb. I 44. Jussuf 281
,Himbeere', nach Barb. gewöhnlich eine ,Art gelber Maulbeere':
ngr. afieovoov ,Himbeere', ,rubus idaeus'. Die Herkunft des
Namens ist mir unbekannt.
kantarion ,Centaurea': gr. xevTctvQiov. Zunächst
aus dem Arabischen.
karanfil ,Gewürznelkenbaum, Nelke' Barb. II 511:
gr. ■/MQvocpv'k'kov ■ weit verbreitet. Mi., Tü. El. I 91. Nachtr. I 59.
Das griechische Wort ist nach A. Weber, Indische Streifen
III 121; Berliner Monatsberichte 1890, S. 912 volksetymo
logische Umgestaltung von ai. katukaphalam. Arab. J_üp>;
kurdisch karafil Justi-Jaba 307. Unrichtig Fränkel 144.
x.Xjo JkLs kardimene ,Kardamome' Zenker 678 b: gr. y.aoöa-
fzivr]- die Bedeutung bei Zenker wird ungenau sein.
karnabit ,Blumenkohl': gr. y.Qafzßidiov von xgdfi/??;,
für das allerdings diese specielle Bedeutung nicht nachzuweisen
ist. Arab. h~Uys\ Vgl. ngr. yovvovrtlöi. Aus y.Qapißr]
stammt - kurunb — lahana Blau 164, 102. Vgl. Löw,
Aramäische Pflanzennamen S. 214. Nöldeke, Pers. Stud. II 44.
j~jiX*S kemedris ,Gamander' Zenker 761 a: gr. yafiaiÖQvg.
liestane ,Kastanie': gr. y.aazavka, y.aazavia ,Ka
stanienbaum' yaaravov ,Kastanie'; lat. castanea ,Kastanie'. Ueber
den vermuthlichen Ursprung des Kastaniennamens s. Lagarde,
Armen. Studien Nr. 1115, S. 75 und Nachrichten der Gött.
Ges. d. Wiss. 1889, S. 299 ff. = Mittheilungen III 206 ff.
sjÄmS, KjZäS Jcestere, küstere, TcöStere ,betonica offlcinalis'
gr. KeffTQOv.
32
I. Abhandlung: Meyer.
dyß ttiraz ,Kirsche': gr. y.Eoacnov. Zunächst aus arab. ^\y>-
kolafun ,Geigenharz': gr. y.olotponia, nämlich qtj-
rivrj, von der Stadt Kolocpwv.
Uuünar ,Art Fichte' Zenker 776 c: ngr. v,ovy.ovraoid.
Et. Wth. d. Alb. 211. Nach Vullers II 919 ist pers.
,capsula papaveris', .seinen papaveris'.
vy-Aj kuneb ,Hanf': gr. y.avvaßig. Zunächst aus dem Ara
bischen, wo das Wort griechisches Lehnwort ist. Löw, Ara
mäische Pflanzennamen 348. Das Wort ist im Griechischen
selbst fremd.
*-*•=> lahana ,Kolik: gr. hkyavov, vom Plural. Aus dem
Türkischen kurd. lahane Justi-Jaba 377.
IjvAUwil lastaria ,Art grosse Runkelrübe oder Kohlrabi'
Barb. Il 695: ngr. ßlaaakoi, besonders ,Stengel des Kohls';
vom Plural. Auch aslov. lästern ,Knospe', se. lastar junges
Rehlaub', rum. lastar ,Schoss, Sprössling'; alb. l'astdr ,Spross'
Et. Wtb. 476.
3 A3. b) lavancla ,Lavendel': it. lavanda, ngr. Xsßüvta
Langkavel 53.
yii logostikon ,Liebstöckel' Zenker 794 a: lat.
ligusticum durch ein griechisches Medium.
U"«-31 magdanos ,Petersilie': ngr. uay.eöovgai., von
Makedonien. Et. Wtb. d. Alb. 253.
LJ magnolija ,Magnolie': aus einer der europäischen
Sprachen, wo das Wort auch Fremdwort ist.
;LkjU mantar ,Pilz': ngr. gaviraüL von agr. äuarlvrjg.
marul ,Lattich' Barb. II 715: byzant. uaoovhov,
Sophoklis Lex. 734, wo es mit lat. amärus in Zusammenhang
gebracht wird, -ovkiov wäre deminutives -ullus. Die Neben
formen gaiovliov und puxiovviov sind volksetymologisch.
mir sin, ittersin ,Myrte': gr. f.ivgaivrj. Daneben das
persische murd aus uvorog. Aus dem Türk. ngr. piegolvt,
z. B. in Cypern, Sakellarios Kunoia/.ä I (1890) 254.
melissa ,Gartenmelisse': gr. uß/.taaa, als Kurzform
von ushaaoßoTavov oder uehaaöyooTOv.
Türkische Studien. I.
33
aJU^Oj-X) musmula /Mispel': gr. (xsaiuXov. Aus dem Türk,
wieder ngr. povopovXov. Eine Contaminationsbildung ist povo-
novlov Korais, At. V 223; uovay.oulov Somavera 1 250 b ist
Volksetymologie, vsanovqov ebenda it. nespolo.
nerd&iSj neryis ,Narzisse': persisches Wort
(Vullers II 1304) und dies aus gr. v&Q-iaoaog. Kurdisch naryis,
nergiz Justi-Jaba 418.
oylamur, iylamur; ogIamur;
filamur ,Linde' Barb. I 24. II 425. Radloff I 1005. 1023: ngr.
(plapovgi. ,Linde'. Das Wort ist den übrigen Türksprachen
fremd, und sein wechselnder Anlaut sowie dessen Gestalt
scheinen auf Entlehnung hinzuweisen. Zudem ist die Linde
kein asiatischer Baum. Aber ich weiss cpXapovgi nicht zu deuten.
Sollte das Wort türkisch sein, so wäre von iylamur auszugehen,
cplccpovQi daraus entlehnt und dann als filamur ins Türkische
zurückgewandert.
LctsLuwi'! oksiakanta ,Berberizenstrauch' Zenker 78 b:
gr. o£tlÜKavd-a.
Li\. I ortanca, & Aav. 3 Ijn y I ortansia ,Hortensie' Barb.
I 148. Juss. 910. Radloff I 1068: it. ortensia, frz. hortensia.
JUuAjl ölcse ,Vogelleim' Barb. I 182: gr. ligög.
palamut, palamud ,Eichel': ngr. ßalaviöi.
Die Lautentsprechung empfiehlt die Zusammenstellung nicht,
die von Zenker herrührt.
papadia, papatia ,Kamille': ngr. nanuSid, das
ich aber als Pflanzennamen nicht nachzuweisen vermag. Rum.
päpädwe, se. papatija. Vgl. Mi., Slav. El. im Türk. 16.
pastinaj ,Pastinake' Zenker 163 b: it. pastinaca.
ajULs aj'lolo patate, badate ,Kartoffel': it. patata, ngr.
naxaxa. Der Name ist missbräuchlich auf die Kartoffel über
tragen worden. Vgl. Candolle, L’origine des plantes cultivees 43.
pc-jyan ,Raute' Bianchi I 432: persisch (Vullers
I 400), daraus arab. Aus gr. nrpyavov.
pentafil ,potentilla reptans, Fünffingerkraut' Barb.
II 410, neben (arab.) pentafilion Bianchi I 391: gr.
TtsvxucpvXXov, * rrevxacpvlhov.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXVIII. Bd. J. Abh.
3
34
I. Abhandlung: Moyor.
; b 7-- psrhar, pernal nach Barl). I 396 ,Stechpalme,
ilex aquifolium'; ,on la confond quelquefois avec le cliene-vert
on yeuse [quercus ilex], a cause de la ressemblance de leur
feuillage'. Letztere Bedeutung wird von Jussuf 950 angegeben:
ngr. ttqlvüql, uouoväoL von agr. nqtvoq bezeichnet verschie
dene Eichenarten (Heldreich, Nutzpflanzen Griechenlands 18.
Fiedler, Reise durch Griechenland I 520), schon nqXvoq wurde
für quercus ilex und ilex aquifolium gebraucht
IjJvj, bJjj pizelia, bizelia ,grüne Erbse': ngr. tclCBa, aus
it. pisello. Vom Plural. Das b- aus venez. biso, biseto, daher
auch ngr. \miCjdU.
J lüj s yi portukal, portokal ,Orange': ngr. rtoqxOY.ukh.
Hehn 390. Mi., Türk. El. II 42. Nachtr. II 14.
s-wljj, prasa ,Lauch': gr. jr.oaaov, vom Plural.
UfbK radiJiia ,cichorium divaricatum': ngr. baöUi,, vgl.
Heldreich, Nutzpflanzen 28. Vom Plural. Zu Grunde liegt
lat. radix.
rezaJci ,Art Traube mit grossen Beeren': ngr. uo'Cavü,
baCay.'i ,Art weisser, wohlschmeckender Traube'. Idatzidakis,
Einleitung 331 sieht darin das lat. rosaceus, wobei mir der
Accent nicht verständlich wird. Man könnte an die Trauben
bezeichnung duracinum denken, wenn Keller, Lateinische Volks
etymologie 234 richtig dafür langes l erschlossen hat: es läge
dann Umstellung, wie in godaxivov (vgl. oben unter duraüi),
und Anlehnung an bo'Qa = it. rosa (Legrand) vor. Indessen
ist das türkische Wort arab. razakij, was ausser einer
Traubenart auch einen Stoff bezeichnet und persisch zu sein
scheint (Fränkel 44).
reiine, recina ,Baumharz': ngr. gsxaivi, it. resina.
Die Wanderung des Wortes ist wahrscheinlich folgende: agr.
qrjzivrj — lat. resina — arab. — türk. — ngr.
betalvi. Seltener ist das direct auf das Griechische zurück
gehende ,--öL ratin Barb. II 8. Vgl. arab. auch türkisch
bei Blau 160, 71.
safran ,Safran' ist gegenüber arab. Jza’feran
die europäische Form dieses fremden Namens.
Türkische Studien. I.
35
saparna, saparine ,smilax sarsaparilla':
entstellt aus it. salsapariglici.
simfit ,onobrychis sativa, Esparsette': gr. avpcpvxov
ist ,Schwarzwurz', ,symphytum officinale'.
> j J L Xjüj ssnavlsz ,Hundszunge' Zenker 520 a: gr. y.vvö-
ylcooaov, aus einer Mundart, die xv- wie xoi- spricht.
sizfun, sizgun ,Brustbeerbaum' Bianclii
II 76: gr. 'CiCwpov.
yk*y5o taryun ,Dragun, artemisia dracunculus': gr. doa-
xövtlov. Vgl. Mi., Nachtr. II 48.
^XXjCyio tereminti ,Terpentinbaum, pistacia tere-
binthus': gr. xsQsßivd-og, rsguivdog.
yAOyb tsrter ,Weinstein' Juss. 1174: it. tartaro, gr. xagragog.
JUb tiriaü ,Theriak', altes Universalheilmittel aus
Pflanzenstoffen: gr. ör^LccKrj. Arab. jbji.
tirfil ,Klee': ngr. zgupvlli, agr. xoicpvXlov.
üyZ'S titre ,Cedernharz' Juss. 1191: gr. xsdgia, xeögid.
X(\Xiyio, SiXJJyJ turfancla ,Erstlingsfrucht' hat man auf
gr. nooxi-oipavijg ,frühreif', von Erstlingsfrüchten, zurückgeführt;
doch vgl. pers. xjOjty ,res quaevis ornata, recens ac vigens'
Vullers I 442; arab. ai^b ,res prirnum visa, nova'. Aus dem
Türk. ngr. roopcxvxo in Cerigo, Jlavdojoa XIX 20.
(j».*oy'S türmüs ,Lupine, Wolfsbohne' Barb. I 461: gr.
&EQgog. Aus dem Arabischen.
«••kyL. veranilca ,Ehrenpreis' Barb. II 839: it. veronica;
gr. ßsgOvixTj.
„ y j b zater ,Gartensaturei, conila sativa': aus arab.
Lat. satureja. Vgl. Löw; Aramäische Pflanzennamen Nr. 270.
V. Mineralreich.
iJj-aÄAujI arsenik ,Arsenik': gr. ägffevixöv.
büritis, büritis ,Feuerstein' Zenker
217 c: gr. ■jvvQLXrjg.
yXX+zy cemento Barb. I 597. 630, Neologismus für
it. cimento.
3*
36
I. Abhandlung: Meyer.
yLUa. üinko ,Zink, Zinkoxyd': it. zinco.
^LJl elmas ,Diamant': gr. ädäfiag, durchs Arabische.
Vgl. Lagarde, Bildung der Nomina 220. Das Wort ist in alle
Turksprachen eingedrungen: Radloff I 438.
oßgv'Qov.
! ibriz ,reines Gold' Bianchi I
8: arabisch, ans gr.
I istubedz, üstübec ,Bleiweiss': entstellt
aus gr. tplg-vdog, xpipv&LOv, wie arab.
cyjjlj jakut,Rubin': arabisch, aus gr. vcc/.iv&og. Fränkel 61.
Persisch jb.sb.
kabuian ,nicht geschnittener Edelstein' Barb.
II 489: frz. cabochon.
magriitis, maknatis, vulg. msyladiz
,Magnet'; Barb. II 776. 780: gr. fxajvrjTrjg.
yoy* mermer ,Marmor': gr. uäouaoog. Arab. marmar.
pirlanti, bsrlante ,Brillant': it. brillante.
xÄl&Ls pslatine, platina ,Platina': aus dem Spanischen.
Gewöhnlich ß\.
punza, ponza, vulgär pamza ,Bimstein' Barb. I 421:
lat. pumex, it. pumice, frz. ponce. Die türkische Form dürfte
zunächst aus russ. pemza stammen, dies ist deutsch.
yCyj pusulan ,Art Erde zu Mörtel' Barb. I 418:
it. pozzolana.
5^^ roza ,Diamantrosette' Barb. II 28: it. rosa.
jooj.*«, jwwo serma ,Goldfaden': gr. ougpcc. Vgl. Mi., Türk.
El. n 55.
Ivu; sim ,Versilberung, Silberplattirung': pers. ,Silber'
und dies aus mgr. ampov (,ungeprägtes) Silber'. Lagarde,
Bildung der Nomina 221. Ngr. äafjpt ,Silber'.
^yoy-yM, sülümen, siilmen ,Quecksilberpräparat,
Schminke': aus sublimätuni.
„y.CL*, sülügen ,Zinnober' Bianchi I 1049: pers.
,Mennig' aus gr. gvqiv.öv. Nöldeke, Pers. Stud. II 45.
Sjycysa sumpere, vulg. sumpara ,Schmirgel' Bianchi II 133:
gr. apvQLg. Pers. kurd. s_,L6y
Türkische Studien. I.
37
uskurun ,Schlacke' Zenker 49 a: gr. aziogia.
Vgl. Et. Wtb. d. Alb. 387.
zernik ,gelber Schwelfelarsenik' Barb. II 39: arab.
pers. gAjj aus gr. ägoevixöv. Zur Metathesis vgl. ngr.
asgvi-/.ög ,männlich' Syllogos VIII 411. Jean Pio, Contes popu-
laires 1 (Epirus). Aus dem Türkischen 'Qigvi/.j ,Arsenik' im
Pontus, Syllogos XVIII 135.
zümriid, zümürrüd ,Smaragd' Barb. 1144: pers. >j-cj
(Vullers II 141), das, wie arab. oAyjj (Fränkel 61) wegen des
anlautenden Zischlautes auf gr. apagaydog, nicht auf dessen
indisches Original zurückgeführt werden muss.
VI. Der Mensch, seine Eigenschaften und
Beschäftigungen.
efendi ,Herr': gr. acpevvrjg aus agr. ccbd-evvt]g; viel
leicht vom Vocativ. Das lautliche Verhältniss der beiden grie
chischen Formen zu einander isf nicht ganz klar, vgl. Hatzidakis,
Einleitung 287.
sinior ,mein Herr', Anrede an Fremde, Barb. II103:
it. signore. Auch musju = frz. monsieur wird bei der Anrede
an Fremde gebraucht.
jJoLo, audoLc mcidam.j maäarna von europäischen Frauen,
Juss. 666: frz. rnadame, it. madama.
ä.jyiyi kokona ,vornehme griechische Dame': gr. -zoxwra;
für das Wort hat Cihac II 649 zum Theil zutreffende Ver
gleichungen beigebracht, wo nur xovxka unrichtig beigemengt ist.
orfan ,Waise' Barb. I 153. Radloff I 1077.
orfana, orfane ,Waise', nach Budagov I 125 in Constantinopel
,Hure', sonst ,Dienerin': gr. ögepavog.
zejjdz ,Ehegatte', zevdze ,Gattin' Barb. II 49:
arab. ,Paar' aus gr. ’Cevyog. Fränkel 106.
Icaranta ,Mann im besten Alter' Zenker 696 b:
it. quaranta ,vierzig'.
cicaron ,geschwätzig' Barb. I 580: it. Cicerone
, Fremdenführer'.
palavra ,Prahlerei': ngr. nakaßga ,Geschwätz'
aus span, palabra ,Wort'. Das Wort ist wahrscheinlich durch
38
I. Abhandlung: Meyer.
die katalanischen Söldner ins Griechische und von da ins Tür
kische gekommen; das zu Grunde liegende lat. parabola ist
selbst wieder griechisch.
JjjjLo marjol ,Schurke 4 Zenker 800 b: it. mariuolo ;
ngr. pagyiökog.
c^jIvJ j-i-, yoirat, yorjat ,grober, ungeschlachter
Mensch' Barb. I 719: gr. yMOLctzijg ,Bauer' von yoioiov.
izbanclit, Räuber; gefährlich aussehender, starker
Mensch' Barb. I 43: it. sbandito ,landesverwiesen'.
(ja! Isss ,Räuber, Dieb' Zenker 793 a: arabisch, aus gr.
Xrjozrjg. Fränkel Voc. peregr. 18.
loyusa ,Wöchnerin': gr. Isyovaa, loyoüau von
agr. leytb.
fejlesuf,Philosoph', übertragen ,schlechter, gott
loser Mensch' Barb. II 437: arabisch, aus gr. cpilöoocpog.
soß, vulg. sofu ,mystischer Philosoph, Fanatiker'
Juss. 1076: arabisch, aus gr. aoepog? Aus dem Griechischen
stammt auch safsata ,Sophismus' Juss. 1005: arab.
,Sophist'.
ispinciar, ispeciar, vulgär Spencer ,Apotheker'
Barb. I 47. Juss. 485: it. speziale ,Apotheker, Droguenhändler'.
Icimia ,chimie, alchimie' Juss. 606: arabisch, aus
yvuda. Vgl. Uber das Wort Gildemeister, Zeitschr. der deutschen
morgenl. Gesellschaft XXX 534 ff. AndersPott, ebenda XXX 6 ff.
j! avokat,Advokat', übertragen spitzfindiger Mensch'.
Juss. 1323: it. avvocato.
kavalir ,Ordensritter, besonders Malteser' Barb.
II 544: it. cavaliere.
z'dßi leerata ,Hahnrei' Barb. II 619: gr. ztoaräg. Vom
Vocativ.
mantona ,Mätresse, ausgehaltene Frau' Barb. II 788:
wohl von it. mantenuta; vgl. mantenir Et. Wtb. d. Alb. 259.
»oifyo, smolacla, moloda ,vieille servante d’origine
etrangere; servante ägee et maladroite' Barb. II 799: it. (am)-
malato ,krank'?
Türkische Studien. I.
39
UXoU familia ,Familie, besonders Frauen und Töchter 4 ,
aber nur von nicht muselmännischen Häusern gesagt. Barb.
II 398: it. famiglia; ngr. (paulha und cpapisha.
xj.txjl angarie ,Frohndienst; Zwangsarbeit; Mühe, Schwie
rigkeit Barb. I 126: gr. ayyaQsia. Vgl. Et. Wtb. d. Alb. 12.
xjjjlkiü fantazia ,Prunk, Luxus; pomphafter Aufzug 4
Barb. II 398: it. fantasia. Im Arabischen bezeichnet das Wort
besonders eine Art Uebung bewaffneter Reiter; in Egypten hat
es die verschiedensten Bedeutungen, es wird von einer Prome
nade, einem besuchten Kaffeehaus u. ä. gesagt.
(jw.^öLo matis ,betrunken 4 Barb. II 713: gr. ue'Jvaog.
yX+i fino ,klein und zart; beste Qualität einer Sache 4
Barb. II 437: it. fino-, ngr. epivo.
juJ lis dalja, talja ,parfait, complet 4 Barb. I 727.
II 268: gr. reXsiog, vom Ntr. Plural.
yorata ,Scherz, Spass 4 Barb. I 716. Wird allgemein
für griechisch erklärt, z. B. von Budagov I 541, und Barbier
de Meynard nennt gr. yjnocnu als Quelle. Ngr. yioqmäg oder
/mqutÖv ,jeu, badinage, plaisanterie 4 , sammt yjoomaTgfjg, yoiomEvin,
XWQceTsvfA,a, stammt aus dem Türkischen. Falls das türkische
Wort griechisch ist, muss ihm gr. xoQEvzrjg, yogevTÖg oder x 0 Q L ~
T7]g von yoqdg ,Tanz 4 zu Grunde liegen. Korscli, Archiv für
slav. Phil. IX 503, denkt an yj'ooo. und vergleicht davsiog
von bcozv.
xä-L bace ,Kuss 4 Barb. I 254: it. bacio.
ä^llauJ estare, esture ,Erzählung in Prosa oder in Versen 4
Barb. I 53: arabisch, aus gr. laroola.
yXi£> defter, vulg. tefter ,IIeft, Register u. ä. 4 Barb. I 743:
gr. dupd-SQa ,Haut, Buch, Urkunde 4 . Auch persisch und arabisch;
aus einer dieser Sprachen ins Türkische aufgenommen.
yarita, yarta ,Karte, Plan, Landkarte 4 Barb. I 700:
gr. xocQrrjQ. karta, aus it. ccirta, ist ,Visitkarte 4 Juss. 545.
JLLvi> yartar, yartal ,Schreibtafel, Pergament zum
Schreiben 4 Zenker 406 a: gr. yaoräoiov.
yio tomar ,Rolle, besonders Papierrolle 4 Barb. II 328:
gr. TOf.L&QLOv, byzantinisch im Sinne von zdpiog (x&qzov) ,Rolle 4 .
Heut bedeutet rOfiagi ,Haut, Fell 4 , eigentlich ,ein Streifen Haut 4 ,
40
I. Abhandlung: Meyer.
j+mj sanier ,Saumsattel' Zenker 518: ngr. aapagi von
oaygci. Vgl. Mi., Tti. El. II 53.
ipsid, auch ispid gesprochen, ,Radfelge' Barb. I 7;
hei Blau 238 ispit, spit: gr. axplg; von üipiäa.
LTfrpi karabus ,partic proeminentc de la seile' Bianchi
II 458: arabisch, aus gr. /.Qrprig. Frankel 104.
(jj.ia.jlj fajtun ,Art vicrsitziger Wagen', veraltetes Wort.
Barb. II 399: frz. phaeton\ vielleicht zunächst aus russ. ‘i>a3T0HT>.
Mit Unrecht sieht Justi, Dictionnaire kurde-frangais 295, dieses
Wort auch in kurdisch yXXh finto ,caleche'; dies ist vielmehr
türkisch yXJJS hintov, hinto ,Wagen' aus magy. hintö, das Mi.
Slav. El. 8 bespricht. Andere Bezeichnungen für Wagen euro
päischer Art führt Zenker 592 c an, wie aoy>\ l _ r c3U\
kukla ,Puppe': ngr. y.ovvla, das man aus lat. pupula
herleiten will, schwerlich mit Recht. Es hängt eher mit den
Wörtern zusammen, die auf lat. cucullus ,Kapuze' zurückgehen.
«J Lyo Ae tombala, »ic tombalak /Purzelbaum' Juss.
1193: it. tombolo oder tombolata ,Purzelbaum'.
\iyic toka ,Anstossen mit den Gläsern; Trinkspruch'Juss.
1192: it. tocccire, vom Imperativ.
kanun ,Gesotz, Regel': arabisch, aus gr. yiavdtv.
ra dzun ,Grund, Argument' Barb. II 8: it. ragione.
JCwJjLsj vakansa ,Ferien' Zenker 934 a: it. vacanze.
Ich schliesse hier den Zuruf ..Lj bravo Barb. I 293, aus
dem Italienischen, an. Auch die Interjection bre ist fremd;
wenn meine Herleitung Et. Wtb. d. Alb. 286 das Richtige
trifft: gr. ßos = evgl Anders Mi. Nachtr. II 89.
xäj kaka ,pfui!' Zenker 705 c ist gr. x«xa.
VII. Der Körper und seine Krankheiten.
|V*J.j bslgam ,Schleim' Barb. I 312: gr. cpkeypa. Zunächst
aus dem Arabischen.
y- ul J a ;Grille' Barb. 1 719: gr. yblog, yokrj, Deminutiv
yokiov. LxJjiLl.« maliyulja ,Melancholie': pekay/okia; arab.
Türkische Studien. I.
41
auJLo salja, ; LJlo saljar ,Speichel* Barb. I 191: gr.
oaXiov für niakiov von alaXog] vom Plural, saljar zunächst
vom Adjectivum aahÜQrjg ,baveux*.
«JÜCJ iskelet ,Skelett* Juss. 482: gr. awlsTÖg.
adü^LwLo masarika ,Gekröse* Juss. 685: gr. /.leociQai’xoV,
von ■ gsaagaiov ,Gekröse*. Zunächst aus dem Arabischen.
s^Ajo medre, metre ,Gebärmutter' Zenker 831 b: gr. grjTQa.
(jjXywü basilek ,Königsader an der inneren Seite des
Armes* Bianclii I 308: gr. ßaaihnoq; aus dem Arabischen,
natürlich gelehrtes Wort, wie schon das für ß zeigt.
l+ÄjjljO diafragma ,Zwerchfell* Zenker 445 b: gr. did-
epgaypa.
glin ,Gelenk* Blau, Bosn. türk. Spr. 233: nach ihm
gr. ylrjvrj, das bei Medizinern in der Bedeutung ,Knochengelenk
vertiefung* vorkommt.
sj)yi kolera ,Cholera*: it. colera aus dem Griechischen.
I sskorbut, iskorpit ,Skorbut* Barb. I 55. Juss.
483: it. seörbuto, ngr. o/mqujcovco. Der Ursprung des Wortes
ist wahrscheinlich deutsch, vgl. Weigand und Kluge unter
Scharbock.
kniende ,Kolik* Barb. II 576: gr. xw/Uxog, von
y.wlov. Zunächst arab. pers.
xliyjLj panukla ,Pest* Zenker 172: gr. TVUvomXa, aus lat.
panicula, panucula, panucla ,eine Art Geschwulst*.
sej^ros,Drüsenverhärtung* Juss. 1040: gr. ir/Jooog.
ispazmoz ,Krampf* Barb. I 46: gr. o-icauuög.
yhps tifo, tifos ,Typhus* Barb. I 508. Juss. 1188:
it. tifo, gr. tvepog.
s A->Kj büvanda ,Arzneitrank, Krankenthee* Barb. I 316:
it. bevanda ,Trank*.
2O0jjys*. yirizma ,Paste zum Entfernen der Haare* Barb.
I 700: gr. ygncifxa ,Salbe*.
iksir ,Elixir, Panacee, Stein der Weisen* Bianchi
I 166: arabisch, aus gr. I-ijqög. Ygl. Gildemeister, ZDMG.
XXX 534. Aus dem arabischen Worte stammt unser Elixir.
42
I. Abhandlung: Meyer.
melhem, vulgär für merhem ,Pflaster, Salbe*
Barb. II 785. 754: arab. neben aus gr. gälayua ,er
weichendes Pflaster*.
x-J Uxw I ispitalie ,Krankenhaus* Barb. I 47: it. speclale,
ospedale, ospitale, ngr. anviaki.
lazareto ,Lazaret* Juss. 650: it. lazzaretto.
parlatorio ,Untersuchungszimmer im Lazaret*
Barb. I 378: it. parlatorio ,Sprechzimmer*.
ricete ,ärztliches Rezept* Barb. II 14: it. ricetta.
vizita ,ärztlicher Besuch; Honorar dafür* Barb.
II 848: it. visita; ngr. ßi'Cixa, z. B. in Thera (Petalas, Glossar 76).
.Hajo baitar ,Thierarzt; Hufschmied* Bianchi I 431:
arabisch, aus gr. Xmricnqog. Frankel 265.
VIII. Natur, Land, Stadt.
^ilil anafor ,Wasserstrudel* Barb. I 121. Raclloff I 230.
Auch ,Gegenwind*: ngr. ävacpöqi ,contrecourant*.
esir ,Aether, Lichtkreis, Himmel* Zenker 10 b: gr.
ald-rjQ. Bianchi I 14 hat ji\ eter ,liqueur spiritueuse et volatile*,
aus frz. ether.
hale ,Hof um den Mond*: arabisch, aus gr. Skcog,
wie frz. Kalo, it. alone.
JLs kanal ,Kanal* Jussuf 528: frz. canal, Neologismus.
J.AXI mil ,Meile, Meilenstein* Bianchi II 1068: arabisch,
aus lat. mitte. Fränkel 282.
jAzü Icasr ,Schloss, Festung* Bianchi II 482: arabisch,
aus gr. -/aorQOv = lat. castvum. Nöldeke, Zeitschr. der deut
schen morgenl. Gesellschaft XXIX, 423.
V* burdZ ,Thurm, Bastion, Fort* Barb. I 294: arabisch,
aus vulgärlat. burgus. Nöldeke, Zeitschr. der deutschen morgenl.
Gesellschaft XXIX, 426. Das lateinische Wort ist gr. TTVQyog. Aus
diesem direct stammt türk. borgos ,Schloss, Thurm*
Barb. I 295. Auch das alte Pyrgos in Thrakien heisst heute
1 der
Türkische Studien. I.
43
auuLo, *&.Lo pjasa, pijaca ,öffentlicher Platz, Mai’kt;
Marktpreis; Bezeichnung des Quais in Büjükdere' Barh. I 422.
Jussuf 957: it. piazza.
^.Xju* sinor, sinor ,Grenze': byzant. avvoqov ,Grenze',
xilj, ^.-oQ bana, banjo ,Bad' Barh. I 282: it. bagno.
bagno ist ,Zuchthaus' Zenker 168 h.
Köprü ,Brücke' hat man auf gr. yscpuga zurück
geführt; doch vgl. koibal-karagassisch köberqci ,Brücke' Väm-
bery Et. Wth. 66.
fabrika ,Fabrik, Manufactur' Barh. II 394: it.
fabbrica.
dejmas ,Gefängniss' Bianchi I 895: arabisch, aus
gr. drpioaiov. Frankel 281.
berid ,distance de quatre parasanges, ou quatre
heures de voyage a cheval; courrier' Bianchi I 358: arabisch,
aus lat. veredus, gr. ßegrjdog. Frankel 283.
|*A-Ul eklim ,climat, partie de la terre' Bianchi I 1Ö0:
arabisch, aus gr. xllpa ,Klima, Gegend'.
efendziun ,Erdferne eines Planeten'.
efrendziun, efridziun ,Erdnähe eines Planeten,
Zenker 75 a. 73 a: gr. &nöysiov, nsotyeiov.
y Iura ,Sternbild der Eyra' Zenker 796 b: gr. Xvqa.
JXl. volkan ,feuerspeiender Berg' Zenker 935 h: it.
volcano.
IX. Haus, Wohnung.
il*l, y-jl avls, havle ,Hof, Viehhürde, Hausflur':
gr. abkrj.
balat ,altes Bauwerk, Ruine' soll nach Barb. I 276
von gr. TtahciLon]g stammen! Es ist offenbar arah. b\b, das auf
Ttal&Tiov = lat. palatium zurückgeht: Frankel, De vocah.
peregr. 6; Aramäische Fremdwörter 28.
balkun ,offener Balkon': it. balcone.
ebia-ot estabsl, istabl ,Stall': lat. stabulum. Zunächst aus
dem Arabischen. xJjUfi, aXj.Lis tavla, tadle ,Pferdestall' geht
wohl auf ngr. atavXog zurück.
44
I. Abhandlung: Meyer.
i^j* vi furun ,Backofen': lat. furnus, mgr. povqvog. Arabisch
furn: Frankel 27.
Zict/es , Vogelbauer; Käfig; Fenstergitter' Barb. II. 526:
arab. ^iS, nach Nüldeke, Zeitschr. der deutschen morgonl. Ge
sellschaft XXXIII516 aus lat. capsus ,Behälter für wilde Thiere'.
Jeeremit ,Ziegel': ngr. ysoauüh. Arabisch iXyoy>
kirmid aus dem Aramäischen. Frankel 5.
Jiiler ,Keller, Vorrathsgewölbe': gr. ■/.elXagi aus lat.
cellcirium. y.sl'ldQiov ist schon byzantinisch.
AaIX Itilid ,Schloss an der Thüre': gr. y.lelda (Accusativ)
,Schlüssel'. Zunächst aus dem Persischen, wo aber ,clavis'
bedeutet (Vullers II 87.6). Arabisch Beide stammen aus
aramäisch qlldä, iqlldä. Fränlcel 15.
auJ^s, leuluba, Iculibe ,Hütte' Barb. II 574: gr.
naUßg. Vgl. Mi., Türk. El. I 88.
korniza ,Gesims, Karniess': ngr. yovqvbvaa (Soma
vera) aus it. cornice.
«Ja bl lata ,flaches Stück Holz zu Verschlagen' Barb.
II 695: it. latta ,flaches Holz'. Das Wort ist deutschen Ur
sprungs.
lodza ,Loge, Zelle; Handelsbörse, Theaterloge'.
londza ,Börse; Versammlungsort von Handwerkern': it.
loggia; ngr. lövr'Ca, se. londza. Vgl. Mi., Türk. El. II 17.
Nachtr. I 78. Das n von londza gehört zu den von Schuchardt,
Slawo-Deutsches 16 f. besprochenen Erscheinungen.
JldüLo mandal ,Riegel': ngr. pavicdi, agr. pävöalog.
palater ,Fenster' Zenker 206 b: gr. nccQctdvQOv,
TragudvQi. Das gewöhnliche Wort ist
pandzur ,Jalousie, Fenstergitter': frz. abat-jour.
pedavra ,Holzschindel zum Dachdecken; kleine
Holzplatte für Drechslerarbeiten' Barb. I 389: gr. iteravQOv
,Stange, Latte'.
podrum, bodrum ,Keller, Erdgeschoss; Gefängniss'
Barb. I 320: gr. vtt.ödgopog. Vgl. Mi., Nachtr. II 14. Das
griechische Wort kommt bei Philon in der Bedeutung ,Schutz
hafen' vor.
Türkische Studien. I.
45
«JCo, sJoiÄi' tanta, tanida ,Zeltdach' Barb. I 491: it.
tenda. Vgl. Et. Wtb. d. Alb. 429.
tarsm, tarüm ,Kuppel, rundes Zelt': gr. zeosixvov;
vgl. rum. tärim ,Halle, Saal', magy. teveui dass., asl. tremi ,turris'_
Der Weg wird vom Griechischen ins Slavische, von da ins
Magyarische, dann ins Rumänische gewesen sein; aus letzterem
oder dem Magyarischen direct stammt das türkische Wort.
ck+j temel ,Grundlage, Fundament': gr. d-eiieXiov.
yia tolos ,Wölbung, Kuppel': gr. 9-öXog.
tugla ,Ziegel', auch tuvla Jussuf 1202. Mi., Türk.
El. II 77 meint, das Wort beruhe, wie magy. tegla, auf lat.
tegula und sei durch germanische Vermittlung nach dem Osten
zu den türkischen Völkern gekommen, bevor das Deutsche t
in z verwandelte. Diese Annahme hat unläugbare Schwierig
keiten. Mir scheint tugla auf ngr. tovßovXov (Legrand) tovßXov
zu beruhen und dies von rovßovXov ,tubulus, sipho' Du Gange
nicht zu trennen, wie ich Et. Wtb. d. Alb. 451 gethan habe.
Dies %ovß(ov)Xov bedeutete zunächst Röhre, dann einen röhren
förmigen Dachziegel, wie sie noch jetzt in Anwendung kommen.
gl aus vl wie in den Et. Wtb. d. Alb. 283 unter mjergiMe zu
sammengestellten Fällen.
Mit Unrecht hat man griechischen Ursprung angenommen
in a X or j a X sr jStall', das man mit äyvqog in Verbindung
gebracht und als ,Ort für Streu' erklärt hat: Mi., Naclitr. II 72.
Es ist persisch und aus iranischem Sprachgut zu erklären, vgl.
Dannesteter, Etudes iraniennes I 114. II 136. Auch UiredZ
,Kalk' ist schwerlich
yäXig, vgl. osttürlc.
plätre' Ravet de Courteille 484. Das griechische Wort erscheint
im Arabischen als Fränkel 8.
X. Hausgeräth.
anaytar ,Schlüssel': ngr. ävoiyjdot, z. B. in Cypern,
Sakellarios Kvjroi.a/.ä II 2 , 453; schon bei Machaeras, Sathas,
Msaauovr/.i] ßißXioSHjM] II 599. ävorx.raoui ist von Somavera
mit der Bedeutung ,scaricatoja, 'trabocchetto' verzeichnet.
I, s^üL*,! eslcara ,Rost': ngr. ir/.agrx aus agr. ia/aoa.
46
I. Abhandlung: Meyer.
fsrea ,Bürste': ngr. ßovgvaa. Ich halte ßovgzacc für
romanischen Ursprungs, zu der Gruppe prov. brossa, frz. brosse,
afrz. broce, span, broza oder zu span, bruza gehörig (Körting
Nr. 1374. 1428). Aus dem Griechischen stammen rum. virtä,
alb. vurtss und das türkische Wort. Das von Barb. II 408 an
geführte it. furcia existirt nicht.
firdZevl ,Striegel' Bianchi II 363: arabisch; man
führt das arabische Wort auf byz. cpgaysXXiov aus lat. flagellum
zurück, dessen Bedeutung allerdings nicht übereinstimmt.
Frankel 113.
x-UXwi isUemle, vulg. auch iskemni ,Stuhl': mgr. Gxägvov,
o-/.ä(ivog, oxapvlov, ngr. entcifxvL, aus lat. scamnum. Das lautliche
Verhältniss macht Schwierigkeit. Korsch, Arch. für slav. Phil.
IX 504 denkt an ein slav. *skamlja als. Vermittlung. Man
kann lat. scamellum vergleichen, das ahd. scamal ergeben hat.
Wahrscheinlicher ist mir aber, dass von der Form mit -ran- aus
zugehen ist, in der -mn- zu -ml- geworden ist. Vgl. lodos : vözog.
kandil ,Lampe': mgr. v.avdrjXa aus lat. candela.
Das türkische Wort ist aus dem Arabischen .aufgenommen.
Frankel 95.
ltariola ,europäisches Bett, Chaiselongue' Barb.
II 456: it. carriuola ,Rollbett', venez. cariola, ngr. -mgioXct z. B.
in Kreta Jann. 338.
oojjjl karavit, «vV kerevit ,niedriges Ruhebett, Sofa':
gr. KQsßßazL ,Bett' von agr. -/.gaßßazog. Vgl. Mi., Türk. El. II 7.
&A/obi lampa ,Lampe' Barb. II 697: it. lampa, ngr. hxfina.
Ju*Lo masa ,Tisch, Speisetisch' Barb. II 716: rum. viasu
aus lat. mensa. Mi., Slav. El. im Türk. 14.
J.jJ.a/0 mendil, mindil ,Serviette, Tischtuch' Bianchi
II 1022: arabisch, aus gr. uavziki, lat. mantile. Vgl. Et. Wtb.
d. Alb. 258.
liÄo peceta ,Serviette': ngr. nsraera aus it. pezzetta
,Läppchen'.
LvJ pirno ,Gabel' Barb. I 397: ngr. nsioovvi. Vgl. Et.
Wtb. d. Alb. 338.
sedja ,Sänfte, grosser Stuhl'.: it. sedia. sed&e
,Sessel' Zenker 500 a: it. seggia.
Türkische Studien. I.
47
jJjLi, xJvdo tabla ,Esstisch; Auslagstisch von Bäckern und
Fruchtbändlern; Holzplatte der ambulanten Verkäufer' Barb.
I 428. II 278: ngr. raßla aus it. tavola-, vgl. rum. tabla, asl.
tabla. Ciliac II 399.
Sjjljis, äj.'jji terapeza, terabeza ,drei- oder vierfüssiger
Tisch, Esstisch': gr. rquite^a.
XI. Handwerke, Gerätlic und Aehnliches.
jiji herber ,Barbier': it.
barbiere.
solcj.j bugada ,Lauge' Hindoglu 92: ngr. pnoyada, utcov-
yccöa ,Lauge', pnovaöa ,Wäsche' in Thera (Petalas 75), itovyäda
,das Waschen mit Lauge' in Leukas (Syllogos VIII 378), aus
venez. bugada ,imbiancatura di pannilini' = it.‘ bucato. Das
Wort ist deutschen Ursprungs. Körting Nr. 1405.
aoUj. capa ,Hacke, Haue 1 : it. zappa, ngr. xciani. Vgl. Et.
Wtb. d. Alb. 382 unter sepate.
JJoi> dilcel ,Haue': ngr. ölkeXXl ,zweizinkige Haue' aus
agr. d'r/xXXa. Vgl. Mi., Türk. El. I 48. Nachtr. I 28. II 103.
dzendere ,Presse, Walze zum Pilzen von Stoffen;
enger Durchgang' soll nach Barb. I 539 it. cilindro ,Walze'
aus y.vXLvdoog sein. Das Wort ist aber persisch. Vullers I 532.
dzivata ,Art Nagel' Barb. I 549: venez. giaveta
— it. chiavetta. Dagegen ist lim ,Nagel' türkisch: eagat.
lügi ,Nagel', cuv. luga ,penis'. Vämbery, Et. Wtb. 191.
icjLtj! ergat ,Arbeiter': gr. loydr-rß. Mi., Türk. El. I 58.
Auch in der Bedeutung ,cabestan, Schiffswinde' entspricht gr.
eqydTrjg.
xÄli falaka ,Block, Strafstock': ist arabisch, das arabische
Wort aber wohl nichts anderes als gr. cpalayyag, von agr. cpaXaylg.
«.Äskli faceta, jCCu/Ls faseta ,Facette beim Schneiden von
Edelsteinen': it. faccetta, frz. facette. Barb. II 395. 396.
foja ,kleine dünne Gold- oder Silberblättchen für
Juwelierarbeiten': it. foglia.
s-oyi gönja, günje ,Winkelmass': ngr. yojvtd aus ywv'ia.
48
I. Abhandlung: Meyer.
yuni ,Trichter': ngr. ypvvl von agr. yfavog.
v_*Jü> kalab kalup ,Form, Modell'. Aus dem Arabischen;
das arabische Wort führt man auf agr. xakonovg ,Schusterleisten'
zurück, aus dem Türkischen stammt wieder ngr. y.akovm ,moule'.
kalem ,Schreibrohr; Pinsel, Meissei; Schrift; Bureau':
arabisch, aus gr. v.ukagog.
kandza ,Haken' Barb. II 475. Budagov II 27: it.
gancio ,PIaken' span, gancho. Der Ursprung der romanischen
Wörter ist freilich nicht aufgeklärt, und daher hat sich Miklosich,
Türk. El. I 89 zu der umgekehrten Annahme entschlossen,
das italienische Wort aus dem Türkischen herzuleiten.
nJyS kola ,Stärke für die Wäsche' Jussuf 613: it. colla
,Leim, Kleister'.
hordela ,Schnürchen, Bändchen': it. cordella; ngr.
xogdskka.
sMlstere ,langer Hobel; Schleifstein' Barb. II 629.
Jussuf 642: gr. yjazoa ^Spitzhacke'. Zweifelhaft, da die Be
deutungen nicht übereinstimmen.
lustro ,Schuh wichse' Barb. II 707: it. lustro ,Glanz,
Politur'; ngr. kovaxoog.
IäaSA.« makina ,Maschine' Barb. II 718: it. maccliina.
xljLo vianela ,Hebel': ngr. gavekka aus venez. manoela
= it. manovella ,Hebel'.
marangbz,Seltener marangon ,Tischler':
ngr. uaoccyv.6g ,Tischler'; it. marangone ,Zimmergesell'.
xiXUo mengene ,Oel- oder Weinpresse': gr. f.uxyyarov, daher
auch it. mangano.
mil ,Nadel zum Färben der Wimpern und Augen
brauen; chirurgische Sonde' Barb. II 807: arab. ,Sonde',
das man aus gr. gijh] dass, herleitet (Frankel 261). Aber woher
stammt das griechische Wort?
xJyo mola ,Mühlstein' Barb. II 799: it. mola dass.
pelanja, planja ,Art Hobel': ngr. nkavia aus dem
Romanischen. Et. Wtb. d. Alb. 343.
xXÄjikj pslanöete ,Messtisch der Feldmesser' Barb. I 405:
frz. planchette.
Türkische Studien. T.
49
2o~^L raspa ,Striegel': ital. raspa ,Raspel'.
sakur ,Hammer zum Steineklopfen' Bianchi II 86:
arabisch, aus lat. securis. Frankel 84. Dass das Wort im
Griechischen des Orients heimisch war, beweist noch ngr. tffs-
7.ovqt., Tcny.ovQL (z. B. Syll. 8, 397. Kanellakis Xiav.ä Aväksxta
301, 668).
sistra ,Art Tischlermesser; Reibeisen der Bäcker;
Striegel' Jussuf 1073. Barb. II 82: ngr. ^varoa ,räpe, etrille'.
sulünez ,Messerschmied' Zenker 517 a: wahr
scheinlich it. Solinghese von Solinga, Solingen, von wo die be
rühmten Messer- und Schwertklingen weithin exportiert wurden.
XiX>yM sonda ,Sonde' Jussuf 1079: it. sonda.
2dbu'jjw sirinka, siringa ,Spritze': it. sciringa von agr.
ovQiyi-.
20Uo tapa ,Stöpsel' Jussuf 1115: it. tappo dass.
LL terabeson,Pfropfenzieher' Zenker 596b: frz. tire-
bouchon.
turno, torno ,Drehbank': it. torno.
usturlab, esterlab, suturlab ,Sternhöhen-
messer' Zenker 509 a. Barb. I 53: gr. äaxQoXüßog.
üstüpü, istubi, istupi ,Werg': ngr. axovni
von aTvnrj.
varjos ,schwerer Hammer der Steinklopfer': ngr.
ßageiä ,müsse, massue' Legrand. Von einem gleichbedeutenden
männlichen ßagebög. In Ophis ßageag, Syll. XVIII 127.
IlXj«, vida ,Schraube': venez. vida — it. vite. Et.
Wtb. d. Alb. 472, wo ngr. ßida hinzuzufügen ist.
XII. Gefässe.
bukal ,dickbauchige Flasche': it. boccale. Barb. I 338.
eukal ,Topf': ngr. tgov/mXi. Letzteres ist genauer
durch J,lü*=> culcali wiedergegeben. Barb. I 610. Das Wort
dürfte eine Ableitung von it. zucca ,Kürbis, Kürbisgefäss' sein;
%aovxxa als Gefässname, ,Kalabasse', kommt bei Prodromos 1112
Legrand vor. Vgl. Korais ^Atmra I 183. Verschieden davon ist
JUjä. ,cuirasse, barde d’aeier ou de fer', bei Pavet de Cour-
Sitzungsher. d. phil.-hist. CI. CXXYIII. Bd. 1. Ahli. 4
50
I. Abhandlung: Meyer.
teille 295 ,ärmure qui couvre le elieval*, bei Budagov 495 öagat.
und osm. JlSy*., JUX ,Panzer, Pferdeharnisch*.
I esporta ,grosser Korb für Früchte, bes. für Wein
trauben* Barb. I 61: it. sporta; auch ngr. aicoora.
!£=>■'ji, ( /«&, föci Jussuf 287. Barb. II 436 ,Tonne,
Fass*: ngr. ßovrai. Vgl. Et. Wtb. d. Alb. 43.
kematr ,Bücherschrank, Büchertasche* Bianchi II 506:
arabisch, man leitet es aus spätgriech. Y.äg.rtToa im Sinne von
■xaipa her. Frankel 252.
sj'Lü' kanata ,irdenes Gefäss für Flüssigkeiten*: ngr. -/arazra
aus dem Romanischen. Et. Wtb. d. Alb. 187. Das Wort ist
deutschen Ursprungs.
üliovi' kartalle ,Korb, bes. für Früchte* Bianchi II 462:
arabisch, aus gr. xaQTuXXog. Frankel 77.
a-oüs kasa ,eiserne Geldtruhe, Kassenlocal* Barb. II 462:
it. cassa.
aDL; kanata ,grosse Holzschüssel*: ngr. yaßäd-a, zaßaüa
aus lat. gavata. Et. Wtb. d. Alb. 127 f.
kova, koga ,Eimer*. Ein weit verbreitetes Wort,
das ich Et. Wtb. d. Alb. 203 versucht war als Fremdwort im
Türkischen zu betrachten. Doch vergleiche man ^l^S,
,Bienenkorb*, JjX ,Locli, Höhlung* und was Vämbery,
Et. Wtb. 64f. zusammengestellt hat. Danach scheint hier eine
turko-tatarische Wurzel kau kov kob vorzuliegen, die an arisches
Sprachgut anklingt. Vgl. auch osttürk. Uoys, ,seau a tirer
de l’eau* Pavet de Courteille 421. Dagegen ist osm. ajy's
kupa ,Trinkbecher* trotz seines Vorkommens im Osttürkischen
(Pavet 420) gewiss romanisch, zunächst ngr. novita. Et. Wtb.
d. Alb. 215.
».jOyÄxyjs kumkuma ,kleine Metallflasche* Bianchi II 530:
zu arab. ,Kochtopf*, aus lat. cucuma. Frankel 70.
yijii kutu, kute ,Schachtel*: gr. xovrl dass.,
zu agr. zv-vog ,Höhlung, Urne*, y.vrig ,Kistchen, Schachtel*.
legen ,Becken, Schale*: persisch und arabisch, aus
gr. leydvrj. Vgl. Et. Wtb. d. Alb. 234. Aus dem Türkischen
wieder ngr. IsyevL, z. B. Pio, Contes populaires 8.
Türkische Studien. I.
51
aJjCwo mastela ,Butte, Kufe' Bari». II 767: it. mastella;
ngr. (.laoxsllov.
matara ,Schlauch für Getränke zum Reisen' Barb.
II 770: arab. «,1m, das man auf gr. psxgrjrrjg zurückführt.
«UwjIj parsa ,Holzschale zum Almosensammeln für Der
wische und Bettler': soll it. borsa sein. Barb. I 378. Nach
Zenker 160 c bedeutet das türkische Wort ,Börse'.
Juölj, aüjöb patil, patile ,Kessel, Pfanne' Zenker 158 a:
it. patina oder padella.
«jLo piale ,Becher' Bianchi II 419: persisch (Vullers
I 389), aus cpialrj. Nöldeke, Pers. Stud. II 38.
xioLo piata .Schüssel, Teller': it. piatto, zunächst vom
Plural des ngr. itidrov.
pinlcan ,Schüssel zum Aderlass' Jussuf 955; penlien
,Getreideschwinge' 1 Bianchi I 393; pingan ,Schröpfeisen' Barb.
I 412: pers. 0 l5Uä ,Schale, Wasseruhr', aus gr. nlvcc/.a
(Acc.). Justi, Kurd. Gramm. XIV. Die arabische Form des
Wortes ist als ^Ls\; findzan ,kleine Kaffeetasse' im Türkischen
gebräuchlich.
adoj-s pota ,Schmelztiegel, irdenes Gefäss' Barb. I 418:
it. potta. Et. Wtb. d. Alb. 349.
«j'Lio tabaka ,Tabaksdose': von it. tabacco ,Tabak'. Das
türkische Wort dafür ist oder (arab.) cAko.
(jliis tsgan ,Röstpfanne' Barb. II 289: gr. xrf/avov xrjyavi.
Vgl. arab. ^.^ik ,poele', Fränkel 69. Ueber xrjyavov im Roma
nischen vgl. Et. Wtb. d. Alb. 69.
varil ,Fass, Tonne' Barb. II 836: it. barile.
vazo ,Vase' Barb. II 837: it. vaso.
XIII. Kleidung und Schmuck.
!;b bareta ,Mütze' Barb. I 256: it. berretta.
ui.jj boros ,Broche (Frauenschmuck)' Barb. I 297: frz.
broche.
1 Vgl. die Bedeutung von pers. «pko .Scheibe von Stroh, die beim Getreide-
worfeln gebraucht wird 4 aus mvaxagtov nach Nöldeke, Pers. Stud. II 38.
4*
52
I. Abhandlung: Meyer.
burnuz ,arabischer Mantel aus weisser Wolle* Barb.
I 326 ist arab. das man auf byz. ßiogog. lat. birrus ,Woll-
mantel mit Kapuze* zurückfübrt. Frankel 50f.
Galtet ,kurzer Rock, der bis an die Kniee geht*
Barb. I 566: it. giacchetta, frz. jaquette.
dihim ,persische Königskrone, Tiare* Biancbi I 899:
persisch, aus gr. äidörjpa. Nöldeke, Pers. Stud. II 35.
feredze, feradze ,Oberkleid mit langen Ärmeln;
Überwurf über die Kleidung der Frauen*: ist arabisch
Plural ji. Dozy, Dictionnaire des noms de vetements 327 ff.
Man leitet es aus spätgriech. cpogsala, cpogsma ,Kleid, Rock* her.
fotin ,Damenstiefel* Barb. II 431: frz. bottine ,Halb
stiefel*, it. bottini; ngr. unovxivEg ,Frauenschuhe* in Chios, Pas-
patis Xißzor yloioadgiov 245.
iyris ,Art Bauernrock* Bianchi I 165: ven. (panno)
griso ,grober Stoff zu Kleidern* Boerio.
kalcen ,hohe Gamaschen, Jagdstiefel* Barb. II 467:
it. calzo ,Schuh*, calzone ,Hose*; von letzterem stammt das tür
kische Wort.
tjry- Li kalos, galoS ,Holzpantoffel zum Ucberziehen über
die Schuhe*: frz. galoche, it. galoscia.
kalora ,pantoufles raccommodees et autres vieilleries*
Barb. Il 470. Nach dem Lehdze soll das Wort griechisch sein.
Barbier de Meynard fragt: ,scrait-ce l’abbreviation de y.cdsvQa?‘
Dieses Wort steht bei Legrand und Vyzantios mit der Bedeutung
,socque*, ist aber selbst Fremdwort. Bulg. kalevra ist,Schuh*, aber
serb. kalavre ,einc Art kurzer Hosen*, ebenso rum. calevrü ,Art
Schuhe* ^aineanu 22. Korsch, Arch. f. slav. Phil. IX 509, denkt
an gr. ■/a'Aavoa, aber dieses Wort scheint nirgends zu existiren.
Lsax+j' kamis ,Hemd* Jussuf 528: arabisch und im Ara
bischen romanisch, lat. camisia, byzant. yapioLOv. Vgl. Et. Wtb.
d. Alb. 187. Frankel 44.
ÄÄjlAÜ kapanica ,früherer Galamantel der Sultane* Zenker
690 a: it. gabbäno (Körting Nr. 1448), zunächst serb. kabanica
oder rum. cabanitä.
'ijjjls kaput ,Art Mantel mit Kragen und ohne Aermel*
Barb. II 442: it. cappotto ,Regenmantel*.
Türkische Studien. I.
53
ä.^JaÄj' kundura ,europäischer Schuh*: soll it. coturno aus
y.odoovog sein. Barb. II 541. Mi., Türk. El. I 98 nach Zenker.
Doch ist coturno nur gelehrtes Wort, den Schuh der tragischen
Schauspieler bezeichnend. Vgl. auch Et. Wtb. d. Alb. 197, wo
ngr. yyovv'covQi ,Pantoffel* aus Syra nachzutragen ist. Arab.
leitet man aus yoSoovog her: Justi, Kurd. Gramm. 91.
kor dun ,Uhrkette* Barb. II 508: it. cordone, frz.
cordon. Dasselbe ist kordon ,Ordensinsignien* Barb.
II 554.
kukula ,Kapuze, Mantel*. xX)yi Ji kukuleta ,Mönchs
kapuze; Mantel mit Kapuze* Barb. II 568. 569: it. cocolla, co-
colletta, ngr. y.ovyovKka, aus lat. cuculla. Et. Wtb. d. Alb. 211.
kereb ,durchsichtiger Schleier, Jaschmak* Barb. II 506:
frz. crepe.
leerata ,Horn zum Schuhanziehen* Barb. II 619: gr.
Plural y.egaza von ysoag oder ngr. ylocccov.
&iejXo malluta ,Art Oberkleid*: arabisch. Dozy, Vetements
412. Aus gr. f.njlo)vrj ,Mantel der Schafhirten*, byzantinisch
häufig.
manto ,Mantel* Jussuf 681: it. manto oder frz.
manteau.
V? 1 omrela ,Sonnenschirm* Jussuf 907: it. ombrella.
palto ,weite Blouse der Bootsleute*; jetzt,Überzieher*
Barb. I 385: frz. paletot, span, paletoque.
pantolon ,europäische Hose*: it. pantalone.
peruka ,Perrücke* Bianchi I 356: it. parrucca per-
rucca, ngr. nsqqovy.cc.
«o pero ,Ohrgehänge* Barb. I 397: it. pera ,birnenförmiges
Ohrgehänge*.
sendet ,Sandale, Pantoffel* Bianchi I 1059: persisch,
aus gr. aavSakov, (Tavddliov. Nöldeke, Pers. Stud. II 40.
sabka ,europäischer Hut*; auch ,Spitze des Mastes*
Barb. II 128: lat. cappa. Das Wort stammt im Türkischen
zunächst aus einer slavischen Sprache. Mi., Nachtr. II 37.
Jsinil ,Art Mantel mit Pelzkragen* Barb. II 168:
frz. chenille ,weiter Oberrock mit einem Kragen*.
54
I. Abhandlung: Meyer.
tiranti ,Hosenträger' Barb. I 458: it. tirante. Vom
Plural.
I uruba, xo.^ ruba ,Kleidung, Kleidungsstücke':
it. roba.
I, üsküf, üsliuf ,Art Mütze', alte Kopf
bedeckung der Janitscharenofficiere, seit 1826 verschwunden.
Barb. I 56. 168: it. scuffia ,Haube, Mütze'; ngr. oxovepta.
Deutschen Ursprungs.
j'-ij zunnar ,Mönchsgürtel' Barb. II 45: arabisch, aus
gr. £utvaqiov.
XIV. Stoffe.
bazin ,Doppelbarchent' Barb. 1261: frz. basin, das
man als Kürzung von bombasin (von lat. bombyx) erklärt.
loO diba ,Art Seidenstoff' Jussuf 202: soll gr. dißcupog
sein. Mi., Naclitr. I 28. Im Türkischen stammt das Wort aus
dem persischen (Vullers I 946) Fjo, arab. j-Fgo. Es ist
orientalischen Ursprungs, vgl. Schräder, Zur Handelsgeschichte
I 255.
dimi ,Barchent': ngr. öLimtov ,basin' von diiMTOg ,a
double fil'. Schräder a. a. 0. 254.
^.iüuLol damasko ,Damast' Barb. I 727: it. damasco.
sstofa jßrocat' Barb. I 52: it. stoffa im Sinne von
stoffa broccata.
xJ.jls fanila, fanela ,Flanell, Flanellhemd' Barb. II 399:
it. flanella.
fasone ,geblümter Seiden- oder Wollstoff': frz.
fagonne. Barb. II 396.
jft\X*i fildekoz ,leichter Flanell'; ,Art Strümpfe' Barb.
II 436: frz. fil d’täcosse.
<5ff > i£)ff fi r ß ri purpurfarbig'; xS^. ^5ff firfiri
Soka ,Purpurstoff': arab. jffi ,Purpur', purpurfarbig',
von gr. noQ(pvQ<x.
gsrun ,dtoffe de soie d’un grain epais et fort; sorte
de gros de Naples' Barb. II 384: der Stoff heisst ff ros grain;
daraus entstellt?
Türkische Studien. I.
55
oJyCJ islcerlet, sskarlat, auch
sikerlet, sskarlat ,Scharlachtuch; scharlachroth': it. scarlatto.
Obwohl der Ursprung des Wortes im Orient zu suchen ist,
muss seine türkische Form als die occidentalisclie angesehen
werden.
«uyLdUi kalikot: frz. calicot, aus dem Englischen.
xäJjUj kanavica ,Canevas, Stickgaze': it. canavaccio.
jxxivU' kazmir ,Kasimirtuch' Jussuf 360: frz. casimir.
lepsika ,imitirter Seidenstoff' Barb. II 699: frz.
leipsicois ,aus Leipzig'.
londrina ,nachgemachtes englisches Tuch' Bianchi
II 721: it. londrino von Londra ,London' dass.
merinos , Merinowolle': frz. merinos aus dem
Spanischen. Jussuf 720.
jüLuöLs paliska, aiUuj’Lj batista ,Art feine Leinwand'
Barb. I 373: it. batista, frz. batiste, so genannt nach ihrem
ersten Verfertiger.
parangon ,scharlachroth, Purpur' Zenker 160 a:
it. scarlatto di paragone. Mi., Türk. El. II 38.
prusia ,Berliner Blau' Barb. I 398: it. Prussia
,Preussen'.
rasa ,Art grobes Tuch' Barb. II 10: it. rascia, von
der Stadt Arras.
saja ,grobes Tuch zu Regenmänteln' Jussuf 1028:
it. saja ,Wams', sajo ,ein Zeugstoff', vgl. Körting Nr. 7077;
Mi., Türk. El. II 47 hat unrichtig it. sargia verglichen.
sandal ,Taffet': arabisch, aber im Arabischen
Fremdwort, das, über mlat. cendaliom, sindalum, it. zendado
u. s. w., auf agr. aivdwv zurückgeht. Cihac II 610. Dozy, Vet.
378. Da mvd<bv im Griechischen fremd ist (es gilt für ägyptisch),
hat das Wort eine merkwürdig weite Wanderung von Ost nach
West und zurück von West nach Ost erfahren.
(JjCwjl üskül ,gereinigte, feine Leinwand' Barb. I 168:
ngr. ay.ovli ,lin carde' von agr. ffy.öllvg.
56
I. Abhandlung: Meyer.
XY. Nahrungsmittel.
bira ,Bier': it. birra.
brizola ,Art Kebab von Hammelfleisch' Barb.
I 297: venez. brisiola = it. braciuola ,Rostbraten, Carbonade'.
cokolata ,Chocolade': it. cioccolata.
^üslsyCufl sstufato ,gedämpftes Fleisch, Schmorbraten': it.
stufato.
i farsi ,Füllsel, mit Füllsel bereitete Speise' Zenker
654 b: frz. farci.
frandzela, firandzila ,feines Weissbrot': eigentlich
,fränkisches, d. i. europäisches Brot', von Vgl. Cihac
II 578. Mi., Türk. El. I 61. Das Wort scheint zunächst aus
dem Rumänischen zu stammen.
UaJLc. galeta, \xA.i kalieta ,runder Kuchen, rundes Brot'.
Barb. II 379. 533: it. galetta ,Brotkuchen, Schiffszwieback'.
y.icyj.^u\ ispirito ,Essenz, Likör' Barb. II 47: it. spirito.
kopuzga, Icopuska ,Kohl in Oel oder
Butter': russ. kapusta aus mhd. kumpost, im letzten Grunde
lat. composita. Mi., Slav. El. im Türk. 12. Osttürkisch bei
Pavet de Courteille 422 ,chou'.
s kaSer ,Art Käse, der in Thrakien gemacht wird'
Jussuf 515: l’um. cas ,Quarkkäse', vom Plural caquri.
JKüXuU' kaskaval ,Art trockener Käse' Barb. II 460:
it. cacio cavallo; ngr. y.auyaßdh, rum. caqcaval, magy. kaskaval.
xj d A3LoyS kumandaria ,Cyperwein' Jussuf 625: ,yov[iev-
zaoi.a, commanderie: oiizu> y.akovvxai za &v Kvtvqco zenaaoa ywola
Tllazaviazö, Qivivu, Movayoovh y.al Kolooi za vno zov OVyov
A' (1210) diOQrj&evza elg zö zäyua zwv ’ Iioavvizwv, wg vno za-
^icioyov (commandeur) dioiy.ovg.Eva • sy. zovzcov di naggyszo y.al
b peyoi. vvv nsQubwpog Kvnoiog olvog y.ouij,avzaola‘. Sathas
Meocuajviyi] ßißhodfjy.rj II 614. Vgl. auch Sakellarios Ta Kv-
nqiaya I (Athen 1890) 243.
langer ,Art minderwerthiger Wein' Bianchi II 693,
nach Zenker 790 a auch langoros: ngr. layysQog, Xdyysoag, das
nach Korais, "Azay.za IV 95 aus hiy.voog bei Plesychios ent
standen ist.
Türkische Studien. I.
57
limonada ,Limonade* Jussuf 659: it. limonata,
venez. limonada.
xj^Ubo makarna ,Art Nudeln* Jussuf 675: it. maccheroni.
x^Lo mandza ,Nahrung, Essen, Portion* Barb. II 721:
it. mangiare.
mastiki, jüuZu-Lo mastika ,Mastix, Mastixschnaps*
Barb. II 716. Jussuf 685: ngr. gaazi/p, uaaztya.
^Ua.tM/0 mistar ,Most* Bianchi II 897: arabisch, aus gr.
* govardgiov von lat. mustum.
SvÄj^-^o mizitra ,frischer Ziegenkäse* Barb. II 756: gr.
uvtrjOoa, uL^rj-Soa ,Buttermilch*, auch uov((l}oa. Korais, ^’Azav.za
IV 3321F. Die Herleitung ist unsicher. In Megara sagt man (vurp
doa, was vielleicht die ältere Form ist, zu (vgoco ,mache gähren*.
jCCwL paste ,Art Süssigkeit, Mischung von Mehl mit
Datteln u. s. w.* Barb. I 381: it. pasta.
pasturma,eingesalzenes und geräuchertes
Fleisch* Bianchi I 369. Barb. I 403: gr. jrccazoiga ,salage de
viande, de poisson etc.* Legrand, von jtatndjvio ,salze ein*; agr.
itaazog ,bestreut, eingesalzen*. Aus dem Türkischen wieder gr.
ztaazovQpäg.
psyts ,Gelatine, Gallert* Jussuf 944: aus dem
Persischen ,gelatina* Vullers I 333); gr. nrjmrj. Mi.,
Nachtr. II 13.
s Juu pide ,dünner Brotkuchen* Jussuf 955: ngr. n'iza. Eine
Vermuthung über den Ursprung des weit verbreiteten Wortes
habe ich Et. Wtb. d. Alb. 340 ausgesprochen.
posa ,Hefe, Bodensatz* Barb. I 418. Nach Zenker
221 it. posatura. Es müsste etwa posata im Sinne von posa-
tura sein.
rafsdan ,weich gekochtes Ei* Barb. II 10: gr.
aiyä Qovcprjzä ,weiche Eier*, von qocpsut ,schlürfe*.
salamora, salamura ,Salzlake, Fisch
ragout* Barb. II 62: venez. salamora = it. salamoja.
xioiLo salata,Salat*: it. (in) salata, ngr. aalaza. (J^lxSoiLo
salatalek ist eine Bezeichnung für ,Gurke* Jussuf 1013.
58
I. Abhandlung: Meyer.
x.wJ Lw, xs\JLo salsa, salca ,Sauce, Ragout' Barb. II 62.
189: it. salsa; die zweite Form zunächst aus ngr. adclzaa oder
aus rum. salce.
simid, semid ,rundes Weissbrot' Barb. II 98.
Arabisch ,fleur de farine', das man aus gr. aepidctfag
herleitet: Frankel 32. Mi., Türk. EL II 53. Das griechische
Wort scheint selbst ein Fremdwort zu sein. In späten Sanskrit
texten findet sich das ebenfalls entlehnte samitä; auch lat. simila,
similago ist fremd, ob aus dem Griechischen (Keller, Volks
etymologie 83)?
k.k tsragss ,Art Weizengrütze' Barb. II 281: gr.
ZQctyog ,groats of olvgcc or Sophoklis; lat. tragos, tragum.
Als fremd ist noch zu nennen Avj pundz ,Punsch' aus
dem Englischen.
Schwierig zu beurtheilen ist das Wort beksimad,
gewöhnlich geschrieben JoU-wX: peksimat , harter Zwieback'
Barb. I 308 wegen seiner Beziehung zu ngr. Das
griechische Wort ist nicht, wie Korsch, Arch. für slav. Phil.
IX 662 meint, altgriechisch, sondern erst byzantinisch; es
kommt in den Formen natgapag, na^aplg, na^auädiov, ■riicilgipädiv,
rtatgapäuov, na'£,aiu%r j g vor, vgl. Sophoklis 839. Das weist auf
fremden Ursprung, und so wird das persische OUAj ,panis
butyro illitus' Vullers I 254 die Quelle des griechischen wie
des tüi’kischen Wortes sein. Türk. ist durch volks
etymologische Anlehnung an ^ pek ,hart' und simat ,Mahl'
entstanden.
XVI. Ackerbau, Viehzucht.
demet ,Heubündel; Bund, Paket im Allgemeinen': gr.
öspazi ,botte, fagot, paquet', von ösua. Vgl. Mi., Nachtr. II 101.
dögen ,Dreschflegel' Hind. 227: spätgr. zv/.dvrj ,ein
Werkzeug zum Dreschen'.
evlek ,Furche' Barb. I 190: gr. avlcc/.i von agr.
aiXu!;. Dagegen hat (3-V oluk ,Rinne, Dachrinne' nichts mit
civkaE, zu thun (Mi., Türk. El. II 35).
fsSke ,Mist, Dünger' Zenker 667. Budagov I 786:
erinnert an ngr. ßovraa, ßovroia ,Mist', das aus afrz. bouse
stammt. Ngr. cpovazi ist das türkische Wort.
Türkische Studien. I.
59
Sy? gübre , Dünger' Zenker 735 c: ngr. v.onoid
,Dünger' von y.onoog.
S^iXiLo mcmdra ,Viehhürde' Barb. II 721: ngr. /.tävzoa,
it. mandra aus agr. udvSoa.
^Ls^-io terpan ,Sichel' Barb. II 283: gr. öqetcccvl von
dqsjravov.
s zelve, zevle, zevile , Jochring', Barb. II 44. 51;
bei Blau 312 bosnisch auch ngr. Kevla aus t,evyla. Vgl.
Et. Wtb. d. Alb. 484, wo kurdisch zevle ,cercle qu’on met au
cou des boeufs pour tenir le joug' Justi, Wörterbuch 226 nach
zutragen ist.
XVII. Spiele und Künste.
dama ,Damenspiel' Barb. I 727: it. dama.
domino ,Dominospiel' Jussuf 217: it. domino, aus
dem Französischen, vgl. Scheler u. d. W.
yüLu pianko ,Lotterie' Barb. I 422. Jussuf 953: soll
(nach einer mündlichen Mittheilung) von dem Inhaber der ersten
in der Türkei concessionirten Lotterie, einem Italiener Bianchi,
den Namen haben.
tavla ,Damenbrett, Schachbrett, Trictrac'
Barb. 1436. II 274: it. tavola. Vgl. Mi., Türk. El. II 69.
rumbale ,Ball beim Ballspiel' Bianchi 1955: it. rom-
bola,Schleuder'. Die Angabe der Bedeutung bei Barb. II 29 ,quille
pour jouer' (angeblich nach Bianchi) scheint ungenau zu sein.
(jjujLo mars ,terme dejeu: perdre double, etre capot' Barb.
II 715; ,double gain au jeu de trictrac' Jussuf 683: ist mir
nicht klar.
cyucs fit Spielausdruck, fit olmak ,seinen Gewinn mit einer
Spielmarke bezeichnen' Barb. II 436: it. fitto?
cyjjli' kaput Spielausdruck, k. olmak ,etre capot au jeu'
Jussuf 536: frz. capot.
Ausdrücke des Kartenspiels.
Jk-u^oliLwl, JwloUuJ eskambil, iskanbil ,Spielkarten' Barb.
I 54, richtiger ,Art Kartenspiel' Jussuf 482: frz. brusquembille
,Art Kartenspiel', dessen Etymologie zweifelhaft ist. Littre I 434.
60
I. Abhandlung: Meyer.
isbati, ispati .Treff im Kartenspiel' Barb.
146. Jussuf 484: ngr. onad-l dass.; it. spade ,Schwerter' waren
eines der vier Kartenembleme.
Xä-Lo maca ,Pique im Kartenspiel' Jussuf 666: ngr. paraa
dass., aus it. mazza ,Stock, Keule', vgl. bastoni als Kartenemblem.
tj)j! oria ,Carreau im Kartenspiel' Jussuf 909: span, oros
dass. Wobl auch durch griechische Vermittlung. Allerdings
lauten bei Somavera II 99 die vier griechischen Farbennamen
tcc G7ia!hä le spade, tu pmxoTOvvia i bastoni, ol xovrteg le coppe,
rä devccQia i denari. Doch gibt Legrand das oben erwähnte
uutgu für Pique; für Coeur novtca, für Carreau TSTQäycovov, für
Treff (tttu di.
Lj Lj pata ,cartes egales au jeu' Jussuf 939: venez. pata
= paritk, it. patta.
Nicht Idar ist mir jyi koz ,Trumpf, Atout' Jussuf 636,
woraus ngr. v.oQtov, rum. coz und die bei Mi., Türk. El. I 99
verzeichneten slavischen Wörter stammen. Schwerlich ist es
dasselbe wie osttürkisch jyi ,noix' bei Pavet de Courteille 429.
Legrand hat für ,atout' zoVui; ob richtig? dies bedeutet sonst
,Knochen' und ist slavischen Ursprungs. Nach Korsch, Arch. f.
slav. Phil. IX 512 wäre rum. coz aus russisch kozyn ,Trumpf'
verkürzt, und dies stamme, durch cech. kozir, aus deutsch
Kaiser.
Musik.
i musilri ,Musik': gr. uov(W/.rj. Aus dem Arabischen.
Dagegen stammt n-Äy^xi muzika, blos für ,Militärmusik', zu
nächst aus dem Italienischen. ^Laa^^o musilcar ist eine Art
Querpfeife.
kanun ,instrument de musique a cordes triangu-
laire; psalterion'Jussuf 531: ausgehend von gr. y.uvo)v in seiner
Bedeutung im byzantinischen Kirchengesange, s. Sophoklis 627.
ist ins Türkische aus dem Arabischen übergegangen,
allgemein in der Bedeutung ,Gesetz, Regel'; im Arabischen
wird es als Musikinstrument mit ,Hackbrett' erklärt.
xLj.iN lauta, layuta ,Laute' Barb. II 697.
698: it. liuto, afrz. leüt. Das europäische Wort stammt aus
arab. jyaü.
Türkische Studien. I.
61
jyhXsG santur ,Musikinstrument mit Saiten, die mit Stäb
chen geschlagen werden* Barb. II 220: gr. ipaXvrjQiov, zunächst
aus arab. und dies aus aram. n.tojpB. Justi-Jaba 245.
sitara ,espece de cithare h trois cordes* Jussuf 1073:
frz. cithare, aus dem Griechischen.
yi buk ,Horn* BianchiI 407: arabisch, aus lat. bucina.
Frankel 284.
iaiyi berbut ,Laute* Bianchi I 343: arabisch, aus gr. ßäo-
ßuov. Frankel 284.
i^.j' trampeta ,Trompete*, jetzt ,Trommel* Barb. I 452:
it. trombetta.
üembalo ,Schellentrommel* Barb. I 596: it. cembalo
aus dem Griechischen.
xk.hWi filaota ,Flöte* Barb. II 436: it. flauto.
nXisyi keranete ,Clarinette* Barb. II 514: it. clarinetto
aus dem Französischen. Ygl. ngr. yhxgezo Kanellakis Xia/.a Ava-
1ey.t<x 356.
^ÜLol iskala ,Tonleiter* Barb. I 67: it. scala.
Andere Neologismen sind Ufijj nota ,Note*, I^j^I Opera
,Oper‘, jjlu piano ,Clavier*. JUi' kaval ,Schalmei* hat man
wohl mit Unrecht mit gr. xavXog in Verbindung gebracht (Mi.,
Nachtr. I 60). pandura ,Guitarre, Laute* Mi., Nachtr. II 10 kann
ich im Türkischen nicht nachweisen; das Grundwort nav-
dovgcc, 'iT.avöovoiov war lydisch (Lagarde, Gesammelte Abhand
lungen 274); zur Verbreitung des Wortes vgl. noch Möhl, Mein.
Soc. Ling. VII 402 f.
Tanz.
yora ,Tanz*, bei Bianchi I 759 X oros > I 788
ypraz: gr. yogög. Vgl. osttürk. ,danse en se tenant
les mains* Pavet de Courteille 313.
sirto ,Art Tanz* Barb. II 121: gr. avgzög, von ovgio.
Neologismen sind adlj bale ,Ballet*, pantomim
,Pantomime*; ebenso ^j'Lo teiatro ,Theater, Schauspiel*, LAVLL
teraijidia ,Tragödie*, komedia ,Schauspiel*. Hier seien
auch ,JL balo ,Ball, Tanzunterhaltung*, it. ballo, bei Zenker
62
I. Abhandlung: Meyer.
171 c u*jJU balos; jbALo, Inlardo, biliardo ,Billard',
it. bigliardo; UuÄ'jt antika ,Antike, alter Kunstgegenstand' er
wähnt.
XYIII. Handel und Verkehr.
gürrirüM ,Douane' Barb. II 676: mgr. yoi.iusoy.iov
■/.ovi.LeQY.iov aus lat. commercium. Das neuarab. ,Zoll' ist
türkisch.
sdölsü lokanda, vulg. lokanta ,europäisches Hotel, Re
staurant' Barb. H 708: it. locanda.
lostaria ,kleine, schlechte Herberge' Barb. II 707:
it. V osteria mit dem Artikel; ngr. Xoaxagia Vyz. 559.
s\Ulo magaza ,Magazin': ist die europäische Form des
arab. ^. Vgl. Et. Wtb. d. Alb. 253. Mi., Türk. El. H 19.
’&yUuyA mostra ,Waarenprobe': it. mostra.
j, juuuJjj poliSa, polisa ,lettre de change' Barb.
I 420: it. polizza. Mi., Türk. El. II 41. Aus dem Griechischen?
vgl. Körting Kr. 6258.
a^yolys, aujl^is trampa ,echange, troc; commerce d’ecliange'
Barb. I 453. II 282: it. tramuta. Mi., Türk. El. II 74.
sigurta ,Versicherung' Barb. II 122: it. sicurtä,
venez. segurtä. Vgl. Et. Wtb. d. Alb. 384.
simsar ,Mäkler' Barb. II 97: arabisch und persisch.
Man hält für die Quelle des orientalischen Wortes it. sensale,
das aus lat. censualis stammen soll. Aber das lateinische Wort
bedeutet einen Einschätzungsbeamten. Das Wort ist persisch
und aus dem Persischen in die semitischen und europäischen
Sprachen gewandert.
jjl, urbun, armun ,Handgeld' Zenker 24: gr.
äooaßojv, das semitischen Ursprungs ist: liebr. prn?, arab.
Vgl. Lagarde, Bildung der Nomina 203. Im Arabischen
Fremdwort und vielleicht auch aus aggaßebv entlehnt: Frankel,
Aramäische Fremdwörter 190.
fendek ,Wirthshaus' Barb. II 431: gr. rtavd.OY.eTov.
Neuhebr. p-i;s Fürst, Glossarium graeco-hebraeum 172.
Türkisclio Studien. I.
63
sillaj pitaka ,Etikette auf Waären' Bark. I 403: schwer
lich, wie Barbier de Meynard meint, gr. rtiTTÜiuov, das diese
Bedeutung nicht hat, sondern Entstellung des frz. etiquette, ngr.
tlxsttcc, mit Dissimilation. Im Sinne ,killet, petite lettre' könnte
es TCLtTa/.LOv sein; doch sagt Barbier, diese Bedeutung sei dem
osmanischen Türkisch unbekannt. Indessen finde ich in den
Mittheilungen von Tsakyroglu über die Sprache der kleinasia
tischen Jürüken (Ausland 1891, 341—344. 366—372) bitikci
,Schreiber', biti kaufmännisches Buch'.
dragman, vulgär draman ,Dohnetseh' Barb. 1733:
it. dragomanno, europäische Form des arabischen
.Fälschlich leitet Barb. I 121 ^Löl anbar, ambar ,Scheune,
Speicher, Magazin' aus gr. egicoinov her; es ist arabisch, aus
persisch anbär (— ai. sambhärd-), wozu ein arabischer Singular
j-ö später zurückgebildet wurde: Hoffmann, Zeitschrift der
morgenländischen Gesellschaft XXXII 761.
Hieher gehören eine grosse Menge moderner, meist italie
nischer Ausdrücke des Handelsverkehrs, wie alivre ,Wechsel
termin' (frz. ä livrer), adzio ,Agio', altsiun ,Actiengesellscliaft'
(frz. action), banka, banknot, bilet, bono ,Bon', borsa, bilanco,
balie ,Waarenballen', cek ,Check', deposito, dziro, dzirähte,
eskonto (vulg. sinkonta Barb. II 125), fatura, fireh ,Verlust an
einer Waare' (frz. frais), frangoborda, istimara ,das Aicken'
(it. stimare), kambial, kambio, kompania, konusmento, kontrato,
manifatura, ordino, partita, protesto, prova, passaport (Bianchi
I 307 pasporta), patenta, posta, sekuestro, sindik oder
sendek ,Syndicus', tsransii ,Transit'.
XIX. Münzen, Masse, Gewichte.
s^o! aspre ,Art Münze': gr. Ico/rgov. Ueber dessen Her
kunft aus lat. asperum vgl. Psichari, Mein. Soc. Ling. VI 312 ff.
Ueber die Geltung des aspre siehe mein Et. Wtb. d. Alb. 18,
wo Paspatis Xtaxor y'/.ojaaäouji’ 96 nachzutragen ist.
dinar ,Goldmünze': byzant. drjvaQiov aus lat. de-
narius. Zunächst aus dem Arabischen oder Persischen. Ueber
den Wandel in dem Werte der Münze vgl. Lagarde, Bildung
der Nomina 221 f. nach Hultsch.
64
I. Abhandlung: Meyer.
|S\t> dirhern ,alte Silbermünze'; gewöhnlich als Gewichts-
bezeichnung der vierbundertste Theil der Oka. Barb. I 737:
arabisch ysy aus persisch und dies aus gr. doaywrj. Vgl.
Nöldeke, Pers. Studien II 35.
dublun ,Art spanische Goldmünze' Barb. I 755:
span, doblon, it. dobblone.
fels ,kleine Münze' Jussuf 289: ist arabisch, und
dies aus mgr. cpolhg = lat. follis. Direct aus (fällig oder
cpolla stammt türk. pul .kleine Kupfermünze; Fisch-
schuppe' 1 Barb. 1419. Vgl. Blau, Zeitschr. d. deutschen morgenl.
Gesellschaft XXI 672; Lagarde, ebenda XXII 330. Mi., Türk.
El. II 42. Nachtr. II 15. Spanisch foluz aus dem arabischen
Plural.
fsluri, fslurin hiess früher der venezia
nische Ducaten, jetzt der österreichische Gulden. Barb. II 427:
it. fiorino, alt florino; gr. cplcofi, cplovQi. Dasselbe bedeutet
florenca Mi., Türk. El. I 61 vom Namen der Stadt
Florenz.
franka, frank ,Frank' Barb. II 408. Jussuf
303: it. franco, frz. franc.
irjal, rial ,spanischer und österreichischer
Thaler' Barb. I 41. II 31: span. real.
\jüjy£. gurus ,Piaster' Barb. II 383: mlat. grossus, it. grosso.
Vgl. Mi., Türk. El. I 64. Kluge u. Groschen.
sUra ,Goldmünze, = 100 Piaster' Barb. II 710: it.
lira. Aus der Doublette it. libbra stammt SyJ libra ,livre,
monnaie' Barb. II 698.
metalik ,monnaie de cuivre mele d’argent' Jussuf
727; ,les Turcs donnent a ce mot le sens de monnaie alteree,
rognöe; cependant, en langage de bourse et d’affaire, ils l’em-
ploient avec ses variantes et pour designer les
valeurs remboursables en numeraires' Barb. II 728: gr. perctl-
hy.ög von peraXXov, engl, metallic currency ,klingende Münze'.
1 In dieser Bedeutung vielleicht an griech. ipollg ,Schuppe“, anzuknüpfen,
aus dem auch arab. ,Schuppe“ (Frankel, Aramäische Fremd
wörter 192) entlehnt ist.
Türkische Studien. I.
65
^.*3 minime ,kleine, schlechte Münze', Bianchi II 1138:
arabisch, aus gr. vovuuiov von nummus. Frankel 196.
dozine, duzina ,Dutzend' Barb. I 759: it. dozzina.
Junge Entlehnung.
geram ,Gramm' Barb. II 382: frz. gramme. Neo
logismus.
k Uaxi' lcantar ,Gewicht von vierundvierzig Oka'; auch
,Wage'. Barb. II 541: arabisch, aus gr. ■/.evTr i vaniov = lat.
centenarium. Frankel 203.
Je Li', Jst^Aj kernt ,poids de quatrc grains, carat' Jussuf
576: arabisch, aus gr. yegariov, byzantinische Bezeichnung eines
kleinen Gewichtes. Mi., Türk. El. I 96. Fränlcel 200 f.
liebem, Jeep an ,öffentliche Wage' Bianchi
II 560: pers. aus gr. yaprcavög oder yupitavöv, von lat.
campäna. Vgl. Et. Wtb. d. Alb. 168. Aus dem Persischen
arab. -,U3. Nöldeke, Pers. Stud. II 39.
, lL.1X Uelender ,Mass für Flüssigkeiten, etwa zwei Oka'
Barb. II 642: gr. yvlivdoog.
jÜjiS’ Teile ,Hohlmass für Getreide' Barb. II 689: arab.
aus gr. y.oiXov.
’iy'g.] litra Jussuf 660, s^3«J lodra Barb. II 707 ,Pfund':
gr. Xirga. Vgl. arab. J.^.
.yXjo metro ,Meter' Jussuf 727: it. metro; aus dem Grie
chischen.
dlA-oyi HniJc ,Getreidemass, der achte Theil des kile'
Barb. II 168: gr. yotvi^ C/oivUi) ,Getreidemass', das dialektisch,
z. B. auf den östlichen Sporaden, Sinilci gesprochen wird.
«j'.l oka ,Oka' = 400 Drachmen: arab. klsj, aus gr.
oiyy.ia = lat. uncia. Justi, Kurdische Grammatik XIV.
obolos ,Gewicht von drei Karat' Bianchi I 232:
gr. ößoXög.
j.yyo miizur ,Mass' Zenker 840 c: it. misura.
Sitzuugsbcr. d. phil.-liist. CI. CXXVIU. Bd. 1. Abli.
5
66
I. Abhandlung: Meyer.
XX. Christliche Kirche.
15 aforoz, aforos (efurus Radloff I 938)
,Kirchenbann': von gr. acpogi^ai, dcpogiagög. Vgl. asl. afurisati,
rum. afurisi ,excommuniciren'.
U aja ,heilig': gr. äyia, in Aja Sofia, Aja Soluk (Ephe
sus) 1 u. a.
*oo)LjI ajazma ,wunderthätige Quelle', bei den Christen
des Orients. Barb. I 212. Radloff I 217: gr. äyiaaga aus äyiaaga,
eig. ,Weihwasser', dann ,wunderthätiges Wasser'.
vxid arganun ,Orgel, docke' Bianchi I 55: gr. doyavov,
ngr. auch dgyavov.
despot ,c’est le titre que le gouvernement otto-
man aceorde aux metropolitains du synode grec, aux delegues
du patriarche en province, etc.' Barb. I 739: gr. ösanoTrjg. Die
bulgarische Uebersetzung dieses ösartorr^ ist vladika,
auch ladika Jussuf 1240 ,Bischof'.
diakoz, diak ,Diakon': ngr. (hcbcog aus
öllxkcov für öior/.ovog. diak ist auch ,Lateiner, lateinisch' Zenker
445 b, vgl. magy. diak ,Student'.
j-AiaÄii filaktsr ,zauberisches Schutzmittel' Zenker 670 b:
gr. (pvXaxvrjQLov ,Amulet, Talisman'.
faraklit ,der heilige Geist' Bianchi II 343: ara
bisch, aus gr. nagdvArytog.
^äLI^so heratske ,Ketzer': cäqE'u/.ög. Vgl. arab. iäj'ijb
kurd. d’Qj' artoki. Justi-Jaba 4.
/ristian ,Christ': gr. ygiaxLavog. Auch Laa-w^-Ii
keristian Zenker 697 b aus it. cristiano.
jj^aIjI iblis ,Teufel' Bianchi 111: ai’abisch, aus gr. öiaßolog.
J.a^I indzil ,Evangelium': arabisch, aus gr. eiayysXiov.
Auch ingiliun Zenker 108 c.
^^^IäauI, u^^aau! istavroz, istavros ,Kreuz, Crucifix': gr.
(Tiavoög.
1 Ephesus heisst von einer Kirche des "Ayiog Qtoldyog.
Türkische Studien. I.
67
istifan ; Brautkrone', überhaupt ,Diadem, Blumen
krone': ngr. azecpavog, oreqxxvi. Pers. Nöldeke, Pers.
Stud. II 40.
jortu ,christliches Fest': gr. eoqt>], ngr. yiOQzrj.
VlSjl'i kalogerja ,Nonne' Bianchi II 503. Zenker 688 c:
ngr. v.ako’/Qia von -/.a'löysoog ,Mönch'.
Jcarnaval ,Carneval' Zenker 698 c: it. carnevale.
liLJjjlü katolik ,Katholik' Barb. II 444: gr. xad-ohxög.
Bei Zenker 338 c: Satlskj d&aslsk dass.
L^aJLT lcilisa, kilise ,christliche Kirche': gr. EY.y.hjola,
iy/lrpiü. Arab. Frankel 275.
latin ,römischer Katholik': mgr. XazTvog aus lat.
I(Minus. Vgl. Et. Wtb. d. Alb. 238.
Lj^*JcJ liturja ,Messe': gr. Xeizovoyia IsizovQyui.
j.x 1 logofet ,Vicar des ökumenischen Patriarchen;
Kirchenvorsteher'; früher ,Kanzler des Hospodars der Moldau
und Walachei' Barb. II 702: gr. loyo&ezr]g.
vianastsr ,christliches Kloster': gr. povaazrjQt, f.icxva-
azrpi. Vgl. asl. manastyrb neben monastyrb, se. manastir. Et.
Wtb. d. Alb. 286.
metropolit ,griechischer oder armenischer Erz
bischof': gr. [.irjZoorrolirrjQ.
Lo pana'ir, panajsr ,Markt': gr. ztavrjyvqig, navrf/vqi
,Kirchweihfest, Fest, Markt'. Vgl. Mi., Türk. El. II 37. Ueber
das a der zweiten Silbe vgl. S. 14. Die türkische Form hat
wieder ngr. -rcavcwoL hervorgerufen, mit dessen a sich Thumb
Idg. Fo. II 80 umsonst abmüht.
Lj Lj papa ,Papst': it. papa; ngr. n&nag. Dazu c^aoLj
papist, ‘ObÄÜjLj papiSt ,römischer Katholik' Zenker 157 b.
(jjwLj Lj , ^LjLj papcis, papaz,griechischer Geistlicher, Mönch;
Heide' Barb. I 371. xjoLjLj papadia ,Frau eines griechischen
Geistlichen' Barb. I 370: gr. nartccg, itanadiä.
LG-Äa^Lj paskalia ,Ostern', gewöhnlich bujük p. (,grosse
Ostern'), während küSük p. (,kleine Ostern') das christliche
68
I. Abhandlung: Meyer.
Weihnachtsfest bezeichnet: gr. mxoy.aha. paskalia heisst auch
eine Art Flieder, die zu Ostern blüht. Bianclii I 307.
■stlovj'lj patrek, (JjojJsLs, patrsk, 1Jj.jj.L2j batrsk
,Patriarch', Titel der Häupter der christlichen Gemeinden in
der Türkei. Barb. I 303. 373. 383. 403: gr. naxobioq aus lat.
patricius.
psskopos, piskopos ,Bischof: gr. eräayonoq.
Daneben das arab. i_JüKo\ Bianclii I 91, sowie pisbek
aus magy. püspök. Zenker 235 c.
öjXm sinod ,Synode' Zenker 522 a: gr. avvodog.
sertunije ,Weihung des Geistlichen' Zenker
542 b : gr. ypiyoxovlu.
yw.Äio taks ,christlicher Ritus': gr. xa^tg. Auch arabisch.
Kurd. taks Justi-Jaba 276.
tslssm, vulg. tilisim ,Talisman, Amulet': gr. teXsagcc,
das im Mittelgriechischen diese Bedeutung hat. Arab. ,***J.io
tilsem. Kurdisch tilisim Justi-Jaba 276.
vaftis ,Taufe': gr. ßaitriaia n. pl. ,Taufe', auch
ßanxiGLq. Dazu anavaftiz ,Wiedertäufer' Zenker 99b.
Hier schliesse ich die europäischen Monatsnamen, die
aus dem Neugriechischen stammen, an:
janar, janariz, janaros: yevcxyig.
filuvaris, flevaris : cpleßctyiq.
icjjLo mart: gaoxig.
i}-Jj.JI abril: äjtqikig.
mais, majos: uäig, paiog.
U*<junios: lovvioq.
tjuyxiyj julios: iovhoq.
w.i I agustos : üyovaxog.
sitevris, suturis: anxxxiußqtg.
ayteris, ayterios: (r/.xfhßoiq.
\j»j\yJ nuvaris: votußoiq.
tj^.Jj.y.xSö dekevris, dekembris: (hyjußoig.
Türkische Studien. I.
69
Unrichtig ist bei Zenker 920 c für nuvaris die Bedeutung
,Januar* angegeben, mit der Erklärung, es sei aus *januvaris
verkürzt. Die Lautveränderungen geboren fast alle schon der
griechischen Volkssprache an, so das Verklingen des Nasals in
sitevris nuvaris dekevris aus aenteßgig voeßgig de'/.eßgtg, das
-ft- aus -kt- in ayteris. sitevris geht auf asreßgeg zurück, das
mundartlich vorkömmt, z. B. in Cypern (Sakellarios KvTCQiccAa
II 779), und durch Einfluss des ital. settembre zu erklären ist,
u"! jojls kalendas ,erster des Monats* Bianclii II 425.
Zenker 684 ist ngr. xalärveg Nom. Plural, von lat. calendae.
XXI. Staatswesen.
Ausser den neu aufgenommenen büddze ,budget*,
cjLodiplomat, wJlss.;Li kancelaria (ital.), ß
komiser , commissaire *, y£ komision , commission *,
konferans ,Conference*, Xykiy'i kongre ,congres*,
parlamento (ital.), jpolis ,Polizist* (frz. police),
xäaäaJyj politika ,Politik*, übertragen ,Schmeichelei*, ij^^yi.
prens ,prince‘, und anderen sind etwa zu nennen:
balios, bailos, früherer Titel der diplo
matischen Agenten Venedigs und Frankreichs bei der Pforte:
venez. bailo, gr. gnaiXog.
dodze ,venezianischer Doge*: it. doge.
duka, it. duca, bezeichnet den Grossherzog' von Toscana,
^gjio das tyrrhenische Meer. Zenker 441 a.
»A3 ..i fondo jfonds publics, dette publique* Barb. II 434:
it. fondo.
imperator ,Kaiser*, I imperatorica
,Kaiserin*: it. imperatore.
kaisar, römischer und byzantinischer Kaiser*: arabisch,
aus lat. Caesar. Der Name des gewaltigen Mannes ist von den
Orientalen in seiner alten römischen Aussprache aufgenommen
und als Eigenname mit derselben erhalten worden. Vgl. armen.
So erklärt sich auch das ai von got. kaisar, ahd. keisar.
; LU Casar, wie die Türken früher den deutschen Kaiser
nannten (Barb. I 561), ist zunächst magy. csdszdr.
TO
I. Abhandlung: Meyer.
konsolos ,Consul einer fremden Macht' Barb.
II 581: it. console, ngr. y.ovaolag. Arabisch
'palatinos ,ungarischer Palatin' Bianchi I 317:
lat. palatinus.
re ,König' Zenker 473 c: it. re.
sidzill ,registres des tribunaux, recueils de jugements
prononces en justice' Barb. II 70: arab. JA“- 0 ans byzantinisch
aiyillov, aiyiXkiov = lat. sigillum. Frankel, De voc. peregr. 17.
Lagarde, Bildung der Nomina 101. Unrichtig Korsch, Archiv
für slav. Philol. IX 668.
XXII. Militärwesen.
ü3 y JL! ahloka ,Blokade' Barb. I 5. Radloff I 634: venez.
abloco, bloca für it. blocco.
(ji)l ars das Commando Marsch! Barb. I 36: vom frz.
mar che, durch Vermittlung des deutschen Commandos. Radloff
I 331.
yoxDlj baliemez ,grosse Kanone': nach Barb. I 281 it.
palla e mezzo (richtig mezza) ,boulet et demi'; das Volk fasst
es volksetymologisch als JLj bal jemez ,qui ne mange pas
de miel'.
ItXiLj banda ,bewaffnete Truppe; Militärmusik': it. banda.
baraka ,Feldlager der Soldaten' Barb. I 256: it.
baracca.
j bastiun ,Bastion', Bianchi I 307: it. bastione.
IjjUaj batarja, auch batria Bianchi I 311,Batterie':
it. batteria.
lurdzal ,cordelette ou ficelle avec laquelle on fait
mouvoir l’etoupille qui met le feu au canon' Barb. I 607: ,mot
etranger'.
dzeneral ,General in einer fremden Armee' Barb.
I 540: it. generale.
x-Zyi foga Commandoruf ,Feuer!' Barb. II 433: it. fuoco,
venez. fogo.
Türkische Studien. I.
71
JsLa-s, ioLvuj fisat, fussat, ^Iäaa..j fustat ,Zelt* Bianchi
II 383: arab. bLli, aus gr. cpoooäxov ,Lager, Heer* —
lat. fossätum. Frankel 237.
xa3yi funja ,Zündpulver* Barb. II 434 ist westlichen Ur
sprungs verdächtig.
hartudz, yartudz ,Patrone* Barb. I 635.
692: it. cartuccia, frz. cartouche.
I isbir ,soldat Charge de l’entretien des chevaux*
Barb. I 46: it. sbirro, dessen Bedeutung aber nicht tiberein-
stinnnt.
(j^iLs kanun: ,on nomine kanun une plaque de metal
sur laquelle ce mot (la loi) est grave; de lä le surnom donne ä
la gendarmerie militaire dont les soldats portent cette plaque sur
la poitrine* Barb. II477: gr. -mvüv, durchs Arabische. Vgl. S. 60.
J^Auots kapsul ,Lunte der Feuerwaffen* Barb. II 440:
frz. capsule, it. capsula.
xa/o \y£ karabina ,Karabiner* Jussuf 537: it. carabina.
sJöLo^i - komanda ,Commando*, komandan ,Be-
fehlshaber* aus it. comando, comandante. Aelter ist
komandar ,chef*, besonders ,chef de l’ordre des Chevaliers de
Malte* Barb. II 578.
(jjliXjjS kondak ,Schaft der Flinte* Jussuf 615: gr. xovzdha
von agr. v.ovrög ,Stange*. jloöyi in der Bedeutung ,Windeln*
kann gr. v.oviav.LOv ,Rolle* sein (Sophoklis); ngr. vMvräv.j, v.ovvTm
,in Windeln gewickeltes Kind* im Pontus, Syllogos XVIII 141.
sv.La/j manevra, manovra ,Truppenübung*: it. manovra,
frz. manceuvre.
martoloz ,ancien corsaire du Danube* Jussuf 683;
nach Zenker ,Art christlicher Soldat in der Türkei*: gr. aqua-
rwlög von lat. artna. Mi., Türk. El. II 21. Nachtr. I 81.
(Jj.aaäaai mend&enik ,Belagerungsmaschine* Barb. II 788:
auch im Persischen und Arabischen, aus gr. payyavLWv bei den
Byzantinern.
mislcet ,Muskete* Jussuf 743: it. moschetto.
^A-'*! obus ,Granate*: frz. obus.
parola ,mot d’ordre, mot de passe* Barb. I 379:
it. parola.
72
I. Abhandlung: Meyer.
JLyo pinial ,couteau k lame longue et effilee, synonyme
de arnaut sise, epde albanaise' Barb. I 412: it. pugnale, alb.
geg. pinäl Et. Wtb. d. Alb. 338.
j-XAj pistov ,Pistole': it. pistola. Vgl. Et. Wtb. d. Alb. 339.
yioyjäSy raport, raporto ,militärische Meldung'
Jussuf 971: frz. rapport und it. rapporto.
«u UJ ui soltat ,Soldat'. ,Ce neologisme designe princi-
palement les fusiliers des milices organisees k l’europeenne'
Barb. II 234: frz. Soldat.
türs ,Schild' Bianchi I 482: arabisch, aus gr. $vQeog.
Frankel 241.
ULj0)1., vardijan, gardijan ,Wächter, Wache,
Schildwache' Barb. II 835. Jussuf 1332: it. guardiano, vardiano.
gardija ,garde, faction, corps de garde' Barb. II 378:
it. guardia.
XXIII. Seewesen.
alabanda ,das gleichzeitige Abfeuern aller Ka
nonen auf der einen Seite des Schiffes'; übertragen ,heftige
Vorwürfe'. Barb. I 99. Radloff I 366: it. alla banda.
alabura ,das Umstürzen von Schiffen' Radloff'I 367:
gewiss italienisch, doch finde ich den Terminus nirgends.
jüLoiH alamana ,kleines Schiff, grosses Fischerboot', auch
,grosses Netz' Barb. I 101. Vgl alamena qa'ighy ,barque armee
de quatre ou cinq paires de rames, qui fait, dans la Mer noire,
la peche de la bonite' Jal 92 : ngr. dgpeiov ,Segel, Schiff'.
x£)Ü5M alarga ,offenes Meer'; als Zuruf, um eine An
näherung ans Schiff zu verhindern, alarga etmeü ,das offene
Meer gewinnen' Barb. I 100. Radloff I 360: it. allarga! ,fern
gehalten', allargarsi ,auf die hohe See gehen', = mettersi al
largo, prender la larga. Ngr. dlccoya, älaoyäooj. Vgl. Jal 93.
t ;r JI albora, mit etmeü ,die Segel hissen' Barb. I 102:
it. alberare ,den Mast aufstecken' Jal 93. Vom Imperativ.
LwJl alestci ,fertig, bereit', mit etmeü ,ein Schiff ausrüsten'
Barb. I 106. Radloff I 106: it. allestire una nave, ,ein Schiff
Türkische Studien. I.
73
ausrüsten'. Jal 104 führt auch alestare und lestare als ita
lienisch an.
amura, mit etmeli ,die Segel des Hauptmastes und
des Fockmastes losmachen' Barb. I 118: it. (a)murare, frz.
amurer Jal 122. 123.
amiral ,Admiral' Barh. I 119: frz. amiral. Das
Wort ist arabischen Ursprungs.
x.l.o! anile ,eiserner King am Ende des Ankers' Barb.
I 129. Radloff I 233: it. anello, altit. anella Jal 136.
Uccil antena Jussuf 38 ; artena Radloff I 312 , Segel
stange, Raa': it. antenna.
apiko, mit etmeli ,am Anker so ziehen, dass die
Kette vertical ist'; als Adj. ,geschickt'. Barb. I 7: it. a picea
Jal 32.
üy aria, mit etmeli ,ein Segel aufmachen, es gegen den
Wind stellen' Barb. 141: it. dare delV aria alla nave ,augmenter
sa vitesse' Jal 644 unter erre.
hjo\t arma ,Takelwerk eines Fahrzeuges'; auch ,Wappen'.
Barb. I 39. Radloff I 339: it. arme, armadur ,Aus
rüster eines Schiffes' Barb. I 39. Radloff I 340: it. armatore,
s. Jal 169 unter armateur.
IjJJ avaria ,Seeschaden' Jussuf 53: it. avaria. Jal 206.
tJUü bakalera ,plaque de fer qui garnit les mortaises,
alumelle' Barb. I 305: it. baccalaro Jal 213.
s^AiLs bandera, bandira ,Schiffsflagge' Barb. I 281: it.
bandiera.
Jüjlj barka ,Barke, grosses Boot' Barb. I 258: it. bar ca.
barce ,grosses Boot, chaloupe de guerre' Barb. I 257 ge
hört zu afrz. bärge, prov. barja, it. bargio, russ. hapata ,barque,
canot de parade' Jal 247 ff.
bastun ,Stock', in der Marine Barb. I 261: it.
bastone Jal 267.
74
I. Abhandlung: Meyer.
äOsÜc^üL, 5l>jÄ^uL) bastarda, bastarda ,grosse Galeere, be
sonders die Luxusgaleere des Kapudan Pasa' Barb. I 261. 265:
it. bastarda Jal 266.
Iä.o'L batenta ,Gesundheitspass' Zenker 157 b: it. patente.
berage , Vorrichtung, um die Kanone an Bord un
beweglich zu machen' Barb. I 293: it. braca, venez. braga
,Hose', braca del cannone, s. Boerio 96. Jal 330.
ScVl vJ bsranda ,Lagerstätte der Soldaten an Bord eines
Kriegsschiffes' Barb. I 293: it. branda ,Matrosenbett'.
LcuJvJ, Luuljj bsrasia, perasia ,Brassen' Barb. I 292:
it. braccia.
xloI«j bivata ,Jungfer, Jungfernblock, cap de mouton'
Barb. I 316: it. bigotta Jal 291.
bodza ,Commandoruf an den Steuermann = frz.
arrive' Barb. I 319: it. poggiare ,laisser arriver' Jal 1191.
bora ,heftiger Sturm' Barb. I 321: it. bora. Vgl.
Et. Wtb. d. Alb 42.
borandzine ,virole de metal Ix l’extremite de la
poulie', frz. ,cercles, frettes' Barb. I 321: unklar.
borda ,Schiffsseite, Bord' Barb. I 323: it. bordo.
borine ,Art Taue'. borinete ebenso. Barb.
I 328: venez. borina, borineta = it. bolina. Jal 316.
LöjJ böse, bosa ,Art Tau' Barb. I 332. 334: it.
bozza Jal 330.
hhj.lj vj bonavila ,trou du chat, Soldatengat' Barb. I 347:
unklar.
bojuna ,godille, grosser Bootsriemen' Barb. I 353:
unklar.
adül^j. xüilvJ branka, pranka ,Kette der Galeerensträf
linge' Barb. I 293. 390: altit.* branco ,chaines qui servaient a
attacher a un banc tous les rameurs de ce banc' Jal 334. Vgl.
Et. Wtb. d. Alb. 350 unter prange.
brik ,Art Fahrzeug' Barb. I 297, t^jv.d ibrek
Bianchi I 8: frz. brick aus engl, brigg, wahrscheinlich Abkür
zung von brigantine.
Türkische Studien. I.
75
bumbarda ,Art Fahrzeug' Barb. I 847: it. bom-
barda ,galiote a bombes, petit navire latin' Jal 306.
bumbe ,Raa des Besanmastes' Barb. 1 347: scheint
it. boma, Jal 306 unter bome.
burgata ,planche trfes-plate qui sert k mesurer
l’epaisseur des cäbles' Barb. I 324: unklar.
I^j^LoLä. camariva ,cominandement pour liisser les gree-
ments, les vergues, le pavillon etc.' Barb. 1571: wohl it. cima
arriva.
U«* Cima ,'Tauende, kleines Tau, das man beim Landen
ans Land wirft' Barb. I 630: it. cima.
dümen ,Steuer' Barb. I 768: it. timone-, ngr. tLfiövi.
ts^o! dzivadera ,civadiere' Barb. I 549: it. civadera
,nom d’une voile a peu pres abandonnee aujourd’hui, qui s’atta-
chait a une vergue suspendue sous le mät de beaupre' Jal 477.
sä-ÜBuI sskaca ,carlingue de mät, assemblage de char-
pente sur laquelle est fixb le pied du mät' Barb. I 54: it. scassa
Jal 1326.
SjJUüul sskalera ,echelle de commandement, au flanc
droit du navire' Barb. I 54: it. scala reale.
x^Iäa«! eskandze, mit etmek ,die Wache ablösen' Barb.
I 54: it. scangiare, scangio.
x^lä-wt eskarce ,charger en estive, Güter laden, die zu
sammengepresst werden können' Barb. I 54: it. carica.
sskarmoz ,Ruderspiker, Rudernagel, cheville k
laquelle on fixe la rame' Barb. I 54: gr. ay.aXy.6g, woher it.
scalmo, scarmo stammt. Jal 1460 unter tolet.
Lud sskarso ,Gegenwind' Barb. I 54: it. scarso
Jal 1326.
^LoLyüJ eskopamar ,Leesegel, Beisegel' Barb. I 54: it.
scopamari Jal 1331.
xisybuJ Eskute ,Segelleinen, Schoten' Barb. I 55: it. scotte,
aus dem Deutschen.
ssturpa ,Besen aus Tauenden' Barb. I 52, bei
Bianchi I 75 istropa ,perche, verge': it. stroppo.
76
I. Abhandlung: Meyer.
fanus,fanos ,Laterne, Leuchtthurm' Bianchi II346.
Auch arabisch und persisch: gr. cpavog.
^Lti feaer ,Fanal, Laterne' Barb. II 429: gr. qicaäoi von
cpavög. Auch im Arabischen, Frankel 96.
JüjAi feluka, fuluka ,Art Schiff' Barb. II 428: it. feluca.
Auch arah. stammt daher. Das italienische Wort seihst
aber ist arabischen Ursprungs, vgl. Körting 3372; das arah.
folk will man von gr. icpök/iov herleiten.
nJl'iji fsrkata ,Fregatte' Barh. II 411: it. fregata, span.
fragata, ngr. cptoyada. Das Wort ist unbekannten Ursprungs.
ferkatun, ferkatin entspricht span, fragatin,
it. fregatina ,kleine Fregatte'; it. fregatone grösseres Schiff'.
Vgl. Jal 718 ff.
feslcet ,Schiffspfeife' Barh. II 417 : it. fischietto.
jooiAi filama ,Wimpel' Barh. II 425: it. flamma, lat.
flamma Jal 699. Das gewöhnlichere Wort für ,Wimpel' ist
filandra, flandera Jussuf 299. Barb. II 425, woher ngr.
ipiXavToa; es scheint eine Contamination von flamma und it.
bandiera zu sein.
filo ,kleine Escadre von Kriegsschiffen' Barb. II 437:
it. filo.
iLÜj filenlc ,barres de hois transversales sur lesquelles
glisse le rouleau, en usage dans les chantiers de construction
et les remisages de bateau; poutres paralleles sur lesquelles
repose la chaloupe, quand eile a ete hissee a hord' Barh. II 427:
it. fianco, frz. flaue ?
vi födere ,Fütterung des Schiffes'; auch überhaupt
,Futter' Barb II 432: it. fodero aus dem Deutschen.
ijyj fora ,Commandoruf zum Oeffnen der Segel' Barb.
II 432 : it. fuora, venez. fora.
ziXiyi funda ,Commando zum Ankerwerfen' Barb. II434:
it. fondo.
2Uib^i, fertena, furtuna ,Sturm' Barb. II 432:
it. fortuna, ngr. cpovQTOvva.
Lc gabia ,Marssegel' Barb. II 377: it. gabbia. Jal 728.
Türkische Studien. I.
77
grandi ,Hauptmast* Barb. II 382: it. grande.
gomanci, gumena ,starkes Tau zum Ankern* Barb.
II 391: it. gomona, gomena, gumina ,Ankertau*, das man für
arabischen Ursprungs hält. Ygl. S. 9.
gurcata ,Ai’t Kreuzhölzer am Mast* Barb. II 390:
it. crocetta Jal 546.
x.'jjS'jS' gügerta, güverta ,Oberdeck* Barb. II 671: it. co-
perta, venez. coverta.
öIa + jI imbat ,bon vent, vent du large ou d’amont; bonne
brise qui Souffle tantot du levant et tantot du ponant* Barb.
1241. bati ,Westwind; Sonnenuntergang* Bianchi I 295:
gr. i/j,7tccTrjg ,occident* Legrand; epnargg ,vento foraneo* Soma
vera. Von ep,ßahw.
xlXlwl islcele ,Landungsplatz* Barb. I 55: lat. scala; über
e vgl. Et. Wtb. d. Alb. 406 f.
iskandil ,Senkblei* Barb. I 54: it. scandaglio-,
Jal 1324 gibt auch die Form scandiglio- ngr. oytavTafa, axavriki.
J-.U-uJ ispaoli, ispavli ,Art dünne Taue* Barb. I 46: it.
spago. Vgl. Jal 1375 unter spaolo.
isparcina ,nceuds de chanvre enroules autour
des cordages* Barb. I 46: it. sparcina, sparzina Jal 1376 (ge
nuesisch und venezianisch).
20'iLi.uJ ispilata ,Fähre, Fahrzeug* Zenker 36b: ro
manisch, vgl. rnlat. platta, it. piatta, frz. plate ,Wasserfahrzeug
mit plattem Boden*, aber zunächst se. splata ,Fähre, Floss*.
Mi., Slav. El. 9.
LJUwt istalia ,Liegezeit eines Schiffes* Barb. I 48: it.
stallia.
ljLäaJ istif, mit etmeli ,Ballast, Waaren einladen* Barb.
I 52: it. stivare ,Ballast einladen*; ngr. ffrißagw.
aJtÄÄ-uj! istinga ,die Segel aufgeien* Barb. I 51: port.
estingar ,die Segel einholen*, ngr. (ruyyaoo). Jal 425 unter
carguer. Das Wort ist wohl mit it. stringare ,zusammen
schnüren' identisch.
xJljÄAld istralie ,Art Taue, Stag, Stütze* Barb. I 50:
it. straglio.
78
I. Abhandlung: Meyer.
jes-Lo.vA^J istromaca ,cordes ou cliaines entortillees, entre-
lacees* Jussuf 498: it. stramazzo ,paquet cle vieilles cordes ou
nattes pour soutenir le recul des canons dans un vaisseau*
Jal 1394.
jLs jali, jals ,Ufer des Meeres oder eines Flusses; Lust-
liaus am Meeresstrande* Barb. II 871: gr. yiakög ,Ufer* aus
alyiakög.
jisa Commandoruf zum Hissen der Segel. Barb.
II 897: it. issare, frz. hisser. Jal 830. Aus dem Deutschen.
xiöli' kadena ,Kette der Galeerensclaven* Barb. II 447:
it. catena, venez. cadena.
xjcjlXj kadsrga ,grosse Galeere*. Barb. II 447 :
gr. v.aTEoyov.
oLlIs kalafat ,das Kalfatern* Barb. II 530: it. calafcitare;
das türkische Wort gibt jedenfalls die europäische Form des
in seinem Ursprünge noch nicht ganz klaren Wortes wieder.
Vgl. Dozy-Engelmann 376. Frankel 230.
x+jJUs kalema ,Haufen zusammengerollter eiserner Taue
zum Halten des Ankers* Barb. II 470: it. calumare, span.
calomar bedeutet ,ein Tau nachlassen*. Eher aus it. colmo oder
colmata ,Haufen, Anhäufung*.
kalieta ,Schiffszwieback* Bai’b. II 533: it. galetta.
jCCaIj kalieta ,Art Schiff* Barb. II 533: it. galeotta, frz.
galiote. Jal 760.
^ wJLi' kaliun ,Art Kriegsschiff* Barb. II 535:
it. galeone. Jal 757.
Shells kamara ,Schiffscabine* Barb. II 472 : it. camera.
Davon kamerot ,Diener, Kellner an Bord*, it. camerotto.
xiojy/Ji kapurta ,Luke* Barb. II 498: it. hoccaporta, gr.
liTtovy.anöfjta. Jal 614.
^LxjLs Jcaptan ,Schiffscapitän*. kapudan ,Ad
miral*. Barb. II 440. 498: it. capitano. Das zweite ist das
ältere Lehnwort.
karantina ,Quarantäne* Barb. II 505: it. qua-
rantina.
Türkische Studien. I.
79
karavana ,gamelle' Jussuf 540: Jal 417 kennt it.
caravana im Sinne von ,convoi de navire, Flotte'. Das Wort
stammt aus dem Orient.
karavela ,Art Schiff'; jetzt ,grosses Kai'k' Barb.
II 506: it. caravella Jal 418.
^5»Li' Icaravi ,grosses Segelboot' Barb. II 815 unter
gr. y.aoäßi.
yo\.j karga Lasso Barb. II 452, das it. Commando
carica abbasso; cargabasso ist ,Niederholer der Stagscgeb.
Jal 424.
s^LaJ» kasara ,Back' Barb. II 520: it. cassero ist im Gegen-
tlieil ,Schanze' (Hinterdeck). Entweder ist die Bedeutung des
türkischen Wortes unrichtig angegeben, oder es besteht eine
alte Verwechselung.
juilxiy» komania, kumanja ,Provision an Bord' Barb.
II 578: ngr. v.oviMtavia, it. compagna Jal 496 ff.
U^Lyo^j' kornpas ,Compass' Jussuf615: it c.ompasso.
korvet ,Corvette' Jussuf 619. Barb. n 558: it.
corvetta.
*d!jS kovala ,constructions legeres en planches recouvertes
d’un toit, sur le bord de la mer' Bai’b. II 544: wohl it. cavallo
,Dachstuhl, Dachgestell'.
^5Ji konboj ,Panzerschiff, das eine Kauffahrteiflotte
escortirt; Meine Flottille' Barb. II 579: it. convoglio, convojo.
kulumbur ,Theil des Mastes zwischen Mastkorb
und Eselshaupt' Barb. II 576: it. colombiere Jal 489.
(jjjyk'i kulus ,dicke Taue' Bianchi II 503: arab. Plural
von aus gr. v.ähaq. Fränkel 228.
,jLoyyS kursan ,Seeräuber' Barb. II 555 : it. corsale, cor-
saro aus lat. cursarius.
a.sJ^JyyS kurtlaca ,Beisegel' Barb. II 553: it. coltellaccio.
Jal 490.
leerte ,Viertel des Compasses' Jussuf 581: it. quarto.
80
I. Abhandlung: Meyer.
yij^ lcörfüz, Körfez ,Golf' Barb. II 659. Jussuf 590: ngr.
v.öocfog aus xdUrog. ji ^ ist auch der türkische Name der Insel
Korfu, der von zoQvcprj herstammt, s. Hatzidakis, Einleitung 378.
liila ,Kiel' Barb. II 689: it. chiglia, frz. quille, aus
dem Deutschen.
lasJca ,halbgespanntes Tau' Barb. II 695: venez.
lascare Boerio 361. Jal 913.
XÜ lenger ,Anker' Barb. II 705: persisch (Vullers
II 1099). Arabisch geht auf gr. dy/.voa zurück. Das per
sische Wort ist nicht klar (Nöldeke, Pers. Stud. II 39), die
Erklärung aus it. Vancora mit festgewachsenem Artikel (Mi.,
Tü. El. II 16) ist unmöglich. Bianchi I 294 kennt auch ein
türkisches, dort für persisch ausgegebenes enger ,Anker'.
L! leva ,Commando beim Rudern, aux rames!' Jussuf
655: it levare, leva remo Jal 925.
liman ,Hafen' Barb. n 711: gr. hprjv; ngr. hudvi
ist aus dem Türkischen zurück entlehnt.
xa+D limbe ,Transportschiff auf der Donau' Barb II 711:
gr. Upßoq.
tj») 0 vi lodos ,Südwind' Barb. II 707 : gr. vörog. I aus n
auch in latrun für natrun ,Natron'; vgl. neblebi für
leblebi Et. Wtb. d. Alb. 302. 525.
lornbar ,Stückpforte', auch )y J g j0 y^ lombur Jussuf
661: mit ngr. lovpmxQda ,Bombe' (Et. Wtb. d. Alb. 251) zu
sammenhängend ? vgl. it. cannoniera. Bretonisch lambourz
Jal 1302 klingt an; auch der Ursprung von frz. sabord ist
nicht aufgeklärt: steckt in allen diesen Wörtern porta (vgl. it.
portello u. ä. für ,Stückpforte')?
lundra, lundura ,Art Boot' Barb. II 709: rum.
luntre ,Art Kahn' aus lat. Unter, hinter. Alb. Tündre, ngr. ’kov-
tqci, it. londra Et. Wtb. d. Alb. 251. Macedorum. Undure
(IqvvzovQa) nach Kavalliotis S. 17 unter ßüoy.a; dies ist nicht
unrichtig, wie Mi., Rum. Unters. I 2, 22, Rum. Lautl. II, 55
annimmt, sondern gibt das türk, lundura wieder. Auch serb.
bulg. lontra nach Jal 941. Mir scheint das wahrscheinlichste,
dass das türkische Wort 'aus dem Rumänischen stammt, und
dass die Türken es weiter verbreitet haben.
Türkische Studien. I.
81
matuna ,Winde zum Aufrichten der Masten'
Barb. II 714: venez. mazzonci ,pestello grande' Boerio 407.
siAx! mandzana ,grosser Bottich für Trinkwasser an
Bord' Barb. II 788. Unklar.
l^o maneska ,grand paran [soll wohl heissen: palan]
muni d’une poulie h languettes' Barb. II 721: it. mcinesco?
äükolxi manilca ,Windsegel, Windbeutel' Barb. II 723: it.
manica. Jal 962. 965. Dasselbe manica in der Bedeutung
,Trupp Soldaten' ist wohl s.iü Lo manka ,reunion des matelots
autour de la gamelle' Barb. II 723.
manivela ,Kurbel des Steuers' Barb. II 723: it.
manovella.
äv^wjIx; majistra ,Hauptsegel am Hauptmast' Barb. II 724:
it. maestra. Jal 952.
LoLo majna Commando zum Streichen der Segel. Barb.
II 725: it. mainare, ammainare.
mantij mandar, LyLvÄiLo mantilia ,Hisstau'
Barb. II 720. 721: it. mante, amante, (a)mantiglio. Jal 968 f.
masteka, pasteka ,Kinnbacksblock' Barb.
II 716. I 381: it. pasteca. Jal 1141.
siel.« viata ,Block zum Aufgeien' Barb. II 717: altvenez.
matta, ngr. pdcTa. Jal 989.
■.yi Uüo metafor ,am Schiff aufgehängtes Boot' Barb. II 728.
Unklar. Hat griechisches Aussehen; fj-STsajoog?
jJiXam,x> mistiko ,Art Fahrzeug' Zenker 845 a: span, mistico,
das selbst aus arab. entstanden ist. Dozy-Engelmann 314.
xlyo mola Commando zum Nachlassen eines Taues; auch
,Ruhe, Ausruhen, Nachlassen' im Allgemeinen. «Jj-U amola ,vor
wärts', Ruf der Kaikdzi: it. mollare ,nachlassen‘. lieja-
mola Ruf beim Aufziehen einer Last. Barb. II 799. 857.
Jussuf 745.
muco, miöo, meco ,Schiffsjunge' Barb. II 795.
804: it. mozzo. Vgl. Körting Nr. 5515.
^e.b navi ,grosses Segelboot' Barb. II 815: it. nave.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXVIII. Bd. 1. Abh. 6
82
I. Abhandlung: Meyer.
^J.b navlun ,Befrachtung, Miethen eines Schiffes' Barb.
II 815: gr. vctvXov.
nevtij, nutij ,marin, pilote' Bianchi II 1144: arabisch,
aus gr. vavctjQ. Frankel 221.
Laj ^! ohianus, u*jöLü>! ekianos , Occan' Bianchi
I 253. 161: gr. ämeavös-
Lw^l orsa ,Backbord' Barb. I 152. Radloff I 1076: it.
orza. Jal 1098.
^ Le hi Ij palamar , Ankertau, Yerbindungstau' Barb. I 384:
it. palamar a, palombera, cat. palomera, ngr. jtaXapägL Jal
1112ff. Der Ursprung des Wortes ist nicht aufgeklärt; viel
leicht ist vom Griechischen auszugehen und das Tau, womit
man das Land fasst, als ,Hand' (Dem. von nakäg,r\) bezeichnet.
pareme ist nach Barb. I 379 eine Entstellung von jU'Jls.
palanko ,Hisse' Barb. I 385: it. palanco, paranco
Jal 1113. Den gleichen Ursprung hat «JühlL palanka ,Art
Talje' Barb. I 405. Zu Grunde liegt wohl cpalay^.
palaserte ,Rüste' Barb. I 384: it. parasarchie,
genuesisch parasartie. Jal 1131.
xjjyUuhfb palasturpa ,ecouvillon, Kanonenwischer' Barb.
I 384: Jal 1112 hat aus der arabischen Marinesprache Nord
afrikas pala stupa ,valet'. Wohl palla a stoppa ,Kugel mit
Werg'.
palavre ,Kuhbrücke' (leichtes Deck unterhalb der
untersten Batterie) Barb. I 385: schwerlich romanisch; es er
innert an russ. na.iy6a, serb. palub ,Verdeck' Jal 1120.
juiL panie ,Tau, womit das Hintertheil des Kaik am
Lande befestigt wird' Barb. I 387: unklar. Gr. rtama sind
,Segel'.
papafingo ,Bramsegel' Barb. I 371: it. pappaßco,
venez. papafigo.
paracol, psracol ,courbe, Knie in der
Schiffsconstruction' Barb. I 377. 390: it. bracciuolo.
vparalcet ,Log, Geschwindigkeitsmesser eines Schiffes'
Barb. I 377: altit. barchetta, daher auch ngr. mzoyJxa, arabisch
in Nordafrika ferghetta; vgl. span, barquilla, port. barquilha,
Türkische Studien. I.
83
frz. früher petit navire; noch jetzt heisst das dazu gehörige
Brettchen bateau. Jal 939 unter lolc.
ajjLj parle ,Block des Kabeltaus' Barb. I 378: unklar.
Span, paral espece de rouleau pour tirer les navires a sec sur
le rivage. Jal 1129.
«-woyiLs paterisse, pater ace ,Pardunen, Art Taue'
Barb. I 372. 373: patarazzi, paterassi.
xjyjlj patrona ,Vice-Admiral in der alten türkischen
Flotte'; ,Flagge am Fockmast des Admiralschiffes'. Barb. I 372:
it. patrona hiess das Schiff des Vice-Admirals. Boerio 483.
L patrun ist nach Bianchi I 295 ,patron de barque'.
ntXxS'yj perliende ,kleine Brigg, besonders Freibeuterschiff 1
Barb. I 394: it. brigantino.
jiyi perno ,Haken eines Blocks' Barb. 1 397: it. perno
,Zapfen, Pflock'.
jXo pinel ,Signalflagge am Maste' Barb. I 426: it. pen-
nello ,Fähnchen'.
l=^j_s pod&a ,Steuerbord' Barb. I 414: it. poggia.
JoUo ponat ,Beisegel' Barb. I 409: it. bonetta. Jal 308.
JvJj* pojraz, vulgäre Aussprache porjaz ,Nordostwind'
Barb. I 421: ngr. ßoQiäg aus ßoqeaq.
Ij prama, prame ,zweirudrige Barke zum Uebersetzen
von einer Seite des goldenen Hornes auf die andere' Barb.
I 390. Bei Jal 1161 pereme: gr. rtegapa passage, barque'.
Vgl. Mi., Slav. El. 17.
s.vi'jJ puhrava ,parties de la membrure du navire qui
s’appuient sur la carlingue contre les bordages appeles vaigres'.
Barb. I 419: schwerlich romanisch. Man wird an russ. uoiipOTiT.
,Decke, Dach' erinnert.
JLöjj puntal ,Hohl eines Schiffes' Barb. I 420: it. pon-
tale. Jal 1200.
pupa ,Hintertheil des Schiffes' Barb. I 412: it. poppa,
venez. pupa.
xJyOji pusula ,Compass' Barb. I 418: it. bussola.
G*
84
I. Abhandlung: Meyer.
xa.c rampa ,Enterhaken' Barh. II 11: it. rampo, rampa
,Haken, Kralle'.
randa ,Briggsegel' Barb. II 11: it. randa ,Girksegel'.
riala, auch riala-bej ,Contrc-Admiral' in der alten
türkischen Marine. Barh. II 31: eigentlich Commandant der
reale genannten Galcrc.
roJcet ,Signalrakete bei der Rettung Schiffbrüchiger'
Barb. II 29: it. rocchetta ,Rakete'.
safra, sabura, s zafra, zefre, zafura
,Schiffsballast' Barb. II 210. 41: it. savorra und zavorra; vgl.
Et. Wtb. d. Alb. 420; die Form mit kann aus arab.
stammen, das direct auf lat. saburra zurückgeht.
xs^Lo xäJLw salta marka ,Art Matrosenjacke' Barb. II 62:
it. saltambarco.
aiojULo saparta ,Geschützsalve von einer Seite des
Schiffes' Barb. II 171: it. sabordo ist ,Stückpforte', bordata die
,volle Lage, Salve'.
sart ,Wanttau' Barb. II 58: it. sarte. Jal 1319.
Ia-w sia Commandoruf zum Rückwärtsrudern. Barb.
II 118: it. sciare, venez. siar; ngr. amom. Jal 1330.
silistra ,Pfeife' Barb. II 92: gr. avolaroa.
sintina, sentina ,unterster Schiffsraum, Kielraum'
Barb. II 100: it. sentina.
talaz, talas ,Meereswoge' Barb. I 435.
II 265: gr. d-alaooct.
tavlun ,Planken des Verdeckes' Barb. II 274:
it. tavolone.
tiramola ,Art Winde' Barb. 1 506: it. tiramolle.
xj'iLöjia tonilata ,Tonne, Schiffslast von 792 Oka' Barb.
II 331: it. tonellata.
. torpido ,Torpedo' Jussuf 1195. Auch cUj^Io
torpil ; aus frz. torpille.
a^SCövi' trinlceta, tirinliet ,Fockmast' Barb. I 464.
Jussuf 1204: it. trinchetta. trinlcetin ,kleiner Fock
mast'. Jal 1490.
Türkische Studien. I.
85
vapor ,Dampfschiff' Barb. II 834: it. vapore; ngr.
ßdCTCÖQl.
Il^Ij varda kosta ,Art Schiff zur Bewachung der
Küsten' Barb. II 835: it. guardacoste, venez. vardacoste.
joL« vardamane ,Art Lederhandschuhe zum Schutz
der Hände beim Segelaufziehen'; auch die Seile, welche das
Geländer der Schiffstreppen bilden, heissen so. Barb. II 835:
it. guardamano.
jCcJj! volta, olta ,das Lavieren' Jussuf 1240; nach
Barb. II 845 ,roulis; bordee d’un navire': it. volta.
Anhangsweise sei erwähnt, dass auch die englischen Aus
drücke sskro, jySUuyS uskur ,screw, Schraube' (Barb.
I 54. Jussuf 923), xi yüJ sskune ,schooner', vny+iyi feribot
,ferry boat', fulispid ,full speed', istim ,steamer',
y'Syj, s^.j'^5 koter, kotra ,cutter' in die türkische Marinesprache
Eingang gefunden haben.
XXIY. Verschiedene Neologismen.
Ich stelle hier ganz kurz eine Anzahl der neuen Ausdrücke
zusammen, welche mit dem Eindringen der abendländischen
Cultur in den osmanisch-türkischen Wortschatz Aufnahme ge
funden haben, ohne irgend Vollständigkeit zu beabsichtigen.
xj^jt abone ,abonne'; vdUxj^.j! abonelik ,abonnement'.
anonim ,anonyme'.
azot ,azote'.
Ij balun ,ballon'. Davon ^sZyiVibalundzu ,aeronaute'.
jyjubarumetru ,barometre', it. barometro.
s^IAas», ä^ls.A=» cegara, d£igare ,Cigarette'. Auch 8^1Aa.w
sigara. Aas- csyaralsk ,Cigarettenspitze'.
diploma ,diplome, certificat'.
jyX'ijö doktor ,Arzt'.
dus ,douche'.
I. Abhandlung: Meyer.
(Jj.AÄ*v Ia+a==- dzimnastik ,gynmastique'.
LAit^.i=> dzagrafia ,geographie'.
^aäa^I elastik ,elastique'; auch ^aä-w^ lastik.
I elektrik ,electricite'.
farmasun ,franc-ma§on'.
filigran ,filigrane', im Türkischen ,Papier mit
Wasserzeichen'.
aiü^.Ai fizika ,physique'.
»jOjjh forma ,Satzform in der Druckerei; Druckbogen';
auch ,Uniform'.
yy&Mjyi fosfor ,phosphore'.
fotograf ,photographe'.
Kjj-c gazeta, kazeta ,Zeitung', it. gazzetta.
)y?.y^ güpür ,guipure'.
IaxiIäauI istampa ,Presse', it. stampa.
(Jj.xÄAu.i'Lx.«J istatistik ,statistique'.
kazino ,casino' it.
jyXS&jyi kondektor, kondüktör ,conducteur', in Eisenbahn
oder Tramway.
iiXf.5yM.iy3 konsolide ,titres de la dette consolidee'.
kjyi kupe ,coupe' in der Eisenbahn,
jjoil lando ,landau', Art Wagen.
Utografia ,lithographie'.
k+äj^LcjJ logaritma ,logarithme'.
xj>y\jSy} lotarija ,loterie'.
^Ia«Lo tniljar ,milliard'.
^aUo miljon pnillion'.
üCiyjo moda ,Mode'.
Xjyjc muze ,musee'.
nümero ,numero'.
Türkische Studien. I.
87
U*^.aaJuojI Omnibus ,Omnibus 1 ,
vaol^lo parapet ,parapet'.
äS^L» parlie ,parquet'.
petrol ,petrole'. In Makedonien gas. Bilguer 15.
plan ,plan'.
porslan ,Porzellangefäss zum Isoliren der Drähte
im Telegraphenapparat'.
post ,poste, emploi public'.
jdaLo^j pomata ,Pommade', it. pomata.
rezi ,'Tabakmonopol', frz. regle.
ms salon ,salon'.
sifon ,siphon'.
f.Mu silindir ,cylindre', Dampfmaschine in der Litho
graphie.
soda ,Soda'.
ÜjSUjü Sifra ,chiffre', Geheimschrift.
telefon ,telephon'.
telegraf ,telegraphe', auch für Telegramme'.
jyXjcycyj termometro ,Thermometer' it.
U^.t^ö tsravers ,trayerse', beim Schienenbau.
teransport ,transport', Ausdruck der Litho
graphie.
tsren ,Eisenbahnzug', frz. train, it. treno.
Jys tül ,tulle'.
Jkjyi tünel ,Tunnel' engl.
vagon ,Waggon'.
200^ lüolj zandarma ,gendarme'.
zumal Journal, rapport de police'.
88
I. Abhandlung: Meyer.
Nachträge.
Kurze Zeit, bevor ich das Manuscript der vorstehenden
Abhandlung der kais. Akademie der Wissenschaften einsandte,
schrieb mir Herr Jean Psichari in Paris, dass er mit der Aus
arbeitung eines Lexikons der griechischen Lehnwörter im Os-
manli beschäftigt sei. In der Einleitung zu den von ihm soeben
herausgegebenen Etudes de pkilologie neo-grecque S. LXXIII ff.
berichtet er über den Sachverhalt und theilt einige Proben aus
seiner Arbeit mit, deren Veröffentlichung er bis nach dem Er
scheinen der meinigen verschoben hat. Psichari’s Arbeit ist,
so weit ich daraus sehen kann, in den einzelnen Artikeln breiter
angelegt als die meine und hat ein Hauptgewicht auf die Ge
schichte der in Betracht kommenden griechischen Wörter inner
halb des Griechischen gelegt, wovon ich mit Rücksicht auf
meinen nächsten Zweck glaubte absehen zu sollen. Ich hoffe
und wünsche, dass Psichari’s Lexikon meine Studien in recht
vielen Punkten ergänzen und verbessern möge.
S. 3. Werthvolle Bemerkungen über griechische Lehn
wörter im Aramäischen gibt Xöldeke in der Einleitung zu seiner
mandäischen Grammatik. In diesem Zusammenhänge sei auch
des Glossarium graeco-hebraeum von Fürst (Strassburg 1891)
gedacht. Die unrichtige Ansicht Renan’s (Histoire generale
des langues semitiques I 4 295), dass die griechischen Wörter
in den Formen des ,makedonischen' Dialektes in die orien
talischen Sprachen Eingang gefunden hätten, erwähne ich blos
deshalb, weil sie noch in neueren Werken nachgesprochen
worden ist, so von Budinszky, Die Ausbreitung der lateinischen
Sprache (Berlin 1881) S. 233, A. 12 und von Mitteis, Reichsrecht
und Volksrecht in den östlichen Provinzen des römischen Kaiser
reiches (Leipzig 1891) S. 25. Es handelt sich selbstverständlich
nur um die Formen der Koivrj.
S. 7. Der Aufsatz von Mikrojannis über die lateinischen
Elemente des Neugriechischen und ihre Unterscheidung von den
italienischen in der ‘Egticc 1891, II 49ff. 65ff. (vgl. Thumb,
Die neugriechische Sprache, Freiburg i. ß. 1892, S. 33) ist mir
Türkische Studien. I.
89
nicht zu Gesicht gekommen. Jetzt wird diese Frage auch von
Psichari, Etudes p. 159 ff. behandelt. Recht gut ist die Arbeit
von Lafoscade, Influence du Latin sur le Grec, ebenda p. 83
bis 158.
S. 16. 'S.xrgiiroLi für ,Constantinopel' liegt geradezu vor
im Dialekt von Phertakäna .in Kappadokien, Aelxiov I 504.
Ausserhalb des Gebietes der Städtenamen liegt eine solche
Verbindung vor in dem kleinasiatischen oxr/yrj ,Erde' aus V xrjv
yfjv, in Phertakäna, Aekxiov I 503, und daraus azrj, Lagarde,
Neugriechisches aus Kleinasien 63, letzteres von Karolidis FXioa-
(jäoiov §’LXTjVOzarm aäoy.i/.ü>v Xs^scuv S. 214 gründlich verkannt
und als Bildung von Wz. axä- gefasst.
S. 19. Aus türkisch stammt ngr. Icztqovl bei Foy,
Lautsystem 40.
S. 21. uroyUj ist gr. ^ayävog, das hei Du Cange 455 mit
der Erklärung ,avis venaticae genus' steht; dies selbst aber
stammt aus pers. zagan ,Weihe'. Rumänisch zagan ^iaine-
anu 113.
Aus frz. anchois stammt auch ngr. avi'Qcha Vyzantios 546.
x’Qayavog findet sich in der ’A:/.o’Lovt)[a %ov airavov (Legrand,
Bibliothbque grecque vulgaire II) Z. 497 und öfter. Aus dem
Griechischen des Pontos laziscli iagana Rosen, Ueber die
Sprache der Lazen 29.
S. 23. In jakamoz ,Meeresleuchten' wird v.agög ,Brennen'
von y.avya> (= -/.aiLo) stecken, yia/.auog — *diaxa/udg ?
S. 24. Vyzantios 547 hat für hßaqi. auch ßißäqi und
ÖLßcCQL.
S. 30 füge man hinzu
sAjj.i funda ,Buschwerk, Gesträuch' Jussuf 303; ,sar-
ments' Bianchi II 404: ngr. cpovvra ,Büschel, Busch, Strauch,
Flocke, Franse', cpovmüvo) von Bäumen ,belaube mich', aus lat.
funda ,Schleuder, Wurfnetz, Geldbeutel', unter Einmischung
der Bedeutung von frondem,, it. span, fronda ,Laub', vgl. prov.
fronda, nfrz. fronde, it. fionda ,Schleuder', gegenüber afrz. fonde,
span, fonda, port. funda. Also alte Confusion von funda und
*frunda aus frondem (mit geschlossenem o).
90
I. Abhandlung r Meyer.
S. 32. Für ligusticum bietet Lang'kavol 131 XiyvaciY.ov.
Xsßuvza liest man Syllogos XXI, 342, 146; Vyzantios 558 gibt
Xußuvöa.
S. 33. Bei oylamur, filamur, cpXauovoi, liegt es natürlich
sehr nahe, an lat. flammula zu denken, das als cpX&ppovXov
cplappovQOv ins byzantinische Griechisch übergegangen ist. Auch
ich habe daran gedacht, aber diese Combination sogleich von
mir gewiesen, da (pXappovqov (pXaprcovqov, wie das lateinische
Wort, im Mittelgriechischen und Neugriechischen (wo es auch
als xläpLTtovQOv und frXäpzcovQOv vorkommt) lediglich ,Fahne*
bedeutet, wovon ich zu ,Linde* nicht zu gelangen weiss. Psi-
chari, Etudes p. LXXIY führt nun, ausser (pXauuovXiov ,Fahne*
bei Kedrenos, einen Pflanzennamen cpMppovXa aus Dioskorides
IV 129 = Bd. I, S. 613 Sprengel an, der übrigens auch bei
Sophoklis schon verzeichnet ist. Dieser Name ist dort Synonym
von Xeovzotcoölov und bezeichnet (siehe Sprengel’s Commentar
Bd. II630) eine kleine Alpenpflanze, Gnapjialium leontopodiumL.
Vgl. it. fiamviola ,Sumpfhalinenfuss*. Also auch von hier ist
keine Brücke zur ,Linde*.
S. 36. Zu sülümen vgl. arab. ,Arsenik, Sublimat*.
aovXipav kommt in den Jatrosophia des Staphides (Legrand,
Bibi. gr. vulg. II) Z. 375 v<?r (14. Jahrhundert). Ebenda
Z. 350 steht schon gsqvly.6 ,Arsenik*.
S. 38. Die von mantona ,Mätresse* gegebene Erklärung ist
unrichtig. Das Wort ist nichts Anderes als das italienische
mcidonna, durch Vermittlung von gr. pavzova, das man in einem
athenischen Märchen JsXziov I 146 liest.
Auf dieser Seite wäre nachzutragen das auch im Türkischen
gebräuchliche arabische ykno safer, sefr ,Null*, wenn Krumbacher
(Woher stammt das Wort Ziffer? in Psichari’s Etudes p. 346ff.)
mit seiner Herleitung aus einem griechischen ipi]cpo[cpo]()ia das
Richtige getroffen hätte. Doch gestehe ich, dass mir trotz der
gelehrten und scharfsinnigen Ausführungen Krumbacher’s nicht
alle Zweifel behoben worden sind.
S. 39. Ueber yprata glaube ich nach nochmaliger Ueber-
legung jetzt sagen zu können, dass es nichts Anderes ist als
griechisches ywQiazia ,grossierete* Legrand, das man als yoxoia-
Türkische Studien. I.
91
zia in der Geschichte des Ptocholeon (ed. Legrand, Paris 1872)
V. 181 liest. Dies ist eine Ableitung von ywQidzrjg ,Bauer'.
Das Wort war also auf S. 38 zu yoirat, zu stellen. Diese, wie
ich glaube, richtige Erklärung steht schon bei Barbier I 720,
an einer Stelle, die mir früher entgangen war und auf die
Psichari a. a. 0. S. LXXXII hingewiesen hat. Ich freue mich,
mit diesen beiden Gelehrten übereinzustiinmen.
S. 43. Zu sstabsl tavla : rj rcißla ,Stall' führt Hatzidakis,
Einleitung S. 3G0 aus Amisos (Samsun) im Pontos an.
S. 44. Zu podrum: der heutige Name von Halikarnassos
ist j. ks öyj budrum, was ursprünglich wohl den ,Hafen' be
zeichnen soll.
S. 45. Für ,Schlüssel' heisst es mit einer etwas anderen
Bildung in Trapezunt ävoiyao: Syllogos XVIII 140. In Kappa-
dokien sagt man dvapcgm, AtXxiov I 716, d. i. ävoLXvrjQiov, mit
derselben Assimilation wie im Türkischen.
S. 46. Für meine Ableitung von ßovQzaa spricht die Form
ßqovzaa, die sich bei Pio, Contes populaires S. 185 in einem
Märchen aus Astypalaea findet.
S. 48 ist zuzufügen
^LkjLc kaitan, gaitan ,Band'. Bianchi
II 537. Barb. II 596: gr. ydiszavov bei Galenos QeQcarcevzi’x.i]
ge-dodog (die Schrift ist zwischen 170 u. 200 n. Ch. geschrieben,
s. Ilberg, Rhein. Museum XLIV 207 ff.), Bd. X 942 Kühn
yiyvead-coaav d’ ol xoiovxoi tü>v ßoöyojp (zum Abbinden von
Blutgefässen) ij; l'Xrjg övaarjrr.xov * zoiavzrj <V iffzlv iv 'Pojgrj gsv fj
zwv yaisxavätv övoua'QogtvüJv, ex gsv zfjg xwv KsXzüv yojoag yopit,o-
fievaiv, nmouayogivojv de gdliaxa v.azd zfjv u-occv oddv, Xjzig ex rov
zfjg 'Poji.irjg \eqov v.azäysi Ttgög zag dyoodg. Lateinisch bei Marcellus
Empiricus (Anfang des 5. Jahrhunderts) gaitanum ,zona, cin-
gulum' nach Du Cange, Gloss. lat. III 460 b. Das Wort soll
von der Stadt Gaeta in Italien herstammen (Korais, ^Axay.va
I 107. W. Wagner in seiner Ausgabe des Imberios S. 55).
Aber die Stadt heisst lat. Cajeta, griech. bei Strabon Kauiza,
bei Appian und Diodor Kaiijxg, und ein g- ist in so früher
Zeit kaum glaubhaft. Das türkische Wort erscheint auch im
92
I. Abhandlung: Meyer.
Neuarabischen ,Schnur, Besatz') uncl in den südost
europäischen Sprachen (Mi. I 86). Ngr. auch ßatavi auf Ni-
syros, Syllogos XIX 191; yaizäna schon bei Trinchera, Syllabus
membranarum Nr. 356 (1211 n. Chr.). Ebenda Nr. 487 (1273
n. Chr.) steht yäixa ,taeniola', was, wenn es richtig gelesen ist,
an arab. ,Fussfessel, Kette, Riemen' erinnert. Ein per
sisches das Barbier de Meynard II 596 anführt, scheint
nicht zu existiren.
S. 57. avyöv öocprfcöv (die türkische Form beruht diesmal
auf dem Singular) findet sich schon in Staphides’ Jatrosophion
Z. 97.
S. 58. Ueber mx^ifxadi vgl. Korais ^'Axav-ia I 259 f., der
zwischen der Annahme anatolischer Herkunft und der Ableitung
von dem Namen eines culinarischen Schriftstellers Tla^af-iog
schwankt; Gl. Wyndliam im Ptocholeon von Legrand S. 49, der
sich für die Herleitung von TLü^auog ausspricht. Für persisch
erklärt das Wort auch Sophoklis in seinem Lexikon.
S. 59. mars. Auch die ausführliche Belehrung, die man
aus Krünitz, Oekonomisch-technologische Encyklopädie, Bd. 187
(Berlin 1845), S. 707—722 über das Trictrac-Spiel und ebenda
185, 357—370 über das verwandte Toccategli-Spiel schöpfen
kann, hat mir zur Deutung dieses Ausdruckes nicht verholfen.
Die Doubletten (Paschwürfe) heissen darin, von den beiden As
angefangen, Anibbsas oder Bezet, Double deux, Ternes oder
Tournes, Carnes oder Carmes, Quines, Sonnes oder Sannes.
S. 60. Wieder zum Theil andere griechische Ausdrücke
für die vier Kartenfarben werden in einem Aufsatze im JIccq-
vuaaog YIH 57 angegeben, nämlich y.üna ,Coeur', rclÄvQog
,Carreau', nqecpa ,Pique', üv-d-og ,Treff'.
S. 66. ÖLcv/.og für ölccxoiv wie die bekannten yegog, dgäxog,
XaQog für yegcov, doayojv, Xüoojv (Simon Portius ed. W. Meyer,
S. 129). yeZtog ,Nachbar' liest man in der Axolov&ia roü anavov
Z. 526. In Aenos (Syllogos YIII 533) und Epirus (JTardw^«
IX 215) sagt man sogar 6 rca&ög — nad-tiv. Aber das homerische
äoyog sollte man endlich aufhören damit zu vergleichen. Wie
ölü/mv aus öiayovog, so hat man k'yyuiv aus eyyovog gebildet
Türkische Studien. I.
93
(Sophoklis 412); diese Analogiebildung, ist vom Plural ausge
gangen, wo iyyövoi (nach eyydvtov u. s. w.) einem ysirövoi (von
yskwv) gleich war. Nach dem Singularnominativ ysirovag sagte
man auch syyovag (Hatzidakis JIsqi qid-oyyo'koyiY.Gjv vöfxwv S. 29).
S. 72. Zu dem Verzeichnisse der Marineausdrücke ver
gleiche man als Pendant die Liste portugiesischer Marinewörter
im Hindustani, die Schuchardt, Zeitschrift für romanische Philo
logie XIII 513 ff. gibt. Das 3 OvouaioXoytov vccvtmöv, Athen 1858,
72 Seiten, habe ich nie gesehen; nach der Anzeige in der ILav-
dwga IX 478 f. verfolgt es puristische Tendenzen und scheint
nicht sehr lobenswerth.
Die Abhandlung ist so umfangreich geworden, dass ich
aus Raumrücksichten auf die Hinzufügung der ursprünglich
(S. 10) beabsichtigten, übrigens im Ganzen entbehrlichen Wort
register verzichtet habe.
94
I. Abhandlung: Meyer.
Verzeichntes häufigerer Abkürzungen.
Barbier de Meynard, Dictionnaire turc-frangais. Paris. I. 1881.
II. 1886.
Beaussier, Dictionnaire pratique arabe-frangais. Alger 1887.
Bianchi et Kieffer, Dictionnaire turc-frangais. Paris. I. 1850.
II. 1871. 2. Ausgabe.
Bikelas, Sur la nomenclature de la faune grecque. Paris 1879.
Bilguer, Macedoniscli-türkische Wörtersammlung'. Schwerin 1889.
Bocthor, Dictionnaire frangais-arabe, revu et augmente par
Caussin de Perceval. 2. Ausgabe. Paris 1882.
Boerio, Dizionario del dialetto veneziano. 2. Ausgabe. Venedig
1856.
Bonitz, Index Aristotelicus, im 5. Bande der Berliner Ausgabe
des Aristoteles. Berlin 1870.
Blau, Bosnisch-türkische Sprachdenkmäler. Leipzig 1868.
Budagov, Sravnitelnyj slovar turecko-tatarskich nareöij. St. Pe
tersburg. I. 1869. II. 1871.
Casaccia, Dizionario geriovese-italiano. 2. Ausgabe. Genova 1876.
AsXriov zrjg \aroQufjg xal s&voXoyixrjg haiolag Trjg ‘EXXadog.
Athen 1883 ff.
Dozy, Dictionnaire detaille des noms des vetements chez les
Arabes. Amsterdam 1845.
Dozy et Engelmann, Glossaire des mots espagnols et portugais
derives de l’Arabe. 2. Ausgabe. Leyde 1869.
Du Cange, Glossarium ad scriptores mediae et infimae graeci-
tatis. Lugduni 1688.
Fränkel, De vocabulis in antiquis Arabum carminibus et in
Corano peregrinis. Leiden 1880.
—■ Die aramäischen Fremdwörter im Arabischen. Leiden 1886.
Fürst, Glossarium graeco-hebraeum oder der griechische Wörter
schatz der jüdischen Midraschwerke. Strassburg 1891.
Giglioli, Avifauna Italica. Firenze 1889. — Avifaune locali. Fi
renze 1890.
Hatzidakis, Einleitung in die neugriechische Grammatik. Leipzig
1892.
Türkische Studien. I.
95
Hehn, Culturpflanzen und Hausthiere. 2. Auflage. Berlin 1872.
v. Heldreich, Die Nutzpflanzen Griechenlands. Athen 1862.
Jal, Glossaire nautique. Paris 1848.
Jannarakis, Deutsch-neugriechisches Handwörterbuch. Hannover
1883.
Jussuf (Youssouf), R., Dictionnaire turc-francais. I. II. Constan-
tinopel 1888.
Justi, Kurdische Grammatik. Petersburg 1880.
Justi-Jaba, Dictionnaire kurde-francais. Petersburg 1879.
Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache.
4. Auflage. Strassburg 1889 (5. Auflage, Heft 1 bis 4).
K(avOxavrivi6i]q, Ah, ‘Elhjvo-oEwi.tavLy.dv ly/.ohuov. Constanti-
nopel 1875.
KoQai\q, Ad., ^Aramca. I—V. Paris 1828—1835.
Körting, Lateinisch-romanisches Wörterbuch. Paderborn 1891.
Lagarde, Gesammelte Abhandlungen. Leipzig 1866.
— Armenische Studien. Göttingen 1877.
— Uebersiclit über die im Aramäischen, Arabischen und He
bräischen übliche Bildung der Nomina. Göttingen 1889.
Langkavel, Botanik der späteren Griechen. Berlin 1866.
Legrand, Nouveau dictionnaire grec moderne frangais. Paris
(1882). Nouveau dictionnaire frangais grec moderne. Paris
(o. J.).
Loebel, Deutsch-türkisches Taschenwörterbuch. Constantinopel
1888.
Loew, Aramäische Pflanzennamen. Leipzig 1881.
Meyer, Gustav, Etymologisches Wörterbuch der albanesischen
Sprache. Strassburg 1891.
Miklosich, Die türkischen Elemente in den südosteuropäischen
Sprachen. I. II. Nachträge I. II. Wien 1884—1890.
— Die slavischen, magyarischen und rumunischen Elemente
im türkischen Sprachschätze. Wien 1889.
Muys, Griechenland und der Orient. Köln 1856.
Nöldeke, Persische Studien. II. Wien 1892.
Havdiüou, 2vyyoai.iua ne.oiodiv.6v. Athen 1850 ff. 22 Bände.
Pavet de Courteille, Dictionnaire turk-oriental. Paris 1870.
Radloff, Versuch eines Wörterbuches der Türk-Dialekte. Heft
1—4. Petersburg 1888—1890.
96
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Schräder, Linguistisch-historische Forschungen zur Handels
geschichte und Waarenkunde. I. Jena 1886.
Somavera, Tesoro della lingua greca-volgare ed italiana. Paris
1709.
Sophocles, Greek Lexicon of the Roman and Byzantine Periods.
2. Ausgabe. New-York 1888.
Syllogos, ‘0 sv KoivoxavtivovrcoXsi sM.rjViy.dg (piXoXoyr/.dg avXXnyog.
Saineanu, Elemente turce^tl in limba romänä. Bucure^tt 1885.
Sulek, Jugoslavenski imenik bilja. Agram 1879.
Vambery, Etymologisches Wörterbuch der turko - tatarischen
Sprachen. Leipzig 1878.
•— Die primitive Cultur des turko-tatarischen Volkes. Leipzig
1879.
Vullers, Lexicon persico-latinum. Bonn. I. 1855. II. 1864.
Vyzantios, Ae^lyöv rijg zßA’ i)uäg sXXrjvurjg rhaXsy.rov, fotd 2%ao-
Xäxov A. xov Bv'Cavriov. 3. Ausgabe. Athen 1874.
Zenker, Türkisch-arabisch-persisches Handwörterbuch. Leipzig.
I. 1866. H. 1876.
II. Abh.: Siegel. Das erzwungene Versprechen im deutschen Rechtsleben.
l
II.
Das erzwungene Versprechen und seine Behandlung
im deutschen Rechtsleben.
Von
Heinrich Siegel,
wirkl. Mitglied« der kais. Akademie der Wissenschaften.
I.
Ein mehrfach ausgesprochener deutscher Rechtssatz be
sagte, dass ein Versprechen, welches mit gutem, freien Willen
oder ungezwungen und ungedrungen gegeben wurde, gehalten
oder erfüllt werden müsse.
Ab ein man ist körnen zu den iaren der bescheidenlieit,
hat er sich ichtes verbunden, den enmag nit gehelfen des keisers
recht; er muz tun, daz er gelobt hat, er sal aber sin vnbe-
twungen. Sint gescr. stet: wes sich der man vnbetwungen
selber virbindet, der zu den iaren ist körnen der bescheidenlieit,
dez enmag in der keiser nit beschirmen. 1 Vgl. Sacramenta
puberum sponte facta super contractibus . . inviolabiliter custo-
diantur. 2
So wat een man deine anderen louet mit motwillen vmbe-
dwungen, dat schal he eme to rechte lesten, it sy an kope, it
sy an hure vnde in allen dingen. 3
Antiquum ius civitatis, quod quasi communiter ubique
servatur, habet, quod promissa, quae homo voluntarie facit,
adimplere debet. 4
1 Kleines Kaiserrechtsbuch IV, c. 14.
2 Friderici constitutio pacis 1158, Mon. Germ. leg. II, 112. Den Nachsatz
siehe unten S. 0 zu Note 2.
3 Hamburger Stadtrecht von 1270 VI, 14; von 1292 G, 13; von 1497 L, 2.
4 Brunner Schüffenbuch c. 595.
Sitzungsl)er. d. pliil.-liist. CI. CXXVTIT. Bd. 2. Alb.
1
2
II. Abhandlung: Siegel.
Auf die Frage, welche Bewandtniss es dagegen mit einem
erzwungenen Versprechen gehabt hat, lässt sich eine sichere
und genaue Antwort nur unter Würdigung der darauf bezüg
lichen Ausdrücke und Wendungen der Rechtssprache geben.
Da heisst es von einem Versprechen, das ohne die er
forderliche Willensfreiheit gegeben wurde: nulla ratione firma
sit 1 nullius esse momenti jubemus, 2 ne sal dur recht nicht stede
sin, 3 solche Gelübde: sullen kayn chraft nicht haben, 4 seyn
unbindig.®
Von dem, welchem ein Versprechen abgenöthigt worden,
wird gesagt: he ne darf it nicht lesten, 6 ipsum a fideiussionibus
. . duximus absolvendum et ad observationem earum nullatenus
amodo teneatur, 7 dez ist er alles mit recht ledig, 8 ad tale pro-
missum . . non obligatur nec compellitur ipso iure, 9 oder es
wird in sein Belieben gestellt, ob er erfüllen will oder nicht:
so mag er leisten oder nvt. daz ist an siner wal, ferner: will
er leisten, daz mag er tvn. wil er sin vber werden, daz uiac
er ouch wol tvn mit rechte. 10 Hatte er das Versprechen mit
einem Eide oder durch den Einsatz seiner Treue bekräftigt
und wollte er es nicht erfüllen, so heisst es insbesondere: it ne
scadet ime to sime rehte nicht, 11 dar umme verliuset er sine
truwe nicht 12 und dar umme ne hat er sine truwe nicht ge-
brochin. 13
1 Lex Baiuvariormn XV, 2, s. S. G bei Note 1.
2 Friderici eonstitutio 1158, s. S. G bei Note 2.
3 Sachsenspiegel III, 41 § 1 und kais. Landrechtsbuch c. 307 a unten S. 17.
4 Ofener Stadtrechtsbueh n. 245, s. S. 6 bei Note 4. Entsprechend heisst es
in Rudolfi eonstitutio pacis in Austria 1276 (Mon. Germ. leg. II, 411): ,Quid-
quid terminatum est . . iuris ordine observato, hoc habebit firmitatem,
quiequid vero per vim, metum et per impressionem . . ., vires nulla
tenus obtinebit, sed ad statum debitum reducetur.
5 Böhmische Stadtrechte von Weingarten s. S. 6 bei Note 5.
0 Sachsenspiegel III, 41 § 3 unten S. 20 bei Note 2.
7 Sententia a 1250 unten S. 10.
8 ICais. Landrechtsbuch c. 307 a unten S. 21.
9 Brunner Schöffenbuch c. 595 unten S. 17.
10 Kais. Landrechtsbuch c. 307 a.
11 Sachsenspiegel III, 41 § 2.
12 Görlitzer. Landrechtsbuch XXXVI, 1 a, unten S. 21.
13 Daselbst XXXVI, lb, unten S. 20.
Das erzwungene Versprechen und seine Behandlung im deutschen Rechtslehen. 3
Ergangene Urtheile erklären öfter gleichzeitig, dass ein
solches Versprechen nicht stät, sondern aufgehoben sein solle,
und dass sein G-eber es nicht zu erfüllen brauche: Dy globde
sullen durch recht nicht stete syn unde her bedarff das gelt
nicht gebin, 1 pactiones . . reprobamus ac revocamus in irritiim
pronunciantes . . ducem ad observationem earum nullatenus
obligari, 2 quibuscunque pactis obligatoriis (coactus) se adstrin-
geret, factus sui compos nullatenus teneretur et tales pactiones
obligatorie qualescunque censende forent irrite penitus et inanes,
und weiter: ad completionem dictorura pactorum, promissionum,
fidejussionum . . nullatenus sit adstrictus, sed a predictis omnibus
per sententiam debeat liberari et ubique penitus absolvi, 3 endlich:
literam et omnia contcnta in eadem . . reprobamus, revocamus
et ac si nunquam scripta, sigillata vel data fuissent, penitus
annullamus . . ordinantes et sententialiter denuntiantes, ipsum
comitem neenon et suos homines . . a quibüslibet promissionibus
et obligationibus . . penitus absolutos, ac si nunquam alicujus
promissionis et obligationis se vinculo adstrinxissent. 4
Nach dieser Zusammenstellung erscheint es zweifellos, dass
der deutschen Rechtsanschauung zufolge ein erzwungenes Ver
sprechen immerhin ein Versprechen gewesen, 5 aber ein unver
bindliches Versprechen, dessen Bestand überdies angefochten
und aufgehoben werden konnte. 0
1 Buch der Magdeburger Fragen III, 9 dist. 3 unten S. 18.
2 Sententia a 1276 unten S. 11.
3 Sententia a 1283 unten S. 15 und 16.
4 Sententia a 1291 unten S. 12.
5 A. M. ist freilich Platner, Hist. Entwicklung des Systems und Cha
rakters des deutschen Rechtes II (1854), S. 98.
0 Die heutige gemeinrechtliche Lehre unterscheidet zwischen absoluter
und relativer oder bedingter Nullität eines Geschäftes und sondert von
letzterer die Rescisibilität oder Anfechtbarkeit eines solchen. Dass nach
deutschem Rechte trotz der Bestimmung S. 1 bei Note 2 keine absolute
Nullität des erzwungenen Versprechens begründet war, zeigen zumal
die Wendungen S. 2 bei Note 7. 10 und oben bei Note 3, dass ferner
zwischen einer Annullirung und Rescision, welche Ausdrücke abwechselnd
gebraucht werden, sachlich kein Unterschied gemacht wurde, zeigt ins
besondere der Umstand, dass die Aufhebung je nach Lage der Dinge
das eine Mal ex nunc (S. 2 bei Note 7), das andere Mal ex tune
(oben bei Note 4) erfolgte. — Da die Ausdrucksweise der neueren
1*
4
II. Abhandlung: Siegel.
Die Anfechtung', welche zu einem aufhebenden oder ver
nichtenden und gleichzeitig freisprechenden Urtheile führte, war
auf zweifache Weise möglich.
Der Gezwungene konnte abwarten, bis er auf Erfüllung
geklagt wurde, und dann den Zwang in Form einer Einrede
mit Erfolg geltend machen. Metu adhibito — sagt der Stadt
schreiber Johann von Brünn in seinem Urtheilbuch c. 596 —
actio quidem nascitur, si subito stipulatio fit, per metus tarnen
exceptionem submoveri debet.
Der Gezwungene konnte aber auch die Initiative ergreifen
und mittelst einer Klage die Aufhebung oder Ungiltigkeits
erklärung des Geschäftes, sowie seine Loszählung von jeglicher
Verbindlichkeit begehren. Den letzteren Weg einzuschlagen
empfahl der Verfasser des kaiserlichen Landrechtes. Wil er mit
rehte da von kvmen — heisst es daselbst c. 307 a — so sol er
varn fvr sinen rihter. vnd sol da mit vrteil da von körnen, da
sol man im erteiln. daz er dirre dinge aller lidig si. vnde mag
in dar nach dehein man dar vmbe ansprechen. 1
Da übrigens ein Gezwungener trotz seiner rechtlichen
Ungebundenheit möglicher Weise Gewissensbisse empfand
wegen des gegebenen Wortes, so meinte der Meister des
Landrechtes, welcher wahrscheinlich dem geistlichen Stande
angehörte, an dem angeführten Orte weiter: er sol ouch varn
fvr sinen pharrer vnd sol dez rat han. der ratet im ouch alse
Gesetzbücher der früher üblichen durchaus entspricht — JPreuss. Land
recht I, Tit. 4, § 33. Auch gefährliche Bedrohungen des Lebens . .
machen jede darauf erfolgende Willenserklärung unkräftig; ygl. §55
Wer eine sonst rechtsbeständige Willenserklärung wegen Zwanges an-
fecliten will; Code civil 1117. La convention contractee par violence . .
n’est point nulle de plein droit, eile donne seulement lieu ä une
action en nullitd ou rescision; Oesterr. Gesetzbuch § 870. Wer
von dem annehmenden Theile durch ungerechte und begründete Furcht
zu einem Vertrage gezwungen worden ist, ist ihn zu halten nicht
verbunden; Sachs. Gesetzbuch § 831. Wer durch widerrechtlich er
regte gegründete Furcht zu Eingehung eines Vertrages genöthigt worden
ist, kann bei dem Vertrage stehen bleiben oder denselben
anfechten —, so wird das codificirte Recht von dessen vorurtlieils-
freien Bearbeitern mit gutem Grunde im Sinne der oben bezeichneten
deutschen Rechtsanschauung verstanden.
1 Dass dieser Weg öfter betreten wurde, zeigen die Beispiele S. 9, 11,
Das erzwungene Versprechen und seine Behandlung im deutschen Rechtsleben.
an dem buche stat. von den eiden. Hier, im Capitel 170 c, 1
wo der Fall behandelt ist, dass ein widerrechtlich Gefangener
aus Angst um sein Leben ein Lösegeld zu zahlen oder sonst
etwas zu tliun eidlich sich verpflichtet hat, stellt der Verfasser
zunächst das mit Rücksicht auf den Eid anwendbare geistliche
Recht dar und beantwortet die aufgeworfene Frage: sol er den
eit ze rechte leisten oder nvt, dahin: er sole sin ze rehte nvt
leisten, er ist sin vor got lidig, während etliche Meistpr allerdings
etwas Anderes ,ratent‘. Nach ihrer Meinung soll er den Eid er
füllen und das Geld geben, dann aber bei dem geistlichen Richter
nach dem Gelde klagen, und dieser soll ihm seinen Schaden
heissen btisscn. Hätte er aber das Geld bezahlt und geschworen,
dass er es nicht zurückfordern wolle, so soll er den Sachverhalt
dem geistlichen Gerichte mittheilen, worauf dieses ihm, wie
wenn er geklagt hätte, sein Geld gewinnen und wiedergeben
soll. So rilltet der rihter rehte oder, wie es c. 160a heisst:
daz ist des geistlichen rihtaers reht. er sol in — nämlich den
andern Th eil, und zwar hier den Wucherer — rehtvertigen vmbe
sine svnde. das div sele niht verloren werde. Obgleich nun
nach des Verfassers Ansicht derjenige, welcher gezwungen
geschworen hat, ohneweiters vor Gott des Eides ledig ist,
so weist ihn, um ganz sicher zu gehen, das Buch doch noch
an seinen Seelsorger: wil er aber gar gevarliche varen. so sol
er zu sinem bischove varn. oder zu sinem lvtpriester gan. vnd
sol dez rat han. der losset im wol ane svnde da von.
Schwieriger als die Wirkung eines stattgehabten Zwanges
und seine gerichtliche Geltendmachung ist die Voraussetzung
zu bestimmen, unter welcher ein Versprechen als erzwungen galt.
Auch hier empfiehlt es sich, die darauf bezüglichen
Aeusserungen der Gesetze und Rechtsbücher vorab zusammen
zustellen.
In denselben wird gesprochen von einer commutatio, si
fuerit per vim et metum extorta, 2 von einer venditio si fuit
1 Dieses Capitel ist eines von jenen, bei welchen nach Rockinger, Münchner
Abhandlungen III. CI., Bd. XIII, 3. Abth., S. 237 der Verfasser die Summa
de poenitentia des Raimund von Peniafort benützt hat. Dass in der
Sache jedoch der Verfasser mit Raimund nicht übereinstimmt, zeigt die
daselbst S. 238. 239 mitgetheilte Stelle der Summa.
2 Lex Visigothorum V, 4. 1.
» '>' '(—* mir iiiriiiirift—>i .wrmmSI
0 II. Abhandlung: Siegel.
violenter extorta id est aut metu mortis aut per custodiam, 1 von
per vim vel iustum metum etiam a majoribus (von Voll
jährigen), maxime ne queremoniam maleficiorum faciant, extorta
sacramenta, 2 ferner heisst es: si aliquis aput nos efficitur noster
concivis et aliquis inpingit ei dominus, quod ipse sit ei ligatus vel
adstrictus, et coget eum violenter, quod se obliget ei, per car-
ceres vel per alia quecunque tormenta ita quod fideiussores
statuat, ne recedat ab eo, 3 weiter werden genannt: alles ver-
pintnusz, das man thut in forchte oder dar zu man offenlich
mit herren gewalt getwungen wirt, 4 sowie: Unordentlich durch
Zwang erpresste und zur Erhaltung des Lebens eingegangene
Verstrickungen. 5 Wo mit Rücksicht auf Schwüre und Treu
gelöbnisse der Furcht insbesondere Erwähnung geschieht in den
Rechtsbüchern, macht sich eine Verschiedenheit bemerkbar; im
Sachsenspiegel heisst es: svat die man sveret unde entruwen
lovet, sinen lief mede to verstene oder sin ghesunt., 3 während
das kaiserliche Landrechtsbuch c. 307 a sagt: Swez der man
sweret da er sinen lip oder sin gut mit lidegot. vnd er anders
nvt mag lidig werden.
Hiernach ist das Eine sofort klar, dass blosse Worte,
mochten sie auch den Bedrohten in Schrecken gesetzt und zu
einem Versprechen veranlasst haben, nicht geeignet waren, einen
rechtswirksamen Zwang zu begründen. Und dieses Ergebniss
wird auch bestätigt durch die Entscheidung eines im 14. Jahr
hundert vorgekommenen Rechtsfalles. Der Fall, enthalten in
der Thorner Handschrift, einer Parallelsammlung der Magde
burger Fragen, 7 war folgender.
1 Lex Baiuvariorum XV, 2.
2 Frideriei I const. pacis 1158. M. G. leg. II, 113. Voraus geht die Be
stimmung oben S. 1 bei Note 2.
3 Frankfurter Rechtsmittheilung an Weilburg vom Jahre 1297, § 29 bei
Gengier, Deutsche Stadtrechte S. 118.
4 Ofener Stadtrechtsbuch n. 245 bei Michnay und Lichner S. 136.
6 v. Weingarten’s Auszug aus böhmischen Stadtrechten S. 167.
6 III, 41 § 2. Ebenso der deutsche Spiegel c. 276, übrigens mit einer Lücke,
und das Rechtsbuch der Distinctionen IV, 4i, dist. 3.
7 Gedruckt bei Behrend, Das Buch der Magdeburger Fragen S. 238. An
ders gewendet und für unsere Frage bedeutungslos ist der Fall in
n. 33, ebendas. S. 239.
Das erzwungene Versprechen und seine Behandlung im deutschen Rechtslehen.
7
Ein Grast, welcher in eine nicht genannte Stadt Magde
burger Rechts gekommen war, hatte der Tochter seiner Wirthin,
einer Frau Anna, ein versiegeltes Geldpäckchen zur Aufbewahrung
übergehen. Das Geld wurde mit anderem Geräthe gestohlen.
Davon erfuhr der Gast, als er sein Geld verlangte, ,und rette
dy frawe an hartlichen und ernstlichen, do dirschrag dy frawe
gar sere und wart betrubit und yn dem betrupnysse und dir-
schrecknysse und leyden mit ungedachtigkeit sprach dy frawe
czu tröste dem gaste: durch got habit guten mut, is sal mir
verloren werden und nicht euch/ Auf den Ersatz des Geldes
geklagt, gab der Fürsprecher der Frau den Thatbestand zu,
stellte aber an den Richter die Frage: sint dem mole das dy
frawe yn erem dirschrecknys und leyden das umbedacht getan
hat und nu ap das eyn recht sey. Dagegen erwiederte des
Gastes Vorsprecher: her rychter und getrawen scheppen, das
besecze ich mit euch, und lost mir eyn recht werden, synt dem
mole das dy frawe das globde bekennit vor gehegtem dinge,
ap sy das gelt nicht geben sulle adir was dorumme recht sey.
Und das von den Schöffen 1 gesprochene Recht lautete: Das
globde das sy bekennet, das sal sy halden. Der Vorsprecher
der Frau beruhigte sich bei diesem Urtlieile nicht, er schalt
dasselbe und fand ein anderes folgenden Inhaltes: ,synt dem
mole das dy frawe yn erem betrupnisse und leyden und um-
bedocht dy rede geret hot, so sal sy dem gaste nicht halden
noch keyne not dorumme leyden; das spreche ich vor eyn recht.
Die Urtheilschelte veranlasste, dass die Sache behufs der Unter
weisung, welches von beiden Urtheilen das rechte sei und be
stehen möge, nach Magdeburg gebracht wurde. Die Schöffen
von Magdeburg aber erkannten: Der scheppen orteil ist recht,
wenn dy frawe sal dem gaste halden, das sy em um globit hot
und vor gerichte bekant hot.
Eine Zwangslage von rechtlicher Bedeutung hatte zur
nothwendigen Voraussetzung ein gewaltsames Vorgehen, das
dem Einen thatsächlich die Macht über den Andern gegeben
hat. Nur durch Gewalt konnte, ohne dass es daneben drohender
Worte bedurft hätte, eine Furcht erzeugt werden, welche selbst
1 In <ler Handschrift und dem Behrend’schen Druck mit dem, wie das
Folgende ergibt, irrthümlichen Zusatz: czu Meydeburg.
8
II. Abhandlung: Siegel.
die Willenskraft eines beherzten Mannes 1 zu lähmen vermochte
und ihn bewog, zur Abwendung des Schadens das zu thun
oder zu versprechen, was von ihm gefordert wurde. Eine solche
oder eine gerechte 2 Furcht war namentlich die Angst ums
Leben, 3 indess genügte auch die Angst um die Gesundheit 4 und
später selbst die Angst, Hab und Gut 5 zu verlieren. Jenes gewalt
same Vorgehen wider einen Andern aber konnte in Thätlich-
keiten verschiedener Art sich äussern, am häufigsten dürfte es
in seiner Gefangennahme und Festhaltung bestanden haben.
II.
Von Fällen, wo Einer, ohne gefangen zu sein, durch
Thätlichkeiten in gerechte Furcht versetzt wurde und in solcher
Fui’cht zu einem Versprechen sich herbeiliess, sind nachstehende
im Laufe des 13. Jahrhunderts vor das Königsgericht zur Ent
scheidung gebracht worden.
Am 16. August des Jahres 1249 war in der Reichsstadt
Worms 6 zwischen den Leuten des herzoglich bairischen Mar
schalls Zorno und jenen des Philipp von Hohenfels ein Streit
1 Der homo constantissimus des römischen Rechts (fr. 6 D. quod metus causa
4, 2) ist im canonischen Recht (vgl . c. 4 und 6 de his quae vi et metu
2, 40) zum homo constans geworden, und von diesem spricht auch der
König in dem Urtheilsbrief von 1291 unten S. 13.
2 Der Ausdruck findet sich allerdings nur in der Friedensconstitution
Friedrichs I., S. 6 bei Note 2.
3 Hierin stimmen alle Rechtsbücher überein. Vgl. noch Sententia a. 1250
(metus persone sue) S. 10; Brünner Schöffenbuch c. 595 (metus mortis)
5. 17; Magdeburger Fragen III, 9 dist. 3 S. 18; Urkunde von 1355 unten
S. 19 bei Note 1.
4 S. die Rechtsbücher S. 6, Note 6.
6 So das k. Landrechtsbuch S. 6. S. auch die Urkunde von 1280 (Schott,
Jurist. Wochenblatt 111,4): Si vero propter metum corporis aut rerum
ibidem manere non auderet, intrabit alias. Vgl. schon Cölestin III
(1191—1198) im c. 15 de iureiurando 2, 24: a sacramenti vinculo ab-
soluantur, qui istud inviti pro vita et rebus seruandis fecerunt; während
c. 6 de his quae vi 2, 40 allerdings sagt: non obstante violentia illata,
cum neque metum mortis neque cruciatum corporis contineret et ideo
non debuerat cadere in constantes.
6 Ich erzähle nach den Annales Wormatienses bei Böhmer, Fontes rerum
Germanicarum II, S. 185—187.
Das erzwungene Verspreclien und seine Behandlung im deutschen Rechtsleben.
9
entstanden, an welchem zu Grünsten der letzteren auf den er
hobenen Waffenschrei auch die Einwohner der Stadt theilge-
nommen haben. Das Volk schritt zu Thätlichkeiten gegen den
Herzog Ludwig, welcher damals in Worms weilte: man drang
in seine Herberge, nahm die Pferde aus dem Stalle und was
sonst zu bekommen war, verwundete mehrere Baiern und tödtete
einen derselben.
Am andern Morgen kamen die Bürger zusammen, und es
wurde eine Sühne aufgerichtet ita videlicet — wir theilen den
weiteren Bericht der Annalen wörtlich mit — quod dux plane
reconciliatus est civibus, remittens plane et precise omnes in-
iurias et gravamina sibi et familie sue illatas. Et insuper hoc
suas edidit literas . . quod has iniurias nunquam vindicabit
vel vindicare procurabit. 1
Der erwähnte Sühnebrief sammt dem darin ausgestellten
eidlichen Versprechen der Urfehde ist, allerdings nicht frei von
Lücken, erhalten und lautet: Ludeuicus . . vniversis . . volumus
esse notum, quod ciuibus wormatiensibus non coacti, sed de
libero ac sincero corde remisimus et ignouimus [omnes] iniurias
et offensas nobis in crastiono assumptionis b. Marie nuper pre-
terite per ipsos illatas, ad eorum vindictam nullatenus processuri
consilio nostro iurantes, quod ad . . . fideliter pro suis iuribus . . .
Praeterea si Zurno marscalcus noster ad vindictam huiusmodi
nostre offense ciues memoratos forsan in aliquo molestare pre-
sumpserit, nos huiusmodi molestationem remouebimus ab eisdem. 2
In diesem Briefe hatte der Herzog mit ausdrücklichen
Worten erklärt, dass er williglich und ungezwungen alles Un
recht verziehen habe und deshalb sich nicht rächen wolle.
Allein dies hinderte den Herzog keineswegs, dass er alsbald
an den Kaiser, seinen Richter, mit der Klage sich wendete:
quod, cum cives wormatienses in ipsa ciuitate contra eum temere
insurgentes multas sibi et familie sue preter omne meritum
suurn iniurias infligerent metuque personc sue cogeretur, ipsis
fideiussiones, cautiones ac securitates praestare, quod suas in
eos non ulcisceretur iniurias, ipsum a hdeiussionibus, cautionibus
1 Die sonstigen Sicherheiten, welche der Herzog und sein Marschall gaben,
können unerwähnt bleiben.
2 Urkunde vom 17. August 1249, gedruckt in Quellen zur deutschen und
bayerischen Geschichte V, n. 43, S. 103.
10 II. Abhandlung: Siegel.
a.c securitatibus, quas non sponte set coha.cti prestitit, prout
iusticia exigeret, absoluere dignaremur. 1
Und im Mai des folgenden Jahres erging auf diese Klage
zu Fogia, wo Kaiser Friedrich II. damals sich auf hielt, nach
stehender Spruch: Nos igitur supplicationibus suis, que iustitiam
continebant, nequeuntes ullatenus refragari, ipsum a fideiussioni-
bus, cautionibus et securitatibus, quae predictus ciuibus metu
persone sue prestitit, sententialiter duximus absoluendum, ut ad
obseruationem earum nullatenus amodo teneatur. Ad huius
igitur absolutionis nostre memoriam . . presens scriptum fieri
et maiestatis nostre sigillo iussimus communiri. 2
Ein zweiter Fall, bei welchem aber die Art der geübten
Gewalt weder in der Klage noch in dem Urtheile näher be
zeichnet wird, betraf den Herzog Philipp von Kärnten.
Dieser, der letzte Sprössling des sponheimischen Herzogs
hauses, hatte nach dem Tode seines Bruders Ulrich das Herzog
thum in Anspruch und Besitz genommen, war aber von dem
Böhmenkönig Ottokar, welchen der Verstorbene zu seinem
Nachfolger ernannt hatte, im Herbst des Jahres 1270 mit
so gewaltiger Heeresmacht heimgesucht worden, dass er und
seine Anhänger den Kampf aufzugeben sich genöthigt sahen.
Philipp erschien vor dem Böhmenkönig und bat um Frieden.
Er musste alle Burgen, wie berichtet wird, ausliefern und auf
alle Länder verzichten, während ihm in Krems von Ottokar
ein Leibgedinge angewiesen wurde. 3
1 Die Klage, wie auch das folgende Urtheil ist enthalten in einer Urkunde
vom Mai 1250, Quellen zur deutschen und bayerischen Geschichte V,
n. 44, S. 104, welche beginnt: Fridericus . . Romanorum imperator . .
notum faeimus . . quod Ludovicus, primogenitus ducis Bawarie . . celsi-
tudini nostre supplicauit attente.
2 In Italien konnte der Kaiser in der staufischen Periode die an ihn ge
brachten Sachen Anderen zur Entscheidung zuweisen oder auch selbst
entscheiden durch ein rescriptum oder scriptum, wie gewöhnlich die
Urkunde genannt wurde. In deutschen Rechtssachen, auch wenn sie in
Italien zur Verhandlung kamen, entschied dagegen der Kaiser nicht
selbst, vielmehr war er an das vor ihm gefundene Urtheil gebunden,
wenn wir von Versuchen Kaiser Friedrichs II., auch in deutsche An
gelegenheiten durch Machtsprüche einzugreifen, absehen. S. Ficker,
Forschungen zur Reichs- und Rechtsgeschichte Italiens I, n. 163, III,
n. 602. Ein ausgeführter Versuch dieser Art liegt hier vor.
3 S. Lorenz, Deutsche Geschichte im 13. und 14. Jahrhundert I, S. 296.
Das erzwungene Versprechen und seine Behandlung im deutschen Rechtslehen. 11
Vier Jahre später wurde bekanntlich auf dem Reichstage
zu Nürnberg das Verfahren wider den Böhmenkönig wegen
seines Besitzes von Reichsgütern eingeleitet und Philipp bereits
zu Anfang des Jahres 1275 mit Kärnten und Krain von König
Rudolf belehnt. 1 Wegen gewisser von ihm gegenüber Ottokar
— wahrscheinlich im Jahre 1270 — eingegangener Verpfliehtungen
aber erhob der Herzog nun durch den Bischof von Würzburg,
als seinen Vertreter bei König Rudolf, während dieser in Nürn
berg zu Gericht sass, die Anfechtungsklage auf Grund des
wider ihn geübten Zwanges, und dieser Klage wurde mit nach
stehendem Urtheil am 22. Januar 1276 stattgegeben.
Residentibus nobis pro tribunali . . in civitate Nürnberch
ab illustri Philippo duce Karinthie principe nostro karissimo
fuit propositum coram nobis, quod eo aliquamdiu in curia . .
regis Boemiae existente per ipsam regem coactus est aliquas
graves pactiones sibique nocivas conditiones inire, propter quod
ad eius instantiam per venerabilem Herbipolensem episcopum . .
ducis eiusdem verba sollempniter proponentem extitit in iudicio
requisitum : utrum pactiones et conditiones huiusmodi compul-
sorie robur firmitatis habere debent? Super quo [per] principes
qui interfuere presentes, quorumlibet circumstancium applau-
dente consensu in nostra presencia fuit scntencialiter iudicatum:
quod pactiones et condiciones easdem per impressionem
huiusmodi sic extortas in irritum revocare ac penitus solvere
teneremur.
Hinc est quod universitatis vestre noticie declaramus pre-
sencium Serie protestantes, quod nos dictante sententia principum
eorundem, predictas pactiones et condiciones, quas dictus Boemie
rex ab ipso duce sic extorsisse dinoscitur, prout superius est
expressum, auctoritate regia reprobamus et revocamus in irritum
pronunciantes expresse prefatum ducem ad observationem earum
nullatenus obligari. 2
Noch ein dritter Fall, in welchem Gewaltthätigkeiten ver
übt worden waren, ohne dass man sich des Versprechenden
selbst bemächtigt hätte, kam im Jahre 1291 zur Entscheidung.
1 Vgl. v. Zeissberg, Das Rechtsverfahren Rudolfs von Habsburg gegen
Ottokar von Böhmen, Archiv für österreichische Geschichte LXIX
(1887), S. 45.
2 Sententia bei Ficker, Acta imperii selecta n. 408, S. 326.
12
II. Abhandlung: Siegel.
Der Fall weist übrigens einige Eigentümlichkeiten auf,
welche in dem öffentlich-rechtlichen Inhalte des abgezwungenen
Briefes ihre Erklärung finden dürften.
Einmal ging die Klage, welche vor den König, als er in
Hagenau G-ericht hielt, nicht von dem Gezwungenen selbst,
dem Grafen von Hennegau, aus, vielmehr traten mehrere recht
schaffene und glaubwürdige Männer, denen der König laut
seiner Erklärung volles Vertrauen schenkte, als Kläger auf.
Sodann richtete sich die Klage auf die verschiedenen
Gewalttätigkeiten, welche der Vorsteher, die Schöffen und die
ganze Gemeinde von Valenciennes in bewaffnetem Aufruhr
wider den Grafen sich zu Schulden hatten kommen lassen,
ohne dass die Ungiltigkeitserklärung des unter solchem Drucke
ausgefertigten, inhaltlich näher bezeichneten Briefes begehrt
worden wäre.
Die über das Urteil ausgestellte königliche Urkunde 1
lautet in der Wiedergabe der Klage also:
Cum apud Haghenoyam . . in judicio pro tribunali sede-
remus, ad nostram . . notitiam clamosam insinuationem a probis
et fide dignis, quibus fidem plenariam adhibemus, pervenisse
noverint universi, qualiter praepositus scabini jurati communitas-
que villae Valenchenensis ad nos et imperium directo dominio
spectantis de feodo comitatus Haynoniae consistentis armati
furore, succensi rabie illicitis ausibus scelestam ineuntes factionem
contra . . comitem Haynoniae dominum suüm . ., nulla coram
nobis seu quovis alio domino mota quaestione de eodem, utpote
judices in propria causa vi publica ipsius villae Valenchenensis
rebellabant, in prefati domini sui praejudicium verecundiam et
gravamen portas dictae villae contra ipsum serando, villam
muniendo, machinas faciendo, propugnacula erigendo, castrum
domini sui terribiliter assaltando, cum impetu et tumultu bona
domini invadendo ac etiam occupando, acclamationes, prohibitas
convocationes in suis conventiculis in sui domini pernitiem exer-
centes et aggregantes, ignem ad feoda dominica immittentes et
in augmentum sui facinoris potentioris brachium quaerentes per
metum evidentem, continentem necem populi et excidium terrae
ipsius comitis, compulerunt ipsum comitem quamdam litteram
1 Bei Martene, Thesaurus novus I, sp. 1241, 1242.
Das erzwungene Vorsprechen und seine Behandlung' im deutschen Rechtslehen.
ab eis vel eorum mandato compositam et conscriptam sigillare,
continentem quod ipse comes suo sigillo omnes suas consue-
tudiues et leges municipales, quas dictus comes tune ignorabat
et adhuc ignorat, approbaret, ratificaret et per omnia confirmaret,
constituendo dictos scabinos seu juratos declaratores in dubiis
et obscuris quae possent emergere de promissis.
Der Reichshof aber erklärte durch Urtheil und Recht den
ausgefertigten Brief für unkräftig und den Grafen und seine
Leute für frei von jeder Verpflichtung, während der König
überdies den Aufständischen, welche er wegen ihrer Gewalt-
thätigkeiten für höchst strafwürdig erkannte, alle durch Ge
wohnheit oder durch Verleihungen seitens des Grafen oder seiner
Vorfahren erworbene Rechte und Freiheiten entzog.
Nos enim — fährt die Urkunde fort ■— attendentes prae-
positum, juratos et scabinos totamque communitatem Valen-
chenensem ac eorum fautores et complices, qui tarn detestabile
facinus contra dominum suum proprium exercere et usurpare
nullatenus formidarunt, esse dignos flagitio neenon ab omni
misericordia secludendos, ut eis perpetua egestate sordentibus
mori sit illis solatium et vita supplicium reputetur.
Considerantes nihilominus litteram supradictam praetextu
metus, qui in virum constantem cadere potest, a dicto comite
sigillatam et eis traditam, superioris auctoritate non interposita
habere efficaciam non debere, ipsam litteram et omnia contenta
in eadem auctoritate regis de consilio baronum et procerum
imperii apud Haghenoe praesentium et per sententiam eorundem
reprobamus, revocamus et ac si nunquam scripta, sigillata vel
data fuisset, penitus annullamus. Ordinantes et sententialiter
denuntiantes ipsum comitem neenon et suos liomines et universos,
qui ad instantiam dicti comitis apposuerunt sigilla sua litterae
supradictae adstringentes se suis promissionibus seu obligationibus
ad observandum et tenendum ea, quae litera continebat, a quibus-
libet promissionibus et obligationibus de potestate regiae ma-
jestatis penitus absolutos, ac si nunquum alicujus promissionis
et obligationis se vinculo astrinxissent.
Et ut praedicti praepositus, scabini jurati neenon totalis
Universitas Valenchenensis et eorum successores suam enormem
deplangant in perpetuum factionem, rite universis suis consue-
tudinibus, legibus municipalibus, collegiis, conventiculis, accla-
14
II. Abhandlung: Siegel.
mationibus, campanae strepitibus, 1 ad cuius sonitum convenientes
in unurn statuta faciunt edicta edunt, dictos praepositum, scabinos
juratos . . et eorum successores auctoritate regia exuimus
totaliter et privamus, nulla praescripitione temporis, assecuratione,
promissione vel obligatione sibi a dicto comite aut progenitoribus
modo vel conditione quibuslibet factis eos defendente seu ob-
stante, a quibus videlicet assecurationibus, promissionibus seu
obligationibus ipsum comitem, progenitores suos necnon suc
cessores suos futuros comites de plenitudine regiae potestatis
penitus absolvimus et deinceps ipsos omnino liberamus, privi-
legiis tarnen eis salvis quae a divis imperatoribus et regibus
Romanis dictis civibus seu communitati praedictae sunt indulta.
III.
Dass Gefangenschaft unter den Gesichtspunkt einer ver
übten Gewalt fiel und daher als eine Zwangslage betrachtet
wurde, zeigt, wenn es überhaupt noch eines Beweises bedürfte, 8
deutlich der Vorgang, welcher im Jahre 1283 vor dem Reichshof
zu Freiburg im Uechtlande sich abgespielt hat.
Zur Vorgeschichte der damaligen Gerichtsverhandlung
muss Folgendes bemerkt werden. Nach dem am 26. August 1278
erfolgten Tode des Königs Ottokar von Böhmen war als Ver
weser dieses Landes von König Rudolf der Markgraf Otto von
Brandenburg bestellt und demselben die Vormundschaft über
den achtjährigen Thronerben Wenzel auf die Dauer von fünf
Jahren übertragen worden. Als sich darauf die Witwe Ottokars
nach Prag begab, wurde sie sammt ihren Kindern von dem
Brandenburger festgenommen und der junge Wenzel, wie ver
sichert wird, aus Böhmen entfernt. Um die Mitte des Jahres
1283 trat der nun dreizehnjährige Wenzel die Verwaltung von
Böhmen an, 3 und sofort nahm er die Hilfe des Königs und
Reiches in Anspruch, um von den, wie es scheint, kurz zuvor
1 Die Glocke, der Glockenschlag oder Glockenklang, auch Glockenschall
gehörte sonst nach den Weisthiimern der Herrschaft zu. Vgl. Grimm,
RA., S. 44 ff.
2 Nach den Belegstellen oben S. 6, Note 1 und 3.
2 Ueber das Bisherige s. Lorenz, Deutsche Geschichte im 13. und 14.
Jahrhundert I, S. 243—254.
Das erzwungene Versprechen und seine Behandlung im deutschen Rechtsleben. 15
während seiner Gefangenschaft gegenüber dem Markgrafen
übernommenen Verpflichtungen durch ein Urtheil befreit zu
werden. 1 Er entsendete zu diesem Behufe nach dem oben
genannten Freiburg, wo zu jener Zeit König Rudolf Hof hielt,
seine Boten. Diese aber schlugen in Erfüllung ihres Auftrages
folgendes Verfahren ein. Sie baten zunächst um ein soge
nanntes gemeines Urtheil: utrum principes vel aliquis alius
cuiuscunque conditionis vi vel metu inductus expers proprie
libertatis fidejussionibus stipulationibus vel aliis obligationibus
se posset cpnstringere vel artare, ita quod in posterum ipse
hujusmodi obligationibus sic extortis posset impeti vel aliqua-
liter conveniri tamquam efficaciter obligatus?
Der König als Richter frug auf diese Bitte die anwesenden
Fürsten, Grafen, Herren und andere des Reiches Getreue um
das Urtheil, welches den allgemeinen Satz aussprach:
Quod principes vel alius quilibet ad ea, que vi metuve
coactus promitteret vel quibuscunque pactis obligatoriis se
adstringeret, factus sui compos nullatenus teneretur et tales
pactiones obligatorie qualescunque censende forent irrite penitus
et inanes.
Nachdem das gemeine Urtheil in ihrem Sinne ausgefallen
war, gingen nun die Boten Wenzels zu dem besondern Fall
ihres Herrn über, 2 indem sie klagten und eine Entscheidung
darüber begehrten:
Si inclytus Wenceslaus heres regni Bohemie, quem
illustris marchio de Brandenburg aliquo tempore contra
propriam detinuit voluntatem, deinde fretus propria voluntate
ad complicationem illorum pactorum taliter extortorum atque
1 S. die Sententia vom 23. August 1283, Mon. Germ. leg. II, 444, 445.
2 Quam vero sententiam . . predicti nuncii ad speciem decidentes
nostro culmini supplicaverunt lauten die Worte der königlichen Urkunde.
Ich führe dieselben an mit Rücksicht auf die Warnung, welche der
Brunner Stadtschreiber Johann bezüglich eines solchen Verfahrens den
Schöffen ertheilt hat. Debent iurati, sagte er, haue cautelam servare,
quod nec extra judicia nec in judiciis aliquam sententiam communem
contra quam pars adversa nondum audita nihil objicit vel allegat, pro-
ferant et pronuntient quoque modo. Ex talibus eriim sententiis in genere
prolatis saepissime cum ad speciem descenditur vel maxima diffi-
cultas generatur vel evidens contradictio nmltiplicatur. Brünner Schöffen-
buch c. 406.
16
II. Abhandlung: Siegel.
consumationem obligationum quarumcunque, sub quibus eidem
marckioni pro viginti milibus marcarum obligavit civitatem
Sitavie et castrum Ronan . . castrum de Harffenstein et civi
tatem . . castrum Bedier . . castrum Detzenin . . civitatem Usk
et castrum . . civitatem Bruks et castrum . . necnon castrum
Gandowe . ., sub quibuscunque etiam promissionibus taliter
extortis ipsi marckioni pro duobus milibus marcarum ficlejus-
sores per modum extorsionis coactus posuit et pro quinque
milibus marcarum, quas se daturum promisit, aliqualiter teneatur.
Das Urtkeil, welclies kierauf — unter namentlicker Be
rücksick tigung des Umstandes, dass zwiscken dem König und
dem Markgrafen seinerzeit eine Vereinbarung getroffen worden
war, nack welcker letzterer das Land seinem Erben ohne jede
Entschädigung zurückzustellen hatte, während im Widerspruch
hiemit der Markgraf von dem Erben Verpflichtungen, Ver
pfändungen und Bürgschaften erpresst hat — gefunden wurde,
erkannte: 1
Quod sepe dictus heres Bokemie ad completionem dictorum
pactorum, promissionum, fidejussionum necnon quarumcunque
obligationum ab eo taliter extortarum per dictum marchionem,
nullatenus sit adstrictus, sed a, predictis Omnibus per sententiam
debeat überari et ubique penitus absolvi, obligationes etiam
dictorum bonorum etc. ipso jure debeant pro cassis et irritis
estimari. 2
1 Maxime — führt die königliche Urkunde aus — cum inter nos et dictum
marchionem, cum eius iure (dies bezieht sich wohl auf das sächsische
Recht der Mündigkeit) antedictum heredem regni Bohemie cum suo
regno usque ad certum tempus eommitteremus, intercesserit certa con-
ventio digna in suo robore ohservari, videlicet quod expirante certo
tempore, quod conventioni adjectum fuerat, praenominatum heredem
regni Bohemie nna cum suo regno sine quovis damno vel dispendio vel
quantumvis inuria, sine petitione quarumlibet expensarum iuxta legem
conventionis restituet, pleno iure; cuius tarnen conventionis legibus dictus
marchio obvians, minus iuste pactiones, obligationes, fideiussiones extor-
quens, indebite, quod promisit penitus violavit atque singula superius
expressa: principes, comites et nobiles, qui in eodem aderant iudicio,
per nos requisiti sententionando protulerunt.
- In der Urkunde folgt noch die königliche Bestätigung des Urtheils, die
nochmalige ausdrückliche Ungiltigkeitserklärung der Verschreibungen und
der entsprechende Befehl an Jedermann, sich darnach zu achten.
Das erzwungene Versprochen und seine Behandlung im deutschen Rechtlichen. 1 (
War in dem Falle des böhmischen Königssöhnes seine Ge
fangenschaft als Zwangslage geltend gemacht worden, so erhebt
sich nun die weitere Frage, ob jedwede Gefangenschaft oder
nur die ungerechte den freien Willen ausgeschlossen habe. Nach
der Meinung Eike’s von Repgow scheint auch die rechtmässige
Gefangenschaft ein ausreichender Grund gewesen zu sein, das
darin gegebene Versprechen anzufechten. Er spricht — und
in gleicher Weise nach ihm der Spiegel aller deutschen Leute
c. 276, sowie das Rechtsbuch der Distinctionen IV, 41 cfis't. 1 —
von Gefangenschaft schlechthin, indem er III, 41 § 1 lehrt:
Iewelkes gevangenen dat unde lof ne sal dur recht nicht stede
sin, det he binnen vengnisse lovet. Der entgegengesetzten An
sicht war offenbar der Verfasser des kaiserlichen Landrechts
buches, da in c. 307 a dem der Vorlage entnommenen Satze:
Jegeliches gevangenen geli\fbede oder eit sol nvt stete sin. daz
er in vangnvsse tvt die Worte beigefügt sind: ob er ze vnreclite
gevangen ist. Wer den Frevel beging, 1 einen Andern wider
rechtlich festzunehmen, von dem durfte der Gefangene weiterer
Gewaltthaten sich versehen, für sein Leben selbst mit gutem
Grunde fürchten.
Es wird daher mehrfach eine widerrechtliche Gefangen
schaft und gleichzeitig Todesangst als Voraussetzung für die
Unverbindlichkeit eines gegebenen Versprechens genannt.
So im kaiserlichen Landrechtsbuch selbst, in c. 170 c, wo
für den Fall: Vnde wirt ein man gevangen ze vnrechte, der
mag nivt lidig werden, er gebe hvndert march silbers oder er
swere etwaz anders ze tvnne, das eidliche Gelöbniss als un
verbindlich nach geistlichem oder göttlichem Rechte bezeichnet
wird, während später der erläuternde Nachsatz folgt: Diz ist
also gesprochen, do er disen eit swor. daz er daz tote von
sincs libes vorchte.
Desgleichen bestimmt vom Standpunkt des weltlichen
Rechtes aus das Brünner Urtheilbuch c. 595: Homo si iniuste
capitur et metu mortis coactus (est), quidquid promiserit
vel se facere veile juraverit, ad tale promissum seu juramentum,
postquam carcerem evaserit, non obligatur nec compellitur ipso
1 Vgl. Wilda, Strafrecht der Germanen, S. 7S4; Osenbriiggen, Alamanni-
sches Strafrecht, S. 273. 274.
Sitznngsbor. d. pliil.-hist. CI. CXXYITI. Bd. 2. Abh. 2
18
II. Abhandlung: .Siegel.
iure; promissum enim debet esse voluntarium, alioquin potius
dicitur coactio quam promissum.
Beide Voraussetzungen trafen auch in dem Falle zusammen,
welcher in das Buch der Magdeburger Fragen III, 9 dist. 3 Auf
nahme gefunden hat.
Ein in einer Stadt erbgesessener Mann war trotzdem, dass
er auf die von seinem Erbherrn ,umb eczliche ungeschichte* er
hobene Beschuldigung sich erboten hatte, vor dem Stadtgerichte
oder jedem andern Gerichte in des Herrn Lande zu erscheinen
und sich zu verantworten, auf seines Herrn Geheiss festge
nommen worden. In dem Gefängnisse wurde ihm erklärt,
dass er gegen ein Lösegeld von zweihundert oder zweitausend
Mark 1 frei sein solle, gebe er das Geld nicht, so könnte es ihm
an den Hals gehen. Wenne nu, heisst es weiter, der man synis
lierren ungenade vorchte unde vorterbnisz synis leibes, so sagte
er: besser ist’s, dass ich das Geld verspreche, ,wenne das mynis
hern zorn obir mich irginge, das ich doch ny vorschuldiget habe*,
und er gelobte das Geld den Anwälten seines Herrn vor dem
Rath in der Stadt zu zahlen ,durch synes leibes frist oder not*,
wie in anderen Handschriften steht, ,unde hoffte sich domit ir-
nerende*. Aus des Herrn Gewalt infolge seines Gelübdes ent
lassen, kehrte er dem Lande den Rücken. Der Herr aber
liess ihm sein Erbe und Gut in dem Stadtgerichte nehmen und
verkaufte es ohne seinen Willen, offenbar um sich bezahlt zu
machen. Ab nu — lautete die Frage, welche an den Schöffen
stuhl zu Magdeburg gestellt wurde — der man dy gelobde, dy
her in gefengniscze 2 globit hat, schuldig sey zcu lialdene adir
nicht, ader was recht sey, und das Erkenntniss hierauf besagte:
Dy globde, dy der man in gefengnisz adir in getwange 3 globit
hat, dy sullen durch recht nicht stete syn vnde her bedarff
das gelt nicht gebin.
In einer ähnlichen Lage wie dieser städtische Erbmann
scheint sich ein gewisser Ulrich, genannt der Marchfelder, be
funden zu haben. Auch er war Gefangener seines Herrn, des
1 Die Handschriften differiren; die im Behrend’schen Texte stehenden
zwei Mark sind jedenfalls irrthüinlich. Vgl. auch Kaiserliches Landrecht
170 c und unten S. 24 Note 2.
2 Eine Handschrift fügt hinzu: ader in getwange.
3 Die Worte a. i. g. fehlen in einigen Handschriften.
Das erzwungene Versprechen und seine Behandlung im deutschen Rechtsleben. 19
Weikliard von Stabremberg, und hat als solcher bei seiner im
Jahre 1355 auf Widerruf erfolgten Entlassung- eine Reihe von
Gelöbnissen und Erklärungen gegeben, über welche nachstehende
Urkunde ausgestellt wurde. Ich Vlreich der Marichuelder ver-
gich . . das ich meins herren Weicharten von Stohrenberg ge
fangen bin vnd han auch (1) verhaizzen mit meinen trewn vnd
auch mit mein starchen ayd . . wen er mich mont vnd wohin
er mich vordert ze laisten, da sol ich im ze liant an allen wider-
redt vnd Vorwort in sein fängclmüzz hin laisten also auch be-
schaidenlich, daz ich mein leben vnd mein lialzz gar sicher
soll sein. 1 Wer aber daz ich im nicht laistaecht, so bin ich ze
liant mit syben vbersaydt vnd hat den vollen gewalt, nach mir
ze greiffen, wo er mich anchymt vnd anchömen mag. (2) Ich
scholl auch in der zeit vnd ich sein gefangen pin sein frömen
werfen vnd sein schaden wenden 2 an aller stat vnd ich dez
inne wirt, von leib vnd von gut, wi ich sol vnd vermag. (3) Ich
vergich auch, ob daz waer, da chainerlay brif herfür chöm oder
zaigt wärt, von wem daz waer, di ich vnder sein insigel an
sein willen vnd an sein wizzen vnd an sein wort geben liyet
vnd geben waern, dez ich in nicht geweisen noch geinnern
mocht, di selben brif, wi di sint vnd waz di sagent, di sollen
all tot vnd ab sein noch sullen chainerlay chraft haben in allen
iern gepunden vor alle den rechten vnd si fürpracht vnd zaigt
wernt, daz sei vor gaistlichen vnd vor weltlichen rechten.
(4) Ich han auch meim vorgenanten herren Weicharten von
Stohrenberch daz gut, daz er mir von sein gnaden verlihen
hett, auf sein gnad aufgeben vnd waz er damit tut, daz stet
allez an sein gnaden. (5) Is sol auch mein vorgenannter herr
vm di vanehnuzz vnd vm all handlung, di er an mir getan
hat, vor mir vnd vor allen meinen frevnten vnd heiter gar
sicher sein vnd an allen ansprach. 3
Wie hieraus ersichtlich ist, hatte dieser Marchfelder, als
er im Dienste des Stahrembergers, von welchem er auch ein
Lehen besessen, stand, Missbrauch mit seines Herrn Insiegel
1 Von der Todesangst sollte er wenigstens in Zukunft befreit sein.
2 Wie die Formel für die Pflicht des Lehnsmannes lautete. S. Ilomeyer,
des Sachsenspiegels zweiter Theil XI, S. 372.
3 Öberösterreichisches Urkundenbuch VII, n. 385, S. 390. 397.
n*
I
20
II. Abhandlung: Siegel.
getrieben und war vermuthlich deshalb von letzterem fest-
genommen worden. Da jedoch hiezu der Herr trotz der Treu
losigkeit seines Mannes nicht berechtigt gewesen ist, so dürften
schon aus diesem Grunde die von dem Gefangenen gegebenen
Erklärungen mit Ausnahme des ersten Gelübdes, für welches,
wie im Folgenden gezeigt werden wird, eine Ausnahme galt,
der Rechtskraft entbehrt haben.
IY.
Trotzdem, dass die Gefangenschaft, sei es jede oder
wenigstens die widerrechtliche, im Allgemeinen als Zwangslage
betrachtet wurde und daher das von einem Gefangenen gegebene
Versprechen der Rechtswirksamkeit entbehrte, so ist doch
bei gewissen Versprechungen eine Ausnahme von der Regel
anerkannt worden.
So wurde von sämmtlichen Rechtsbüchern übereinstimmend
das Versprechen der Rückkehr, welches ein Gefangener bei
seiner zeitlichen Beurlaubung gab, unter der Voraussetzung,
dass er nicht etwa unehrlich gefangen war und der Urlaub
sammt dem Versprechen ihm aufgezwungen wurde, für verbind
lich erklärt.
Der Sachsenspiegel III, 41 sagt 1 § 1: Let man aver ine
(den Gefangenen) ledich uppe sine trüwe riden to dage, he sal
durch recht weder körnen unde sine truwe ledegen, womit dann
noch § 3 zu verbinden ist, welcher bestimmt: 2 Svar man den
man untrüweliken veit, let man ine uppe sine trüwe riden, die
ine dar gevangen hevet oder let he ine sveren oder in truwen
irae ander ding 3 geloven he ne darf is nicht lesten, mach he
it vulbringen up in, dat he ine untrüweliken 4 to’ me lovede
1 Ebenso der deutsche Spiegel c. 276, das schlesische Landrecht c. 296
und das Kechtsbucli der Distinctionen IV, 41 dist. 1.
2 Desgleichen der deutsche Spiegel c. 277, das schlesische Landrecht c. 296
und das Rechtsbuch der Distinctionen IV, 41 dist. 4 mit dem Zusatze:
Unde ist lantreelite und wichbilde.
3 Die Mainzer Handschrift von 1421 hat für ding: werb, was klarer den
Sinn wiedergibt.
4 Mehrere Handschriften schieben die Worte ein: ving und in. Da jedoch
der deutsche Spiegel und das Itechtshuch der Distinctionen mit dem
Das erzwungene Versprechen und seine Behandlung iiu deutschen Rechtslehen. 21
gedungen hebbe, während das kaiserliche Landrechtshuch c. 307 a
die beiden Sätze folgendermassen verbunden hat: lat aber er
in (den widerrechtlich Gefangenen) lidig. vf sine triwe vnd lobet
sich hin wider ze antwvrtenne 1 daz sol er leisten ob er in nvt
vngetrvlichen gevangen hat. hat aber er in vngetrvlichen ge-
vangen oder ze unrehte dar zu betwungen. vnde hat er gesworn
oder svz gelvbede getan oder bvrgen gesetzet. dez ist er alles
nvt (so statt mit) reht lidig.
Wird diesen Bestimmungen die erläuternde Ausführung
des Görlitzer Landrechtsbuches XXXVI §la: Swelich man
den andirn vehit, unde in hin vorit unde vor den vorchtin
der nach volgere den gevangin dwingit, daz er ime untruwin
gelove wider zo komme unde ne kumit er nicht widere in sime
gevancnisse, darumne verliusit er sine truwe nicht, wand er
in der Sicherheit der vancnisse nicht gevangin ne wurt, hinzu
gefügt, so gelangt man zu folgendem Ergebniss. Eine ungetreue,
unehrliche oder unverlässliche Gefangennahme war dann vor
handen, wenn die Wiederbefreiung des Festgenommenen durch
nacheilende Freunde von diesem noch immer erhofft werden
durfte, von dem Gewalthaber befürchtet werden musste. Wurde
unter solchen Umständen der Gefangene entlassen, so hat er
gewiss nicht freiwillig, sondern unehrlich dazu gebracht 2 oder
gezwungen das Versprechen der Rückkehr gegeben, und darum
war dasselbe Versprechen, das verbindlich war, wenn es aus
den Banden einer sicheren Gefangenschaft befreite, im entgegen
gesetzten Falle unverbindlich.
Die Rückkehr in die Gefangenschaft konnte übrigens auf
einen bestimmten Tag versprochen werden oder von einer
jederzeit zulässigen Mahnung des Gewalthabers abhängig
gemacht sein. 3
Das berühmt gewordene Versprechen, auf einen genannten
Tag als Gefangener sich wieder zu stellen, ist das Versprechen,
welches Friedrich von Oesterreich in seinem Gefäugniss zu Traus-
Homeyer’sclien Texte übereinstimmen, so ist an dessen Ursprünglichkeit
nicht zu zweifeln.
1 Die Worte v. 1. s. li. w. z. a. erklären genauer, was die Worte to dage
des Sachsenspiegels ausdriieken.
2 Der Sachsenspiegel sagt: gedungen.
2 Wie in dem Falle Marchfelder S. 19.
22
II. Abhandlung: Siegel.
nitz am 13. März cles Jahres 1325 Ludwig dem Baier gegeben hat.
Die beiden Fürsten waren bekanntlich im Jahre 1314 in spaltiger
Wahl zu römischen Königen gewählt worden. Keiner rief den
päpstlichen Stuhl zur Entscheidung an; ein Jeder wollte durch
seine Macht sein Recht behaupten. Nahezu acht Jahre hatte
der Streit um die Herrschaft im Reiche bereits gedauert, als
Friedrich von der Ostmark und von Schwaben aus den Gegner
in seinem eigenen Lande anzugreifen beschloss. Bei Mühldorf kam
es Ende September 1322 zu einer Schlacht, in welcher Ludwig
siegte und Friedrich nach heldenmüthigem Kampfe in die Ge
walt des Siegers fiel. Trotz des Sieges über den Gegner, welcher
als Gefangener in die Burg Trausnitz gebracht wurde, besserte
sich jedoch die Lage Ludwigs nicht; sie verschlimmerte sich
durch seinen Streit mit dem Papste und in Folge der Verbindung,
die Friedrichs Bruder, der Herzog Leopold von Oesterreich,
mit dem König von Frankreich einging. Unter diesen Umständen
suchte Ludwig die Verständigung mit seinem Gegner Friedrich,
und es kam zu einer Sühne, nach welcher letzterer um den
Preis der Freiheit auf die Krone zu verzichten, Ludwig als
seinen König anzuerkennen und diese Anerkennung auch von
seinen Brüdern und Getreuen in Oesterreich zu erwirken eidlich
sich verpflichtete. Darauf erhielt Friedrich die Freiheit, zunächst
jedoch gegen das Versprechen: 1 möcht er aber der Sünen nicht
zu bringen, so soll er sich wider antworten gen Trausnicht in
die venchnuss, darinne er jetzt ist, auf Johannestag ze Sunn-
wende, der schierst lcombt. 2
Aus seiner Haft entlassen, ritt Friedrich nach der Heimat,
um die Zustimmung seiner Brüder zu der Sühne zu gewinnen,
was ihm indess nicht gelang. In Folge dessen kehrte er —
3 Die Sühne sammt diesem Gelöbniss findet sich bei Kurz, Oesterreich
unter Friedrich dem Schönen S. 488.
2 Derselbe Zeitpunkt spielt, was bis jetzt unbeachtet blieb, in einem be
reits am 3. October 1324 von dem Bruder des gefangenen Friedrich, von
Herzog Leopold mit der Stadt Hagenau im Eisass getroffenen Abkommen
eine Bolle. Würde bis zur Sonnenwende Herzog Ludwig als König mit
Heeresmacht vor der Stadt erscheinen, so sollten die Bürger ihn em
pfangen und ihm helfen dürfen, anderenfalls sollte die Stadt den Herzog
Leopold zu ihrem Schirmer nehmen. S. Böhmer, Begesta Ludovici, S. 252,
n. 174.
Das erzwungene Versprechen und seine Behandlung im deutschen Rechtslebon. 23
nach der Sage der späteren Geschichtsschreiber 1 und gepriesen
von den Dichtern als ein Muster deutscher Treue, in sein Ge-
fängniss zurück:
Aber was er in Banden gelobt, kann er frei nicht erfüllen,
Siehe, da stellt er aufs Neu willig den Banden sieh dar. 2
während nach den Ergebnissen der neuen Geschichtsforschung 3
Friedrich von Ludwig seines Wortes bereits entbunden war,
als beide zu Anfang Juli in München zusammentrafen und einen
Bund inniger Freundschaft schlossen, welcher in dem merk
würdigen Uebereinkommen vom 25. September desselben Jahres,
als zwei Könige gemeinsam die Regierung des Reiches zu führen,
gipfelte.
Dass übrigens Friedrich ohne die in seinem Verhältniss
zu Ludwig eingetretene Aenderung so gehandelt haben würde,
wie ihn die Sage und Dichtung dem Rechte entsprechend
handeln liess, 4 dürfte das historisch beglaubigte Verhalten seines
1 Bis auf Zimgibl, Ludwig des Baiern Geschichte, Münchener akad. Ab
handlungen III (1814), S. 216 und Kurz, Oesterreich unter Friedrich
dem Schönen 1818, S. 317.
2 Schiller’s Gedicht ,Deutsche Treue“. Vgl. Uhland’s Schauspiel: Ludwig
der Baier, 1818:
— Nun ich’s recht betrachte, that ich nichts
Als das Geringste, was ein Mann kann tliun:
Ich hielt, was ich versprochen — —
Ich selbst bin dein Gefangner, wie zuvor
Lass mich zur Trausnitz führen.
3 Vgl. Döbner, Die Auseinandersetzung zwischen Ludwig dem Baier und
Friedrich von Oesterreich im Jahre 1325. 1875. Friedensburg, Ludwig
der Baier und Friedrich von Oesterreich von dem Vertrage zu Trausnitz
bis zur Zusammenkunft in Innsbruck 1877. S. auch Riezler, Geschichte
Baierns II (1880), S. 360, 361.
4 Auch der Papst war überzeugt, dass Friedrich, wie es das Recht ver
langte, als Gefangener sich wiederstellen würde, und hat daher in seinem
Schreiben an den Herzog vom 4. Mai 1325, worin er alle übernommenen
Verpflichtungen für aufgehoben erklärte, schliesslich die Rückkehr in
das Gefängniss bei Strafe der Excommunication verboten: Tibique nihilo-
minus in virtute sanctae obedientiae ac sub excommunicationis poena,
quam te (si contrarium feceris) incurrere volumus ipso facto, districtius
inhibentes, ne ad ejusdem Ludovici rebellis et excommunicati quoquo-
24
TI. Abhandlung: Siegel.
Bruders, des Herzogs Heinrich, nahelegen, welcher gleichfalls
in der Mülddorfer Schlacht in die Gefangenschaft, und zwar in
die Hände des Böhmenkönigs gefallen war. Auch dem Herzog
Heinrich wurde schon vorher ein Urlaub aus seinem Gefängniss
in der Feste Btirglitz gewährt, um seine Brüder für die Ver
pflichtungen zu gewinnen, deren Erfüllung ihm die Freiheit
wiedergeben sollte; auch ihm hatten sich die Brüder nicht will
fährig erwiesen, und so kehrte er, um sein Wort einzulösen,
wie es das Recht gebot, in sein Gefängniss zurück.
Der Bericht der Ivünigsaaler Chronik 1 lautet: Anno do-
mini 1323 in die nativitatis Christi Heinricus dux Austriae
anno praeterito in proelio vinculatus ferreis compedibus per
ebdomadas octo in Castro iacuerat Burgehno, intervenientibus
pactis et tractatibus Prägam venit, altera die abinde processit
fratresque suos duos duces in Austria visitavit, qui cum eon-
ditionibus et pactis ab ipso duce capto factis nollent acquie-
scere. Heinricus dux stare volens quam promiserat fide, pri-
stinae se captivitati in die beati Mathaei apostoli (24. Februar)
coepit ultroneus mancipare. 2
Die bindende Kraft eines in sicherer Gefangenschaft
gegebenen Versprechens der Wiederkehr fand ihre Recht
fertigung aus Gründen der Nützlichkeit wie der Ethik. Eine
Beurlaubung erfolgte im Interesse beider Theile, insbesondere
auch des Gefangenen, welcher überdies keine Verpflichtung auf
sich nahm, die seine künftige Lage schlimmer gestaltete, als
die jetzige war. Andererseits verdiente das Vertrauen, welches
der Gewalthaber in der Enthaftung seines Gefangenen bewährte,
durch dessen Treue erwiedert zu werden.
Ein zweites Versprechen, dem jedoch nur im Bereiche
des sächsischen Rechtes Wirksamkeit beigelegt wurde, war das
Urphede- oder Friedensgelübniss, das ein Gefangener vor seiner
entgeltlichen oder unentgeltlichen Freilassung aus dem Ge
fängnisse gab. Der Sachsenspiegel III, 41 § 1 sagt und mit ihm
modo redire carcerem . . praesumas 1 . Baronii, Kaynaldi et Laderchii An-
nales ecclesiastici ed. Theiner., T. XXIV, 276.
1 Theil II, c. 12. Fontes rerum Austriacarum, Scriptores VIII, 421. 422.
2 Dass gegen andere, später — am 24. August — festgestellte Leistungen,
insbesondere ein Lösegeld von 9000 Mark Silber Herzog Friedrich end
lich die Freiheit erhielt, soll nebenbei bemerkt werden.
Das erzwungene Versprechen und seine Behandlung im deutschen Reclitslehon 25
stimmen das schlesische Landrecht cap. 296 und das Rechts-
buch der Distinctionen IV, 41 dist. 2 überein : Gilt he oder
wert he ane gelt ledicli, svelke orveide he gelovet oder sveret, 1
die sal he durch recht lösten, unde anderes nen gelovede, dat he
binnen vengnisse lovet oder dut, während der Verfasser des
Spiegels aller deutschen Leute c. 276 seine Vorlage nicht ver
standen hat, wenn er schreibt: Ist er oder wert er ane gelt ledig
swelch gelubde er lobet oder swert die sol er durch recht
leisten vnd anders von gelubde daz er in vanchnuzze lobet
oder tut, und das kaiserliche Landrechtsbuch c. 307 a wohl
nicht ohne Absicht und Grund schweigend darüber hinweg-
gegangen ist. 2
Eike von Repgow aber dürfte zu seiner Behauptung von
der Rechtsverbindlichkeit des Urphedegelübnisses eines Ge
fangenen durch die Rücksicht auf den Frieden und seine
Förderung bewogen worden sein, durch dieselbe Rücksicht,
welche ihn auch bestimmte, für das genannte Gelöbniss, wenn
es aussergerichtlieh gegeben worden war, eine Ausnahme von
der sonst geltenden sächsischen Beweisregel anzuerkennen. 3
Ein drittes Versprechen, dem wieder allgemein wohl
rechtsverbindliche Kraft beigelegt wurde, dürfte das übrigens
nur in einem der Rechtsbücher berührte Gelöbniss von Kriegs
gefangenen, an einem bestimmten, ihnen zugewiesenen Orte
Gefangenschaft zu halten, gewesen sein.
Diese Art von Haft, welche, wie es scheint, vornehmen,
rittermässigen Kriegsgefangenen gestattet wurde, nannte man
ein Feldgefängniss, dessen Versprechen jedoch nur dann bindend
sein sollte, wenn den Gefangenen nichts ausser seinem Ehren
worte festhielt, weder Wachen noch Fesseln.
Swelich man gevangen ist unde bi sinen trawin gelobit
daz er nicht entrinne — sagt das Görlitzer Landrechtsbuch
1 S. ein solches Gelöbniss oben S. 19, Nummer o.
2 Dass nach aussersächsischem Rechte das Urphedengelöbniss eines durch
Thätlichkeiten in Angst Versetzten als unverbindlich behandelt wurde,
darüber s. oben S. 9, 10.
3 Während sonst der Geber eines aussergerichtlichen Versprechens des
mit siner unsclmlt untgeit, unde man’s in nicht vertügene mach (Sachsen
spiegel I, 18 § 2)l mut (darf) he it getügen selve sevede, dem man
die sune oder de orveide dede (das. I, 8 § 3 und Richtsteig Landrechts
41 § 8). S. auch Ilomeyer, Richtsteig S. 501.
26
II. Abhandlung: Siegel.
XXXVI § 1 b — unde werdin ime ovir daz huter gesazt, unde
(wirt er) ouch gespannin oder bismidit, 1 unde untrinnit denne,
dar umme ne hat er sine truwe nicht gebrochin. Denn Treue
wurde nur da geschuldet, wo Vertrauen voll geschenkt wurde
und kein Misstrauen sich geltend machte.
Aus dem Feldgefängniss rittermässiger Kriegsgefangener
ist, was zur besseren Beleuchtung desselben beitragen dürfte
und daher an dieser Stelle nachgewiesen werden soll, das Ein
lager im Frieden entstanden, welches seit dem 12. Jahrhundert
vornehme Schuldner ihren Gläubigern zur Sicherung einer
Forderung freiwillig zu versprechen pflegten. Dass die Er
innerung an diesen Ursprung des Einlagers noch im 16. Jahr
hundert nicht ausgestorben war, ergeben zwei Urkunden, in
welchen die Schuldner das Einlager unter der Bezeichnung eines
rechten Feldgefängnisses, wie wenn sie von ihren Gläubigern
oder deren Erben im Felde gefangen worden wären, zusagten.
Heinrich von Holle versprach im Jahre 1535 Mehreren,
die sich zu seinen Gunsten verbürgt hatten: Dartho wyl ik
eine rechte Veltfengniße up ohr Erfordern . ., gelik alße wehre
ek van ohne edder oren Erven in Felde gefangen, wor se mik
heneschen worden, dat were schriftlik edder mündlik in myner
Behusunge ifte gegenwordig in welliker Stedc und Platz, mit
seß Perd und vyff Knechten mit mynes sillves Lyve holden
und lesten: Szo ik uth eyner edder mer Stede gewysett, dar
se myk ingeeschlt (sic!), alsdenne an eynen andern Ortt, Stadt,
Platz edder Dorp, dar man myck hengefordert und de Vengnisse
tho holden lyden kan, und wyl dar ock nicht uth, Dagoß ifte
Nachteß, sondern eyne rechte Veltfengniße, wu einen ci’baren
frommen Manne tostehet, holden ind leesten. 2
Kühne von Bardeleben, Drost zu Neustadt am Roberge,
stellte im Jahre 1544 dem Mathias von Veltheim eine Schuld-
1 Brunswik intrabunt et inde non exibunt, nisi per consensum domini
Imperatoris; sine vinculis tarnen et capitali custodia manebunt verfügte
der 1212 zwischen dem Kaiser Otto und dem Markgrafen von Branden
burg aufgerichtete Vertrag hinsichtlich der zwanzig Eidgesellen des
Letzteren, falls ihm auf die Anklage wegen Treubruchs der Beweis
seiner Unschuld nicht gelingen würde. S. die Urkunde bei Lisch,
Mecklenburgisches Urkundenbuch I, S. 199.
2 Die Urkunde ist mitgetheilt von Neander in Schott’s Juristischem Wochen
blatt 1774, III, S. 8.
Dm erzwungene Versprechen und seine Behandlung im deutschen ltechtsleben. 27
Verschreibung mit dem Beifügen aus: Im Fall ich aber an der
Zahlung seumig befunden, so verpflichte ich mich bey meinen
högesten Ehren in Eydesstatt und bey einer Veltgefängnüße,
inmaßen ich im Felde gegriffen und das zu tliun angelovet,
daß ich mich von Stunde an ungeseumbt auch ungefürdert
mit meinen selbst Leibe erheben will, und zu Oskersleve in
eine Herberge einreiten und will einstellen, leisten und halten
aldar so lange ein recht Einlager, als einen frommen und Ehr
liebenden von Adel rühmlich zu thun und wohl anstet und
auch Gestalt eines Gefangenen, daraus in keine wege zu Tage
und Nacht nicht zu kohmen. 1
Hie Aeusserung in dem Rechtsbuch der Distinctionen, 2
dass nach der Ansicht Mancher das Versprechen, Gefangen
schaft zu halten, nur für Rittermässige und nicht für Kaufleute
verbindlich sei, indem jene vermöge ihrer höheren Geburt auch
mehr halten wollen, dürfte sich auf das Einlager beziehen,
wozu in der That Leute bürgerlichen Standes nur höchst selten
sich verpflichteten 3 und das einmal geradezu als ein ritter-
mässiges Gefängniss bezeichnet wurde.
Der Fall, in welchem dies geschah, unterscheidet sich
allerdings in manchem Punkte von einem gewöhnlichen Ein
lager, namentlich darin, dass der Schuldner sich verpflichtet
hat, allein und insgeheim an den Ort, der ihm bezeichnet
werden würde, zu reiten und auch in der Folge seinen Auf
enthalt zu verschweigen und Niemanden zu verrathen. Wegen
dieser Eigenthümlichkeiten mag das erhaltene Mahnschreiben
zum Einritt 4 hier mitgetheilt werden. Nachdem der Gläubiger
seinen Schuldner im Eingang der Urkunde an sein Versprechen
•
1 An dem in der vorigen Note angeführten Orte S. 9.
2 IV, 41 dist. 5 : Auch sprechen sommeliche lute, daz dy kouflute, dy
nicht zu dem scliilde sin geborn, keyn gefencknisz halten sullen von
rechte, daz ist vvor, is sal der geborne und ungeborn keyn gefencknisz
dulden. Doch heben dy am herschilde eyne vorloysende willekor ores
adils, daz sy me wullen halden in orer besseren gebort, won dy konf-
lute; hymete wert der koufman.nicht rechteloz noch erenloz . . wen
god had den menschen selber noch om gebildet, unde had on mit siner
marter gelediget eynen also den andern, unde om ist der arme also
der riche, der gebur also der herre.
3 Vgl. Friedländer, Das Einlager S. 72 ff.
4 Vom Jahre 1548, gedruckt bei Amthor, de obstagio 1712, p. 139. 140.
28 II. Abh.: Siegel. Das erzwungene Versprechen im deutschen Rechtsleben.
erinnert hat, fährt er fort: Demnach und zufolge solcher be
scheidenen nothwendigen und hochveruhrsachlichen Bestrickung
heische und mahne ich dich vermüge und krafft deiner ange
lobten Zusage, (dass) du von Stund nach Uberkommung und
Vorlesung dieses meines Briefes dich erhebest und on mennig-
lichs Vorwissen gar alleine, stille und in gantzer geheim biss
zu Freyenwolde in Pommern in Borchert Lantkowen Behausung 1
verfügst, darinnen ein Ritter massiges Gefängniss ferner
leistest und haltest, daraus noch zu Tage oder Nacht on mein
vorwissen keineswegs scheidest, sondern meines weitern Be-
scheits daselbst getreulich ab wartest; wo auch dasselbe Haus
Feuershalben unterginge, dich nicht weiter dann so fern das
du des Feuershalben an deine lebende keinen schaden nehmest,
daraus verfügst, und nach verlescliung des Feuers wiederumb
uf derselben Stetden, wo das Haus gestanden, dein Gefängniss
bis zu fernerem meines Bescheids auswartest, auch dieser Be
strickung halber nichts hinter dich oder sonsten von dir
schreibest, noch jemands davon vermeldest, auch in deinem
anher reiten die eine Nacht nicht liegest do du die andere
gelegen hast, sondern still und in gantzer geheim, ohne alle
Vermeidung und Nachsage dich eilens an vorberürten Ort
hebest und verfügest, alles bei deinen adelichen, Ehren, Treuen
und Glauben, des du dich allenthalben deiner Rittermässigen
Zusage nach wirst unverweigerlich zu verhalten wissen.
1 Auch das Privathaus im Gegensatz zu einer Herberge kommt nur selten
vor; vgl. Friedländer, Das Einlager, S. 119 ff.
III. Al)li.: Reinisch. Die Bedanye-Spracho ia Nordost-Afrika. I.
i
III.
Die Bedanye-Sprache in Nordost-Afrika. I.
Von
Leo Reinisch,
wirkl. Mitgliedo der kais. Akademie der Wissenschaften.
Es bedarf einiger Worte der entscliuldigung, wenn icli
nach dem erscheinen eines so ausgezeichneten Werkes wie das
von Hermann Almkvist: »Die Bischari-Sprache Tü-Bedäwie in
Nordost-Afrika. Upsala 1881—1885« 2 bde., mich noch an
schicke, über denselben gegenständ meine eigenen aufzeich-
nungen zu veröffentlichen.
Die zwei folgenden gründe haben mich aber veranlasst,
meine Sammlungen zur genannten spräche doch endlich auch
ans tageslicht hervorzuziehen:
1) Um den geist einer spräche einigermassen richtig aufzu
fassen und beurteilen zu können, sind unbedingt texte erforderlich
und unerlässlich. Durch einzelne Sätze welche man in eine zu
erlernende spräche übertragen lässt, können zwar grammatische
functionen mit zimlicher Sicherheit ermittelt, kann auch ein
glossar festgestellt werden; aber der volkstümliche satzbau und
der geistige schätz einer nation in seiner eigentümlichen fas-
sung werden doch erst zugänglich und klar ersichtlich, wenn
man eingebornen selbst das wort frei erteilt, ire erfarungen
und lebensanschauungen zwanglos aussprechen lässt und sie
nicht dahin drangsaliert, nach dem Zuschnitt unserer denkungs-
art sich äussern zu müssen. Nun feien in dem werke Alm-
kvist’s aber gerade die texte, so dass ich dasselbe mit den
von mir gelegentlich gesammelten erzälungen einigermassen
ergänzen kann.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXVIII. Bd. 3. Abh.
1
2
III Abhandlung: Reinisch.
2) Wie schon der titel des schönen Almkvist’schen buches
selbst es ausdrücklich anzeigt, hat der Verfasser nur einen
dialect der Bedauye-spräche behandelt und es würde derselbe
seine vortreffliche arbeit villeicht richtiger bezeichnet haben,
wenn er ir den titel: »Der Bischari-Dialect der Bedauye-
Sprache« gegeben hätte. Denn wenn auch der dialect der Ha-
lenga im ganzen sich enge an den der Bischari anschliesst, so
weist wenigstens das idiom der Beni-Amer in Barka bemer
kenswerte unterschide und teilweise altertümlichere formen
auf, daher es wol nicht gut angeht, die gesammtsprache des
weit verzweigten Volkes der Bedscha nach dem dialect eines
Stammes derselben, nemlich der Bischari, mit dem ausdruck:
»die Bischari-spräche« zu benennen. Indem ich nun aber ge
rade dem genannten ursprünglicheren idiom der Bedauye r
spräche, nemlich dem dialect der Beni-Amer, mich einige zeit
zu widmen in der läge war, so dürfte auch nach dieser Seite
hin das werk von Almkvist eine weitere ergänzung linden.
Meine ersten Sammlungen zur spräche der Bedscha be
gann ich vor beinahe zwanzig jaren, als die sogenannte nu-
bische truppe Idagenbeck’s sich in Wien aufhielt. In dieser
truppe befanden sich sechzehn Halenga, mit denen ich mich
fast täglich beschäftigte und auf diese weise mir ein zimlich
vollständiges bild des Halenga-idioms verschaffte. Unglück
seliger weise wurde mir die frucht dieser arbeit, die ich in
einem gebundenen lieft zusammengetragen hatte, aus der tasche
gezogen, indem der entwender dasselbe wol für eine gefüllte
brieftasche hielt. Da wenige tage darnach die Hagenbeck’sche
truppe bereits Wien verliess, so konnte ich den Verlust nur
ser ungenügend durch die wenigen gespräche und Sätze noch
ersetzen, welche in diesem gegenwärtigen hefte den titel füren:
,11. Gespräche und Sätze im idiom der Halenga/
Auf meiner ersten reise in Abessinien (1875—1876) hatte
ich keine gelegenlieit, mit den Bedscha in nähere berürung zu
kommen, wol aber auf der zweiten dahin unternommenen tour
(1879—1880), indem ich wärend des aufenthaltes in Barka
häufig mit männern vom volk der Beni-Amer zu verkeren
hatte; überdies befanden sich damals in meinem gefolge zeit
weilig auch leuie des Bischari-Stamm es, dessgleichen auch
Hadendäwa, leider von wenig gewecktem geiste. Uebrigens
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. I.
3
hatte ich mir nur das Studium des Bilm und des Kunama als
eigentlichen zweck dieser zweiten reise gesetzt und dasselbe
nam auch meine zeit und tätigkeit vollauf in anspruch. Was
ich daneben noch gelegentlich und gewissermassen nur in
wissenschaftlicher genäschigkeit aufnemen konnte, das bedarf
desshalb wol etwas einer nachsichtigen beurteilung.
Obwol ich aber wie gesagt, dem Bedauye nur in ser be
schränktem masse meine zeit widmen konnte, so hätte ich
dennoch wärend derselben eine wertvollere Sammlung von
texten anlegen können, wenn jene Beduan, mit denen ich ar
beiten konnte, ebenso geistig geweckt gewesen wären, wie
meine lerer der übrigen kuschitischen sprachen. Mit jenen
hatte ich aber einen fortwärenden kämpf gegen ire geistige
faulheit und nachlässige aussprache zu bestehen, und es kostete
immer eine grosse mühe meinerseits, diese leute bei geistiger
arbeit in der stange zu halten. Bei dieser irer beschaffenheit
darf es auch nicht wunder nemen, dass die wenigen zusammen
hängenden texte, die ich von denselben dennoch zu erlangen
im stände war, an inhalt und form weit hinter denen zurück
stehen, die ich von den Bilin, Saho, 'Afar und sogar den Nuba
auf leichte art erhielt. Die verhältmässig brauchbarsten dienste
für das idiom der Beni-Amer leistete mir Ahmed-ibn-Mahmud -
ibn-Idris von der Glabila Ad-Daga, und für das Hadendäwa:
Mohammed 'Ali aus Suakin.
Die dem Bedauye - text gegenüberstehende Saho - Über
setzung stammt von meinem ausgezeichneten und treubewärten
diener auf den beiden afrikanischen reisen, dem Saho ‘Abdallah-
ibn-'Ali Dasamoyta, der mir meistenteils als interpret zu dienen
hatte und seines amtes in der denkbar besten weise gewaltet hat.
Ausser meinen eigenen aufzeichnungen und den meiner
Vorgänger konnte ich bei meiner arbeit noch benutzen die
nach dem erscheinen von Almkvist’s buch veröffentlichte kleine
Schrift von C. M. Watson, betitelt: »Comparative Yocabularies
of the Languages spoken at Suakin: Arabic, Hadendoa, Beni-
Amer. London 1888. 8°.« 16 pgg., welche obschon dem umfange
nach unbedeutend dennoch für die ortografie desshalb recht
verwendbar ist, weil der lierausgeber alle Wörter von einem
gewissen Idris Efendi, wahrscheinlich einem gebornen Haden-
däwa-Mann in arabische buchstaben umschreiben liess, wodurch
l*
4
III. Abhandlung: Reinisch.
die für die Linguistik so ärgerlichen nachteile der englischen
Umschrift besonders im vocalismus wider einigermassen behoben
sind. Watson’s glossar enthält Wörter im idiom der Hadenijäwa
welche in und um Suakin hausen. Auch Watson generalisirt
unrichtig, wenn er sagt: Hadendoa is spoken by the native
Suakinese, and the greater part of the tribes in the vicinity of
Suakin, the Hadendoas, Amarars, Bisharin, part of the Halenga,
and as far north as the tribes of the Ababdeh. Ferner sind
seine Amarars i. e. Amar'ar »Amar’s Söne«, welche er irr
tümlich zu den Ha<Jendäwa rechnet, nicht bloss dem namen
nach, sondern auch ethnografisch mit den Beni-Amer identisch,
von welchen letzteren derselbe ein glossar mit der Über
schrift: Beni-Amer gibt, das aber Tigre oder Chassa ist, da
die an den küsten des roten meeres nomadisirenden Beni-Amer
von iren Untertanen, sowie von den benachbarten Habab die
Tigresprache angenommen haben. Trotz viler übelstände, die
dem mangelhaften inhalt und der schlechten metode Watsons
(nach dem übel bewärten Vorbild der meisten linguistischen
Schriften englischer missionäre) anhaften, ist Watson’s glossar
immerhin dankend aufzunemen. Fonetisch stimmen Watsons
Wörter mit den meinigen aus dem idiom der Hadend&wa fast
durchgehends überein.
Dio Bedauye-Spraclic in Nordost-Afrika. I.
5
I.
Erzälungen im idiom der Beni-Amer in Barka.
i.
Ein reumütiger sünder.
1) Tdiku edin, ün ü-tdk had-
dös malül abkäbu, tikß nälta
idir.
2) Ar’i rebäb reiviyäyt, hed'dt
5 haddöysös höy esaat.
3) Aüib däbaläb ilctaet, do’öb
höy esinit, yam wä siyäm höy
esnlnit.
4) »Allayö-dhäy adgB, tübdn«
10 enitj end&wayös esa.
Heyöti yinä yan, diböl ülä
märak yinä yan, ummänim ay-
difi yinä yan.
Amä-ged will kömal körä yan,
galabä-li ülä märä yan.
Will mäh endd däy igdilä
yan, ay cläy adddd rimme, lay,
asö dalä dkä süktä yan.
■»Iiinniydllä gähö,atöbä«. ya,
ist melal sldisitä yan.
1) Es war, so erziilt man, einst ein mann, derselbe lebte
einsam in der wüste und tötete jedermann.
2) Er zog dann auf einen berg und wonte dort allein in
einer hole.
3) Einst zerschlug er einen kleinen stein und fand darin
einen wurm, auch wasser und frisches gras.
4) Da sprach der mann: »ich kere zu meinem gott zurück
und bereue,« und liess sich bei seinem volksstamm nider.
2.
Der taube, der blinde, der lame und der kalköpfige.
1) Däba edina: nuweü, liama-
Säy, garabdy, güälä emorardm-
na, an.
2) Ü-hBwa yakyäyt: »Se'dy his
15 amäsu gfi« edi.
3) Wü-hamasäy: »SB'dy daa,
enda fta han rehenäy nefilcik«
id,i.
Heyä yälehan : semüm, inti
mä-li, hankiS, gtiäla siddad mä-
rän yan.
Ay semüm: »saga-t, 'al'alö
abik anä« yalehä yan.
Ay inti mä-li: »rummä, heyaü
amö, su amö abiltk anä« yalehä
yan diräba.
6
III. Abhandlung: Reinisch.
4) Garabdy yakyäy: »kirifti Ay hankis: »afä ak na-kamä-
kl-dabna!« Mi. wä!« yalehd yan.
5) U-gääla yakyny: »te-hamö Ay gä’az mä-li: »hinni gä'dz
ki-baberisna!« Mi. falfdl ed m-isa!« yalelid yan.
1) Leute erzälen: ein tauber, ein blinder, ein lamer und
ein kalküpfiger waren beisammen.
'2) Da sprach der taube: »ich höre da vihstimmen.«
3) Der blinde sagte dann: »ja wir sehen rinderhörner
und männerköpfe.«
4) Der lame sprach: »wir wollen inen doch wol nicht
zuvorkommen!«
5) Der glatzköpfige aber sprach: »wir wollen ja nicht
unsere kopffrisur in Unordnung bringen (durch laufen).«
3.
Ein feigling.
5 1) Tälcu edina, un u-tak ma'-
at eti en.
2) Endet emallagnek via ata-
geh eför, ribäb rewiyäna.
3) En-näs balin tdktak däris
10 erhiyanik yeioü, en.
4) Tä-md' höy efaidnik takdt
edir, en.
5) Malyäb tä-ma': »en icä en
tidiya« enik, barits emodehek,
15 mehdyt irhafnit, enda estöbenik,
idirnsk, batäs yi’isni sakyänek,
en.
Heyaüti yind yan, sayö ha-
wayl-li yind yan.
Labahä angä'ik sayöli küdd
yan, kömal kördn yan.
Ideyaü sidda agdifi yubilä-
ged derd yan.
Ay heyaüti sayö el tosold-ged
numä yigdifd yan.
Ay sayö: »täy ka täy ta« yani
eli yinge'mi labahdl kä hirrigdn
yan, ay labahä kä yigdifdnik
sardl ay sayö kä habdn, ak ya-
ddyn yan.
1) Es war einst ein mann, der hatte den character der weiber.
2) Als einst männer in streit gerieten, da floh er mit den
frauen, und sie kletterten auf einen berg.
3) Wie er nun die männer sich gegenseitig bekämpfen
sah, da weinte er.
4) Als aber die frauen deshalb über in lachten, da tötete
er eine frau.
5) Hierauf sprachen die frauen zu im: »du hast doch zu
ir das und das gesagt,« er aber stritt mit inen. Da zerrten
Die Bedauye-Spracke in Nordost-Afrika. I.
7
sie in, indem drei frauen denselben bewachten, zu den männern,
diese töteten in, die frauen aber verliessen in und gingen
irer wege.
4.
Unehlige kinder gedeihen nicht.
1) Däbaedina: kardy ’ör ihö,
hay däbya, maläl hay ibö; en-
cla ye'awenit, esfadigna, wü-ör
eya, en.
2) Oriyän, ö-nibes dehdy efrik-
nit, ebtsna.
3) Eyän&k, tü-nde icaütanek,
rugüds dehdy iharidna.
4) Ü-dhdy iyän, tdmyän, mi-
stci ebirirna, wö-awüt dehdy efi-
girna.
5) Malyäb ’ör eyäyt, kabyäyt,
find ’ör ifrö, ü-bdba Hdmmid
Abddlläb eyddna.
6) Wü-ör efrayik hddda ihö,
tafyäy, maläl hay ehe.
7) Itfariyöb-ka eyäy, find ’ar
adil ki-baru.
8) »Tö-takdt dartit höy, bl-
farriytk, tak ün fidiktit wet,
ba-'idir« en.
9) Malyäb ü-talc ün tö-taJcatös
efd.ig, takdt wet id'ir.
Yangülä will endaükä yibilä,
diböl kä bisitd yan; heyait kä
hadandn, aükä yase'än yan, ay
aüki rdba täna sügd yan.
Bodö faraani, aükä ed öbi-
sani, yo'ogin yan.
Gähdnik sardl kä ind watä-
ged, dassä ak yurhodin yan.
Heyaü yametin, betdn yan,
fürösul tdna sidiSdn yan, rödö
täna sirähdn yan.
Ayk sardl ivili güld' yametd,
tä-li find yan, mälitd yan, issl
bdlä dältd yan, kä dbbä Hdm
mid Abddllä yalehdn yan.
Ay ball yobokdk sardl lubdk
kä bisitd, diböl kä yuqidd yan.
Äbokinänti räbd yan, haräm
haläli däylö ddlak mi-yana.
»Däylö wdynin-Jcö tamä hey-
aüti iSi nümä hdbö, aki nümä
mar'esitö« yan.
Ayk sardl ay heyaüti iSi nü
mä diliyd, aki nümä ta mar'-
esitd yan.
1) Die hyäne packte einen ltnaben und lief damit in die
wüste; leute jagten ir nach und entrissen ir den knaben, der
selbe aber starb.
2) Sie begruben den knaben in der wüste indem sie dort
ein locli aufgruben und denselben darin bargen.
3) Sie leerten nun zurück und da die mutter weinte,
schlachteten sie ein totenopfer.
8
III. Abhandlung: Reiniscli.
4) Leute kamen lierbei und assen; man breitete denselben
matten auf und spannte ein dach über sie.
5) Darnach kam ein jüngling, er beschlief sie, ein knabe
kam dann zur weit, sein vater hiess Mohammed Abdallah.
6) Als der knabe geboren war, raubte diesen ein löwe
und lief mit im in die wüste.
7) So oft dieser frau ein kind geboren ward, es kam
ums leben, hurerei bringt keine rechtschaffenen kinder zuwege.
8) Da sagten die leute: »der mann soll wenn er keine
nachkommenschaft bekommt, seine frau verstossen und ir die
Scheidung geben und dafür eine andere heiraten.«
9) Da gab nun der mann seiner frau die Scheidung und
heiratete eine andere.
5.
Erlebnisse eines schech.
1) Tdjcu, edin. gabäb, riü,
kisäb gabäbu, mehäy gdiva da-
iräbu, firüy höy endü.
2) Maatüs kassäs singiräta.
5 -»ani takat daürit amirek, ti-
fiyB mhini-ka idde'ir«. Mi. barüs
U-tak ün had'übu.
3) Tak dähäy eyäyt: »mar-
mhin takat daürit masalamdt
io tefi« y&ne.
4) »Nä-mhvn tefi?« enik, »wu-
ardüs sagibu« Mi.
5) »SangiyBk han ebi« Mi,
irbi-t ebena, hidäb sdkyän.
lö 6) Batns höy tehiyib endäwa
dehäy eyäna.
7) Yinät yi'äyim, batyös dehäy
eyäyt, endl harämi, endü.
8) »Tamin riyäl hltök« ent,
20 »kä-yhe« tedi; »tagtig riyäl hi-
tök« eni, »kira/« töne.
Rohös kin heyaüti yinä yan,
düye ka garüdä U yinä yan,
adöhä nümä li yinä yan, däylö
icay yan.
Umbakä kä säyö aV ümd ki
yinin yan; amäy-kö: »and will
rikel dlä mdä bald genkö, iSSl
mar'esimta« yalehä yan ay he-
ydüti. iissuk reddntö ki yinä yan.
Will heyaüti el yametä: »he
beltot rikel dlä mangüm ma'ä
bald märak tana« yalehä yan.
»Aula märak tdna?« yalehäk
sardl: »tadik dela« yalehä yan.
»Deld-dö didiya« ya, yuqu’ä,
yadäyn yan, inkö galän yan.
"IsSi märak tiuä dikil yame-
tin yan.
Mängö lala' käld yan, el zi-
yäritä yan, zinäfalä, ivay yan.
■»Tammanu qärse kö ahdiü«
ya, »anü mä-betinyö« ta; »lam-
mä tdnnä kö ahdü« ya, »ma'ä!«
ak talehä yan.
Die Bedauye-Spraclie in Nordost-Afrika. I.
9
9) »Gebök ki-mb'an, kiiäräm-
si-hibi!« eni, »ksra!« tedi.
10) O-rawyös dShäy eyäyt:
»nän timriya?« edi; »mirab
5 käke küäramdn bakdy« edi.
11) »Te-takdt tä'a adariirek
dehö kit-ngad, kdnhib« edi.
12) U-rdü yakyäyt: »kit-ke-
hdb, ibabtinyik dbiye agüanid«
10 edi.
13) Ed'ir lialdli, ibabyardk
gu’adib akö ö-rait yi'is gigya.
14) U-rdü, barüs ibäbyanik,
abiy&s Tiarämi iibe, te-takdt ü-
15 gudd ün esinduk, wü-hiyö ibä-
bäb akö ifi.
15) Tefiri, icu-hiyö iya, wu-
rewüs höy enhdd.
16) »Wö-örük aneb iti ifi?«
20 eni, »barük har'6 tibiya?« eni.
»har'6k kä-be« ine.
17) Wü-ör ünek: »ani bäbü
önu« eni, »barük bäbö kittai
eni, ö-bäbdy deliäy enit, etime.
25 18) Tü-nde: »bäbük önu« te-
nit, erhesta, »ü-tak ben bäbök
M-ke« teile.
19) Te-Sari'ay ebena fäcliga:
» batük e-t.akiik keynbo ?« edina.
»Kö-li mä-dina, kü fugutö yö
hob kibä!« ya, »ma'd!« ak tale-
hd yan.
Ist sähebil yametd yan. »ay
gdyta?« ak eserd yan ay säheb.
»gay-m mä-ld, fugütd kibä« ak
yalehd yan.
»Tä-bäld anü mar'esitdnkö yö
mä-rata, faytet tdka« ak yalehd
yan.
Kü sähebi ogütd: »faytet mä-
taka, atü tadenkö anü hinne
daülö« ak yalehd yan.
MareSitd, yaddy yan, yaddy-
ged ay ist säheb ta daülö hä
häba yan.
"Ussuk yaddy-k sardl ay daü-
Idnä kin kä sälieb yitlimd yan,
bä'eli aki ülal märd-ged, ta nü-
mä ta zonuwisd yan ay kä sä
heb.
Dältd yan, ta bä'eli gähd
yan, kä mal bäkitd yan.
»Kü ball yi ginä lal« ak ya,
»atü yö titilima ?« ak yalehd
yan. »anü mä-talaminyö« ak ya
lehd yan.
Ay bali yanebdk sardl: »anü
y'dbbä tötiyä, atü y'dbbä mä-
kitö« ak yalehd yan ilä'd yan
ay iS' inä bä'elä.
Kä inä: »kü dbbä ä-tiya« ta,
ak tuybuluwd yan, »tö-tiyä kü
dbbä mä-kl« ak talehd yan isi
bälak.
Arabdl yaddyn yan ay afärä-
märi. »te, kü bä'eli aülä kini ?«
ak yalehdn yan.
10
III. Allhandlung: Reinisch.
20) »Am kä-kan, kassds ey-
dn-heb, dwwel ün eyg-heb, gebö
bi'iya, ibäbyanek iin eyäyt, gebö
biiya« töne.
5 21) Wü-ör: »bäbü önu« edit
erhisiya ö-guadi döhdy, öbäba
etuwäyt.
22) »Barük sdka! wü-örük-
wä te-takatük-ivä, malhds egiri-
10 bin-höka« enit.
23) Sdkya, rewüs höy enhdd,
abyesös sdkya, karümat na'elib
ehe.
»And md-li'a, urnbakä yöyal
yametin, aieal-lä ä-ti yametä,
yö-ll dlnd, yaddyk sardl tö-ti
yametä, yö-ll dlnd« tänak tale-
hä gan.
Ay ball: »ydbbä tä-tiya kini«
ya, ay daüläna-l yuybuluwä
yan, inä bd'elä kä ilä'd yan.
Ay arabd: »kue adu! kü ball
ha kü numd, ay lammd kü ila'-
%n« ak yalefidn yan.
"Ussuk issg ak yaddy yan,
mal icay-k sardl dä'imitdnä ya-
kd yan.
1) Es war einmal ein mann, derselbe war reich an ver
mögen und sklaven, er hatte drei trauen geheiratet, hatte aber
keine nachkommenschaft.
2) Alle seine trauen waren hässlich. Da sprach der
mann: »wenn ich eine schöne trau finden sollte, wo immer sie
auch ist, ich heirate sie.« Der mann war ein schech.
3) Einst kommt zu im ein mann und sagt: »in einem
gewissen ort lebt eine unvergleichlich schöne trau.«
4) »Wo befindet sich die?« fragte jener; »ihr dort ist
weit weg« erwiderte der mann.
5) »Wenn auch weit weg, ich gehe hin« sagte der schech,
er packte zusammen und beide reisten ah.
6) Sie kamen nun in das dort, wo jenes mädchen lebte.
7) Der schech blib nun dort einige zeit, besuchte die
frauensperson, stellte sie auf die probe, erreichte aber nichts.
8) »Zehn taler gebe ich dir« sprach er; »ich neme sie
nicht« entgegnete sie. »Nun so geb’ ich dir zwanzig taler«
sagte er; »gut denn!« erwiderte sie.
9) »Ich schlafe nicht mit dir, gestatte mir nur dich zu
küssen!« sagte er dann; »gut so!« erwiderte sie.
10) Er kam nun zu seinem gefärten und dieser fragte
in: »was hast du also erzilt?« jener erwiderte: »nichts, ausser
dass ich sie geküsst habe.«
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. I.
11
11) Und er sprach: »wenn ich nun dieses frauenzimmer
heirate, so bleibt sie mir nicht treu, sie wird eine hure.«
12) Sein gefärte aber für auf und sprach: »sie wird keine
hure, denn wenn du verreisest, so werde ich seihst sie bewachen.«
13) Der schech heiratete also in eren, und als er ver
reiste, liess er seinen gefärten als Wächter zurück.
14) Als aber jener abgereist war, ging sein gefärte auf
verfürung aus und er der Wächter schwängerte die frau, wärend
der gatte auf reisen war.
15) Sie gebar und darnach kam der gatte zurück, er
hatte (auf der reisfe.) sein vermögen eingebüsst.
16) Der gatte sprach nun (zu seinem gefärten): »sieht
dein son etwa mir änlich? du hast mich hintergangen.« »Nein,
ich habe dich nicht hintergangen« erwiderte dieser.
17) Als der knabe erwachsen war, sprach er zum (legi
timen) vater: »mein vater ist jener, du bist nicht mein vater«
und missachtete in.
18) Die mutter hatte ncmlich zu im gesagt: »dein vater
ist dieser da, jener mann aber (der gatte) ist dein vater nicht«
und hatte im seinen wirklichen vater gezeigt.
19) Die vier gingen nun zu gei'icht und dieses sprach
zur frau: »du frau, wo ist dein mann?«
20) Sie antwortete: »ich weiss es nicht, alle (beide) sind ja zu
mir gekommen, zuerst kam dieser da und schlief mit mir, und
nachdem er abgereist war, kam jener und schlief ebenfalls mit mir.«
21) Der son aber sprach: »der da ist mein vater« und
wies auf den Wächter hin, den vater aber lehnte er ab.
22) Da sprach das gericht: »geh’ du nur, dein son und
deine frau, beide haben gegen dich entschiden.«
23) Er ging nun seine wege und da er sein vermögen
eingebüsst hatte, wurde er ein bettler.
6.
Der son eines schech.
1) 'Or edin, had'ay ’ör, had- Bali yind yan, redanti bdlä
dös tami tü-nde: »ardü harwät kl yind yan; dssuk ülä böta
md'a:« tedi-hös. yind hildä, inä: »heyaütö wä-
glttd amö/« ah talehd yan.
12
UL Abhandlung: Heini sch.
2) »Kira/« edit, yiharüt, i-
häy eyäyt, amägö 10er iliäyt
■ e yäyt.
3) Imsäwayik: »amägu« tedi
5 ttt-nde, »mdlya dör harwa!«
tidi.
4) Endawa kassis timmisya,
etüküdukt, »engäl enjör höy-em-
lüyik, barös louät md'a /« tedi,
10 »enjör, dit-hök det-uk, 1 te-mitä-
tüs kit-mag, enjör edebri-dhäy
kt-mag«. tidi.
5) Wü-’ör: »anib bar6k« edit,
emgaladnit, mShassib ekenit, M-
15 däb ö-riü marayyän, tiki-näka
liidäb edirna, nät wo- as eribna.
6) E-gajesös lioy ma amilyet
ed'lnit, gär-üs-ka sa'üb-ivä ka-
mit-w& gabyänit, en.
20 7) Mehäy gäwa gärüska ed’ir-
nit, haddö kilmöb ekenit; efar-
nit, taktakib yi-dr wä t'-dr esi-
deda'ernit, d&wab timmimäb
ekenit, ö-sma mehälyänit, duwir
25 ekina.
»Ma'dk!« ya, ivägiyd, heyaütö
bähd yan, aki abähöytä klntiyä
bälid yan.
E-ll betä-ged, inä: »umatiyä
kini, malammi loägit!« ak tale-
lid yan.
Umbakd dik azürik asä, ya'-
adird yan, »inki heyaü bali
rä'd-ged, küyä daimtd amö!«
ta, »heyaü bali yamd-dö, um-
mändö ma'd, anü kü inä, kä
lafä mä-tama, heyaü bali bähi-
tami, mi-yama« ak talehd yan.
Ay bali: »yö ka köyä« ya, in-
kö yaklni hasüs ydkln, inkö
yakini lä baySdn yan, gaynän-
mdrä ydgdifln, inkim liaböna
wdyn yan.
Inlcö ‘amilä abitdn yan, nm-
mänti lä-kö gäla-kö haytdn yan.
Ummänti adödöhü 'äre fäldn
yan, inki dik ydlän; dälani,
däldnik sardl tan däylö siddad
mar'isdn yan, muln' dik yaldn
yan, sinnt miga yaye'ani bald
yaldn yan.
1) Es war ein son, eines scliech’s son, und da er allein
ass, sprach zu im die mutter: »bring’ einen kameraden!«
2) »Gut!« sagte er, er suchte und brachte einen kame
raden, derselbe aber war nidriger herkunft.
3) Wie nun der mit inen ass, so merkte die mutter, dass
er ein roher geselle sei und sprach zum sone: »suche dir einen
zweiten!«
4) Er suchte im ganzen stamme, aber erreichte nichts.
»Suche dir nur einen edlen und bring’ denselben her!« sagte
1 Für endituk deine mutter.
Die Bedauye-Spracho in Nordost-Afrika. I.
13
die mutter, »ein edler, das sagt dir deine mutter, verkommt
nicht, wenn er auch verarmt, er wird nicht gemein« sagte sie.
5) Der son aber sprach zu jenem: »ich und du (wir
stehen zusammen)! sie verbündeten sich, gingen zusammen
auf die lauer, raubten gemeinschaftlich vih, töteten jeden der
inen unterkam und Hessen niemanden in ruhe.
6) Gemeinschaftlich machten sie beute indem sie jeder-
mans rinder und kamele sich aneigneten.
7) Drei familien gründete ein jeder von beiden und sie
bildeten zusammen ein dorf; sie zeugten und verheirateten
unter einander die kinder. So wurden sie ein voller stamm,
breiteten iren namen aus und wurden ein volksstamm.
7.
List eines mädchens.
1) Tdku edin, 'ot ibire, tun
tö-'ötüs daürit tifi, en.
2) Bäbüs ibäbya, ibäbyanek:
»ö-gädl dehäy mehäy st! yaf d-
5 bare, batük ö-gädl dehäy bayi-t:
ö-yafö küdse-heb di!« tö-öti de
häy Sdi. »Kera/« tedi.
3) Barüs ün ü-tdk ibäbya,
hari tö-'ötüs ö-gädi dehäy tebe,
10 etanek: »ö-yafö ltüdse-heb!« tin-
nfck, barüs: »gebö bit-Ömba'ek
käuksi-höki« edit bhahi; batüs
sdkta.
4) Wäkili döhäy tebe, etanek:
15 »ö-gädi döhäy mehäy seb dbare,
ö-yafö seküdse-heb!« tinnek, me
häy embe’ dehäy etanek, barüs:
»gebö bitemba'ek käuksi-höki«
edit ehabi, batüs sdkta.
20 5) Malyäb tun tö-ör ö-sultäni
dehäy reütdiyt: »ö-gädi dehäy
mehäy Seb dbare, ö-yafö küdse-
Heyaüti yinä yan, bald li
yinä yan, ay ta bald dlü ma’d,
ki tinä yan.
'’Ussuk yaseferä yan, safarä
ogütä-ged: »qädid adöhä baul
liyö, ak efidi/« ak yalehd yan
ay ist bäläk. »Ma'dk/« ak ta-
lehd yan.
'’Ussulc yaseferdk sardl ay ta
bald qädi el taddy, tametä yan:
»ya hdqqe yö efdi!« ak talehd
yan. ay qädi, kö afdäwö yöli
din! dind-waytdnkö, mäfdiya«
ak yalehd yan; isSi taddy yan.
Wäkilil taddy yan, wäkilik:
»qädid adöhä baül liyök ak yö
eyfidi!« ak talehd yan. »Ma'dk,
lakin yöli dind-icaytdnkö, kö
mäyfidiya-k« ak yalehd yan, Ossi
taddy yan.
Ayk sardl ay bald sultänal
taddy yan, ay sultdnak: »qädid
adöhä bald liyök ak yö eyfidi!«
14
III. Abhandlung: Heini sch.
heb !« tinnek, »kera, lehdyt
md'i!« edi.
A ,
6) U-mha mßhyanek tö-'ör te-
'agdrt ö-sultäni dehäy etanek:
5 »batük gebö Smbi'tanek, ö-yafök
küasitök, möhdy Heb küasitök, ge
bö bitemba ek, käuksi-höki« edi.
7) »Kera/« tedi, »dne söyök
dndi wäkti-dehäy md'a!« tedi,
10 te'ß, sdkta.
8) 0-gaivös etanek sandük wun
tesda, mShdy bäb höy tesdd’,
Sngär-ka tablät dehäy tesda .
9) Malyab ö-gädi dehäy: »wö-
15 ’dsiri wäkti md'a!« sötay tedi,
wö-wäkili dehäy: »ö-ngrebi wäkti
md'a!« sötay tedi, ö-sultäni
dehäy: »ivö- aSäyt middädi dS-
häy md'a!« sötay tedi, kasses
20 sötay gär-ka: »wäkti-dhäy md'-
ana!« tedi.
10) U-gacll wö-dsiri eyäyt, ö-
bäb kadaülydy, siimyay.
11) Barös ne'älib bi'isyäyt;
25 adumyänit, yam wä 'aü ivä
gua'guusyänit, Sngerdb wäkil
eya. ^
12) O-bab kadaüsyanek: »bä-
byü ö-iväkil e-höka« tedi.
30 13) Yakyanek: »nä-mhlni at-
fari?« enit, »md'a!« tenit; em-
balbalöyanek sandüki bäb öngär
rehestäy, höy bi'iyäyt, batüs in-
ki tabbdltäyt.
35 14) U-wäkil eyanek Sümyäyt,
ne'älib bi’iyäyt; adumyänit, gah-
wät wä yam. wä aüt wä, güa'-
ak talehd yan. »madk! berä
gäh!« ak yalehd yan.
Malammi mäh el tametd yan
sultänal: »yöli dlntdnkö anü kö
ayfadäwö, ay adöhä baül ay-
fadäwö, dind-ioaytdnkö kö mäy-
fidiyd« ak yalehd yan.
»Ma'd, anix kök alehd wdqtid
yöl amö/« ak talehd, ak taddy
yan.
Ist 'äred orobtdk sardl nabd
sandüq siräyjittd, adöhd bäb
el abissd, ummän bäb qülfe ak
abisSd yan.
Ayk sardl ay qädik: »al-dsre
yöl amö!« ak talehd, ay iväki-
lik: »mdgribil yöl amö!« ak
talehd yan, ay sultänak: »al-
'iSä yöl amö!« ak talehd yan,
ay adöhä-kö ummantiyak: »ay
kök alehd wdqtid amö!« tdnak
talehd yan.
Ay qädi al-dsre yametd, bäb
yalehd, orobä yan.
Arätal kä sldiSsd yan. ussün
ivansitdn-ged, lay ka maläb yo-
'obdn-ged, mdgribil ay wäkil
yametd yan.
Bäb yak sardl: »ydbbä wä
kil yametdlc äh' dbnö!« ak ta
lehd yan qädik.
Ay qädi: »düla-kö dwe'ö!«
ya, maySitd yan. »ak tawe'd
erki mältö, tä sandüqi adddd
zä!« ak talehd yan, kä zayssd,
kä aliftd yan.
Wäkil yametd, orobdk sardl
arätal sidisitd yan; wansitdn-
ged, bün, lay, maläb yo'obdn-ged
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. I.
15
guusyänit, icö -asdy sultän
eyäyt, ö-bdb kadaüSyay.
15) Sultän ö-bdb kaclaüsya-
nkk: »bäbyü ö-wäkil e-höka, ön
5 ö-vihin manriytk-hök, edär-liölc
ende« tedit ö-w&kili dShäy.
16) Siträ yiherä akö yalcya-
nik, »mä'a!« tenit, »saklnydykik
ani sitrdb rehesatök« tenit, san-
10 düki bäb rehestäyt, höy bi'ya,
inki tabbdlta.
17) Malyäb ö-defdb tengilt,
ö-sultän ö-gawös Sümsyäyt, ne-
älib barös bi'isyäyt, ö-sultäni
15 süri mes dästäyt, gahaioät-wä
'aüt-wä inki dästäyt.
18) Mälya drlia tefrä't kisa-
työs dehäy: »ö-bäb döhd kadäü-
Si!« tenit, te'iS, sUmta ö-gawös
20 ö-sultäni dehäy.
19) Adümyän efina, bün gua-
yän, aüt güd'yän. malyäb IctSd
ö-bäb kadaüsta.
A.
20) O-bäb kadaü&tanek: »bä-
25 byü ö-wakil B-höka« tedi.
21) Yakyanek: »nämhini talä-
gdmani?« ennek, »mä'a!« tenit,
ö-sandiiki bäb rehestäyt, höy
Sümya, batüs inki tabbdlta.
30 22) Tö-ör bares te'iS, ö-gawös
hümtdiyt, natäyt, rnehdy balin
ö-sandüki fiib ndyyän.
23) Fajir ü-mhd 'mahyd-n-höb
tü-mdiriya: »sultän, ü-gädl-ivä,
aP-'itä ay sultän yametd, bäb
yalehd yan.
Ay sultän bäb yalehdk sardl:
»y dbbä wäkil yam,etäk tä-rke
dkä garayta-dö, kü ydgdifa« ak
talehä yan ay wäkilik.
Ay wäkil ak su'ittö ogütd-ged,
ay bald: »dyke ussuk ifärd-fan,
and mä'arö kö aybaldwö« ta,
iviü bäb-kö sandüqud kä zayHsd,
ay sandüqud kä aliftd yan.
Aylc sardl ay sultäna ak
faktd, isi 'äred orbiSSd, kd.yä
arätal sldissd, sadaqä sultän
dfal agägi&sd, bün ka maläb
sadaqä biikdil öbissd, dkä tohöy
yan.
Amdyk sardl iSi mä'anddl
t.aice'd: »sä'ak sardl bäb käh
iS!« ak talehä, orobtd, iSi sul-
tänal, ist arätal gäytd yan.
”Ussun wansitän yan, bün
yo'obin yan, maläb yoobin yan.
ayk sardl ay maandä bäb to-
tokd yan.
Bäb totokdk sardl ay bald:
»y dbbä lu&kil yametd« talehä
yan.
Ay sultän ogütd: »aiilä su'u-
tö?« yd-ged, ay bald: »amäioa!«
ta, sandüqi bäb ak tuybuluwa,
ussuk orobdk sardl iSSi kä a-
liftd yan.
Amd-ged tan häbd, betbetu
adddd orobtd, tihdird yan, ay
adöhä heyaiiti sandüqi adddd
yahdirin yan.
Bald rnaytdk sardl umbakä
dikti rfid.ün: »sultän aülal ya-
16
III. Abhandlung: Reiniscb.
o-wäkil näyso eben? hak wä hak
tuä« enit, yiherüna.
24) Malydb tö-'ör tun e-bäSu-
wdt, y'-agäwdt ivua'tdyt, kanka-
5 räb döhdy dadästdyt, gahawät
güa'stäyt.
25) Malydb ö-sandük tisfayik,
ö-f'ib dästdyt: »mästtna! ani
ö-yafö ihablnü bak aüsr« tedit
10 sötäyt.
26) »Sandük dilibina!« tedit,
ö-f'ib ddsta.
27) Mala se engdr esümt;
»aftdllä« tinnek, mehi-se ingär
15 esümt. »hi-md'a/« tenit, höy
tihay.
28) »An dnda bdk-wä bak-
wä edin-heb, ani wö-haräm an-
rlbiit dehdy bak aÜEr, änddkna
•20 ön ö-mhin efina« tedit dehdy.
29) Mamhdl-i-dhdy ö-mftdh
tihay tiftdh-e-dhäy.
30) Bak tuwir tö-'ör tun, ö-
yafös tesküsi, en.
däy, qddi aülal yaddy, w&kil
aiilal yaddy?« yani tan ivägi-
ydn yan.
Amd-ged ay bald dikti redün
tan daimtd, mdmbürul tan si-
diSSd, bün tdna tos'obd yan.
Ayk sardl ay sandüq tuüu-
gu'd, tan adddd öbsissä: »obd!«
ta, »üssün ya hdqqe yö hendnik
sardl tamdhe obd« tdnak tale-
hd yan.
»Ja sandüq aji damita?« td
nak ta[ehd yan.
Wiliti: »lammd baul el ahdy«
ya, »yök dagö« td-ged »adöhd
baut el ahdy« ya heyauti da-
mitd yan.
i>Tamd heyaü tdhe tdhe yök
ydlehdn, anü har dm hend-geddd
täy dbd« ta, sin heyaü törkö si-
nak sügdn 7ü« tdnak talehd yan.
lawa'öna meftdh bäytd, tan
faktd, tan dilitd yan.
Bald täy abtd, ist mal tifdi-
yd yan.
1) Es war einmal ein mann, cler hatte eine tochter, diese
seine tochter war schön.
2) Ir vater verreiste. Als er seine reise antrat, sprach
er zu seiner tochter: »ich habe an den qadi eine forderung
von dreihundert talern, geh’ du zum qadi und sprich zu im:
zale mir meine schuld!« »Gut!« sagte das mädchen.
3) Der mann nun verreiste, seine tochter ging aber zum
qadi und sprach zu im: »zale mir meine schuld!« Er aber
sagte: »wenn du nicht mit mir schläfst, so zale ich dir nichts«
und entliess sie, sie aber ging irer wege.
4) Sic ging nun zum wekil, und sprach zu im: »ich
habe an den qadi eine forderung von dreihundert talern, er-
Dio Bodauye-Sprache in Nordost-Afrika. I.
17
wirke mir die zalung!« Drei tage hindurch ging sie zu im,
er aber sagte nur: »wenn du nicht mit mir schläfst, so zale
ich dir nichts,« entliess sie und sie ging irer wege.
5) Darauf ging diese tochter zum sultan hinauf und sprach
zu im: »ich habe an den qadi eine forderung von dreihundert
talern, zale mir diese schuld!« »Gut!« sagte der sultan, »komm’
morgen wieder!«
6) Den folgenden morgen kam das mädchen wieder und
da sprach zu ir der sultan: »wenn du mit mir schläfst, so zale
ich dir die forderung aus, widrigenfalls aber nicht!«
7) »Gut!« sagte das mädchen, »ich werde eine zeit an
geben, wenn du kommen kannst;« sie ging dann irer wege.
8) Sie ging heim und liess hier eine grosse truhe mit
drei tiiren machen und an jede türe ein schloss.
9) Darnach zeigte sie dem qadi an, er solle um asser
zu ir kommen, dem welcil aber, er möge um magrib kommen
und dem sultan bestimmte sie die zeit um ischa, einem jeden
bestimmte sie eine gewisse zeit.
10) Der qadi kam also um asser, klopfte an und trat ein.
11) Das mädchen wies im einen platz auf dem sopha an,
sie schwatzten dann zusammen und reichten sich gegenseitig
wasser und honig. Da kam gegen magrib der wekil.
12) Als dieser an die türe pochte, sprach das mädchen:
»meines vaters anwalt ist über dich gekommen.«
13) Als jener aufschreckte und sagte: »wohin soll ich
entwischen?« erwiderte sie: »komm’ nur!« und sie zeigte im
eine türe jener truhe, da legte er sich hinein und sie schloss
die türe ab.
14) Nun kam der wekil herein und setzte sich auf das
sopha; sie schwatzten dann und reichten sich kafe, wasser und
honig. Da kam um ischa der sultan und pochte an die türe.
15) Wie nun 'der sultan an die türe pochte, da sagte
zum wekil das mädchen: »meines vaters anwalt ist über dich
gekommen; wenn er dich hier findet, so tötet er dich.«
16) Als nun der wekil aufsprang um ein versteck zu
suchen, sagte das mädchen: »ich werde dir ein versteck zeigen,
bis jener wider fortgeht,« zeigte im dann eine türe jener truhe,
dahinein legte sich der wekil und sie schloss dann die türe zu.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXVIII. Bd. 3. Abli. 2
18
III. Abhandlung: Reinisoh.
17) Hierauf öffnete sie die türe des liauses, fürte den
sultan ein, setzte in auf das sopha, stellte vor in einen tisch
hin und setzte im kafe und honig vor.
18) Dann ging sie hinaus zu irer magd und befahl der
selben: »klopfe mir später an die türe!« hierauf ging sie wider
hinein zum sultan.
19) Sie schwatzten dann zusammen und tranken honig
und kafe. Da klopfte die magd an die türe.
20) Wie diese an die türe pochte, da sagte das mädchen:
»meines vaters anwalt ist über dich gekommen.«
21) Als der sultan aufsprang und fragte: »wo soll ich
mich verstecken?« »Komm’ nur!« sagte sie, zeigte im eine
türe der truhe, dahinein legte er sich und sie schloss die türe ah.
22) Nun verliess sie das mädchen, ging in sein gemach
und übernachtete, jene drei aber blieben die nacht über in
der truhe.
23) Am folgenden morgen vermisste sie die regirung und
man fragte: »wohin sind denn der sultan, der qadi und der
wekil gekommen?« man redete hin und her und suchte sie
überall.
24) Da berief das mädchen die pascha und aga, wies
inen sitze an und bewirtete sie mit kafe.
25) Hierauf liess sie die truhe bringen und setzte sie in
ire mitte und sprach: »hört! weil man mir meine rechtliche
forderung verweigert hat, so tat ich also« und erzälte den
hergang.
26) Darnach sprach sie: »nun kauft mir die truhe da ah!«
27) Da hot einer zweihundert taler und als ir diese nicht
genügten, so hot ein anderer dreihundert. »G-ib her!« sagte sie
dann und nam das geld.
28) Und sprach: »diese männer sagten so und so zu
mir, da ich aber die sünde verabscheue, so tat ich also; eure
männer sind nun da drinnen in der truhe.«
29) Sie nam nun einen Schlüssel, damit jene befreit
würden und öffnete inen.
30) Also handelte jenes mädchen und machte sich ire
forderung bezalt.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. I.
19
8.
Der esel und das kalb.
1) Male wä läga hidab esnin
en malälib.
■A '
2) U-mek uwin, ü-ldga uwin,
dima malälib esnin, en.
5 3) U-mek: »u-sanüy !« edit
ö-räioi dhäy.
4) »Nän teharü tehdyaf« edit
wü-yö ö-meki dhäy.
5) U-mik: »hanit yi’ani« edit
io wö-yöy-dhäy.
6) U-mek: »hanet yi'dni«
inelt: »Höbsay lidna! ü-dhdy bi-
■mäsiwek-hök« edi wü-yö.
7) U-mek ö-räwi dhäy: »ngnl
15 dör hanet ane« edi.
8) Wü-yö: »söbSay, SöbSay!
ü-dhdy emsiü-hön, ö-maläli de-
hani temsiü-hön« edit ö-miki
dhäy.
20 9) Malyäb ü-mek hdnya, bed-
dör maläli dehani tifl; har'%
bdyho timäsü.
10) Malyäb tü-bdyho: »mekit
han amäsu«. tedi-hösna.
25 11) »Malyäb bä-hani!« edina,
»batük hanrlioi - näka niyaü-
höki, malyäb bimmäsiwek, ngäl-
kä kualdy dehöki däsnay« edina.
12) Malyäb ü-mek mdlya dör
30 hdnya, baräs kassäs emäsüna;
tö-bayhöti dehäy döf ehina.
Danän ka rügä inkö märdn
yan diböl.
Ay danän nabd yakd yan,
ay rugä nabd yaltd yan, um-
mänged diböl märdn yan.
Ay danän: »yi azd sa'älö!«
ah yalehä yan ay sähebik.
»Ay fälda?« alc yalehä yan
ay aür ay danänak.
Ay danän: »anü hü hü hü
aldhö« ak yalehä yan ay aiiruk.
Ay danän: »anü hü aldhö«.
yak sardl ay aür: »endati eleh,
lieyaü kü yabdninkö« ak yalehä
yan danänak.
Ay danän ay sähebik: »inkl-
ged hü aldhö« ak yalehä yan.
Ay aür: »endati endati eleli!
heyb ka dibi alülä nö yabänin-
kö« ak yalehä yan ay danänak.
Amdyk sardl ay danän an-
dähä yan, ay wdqtid dibi alülä
inkö rdkbe asdn yan; amä-ged
wakari kä tobbä yan.
Ayk sardl wakari: »danäni
andähä dbba« tänak talehä yan.
»Malammi gabäy andähö, a-
mä-ged atü faldänkö kö dbna,
malammi gabäy andähä-icdynkö
ilölu kü nagarö« ak yalehän
yan.
Ay danän malammi andähä
yan, ay inkö assdm tobbä yan;
sarä ay wakari da’amtö dkä
yohöyn yän.
20
III. Abhandlung: Reinisch.
13) Hari wü-hddda: »saki
SibMt!« tö-bayhöti-dhäy.
14) Tibe bdyho miki-dShäy,
etäyt: »dürü wü-hdclda ragadök
5 Ungar kit'ät hiyeba! edi-höka«
tedit.
15) U-mek: »kera/« edi, raga
dös dehäy iktd', ihiyek te-lagi-
tib tü-bdyho barös bd-s-katim
10 amtdy ted'it.
16) Malyäb dehäy etäyt: wö-
ayök wö ragadök kit’a hiyeba/«
tedi möki dehäy.
17) U-mek: t>bak dlyt e-ra-
15 gada, fadig komi höy tihe tis-
hdrri, dne nän ddan'i?« edit
bayliöti dehäy, irib.
18) Har'i tü-bdyho ö-yöy-de-
häy etäyt: »dürü wü-liddda $i-
20 böt salämi-höka, ragdd deliä
ketd'a! edi-höka«. tedi.
19) Malyäb wü-yö: »sald-dl:
barük tdkua, ani tdku; te-ku-
letek sehalät, ani e-d'ayi es-
25 haltit yi’ani-höka« edi tö-bay-
höti dehäy.
20) Tü-bdyho hdddi dehäy
söta: »wü-yö ön wä ön Bne«
tedi.
21) Hari wü-hddda hirere
30 dehäy Bya, em'allagnit, wü-yö
ö-rdü debisiya, edir, emödah.
22) Malyäb bdyho: »dürö te-
dir-heb, ön wö-hirbo dibsa!«
tedi.
35 23) Wü-yö wö-hirbo dibisi-
yanek: »ön diyä-yök koke, ön
Amdyk saral lubäk: »tabdlö
adü!« alt yalehd yan ivakarik.
Ay ivakari danänal taday
yan, el tametdk saral: »y'dbö
lubäk will lak tigri'd yö für
kölc yalehd« alt talehd yan.
Ay danän: »mdd/« ya, ivili
ist lak yigri'd, dkä yohöy yan.
amä lak ivakari arähad iSe
bettd yan.
Malammi el gä^td yan danä
nal ay ivakari: »kit harä tigri'd
yö ohö1« alt talehd yan.
Ay danän: »tähe tdnkö yi
läkök, afarä täkdt yökö bäktd-
ged ay dbö ?« ya, dkä hend yan.
Amdyk saral ay ivakari aü-
rul taddy yan: »y'dbö lubäk
saläm kölc yd, ivili lak tigri’d
yö fär! kölc yd« ak talehd yan.
Ay aur: »taddy ayi lubäk:
atü hdylä la kitö, anü haylä
la klyö, atü kü ikök teyliligdk,
anü yi göz eyliligdk saral köyal
dmita« ak yalehd yan.
Ay ivakari gäytd: »aur tähe
tähe lcölc yd« ak wärlsSd yan
lubälcalc.
Amdyk saral ay lubäk yaddy,
el yametd yan ay aur ul, yun-
dufulin yan, ay aur ay lubäk
kä rädiSd, kä yis'ird, kä yig-
difd yan.
Ayk saral ay ivakari: »y'dbö
tigdifa, ay mdmbar kä rädis!«
ak talehd yan.
Adr ay mdmbar rädiSdk sa-
rdl ay ivakari: »ähid lcölc rnä-
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. I.
21
6-rba dibsa! an höka« tenit
d&häy.
24) Wü-yö d&hüy farriyanek
ö-nga ikta iya\
5 25) Ndäb hasamin erhitanek:
»iha, maa! tön te-sa'tö döhä
sdya! taräbes aniühöka« tedi
tü-bayho.
26) »Kßra! taräb tenlwsk-heb
10 an assi« edi dShäy, eyanik tö-
’aü-t-ös däsiydyt, tö-Sa' esayit.
-A
27) U-täk tö-Sa* esäy-ne-höb
t,ü-bayho tö-dvL ö-gaiv-ös hay ti-
bäyt, amtdy ted'it, titküdukt,
lö arnbäb t-haüdt tetib, tehakür-t,
dehäy Bta.
28) Malyab ü-tdk: »tarabi
hiyebi/« edi tö-bayhöti dehäy.
29) »Taräb diya-yök hake,
20 ragdd adi-hök bakdy« tinek,
»käyhe« em ü-tak.
30) »bakdy ioend hiyät-
ök kälten tinek, ü-tdk tehaüatös
ihäyt ö-süg ebe, en.
25 31) Efdignit eSbibnek arnbäb
aki erhiyäna.
32) Malyab ün ü-tdk: »endä-
wayü, tak thilnek ma'dna! adü-
mäd dShökna ad'i ifl« edi-hosna.
30 33) E-bdylio dehösna ebenit
iyäna: »ön tö-fna fafardna/«
enit; fafariyannek kassäs et.lcü-
lahiniyo, ay komä radiS kok
talehdn ak talehd yan.
Aar ay kömdl habbä el iSd-
ged, darre ak yigiddild, räbd
yan.
Will heyaütö tiläbisdtl tubi-
Id-ged: »küe, tä hadö yö hadiltö
amb! ta ablä kö ahdwö« ak ta
lehd yan wakari.
■oMa'dk! tä hadö ablä yö
bäytdidö liadilön ya, yametdk
saräl, ist baskä bälöl öbihä, ay
hadö hadlld yan.
Ay lieyaüti ay hadö hadlld-
ged ay wakari kä baskä ist
’äred bäytd, bettd, bäktd yan,
sidö hdgge-kö tamegd, tuluivd,
ay heyaütö ak gähiSSd yan.
Ayk saräl ay heyaüti: »ya
haqqe, ablä hadötiyä yö ohö!«
ak yalehd yan.
•»Lok kibä akim kok mälahi-
niyö« ak talehd yan wakari;
»mä-fala« ak yalehd yan.
Ay wakari: y>tiraü kibä akim
kö mähay« talehdk saräl ay
heyaüti iSi sidö yuqu'd, adagdl
yaddy yan.
Sidö fakdn, iläldn - ged-dä
hdgge adddd kini-kä yubilin
yan.
Ayk saräl ay heyaüti: »yi
dik-märä, labaliä takdnlnkö a-
mdwä! teker sinak dbö« tdnak
yalehd yan.
Wäkeral yaddyn, yametin
yan: i>mahäV af bukdl küdu-
mdutäfn tdnak yalehd yan: hü-
22
auknit, Latus timhit; fartanek dumdn-gud umbakä bakitdn
tö-fna ilidyt edir.
yan, isSl illä rata yan; küdum-
td-ged üssuk mahälöli ta yigdifd
yan.
1) Ein esel uncl ein kalb lebten in der steppe beisammen.
2) Der esel wurde gross, ebenso das kalb und sie blieben
stets in der steppe.
3) Da sprach einst der esel zu seinem kameraden:
»o mein bruder!«
4) »Was willst du?« erwiderte der stier dem esel.
5) Da sprach der esel zum stier: »ich möchte ija sagen.«
6) Der stier erwiderte im: »so mache es nur recht leise,
damit man dich nicht höre.«
7) Der esel sagte dann: »nur ein einziges mal will ich
ija sagen.«
8) Der stier erwiderte »nur recht leise, recht leise, damit
leute und vih uns ja nicht hören.«
9) Da ijate der esel; es waren aber damals die wüsten-
tiere bei einer Sitzung und da hörte in der fuchs.
10) Da sprach zu inen der fuchs: »ich höre ein esels-
geschrei.«
11) Sie erwiderten im: »er möge noch mal schreien, und
wir wollen dir geben, was immer du willst; wenn wir in aber
nicht ein zweites mal hören so werden wir ein jeder den stock
auf dich legen (dich prügeln).«
12) Da ijate der esel nochmals und sie alle hörten es;
da gaben sie dem fuchs ein geschenk.
13) Hierauf sprach der löwe zum fuchs: »gell’ hin und
schaue!«
14) Der fuchs ging und kam zum esel und sprach zu
im: »mein oheim, der löwe, sagt zu dir: schneide dir ein bein
ab und gib es mir!«
15) »Glut!« sagte der esel, er schnitt im ein bein ab und
gab es im; auf dem wege aber frass es der fuchs selbst one
es zum löwen zu bringen.
16) Er kam dann abermals zum esel und sprach zu im:
»schneide deine hand ab und gieb sie mir!«
Dio Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. I.
23
17) Der esel aber erwiderte im: »wenn du so redest, so
nimmst du mir die beine und die vier fussspangen, was sollte
icli dann machen« und wies in also ab.
18) Hierauf kam der fuchs zum stier und sprach zu im:
»mein oheim, der löwe, grüsst dich und lässt dir sagen: schneide
dir für mich ein bein ab!«
19) Der stier erwiderte im: »geh nur hin und sag’ im:
du bist ein mann, ich bin auch ein mann; wetze deine zähne
und ich werde meine hörner wetzen und zu dir kommen!«
20) Der fuchs ging nun zum löwen und berichtete im:
»so und so hat der stier gesagt.«
21) Da lief der löwe hin zum stier und sie rangen, der
stier aber warf den gegner und tötete in.
22) Da sprach zum stier der fuchs: »du hast mir meinen
oheim getötet, nun wirf da diesen hügel um!«
23) Als der stier den hügel umstürzte, sprach der fuchs:
»den da habe ich dir ja nicht angesagt; diesen berg da wirf um!«
24) Da stürzte sich der stier auf den berg, brach sich
den rücken und starb.
25) - Als nun der fuchs einen mann vorübergehen sah, so
rief er diesem zu: »heda, komm’, und zerteile mir das fleisch,
die hälfte davon gebe ich dir!«
26) »Gut!« sagte dieser, »wenn du mir die halbscheid
giebst, so zerteile ich es,« und als er herbeigekommen war, so
legte er seinen konig(scklauch) nider und zerteilte das fleisch.
27) Wärend nun der mann das fleisch zerteilte, trug der
fuchs den honig in sein haus, frass in aus, füllte dann den
schlauch mit seinem dreck an, band in zu und kam nun hin
zum mann.
28) Da sprach der mann zum fuchs: »nun gieb mir die
halbscheid!«
29) Dieser aber erwiderte: »die halbscheid hab’ ich ja
nicht gesagt, nur ein bein versprach ich dir.« »Das neme ich
nicht« sagte der mann.
30) »Nur die leber gebe ich dir, sonst nichts« sagte der
fuchs; da nam der mann seinen schlauch und ging fort zu markt.
31) Als man dort den schlauch öffnete und liineinsah,
erblickte man nur dreck.
24
III. Abhandlung: Reiniscb.
32) Da sprach der mann zu den leuten: »landsleute,
wenn ir männer seid, so kommt, einen schmaus will ich euch
zubereiten!«
33) Sie kamen nun zu den fuchsen und befahlen diesen:
»springt über diese lanze!« Sie sprangen und brachten es
fertig, jener fuchs aber blieb zurück. Als er sprang, tötete
in der mann mit der lanze.
9.
Der schakal und das lamm.
1) Bäyho ano-t ’or emora-
rämna, gna.
2) An malliäs awünna, mal-
yäb imalldgna.
5 3) Bdyho dima liöy dibya.
malyäb bdyho: ngäl hob dehä
diba!« enit ’anö-t'-öri-dShäy.
4) Dehäy dibya, en. malyäb
ü -bdyho inki esä'-t, B-mana
10 tdmya, Bna.
Gawehtö ka aydo bäla siddad
märdn yan.
Ay lammä yanebin yan, amäyk
sardl yundufulin yan.
Ay gawehti ummändö rädd
yan. »inki-ged yö hälit/« ak ya-
lehd yan ay aydö bälak.
Hälitd yan, amäyk sardl ay
gawühti amöd ak dafdy yan,
ulu ak betd yan.
1) Der schakal und das lamm waren gespilen.
2) Beide erwuchsen und rangen dann miteinander.
3) Da fiel aber jedesmal der schakal. Da sprach er zum
lamm: »so fall’ doch mir zu liehe auch einmal!«
4) Nun. fiel das lamm. Da setzte sich der schakal darauf
und frass dem lamm die eingeweide.
10.
Der schakal und das Zicklein.
1) Bdyho na'it 'or e-malalib
Mdäb esnin, en.
2) »Wu-hä Tibbüs Rakä-yt-
’ör, nän irhetay?« ennik, »nät
15 rehäb käke. malcilib te-nait-ör
esinük, kit-tamta edina.«
Gaioehto ka bakdl dibol sid
dad märdn yan.
Gaweliti: »küe Tibbüs kaRaka
bald, ay tubila?« yalehd yan.
»inkim mäbalinyö. diböl bakali
kok sügdnkö, kä mä-betta-k yan«
ak yalehd yan bakali.
Die ßedauye-Spraclie in Nordost-Afrika. I.
25
i
3) »Ani amsi mhel guäb
akö kä-'iS-hölc« sdi bdyho.
1) Ein Schakal und ei
beisammen.
»Anü kümäl dawä o'obdnkö
kü mä-häba« ak yalehä yan
gawiliti.
zicklein waren in der wüste
2) Da sprach der Schakal: »du son von Tibbus und der
Raka, was hast du gesehen (zum fressen für mich)?« Das
zicklein erwiderte: »ich habe nichts gesehen; man sagt aber,
wenn du in der wüste ein zicklein triffst, so fressest du es nicht.«
3) Da sprach der schakal: »da ich aber gestern arzenei
getrunken habe (daher fasten musste), so lasse ich dich nicht aus.»
11.
Die maus, der frösch und die eidechse. 1
1) Tu-gibb w& t-yam-et-hatäy
Mdäb esnin en.
5 2) T-yamet-hatäy: »ani d'dre
dShäy sakdn efi, wö-harrö-yö
gä’adi-seni-heb!« tedi tö-gibti-
dShäy.
3) »Ani asSldn, ani d&hök
10 kä-guad« tedit tu-gibb.
4) Malydb: »hanin Saiiäba
kinlce? dehö gil'adi/« tedit tö-
gibti-dehdy.
5) »Ktira!« tedi tü-gibb. nigg-
15 ' a Äiü° wö-harräwi süri esd' yi-
äyim.
6) Tun tü-gibb güharti-dehäy
tibi en, icü-niggniggo erhiya tö-
gibb.
20 7) Tun tü-gibb: »ad'ed'ir liö-
ka, deliö bd-söya!« tedi ö-nigg-
niggö-i dehäy.
Andäwa ka a'än gor kl yinin
yan.
Ay a'än: i>anu mara'ä adi-
ydk, ilaii yö daül.U ak yalehä
yan andäicak.
»Anü mä-ld, anu mä-laülä«
ak talelid yan andäwä.
Amäyk sardl: »gör mä-klnö?
yö daül kibä!« ak yalehä a'än.
»Ma'd!« talehä yan andäwä.
ay iläwak dfal afür el sügd
yan.
Ay andäwä gare'ittö taddy
yan, ay afür ta yubild yan.
Ay afüruk: »yi mar'esittdk
tä Hau bisitö klnik yök mä-
wäriSin/« ak talehä yan an
däwä.
1 Vgl. Sahospraclie I, 230.
26
III. Abhandlung: Reinisch.
8) »Kera!« edi wü-niggniggo.
malyäb wö-harro togühar tihe
en tü-gibb.
9) T-yamet-hatäy Bta en, e-
5 gaüös tessibik wö-harröyös te-
ndü.
10) »Wö harröyö höyö togüe-
hdri « to-gibti-dhäy tedit t-yamet-
liatäy.
10 11) »Am güeharäbkäke« tedit
tü-gibb t-yamet-hatäytit dehäy.
12) »Höyök güeharäb bakaye-
dhä ü-niggniggo badhibu« tedit
tü-gibb t-yamet-hatäytit dehäy.
15 13) »Kera/« tedit te-yamet-
hatäy ö-niggniggöy dehäy ebina,
esbadhanB-dhäy eMna.
14) »Kit-kdna tü-gibb wö-har-
röyö togühar et tönä?« tedit te-
20 yamet-hatäy ö-niggniggöy-dhäy.
15) »Dehö tiktina wö-hdrro
an agüharet tönä?« tedit tü-
gibb o-niggniggöy-dhäy.
16) »Tü-gibb wö-harröyök to-
25 güharet tönä erhäb käke« eni
wü-niggniggo, bah enit dehäy
ibdah.
17) T-yamet-hatäy tigiräb Bna,
tü-gibb tigirib Bna.
30 18) Malyäb wü-niggniggo mba-
däb daürib, finät daürib, gibeb
daurib, haldk daürib, hedäm
daürib eküäyt Bya, tü-gibb sidig
eküasit d'are dhäy Bya tö-gibbit-
35 dehäy.
19) »Un äbu?« tedi tü-gibb
ö-niggniggöy-dhäy.
20) Wü-niggniggo: »aneb, ö-
niggniggo« edi.
»Ma'dk/« yalehä yan afür.
ay ilaü gar'ittd, bisittd yan
and&wä.
Ay a'än tametd yan, ay iSi
'äre ynbild-ged ilaü waytd yan.
»Y' ilaü yök gar’itta« ak ya-
lehd yan a’än and&wdk.
»Kök mä-gar’etiniyö« ak ta-
lehd yan and&wä a’änak.
»Kö-kö anü mä-gare’itiniyö-kä
afür yaniaskdrö« ak talehd yan
andäicä ay a’änak.
»Ma'dk!» yalehä yan a'än,
ay afürul yadäyn yan, yamas-
karöna yadäyn yan.
»Yö mä-taliga audäwä y ilaü
yök bettdm?« ak yalehä yan
a'än ay afür uh.
»Yö taliga anü ay ilaü be-
tdm ?« ak talehd yan ay and&ioä
ay afüruk.
»Andaioä kü ilaü betta anü
mä-baliyö« ak yalehä yan afür
yimiskird yan.
A'än yunsulugd yan, and&wä
tuslugd yan.
Amdylc sardl ay afür ay
and&wä ak ta-mi rummä yakeld
ma'd sotdl, ma'd mahdlö, ma'd
göbö, ma'd qüare iSel hay mar'e-
sitö yametd yan ay and&wdl.
»Täti atiyä?« ak talehd yan
ay and&wä ay afüruk.
Ay afür: »yöyä afür kini«
ta ak yalehä yan.
Die Bedauye-Spraclio in Nordost-Afrika. I.
27
21) »Nun teharil tehdiya%«.
tedi tü-gibb.
22) »Ad'io- efl höki, i'an.
liüki« enit wü-niggniggo.
5 23) »O-glüU, ö-glüli Ar! an&b
ted'ir-tP.haya?« tedi tü-gibb ö-
niggniggöy-dhäy.
24) »Tü-glüli, tü-glülitit Ar!
batök bä-d'irelc han, ndt kä-ke,
10 wö-hdrro t-yamet-hatäy-üb tegi!«
edit wü-niggniggo, ön enit ö-
sallös yiabik, en.
i>Ay fdldaf« ak talehd yan
ay andäwü.
»Ä'ö mareUtö ametä« ta ak
yalehd yan afür.
»Düdä düdi bald! yöyä inar'e-
Sittö tameta?« ak talehd yan
ay andäwä ay afüruk.
»Düdä, düdä bald, kü mare'ä
rä’ta-dö ed wäyndrn mdnnö akik
a'än Hau gar'ittd-yä edebbü!«
ta ak yalehd yan afür, ay ya-
geddä ist arähal ak yaddy yan.
1) Die maus und der frösch lebten beisammen.
2) Einst sagte der frösch zur maus: »da ich zu einer
hochzeit gehe, so bewache du mir mein körn!«
3) Die maus erwiderte: »ich beileibe nicht, ich bewache
es dir nicht.«
4) Hierauf sagte der frösch zur maus: »sind wir denn
nicht freunde? so bewache mir also das körn!«
5) »Nun gut!« erwiderte die maus. Nun sass vor dem
körn die eidechse.
6) Da ging die maus auf diebstal aus und die eidechse
sah sie dabei.
7) Nun sprach die maus zur eidechse: »ich werde dich
heiraten, daher verrate du mich nicht!«
8) »Gut!« erwiderte die eidechse und hierauf stal die
maus das körn.
9) Der frösch kam nun heim und wie er sein haus be
sichtigte, vermisste er das körn.
10) Da sprach er zur maus: »du hast mir mein körn
gestolen.«
11) »Ich habe es nicht gestolen« erwiderte die maus dem
frösch.
12) »Dass ich dir nichts gestolen habe, dafür ist die
eidechse zeuge« sagte die maus.
13) »Gut!« erwiderte der frösch und sie gingen zur
eidechse um sie zu vernemen.
28
III. Abhandlung: Reinisch.
14) Da sprach der frösch zur eidechse: »weisst du nichts
davon, dass die maus mein körn gestolen hat?«
15) Auch die maus fragte also die eidechse: »weisst du
etwa von mir, dass ich das körn gestolen habe?«
16) Die eidechse legte nun zeugniss ab und sprach: »ich
habe nichts davon gesehen, dass die maus dein körn gestolen
haben sollte.«
17) So verlor der frösch den prozess und die maus
gewann in.
18) Da nun die eidechse dachte, die maus habe erliche
absichten, so nam sie ein schönes Schwert, eine feine lanze
und einen schönen Schild und legte an ein feines gewand und
einen kostbaren gürtel und kam hin zur maus, sie zu heiraten.
19) »Wer da?« sprach die maus zur eidechse.
20) Diese erwiderte: »ich die eidechse, ich bin es.«
21) »Was willst du?« fragte die maus.
22) »Um dich zu heiraten bin ich da« erwiderte die eidechse.
23) »Dummkopf, son eines dummkopfs, mich wolltest du
heiraten!« sprach die maus.
24) Da erwiderte die eidechse: »dummkopf, tochter eines
dummkopfs, wenn du mich auch nicht heiratest, so macht das
nichts, gieb aber dem frösch sein körn zurück!« Also sprach
sie und ging irer wege.
12.
Die eidechse und der schech.
1) Adangaldy kühib fardbo,
rnbdji wuht faräbö yi'is gigya.
2) Fagiri ihäyt talögya; mlii-
nös eyäyt adangaläy, iSibik
5 enäü.
3) Dadabyäyt, nät enäwik
asti rewyäyt 'ät efin mas all,
yafisös nät gedani tä-ä-tib däs-
yäyt, igdähcit.
10 4) Malyäb fagiri i-ukhui
mhlnos däsya, ä-ukhüi esninek
Afur lalim däla yan, argä
rigidid däla yan, häbd ak ya-
ddy yan.
&ek yuyqu'd ak suusd yan;
isi makänal gälid yan afur,
yubild-ged wdy yan.
Yamrereddy yan, wilim icayk
saräl agännal körd, agdnnä
yand hänad isi df-kö ivili rimid
äd hdy yan, öbd yan.
Amä-gBd ay Sek lalimä awwal
tan makänal tan yadebbd yan.
Die Bedauyc-Sprache in Nordost-Afrika. I.
29
ay afiir, i§i däylö ak sügdn-
geddä körä, handle adddd amö
hay, rimid ak yayye’d, öbd, ist
däylöl yaddy yan.
Ist maanddk: »tamä hän irö
häl!« ak yalehd yan ay sek,
hälisdk sardl lammä karl ya-
matd, qalabä isdn yan, ay karä
häddn yan; lammä gümäyti ya-
matlni yo'obin yan, bäddn yan.
1) Eine eidechse legte unter einem bett ein ei, verliess
es dann und ging fort.
2) Ein scliech nam das ei und versteckte es. Als die
eidechse wider dahin kam und nachsah, fand sie das ei nicht.
3) Sie lief umher und als sie nichts fand, stieg sie auf’s
gesteh, worauf die milch stand, legte aus ihrem mund irgend
eine wurzel in die milch und stig dann wider herab.
4) Hierauf legte der schech die eier wider auf ihren platz
und als sie wider sich vorfanden, so stig die eidechse wider
hinauf, steckte den köpf in die milch, nam die wurzel heraus,
stig dann hinab und ging zu iren eiern.
5) Nun sprach der schech zur sklavin: »wirf die milch
hinaus!« und Hess sie hinauswerfen. Zwei hunde kamen herbei,
tranken davon und starben; zwei geier kamen, tranken und
starben.
13.
Die schlänge und der zigenhirt.
"Aror saytycL labtzyä siddä
asdn yan.
Älä-läwini lnikä-l yamatä, ik'i
sardna-kö haldh ak igri'd »su-
trä-d ma'd« ya, tan sarisd yan.
Ay lab arorti ta häbdlc, ya-
ddyk sarä-l afür td-ll yamatd,
dlnd yan, zinä abtd yan ay äror
sdiytyä.
1) Küdrkü&r kuäb wä rabäb
10 hida umbe esinin (in.
2) Eyatöga dehäy Sya, ivö-ha-
lakisös fardäd dShäy iktä' iha-
mi oti-sutlra da'i-tü«. en-it,
ihami.
-A ^ f
15 3) U-küärküär wu-hiyö yi’iS,
sdkya-nsk adangaläy dehäy eyä-
it, geh bi’yä-it, harämi kdbtay.
rewyäyt, ö-geddm 5-girmös höy
yi-amis-t ö-geddm mehälyüyt,
igdähat, e-kühiyös ebäyt.
5) U-fagiri tö-kisäti-dhay:
* 5 otö-ä har'ö ftfi!« edit, esöfuft.
malö yas dShäy iyän, lakyan,
iyan; malö küiküdy dehäy eya-
ntk, lakyanik iyan.
30
III. Abhandlung: Reinisch.
4) Malyäb eyatgga dehdy iya,
küärküär küäb edir-t, endös
nayd-it, amäs icö-haicdd-lb te-
'eya-tis Snay.
Malammi ay aläläwini tänal
yamatd yan, ay arorä ta yig-
difd, iH dik harrdy yan, ist
ald aligüik yind yan.
5 5) Küärküär u-rdba dehdy
eyä-it, yi-abä-ye geb biyä-it:
»andir« en-it.
Ay lab arorti iba-d ak ya
matd yan, bäköl-ik addä-d: »käy
agdäfö«. ya sii’utd yan.
6) W-eyaUga yi-adim wer
Ay ala-läwini aki isi dobäyto
arauos soya, küärküär u-rdba ay wäre luänsd yan, amd-ged
1) Eine weibliche und eine männliche schlänge schliefen
beisammen.
2) Da kam ein zigenhirt dazu, schnitt einen zipfel seines
kleides ab und deckte sie damit zu, indem er dachte, ein Vor
hang ist hier schicklich.
3) Der Schlangengatte entfernte sich dann und nachdem
er weggegangen war, kam eine eidechse herbei und beschlief
die schlänge und sie beging einen ehebruch.
4) Widerum kam der zigenhirt dazu und tötete die
weibliche schlänge, ging dann heim und molk abends seine
zigen.
5) Der schlangengatte kam im nach, legte sich zu seinen
zicklein und sprach: »ich töte in.«
6) Der zigenhirt erzälte aber den Vorgang einem anderen
gefärten von im und wie dies der schlangengatte gehört hatte,
so unterliess er die tötung, stig im auf den schoss und sprach
zu im: »recht hast du getan.«
14.
Sätze und redensarten.
Ani wunu neg. ani wün koke.
Ich bin gross, neg. ich bin
nicht gross.
Barük wünuba neg. baruk
Du bist gross, neg. du bist
nicht gross.
15 wun Mtta.
Batük wuntuwi neg. batük
Du (fern.) bist gross, neg. du
bist nicht gross.
wunt kittay.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. I.
31
Barüs wurm neg. barüs wun
kike.
Batüs wüntu neg. batüs wunt
kitte.
5 Hanin weniba neg. henin
ivanib hinke.
Barak (baräkna) wenibäna
neg. b. wanib kittena.
BatäJc (batäkna) wenitäna
10 neg. b. wanit kittena.
Baräs (baräsna) weniba (we
nibäna) neg. wanib kikSn.
Batäs (batäsna) wenita (we-
nitäna) neg. wanit kiken.
15 Ani barithök wünu, neg. wun
käke.
Barük anit ivünuba neg.
wun kittay.
Hanin baretliökna waniba.
20 Barük hauet wenibäna.
Hanin barethösna ivanib hin
ke.
Ani awin neg. ani winäb
käke. •
25 Barük tuwina neg. barük
winäb kitta.
Batük tuwini neg. batük
winät kittay.
Barüs uwin neg. barüs winäb
30 kike.
Batüs tuwin neg. batüs ivinät
kitte.
Hanin nuwin neg. hanin
winäb kinke.
35 Baräk tuwinna neg. barük
winäb kittena.
Batäk tuwinna neg. batäk
winät kittena.
Er ist gross, neg. er ist nicht
gross.
Sie ist gross, neg. sie ist nicht
gross.
Wir sind gross, neg. wir sind
nicht gross.
Ir seid gross, neg. ir seid
nicht gross.
Ir (fern.) seid gross, neg. ir
seid nicht gross.
Sie sind gross, neg. sie sind
nicht gross.
Sie (fern.) sind gross, neg. sie
sind nicht gross.
Ich hin so gross wie du; neg.
nicht so gross.
Du hist so gross als ich; neg.
nicht so gross.
Wir sind so gross wie ir.
Ir seid so gross wie wir.
Wir sind nicht so gross als
sie (pkn\).
Ich wurde gross, neg. wurde
nicht gross.
Du wurdest gross, neg. wur
dest nicht gross.
Du (fern.), wurdest gross, neg.
wurdest nicht gross.
Er wurde gross, neg. wurde
nicht gross.
Sie wurde gross, neg. wurde
nicht gross.
Wir wurden gross, neg. wur
den nicht gross.
Ir wurdet gross, neg. wurdet
nicht gross.
Ir (fern.) wurdet gross, neg.
wurdet nicht gross.
5
10
15
20
25
30
32
III. Abhandlung: Roiniscli.
Baräsna uwinna neg. baräs
winäb ldken.
Batäs uwinna neg. bat äs
winät kiken.
Ani anwin neg. kä-wun (kä-
win).
Bartik tunwina neg. kit-wina.
Batük tunwini neg. kit-wini.
Barüs unwin neg. ki-win.
Batüs tunwin neg. kit-win.
Hanin newun neg. kin-win.
Barak tewunna neg. kit-
winna.
Batäk tewunna neg. kit-win-
na.
Baräs ewünna neg. ki-winna.
Batäs ewünna neg. ki-winna.
Ani on ivö-’ör asuwin.
Ani wo ’ör wo anib asyivin.
Bartik Abclällay wo 'öri ’ör
tesywina.
Batük Hammacli 'öti ’ör tesy-
wini.
Batük tö-öt te batitök tes\i-
wini.
Barüs ivö ’ör ö baryös esy,win.
Batüs tö '5t te batitös tes\iwin.
Hanin wö ’örön (’ör hinneb)
nesy/win.
Barak tö '5t te baretökna te-
sywinna.
Sie wurden gross, neg. wur
den niclit gross.
Sie (fern.) wurden gross, neg.
wurden nicht gross.
Ich werde gross; neg. werde
nicht gross.
Du wirst gross; neg. wirst
nicht gross.
Du (fern.) wirst gross, neg.
wirst nicht gross.
Er wird gross, neg. wird
nicht gross.
Sie wird gross; neg. wird
nicht gross.
Wir werden gross; neg. wer
den nicht gross.
Ir werdet gross; neg. werdet
nicht gross.
Ir (fern.) werdet gross; neg.
werdet nicht gross.
Sie werden gross; neg. wer
den nicht gross.
Sie (fern.) werden gross; neg.
werden nicht gross.
Ich habe diesen knaben gross
gezogen.
Ich habe meinen son erzogen.
Du hast Abdalla’s enkel er
zogen.
Du (fern.) hast Mohammed’s
tocliter son erzogen.
Du (fern.) hast deine tochter
erzogen.
Er hat seinen son erzogen.
Sie hat ire tochter erzogen.
Wir haben unsern son er
zogen.
Ir habt eure tochter erzogen.
Die Bedauye-Spraohe in Nordost-Afrika. I.
33
Batäk ye 'dr e batetökna te-
sy/winna.
Baräs ivö 'ör ö bareyosna esy-
winna.
5 Batäs te 'dr e batetösna esy-
winna.
Amdr 'dr enjör esywinna-Jieb.
U-gaü wü am 5-gaü ö-baryök-
ndy-ka wun-kä-bu.
10 U-gaü ivü Ibrahimib wünu,
wö-ard-nay-ka wun-kä-bu.
Wü-'ör ü-baryük wünu, barüs
ivö-'ör wö-ani-nay-ka wun-kä-bu.
To '5t tü-baryük wüntu, Ami-
15 ddy tü-'ar daüri-kä-te.
Bariik Äbdalläy-ka wun-kä-
bua.
U-mwin (ü-mawün) Äbdällay
ö-mwini-ka hanyis.
20 Äbdällay ö-swini-ka Hdm-
madi ü-swin hanyis.
O-Sök Amiddy-ka wun-kä-bu-
wa, daüri-kä-bu-wa.
Barak henne-ka wun-kä-bwna.
25 Hamn bar5se-ka wun-kä-ba.
Barük kurb-it wünuba-wä
akräbua-wä.
Barük kurb-i-ka wun-kä-bua-
wä akri-kä-bua-wä.
30 Barähna kurb&t (kurba-i-t)
wenibäna.
Barak kurbüka wun-kä-bäna.
Un abu? anBou.
A
O-sum wö-anib tiktenaf
35 Ani ö-smök kä-kan.
O-sum wö-anib (oder ö-smci)
Abddlla e'edna.
Ir (fern.) habt eure söne er
zogen.
Sie haben iren son erzogen.
Sie (fern.) haben ire töchter
erzogen.
Die Beni-Amer erzogen mich
zu einem edelmann.
Mein haus ist grösser als dein
haus.
Ibrahim’s haus ist gross, es ist
grösser als das meine.
Dein son ist gross, er ist grös
ser als der meinige.
Deine tochter ist gross, sie ist
auch das schönste mädchen von
Amideb.
Du bist grösser als Abdallah.
Deine grosse übertrifft die
von Abdallah.
Abdallah’s erziehung ist fei
ner als die Mohammeds.
Suakin ist grösser und schö
ner als Amideb.
Ir seid grösser als wir.
Wir sind grösser als sie.
Du bist gross und stark wie
ein elefant.
Du bist grösser und stärker
als ein elefant.
Ir seid gross wie elefanten.
Ir seid grösser als elefanten.
Wer ist der? Der bin ich.
Kennst du meinen namen?
Ich kenne deinen namen nicht.
Meinen namen ruft man Abd
allah.
Sitzungsber. d. pbil.-kist. CI. CXXVIII. Bd. 8. Abh.
3
34
III. Abhandlung: Reinisch.
Hsum 5-baryök ab eedna?
Ö-snii Hämmad eedna.
Barük tikten-hlb ?
An akten-hök.
Barük kit-kdn-hib?
Ane kä-kan-hök.
Ndmha sennya?
Ü-mhin ani hö efiyeb Amidebu.
Barük äbua?
Ani katäbu, nugüs katäb o-
kiidseb.
Geb-Ök (oder baryök geh) reü
ifi?
Geb-ö (oder ani geh) reü efi.
Hämmad aneb ariyn-heb.
Ani wo-örö tö-ötis-ö-ka arene-
ka-bu.
Hämmad 5-gaü wö-ani-nay
bi’ isdn-hlb.
Barük anit akräbua.
Barük ani-ka (anihi-ka) a-
kräbua.
•A f ,
U-gamisu wü-ani erabu, u-
U-käm-üwu-ani däybu,ü-käm-
ük ü-baryük umägu.
A-i’a yä-anib edlabna.
Barüs aneb tdn’i.
Ani tü-takdt lehätu.
Ani tü-lehandy güdätu.
Anib ii-gaü daüribu. baryük
ü-gaü singeräbu.
Ani barithök gabäbu.
Ani barisok gabäbu.
Wie ruft man deinen namen?
Ich heisse Mohammed.
Kennst du mich?
Ich kenne dich.
Kennst du mich nicht?
Ich kenne dich nicht.
Wo wonst du?
Der ort wo ich wone ; ist
Amideb.
Wer bist du?
Ich bin Schreiber, der künig
machte mich zum Schreiber.
Hast du geld?
Ich habe geld.
Mohammed liebt mich.
Ich liebe meinen son mer als
meine tochter.
Ich behielt Mohammed in
meinem hause.
Du bist so stark wie ich.
Du bist stärker als ich.
Mein hemd ist weiss, dein
hemd ist schwarz.
Dein haupt wurde von mir
gesalbt.
Mein kamel ist gut, dein ka-
mel aber ist schlecht.
Meine rinder wurden ver
kauft.
Er ist mir änlich.
Meine frau ist krank.
Meine krankheit ist gross
(schwer).
Mein haus ist schön, das
deine aber ist garstig.
Ich bin so reich als du.
Ich bin reicher als du.
MM—i
i
Die liedauye-Sprache in Nordost-Afrika. I.
35
Ani gabäbu barlsöka.
U-gaw-ük ü-baryük wünu.
Batük dbtui, ü-sum ü-batyük
(u. bajük) äbu?
5 U-gaü ü-batyük (bajük) wünu.
Batyök-geb (bajök-geb) reü
U-gaü ün batyöku (bajöku).
Ü-gaw-ük ü-batyük (bajük)
10 ddbalu.
Barüs akräbu barisök.
Am baritös akräbu.
A
O-suin ö-baryös ab eedna?
Baryös geh rin iß.
15 U-gaü ün baryösu.
Batits küatötu, takätö kitte.
A.
O-sum 6-batyös (bajös) ab e-
edna ?
A\
O-sm-Ös ab e’edna ?
20 Ani batitös wünu.
Barük wünuba batisös.
A,
U-gaü ü-batyüs (bajüs) wünu.
Batyös (bajös) dehäy öya.
Batyös geh riiü efi.
25 Hanin barethökna akräba.
Baräkna bannet akräbäna.
-A
U-gaü ün henn&bu; henneb
kike.
A-mak-än daüriba.
30 0-sm-ön (oder ö-sum ivö-lien-
neb) Amar-dr eedna.
Ü-gaw-ün wü-hinne daürlbu.
Henne (hdnne) geb röü efi.
Barak henneka tehayisena.
35 Baräk lianin aretBn-hön.
Baräkna (oder baräk) hanne-
heka akräbäna.
Ai t
U-gaü ü-baryükna wünu.
Ich hin reicher als du.
Dein haus ist gross.
Wer hist du (fern.) und wie
heissest du?
Dein i fein.) haus ist gross.
Bei dir befindet sich geld.
Dieses haus ist dein (fern.).
Dein haus ist klein.
Er ist stärker als du.
Ich hin so stark als er.
Wie nennt man seinen namen?
Bei im befindet sich geld.
Dieses haus ist sein.
Sie ist meine Schwester, nicht
meine frau.
Wie heisst sie?
Wie heisst er (oder sie)?
Ich hin so gross als sie.
Du bist so gross als sie.
Ir haus ist gross.
Er kam zu ir.
Sie hat geld.
Wir sind so stark als ir.
Ir seid so stark als wir.
Dieses haus ist unser; ist
nicht unser.
Unsere esel sind schön.
Unseren namen nennt man
Beni-Amer.
Unser haus ist schön.
Wir haben geld.
Ir seid besser als wir.
Ir liebt uns.
Ir seid stärker als wir.
Euer haus ist gross.
3*
1
5
10
15
20
25
30
35
36
III. Abhandlung: Ileinisch.
Ä-gaw-äk ä-baryäkena daü-
riba.
Baryökna geh riü iß.
Hanin akräba baresökna-ka.
U-gaü ü-batyükna (bajükna)
wunu.
A-gciwäk ä-bateäkna daüriba.
Bateyikna geb riü iß.
Bardsna (u. baräs) baresök
na-ka akräba.
U-gaü ü-baryusna loünu.
O-surn ö-baryösina äh e'edna ?
Baryösena geb riü iß.
Hanin barethösena akräba.
Hanin baresösena-ka akräba.
Batäsna (u. batäs) daüriba.
U-gaü ü-batyüsna (bajüsena)
iminu.
A-gdioa ä-batyäsna (oder ä-
gawasna) waniba.
0-sum ö-batyösina (oder ö-sm-
ösena) ab e'edna?
Bariik nämhmi it,a?
Ani Amiddy yi'dn.
Barük äbua?
Ani ibäbkendbu, ibäbdn iß.
Barük ndysö tebiya ?
O-Sök-lb (ö-Sök-i dehä) dnde.
O-Söklb tefiyaf
Ani Ilartumib, Sodänlb esti',
'örü ivü-ani ö-Söklb iß, reh-ös
hanriü.
Te-lagi Hdrtumi ö-Söki dehä
gumdddu.
Ü-tak ün ibäbyay ihi, ibä-
byay iß.
Eure häuser sind schön.
Bei euch gibt es geld.
Wir sind stärker als ir.
Euer (fern.) haus ist gross.
Euere (fern.) häuser sind
schön.
Bei euch (fein.) befindet sich
geld.
Sie sind stärker als ir.
Ir (eoruni) haus ist gross.
Wie nennt man iren namen?
Sie haben geld.
Wir sind so stark als sie.
Wir sind stärker als sie.
Sie (fern.) sind schön.
Ir (fern, pl.) haus ist gross.
Ire häuser sind gross.
Wie heissen sie (fern.)?
Woher kommst du?
Ich komme von Amideb.
Wer bist du?
Ich bin ein reisender, ich bin
auf der reise.
Wohin gehst du?
Ich gehe nach Suakin.
Lebst du in Suakin?
Ich wone zu Chartum im Su
dan, aber mein son befindet sich
in Suakin, ich will in besuchen.
Der weg von Chartum nach
Suakin ist lang.
Dieser mann ist auf einer rei
se begriffen.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. I.
87
Ün ü-tdk äbu ?
Tun te-takdt dbtuf
An ända äba (•dbäna)?
Tän tä-via dbta (dbtäna) ?
5 Am ön 5-tdk aren-hös (aren-ös).
Ani tön tö-takdt areydn-hös.
En Bnda areyan-hösna.
Ten te-ma' kär&n-hösna.
U-gaü ben ü-wun äy gaum?
10 Te-takdt tun daüritu, te-takdt
bet aferdytu.
Ani ö-gaü beb ddlib ani.
Ani tö-öt bet akanhin-hös
(und -ös).
15 Yi-'dr an däyba, yi-dr balin
amäga.
Te-'dr tän daürita, te-'dr ballt
singeräta.
Enda balib erhdn-höb, arktie.
20 Te-’dr ballt erhdn-höb, küära-
mdn-hösna.
U-tak wu ams eya 'oroyu.
Te-takdt ams' eta-t daüritu.
Anda yi ams' eyan Amar-
25 ’dra.
Abu wü eya?
-A
U-tak wü dfa ani erhan-i,
wun tdku.
Te-takdt tü dfa ani erhan-et
30 ivüntu.
Tö-'ör tü dfa ani erhan-et
daüritu.
Tö-'ör tü ani küäräman-et
küätötu.
Wer ist dieser mann?
Wer ist diese frau?
Wer sind diese männer?
Wer sind diese frauen?
Ich liehe diesen mann.
Ich liebe diese frau.
Ich liebe diese männer.
Ich liebe diese frauen nicht.
Wem gehört jenes grosse
haus?
Diese frau ist schön, jene
aber ist hässlich.
Ich habe jenes haus gekauft.
Ich liebe jenes mädchen.
Diese knaben sind gut, jene
aber schlecht.
Diese mädchen sind schön,
jene aber hässlich.
Als ich jene männer sah,
fürchtete ich mich.
Als ich jene mädchen sah,
grüsste ich sie.
Der mann, der gestern an
kam, ist mein son.
Die frau, welche gestern an
kam, ist schön.
Die männer, die gestern ka
men, sind Beni-Amer.
Wer ist der, welcher ge
kommen ist?
Der mann, den ich gestern
sah, ist gross.
Die frau, die ich gestern sah,
ist gross.
Das mädchen, das ich gestern
sah, ist schön.
Das mädchen, das ich küss
te, ist meine Schwester.
5
10
15
20
25
30
38
III. Abhandlung: Reinisch.
Te-takdt tu reu tehi-t-ük daü-
ritu.
E-Bedaüye-t bur maratu ?
Au, maratu; marat kitte.
Ani Biläl-i akräbu oder Bi-
läl-i-ka akra-kä-bu.
Tö-öt-it hamös hadaldtu wö-
hawäd-it.
Baruk hansir-i-ka nigis-kä-
bua.
Nät erliita?
Nät erhob koke.
Barns nät edi-hök?
En-wä Bn-ivä edi-heb, nät wet
diydb kike.
Baräk nän tuwariya?
Nät kä-wari.
Tö-nät tön aü uwßre? tön
tuwBra ?
Tö-nät tön ani werab koke.
Bak tuwerik dayb tuwera.
Sür tuwere tesinyet uwira!
Bak asuwEr.
Wü-hayü cju dmya, aüyü’dyaJ
Ani gü’an, wö-ha ü-gu atiyüs
däybu.
Wö-ha gü'dti däybu.
Wö-addr-ha U-gu atiyüs harä-
mu msilmiye-dhäy.
Lehäyt baryök geb häh gudn
Bfi.
Nä-dör barük häb gudsta-
hiba? ani kä-giCasdn-hök.
Die frau, die dir geld gab,
ist schön.
Ist das land der Beduan aus
gedehnt.
Ja, es ist geräumig; ist nicht
geräumig.
Ich bin stärker als Bilal.
Das haar des mädchens ist
schwarz wie die nacht.
Du bist schmutziger als ein
schwein.
Was hast du gesehen?
Ich habe nichts gesehen.
Was sagte er zu dir?
Das und das sagte er mir,
nichts anderes.
Was tust du?
Ich tue nichts.
Wer hat das getan? tatst du
es?
Ich habe das nicht getan.
Wenn du es so machtest, so
hast du gut getan.
Tue was du früher tatst!
So liess ich’s machen.
Mein bier ist ausgetrunken;
wer hat es getrunken?
Ich trank es, das biertrinken
(das bier sein trinken) ist an-
genem.
Bier zu trinken ist angenem.
Wein zu trinken ist verboten
für die muslim.
Morgen trinke ich bei dir
bier.
Wann gabst denn du mir bier
zu trinken? ich gebe dir auch
keines.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. I.
39
Ani meskinu, nät kä-bare,
barük gabäbua, wü - änküdna
gdbti ehi-hök, nät hiyeba!
Nät eyä-hök käde, barük mes-
5 Mn kithaya, barük amägua.
Aü arnse Mogälö-y (Mogüa-
lö-i) Eyaf
Anib bakdy Bya ki-hay.
Un äbu? ben abu?
10 An dyga? tän dygät ?■
An dyga yi-dr?
Balin dyga yi-'dr ?
Balit dygata te-ar?
Näka döra ö-Söklb tifiya?
15 Ngäl dör, malö döra, mehdy
döra bentay iß.
Barük näysö tebiya ?
Am ö-Sök dba-he.
Ändük JcByänaf ndmliini te-
20 sti'a?
Ani ö-Sökib esti.
U-gawük ksya? te-takatük
Mta?
Hanin taa Mna?
25 Bardkna td'a k&täna?
Näna Btän ?
Hanin harr ob nidlib neni ina.
Tökar wü-harrü güedäbu, ha
nin fadig tamun müda hdrröb
30 nidlib.
Kassüs wü-hdrru tobokimya,
lehäyt endön mabäy neharu.
1
Ich bin ja arm und habe
nichts, du aber bist reich, Gott
verlieh dir reichtum; gieb mir
also auch etwas!
Ich gebe dir nichts, denn du
bist ja kein armer, nur ein
taugenichts.
Wer kam heute von Mogolo ?
Ausser mir kam niemand.
Wer ist dieser? wer ist
jener?
Wer sind diese (masc.)? wer
sind diese (fern.)?
Wer sind diese knaben?
Wer sind jene knaben?
Wer sind jene mädchen?
Wie oft warst du in Sua-
kin?
Ich war ein-, zwei-, dreimal
dort.
Wohin gehst du?
Ich gehe nach Suakin.
Wo ist dein volk? wo lebst
du?
Ich lebe in Suakin.
Wo befindet sich dein haus?
dein weib?
Wo befinden wir uns jetzt?
Wo befindet ir euch jetzt?
Warum seid ir gekommen?
Wir kamen um körn zu
kaufen.
In Tokar giebt es vil körn,
wir kauften vierzig scheffel
körn.
Alles körn wurde eingefüllt
und morgen wollen wir heim
ziehen.
5
10
15
20
25
40
III. Abhandlung: Reinisch.
Tü-bur hadaddebln tike, wü-
liawäd iya, hanin dowadini,
U-mha mehinyik endön ni.be.
Fajir U-mha mehinyik hidab
sakni ibäbni; ü-rnbi’ bigudiyik
masdl kl-masalesya.
Bismillähi ditit endön nibe.
Sanäyik wälika-t mä’a!
Ani lehäyt ibdbani.
Ani dfa i'dn ibäbti.
Ani ibäbt harü iß.
Ani ibäbt harü k&hay.
Ani ibabani-höb (ibäbanik)
wü-'örü emhi.
Ibäbkena iya.
Bäbü ibäbsi-heb.
Wö-örök ibäbsa!
Ani ibäbanyihöb Hdmmad ö-
gaü wö-ani-nay bi'isdn-heb.
Ani ibäbanyihöb ö-gaiv-yö
sani-heba!
Barüs ibäbinyihöb Hdmmad
gebös ibäbini.
Ani tamanyihöb baruk gebt
tdmtaya.
Baruk tamtayihöb ani gebök
tdmani.
Barns tdmyayihöb ani gebös
tdmani.
Die erde ist dunkel geworden
und die nacht herangekommen;
wir wollen schlafen und wenn
der morgen kommt, gehen wir
heim.
Morgen wenn es licht wird
gehen und reisen wir zusammen;
wenn auch der tag lang ist, die
Unterhaltung hat noch keine
langweile bewirkt.
Wir sagen: in Gottes namen!
und gehen heim.
Rufe deine brüder und
komm!
Ich verreise morgen.
Ich kam gestern von einer
reise.
Ich will verreisen.
Ich will nicht verreisen.
Als ich verreiste, blib mein
son zurück.
Ein reisender ist angekom
men.
Mein vater schickte mich auf
reisen.
Schicke deinen son auf reisen!
Wenn ich verreise, so lasse
ich den Mohammed in meinem
hause schlafen.
Wenn ich verreise, so bleib
in meinem hause!
Wenn er verreist, so reist
Mohammed mit im.
Wenn ich esse, so issest du
mit mir.
Wenn du issest, so esse ich
mit dir.
Wenn er isst, esse ich mit im.
Die Bedauye-Spraclie in Nordost-Afrika. I.
41
Hanirt tämnayghöb baräk ge-
bön tdmtäna.
Baräk tämtendyhöb hanin ge-
bökna tdmnay.
5 Anitaman-B-höb Hdmmadsya.
Gabany-B-dhäy ibäban.
Adan'ir-B-dhäy i’an.
Bäbii takdt ivet ed'ir.
O-garriisö aSangüid-B-dhäy sa-
10 bim ddlib.
Ani kilöyany - B - dhäy hdrro
ddlib.
Anda fartakamen-B-dhäy wü-
dga dskera ö-süg-i-dhäy Bsibe.
15 U-ör-ay ; ö-bab negila-hebct!
U-bäb Sngdl, negälu.
Nana ö-bäb kit-negila?
Wö-haioäd-ib ö-bäb ü-ngül a-
mägu, u-niha mehinyek anangil,
20 td'a kä-ngil.
Amnäb sumsany-B-dhäy ö-bäb
dsnagij, (asisnagil).
O-bäb kadaüstanyehöb bä-et-
nagil-ök.
25 Wü-änküdna tö-dinya akligya,
hassüs tü-dinya ivö-änkuänay
akligimta, wö-änküdnay kdlaga
däyta, ü-Jcaligimti däybu.
Wenn wir essen, esset ir mit
uns.
Wenn ir esset, essen wir mit
euch.
Als ich gegessen hatte, kam
Mohammed.
Um reich zu werden, machte
ich reisen.
Ich kam um zu heiraten.
Mein vater heiratete eine an
dere frau.
Um mein hemd zu waschen,
kaufte ich seife.
Um grütze zu machen, kaufte
ich körn.
Damit die leute sich zerstreu
ten, schickte der gouverneur
Soldaten auf den marktplatz.
Bursche, öffne mir die
türe!
Die türe ist geöffnet worden;
sie steht offen.
Warum tust du die türe nicht
auf?
Bei nacht ist das öffnen der
türe misslich, ich öffne wenn es
morgen wird; jetzt aber öffne
ich nicht.
Um einen gast einzufürcn,
liess ich die türe öffnen.
Wenn du anklopfest, wird dir
aufgetan.
Gott hat die weit erschaffen,
die ganze weit ist von Gott er
schaffen, die Schöpfung (das er
schaffen) Gottes ist schön und
schön das werk der Schöpfung.
Warum hist du so lustig?
Nana ferhäbua?
42
III. Abhandlung: Reinisch.
Am hob gudn, am gü'a'lny-
dyhöb amfirhdni.
Yi-'drü amfirhisydn-heb.
E-bitk-ek wä e-bitk-Bn ribd
5 efi, abä-t tB.fi.
Malö erbdy e-bitik abät tB.fi.
Ar 6k esti', an 5-gawi ar'i
esti'.
Mehdy-t yina-t ar'i Hdmmad
10 iya.
Barüs 5-gaw-i sür-i esd'.
Hirira süri!
Hanin wö-hind-i wuhd-y ne-
sti'.
15 Ü-yäs ö-n'äl wuhdy bi’ine.
Barüs ö-näl-i arowd-y esd',
ö-n'äl-i inki sa'äb Mke.
U-banö ö-gaw-i 'nki esti'.
Kidmat dbare Bilal-i-b.
20 Barük ö-gaw-ib senniyat
Güda hayük eräsyäni hen tö-
bri-t-ib.
Barük Masir-ib tefiya ?
Ani ö-Sök-ib esti', Masir-ib
25 kähay.
MesuwB' jasirät-lb tefi.
Mehdy-t ylnä-t-lb tamdb käke.
Ay tirga yi-hämsik-eb tesni.
E-yäm-eb ddbya.
30 An-ib ü-gaü daüribu.
Hinni-eb ü-gaü Hngeräbu.
U-gaü wü-Ibrähim-ib wunu.
Ich habe hier getrunken;
wenn ich trinke, so werde ich
fröhlich.
Meine kinder haben mir freu-
de bereitet.
Zwischen euch und uns befin
det sich ein berg und ein fluss.
Zwischen den zwei bergen
befindet sich ein fluss.
Ich sitze hinter dir, ich sitze
hinter dem hause.
Nach drei tagen kam Mo
hammed.
Er sass vor dem hause.
Gehe voran!
Wir sassen unter dem bäum.
Der hund schläft unter dem
bett.
Er sass neben, nicht auf dem
bette.
Der geier sitzt auf, über dem
hause.
Ich bin bedienstet bei Bilal.
Bleibst du zu hause?
Vile sterne leuchten am him-
mel.
Hältst du dich in Kairo auf?
Ich wone in Suakin, nicht in
Kairo.
Massaua ligt auf einer insei.
Ich habe seit drei tagen
nichts gegessen.
Fünf monate blib sie am le
ben.
Er fiel ins wasser
Mein haus ist schön.
Unser haus ist hässlich.
Ibrahim’s haus ist gross.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrilca. I.
43
Ü-gaü wü Hdmmad-ib (oder
Hdmmad-i ü-gaü) ivünu.
Äbddlla-y ü-gaü Hämmad-lb
ö-gaw-i-ka hanyisu.
5 Ferhät-ib tiyd\
Ani akantib-dykik ö-gaioib
asenni.
Barük kantib-dykik ö-gawib
sennya.
10 Iianin nekatib-dykik ö-gawib
nesbn.
Baräk tekatibn-aykik ö-gawib
tesenna.
Baräs ekatibn-dykik ö-gawib
15 esenna.
Ani sakany-aykik (und -dy-
höb, -B-höb) baruk gebö sdk-
taya.
Am arüh ätfari-dykik (-dy-
20 hob, -ehöb) barus ö-gawib senya!
Ani arüh ätfari-Bk te-takatü
ö-gawib senni.
Barük ye-'adim ümmät wet
sötany-ek andir-hök.
25 Ani nät dndy-Bk sidigu.
Barük nät tindy-ük sidigu.
Hanin nät niyad-ek sidigu.
Tak Sndäb edir-tik harämibu.
Ani batök areyan-höki däyt
30 tikay-ik.
Ani batök kä-areyan-höki
amäkt tikaysk.
Barüs sdkya-n-ek Ali Bya.
Mohammed’s haus ist gross.
Abdallah’s haus ist schöner
als das von Mohammed.
Sie starb vor freude.
Wenn (so oft) ich schreibe,
bleibe ich zu hause.
Wenn du schreibst, bleibst
du zu hause.
Wenn wir schreiben, bleiben
wir zu hause.
Wenn ir schreibt, bleibt ir zu
hause.
Wenn sie schreiben, so blei
ben sie zu hause.
Wenn ich gehe, so gehst du
mit mir.
Wenn ich hinausgehe, so
bleib du im hause!
Wenn ich hinausgehe, so
bleibt mein weib zu hause.
Wenn du die Sache anderen
leuten erzälst, so erschlage ich
dich.
Wenn ich etwas sage, so ist
es war.
Wenn du etwas sagst, so ist
es war.
Wenn wir etwas sagen, so
ist es war.
Wenn jemand leute tötet, ist
er ein Verbrecher.
Ich liebe dich (fern.), weil
du schön bist.
Ich liebe dich nicht, weil du
hässlich bist.
Als er fortgegangen war,
kam Ali.
5
10
15
20
25
44
III. Abhandlung: Reinisch.
Ö-rba rewya-n-ek bi’ya.
Am ie'egäb akdy-t dirman.
Barük seegäb tekdyt dirimta.
Giidab hadidini gär güsi'ib
ekati, gär sidgib ekdti.
Ngät minda dehö tdukta.
E-gultda ye- adim-i-dhäy, ö-
mbk-i 5-mfük-i-dhäy bä-faida,
tim diya!
Als er den berg erstigen hat
te, ruhte er sich aus.
Ich wurde ein hirt und ging
hinter der herde.
Du wurdest ein hirt und
gingst hinter der herde.
Wer vil redet, ist entweder
(wörtlich einer) ein lügner, oder
ein weiser (warliaftiger).
Ein r egentropfen fiel auf mich.
Zum geschwäz von dumm
köpfen und auf eselsfurz lache
nicht, sondern schweige!
II.
Gespräche und sätze im idioin der Halenga.
1) Ü-küasanayUn kassöh ö-
dhdy bäböse.
2) tj-kiiasanayün ndtka ektan.
3) Ane nät kdkan, lakin ü-
küasanayün ektan.
4) Hinin kassän sanasanaba.
5) Alläy ü-kaldm gäle.
6) Anibe ü-kaldm gäle.
7) Kassdy Halenga däy Bnda.
8) Barük ekatdb tiktena?
9) Ane ekatdb aktin.
10) Ane ekatdb käkan.
11) Barük ekatdb kittäna?
12) Batük ekatdb tiktinif
13) Batük ekatdb kittäne?
14) Barüh ekatdb ekitenf
15) Barüh ekatdb kikan.
16) Batüh ekatdb tiktin ?
17) Batüh ekatdb klttan.
18) Baräk ekatdb tiktenna?
Gott ist der vater aller men-
schen.
Gott weiss alles.
Ich weiss nichts, aber Gott
ist allwissend.
Wir alle sind brüder.
Gottes wort ist eins (war).
Mein wort ist eins (aufrichtig).
Alle Halenga sind gute leute.
Kannst du schreiben?
Ich kann schreiben.
Ich kann nicht schreiben.
Kannst du nicht schreiben?
Kannst du (frau) schreiben?
Kannst du (frau) nicht schrei
ben?
Kann er schreiben?
Er kann nicht schreiben.
Kann sie schreiben?
Sie kann nicht schreiben.
Könnt ir schreiben?
Die Beclauye-Spraclie in Nordost-Afrika. I.
45
19) Kinin ekatdb niktin,
20) Hinin ekatdb kinkan.
21) Barak ekatdb kittdnna ?
22) Bar äh ekatdb iktenna?
5 23) Baräh ekatdb kikdnna.
24) Ane Alib ö-gaü baydt.
25) Ane Alib ö-gaioi yi'ani.
26) Alib U-gaü daüribe Mo-
hamniedib U-gaü Singeräbe.
10 27) Anib U-gau daüribe, bar-
yitk U-gaü Singeräbe.
28) Baryüh U-gaü daüribe,
batyüh U-gaü Singeräbe.
29) Hinny&b U-gaü daüribe,
15 baryiikna u-gaü daürib kike.
30) Baräyüh U-gaü daüribe,
batäyuh U-gaü daürib Mlce.
31) Ane Sättamanyek as’ardb
akdte.
20 32) Barük sät tamtinyek aS'-
aräb tekdti.
33) Batük Sät tamtinyek as'-
arät tekdti.
34) Baräh Sät taminyek as'-
25 aräb ekdte.
35) Batüh Sät tamtinyek aS 1 -
arät tekdte.
36) Hinin Sät tamnayek as'-
ardb nekdte.
30 37) Baräk Sät tamtenek aS'-
aräb tekdtlna.
38) Batäk Sät tamtenek aS'-
arät tekdtlna.
39) Baräh Sät tamenek aS'-
35 aräb ekdtln.
40) Batäh Sät tamenek aS
arät ekdtln.
Wir können schreiben.
Wir können nicht schreiben.
Könnt ir nicht schreiben?
Können sie schreiben?
Sie können nicht schreiben.
Ich gehe nach dem hause
Ali’s.
Ich komme vom hause Ali’s.
Ali’s haus ist schön, aber
Mohammed’s haus ist hässlich.
Mein haus ist schön, aber
deines ist hässlich.
Sein haus ist schön, aber' ir
haus ist hässlich.
Unser haus ist schön, das
euere aber ist nicht schön.
Ir (eorum) haus ist schön,
aber deren (earum) haus ist
nicht schön.
Wenn ich fleisch esse, wer
de ich stark.
Wenn du fleisch issest, wirst
du stark.
Wenn du (frau) fleisch issest,
wirst du stark.
Wenn er fleisch isst, wird er
stark.
Wenn sie fleisch isst, wird
sie stark.
Wenn wir fleisch essen, wer
den wir stark.
Wenn ir fleisch esset, werdet
ir stark.
Wenn ir (frauen) fleisch es
set, werdet ir stark.
Wenn sie fleisch essen, wer
den sie stark.
Wenn sie (fern.) fleisch essen,
werden sie stark.
46
III. Abhandlung: Reinisch.
41) Barük tinte'ste, dne ita'-
hök dnde.
42) Barük bitteste, dne kä-
t'ahök.
5 43) Barüh inte'ste, dne itä
dnde.
44) Batüh tinte'ste, dne ita'
dnde.
45) Baräkna tet' dnetün, hinin
10 neta'hökna.
46) Batäkna tef dnetün, hinin
neta'hökna.
47) Barah (barühna) et'ane-
tün, hinin neta'hösna.
15 48) Barük bitteste, dne itd'-
hök käde.
49) Barüh bite'ste, dne itd'
käde.
50) Baräkna bätenhün, hinin
20 nita'hökna kinde.
51) Barah bitanhün, hinin
nitd' kinde.
52) Barük wa anib wa nun
ü-dhdy ü-rau kassäh sakyan.
25 53) Hinin deyirney, hinin ta'ä
deyirnansk, barük deyirta?
54) Ane gije, kadeyardn.
55) Nahöb td’a giktsnya ?
56) Barük dne gikte harriü
30 Aan?
57) Ane gikte käharu, tö-
mhaseytük td'a ka-mhastd-han?
■ 58) Ksra, ibe dndi.
59) ”Iri dne ö-mangäy abdy-
35 hö hadäb erhdn.
Wenn du mich schlägst,
schlag’ auch ich dich.
Wenn du mich nicht schlägst,
schlag’ ich dich nicht.
Wenn er mich schlägt, schlag’
ich auch.
Wenn sie mich schlägt,
schlag’ ich auch.
Wenn ir uns schlägt, schla
gen auch wir euch.
Wenn ir (fern.) uns schlägt,
schlagen auch wir euch.
Wenn sie uns schlagen, schla
gen wir sie auch.
Wenn du mich nicht schlägst,
werde ich dich nicht schlagen.
Wenn er mich nicht schlägt,
werde ich in nicht schlagen.
Wenn ir uns nicht schlägt,
werden wir euch nicht schla
gen.
Wenn sie uns nicht schlagen,
werden wir sie nicht schlagen.
Ausser dir und mir sind alle
leute fortgegangen.
Wir sind müde; da wir nun
müde sind, bist du wol auch
müde.
Ich doch nicht, ich bin nicht
müde.
Wann gehst du nun?
Willst du dass ich gehe?
Ich wünsche zwar nicht dass
du gehest, aber nimmst du denn
dein mittagsmal nicht ein?
Nun gut, ich will gehen.
Als ich gestern in die steppe
ging, sah ich einen löwen.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. I.
47
60) "Iri barük ö-mangdy te
il äy-hö haddb erhita.
61) "Iri batük ö-mangäy te-
bdy-hö haddb erhitay.
5 62) "Iri baräh ö-mangäy e-
bdy-hö haddb erhiya.
63) "Iri batüh ö-mangäy te-
bdy-hö haddb erhita.
64) "Iri hinin ö-mangäy ne-
10 bdy-hö haddb erhina.
65) "Iri bardkna ö-mangäy
teben-hö haddb erhitäna.
66) "Iri batdkna ö-mangäy
teben-hö haddb erhitäna.
15 67) "Iri baräh ö-mangäy e-
Mn-hö haddb erhiyän.
68) "Iri batdh ö-mangäy e-
ben-hö haddb erhiyän.
69) Un ü-tdk dbe?
20 70) Tun tü-takat äbte?
71) An ända äbaf
72) Tän tä-ma' dbta?
73) An end&w an dbä?
74) Un ü-tdk ün däybe, ü-tdk
25 ben aferäy.
75) Tü takat tun däyte, tü-
takdt bet aferäyte.
76) Anda an däyba, ä-nda
balin aferäya.
30 77) Tä-ma tän däyta ma'äta,
tä-ma ballt aferäyta ma'äta.
78) Ane däybe, barük afe-
» räyiva.
79) Barük däybua, ane a-
35 feräy.
Als du gestern in die steppe
gingst, sahst du einen löwen.
Als du (fern.) gestern in die
steppe gingst, sahst du einen
löwen.
Als er gestern in die steppe
ging, sah er einen löwen.
Als sie gestern in die steppe
ging, sah sie einen löwen.
Als wir gestern in die steppe
gingen, sahen wir einen lö
wen.
Als ir gestern in die steppe
ginget, sähet ir einen löwen.
Als ir (fern.) gestern in die
steppe ginget, sähet ir einen
löwen.
Als sie gestern in die steppe
gingen, sahen sie einen löwen.
Als sie (fern.) gestern in die
steppe gingen, sahen sie einen
löwen.
Wer ist dieser mann?
Wer ist diese frau?
Wer sind diese männer?
Wer sind diese trauen?
Wer sind diese leute?
Dieser mann da ist gut,
jener aber schlecht.
Diese frau da ist gut, jene
aber ist schlecht.
Diese männer sind gut, jene
aber sind schlecht.
Diese frauen da sind gut, je
ne aber sind schlechte frauen.
Ich bin gut, du aber bist
schlecht.
Du bist gut, ich aber bin
schlecht.
48
III. Abhandlung: Reinisch.
80) Batuk däytwi, baruh a-
feräy.
81) Baruh däybe, batük a-
ferdytwi.
5 82) Batüh däyte, barüh ddyb
Mke.
83) Kinin ddyba, bardkna
aferdyäna.
84) Bardkna ddybäna, hinin
10 aferäya.
85) Batdkna ddytäna, bardk
na däyb kitten.
86) Bar äh ddyba, batdkna
däyt kitten, aferdytän.
15 87) Batdh (batdhna) däyta,
barüli aferäya.
88) Batdh aferdyta, baräh
(barähna) däyb kiken.
89) Nay so etän?
20 90) Endäivaysön ena.
91) Nhö teblnf
92) Enden nebe.
93) Hargüdbua han?
94) Karyüdb käke.
25 95) Gäbdbua han ?
96) Ane gäbdbe.
97) Narltibua han?
98) Narltib käke.
99) Abrahim lelidyt bitkayt
30 yi ini.
100) Barüh iri ea.
101) Barüh iri bitkayt ea.
102) Ane mahalagäb hitök.
103) Ane Abrahim mahala-
35 gab eydü dnde.
104) Ane Abrahim mahala
gäb eydü kd.de.
105) Mahalagäb hd'a!
Du (fern.) bist gut, er aber
ist schlecht.
Er ist gut, du (frau) aber
bist schlecht.
Sie ist gut, er aber nicht.
Wir sind gut, ir aber seid
schlecht.
Ir seid gut, wir aber sind
schlecht.
Ir (fern.) seid gut, ir (niasc.)
seid nicht gut.
Sie sind gut, ir (fern.) seid
nicht gut, sondern schlecht.
Sie (fein.) sind gut, sie (masc.)
sind schlecht.
Sie (fern.) sind schlecht, sie
(masc.) sind auch nicht gut.
Woher kommt ir?
Wir kommen aus unserer
lieimat.
Wohin geht ir?
Wir gehen heim.
Bist du etwa hungrig?
Ich bin nicht hungrig.
Du bist also satt?
Ja, ich bin satt.
Bist du wol schläfrig?
Ich bin nicht schläfrig.
Abraham kommt übermor
gen.
Er ist gestern gekommen.
Er ist vorgestern gekommen.
Ich gebe dir geld.
Ich werde Abraham geld ge
ben.
Ich werde Abraham kein
geld geben.
Dieb mir geld!
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. I.
106) Ane mahalagäb eyä-hök
Icäde.
107) Lehdyt barük mahala
gäb hitoya.
5 108) Lehdyt barüh mahala
gäb eniü-heb.
109) L,ehdyt batüh mahala
gäb teniü-heb.
110) Lehdyt batüh mahala-
10 gab Abrahim teniü.
111) Lehdyt hinin mahalagäb
Abrahim hidene.
112) Lehdyt hinin mahalagäb
hitök-bne.
15 113) Lehdyt hinin mahalagäb
hitök karine.
114) Lehdyt bardkna maha
lagäb tewün-hön.
115) Lehdyt batäkna maha-
20 lagäb kithin-hön.
116) Lehdyt bardkna maha
lagäb Abrahim tewüna.
117) Lehdyt barüh mahala
gäb Abrahim ewuna.
25 118) Lehdyt baräh mahala
gäb ki-hln-heb.
119) Iri ane Abrahim maha
lagäb ahdy.
120) Hararibua, heyäb kitta.
50 121) Barük iriintöy kithaya,
ane mahalagäb hl-hök käke.
122) Barük mahalagäb aneb
tehiya.
123) Barük Abrahim maha-
35 lagäb heyäb kitta.
124) Batük Abrahim maha
lagäb heyät kittay.
125) Batük Abrahim maha
lagäb töhi.
49
Ich werde dir kein geld
geben.
Morgen wirst dn mir geld
geben.
Morgen wird er mir geld
geben.
Morgen wird sie mir geld
geben.
Morgen gibt sie dem Abra
ham geld.
Morgen wollen wir dem
Abraham geld geben.
Morgen wollen wir dir geld
geben.
Morgen geben wir dir kein
geld.
Morgen werdet ir uns geld
geben.
Morgen werdet ir (fern.) uns
kein geld geben.
Morgen werdet ir dem Abra
ham geld geben.
Morgen werden sie dem Abra
ham geld geben.
Morgen werden sie mir kein
geld geben.
Ich gab gestern dem Abra
ham geld.
Du lügst, denn du gabst nicht.
Du warst gestern nicht hier,
desshalb gab ich dir kein geld.
Du hast mir geld gegeben.
Du gabst dem Abraham kein
geld.
Du (fern.) gabst dem Abra
ham kein geld.
Du (fern.) gabst dem Abra
ham geld.
Sitzuugsher d. pbil.-bist. CI. CXXVIII. Bd. 3. Abb.
4
5
10
15
20
25
30
35
50
III. Abhandlung: Reinisch.
126) Barüh Abrahim maha-
lagäb yShi.
127) Batüh Abrahim, maha-
lagäb töhi.
128) Hinin Abrahim maha-
lagäb nöhi.
129) Bardkna Abrahim ma-
halagäb tShina.
130) Batälcna Abrahim ma-
halagäb tShina.
131) Baräh Abrahim maha-
lagäb yihin.
132) Batäh Abrahim maha-
lagäb yihin.
133) Ane Abrahim mahalagüb
heyäb käke.
134) Barüh Abrahim maha-
lagäb lieyäb kike.
135) Batüh Abrahim maha-
lagäb heyät kitte.
136) Hinin Abrahim maha-
lagäb heyäb kinke.
137) Bardkna Abrahim ma-
halagäb heyäb kittena.
138) Batdkna Abrahim ma-
halagäb heyät kittena.
139) Baräh Abrahim maha-
lagäb heyäb kiken.
140) Batäh Abrahim rnaha-
lagäb heyät kiken.
141) Ydma, 'ata hin-hön!
142) Tarne damböta hay-
md'a!
143) Daühcib hin-hön!
144) Barüh l&häbua ?
145) LShäb käke.
146) Ane duw ande.
147) Ane düwe käde.
Er gab dem Abraham gekl.
Sie gab dem Abraham geld.
Wir gaben dem Abraham
geld.
Ir gabt dem Abraham geld.
Ir (fern.) gabt dem Abraham
gekl.
Sie gaben dem Abraham geld.
Sie (fern.) gaben dem Abra
ham gekl.
Ich gab dem Abraham kein
geld.
Er gab dem Abraham kein
gekl.
Sie gab dem Abraham kein
geld.
Wir gaben dem Abraham
kein gekl.
Ir (masc.) gabt dem Abraham
kein geld.
Ir (fern.) gabt dem Abraham
kein gekl.
Sie (masc.) gaben dem Abra
ham kein gekl.
Sie (fern.) gaben dem Abra
ham kein geld.
Geben Sie uns wasser und
milch!
Bring’ brod zum essen!
Gebt uns saure milch!
Bist du krank?
Ich bin nicht krank.
Ich werde schlafen.
Ich werde nicht schlafen.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. I.
51
148) Ma'dy, wö 'ör düivsi
(düsi) !
149) Wö-’ör duwistay?
150) Duwisät käke, an äbiye
5 duwdn.
151) On Sileman takät Mna,
daürittakdt hina, singirät takdt
bä-Müna! sanönyu. Tegidöni, ye-
adim bä-badina! tebdinök, dne
10 ammodihök.
152) Ane b&ntöy yi’ani-hö,
daürit 'ör liitoya?
153) Barük td'a daürit 'ör
bithiw&te, tegite daürit 'ör ka
lb hi-hök.
154) Sileman tenlw&t tö-'ör
ebiye erhisa-he, barüh enddüre
ki-kan-dy, barüh 'ör dabalöbuyt.
155) Te-mhdy 'ar, dne sibä-
20 bu-yt, tö-daürit höy aktin, tö-
Hngirät höy aktin, tö-bitköt hi-
tän ? ö - tdrha güadit hitän ?
ö-mayug-güadit tingidit hitän?
156) Barük mdri tingidit te-
25 nlwök, däyte, ö-btik tingidit te-
niwBk, Singirdte, ömayug-güadit
tingidit tenlwik, däyte.
157) Tö-takdt tö-wäragat te-
hitön: »Äbrahim seb döräb sa-
30 Idmi-hök« d&ya, »hinin wülla
Komm und schläfere ein
(fern.) den knaben!
Hast dn (fern.) den knaben
eingeschläfert?
Ich (fern.) schläferte in nicht
ein, ich schlief selbst.
Heben Sie diesem Soliman ein
weib, ein schönes weib gebt im,
kein hässliches! denn er ist un
ser bruder. Wir werden das
vergelten, vergesst es nicht,
sonst werde ich böse auf Sie
(dich).
Wenn ich dorthin (nach Afri
ka) komme, gibst du mir auch
ein schönes mädchen?
Wenn du mir jetzt kein schö
nes mädchen gibst, so gebe ich
dir dafür auch keines.
Das mädchen, das du dem So
liman gibst, zeig’ nur mir! denn
er kennt etwas schönes noch
nicht, er ist noch wie ein kleiner
junge.
Von den drei mädchen, wie
ich sie sah, kenne ich das schö
ne und das hässliche mädchen;
geben Sie das mittlere her oder
das mädchen, welches auf der
linken Seite stand oder das zur
rechten?
Wenn du das mädchen, das
seitwärts stand, gibst, das ist
schön, das in der mitte ist häss
lich, das mädchen, das rechts
stand, ist auch schön.
Zur frau, die uns das papier
gab, sprich: »Abraham grösst
dich hundert mal! da wir bald
4*
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52
III. Abhandlung: lieiniscli.
gignay, gal clor ma'dy, erha-hök
neyaddy«.
158) Tü-ebikst talidt tun ba-
tuh kan bä-Bte; bi-ayn&k hinin
bayadenay, barülc sitöb-hön! tü-
mlidy kan bä-Bte!
159) N’dlla dabäybuaf n'dllci
nüt-hök akdt kitte ? ändiik ndlla
ddbaya 1 ! yaaräk ndlla ddbaya?
tä-artak ndlla dabciyta f taka-
tük ndlla dabdyte? bäbük n'dlla
dabdy? detük n’dlla dabdyte ?
sanayäk ndlla ddbaya? täküa-
täk n'dlla dabdyta? ä-Saivüh
n’dlla ddbaya? wü-reiotik ndlla
dabdy?
160) Alldy nehcimid!
161) Wö-ayök ö-mayküa er-
hisa-heb! wü-ayük ü-tdlha kllya f-
ü-ragaduk ü-mdyküa ? ü-ragaduk
ü-tdlha ? 5-mayug güadök, ö-tdr-
ha güadök erhisa-heb!
162) Lehdyt yiadenay.
163) Lehdyt biri eyni.
164) Lehdyt biri kä-'eya.
165) Amsi biri Bfe.
166) Amsi biri ki-liay.
167) Amsi tü-blri baläte.
168) Amsi tö-brite bäl ki-hay.
-A
169) IJ-dhuv ddwele.
170) Wü-assir ddivele.
171) U-mägreb ddwele.
fortgelien, so sagen wir ir,
komm’ doch noch einmal, damit
ich dich sehe!«
Jene fran in der mitte, die
soll ebenfalls kommen; wenn sie
nicht kommen, so gehen wir ja
fort, füre sie also uns zu! auch
die dritte soll kommen!
Bist du gesund? es hat doch
kein Unfall dich betroffen? ist
auch deine familie gesund? be
finden sich deine söne wol und
auch deine töchter? geht es
auch deiner frau gut? und be
findet sich wol dein vater und
ebenso deine mutter? befinden
sich deine brtider wol und auch
deine Schwestern? geht es dei
nen freunden gut? ist auch
dein vih gesund?
Ja, gottlob!
Zeige mir deine rechte liand!
wo ist deine linke hand? und
wo ist dein rechtes bein? und
dein linkes bein? und zeige mir
deine rechte Seite und auch
deine linke!
Morgen wollen wir kommen.
Morgen kommt regen.
Morgen kommt kein regen.
Heute regnet es wol.
Heute regnet es nicht.
Der himmel ist heute um
wölkt.
Heute ist keine wolke am
himmel.
Der mittag ist nahe.
Der asser ist nahe.
Der magrib ist nahe.
Die Bedauyc-Sprache in Nordost-Afrika. I.
53
172) Wü-'isa ddioele.
173) U-zibha ddwele.
174) Ani tü-takdt l&liäte.
175) Ani te-lBhandy güdäte.
5 176) Ane lehdbe, neg. lehab
käke.
177) Barak iBhdbua, neg. le-
häb kitta.
178) Batük lehdtui, neg. le-
10 hat hittay.
179) Barüh Wiäbe, neg. lehab
kike.
180) Batnh lehdte, neg. IShät
kitte.
15 181) Hinin lelidba, neg. IShdb
kinke.
182) Bardkna Uhdbäna, neg.
lehab kittina.
183) Batdkna l&hdtäna, neg.
20 lehät kittena.
184) Baräh iBhdbän, neg. IS-
häb kiken.
185) Batdh iBhatän, neg. le
hät kiken.
25 186) Ane iri iBlidbe, neg. IS-
hdb käke.
187) Barüh iri lehdbua, neg.
lehab kitta.
188) Batik iri l&hätui, neg.
30 lehät hittay.
189) Ane müslimibe, barixk
nasaribua.
190) Hinin musilimin, ba
rdkna nasaribäna.
35 191) Ane wun tdke.
192) Baruk wun tdkua.
193) Hinin wäwun da.
Die isclia ist nahe.
Der morgen ist nahe.
Meine frau ist krank.
Meine krankheit ist schwer.
Ich bin krank; neg. bin nicht
krank.
Du bist krank; neg. bist nicht
krank.
Du (fern.) bist krank; neg.
bist nicht krank.
Er ist krank; neg. ist nicht
krank.
Sie ist krank; neg. ist nicht
krank.
Wir sind krank; neg. sind
nicht krank.
Ir seid krank; neg. seid nicht
krank.
Ir (fern.) seid krank; neg.
seid nicht krank.
Sie sind krank; neg. sind
nicht krank.
Sie (fern.) sind krank; neg.
sind nicht krank.
Ich war gestern krank; neg.
war nicht krank.
Du warst gestern krank; neg.
warst nicht krank.
Du (fern.) warst gestern
krank; neg. warst nicht krank.
Ich bin ein muslim, du bist
ein Christ.
Wir sind muslim, ir seid
Christen.
Ich bin ein grosser (mäch
tiger) mann.
Du bist ein grosser (mäch
tiger) mann.
Wir sind grosse männer.
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54
III. Abhandlung: Reinisch.
194) Ane wun tdkate.
195) Batük wun takdtwi.
196) Kinin wäwun ma'äta.
197) Ane wun tdke akuä, 1
gäda mahälaga dbare.
198) Barük wun tdkua a-
küä, 2 gäda mahdlaga tebdreya.
199) Barüh wun tdke aküä, 1
gäda mahdlaga ebare.
200) Hinin wäwun däya a-
küä, 3 gäda mahdlaga nebare.
201) Bardkna wäwun dayä-
na akdäf gäda mahdlaga te-
barina.
202) Baräh wäwun däya a-
küä, 3 gäda mahdlaga ebarina.
203) Ane wun tdkate aküä, 5
wü-hdd'a ed'ir-heb.
204) Batük wun takdtwi a-
küä, 5 wü-hdd'a ed'ir-hök.
205) Batüh wun tdkate a-
küä, 5 wü-hdd'a ed’ir-hös.
206) Hinin wäwun ma'äta a-
küä, 6 yä-hdd'a ed'irin-hön.
207) Batdkna wäwun maä-
täna aküä,’ t yä-hdd'a ed'irin-
hökna.
208) Batäh wäwun ma'äta
aküä, 6 yä-hdd'a ed'irin-hösna.
209) Ani tü-takdt daürite td
kate.
1 Oder: wun tdJcu-it. 2 Oder:
8 Oder: wäwun däya-it. 4 Oder:
B Oder: tak&tu-it. 6 Oder:
7 Oder: ma 1 atäna-it.
Ich bin eine mächtige frau.
Du bist eine mächtige frau.
Wir sind mächtige frauen.
Weil ich ein grosser mann
bin, habe ich vil geld.
Weil du ein grosser mann
bist, hast du vil geld.
Weil er ein grosser mann
ist, hat er vil geld.
Weil wir grosse männer sind,
haben wir vil geld.
Weil ir grosse männer seid,
habt ir vil geld.
Weil sie grosse männer sind,
haben sie vil geld.
Weil ich eine vorneme frau
bin, so heiratete mich der
scheich.
Weil du eine vorneme frau
bist, so heiratete dich der
scheich.
Weil sie eine vorneme frau ist,
so heiratete sie der scheich.
Weil wir vorneme frauen
sind, so heirateten uns die
scheiche.
Weil ir vorneme frauen seid,
so heirateten euch die scheiche.
Weil sie vorneme frauen sind,
so heirateten sie die scheiche.
Meine frau ist eine schöne
frau.
wun täJcua-it.
wäwun däyäna-it.
ma'äta-it.
Die Bedauye-Spraclie in Nordost-Afrika. I.
55
III.
Erziilungen iiu idiom der Hadendäwa.
1.
Omar.
1) Ümdr, Nafir 'or, o-Gasi
ydkya ö-Sök Sya.
2) E-gaüöh simya, tdku esen-
ne, yi'is, yi'agdr, gigya.
5 3) Fadig hdüla isne, yi'agdr
Bya, e-gaüöh lümya, tdku e-
senne.
4) Te-takatöh efidig, 5-tak
mehallagäb %hi, haldk ihs, ged-
10 'ät ihi, t-lidmo ladsya.
’Umar Nafir ball Gas akdn
bälökö ogütd Saiuäkin adik ya-
metä yan.
Ist 'dred orobd yan, kä nü-
mä-li heyaüti dlnd siigd yan,
yubild gähd yan.
Gdsal afarä egidä dafdy yan,
malammi gähd, ist l äred orobd,
heyaüti lei sügd yan numä-li.
IH nümd yiftihd yan, ay hey-
aütö mal yohöy, sardnä yohöy,
kdbel yohöy, kdlze kä amö yus-
kutd yan.
1) Omar, Nafir’s son, brach auf vom Q-asch und kam
nach Suakin.
2) Als er in sein haus eintrat, befindet sich da ein mann;
da zog er wider fort und kerte zurück.
3) Vier jare blib er aus und kerte dann wider zurück;
er betrat sein haus und wider befindet sich hier ein mann.
4) Da gab er seiner frau die Scheidung, dem manne aber
gab er geld, gab im ein kleid, gab im Sandalen und salbte
sein haar.
2.
Zwei helden.
1) Omar, ’Ali, malhoyäh mal
hatdy iblrin, Mdkkay yakyän,
ö-Mha ebzna.
2) Firis Yahüd esinin ö-Mhdy,
15 ä-defa, ivü-issüre haküare en-
gddna.
'Umdr ka 'All lammd fards
ll yinin yan, Makkd-kö ogutani
Möhä akdn dikil yaddyn yan.
Firisä ka Yahüdd märdn yan
Möhä dikil, tan böb alifima
sügdn yan.
56
III. Abhandlung: Heinis cli.
3) Ü-ngäl wö-hatdy-wä 'Omdr-
wä yakssya wö-ay-isöh, ö-kalibi
kalawdy egid.
4) Omar ö-mbadöh eferä, 5-
5 Firis edir ö-mbadi, ü-böy wö-
hatäyi ginha yi'abik.
5) Ali wö-hatäy ö-kaleb ferya,
ü-dhdy kassüh enhdd aki esni
(isinij.
Wiliti ist gabä-kö ay fards
ka'Umdr ohoffusd, daggi, adddd
tan 'aydd yan.
'ümdr ist sef sibd yan, ay
Firis yigdifd yan, kä büö fa-
rasi nahär alülusd ydn.
'All ist fards-li ay daggel
küdum isd yan, umbakä heyaü
bäkitdn yan.
1) Omar und Ali hatten alle beide je ein pferd und
ritten von Makka nach Mocha.
2) Zu Mocha befanden sich Perser und Juden, die tore
irer häuser waren verschlossen.
3) Da hob nun der eine das pferd und den Omar auf
mit seiner hand und warf sie in den hofraum hinein.
4) Da zog Omar sein schwert und tötete damit den
Perser, das blut spritzte dem pferde auf die brust.
5) Ali sprang mit seinem pferde in den hof, alle leute
darin kamen um.
3.
Martad pascha.
10 1) Martad ibdbya, Massiv
ibe, malö tirg’ isa' Sodän ehe,
Sodänlb isa' wü-örüh elhiya.
2) Fkad'ät dehä Sta: »dne
mhilane« tsne.
15 3) Te-hdd'a wö-ör myhilta,
wü-ör eyd'.
4) Wü-örüh ü-räü elhiya,
had'dt wet wä'yän, ita, i>mhi-
lane« tsne, mhslta, wü-ör eyd',
ina.
20 5) Fbtikena, miläk hö ed'ina,
icö-'ör ö-räü ebteköna, miläk
Martad yaseferd Mdssiril
yametd yan, Mdssiril lammä
dlzä dafdy-ged Sodän bälöl gald
yan, Sodän bälöl änik kä ball
lähötd yan.
Barä km nümä el tametd
ydn: »anü aydewd« talehd yan.
Ay barä kin nümä ay bälä
tadewd, ball räbd yan.
Will kä bali layl lähötd yan,
aki barä daimani, tametd »tä
bälä aydewd« ta, tadewd, ay
halt räbd yan.
Garbä ak anclisani mulehö
ed hdyn yan, layl malammi bä-
Die ßedauye-Spraclie in Nordost-Afrika. I.
57
hu ed'in, ye-'dr malhöyeh san-
dukib edin.
6) E-bäba hamasBya, Sodäni
yakyäyt, Mdssir ebe, Massireb
5 haUya.
lä garbä ak andisani, mulehö
ed lidyn yan, sandüqud lammä
tdna häyn yan.
Äbbä intit way yan, Sodänkö
ogütä, Massiv yaddy yan, Mds-
siril yd'ebidd yan.
1) Martad verreiste und ging nach Kairo und nachdem
er dort zwei monate gebliben war, ging er nach dem Sudan
wo im dann sein son krank ward.
2) Da kam eine alte frau zu im und sprach: »ich werde
den son behandeln.«
3) Sie behandelte also denselben, der son aber starb.
4) Da erkrankte auch sein zweiter son, man rief eine
alte frau, sie kam und sagte: »ich werde in behandeln;« sie
behandelte in, aber der son starb.
5) Man obducirte die beiden knaben, balsamirte sie ein
und legte beide in einen sarg.
6) Der vater erblindete (vor weinen), er zog vom Sudan
nach Kairo; in Kairo wurde er verrückt.
4.
Die tochter des sultans.
1) Sultan ife, ’öt ibire; tu
'ötüh ibäbta, mdrkab tihäy,
ibabta.
2) Tak ekhan sultdni tö-ört,
10 ün ütak mdrkab dem'arä-b Hänya
ha-Bya, ibäbäyt ehe. malyäb e-
biilled madäfe gedya ferhäteb.
3) SultänU-'ör keSyäb tibire.
ün kesyayüh däbä-y sake o-gait
15 eriiwya, ö-tdk edir.
Sultan yinä yan, bald ll yind
yan; ay tu bald taseferd yan,
babürud ga%tä taseferd yan.
Will heyaiiti sultän bald ta
yikhend yan, ay lieyauti ay
mdrkab dahdb-kö yamegd, ta
ay bay heyaiiti sultän bald ta
dbbal yadebbd yan. amä-ged
dik madäfe yotokd yan.
Ay sultän bald garud ll tind
yan, ay ta garitd yogomd 'äred
yowe'd yan, ay heyadtö yigdifd
yan.
1) Es war einst ein sultän, der hatte eine tochter; diese
seine tochter verreiste, sie bestig ein schiff und reiste fort.
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III. Abhandlung: Kölnisch.
2) Ein mann nun liebte diese tochter des sultan, er füllte
nun das schiff mit gold an und brachte es ir zu (und heiratete
sie hiedurch) und brachte nun dieselbe von der reise zurück.
Vor freude darüber löste die Stadt kanonen.
3) Die tochter des sultan hatte einen Sklaven; dieser ir
sklave betrat nun zuerst das haus und tötete jenen mann.
5.
Die dummen eheleute. 1
1) Gulüllt toä gulüli esnin
en, malhoyäh umdad'ärna, än
malhoyäh 2 tak wä takät ekina,
foia.
2) Tun te-takät te-gulüli tak-
yöh-d§häy : 3 »bäbyö e-gawis dir-
batit hdiyma-heb!« tsdi.
3) >>Ksra/« edit, gigya, t-en-
deti-dhäy Sya.
4) »Dirbatit« Mi, »tö-ötükna
dirbatit tehdru tehi« edit söya.
5) Duwdn tetib, tehi-, barüh
ehe. malyäb ün ü-tdlc salli teräb
ekitmik büt balamät tisini (te-
sni).
6) »Bäbyö endäwüy tü-bür
baldmta« enit, la’dsya.
7) Takatyöh 4 dShäy dirbatit
anü abiyesöh Surnya.
8) Te-takatüh 5 te-gulüli: »te-
dirbati k&ta?« tidi-hös.
9) »Bäbyö endäwäy tü-bür
bdlama tesni-heb, le'asdn« edit
ün gulüli.
Düdä ka düdä yinin yan, ay
lammä sineslnt mar'eiiitän yan,
ay lammä nümä ka bä'elä ya-
nin yan.
Ay düdä kln nümä isi düdä
kln baelak: i>y’ dbbä ’äre-kö
mutük yö bäh/« ak talehd yan.
»Ma'd!« ya, yaddy yan, ta
inäl yametd yan.
■»Mutük ay-tand sini bald« ak
yalehd yan ay ta inak.
Gdybe tamegd dkä tohöy yan,
ussuk yaddy yan. arähak ablä
gufd-ged abbaröytd bald dkä
süktd yan.
»Y’ dbbä bald abbaröyta<n ya
lehd, yuskutd yan.
Ay i.H nümal mutük hinim
iSe föydk orobd yan.
Ay düdä kln kä nümä: »mu
tük aüläl«. ak talehd yan.
»V dbbä bald abbaröyta-yä
yö süktd, amä-ged uskutd« ak
yd yan.
1 Vgl. Saliosprache I, 242.
2 mdlho zweiheit, malhoyäh ire zweiheit, bei den Beni-Amer: malh-äs.
8 Beni-Amer: talcyös (— tak-i-ös) dehäy zu irem gatten.
4 Beni-Amer: takat-y-ös.
5 Beni-Amer: tü-takat-üs seine gattin.
Die Bedauye-Spraclie in Nordost-Afrika. I.
59
10) »Bak tuwürek detu 1 Jcit-
’i§-ön, tö-büt ni’is« te-takät tedit.
11) Bl'ib ihenit, efiyaknit dS-
häyösna akö liay gigyän.
5 12) E-sälli sake höd yam atäb
esni-hösna. e-ydm ekitmenek ü-
tdk: » ö-dhayön enomhin netäuk!«
en.
13) »Kera/« tedi, »e-bi'yön
10 tü-in gasiitäy e-yam-eb nifif!«.
tedi.
14) O-b'ib e-yameb efifna, e-
b'iyöh fandiye-dhäy te-takät kü-
sin tehäytj etäyt, e-yameb sumta.
15 malyäb wü-höd ükta', tön te-ta
kät ukta. 2
15) JJ-täk: »te-takatü huysö
amtäy tedi« enit, liöy Sümya.
malyäb ün höd baröh tikta' ön
20 ö-täk.
16) Gulüllt wä gulüli bak
iMn, en.
»Ähe abtäk saräl y inä nö
mä-häbta-k, bälö häbnö« ak ta-
lehä yan.
Harid blsitani, yutuqu'ani
sini sakäy yadäyn yan.
Ay aräh adik egü läy-kö yam-
mega-yä äkä sügd yan. amärke
güfän-ged: »mäw tärke abnö!«
ak yalehd yan ba'elä.
»Ma'd/« talehd yan, »yinä
mäiv ayrö alässd-dö, harid lay
addäd händö!« ta.
Ay harid lay addäd häldn
yan, amä-ged ay nümä dibdnä
bäxtd lay addäd orobd yan ay
harid takäytö. ay lay ta yun-
du'd yan.
Ay labahayti: »yi nümä yök
baktd« ya egilik addäd tolubb
yalehd yan. amä-ged ay egü kä
yundu'd yan.
Düdä ha diidä tamäy gayn
yan.
1) Es war einst eine cretine und ein cretin, beide heirateten
sich und wurden mann und weih.
2) Da sprach einst die cretine zu irem gatten: »bring mir
butter von meines vaters haus!«
3) »Gut!« sagte er, er ging hin und kam zur mutter.
4) Dieser nun sagte er also: »eure tochter wünscht
butter.«
5) Sie füllte also ein gefäss voll an, gab es im und er
ging damit fort. Auf dem wege kam er aber zu trockener erde.
6) Da sprach er: »die erde meines Vaterlandes ist ja ver
trocknet« und er salbte sie.
7) Er kam nun zu seinem weibe one butter.
8) Da sprach diese zu im: »wo ist denn die butter?«
1 Für endetü.
Für eJcutdvon Jcüatas. §. 46, e und §. 102.
60
III. Abhandlung: Reinisch.
9) Er erwiderte: »die erde meines Vaterlandes war ver
trocknet, und da salbte ich sie.«
10) Da sprach sie: »wenn du es so gemacht hast, so wird
uns die mutter nicht dulden, wir verlassen also das land!«
11) Sie namen nun mel zu sich, um davon zu leben und
zogen von dannen.
12) Wie sie so iren weg gingen, da kamen sie zu einem
teich voll wasser und es sprach dann der gatte: »dahier wollen
wir unser essen zubereiten!«
13) »Gut!« sagte sie, »da ja die sonne unser essen kocht,
so schütten wir das mel ins wasser.«
14) Sie schütteten also das mel ins wasser und die frau
nam einen rürstock um das mel umzurüren und stig hinein
ins wasser. Da aber verschlang sie der teich.
15) Da sprach der mann: »mein weib isst nun darin
abseits von mir alles essen weg« und er stig nun auch hinein.
Da verschlang auch diesen der teich.
16) So nun erging es jener cretine und dem cretin.
6.
Saraf’s son.
1) Saräf'or to-kamtoh yi'dm,
Sarräf bali Ui rakubuk gahd,
hay gigya, ibabya.
2) Takdt kehanäbu, yiharid
gald yan.
Nümä yikhend yan, yurhodd-
eya, 'at en'dy Madinäb istob ged, ald yiligild ay han Madina
dka bahd yan.
3) To-kamtoh yi'amt, hay
Ist rakubuk gahd, Kdssalal
yametd yan.
ibabya, Kassaldb egidha.
4) Ö-fena hadirya, fdgara:
»Saräf’ör ti'itena kithay«, Bna.
Dibd-d yangeld, labahä-ko Sa
räf halt kayä egidam ma-ld yan.
10 5) Barbar seräküäbu, wu-ds-
ker kassäh iruküäna.
Barbara akdn bald inkö ak
mättttd yan, d&ker inkö ak mä-
Sittd yan.
6) Hatäy änküanäb edir, ö-
rtü hö ihö, rasäsi iyait, rasäs
ihäyt, edir.
Fards bä'lä yigdifd, mal ak
blüitd yan, arartö kä yigdifd
yan.
15 7) Harämi ’oru tak har'öh
ihakib wö-Härtum hay ibe.
Harämi bali ist galaytö-li yu-
norobotd Kdrtumil yaddy yan.
Die Bedauye-Spraclie in Nordost-Afrika. I.
61
8) Ö-Sök 'ar yi'abik, e-liisya
hö ihe, Madlnäb istöb, 5-rBu
kassöh istöb.
9) Sari amnäb isSne, Jidri
5 Saräf ’ör tö-takat elthän, ö-reü
dehäy elkik, ö-dlidy o-riü kassöli
ihe, anhabyay Madlnäb istöb
'aSab.
Saüäliin heyau-lcü aräh.-ad
tdn garüdä täna yibild, ak bl-
Sitd yan, ay inkö bay mal Ma-
dinä dkä yohöy yan.
Amvdl zabdna Sarräf bali
galdntä yaltd orobd yan, ayk
sardl Madinä ta yikhenä yan,
umbakä bälö-kö baysdm al-isä
wdqtil Madinä dkä bähd yan.
1) Saraf’s son bestig seine kamelstute, zog fort und ver
reiste.
2) Er war liebhaber einer frau, dieser brachte er was er
geschlachtet hatte, auch die milch die er molk.
3) Er bestig also sein kamel, reiste ab und kam nach
Kassala.
4) Hier kam er in ein gefeclit, aber kein krieger war
im gewachsen.
5) Auch die Stadt Berber versetzte er in angst und alle
Soldaten fürchteten in.
6) Er tötete einen reiter mittelst eines Schusses und nam
im seine habe.
7) Mit einem mann der hinter im auf dem kamele sass,
zog er nach Chartum.
8) Leute von Suakin fiel er an, nam inen die Sklaven
und brachte diese und alle habe der Madina.
9) Ehemals war er ein bettler, als er aber Madina lieb
gewann, da brachte er nachts dieser alle habe zu, welche die
leute verloren oder die er erbeutet hatte.
7.
Mohammed.
1) Hdmmed Bembay ehe, aröb Mohammed Bombay gdla, ed
10 ihdy ehe, sänya, hay yi'agar yaddym jalabä kini, yamegd ist
eya. jalabä gähd yan.
2) BShör Suguträb Eya, häs Sugutriyä akdn bädal yametd
ye'amadmt ehirsyän, ö-bhsri yan, gabdd barre-kö endä bähani
wö-hissay efira'nit tln ehirsyän. Ica yaybuluwin yan.
62
III. Abhandlung: lteinisch.
3) HamaSdy: »u-tinun, u-bhtr
iin behir Suguträy« ine.
4) Jeddäb iya, wö-'aröh ne-
jelya, ibäbya.
5 5) O-Sök emhäküel mersäy
däsya, wö-’öröh ö-bhir egid, yi-
is gigya.
6) Haüläb wü-öruh ihäne-
dhäy, dro yakisya, Jeddäb iya,
10 aröb uwir, ibäbya.
A
7) O-bäbay dehäy iya. ü-bäba
yakyäyt: »wü-ar ün äö?« ine.
8) »Wö-'örök« en. liihäb ged-
yay, ismare ü-boba.
Mohammed, gänni: »el nana
bäd ka endä Sugutrd kini« ya-
lehä yan.
Jedd.ä alcdn bäl6 güfd, ist ja-
labä adddd ak yand ninvä yi-
nizild, yaseferd yan.
Saüälcin irö endd bädal ya-
metd yan, i§i bdlä bädad ’aydd,
isi ak yaddy yan.
Egida mära-yindnkö loili ja-
labä kä gaytd, ka tuyqu'd,
Jeddal kä bäytd yan, törlci ja-
labä sirähdk sardl yaddy yan.
Is dbbal yametd yan, dbbä
ggütd yan: »täy jalabä ajz ja-
labä?« yalehd yan.
y>Kü bald kln« ak yalehdn
yan. lühä bädad ’aydd yan ay
halt, dbbä bädkö yasketd yan.
1) Mohammed reiste nach Bombay, er nam ein schiff und
reiste dahin; dort belud er wider das schiff und kerte zurück.
2) Er kam ins meer von Sokotra. Da zogen sie sand und
schlämm aus dem meer und zeigten das im.
3) Der halbhlinde Mohammed sagte: »Dieser schlämm,
dieses meer das gehört zum meer von Sokotra.«
4) Er kam dann nach Dschedda, entlud das schiff und
reiste ab.
5) Im äusseren hafen von Suakin legte er dann wider an,
da warf er seinen son ins meer und für dann ab.
6) Nachdem sein son ein jar gebliben war, nam in ein
schiff auf, er kam nach Dschedda, erwarb sich da ein schiff
und für ab.
7) Er kam dann zu seinem vater; dieser erhob sich und
fragte: »wem gehört dieses schiff?«
8) »Dein son ist ja da« erwiderte man; da warf der son
die Stangen ins meer, der vater aber liess sie auflesen.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. I.
63
8.
Der löwentöter.
1) E-b'dSe tö-näy edir, iou
änküdna dehä iya, e-b'dse edir,
ina.
2) Wu hddda &ya, e-S’a gäl
5 edir, mehdy-t yina e-Sd' wu-än-
küdna ihdro, ivö-hädda imire,
der dt irib, mderdyna wö-had,
U-raü edir ö-tdk.
3) Andüh iharün, dya ime-
10 rim. ivö-hadday ebina, iherun
ay-t yina, imerün. mderaräyna
wö-hddda, fadig tamän däb eddr,
gäl tak Bya; ün ü-tdk ngalälay
wö-kadd' edir.
Wakari läh yigdifd yan, ta
wannt el yametd yan, wakari
ta yigdifd yan.
Lubäk inki sagd yigdifd yan,
adohä lald' ay sagä ta loanni
gäroniSä yan, lubäk dkä gardy
yan, kä yagdafö tänd yan, ag-
ddfö yd-ged aki lubäk yigdifd
yan ay heyaütö.
Kä dik kä gärönisdn yan, kä
bddenä tdnak sügä yan. ay lu
bäk kä ibad yaddyn yan kaünä
lald', amäyk sardl tdna gardy
yan. Nagdaföna ydn-ged moro-
töm yingidifin yan, inki gähd
yan; ay inki heyauti lubäk kä
yigdifd yan.
1) Der seliakal tötete eine zige, der eigentümer kam dazu
und tötete den Schakal.
2) Der löwe kam und tötete eine kuh, der eigentümer
suchte sie drei tage, da traf er den löwen, konnte in aber
nicht töten; denn als er daran war, denselben zu töten, da
tötete in seihst ein anderer löwe.
3) Seine leute suchten in, fanden in aber tot. Sie folgten
nun der fussspur des löwen fünf tage hindurch und fanden
dann den löwen. Wie sie aber daran waren den löwen zu er
legen, wurden vierzig mann getötet, ein einziger entkam; dieser
nun tötete den löwen.
9.
Irrfarten eines mannes.
15 1) El-mirkab wü-angelisi de-
hdy ihdy, hay ibäbya; ü-dhdy
ay-§e wa dsa-rdma tamün däba,
en.
Will ingillsä mdrkebil heyaü
kördn, yaseferdn yan; heyaü-liö
kaünä hol ka malehin tömän
kl yinin yan.
5
10
15
20
25
30
35
64
IO. Abhandlung: Keinisch.
2) Behir dulumät hay ebin,
behir dulumäti ydkyän ban-el-
keläb hay ebin, dum'ära hardüa.
3) Se'äb emmirkab Sand.be
ban-el-keläbi yi'dgaren iyan, tä
gig liaüläb ihenidhäy behir du
lumät iyän.
4) E-S'a gedyän, ä-s'a enhad-
nidhay ö-dhdy tdk-kä sa'ätlb
igedna, igedna, igedna-höb tiyöt
tiha.
5) Balc ü-dhäy enhddna, astm-
hdy tamun bdka, ü-dhäy ü-
rdü enhddna.
6) Malyäb asimhäy tamün
gedyan, gäl tak engad, ü-dhdiy
ü-rdü enhddna.
7) U-tdk wü-engad ö-dägel
rewya, ö-termäni-ki isd', behir
Suguträte efir ine, ö-rebäb
amordm ine.
8) U-tdk ün iya, tälcüiya,
ö-mirkab yi'is gigya.
9) Tdgii ay hdüla säkya, tä-
gii asaramdy Mdssir iya, Mas-
sirib isd', Mdssir eydn-höb ben-
töy isni.
10) Massirib hauel ihanidhäy
Suwis iya.
11) Suwesi aröb yi'dm, wö-
aröy 'örüh ife, ivö-'öröh kikan;
endäwayöh yakyanidhäy takdt
d'eräbe, Jiddäb iya.
12) O-Sök iya; ö-gaüöh süm-
ydn-höb wü-örüh han Sümya,
malyäb tö-takatöh, ivö-'öröh
imire.
Magäribü bädal yaddyn yan,
törke-kö ogütani karä bälöl ya-
ddyn yan dahdb gäröniSÖna.
Mdrkebil lä ardnik sardl ka
rä bälöhö gähdn yan, lammä
tdnnä egidä märdnik sardl ma-
gäribä bädal yametin yan.
Lä bädal öbisdn yan, lä ba-
kitdk sardl heyaü öbisdn yan,
ummän sä’ inki heyaütö öbisdn
yan, nabd ’azäytö hä betd yan.
Ahe heyaü bakitdn yan bahdr
tömän hinim, aki heyaü inkö
bakitdn yan.
Ayk sardl bahdr tömän öbi
sdn yan, inki heyaüti rad
yan.
Ay ra d heyaüti dakdl gähd,
törmän bukdl dafdy yan, Sugu-
trä akdn bäd-kö balak alähö,
kömal adäwö yalehd yan.
El yametdk sardl hälitd yan,
märkeb liäbd, iii ak yaddy yan.
Lammä tdnnä ha kann egidä
yaseferd yan, lammä tdnnä ka
malehdn ya egida Maser yametd,
dafdy ydn.
Törkil egidä märdk sardl Sü-
wes akdn dikil yametd yan.
Törkil jalabä gähd yan, ay
jalabä adddl kä bali sügd yan,
ay ist bälä söld yan; ist dik-kö
ogütd-ged mar'esitd yan, ayk
sardl Jiddä akdn dikil yaddy
yan.
Saüäkin akdn dikil yametd
yan; iSi 'äred sdy-ged kä bali
say yan, amä-ged kä nümä, kä
bali dkä sügdn yan.
Die Bcdauye-Sprache in Nordost-Afrika. I.
65
13) Kassäh ferhäba; ü-tak TJmbakä hadendn yan; ay hey-
ün to taglydytlb dum'äräb ibire, aüti isi qöfiydtil dahdb bähd yan,
gdbya, huläb es'inin, en. rohös yaka yan, inkö mär an yan.
1) Leute bestigen ein englisches schiff und reisten ab,
fünfhundert und sibenzig mann befanden sich auf dem schiffe.
2) Sie furen ins abendländische meer und von da be
gaben sie sich nach dem land der hunde, um dort gold zu
suchen.
3) Sie namen kühe an bord und furen ins hundeland
und nachdem sie da zwanzig jare gebliben waren, kamen sie
wider ins abendländische meer.
4) [In gefar vor einem grossen tisch] warfen sie vih
ins meer und als dieses ausging, so warfen sie leute hinein,
jede stunde warfen sie einen mann hinein und diesen frass
der fisch.
5) So kamen die leute ums leben bis auf achtzig mann,
alle übrigen waren umgekommen.
6) Darnach warf man auch die achtzig mann hinein,
nur ein einziger blib noch zurück.
7) Dieser eine mann stig auf den mastbaum, setzte sich
auf die querstange und sprach: »bei Sokotra steige ich aus
und gehe dort auf den berg.«
8) Er kam nun dort an, sprang ab, verliess das schiff
und ging.
9) Fünf und zwanzig jare war er schon auf der reise,
im siben und zwanzigsten kam er nach Kairo und blib daselbst.
10) Als er sich in Kairo ein jar lang aufgehalten hatte,
kam er nach Suez.
11) In Suez bestig er ein schiff und auf diesem befand
sich sein son, er aber kannte denselben nicht. Als er nemlich
seine reise antrat, da hatte er eben geheiratet und ging dann
nach Dschedda.
12) Er kam also endlich wider nach Suakin und wie er
sein haus betrat, da traf er da sein weib und seinen son.
13) Alle freuten sich nun; der mann hatte in seiner
kappe etwas gold, er war also reich und so bliben sie denn bei
sammen.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXVIII. Bd. 3. Abh.
5
66
III. Abhandlung: Re in i sch.
10.
Drei reisende. 1
1) Wö-'dSo mliäy da dehä
ehdyn e-garbi yäkyän e-sarik
Sy an, mehdy tamun asodiyt asö-
dyti dehäy-ka mehdy da ifen,
5 e-gdrbi e-sarik fcyän.
2) Malaik emdlhäna mdrkab
'aSäy dör vi'asäs: »näntay e’g-
tän ?« ena.
■ 3) »Wö-har 'on rdtana/« ena.
10 4) »Näntay ydktüna?« Sna.
5) »E-gdrbi ydkina, e-sarik
ni.be; ö-bher ün yakset irrib,
beh&r dulumdt nestöbe, e-dhäy,
e-dhäy nerküe« ena.
15 6) E-merkab e’asiü räjyäy:
»insibua han, jinnibua?« ine.
7) Barüh yakydy: »insiba«
ine, »wü-häber wö-lidr'i näy cjeb
sfe« ine.
'•io 8) E-betkeb dehäy eya: »nän
tay i'ta?« ine.
9) » Wü-häber wö'-harinäy geh
ife« ine.
10) Wü-hdr'i ydkya: »wö-
25 haben ahdr ehi« ine.
Azäyti bukdk adöhä heyaiiti
ak gähdn, gdrib-kö sdriqfän ya-
ddyn yan, sazzäm azatiyak um-
män azäytö adöh adöh ak gäha-
ni, gdrib-kö Sdriq fän yaddyn
yan.
Maläykü tan dfad adi mdr
kab al-'isä ivdqt.il akä garaytd
yan: »aulakö tametini?« ak ya
lehdn yan.
»Esera saratiya!« ak y dehdn
yan.
»Aulakö ogüttan?« ak yale
hdn yan.
»Qgünnd megäribakö muSäri-
qal adi nand; tä bäd ni tänd-
ged bäher dulumdt fän adi na
nd , heyäiva tä azä tasiydnkö
masinna« yalehdn yan.
Mdrkab akä garaytd-ged: »in-
si kltini, ginhi kltini?« t.a esertd
ydn.
Ay azä’k bukd yandti ogütdti:
»ginni mäkiyö, insi kiyo, wäre
saratiya eserdrita!« yalehd yan.
Fantitiyä eserdn: »aulakö ta-
meta?« yani yalehdn yan.
»Wäre saratiya esera!« ak
yalehdn yan.
Sarati: »wärt abaysimd« ak
yalehd yan.
1 Trotz weitern ausfragens gelang es mir nicht, zum genauen verständniss
dieses Stückes zu gelangen; der erzäler hatte keine andere antwort als:
»so war die geschickte, nun genug.«
Die Bedauye-Spraclio in Nordost-Afrika. I.
67
1) Auf einen fisch setzten sich drei mann, brachen auf im
westen und furen gegen osten. Von dreissig fischen setzten sich
stets auf einen fisch die drei mann und kamen von west nach ost.
2) Engel zogen vor diesen dahin und denen begegnete bei
einbruch der nacht ein schiff und fragte sie: »woher kommt ir?«
3) »Fragt nur die hinter uns!« erwiderten sie.
4) »Von wo seid ir aufgebrochen?« fragte man sie.
5) Diese antworteten: »wir brachen auf im westen und
ziehen nach osten; dieses meer da will uns nicht aufkommen
lassen, wir geleiten die männer vom westmeer her und wir
fürchten die menschen.«
6) Das begegnende schiff fragte dann: »seid ir menschen
oder dämonen?«
7) Da erhob sich einer und sprach: »menschen sind wir,
weitere auslcunft erhält man bei dem hintermann.«
8) Der mittere mann kam heran und man fragte den
selben: »woher kommst du?«
9) Dieser erwiderte: »auskunft erhält man bei dem
hintermann.«
10) Der hintermann erhob sich und sprach: »auskunft
gibt ein rückwärtiger.«
11.
Der schakal und der rabe.
1) Beeise ivä küiküay (küiu-
kay) hldäb esnin, en.
2} E-be'dse te-m'äre wö-'aüi
dehd efif: »hldedäb tdmi niydd«
5 yine.
3) O-küiküay bl-gadrayek ü-
be'dse te-m'äre tbiye tdmya.
4) Malyäb o-küiküay dife ha-
sya, wö-h&bi dShä efif, täma!
10 yßne.
5) E-be'die bl-gadrayek ö-küi-
küay te-dife ebiye tdmya.
Wakari lea käköyti inkö mä-
rak yinin yan.
Wakari zlbö däy bukdl häldd
yan: »inkö bennö« ak talehd
yan käköytak.
Ay käköyti betö tänd-ged, ay
wakari tä zlbö i§ö bettd yan.
Amdyk sardl ay käköyti fähsö
bälöd häld yan: »tä bet!« ak
yalehd yan.
Wakari ay bettö täntd-ged ay
käköyti ay fähsö isö betd yan.
1) Ein schakal und ein rabe hausten beisammen.
2) Der schakal goss suppe über einen stein aus und sprach
zum raben: »wir werden nun die zusammen essen.«
5*
68
III. Abhandlung: Heiniscli.
3) Da der rabe (mit seinem Schnabel suppe vom stein)
nicht essen konnte, so ass der schakal die suppe selbst.
4) Hierauf brachte der rabe nun belila herbei, schüttete
dieselbe auf den sand aus und sprach: »da iss!«
5) Da der schakal dies nicht vermochte, so ass der rabe
selbst die belila.
12.
Die mäuse.
1) Ü-gubb mandalät 1 ibire,
takati dha Sya.
2) Deläb efirik, endäiva wö-
hdrro oghdr, ü-deläy ede.
5 3) Gubb iver ife, däwäb og-
hdr, liarröb hü ihi, loü-hdrro
ö-raüi dehäy Sya, mallioyäli
Sank iba.
4) Takdt tife, tü-takdt tun
10 düta. amasinga tö-takati dha
sya, füfya, e-dambi betik Sümya,
tdmya, yi’is gigya.
5) Tü-takat ü-mha mehyan-
höb wö-adöh teSbib, wö-adöh
1 r> tdmama rihita.
6) Wö-haüäd ö-raü ü-gübb
Sya, tü-takdt ö-takyöh geb düta.
A
7) U-gübb ö-taki mid fufyäyt
tdmya, ü-mha mheydn-höb yi’is
20 gigya.
8) Wö-haiiäd ö-raü oguädna,
tü-takdt ü-tak wä ogffddna, o-
güäyna.
Andäwä tinä yan, will jaiois
lik tinä yan, ay andäwä numnl
tamßtä yan.
Ay andäwä dik gar'itä, ilaü
bodöd, haytä yan.
AM andäwä tinä yan, lei dik
gar'itä yan, ay ilaü isi kahan-
töll kin andäwäl bäytä yan,
lammi sirgä bä'il ki yinin yan.
Will numä tinä yan, ay nu-
mä dlntä yan. bärak abla ay
nümäl tametä yan, fuf ta, lam-
mä ldki fänad zaytä, ta bus
füf ta, bettd, tadäy yan.
Ay nümä bald mäytd-ged ist
bus tubilä yan, ist bus betimtäm
isek tubilä yan.
Malammi bär ay andäwä ta
metä yan, ay nümä isi bä'eli
agägal dina süktä yan.
Ay andäwä bä'eli dagümä fuf
ak ta bettä yan, dahine isi ak
tadäy yan.
Malammi bär tan bettäm ya-
lagöna andagülta hinim dinän
yan, ilälani waynik sardl dinän
yan.
1 Wörtlich: eine wache; der sinn ist nur: eine vorneme maus (der als
solcher ein kawass zur Verfügung stand).
I)io Bedauye-Spraclie in Nordost-Afrika. I.
69
9) KSrümdb dShdy ü-gübb Sya,
tö-takät 'ad tdmya, yi'is gigya,
ö-raü übe, wö-hdber ihe.
10) Tö-fädiga titdy dehdy
5 Sy an, ü-ngäl tö-tähati ragdd
fufydy tdmya, ii-raü ö-tdki mid
tdmya.
11) U-mha mheydn-höb, er-
hiyän-köb an gübba - ddbyän
10 ilii.na.
Subhi ivdqti ussün dindnik
sardl ay andäwd tametd yan,
ay niimd ta bettd, iss alc taddy,
ist dobäytöl taddy, abtdm alc
icärissä yan.
Mäfäri bär ay lammd andä-
■wd nümd ka bä'elal yametin
yan, wilUyä niimd ldkal fuf ta,
numd lak bettd ydn, wilityä
bä'eli dagümä bettd yan.
Bald mäxtd-ged, ussün yiibi-
linin sardl ay dndäiv küdän
yan.
1) Die maus hatte einen kawasä und kam zu einer frau.
2) Diese maus grub auch eine grübe, stal dann getreide
von leuten und legte es in diese grübe.
3) Da war ferner eine andere maus, auch sie bcstal die
Ortschaft und nam von da getreide, dieses wanderte zu irem
freunde, denn sie beide waren verbündete.
4) Es war also eine frau, diese nun schlief. Bei nacht
kam nun die maus zur frau, blies sie an, schlüpfte dann zwischen
deren beine, frass da, verliess sie dann und ging von dannen.
5) Als es morgen geworden war, besichtigte die frau irc
blüsse und fand sie angefressen.
6) In der zweiten nacht kam die maus abermals und da
schlief die frau neben irem gatten.
7) Die maus blies nun des mannes blösse an und frass;
am morgen verliess sie denselben und ging fort.
8) In der folgenden nacht wachten sie, die frau und der
gatte, wurden aber dann ermüdet.
9) Gegen morgen kam die maus, frass die blösse der frau
an, ging dann fort zu irem genossen und brachte im künde.
10) In der vierten nacht kamen sie abermals dahin, die
eine maus blies das bein der frau an und frass davon, die
andere aber frass an des gatten blösse.
11) Als es morgen geworden und die beiden leute das
geschehene erschaut hatten, waren die mäuse schon fort.
5
10
15
20
25
70
III. Abhandlung: Reinisch.
13.
Sätze zum numerale.
Hadendäwa.
1) Bäbe tamna-mhdy 'ar ibi-
re; ivö-äivweli Yagüb e'edna, ö-
räü Yusäf e'edna, ö-mhdya Is
mail e'edna, ö-fddlga Sultan
e'edna, ivö-dya 'Omar e'edna,
wö-asägüra Sükrib e'edna, ivö-
dsardma Adam e'edna, wö-asim-
ha Hissen e’edna, wö-assddiga
Ilummad e'edna, ö-tdmna Ha-
mud e'edna, ö-tamna-güra 'Alib
e'edna, ö-tamna-mdlya Eddin
e'edna, ö-tdmna-mhdya Jöha e'
edna; an tamna-mhdy kassäh
sanäba, bäbye 'ära.
2) Tü-jim'a asaramät ylnät
ebdre: tü-äwweli sdbte, tü-räu
hddde, tü-mhdya litninte, tü-fd-
diga talatäte, tü-dya erbäte, tii-
asdgüra hamiste, tü-dsa-rdma
gim'äte.
3) Tö-yln-tön gäl dör i'an-
hök.
Tö-yln-tön malö döra i'an-
hök.
Tö-yln-tön m&häy döra i'an-
hök.
Tö-yln-tön fadig döra i'an-
hok.
Tö-yln-tön ay döra i’an-hök.
Beni-Amer.
1) Bahn tdmina-möhäy 'ar
ibire: ö-sürkena Yä'küb iyddna,
ö-mdlya Ytisif iyddna, ö-mhdya
Ismail iyddna, ö-fddiga Sultan
iyddna, wö-dya 'Omar iyddna,
wö-asägüra Sükri iyddna, wö-
dsa-rdma Adam iyddna, ivö-a-
sümha Hissen iyddna, wö-assd-
diga Ilummad iyddna, ö-tämina
Hamüd iyddna, ö-tdmmd-gura
'Alib iyddna, ö-tdmina-malya
Eddin iyddna, ö-tamina-mhäya
Jauliäb iyddna; an tdmina-mhdy
kassäs sanäba, bäbyo ’dra.
2) Tü-jm'a asaramät ylnät
ebdre: ü-mbi wü-dwweli sab, v-
mbi ü-mdlya had, ü-mhdya et-
nin, ü-fädiga taläta, wü-dya
erbä', wü-asagüra hamis, wü-
asardma jim’ät.
3) Tö-'lntlb gär ragdd yi'an-
höka.
Tö-'intlb malö rdgada yi'an-
höka.
Tö-'intlb mehäy rdgada yi'an-
höka.
Tö-'intlb fadig rdgada yi'an-
höka.
Tö-'intlb ay rdgada yi'an-
höka.
Die Bedauye-Spraclie in Nordost-Afrika. I.
71
13.
Sätze zum numerale.
Salio.
Y' dbbä addhän ha tammän
däylö lik yma; eldl halt kä mi-
gä' Yd'qöb yalehan, malammi hä
miga' Yösif ydleJum, mädahiti
hä miga Ismä'il yalehan, mäfä-
ri ball hä miga' Sultan yan, ma-
hawäniti hä miga 'Omar yan,
lih yd halt Sükri ha miga yan,
malehdn ya-ti hä miga Adam
yan, bahdr ya-ti Hissen hä mi
ga yan, sagdl ya-ti hä miga'
Humad yan, tammän ya-ti hä
miga H. yan, inikän ha tammän
ya ball hä miga ’A. yan, lam-
män ha tammän ya-ti hä miga'
E. yan, adähdn ha tammän ya-
ti hä miga' J. yan; täy inhö sd'-
ül kinön.
Bahurö lald'-hö malehdn la:
eldl lala' endä sämbat, malammi
lala' nabd sämbat kini, mädahi
lala' sani, mäfäriti zalüs Jcini,
makawani lala' robu kini, Uli
ya lala' hamüs, malehdn ya-ti
güma'ät kini.
■ Käfü and inki-ged hol a-
meta.
Kdfä and lammä ged köl a-
meta.
Kdfä and adähd ged köl a-
meta.
Kdfä and afärä ged köl a-
meta.
Kdfä and kaunä ged köl a-
meta.
Deutsch.
Mein vater hatte dreizehn
süne: der älteste ldess Jakob,
der zweite liiess Josef, der drit
te son hiess Ismael, den vierten
nannte man Sultan, den fünften
hiess man Omar, den sechsten
son nannte man Schukri, den
siebenten nannte man Adam,
den achten nannte man Hissen,
den neunten nannte man Mo
hammed, den zehnten nannte
man Mahmud, den eilften aber
Ali, den zwölften nannte man
Eddin und den dreizehnten
Dschauha; alle diese dreizehn
waren brüder und die söne
meines Vaters.
Die woche hat siben tage:
der erste tag ist der samstag,
der zweite ist der sonntag, der
dritte ist der montag, der vier
te dienstag, der fünfte mitt-
woch, der sechste donnerstag,
und der sibcnto ist der freitag.
Ich kam heute einmal zu dir.
Ich kam heute zweimal zu
dir.
Ich kam heute dreimal zu
dir.
Ich kam heute viermal zu
dir.
Ich kam heute fünfmal zu
dir.
72
III. Abhandlung: Reinisch.
Hadendäwa.
Tö-yln-tön asägür döra i'an-
höJc.
Tö-yln-tön asardma döra i'an-
hök.
5 Tö-yln-tön asömhi xodkta ian-
hök.
Tö-yln-tön äSSadig wdkta i'an-
Inök.
Tö-yln-tön tamin wdkta i'an-
10 hök.
4) Baride massi Mesuwöb te-
fiyaf f
5) Ana massi ben-tön-i kä-ha.
6) Ane malö-ti müsse Jiddäy
15 iß.
7) Barik mdlya dör intöni
tefiya.
8) Barüh massi Massirib iß?
9) Barüh mehdy haüläb, dy-
■20 ti tergät, tamin-t ylnät bintön
iß.
10) Ane engät (engäl-t, und
engäl-ti) massit-wä teräb-wä ö-
Sökib asd\
•25 11) Barähna (barüh) fadig-t
müsse, asägür-ti terga, asiadig-t
ylnät ö-Söki esnin.
12) Ane engäl kenn, malö ha-
täy, mehdy saa, fadig-t dno,
30 ay anö-t ’ar äbare.
Beni-Amer.
Tö-intib asagür rdgada yi'an-
höka.
Tö-intlb asardma rdgada yi-
an-höka.
Tö-intlb asimhay rdgada yi-
an-höka.
Tö-intib assadig rdgada yi-
an-höka.
Tö-intib tamin rdgada yi'an-
höka.
Barük massi Mesuwib tifiya f
Ani massi bin-töy kä-ha.
Ani malö-t müsse Jiddäy iß.
Barük mdlya dör intöy tifi
ya.
Barüs mdssi Massirib iß?
Barns melidy-ti müsse, ay ter-
gät, tamün-t ylnät bintöy iß.
Ani engäl haüläb-wä, teräb-
wä ö-S6ki asd' (oder dseni).
Baräsna (baräs) fadig haü-
läb, asagür-t tergät, aSSadig-t
ylnät ö-Sökib isnin.
Ani gäl kam, malö hatdy,'
mehdy saa, fadigt argina, ay-t
rengenit äbare.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. I.
73
Salio.
Kdfä anü lehä ged köl ameta.
Käfä anü malehand ged köl
ameta.
Kdfä anü bahärä ged köl
ameta.
Kdfä anü sagalä ged köl a-
meta.
Käfä anü tammänd ged köl
ameta.
Atu ivili wagte Masuw'dl ki-
tö-hö ?
Anü abadä törköl mä-kiyö.
Anü lammä egida Jiddal
mära.
Atü malammi ged tärkel ki-
nitö.
Ussük toili qed Mdsseril kini-
hö?
r r t
Ussük adoha egula, kann dl-
zä, tammänd lala' törkel mära.
Anü inki egidä ka egid' ablä
Sawäkiml dafdy.
"Ussün afärd egidä, UK dlzä,
sagalä lala' Sawäkiml dafdyna.
Anü inki gäldytö, lammä fa-
rds, aduhä sagä, afärd aydö,
kaünd aydö bald liyö.
Deutsch.
Ich kam heute sechsmal zu
dir.
Ich kam heute sibehmal zu
dir.
Ich kam heute achtmal zu
dir.
Ich kam heute neunmal zu
dir.
Ich kam heute zehnmal zu
dir.
Warst du jemals in Mas-
saua?
Ich war niemals dort.
Ich war zwei jare in Dsclied-
da.
Du warst das zweite mal
schon hier.
War er jemals in Kairo?
Er war dort drei jare, fünf
monate und zehn tage.
Ich hielt mich auf in Suakin
ein und ein halbes jar.
Sie bliben vier jare, sechs
monate und neun tage in Sua
kin.
Ich besitze ein kamel, zwei
pferde, drei külie, vier schafe
und fünf lämmer.
74
III. AM.: Reiniscli. Die Bedauye-Spraclie in Nordost-Afrika. I.
Inhaltsverzeiclmiss.
Seite
Vorrede 1
I. Erzälungen im idiom der Beni-Amer in Barka 5
1) Ein reumütiger siinder —
2) Der taube, der blinde, der lame und der kalköpfige —
3) Ein feigling ß
4) Unehlige kinder gedeihen nicht 7
5) Erlebnisse eines Scheck 8
6) Der son eines scliech (Ursprung der Hadendäwa) 11
7) List eines mädchens .... Iß
8) Der esel und das kalb 19
9) Der schakal und das lamm 24
10) Der schakal und das zicklein
11) Die maus, der froscli und die eidechse 25
12) Die eidechse und der Scheck 28
13) Die schlänge und der zigenhirt 29
14) Sätze und redensarten 30
II. Gespräche und sätze im idiom der Halenga 44
III. Erzälungen im idiom der Hadendäwa 55
1) Omar
2) Zwei beiden
3) Martad pascha gß
4) Die tochter des Sultans 57
5) Die dummen eheleute 58
6) Saraf s son
7) Mohammed . ß]
8) Der löwentöter ß3
9) Irrfarten eines mannes
10) Drei reisende ßg
11) Der schakal und der rabe ß7
12) Die mause ß8
13) Sätze zum numerale (der Hadendäwa und der Beni-Amer) . . 70
IV. Abhandlung: Tomaschek. Die alten Thraker. I.
l
IV.
Die alten Thraker.
Eine ethnologische Untersuchung
von
Wilhelm Tomaschek,
corresp. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
I.
Uebersiclit der Stämme.
Vom Pyrenäenwall bis zur Indusbeuge zieht sieb ein
Berggürtel dahin, welchen die geologischen und tektonischen
Verhältnisse, sowie der mediterrane Charakter der Vegetation
zu einer Einheit gestalten; nordwärts breiten sich niedrige
Massengebirge, waldige und sumpfige Flächen, endlich Steppen
aus; gegen Süden lehnt sich an das Mittelmeer eine Reihe
regenarmer Wüstenstriche an, und nur das Nildelta, die syrische
Küste und Mesopotamien bieten alle Vorbedingungen zur Ent
wickelung einer höheren Cultur. Zwischen diesen weiten
Räumen, worin Gleichförmigkeit herrscht, erhebt sich jener
eurasische Berggürtel, welcher eigenartige Entwickelung,
Mannigfaltigkeit und Abgeschlossenheit befördert — dies gilt
auch in ethnischer Hinsicht. Im Gegensatz zum Wüstengürtel,
welchen die aus einem Urstock entsprungene hamitische und
semitische Völkerwelt innehatte, und zur Nordseite, entlang
welcher sich einerseits Indogermanen, anderseits gleichartige
Mongolo'iden gelagert hatten, bildete der Berg- und Hochlands
gürtel das Erbe einer langen Reihe von Urvölkern, die zwar
in leiblicher Hinsicht durch die Eigenschaften der ,kaukasischen*
Rasse zu einem Ganzen verknüpft waren, in der Sprechweise
jedoch die erstaunlichste Mannigfaltigkeit aufwiesen und in
eine grosse Zahl von isolirten Gruppen zerfielen, denen Nichts
gemeinsam war als höchstens der Charakter flexivischer Com-
plicirtheit.
Sitzungsber. d. pbil.-bist. CI. CXXVIII. Bd. 4. Abb.
1
2
IV. Abhandlung: Tomaschck.
Dieser langgestreckte Völkergürtel ward zu verschiedenen
Zeiten durch die Wanderungen der Nordvölker durchbrochen
und bis auf spärliche Bruclitheile zertrümmert: in der Gegenwart
besitzen nur noch die Pyrenäen im äussersten Westen, der hohe
Zug des Kaukasus in der Mitte, und das versteckte Hochthal
von Hunza-Nagir an der Grenze der monosyllabischen Sprach-
welt, die letzten schwachen Ueberreste jener Völkerreihe; die
drei südlichen Halbinseln Europa’s, ferner Kleinasien sammt
dem armenischen Hochlande, der Alburz und Zagros, der Hin
dukusch und das Pamirplateau, haben durchweg nordische
Volksthümer erhalten. Ja, bereits an der Schwelle clor ge
schichtlichen Zeit, haben die Arier, das östlichste Glied der
voreinst eine zusammenhängende und geschlossene Masse dar
stellenden Indogermanen, den eurasischen Bergzug überschritten
und an der Seite der allophylen Südvölker eine neue Heimath
gefunden, welche viele Jahrhunderte später wiederum von
mongoloidischen Nordvölkern ständig bedroht werden sollte.
Ausser Hellas, dem Sitze lclegischer und vom Orient be
einflusster pelasgischer Völker, finden wir namentlich Kleinasien
von einer dichtgeschlossenen fremdartigen Völkermasse besetzt.
Wie im Kaukasus, so gab es hier zahlreiche mehr oder minder
rohe oder durch die Cultur Mesopotamiens und Aegyptens be
einflusste Bergstämme, welche sich untereinander bekämpfen und
verschieben mochten, in die Geschicke der Nachbarländer jedoch
selten dauernd eingriffen; wenn sie sich ausnahmsweise zu grossen
Unternehmungen einigten, so geschah dies gegen Syrien, Cypern
und das reiche Nildelta, nicht gegen das europäische Nordland,
die Heimath physisch überlegener Völker, deren Rolle stets
eine active war. Die prähistorische und linguistische Forschung
hat die Bedeutung Europa’s, als einer Heimstätte urkräftiger
Völker, dargethan; mögen sich auch zur Bildung der Indo
germanen oder, wie man sie jetzt nennen will, der Ario-Tcuten,
verschiedene Rassentypen aus Süd und Ost zusammengefunden
haben — die Sprachen selbst weisen mit Entschiedenheit auf
einen europäischen Ursprung. Hatte aber einmal ein nordisches
Volk den Weg in die allopliyle kleinasiatische Region gefunden,
so blieb es daselbst und ward allmälig der Kraft verlustig,
Rückstösse in die alte Heimath auszuüben. Wanderzüge aus
Europa über den Bosporus oder über den kaspischen Ufersaum
Dio alten Thraker. 1.
3
nacli Iran werden nns stets naturgemässer erscheinen müssen,
als solche in umgekehrter Richtung. Die späteren Invasionen
der arabischen Glaubenskämpfer bilden eine, aus dem Zu
sammentreffen überaus günstiger Zustände erklärliche Aus
nahme; und, was die Türken betrifft, so gehören diese zu den
nordischen Völkern, und ihre Wanderung wird durch fort
laufende Sporaden türkischer Stämme bis zum Altai bezeichnet,
während solche Spuren für die angebliche Auswanderung von
Indogermanen aus dem Süden gänzlich fehlen. Ein im kili-
kischen Antitaurus gesprochener neugriechischer Mischdialekt
soll angeblich uralte indogermanische Sprachreste enthalten; die
betreffenden Wörter sind aber aus den Nachbar sprachen ent
lehnt und der Rest gar nicht indogermanisch, wie beispielsweise
die Zahlwörter lingir 6, tatli 7, matli 8, danjar oder tsankar 9
— offenbare Uebcrblcibsel der uralten kappadokischen Sprech
weise !
Aber die Armenier und Phrygen sollen aus dem Osten
gekommen sein und in Kleinasien zurückgebliebene Reste der
indogermanischen Wandervölker darstellcn! Sehen wir jedoch
genauer zu, so ergibt sich uns gerade das Gegentheil. Wenn
die armenische Nation zu der indogermanischen Familie ge
rechnet wird, so geschieht dies auf Grund ihrer Sprache,
welche namentlich in der verbalen Flexion wichtige indo
germanische Erbgüter, wie das Augment und den Aorist, be
wahrt hat; auch im Wortvorrath findet sich trotz starker
Ueberwucherung durch fremde Elemente ein stattlicher Procent
satz alten Gutes. Im Ganzen jedoch gehört das Armenische
zu den stärker entarteten Schwestern der Familie; das Laut
system zeigt eine merkwürdige Mischung mitgebrachter ost
europäischer Charaktere mit der Pronunciation, wie sie bei den
kleinasiatischen Urvölkern vorausgesetzt wird und thatsächlich
noch bei den südkaukasischen Aboriginern auftritt — jeder
armenische Text kann ebenso gut mit den Buchstaben des
georgischen Alphabets geschrieben werden! Offenbar haben
sich die Armenier auf ihrer schrittweisen Vorschiebung über
die nördlichen Striche Kleinasiens viel fremdes Sprachgut und
schliesslich auf alarodischem Boden die orale Disposition der
südkaukasischen Ursassen angeeignet. Diese sprachliche Wand
lung erfolgte gleichzeitig mit einer Umformung des leiblichen
l*
4
IV. Abhandlung: Tomaschek.
Typus, der allgemach eine südlichere Färbung annahm. War
auch der Typus der indogermanischen Völker von Haus aus
ein gemischter — eine solche Uebereinstimmung und Gleichheit
des brünetten und durchweg brachykephalen Typus der Ar
menier mit dem eingeborenen kleinasiatischen Typus findet
seine Erklärung doch nur in einer lang andauernden intensiven
Mischung beider Elemente. Der Gang der armenischen
Wanderung lässt sich ungefähr in folgender Weise bestimmen:
vom Bosporus aus bewegte sich der Zug langsam durch die
paphlagonischen Thalgebiete ostwärts zum Halys (armen. Ali
,der salzige'), dann über das nachmalige Oep.a twv ’App.sv[<r/.öv
in das Längsthal des Lykos oder Gail-get, von da über die
Klause von Satala zum obern Frät und endlich in die Ebene
Airarat der Alarodier. Die Besitznahme des alarodisehen Landes
und der übrigen Iiochcantone bis zum Van-see dürfte erst in
dem 7. Jahrhundert v. Chr. erfolgt sein, da die Keilin
schriften bis zu dieser Zeit fast gar keine Spuren armenischer
Namengebung aufweisen. Ueberhaupt gibt von dieser Besitz
nahme kein geschichtliches Zeugniss Kunde, und es scheint,
dass die Stürme der kimmerischen und sakischen Wanderung
dieses wichtige Ereigniss verdunkelt haben — nicht mit Unrecht
reiht jedoch die semitische Völkertafel den Jafetiden Thogarma
an Gomer und Askenaz an. Die haikanischen Eroberer haben
sich im Laufe der Zeiten das alarodische Volkselement voll
ständig assimilirt, nachdem sie von diesem selbst eine starke
Einwirkung in Typus und Sprache erfahren hatten.
Auch in den Phrygen haben wir ein indogermanisches
Volk zu erblicken, das aus den Strichen südlich von Haemus
über den Hellespont gezogen war und im Rücken der Ar
menier, diese wahrscheinlich ostwärts schiebend, zunächst das
Flussgebiet des Sangarius einnahm, um sich von da fächer
förmig in alle Thäler des Westens und Südens mitten unter
die Aboriginer einzuschioben; vielleicht hat auch die Insel
Kreta einmal plirygische Ansiedler erhalten, und das Gleiche
darf sogar für einige Alluvialgebiete und Winkel an der Ost
küste von Hellas gelten. Diese Eroberer, welche bereits in
ihrer älteren Heimat am Hebrus und Strymon durch Boden-
wirthscliaft und Metallurgie eine Art höherer Cultur erreicht
hatten, blieben auf dem neuen Boden fleissige Viehzüchter und
Die alten Thraker. I.
5
Ackerbauer, sowie Pfleger orgiastischer Nature ulte, und bildeten
überdies eine eigenartige Bauweise aus. Im Laufe der Zeiten
verweichlichten sie immer mehr, verloren ihre politische Führer
rolle und erlagen den fremden Einflüssen; ihre Sprache, welche
schrittweise an die griechische Boden verlor, erhielt sich in
entarteten Spuren bis auf die römische Kaiserzeit. Aus Glossen
und Inschriften haben die Sprachforscher deren Zugehörigkeit
zur osteuropäischen Gruppe erschlossen, was auch für den Ur-
bestand des Armenischen gilt; schon den Alten war die Aehnlich-
keit des Phrygischen und Armenischen aufgefallen. — Haben
einst, wie wir vermuthen, die Phrygcn alle Räume südlich
vom Haemus bis zur Küste ausgefüllt, so erklärt sich daraus
die Thatsache, dass die Griechen auf ihrer vorzeitlichen
Wanderung nach Süden sich als Ziel nicht den Hellespont und
Kleinasien erkoren hatten, sondern, mehr dem adriatischen
Westen zugekehrt, auf die pelasgischen und lelegischen Lande
losgiengen. Aus einer Zeit, wo etwa Griechen und Plirygen
nahe Nachbarn waren, stammt die griechische Form des Namens
‘hpuyec, stammt das Auftreten gemeinsamer Wörter wie vanakt-
,König'. Wir werden auf thrakischem und makedonischem
Boden mehrfache Spuren phrygischer Bevölkerung vorflnden,
offenbar zurückgebliebene oder bei Seite geschobene Reste der
Nation, deren Hauptmasse in sehr alter Zeit nach Kleinasien
abgezogen war. Die Griechen betrachteten die Phrygen als
ein seit Anbeginn in Kleinasien ansässiges Volk und hielten die
Sporaden auf europäischem Boden für Metanasten aus der Troas,
wobei sie von alten Eroberungszügen der Troer oder Teukrer
bis zum Axios, ja bis zum Peneios und bis zur Adria fabelten;
doch gab es auch eine Ansicht, welche die phrygischen und
mysischen Wanderungen aus Europa nach Asien für selbstver
ständliche und ausgemachte Thatsachen ansah. Aus Kleinasien,
der Heimstätte durchaus fremdartiger Urvölker, kann das
phrygische Volk nicht hervorgegangen sein.
Westlich von den Phrygen des Sangariusthales, entlang
der hellespontischen Küste, wo nur schwache phrygische Reste
zurückblieben, bis zum Caicus herab' sass das stammverwandte
Volk der Mysen, dessen Schichtung zur Genüge beweist, dass
es den später nachgerückten Theil der phrygischen Nation
ausgemacht hat. Homer nennt sowohl die Phrygen wie die
6
IV. Abhandlung: Toraasclielf.
Mysen als Bundesgenossen der Troer; er weiss aber auch von
kampfbereiten Mysen des tlirakischen Nordlandes in der Nach
barschaft pontischer Nomaden, — dem zurückgebliebenen Theile
dieses Volkes. Die Ursitze des mysischen Stammes suchen
wir darum an der Nordseite des Haemus in unmittelbarem
Anschluss an die phrygischen Ursitze. Wir linden hier noch
in römischer Zeit die Moesae gentes arg zerplittert und vor
wiegend nach Westen gedrängt: offenbar hat die Invasion
thrakischer Stämme, zuletzt der Gfeten, die Mysen in Theile
aufgelöst oder bei Seite gedrängt. — In nachhomerischer Zeit,
zuerst bei dem ionischen Dichter Kallinos, tritt an Stelle der
homerischen Troer der Name Teüy.soi auf. Troer und Teukrer
waren jedenfalls kleinasiatische Aboriginer, wie die Namen
selbst kleinasiatische Herkunft verrathen; auf europäischem
Boden fehlt, wenn wir von den fabelhaften Sagencombinationen
Iderodot’s absehen, jede Spur von Tcukrern. Die Namengebung
in der Troas erweist sich jedoch als eine vorwiegend mysische:
die homerischen Sänger haben die Zustände ihrer Zeit vor
Augen gehabt. Das voreinst mächtige und streitbare Volk der
Teukrer war, bis auf geringe Spuren, untergegangen; dauernd
erhielt sich dagegen das eingewanderte mysische Volksthum
bis in die Zeit der Hellenisirung.
Im Flachlande an der unteren Donau linden wir in
geschichtlicher Zeit nomadische Skythen und thrakischc Geten.
Für eine sehr entlegene Epoche der ethnischen und sprach
lichen Entwicklung jedoch dürfen wir hier und im pontischen
Steppenstriche die noch ungetheilten arischen Nomaden als Be
wohner voraussetzen: auf diesem Boden hatte die Bossezucht
eine ihrer ältesten Heimstätten gefunden, und hier erklang
zuerst die völlig ungemischte und grossartig klingende arische
Ursprache, aus welcher sich die verwandten Nachbarsippen mit
Ausdrücken des familiären und nomadischen Lebens bereichert
haben; zumal die unmittelbar anstossenden thrakischen Nach
baren haben, wie wir erweisen werden, Ausdrücke für die
Hausthiere der Steppe aus dem Arischen entlehnt. Die arischen
Nomaden sind aber schliesslich in weite Ferne abgezogen;
sie haben als die ersten Metanasten unter den europäischen
Völkern, wie Jahrtausende später die Russen, asiatische Lande
erobert, und wir linden sie an der Schwelle der geschichtlichen
Die alten Thraker. I.
7
Zeit als Ansiedler am Indus und im iranischen Hochlande
mitten unter durchaus allophylen drawidischen und kuschitischen
Völkern, nachdem sie vorher die von der Indusbeuge bis zum
Alburz sich erstreckende ,kaukasische' Bergzone durchbrochen
hatten. Doch blieben entartete Reste dieser Metanasten allezeit
über den politischen Gestaden sitzen. Während bei den arischen
Rossezüchtern weite Wanderungen naturgeinäss zu Tage treten,
war den europäischen Brudervölkern ruhigeres Beisammensitzen
und Haften an der ererbten Scholle von Haus aus eigen; ihre
späteren Wanderungen lassen sich mit der grossen arischen
Wanderung kaum vergleichen.
Nun steigen wir eine Stufe weiter gegen Norden hinauf
und gerathen in die karpatische Gebirgsumwallung, die Ur-
heimath des thrakischen Volksthums. Diese corona montium
barg noch während des ganzen Alterthums den echtesten Theil
der thrakischen Barbaren weit, sie war die vagina gentium
Thraciscarum, deren Sprache eine uniforme Einheit für sich
bildete und zugleich genetisch mit der südwärts gelagerten
mysiscli-phrygischen Gruppe zu einer weiteren Spracheinheit
verbunden war, an die sicli zuletzt das Armenische anschloss.
Weiter nordwärts jedoch, in dem Weichsellande, hatte das
äusserste grosse Glied der osteuropäischen Sprachgruppe, das
Slawische und Litauische, seine Ausbildung gefunden; in der
Gestaltung des Sprachschatzes musste sich dieses Glied vom
Thrakischen schon weit stärker entfernen, da die Natur des
nordischen Sumpflandes veränderte Lebensbedingungen und
Begriffe hervorrief. Noch muss eines weitern Gliedes der ost
europäischen Region gedacht werden, deren Placenta an der
mittleren Donau, in Pannonien, lag: auch für das Illyrische,
dessen Stellung sich aus dem heutigen Albanischen ergeben
hat, muss eine ziemliche Abweichung von der Eigenart und
dem Stoffe der thrakischen Sprechweise angenommen werden,
was jedoch gelegentliche Berührungen nicht ausschliesst.
Den Thraken der karpatischen Bergregion ward im Laufe
der Zeit der Raum zu enge; sie stiegen herab, durchzogen das
Flachland an der untern Donau und warfen sich mit aller
Macht in mehreren aufeinanderfolgenden Wellenschlägen auf
die verwandten mysiscli-phrygischen Stämme, welche sie aller
orten durchsetzten, nach links und rechts verschoben oder zer-
8
IV. Abhandlung: Tomaschek.
trümmerten. Als rohe Bergstämme, welche sich überdies die
Lebensweise der arischen Nomaden angeeignet hatten, fanden
sie weniger Gefallen an dem Boden der Alluvialebenen und
niedrigen Thalkessel, dessen Bearbeitung harte Mühe erforderte;
sie wandten sich mit Vorliebe den höheren Regionen des Süd
landes zu, auf dessen Halden sie der Viehzucht obliegen und
von wo aus sie in räuberischer Weise die unterworfenen
Stämme, so weit dieselben nicht nach Asien ausgewandert
waren, im Zaume halten und ausbeuten konnten. Wurde
ihnen hier der Raum zu enge, so nahmen sie gelegentlich auch
von den Thalgebieten Besitz, wie am Hebrus und Strymon.
Giseke, welcher die Wahrnehmung gemacht zu haben glaubte,
dass alle Flussebenen und Passagen Thrakiens sich im Besitze
paionischer, d. i. mysisch-phrygischer Stämme befunden hätten,
während den thrakisch-jpelasgischen' Stämmen ausschliesslich
die Bergstriche eigen gewesen wären, betrachtet allerdings
gerade diese letzteren als die in die Berge zurückgedrängten
Ureinwohner, die Paioner dagegen als in späterer Zeit aus
Asien eingedrungene Eroberer, die sich naturgemäss der frucht
barsten Striche und der wichtigsten Uebergänge bemächtigt
hätten. Aber die politische Führerrolle befand sich seit Beginn
der Geschichte in den Händen der echten Thraker und das
ganze Land bis zu den Küsten hinab führt bezeichnenderweise
den Namen Thrake; die mysisch-phrygischen Volksreste dagegen
waren politisch zur Ohnmacht verurtheilt und bildeten den
passiven Bestandtheil der Bevölkerung, mochte auch ihre Cultur-
stufe eine höhere gewesen sein. Die sprachliche oder dialektische
Scheidewand, welche die echten Thraker und die ebenfalls
Thraker genannten Myso-Phrygen von einander trennte, ver
mögen wir nur dunkel, aus den schwachen Spuren der Eigen
namen , zu erkennen; erkennbarer und schroffer tritt der
Gegensatz beider Volksthümer in der Lebensweise und im Cultur-
stande hervor: auf der einen Seite altansässige, aber in ihrer
Continuität unterbrochene und aufgelöste Sporaden, politisch
unwirksam, aber dem Landbau und Gewerbfleiss in alther
gebrachter Weise ergeben, geistig höher veranlagt und dem
Naturleben in orgiastischer Weise huldigend, dem griechischen
Wesen leicht zugänglich und schliesslich darin aufgehend; dort
hinwieder üppig wuchernde und numerisch überlegene Berg-
Die alten Thraker. I.
9
Stämme, gewaltthätig und dem Kriegerleben ergeben, faul und
vom Fleisse der Untergebenen zehrend, dabei unter einander
stets uneinig, nur in Zeiten der Gefahr kräftig sich wehrend,
in späterer Zeit ein gefürchtetes Soldaten- und Söldnermaterial
abgebend, den Charakter der Rohheit und des Naturzustandes
weit über die Zeit der schliesslichen Komanisirung bewahrend
— so äussert sich in allgemeinen Zügen dieser Gegensatz.
Doch gingen im Laufe der Zeit auf die tlirakischen Eroberer
die orgiastischen Culte der Ackerbauer über; der Notli folgend,
nicht dem eigenen Triebe, wandte sich auch der Thraker
harten Arbeiten zu, namentlich dem Bergbau, der vorher eine
starke Seite der phrygischen Stämme gewesen war; die
Magnaten eigneten sich mitunter den hellenischen Cultur-
schliff an.
Dauernde Ruhe war dem tlirakischen Volke niemals be-
schieden. Im Norden drohten und drängten die skolotischen
und sarmatischen Steppennomaden, zuletzt auch die Galater
und Germanen; im Westen erforderten die Bewegungen der
illyrischen Völker Beachtung; aus dem Berglande des Haimos
selbst traten immer neue Raubstämme hervor, welche dem
Zuge nach Süden folgten. Als ein unruhiges Volk lernen wir
die Trailer kennen, sowie die trerischen Nomaden, welche in
Kleinasien Alles drunter und drüber mengten; die von den
Paionen gedrängten Maido-Bithynen setzten gleichfalls über den
Bosporus und erwarben sich im Lande der Mysen und Phrygen
dauernde Wohnsitze. Die kimmerische und thynische Wande
rung war das letzte grosse Ereigniss der älteren Zeit, das vom
tlirakischen Lande ausgieng; erst der Galatersturm kann sich
mit demselben messen. Der folgende Zeitraum erhält durch
die Eroberungszüge der Perser, durch das Hervor treten der
Odrysen und Geten und durch die Ausbreitung der make
donischen Grossmacht Abwechslung. Eine bedeutende culturelle
Rückwirkung üben die hellenischen Colonien an den Küsten
und die makedonischen Neugründungen im Inland aus; ganz
Thrake wäre vielleicht der hellenistischen Cultur zugefallen,
wenn nicht die Macht Rom’s eine noch grössere Wandlung
herbeigeführt hätte.
Makedonien, Thrake und das moeso-getisclie Ufergelände
wurden römische Provinzen; nur das thrakische Stammland im
10
IV. Abhandlung: Tomaschck,
Norden, das die Dakeil innehatten, erhielt sich länger frei
und leistete dem Anstürme der römischen Legionen verzweifelten
Widerstand, bis endlich auch dieses letzte Bollwerk der tlira-
kischen Barbaren weit hei und mit Colonen aus den römischen
Provinzen neu bevölkert wurde. Unter dem Schutze der Le
gionen hielt sich die traianische Dacia bis auf Gallienus und
Aurelianus; der Gebirgswall wurde von den germanischen
Völkern durchbrochen, die römischen Provincialen flüchteten
in eine neu geschaffene Dacia südlich vom Strome, und ihnen
nach zogen selbst die letzten Reste dakischer Bergstämme, um
in der Römerwelt aufzugehen. Das karpathische Bergland
wurde schliesslich eine Beute der Slawen, der Hunno-Bulgaren
und Ungaren. Das innere Thrakien jedoch war unter der
Herrschaft Rom’s vollständig romanisirt worden; den Schluss
stein dieser Wandlung bildete die Verbreitung des Christenthums
bei dem thrakischen Centralvolke der Bessen (400 n. Chr.);
das römische Wesen festigte sich innerhalb der folgenden zwei
Jahrhunderte; alsbald (600) drangen jedoch aus dem Nordlande
slowenische Stämme ein und nahmen vom Haemusgürtel Besitz,
gericthen dann unter die Obmacht der Bulgaren, welche die
griechische Herrschaft auf Byzanz und den aegaeischen Küsten
strich beschränkten, und wandten sich schliesslich ebenfalls dem
Christenthum zu. Die römischen Provincialen wurden durch
die slowenische Einwanderung zu politischer und ökonomischer
Ohnmacht verurtheilt; sie fristeten ein gedrücktes Dasein ent
weder als Handwerker in den Städten oder als Frohnbauern
auf dem Lande, oder sie rotteten sich zu Schaaren zusammen,
um auf den Berghalden und Triften nach angestammter thra-
kischer Sitte ein freieres Naturleben zu führen. Das romanische
Element bewahrte im grossen Ganzen den überkommenen
Grundstock seiner romanischen Sprechweise; dieser Grundstock,
reich an Ausdrücken für das sociale und ökonomische Leben
der älteren Culturepoche, wurde jedoch naturgemäss über
wuchert von dem sloweno-bulgarischen Sprachschätze; die starke
Mischung mit dem Altslowenischen, welche dem Ostromanischen
bis auf den heutigen Tag charakteristische Färbung verleiht, kam
in dem langen Zeitraum von 600 bis 1000 zustande. Dann
gelang es Byzanz, Bulgarien wieder unter seine Botmässigkeit
zu bringen, und von dieser Zeit an finden wir in den gleich-
Die alten Thraker. I.
11
zeitigen Schriftwerken zahlreiche Erwähnungen des über ganz
Bulgarien und tief nach Serbien hinein verbreiteten ,wlachischen‘
Elementes, das auch im Pindoswall festen Boden gefunden
hatte. Demselben bot sich endlich eine neue Heimat in dem
Flachlande über der Donau und in jenem Gebirgswall, den
wir für die Urstätte der thrakischen Nation ansehen: der un
erträgliche Steuerdruck unter den Komnenen, die harten Mass
nahmen der Regierung gegen die Bogomilen, sowie die Aussicht,
unter den Peöenegen und Rumänen, mit denen die unzufriedenen
Bulgaren und Wlachen gerne fraternisirten, einen leichteren
Modus vivendi zu finden — dies Alles bewog ohne Zweifel
seit dem eilften und zwölften Jahrhundert viele bulgarische
Bojaren mit ihrer wlachischen Gefolgeschaft über die Donau
zu setzen und nicht bloss im Flachland, sondern auch auf den
schwach besiedelten Halden des karpatischcn Berglandes ein
neues Leben zu beginnen; so entstand in Siebenbürgen allmälig
neben Magyaren und Sachsen eine dritte Nation, die wlachische.
Anfänglich überwog bei derselben noch das bulgarische Knezen-
thum; mit der Zeit drang jedoch das numerisch stärkere roma
nische Bauern- und Handwerkerelement durch.
Wer unbeirrt von landläufigen Ansichten und Vorur-
theilcn sich streng an die geschichtlichen Urkunden hält und die
Völkerbewegungen aller Jahrhunderte erwägt, und wer dabei
die sprachlichen und culturcllen Thatsachen berücksichtigt,
wird in den heutigen Ostromanen das thrakischc Volkstlium
wiedererkennen, wie das illyrische in den heutigen Albanen.
Es wäre undenkbar, dass eine so grosse und wichtige Na
tion wie die thrakische völlig und spurlos hätte untergeben
können.
Wir müssen noch einen Blick ins Alterthum zurück
werfen. Der Name der Thraker hat durch die Griechen Ver
breitung erlangt; ob er aus Eigenem gebildet wurde ■—, ob er
die veränderte und angepassto Gestalt einer plirygischen und
überhaupt fremdsprachigen Bezeichnung darstellt, lässt sich
nicht entscheiden; die thrakischen Stämme selbst haben
schwerlich diesen Gesammtnamen für sich besessen, bei ihnen
waren unstreitig nur Sonderbezeichnungen im Schwange. Für
Bpvjlxi?, Hpar/.s;, auch ©pelxs;, worin die Silbe -Iz. der Derivation
angehört wie in ATOtxe;, böte sich die Wurzel 0pv) : Ops, indo-
12
IV. Abhandlung: Tomaschek.
germanisch dhre: dhre, Nebenform von dher, ,halten, stützen;
schauen, beachten'; von der Wurzel dhers- ,muthig sein, wagen'
war vielleicht der thrakische Stamm der Axpciot benannt. In
folge des politischen Uebergewichtes der thrakischen Eroberer
über die übrigen altansässigen Stämme wurde der Name auch
für diese unterschiedlos angewendet. Die Daker, denen aus
drücklich thrakische Sprache beigelegt wird, heissen darum
niemals ausdrücklich Thraker, weil man sie von den Bewohnern
der römischen Pi-ovinz Thracia zu scheiden hatte. — Es bleibt
noch die Möglichkeit offen, dass es voreinst an der Nordgrenze
von Hellas einen Stamm gegeben habe, welcher sich so be
nannte; Collectivnamen von Völkern sind ja meist aus irgend
einer Sonderbenennung hervorgegangen. Nannten sich so etwa
die ältesten Bewohner von Samothrake? Das, was wir über
die Einwohner dieser Insel wissen, spricht nicht sehr dafür.
Bei attischen Schriftstellern und Dichtern ist mitunter von
Thrakern die Rede, welche in Daulis und andern Orten der
phokischen Landschaft gewohnt haben sollen; auch die Pieren
werden mitunter Thraker genannt. Neuere Forscher seit
C. O. Müller haben sogar doppelte Thraker angenommen, bar
barische und hellenische. Es ist jedoch widersinnig, denselben
Namen auf zwei der Abkunft, Sprache und Cultur nach grund
verschiedene Völker anzuwenden; überdies hat die Kritik jener
Nachrichten — wir erinnern an die bezüglichen Arbeiten von
Al. Riese und Hiller v. Gfaertringen — deren Unhaltbarkeit
nachgewiesen. Wir halten die griechischen Thraker für ab-
g'ethan.
Wir haben schliesslich noch ein Volksthum der bunten
Völkerwelt Thrake’s anzuschliessen, das der Einreihung in
eine bestimmte ethnische Gruppe Schwierigkeiten entgegenstellt:
wir meinen die Paionen, über welchen die Dardaner hausten.
Da diese beiden Völker, welche von den Alten in Verbindung
mit Troia gebracht wurden, der Westseite Thrakiens vorge
lagert waren, so wollen wir bei der Aufzählung der Einzel
stämme mit ihnen den Anfang machen; denn es gilt eine
Cardinalfrage für die alte Ethnologie der Haemushalbinsel der
Lösung näher zu bringen.
Die alten Thraker. I.
13
I. Die paionisch-dardanisehe Gruppe.
Ueber die Herkunft der Haravs? waren schon die Alten
in Zweifel. Verschiedene Mythen knüpfen sie an das ,pelas-
gische* Volk der "AXgwTC? an, das in makedonischer Zeit
zwischen den Makedonen und Pelagonen in der heutigen Hoch
landschaft Moglena hauste und die Orte "Op[j.a oder V 0pva,
EupwTOi; und "Atbako:; hesass (Ptol.). Denn llcduv erscheint als
Sohn des Poseidon und der Helle (Hygin. astr. II, 20) und
ebenso heisst "Alpwi ein Sohn des Poseidon und der Helle
(St. Byz.); dazu stimmt die Angabe (schol. Ap. Rh. 1, 230),
dass Paion’s Tochter «I'xvoripa, mit dem Aioliden Mtvua; ver
mählt, Mutter des Athamas und Orchomenos wurde. Ausser
dem berühmten Minyersitz Orchomenos am Kopa'issee gab es
auch ein 'Op^opisvöc auf der Westseite des Olympos nahe dem
Haliakmon, vormals auch Mivia und 'Akp.cov(a geheissen (vgl.
C. 0. Müller, Maked. 15). Wie dem auch sei, diese Ansicht
erklärt die Paionen für ein uraltes pelasgisclies Volk; eine
ähnliche Genealogie (Paus. V 1, 5) bringt die Paionen in
Verbindung mit den Aioliden und Aitolern, den Stammver
wandten der Makedonen. Für diese Mythen könnte die geo
graphische Nähe der Paionen und der Nordgriechen die Grund
lage geboten haben.
Getheilter Meinung waren jene Schriftsteller, welche Strabo
(VII fr. 38 vgl. Eust. ad B 848) vor Augen hatte: oi uiv IIoccvx:
<bpuy(5v äxoaou;, oi oe apyrfiixaq cbrofflatvoucnv. Die zweite Ansicht,
welche die Paionen zu Arehegeten macht, d. li. für eine eigene
Nation erklärt (denn hier ist nicht etwa ‘bpuytov zu ergänzen),
gieng von bedächtigen Forschern aus, welche in den Paionen
nichts Phrygisches und Kleinasiatisches gefunden hatten.
Anderer Ansicht war Herodot, der die Paionen zwar nicht
direkt für Pliryger, so doch für Troer erklärt.
In der Ilias steht Priamos an der Spitze eines Bundes,
der alle Völker vom Halys und Sangarios bis zum paionischen
Axios, darunter auch Phrygen, Maionen, Mysen, Thraker,
Kikonen und Paionen, umfasst; innige familiäre und hieratische
Beziehungen verbinden das Herrscherhaus mit all’ diesen
Völkern. So charakterisirt das Epos die troianische Völkerwelt
im Gegensatz zur griechischen. Die Griechen erblickten in
14
IY. Abhandlung: Tomascliek.
den dichterischen Schöpfungen ihrer Rhapsoden reine Geschichte,
in den Kämpen auf griechischer und trojanischer Seite leib
haftige Wesen der Vergangenheit; sie wussten sich jenen
Völkerbund nicht anders zu erklären als durch Annahme von
Eroberungszügen aus Ilios, die vor der Zeit der Zerstörung
stattgefunden haben sollen, — als ob erobernde Gewalt allein
jene Zustände, wie sie die Dichtung schildert, herbeigeführt
haben musste; als ob nicht die geographische Lage der Stadt
an der Grenzscheide Kleinasiens und des Haemuslandes und der
Einfluss der gemeinsamen Cultur, welche in Ilios ihr Centrum
und ihren Höhepunkt gefunden hatte, Alles zur Genüge erklärte.
Durch die griechischen Colonisten hat der troianische Sagen
kreis weite Verbreitung gewonnen; allerorten wollte man
Spuren der homerischen Helden erkennen und selbst barbarische
Völker wollten ihre Ursprünge auf homerische Namen zurück
führen. Troianiseher Abkunft rühmten sich sogar die libyschen
Maxyer (Hdt. IV, 191; vgl. den Vers des Menander über die
AtßApwsp (-)sä/.£c, schol. Flat. Phaed. 72 c). Mit besserem
Grunde feierten die strymonischen Bithynen Rhesos als ihren
Nationalhelden, und die Paionen fanden sich in ihrem Astero-
paios gerühmt — sie durften ihre Ahnen für Bundesgenossen
der Troer halten, sich selbst für Stammverwandte dieses durch
die Poesie verherrlichten Volkes.
Jene zwei Brüder, welche 506 dem in Sardes weilenden
Dareios die Auskunft gegeben haben sollen, die Paionen vom
Strymon seien Tsuy.pßv töv b Tpotyjs ämtnoi (Hdt. V 13), waren
Leute, welche mit dem troianischen Sagenkreise vertraut waren.
Auffallenderweise heisst einer derselben llr/pr,:, ein Name, der
sonst nur in Karien und Lykien (auch in den Formen 1 Ky.pr,c,
Pikhrä) auftritt. Herodot hätte die Anekdote richtiger so
gestalten können, dass er das Brüderpaar für karisch und nur
die emsige Jungfrau, die etwa deren Magd gewesen, für eine
Paionin ausgab. Die ganze Anekdote ist überhaupt erst ent
standen, nachdem die Paionen bereits an der Grenze von
Karien und Phrygien angesiedelt waren — eine Erfindung ex
facto. Aus karischem Munde erfloss auch die Bezeichnung
Isuxpoi für i’püsp; mit dem Namen der Teukrer war man in
Kleinasien vertraut, schwerlich jedoch in Paionien. Homer
weiss bekanntlich Nichts von troianischen und mysischen
Dio alten Thraker. I.
15
Teukrer-n, er kennt nur den salaminischen Bogenscliiitzen
fcU/CpOC j den von einer Troerin geborenen Sohn des Telamon,
den Repräsentanten des troi'schen oder teukriscben Vollts-
eleracntes auf Kypros (vgl. H. I). Müller, Histor.-mythol. .Unter
suchungen, Göttingen 1892, S. 112—122), von dem die lcyp-
rischen Könige von Salamis bis auf Euagoras ihr Geschlecht
ableiteten, weil neben dem achaisch-hellenischen Elemente auch
noch das einheimische teukrische Geltung besass. Ebenso
gehörten die Priester des Zeus zu Olba im kilikischen Berg
land der Familie Teukros an, d. h. den kilikischen Ursassen,
welche die Ilias auch in der Ebene von Thebe kennt. Wenn
bei Späteren Teukros als Sohn des Slcamandros und der
Nymphe Idaia auftritt, so wird er damit als Autochthon des
troi'schen Landes gekennzeichnet; nach Kallinos (Strabo XIII,
p. G04) soll Teukros aus Kreta gekommen sein, woher man
alle Völker räthselhaften Ursprungs, beispielsweise die Termilen
(Lykier), herleitete. Iderodot weiss (V 122, vgl. VII 43), dass
die Bewohner von Gergithes Uebcrreste der alten Teukrer
waren; dasselbe galt von den rspylvTi auf Kypros (Klearck bei
Athen. VI p. 256, c). Wir werden kaum fehl gehen, wenn
wir die Tsüy.psi für ein uraltes Volk kilikischen Schlages an-
sehen und mit Brugsch den Tekri oder Tekkari der 19. Dynastie
Aegyptens gleichsetzen. Haben diese Autochthonen weite
Wanderungen unternommen (Strabo p. 61), so geschah dies
nach Süden zu, in das Land der Chcsta am Orontes und weiter
hinab, schwerlich jedoch nach Tlirake und bis zur Adria, wo
jede Spur des tcukrischen Namens fehlt; die Paionen für
Teukrer zu halten, wäre zu abenteuerlich.
Herodot (VII 20) weiss allerdings von einem ctoXs? Muawv
Ti /.al Tsuzpeov o icpo töv Tpojiy.üjv Y£v6p.evoc • o'i ocaßdvxsi; £i<; tyjv
Eupwxvjv y.axä Bisixopov xoüi; ts ©p’ipkai; y.ax£GTps4avx3 Txdvxa; y.cd e-i
tov ’Ioviov ttovtov xaxeßrjaav, p-eypt te Ilrjveioö TOTap.cu to xpbp
[j.scap.ßp'V,? yjAaGocv. Man höre und staune! Vor der Einnahme
Troia’s (ca. 1184) sollen Teukrer und Mysen alle thrakischen
Völker besiegt haben und in alle Westlande vorgedrungen
sein. Leider wissen die homerischen Lieder davon Nichts; auf
der ganzen europäischen Strecke findet sich sonst nicht eine
einzige Spur des tcukrischen Namens; von den Mysiern wird
das Umgekehrte, nämlich Wanderung aus Europa nach Klein-
16
IV. Abhandlung: Tomascliek.
asien, berichtet. Wir finden auch hier die aus den homerischen
Sagengeweben künstlich erschlossene Anschauung von uralten
Eroberungszügen der Troianer auf die Spitze getrieben: denn
Ilos — lassen wir lieber Lykophion’s Kassandia (1341—1345)
declamiren: Ttcraroi; Ss ©prjy.^c oup,b? aiaTÜGxg Ti/J.or/.a | y<i>pav t’
’EopSöv v.x\ FaXaSpai'wv toeSov, | opouc ap.pt ü^vstou TiOTcnp, | atsppäv
Tpay^Au ^EuyXav dp.ptOet; TieSatp, | akv.fi veavopop, ExirpexEOTatoi; vevouc.
Leider hat uns die troianische Jungfrau, welche den Herodot
gelesen hat, anzuführen vergessen, ob da nicht Ilos mit dem
mächtigen Pelasgos, König von Argos, zusammenstiess, der alle
Lande von der Brandung des ionischen Meeres bis zu den
Fluthen des Axios und Strymon beherrscht haben soll (Aesch.
Suppl. 238 ff.). Solche Sagenklitterungen mögen den Griechen,
zumal ihren Dichtern, gestattet sein; wenn aber neuere Forscher
dieselben für bare Münze nehmen und darauf eine Flutli von
Vermuthungen häufen, so werden wir ihnen Halt zurufen. Am
weitesten hierin ist Giseke gegangen: Paionen sollen aus Asien
in das von griechischen Stämmen besetzte Pelasgerland einge
drungen sein, die ,pelasgischen‘ Thraker, darunter Dier und
Pieren, in die Gebirge getrieben und zuletzt die fortlaufenden
Wanderungen der Minyer, Kadmeionen, Abanten, Dryoper,
Boioter und Dorer hervorgerufen haben.
Noch einmal spricht Herodot (VII 75) von seinen ständig
verbundenen Teukrern und Mysen bei der Sage der Bithynen
von dem Auszug aus ihrem strymonischen Stammlande: tb xpo-
■tspov ey.aXscvTo, w? aÜToi XsYouat, ZTpupoviot, owiovcei; im 2-cpup.bv:.
e^avastijvat §£ saot si; rfiiui') mb Tsuy.pwv ts y.ai MucräW. Man muss
bezweifeln, ob die Bithynen selbst, obzwar in Asien sesshaft
und mit der Ausdrucksweise der Kleinasiaten vertraut, wirklich
von Teukrern und Mysen gesprochen haben; möglicherweise
hat Herodot, entsprechend seiner paionisclien Anekdote (V 12),
diese Namen ohneweiters für Matoviq eingesetzt: nur Paionen
können es gewesen sein, welche, von Westen vordringend, die
thrakischen Strymonier dem Osten zugetrieben haben. Wenn
Mysen und Teukrer aus der Troas kamen und zwar lange vor
Troia’s Zerstörung, so wären ihnen die Strymonier geradezu
in die Arme gelaufen, und die Eroberer hätten es geduldet,
dass ihr eigenes Stammland von den Verjagten besetzt worden
wäre! Ueberdies fällt der Auszug der Bithynen in oder hinter
Die alten Thraker I.
17
die trerisch - kimmerisffi§ Wanderung (750—600), also lange
nach Troia’s Einnahme. — Die troianische oder phrygische
Abkunft der Paionen müssen wir nach Allem dahingestellt sein
lassen; sehen wir zu, oh sich hei den Einzelstämmen etwas
Genaueres ergibt.
Homer nennt als Vater des vor Troia gefallenen paioni-
sclien Heerführers Asteropaios, welcher gekommen war tyjXöösv s?
’Ajj.uoüjvo? ctV ’ASjlou eüpü psovtog, den llrjAeyiiiv. Da an der Axios-
münde voreinst phrygische Mygdonen sassen, so braucht ’Ap.uäwv
oder, wie die später von den Argeaden zerstörte Veste ursprüng
lich hiess, ’AßuSo'iv nicht gerade für eine päiönische Gründung zu
gelten; es vergleicht sich "Aßuooc, die Stadt des Asios am Helle-
spont und die Glosse aßuoov ■ ßaOu (Ilesych.). Die von Pelegon
abgeleiteten lTrjXcf'j'öves oder fkXaYovec sind entweder Bewohner
der ,schlammigen Ebene', vgl. die Glosse wk)X'oy«!)V ■ ex, otiXciü
Y£Y£vvt)|j.£Vo; und alb. pelg ,Moorgrund, Dümpel', oder Bewohner
eines ,Flachstriches' überhaupt, von Wurzel pela : plä ,breit
schlagen, ausbreiten' (vgl. xeAayo? ?). Eine Münze [lEXayixwv
stammt aus dem illyriscli-epirotischen Bergwerksorte Damastion;
in Sicilien gab es, in der Ebene am Palikensee, einen Ort
IleXa-pba (St. B.), das heutige Pallagonia. Die Hauptsitze der
Pelagonen waren später nicht am unteren Axios, sondern in
der Ebene am mittleren Erigon nördlich von den Lynkesten,
sowie im Bergland am unteren Erigon Dis Stobi, nördlich von
den Almopen; liier erwähnt Livius wiederholt ,angustiae quae
ad Pelagoniam sunt'. Seit der Römerzeit bis in die bulgarische
Zeit hinein hiess 'IlpaxXeta Auyy.ou oder AuyxhjotIs, das heutige
Bitolia, und die benachbarte Ebene IleXaYovla. Abel hält die
Pelagonen schon ihres Namens wegen für Pelasger, die von
den Paionen unterworfen wurden; Giseke dagegen hält an der
von Strabo hingestellten Gleichung mit den Paionen fest. Zwar
heissen die Pelagones ,Paeoniae gens' (Plin.); aber es scheint,
dass sie ein älteres, wenn nicht illyrisches, so doch mit den
Almopen verwandtes Element darstellen, wobei wir an die
eingangs erwähnte Anknüpfung der Paionen an die Minyer
von Orchomenos erinnern. Es ist kein Zufall, dass wir nahe
dem zweiten Orchomenos südlich von Ilaliakmon eine HsXa-povia
Xpixo/ÜTt? tinden mit den drei Ortschaften IIuOiov, AoXiyy; und
"Aiüopoc. Nur die beiden ersten tragen griechische Namen;
Sitzungsber. d. pbil.-hist. CI. CXXVUL Bd. 4. Abh. 2
18
IV. Abhandlung: Tomaschek.
"A^topo;, auch ’ÄLwps'.ov und -k "Autopa genannt, muss aus älterer
Zeit stammen, wie der Beiname der Landschaft selbst; für
paionischen Ursprung desselben spricht die Analogie von UuA-
iyop am mittleren Axios; für brigisch darf gelten ’AXwpo? in
Bottiaia, für edonisch l'aCupcc am Pangaios.
Die Ha!ov=; scheinen ursprünglich vom oberen Axios und
aus dem illyrischen Westen ausgegangen zu sein; das Nach
drängen der nördlichen Stammesgenossen schob sie der Meeres
küste zu, wo die phrygischen Stämme sassen. Wenn wir ferner
eine solche Vermuthung wagen dürfen, so waren es bereits
in der entlegenen Vorzeit Paionen, welche die griechischen
und ,pelasgischen‘ Nordstämme einengten oder gegen Süden
drängten; doch finden wir zwischen beiden seit der geschicht
lichen Zeit die Phrygen eingeschoben; schwer lässt sich ent
scheiden, ob damals Illyrier, oder ob Thraker stärkere Wir
kungen erzielt haben. Jedenfalls waren die Paionen den
Griechen als ein fremdes Nachbarvolk seit alten Zeiten bekannt,
und als ein Erobcrervollc treten sie in die Geschichte ein. Vor
der Ausbreitung der makedonischen Hausmacht sollen sie
Herren von Bottiaia und ganz Emathia bis zur Grenze von
Pieria gewesen sein (Strabo VII fr. 38; Polyb. 24, 8: Hp.aOfa
to TcaXatov üaiovta). Homer weiss sie im Besitze der mygdoni-
schen Axios-miinde; ganz MuySovta sammt der RpY)Gio)viz.f, war
ihnen voreinst unterworfen; als Xerxes vom unteren Strymon
am Halse der Chalkidike nach Therme marschierte, zog er 3ia
Tvj? llaiovix% (Hdt. VII 124). Die tlirakische Bisaltia vermochten
sie jedoch nicht zu unterwerfen. Aber das ganze Axiosthal
bis zum pelagonischen Stobi (vetus urbs Paeoniae, Liv. XXXIX
53, 14) hinauf hatten sie in ne; weiter zeigt ßu'Ad^cop, das heutige
Weles oder slawische Welica, lAs-poTY] ouaa tcoA’.c tt;c Uoao'daq
(Polyb. V 97, 1), im Namen (mit ßuX- vgl. BuXXi?, Ausgang wie
in Ai^wpo?) illyrisches Gepräge; noch weiter dürfen wir die
”l(j)po’. mit ihrer Burg Tcopov (Ptol.) oder '’loupa (St. B.) für ein
Volk paionischen Schlages halten. Nach Strabo entspringt der
Axios £•/. vr\q llatovia?, und er nennt die im Oberlandc an der
Grenze Dardania’s streichenden Bergzüge xa op-q Uacoviza. Ost
wärts vom Axios boten breite Fiusstlüiler Zugänge zu den
strymonischen Geländen: das Blaclifeld Owcepole mit der Pcinja
und Kriwa, die Bregfdnica oder Aoxißo? der Paionen mit der
Dio alten Thraker. I.
19
Lukawica, die Boemia und endlich die Strümica, im Alterthum
nivio? geheissen, führten von selbst in das seit Alters von
thrakischen Stämmen besetzte Strymonthal. Die nördlicheren
Thäler finden wir im Besitze der stammverwandten Agrianen,
die südlichen gehörten den eigens so benannten Paionen. Hier
lag Anriße;, das heutige Istih oder Stip, ASTIBO der Itinerarien,
eine alte Veste dieses Volkes; mit dem Wasser des Flusses
salbten die Paionen ihre Könige. Weiter südwärts finden wir
die Burg Aoßr ( poc, DOBERUS der Römer, in einem ,schaurigen
Thalet, ippr/.aXeov vcfeo; (Addaeus in AP. IX 300), gelegen, dessen
Bewohner äoßvjps; Messen, — ungewiss, oh das heutige Do'iran
oder das im Quellgebiete der Strümica gelegene Radowistü;
näher dem Axios zu, sei es an der Lukawica oder an der
Boemia, lag die Burg AA'crtpatov, Sitz der Aiarpahi oder Aestrienses
(vgl. den Fluss AcrpaTo; hei Aelian). In den benachbarten
Bergstrichen finden wir zurückgedrängte thrakische Stämme,
Sinten und Maiden; entlang dem Strymon sassen voreinst die
thynischen Thraker oder MaiBoߣ0uvoi. Wenn diese Herodot
(VII 75) ü-'o Teuy.pöv te xat Muriöv verjagt werden lässt, so
wissen wir, dass darunter nur die Paionen verstanden werden
dürfen und dass das Ereigniss lange nach Troia’s Zerstörung
in die Zeit der kimmerischen Züge fällt. Die paionischen Er
oberer verbreiteten sich immer weiter in das edonisch-plirygische
Flachland am unteren Strymon, und es gab seither eine riatovta
STii TU 2/CpUp.ÖVl TOT2[J.<7> X£toXw|J.£VY; (Hdt. V 13).
Unter den Sondernamen begegnen hier naioxXai (Hdt. V 15,
VII 113), ferner Sipiarcataye; (V 15) und oi ev ty) Xi'pivr] llpxoiaäi
y.OToiy.-/)p.svot Ilat'ovE? (V IG). Zu den HaioTxXai könnte man die
TpkiAai vergleichen, nach Hecataeus ein ,thrakisches' Volk
(St. B.), wenn nicht vielmehr ,dreigetheilte‘ Paionen. Die
SipioiratovEc, auch Stppatot genannt (Theop. ap. St. B., C. I. Gr.
II n° 2007), Bewohner von 2äpt? ivjt; natoviV,? (Hdt. VIII 115),
giengen später in den hier uränsässigen Odomanten auf (Liv.
XLV 4, 2); das zugrunde liegende Wort cipbc, werden wir als
phrygisch erweisen. Die Anwohner des ,lauchgrünen' Sees
von Takhyno und Butkowo schildert Herodot als Pfahlhauer
und Fischer; so können wir uns auch die Bistonen am bisto
nischen See, die Thynen am Derkos, und gemäss einem Relief
der Trajanssäule die Daken des Flachlandes vorstellen; falls
20
IV. Abhandlung: Tomasche k.
Miffjuvo? (s. d. Glosse p,6ffauv) der echte Name jener Pfahlbau-
ansiedlung war, so weist derselbe auf phrygische Ursassen, die
von den Paionen unterworfen waren. Man glaubt ein zweites
Aößvjpo? am Fusse des Pangaios ansetzen zu dürfen, wegen der
im Pilgerbericbt m. p. VII Amphipoli via Pliilippi erwähnten
mutatio DOMEROS, worin m aus b entstanden sein kann wie
in ’A|auo(ov aus ’Aßuowv. In der That wird dieser edonische Ort
eine Gründung der illyrischen Paionen gewesen sein: Aößrjpoc;,
A6[r/)po; ist abzuleiten von der Wurzel dhub- ,vertiefen'; vgl.
gall. dubno-, dumno- ,tief', lit. daubura slaw. dibri ,Bergscblucbt,
Tobel'. Aber die Äoß-^ps? bei Herodot (VII 113 in einer unbe
stimmt gehaltenen Fassung, V IG in einer eingeschobenen Stelle)
sind jedenfalls Bewohner dos oben erwähnten Hochthaies.
Mehrere Burgen des Edonenlandes werden hie und da den
Paionen zugewiesen, deren Macht sich zeitweilig bis zum bi
stonischen See erstreckt hatte, wie denn auch llaiwv als Bruder
des Ares-sohnes Btctwv auftritt (St. B.); darum brauchen aber
die Paionen noch nicht für ein teukrisch-phrygisches Volk zu
gelten.
Ungefähr vor dem Skythenzuge des Dareios hatten die
strymonischen Paionen einen Feldzug gegen die Perinthier am
Hellespont unternommen (Hdt. V 1); eine ähnliche Unter
nehmung gegen Kardia wird den Bisalten zugeschrieben. Die
strymonischen Paionen sollte mit Weib und Kind 506 Mega-
bazos nach Asien überführen; es gelang dies mit den oberen
Stämmen, nicht jedoch mit jenen vom Pangaios; die Colonen
erhielten einen Strich in Phrygien zugewiesen, den meisten
glückte es über Chios Lesbos und Doriskos ihre Heimat
wiederzugewinnen. Dem Zuge des Xerxes schlossen sich
Haufen von Paionen an. Ihre Freiheit bewahrten sie im Ober
lande bis auf Philipp und Alexander; zunächst unter ihren
eigenen Fürsten stehend leisteten sie den Makedonen Heeres
folge, seit Vertreibung des Ariston durch Lysimach ca. 284
wurden sie reine Unterthanen, ooüaoi (Hesycli.); doch erhoben
die Dardaner Ansprüche auf Paionien. Wir hören dann be
ständig von Einfällen der Dardaner, Skordisker und der tlira-
kischen Bergstämme, die sich zuletzt immer weiter auf Kosten
der Paionen ausbreiteten, so dass dieses Volksthum im Inland
völlig verschwindet; was den Thrakern nicht zugefallen war,
Die alten Thraker. I.
21
wurde hellenisirt. Einmal noch erscheinen Paionen als Ansiedler
auf thrakischem Boden südlich vom Haemus, nämlich in Beroe,
wohin Traianus Tirepicalova; gezogen hatte. — Appian hat die
Paionen, bloss wegen ihrer Namensähnlichkeit mit den Pan-
noniern, als cl y.aTM Hai'ovs; ohneweiters unter die Illyrier ein
gereiht. Aber auch sonst werden sie gern den südlichen illy
rischen Stämmen als ;0vo; ßapßapr/.ov (Hesych.) beigezählt; z. B.
Gram. An. Ox. IV p. 258: wc toi? "EXArjat ’IXXupio: %a\ Hai'ove? x.ai Tau-
Xavtioi y.ai ’Awtävje ßapßaptiietv 8oy,ouai. Es scheint dies das Richtige
zu treffen; die alten Genealogien von llaliov mögen sich bloss auf
die Pelagoncn beziehen. Ucber Psyche, Sprache und Sitten
dieses Volkes wird nicht viel überliefert. Von den unterworfenen
phrygischen Stämmen haben sie den Cult des Dionysos (AiaXoc)
und der cdonischen Artemis (Hdt. IV 33) angenommen; auch
die Silenen (AeuäSai) stammen daher. Die Pelagoncn vermittelten
ihnen den Apollo; ausserdem verehrten sie den Helios in Form
einer Scheibe. Ihr Land war reich an Gold; selbst an der
Bodenfhichc wurde aurum talutium gefunden. Am Flusse
Pontos gab cs Braunkohle (cwvo;). Im Kesselthal von Dobcros
und im waldreichen Orbolos wurde der Wisent (ßjvascroc:) erlogt;
aus den Hörnern tranken die Könige. Man trank Gerstenbier
und verschiedene Pdanzendecocte (ßputo?, xapaßb), xivov). Von
den Thrakern stammt wohl die Sitte, dass, wer einen Feind
erschlug, den Schädel zum Könige trug und dafür mit einem
goldenen Becher belohnt wurde; illyrisch dagegen war der
Brauch der Blutrache. Gerühmt wird der Fleiss der paionischen
Weiber, wem nicht vielmehr edonische von Strymon zu ver
stehen sind (Hdt. V 12): die Jungfrau in Sardcs tränkte das
Ross und führte es am Zügel, trug den Wasserkrug am Kopfe
und spann den Leinfaden, Alles zu gleicher Zeit.
Zu den Paionen werden ausdrücklich die ’Aypiävs? (sing.
Aypiav, wie ’Awrav etc., makedonische Form) oder ’Aypi'ai (sing.
’Ayptac) gerechnet; mitunter werden beide wie zwei verschiedene
Völker neben einander gestellt, so bei Arrian (I S, I. 14, 1.
II 7, 5) und Livius, von Ncoptolemus (ap. St. B.: Ilaiova; v;8’
’Aypcäva?) und Strabo, welcher (VII fr. 41) berichtet, die Paionen
hätten auch das Land der Agrianen unterworfen. Wahrscheinlich
waren die Agrianen ein Brudervolk, aber zu bedeutend, um
für eine blosse Unterabtheilung zu gelten. Wir tinden sie zuerst
22
IV. Abhandlung: Tomascliek.
Lei Herodot (V 16), aber in einer sichtlich eingeschobenen
Stelle. Sicheres bietet Thucydides (II 96 fg.): ,Sitalkes rief
bei seinem Zuge gegen Perdikkas (429) die ihm unterworfenen
£0vy; liatovr/.d, nämlich die ’ A-ypidevec; und die Aaiatot (vgl. St. B.
Aaiaioi • £0voc riaiovowv,) zu den Waffen; der Strymon flicsst h.
xou _//.6|j,ßpou opeuq 8t’ ’Ayptdvtov (codd. Tpataiwv) za: Aaiatwv; von
Byzantion bis zu den Aaiatot und an den Strymon braucht ein
rüstiger Fussgänger 13 Tage*. Nach Strabo entspringt der
Strymon sy. Uouo'daq; nach Stephanus sassen die ’AYptat • I0vo?
llatovt'ap Atp.oo y.at ToSötxyjc, also am oberen Skios und
Hebros. Der Skombros ist der heutige Ryla-stock* hier hausten
nach Sophokles (St. B. v. ’Aßpct, Hesych.) Sxop.ßpot • Qpocr.iov eOvoq.
Die A ata tot (vgl. die illyr. Eigennamen Lavius, f. Lavia) setzen
wir östlich vom Ryla, die Agrianen vom oberen Strymon west
wärts bis zum Owöe-pole am Axios, wo sie an die Dardaner
stiessen; südwärts umschlossen sie die thrakischen Maiden,
nordwärts die Dentheleten. Wahrscheinlich erklärt sich ihr
Name aus aypo?, ager, als a'yptoi ,auf dem Felde wohnende';
vielleicht ist damit, trotz G. Meyer’s Einspruch, alb. egre
,agrestis, silvaticus' verwandt. Wie die übrigen Paionen, wurden
sie von Philipp und Alexander dem makedonischen Reiche
einverleibt, unter Belassung ihrer Stammeskönige; damals war
Adyyxpoq (Arr. I, 5, 2 ff.) Fürst — ein echt-illyrischer Name
(vgl. Longarus rex Dardanorum, Liv.). Als Bewohner der
Blachfelder, die in ständiger Fehde mit den thrakischen Berg
stämmen lagen, waren sie zu leichtem Felddienste vorzüglich
geeignet; wir finden sie im makedonischen Heere als dzovxtcrxai,
asevSovvjxai, uxraoxtaxat, bewaffnet mit der Xo-f/y] oder dem dx.6vxtov;
vgl. Hesych. ’A^ptavec • tsXoc xt xr,p zoüyr t c Guvxa^cü);, sv. xv;o ’Avpiavayji;
yüpaq llatovwv. Eine eigene xd-tp, aus Agrianen bestehend, hiess
’A^ptavixov cbwvxtov. Sie werden in allen Kämpfen der make
donischen Zeit bis 160 v. Chr. erwähnt, und Appian (Illyr. 14)
rühmt von ihnen: ’Aypidvs?, ol xd p.XYicxa <t>iX(7nxw y.ai ’AXs^avSpw
y.axspYaaap.svot, llaiovep Etat xwv y.äxw Ilaiövwv, ’lXXupi'otp Iixor/.o 1 .. Sie
fühlten sich den Autariaten weit überlegen: dieses gleichfalls
illyrische Volk, ursprünglich im Inlande zwischen der Narenta
und dem Drin sesshaft und hier seit 370 durch Kelten gedrängt^
hatte zwar die Triballer im Morawagebiet unterworfen, wurde
jedoch zum Auszuge gezwungen; Langaros schlug sie 334 zurück;
Die alten Thraker. T.
23
Kassandros aber siedelte nachmals (ca. 300) 20,000 durch
Galater verjagte Autariatenfamilien in Orbclos an. Die
überaus starke Heranziehung dieses Volkes zum Felddienst
und die Uebermacht der Bergthraker scheinen es erschöpft
und aufgericben zu haben; seit 160 erscheinen nur mehr tlira-
kische Maiden und Dentheleten an der Oberfläche. Nun müssen
wir uns einem Volke zuwenden, das einen hochberühmten
Namen trägt und lange Zeit eine mächtige Rolle gespielt hat.
Die Aipsavo:, auch Aapoavsli; und AapBavtarat genannt, wohnten
vom Oberlaufe des Axios entlang und zwischen den beiden
oberen Flussläufen der Morawa bis zu deren Vereinigung im
tcsBi'ov to TptßaXXr/.ov. Die älteren Griechen kennen dieses Volk
noch nicht; zum erstenmale wird es ausdrücklich a. 284 genannt,
und mächtig tritt es seit den Galaterstürmen hervor. Agathar-
chides von Knidos wusste zu berichten (Athen. VI p. 272, d),
dass unter den Dardanern eine zahlreiche leibeigene Bevölke
rung lebe, gleich den -poo-ska-ai unter den Ardiaiern Illyriens;
es scheinen hier zwei illyrische Schichten, eine ältere und
jüngere, verkörpert durch adelige Grundbesitzer und hörige
Bauern, zusammengeflossen zu sein. Als Lysimachos den
Paionen Ariston des Thrones beraubte (284), entfloh dieser zu
den, wie es scheint, stammverwandten Dardanern (Polyaen. IV
12, 3). Dardani repetebant Paeoniam, quod et sua fuisset et
continens esset finibus suis (Liv. XLV 29, 12); sie fielen dess-
halb ständig in Makedonien ein, Dardani gens semper infestis-
sima Macedonibus (vgl. lustin. XXIX, 1, 10). Zur Zeit der
Kelten einfalle unter Ptolemaeus Ceraunus (ca. 280) war Msvouvio?,
Monunius (vgl. alb. menune ,minutus‘?) König der Dardaner
(Trog. Pomp. prol. XXIV); er bot damals, obwohl verfeindet,
dem Makedonerkönig 20.000 Bewaffnete an, die dieser jedoch
zurückwies (Just. XXIV 4, 9). Später finden wir Antigonus
im Kampfe mit dem Dardanerkönig Mütiaoc. Um 239 fiel
AöYyapoi;, der sammt seinem Sohne Bchwv einen illyrischen Namen
trägt, in das Gebiet des Demetrius II. ein. Wie die Personen
namen, so verratlien auch die Ortsnamen illyrischen Charakter,
z. B. OüevSsvt? (alb. wend pl. wendena ,situs, positio, domiciliund),
OusAXavV, ’AppißstvTiov (vgl. ’Apptßaloc, Fürst der Lynkesten, und
’Apußßac, Fürst der Molosseil). Der von Strabo vermerkte
Hauptstamm der Dardaner im Gebiete von Skupoi, nämlich
24
IV. Abhandlung: Tomaschek.
die FaAaßpto:, darf trotz der anlautenden Media, die auch im
Albanischen nicht immer scharf von der gutturalen Tcnuis
unterschieden wird, mit den iapygischen KaXaßpoi verglichen
werden; der Name der ©oovchai, welche den thrakischen Maiden
zunächst benachbart waren (Strabo VII, p. 316), liesse sich
zwar aus alb. Oüene-te ,fracti, rupti, conversk deuten, es
kann aber auch die illyrische Form eines dort sitzengeblicbenen
Restes der thynischcn Thraker oder M«tooߣ0uvot darstellen.
Mit Mühe gelang es den Römern, dieses mit der make
donischen Taktik wohlvertrauten Volkes, das gutgeordnetc und
schwerbewaffnete Heere aufstellte (Liv. XXXI 43) und seit
der Einrichtung der makedonischen Provinz (147) unablässig
Einfälle machte, Herr zu werden. Gegen die Dardaner kämpften
mit wechselndem Glücke Vulso (37), C. Sentius (92—81) und
Sulla (85); Ap. Claudius (76) erbitterte sie durch harte
Erpressungen; C. Scribonius Curio (75—73) bewältigte sic mit
den grausamsten Mitteln: Dardanorum ferociam, in modum
Lernaeae serpentis aliquotiens rcnascentem, hoc genere poenarum
exstinxit, ut primoribus manus incideret residuosque supplicio
capitali multaret (Amm. Marc. XXIX 5, 22). Doch brachten
sie (62) den Consul C. Antonius so sehr ins Gedränge, dass er
ihr Land schleunigst räumen musste, um sich bei den Moesen
ähnliche Schlappen zu holen. Ihre Einfälle wies L. Calpurnius
Piso (57) erfolgreich zurück; wir finden dann (48) Dar
daner als Hilfstruppen im Heere des Pompeius; später (39)
trieb sic Antonius zu Paaren, und unter Augustus (27) siegte
M. Crassus über alle Grenzvölker, namentlich die Bastarner,
welche bis Dardanien eingefallen waren. Sic blieben seither
ruhige Provincialen, welche der Viehzucht, dem Borg- und
Ackerbau fleissig oblagen.
Von ihrer alpinen Wirthschaft legt der cascus Dardanicus
Zougniss ab, der neben dem cascus Docleas Ruf genoss. Die
Gruben in den campi Dardanici (bei Janjewo und Kratowo)
sowie im Bergstock des Kopalnik standen schon damals im
Betriebe; Plinius (XXXIII 39) rühmt das aurum Dardanium,
und wir besitzen noch jetzt Münzen aus der Zeit Trajan’s mit
der Legende DARDANICI. Auf diesen erscheint eine Frau
mit Aehren in der Rechten; ausser den Cerealien fand der
Hanf besondere Pflege, und es werden grobe dardanische Stoffe
Die alten Thraker. I.
25
erwähnt. — Von dardanischen Göttern wird uns, mit Ausnahme
des dcus Andes (Inschr. v. Kacanik; vgl. alb. ande ,Blume' und
ände ,Lust, Freude'), Nichts überliefert; von ihrer Sprache sind
blos zwei Pflanzennamen bekannt. Das Volk war als schmutzig
verrufen, von einem Schmutzfink hiess es sprichwörtlich xpi? xsu
ßiou XeXouxai &a~e.p Aapäaveu;. Sie sollen in Erdhöhlen gehaust
haben, die sie mit Dünger zudeckten —• wie dies noch heut
zutage hie und da an der unteren Donau der Fall. Doch wird
ihr Sinn für Musik hervorgehoben: sie hatten Flöten und
Saiteninstrumente (Strabo VII, p. 316). Plinius nennt sie eine
fera gens. Aus den latrones Dardaniae machte M. Aurelius
Soldaten und Häscher (oitoyiXiiai). Die illyricianischen Truppen,
darunter Schaaren von Dardani, nahmen in der späteren Kaiser
zeit, namentlich seit Diocletianus, eine entscheidende Stellung
ein; das Christenthum hatte im Lande Wurzeln gefasst und
lange vor 400 war die Romanisirung vollendet. Der Landes-
namc erhielt sich bis in die slowenische Zeit hinein; ca. 676
flohen die Provincialen der nördlichen Eparchicn, zumal £•/.
Aapoaviac, vor den Fremdlingen nach Thessalonich (Acta S. De-
metrii § 169. 195); a. 602 wird nahe den Donau.-zaTappocx.Tat ein
•/.Xhoc r?j? AapSaviae erwähnt (Theophyl. Sim. VHI 5, p. 322)*
Gewiss waren auch Dardaner an der Bildung dps ostromanischen
oder ,wlachischcn' Volksthums betheiligt; hatte sich doch das
thrakische Element mit dom illyrischen an der Grenze von
Dardanien gemischt, wie man z. .B. aus dom Ortsnamen Aapoa-
■xäpa erkennt, worin thrak. -para mit dem dardischcn Volksnamen
sich einigt. Ein altes illyrisches Volk im iapygischen Daunien
nannte sich DARDI (Plin. III 104); die Dardaner selbst hat
v. Hahn, vielleicht nicht ganz ohne Berechtigung, als ,Birnbaum
pfleger, Landbauer' gedeutet (vgl. alb. därdhe ,Birnbaum',
dardhän ,Birnbaum Züchter').
In der Ilias erscheint AapSavop als Ureinwohner des Ida-
gebirges und Gründer von Dardania, bevor es noch eine Bios
gab; cs scheinen demnach die troischen Dardaner, zu deren
Geschlecht Aineias gehörte, den ältesten Tlieil der Bevölkerung
neben den Toto;: oder, wie man seit Kallinos sagte, den Teüxpe?
darzustellen. Lediglich wegen der Namensgleichbeit haben
schon die Alten die illyrischen Dardaner für Trojaner erklärt.
Der römische Kaiser Claudius (268—27 0), vir lllyricianac gentis,
26
IV. Abhandlung: Tomaschek.
in Dardania geboren, führte seinen Stammbaum auf Ilus und
Dardanus zurück (Treb. Pollio 11, 3). Bei Solinus (II 51)
heissen die Dardani homines ex Troiana prosapia in mores
barbaros efferatih Aber, was die Namensgleichheit betrifft, so
kann diese trügen: so kennt Herodot (I 189) am Gyndes ein
Volk Aapdaveec, wahrscheinlich kurdischer Abkunft; im west
lichen Kaukasus, nahe dem Kuban, gab es Aavoapiot, die wahr
scheinlich zu den Kep^s-oa (Cerkessen) gehörten. Wie die
Teukrer, so waren auch die Dardaner Troias kleinasiatische
Aboriginer; sollte wirklich ein Zusammenhang der troischen
Dardaner mit dem illyrischen Volke stattgefunden haben, so
werden wir wenigstens annehmen müssen, dass sie aus Europa,
der Heimstätte der Illyrier wie aller Indogermanen, gekommen
waren, nicht umgekehrt.
Schon das Alterthum brachte bekanntlich die adriatischen
Veneter mit den homerischen Enetern Paphlagoniens, den
Nachbaren der Kaukonen, in Verbindung. Auch Neuere haben
sich dieser Ansicht mit Eifer angenommen und gemeint, dass
zuerst die Veneter, hinter diesen die Dardaner, zuletzt Mysen
und Teukrer (= Paionen) aus Kleinasien zogen und stufen
weise zwischen der Adria und dem Hellespont sich lagerten.
Das Ganze sieht bestechend aus; aber auch bei den Venetern
spielt die blosse Namensähnlichkeit die Hauptrolle. Die paphla-
gonischen Eneter, will man sie nicht umgekehrt für uralte Meta-
nasten aus Illyrien halten, müssen für kleinasiatische Aboriginer
gelten; nach Hecataeus, welchen Zenodot citirte, stammten die
Eneter e*. Aeuzocupoiv und soll ’Evetv; der leukosyrische Name
für das spätere (aus armen, amis ,Mond‘ gut deutbare) ’Ap.icö;
gewesen sein; ein Demos bei dem karischen Milet hiess ’Evvvjto!
(Le Bas III, Nr. 219) und selbst Hsvvsto? wird als karischer
Name bezeugt (auf Iasos Nr. 287). Die adriatischen VENETI,
welche schon Herodot als Illyrier hinstollt, dürfen wir keines
falls aus Asien herleiton, da das illyrische Volksthum aus dem
mittleren Donaugebiet stammt; als Personenname tritt Venetus
allenthalben auf dalmatischem Boden auf. Es gab sogar an der
Nordgrenze Makedoniens, zu Seiten der Dardaner und Triballer,
’EveTot, welche etwa die Metöhia von Pek' inne hatten und für
eine nach Südost vorgedrungene Abtheilung der Dalmaten
gelten müssen. Als im Jahre 85 Sulla in Verein mit C. Sentius
Die alten Thraker, f.
27
gegen die Grenzvölker zu kämpfen hatte, unterwarf er (App.
Mithr. 55) ’Evexou? zal AapSav^a? -ml Sivtobs, xeptWa Max,eS6vwv
20vvj, ouve^ö? e<; MazsSovt'rzv s|xßäXXovca; Eutropius nennt an Stelle
der Eneter Delmatae. Plinius führt in der Reihe der illyrischen
Völker Enedi an. Nach einer alten Quelle gab auch der voll
ständigere Text des Stephanus von diesem Volke Kunde; vgl.
Eust. ad. B 852: vp oe y.al e'Övoc xapa TpißaXXoR ’Evexot. Mit Un
recht berufen sich die Anhänger der ,teukrischen‘ Abstammung
der Paionen und Dardaner auf diese dalmatischen Veneter. Alle
Völker der Haemushaihinsel gehören von Haus Europa an;
dies gilt auch von der paionisch-dardanischen Gruppe; Klein
asien war die Urheimat allophyler Aboriginer — wenn es hier
indogermanische Intrusionen gab, so sind dieselben aus Europa
gekommen, nicht umgekehrt.
II. Die phrygiseh-mysisehe Gruppe.
Als Eugammon seine Telegonie, die Fortsetzung der
Odyssee, dichtete (ca. 565 v. Chr.), war noch die Erinnerung
an eine Zeit lebendig, in welcher Epirus von phrygischen
Nordstämmen bedroht war; der Dichter liess Odysseus aus
lthaka ausziehen und die Königin der Thesproter zur Frau
nehmen; sxeixa xoXsp.o? auvlaxarat toi; ©saxpwToi? xpb? Bpiyouc. Wie
in Troia, so standen auch hier auf Seiten der Barbaren Ares
und Apollon, und das Heer der Thesproten wurde trotz der
Beihilfe Athenc’s und Odysseus’ Führung gänzlich aufgerieben
(Proclus, ehrest, grarnrn.). Auch die Argonautensage (Ap. Rh.
IV 330, 470) kennt dieses Volk auf zwei liburnischen Inseln
(Kerkyra und Paxos? Apollonius dachte an die Absyrtiden,
welche zu weit nördlich liegen), Bpoyr/lSä? vtjcoi, mit einem Tempel
der Artemis, den die Bpöyot des Festlandes errichtet hatten. Es
haben sich also diese Brygen zwischen die Chaonen und Thes-
proter in das Alluvialland am Thyamis oder Kammos gewaltsam
eingeschoben. Den kyklischen Nborot zufolge soll "EXevoc, Sohn
des Priamos, über Kikonia und Makedonia nach dem Lande
Kap.p.xvG • p.otpa ©sexpomac (benannt nach dem Flusse Kdp.p.o?,
nach Serv. ad Aen. V 333 nach dem Fürsten KcQxoc) gekommen
sein und mit Kscxpla, der Tochter des Kampos, den Kestrinos
erzeugt haben, nach welchem das Land den Namen Keaxplvifj
28
IV. Abhandlung: Tomaschek.
erhielt; Hclcnos galt zugleich als Gründer von BouOponic, wo
auch ein Xotpoq stand, Tpoia zaXoup.evop, w rcoxs Tpwe? orpaTOiteSw
e/pfjcrarro (Dion. Hai. I 51; vgl. St. B. Tpota • toXi? sv Ksorpia trjc;
Xaoviac; Varro ap. Serv. Aen. III 349), und als Gründer von
’Taiov am Flusse Thyamis (St. B. vgl. Liv. XXXI 27), etwa
in der Lago des heutigen Ortes Philiates. Das können helle
nische Neugründungen gewesen sein, nach dem Muster der
berühmten homerischen Namen; Anlass dazu hot das vormalige
Vorhandensein der Brygen, die man sich aus Troia gekommen
dachte; und dass man gerade Helenos zum Landesheros machte,
wurde durch die Namensähnlichkeit mit den ’'EXivot • eövo; 0ec-
xpwxizov in der ’EXivia yj /wpa (Ehianus ap. St. B.) verursacht.
Verfolgen wir die brygischen Spuren weiter hinauf ins
Inland. Ueber den Illyriern, zwischen dem Lychnitissee und
den ’Ey/eXeioi, hausten nach dem sogenannten Skymnos (v. 434,
437) Bpuycu ßäpßapot, die also weder Illyrier waren noch Hellenen.
Aber auch östlich vom Lychnitis, am Oberlauf des Erigon und
am Pylonpasse des Gebirges Bapvouc, zwischen den Lynkesten
und Deuriopen, gab es nach Strabo (VII, p. 327) ßpö/oi. Hier
vermerkt der Pilgerbericht eine mutatio Brucida, m. p. XIII
Lychnido, XIX castris Parembole, finis Epiri et Macedoniae,
worin bereits Wesseling BRUGIADA erkannt hat, d. i. Bpuyictt;
(St. B.); Stephanus kennt auch einen Vorort ßpuyiov (Ew. Bpuytoi,
Bp uytelc) des Volkes ßpuyai • sOvoc; Mazsoovta? r.poae/kq ’IXXupiol?, und
führt aus Herodian die Formen Bpii;, f. Bpoyk, an. Auf deurio-
pischem Gebiet lag nach Strabo die brygisclic Ortschaft Kuäpai
(vgl. Küopapa, Grenzort zwischen Lydien und Phrygien bei
Herodot). Aber noch weiter ostwärts, in die Bergstriche von
Emathia, führen uns herodoteische Angaben. Als Mardonius
493 durch Thrake und Makedonien zog, erlitt er zuletzt starke
Verluste durch die Bp6yoi ©pv'jf/.sc, welche sein Heer bei Nacht
überfallen hatten (VI 45); die Sitze dieses ,thrakischen‘ Volkes
ergeben sich aus der Reihenfolge der Stämme, welche sich 480
dem Xerxes anschlossen (VII 185): Borctaioi -/.ai Bpoyoi v.al Ihspsc
y.ai MazEoovs? xat llsppaißo!. — Wenden wir uns vom Lychnitis
weiter hinauf gegen Nordwest, so linden wir auch hier einen
Zweig der Brygen. Strabo p. 326 führt zwischen Apollonia
und den Keraunien und zwischen Epidamnos folgende Stämme
von Süd nach Nord an: BuXXiove? xs xai TauXävTtot zai llapötvoc
Dio alton Thraker. I.
29
zai Bpüyot, diese letzteren also ganz nahe an Dyrrachion. Dazu
stimmt sehr gut die Nachricht hei Appian (B. civ. II 39): ypsvw
Be Ti;? xe /wpa: zai tt;c Auppayjou xcXew? zaxecyov Bpiye?, ez ‘l>puy£5v
e'äavsXGivxe?, zai ex’ ezetvoic TauXävxtoi IXAupizov eOvo? —■ nur dass
hier statt Bpuyoi oder Bp6yoi die Form Bpiye? auftritt.
Nur in seltenen Fällen (Meyer, Gr. Gr. 91) setzt der
Grieche i für u ein; aber, wie dem Phrygischen (vgl. Bp6ava und
Bpiava), so muss, wenn es erlaubt ist, aus den heutigen alba
nischen Dialekten einen Schluss für das Alterthum zu ziehen,
namentlich dem Illyrischen und wohl auch dem Makedonischen
der Uebergang von u, ü zu i von Haus aus eigen gewesen
sein — gerade in solchen Kleinigkeiten erweist sich die orale
Disposition auf die längste Dauer beständig. Wir wissen, dass
das Griechische in Makedonien fremdartig ausgesprochen wurde,
indem theils die illyrische, theils die phrygische und thrakische
Sprachanlage der Untergebenen durchdrang; so erklärt sich
auch das Auftreten der makedonischen Form Bpiys?. Die
Plvrygen selbst haben sich in Kleinasien nicht anders als Bpoys?
oder Bpiyec benannt. Die Griechen jedoch haben seit Alters,
vielleicht schon zu jener entlegenen Zeit, als sie westlich vom
Axios hart neben phrygischen Stämmen sassen und als noch
die ursprüngliche Media-Aspirata bk deutlich gefühlt wurde,
zuerst Bhrug-, Bhrüg-, sodann gemäss der Lautverschiebung
Phrüg-, 'bpuysc, ausgesprochen; nur die epirotischen Stämme
haben für die ihnen benachbarten Brygen dieselbe Form mit
U An laut beibehalten, welche bei Phrygen und Makedonen,
welche die Media-Aspirata regelmässig in die einfache Media
umsetzten, üblich war. Der Name lässt sich mit aller Wahr
scheinlichkeit als ,homines frugi' deuten, von Wurzel bhrüg :
bhrüg ,brauchen'; in Bpuyot, Bpuyai tritt langer, in <t>puf£<;, Bpuys?
oder Bpuyot, sowie in Bpi'ys?, kurzer Stammvocal hervor. Auf
kleinasiatisch-phrygischem Boden sind folgende Formen bezeugt:
Bptyi'a • •( TpuVz^, v; <I>pu-pa, axo Bpiyou xoü zaxotzvfcavxo? ev MazeBovia
(St. B.). Für ‘bpi:; wurde Bpi? gesagt; vgl. Hesych. lipiysc • oi
p.sv < l->p'j-|'£? J oi 3e ßäpßapot, oi oe coXotziuxai'. ’lißa? os örcb AuSwv äxo-
<pcdv£xai ßprj-a XeY&iGai xov eXsuOepov. Dazu hatte man die Glossen:
ßpüzo? • ßdpßapo?, ßptzov ‘ ßapßapov, Ivüxpioi, ßpizeXot • ßapßapoi; endlich
die Bpiys? zai BpivavxEc, oi xrpaxsuöp.Evoi otzexai, im Heere des
Brutus (Plut. Brut. 45). Wenn die Brigen als ,unverständlich
30
IV. Abhandlung: Tomaschek.
sprechende' oder ,semibarbari' bezeichnet werden, so gilt dies
i’tir die hellenische Zeit, als alle Kleinasiaten anfingen sich des
Griechischen in ihrer Weise zu bedienen. Wenn Juba das
Wort aus dem Lydischen d. h. Maionischen deuten will als
,Freie', so bezieht sich dies auf die maionisch-phrygischen Frei
sassen und Grundbesitzer, im Gegensatz zu den dienenden
Leiegern, Minyern und Karern; ßpfys? ist dann Eigenname,
keine echte Glosse, und am allerwenigsten darf man dabei an
got. frei-s ,frei' und frik-s ,frech' denken. Es bleibt also bei
der Deutung ,homines frugi'.
Die Gleichung Bpi-pe? 1 ot wird von den Alten oft ver
merkt; am gewichtigsten ist der Ausspruch Herodots (VII 73):
oi 3e 'J'pivsc, üq Msty.säovsc Asvouct, h/.aXsovTO Bpi'ysc ypovov oaov liupw-
xr ( tot id'mq aivoaoi r\crav Mazeocct, p.ETaßävTsq oe s<; tvjv ’Aofyv ap.a ty;
-/wpy) y.ai to oüvop.a p.eTsßaXov kq ‘bpuya?. Aehnlich Strabo p. 295:
y.«t auTol 3’ oi Tpu-fEc Bpiye? siel, Gpay.tov ti eÖvo?; VII fr. 27: to
Bsppuov 8po? xpÖTspov y.axzi/o') Bpiys? 0pay.öv eOvo?, a>v xtvs? Siaßavxec
eic tyjV ’Aai'av Tpü-pep gE-uvogaGÖ^cav. Diese makedonischen Brigen
dürfen von jenen illyrischen Brygen in keiner Weise getrennt
werden; gebraucht doch Herodot, wie wir oben sahen, für diese
Brigen die synonyme Form Bpuyoi, wie umgekehrt Appian für
die Brygen von Dyrrachion die Form Bpi-pst;. Wir sehen also
einen langen Gürtel phrygischer Intrusionen zwischen dem
thermäischen Gotte und der Adria, zwischen den griechischen
Stämmen von Epirus und Thessalien und den illyrischen Völkern
des Nordens. Von den Brigen des emathischen Landes aber
wusste die makedonische Sage Manches zu erzählen; es be
gegnen hiebei die Silenen (SaudSai), Dämone der Springquellen,
ebenso Midas, Sohn des Gordios und der Göttermutter, der
Dämon des Natursegens und des Ueberschwangs in Feld und
Flur — Namen, welche, gleich jenen der metallurgischen Dak
tylen, dem ältesten Volksglauben der Plirygen angehört haben
und nicht mit Notliwendigkeit gerade und einzig auf Asien hin
zuweisen brauchen. Wenn diesen jedoch der Name des Orpheus
angefügt wird, so wäre dies bei der Nähe Pierias an und für
sich nicht auffällig; wegen der späten Erwähnung jedoch wird
der Verdacht rege, dass hier eine Zuthat der Geschichtschreiber
Eplioros und Theopompos vorliegt, hervorgerufen durch die
Sagenklitterung der orphisclien Mystiker. Das Auftreten des
Die alten Thraker. I.
31
Midas auf makedonischem Boden musste jedoch bei Vielen die
Ansicht erzeugen, dass die Brigen aus Asien stammen, dem
'Hauptsitz der Phrygen und der Midassage; folgerichtig Hessen
sie dann auch Lydier und Mysier mitwandern. So dichtete
Euphorion (scliol. Clem. Alex. IV, p. 96 Kl.): «y.sixo 3s xo xaXaiov
■fj "ESetjca üxo <t>poyü)V xat Auowv y.ai xwv pexa MiSou oicaop.iaOevxwv
elq ty)v EüpwxYjv. Hellanikos nannte, wenn die Angabe (Const.
Porphyr, de tliem. II 2 nach dem vollständigeren Text des
Steph. Byz. v. MsaeSov(a) nicht etwa verkürzt lautet, überhaupt
nur die Mysier: MaxsSovs? pivot psxa Mugüv tote oi/,ouvxsp. Von
der Wanderung des Midas aus Asien über die cdonischen Lande
spricht auch Nikandros (Athen. XV, p. 683 b): xpwxa pev ’QSo-
viyjOs M(3r)p axep ’Aoiboq apyrp) | Xeixwv ev xXvjpotGi ävexpecpsv ’HpaöioiGiv |
aiev iq H^xovxsi xepii; xopöwvxa iustijXoi?. Diese poca, welche die
Makedonen mit einem phrygischen Worte äßayva nannten
(Hesych.), Messen auch sxaxovxapuXXa, und sie gediehen prächtig
im edonischen Pangaios (Theoplir. H. plant. VI 6, 4); die
Rosengärten des Midas begegnen schon in der Stammsage der
Argeaden (Hdt. VHI 138): <px.rjaav xeXa«; xwv x-<;x&>v xwv Xsyo-
psvtov eivai Mioew xoö Topsisw, sv xoigi <pusxai auxöpaxa pb§a, ev sxaaxov
s'/cv eipjxovxa <p6XXa, oSpjj xe üxsppspovxa xöv aXXwv. sv xoüxoigi y.al b
SiXvjvoi; xoigi x.y)xoigi rf/M. üq Xeysxai üxb Maxscövwv. uxep Se xwv y,v;x<ov
xeexai to Bsppiov opoq. Konon lässt, in Uebereinstimmung mit
der makedonischen Sage (Hdt. VII, 73), Midas umgekehrt nach
Asien auswandern: MtSa; Or ( aaupw xspixu/ivv äOpoov ec xXoüxov vjpOyj
y.ai, 'Opcpsios y.axä Lliepsiav x'o opoq dy.poaxy;? ysyopevop, xoXXal? xs^vaip
Bptyöv ßaGiXeüst, oup ör/j.GS üxb xci ßspphj) opei, xoXuavOpuxoxaxoup ovxap.
SsiXvjv'o«; xspi xo Bsppiov opo; woOrj. exstxa MiSap, xsiGap xb üxnjy.oov
äx’ Eupth.xyjs Siaßyjvai x'ov 'EXX^oxovxov, üxsp MuGtav ojxigs, 4>p6yaq avxi
Bpiywv psxovopaGOsvxap.
Für uns hat die Frage, ob die Brigen aus Grossphrygien
stammen oder ob umgekehrt die asiatischen Phrygen aus Make
donien ausgewandert waren, keinen Sinn, keine Bedeutung;
wir nehmen vielmehr an, dass es einst eine Zeit gab, wo die
phrygisehe Nation geschlossen die Räume südlich vom Haemus
inne hatte; von hier aus zog, entweder durch Nordvölker ge
drängt oder dem Zuge nach dem wärmeren Süden folgend, die
Hauptmasse als Eroberervolk in das allophyle Kleinasien ein,
wie nachmals die Galater; die westlichen Stämme jedoch, welche
32
IV. Abhandlung: Tomascliok.
zurückgeblieben waren, wurden durch die Invasion der thra-
kiscken Völker, der Maidobithynen, lange vor der Ausbreitung
der Paionen über den Axios hinaus, dem emathischen Küsten
lande und der Hochregion des Bermios zugetrieben, von wo
aus, infolge des Nachdrängens der Paionen und Thraker, be
deutende Theile weiter ins illyrische Inland verschlagen wurden,
so dass wir Brygen endlich an den Küsten der Adria und im
thesprotisclien Lande vorfinden. Es wird nicht Zufall sein, dass
ausser den Paionen, welche Pelagonia und Emathia unterwarfen,
hart an den Fersen der Brygen, wie wir sehen werden, thra-
kisclie Kriegerstämme auftauchen, Trailer und Treren, Vor
läufer der kimmerischen Wanderung (750—G00): diesen vor
Allen müssen wir die spätere Zersplitterung der brygischen
Stämme zuschreiben. Die Brigen Emathia’s aber waren aus
den strymonisclien Landen gekommen. Die Sage von Midas
und Silen haftete nicht bloss am Bermios, sie fand sich auch
viel weiter nordwärts, hart an der Grenze der Paionen und
Thynen, an der Quelle ’lvva, piay) MaiSuv xai üaiövwv, fjv ey.epass
oi'vco 6 <hpb!; Mioaq, ote eXeTv tov 2siAy)vov ütio |j.eÖy)c vjöeXvjaEV (Bion ap.
Athen. II 45 c). So weit im Norden mögen vormals Brigen gehaust
haben. Der Flussname STpup.wv gehörte der phrygischen Sprache
an: nicht nur im Sagenkreise der Troas erscheint eine Fluss
nymphe ihpugo), am Bermios selbst hiess der bei dem brigischen
Orte (Stepli. Byz. s. v.) vorbeilliessende Bach S-cpup.wv
und der Ort darnach Sxpuusvtov. In Bisaltia finden wir ein
phrygisekes Castell Bfou. Nahe dem Bolbe-see lag ein anderes
Castell, Bprpüjc mit Namen; der Sänger Thamyris soll ei; ’JlSuvüv
•rij; ev Bpbpoi? toaeu? nach Pieria gekommen sein. — Die Zeit,
wann die Brigen vom Bermios zuerst von den Paionen, dann
von den Makedonen, unterworfen wurden, lässt sich schwer
bestimmen. Schon waren die Thessaler aus Thesprotia in die
Alluvialebene am Peneios eingerückt (ca. 1000), die Magneten
hatten Pieria eingenommen, als auch das verwandte hellenische
Bergvolk der Oresten sich zu regen begann und einen Ausweg
nach dom Küstcnlande Emathia zu gewinnen suchte; der
mythische Stammbaum der Argeaden rückt jedoch die Besitz
nahme von Edessa, sei es durch Karanos (ca. 800), sei es durch
Perdikkas (ca. 700—650), wie es scheint in eine viel zu alte
Zeit; vielleicht gehört dieses Ereigniss in den Ausgang der
Die alten Thraker. I.
33
kimmerischen Wanderung (ca. 600). Vielleicht waren die ,kreto-
pelasgischen* Bornals! ein Stamm brigischen Schlages, da sich
zunächst der Ort Boracteiov im kleinasiatischen Phrygien ver
gleicht; der Bergname "Oauli.-c? war Phrygen und Hellenen
gemeinsam; über den pierisehen ’Opcpiüt; werden wir im mytho
logischen Anhang reden, wie über 0a,u,upis;. Wenn ,Thraker*
in ’AXwiov (Steph. Byz.), also im Tempetliale, auftreten, so kann
dabei ebenso an Brigen, wie an eine vereinzelt vorgedrungene
Schaar echter Thraker gedacht werden; dasselbe gilt von jenen
,Thrakern*, welche einst Orchomenos bedroht haben sollen
(Hellanicus fr. 71) — sind doch selbst in der römischen Kaiser
zeit einmal dakische Kostoboken bis nach Phokis gekommen!
Die angeblichen Thraker von Phokis, am Helikon und Parnass,
sind reine Erfindung; wir halten sie für abgethan. Ein völliges
Unding sind aber die ,helleno-pelasgischen* Thraker neuerer
Forscher.
An die brygischen schliessen sich ostwärts die edonischen
Stämme an, welche ursprünglich den ganzen Küstenstrich vom
unteren Axios bis zur Mündung des Hebros innehatten, durch
die Thraker und Paionen aber, sowie durch die Ansiedelungen
der Clialkidier, derartig zurückgedrängt wurden, dass ihnen
zuletzt nur das Land an der Strymonmünde und der Pangaios
übrig blieb, dessen Goldreichthum auch noch die Athener und
Makedonen ins Land brachte. Das edonische Volksthum besitzt
keine geringe Bedeutung ob der in seinem Schoosse ins Leben
getretenen orgiastischen Gülte, welche es unbedingt der or-
giastisch veranlagten phrygischen Nation zuweisen; es kommt
hiezu die geographische Stellung an der Seite der Brygen und
das Vorhandensein von edonischen Sporaden auf kleinasiatisch-
phrygischem Boden.
Der erste edonische Stamm, den wir noch am Axios
finden, waren die MuySove?. Tliucydides (II 99) nennt als
Bewohner des Landes zwischen Axios und Strymon nur die
Edonen: er setzt hier das Ganze für den Theil; auch Strabo
VII, fr. 11 hält die Mygdonen für eine Unterabtheilung der
Edonen. In den Genealogien erscheint MuyBiüv als Bruder des
’HScovoi; und des Btcrüv. Mygdonien umfasste das Alluvialland
am unteren Axios und den innersten Winkel des thermäischen
Sitzungsber. d. phil.-bist. CI. CXXVIII. Bd. 4. Abh. 3
34
IV. Abhandlung: Tomaschek.
Busens bis zum Bergstock des K'.aio; und bis zum Vorgebirge
der Ainier — es war also eine wahrhafte Mu/Govia (8t. B.);
weiter gehörte dazu die Thallandschaft ’Av0sp.ou<; und das
Gelände am See BiXßr;. Dieses ganze Gebiet gieng in sehr
alter Zeit an die Päionen verloren, und ’Ap.uowv erscheint bei
Homer bereits als paionische Veste; weil den Paionen unter
worfen, galten die Mygdonen Einigen für ein paionisches Volk.
Mygdonia nennt noch in spätbyzantinischer Zeit der gelehrte
Kaiser Joannes Cantacuzenus, und zwar am Pangaios und der
benachbarten pierischen Küste; richtiger setzt er die Veste
V'j'/a'.7.6v.y.tj-po'i (zwischen dem Vardar und Galiko, jetzt Awret-
hisär) in die Mygdonia. Ins mygdonische Oberland hatten die
Makedonen das Volk der ’Eopoca gezogen, deren Vorort TAv.o;
wurde (vgl. Zto/.oc • -o-rap.b? Mcaeäovta? bei Herodian, von Wz.
gheu- ,giessen* mit Derivat -<r/.o?).
Die Deutung des Namens MuyS-ov-sc vom Thema p-uyS-
(gr. pj/0-, puyjk ,Innenraum, Schooss, Meerbusen, Winkel*,
Wz. smugh- ,schmiegen*) ergibt sich aus dem Wohnsitz am
thermäischen Golfe und in den Binnenthälern; wir dürfen dieses
Thema auch für das Phrygische voraussetzen. Wir linden
(Anim. Marc. XXVI 7, 14) einen ,Mygdus locus, cpii Sangario
alluitur flumine*. In den Mygdonen, welche die vom Odryses
durchflossene Thallandschaft zwischen der Steilküste von Das-
kyleion und Myrlea und den westlichen Vorbergen des mysischen
Olymp (ts Tcsotov Muvoo'ucxc) bewohnten, vermuthet Strabo (p. 564)
,Thraker* oder richtiger (p. 295) ein ,phrygisches Volk, welches
Europa verlassen habe*. Schon bei Homer erscheint Mygdon,
Vater des Koroibos, als plirygischer Heros; die Argonautensage
kennt einen Mygdon, Sohn des Akmon und Bruder des Amykos,
als Fürsten der Bsßpuy.eg. Nach Ephorus (Diod. V 64), welcher
die Phrygen aus Asien herleitete, zog Mygdon mit den idäischen
Dartylen aus der Troas über Samothrake nach Europa. Bi-
thynien hiess (Amm. Marc. XXII 8, 14) voreinst Mygdonia.
Wir finden ferner Mygdones in der iurisdictio Pergamena
(Plin.), im Thale des Hermos, ja sogar im Gebiete von Milet
(Ael. Var. hist. VIII 5) an der Maeandermünde. So erscheinen
denn Mygdonen an der Peripherie der phrygischen Nation, als
deren Vordermänner oder Nachzügler. Wenn Tzetzes (Chil. III
812) für Perinthos als älteren Namen Muyäovia anführt, so scheint
Die alten Thraker. I.
35
er das politische Herakleia mit Herakleia-Perinthos verwechselt
zu haben; in dichterischer Ausdrucksweise hiess selbst die
Rhodope mons Mygdonius (Mart. Cap. 655), wie auch Cybele
den Beinamen Mygdonia führt (Val. Flaccus II, 46).
Die nur auf asiatischer Seite genannten Bsßpuites verbindet
die Argonauten sage mit den Mygdonen: sie sassen an der
Westseite der phrygischen Mariandynen bis zum Hypius und
Sangarius. Eine zweite Bsßptma umfasste das Gebiet von Lamp-
sacus, und die Gründungssage dieser Colonie meldet von
Kämpfen der Bebryken und ihres letzten Fürsten MatvSpcov mit
,Pelasgcrn'. Auch werden Bsßpisxes Boavatot erwähnt, mit ihrem
Fürsten Buavr,c, welchen Tlos getödtet haben soll (St. B., Conon 12).
Endlich finden wir diesen Stamm an der Westküste: Bäßpu-/.s<;
'/.Tzup.rpa.') v.ocl 7P£pt xr,v AuSiav sv -stc xArjcbv ’Eysuou xs y.x't MayvY;a(a<;
toko'.c (schob Ap. Rh. II 2) als Nachbaren der Mygdonen und
Maionen. Dem reduplicierten Namen liegt vielleicht eine Wurzel
bhreuq: bhrüq- lit. brükti ,zwängen, drängen, stopfen' zugrunde,
die wir auch für die pannonischen Bp=üv.o( sowie für die Bpuy.ai
oder Bpjy.üc • eOvo; ©pay.T)? (St. B.) vermutlien.
Unter dem phrygischen Namen waren ferner einbegriffen
die Aom'ove; oder AoXisT; der kyzikenischen Landschaft As/uovk,
welche sich westlich von der pnygdonischen Aue' zwischen dem
Rhyndacus und Aesepus erstreckte; auch sie hatten Fehden
mit den ,Pelasgern' zu bestehen (Apd. I 9, 18), wobei wir an
die herodoteischen Pelasger von Skylake und Plakia erinnert
werden; in der Dolionis lag der Ort Szöppo? (St. B.); auch
Ku^r/.o; (von Wz. qeug: qug- ,liohl sein, sich wölben') war einst
ihr Besitz, wie die Insel Bscßr/.oc. Ihr Heros Aoäuöv, Sohn des
Seilenos, soll am See Askania gehaust haben (Alex. Aet. ap.
Strab. XIV p. 681). Die Wurzel del: dol- begegnet auf phry-
gischem, wie auf thrakischem Sprachboden. Wir kehren zum
Axios zurück.
■ Der edonische Heros MuyBuv war Vater des Kpoiko; und
des fpaaTÖ; (St. B.). Von letzterem stammen die Tpas-uWs; ab
oder, wie Hecataeus sie nannte, die Kp/jcTwvec. Die fruchtbare
und gesegnete Hügellandschaft Ipzu-aDvia (oder rpYjsTMvi'a, auch
TpaiffTwvf«, Theop. ap. Athen. III, p. 77, d), bei den Griechen
KpaGTflwta, Kpr;c7Ta)vta und Kpyjcxwvr/.^ genannt, erstreckte sich von
den Quellen des Echeidoros (j. Galikö, byz. TaXoy.ö;) bis zum
3*
36
IV. Abhandlung;: Tomaschek.
mygdonischen Bolbe-See, wo der Canton 2uyivr) lag (Arist. Hist,
anim. II 17, Mirab. ausc. 122); nordwärts über dem Kamm des
metallreichen Dysoros sassen die thrakischen Bisalten, dann
die Sinten und Maiden (ol y-arixepöe KpYiaxwvai'cov 0p^[%e;, Hdt.
V 5). Als Tochter des Grastos erscheint Tlpaa (== Tipca?), zu
gleich Name einer krestonischen Ortschaft. Anderseits heisst
die Nymphe Kpr;cTwvY], Tochter des Ares und der Kyrene; als
Beiname des krestonischen Ares erscheint KavSawv (Lyc. 937).
Dieser edoniscli-mygdonische Stamm gerieth frühzeitig unter
die Herrschaft der Paionen (Strab.); vor den Perserkriegen
bemächtigten sich die thrakischen Bisalten ihres Gebietes (Hdt.
VII 115: o t63v B'.caXxsMV ßaaiXsup p}? ts. KpYjgrwvmfe 0pv;iS),
bis endlich die Makedonen unter Philipp, nach mehrfachen
älteren Versuchen, Alles unter sich brachten; schon früher
waren Krestonen mit Bisalten zur Akte gewandert, wo tyrrhe
nische Pelasger' sassen. (vgl. ib Kpirjaxwvaov bei Thucyd. I 109).
Giseke und neuerdings Hesselmeyer haben in den Krestonen
Pelasger gesucht, welche aus Thessalien stammten. Aber, wie
Niebuhr und H. Kiepert (AGeogr. II § 348, c) erkannt haben,
der Wortlaut bei Herodot (I 57 : UsAasyoi ol uxsp TupcYjvüv Kpr;- »
cstöva xoXtv oizsovTSs, wo offenbar Kpoxöva d. i. Cortona aus
Dionys. Halic. verbessert werden muss) spricht dagegen. Unter
halb Kreston wohnten erstlich nicht Tyrsener, sondern Mygdonen;
zweitens versteht Herodot unter Tyrsenern stets die italischen
Etrusker; endlich hatte auch Hellanicus (Fr. 1) die Sage be
richtet, dass Pelasger unter ihrem Fürsten Nänas aus Thessalien
nach dem adriatischen Spina ausgezogen waren, worauf sie das
etruskische Kpoxüiv d. i. Cortona eroberten. — Den Namen Tpa-
atuma deuten wir als ,Futterland', von Wurzel gras ,fressen'
abweiden', (vgl. gr. afpiocx«; ,Futterkraut', -fpäcu; att. xpaoxi?,
,grünes Futter, Gras' ypatvsiv • ecöteiv yp3. • ©ap, Kuxpiot y.a-ypä? •
v.a-am-'/äq, lalap.vnoi; alb. hä-ngra ,icli ass', n-gräne ,gegessen,
abgeweidet', grünes ,manducans').
Der andere Sohn Kpouooc, war Heros in der Landschaft
Kpiuci; • p.olpa xr\c, Muvoovia; oder der Kpowalrj yüpf] (PIdt. VII 123), >
welche sich an der Küste von Al'vsia über die Orte 2p.{Xa, Käp.tfa,
riywvoi;, Aiaat, Kwp.ßpeta, SxwXoc, Aixa^o? und SxapraXo? bis ”OXuv6o?
erstreckt hatte, im Süden jedoch die von den Makedonen ver
triebenen Bottiaier zu Ansiedlern erhielt. Nach Hellanicus
Die alten Thraker. I.
87
waren die Kpouaaüoi oder Kpoucisü; ein ^tlirakisclies^ Volk und
ßctpßapoi; die Aineiassage hat liier Platz gegriffen; weil man in
ihnen Stammverwandte der Phrygen erkannte. Nach Conon (46)
liegt Aineia ev tSj BpouctaSi yfj, wofür Kpoociaoi zu lesen; ebenso
muss den -/.-Anlaut die ganze Reihe bei Steph. Byz. Bpoucic,
Bpoucnsti;, Bpouaoi • tö e0vo; ctxb Bpoujou ’HpiaÖiou -^aiSoq, erhalten.
Die Kpoudcuot deuten wir als ,Schreier', ähnlich wie die illyri
schen XsAtoovsc, von der Wurzel lcreuk : krük-, lit. kraukti, skr.
kru§, kröcati (vgl. die dakische Glosse xpoucravr, • jreXiSdvtov).
Die Halbinsel Pallene südlich von Olynthos mit den
Küstenorten Icü'/rj, IVUvSr,, Sxiuvy) , STpdp.ßat "Asuxii; und A/p/oc,
und mit der Veste Siisra, bewohnten die S'.Owve? oder ZfOwvsc,
ein Stamm edonischer Abkunft. SfÖwv, Sohn des Poseidon und
der Ossa, o vqi; 0pay.ta<; -/eppov-^cou ßaciXeü?, erzeugte mit der
Nymphe MsvSr/t? die Ha/.AfjVr), und nöthigte deren Freier zum
Zweikampfe. Ein anderer Fürst über das ,thrakiscke' Volk
der Sithonen, KaIto?, soll den Phüniker Proteus aufgenommen
und in diesem einen tapferen Mitkämpfer gegen die Bisalten,
welche ins Land eingefallen waren und dann vertrieben wurden,
gewonnen haben; der bisaltischen Einfälle hatten sich noch
später die Chalkidier zu erwehren. Späten Ursprungs ist die
attische Sage vom Begleiter des Theseus, Moüvcco?, den eine
giftige Schlange im Sithonenlande oder sv ’OXüvGw tvR Opäv.r^
biss. — Auch die mittlere Halbinsel gehörte zum Stammgebiet
der Sithonen und hiess darum 2i0uv{«; an ihrer Küste lagen
die Orte My;y.6ßepva, 2sp|j,uXia, TaAr/ioc;, Topüvv), SapTY], ’Zl'fyoq und
IliAupo?, ferner in unbekannter Lage MfXxiopoc, Zy.aßaXa, TivSvj,
MeXavSta, weiterhin "Aa<sr,pa und, schon am Halse der Akte ge
legen, die zweite Zavv). Alle diese Orte wurden frühzeitig
hellenisch. — Bei Plinius hören wir von pontischen Sitonii et
Moriseni, Orphei vatis genitores: diese Siöumo’. y.a: Mopior]vo£ ge
hören wohl in die Chalkidike.
Hauptsitz der ’HSuvoi war und blieb das Alluvialland am
unteren Strymon und der Bergzug des Pangaios bis zum Sym-
bolon bei Philippi. Der Strom selbst hiess bei Dichtern ’Homvgc,
ein Beiname, der auch dem Echeidoros zugewiesen wird (EM.
p. 404, 9); ebenso hiess der Pangaios ’'Howv oder mons Edonus.
Unter den thrakischen Stämmen, welche das edonischc Gebiet
seit Alters eingeschränkt hatten, stehen die Bisalten obenan;
38
IV. Abhandlung: Tomaschok.
dann sind die Bergstämme vom Urbelos und aus der Rhodope
zu nennen, namentlich die Satren. Wir haben ferner gesehen,
wie sich die vom oberen Axios eingedrungenen Paionen in den
Besitz der strymonischen Gelände gesetzt haben. Gleichwohl
behielten die Edonen auf ihrem schmalen Raume, wie es scheint
bis auf Philipp herab, ihre eigenen Stammesfürsten; auf alten
Münzen erscheint ein FL«; ßasiXeuc ’Hooiväv oder ’HSüiveüiv, und
Thucydides (IV 107 a. 424) erwähnt den Ilircr/.o; ö t<öv ’HSuv'öv
ßauiAEÜc, Hart trafen die Perserzüge das edonisclie und paioni-
sche Land; dem Zuge des Xerxes schlossen sich auch Edonen
an (Hdt. VII 110). Diese hegten vor dem Wege, den der
Grosskönig gezogen war, heilige Scheu — er durfte weder
besäet noch verschüttet werden (VII 115). — Die Geschichte
der edonisclien Bergwerke verliert sich in die ältesten Zeiten:
schon die Phoeniker, welche von Thasos herüber kamen, hatten
dieselben ausgebeutet; aus dem Pangaios bezogen ferner die
Kolophonier viel Gold (vgl. Suid. u. die Paroemiogr. s. v. xpüaop
6 KoXoftimo;), ebenso die parischen Colonen auf Thasos. Seit
dem Kimon die Perser aus E'ion vertrieben hatte (476), suchten
die Athener im edonisclien Lande Boden zu gewinnen, erhielten
aber mehrmals bedeutende Niederlagen (z. B. 466 bei Dra-
beskos); zugleich erhoben die Thasier ihre Ansprüche auf die
Goldgruben. Mit der Gründung von Amphipohs (436) begannen
jene Verwicklungen, welche mit der Niederlage Ivleon’s durch
Brasidas (422) und mit der Besitznahme der Stadt durch Philipp
(346) endeten. Seither ist von den Edonen nicht mehr die Rede;
sie sind im Hellenismus aufgegangen. — Ausser ’Avd§p.oap.o;
(= ’Evvea 6Soi, Amphipohs) erscheinen Mipxtvo?, Tpa-p-Xcc und
ApaßvjGy.oc; als edonische Vesten im Flachlande und an der von
den Pieren (ca. 500) besetzten Küste rupyap.0;, Tavp-rj; und
Fai^wpoc, ferner die uralte Olcrdp.-r,, dann ’AvttGap-q und Aa-roq. Die
Bergwerke von Datos hatten die edonischen Aoc-uj-XcTnrct (vgl.
”A-Xonrra bei Stagira) inne; ein anderer Stamm am Südfuss des
Pangaios östlich von Amphipohs waren die Ilavaioi • lövoq ’HSuvr/.iv
(St. B.), welche vielleicht dem liier in byz. Zeit oft genannten
Bache lldvai;, acc. Ddvaxa, den Namen gaben. Ferner heisst
StöiAo; in der Chalkidike eine toXic ßapßdpr/.v) iv. tüv ’HBiovüv (St. B.),
und auf der Halbinsel Akte hausten ’HBwvh in kleinen Burgen
und Dörfern neben zweisprachigen Bisalten, Krestoniern und
Die alten Thralter. I. 39
Tyrrhenen (Time. IV 109). Wichtig ist noch die Notiz hei
Hesychius: Boome ■ 0äso; to die Verbreitung des edo-
nischen Stammes über diese Insel, deren Metallschätze einstmals
von den Phoenikern waren ausgebeutet worden (Hdt. VI 47;
Cult des Melqart II 44), wird dadurch erwiesen; auf den
thasischen Inschriften begegnen noch etwelche Eigennamen
edonischen Ursprungs. In Kleinasien finden wir nur schwache
Spuren von Edonen, so in dem voreinst Elegischen Antandros
an der troisch-aiolischen Küste, welcher Ort den Namen ’lloiovi?
erhielt otä to ©päy.ac Tlowvou; oviac okrjoai aüxoO'. (Aristot. ap. St. B.);
vielleicht waren sie, dem Vordringen der Paionen weichend,
dahin gekommen, jedenfalls aber noch vor der kimmerischen
Wanderung, da derselbe Ort sodann hundert Jahre hindurch
im Besitze der Kimmerier (— Treren) stand.
Neben ’Hcwvoi finden sich die Formen ’HOövat, ’llowvs?,
’Hcamsie, ’HSuvtaxat, und mit Ablaut ”Q§ove<;, "Oocovsc. Die Deutung
des Namens könnte also von einer Wurzel ed: od: od-, welche
auch in ’Oos-p.avToi vorliegt, ausgehen; ob aber von ed- ,essen'
(vgl. armen, utan *udan ,lurco, crapulae deditus'), von od-
,riechen', von od- ,grollen, hassen 1 , oder von vedli: vodh- ,stossen,
schlagen', lässt sich nicht erkennen. Tlcwvo?. Sohn des Ares,
galt für einen Bruder des Mu-yStov und Bigtwv. In der ’Ilouv!;
lag die nySäisclie Aue, der Ausgangspunkt des dionysischen
Cultes und des orgiastischen Naturlebens; der mythische Lykur-
gos galt für einen ßaatksö? ’HStovüv; die Mainaden hiessen 'HoumSse,
und die bunten wallenden Gewänder derselben oder die ßaooäpa'.
nannte man ’HSwvä Igaxia; daher die 'llocvec eXysowcW/.o; (Dionys,
ap. St. B.). Ferner war Kotjc eine weibliche Naturgottheit der
Edonen, wie die "Apiegti; Ta^wp'la und ßkoupeiTic (s. d. mytholog.
Abschnitt). Der Sänger Thamysis stammte si; ’Howvüv xv;q h
Bpi’yoiq xoasuc. Das Alles erweist die hohe Stellung dieses
phrygischen Stammes in der Mythengeschichte und im geistigen
Leben der Vorzeit. Das thrakische Eroberervolk der Bisalten
hat die edonische Cultur völlig in sich aufgenommen, so dass
es als das gesittetste unter allen thrakisclien Völkern erscheint.
Wir schliessen hier die ’Ooöp.avxot an, nicht nur wegen
ihres lautlichen Zusammenhanges mit den "Ooojvö? (-p.avic- ist
deutlich nominales Suffix), sondern auch wegen der geogra
phischen Nähe und weil wir annehmen dürfen, dass auch diese
40
IV. Abhandlung: Tomasckek.
,ThrakeiP zu der Gruppe der plirygischen Stämme gehört haben,
welche durch die nordischen Invasionen südwärts waren ge
schoben worden. Wir linden sie eingereiht zwischen den Edonen
und Paionen, zwischen den thrakischen Bisalten, Sinten und
Satren; ihre Hauptstätte war das Gebirge des hl. Menoikeus
(Meniki) und der Boz-dagh oberhalb Seres. Vielleicht waren
die S'.p’.oxai’ovec von Haus aus Odomanten, und die Sippawt hiessen
Paionen desslialb, weil sie den Paionen gehorchten. Megabazos
unterwarf sie auf kurze Zeit. Dem Zuge des Odrysen Sitalkas
schlossen sie sich freiwillig an, als ©py/.s; aüxövop.ot. Ihr Fürst
Ilik/.-pc stellte dem Kleon eine grosse Zahl Söldner bei (Thuc.
V 6); zu dieser Zeit (425) liess Aristophanes (Acharn. 157)
eine Odomantenschaar auf der Bühne auftreten und einen
Bürger fragen: xt; xwv ’Ocop.avxwv xb tcoi; <xiroxe0pk!z.sv; —• was
der Scholiast auf die Beschneidung bezieht: ©aal yap aüxou?
’louoaloui; etvat. Dem Machwerk vcept iroxapuiiv zufolge soll der
Strymon einst Ha/^icxivo; geheissen haben! Phoeniker haben
einst an der Pangarosküste Handel getrieben; trotzdem werden
wir uns die semitische Abkunft der Odomanten nicht einreden
lassen. Sie können den Brauch der Beschneidung von den semiti
schen Colonen angenommen haben; besser wird man aber jene
Stelle auf die bei den Südstämmen heimische Knabenliebe oder
auf irgend ein tribadisches Laster beziehen. — Zur Zeit des Aemi-
lius Paulus wurde die Stadt Sirae (Seres) zur terra Odomantica
gerechnet (Liv. XLV 4, 2); in der Kaiserzeit bildete die ’Oäopav-
xwij eine eigene Strategie an der Ostseite der Bisaltia (Ptol.).
Wir finden einen Canton ’03op.avxi(; fern im kleinasiatischen
Osten, in Kleinarmenien (Strabo XI, p. 528) ■— eine lautliche
Uebereinstimmung, die schwerlich auf Zufall beruht. Vielleicht
war voreinst an der Spitze der plirygischen Stämme, welche
den Bosporus überschritten hatten, den Armeniern nachrückend,
eine unternehmende Schaar von Odomanten gezogen, die einem
Canton des Antitaurus den Kamen gab (hier finden wir Namen
mit dem Suffixe — *manto, mando — z. B. Camando an der
Quelle des Zamantia-sü); oder es hatten sich Odomanten dem
Zuge der Treren und Trailer angeschlossen und wurden zur
Zeit des Kimmeriersturmes so weit nach Osten verschlagen.
Unmittelbar an der Ostseite der Edonen finden wir am
ägäisclien Küstenrand die Ihcxove?, deren ursprünglich von der
Die alten Thraker. I.
41
Nestosmünde bis Xantkia reichendes Gebiet an der Westseite
durch die Abderiten geschmälert worden war. Abdera, wie der
Name lehrt, eine phönikische Colonie, welche den Herakles
(Melqart) hochhielt, wurde später von den Klazomeniern be
zogen. In der Gründungssage der Stadt spielt als König der
jthrakischeA Bistonen Aiogvjäv]?, Sohn des Ares und der Kyrene,
eine feindliche Rolle: er warf seinen wilden Stuten, welche am
Flusse Kossinites weideten und mit eisernen Ketten an eherne
Krippen gebunden wurden, die Fremden vor; der Knabe Ab-
deros, Sohn des Hermes und Liebling der Herakles flsuxeu?,
ward von ihnen zerrissen; aber Herakles zog wider den Thraker
zu Felde und erschlug ihn, er soll auch dem Meere Zugang in
den niedrigen bistonischen See gebahnt haben. Noch spät
zeigte man den Stall und die Zwingburg des Diomedes Tyrida;
die Nachzucht der rasenden Rosse soll sich bis auf Alexander
erhalten haben. Ein geschichtlicher Kern liegt dieser Sage zu
Grunde; Rossezucht war die Hauptbeschäftigung der echten
Thraker, und ein Fürst dieses nordischen Eroberervolkes, wahr
scheinlich vom Stamme der Sat'ot, mag sich voreinst im Lande
der phrygischen Bistonen, denen orgiastisclier Naturdienst eigen
war und die von den Thraken den barbarischen Brauch der
Tätowierung annahmen, festgesetzt haben. Aber die Abderiten
schränkten das Gebiet immer mehr ein, und selbst am Aus
gange der fischreichen XigvT] Bigtovu;, an der Vereinigung der
Bäche Kossinites und Stravos, erhob sich eine griechische An
siedlung Afoata. Her Heros Bjgtuv erscheint in den Genealogien
als Bruder des Edonos und Odomas, oder auch (was auf ein
zeitweiliges Vordringen der Paionen gegen Osten hinweist) als
Sohn des Paion; aber auch als Sohn des Kikon, oder als Sohn
des Ares und der Nymphe Kalirroe, einer Tochter des Nestos.
Gegen Osten folgt an der Küste EavÖeia, ein Ort der
Kikonen (Strabo VII, fr. 44). In der byzantinischen Zeit tritt
eine zweite Ortschaft EavOia hervor, welche im Quellgebiete des
Kossinites lag, das heutige Xanthi (türk. Isketi); in gleicher
Lage kennt Ptolemäus eine Burg Ospyagov — ein Name, welcher
der phrygischen Namengebung angehört und bei den Ionern
so viel wie axpor.oXiq bedeutet hat. Aber schon Hecatäus hatte
in seiner Europa Eotvöot als eövop öppbo.ov vermerkt (St. B.), und
auch Strabo (XIII, p. 590) spricht, allerdings ohne nähere Be-
42
IV. Abhandlung: Tomaschek.
Stimmung cler Lage, von einem ,thrakischen* Volke der Edv&cot
oder SavStoi, die wir als eine zurückgebliebene Abtheilung der
phrygischen Nation betrachten dürfen, deren Vorort jenes Pei'-
gamon gewesen. Darauf legen wir weniger Gewicht, dass
Homer den Skamander Xanthos nennt — Niese erblickt hierin
eine mit dichterischer Freiheit in die Troas verlegte Copie des
lykischen Xanthos — und dass die Troas bei Dichtern 2äv0r)
hiess (St. B., Hesych.). Ob die Xandier aus Wurzel sken-
,verletzen, verwunden, vernichten* (skr. ksan-, gr. xti’vvui«,
y.Tcivw) oder aus slcen- ,schaben, abkratzen, schinden; reinigen*
(vgl. maked. i;avSizo; ,Reinigungsmonat, April*, gr. §a(vw) oder
gar aus dem etymologisch unklaren ijavöo?, <?ou0s? ,blond* zu
deuten wären, bleibe unentschieden.
Die KHovs? erscheinen bei Homer nicht nur als Bundes
genossen der Troer, sondern auch (Od. IX 37—61) als ein
streitbares und sieghaftes Volk, geübt von den Wagen (a«p’ Twicwv)
oder zu Fuss mit dem Feinde zu kämpfen; wir linden sie im
Besitze von Hornvieh, Schafen und Ziegen, aber auch von
Schätzen, welche die Beutesucht anlocken (Talente Goldes, Silber
pokale, Henkelkfüge, 202ff.); sie trieben emsig den Weinbau,
wie aus der Sage von Maron erhellt, dem Sohne des Euanthes
und Priester des in Ismaros waltenden Apollon. Mapwv bedeutet
,glänzend, schimmernd*; erst bei Hesiod erscheint derselbe als
Sohn des Oinopion und Enkel des weinspendenden Dionysos —•
so fremdartig erschien dem homerischen Rhapsoden noch das
Wesen des edonisclien Gottes, dass bei ihm Maron als Apollon
priester auftritt. Oinopion findet sich in der Sagengeschichte
der weinreichen Insel Chios; auch die Insel Naxos steht mit
der thrakischen Küste in sagenhafter Verbindung. Hoch im
Ruf stand der BlßXtvo? olvo;, den man bald von einem Bache
Bi’ßXoc oder BißXivrjs auf Naxos (vgl. die Quelle BißXic oder BußXi;
bei Milet), bald von den BtßXiva ’ipr, der Pangäusküste herleitete;
der Name mag wohl pliönikisch sein (vgl. BißXo? und ausserdem
BußXl? d. i. Melos). Bei Diodor (V 50) erscheinen sogar Butes
und Lykurgos als Führer thrakischer Piraten auf Naxos, vjv
TtpÜTot 0pay.ec uy.'ocav (!); die Art der dionysischen Feier auf dieser
Insel weist allerdings auf Herkunft von der thrakischen Küste.
Wie dem auch sei, der Kiy.svioc olvo? wird noch von Archilochus
gerühmt. Da die Kikonen, wie alle phrygischen Stämme, or-
Die alten Thraker. I.
43
giastische Naturdiener waren, konnte die Gestalt des pierischen
Orpheus, welche im Edonenlande mit dem orgiastischen Wesen
verquickt wurde, bis zu ihnen wandern; schon Hipponax nannte
Orpheus einen Kiv.uv. — Wir linden an der kikonischen Küste
hinter Xanthia die Orte Ssppstov, Zwvy; und lak-q (Hdt. VII 59)
und die Colonien S-upüpw) am Bache Atcop und Msaagßpw) (VII 108).
Dieser Landstrich hiess voreinst, wie Herodot berichtet, raXXa'üwj,
und VoXilo'. nennen hier noch die attischen Tributlisten (vgl.
rakrßjoc, an der sithonischen und edonischen Küste, Vakkfpt.o')
oder Takr^io'i öpop bei Ephesus). Aus dem Inlande drang jedoch
ein zweiter (plirygischer) Stamm zur Küste vor, die Bpiävra;
(etwa ,die Wehrenden, Umscliliessenden', von Wurzel vere-)
oder, wie Plinius schreibt PRIANTAE (d. i. ,Freunde, Kame
raden', von Wurzel pri- ,lieben'), und gab dem bis über Maro-
neia reichenden westlichen Flachstrich den Namen Bpiavtooj
(Hdt.) oder PRIANTICUS campus (Liv. XLVIII 41, 8 a. 188).
Der Kikonenname verschwand darum frühzeitig aus der Ge
schichte; Alles ging hier im Hellenismus auf. IG/.wv galt für
den Vater des Bictöjv und für einen Sohn des Apollon und der
Rhodope; vor Zeiten mochte dieser hochgesittete und kräftige
Stamm sich tiefer ins Gebirge hinein erstreckt haben. Der
Name könnte mit gr. y.f/.u-p ,Stärke, Kraft' (skr. cl-cu, yi-§vi
,gedeihend, wachsend; Junges', von yu- ,sch wellen') als ,die
Starken, Strotzenden' in Verbindung gebracht werden.
ScEoi • eOvop, ol xpo-cspcv Kc/.ovec, ot TcoXepuoi, lautet eine Glosse
bei Hesycliius. Es scheinen im Lande der Kikonen tlirakisclie
Saier sich angesiedelt zu haben; sie werden in der Abderitis
erwähnt, wo auch ein Ort stand. Als die Parier auf Thasos
und der benachbarten thrakischen Küste festen Fuss fassten,
hatten sie Kämpfe mit den Sai'ern zu bestehen; der Dichter
Archilochus ergriff im Kampfe mit den Sai'ern die Flucht und
liess seinen Schild zurück: äu^lQix p.ev Sofwv tip aveiAexo (Strabo X,
p. 457; XII, p. 549). Man suchte Saier oder Savier auch auf
Samotlirake: hier könnte ein altansässiges phrygisches und ein
später eingedrungenes thrakisches Element, das der Insel Sap.cp
(von semit. samä ,lioch sein', cdp.oi ,Anhöhen') den Beinamen
0pYjMui] verlieh, zwar angenommen werden — aber lange konnten
sich beide schwerlich erhalten haben; die Insel wurde, wie die
Culte zeigen, von orientalischen, wie später von hellenischen,
44
IV. Abhandlung: Tomascbek.
Einflüssen überwuchert. Mit den mythischen Saoq • 'Epp.vjq haben
die Saier wohl Nichts zu thun; und gar die Saxoiot, denen sie
Strabo gleichstellt, müssen, da t niemals in F übergeht, ganz
fernbleib en.
Die ethnischen Verhältnisse auf den Inseln des Jliraki-
schen' Meeres bieten überhaupt unlösbare Räthsel. Auf Lemnos
(gleichfalls ein semitischer Name? Bochart verglich libhnah
,Glanz, weisse Farbe') werden in der homerischen Hephaistos
sage (A 594) Sivcies ävSpes aYpiöowvoi erwähnt, welche die Späteren
bald als ouTÖ^Sevs? ovxe? ev A^p.vw, bald als 0pay.öv xt ysvo; £•/. r?j<;
dtvxwcspav yr,; vjy.ov auffassen, wobei sie an die thrakischen Sinten
oberhalb Bisaltia dachten. Metallurgie war eine starke Seite
der alten Phrygen, und man wird versucht in den Sintiern
eher einen Stamm phrygischer Herkunft zu suchen, da Hellanicus
(schob 0 294) Stammesgenossen der Troer, die man für Phrygen
hielt, den ,thrakischen' Sintiern beimengt; er deutet den Namen
aus gr. G’.'/vqq ■ o y.ay.oupYo;, ßXaxnxicda sie nicht blos das Feuer,
sondern auch die männermordenden Waffen erfunden hätten
icpb? xb GivsaOa; xouc r'krfio') y.a: ßXaxxEtv. Könnte da nicht eher
ein phrygisches Wort civxt-c ,Stecher, Schürfer, Schmied', von
Wurzel kent- (gr. -/.evteiv), zugrunde liegen, da der Wandel von
e zu i nicht ohne Analogie dasteht (vgl. armen, sin neben
gr. y.evEo; ,leer')? Aber Alles wird zweifelhaft, wenn wir mit
Thucydides (IV 109) als Bewohner von Lemnos vielmehr tyr-
senische Pelasger ansetzen müssen (vgl. schol. Ap. Rh. I 608:
Avjp.vov tyjv y.a! Zivxrpoa Tpwxoi wy.v;aav Tuparjvof). Diese sollen aller
dings der Sage nach aus Attika eingewandert sein und einen
Bestandteil der ,pelasgischen' Urbevölkerung von Hellas ge
bildet haben; selbst in der makedonischen Elymia spielen Tyr-
sener eine Rolle! Nun hat man auf der Insel eine ungefähr
aus dem Jahre 650 stammende Inschrift aufgefunden, deren
barbarischer Lautcharakter einige Aehnlichkeiten mit dem
Etruskischen verräth (vgl. C. Pauli, Eine vorgriechische In
schrift von Lemnos, Leipzig 1886), so dass die alten Sagen
gebilde von einem Zusammenhänge der italischen Tyrsener mit
den Tyrsenern des griechischen Archipels wieder zu Ehren
gelangt sind — es können ja die Etrusker, die man auch in
den Turusa der 19. Dynastie Aegyptens erkennen will, voreinst
weite Raubfahrten im Gebiete des Mittelmeeres unternommen
Die alten Thraker. I.
45
uncl sich an verschiedenen Punkten des östlichen Beckens an
gesiedelt haben (vgl. Hesselmeyer, Die Pelasgerfrage und ihre
Lösbarkeit, Tübingen 1890). Die Sache ist noch nicht spruch
reif; gegenüber den von Pauli erkannten etruskischen Analo
gien der Inschrift könnte man einige Formen anführen, welche
dem Lautcharakter des Phrygischen und Armenischen nicht
vollends widersprechen (z. B. zivai, zeronaiO, ziazi, eptezio,
morinail). -— Auf Imbros und Tenedos spielen jedenfalls lele-
gisch-karische Erinnerungen die Hauptrolle. Wir kehren zur
Küste zurück.
Hier finden wir an der Ostseite der Ivikonen in der
Dorisltosebene und am Hebros die HaNoi (Hdt. YII 110),
welche sich nachmals auf Kosten der Apsinthier ostwärts ver
breitet haben; denn als Alexander nach Asien auszog, gelangte
er vom unteren Hebros Sia -rife su't tgv MeXava xorap.cv
(Arr. I 11, 4). Oh diese Paiten phrygischen oder vielmehr
thrakischen Ursprungs gewesen seien, lässt sich nicht mehr er
kennen. Der Armenier nennt sich bekanntlich Hai, pl. Hai-q,
was Fr. Müller mit skr. pati zd. paiti ,HerF deutet; im Arme
nischen selbst findet sich ein Verbalstamm hai- (inf. liajil)
,aspicöre, respicere, observare) der zunächst auf ein Nomen
pati- und sodann auf die Wurzel pä : pa ,zu sich nehmen, er
werben; essen (iia-üeo;j,at); weiden (pa-sco); schützen, hüten (skr.
pä); beobachten, schauen (alb. pä, part. panq, pämune)' zurück
geht. Vielleicht liegt den ELttot ein Verbalstamm von gleicher
Bedeutung zugrunde; sie wären dann die ,Ansehnlichen, Be
rühmten'; Herodian accentuierte llaiToi', ü? 'Patio! (St. B.).
Die nun folgenden ’AtlavOiot, mit dem üblichen, darum noch
keineswegs echt-thrakische Abkunft erweisenden Zusatz Gp^Vv.sc
(Hdt. X 119), reihen wir den älteren Küstenstämmen schon
darum an, weil bei ihnen der Dionysos-Cult heimisch war (s. im
mytholog. Abschnitt unter IIXel<mopoc). Sie treten als Feinde der
thynischen Dolongker auf, welche im Chersonnes sassen; wider
ihre Einfälle schützte (um 550) Miltiades, Sohn des Kypselos,
die Halbinsel durch eine von Kardia bis Paktye gezogene
Mauer. Der Fluss ’AjnvOop oder ’AcnvOop, welcher die Grenze
zwischen den Dolongken und Apsinthiern bildete, ist wohl
derselbe, der sonst MeXa<; und jetzt Qavaq-öai heisst; von da
reichten die Apsinthier bis zur Stadt Aivoc oder rioATuo-ßpL, dem
46
IV. Abhandlung: Tomasche k.
Sitz des Heros Poltys, und bis zum Bergstock M^pico? (j. Catal
tepe) beim sarpedonischen Vorgebirge.
Auch die Vp;c • s'Ovo; Qpä'/.r^ üxsp zobc B'j^avxio'jp (St. B.)
dürfen wir in den Kreis der altansässigen Stämme ziehen; das
phrygische Wort cup6c ,Getreidegrube* erkennen wir in dem
Orte SIRo-CELLAE, welcher dem heutigen Malgara (byz.
Msy/xlr, Kap6a) entspricht. Jene Siren sassen wahrscheinlich am
Flusse Erginias (Erkene-sü); Stephanus hatte über sie in dem
nicht mehr vollständig erhaltenen Artikel Ni\|/a • "iA'.q SpT/.r,:
gehandelt; Ntdia, der Vorort der NitlaTot, einer Unterabtheilung
der Sipes, lag wohl an Stelle des in byz. Zeit oft erwähnten
,Quellenortes* Bpucrtc; ähnliche Bildung zeigt der zwischen Druzi-
para und Tzurulos gelegene Ort Trkp. Ueber den Nipsäern
hinaus, also gegen Norden, sassen die Tpa-välm (Xen. An. VII
2, 82) oder Tpa-vQoc • sOvsp 0pa-/.tov (Hesych.), deren auch Thoo-
pomp in Verbindung mit den Ladepsen gedacht hatte: Aaosd/oi
-/.ai Tpavuio’. • e0vr, 0uvüv (St. B.) d. h. Stämme, welche mitten
unter den thrakischen Thynen sassen, als Reste einer älteren
Bevölkerungsschicht. Mit den benachbarten MeAavSra: (Xen.
An. Vn 2, 32) vergleicht sich MeXavSta, eine Gegend auf der
Halbinsel Sithonia (— auch MeXaviid? an der Mündung des
Athyras?). An den nördlichen Zuflüssen des Erginias und den
Bächen, welche sich in den Golf von Burgas ergiessen bis
Apollonia und Mesambria hinauf sassen ausser den bereits
erwähnten Ntdwot auch noch die Kuppudvai (Hdt. IV 93) oder
(nach cod. R) die Sv.'jpp.tdoai, an die sich nordwärts die thrakischen
Geten anschlossen; vgl. St. B.: 2x.up.vidoai • IBvop cuv Tera«;, EuSo^op
texipzu) 1% TCEpiooou ,2v.u|j.v:doat xai Ti-.y.r. Die Lesung Szuppudoat
empfiehlt sich wegen des Anklanges an die 2z.6p|j.ioi des dolionisch-
phrygischen Ortes Syjjpp.op bei Kyzikos. Die Sonderstellung
dieser mitten unter den thrakischen Thynen, Asten, Odrysen
und Geten sporadisch erhaltenen Reste einer älteren, wahr
scheinlich phrygischen, Bevölkerung hat auch Giseke erkannt,
nur dass er in ihnen ,paionische* Abtheilungen erblickt. Für
unumstösslich darf uns jedoch diese auf Grund von Namens-
anklängen erfolgte Abtrennung jener Sporaden von der thra
kischen Masse nicht gelten, da sich scharfe Unterschiede zwischen
der thrakischen und der phrygisch-mysischen Sprechweise nur
schwer ziehen lassen; man darf eben nur den Versuch wagen.
Die alten Thraker. I.
47
So viel ist aber sicher, dass entlang dem ganzen ägäischen
Küstenrande altansässige oder aus dem Inland dahin ver
schlagene Stämme sassen, welche eine höhere Culturstellung
einnahmen als die echten Thraker des Inlandes, und dass
dieselben grösstentheils zurückgebliebene Reste der phrygischen
Nation bildeten.
Das Volk der Musot, das bereits die homerischen Lieder
in seinen nachmaligen festen Wohnsitzen entlang der Ostseite
der Troas und als im Bunde mit Ilios stehend kennen, leiteten
die Alton namentlich seit der Zeit, als sie mit den Moesen des
Haemusgebietes bekannt wurden, also seit Poseidonios, aus
Europa ab; hier seien sie als Moicoi zurückgeblieben, als Muao!
aber hätten sie ihr Stammland verlassen (Strabo VII, p. 295),
indem sie über den Bosporus setzten, der nach ihnen Mustos
TtopOpi; genannt wurde; vgl. Plin. V 145: MOESI ex Europa
in Asiam transierunt; VII 206: in Hellesponto rates exeogita-
verunt. Sie drängten hierauf die phrygischen Mygdonen und
Bebryker auseinander, bemächtigten sich der Gelände am Ar-
ganthonios, des Landstriches am See und Fluss Askanios, und
des phrygischen Olympos; Muoout; to'u; ev ty) 'Ada. ’OXupwnfjvou;;
’Apptav'ot; Xsysi a-o£y.ou; tmv EupwTratojv Muawv (Eust. ad Dion. per.
632). Sie nahmen zuletzt das Flussthal des Makestos, die ganze
Troas bis zum Kaikos und Teutlirania ein. Sonderbarerweise
liess Xanthos die Phrygen erst hinter den Mysen in Asien ein
rücken; die gegenseitige Schichtung beweist jedoch, dass die
Phrygen weitaus früher eingezogen waren. Die Namengebung
in der homerischen Troas erweist sich vornehmlich als mysisch;
die ionisch-aiolischen Rhapsoden haben die Zustände ihrer Zeit
vor Augen gehabt. Seit Kallinos (ca. 650) finden wir an Stelle
der homerischen Tpüs? die Teöxpbi genannt; für diese haben
wir kleinasiatische (kilikische) Herkunft vermuthet. Nach der
Anschauung Herodot’s waren Teukrer und Mysen Waffen-
genossen, welche einst weite Züge unternommen haben.
Während sich aber die Teukrer frühzeitig erschöpft hatten und
in ihrem Stammlande bis auf schwache Spuren (Hdt. V 120)
völlig eingiengen, haben die Mysen ihr Volksthum wenigstens
im Binnenlande bis in die Zeit des Hellenismus und darüber
hinaus bewahrt. Die karische Genealogie (Hdt. I 171) verbindet
48
IV. Abhandlung: Tomascli ek.
zwar clon Mysos mit Lydos und Kar; aber diese Anschauung
erfloss nicht aus einer ethnischen Grundlage, sondern aus der
gemeinsamen Theilnahme der drei Völker an dem Heiligthum
des karischen Zeus in Mylasa. Auch die Notiz bei Hesyckius
v. AuSt'u vogw wiegt nicht schwer: Muooi eiciv AuSuv axotxoi zai
|xa-na(bTatot: das mysische Wesen stand dem maionischen in
Lydien und Phrygien nicht ganz fern, und die Mantik verbindet
sich gern mit der Orgiastik. Von der mysischen Sprache
urtheilte Xanthos also (Strabo XII, p. 572): r, xöv Muaüiv StaXey.To;
|j.'.qoXuoioc xtlx; ectiv y.ai pu^o®p6yioc. Der Grundstock war jedenfalls
osteuropäisch und dem Phrygischen nächstverwandt; wenn
lydische Elemente hinzukamen, so war dies bei der Nähe dieses
Volkes, das zuletzt auch die Troas erobert hatte, ganz natürlich;
wir dürfen sogar lelegisch-karische und kilikisch-teukrische Bei
mengungen voraussetzen, wie bei den Armeniern alarodische.
So erklärt sich beispielsweise das Vorkommen von Ortsnamen
ganz fremdartigen (teukrischen?) Klanges auf einer Inschrift
aus Gergithes (Le Bas III, add. n° 1745). Um die Deutung
des Namens Muss? war Xanthos nicht verlegen; er verglich das
Wort iaugö? • y] oc;ÜY), AuSoi (Strab. 1. c., St. B.; o [i.uaöq und r { [augv;,
Eust. ad Dion. 322), mit dem Zusatz: xoXXy] §’ vj oijiv) y.aza ibv
5, OXu|j.tcov. Es geht nicht an, einen Baumnamen ohne Hinzutritt
eines derivativen Elementes einem Volke gleichzusetzen, und
weiters, einen Namen, der schon in der europäischen Heimat
vorkommt (denn Moesus und Mugo? sind offenbar gleich; auf
thrakischem Sprachboden wechselt oi mit u, u, i), aus der
lydischen und überhaupt aus einer kleinasiatischen Aboriginer-
sprache (1yd. kar. [j.ugo; vielleicht auch in M6aavoa, einem Orte
an der kilikischen Küste) zu erklären; erfordert wird eine
Deutung aus indogermanischen Spraclimitteln. Das albanische
Wort für ,Maulthier musk, f. muske (venez. musso) will
G. Meyer mit Rücksicht darauf, dass, wie die Eneter, so auch
die Mysen Maulthierzucht betrieben, aus Mugc/.ö? ableiten. Neben
Mugö;, Mugc/.g; findet sich auch MuGdotoq, Moesiacus, MESACUS
(C. I. VI n° 2818. 2736) und MUSIATICUS (X n° 3640).
Homer (II. XIII 5) kennt nicht bloss Mysen als Bundes
genossen der Troer, er weiss auch von ,nahankämpfenden Mysen',
im Rücken der rossetummelnden Thraker, in der Nachbarschaft
der pontischen Stutenmelker und Abier. An diese Angabe
Die alten Thraker. I.
49
knüpfte Skytobrachion, der Bearbeiter oder Fälscher des
Xanthos, nach Herodot’s Muster (Y 13), die Anekdote, der
lydische König Alyattes habe sich von Kotys, dem Fürsten der
europäischen Mysen, ganze Schaaren dieses Volkes kommen
lassen (Const. Porph. de tkem. I 3). Aber erst in der Römer-
zeit erhielt die Welt genauere Kunde von dieser in der Heimat
zurückgebliebenen und westlich von den Geten sitzenden Kation.
Zuerst stiess C. Scribonius Curio, der Bezwinger der Dardaner
(a 75 v. Chr.), mit den Moesen zusammen; bald darauf (72)
drang M. Terentius Varro Lucullus, der Sieger über die Bfessen
und Odrysen, aus den pontischen Küstenstädten ins moesische
Land ein; vgl. Serv. ad Verg. Aen. VII 604: Getae sunt
Moesi, quos Sallustius a Lucullo dicit esse superatos. Dann
(62) griff C. Antonius die Mysen an; diese riefen die Bastarnen
zu Hilfe und schlugen den Proeonsul bei Histros, die erbeuteten
Feldzeichen legten sie in die Getenveste TsvouXa. Unter Caesar
Augustus (29) schlug der Proeonsul M. Licinius Crassus die
Einfälle der Bastarnen zurück, unternahm dann eine Expedition
in die westliche Muck und schlug die Moesen bei einer starken
Veste; die völlige Unterwerfung des Landes gelang ihm (28)
nach einem Feldzug gegen die Artakier im centralen Haemus.
Erst ein Jahrzehend später, so scheint es, wurde das eroberte
Land als römische Provinz eingerichtet und erhielt den Namen
Moesia, weil die Moesen darin den bedeutendsten und cultur-
fäliigsten Stamm ausmachten. Denn Geten sassen nur entlang
dem untersten Lauf der Donau; am unteren Margus gab es
nur schwache Reste der galatischen Skordisker; zwischen dem
Cebrus und Utus hatten die von den Skordiskern fast auf
geriebenen Triballer Platz gefunden — alles Uebrige hatten die
Moesen inne (vgl. Cass. Dio LI 27). Plinius bemerkt: Moesicae
gentes et Triballi Dardanis laevo praetenduntur latere. Ovidius
(ex Ponto IV 9, 79) rühmt von dem Statthalter Flaccus: hic
tenuit Moesas gentes in pace fideli |, hic arcu fisos terruit ense
Getas. Unter Tiberius (C. I. V n° 1838) werden noch ,civi-
tates Moesiae et Triballiae £ unterschieden. Als Sonderstämme
erscheinen im Westen am Flusse Pineus PICENSES, Ihx^vtjiot,
und am Timacus TIMACENSES; angeblich in Moesia superior
hausten (C. I. VI n° 2831) cives COTINI (vgl. Kor^votoi im
dakischen Ostlande); ostwärts schlossen sich an die Triballer
Sitzungsber. d. pbil.-hist. CI. CXXVTIL Bd. 4. Abh. 4
50
IY. Abhandlung: Tomaschek.
an OixYjVGioi oder UTENSES, lliapiqvaioi oder PIARENSES (vgl.
Appiaria), Aip^vaios oder DIMENSES (vgl. Dimum) und ’OßouXrjvaioc
— topische Ethnika, welche keinen Schluss auf die Abkunft
zulassen; wir werden jedoch sogar Donau abwärts mitten unter
Geten Spuren mysischer Nomenclatur nachweisen.
Im Berglande des Haemus, gegen Philippopolis zu, müssen
wir die ’ Apraxien suchen, ,eine uralte Abtheilung der moesischen
Nation, mit deren Unterwerfung M. Crassus den Krieg be
schloss ; sie waren niemals von irgend einem Eroberervolke
unterworfen worden und vertheidigten darum ihre Freiheit mit
wahrem Löwenmuth und längere Zeit nicht ohne Erfolg' (Cass.
Dio LI 27). In diesem bellum Mysicum zeigen sich Spuren
des rohen Fanatismus; Florus erzählt, die Mysen hätten ge
schworen, bei ihrem Pferdeopfer die Eingeweide der gefangenen
römischen Führer zu opfern und zu verzehren. ’Apraxoi finden
wir bei Stepli. Byz. nach alten Quellen als sövo? ©pay.iov ver
merkt; in der Tab. Peut. wird in der regio Haemimontana
zwischen Nicopolis und Cabyle ein Landstrich ARIACTA ver
zeichnet d. i. ARTACIA. ”Ap-ay.cc (s. d. Flussnamen unter
’Apvr)<Jx6<;) war der moesische Name des Flusses, welchen die
Odrysen Tov£cs (j. Tundza, T§za) nannten. Hera war die Haupt
gottheit der moesischen Stämme; wir finden darum einen Votiv
stein aus Philippopolis (Dumont p. 16, n. 33) y.upla "Hpa ’Apvxy.rpfi
gewidmet; selbstverständlich verehrten sie auch den Himmels
gott; wir finden im Gebiet von Nicopolis einen Votivstein Ad
Aigepavü gesetzt. Formen des Thema art- (skr. rta ,recht, ge
recht, fromm') fehlen dem kleinasiatischen Mysien nicht. Am
Rhyndacus sassen ’Apxaioi im ’Apxaüov n~iyo<; (St. B.) nahe dem
,heiligen' See ’Apw/ia; oberhalb dem dolionischen Kyzikos lag
der Berg- und Hafenort ’Apxdv.fi (skr. Rtika) mit einer gleich
namigen Quelle, woher ’Apxaxia • r, ’Aq>poS£xv) (Hesych.). Da vor
den Bithynen am Bosporus Mysen sassen, so schliesst sich der
Name des Baches ’Apxavv]? an, noch von den Byzantinern in der
Form ’Apxävac vermerkt; bei dem Hafen ARTANE (TP. GR.)
stand ein lepov ’A<ppo3£x?;q. Ebenso finden wir im moesischen
Stammland neben den Flüssen Athrys und Noes, mitten unter
den Geten, einen Fluss ’Apxdvyj^ (Hdt. IV 49). Aber noch mehr.
Wir finden Ksßp-^vtot, mit dem herkömmlichen Epitheton
Öpay.E; (Strabo XIII, p. 590, Eust. ad B 838), als binnenländi-
Die alten Thraker. I.
51
sches Volk sesshaft icpb? ’Aptcßov roaxap.bv etcßdXXovxa s!c x'ov "Eßpov.
Beide Namen erweckten schon den Alten die Erinnerung an
die homerische Troas; beide gehören der mysischen Nomen-
clatur an. ’ApicrßY] hiess eine uralte Ortschaft bei Perkote, die
sich bis in die christliche Zeit erhielt (Arisba, Acta SS. Fehl’. 11,
p. 40), Sitz des homerischen ’-'Acto; TpxcoubY]? (vgl. den mysischen
Kämpen "Ypv.oq II. XIV 512). Keßp-^v hiess der Hauptfluss der
Troas, dessen Quellen vom Ida kommen, mit einer gleich
namigen Ortschaft an seinem gewundenen Mittellauf, die sonst
auch Keßp-^VY] (Ew. Keßpr ( vtoi) sich nannte. Nun finden -wir auf
moesischem Boden einen im Thema völlig entsprechenden und
nur des derivativen -vp ermangelnden Flussnamen Kißpo?, eine
Bildung wie "Eßpop; es ist die heutige Cibra oder Öibrica.
M. Crassus schlug die in Moesien eingefallenen Bastarnen icpo?
t<Ti Keßpw xotagw (Cass. I) io LI 24); Ptolemaeus schreibt Ktaßpoq
oder Ktaußpo? das Castell an der Einmündung in die
Donau heisst Keßpo;, in den Itinerarien Cebro, Cambro, Ciambro,
und dazu halte man auch CAMBRE, eine Ortschaft im asiati
schen Mysien (Plin.). Wir sind versucht, diesen Namen aus
der Wurzel kep : ka(m)p—-,sich krümmen, winden* zu deuten;
vgl. skr. kampra ,sick windend, gewunden', unter Annahme
eines Uebergangs von p in b nach m, wie in kelt. kambos. —
Ausdrücklich finden wir die Ksßpf,vioi des mysischen Landes
noch bei Polyaenus (VII 22), der mitunter aus recht guten
und alten Quellen schöpft, vermerkt, und zwar in Verbindung
mit den gleich zu besprechenden Skai'ern, allerdings wiederum
als 0per/.sOvyj : für moesische Plerkunft spricht indess der unter
beiden allherrschende Cult der Hera. Den Priester dieser
Göttin nennt Polyaenus lioai^ap- dazu halte man Cosingis, die
erste Gemahlin des Nikomedes I., eine Frau von phrygiseher
Abkunft — wie innig deckt sich da die phrygische und die
moesische Namengebung!
Iv.aVot oder 2x,a'.ot finden wir — ungewiss ob als phrygi-
sclies oder als mysisches — eOvop p.exaijb xyj; Tpwaaoc zac xy)?
0paxYj? in der Europa des Hecataeus (Steph. Byz.; eGvo; 0pd-
juov, Hesych.), wahrscheinhch gelagert im Chersonnes, der
später in den Besitz der thynischen Dolongker überging. Aus
dieser Schichtung würde sich der homerische Ausdruck Sxaiai
~ukai für das Westthor von Ilios (f 145) aufs beste erklären:
4*
52
IV. Abhandlung: T o m a s c li e k.
es war das Thor, welches zum dardaniscken Sund und zu den
Ska'iern führte: so gab es nachmals in Byzantion, in Ahdera
und in Amphipolis Gpqixiai xüXai. So ergibt sich ein neuer
Beleg für die Wanderung mysiscker Stämme nach Asien: die
Hauptmasse der Mysen war über den Bosporus vorangezogen,
die skai'sche Abtheilung verblieb im Chersonnes. Den homeri
schen Rhapsoden lag in der Troas die mysische Namengebung
fertig vor; von den alteinheimischen troisch-teukrischen Namen
hatten sich weit geringere Reste erhalten. Haben etwa die
Ska'ier einmal den Sund überschritten ? Schwerlich! Strabo
(p. 586) nennt als ältere Bewohner der Gegend von Abydos
nur Dry open, Bebryken, als spätere ,Thrakbid; Abydos selbst
soll (p. 591) nach den tro'ischen Zeiten von ,Tkraken £ bewohnt
gewesen sein. Wir erinnern noch an die Edonen von Antan-
dros, an die kimmerischen Treren. Strabo (p. 590) führt unter
den Analogien zwischen der tro'ischen und ,thrakischen‘ Namen
gebung ausser den Szatoi ,einem gewissen thrakischen Stamme,
auch noch den Flussnamen Szaioc an: er meint offenbar den
Sxfo0”cy.ia;, OESCUS des moeso-getischen Landes. Wenn
Polyaenus mit den Kebreniern Zftatßoai verbindet, so erkennen
wir darin die echte, einheimische für die moesisclien Ska'ier,
d. i. ZzaiFöai, vom Thema czatF6-q, lat. scaevos ,linkh Ob diese
gerade am Isker sassen, wissen wir nicht; der Name dieses
Flusses spricht nicht sehr dafür. An der unteren Donau fehlen
nicht Spuren des alten Daseins der Ska'ier mitten unter den
Geten. Zwischen dem Iatrus (Jantra) und dem Castell Tri-
mammium (an der Mündung des Lom) stand ein getisches
Castell SCAI-DAYA, Sy.aiSsßa, d. i. ,Skaier-Siedelung £ . Weiter
stromabwärts, zwischen Carsum und Bireum, finden wir einen
Ort Klo? oder Cium, den nicht erst Lysimachus oder die Römer
werden erbaut haben; es vergleicht sich die mysische Stadt Klo;
an der Mündung des phrygischen ’Acr/.dvio;. —- Nicht darf jedoch,
wie dies von Giseke geschehen, die Tripolis SCAEA III m. p.
a Larisa super Peneum amnem (Liv. XLII 55, 6) für die
Wanderungen der Vorzeit verwerthet werden, eine Localität,
deren Name weder mit den mysischen Ska'iern, noch mit der
pelagonischen Tripolis von Azoros zusammenhängt.
Die alten Thraker. I.
53
III. Die thrakisehen Völkerstämme.
a) Die südliche Gruppe.
Die bisher dargelegte Schichtung der phrygischen und
mysisclien Stämme westlich und südlich um die centrale Haupt
masse der eigentlichen Thraker beweist, dass diese Stämme
als Ursassen zu betrachten sind, welche zunächst und vor allem
durch die zu verschiedenen Zeiten erfolgte Invasion der nordi
schen Thraken, fjir welche der Haemus nicht nur ein Durch
zugsgebiet, sondern auch eine wahre Heimstätte wurde, zur
Seite geworfen oder in kleine Tlieile zersplittert oder gänzlich
verdrängt worden waren. Wohl war die Culturstufe der ein
gedrungenen thrakisehen Rossezüchter nicht zu vergleichen
mit der höheren Stufe, welche die Ursassen sowohl durch die
Gunst der Naturverhältnisse wie infolge vorzeitlicher Berüh
rungen mit den Völkern des Südens eingenommen hatten; aber
die Geschichte lehrt, dass es in der Vergangenheit wiederholt
geschehen ist, dass rohere Völker über gesittete obsiegt und
dieselben überschichtet haben. Was sich im Haemusgebiet im
Grossen abspielte, wiederholte sich nachmals in kleinerem Mass-
stabe auf kleinasiatischem Boden, wo wir thrakische Thynen
rings umgeben von älteren phrygischen und mysisclien Stämmen
vorfinden; zu welcher Zeit aber auf diesem allophylen Boden
die Phrygen selbst, hierauf die Mysen, sich festgesetzt haben,
dafür fehlt uns jede Berechnung. Die ältesten Vorstösse und
Wanderungen der Thraken, welche bewirkten, dass das ganze
Nordland bis zum Strymon und Bosporus den Namen Thrake
erhielt und dass die Reste altansässiger Völker in diesem Namen
aufgiengen, sind für uns in völliges Dunkel gehüllt. Von den
Andeutungen der homerischen Lieder abgesehen, welche vor
zugsweise den ägäischen Küstenstämmen phrygischer und paio-
nischer Abkunft gelten, bezeichnet erst die Periode des kim
merischen Völkersturms und der thynischen Wanderung für
uns den Eintritt in die Geschichte; und selbst diese Zeit ver
mögen wir nur in dunklen Zügen zu erkennen.
Arktinos, der Dichter der Aithiopis, stellte die Amazone
Penthesilea, die neue Bundesgenossin der Troer, als Tochter
des Ares und der ’OTpvjpv) und als Gpäcca t'o yevo? hin. In Otrera
54
IV. Abhandlung: Tomaschek.
erkennen wir eine Anspielung auf das thrakische Volk der
Treren, welches bei der sogenannten ,kimmerischen' Wanderung
die Hauptrolle spielte. Wann diese Wanderung begann, lässt
sich nicht erkunden; dieselbe wurde vielleicht durch Einfälle
pontischer Skoloten veranlasst, welche im Flachlande an der
unteren Donau und darüber hinaus sich auszubreiten suchten;
vielleicht drängten auch die Sigynnen, sarmatisclie Metanasten
die wir im Gebiete der Theiss suchen dürfen. Die Haemus-
stämme wurden unruhig, voran die Tpyjpsc oder Tpäps?. Reste
dieses thrakischen Nomadenvolkes kannte noch Thucydides
(II 96): ,die Grenze des Odrysenreiches nach der Seite der
Triballer zu bilden ol Tpvjps; v.a\ o! TAa-rcdo'; diese beiden Völker
wohnen nördlich vom Skombros (Ryla) und reichen gegen
Westen bis zum Flusse ''Ocy.ioc (Isker)'. Theopomp erwähnte
Tpijpo? oder Tptipoq als /coptov Qpäy.r,; (St. B.); Plinius- nennt
TRERES an den Grenzen der Provinz Macedonia, sei es im
Norden oder im illyrischen Westen, etwa in der Nachbarschaft
der Brygen und Trailer. Die Hauptmasse des Volkes hatte
sich jedoch am Schluss des 8. Jahrhunderts v. Chr. dem Helles-
pont zugewandt; es muss geraume Zeit verflossen sein, bis sich
die Treren hier sammelten, um mit Kind und Kegel, Karren
und Vieh, auf Flössen über den Sund zu setzen; Troas, Mysien
und das nachmalige Bithynien wurden von ihnen heimgesucht.
Strabo berichtet, wahrscheinlich nach Xanthos (I, p. 59): ,vom
bistonischen See sowie vom See Aphnitis (in Mysien) sollen
einige Ortschaften der Thraken oder nach Anderen der Tp-ppsp,
welche Nachbaren der Thi’aken waren, hinweggeschwemmt
worden sein'. Ferner (p. 586): ,die Küste südlich von Abydos
bis Adramythion besetzten die Tp-ppsp, ein Stamm der Thraken'.
Tpäptov hiess eine Anhöhe in der Troas (Tz. ad Lyc. 1141. 1159),
ein Ort in Mysien (Str. XIII, p. 607) und an der bithynischen
Küste (Ptol. V 1, 2). Antandros, voreinst lelegisch, dann
edonisch, hiess ein Jahrhundert hindurch (700—600) Kip.pt,ep{<; —
so lange hausten hier die Thraken; Kigpipiot aber hiessen im
Munde der kleinasiatischen Aboriginer und der Semiten die
Nordvölker überhaupt. Arrian fand in seinen ,bithynischen Ge
schichten' Gelegenheit, der Treren oder Tpüjps? zu gedenken:
sie galten ihm für Nachkommen des Tpi-ppcc, Sohnes des Riesen
’Oßp’apsüjp und der Qciv;r l; wodurch ihre thrakische Abkunft so
Die alten Thraker. I.
55
wie ihre Wildheit gekennzeichnet wird. Von Bithynien ,warfen
sie sich bald auf die Paphlagonen, bald auf die Phrygen, deren
König Midas sich den Tod mit Ochsenblut gab* (Str. p. 61).
Im phrygisch-pisidischen Grenzort Suauaöi; sollen die Kimmerier
reiche Getreidegruben getroffen und sich davon ernährt haben
(St. B.). Die Hauptmasse überschritt den Plalys (St. p. 552)
und setzte sich im Gebiete von Sinope fest (Hdt. IV 12);
weiter gegen Osten wandernde Haufen stiessen auf die aus
dem Zweistromland nach Mada eingefallenen Qakä. Diese
Völkerstürme scheinen die bisher am Iris und Lykos sesshaften
Armenier oder Hai-q langsam dem oberen Frät und Araxes
zugeführt zu haben. Vielleicht wurden auch Theile der Treren
ostwärts verschlagen: im Grenzlande der Armenier und Iberen
nennt Plinius eine regio TRIAKE (vgl. Tpnjpe? des Arrian) d. i.
die heutige Landschaft Thrialethi am Flusse Ktsia, welcher
südlich von Tiflis in den Kur fällt; hier wird in armenischen
Schriftwerken ein Volk Namens Threl-q' erwähnt. Auf die
Nachricht des Strabo, dass es im Grenzlande der Armenier
,thrakische‘ Kopfabschneider oder Zapaiiapat gebe, legen wir
dabei weniger Gewicht; in Assur aber finden wir einen Ort
CIMMIR (GR.). In den assyrischen Keilinschriften aus der
Zeit des Assarhaddon und Assurbänipal werden die Einfälle
der Gimirrä nach Assur, Chilaku und in das Land Ludu, wo
König Gugu oder Gyges herrschte, erwähnt; Gyges griff die
übermüthigen Gimirrai an, welche sein Land verwüsteten, und
schlug sie; bei einem zweiten Einfall jedoch verlor er sein
Leben. Unter Ardys II. (— Alyattes III.) setzten die Kimmerier
ihre Raubzüge und Plünderungen fort; im Verein mit einer
karischen Bande unter Lygdamis eroberten die Treren unter
ihrem Fürsten Kußo? die Unterstadt Sardes; dann zogen sie
gegen Magnesia am Maiandros und tödteten viele Leute.
Lygdamis kam in Kilikien um, Kobos zog vor dem Sakenkönig
Madua, dem Sohne des Prätathiya, den Kürzeren. Die endliche
Vernichtung der Kimmerier, welche in Kleinasien Alles durch
einander gebracht hatten, wird dem vierten Alyattes zuge
schrieben (ca. 600).
Den Griechen lagen nicht zusammenhängende Berichte
über diese Wanderung vor, sondern nur einzelne Andeutungen
der Dichtei’, zumal des Kallinos. Dieser erwähnte den Angriff
56
IV. Abhandlung: Tomaschek.
der Kimmerier auf die ’Hotovss? (Str. p. 627) oder Maionen,
das Anrücken derselben gegen Sardes und Magnesia (p. 648)
,v3v 3’ erci Kijj.[j,epi'iov axpax'oz ’ipy^xai oßpt(j.oepYtov c , sowie den Kobos
,Tpv;psa<; ävSpa? a-fwv' (St. B.). Was mag aber der Name Tpape;
bedeutet haben? Das Thema tr ar, trär- ist aus träir entstanden,
und dieses, wie thrak. pair, armen, hair ,Vater' aus pater-,
hinwiederum aus träter, d. i. ,Hüter, Viehhälter, Hirt', von
der arischen Wurzel skr. trä, zd. thra ,hüten, nähren'; dazu
gehört auch armen, ere (gen. erej, ereoj) ,animal, pecus', ge
bildet wie zd. thräya ,nährend, Nahrung'; sogar in der Sprache
der finnischen Mordwa findet sich die Wurzel tr'a- ,nähren,
pflegen, halten' mit Derivaten wie tr'amo ,Unterhalt, Nahrung'
vgl. zd. thrima. Es wäre nicht unmöglich, dass sich mit den
Thraken eingedrungene skolotische Haufen gemischt hatten,
echte Nomaden, welche von den Thraken ,Viehzüchter' genannt
wurden; der im Haemus zurückgebliebene Theil war aber jeden
falls rein thrakisch.
An diese Treren schliessen sich die Trallen an, welche
gleichfalls ausgedehnte Wanderungen unternommen haben. Sie
waren gleichzeitig oder kurze Zeit nach den Treren ausgezogen
und wandten sich dem illyrischen Westen zu, wo sie die phry-
gischen Stämme Emathia’s auseinander warfen; denn wir finden
TpaXXei? oder TpaXXeTc, TpdXXoi oder TpäXXiot hart im Rücken
der Brygen — die Trallen als den treibenden, die Brygen als
den geschobenen Theil. Es gab an der Grenze des make
donischen Stammlandes eine Landschaft TpaXXayj oder TpaXXt'a •
p.otpa T-i)c T/Aupfa? (St. B.). Theopomp war in der Lage, trallische
Ortschaften anzuführen: Bvjyi.; • |j,oHpa y.ou toXi? x&v sv ’IXXupi'a
TpdXXswv, und B6Xoupo? ■ \>.6ipa zai xoXi? x&'/ sv TXXupi'a TpäXXsiov
(St. B.). Wenn BöXoupoi; zugleich eine xoXi? OscxpwTiaq war, so
schliessen wir daraus, dass die Trallen in der Verfolgung der
Brygen bis nach Epirus gelangt waren. Wie eng das Thrakische
mit dem Armenischen Zusammenhang, ersehen wir daraus, dass
sich der Name BöXoupo? (aus BoXFopoc, gebildet wie ßöpßopo?) aufs
beste aus armen, bolor ,rund; Runde, Umkreis' und blur (gen.
blroj) ,runde Anhöhe, tumulus' erklärt, von einer Wurzel bhel:
bhol ,schwellen, sich ballen'; gr. ßoXßo? ,Zwiebel' (aus ßoXFoc,
vgl. lit. bulwis ,Kartoffel, Bolle') mag aus einem nördlichen
Dialekt stammen. Nur ihrer geographischen Stellung wegen
Die alten Thraker. I.
57
werden diese Trallen den Illyriern zugewiesen (Liv. XXVII
32, 4; XXXI 35, 1 TRALLES Illyriorum genus); sie bildeten
ein starkes Contingent im makedonischen Heere. Die thrakische
Abstammung ergibt sich aus der Namensform, einem Derivat
oder einer dialektischen Aussprache des Thema trär-; in echt
tlirakischen Personennamen werden wir dem Element -TpaXr ( c.
-tralis ,nährend, züchtend' häufig begegnen. — Eine zweite Ab
theilung der Trallen finden wir im Berggebiet zu beiden Seiten
des Nestos. Als Agesilaos aus Asien heimkehrte (394), stiess er
im Gebiete der Pässe auf TpaXXsÜ:: (var. TpuaSsR), Plut. Ages. 16,
apophthegm. Lac. 42. Am Südabhang der Rhodope finden wir
noch in später Zeit eine Gegend und Veste BeXXoupoc, BoXepsc. —
Trallen waren endlich, als Nachzügler der Treren oder als
Waffengenossen der Thynen, nach Asien gewandert. Eine
ihrer Ansiedlungen am astakenischen Golf hiess TpäXXcov, deren
Bewohner TpäXX'.oi (St. B.). Auf lydischen Boden, zwischen
der Messogis und dem Maiandros lag die uralte ,pelasgische',
von Leiegern, Minyern und Karern bewohnte Veste Adpica,
welche, seitdem sich dort thrakische Trallier angesiedelt hatten
(Strabo p. 649), den Namen TpdXXsij oder TpiXXi? führte; mit
den Tralliern wanderte auch die thrakische Sage von den
,Fäustlingen' (s. d. Glosse -/.ch'rou^ot) und Kranichen zu den
Karern. Das benachbarte Nötia braucht nicht als eine thrakische
Gründung angesehen zu werden, da der Name wie der Diony-
soscult den Maionen und Phrygen eigen war; der phrygische
Ort TpdXXvj? kann sowohl auf die Trallen wie auf die Amazone
TpaXXa zurückgehen. Auza^oc, eine v.tüij.Y] AuBi’ac (St. B.), gebildet
wie FaX-r^o;; oder Aaoc4o(, war wohl eine maionische Gründung;
dagegen dürfen wir auf die Trallen beziehen jene öpäv.sc Aov.i'O.o’.
oder Aozo^Ttcw, deren Vorort Aoy.oZ.oi; in Phrygien von Gewässern
hinweggeschwemmt wurde (Xanthus ap. St. B.). Aus den alten
Berührungen der Maionen und Trallen erklärt sich die Glosse
’AmpaXfav • tov ©peev.a, Auooi (Plesych.): der vocalische Anlaut dient
zur Stütze des Lautcomplexes exp- wie in daxpaXoq-b iiapb;, ©srcaXoi
(Hesych.) neben lat. sturnos, ags. stearn ,Staar'; die Maionen
hatten gewiss ein ähnliches Wort für’ diesen geschwätzigen
Vogel und benannten damit die barbarischen Trallen, deren
Dialekt ihnen unverständlich vorkam, in volles etymologischer
Weise oder zum Spott. Zur Zeit der Epigonen finden wir die
58
IV. Abhandlung: Tomaschek.
Trallen an den Höfen als Söldner, Trabanten und Henkers
knechte; TpaXXeu; ' |J,:G0o<p5poi 0p<r/.sc, ot zaq fov.x&; xpdaq w7^pouvcec
xapa tote ßaaiXeusiv (Hesych.). In dieselbe späte Zeit fallen
die Ansiedelungen thrakischer Veteranen mit Weib und Kind
auf pisidischem und lykischem Boden, z. B. in der Milyas.
Nun wollen wir die Gruppe der thynischen Völker be
trachten, deren älteste nachweisbare Sitze am Strymon lagen;
man kann demnach diese Gruppe auch die jstrymonische' be
nennen. Doch haben wir bereits auseinandergesetzt, warum
wir uns Brigen oder Brygen, sowie deren Stammesbrüder, die
phrygischen Edonen, als Ursassen an diesem Strome zu denken
haben: der Name STpügwv selbst d. h. ,Strom', von der Wurzel
srev : sru, welche sowohl im Germanischen, Lettischen und
Slavischen, als auch im Phrygischen in der Form stru auftritt,
muss zunächst für phrygisch gelten; vgl. Sxpop.w ■ 'Poiw, Tochter
des Skamandros, die kikonische SxpÄjMi an der Mündung des
Maoc, und Sipupovtov, Beiname der brigischen Stadt Mieza am
Ostabhang des Bermios. Selbst der Alp.o; trägt einen phrygischen
Namen. Die thrakischen Strymonier müssen also aus dem
höheren Norden eingewandert sein, in Zeiten, die sich der Be
rechnung entziehen. Das erste thrakische Volk, das erobernd
in den Süden vordrang und den Strymon sogar überschritt,
waren die Bisalten.
BwaXTai, mit Ausgang wie in Hypsaltae, einem odrysischen
Stamme am unteren Hebrus, vom Thema Big-, das im Thra
kischen mehrfach auftritt, werden in den Genealogien von einem
Heros BtoaXTY;c ■ o 'HXi'ou xal Ty)? (St. B.) abgeleitet, was auf ein
vorzeitliches Auftreten im Lande hinweist. Wenn hinzugefügt
wird: e<m v.al xoTago; BiadXTYjc, so darf dieser Name für ein
poetisches Synonym für den Strymon gelten, wie ’Hiovsik und
’Howvo?. Als thrakisches Eroberervolk erweisen sie sich durch
ihre tiefe Einlagerung in die Gruppe der edonischen Stämme,
durch ihre vormaligen Einfälle in die sithonische Pallene (Conon
narr. 20), durch ihre Erwerbung der mygdonischen Krestonike
(Hdt. VIII 116), durch ihren Widerstand gegen die paionische
Invasion. Sie setzten ihre Einfälle nach Süden und gegen die
chalkidischen Colonisten fort, jedoch ohne Erfolg, ja sie ver
loren zahlreiche Ortschaften, zuletzt auch die Veste Argilos.
Ihr Zusammenhang mit der Akte wurde dadurch unterbrochen;
l)ie alten Thraker. I.
59
hier erhoben sich fünf Colonien der Andrier; doch war, neben
Edonen, Krestonen und Tyrsenen, ein oy'koq ßapßapov StYXwxxtuv
BwaXtixöv zurückgeblieben — neben ihrem thrakisch-bisaltischen
Dialekt war also bei ihnen auch schon das Griechische durch
gedrungen (Thuc. IV 109, Diod. XII 68). Dieser thrakische
Stamm, welcher einmal sogar eine Expedition gegen Kardia
unternommen hatte (Athen. XII, p. 520), zeigt sich überhaupt
sehr bildungsfähig: bei ihm drang das altansässige edonische
Element sowie der griechische Cultureinfluss erfolgreich durch;
doch zeigt sich einmal ein grausamer Zug im Herrscherhause
(Hdt. 1. c.) verbunden mit Freiheitsgefühl. Die wenigen bisal-
tischen Orte, die wir kennen, stammen aus der edonischen
Vorzeit, so namentlich ßsouc. Das Land war überaus fruchtbar;
Oel- und Feigenbäume gediehen vorzüglich (Theop. ap. Athen. III,
p. 77, d); den Hauptreichthum bildeten die Metalle im Gebirge
Auatopo?, welche vielleicht schon die Edonen ausgebeutet hatten;
der makedonische König Alexander I. bemächtigte sich der
Silbergruben bald nach der Schlacht bei Plataiai, und ihm gieng
daraus täglich ein Silbertalent ein (Hdt. V 17); prächtige Exem
plare von Silbermünzen mit der Legende BiaaXxiy.ov und der
Darstellung des lanzenschwingenden thrakischen Reiters sind
noch vorhanden. Seit Philipp blieb die makedonische Herr
schaft unbestritten. Als die Römer das frei belassene Makedonien
in vier Districte theilten (167), wurden BicaXxi'a väaa gsiä vr t c
ev xp SivTixp 'HpaxXet»? zu Macedonia prima geschlagen; Livius
(XLV 30, 3) fügt hinzu:. ,BISALTAE fortissimi viri cis Nessüm
incolunt et circa StrymonenF, und einen Vorzug bildeten ,multae
frugum proprietates et metalla et opportunitas Amphipolisb
Doch wird der Bisaltenname seither nicht mehr erwähnt; über
all drang der Hellenismus durch.
Oberhalb der Bisalten, zwischen dem paionischen Thal
bezirk Doberos und den Odomanten, also in der Weles-planina
oder Belasica (byz. BaXao(x£a), am See Butkowo und bei der
Strumaklause Rüpel (byz. ‘PouicsXiov), sass das thrakische Volk
der SivTof. Auf diese Sinten, sowie die benachbarten Maiden,
muss der Ausdruck bei Herodot (V 5) ol xaxikep0e Kpvjaxuvai'tov
0pr,iV.£c bezogen werden, denen der barbarische Brauch der
Vielweiberei und Witwenschlachtung zugeschrieben wird. Nam
haft macht beide Völker zuerst Thucydides (II 98) bei Gelegen-
60
IV. Abhandlung: Tomaschek.
lieit des vom Odrysenfürsten Sitalkas gegen Makedonien unter
nommenen Feldzuges (429): Sitalkas war vom oberen Hebrus
in das Gebiet der ihm unterthänigen Laiaier und Agrianen am
oberen Strymon eingerückt und zog von da über das Gebirge
Kspzivr,, die heutige Malesowa-planina, hinab in das paionische
Doberos. Er hatte schon einmal einen Zug gegen die freien
Paionen unternommen und sich durch Lichtung der Waldungen
durch das menschenleere Gebirge Bahn gebrochen. Während
er hinabstieg, lag ihm das Land der Paionen zur Rechten, zur
Linken dagegen das der Maioot, weiter südwärts jenes der
2ivto(. Diese müssen auch noch den Unterlauf der Strümica
eingenommen haben, d. i. des IIövio? ■rco'tap.bc Trep: rrjv twv Scvtwv
■/.al Matowv /ßcci.'i zr t q Bpc/y.-qc (Mirab. ausc. 115): in diesem breiten
Thalgebiete lagen wohl die Orte riapöixöxoXt; und TpurrioXoc,
welche Ptolemaeus der Gzpar/]'f(a Sivtty-r, zuweist; in der Para-
strymonia lag dagegen 'HpazXsia, eine Gründung der make
donischen Könige, zubenannt Expup.voö (Hier.) oder, als Vorort
der Sinten, Etvnxfj, SENTICA (C. I. VI, Nr. 2645, 2767, was
auf eine Nebenform Sevxoi für Stvxo! hinweist), d. i. die am west
lichen Ufer der Struma gelegene Ruine Wetrena, kaum aber,
wie Safarik vermuthet hatte, das heutige Demir-hisär (byz.
SiSiQpönacTpov) oder das bulgarische Walowista (byz. BaXaßicxa);
diese Veste beherrschte die strymonische Klause, den Zugang
in die Parorbelia und in das Thal der Strümica. Die von
Philipp unterworfenen Sinten leisteten den Makedonen unter
eigenen Führern Heeresfolge, so noch unter Perseus bei Pydna
(175): ab Heraclea ex SINTIS tria milia Threcum liberorum
suum ducem habebant (Liv. XLI 51, 7). Aemilius Paulus liess
durch P. Nasica das Sinterland verheeren; es wurde zu Mace-
donia I. geschlagen; doch scheinen die Sinten öfter den Versuch
gewagt zu haben, ihre Freiheit zu gewinnen, bis sie von Sulla
(85) zu Paaren getrieben wurden; in der römischen Kaiserzeit
bezeugen Soldateninschriften das ruhige Dasein dieser Pro
vinzialen. Während diese Sinten als echte Thraken der ge
schichtlichen Zeit dastehen, lässt sich dasselbe nicht mit gleicher
Sicherheit von den lemnischen 21ms? der homerischen Hephaistos
sage behaupten; doch könnte die von uns versuchte Deutung
des Namens von Wurzel kent- ,stechen' für die thrakischen
Sinten immerhin gelten, da von Metallgruben auf sintischem
MHMHiBMi
Die alten Thraker. I. 61
Boden gesprochen wird. In der Stelle hei Liv. XXVI 25, 3 :
Philippus Dardanoru.in urbem Sintiam, in Macedoniam transitum
Dardanis facturam, cepit — wird wohl finitimam zu lesen sein.
Die Matooi, MAEDI, die nördlichen Nachbaren der Sinten
in der grossen ctpavr^ia Matotx'i), MAEDICA, bewohnten die
heutigen Landschaften Malesowo und Pijanec bis zum Bergstock
der Osogow-planina hinauf und bis zur Grenze der Dardaner
bei Kumanowo. Ungenau sind die Nachrichten, welche ihre
Südgrenze bis zu den Bisalten, Odomanten und Edonen aus
dehnen; so hatte z. B. Dionysios in den Bassarika die er;pta <püAa
MaiSwv neben die ''Ocovs; iXzectesTCAoi gesetzt (St. B.); selbst
Plinius sagt: Maedi amnem Strymonem accolunt dextro latere
ad Bisaltas usque (richtiger wäre Sintos); introrsus Denseletis
vicini Dardanis a fronte iunguntur. Ihre Grenze gegen die
Paionen von Doberos bildete nach Thucydides die Kerkine
oder nach Aristoteles (Hist. an. IX 45) xb Mscadwov opo?; der
Fluss IIb'txoq durchfloss die Gelände der Paionen, Maiden und
Sinten; bei den Metallgruben von BTvat, wo Braunkohle gefunden
wurde (s. d. Glossen sotvo?, piapi^e6;), hatte Philipp eine <J>tXra-
-outkA’- angelegt; seinem Beispiele folgte Alexander, welcher
17 Jahre alt (339) die barbarischen Maiden zurücktrieb und
eine ’AAscavopÖTuoA'.c gründete (Plut. Alex. 9, St. B.). Livius
(XXVI 25, 6) bemerkt: incursare ea gens in Macedoniam solita
erat; jedenfalls haben die Maiden den paionischen Stamm der
Agrianen ausgerottet oder sich assimilirt. Im Jahre 212 er
oberte Philipp, Sohn des Demetrius, Iamphoryna, caput arcem-
que Maedicae (Liv.; 4>6pouva, Polyb. IX.); später (180) belagerte
er auf der Rückkehr vom Haemus ihre Stadt Petra (Liv. XL
21. 22). Perseus entbot die Bastarnen von der unteren Donau
zu einem Einfalle elq xrjv MaiSocijv (Diod. XXX, fr. 29); Baster-
narum exercitus consedit in Maedica circa DESUDAVAM
(Liv. XLIV 26, 7); wichtig ist hier das Auftreten des thrakischen
und dakischen Elementes — dava ,Siedelung‘. Echt thrakisch
sind auch die maidischen Eigennamen: so wird den Maiden
XeüOrjq und Twvxv.y;c die Erfindung der Hirtenflöte zugeschrieben
(Athen. IV, p. 184, a). Nachdem Makedonien römisch geworden
war (147), wiederholten sich die Raubzüge der noch frei ge
bliebenen Maiden, im Verein mit den Denseleten, Dardanern
und Skordiskern. In der Inschrift von Lete (117) ist die Rede
62
IV. Abhandlung: Tomaschek.
von einem grossen Einfalle der Skordisker, cuviTcsXöovToi; pex’
aÜTüiv Tina tou xwv Maicwv Suväaxou oyXou nXsiovop (Rev. arcli.
1875, p. 65 ff.). In den folgenden Jahren werden meist nur
Skordisker als Feinde genannt, so unter C. Porcius Cato,
C. Caecilius Metellus, M. Minucius Rufus; Vulso (97) soll jedoch
Maiden und Dardaner bewältigt haben. Wiederum stachelte
Mithradates die thrakischen Bergstämme zu Einfällen nach
Makedonien an, deren sich der Statthalter C. Sentius nicht zu
erwehren vermochte; nur die Denseleten hielten damals zu
Rom. Die Maiden dagegen verwüsteten unter ihrem Fürsten
Swti|j.o; und im Verein mit den Dardanern und Skordiskern
Makedonien, drangen in Hellas ein, plünderten und verbrannten
die Tempel von Dodona und Delphi; L. Scipio rieb die Skor
disker auf, die Maiden und Dardaner bewog er unter Belassung
ihres Raubes zum Rückzug, auf welchem Sotimus eine Nieder
lage durch Sentius erlitt (85 vgl. Oros. V 18, App. Illyr. 5,
Plut. Num. 9, Cass. Dio etc.); gleichzeitig drang L. Cornelius
Sulla mit seinem Legaten Hortensius brandschatzend in das
sintisclie und maidische Land ein, beruhigte die Denseleten und
Dardaner, schlug die Skordisker und die dalmatischen Eneter
(Granius 35, Eutr. V 7, Plut. Sulla 53, App. Mithr. 55 etc.) und
gieng dann (84) nach Asien über. Bald darauf (78) schlug
App. Claudius die Maiden und fügte sie, nebst einigen Stämmen
der Rhodope, definitiv in die makedonische Provinz ein. Spätere
Zeugnisse über dieses voreinst mächtige Volk fehlen, nicht
einmal Soldateninschriften nennen den maidischen Namen. Als
gebändigte Provinzialen, welche im Bereich der wenigen Städte
griechisch, im ausgedehnten Berglande, wo sie Viehzucht und
Köhlerei trieben, romanisch sprachen, waren sie jedenfalls mit-
betheiligt an der Bildung des makedo-wlachischen Volksthums,
das sich später im Pindus eine neue Heimat schuf, oder sie
giengen in den Slowenen, welche das Thal der Struma und
Bregälnica in Besitz nahmen, spurlos auf. Bevor wir uns ihren
Stammesbrüdern, den Bithynen, zuwenden, sei noch ihrer Nach
baren, der Denseleten, gedacht.
AavÖaXrjTai- sOvsc 0pay.ty.6v (St. B.) nannte zuerst Theopomp;
doch fallen wahrscheinlich mit ihnen die bereits von Hecataeus
erwähnten AeutXot • £6vo; 0pax.ty.6v (St. B.) zusammen; auch meint
sie Herodot mit den Worten (VHI 115): ot ävu) 0pr,:y.sp ot rcept
Die alten Thraker. I.
63
xä; r^ac, xoü 2xpup.6vo; oha; pivot, da er die Agrianen kaum wird
als Thraker hingestellt haben. Sie bewohnten das obere Struma
thal von der Osogow-planina und vom Rujen aufwärts bis zum
Witosa und Znepolje; ihren Mittelpunkt bildete das Becken
von Köstendil oder Pautalia; Ptolemaeus verzeichnet die expavr^ia
Aav0Y)kY)Tt>u5 zwischen MaiBiwfj, Bsaatzv;, Zcp£r/.V) und Aapdavia. Auf
einer Inschrift (von Swrlyg, Arch. epigr. Mitth. X, p. 240, Nr. 4)
erscheint ein Strateg Ac.v6cX-rjxiy.vi; Ttsotaoist;, wozu wir uns eine
öpsivvi als Gegensatz denken müssen, wie denn gleichzeitig eine
Sv)Xv)xizv) opsivvj vermerkt wird. — Philipp II. zog (183) si; ’OBpücra;,
Bsaaou; y.ai Aev0r]Xf;Xou; zu Felde (Polyb. XXIII 8, 4); zwei Jahre
später besuchte er den Hochgipfel des Haemus (Witosa) und
das Land der DENTHELETI: socii erant, sed propter inopiam
haud secus quam hostium iines Macedoniae populati sunt; ra-
piendo passim villas primum, deinde quosdam etiam vicos eva-
starunt; frumento inde sublato in Maedicam regressus urbem
Petram oppugnare est adortus (Liv. XL 22). Granius 35: Sulla
Dardanos et DENSELETAS ceterosque, qui Macedoniam vexa-
bant, in deditionem recepit. Im Jahre 30 v. Chr. hatten die
Bastarnen das Land der Moesen, Triballer und Dardaner ge
plündert; zaxsopap.ov xat xv)V 0pa-/.v;v xvjv AsvOsXyjxwv, svctcovBov Tw-
ptatoi; oucav. Der römische Statthalter von Makedonien leistete
sowohl damals (29) dem blinden Dentheletenkönig 2rcä; Hilfe,
als auch im folgenden Jahre (28) bei einem neuen Einfalle der
Bastarnen (Cass. Dio LI 23, 25). Geraume Zeit später (id.
LIV 20) hören wir jedoch von einem Raubzuge der Dentheleten
und der Skordisker; seither blieben sie ruhige Provinzialen.
Wir finden Denseleten unter den Legionssoldaten an der Rhein
grenze (vgl. Brambach Nr. 980: Sese Venulae f. DANSALA;
Nr. 1290: C. Tutius Manii f. DANS. eq. ex coh. III. Thrac.;
als Personenname begegnet DENSOLA Drulentis f., Mitth. 1891,
p. 147, Nr. 13). War DANSALA die echte Singularform zu
Aotv0aX-v)xat, so deuten wir diesen Namen als ,Beisser, Bissige*
oder ,Reisser‘, von Wurzel däk : dali, skr. dag, dang (ahd. zangar
,heissend, scharf*). Ueber das denseletische Wort midne ,vicus*
werden wir bei den Glossen handeln.
Matcoßtöuvst erwähnt Strabo VII 3, 2, p. 295 als thrakisches
Volk neben BtGuvot und ©tivof; vgl. Steph. Byz. v. MaiSoi' • ,ex,
xouxwv |i,exaßavxs; xtve; st; (xä p.epv; xä avxt^epav y.st'p,sva xvj; 0paxvj;
64
IY. Abhandlung: Tomaschek.
xai) MaxsSovi'a? MatBoßi'öuvoi ey.X^O^aa'/. Die thynischen Stämme
waren also vormals Nachbaren der Maiden, ein strymonisches
Volk, dessen urälteste Heimat über dem Haimos gelegen hatte.
Die bythinischen Thraken schildert uns zuerst Herodot (VII 75)
mit dem Beifügen: oütci ce Staßdvxsi; p.ev kq tyjv ’Actit,v kvXrßrpav
B’.öuvof, to cs TcpoxEpov sx.aAsovxo, w? aüxol Äsyouci, SxpOp.OVtOI, OIXEOVXEC
sm Stouijiov'.. E^avaoT?,va! os ©aci si; r t 0ewv üko Tsuxpöv ts wai Muawv.
Ueber diese Teukren und Mysen haben wir bereits gehandelt;
für diese Namen müssen wir unbedingt die Paionen einsetzen,
jenes illyrische Volk, das vom Westen herandrängend der
weiteren Ausbreitung der thrakischen Eroberer Grenzen gesetzt
hatte; erst als das Volksthum der Paionen im Schwinden be
griffen war, konnten die Maiden wiederum hervortreten. Aus
Herodot zog Plesychius seine Glosse: Sxpupioviot • ol BiOuvoi x'o rcps-
xEpov. Als ein strymonisches Volk durften die Bithynen mit
einigem Recht den homerischen Helden 'Pvjaos als ihren National
heros feiern. Nach Plinius war Sxpu|Aov{<; ein alter Name von
Bithynien; schwerer zu erklären sind die angeblich noch älteren
Beinamen Kpovi'a und ©socra/dc — sollen sich etwa den Trallen
thessalische Dryopen angeschlossen haben, die wir bei Abydos
fanden? Ueber die von Plinius vermerkte Benennung
MALIANDA, worin kaum Melandia stecken dürfte, wagen wir
eine Vermuthung: das Wort sieht aus wie eine dialektische
Nebenform von Marianda, mit der Bedeutung ,Uferland' (vgl.
sur. marya-dä ,Merkzeichen' ags. msere engl, mere ,Landesgrenze,
Mark', von Wurzel mer: mar); damit hängt wohl der Name
der plirygischen MapidvSovoi zusammen, welche die Küste vom
Sangarius und Hypius bis zum paphlagonischen Callichorus
bewohnten und am Lycus Leibeigene der Herakleoten waren
— der orgiastische Naturdienst, der sich in der Sage vom
IIpisAa; und im threnetischen ßwpp.cc ausspricht, sowie die vor
malige Nachbarschaft der Mygdonen und Bebryken weist ihnen
plirygische Abkunft zu, obwohl sie Einige mit den thrakischen
Thynen (schob Ap. Rh. II 140), Andere mit den Kimmeriern
(ibid. I 1186) verwechselten; allerdings wurden Kimmerier
einmal vor Herakleia ein Opfer des Genusses von av.cvtxov
(Eust. ad Dion. per. 791, nach Arrian). Dass die thynischen
Völker hinter den Kimmeriern oder Treren in Asien einzogen
und mit diesen nicht verwechselt werden dürfen, ergibt sich
Die alten Thraker. I.
65
aus der Nachricht des Bithynen Arrian, welcher mit der
Geschichte seines Landes wohl vertraut war (Eust. ad Dion,
per. 322): ©päxs? ei; EupO&7CV)<; öießyjcav ei? ’Aaiav ptexa Ilaxapou xcvb?
Ti'feiJ.ä'/oc, oxe oi Kipp-epiot xrjv ’Act'av xaxexps/ov, oü? exßaXdvxe? ex
Btöuvt'a? oi 0paxe? wxnjaav auxot'. Dieser Pataros drang durch das
Land der Mariandynen bis nach Paphlagonien vor, wie Demo
sthenes in seinen bithynischen Geschichten berichtet hatte (St.
B.): Iläxapo? eXwv IläipXaYOVtav Tiov exxtxev xai ex tou xtp.äv x'ov Ata
Ttov xpoair)YÖpeuaev. Tt'o? wird jedoch eher eine Gründung der
Mariandynen gewesen sein, welche den Heros Ttxla? verehrten
und bei denen ein Ort Ttxoua hiess. Weiter verbreiteten sich
die Bithynen tiefer im Inlande, namentlich in der Thalebene
SotXuv, wo ihr Hauptort BcOüvtov (j. Boli) stand, und in der
11oxapua des BiXkaTo?, wo sie Kpäxeta oder Kp-^atja und CEPOEA
gründeten. Thynen und Bithynen geriethen wie die Mysen
Phrygen und Mariandynen unter die Herrschaft des Kroisos
(Iidt. I 28), sodann der Perser. Zur Zeit des Artaxerxes II.
scheint sich der bithynische Häuptling AotSaXcu)? von den Persern
freigemacht zu haben; nach ihm folgten Boxeipa? und Bä?, dann
Zrcoixr)?, welcher (298/7) den Titel ßaotXeü? annahm, zuletzt
Nikomedes I. — Viehzucht und Ackerbau waren die Haupt
beschäftigung der Bithynen; der Einfluss der phrygischen Nation
äussert sich namentlich im Göttercult; seit Nikomedes wirkte
das Griechenthum ein, so dass endlich das thrakisch-phrygische
Element im Hellenismus aufgieng.
Mit den Bithynen waren auch Thynen in Asien einge
zogen. Wir finden ein Inselchen nahe den ,Scheeren‘ (Xr ( XaQ,
genannt ©uvtä? oder ©uvyp? (St. B.), die spätere Aaavoucua, Penosia
der italienischen Seekarten, die heutige Ivirpe-adassi; das gegen
überliegende Festland vom Flusse 'Pv;ßa? an bis zur Münde
des Sangarius (Scymn. 977) hiess 0uv(a, 0urr, oder 0uv(?; es
•war die 0imaxr) ©päxvj der bithynischen Herrschaft, in welche
zur Zeit des Zipoites die Herakleoten Einfälle machten
(Memnon 17. 18); in der byz. Zeit wurde sie MecroOtma genannt
(vgl. MEcospuyfa, Meco/aXSta). Hier gab es nur kleine Ortschaften,
aber die Felder und Wälder waren ausgedehnt und ergiebig.
Zurückgebliebene Eeste der BtOuvot xat 0uvoi ©pvjVxE? finden
wir auch auf der europäischen Seite. Strabo XII, p. 541
berichtet ausdrücklich, dass es noch zu seiner Zeit in Thrake
Sitzungsber. d. pbil.-bist. CI. CXXVIH. Bd. 4. Abh. 5
66
IV. Abhandlung: Tomaschek.
einen gewissen Stamm Namens BsOuvoi gegeben habe; eine Stadt
Btöuvtc nennt Pomponius Mela im Flussgebiet des Erginos; vgl.
BITHENAS (TP., Bithena GR.) m. p. XIII Apris, XIII Moca-
sura. Phylarchus berichtete (Athen. VI, p. 271, 6): Bu^avxtoi
ouxw Btö'jviüv Aay.sSa'.jj.6vtct xfiiv elXioxwv. Die BiOavta vj
xijs 0pax,v)<; xrspl ZaXjJUiSrjaoöv (schol. Ap. Rh. II 177) beruht
wohl auf einer Verwechslung mit der Thynias. Oberhalb
Perinthos und Selymbria kennt Xenophon (An. VII 4, 2) xb
0uvwv itsStav. Die Gehöfte dieser Thynen und ihre Schafhürden
waren rings mit Pfahlwerk verschanzt; ständig waren sie von
den Odrysen bedroht, welche hier als Herren schalteten; doch
wehrten sich die Thynen mit aller List. Xenophon nennt die
0uvot ,die allergefährlichsten Feinde, besonders zur Nachtzeit;
sie sollen einstmals den Teres überfallen, viele Odrysen er
schlagen und deren Gepäck erbeutet haben*; damals jedoch, als
sie die Griechen im Aufträge des Seuthes zu züchtigen hatten,
waren sie ins Gebirge entflohen; sie trugen, wie die Bithynen,
äXo)7i£y.aq im xaT? xs®aXaR. Die eigentliche 0uvcac war jedoch
das Ufergebiet zwischen Salmydessos und Apollonia, wo wir
allerdings auch ältere phrygische Reste gefunden haben, z. B.
die MeXavStxai. Ein thynischer Stamm, die MsX'.vocpäyo'., hatte
vom Anbau der Hirse seinen Namen. Der Strand bei Salmy
dessos, für die Schiffer gefährlich wegen der Untiefen und
Sanddünen (xä arföyj xoü IIcvxou), war verrufen wegen der Raub
sucht seiner thynischen Anwohner, welche die Gestrandeten
ausplünderten und erschlugen; einer Angabe zufolge sollen sie
nur die fremden Krämer, welche dort der Geschäfte wegen
anlegten, bestraft, zufällig Gestrandete jedoch gut behandelt
haben. An die Thynias erinnert noch jetzt der Ort Iniädlia,
\ xäv 0uvid3a. Die Bürger von Byzantion, welche eine weite
Strecke Landes erworben und die thynischen Bauern leibeigen
gemacht hatten, litten oft schwer infolge der Raubsucht der
Odrysen; etwa vier Dynasten übten an der Grenze ihre
^Gerechtsame* aus: so oft die Feldfrucht reif war, kamen die
Barbaren heran und rafften Alles mit sich. Aber noch weit
ärger trieben es später die Galater des tylenischeü Raubstaates
(Polyb. IV 46). Bi6uvo? und 0uvo? heissen mit Recht Brüder;
wenn diese jedoch Arrian als raaSe; ’OSpüxou hinstellt, so ist
daran nur die räumliche Nähe Schuld. Mit den Bithynen bringt
Die alten Thraker. I.
67
Appian (Mithr. 1) den Flussnamen B'.Oü»; in Zusammenhang;
ßiO'iat werden auch als s0vo; GpaxYj; vermerkt (St. B.). Der
thrakische Eigennamen BiQjc oder Bs!0u? kann nur dann ver
glichen werden, wenn man Bi0üv (wie lloXiuv, Kärcuv etc.) zu
grunde legt; wegen der 0üvo£ muss Bi-Oüvol abgetlieilt werden;
leider lässt sich die echte Aussprache von 0 nicht ermitteln.
Ob ‘invcü; der Argonautensage mit 0jv6i; zusammenhängt, etwa
infolge einer minyischen oder karischen Aussprache, lassen wir
dahingestellt; über die Herkunft der Sage hat Hiller von
G-aertringen Nachweise geliefert. — Die thynische Wanderung
hat in Europa noch ein bemerkenswerthes Glied zurückgelassen,
dort, wo vormals die Skaier sassen.
Es sind die AöXo-ptoi oder AoXöpuoi, DOLONGAE, in dem
Landstriche AoXo-fzidi;, d. i. im Innern des thrakisclien Chersonnes
bis zum Flusse Melas oder Apsintlios. Der Heros AoXo-p/.oc,
Sohn des Zeus oder des Kronos und der Nymphe Tlirake, galt
für einen Bruder des Bi0'jv6c (St. B.). Der Bithyne Arrian
(Eust. ad Dion. per. 322) vermeldet die Sage, Dolongkos
habe als Herrscher von Tlirake viele Frauen gehabt und mit
diesen viele Kinder gezeugt, und seither bestehe unter den
Tliraken die Sitte, ■roXXä? ’iyn'i Yüvawa?, ü; av sv. xoXXfiW tcoXaou;
eyctsv •xaXoac. Die Sitte der Vielweiberei herrschte bei allen
strymonischen Stämmen. In der Geschichte werden die
Dolongken nur einmal erwähnt (Hdt. VI 34): um das Jahr
550 hatten die AiXopzoi 0p-jV-/.s? ir.saSsvTc? toXsi-uö Ü7cb ’ALvOitov
durch Abgesandte das delphische Orakel befragt; als diese über
Athen heimkehrten, fanden sie im Hause des Miltiades, Sohnes
des Kypselos, gastliche Aufnahme; Miltiades schiffte mit ihnen
zum Chersonnes, unterstützte die Barbaren mit Rath und That,
verschanzte die Landenge von Kardia bis Paktye und gewann
bei ihnen Macht und Grundbesitz. Auch den jüngeren Miltiades,
Sohn des Kimon, finden wir zur Zeit des Skytheneinfalls im
Chersonnes; er hatte zur Frau Hegesipyle, die Tochter des
Thrakerkönigs Oloros; erst 493 kehrte er nach Athen zurück. —
An jenen Abgesandten waren ausser der Barbarentracht die
od/[j.ai, welche sie trugen, auffällig. Sollte das Wort AoXo-p/.o:;
mit 7.6'(/r l Zusammenhängen, d. i. coXc-f/r, ,longa“, von der Wurzel
dolongh: delegh, gr. SoXtyoc: (ivjäsXsyjj?? Es gibt auch eine Wurzel
del: dol ,spalten“, woraus die AoXtove? erklärt werden können. —
5*
68
IV. Abhandlung: Tomasclielr.
Nun gehen wir zu den Bergstämmen des Orbelos und der
Rhodope über, welche ihrer centralen Lage nach und wegen
ihrer Erstreckung bis hart an die ägäische Küste für den
ältesten Theil der gegen Süden vorgerückten thrakischen Völker -
weit gelten müssen.
Säxpat ■ eövo? ©pay.Yjc nannte zuerst Hecataeus (St. B.), ebenso
die zu ihnen gehörigen 2axpo-y.svxtzi (in Meineke’s Ausgabe aus
gefallen; fr. 129 bei C. Müller), ein Vollname, der sich gut
deuten liesse als ,nach der Herrschaft Strebende, der Herr
schaft sich Erfreunde 4 ; vgl. arisch ksatra ,der herrschende Theil
des Volkes, Herrschaft 4 (wie kara ,der handelnde Theil, das
Heer 4 ). Es können ja die Satren das wehrhafte und kriegerische
Element unter den diischen Thraken gebildet haben, während
die Bessen oder ,Dorfbewohner 4 die eigentliche Volksmasse
darstellten; man halte dazu die Zaioi östlich von der Mündung
des Nestos. Leider steht diese Etymologie nicht felsenfest da:
ksatra ist eine specifiscli-arisclie Bildung, auch würden wir im
Thrakischen eher üsar erwarten (vgl. §ar ,König 4 im gorischen
Dialekt von Hare). Herodot (VII 110) führt in der Reihe der
Völker, welche dem Zuge des Xerxes folgten, neben Sapaiern
und Edonen die Saxpai an, mit dem Beisatz, dass sie tiefer im
Binnenlande wohnten, obwohl sie zeitweilig, neben Pieren
und Odomanten, im Besitze der Bergwerke am Pangaios
standen (112). Sie waren überhaupt ein grosses und starkes
Volk (111), das seit Menschengedenken seine Freiheit bewahrt
hatte: ,denn sie bewohnen hohe Gebirge, mit allerlei Waldungen
und Schnee überdeckt, und sind gewaltig im Kriege; sie be
sitzen auch das Orakel des Dionysos, welches auf den höchsten
Bergen liegt 4 . Und doch verschwindet in der Folgezeit der
Name der Satren gänzlich, nur Dier und Bessen werden genannt.
Sobald einmal das Bergland makedonisch und römisch geworden
war, konnte es auch keine herrschenden 4 mehr geben; man
erkennt, dass es kein echter Volksname war, sondern nur
Bezeichnung des kriegerischen Adels unter jenen Völkern. —
Die Aapaioi ■ I6vo? 0pay.iov, 'Ey.axaloi; Eupwixr] (St. B.), dürfen wohl
mit den AepcaVc verglichen werden, welche Herodot (VII 110)
und Thucydides (II 101) als freie Thraken neben Odomanten,
Satren und Edonen anführen; die Asppaüot oder AsipaTo'. der
Abderitis (St. B.) dagegen scheinen Bewohner der Ortschaft
Die alten Thraker. I.
69
Aeipyj gewesen zu sein. Neben den Dersaiern kennt Tlracydides
sonst nirgend erwähnte Apwoi. Im Akontisma-Passe fanden wir
TpaXXetp (cod. Tpwaoeic). Tiefer in der Rhodope, zwischen den
Sapaiern und Bessen, sass der Stamm der Apöcct, welche der
GipaTYjvi'a Apo(Ptol.) den Namen gaben.
SaixaTo!, bei Hecataeus Zowuai • eQvoq Gpay.iov (St. B., Hesych.),
hausten nach Plinius ,ad Mestum amnem et ima Rhodopae',
von den Odomanten und Satren an bis zu den Korpilen. Wir
finden sie unter den Völkern, welche dem Zuge des Xerxes
folgten (Hdt. VII 110). Zur Zeit des Perseus tritt ’AßpouixoX«;
ö Saxafcov ßawiXsü? als Freund der Römer und Gegner des Make-
donen, dessen Land er bis zum Strymon hin verwüstete, hervor;
vielleicht war auch Bapcaßa? 6 tüv 0pa-/.öv ßacfAsuc, zu welchem
Andriskos geflohen war (Diod. fr. H. Gr. II, p. XV), ein Sapaier.
Im Bürgerkrieg zwischen Brutus-Cassius und Antonius-Octa-
vianus stand 'Pacy.ofeoXtp o xwv laxaiw ßaaiXeö? auf Seiten der
Republikaner, sein Bruder 'Poct/.oq auf Seiten der Gegner (App.
B. civ. IV 87), deren Feldherren den korpilischen Pass und
xa Zaxat'uv cxsva besetzt hielten; das Heer der Republikaner
umgieng jedoch die südliche Rhodope (Qarlygh-dagh und Qyslaq-
dagh) oder xb xwv Saixaiiov cpo? und erreichte, nachdem jene die
Pässe aufgegeben hatten, die Ebene von Philippi. Die römische
cxpaxYiyia verzeichnet Ptolemaeus in den Vorbergen der
Rhodope vom Nestos an bis zum bistonischen See, an der West
seite der Korpilen. Ovidius Fast. I 389 sagt: exta canum vidi
Triviae libare Säpaeos; er meint das Hundeopfer der Hekate
ZyjpuvGta. In einem Epigramm aus der Tundza-Region heisst es
(Ephemeris, Athen 1884, p. 263 fg.): iB, KsXsxüv xaxpüo; äva
Zäixa'ixriv sptßcoXov; inan könnte dafür Sa^ai'x^v lesen. Auf den
lat. Inschriften werden Sapaier nicht erwähnt; die oben er
wähnten Eigennamen sind echt-thrakisch. Der Volksname Zaraxt,
la-zoXoi Hesse sich etwa aus der Wurzel skr. £ap ,schwören,
fluchen' deuten.
KopzlXoi, KopmXot oder KopxtXXoi, CORPILLI, sassen an der
Ostseite der Sapaier in der axpaxvjyfa KopTciXr/.-/,, (Ptol.) KopiaXXocr,,
welche vom bistonischen See bis zur Mündung des Hebrus und
in die ’A<kv6ts (St. B.) hineinreichte und die isolierten östlichen
Vorberge der Rhodope (z. B. den Sabb-khäne-dagli) und die
Bergenge Tempyra (am Bodama-ca'i oberhalb Dede-aghaö) oder
70
IY. Abhandlung: Tomasche k.
tcc -(iv KopTtfXuv cTsva umfasste. Längst waren hier die Kikonen
und Paiter verschwunden oder in der griechischen Küsten-
hevölkerung aufgegangen; die thrakischen Korpilen aber waren
aus dem inneren Bergland der Rhodope zur Küste vorgedrungen.
Im Jahre 188 v. Chr. griffen in der Enge zwischen Kypsela
und dem Hebrus 10.000 Thraker aus vier Stämmen den römi
schen Feldherrn Manlius an (Liv. XXXVIII 40, 8): Astii et
Caeni et Maduateni et CORPIL1 (cod. coreli). Die MADUATENI
werden sonst nirgend erwähnt; MaSuxeR oder Maoüuoi der Grie
ch enstadt Mäouxoi; (i. Ma'ito) im Chersonnes werden es nicht
gewesen sein, sondern irgend ein thrakischer Bergstamm aus
der Rhodope. Als Eigenname findet sich KopuiXo? auf einer
Inschrift aus Iinbros (Syllogos XIII, Anhang S. 11, n° 19);
vielleicht waren die von Stephanus (v. ’'A-p/.upa) erwähnten 2y.6picot
oder 2/iprac; Tliraken. Letztere deuten wir vom Thema skerp-,
kerp- ,scheeren, schneiden, schlachten, pflücken', die KopxiXci
von Wurzel qerp- ,wenden, drehen, sich umdrehen'.
Auch die Tpaucoi gehörten ohne Zweifel zu den centralen
Stämmen der Rhodope. Livius erwähnt sie als einen zur Küste
vorgedrungenen Stamm beim Zuge des Manlius (XXXVIII 41,6):
aliae angustiae circa Tempyra excipiunt; huc ad spem praedae
TRAUSI, gens et ipsa Thraecum, convenere. Nach deren Be
wältigung schlugen die Römer ihr Lager bei SaXv; auf. Von
diesen Montagnards erzählte sich das Alterthum einen auf
fallenden Brauch (Hdt. V b. 4; Hesych. v. Tpauaoc, N. c. Damasc.
de moribus v. Tpauctavot): ,den Neugeborenen bejammern die
Verwandten wegen aller jener Übel, die er von nun an zu er
dulden hat, wobei sie alle menschlichen Leiden aufzählen; den
Hingeschiedenen aber begraben sie mit Jubel und Freude,
wobei sie anführen, wie er nun, von all den Übeln erlöst, in
voller Seligkeit lebe'. Ausser der Vorstellung von einem Jen
seits finden wir hier den Ausdruck der vollen Energielosigkeit
und Faulheit, welche das Loswerden von angestrengter Arbeit
für das höchste Glück hält (vgl. Lobeck Aglaoph. 801 ff.); gewiss
waren diese Trausen weder fleissige Landleute noch strebsame
Handwerker, sondern armselige -/.akußlTott xtveq x.at I^uxpößtot, wie
Strabo von den Bessen bemerkt. Hesychius bezeichnet die
Trausen als eGvos 2xu6txdv, was nicht viel bedeuten will; wenn
wir jedoch bei Stephanus die Notiz finden: Tpaucoi • s'övo?, oü; <d
Die alten Thraker. I.
71
"EXXvjve; ’Avaöipccui; övop.ct(outn, so erkennen wir darin den echten
nationalen Namen jenes nordischen Volkes, das die Skoloten
mit einem skoptischen Vorschlag ’Aya-öupooi benannten; wie alle
Thraken, so waren auch die Trausen aus dem Karpatenwall
gekommen. Mit dem Flussnamen STpaüo? (von Wurzel streu:
stru plw) des Bistonenlandes, dem heutigen Quru-da'i, haben
die Trausen nichts gemein; ihr Name erklärt sich vielmehr
von einem Thema tröu-c, trau-k (vgl. tpö/u, trucldo, Tpaü-p.a)
und aus der Wurzel teru: tru (ipü) ,aufreiben, durchbrechen,
entzweireissen, verwunden'.
Die Aiot, d. h. die ,Göttlichen, die Gottesdiener', erscheinen
als eines der ursprünglichsten und namhaftesten Völker der
Rhodope. Als Sitalkas gegen die Makedonen auszog (429), ent
bot er ausser den Geten viele von den unabhängigen Thraken,
welche grösstentheils die Rhodope bewohnen und Agenannt
werden, zu den Waffen; die Einen gewann er durch Gold,
Andere schlossen sich ihm freiwillig in Hoffnung auf reiche
Beute an' (Thucyd. II 96). An anderer Stelle (VII 27) spricht
Thucydides von 0pa-/.£^ toü Aiaxcu yevouq, woraus Cassius Dio
(LXVII 6) tou Aaz.ix.ou yevou? und Vorväter der Daken gemacht
hat: ,im Sommer des 19. Jahres (412) kamen von den mit
Schwertern bewaffneten (p.a-/aipo<popoi) Thraken des diisehen
Stammes 1300 Peltasten nach Athen; jeder erhielt täglich
eine Drachme als Sold. Da sie zu spät anlangten, wurden
sie zurückgeschickt; auf der Fahrt durch den Euripos über
rumpelten sie den boiotischen Mykalessos, plünderten und mor
deten und schlachteten sogar die Kinder in der Schule, wie
denn die Thraken keinem Barharenvolke an Blutgier nach
stehen; der thebanischen Reiterei gegenüber vertheidigten sie
sich nicht übel, indem sie nach ihrem heimatlichen Brauche
aus Reih und Glied vorgiengen und sich wiederum in Ord
nung sammelten.' Der Besitz von eisernen S'chwertern er
weist metallurgische Technik, wie sie die Bessen seit Alters
übten. Noch einmal erscheinen DII neben Odrysen und Koila-
leten als Vertheidiger der nationalen Freiheit wider die Römer
unter Kaiser Tiberius (Tac. Ann. IV 46—bl) in den Jahren
21—26; der Aufstand wurde blutig unterdrückt, die Rebellen
führer Tarsas, Turesis und Dinis stürzten sich todesmuthig in
ihre Schwerter.
72
IV. Abhandlung: Tomaschek.
DIOBESSI nennt Plinius unter den hessischen Stämmen
am MestuS und in der Rhodope; dieses bezeichnende Compo
situm, gebildet wie die hessischen Eigennamen Dio-scuth.es, Diu-
zenus (= Atofew];), Deo-spor (auch das Simplex ATo? und Asoc
findet sich öfter bezeugt), erweist die innige Verbindung des
hessischen Stammes mit den Diern, welche die Stelle der hero-
doteischen Satren einnehmen. Wir fügen hier die übrigen
Stämme an, welche zur hessischen Nation oder zum diischen
Stamme zu gehören scheinen. Der Apöcoi haben wir bereits
gedacht. Aicopai vermerkte Hecataeus als e'0vot; Gpaxicv (St. B.):
sie gehörten kaum in das hisaltische opo; Aücwpov, sondern zu
den Bessen, bei denen wir Aetuopcx; als Eigennamen vorfinden
(Inseln - , v. Batkun, Dumont p. 13, n° 23). Bpicat, BRISAE,
führt Plinius unter den hessischen Sonderstämmen an; vgl. den
hessischen Eigennamen Dentu-brisa. Oberhalb der Sapaier
sassen ferner die ’AX^toi', HALETI (Plin.); an die Diobessen
schlossen sich ostwärts die CARBILESI an, und bis zum Iiebrus
reichten die den Coelaletae minores benachbarten CARBILETAE
(Plin.); diese bewohnten vielleicht ein entholztes Hügelgebiet,
da sich der Name auf die Wurzel (s)krebh : krbh ,dörren, ver
trocknen lassen' zurückführen lässt. Plinius setzt ferner in die
nördliche Rhodope SIALETAE an; als unter Kaiser Augustus
der Dionysospriester Vologaises den hessischen Aufstand an
zettelte (13—11 v. Chr.), schlossen sich den nach Makedonien
eingefallenen Bessen auch o! Z:akerat an; Bessen und Sialeten
wurden sodann von dem Statthalter Moesiens L. Calpurnius
Piso unterworfen (Cass. Dio LIV 34). Nun wollen wir die Ge
schicke der Bessen selbst ausführlicher betrachten, weil gerade
dieses thrakische Centralvolk an der Bildung des ostromanischen
oder ,wlacliischen‘ Volksthums in hervorragendster Weise be-
theiligt war.
B-^csot waren nach Herodot (VII 111) ein Stamm oder
eine Volksabtheilung der Satren, welche die heiligen Handlungen
im Dionysosorakel versah; eine Weissagepriesterin, wie in Delphi,
gab die bunten Sprüche. Dürfen wir die Bessen darum als
blosse Tempeldiener fassen? Ist’s nicht vielmehr wahrschein
licher, dass sie im Gegensätze zu dem rein-tlirakischen Kriegs
adel der Satren Angehörige der grossen Volksmasse darstellen,
welche sich mit den im Orbelos und in der Rhodope altansässigen
Die alten Thraker. I.
73
und alle Culturarbeiten verrichtenden phrygischen Stämmen
gemischt hatte? Von diesen phrygischen oder edonischen Ueber-
resten war auch der Dionysoscult auf die Thraken überge
gangen ; eben darum verrichteten gerade hessische Priester den
Tempeldienst. Neben Bvjcraot (so nach Herodian) oder, wie auch
betont wird (zuletzt bei Eust. zu B 532), Brjcaoi finden sich
später die Formen Bsacoi (vgl. Bsacog 6 llaiwv Plut. Mor. p. 669)
und Bscoi (in byz. Zeit); auf lat. Inschriften ausser dem üblichen
Bessus auch BESUS (C. I. III n° 558. 6109 VI n° 2699) und
VESUS (XIV n° 234, wie Vitus neben Bitus, BiGu?). Im Ein
klang zu der oben vermutheten Deutung der Satpat könnten
wir, unter der Annahme, dass Byjacoi aus BsTacoi, Bstcnoi, d. i.
Fstciot entstanden, den Namen mit ,Orts- oder Dorfbewohner,
Clangenossen, oiy.eToi* oder ,Gefolgemänner, Dienstleute, Hörige*
übersetzen, von der Wurzel veik, veig: vic ,eintreten, sich
niederlassen*; vgl. skr. vegäs ,Nachbar, Clangenosse, Dienstmann*,
vegia ,Nachbarschaft, Hörigkeit*, lit. weä-pats ,Gauvorstand,
Hausherr* etc. Dabei bemerken wir aber ausdrücklich, dass
wir nicht an jenen strengen Kastenunterschied denken, wie er
sich bei den indischen Ariern zwischen den Ksatriya und
Vaigya herausgebildet hat (Zimmer, Altindisches Leben S. 187,
193. 213). Auch an und für sich, ohne Hinzutritt einer altan
sässigen Volksschicht, konnten sich tlirakisclie Stämme ,Clan
genossen* benennen, namentlich in der Nachbarschaft fremd
sprachiger Völker; wir finden darum Bessen oder, wie die ent
sprechende Form im dakischen Dialekt lautet, Bkcraoi schon in
der Urheimat der Thraken, im Karpatenwall, wo sie Ptole-
maeus zwischen den Quellen der Theiss und der Weichsel an
setzt, nachdem sie von den Iazygen aus der Ebene ins Gebirge
waren verdrängt worden. Als Volk hatte sich die Bessen jeden
falls Hippokrates gedacht, wenn er von einer Heilpflanze ß^caw/.-i)
sprach; vgl. Galeni Lex. (XIX, p. 88): y; äxo Br,cra(3v tüv sv 0pcaY).
Ihre Bedeutung als Volk tritt in der Geschichte immer stärker
hervor.
Bessen waren jene ’Opßijhioi, welche Philipp mit Anwendung
barbarischer Mittel unterworfen hat (Polyaen. IV 2, 16), ferner
jene 0pay.sc ol aütbvogoi, welche sich dem Alexander auf seinem
Triballerzuge am Eingänge zur Haemuspassage innerhalb einer
Wagenburg verschanzt entgegenstellten (Arr. An. I 1, 16).
74
IV. Abhandlung: Toraascbek.
Oft ist die Rede von ,Bessen der vier Cantone', Tc-Epa^upRai ot
Bijccrot oder Texpäy.wp.ot (St. B.); Strabo (VII, p. 318) schildert
die Btaoot, ot x'o icXeov xou opou? vs|j.ovxai xou At'p.ou, die aber
ausserdem (fr. 48) im Bergland am Oberlauf des Hebrus sassen,
als das wildeste unter allen thrakischen Völkern, als y.aXußtxat
xive? y.a’t Xuxpbßtot, als Leute, die sogar von den benachbarten
Raubstämmen den Titel ,Räuber' erhielten. Philipp, Sohn des
Demetrius, zog (183) mitten durch die Rhodope ei? 'OSpücra?,
Beogou? v.y.'i AevOvja^xou? und erreichte Philippopolis (Polyb. XXIII
8, 4 Liv. XXXIX 53, 12); die daselbst zuriickgelassene Be
satzung wurde jedoch von den Thrakern verjagt. Sie beun
ruhigten wiederholt die makedonische Provinz; die römischen
Truppen kämpften nicht immer mit Erfolg. Erst M. Terentius
Varro Lucullus, der Bruder des L. Licinius Lucullus, dem
Makedonien durchs Loos zugefallen war (73), drang erfolgreich
in das hessische Bergland ein, wahrscheinlich unterstützt von
den Odrysen, deren Gebiet die Bessen besetzt hatten; er schlug
die Bessen in einer grossen Schlacht im Haemus und verjagte
sie aus Uscudama (Hadrianopolis) und Cabyle (Eutr. VI 10;
vgl. Amm. Marc. XXVII 4, 11: Lucullus cum durissima gente
Bessorum conflixit onmium primus); dann wandte er sich gegen
die Geten und Moesen. Wir linden dann (60) den C. Octavius,
Vater des Augustus, im Kampfe mit Bessen und Thraken
(Suet. Oct. 3); derselbe besuchte auch das dionysische Orakel
(id. 54). Der Statthalter L. Calpurnius Piso (57. 56) begünstigte
die Odrysen auf jede Weise zum Nachtheil der Bessen, deren
Häuptling RABOCENTUS von ihm ohne Verhör getödtet wurde
(Cicero in Pis. 34, 84). Im Bürgerkriege (48) stellten die Bessen
dem Pompeius Hilfstruppen, tlieils auf Befehl und Bitten, theils
gegen Sold (Caes., B. civ. III 4). Nach Caesar’s Ermordung
schaltete Brutus (43) mit voller Autorität in Makedonien und
züchtigte die ByjggoI für ihre Räubereien (Cass. Dio XLVII 25).
Unter Augustus (28) unterwarf M. Licinius Crassus die Grenz
völker Makedoniens, unterstützt von den Odrysen, denen er
zum Lohne den Tempelbezirk des Dionysos zuwies, ä<peX6|j.evo?
By;ccou? xou? y.axh/ovxa? xyjv yii>pav, sv yj jmci xov Ösov ayäXAoucri (Cass.
Dio LI 25). Zur Zeit des pannonisck-dehnatischen Aufstandes
erhob sich (13) Obokoyaicv)? 0pa^ B p ?ggo?, ispeu? xoü Trap’ aüxoT? Aiovuoou,
wider die Odrysen, tüdtete den Rkeskuporis, Sohn des Kotys IV.,
Die alten Thraker. I.
75
und vertrieb den Regenten Rhoimetalkas; M. Lollius brachte
ihm zwar eine Schlappe bei, doch der Aufstand verbreitete
sich immer weiter, und die Bessen wurden immer tibermüthiger.
Da erhielt der Statthalter von Moesien, L. Calpurnius Piso,
von Augustus mit geheimen Mandaten betraut (Seneca ep. XII
1, 14), das Commando und setzte sich, wie ein Dichter sagt,
die makedonische -/.xucha auf (Antipater, AP. VI 335); er schlug
die von einem Raubzug heimkehrenden Bessen aufs Haupt und
warf die Sialeten nieder (Cass. Dio LIV 34); nach vielen
Kämpfen wurde (11) der Aufstand bewältigt und dem Piso der
Triumph zuerkannt. Damals feierte der Dichter Antipatros
T7)v y.xTcbrcoxj’.v tüjv Bsgcöv (AP. IX 428): äsiSw §’ Oifo aoi SeSp.rjjjt.evov
’Äpsa BeacrÄv etc. Florus erzählt: Thraces a L. Pisone perdomiti
in ipsa captivitate rabiem ostendere, catenas morsibus tempta-
bant! Bei Appian (Rlyr. 16) sind die Bso-joi irrthümlich unter
die dalmatischen Völker gerathen.
Die Bscciy.v; wurde als grosse Strategie eingerichtet, die
wahrscheinlich mehrere Unter-Strategien umfasste; ringsum lagen
die Matot'/.-/;, AayÖsArpcx,^, Sspoiy.v;, Oucrär/.r J cf/.f 1 , ZsXXYpoaj, KotXaXvjm^,
X)Spuai'/.v5, Bsvvixip SaTraiV-f) und Aposiy.-i;. Hauptmarkt der Bessen
war der Ort BESSA PARA, Ooscoizapov bei Prokop, am oberen
Hebrus, die heutige Eisenbahnstation Besikara südlich von
Bazardzik; von BESSA datieren Schreiben römischer Kaiser
a. 330 (cod. Iust. III 93, 3 VIII 4, 5) und a. 340 (X 32, 21
cod. Theod. XII 1, 30). Schon bei Ovidius erscheinen die
Bessen als thrakisches Hauptvolk neben den Geten (Trist. III
10, 5 IV 1, 67). Als römische Legionssoldaten erscheinen Bessen
überaus häutig auf den Inschriftsteinen, sowohl mit nationalen
wie mit römischen Namen (vgl. Mommsen, Hermes XIX 33 ff.
und die Abhandlung von E. Keil, De Thracum auxiliis,
Berlin 1885). Obwohl die Tliraken dem Seewesen abhold waren,
wurden Bessen stark zum Flottendienst herangezogen, wie die
Inschriften von Ravenna und Misenum bezeugen. BESSICA
wird in der Eintheilung der Erde in Klimate namentlich hervor
gehoben (Plin.); selbst das Compendium des Iul. Honorius ver
gisst nicht auf die Bessi, ebenso wenig Iul. Africanus, welcher
Wpxv.sc: Muco! Bscoot und AxpBavot anführt, und Isidorus (Etym. IX
2, 89), welcher Daci Bessi Sarmatae und Gipedes als Haupt-
vülker nennt. Noch im 13. Jahrhundert hebt Nilcetas, Bischof
76
IV. Abhandlung: Tomascliek.
von Seres, nach älterer Vorlage Texai und Bec^oi hervor (Jahrb.
f. dass. Pliilol. 133 Bd. S. 660). Wir sehen, wie der hessische
Name das ganze einheimische Volkselement Thrake’s umfasst
hat. In der nationalen Sprache hiess Hadrianopolis USCUDAMA,
Philippopolis PULPUDEVA; Iordanes erkundete, dass der
Stromname HISTEB eigentlich der lingua Bessorum angehöre.
Ausser Viehzucht, Ackerbau und Weinbau war eine
Hauptbeschäftigung der Bessen die Ausbeute der metallischen
Bodenschätze (Gold, Silber, Kupfer und besonders Eisen); über
den thrakischen Bergbau hat Const. Jirecek (Arch. epigr.
Mitth. X. Bd. S. 75—85) gründlich gehandelt. Die Geschick
lichkeit der Bessen im Graben von Stollen wurde militärisch
verwerthet (Veget. II 11, IV 24); überaus häufig ist vom Gold
die Bede, das die fahlen Bessen aus den Adern der Erde her
vorholen (Claudianus XVH 39, Pacati Drepanii Panegyricus
Theodosio dictus a. 391 28; Paulinus Nol. a. 398); den Goten,
welche den Haemus überschritten hatten und (376) bei Hadria
nopel lagerten, zeigten einheimische Grubenarbeiter, sequendarum
auri venarum periti non pauci, die Wege durchs Gebirge (Amm.
Marc. XXXI 6, 6), wie dies Jahrhunderte später die Wlachen
thaten, als Peöenögen und Rumänen ins Land einfielen. Die
hessischen auri leguli und metallarii banden sich indess nicht
an ihre heimatliche Scholle, sondern wunderten unstet, wie noch
jetzt die Zinzaren und Zigeuner in der Türkei, überallhin, wo
sie Waschgold und metallische Adern vermutheten; um dieses
Vagantenthum hintanzuhalten, erliessen die Kaiser mitunter
strenge Bestimmungen, z. B. (370) Valentinianus (cod. Theod.
X 19, 15) ad universos per Illyricum et dioecesim Macedonicam
provinciales, ,ut nemo quemquam THRACEM ultra in possessione
propria putet esse celandum sed ut singulos potius regredi ad
solum genitale compellanth Gerne wanderte der hessische
Vagant nach Dardania und in die erzreichen Striche von Prae-
valis, Dalmatia und Moesia; diese Strömung des thrakischen
Elementes nach dem Westen ist beachtenswerth.
Ein wichtiges Ereigniss war die Bekehrung der hessischen
Montagnards zur Lehre Christi; während alle grösseren Orte
der thrakiscli-moesischen Diöcese christlich waren, hieng die
Landbevölkerung noch immer an ihren heidnischen Vorstel
lungen. Da unterzog sich Niketas, Bischof von Remessiana, der
Die alten Thraker. I.
77
schweren Aufgabe, in die Bergthäler einzudringen und den
Bessen in der ihnen bereits durch die Gerichte und den Militär
dienst geläufig gewordenen, wenn auch zur lingua rustica ent
arteten Sprache Roms die Lehre zu predigen; vgl. Hieronymus
ep. 60 (a. 396) ad Heliodorum: BESSORUM feritas et pelli-
torum turba populorum, qui mortuorum quondam inferiis homines
inniolabant, stridorem suum in dulce crucis fregerunt melos.
Belehrend für die Culturstufe dieses Volkes ist namentlich das
schöne Gedicht, welches der heil. Paulinus von Nola dem Bischöfe
Niketas widmete (a. 398): die BESSI erhalten da folgende
Epitheta: semper a bello indomiti, simul terris animisque duri
et sua nive duriores, more ferarum viventes, latrones, rapaces,
in antris viventes et in inviis montibus et cruentis, aurileguli.
Die Lehre wurde von dem rohen Bergvolke mit Feuereifer
ergriffen. Wir finden seither hessische Mönche in den Klöstern
des west- und oströmischen Reiches. Eine Inschrift aus Vercellae
(C. I. V n° 6733) rühmt dem daselbst (ca. 460) verstorbenen
presbyter Marcellinus nach: is rectis castum gessit sub moribus
aevum, religione pius, BESSORUM in partibus ortus. In der
von Tlieodorus aus Petra (ca. 536) verfassten Lebensbeschreibung
des Mönches Theodosius (f 529) heisst es: ,dieser erbaute am
Ostufer des Jordan nahe dem todten Meere ein Kloster toü
Kou-cXä und darin vier Capellen, eine für die Griechen, s-rspav
Se svGa xara ty;v otzsiav yXwacav fsva? Bsggüv tw üdJaTW lac, euya.c,
äxoSiSconv, die dritte für die Armenier, die vierte für Besessene*
(Acta SS. Ian. I p. 692, a; Symeon Metaphr. ed. Migne vol.
114, p. 505, e). In den Concilacten a. 536 (ed. Hard. II.
p. 1277, Mansi VH p. 987) findet sich ein ’AvBpsa? r\y°6|v.evo<; v?j<;
IJ.ovrjt; tüv Becjgwv unterschrieben. Nach Jo. Moschus (§ 157, Cotelier
Mon. II 425) und der Vita S. Sabae (§ 86, ibid. III 367, Acta SS.
29. Sept. VIII, p. 146) gab es ein katholisches Jordankloster Saißtßa
gwv Beggcjov. Als der Pilger Antoninus von Placentia den Sinai be
suchte, fand er am Fusse des Berges ein Kloster und darin
,tres abbates, scientes linguas, hoc est Latinam (in der Zeile
darunter steht richtiger BESSAM) et Graeeam, Syriacam et
Aegyptiacam, vel multos interpretes singularum linguarum* (Itin.
ed Gildemeister cap. 37). Die thrakische Sprache war damals
längst verschollen; die Bessen sprachen bereits die limba Ru-
manesca; für ihre Pilger gab es selbst am Sinai Dolmetsche.
78
IV. Abhandlung: Tomaschok.
Die seit Theodosius II. schrankenlos überhandnehmende
Sucht, sich dem beschaulichen Leben zu widmen, zog viele
kräftige Leute, welche dem allzeit bedrohten Lande als Krieger
hätten dienen sollen, von dieser Pflicht ab. Als die Slowenen-
schaaren fast ganz Ulyricum und das Haemusgebiet plünderten,
erliess Kaiser Mauricius ein strenges Verbot gegen den Eintritt
wehrpflichtiger Leute in die Klöster, was den Unmutli des
römischen Bischofs Gregorius I. (ep. III 66, VIII 5) erregte.
Das oströmische Reich in Europa war vorzugsweise auf die
thi-akischen Milizen angewiesen; noch war die Kraft der Landes
söhne nicht völlig geschwunden. Kaiser Marcianus, der Zeit
genosse des Attila, war ein Thrax von Geburt; sein Nachfolger
Leo I. (457—474) führte den Beinamen 6 Byjacoc (Malala p. 368;
vgl. Iordanes de success.: Leo, Bessica ortus progenie). Der
Kaiser Anastasius, ein Illyrier, schickte (492) wider die re
bellischen Isaurer Generäle aus p.sxa -Xi^öduc Sy.uöwv aas I'otO:•/.•?;; y.al
Btzar/.rfi (Malala p. 393) und später (502) gegen die Perser
axpaxiav TotOuv xe y.ai Bscaiüv y.ai sxepwv 0pay.(wv eövwv. Unter dem
Dardaner Iustinian I. begegnen unter den Milizsoldaten wieder
holt eingeborene Thraken und Bessen, und Prokop gibt uns
die letzten Belege für echt-bessisclie Eigennamen, z. B. KouxO.ac,
Mapy.svxioc, (a. 539) Boupyivxiop 'Po)jj.a!o)v xic, Bsaa'op ysvop. Unter
Mauricius aber führen alle Führer römische Eigennamen, z. B.
Priscus, Castus, Martinus, Commentiolus, Salvianus, obwohl der
Kaiser selbst ,primus ex Graecorum genere* (Paul. Diac. III 15)
den Thron bestiegen hatte. Das gesammte oströmische Staats
wesen trug durchaus noch römischen Charakter in Recht und
Gericht, im Heerwesen und in den kirchlichen Einrichtungen;
erst seit Heraclius tritt der griechische Charakter hervor.
Schrieb doch unter Iustinian der Grammatiker Priscianus seine
Institutiones grammaticae, redigierte Trebonianus die berühmten
Digesta (530—533), und erhielten neu angelegte Castelle römische
Namen! Zwar hatte der Kappadoke Joannes (ca. 540) den
Versuch gewagt, die griechische Sprache ins Amt einzuführen,
aber ohne Erfolg, und zwar, wie der Lydier Joannes bemerkt
(de magistr. III 68 p. 262), Stic xo xoup vr t q EipeLo]:; dy.r^ooaq xrj
t6W ’lxaXüv cfÖd'f'feaQxi ipwvfj — ein schlagender Beweis wider alle
Jene, welche meinen, die thrakischen Provinzialen hätten
griechisch gesprochen. In der Rhodope und im Haemus erklang
Die alten Thraker. I.
79
bis auf Heraclius noch überall die lingua rustica Romanisca —
ein Musterbeispiel hiefür bieten die bekannten Worte torna,
retorna, fratre! welche (587) ein Soldat auf der Flucht durch
den Haemuspass seinem Cameraden zurief. Die Milizen und
Trossknechte bestanden aus Leuten hessischer Abkunft; vgl.
Laurentius Lydus (de magistr. I 47 p. 109 a. 545): die Römer
nennen xcpwva: xo'uc xaTCctvob?, 6-ota'j? ehou aup.ßawsi y.aÖ’ xobp
Ä£Yop.£VOU? BLsuc, ou? ’Apptavbi; ev xoT? 7x0p: ’ÄAs^avSpou •xpojr ( Yopeuff£
Tpißa/Ao'jc. Mit Stolz aber nannten sich diese Bessen Romani,
so wie ihre Nachkommen von heute, die Wlachen.
Einige Forscher legen auf die Tliatsache grosses Gewicht,
dass die byz. Annalen für die Zeit 600—1000 nicht ein einziges
Zeugniss für das Dasein des ostromanischen Volkselementes
auf der Haemushalbinsel enthalten. Das kann aber Niemanden
befremden, der mit der Geschichte jener Zeit vertraut ist:
damals war die griechische Herrschaft in Europa auf den
ägäischen Küstenstrich beschränkt, im Inland treten nur die zu
politischer Obmacht gelangten oder die feindlichen Völker hervor,
also die Bulgaren, Slowenen, Serben, Ungarn und die politischen
Steppennomaden ; es war niemals Anlass geboten, auf die
romanischen Hörigen des Inlandes Bezug zu nehmen. Erst
seit der Niederwerfung des sloweno-bulgarischen Reiches durch
Basilius II. (1019) stellt sich wiederum eine genauere Ivenntniss
ein, und sofort beginnen auch die Zeugnisse über das sporadische
Vorhandensein des zu politischer und ökonomischer Ohnmacht
verurtheilten ostromanischen oder ,wlachischen‘ Volkselementes
im Pindus, in Makedonien, in der Rhodope, im Plaemus, und
in der serbischen Rasa. Aber weit mehr Gewicht als zufällig
überlieferte Chrysobullien und Schriftwerke besitzen die wla-
chischen Dialekte, welche die innige Durchdringung der ro
manischen lingua rustica mit dem slowenischen Sprachschatz
erweisen und aus deren romanischem Grundstock wir die socialen
und ökonomischen Zustände der vergangenen Culturepoche er
kennen. Sogar Ausdrücke für das kirchliche Leben aus der
Zeit des Theodosius II. sind darin enthalten, Ausdrücke für
Steuerabgaben, für Hantierungen aller Art und für ökonomische
Zustände, wie sie nur südlich von der Donau, niemals aber in
der trajanischen Dacia, möglich waren, so dass, wer die wla-
chisehe Frage von Grund aus lösen will, gerade den roma-
80
IY. Abhandlung: Tomaschek.
nischen Grundstock der Dialekte zum Angelpunkt der Unter
suchung machen muss. Im Centrum der Halbinsel war die
Heim- und Bildungsstätte der wlachischen Nation; sie hat sich
von hier aus in strahlenförmigen Zügen nach drei Haupt
richtungen verbreitet.
Der byzantinische Strategematiker Joannes aus der Familie
Kekaumenos, welcher um die Mitte des 11. Jahrhunderts seine
Erlebnisse und Erinnerungen aufzeichnete, handelt an mehreren
Stellen seines mit Anekdoten und soldatischen Kunstgriffen aus
gefüllten Buches von den Pinduswlachen. Er schildert sie,
ähnlich wie der Reisende Benjamin von Tudela (f 1173), als
räuberische Wanderhirten, als verschlagene und treulose Leute,
denen der Grieche niemals trauen solle. Dann gibt er seine
Ansicht über den Ursprung dieses Volkes kund (ed. Weselowski,
St. Petersb. 1881, S. 106 fg.). Er erinnert an die Kriege
Trajan’s gegen Dekebalos, von denen er offenbar aus Xiphilinos
Kunde erhielt, und fügt hinzu, dass die Aay.xi ihre Sitze in den
unzugänglichen Bergstrichen an der Donau und Sawe hatten,
wo zu seiner Zeit die Serben sässen; von dort sollen sie sich
allmälig über Makedonien, Epeiros und Hellas ergossen haben.
Man sieht, der Stratege hat keine rechte Vorstellung von der
Lage der trajanischen Dacia, gerade so wie schon lange zuvor
der Chronist Malala, dem zufolge Trajan die Provinz Acm'av ty;v
xapaxo-rapiav (Daciam ripensem) geschaffen haben soll. Völlig
richtig ist aber seine Bemerkung, so seien denn die Wlachen
von Abstammung die ehemaligen Aiy.at xal Beuch, also die Ro
manen der Dacia Aureliana und des Haemus- und Rhodope
gebietes. Die Bessen waren zu seiner Zeit bereits verschollen;
der Stratege muss also aus einer älteren, vertrauenswürdigen
Schrift, worin die Provinzialen der aurelianischen Dacia, sowie
das alte Centralvolk der Bessen als Vorväter der Wlachen
bezeichnet waren, seine überaus wichtige und richtige Kunde
geschöpft haben. Doch, kehren wir in das Alterthum zurück!
An der Ostseite der hessischen Stämme, an den Wasser
läufen des IJebrus, Tonzus und Erginias, wohnten die ’OSpiaai.
Diese hatten offenbar viel später als die Rhodopestämme ihre
nordische Heimat verlassen und waren über die leicht gangbaren
östlichen Haemuspassagen zunächst in das von moesischen Ar-
takiern besetzte Thal des ’Apvrpv.oc, oder, wie der Fluss odrysisch
Die alten Thraker. I.
81
hiess, des T6v£ex; (j. Tundäa, Teäa) eingedrungen; nach Herodot
(IV 92) fliesst der Arteskos Siä ’OSpoaewv. An der günstig
gelegenen Stelle, wo sich dieser Fluss mit dem Hebrus vereinigt,
gründeten sie eine Veste, deren hessischer Name Uscudama
lautete und die zur Zeit der makedonischen Oberherrschaft eine
Colonie von Oresten und Magneten erhielt; daher ihr Name
’OpssTia oder ’OpscTiät;, mit der Vorstadt Tovvoi (St. B.), das
spätere Hadrianopolis. Das war die eigentliche ’OSpuuta oder
"OSpuaa • TOAiq ’OSpuaüv (St. B.). Als Nebenform für ’Oopuaai
finden wir ’OSpüatoi und ’OSpuotxai, und es gibt Münzen ’Ocpii^rMv.
Die mygdonische Aue südlich von Daskyleion war durchflossen
von dem Flusse ’OSpöacv)<;, der von Osten her in den Rhyndakos
einmünjdete (Strabo XII, p. 550); leider steht die Lesart nicht
fest, indem dafür auch o 'Püp.op überliefert steht — der nahe
liegende Schluss, dass Odrysen einst über den Hellespont gesetzt,
wie die Treren und Bithynen, muss daher für unsicher gelten.
Im Slawischen begegnet der Flussname Odra, unsicheren Ety
mons; auch ’'Oopuaa lässt sich schwer deuten: im Inlande von
Dacia ripensis erwähnt Prokop ein Castell ’08p£ou£o. Weiters
haben sich die Odrysen den Hebrus aufwärts, wo Philipp
flHktWTreüxoÄu; gründete, wie entlang dem Erginias ausgebreitet,
bis nahe an Byzantion; in der Gründungssage dieser Stadt er
scheint ’OSpiov]«; als König der Skythen (Hesych. Miles.); auch
wird ’OSpiavjs von Arrian als Vater des Thynos und Bithynos
hingestellt, nicht nur wegen der geographischen Nähe, sondern
auch weil die thynischen Stämme von den Odrysen unterjocht
wurden. Im Becken des Erginias war offenbar DRUZI-PARA
oder Drizipara ein alter Vorort der Odrysen; ferner müssen
wir die "Aaron, deren Königsburg Bifthq hiess, für einen odrysischen
Hauptstamm halten. In der Tab. Peut. finden wir am Hebrus
Brusdorciani verzeichnet, d. i. (O)DRUS(AE) DORCIANI (vgl.
den See Aipy.sp, oder nach einem Orte Aöpvuov, wie es noch jetzt
ein Dorkowo selo an der Cepina gibt?); oder ist BORCIANI
zu lesen (vgl. die Göttin Bopy.Y)i9ta bei Kanitz, Donaubulgarien
III, n° 36)? — Erst seit den Perserzügen tritt der Odrysen-Stamm
deutlicher hervor: bisher waren die thrakischen Stämme unge
eint gewesen; durch den Skythenzug des Darius wurden sie
aufgerüttelt, und im Hebrusbecken, das eine natürliche Einheit
darstellt, erhielten die Odrysen die Obmacht über alle Stämme;
Sitzuugsber. d. pkil.-kist. CI. CXXVIII. Bd. 4. Abk. 6
82
IV. Abhandlung: Tomaschek.
ihr Fürst heisst fortan ©pr/fy.wv ßoraiXeö? (Hdt. VIII 137), innige
Familienbande verknüpften ihn mit dem skythischen Herrscher-
hanse (IV 80).
Das Gefüge dieses Staatswesens lernen wir aus dem Be
richt des Tliucydides (II 29, 97) kennen: ,Die Herrschaft der
Odrysen hat zuerst T-jp-pc über einen grösseren Theil des übrigen
Thrakiens ausgedehnt. Sein Sohn XuxXy.rjc (431—424) ver-
grösserte die Macht nach allen Seiten. (Er unternahm Züge gegen
die Paionen und Triballer, sowie jene grosse Expedition gegen
Perdikkas von Makedonien, die wir bereits mehrfach berührt
haben.) Sein Sohn Esu6y]? beherrschte ein Gebiet, das sieh von Ab-
dera bis zur Istrosmündung, von Byzantion bis zu den Quellen
des Strymon erstreckte. Die Einnahmen in Gold und Silber
betrugen gegen 400 attische Silbertalente; ausserdem giengen
viele freiwillige Gaben ein, Gold und Silber, gestickte und
einfache Zeuge, Hausgeräthe aller Art. Diese Gaben waren nicht
blos für den König bestimmt, auch die Edelinge wurden damit
bedacht. Denn am Hofe der Odrysen lässt sich nur mit Ge
schenken etwas erreichen; hier gilt der Grundsatz: Nehmen ist
seliger als Geben, und wer mehr gibt, erhält mehr. So war
denn damals das Odrysenreick das grösste an baren Einkünften
und an sonstigem Wohlstand; auch die Wehrkraft war be
deutend: Sitalkes brachte ein Heer von 150.000 Mann auf, davon
ein Drittel Reiter; nur die Skythen standen in dieser Hinsicht
über/ Nach Seuthes Tode verfiel das Reich in mehrere Theil-
gebiete; wir finden drei, vier, einmal sogar fünf Herrschaften
neben einander. Wir haben nicht vor, die verwickelten Ver
hältnisse dieser Fürstenthümer und die Beziehungen derselben
zu den Griechen und Makedonen, deren König Philipp endlich
Alles unter sich brachte, genau darzulegen; die Werke über
die demosthenische Zeit geben darüber Auskunft, und die
Reihenfolge der odrysischen Fürsten hat Ad. Hock (Hermes
1891, Bd. 26, S. 76—117) genau festgestellt. Xenophon wirft
interessante Streiflichter auf das raubsüchtige Gebahren der
odrysischen Fürsten; so wenig waren diese noch vom Griechen
thum beeinflusst, dass beispielsweise Seuthes in seinem Verkehr
mit Xenophon stets eines Dolmetschen sich bediente. Wenn
die griechischen Schriftsteller von Thraken im Allgemeinen
reden, haben sie meist die Odrysen, das nächste und best be-
Die alten Thraker. T. 83
kannte Volk, vor Augen. Auf Alles, was fiir dieses Volksthum
charakteristisch ist, werden wir in dem Artikel ,Thraken‘ zurück -
kommen.
Nach Alexander’s Tode gerieth die makedonische Herr
schaft über Thrake ins Schwanken; es bildete sich ein neues
odrysisches Reich heraus. Schon unter Lysimachus sehen wir
den Vasallenfürsten Seuthes eine zweideutige Rolle spielen,
indem er es versuchte (314/13), den gegen die Geten kämpfenden
Makedonen die Haemuspassage zu sperren. Wider die Odrysen
zog noch Philipp, des Demetrius Sohn, zu Felde, ohne dauernde
Erfolge zu erzielen. Zu den Römern stellte sich das odrysische
Reich auf den besten Fuss: galt es doch für beide Seiten, die
rohen Bergstämme in Zaum zu halten; wiederholt suchten die
Odrysen ihren Todfeinden, den Hessen, den Vereinigungspunkt
der gesammten thrakischen Völkerwelt, das dionysische Orakel,
zu entreissen, und dies gelang ihnen auch mit Hilfe der Römer,
welche hinwieder in dem odrysischen Fürstenhause eine kräftige
Stütze für die Sicherung der makedonischen und mysischcn
Provinz erhielten. Bei einigen Odrysenfürsten gewahren wir
den Einfluss hellenischer Bildung; tief ins Hebrusgebiet drang
die griechische Sprache und Götterwelt ein. Doch reichte der
Einfluss der von Rom bevormundeten Dynasten nicht immer
aus, um die Freiheits- und Raubgelüste der Bergstämme zu
dämpfen. Von der Zeit an, als die mächtig gewordenen Daken
ständig Einfälle über die Donau machten, fieng es unter diesen
zu gähren an; und als gar der Zwang zum Legionendienst
hinzutrat, und als die Landessöhne in alle Welt verschleppt
wurden, brach der Aufstand im Bergland los und wurde erst
unter Strömen von Blut unterdrückt. Thracia wurde endlich
römische Provinz (46 n. Chr.), und die Odrysen als herrschendes
Volk verschwinden von der Bildfläche. ■— Wir führen nun jene
Stämme an, welche nicht nur räumlich, sondern auch verwandt
schaftlich den Odrysen nahe standen.
Bevvoi oder Bevot, (Plin.) BENI, finden wir in der Nach
barschaft der Korpilen und Odrysen am Unterlauf des Plebrus
an beiden Ufern und im Flachgebiet des untern Erginias sess
haft; wenn sie etwa bis zur Meeresküste reichten, wo einst
Apsinthier sassen, so konnte o Beweib; xoXto; (St. B.) den Melas-
busen bezeichnet haben; es gab jedoch, wie man meint, eine
84
IV. Abhandlung: Tomascliek.
von Thraken, die auch in Erythrai erscheinen, besiedelte, <pu)d]
’Ecpsci'wv, Namens Bsvva oder Bsivy., (Ew. BsivaÜoi); vielleicht liegt
ein Thema ves-no, f. ves-na, zugrunde, von ves- ,wesen, weilen,
wohnen'; an das gallische Wort benna ,Wagensitz', woher con-
bennones, ist nicht zu denken. Ptolemaeus kennt eine thrakische
mponrflla Bsvvi7.r). Herodian nannte Bsvva oder Biva ■ Tickt? 0pax.Y)?
und deren Einwohner Bevvocaiot; vermuthlich war es derselbe Ort,
der seit Hadrian Plotinopolis hiess, das byzantinische AiSup.oTtu/o?.
— In ihrem Gebiet, nahe dem Hebrus, erscheint eine zaxoi/Ja
©pay.Yjc, Namens T^kjXTtoi (St. B.), HYPSALTAE (Plin.), ge
bildet wie Bisaltae; wahrscheinlich zu sondern von Kutj/cka, Öpäxxa
TroXt? (Polyaen. IV 16), dem heutigen Ipsala.
Kaivoi • l'Ovc? 0pa-/.iov (Apollodorus ap. St. B.), CAENICI
(Plin.), sassen südöstlich von den Odrysen, an den südlichen
Zuflüssen des Erginias bis zur Propontis. Unter den thrakischen
Stämmen, welche den Manlius (188) zwischen Kypsela und dem
Hebrus überfielen, nennt Livius (XXXVIII 40, 8) auch die
CAENI. Einen echt-thrakischen Namen führt Aii^uX'.? 6 Katvwv
ßaaiksö? (Strabo XIII, p. 624, o tGv ©pay.wv ßaatXeü? Diod. XXXIII,
fr. 17 App. Mithr. 6; Diogyris Val. Max. IX 2 ext. 4), ein
Zeitgenosse des Attalus II. (159—139) und bekannt ob seiner
Grausamkeit; er überfiel die Griechenstädte an der Propontis
und zerstörte Lysimacheia durch Brand; von diesen lm8po|ji,al
handelt eine Inschrift aus Sestos (Wiener Studien I 32 ff.,
Dittenberger’s Sylloge n° 246), wobei der Thaten des Strategen
im Chersonnes Straton gedacht wird. Attalus Asiae rex subegit
CAENOS (Trog. Pomp. prol. XXXVI). Die Römer machten
die Katvouj, regio CAENICA, zu einer cxpavqyia ty)? 0pay.y;c;
Ptolemaeus verzeichnet sie östlich von der Bevvou; bis gegen
Perinthos. In ihrem Gebiete lag die colonia "Arpwc. Ihr Name
könnte die ,Jungen, Frischen' (gr. y.aivot vgl. skr. kanya ,virgo')
oder auch die ,am Anfang, an der Küste sesshaften' (vgl. slaw.
konü ,Anfang'), von Wurzel ken- ,anfangen, frisch sein', be
deuten; sie für tylenische Galater zu halten (vgl. Kaivbc xotap.6;,
Fluss in Gallia Narbonensis) wäre verfehlt.
’Aaiai, ASTAE oder ASTII, was vielleicht ,die Ansässigen'
bedeutet, gehörten zu den odrysischen Stämmen; ihr Vorort
war ß’.yjYj • to Ttiiv ’Acttwv ßaoiÄetov, arx regum Thraciae, das heutige
Wizch. Der Istrandza-dagh, welcher den Byzantinern das Bau-
Die alten Thraker. I.
85
holz für die Flotte lieferte, benannt nach der im Quellgebiet
des Erginias gelegenen Ortschaft ZepyevT&ov (= ’-Ep-pV/.r, des
Alterthums), hiess zur Römerzeit MONS ASTICUS (TP.).
’Actixfi wird neben der Thynias als X“P a Bu&mfwv erwähnt
(St. B.). Die römische Strategie ASTICA war wahrscheinlich
eingetheilt in eine ,obere*, welche den Bergzug umfasste, und
eine ,untere*, ’Aotoy) vj Ttepi OepivOsv; letztere findet sich auf zwei
Inschriften erwähnt. Neben den ASTII, welche Livius beim Zug
des Manlius vermerkt, gab es PEPIASTII (TP.): es sind die
IbacTct'. • sövo? icpb? tu IIcvtw (St. B.), östlich vom Bergzug; denn
auch die Thynias wird zur ’A<m>d) ©pdbwj gerechnet (Scymn. 759);
die tlirakische Vorsilbe pi- vertritt die Praeposition siel, skr. äpi,
neupers. pi-, fi- ,zu, bei, an* (vgl. die Glosse ot-t6v]). Zum
letztenmale erscheint der Name Astica, ai üXat r?;c Actc'.^c, bei
Theophylactus Simocatta a. 584 ff.
Sap-aioi, obwohl nicht ausdrücklich als Volk bezeugt, waren
die Insassen der von Ptolemaeus ans mittlere Tundza-Gebiet,
wo KaßüXv) Vorort war, angesetzten Gxpaxr^ia Sap.aiV.-i;. Als
von den Sapaiern der Rhodope gehandelt wurde, fanden wir
eine Inschrift mit ava Sä7:aiV.Y)v eplßwXov, mit der Variante
Säp.aiV.-Q. Die Samaier Hessen sich gut deuten als ,die Ge
zähmten, Ruhigen, Friedfertigen*; vgl. skr. cäma ,gezähmt*, von
Wurzel kem : kam (gr. xap.vu) ,sich mühen, müde werden,
ausruhen*; allein wer bürgt dafür, ob das Wort im Thra-
kischen nicht etwa mit ö angelautet hat? Von den alten
Skynniaden, Nipsaiern, Siren etc. ist in späterer Zeit nicht
mehr die Rede.
KoiAakr/tat, ein den Odrysen nahe stehendes Volk, nicht
zu verwechseln mit den KgoxaXo 1 . im getischen Haemus, waren
zur Römerzeit in zwei Abtheilungen geschieden: COELALETAE
MAIORES Iiaemo subditi, MINORES Rhodopae (Plin.). Es
gab also zwei Strategien dieses Namens: Ptolemaeus führt nur
die eine, im Arda-Thal der Rhodope, zwischen den Bessen,
Bennen und Odrysen gelegene KoiX(aX)r)Ti)wi an; die Tab. Peut.
dagegen setzt an den Südabhang des Haemus, neben die moe-
sische Artacia am Fluss Tonzus, PETE • CoLoLETICA d. i.
das Gebiet der ,grossen* Coelaletae. Das Element pete wird
nicht auf die llalhci der Hebrusmünde bezogen werden dürfen;
auch die dem Haemus benachbarten Getae werden kaum darin
86
IV. Abhandlung: Tomaschek.
stecken; ich glaube, es ist das thrakische Wort für den Begriff
,gross, ausgedehnt* lat. patulus, von Wurzel peta- ,ausbreiten*
(7C£Tawu|j.i). Zur Zeit des Tiberius (26) empörten sich wider
den Römerfreund Rboemetalcas, welcher die Landessöhne zum
Dienst in den römischen Legionen zwang, ausser den Dii und
Odrysae namentlich die COELALETAE (Tac. Ann. IV 46);
der Fürst selbst kam dabei in Lebensgefahr; vgl. die Inschrift
bei Dumont p. 31 n° 62, e: urap r?j; ‘Pot|j.^xäL/.ou y.a't lluOoocüpi'Ss?
£•/. tou xata xbv KoiAaXr,Tr/.bv t:oXe|j.ov y.tvouvou stor/jpt'a?. Allgemach
fanden sich die gebändigten Koilaleten in ihr Schicksal; ja sie
zeichneten sich im Kriegsdienst aus. So verlieh Kaiser Domi-
tianus (86) ein Militärdiplom (C. I. III n° XIV p. 857)
SEUTHAE TRAIBITHI CoLoLETICO equiti coh. II. Thracum.
Der Singular lautete COELALA, COLOLA, gebildet wie
DANSALA; zum Thema Coela, Cola vergleicht sich der Ort
im Chersonnes Coela, Cuila, Cuela, Culla (so die Varianten auf
röm. Münzen); man denkt hiebei zunächst an y.oiXo? (y.sFtXcc)
,hohl*; möglich wäre auch eine Herleitung von Wurzel qel: qol
,drehen, bewegen; sich bewegen, bewohnen, weiden*.
ZEXXr,T£?, die Insassen der weiter westwärts sich an
schliessenden Gipavrflla ZsXXypty.vj im mittleren Haemus, deren
Vorort Kap-c63c«|j.ov (Ptol.) gewesen zu sein scheint, werden
wahrscheinlich schon unter Augustus erwähnt, als M. Licinius
Crassus gegen die Grenzvölker Makedonien^ zu kämpfen hatte
(28 v. Chr.); nachdem er die Bastarnen verjagt hatte, beschloss
er die moesischen Stämme im westlichen Haemus zu unter
werfen; er fiel zuerst in Zeyetiki; ein, hierauf in die Must? (Cass.
Dio LI 23); Th. Mommsen denkt hiebei an die ZEpcty.vb
Müllenhoff verbessert SsXe-cavj. Bei barbarischen Wörtern stand
die Schreibung nicht immer fest. Auch die ZeAXijthmj war in
zwei Theile geschieden: r t opEtvvb welche den Bergzug und das
Einfallsthor in die Moesia, wo die Station Monte Emno lag, und
in später Zeit die Tpatavou xpißo? vermerkt wird (an der Quelle
der Gjopsa), umfasste, und r t ttes tastet im Flachland (an den
Bächen ZEpp.to? und ”Ap'(c??); in einer Inschrift von Swrlyg
(Arch. epigr. Mitth. 1886 X p. 240 n° 4) erscheint ein Stratege
Zy)X-t)Tty.i)? op£tv?j?. Ob die Selleten thrakischer oder moesischer
Abkunft waren (vgl. ZeXX^ei? -s-ap.oe bei Arisbe in der Troas),
lässt sich nicht ermitteln.
87
Die alten Thraker. I.
Wir reihen mehrere Stämme an, denen das Element -gero-
(yr)po, gerro) anhaftet; dieses hängt wohl mit der Wurzel ger
eich einander nähern, sich schaaren, bewohnen* zusammen;
vgl. otYsipw, a-(opd, skr. gräma ,Schaar, Dorf*, gael. ger ,nahe*
etc. — Zwischen Bergule und Hadrianopolis verzeichnet die
Tab. Peut. BETTE-GERRI. Weiters erwähnt am mittleren
Hebrus neben den Odrysen DRü-CfERI, d. i. ,Bewohner der
Gehölze*, wie die slawischen Drewljani, von dru, Spu?, ,Holz*.
Nördlicher von den hessischen Carbiletae sassen nach Plinius
PYRO-GERI, etwa im Gebiet von Philippopolis oder Trimon-
tium; die Tab. Peut. setzt die Pyrogeri an das Nordufer des
Hebrus, zwischen den Bächen ”Ap^o? und Sepp-io?, also in das
vortrefflich angebaute, getreidereiche Gebiet von Cirpan. Schon
Theophrast (de causis plant. IV 11, 5) erwähnt den thrakischen
Weizen oder Spelt, 0pax,ioi; xupop; gewiss hat es in der thra
kischen Sprache ein dem gr. 7töpo?, slaw. pyro, lit. pura ent
sprechendes Wort gegeben, so dass wir die Pyro-geri als ,Be
wohner der Getreidefelder* fassen dürfen. Ein nördlich von
Philippopolis gelegener vicus (C. I. VI n° 2799 a. 227) hiess
Cuntie-gerum; eine mutatio am oberen Hebrus m. p. IX Bessa-
para, XII Philippopoli hiess Tugu-gerum (IH.); bei Germane,
dem Geburtsort des Beiisar, lag ein Castell 'PoAXc-pspcd; ebendort,
an der Ostseite des oberen Strymon, zwischen den Bessen und
Dantheleten, hauste nach Plinius das Volk der DI-GERRI, also
nordwärts vom Ryla; von den At’yypoi ■ eövcp 0paz.öv hatte bereits
Polybius im 13. Buch berichtet (St. B.). Nördlicher, zwischen
Dardanern, Triballern und Moesen sassen nach Plinius CELE-
GERI, vielleicht ,Höhlen- oder Hüttenbewohner* (vgl. lat. cella,
und thrak. Siro-cellae, im Gebiete der Siren), von Wurzel qel:
qol ,bergen, sich bergen, hausen*.
Endlich müssen wir der TptßaXXol gedenken, deren ältere
Sitze Herodot (IV 49) angibt: Trsätov z'o TpißaXXtxov, an der Ver
einigung der Flüsse ''Ay-fpo? und Bpoyycc, d. i. der serbischen
Morawa (sammt Ibar und Sitnica) mit der Binüa-Morawa, also
die Ebene von Nis und das Feld Dobriö; nicht das Kosowo-
polje, wo illyrische Dardaner sassen. Nordwärts, entlang der
Morawa, reichten sie wohl bis zum Istros; ostwärts schlossen
sich die Tilataier und Treren an (Thuc. II 96). Während
diese dem Sitalkas unterthan waren, waren die Triballer unab-
88
IV. Abhandlung: Toraascliek.
hängig; sie hatten die Angriffe der Odrysen glücklich zurück
gewiesen (IV 101); der Tejj.evtr^t; Xocpo? sv ty) Opay.Y) bildete die
Grenzmai’ke xpo? xv; TptßaXXwv (St. B.). Dieses Volk, das vor
einst an der Auflösung der moesischen Nation am stärksten
betheiligt war, stand lange mächtig und wehrhaft da. Heraclides
Ponticus berichtet: die Triballer ziehen in vier Schlachtreihen
ins Feld; im ersten Treffen stellen sie die Schwächeren auf,
dann folgen die Stärksten und Tapfersten, hinter diesen bildet
die Reiterei die dritte Reihe, zu allerletzt lagern beim Tross
die Weiber, welche (wie bei Kelten und Germanen) die Männer,
falls diese den Rücken wenden, mit Zurufen zu erneuter Gegen
wehr anstacheln. Ihre Sitten waren roh; die Redner, zumal
Isocrates (Panegyr. 89), schildern die Triballer als wahre Wilde,
ou? tocvte? cpaaiv cwcoXXüvat oü p.5vov xou? öp.opo'ji; xai xou? xXiqai'ov
oixouvxaq, äXXa y.od xou? aXXou? oaiov av e^iyicOat cuvomat. Aristophanes
(Av. 1565—1693) lässt einen ungeschlachten TpißaXXo? auftreten,
in der Maske eines Barbarengottes und als Prototyp eines thra-
kischen Sclaven oder Häschers, welcher das Griechische in
seiner Weise verhunzte; er sagt z. B. vaßataa xpsü für avaßvfcü)
xpsR, oder caö vav.cz ßay.xäpi y.pobaa für co: väv.oq ßaxxYjpfw
•/.poücja), und y.aXavt xspauva xac p.s-yocXa ßaciXivxü für xaXv)v xopr ( v y.ai
p.evixX^v ßaaiXet'av — man glaubt einen Skythen oder Perser zu
hören. Aber den illyrischen Stämmen war dieses Barbarenvolk
weder gewachsen noch ebenbürtig, ebenso wenig den Galatern.
Zuerst waren es die Autariaten, welche über ihre nächsten
Stammesgenossen, Eneter und Dardaner, sodann über die Tri
baller, die sich von den Agrianen bis zum Istros fünfzehn
Tagereisen weit erstreckten, die Oberherrschaft errangen
(Strabo VII p. 318); dieses Drängen der Illyrier steht mit der
Ausbreitung der Galater in den Ostalpen und an der Adria im
Zusammenhang (400—300). Schon im Jahre 376 erschien eine
flüchtige Raubschaar von mehr als 30.000 Triballen mit Weib
und Kind im Gebiet des Nestos und drang bis Abdera vor
(Diod. XV 36, Aen. Poliorc. 15); die Abderiten standen damals
im Kampfe mit den Bürgern von Maroneia, welche sich der
Beihilfe der Triballer bedienten; vgl. schol. Aristid. III p. 275:
’Aßovjpixaic; eßuVjOvias Xaßpfot? sv 0pay.v) xoXejj.oup.svoi; üx'o Mapuvetxtöv
y.at TpißaXXüv, wv r,p/s X£kr t c; Chabrias brachte einen günstigen
Vertrag zustande. Aber auch am Haemus und Istros ver-
Die alten Thraker. I.
89
breiteten sich die gedrängten Triballer immer weiter; wir hören
sogar von Kämpfen zwischen dem Skythenkönig 'Axtctc und
Schaaren von Triballern (Frontin. II 4, 20 Polyaen. VII 44, 1).
Als Philipp von seiner Expedition gegen Ateas zurückkehrte
(339), verlegten ihm die Triballer die Haemuspassage und
forderten die skythisclie Beute für sich; im Gefecht wurde
Philipp schwer verwundet, und die Beute gieng an die Barbaren
verloren (Iust. IX 3). Da die Raubzüge der Triballer nicht
aufhorten, zog Alexander (334) zur Haemuspassage und schlug
die verbündeten Thralcen; er verfolgte die Triballer, deren
König 1,'jpiJ.oq war, bis zur Einmündung des Baches Auyivo;
(Cerna-woda) in den Istros; Syrmos fand Schutz auf der Donau
insel Peuke; nachdem jedoch Alexander die mit den Triballern
verbündeten Geten jenseits des Stromes heimgesucht hatte,
huldigte ihm Syrmos (Arr. An. I 3. 4, Aen. 15); es hiess
damals in Athen, Alexander sei im Kampfe mit den Triballern
gefallen. Als Alexander nach Asien zog, standen in seinem
Heere Illyrier, Odrysen und Triballer, 5000 Mann (Diod.
XVII 17). Nach seinem Tode erhielten Krateros und Antipater
Makedonien, dazu ’AypiSvac; v.a\ TpißaAAcüi; (Arr. ap. Phot. bibl.).
Die Macht der Autariaten wurde von den Galatern ge
brochen. Schon um das Jahr 300 kämpfte Kassander im
Haemus gegen die Galater (Seneca, Nat. quaest. III 11); er
siedelte zugleich 20.000 flüchtige Autariatenfamilien als Grenz
wacht im Orbelos an (Diod. XX 19). Immer häufiger wurden
die Einfälle nach Makedonien; die Dardaner, welche damals
eine starke Macht bildeten, zählten leider ebenfalls zu den
Feinden. Eine grosse Galaterschaar unter Kerethrios wandte
sich (280) Sn! ßpäy.aq y.xl fo eövex; xiSv TpißaXAwv (Paus. X
19, 4) und zog, fugatis Getarum Triballorumque copiis (Iust.
XXV 1, 2) zum Nestos und Strymon, wo sie Antigonus Gonatas
(277) fast aufrieb; er nahm 9000 Galater unter Biderios in
Sold (Polyaen. IV 17). Galater wurden im Bermios angesiedelt;
es waren VETTII, gens Gallica bellicosa (Liv. XLV 30, 5).
An der Morawa hatten sich neue galatische Schaaren unter
BaOavaxo? festgesetzt; diese treten später unter dem Namen
(illyr. maked.) Szopäicxat, (thrak.) ZxopSioxoi auf; der Weg, den
sie auf ihren Raubzügen nach Süden nahmen, führte entlang
der Morawa (slaw. put Morawskyj) und hiess noch lange
90
IV. Abhandlung: Tomaschek.
Ba0avaxesa ooiq (Athen. VI p. 234, b). Sie bedrängten anfs
äusserste die hier ansässigen Triballer; schaarenweise verliessen
diese ihr Land und flüchteten ins Donaugebiet, wo sie schon
lange heimisch waren; vgl. App. Illyr. 3: 2x.opSlffx.ot x.at TptßaXXo't
£<; xoeroöxov «XXyjXou; itoXifJUp StE<p0Etpav, tl>; TpißaXXwv st xt tmoXowrav
•qv £<; T£xa? üräp Tffxpov ^uyEtv y.at yEVo; xoüxo axgacav piypt <E>iXbrxou
xe y.at ’AXe^ävBpou vuv spijptov x.at ävü>vup.ov xoR xrjSi etvat. So wurden
auch die Skordisker geschwächt; doch waren sie noch im Stande,
geeint mit den Resten der Triballer, die römische Provinz
Macedonia ständig zu .beunruhigen (135—84), obwohl sie oft
tüchtig geschlagen wurden, z. B. im Jahre 110: a M. Minucio
Rufo in Macedonia Scordisci et Triballi victi sunt (Eutr. IV 27).
Als unter Augustus Moesia als Provinz eingerichtet wurde, gab
es hier noch Reste der Triballer, an der Seite der Dardaner
und Moesen (Plinius; Cass. Dio LI 23. 27); bei Ptolemaeus
finden wir sie beschränkt auf den Strich zwischen den Flüssen
Kiabros und Utos, und als ihr Vorort erscheint OLzo? TptßaXXüv.
Unter Tiberius wird in der Moesia noch eine TREBALLIA
unterschieden. Der Kaiser Maximinus (235—237), ein Thra-
ciscus, war früher Hauptmann einer ala Triballorum; Diocletianus
datierte ein Schreiben (294, cod. Iust. VIII 48, 5) TRIBALLIS.
Das sind die letzten Spuren ihres Namens; die Byzantiner, die
sich gerne verschollener Namen anstatt der gleichzeitigen be
dienten, durften schon wegen der theilweisen Uebereinstimmung
der Wohnsitze wie des Namens die slawischen Srbljane oder
SEpßXoi Triballer benennen. In diesem unstreitig thrakischen
Volk wollte v. Hahn vielmehr Illyrier erkennen; trl-balle konnte
nämlich im Illyrischen ,dreigipfelig‘ oder ein Volk bedeuten,
dessen Front nach drei Seiten gekehrt war. Doch sind auch
andere Deutungen möglich; z. B. aus tri-bala ,sehr mächtig,
überschwenglich', von Wurzel bhel: bhal (vgl. oaXXo? gael. ball
,penis, membrum'). Wir wollen noch Einiges über die gala
tischen Intrusionen anfügen.
An der Donau, an der Morawa und Nisawa finden wir
Spuren der keltischen Namengebung: erinnern wir uns an Orte
wie Singi-dunum, Taliata, Gerulata; an den Namen Navissus
für die Nisawa; ferner an die civitas Remesiana und die mansio
Meldia, welche in das Gebiet der Serder führten. Denn
Remesiana, das heutige Aq-palanka, hatte seinen Namen von
Die alten Thraker. I.
91
den gallischen Remi, obgleich die Bewohner den Anklang
an Roma bevorzugten und ihren Vorort Romansiana oder Ro-
matiana benannten; eine Landschaft RIMESICA setzt die Tab.
Peut. an den östlichen Haemus, also in das Galaterreich von
Tylos. Meldia hinwieder, etwa bei Sliwnica gelegen, erhielt
diesen Namen von den Nachbaren der Remer, den MeXoct oder
MeXSat; diese erscheinen thatsächlich im Norden des Beckens
von Sofia zur Zeit der Heeresztige des M. Licinius Crassus:
y.at cscov MsXSouq (cod. p.spoooc) p.sv v.a). Zepooüg pA'/a.zaiazpaTÖv
e/Eipwcaio (Cass. Dio LI 25, 4). Die SepSoi dagegen, welche
die tkrakische Strategie Sspoiy.r, bewohnten und deren Vorort
SspSüv toXis, dann auch Ispdr/.-rj und Sapor/.^ (das heutige Sofia,
slaw. Sredec, byz. Tptdoi-c^a) hiess, werden wir den thrakischen
Stämmen zuweisen müssen, da gallische Namensanalogien fehlen;
der Name könnte etwa ,die Trotzigen, Ragenden* bedeutet
haben, von der Wurzel ker-j-dh, skr. gardh-. Die Galater,
welche in starken Banden die Haemushalbinsel bis Delphi und
Dodona hinab durchzogen, haben sich auch südlich vom Haemus
eine Heimstätte bereitet; es waren die TuXRai oder TiArjvo!, so
benannt nach ihrem Vororte TuXyj oder T6X«; ■ toXis @paiu)q toü
Atgou TiX-qaisv (St. B., Suid.). Diesen Raubstaat hatte (278)
Kommontorios, ein Genosse des Brennos, gegründet, nachdem
Leonorios und Lutarios mit ihren Schaaren über den Hellespont
gesetzt hatten, um Kleinasien zu beunruhigen; derselbe bestand
bis auf Kavaros, welcher (um 213), von den Thraken vertrieben,
gleichfalls nach Asien auswanderte. Die Tyliten hatten ihr
Gebiet bis vor die Mauern von Byzantion ausgedehnt, dessen
Bürger hiedurch weit ärgere Feinde erhielten, als es bisher die
thynischen und odrysischen Thraken waren; sie mussten den
Galatern Jahrgelder entrichten, zuerst 3000, dann 5000 und
10.000 Goldstücke, zuletzt sogar 80 Talente (Polyb. IV 46).
Ueber das ßaaO^stov Tuay] hat Jireöek eine ansprechende Ver-
muthung vorgebracht: er vergleicht das Dorf Tulowo im Tu-
lowsko-pole (provincia de Tulia e Zagora, Urkunde a. 1595)
am Oberlauf der Tundza östlich von Qazanlyq; hier gibt es
zahlreiche Tumuli, in denen Waffen aus Bronze und Eisen
gefunden werden; das. gut angebaute Hochthal besitzt an der
Tundza-Beuge ein Ausfallsthor nach Süden. In dieser Gegend
hat Ptolemaeus einen Ort ’Op/.eAXod, d. i. Vercellae; das spät
wrn—b riTinmn»—i ...
92
IY. Abhandlung: Tomasclielc.
erwähnte Castell ToXorj (Zon. Suid. etc.) hat einen Namens
genossen in dem '/üipiov FoXor; puxpäi; raXafia«; (C. I. Gr. n° 9764,
christl. In sehr, aus Rom).
Schliesslich seien noch einige Stämme erwähnt, deren
Lage und Herkunft unbekannt ist: ’Ev-coißa: • e'Övc? 0paswjs,
Hecataeus (St. B.); Bavuoi • £0vo? ©pay.yjc, Hecataeus (St. B.);
Baaavtoai oder Bavfoai, Herodianus (St. B.); Bißai • eövo? ©pay.aöv
(St. B.); IlocäpYai • e'Ovoc 0pay.Y]p (St. B.); Tpi'avcX«'. ' sövo; 0paxtcv,
Hecataeus (St. B.). Ferner Bacrcapoi, ein Menschen opferndes und
verzehrendes Volk in Thrake; ebenso 0tösq (Porphyr.) —
wahrscheinlich pure Erfindungen der Orphiker.
b) Die nördliche oder getische Gruppe.
Den letzten Theil der thrakischen Völkerwelt, der aus
dem Nordland auszog und über dem Haemus sich lagerte, wo
sich noch Reste moesischer Völker erhalten hatten, bilden die
Berat oder, wie sie Arrian gelegentlich nannte (St. B.), re-njvol;
diese dürfen von der grösseren Masse der Karpatenstämme in
keiner Weise getrennt werden, wenn auch erst in römischer
Zeit die Gleichheit der Geten und Daken hervortrat. — Um
gleich mit dem Namen zu beginnen, so lässt sich derselbe,
gleichwie jener des edonischen Königs Ferap, nur schwer deuten:
am besten als ,Gänger, Schreiter, Hirten', von der Wurzel g’%:
ge ,gehen'; vgl. griech. ßou-ßvjx«; lit. getis, gatwis, gatwe ,Vieh
trift, Weide'. rnp.-<n;pflfou$ hiess ein Castell in Haemimontus; eine
reduplicierte Form finden wir im dakischen (Sarmi-) ze-gete,
zegetusa, vgl. skr. gi-gat, gr. ßt-ßä;. — Die Geten führt Herodot
in die Geschichte ein, mit dem ehrenden Beisatz: ot FsTat 0pr,!y.(i)v
eovt€? aySpYporatoi y.at Saaiöraxoi. Die griechischen Colonisten,
welche an den politischen Gestaden einen günstigen Boden für
ihre Handelsgeschäfte und sogar für dauernde Niederlassungen
gefunden hatten, erkannten in den ,Stutenmelkern und Milch
essern' des Homer, den Nachbaren der Mysen, ,sehr gerechte
Leute'; ein Redner gieng nachmals so weit, zu behaupten
(Iord. 5): Getae paene Omnibus barbaris sapientiores semper
extiterunt Graecisque paene consimiles. Das einfache Leben
der Barbaren, die ,noch nicht vom entnervenden Hauche der
Civilisation angekränkelt' waren, mochte moralisch angelegten
Die alten Thraker. I.
93
Naturen als etwas Holies erscheinen — so pries im sittenver
dorbenen Rom, in einer Anwandlung moralischer Extase, Horaz
den Getennamen und die im dakischen Gemeinwesen wuchernde
Naturkraft. Tapfer waren die Geten unstreitig; doch entsprach
der Erfolg nicht immer ihrem Heldenmuth: mitten durch ihr
Land hatten die Skythen Raubzüge bis zur Propontis unter
nommen; unschwer bezwang Darius die Geten; dem Odrysen
Sitalkas leisteten diese und die übrigen zwischen Haemus und
Iiister gelagerten Stämme Heeresfolge. Sie stellten Bogen
schützen zu Ross, IxxoToijoTai (Thuc. II 96), von gleicher Tracht
und Bewaffnung wie bei den Skythen. Unter Seuthes I., dessen
Reich sich bis zur Donaumündung erstreckte, stand der Geten-
häuptling offenbar noch im Yasallenverhältniss zu dem Odrysen-
reiche. Gerne hätten wir erfahren, wie jener Getenherrscher
geheissen habe, der dem persischen Heere nach kurzem Kampfe
unterlegen war; vielleicht hilft da eine Vermuthung aus.
Sophokles hatte in seinem Triptolemos als Gegner des Demeter
dienstes einen barbarischen Getenftirsten vorgeführt (Hygin.
Astr. II 14), und aus diesem Stück citiert Herodianus den Vers
,xai XapvaßövTOc, 5; Tstüv ap/ei tä vuv*. Aus dem Beisatz ta vuv,
sowie aus der eclitthrakischen Namensform Xapvaßwv (vgl. armen,
charn-a-ban ,einer, der die Worte durcheinander mengt*, z. B.
in unbesonnener oder prahlender Rede), könnten wir schliessen,
dass der Dichter einen Namen aus der unmittelbaren Ver
gangenheit seinen Zuhörern in Erinnerung gebracht hat, eine
Freiheit, die sich die Tragiker manchmal gestatteten.
Das, was den Griechen seit Hecataeus bei den Geten-
stämmen am meisten auffiel, war der ihnen in Fleisch und Blut
übergegangene Unsterblichkeitsglaube und die Verehrung des
Naturgottes 2dXp.oi;tc, den die pontischen Colonisten in euheme-
ristischer Weise zum Schüler des Pythagoras machten. Das
hat auch neuere Forscher bewogen, den Geten und ihrem Gotte
Beachtung zu widmen; hiezu kommt die Aehnlichkeit der
Namen Fsica und TötOoi, welche bereits den Cassiodorius ver
anlasst hatte, die Geschichte der Goten mit jener der Geten
zu verquicken; Jakob Grimm’s Versuch, diese Theorie ernstlich
zu begründen, musste sich jedoch alsbald als nichtig erweisen.
Ueber den Zalmoxisdienst werden wir bei den mythologischen
Namen handeln; hier sei nur erwähnt, dass die Geten stets
94
IV. Abhandlung: Tomaschek.
das bezeichnende Prädicat oi äOavaxi'^ovxsc (Hdt. V 4) behalten
haben; Plato spricht von thrakischen Aerzten des Zalmoxis, ot
Asyovxai y.at aica0avocxt£siv; ebenso Diodor (I 94), Arrian, Kaiser
Julian und Origenes, von Tsxat oi äraOavaxi^ovxeq. Julian leitet
die Tapferkeit des Volkes von diesem Glauben ab: Tsxat xwv
ixwixoxe p.ayjp.wxaxo'. YE^ovactv, ouy uiro ctvopsia? p.6vov xoü owp.axoc,
dXXä y.at wv exsiasv auxou? 6 xtpttl)|jt,£vo<; xuap’ auxoR ZiAo.c"!?.
Was die weiteren Geschicke der Geten betrifft, so hat
darüber Müllenhoff (vgl. DA. III 125 ff.) ausführlich gehandelt;
wir beschränken uns auf die wichtigsten Thatsachen. Als
Philipp das Odrysenreich bewältigt hatte, erhob er Ansprüche
auf das Getenland. KoOf,Xa; 6 xwv fexwv ßaaiAsic, aywv M^oav xv;v
0uyaxspa y.at Swpa xoaagc (Theop. ap. Athen. XIII, p. 557, c;
Meda, Gudilae regis Gothorum filia, Iord. Get. 10), zog
ihm entgegen, und es kam ein Vergleich zustande: Kothelas
gelobte Heeresfolge zu leisten, und Philipp nahm die Text; zur
Frau. Theopomp benutzte dieses Ereigniss zu einem Excurse
über die getischen Sitten; wir erfahren von ihm: Tsxat y.tOdpa;
syovxe? y.at xi0ap££ovxes xä? eTuiXYjpuxet'a«; TOtouvxat (Athen. XIV
p. 627, c); ferner vop.op §e rsxwv xb i^'.caäCevt xi]v yuvaix.a xw ävSpt
(St. B.): so sehen wir einen aus der Urzeit vererbten grausamen
Brauch, dem auch die strymonischen Thraken folgten, vereint mit
der herzgewinnenden Gabe der Musen. Als später (339) Philipp,
um seine Kriegscasse zu füllen, Odessos angriff, welche Stadt
zum Bereich der Getia gehörte, erschienen wiederum getische
Priester ,cum citharis et vestibus candidis, patriis diis voce
supplici modulantes* vor ihm: Odessos wurde geschont, der
getische Freundschaftsbund erneuert; denn Philipp mochte in
den Geten eine Schutzwehr gegen die Skythen, Triballer und
andere Bergstämme Thrake’s erkennen. Das Vasallenverhältniss
bestand noch in den ersten Jahren Alexander’s; als dieser
(335) die Geten heimsuchte, waren es nicht die Haemus-Geten,
sondern Fsxat oi zspav xou ’laxpou wy.iap.evo'. (Arr. I 3, 5), welche
4000 Reiter und über 10.000 Fussgänger aufgestellt hatten;
geschlagen, flohen sie zuerst in eine schwach verschanzte Stadt
an der Donau, dann in die weite epY)p.(a (4, 4) nördlich vom
Delta oder die sogenannte fexia rj epr^.oc. Unter den Truppen
Alexander’s in Asien werden Geten nicht genannt; völlig miss
lang ein Feldzug des Zopyrion (327/26) ins Flachland über die
Die alten Thraker. I.
95
Donau gegen Geten itnd Skythen. Die Geten südlich vom
Strome scheinen sich damals der pontischen IlevtdxoXis ange
schlossen zu haben, welche Lysimachus (seit 313) zu unter
werfen versuchte; gegen die Geten entbot er seinen Sohn
Agathokles, welcher von ihnen gefangen und mit Geschenken
zurückgeschickt wurde; ob hierauf Lysimachus die pontischen
Städte und die benachbarten Geten wirklich bezwang, wird
nicht überliefert; es ist dies jedoch sehr wahrscheinlich, weil
Lysimachus seine Schätze in der getischen Veste barg.
Nachdem er mit Demetrius von Macedonien Frieden geschlossen,
erneuerte er den Krieg gegen die noch freien Geten jenseits
der Donau, ,kriegskundige und an Zahl weit überlegene Streiter“
(Paus. I 9, 5), und deren König Apop.i/auY): (Strabo VII, p. 302);
ein Gete, Namens ’AeOrjs, spielte damals die Rolle des Zopyrus
(Polyaen. VII, 25); Lysimachus gerieth mit seiner Armee,
100.000 Mann, in die wasserlose Ikttov epyjiAa, die Noth stieg
aufs höchste, und er musste capitulieren. Dromicliaites kam,
nannte ihn Vater und führte ihn in die Veste NlXi?, wo er
ein Mahl bereiten liess, köstlich für die Malcedonen, ärmlich
für die Geten — mit dem Hinweis auf die Armutli und Bar
barei seines Volkes wollte der Fürst die Eroberungssucht des
Malcedonen dämpfen. Es kam ein Vertrag zustande: Lysimachus
verzichtete ,auf den jenseits der Donau gelegenen Theil seiner
Herrschaft“ (Paus.). Wir sehen hier, trotz der Siege der Geten,
die Herrschaft des Dromichaites auf die Striche über der Donau
beschränkt. Nach Lysimachus’ Tode (281) hören wir wenig
von Geten; ihr Land wurde ein Durchgangsgebiet der Galater-
schaaren sowie der Bastarnen; die Herrschaft des Dromichaites
musste sich in der Folgezeit in mehrere schwache Theile auf
gelöst haben, und südlich vom Strome traten mehr die Moesen
hervor, mit denen zuerst C. Curio von Westen her (74),
M. Lucullus (71) von der pontischen Küste aus Bekanntschaft
machte. Zur Zeit des Boeribista stand das rechte Ufer der
Donau bis zum Ostende des Haemus unter der dalcischen Bot-
mässiglceit, und selbst nach seinem Tode hörten die Einfälle
der Daken über den Strom nicht auf; zwischen Geten und
Daken lässt sich überhaupt kein Unterschied mehr ziehen. Für
Daken müssen wir auch jene Fürsten halten, welche zur Zeit
des Augustus unter M. Crassus (27) am Donaustrom sassen:
96
IV. Abhandlung: Tomasche k.
den römerfreundliclien 'PwXy)? und seinen Gegner Aaxul;, sowie
den Zupatjv;c, dessen Veste Tsvouy.Xa an der Donaubeuge vor dem
Delta lag (Cass. Dio LI 26); Crassus triumphierte ex Thraecia
et GETEIS. Geten Hessen im Munde der Griechen, wegen
der Gleichheit der Sprache und Sitten, auch die nördlich vom
Strome gelagerten Stämme, die Dalcen; diesem Sprachgebrauche
folgten mitunter auch die Römer (z. B. Antonius bei Sueton.
Oct. 63 ,Cotiso rex Getarumf), vor allem die Dichter. Für
die Haemus-Geten, welche im Bereiche der politischen Griechen-
städte standen, wurde häufig, gemäss der politischen Ein-
theilung, der Name Moesi verwendet.
Die Griechen der pontisclien Küste fanden sich mit den
Geten stets gut ah; nicht selten fanden Wechselheiraten statt.
Die Krämer lieferten den Binnenstämmen Fabrikate aller Art,
Oel und Wein und das unentbehrliche Salz; dafür erhielten sie
Getreide, Bauholz und vor allem Sklaven. Bei den Dichtern
der neuattischen Komödie spielen rsxr)? und Aäo? (Geta, Davos)
eine ständige Rolle. Ein charakteristischer Zug für die Geten,
wie für alle Thraken, war die Ungebundenheit der Sitten, ferner
die Vielweiberei, wie der getisclie Sklave bei Menander (Strabo
VII, p. 297) sie schildert — schon dieser Zug hätte unseren
J. Grimm von seiner Theorie abhalten sollen. Bei Natursöhnen,
welche ihrer Sinnlichkeit keine Zügel anlegen, stehen hinwieder
Asketen, Männer des Heiligenscheins, in hohem Ansehen; darum
genossen bei Moesen und Geten nach dem Zeugniss des Posi-
donius gerade die weiberlosen y.axvoßxxai und die asketischen
wifexat (s. d. Glossen) Verehrung und Einfluss. — Die Geten
bei Tomi, die man ebenso gut Daken nennen könnte, lernen
wir aus der Schilderung Ovid’s kennen: sie erhalten bei ihm
die Epitheta Marticolae, crudi, rigidi, truculenti, hirsuti, intonsi,
pelliti, braccati; Menschenopfer waren ihnen nicht fremd; sie
trugen stets das Messer im Gurt und waren bewehrt mit Bogen
und vergifteten Pfeilen. In Tomi wurde griechisch und getisch
gesprochen; Ovid erlernte die getische Sprache und schrieb in
derselben ein Gedicht über die pontisclien Fische. — Wenn
wir uns überdies den Geten tätowiert denken, wie er wenigstens
in älterer Zeit geschildert wird, so haben wir den echten Typus
des Barbaren vor uns. Mit Unwissenheit verbindet sich oft lächer
liche Gewichtigkeit und Grosssprecherei; ßapir/exat Hessen den
Die alten Thraker. 1.
97
Komikern ßapsq p.sv l^ovres, xat aXct^ovs?, Texai Sk ovtss (Hes.).
Ungeachtet ihres Unsterblichkeitsglaubens und ihres Kriegs-
muthes waren die Geten Barbaren, wie die übrigen Thraken,
und wir dürfen uns ihre Zustände nicht ideal ausmalen.
Von Sonderstämmen des getischen Inlandes erfahren wir
wenig; Plinius führt an: AODES (’AwBsTc, etwa ,Zustösser,
Schläger*, von vedh: vodh (iOstv), CAUGDAE (etwa ,Hügel
bewohner* oder ,Holländer* von Wurzel keug- , wölben*, lit. kügis
,Haufe* etc.) und Clariae (Var. Claneae, Dareäe). Mitten in
den Haemus setzt Strabo (VH, p. 318) KöpaXXoi, während sie
bei Ovid (ex Ponto IV 2, 37. 8, 83) als ,flavi* und ,pelliti*
Coralli am Hister erscheinen (vgl. App. Mithr. 69, wo sie neben
’Lx&Yeq stehen): wahrscheinlich eine sarmatische Horde, die
zum Tlieil in den Haemus eingedrungen war, etwa als ,Thätige,
Kriegerische* zu deuten (altpers. kara ,Heer*, skytli. KoXa-ija'i?
,Heereskönig*). Ebenso waren sarmatische ARRAEI oder
AREATAE (Plin.) ins Getenland eingewandert, und die heutige
Dobrudza führte zuletzt den Namen Scythia miuor. Die Küsten-
stämme waren den Griechen genauer bekannt.
Die Tkpi'Coi nannte bereits Hecataeus, nach ihm Hellanicus
(EM. p. 408, Phot. Lex., Suid. v. Tspi^ot, Zdp.o Xi;t?): äOavaxi^ouat
Sk -/.ai Tspi^oi vmi Kp6ßu£oi x,ai xou<; aitoOavövxa; üq ZaXp-o^iv cpaaiv
oixE?0oa, ei;eiv Se auöiq. Sie wohnten an dem Landvorsprung
Ttpt'Cii; oder Ti'pi^a (ebenso hiess ein Küstenpunkt Paphlagoniens;
vgl. TeipLxaac; zwischen Ganos und Bisanthe an der Propontis,
von Wurzel ter- ,eindringen*), der späteren KaXij mpa (j. Ccligre-
burun). — Idecataeus nannte ferner die Kpößu^oi ■ £0vo? npog voxov
dvsp.ov tou "Jaxpou (St. B.). Nach Herodot (IV 49) flössen die
zum Istros gehörigen Bäche östlich vom Athrys (Jantra) Bia
0pv)ty.uv Ttov Kpoßüi^tdv — so weit erstreckte sich die Kpoßu£i/.y; ins
Inland! Nach Scymnus (745. 750. 756) wohnten sie rings um
Odessos und am Ostende des Haimos, sowie bei Dionysopolis,
wo sie an die Skythen stiessen. Auch Ptolemaeus setzt sie
zwischen Odessos und Kallatis (j. Mangalia). Einer ihrer
Häuptlinge, Namens ’iadv0y)<;, töv xaAoo[Hv(i)v lvpoßu^wv ßaciXeü;
(Phylarchus ap. Athen. XII p. 536, a), zeichnete sich durch
Schönheit, Reichtlium und Wohlleben aus. Plinius setzt Cro-
bigni nördlich über das Donaudelta, also in die eprj[Ra. Ob der
Name von Wurzel kreu- ,verletzen*, lat. erü-du-s ,roh, blutig* etc.,
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. OXXV11I. Bd. 4. Abb. 7
98
IV. Abhandlung: Toinascliek.
hergeleitet werden könnte? zd. Krvighni greulich'? — TpwyXo-
86t«( oder TpwyoBivoci wohnten in Kleinscythien nahe dem Hal-
myris (Ptol. Plin.), oder auch ~epi tou ty]v TpißaXXöv yv (Enst. ad
Dion. 180). Noch jetzt finden sich an der unteren Donau, so
wie in Armenien, Erdwohnungen, die mit Rohr und Dünger
zugedeckt sind; es können auch Grotten im Fels gemeint sein.
öpfyijiv piydoet; Sy.öOat werden an der unteren Donau bei
Ap. Rh. IV 820 erwähnt; nach Herodot hatten die Skoloten
das ganze Flachland etwa bis zur Einmündung des Alt inne.
Kallistratos wusste von Kämpfen zwischen Skythen und Thraken
zu erzählen, wobei letztere den Kürzeren zogen; die skythischen
Weiber sollen die ihnen dienstbaren Tlirakinnen, td? ©pazwv
xpo? sä-!pav y.ai äpuTocv Tuspio!;/.tov yuvaaac, als Zeichen der
Schmach tätowiert haben, woraus dann später ein -ziep,o? wurde
(Athen. XII, p. 524). An der Westgrenze der Skythen finden
wir in der That unterworfene thrakische Stämme, z. B. die
ackerbautreibenden ’AXoc&sve? und die später zu besprechenden
KapmSai. Die über den Stromschnellen des Borysthenes hau
senden ’Ap.ocBoy.ot jedoch waren, obgleich sich 'Ap-dBozo;; als Eigen
name bei den Odrysen findet, keine Thraken, sondern Jäger
stämme finnischer Herkunft, ,Rohfleischesser' (skr. ämadaka),
wie sie bei den Skythen Messen.
Nach dem Sturze der Skythenmacht — der letzte mächtige
skolotische Herrscher war jener ’A-teas, gegen welchen Philipp
einen Zug unternahm — erhielt sich zwar noch ein Rest der
,königlichen' Skythen oder Socioi (zd. khsaya) im Gebiet von
Olbia, die eigentlichen Herren des politischen Steppengebietes
wurden jedoch die Sarmaten vom Tana'is; ausser kleineren
Stämmen waren es zunächst die Iazygen (zd. yazuka ,gross,
mächtig'), welche zur unteren Donau vorrückten; sie scheinen
bereits nach Boerebista’s Tode (ca. 48 v. Chr.) den karpatischen
Grenzwall und das dakische Reich bedroht zu haben; Strabo
setzt sie neben die Tyrigeten, Ovid spricht von ihren Einfällen
über die Donau. Wann sie in das Land zwischen der Donau
und Theiss eingerückt waren, lässt sich nicht genau bestimmen;
jedenfalls sassen sie hier in den späteren Jahren dos Tiberius
(27—37), und Vannius. (ca. 50) fand in ihnen Bundesgenossen.
In die bisherigen Sitze der Iazygen rückten die sarmatischen
Rhoxolani vor; für einen rhoxolanischen Häuptling dürfen wir
Die alten Thraker. I.
99
jenen Susagus lullten, den Plinius d. J. in einem Schreiben
an den Kaiser erwähnt. Dasselbe gilt von jenem Sardonins,
den Aurelius Victor als Verbündeten des Dekebalos und, wie
es scheint, als rex Sacorum anführt (vgl. oset. Sürdon, Name
eines Narten oder nrtä). Noch zur Zeit des Kaisers Valens
(367) erscheinen auf den Vorhügeln des südlichen Karpaten
walles sarmatische SERRI (Amm. Marc. XXVII 5, 3), in
welchen einige Forscher haben Serben erblicken wollen. Auch
diese sarmatischen Abtheilungen sind endlich unter den Slawen
verschwunden.
Im Norden des Karpatenwalles, wo sich ursprünglich an
die thrakische Völkerwelt die slawische anscliloss, war eine
grosse Wandlung durch das Eindringen völkischer Galater
stämme (300—200), denen sich Schaaren von Ostgermanen
(Skiren u. A.) anschlossen, zustande gekommen; dieses ,Bastard
volk*, bei dem erst später das germanische Element stärker her
vortrat, verbreitete sich (200—100) entlang dem östlichen Berg
abhang (Alpes Bastarnicae, TP.) und auf den Platten zu beiden
Seiten des Tyras bis Olbia und zu deu Donaumündungen, auf
der Nord- und Ostseite wie mit eisernen Armen das Stammland
der Thraken umklammernd. Sie erbauten am Tyras die Burgen
KappoSouvov, Mgutüviov, OmßavTauäptov, ”llpay/tov und an der unteren
Donau, im Gebiete der BpiToXctyat, ’AXtößptc und NoouioSouvov; von
hier aus unternahmen sie wiederholt weite Fahrten und Raub
züge in die südlichen Striche; so reichten sie den Skordiskcrn
und den übrigen Keltenstämmen der Ostalpen die Hände.
Zu Beginn der geschichtlichen Zeit linden wir im karpa-
tischen Bergwall als Ursassen die ’A-px-Oupaoc, d. h. im skythischen
Munde die ,bösen, quälenden* (zd. agha) Thyrsen. Öipaot aber,
skythisch etwa Thurso oder Thwarso (vgl. ’lvoä-Oupcrsc), erscheint
wie eine dem Skythischen angepasste Umformung eines thra-
kischen Völkernamens, nämlich Tpaucoi'. Nun linden wir in der
aus Schriften des Ilerodianus zusammengesetzten Rüstkammer
des Stephanus von Byzanz folgenden Artikel: Tpauaoi • toXi?
KsXtou; (offenbar verderbt; A. v. Gutsclnnid, Lit. Cb. 1864
S. 1200 schlägt vor icXijaiov KeXtoT? ; vielleicht hlosse Dittographie:
toXic y.ai eÖvo;, o'u?), eOvo?, oüc ot "EXXyjvs? övop.di^ouui ’AyaOüpaou?.
Irgend ein kundiger Schriftsteller hatte die Agathyrsen der
Skythen und der politischen Colonisten ausdrücklich den Trausen
7*
100
IV. Abhandlung: Tomaschek.
gleichgesetzt; der Stamm also, der seit Alters das karpatisclie
Bergland innehatte, nannte sich selbst Tpauooi; die armseligen
Trausen, die wir in der Rhodope fanden, waren nur ein kleiner
losgerissener Theil des in der Heimat verbliebenen grossen
Stammes. Wenn es heisst: 'AyaOupaot • e0vo? evooxepw xoü ATp.ou
(St. B.), so müssen wir uns erinnern, dass der Name Haimos
in älterer Zeit auch den Karpates eingeschlossen hat; die drei
grossen Ströme ’Axk«? Aüpac, und Ttßta«; (Hdt. IY 49), ,welche
von den Höhen des Haimos h er ablaufen ‘, gehören dem Nord
lande an, wie der Hauptstrom Mapt?, welcher dem Istros zu
strömt. Die Agathyrsen wohnen (Hdt. IV 100) am ! 'Iexpou xä
•/.axüitepös si? ty]v pteeoyatav, und der Maris fliesst mitten durch ihr
Land. Die vorgeschichtliche Cultur des agathyrsischen Landes
lässt sich aus zahlreichen Fundstücken, welche der neolithischen,
der Kupfer- und der Bronzezeit angehören, annähernd erkennen;
vgl. darüber Carl G-ooss (Archiv d. V. f. siebenbürg. Landes
kunde XIH. Bd. 1877 S. 409 ff. 466 ff. 529 ff.). Im Lande
selbst wurde jedenfalls Gold und Kupfer gewonnen; beide
Metalle waren schon den Indogermanen bekannt, und die erz-
und goldreichen Gebiete der ungarischen Länder haben ohne
Zweifel einen Theil der indogermanischen Heimstätte gebildet.
— Sitten und Bräuche der Agathyrsen waren thrakisch; als
eigenthümlich wird nur die Ueppigkeit und das Geschlechts
leben dieses Volkes hervorgehoben (Hdt. IV 104). Es herrschte
bei ihnen Weibergemeinschaft («rixoivov xwv ■/uvaix.üiv tyjv puijtv
Txoieüvxai), unter dem Vorwände, sie würden dadurch ,ein einig
Volk von Brüdern' frei von Neid und Feindschaft. Der Bericht
lautet übertrieben, und die Motivierung legt Zeugniss ab von
der humoristischen Ader der Olbiopoliten; es werden im Gefolge
der Ueppigkeit die ehelichen Bande sich etwas gelockert haben;
auch mochte es vorgekommen sein, dass ein Agathyrse eine
oder die andere seiner Frauen dem Gastfreunde überliess, um
ein andermal die gleiche Gunst von diesem zu beanspruchen;
bei den Thraken war namentlich den Jungfrauen volle Freiheit
im Umgänge mit den Männern gestattet. Weiter heisst es:
dßpoxaxot avSptöv eiet x.at pucocpopot xa p.a/acta. Noch jetzt ist
Siebenbürgen an Gold ergiebig; es wird daselbst von Zigeunern
und Wlachen aus dem Sand der Bäche ausgewaschen. Als
begehrtes Tauschobject brachte das Gold den Agathyrsen die
Die alten Thraker. I. 101
Fabrikate des Südens sowie die Gaben entfernter Länder,
Perlen, Bernstein und Zinn, ein; zuletzt kamen Münzen ins
Land, von Kerkyra, Apollonia und Dyrrhachion, von Thasos,
Erythrai und Lysimacheia.
Einen Beitrag zur Charakteristik des Volkes lernen wir
durch Aristoteles kennen (Problem. 19, 28): die Agathyrsen
hatten den Brauch (wie die gallischen Druiden), die Summe
ihrer Gesetze in Gesangsform dem Gedächtnisse ihrer Nach
kommen zu überliefern. Der jüngere Pisander hatte der Aga
thyrsen gedacht mit Anspielung auf den dionysischen 06p<ro<;
(St. B.); Valerius Flaccus gebraucht die Form Thyrsagetae.
Etwas Weinbau war im Lande vorhanden, das überhaupt ver
möge seiner alpinen Natur für Mythenbildung wie geschaffen
ist; eine dem Zalmoxis entsprechende Naturgottheit wurde dort
seit Alters verehrt. Sonst wird den Agathyrsen noch die Be
malung des Leibes zugeschrieben; auf das Vorhandensein
eines Geschlechtsadels weist der Beisatz: je dichter und grösser
die farbigen Zeichen der Haut eingeprägt waren, einen desto
höheren Rang der Person zeigte dies an. — Später hat man
das Volk nicht mehr vorgefunden, es wurde immer weiter in
den Norden hinausgeschoben; denn als die Römer in den Donau
ländern auftraten, hörten sie nicht mehr von Agathyrsen; ein
ganz anderer Name war im Karpat üblich geworden, der
dakische.
DACI (sing. Däcus, C. I. VI n° 3236 Daqus), Aay.oi oder
Aäy.ot, auch Acty.cc. und Mv.eq, in der Tab. Peut. DAGAE (wie
Sagae für Sacae), nannten sich die vormaligen Trausen, die
Brüder und Nachbaren der Geten; völlig unbekannt ist uns
die Veranlassung zum Aufkommen dieses schwer deutbaren
Namens. Strabo (p. 304, St. B.) erinnerte an die Ado:; Cassius
Dio an die AToi und das Aiay.cv yivoq, was er ohneweiters in
Aay.ty.6v änderte. In neuerer Zeit hat Leo skr. dhavaka ,Läufer,
Renner' verglichen; näher liegt das dakisch-thrakische Wort
dava : deva ,Siedelung', von der Wurzel dhe : dhe ,setzen', und
die Daken wären dann ,Sassen'. Sonst Hesse sich noch die Wurzel
das ,zeigen' heranziehen (vgl. Ss-Sawi; ,kundig'; also Leute,
welche sich verstehen). Strabo, welcher die Daken nach
griechischem Brauche stets Geten nennt, bezeichnet sie aus
drücklich (VII p. 303. 305) als S^yXö-tcov tou; 0pa|!v s0vo<;. Dies
102
IV. Abhandlung.: Tomaschek.
.#
ergibt sich auch aus den geringen Sprachresten, z. B. aus den
Personennamen auf -porus (thrak. bithyn. -icopis, von Wurzel
per : per ,durchbohren, stechen, schlachten') und den Ortsnamen
auf -dava (vgl. Desu-dava im Lande der strymonischen Maiden);
doch müssen dialektische Abweichungen für das Dakische natur-
gemäss zugegeben werden.
Der erste dakische König, den die Geschichte zu nennen
weiss (last. XXXII 3, 16), war OROLES (vgl. den Thraken
”OXopo?, ”OpoXo?): lange kämpfte er unglücklich gegen die Ba
starnen, welche um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. auf
dem Gipfel ihrer Macht standen; endlich gelang es ihm, den
Muth seiner Mannen dadurch anzustacheln, dass er sie nöthigte,
alle weiblichen Dienstleistungen zu verrichten, wie es Memmen
geziemt. Die Daken fassten ein Herz und schlugen die Ba
starnen. Wir finden frühzeitig (110) Daken als Waffenbrüder
der Skordisker im Kampf mit den Römern (Frontin. II 4, 3):
Minucius Rufus imperator a Scordiscis Dacisque premebatur,
quibus iinpar erat numcro. Als C. Curio die Dardaner be
zwungen hatte (74), rückte er bis zu den Stromschnellen der
Donau (•/.axappazirai Strab. p. 304) vor, willens, ins Dakenland
einzudringen; doch schreckten ihn, wie Florus bemerkt, die un
erforschten Waldberge und Thäler ab. Vielleicht hatte schon
damals Boirebista zu regieren begonnen.
Dieser dakische Herrscher führte im Verein mit den
Priestern, an deren Spitze Aezatvsoi; (Strabo nennt ihn einen
äv/jp yöy)c; ob er aus Aegypten gekommen war, darf bezweifelt
werden) stand, ein grosses Reformwerk durch, die sittliche
Hebung der Nation. Mitten im Lande, in einer unzugänglichen
Höhlengegend, erhob sich bei einem Flusse der Berg KoryocKovoi;,
zubenannt der ,heilige', weil man ihn für den Sitz des Natur
gottes (Zalmoxis) hielt; hier hatte auch der jeweilige Ober
priester, ,der Nachfolger des Gottes', seinen Aufenthalt; selten
verkehrte er mit der Aussenwelt, nur der König und seine
Diener erholten sich bei ihm Rathes. Seine Rathschläge wurden
als ,göttliche Befehle' verkündet, und das Volk gehorchte dem
Könige um so williger, weil es in seinen Befehlen den gött
lichen Willen ersah. Stets hatte der Pontifex Antheil an der
Regierung. Boirebista wusste mit Hilfe des Dekaineos sein
Volk zu bereden, den Weinstock auszurotten und ohne Wein
Die alten Thraker. I.
103
zu leben; die Heeresdisciplin wurde mit allen Mitteln straff
gehalten. Durch häufige und unglückliche Kriege hatten sich
die Daken sehr geschwächt; durch Nüchternheit und Folgsam
keit, wie durch das theokratische Regimen erstarkt, erwehrten
sie sich in wenigen Jahren der Grenzfeinde und unterwarfen
sich sogar die meisten Nachbarvölker. Gegen die Germanen
bildete das hercynische Bergland die Grenze, wo die ANARTES
sassen (Caes. B. Gail. VI 25, 2; ein Collectivname für keltische
Stämme; vgl. ir. anart ,sago indutus', von kelt. an = pan
,weben' gr. 'xvjvo? etc.?). Die Bastarnen scheinen damals nicht
mehr Feinde, sondern Waffengenossen des Boirebista gewesen
zu sein; so konnte er denn auch nach dieser Seite Erfolge er
ringen: EiXov tyjv ’OXßtav rerat y.at xa; aXXap xct; ev xoT? apiuxspot;
xoü Ilövxou toXei? [j-E'/p 1 . ’AixoXXoma? (Dio Chrys. or. 36 II, p. 75 R.);
diese xeXeuxaia xa't p.syiavq aXwcrtq von Olbia fällt etwa in das
Jahr 50 v. Chr. — Boirebista überschritt mehrmals die Donau
und verheerte alles Land bis Makedonien und Illyrien; mit den
galatischen Skordiskern verbunden, deren Gebiet am Saus und
Margus er bereits früher verheert hatte, warf er sich (ca. 44.
43) auf die Teurisker (Noriker) und Boier, deren König
Kritasiros war, und vernichtete die letzteren gänzlich; schwache
Reste der Boier verblieben in den ,Einöden' südöstlich vom
Neusiedlersee. Die Daken unter Boirebista vermochten ein
Heer von 200.000 Mann aufzustellen; so erschienen sie den
Römern furchtbar, ein airaxvjp'ov -/.a: cpiXo-oXspov -/.a! ysixöv lOvop (App.
B. civ. H HO), gegen welches Caesar eine grosse Expedition
auszurüsten begann, bevor ihn der Tod ereilte (15. März 44).
Aber auch sein Zeitgenosse Boirebista wurde zuletzt von einigen
Empörern entthront, welche das theokratische Regimen satt
bekommen hatten: sein Reich schied sich in vier Theile.
Nach Dio Chrysostomus (Iord. 11 fg.) soll nach Dicineus
als rex et pontifex COMOSICUS höchst gerecht regiert und
nach diesem CORYLLUS den Thron durch 40 Jahre einge
nommen haben; die übrigen Berichte wissen davon Nichts.
Von jenen vier Theilherrschern werden zur Zeit des zweiten
Triumvirates (40—31) zwei namhaft gemacht, ArzögYjs (Plut.
Ant. 63) und Koxicwv (Suet. Oct. 63); einen dritten, SxopuXwv
(vgl. Coryllas des Iord.) lernen wir aus einer Anekdote bei
Frontinus I 10, 4 kennen. Als M. Crassus gegen die Bastarnen
104
IY. Abhandlung: Tomasehek.
kämpfte, sassen am rechten Donauufer drei Fürsten der Guten
oder richtiger (vgl. Cass. Dio LI 53) Daken, 'PiöXyjc, Aobrui; und
Zupsci;v]c. Am linken Ufer muss aber noch die Macht des Cotiso
bestanden haben, da wir wiederholt von dessen Einfällen über
die Donau (nach Pannonien?) hören; auch sarmatische Horden
waren dabei betheiligt. Um endlich Ordnung zu schaffen,
schickte Kaiser Augustus nach Beendigung des pannonisch.
delmatischen Krieges den Gnaeus Lentulus aus, um das schwer
zugängliche Dakenvolk vom Donaulimes zu entfernen; dieser
setzte über die Donau und schlug nachdrücklich die Daken,
deren Reich damals sogar in fünf Tlieile geschieden war (Strabo
p. 304); so wurden die ,gentes DACORUM £ gezwungen, die
Befehle des römischen Volkes über sich ergehen zu lassen
(Mon. Ancyr. V 47—49). Damals wurden, wie Strabo bezeugt,
50.000 gefangene Daken von Aelius Catus am rechten Ufer
unter den Moesen angesiedelt. — Unter Tiberius herrschte Ruhe;
aber es scheinen damals in das Flachland zwischen der Donau
und Tlieiss die sarmatischen Iazygen eingedrungen zu sein —
ein Ereignis, welches die Macht der Daken an der Westseite
schwächte: DACI, pulsi ab Iazygibus montes et saltus tenent
usque ad Pathissum amnem (Plin.). Gleichwohl hören wir von
einem Einfalle der Daken und Sarmaten in Moesien (ca. 35,
Suet. Tib. 41). — Unter Nero finden wir den Einfluss der
römischen Macht sehr gefestigt, wie die Inschrift des Ti. Plautius
Aelianus lehrt (C. I. XIV n° 3608 a. 56/57): 100.000 trans-
danuvianische Familien mit ihren Stammeshäuptern wurden ans
rechte Ufer gebracht und zur Steuerleistung gezwungen; durch
das Eingreifen der Legionen erhielten die Könige der Bastarnen
und Rhoxolanen ihre Söhne, die Könige der Daken ihre Brüder
aus Feindesland wieder zurück. Die Wirren nach Nero’s Tode
wurden jedoch von den Rhoxolanen, Iazygen und Daken zu
neuen Einfällen ausgenützt. Die grossen Kriege der Daken
unter Dekebalos, dem Nachfolger des Duras, und die Unter
werfung des dakischen Landes durch Traianus (107) dürfen
wir übergehen, da hierüber vortreffliche Arbeiten vorliegen,
ebenso die Zustände dieser Provinz bis auf Gallienus und Aure-
lianus; Alles, was sich an Namen knüpft, wird in der 2. Ab
handlung zur Sprache kommen. Nur Folgendes sei hervor
gehoben.
Die alten Thraker. I.
105
Traianus hatte den Beschluss gefasst und ausgeführt, die
dakische Nation auszurotten; das Loos der Vernichtung wider
fuhr nicht nur dem königlichen Hause und allen Edelingen,
die nicht rechtzeitig zu den freien Bergstämmen entkommen
waren; auch von den Wehrhaften, die der lange Krieg etwa
verschont hatte, wurde der grösste Theil nach römischem Brauch
in die Sklaverei verkauft. Was sonst übrig blieb (erwähnt
werden dakische Reiter ausser Landes unter Hadrian, denen
erlaubt war, ihre einheimischen Schlachtrufe zu gebrauchen, Arr.
Tact. 44), verfiel in der zweiten Generation der Romanisierung.
Aus der römischen Dacia ist uns nicht eine einzige dakische
Gottheit, nicht ein einziger dakischer Personenname bekannt
geworden! Die ins Land gezogenen Colonen kamen vorwiegend
aus Kleinasien, Thracien, Macedonien, Dalmatien und Pannonien
— das dakische Element war ganz verdrängt, und Alles sprach
römisch. Die Namengebung der Ortschaften, Berge und Flüsse
lässt sich aber nicht so leicht verdrängen. Der Pinax des
Ptolemaeus, der uns die Dacia Traiana darstellt, zeigt uns
neben neuen römischen Castellanlagen eine Reihe offener Orte
(dava) aus der dakischen Zeit, sowie einige Reste der dakischen
Stämme: wenn wir nämlich aus den drei Reihen von , Völker
schaften*, welche Ptolemaeus verzeichnet, zuerst die nach Ort
schaften benannten herausnehmen (Burridavenses, Potulatenses,
Albocenses, Saldenses, Ratacenses, Sienses, Cotenses, Caucoenses),
ferner die fremden "Avapict und Tsuplcxoi, welche durch den Ein
bruch der Iazygen ins dakische Nordland waren verschlagen
worden, so bleiben nur noch drei Stämme übrig: Bfrjipot, KstcrfsiGci
und rh&psrfot. Die erstgenannten sassen nördlich vom Temesch-
fiuss am Westrand der Bergumwallung; die beiden anderen am
linken Donauufer östlich vom Altfluss; auf beiden Gebieten
fehlen römische Inschriften, die Namen selbst sind echt dakisch;
also haben sich hier am längsten dakische Volksreste erhalten.
Nach lÖOjährigem Bestände wurde die Provinz von den
Römern aufgegeben — zu mächtig erwies sich der Ansturm
der germanischen Völker, der Vandalen und Tervingen. Doch
gieng die Räumung in voller Ordnung vor sich, die Legionen
und Provinzialen wurden südlich von der Donau geborgen,
wo eine neue Dacia erstand. Doch darf eingeräumt werden,
dass nicht Alles über den Strom gezogen wurde, und dass ein
106
IV. Abhandlung: Tomascliek.
Theil der minderen Bevölkerung im Lande zurückblieb —
Krämer, Handwerker, Bauern und Hirten — ein Element, von
dem sich Reste der dakischen und römischen Namengebung
(z. B. Ampelum, slaw. Omplü, magy. Ompoly, Ompoy) auf die
späteren Insassen vererben konnte. Die Besitznahme der Dacia
durch die Germanen trägt mehr einen tumultuarischen, vorüber
gehenden Charakter; dauernder erwiesen sich die Spuren der
slawischen Besiedlung in allen Ortsnamen; dann folgt die
ungarische Einwanderung, die sächsische und zuletzt die wla-
chische. Jene inferioren römischen Ueberbleibsel haben sich
gegenüber der slawischen Einwanderung nicht halten können,
sowie im Laufe der Zeiten selbst das slawische Element ein-
gieng. Der römische Grundstock der wlachischen Dialekte
weist mit Nothwendigkeit auf eine südlich von der Donau ge
legene Heimstätte hin und auf den sermo rusticus, wie er sich
von 400 bis 600 in der illyrisch-thrakischen Diöcese ent
wickelt hat.
Ausserhalb der römischen Provinz Dacia gab es im kar-
patischen Waldgebirge neben den Bastarnen und Transiugitanen
(Amm. XVII 12; Transmontani, Ptol.) unabhängige Stämme
dakischer Abkunft, Aay.ol ol itpocsps'., oi ürcep vr ( v Aay.tav ßäpßapo’.
aÜTovop.o'.. Wir betrachten zuerst die westlichen Stämme, welche
von der oberen Theiss an bis zu den Quellen der Weichsel
sassen und in diese Sitze durch den Einbruch der Iazygen
waren verdrängt worden, gleich den ’AvapxoippolxToi, die wir
weit von den übrigen "Avaptoi an den Weichselquellen finden;
an diese schliessen sich die ’Apci^tat an, mit dem Orte ’Apaöviov;
lag auch noch Ss-u-oaua in ihrem Gebiete, so dürften wir die
Arsieten mit einigem Rechte für einen dakischen Stamm halten.
Sicher gilt dies von den Zaßor/.oi, deren dakische Herkunft durch
das Element -ßwy.o 1 . (vgl. Koirco-ßonto'.) erwiesen wird. Sie werden
als Theilnehmer am Markomannenkrieg erwähnt (Iul. Capitolinus,
M. Aur. 22, 1: Bessi, Cobotes, d. i., nach Müllenlioff, SABOCES).
Weiter ostwärts sassen die Ihs-ppTat, vielleicht Anwohner irgend
eines, Pienga genannten, Flusses. Südlich von beiden, mitten im
Karpates, verzeichnet der Pinax Btsccot, deren Name eine dem
dakischen Dialekt entsprechende Nebenform von ßtjcco’ — jenem
grossen thrakischen Centralvolke — darstellt; wie erwähnt,
werden sie im Markomannenkriege neben den Saboken erwähnt,
Die alten Thraker. I.
107
und zwar in der classischen Form BESSI. Safarik und Lelewel
haben auf diese dakischen Bessen den Namen des Ortes Besko
und des Bergzuges der Beskyden zurückführen wollen, was
natürlich sehr unsicher ist; sie sassen jedenfalls südlich vom
Dukla-Passe, dem Einfallsthore der vandalischen Stämme, und
östlich von den germanischen Boupoi, den Nachbaren der Iazygen;
diese Buren treten schon unter Dekebalos als Verbündete der
Daken auf.
Unmittelbar an der Nordgrenze der Provinz Dacia sassen,
neben Anarten und Teuriskern, dakische KocToßwy.ot; an diese
schlossen sich die Bastarnen vom Tyras und weiter südlich die
Karpen an. Die von Ptolemaeus vermerkten Orte Kapai-Saua
und KXv;m-8a6a dürfen wohl für kostobokische Ansiedelungen
gelten. Das Element zogto- (mit den Varianten yoicno, xwto-)
wird uns auch in der thrakischen Nomenclatur begegnen;
-ßiSy.oi, sonst nur in Sa-ßöjyoi erhalten, erinnert an gael. bocc(ot)
,Buckel' (z. B. am Schilde) und an slaw. bokü ,Seite, Bergab
hang'. Ein dakischer Provinziale (Ephem. epigr. V n° 496)
erhielt das Cognomen COSTOBOCUS, ,quod inter Costobocos
nutritus sit'. Es gibt sogar Münzen dieses Volkes (Eckliel, DN.
VI 330). COSTOBOCI erscheinen in der Reihe der Völker,
welche sich zur Zeit des markomannischen Krieges an den
römischen Grenzen drohend erhoben hatten (Capitol., M. Aur. 22),
neben den Bastarnen; in der That finden wir die traianische
Provinz unter dem tapferen Statthalter M. Claudius Fronto
(ca. 170) von den Barbaren ernstlich bedroht; unter seinem
Nachfolger Cornelius Clemens fielen die vandalischen Azdingen
mit aller Macht über die Kostoboken her (Cass. Dio LXXI 12):
vr ( v ToW KoGToußwzwv yupav xoi§ CTcXot? xTrjaöfAsvoc, vocjaavts«; Sä eyei'vou?.
y.ai T-qv Aavu'av oüoäv -^ttov eXütouv. Dieser dakische Stamm gerieth
also damals unter die Herrschaft der Vandalen; grosse Schaaren
zogen es jedoch vor, Reissaus zu nehmen, den Durchzug durch
Dacien und Moesien zu erkämpfen und in Raubbanden auf
gelöst nach Macedonien vorzudringen. Eine stadtrömische In
schrift (Arch.-epigr. Mitth. 1890 XHI 189) nennt einen L. Iulius
Vehilius Gratus Iulianus, der als praep. vexillationis per Achaiam
et Macedoniam ,adversus CASTABOCAS' kämpfte. Eine Raub
schaar drang bis Phokis vor, wo sie Mnesibulos aufrieb (165),
wie Pausanias (X 34, 5 vgl. Suid. atjoral) berichtet: tö ok
108
IY. Abhandlung: Tomaschek.
KoTtoßw'/wv Ttov IvYjffTiy.wv to v.y~' £[J.£ TYjV 'EXXaoa eittSpan'ov äcäy.sTo
y.ai ein tyjv ’EXofretav. In die Zeit des Kaisers Pius oder auch
des M. Aurelius fällt wolil jener PIEPORUS REX COISSTO-
BOCENSIS, dessen Enkel Natoporus und Drilgisa zu Rom ihrer
Grossmutter Ziai's, Tochter des dakischen Magnaten Tiatus,
einen Inschriftstein setzten (C. I. VI n° 1801); diese Enkel
waren wohl als Geiseln nach Rom gekommen, und Pieporus
(vgl. Ilte—qp^tyot und die thrak. Eigennamen auf -poris) war ent
weder ein Grenzfeind oder ein unzuverlässiger Bundesgenosse
der Römer gewesen. Noch später hat x\ntonius Caracalla den
freien Daken Geiseln abgenüthigt; sie wollten unter Macrinus
(208) in die Provinz einfallcn, standen jedoch davon ah, als sie
die Geiseln zurückerhielten (Cass. Dio LXXVIII 27). Die
Kostobolcen verschwinden seit dem Einbruch der Vandalen
völlig von der Bildfläche.
DAC(i) • PETOPORIANI werden in der Tab. Peut. an
der Grenze von Dacien neben den Bastarnen vermerkt: es
waren wohl Kostobolcen oder auch Karpen, welche zur Zeit der
Antoninen unter einem Fürsten, Namens PETO-PORUS (vgl.
Pie-porus) standen — ob als Grenzfeinde, ob als Verbündete
Roms, lässt sich nicht entscheiden. Die Tabula verzeichnet
ferner neben DAGAE oder den freien Daken über den Donau
mündungen PITI-GETAE (GR. Geto-Githi): es sind vielleicht
,picti Getae‘ d. h. Daken, welche ihren Leib bemalen (vgl.
Plin. XXII 2: apud Dacos mares quoque Corpora inscribunt;
Vn 50).
Kapxo-Scbwci erwähnt Zosimus IV 34 (a. 380) als Bundes
genossen der Hunnen und germanischen Skiren; diese mit
if/.s'. zusammengesetzte Form erweist den innigen Zusammen
hang der Käpxot mit der dakischen und thrakischen Nation
(vgl. Kap7io6Satp.ov, Ort im Haemus; und Ky.p-y.-qc epop). Als
KaXXmirfSat — mit gemächlich gedehnter skythischer Aussprache
— treten sie schon bei Herodot (IV 17) in der Nähe von Olbia
auf: gitov v.a\ reeipouGt '/.cd ciTeovTat, y.ac ypopp.ua y.ai cy.opooa y.ai <pay.oui;
y.a ! . y.rp/pou:; unter dem Einfluss der Städter hatten sie sich in
"EXXvs? Sy.üOa: verwandelt. In der echteren Grundform KapwSat
verzeichnet sie Scymnus 841 als Barbaren zwischen den Donau
mündungen und den X/.uOat apoiyjpsc. Westwärts mochten sie
sich an den Seret (TiapavTop, 'Iepacop, byz. Säpaxop, SEpsrop) an-
Die alten Thraker. I.
109
lehnen: in dieser Lage kennt Ptolemaeus das Volk der ''A.pwoi,
d. i. eine dialektische Nebenform von Kapxioi, mit dem Vororte
"Apia? über dem Sumpfe ÖtayoXa und den peukinisch-keltischen
ßpixoXavat; zahlreiche Ortschaften auf -dava entlang dem Seret
erweisen die dakische Herkunft der Harpier, so wie der weiter
nordwärts aus einem römischen Bericht eingesetzten Kap-iavoi.
Diese Karpianen mögen an der Quelle des Prut den Kostoboken
die Hand gereicht haben. Seit dem Markomannenkriege traten
auch die CAEPI als Grenzfeinde auf; sie verbreiteten hei ihren
Einfällen in den limes Dacicus Schrecken und Flucht; gar
mancher Provinziale mochte, wenn er ihren Händen entgieng,
den Göttern danken (vgl. C. I. III n° 1054 ,a Carpis liberatus,
pro salute sua et suorunb). Von den Donaumündungen her
fielen sie meist in das benachbarte Moesien ein. Unter Maximus
und Balbinus (237/38) begann der gotliisehe Krieg mit der Ein
nahme von Histropolis durch die Barbaren; schon damals wurde
,a Carpis contra Moesos‘ gekämpft (Capitol., 16); Dexippus schil
derte weitläufig, oi Kapsel v.%\ Ta sxepa ßapßapa sOvyj rapa!;av (Euagr.
Hist. eccl. V 24). Unter Gordianus III. war in Moesien Statthalter
Tullius Menophilus (240—242, Priscus fr. 8); da der Kaiser
den Gothen Jahrgelder bewilligt hatte, forderten solche auch
die Karpen: vjp.sic pap -/.peiTTOve? xeov IgtOwv eap.sv — ohne jedoch
etwas zu erreichen. Sie verbanden sich, 3000 Mann stark, mit
den Schaaren der Ostrogotka; Iordanes (Get. 16) schildert die
Carpi als ,genus hominum ad bclla nimis expeditum, qui saepe
fuere Romanis infestih Kaiser Philippus schlug jedoch (245)
ihre Angriffe zurück (Zosimus I 20: aüxoc exi Ivdpxsup ij8r, xä wöpi
xbv ’Ocxpov /cr/icap.svous scxpäxsuce). Die nördlichsten Castelle von
Dacia waren damals schon aufgegeben. Unter Deeius wurde
zwar Dacien noch gut vertkeidigt; aber Moesien und das Haemus
gebiet wurde von den Gotlienschaaren des Cniva, denen sich
wiederum Karpen angcschlossen hatten, verheert; im Kampfe
mit diesen fiel Deeius bei Abryttus. Unter Gallus und Gallienus
wurden die politischen und ägäisehen Gestade von germanischen
Piraten beunruhigt; die Haemusprovinzen litten durch die Ein
fälle der Gothen und Karpen; die Provinz Dacia gieng ver
loren (257). Der tüchtige Kaiser Claudius regierte zu kurz,
als dass seine Heeresreform Dacien hätte retten können. Da
selbst alle Ilaemusländer von den Barbaren durchzogen und
WW——BWMBBa
IV. Abhandlung: Tomascliclc.
verwüstet wurden, gab Aurelian diese Provinz endgiltig auf
(271); als er aus dem Orient zurückkehrte (274), schlug er in
Tliracien die Gothen, Karpen und Sarmaten; unter seinen
Titeln begegnet daher auch Carpicus — er selbst pflegte gering
schätzig Carpisculus zu sagen. Unter Diocletianus und Galerius
(ca. 295) wurden die Sarmaten, die Karpen und die Bastarnen
in zahlreichen Schlachten geschlagen und bedeutende Beste
dieser Völker in den Donauprovinzen, Pannonien und Moesien,
angesiedelt (vgl. Aur. Vict. Caes. 34: Carporum natio translata
omnis in nostrum solum). Wir sehen also, dass selbst das nörd
lichste Grenzvolk des trajanischen Daciens, die Bastarnen, aus
dem solum Barbaricum vertrieben, in der Romania Aufnahme fand;
und da soll eine die römische Cultur ruhig weiter fortpflanzende
Masse römischer Provinzialen im Karpatenland sich weit über
die Zeit der Völkerwanderung hinaus erhalten haben? Alle in
die Romania aufgenommenen Nationen verwandelten sich bald
in lateinisch sprechende Provinzialen; so auch die Karpen und
Bastarnen. Ein Römer karpischer Abkunft war der in Sopianae
geborene Staatsmann Maximinus (Amin. Marc. XXVII 1, 5:
ortus a posteritate Carporum, quos antiquis excitos sedibus
Diocletianus transtulerat in Pannoniam). Als Valens (376) an
der unteren Donau gegen die Gothen kämpfte, lagerte er ,prope
Carporum vicumf am moesisehen Ufer (id. XXVIII 5, 5). Jene
Kbtpxo8a-/.ai, welche noch unter Theodosius I. als Genossen der
Hurmobulgaren und Skiren auftreten, werden bald unter diesen
Völkern verschwunden sein. Was die Bastarnen betrifft, so
finden wir ihre letzten Spuren im Haemus: hier führt noch
Prokop ein moesisches, im Gebiet von Nikopolis gelegenes
Castell ßactepvat an; ein zweites Castell BaatEpvai gab es noch in
spätbyzantinischer Zeit zwischen Beroe und Lardea an der Beuge
der Tundza. Mit den Karpen ist der Kreis der thrakischen Kar
patenvölker geschlossen; Alles, was mit dem Namen der römi
schen Provinz Dacia zusammenhängt, die barbarischen Stämme
sowohl wie die römischen Provinzialen, hatte südlich von der
Donau, in der Dacia des Aurelianus und im Haemus, eine neue
Heimstätte gefunden; hier hat sich auch die ostromanische oder
,wlachische‘ Nation herausgebildet. An dieser Bildung haben die
verschiedensten Völker und Stämme tkeilgenommen; der älteste
Grundstock jedoch gehört unstreitig der thrakischen Nation an.
Dio alten Thraker. I.
111
Damit Nichts fehle, sei hier noch an den Ursprung des
Namens ,Wlache* erinnert. Die galatisclien VOLCAE (vgl.
gael. folc ,celer, alacer*), welche entlang dem hercynischen und
karpatischen Bergzuge 1 Nachbaren der Germanen geworden
waren und von diesen Valkos genannt wurden, standen den
germanischen Stämmen als ein fremdes und anderssprachiges
Volk entgegen; da schliesslich alle völkischen Stämme der Ro-
manisierung anheimfielen, erhielt jene Bezeichnung den Begriff
,Romanen*. Name und Begriff fanden im Slawischen Eingang:
dieses bezeichnet mit Vlahti (pl. Vlatsi) jeden ,Welschen*, vor
allem jedoch den Ostromanen; der Nebenbegriff ,Wanderhirte*
ergibt sich aus der Thatsache, dass der Ostromane im Mittel-
alter vorzugsweise als Viehzüchter und Wanderliirtc auftrat.
Sowohl jene Hirten, welche von der unteren Donau seit dem
11. und 12. Jahrhundert in das Karpatenland einwanderten,
als auch jene, welche im späteren Mittelalter dem Zuge des
Karpat folgend bis nach Mähren kamen, wurden Wlachen
genannt.
IV. Allgemeines über die Thraken.
Das Volk der Thraken hatte seine Heimat in der kühlen
Hochregion des karpatischen Bergzuges, auf dessen Halden es
der Viehzucht oblag. In der thrakischen Namengebung spielt,
wie sich zeigen wird, ähnlich wie bei den Ariern und Griechen
das Ross eine hervorragende Rolle; die Jagd zu Ross bildete
das Hauptvergnügen des Nordländers. Als lange nach dem
Abzüge der arischen Nachbaren die Thraken als Eroberer über
den Haemusgürtel hinabstiegen, fanden sie da in den moesisclien
und plirygischen Stämmen leiblich und sprachlich verwandte
Ursassen vor, die sie theils bewältigten, theils bei Seite schoben
und zur ägäischen Küste drängten; der Thrakenname — un
gewiss, wie zu deuten — wurde vom Bosporus bis zum Strymon
allherrschend; selbst die ,hohe* Samos erhielt den Beinamen
0prji'x£v), und der nördliche Theil des ägäischen Beckens hiess
1 Beachtung verdient eine von B. Much (in Siever’s Beiträgen z. Gesch.
d. d. Spr. XVII. Bd., S. 12) vorgebrachte Ansicht, wonach die Wohn
sitze der Volken auf das Marchland beschränkt und völkische Händler
die Träger des Handelsverkehrs zwischen Süd und Nord waren — daher
die allgemeine Bekanntschaft ihres Namens bei den Deutschen.
112
IY. Abhandlung: Tomaschek.
fortan ©prjtwoc sotoc, xb tcsXayoq xb ©prpxtov, Gpay.i'a .OäXaaca.
Sogar als Piraten mögen die Thraken einst aufgetreten sein;
an Scliiffsbauholz war ihr Bergland reich, und es wird von
einer ,thrakischen Thalassokratie' gesprochen, wie von Piraten
zügen nach Naxos. Aber den Seevölkern des Südens waren
hierin die thrakischen Nomaden doch nicht gewachsen, und in
historischer Zeit blieb die Thätigkeit derselben durchaus auf
das Festland beschränkt. Während die Eroberer als Vieh
züchter, Jäger und Krieger in der Cultur eine primitive Stufe
einnahmen — die Geschichte bietet Beispiele genug von No-
madenstämmen, welche höher stehende Völker überfluthet
haben —, standen die Untergebenen theils infolge eigener
Thätigkeit auf dem milderen und culturfreundlicheren Boden,
theils infolge inniger Berührungen mit der vom Orient stark
beeinflussten lelegisch-pelasgischen Völkerwelt, bereits auf einer
relativ höher entwickelten Stufe; man kann sagen: Boden-
wirthschaft, Bergbau, Handwerk und Verkehr lagen in den
Händen der älteren Landesbewohner. Der Gegensatz zwischen
den beiden Bevölkerungsschichten Thrakes spricht sich am
deutlichsten in den mythologischen Gebilden aus: während die
ägäischen Küstenstämme mit ihren orgiastischen Culten sich
innig an die nach Kleinasien ausgewanderten Brudersippen an-
schliessen, zeigt die Sagenwelt der Thraken grössere Verwandt
schaft mit jener der nordischen Völker, namentlich der Ger
manen; doch lässt sich eine endliche Ausgleichung auch auf
diesem Gebiete an der Geschichte des dionysischen Cultes ver
folgen, wobei sich die Thraken als der empfangende Theil
zeigen.
Vielen Forschern, zumal W. Helbig (Das homerische Epos
aus den Denkmälern erläutert, 1884, S. 4 ff), war es aufgefallen,
dass das Epos die Thraken in Hinsicht auf Bewaffnung und
materielle Cultur als den Achaiern ebenbürtig behandelt. Wie
die Achaier, so kämpfen die ,thrakischen' Bundesgenossen der
Troer auf Streitwagen, sie tragen die gleiche eherne und reich
verzierte Rüstung, die gleichen Helme, sowie lange auf Hieb
und Stich berechnete Schwerter; selbst von einem herrlichen
thrakischen Becher ist die Rede; von der musischen Begabung
legt der Thrake Thamyras Zeugniss ab. Die Phoeniker hatten
einst die Metallschätze des Pangaios und von Thasos aus-
— —T’Wt'm ru T—fr tflni
Die alten Thraker I.' 113
gebeutet; vielleicht gieng ihre Metalltechnik auf die Thraken über,
und konnten phoenikisclie Fabrikate als thrakische in Umlauf
kommen; zwischen der thrakischen Küste und den klein
asiatischen Griechenstiidten fand bereits im homerischen Zeit
alter ein reger Verkehr statt. Unmöglich konnten daher die
Sänger die Zustände der wohlbekannten Thraken dichterisch
idealisirt haben! Wie verschieden von diesem älteren Cultur-
stande zeigen sich später die ökonomischen Zustände und die
Gesittung der rohen, der Trunksucht völlig ergebenen thrakischen
Stämme! Offenbar war, meint Helbig (S. 9), die alte ,thrakische'
Cultur eine ,kurzlebige Treibhauspflanze* gewesen, welche die
orientalische Civilisation der Phoeniker, die bloss friedlichen
Tauschhandel getrieben hatten, ins Leben rief; dieses Gewächs
wurde aber in seiner Entwicklung gehemmt, als die Phoeniker
ausblieben, und erstickt von der aufschiessenden Macht der
Griechen, welche auf der thrakischen Küste Ackerbaucolonien
gründeten und unter Kämpfen stetig an Boden gewannen. So
verfielen die Thraken wiederum in einen barbarischen Zustand,
ähnlich wie die Irländer, die einst Culturträger waren, später
aber zu Heloten herabsanken. Wir müssen von unserem Stand
punkt aus Folgendes bemerken. Die Cultur der binnenländischen
Thraken war sich vom Anbeginn bis in die hellenistische Zeit
gleich geblieben; sie trug stets den Charakter der Rohheit der
altindogermanischen Zustände; nur der kriegerische Sinn und
die kräftige Physis zeichneten den echten Thraken allezeit aus
und befähigten ihn zur Rolle eines Eroberers. Der höhere
Stand der Civilisation der homerischen Thraken gilt einzig und
allein für die höher gesitteten Küstenstämme phrygischer Ab
kunft; es war eben die höhere geistige Begabung und der'
bessere Culturstand, was diese Stämme schliesslich dem
Hellenismus zuführte, der hier nicht bloss eine auflösende,
sondern auch eine befruchtende Thätigkeit entfaltet hat.
Der Thrake blieb allezeit angestrengter schaffender Thätig
keit abhold; seine Losung war der Krieg, seine Lust die Jagd,
seine Sorge das Ross; Bodenanbau, Gewerbe und niedere Han-
thierungen überliess er den Untergebenen; für edelgeboren
(yvifaioi, tlirak. SJßuOiosi;) galten ihm nur die Söhne des Mars,
das Handwerk verachtete er (Hdt. II 167); oder, wie Herodot
an anderer Stelle (V 6) sich ausdrückt, ,sein Liebstes ist, von
Sitzungsber. d. phil.-liist. CI. CXXVIII. Bd. 4. Abh. 8
114
IV. Abhandlung: Tomascliek.
Krieg und Raub leben; nichts zu arbeiten gilt ihm für hoch
anständig, Feld bauen für ehrlos (apyöv elvat xdXAiotov, y^c Ss
spYctTYjv ärtp.6-:a-ov) < — hierin glich er also dem Bastarnen, auch
wohl dem kriegerischen Germanen. Auf Ausbeutung der Unter
gebenen beruhte das Wesen der odrysischen Fürsten; offenherzig
gestand Seuthes: ,Icli lebe von dem, was ich mit meinem Kriegs
volk auf dem mir vom Vater hinterlassenen Gebiete erbeute/
Dass voreinst auf dem Boden Thrakes grosse innere Reibungen
stattgefunden haben, Verschiebungen von Stämmen, ja völlige
Vernichtungskämpfe — das bezeugen die wiederholten Auszüge
von Stämmen und Völkern nach dem kleinasiatischen Süden.
Auf dem Tummelplatz des Ares gab es keine Einigkeit der
Völker; wo sich Staatswesen bildeten, wie bei den Odrysen und
Daken, wurden sie mit Gewalt zusammengehalten, und sie haben
niemals die ganze Nation umfasst. Und doch wurde die Grösse
und Ausdehnung dieser Nation gefühlt und erkannt: Manchem
erschien Thrake als eigener Erdtheil neben Europa, als ein
Viertel der Erde; Herodot (V 3) gibt seine Meinung folgender-
massen kund: ,Das Volk der Thraken ist nach den Indiern
unter allen Völkern das grösste; wenn es■ zusammenhielte oder
einen Herrn hätte, so wäre es unbekämpfbar und bei weitem
das mächtigste — aber, weil es ihnen dahin zu kommen un
möglich ist, so sind sie demgemäss auch schwach. Ihre Bräuche
sind aber so ziemlich dieselben, obwohl sie in eine grosse
Anzahl von Stämmen zerfallen/ Aehnlicli spricht sich Pau-
sanias aus (19,5): ,Die Thraken zusammengenommen sind das
zahlreichste aller Völker, mit Ausnahme der Kelten, wenn man
sie als Nation den anderen Nationen gegenüberstellt; deshalb
hat wohl vor den Römern Niemand die gesammten Thraken
unterworfen; den Römern aber ist jetzt ganz Thrake unterthan/
Die Odrysen hatten unter Sitalkas ein Heer von 150.000 Mann
aufgestellt, davon ein Drittel Reiter (Tliuc. II 98); die Daken
unter Boirebistas stellten eine Armee von 200.000 Mann auf.
Nach Strabo bestand das Thrakenland südlich von der Donau
aus 22 Völkerschaften und vermochte, wenngleich ausser
ordentlich erschöpft, 200.000 Fassgänger und 15.000 Reiter zu
stellen. Auch Plinius rechnet die Thraken ,inter validissimas
Europae gentes‘ und spricht von 50 Strategien oder Volks
bezirken.
Die alten Thraker. T.
115
Unbestritten blieb allezeit der kriegerische Sinn der
Thraken und ihre Verwendbarkeit zum Heeresdienst. Die Dier
der Rhodope fochten in geschlossenen Reihen und wussten sich'
bei Reiterangriffen regelrecht zu vertheidigen; von den Skythen
sollen die nördlichen Thraken (Geten) die keilförmige Schlacht
ordnung gelernt haben (Arr. Tact. 16, 6). Tlxrakische Söldner
kämpften in den Heeren der Epigonen: und wie stark die
Römer die Thrakcnstämme, zumal die Bessen, zum Legionen
dienst herangezogen haben, davon legen die Inschriftsteine in
allen Reichsprovinzen Zeugniss ab. In einer Beschreibung des
römischen Reiches heisst es: Thracia provincia, dives in fructi
bus et maximos habens viros et fortes in bello, propter quod
et frequentes in de milites tolluntur. Noch Kaiser Justinian er
geht sich darüber in rühmenden Worten (Nov. 26 a. 535):
sv.sivo xwv ävwf/oXo-pqpivtov ecxiv, oxi ‘Txsp s” Ti? xr ( v 0pay.wv ovojjukjsie
ywpav, £Ü0u? suveicepyexai xw Xc-p<> xic avopsta? v.y.\ axpaxtwxaou
uX^Oou? y.ai TroXegwv xat p.dyrjt; evvoia. Wir fügen hier eine pane
gyrische Schilderung des thrakischen Lebens aus dem Gedichte
des Sidonius an den Thraken Anthemius an: Rhodopam quae
portat et Haemum, | Thräcum terra tua est, lieroum fertilis ora.
| excipit hie natos glacies et matris ab alvo | artus infantum
molles nix civica durat; | pectore vix alitur quisquam, sed ab
ubere traetus [ plus potat per vulnus equum: sic laete relicto |
virtutem gens tota tibit; erevore parumper, | mox pugnam ludunt
iaculis; hos suggerit illis | nutrix plaga iocos; pucri venatibus
apti | lustra feris vacuant; rapto ditata iuventus | iura colit
gladii; cosunimatamque senectam | non ferro finire pudet: tali
ordine vitae | cives Martis agunt! — Wir wollen uns dieses
Leben etwas näher betrachten.
Die griechischen Aerzte und Bhysiognomiker reihen die
Thraken in Bezug auf Haut und Haar den nordischen Völkern,
Skythen und Kelten, an. Die Nordvölker gelten seit Aristoteles
für p.aXay.s-, süOü-, Xetcxo- und Ttuppö-xptye?; bei Dichtern finden
wir auch die Praedicate ?«v8o(, flavi; so heissen z. B. die bi-
stonisclicn Frauen AP. VII 10 i;avOod, die getischen Coralli bei
Ov. ex. Ponto IV 2, 37 flavi. Was die Haartracht betrifft, so
kämmten die Thraken ihr langes Haar nach rückwärts und
banden es entweder am Scheitel zu einem Schopfe zusammen
oder Hessen den Haarbusch herabwallen; ohne alle Ordnung
8*
116
IV. Abhandlung: Tomaschek.
Hessen die Geten ihr struppiges Haar hängen. Auf der Bühne
erschienen die Thraken als a.7.pov.ä\j.cu (Pollux II 28) und auyjj.^pc-
y.o\jm (Anaxandrides ap. Athen. IV p. 131); in dieser Tracht
erscheinen bereits die homerischen Abanten auf Euboia, was
die Alten seit Aristoteles veranlasst haben mag, in ihnen ein
thrakisches Volk zu erblicken, St« t'o y.op.äv w ootoGev tm 0pay.!w
vop.w (Eust. ad Dion. per. 520). — Was die Haut betrifft, so
schreibt Galenus (I p. 627) den Kelten und Germanen v-a\ Tiavtöj
Gpay.üo ts y.al Sy.uÖaü yevsi (jwyp'ov y.ai uypbv ts Sspp.a y.a't Sia touto
Ij.aXay.6v ts y.a't Xeuy.bv ya't tlnXov xpr/wv zu; ihre Haut neigt zum
Fettansatz, als mjAsXwSet? erscheinen nicht bloss alle Kelten und
die kleinasiatischen Galater, sondern auch 0pax.ei; y.ai BiQuvo!
(XI p. 513). Als Gegensatz zu den dunkelhäutigen Aethiopen
stellte die lichtgefärbten Thraken bereits Xenopkanes hin, als
er darauf hin wies, dass jedes Volk seine Götter nach seiner
eigenen Leibesbeschaffenheit sich bilde, AiOtoTcec; ts |j.sXav^c ctp.oup
ts, 0pay„E<; xe wuppouq y.ai yXauy.oi? (Giern. Alex. Strom. VII p. 302
Sylb., Theodoret. III p. 519) — wobei mppoq sowohl auf die
rütliliche Hautfarbe wie auf das rötbliche Haar bezogen werden
darf. Ebenso wirft Iul. Firmicus I 1 die Frage auf: cur omnes
in Aethiopia nigri, in Tkracia rubri procreantur? Die Griechen
nahmen eine Mittelstellung ein, der nordländische Typus war
bei ihnen bereits stark verwischt. Auf die Schädelform haben
die Alten bekanntlich noch nicht Rücksicht genommen; den
heutigen Ostromanen ist im Durchschnitt die Mittelform, der
mesokephale Typus, eigen; die Armenier sind brachykephal,
wie alle Kleinasiaten, was als Folge einer langandauernden und
durchgreifenden Mischung mit dem Aboriginerelemente betrachtet
werden darf. Ueber die Schädelform der Thraken werden wir
erst urtheilen können, wenn sich einmal in einem Tumulus so
matische Ueberreste voriinden werden.
Der uralte barbarische Brauch, die Haut mit Farben zu
ätzen, war den meisten thrakischen Stämmen eigen, etwa bis
in die römische Zeit hinein, wo die Nachrichten hierüber fast
aufhören. Ihm huldigten im thrakischen Stammland die Aga-
thyrsen. Mela berichtet: Agathyrsi ora artusque pingunt, ut
quisque maioribus praestat, ita magis aut minus, ceterum iisdem
omnes notis et sic, ut ablui nequeant; ebenso Amm. Marc.
XXII 8, 30: interstincti colore caeruleo corpora simul et crines,
IBP?
Die alten Thraker. I. 117
et humiles quidem minutis atque raris, nobiles vero latis fucatis
et densioribus notis. Sie heissen darum bei Verg. Aen. IV 146
picti (vgl. TP. PITI • G-ETAE), was von den Erklärern meist auf
das Haar bezogen wird: cyanea coma placentes (Serv.), caeru-
leo capillo Agathyrsi (Plin.), caeruleo picti colore, fucatis in
caeruleum crinibus (Solin.). Die angeborene Blondheit des
Haares scheint, weil im Volke allgemein verbreitet, für gemein
und unedel gegolten zu haben; die Edelinge färbten sich darum
ihr Haar stahlblau. Die Leibesbemalung gieng auf die Daken
über: apud Dacos mares quoque corpora inscribunt (Plin. XXII2);
quarto partu Dacorum originis nota in bracchio redditur (VII
50). Noch im vorigen Jahrhunderte wusste der Türke Hadzi-
Chalfa (Sitzungsber. d. kais. Akad. XL S. 570), dass die Woj-
woden der Moldau ihren Söhnen eine eigene .Marke einätzen
Hessen, um sie als ,Herrensöhne' (bej-zäde) für immer kenntlich
zu machen. — Callistratus (ap. Athen. XII p. 524) hat will
kürlich pragmatisiert, wenn er die Tätowierung der Thrakerinnen
als einen von den Skythen ausgehenden Brauch hinstellt, der
für ein Zeichen der Knechtschaft gegolten habe und erst später
zu einem '/.6c;j.oq geworden sei. Allerdings waren die aus den
pontischen Colonien bezogenen getischen Sklaven tätowiert, weil
auch Kinder von Edelingen in die Sklaverei verkauft wurden;
die Tätowierung aber galt als ein Vorrecht des Adels. So lassen
sich die Nachrichten vereinigen: iav£ovxo xapd toi? 0pa<;:v ot euyeveR
xatSsi;, xapd 33 xoR lexan; ol ooüXoi (Artemidorus Onirocr. I 9);
ol xapd xw ”Icxpw otxoOvTe; Gxi^ovxa: (Hesych. v. ’laxpiava p.exwxa);
vor allem gilt aber Herodot’s Zeugniss (V 6): xo p.ev eoxr/Oa:
e'ü'fsvkq zezpixat, xe ol abxtzxov ec. Vornehmlich die Weiber
liebten das Bemaltsein, wie der Rhetor Dio Chrysostomus angibt:
Iwpaza$ oov ev 0pazy; xap yuvalx«? xd? eXeuSepa? oTiyp-äxtov p.eazxg za:
xogoüxw xXetova l'yovxa? cxi’Yp.axa za: xotztXwxepa, oow av ßeXxioo? za:
3z ßeXxiovwv Sozouai; Nach Phanokles soll die Zerreissung des
Orpheus durch thrakische Bakchantinnen die Thraken veran
lasst haben, dass sie äq aXoyoog eaxi^ov, :v’ ev yjpoi crfjp.ax’
l'youoa: | zudvea aroyspou p.vj XeXdOsivxo cpovou. Das ox’Ceiv geschah,
wie Callistratus angibt, mit Nadeln: imiziXXov xd uwp.axa, xepbvai?
'(pv/fri-i evewat; nach dem Epigramm der AP. VII 10 haben die
bistonischen Frauen den Tod des Orpheus beweint und aus
Leid sich die Arme tätowiert, indem sie durch die Haut Nadeln
118
IY. Abhandlung: Toraasclielc.
zogen, deren Fäden mit Russ imprägniert waren: gtixtou? o’
YjgdljovTO ßpa^tovac, äpjjitp.EkatVY) | §£u6p,£vat gxoSw) ©prjbuov xXöxap.ov.
So ätzen sich noch jetzt die Weiher der Tungusen die Haut
ihrer Stirne, ihrer Wangen, des Kinns und der Arme mit Russ.
Die Kleidung bestand vorwiegend aus grobem Hanfzeug
und darüber geworfenen Fellen. Der Hanfanbau wurde sehr
gepflegt, und y.dvvaßi; scheint ursprünglich ein thrakisches Wort
gewesen zu sein (s. d. Glossen); Herodot berichtet (IV 74 vgl.
Hesych.): ex zawäßio? 0pvpy.sc p.ev v.al Eip.axa xotEuvxai, xotot Xiveotcri
öp-oiotaxa etc. Diese feineren Hanfzeuge, mit Hilfe eines primi
tiven Webstuhles gewoben, wurden mit Pflanzenfarben allerart
bunt gefärbt oder mit bunter Stickerei ausgenäht: ot ©poocs;
mmXcac, egOr^eai -/pwvTce. (Hesych.); die lang herabwallenden
ßaeedpat der Bakchen waren bunt, nicht selten auch mit kleinen
Goldflinsen belegt — solche Gewänder tragen in antiken Dar
stellungen Orpheus, Thämyris und Dionysos selbst; es waren
Fabrikate der Südstämme, zumal der Edonen, ’HSwvi Ip.dxia.
Witzig sagte Aeschylus vom bunten Wiedehopf, er habe einen
thrakischen Waffenrock an. In missduftende Schafpelze waren
die nördlicheren Thraken, z. B. die Bessen und Geten, gehüllt;
sie heissen darum pelliti. Langärmelige Kittel tragen die Daken
auf den Standbildern, ebenso weite Hosen, laxae braccae, gleich
den Geten. Der Filzhut gehörte zur Tracht der dakischen
Priester und Edelinge (s. d. Glosse tarabostei, xiAocpopoi). Den
Fuss schützten Ledersandalen oder dicke Filzsohlen, sp.ßaSs; •
suTske? p.sv t'o moor^.a, 0pcatov os x'o EÜpvjp.a, xvjv ob iSeav y.oOöpvoti;
xavxEivoi? lor/.ev (Pollux II 85). Entsprechend dem kühleren Klima
und den rauhen Temperatursprüngen kleidete man sich warm,
selbst in Bithynien. Xenophon sagt: ,Die Thraken hüllen um
Kopf und Ohren Fuchspelze; ihre Leibröcke bedecken auch die
Schenkel; der Kälte wegen tragen sie zu Pferde statt kurzer
Wämse Reitermäntel (i^ipck), welche bis auf die Füsse herab
reichen/ Schon Herodot beschreibt uns die Tracht der bithy-
nischen Thraken im Heere des Xerxes (VII 75): exi p.sv xvjGi
•/.Efakvjd akuxEZEa? =-/ovxec EaxpaxEÜovxo, xspi oe xb o<5p.« y.’GäWac, sxi Se
i^sipä? x£pißsßkv)p.£Vot xo’.y.iXa?, X£pl os xobi; rcooa; xe vm xa? vivvjjJ.a?
xbbika vsßpwv (vgl. die Glossen sß^vof und £sipd). Weit leichter
war die Sommertracht der dakischen Krieger: ein gegürtetes
Wams mit einem über die Schulter geworfenen Mantel, den
Dio alten Thraker. I.
119
eine Fibel festhält. Erinnert sei noch an den ständigen Typus
des thrakischen Reiters und Jägers in Wams, flatternder Chlamys,
Pelzmütze und Ledersclmhcn, den Jagdspiess in der Rechten,
den Pferdezügel in der Linken, und den Ilund hinterher.
In der Bewaffnung waren, wie bereits erwähnt, schon zu
Homer’s Zeiten die Thraken den Achaicrn ebenbürtig; schon
damals stand das thrakische Schwert (;i'?os II. XXIII 808,
©dsyavov XIII 577) in gutem Rufe. Sollen die Pliöniker den
Thraken alle Waffenstücke geliefert haben? Dürfen wir nicht
vielmehr an Erzeugnisse einheimischer Schmiede denken? In
der plirygischen Sage treten die metallurgischen Daktylen KAAp.i;
oder 2y.£A|j.tc (,Schürfer, Gräber'), Aap.vap.sve6; (,Bläser') und
"Axp.cov (,Ambos' aus Kiesel, dann aus Stahl) nebst AsXkaq (dem
,Spalter, Schmelzer') bedeutungsvoll hervor, und die Anfänge
der Erzbearbeitung wird die plirygische Nation schon in ihrer
erzreichen europäischen Heimat sich eigen gemacht haben; von
den thrakischen Stämmen haben namentlich die Bessen Erze
aller Art zutage gefördert und verarbeitet; so konnten denn noch
zu Thukydides’ Zeit die Dier der Rhodope als p.a/aipocdpcc auf-
treten; als thrakischer Ausdruck für die p.a-/aipa wird cx.dXp.v;
überliefert. Die Thraken kannten auch schon den,Krummsäbel',
dpxv] • p.d/atpa y.ap.idiAr,, 0pax,wv eupssi; (Clem. Alex. Strom. I p. 307)
oder sica • 0pax.ty.bv s~ty.ap.7cs; (Gloss. Labb.), die falx supina
(luv.) der dakischen Sichelträger. Speer, Spiess und Lanze
gehörten gleichfalls zur thrakischen Bewaffnung (vgl. die Glossen
Aöyyy), cdptcca und besonders popyaia); die axAvcu werden
namentlich den Bitliynen und den illyrischen Agrianen beigelegt,
den ersteren auch Dolche (sy/ecpioia p.tx.pd, SiAtovs;). Dass daneben
Bogen (mit Pferdesehnen) und Pfeile ihre uralte Rolle nicht
verloren hatten, versteht sich von selbst; als Bogenschützen zu
Fuss (yo^iten) wie zu Pferde (bncoToäjÖTat) treten die Odrysen,
Geten und Daken auf; diesen war auch der Brauch eigen, die
Pfeilspitzen zu vergiften — sie sollen dazu den Saft von Alant
(inula helenium, Galen. XIV p. 244) verwendet haben. Ausser
Bogenschützen, Sichelträgern und Speerwerfern zeigt uns die
Trajanssäule auch Steinschleuderer. Die odrysischen und ge-
tischen Reiter im Heere des Sitalkas, die dakischen im Heere
des Dekebalos, waren gepanzert — es waren entweder Platten
oder, wie bei den Sarmaten, Schuppenpanzer. Auch Helme
120
IV. Abhandlung: Tomasehek.
und Schilde (galeae ac scuta, Plin. XVI 144) fehlten nicht;
namentlich werden die thrakischen ysppa, Trapp«: und Tcekrcti er
wähnt, und die tteXt« galt für ein supv;(J.a öpay.wv (s. d. Gl.);
wenn die Thraken flohen, warfen sie den Schild auf den Rücken
(Xen.). Die Dakcn brachten es sogar zu einem eigenen Feld
zeichen, der Drachenfahne, deren Aussehen uns sowohl aus der
Abbildung der Trajanssäule wie aus alten Schilderungen (Suid.
v. orpA« Sy.uOc/.a ■ ütpaopaia ßa<pyj 7C6~oty.tAp.sva; Arr. Tact. 35, 3:
st:! y.cvrwv opdv.o'neq aTraipoupsvoi etc.; Annn. Marc. XVI 10: pur
pureis subteminibus texti dracones, hastarum summitatibus illi-
gati, liiatu vasto pcrflabiles et ideo velut ira perciti sibilantes
caudarumque Volumina rclinquentes in ventum) genugsam be
kannt ist; Hadrian gestattete dieses nationale Abzeichen den
ausser Landes verwendeten dakischen Schwadronen. Der
homei’ische Kriegswagen, auf dem noch der Thrake Rhesos fuhr
und dessen sich die Kikonen auf ihrem ebenen Boden wohl
bedienen konnten, kam nachmals ausser Gebrauch. Erwähnt
sei noch die geschätzte eiserne Axt der Thraken (euäoiupst tcsXsäu;
0pay.iy.oi;, Pollux I 149), wiederum ein Beweis für die Metall-
tcchnik des Rhodopelandes, welche mit jener der Lakonen vom
Taygetus rivalisieren durfte. Mit der Bewaffnung der thrakischen
Eroberer stand cs demnach auch in historischer Zeit nicht schlecht.
Die Wohnorte der Thraken waren sehr verschieden; wir
finden alle Formen, von der Höhlenwohnung des Troglodyten
bis zur gut verschanzten Veste, vom Viehgehöfte des Senners
und vom Fischerpfahldorf bis zur offenen Stadt, dem Knoten
punkt des Verkehrs. Die Sitze der Troglodyten an der unteren
Donau haben wir bereits ei’wähnt, ebenso die paionischen Pfahl
bauten am Pi’asias — vielleicht haben hier eigentlich edonische
Leute gehaust, da poaouv (s. d. Gl.) phrygischen Ursprung ver-
räth. Ilerodot’s Zeugniss über jene Fischei’wohnungen (V 16)
ist allen Forschei’n zu sehr bekannt, als dass wir es wörtlich
anfühi’en und erläutern-sollten; erwähnt sei nur, dass man doi’t
sogar Rindern und Schafen Fische zur Nahrung gab; die am
unteren Strymon gesäete Gerste war ob ihres schlechten Ge
schmacks und Geruchs berüchtigt — Pferde und Rinder,
Schweine und Hunde verschmähten sie, nicht aber der Mensch
(Mirab. ausc. 116), der in Zeiten der Noth sogar mit einem
Brote aus den Nüssen des 'ipißoko; (trapa natans) verlieb nahm
Die alten Thraker. I.
121
•— dieselbe Verwendung der Wassernuss linden wir bei den
Urinsassen des Laibacher Moors. Das dakische Pfahldorf
mitten im (See- oder Fluss-) Wasser hat, wie die Trajanssäule
zeigt, runde Holzhütten mit spitzigem Dach. Xenopliön schildert
uns die Weiler und Viehgehöfte der Thynen (Anab. VII 4, 14):
an die Wohnhiitte (y.aXüßy)) schlossen sich Stall und Schafpferch
an, und das Ganze war mit Holzpfählen (GTaupoti;) verschanzt.
Es gab natürlich auch offene Dörfer und Märkte (para, dava
oder deva ,Siedelung‘), verschanzte und mit Dämmen umgebene
Orte (irskcuv), Umfriedigungen auf erhöhtem Boden (ßpi'a oder
ßpea) und regelrecht tlieils mit Holzpfahlwerk, tlieils mit thurm
besetzten Steinmauern, die den Sturmböcken Widerstand ent
gegensetzten, versehene Vesten (oi‘C,a oder oe^i) sowohl in der
südlichen Thrake wie im Dakenlande und bei den Geten ■—
leider kennen wir nicht das dakische Wort für solche Vesten,
da diese alle von den Römern geschleift worden waren, so dass
nur die offenen Dörfer (dava) übrig blieben. Leider wissen
wir auch Nichts von der inneren Einrichtung und den Geräth-
schaften des thralcischen Hauses; die wenigen Tumuli, welche
bisher auf thrakischem Boden aufgedeckt wurden, enthielten
ausser Thon- und Glasscherben kupferne und bronzene Lanzen
spitzen; die weitere Durchforschung derselben wird wohl einmal
bestimmtere Resultate ergeben. Ueber die von Skorpil be
schriebenen Steindenkmäler getrauen wir uns kein Urtheil zu.
Nach Diodor (I 55 vgl. Hdt. II 103) soll es an vielen Stellen
Thrakes Standsäulen gegeben haben, welche Sesostris als End
ziel seiner Eroberungen beim Skythenzuge aufgestellt hatte.
Die Küsten- und Seeanwohner nährten sich hauptsächlich
von Fischen, von denen die Alten mehrere besondere Arten
aufzählen (vgl. d. Gl. ^dzpa^, xiXojv, zexpaSAo?, Xotßpa^, SsXzavoc,
ferner ßpü-//_o: und y.tOdpa). Bei den plirygischen Küstenbewohnern
wurden die Früchte der Demeter, Weizen und Gerste, Roggen
und ßp^a, fleissig angebaut; das Getreide wurde in Erdgruben
(uipoi) aufbewahrt. In dem Namen der Pyro-geri am mittleren
Hebrus haben wir ,Siedler des Weizengebietes* erkannt; die
thynisehen Msktvoepayoi bauten vornehmlich Hirse an, eine Gattung,
die auch den Sarmaten und Pannoniern die Hauptnahrung
lieferte. Die Kotpiziim im heutigen Bessarabien bauten ausser
Weizen und Hirse auch noch Zwiebeln, Knoblauch und Linsen
122
IY. Abhandlung: Tomaschek.
an; allen Thraker diente Knoblauch als. Würze zum Mahle
(vgl. schob ad Aristoph. Acharn. 165 sa&.po§icpivo<;; Plesych.:
cr/.cpoSosaysujiv oi 0pay.sc). Salz jedoch war rar, nur das dakische
Land besass davon (vgl. Salinae, Ort bei dem heutigen Thorda);
die politischen Griechen gewannen Salz aus Lagunen, bei An-
cliialos und Mesembria, Tyras und Olbia. Dieses Salz wurde
vortheilhaft an die binnenländischen Thraken verhandelt, gegen
Sklaven: twv Gpay.wv ol p.scoysioi äXüv arity.a.'tYjXXäTO'no Tobp oi'/ii»;
(Poll.; vgl. Hesych. v. «Xüv^to; • xoup aXa? Xap.ßavovxs? ol 0päy.s<;
avopä-ooa e5!Boaav). So gericthcn selbst Kinder von Edelingen
in die Sklaverei, und spöttisch hiess es: 0pa; eu-/s'% ei; xpb;
aXap üvTipivjt;! — Die echten Thraken, Viehzüchter von Haus
aus, zogen allezeit die animalische Nahrung vor. Schon die
Säuglinge erhielten mitunter frisch abgezapftes und mit Rahm
gemischtes Pferdeblut. Fleisch aller Art wurde theils roh (vgl.
den Eigennamen ’Ap.^ooy.o; ,RohfloisohesseF), theils gebraten ge
gessen, in schmale Stücke zerschnitten (s. d. Gl. yi'na). Milch
nahrung war allgemein und Butter sehr beliebt — yaXaz-coxoitat
und ßo’-nupojpaYoi werden die Thraken öfter genannt; ein flacher
Brotkuchen, Bienenhonig und Gemüse bildeten die Zukost. Mit
der Käsebereitung waren Thraken und Illyrier gleich vertraut.
— Der thrakische Wein stand seit den homerischen Gesängen
im besten Rufe; wir werden die schrittweise Verbreitung des
Weinbaues in Thrake im Artikel Aimüaoc verfolgen. Die harte
Ai’beit des Winzers überliess der faule Thrake seinen Unter
gebenen, desto tapferer sprach er selbst der dionysischen Gabe
zu. Es war wohl eine harte Aufgabe für Boirebistas und seinen
Pontifex, dem dakischen Volke den Weingenuss abzugewöhnen
und die Rebenstöcke auszurotten! Boi allen thrakischen Stämmen
finden wir Unmässigkeit im Trinken; ezteauä$ 3’ sie: xdvtä? ot
0pyy.sc xoXuxötai (Theop. ap. Athen. X p. 242). Sie tranken den
Wein stets ungemischt (Athen. XI p. 781, d nach den Versen
des Callmachus X p. 242, f); eine Ausnahme machte König
Kotys IV., welcher stets rr l %vr t - blieb (Suhl.). Die Treren büssten
ihre Trunksucht vor Herakleia am Pontus, wo ihnen der Wein
mit dy.ovi-ov vergiftet wurde; die Thraken pflegten angetrunken
zur Schlacht auszuziehen (Paus. IX 31, 5). Wie die Paionen,
so tranken auch die Odrysen, Geten und Daken bei ihren Ge
lagen aus Stierhörnern (vgl. d. Gl. ßovaaco?), und wir finden bei
.: ■■ k % memwmsM
t mm\iwmzis smmSEZmSm
Die alten Thralrer. I. 123
ihnen die Sitte des Zutrinkens und des Weingusses. Wie es
bei diesen Gelagen zugieng, ersehen wir aus den Versen des
Anaxandrides über die Hochzeit des Iphikrates zur Zeit des
Kotys und aus Xenophon’s Schilderung vom Gastmahle des
Seuthes, die wir hersetzen: ,Die Geladenen setzten sich im
Kreise herum nieder; darauf wurden für Alle dreiftissige Tische
hereingebracht, bedeckt mit Fleischschnitten und gesäuerten
Broten." Seuthes nahm die Brote, brach sie in Stücke und
vertheilte sie, ebenso die Fleischstücke; dasselbe thaten die
Anderen. Es wurden dann Hörner mit Wein herumgereicht,
und Alle sprachen zu. Seuthes erhob sich, umarmte Xenophon
und dessen Begleiter, wobei sie einander nach thrakischer Sitte
zutranken. Während des Trinkgelages kam ein Thraker mit
einem weissen Pferde, ergriff ein volles Trinkhorn und sprach:
ich trinke dir zu, Seuthes, und schenke dir dieses schnelle Ross.
Ein Anderer brachte einen Knaben und schenkte ihn, unter
Zutrinken, dem Fürsten; ein Dritter brachte für dessen Gemahlin
Kleider, u. s. w. Seuthes trank zuletzt mit Xenophon das Horn
aus und goss den Rest über dessen Genossen bind Wir kennen
noch das thrakische Wort für ,Wein‘, nämlich 'Cd'ky. oder ’OXa.
Zu Heilzwecken wurden auch Säfte von anderen Pflanzen z. B.
aduvOoc abgezogen und zu weinähnlichen Getränken verarbeitet.
Endlich müssen wir noch des Gerstenbieres Erwähnung thun,
das Phrygen und Thraken, sowie Paionen und Rlyrier zu
brauen verstanden (vgl. d. Gl. ßpoio? oder ßpoikoc ,Gebräu‘);
schon Archilochus hatte dies bezeugt (Athen. X p. 447, b):
wtjxep tm.p’ aüXio ßpikov •)) GpvjiJ; avvjp j •!) tDplii; sßpu^e, y.ußoa 3’ vjv
xoveup.evr). Die Trunksucht der Thraken war ein Erbe aus der
indogermanischen Vorzeit und nicht, wie Ilelbig meint, eine
Folge ökonomischer und geistiger Decadenz, wie etwa bei den
Schnaps trinkenden Irländern. Wissen wir doch, dass auch
die Arier am oberen Indus, wenn nicht dom Weine, der dort
erst später bekannt wurde, so doch dem berauschenden Soma
tranke bis zum Erbrechen huldigten, und dass alle Naturvölker
energischer Natur ihre Lebenskraft mit berauschenden Ge
tränken aufzufrischen suchen; eine nähere und innigere Ver
wandtschaft der Thraken mit den Germanen hieraus abzu
leiten, erscheint unnöthig. —• Von den Skythen stammt wohl
der thrakische Brauch, sich mit dem Dampfe der auf heisse
124
IY. Abhandlung: Tomaschek.
Steinplatten geworfenen Hanfkörner in Schweiss und schlaf-
ähnliche Betäubung zu versetzen (Plut. de flum. 3, 3; Tocilescu’s
Dacia p. 758).
Wenn die Odrysen assen und tranken, durfte dabei der
aüXoi; nicht fehlen; zuletzt schmetterten die Trompeten, und Alles
sprang auf zum Waffentanze. Xenophon schliesst seine Schilde
rung des Mahles bei Seuthes mit den Worten: ,Hierauf traten
Leute ein, die aus Hörnern und Trompeten nach dem Takte
und gleichsam in der Oktave bliesen; Seuthes stand auf, stiess
einen Kriegsruf aus und machte sehr behend einen Luft
sprung/ Andernorts (An. VI 1, 5) schildert er den thrakischen
Waffentanz (s. d. Gl. zaXaßpi<jp.ö?): ,Die Thraken führten zur
Flöte den Tanz auf, wobei sie mit Leichtigkeit hohe Sprünge
machten und ihre Schwerter schwangen und gegen einander
zückten; zuletzt hieb einer auf den anderen los, der Getroffene
fiel zum Scheine um, der Sieger zog ihm die Rüstung ab und
gieng den Sitalkas singend davon, während der Getroffene fort
getragen wurde/ Nicht immer verliefen solche Erlustigungen
unblutig: so war bei einem Kampfspiele ein scharfgeschliffenes
Breitschwert aufgestellt, das denjenigen sofort tödtlicli verletzte,
der beim Luftsprunge das Ziel verfehlte — und die Anderen
lachten ob seines tödtlichen Falles (Seleucus ap. Athen. IV
p. 155, e)! Die Odrysen konnten ein Gelage nicht schöner ab-
schliessen, als dass sie zuletzt über einander herfielen und sich
selbst wie die Anderen im Rausche zerfleischten (Amm. Marc.
XXVII 4, 9). Ueberhaupt hatte das Leben des Einzelnen in
Thrake geringen Werth; grausam waren die Spiele, lebens
gefährlich die Leibesübungen — man wird förmlich an die Blut
abzapfungen der Indianer gemahnt, die uns Catlin in seinen
Aquarellen so drastisch hingeworfen hat, — grausam und
summarisch die Rechtspflege: ohneweiters und schonungslos
stiess z. B. Seuthes die ihm vorgeführten Gefangenen mit dem
Wurfspiesse nieder. Henkersknechte wurden mit Vorliebe aus
Thraken gewählt; noch in christlichen Legenden spielt der
Mucapor ständig seine Rolle als Schlächter. Ein solches Volk
war wie geschaffen zu blutigem Zweikampf in der Arena; der
Threx, mit allen Mitteln der Disciplin für das Gladiatorenhand
werk abgerichtet, bot in seinem Blute schwimmend Neronen
und Messalincn ein ergötzliches Schauspiel.
—————^ ir-~- -r—i—-——T yr Tir — iwr: tT
Die alten Thraker. I. 125
Daneben fehlte es nicht an edleren Regungen; auch dem
Thraken war die sänftigende Wirkung der Musik nicht unbe
kannt. Wenn die Geten um Frieden baten, so zogen ihre
Priester in weissen Gewänden unter Citker- und Flötenspiel
heran. Wenn freilich schon bei Homer der Kitharöde Thamyris
um die Palme des Sieges ringt, so ist zu beachten, dass dieser
,Thrake' doch eher dem Volke der Edonen oder Brigen ange
hört hat; auch die apollinische Gestalt des Orpheus war ur
sprünglich dem tkrakischen Boden fremd; erst seit der Bliithe-
zeit der orphischen Mystik treibt die 0pavua gouar/.f,, der öpx/.'.oc
vogop, die ßp^caa y.iOäpa hei Dichtern ihr Wesen. Die Anfänge
der musischen Kunst sind von den plirygischen und griechischen
Stämmen ausgegangen, nicht von den rohen Thraken. Eine
Art Qpvjvoc wurde dem verstorbenen Thraker unter Flötenbe
gleitung und mit dem Refrain TopsAAvj nachgesungen, sowie seihst
dem Nadowessen ein solcher Nachruf zutheil ward — das will
nicht viel bedeuten. — Zu einem eigenen Schriftwesen haben
es die Thraken selbstverständlich niemals gebracht; Inschriften
finden sich nur in griechischer und lateinischer Sprache; Münzen
mit griechischer Legende haben zuerst die Edonen und Bisalten
geschlagen. Wie verschieden die Culturstufen der thrakischen
Stämme gewesen sein mochte, erkennen wir beispielsweise aus
der Notiz des Aristoteles (Problem. XV 3), wonach einer der
Stämme nicht weiter als bis vier gezählt haben soll — so be
schränkt war dessen Gesichtskreis, so stark von allem Welt
verkehr abgelenkt! Denn schwerlich wird man annehmen dürfen,
dass es richtiger heissen sollte ,bis vierhundert', entsprechend
dem Vigesimalsystcm, dessen Endzahl 20mal 20 lautet; dem
indogermanischen Sprachgebiete war diese Zählmethode fremd.
Bemerkt sei noch, dass die ©p^ccai aavlSec, worauf Orpheus Heil
mittel verzeichnet hatte (Eurip. Ale. 967), Erfindung der Or
phiker sind. Ihre Gesetzbücher haben Goten und Daten in
Gesangsform mündlich überliefert, wie die gallischen Druiden.
Bei den Thraken war den Jungfrauen, denen offenbar
Gelegenheit geboten war, sich mehr in der freien Natur herum
zutummeln, volle Freiheit im Umgänge mit der männlichen
Jugend gestattet; die Frauen dagegen, durch ihren Beruf ans
Haus gefesselt, durften die Treue niemals verletzen (Iidt. V 6).
Hatte ein Junggeselle seine Wahl getroffen oder hatten sich
12(3
IV. Abhandlung: Tomaschek.
die Eltern gegenseitig verständigt, so wurde für die Braut der
Kaufpreis in Geld und Gut erlegt, und sie gieng dann in das
Eigenthum des Mannes über. So stellte auch Seutlies dem
Xenophon das Anbot: ,Wenn du eine Tochter hast, so will ich
sie dir nach tlirakischer Sitte abkaufen und ihr Bisanthe zum
Wohnsitz vermachend Bei den meisten Stämmen herrschte
Vielweiberei: je reicher ein Mann war, desto mehr Frauen
konnte er sich kaufen und halten: honoris loco iudicatur multi
plex matrimonium (Solin.). Iieraclides Ponticus berichtet: ,Jeder
heiratet drei, vier und mehr Frauen; ja es gibt Reiche, welche
bis dreissig Frauen besitzen; diese nehmen die Stellung von
Dienerinnen ein. Wenn der Herr der Reihe nach einer solchen
beiwohnt, so muss sie ihn waschen und auf jede Weise pflegen;
führt sie sich schlecht auf, so wird sie heimgeschickt und vom
Kaufpreis muss dann ein bestimmter Theil zurückgezahlt werden.
Stirbt der Gemahl, so gehen die Frauen, wie jedes andere Gut,
in den Besitz des Erben über/ Humorvoll spricht sich über
die Vielweiberei der getische Sklave in einem Lustspiel des
Menander aus (Strabo VII, p. 297): ,Stirbt einer, dessen Weiber
zahl nur vier beträgt | oder fünf, so heisst er bei uns zu Land
ein armer Wicht, | der ohne Brautlust, ohne Hochzeittanz ver
schied;' er fügt hinzu: ,Die Thraken alle, wir jedoch zu aller
meist, | wir Geten sind in Sittlichkeit | nicht eben Muster/
Das war auch bei den Agathyrscn der Fall, bei denen als Folge
der Ucppigkeit die Bande der Ehe locker waren, so dass die
böse Welt von Weibergemeinschaft sprach. Die Sitte der Viel
weiberei fanden wir namentlich bei den Stämmen oberhalb
Krestone, bei Maiden und Sinten (Hdt. V 5).
Die Stellung des Weibes war überall eine untergeordnete.
Im Orient und in allen subtropischen Strichen, wo die Frauen
in Harems eingesperrt sind und wo überdies das Klima sinn
liche Verirrungen befördert, bildet sich das Laster der Knaben
liebe aus — wir meinen nicht jene ideale Form derselben, wie
sie in Sparta gepflegt wurde, oder jenes poetische Verhältniss,
wie es etwa zwischen Anakreon und dem lakonischen Jüngling
Smerdies bestand — sondern die entartete Form, wie sie in
der südlichen Thrake und bei den Persern bezeugt erscheint;
darauf bezieht sich wohl auch jene Anspielung des Aristophanes
über die Odomanten, die man gewöhnlich mit der Beschneidung
Die alten Thraker. I.
127
in Zusammenhang bringt. Die Thraken wurden mit dem Epi
theton y.TCpaws? beehrt, d. i. oc 6pp.v)ircy.(3p EyovTS? ^p'oc auvoujfav
(Hesycli. vgl. y.axpo; • t'o aiSolov tou avSpo?). Um so grösserer
Scheu und Verehrung erfreuten sich bei den nördlicheren
Stämmen Asketen, welche Entsagung von allen sinnlichen Lüsten
predigten, wie die Zalmoxispriester und die moesischen xtiotai
und yaitvoßctiai. — Bei der grossen Zahl der Weiber und der
sinnlichen Naturanlage der Thraken, sowie bei der leichten
Beschaffung des Lebensunterhaltes infolge der Viehwirthscliaft
finden wir es begreiflich, dass sich die thrakische Nation trotz
stärkster Heranziehung zum Kriegsdienst sehr lange forterhielt
und allezeit einen Ueberschuss an Population aufwies; so konnten
die pontischen Händler thrakische Burschen und Mädchen nach
Hellas auf den Markt bringen (Hdt. V 6); in Athen wurde die
Gpavca mit Vorliebe als Dienstmagd und Amme verwendet; die
römische Arena bezog aus Thrake ihre tauglichsten Kräfte.
Eine solche populationskräftige Nation konnte niemals völlig ver
schwinden, gerade so, wie sich ihre Tochter, die wlachische
Nation, seit Jahrhunderten einer steigenden Prosperität erfreut;
noch heutzutage steigt in Siebenbürgen die bedürfnisslose
Menschenzahl der Wlachcn, während Sachsen und Magyaren
im Status verbleiben.
Die Art und Weise, wie die alten Völker ihre Todten be
statteten, bildet ein wichtiges Merkmal ihres Daseins; gerade
in dieser Hinsicht mangelt es sehr an zuverlässigen Nachrichten.
Die Lebensdauer des Thraken war — wenn wir von den römi
schen Legionären absehen, für welche sich aus den Inschriften
eine mittlere Lebenszeit von nur 28 bis 30 Jahren ergibt —
eine verhältnissmässig lange: nicht nur am Atlios finden wir
|j.ay.p6ßioi, auch die Landleute in der Rhodope und im Haemus
wurden gewöhnlich sehr alt, dank ihrer einfachen Lebensweise
(Amin. Marc. XXVII 4, 14). — Starb ein thrakischer Edeling,
so blieb sein Leichnam durch drei Tage aufgebahrt, während
die Angehörigen allerlei Opferthiere schlachteten; nachdem sie
den Verstorbenen genugsam beweint hatten, hielten sie den
Schmaus ab; darauf bestatteten sic ihn, indem sic den Leich
nam entweder verbrannten oder auch bloss in der Erde ver
gruben (y.aTay.ausavTsi; ■?) aXXw? yij y,püi!/.ms<;); in jedem Falle warfen
sie einen Tumulus auf (yup.a ysavtec), worin entweder die Aschen-
128
IV. Abhandlung: Tomaschek.
urne oder der Leichnam beigesetzt wurde, und zuletzt stellten
sie mannigfaltige Kampfspiele an, wobei sie werthvolle Kampf
preise für die Zweikämpfer aussetzten. So lautet Herodot’s
Bericht (V 8) über die taufxl. Beide Arten, Verbrennung des
Leichnams oder dessen einfache Beerdigung, finden wir zu
freier Wahl in den ältesten Veden; auch die dreitägige Auf
bahrung ist den meisten indogermanischen Stämmen gemein
sam. Den nach dem 0pijvo<; folgenden Leichenschmaus bezeugt
auch Xenoplion (Hell. III 2, 5): man sprach hiebei dem Weine
nach Kräften zu, bis zur völligen Trunkenheit.
Aus der entlegensten Epoche der Menschheit hat sich in
die geschichtliche Zeit des thrakischen Volkes der Brauch ver
erbt, am Grabe des Herrn dessen Lieblingsfrau zu schlachten.
Man könnte die Bewahrung dieses barbarischen Brauches der
Nähe der pontischen Skythen zuschreiben, hei denen die
Schlachtung der Weiber beim Tode eines Fürsten in Uebung
war; vom Nachharvolke der Skythen, den Geten, berichtet
Theopomp: vogo? l’exüjv xo sirtorspa^stv tyjv yuvaiza xw avSpi'. Herodot
(V 5) legt jedoch die Witwenschlachtung gerade den südlichsten.
Stämmen am Strymon bei, den Sinten und Maiden: ,Wenn einer
von ihnen stirbt, so kommen die Frauen und deren Anver
wandte in ernstlichen Eifer und Streit darüber, welche von
ihnen am meisten von dem Manne geliebt worden sei. Jene,
welche schliesslich den Vorzug vor allen erhält, wird unter
Lobpreisungen der Männer und Frauen von ihren nächsten
Verwandten über dem Grabe des Mannes geschlachtet und
alsdann mitbegraben. Die anderen Frauen aber zeigen grossen
Kummer; denn ihnen ist grosser Schimpf widerfahren/ Mela
dehnt diesen Brauch auf alle Thraken aus; er hat jedoch deutlich
Herodot vor Augen, nur dass er mehr Worte macht. Da sich
diese Sitte auch bei den Ariern am Ganges und selbst bei
einigen alten Völkern Europas vorfand, so werden wir der
selben ein hohes Alter beimessen müssen. — Die Anschauung
der Trausen über Geburt und Tod haben wir bereits kennen
gelernt und zugleich bemerkt, dass dieselbe nur von der nie
drigen geistigen und ökonomischen Stellung dieses Volkes Zeug-
niss gibt.
Der edelgeborene Thraker war bereit, wenn Alles fehl
schlug, muthig dem Tode ins Auge zu blicken; selbst stürzten
Die alten Thraker. I.
129
sich in ihre Schwerter che Häupter der Odrysen, Koilaleten
und Dior, die Vertheidiger der nationalen Selbständigkeit wider
die Römer; ebenso schloss Dekebalos sein thatenreiches Leben;
die dakischen Edclinge sehen wir auf der Trajanssäule um
den Kessel sitzen und einen nach dem andern den Giftbecher
leeren; hei Geten und Daken mochte der Glaube an die Un
sterblichkeit des Individuums diesen letzten Schritt erleichtern.
Die Alten wollten überhaupt in der Psyche des Thraken Todes
verachtung und den Hang zum Selbstmord erkennen: exoip.öxepov
(Eust. ad Dion. per. 304); Thracibus barbaris inest
contemptus vitae et ex quadam naturalis sapientiae disciplina
concordant omnes ad interitum voluntarium (Solin.); hahent
appetitum maximum mortis (Mart. Cap.). Dieser Hang wurde
jedenfalls durch die grausamen Spiele und die ständigen
Raufereien gefördert; der Thrake war gewöhnt, bei jeder Ge
legenheit Blut zu vergiessen. Schon Thucydides sagt von den
Diern, einem sonst geachteten Stamme: sie stehen keinem
Barbarenvolke an Mordgier nach. Die Grausamkeit der da
kischen Weiher hat die Trajanssäule verewigt. — Sonst wird
den Thraken der Hang zu Meineid und Treubruch zuge
schrieben; die 0p<ma ^apeupsct; war zum Sprichwort geworden,
und seit Menander galt der Satz: 0pax.e<; opy.ta ob* emaxavxai.
In gleichem Rufe standen im Mittelalter die Pinduswlachen.
So finden wir im Wesen des thrakischen Volkes, wie bei allen
halbbarbarischen Völkern, Erhabenes und minder Gutes ver
einigt; die Triebfedern zu Allem hat aber die Natur gegeben;
nur die fortschreitende Civilisation vermag die Naturwüchsigkeit
zu mildern und auf gute Bahnen zu lenken.
Die Psyche eines Volkes lernen wir übrigens am besten
aus dessen Sagengebilden und aus der Sprache kennen; über
diese Dinge wird der folgende Theil handeln.
Sitzungsber. d. pbil.-bist. CI. CXXYIII. Bd. 4. Abh.
9
130 IV- Abhandlung: Tomaschek. Die alten Thraker. I.
Inhalt.
Seite
Einleitung 1—12
I. Die paioniseh-dardanische Gruppe 13—27
Teukrerund Mysen S. 13. Pelagonen S. 17. Paionen S. 18.
Agrianen S. 21. Dardaner S. 23—26. Veneter S. 26.
II. Die phrygisch-mysisclie Gruppe 27—52
1. Phrygen oder Brigen S. 27—33.
Edoniselie Stämme S. 33—39. Mygdonen S. 33—35 (Be-
bryker und Dolionen S. 35), Krestonen und ICrusaier
S. 35. Sithonen S. 37. Edonen S. 37—39.
Odomanten S. 39. Bistonen S. 40. Xanthier S. 41. Ki-
konen S. 42. Saier S. 43. Sintier S. 44. Paiten und
Apsinthier S. 45.
2. Mysen und Moesen S. 47. Artakier, ICebrenier und Skaier
S. 50—52.
III. Die thrakisehen Völkerstämme 53—111
a) Die südliche Gruppe S. 53—92.
Treren S. 53. Trallen S. 56.
Strymonier oder Maidobithynen S. 58—68. Bisalten S. 58.
Sinten S. 59. Maiden S. 61. Denseleten S. 62. Bi-
thynen und Tliynen S. 62—67. Dolongken S. 67.
Satren S. 68. Dier S. 71. Diobessen S. 72. Bessen
S. 72—80. Sapaier S. 69. Korpilen S. 69. Trausen
S. 70.
Odrysen S. 80. Bennen, Kainen, Asten S. 83. Samaier,
Koilaleten, Sialeten S. 85. Namen auf -geri S. 87.
Triballen S. 87. (keltische Intrusionen, Beicli von Tylis
S. 90).
b) Die nördliche oder getisch-dakische Gruppe S. 92—111.
Geten, Terizen, Krobyzen S. 92—98.
Agathyrsen und Trausen S. 99. Dalsen S. 101. Dakische
Bergstämme, Saboken, Bessen, Kostoboken, Karpodalsen
S. 106—111.
IV. Allgemeines über die Thraken 111—129
Culturunterschiede S. 112. Leiblicher Typus S. 115. Täto
wierung S. 116. Kleidung und Bewaffnung S. 118. Be
hausung S. 120. Nahrung und Getränke S. 121. Waffen
tänze und Spiele S. 124. Musik S. 125. Schriftwesen
S. 125. Sittlichkeit und Ehe S. 125. Todtenbestattung
S. 127. Witwenschlachtung S. 128. Todesverachtung
S. 129.
Y. Abhandlung: Zingerle. Zur vierten Decade des Livius.
l
y.
Zur vierten Decade des Livius.
Von
Prof. Dr. Anton Zingerle,
corresp. Mitgliede der Lais. Akademie der Wissenschaften.
,Bei der unsicheren und zum Theil lückenhaften Kennt-
niss, die wir von der handschriftlichen Ueberlieferung der
vierten Decade haben, ist die Texteskritik gerade hier mit
bedeutenden Schwierigkeiten verbunden/ sagt mit Recht H. J.
Müller im Jahresbericht des philologischen Vereines 1891, 166.
Die hier folgende Abhandlung möchte nun einige Partien und
Fragen beleuchten, die mir bei der eingehenden kritischen Be
handlung der Bücher XXXVI—XXXVIII für den 6. Theil
meiner Livius-Ausgabe noch immer in der einen oder anderen
Beziehung zu erneuten Versuchen oder Auseinandersetzungen
einzuladen schienen. Der Inhalt ist so trotz der angestrebten
Kürze ein ziemlich mannigfaltiger geworden, da bei der Be
sprechung einzelner, bis zum heutigen Tage recht zweifel
hafter Stellen natürlich auch die von bewährten Forschern
zwar fleissig gepflegten, aber dennoch nicht überall abge
schlossenen Untersuchungen über Detailverhältnisse der zum
Theile verlorenen Handschriften hie und da wiederholten Er
wägungen zu unterziehen waren und die durch die Düte des
Herrn Director Dr. H. J. Müller in Berlin mir zur Verfügung-
gestellte Collation des Bambergensis im Vereine mit genauer
Prüfung der alten Ausgaben und Durcharbeitung der Draken-
borch’schen Fundgruben bis zur Verfolgung paläographischer
Versehen herab manchmal, wie ich hoffen möchte, wohl noch
beachtenswerthe Ausbeute bot. Auch für Sprachgebrauch und
für Parallelstellen ergab sich in Punkten, wofür Fügner’s ver-
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXVI1I. Bd. 5. Abb. 1
2
V. Abhandlung: Zingerle.
dienstvolles Buch noch nicht vorliegt, gelegentlich im Rahmen
einer Begründung aus meinen Sammlungen einige Vermehrung
des Materials.
Bei der Eintheilung glaubte ich nun aber nach reiflicher
Ueberlegung am besten so Vorgehen zu sollen, dass ich zu
nächst die Erörterungen über einzelne Stellen, die mir in erster
Linie beachtenswerth schienen und für die ich darum mehr
fach im Apparat der Ausgabe nach Angabe des kritischen Ma
terials auf diese Abhandlung verwiesen habe, mit allen mir zu
Gebote stehenden Erfahrungen vorführe, wobei ich jedoch stets
mir wahrscheinliche Verbesserungen von blossen Andeutungen
eines etwa einzuschlagenden neuen Weges schon durch den
Ausdruck' schied, und dann erst, nachdem bei solchen Einzel
untersuchungen Manches auch über die Handschriftenverhält
nisse erneut zur Sprache gekommen, ein paar zusammen
fassende Nachträge über Beobachtungen anreihe, die mir auf
diesem schwierigen Gebiete theilweise vielleicht noch zu der
einen oder anderen Ergänzung zu führen scheinen.
I.
XXXVI, 9, 12 revocati deinde castigationibus prin-
cipum; so wird nun seit Aldus mit Berufung auf den ver
lorenen M gelesen. Die ältesten Ausgaben bieten castigatione,
was durch die cod. rec., darunter Lov. 2, bestätigt wird; B hat
castigationes. Fehlerhafte Zusetzung oder Auslassung eines
s im Wortsclilusse spielt, wie ich erprobt, in den bekanntlich
so reichen Reihen zufälliger Versehen des cod. B eine besondere
Rolle und scheint im Ursprünge theilweise auf ähnliche alte
Veranlassungen hinzuweisen, wie icli sie für manche Hilarius
handschriften in den Studien zu Hilar. Pict. S. 32 [898] ange
deutet. 1 So hat z. B. B im § 11 desselben Capitels multis statt
multi; XXXVI, 11, 6 Apollinis st. Apollinij 14, 4 maiestatis st.
maiestatij 24, 6 Aetolis st. Aetoli; 24, 11 inbellis st. inbelli;
28, 9 condicionis st. condicionij 35, 1.1 missis st. missi; 36, 2
senatus st. senatu (woraus sicli das weitere Verderbniss erklärt);
1 Für die Fortdauer vgl. jetzt z. B. auch Paoli, Abkürzungen in der
lateinischen Schrift des M.-A. § 21 (übersetzt von Lohmeyer 1892).
Zur vierten Decade des Livius.
3
37, 4 Cereris st. Cereri; umgekehrt 27, 8 illi st. illis; 28, 8 gito st.
^tios, ijpsi st. ipsis-, 44,1 Polyxenida st. Polyxenidas. Diese zugleich
für die betreffende Charakteristik der Handschrift nur aus dem
36. Buche ohne Wahl herausgegriffenen Beispiele 1 dürften wohl
schon so ziemlich wahrscheinlich machen, dass das obige casti-
gationes in unserer Handschrift auch näherliegend auf ein
Verderbniss aus castigatione, als auf ein sonst freilich auch
belegbares aus castigationibus weist; wenigstens würde man
aber im letzteren Falle hier eher das Versehen castigationis
erwarten, wie denn B umgekehrt XXXI, 46, 11 wirklich ein
castigationis in castigationibus corrumpirt hat. Vgl. auch
Drakenborch zu XXII, 8, 7. Die Stellen, welche ich für den
Gebrauch dieses Wortes bei Livius sonst notirt, scheinen,
wenn Fügner’s Lexikon nicht etwa noch übersehene Nach
träge liefert, auch für den Singular zu sprechen; z. B. XXVII,
10, 10 tacita castigatio • 15, 2 cum verborum tantum castiga
tione-, XXX, 37, 1 revocatis legatis et cum multa castigatione
perfidiae monitis; XXVIII, 26, 3 ad multitudinem castiga-
tionem satis esse-, XXXI, 46, 11 castigationis regis me-
mores; ebenso fand ich den Singular vorwiegend bei anderen
Schriftstellern, und wenn man in der besprochenen Liviusstelle
den Plural etwa wegen des da folgenden principum für noth-
wendig oder passender halten wollte, so könnte Curtius Ruf.
X, 2, 13 als bezeichnend entgegengehalten werden: nec aut
praefectorum castigatione aut verecundia regis deterriti}
Stehen die Sachen so, dann scheint mir der im Grunde wahr
scheinliche Consens B <t> dem Berichte über M vorzuziehen.
XXXVI, 10, 1: Intra decimum diem, quam Pheras venerat,
liis perfectis Crannonem profectus cum toto exercitu primo
adventu cepit. — profectus fehlt in B 4 1 und in den ältesten
Ausgaben, es wurde von den Moguntini aus M beigefügt.
Weissenborn vermuthete in der praefatio der Teubner’schen
Ausgabe p. XVII, dass das Wort ursprünglich hinter perfectis
1 XXXVII, 37, 3 hat das Versehen profectis st. profecti in B 1 dann zur
Fehlerentwicklung profectus in den meisten Handschriften geführt.
2 Vgl. auch Justin. I, 6, 15 hac repressi castigatione in prodium redeunt,
wo die ,castigatio 1 ebenfalls von einer Mehrzahl, den matres et uxores,
ausging.
1*
4
Y. Abhandlung: Zingerle.
stand, wodurch sich auch der Ausfall um so leichter erklären
würde; wie ich aber sehe, hat Livius dasselbe meist der An
gabe der Begleitung nachgestellt. Vgl. II, 16, 6 infesto
exercitu in agrum Sabinum profecti; 19, 3 magnis copiis pe-
ditum equitumque profecii; 62, 1 cum exercitu in Aequos pro-
fectus■ IY, 46, 12 novo exercitu profectus; VIII, 6, 8 ducibus
scriptis exercitibus per Marsos Paelignosque profecti; 30, 4 exer
citu instructo paratoque profectus; XXI, 48, 4 tacito agmine
profectus; XXIII, 17, 3 cum exercitu omni profectus; 40, 3 cum
his equitum peditumque copiis profectus in agrum hostium;
XXIV, 30, 1 cum omni exercitu profectus in Leontinos; 35, 1
cum tertia fere parte exercitus ad recipiendas urbes profectus;
35, 8 cum decem milibus peditum, quingentis equitibus nocte
per intermissa custodiis loca profectus• 41, 6 P. Scipio cum
expeditis clam profectus; 41, 9 Cn. Scipio cum legione ex-
pedita profectus; XXV, 25, 12 cum triginta quinque navibus
ex portu Syracusano profectus; 27, 2 cum classe profectus
Carthaginem; XXVIII, 7, 16 cum expedito agmine profectus;
8, 8 inde quinqueremibus septem profectus; doch genug der
Beispiele, welche nach meinen Sammlungen die abweichenden
weit übersteigen und schliesslich nur noch die Bemerkung,
dass selbst an der in Rede stehenden Stelle im unmittelbar
Folgenden gleich derselbe Gebrauch wiederkehrt: XXXVI, 10, 5
cum tribus milibus peditum Aetolorum et ducentis equitibus in
Perrhaebiam profectus Malloeam et Cyretias vi cepit. Vgl. auch
XXXVI, 30, 3 inde toto exercitu profectus; 42, 1 cum quinqua-
ginta navibus tectis profectus; 43, 8; 13 u. ö. Ich möchte mit
Rücksicht auf Derartiges und auf den Umstand, dass oben § 1
auch Anderes bei wiederholter Lectüre den Verdacht einer
Verstellung des Wortes profectus entweder in M oder in der
Angabe der Moguntini erweckt, Vorschlägen: Crannonem cum
toto exercitu profectus primo adventu cepit. Zudem ist der
Ausfall des Wortes in B <t> so bei dem folgenden primo immerhin
auch leichter erklärlich als bei der Lesart der Moguntini.
XXVI, 21, 5 liest man noch immer ad Hydruntum, und
diese Liviusstelle erscheint bei Neue Formenlehre I, 326, Georges
Wortf. S. 327, Georges Lex. 7 I, 2869 unter den wenigen
Belegen für die Nebenform. B stützt aber, wie ich aus der
Collation ersehe, vielmehr durch sein ad hidruntem die von
Zur vierten Decade des Livius.
5
alten Ausgaben (Camp., Rom. 1472, Parm. 1480) überlieferte
und von Cicero ausnahmslos gebrauchte Form ad Hydruntem. 1
XXXVI, 28, 4 wird in neuester Zeit einfach prope dicen
tem interfatus Romanum gelesen, und Weissenborn bemerkte
dazu: ,dass Phaeneas gemeint sei, zeigt der Zusammenhang*.
Ich muss gestehen, dass ich hier, je öfter ich die Stelle lese
und alle Umstände überlege, vielmehr mit früheren Heraus
gebern einschliesslich Bekker’s den Ausfall jenes Namens in B
und dem grössten Theile der 4>-Classe für wahrscheinlich halte.
Dass die Ergänzung des Subjectes consul im vorangehenden § 3,
worauf sich Weissenborn in der praefatio der ed. Teubn. p. XVHI
und in der genannten Anmerkung der Weidmann’sehen Aus
gabe berief, denn doch gewiss viel leichter ist als die hier
weiter geforderte des Subjectes Phaeneas, zeigt Jedem ein Ueber-
blick über diese Satzreihe sofort; bekannt ist ferner die häu
fige Versehenreihe eines Wortausfalles in B, wie uns gerade
früher ein sicheres Beispiel begegnet ist; 2 und wie dort das
in B 4> ausgefallene Wort durch eine Notiz aus M angedeutet
war, so findet sich an unserer Stelle eine Andeutung des Aus
falles in Ermangelung einer Bemerkung über M wenigstens in
zwei Vertretern der 4>-Classe, deren mehrfach beachten swerthe
Verhältnisse wir in dieser Abhandlung wiederholt zu berühren
haben. Der cod. Voss, bietet prope dicentem interfatus Pha-
neas (sic!) Romanorum, Lov. 2 prope dicentem interfatus legatus
Romanorum. Die häufige Corruptel Romanorum statt Romanum,
die sich in der ganzen ‘b-Classe findet, konnte vielleicht theil-
weise auch zum Ausfälle von Phaeneas beitragen, erklärt aber
jedesfalls die Entstehung des weiteren Verderbnisses im Lov. 2
leicht; legatus, das vielleicht doch auch schon vor jener Corrum-
pirung des Romanum in <E> hier und dort entweder zur Ergän
zung des ausgefallenen Phaeneas oder vielleicht einst zur
Erklärung desselben dem Rande beigeschrieben war (vgl. § 1
Phaeneas legdtionis princeps), wurde dann bei gedankenloser
1 XXXVI, 10, 8 aliis nunc vires urbis nequaqua/ni Pheris conferendae me-
morantibus. B liest hier phaereis, und das weist zunächst doch auf Phe-
raeis, wie ich es in alten Ausgaben (ed. Parm. 1480, Par. 1510) fand.
Ich sehe darüber bisher nirgends etwas notirt, aber auch kaum einen
ganz zwingenden Grund, diese Herstellung nach B zu verlassen.
2 Vgl. oben S. 3.
6
V. Abhandlung: Zingerle.
Abschreibung dem verdorbenen Romanorum im Texte beigeftigt!
Ich möchte aber bei dem sichtlich frühen Ausfälle von Phae-
neas 1 nach manchen Erfahrungen in diesen Partien auf die
Stellung im Voss, nicht zu grossen Werth legen, auch die bei
den früheren Herausgebern beliebte Stellung des Sigonius prope
dicentem interfatus Romanum Phaeneas nicht zu hoch halten,
sondern im Anschlüsse an die nächst liegenden unverdorbenen
livianischen Stellen (XXXII, 34, 2 orsum eum dicere . . . violenter
Phaeneas interfatus; XXXVI, 27, 3 quos dicere exorsos consul
interfatus) schreiben: prope dicentem Phaeneas interfatus Ro
manum.
XXXVI, 41, 3 Hannihal magis mirari se
aiebat, quod non iam in Asia essent Romani, quam venturos
dubitare; propius esse ex Graecia in Asiam quam ex Italia in
Graeciam traicere, et multo maiorem causam Antiochum quam
Aetolos esse; neque enim mari minus quam terra poliere Ro-
mana arma.
Das handschriftlich einstimmig überlieferte neque enim
(ent) hat bereits J. F. Gronovius mit Recht beanstandet, dafür
aber ein hier recht zweifelhaftes neque etiam vorgeschlagen.
Man hilft jetzt der Stelle nach dem Vorgänge der ed. Camp,
meist durch einfache Streichung des enim auf, was ja auch
paläographisch noch begründet werden kann. Denkt man aber
an die bereits von den älteren Kritikern gut hervorgehobene
Dreitheilung der Gründe, so könnte an dieser letzten Stelle
der Gedanke an ein nec denique nicht zu ferne liegen. 2 Die
vielen Verwirrungen, welche die que respective q; gerade
auch in der Liviusüberlieferung anrichteten, sind bekannt;
sollte hier etwa bei aller sonstigen Leichtigkeit der paläo-
graphischen Erklärung der Ausfall des Buchstabens d Bedenken
erregen, so könnte bemerkt werden, dass derartiges nach ein
mal angerichteter Verwirrung auch sonst nicht selten ist; ent
stand ja, um nur ein örtlich recht naheliegendes Beispiel dieser
1 Oder sollte Jemand im legatm das Ursprüngliche sehen wollen, welches
Wort allerdings in der Nähe eines interfatus besonders leicht ausfallen
konnte?
2 Ich hatte zuerst nec denique oder non (n) denique vermutliet; ich theilte
letzteres, da ich das erstere für Livius nicht so belegt hatte, H. J. Müller
mit, der, obwohl selbst für ed. Camp., nec denique für möglich hält.
Zur vierten Decade des Livius.
7
Partie zu citiren, XXXVII, 37, 1 in B aus deinde Rhoeteum
ein de indro & eurnl
XXXVII, 4, 8 möchte ich fast ohne Bedenken necopinatam
statt inopinatam vorschlagen. Letzteres ist nur Lesart mehrerer
jüngerer Handschriften und der alten Ausgaben, während B und
die ihm oft besonders nahe stehenden 4>-Vertreter Lov. 2 und
Voss, opinatam überliefern. Beachtet man nun einerseits die
Vorliebe des Livius für necopinatus, die bereits Drakenborch
zu IV, 27, 8 durch Reihen von Beispielen beleuchtet hat, wie
dieselbe auch aus den bisherigen Indices, z. B. bei Ernesti-
Kreyssig, sich ergibt, anderseits auch wieder die häufigen Ver
wirrungen, welche diese beiden Formen in den Manuscripten
selbst bis zur Vereinigung necinopinatus veranlassten (so z. B.
cod. Voss. XXXVII, 11, 7 und dazu die weiteren Beispiele
Drakenborch’s), so liegt es wohl auch an unserer Stelle näher,
das opinatam der besseren Ueberlieferung zu einem necopinatam
zu ergänzen. 1
XXXVII, 13, 8: Postquam nemo adversus Hat, classe divisa
pars in solo ad ostium portus in ancoris stetit, pars in terram
milites exposuit. in eos iam ingentem praedam late depopulato
agro agentis Andronicus Macedo, qui in praesidio Ephesi erat,
iam moenibus appropinquantis eruptionem fecit. Schon Crevier
dachte an Tilgung des ersteren iam, und ihm folgten in neuester
Zeit Madvig und M. Müller; Weissenborn berief sich für die
nahe Wiederholung dieses Wortes auf XXXVI, 34, 2, zu welcher
Stelle er aber selbst wieder bemerkte: ,doch ist vielleicht das
eine iam unächth Im obigen Passus des 37. Buches scheinen
mir die Ueberlieferungsverhältnisse einer zusammenfassenden
Erwähnung werth, da Erscheinungen in B, M und <E> hier viel
leicht auf eine ziemlich früh entstandene Verwirrung hindeuten
könnten. Bezüglich des in eos iam scheint Uebereinstimmung
der Ueberlieferung anzunehmen mit Ausnahme des Harl., wel
cher inde eos iam bietet; das zweite iam (vor moenibus) fehlt
in B, dem grösseren Theile der 4> Classe, sowie in den ältesten
Ausgaben, und es wurde erst von Aldus aus M aufgenommen;
1 XXXVIII, 30, 8 findet sich allerdings inopinata ?*e, aber dort ist es ein
stimmig überliefert; andererseits aber vgl. für dieselbe Verbindung II, 14,6
res necopinata; III, 3,2 necopinata etiam res, XXXVII, 11, 7 in re necopinata.
8
Y. Abhandlung: Zingerle.
dagegen haben vier T-Codices, darunter der Voss., für dieses
zweite iam ein in (in moenibus). Derartiges könnte auf die
Vermuthung führen, dass eine Verwechslung zwischen inde (in),
in (vgl. darüber für Livius z. B. die Sammlung bei Drakenborch
zu X, 20, 6) und dann iam (iä) zu allen diesen Wirrnissen
und Erscheinungen Anlass gab. Ein in eos inde ingentem
praedam u. s. w. am ersteren Platze würde zudem ähnlichem,
auch sonst bei Livius begegnendem Wortklange entsprechen;
vgl. z. B. V, .17, 1 ingens inde haberi captivus vates coeptus;
VI, 6, 8 ingens inde ait onus a populo Romano sibi in-
iungi.
XXXVII, 16, 9: Hi, dum missilibus primo et adversus
paucos levibus excursionibus lacessebatur magis quam con-
serebatur pugna cet. Diese Fassung datirt seit der ed. Basil.
1535, M hatte leuibus et excursionibus, B ( I> überliefern nur
leuibus. Weissenborn vermuthete in der praef. zur Teubner-
schen Ausgabe p. XIX levibus armis und fügte in der Weid-
marm’schen S. 184 dem beibehaltenen Basler Texte die An
merkung bei: ,levibus excursionibus ist nicht sicher, da. excur
sionibus nur die Mz. Hs. und davor et hat, und wohl parvae
excursiones, tumultuosae u. ä. sich findet, aber mehr levia cer-
tamina, proelia oder levia per excursiones proeliai Mir scheint
diese Bemerkung beachtenswert!!, und ich denke an die Her
stellung levis armaturae excursionibus mit Vergleichung der
nahen Stelle XXXVII, 18, 4 excursionibus equitum levisque
armaturae magis lacessebat quam sustinebat hostem; vgl. zur
Sache auch XXXXIIII, 4, 2 et hostes levis armatura erat,
promptissimum genus ad lacessendum certamen; XXIII, 26, 7
praemissa igitur levi armatura, quae eliceret hostes ad certamen.
In B ( 1> sind in der in Rede stehenden Stelle des 37. Buches
gleich dann nach lacessebatur auch die Worte magis quam con-
serebatur durch aberratio ausgefallen.
XXXVII, 18, 7: Plurimum terroris in Gallorum mercede
conductis quattuor milibus erat, hos paucis admixtis ad
pervastandum passim Pergamenum agrum [milites] emisit. Das
in allen erhaltenen Handschriften überlieferte, nun aber in
den Ausgaben mit Recht eingeklammerte milites hatte schon
Gelenius als fehlerhaft erkannt; ob mit Hilfe einer seiner Hand
schriften, muss bei seinem diesmaligen Ausdrucke (,redundat‘)
maum
Zur vierten Decade des Livius. 9
freilich zweifelhaft bleiben. Am einfachen paucis admixtis (B
mit den meisten Handschriften paucis admixtos) haben aber erst
Neuere Anstoss genommen. Weissenborn erwartete statt paucis
eine genauere Bezeichnung, vielleicht Dahis; M. Müller bemerkt
praef. p. VI ,nomen gentis aut excidit post paucis aut latet in
paucis. 1 Fast möchte man in diesem Zusammenhänge die er
stelle Annahme M. Müller’s für wahrscheinlicher halten, namentlich
wenn man in einer bald folgenden Partie unseres Buches cap.
38, 3 liest maxima pars Gallograeci erant et Dahae quidam
intermixti. Nicht unpassend schiene etwa noch und im Aus
fall paläographisch nicht schwer zu erklären paucis Syris ad-
mixtis-, vgl. cap. 40, 12 Syri plerique erant Phrygibus et Lydis
immixti.
XXXVII, 24, 7: Consurrexere omnes, contemplatique
trepidationem fugamque hostium ac prope una voce omnes,
ut sequerenticr, exclamaverunt. So lautet die hier überein
stimmende Ueberlieferung B M; in den Ausgaben wird jetzt
gewöhnlich mit den jüngeren Handschriften das ac gestrichen,
doch machen sich mit Rücksicht auf jene auffallende Ueber-
einstimmung der Hauptvertreter mit Recht noch immer Zweifel
geltend. Weissenborn dachte in der Weidmann’schen Ausgabe,
nachdem er die früher in der Teubner’schen angedeutete Er
klärung des ac durch Ergänzung eines sunt zu contemplatique
aufgegeben, an einen Ausfall, und auf diesem Wege dürfte nach
manchen Erfahrungen in solchen Fällen wohl am ehesten vor
zugehen sein. Vielleicht ist (alacri) ac prope una voce zu
schreiben; vgl. z. B. Liv. VI, 24, 8 et adhortatio in vicem totam
alacri clamore pervasit aciem; XXIV, 16, 10 ad quam vocem
cum clamor ingenti alacritate sublatus esset; Curt. IX, 4, 23
non alias tarn alacer clamor ab exercitu est redditus iubentium,
duceret dis secundis cet. Dieser Ausfall würde sich auch paläo-
graphisch ziemlich leicht erklären.
XXXVII, 34, 6: 1 cum turma Fregellana missum explo-
ratum ad regia castra, effuso obviam equitatu cum reciperet
sese, in eo tumultu, delapsum ex equo cet. Dies die ge
wöhnliche Fassung seit Kreyssig, die bei den letzten Worten
1 Ueber die Stelle im Allgemeinen und über die wahrscheinliche Quelle
vgl. Mommsen, Eöm. Forschungen II, 517.
10
V. Abhandlung: Zingerle.
die Wortstellung der Lesart der cod. rec. und ed. vet. (in
eo tumulto delapso equo) beibehielt. M, welcher hier die Her
stellung erleichterte, hot in eo delapsum tumultu ex equo,
B überliefert nur delapsum equo, zeigt also wie so oft einen
Ausfall. Beachten wir nun aber diese Erscheinungen in den
zwei Hauptvertretern, so muss sich uns wohl die Wortstellung
delapsum in eo tumultu ex equo als die ursprüngliche fast auf
drängen. Nicht nur wird so der Ausfall in B paläographisch
plausibler, sondern auch die unhaltbar gezwungene Wortstellung
in M durch frühen Ausfall und dann Eindringen eines Band
nachtrages an die falsche Stelle des Textes erklärlich — ein
Fall, den ich in den Hilariusstudien so oft in besonders be
zeichnender Weise nachweisen konnte. Ein Zweifel, den auch
Weissenborn in der Anmerkung andeutet, könnte etwa noch
wegen des ex bestehen, welches durch M allein überliefert ist.
Doch scheint, abgesehen von den oben dargestellten Verhält
nissen, die auch diesen Ausfall in B <f> noch unschwer erklären
lassen, der vorwiegende livianische Sprachgebrauch ziemlich
deutlich dafür zu zeugen. Trotz sonstiger Schwankungen linde
ich in meinen Sammlungen labi und dessen Composita gerade
in Verbindung mit equus bei Livius mit ex construirt; vgl. II,
6, 9 ex equis lapsi; X, 36, 4 delapsi ex equis • XXI, 46, 6 multis
labentibus ex equis; XXV, 34, 11 labentem ex equo-, XXVII,
27, 7 prolabentem ex equo-, XXXV, 11, 9 labi ex equis (IX,
22, 7 hat H. J. Müller in der 5. Aull. 1890 nach Indicien man
cher Handschriften nun auch (ex) equo praecipitaret vermuthet).
XXXVII, 38, 1 wird ad Hyrcanium campum in den
Text zu setzen sein. Hertz bezeichnete Hyrcanium st. Hyr-
canum nur als Conjectur Drakenborch’s; nach Alschefski’s Col-
lation steht aber im cod. B selbst hyrcaniü-, in einigen cod. rec.
findet sich hyrcamum und hyrcaneum, was auf dasselbe weist,
und dazu vergleiche man Strab. XIII, 4, 13 xo Tpvtaviov iusSJov.
— Nur nebenbei sei bei dieser Gelegenheit bemerkt, dass cap.
36, 2 das in neuester Zeit von M. Müller wieder erkannte
und durch den livianischen Sprachgebrauch schön begründete
est pollicitus 1 bereits bei Aldus begegnet.
1 Cf. Liv. ed. Weissenborn — M. Müller, Pars IV, Fase. I, praef. p. III;
Fase. II, p. VIII, dazu II. J. Müller, Jahresber. des Berl. phil. Vereins
Zur vierten Decade des Livius.
11
XXXVII, 41, 2: Nebula matutina, crescente die levata in
nubes, caliginem dedit; umor inde ab austro velut perfudit
omnia. Der neueste Herausgeber, M. Müller, schliesst sich
nach der Bemerkung praef. p. Vni ,coniecturae propositae non
satisfaciunP im Texte an Weissenborn’s Lückenzeichen nach
velut an. Weissenborn neigte sich nämlich in der Weidmann-
schen Ausgabe, in welcher er seine früher in der Teubner’schen
praef. p. XXI angedeutete Conjectur selbst nicht mehr erwähnt,
zur Annahme, dass nach velut das Verglichene ausgefallen und
vielleicht imber zu ergänzen sei, wofür er die Stellen aus Florus,
Frontin und Aurelius Victor (bei letzterem 53 aber pluvia) an
führt. Nachdem hier selbst Madvig auf seine frühere Conjectur
nicht mehr Werth legte und weiter M. Müller auch die Be
ziehung des velut auf perfudit gewiss mit Recht bestritt, dürfte
diese Ansicht Weissenborn’s den richtigen Punkt in der
Hauptsache getroffen haben. Auch der sonst öfter in dieser
Beschreibung wiederkehrende Gebrauch des velut mit Ver
gleichungen scheint mir dafür zu sprechen; vgl. z. B. 41, 10
haec velut procella; repente velut effrenati; 43, 9 velut caeci.
Ich habe mir auch bezügliche Stellen griechischer Schriftsteller
zur Ergänzung der bisherigen Sammlungen angesehen und fand
da bei Appian und Zonaras auch die, wie es scheint, in allen
Beschreibungen dieser Schlacht fast stereotype Hervorhebung
der Dunkelheit und Feuchtigkeit. Des späten Zonaras Be
merkung über den letzteren, uns hier interessirenden Punkt
ähnelt in der allgemeinen Auffassung sichtlich der in nach-
livianischen römischen Schriftstellern kurz sich vorfindenden; 1
etwas interessanter für unseren Zweck könnte vielleicht die
Fassung bei Appian Syr. 33 erscheinen: ä-/Xu(boou<; Be -/.a! £o<pspäc
r?jc rp.igy.c 'feuop.ergc vj xe ot|üs Eoßsoxo xrjg iuosi^eo); y.al xk xo^e'!)\j.axa
iravxa äp.ßXuxepa $)v, iic, iv äepi iiypio y.ai a'/.oxeivw. Wenn nicht
Alles täuscht, so standen sich in diesen Beschreibungen, wie
öfter auch sonst, zwei Varianten gegenüber, einerseits der
1888 S. 101, 1891 S. 168 und meine Bern, in der Berl. phil. Wochen
schrift 1891 S. 1038.
1 Zon. IX, 20 (II, p. 308 Dind.): Trjv 8s Toi;s!av x«i xr)V otpEvSovrjaiv öp.ßpo$
jioXu; ä7UyEvop:EV05 eroOEvJj iTtoirjCEv; vgl. Flor. II, 8: imbre, gut subito super-
fusus ruira fdicitate Persicos arcus corruperat, Aur. Vict. 53: cum arcus
liostium pluvia hebetati fuissent.
12
Y. Abhandlung: Zingerle.
dunkle, regnerisch-feuchte Tag, anderseits der niederfallende
starke Platzregen. 1 In der ersteren Anschauung scheinen sich
aber Livius und Appian, wenn man die Ausdrücke prüft (vgl.
z. B. wiederholt umor hei Livius mit sv dept u^ptp bei Appian)
ziemlich nahe zu stehen. Sollte daraus bei Livius vielleicht
noch auf eine Ergänzung umor inde ab austro velut (pluvialis)
perfudit omnia zu schliessen sein, zumal da selbst Aur. Victor
bei seiner Darstellung wenigstens noch das Wort pluvia er
halten hat ? 2 Allerdings kann man pluvialis in den uns aus
dem grossen Werke des Livius erhaltenen Partien nicht nach-
weisen; aber da wir das Wort in der augusteischen Dichter
sprache, der gegenüber sich bekanntlich Livius nicht immer
ablehnend verhielt, bereits geläufig und öfter in bezeichnenden
Verbindungen treffen (z. B. Verg. Georg. EU, 429 vere madent
udo terrae ac pluvialibus austris; Ov. Met. VIU, 335 pluviales
fungi [,durch Regen erzeugt']), da es anderseits auch bald in
der Prosa, z. B. bei Colum. II, 13, 9 und hier nicht uninteressant,
durch pluvialis dies belegbar ist, könnte die Annahme eines
umor ab austro velut pluvialis, namentlich mit gleichzeitiger
Beachtung der Darstellung Appians immerhin nicht gar zu ge
wagt erscheinen.
XXXVII, 44, 4: legati ab Tliyatira et Magnesia ab Si-
pylo ad dedendas urbes venerunt. Obwohl nun diese auch
durch B bestätigte Ueberlieferung in den neuesten Ausgaben
durchweg in den Text gesetzt wurde, kann man sich doch
gewisser Zweifel nie enthalten. Ich brauche hier nicht auf die
bekannten Erklärungsversuche einzugehen und bemerke nur
kurz, dass die von Weissenborn, welcher sich gegenüber Madvig
mehr zur Auffassung des ab-Sipylo als einer attributiven Be
stimmung von Magnesia hinneigt, beigebrachten Beispiele für
eine solche Verbindung bei Livius wenig beweisen, wie denn
der gewissenhafte Gelehrte am Schlüsse seiner Anmerkung
selbst den sonstigen diesbezüglichen Gebrauch des Livius durch
1 Am stärksten hat diesen Standpunkt wohl Frontin zur Geltung gebracht
IV, 7, 30: cum die ac nocte imbre continuo vexatum exercitum Antiochi
videret, nec homines tcuntum aut equos deßcere, verum arcus quoque maden-
tibus nervis inhabiles factos.
2 Ygl. zur Wortbedeutung nun z. B. auch Schmidt, Latein.-griech. Sy
nonymik S. 233.
Zur vierten Decade des Livius.
13
Beispiele klarlegt; letzteren wären noch Stellen beizufügen, wie
XXX VH, 45, 19 Magnesium ad Maeandrum; 56, 2 Magnesium
ad Sipylum; 1 XXXVII, 11, 3, wo nur Magnesia am Mäander
gemeint sein kann, zeigt die einstimmige Ueberlieferung Magne-
siam ad Sipylum wenigstens auch noch, wie sehr der gewöhn
liche Sprachgebrauch immer nachklang. Dennoch würde es
fast unnütz sein, diesen Punkt nochmals zu berühren, wenn
nicht die genauer geprüften paläographischen Verhältnisse des
cod. B und zum Theile auch der 4>-Classe noch einen weiteren
Anhaltspunkt zu bieten schienen. Da zeigte sich, dass Ver
wechslung von ad und ab auch hier ziemlich ausgedehnt auf-
tritt. Schon zufällig herausgegritfene Beispiele können dies zur
Genüge beweisen. XXXVI, 14, 6 ad cieria B statt ab Cierio;
19, 1 ab ea castella B statt ad ea c.astella; 44, 7 ad tribus
B statt ab tribus; XXXVII, 14, 3 ad hellesponto B statt ab
Hellesponto; 23, 3 ad aspendiis B und zum Tlieil 4> statt
ab Aspendiis; 32, 10 ab rege B <J> statt ad regem; 34, 6 ab
regia castra B statt ad regia castra; 54, 17 ist das in B nach
ab servitio regio folgende fehlerhafte ad sichtlich auch nur
durch dieses Versehen und durch Dittographie zu erklären;
XXXVIII, 14, 1 ab tabusion B statt ad Tliabusion; 38, 5 usq;
ab iuga B statt usque ad iuga; 40, 5 ad lysimachiam B statt
ab Lysimachia; 41, 9 adderitarum B statt Abderitarum; was
aber wohl das Interessanteste ist, es findet sich selbst in dem
in Rede stehenden Passus XXXVII, 44, 4 unmittelbar vor dem
verdächtigen Magnesia ab Sipylo in B das Versehen ad tyatira
statt ab Thyatira ! Unter solchen Verhältnissen, wo sprachliche
und paläographische Beobachtungen so auffallend zusammen
stimmen, kann man doch kaum mehr daran zweifeln, dass das
ab Sipylo sich nur successive in Folge jener Verwechslung
entwickelt hat, wie ich gerade auch solche Beispiele in den
Hilariusstudien 2 auffallend belegen konnte (hier: ad sipylü, ab
sipylu, ab sipylo).
1 Diese liier seit der ed. Basil. 1531 natürlich überall aufgenommene Les-
art ist in den Handschriften auch verdorben; magnesiam & asypilum B,
und so oder magnesiam asipylium die jüngeren Codices, Magnesiam et
Sipylum die alten Ausgaben.
2 Vgl. S. 24 [890], 38 [904] ; für Livius auch die oben citirte Stelle
XXXVII, 32, 10.
14
V. Abhandlung: Zingerle.
XXXVII, 51, 9: degierant enim victum in Aetolia metuere.
Da jüngst M. Müller in seiner Ausgabe p. IX die Vermuthung
äusserte, es sei mit Umstellung der Madvig’sehen Ergänzung
(regem) zu lesen victum in Aetolia metuere regem, H. J. Müller
aber im Jahresbericht des philologischen Vereines 1891, S. 169
dieselbe schwer glaublich fand, darf bei den neuangeregten
Zweifeln hier wohl in aller Kürze darauf aufmerksam gemacht
werden, dass die von Madvig Ein. L. p. 534 an zweiter Stelle
angedeutete Ergänzung in der Form victum in Aetolia An
tiochum metuere paläograpkisch doch am meisten Wahrschein
lichkeit für sich hat; ich kann dafür nun auch auf ein treffendes
Beispiel in meinem Bericht über die Innsbrucker Fragment
blätter der Historia rom. des Paulus (Phil. Abhandl. IV, S. 54)
verweisen, wo das dort sonst überlieferte Antiochum durch
Versehen in ähnlicher Weise ausgefallen ist, wie ferner auch im
cod. B des Livius an den Stellen XXXVI, 20, 3; XXXVIII,
38, 2. 1
XXXVII, 54, 18: Non, quae in solo modo antiquo sunt,
Graecae magis urbes sunt, quam coloniae earum, illinc quon-
dam profectae in Asiam. Am modo hat schon Crevier Anstoss
genommen und es wird nun in den Ausgaben meist einfach
getilgt; paläograpkisch ist diese Streichung sicher nicht sein-
leicht, da an eine etwaige Entstehung durch Dittograpliie hier
doch kaum gedacht werden kann. Es würde die Entzifferung
eines Wortes, aus dem jenes modo corrumpirt sein könnte,
jedenfalls ein einfacheres Mittel sein. Bedenken wir nun, wie
wenig weit die uns für diese Partie des Livianisclien Werkes
erhaltene Ueberlieferung hinaufreickt und dass uns das be
treffende Wort da oft in der Abkürzung mb begegnet, wie ich
es auch in den älteren Ausgaben durchweg noch fand, so dürfte
die Entwicklung dieses mb aus einem undeutlich geschriebenen
Mo (iiio) in einer Vorlage nicht unwahrscheinlich sein: in solo
illo antiquo schiene wohl auch für den Sinn gut zu passen, und
nicht ganz uninteressant ist bei den bekannten Fehlerverhält
nissen des cod. B auch der Umstand, dass dort das folgende
1 Da an diesen beiden Stellen regis Antioclii, resp. regi Antiocho gelesen
wird und ähnlich auch sonst öfter (z. B. XXXVIII, 58, 8 cum Antiocho
rege), so läge auch an der unserigen Antiochum regem nicht ferne.
Zur vierten Decade des Livius.
15
Mine mit leer stehendem Raume ausgelassen ist, was nach
manchen Erfahrungen auf eine alte Verwirrung an dieser Stelle
zu weisen scheint.
xxxvn, 56, 2: Lycaoniam omnem et Phrygiam utramque
et Mysiam, regias silvas, et Lydiae Ioniaeque cet. So die
Handschriften, nur mit der Abweichung, dass Mysiam blos
durch M nach ed. Mogunt. belegt ist, während die anderen
Codices Mysias (misias B) oder Myssias bieten. Die mehr
fachen Bedenken gegen diesen Wortlaut haben Madvig Em. L.
S. 535ff. und Weissenborn im achten Bande der Weidmann’sehen
Ausgabe S. 258 auseinandergesetzt mit Benützung der bereits
von Drakenborch verglichenen Stelle XXXVni, 39, 15: Phry
giam utramque et Mysiam, quam Prusia rex ademerat,
ei restituerunt et Lycaoniam et Milyada et Lydiam cet. An
dem auf dieser Vergleichung beruhenden Herstellungsversuche
Madvig’s an unserer Stelle des 37. Buches: et Mysiam regiam
et Milyas et Lydiae cet. muss der richtige Blick bezüglich des
et Milyas wohl so ziemlich einleuchten; Anstoss erregen kann
regiam, wie nach Harant Em. S. 190 auch M. Müller in der
praefatio seiner Ausgabe S. X wieder betonte. Weissenborn
1. c. dachte zweifelnd an Mysiam regi ademptam, M. Müller,
welcher an einer solchen Stelle die Nothwendiglieit stärkerer
Heilmittel hervorhebt, schrieb dieselbe im möglichst engen An
schlüsse an die genannte des 38. Buches so: et Mysiam, quam
Prusia rex ademerat, restituit regi et Milyas et Lydiam cet.
Dagegen bemerkt Ii. J. Müller, Jahresbericht des Berliner
philologischen Vereines 1891, S. 169: ,Gnnz unsicher'. Wenn
an einer solchen Stelle auch weitere Versuche wenig lohnend
scheinen, wird die Mittheilung eines Gedankens, der vielleicht
wenigstens auf einen noch möglichen Weg hinweisen könnte,
immerhin auf Nachsicht rechnen dürfen. Unter den geltend
gemachten Zweifeln ragt immer besonders der hervor, dass zu
Mysiam auch hier eine nähere Bestimmung erwartet werde;
schon Drakenborch berührte leise diesen Punkt mit den Worten:
,non dubito, quin indicetur, quae vulgo Mysia minor vocatur;
haec enim Straboni XII, 571 Guveyf,; tv) BiOuvia dicitur.' Und
Beklier berief sich in der Anmerkung seiner Ausgabe auf diese
Aeusserung, welche, wenn man Alles beachtet, der Bestimmung
im 38. Buche quam Prusia rex ademerat etwa doch am nächsten
16
Y. Abhandlung: Zingerle.
liegen könnte. 1 Und sollte dann an dieser sichtlich schwei-
verderbten Stelle vielleicht noch an eine Entstellung eines geo
graphischen Namens, etwa des in jener Gegend eine Rolle
spielenden Flussnamens Rhyndacus 2 zu denken sein? Jeder
Erfahrene weiss, wozu Corrumpirung von Namen und nament
lich geographischen in Handschriften allmälig führte, und
Herausgebern kommen solche Beispiele bei Eintragung des
kritischen Apparates besonders oft vor Augen. 3 Darnach könnte
auch noch eine ähnliche Herstellung, wie et Mysiam ad Rhyn-
dacum sitam et Milyas et Lydiae cet. nicht undenkbar scheinen.
War aus mysiäad einmal das gewöhnlich überlieferte mysias
entstanden, so lag in solchen Dingen im Folgenden weitere
Corrumpirung nicht zu ferne, et Milyas, das Madvig in den
Schriftzeichen siluas zu sehen glaubte, könnte ja ebenso vor
et Lydiae ausgefallen sein.
XXXVII, 58, 8 schreibt jetzt M. Müller ab ultimis
Orientis finibus, welche Lesart aber nicht auf codd. dett. und
Gronovius zurückzuführen, sondern als Conjectur Weissenborn’s
zu bezeichnen war. Ich möchte an dieser vielbesprochenen
Stelle 4 bei Beachtung der Schriftzeichen B ab ultimis orientis
in und der allerdings nach Gelenius nur unsicher vermutheten
Lesart M ab ultimis orientis lieber noch an die Herstellung ab
ultimis Orientis terminis denken, wie wir in der verhältniss-
mässig nahen Partie XXXV, 48, 8 wirklich auf Grund ein-
1 Vgl. auch Madvig 1. c. S. 535. Bei Polybios 21, 48 wird jetzt bekannt
lich auch die einst schon von Drakenborch angedeutete Einsetzung des
Namens Ilpoual«; für Conjecturen verwerthet. Vgl. Hultsch IV, p. 1086.
2 Vgl. z. B. Kiepert, Lehrbuch der alt. G-eogr. S. 106 oder Forbiger in
Pauly’s R. E. V, 307 (,Mysia minor, wozu auch die von Strabo er
wähnten Landschaften Morena und Abrettena am Fusse des Olympus
und längs des Rhyndacus, also an der Grenze Bitliyniens, zu rechnen
sind“). Zur nahen Zusammenstellung des Rhyndacus und des Myser-
landes vgl. Apollon, Rhod. I, 1164; Plinius, N. H. V, 32, 40 nennt ihn
,Asiam Bithyniamque disterminans“.
3 Ein derartiges Beispiel haben wir schon oben S. 7 gelegentlich ge
troffen (de indro & eum st. deinde Rhoeteum); vgl. auch XXXVIII, 12, 9,
wo das erst durch ed. Bas. hergestellte ad Hieran Oomen in M ad phi-
lera/rn comen lautete, in B comenen, im Voss, ad comenses, im Lov. 3
ad camonem, im Lov. 6 ad eumenem u. dgl.
4 Vgl. auch meine Bemerkungen in der Berl. philolog. Wochenschrift 1891,
S. 1039.
Zur vierten Docado des Livius.
17
stimmiger Ueberlieferung lesen: quamquam ab ultimis Orientis
terminis ad liberandam Graeciam veniat.
XXXVII1, 7, 13 inde non solum magna vis fumi sed
acrior etiam foedo quodam odore ex adusta pluma cum totum
cuniculum complesset cet. Die Aufrechthaltung des odore gegen
über dem bestechenden, von Hertz und Weissenborn bevorzugten
nidore der ed. vet. scheint doch ein paar Worte der Begründung
zu fordern. Die handschriftliche Ueberlieferung weist deutlich
auf odore: in B ist quodam odore aus quodam modore corrigirt,
wobei die Entstehung des getilgten m aus fehlerhafter Wieder
holung des Schlussbuchstabens des vorhergehenden Wortes —
ein in B auch häutiges Versehen — Jedem klar sein muss; die
meisten Vertreter der d'-Classe, darunter Lov. 2, geben quodam
odore, wenige (Voss.) quodam more, was neben dem Fehler
jener Dittographie eben auch noch den einer ebenso geläufigen
Silbenauslassung 1 involvirt und so gewiss eher aus odore als
aus nidore verdorben ist. Aber auch die Verbindung mit foedus
scheint mehr für ersteres Wort zu sprechen. Vgl. z. B. Cic.
d. n. d. II, 50, 127 insectantis odoris intolerabili foeditate;
Sali. Cat. 55, 4 sed incultu, tenebris, odore foeda . . eins fades
est; auch in ähnlichen Verbindungen findet man odor häufiger
als nidor, vgl. Caes. b. c. III, 49, 3 odore taetro 2 ex multi-
tudine cadaverum; Verg. Georg. IV, 49 odor caeni gravis;
Petron. 117 Büch, et strepitu obsceno simul atque odore viam
implebat u. dgl. Hält man alles Derartige zusammen, so kann
die bei Drakenborch für das nidore der alten Ausgaben haupt
sächlich ins Feld geführte Stelle Verg. Aen. XII, 300 (ulli ingens
barba reluxit Nidoremque ambusta dedit) mit der aus Colum.
de r. r. VI, 18 gegenüber der Ueberlieferung an der unserigen
doch nicht als ausschlaggebend betrachtet werden. Das in
einigen Vertretern der d’-Gruppe schliesslich überlieferte ad-
implesset (adimplesset Voss.) statt complesset könnte möglicher
weise den Gedanken an ein ursprüngliches implesset (iplesset
statt cplesset) 3 wecken, wie wir dies Wort auch in ähnlicher
1 Vgl. z. B. auch meine Hilariusstudien S. 31 [897]. Im cod. B des Liv.
finden wir in der nächsten Nähe XXXVIII, lö, 6 traliendo st. travehendo.
2 Diese Verbindung ist bekanntlich auch aus Lucrez so wohl belegt.
8 Die Zugabe des ad in diesen Handschriften würde sich durch ein aus
dem vorhergehenden adusta entwickeltes Versehen erklären lassen.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXVIII. IM. 5. Abh. 2
18
V. Abhandlung: Zingerle.
Verbindung bei Petronius getroffen, doch dürfte Derartiges erst
nach der ganz vollständigen Sammlung über den Gebrauch
beider Composita bei Livius hn Lexikon Fügn. eventuell in
Betracht gezogen werden.
XXXVIII, 13, 9: parva disceptatio de Attali auxiliaribus
orta est, quod Romano tantum militi pactum Antiochum ut
daretur frumentum Seleucus dicebat; discussa ea quoque est
Constantia consulis, qui misso tribuno edixit cet. Das alte
Bedenken Crevier’s bezüglich des quoque an dieser Stelle (,ei
hic locus non est, cum de nulla alia disceptatione superius
mentio facta sit‘) fand auch Weissenborn in seinem Commentar
der Erwähnung werth, obwohl er das Wort durch Hinweis auf
zwei Stellen, wo dasselbe sich auch nur auf etwas Gedachtes,
nicht bestimmt Ausgesprochenes beziehe, noch zu retten suchte.
Bei näherem Nachsehen stehen aber jene Stellen mit der
unserigen doch wohl nicht auf ganz gleicher Linie, wie dies
gut auch durch die nunmehrige Fassung des Connnentars
Weissenborn — H. J. Müller 1 zu II, 22, 4 beleuchtet wird. 1
In unserem Falle handelt es sich eben nicht blos um die
freiere Stellung des Wortes oder um Beziehung auf eine ent
ferntere, resp. allgemeine Andeutung, sondern um die einmalige
Erwähnung einer disceptatio, von der dann gleich gesagt werden
soll discussa ea quoque est. Das Bedenken dürfte darum
immerhin hier und dort von Neuem auftauchen, aber statt der
etwas gewaltsamen Streichung von quoque könnte dann vielleicht
die nicht zu schwere Aenderung in utique vorgeschlagen werden.
Letzteres Wort ist bei Livius ohnehin in mehrfachen Nüanci-
rungen bekanntlich sehr beliebt. Bezüglich der Partien, wo es
auch schon in die Bedeutung ,zumal*, wie der Ausdruck bei
Fabri — Heerwagen deutsch wiedergegeben ist, oder in die von
praesertim, wie Kreyssig mit lateinischen Commentaren para-
phrasirte, hinüberspielt, genügt es hier, auf die Sammlungen
bei Fabri — Heerwagen zu XXI, 54, 9 und bei Kreyssig im
Index zu verweisen. Allerdings wird das Lexikon in einzelnen
1 ,quoque reiht an das bellum parare das legatos dimütere, als wenn L.
ohne legatos gesagt hätte: mittunt quoque, qui sollicitent 1 . Weissenborn
einst: ,quoque kann auf das durch die neuen Rüstungen gegebene Bei
spiel bezogen werden, oder es gehört zu Latium, wie bei L. quoque bis
weilen freier gestellt wird 4 .
Zur vierten Decade des Livius.
19
Uebergängen, die sich auch dem fleissigen Beobachter bisher
schon mehr und mehr nach den verschiedenen Satzformen auf
drängen mussten, genauer zu unterscheiden haben, aber die
Sache an sich steht fest und Stellen, wie z. B. XXII, 7, 11 oder
XXXXII, 19, 7 könnten jedes Falls auch für die unserige heran
gezogen werden. 1
XXXVIII, 37, 11 dato tempore ad eam diem praesidio
deeessum est. So wird nun stets nach der ed. Basil. 1535
gelesen. B <1> bieten einmütliig decessit praesidio et, bezüglich
M haben wir die Notiz der Mogunt. praesidio deeessum, von
der wir nicht wissen, ob sie genau und vollständig ist. Ich
möchte nach meinen wiederholt auch in der Ausgabe der
Bücher 31—35, namentlich für solche Fälle, entwickelten Grund
sätzen lieber im möglichsten Anschlüsse an die Schriftzeichen
B '!> decessu praesidio est herstellen. Vgl. z. B. auch IV, 29, 5
decesserit praesidio; XXXVI, 14, 4 decedenti praesidio, 2
XXXVIII, 58, 8 L. Scipionem con-
sulem et ab senatu dignum visum, cui extra sortem. Asia pro-
vincia, et bellum cum Antiocho rege deeerneretur, et a fratre, cui
cet. Der überlieferte Ausdruck visum wurde in solcher Ver
bindung von Weissenborn wiederholt und auch von Madvig
bezweifelt; M. Müller stellte jüngst dafür habitum in den Text
mit der Bemerkung in der praefatio crit. p. XV: ,habitum dedi
ex incerta coni. Weiss. et Madv. Codd. visum, quod ferri
nequith In Weissenborn’s Commentar der Weidmann’schen
Ausgabe liest man: ,Man erwartet habitum, iudicatum oder ein
ähnliches Wort'. Vom paläographischen Standpunkte läge
wohl noch am nächsten ductum. In Folge Ausfalles des d nach
dem vorhergehenden dignum — ein in unserer Ueberlieferung
öfter notirter Fehler — konnte aus dem übrig gebliebenen
uctum am leichtesten uisum sich entwickeln; sonst dürfte viel
leicht auch die Verwechslung zwischen uictus und ductus, uictor
1 Vgl. auch die Erklärer zu Curtius Ruf. V, 5, 17.
2 XXXVIII, 39, 17 möchte ich für das ergänzte res diese Stellung em
pfehlen: quia pars eins citra, pars ultra Taurum est, res Integra ad se
natum reicitur. Vgl. XXVII, 25, 2 res Integra postea referretur; XXXIX,
38, 6 rem integram referri iusserunt und meine Bemerkungen in der
Berl. philolog. Wochenschrift 1891, S. 1038. (Aehnlich XXXIX, 4, 4
disceptatio Integra; XXXX, 17, 6 causam integram u. dgl.)
2*
20
V. Abhandlung: Zingerle.
und ductor nicht ganz uninteressant sein, vgl. z. B. Dralcenborch
zu Liv. V, 26, 8; VII, 3, 9 und zu Sil. IX, 199. Und ducere
findet sich gerade in Zusammenstellungen mit dignus, idoneus
u. dgl. nicht ungerne; z. B. Liv. XXIII, 42, 13 quos, ut socios
höheres, dignos duxisti.
Durch verschiedene Arten der aberratio, Dittographie oder
Haplographie hervorgerufene Versehen finden sich in B über
haupt recht gerne auch in den hier nächstliegenden Partien,
und es sei gestattet, Einiges von diesem Gesichtspunkte noch
in übersichtlich knapper Weise vorzuführen, um dann im An
schlüsse, wenn es sich da auch nicht um neue Conjecturen
handelt, wenigstens die bei ein paar noch immer mehr oder
weniger zweifelhaften Stellen bevorzugte Gestaltung kurz zu
rechtfertigen.
XXXVI, 28, 7 et qui adsint aetolorum scire aetolorum B,
während die übrigen Handschriften von der fehlerhaften Wieder
holung frei sind; 34, 9 ist nondum tot B 4* (st. nondum duas
M) durch Abirrung wegen des vorhergehenden und folgenden
tot entstanden, und die ältesten Ausgaben suchten dann dieses
Versehen in ihrer Weise zu corrigiren (vgl. darüber meinen
Apparat); XXXVII, 5, 1 in muros ingererent B (st. in muros
gererent M ( l>); 6, 7 perfecta virtutis videhatur res B, wo virtutis
aus der vorhergehenden Zeile wiederholt ist; 11, 6 ex utraque
classe B 4> (st. ex utraque parte M) wieder wegen classe in
der früheren Zeile; 16, 11 navalium remigum turham B (st.
remigum turham M 4>) durch das gerade voranstehende navales
etiam hervorgerufen; 18, 11 agendi de pace esse B 4> (st. agendi
de pace Mogunt.) mit Abirrung auf das vorangehende esse und
essent (auch hier ist auf die Herstellungsversuche einiger ( I*-Ver-
treter zu Beibehaltung des esse nicht zu achten, und es steckt
nichts Weiteres dahinter, wie Weissenborn einst meinte);
20, 2 q; ui hiduu B (st. qui hiduum); 20, 2 stationihusque B d>
(st. temporihusque M) in Folge des nahen stationes. 1 Es mögen
solche in so kurzen Zwischenräumen sich drängende Beispiele,
wobei ich schon von Anderen besprochene wegliess, genügen,
1 23, 3 erklärt sich die Verstümmelung des auf ab Aspendiis folgenden ad
Sidam in iam B <1> ziemlich einfach, wenn man sich erinnert, dass ab
Aspendiis auch hier in ad aspendiis corrumpirt ist; vgl. oben S. 13.
Zur vierten Decade des Livius.
21
um zu zeigen, dass u. A. auch XXXVII, 5, 2 im et quidem
cibo et quiete B, <T» plerique (st. et tune cibo et quiete M, et
cibo et quiete Lov. 2) nichts Weiteres zu suchen sein dürfte
als ein Heilungsversuch einer ursprünglichen Abirrung auf
quiete (Weissenborn hatte einst an eine Combination et tune
quidem cibo et quiete gedacht), oder dass selbst XXXVII, 10, 7
das an sich noch haltbare facturum esse B (st. facturum M <E>)
doch auch nur aus dem unmittelbar vorhergehenden esset er
wachsen sei. XXXVH, ß, 2 halte ich es nach ähnlichen Er
fahrungen nicht für zu gewagt, Weissenborn’s nur in der An
merkung mitgetheilte Conjectur iam enim in sinu Maliaco erat 1
in Form einer Parenthese in den Text zu setzen; das venerat
in B d> ist wohl auch nur unter dem Einflüsse des gerade vor
anstehenden veniebat entstanden, und im Uebrigen kann auf
diese Weise die Ueberlieferung B (iam enim in sinumaliaco)
vollständig gehalten werden, während die hier immerhin
besonders auffallende Wiederholung verschwindet und Pa
renthesen solcher Art gerade in diesen Partien so häufig sind
(z. B. gleich im nämlichen Capitel § 3 iam enim magna ex
parte moenibus nudata erat; § 7 nihil enim u. s. w.; 13, 5
ita enim placuit; 7, 11 inde enim est dimissusj 14, 4 is enim
est primus rogatus sententiam, oder gar die diesbezügliche
Häufung 21, 7!).
Schliesslich mögen in diesem Zusammenhänge noch einige
Lesarten des Lov. 2 beispielshalber übersichtlich vorgeführt
werden, die zur Beurtheilung dieser im Vorhergehenden schon
mehrfach berührten und auch im Folgenden noch heranzu
ziehenden Handschrift Beiträge liefern könnten. Zu XXXVIII,
17, 13 bemerkte Madvig Fm. L. p. 543: ,vix dubium est, quin
Livius in sua quidque sede scripserit, non hoc uno loco quid-
quid pro quidque‘; bereits Florebellus hatte sich für quidque
ausgesprochen, ihm stimmten dann Sigonius und J. F. Gronovius
bei, und Drakenborch fügte hinzu: ,ita in uno Lov. 2 invenih
Wir werden bei solcher Bestätigung durch einen bei genauerer
Beobachtung öfter sich bemerklich machenden Codex und bei
der ohnehin leichten Verwechslung der beiden Wörter, trotz
1 Für die Wortverbindung vgl. z. B. 18, 10 audivit considem cum exerciiu
iam in Macedonia esse.
22
V. Abhandlung: Zingerle.
des quicqd des hier noch vorhandenen B, diese leichtere Her
stellung der schon etwas gewaltsameren, von M. Müller auf
genommenen Wesenberg’s um so eher vorziehen dürfen. Der
artiges scheint dann nach Erfahrungen verschiedener Art
namentlich auch dort einiger Beachtung würdig, wo B aufhört
(nach XXXVIII, 46, 4) und über M, S keine näheren Mit
theilungen der Einzelheiten vorliegen. Wenn z. B. XXXVni,
47, 6 Lov. 2 mit Lov. 1 und Harl. cepi aut cecidi bietet
statt der Vulgata cepi aut occidi und gleich 49, 11 ceci-
derunt et ceperunt nach Lov. 2 und der Mehrzahl (mit Aus
nahme von Lov. 1 und 4) von allen Herausgebern anerkannt
wird, so kann nun wohl auch bezüglich der ersteren Stelle
berechtigter Zweifel entstehen; vgl. auch IV, 61, 7 infra arcem
caesi captique multi mortales; XXXVI, 36, 6 exercitumque
eius cecidit (caecidit B) B mit den meisten codd., nur Voss,
und Lov. 6 occid.it, wozu die Sammlung bei Drakenborch zu
vergleichen. XXXVIII, 52, 10 hat Lov. 2 mit Harl. und
Mead. die Wortstellung morbum causae esse; man vergleiche
damit dieselbe Stellung oben § 3 desselben Capitels,. wo sie
durch Gelenius bezeugt und von allen neueren Herausgebern
gebilligt ist. XXXVIH, 58, 6 Lov. 2 mit allen c h, wie es
scheint, morte occuluisse, was auch Drakenborch, selbst Bekker
und Hertz noch hielten, während Weissenborn und M. Müller
mit ed. Tarvis. und ein paar Folgenden mortem occuluisse in
den Text setzten; man vergleiche Weissenborn-H. J. Müller zu
I, 7, 7, wo übrigens auch M. Müller morte occubuit aufnahm
und in der Anmerkung seiner erklärenden Ausgabe auf XXIX,
18, 6 sich berief. XXXVHI, 60, 9, wo die neuesten Ausgaben
einschliesslich der M. Müller’s noch immer a cognatis lesen, hat
nun Fügncr im Lexikon Liv. S. 12 richtig ab cognatis notirt;
es ist dies die Lesart des Lov. 2 und der Mehrzahl der f l>-Ver-
treter. Erwähnt werden kann nach derlei Erfahrungen vielleicht
auch noch XXXVIII, 48, 15 das at pro felicitate mea des Lov. 2
(Duker hatte bemerkt, dass zu dem sonst überlieferten ein
fachen pro felicitate mea ein sed zu ergänzen sei, Crevier
und Ussing 1 setzten davor ein si ein, Hertz dachte an immo,
M. Müller an die Doppeleinschiebung si pro felicitate tantum
1 Vgl. dazu Madvig Em. L. p. 550.
Zur vierten Docado des Livius.
23
mea), und der Umstand, dass XXXVIII, 49, 9, Lov. 2, Harl.,
Mead. durch ihr in hoc quo casu infeliciter incidit, ut allerdings
der Hertz’scken Vermuthung in hoc, quod casu infeliciter in
cidit, ut günstig wären. 1
II.
Vieles ist für Aufhellung und Lösung der besonderen
Schwierigkeiten, auf welche Handschriftenforschung und Kritik
bei der vierten Decade des Livius in Folge der bekannten
Verhältnisse und Verluste stossen, in neuerer Zeit geleistet
worden, namentlich durch übersichtliche Untersuchungen, wie
sie Weissenborn, Madvig und Luchs lieferten.
Im Grossen und Ganzen stellt sich trotz mancher Ab
weichungen im Einzelnen, respective in der Werthschätzung,
das Resultat der zwei Classen heraus, von denen die eine durch
den verlorenen, aber durch mehrseitige Mittheilungen und Ex-
cerpte charakterisirten Moguntinus, die andere durch den für
den grösseren Theil erhaltenen Bambcrgensis und die jüngeren
Codices, sowie durch den zwar auch verschollenen, aber von
Gelenius benützten Spirensis vertreten werde. Bezüglich des
letzteren hatte Weissenborn bereits in seiner Besprechung der
Kreyssig’schen Ausgabe des 33. Buches in den N. Jahrbüchern
f. Phil. 1840, 8. 183 die in vieler Hinsicht wahrscheinliche Ver
wandtschaft mit dem Bambcrgensis hervorgehoben; derselbe
Gelehrte betonte dann in den Commentationes Mommsen. 1877,
8. 311 wieder dessen nahe Berührung mit dem Bambergensis
und den jüngeren Handschriften; Madvig in den Emendationes
Liv. 2 8. 460 cliarakterisirte ihn als ,Bambergensi per omnia
simillimum'; Luchs im Progr. Univ. Erlang. 1890 2 stellt ihn
auch zu derselben Classe, hält ihn aber den jüngeren Hand
schriften (<1>) näherstehend als dem Bambergensis (B) und ist
der Ansicht, dass Spirensis (S) und <1* nicht aus derselben
Vorlage stammen wie B, wohl aber auf denselben Archetypus
1 Für die Verbindung könnte ausser XXXXV, 8, 5 auch das öfter (1,46,5;
XXVI, 23, 2; XXVIII, 17, 13) begegnende forte ita incidit, ut oder (III,
40, 9) fato incidit, ut tlieilweise verglichen werden.
2 De Gelenii codice Liviano Spirensi commentatio.
24 V. Abhandlung: Zingerle.
zurückgehen (S. 12). Trotz dieses wenigstens in der Haupt-
eintheilung der zwei Classen im Wesentlichen übereinstimmenden
Resultates werden sich aber bei immer genauerer Durcharbeitung
des kritischen Apparates aller Bücher der genannten Decade
und namentlich derjenigen, in welchen Gelenius wohl beide
verlorenen Handschriften benützte, in Folge der Vergleichung
seiner, allerdings vielfach recht dunkeln, Angaben mit den
besser controlirbaren Apparaten aus B <t> und theilweise aus M
im Einzelnen unwillkürlich noch manche Zweifel aufdrängen.
Und überschaut man dieselben auf Grund der gemachten No
tizen unbefangen, so scheint bei aller Achtung vor der von so
erprobten Liviusforschern im Ganzen richtig erkannten Haupt-
eintheilung doch der Gedanke nicht ferne zu liegen, dass man
beim hier allerdings doppelt nothwendigen Streben nach einer
endlichen genaueren wissenschaftlichen Sonderung und bei den
oft so zweifelhaften Angaben über die verlorenen Handschriften
bisweilen in das selbst bei viel günstigeren Verhältnissen an
derer Autoren wiederholt vorgekommene Verfahren gerathen
kann, etwaige Verbindungslinien zwischen zwei Handschriften-
classen theilweise zu übersehen. Ich gebe zunächst einige hier
und dort aus meinem Apparat herausgegriffene Beispiele für
doch auch zwischen M und d» belegbare Berührungen, da hier
das Vergleichungsmaterial mehrfach immerhin hinreichend ge
sichert ist und daraus dann vielleicht der eine oder andere
Schluss über Einzelheiten in S und über Angaben des Gelenius
(G) sich ergeben könnte.
XXXVI, 6, 4 ist das richtige, zuerst von Aldus aus M
aufgenommene per legatos nach Drakenborch auch Lesart des
Lov. 2 gegenüber dem ad legatos von B, <1> pl.; 1 10, 11 findet
sich das dem M zugeschriebene, in B ( 1> fehlende metatus längst
vor der Moguntina und Aldina bereits in ältesten Ausgaben;
35, 7 weisen alle <1*-Vertreter selbst noch in orthographischen
Abirrungen auf die Lesart M Eieis, während zum Aetolis B
sich hier nur die alten Ausgaben vor der Mogunt. bekennen;
40, 7 stellte G mit Berufung auf seine ,exemplaria‘ spem pro
re ferentes her gegenüber dem durch B und <I> pl. überlieferten
spem pro re ferentibus; mit der obigen Verbesserung des Ge-
1 Ich bezeichne mit <t> pl. kurz die Mehrzahl der Vertreter der <1>-Classe.
Zur vierten Decade des Livius.
25
lenius, die man nun meist kurz auch auf M allein zurückführt,
berührt sich aber doch ein Glied der 4>-Classe nahe, und zwar
wieder Lov. 2 mit seinem sperrt praeferentes, das offenbar nur
aus einem spem p rae 1 f'ereiltes weiter leicht verdorben wurde;
XXXVII, 1, 1, wo B richtig institerunt hat, stimmen mit dem
insistere des M auch 3 4> überein (darunter Voss., Gaertn.);
1, 7 coeptum agi est B und 4> pl., coeptum est agi M und 3 <1>
(Lov. 2, Harb, Mead. 1); 3, 1 halten die meisten 4> (darunter
Lov. 2, Voss., Gaertn.) mit M in provincias, nur vier mit B
in provinciam; 33, 3 trifft Lov. 2 in der Wortstellung nt impedi-
menta aegrique consequerentur mit M zusammen; 49, 5 perdoman-
dosque richtig B und ‘I 1 pl., perdomandos M, 3 4> (darunter
Lov. 2, Harb); XXXVIII, 14, 14 u. 15, 11 medimnum B und 4>
pl., modium M, 2 4» (Harl. und Gaertn.); 16, 14 absisterent B
und 4> pl., cibstinerent M, 2 4> (darunter Lov. 3 nicht uninter
essant zwischen der Zeile!) und die ältesten Ausgaben; 20, 1
oppugnandis richtig M und Lov. 2, expugnandis B, <b pl.; 52, 7
tribunum (st. tribunos) M, Lov. 2, Ilarl. Durch solche Bei
spiele, die sich leicht mehren Hessen, dürfte der oben berührte
Gedanke an manche Verbindungslinien, die denn doch auch
zwischen M und gewissen Vertretern der 4>-Classe hie und da
noch durchblicken, bestätigt worden sein; reihen wir daran
zwei weitere Erfahrungen, erstens die, dass einerseits Gelenius
selbst wenigstens XXXVI, 22, 8 auch einen Consens von M
und S ausdrücklich betont, 2 zweitens den Luchs’schen Nach
weis, dass S zwar zur zweiten Classe (B 4’) gehörte, im Ganzen
aber den 4’ näher stand als dem B, 3 so könnte sich aus Allem
zusammen vielleicht nicht allzuschwer ergeben, dass, wie un
leugbar manche 4>-Vertreter, so wohl auch S öfter doch noch
Verbindungsfäden mit der ersten, d. h. mit der M-Classe,
aufweisen konnte, und dass demnach Gelenius selbst dort, wo
er allgemeine Ausdrücke wie ,exemplaria nostra*, ,archetypa‘,
1 Vgl. über Derartiges meine Hilariusstudien S. 13 [879]. uvhae st. urbe
hat unser B XXXVI, 3, 3.
2 ,Maguntinus et Spirensis Codices aliter habent, hoc modo: a sinu Maliaco,
quae‘-, vgl. übrigens über diese Stelle auch Weissenborn, Comment.
Hamms, p. 31(i, Luchs 1. c. p. 3.
3 Vgl. auch H. J. Müller, Jahresber. des Berl. pliil. Vereins 1891, S. 186.
26
V. Abhandlung: Zingerle.
,vetus lectio' u. dgl. gebrauchte, wirklich manchmal 1 auch die
selbe Lesart in M und S gefunden hatte.
Wenn er z. B. XXXVI, 7, 7 für das richtige qui dubitare
gegenüber dem quid (qd B) dubitare auf seine ,archetypa‘ sich
beruft und mit letzteren auch wieder Lov. 2 und die alten
Ausgaben seit 1482 sich decken, so können wir wohl glauben,
dass hier auch M S dieselbe Uebereinstimmung hatten, dass
also die Lesart in den Apparaten doch nicht einfach mit M zu
bezeichnen sein dürfte. Oder nehmen wir wieder ein zu
Wichtigerem aufsteigendes Beispiel. XXXVI, 35, 7 quia suae
gratiae reservari eam Achaei, Eiei per se ipsi quam per Ro
manos maluerunt Achaico contribui concilio, so Gelemus mit
Berufung auf seine ,exemplaria‘; quia suae gratiae reseruari ea
Achaei per se ipsi quam per Romanos maluerunt Achaico con
tribui concilio 4>, qa suae graeciae reseruari eä achaei p malue
runt achaico contribui consilio B. Beachten wir, wie nahe hier
auch 4» der ersten Lesart stehen, während B mit seinem be
sonders starken Ausfälle sich allein findet, so können wir
Madvig nur beistimmen, wenn er Em. L. p. 526 ausdrücklich
annimmt, dass die ,exemplaria‘ da wirklich auf M S zu beziehen
seien; denn wenn selbst bei Betonung naher Verwandtschaft
zwischen S und <t> doch zugegeben werden muss, dass letztere
im Verlaufe mehrere Fehler entwickelten, so ist es sehr
glaublich, dass im alten S das leichte Versehen ea, welches ja
auch B nicht hat, und der Ausfall des Eiei nach Achaei noch
nicht platzgegriffen hatte. XXXVI, 38, 7 corrigirte Gelenius
wieder mit Hinweis auf seine jexemplaria' ubi ut; da hier die
1 Freilich wird hier immer genauer gesondert werden müssen, und bis
weilen wird allerdings auch die schon öfter aufgestellte Annahme gelten,
dass er auch das nur in einem seiner beiden Codices Gefundene mit
einem allgemeinen Ausdrucke empfahl. So wird z. B. XXXVII, 11, 13
,vetus lectio 1 cum duabus Cois wohl am ehesten auf S zurückgehen, der
den Fehler copiis B ( I> bei der sonst gleichen Wortstellung noch ver
mieden hatte; während M test. Mogunt. die verschiedene Wortstellung
cum Cois duabus hatte; ähnlich wohl auch XXXVI, 17, 4 Ule et ,ex
vetustis codd.‘, was mit B <I> sich deckt, während M test. Mogunt. multo et
bot; wenn G XXXVIII, 55, 4 Furii Aculeonis corrigirt, so stammt dies
auch wahrscheinlich aus S, da die meisten <t>, darunter Lov. 2, durch
ihr furiacii leonis nach Heilung der falschen Worttrennung auf dasselbe
führen, während M test. Mod. Furii OuUeonis las.
Zur vierten Decade des Livius.
27
Moguntini diese Lesart ausdrücklich für M bezeugen, könnte
es scheinen, es sei sicher an letzteren Codex allein zu denken;
sieht man aber, wie B d> ubi überliefern, alle ältesten Ausgaben
vor Aldus aber ut, so ergibt sich, dass die auf ubi ut führenden
Verbindungslinien auch ausserhalb M nicht fehlen, S also das
Richtige wohl auch noch haben konnte. XXXVII, 53, 4, wo
ipsi autem von Gelenius durch ,lege‘ empfohlen ist, haben wir
nach Drakenborch dieselbe Lesart wahrscheinlich auch in Lov. 2
und Lov. 1 anzunehmen, B und ( 1> pl. bieten (tibi autem, Lov. 6
bezeichnend si autem; überblicken wir diese in ihrer Entstehung
gewiss sehr durchsichtige Mischreihe, so werden wir hier Madvig
weniger beipflichten, wenn er Em. L. p. 444 ipsi autem geradezu
nur auf M zurückführen zu müssen glaubt. Wir haben im Laufe
dieser Abhandlung wiederholt bei verschiedenen Gelegenheiten
den Lov. 2 durch gewisse Erscheinungen hervortreten gesehen,
welche diesem Codex unter den jüngeren eine besondere Auf
merksamkeit zuwenden und theilweise vielleicht auch zur etwas
besseren Aufhellung mancher Fragen beitragen könnten. Es
ist übrigens nach den bisherigen Auseinandersetzungen kaum
nöthig, noch ausdrücklich hervorzuheben, dass derselbe, wie
wir ihn einerseits hie und da in gewisser auffallenderer Be
rührung mit richtigen oder unrichtigen Lesarten M getroffen,
anderseits auch mit B das Richtige schützt. 1 Nur noch ein
Beispiel. Wenn XXXVII, 51, 9 Madvig Em. L. p. 535 die von
Gelenius fälschlich durch ein ,legendum‘ bevorzugte Lesart
victam Aetoliam (statt victum in Aetolia) dem Cod. M zuweist,
was allerdings nicht unwahrscheinlich ist, so hat derselbe auch
hier d'-Genossen im Lov. 3 und theilweise im Voss.; Lov. 2
aber stimmt hier im Wahren mit B überein, was wohl auch
in S stand.
Fast möchte man, wenn man alle derartigen Beobachtungen,
die an dieser Stelle, wie gesagt, nur durch mehrere Beispiel
reihen beleuchtet werden konnten, zusammen überblickt, zur
Meinung gelangen, dass etwa doch schon ziemlich frühe ge
wisser gegenseitiger Einfluss der zwei Classen in theilweise
1 Auch Uiirichtiges, so z. B. das von Hertz zu gewissenhaft gehaltene in-
duxit st. induit XXXVI, 11, 3, wo sichtlich nur das vorhergehende trci-
duxit ein wirkte.
i
k.
28
V. Abhandlung: Zingerle. Zur vierten Decade des Livius.
durchcorrigirten Exemplaren stattfand, und dass auch S viel
leicht mehrfach solche Spuren zeigte. Durch eine solche kaum
zu gewagte Annahme könnten manche trotz der richtig nach
gewiesenen Haupteintlieilung noch bestehende Schwierigkeiten
und Zweifel im Einzelnen am einfachsten sich lösen, vielleicht
zum Theile auch die über einige Stellen, wo S im 31. und 32.
Buche nicht mit B ‘1> übereinstimmt. Indem ich schliesslich
den Wunsch nicht unterdrücken kann, es möchte A. Luchs,
der ja auch neue Collationen jüngerer Codices sich zu besorgen
in der Lage ist, diesen Untersuchungen im ganzen Umfange
der Decade erneute Aufmerksamkeit in solcher Beziehung
zuwenden, glaube ich es vorderhand auch gerechtfertigt zu
haben, warum ich nun im Apparate des 6. Theiles meiner
Liviusausgabe auch die Lesarten mancher jüngerer Hand
schriften, namentlich des Lov. 2, nach nochmaliger wohlüber
legter Durchmusterung der Speicher Drakenborch’s öfter na
mentlich aufführe, als dies in neuerer Zeit sonst geschehen ist.
VI. Abb.: v. Zeissberg. Belgien unter Erzherzog Carl (1793, 1794).
l
VI.
Belgien unter der Generalstatthalterschaft
Erzherzog Carls (1793, 1794).
Von
H. R. v. Zeissberg,
wirkl. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
I. Theil.
I. Trauttmansdorff und Metternich. — Die Brüsseler
Confercnz.
Der Kaiser hatte sich nach der Katastrophe des Jah
res 1792 anfangs mit der Absicht getragen, das niederländische
Gouvernement gänzlich aufzulösen, stand jedoch von diesem
Vorhaben nachträglich, als man die Wiedergewinnung Belgiens
ernstlich ins Auge fasste, ab und ermächtigte Metternich, wie
dies auch in den Jahren 1789 und 1790 der Fall gewesen war,
ein Comite boizubehalten, dessen Mitgliederzahl sich nach den
vorhandenen Bedürfnissen richten sollte. In dem Masse, in wel
chem der Feind gezwungen sein würde, die Niederlande zu
räumen, sollte Metternich der Armee mit jenem Comite tolgen
und letzteres im Verhältnisse zu den sich mehrenden Geschäf
ten verstärken.
Zugleich wurde Metternich der Entwurf einer Proclama-
tion zugesendet, die, von Coburg unterzeichnet und in einer
grossen Anzahl von Exemplaren gedruckt, allenthalben erst
nach erfolgtem Einmärsche der kaiserlichen Truppen in dem
von dem Feinde occupirten Gebiete veröffentlicht werden sollte.
Man stellte es dem Zufall anheim, inwiefern dies etwa bereits
zuvor geschehe, keineswegs aber sollte Letzteres officiell ver-
Sitzungsber. d. pliil.-hist. CI. CXXVHI. Bd. 6. Abb. 1
2
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
anlasst werden, um nicht das Manifest muthwilliger Behandlung
auszusetzen und dadurch compromittirt zu werden. 1
Die Proclamation 2 eröffhete vor Allem die Aussicht auf
die Wiederherstellung der von den Franzosen umgestürzten
constitutionellen Rechte und jener Grundsätze, welche, von den
Franzosen angefochten, Jahrhunderte lang den Provinzen zum
Segen gereicht hätten. Dies sei der einzige Zweck aller An
strengungen jener Armee, welche der Kaiser seinen treuen
Unterthanen zu Hilfe gesendet habe. Er erwarte, dass sie sich
beeilen werden, ihrerseits zu diesem heilsamen Zwecke beizu
tragen, während diejenigen, welche es wider alles Erwarten
wagen würden, sich diesen Absichten zu widersetzen, der
vollen Strenge des Gesetzes verfallen sollten.
Es war dies die letzte Weisung, welche Philipp Cobenzl
an Metternich erliess. In eben diesen Tagen bereitete sich
sein Sturz vor. Am 27. Februar wurde er der Leitung des
niederländischen Departements enthoben und dieses dem Grafen
Trauttmansdorff mit dem Titel eines belgischen Kanzlers über
tragen, 8 eine Massregel, die, abgesehen von dem Charakter
der betreffenden Personen, insoferne nicht unzweckmässig war,
als dadurch das belgische Departement aus den Agenden der
Hof- und Staatskanzlei ausschied und eine besondere Ver
tretung erhielt, welche seiner in Folge der letzten Ereignisse
gesteigerten Bedeutung entsprach.
Cobenzl selbst 4 behauptet, durch diese Verfügung über
rascht worden zu sein, während sie nach der Behauptung
Anderer von seiner Seite eifrig bekämpft worden war. 5 Er
betrachtete sich als das Opfer einer Cabale, die von dem Ca-
1 Ph. Cobenzl an Metternich. Vienne, le 20 fevrier 1793. Orig.
2 Vergl. Wiener Zeitung, 1153.
3 Arneth v.: Graf Philipp Cobenzl und seine Memoiren (Archiv f. österr.
Gesch. LXVII, 43).
4 Ph. Cobenzl an Metternich. Vienne, le 1 er mars 1793. Orig, (abgedruckt
bei Gacliard, Analectes II, 105), In einem eigenhändigen vertraulichen
Schreibeu vom selben Datum an Metternich fügt Ph. Cobenzl dieser
Mittheilung bei: ,V. E. n’aura pas etc peu surpris d’apprendre de ma
lettre d’Office de ce jour que c’est la derniere que j’ai l’honneur de vous
adresser sur les affaires provinciales des Pays-Bas. II n’y a que vingt-
quatre heures que j’ai eu la meme surpri.se. c
5 Arneth, a. a. O. 43.
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
3
binetsminister Colloredo und dem Oberstkämmerer Rosenberg
ausgegangen und die auf die Erhebung TrauttmansdbrfFs und
Thugut’s gerichtet gewesen sei, welche beide damals unbe
schäftigt waren und eine Wiederanstellung im Staatsdienste an
strebten. 1 In der That vergingen seit jenem ersten Schlage
nur vier Wochen, und Cobenzl wurde auch seiner Stellung als
Staats-Vicelcanzler enthoben, mit der neu geschaffenen Würde
eines Kanzlers der italienischen Provinzen bekleidet, dem Frei
herrn von Thugut aber zunächst als Director des auswärtigen
Amtes die mit demselben verbundenen Geschäfte übertragen. 2
Trauttmansdorff war kein Neuling in den niederländischen
Geschäften. Unter Maria Theresia 1770 in den Staatsdienst ein
geführt, blickte derselbe auf eine ebenso rasche als glänzende
Beamtenlaufbahn zurück. 1780 wurde er kurböhmischer Ge
sandter beim Reichstag zu Regensburg, 1783 von Josef II.
gleichzeitig im fränkischen Kreise accreditirt. Während des ,Für
stenbundes' (1785) wurde er in wichtigen Geschäften nach Mainz,
in den oberrheinischen und in den fränkischen Kreis entsendet,
1787 in schwierigster Zeit trotz seiner Gegenvorstellungen zum
bevollmächtigten Minister der Niederlande ernannt, in welcher
Stellung er sich durch sein Eingehen auf dessen Ideen das Ver
trauen des Kaisers im höchsten Masse erwarb. Von demselben
für den Posten eines Reichs-Vicekanzlers, ja zum Nachfolger
Kaunitz’ ausersehen, wurde er, da sich beides nicht bewerk
stelligen liess, durch die Verleihung des goldenen Vliesses aus
gezeichnet. 3
Die Leitung der Niederlande wurde Metternich und Trautt
mansdorff zu einer Zeit anvertraut, in der die Lösung der bald
wieder hervortretenden Spannung der inneren Verhältnisse weni
ger von Persönlichkeiten als von der Entscheidung der äusseren
Frage, von dem Ausgange des Krieges mit Frankreich abhing.
Immerhin war es für Belgien kein Glück, dass es fortan von
zwei so verschieden veranlagten Staatsmännern geleitet werden
sollte; jedenfalls war vorauszusehen, dass es der inneren Politik
1 Arneth, a. a. 0. 154—155.
2 Ebenda. 43.
3 Nach einer undatirten, durch seine spätere Enthebung von dem Amte
eines Kanzlers der Niederlande veranlassten Eingabe desselben an Kaiser
Franz.
1*
4
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
auch fernerhin an Festigkeit und Beständigkeit fehlen werde,
da dem Minister, diesem 'ausgesprochenen Anwälte der ständi
schen Wünsche, in dem Kanzler eine Persönlichkeit gegenüber
stand, die bei aller, selbst von Leuten wie Baillet anerkannten
Mässigung ihre Vergangenheit nicht verleugnen konnte. Metter
nich wurde denn auch durch den Personenwechsel von vorne-
herein auf das Unangenehmste berührt; aufCobenzl’s Mittheilung
erwiderte er: ,Euere Excellenz bemerken ganz richtig, dass der
Wille des Souveräns für mich stets ein Befehl ist und sein wird.
Doch ist es nicht minder gewiss, dass ich äusserst erstaunt war,
als ich von dieser neuen Ordnung der Dinge vernahm/ 1 Und
in der That gestaltete sich das Verhältniss Metternich’s zu Trautt-
mansdorff binnen kürzester Zeit so unerquicklich, dass es wieder
holt des unmittelbaren Eingreifens des Kaisers bedurfte, um dem
Federkriege beider ein Ziel zu setzen. Letzterer blieb nicht lange
ein Geheimniss 2 und wurde von den Ständen gar bald zu ihrem
Vortheile ausgebeutet.
Gleichzeitig mit Cobenzl’s Entfernung von der Leitung des
niederländischen Departements wurde die Jointe in Wien, die
man wohl als seine Schöpfung bezeichnen darf, und deren Un
zweckmässigkeit sich während der kurzen Zeit ihres Bestandes
erwiesen haben mochte, aufgelöst. 3 Statt dessen wurden in Brüs
sel selbst die sogenannten Conferenzen eingeführt. In Nachbil
dung einer Einrichtung nämlich, die der verstorbene Kaiser für
die Lombardie getroffen hatte, sollte der Generalgouverneur der
Niederlande sich fortan zur Erledigung der Geschäfte und der
Berichte an den Kaiser nicht blos wie bisher der Beihilfe des be
vollmächtigten Ministers und des Staatssecretärs, sondern ausser
dem noch der Mitwirkung zweier eigens hiezu ersehener Käthe
(conseillers assesseurs) bedienen. Während bisher die Angelegen
heiten in Conferenzen, die nicht an einen bestimmten Tag und
an eine bestimmte Stunde gebunden waren, zwischen Statthalter
und Minister erörtert zu werden pflegten, sollten in Zukunft
wöchentlich drei regelmässige Sitzungen und im Falle des Be
dürfnisses auch mehrere unter Intervention jener zwei Käthe
1 Metternich an Cobenzl. Coblence, le 20 mars 1793. Copie. ,Confidentielle
autographe. 1
2 Mercy an Thugut. Bruxelles, le 28 juin 1793. eig'.
3 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 1 er mars 1793.
Ei
Belgien unter der Generalstatthaltersclinft Erzherzog Carls (1793, 1794). 5
stattfinden. L)en beiden Käthen und dem Staatssekretär fällt die
Berichterstattung, jenen in allen inneren, diesem in allen äus
seren Angelegenheiten, zu. Der Generalgouverneur, oder in sei
ner Abwesenheit der Minister, fasst das Conclusum nach der
Stimmenmehrheit zusammen, ausser wenn gewichtige Gründe
dagegen sprechen, die in diesem Falle im Protokolle zu ver
merken sind. Auf diese Weise hat die Verleihung aller Aemter
und Beneficien, über die das Generalgouvernement verfügt, sowie
die Anweisung der Gagen, Pensionen und Gratificationen, endlich
die Erstattung der Anträge bezüglich jener Stellen, deren Be
setzung sich der Kaiser vorbehält, zu geschehen. Bei Meinungs
verschiedenheit hat jeder Votant seine Ansicht zu Protokoll zu
bringen und in demselben zu motiviren, und ist es eine Sache,
deren Entscheidung dem Souverän unterbreitet wird, so steht
es überdies jedem Beisitzenden frei, seine Ansicht unmittelbar,
und zwar versiegelt, Sr. Majestät zu übersenden. Mit Ueber-
geliung jener Anordnungen, welche sich auf die Anlegung und
die wöchentliche Einsendung der Protokolle nach Wien, die
Vertheilung der Referate, di,e Wahrung des Amtsgeheimnisses,
Beschleunigung der Erledigungen u. dergl., kurz auf die Ge
schäftsordnung, beziehen, sei hier noch hervorgehoben, dass
keine Weisung des Generalstatthalters, weder an die Conseils
collateraux, noch an die Justiztribunale, noch endlich an die
Stände ergehen sollte, ohne dass sie zuvor den Gegenstand
eines Berichtes in jener Conferenz gebildet habe. Alles, was
zur Kenntniss des Souveräns zu gelangen hatte, sollte ent
weder, und zwar in wichtigen Fällen durch einen Bericht des
Generalgouverneurs, oder, in minder wichtigen, durch einen
Auszug aus dem Protokolle, im ersten Falle unter der Signatur
des Erzherzogs, im zweiten unter jener des Staatssecretärs, unter
breitet werden. Umgekehrt sollten alle Anordnungen Sr. Ma
jestät dem Gouvernement entweder durch vom Kaiser gezeich
nete, an den Generalstatthalter gerichtete Depeschen oder durch
Schreiben des Hofkanzlers an den Minister erfolgen, in beiden
Fällen aber die gleiche Geltung haben. Endlich sollte es dem
Generalstatthalter zustehen, wenn es sich um Gegenstände von
grosser Tragweite handle, ausser den gewöhnlichen Beisitzern
auch andere Staatsräthe oder königliche Beamte zu jenen Con-
ferenzen beizuziehen, wie dies auch bisher unter dem Namen
6
VI. Abhandlung: v. Zeis sh erg.
einer Jointe geschehen sei. Doch sollte von dem Generalstatt
halter der Landescommandirende in all den Fällen in die (Kon
ferenz berufen werden, in denen es sich um einen wichtigen
Fall handle, hei welchem die Civilregierung militärischer Assi
stenz bedürfe oder das Umgekehrte der Fall sei. In all diesen
Fällen sei die Ansicht des Generalcommandanten dem Proto
kolle beizuschliessen. 1
Am 1. März setzte Trauttmansdorff den bevollmächtigten
Minister von seiner Ernennung in Kenntniss. Während er ihn
im Allgemeinen auf die Instruction verwies, welche binnen
Kurzem für den Fall des Einmarsches der österreichischen
Truppen in Belgien nachfolgen werde, forderte er ihn bereits
jetzt auf, für die Neubesetzung der verschiedenen Conseils col-
latöraux Sorge zu tragen. ,Euere Excellenz kennen/ bemerkte er,
,die Intention des Kaisers, die dahin geht, dass an der seit je
her bestehenden Ordnung dieser Conseils nichts geändert werde,
da bisher jede Aenderung von üblen Folgen begleitet gewesen
ist. Se. Majestät beabsichtigt nicht, den Launen irgend einer
Partei der Nation in Bezug auf seine Beamten blindlings zu
folgen, aber sie ist zugleich entschlossen, der öffentlichen Mei
nung nicht vor den Kopf zu stossen/ Die Mitglieder der auf
gelösten Wiener Jointe Müller, Lannoy und Du Rieux sollte
Metternich in seine Vorschläge einbeziehen, da denselben der
Kaiser eine entsprechende Verwendung in Belgien zugedacht
habe, obgleich Trauttmansdorff selbst wünschte, dass denselben
noch ein längeres Verweilen in Wien gestattet werde, weil er
sich ihrer Unterstützung bei den bevorstehenden Arbeiten be
dienen wolle. 2 In einem vertraulichen Schreiben fügt er hinzu,
dass der Kaiser nur deshalb bisher Alles im Status quo belassen
und die bereits damals (s. unten) überreichte Demission des Chef-
Präsidenten Crumpipen und des Staatssecretärs Feltz nicht an
genommen habe, weil die Absicht bestehe, das ganze Gouverne
ment aufzulösen und man sich daher nicht auf eine vereinzelte
Verfügung beschränken wolle. 3
1 Ordre a suivre dans les Conferences que le serenissime gouverneur ge
neral tiendra avec le ministre plenipotentiaire, le secretaire d’Etat et
les conseillers assesseurs. A.-A.
2 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 1 er mars 1793. Orig.
3 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 1 er mars 1793. Orig. eig.
rnnimnrr
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1798, 1794). 7
Am 2. März sandte Trauttmansdorff durch La Valette
dem Minister eine neue Proclamation zu, die für alle Pro
vinzen gelten und an Stelle des früheren Entwurfes treten
sollte. Die Publication derselben sollte weder zu früh, noch zu
spät erfolgen, denn im ersteren Falle würde man die Procla
mation der Gefahr der Verspottung aussetzen, im zweiten die
selbe ihren Hauptzweck verfehlen. Für die Verbreitung des Auf
rufes könne theils durch die Generale Sorge getragen werden,
welche denselben jedoch erst in dem Augenblicke feierlich zu
verkündigen hätten, in welchem sie sicher wären, dass sie sofort
die betreffende Provinz besetzen würden, theils könne dies durch
vertraute Personen unter der Hand geschehen. Trauttmansdorff
billigte zugleich, dass Metternich zunächst in Coblenz seinen
Sitz zu nehmen gedenke, nur sollten dahin auch die Mitglie
der des geheimen Rathes heschieden werden, um die Geschäfte
an einem Orte zu concentriren. 1
Die neue kaiserliche Proclamation war im Wesentlichen
desselben Inhaltes wie die frühere; nur stellte sie auch eine all
gemeine Amnestie, die sich selbst auf die Deserteurs der Armee
erstrecken sollte, in Aussicht. 2 Doch wurde, wie wir vorgrei
fend bemerken wollen, in Wirklichkeit nicht diese zweite Procla
mation (vom 2. März), sondern die erste, mit dem Datum 1. März
versehen, von Coburg zu Aldenhofen und später (25. März) auch
zu Brüssel publicirt.
Es ist falsch, wenn behauptet wird, 3 Metternich habe im
Februar von Wesel aus an seinen Hof die Anfrage gerichtet,
ob das vielverbreitete Gerücht von dem bairisch - belgischen
Tauschprojecte der Wahrheit entspreche, und für diesen Fall
um die Enthebung von seinem Posten gebeten, da unter dieser
Voraussetzung die Wiederherstellung der alten Verfassung nur
Verlegenheiten bereiten würde, und es vorzuziehen sei, das
Land nach dem Wiedereinmarsche der österreichischen Trup
pen vorläufig unter militärische Verwaltung zu stellen, es sei
1 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 2 e mars 1793. Orig.
2 Das Manifest datirte vom 2. März und trug Siegel und Unterschrift des
Kaisers. Beilage zu Trauttmansdorff 1 s Weisung an Metternich, ddo. Vienne,
le 9 mars 1793.
3 M. Craufurd an Lord Auckland. Brussels, April 29 th 1793, im Journal
III, 41.
8
VI. Abhandlung: v. Zeis sh erg.
ihm aber bedeutet worden, dass der Kaiser nicht daran denke,
sich Belgiens zu begeben, dass derselbe gesonnen sei, die alt
hergebrachte Verfassung aufrecht zu erhalten, und dass man
in dieser Hinsicht den Bewohnern des Landes jeden Zweifel
benehmen möge. Eine derartige Anfrage Metternich’s liegt in
den Acten nicht vor, wie sich denn auch sonst nachweisen
lässt, dass der Minister schon längst von den constitutionellen
Absichten des Kaisers wohl unterrichtet war. Nur so viel ist
richtig, dass es am Hofe allerdings eine Partei gab, die hierin
anderer Ansicht war.
TrauttmansdorfF wusste dies wohl, als er im Gegensätze
zu seinem Vorgänger Cobenzl, der die Geschäfte seiner De
partements direct mit dem Kaiser zu behandeln pflegte, 1 den
Entwurf der Instruction für Metternich der Begutachtung der
Conferenz-Minister unterzog. Er wusste, dass unter den Ratli-
gebern des Kaisers Meinungsverschiedenheit darüber bestand,
ob man die günstige Stimmung der belgischen Nation und Eng
lands benützen sollte, um bei dem Wiedereinmarsche ins Land,
auf Waffengewalt gestützt, den Streitigkeiten ein Ziel zu setzen,
die zu den inneren Unruhen den Anlass gegeben, oder ob es
sich vielmehr empfehle, auf dem verfassungsmässigen Stand
punkte zu verharren. Trauttmansdorff war der letzteren An
sicht. Er hoffte nicht nur, dass sich auch die Conferenz in
diesem Sinne äussern werde, sondern war seiner Sache bei
dem Kaiser so sicher, dass er, noch ehe jene sich geäussert
hatte, bereits am 3. März, Metternich in diesem Sinne infoi - -
mirte: ,Se. Majestät werde nie ei’lauben, dass die Fundamental
gesetze des Landes, die stets zur Richtschnur dienen müssen,
verletzt, aber auch nicht gestatten, dass unter diesem Vor
wände oder mittelst falscher Interpretationen Ihre Rechte ver-
kümmert werden/ 2
Die Instruction für Mettei’nich 3 datirte vom 27. Februar
1793 und wurde demselben ebenfalls durch La Valette übei’-
sendet; 4 sie bezog sich theils auf gewisse Vei’fassungsconflicte,
1 Archiv f. österr. Gesch. LXVII, 154.
2 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 3 mars 1793. Orig 1 .
3 Gedruckt bei Gachard, Analectes V, 148—153. Doch sind die der In
struction beigefügten Erläuterungen in diesem Abdrucke nicht enthalten.
4 Metternich an Erzherzog Carl, 13 mars 1793. A.-A. Copie.
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
9
welche, wie die Besetzung des Conseils von Brabant 1 und jenes
von Flandern, 2 oder der Streit über den Conseil von Limburg, 3
unter der letzten Statthalterschaft entbrannt, aber nicht zum
Austrage gebracht worden waren, theils fasste sie die Wieder
herstellung der alten Ordnung der Dinge, die Beruhigung der
G-emüther, aber auch die Ueberwachung der Malcontenten ins
Auge. Daher sollten zunächst alle höheren und niederen Ge
richtstribunale mit Ausnahme der Conseils von Brabant und
Limburg, für welche besondere Verfügungen in Aussicht stan
den, alle Magistrate, Fiscal-, Justiz- und Polizeibeamten und
alle legalen Corporationen aufgefordert werden, ihre Functionen
wie vor der französischen Occupation wieder zu beginnen, und
nur da, wo dies nicht möglich sei, provisorischer Ersatz ge
schaffen und soweit die Ernennung dem Gouvernement zustehe,
so bald wie möglich zu einer Neubesetzung der Magistrate in ver
trauenerweckendem Sinne geschritten werden, da die getroffene
Verfügung nur dem Uebelstande begegnen wollte, dass nicht
etwa in der ersten Zeit Justiz und Polizei in völligen Stillstand
geriethen. Wurde einerseits dem Minister, sobald Brabant be
setzt sei, die Verkündigung einer allgemeinen Amnestie aufge
tragen, so sollten dagegen Clubs und illegale Gesellschaften
nicht geduldet werden, und wurde die Bestrafung der Bethu-
nisten und die gerichtliche Verfolgung der Personen, welche
zur Zeit der Fremdherrschaft eine besondere Hinneigung zu
dem französischen System gezeigt hätten, in Aussicht genom
men. Auch die Ueberwachung, eventuell Ausweisung der fran
zösischen Emigranten wurde dem Minister zur Pflicht gemacht.
Vor Allem aber sollten die Stände der Provinzen baldigst ein
berufen und zur Entrichtung der bereits bewilligten, aber noch
nicht bezahlten Subsides, jene von Brabant überdies zur Be
willigung der Entschädigung des königlichen Schatzes und der
durch den Aufstand von 1789 und 1790 geschädigten Personen
veranlasst werden. Auch die Beilegung der Differenzen bezüg
lich der aufgehobenen Convente wurde als wünsclienswerth be
zeichnet. Von vorneherein erklärte sich der Kaiser einverstan-
1 Vergl. den Aufsatz: Zwei Jahre belgischer Geschichte (Sitzungsberichte
Bd. CXXIII und Bd. CXXIV).
2 Ebenda, Bd. CXXIV, 162 ff.
3 Ebenda, Bd. CXXIII, 151 ff.
10
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
den mit der Wiederherstellung aller Convente, bei denen dies
möglich sei; nur sollte daraus keine Belastung für den könig
lichen Schatz erwachsen, auch sollte von den früheren Con-
ventualen Niemand zum Wiedereintritt gezwungen und die Pen
sionen Derer, die nicht wieder eintreten wollten, sichergestellt
werden. Endlich wurde Metternich eingeschärft, in allen Edicten
und Declarationen, deren Verkündigung sich bei dem Einmärsche
der Truppen und der Rückkehr des Gouvernements als noth-
wendig heraussteilen würde, eine einfache, bestimmte, der Würde
des Kaisers angemessene Sprache zu führen und durch die That
zu beweisen, dass die Absicht des Kaisers auf die Aufrechthaltung
der Verfassung, wie dieselbe in den letzten Regierungsjahren
Maria Theresias bestanden habe, gerichtet sei, sich aber über
dieselbe in keine Discussion einzulassen.
Metternich wurde beauftragt, diese Instruction auch dem
Prinzen von Coburg mitzutheilen, so wie andererseits ihm ein
Exemplar der Instruction Coburg’s mitgetlieilt wurde. In dieser
— sie datirt gleichfalls vom 27. Februar — wurde dem Prin
zen die grösste Mässigung ans Herz gelegt. Die Truppen soll
ten strenge Mannszucht halten und den Bewohnern nicht über
Gebühr zur Last fallen. Coburg sollte die friedlichen Bürger seines
Schutzes versichern, zwar keine Clubs und politischen Gesell
schaften dulden, doch der Civilgerichtsbarkeit volle Wirksam
keit gewähren; gefangene Franzosen sollten als Kriegsgefangene
gelten, Belgier, sowie Bewohner von Lüttich und die Bethuni-
sten, die mit Waffen betreten würden, als Rebellen standrecht
lich behandelt werden. 1
Die Instruction für Metternich wurde am 4. März durch
die Bemerkung ergänzt, dass er stets die Hauptsache im Auge
behalten und diese nicht etwa accessorischen Gesichtspunkten
unterordnen möge. Vor Allem sollte er sich die Gunst des
Augenblickes und den Eindruck, den die Anwesenheit einer
1 S. Witzleben a. a. 0., 85 — 86, der jedoch mit Unrecht von der Voraus
setzung ausgeht, dass diese Instruction bereits vor Eröffnung des Feld
zuges zur Kenntniss des Prinzen gelangt sei. Die Abschrift im Wiener
Staatsarchiv ist ausdrücklich bezeichnet: ,Copie du projet, fait ä Vienne,
27 fevrier 1793‘. Auch eine Copie derselben in A.-A. (Beilage zu einem
Briefe Metternich’s an Erzherzog Carl, ddo. 13. März 1793) ist ebenso
datirt.
Belgien unter der Gencralstattlialterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794). 11
siegreichen Armee, sowie die Proclamation des Kaisers auf die
Gemüther ausüben werde, nicht entgehen lassen. Sollte sich
der Zusammentritt der Ständeversammlungen verzögern, so
möge er sich vorläufig in jeder vom Feinde geräumten Provinz
drei Deputirte zugesellen und im Einvernehmen mit diesen zu
nächst jene Anordnungen treffen, die der Augenblick, nament
lich die Sorge für die öffentliche Ruhe und Sicherheit gebiete.
In Anbetracht der Anhänglichkeit der Belgier an die Religion
und des mächtigen Einflusses der Priesterschaft auf das Volk
möge er an die Prälaten des Landes ein Rundschreiben rich
ten, das ohne Affectation auch zu publiciren, und in dem ge
schickt, zugleich aber in würdiger Weise die Interessengemein
schaft des Clerus und Thrones hervorzuheben sei. Metternich
sollte die öffentlichen Gelder, die nicht dem Feinde zur Beute
geworden seien, in Sicherheit bringen, namentlich aber, da der
gegenwärtige Krieg mit grossen Kosten verbunden sei, darauf
bedacht sein, die Hilfsquellen Belgiens dem Kaiser dienstbar
zu machen. Als die wichtigsten dieser Quellen werden bezeich
net: die rückständigen Subsides, Abkürzung der für die Ent
schädigung von 7,700.000 Gulden festgesetzten Zahlungstermine,
neue Dons gratuits, ein später für Rechnung des Kaisers,
nötigenfalls unter der Garantie der Stände zu eröffnendes
Anlehen, specielle Heranziehung des Clerus zu Opfern für den
Staat unter gleichzeitiger Ermächtigung desselben zur Veräus-
serung seiner weniger werthvollen Besitzungen, theilweise Ver-
äusserung von Domänen, deren Verwaltung kostspielig sei,
u. dergl. m. ,Wenn man/ so schliesst Trauttmansdorff, ,die
Gelegenheit ergreift, welche die Kundgebung der gerechten
und wohlwollenden Absichten Sr. Majestät gegen Ihre belgi
schen Provinzen gewährt, so wird man Hilfsquellen genug bei
einer Nation finden, die in der Liebe wie im Hasse ihre Ge
fühle bis zum Extreme zu äussern pflegt/ 1
,Sie werden/ heisst es in einem anderen Schreiben, ge
wiss einselien, dass in diesem Augenblicke die Geldmittel uns
am meisten am Herzen liegen, und dass daher dies die Aufgabe
ist, mit der Sie sich vor Allem beschäftigen müssen, denn in
Wirklichkeit hängt Alles davon ab. Zeichnen sich die Nieder-
1 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 17 mars 1793. Orig’.
12
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
lande nicht durch besonderen Eifer aus und bieten sie in diesem
Augenblicke der Monarchie nicht wesentliche Vortheile dar, so
kann man fast nichts mehr Denen erwidern, die — und sie
sind in der Mehrheit — mehr als je und um jeden Preis sich
von denselben losmachen wollen. Vielleicht finden Sie Gelegen
heit, diese Bemerkung, als käme dieselbe von Ihnen, gegen
über Personen fallen zu lassen, von denen zu erwarten steht,
dass sie einen guten Gebrauch davon machen werden/ 1
,Ein anderer Gegenstand Ihrer Aufmerksamkeit/ fährt
Trauttmansdorff fort, ,wird die Entschädigung sein, welche, die
Stände den Mitgliedern des Gouvernements leisten müssen, deren
Entfernung sie wünschen, da dieselbe sonst den königlichen
Finanzen sehr zur Last fallen würde. Es wäre dies wenigstens
ein Mittel, um Jene zum Schweigen zu bringen, welche den
gewünschten Aenderungen eine allzugrosse Ausdehnung geben
möchten. Sobald Eure Excellenz in Brüssel angelangt sein und
die volle Freiheit der Action erlangt haben werden, werden Sie
auch ohne Zweifel die Nothwendigkeit des Festhaltens an einem
bestimmten System erkennen. Ebendies ist es, woran es nach
meiner Meinung stets sowohl hier wie in Brüssel gefehlt hat.
Man darf fortan nicht mehr zwischen zwei Wässern schwim
men und es gleichzeitig Allen recht machen wollen. Man muss
sich für eine Partei entscheiden, die andere aber ausrotten
(ecraser). Man muss, im Vertrauen bemerkt, von cler Lection
profitiren, die uns das Benehmen der Stände ertheilt hat, die
ihr wirkliches Unrecht vergessen und aus einer anfangs schlech
ten eine gute Sache gemacht haben/ 2
II. Erzherzog Carl wird zum Generalstatthalter ernannt.
Sein Einzug als solcher in Brüssel.
Der - Kaiser hatte das belgische Statthalterpaar — Erz
herzogin Maria Christine und ihren Gemahl, den Herzog Albert
zu Sachsen-Teschen — unmittelbar nach ihrer Ankunft in Wien
(Mitte Februar 1793) von ihrem Posten enthoben. Schon seit
1 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 19 mars 1793. Orig-.
2 Ebendaselbst.
^■ ■ ir lwriiiir i—unw iiwirrfi
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 179-1). 13
längerer Zeit hegte er die Absicht, diese Stelle seinem Bruder,
dem Erzherzog Carl, zu verleihen, doch behielt er sich vor, die
Ernennung desselben erst ,nach Erledigung des Kriegs und
hergestellter Ruhe in Niederland' eintreten zu lassen; ,da', wie
er an ihn schrieb, ,ich bis dahin hoffe, Dich mit ehrlichen und
wohldenkenden Leuten umgeben zu können, die Dir, wo es
Dir an Erfahrung fehlet, gern an die Hand gehen werden: denn
von Deinem Herzen und Deinen Fähigkeiten bin ich über
zeugt.' 1
■ Dem Erzherzog kam dies äusserst erwünscht. An sich ent
sprach der militärische Dienst unendlich mehr als die ihm zu
gedachte Stellung seiner Neigung; ausserdem glaubte er aber
auch, dass es im Interesse der Sache liege, wenn er sich
nicht in die erste Einrichtung des Landes, bei der es vor
aussichtlich nicht ohne ,Anstände und Difficultäten 1 abgehen
werde, menge. Er bezeichnete es daher geradezu als ,eine
recht grosse Gnade', wenn ihn der Kaiser während der Dauer
des Krieges bei der Armee belasse. 2
Doch änderte der Kaiser bald seine Ansicht; vermnthlich
wurde er hiezu durch den unerwartet raschen Wechsel der
Dinge auf dem Kriegsschauplätze bestimmt. Die grossen Waffen
erfolge, an denen dem Sieger von Aldenhofen der rühmlichste
Antheil gebührte, und welche den baldigen Einmarsch der kai
serlichen Truppen in Brüssel gewärtigen Hessen, namentlich aber
die Kunde von der freudigen Stimmung, mit der man allent
halben die Befreier von dem französischen Joche begrüsste,
mochten die früheren Bedenken des Kaisers zerstreuen; ja, es
mochte sich jetzt an die Ernennung des Erzherzogs die Hoff
nung knüpfen, dass es gerade ihm gelingen werde, die ersten
Schwierigkeiten zu besiegen und die Opferwilligkeit der belgi
schen Nation zu entflammen. Den Ausschlag aber gab der
Wunsch des Landes selbst; denn dass dieser auf die sofortige
Ernennung des Erzherzogs zum Generalstatthalter gerichtet war
und auf irgend eine Weise, vielleicht durch jene heimliche Ge
sandtschaft, die zu Beginn des Jahres (Februar) sich in Wien
1 Kaiser Franz an Erzherzog Carl. Wien, den 16. Hornung 1793.
2 Erzherzog Carl an den Kaiser. Köln, den 21. Hornung 1793. Orig.;
Gross-Eidern, den 11. März 1793. Orig. eig.
14
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
eingefunden hatte/ zur Kenntniss des Kaisers gelangte, geht
aus der Erklärung des Letzteren ebenso bestimmt hervor, als
es anderseits keinem Zweifel unterliegt, dass man in Belgien
dem jugendlichen Helden von Aldenhofen und Neerwinden die
lebhafteste Zuneigung entgegenbrachte. 2 So wurde denn Erz
herzog Carl schon jetzt von dem Kaiser zum Generalgouver
neur und Generalcapitän der Niederlande ernannt. Am 18. März
setzte er selbst seinen Bruder von dieser Ernennung in Kennt
niss. ,Das Land wünscht es/ schreibt er an ihn, ,und Du hast
Dir um einen Titel mehr hiezu erworben, weil Du zur Räumung
und Eroberung desselben beigetragen. . . . Ich bekenne, dass
Du eine grosse Bürde auf Dir hast; allein der Dienst erfordert
es und Du kannst gleich viel Gutes wirken. Sobald Niederland
geräumt ist, komme ich dann selbst, um mit eigenen Augen
das Land und jene Einrichtungen zu sehen, welche noch zu
machen wären/ Er weist den Bruder an Metternich; an ihm
habe er einen rechtschaffenen Mann zur Seite, der ihn gut
unterstützen werde; auch den neuen Staatssecretär Müller
empfiehlt er ihm als einen , ehrlichen Mann'. Er bittet den Erz
herzog übrigens, ihm ausser den officiellen auch vertrauliche
Briefe zukommen zu lassen, denn es sei zu wünschen, dass
diesmal das Land ,in Ordnung reoccupirt werde und man nicht
aus Mangel an Instructionen und Benehmungsart in eine Con-
fusion verfalle, wie es unter ihrem gottseligen Vater geschehen'.
Uebrigens sollte .die Publication der Ernennung Carls zum Ge
neralgouverneur durch Metternich erst dann erfolgen, wenn so
wohl Brüssel als auch der grösste Theil der Niederlande sich
im Besitze der Kaiserlichen befinden würde. Erzherzog Carl
sollte daher die Sache vorläufig für sich behalten und auf sei
nem Posten verbleiben. 3 Doch wurde bereits jetzt (17. März)
das kaiserliche Patent ausgefertigt, durch welches seine Er
nennung den verschiedenen Provinzen der Niederlande bekannt-
1 Vergl. den Aufsatz: Aldenhofen, Neerwinden und Löwen 8 (Sitzungs
bericht Bd. CXXVII).
2 Starhemberg an Thugut, ä la Haye, le 16 avril 1793: ,Je ne suis que
l’dcho de l’armee et de toute la nation belgique, en parlant ä V. E. de
l’enthousiasme que S. A. R. inspire par ses vertus militaires et civiles ä
tous ceux qui ont l’honneur de l’approcher. 1
3 Franz IT. an Erzherzog Carl. Wien, den 18. März 1793. Orig. eig. A.-A.
Belgien unter der General Statthalterschaft Erzherzog Carls (1798, 1794).
15
gegeben werden sollte, 1 desgleichen (18. März) eine Zuschrift,
welche sich auf die Einführung der Conferenz bezog. 2 Die Er
nennung des Erzherzogs wurde übrigens so schleunig vollzogen,
dass man nicht Zeit fand, um an dem betreffenden Patente die
Blechbüchse, in der sich das Siegel befand, in herkömmlicher
Weise vergolden zu lassen, und dass dies daher, falls man
daran in Belgien Anstoss nähme, erst nachträglich geschehen
sollte. 3
Es war bisher nicht Sitte gewesen, den Generalstatthalter
mit einer speciellen Instruction zu versehen. Auch diesmal sah
man davon ab. Gleichwohl schlug Trauttmansdorff dem Kaiser
vor, den Erzherzog durch eine besondere Depesche, die der
Staatssecretär Müller an seinen neuen Bestimmungsort bringen
könnte, von seinen Intentionen in Kenntniss zu setzen. Und
zwar unterschied Trauttmansdorff selbst zwischen allgemeinen
Directiven und solchen, die sich auf besondere Gegenstände
bezogen.
Im Allgemeinen bezeichnete es der Hofkanzler als von
besonderer Wichtigkeit, dass der Generalgouverneur selbst-
thätig eingreife oder, falls er dies entweder nicht wolle oder
nicht könne, sich wenigstens den Anschein gebe, da er sonst
von vornherein die Liebe und das Vertrauen der Nation ein-
büssen und bald ganz und gar bei Seite geschoben werden
würde. Der Minister habe ihn im Detail der Geschäfte und in
der Ueberwachung der verschiedenen Departements zu unter
stützen; seine wahren Rathgeber aber müssten die Conseils col-
lateraux sein, zumal wenn sie, wie man dies gegenwärtig an
strebe, gut zusammengesetzt seien. Eben indem man sich von
diesem Principe entfernte, haben die Minister und noch mehr
die Staatssekretäre einen für den Dienst so schädlichen Einfluss
gewonnen. Der Minister kenne als Fremdling in der Regel die
Administration zu wenig und sei daher auf den Staatssecretär
angewiesen, durch den er sich, so wie dieser, da er mit Ge
schäften überbürdet sei, sich von seinen Creaturen leiten lasse.
1 Gachard, Lettres öcrites par les souveraines des Pays-Bas 287. Moniteur
Nr. 123, pag. 539 ff.
2 Gachard 289. Moniteur Nr. 742, pag. 511 ff. Ein ähnliches Schreiben er
ging an den Erzherzog.
3 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 17 mars 1793. Orig.
fl
16
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
Dies habe zu Verfügungen Anlass gegeben, die Missvergnügen
erzeugten und den Principien der betreffenden Departements
zuwiderliefen. Auch schleiche sich auf diesem Wege Nepotis
mus in den Aemtern ein. Diesem Uebelstande solle eben die
Einrichtung jener Conferenz begegnen, die es sich jedoch, um
ihrem Zwecke zu entsprechen, zum Grundsätze machen müsse,
den Conseils collateraux Credit im Publicum zu verschaffen, dies
umsomehr, als die Eigenliebe und das Ansehen jener Körper
schaften durch die neue Einrichtung einigermassen beeinträch
tigt würden. Am besten werde man dies dadurch erzielen, dass
man die Chefs häufig zu jenen Conferenzen heranziehe und
ihnen die Principien Sr. Majestät einpräge. Vor Allem aber sei
es erforderlich, dass die Mitglieder der Conferenz selbst sicli
jedes persönlichen Interesses entäussern und nur das öffentliche
im Auge haben. 1
Zur Ausfertigung einer Directive für den Erzherzog be
züglich specieller Punkte scheint es indess nicht gekommen zu
sein; ohnedies war in dieser Hinsicht die Instruction für Metter
nich erschöpfend genug. Die Depesche aber, in welcher der
Kaiser die allgemeinen Gesichtspunkte, die ihm zur Richtschnur
zu dienen hätten, seinem Bruder mittheilen liess und die er
demselben durch La Valette übersandte, 2 war folgenden In
halts: Art. 1. Als oberstes Princip hat in allen Provinzen die
Wiederherstellung und Erhaltung der Verfassung auf dem Fusse
zu gelten, auf welchem sie zu Ende der Regierung der Kaiserin
Maria Theresia beobachtet worden ist. Daraus folgt (Art. 2),
dass in allen auf die Constitution bezüglichen, zur Zeit der
französischen Invasion strittigen und seither noch nicht durch
ein Uebereinkommen mit den Ständen ausgetragenen Fragen
der Stand der Dinge zu Ende der Regierung Maria Theresias
als Richtschnur zu dienen hat und Alles rundweg zurückzu
weisen ist, was zu jener Zeit nicht vorhanden war. Aus diesem
Principe folgt: 1. (Art. 3) dass, was während der letzten Un
ruhen geschah, ganz und gar vergessen werden muss. Daher
hat man, namentlich anfangs, den Willen zu offenbaren, nicht
mehr davon sprechen zu hören, denjenigen, die während der
1 Trauttmansdorff an den Kaiser, 18. März 1793. A.-A. Copie.
2 Metternich an Erzherzog Carl, 13 mars 1793. A.-A. Copie.
Belgien unter der General Statthalterschaft Erzherzog Carls (1798, 1794).
17
Unruhen Anhänger der Stände gewesen, öffentlich wie privat,
freundlich zu begegnen und das gleiche Benehmen den Chefs
und Mitgliedern der Conseils collateraux, der Justiztribunale,
kurz allen Beamten zur Pflicht zu machen, zugleich denen,
die dem Souverän treu geblieben sind, zu erklären, dass eines
der sichersten Mittel, um Gnade und Gunst, auf die sie An
spruch hätten, zu erlangen, darin bestehe, das Ihrige mit bei
zutragen, um alle Gemüther zur alten Anhänglichkeit an den
legitimen Herrscher und zur Achtung gegen die Gesetze und
constitutionellen Autoritäten zurückzuführen; 2. (Art. 4) dass
das Militär nicht gegen die Bürger und Landbewohner ver
wendet werden darf, ausser auf Requisition der Richter und
Magistrate und in flagranti, und dass man nöthigenfalls alle
militärischen Proclamationen, die den Titel: ,Loi martiale* füh
ren, widerrufen muss; 3. (Art. 5) dass das Gouvernement in
den Provinzen, wo der dritte Stand in seine Versammlungen
herkömmlicher Weise keine Militärpersonen zulässt, es vermei
det, derartige Personen zu Mitgliedern des dritten Standes zu
ernennen; dass, wenn 4. (Art. 6) Schwierigkeiten bezüglich des
Unterrichtes in den Schulen und Collegien sich ergeben, man
sich darüber mit den Ständen einigt, um die Unruhen beizulegen,
welche durch die Depesche vom 21. December 1791 hervorge
rufen wurden, indem man aber zugleich den Zweck derselben
zu erreichen sucht. 5. (Art. 7) Da gute Sitten so wichtig wie die
Gesetze sind, so hat man von denen, die sich um Civilämter,
Gerichtsstellen, Würden u. dergl. bewerben, als wesentliche Be
dingung zu fordern, dass ihr Ruf unbescholten sei und sie sich
allgemeinen Ansehens erfreuen. 6. (Art. 8) Da die Religion der
mächtigste Zügel für die Menschen und der festeste Halt für
die Sitten ist, muss man derselben ihren alten Glanz wiedergeben.
Sie muss als Barriere gegen das jeder socialen Ordnung und
jedem politischen Bande verderbliche System dienen. Man muss
demnach den Clerus begünstigen und ihm empfehlen, die kirch
liche Disciplin wieder in Kraft zu setzen in all den Punkten,
die nicht den Gesetzen und Privilegien des Landes zuwider
laufen, und den Ciüt in seinem Glanze zu erhalten. 7. (Art. 8)
Ein Hauptgegenstand, auf den von Anfang an sich die Auf
merksamkeit vor Allem zu richten hat, ist, dass jene Magistra
turen, deren Verleihung dem Gouvernement zusteht, gut zu-
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXVIII. Bd. (i. Abh. 2
18
YI. Abhandlung: v. Zcissberg.
sammengesetzt werden. Dieser Punkt ist sehr wichtig für das
Volk, welches glauben würde, dass man nichts für dasselbe
gethan habe, dass die zugestandene Verzeihung nicht vollkom
men, und dass die Absicht, die Verfassung zu beobachten, nicht
aufrichtig sei, wenn die Magistrate und Polizeibeamten, welche
über das Schicksal und das Leben der Einzelnen zu entschei
den haben, nicht der Verfassung zugethan wären oder in die
ser Hinsicht nicht das öffentliche Vertrauen genössen. Um dies
zu erreichen, wird man die Personen in ihr Amt wieder ein-
setzen oder anderweitig befriedigen müssen, welche anlässlich
der Unruhen derselben illegal beraubt worden sind, aber auch
keine Schwierigkeiten der Wiedereinsetzung solcher Personen zu
bereiten haben, welche in Folge ihrer Anhänglichkeit an die Ver
fassung das Vertrauen des Publicums genossen haben. 8. (Art. 10)
Der Lauf der Justiz und die Vollstreckung der Urtheile (juge-
ments), Sentenzen und Arrets dürfen in keiner Weise und unter
keinem Vorwände unterbrochen, gehindert oder suspendirt wer
den, vorbehaltlich des Begnadigungsrechtes. 9. (Art. 11) Vor
schläge, welche auf eine Neuerung in der Organisation der
Stände, der Art der Ernennung und Zusammensetzung der
Magistrate, sowie der Gerichtsordnung abzielen, sind ebenso zu
verwerfen wie jede Bitte, welche auf eine Minderung der Aus
dehnung und Ausübung der Rechte der souveränen Autorität,
der administrativen Gewalt der Stände und der legalen Körper
schaften, sowie der Autorität der Justiztribunale gerichtet ist,
da deren Existenz auf den constitutioneilen Gesetzen, Gewohn
heiten und Privilegien des Landes beruht, so wie diese zu Ende
der Regierung Maria Theresias in Kraft waren, und eine Aen-
derung überhaupt nicht stattfinden kann, ehe die Geister hin
länglich beruhigt sind. 1
Die Ernennung des Erzherzogs zum Generalgouverneur
war, wie schon bemerkt, in aller Eile erfolgt, und auch Metter-
1 Am 13. August 1793 wurde der Erzlier/.og beauftragt, diese Depesche
auch den Mitgliedern der Conferenz und der Conseils collateraux als
Kichtschnur mitzutheilen. Nochmals wurde dem Gouvernement einge
schärft, an dem Status quo zu Ende der Regierung Maria Theresias
nichts zu ändern, und wo sich dennoch eine Aenderung als im Interesse
der Sache wünschenswert!! darstellen sollte, zuvor den Kaiser davon in
Ivenntniss zu setzen.
Belgien unter der Generalstattlnilterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
19
nich wurde nunmehr Eile zur Pflicht gemacht. 1 Aber gerade
in diesem Augenblicke trat die schlimmste Eigenschaft Metter-
nich’s, die Langsamkeit seiner Geschäftsführung, zum grössten
Nachtheile der Sache zu Tage. Denn statt, wie ihm früher be
deutet worden war, sich der siegreich vordringenden Armee
anzuschliessen, weilte er fast den ganzen Monat März in Cob-
lenz, wohin er sich am 14. Februar von Wesel begeben hatte,
und brach erst am 25. März nach Maestricht auf. In Tirlemont
freundlich empfangen, zu Löwen von Mitgliedern der Stände
begrüsst, hielt er am 29. seinen Einzug in Brüssel, der sich
ebenfalls recht herzlich gestaltete. 2
Durch diese Verzögerung gerieth aber der Erzherzog in
eine ziemlich peinliche Lage. Das Gerücht seiner bevorstehen
den Ernennung war ihm vorangeeilt, so dass man sich schon
bei seinem ersten Einzuge in Brüssel (25. März) an ihn mit
den verschiedensten Anfragen wendete, die er aber, ohne die
Intentionen des Kaisers zu kennen, nicht beantworten konnte.
Erst am folgenden Tage (26. März) langte Graf Wratislaw mit
dem Ernennungsschreiben des Erzherzogs in Brüssel an. Da
Metternich noch immer nicht eingetroffen war und auch sonst
sich Niemand von den Beamten des Gouvernements in Brüssel
befand, beschloss Carl, vorläufig bei der Armee zu verbleiben,
dies umsomehr, als die Franzosen den Palast in Brüssel voll
ständig ausgeplündert hatten.
Auch der Kaiser war über das Zaudern Metternich’s un
gehalten, zumal, wie er meinte, jetzt ,Activität‘ mehr als je
nöthig sei, um von dem Eifer und guten Willen der Nation zu
profitiren. 3 Daher bat er seinen Bruder, sofort nach erfolgter
Proclamation das Gouvernement zu übernehmen, um durch
seine ,Activität‘ die Langsamkeit Metternichs zu ersetzen, den
er in einem anderen Schreiben 4 als einen ,Phlegmaticus' be
zeichnet. Er ersucht den Erzherzog, bestimmte Auskünfte über
alle Vorfälle zu geben, und wenn etwas Wichtiges geschehe,
1 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 19 mars 1793.
2 Metternich an Trauttmansdorff. Cohlenee, ce 25 mars, le 31 mai 1793.
Henne et Wauters, Histoire de la ville de Bruxelles, 1. c. II, 433.
3 Franz II. an Erzherzog Carl. Wien, den 1. April 1793. Orig. eig. A.-A.
4 Franz II. an Erzherzog Carl. Wien, den .... April 1793.
20
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
weder Couriere noch Stafetten zu sparen, da Metternich kein
Freund des Schreibens sei. ,Denke, dass Du in diesem Augen
blicke der Monarchie Dienste leisten kannst, welche Du zu
leisten vielleicht nie mehr in die Lage kommen wirst.'
Erzherzog Carl begab sich von Brüssel nach Mons, wo
man ihn, als er an der Spitze der Avantgarde (29. März) sei
nen Einzug hielt, so wie früher in Brüssel mit aufrichtigem
Jubel empfing. Zu Boussu (8. April) wurden ihm die Insignien
des Maria Theresien-Ordens überbracht. Von da begab er sich
in das Hauptquartier, welches Coburg mittlerweile von Mons
nach Quievrain verlegt hatte. 1 Der Erzherzog weilte nun einige
Tage auf dem benachbarten Schlosse Quievrechin, in dessen
Nähe die Avantgarde lag, während die Hauptarmee zwischen
Conde und Valenciennes bei Quarouble stand. 2 Man beschränkte
sich vorläufig bis zur Ankunft der zu Antwerpen in Aussicht
gestellten Verstärkungen auf die Beobachtung von Valencien
nes und die Einschliessung von Conde. Erzherzog Carl begab
sich einmal bis unter die Kanonen der letzteren Festung, so
dass er die Umfassungsmauern Wahrnehmen und die Unifor
men der französischen Soldaten, welche in den Forts vor der
Stadt lagen, unterscheiden konnte. 3 Sein Gesundheitszustand
war damals vortrefflich; ,trotz aller Strapazen, trotzdem, dass
er nur wenig schläft, und trotz der ungeregelten Lebensweise,
die es mit sich bringt, dass er bald um 10 Uhr Morgens, bald
um 8 Uhr Abends, bald kalt, bald warm speist, erfreut sich
mein Herr des besten Wohlbefindens, 1 konnte Delmotte an
Carls besorgte Tante schreiben. 4
Stündlich sah der Erzherzog der Ankunft Metternich’s ent
gegen. Auch Prinz Coburg erwartete den Minister ,wie die
Juden den Messias'. ,Man erwartet ihn,' schreibt Delmotte am
16. April, ,für morgen, und so geht es von einem Tage zum
andern. Mein Herr (Erzherzog Carl) hat ihn noch nicht ge-
1 Witzleben II, 181.
2 Delmotte an Maria Christine, s. d. Orig. eig. A.-A.
3 Delmotte an Maria Christine und Herzog Albert, s. d. Orig. eig. A.-A.
Vergl. Auckland an Grenville. Hague, April 23, 1793; in Auckland,
Journal III, 31.
4 Delmotte an dieselben. Mons, le 6 avril 1793. Orig. eig. A.-A.
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
21
sehen, seit er im Lande ist; es sind mindestens vierzehn Tage,
dass er zu kommen verspricht.' 1
Endlich langte Metternich im Hauptquartier an, und da
mit trat zugleich der Zeitpunkt ein, in welchem der Erzherzog
das Generalgouvefnement übernehmen sollte. Aber obgleich er
bisher diesen Augenblick kaum erwarten zu können schien, so
versetzte ihn doch jetzt die Nothwendigkeit, die Armee zu ver
lassen, in die misslichste Stimmung, da, wie er seinem Oheim,
Herzog Albert, gegenüber bemerkt, das Kriegshandwerk, ,der
Gegenstand aller seiner Wünsche, seine einzige Leidenschaft'
sei. ,Und nun werde ich,' fügt er hinzu, ,zu einer Aufgabe er
sehen, von der ich nichts oder nur wenig verstehe, und das in
einem der kritischesten Momente und mit einem Minister wie
Metternich. Ich bin trostlos darüber und fühle mehr denn je
das Unglück, von Ihnen getrennt zu sein. Wenigstens hoffe
ich, dass, wenn es mir nicht gelingt, Sie mich bedauern und
nicht verurtheilen werden . . . Seien Sie versichert, lieber
Onkel, dass es mich ungemein schmerzt, Ihnen auf einem
Posten folgen zu müssen, auf den Sie nicht verzichtet haben,
und dass ich Alles, was in meiner Macht steht, dafür geben
würde, wenn es anders wäre.' 2
Dieselben Klagen ergiessen sich in einem Briefe an den
Erzherzog Josef: ,Mit den grössten Schmerzen und mit Thrä-
nen in den Augen werde ich diese Armee verlassen, und ohne
mir zu schmeicheln, werde ich bei selber bedauert werden.
Schon jetzt geben sie mir Beweise davon, und die Nachricht
meiner Abreise hat Alle verdrossen, Alle geschmerzt.' 3 Und
auch dem Kaiser gegenüber machte Erzherzog Carl aus dieser
Stimmung kein Hehl. ,Wie hart es mir geschähe,' schreibt er,
,die Armee eben in dem Augenblicke zu verlassen, wo sie so
glorreiche und wichtige Unternehmungen vor sich hat, kannst
Du Dir einbilden. Nur der Wunsch, Deine Zufriedenheit zu
erwerben, und die Hoffnung, vielleicht dem Staate nützen zu
1 Delmotte an Maria Christine und Herzog Albert. Quievrain, le 16 avril
1793. Orig. eig. A.-A.
2 Erzherzog Carl an Herzog Albert von Sachsen-Teschen. Quiävrechin,
le 20 avril 1793. Orig. eig. A.-A.
8 ' Erzherzog Carl an Erzherzog Josef. Quievrechin, den 19. April 1793. Orig,
eig. A.-A.
22
YI. Abhandlung: v. Zeissberg.
können, lindert in etwas meinen Schmerz. Ich habe Ursache,
mich zu schmeicheln, dass die Armee mich ungern von hier
Weggehen sieht/ 1
Wenn übrigens Erzherzog Carl von seiner völligen Un-
kenntniss der niederländischen Geschäfte spricht, deren oberste
Leitung er nunmehr übernehmen sollte, so ist dies der Aus
druck einer zu weitgehenden Bescheidenheit, die den übrigens
nicht verhehlten Verdruss, dem seinen Neigungen und seinen
Fähigkeiten so sehr entsprechenden militärischen Berufe wenig
stens für einige Zeit entsagen zu müssen, nur leicht zu ver
schleiern vermag. Darum bittet er in jenem Briefe den Kaiser,
da er sich während dieses Krieges doch einige militärische
Kenntnisse gesammelt und die Hoffnung, seinem Bruder mit
der Zeit in diesem Fache Dienste leisten zu können, nicht auf
gegeben habe, ihm zu gestatten, im Falle, dass es im Felde
zu einer wichtigen Operation kommen sollte, sich auf einen
oder zwei Tage zur Armee begeben zu dürfen, zumal die Ent
fernung des gegenwärtigen Kriegsschauplatzes •— Valenciennes
— von Brüssel nur neun Stunden betrage und er daher jeder
zeit sofort auf seinen Posten zurückkehren könne. 2
Gleich ihrem Liebling wurde auch Maria Christine durch
die Nachricht, dass Carl die Armee verlassen müsse, peinlich
berührt. Sie erblickte in diesem Aufträge nichts als eine Intri-
gue der ,Minister', d. i. Metternich’s und Thugut’s, welche, so
meinte sie, befürchteten, dass der Prinz bei längerem Verwei
len in der Armee seine Gelehrigkeit einbüssen und die ihm so
nothwendige Energie finden könnte. 3 nichtiger, jedenfalls ruhi
ger, urtheilte ihr Gemahl, der vielmehr den Erzherzog zu trö
sten versuchte. Es handle sich, meinte er, wohl nur um eine
momentane Verfügung, um eine einfache Besitzergreifung, und
er werde voraussichtlich noch genug Gelegenheit finden, um
seinem gerechten Ehrgeize, der ihn zum Waffenhandwerke
1 Erzherzog Carl an den Kaiser. Quievrechin, den 19. April 1793. Orig,
eig. Auch Delraotte schreibt am 26. April (Orig. eig. A.-A.): ,Unser
gnädigster Herr ist trostlos, dass er die Armee verlassen musste, wo er
angebetet und der er selbst zugethan war. 1
2 Ebenda.
3 Maria Christine an den Kurfürsten von Köln, le 5 mai 1793. Orig.
A.-A.
23
Belgien unter der Generalstatthalterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
ziehe, Genüge zu leisten. Auch werde, da man ja den Wün
schen der Belgier bereits zuvorgekommen sei, seine Aufgabe
eine angenehme und leichte sein. Der Erzherzog, fügte er nicht
ohne Bitterkeit hinzu, werde nur Beifall zu ernten und Blumen
zu pflücken haben, wo Andere Kummer empfanden und Dor
nen ernteten. 1
Mit um so grösserer Genugthuung empfand der Kaiser
die Resignation, mit der sich sein Bruder schliesslich in seinen
Wunsch fügte. Er bezeichnete dessen Entschluss als einen
Dienst, den er dem Vaterlande erwiesen habe. ,Ich begreife
gar wohl/ bemerkte er, ,dass Du ungern die Armee verlassest,
wo Du Dir gewiss noch mehr Ehre gemacht hättest. Indessen
Du musst Deine Privatwünsche dem Dienste aufopfern, zumalen
da es Dich nicht hindert, bei wichtigen Unternehmungen, die
ohnehin immer von kurzer Dauer sind, wie Du es wünschest,
gegenwärtig zu sein. . . . Ich kann Dich übrigens nur an Alles
hier erinnern, was ich Dir in den vorhergehenden Briefen ge
schrieben, und recommandire Thätigkeit und genaue Folge
leistung meiner Befehle oder Vorstellungen dagegen, wenn sie
nicht ausführbar sind. Endlich nehme von Allem Einsicht und
handle durch Dich selbst und nicht durch Impulsion der An
deren, sonst würdest Du in Kurzem alle Liebe und Achtung
des Landes verlieren/ 2 Und wie wenig der Kaiser wünschte,
dass sein Bruder sich etwa blos von Metternich als Vorwand
seiner Massregeln gebrauchen lasse, geht aus einem anderen
Schreiben hervor, in welchem es heisst: ,Mache, dass Dir
nichts unbekannt bleibe von Allem, was geschieht, und handle
soviel möglich durch Dich selbst, da mir viel an Deiner Repu
tation und an dem Besten des Dienstes lieget/ 3
Carls Pflichtgefühl war jetzt so rege, dass er, als Metter
nich die Veröffentlichung der Ernennung des Erzherzogs zum
Generalgouverneur und der oft erwähnten Proclamation, welche
dieser gleichsam zum Präludium dienen sollte, neuerdings hinaus-
1 Herzog Albert an Erzherzog Carl. Dresde, ce 2 mai 1793. Copie.
A.-A.
2 Franz II. an Erzherzog Carl. Wien, den 16. oder 26. Mai 1793. Orig,
eig. A.-A. (Das Datum ist undeutlich corrigirt).
8 Franz II. an Erzherzog Carl. Wien, den 12. Mai 1793. Orig. eig.
A.-A.
I
24
YI. Abhandlung: v. Zeis sberg.
schieben wollte, unter Berufung auf den directen Wunsch des
Kaisers auf ein beschleunigtes Tempo drang. 1
Am 21. April wurde im Hauptquartier Coburg’s (Quievrain)
durch Armeebefehl bekanntgegeben, dass Erzherzog Carl zum
Generalgouverneur und Capitän ernannt worden sei, deshalb
die Armee verlassen müsse und das Commando der Avant
garde, die er bis dahin befehligt hatte, an FML. Benjowsky
übergebe. Am 23. kam der Erzherzog nach Brüssel; da aber
die Vorbereitungen des glänzenden Empfanges, den man ihm
daselbst bereiten wollte, einige Tage in Anspruch nahmen, be
gab er sich zunächst nach Laeken, das die Franzosen freilich
in einem kläglichen Zustande zurückgelassen hatten. Da nicht
einmal eine Equipage zur Verfügung stand, schlug Metternich
dem Erzherzog vor, auf seinem Schlachtross in Brüssel einzu
ziehen, was, wie er meinte, im Publicum Sensation machen
werde. Doch dass es eines solchen Theatereffectes nicht be
durfte, dafür hatten die Bürger von Brüssel gesorgt. Als Tag
des Einzuges war anfangs der 25. April bestimmt, doch wurde
auf Bitten der Stadt die Ceremonie auf den 28. verschoben.
Der Empfang des jungen Generalgouverneurs, dessen Brust
bereits die Insignien des Maria Theresien-Ordens schmückten,
war ebenso glänzend als herzlich. Der Einzug fand um 4 Uhr
Nachmittags statt. Als Triumphwagen diente ein Phaeton, der
ihn am Thore von Laeken erwartete und auf dessen Sitze ein
Amor angebracht war. Statt der Pferde spannten sich drei
hundert Bürger selbst vor den Wagen und brachten den Ge
feierten unter dem Jubel der Bevölkerung in sein Palais, nach
dem er zuvor bei St. Gudule angehalten und dem Te Deum,
das der Nuntius anstimmte, beigewohnt hatte. Es war eine
durchaus spontane, echt bürgerliche Huldigung; blos die be
waffneten Serments bourgeois empfingen ihn am Stadtthore, und
sie, nicht eine militärische Bedeckung, geleiteten ihn in das
Palais Royal, wo ihn ausser den Comitds des Gouvernements,
1 Erzherzog Carl an den Kaiser. Quievrechain, 19. April 1793. Orig. eig.
Noch am 3. April war die bevorstehende Proclamation des Erzherzogs
weiteren Kreisen ein Geheimniss; in England meinte man damals noch,
dass Coburg für diesen Posten ausersehen sei. Lord Laughborougli an
Auckland in The journal and eorrespondence of William Lord Auckland
III, 8.
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1798, 1794).
25
der Conseil von Brabant, der Magistrat von Brüssel, der Adel,
die Stände und die Notabein der Bürger Schaft erwarteten.
,Es wäre unmöglich/ schreibt Metternich, ,die Freude zu
schildern, die das Volk während des Zuges des Erzherzogs
durch die Stadt an den Tag legte. Alle Häuser waren decorirt
und die Devisen für Se. königl. Hoheit äusserst schmeichel
haft. Bei Hof war grosser Cercle. Die ganze Welt drängte
sich um den Prinzen, um ihm ihre allgemeine und lebhaft
empfundene Freude auszudrücken. Tn dem Augenblicke, in
dem ich dies schreibe, begibt sich Se. königl. Hoheit ins
Theater, worauf ein Souper und Ball in dem Maison du Roi 1
stattfindet, auf Kosten der Stadt, die an diesem Abende allge
mein illuminirt sein wird. Es ist eine merkwürdige Anekdote
in Umlauf, auf die man grosses Gewicht legt, dass Se. königl.
Hoheit weiland Prinz Carl von Lothringen ebenfalls seinen Einzug
durch das Thor von Laeken, denselben Tag, denselben Monat
und zur selben Stunde gehalten habe/ 2
Namentlich war das Theater in Brüssel in diesen Tagen
der Schauplatz rauschender Ovationen, in denen der Wechsel
der politischen Stimmung augenfälligen Ausdruck fand. Wäh
rend der französischen Zwischenherrschaft hatten sich die Schau
spieler dieses Theaters den Titel: ,Les eomediens belgiques' bei
gelegt. Seit dem 8. Januar 1793 hiessen sie: ,Comediens reunis
de la republique fran§aise et belgiquc/ zwei Tage darnach: ,Les
eomediens de la republique francaise sous la direction de la
citoyenne Montassier, reunis aux eomediens de la republique
belgique', nach jener berüchtigten Montassier — eigentlich Mar-
garite Brunet — die nach einem abenteuerlichen Leben und
anfänglichen Misserfolgen an der Comedie fran9aise die Leitung
des Theaters zu Nantes und später anderer Bühnen übernahm,
bis sie sich zuletzt trotz der Gunst, die ihr Marie Antoinette
1 Eine Abbildung- des Maison du Roy oder Broodliuys bei Wauters III, 61.
2 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 28 avril 1793. Vergl. auch
Gachard, Analectes II, 105—106; den officiellen Bericht des Erzherzogs
an den Kaiser. Bruxelles, le 1 er mai 1793; Klinkowström, Le comte de
Fersen II, 71. Denkmünze: V. Carl. Lud. arch. Austr. Belg, praef. Brust
bild im Kürass mit goldenem Vliess. R. Sechszeilig: Fusis fugatis. que Gallis
Belgarum cum principe suo fortuna redux. MDCCXCI1I. Lorbeer und Palme,
bei Arnetli, Katalog Nr. 469. Die Schilderung bei Duller 2 , 142 beruht auf
derSclirift:, Lehen Sr.kün. Hoheit Karl Ludwig u.s.f. 1 Nürnberg 1801. S.25ff.
26
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
erwies, der Revolution mit leidenschaftlicher Glut.li in die Arme
warf und an der Spitze einer Schauspielertruppe im Gefolge
der Armee nach Brüssel kam, wo sie die damals in Paris be
liebten Stücke auffiihren liess. Mit dem Einzuge der Oester
reicher verschwand natürlich ihre Gestalt von der Bühne. Die
Truppe nannte sich jetzt: ,Comediens de Son Altesse Royale/
Aber auch das Publicum war jetzt ein anderes geworden. Hatten
zuvor die revolutionären Stücke so elektrisirend gewirkt, dass
ein Theil der Zuschauer auf die Bühne sprang, um die Carma-
gnole zu tanzen und die Marseillaise zu singen, so fand jetzt,
am 30. April, in Gegenwart des Erzherzogs eine Vorstellung des
,Hommage de Bruxelles, scene lyrique de De Beaunoir, musique
de Duquesnoy' statt, welche der leichtbeweglichen Menge zu
neuen Hukligungsbezeigungen Anlass gab.
Vermuthlich ist es diese ,lyrische Scene', von der Metter
nich bemerkt, dass man dieselbe zu Brüssel dreimal und jedes
mal mit grösstem Erfolge aufgeführt habe. ,Ich bemerke/
schliesst Metternich, ,dass dergleichen zu anderen Zeiten gleich-
giltig wäre, es aber in diesem Augenblicke nicht ist, wo alle
Völker sozusagen unter dem Eindrücke des wahnsinnigen Rau
sches stehen, der Frankreich bethört und der grösstentheils auf
jene Gesänge zurückzuführen ist, wie seine grossen Verbrechen
auf die Marseillaise/ 1
Der Erzherzog nahm derartige Huldigungen mit einer Be
scheidenheit entgegen, die ihm zu um so grösserer Zierde ge
reichte, je leichter sich sonst das jugendliche Herz, besonders
wenn sich damit der Glanz fürstlicher Stellung verbindet,
Schmeicheleien zugänglich zeigt. ,Gestern Nachmittag/ schreibt
der Erzherzog am Tage nach seiner Ankunft in Brüssel, wie
gewöhnlich das, was ihm an Ehren zu Theil geworden war,
mit Stillschweigen übergehend, ,habe ich meinen Einzug hier
gehalten, und heute habe ich das Gouvernement übernommen.
Gott gebe, dass Alles gut gehe und dass Du Ursache habest,
mit mir zufrieden zu sein; wenigstens wird es gewiss nicht an
gutem Willen von meiner Seite fehlen, und ich werde keine
Mühe sparen, um Deine Zufriedenheit zu erreichen/ 2
1 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 21 avril 1793. Copie.
2 Erzherzog Carl an Kaiser Franz. Brüssel, den 28. April 1793. Orig. eig.
Belgien unter der Generalstattlialterscliaft Erzherzog Carls (1798, 1794).
27
Wenn man sich die Huldigungen Brüssels gerne gefallen
liess, ja unter den gegebenen Verhältnissen denselben sogar
einen gewissen Werth beilegen zu müssen glaubte, so sah man
dagegen von ähnlichen Festen, wie sie sonst bei derartigen An
lässen auch in den übrigen Städten abgehalten zu werden
pflegten, ab, um den Bewohnern, die durch die feindliche In
vasion harte Einbussen erlitten hatten, die mit solchen Veran
staltungen verbundenen Kosten zu ersparen. 1 Es fiel daher
Metternich nicht schwer, die Stände von Brabant in diesem
Falle gegen den Vorwurf 2 knauserischer Sparsamkeit, die ihrer
Opferwilligkeit ein schlimmes Prognostikon stelle, in Schutz zu
nehmen, da ja er selbst es gewesen war, der mit Zustimmung
des Erzherzogs die Stände zur Ersparung von 50.000 Gulden
veranlasst hatte. 3
III. Der Hoflialt Erzherzog Carls in Brüssel.
Durch die Ernennung des Erzherzogs Carl zum General
statthalter der österreichischen Niederlande wurde die Bildung
eines neuen Hofstaates für denselben bedingt. Aus früherer Zeit
gehörten seiner Umgebung vor Allem Warnsdorff und Maldeghem
an. Auf Warnsdorff’s Rath und mit Zustimmung des Kaisers
nahm, da Wratislaw damals eine Reise nach Wien unternom
men hatte, der Erzherzog den jungen Hauptmann Graf Collo-
redo (von Wenckheim-Infanterie), Sohn des Conferenzministers,
in seinen Dienst. 4 Dem Haushalte des Erzherzogs gehörte auch
der Hauptmann Delmotte an, der Vertrauensmann der Erzher
zogin Maria Christine, mit welcher er in eifrigem Briefwech
sel stand.
Der Erzherzog wünschte, diesen Kreis alter Bekannter
auch fernerhin beibehalten zu dürfen, ;da es gar zu traurig
wäre, wenn ich Niemand um mich hätte oder Leute zu mir
1 Metternich an Trauttmansdorff, le 23 avril 1793. Copie.
2 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 3 mai 1793. Orig.
3 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 13 mai 1793. Entw.
4 Erzherzog Carl an den Kaiser Bierbeck, den 23. März 1793. Orig. eig.
Derselbe an Albert von Sachsen-Teschen. Louvain, ce 24 mars 1793. Orig,
eig. A.-A. Franz IX. an Erzherzog Carl. Wien, den 1. April 1793. A.-A.
Orig. eig.
28
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
nehmen und mit Leuten leben müsste, so ich nicht kenne und
deren ich nicht sicher wäre/ 1
Soweit es sich um den Haushalt des Erzherzogs handelte,
fand sich auch der Kaiser bereit, dessen Wünschen Rechnung
zu tragen. Was aber die vier belgischen Hofämter 2 betraf, so
musste nach altem Herkommen bei deren Besetzung auf die
eingeborenen Niederländer Rücksicht genommen werden. Warns-
dorff, entschied der Kaiser, könne fortan nicht mehr als Oberst
hofmeister fungiren, noch eine andere Hofcharge bekleiden, da
er kein Niederländer und im Lande nicht beliebt sei. ,Du
wirst/ fügte der Kaiser scherzend hinzu, ,den Prinzen von
Ga vre, 3 der es schon ist (nämlich Grand-maitre), speisen
müssen/ Als Grand-marechal fasste der Kaiser den Duc de
Beaufort-Spontin 4 ins Auge; bezüglich des Amtes eines Oberst
stallmeisters iiberliess er Carl die Wahl zwischen Maldeghem
und dem Grafen d’Arberg: ,Ersterer war immer bei Dir; letz
terer ist nicht ganz im Rufe der Heiligkeit/ Auch bezüglich
der Stelle eines Oberstjägermeisters stellte er die Entscheidung
Carl anheim. 5
Dieser erklärte sich einverstanden mit der eventuellen Er
nennung Gavre’s und Beaufort’s. Dagegen berührte es ihn nahe,
dass sein bisheriger Obersthofmeister Warnsdorff für keines jener
Hofämter in Betracht kommen sollte. Er bat den Kaiser, diesem
die Würde eines Oberststallmeisters, die Maldeghem zugedacht
war, die aber nicht unbedingt mit einem Niederländer besetzt
1 Erzherzog Carl an den Kaiser. Quievrechain, den 19. April 1793. Orig. eig.
2 Jenes des Grand-maitre, des Grand-marechal, des Grand-ecuyer und des
Grand - veneur.
8 Francjois Joseph Prince de Gavre, Comte du S. E. R., Marquis d’Aiseau,
Chevalier de l’ordre de la Toison d'or, Chambellan, Conseiller d’Etat
intime actuel, Gouverneur - capitaine general, Administrateur general,
Souverain - bailli de la ville et comte de Namur, Gdndral-major au Ser
vice de S. M. l’Empereur et Roi.
4 Frederic Auguste Alexandre (Marquis seit 1782) Duc de Beaufort-Spontin,
Comte de Beauraing et du St. Empire Romaine, Marquis de Florennes,
Vicomte d’Esclaye, Chambellan actuell de S. M. (Biographie nationale
sub h. v., wo aber seine Ernennung zum Grossmarschall fälschlich in
das Jahr 1794 verlegt ist.)
5 Franz II. an Erzherzog Carl. Wien, den 8. März 1793. Orig. eig.
A.-A.
Belgien unter der Generalstatthalterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
29
werden müsse, zu verleihen und dafür Maldeghem, der ohne
dies Grand - veneur von Brabant sei, zum Oberstjägermeister
zu ernennen. Sollte dies unmöglich sein, so würde er, erklärte
Carl, immer noch Maldeghem dem Grafen d’Arberg vorziehen
und im Einvernehmen mit Metternich eine geeignete Persönlich
keit für die Würde eines Oberstjägermeisters in Vorschlag
bringen. In letzterem Falle bat er zugleich, dass Warnsdorff
zum Generalmajor und Generaladjutanten mit der Anstellung
bei ihm ernannt werden möge. 1
Der Kaiser verlieh indess zunächst, und zwar ,um‘, wie
er sich ausdrückte, ,die Nation noch mehr zu obligiren', blos
Maldeghem die Würde eines Oberststallmeisters, während Warns
dorff nach wie vor Adjutant bei dem Erzherzog verbleiben
sollte. 2 Dieser fühlte sich durch die getroffene Entscheidung
sehr verletzt; er erklärte, seine Stelle niederlegen zu wollen.
Mit Mühe hielt ihn Erzherzog Carl davon zurück; neuerdings
verwendete sich dieser für ihn bei dem Kaiser, den er bat,
Maldeghem zum Oberstkämmerer zu befördern, Warnsdorff zum
Oberststallmeister zu ernennen. ,Solltest Du/ bemerkte er, ,diesen
Antrag genehmigen, so würdest Du mir eine wahre Gnade er
weisen und mir dadurch einen alten Freund erhalten. Diese
sind unschätzbar, wie Du es selbst aus Erfahrung weisst/ 8 In
einem PostScript hebt er die Verdienste Warnsdorff’s in der
Schlacht bei Neerwinden hervor. 4 ,Anfangs war seine Idee,
deswegen das Kreuz 5 zu verlangen, allein hernach verhinderte
ihn seine Modestie daran/
Dass sich die Entscheidung längere Zeit verzögerte, gab
zu mancherlei Gerüchten und Intriguen den Anlass. Die Stände
suchten Merode und Beaufort in den Hofstaat des Erzherzogs
zu bringen, dagegen standen ihnen der Prinz von Gavre und
Maldeghem nicht zu Gesichte. In demselben Sinne arbeitete
La Valette in Wien. Warnsdorff wieder suchte, so behauptet
1 Erzherzog Carl an den Kaiser. Hai, den 26. März 1793. Orig. eig.
2 Der Kaiser an Erzherzog Carl. Wien, den .... April 1793. A.-A. In fran
zösischer Uebersetznng bei Mortimer-Ternaux VI, 538.
8 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 28. April 1793. Orig. eig.
4 Siehe den Aufsatz: ,Aldenhofen, Neerwinden, Löwen“ (Sitzungsberichte
Bd. CXXVII, 70).
B Das Maria Theresien - Ordenskreuz.
30
VI. Abhaudluug: v. Zcissberg.
wenigstens Delmotte, durch den Minister und dessen Frau,
sowie durch den jungen Coiloredo, den er ins Haus des Erzher
zogs gebracht hatte, den Wiener Hof, namentlich den Cabinets-
minister sich günstig zu stimmen. Als er vernahm, dass die
Stände Duras, d’Overchies und den Bischof von Antwerpen
nach Wien senden wollten, machte er sich an diese, ja selbst
an La Valette und dessen Gefährten, den jungen Lalaing und
Van Schorell vor ihrer Reise nach Wien heran. 1
Wenn es sich wirklich so verhält, so hatte sich Warns-
dorff wenigstens in den zuletzt genannten Personen gründlich
getäuscht. La Valette und Lalaing arbeiteten ihm in Wien ent
gegen. 2 Dagegen war es nicht richtig, wenn man behauptete,
Metternich begünstige d’Arberg und d’Overchies; 3 ziemlich con-
form mit dem Erzherzog brachte er vielmehr Gavre, Beaufort
und Warnsdorff in Vorschlag. Besonders eifrig nahm er sich
des Letzteren an. Auf eine ausdrückliche Anfrage des Kaisers 4
erklärte er, dass WarnsdorfPs Ernennung im Lande keinen
üblen Eindruck machen und auf die Geschäfte keinen nach
theiligen Einfluss nehmen werde, während er von Maldeghem
behauptete, dass derselbe geringes Ansehen im Lande geniesse
und zurückzutreten gedenke. Bei dieser Gelegenheit brachte
Metternich die Einführung von Hofconferenzen in Vorschlag,
in denen jeder Chef über die Angelegenheiten seines Departe
ments Berathungen pflegen und deren Protokolle dem Erzher
zoge zur Entscheidung vorgelegt werden sollten, um Ordnung
und Oekonomie in den Hofhalt zu bringen. 5
Doch der Kaiser wies diesen Vorschlag zurück und unter
sagte es überhaupt den Departements, sich in die häuslichen
Angelegenheiten seines Bruders zu mengen. 0 Andererseits Hess
er sich aber auch nicht durch die Wünsche der ihm an sich
wenig sympathischen Stände von Brabant beirren, indem er
(27. Juni) den Prinzen von Gavre znm Grand-maitre, der zu-
1 Delmotte an Maria Christine. Bruxelles, le 1 er , 2®, 3 juillet 1793. Orig,
eig. A.-A.
2 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 21 juin 1793. Orig.
8 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 22 mai 1793. Orig. (Reserve.)
4 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 11 mai 1793. Orig.
5 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 11 juin 1793. Copie.
0 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 27 juin 1793.
Belgien unter (1er Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
31
gleich die Dienste eines Grand-chambellan leistete, den Herzog
von Beaufort zum Grand-marechal ernannte, 1 einige Zeit dar
nach aber die Würde eines Grossstallmeisters Warnsdorff, 2 die
eines Oberstjägermeisters Maldeghem verlieh.
Damit war der Hofhalt des Erzherzogs im Wesentlichen
gebildet. Den bisherigen Grand-maitre de cuisine, den Comte
de Lalaing, Vicomte d’Oudenarde, behielt der Erzherzog bei,
ebenso die Capitäne der beiden Leibgarden, jenen der Archers
den Grafen von Woestenraedt und jene der Hallebardiers
Gomignies und Baron Colins de Ham. 3
Es geschah nun aber, was Metternich vorausgesagt hatte.
Hatte früher Warnsdorff den Beleidigten gespielt, so fühlte sich
jetzt Maldeghem tief verletzt, und dies mit viel grösserem
Rechte, da ihm bereits die Würde eines Oberststallmeisters zu
gedacht war und er sich jetzt mit dem der Reihe nach vierten
Hofamte, eines Oberstjägermeisters, begnügen sollte. Mochte man
auch vielleicht zu Gunsten dieser Verfügung geltend machen,
dass er bereits die ähnliche Würde eines Grand-veneur von
Brabant bekleide, so lehnte er doch die ihm zugedachte Hof
würde (19. Juli) ab und bat auch um seine Enthebung von der
Stelle eines Grand-veneur von Brabant. Er verreiste auf einige
Zeit nach Flandern und hielt sich fortan vom Hofe ferne, zum
grossen Leidwesen Delmotte’s, der hierin nichts als eine Intrigue
des ,Dicken' (d. i. Warnsdorff) erblickte. ,Mich und den Kleinen
(d. i. Wratislaw)', schreibt er an die Erzherzogin Maria Christine,
,hat dies sehr betrübt; er war ein anständiger Mensch/ 4
Am 19. August wurden der Prinz von Gavre, der Herzog
von Beaufort und Baron Warnsdorff zum Erzherzog beschieden,
1 Ebenda. Delmotte an Maria Christine. Bruxelles, le 10 juillet 1793. Orig.
A.-A.
2 Im Calendrier de la cour von 1794 wird dieser auch als ,aide-de-camp
general au Service de S. M. l’Empereur et Roi‘ bezeichnet. Uebrigens
ist der Calendrier von 1794 (vergl. Metternich an Trauttmansdorff.
Bruxelles, le 8 fevrier 1794) auch sonst im Einzelnen unzuverlässig. So
werden S. 164 Erzherzog Carl und Marie Louise als Kinder Kaiser
Franz II. aufgefiihrt.
3 Vergl. Guillaume, Histoire des regiments nationaux desPays-Bas 400—402.
4 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 24 juillet 1793. Copie. Del
motte an Maria Christine und Herzog Albert. Bruxelles, le 19 juillet, le
16 aoüt, le 27 decembre 1793. A.-A. Orig. eig.
32
YI. Abhandlung: v. Zeissberg.
und es fand deren Proclamation statt; am nächsten Mittwoch er
folgte in Beisein des Staats- und Kriegssecretärs die Eides
leistung. 1 Bei dieser Gelegenheit kam auch eine Vereinbarung
über das frühere Hofpersonale zustande, das einst von dem
Prinzen Carl von Lothringen auf die Erzherzogin Maria Christine
übergegangen war. Bisher hatte die Letztere die Pensionen dieser
Hofleute (20.000 Gulden) bezahlt. Jetzt wurde sie natürlich von
dieser Verpflichtung entbunden und die Bezahlung von den
belgischen Finanzen übernommen. Um aber auch diese wo
möglich zu entlasten, fand sich der Erzherzog bereit, die irgend
wie tauglichen Personen in seinen Hofstaat aufzunehmen. 2 Doch
ging man hierin wie in allen Dingen mit grosser Sparsamkeit
zu Werke; man beschränkte das Hofpersonale auf das Noth-
wendigste; auch sollte die Compagnie de l’hotel allmälig von
300 Mann auf die Hälfte reducirt werden. 3 Denn die jährliche
Revenue des Generalgouverneurs belief sich zwar auf 385.000
Gulden; aber es verging längere Zeit, bis diese Summen, die
erst von den Ständen bewilligt werden mussten, flüssig gemacht
werden konnten. Vorerst half der Kaiser mit Vorschüssen aus
dem Tresor royal aus.
Kaiser Josef II. hatte einstens gegen Uebernahme jener
Pensionen dem Statthalterpaar die beiden aus der Hinterlassen
schaft des Prinzen Carl von Lothringen stammenden Schlösser
Marimont (im Hennegau) 4 und Tervueren zum Nutzgenusse
überlassen. Jetzt hätten dieselben an den Tresor royal zurück
fallen sollen. Doch beantragte Metternich, ausser dem Palais
1 Delmotte an Maria Christine und Herzog Albert. Bruxelles, ce 19 aoüt
1793. Orig. A.-A. Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 21. August
1793. Orig. eig.
2 Metternich an Trauttraansdorff. Bruxelles, le 11 juin 1793. Copie. Erz
herzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 10. Juni 1793. Orig. eig. Trautt-
mansdorff an Metternich. Vienne, le 23 juin 1793. Orig. Erzherzog Carl
an den Kaiser. Brüssel, den 21. August und 3. September 1793. Orig,
eig. Franz II. an Erzherzog Carl. Laxenburg, den 24. August 1793. Orig,
eig. A. - A.
3 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 7 juillet 1793. Entw.
4 Ueber den einstigen Zustand von Marimont vergl. Lejeune, Le parc et
les jardins de la maison de plaisance de Marimont sous les archiducs
Albert et Isabelle. 1598—1650. In den Annales du cercle archdologique
de Mons, t. XVI, 534 ff.
Belgien unter der Generalstatthalterschnffc Erzherzog Carls (1703, 1704),
33
royal in Brüssel auch jene beiden Schlösser, deren Besitz dem
selben besonders wegen der damit verbundenen herrlichen Jagd
reviere manche Annehmlichkeiten bereiten mochte, dem Erz
herzog unter derselben Bedingung wie seinen Vorgängern,
nämlich gegen die Verpflichtung, für deren Erhaltung Sorge
zu tragen, einzuräumen. 1 Der Kaiser genehmigte diesen Antrag;
nur sollte Tervueren vorläufig in seinem Stande verbleiben und
dessen beabsichtigter Umbau in ein Jagdschloss auf günstigere
Zeiten verschoben werden. 2 Zur Uebernahme des Palais royal
und der genannten Schlösser wurde von dem Erzherzog Warns-
dorff ermächtigt. 3 Am 3. Januar 1794 fand die Uebergabe des
Palais royal, am 23. Januar jene des Schlosses Tervueren, am
27. Januar jene des Schlosses Marimont statt. 4
Der Erzherzog übernahm diese Besitzungen im traurigsten
Zustande, namentlich galt dies von Tervueren, wo das Schloss
während der Unruhen von 1790 aller Eisen- und Bleibestand-
theile beraubt worden war, und wo es im Parke, der noch die
deutlichen Spuren der Verwüstung an sich trug, kein Wild
mehr gab, da man die Umzäunungen gegen den Sonierwald
hin niedergerissen hatte. 5 Aber auch das Palais royal hatten die
Franzosen vollständig ausgeplündert. Die Conventscommissäre
hatten Alles verkauft. Kein Tisch, kein Sessel, kein Spiegel war
vorhanden. Die kostbaren Bronzen, der Kamin, der Thron im
Audienzsaale waren gestohlen und verschleppt worden, sogar
die Tapeten hatte man von den Wänden gerissen und die
Fensterscheiben zertrümmert. Die einst von den dankbaren
1 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 11 juin 1793. Copie. Erz
herzog Carl an den Kaiser, den 10. Juni 1793. Orig. eig. Metternich an
Trauttmansdorff. Bruxelles, le 17 aoüt 1793. Entw.
2 Trauttmansdorff an Metternich, 31 aoüt, 13 septembre 1794. Orig.
3 Delmotte an Müller, le 28 novembre 1793. Orig. eig. A.-A. Die Voll
macht datirt vom 20. Deeember 1793.
4 Besogne et Proees verbal de l’extradition du Palais de Bruxelles, ainsi
que des chäteaux Marimont et de Tervueren avec leurs dependances,
meubles et effets ä S. A. K. l’archiduc Charles Louis d’Autriche, gouver
neur-general des Pays-Bas Autrichiens. A.-A. Datirt ist dieser für die
damalige innere Einrichtung des Palais royal, sowie der beiden Schlösser
sehr instruetive Notariatsact vom 22. Februar 1794.
6 Delmotte an Maria Christine. Bruxelles, le 6 septembre 1793. Orig,
eig. A.-A.
Sitzungsber. fl. phil.-bist. CI. CXXVIII. Bd. 6. Abh. 3
34
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
Belgiern errichtete Statue des Prinzen Carl von Lothringen hatte
man umgestürzt, und den schönen ,Parc‘ hatten die französischen
Officiere als Manhge für ihre Pferde benützt. 1 Anfangs fehlte
es an Allem: an Möbeln, Silbergeschirr und Pferden. Das
Te Deum anlässlich der Geburt des Kronprinzen (Ferdinand)
konnte nicht, wie es sonst üblich war, zu St. Gudula abgehalten
werden, da es dem Erzherzog an den zu einem derartigen Auf
zuge erforderlichen Galawagen und Galapferden fehlte; die
kirchliche Feier fand daher in der Hofkapelle statt, wo der
Nuntius das Te Deum anstimmte. 2 Aus demselben Grunde nahm
der Erzherzog, der überdies damals unwohl war, auch nicht an
der sonst so prunkvollen Frohnleichnamsprocession theil. 3 ,Wir
sind/ schreibt Delmotte an die Erzherzogin am 12. Juni, ,so
wie wir ins Feld gezogen sind, im Gegentheil noch schlimmer
als damals bestellt. Se. königl. Hoheit speist noch mit eisernen
Gabeln, da er kein Silbergeräth hat/ 4 Am 19. kam der Mar-
stall aus Wien; Wratislaw war es, der die Pferde für den Erz
herzog zuritt. 5 Noch anfangs Juli heisst es: ,Wir sind nun zwei
Monate hier und noch konnte Niemand zu Tisch geladen werden,
denn wir haben nicht einen Silberlöffel, wir sind, so wie wir
im Feld gewesen/ 0
Da sonach das Palais royal erst wieder eingerichtet werden
musste, so nahm der Erzherzog hier blos tagsüber sein ,Absteig
quartier” und hielt sich vorläufig meist in Laeken (Sclioenen-
bergh) auf, das Privateigenthum des Herzogs Albert war, von
diesem jedoch ihm zur Verfügung gestellt wurde. 8
1 Henne und Wauters, 1. e. III, 339.
2 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 7 mai 1793.
3 Delmotte an Maria Christine. Sehoenenbergh, le 29 mai k 8 heures du
soir (1793). Orig. A.-A.
4 Delmotte an Maria Christine und Herzog Albert. Bruxelles, ce 12 juin
1793. Orig. A.-A.
6 Derselbe an dieselben. Selioenenbergh, le 22 juin 1703. Der holländische
General Wartenslehen, der sich mehrere Jahre in Brüssel aufgehalten
hatte, sandte damals dem Erzherzog ein kleines türkisches Pferd zu, für
das ihm 120 Luisd’or angeboten gewesen sein sollten. Delmotte an der
sub 6 citirten Stelle.
6 Delmotte an Albert und Maria Christine. Schoenenbergli, le 1 er , 2 e , 3 juillet
1793. Orig.
7 Erzherzog Carl an Metternich, s. d. A.-A.
8 Herzog Albert an Erzherzog Carl. Dresde, ce 2 e mai 1793.
Belgien unter der Generalstatthalterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794). 35
In clie Kosten der Wiederherstellung- des Palais royal
tlieilten sich der Kaiser und der Erzherzog. 1 Es gelang, eine
Anzahl von Möbeln des Palastes um denselben Preis zurück
zukaufen, um den sie von den Franzosen veräussert worden
waren. Die Kosten des Ameublements überhaupt, 28.000 Gulden,
trug der Kaiser allein. 2 Da es dem Erzherzog an einer silbernen
Vaisselle gebrach, eine solche aber unter 80.000 Gulden nicht
zu beschaffen war, bat er den Kaiser, ihm gelegentlich einen
Service von Wiener Porzellan zu schicken. 3 Wie es scheint,
willfahrte der Kaiser der Bitte und versorgte den Keller des
Erzherzogs auch mit Tokayer, der in Brüssel nicht zu be
kommen war. 4
Die Wiederherstellungsarbeiten an dem Palais gingen je
doch anfangs äusserst langsam von statten. 5 Erst die vertrau
liche Mittheilung des Kaisers, dass er im November nach Bel
gien zu kommen gedenke, gab den Arbeiten einen kräftigen
Impuls, 6 so dass der Erzherzog am 1. November seine Appar
tements zum ersten Male eröffnen konnte. ,Das Palais/ meldete
Metternich, ,ist wieder hergestellt, in anständiger, wenn auch be
scheidener Weise. Am 4., d. i. am Namenstag des Prinzen,
wird Gala sein, Morgens Cercle, Abends Appartement. Man wird
in Trauer erscheinen. Der folgende Tag (5.) ist zur Wieder
aufrichtung der Statue des Prinzen Carl bestimmt/ 7
Der Erzherzog brachte den Winter in Brüssel zu. Nur
fanden wöchentlich zwei- oder dreimal Fuchsjagden in dom
kleinen Parke von Tervueren statt. Der Oberst Brady, ein
passionirter Jäger, der Marquis de Gavre, Traizignies und
1 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 21. August und den 3. Sep
tember 1793. Orig. eig.
2 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 24 juillet 1793.
8 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 3. September 1793. Orig. eig.
4 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 26. September 1793. Copie.
A.-A. Franz II. an Erzherzog Carl. Wien, den 11. October 1793. Orig,
eig. A.-A.
6 Delmotte’s Briefe an Maria Christine vom 22. Juli, 16. August, 8. und
10. September 1793. A.-A.
6 Delmotte an dieselbe. Bruxelles, le 10 octobre 1793. Orig. A.-A. Franz II.
an Erzherzog Carl. Laxenburg, den 22. September 1793. Orig. A.-A.
7 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le l or novembre 1793. Copie.
3*
36
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
D’Oettinghem waren die gewöhnlichen Jagdgefährten des Prinzen,
der sich auf diese Art, sowie durch längere Spazierritte körper
lich zu stählen suchte. 1
Auch trat jetzt der Erzherzog im gesellschaftlichen Leben
häufiger hervor. Zwischen Mons, dem Winterquartiere Coburg’s,
und der Hauptstadt Brüssel herrschte ein reger Verkehr. Gäste
reisten ab und zu, denn Coburg pflegte grosse Tafel zu halten,
und die Besuche, die er gelegentlich von dem Erzherzog (Ende
December), dem Herzog von York und dem Erbprinzen von
Oranien erhielt, gaben zu Bällen und Festen Anlass, 2 die, wenn
hinwiederum Coburg und seine Gäste nach Brüssel kamen, von
dem Erzherzog und dem Minister erwiedert wurden. Besonders
im Februar 1794 herrschte in Brüssel ein lebhaftes Faschings
treiben. Coburg und York, der englische Prinz Adolf und der
Erbprinz von Oranien kamen wiederholt nach Brüssel. Am
1. März trafen die Prinzessin-Mutter von Oranien, der Erb
prinz von Oranien sammt Gemahlin, sowie der Erbprinz von
Braunschweig, ebenfalls mit seiner Frau, ein. 3 Der Erzherzog
gab zu Ehren seiner Gäste grosse Cercles, der Minister ver
anstaltete Bälle und der sonst so ernste Mercy Maskeraden. 4
Besonderer Glanz wurde bei diesen Anlässen freilich nicht
entfaltet, wie denn unter Anderem die von Coburg veranstalte
ten Gelage neben der Unterhaltung der jugendlichen Heer
führer den Zweck verfolgten, die Stimmung der Truppen zu
heben. Sonst floss das Leben des Erzherzogs ziemlich einfach
und gleiclimässig dahin. Es war dies umsomehr der Fall, als
auch die Physiognomie der Stadt Brüssel den Wechsel der
Zeiten nicht verkennen liess. Selbst der einst so lärmende
Plaufe der Emigranten war stiller geworden, seitdem Marquis
Caraman seine Diners nicht mehr bezahlen konnte und die
Prinzessin von Montmorency dem Prinzen von Ligne gestehen
musste, dass sie nur 12 Louis in ihrem Vermögen besitze und
sich einem Modehändler der Stadt zu Nachtarbeit verdingen
1 Delmotte an Maria Christine, le 27 decembre (1793). Orig. eig. A.-A.
2 Witzleben III, 92.
3 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 1 er mars, le 4 raars 1794.
Orig.
4 Witzleben Orig. A.-A.
Belgien unter der Generalstattlmltcrscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
37
wolle, und so manches von den Ahnen ererbte Kleinod in den
Mont de piete von Brüssel wanderte. 1
Nur das Ceremoniell des Hofes und das diplomatische
Corps erinnerten noch an die glänzendere Vergangenheit. Seit
dem sich Belgien in österreichischem Besitze befand, war es
das erste Mal, dass ein Erzherzog als Generalstatthalter an die
Spitze der Niederlande trat. Es ergaben sich daraus verschie
dene Fragen der Etiquette, in Bezug auf die sich Metternich
Weisungen erbat. 2 Von Wien aus wurde auf die am Hofe des
Erzherzogs Ferdinand zu Mailand üblichen Formen verwiesen; 3
doch konnte Metternich füglich geltend machen, dass die Stellung
des Generalstatthalters der Niederlande jener des Statthalters
der Lombardei nicht vollständig analog sei, dass jener gewisse
Ehrenrechte geniesse, die diesem nicht zukämen, insbesondere
dass am Brüsseler Hofe verschiedene Gesandte, ja sogar ein
päpstlicher Nuntius accreditirt sei. 4 Den päpstlichen Stuhl ver
trat in Brüssel (seit Februar 1793 5 ) der Nuntius Conto Cesare
de Brancadoro, 0 der sich indess in der Folge, wenn auch
nicht bei Metternich, so doch bei der Wiener Regierung, 7 wie
zuvor bei Maria Christine 8 durch seine Hinneigung zu den
Ständen discreditirte. Auch die übrigen Gesandten, die mit der
österreichischen Armee das Land verlassen hatten, kehrten jetzt
nach Brüssel zurück; so Lord Eigin, der schon im letzten Jahre
die Functionen eines ,bevollmächtigten Ministers und ausser
ordentlichen Gesandten' des Königs von England bekleidet hatte
und im August 1793 dem Erzherzoge seine neuen Creditive
überreichte, 9 durch sein intrigantes Wesen aber bald Anstoss
erregte. Auch der Generallieutenant Graf Tauentzien, der bis
1 Briefwechsel des Grafen Montvallat. Erinnerungen an die französische
Emigration von 1792 —1797. Herausg. von W. M. Zürich 1868. S. 146.
2 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 29 janvier 1794. Orig.
3 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 11 fevrier 1794. Orig.
4 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 23 fevrier 1794. Orig.
6 Pli. Cobenzl an Metternich. Vienne, le 13 fevrier 1793.
6 Im Calendrier de la cour von 1794: Brauerdoro.
7 Thugut an Colloredo, le 22 juillet 1795; Vivenot, Vertrauliche Briefe
I, 245.
8 Maria Christine an den Kurfürsten von Cöln, ce 22 aoüt 1795. Orig,
eig. A.-A.
9 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 6 aoüt 1793.
38
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
dahin preussischer Militärbevöllmächtigter bei der Armee Coburg’s
gewesen und dem später eine so glänzende militärische Lauf
bahn bescliieden war, wurde als preussischer Gesandter zu
Brüssel beglaubigt, indess bereits zu Anfang 1794 wieder ab
berufen und durch den Grafen Dönhoff, Rittmeister und Flilgel-
adjutauten des Königs, ersetzt, der bisher Gesandter bei der Eid
genossenschaft gewesen war und in Brüssel nun gleich seinem
Vorgänger zugleich als Militärbevollmächtigter fungirte. Als sol
cher fand er bei dem damaligen Chef des General-Quartier
meisterstabes, Mack, freundliches Entgegenkommen; die bitte
ren Klagen über die Abgeschlossenheit, zu der man ihn zwinge,
stammen erst aus späterer Zeit. 1 Bevollmächtigter Minister
Hollands war Baron de Hop, den Kurfürsten von der Pfalz
vertrat Graf Vieregg, den Maltheserorden der Bailli Chevalier
Texien d’Hautefeuille, den Fürstbischof von Lüttich dessen
Geheimrath und Geschäftsträger Dotrenge.
In der Besetzung der grossen Hofämter trat unter der
kurzen Statthalterschaft des Erzherzogs Carl keine Aenderung
mehr ein. Die Stelle eines Grand-veneur blieb auch weiterhin
unbesetzt. Als sich das Gerücht verbreitete, der Herzog von
Beaufort wolle sich bewerben, dass ihm ausser seiner Würde
eines Hofmarschalls auch die Functionen eines Oberstkämmerers
übertragen würden, die seit den Tagen des Prinzen Carl von
Lothringen der Prinz von Gavre versehen hatte, sprach sich
der Erzherzog gegen die Berücksichtigung eines derartigen An
suchens entschieden aus, nicht nur, weil Gavre, der ,alte, ehr
liche, brave Mann' es als ein Zeichen unverdienter Ungnade
betrachten müsse, wenn man ihn einer Stellung entkleiden
wolle, die er seit langer Zeit in zufriedenstellender Weise aus
gefüllt habe, sondern auch, weil bereits die Ernennung Beau-
fort’s zum Grossmarschall in Anbetracht seines höchst anstössi-
gen Benehmens während der Revolution unangenehmes Aufsehen
gemacht habe und weil, falls man ihm auch die Functionen
eines Obristkämmerers übertrage, zu besorgen stehe, dass es
zwischen ihm und den Kammerherren, besonders den Wallonen-
Officieren, die Hitzköpfe und Zeugen seines unwürdigen Ver-
1 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 27 janvier 1794. Witzleben
a. a. 0. II, 36.
Belgien unter der Goneralstattlialterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
39
haltens gewesen seien, zu peinlichen Scenen kommen könnte. 1
Doch erwies sich das Ganze als leeres Gerede. ,Was Deine
Hofchargen anbei an gt/ schrieb der Kaiser, ,so habe ich nie an
eine Aenderung gedacht, ohne darüber eher Dich zu ver
nehmen.' 2
Traten die Hofwürdenträger nur bei feierlichen Anlässen
hervor, so wurde das häusliche Leben des Erzherzogs durch
seine nächste Umgebung bestimmt. Es waren noch immer die
selben Männer, die schon zuvor in seinen Diensten gestanden
hatten. Leider herrschte unter denselben nicht jene Eintracht,
die allein geeignet gewesen wäre, dem jungen, vereinsamten
Erzherzoge wenigstens einigen Ersatz für den gänzlichen Mangel
eines Familienlebens zu bieten. Namentlich war es Warnsdorff,
dessen Ehrgeiz und Unverträglichkeit bereits Maldeghem seine
Stellung verleidet hatte und nun auch den übrigen Herren lästig
fiel. Delmotte, auf dem fast ausschliesslich die Last der Geschäfte
ruhte, 3 sehnte sich aus dieser Stellung heraus; er war entschlos
sen, wenn sich die Verhältnisse nicht bald ändern würden, zu
seinem Regimente zurückzukehren. 4 Auch Wratislaw wollte nicht
länger bleiben, trotz aller Vorstellungen des Erzherzogs, der
ihn umsomehr schätzte, als er sich bei Aldenhofen hervorge-
than hatte. 5
Der Erzherzog zeigte sich stets gleich gütig gegen seine
Umgebung; er schien nichts zu merken von dem, was um ihn
vorging. Mit Besorgniss glaubte Delmotte wahrzunehmen, dass
er sich von Warnsdorff leiten lasse; er befürchtete, dass der
Einfluss des harten, jähzornigen Mannes den Erzherzog selbst
um die Neigung des Landes bringen werde. 6 Aber wir werden
wohl nicht irregehen, wenn wir den Grund seiner Nachsicht
in diesem Falle nicht blos auf die Macht der Gewohnheit und
auf allzugrosse Nachgiebigkeit, sondern auf die Rücksichten
1 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 21. December 1793. Orig. eig.
2 Der Kaiser an Erzherzog Carl. Wien, den 11. Jänner 1794. Orig. eig. A.-A.
8 Delmotte an Maria Christine und Herzog Albert, s. d. Orig. eig. A.-A.
4 Derselbe an dieselben, le 1 er , 2 e , 3 juillet 1793. Orig. eig. A.-A.
6 Erzherzog Carl an den Kaiser. Rolduc, den 2. Martii 1793. Orig. eig.
Delmotte an Maria Christine und Herzog Albert. Bruxelles, le 16 aoüt
1793. Orig. eig. A.-A.
8 Delmotte an dieselben, le 1 er , 2 e , 3 juillet 1793. Orig. eig. A.-A.
40
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
zurückführen, welche derselbe einem Manne tragen zu sollen
glaubte, dem er nicht nur als einstigem Erzieher zu Dank ver
pflichtet war, sondern der sich erst jüngst im Felde in einer
Weise hervorgethan hatte, die ihm in der Folge (1794) das
Maria Theresienkreuz eintrug.
Man fühlte sich übrigens erst etwas behaglich, als Warns-
dorff sich in einem anderen Hause einlogirte. Namentlich galt
dies von Delmotte, der nun nicht mehr zu fürchten brauchte,
spät Abends von diesem auf seiner vertraulichen Correspondenz
mit der Erzherzogin ertappt zu werden. ,Wir sind jetzt häufiger
allein mit unserem guten Herrn und können ungenirt mit ihm
sprechen. Warnsdoff kommt Morgens vor der Messe, dann zur
Zeit, da der Erzherzog ausreitet, was täglich der Fall und sehr
nothwendig für seine Gesundheit ist, und zwar Montag, Mittwoch
und Freitag wegen der Audienzen von 11—l*/ s Uhr, Dienstag,
Donnerstag und Samstag von 9—11 Uhr, um sodann zur Con-
ferenz zurück zu sein. Nacli dieser Promenade kehrt der Baron
nach Hause zurück oder begibt sich zu Metternich, sein Lieb
lingshaus, und wir sehen ihn erst beim Diner wieder, worauf
er bis zur Theaterstunde bei uns bleibt. Manchmal geht er ins
Theater. Doch geschieht dies nicht regelmässig. Nach dem
Theater wünscht er uns an der Treppe ,Gute Nacht' und ent
fernt sich. Er ist jetzt weniger herrisch und fängt an zu merken,
dass sein Herr Oberwasser gewinnt. Freilich wohl nicht genug.' 1
Erfreulich war es, dass sich auch der junge Colloredo im All
gemeinen an Wratislaw und Delmotte anschloss. Letzterer konnte
nicht umhin, ihn als einen, wenn auch vielleicht beschränkten,
so doch gutmüthigen und höchst anständigen jungen Mann zu
bezeichnen. 2
Hatten sich so die Verhältnisse im Hause des Erzherzogs
für den Augenblick etwas leidlicher gestaltet, so blickte der
treue Delmotte doch nicht ohne neue Sorge in die nächste
Zukunft. Denn der ,Kleine', wie er scherzhaft Wratislaw nannte,
fühlte sich in seiner Stellung dauernd unbehaglich und dachte
daher ernstlich daran, im nächsten Frühling wieder bei der
1 Delmotte an Maria Christine und Herzog Albert. Bruxelles, le 26 no-
vembre 1793. Orig. A.-A.
2 Derselbe an dieselben. Bruxelles, le 7 juin, le 17 decembre 1793. Orig.
A.-A.
Belgien unter (1er Generalstntthalterscliaft Erzherzog Carls (1798, 1794).
41
Truppe oinzuriicken. Für diesen Fall hatte Warnsdorff die er
ledigte Stelle seinem Bruder, Major im Regi mente Würzhurg,
einem Manne, wie es heisst, ohne jede höhere Bildung, zugedacht,
der übrigens auch selbst durch Beaufort, Merode und den
Minister, dessen Haus er eifrig besuchte, ans Ziel zu kommen
trachtete. Ein anderer nicht minder gefährlicher Bewerber war
der Vicomte de Nieulant, der trotz ihrer gegenseitigen Ent
zweiung mit Warnsdorff und Maldeghem auf gutem Fusse stand
und sich auf jede Weise- bei dem Erzherzog einzuschmeicheln
suchte. Unter diesen Umständen legte es Delmotte dem Erz
herzog nahe, Wratislaw dauernd an sich zu fesseln, seine Stelle
vorläufig unbesetzt und ihm, während er im Felde stehe, seine
Zulage zu belassen. Sollte aber der Erzherzog trotzdem ent
schlossen sein, den dritten Kämmererposten in seinem Hause
wieder zu besetzen, so wies Delmotte auf D’Oettinghcm hin:
,Er stammt aus dem Lande, ist ein äusserst anständiger und
sanfter Mensch, hat eine gute Conduite und ist ganz und gar
für diesen Platz geeignet. Ausserdem liebt ihn der Erzherzog
bereits in hohem Masse/ 1
Gütig und dankbar wie immer, verwendete sich der Erz
herzog für Wratislaw bei dem Kaiser, indem er ihn bat, den
selben bei einem Freicorps oder bei irgend einem anderen vor
dem Feinde dienenden Regimente als Major anzustellen. ,Sollten
wir dann wieder Frieden bekommen/ setzt er hinzu, ,so werde
ich suchen, ihn dahin zu bringen, wieder zu mir zu kommen,
da es mir hart fallen müsste, einen so ehrlichen, braven Mann,
der nun schon zwei Jahre bei mir war, entbehren zu müssen/ 2
Uebrigens kam es nicht dazu; vermuthlich war es der sinkende
Einfluss WarnsdorfFs, der Wratislaw bewog, von seinem Vor
haben abzustehen. ,Die zwei Chinesen/ wie sie der Erzherzog
im Scherze zu nennen pflegte, Colloredo und Wratislaw, blieben
im Hause und schmiegten sich immer enger ihrem geliebten
Herrn an.
Leibarzt Carls war ein gewisser Dr. Wolf, bis derselbe
jacobinischer Gesinnung verdächtigt und von dem Kaiser eine
1 Delmotte an Maria Christine. Bruxelles, le 16 aoüt, le 27 novembre, le
17 decembre (1793). Orig. eig. A.-A. Erzherzog Carl an den Kaiser.
Tirlemont, den 21. März 1793. Orig. eig.
2 Erzherzog Carl an Franz II. Brüssel, den 6. December 1793. Orig. eig.
42
VI. Abhandlung: v. Zcissborg.
Untersuchung wider ihn angeordnet wurde. 1 Natürlich büsste
er darüber seine Stellung ein. Im Calendrier de la cour von
1794 wird er nicht mehr genannt. Die Stelle eines Leibarztes
war jetzt überhaupt nicht besetzt. Als ,Leibchirurg' des Erz
herzogs erscheint Hubertus, ein Zögling des Josefinums in Wien,
der zuvor als Bataillonschirurg bei dem Militär gedient hatte,
und dem auf Wunsch Carls der Charakter und die Uniform
eines Stabschirurgen, doch ohne Gehalt, zugestanden wurde. 2
Indess erwies sich gleich so manchen ähnlichen Verdäch
tigungen jener Zeit auch die gegen Wolf ausgestreute als völlig
unbegründet. Denn nur unter dieser Voraussetzung konnte es
geschehen, dass sich derselbe zu Anfang des Jahres 1795 um
seine Wiederanstellung bei dem Erzherzog bewarb. Zwar wollte
ihn der Kaiser vielmehr mit Belassung seiner Bezüge ins Wiener
allgemeine Krankenhaus versetzen. 8 In der Folge finden wir
ihn aber doch auf Empfehlung des berühmten Arztes Lagusius
bei dem Erzherzog wieder angestellt, 4 ja bestimmt, denselben
zur Armee zu begleiten, 6 während Hubertus zur Truppe cin-
rücken sollte, 0 wovon man aber bald wieder abkam.
IV. Alis dem Privatleben des Erzherzogs.
Unter den geschilderten Verhältnissen mochte das häus
liche Leben des Erzherzogs wohl wenig Erfreuliches bieten.
Von den Personen getrennt, die ihn zärtlich liebten, und denen
auch er in der Verehrung und Liebe eines Sohnes ergeben
war, sah er sich von Männern umgeben, die zwar, woran nicht
zu zweifeln ist, ihm insgesammt zugethan, die aber unter sich
uneinig und zum Theile mit ihren Stellungen unzufrieden waren,
und unter denen, von ihrem meist noch jugendlichen Alter ab-
1 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 17 decembre 1793. eig. Erz
herzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 30. December 1793. Orig. eig.
Der Kaiser an Erzherzog Carl. Wien, den 11. Jänner 1794. Orig. eig.
2 Vortrag Lacy’s vom 11. Februar 1794 und kaiserl. Resolution. Kr.-A.
3 Erzherzog Carl an Delmotte. Vienne, ce 3 fevrier 1796. Orig. A.-A.
4 Maria Christine an Delmotte. Augsbourg, ce 24 avril 1795. Orig. A.-A.
6 Dieselbe an denselben, ce 4 mai 1795. Orig. A.-A.
6 Lacy an den Kaiser. Neuwaldegg, den 21. Juli 1795. Kr.-A.
Belgien unter der Gencralstattlialterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
43
gesehen, sich keiner befand, der etwa durch hervorragende
Begabung einen tieferen Einfluss auf die geistige und moralische
Entwicklung Carls zu üben vermochte, wie er selbst in einem
späteren Rückblicke auf diese Zeit bedauernd hervorhebt. Im
Grunde auf sich selbst angewiesen, stählte sich dieser in der Er
füllung der ihm übertragenen harten Pflicht und suchte und
fand fast nur in jenen Ausflügen Erholung, die er mit Erlaub-
niss des Kaisers zu seiner militärischen Ausbildung in das Haupt
quartier des Prinzen Coburg unternahm. Gewöhnlich fand er
sich ein, wenn irgend ein grösseres Unternehmen im Werke
war, kehrte aber nach wenigen Tagen immer wieder zu seinen
Amtsgeschäften nach Brüssel zurück.
Es heisst, dass er auf einem der ersten dieser Ausflüge in
die Gefahr gerieth, von den Franzosen gefangengenommen zu
werden. ,Seine königl. Hoheit der Erzherzog Carl/ schreibt der
,heimliche Botschafter', eine sonst allerdings mit vieler Vorsicht
zu gebrauchende Quelle, 1 unter dem 14. Mai 1793, ,werden
nicht mehr zur Armee gehen, da Höchstdieselben ihr kostbares
Leben zu sehr der Gefahr aussetzen; bei Valenciennes wäre
der Erzherzog, da er sich zu weit vorwärts wagte, beinahe ge
fangen worden. Der Erzherzog war schon vom Feinde umrungen
und nur durch die Tapferkeit des Mourray’schen Regiments wurde
er gerettet, da dies Regiment ein Quarre um den Prinzen schloss
und so unter beständigem Gefechte ihn bis zu seinem Corps,
das er commandirte, zurückbrachte.' Und unter dem 21. Mai
heisst es in derselben Quelle: ,Seine königl. Hoheit der Erz
herzog Carl gehen nicht mehr zur Armee und haben den Bitten
der niederländischen Stände, sein kostbares Leben nicht mehr
aufs Spiel zu setzen, nachgegeben, und werden künftighin das
Gouverneurspalais in Brüssel immer bewohnen.' 2 Freilich steht
es im Widerspruche damit, wenn es in derselben Quelle unter
dem 7. Juni heisst, dass der Erzherzog der Belagerung von
Conde beiwohnen werde und deswegen bereits von Brüssel zur
Armee abgegangen sei. 3
1 Manuscr. der Hofbibliothek in Wien; über den Autor: Staudinger vergl.
Wurzbaeh s. h. v.
2 Ebenda, S. 82 b.
8 Ebenda, S. 92 a.
44
VI. Abhandlung: v. Zeis sh erg.
Ist nun aber auch in dieser Fassung die Angabe zu ver
werfen, da die betreffende Q,uelle sich selbst und den nachfol
genden Thatsachen widerspricht, so scheint sie doch nicht ganz
gegenstandslos gewesen zu sein, wie man aus dem Schreiben
ersieht, das Dumouriez ebenfalls am 14. Mai von Mergentheim
aus an den Erzherzog richtete und das mit den Worten beginnt:
,Ich habe erfahren, dass Eure königl. Hoheit Gefahr gelaufen
sind, gefangen genommen zu werden. Ich war entsetzt darüber.
In was für Hände wäre ein Fürst gefallen, der für das Wohl
des Volkes nöthig ist. Diese Meinung, welche ich mir über Sie
gebildet habe, ist es, die mir das grösste Interesse an Ihrer
Erhaltung und Ihrem Ruhme einflösst. Eure Hoheit müssen es
über sich gewinnen, jenen, den man mit den Waffen gewinnt,
dem zu opfern, der die Frucht der Bürgertugenden ist. Ge
statten Sie diesen Rath einem alten Kriegsmanne, der den mili
tärischen Ruhm nicht höher anschlägt, als er es werth ist/ 1
Die allerdings sehr förmliche Antwort des Erzherzogs 2 auf
diesen Brief geht über die in letzterem enthaltene Anspielung
schweigend hinweg, und auch sonst findet sich — namentlich
auch in der sonst in solchen Dingen sehr gesprächigen Corre-
spondenz Delmotte’s — keine Andeutung dieser Art. Aber gerade
der Umstand, dass der Erzherzog über die Sache schweigt,
scheint sie zuzugeben. Undenkbar wäre es gewiss nicht, dass
schon damals französischerseits versucht worden wäre, sich des
Erzherzogs zu bemächtigen, wie denn im späteren Verlaufe des
Jahres 1793 noch einmal sich das Gerücht von einem Complot
der Jacobiner verbreitete, das dahin zielen sollte, über Charleroy
ein Cavalleriecorps nach Brüssel zu senden, um den Erzherzog,
Mercy und Metternich als Geiseln für die verhafteten Convents-
commissäre aufzuheben, ein Gerücht, das damals Coburg sogar
den Anlass zu einigen Gegenvorkehrungen gab. 3 Thatsache
ist übrigens blos, dass sich Erzherzog Carl am 4. Mai ins
1 Dumouriez an Erzherzog Carl. Mergentheim, le 14 mai 1793. Orig. eig.
St.-A. Abgedruekt bei Mortimer-Ternaux, 1. c. VI, 589, wo aber der
Anfang verstümmelt ist.
2 Erzherzog Carl an Dumouriez. Bruxelles, le 21 mai 1792. Entw. Metter-
nich’s.
3 Delmotte an Maria Christine und Herzog Albert. Bruxelles, le 31 octobre
1793. Orig. A.-A.
Belgien unter der Generalstatfchulterschaft Erzherzog Carls (1798, 1794).
45
Hauptquartier begab, um der Einladung Coburg’s zufolge dem
Te Deum beizuwobnen, das am 5. für den Sieg vom 1. Mai
über Dampierre gesungen wurde. 1
Am 22. Mai wohnte der Erzherzog der Eröffnung der
Trancheen vor Conde bei. 2 Am 23. kam es zur Schlacht bei
Famars, deren nächste Folge die Einschliessung von Yalen-
ciennes war. Am 24. kehrte Carl nach Brüssel zurück, 3 wo er
unmittelbar darnach an einem Fieber erkrankte. 4 Doch erholte
er sich rasch wieder und begab sich (12. Juni) nach Valen-
ciennes, um die dort eröffneten Trancheen zu besichtigen. 5 Es
war ein buntes, ungemein fesselndes Bild, das sich dem auf
merksamen Beobachter vor Valenciennes darbot, wo bei Etris
rechts von der Strasse das englische Lager, reinlicher als das
Ankleidezimmer einer deutschen Modedame, stand, während
links das kaiserliche vielfach an die Zustände an der türkischen
und croatischen Grenze erinnerte. Aber dem Erzherzog mochten
auch die Unterschiede der Nationalcharaktere nicht entgehen,
wenn er wahrnahm, wie der Ungar oder Slovenier, immer genüg
sam und thätig, in Mussestunden die Gelegenheit wahrnahm,
eine Kegelbahn anzulegen, oder sich im Laufen und Springen
zu üben, während der Hesse die Ruhepausen verschlief, der
Engländer spazieren ging oder sich und die Zelte putzte, der
Hannoveraner kochte und ass. Einen eigenthümlichen Anblick
mochte ihm auch eine Wanderung durch die Trancheen ge
währen: die fast unheimliche Stille, mit der hier jeder, was
ihm zukam, ohne dass ein Befehl nöthig war, verrichtete, und
selbst der jüngste österreichische Bombardier über den Hergang
1 Metternich an Trauttmansdoff, 4 mai 1793. Erzherzog Carl an den Kaiser.
Brüssel, den 6. Mai 1793.
2 Metternich an Tranttmansdorff. Bruxelles, le 22 mai 1793. Vergl. Erz
herzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 18. Mai 1793. Orig. eig. Nach
dem Moniteur Nr. 155, p. 669 erfolgte die Abreise Carls ins Haupt
quartier am 21. Mai.
3 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 26. Mai 1793. Orig. eig.
4 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 26 Mai 1793. Briefe Del-
motte’s an Maria Christine vom 26., 27., 28. und 30. Mai und vom 2. Juni.
Orig. A.-A. Vergl. auch Trauttmansdorff au Colloredo. Orig. eig. ohne
Datum (pres. 5 juin 1793).
5 Delmotte an Maria Christine. Bruxelles, le 12 juin, le 16 juin. Orig. eig.
A.-A. Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 13 juin 1793.
46
VI. Abhandlung: v. Zeissborg.
der Belagerung Bescheid zu geben wusste, indess die Engländer
in den Laufgräben wie in einer Wachtstübe bei Rumflasche
oder Punschbowle sich gütlich thaten, der Hesse aber sein
Pfeifchen schmauchte und, wenn es nicht anders ging, im
Stehen schlief. 1
Uebrigens verband mit diesem Ausfluge nach Valenciennes
der Erzherzog noch eine andere Absicht. Es verlautete nämlich,
dass sich der Prinz von Wales bei der Armee einfinden werde.
Carl wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, um sich
mit demselben zu befreunden. Er meinte, dass dies, da man
sich mit England enger verbinden wolle, nicht ganz werthlos
sei, zumal der König zu altern beginne. Wohl erwies sich jenes
Gerücht als falsch, hingegen suchte sich jetzt der Erzherzog
aus demselben Grunde dem Herzog von York zu nähern, 2 der
den Oberbefehl über die englischen Truppen führte und gleich
seinen Brüdern, den Herzogen von Kent und Cumberland,
durch manche kühne Waffenthat glänzte. Es hing wol mit dem
fortan ziemlich lebhaften Verkehr Carls mit diesem Prinzen zu
sammen, dass sich das übrigens völlig unbegründete Gerücht
der bevorstehenden Vermählung des Erzherzogs mit einer eng
lischen Prinzessin verbreiten konnte. 3
Am 16. Juni kehrte der Erzherzog nach Brüssel zurück.
Am 18. treffen wir ihn zu Schoenenbergh, wo man im Parke,
wenn kein widriger Wind blies, jeden Kanonenschuss von
Valenciennes hören konnte. 4 Wie Delmotte versichert, war sein
Herr trostlos, der Belagerung nicht beiwohnen zu können, son
dern an Conferenzen theilnehmen zu müssen, in denen der
Minister keinen Schritt vorwärts kam. 5 Carl selbst schrieb an
seinen Oheim: ,Sobald alle Batterien errichtet sein werden,
gehe ich zur Armee, um sie spielen zu sehen, das wird ein
Heidenlärm sein/ 6
Zuvor aber ging es nach Conde, denn am 11. Juli Mor
gens traf der Kürassierrittmeister Graf Rosenberg, den gegen
1 Girtanner, Politische Annalen III, 1793, S. 480 ff.
2 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 8. Juni 1793. Orig. eig.
3 ,Der heimliche Botschafter* 166 a zum 15. October 1793. Moniteur Nr. 88.
4 Erzherzog Carl an Herzog Albert, le 16 et 18 juin 1793.
5 Delmotte an Maria Christine, le 1 er , 2 e , 3 juillet 1793. Orig. A.-A.
6 Erzherzog Carl an Herzog Albert, le 18 juin 1793. Orig. eig. A.-A.
Belgien unter der Generalstatthaltcrseliaft Erzherzog Carls (1793, 1791).
47
den Wunsch des Erzherzogs 1 Metternich mit zwölf Postillons
in die Stadt einreiten liess, mit der Nachricht in Brüssel ein,
dass Conde capitulirt habe. 2 In Folge dessen reiste der Erz
herzog am folgenden Tag nach dieser Festung. 3
,Am 13./ erzählt Delmotte, ,kam er um 2 Uhr Morgens
in der Eremitage an, wo er hei dem Prinzen von Würtemberg'
(dem Eroberer von Conde) ,sich einlogirte. Um 7 Uhr begaben
wir uns nach Cocq, um die 4008 Mann starke Garnison 4 ab-
ziehen zu sehen, die sehr gut aussah, trotz der Hungersnoth,
unter der sie durch einige Zeit gelitten hatte. Sie zogen mit
allen kriegerischen Ehren ah, mit ihrer Artillerie und ihren
Pulverwagen (caissons). Als sie in Cocq anlangten, streckten
sie die Waffen und marschirten nach Peruwels, wo sie die
Nacht zubrachten. Das ganze Corps des Prinzen von Würtom-
berg bildete längs der Strasse Spalier, vom Stadtthore an. Auch
Ihre Division Chevauxlegers befand sich dabei; sie ist superb,
man kann nichts Schöneres sehen. Se. königl. Hoheit sprach in
gütiger Weise mit Chancel, dem Commandanten von Conde.
Als sich der Erzherzog entfernte, rief jener aus: „Ach Gott!
hätten wir doch in Frankreich königliche Prinzen wie diesen
gehabt, es wäre nie zu einer Revolution in unserem armen
Lande gekommen, wir hätten sie angebetet; wie glücklich sind
Sie, meine Herren!" Um 11 Uhr begaben wir uns in die Stadt,
besichtigten die Werke, die noch unversehrt sind, und fanden
über 105 Feuerschlünde vor. Die Municipalität der Stadt trug
noch die tricolore Schärpe; Graf Mercy befahl ihnen, dieselbe
sofort abzulegen, und cassirte zugleich diese Behörde. General
major Czernezy wurde Platzcommandant, der Civilcommissär
Maco de Tourny Chef der Stadt, um Alles zu regeln. Wir
speisten sodann bei dem Prinzen von Würtemberg in der
Ileremitage; der Tafel wohnten bei: der Herzog von York, die
Prinzen Ernst und Adolf von England, der Sohn des Herzogs
von Braunschweig, Prinz Coburg, FZM. Clerfayt und alle ihre
Adjutanten. Man brachte nur einen Toast aus, und zwar auf die
Sieger von Conde. Es ging dabei ebenso heiter als anständig
1 Metternich an Erzherzog Carl, le 11 juillet 1793. Orig. eig. A.-A.
2 Delmotte an Maria Christine, le 11 juillet, au moment du depart. Orig. A.-A.
3 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 12 juillet 1793. Copie.
4 Nach Witzleben II, 220 waren es 277 Officiere und 4009 Mann.
48
VI. Abhandlung: v. Zo iss borg.
zu. Nach Tisch gingen wir nach Aubry (hei Valenciennes), wo
wir in einem kleinen Schlosse mit drei Zimmern einquartirt sind.
Die dritte Parallele war fertig, und wir wurden durch den
Donner der Kanonen belästigt, der unaufhörlich wiederhallte.
Heute Morgens war das Feuer excessiv. Wir gehen um 7 Uhr
nach Herin' (dem Hauptquartiere Coburg’s), ,um dem Te Deum
beizuwohnen, das vor dem Lager der Grenadiere abgehalten
und von der Observations-, der Belagerungsarmee, allen Corps
zu Conde wiederholt werden soll. Wir speisen bei dem Prin
zen Coburg.' 1
Auch dem FZM. Ferraris stattete bei dieser Gelegenheit
Erzherzog Carl einen Besuch ab. 2 In der Nacht vom 18. bis
19. Juli kehrte dieser nach Brüssel zurück. 3
Interessant ist, was Erzherzog Carl selbst über diesen
kurzen Ausflug zu erzählen weiss. ,Ich habe am 13. d.,' schreibt
er an seinen Oheim Herzog Albert, ,um 10 Uhr Morgens die
Garnison von Conde abziehen gesehen. Sie belief sich auf
4009 Mann. Man hatte ein Spalier gebildet von der Festung
bis Cocq mit den Truppen der Blokade, nämlich 2 Bataillone
Josef Colloredo, 1 Bataillon Wartensleben, 1 Bataillon d’Alton,
den Chevauxlegers Ihres Regiments, die sich superb ausnahmen,
und den Regimentern Saxe, Berchiny und Royal Allemand.
Die Garnison, Chancel an der Spitze, rückte aus unter Trommel
schlag und mit fliegenden Fahnen in bester Ordnung. Zu Cocq
streckten sie die Waffen; sie thaten dies schweigend, aber man
sah den Schmerz auf ihren Gesichtern; sodann führte man sie
nach Peruwels, von wo sie nach Cöln durch 1 Bataillon d’Alton
und 2 Peletons Blankenstein escortirt werden. An der Spitze
der Garnison marschirte eine Compagnie Grenadiere, Linien
truppe, die sehr schön war, die übrigen Linientruppen waren
passable, die Nationalgarde aber sah erbärmlich aus. Es war
nichts als Canaille, Kinder, insgesammt zerlumpt und zerfetzt,
von unglaublicher Unsauberkeit (saloperie). Darunter befanden
sich auch zwei junge Mädchen, die bitterlich weinten; sie trugen
1 Delmotte an Maria Christine und Herzog Albert. Aubry, le 14 (juillet) ä
ö'/j heures de matin 1793. Orig. A.-A.
2 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 18. Juli 1793. Orig.
3 Delmotte an Herzog Albert und Maria Christine. Bruxelles, le 19 juillet
1793. Orig. A.-A.
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
49
die Uniform der Nationalgarde, aber ohne Gewehr. Chancel
macht einen sehr respectablen Eindruck. Man fand Conde in
ziemlich gutem Zustande: 95 Kanonen und Mörser, zahlreiche
Munition, aber keine Lebensmittel. Wir wurden mit Schweigen
und ohne ein Zeichen der Freude empfangen, was ganz natür
lich ist/ 1
Am 28. Juli capitulirte Valenciennes; am 29. Abends eilte
der Erzherzog wieder dabin. 2 Dem Umstande, dass auch Graf
Fersen sich damals nach Valenciennes begab und über diesen
Ausflug Mancherlei in seinem Tagebuch vermerkte, verdanken
wir auch einige Details über die Reise des Erzherzogs.
So erfahren wir, dass sich dieser am 31. Juli zu Raismes
befand, wo sich damals der Armeeintendant Bartenstein auf
hielt, der ein Diner zu Ehren des Erzherzogs und des Prinzen
Coburg gab, dem auch Merc'y beigezogen wurde. Am 1. August
traf Fersen den Erzherzog früh Morgens zu Aubry und be
gleitete denselben in Coburg’s Hauptquartier nach Herin. Im
Gefolge des Erzherzogs wird bei dieser Gelegenheit Wamsdorff
genannt. Die ganze Gesellschaft brach von hier um 7 Uhr Mor
gens auf, um zunächst auf einem der drei Dämme, die man
errichtet hatte, das Inundationsgebiet zu Fri in Augenschein
zu nehmen. ,Um 8 Uhr/ fährt Fersen zu erzählen fort, ,kamen
wir nach La Briguette; die englischen, österreichischen und
hannoverischen Truppen waren bereits angelangt und formirten
sich zu einem Spalier, das die Franzosen passiren sollten. Diese
Versammlung der schönsten Truppen Europas bot ein ebenso
einziges als seltenes Schaustück dar. Die englischen Truppen
waren zunächst der Stadt postirt. Die Formation währte sein-
lange, und es schien mir, als ob sie nicht gerade sehr gut ge
troffen sei. Um 9 Uhr, zur Stunde, in der die Garnison abziehen
sollte, benachrichtigte man den Herzog von York, dass die
(Convents-) Commissäre 3 den Anspruch erhöben, an der Spitze
der Garnison auszurücken. Der Herzog von York liess ihnen
sagen, dass er Commissäre nicht kenne, und dass, wenn sie ab
ziehen wollten, sie dies entweder in Uniform tliun oder sich unter
1 Erzherzog Carl an Herzog Albert. Schoenenbergli, ce 21 juillet 1793. Orig.
A.-A.
2 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 29 juillet 1793. Copie.
3 Jean de Brie und Cochon. Wiener Zeitung 2438.
Sitzungsber. 4. phil.-hist. CI. CXXVI1I. Bd. 6. Abh. 4
50
YI. Abhandlung: v. Zeissberg.
den Tross mischen müssten. Coburg stimmte ihm bei, Mercy
dagegen schien anderer Ansicht. Doch der Herzog von York
blieb dabei und sandte Saint-Leger ab, um ihnen dies zu sagen.
Man hätte gewünscht, dass sie das Volk in Yalenciennes ver
haftete, und man würde dies in jeder Weise erleichtert haben.
Am Abende zuvor hiess es auch, dass dies geschehen werde,
aber man hatte sich getäuscht/ 1
Statt indess der Erzählung Fersen’s weiter zu folgen, 2
ziehen wir es vor, den anschaulichen Bericht mitzutheilen, den
Erzherzog Carl seinem Oheim Herzog Albert über den Auszug
der französischen Garnison aus Valenciennes erstattete und der
die Erzählung des schwedischen Diplomaten in willkommener
Weise ergänzt.
,Der Auszug der Garnison/ erzählt Erzherzog Carl, ,fand
am 2. August 3 Morgens statt. Den Zug eröffnete Madame
Cochon, die Gattin des (Convents-)Commissärs, begleitet von
einer Anzahl hübscher Mädchen und Frauen von Paris und
einigen Bürgern von Valenciennes. Die Garnison bestand aus
6000 Mann, theils Linientruppen, theils Nationalgardisten, und
aus 1000 Kanonieren. General Ferrand befand sich an der
Spitze, desgleichen General Boileau und Tholoze, der Chef der
Ingenieurs. Sie benahmen sich äusserst artig. Dagegen zog
General Beauregard, einst Komödiant, nicht einmal den Säbel
und lüftete nicht den Hut vor dem Herzoge von York und dem
Prinzen von Coburg. Die Commissäre marschirten nach ihrem
Range; sie hatten den Gesichtsausdruck grosser Schurke (sce-
lerats). Da man nicht wusste, was man mit ihnen anfangen
sollte, hatte man ihrer in der Capitulation nicht ausdrücklich
gedacht, sondern blos gesagt, dass es jedem Bürger nach Be
lieben gestattet sein solle, mit der französischen Armee Valen
ciennes zu verlassen. Die französische Besatzung marschirte in
geringer Ordnung, defilirte vor der englischen und hannoverischen
und einem Th eile unserer Armee und wurde zu den Vorposten
der französischen Armee geführt, nachdem sie die Waffen nieder-
1 Klinkowström, Le comte de Fersen II, 77 ff.
2 Vergl. auch den interessanten Brief bei Girtanner, Politische Annalen IV,
1793, S. 8 ff.
3 Das ist ein Irrthum; vielmehr muss es heissen: 1. August.
Belgien unter der Generalstatthalterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
51
gelegt hatte. Sechs Deserteurs, die man unter den Franzosen
entdeckte, wurden ohne Gnade und Erbarmen gehenkt. Nach
dem die Garnison ausgerückt war, begaben wir uns in die Stadt.
Die Municipalität kam uns zum Empfange entgegen und über
reichte die Schlüssel dem Prinzen von Coburg. Wir wurden mit
vielen Zeichen der Freude empfangen. 1 Ich eilte durch die Stadt,
begierig, zu sehen, welche Wirkung unsere Artillerie daselbst
hervorgerufen habe, und ich kann Sie versichern, dass ich mir
eine solche Wirkung nicht vorgestellt hätte. Der ganze an der
Frontseite gelegene Stadttheil existirt sozusagen nicht mehr.
Alle Häuser sind zusammengestürzt, und die Strassen sind mit
Trümmern so erfüllt, dass man kaum Einer hinter dem Andern
vorwärts kommt. Zwei grosse Kirchen, der grösste Thurm von
Valenciennes sind fast eingestürzt, und man sieht nur noch zwei
Mauern von dem grössten Thurme der Stadt, der dem Feinde
als Observatorium diente. Und all’ dies ohne eine Spur von
Feuer, denn wir haben nie die Stadt mit glühenden Kugeln
beschossen. Man wird Jahre bedürfen, um dem abzuhelfen.
Was die Werke des Platzes betrifft, so sind ihre Mauern so
zu Grunde gerichtet und eingestürzt, dass man die Aussen-
werke erstürmen konnte, ohne Breschenbatterien angelegt zu
haben, und die Innenwerke so schadhaft, dass sich in weniger als
zwölf Stunden eine prakticable Bresche hätte lierstellen lassend 2
Am 2. August um 7 Uhr Morgens fand sich der Erz
herzog zu Herin im Hauptquartiere Coburg’s ein; von da begab
man sich zur Observationsarmee, welche in zwei Linien auf den
Höhen vor Denain lag. Die Truppen, durchaus Oesterreicher,
gewährten einen prächtigen Anblick; namentlich die Hussaren,
die vor acht Tagen aus Kaschau eingetroffen waren und aus
sahen, als wären sie eben erst aus ihren Quartieren gekommen.
Es fand ein Te Deum statt, welches sowohl der Einnahme von
Valenciennes, als jener der Stadt und Festung Mainz galt. Als
man sich sodann Mittags zu einem Diner, das in der Kirche
1 Im Gegensätze hiezu heisst es in dem officiellen Berichte der ,Wiener
Zeitung*: ,Bei dem Einrücken der k. k. Truppen herrschte in der Stadt
tiefe Stille; nur einige auf dein Platze versammelte Personen weiblichen
Geschlechts klatschten in die Hände.* Wiener Zeitung 2437.
2 Erzherzog Carl an Herzog Albert zu Sachsen-Teschen. Bruxelles, ce 7 aoüt
1793. Orig. A.-A.
4*
52
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
stattfand, versammelte, traf die Nachricht ein, dass Wurmser
die Franzosen hei Weissenburg zurückgeworfen habe. 1
Am 4. August befand sich der Erzherzog wieder in Brüs
sel, 2 wo aus demselben Anlasse zu St. Gudule ein feierlicher
Gottesdienst stattfand und Abends die Stadt beleuchtet war. Im
September besuchte der Erzherzog die Festung Le Quesnoy,
wozu deren Capitulation den Anlass gab. 3 Am 15. September
kehrte er wieder nach Brüssel zurück, 4 um sich am 26. neuer
dings zur Armee zu begeben, da am 28. und 29. der Angriff
auf das verschanzte Lager von Maubeuge stattfinden sollte. 5
Es wurde bereits bemerkt, dass der Erzherzog bis in den
Spätherbst meist auf dem Lande zu Laeken weilte. Hier fand
der bekannte Augeard öfters Gelegenheit, den Erzherzog zu
sprechen. Auf dessen Wunsch fand er sich jeden Sonntag-
Mittags bei ihm ein, um ihm Vortrag über die Ursachen und
Folgen der französischen Revolution zu halten. ,Ich habe nie/
bemerkt Augeard, ,ich will nicht sagen einen jungen Prinzen,
nein, einen jungen Mann gefunden, der mehr Eifer für das
Gute und mehr Ruhmbegierde gezeigt hätte als Erzherzog Carl.
Ich sagte ihm damals voraus, dass er sich die höchste Achtung
in Europa erwerben werde. Niemand kennt besser als er die
Unfähigkeit und die Thorlieit der Minister des unglücklichen
Ludwig XVI. Er schien stets auf das Aeusserste der Königin
zugethan und gerührt über ihre traurige Lage und trug mir
auf, dem Grafen Mercy Alles mitzutheilen, was ich aus Ver
sailles erfahren könnte. 10 Auch auf Malmesbury, der den Erz
herzog am 5. December sprach, machte derselbe den günstigsten
Eindruck: ,Well mannered and speaking to tlie purpose/ ver
merkt er über ihn in sein Tagebuch. 7
Am 31. October wurde der Sejour in Laeken aufgehoben,
und der Erzherzog bezog das wiederhergestellte Palais royal
1 Fersen II, 81. Wiener Zeitung-, Beilage Nr. 64.
2 Wiener Zeitung 2437.
3 Delmotte an Maria Christine. Bruxelles, le 12 septembre 1793. Orig,
eig. A.-A.
4 Erzherzog Carl an Herzog Albert, le 16 septembre 1793. Orig. eig. A.-A.
6 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 26. September 1793. Orig.
eig. Delmotte an Maria Christine. Bruxelles, le 2 octobre 1793. Orig. A.-A.
6 Augeard 308.
7 Malmesbury, Diaries and corresp. III, 15.
Belgien unter der Generalstattlialterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
53
in Brüssel. 1 Vielleicht hing es mit der veränderten Lebens
weise, vielleicht auch mit dem tiefen Eindrücke, den auf ihn der
tragische Ausgang der Königin von Frankreich machte, 2 zu
sammen, dass der Erzherzog bald darnach (Anfangs November)
fieberkrank wurde, so dass er genöthigt war, einige Tage das
Bett zu hüten. In dem betreffenden Briefe an den Kaiser geht
nämlich zwar der Erzherzog, der es überhaupt nicht liebte, die
Regungen seiner Seele zu erschliessen, mit wenigen Worten
über die erschütternde Katastrophe seiner königlichen Tante
hinweg, indem er blos bemerkt, dass er die übliche Hoftrauer
angeordnet habe; 8 dass aber das Ereigniss ihn heftig bewegte,
dafür ist wohl Augeard ein zuverlässiger Zeuge, so ungerecht
auch sein Urtheil über Mercy lautet, mit dem er sich auf Carls
Wunsch zur Rettung der Königin in Verbindung gesetzt hatte,
der ihn aber ziemlich trocken abgefertigt haben soll. 4
Zwar erholte sich auch diesmal Carl bald wieder — schon
am 5. November verliess er zum ersten Male das Bett 5 — und
seine Genesung rief in Brüssel die grösste Freude hervor. 6
Man beging sein Namensfest nachträglich, am 12. November,
mit einem Hochamte, einer Illumination und einem Festspiele
im Theater du Parc, betitelt: ,L’Hommage de Bruxelles*, dem
ein anderes Stück: ,Les yeux de l’amour et du hazard* folgte. 7
Auch wurde aus diesem Anlasse die Statue des Prinzen Carl
wieder aufgerichtet. Aber von den gewöhnlichen Ausflügen zur
Armee war wohl in Anbetracht des Gesundheitszustandes Carls
und der bereits vorgerückten Jahreszeit nicht mehr die Rede.
1 Delmotte an Maria Christine. Bruxelles, le 31 octobre 1793. Orig. A.-A.
2 Metternich an Trauttmansdorff, le 4 novembre 1793. Copie.
3 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 20. Octobre. Orig. eig.
4 Augeard 208. Vorgl. aber Vivenot-Zeissberg III, 275, Nr. 177 und 330,
Nr. 202. Bacourt II, 418 ff. 426 ff.
5 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 11 novembre 1793. Orig.
Delmotte an Maria Christine. Bruxelles, le 6 novembre 1793. Orig. A.-A.
6 Delmotte an Maria Christine, le 14 (novembre) ä 10 heures du soir. Orig.
A.-A.
7 Das Festspiel ist gedruckt (A.-A.) und betitelt: ,La nouvelle Dibutade,
Bouquet pour le jour de St. Charles, fete de S. A. R. l’archiduc Charles,
gouverneur des Pays-Bas. Execute dans la salle du Parc, devant S. A. R.,
le mardi 12 novembre 1792. Par Mr. de Beaunoir, ä Bruxelles. Chez
J. L. de Bonbers, imprimeur libraire 1793. 8°.‘
54
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
Y. Die Stellung des Erzherzogs als GeneralStatthalter
im Allgemeinen. — Sein Verhältniss zu den Ständen
und zu Metternich.
Wir kennen bereits die Stimmung, in der Erzherzog Carl
die Statthalterschaft der Niederlande übernahm; wir wissen,
wie ungern er seinem militärischen Berufe entsagte, um sich
einer Thätigkeit zu widmen, der er sich nicht gewachsen wähnte,
und die ‘ihm durch die Voraussicht, dass es zu neuen unfrucht
baren Kämpfen mit den Ständen von Brabant kommen werde,
von vorneherein verleidet wurde. Und diese Stimmung beherrschte
ihn auch in der Folge. Beweis dessen sind zahlreiche Briefe
desselben an vertraute Freunde, namentlich aber an den Kaiser,
in denen er sich mit einer für sein Alter bemerkenswerthen
Klarheit und Klugheit über die Vorgänge in dem ihm anver
trauten Lande aussprach, aber auch deutlich zu erkennen gab,
dass er sich ebensowenig als in seinem häuslichen Leben in
dem ihm übertragenen politischen Wirkungskreise glücklich
fühlte, ja dass er schon durch die erste Berührung mit jenen
unerquicklichen Verhältnissen angewidert und entmuthigt wurde,
und daher den Wunsch, seiner Aufgabe so bald wie möglich
wieder enthoben zu werden, durchschimmern liess.
Tieferblickenden entging diese Stimmung nicht. ,Ich glaube
wohl/ schrieb am 22. Juni Feltz, der frühere Staats- und Kriegs-
secretär, an ihn, ,dass in gewisser Beziehung zu dem, was gegen
wärtig geschieht, das General-Gouvernement wenig Anziehungs
kraft für Eure königl. Hoheit haben dürfte. Ihre Seele ist zu
gross, Ihr Genie zu erhaben, Ihr Urthcil zu gesund, um nicht
so manche der Verfügungen zu beklagen, die in Ihrem Namen
erflossen sind, gegen die Würde und gegen die wahren Inter
essen der Krone'. 1
Besonders bemerkenswert!! aber für die anfängliche Stim
mung des Erzherzogs ist ein Brief, den er ungefähr einen
Monat nach seinem Amtsantritte an den Kaiser richtete. Der
Brief liegt uns nicht blos in dem an den Letzteren abgesandten
Originale in deutscher Sprache vor; ausnahmsweise hat ihn der
1 Feltz an Erzherzog Carl. Mastricht, le 22 juin 1793. Orig. eig. A.-A.
Belgien unter der Generalstatthalterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
55
Erzherzog zuerst in französischer Sprache concipirt und diesen
Entwurf dem Grafen Mercy vorgelegt, der denselben mit eini
gen Bemerkungen in Bleifederschrift versah, die eine spätere
Hand vor der Gefahr des Verwischens dadurch bewahrte, dass
sie dieselbe nachträglich mit Tinte nachzog. 1
Das Schreiben ist, wie gesagt, wenige Wochen, nachdem
der Erzherzog die Statthalterschaft angetreten hatte, verfasst. Es
könnte daher auf den ersten Blick wohl befremden, dass er,
ohne zuvor Erfahrungen auf diesem Gebiete gesammelt zu haben,
sich bereits anheischig machte, sein Urtheil über die innere
Lage Belgiens abzugeben. Allein wir dürfen nicht übersehen,
dass Carl nun schon seit längerer Zeit in Belgien weilte, und
dass er sich daselbst keine Gelegenheit, seinen politischen Blick
zu schärfen, entschlüpfen liess. Wenn er nun überdies den Ent
wurf jenes Schreibens einem so erfahrenen und kundigen Manne
wie Mercy zur Prüfung vorlegte, so zeigt dies, mit welcher
Vorsicht und Bescheidenheit er auch in diesem Falle zu
Werke ging.
,Du hast von mir verlangt/ so lautet der merkwürdige
Brief, ,dass ich Dir die Wahrheit und meine Art, über die
Affairen dieses Landes [zu denken], schreiben solle. Erlaube
mir einige Bemerkungen, so ich in dem kurzen Zeiträume eines
Monats, so ich erst hier hin, gemacht habe. Das Land war
in drei Parteien getlieilt: die der Stände, der Royalisten und
[der] Demokraten. Die erste war die beträchtlichste, und man
hat sich vorgenommen, selbe zu gewinnen. Man hat den Ständen
in den strittigen Punkten nachgegeben, und ich glaube, dass
dies nöthig war, um die Ruhe in dem Lande wieder herzu
stellen; alle Verbrechen, so während der Revolution begangen
worden, hast Du verziehen, und dies macht Deinem Herzen
und Deiner Grossmuth Ehre; endlich hat man alle Diejenigen
vom Gouvernement entfernt, so der ganzen Nation verhasst
waren. Dies Opfer war für das öffentliche Wohl nöthig, und
bisher, glaube ich, wird Niemand Ursache haben, sich zu be
klagen oder die Operationen des Gouvernements zu tadeln.
1 Erzherzog Carl an Franz II. Brüssel, den 18. Mai 1793. Orig, in deutscher
Sprache im St.-A. Der ebenfalls eigenhändige französische Entwurf im
A.-A. Die Randbemerkungen Mercy’s werden nachstehend in den Anmer
kungen mitgetheilt.
56
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
Allein hier sollte man sich aufhalten und nie einer Partei er
lauben, sich zu rühren oder den Kopf zu heben. Die vergan
genen Verbrechen hätte ich verziehen, aber nie die Dienste
vergessen, welche Diejenigen geleistet, so dem Souverän zuge-
than waren, für den sie ihr Glück, ihr Hab und Gut aufge
opfert haben. Dem Publicum musste man Gleichgiltigkeit für
alle Parteien zeigen; allein durch die Erfahrung unterrichtet,
wer ehrliche Leute und wer Spitzbuben 1 sind, sich deren be
dienen, ohne diese zu verstossen. Da die Departements sozu
sagen directe dem Souverän zugehören und in seinen Diensten
stehen, so sollte man diese mit ehrlichen, dem Souverän zuge-
thanen Leuten besetzen, und denen wenigen Intriguanten, so
nicht den Wunsch der Nation ausdrücken, und welche so lange
schreien werden, bis nicht der Souverän lauter ihrige Creaturen
in seine Dienste genommen haben wird, sollte man ewiges Still
schweigen auferlegen. Die Magistrate 2 sollten aus Personen
von allen drei Parteien zusammengesetzt werden, um sich gegen
seitig im Gleichgewichte zu erhalten, und gewiss hätten sie dann
dem Souverän und dem Lande gut gedient [und wären ihm]
nützlich gewesen. Die Pensionärs der Stände, welche diese
leiten, müssen geschmeichelt, ihnen Gnaden und Belohnungen
hoffen gemacht werden, dann und wann [muss manj etwas für
sie thun, sie immer anhören, sich aber nie in ihre Arme werfen,
nie [sollten] sie um Alles zu Ratlie gefragt werden, in Allem
gefolgt werden. Dies war nach meiner Meinung der Weg, wel
chen man einschlagen sollte, gewiss wäre er von Statten ge
gangen, wenn man zu gleicher Zeit durch eine noble Stand
haftigkeit den Ständen über alle übrigen Forderungen, so sie
hätten machen können, den Mund gesperrt hätte. Zufrieden,
die Constitution und über die strittigen Punkte eine ihren Wün
schen gemässe Entscheidung erhalten zu haben, steht es ihnen
nicht an, dem Souverän vorzuschreiben, was er thun, wen er
in seine Dienste nehmen oder nicht nehmen solle u. s. w. Allein
wer wird sich jemals trauen, standhaft ferner mit den Ständen
zu reden und zu handeln, wenn man nicht sicher ist, von Wien
1 Im französischen Entwürfe: fripons.
2 Dazu Mercy am Rande des französischen Entwurfes: ,mesure infiniment
juste et la seule que les Provinces aient demandee a la rentree de 1790.“
Belgien unter der Generalstnt.tlialterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794). 57
aus unterstützt zu werden? Anstatt nach denen Grundsätzen zu
handeln, so ich hier angeführt habe, hat man gerade das Gegen-
theil gethan. Nachdem die Constitution hergestellt, 1 denen vorigen
Klagen der Stände war genug gethan worden, hat man weiteren
unschicksamen Forderungen Gehör gegeben, so man gar nicht
aufkommen lassen sollte. Denn seit wann soll es Untertkanen
erlaubt sein, dem Souverän den Weg vorzuschreiben, den er
einschlagen solle, ihnen Gesetze zu geben? Man hat vielen
Personen ihre Anstellung weggenommen, weil die Stände ohne
gegründeter Ursache sagten, diese missfielen der Nation, und
dies, weil sie zwei oder drei Personen missfielen, so die Stände
leiteten. Man hat Ungerechtigkeiten begangen, um ihnen zu ge
fallen, und erst kürzlich hat das Conseil de Brabant einen Ein
bruch in die Constitution gemacht, 2 indem es den Procureur
general seiner Anstellung entsetzt hat, so vermöge der ersten
Artikel der Joyeuse entree nicht ohne einen Process und einen
darauf erfolgten Rechtsspruch geschehen kann. Endlich hat man
bei den Aenderungen der Magistrate, so eben vor sich ge
gangen sind, nur die Pensionärs, die wüthigsten Anhänger der
Stände zu Rathe gezogen, und die Magistrate sind, anstatt ge
mischt zu sein, blos aus Leuten besetzt, so den Ständen er
geben sind, und so sich während der Revolution der schauer
lichsten Verbrechen schuldig gemacht haben. Da man sich
dadurch ganz in die Arme der Stände geworfen hat, hat man
seinen Endzweck verfehlt. Man wollte sie gewinnen, man hat
sich blos ihre Verachtung zugezogen, und Royalisten und Demo
kraten sind nun noch aufgebrachter wider den Souverän und
das Gouvernement, als es je die Anhänger der Stände waren,
so dass, wenn heute eine Revolution vorgeht, der Souverän
Niemand mehr finden wird, der es mit ihm wird halten wollen.
Was ich Dir hier schreibe, sind nicht pure Worte oder Ideen,
ich habe Beweise davon neulich gehabt, als ich zu Gent war,
wo ich einige wtithige Anhänger der Stände triumphirend, alle
1 Französischer Text: la Constitution comme eile etoit sous le regne de
Marie Therese.
2 Hiezu bemerkt Mercy am Rande des französischen Entwurfes: ,Obser
vation d’autant plus importante qu’elle prouve avec quelle impudence
on prdtend astreindre le souverain ä une Constitution que l’on n’hesite
pas de violer manifestement, quand cela convient aux Etats.“
58
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
Uebrigen aber traurig und abgeschlagen gefunden habe. Lasse
Dich nicht über die Absichten der Stände in Irrthum führen.
Sie waren einmal Souveräns, können sich an den Gedanken
nicht gewöhnen, keine Macht mehr zu haben, und arbeiten be
ständig daran, so viel als möglich an sich zu ziehen, es mag
nun directe oder indirecte sein, indem sie die Operationen des
Gouvernements leiten und sich unterwerfen wollen/
,Dies ist die Lage, in welcher ich die Affairen in diesem
Lande gefunden habe. Wir sind nun schon zu weit gegangen,
um uns zurückzuziehen, wir werden dem Systeme folgen müssen,
so wir angefangen haben zu folgen, und nur nach und nach
und sehr langsam uns zurücke zu ziehen [vermögen|. Schon
hat man sich bei einem guten Drittel der Nation verhasst ge
macht; schon schreien alle Demokraten, Royalisten, alle Die
jenigen, so ihre Emplois Creaturen der Stände haben abtreten
müssen, über die Ungerechtigkeit; man wird ihnen müssen
nach und nach das Maul sperren, sie wieder anstellen, ihnen
Entschädigungen für den für den Dienst erlittenen Verlust ver
schaffen u. s. w. Allein das grosse Uebel ist schon geschehen.
Vielleicht wird es glücklich gehen, vielleicht werden die Stände
endlich fühlen, dass ihr Wohlsein von dem des Souveräns nicht
zu trennen ist. Allein das Uebel, sich bei zwei Parteien ver
hasst gemacht zu haben, ohne eine dritte zu gewinnen, das
Uebel, währenddem man allen Parteien ein Ende machen wollte,
der einen so viel Consistenz gegeben zu haben, dass sie alle
übrigen unterdrückt und dadurch der Parteigeist immer er
halten wird, dies Uebel, sage ich, ist schon geschehen/
,Zum Glücke für Deinen Dienst und für mich schreibt
man mir Alles, was geschehen ist und was so viele Leute
schreien macht, nicht zu. Man bedauert mich im publico. Dies
ist ein junger Mensch, sagt man, der weder die Menschen,
noch die Affairen kennt, der den Rathen, so man ihm gibt,
folgen muss, und dem man übel rathet. Zum Glücke lieben
mich noch alle Parteien. Allein wenn die Sachen fortdauern so zu
gehen, wie sie gehen, so wird das auch aufhören, und was soll
ich thun, da ich weder die Affairen noch die Menschen kenne,
als den Räthen folgen, so man mir gibt, und wenn man sich in
der NothWendigkeit befindet, eine Partei zu ergreifen, so den
Hass eines grossen Theiles der Nation nach sich zieht, wäre
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
59
es nicht besser, wenn ich davon befreit wäre; ist es wohl für
Deine Dienste nützlich, dass der, so dieses Land zu gouverniren
bestimmt ist, von einem Theile der Nation verhasst sei? In
dieser Absicht, 1 und da ich voraussah, wie nützlich es wäre,
dass ich nicht das Opfer der ersten Einrichtungen und Ent
schlüsse, so man hier nehmen muss und zu nehmen müssen
glaubt, sei, hatte ich Dich gebeten, mir zu erlauben, so lange
bei der Armee zu bleiben, bis eine Einrichtung wäre gemacht
gewesen. Wegen dem Namen Carl, den ich führe, beliebt,
hätte ich dann kommen und alle Parteien vereinigen können.
Niemand wäre wider mich aufgebracht gewesen, weil ich an
Allem, was geschehen wäre, keinen Theil gehabt hätte, und
vielleicht hätte ich die geschehenen Fehler verbessern oder ihnen
abhelfen können. Nun wird es aber bald oder spät heissen, dass
ich daran Theil hatte, da, wie ich Dir geschrieben habe, man
nun den eingeschlagenen Weg nicht ändern kann. Ein Theil
der Nation wird mich hassen, und ich werde nie im Stande
sein, das Grute zu stiften, was ich hätte thun können, wenn ich
an allem Vergangenen keinen Theil gehabt hätte. Um diesem
abzuhelfen, sehe ich nur zwei Mittel: entweder dass Du mir
erlaubst, zu der Armee zurückzugehen oder eine Reise zu
machen, oder wenigstens mich so passiv als möglich zu halten,
Alles, was man mir sagt, anzuhören, den Wunsch zu zeigen,
dass Alles gut gehe, sich alle Parteien um das Wohl des Landes
zu machen u. s. w., aber nie in keine Details von Affairen
einzugehen, Denjenigen, so etwas Bestimmtes wissen wollen, zu
sagen, dass ich von den Sachen nicht genug unterrichtet bin,
hören werde, was mir die Jointe, so übermorgen ihre Sitzungen
anfangen wird, und der Minister Vorschlägen werden und der
gleichen mehrere nichtsbedeutende Ausdrücke. Dadurch werde
ich immer neutral [bleiben], und in einem schweren und wichtigen
Falle wird man zu mir seine Zuflucht nehmen, und ich werde
im Stande sein, einen Entschluss zu fassen, ohne verdächtig zu
sein, vom Parteigeist dazu gebracht zu werden. Ich bitte Dich,
bester Bruder, alle diese Betrachtungen wohl zu überlegen und
1 Zu den folgenden Sätzen bemerkt Mercy am Rande des französischen
Entwurfes eigenhändig: ,tout ceci est d’une justesse de raisonnement sans
replique.“
60 VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
mir dann Deine Befehle zukommen zu lassen. . . . Da die Erz
herzogin und der Herzog am Ende des Monats nach Bonn zu
kommen gedenken, so hoffe ich, wirst Du mir erlauben, auf
einige Tage zu ihnen en visite zu gehen/
Von derselben Gesinnung erfüllt zeigt sich ein Brief des
Erzherzogs an den Kaiser vom 1. Juni, in dem es unter Be
rufung auf den soeben mitgetheilten Bericht und ein, wie es
scheint, nicht mehr erhaltenes Schreiben des Kaisers vom 22. Mai
heisst: ,Graf Rosenberg hat mir einen Brief von Dir vom 22. Mai
gestern überreicht. Aus dessen Inhalt ersehe ich, dass Du selbst
eingesehen hast, dass bei uns der Parteigeist wieder auflebet
und neue Wurzeln zu fassen scheinet. Allein, wie kann dies
wohl anders sein, wenn man von einer Seite in Deiner Kanzlei
zu Wien Intriguanten, so von einer oder der andern Partei
dahin geschickt werden, Gehör gibt und sich von der andern
Seite einer Partei, nämlich der ständischen, ganz in die Arme
wirft und sich durch sie leiten lässt. Man muss sich über die
Absichten der Stände nicht betrügen; sie herrschten einmal in
diesem Lande und wollen noch immer regieren, sei es nun
geradewegs oder indem sie die Operationen des Gouvernements
leiten. Das Opfer von einigen Millionen selbst wird ihnen nichts
kosten, wenn sie dadurch ihre Absicht erreichen und uns so
in der Schlinge führen, dass wir uns ihrer Leitung unterwerfen
müssen/ 1
Kaiser Franz beantwortete den Brief seines Bruders in
einem Schreiben, das die Auffassung, als sei es darauf abge
sehen, die Partei der Stände, principiell zu ergreifen, widerlegen
sollte und zugleich in eindringlichen Worten den jungen Statt
halter ermahnte, nicht über die ersten Schwierigkeiten, die sich
seinem Wirken entgegensetzten, den Muth zu verlieren, sondern
standhaft auf dem ihm anvertrauten Posten auszuharren. ,Die
Bemerkungen/ schreibt der Kaiser, ,die Du mir in Deinem
letzten Briefe gemacht, sind alle wohl gegründet, und ich bin
mit Dir der Meinung, auch ganz überzeugt, dass das Land in
mehrere Parteien getheilet war. Da die Partei der Stände die
stärkste war, so musste selber, um die Ruhe herzustellen, etwas
mehr nachgegeben werden. Da aber, wie ich wünsche und ver-
1 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 1. Juni 1793. Orig. eig.
Belgien unter der Generalstatthalterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
61
lange, selbe bei ihren Fondamentalgesetzen, bei der Joyeuse
entree zu erhalten, so bin ich jedoch nicht gesinnt, von meinen
Rechten als Souverän zu weichen, und ich müsste sehr verübeln,
wenn nicht hierauf aller Bedacht getragen und auf mein An
sehen und Bestes gesehen würde/ Der Kaiser berührt auch
die ertheilte Amnestie. Es sei durchaus nicht seine Meinung
gewesen, dass die Uebelgesinnten in Bezug auf Bedienstungen
denen, die ihm und ihrem Dienste treu geblieben, vorgezogen
werden sollten. Er habe nur jene nicht ganz auf die Seite ge
setzt wissen und dadurch zu erkennen geben wollen, dass er
vergangene Fehler und ihm zugefügte Beleidigungen vergebe.
Bei allen Gelegenheiten aber werde er es sich angelegen sein
lassen, denen, die ihm stets treu geblieben seien, Beweise seiner
Erkenntlichkeit zu geben und sie vor Anderen nach Verdienst
zu belohnen. ,Du meldest mir/ fährt er fort, ,dass die Unzu
friedenheit und noch wenig hergestellte Ordnung weder mir
noch Dir zugemuthet, dass Du geliebet, aber zugleich bedauert
bist; weiters, dass es viel fürträglicher gewesen wäre, erst das
Gouvernement anzutreten, wenn die Ordnung ganz hergesteilet
und in Gang gebracht worden. Du äusserst den Wunsch, Dich
zu der Armee zu verfügen oder eine Reise zu machen. Auf
alles dieses werde ich Dir frei meine Willensmeinung sagen.
Ich finde dermalen Deine Gegenwart an Deinem Platze unent
behrlich. Ich trage Dir auf, bei allen Gelegenheiten auf mein
Bestes zu sehen; ich setze mein ganzes Vertrauen auf Dich,
versehe mich auch, Du wirst wissen, durch Deine Klugheit,
gute Art sowohl mir als Dir selbst die Liebe und das erforder
liche Zutrauen zu gewinnen. Alle Deine Aufmerksamkeit
muss dahin gerichtet sein, die Stimmung der Gemüther
wohl auszunehmen, die etwaigen Factionen zu ergrün
den; 1 trachte eine Wahl einiger treu und gut Denkenden zu
machen, Dich mit selben zu unterreden und zu berathschlagen.
Ertheile mir von Allem, so meinen Dienst und das all
gemeine Beste betrifft, genaue Auskunft, 2 handle mit
mir aufrichtig und in dem besten Vertrauen, versichere Dich,
1 Zuerst mit Bleifeder, dann mit Tinte unterstrichen. Am Rande von an
derer Hand: k observer.
2 Ebenso. Am Rande von anderer Hand: ä avertir.
62
VI. Abhandlung: v. Zeis sh erg.
dass ich Dir bei allen Gelegenheiten mit Rath und That an die
Hände gehen und sicher von hier aus unterstützen werde. Lasse
nicht den Muth sinken und wende alles Mögliche an zu dem
Besten meines Dienstes, ja des Landes selbst. Ich muss Dir
noch einmal wiederholen, dass ich nicht zugehen kann, dass
Du Dich weiters von dem Gouvernement entfernest, und ich
ertheile Dir blos die Erlaubniss, höchstens auf 24 Stunden zu
der Erzherzogin Marie Dich zu verfügen/ 1
Auch Erzherzog Leopold richtete an Carl damals ein Schrei
ben, das in herzlichem Tone und wahrhaft brüderlicher Weise dem
Zagenden Muth einzuflössen suchte. ,Ich bedauere/ heisst es in
demselben, ,Euere Lage der Geschäfte; wenn ich Dir aber meine
Meinung als Dein bester Freund sagen soll, so erheischt eben
diese Lage Deine Gegenwart und Deine sorgfältigste Arbeit.
Man liess Dich in dem Lande, weil man weiss, dass Du es gut
meinst, und dass Du die Nation wieder liebest. Alle Parteien
sind mit Dir zufrieden, weil sie wissen, dass Du von keiner
bist. Erhalte Dich darin, sei von keiner Partei und gehe den
geraden Weg fort. Freilich ist dies nicht leicht, aber eben diese
Aufführung, dieses Bestreben, das Beste des Landes zu wollen,
muss Dir die Liebe Deines Souveräns und des Landes gewinnen
und befestigen. Wenn auch gleich nicht Alles beiderseits gehet,
wie es sollte, so musst Du Geduld haben, es den Umständen
zuschreiben. Wirbelköpfe, unruhige Leute kann man nur mit
der Zeit curiren. Fehler, die von hier gemacht werden, muss
man der Entfernung, etwa auch der Unerfahrenheit zuschreiben,
überhaupt aber sich trösten, wenn man seine Schuldigkeit als
ein ehrlicher Kerl gemacht und für alle Parteien gleich den ge
raden Weg gewandert [sic] hat. Darum glaube ich, dass, da in
einem Lande, wo so viele Parteien sind, ein Chef nothwendig
ist, auf welchen sie ihr Vertrauen haben, da sie sicher sind, dass
er sich nicht von einer gegen die andere gebrauchen wird, son
dern das Land nach Gerechtigkeit regieren werde, Se. Majestät
Dir unmöglich erlauben könnte, eine Reise zu machen und jetzt
die Geschäfte liegen zu lassen, wo es meiner Meinung die hei
ligste Pflicht ist, Dir alle Mühe zu geben, die Sachen zu re-
dressiren. Verzeihe mir meine Offenherzigkeit, wenn ich Dich
1 Franz II. an Erzherzog Carl. Laxenburg, den (1)2. Juni 1793. Orig. A.-A.
Belgien unter der Generalstatthalterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794). 63
nicht so herzlich liebte, schriebe ich Dir nichts von allem diesem.
Ich kann Dir sagen, dass mein Bruder gar nicht dasjenige, was
Du ihm geschrieben, übel genommen hat. Er liebt, schätzt und
bedauert Dich, aber sieht auch so wie ich ein, dass er Dich
jetzt unmöglich von Deinem Amte dispensiren kann/ 1
Erzherzog Carl fügte sich zwar fortan in das Unvermeid
liche, aber seine Ansichten blieben dieselben, und ebenso auch
die Stellung, die er den Vorgängen im Innern Belgiens gegen
über einnehmen zu müssen glaubte. ,In meinem Briefe vom
18. Mai/ heisst es in einem Berichte vom 28. Juni 1793, ,habe
ich Dir geschrieben, dass die Factionen anstatt vermindert oder
ganz verschwunden zu sein, noch immer dieses Land theilen.
Dies bestätigt sich von Tag zu Tag. . . . Jede Provinz enthält
zwei oder drei Personen voll Geist und mit einem besonderen
Geist von Intrigue begabt. Diese formiren mitsamm eine geheime
Gesellschaft, correspondiren miteinander und arbeiten alle zu
dem nämlichen Zwecke, alle Autorität an sich zu ziehen. Sie
sind es, welche das Gouvernement zu Brüssel überliefen, sich
anmassten, zu entscheiden, welche Personen dem Volke ange
nehm oder unangenehm seien, Vorgaben, unterrichtet zu sein,
was das Volk wünsche, und in alledem blos dem Triebe ihrer
Leidenschaften folgten, dasjenige als Wünsche des Volkes dar
stellten, so ihrem Interesse gemäss war und in ihr System ein
schlug, kurz, welche es dahin brachten, dass ihre Creaturen zu
allen Magistratsstellen ernannt wurden, sich dadurch einen thäti-
gen Einfluss in alle Affairen verschafften und das Gouvernement
zugleich so zu locken und zu gewinnen gewusst haben, dass man
glaubt, nichts ohne ihnen thun zu können. Dies sind die näm
lichen Leute, welche sich seit der Regierung des Kaisers Josef
allem demjenigen widersetzen, so das Gouvernement machen
will, so unter Kaiser Leopold so viele Anstände gemacht hatten,
weil man ihrem Systeme und ihrem Plane nicht folgen wollte, so
nun eine Menge Anstände gehoben [sic] haben oder wenigstens
zu heben schienen, und deren man sich bedienen musste, ohne
sich ganz in ihre Arme zu werfen, ohne ihnen blindlings zu
folgen. Sie haben ihren Endzweck erreicht und werden uns für
1 Erzherzog Leopold an Erzherzog Carl. Laxenburg, den 8. Juni 1873.
Orig. eig.
64
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
den Augenblick keine Difficultäten machen, allein, wenn wir
einmal werden etwas Anderes tliun wollen oder werden ge
zwungen werden, etwas zu thun, was nicht in ihren Plan ein-
schlagen wird, dann werden wir entsetzliche Difficultäten, An
stände von allen Seiten zu überwinden haben, und alle Parteien
werden missvergnügt sein, sowohl die, welche es zuvor waren,
als die, welchen man bis dahin wird geschmeichelt haben, und
denen man nun auf einmal wird vor den Kopf stossen müssen/
,Dies ist/ so schliesst der Erzherzog, ,die Art zu denken und
zu handeln von der Gesellschaft, welche sich Alles unterwerfen,
Alles leiten will. Ich will nicht sagen, dass man sie gänzlich
auf die Seite setzen soll; man sollte sich ihrer bedienen. Viel
leicht hätte man alle diese Leute ganz gewinnen und Dein
Interesse mit dem ihrigen verbinden können, wenn man die
vornehmsten directe in Deine Dienste genommen hätte. Ich
glaube sogar, dass sie gedacht haben, dass dies der Plan des
Gouvernements sei, und glaube, dass dies die Ursache ist, warum
Rapsaet, welcher einer von den ersten unter ihnen ist, die Stelle
von Conseiller prive nicht angenommen hat, so ihm angetragen
worden. Ihre Hauptintrigue geht jetzt dahin, dass die Vornehm
sten von dieser Gesellschaft zu Pensionären der Stände in denen
verschiedenen Provinzen erwählet werden, und dass sie dadurch
sich von allen Schritten, so die Stände machen werden, ver
sichern und selbe so leiten, wie sie es mit dem Gouvernement
schon machen. Gelingt ihnen, ihren Plan auszuführen, so wir
nicht verhindern können, da die Wahl der Pensionärs blos von
den Ständen abhängt, so haben sie dadurch alle Autorität in
Händen und werden bald unter dem Namen des Gouverne
ments, bald unter dem der Stände 1 regieren/ Erzherzog Carl
kommt unter diesen Verhältnissen zu seinem anfänglichen Vor
sätze zurück. ,Was mich betrifft, bester Bruder/ sagt er, ,glaube
ich bis jetzt für das Wohl Deines Dienstes nichts Anderes thun
zu können, als bei Allem, was geschieht, passiv zu bleiben, um
mir den Hass weder von einer noch von der anderen Partei
zuzuziehen und nicht zu scheinen, an Sachen und Einrichtungen
Tlieil zu haben, so vielleicht bald oder spät werden geändert
werden müssen, und mich immer, wenn zu grosse Inconvenients
1 Im Originale: ,des Gouvernements 1 .
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
65
daraus entstehen sollten, als ein neutraler Mensch ins Mittel
legen zu können. Man hat ein System genommen, man kann
es jetzt nicht ändern, nur mit der Zeit und nach und nach,
oder wenn zu grosse Anstände entstehen sollten, wird man viel
leicht Uber verschiedene Sachen zurückkommen müssen. Ich
werde indessen suchen, mir die Liebe und das Vertrauen des
Landes zu gewinnen, um im sich ergehenden Falle Dir wich
tige Dienste leisten zu können, auf welches ich verzichten
müsste, wenn ich jetzt zu viel Anhänglichkeit für eine oder die
andere Partei zeigen und zu viel Antheil an Operationen nehmen
würde, so durch eine Partei allein geleitet werden.“ 1
Anlässlich der Brabanter Kanzlerfrage kommt der Erzherzog
auf seine Voraussagungen zurück. ,Nun zeigt sich,“ schreibt er,
was ich Dir schon einmal die Ehre gehabt habe zu schreiben,
dass Alles gut gehen wird, so lange man den Ständen in Allem
nachgeben wird, dass aber Alles wird rebellisch werden, wenn
man in etwas ihrem Willen nicht folgen wird. Sie haben sich
von ersterem geschmeichelt. Nun verweigern sie oder machen
wenigstens die grössten Anstände mit den Lieferungen für die
Armee, so dass es neulich bei selber bald an Stroh gefehlt
hätte, weil sie keines liefern wollten. Nun wollen sie nichts
mehr von Inauguration reden hören; kurz, nun sind wir wie
der wie zuvor, Alles in Unordnung. Wenn je Standhaftigkeit
nötliig war, so ist es nun mehr als jemals. Sei versichert, dass
ich Alles thun werde, was von mir abhängen wird, Deinen
Dienst zu befördern. Sollte ich aber jemals das Unglück haben,
meinen Zweck nicht zu erreichen, oder sollte es Dir scheinen,
dass ein Anderer besser als ich und besser für das Wohl des
Staates diese Stelle bekleiden könne, so bitte ich Dich durch
die Freundschaft, die Du immer für mich gehabt hast, mir es
zu schreiben. Ich werde zu glücklich sein, Dir in etwas eine
Probe geben zu können, dass mir nur die Beförderung Deines
Dienstes und das Wohl des Staates am Herzen liegt, und dass
ich bereit bin, demselben alles Privatinteresse aufzuopfern.“ 2
Nicht minder interessant ist ein Brief, den damals Erz
herzog Carl an seinen einstigen Lehrer, den Bischof Holien-
1 Erzherzog' Carl an den Kaiser. Brüssel, den 28. Juni 1793. Orig-, eig.
2 Derselbe an denselben. Brüssel, den 27. Juli 1793. Orig. eig.
Sitzuugsbor. d. phil.-liist. CI. CXXV1II. Bd. (i. Abli. 5
66
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
wart, richtete, da er die Schwierigkeiten seiner Stellung noch
von einer anderen Seite als den bisher berührten beleuchtet.
,Sie beurtheilen/ schreibt er, ,meine Lage recht gut, bester
Freund, sie ist sehr beschwerlich. Ein Land leiten zu müssen,
welches, noch voll vom Geiste verschiedener Revolutionen, in
Parteien getheilt ist, und in welchem noch ein stilles Feuer
unter der Asche glimmt, welches besonders durch unsere Nach
barn erhalten wird, ist sehr schwer. Und was mir auch oft
sehr hart fällt, ist, Befehle aus der Entfernung von 200 Meilen
aus einem Lande, wo man weder mit der hiesigen Lage, noch
mit der Verfassung dieser Provinzen bekannt ist, zu erhalten
und mich oft gezwungen zu sehen, diese Befehle nicht aus
üben zu können, aber sie doch manchmal ohngeachtet wieder
holter Vorstellungen ausüben zu müssen, obwohl ich von dem
Schaden überzeugt bin, der daraus entstehen muss. Nur mit
der Zeit und mit vieler Geduld darf ich mir schmeicheln, dass
es mir von Statten gehen wird, die Ruhe vollkommen herzu
stellen. Der Ausschlag des französischen Krieges kann, wenn
er glücklich ist, am meisten dazu beitragen/ 1
Mit der Brabanter Kanzlerfrage, meinte Erzherzog Carl,
werde die Hauptsache geschehen sein. ,Aber/ fügt er voraus
blickend hinzu, ,das Detail wird noch viele Klugheit und
Festigkeit erheischen, allen Parteiungen ein Ziel zu setzen,
den Geist derselben zu ersticken, zu belohnen oder doch Ge
rechtigkeit zu üben gegen so Viele, die man nicht, wie sie es
verdienten, behandelt, die souveräne Autorität wieder herzu
stellen, die man manchmal nur zu sehr erniedrigt hat; mit
einem Worte, wir werden noch auf lange Zeit hinaus viel zu
thun haben. Nehmen die Dinge in Frankreich ein gutes Ende,
so zweifle ich nicht, dass sich hier Alles beruhigen wird, aber
im entgegengesetzten Falle wird Alles umgestürzt werden, hier
und in allen Monarchien und Staaten Europas/ 2
Es wäre indess durchaus verfehlt, wenn man aus der
Stimmung des Erzherzogs auf den Grad des Eifers schliessen
wollte, mit dem er sich den Pflichten seines Amtes widmete.
1 Erzherzog Carl an Hohenwart. Brüssel, den 30. October 1793. A.-A.
2 Erzherzog Carl an Herzog Albert von Saclisen-Teschen. Bruxelles, le
26 (novembre) 1793. Orig. eig. A.-A. Das Schreiben erwähnt die soeben
erfolgte Einnahme von Fort Louis.
Belgien unter der Generalstattlialterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
67
Wie geschickt er vielmehr sich in seiner schwierigen Stellung
zu benehmen wusste, geht aus der unfreiwilligen Anerkennung
hervor, die ihm selbst der Feind zu zollen sich gezwungen
sah. ,Der junge Erzherzog/ heisst es im ,Moniteur', ,spielt die
ihm zugewiesene Rolle mit Vollendung. Er behandelt mit Klug
heit alle Parteien, er schmeichelt dem Aberglauben des Volkes
und sucht den Despotismus liebenswürdig zu machen. Mehrere
Personen haben patriotische Spenden dargebracht; der Prinz
hat sie in einer Weise angenommen, die zur Nachahmung an
spornt. Als eine Commune ihm jüngst ein Don gratuit anbot,
nahm er die Abgesandten derselben so freundlich auf, dass sie
mit Thränen in den Augen fortgingen. Schon vergleicht man
ihn mit dem „edlen Carl von Lothringen, dem Vater des Vol
kes“, ein Ausdruck, der freilich auf das Alter des Erzherzogs
noch nicht passt. . . .' 1
Man wird dies um so williger anerkennen, als dem Erz
herzog in Metternich nicht blos nach dem Urtheile des immer
hin befangenen Delmotte, der ihn geradezu als einen schwa
chen Mann, der nach der Pfeife der Stände tanze, bezeichnete, 2
sondern auch nach der übereinstimmenden Ansicht aller ein
sichtsvollen und wohlmeinenden Augenzeugen 3 ein Minister zur
Seite stand, der neben manchen vortrefflichen Eigenschaften
gerade diejenige, deren er vor Allem bedurft hätte, ziel
bewusste Festigkeit, nicht besass.
,Ich fürchte, dass der bevollmächtigte Minister, begabt
mit den schätzbarsten moralischen Eigenschaften, einer Auf
gabe, die über seine Kräfte geht, unterliegen wird. Er wird
von Trauttmansdorff gequält, der ihn sehr hart behandelt; man
setzt ihn unter die Vormundschaft eines sehr kleinen Areopags,
der aus einigen aus Wien gesandten Personen besteht, welche
den Ständen sehr ergeben sind. Diese gewinnen an Raum auf
Kosten der souveränen Autorität, die sich bald auf nichts re-
ducirt sehen wird. Der Erzherzog sieht entweder selbst- ein
oder Andere zeigen ihm, dass man ihm die Statthalterschaft
1 Moniteur, le 22 mai 1793, Nr. 142, pag. 611.
2 Delmotte an Marie Christine, le l or , 2°, 3 juillet 1793. Orig. A.-A.
Vergl. auch dessen Brief an dieselbe vom 7. Juni ebenda.
8 Vergl. das äusserst scharfe Urtlieil Erzherzog Johanns über ihn hei
Krones, Aus Oesterreichs stillen und bewegten Jahren, S. 141.
5*
68
VI. Abhandlung: v. Z e i s s b e r g.
verleidet; er sucht sich also fernzuhalten von Allem, was ge
schieht, und das wird einen Zustand herbeiführen, den man
sehr schwer zu heilen im Stande sein wird/ 1
Aber auch in Wien war man über die Thätigkeit Metter
nich’s nichts weniger als entzückt. Wenn schon ein Fremder
wie Craufort, zunächst allerdings nur von den Ständen von
Brabant, bemerkte, sie seien so unempfänglich für die Gefahr,
als wäre Frankreich 100 Meilen entfernt von ihnen, 2 so ist es
begreiflich, dass man in Wien den Mangel an Enthusiasmus
für die Sache des Kaisers auf das Tiefste beklagte. Man war
geneigt, einen Theil der Schuld daran auf den Minister zu
wälzen, und tadelte vor Allem dessen fortgesetzte Nachgiebig
keit gegen die Stände, die doch nicht die gehofften Früchte
bringe. Aber auch die Rückstände, die sich Metternich in
seiner Amtsgebahrung zu Schulden kommen liess, sowie die
Eigenmächtigkeit, mit der er häufig in directem Widerspruch
zu den Intentionen des Kaisers zu Werke ging, gaben zu den
bittersten Vorwürfen Anlass.
Umsomehr verdient es betont zu werden, dass zwar der
Erzherzog sich die Unabhängigkeit von dem Minister zu wah
ren wusste, wie es denn überhaupt aufmerksamen Beobachtern
nicht entging, dass derselbe sich nicht mehr so nachgiebig wie
früher zeigte, 3 dass er aber nicht etwa gleich seiner Tante ein
principieller Gegner Metternich’s war. Wenn auch mit Vielem
von dem, was geschehen war, nicht einverstanden, suchte er
doch auch den unverkennbaren Verdiensten seines Berathers
gerecht zu werden. ,Er besitzt/ schreibt Carl, ,das Vertrauen
von allen denen Leuten, so die Stände dirigiren, er erhält viel
dadurch, was wir sonst nicht erhalten würden, und man kann
ihn in der jetzigen Lage der Sachen nicht genug souteniren/ 4
,Gewiss ist er/ heisst es ein anderes Mal, ,ein grundehrlicher,
diensteifriger und unermüdeter Mann, arbeitet Tag und Nacht
und opfert sich ganz dem Dienste auf/ 5 ,Gewiss ist er/ heisst
1 Mercy an Thugut. Bruxelles, le 28 mai 1793, bei Vivenot-Zeissberg
III, 83.
2 Auekland III, 137.
3 Delmotte an Marie Christine. Bruxelles, le 26 novembre 1793. Orig. A.-A.
4 Erzherzog- Carl an Franz II. Brüssel, den 1. Juli 1793. Orig. eig.
B Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 1. Juni 1793. Orig. eig.
Belgien unter der Generalstattlialterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794). 69
es bei einer dritten Gelegenheit, bei der ihn der Erzherzog
geradezu wider Vorwürfe des Kaisers in Schutz nimmt, ,der
ehrlichste Mann von der Welt, und ich bitte Dich für das
Beste des Dienstes, ihn in diesem Augenblicke zu schonen.
Er besitzt das Vertrauen des grössten Theiles der Nation und
besonders der Stände, und er ist dadurch in diesem Augen
blicke der Einzige, welcher uns aus der Verwicklung heraus
ziehen kann, in der wir uns befinden, weil er der Einzige ist,
in welchen die Stände Vertrauen haben. Wenn man ihn de-
goutirt und verliert, so werde ich und das ganze Gouverne
ment in einem erschrecklichen Embarras sein, aus welchem
sich weder ich, noch was immer für ein Nachfolger, den Du
mir geben wirst, wird herausziehen können/ 1
Besonders der rauhe Ton, den der Hofkanzler in seinen
Weisungen an den Minister anschlug, war dem Erzherzog in
tiefster Seele zuwider. Wiederholt bat er den Kaiser, Trautt-
mansdorff aufzutragen, den Grafen Metternich in seinen Briefen
etwas mehr zu schonen. ,Man hat ihm in zwei oder drei
Briefen hintereinander auf das Härteste mit so unangenehmen
Ausdrücken begegnet und ihm so starke Sachen gesagt, dass
ich an seiner Statt den nämlichen Tag meine Stelle (Dir) zu
Füssen gelegt hätte. Dies tliut Deinem Dienste den grössten Scha
den, verursacht ein Missverständniss zwischen denen Departe
ments, einen Federkrieg zwischen Deinem hiesigen und dem
Wiener Ministerium, gibt einen öffentlichen Scandal und trägt
viel bei, den Gang der Affairen zu verzögern. . . . Graf Met
ternich hat gewiss Fehler, und grosse Fehler begangen, allein
in diesem Augenblicke wäre es der grösste, ihn zu entfernen,
man würde glauben, dass man dadurch Alles, was bis jetzt
geschehen ist, desavouirt, Aenderungen machen will: Misstrauen,
Murren und Unordnungen würden daraus entstehen, und nie
würden wir mit den Ständen ein Ende machen, so in ihn
allein ihr Vertrauen setzen. Der Brief, den Graf Trauttmans-
dorff auf Deinen Befehl an Metternich geschrieben, ist vortreff
lich, man macht darin den ewigen Nachgiebigkeiten, so man
bis jetzt für die Stände gehabt hat, ein Ende und bestimmt
Grundsätze, auf welchen man festhalten soll. Man wird sich
1 Erzherzog Carl an <len Kaiser. Brüssel, (len 20. Juli 1793. Orig. eig.
70
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
gewiss daran halten, nur bitte ich Dich inständigst, immer dar
auf Rücksicht zu nehmen, dass man nur nach und nach und
nicht auf einmal von dem einmal angenommenen System, in
dem man schon so weit vorgegangen ist, zurückkommen kann/ 1
Auch in dem gereizten Briefwechsel, der sich zwischen Metter
nich und Trauttmansdorff über Dumouriez entspann, ergriff der
Erzherzog für jenen das Wort 2 und erreichte auch, dass zwar
der Kaiser über Metternich’s Benehmen in diesem Falle noch
mals seine Missbilligung aussprach, aber zugleich versprach,
dass Invectiven und Beleidigungen wider Metternich fortan ver
mieden werden würden, sofern auch er derselben sich enthalte. 3
Noch später, zur Zeit der Anwesenheit des Kaisers in Belgien,
ergab sich ein ähnlicher Zwischenfall, in dem auf die Inter
vention des Erzherzogs der Kaiser neuerdings und diesmal auf
das Strengste den Federkrieg seiner beiden Minister untersagte. 4
Diese wiederholten Beweise gütiger Gesinnung blieben
nicht ohne Eindruck auf Metternich. Zu Anfang des Jahres 1794
wollte dieser seine Stelle niederlegen, wohl aus Verstimmung
über die Angriffe, denen er neuerdings in der Brabanter
Kanzlerfrage ausgesetzt gewesen war; nur die Vorstellungen
des Erzherzogs bewogen ihn damals, wie er selbst bemerkt,
von diesem Vorhaben abzustehen. 5 Er mochte wohl all dessen
eingedenk sein, als er in dem Augenblicke, da er Brüssel für
immer verliess, an den Erzherzog schrieb: ,Seien Sie über
zeugt, dass ich als den schönsten Augenblick meines Lebens
jenen Moment erachte, in welchem mich glücklichere Zeiten
wieder zu Eurer künigl. Hoheit führen werden; denn ich bin
entschlossen, in der schwierigen Beamtenlaufbahn, die ich seit
23 Jahren verfolge, nur unter der Bedingung auszuharren, dass
dies unter Ihrer Leitung der Fall ist/ 6 Und die gleiche Ver-
1 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 20. Juli 1793. Orig. eig.
2 Derselbe an denselben. Brüssel, den 12. August 1793. Orig. eig.
3 Franz II. an Erzherzog Carl. Laxenburg, den 3. August 1793. Orig. eig.
A.-A.
4 Metternich an Erzherzog Carl. Bruxelles, le 20 mai 1794. Orig. eig. A.-A.
und Antwort des Erzherzogs.
5 Metternich an Erzherzog Carl. Benrath (Bayreuth?), le 26 aoüt 1794.
Orig. eig. A.-A.
6 Metternich an Erzherzog Carl. Bruxelles, le 3 juillet 1794. Orig. eig.
A.-A.
Belgien unter der Generalstattlialterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
71
Sicherung kehrt auch in einem Schreiben wieder, das er, bereits
auf der Reise nach Wien begriffen, an den Erzherzog richtete. 1
Erzherzog Carl hatte, obgleich ihn sein Beruf als General
statthalter an Brüssel kettete und er nur ah und zu sich in das
Hauptquartier hegeben durfte, auch die Vorgänge auf dem
Kriegsschauplätze nie aus dem Auge verloren, und seine Briefe
an den Kaiser sowohl, als an den Herzog Albert beweisen, dass
er ein scharfer Beobachter und Beurtheiler derselben schon in
jungen Jahren war. In Folge dieses Umstandes und der meist
zutreffenden kritischen Bemerkungen, mit denen der Erzherzog
die Vorgänge im Felde begleitete, erheben sich jene Briefe zu
Geschichtsquellen von nicht zu unterschätzender Bedeutung. So
glaubt man das Urtheil eines modernen Kriegsschriftstellers 2 zu
vernehmen, wenn sich Carl über den Angriff auf das Cäsar
lager folgen dermassen äussert: ,Die Operation gegen das Cäsar
lager war an sich gut, doch glaube ich, dass, wenn wir ihn
mit grösserem Nachdrucke (rapidite) unternommen, wenn wir
die französische Armee sofort verfolgt hätten, als sie sich aus
ihrer Position zurückzog, wir sie hätten schlagen und für das
ganze Jahr ausser Stand setzen können, sich im Felde zu be
haupten, was ja der Zweck dieser Operation war. Indem wir
dies nicht vermochten, haben wir einen Monat mit Märschen
und Gegenmärschen verloren, und der Feind kann heute, wenn
er will, seine alte Position wieder einnehmen. Das war die Ur
sache der Zerwürfnisse, zu denen es zwischen dem Prinzen von
Hohenlohe und dem Herzog von York kam. Letzterer wollte
den Feind verfolgen, da aber Erstcrer es nicht wollte, blieb
dem Herzog von York nichts übrig, als die Verfolgung mit
einiger englischer und hannoverscher Cavallerie auszuführen.
Unsere Truppen blieben auf ihrem Platze, ohne jenen zu fol
gen und ohne sie zu unterstützen, obgleich der Herzog von
York dem Namen nach die ganze Colonne commandirte. Dies
und ausserdem das rauhe Wesen des Prinzen von Hohenlohe,
der, obschon der rechtschaffenste Mann der Welt, nicht auch
der höflichste ist, verbunden mit dem grossen Unterschiede,
den man in Allem zwischen ihm und Mack findet, gab Anlass
1 Metternich an Erzherzog Carl. Beurath (Bayreuth?), le 20 aoüt. 1794,
Orig. eig. A.-A.
2 Vergl. Witzlehen, Prinz Friedrich Josias von Coburg II, 263 ff.
72
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
zu Klagen und wird ihm, wie ich fürchte, Unannehmlichkeiten
bereiten. 41
Nicht minder interessant ist, was Erzherzog Carl über die
bevorstehende Belagerung von Maubeuge, die bekanntlich fehl
schlug, bemerkt. Man sieht es seinen Worten deutlich an, dass
er zur Ansicht Clerfayt’s, 2 Hohenlohe’s und Tauentzien’s neigte,
welche vielmehr die Belagerung von Landrecies empfahlen.
Letztere thaten dies, weil sie die Belagerung von Maubeuge
für schwieriger erachteten. 3 Anders der Erzherzog. ,Landrecies, 4
bemerkt er, ,wäre für uns und die gemeine Sache der wich
tigste Punkt. Es ist ein Platz der zweiten Linie, wir wären
dadurch im Stande, in weitem Umkreise zu fouragiren und das
Land in Contribution zu setzen. Landrecies würde als Vor
posten für Maubeuge und Le Quesnoy dienen, doch fürchte ich,
dass die Engländer, denen ihr Interesse mehr als das gemein
same am Herzen liegt, von der Belagerung von Dünkirchen
nicht ablassen, und dass wir uns dazu werden entschliessen und
dies schwierige Unternehmen noch vor den Winterquartieren
ins Werk setzen müssen. Dann werden wir einen Cordon von
Plätzen haben, um unsere belgischen Provinzen vor feindlicher
Invasion zu decken; wenn wir aber fortfahren, auf dieser Seite
zu agiren, so werden wir noch zwei Linien von Festungen vor
uns finden, alle Schwierigkeiten, die wir bisher hatten, werden
sich von Neuem zeigen, und wir werden weniger Mittel be
sitzen, sie zu besiegen, als wir in diesem Jahre hatten. Diese
Revolution und dieser Krieg sind von allem Andern ganz ver
schieden; man kann nichts Vorhersagen und das Ende nicht
voraussehen. Kommt der Kaiser, so wird er Vieles selbst sehen,
was er nicht weiss oder was man ihm unter einem falschen
Gesichtspunkte darstellt. 4 4
Um so tiefer beklagte er den Ausgang der Belagerung
von Maubeuge. ,Gott gebe! 4 ruft er aus, ,dass wir bald durch
1 Erzherzog Carl an Herzog Albert. Bruxelles, ce 8 septembre 1793. Orig,
eig. A.-A. Vergl. Witzleben, a. a. 0. II, 264, dessen Angaben hiedurch
eine willkommene Ergänzung oder vielmehr Widerlegung erfahren.
2 Vergl. Fersen II, 97. Nach diesem war aber auch Hohenlohe dagegen.
3 Vergl. Witzleben a. a. O.
4 Erzherzog Carl an Herzog Albert. Bruxelles, ce 10 octobre 1793. Orig,
eig. A.-A.
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
73
einen Sieg diesen Schandflecken auswetzen. Ich glaube gewiss,
wir können nichts Besseres thun, als den Feind aufzusuchen
und uns alle Mühe zu geben, ihn mit Vortheil anzugreifen, wo
wir dann ihn ohne Zweifel schlagen werden/ 1 ,Man weiss/
klagt er ein anderes Mal, ,gewöhnlich nicht, wo sich die feind
lichen Streitkräfte befinden; sie werden plötzlich erscheinen da,
wo wir sie am wenigsten erwarten, und das kann uns recht
übel bekommen/ 2
Erzherzog Carls Bemerkungen beschränkten sich übri
gens nicht auf den belgischen Kriegsschauplatz; auch die Vor
gänge ani Oberrhein zieht er in Betracht. Er bezeichnet es als
einen grossen Fehler, dass Wurmser den König von Preussen
an dem Angriffe auf Saarlouis gehindert habe. ,Die Einnahme
dieses Platzes hätte das Trier’sche und Luxemburg’sche ge
deckt, unsere Verbindung mit Deutschland abgekürzt und ge
sichert, und die preussische Armee würde gute Winterquartiere
an der Saar gewonnen haben. Statt dessen theilen wir unsere
Kräfte, wenn wir sie hätten vereinigen können, und statt der
reellen und sicheren Vortheile, die wir uns hier verschaffen
konnten, suchen wir sehr wenig sichere an den Ufern des
Rheins. Das ist meine Ansicht, wenn ich auch hier nur wenig
in der Lage bin, darüber zu urtheilen/ 3 Ebenso tadelte er
Wurmser’s Absicht, Strassburg zu belagern. ,Ich halte das für
eine schlechte Speculation, auch ist die Jahreszeit bereits zu
weit vorgerückt und seine Armee nicht stark genug zur Be
lagerung dieses Platzes. Saarlouis ist für uns der wichtigste
Punkt, und man vernachlässigt diesen über eine Chimäre/ 4
Ueber Frankreich befindet sich in den Briefen des Erz
herzogs aus jener Zeit folgende bemerkenswerthe Aeusserung:
,In Frankreich wird die Confusion immer ärger, und Gaston
scheint das Uebergewicht zu bekommen. So glücklich das für
uns ist, und so sehr es wahr ist, dass das das einzige Mittel
ist, um einen König wieder auf den Thron zu bringen, so
wenig muss man sich doch darüber betrügen. Was immer für
1 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 20. October 1793. Orig. eig.
2 Erzherzog Carl an Herzog Albert. Bruxelles, ee 11 novembre 1793. Orig,
eig. A.-A.
3 Derselbe an denselben. Bruxelles, ce 8 septembre 1793. Orig. eig. A.-A.
4 Derselbe an denselben, le 5 oetobre 1793. Orig. eig. A.-A.
74
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
eine Partei clie Oberhand erhalten wird, so wird sie uns gewiss
immer feind sein, keine wird leiden wollen, dass wir Eroberun
gen über Frankreich machen, und sollten sie sich auch für den
Augenblick durch eine grosse Uebermacht gezwungen sehen,
ruhig zu bleiben, so werden sie doch immer wieder suchen,
was man ihnen wird abgenommen haben, mit Frankreich wie
der zu vereinigen/ 1
Unermüdlich war der Erzherzog, soweit sein Einfluss
reichte, in der Theilnahme für die Armee. ,Es wäre überflüs
sig/ schreibt gelegentlich Metternich, ,dem durchlauchtigsten
Generalgouverneur zu empfehlen, sich der Witwen und Waisen
der braven Soldaten zu erinnern, die in diesem Kriege sterben,
da dieser Prinz auf das Eifrigste beflissen ist, dass die Gnaden
bezeigungen am rechten Platze ertheilt werden, namentlich, wie
es recht und billig ist, so viel als möglich an Personen dieser
Kategorie/ 2
Unter Anderem gab die mangelhafte Verpflegung der
Verwundeten zu mancherlei Klagen Anlass. Nicht selten blieben
sie in Brüssel stundenlang auf den Wagen liegen, allen Unbilden
der Witterung ausgesetzt. In den Hospitälern mussten oft zwei
Verwundete in einem Bette untergebracht oder auf den Fuss-
boden oder auf Stroh gelagert werden, und Stunden vergingen,
bevor sie einen Verband erhielten. 3 Es war eine Folge davon,
dass im Spital zu Brüssel allein von 3000 Mann täglich 28 bis
30 Mann starben, was bei der allerdings auffallend grossen
Gesammtzahl von 14.000—15.000 Blessirten und Kranken im
Lande eine proportionelle tägliche Verlustziffer von 150 Mann
ergab. 4 Der Zustand der Spitäler hatte daher schon seit länge
rer Zeit die Aufmerksamkeit des Erzherzogs auf sich gelenkt.
Gehörte sie auch nicht in sein Ressort, sondern in jenes des
Generalcommandos, so wendete er ihr doch den regsten Eifer
zu. Ein Hauptübelstand war die geringe Anzahl von Militär
chirurgen. Er bat daher den Kaiser, Chirurgen aus Wien zu
senden, und richtete an das Generalcommando die Anfrage, ob
es zulässig sei, den Militär- Civilchirurgen zuzugesellen, sofern
1 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 21. Juli 1793. Orig, eig.
2 Metternich an Trauttmansdorff, le 8 novembre 1793. P.-S.
3 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 3 novembre 1793. Orig.
4 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 15. November 1793. Orig. eig.
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
75
diese aus der Civilcasse bezahlt werden würden. Freilich hatte
bei der Eifersucht der Militärchirurgen, welche trotz der notori
schen Uebelstände und trotz ihrer ebenso notorisch ungenügen
den Anzahl behaupteten, dass die Kranken ganz gut versorgt
und sie selbst für den Bedarf ausreichend seien, diese Mass-
regel nicht den gehofften Erfolg.
Ein besseres Verständniss für seine Intentionen fand der
Erzherzog diesmal' bei den Ständen, namentlich jenen von Bra
bant, die unter dem Eindrücke der Depesche vom 15. November 1
einen Theil des Zuchthauses von Vilvorde auf eigene Kosten
zu einem Militärhospital für etwa 1200 Kranke adaptirten und
überdies für dessen Erweiterung eine freiwillige Subscription
veranstalteten, die einen günstigen Fortgang nahm, nachdem
sich der Erzherzog für zehn Plätze an die Spitze gestellt hatte.
Ueberdies that sich eine Anzahl von Brüsseler Bürgern unter
dem Brauer Van den Esse zusammen, um den bürgerlichen
Concertsaal als Krankendepot einzurichten, während auch die
Beggarde (Bogards) in Brüssel, 2 deren Zahl sehr zusammen
geschmolzen war, einen Theil ihres Conventes zu einem Hospital
für 600 Personen zur Verfügung stellten. 3
Das Beispiel von Brüssel, wo bald drei angesehene Bür
ger als Opfer ihrer Nächstenliebe am Spitalfieber starben, 4 fand
Nachahmung an anderen Orten. 5 Auch zu Namur veranstal
tete man Subscriptionen für die Militärhospitäler der Stadt. 6
Antwerpen erbot sich, 1000 Kranke zu übernehmen. Nur in
Löwen sträubte sich die Universität, drei ihrer Collegien 7 zu
dem gleichen Zwecke zu überlassen, indem sie die Gefahr vor
schützte, die sich daraus für die Gesundheit der studirenden
Jugend ergeben würde, ein Argument, dessen Gewicht selbst
Metternich zugestand. Anders der Erzherzog, welcher der An-
1 S. unten.
2 Ueber deren Convent, Wauters III, 478.
3 Delmotte an Maria Christine. Bruxelles, le 26 novembre 1793. Orig. eig.
A.-A. — Metternich an Trauttmansflorff. Bruxelles, le 25 novembre 1793.
4 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 12 mars 1794.
5 Schon früher (31. März 1793) hatte man den Kapuzinerconvent zu Ath
in ein Militärhospital verwandelt. Annales du cercle archeol. de Mons
XV, 628.
0 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 18 janvier 1794. Orig.
7 Die Colleges de Bay, de Winckel und des Vet.erans.
76
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
sicht war, dass in diesem Falle der Humanität jede andere
Rücksicht weichen müsse und daher unnachsichtig auf die
Räumung der Gebäude drang. 1 Er handelte hierin unter voller
Billigung der Bürgerschaft und der Stände. Dass die Proviso
ren der in Betracht kommenden Collegien der ihnen drohenden
Gefahr durch die rasche Vornahme von Bauten zu begegnen
suchten, die deren Werth von 12.000 auf 40.000 fl. erhöhte,
deren Fassungsraum aber beträchtlich minderte, hatte zur Folge,
dass das Gouvernement an dem Entschlüsse, die Collegien in
Hospitäler zu verwandeln nur noch entschiedener festhielt. 2
Freilich vermochte hei dem besten Willen der Erzherzog
nicht allen Uebelständen zu begegnen, denen durch die Be
schaffung geeigneterer Räumlichkeiten nur zum Theile abge
holfen wurde, denn es Raten noch manche andere und noch
viel betrübendere Erscheinungen zu Tage. So fiel der Nach
lass der in den Militärhospitälern Verstorbenen gewöhnlich den
Krankenwärtern zu, woraus sich die Härte und Nachlässigkeit
erklärte, mit welcher die Kranken von diesen behandelt wur
den. Es gab Chirurgen, die nicht einmal von den Elementen
ihrer Wissenschaft Kenntniss hatten. Mit Thränen in den Augen
sprachen die Aerzte davon; einer derselben, Dr. van Leenpoel,
überreichte Metternich eine darauf bezügliche Denkschrift. Es
waren das, wie Metternich mit Recht bemerkt, Uebelstände,
denen nicht das Gouvernement, sondern nur die Militärverwal
tung begegnen konnte.
Der Erzherzog unterliess es nie, sich verdienter Officiere
anzunehmen. Die betreffenden Briefe an den Kaiser sind auch
insofern von historischem Interesse, als in denselben hie und
da von Waffenthaten der Empfohlenen die Rede ist, die sich
unter seinen Augen zugetragen hatten. So heisst es von dem
Grenadierhauptmann Grafen Gyulay: ,Ich war Augenzeuge, da
er von meiner Brigade war. Er hat sich so brav aufgeführt,
dass Keiner braver thun kann. Den 22. (März), als sein Batail
lon gesprengt war, hat er 40 Mann, und das ohne Befehl von
Niemand, gesammelt, den Feind freiwillig attaquirt, repoussirt,
alle gesprengte Mannschaft zusammengerafft, auf den Feind
1 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 12 fevrier 1794. Orig.
2 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 20 mars 1794. Orig.
Belgien unter der Generalstattlialterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794). 77
noch einmal losgegangen, ihn bis in Löwen und aus Löwen
herausgejagt. Den 19. vertrieb er auch freiwillig, ohne Befehl
von Niemand den Feind um Tirlemont und nahm ihm eine
Kanone ab. Kurz, er hat sich so distinguirt, dass er, wenn er
um das Commandeurkreuz einkommt — denn er hat schon das
kleine Kreuz — es ohne Zweifel erhalten wird/ . . . Und in
dem ihn der Erzherzog zur Beförderung empfiehlt, fügt er bei:
,Gyulai ist selbst so modest, dass er mich gar nicht darum an
gegangen und den Schritt, den ich gemacht habe, gar nicht
weiss/ 1 Auch für den Oberst Mylius und den Obristwacht
meister Branowaczki, die Anspruch auf Auszeichnung zu haben
glaubten, legte er sein mächtiges Fürwort ein. ,Ich kann Ihnen
die Gerechtigkeit leisten, dass beide, besonders aber der Oberst
Mylius, so lange sie unter meinem Commando standen, sich
überall hervorgethan und dieser beständig ein detachirtes Corps
zur allgemeinen Zufriedenheit commandirt hat/ 2 Ein anderes
Mal gilt seine Empfehlung dem Obersten De Vay von Ester
hazy-Husaren. ,Du hast an ihm sowohl einen kreuzbraven Sol
daten, als auch einen Officier, welcher sehr geschickt und sehr
in allem dem, was zum kleinen Krieg und zu den Vorposten
gehört, zu brauchen ist. Die Art, mit welcher er voriges Jahr
unseren Rückzug von Lüttich bis Köln deckte, unsere Vor
posten während des ganzen Winters commandirte, den Vortrab
der Avantgarde durch die Campagne führte und sich am 13.,
15., 16. und 18. März besonders hervorthat, wo er dann auch
leicht blessirt wurde, haben ihn bei der ganzen Armee bekannt
gemacht und den Beifall aller Generals und des Prinzen Co
burg selbst zugezogen, und ich muss ihm die Gerechtigkeit
leisten, dass er, so lange er an mich angewiesen war, sich
überall distinguiret und oft durch einen schnell gefassten Ent
schluss und durch Thaten, so er von sich selbst getlian, ohne
Befehl zu erhalten, zu dem glücklichen Fortgang vieler Affairen
beigetragen hat/ 3
Als die Regimenter Royal Allemand, iSaxe und Berchiny
m den kaiserlichen Dienst übernommen wurden, nahm sich
1 Erzherzog Carl an den Kaiser. Quievrechain, 19. April 1793. Orig-, eig.
2 Derselbe an denselben, Brüssel, den 15. November 1793. Orig 1 , eig.
3 Derselbe an denselben. Brüssel, den 8. December 1793. Orig. eig.
rmmmrsnsami»
78
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
Erzherzog Carl der vielen dadurch brotlos gewordenen Offi-
ciere an und unterstützte aufs wärmste die Bitte derselben,
welche dahin ging, dass man sie wenigstens als supernumerär
bei den Regimentern führe und ihnen Fourage und Brot
portionen zuweise, während die in den Regimentern beibehal
tenen Officiere sich anheischig machten, sich in die Löhnung
mit ihren einstigen Kameraden zu theilen. ,Diese armen Leute,
so sich aus Liebe für ihren König aufgeopfert haben, meist
deutsche und gewiss brave Leute sind, verdienen gewiss eine
Rücksicht, besonders da das dem Aerarium gar nicht zur Last
fallen wird/ 1
Ebenso unterstützte Erzherzog Carl die Bitte der einsti
gen Hauptleute Lualdi und Dumont, die 1790 anlässlich der
Uebergabe der Citadelle von Antwerpen an die Rebellen cassirt
worden waren und denen später im Gnadenwege eine Pension
von je 300 Gulden zugestanden worden war, um Zuerkennung
der Hauptmannspension, da Erkundigungen, welche über sie
bei ihren einstigen Kriegskameraden eingezogen worden waren,
in Bezug auf ihre Unschuld ziemlich günstig lauteten. 2
Um so strenger urtheilte Erzherzog Carl in all den Fäl
len, wo es sich um die Aufrechthaltung militärischer Disciplin
und Ehre handelte. Als sich die Stände von Hennegau und
Flandern für zwei Officiere, 3 welche die kaiserliche Armee
verlassen und bei den Patrioten Dienst genommen hatten und
in Folge dessen kriegsräthlich zum Tode verurtheilt worden
waren, verwendeten, sprach sich der Erzherzog entschieden
dagegen aus, in diesem Punkte nachzugeben, ,da es bei der
Armee den übelsten Eindruck machen würde, wenn Officiere,
so ihren Eid gebrochen, desertirt, Gassen bestohlen, wider ihren
Souverän gedient haben und in effigie aufgehangen worden,
sollten begnadigt werden/ ,Blos die Ehre macht/ fügt er hin
zu, ,dass unsere Officiere gut dienen, nimmt man ihnen diese
Triebfeder weg oder schwächt man sie, so wird unsere Armee
eben so schlecht als alle anderen/ 4 Eben deshalb lehnte er
1 Erzherzog Carl an den Kaiser. Köln, den 13. Hornung 1793. Orig. eig.
2 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le ‘24 inai 1793. Copie.
3 S. unten.
4 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 27. November 1793. Orig,
eig.
Belgien unter der Generalstattlialterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
79
die Befürwortung des neuerlichen Ansuchens, das La Marek um
die Verleihung des Generaltitels an den Kaiser richtete, ab.
,Icli habe versprochen, Dir die Sache zu schreiben, aber unter
stützen kann ich diese Bitte nicht. Sollte es geschehen und ich
hätte es empfohlen, so würde ich mir einen Vorwurf zu machen
haben und die ganze Armee würde über mich aufgebracht sein/ 1
Niemandem unter allen Ofhcieren der Armee wendete der
Erzherzog lebhaftere Theilnahme zu als dem auch sonst von den
Zeitgenossen vielbewunderten Obersten v. Mack, den er wieder
holt als seinen Lehrmeister in der höheren Kriegskunst bezeich-
nete. Desto tiefer verletzte es auch ihn, als nach den grossen Er
folgen, von denen der Beginn des Feldzuges von 1793 begleitet
gewesen war, dem Verdienste die Krone versagt zu bleiben
schien, und um so schmerzlicher empfand er es, als Mack in
seiner Verstimmung die Functionen eines Generalquartiermeisters
niederlegte und, nachdem er von einer Wunde, die er bei dem
Angriffe auf Famars davongetragen hatte, geheilt worden war,
den Kriegsschauplatz verliess, um den Rest des Jahres auf einem
Gute in Böhmen zur Wiederherstellung seiner allerdings schwer
erschütterten Gesundheit zuzubringen. So nachhaltig war der
Eindruck, den damals Mack auf den jungen Erzherzog übte,
dass dieser, als der Krieg im weiteren Verlaufe des Jahres 1793
eine minder günstige Wendung nahm, auf ihn als den Retter
in der Noth hinwies.
VI. Reorganisation der Aeniter des Gouvernements.
Die erste Aufgabe, welche neben der nothwendigen Ein
richtung des erzherzoglichen Hofhaltes an den Generalstatthalter
und dessen Minister herantrat, war die Neubesetzung der Aemter.
Denn in missverständlicher Deutung seiner Instruction hatte
Metternich das frühere Gouvernement, nämlich die Conseils
collateraux und die Chambre des comptes, vollständig aufgelöst
und dies durch die Bemerkung zu motiviren gesucht, dass über
eine Massregel, von welcher Alle insgesammt betroffen wür
den, sich Niemand beschweren könne. 2
1 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 21. Juli 1793. Orig. eig.
2 Metternich an Trauttmansdorff, le 20 mars 1793. Vergl. TrauttmansdorfFs
Weisungen vom 26. März und 2. April.
80
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
Während aber Metternich sich mit Vorschlägen bezüglich
der Neubesetzung nicht beeilte, hatte der Kaiser bereits auf die
ersten Siegesnachrichten aus Belgien Uber die beiden wichtigsten
Posten des Gouvernements verfügt. Der Chef-Präsident Crumpipen
(der Jüngere 1 ) und der Staats- und Kriegssecretär Feltz waren
vor Allem jene Männer, bezüglich deren man der denselben un
günstigen öffentlichen Meinung Rechnung tragen zu sollen glaubte.
Crumpipen, der durch 36 Jahre in verschiedenen Stellungen
dem Staate die wichtigsten Dienste geleistet, hatte bereits selbst
im Januar Metternich zu Wesel mündlich um seine Entlassung ge
beten und am 8. März, angesichts der bevorstehenden Rückkehr
des Gouvernements, von Köln aus diese Bitte auf schriftlichem
Wege wiederholt. 2 Er war dadurch dem Aufträge an Metternich 3
zuvorgekommen, der ihn in schonender Form, unter Aussicht auf
günstige Pensionsbedingungen und auf anderweitige Verwendung
zu diesem Entschlüsse veranlassen sollte. Und ganz dasselbe war
bezüglich Feltz’ der Fall. 4 Auch dieser hatte sich stets durch
Eifer und Anhänglichkeit an die Regierung hervorgethan, aber
auch seine Enthebung wurde von der ,öffentlichen Meinung 1 ge
fordert, da sib ihn als das Haupt jener sogenannten Christine
schen Partei bezeichnete, deren Streben darauf gerichtet sein
sollte, dem früheren Statthalterpaare wieder zu seiner Stellung
zu verhelfen, ein Vorwurf, den Feltz in einem Schreiben an Erz
herzog Carl mit der zutreffenden Bemerkung zu entkräften im
Stande war, dass es ihm, falls er wirklich der Intriguant, als
den man ihn hinstellte, gewesen wäre, wohl willkommener hätte
sein müssen, unter einem jugendlichen Statthalter zu dienen als
unter einem Generalgouverneur, dem vieljährige Erfahrung zu
Gebote stand. 5 Auch er hatte eine ehrenvolle Dienstzeit von 27
bis 28 Jahren hinter sich und demnach ebenfalls Anspruch auf
rücksichtsvolle Behandlung.
Diese wurde denn auch ihm und Crumpipen zutheil. Zum
Chef und Präsidenten des geheimen Rathes aber wurde Fier-
lant, bisher Präsident des grosen Rathes zu Mecheln, zum
1 Henri Hermau Werner Francois Antoine Cr. s. Biogr. nationale.
2 Crumpipen an Metternich. Cologne, le 8 mars 1793. Copie.
3 Trauttmausdorff an Metternich. Vienne, le 6 mars 1793. Orig.
4 Ebenda.
6 Feltz au Erzherzog Carl. Mastricht, le 21 juin 1793. Orig. eig. A.-A.
Bolgieu unter der Generalstatthalterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
81
Staats- uncl Kriegssecretär der geheime Rath Müller und zu
Fierlant’s Nachfolger im grossen Ratlre zu Mecheln der Staats
und geheime Rath Le Clerc ernannt.
Was den geheimen Rath (Conseil prive) betraf, so wurde
von dessen früheren Mitgliedern De Aguilar in Ruhestand
versetzt und sollte De Reuss nicht mehr in Betracht kommen.
Dagegen wurden der Exconseiller von Brabant, Robiano, und
der Pensionär der Chätellenie von Oudenarde, Rapsaet, für den
geheimen Rath in Aussicht genommen. Demnach sollte dieser
Conseil zunächst aus den früheren Mitgliedern: dem älteren
Limpens, Le Vieilleuze, De Berg und Van der Fosse, von denen
jedoch Berg stets kränklich war, und aus den neu hinzutreten
den Mitgliedern Robiano und Rapsaet bestehen. Robiano sollte
die Ernennung zur Entschädigung für die Verluste dienen,
welche er wegen seiner Anhänglichkeit an den Hof im Jahre 1787
erlitten hatte, dagegen die Ernennung Rapsaet’s, der sich zur
Zeit der Revolution nicht tadellos verhalten hatte, als ein Opfer
gelten, das der Kaiser dem Lande, und zwar zunächst der
Provinz Flandern bringe. 1
Da indess weder Robiano noch Rapsaet in den geheimen
Rath eintreten wollte, 2 sah sich endlich Metternich zu Gegen
vorschlägen veranlasst, wobei er von dem Grundsätze ausging,
dass man auf die verschiedenen Provinzen Rücksicht nehmen
und sich bei der Wahl an Personen halten müsse, die ,das Ver
trauen' des betreffenden Landes, oder sagen wir vielmehr jenes
der Stände besässen. Eben weil sie dies Vertrauen nicht zu ge
messen glaubten, hatten Rapsact und der von dem Minister in
Aussicht genommene Flandrer Mullie, Greffier zu Courtray, ab
gelehnt. Boi Baron Josef Bartenstein, dem einstigen Conseiller
von Brabant, stiess er auf denselben Widerstand. Doch wusste
ihn Metternich zu bewegen, einer etwaigen Ernennung durch
den Kaiser Folge zu leisten, und der Minister hoffte, dass der
Entschluss Bartenstein’s, der sich im Volke des grössten An
sehens erfreute, auch auf Rapsaet und Andere günstig zurück
wirken werde. Da Metternich an dem bisherigen Status von
sechs Mitgliedern festlialten zu sollen glaubte, da jedoch von
1 Trauttmannsdorff au Metternich. Vienne, le 11 mars 1793. eig.
2 Metternich an Trauttmansdurff. Bruxelles, le 19 avril 1793. Copie.
Sitzungsber. d. pbil-bist. CI. CXXVIII. M. (5. Abli. 0
ii Tun—
..
82 VI. Abhandlung: v. Zoissberg.
den früheren Mitgliedern Le Giere, nunmehr Präsident des
Grand-Conseil, der Staatssecretär Müller, ferner Van der Fosse,
der um seine Entlassung gebeten hatte, Aguilar und Berg, die
im Aufträge des Hofes pensionirt werden sollten, nicht in Be
tracht kommen konnten, demnach der Conseil auf zwei seiner
früheren Mitglieder, den älteren Limpens und Vieilleuze, zu
sammenschrumpfte, von denen aber auch der Letztere sich um
die durch den Tod Pepin’s erledigte Präsidentschaft von Tournay
bewarb, so waren für den Fall der Gewährung dieser Bitte,
und falls, wie Metternich es wünschte, Berg vorläufig noch auf
seinem Posten belassen wurde, vier Stellen zu besetzen, für
welche er Bartenstein, Rapsaet oder eventuell einen anderen
Flandrer, Du Rieux aus Hennegau und den ehemaligen Pen
sionär der Stände von Namur Petit-Jean de Prez in Vorschlag
brachte. 1
Nun wünschte man aber in Wien, dass in Anbetracht der
Menge rückständiger Geschäfte, die der Conseil prive aufzu
arbeiten habe, derselbe aus sieben Mitgliedern bestehen möge,
von denen sechs sofort in Activität zu treten hätten. Und wenn
auch der Kaiser die Auswahl der Individuen im Allgemeinen
dem Minister anheimstellte, so begleitete Trauttmansdorff doch
die Personalvorschläge des Letzteren mit verschiedenen Gegen
bemerkungen. Eben wegen der zahlreichen Geschäfte, welche
demnächst zu erledigen seien, wünschte er nicht, dass Borg dem
Conseil fernerhin angehöre, er bedauerte aber aus eben diesem
Grunde, dass Van der Fosse um seine Enthebung nachgesucht
habe, und wünschte, dass man denselben veranlassen möge,
wenigstens vorläufig noch im Amte zu verbleiben. Gegen Petit-
Jean machte man seine prononcirten Anschauungen 2 geltend
und schlug statt dessen für Namur den Pensionär der dortigen
Stände Fallon vor. 3 Auch Bartenstein’s Ernennung flösste Be
denken ein, da man sich nicht dem Vorwurfe der Vereinigung
der wichtigsten Aemter in den Händen einer Familie aussetzen
wollte, der insoferne erhoben werden konnte, als die beiden
Bartenstein mit dem neuen Chef et President, dem Tresorier
1 Metternich an Trauttmansdorff, le 23 mai und le 3 juin 1793. Copie.
2 Des prineipes un peu outres.
3 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 3 juin 1793. Orig.
Belgien unter der Generalstatthaltersclmft Erzherzog Carls (1793, 1794).
83
general (Do Sandrouin) und dem Staatssecretär verwandt waren.
Das siebente Mitglied des Conseil prive sollte den höheren Justiz
tribunalen entnommen werden, und man wies auf den Rath an
dem Conseil von Hennegau Antoine hin.
Metternich bestand indess auf seinen Vorschlägen und auf
der vorläufigen Beschränkung des Conseils auf sechs Mitglieder,
da es schwerfalle, auch nur diese Zahl ausfindig zu machen.
Er bat daher nochmals, dass man Berg vorläufig belassen möge,
da Van der Fosse bei seiner erschütterten Gesundheit zu länge
rem Verbleiben im Conseil nicht zu bewegen und es, um nicht
den Zusammenhang der Geschäfte zu verlieren, nöthig sei, dass
wenigstens vorderhand einige der früheren Mitglieder beibehalten
würden. Gegen Fallon machte Metternich sein jugendliches Alter
geltend. Neuerdings betonte er die Nothwendigkeit, die Mitglieder
des Conseil prive aus den verschiedenen Provinzen zu wählen,
namentlich legte er Werth auf die Vertretung [Luxemburgs', da
die Eigenthiimlichkeiten dieses Landes denen, die nicht daselbst
gewohnt, wenig bekannt seien, und da in diesem Augenblicke
der Conseil prive einen sehr befähigten Beisitzer an dem Staats-
rathe Le Clerc verliere. Auch hielt der Minister den Vorschlag
Petit-Jeans aufrecht, den er gegen Verleumdung in Schutz nahm.
Er schlug also neuerdings ausser dem Chef et President und
den Räthen Limpens (l’aine), Vieilleuze und Berg zu Räthen:
Du Rieux, Bartenstein und Petit-Jean vor. Die früheren drei
Secretäre, darunter ein supernumerärer, und die Subaltern
beamten sollten wieder eingesetzt werden. 1
In Wien trat man zwar auch jetzt noch für eine Ver
stärkung der Mitgliederzahl des Conseil prive ein; auch tadelte ,
man, dass Metternich bei dieser Frage nicht die Conferenz zu
Rathe gezogen habe. 2 Doch ehe noch diese Weisung nach
Brüssel gelangen konnte, war hier der Conseil prive bereits in
der von Metternich zuletzt vorgeschlagenen Zusammensetzung
reactivirt. 3 Am 28. Juni nahm der Erzherzog die Eidesleistung
1 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 15 juin 1793. Copie.
2 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 27 juin 1793.
3 Derselbe bestand aus: Fierlant als Präsidenten, dem älteren Limpens,
Vieilleuze, De l’Hove, De Berg, Du Rieux, Bartenstein und Petit-
Jean.
(r
ngg.wmri^msüät
84 VI. Abhandlung: v. Zoissberg.
des neuen Chef et President entgegen. 1 Am 1. Juli Morgens
trat der Conseil prive selbst zusammen und wurde von dem
Minister mit einer passenden Ansprache eröffnet. Aguilar schied
aus dem Conseil prive, und das Gleiche stand bezüglich De
Vieilleuze’s zu erwarten, falls ihm die Präsidentschaft des Con
seils von Tournay zutheil wurde.
Die neue Besetzung des Conseil prive wurde nachträglich
von dem Kaiser genehmigt, dagegen blieb der Antrag Metter-
nich’s, aus diesem Anlasse Aguilar, Limpens und Le Vieilleuze
den Titel von Staatsräthen zu verleihen, vorläufig unerledigt.
Die weitere Ergänzung des Conseil prive, wie sie der
Kaiser wünschte, wurde erst im folgenden Jahre (1794) in An
griff genommen, wobei, wie bei der Ergänzung der Conseils
collateraux überhaupt vor Allem auf jene Personen Rücksicht
genommen werden sollte, die in letzter Zeit auf Verlangen der
Stände aus ,unfruchtbarer Gefälligkeit 1 gegen dieselben pen-
sionirt worden seien. 2
Dem Herkommen gemäss wurden die eingelaufenen Ge
suche, darunter jene der früheren Conseillers am Conseil von
Brabant Mercx und Bois St.-Jean und des Advocaten am Con
seil von Luxemburg, Franck, zunächst (2. April) dem Conseil
prive selbst zur Aeusserung zugesandt, sodann letztere der Con
ference zu weiterer Berichterstattung mitgetheilt.
Das Gutachten des Conseil prive ging von der wohl ganz
zutreffenden Betrachtung aus, dass es, sowie jederzeit, nament
lich auch unter den gegenwärtigen Verhältnissen von der grössten
Bedeutung sei, dass eine Körperschaft, in deren Schoosse An
gelegenheiten der Legislative, der Justiz und der höheren Polizei
des ganzen Landes verhandelt würden, mit Männern besetzt
werde, welche sich bereits in anderen Aemtern bewährt hätten
und die zugleich allseitig Achtung und Vertrauen genössen.
Daher habe man stets mit Vorliebe verdiente Mitglieder der
höheren Gerichtshöfe, begabte Beamte des Gouvernements oder
geachtete Pensionäre der Stände oder der Städte in Vorschlag
Moniteur Nr. 198. Doch führt der übrigens wenig verlässliche Calendrier
de la cour von 1794 auch noch d’Aguilar und lteuss an.
1 Moniteur Nr. 198.
2 Trauttmansdorff an Metternich, le 11, le 15 mars 1794. Orig.
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
85
gebracht. Auch darauf habe man geachtet, dass nicht zu viele
Mitglieder einer und derselben Provinz entnommen, vielmehr
bei der Auswahl die vorzüglichsten Provinzen und die verschie
denen Justiztribunale in Betracht gezogen würden, um sich so
die genaueste Kenntniss der mannigfachen Gesetze der ver
schiedenen Provinzen zu sichern. Daher glaubte der Conseil
prive sich nicht lediglich auf eine Begutachtung der einge
reichten Gesuche beschränken, sondern auch sonst im Kreise
der Tribunale und Magistrate Umschau halten zu sollen, zumal
es bekannt sei, dass die ausgezeichnetsten Mitglieder der letz
teren in der Regel nicht petitionirten, wenn sich ihnen nicht
zuvor Aussicht auf Erfolg erschlösse.
Auf Grund dieser Erwägungen schlug der Conseil prive
(Berichterstatter de le Vieilleuze) den Conseiller am Conseil
von Brabant, Charlier, und den Conseiller am Grand conseil von
Mecheln, Pouppez, vor, von denen jener ein ebenso genauer
Kenner der Geschichte, Gesetze und Gewohnheiten von Brabant,
als dieser in den Gesetzen und dem Herkommen namentlich
Flanderns bewandert und beider Landessprachen kundig sei,
und von denen der Letztere noch in der Blüthe der Jahre
stehe, während gegen den Ersteren nichts als sein Alter geltend
gemacht werden könnte, wofern man nicht wüsste, dass er sich
einer festen Gesundheit erfreue. Für den dritten Platz schlug
der Conseil prive einen Flamänder vor; zwar wusste er selbst
nicht eine geeignete Persönlichkeit ausfindig zu machen, nament
lich nicht unter den Mitgliedern des dortigen Conseils; doch
schien ihm unter den dortigen Magistratspersonen der Conseiller
pensionnaire des Franc de Bruges Sola die meiste Eignung zu
besitzen. Gegen Mercx und Bois St.-Jean machte man geltend,
dass beide Brabanter seien. Da nämlich ausser dem Chef et
President bereits zwei Conseillers geborene Brabancjons waren
und das Gleiche von Charlier galt, dem der Berichterstatter
jedenfalls den Vorzug vor jenen Beiden gab, so war der
Conseil bereits zur Hälfte aus Brabantern zusammengesetzt.
Ausserdem wendete man gegen Mercx und Bois St.-Jean ein,
dass beide nur kurze Zeit im Conseil von Brabant gesessen,
und dass die Art ihres Eintrittes in den Conseil von Brabant
im Publicum Misstrauen erregt habe, das, so ungerecht dies
auch sein möge, doch auch auf den Conseil prive sich aus-
86
YI. Abhandlung: v. Zeissberg.
dehnen würde, falls sie demselben als Mitglieder angehörten.
Franck endlich zog man gar nicht ernstlich in Betracht, da
er blos kurze Zeit Richter erster Instanz in Luxemburg ge
wesen sei.
Der Referent der Conferenz Robiano pflichtete im Ganzen
dem Vorschläge des Conseil prive bei. Namentlich stellte auch
er Charlier, mit dem er selbst seit 1768 im Conseil von Brabant
gesessen hatte, das günstigste Zeugniss aus; wohl habe er, fügte
Robiano bei, seither manchen Tadel wider denselben vernommen,
doch wisse er nicht, inwieweit derselbe begründet sei. Beson
deren Nachdruck aber legte der Berichterstatter auf die Kennt-
niss der vlämischen Sprache, da sonst in Folge der vielen Ein
gaben in diesem Idiom die ganze Arbeitslast auf ein paar
Mitglieder falle. Sonst nannte er nur noch den pensionirten
Conseiller Bara, der seine beiden Collegen Mercx und Bois
St.-Jean entschieden überrage, aber des Vlämischen nicht mäch
tig und zu kurze Zeit im Conseil gewesen sei, um jene Kennt
nisse zu besitzen, die der blosse Beruf eines Advocaten nicht
schaffe. Ueberdies gelte von ihm, was der Conseil prive von
der grossen Anzahl von Brabantern in seiner Mitte bemerkt habe.
Lannoy und Müller gaben in der Conferenz besondere
Voten ab. Lannoy machte vor Allem darauf aufmerksam, dass
De le Vieilleuze demnächst den Conseil prive verlassen werde,
dass De Berg, der in Folge dessen das älteste Mitglied des
Conseil prive werde, diesem erst seit 1787, und zwar mit Unter
brechung von fast zwei Jahren angehöre, dass endlich die zwei
übrigen Mitglieder erst seit acht oder neun Monaten dieser
Körperschaft angehörten, dass auch der Chef et President seit
etwa 17 bis 18 Jahren den Geschäften des Gouvernements
fernegestanden habe, dass also nach Abgang De le Vieilleuze’s
es im Conseil prive eigentlich Niemand gebe, der auf dem Lau
fenden der Geschäfte sei. Was die Vorzuschlagenden anbelangte,
war auch Lannoy der Meinung, dass der Eine darunter ein
Flandrer sein müsse. Ueber Charlier’s Verdienste gebe es nur
eine Stimme, er sei wohl alt, aber noch thatkräftig. Dagegen
beschuldige man ihn, dass er während der Unruhen Vonckist
gewesen sei und durch vier bis fünf Monate die Functionen eines
Fiscals versehen, dann aber sich zurückgezogen habe. Doch auch
angenommen, seine Ansichten seien tadellos, so sei es, meinte
Belgien unter der Generalstatthalterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
87
Lannoy, nicht zu empfehlen, ihn aus dem sowohl was Talent,
als was die Gesinnung der Mehrheit seiner Mitglieder betreffe,
ungünstig zusammengesetzten Conseil von Brabant zu entfernen.
Gegen Pouppez hatte Lannoy nichts einzuwenden. Sola sei ihm
durch seine trefflichen Arbeiten auf dem Gebiete der Municipal-
administration wohl bekannt; er habe vor Allem dazu beige
tragen, den Franc de Bruges in gute Stimmung zu versetzen,
doch sei ihm unbekannt, ob derselbe mit den Principien der
Verwaltung im Grossen vertraut sei. In Bezug auf Mercx und
Bara schloss sich Lannoy dem Votum Robiano’s an.
Staatssecretär Müller hinwiderum fand, dass es überhaupt
keine Auswahl gebe. Charlier kenne er nicht; ihm genüge aber,
dass das Volk über dessen Grundsätze in Zweifel, und dass er
ein wenig zu alt sei. Gegen Pouppez hatte er nichts vorzu
bringen. Für Sola spreche, dass er ein Flamänder sei und die
Empfehlung Maroucx’, der denselben stets als einen unterrich
teten, gemässigten, klugen Mann gerühmt, welcher mit allen
Parteien gut stehe, und gegen den die öffentliche Stimme nichts
einzuwenden habe. Müller sprach sich also blos für Pouppez
und Sola aus. Bezüglich der drei Conseillers von Brabant theilte
er die Ansicht des Conseil prive und meinte, dass es nicht auf
die Ersparung einer Pension ankomme, wo so wichtige Inter
essen im Spiele seien. Unter den Competenten befand sich auch
der Pensionär der Stände von Limburg, Wildt. Auch gegen ihn
wurde, ob mit Recht oder nicht, geltend gemacht, dass er
Vonckist sei. Es sei, schloss Müller, sehr zu beklagen, dass sich
eine so geringe Auswahl darbiete, aber man müsse bedenken,
dass das Land noch immer in drei Parteien getheilt sei, und
dass man keine exaltirte Persönlichkeit selbst aus der gutge
sinnten Partei in Vorschlag bringen dürfe. Das Alles schränke
gar sehr die Wahl ein, wenn man die Eigenschaften im Auge
behalte, die ein geheimer Rath besitzen müsse. Dazu komme,
dass man innerhalb weniger als einem Jahre den wichtigsten
und ersten Conseil des Landes vollständig erneuern müsse,
während man'sonst nur höchstens alle drei oder vier Jahre ein
Mitglied für den geheimen Rath zu wählen habe. Auch Metter
nich sprach sich im Sinne Müller’s gegen Charlier und blos für
Pouppez und Sola aus und beantragte, den dritten Platz vor
läufig offen zu lassen und erst später, etwa im Zusammenhänge
88
VT. Abhandlung: v. Zeissberg.
mit cler schon damals geplanten Umgestaltung der Conferenz,
Robiano auf denselben zu berufen. 1
Im Mai 1794 wurden vom Kaiser Bara, Pouppez und Sola
zu geheimen Rathen ernannt. Insbesondere sollte, wie Trautt-
mansdorff bemerkt, die Ernennung des Ersteren zum Beweise
dienen, dass man nicht auf die vergesse, welche ,der Autorität'
ergeben seien. 2 Und aus demselben Grunde wurde im geheimen
Rathe dem bisherigen Conseiller von Brabant Bara, den übrigens
auch Metternich als einen ,sehr honneten und für die Stelle sehr
geeigneten Mann' bezeichnet, 3 der Vorrang vor Pouppez einge
räumt, obgleich sonst die Conseillers am Grand Conseil, aus
deren Reihen der Letztere hervorging, im Range den Conseillers
prives so ziemlich gleich zu stehen pflegten. 4
Es ist wohl als eine Folge der Besetzung des Conseil privci
mit diesen neuen Mitgliedern zu betrachten, dass endlich, am
8. Juni 1794, De le Vieilleuze auf den seit zehn Monaten ver
waisten Posten eines President Grand-Bailli des Conseil von
Tournay-Tournesis mit Belassung seiner bisherigen Bezüge ver
setzt wurde. 6
Mindere Schwierigkeiten als die Wiederbesetzung des Con
seil prive bereitete jene des Conseil des finances. Es han
delte sich blos um Ersatz der zwei Räthe Limpens und Lannoy,
von denen jener nach des Kaisers Wunsch nicht mehr in Be
tracht kommen sollte, 6 dieser in die Conferenz übergetreten war.
1 Metternich an Trauttmansdorff, 30 avril 1794, sammt Beilagen. Derselbe
an Erzherzog Carl, le 3 mai 1794. Orig. eig. A.-A.
2 Trauttmansdorff an Metternich. Bruxelles, le 8 mai 1794. Orig.
3 Metternich an Erzherzog Carl, le 8 mai 1794. Orig. eig. A.-A.
4 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 8 mai 1794. Trauttmans
dorff an Metternich. Bruxelles, le 9 mai 1794. Orig.
5 Trauttmansdorff an Metternich. Bruxelles, le 8 juin 1794. Orig.
6 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 21 juin 1793: ,S. M. veut bien
approuver aussi que le conseiller des finances Limpens reste encore em-
ploy6 provisionnellement ä lajointe des terres contest4es, mais d’aprfes
des renseignemens qui sont parvenus sur les principes de ce conseiller,
l’intention de S. M. n’est ancunement qu’il fasse partie' du comite qu’il
pourroit etre question d’etablir pour l’administration et gouvernement
interieur des places fran^aises ä conquärir.“ Doch schlug die Stimmung
in Wien später zu seinen Gunsten um; denn als er sich später darum
bewarb, dass seine provisorische Stellung an der Jointe des terres con-
testees in eine definitive umgewandelt werde, wurde in Anbetracht ,du
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
89
Metternich schlug für clie eine der erledigten Stellen den Cheva
lier Van der Dilft vor, der bereits Finanzrath war, aber bisher
nicht in diesen Conseil eingetreten, sondern blos in der Jointe
d’administration et du sequestre verwendet worden war und im
Rufe eines genauen Kenners des Zollwesens stand. Für den
anderen Posten hatte bereits Trauttmansdorff auf den Baron de
Charvet, Conseiller et maitre an der Chambre des comptes hin
gewiesen, und Metternich stimmte diesem Vorschläge zu. Zu
gleich sollten die früheren Greffiers, zwei ordentliche und zwei
supernumeräre, und ebenso die Subalternbeamten wieder ein
gesetzt werden. Vorsitzender des Finanzrathes war der Tresorier
general Vicomte De Sandrouin.
In der Folge gab gerade der Finanzrath häufig Anlass
zu Klagen über Mangel an Subordination, die sich namentlich
in einer abfälligen Kritik jener Anordnungen des Gouverne
ments äusserte, deren Zweck die Versöhnung der Parteien war.
Die Verhandlungen in diesem Conseil nahmen oft einen recht
stürmischen Verlauf, und der Tresorier general war nicht immer
im Stande, den Ausbruch der Leidenschaften zurückzuhalten.
Ueber manche Gegenstände fanden überhaupt keine Berathun
gen statt, und der Ton, in dem die Berichte dieser Körperschaft
abgefasst waren, gab wiederholt zu ernster Rüge Anlass. 1
Die Besetzung der Chambre de comptes bereitete in
Folge der grossen Zahl von Bewerbern und der von denselben
geltend gemachten Ansprüche vielerlei Schwierigkeiten, 2 so dass
dieselbe überhaupt erst später, während der Anwesenheit des
Kaisers (20. Mai 1194), erfolgte. Dieselbe sollte fortan aus
8 Conseillers maitres, 12 Auditeurs und 2 Greffiers bestehen,
wie dies der Conseil des finances bereits 1791 vorgeschlagen
hatte. Vorläufig sollten die bisherigen Beamten an derselben
belassen werden, um die Rückstände aufzuarbeiten. Um den
Präsidenten Kulberg zu entlasten, wurde demselben der Finanz-
merite de cet excellent ouvrier en matiere des finances“ nicht nur das
Ansuchen gewährt, sondern ihm auch Titel und Rang eines ,Conseiller
des finances“ auf Grund seines früheren Patentes vom Jahre 1770 be
lassen. Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 6 decembre 1793.
Orig.
1 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 7 decembre 1793. Copie.
2 Trauttmansdorff an Metternich. Bruxelles, le 9 mai 1794. Orig.
’m.msk int n-amiHmmi
90 VI. Abhandlung: y. Zeissberg.
rath Bartenstein als Vicepräsident zugesellt und Letzterem Titel
und Rang eines Staatsrathes verliehen. Im Conseil des finances,
wo er dem Cassenwesen vorgestanden hatte, wurde Bartenstein
durch den Conseiller maitre Barbier ersetzt. 1
Hingegen ist die im Jahre 1794 beabsichtigte Errichtung
eineä ,Bureau a la recette generale', in dessen Ressort vorzüg
lich Anlehenssachen, die Assignationen k ordre und die regel
mässig einlaufenden Dons gratuits fallen sollten, nicht mehr zu
stande gekommen. 2
Die Zusammensetzung des Staatssecretariates, dem
nunmehr Müller Vorstand, erfuhr keine wesentliche Aenderung.
Dagegen wurde die frühere specielle Kanzlei des Statthalter
paares nicht wiederhergestellt und die Secretäre derselben
Pistricht und Vicomte de Nieulant pensionirt. 3
Die sogenannte ,Direction des ütudes' hatte, wie alle
öffentlichen Institute, durch die Unruhen der letzten Jahre er
heblichen Schaden erlitten. Sie' war in Folge der Aufhebung
des Jesuitenordens entstanden, 1791 wiederhergestellt worden.
Damals hatte man in dieselbe nur zwei Assessoren für das
Schulwesen aufgenommen: den ständigen Secretär der Aka
demie Abbe Mann und den Pater Janssens, Mitglied des Brüs
seler Augustinerconvents. Letzterer war aber im März 1792
gestorben und seine Stelle bisher unbesetzt geblieben, während
seine Functionen mit seinem Gehalte auf den Actuar Podevin
übergingen. Natürlich konnte diese Verfügung nur eine provi
sorische sein; ja die Erfahrung der drei letzten Jahre hatte ge
lehrt, dass zwei Assessoren zur Bewältigung der Menge literari
scher Arbeiten und eines Theiles der ökonomischen Geschäfte
der Commission nicht ausreichend seien. Daher stellte die Studien
commission selbst den Antrag auf Ernennung eines dritten Mit
gliedes. Die Conferenz befürwortete den Antrag, zumal über
den mangelhaften Unterricht in den königlichen Collegien und
über die Vernachlässigung dieses Zweiges der Verwaltung all-
1 Trauttmansdorff an Metternich. Bruxelles, le 20 mai 1794. Orig.
a Trauttmansdorff an Metternich. Bruxelles, le 10 juin 1794. Orig.
3 Note sur la composition de la seeretairerie d’etat. Bruxelles, le 12 juin
1794. Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 15 juin, le 13 aoüt,
le 30 septembre 1793. Trauttmansdorff an Metternich, le 10 juillet, le
25 aoüt, le 21 septembre 1793.
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
91
gemein geklag't wurde. Auch der Erzherzog unterstützte den
Antrag; wohl, meinte er, sei die Mehrbelastung der Finanzen
im gegenwärtigen Augenblicke misslich, aber man dürfe sich
nicht täuschen darüber, dass, wenn man fähige Männer für
dies Departement gewinnen wolle, dieselben entsprechend ge
stellt werden müssten. Auch sei nicht zu übersehen, dass der
öffentliche Unterricht ein Erbe sei, das man von den Jesuiten
übernommen, und dem der Staat bisher nur geringe Summen
zugewendet habe.
Unter den Bewerbern um die beiden erledigten Stellen
gab die Studien Commission dem bisherigen Aetuar Podevin und
Huart, der 1788—1789 Directeur des ecoles latines gewesen
war, den Vorzug. Für beide sprach ihre umfassende Bildung,
für Podevin überdies seine lange Dienstzeit, für Huart seine
frühere Stellung. Allerdings wurde gegen den Letzteren ange
führt, dass er sich seinerzeit den Ständen angeschlossen habe.
Allein man wusste keinen passenden Ersatz für ihn, wollte sich
auch den Ständen von Brabant, die sich für ihn interessirten,
gefällig erweisen’ und ging zugleich von der allerdings sonder
baren Ansicht aus, dass es sich ja nur um das Schulfach handle,
das darüber hinaus keinen Einfluss übe. So wurde also Podevin
zum zweiten, Pluart zum dritten Mitgliede der Commission mit
erhöhten Bezügen ernannt, während die Stelle eines Actuars
dem Professor der Rhetorik an dem königlichen Colleg in
Brüssel und Mitglied der Akademie Le Broussart zu Theil
wurde. 1
In Bezug auf die Besetzung der neugeschaffenen Con-
fe renz zu Brüssel war beschlossen worden, dass das eine
der Mitglieder in den Finanzen, das andere in den Geschäften
des Conseils bewandert sein müsse. Eben deshalb konnte auch
nicht ausschliesslich auf Ständemitglieder Bedacht genommen
werden, ganz abgesehen von der Eifersucht unter den Pro
vinzen, zu der die anscheinende Begünstigung der einen oder
der anderen Anlass gegeben hätte. Für die Finanzen wurde
1 Extrait du protocole de la Conference du 25 septembre 1793. Commission
royale des Etudes du 31 aoüt 1793. Bericht des Erzherzogs an den
Kaiser vom 2. Januar 1794. (Entwurf mit Correeturen von Miiller’s
Hand.)
92
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
Lannoy, der früher Mitglied der Wiener Jointe gewesen war,
zum Conferenzmitgliede ersehen. Um auch dem ständischen
Interesse Rechnung zu tragen, sollte die zweite Stelle dem
Grafen von Coloma, Mitglied der Stände von Brabant, oder,
wenn dieser ablehne, dem Yicekanzler Van Yelde angeboten
werden, oder endlich, falls dieser die durch die mittlerweile
erfolgte Demission Crumpipen’s ledig gewordene Kanzlerwürde
vorziehen würde, Robiano in Betracht kommen. 1
Da Coloma ablehnte, Van Velde (s. unten) eine andere
Bestimmung erhielt, wurde zuletzt, ausser Lannoy, Robiano in
die Conferenz berufen und diese am 22. Mai 1793 eröffnet. Aus
diesem Anlasse beantragte Metternich, Beiden, sowie auch dem
Staats- und Kriegssecretär Müller, Charakter und Bezüge von
Staatsräthen zuzugestehen; er machte dafür geltend, dass diesen
Titel einzelne Mitglieder des geheimen, sowie des Finanzrathes
führten, deren Berichte doch fortan in der Conferenz geprüft
und entschieden werden sollten. Für Müller sprach überdies der
Umstand, dass denselben Titel sein Amtsvorgänger geführt hatte. 2
Doch der Kaiser gestand ihnen vorläufig blos das Gehalt zu, den
Titel sollten die Mitglieder der Conferenz sich erst verdienen. 3
Vergebens wendete Metternich ein, dass Robiano bisher überhaupt
keinem Status angehöre und keinen anderen Titel führe, Lannoy
als Finanzrath den meisten Mitgliedern des Gouvernements nach
stehe. Es blieb vielmehr zunächst bei jener Entscheidung.
VII. Die Amnestie.
Neben der Zusammensetzung der obersten Hof- und Staats
ämter bildete eine der ersten Aufgaben, die an den General
statthalter und dessen Minister herantrat, die Publication der
durch die Proclamation vom 2. März in Aussicht gestellten
Amnestie. Metternich erklärte, dieselbe, wenigstens soweit sie
Brabant betraf, so lange verschieben zu wollen, bis der Erz
herzog selbst die Zügel des Gouvernements übernehmen würde,
um ihm die Gelegenheit zu geben, seine Statthalterschaft mit
1 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 22 mars 1793. Orig.
2 Metternich an Trauttmansdorff, 23 mai 1793.
3 Trauttmansdorff an Metternich, le 3 juin 1793. Orig.
Belgien unter der Generalstattlialtorsoliaft Erzherzog Carls (1793, 1791).
93
einem Gnaclenacte zu eröffnen. 1 Er liess sich in dieser Absicht
auch nicht durch wiederholtes Drängen TrauttmansdorfFs beirren, 2
der ihm dies umsomehr verargte, als der Kaiser den Wünschen
der Nation hatte zuvorkommen wollen, und nun aus ander
weitigen Berichten entnahm, dass von allen Seiten gerade jene
Wünsche geäussert wurden, denen die von Metternich der
0Öffentlichkeit bisher vorenthaltene Proclamation bereits ldech-
nung getragen hatte. Man besorgte nicht mit Unrecht, dass
über solcher Verzögerung der günstige Zeitpunkt verstreichen
und der Gnadenact die beabsichtigte Wirkung verfehlen werde. 3
Allein es zeigte sich bald,, dass es vielmehr gewisse Be
denken waren, die nicht nur Metternich, 4 sondern auch den
Erzherzog zurückhielten, die Amnestie in ihrem vollen Umfange
zu publiciren. Der Erzherzog liess letztere zunächst bezüglich
der Unruhen von 1789 und 1790, da für diese in den übrigen
Provinzen schon früher (1791) ein ähnlicher Gnadenact erfolgt
war, in Brabant, 5 insoferne sie aber die Bethunisten, die Deser
teurs und alle jene belgischen Unterthanen, die noch franzö
sische Waffen trugen, betraf, auch in den übrigen Provinzen
bekanntgeben, stellte es jedoch noch einmal dem Kaiser an
heim, ob die Amnestie auch bezüglich alles dessen, was sich bei
der französischen Occupation zugetragen habe und zu Gunsten
derer, welche den Feind herbeigerufen und unterstützt hatten,
ausnahmslos, gelten solle.
Wie er selbst bemerkte, waren es namentlich drei Gründe,
die ihm dagegen zu sprechen schienen: 1. dass bereits jetzt die
Uebelgesinnten zurückkehrten, neue Gährung zu erregen such
ten und die Hoffnung hegten, ihre Befreier bald wiederkehren
1 Trauttmansdorff an Metternich, le 17 mars, le 2 e avril, le 10 avril.
2 Reponse dictee par Metternich aux instructions.
3 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 20 avril 1793. Orig.
4 Metternich an Erzherzog Carl, 13 mars 1793. Orig. A.-A.
6 Hier wurde in der Verlautbarung die Einleitung des Amnestiedecretes
unterdrückt, da die Stelle, welche die Amnestie als Schlussstein der mit
den Ständen über alle noch strittigen Punkte getroffenen Vereinbarun
gen bezeichnete, für Brabant nicht passte, wo diese Vereinbarungen zum
Theile erst zu treffen waren. Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles,
le 15 mai 1793. Das Amnestiedecret datirt vom 17. April und ist unter
Anderem im Moniteur Nr. 155 abgedruckt; jenes für die Bethunisten
(13. Mai) bei Foucart et Fingt, La defense nationale I, 456.
94
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.'
zu sehen; 2. dass die öffentliche Meinung sieh gegen einen der
artigen Generalpardon aussprach, und dass endlich 3. die
Stände, sobald sie versammelt sein würden, Gegenvorstellungen
zu machen gedächten. ,Ich weiss,' heisst es in der officiellen
Vorstellung des Erzherzogs, ,dass ein Hauptbeweggrund für
Eure Majestät darin bestand, dass die reactivirten Tribunale An
sichten hegten, die denen der französischen Revolution entgegen
gesetzt seien, und dass man sich daher darauf verlassen dürfe,
dass diese schon selbst für die Hintanhaltung weiterer Unter
nehmungen der Uebelgesinnten Sorge tragen würden. Das trifft
aber nicht überall zu, da es Justiztribunale und Magistrate gibt,
die von den französischen Ideen angesteckt sind. Das hätte weni
ger zu bedeuten, da man diese Behörden ändern kann, obgleich
ihre Pensionäre und andere Beamte inamovibel und gerade diese
es sind, welche jene Körperschaften zu leiten pflegen. Schlimmer
aber steht es mit den oberen Justiztribunalen. Ein frappantes
Beispiel liefert die Stadt Tournay, wo drei Mitglieder des Con
seils und zwei Pensionäre als die eifrigsten Anhänger der Fran
zosen und ihres Regimentes öffentlich bekannt sind/ 1
In einem beigefügten Privatsehreiben schlug daher Erz
herzog Carl vor, die Amnestie zwar zu erlassen, aber von der
selben die ,Haupträdelführer', die dem Gouvernement wohl
bekannt seien, auszuschliessen, denn sonst stehe die Ankunft
Van der Noot’s und Van Eupen’s zu besorgen, die man hier
mit vielem Vergnügen empfangen werde. 2 Doch in Wien machte
die Besorgniss vor der Rückkehr eines Van der Noot oder Van
Eupen nicht den mindesten Eindruck. Hatte doch kurz zuvor
das Gouvernement selbst Van Eupen durch Aucldand zur Rück
kehr nach Belgien zu bewegen gesucht. 3 Wenn sich dieselben,
meinte man, das Geringste erlauben würden, sei man ja im
Stande, sie sofort ,beim Schopfe' zu fassen. Man erweise den
Beiden zu grosse Ehre, wenn man sie von der Generalamnestie
ausnehme. 1
Auch liess der Kaiser die von seinem Bruder entwickel
ten Gründe nicht gelten. Hätte man, so wie es in seiner Ab-
1 Erzherzog Carl an den Kaiser. Bruxelles, le 3 mai 1793. Entw. (Officiell).
2 Derselbe an denselben. Brüssel, den 6. Mai 1793. Orig. eig.
8 Auckland III, 17.
4 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 11 mai 1793.
Belgien unter der Generalstatthaltorschaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
95
sicht lag, die Proclamation sofort nach dem Abzüge des Feindes
publicirt oder doch schon damals Gegenvorstellungen gemacht,
so würde man nicht in die Lage gekommen sein, jetzt Vor
stellungen über Anordnungen zu machen, die lange zuvor ge
troffen worden seien. Der Kaiser billigte, was der Erzherzog
bereits verfügt, ordnete aber zugleich die unbeschränkte Voll
ziehung der Amnestie an. 1 Das einzige Zugeständnis, das er
machte, war, dass die Proclamation vom 2. März, da ihr Wort
laut zum Theil nicht mehr auf die gegenwärtigen Umstände
passte, umgearbeitet und erst nach Schluss der Ständeversamm
lung publicirt werden sollte. 2
Indess auch in dieser Umgestaltung scheint die Amnestie
nicht mehr publicirt worden zu sein. In Wien selbst kam man
später von dem früheren Standpunkte in dieser Frage zurück.
,Was/ so erklärte jetzt Trauttmansdorff, ,im Augenblicke unse
res Einzuges gut gewesen wäre, wo die Amnestie hätte ver
öffentlicht werden sollen, kann es vielleicht heute nicht mehr
sein, wo es möglicherweise nöthig ist, die Anhänger des fran
zösischen Systems mehr im Zaume zu halten/ Deshalb wurde
jetzt die Amnestie für die während der französischen Occupa-
tion des Landes begangenen Excesse auf die Zeit bis zum/
24. März, d. i. bis zum Einzug der kaiserlichen Truppen in
Brüssel, beschränkt, und überdies dem Ermessen Metternich’s
und der Conferenz anheimgestellt, welchen Gebrauch man von
dem Amnestieacte machen wolle. 3
Ja am 30. November ordnete Trauttmansdorff selbst die
gerichtliche Verfolgung von drei Persönlichkeiten 4 an, die sich
während der französischen Occupation mancherlei Vergehen
hatten zu Schulden kommen lassen. Das Urtheil sollte gefällt,
aber dem Gouvernement vorgelegt werden, um zu beurtheilen,
ob einer von denselben oder alle zu begnadigen seien. ,Da
übrigens/ schliesst die betreffende Weisung, ,die Amnestie noch
nicht einmal publicirt ist und vermuthlich auch nicht mehr
publicirt werden wird, darf dieser Gnadenact keinen Einfluss
1 Der Kaiser an Erzherzog Carl (officiell). Vienne, le 18 mai 1793. Concept.
2 Derselbe an denselben (officiell). Vienne, le 2° aoüt 1793. Orig.
3 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 9 octobre 1793. Orig.
4 Henry Samels, Bürger von Antwerpen, der Arzt Charles Wolff und Phi
lippe Defuisseaux, die beiden letzten aus Hennegau.
mmmmmmasgm
OG VI. Abhandlung: v. Zoissbei'g.
auf jenen Process üben. Auch dürfte der Zeitpunkt, in dem
das Land von Uebelwollenden bedroht wird, nicht der geeig
nete sein, um die Thätigkeit der Justiz aufzuheben oder zu
lähmen, zumal jene Schuldigen, wie Se. königl. Hoheit richtig
bemerkt hat, selbst kein Zeichen von Reue äussern oder ihr
’ I
einstiges Benehmen in Abrede stellen, sondern es dritte Perso
nen sind, die sich für sie, vielleicht ohne ihr Vorwissen, ver
wenden/ 1
Selbst im Mai 1794 war die vielbesprochene Amnestie
noch nicht verkündet, wie man daraus ersieht, dass Metternich
am 16. d. M. bei Trauttmansdorff anfragte, ob dieselbe nach
Schluss der gegenwärtigen Ständeversammlung von Brabant zu
veröffentlichen sei oder nicht. 2
Bei alledem darf hervorgehoben werden, dass selbst in
ihrer Beschränkung die Amnestie von einem Geiste der Ver
söhnlichkeit und Mässigung Zeugniss gibt, die der Beruhigung
der Gemüther sehr zu Statten kam. Im Gegensätze zu Lüttich,
wo die Politik unkluger Revanche Massenauswanderungen nach
Paris zur Folge hatte, dürfte die Zahl der Belgier, welche ein
freiwilliges Asyl strafloser Rückkehr in die Heimat vorzogen,
nur gering gewesen sein. Eine Ausnahme machten blos die
demokratischen Administrateurs von Mons, die einst erklärt
hatten, dass die Bande, welche ihr Land — den Hennegau —
an das Haus Oesterreich knüpften, für immer zerrissen seien, 3
und die sich nach Frankreich flüchteten, wo sie unter dem Titel
,Administrateurs du departement de Jemappes‘ ein Schattendasein
fristeten und sogar das Recht der Vertretung dieses ,Departe
ments 4 im Nationalconvent, freilich vergeblich, in Anspruch nah
men. Gelegentlich wird auch einer ,Societe de Brabanyons* in
Paris gedacht, und ebenso deuten vereinzelte Nachrichten auf
den Fortbestand eines belgischen Emigrantencorps hin. Aber all
dies hatte wenig zu bedeuten; gab es doch derartige Fremden
regimenter, die im Ganzen blos aus 13 Mann bestanden, da
gegen 26 Offieiere zählten. 4
1 Trauttmansdorff au Metternich. Vienne, le 30 novembre 1793.
2 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 16 mai 1793.
3 S. Zeissberg, Zwei Jahre belgischer Geschichte II, S. 245.
4 Borgnet II 2 , 259—277.
I
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1798, 1794).
97
VIII. Reorganisation des Conseils yoii Brabant.
Ebenfalls eine der wichtigsten Veränderungen, die in die
Anfänge der neuen Statthalterschaft fiel, und die vielleicht mehr
als alles Andere den völligen Umschwung der inneren Verhält
nisse Belgiens charakterisirt, war die Reorganisation des
Conseils von Brabant. Hatte die Zusammensetzung dessel
ben in den beiden letzten Jahren zu unaufhörlichem Hader
zwischen dem Gouvernement und den Ständen den Anlass ge
geben, so trugen jetzt die letzteren in dieser Frage einen voll
ständigen Sieg davon. Im Grunde war es freilich seitens der
Regierung nur die Einlösung einer Zusage, welche bereits
Maria Christine in den letzten drangvollen Momenten ihrer
Statthalterschaft den Ständen geleistet hatte.
Würde, so heisst es in einer dem Art. 2 der Instruction
für Metternich beigefügten Bemerkung, die Depesche vom 8. No
vember v. J. 1 nicht existiren, so hätte man vielleicht noch immer
mit den Ständen ein Abkommen auf Grundlage jener Prin-
cipien schliessen können, denen die ministerielle Depesche vom
28. October v. J. 8 Ausdruck gegeben habe. So aber bleibe, da
Brabant seit 18 Monaten dieser Angelegenheit mit gespannter
Aufmerksamkeit folge und fast die ganze Bevölkerung die An
sicht der Stände theile, um nicht wortbrüchig zu werden,
nichts übrig, als jene Zusage zu erfüllen, so misslich es auch
sei, dies zu tliun, noch bevor man die Gewissheit habe, dass
die Stände die dem Kaiser und den Privatpersonen schuldige
Entschädigung leisten und auch ihren sonstigen Verpflichtun
gen naclikommen würden. Demgemäss war Metternich in sei
ner Instruction beauftragt worden, den Conseil aus denjenigen
Räthen zusammenzusetzen, die vor dem 25. Februar v. J. auf
Grund von Patenten des Souveräns und auf Präsentation des
legalen Conseils Mitglieder desselben geworden seien, dagegen
jene Conseillers auszuschliessen, welche 1789 in den grossen
Rath übergetreten, jene, welche von den Ständen während der
1 Zwei Jahre belgischer Geschichte II, 213.
2 Ebenda, 159 ff.
Sitznngsber. d. phil.-hist. CI. CXXVI1I. Bd. 6. Abli.
7
98
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
Insurrection, sowie jene, welche seit dem 25. Februar 1791 er
nannt worden waren.
In diesem Sinne erfolgte denn auch am 5. April 1793 die
Reinstallation des Conseils von Brabant. Schon am 4. April be-
schied zu diesem Behufe Metternich um 9 Uhr Morgens die
Conseillers De Villegas d’Estaimbourg, Viron, Charlier, Van den
Cruyce, Wirix, Van Dorselaer, Baron d’Overschies, Strens, Aerts,
De Jonghe und Baron Bartenstein zu sich. Er theilte den Ver
sammelten mit, dass der Kaiser mit ihrer Haltung während der
französischen Invasion sehr zufrieden gewesen sei, dass er daher
die Ereignisse der Jahre 1789—1790 in Vergessenheit begraben
wolle, und dass er gesonnen sei, nur nach dem ,Rechte und
der Verfassung Brabants' 1 zu regieren, dass er daher den Con
seil so wieder einsetzen wolle, wie derselbe vor den Unruhen
gewesen sei. Demnach sollte der Rath fortan nur aus den er
wähnten eilf Mitgliedern bestehen, da der Rath Van Velde, der
die Stelle eines Vicelianzlers des Conseils bekleidet hatte, um
seine Entlassung gebeten und dieselbe erhalten habe. Der Rath
sollte so bald als möglich die übrigen Ernennungen vorschlagen,
die erforderlich seien, um die beiden Kammern auf dem alten
Fusse zu completiren. Der Minister sprach zugleich den Wunsch
aus, dass der Zusammentritt des Conseils am folgenden Tage
geschehen möge, zu welchem Behufe er eine Depesche an Vil
legas werde gelangen lassen, der als ältester Rath die Functio
nen des Kanzlers bis zur Wiederbesetzung des durch den frei
willigen Rücktritt des (älteren) Crumpipen 2 vacanten Postens
zu bekleiden habe. Auch sei es wünschenswerth, fügte er hin
zu, dass die Ceremonie sich möglichst feierlich gestalte und
daher am 5. April um 9 Uhr Morgens ein Hochamt in der
Collegiatkirche St. Michael und St. Gudula abgehalten werde,
bei der sie sich in Amtstracht einzufinden hätten, um sich so
dann sofort in den Rath zu begeben, wo er selbst die Instal
lation vornehmen werde. Schliesslich bemerkte er noch, dass
der Rath De Jonghe als Pensionär der Stände bis auf Weiteres
an den Sitzungen des Conseils nicht theilnehmen werde. Barten
stein machte den Minister aufmerksam, dass er um seine Ent-
1 ,Par la loi et la Constitution du Brabant.“
2 Josef Ambroise Henri Jean-Nepomue6ne Cr. (Biogr. nat.).
Belgien unter der Generalstiitthaltcrscliaft Erzherzog Carls (1798, 1791). 99
Hebung eingekommen sei und es ihm daher schwer falle, seine
Functionen wieder zu übernehmen, was jedoch Metternich mit
dem Hinweis auf das Vertrauen des Kaisers und der Stände,
das er geniesse, nicht gelten lassen wollte. Indess muss Metter
nich von der Einberufung Bartenstein’s schliesslich doch abge
sehen haben, denn in der Depesche, datirt vom 4. April, die er
Villegas zusendete, wird unter den Räthen, welche dieser ein-
zuborufen habe, Bartenstein nicht mehr erwähnt. Sonst enthielt
die Depesche jene Zugeständnisse, von denen bereits die Rede
war, und ausserdem wurde durch dieselbe der Conseil auch auf
gefordert, die Fiscaux, d. i. den Conseiller avocat fiscal, den
procureur general und dessen Substituten zu ernennen.
Am 5. April um 9 Uhr Morgens versammelten sich die
einberufenen (10) Räthe zu St. Gudule und wohnten einer feier
lichen Messe bei, die der Doyen sang, im Beisein der Aebte
von Grimberghe und von Dilighem, des Grafen Limminghe und
des Baron d’Idove als Mitglieder des geistlichen, beziehungsweise
des Adelsstandes von Brabant. Nach dem Gottesdienste ver
fügten sich die Räthe unter Vortritt des Huissiers De Vos nach
dem gewöhnlichen Sitzungssaale, wo sich auch Metternich ein
fand und an die Versammelten eine Ansprache hielt, in der es
unter Anderem hiess: ,Belgien wird seine Constitution und seine
Gesetze behalten. Sie werden die glückliche Regierung Maria
Theresias wiederkehren sehen. Dies ist der Wunsch Sr. Ma
jestät, und ich bin ermächtigt, Ihnen, meine Herren, dafür
feierlichst Bürgschaft zu leisten. Ihr Tribunal ist nach den con
stitutioneilen Gesetzen des Landes organisirt, und ich gebe mich
der Hoffnung hin, dass wir am Ende jener Unruhen, jener Ent
zweiung und jenes Misstrauens stehen, das hundertmal mehr
als Sie einen Souverän betrübt, der nur durch das Gesetz und
für das Glück seiner Unterthanen regieren will/
Die Rede des Ministers machte den besten Eindruck; man
erbat sich eine Abschrift derselben, um sie den Acten des Con
seils beizulegen. Nach einer entsprechenden Erwiderung von
Seiten des Alterspräsidenten Villegas trat Metternich auf den
Balcon des Rathsgebäudes hinaus, begleitet von den Mitglie
dern des Conseils, und zeigte sich dem Volke, das sich rings
um angesammelt hatte und seine Freude durch laute Zurufe
kundgab. Zuletzt wurde der Minister von Freiwilligen der Ser-
100
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
ments zu Fuss und Pferd unter Musik nach seinem Hotel ge
leitet, wobei sich die enthusiastischen Zurufe erneuerten.
Wie wir der höchst interessanten Denkschrift des ,Citoyen*
Camus, eines der gefangenen Conventsdeputirten, der gerade an
diesem Tage mit seinen Schicksalsgefährten nach Brüssel ge
bracht wurde, entnehmen, wurden Abends in der Stadt Feuer
werke gegeben und Schwärmer geschossen. ,Gegen 10 oder
11 Uhr Abends/ erzählt er, ,warf man dergleichen unter unsere
Fenster und rief dabei: „Das gilt für den Convent.“ Alle diese
Vorfälle hätten einigen Lärm veranlassen können; aber der Graf
D’Yullay 1 wandte Vorsichtsmassregeln an, befehligte Streif
wachen und kam mit dem Befehlshaber der Stadt, der seiner
seits viele Sorgfalt verwandte, allen Unordnungen zuvor.* 2
Am 6. April um 11 Uhr Morgens machten die Mitglieder
des Rathes in Amtstracht ihre Aufwartung bei Metternich. Vil-
legas hielt die Ansprache, worauf Metternich den Räthen, wie er
versprochen hatte, eine Abschrift seiner Ansprache an den Con
seil übergab, die, wie er hinzufügte, sein Sohn, der spätere Staats
kanzlei’, angefertigt hatte. Am 8. wurde in einer Sitzung des
Rathes die Ansprache Metternich’s verlesen und beschlossen, so
wohl diese, als auch die Depesche, welche Metternich am 4. April
an Villegas gerichtet hatte, zu registriren und den Acten bei-
zuschliessen. An demselben Tage erstattete der Conseiller Viron
Bericht, dass er am 13. November 1792 durch den Secretär
Delvaux einen verschlossenen Brief der Stände von Brabant
vom 11. November erhalten habe, mittelst welchem dieselben
dem Conseil zu seiner Information und Direction die Abschrift
zweier Depeschen Ihrer königl. Hoheiten übersandten. Beide
Depeschen waren an die Stände von Brabant gerichtet; die
eine bezog sich auf die Revocation der Declaration vom 25. Fe
bruar 1791 und auf die Zulassung der fünf zuvor ausgeschlos
senen Räthe von Brabant, die zweite auf die damals erfolgte
Abreise des Gouvernements. 3 Da während der französischen
Occupation der Conseil keine Sitzung abgehalten hatte, wurden
1 Gyulay.
2 Toulongeon, Geschichte von Frankreich seit der Revolution (Deutsch von
Ph. A. Petri) III, 105, wo aber das Fest fälschlich auf die Ankunft Metter
nich’s (hier Kattarinack genannt) bezogen wird.
3 S. Zwei Jahre belgischer Geschichte II, 213.
Belgien unter der Generalstatthulterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794). 101
erst jetzt jene zwei Depeschen sammt cler Zuschrift der Stände
zur Kenntniss genommen, registrirt und ad acta gelegt. 1
Ausser der Reorganisation war auch eine Ergänzung
des Conseils von Brabant erforderlich, da an demselben
nunmehr fünf Stellen erledigt waren. Von den früheren Rathen
war Cuylen gestorben; Mercx und Bois St. Jean — ersterer
seit October v. J. Conseiller fiscal 2 und Nachfolger van Cuylen’s
in dieser Stellung 3 — kamen, da sie einst ohne Präsentation
des Conseils, Willok 4 und Bara, weil sie erst nach dem Edict
vom 25. Februar 1791 ernannt worden waren und ihre Prä
sentation nicht durch den gesetzlich anerkannten Conseil erfolgt
war, nicht mehr in Betracht. Von diesen hatte ausserdem Wil
lok durch seine Haltung während der französischen Occupation
auch das Vertrauen der Regierung eingebüsst. Um so höheren
Werth hätte man hingegen in Wien auf den Wiedereintritt der
drei anderen noch lebenden Räthe gelegt, die, um den Formen
der Verfassung zu genügen, der Conseil selbst in seine Vor
schläge einbeziehen sollte. Allein zu einem solchen Zugeständ
nisse waren trotz aller Bemühungen Metternich’s die Stände
nicht zu bewegen. 5
Vielmehr machte der Conseil von Brabant von dem ihm
nun wieder zugestandenen Rechte der Erstattung eines Terna-
vorschlages Gebrauch, aus welchem der Erzherzog die Advo-
caten Kockaert und Evenepool in den Conseil berief, von denen
jener einst (1790) von den Ständen in den Conseil berufen wor
den war und im Rufe eines gemässigten Mannes stand, dieser
das Amt eines Administrators der Religionsgüter bekleidete. 3
Im Laufe des Jahres 1793 wurden sodann noch vier weitere
Plätze am Conseil von Brabant auf Vorschlag desselben besetzt.
1 L. Galsloot, La riinstallation du conseil de Brabant en 1793, d’apres
une relation officielle. (Compte rendu des seances de la Commission
royale d’histoire. Bruxelles 1885. Serie 4, tom. XII, pag. 5411'.)
2 Vergl. Maria Christine an den Kaiser, le 10 octobre 1792. Entw.
3 Metternich au Cobenzl. Bruxelles, le 23 septembre 1792. Copie.
4 In Metternich’s Schreiben: Wittonek.
3 Keponse dictee par Metternich aux ,Instructions‘.
0 Erzherzog Carl an den Kaiser, Bruxelles, le 20 mai 1793. Entw. Officiell.
Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 7 juin, le 10 juin 1793.
Der Kaiser an Erzherzog Carl. Vienne, le 30 mai 1793. Officiell.
Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 21, le 23 juin 1793. Orig.
102
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
Es waren dies die Advocaten Melin und T’Kint, ferner Van
Elerwyck und Van Iiencxthoven. — In Folge des Zugeständ
nisses, welches der Kaiser den Ständen von Brabant bezüglich
jener sieben Räthe gemacht hatte, die einst in den Grand Con
seil von Mecheln übergetreten waren, konnte auch von dem
längeren Verbleiben des Procureur gendral von Brabant auf
seinem Posten nicht die Rede sein. Traf doch in den Augen
der Stände auch ihn der Vorwurf, dass er in Folge der Ordo
nanz vom 18. Juni 1789 als zweiter Procureur general in den
Grand Conseil übergetreten sei, welche Function erst in Folge
der Wiederbesetzung des Conseils durch das Edict vom 25. Fe
bruar 1791 erlosch. Auch wurde gegen Van Laeken — so hiess
der Procureur general — geltend gemacht, dass er nicht nach
altem Herkommen ernannt worden sei, dem zufolge auch für
diese Stelle dem Conseil von Brabant das Präsentationsrecht
zustand, ohne dass freilich die Regierung an den Ternavorschlag
gebunden war.
Es fiel nicht leicht, Van Laeken zum Rücktritte zu be
wegen; er erhob exorbitante Forderungen, er bezifferte seine
Einkünfte aus jenem Amte mit 20.000 Gulden. Zuletzt freilich
gab er sich mit 6000 Gulden zufrieden, und der Erzherzog
konnte zur Wiederbesetzung der Stelle schreiten. Die Wahl fiel
auf den Advocaten De Neck, welcher in der Terna des Con
seils den ersten Platz einnahm. Ausdrücklich betonte jedoch
die betreffende Resolution, dass dadurch dem Rechte des Souve
räns, von dem Ternavorschlage abzugehen, nicht präjudicirt
werden solle. 1
Dieselben Gründe, welche dem Wiedereintritt des Pro
cureur general Van Laeken in den Conseil von Brabant im
Wege standen, wurden auch wider die vier Substituts pro-
cureurs generaux Cuylen, De Leenher, Schepmans und De Sweert
geltend gemacht. Abgesehen von dem Plasse, den sich die
selben durch ihre Tlieilnahme an den in den Jahren 1788 bis
1790 angestrengten gerichtlichen Verfolgungen zugezogen hatten,
hielt man ihnen den Eid vor, den sie 1789 nach Cassation des
Conseils von Brabant bei ihrem Uebertritte in den Grand Conseil
1 Officieller Bericht des Erzherzog Carl an den Kaiser. Bruxelles, le 3 juin
1793. Copie.
Belgien unter der Generalstatthalterscliaft Erzherzog Carls (1798, 1794). 103
geleistet und der sie ihrer ,places brabanconnes' verlustig ge
macht habe, wozu noch überdies kam, dass die Constitution
und das Herkommen nur einen Substitut procureur general
kannte, daher die drei anderen für illegal galten. Die Stände
waren auch in diesem Punkte um so weniger umzustimmen,
als mehrere ihrer Mitglieder in jene Processe verflochten ge
wesen waren. Es mussten also auch diese vier Beamten zu
freiwilligem Rücktritte bewogen und ihnen eine Entschädigung
zutheil werden.
Endlich sollten auch die beiden Greffiersposten am Con
seil neu besetzt werden und die früheren Secretäre, die in
dieser Eigenschaft in dem Conseil neuerdings Aufnahme fan
den, da sie bereits dem früheren Conseil den üblichen Eid ge
leistet hatten, nun auch noch den Eid auf die Joyeuse entree
in die Hände der Stände ablegen. 1 Aber auch hier ergaben
sich allerhand Schwierigkeiten. Wie man aus dem Calendrier
de la cour ersieht, waren noch zu Beginn des Jahres 1794 die
beiden Grreffiersstellen unbesetzt, und noch im December 1793
beklagte sich Köckeiberg bei dem Erzherzog, dass die Stände
ihn und die übrigen Secretäre nicht zum Eide zulassen wollten. 2
IX. Verhandlungen mit den Ständen von Brabant.
D’OverseMes, La Valette, Limminghe.
Von der grössten Bedeutung, namentlich in finanzieller
Hinsicht, mussten sich die Verhandlungen mit den Stän
den gestalten. Die schleunige Einberufung derselben war daher
Metternich zur Pflicht gemacht worden. Wenn sich gleichwohl
die Eröffnung der Ständeversammlungen verzögerte, vielmehr
allenthalben zunächst an die Neubesetzung der städtischen Magi
strate geschritten wurde, so geschah dies im Hinblicke auf die
Stellung, welche der dritte Stand bei allen Berathungen ein
nahm. Der gedeihliche Verlauf der letzteren war durch eine
der Regierung günstige Zusammensetzung des dritten Standes
bedingt. Daher musste die Neubesetzung der Magistrate noch
1 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 21 janvier 1794. Orig.
2 Erzherog Carl an Müller, le 9 dÄcembre 1793.
104
VI. Abhandlung: v. Zeissherg.
vor der Eröffnung der Ständeversammlungen erfolgen, und da
die Erneuerung der städtischen Behörden meist an bestimmte
Termine geknüpft war, über die man sich nicht hinwegsetzen
konnte, wurde bis dahin die Einberufung der Stände vertagt.
Auch in Brabant ging der letzteren die Neubesetzung
der städtischen Magistrate voran, die hier — wenigstens zu
Brüssel und Löwen — seit 1791 fungirten, da im Jahre 1792
die Inauguration des Kaisers noch vor dem üblichen Tage der
Erneuerung, dem Johannistage, erfolgt war, und da im In
augurationsjahre eine Erneuerung der Magistrate nicht stattzu
finden pflegte. Erst nachdem man sich durch die Neubesetzung
der städtischen Behörden des dritten Standes versichert zu
haben glaubte, und nachdem sich Metternich zuvor im Sinne
seiner Instructionen von den Ständen selbst die Versicherung
hatte ertheilen lassen, dass sie keine neuen Forderungen stellen,
ja nicht einmal irgend einen Wunsch laut werden lassen wür
den, 1 erfolgte für den 7. Mai die Einberufung der Stände von
Brabant. Unter diesen fand sich auch der Herzog von Aren-
berg ein, während zum Verdrusse der Regierung der Herzog
von Ursel nicht erschien. 2
Bekanntlich war die Inauguration Franz II. in Brabant
bis dahin nicht erfolgt. Daher sandte der Kaiser dem Erzherzog
die Vollmachten zu, um dieselbe in seiner Vertretung vorzu
nehmen, doch erst, wenn die Stände zuvor alle ihnen im Namen
des Kaisers gemachten Propositionen würden angenommen haben,
um nicht die Meinung aufkommen zu lassen, dass, wie man
bei anderer Gelegenheit behauptet hatte, die Stände vor der
Inauguration zur Bewilligung der Subsides nicht verpflichtet
seien. Auch sollte strenge darauf geachtet werden, dass die
Stände in den Zustimmungsact keine ungewöhnliche Clausel
aufnähmen und bei der Ceremonie selbst jeder überflüssige
Aufwand unterbleibe. 3
In gewöhnlichen Zeitläuften pflegten sich die Stände von
Brabant jährlich zweimal zu versammeln. Im November nahmen
1 Metternich an Trauttmansdorff, le 8 mai 1793.
2 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 30 mai 1793. Orig'.
3 Der Kaiser an Erzherzog Carl. Vienne, le 18 mai 1793. Orig. Officiell.
Vergl. Gachard, Collection de documens inddits I, 83, Anm. 1.
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794). 105
sie die Forderungen des Regierungscommissärs, d. i. des Kanzlers
von Brabant und in Ermanglung eines solchen des ältesten
Conseillers entgegen. Die Propositionen desselben lauteten her
kömmlich auf eine Subside von 1,200.000 Gulden für das
nächste, mit 1. Januar beginnende Jahr; 2. auf die Bewilligung
der Impots, d. i. einer Auflage auf Wein, Bier, Mehl und
Fleisch, welche die Stände selbst, doch zu Gunsten des Souve
räns erhoben, auf sechs Monate; 3. auf das übliche Contingent
an dem Unterhalte des Hofes des Generalstatthalters, das sich
für alle Provinzen auf 540.000 Gulden Brah. belief und woran
der Antheil Brabants 160.000 Gulden betrug. In der April
sitzung jedes Jahres wurde die Forderung auf Bewilligung der
Impots für sechs weitere Monate eingebracht. 1
Natürlich konnte im vorliegenden Falle das Herkommen
nicht strenge eingehalten werden. Es wurden daher zunächst
als Propositionen der Regierung 1. die laufenden Subsides, 2. der
Unterhalt des Hofes, 3. die Impots, 4. ein ständisches Don gra-
tuit, wie es durch die ausserordentlichen Verhältnisse bedingt
war, eingebracht. Weitere Forderungen bezogen sich auf die
rückständigen Subsides und Impots, sowie auf die in Brabant
bisher nicht erledigte Entschädigungsfrage.
Die vier ersten Punkte wurden von den beiden ersten Stän
den verhältnissmässig rasch erledigt, sie bewilligten ausser der
gewöhnlichen Subside (8. Mai) ein Don gratuit von 1,240.000
Gulden als Beisteuer zum Kriege wider Frankreich. 2 Nachträg
lich wurde auch die Zustimmung der drei Chef-villes erlangt. 3
Am spätesten auch diesmal wieder, wie gewöhnlich, von Ant
werpen, wo Graf Baillet Bürgermeister war und wo man an
fangs die Zustimmung von der Anerkennung der Nationalschuld
durch den Souverän hatte abhängig machen wollen. 4
Ueberliaupt war dies ein Gegenstand, der den Malconten-
ten als willkommenes Agitationsmittel diente und daher, um
letzteren das Handwerk zu legen, den Erzherzog auf Metter-
1 Gachard, M6moire sur la composition et les attributions des anciens Etats
de Brabant (Academie royale de Bruxelles, Extrait du Tome VI des
M6moires), S. 16—17.
2 Borgnet II 2 , 247.
8 Metternich an Erzherzog Carl, le 1 er juillet 1793. Orig. eig. A.-A.
4 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 9 juin 1793. Copie.
106
VI. Abhandlung: v. Zeis sh erg.
nich’s Anregung veranlasste (1. Juli), die Uebernahme der
Revolutionsschuld durch den Kaiser, so wie dies bereits in den
übrigen Provinzen der Fall war, auch für Brabant nach gänz
licher Beilegung der noch strittigen Punkte in Aussicht zu
stellen. 1
Uebrigens votirten die Stände auch ein Don gratuit von
120.000 Gulden für den Erzherzog; aus eigenem Antriebe
fügte die Stadt Brüssel noch 30.000 Gulden zu dieser Summe.
Eine Luxussteuer auf Bediente und Pferde wurde damals ein
geführt. 2
Bei alledem vermisste man doch auf das Schmerzlichste
schon bei den ersten- Verhandlungen mit den Ständen von
Brabant, ja mit den belgischen Ständen überhaupt, jenes herz
liche Vertrauen, auf das der Wiener Hof nach so vielen Opfern,
die er dem Lande gebracht, nach erfolgter Verkündigung der
Amnestie und nach der bestimmten Erklärung, an der Ver
fassung des Landes festhalten zu wollen, Anspruch erheben zu
können glaubte.
So wie zuvor, so ging auch jetzt wieder das Streben der
Stände von Brabant dahin, die wichtigsten Stellen bei der Regie
rung an ihre Parteigänger zu bringen. Die alten Klagen, dass
sich im Besitze der einflussreichsten Aemter Männer josefinischer
Richtung befänden, wurden wieder laut. Anfangs beschränkte
man sich auf leise Andeutungen; so, als der Magistrat von Brüssel
dem Erzherzog Carl den Ehrenwein mit den Worten credenzte:
,Sie werden zu Ihren Rathgebern Personen zu wählen wissen, die
durch Talent und Verdienst sich der öffentlichen Achtung würdig
gezeigt haben/ Aber bald ging man zu directen Beschwer
den über. Man machte es der Regierung zum Vorwurfe, dass
sie einerseits die Mitwirkung der Stände in Anspruch nehme,
andererseits die Personen zu halten suche, welche dazu bei
getragen hätten, den Credit eben dieser Stände zu zerstören,
dass sie den Jakobinern den Krieg erklärt habe und an ihrem
Busen Anhänger ihrer Grundsätze nähre. 3
1 Erzherzog Carl an die Stände von Brabant. Bruxelles, le l or juillet 1793.
Copie. Vergl. Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 9 juillet 1793.
Entw.; Metternich an Erzherzog Carl, le 1 er juillet 1793. Orig. eig. A.-A.
2 Borgnet II 2 , 249. Moniteur, 29 janvier 1794, pag. 521.
3 Borgnet II 2 , 332.
Belgien unter der General Statthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
107
Nun hatte die Regierung bekanntlich den Wünschen der
Stände bereits bis zu einem gewissen Grade Rechnung getragen.
Der Conseil von Brabant war im Sinne derselben reorganisirt,
die verhasstesten Mitglieder der Regierung, die man als Häupter
der ,Cabale' bezeiclmete, die beiden Brüder Crumpipen, der
Chef-Präsident und der Kanzler von Brabant, sowie Baron Feltz,
der Staats- und Kriegssecretär, waren fallen gelassen worden.
Aber weiter konnte und wollte die Regierung nicht gehen, da sie
sonst von der Leitung der Geschäfte die fähigsten Köpfe hätte
entfernen müssen, während die ständische Partei überdies noch
auf die Entfernung einiger anderer Mitglieder der Regierung,
so der geheimen Rätlie De Limpens, De Reuss, De Berg, De le
Vieilleuze, der Finanzräthe Ransonnet, D’Aguilar, Duchesne Und
des trotz aller Gegenversicherungen Metternicli’s verhassten
Bartenstein drang. Die Stände betrachteten, was geschehen
war, nur als eine Abschlagszahlung, man zweifelte an der Auf
richtigkeit des Wiener Hofes und meinte, er habe sich nur
der Noth der Umstände gefügt, werde aber dereinst das ver
lorene Terrain wieder zu gewinnen trachten. Man glaubte da
her, zu keinem Danke verpflichtet zu sein. Was geschehen, sei
nur Recht, und auch dies nicht vollständig. Man beschwerte
sich selbst über die Amnestie. Patrioten, die sich edelmüthig
der Vei'theidigung der Verfassung geopfert, bedürften keines
Pardons. 1 Den Leuten dieser Richtung genügte es nicht, dass
Belgien wieder in den Stand versetzt werde, in dem es einst
Maria Theresia zurückgelassen hatte; für sie waren ,die schö
nen Tage' der so gefeierten Regierung der Tochter Carls VI.
die Zeit, in der sie, durch den Kampf mit halb Europa in An
spruch genommen, noch nicht Müsse gefunden hatten, um ihre
Aufmerksamkeit der Verbesserung in der Verwaltung ihrer
Länder zuzuwenden. Nach ihrem Sinne hätten alle Convente
ohne Ausnahme wiederhergestellt, gegen die Mönche, welche
sich weigerten, in ihre Zellen zurückzukehren, Zwang geübt
und das Edict, welches die Ablegung religiöser Gelübde von
dem Alter von 25 Jahren abhängig machte, wieder abgeschafft
werden müssen. 2
1 Borgnet II 2 , 254—255.
2 Ebenda II 2 , 257.
108
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
Anschauungen dieser Art waren es, die in zwei den Stän
den von Brabant durch die Doyens der neun ,Nationen' von
Brüssel überreichten Memoiren 1 und zum Theile selbst in einer
Denkschrift der Stände an den Kaiser zum Ausdrucke ge
langten, in der sie unter Anderem die Absendung einer Depu
tation an denselben in Aussicht stellten. An sich kam letzteres
dem Wiener Hofe gerade nicht unerwünscht. Man hatte sich
hier vielmehr eines derartigen Schrittes vom Anfang an ver
sehen, nicht nur von den Ständen Brabants, sondern auch sei
tens der Stände der übrigen Provinzen. Man hatte erwartet,
dass eine Deputation derselben ein ansehnliches Don gratuit
anbieten und die Gefühle des Dankes und der Ergebenheit an
den Stufen des Thrones niederlegen werde. Freilich sollte Metter
nich den Ständen bei Zeiten bedeuten, dass eine derartige Ge
sandtschaft dem Hofe keine Verlegenheiten bereiten dürfe, dass
man sich daher jedes auf eine Aenderung der bestehenden
Verfassung abzielenden Vorschlages enthalten und das wohl
wollende Herz des Kaisers vor jeder Ueberraschung in dieser
Richtung bewahren müsse. 2 Konnte also die Ankündigung einer
Deputation der Stände von Brabant, wie gesagt, dem Wiener
Hofe nicht unerwartet kommen, so machte doch die darauf vor
bereitende Denkschrift hier einen recht ungünstigen Eindruck.
Trauttmansdorff trug anfangs sogar Bedenken, dieselbe dem
Kaiser vorzulegen, und dieser fühlte sich durch dieselbe auf
das Empfindlichste verletzt. 3 Er habe, liess er dem Minister
melden, nicht erwartet, dass man ihn an Dinge erinnern werde,
von denen er sehnlich wünsche, dass dieselben für immer der
Vergessenheit anheimfallen möchten, und dass man Gegen
stände berühren werde, die den Glauben erzeugen müssten,
als hätten all seine Sorgen und Mühen um das Glück und die
Ruhe des Landes ihm noch immer nicht jenes volle Vertrauen
und jene aufrichtige Hingebung verschafft, die er von dem
offenen und loyalen Charakter seiner belgischen Staaten er
warte. Er habe nicht geglaubt, dass man, nachdem er auf das
1 Borgnet II 2 , 253. Analyse derselben bei Wauters, II, 454 ff.
2 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 14 avril 1793. Derselbe an
denselben. Vienne, le 27 avril 1793. Orig.
3 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 24 mai 1793. Orig.
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (i793, 1794).
109
Deutlichste bewiesen, dass es nicht seine Gewohnheit sei, nur
halb zu verzeihen, wofern das Wohl der Unterthanen ihm ge
statte, sich ganz den Regungen der Güte hinzugeben, nicht sein
Beispiel nachahmen und alle Empfindungen des Hasses und
der Feindseligkeit unterdrücken werde, deren Quelle jener
Parteigeist sei, der so viel Unglück verschuldet habe.
Metternich wurde beauftragt, bei erster Gelegenheit dies
zur Kenntniss der Stände zu bringen: er möge sie darüber be
ruhigen, als ob seine Befehle nicht ausgeführt werden würden,
aber ihnen zugleich zu verstehen geben, dass er zwar ent
schlossen sei, die constitutioneilen Gesetze wieder aufleben zu
lassen und zu beobachten, dass er aber anderseits umsoweniger
irgend einen Eingriff der Stände in seine durch dieselbe Con
stitution ebenfalls garantirten Souveränetätsrechte dulden und
dass er daher ihre Deputation nicht eher empfangen wolle, als
bis man ihn über diesen Punkt beruhigt haben werde. 1
Mittlerweile (3. Juni) 2 hatten die Stände die Deputirten
ernannt, die sich nach Wien begeben sollten: den Bischof
(Nelis) von Antwerpen und die Grafen Duras und Baillet. Jetzt
aber, in Folge der Eröffnung des Ministers, 3 unterblieb die Ge
sandtschaft, 4 und Bischof Nelis begnügte sich, am 19. Juli ein
Schreiben der überschwänglichsten Art an den Kaiser zu rich
ten, in welchem er einerseits der Besorgniss, dass es sowie
einst bei dessen beiden Vorgängern auch bei ihm versucht
worden sei, den Brabanter Episcopat zu verdächtigen, ander
seits der unverbrüchlichen Treue des Clerus und Volkes wenig
stens für die Zukunft Ausdruck gab und sich erbot, auf die
noch vorhandenen Uebelstände und die geeignete Abhilfe der
selben hinzuweisen. 5
1 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 31 mai 1793. Orig.
2 Vergl. Gaehard, Analectes IV, 495.
3 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 9 juin 1793. Copie.
4 Die belgischen Deputirten, von denen der Moniteur Nr. 136, 16. Mai,
erzählt, dass sie, Thränen in den Augen über den huldvollen Empfang
des Kaisers, den Audienzsaal verlassen hätten, waren sicherlich nicht,
wie Borgnet II 2 , 247 anzunehmen scheint, Abgeordnete der Stände, son
dern werden vielmehr dem Kreise jener Privatpersonen angehört haben,
die ohne dazu von irgend einer Seite autorisirt zu sein, ab und zu in
Wien erschienen.
6 Gaehard, Analectes, Serie 1—4, pag. 495.
110
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
Indess wurde das Missvergnügen des Wiener Hofes ohne
Zweifel nicht blos durch jene Denkschrift veranlasst. Auch
sonst war man durch die Vorgänge in den Niederlanden, zu
mal in Brabant, gänzlich enttäuscht. ,Was haben wir/ schreibt
Trauttmansdorff an Metternich, ,bisher von den Ständen dieses
Landes, das Sr. Majestät so viel verdankt, erreicht? Welch’
wenn auch nur geringes Entgegenkommen haben sie bezüglich
der Dinge, welche geordnet werden sollten, gezeigt? Und der
Kaiser, der diesen unglücklichen Krieg nur zur Vertheidigung
seiner Niederlande unternommen, der sie von einem tyranni
schen Feinde mit ungeheuren Kosten befreit hat, der all ihren
Wünschen zuvorkam, indem er ihnen in vollem Umfange ihre
alte Verfassung zurückgibt und edelmüthig alles Geschehene
verzeiht,- welche neuen Opfer muthet man ihm täglich zu?
Muss er nicht treue Menschen, alte Diener im Stiche lassen
und sich denen in die Arme werfen, welche diese gegen ihn
erhoben? Muss er nicht blindlings den Launen, nicht der
Nation, sondern derer folgen, die sich amnassen, in deren
Namen, in Wahrheit aber ohne ihr Wissen zu sprechen? Man
will den Einen nicht, folglich entlässt man ihn; man will einen
Anderen, folglich muss man ihn dahin stellen, wohin sie es
wünschen. In der That will die ganze Welt, nur nicht der
Kaiser, der allein das Recht hätte zu wollen. Und all dies
warum? Um einiger Gulden willen, die wir trotzdem vielleicht
nicht bekommen werden. Das kann unmöglich so fortgehen;
es wird die Zeit kommen, wo wir nicht mehr im Stande sein
werden, Alles zu thun, was man will, die Unzufriedenheit wird
sodann um so grösser sein, als man an Weigerung nicht mehr
gewöhnt sein wird; es werden sich Schwierigkeiten ergeben,
es wird dann Niemand für uns sein, Niemand es wagen, für
uns zu sein, und dann??? Ich wünsche von ganzem Herzen,
mich zu täuschen, aber mein Eifer für den Dienst und die
Pflicht gestatten mir nicht zu schweigen/ 1
Das Misstrauen des Hofes wurde noch gesteigert durch
das zweideutige Benehmen einzelner Privatpersonen, die in
Wien ab und zu auftauchten und dem niederländischen Hof
kanzler durch eitle Projectmacherei lästig fielen. Da war ein-
1 Trauttmansdorff an Metternich (circa 2. Juni 1793).
BSfcSSHBIS
Belgien unter der Generalstatthaltcrschaft Erzherzog Carls (1793, 1794). 111
mal Baron D’Overschies, einer der fünf durch das Decret vom
25. Februar 1791 von dem Conseil von Brabant ausgeschlos
senen Käthe. 1 Er war schon im März, noch vor der Schlacht
bei Neerwinden, in Wien erschienen; er sprach von 40.000 bis
50.000 Belgiern, die bereit seien, sich für den Kaiser zu er
heben, und von einer Summe von vier Millionen, die man Letz
terem darbringen wolle, freilich nur unter der Voraussetzung
der Begnadigung Van der Noot’s, der Bildung einer Miliz, der
gänzlichen Cassirung des gegenwärtigen Gouvernements. 2 Er
Hess es nicht an darauf bezüglichen Noten und Memoiren fehlen.
Man wusste nicht, was man von dem Manne zu halten habe,
ob er im Aufträge der Stände spreche oder nicht. Man begeg
nete ihm mit Misstrauen, zumal man bereits durch La Valette
gewarnt war, und da eben um diese Zeit die ersten Sieges
nachrichten aus Belgien einliefen, legte man der Sache über
haupt keine besondere Bedeutung bei. 3 ,Dieser Brief/ schreibt
Trauttmansdorff an Metternich (20. März), ,wird Eurer Ex-
cellenz von D’Overschies übergeben werden, der diesen Abend
abreist, nachdem er sich hier acht Tage aufgehalten hat. Wenn
Sie nicht besser wissen als wir, was der Zweck seines hiesigen
Aufenthaltes war, und wenn Sie nicht mehr von ihm selbst er
fahren, als ich Ihnen über das Resultat seiner Reise mittheilen
kann, werden Sie sich so wie wir in voller Unwissenheit in
diesem Punkte befinden. Se. Majestät hat sich in kein Detail
mit ihm eingelassen, und mir gegenüber beschränkte er sich
nach dem erstell Gespräche darauf, drei Denkschriften zu über
reichen, von denen die eine die Einführung von Papiergeld be
trifft, die beiden anderen, wie Eure Excellenz aus der Beilage
ersehen werden, von keinem Nutzen sein können. Uebrigens ist
ihm der Kaiser, wie ich ihn bat, gütig begegnet, und auch ich
war bemüht, ihm Anlass zu geben, mit mir zufrieden zu sein,
da ich in seiner Reise keinen Grund, um ihn zuriickzustossen,
erblickte. Er selbst wird freilich nicht sehr zufrieden mit der
Gesellschaft gewesen sein, die sich ihm gegenüber absichtlich
zurückhaltend benahm, und ich glaube, dass, wenn ihn persön-
1 Siehe: Zwei Jahre belgischer Geschichte I, 39.
2 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 12, le 13 mars 1793.
3 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 13, le 17 mars 1793. Orig.
112
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
liehe Absichten hieher geführt haben, er eine günstigere Zeit
dazu hätte ersehen und sich zuvor die Wege ebnen müssen.
Das hindert nicht, dass Se. Majestät geneigt ist, etwas für ihn
zu thun, sobald er es wohl verdient haben wird und Eure Ex-
cellenz dies ihm bezeugen. Er weiss dies und weiss auch, dass
ich ihn an Sie gewiesen habe, da es mir zweckmässig schien,
Sie in den Stand zu setzen, durch Furcht und Hoffnung einen
Menschen zu leiten, der nicht ganz unbedeutend und nicht ohne
Ehrgeiz ist/ 1
Anfangs Juni, das ist ungefähr zu derselben Zeit, als die
Antwort auf die Denkschrift der Brabanter Stände erfolgte,
kam auch La Valette wieder nach Wien, 2 diesmal in Begleitung
zweier Brabanter, Van Schorell und Lalaing. Auch sie fanden
einen sehr kühlen Empfang. ,Er habe sie/ schreibt der Kaiser
an Erzherzog Carl, ,nicht einmal angehört. Denn habe das
Land ihm irgend einen Wunsch vorzutragen, so kenne er keinen
anderen Mittler als seinen Bruder oder den Minister/ 3
La Valette hatte zwar eine Audienz bei dem Kaiser, der
ihn aber an Trauttmansdorff verwies. 4 Diesem überreichte La
Valette eine Denkschrift über all die Gegenstände, über die er,
wie er sagte, zu sprechen beauftragt sei, ohne übrigens seine
Auftraggeber zu nennen. Die Denkschrift selbst ging von dem
ganz vernünftigen Grundsätze aus, dem übrigens schon zuvor
Trauttmansdorff gelegentlich Ausdruck gegeben hatte, dass in
Belgien erst dann geordnete Zustände eintreten würden, wenn
man nach einem bestimmten Plane vorgehe und nicht wie in
letzter Zeit von der Hand in den Mund lebe. Als Mittel, um
dies Ziel zu erreichen, empfiehlt La Valette eine völlige Neu
besetzung aller Stellen am Brüsseler Hofe und am Brüsseler
Gouvernement durch eine Jointe, die aus den unbefangensten
und gemässigtesten Personen des Landes zu bilden sei, die
Vereidung aller Beamten auf die Verfassung, die Uniformirung
der letzteren oder wenigstens die schriftliche Aufzeichnung
der alten Gewohnheiten jeder der verschiedenen Provinzen,
die Zuziehung von Deputaten der letzteren zu den Berathungen
1 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 20 mars 1793. Orig.
2 Am 30. Mai sah Trauttmansdorff bereits seiner Ankunft entgegen.
3 Franz II. an Erzherzog Carl. Laxenburg, den 18. Juni 1793. Orig. eig.
4 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 7 juin 1793. Orig.
Belgien unter der General Statthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794). 113
des Staatsratlies, die Reform des Clerus mittelst einer Natio
nalsynode u. s. f. Dem Memoire waren zwei specielle Denk
schriften beigefügt, von denen sich die eine auf die Bildung
belgischer Legionen, die andere auf die Errichtung einer
Escomptebank bezog.
Es leuchtet von vorneherein ein, dass diese Denkschriften
grösstentheils nur der Ausdruck einer ganz bestimmten Partei
richtung waren, die sich zumal gegen die so verhassten Mit
glieder der sogenannten Christine’schen Partei kehrte, als deren
Anhänger der Lieutenant des Prevot general de l’Hotel Stoc-
quart, Graf Maldeghem, der jünger Limpens und Vicomte de
Nieulant bezeichnet werden. Wenn sich daher auch Trautt-
mansdorff die Mühe nahm (18. Juni), die Denkschriften einem
ausführlichen Gutachten zu unterziehen, so konnte dies nur ab
lehnend lauten, zumal es sich ja blos um die Vorschläge eines
Privatmannes handelte, von denen man nicht einmal wissen
konnte, ob sie dem Wunsche der Nation entsprächen, und zu
mal dieselben im Gegensätze zu dem einmal adoptirten Stabili-
tätsprincipe einen gänzlichen Umsturz der bestehenden Einrich
tungen ins Auge fassten. Der Kaiser stimmte seinerseits den
Anschauungen Trauttmansdorff s vollkommen bei. Ja, da die
gemachten Vorschläge unzulässig und ihrem grösseren Theile
nach für seine Autorität verletzend seien, erklärte er es als
einen Ausfluss seiner besonderen Güte, dass er dies nicht
weiter vermerken wolle. Daher wurde Trauttmansdorff ermäch
tigt, den Ueberbringern der Denkschrift für ihren guten Willen
zu danken, doch ihnen zugleich zu erklären, dass man von ihren
Vorschlägen keinen Gebrauch machen könne, und dass, da ihre
Reise bereits Aufsehen errege, ihre baldige Rückkehr in die
Heimat umsomehr gewünscht werde, als ihr längeres Verblei
ben in Wien nur die eitlen Hoffnungen jener beleben würde,
welche die Projecte gemacht, mit deren Ueberreichung sie be
auftragt gewesen seien. 1
Schon früher hatte Trauttmansdorff den Minister von den
Umtrieben jener drei Belgier in Wien in Kenntniss gesetzt.
,Hört man De la Valette, De Schorell und De Lalaing reden,
so kommt man zur Ueberzeugung, dass man eben nicht aller
1 Correspondenz Trauttmansdorff-Metternich, 25 juin 1793.
Sitzmigsber. d. phil.-bist. CI. CXXYIII. Bd. 6. Abb.
8
114
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
Welt zu Gefallen sein kann. Würde man nacheinander alle
die befragen, welche glauben, eine Meinung über die Verthei-
lung der Aemter aussprechen zu können, so würde man schliess
lich dahin gelangen, alle Welt zu entlassen und überhaupt
Niemand zu wählen. Sind doch diese Herren unter sich selbst
nur einig in dem Tadel dessen, was geschah, oder dessen, was
nach ihrer Meinung noch geschehen soll. Sie wollen weder
Fierlant noch Müller, sie zettern gegen den älteren Limpens
und Bergh, gegen den Pensionär De Jonghe, gegen Warns-
dorff und Maldeghem, kurz, wenn man ihnen Glauben schenkt,
so sind es nur sie selbst und ihre Anhänger, die allein noch
Belgien retten können/ 1
Marquis De la Valette benützte auch diesmal seinen Auf
enthalt in Wien, um zugleich eine persönliche Angelegenheit,
die ihm offenbar sehr am Herzen lag, zu betreiben. Es war
dies der angestrebte Ankauf einiger in Brabant gelegener Do
mänen, der Seigneurien von Hannut, Leau und Landen, sammt
dem zu letzterem gehörigen Ingertrude und Racourt, sowie die
Erwerbung des Eigenthumsrechtes der verpfändeten Seigneuries
Hakendoven und Wilmerchem, Lare und Waesmont, Neer- und
Overhespen, Neer- und Overwinden, Gutsenhoven, Hautgarden
und Elissem, fast lauter Oertlichkeiten, deren Namen uns aus
den Schilderungen der Schlacht von Neerwinden geläufig sind.
Schon unter Kaiser Leopold II. (25. Januar 1792), dann wieder
am 28. März 1792 hatte sich La Valette um diese Besitzungen
beworben; jetzt schien der Kaiser nicht abgeneigt, ihm die
selben unter für ihn günstigen Bedingungen zu überlassen. Zu
vor wurde jedoch Metternich beauftragt, sich über die mit dem
beabsichtigten Verkaufe verbundenen Vor- und Nachtheile zu
äussern. 2
Nach Belgien zurückgekehrt, spielte La Valette die alte
Rolle fort. Aller Welt versicherte er, gleich D’Overschies, 3 dass
er bei dem Kaiser gut angeschrieben sei, dass er das volle Ver
trauen des Ministeriums geniesse. Er gab vor, mit geheimen In
structionen Trauttmansdorff s versehen zu sein, und sprach von
1 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 9 juin 1793. Orig.
2 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 24 juin 1793. Orig.
3 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 31 juillet 1793. Orig.
Belgien unter der Generalstatthalfcerschaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
115
dem Austausche Belgiens wie von einer Sache, die noch immer
stattfinden könne. Dem Grafen Duras sagte er, dass die Depu
tation der Stände in Wien zurückgewiesen werden würde; er
habe die an Metternich gerichteten Depeschen hierüber gelesen
u. dergl. Es war eine Folge dieser unbedachten Aeusserungen,
dass sich die Stände Aufklärung bei dem Minister erbaten, der
sich jedoch auf seine frühere Erklärung berufen konnte, die
keineswegs peremptorisch gelautet hatte. 1
In Wien war man über La Yalette’s Benehmen anschei
nend sehr ungehalten, zumal über jene Aeusserung, welche sich
auf das belgische Tauschproject bezog, das in einer Weisung
an Metternich entschieden in Abrede gestellt wurde: ,sofern
nicht etwa die geringe Dankbarkeit, die man dem Kaiser be
zeige, und die fortwährende Animosität gegen jene, die ihm treu
geblieben seien, oder endlich die unziemlichen Forderungen, die
man sich noch immer erlaube, den Kaiser sozusagen zwängen,
sich eines Landes zu entledigen, das sich so wenig erkenntlich
erweise. Das sei, hiess es in jener Weisung, das Einzige, was
La Valette vernommen haben könnte, dem er aber eine miss
bräuchliche Deutung und Ausdehnung gegeben habe. Aber
man zürnte noch mehr dem Minister; denn, meinte man, die
Stände würden sich nicht veranlasst gefunden haben, bezüglich
der von ihnen beabsichtigten Deputation neuerdings anzufragen,
wenn Metternich ihnen schon früher die ihm durch die Wei
sungen des Kaisers vorgezeichnete Antwort gegeben hätte. Wür
den daher die Stände noch einmal darauf zurückkommen, so
sei ihnen bestimmt die Frage vorzulegen, ,ob sie es wohl wagen
wollten, nach Wien zu kommen, so lange sie fortführen, in dem,
was ihre Pflicht sei, dem Souverän Schwierigkeiten zu bereiten,
so lange sie ihm bei jeder Gelegenheit ihr Misstrauen zu er
kennen gäben und sich durch ihr Benehmen von allen anderen
Provinzen unterschieden, und ob sie wohl eines guten Empfan
ges von Seiten Sr. Majestät und des Volkes sich versehen
dürften, so lange sie in ihrer gegenwärtigen Haltung verharrten?
Man wisse ihnen keinen Dank für ihr Don gratuit, so lange sie
sich im Vergleiche mit den übrigen Provinzen bezüglich ihrer
Obliegenheiten in Rückstand befänden. Denn es sei geradezu
1 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 20 juillet 1793. Copie.
8*
116
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
Hohn, Jemandem Geschenke anzubieten, dem man das, was
man ihm schuldig sei, nicht zahlen wolle.' 1
Mittlerweile hatten die Verhandlungen mit den Ständen
von Brabant ihren Fortgang genommen. Im Juni stand die
Universität Löwen auf der Tagesordnung. Ausser den De-
putirten der Stände nahmen die Mitglieder der Conferenz und
der Referent des Conseil prive, später auch Abgeordnete der
Facultäten an diesen Berathungen theil. Die Deputirten der
Stände fassten ihre Wünsche in drei Punkte zusammen. Sie
forderten 1. eine officielle Erklärung, dass die Universität ein
,Corps brabangon' sei und verbleibe; 2. dass dieselbe in den
Genuss ihres Nominationsrechtes wieder gelange, welches be
züglich der Luxemburg’schen Beneficien durch die in der
Convention vom Haag bestimmte provisorische Reserve verletzt
worden sei; 3. endlich verlangten sie die Aufhebung der De
claration vom 19. Mai 1791, welche auf Grund derselben Con
vention die erneute Wirksamkeit jener älteren Ordonnanzen
einstweilen vertagt hatte, welche den Belgiern untersagten, Li-
cenzen anderswo als in Löwen zu nehmen. Ausserdem ver
langten die Deputirten den Widerruf einiger Decrete, die das
Gouvernement in rein reglementären Dingen erlassen hatte.
Von den erwähnten Punkten war sachlich der dritte der
wichtigste. Denn gewiss war die Klage nicht unbegründet, dass
das Land mit Leuten überschwemmt sei, die sich ihre Grade
an verschiedenen Universitäten erkauft hätten, ohne daselbst
gewohnt und studirt zu haben und ohne geprüft worden zu
sein. Gegen die Sache selbst, nämlich den Widerruf der Decla
ration vom 19. Mai 1791, vermochte denn auch das Gouverne
ment keine Einwendung zu erheben. Aber während der Con
seil prive verlangte, dass die seit jener Declaration anderswo
erworbenen Licenzen auch fernerhin ebenso gelten sollten, als
wären sie an der Universität Löwen genommen worden, for
derten die Deputirten der Stände die Annullirang der letzteren,
da die Art ihrer Erwerbung gegen den Geist jener kaiserlichen
Anordnung verstosse. Wenigstens, meinten sie, sollte dies von
den an französischen Universitäten erworbenen Graden gelten.
Doch die Regierung gab in diesem Punkte umsoweniger nach,
1 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 31 juillet 1793. Orig'.
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794). 117
als gerade die Deputirten der Universität nicht auf dieser For
derung bestanden, obgleich sie dabei am meisten interessirt
waren. Sie beschränkten ihre Bitte auf den Widerruf der er
wähnten Maideclaration, während die Commissäre der Stände
auch die Aufhebung der Wirkungen derselben nicht nur für
die Zukunft, sondern auch für die Vergangenheit verlangten.
Formelle Gründe sprachen dafür, den dritten Punkt von den
beiden ersten abgesondert zu behandeln, da diese nur Brabant
betrafen, daher den Gegenstand einer Declaration des dortigen
Conseils bilden konnten, während jener sich auf alle Provinzen
bezog und demgemäss den Gegenstand einer besonderen Decla
ration hätte bilden müssen.
Demgemäss beschränkten sich die Verhandlungen zunächst
nur auf die beiden ersten Punkte, und über diese wurde auch
eine Vereinbarung erzielt. Der Erzherzog wollte zwar zuvor die
Entscheidung in Wien einholen, aber allseitig gedrängt, ent
schloss er sich am 24. Juni eine Erklärung zu publiciren, durch
welche der Universität Löwen der ihr von Josef II. bestrittene
Charakter eines ,Corps brabangon 1 zuerkannt wurde, und diese
Entscheidung wurde von dem Kaiser nachträglich (18. Juli),
wenn auch nur ungern, genehmigt. Desto zufriedener zeigte sich
natürlich die Universität; abgesehen von einem aus diesem An
lasse abgehaltenen Te Deum gab sie ihrer Stimmung dadurch
Ausdruck, dass sie dem Kaiser auf fünf Jahre als unverzins
liches Anlehen weiterhin gegen 4 1 / 2 Percent 100.000 Gulden
und überdies zu denselben Bedingungen eine Summe von
57.000 Gulden überliess, die sie bereits im Jahre 1789 in ähn
licher Weise vorgestreckt hatte. 1
Auch sonst schienen die Mitglieder der Universität ver
söhnlich gestimmt; sie versprachen, die Parteiungen, die sie
in den letzten Jahren vielfach entzweit hatten, fallen lassen zu
wollen. Auch gelang es Metternich in einer neuen Jointe, die
aus Mitgliedern der Universität und der Stände bestand, den
Streit über die Verantwortung, die jene hätte treffen können,
1 Offizieller Bericht des Erzherzogs an den Kaiser, le 25 juin 1793. Metter
nich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 15 juillet 1793. Der Kaiser an
Erzherzog Carl. Vienne, le 18 juillet 1793. Offiziell. Erzherzog Carl an
den Kaiser. Bruxelles, le 15 septembre 1793. Entvv. Müller’s. Officiell.
118
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
die Güter und Fonds der Universität seit ihrer Uebertragung
nach Brüssel verwaltet hatten, in einer alle Betheiligten befrie
digenden Weise beizulegen. 1
Im Zusammenhänge damit wurde auch eine Anzahl von
Universitätsmitgliedern aus älterer Zeit pensionirt, andere, die
zur Zeit der Reform und Uebertragung der drei weltlichen
Facultäten (1788) angestellt worden waren, entfernt und ent
schädigt. Nur sehr ungern that dies der Kaiser. ,Ich will für
diesmal/ lautete die betreffende Resolution, ,noch dem Anträge
der Conferenz Folge geben, doch hoffe ich, dass dies die letzte
derartige Ausgabe ist, die man mir vorschlägt/ Bios provisorisch
sollte übrigens jene Entschädigung sein, der Staatschatz sobald
wie möglich durch anderwärtige Verwendung der Betreffenden
entlastet werden. 2
Ueber den dritten Punkt erfolgte erst am 27. Septem
ber 1793 die Entscheidung des Kaisers. ,Entsprechend allen
Principien des Rechtes und der Gerechtigkeit/ hiess es, /wo
nach jeder im Besitze der Vortheile und Privilegien zu ver
bleiben hat, die er auf legale Weise unter dem Schutze eines
seinerzeit zu Kraft bestehenden Gesetzes erworben hat, ist es
meine Absicht, dass die Licenzen, die in dieser Weise an
fremden Universitäten erworben worden sind, ihre volle Wir
kung behalten, als wenn sie an jener zu Löwen erworben
worden wären/ 3 Dagegen sollten gemäss einer kaiserlichen
Declaration vom 14. October 1793 fortan die Belgier ver
pflichtet sein, ohne Ausnahme die akademischen Grade sich in
Löwen zu holen; ja die Declaration ging noch über die Ver
sprechungen der Haager Convention hinaus, indem sie der
Universität alle jene Prärogative zurückgab, die sie zur Zeit
Maria Theresias besessen, einer Epoche, die man auch sonst
bei diesem Werke der Wiederherstellung zum Ausgangspunkte
ersah. 4
Mittlerweile trug sich ein Zwischenfall zu, der den Erz
herzog peinlich berühren musste, wenn derselbe auch für den
1 Metternich an Trauttinansdorff. Bruxelles, le 6 septembre 1793. Entw.
Müller’s.
2 Trauttinansdorff an Metternich. Vienne, le 22 octobre 1793. Orig.
3 Wiener Zeitung.
4 Borgnet II 2 , 248.
Belgien unter der Generalstatthalterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
119
Gang der Hauptverhandlung nicht gerade von wesentlichen
Folgen begleitet war.
Einen Gegenstand vielfacher und nicht ungerechtfertigter
Klagen bildete nämlich die drückende Last, welche, da der
französische Krieg grösstentheils ein Belagerungskrieg war, die
Fuhrwerke, das Schanzen, die Strohlieferungen den belgischen
Bauern auferlegten. Man schlug die Zahl der täglich erforder
lichen Pionniere, die man den verschiedenen Provinzen entnahm,
auf nicht weniger als 15.000 Mann, aus Brabant allein auf 3000
Mann, 1 an. Nicht minder beträchtlich war die Zahl der Fuhr
werke. Diese Lieferungen wurden noch drückender, als die
Zeit der Heumahd und der Ernte nahte, die in dem fruchtbaren
und reichcultivirten Lande für mindestens zwei Monate alle
Ackerpferde und alle Arbeitskräfte absorbirte. Anfangs waren
indess diese Forderungen auf geringen Widerstand gestossen;
nur hie und da, wie in Flandern und in Mecheln, hatten sich
Fälle des Ungehorsams gezeigt, der von der malcontenten
Partei geschürt wurde, aber hier wie in den meisten Provinzen
waren die Leistungen gesetzlich geregelt, so dass man vorkom
menden Falles mit Strafen Vorgehen konnte. Nicht so in Bra
bant, wo es an derartigen gesetzlichen Bestimmungen bisher
fehlte, und wo zwar die Stände sich anfangs im Allgemeinen
in dieser Frage sehr entgegenkommend zeigten, aber es doch
nicht an Vorstellungen fehlen liessen, 2 zumal als eben die Ernte
zeit nahte. s
Es war am 5. August, als bei dem Erzherzog eine Be-
rathung stattfand, bei der es sich um die Beischaffung von
500 Wagen für die Armee handelte. Auch die Deputirten der
Stände wohnten dieser Besprechung bei. Doch alle Vorstellun
gen, die man den letzteren machte, sowohl dass das Verlangen
in der Verfassung begründet sei, als dass Coburg der Lieferung
unumgänglich bedürfe, fruchteten nichts. Die Deputirten weiger
ten sich rundweg, die Lieferung auszuschreiben, ausser ,par
entreprise* und gegen eine höhere Vergütung. Als man dagegen
einwarf, der Kaiser sei berechtigt, die Lieferung zu fordern,
1 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 22 mai 1793. Copie.
2 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 15 juin 1793. Entw.
3 Metternich au Trauttmansdorff. Bruxelles, le 23 juillet 1793. Copie.
120
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
und nöthigenfalls mit Anwendung von Gewalt drohte, erwiderten
die Deputirten in drohendem Tone, man möge es nur versuchen,
der Kaiser werde es bereuen, und dann werde es zu spät sein.
Ja, Graf Limminghe vergass sich so weit, dass er in Gegen
wart des Erzherzogs ausrief: ,Wenn wir der Armee solche Liefe
rungen machen müssen, sind uns die Franzosen viel lieber, die
haben uns doch viel weniger bedrückt/ Der Erzherzog wusste
sich zu massigen; er gab sich den Anschein, als habe er die
Aeussserung überhört. Er hob bald darnach die Sitzung auf.
Nachdem sich aber die Deputirten entfernt hatten, bat er den
Minister, in Zukunft derartige Berathungen bei sich abhalten
zu wollen, da es äusserst unschicksam sei, dass man ihm, dem
Repräsentanten des Souveräns, derartige Impertinenzen sagen
dürfe. 1 An die Stände richtete der Erzherzog eine Depesche,
in der er sich, falls sie wieder einmal Deputirte an ihn schicken
wollten, den Grafen Limminghe ausdrücklich verbat. 2
Dieser selbst wurde von Metternich zum Widerrufe seiner
Erklärung aufgefordert, doch der Brief, den er als Entschuldi
gung an Metternich richtete, konnte nicht als solche gelten,
noch weniger ein unmittelbar an den Erzherzog gerichtetes
Schreiben, das in so unziemlichem Tone abgefasst war, dass
dasselbe auf Grund eines Beschlusses der Conferenz an den
Grafen zurückgeschickt wurde. Dagegen zeigten sich die
Stände über die Taktlosigkeit Limminghe’s sehr bestürzt. Am
18. August fanden sich Deputirte derselben bei dem Erz
herzoge ein, um ihr Bedauern über den Zwischenfall auszu
sprechen und ihn zu versichern, dass die Aeusserung Lim
minghe’s nicht ihren Gesinnungen entspreche. Carl erklärte, er
sei von ihrer Ergebenheit überzeugt und habe auch in diesem
Sinne an den Kaiser geschrieben; er hoffe, sie würden bald
Beweise ihres Eifers für den Dienst liefern. Ueber den wahren
Sachverhalt gab sich der Erzherzog freilich keiner Täuschung
hin. Limminghe, meinte er, sei blos ,der Abfaum der Stände
von Brabant, werde aber von Anderen gehetzt, dasjenige zu
sagen, was sie sich nicht vorzubringen trauten'. 3
1 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 7. August 1793. Orig.
2 Nach Borgnet II 2 , 283 ist dieser Brief publicirt in dem mir nicht zu
gänglichen Messager des Sciences liistoriques de Belgique 1839.
3 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 7. August 1793. Orig. eig.
Belgien unter der Generalstatthaltorschaft Erzherzog Carls (1793, 1794). "121
Der Kaiser billigte die massvolle Haltung seines Bruders,
wenn er auch den Zwischenfall insoferne beklagte, als er dem
selben, um sich nicht zu compromittiren, die Gelegenheit ent
ziehe, da einzugreifen, wo er durch seine Person dem Dienste
sonst wesentlich nützen könnte. 1 Sonst legte man, wie aus
einem Schreiben Trauttmansdorff’s 2 an den Bischof von Ant
werpen erhellt, dem Vorfälle keine allzu grosse Bedeutung bei,
zumal ja die Stände sofort Limminghe desavouirt hatten. Ja
man gab sogar zu, dass das Fuhrwesen, namentlich zur Ernte
zeit, eine drückende Massregel sei, die man durch das Aus-
schreiben eines Offertes hätte vermeiden können, zumal der
Geldpunkt erst in zweiter Linie stehe. Worüber aber der
Kaiser geradezu ,scandalisirt' war, das war die Thatsache, dass
die Stände von Brabant bereits über vier Monate versammelt
waren, ohne über die ihm zu leistende Entschädigung schlüssig
zu werden.
So sehr man aber auch mit dem Gange der Verhandlun
gen in Brabant unzufrieden sein mochte, so bitter man auch
die allzu grosse Nachgiebigkeit des Ministers beklagte, so hatte
sich doch bisher gerade kein Streitfall principieller Art ergeben.
Dies war erst der Fall, als die Stände behaupteten, zu jener
Entschädigung gar nicht verpflichtet zu sein, besonders aber
als sie den von dem Kaiser ernannten Kanzler ihres Conseils
nicht zulassen wollten.
X. Der Brahanter Kanzlerstreit.
Das Recht der Ernennung des Kanzlers von Brabant stand
unzweifelhaft dem Kaiser zu, und wenn auch der Kanzler einen
Eid auf die Joyeuse entree in die Hände der Stände ablegen
musste, hatten doch dieselben kein Recht, den Ernannten zurück
zuweisen, sofern er nur die durch die Joyeuse entree vorge
schriebenen Eigenschaften besass, nämlich (nach Art. 5) eine
,digne personne', ,weerdige persoon' war und (nach Art. 6) zu
den ,gens de bien', ,goode luyden' gehörte.
1 Der Kaiser an Erzherzog Carl. Laxenburg, den 13. August 1793. Orig. eig.A.-A.
2 Der übrigens selbst auf die erste Nachricht der Meinung gewesen war,
dass der Kaiser die Sache ,unmöglich 1 mit Stillschweigen übergehen
könne, Trauttmansdorff an Colloredo, s. d. Orig.
r
122
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
Die Kanzlerstelle war durch den Rücktritt des jüngeren
Crumpipen erledigt. Auch er hatte sich gleich seinem älteren
Namensträger in den Wunsch des Gouvernements gefügt; an
geblich um nicht ein Hinderniss für die Wiederkehr friedlicher
Zustände und des nothwendigen Vertrauens zu sein, hatte er
freiwillig seine Entlassung genommen.
Der stricte Befehl des Kaisers ging dahin, diese Stelle
dem früheren Vicekanzler Van Velde zu verleihen. Nun hatte
aber gerade die Gefügigkeit, mit welcher einst — zur Zeit
Kaiser Josefs II. — Van Velde sich bereit gezeigt hatte, die
in der Verfassung des Landes nicht begründete Stelle eines
Vicekanzlers zu übernehmen, demselben in der öffentlichen
Meinung sehr geschadet, die in diesem Falle mit jener der
Stände identisch war. Vermuthlich war dies auch der Grund,
weshalb Metternich nicht einfach den Befehl des Kaisers zur
Ausführung brachte, sondern vielmehr in einem, wie es scheint,
nicht mehr erhaltenen Berichte Bartenstein und d’Overschies,
namentlich den letzteren, vorschlug, während Van Velde in
einem beigefügten Schreiben auf die ihm zugedachte Stelle ver
zichtete. Doch der Kaiser hielt an seiner ersten Entschliessung
fest. Habe sich auch, meinte man, Van Velde durch den Eifer,
mit dem er sich bereit fand, die Stelle eines Vicekanzlers zu
übernehmen, die Gemüther ein wenig entfremdet, so habe er
doch nicht die ,allgemeine' öffentliche Meinung gegen sich,
wenigstens nicht so sehr, dass man davon üble Folgen für den
Dienst zu besorgen habe. Auch scheine es, dass er nur, um
sich den Umständen zu fügen, verzichte, da er in seinem
Schreiben an Metternich durchschimmern lasse, dass er sich
auf die Ernennung gefasst gemacht habe, wozu er auch be
rechtigt gewesen sei. Metternich wurde also nochmals auf
gefordert, den Befehl des Kaisers zu vollziehen, es sei denn,
dass er positiv versichern könne, Van Velde sei so verhasst,
dass seine Ernennung unbedingt schädlich sei. 1
Metternich schob auch jetzt noch die Ernennung Van
Velde’s hinaus; er glaubte, wenigstens die damals noch nicht
erfolgte Bewilligung der Subsides und des Don gratuit ab-
warten zu sollen. Er wurde in dieser Ansicht nicht nur durch
1 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 11 mai 1793. Orig.
Belgien unter der Generalstattlialterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
123
Lannay bestärkt, 1 sondern auch durch eine gedruckte Re
präsentation, die der dritte Stand von Brüssel durch die beiden
ersten Stände überreichte, und in der derselbe seinen ablehnen
den Standpunkt in der Kanzlerfrage unverholen entwickelte.
,Ich meine zwar trotzdem/ bemerkt hiezu Metternich, ,dass
Se. Majestät sich nichts vorschreiben lassen soll; die Wahl der
Person des Kanzlers ist lediglich seine Sache. Was mir aber
die Klugheit und die Erwägung der Umstände allerdings zu
fordern scheint, ist, dass Se. Majestät Ihre Allerhöchste Ent
scheidung noch einige Zeit verschieben möge/ 2
Aber in Wien war man ganz anderer Ansicht. Die stän
dische Repräsentation machte, wie gewöhnlich, auf den Kaiser
den ungünstigsten Eindruck, den beigefügten Ergebenheits
versicherungen legte man nicht den mindesten Werth bei. Auch
den verstorbenen Oheim des Kaisers habe man mit dergleichen
Versicherungen überhäuft, als man bereits das Banner des Auf
ruhres gegen ihn aufpflanzte. ,Unser Herr/ heisst es in einer
Weisung Trauttmansdorff’s (7. Juli), die allerdings nicht an ihre
Adresse abging, sondern (13. August) durch eine andere er
setzt wurde, desto mehr aber für die Ansichten des Wiener
Hofes bezeichnend ist, ,müsste auf jeden Befehl verzichten,
wenn, um denselben nicht auszuführen, genügte, dass die,
welche gehorchen sollen, anderer Ansicht sind/ Metternich, hiess
es, möge nicht immer von dem Willen der Nation sprechen
und sich nicht vor Allem beugen, was diese vorschreibe, denn
er adoptire hiermit das Princip der Volkssouveränetät. Uebri-
gens schreibe man der Nation die Intriguen einiger über
spannter Köpfe zu, die um jeden Preis ihren Ehrgeiz befriedi
gen wollen, wie jener d’Overscliies, gegen den sich damals die
Stimmung des Hofes zu kehren begann.
Wenn andererseits Metternich sich unter Anderem auch
darauf berief, dass Van Velde selbst erklärt habe, unter ge
wissen Bedingungen zum Rücktritte bereit zu sein, so wurde
gerade diese Behauptung durch Van Velde selbst widerlegt.
Wir wissen aus dessen eigenem Munde, dass sich die Sache
doch wesentlich anders verhielt. Darnach hatte er vielmehr,
1 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 25 juin 1793. Copie.
2 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 25 juin 1793. Copie.
J 24
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
als er die Stelle eines Vicekanzlers niederlegte, sich um die
Stelle eines Lieutenants des Lehenshofes von Brahant beworben,
und als ihm die Absicht des Kaisers bekanntgegeben wurde,
ihn zum Kanzler zu ernennen, in einem Schreiben an Metter
nich vom 22. April und auch in einem Schreiben an Trautt-
mansdorff aus seiner Abneigung gegen die Uebernahme dieses
Postens gar kein Hehl gemacht, wohl aber sich auf alle Fälle
dem Kaiser zur Verfügung gestellt. Als daher der Kaiser auf
seinem Willen beharrte und ihm Metternich dies am 9. Juni
bekanntgab, zugleich aber hinzufügte, er wisse aus guter Quelle,
dass seine Ernennung bei einem Theile der Stände Missfallen
erregen werde, und dass er daher dem Kaiser von Neuem be
richtet und seine Ernennung zum Lieutenant an jenem Lehens
hofe und zum Staatsrathe beantragt habe, da hatte sich Van
Velde seinerseits auf seine frühere Erklärung vom 22. April
bezogen, auf der er auch jetzt noch beharre und der zufolge
er sich der Entscheidung des Kaisers, wie sie auch ausfallen
möge, zu unterwerfen gedenke. Und als sodann Metternich in
der That noch einmal dem Kaiser Vorstellung machte, von
diesem aber nun den stricten Befehl erhielt, mit der Ernennung
Van Velde’s zum Kanzler nicht länger zu zögern, erfuhr dieser
hievon nicht durch Metternich selbst, sondern erst durch Zufall
aus dem Munde des Staatssecretärs. Metternich, an den er
sich in Folge dessen wandte, bestätigte die Richtigkeit der
Mittheilung, entschuldigte den Verzug damit, dass die betreffen
den Patente aus Wien noch nicht eingetroffen seien, suchte
aber Van Velde nochmals durch die eindringlichsten Vorstellun
gen, namentlich durch den Hinweis auf die Stimmung der Stände,
zu freiwilligem Verzichte zu bewegen. Doch die Antwort Van
Velde’s lautete wie zuvor. Er fügte hinzu, dass die Stände
durch den bevollmächtigten Minister längst hätten erfahren kön
nen, dass er selbst das Amt eines Kanzlers nicht angestrebt,
sondern sich um des Friedens willen um ein anderes Amt be
worben habe. 1
Gegenüber dem stricten Befehle des Kaisers schien Metter
nich nichts übrig zu bleiben, als an dessen Ausführung zu schrei
ten. Gleichwohl machte er nochmals seine Bedenken geltend, wo-
1 Van Velde an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 2G juillet 1793. Copie.
125
Belgien unter der Generalstatthalterscbaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
bei er sich auf die nach älteren Instructionen dem Gouvernement
zustehende Befugniss berief, wider beabsichtigte Massregeln
dreimal vorstellig zu werden. 1 Doch umsonst. In gemessenen
Ausdrücken gab der Kaiser durch Trauttmansdorff dem Minister
zu erkennen, dass er fest entschlossen sei, an der getroffenen
Wahl festzuhalten, was auch immer geschehen möge. Gerade
der Umstand, dass Yan Yelde einst einen Posten übernommen
habe, der für verfassungswidrig gelte, sei nicht nur kein Aus-
schliessungsgrund, sondern vielmehr ein Moment, das ihn dem
Kaiser empfehle, da es nothwendig sei, dass jene Thatsache
ebenso von den Ständen vergessen werde, wie er selbst ihre
einstigen Ausschreitungen vergessen habe. Metternich sollte
daher jede Vorstellung entschieden zurückweisen und erhielt
zugleich den für ihn persönlich gewiss nicht erfreulichen Auf
trag, Van Velde die Anerkennung des Kaisers für die Bereit
willigkeit auszusprechen, mit der er seinen Befehlen gehorcht,
trotz der Unannehmlichkeiten, die er in Folge dessen zu ge
wärtigen habe. 2
So wurde denn endlich (20. August) Van Velde eröffnet,
dass er sich am 23. August zur Eidesleistung bei dem Erz
herzog einzufinden habe. Als er sich aber am 21. zu dem Mi
nister begab, um das Patent entgegenzunehmen, das er besitzen
musste, um den Eid ablegen zu können, wurde ihm dies zwar
ausgefolgt, aber von Metternich bedeutet, dass, da mit den
Ständen am 23. August verschiedene wichtige Angelegenheiten
zu erledigen seien, die Eidesleistung erst am 26. stattfinden
könne. Aber auch an diesem Tage fand die Vereidung nicht
statt, nochmals wurde dieselbe ,auf kurze Zeit 4 vertagt, in Wirk
lichkeit auf längere Zeit verschoben. 3
So wie in Wien sah man nämlich auch in Brüssel mit
Ungeduld dem Schlüsse der Brabanter Ständeversammlung ent
gegen. Denn man meinte, dass, solange dieselbe währe, das
Volk nicht zur Buhe kommen werde. ,Diese Versammlung, 4
hiess es, ,wird nicht ewig dauern können. 44 Man hatte erwartet,
dass die Inauguration, die den Abschluss des Versöhnungswerkes
1 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 20 juillet 1793. Copie.
2 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 1 er aoüt 1793. Orig.
3 Van Velde an Erzherzog Carl. Bruxelles, le 4 decembre 1793. Orig. eig.
1 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 19 juillet 1793. Orig.
126
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
bilden sollte, zu Anfang Juli werde stattfinden können, 1 und
nun sah man bereits dem Eintritte des September entgegen,
ohne dass man zum Abschlüsse gekommen war. Da geschah
endlich, was seit drei Jahren nicht geschehen war: die Stände
Hessen sich (am 24. August) herbei, ihre Anerbietungen in
Bezug auf die noch strittigen Punkte in Form eines Schrift
stückes vorzulegen. Da dies am Vorabende jenes Tages ge
schah, an welchem die Eidesleistung des Kanzlers hätte statt
finden sollen, beschloss die schleunigst einberufene (Konferenz
unter Zuziehung des Chef et President und des Tresorier
general, diesen Act noch einmal zu verschieben.
Nur der Erzherzog sprach sich entschieden gegen jeden
weiteren Aufschub aus. ,Ich allein war/ schreibt er an den
Kaiser, ,von einer ganz anderen Meinung. Entweder, sagte ich,
wollen die Stände im Ernst sich zur Ruhe geben und mit dem
Souverän wieder aussöhnen oder nicht. Wollen sie es, so wird
sie die Einsetzung des Kanzlers nicht daran verhindern und im
Gegentheile wird es ihnen an Vorwänden mangeln, um die
Epoche eines Vergleiches immer mehr zu verschieben. Du hast
(Dich) entschlossen, unveränderlich darauf zu bestehen. Das
wissen sie, die Sache ist also geschehen. Warum soll die Ein
setzung desselben, die Antretung seiner Würde, welche mehr
eine Ceremonie als etwas Anderes ist, alle guten Dispositionen
der Stände über den Haufen werfen? Ich sehe also dies blos
als einen Vorwand an, um Zeit zu gewinnen, in der Absicht,
so viel Intriguen zu spielen, Alles anzuwenden, um Dich von
Deinem Entschlüsse abzuwenden, und ich fürchte, dass diese
Verschiebung gar keinen Nutzen haben wird, da sie so lange
tändeln werden, sich über die übrigen Punkte zu vergleichen,
bis entweder darüber ein Entschluss wird gefasst werden oder
die Zeit, so man diese Affaire zu verschieben entschlossen,
wird verflossen sein. Man wird dann den Kanzler in seine
Stelle einsetzen wollen, und dies wird ihnen zum Vorwände
dienen, um die Subsides, Zahlung der Arreragen, kurz Alles
abzuschlagen. Ihnen ist unser Mangel an Geld bekannt und
sie werden sich schmeicheln, uns zu zwingen, zum Kreuz zu
kriechen, um Geld von ihnen zu bekommen. Aus allen Ur-
1 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 24 juin 1793. Orig. eig.
Boigien unter der Generalstutthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794). 127
Sachen, welche ich also hier angeführt habe, und da ich glaubte,
dass es in diesem Augenblicke höchst gefährlich sei, Schwäche
zu zeigen, war ich der Meinung, man solle den Kanzler gleich
in meiner Gegenwart den Eid schwören lassen, ihn dann zu
denen Ständen schicken, um ihn dort abzulegen, und dies auf
eine Art machen, als ob man sich gar nicht einfallen lassen
könnte, dass sie sich widersetzen könnten/ Ja der Erzherzog
fasste bei fortgesetztem Widerstande der Stände bereits jetzt
die Anwendung bewaffneter Gewalt ins Auge. Ausdrücklich
erbat er sich von dem Kaiser die Erlaubniss, sich an Coburg
um Ueberlassung einiger Truppen wenden zu dürfen, und zwar
deutscher oder ungarischer, da er ihm sonst Wallonen-Regi-
menter zusenden werde, deren Anwesenheit im Lande mehr
Schaden als Nutzen stiften könnte. 1
Man wird kaum fehlgehen, wenn man dieses unerwartet
schneidige Auftreten des sonst so mild gesinnten und ruhigen
Erzherzogs auf jene Verstimmung zurückführt, die das jüngste
Auftreten der Stände und namentlich des Grafen Limminghe
in ihm zurückgelassen hatte. Es ehrt indess auch in diesem
Falle denselben, dass er so viel Selbstbeherrschung besass, um
sich der übereinstimmenden Ansicht erfahrener Rathgeber be
scheiden unterzuordnen. ,Da/ heisst es in jenem Briefe an den
Kaiser, ,alle die Herren, welche die Jointe ausmachten, von
einer anderen Meinung, und dies zwar einstimmig waren, und
diese die traurigsten Folgen von einem solchen Schritte voraus
sahen, da sie andererseits doch glaubten, man könne vielleicht
zu einem gütlichen Vergleiche über alle die übrigen strittigen
Punkte mit den Ständen gelangen, so habe ich es nicht ge
glaubt, auf mich nehmen zu können, wider ihre einstimmige
Meinung zu handeln. Ich habe mich daher entschlossen, den
Zeitpunkt der Leistung des Eides des Kanzlers, welcher schon
bestimmt war, bis auf eine weitere Resolution zu verschieben,
jedoch habe ich befohlen, in dem Berichte, welchen ich Dir
ex officio machen werde, meine Meinung anzuführen und bei
zusetzen, dass dies wider dieselbe geschehen sei/ Schliesslich
bemerkt der Erzhei’zog noch, dass, obschon die Conferenz sich
einstimmig für die Vei’schiebung der Einsetzung des Kanzlers
1 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 30. August 1793. Orig. eig.
128
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
ausgesprochen habe, man doch ebenso einstimmig der Ansicht
gewesen sei, dass der Kaiser seinerzeit auf der Ernennung Van
Velde’s bestehen möge.
Wie vorauszusehen war, zeigte sich der Kaiser sehr er
freut über den Brief seines Bruders, namentlich fand es seinen
Beifall, dass derselbe ,durch sich selbst und nach seiner Ueber-
zeugung handle, was ihm gewiss die Achtung aller ehrlichen
Leute verschaffen werde, die, wie man aus mehreren Briefen
ersehe, seiner Meinung seien'. Da er die Gerechtigkeit für sich
habe, erklärte der Kaiser, bezüglich Van Velde’s nicht nach
geben zu wollen. ,Mir ist es leid/ fährt er fort, ,wenn es zu
gewaltigen Schritten kommen sollte, denn dann müssten wir
coüte ce qui coüte durchsetzen. Vielleicht aber, da die anderen
Provinzen schon bereits in Ordnung sind, wird auch Brabant,
wenn es Ernst sieht, nachgeben. Die Herren sind bis jetzt ge
wöhnt, dem Gouvernement Alles abzuschrecken; fährst Du aber
in Deiner Conduite fort, so werden sie bald diesen Wahn ver
lieren.' 1
Metternich aber erhielt am 26. September neuerdings die
Weisung, sofort die Kanzlerfrage zu Ende zu führen, es sei
denn, dass er versichern könne, nicht nur dass aus der Aus
führung der Weisung ein Uebel erwachsen werde, sondern auch
dass er bestimmte Aussicht habe, die Angelegenheit mit den
drei Ständen in einer Art zum Austrage zu bringen, dass dabei
die Würde des Souveräns nicht compromittirt werde, d. h. in
dem man dem Aufträge desselben in seinem vollen Umfange
entspreche. 2 Am 16. October wurde Metternich abermals an
seinen Auftrag erinnert. Die Inauguration könne erst dann statt
finden, wenn alle Streitpunkte erledigt seien, namentlich die
Installation des Kanzlers, die Bewilligung der Impots und Sub-
sides für das nächste Halbjahr. 3
Uebrigens waren auch die oberwähnten Anerbietungen
der Stände nicht so beschaffen, dass sie die Regierung etwa
en bloc hätte annehmen können. Die Stände boten unter dem
Titel eines Don gratuit die runde Summe von vier Millionen
1 Der Kaiser an Erzherzog Carl. Laxenburg, den 11. September 1793. Orig,
eig.
2 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 26 septembre 1793. Orig.
3 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 16 octobre 1793. Orig.
Belgien unter der GeneralstatfchalterschafL Erzherzog Carls (1793, 1794).
129
an; diese sollte als Abschlagszahlung für ihre Quote an den
beiden rückständigen Subsides und an den Entschädigungen
gelten, wobei jedoch jene der Privaten dem Kaiser zur Last
fielen. Auch wollte man mit der Auszahlung dieser Summe erst
dann beginnen, wenn die noch bestehenden , Verfassungsver
letzungen' gutgemacht sein und der Kaiser es übernehmen
würde, seinerseits auch Personen zu entschädigen, die in den
letzten Jahren durch das Gouvernement Schaden erlitten hätten.
Allerdings stellten die beiden ersten Stände zugleich auch die
Zustimmung des dritten in Aussicht, 1
XI. Die Entscliädigungsfrage in Brabant. — Die Depesclic
vom 15. November 1793.
Von Wien aus hatte man auf die erste Verlautbarung der
ständischen Absichten Metternich jede Transaction bezüglich der
rückständigen Subsides untersagt. Auch wurde es sehr übel ver
merkt, dass die Stände sich auf die öffentliche Meinung beriefen,
die dahin gehe, dass man jene Subsides zu bezahlen eigentlich
nicht verpflichtet sei. Doch liess es Metternich nicht an Gegen
vorstellungen fehlen, und auch die Conferenz war der Ansicht,
dass jener Befehl nicht buchstäblich werde erfüllt werden können,
dass es vielmehr zweckmässiger sei, die Stände zu bewegen, eine
runde, alle Ansprüche der Regierung umfassende Summe zu
bewilligen. 2
So wurde denn die Eingabe der Stände vom 24. August
entgegengenommen, und nachdem man dieselbe unter Intervention
der ständischen Deputaten, der Chefs der beiden Conseils und
der Mitglieder der Conferenz einigen Modificationen unterzogen,
dem Conseil des finances unter Beiziehung der Staatsräthe, wie
es, so oft es sich um das Subside handelte, üblich war, zur
Berathung vorgelegt. 3 Auch hier hatte man Mehreres an dem
1 Erzherzog Carl an den Kaiser, le 11 septembre 1793. Officiell. Entw.
Müller.
2 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 30 juillet 1793. Vergl. auch
. Bischof Nelis von Antwerpen an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 23 aout
1793. Extrait.
3 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 27 aoüt 1793. Entw.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXVIII. Bd. 6. Abli. 9
130
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
Entwürfe der Stände auszusetzen und fügte am Rande der
Denkschrift Gegenbemerkungen bei, über die sich die Stände
ihrerseits äussern sollten. 1
Und auch in Wien nahm man es zwar noch immer den
Ständen übel, dass sie dem, wozu sie verpflichtet seien, nicht
mit Acclamation zugestimmt hätten; noch grösseren Werth aber
legte man darauf, dass die Ständeversammlung, dieser offene
Quell der unbescheidensten Ansprüche, endlich geschlossen
werde. Daher wurde jetzt Metternich ermächtigt, nachzugehen,
vorausgesetzt, dass er vollkommen sicher sei, die leidige An
gelegenheit zu völligem Abschluss zu bringen. Man gab sich
mit einer runden Summe zufrieden, wofern dieselbe dem gleich-
komme, wozu die Stände verpflichtet seien; doch geschah dies
nur unter der ausdrücklichen Bedingung, dass von den Ständen
der Grundsatz fallen gelassen werde, demzufolge sie sich zur
Bezahlung der in Frage stehenden Subsides nicht für ver
pflichtet erachteten. Man wolle sich, hiess es, mit einer runden
Summe begnügen, aus Rücksicht auf die Verluste, welche Bra
bant in den letzten Jahren erlitten, verlange jedoch, dass die
Summe sofort bewilligt werde, da die Verlängerung der stän
dischen Verhandlungen aus den bereits angedeuteten Gründen
hintanzuhalten sei. Daher möge Metternich jenen Ständemit
gliedern, zu denen er in näheren Beziehungen stehe, als gehe
dies von ihm selbst aus, und in der Form freundschaftlichen
Vertrauens eröffnen, dass er bereits eine Depesche des Kaisers
erhalten habe, der zufolge die Stände sich binnen vierzehn Tagen
entscheiden müssten, da nach Ablauf dieser Frist die Versamm
lung geschlossen werden müsste, dass er aber hoffe, sie würden
es nicht darauf ankommen lassen, sondern schon früher zu einem
Beschlüsse kommen. 2
Inzwischen legten die Stände ihre Gegenvorschläge dem
Erzherzog durch den kaiserlichen Commissär Villegas vor. Auch
diese wurden gleich den früheren einer Begutachtung durch den
1 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 30 aout 1793. Entw.
2 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 2 septembre 1793. Orig. Vergl.
Thugut an Colloredo, le 22 aoüt 1793, hei Vivenot I, 32. Hievon wurde
Bischof Nelis von Antwerpen in Erwiderung eines vertraulichen Schrei
bens in Kenntniss gesetzt.
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794). 131
Conseil des finances unter Intervention der Staatsräthe unter
zogen. Die Stände hatten diesmal den Betrag von 4 auf 4y s Mil
lionen erhöht; die Zahlung sollte statt, wie früher angenommen
worden war, in vier, vielmehr in zwei Jahren, und zwar in drei
Terminen zu je acht Monaten erfolgen. Die Conferenz hielt diese
Proposition für annehmbar, vorausgesetzt, dass sich die Stände
zu einer entsprechenden Erhöhung der Summe um einen Be
trag herbeilassen würden, der zur Entschädigung der Privat
personen verwendet werden sollte. Man hielt es zugleich für
wünschenswerth, die Sache mit den beiden ersten Ständen so
bald wie möglich zum Abschlüsse zu bringen, da sonst zu be
sorgen stünde, dass es der Gegenpartei gelinge, den dritten
Stand, dessen Beitritt in Aussicht gestellt war, neuerdings um
zustimmen, und man bedauerte es daher lebhaft, dass man
nicht ohne vorausgehende Autorisation des Kaisers abschliessen
durfte. 1
Dass übrigens diese Autorisation fehlte, daran war in
erster Linie Metternich Schuld, der zwar über den Verlauf der
Verhandlungen seinem Hofe regelmässig berichtete, aber es
unterliess, die betreffenden Schriftstücke beizufügen, so dass
sogar der letzte Vorschlag der beiden ersten Stände seinem
Wortlaute nach dem Wiener Hofe unbekannt blieb. Bei alle
dem legte man auch in Wien auf den Abschluss der leidigen
Sache jetzt einen solchen Werth, dass das Gouvernement zu
demselben unter gewissen Voraussetzungen ermächtigt wurde.
Trauttmansdorff ging dabei von der Berechnung aus, dass sich
die Quote Brabants an der Entschädigungssumme, welche der
Tresor royal für sich in Anspruch nahm, und die Subsides der
Jahre 1791 und 1792 auf 3,924.000 Gulden beliefen, und dass
demnach von jener Summe von 4 1 / 2 Millionen, deren Bewilli
gung die Stände in Aussicht stellten, nur 576.000 Gulden zur
Entschädigung der Privatpersonen erübrigen würden, ein Be
trag, der für diesen Zweck nicht ausreichend sei. Es sollten
daher die Stände bewogen werden, die Summe von 4 1 / 2 Millio
nen um jenen Betrag zu erhöhen, der nach der Berechnung des
Gouvernements erforderlich sein würde, um nach Abzug jener
3,924.000 Gulden den Ansprüchen der Privatpersonen gerecht
1 Metternich an Trauttmansdoi'ff. Bruxelles, le 7 septembre 1793.
9*
132
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
zu werden, oder es sollten die Stände blos 3,924.000 Gulden be
willigen, hingegen die Entschädigung der Privatpersonen selbst
übernehmen. Da indess im letzteren Falle zu erwarten stand,
dass die Privatbetheiligten ganz exorbitante Forderungen stellen
würden, so schlug Trauttmansdorff vor, dass die Stände den ..
Betrag von 4,500.000 Gulden um eine entsprechende Summe er
höhen sollten, wogegen der Kaiser die Entschädigung der Privat
personen in der Art auf sich nehmen würde, dass, wenn auch
diese Summe zur zu leistenden Entschädigung nicht ausreiche,
der Mehrbetrag zu drei Viertel oder wenigstens zur Hälfte von
den Ständen zu decken sei. Doch bemerkte Trauttmansdorff
ausdrücklich, dass dieser letzte Vorschlag nur im äussersten
Falle gemacht, und dass ein auf demselben beruhendes Ueber-
einkommen nur sub spe rati geschlossen werden dürfe, nament
lich wenn sich die Stände nur zur Uebernalime der Hälfte jenes
Mehrerfordernisses bereit finden würden. Würde nun eine Ver
einbarung in der einen oder in der anderen Weise zustande
kommen, so sollte den Ständen zugleich die Wiedereinsetzung
der hohen Gerichtshöfe in Limburg in Aussicht gestellt werden.
Ja Metternich wurde für diesen Fall sogar ermächtigt, den '•>
Ständen ein Arrangement über die aufgehobenen Convente auf
dem Fusse, wie ein solches in Flandern und Namur damals
bereits erfolgt war, anzubieten, ihnen auch die beanspruchten
Abzüge an den rückständigen Subsides zuzugestehen, sie im
Besitze der 1790 bewilligten Auflagen zu lassen, die Liquidation
der Revolutionsschuld in Aussicht zu stellen, die Verlängerung
der bestehenden Lasten, namentlich der neuen Kopfsteuer auf
die Domestiken und die Abschaffung der Exemptionen, mit ge
ringen Ausnahmen zu bewilligen, ja vielleicht sogar ihnen zu ge
statten, durch eine bestimmte Reihe von Jahren den Ueberschuss
der Subsides und Impots für sich zu verwenden. Was dagegen
den Verzicht ,auf alle weiteren Forderungen' betreffe, wie den
selben die Stände verlangten, so sollte derselbe in dem Ueber-
einkommen entweder gar nicht erwähnt, oder es sollten diese
Forderungen ausdrücklich bezeichnet werden, damit nicht in ^
der Folge dieser Verzicht auf Dinge Anwendung finde, um die
es sich momentan gar nicht gehandelt habe.
Der neue Vorschlag der Stände bildete den Gegenstand
neuer Berathungen, an denen auch Le Clerc, der zu diesem
Belgien unter der Generalstatthaltcrscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
133
Ende eigens von Valenciennes, und der Finanzrath und Generai-
Civilcommissär Bartenstein, der aus dem Hauptquartiere berufen
wurde, theilnahmen. 1 Man modificirte die Vorschläge abermals
und theilte diese Modifikationen den zu diesem Zwecke in die
verstärkte Conferenz beschiedenen Deputirten der Stände mit.
Allein diese erklärten sofort, dass der dritte Stand den Entwurf
des Gouvernements nie annehmen werde. Dies galt namentlich
von zwei Abänderungsvorschlägen des Conseil des finances,
welche sich beide auf die Entschädigung der Privatpersonen be
zogen. Während nämlich nach dem Entwürfe der Stände der
Kaiser gegen die Bewilligung von 4% Millionen alle Entschä
digungsansprüche ohne Unterschied befriedigen sollte, hatte der
Conseil des finances den Vorschlag gemacht, dass der Kaiser
diesem Zwecke blos eine fixe Summe, etwa 1 oder 1% Millio
nen, zuwenden möge. Ausserdem sollten nach dem Entwürfe
des Conseils nur diejenigen entschädigt werden, die durch die
Insurrection Schaden erlitten hatten, während die Stände ausser
dem, und zwar in wenig passenden Ausdrücken eine Entschä
digung auch für jene in Anspruch nahmen, die durch Willkür-
^ acte des Gouvernements zu Schaden gekommen seien. Die
Deputirten erklärten, dass der dritte Stand nie eine Summe
bewilligen werde, die ausdrücklich zur Entschädigung der in
den letzten Unruhen Geschädigten beansprucht werde, und
dass die Zustimmung nur dann zu erreichen sei, wenn man
die Forderung allgemein fasse, da der dritte Stand im Ganzen
wohl gerne bereit sei, dem Souverän eine Geldsumme zu be
willigen, nicht aber jene zu entschädigen, die er als Landes
feinde erachte. Uebrigens sei der Gedanke einer Entschädigung
nicht von den Ständen, sondern von dem Gouvernement aus
gegangen; da aber derselbe nun einmal angeregt sei, so be
stehe der dritte Stand darauf, diejenigen nicht im Stiche zu
lassen, die von der anderen Seite misshandelt worden seien.
Die Deputirten fügten hinzu, dass es den letzteren nach der
Verfassung zustehe, gegen den Kaiser klagbar zu werden, der
sich zwar vertlieidigen, nicht aber der richterlichen Entschei
dung entziehen könne.
1 Derselben wohnten auch der Chef-Präsident Nieulant, der Schatzmeister
De Sandrouin und D’Aguilar bei.
134
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
Vergebens suchten die Mitglieder der Jointe diese An
sichten zu widerlegen. Man einigte sich endlich zu einer un
bestimmten Fassung, wonach alle jene entschädigt werden soll
ten, welche thatsächlich Verluste ,pour et k l’occasion des troubles*
erlitten hätten. Um den Kaiser gegen die Gefahr sicherzu
stellen, der er ausgesetzt wäre, falls er die Entschädigungen
sammt und sonders auf sich nähme und sodann die Summe
der letzteren etwa den ihm bewilligten Betrag überschreiten
würde, schlugen die Deputirten vor, dass die Entschädigung
nicht eher ausbezahlt werden möge, als bis alle Ansprüche
schiedsrichterlich festgestellt seien. Würde sich dabei ergeben,
dass die Gesammtheit der letzteren das absorbire, was dem
Kaiser zur Schadloshaltung bestimmt sei, so solle letzterer ge
richtlich darauf bestehen können, dass ihm bei der Auftheilung
der 4y a Millionen der proportioneile Antheil zugesichert werde.
Man sprach sodann von den ,Verfassungsverletzungen‘ (infrac-
tions), von denen in dem Entwürfe des Acte d’accord die Rede
war. Die Mitglieder der Regierung fanden an diesen Ausdrücken
umsomehr auszusetzen, als zwei Punkte, um die es sich dabei
handelte, entweder gegenstandslos geworden seien oder es dem
nächst sein würden: da nämlich die Haute cour von Limburg
thatsächlich wiederhergestellt, wenn auch noch nicht completirt
sei, da bezüglich der aufgehobenen Convente die Intentionen
des Kaisers bereits in mehreren Provinzen realisirt und auch
für Brabant kundgemacht worden seien, und da die Bildung
der Commission, von deren Thätiglceit jene Operation abhänge,
bereits im Zuge sei.
Nach Schluss der Jointe forderte Metternich die Mitglieder
des Gouvernements auf, sich über die Sache schriftlich zu
äussern. Auch der Conseil des finances erhielt den Auftrag,
unter Beiziehung der Staatsrätlie das neue Project des Acte
d’accord noch einmal auf Grund der Erklärungen der letzten
Jointe durchzuberathen. Alle diese Gutachten sendete diesmal
Metternich dem Hofe ein. Er selbst aber sprach sich, wie er
sagte, auf Grund der Wahrnehmungen aller derer, die der Con-
ferenz mit den Deputirten der Stände beigewohnt hatten, dahin
aus, dass man vergeblich versuchen werde, die zwei ersten
Stände zu weiteren Zugeständnissen zu bewegen. Eine Sache,
von der vielleicht die Ruhe des Landes während der ganzen
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794). 135
Regierung Sr. Majestät abhänge, dürfe man nicht lediglich vom
finanziellen Standpunkte betrachten. Auch der Erzherzog sei
dieser Meinung. Doch habe er (Metternich) nach den an ihn
ergangenen Weisungen es nicht auf sich nehmen können, auf
diesem Fusse abzuschliessen. Er bedauere dies umsomehr, als
gerade gegenwärtig die Stimmung des dritten Standes eine
günstige sei, während ein Aufschub von drei bis vier Wochen
leicht einen Umschwung hervorrufen könne. Eine rasche Er
ledigung wäre um so wünschenswerther gewesen, als man gegen
wärtig allgemein wünsche, dass die Inauguration am Tage der
heil. Theresia stattfinden möge, und als es wichtig sei, dass
diese Feier, die ein enges Band zwischen Herrscher und Volk
knüpfe, keinen Aufschub erleide, besonders in gegenwärtiger
Zeit, wo sich der französische Einfluss im Lande geltend zu
machen suche. Schliesslich beklagt sich Metternich noch über
die starre Unnachgiebigkeit des Conseil des finances gegen die
Stände, mit denen es jener auf einen Bruch ankommen lassen
zu wollen scheine, was den Intentionen Sr. Majestät nicht
entspreche, eine Unnachgiebigkeit, die dem Conseil vielleicht
zur Ehre gereichen würde, wenn sie nicht bei den meisten
seiner Mitglieder, wie D’Aguilär, Ransonnet und Duchesne,
der Ausfluss alter Vorurtheile und persönlicher Empfindlich
keit wäre.
Bei der Wichtigkeit des Gegenstandes legte denselben
Trauttmansdorff der Ministerconferenz zur Entscheidung vor. 1
Doch theilte er vorläufig bereits am 3. October dem belgischen
Minister seine eigenen Ansichten mit. Unter anderen Umständen,
meinte er, würde man wohl die Proposition der Stände mit In
dignation von sich gewiesen haben, doch heute müsse man sich
vielleicht der Demüthigung unterziehen, sie anzunehmen, um
ein grösseres Uebel zu vermeiden, aber zugleich sich auch ver
sichern, dass diese neue Schwäche nicht für die Zukunft un
selige Folgen habe. Er betrachte die Sache nicht lediglich'vom
finanziellen Standpunkte, denn so wichtig auch für den Augen
blick dem Staate alle seine Geldmittel seien, so meine er doch,
dass man diese erst in zweite Linie zu stellen habe, wo es sich
1 Es liegt im Staatsarchiv das eigenhändige Votum Rosenberg’s vom 12. Oc
tober vor; es lautet affirmativ.
136
YI. Abhandlung: v. Zeissberg.
um die Würde Sr. Majestät und darum handle, Principien
zu sanctioniren, die den seinigen offenbar entgegengesetzt, und
die daher nicht nur für den Augenblick, sondern auch in der
Folge dem Dienste nachtheilig seien.
Beklagenswertli sei es, dass Alles von dem Willen der
Stände abhängig gemacht werde, und dass, obgleich es sich
um ihre Pflicht handle, die einfache Behauptung, dass der
dritte Stand zu dem oder jenem sicher nicht seine Zustimmung
geben werde, selbst wenn die beiden ersten Stände dazu bereit
seien, genüge, um sich vor diesem Ausspruche wie vor einem
Gesetze zu beugen, und alles dies, nachdem den' Souverän so
viel für das Land gethan und nicht nur das gute Recht für
sich habe, sondern im äussersten Falle sogar Gewalt anzu
wenden berechtigt sei. Doch sei er überzeugt, dass selbst wenn
der Kaiser alle ihm gestellten Bedingungen annehme, er doch
in einem Punkte nicht nachgeben, sondern die auf die Entschä
digung bezüglichen Punktationen dahin werde abändern lassen,
dass er nicht verpflichtet sei, die zu entschädigen, die sich über
Verhaftungen oder andere militärische Massregeln beschwerten.
Denn es leuchte ein, welchen Missbrauch man damit treiben,
welch weites Feld man dadurch allen Arten von Reclamationen
erschliessen werde und wie ungünstig die richterlichen Entschei
dungen für Se. Majestät ausfallen müssten, nachdem man dar
auf gedrungen habe, dass alle Tribunale mit den Ständen er
gebenen Individuen besetzt würden. Trauttmansdorff schliesst
mit der Bemerkung: dass der Staatssecretär ganz richtig be
merkt habe, er spreche so zu Ende September 1793 und
würde anders gesprochen haben, wenn man noch zu Ende
März oder Anfangs April stünde. ,Das eben ist es,‘ ruft er
aus, ,daraus, dass man erst Ende September Dinge zum Ab
schluss bringt, die schon in den ersten Tagen des April er
ledigt werden sollten, resultirt all unser Unglück!' In einem
PostScript fügt er die Bemerkung bei, dass die Inauguration
nicht am Theresientage stattfinden könne. Das Benehmen der
Stände lasse nicht vermuthen, dass sie wirklich einen Werth
auf diese Ceremonie legen; wählte man den Namenstag der
Kaiserin, um ein Zeichen der Anhänglichkeit zu geben, so
habe man tausend andere Mittel, um dieselbe weit eindring
licher zu bezeigen. ,Sagen Sie/ schliesst er, ,jenen Herren, dass
Belgien unter der Genöralstattbaltcrschaft Erzherzog Carls (1793, 1794). 137
Se. Majestät keinen Werth aut’ die Formen, sondern auf die
Sache legt, um die es sich heute handelt/ 1
Am 14. October erfolgte die Entscheidung des Kaisers.
Se. Majestät, so lautete die betreffende Weisung, nehme die
Vorschläge der Stände von Brabant entgegen, doch unter cler aus
drücklichen Bedingung (sous la condition bien expresse), dass die
Installation des Kanzlers und die Bewilligung der Subsides für
die nächsten sechs Monate gleichzeitig vor sich gehe, da er von
seinem Entschlüsse bezüglich des ersten Punktes unbedingt
nicht abstehen wolle, und da er nicht zugeben könne, dass um
der Subsides willen in nächster Zeit eine neue Versammlung
stattfinde, auf der vielleicht neue Schwierigkeiten auftauchen
würden. Sobald Alles in gebührender Weise (düment et com-
plfetement) geschehen sei, doch unter keiner anderen Bedingung
dürfe die Inauguration vor sich gehen. 2
Gleichzeitig erhielt Metternich eine ostensible Depesche,
die den Ständen von Brabant bei erster sich darbietender Ge
legenheit verlesen werden sollte. Metternich werde aus derselben
ersehen, dass der Kaiser zwar die Propositionen der Stände an
nehme, dass er sich aber durch dieselben sehr verletzt fühle,
und daher wünsche, den Ständen den Unterschied deutlich zu
machen zwischen der Art, wie er sie, sei es in ihrer Gesammt-
heit, sei es im Einzelnen, zu behandeln gedenke, im Gegensätze
zu jenen Provinzen, mit denen er Ursache habe, zufrieden zu
sein. Der Minister möge Alles sorgfältig vermeiden, was den
Schein erwecken könnte, als ob diese Nachgiebigkeit eine Folge
von Schwäche sei. Er möge betonen, dass der Kaiser von Pro
positionen über Gegenstände einfacher Pflicht überhaupt nicht
habe reden hören wollen, namentlich nicht von den vorliegen
den, dass es daher sehr schwer gefallen sei, von seinem guten
Herzen und seiner äussersten Güte das zu erlangen, was zu
verweigern ihm eigentlich seine Würde und sein Gerechtig
keitsgefühl gebiete. Dem Minister selbst verhehlte Trauttmans-
dorff nicht, dass der Kaiser gegenüber dem, was derselbe stets
in Aussicht gestellt habe, und was er nach so vielen dem Lande
gebrachten Opfern erwarten durfte, sehr enttäuscht sei. Sei doch
1 Trauttmansdorff au Metternich. Vienne, le 3 octobre 1793. Orig.
2 Trauttmansdorff an den Kaiser. Vienne, le 14 decembre 1793. Orig.
138
VI. Abhandlung: v. Z e i s s b e r g.
nicht einmal das Princip gerettet worden, dass nämlich die
Zahlung rückständiger Subsides eine Pflicht sei, da die Acte de
consentement blos besage: ,Que, vu les depenses de la guerre
etc., on accordait un don extraordinaire de D/g millions/ 1
An den Erzherzog aber richtete der Kaiser aus diesem
Anlasse ein Schreiben, worin es hiess: ,Ich habe diesen Schritt
gewiss als schlecht, jedoch als nothwendig in diesem Augen
blicke betrachtet, weil er der einzige war, um herauszukommen.
Nun steht der Erfolg noch zu erwarten, und ich soll mir
schmeicheln, dass er gut sein wird. Ich bitte Dich, sobald die
Sache entschieden ist, sogleich die Inauguration zu halten und
mir sodann auf das Eiligste einen Courier mit der Nachricht
davon abzuschicken, weil ich mich dann sogleich auf den Weg
setze, um zu Dir zu kommen, da ich es nicht eher thun will,
um mich nicht vielleicht im Falle zu finden, mich gegen die
Stände compromittiren zu müssen. Eine Hauptklage habe ich
gegen Euer Gouvernement, wovon Du zu Deiner grössten Ehre
eine Ausnahme machest, das ist die abscheuliche Nachgiebig
keit auch in Gelegenheiten, wo man das offenbare Recht für
sich hat/ 2
6
Indess sollte bald auch der Erzherzog keine Ausnahme
von denen machen, die unter den gegebenen Umständen Vor
sicht und Mässigung empfahlen. Derselbe legte die soeben er
wähnten Weisungen der Conferenz 3 zur Beratliung vor, wobei
zunächst der Ausdruck ,sous la condition bien expresse‘ zu
längerer Discussion Anlass bot. Derselbe konnte dahin gedeutet
werden, dass der Annahme des die 4 1 / 2 Millionen betreffenden
Anerbietens die Bewilligung der Subsides und der Impots des
nächsten Termines und die Installation des Kanzlers voran
gehen müsse, er konnte aber auch ein Befehl für das Gouverne
ment sein, auf diesen beiden Punkten nachdrücklich zu bestehen.
1 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 14 octobre 1793. Orig.
2 Franz II. an Erzherzog Carl. Wien, den 16. October 1793. Orig. eig.
A.-A.
3 Der Conferenz wurden auch Nieulant, De Sandrouin und Du Itieux bei
gezogen, von welchen der letztere anfangs Bedenken trug, zu erscheinen,
da er in Brabant ohne eigentliche Anstellung sei, zuletzt aber dem wieder
holten Drängen des Erzherzogs sich fügte. Erzherzog Carl an den Kaiser.
Brüssel, den 26. October 1793. Orig. eig.
Belgien unter der Genernlstatthaltersehaft Erzherzog Carls (1798, 1794). 139
Jenes schien der Jointe unausführbar oder doch höchst bedenk
lich, und man neigte daher einstimmig der Deutung zu, dass zur
Inauguration nicht geschritten werden sollte, bevor nicht die
erwähnten Gegenstände erledigt seien.
Und nun ging man zur Berathung der einzelnen Punkte
über. Man glaubte im Sinne der Depeschen zu handeln, wenn
man vor Allem den Acte d’acceptation bezüglich der bewillig
ten 4*/ 2 Millionen, und zwar ,purement et simplement', 1 den
beiden ersten Ständen mittheile und zugleich durch den könig
lichen Commissär die Proposition bezüglich der Impots und der
Subsides einbringe, von denen jene mit 1. December begannen
und sich auf das nächste Halbjahr bezogen, die Subsides und
der Unterhalt des Hofes aber vom 1. Januar 1794 an zu be
rechnen waren. Ganz entschieden, und gewiss mit vollem Rechte,
sprach sich jedoch die Jointe dagegen aus, dass der Minister,
wie es die betreffende Weisung vorschrieb, die ostensible De
pesche einer Deputation der Stände vorlese. In einem Augen
blicke, wo man besorgen müsse, dass die Franzosen ihre Drohun
gen bezüglich dieses Landes verwirklichen könnten, wo die
Yerproviantirung der Armee so schwierig sei, wo es auch im
Innern nicht an Wühlereien seitens der Anhänger des französi
schen Systems fehle, schien es bedenklich, durch die Verlesung
eines derartigen Schriftstückes unnützer Weise die Gemüther
dem Kaiser zu entfremden. Das grösste Opfer, das dieser dem
Lande bringe, sei, meinte die Jointe, dass er die Propositionen
der Stände angenommen habe; die Motive, die ihn dazu be
stimmten, müssten ihn auch bestimmen, dies in gnädiger Weise
zu thun, da man sonst bei den Ständen, ja selbst bei dem
Volke den günstigen Eindruck, den die Entschliessung des
Kaisers hervorrufe, zerstöre. Dazu komme, dass man bezüglich
der Subsides, Impots, Don gratuits, freiwilligen Spenden, An
lehen u. dergl. auf den guten Willen der Stände und der diesen
der Mehrzahl nach ergebenen Bewohner des Landes angewiesen
sei. Angesichts dieser ,dem Wiener Hofe unzweifelhaft unbekann
ten Verhältnisse' einigte man sich dahin, dass der Minister den
Ständen blos gesprächsweise und als lediglich von ihm aus
gehend, doch als eine ihm bekannte, notorische Thatsache
1 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 26. October 1793. Orig. eig.
140
VI. Abhandlung: v. Zeissborg.
mittheilen möge, was in jener ostensiblen Depesche enthal
ten sei.
Von denselben Gesichtspunkten ging die Jointe bezüglich
der Installation des Kanzlers aus. Das Recht des Kaisers in
der Sache sei unanfechtbar und bisher auch nicht von den
Ständen angefochten worden. Mache man nun die Installation <
zu einer Bedingung, so anerkenne man damit, dass die Stände
in der Sache mitzureden hätten und gebe einem Ansprüche
derselben für künftige Fälle Raum. Es sei daher vorzuziehen,
in dieser Beziehung keinen Schritt bei den Ständen zu thun,
sondern Van Velde einfach zu installiren, und zwar noch vor
der Inauguration. Würden sich die Stände deshalb an den Erz
herzog oder den Minister wenden, so sei ihnen zu erklären,
dass Se. Majestät von einem ihm unzweifelhaft zustehenden
Rechte Gebrauch gemacht habe, dass der Kanzler sich den
Ständen zur Eidesleistung vorstellen und dass, wenn sie gegen
dessen Eignung etwas einzuwenden hätten, der competente
Richter darüber entscheiden werde.
Neuerdings sprach man sich für die Vertagung der Kanzler
frage aus, bis der dritte Stand seine Zustimmung zu den Be-
Schlüssen der beiden ersten Stände ertheilt haben werde. Auch
die Inauguration sollte erst dann erfolgen, wenn alles Uebrige
erledigt sei. 1
Der Erzherzog stimmte diesen Vorschlägen zu. Sehr offen
sprach er sich hierüber gegen den Kaiser aus. ,Propositionen
von ihnen (den Ständen) annehmen/ meinte er, ,und ihnen in
dem nämlichen Augenblicke in den härtesten, gröbsten Aus
drücken über eben diese Propositionen schreiben, heisst ihnen
sagen: Ich nehme Eure Propositionen an, weil ich es nicht
anders thun kann, weil ich Geld brauche, allein ich hasse
Euch, ich verabscheue Euch, und nie werde ich Euch ver
zeihen, mich dahin gebracht zu haben, Euren Vorschlag anzu
nehmen. Diese Sprache ist weder der Politik, noch der Würde
gemäss, welche in allem demjenigen, so von Dir oder Deinem
Ministerium kommt, vorherrschen muss.' 2
1 Jointe tenue chez S. A. R., le 23 octobre 1793. Erzherzog Carl an den
Kaiser. Brüssel, den 26. October 1793. Orig. eig.
2 Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 26. October 1793. Orig. eig.
Belgien unter der Generalstutthalterschaffc Erzherzog Carls (1793, 1794).
141
Metternich bescliiod eine Deputation der Stände zu sieh
und theilte derselben in der von der Jointe vereinbarten Weise
die Entschliessung des Kaisers mit. Wie immer, ergingen sich
die Deputirten in feierlichen Versicherungen ihrer Loyalität,
. stellten auch die prompte Bewilligung der nächstfälligen Sub-
sides und Impots in Aussicht, berührten jedoch die Kanzler
frage nicht, obgleich sie, wie wenigstens Metternich meinte,
eine Stelle seiner Ansprache auf diese Frage bezogen. Man
kam zuletzt überein, dass die Stände am 29. October wieder
zusammentreten und der kaiserliche Commissär denselben den
Acte d’accord betreffs der 4 x / 2 Millionen einhändigen, gleichzeitig
aber die Petition bezüglich der Subsides und Impots stellen,
sowie auch die Verification der Vollmachten des Erzherzogs
für die Inauguration bereinigen sollte. 1
Am 31. October fand sich neuerdings eine Deputation der
Stände bei dem Minister ein. Es handelte sich diesmal nicht
unmittelbar um die schwebende Frage, sondern um eine jener
,Verfassungs Verletzungen 4 (infractions), von denen im Verlaufe
der Verhandlungen öfters die Rede gewesen war, nämlich um
die Verhaftungen des Jahres 1791. Die Deputirten beklagten
sich darüber, dass man sich damals über Art. 1 der Joyeuse
entree, wonach jeder Brabangon nur ,par droit et seilten ce 4 be
handelt werden solle, mittelst des Art. 55 derselben Handveste
hinweggesetzt habe. Daher verlangten die Stände, dass anläss
lich der bevorstehenden Inauguration seitens der Regierung
folgende Declaration abgegeben werde: ,que le premier article
sera maintenu et observd ä tous egards, sans aucune exception,
et sans qu’il sera permis, sous pretcxte de l’article 55 ou sous
tout autre pretexte, de traiter qui que ce soit autrement que
par droit et sentence, conformement h ce premier article 4 . Sie
beriefen sich unter Anderem darauf, dass auch bei der In
auguration Kaiser Leopolds II. eine ähnliche Declaration be
züglich der Convention vom Haag erfolgt sei. Als Metternich
erwiderte, dass der Kaiser die Deutung eines Artikels der
Joyeuse entree nicht zugeben werde, da er lediglich an dem
Stande der Dinge zu Ende der Regierung Maria Theresias fest
zuhalten gedenke, erklärten die Deputirten sich mit einer blossen
1 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 29 octobre 1793. Orig.
142
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
,Depesche' (d. i. eine Erklärung des Gouvernements) ähnlichen
Inhaltes zufriedenstellen zu wollen, diese sei aber um so notli-
wendiger, als man das Misstrauen der Doyens zerstreuen müsse,
von denen einige bereits die Bemerkung fallen Hessen, dass,
wenn man hierüber keinen beruhigenden Aufschluss geben wolle,
dies lediglich deshalb geschehe, weil man vorkommenden Falles
wieder ähnliche Verhaftungen wie 1791 vorzunehmen gedenke.
Die Deputirten gaben nicht nach, bis endlich Metternich ver
sprach, den Erzherzog zur Ausstellung der gewünschten De
pesche bewegen zu wollen. 1
Wirklich Hess sich der Erzherzog zur Ausfertigung einer
derartigen Depesche herbei. Doch befriedigte sie die Stände
anfangs nicht, da in derselben von den Fällen, in denen trotz
dem MiHtärgewalt würde angewendet werden müssen, die Rede
war. Neuerdings betheuerten die Deputirten, dass ihre Sorge
lediglich auf die Beruhigung des durch Agitatoren, ja selbst
französische Emissäre aufgeregten dritten Standes gerichtet
sei. Man müsse das Volk über den wahren Stand der Dinge
belehren, nicht nur das Landvolk, sondern auch die Bourgeoisie,
und deshalb in jener Depesche ausser den Artikeln 1 und 55 auch
die bereits getroffenen Vereinbarungen namhaft machen, mit der
ausdrücklichen Bemerkung, dass deren Inslebentreten von der
Zustimmung des dritten Standes abhängig sei. In der That
wurde mit Zustimmung des Erzherzogs die Depesche in diesem
Sinne umgeformt und am 15. November publicirt. 2
Die Depesche begann mit der Erklärung, dass jene bei
den Artikeln ,einzeln oder im Ganzen genommen' zu deutlich
seien, um einer Erläuterung zu bedürfen, und dass folglich er
(der Erzherzog) blos versichern könne, ,dass diese Artikel pünkt
lich und redlich sowie der ganze Inhalt der Joyeuse entree
beobachtet werden sollen'. Dafür seien die Billigkeit und Ge
rechtigkeit Sr. Majestät sichere Bürgen. Se. Majestät habe da
von die überzeugendsten Beweise letzthin gegeben, da auf die
Einwilligung der zwei ersten Stände zur Erhebung einer Summe
1 Note de ce qui s’est passd dans l’audience que S. E. a donnee aux de-
putds des Etats de Brabant, le 31 octobre 1793.
2 Metternich an Trauttmansdorff, Bruxelles, le 16 novembre 1793. Orig. Erz
herzog Carl an den Kaiser, den 17. November 1793. Orig. eig.
Belgien unter der Generalstatthalterschnft Erzherzog Carls (1793, 1794). 143
von 4 1 / 2 Millionen Se. Majestät erklärten, dass die erste der
drei Raten dieser Summe nicht eher bezahlt werden solle, als
bis die Verletzungen der Constitution, die unter den vorigen
Regierungen durch die Aufhebung der Klöster und der geist
lichen Gemeinden, sowie durch die Errichtung des Conseils von
Limburg geschehen seien, gänzlich gutgemacht und wenigstens
in diesem Punkte befriedigende Ausgleichungen mit den Stän
den getroffen sein würden. Auch habe Se. Majestät, von dem
Wunsche geleitet, Alles, was an die Unruhen der Jahre 1789
bis 1790 erinnere, in Vergessenheit zu bringen, die Erklärung
beigefügt, dass mittelst jener Summe alle seit dem 1. Januar
1787 eröffneten Forderungen und Ansprüche als erfüllt ange
sehen sein sollten und er es auf sich nehme, aus dieser Summe
nach der Entscheidung einer zu diesem Ende mit gemeinschaft
lichem Einverständnisse zu ernennenden Commission alle die
jenigen, welche für und wegen besagter Unruhen ungerechter
Weise einen wesentlichen Verlust erlitten, auf billige Art zu
entschädigen. Ueberdies habe Se. Majestät erklärt, dass ver
mittelst dieser Geldbewilligung der Betrag der öffentlichen Ab
gaben, welche durch die Stände im Jahre 1790 zugestanden
worden seien, zum Besten der Provinz verbleiben, und dass die
wegen oder bei Gelegenheit der erwähnten Unruhen contrahirten
Schulden genehmigt und als Lasten der Provinz angesehen
werden sollten, Verfügungen, die in volle Wirksamkeit treten
würden, sobald der dritte Stand der Geldbewilligung der zwei
ersten Stände beigetreten sein werde. Auch habe der Kaiser
die unter den verschiedenen Provinzen eröffnete Liquidirung
der während und anlässlich der Unruhen contrahirten Schulden
nicht aus dem Auge verloren und erklärt, dass diese Liqui
dirung unverzüglich wieder vorgenommen und beendigt werden
solle. Endlich folgte die Erklärung, dass die Haager Convention
vom 10. December 1790 und deren Ratification, die am 19. März
1791 in Brabant publicirt worden sei, der Joyeuse entree nicht
zum Nachtheile gereichen solle, dass vielmehr diese in ihrem
vollen Umfange zu gelten habe, ,wie weiland die Kaiserin
Maria Theresia und ihre durchlauchtigsten Vorgänger sie be
schworen haben'. 1
1 Wiener Zeitung 3494 ff. Duller 166.
144
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
Diese Depesche wurde am 15. den versammelten Ständen
mitgetheilt, die es übernahmen, das Schriftstück in beiden Lan
dessprachen in einer grossen Anzahl von Exemplaren zu ver
breiten. 1
Die Depesche, die von Manchen als eine Erneuerung der
Joyeuse entree gedeutet wurde, gab in Brüssel zu allerlei Ova
tionen Anlass. So wurde am 17. November dem kürzlich erst
genesenen Erzherzog ein Ständchen gebracht und ihm zu Ehren
eine Komödie von Bonnoir aufgeführt, allerdings eine taktlose
Plattheit — wollte man doch sogar in derselben den Erzherzog
krönen, der sich dies ausdrücklich verbat — die, wie Delmotte
erzählt, von der Frau des Ministers und den Leuten ihrer Anti-
chambre veranlasst und von Warnsdorff approbirt worden war,
und für die der Erzherzog nachträglich noch 40 Louis den
Veranstaltern des Festes, Van Schorell und Genossen, bezahlen
musste. Am nächsten Sonntag (24. November) gaben die Doyens
aus Anlass der ,wiederverliehenen Verfassung' den sogenannten
,Capons du rivage' ein Fest gegenüber dem Ministerhotel, bei
dem Schinken, Wein und Bier unter die Menge vertheilt wurde.
Löblicher war es, dass sich eine Gesellschaft von Bürgern bil
dete, um Unterschriften für die Errichtung von Militärhospitälern
zu sammeln. 2
Gab sich in Brüssel die Befriedigung über den politischen
Erfolg in derartigen Bezeigungen kund, so machten diese Nach
richten in Wien gerade den entgegengesetzten Eindruck. Schon
die Verlautbarung, dass es Metternich unterlassen habe, den
Ständen durch Verlesung jener officiellen Depesche eine, wie
man meinte, heilsame Lection zu ertheilen, rief nicht nur den
Unwillen der Minister, in deren Conferenz dieselbe festgestellt
worden wai’, sondern auch des Kaisers hervor, der aus diesem
Anlasse bemerkte, es sei überhaupt unnütz, Anordnungen zu
treffen, wenn man sich herausnehme, zu gehorchen, nur wie und
wann es beliebe. 3
1 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 16 novembre 1793. Orig.
Erzherzog Carl an den Kaiser. Brüssel, den 17. November 1793. Orig.
2 Delmotte an Maria Christine. Bruxelles, le 26 novembre 1793. Orig. eig.
A.-A.
3 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 5 novembre 1793. Orig.
Belgien unter der Generalstatthalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794). 145
Noch ungünstigere Beurtheilung fand jedoch die Depesche
vom 15. November. Einstimmig war man zunächst der Meinung,
dass dieselbe desavouirt, und dass für die Folge der Wieder
kehr einer ähnlichen, ohne ausdrückliche Genehmigung des
Kaisers erfolgten Entscheidung v'orgebeugt werden müsse. Na
mentlich beschwerte sich Thugut, dass in der Depesche auf
die Convention vom Haag Bezug genommen worden sei. Die
Depesche selbst wurde als gleich schädlich bezeichnet, ob nun
die Stände dieselbe zu ihren Gunsten deuten, worauf die Freude,
mit der man sie begrüsst habe, hinzuweisen scheine, oder ob
sich dieselben in ihren Erwartungen getäuscht finden und daher
das Gouvernement nachträglich der Falschheit beschuldigen
würden, schädlich auch im Hinblick auf die anderen Provinzen,
die mit Recht sich für nicht minder befugt erachten würden,
neue Zugeständnisse, im Gegensätze zu den feststehenden Prin-
cipien, zu erzwingen. Der Kaiser liess dem Minister seine Miss
billigung zu erkennen geben, dass er gethan, was bisher kein
Generalstatthalter oder Minister über sich zu nehmen gewagt
habe, Entscheidungen zu treffen, denen so oft wiederholte Be
fehle des Souveräns bestimmt gegenüberständen, und Fuhda-
mentalgesetzen eine Auslegung zu geben, die in der falschen
Deutung, die man ihr gebe, das öffentliche Recht zu erschüttern
geeignet sei. 1 Der Kaiser sah von einem formellen Desaveu der
Depesche in Anbetracht der Folgen ab, die daraus erwachsen
könnten; dagegen sollte Metternich keine Gelegenheit versäu
men, um den Ständen im Namen des Kaisers zu erklären:
,dass, da er an Buchstabe und Sinn der Joyeuse entree, so wie
dieselbe zur Zeit Maria Theresias bestanden habe, nichts ge
ändert wissen wolle, die Depesche vom 15. November ihm
wenigstens überflüssig erschienen sei, dass er dieselbe wohl be
stehen lassen wolle, dass er aber nicht zugeben werde, dass
dieselbe etwa bei der bevorstehenden Inauguration als Inter
pretation oder Zusatz der Joyeuse entree beigefügt werde, dass
die Artikel 1 und 55 der letzteren klar seien, dass er nichts
gegen die legitime Freiheit der Bürger unternehmen, dass er
aber auch weder für sich, noch für seine Nachfolger auf jene
Mittel verzichten wolle, welche der zweite Passus des Art. 55
1 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 26 novembre 1793. Orig.
Sitzungsber. d. pliil.-liist. CI. CXXVIII. Bd. 6. Abb. 10
146
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
dem Souverän einräume, um Excesse Uebelgesinnter zu ver
hüten.' Ausdrücklich fügt Trauttmansdorff hei, dass der Kaiser
in diesem Falle die Ausführung seines positiven Befehles nicht
dem Ermessen des Ministers anheimstelle, sondern dass diese
Befehle auch dann auszuführen seien, wenn etwa Metternich
anderer Ansicht sein sollte. 1
Der Erzherzog aber wurde im Namen des Kaisers officicll
aufgefordert, in Zukunft sich derartigen Suggestionen von Seiten
der Conferenz, wie des Ministers in all den Fällen, wo ein Ver
zug möglich sei, zu versagen und von den ihm zustehenden
Vollmachten nach eigener Ueberzeugung Gebrauch zu machen; 3
,da,' wie der Kaiser in einem vertraulichen Schreiben an seinen
Bruder bemerkt, ,ich oft gesehen, dass Deine Meinung viel
besser als jene aller Uebrigen gewesen und der Dienst dabei
gewonnen, wenn man sie befolgt hätte.' 3
Wenn nun auch sowohl der Erzherzog als auch Metter
nich ihr Vorgehen nochmals ins richtige Licht zu setzen such
ten, 4 so hielt man in Wien doch an dem einmal gewählten
Standpunkte fest; 6 ja auf die Erwiderung Metternich’s erfolgte
sogar eine scharfe Replik, 6 welcher die Thatsache ein gewisses
Relief verlieh, dass in einer Repräsentation der neun Nationen
an den Brüsseler Magistrat, die zu Anfang December in Druck
erschien, die Depesche vom 15. November als das offene Ein-
geständniss vorgefallener Verfassungsverletzungen gedeutet und
als die einzige Garantie der Beobachtung der Verfassung be
zeichnet wurde. 7 Dem gegenüber durfte sich aber andererseits
das Brüsseler Gouvernement eines Erfolges rühmen, der durch
die Depesche vom 15. November veranlasst zu sein schien.
Allerdings war wieder ein voller Monat dahingegangen,
ehe man die Zustimmung des dritten Standes zu den mit den
1 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 27 novembre 1793. Orig.
2 Der Kaiser an Erzherzog Carl. Vienne, le 29 novembre 1793. Orig, officiell.
s Der Kaiser an Erzherzog Carl. Wien, den 27. November 1793. Orig. eig.
A.-A.
4 Erzherzog Carl an den Kaiser. Bruxelles, le 15 däcembre 1793. Entw.
Müller’s. Derselbe an denselben. Brüssel, den 17. December 1793. Orig.
eig. Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 16 decembre 1793.
s Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 27 d<5cembre 1793. Orig.
6 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 29 ddeembre 1793. Orig.
7 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 5 ddeembre 1793. Reserve.
147
Belgien unter der Generalstatfcbalterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
beiden ersten Ständen erzielten Vereinbarungen zu erlangen
vermochte. Musste doch zuvor die Zustimmung all der ein
zelnen Corps und Metiers eingeholt werden, aus denen sich
die drei Chefs - villes, d. i. der dritte Stand, zusammensetzte. 1
Endlich aber, zu Anfang Dccember, konnte Metternich melden,
dass diese Zustimmung, freilich nur theilweise, erfolgt sei. Löwen
und Brüssel zeigten sich dabei von seltenem Eifer erfüllt. Zu
Löwen geschah es zum ersten Male, dass sich keine Stimme
gegen irgend eine der Propositionen vernehmen liess, einstim
mig erklärten vielmehr die Bürger, dass entsprechend der edlen
Handlungsweise des Kaisers an der vollständigen Zustimmung
kein Zweifel bestehe. Länger zögerte man in Antwerpen; drei
von den vier Mitgliedern dieser Stadt stimmten zwar sofort den
drei Propositionen, die ihnen gemacht wurden, bezüglich der
4 x / 2 Millionen, bezüglich der Inauguration und bezüglich der
Impots vom 1. December 1. J. bei, aber auch diesmal waren
es, wie so oft in früherer Zeit, die Doyens, welche erst nach
längerem Bedenken ihre Zustimmung gaben. Diese Stimmung
war auch der Grund, weshalb der Bürgermeister von Ant
werpen, Graf Baillet, zunächst nur diese drei Punkte zur Ab
stimmung brachte, während die Zustimmung zu den Subsides
für den Kaiser und den Erzherzog erst später eingeholt werden
sollte, zumal es auch sonst Sitte war, dass der dritte Stand erst
in der im März oder April des folgenden Jahres stattfindenden
Versammlung seine Zustimmung zu den schon zuvor von den
beiden ersten Ständen bewilligten Subsides ertheilte. Nur Brüssel
hatte diesmal eine Ausnahme von der Regel gemacht und schon
jetzt auch zur Subside seine Zustimmung ertheilt. Die formelle
Zustimmung aller drei Stände zu der Entschädigung von
4 1 / 2 Millionen ist im Januar 1794 erfolgt. 2
XII. Ende des Kanzlerstreites.
Und nun war noch die heikelste Frage zu erledigen: die
Einführung Van Velde’s als Kanzler von Brabant. In dieser
Frage hatte mittlerweile auch Nelis, der Bischof von Antwerpen,
1 Vergl. Gachard, Memoire sur la composition et les attributions des an-
ciens Etats de Brabant. 1. c. pag. 17.
2 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 13 janvier 1794. Orig.
10*
148
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
seine Stimme vernehmen lassen. Er bezeichnete fünf Personen
als Candidaten um den zu besetzenden Posten: den früheren
Kanzler Crumpipen, Van Velde, De Villegas, der als Doyen
des Conseils thatsächlich die Functionen des Kanzlers ausübte,
D’Overschies, der im Volke vor Allem beliebt sei, und De
Jonghe, den Pensionär und Greffier der Stände. ,Er gibt sich
zwar den Anschein, als wünsche er die Stelle nicht; aber es
soll sich damit verhalten wie mit dem Fuchs in der Fabel/
An sich, meint Nelis, sei es gleichgiltig, ob und welchen von
ihnen der Kaiser die Siegel von Brabant anvertraue. Er selbst
weist auf den einstigen Conseiller am Conseil von Brabant,
jetzt Mitglied des geheimen Rathes, Bartenstein oder auf Ro-
biano hin, der selbst früher Mitglied jenes Conseils gewesen,
nunmehr Conferenzrath und Sohn eines Kanzlers sei. ,Man hat
ihn/ sagt er von Robiano, ,vom Lande geholt, wohin er sich,
ein anderer Cincinnatus, an den Pflug zurückgezogen hatte. Er
wäre vielleicht im Stande den gordischen Knoten zu lösen. Man
könnte Van Velde durch Ernennung zum Staatsrathe entschä
digen/ , Auf jeden Fall/ schliesst Nelis sein Schreiben an Trautt-
mansdorff, ,hoffe ich, dass Eure Excellenz nicht zugeben wer
den, dass man diesen unseligen Zankapfel auf die unglücklichen
Gefilde Belgiens wirft, ehe nicht die anderen Angelegenheiten
erledigt sind, oder vor Ihrer Ankunft, mit der wir uns seit eini
ger Zeit schmeicheln. . . . Van Velde ist ein Mann voll Ver
dienst und Rechtschaffenheit; ich kenne ihn seit langer Zeit,
ihn und seine Familie. Ich wünschte, sein Bruder würde Bi
schof von Ruremonde; aber bei alledem ist der Vicekanzler
keiner der Männer, die ein Cardinal Mazarin angestellt hätte,
denn er ist nicht glücklich, und man bedarf glücklicher Männer,
um mit Erfolg dem Staat und dem Fürsten zu dienen/ 1
Seit dem Zeitpunkte, zu welchem Van Velde die Zulassung
zur Eidesleistung als Kanzler von Brabant in ,nahe‘ Aussicht
gestellt worden war, waren drei Monate verstrichen, ohne dass
in dieser Sache auch nur das Geringste geschah. Man wartete
eben die Zustimmung der Stände zu den Subsides und Impots
ab. Als am 26. October Van Velde sich bei dem Erzherzoge
1 Bischof Nelis von Antwerpen an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 9 septem-
bre 1793. Gachard, Analectes I—IV, 503 ff.
Belgien unter der Generalstattlialterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794). 149
einfand, vertröstete ihn dieser auf die Zukunft. 1 Jetzt aber,
nachdem die drei Stände von Brabant (am 26. November) ihre
Zustimmung bezüglich der Subsides und der Inauguration er-
theilt, demnach das früher geltend gemachte Bedenken der
Eidesleistung nicht mehr im Wege zu stehen schien, meldete
sich Yan Velde neuerdings (29. November) bei dem Erzher
zoge an. 2
,Er kam/ erzählt Erzherzog Carl selbst, ,um sich zu er
kundigen, wann seine Beeidigung stattfinden werde. Ich er
widerte, dass ich ihm darüber noch nichts Sicheres sagen
könnte, da die Unterhandlungen mit den Ständen noch fort
dauerten, dass es vielleicht gelingen werde, alle Schwierigkeiten
zu ebnen, dass jedoch, wenn die Stände sich trotzdem seiner
Installation widersetzten, die Sache gerichtlich würde ausge
tragen werden müssen. Er bedauerte unendlich, noch nicht den
Vorsitz in seiner Körperschaft führen und keinen Einfluss auf
die neuen Ernennungen üben zu können. Ich sagte, er werde
wohl fühlen, wie ungelegen uns diese Sache sei und wie miss
lich, wenn sie die Inauguration verzögerte. Er betheuerte, dass
ihn nur Gehorsam gegen seinen Souverän leite, und dass, wenn
er wüsste, dass sein Benehmen dem Gouvernement Verlegen
heiten bereite, oder dass Se. Majestät der Kaiser oder ich
wünschte, dass er auf seinen Posten verzichte, er dies mit dem
selben Gehorsam thun würde, mit welchem er denselben an
genommen habe. Ich antwortete, dass Se. Majestät von seiner
Ernennung nie abstehen könne und wolle, dass er übrigens
selbst die betreffenden Befehle und Intentionen des Kaisers
kenne, die ich ihm vor einem Monate mitgetheilt hätte. Wir
schieden von einander, er mit der Bitte, man möge also die
Sache zu Ende führen, ich mit der Versicherung, dass man
sich damit gewiss beschäftigen werde/ 3 Wenige Tage darnach
kam Van Velde abermals zu dem Erzherzog mit einer schrift
lichen Eingabe, welche sich ebenfalls auf diesen Gegenstand
bezog.
1 Erzherzog Carl au den Kaiser. Brüssel, den 26. October 1793.
Orig. eig.
2 Van Velde an Erzherzog Carl. Bruxelles, le 4 decembre 1791. Orig. eig.
3 Erzherzog Carl an Müller, le 29 novembre 1793. A.-A.
150
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
,Obgleich ich ihm zweimal sagte/ bemerkt der Erzher
zog, ,er müsse wohl begreifen, wie sehr seine Angelegenheit
das Gouvernement in Verlegenheit setze, wollte er mich nicht
verstehen und beharrte dabei, dass die Stände sich seiner Eides
leistung nicht widersetzen würden/
Auch der Erzherzog wurde jetzt, wie man aus diesem
Schreiben ersieht, bedenklich; er besorgte, dass es über die
Sache zu einem Processe am Conseil von Brabant kommen und
dieser nach den Formen des belgischen Rechtes Jahre lang
dauern werde. Besonders aber ging es ihm nahe, dass um
dieser Angelegenheit willen die damals bereits angekündigte
Reise des Kaisers nach Belgien verschoben werden sollte, auf
die er hohen Werth legen zu müssen glaubte.
/Wäre Van Velde nicht schon benennt/ schrieb er an den
Kaiser, ,und folglich Deine Würde nicht dabei compromittirt,
so würde ich Dir rathen, einen Anderen zu nennen; allein in
dem Falle, in dem wir uns jetzt befinden, und wenn Van Velde
nicht selbst seine Stelle niederlegen will, was er nicht zu thun
gesinnt scheint, so bleibt nicht Anderes übrig, als auf dieser
Benennung zu bestehen. Allein ich unterlege es Deiner Ein
sicht; denn Du siehst gewiss die Sache am besten ein und bist
am meisten im Stande, ein gegründetes Urtheil darüber zu
fällen, ob, da Deine Reise so wichtig und so höchst nöthig ist,
Du Dich über diese Sache hinaussetzen und ohngeachtet dem
hieher kommen könntest. Vielleicht würde Deine Ankunft hier
die Sache entscheiden, und sollte sie es auch nicht, so könntest
Du Dich ja, wenn Du auch den Brabantern [Deine Unzufrie
denheit] über ihre Aufführung zeigen wolltest, in einer anderen
Provinz, in einer anderen Stadt so lange aufhalten, bis die noch
bestehenden Difficultäten würden gehoben sein/ 1
Erzherzog Carl, Mercy und Metternich waren jetzt im
Grunde derselben Ansicht, die dahin ging, dass die Kanzler
frage von der Inauguration getrennt, jedesfalls aber die Reise
des Kaisers nicht von derselben abhängig gemacht werden
möge. Metternich aber fasste alle Bedenken, die sich der Ver
eidung Van Velde’s entgegenstellten, noch einmal (7. December)
in einem grossen Berichte zusammen. Er that dies umsomehr,
1 Erzherzog Carl an Franz II. Brüssel, den 27. November 1793. Orig. eig.
Belgien unter der Generalstatthalterscliaffc Erzherzog Carls (1793, 1794). 1 51
als man ihm geradezu den Vorwurf machte, auf die Insinuatio
nen eines Overschies hin, den er zu begünstigen scheine, die
Angelegenheit Van Velde’s hinausgeschoben zu haben. 1 Dem
gegenüber wies er auf den Umstand hin, dass letzterer allge
mein verhasst sei, nirgends freilich in höherem Grade als in
Antwerpen, wo sogar eine ihm vortheilhafte Heirat sich daran
zerschlagen habe, weil er 1787 einer jener Commissäre gewesen
sei, welche die neuen Tribunale eingeführt hätten. Eben deshalb
habe es die Conferenz für zweckdienlich erachtet, den Abschluss
der übrigen Verhandlungen mit den Ständen von Brabant abzu
warten, ehe man den neuen Kanzler zum Eide zulasse, worauf
sich derselbe den Ständen vorzustellen hätte. Wiesen ihn diese
zurück, so würde er gegen dieselben den Rechtsweg zu betreten
haben. Es würde sich bei einem Processe dieser Art nicht um
das Recht des Kaisers, einen Kanzler zu ernennen, handeln,
ein Recht, das ihm von den Ständen nie bestritten worden sei,
sondern um die private Berechtigung Van Velde’s, von dem ihm
als Kanzler ausgestellten Patente Gebrauch zu machen, kurz um
eine sogenannte Contestatio des ,meum et tuunk, wobei ent
weder die Stände den Beweis führen müssten, dass Van Velde
die durch die Joyeuse entree vorgeschriebenen Eigenschaften
nicht besitze, oder er selbst das Gegentheil zu erhärten hätte.
Leider habe man in Wien dieses Mittel verworfen, welches
zwischen den Rechten des Kaisers und denen des Kanzlers
unterscheide und es möglich gemacht haben würde, unabhängig
von dem Ausgange des Processes die Inauguration vorzuneh
men. Demnach habe das Gouvernement vor der Alternative
gestanden, falls die Mittel der Ueberredung versagten entweder
eine Sache, für die man sich eingesetzt, fallen zu lassen, oder
den neuen Kanzler mit Gewalt zu installiren. Aber auch wenn
man die Ständeversammlung mit Soldaten umgebe, würde man
damit nur den inneren und äusseren Feinden des Gouverne
ments Freude bereiten. Van Velde werde trotzdem nicht als
legitimer Kanzler gelten und in dem Conseil von Brabant nicht
Aufnahme finden. Nichts in der Welt werde die Räthe zwingen
können, mit ihm zu rathen und zu thaten, nichts das Publicum,
ihn als legal eingeführt zu betrachten. Ohne Zweifel sei diese
Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 5 decembre 1793. Orig*.
152
VI. Abhandlung: v. Zcissberg.
ablehnende Haltung zu beklagen, gewiss gehe solche zum Theile
wenigstens auf persönliche Gehässigkeit zurück. Wie dem aber
auch immer sei, jedenfalls sei dies ein Factor, den man in
Rechnung zu ziehen habe, und es sei wenigstens Pflicht des
Gouvernements, ehe man weiter gehe und etwas thue, was viel
leicht nicht mehr gutzumachen sein werde, noch einmal die
Entscheidung des Kaisers einzuholen und demselben dabei nicht
zu verhehlen, dass man nach so vielen Mühen und Opfern Ge
fahr laufe, die Früchte derselben einzubüssen, falls man diese
Sache bruskire. Auch der Erzherzog sei von der Richtigkeit
dieses Standpunktes so überzeugt, dass er es auf sich genom
men habe, die Anordnungen des Kaisers nicht zur Ausführung
zu bringen. Desgleichen habe Mercy über die Sache oft mit
ihm (Metternich) gesprochen und wiederholt Vorstellungen bei
dem Erzherzog in dieser Hinsicht gemacht. Denn Mercy be
trachte als den wichtigsten Schritt, der zum Heile Europas und
zum Besten der politischen und militärischen Verhältnisse zu
geschehen habe, die schleunigste Ankunft des Kaisers in Bel
gien, weshalb es ihn tief bekümmere, wahrzunehmen, dass man
dieselbe von einer im Grunde untergeordneten Sache abhängig
machen wolle. Er meine nicht, dass der Kaiser die Ernennung
Van Velde’s zurücknehmen, nur dass er diese Angelegenheit
als eine nebensächliche behandeln möge. Freilich, setzte Metter
nich hinzu, würde es unendlich vorzuziehen sein, wenn Van
Velde angesichts der ihm wenn auch mit Unrecht bezeugten
feindlichen Stimmung um die Enthebung von seinem Amte
bitten würde. 1
Ueber diese Depesche fanden in Wien neue Berathungen
statt. Die Ministerconferenz empfahl dem Kaiser, um keinen
Preis nachzugeben. Der Vorschlag, es dem Kanzler selbst zu
überlassen, sich auf dem Rechtswege zum Genüsse seines Pa
tentes zu verhelfen, würde, meinte die Conferenz, zu billigen
sein, wenn es sich wirklich nur um persönliche Anschuldigun
gen wider denselben handelte; aber voraussichtlich werde man
gegen Van Velde, dem sonst nicht vorzuwerfen sei, die An
schuldigung erheben, dass er den Befehlen Kaiser Josef II. ge
mäss 1787 die Functionen eines Cominissärs bei der Errichtung
1 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 7 decembre 1793. Copie.
Belgien unter der Generalstattlialterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
153
der neuen Tribunale und 1789 den neugeschaffenen Posten
eines Vicekanzlers von Brabant übernommen habe. Dadurch
werde die Würde des Souveräns blossgestellt, der Alles ver
ziehen habe und dem man allein nichts verzeihen wolle. Festig
keit werde die Kaiserreise nicht nur nicht verzögern, sondern
sei nothwendig, um zu verhüten, dass man nicht im Falle einer
Nachgiebigkeit in diesem Punkte die Anwesenheit des Kaisers
in Belgien zu dem Versuche missbrauche, demselben weitere
und noch verderblichere Zugeständnisse zu entreissen. Würden
die Stände die Zulassung des Kanzlers verweigern, so sei es
noch immer Zeit, jene Massregeln zu erwägen, die zu ergreifen
seien, um die Opposition, sei es auf gerichtlichem Wege oder
in anderer Weise zu brechen, ohne dass dadurch die Reise des
Kaisers gehindert werden dürfe.
Die Inauguration endlich sei nicht nur vor der Ankunft
des Kaisers nicht nothwendig, sondern dürfe vielmehr über
haupt nicht stattfinden, so lange man sich seinen Intentionen
so hartnäckig und ohne einen Schatten von Recht widersetze.
Daher wurde Metternich mitgetheilt, der Kaiser sei entschlossen,
an seinen Befehlen festzuhalten, es koste, was es wolle; er wolle
sehen, ob kluge Festigkeit, gepaart mit Gerechtigkeit, nicht
mehr ausrichte, als jene Lässigkeit, mit der man bisher zu
Werke gegangen sei, und die bisher so wenig Erfolg gehabt
habe. Der Erzherzog aber erhielt von dem Kaiser den Auftrag,
Van Velde zum Eide zuzulassen und ihn sodann den Ständen
vorzustellen, um diesen gegenüber, was die Verfassung vor
schreibe, zu erfüllen. Fügten sich die Stände, so sollte alsbald
zur Inauguration geschritten werden; wo nicht, so sollte auch
nicht von dieser Ceremonie die Rede sein. Man sollte in diesem
Falle den Ständen noch vier bis fünf Tage Bedenkzeit geben,
sodann aber sie auflösen und es der Zeit und den Umständen
überlassen, sie zur Besinnung zu bringen. ,Ich wiederhole es/
schliesst Trauttmansdorff die hochwichtige Weisung vom 21. De-
cember, ,legen Sie, Herr Graf, alle Eisen ans Feuer, damit die
Sache gelinge/ ,Was Overschies betrifft/ fügt er hinzu, ,Over-
schies, diese grosse Triebfeder des Ganzen, so können Eure
Excellenz ihm bestimmt die Versicherung geben, dass, was
auch immer geschehen mag, sein Benehmen in dieser Sache,
von dem man sichere Kunde hat, genügt, auf dass er niemals
154
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
den Posten eines Kanzlers erhalte, und dass, wenn er über
haupt noch auf etwas von Sr. Majestät hoffen will, sei es für
sich selbst, sei es für seine Kinder, er diese Gelegenheit er
greifen muss, um das Uebel gutzumachen, das er bereits an
gestellt hat. Der Kaiser ist mit gutem Rechte persönlich gegen
ihn erbittert, in Folge all der Lügen, die er über die angeb
lichen Erfolge seiner letzten Reise verbreitet hat, während er
in Wirklichkeit ihn so schlecht behandelt hat, als es das gute
Herz dieses trefflichen Fürsten zulässt. £1
Es sei schliesslich bemerkt, dass auch Thugut sich im
Principe der Ansicht Trauttmansdorff’s anschloss, dass weitere
Nachgiebigkeit nur das Ansehen des Kaisers schädigen würde.
Zweifelhaft schien ihm blos, ob die Eidesleistung des Kanzlers
sofort erfolgen solle oder nicht vielmehr bis zur Ankunft des
Kaisers in Belgien, um die Sache selbst an Ort und Stelle zu
prüfen, zu verschieben sei. 2
Der Schwerpunkt der getroffenen Entscheidung lag jedes-
falls darin, dass man die Kaiserreise von der Kanzlerfrage und
der Inauguration trennte. Man erachtete es fortan für gleichgiltig
oder gab sich den Anschein, als erachte man es für belanglos,
ob die Inauguration überhaupt stattfinde oder nicht. Auch Maria
Theresia, hiess es, sei erst vier Jahre nach ihrer Thronbestei
gung inaugurirt worden, und doch habe man ihr jederzeit ge
horcht und Niemand ihre Rechte anzutasten gewagt.
,Da mich die Reise nach Niederland/ schrieb der Kaiser
an seinen Bruder, ,ohnehin mehr wegen der politischen Lage
der Geschäfte drängt, und Du ebenfalls wegen dem Innerlichen
des Landes selbe als schleunigst nothwendig ansiehst, so wird
mich nichts mehr davon abhalten. Indessen da die ordentlichen
Befehle an Dich durch eine Estafette folgen, so will ich Dich
benachrichtigen, dass meine Intention dahin gehet, dass Du den
Kanzler ohnverzüglich bei Dir schwören lassest und ihn dann
zu den Ständen schicken mögest. Nehmen sie ihn [nicht] an, so
1 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 21 decembre 1793. Orig'. Dem
entsprach auch die officielle Depesche des Kaisers an den Erzherzog
vom seihen Datum.
2 Thugut an Colloredo, ce 18 decembre 1793. Vivenot, Vertrauliche .
Briefe I, 65.
Belgien unter der Genernlstatthalterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794). 155
kann man das Ganze auf den Rechtsweg weisen, und ich
mische mich gar nicht mehr in seihe. Wegen der Inauguration,
so kannst Du, wenn Alles gut gehet, sie sogleich halten, widri
genfalls sie auch verschieben, weil auch die Nichtabhaltung
derselben meine Reise [nicht] ferner verschieben kann. Nur
bitte ich Dich, mir sobald als möglich durch einen Courier das
Resultat über die Affaire des Kanzlers und die Stimmung der
Gemüther zu wissen zu machen. Ich gehe dann sogleich, denn
ich bin marschfertig, und Alles wird in Kurzem hier in Ord
nung sein/
Aus Anlass der bindenden Befehle des Kaisers fand zu
Brüssel am 29. December eine ausserordentliche Conferenz in
Gegenwart des Erzherzogs und unter Beiziehung des Chef et
President statt, wobei man sich mit der Frage beschäftigte, wie
jene Befehle am besten in Vollzug gesetzt werden könnten. Die
Stände hatten sich gerade vertagt, und namentlich die Aehte
waren wegen des bevorstehenden Neujahrstages in ihre Klöster
zurückgekehrt. Da die Eidesleistung des Kanzlers in der Voll
versammlung der Stände vor sich gehen musste, wurde be
schlossen, diese auf den nächstfolgenden Donnerstag (2. Januar
1794) einzuberufen. Da man indess besorgte, dass die Gegen
partei, sobald sich Van Velde in die Ständeversammlung be
gebe, oder sobald er dieselbe verlasse, wider ihn Demonstra
tionen ins Werk setzen werde, so bescldoss man die Sache
geheim zu halten und daher den Pensionär wohl von der Ab
sicht, die Stände an jenem Tage einzuberufen, nicht aber von
dem Zwecke der Einberufung in Kenntniss zu setzen. Man
kam ferner überein, dass der Erzherzog am Morgen jenes
Tages Van Velde zur Eidesleistung zu sich bescheiden, zu
gleich aber der Minister eine Deputation der Stände zu sich
berufen solle, um derselben den umviderruflichen Entschluss
des Kaisers bekannt zu geben und sie durch alle Mittel der
Ueberredung zu überzeugen, dass es in ihrem eigenen Inter
esse liege, sich dem Wunsche des Kaisers zu fügen. Würden
sie sich etwa auf die Opposition des dritten Standes berufen,
aber auch nur in diesem Falle, sollte Metternich sie zu be
wegen suchen, Van Velde wenigstens ihrerseits zuzulassen, trotz
des Protestes des dritten Standes und unbeschadet dessen, was
sie etwa auf dem Rechtswege gegen Vau Velde’s Eignung zu
156
VL Abhandlung: v. Zeissberg.
diesem Amte Vorbringen wollten. 1 Die Sache sollte zugleich so
eingerichtet werden, dass, sobald die Deputirten der Stände
den Minister würden verlassen haben, um in ihre Versammlung
zurückzukehren, sich auch Van Velde dahin zur Eidesleistung
begebe, um den Ständen so wenig als möglich Zeit zur Ueber-
legung zu lassen.
Am 2. Januar Morgens legte Van Velde den Kanzlex - eid
in die Hände des Erzherzogs ab. Zugleich fand sich eine Depu
tation der Stände ein, welcher der Erzherzog den Entschluss
des Kaisers kundgab. Die Deputirten erklärten indess, sich ab
seits des Plenums nicht aussprechen zu können; sie seien jedoch
überzeugt, dass Van Velde’s Zulassung formellem Widerstand
begegnen, sowie auch, dass selbst wenn die beiden ersten
Stände sich bereit finden würden, dies seitens des dritten nicht
der Fall sein werde. Vergebens suchte sie Metternich umzu
stimmen, indem er das streng verfassungsmässige Vorgehen des
Kaisers betonte, zugleich aber in Aussicht stellte, dass im
Falle eines Widerstandes Van Velde die ihm zustehenden
Rechtsmittel ergreifen werde. Die Deputirten erwiderten blos,
dass sie, was sie vernommen, ihren Committenten mittheilen
wollten.
Der Erzherzog hatte gewünscht, dass Van Velde sofort
von den Ständen zur Eidesleistung zugelassen werde, während
in der Regel der Kanzler seine Patente dem Pensionär über
gab, der sie seinerseits den Ständen zur Prüfung vorlegte, auf
Grund deren sodann Tag und Stunde der Eidesleistung be
stimmt zu werden pflegten. Auch diesmal beharrten die Stände
auf 'der Beobachtung der üblichen Formen. Van Velde blieb
nichts übrig, als sich am folgenden Tage (3. Januar) an De
Jonghe zu wenden, der ihm mittheilte, dass die Stände am
8. Januar in die Berathung des Gegenstandes eintreten würden.
Uebrigens konnte Metternich bereits am 4. seinem Hofe die.
Mittheilung machen, dass die Aussichten höchst ungünstig seien,
da sich die beiden ersten Stände in dieser Frage nicht von dem
dritten trennen würden, weil sie besorgten, dass die Scission
des letzteren so wie in Frankreich geradezu die Demokratie
1 Protocole de la Conference, 29 decembre 1793. Yergl. Metternieh’s Be
richt vom 30. December. Copie.
Belgien unter der Generalstattlialterscbaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
157
herbeiführen müsste. Und Metternich selbst war der gleichen
Ansicht. Zugleich verwahrte er sich aber entschieden gegen
den Vorwurf, als oh ihn in dieser Angelegenheit persönliche
Abneigung gegen Van Velde geleitet habe, dem er sich
ebenso wie seiner Familie vielmehr stets freundlich erwiesen
habe. 1 .
Die Stände lehnten (am 8. Januar) die Eidesleistung Van
Velde’s ab. Die Ablehnung drehte sich um die Frage: ,si Van
Velde est ou n’est pas convenable, utile ou profitable au
paysl Van Velde theilte sofort den ihm zugesandten Bescheid
der Stände dem Erzherzog mit und sprach zugleich die Er
wartung aus, dass nunmehr das Gouvernement auf Mittel be
dacht sein werde, welche die Stände zwingen würden, seine
Eidesleistung entgegenzunehmen. Der Erzherzog erwiderte, dass
er, wie dies auch sonst üblich war, die Meinung des Conseil
prive einholen wolle. Da indess Van Velde die Ansicht des
Conseil privö nicht unbekannt war, welche dahin ging, dass er
zunächst selbst die Action vor dem Conseil von Brabant ein
zuleiten habe, was im Nothfalle eine Unterstützung- durch die
Fiscale nicht ausschliessen tverde, so überreichte er dem Erz
herzog eine Denkschrift, worin er seine abAveichende Meinung-
begründete, mit der Bitte, dieselbe gleichfalls dem Conseil prive
vorzulegen. Allein bald darnach fand er sich neuerdings bei
dem Erzherzog ein, um zu dessen nicht geringer Ueberraschung
zu erklären, dass er seine Würde dem Kaiser zu Füssen legen
wolle, da er fühle, dass seine Ernennung für den Dienst und
für das Wohl des Landes nicht zuträglich sei. Der Erzherzog
wollte ihm zwar Bedenkzeit gönnen, da aber Van Velde auf
seinem Vorsatze beharrte, so forderte ihn Carl auf, seine De
mission schriftlich zu geben, und sandte die letztere an den
Kaiser.
,Wenn man/ schrieb er an den Letzteren, ,die Affaire des
Kanzlers betrachtet, so ist es ausser Zweifel, dass sich die
Stände in selber niederträchtig und für alle Gnade, so Du für
sie gehabt hast, undankbar aufgeführt haben. Allein der Ein
druck, den sie auf das Publicum gemacht hat, ist auch ausser
ZAveifel. Seitdem die erneuete Befehle gekommen sind, auf
1 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 4 janvier 1794. Orig.
158
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
der Sache zu bestehen, haben alle Don gratuitum von Seiten
der der Partei der Stände zugetlianen Personen aufgehört, die
Beiträge von 1000 fl., so jeder Brabanter Pfarrer machen sollte,
ein End genommen, es werden fast keine Betten, keine
Leintücher, keine Matratzen, keine Charpie mehr in die Spi
täler geschickt, Büchsen, welche in denen Wirthshäusern auf-
gestellt waren, in die jeder etwas Geld hineinwarf, welches
dann in den Tresor royal gebracht wurde, wurden den näm
lichen Tag, als der Kanzler bei mir den Eid ablegte, alle weg
genommen, erbrochen und das Geld, welches sich darinnen
befand, von denen Wirthsleuten weggenommen. . . . Die Bür
ger, welche hier in Ermangelung einer genügsamen Garnison
die Wachen bestreiten und für die Polizei nnd Ordnung sorgen,
wollten die Waffen niederlegen und auseinandergehen u. s. f.
Kurz, es mag nun eine Frucht von Intriguen sein oder nicht,
der Eindruck, den diese Affaire auf das Volk und auf die
Partei der Stände machet, ist sehr schädlich, besonders da
das Volk die Ernennung des Van Velde zur Kanzlerstellc als
einen Eingriff in die Constitution ansiehet. Auf einer anderen
Seite siebet die Partei der Royalisten — einige fanatische Men
schen ausgenommen — mit Schmerzen, dass nun wegen einem
einzigen Individuum alles wieder in Unordnung und in Feuer
und Flammen komme, man missbilliget die Aufführung der
Stände, allein man verwundert sich auch, dass wir nach so
viel gemachten Concessionen auf diesen Punkt so sehr beharren
und einem Zwiste, der so leicht anszuweichen war, nicht zu
vorgekommen sind/
Carl war daher der Ansicht, dass der Kaiser die De
mission, zumal durch dieselbe sein Ansehen nicht compromittirt
werde, annehmen und Van Velde in Anbetracht der loyalen
Weise, in der er sie gegeben, das von demselben angestrebte
Amt eines Lieutenant des fiefs am Brabanter Lehenshofe mit
dem Titel eines Conseiller d’ötat de robe und den entsprechen
den Bezügen verleihen möge. Zugleich aber bezeichnete er es,
um allen Intriguen zuvorzukommen, als wtinschenswerth, dass
sofort dessen Nachfolger ernannt werden möge, und dass mit
dessen Ernennung und durch den nämlichen Courier der Kaiser
das Patent sende, damit die Einsetzung sofort erfolge und der
Sache ein Ende gemacht werde. Die Wahl müsse auf eine
Belgien unter der Generalstatthalfcerscliaffc Erzherzog Carls (1793, 1791)-
159
Person fallen, die keinen Vorwand böte, nochmals die Ernen
nung zu hintertreiben. Er selbst schlug Villegas d’Estaimbourg
vor; derselbe sei im Range das älteste Mitglied des Conseil von
Brabant, verrichte seit seinem Wiedereintritte in denselben die
Functionen des Kanzlers, habe nie einen anderen Eid geleistet
und werde daher voraussichtlich keinem Widerstand begegnen.
Uebrigens sei er alt und unbedeutend und stehe daher nicht
den Hoffnungen derer im Wege, die auf diesen Platz ihrerseits
rechneten, während später, in ruhigeren Zeiten, der Kaiser
noch immer eine vortheilhaftere Wahl treffen könne.
,Solltest Du/ fährt der Erzherzog fort, ,meinen Vorschlag
nicht annehmen, welches mich wegen dem Wohl des Dienstes
sehr schmerzen würde, so bitte ich Dich, wenigstens den Con-
seiller d’Overschies nicht zum Kanzler zu machen, da er es
ist, von welchem besonders aller Widerstand der Stände gegen
Van Velde herrühret, in der Hoffnung, dass man ihn zum
Kanzler vorschlagen würde, und da sich erst kürzlich die
Geistlichkeit und der Adel in denen Ständen haben verlauten
lassen, dass es ihnen Selbsten unangenehm wäre, wenn d’Over
schies zum Kanzler ernennet werden sollte. Ueberdies ist das
ein Mann, den alle Parteien als einen niederträchtigen Intri
ganten und einen übeldenkenden Menschen verachten. Man
wird Dir vielleicht den Conferenzrath Robiano vorschlagen,
welcher in der That alle Eigenschaften hätte, so für einen
Kanzler nöthig sind, und der gewiss keinem aus beiden Par
teien ohnangenehm sein würde. Allein man könnte ihm auch
vorwerfen, dass er unter dem Kaiser Josef eine inconstitutioneile
Anstellung angenommen hat, und obwohl ich glaube, dass man
dies nicht thun würde, so müssen wir doch diesem Vorwurf
ausweichen. Bartenstein der Jüngere, Conseiller au conseil prive,
ist in dem nämlichen Fall als Robiano, sowohl wegen seiner
persönlichen Eigenschaften als der bei der von Kaiser Josef II.
gemachten Aenderung angenommenen Stelle. Allein ich muss
Dir bei selbem noch die Reflexion unterlegen, dass, da er
Schwager vom Secretaire d’etat, Bruder vom Conseiller des
finances ist, man durch seine Ernennung in den nämlichen In-
convenient fallen würde, über welchen man so sehr in vorigen
Zeiten über die Crumpipen geschrieen hat, dass eine Familie
alle vornehmsten Stellen bekleiden würde/
160
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
Der Erzherzog fügte noch hinzu, dass er, da er nicht
wisse, wie sich der Kaiser entscheiden werde, den Verzicht Van
Velde’s auf dessen Wunsch und im Einvernehmen mit Metter
nich als Geheimniss behandelt und der Conferenz bisher nicht
mitgetheilt habe. 1
Dem vertraulichen Schreiben, das der Erzherzog aus die
sem Anlasse ausser der amtlichen Relation an den Kaiser rich
tete, folgt ein PostScript nachstehenden Inhalts: ,Erlaube mir,
bester Bruder, noch eine Bemerkung zu meinem schon so
langen Brief hinzuzufügen. Personen von der Partei der Stände
haben sich in Reden geäussert, dass einer der Hauptbewegungs-
gründe, wegen welchen sie den Van Velde nicht zum Eid an
genommen haben, sei, weil sie hofften, durch Intriguen und
fortdauernde Weigerung, dazu ernannte Personen anzunehmen,
von Dir das Vorrecht zu erhalten, Dir eine Person zur Kanzler
würde vorschlagen zu dürfen, dadurch nur ihnen angenehme
Personen zu proponiren und die Ernennung zu dieser Würde
nach ihrem Sinn lenken zu können. Desto wichtiger ist es,
gleich und besonders den Conseiller Villegas zur Kanzlerstelle
zu ernennen. Sie werden nicht frech genug sein, um diesen
Mann, der es einst mit ihnen hielt, nicht anzunehmen, und wir
werden gänzlich den Disputen über diesen Punkt und einer den
Rechten des Souveräns und der Constitution so widrigen Pre
tension ausweichen, Dispute, welche uns zu einer Menge an
derer führen und ins Unendliche würden vervielfältiget werden.
Als mir gestern Abends Van Velde den Act seiner Demission,
der meine officielle Relation darüber begleitet, einreichte, bat
er mich, Dir zu bemerken, dass er durch die Niederlegung
der Kanzlerstelle aus Eifer für Deinen Dienst und für das
Wohl des Landes auf eine Stelle Verzicht thue, deren Gehalt
sich auf 14.000 fl. belaufe, und dass ihm hart geschehen würde,
wenn er deswegen verlieren, im Gehalte herabgesetzt und so
zusagen gestrafet werden solle/
Ganz in demselben Sinne wie der Erzherzog sprach sich
Metternich aus, zumal gerade damals die endgiltige Zustim-
1 Zwei Schreiben des Erzherzogs an den Kaiser, beide vom 13. Januar
1794, das eine (französisch) officiell, das andere (deutsch) vertraulich.
Belgien unter der Generalstatthaltcrschaft Erzherzog Carls (1798, 1794).
161
mung des dritten Standes zur Bezahlung der 4y 2 Millionen
zustande gekommen war. 1
Noch war man in Wien nicht in den Besitz dieser Be
richte gelangt, als von dort aus am 17. Januar neuerdings eine
Weisung an Metternich erging, die den Entschluss des Kaisers
in der Kanzlerfrage als einen ,unwiderruflichen' bezeichnete,
indem derselbe die Angelegenheit als ,Probirstein' der Treue und
Anhänglichkeit der Brabanter betrachten wolle. Die von den
Ständen ausgesprochene Besorgniss, dass dies zu einer Scission
mit dem dritten Stande, zur Demokratie führen werde, liess
man nicht gelten; gerade der Widerstand gegen des Kaisers
Wunsch beweise den verhängnissvollen Einfluss der Demo
kratie in einer Sache, in die sich zu mengen dem dritten Stande
nicht zustehe. 2 Man hätte übrigens — heisst es in einer gleich
zeitigen Weisung an den Erzherzog — Ansichten dieser Art
bekämpfen und nicht ohne sie zu widerlegen einfach zur
Kenntniss nehmen sollen. 3
Schon nach zwei Tagen folgte eine zweite Weisung, welche
sich auf die Art der Ausführung des Befehles bezog. Darnach
sollte der Erzherzog, der in dieser Frage stets ein richtiges
Verständniss gezeigt habe, ,persönlich und ausschliesslich' diese
,leidige' Angelegenheit zum Abschlüsse bringen, Metternich aber
sich rein passiv verhalten, dies -auch denen, die ihn darüber
ausholen würden, zu verstehen geben, im Uebrigen aber den
Erzherzog nach bestem Vermögen unterstützen. 4 Mit einer
entsprechenden Weisung übersandte der Kaiser seinem Bruder
eine für die Stände bestimmte Depesche, doch überliess er es
ihm, ob er von derselben Gebrauch machen wolle oder nicht.
Jedenfalls aber sollte er denselben eröffnen, dass der Kaiser
von dem, was er gethan, nicht abgehen werde, und sie auffor
dern, ihren ganzen Einfluss aufzubieten, um die Nation über
ihre Pflichten und seine Rechte aufzuklären und sich nicht in
die gewöhnlichen Geschäfte der Verwaltung zu mengen. 5
1 Siehe oben.
2 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 17 janvier 1794. Orig.
3 Der Kaiser an Erzherzog Carl. Vienne, le 19 janvier 1794. Orig, officiell.
4 Trauttmansdorff an Meternich. Vienne, le 19 janvier 1794. Orig.
5 Der Kaiser an Erzherzog Carl. Vienne, le 19 janvier 1794. Orig, officiell.
Sitzungsbor. d. pliil.-liist. CI. CXXYIII. Bd. G. Abh. 11
162
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
Da rief nun aber das Eintreffen des erzherzoglichen Im-
mediafberichtes vom 8. Januar einen vollständigen Umschwung
hervor. Van Velde wurde nun endlich fallen gelassen, ebenso
auf Trauttmansdorff’s Rath der Gedanke, die Ernennung eines
neuen Kanzlers bis zur Ankunft des Kaisers in Belgien zu
verschieben. 1 Freilich von Overschies, den man in Wien noch
immer als einen ernst zu nehmenden Gegencandidaten betrach
tete, konnte auf keinen Fall die Rede sein. Vielmehr sollte
ihm Metternich neuerdings bedeuten, dass er auf diese Stelle
nie und nimmer rechnen dürfe, ja dass er überhaupt, wenn er
sein Benehmen nicht völlig ändere, nie irgend eine Gnade oder
Gunstbezeigung von Seiten des Kaisers erwarten dürfe. 2 Aber
zugleich erhielt Metternich den Auftrag, unter der Hand und
in unauffälliger Weise dazu beizutragen, dass sich die Nachricht
von der Resignation Van Velde’s äusserst rasch und in mög
lichst weite Kreise verbreite, andererseits aber über die An
kunft der neuen Estafette vom 22. Januar oder, falls dies nicht
möglich sei, über den Grund ihrer Absendung das strengste
Geheimniss zu bewahren. 3
Die Estafette selbst überbrachte ein Schreiben, das Trautt-
mansdorff im Aufträge des Kaisers an den Erzherzog richtete,
und dem ein Schreiben des Kaisers an Letzteren und zwei
königliche Depeschen beigefügt waren.
,Du erhältst/ hiess es in einem vertraulichen Schreiben
des Kaisers, ,mit gegenwärtiger Estafette zwei officielle De
peschen von mir, 4 über deren Inhalt Du bis zur wirklichen
Gebrauchmachung einer oder der anderen das strengste Ge
heimniss selbst gegen den Minister beobachten wirst. In der
ersten ernenne ich Robiano zum Kanzler, in der zweiten trage
ich Dir auf, ein anderes taugliches Subject vorzuschlagen ‘ Der
Erzherzog sollte darnach zunächst Robiano ,im strengsten Ge
heim 1 zu sich bescheiden und ihn fragen, ob er die Kanzler
würde anzunehmen bereit und ob im bejahenden Falle irgend
1 Trauttmansdorff an Colloredo. Orig, undatirt.
2 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 22 janvier 1794. Orig.
3 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 22 janvier 1794.
4 Beide datiren vom 21. Januar 1794 und sind noch im Original vorhan
den. In der ersten heisst es von Robiano ,qui est d’ailleurs allid au
FZM. Comte de Clerfait, dont j’estime les Services*.
Belgien unter der Generalstattlialterschaft Erzherzog Carls (1793, 1794). 163
ein billiger Einwand der Stände zu gewärtigen sei. Sollte die Er
nennung Robiano’s möglich sein, so sollte der Erzherzog von der
ersten der ihm übersendeten Depeschen Gebrauch machen, im
anderen unter Bewahrung ,des grössten Stillschweigens über den
gegen Robiano geschehenen Schritt' den Inhalt der zweiten De
pesche befolgen. Denn den von dem Erzherzog vorgeschlagenen
Villegas könne er unmöglich ernennen, und zwar aus folgen
den Gründen: 1. weil er nach Aussage des Erzherzogs selbst un
fähig sei, mithin seine Wahl gegen Pflicht und Ansehen streite;
2. weil der angeführte Grund, dass derselbe bald einem Ande
ren Platz machen werde, nur jene Intrigue begünstigen würde,
um derentwillen man schon vor vielen Monaten dem Minister
gerathen habe, den Platz offen zu halten, nämlich um d’Over-
schies Gelegenheit zu bieten, sich bei ihm, dem Kaiser, ein
zuschmeicheln, und 3. weil man ihn durch fortwährende Zurück
weisung derer, die er ernennen würde, mürbe machen und ihm
Villegas aufdrängen wolle. 1
Wir wissen, dass das Demissionsgesuch Van Velde’s bis
her geheim gehalten worden war. Nun aber sollte der Erz
herzog in unauffälliger Weise diese Thatsache zur Kenntniss
des Publicums bringen, damit der neueste Entschluss des Kai
sers als eine Folge jenes Schrittes betrachtet werde. In Privat
gesprächen sollte er zu erkennen geben, dass Van Velde den
Kaiser inständigst gebeten habe, ihn von einem Posten zu
dispensiren, auf dem er voraussichtlich so viel Anstoss erregen
und den er nicht mit Ruhe gemessen werde, da er besorgen
müsste, dass darunter der Dienst des Souveräns und das Wohl
des Landes leide; daher habe er, der Erzherzog, einen Courier
nach Wien gesendet und warte weitere Weisungen ab. 2
Indess war die Demission Van Velde’s ohnedies kein Ge-
lieimniss geblieben; wenige Tage darnach schon stand davon
in der ,Kölnischen Zeitung' zu lesen. Unangenehmer als hie
durch war man in Wien durch die Thatsache berührt, dass
diese Zeitung den Ständen ein Mitwirkungsrecht bei der Er
nennung des Kanzlers beimass, ja dass in derselben behauptet
1 Kaiser Franz II. an Erzherzog Carl. Wien, den 22. Jänner 1794. Orig,
eig. A.-A.
2 Trauttmansdorff an den Erzherzog. Copie.
11*
164
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
wurde, die Stände hätten einen Vorschlag dieser Art bereits
dem Gouvernement erstattet. Ausdrücklich erhielt Metternich
den Auftrag, diese lügenhaften Gerüchte zu dementiren. 1
Der am 26. Januar von Wien abgesandte Courier Strens
sollte als Ueberbringer jener Depesche gelten, durch welche
der Kaiser die Demission Van Velde’s annahm. 2
Metternich frohlockte über diese Wendung der Dinge.
,Ich beschränke mich/ schreibt er an den Erzherzog, ,für den
Augenblick darauf, meinen ergebensten Glückwunsch darzu
bringen, dass die leidige Kanzlerfrage endlich gänzlich beendet
ist. Eure königl. Hoheit haben durch Ihre kluge Festigkeit
bei dieser Gelegenheit dem Souverän in der öffentlichen Sache
einen wesentlichen Dienst erwiesen/ 3
Jetzt erst theilte der Erzherzog Robiano die Absicht des
Kaisers mit. Doch dieser erwiderte sofort, dass nichts in der
Welt ihn bestimmen könnte, die angebotene Stelle anzunehmen,
und bei der Festigkeit, mit der Robiano diesen Ausspruch
wiederholte, überzeugte sich der Erzherzog alsbald, dass jeder
weitere Versuch, ihn umzustimmen, unmöglich sei. 4 Damit trat
aber dem ausgesprochenen Wunsche des Kaisers gemäss an
Erzherzog Carl die Nothwendigkeit heran, seinerseits Personal
vorschläge zu machen. Schon früher hatte er auf Villegas
d’Estaimbourg hingewiesen. Jetzt that er dies neuerdings: der
Minister, die Conferenz, der Chef et President und andere Mit
glieder des Gouvernements seien hierin seiner Ansicht. 5 Barten
stein könne, obgleich es ihm nicht an den erforderlichen Eigen
schaften fehle, nach der einstimmigen Meinung derer, die er
hierüber befragt habe, nicht in Betracht kommen. Bleibe so
nach nur De Jonghe, der Pensionär der Stände; sei es aber
wohl angezeigt, auf einen solchen Posten den Mann zu stellen,
der seit einigen Jahren die Stände und alle ihre Schritte ge-
1 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 26 janvier 1794. Orig.
2 Ebenda. ,
3 Metternich an Erzherzog Carl, le 3 fevrier 1793 (sic! recte 1794). Orig.
A.-A. In der Datirung eines der nicht seltenen Beispiele der sorglosen
Art Metternich’scher Kanzleifiihrung.
4 Erzherzog Carl an den Kaiser. Bruxelles, le 6 fevrier 1794.
5 Erzherzog Carl an den Kaiser. Bruxelles, le 11 fevrier 1794. Müller’s
Entwurf.
Belgien unter der Generalstatthalterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794). 165
leitet habe? Trauttmansdorff hatte auf den Fiscal Strens hin
gewiesen; dieser habe sich aber bisher zu wenig hervorgethan,
meinte der Erzherzog; überdies wäre es seltsam, den Sohn
eines Archer, der mit fast allen Lakeien der Stadt verwandt
sei, auf den ersten Platz der Provinz zu erheben. 1
Aber auch jetzt machte der Kaiser aus seiner Abneigung
gegen Yillegas kein Hehl. Dass er der erste jener fünf Eäthe
sei, zu deren Wiederaufnahme in den Conseil man ihn, den
Kaiser, veranlasst habe, spreche nicht zu dessen Gunsten, son
dern sei im Gegentheil ein Ausschliessungsgrund, zumal wenn
man seine Haltung im Conseil während der Unruhen in Be
tracht ziehe, wofür die Beweise im Staatssecretariat hinterlegt
seien. Dazu komme, dass, wie der Erzherzog selbst zugestehe,
der Conseil so schlecht wie möglich zusammengesetzt sei und
daher nicht eines schwachen, unbedeutenden, sondern eines
aufgeklärten, festen und wenigstens einigermassen zuverlässigen
Präsidenten bedürfe. 2 Villegas sollte nur dann in Betracht
kommen, wenn es ganz und gar unmöglich sei, jemand Ande
ren ausfindig zu machen, gegen den die Stände nichts einwen
den könnten. 3
Aber schon am 5. stellte Trauttmansdorff die bevorstehende
Entscheidung des Kaisers in unmittelbare Aussicht. Die Wahl
werde auf eine Persönlichkeit fallen, gegen die sich keine Ein
wendung erheben lasse; der Kaiser sei entschlossen, auf der
selben zu verharren, was auch immer geschehe. Die Ernen
nung werde früh genug erfolgen, so dass die Inauguration, die
damals auf den 24. März anberaumt war, an diesem Tage
werde stattfinden können, wofern die Kanzlerfrage nicht neue
Schwierigkeiten bereite, in welchem Falle diese Ceremonie
überhaupt nicht stattfinden werde. 4
Zwei Tage darnach (7. März) ernannte der Kaiser den
geheimen Rath Limpens, der mit Ehren den Posten eines
Generalprocurators bekleidet und sich auch sonst mehrfach ver
dient gemacht hatte, zum Kanzler von Brabant. Er theilte dies
1 Erzherzog Carl an Trauttmansdorff. Le 10 fevrier 1794. A.-A. Copie.
2 Der Kaiser an Erzherzog Carl. Vienne, ce 4 mars 1794. Orig, ofliciell.
3 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 3 mars 1794. Orig.
4 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 5 mars 1794. Orig.
166
VI. Abhandlung: v. Zeissberg.
dem Erzherzog mit, dem er das Patent für denselben über
sandte, damit die Installation unverzüglich erfolge. 1 Limpens
selbst aber wurde eröffnet: der Kaiser hoffe, dass er die Wahl
nicht etwa unter irgend einem Vorwand ablehnen werde. So
bald er den Posten in Besitz genommen, möge er dies ein
berichten, da in diesem Falle auch das Decret eines Staats-
rathes ihm zugestellt werden würde, welche Würde ihm der
Kaiser gleichzeitig verleihe. 2 Metternich aber erhielt den Auf
trag, für den Fall, dass Limpens ablehne, demselben zu eröffnen,
dass der Kaiser ihm anzunehmen befehle, seine Ablehnung da
her als Beweis des Ungehorsams gelten und seine Pensionirung
unter den ungünstigsten Verhältnissen zur Folge haben werde. 3
Allein diese Besorgniss sollte nicht in Erfüllung gehen.
Am 14. März Nachts trafen die Depeschen vom 7. in Brüssel
ein. Am folgenden Tage, 15. Morgens, legte Limpens den Eid
in die Hände des Erzherzogs, ab, 4 am 17. sein Ernennungs
patent den Ständen vor. Diese waren nicht in pleno versam
melt. Die Deputirten der Stände theilten Metternich mit, dass
die Vollversammlung erst Samstag ,ad hoc‘ stattfinden und
Limpens vermuthlich an diesem Tage zum Eide zugelassen
werde. Da indess Metternich nicht mit Unrecht besorgte, dass
man in der Zwischenzeit den dritten Stand, zumal die Bürger
schaft von Brüssel in entgegengesetztem Sinne beeinflussen
werde, so suchte er durch die Deputirten die Stände zu be
wegen, sich bereits am folgenden Tage oder doch spätestens
Mittwoch (19.) zu versammeln. Wirklich wurden die Stände
für diesen Tag einberufen. Doch schon am 19. Morgens mel
dete Metternich dem Erzherzog, dass zwar die Sache gut stehe,
die definitive Entscheidung aber doch erst am Samstag erfol
gen werde. Daher beschied der Erzherzog noch an demselben
Tage (19.) die Deputation der Stände zu sich, in der sich trotz
1 Der Kaiser an Erzherzog' Carl. Vienne, le 7 raars 1794. Orig, officiell.
Vgl. auch Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 7 mars 1794. Orig.
Der Kaiser an Metternich. Vienne, le 8 mars 1794. Orig.
2 Trauttmansdorff an den geheimen Kath Limpens. Vienne, le 7 mars 1794.
Concept.
3 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 8 mars 1794. Eigenh.
4 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 15 mars 1794. Erzherzog
Carl an Müller, 15 mars 1794. A.-A.
Belgien unter der Generalstattlialterscliaft Erzherzog Carls (1793, 1794).
167
des früher ergangenen Verbotes auch Limminghe einfand. Met
ternich empfahl den Donnerstag als Ultimatum. Aber der Erz
herzog erreichte blos die Zusage, dass die Stände am Freitag
(21.) schlüssig werden wollten. Wirklich fand sich an diesem
Tage, um 1 Uhr Mittags, eine Deputation der Stände hei dem
Erzherzog ein, um ihm mitzutheilen, dass man beschlossen habe,
am nächsten Tage (Samstag) Limpens in Eid zu nehmen. Da
indess der Erzherzog noch an demselben Tage abreisen wollte,
hielt Metternich den Deputirten vor, wie angenehm es dem
selben sein würde, wenn er erführe, dass zuvor der Kanzler
vereidet worden sei, und so einigte man sich dahin, dass, ob
gleich das sonst nicht üblich war, der Kanzler noch an demsel
ben Abend vereidet werde. Er wurde denn auch am Nachmit
tag von den Ständen mit mancherlei Beifallsbezeigungen em
pfangen, und, diese wiederholten sich in erhöhtem Masse, als er
die Versammlung verliess. 1
Die Sache war übrigens doch bis zuletzt zweifelhaft ge
wesen. Namentlich hatte der Advocat Van der Hoop eifrig
gegen die Zulassung Limpens’ intriguirt, so dass sich Metter
nich veranlasst sah, den Fiscalen von Brabant aufzutragen,
denselben streng im Auge zu behalten. 2 Um so mehr freute
sich Metternich des Erfolges, den er sich beeilte, zur Kennt-
niss des Kaisers und Trauttmansdorff’s zu bringen, wobei er
jedoch nicht unterliess, sich nochmals und energisch gegen
den Anwurf des Letzteren zu verwahren, als ob er die Ernen
nung Van Velde’s, da ihm derselbe persönlich nicht genehm
gewesen sei, zu hintertreiben gesucht habe. Er verlangte ge
radezu, dass die betreffende Weisung aus den Acten entfernt
werden möge. 3
Van Velde wurde durch Trauttmansdorff die besondere
Zufriedenheit des Kaisers mit seinem Verhalten zu erkennen
gegeben. 4 Er wurde unmittelbar darnach zum Lieutenant am
Lehenshofe zu Brabant ernannt, und zugleich wurde ihm der
1 Metternich’s Bericht an Trauttmansdorff vom 17. und 21. März 1794.
Orig’. Metternich an Erzherzog Carl, le 17 mars 1794. Orig. A.-A. (3 Briefe.)
2 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles, le 17 mars 1794. Orig.
3 Metternich an den Kaiser. Bruxelles, le 21 mars 1794. ,Keservandum.‘
Copie. Derselbe an Trauttmansdorff von dem gleichen Datum.
4 Trauttmansdorff an Van Velde. Vienne, le 26 janvier 1794.
168
VI. Abli.: v. Zeissberg. Belgien unter Erzherzog Carl (1798, 1791).
Titel und Charakter eines Conseiller d’etat de rohe mit einem
Gehalt von 5000 fl. zutheil. 1 Van Velde war mit dieser Ent
schädigung auch zufrieden; nur hat er, dass ihm statt des Titels
eines Conseiller d’etat de robe jener eines Conseiller d’etat
d’epee zutheil und gestattet werden möge, den Titel Baron zu
führen, den sein älterer, aber geisteskranker und unverheira
teter Bruder führte. 2 In der That wurde auch diese Bitte von
dem Kaiser gewährt. 3 Auch in der Folge wurde ihm noch
manche Begünstigung zutheil.
Seitdem die Stände von Brabant Limpens zum Eid als
Kanzler zugelassen hatten, stand der Inauguration nichts mehr
im Wege. Man war in Wien über die eingetretene Wendung
hocherfreut; sie wirkte nachhaltig auf die Entschlüsse des Kai
sers zurück. Bei fortgesetztem Widerstand war derselbe ent
schlossen gewesen, während seines Aufenthaltes in Belgien
Brüssel blos zu passiren, ohne sich daselbst aufzuhalten und
ohne eine Deputation zuzulassen. Jetzt konnte dagegen Trautt-
mansdorff in Aussicht stellen, dass der Kaiser sich persönlich
werde inauguriren lassen, 4 während er sich früher durch seinen
Bruder hatte vertreten lassen wollen.
1 Trauttmansdorff an Metternich, le 5 fevrier 179t.
2 Metternich an Trauttmansdorff. Bruxelles le 17 fevrier 1794. Orig.
3 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 11 mars 1794. Orig.
4 Trauttmansdorff an Metternich. Vienne, le 27 mars 1794. eig.
VII. Abh.: Re in i sch. Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
l
VII.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
Von
Leo Reinisch,
wirkl. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften .
Lautiere.
I. Die sprachlaute.
1) Die Bedscha sind des lesens und Schreibens durchaus
unkundig und waren es auch gewiss von jeher, indem der
alten meroitischen schrift, welche sich aus der ägyptischen ab
gezweigt hat, nicht wie Lepsius behauptet hat, das Bedauye,
sondern die altnuhische spräche zu gründe ligt. Als muslims
bestreben sich nun allerdings einige fromgläuhige Bedscha, und
zwar hauptsächlich nur die sogenannten heiligen scheche, 1 die
arabische schrift zu erlernen um den Koran lesen zu können.
Allein auf die fixirung irer muttersprache hat diese kenntniss
der arabischen schrift nicht den allergeringsten einfluss, da ja
dann solche schriftkundige Bedscha in iren correspondenzen
sich nicht des Bedauye, sondern nur der arabischen spräche
bedienen. Wir fixiren demnach die sprachlaute der Bedscha
mittelst unserer lateinischen schrift und suchen diejenigen laute,
welche unser alfabet nicht kennt, durch besondere diakritische
Zeichen auszudriicken.
2) Mit ausname des liamzeh und der praecacuminalen
werden alle übrigen laute des Bedauye wie die entsprechenden
unseres alfabetes ausgesprochen. Da wo eine leichte divergenz
besteht, wird dieselbe im folgenden kapitel genau verzeichnet
und beschriben, ebenso dort auch die aussprache der praeca
cuminalen angegeben werden. Das palatale j lautet wie unser
dsch, oder wie das englische j in jaw, joy u. s. w.
1 Vgl. hierüber W. Munzinger, Ostafrikanische Studien, 1864, p. 315.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXVIII. Bd. 7. Abh. 1
2
VIT. Abhandlung: Reinisch.
3) Der vocalbestancl entspricht völlig dem unsrigen; von
den consonanten feit dem Bedauye gleich fast allen kuschitischen
sprachen nur das p, die labiale tenuis. Alle vorhandenen con-
sonantischen laute des Bedauye stelle ich in nachfolgender
Ordnung zusammen :
dentale:
praecacuminale:
palatale:
gutturale:
laryngale:
labiale:
t d
t d
— j
k g
— b
s — l r n
s — — — n
f iv — — m
Die sogenannten «-haltigen gutturale, welche unten näher
beschriben werden, sind als zusammengesetzte laute hier nicht
mit aufgefürt und werden in §. 44 ff. eingehender besprochen.
In der bezeichnung der obigen lautgruppen schliesse ich mich
der meines Vorgängers Almkvist an. Ueber die lautverbindungen
des Beclauye vgl. ebenfalls Almkvist s. 51, §. 32. Der hoch
verdiente forscher hat sich aber in seiner grossen genauigkeit
etwas zu weit ins kleinste detail one wesentlichen nutzen ein
gelassen. Alle Unarten maulfauler leute aufzuzeichnen, ist nicht
aufgabe der Sprachwissenschaft, es genügt diejenigen formen
kennen zu lernen, die uns einblicke in den bau der spräche
gewären.
II. Lautveränderungen.
1) Die consonanten.
A) Die dentalen.
4) Der Verschlusslaut t hat sich, wo nicht einwirkungen
der Umgebung eine erweichung verursachen, ungeschwächt er
halten und entspricht in der regel einem t im chamitischen,
sowie in den semitischen lehnwörtern, wie: -t = Ku. -te, Bar. -ta,
A. '1* und; ta = Bil. Cha. Qu. tak, A. ‘i't] s gleichen; t&fa 1
= Bil. etbä, Ti. ' A. h'l'fl'!'' (Sa. 'Af. hindub) nabel;
täkla — Sa. 'Af. taklä, G. A. Ti. Ty. ’J'VfA: wolf; tikds —
Ku. takäsa, A. 1*/.hTf : ferse; tamin, tamun — Sa. tdmman,
1 Ueber e in tifa s. §. 105.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
3
'Af. täbanä, So. tabdn zehn; terir spinnen = Sa. talal drehen,
wickeln; täwig = So. tdkfi, Ga. ddfqi floh; entär = Ku. ontärä,
Th h't'l'C 1 geflochtener teller; biltu = Ku. börtä hirse; lcutän
= So. kutan, wanze; Semit = Bil. samat, Ti.
schmieren; mat neben mad = Ga. mdta köpf u. s. w. In lehn-
wörtern wird auch der arabische laut ö welcher dem Bedauye
feit, durch t ersetzt, wie: tib = i >L> IV füllen; taldta =
dienstag; tetel = Jj&j antilope bubalis (Ti. "fH’A 0 11 • s. w.,
vgl. auch täkla wolf und k)lA> (bjJUtf, Ch. xbj?n) Schakal. Ueber
bed. t gegenüber dem semit. fli tä, X B o 5 l) s vgl. §. 19 ff.
5) Erweichung des t zu d tritt häufig vor d, g und b ein,
wie: ad-be'ir neben regelrechtem at-be'ir ich erwache; M-d-bäden
neben regelrechtem M-t-bäden sie vergisst nicht; ki-d-guad für
und neben ki-t-guad sie bewacht nicht; ki-d-dir für M-t-dir sie
tötet nicht; ki-d-din für M-t-din sie glaubt nicht u. s. w., vgl.
auch Almkvist §. 33. In derselben weise, wie sich t an d, assi-
milirt sich dasselbe auch an t, d, S und an s, wie: ki-t-ta’ für
ki-t-ta' sie schlägt nicht; ki-d-dah sie ist nicht fett; ki-S-si’ sie
altert nicht; ki-s-sa' sie sitzt nicht u. s. w. Erweichung von t
zu d findet auch häufig statt zwischen zwei vocalen, wie: adü-
mä-d (für adiimä-t, 1 Ti. hll ,ÖI, '1 - 0 «!«’ ifi ich halte eine malzeit
in bereitschaft; auch zwischen einem vocal und hamzeh, wie:
ki-d- am (und ki-t-'am) sie reitet nicht.
6) Ebenso entspricht Bed. d dem gleichen laute in den
übrigen sprachen, wie: deibi = Sa. 'Af. däb heft, griff; dib =
Bil. dibb y, Sa. 'Af. dab-is, Ti. Ä"'fl:(lAs fallen; dtibba = Bil.
dibbä, Qu. debä, Ku. dibä, Ti. * Ä’fl'l* ’ hügel (G.
£nn-- eminere); dof = Sa. dubo fleischstück; dille — Bil. dira
frucht der adansonia; dir = Bar. dir, So. dil töten; endera
(aus emdera, mddera) = Sa. madir cordia abessinica; endirhu
(aus em- für me-dirhu) = Sa. 'Af. dörho, G. f^ClT '• Ti. Ty.
Ä-Clf: hun; gud = Ga. gud vil, gross sein; hida — Sa. sidda,
'Af. tiddä gemeinschaft; hawäd = Ku. aiocidä nacht; mindaro
= Sa. indaarö, Ti. Ty. G. ficus vasta; ragäd = Sa. rigid
fuss, ragad (npi) treten u. s. w. Auf früheres t fürt d in de
(für dew, s. §.66) = Bil. taü-nä, Ti. •' Schwitzbad;
dagü = Bil. takaü u. taküam, Ti. ’t'Ylffo : 'l'if'tro : beobachten;
1 Zu a vgl. §. 96, a.
1*
4
VII. Abhandlung: Re in i sch.
dagüg neben gewönlichem tagüg zwanzig; dagay neben sel
tenerem tagay — kai' sieb umwenden; dehd nähe, dehäy neben
seltenerem tShäy = Cha. tik, eik bei, für; fedig = Jjü los
lassen u. a.
7) Da im Bedauye die semitischen laute ■> und : H 1 nicht
vorhanden sind, so werden in lehnwörtern dieselben ebenfalls
durch d (bisweilen auch durch s, vgl. §. 9, b) ersetzt, wie: däb
= AAj laufen; dib = wolf; debil = rosinen; di-
bedi moschuskatze = >üj moschus; debdk — quecksilber;
dabdl klein, schmächtig = zart; dakdr stier = “Ol
männchen; dera = Ti. TfCÖ: Samen; dür = j\j Ti. \ld:
Ty. Hffl/D besuchen; deräf = äiijj Ti. girafe; ddaba
= Äijl» wittwe; adum = fj.« sich unterhalten; geddm =
Jka wurzel; hedäm = leibbinde; kunfid — Ji-o igel;
medid = yty, G. or>’\\im\\: abrasiren; midän — wage;
nabid = wein u. s. w. Auch u» und fl o- 0 werden bis
weilen im Bedauye durch d ersetzt, wie: addr = J_üA honig;
d-daro rot = Bil. Agm. De. Qu. sar rot sein; dinne = vulg. A.
Ar. Si’iA dorn; ’arid — tanzen; baldnda —
fliessiges pecli; de’ir = G. wCO ! erbauen; däb = Q_>IA eilen;
döb-ti — G. Ainvn» hochzeit; ddmba (für danba, darba) = Sa.
'Af. sarbä, Ga. zur bd, Ti. rtCH : wade, schinbein; hdd'a (für
had'[ad]a, hadli[ad]a) greis, schech = G. :, Bil. qaded,
Sa. lias alt werden; hddgüi die frisur, das flechten = G. 0fl4‘ :
: flechten, cf. AyA, JjjA verstricken; yawid = A. :
G. X\(D(i: flechten u. s. w. Ueber d für b t ^ J=>, rtl X 0 CE1.
vgl. §. 20; ebenso über d als ersatz von ^ vgl. §. 25.
8) Abfall von d, nur im anlaut bekannt und erklärbar
durch fonetischen Übergang von d zu s und h welches dann
abfiel, zeigt sich in: anbür, plur. dnbir = Ti. J'.’JIIC: flügel;
angül-äy taub = A. : taub, Md ■■ taub sein; üngewa,
üfiewa taub = G. y.T’^CD: taub sein; vgl. auch eke 1 und Sa.
dikö geier, weihe. Uebergang von d zu s sind nach dem vor-
ligenden sprachmateriale im Bedauye nur in seltenen fällen zu
constatiren; so in: sehag = ^AS G. T.'/liVl : A. f)'fi : Ti. fithT-
Bil. Sahag rutschen, abwischen; seng = Lo, (Ti. G. X7rh ! )
warten, bleiben; sa’ = Ga. td sitzen, bleiben; mes = ijJU Ti.
1 Zur länge von e in eke s. §. 105.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
5
Gr. °Vhf£' A. tn }?': Bil. mid tisch. Zum Übergang von s zu h
und dann abfall von h vgl. §.11 und 50.
9) Da das Bedauye nur einen einzigen dentalen reibungs
laut besitzt, nemlich s (gesprochen wie unser scharfes s in was,
das, hass) und daher weder das sanfte z (in unserem: grasen,
lesen) noch die semitischen laute > j kennt, so werden daher
diese genannten Zischlaute regelmässig durch das einzig vor
handene s ausgedrückt. Daher entspricht dieses s:
a) dem s und z des chamitischen, wie: slb = So. sab (Sa.
'Af. dib-anä) rüder; segi = Sa. slg, Gr. ziga sich entfernen, ver
reisen; sukena = Qu. sakänä, Bil. zägüdnä, Cha. säyßnä, Ti. A.
Gr. flll» < T ■■ fussknöchel; sellam — Sa. saraiv, Ty. fl/.at‘ • acacia
etbaica; san = Sa. 'Af. sä dl, Bil. dän plur. zän, De. Qu. zan
bruder; seny,- seni = Bil. san (sang), Cha. sinek, sanaq, Sa.'Af.
So. säg, aus sang (Ti. Ty. Gl. ft'ith:) warten, bleiben; sünküa,
sünka = Sa. 'Af. sunkü, Bil. zeg, zag, Cha. zig (aus zayg, zang),
A. : (cf. id.) Schulter; sar = Sa. 'Af. sär, Bil. si'ir,
Ti. G. flThC ' und flhc- wasserschlauch; sdra = Sa. 'Af. sdra,
Cha. serä, rücken; serdm = So. saren, Sa. sinrä, Ty. G.
rCS£: Ti. Ti’ii.f, : weizen; sitob = Bil. sibd, a. rtvn-i- ■■
geleiten; as = Sa. 'Af. os, Qu. qüaz, qäz hinzufügen, mer geben;
kemüs gesäss, sitzteile, hinterbacken = Sa. kamas sitzen (cf.
liems, o-M.ce id.); kös zan, horn = Sa. gazä plur. goz, 'Af.
gay sä, So. ges horn; kesis = Bil. kiis und käs (cf. hds) zusammen
wickeln, zudecken; mdse = Sa. basö, 'Af. biso Vergangenheit;
mäsu = Bil. De. Qu. was, Cha. Bar. w&s hören (Kaf. way id.,
Go. wäj or); masdnko = Bil. Qu. mazanqo, Ti. Ty. A. G. c/i>^<f» :
harfe u. s. w.
b) Die semitischen laute > j ] U in der aussprache dem
neugriechischen d gleichkommend, werden jenackdem sie durch
das or aufgefasst werden, im Bedauye entweder durch d (vgl.
§. 7) oder s ausgedrückt; so: sebade und dibedi moschuskatze
= moschus; safare = Jjj J-oj Ti. ff<£.C 1 dreck, mist;
sdmbi = Sa. zdmbe, Sünde; sämbil = Sa. zambil, 'Af. dambil,
Bil. danbil, Ti. ijj'Jfl.A: korb; simsim = sesam; söy,
so = Ti. G. HO : erzälen; jenäsa und genäda = üjlia. leichnam;
jinsir = kette; hansir = schwein u. s. w. Nur in
ganz vereinzelten fällen steht für diese semitischen laute im
6
VII. Abhandlung: Reinisch.
Bedauye ein j, wie: jma ehebruch, vgl. !~ij; huren; jnübe
i = Sünden, u. a.
c) Ebenso werden die semitischen laute & 0 ,j> Jp ^
analog dem vorangehenden fall im Bedauye bald durch t
(s. §. 20), bald durch s ausgedrückt, wie: seba’ = (cf.
G. Ä'fl'V : ni9”0 : intingere) färben, vgl. So. dob färbe; sbuh
(aus sebhü, vgl. §. 45, a und §. 46, a) = gJo morgen; sabün =
seife; sid = die südliche berglandschaft von Egypten,
Nubien; sidig - warbeit; sufän — ^^o zunder; silel =
beten; sän = teller; saräf = geldwechsler; as
— G. o%w s Gur. (Kaf. liij, hü, Go. ic, Bar. esi) verschliessen;
’isi und hisa = Sa. höse, Bil. qü$ä, Ti. G. fUA : sand;
bar äs = aussatz; büs = Sud.-Ar. ror; gamis = G.
<t‘ a VA' ■ und hemd; ne/ias ='Aj G. iJfrh’ Ti.
f\‘/x fix ; Mit: rein sein; rakis neben erahis — billig u. s. w.
10) Selten zeigt sich im Bedauye im gleichen wort ein
Wechsel zwischen s und §, wie silsil, sinsil und sinsel = G.
flAflA 1 und rniöntf kette; askir und Sahir = G.
'&*, Ti. Tilnt : ~av sich berauschen. Wo ein bed. s einem
semitischen s gegenüberstebt, muss die entlebnung eines Wortes
einer zeit angehören, in welcher auch im semitischen noch die
form mit s existirte, vgl. safars und Ti. aber Jjj mist,
kot (§. 9, b); haris und Ti. fhdTf 1 aber Gf. fhd/*’ •
und fhiZtl 1 nashorn; hawas und Ti. rhfflff ! flA * neben HiAOA !
scherzen; mesdr und Ti. mc- aber G. A. {f n AC ! axt.
11) Abfall von s infolge Überganges von s zu h, welches
sich dann verflüchtigt, lässt sich ersehen in: barüs er, batüs
sie (BA), das im Bischari zu barüh, batiih übergeht und im
Halenga fast wie barü, batü lautet, ebenso barä (m.), batä (f.
pl.) = baräh, batdh (Bisch.) und baräs, batäs (BA.) In der
selben weise scheint ümero 1 zeit, ehemals, aus G. H< 7D 'J !
1?! ( v gl- So. aman, Bil. emanä id., Sa. kämanä heuer, d. i. kä-
amänä dieses jar) entstanden zu sein; villeicht gehört auch
hieher rdwa (vgl. Ti. G. HV-fl ■■ i—o>) schwänz.
12) Die liquida l, r und der dentale nasal n haben die
gleiche aussprache wie im deutschen. Sie wechseln häufig unter
einander ab, wie: babal und babar, baber flattern, fliegen; bile
1 Für eme.ro, s. §. 88 und über den accent in ümero s. §. 103.
WZ.*
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II. 7
und bire regen; delif und derif dunkel, braun; ddbalo, dd-
baro und ddbano zart, klein; tdlha und tdrlia links; lät und rät
blatt; gäl und gär eins; küle und küre zan; ambalöy und am
bar öy lippe; malö (aus ma-lav) zwei, und rau zweiter, asa-
rdma (T 2) siben, septem; halig und hanig biegen; silsil und
stnsil kette. Demselben Wechsel begegnet man bei Vergleichung
dieser laute mit den entsprechenden Wörtern in den übrigen
sprachen; vgl.
a) für l: lagt (aus läge, lagay, lagad, vgl. §.31 und 33)
reise, weg = Bil. langar, Agm. langad, G. Ti. A. : reisen,
weg; la = G. h'iT-ö 1 fett, von Uo >*70:; laga
= Ti. A.'J! Sa. 'Af. rugüä, Cha. niyü, Agm. naü kalb; leh ------
Sa. 'Af. läh krank sein, G. A'7 A'’l : n v' 1 ? 'Tf laxus fuit,
/WWVA -CU X ' '
j—I naha abnemen, schwach werden; lehä-y, leha-yt
(ablativ) am morgen, morgen == A. V/J: G. ’i a ]U • der morgen;
lehdk =Ty. • ta-nhag neben • ta-hnag, A. : ta-
näg für ta-nhag, Ti. gaumen; Ink (für lekü) = 'Af.
rugä, Cha. rgqüä thon, lern; lale = Bil. Mio, Ti. Ty. A. G. A«A” !
neraü, iioirpe geier; lüm = steiss, podex; Uso
— K’toj wolke; luw (aus lew, vgl. §. 88) brennen, lau (aus
laliw) brand == G. A(U1 : anb brennen; babal, auch babar,
baber = Sa. falfal flattern, fliegen; begdl = Ti. Hl'} : Sa. bajän
tripper; bütu = Ku. börtä Hirse; dille = Bil. dirä frucht der
adansonia; halig und hanig = Bil. ’agal, Ti. 0<}>J: und (HJ s
bpv (sy. üpP für Jpy) JJU biegen, krümmen, wickeln; hankül =
jiils kitzeln; melah = Bil. marh, Sa. 'Af. mar ah, Ti. G. tn'C.ih ■
füren, den weg zeigen; sellem = Sa. saraw, Ty. ; acacia
etbaica; ialit-ana = fljA wC?t • Zeichen; seltüt = Bil. siltüt,
Ti. Ty. Mfji, fetzen; tela = Ti. Ty. ni4»
AA: (cf. id.) durchboren, -löchern.
b) für r: re — Sa. raiv, rau, rä brunnen, tümpel, G. :
irrigari, hausit alicui aquam, aqua abundans (fons);
rdba = Sa. 'Af. So. lab männlich; rib -- Sa. 'Af. na'ab, i_L*j nicht
wollen, unleidlich finden; ragdd fuss = Sa. rigid id., ragad,
Josj jij IpT treten, tanzen; regig strecken, verjagen = ^ con-
tendit, movit; rüg das = Ti. /.,’J'll: Schlachtung für den leichen-
schmaus, fl : G. : jugulare; reküi = Ga. rägüa-ma, rägä-
ma, Kaf. nag, nagü, LAj sich fürchten, jkLj furcht; rara =
i
8
VII. Abhandlung: Remiseh.
folgen; äsa-rdma ([5] + 2) siben = Ga. to-rba ([5] + 2) siben, lama,
So. läba, Sa. lammä zwei; rdyyi (aus ratey, rawK) gewinn =
gewinnen; addr - J..dA honig; embira (aus emmi-
ra, nemira) = nböJ ameise; irbo = Sa. elbö, Ti. hAO 1
mais; ’arid — Jkis spilen, tanzen; drgin (für ragin) = Jui-j
brn schaf, lamm; gerib = iX-vü sigen; kars ganz, gesammtheit
= G. hArt ' congessit; marcC — Ga. baV weit, breit sein; terir
= Sa. talal drehen, spinnen u. s. w.
c) für n: na’ feuer = Sa. 'Af. la brennen, heiss sein, Cha.
liyä plur. lik, De. Qu. layä, Agm. lag, Bil. lügä plur. lak feuer,
vgl- | rakah, pouo ardere; nu’ = Bil. na', Ti.
VA flA * sich setzen, legen, ligen, vgl. sich neigen; nai =
Ga. re', So. ri\ 'Af. ray, Sa. 'Af. läh zige; ne'äf, näf = Sa. 'Af.
lif'i nagel, kralle, vgl. G. ’idA' '• spalten; na’al = vulg. Ar. Jj*3,
Ar. verfluchen; neba = Ti. A9°0 ! heiss sein, brennen, G.
AA/WAA
A9°0 ' leuchten (vgl. |pj q fl\ n hp leuchten, licht, tag und anb
G. AOfl s brennen, s. oben luw brennen in §. 12, a); nvg
und nägüe = Sa. 'Af. angü, ängü, Bil. ungü, Agm. Qu. engüä
mutterbrust, So. nug, Ga. luga saugen; ngili eierschale, vgl. Sa.
'Af. engirö hülse, rinde; nehad = G. Arh& : schwach, wankend
werden, sich verringern; nehas = G. s A. Jnj: nats
Ti- AÄ'rfi s Bil. laceh, lace’ rein sein; nehaw mager, schwach
sein = p-| nehaw, G. AlflD : viribus deficere, Ad» <7D s
tenerum, debilem esse, cf. ana tJuLj id.; nakü dünn,
fein, zart sein; schwanger sein und ,_Xk' mollis fuit, tem-
pori pariendi appropinquavit (femina); an (aus hon) = A. ij_A:
Gr- h°rhA J ,_b=i.S mit spiessglanz die äugen bestreichen; dnba,
dmba = Ga. alba-ti stercus, alba cacare; baden unbeachtet lassen,
vergessen = Ti. flTA ! G. DdlA ' J-hS vanus fuit, cessavit; omfu
(für enfu, efnu, o aus e wegen m verdumpft) = Cha. afir, G.
ÖVd’1' 5 fett; be’an = JaS, vgl. Ti. fl CO •■, G. ACO : sich fürchten;
kehan = Sa. 'Af. kahan, So. ja’al lieben, ga’al freund; kiiän plur.
küan = Bil. De. Qu. kürd plur. kür fluss, chor; kuän, kän =
Cha. kiiar, Sa. küray, Ty. ftV.p - betrübt sein; san = Sa. 'Af.
sadl bruder; seküdn kokett = JxA kokettiren, u. s. w.
13) Aus den t-lauten hervorgegangen erweisen sich die
liquiden in: lat, rät plur. lat, rat baumblatt = Sa. dat, dad,
dal grün sein = da\ä grünes, gras, baumblatt; kalif = G. rffW ■
m
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
9
(zu k und h vgl. §. 36) nacken; küal — Bil. küatküat, Sa. quat-
qtiat, Ti. ‘fe'P'fefll ! picken; guäl, güär (für wägel, Wäger, s.
§. 45, a) = eins (über g zu c s. §. 37, b); mehal = ks^,
ksA herausziehen; ma-lö (aus nia-law, -lau) zwei, rau zweiter,
asa-rdma (5 + 2) = So. ta-doba (5 + 2) siben (vgl. §. 12, b); Sra
(Ku. arä, Bar. ere) = Ga. adi, So. ad, Sa. 'Af. 'adö weiss, G.
weiss sein; dugura — Bil. Saqtita, Sa. sdgda, Ty. <]>■*! ■’
»Wi und Ti. : Schöpfeimer; dura oheim, tante
= “iVn fern, fHT'! id.; dardk = G. Rfth» Sa. dadä', 'Af. dadd
die kalte jareszeit; fir = A. <{,'!■: gesicht; girma köpf =
caput, praestitit; wer = Ti. (Di\: G. (Of-\'h • machen. Im
etymologischen zusammenhange stehen auch riya, Ar. lAj müle,
und G. £rlif: malen, zerreiben, tfDj^ r | h : müle, malstein; ebenso
hängt rugüäs, Ti. /,/J’JI • Schlachtung für bereitung des toten-
males, zusammen mit Sa. ddzzä (aus dagzä), 'Af. daysä (für
dagsä) id., 1 vgl. damit l _ r üaS confodit hastä (die genannte Schlach
tung wird mittelst der lanze ausgefürt). Auch dürfte Bed. rab
(Sa. 'Af. So. lab) männlich sein, auf Ti. G. 'f’-flO: A. -J-fJ: vi
rilem esse, zurückfüren, vgl. ’l'ftö't's ein männliches, mas, mas-
culus, im gegensatz zu h'itl'l" : weiblich.
14) Unsicher ist es, ob l, r für früheres s steht, in: leub
ziehen, herausziehen (das Schwert u. dgl.) und G. ftrf,fl
2np id.; damer (für daner) schmutzig werden und sorduit;
nigär und kupfer (zu g und h vgl. §. 37, b), doch dürfte
nigär eher zu Ti. A. ’tPirV ’ gehören, der (meist aus kupfer
verfertigten) trommel, welche den fürsten zu eren geschlagen
und vorangetragen wird.
15) Abgefallen sind die liquiden in: enga (zunächst aus
engay, engar) rücken = De. Qu. engiyä plur. enge, Agm. angir,
Bil. ingerä id., cf. JA.! posterior pars; ferner in kam = G.
Ti. laofa: kamel. Genau dieselbe form zeigt sich in Nub. kam
aber noch plur. käml-i (KD.), kdmr-i (FM.) kamel.
16) Abfall von n ligt vor in: 'a milch = So. 'dno, Ga.
andn, Sa. 'Af. han id.; dwe 2 = Ti. G. ’h’tt'i : B# stein, vgl. auch
1 Vgl. ^ r % s neben älterem ^ |1 t^ s die kele durchschneiden,
schlachten.
2 In selcuauneb quarzit (Münz.) ist dieses «noch vorhanden; das wort bedeutet
warscheinlicli: weisser, glänzender stein, cf. f*nli? : nitidum esse.
10
VII. Abhandlung: Reinisch.
Ku. ebarä quarz d. i. ebä-drä weisser stein; ddha kinn und
kinnbart, gegenüber Ti. 5 id.; dihe = 'Af. dikhenö,
Sa. dilhenö glutkole vgl. ^3 und rauch; däme = Gr. Ty.
i\°Vi ■ der nord; käda neben kaddn = Bil. kaddn, Ti. hÄ*}-
die steppe. Im anlaut ist n, en abgefallen in da neben enda
männer, leute = Sa. endä, Ty. : stamm, tribus; day neben
seltenerem enddy gut, scbön = vortrefflich; dehdy neben
endehdy 1 mensch, leute; dann detu, detük, detüs u. s. w. meine,
deine, seine mutter, für endetu u. s. w. enda mutter; ferner küna
und kina 2 neben anküdna (für am-kudna aus ma-küdna = Sa.
makawän) herr. Dieser abfall von anlautendem an, en mag
wol auf einer irrigen grammatischen auffassung beruhen, indem
man dieses an, en für das gleichlautende demonstrativ der plural
form betrachten mochte; vgl. §.76.
Ueber den lautlichen Übergang von n zu m vor labialen
s. §. 71, sowie über m vor t- und ^-lauten zu n s. §. 72.
B) Die praecacuminalen t d S ri.
17) Das t ist ein mit der Zungenspitze zwischen dem obern
teil des alveolare und dem beginn des gaumens erzeugter Ver
schlusslaut, genau dem Tigre ni gleichlautend gesprochen, wärend
das etymologisch entsprechende arabische b im Sudan wie in
Egypten etwas näher an der articulationsstefle des t gebildet
wird. Daher kommt es auch, dass die Beni-Amer welche im
ständigen contact mit dem Tigre Volke stehen und selbst alle
das Tigre wie ire muttersprache handhaben, ir t genau wie
das fn sprechen, wärend bei den Bischari dieses t gleich dem
erwänten b lautet. Dieser kleine unterschid in der ausspracke
des t hat die folge, dass bei den Beni-Amer ein radicales t auf ein
vorangehendes (bisweilen auch nachfolgendes) formationselement,
wenn dasselbe t, s oder n lautet, stets palatalisirend einwirkt
und diese genannten laute zu t, s und n umgestaltet; vgl. z. b.
ta' schlagen, pass, tö-ta (nicht tö-ta') geschlagen werden, caus.
Sö-ta' (nicht so-ta") schlagen lassen, ariti ich schlage (dagegen
z. b. afandig ich befreie, von fadig), wärend Almkvist die
1 Aus enda leute -(- liay — Sa. ‘Af. lieyaü, heyo, G. (hfftD* s vivens.
2 Für kena wegen des accentes, s. §. 105.
Die Bedauye-Spraclio in Nordost-Afrika. II.
11
formen tö-ta' und so-ta anfürt und eine reihe gleich gebildeter
Wörter. Ich beeile mich aber zu constatiren, dass auch die
jenigen leute vom stamm der Bischari welche mir für meine
arbeiten zur Verfügung standen, ebenso sö-ta und tö-ta' u. s. w.
bildeten, genau so wie Almkvist angibt, dieser also gewiss ganz
richtig gehört und darnach seine formen aufgezeichnet hat.
18) Aus zwei umständen aber ist zu entnemen, dass der
laut t im Bedauye (genau so wie im Saho und 'Afar) stark im
Schwund begriffen ist, und zwar einerseits aus dem verhältniss-
mässig gar ser seltenen Vorkommen desselben in Munzinger’s,
Almkvist’s und meinen eigenen sprachlichen aufzeichnungen
(doch dieser umstand könnte immerhin noch ein zufälliger sein),
anderseits aber und worauf gewiss mer gewicht zu legen ist,
aus der tatsache, dass dieses t so ungemein häufig durch t
(auch d) und wie fast allgemein in sämmtlichen niderkuschi-
tischen sprachen durch d ersetzt wird. Die erklärung für die
erstere erscheinung ergibt sich aus dem in §. 17 angegebenen
lautfisiologischen gründe. Für das Vorkommen von t finde ich
in meinen aufzeichnungen nur folgende belege: ta' und da' (bei
A. ta', bei Mu. da) schlagen = q {] q {] X ta'ta' und
/-~S ^ I I ^ ^ ^
taq, taktak, 2SL0R2S_€K, Ti. G. mtyo ! A. (n&’b
So. da’ id.; täb und (ab (neben dab) bei A. täb merere schlagen,
welche bedeutung unrichtig ist, indem es einfach nur schlagen
bezeichnet, vgl. barüs etbi-heb er schlägt mich, kl-täba-heb er
schlägt mich nicht. Diesem wort entspricht Bil. ta'anb, Qu.
tamb, Cha. (ab schlagen. Ferner tabbal zu-, verschliessen die
türe = Ti. mflA : zubinden, verschliessen, wol im Zusammen
hang mit Ti. G. nvdAA : ein-, zusammenwickeln. Dann: teldy
regenbogen, cf. ü 3 JJb albedo aurorae. Ausserdem noch die zwei
interessanten formen Man und Man (Ti. ■ G. 1
^jth-vio) teufel, vgl. die Verbindung § mit t und s mit t (s. §. 17).
Bei A. findet man noch: tib anfüllen, wofür ich tib besitze (s. §. 4),
dann tatu' geknetet werden im bade = Sud.-Ar. ferner
(in (Ar. thon, bei mir nur tln; endlich (eil einschlagender
blitz, das man wol zusammenstellen darf mit G. OPÖ ’• fragor
tonitrus u. a. fij m : hA ■’ mit voller wucht aufschlagen, niderfallen.
19) Fast regelmässig steht dagegen in lehnwörtern einem
fn h im Bedauye dentales t gegenüber (vgl. §. 18), wie: tu' und
12
VII. Abhandlung: Reinisch.
Ti. Gr. : zwicken; teb und Ti. ÖflV'fl■' >—dA baumwolle; tub
und Ti. /n-'fl : i^jjk ziegel; täga und Ti. : ä.slL fenster;
tilba und Ä.llh Steuer; tarn essen, und Ti. n\{itio: A. (t\au s
Gr. ‘fitau: is.L verkosten; tama und Ti. (fi9°0 ' geizig sein,
g-*k concupivit; temxik und Ti. : einwickeln; tute und
Gr. ni*T ! b^k baumwolle; taway und ^jk von sieb weisen; ’at
und ki Sa. 'at und 'at treten; ’amat neben ’amad und k4i kkä
anfassen; bat und Sud.-Ar. klS = Ar. ki\ acbselhöle; het und
kilA mauer; hdtera und Ti. A\*rC 1 ^bA mutig; keti und kA
setzen; kat’ und gks absebneiden; malit und Gr. ! bik
rupfen; sehit und Lk-w erwürgen u. s. w. Aus der tatsacbe nun,
dass im Bedauye das t nur in specifisch semitischen lehn-
wörtern erscheint und auch in diesen das fli k nur so selten
mittelst t ausgedrückt, in der regel vilmer durch dentales t
ersetzt wird, darf wol erschlossen werden, dass wie in den
übrigen nider- und hochkuschitischen sprachen, so auch im
Bedauye das t nicht als ein ursprünglich kuschitischer, sondern
als ein dem semitischen entlehnter laut zu betrachten ist.
20) Seltener werden die laute ft 0 CCt, J», 3t die ja
lautfisiologisch als reibungsgeräusche auf ein fll b £3 zurück-
füren, durch t (für t) ersetzt; so z. b. tim und Gr. ft<n>: (cf.
<Ao) schweigen; tdmuga und Ty. Gr. 0P9°: links; temuk und
Ty. ftr/x>'j;: Ti. : einwickeln; terig und A. CW.fkd’•
mond; tat insect, laus, und Gr. ftft.-T ■ Qm sasa,, Agm. sinsä
mücke, Kaf. Go. cücö, Wär. Wäl. cüeä laus; tiw und Ti. Ty.
CEHD-s nA: (cf. G. ftfl)-(J: id.) schreien; ardt und Ti.
Bil. qarasä (Sa. aras) acacia etbaica; vgl. auch hdta aussen-
seite, hatäy draussen, und A. flöJ-EEl. s pn3 draussen, pn aussen-
seite. In der regel steht diesen semitischen lauten im Bedauye
ein d (s. §. 22) auch wol d gegenüber, wie endi und Ti. G.
eisen; di’ klein, zart, und ^yAk zart sein; döbba und
aAA hölzerner rigel; ddbdab und i_Ak eidechse; difo und
Ti. bW. : \’ : ■ belila; duluma und Ti. G. Ä*A< /D "T‘ ! ÄdJjä
finsterniss; demim und G. Oaoaot pressen; din und ff
meinen, glauben; derim und herde; farda und Jpj> lappen,
stück eines kleides; ddwa und däwa (Sa. 'Af. dabä) und Ti.
ECl.-fl?» : ‘AQhfl' ’■ Bil. cibä volksstamm, tribus (G. ft>flh= militia);
für da und HJaf ankerplatz; gddi und Ty. "J'A. : Ti. G. 1R-.
gesicht; gddaba traurig, und Ti. d>ft(l : trauern; höd und J^A
Die Bedauye-Spraohe in Nordost-Afrika. II.
13
teicli; liinde und A. hT’^'s G. öd - n bäum, holz; modcih
und gAjc streiten, u. s. w.
21) Das d, in sämmtlichen niderkuschitischen sprachen
in gleicher weise ausgesprochen und nur in diesen, in den
hochkuschitischen sprachen aber nicht vorkommend, wofür hier
t erscheint, ist die media oder tonans praecacuminalis. Es wird
dieses d gebildet, indem man die Zungenspitze nach rückwärts
gegen den gaumen biegt, zugleich die beiden unteren seiten-
ränder der zunge leise an das alveolare anlegt und nun d zu
sprechen sucht; so wird ein laut erzeugt, der fast wie ein rd
gehört wird und häufig auch von reisenden als rd aufgeschriben
worden ist; vgl. hierüber auch Almkvist 1. c. p. 44 und
A. W. Schleicher, Somalisprache p. 70. — Häufig wird dieses
d auch so gesprochen, dass die untere Zungenspitze leise das
gaumendach berürt und so der hervorgebrachte laut fast wie
ein unvollkommenes dsch (eigentlich ein cly) klingt. Im Saho
und 'Afar wird dieses cl genau so wie im Bedauye ausgesprochen,
aber nur im anlaut, im in- und auslaut aber nur dann, wenn
demselben unmittelbar ein n vorangeht, mit welchem es dann
wie im Bedauye ein nd bildet, sonst geht aber d im in- und
auslaut in l über, das an der articulationsstelle von d erzeugt
wird. Etymologisch fällt dieses l mit dem Somali-Z zusammen,
welches Hunter dem Sanskritlaut 35 gleichstellt und Bopp
mit Ira umschreibt. Böhtlingk identificirt diesen letztem laut
mit dem polnischen l, welchem das l im Saho und 'Afar aller
dings nach seiner articulationsstelle gleich kommt, von diesem
sich aber darin unterscheidet, dass es wenigstens nach meiner
erfarung nicht im Saho und 'Afar wie l mit vertieftem klang
der stimme gesprochen wird.
22) Hiernach entspricht Bed. d einem d oder ] in den
niderkuschitischen und einem t in den hochkuschitischen und
semitischen sprachen, so wie den aus t hervorgegangenen zisch-
lauten s, z, ft 0 cP Jpj z - b.: dibäb der floh, und A. Mid ml) :
springen, laufen, CCLflf: hüpfen; dcihan und A. m , f , * /n: aus
bessern ein kleid, nähen, flicken; deküa und Ga. daqüe, Qu.
dayüä, Ku. ddgebä thon, lern, vgl. ma £lS; dämbo und Ti. A.
Sa. tdbä, ddba brod; den anfangen, und G. TT'"/’:
anfang, fl)mV '■ anfangen; ad und JA heu; ud und Bil. qüat-
qüat, Sa. alal zittern; 'adif rinde, und G. t 15 | 7 cAAi
14
VII. Abhandlung: Beinisch.
abschälen; 1 ad am und G. «f’dlV : Ti. ‘j’TJ : i B ß klein sein, Sa.
enda (aus eclna) klein; ’afid und Lai Sa. handif niesen; dndeh,
dnde' (aus amdeh = macleh) und Sa. walahö gegerbtes leder
kleid, zugleich als unterläge beim schlafen verwendet, vgl. G.
©Ti-h • sternere, im Bil. w&Saqd, Cha. waseq gegerbte
lcuhhaut als unterläge zum schlafen; bedah und Ti. G. flX'di:
ankommen; fid und Ty. sich schneuzen; feclag um-
rüren, vgl. G. Wttxty ’• separare; hdmada knecht, und G. 0(1(11 !
LA nay arbeiten; kud und Ti. G. -VT?»: iLL Non irre gehen;
kadaw und G. ‘*id.(T\ ! LlA. tsan schlagen, pochen; kawid peitsche,
und G. Affln1: Ti. Ty. ?fffl(TI ! Bil. Sa. saivat peitschen; madäd
lebhaft, heiter, vgl. jaUJai agilis; mbäde (aus mtbä-t) und G.
Ti. f/ixptldrl“ : Schwert (woher auch Nub. mdtway messer);
madäm die matte, und Ti. fflA): ^3 flechten die matte; Me
dici und G. tPffun 1 bü jA abschälen; gada' und Bil. qüet,
quetquet, Qu. Met, wet, Ga. jid, So. qäy feucht, nass sein, und Ga.
hdda, So. ed-in, Sa. el-in grün; vgl. auch baden und J.E> (§. 12, c).
23) Im Bedauye selbst zeigt sich schon zuweilen lautlicher
Übergang von d zu d, wie: deb und deb begraben, dehani und dt-
hani gesund, heil, rnbdd und mbdd die matraze, matte, ändo und
dndo 2 mist u. dgl.; daher kann es nicht befremden, dass auch
bisweilen ein Bed- d für d in den verwanten sprachen zum
Vorschein kommt; vgl. z. b. deb neben deb = Bil. De. Qu. dab,
Cha. dib begraben; dehani neben dehani heil, gesund = Ti.
HM* HM* G. : A. salvum evadere: ando neben
andäw = G. hf, ffl* ■ mist, kot; beddwye = JgjA k 0 '
duinisch; mbdd neben mbdd (zunächst aus nbadS = jAJ matte,
/WNAAA AAAAM r—^
teppich, vgl. Nub. nebid, nibid und 1 q (j nebti, 1 y nebd,
. /\A/VWv -o W -a (_)
Hefeq id., j nebed flechten, geflecht, now&T, neqx, neTq
plectere, cf. LSj ligavit.
24) Einem } j steht d gegenüber in: gida = üjä 3 sole,
sandale; hadig pressen, kneten ^jL. prcssit; vgl. auch sedid
abschälen, und J-i neben LA, G. u-’flKfl ! scindere. Wie d in
1 Vgl. die stamm verwanten formen aap aap S)tap t|ön 32(17 ■_°US G.
‘Minll ! Ti. ! u - a. weg-, abreissen.
2 d wirkt (wie oben das l in §. 17) auf vorangehendes s und n palatalisirend
ein und verändert diese zu 8, n.
3 Zu g für £ vgl. §. 37, b.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
15
adif rinde, einem s, dann s aus s (t) gegenüb ersteht in ^Bn
G. C J*<£.R: abschälen, so vgl. Bed. dah fett sein, mit Agm.
sagü, Bil. saqu (für saqw aus saivq), Ti. Yl'flrh ! G. iP'flWi ! (cf-
und Nub. sdhüa fett) pinguescere, dehci und Bil. sauq
speise. Demnach dürfte auch Bed- dina bine, mit So. sini id.,
zusammengehören. Bed. d steht selbst im eingebürgerten daf
färbe, dif färben, einem s im neueren lehnwort seba färben =
yja gegenüber; vgl. So. dob färben, midab färbe, und 'Af. doba
= So. sibak indigo i. e. U3ä£ färbe (Sa. musuwän d. i. mu-
suw'-än indigo).
25) Von der schon oben §.21 beschribenen aussprache
des d fast wie ein dsch (eigentlich dy) kommt es auch, dass
die beiden laute d und j (das ar. f) häufig mit einander ver
wechselt werden. Nicht selten hört man auch ganz deutlich
die beiden laute in ein und demselben wort bei verschidenen
individuen, so: ernbäd und embdj die matte; bedäwye und be-
jäwye das beduinische = Jgj'do, daher denn auch die Araber
das gebiet, in welchem die Bedauyestämme wonen, als äjtsu
bezeichnen, one zu wissen dass sie es hier mit einem arabischen
wort zu tun haben; vgl. auch wdja und SAsj versprochenes,
das versprechen. Umgekert vernemen wider die Bedscha ein
arabisches j bisweilen als d] vgl. z. b. ad für tAA schreien das
kamel; adin (neben richtigem ajin) für ^sA teig; d&fa 1 ttire,
von UA clausit (portam); dim ausfüllen, für <^A; demi stinken,
für und dann auch zuweilen d für j, wie: dif (So. daf)
für jlA Vorbeigehen (über f zu z vgl. §. 61); delib für A-JiA
handel treiben; dilh für ^LA kräftig sein; dinne himmel, für
ÄXA paradies; dawel nahe, vgl. f** III vicinus fu.it; duioan ge-
fäss für plur. dmvir für ffL stamm, tribus; 2 vgl.
auch däb und Bil. De. Qu. jäh vorder-, gesichtsseite; difo und
Ti. gekochte getreidekörner, belila (s. §. 20).
26) Wie das tönende z, so feit auch das & im Bedauye
und es kommt hier nur ein s (unser sch) vor. Ueber den Über
gang von s zu £ in folge einwirlcung eines t oder d war be-
1 Zu e in defa s. §. 105; zu IAA gehört auch Ga. ciifa (lies wol jüfa)
schliessen, cufa türe.
2 So auch im ‘Afar, vgl. 1läydä und ä.AlA Sache; siräd und das
licht in der laterne, u. a.; vgl. hierüber auch im Somali, A. W. Schleicher,
Somali-sprache, s. 67, §. 33.
16
VII. Abhandlung: Reinisch.
reits clie rede (§. 17). Eine andere entstehung von S aus si,
sy ligt vor in rugüäS = Ty. : totenopfer, und vermut
lich in angaS pflüg, aus ma-grasi, Ty. (vgl. §. 72).
In den verwanten sprachen stehen dem Bed. S entweder S, s,
c, j, auch t, selten t, d gegenüber; vgl. Sa kuh, und Sa. 'Af.
sa vih, So. sa, Ga. zä kuh; si’ = io alt werden; Sefi milch
trinken = Agm. saf, Bil. De. Qu. sab, Cha. sab, caü, Ty. s
milch, G. mllO •* A. flifl: lactare; sugüd waschen kleider = G.
ÄO/TI : condire unguenta, 1 und ' laevem, politum,
nitidum esse; Sük = Ku. Sükä, Sa. 'Af. sakakö atem, lehens
hauch; Selik = Sa. Salag, Bil. Sallag wenig, gering sein; Selhüt-
ani schlüpfrige stelle und Sahat, auch Sat = Bil. jalhat, Qu.
saryat, Ga. jdda, A. P t (l\ s Ti. /5'V 0 : G. JAÖ ausgleiten;
Salit-ana = WjJ.o G. irC?/: tsnto EnD Zeichen, strich; Sum =
Sa. 'Af. zaw, saw, Bil. Cha. De. Qu. Agm. tuw eintreten; Semit
= Bil. Samat, Ti. ftov+: schmieren; San = Qu. San, Agm.
cän, Cha. san, Bil. ca'an, A. : Ti. i G. }\Oi !
J?2t beladen; Sana = Ku. sanä, arheit; dSa = G. °i l *t •
fisch; dSo rehell; öS harnen, uSa = Sa. haSSü, 'Af.
haysü harn; 2 häS — Bil. qusä, Ti. G. : staub; heSi = G.
rhÄP = nxn abreissen; kdrfas = Ku. karbäSa, Sa. karfas, Bil.
küärbar, Ti. h c.6.r’ ■ schuh der pflugschar aus elefantenhaut;
küaS === G. Jrirt: /hfl- fortbringen; roSän = Sa. rosan,
bürg, palast, u. s. w. Das wort ltiS geizig sein, scheint aus
kiky, kic entstanden zu sein, vgl. G. • geizig sein, •
geiz; ebenso mdS’ali gestell, tafel, fach, aus masyali, maskali
= Ty. ODtiVd.: id.
27) Der nasal dieser consonantenreihe, nemlicli das n ist
wie im Saho und 'Afar bloss secundär und steht nur für n vor
t und d- s. §. 17 und Almkvist pg. 43, §. 14.
C) Die palatalen j und y.
28) Die stärkeren explosivlaute c und c : Ä /,*>) kennt
das Bedauye nicht, sondern nur das sanftere j = £ und Ti.
1 Das waschen der kleider in Aethiopien ist ein parfürmiren derselben; sie
werden in abgestandenem kuhurin eingeweicht, der als seife dient.
2 Vgl. So. kadi id., kaj uriniren, und Jp\.i urinatus fuit, latrina,
<Ld^s.\io podex.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
17
; 1 aber auch dieses letztere betrachten Lepsius und Almkvist
für einen nicht ursprünglich dem Bedauye angehörigen, sondern
aus dem Arabischen entnommenen laut, weil er sich fast aus
schliesslich nur in arabischen lehnwörtern vorfinde. Dieser an-
sicht vermag ich deshalb nicht beizustimmen, weil es sich nach-
weisen lässt, dass der genannte quetschlaut wie in anderen
sprachen auch im Bedauye selbständig und in einheimischen
Wörtern aus der Verbindung von ty, ti und dy, di dann ky, gy
entstanden ist. So findet man z. b. kye und je seeschlange;
von rät fragen, die beiden formen räti-ya und räj-ya er fragte,
u. a.; vgl. ferner: bajök (neben grammatisch richtigem batyölc)
geh bei dir; ü-gaii ü-bajük (und batyük) wünn dein haus ist
gross; ü-viek-üs ü-bajüs (und bat.yüs) amägu ir esel ist schlecht;
ü-gaiv-äk ü-bajäkena (und bat-y-äkena) daüribu euer haus ist
schön; und so eine reihe anderer grammatischer formen. Dieses
genetivische i der obigen fürwörter zeigt sich auch im worte
enjör adeliger, aus end-i ör menschenson. 2 Ferner gehören hieher
die parallelformen gddi und gaj gesicht, und güddi neben guaj
äuge (auch gesicht) und quelle, welche zwei doppelformen auf
gemeinschaftliches Ty. : Ti. Gr. ’]}{' s (Cha. gas, Bil. De. Qu.
gaS, Sa. gada und gdza) gesicht, zurückfüren. Das arabische
lehnwort dlk (yXy>) erscheint im Bedauye neben dlk auch als
jik han; auf gleiche weise ist jimmo katze, eine selbständige
bildung im Bedauye aus einem vorauszusetzenden dyimmo =
Ti. : Ty. A. Gr. : id., 3 u. s. w. In arabischen
lehnwörtern wird jr an den küsten des roten meeres wie j, gegen
die westliche, egyptische Seite zu aber wie g ausgesprochen; so:
jeb und gab = tasche; jeddäd und geddäd = >\S^~ hun;
jenäsa und genäda = üjUL. leiche u. s. w.
29) Das y erscheint auch im Bedauye als mouillirungs-
laut aus j, welcher seinerseits aus dy (im Bed. auch aus ty)
1 Daher steht auch Bed. j als ersatz für c und c, vgl. z. b. jdjo — Ti.
r D‘’y- h U t ’ ■■ (Ty G ‘A'’}?;?.) mücke; juju = Bil. cucü, das
schnalzen mit der znnge als Zeichen der Verneinung.
2 Vgl. auch Munzinger, Ostafrikanische Studien pg. 353: to-budjon nelie
wir sind im vaterlande, d. i. büt-i-ön land-von-uns; dann pg. 364: en-
dedje endoa mutterstamm, d. i. ende-ti inc^dwa.
3 Ueber den Wechsel von j mit d und d vgl. §. 25; ebenso über j für > j
s. §. 9, b.
Sitzungsber. d. pliil.-liist. CI. CXXVIII. Bd. 7. Abli. 2
18
VII. Abhandlung: Reinisch.
und gy (Jcy) hervorgegangen ist. Auf diesem wege fürt y auf
k- und t-laute zurück. Ein y für j erscheint in: abaläy (zu
nächst aus abalany, dann abalanj) = f>\ cercopithecus griseo-
viridis, vgl. die parallelformen für dasselbe wort im Nubischen:
abalän (i. e. abalany) und abaläy; ferner: yi’ und t = (Bil.
ga\ Ga. ga', Sa. 'Af. gay) anlangen, kommen; yad = Ga. jeda
sagen; ddya = A. £j£-: Ty. £7,: Har,'däsi, Kaf. Go. ddjö
erde, land; auch dürfte iham waschen, aus yeham, jeham 1 =
2s.eKe.Vt, ® maaaa liebem lavare, entstanden sein.
I t—ifl AA/WVA
30) In derselben weise steht y einem guttural- oder laryn-
gallaut gegenüber in: yö = Kaf. gau, gö, Qu. kuwä, De. kewä,
Agm. kiwä stier; yada', zunächst aus qadq[ad] = Bil. qüet, Qu.
hüet, wet, Ga. jid, So. q&y feucht, nass sein, grün, unreif sein,
So. ’ed-in, Sa. 'el-in feucht, 'alä nässe; yaioid = A. s G.
hü Cr- ^Ü 2 flechten (vgl. Nub. awij KD., ajw für awj FM. id.);
maräy = A. "7^! G. = anfallen, überfallen, angreifen
den feind; Säy (zunächst aus sahay) = pfitf wollte; säy
(zunächst aus sahay) = JsA G. tlth4‘ '• abhäuten u. s. w. Einem
hauchlaut entspricht y An: seny, seni = Ti. G. ! ■X W,
Bil. sah, Cha. sanaq, So. jog, sug, Sa. 'Af. sug (aus sang) warten,
bleiben; riya = lAj mal-, mtil-, reibstein; rayyi (assimil. aus
rawy) = Ti. G. Z-flfh ■ gewinnen; vgl. auch ne-ydil wir
geben, mi-ydH, die gäbe, und hi, Ti l)l\: (G. flJOfl • G-Gj)
geben. Einem hamzeh oder auch 'ayn steht y gegenüber in:
yaf = Ti. Ty. A. G. : (Sa. 'Af. So. af, Ga. afan, De. Qu.
Af., Bil. ab plur. aff) mund; yeham, ihäm = com,
' ® ’ayum (vgl. 1 ilü id.) adler; kubdya = nyap (Sa.
kubdya) flasche, beclier; söy, so = Ti. G. KO ! (Bil. Cha. Qu.
jiii) erzälen. Bei yam (plurale tantum) wasser, ist es fraglich,
ob dasselbe was am warscheinlichsten ist, zu plur. von
«U. wasser, 8 oder villeicht zu tr meer, gehört.
31) Zur beleuchtung des Zusammenhanges von y mit
früheren dentalen besitzen wir ein schönes beispil im ay, ey
1 Vgl. bei metathes. der zwei ersten radicale Ti. *\Öfl ! Gr- Jon- a.
hon- waschen.
2 Ueber das verhältniss von d zu ß ^ s. §. 7.
3 Vgl. Nub. aman wasser, und in den Berbersprachen Siva, Maschik, Kabyl,
Beni Mzab u. s. w. am-an (plur. von «G) wasser.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
19
band, 1 zunächst aus aj, ej = A. h j£-: (ej aus adi, ady), Ty.
>\ T. In derselben weise steht hayük — So. hadig,
Sa. 'Af. hotük stern; ebenso erklären sich auch die nominal-
endungen auf -nay, -ney, -ne und die abstracta auf -ay, -ey und -oy
aus den alten endungen auf -nät, -ät und -öt, wovon im betreffenden
abschnitt der grammatik die rede sein wird.
32) Wie dem t, d steht y auch einem s, § gegenüber 2
in: ge' (aus gciy', Kaf. gay, A. 7'*/:) = Ti. Gr. 7"/ ,, 0 : g-AA
L&.A Sa. ganda' rülpsen; helay (Hab), heldy (B. A.) = Ga. hil-
lesa (bei Kr., Ce.), hilezd (T.) hase; wiyu, uyu bine, vgl. Kaf.
eyö, Wäl. Wär. esa, Go. he'so bonig; 'ey-a zigen, vgl. yl W
D I^ 'ad zige. Hieher gehört auch das genetivsuffix -y, -i
(Bil. Sa. 'Af. -l. A. f-) = G. H-; ferner ihay = SJJ, nemen; 3
gay = jA. neu sein.
33) Als mouillirungslaut aus liquiden stellt sich y heraus
in yak = Ku. laka aufstehen; yiqew, ikeiv = G. : Ti. :
rufen, schreien; kay (Ku. ke, Bar. ke, Sa. 'Af. kl, km) =
Ti. G. tiV s werden, sein; 4 ’ayuk (G. th,h‘ Ty. h 0 = e£.iA
kauen; ayay = G. : Qu. are befreundet sein; bdye
= Ga. bdla blatt, folium; boy -- Sa. bilö, 'Af. bald., Bil. Cha. Qu.
Agm. bir blut, hay = Ti. VA: A. hA ' G. UAtV : sein, existiren;
hatäy plur. hatdy = oto, gTop, heter pferd; engay,
enga — De. Qu. engiyä, Bil. ingerä, Agm. angir, Cha. egrä der
rücken, zu h’U- .Ai ms gehörig; lagt (aus läge, lagay) der
1 Vgl. Hub. i (KD.) aus e, ay hand; eddi (FM.) id., für edi, doppel-d wegen
des accentes.
2 Wie im Kafa, vgl. Kafaspraehe §. 11.
3 So ist auch der gänzliche ahfall von } in den berbersprachen zu erklären,
G' / / £
wie: Masch. a%, Kab. £1 — Ar. _xA\ nemen.
4 Mouillirung des n zu y ligt wol auch vor in 168ya, verkürzt 168a sklave,
Sklavin. Das wort gehört zu Ti. rflb'l- G rhflV = nutrire, daher
knabe, diener; mädclien, dienerin; kiiya steht sonach für klsna, ki8an
(über k für s. §. 37, h und über s für 0 s. §. 26). Von demselben
Stammwort bildet das Saho : maandä Sklavin, für mä-’adne-t = G.
•WM»?* • quidquid tutelae alicuius committitur. Dieselbe Umsetzung
des n zeigt sich auch in den Agausprachen, Agm. anzä (= A fcnrji
W’i- id.), Qu. Bil. enfä, emfä (f — z) knabe, diener. Mit diesen
formen verbindet sich Nub. öäi sklave, ö§ä Sklavin, aus ansi, hansi.
2*
20
VII. Abhandlung: Keinisch.
weg 1 = Bil. langar (aus lagar), Agm. langad, A. Gr. '/I?.: reisen,
tf D '?7£ , = d er weg; mäyküa, mäyuka = Ga. mirga (und das aus
Sa. mizgä, midgä, 'Af. midgä, So. midig) die rechte, dexter u. a.
Zum lautübergang von y zu i vgl. §.79 und 90. Abgefallen
ist y im masculinen artikel des plurals ä, accus, e, bei den
Beni Amer noch bisweilen als yä und ye (yi) vorkommend;
ebenso in i neben yi’ kommen, anlangen; in neben yin die
sonne, u. a.
D) Die gutturallaute.
34) Hieher gehören im Bedauye Je, g und secundäres n,
welches letztere nicht, wie in anderen chamitischen sprachen
selbständig, sondern analog dem n vor t. und d, nur vor k und
g eintritt, obwol auch hier nicht selten die dentale aussprache
des n vorkommt. Die aussprache von k und g entspricht nicht
völlig der unsrigen, sondern ist um eine leichte schattirung
härter, indem seine articulationsstelle zwischen dem harten und
weichen gaumen sich befindet. Dem k stehen in den verwanten
sprachen meist 7c, bisweilen auch g und hauchlaute gegenüber,
wie: -ka negationspartikel = Bil. -g, Qu. -g, -k, Cha. -y, Bar. ka-
nicht; -ka postpos. von, aus = Sa. 'Af. -hö, -kü, So. ka-, Bar.
-ge, Kaf. -je, Ku. -lein, A. ft-; kab = Bil. hob beschlafen; leabür
— Sa. 'Af. kabarö, Ku. kübulä, Bil. kalambürä, Ti. A. G. UttG !
jdS trommel; kaddn = Bil. leadän, Ti. JiT.’J: steppe; kehan =
Sa. 'Af. leahan lieben; kük = Sa. 'Af. käk, Kaf. kük, A. frh:
Ti- 7l Yi : flA ' Ty. h,3fl: f|A : gackern, krähen; küiküay = Sa.
'Af. käkö, G. rabe; IcaUb 2 = Bil. kaläb, Ti. JiA'fl ■' hof
raum; kelib = Bil. gullaw knöchel; Jean wissen = Bil. De. Cha.
kin, Qu. kin, G. il."} 1 erfarung, gewonheit; Jconbnl = So. gtimbur,
JAA berg, hügel; kdnJeani = Sa. künkunit, Ti. Tn’ih’i’l’ 1 fieher;
küire = Sa. 'Af. gäryä (i. e. giiarya), So. gäray, Harari gürayä
straussvogel; kurib = Bar. kurbe, Ga. ärba elefant; krüm, —
Bil. gürdb, Cha. girdbä, Ga. gandma frtihmorgen; ketini = Sa.
1 Almkvist nimmt telegi als -wortstamm an und bemerkt ausdrücklich:
,Munzinger hat irrtümlich te als weiblichen artikel aufgefasst 1 . Dass aber
Munzinger hier in vollem rechte war, wird aus klaren beispilen in meinem
Wörterbuch ersichtlich werden. Zur artikelform te vgl. §. 113.
2 Zu g in IcalBb s. §. 105.
Die Bedauye-Spraclie in Nordost-Afrika. II.
21
kataw anlangen; lcutän, kütäm = So. kutan, wanze; 1 kay
= Sa. 'Af. ha, Kn. ke, Kaf. he sein, werden; dardk = Gr. '
Sa. dada, 'Af. dadd küle jareszeit, winter; fakak = Bil. fakak,
So. 'Af. fak, Ti. d.ll ■ Jx» S* öffnen; tikds = Ku. takäsä, A.
T\l- Ty. '1‘^Vlll.: ferse u. s. w.
35) In lehnwörtern wird auch das semitische ^ «J» p meist
mit k ausgedrückt, wie: köba = schale; kübdya = kakä
flasche; küfil = jJüs schloss; keliaba = klkA hure; kilö = Gr.
«J»A® '• A. As rösten; kedala und kdleda = schale;
kerkab = Ti. : Sa. qirqäb, holzschuh; kaf =
gLs abschneiden; enkdlyu, enkaliw = topf; dnkar = Ti.
A. Gr. (Bil. Sa. 'Af. dnqar) rachen; ankeiv = Gf. :
schreien; bükla = Jll,| krug u. s. w.
36) Eine auf den ersten blick befremdende eigentümlich-
keit zeigen sämmtliche kuschitischen sprachen, dass sie fast
regelmässig die semitischen laute 'V £ /, bisweilen auch r r J»
h mittelst k, und nur das gewönliche a 0 k und meist auch
das h mittelst h widergeben. 2 Schon daraus Hesse sich die
Vermutung ziehen, dass die kuschitischen Chamiten ursprüng
lich nur unser gewönliches h (und kein h und gekannt
haben. Dies bestätigt sich durch zwei weitere tatsachen,
nemlich 1) dass in wirklich kuschitischen Wörtern kein anderes
als unser gewönliches h sich nachweisen lässt, und 2) dass im
semitisirten Amharisch grafisch zwar die drei äthiopischen
Schriftzeichen f \\ l) Verwendung finden, alle drei aber nur
wie h ausgesprochen werden. Die stärkeren hauchlaute h und
X klingen im or der Kuschiten wie k, was ich oftmals zu beob
achten gelegenheit hatte. So sprach man mir z. b. sogar die
deutschen Worte fluchen, wachen, dach wie filukan, bakin,
dak aus, und erst nach oft widerholtem exercitium merkten die
leute dass ich in den genannten Wörtern kein k gesprochen,
und brachten dann ein filugdn, bagdn, ddkhe heraus. Auch
mein Amharer Wälda-Seldsye obwol er in Europa deutsch er
lernt hatte, teilte mit den kuschitischen Chamiten die gleiche
erwänte eigentümlichkeit, er sprach unser ch wie k oder wenn
1 Daraus durch Umstellung- Ti. : A. : Ty. : Sa. 'Af.
tulcän, Bil. tugüän, Cha. tuyuän, Agm. tuliän wanze.
2 Vgl. hierüber D. H. Müller in ZdDMG. XLVI (1892), s. 407 f.
VII. Abhandlung; Reinisch.
man in auf den feler in der aussprache aufmerksam machte,
wie gewönliches h aus und immer erst nach einiger mühe brachte
er ein % zuwege, das aber auch mer einem glich. Dieser er-
wänte umstand ist auch sicher der anlass gewesen zur er-
findung des schriftzeichens ’fi im Amharischen, durch welches
man die semitischen laute' '> £ und ^ grafisch so weit dem
verständniss der studierenden zufüren und damit sagen wollte,
es lige in U ein laut yor, der nicht ganz so wie \\ k gesprochen
werden dürfe. Der dem Zeichen zukommende laut ist demnach
eigentlich mer negativ signalisirt, als positiv genau festgestellt
und in der Wirklichkeit lasen meine Amharer das in bibel
texten vorkommende "fi bald k auch q, bald h, one jenem dia
kritischen Zeichen über dem k irgend eine beachtung zu schenken.
37) Hiernach begegnen wir auch in lehnwörtern desBedauye
einem k:
a) für £, wie: kadam für fdA (Ti. Sa. 'Af. Bil.
u. s. w. kadam) dienen; kadaw für LhL Gr. : B?n schlagen;
käf für i_aA singen, klagen; kalag für JpA. schaffen; kümo für
jjA. ansidelung, dorf; küd ähre, und II spicas protulit
(seges); kira (auch Bil. kür, Ti. \hC : ) für Gr. ”V,C '■ fz*. gut;
küasi eintauschen, für III; hdrka für G. ' (Sa.
harä, Ga. ire) hand; kansübe nähnadel, zu igehörig; Jcönsib
für »an käfer; nefik für jiS furzen; rakis (neben jüngerem
lehnwort erahis) für wolfeil, billig; wälik (aus küalik)
für Sa. güäräh, G. hArh ' ^ schreien u. s. w.
f>) für ih C, wie: kadam für ialjA. steiss; kal für jtk.
lüstern sein; kalif für G. (htfV 1 nacken; keti für hk. setzen,
stellen; kanjar für laufen; blulc, mluk für dattel; hdrka
für G. h6~ih 1 h&A ' ’M'ih ! hand; milak für salz; sekit
für Lsruh erwürgen u. s. w. Nur in ganz vereinzelten fällen
steht g für semitisches %, h; wie: gidä’ für 43.=>- sandale; geh
für G. *711 ■’ Ti. ?,'(]: bei, an; gef für islA, aber vulgär auch
ufer; ergane schaf, lamm, und lamm, brn schaf; deg
und G. ?wi.n: schwer sein (mittelglider: Bil. tag, De. seg, Agm.
sekü, Cha. siqaw id.); entungüli der malstein, zu Ti. ’■
Cr^ gehörig.
38) In einigen fällen entspricht Bed. k einem früheren
s, s, wie: küUla katarrh, husten = J^Jo phthisis, Jjko phthisi
laboravit; kinkeli — Ti. : hinterhaupt, nacken; kawid
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. ET.
23
= Ti. fi'flJ'p: Gr. rtöJ'P: B1B> peitsche; 1 ferner kü&räm
gruss, küss, neben dem lehnwort aus neuerer zeit saläm id.,
Als verbindungsglid zwischen küäräm und saläm können
betrachtet werden Kaf. Sarämö gruss, und Ga. zärama grüssen.
Zur analogie dieser lauttibergänge vgl. Sa. 'Af. küäroma = Ti.
M9°: Gr- der höcker. Ebenso dürfte wol auch
Bed- küa kleiden, mit Bil. sa,
sammenhange stehen.
39) Das g wie unser g in gut, gattung, genug, steht in
den verwanten sprachen auch zumeist einem g oder k gegen
über; wie: gäba und Bil. gübä ziziphus spina Christi; gäbe und
Sa. 'Af. göb, Bil. De. Qu. gib, i_jyk Schild; gädi, gaj und Sa.
gada, gazä, Bil. De. Qu. gas, Cha. gas, Ti. G. 7?,": gesicht; gid
und Ga. gad werfen; güd und Ga. güd vil, gross sein; gif und
Ga. güfa-da, Sa. gonfö-yt stolpern, sich anstossen; glg gehen,
und Bil. güg weg, pfad; gehe und Bil. gehs-rä, Cha. gini-rä, Ti.
Ty. G. *7r| b -■ hy rax abessinicus; gühar Stelen, und Sa. 'Af. Bil.
güareh, Ti. "I-Cth ! Gr. T’Arh : betrügen; gam und Sa. 'Af.
agam, agim dumm sein; gumba (für günba) und Bil. Cha. Agm.
girb, Sa. 'Af. gulub, So. jilib, Ga. jilba, A. T-Afl'V : knie; gana
flache hand, und 'Af. genä’ id., So. ga'an, Ku. könä 2 liand,
^ ^ sanih, <7iid>.C) manus; geräbi wüstenweg,
und Qu. garäwä weg, pfad, Sa. Bil. gar ab, Ti. Ty. "JZ'II : wüste;
gurädi krummsäbel, und Bil. galüdä, Sa. 'Af. galödä, Ti. *| :
Ty. "JA.£- s messer, Qu. gärada, Ga. gärade, Kaf. arijo, A. •
Schwert; girguma und Bil. gurgümä, Agm. gdrgum, 'Af. gür-
dumi, Sa. durgümä, Ti. : adamsapfel, der halsknorpel;
gürgur und Bar. gurgür, Ku. gär gär ä, Ti. 'Y'CäY'C ! die Wasser
pfeife, nargile; garar und Bil. garar, Qu. gare sich abmühen,
müde werden; gdruwa das männchen der kubantilope, und Bil.
.T sa, niD id., im zu-
1 Vgl. Bed. Icadaw, kiik. tD2n G. ! neben Hflm : schlagen, und
Sbd, uj£iöjt baculus; vgl. auch unten §. 43. In der
selben weise: Bil. ekrät = G. °in~V ■■ zehent, tribut: kld (De. Qu.
Agm. kiz, Kaf. git) — Ti. : T y rtfm : G °La\ • verkaufen; kraü
, f
= Ti. G. : kriegsheer, truppe; qüahum = holzkole, u. a.
2 Aus kaün-ä für kahünä, vgl. Sa. Jcaün, kön, 'Af. konäü für Jcanähü oder
Jcenähü (die trübung des a oder e ist durch den w-lialtigen guttural er
folgt) fünf.
24
VII. Abhandlung: Reiiiisch.
giruwä, Qu. geruwa, Cha. giluwä mann, männchen, Ti. ’JCi'P :
masculus, mas; gart haus, und Bil. De. kaü, Qu. ko, Cha. kiü,
Bar. kü familie, gehöft, ansidelung, dorf, 1 cf.'l^ 4 ^ ^ ^jj kaüi,
da volk; itga hirt, und So. Ga. eg vih bewachen, weiden, 2 vgl.
Bil. s. v. meqäqä; ägaba und Sa. agabä, Ti. }\1(\: Bil. kdbgä,
Ku. gdbgä (für gabgabä wie agabä für gagabä) büffel; enga und
Agm. ängir, Bil. ingerä, De. Qu. engiyä plur. enge rücken; engi
und Bil. anqäy mitte; engili und Sa. 'Af. engirö rinde; dagti und
Bil. takau ausspähen, wachen; dang und Bil. tag, Agm.
^ AA/WNA ^
Cha. taq, teken und A tek naben; deräq Seite,
A _ y ’
wange; ufer, und Ku. ddrga Seite, G. ufer; hug und
Bar. haki, sek, cjki, circ malen, mel machen; 8 läga und
Ti. A.’ J ■" Sa. 'Af. rygüd, Cha. niyu, Agm. naü (für naliu) kalb;
mag und Ga. mäga schlecht sein; mdgüa und Bil. boku-änä,
Qu. bekü-dnä wolke; nug und Sa. 'Af. angü, Bil. ungti, Agm.
Qu. engiui weibliche brust; ragdd und Sa. rigid fuss; segi und
Sa. sig, Ga. ziga fortgehen u. s. w.
40) In semitischen lehnwörtern steht dem Bec). g in der
regel ebenfalls ein £ 7 gegenüber, wie: gä’, ge (aus gay’, gaz’)
und G. ’• LhA gänen, rülpsen; gabab und Ti. ’)\l:
sündigen; gibne und Ti. : käse; gddi, gaj und Ty.
Ti. G. 1 -■ gesicht; gedüdi und Ti. '/■*}.T." : unfruchtbar;
gadal und G. 7&A : Ti. IRA-- flechten; gaddm und
wurzel; güg = G. 7-/J: A. T’i" V = eule; gebar schmähen,
die Schandtaten aufdecken, und (feler) aufdecken; galdd
und Ti. 7A£“s fride; galel und Ti. 7AA • A. ’jAlA- Gr. 7Al '
Ja. sammeln, vih zusammentreiben; gilla Ursache, wegen, und
jlA propter; goläl und JAk grosser, fürst; gulül und Ti.
*7A*A : dumm; gulus, gillüs verstopft, taubstumm, und Ti.
a ] A*/*’ : belegt, mit leder überzogen, pik. obvolvit; egirim grau,
weisshaarig, und Ti. 7<^«n>: erwürdig sein; ’ilogdni Sturmwind,
und 0 Adc commotio, cursus; begdl und Ti. ■' tripper;
leginni und Ti. : stumm; manga, minga wüste, und
1 Nub. ha haus, plur. ka-ji, ka-nji ansidelung, familie, stamm.
2 Nub. eg vih treiben, es weiden.
8 Nub. (für jagu) mel reiben, malen, jcige (F.), jäwe (M., für jahüe), jü
(KD.) der melreibstein.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
25
livLo locus effugii, lid evasit, über fuit; engad und daj bleiben;
«egdZ und jAu aufdecken; segäf türvorkang, und Jisuo velum
u. s. w.; vgl. auch oben §. 37, b.
41) Dessgleichen entspricht in lehnwörtern dem g ein ^
«J» (vgl. auch §. 35), wie: gü’ad und bewachen; gab und
<IjIs tds satt sein (Ga. qufä); und ÜÜS maus;
gabila und XU-A stamm, tribus; gdrha und ^-Vpi (Ti. ’jCih’t' 1 )
acker; galdm und Ti. «|*A9” 5 schreibfeder; gdm’a und
weizen; gdr’a und Ti. hofraum mit einem zaun um
geben; güäsir und k,iib lüge; güisa und gAä niderstrecken
(mit der lanze); kalcig und schaffen; sug und <3^0 markt
u. s. w. 1 Yil seltener entspricht hier einem g ein k, wie: gab
und US III änlich sein; güd (aus gald) vil sein, und dis ac-
cumulavit; hadig kneten, und cF-A compressit; hagiian und Ti.
ih’}\\ n \] s G. ihhh: JXA kratzen u. a.
42) Auch drückt das Betjauye den laut regelmässig
mittelst g aus; wie: gim und (G. ’l/’l.i Ti. T.ö»-'J*:) nebel;
gana reichtum, und reich sein; garib, enger ab und < (d
< -Ad west; gerib und sigen; guraf neben kurdfa, mukräf
und dsjd CsYjsuo becher; gaüim und dumm; bagdl und ,J.äS
Ti. G. fl*J»A •' maultier; girs und ^hji' piaster; fegir und
jJl (vgl. jii -iS| id.) be-, zudecken; rugfäna und plur.
0 Üä) brod u. s. w.
43) Wie oben in §. 38 ein k auf palatale und dentale
zurückfürt, so zeigen sich dieselben erscheinungen auch bei g,
wie: feringi = A. Ti. : (mittelglid ist ferinji) der
guineawurm; güa’ — Bil.jV, De. Qu. ja//, Agm. suk, Cha. seqü,
sug, Ga. duga, A. : (für mmO 1 i- e. 1 Wurzel ta')
trinken; vgl. damit £> j/d trinken, und Bed. düg saugen. Ferner
giba = Ti. = G. hK‘HÖ : l' ■ »3?« 23^
zeb', czsaJJ —o'j deb', ©h&, finger. Dann: güinhal, gülhin
= Ty. ‘PW/l V: (Ga. jigiU), Ti. ■f-’J’hA b Bil. tdnkal, Qu.
1 Es besteht bekanntlich ein kleiner unterschid in der aussprache von tji
und jj, indem jenes seine articulationsstelle mer rückwärts nach der
kele zu hat, wärend unserm g näher lig't. Jene Bedscha die mer mit
den Tigre Zusammenleben, sprechen also das wie lc, dagegen die nörd
lichen Bedscha das j; wie g. Daher sagen z. b. die Beni Amer dküa =
Ti. und die Bischari hugga = A i> J. tabaksdose, u. a. m.
26
VII. Abhandlung: Reinisch.
tdngal ellenbogen, eile. Dann auch: genuf = Bil. qünbä, Qu.
hürnbä, Agm. kümbi, Ga. humbi nase, A. ■■ rüssel des
elefanten, Ty. fiiPV.’l”■ plur. • nase (hieher die fonetisch
jungem formen: Ti. G. h’iV 1 *1* id.). Vgl. auch: genübe
und jenübe Sünden (Ti. T'Dfl: plur. Tf'fl s) = plur. ,
peccatum. Aus d scheint g entstanden zu sein in: agar zurück-,
heimkeren, vgl. Sa.‘Af. adar id., A. : G. : heim-
leeren, das nachtquartier beziehen, sich niderlassen, wonen.
44) Sämmtlichen kuschitisehen sprachen gemeinsame und
ureigentümliche laute sind die «-haltigen gutturale, welche auch
die äthiopischen Semiten von den Kuschiten entlehnt haben
müssen, weil dieselben in den übrigen semitischen sprachen
nicht vorhanden sind, demnach die Aethiopen die genannten laute
erst nach irer einwanderung nach Abessinien sich angeeignet
haben können. Die articulationsstelle des k, g für Jcü und gü ist
zwischen dem harten und weichen gaumen, also ein k 2 , g 2 Brücke’s.
45) Die entstehung der «-haltigen gutturale erklärt sich
fisiologiscli am natürlichsten aus der articulationsstelle der gut
turalen im Kuschitisehen, indem k % (vgl. oben §. 34) am meisten
befähigt ist, sich den «-laut zu amalgamiren. Und tatsächlich
bekunden die kuschitisehen gutturale eine gewisse gefrässige
gier nach labialen, welche denselben in eine gefärliche nähe
geraten. Dies wird am besten ersichtlich, wenn man kuschitische
und äthiopische Wörter, in welchen «-haltige gutturale Vor
kommen, mit den entsprechenden ciserythräischen in vergleich
zieht. So reisst der kuschitische und äthiopische guttural an sich:
a) vorangehendes «, w und b in folgenden formen:
äkiia (Ti. : A. :) = büchse für kautabak, taba-
tiere; deküa (Ga. daque, Qu. dayüa) thon, gegenüber mta,
übertünchen (vgl. med. w); mägüel gegenüber pfütze;
mikü’al == G. aDf'OA• aber ÄJüLi JliA fett; suküäm gegen
über Steuerruder; suküdr = A. ft“7hoC 5 gegenüber ßJj
zucker; täkla (für taküla) = Sa. 'Af. täkla (für taküla), Bil.
taglä, Qu. tdyülä, A. Ti. Ty. G. -HM' wolf, gegenüber äJtiS,
byw, Ch. xbyn Schakal u. s. w.; über täkla für taküla s. §. 46, c.
Ebenso: dehür, duhür und mittag; sebüh (für sebhü) =
der morgen, u. a. 1 Wie hier der kuschitische und äthiopische
1 Ueber sebüh aus sebliü s. §. 46, a und §. 107.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
27
guttural vorangehendes u an sich gezogen hat, so auch ein w
in folgenden beispilen: güa gegenüber Gr. bk, stossen;
güäl für wägel = ^.\' s eins (s. 149, a); güay, göy müde, er
schöpft werden, gegenüber G. fllftd : 5^.3 (w); küal (aus küaf)
= Ti. ‘fe'P'fcfli s picken, hauen, gegenüber hsj vehementer per-
cussit; küata gegenüber G. : fl»*'ifll : verschlucken;
Icüdhi, Jcuhi = So. vgdh, ögdh (Ga. anqäqö, Sa. unqöqahö, Ty.
r- g. &?**•? o das ei. Sogar b wurde in gleicher
weise amalgamirt in: ergüa = Bil. eraküä und raküä, Qu. erdwä
(für erähüä) ledersack mit den besten habseligkeiten; habe, be
sitz, A. /,.fll-'|-: (für rähwa-t) grosser wasserschlauch für wüsten
reisen. Diese formen gehören zu G. CH/ih • gewinnst, er-
werh, besitz; über k zu semit. h s. §. 36. Hieher gehört ferner
kiiati einer dem in allen unternemungen jegliche Sache gut
von statten geht, gegenüber Ti. fth.'l* : C^s.4 id.; dann: tuküi
-- Bil. saqtt, sauq, Cha. saqü, gegenüber kochen.
b) Ebenso zieht der guttural ein nachtretendes u, w, b
an sich; wie: dagü gegenüber Bil. takaü ausspähen, beobachten;
nakü, näk gegenüber ,^.1 zart, fein; bliik (aus blekü s. §. 46, a)
= dattel; kunte ficus sycomorus, gegenüber öjj A kwnt,
RCHTe ficus; anküäna (für am-, ma-kudna, s. §.72) = Sa. ma-
kawdn herr; masänko (aus masankwa) — A. Ty. Ti. G. ;
Bil. rnazänqäd-rä, Cha. mizlnqüä die harfe, gegenüber der radi-
calform : klingen; enkälib (aus cm-, ma-klüb) == Sudan-
Ar. ror, worin der zucker versendet wird. 1 In gleicher
weise erscheint ein b angezogen in: küa Weibchen, weiblich,
dann auch Schwester, welches mit Bil. qiü, uqüi weih, Weibchen
(bei tieren), weiblich, zusammen gehört. Diese letztere form
fürt auf A. *11* * Gr. • wörtlich: custodita, die bewachte,
also gattin, aber nur gebraucht speziell für concubine, aber
Sa. 'Af. agabö-ytü die gattin, hausfrau; Bil. qü-i steht für qbe-t, 2
über den ausfall von femin. t in küa aus küa-t s. §. 75. Bei küa
an Ty. ') fl»*''/-: cuk.1 Schwester, zu denken, verbietet die grund-
bedeutung von küa weib, obwol vom fonetischen Standpunkte
aus diese Zusammenstellung ganz gut möglich wäre (s. §. 36).
Ebenso ist b vom guttural zerriben in: küabil (aus kebabil)
1 Vgl. hierüber §. 72, note 2.
2 Ebenso stebt Bil. qua = A. «/»(]: G. «HlJi: salben.
28
VII. Abhandlung: Reinisch.
c
verschleiern, gegenüber G-. "JAflfls velare, “/AlHl ■' v , '4^ ve "
lamen, operimentum capitis. Auch habe ich das wort Jciiad,
güad (So. od aus hüad) Seite, in starkem verdacht, dass es das
m in Ti. G. Seite, verschluckt hat. 1 Möglich ist dieser
Vorgang auch in sunküa — Sa. 'Af. sunkü gegenüber Schulter,
in welchem falle dann das n secundär sein würde.
46) Die aussprache der M-haltigen gutturale ist im Bedauye
dieselbe, wie in den übrigen kuschitischen sprachen, und zwar:
a) steht der u- haltige guttural im auslaut mit schewa
quiescens, so nimmt das u des gutturals vor diesem seinen platz
ein und ich deute solches vortretendes ü mit u an, womit voran
gehendes S verschmilzt, vorangehendes a aber ein au bildet,
das wie ä gesprochen wird, daher ich dasselbe mit ä bezeichne;
z. b. liüc (d. i. lekü, vgl. 'Af. rugä, Cha. rugä id.) thon, lern; de-
ruk (d. i. derkü) aber plur. derküa (s. §. 46, b) wassertrog; enäk
(d. i. e-nakü) er wurde schwach; Munzinger schreibt ennok, Alm-
kvist enaku, welche form zwar grafisch aber lautlich nicht correct
ist. Dann: sebuh (aus sebhü) der morgen, Ar. vgl. hierüber
§. 45, a. So bildet z. b. ’ayuk (d. i. ’aykü) kauen, das präsens:
a-’anyiuk ich kaue, ne-’ayuk wir kauen, aber ’anyiküa du kauest »
(bei A. ä- ayyikü, ne-ayuku, und 'äyyiküa), perf. ä-ayuk (A.
d-'ayukü) ich kaute, negat. ’ayküäb käke (also stamm: ’aykü)
ich kaute nicht.
b) Folgt dem M-haltigen guttural im auslaut ein vocal, so
behält das ü des gutturals seinen eigentlichen platz; demnach:
derküa plur. von deruk wassertrog; ebenso dngüa dumpalme,
lalunküe affe, hadgüi flechten u. s. w., obwol auch bisweilen
eine trübung des dem M-haltigen guttural vorangehenden vocals
eintritt; z. b. dngüa neben angüa dumpalme, lalunküe (für la-
lenküe), ja es kann sogar in solchen fällen das ü dem guttural
ganz vortreten, wie: laiunke neben lalunküe affe, mdyuka neben
mdyküa die rechte (hand, Seite).
c) Im inlaut zeigen sich die gleichen erscheinungen, wie:
anküal hinken, angüil und ängüll or, mägüel tränke, mdküara
und mdküara kälte, rugüäs (für regüäs) Schlachtung, sukena
(für seküena = Ti. ‘fi'rf’W • GL 0 fussknöchel, metungüli,
bei Munzinger metongole d. i. metängüäle der melreibstein (Ar.
1 Vgl. Bil. qiti = Sa. 'Af. Ga. qam, A. 4* 0P: essen.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
29
c
läküdy und läkäy (für laküay) das was küäldy der
stock, täkla i. e. taküla wolf.
d) Im anlaut bleibt natürlich das u an seiner bestimmten
stelle, wie: küa scliwester, küaräm küss, güacl Seite, küire vogel
strauss, güebdr Schnabeltier, küre zan u. s. w., doch erfärt a
nach u häufig eine Verdumpfung, die ich mit ä andeuten will,
wie: kü&räm küss, küärküär neben küdrküar schlänge, küäldy
und küäldy stock u. s. w., woher dann zu erklären sind die
Schreibungen bei reisenden, wie: koram küss, kokwor schlänge,
kolei, kiLole stock u. s. w. Kurzes e nach u fällt oft mit diesem
zusammen, wie: güebdr und gübdr Schnabeltier, küelsl und külel
armband u. s. w.
e) Tritt ein formbildendes element dem wortanlautenden
^^.-haltigen guttural voran, dann kommt widerum die obige regel
sub c zur geltung; so lautet z. b. von küata verschlingen, das
perfect: a-ulcta, dann auch äkta gesprochen (bei Almk. a-kuta )
ich verschlang, t-yktaa (A. te-küta'a) du verschlangst, ukta’
(für e-kütd’) er verschlang, n-ukta' (für ne-küta) wir verschlangen
u. s. w. Ebenso das negat. präsens: käukta’ (für ka-akütd’) ich
verschlinge nicht, aber: ki-t-kütd'a du verschlingst nicht u. s. w.
Die analoge erscheinung zeigt sich ja auch z. b. in (für
Schwester (vgl. yü £\ bruder). Ist aber das vorantretende
formbildende element selbst ein ti, dann flüchtet sich das ü der
ersten Stammsilbe bisweilen in die nächstfolgende, z. b. kürib
elefant, aber: ü-krüb der elefant; küdhi, küehi und kühi ei, aber:
ü-lchüi das ei; güebdr, gübdr Schnabeltier, aber: ü-gbär (d. i.
gbuar oder gbaur) das Schnabeltier, plur. ä-ugbara die Schnabel
tiere ; küfü = JAS schloss, ü-kful das schloss, plur. ä-küfela und
ä-ükfela die Schlösser (über den accent in küfil s. §. 107); vgl.
auch güb maus, plur. güba, aber ä-gbua (für ä-güba) die mäuse,
bei Almkvist §. 31.
E) Die kelkopflaute h und ' (hamzeh).
47) Wie schon erwänt, existirt im Bedauye nur ein einziges
h, unser h und das semitische 0 a n wärend die stärkern
reibungsgeräuschlaute der Semiten 'i ( h c C n vor '
handen sind. Dem Bed. li entspricht auch in den übrigen
kuschitischen idiomen gewönlich ein h, wie: hebib = Sa. hinbö,
himbö, So. kümbo (Gr. fliC4* ! ) scliaum; heldy = Ga. hilezd hase;
30
VII. Abhandlung: Reinisch.
hau, ho = Bil. hau, 'Af. hö gebeil; ham und hamham = Sa.
'Af. Bil. hamham, ^ ^ hamham, omom und fJaXL.
Ti. Ty. 09°Uo Ds wiehern; hiw, hi = Sa. 'Af. haw (Ti. |Jfl:
g. am n = geben; hayüJc — Sa. 'Af. hotttk, So. hadig
Stern; geht = Bil. gehs-rä, Cha. gini-rä (Ti. G. a iAu '•) byrax
abessinicus; kehan = Sa. 'Af. kahan lieben; leh — Sa. 'Af. läh
krank sein; mah = Sa. 'Af. mäh morgen; mahciy drei = Sa.
'Af. bahär acht d. i. [5 +] 3 u. s. w. In semitischen lehnwörtern
steht dem h ebenfalls s 0 gegenüber, wie: hüd = J-* donner;
hadam = zerstören u. s. w., vil seltener ein ^ oder £ wofür
besonders in den eingebürgerten lehnwörtern meistens ein k
eintritt; vgl. oben §. 37, a.
48) Als erweichungslaut der gutturalen entspricht Bed. li
auch häufig einem k, g, auch q, wie ja schon im Bedauye selbst
in vereinzelten fällen h neben k vorkommt, wie: hära und küdra
räuber (Bil. gürgür, Ku. gür, Bar. hüal, häl rauben); hüs neben
kösa messer. Den verwanten sprachen gegenüber steht Bed. h
= k, g, q in: hdd'a (für hadha, hadhada) greis = Bil. qadad,
G. d’rtrt ' Sa. has alt, grau werden; har = die monatliche
menstruation; harib = Äipj (im Sudan ÄSJA) wasserschlauch;
hlt = G. ‘Ilh’V ’• gespei; drha hinaus, draussen = ex-
ternus, Jl foras; erh = Ga. arg, So. arag, araq sehen;
-deha postpos. zu, bei = Bar. -dik, Cha. -tik id.; guinhal, gülhin
= So. sohul (für sanhul), Ga. jigile, Ty. «bAÜ’ ! Ti. -J'TllA:
Bil. tdnkal, Qu. tdngal eile, arm, ellenbogen; hankül — JilS
kitzeln; leha-y, lehd-yt (ablativ) = A. : G. ’i^IO • morgen;
mah = So. bacjo erschrecken, Bil. bagägä schreck; mehi = Ti.
: übrig bleiben; muh (für mehü, s. §. 46, a) genügen =
A. (]?’ id., G. nT'di 1 zuträglich sein; m§hin, emhin =
ort: tah = Sa. 'Af. Cha. dag, Ga. tuqa beriiren, tasten; tdlha,
tarha = Ku. sergä links, linke seife.
49) Ebenso steht Bed. h bisweilen einem 'ayn oder hamzeh
gegenüber, wie: hadug und G. : 0M ,; flechten; haküar
und G. OiZd 1 Sa. 'Af. ’aqar binden; halig krümmen, hanag
krumm sein, und Ti. 0°li s : JAi bpy krümmen; halän
und jetzt; hdmada knecht, und G. Ollfll 5 AAs 15? arbeiten;
hamay und Ti. G. O’fl? ! gross werden, wachsen; 1 hinde und
1 Vgl. Cha. x a y aus X aw y = Cr. 0’(l? s Chamirsprache §. 68.
Die Bedauye-Spraclie in Nordost-Afrika. II.
31
G. itb ! A. ’h'ifiU.’l' : (Sa. 'Af. halä, So. ged) bäum, holz; hdrlca
und G. '• (Sa. harä, Ga. ire) arm, liand.
50) Der hauchlaut h fürt auch auf ein früheres s zurück,
wie aus den dialectformen des Bedauye selbst zu ersehen ist
in: barüh (Had. Hai.) neben barus (BA.) er, batüh neben batüs
sie, baräh neben baräs sie (pl. m.), batüh neben batäs sie (pl. £),
-Uh sein, ir, suus, neben -ms, -hena neben -sena ir, eorum. So
steht auch Bed. li für früheres s in: hob zeit, -hob wann, zur
zeit, und G. Afl>: fitt : eo tempore, tune, vgl. XIA tempus (Nub.
söbe zeit); liida = Sa. siddä ('Af. tiddä) gemeinschaft, zusammen;
hdkab = Ti. Ahfls G. rthfl: SSttf sich setzen, sitzen; hakik
stutzen (die haare) = stutzen (zu lange oren); hämu, hdmo
haar, wolle = Gur. s (j i] 'vä, semy (Kopt. TMAU, So.
tin plur. tim-o) id.; hum — Ga. zum gehirn; heru = A. Ty.
H(D/: G. 11/: herumgehen, suchen; hirer-dni = Bil. sarirö,
Ga. zarariti (So. ’aro), Ti. G. • A. ~(\ //,’[' • spinne u. a.
51) Abfall eines frühem h zeigt sich in: ibäb = iJXa auf
der reise sein; ad schlummern = \Xa HW träumen; endi (für
edin) = Ti. G. "’l: eisen, securis; äküa = Ti. :
A. ÄiA. bilchse für kautabak; öS pissen, u§a harn = Sa.
hasüü, 'Af. haysu urin; aü = ^ honig; dwi = Sa. hawä, G.
thVfi • dämmerung; iwa = sp? durstig; bök (aus bahaulc)
= G. ! bock; dl = Sa. 'Af. So. dah, Ga. da sagen; fam
= (ylu (genau wie A. : gegenüber G. • id.) kole;
lak = schlürfen, trinken; läm malzeit, vgl. ^ essen, DH 1 ?
speise; man glätten, rasiren = mundavit corium; sün —
teil er; sat neben Sehat, = G. J?“! 0: ausgleiten; loas-am
neben hwas-am, hawas-am = Ti. ihCDjf: QA 1 scherzen; so auch
la’ (für hla’) = Sa. qala'ö (rnjs) kälte; taf (für htaf) = <_ahA
e]Bri wegreissen, abstreifen; mos salz (für hmos) = Salz
pflanze, pap sauer, scharf sein; tiw = Bil. caüy, Ti. £L1.Ö>*:
flA • A. £BbO 1 c'-A schreien.
52) In gleicher weise ist aus der in §. 48 bertirten Ursache
im Bedauye oft ein ausfall von früherem k, g, q zu beobachten,
wie: abäb = Bil. qabab, Ti. «J’fl: verachten; ad und 'ad = Bil.
qit, A. ty'l' 1 vulva, vgl. qat und (j ^ 'at, ooiTTe id.; as
(Sa. 'Af. os) = Qu. küaz, käs (aus ivakas, Umstellung von G.
fflrthO hinzufügen, mer geben; esse (aus erse, herse) = G. tlC/* 1 •
32
VII. Abhandlung: ßeinisch.
jjäJS inneres, bauch; 1 ud = Bil. qü&tqüät (Sa. alal) zittern;
edid = Bil. Cha. Qu. qatqat, Ti. G. «p'P'pfli 1 teilen, zer
schlagen; adam = G. ‘poV/ ' I»ß klein sein; dfra = äjii dunkel-
heit; ulci = Bil. qüla, A. ‘/iA'l* : hoden; öma und ima (zunächst
aus hayma) = Ti. : winter; embal-öy, embar-öy = Ti. A.
G. hld.C : Sa. kdmfer lippe; dmna Wöchnerin = Agm. kaman,
Bil. Qu. Bar. kaban gebären; ön = A. V»,A ! G. ftvh A : mit
kohol die äugen bestreichen; ör (für awr, Ga. awdla) =
Ti- ‘l'-flS.: G. «pn/..’ "Qi? begraben; 2 arid und ’arfcZ = Jais
spilen, tanzen; 3 aswZ = G. ‘p'-ftA : wunde; aird?/ == Bil.
De. Qu. Cha. käb helfen; rnarä (und mar Sy) = A. ! Ti.
G. ®70<ih s überfallen den feind, u. a.
53) Das hamzeh, obwol noch in zalreichen fällen vorhanden,
ist im Bedauye im aussterben begriffen, was mau leicht daraus
ersehen kann, dass in semitischen lehnwörtern, worin hamzeh,
ja sogar noch 'ayn vorkommt, diese laute im Bedauye insbe
sondere im anlaut häufig nicht mer gesprochen werden. Bis
weilen kommen im Bedauye noch die parallelformen mit und
one hamzeh vor, wie: 'ör und ör kind, ’arid und arid tanzen,
’as und as verschliessen u. s. w.
54) Im vergleich mit den verwanten sprachen steht dem
hamzeh meist ebenfalls hamzeh oder 'ayn gegenüber, wie: 'ad
und J 3 * heu, vihfutter; 'afid und hie niesen; 'agir mannbares
mädchen, und^At sponsahtium; 'as und G. Q? x tD : verschliessen;
’dSo und G. 0’*i ! fisch; 'at und he, Sa. 'Af. ’at treten; bi' be-
schlafen, und id., Ai coitus; be'räy und Ti. G. '(1AAJ&' Sa.
'Af. be'örä (Bil. De. Qu. Agm. bira) stier; di', de klein, zart,
und tenuis fuit; de’ir bauen ein haus, heiraten = G. wCO t
struere, condere; fila entjungfern, und gis fidit, ilii pudendum
muliebre; güa' und G. : tA, stossen; guad bewachen,
und Als sedit, servavit; gida und Sandale; gana und 'Af.
1 esse für erse genau so wie in hass (Beni Amer, Had. Hai.) = kars (Bisch.)
gesammtheit, ganzes. Wie in esse für erse das r sich an folgendes s
assimilirt hat, so dürfte in Ga. gdrra (Bk. Kr., hei T. g&ra) hauch, herz,
das s sich an vorangehendes r angeglichen haben und gdrra darnach auf
G. hc/*’s zu beziehen sein.
2 Die gleichen lautverhältnisse zeigen sich in Bil. arb, Qu. arb = ‘Af.
qärebi, Sa. q&rbe und qdbre, G. «pj}£ S Ti. : das grab.
8 Ueber d für s vgl. §. 7.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
33
gena, So. ga'dn hand; la und perle; mu' feucht sein, und
Gr. 9°\)(Oi flüssig sein; nu' und gU sich neigen; ne'df und
Sa. 'Af. lifi nagel, kralle (vgl. Gr. ’iiA' • spalten); neba heiss
sein, und Ti. A9"0 ! hrennen, Gr. M"0 • glänzen, leuchten; sa'
kuh, und Sa. saä, 'Af. sa, So. sa' vih, haustiere u. s. w.
55) Wie dem Bed. h, so entspricht auch dem hamzeh oft ein
Maut oder ein aus k geschwächtes h- z. b. ’a (für 'an) und
Sa. 'Af. han (So. 'dna, Ga. andn) milch; 1 'abik und e*A=»- fest-
halten, greifen; ’agar und G. •’i?./. s (A. :) heim-, umkeren;
'üla und Bil. qülä, qüelä, A. ‘fcA'"/' : hoden; 'amad und Lbä
fassen; 'ör und Bil. qürd, Cha. De. yürd, Qu. yürd, 'urä kind,
son; 'atim und G. : (A. h’j'tfns) befestigen, ein-
schliessen; ’ayuk und Ty. th&Th ■' Gr. Ji.h ! cdAA kauen;
bi und Bil. faq, Lbeschlafen; da'i und Bil. saq, G. iW“!’ :
flechten; fira' und Ti. iAW.' hinausgehen; gua' und Bil. ja',
De. Qu. jay, Agm. sekü, Cha. seqü, suq trinken; guäla und Ti.
glatzkopf (nba la.); gdm'a und weizen; gana
('Af. genä', So. ga'dn) und j-UA hand; 2 gin a neben ginha brust,
herz = äAölA interior et anterior costa, pectus respiciens (vgl.
ÜA und jiA se inclinavit, Aram. jni sich beugen, bücken, Hebr.
Jini bauch der kriechenden tiere); hdd'a (aus hadh-a für had-
had-a) greis, schech = G. ‘1‘YlCl' WR Bil. qadad, Sa. has
consenuit, : senex (zu d = fl s. §. 7); mds'ali und Ty.
A. : gesteh; nai und Ga. re , So. ri', rih, Sa.
'Af. Iah zige; ne' neben ne, na und Cha. ll plur. lik, De. Qu.
Idyä, Bil. Idgä, Agm. lag feuer, Sa.'Af. la heiss sein; Hi' und
jTÄ alt werden; ta'i und Bil. Cha. Qu. tak gleichen; tu' kneifen,
und G. ni+ ! pressen; ta' und A. axp: G. a\tyO '• Sa. 'Af.
tak, taq schlagen; wula', ula' umrüren, mischen, und com-
miscuit; ya' brennen, leuchten, yu licht, und Bil. yaq leuchten;
yada unvollkommen reduplicirt, zunächst aus qadaq[ad] = Bil.
qüet, Cha. qüt, Qu. hü et, Ga. jid feucht sein, genau so wie Bed-
had' aus hadh[ad] = Bil. qadad, G. 4’Art ! alt, ergraut
sein u. s. w.
1 Das wort han steht warscheinlich im Zusammenhang mit Harari hayi =
A. ,1^.(1: Ti. G. A/(l: i_^JlA milch; sonach stünde n in
han für l, vgl. oben §. 12, c.
2 Wf §■ 39, note 2.
Sitzungsber. d. phil.-bist. CI. CXXVIU. Bd. 7. Abh.
3
34
VII. Abhandlung: Reinisch.
F) Die lippenlaute.
56) Wie fast in allen kuscliitischen sprachen so feit auch
im Bedauye der Verschlusslaut p und die labiale gruppe besteht
hier aus den lauten b, f, w, m. Die aussprache des b ist stets
tönend und weich, wie unser inlautendes b in leben, geben.
Den verwanten sprachen gegenüber erscheint für Bed. b meistens
der gleiche laut, wie: ba’ar und Bil. Sa. bir aufwachen; baba
und Da. böba, A. ■n-n-l- * armhöle; bado furche, und Bil. bid,
Sa. bod öffnen, aufgraben; bola und 'Af. bäl (Cha. war, Qu.
wagar) spilen; belbel wilde taube, und Ga. bululä taube; baiöl
und Sa. bolöl, Qu. bal, Bil. Cha. bir, A. OAflA ! sich entzünden,
brennen; biltu und Ku. börta hirse; bile, bire regen, und Ku. bal
giessen, d-ulä regen; bes begraben, und Sa. bäs verborgen sein,
JAS tectus et occultus fuit, refugium; bür und Sa. 'Af.
balö, Bil. birä, De. Qu. biyä erde; berir und Bil. barbar aus-,
auf breiten; bdye und Ga. bald blatt, laub; boy und Sa. bilö,
Bil. Cha. Qu. Agm. bir blut; dgaba und Sa. agdba, Bil. kabgä
büffel; däb und Bil. De. Qu. jäh front, Vorderseite; dib und Sa.
'Af. dabb, Bil. dibb fallen; ddmba (aus danba, darba) und Sa.
'Af. Ga. zdrbä, Bil. hdrbe wade und schinbein; deb und Bil. De.
Qu. dab, Cha. dib begraben; darnbo und Sa. täbä brod; gilbe
und Sa. 'Af. göb, Bil. De. Qu. gib, Schild; kab beschlafen,
und Bil. kab öffnen die infibulirte jungfrau; kilrib und Bar.
kurbe, Ga. drba elefant; rdba und Sa. 'Af. So. lab männlich;
rib und Sa. 'Af. na’ab sich weigern, nicht wollen; tob und Bil.
ta'anb, Qu. tämb, Cha. täb schlagen, u. s. w.
57) Bisweilen entspricht es einem f in den übrigen iclio-
men, wie: bari haben, besitzen = auf-, zusammenbringen;
bir neben fir = Bil./?' (Cha. bir, Sa. brar, Ti. (1/. : A. :)
fliegen; babal und Sa. fafal, falfal flattern; bi und Bil. faq'
ls.\ä beschlafen, G. (): jucundatibus frui; bite antliz, und
A. 4'1' : id.; bas und Ti. : hinüberschütten aus einem ge-
fäss ins andere; güb, gübb, gibb und Als maus; gab und Ui än-
lich sein; gab und Ga. qufa satt sein; hebib (aus hebhib') schäum,
und Ku. kamfä (aus känfä, kärfa), A. \\n£d.: schäumen, G.
,hC4- : schäum (Sa. hinbo, hinibo, So. hiimbo id.); konlib und
L _ r ^U-tA »an käfer; kansube nähnadel, zu t_kAA nähen, gehörig;
rib und ^«.5 i_äsU (Sa. 'Af. na'ab) sich weigern, nicht wollen,
Die Bedauye-Spraclie in Nordost-Afrika. II.
35
verabscheuen: sebib und uiUi- schauen; ambaröy, ambalöy und
Ti. Gr. : Bil. Agm. Tcdnfar, Cha. kifir lippe; ddrnba und
Bil. iänfij Safä, Qu. sdnbä fussfläche, -sole, u. s. w.
58) Lautühergang von b zu m zeigen die formen: bluk
neben mluk 1 'iS dattel; nibäs und mimäH grab. 2 Ebenso
steht Bed- b einem m gegenüber in: banün plural benin gegen
über Sa. 'Af. minin augenbraue; bdlo gegenüber So. mär kupfer;
baski fasten, gegenüber sieb enthalten; basänküa neben
masänko, Ti. Gr. A. • harfe; bdda gegenüber Ga. madi
wange; basäkü, basäuk gar werden, reifen, vgl. ma-
turavit; rieba heiss sein, gegenüber Ti. A9”0 • brennen, G.
A ?”0: glänzen, leuchten. Das wort irbün mais, scheint für
rumitn »griechenkorn« zu stehen. Hieher gehört auch embira,
mit dem fern, artilcel tü-mbira die termite, weisse ameise, welches
wort aus dlf nbE3 ameise, entstanden ist; embira steht zunächst
für nemira, dann enmira, emmira das infolge von dissimilation
zu embira geworden ist.
59) Auch dem Bed. f entspricht in den übrigen idiomen
meistens der gleiche laut, wie: fid und Sa. fit dah, Ti. *t>p !
HA sich schneuzen; füf und Sa. 'Af. Bil. füf blasen; fafar
springen, hüpfen, und Sa. fafal, falfal flattern; fegir (aus gefir)
und 'Ji 1Ü "iS2 bedecken, bedachen; fakak entjungfern, und
Bil. Sa. 'Af. fak, jXs Jjs öffnen; fin und Bil. fün, Ga. fümf-ada
riechen; für und Sa. firi, Ti. G. b'd.■' blute; fir und Bil. fir
fliegen; fir und Ga. füla gesicht; für und Bar. für fliehen,
p; ferik und Sa. fara, ff G. d.Ud. ■ graben; füti und Sa. 'Af.
So. futä, A. brühe; sfo und Ti. G. hVh : vorhaus; gif
und G. güf-ada, Sa. gonfö-yt sich anstossen, straucheln; käf
klagen, singen, und i_LL heulen; kalif und G. nacken;
ne'df und Sa. 'Af. lifi' nagel, kralle; tijfö und Bil. tiff, Cha. tif,
Sa. 'Af. So. tuf, Ga. tüfa spucken, u. s. w.
60) Vil seltener steht dem Bed- f ein b in den übrigen
idiomen gegenüber, z. b. döf und Sa. diibö fleischstück; genaf
1 Die nunation hat der guttural an sich gezogen; vgl. §. 45, b und §. 46, a;
zu k und j. s. §. 37, b.
2 In Barka verzeichnete ich nibds und nimds, in Suakin mimds; vgl. damit
das verb bes begraben. Die richtige nominalform wäre daher: mi-bes,
dann mi-meS und warscheinlich ist hieraus durch dissimilation nimej ent
standen; vgl. bes in §. 56.
3*
36
VII. Abhandlung: Reinisch.
knien, gilnduf und gümba (aus günba) knie, und Bil. Cha. Qu.
Agm. girb, De. gülbe, Sa. 'Af. gülüb, So. jilib, Ga. jüba, A. T'A
n ; i” knie; geni'if 1 und Bil. qünbä, Qu. liumbd nase; sefi milch
trinken, und Bil. De. Qu. sab, Cha. sab, Agm. Saf, Ty. XH :
milch, A. fnfl : G. rti(|ö* ! lactare; Ufa 2 und Bil. etebä, Sa. 'Af.
hindub, A. h'Vfl-’l* -■ nabel, u. a.
61) Als labiodentale spirans entspricht im Bedauye das
f einem früheren z, s in: fadig vier, gegenüber ds-sadig neun
d. i [5] 4- 4, dssadig aus asa mer ausmachend, und sadig = 4
(vgl. L. Reinisch, Das zalwort vier und neun etc. Wien 1890,
p. 7 ff.). In gleicher weise steht / = z, s in Bed- /m = Sa.
sin, Ti. W- G . Ä.V: geruch; fu' = £_Lk riechen; fi bauch,
inneres = gjLo intestinum; fif = Ti. aus-, vergiessen; fär,
fafar Ti. jV.= springen, hüpfen, fliegen; 'afid für 'adif =
0 niesen (vgl. Sahowörterh. s. v. handifö); daf das
rauchbad nemen und Bil. dlf = G. fn.tl 1 rauch, nh/l s rauchen;
herfa = Jpjk. dumm; külinfe andauernder regen, vgl. ^»kik.
continuä pluvia pluit (coelum). Ebenso entspricht dem nefik,
Ar. ^si furzen, eine ältere form kki odorem emisit; rehaf (für
haraf) jfL bewachen. Warscheinlich gehört auch Bed. biye
Seite, rippe, mit Nub. Mri (KD.), fili (FM.) id. zusammen, die
gemeinschaftlich herstammen aus gTö costa. Einem h entspricht
Bed-/ in den parallelformen fay und hay sein, existiren; dann
in: sadif neben sdtha — ^kk; dach; ebenso fürt fenik heissen,
auf id., und fina, fina lanze, 3 auf Ty. : (Ti. G.
nun) id.
62) Der laut io ist seiner aussprache nach ganz gleich der
des englischen w, daher auch häufig folgendes, bisweilen auch
vorangehendes a zu ä und e, auch i zu u verdumpft werden,
wie: wä = 3 fl) und; wäraga — papier; wäkü, doch auch
wakil = J-/3 anwalt; wäkte neben wdkte = zeit; wäl’ =
gly anzünden; wu'äga = Ti. : cercopithecus griseo-viridis
D.; wuk neben wik = IÜ abtrennen; wun und win gross. Ebenso
bisweilen vorangehendes a, e besonders wenn der vocal mit
folgendem w zu einer silhe zusammengezogen wird; z. h. dwweli
, f
1 Vgl. magno naso praeditus.
2 Ueber den abfall von anlautendem e s. §. 76 und über e in tifa s. §. 105.
3 Das k (für s. §. 36) ist noch erhalten in Bed. kendäbi lanzenschaft =
ken lanze däbi (Sa. ‘Af. So. däb stil, schaft, heft).
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
37
~ J?' erster; däwa = Ti. 011h: stamm, tribus; jäwdb neben
jawäb = . antwort; dimer (für dewir) = KA gesinde, die
weitere familie; gdrmva (für gareiva) = Ti. IC*?: mas, mas-
culus; hm (aus lehid) = brennen u. s. w. Zwischen zwei
vocalen wird das w entweder ganz ausgestossen (s. §. 66) oder
auch nur ser schwach gehört, daher man z. b. den stammes-
namen HarTendäwa 1 in den reisewerken stets Hadendoa ge-
schriben findet. Silbenschliessendes w geht zu ü über, wie gaü
plur. gdwa haus, duivdn ich schlief, dü-ta (für dim-, dew-ta)
du schliefst.
63) In den übrigen sprachen findet sich für Bed. w eben
falls meist der gleiche laut vor, z. b. wä' und Sa. 'Af. wa, Bil.
wa, Cha. wag, De. Qu. icätj rufen; ivu'äga und Sa. Bil. wä'agä
cercopithecus griseo - viridis; loälwäl — Bil. id., luft; wun, win
und So. wein gross; 'aw, 'au und honig; äwi und Sa. haivä,
Gr. dämmerung; 'düley (für ’awley) und Cha. aüla, A.
: Sturmwind; duwdn und plur. 0? A die burma,
wasserkrug; duwer und j^A genossenschaft (vgl. §. 25); gaü
und Bil. De. kau haus, familie; hawäd und Ku. awddä nacht;
kawid und G. ftflJ-'P peitsche; tiw und Bil. caü y, Ti. fiEl»TD*:
flA : A. C^O : niät schreien 2 u. s. w.
64) Häufig entspricht dem w auch b, wie: teure, üre und
Sa. 'Af. bire gestern; 'aw, 'aü (Ar. ^4.) und @JJ Kopt.
e&ito honig; dwe und Ku. ebä, Ti. G. h’tt’i 1 1?? stein (s. §. 16);
aide hungersnot, und Ti. G. 0flC: dürre, hunger; away, awe
und Bil. kab helfen; däwa und Sa. ‘Af. däbü, Bil. cibä, jibä,
Ti. 0-nh- stamm, tribus; duw und Bar. deb, Ku. tabe sich
schlafen legen; dö' (aus dato’) und jAh A. G. (TIfl4* 1 anldeben;
küabil (für kbabil) und G. 'JAflfl ’• verschleiern; kadaw, kadaü
und LlA tonn G. ’)/..(\\ ’• schlagen; luw (für lehw) und G. AUfl '•
brennen; rew, reü und üj hinaufsteigen (vgl. reba -und
berg, hügel); rBwu, reü geld, 3 und Cj usura; yawid (Cha.
kawas, A. V>,rt:) und G. hilft* flechten. Umgekert steht ein
1 Aus had’-Bnd-däwa »stamm der herrenleute« , gegensatz kiUi}d&wa
»Sklaven-, dienerstamm« die Tigre. Die palatalisirung geht von dawa
aus, das zuerst das d in enda leute, sich amalgamirte, dann vorangehendes
n zu n veränderte, das wider seinerseits auf d in had’a eingewirkt hat.
2 Zu t für c, s vgl. §. 20.
3 Ueher e in rtba, rewu vgl. §. 105.
38
VII. Abhandlung: Reinisch.
früheres Befl. b einem jüngern iv in den übrigen idiomen gegen
über in: hin (aus ba-in) = Ku. loa-inä, Sa. wä, ö jener; kelib
und Bil. gulldw knöchel, u. a.
65) In einigen fällen fürt iv auf / zurück, wie: wik unc
G. A&h ! Ca» abtrennen; iwa und durstig, ^—d
AMWA " _ 7 <-£
aaaaaa 'ab, evfse sitire; nehaw, nehail und i_»»j schmächtig,
A/WW\ t
mager sein; tawigäy plur. tawig insect, mücke, floh, 1 und Ga.
clafqi, So. tdkfi floh; umgekert Bed. dfa und So. äivo abend,
gestern. Ein w ist bisweilen der rest eines frühem tt-haltigen
gutturals, wie in: ivinhal neben güinhal eile; icila, üla = Bil.
qüelä, qülä, G. ‘feA'1' : hoden; w&lik (für küälilc) = Sa. güärah
und kalali, G. hArh : ii» schreien, rufen; ivasam neben hwasam,
haivasam scherzen. Lerreich sind die parallelformen metungüli
(Beni Amer) und entiwala, entuwala (Halenga) der melreibstein.
Hier steht die letztere form für methüala, und metungüli (mit
secundärem nasal) für metiigüali, metgüali, entstanden aus Ti.
»"Trid., mola. Auf y fürt w zurück in: aw, au
(Bil. Cha. Qu. Sa. c Af. au) = Ti. G. faß,: (j 'ay wer?
ay- za = npN wer? Dann in araü freund, zu G.
aecjualem esse, gehörig; ferner in: kaw, kaü und Bil.
kdyä, Ti. G. : perlhun, perdrix Erkelii. Hieher gehört
auch das nur in der passiven form vorkommende naü, in atö-
naü datus fui, das mit dem Agauwort Bil. naq, Cha. naq.vov
consonantischen Suffixen nay geben, im zusammenhange steht.
66) Abfall von w zeigt sich in: ü neben wü (artikel) der;
ad, ad = Sa. wät, wät (Bar. med) verfluchen; dba, eba = So.
ivebi, wäbbi (Cha. wirbä, Bil. wärabä) fluss; Sga (für wega) hirt
= Sa. waqay, G. : ^Ji 3 bewachen (So. eg wachsam sein,
Nub. wegi das vih hüten); deg (für degic) = Bil. taq, De. seg,
aber Agm. sekti, suk, Cha. siqaw, G. R'H\(D : schwer sein; de
(für dew, vgl. daf ins Schwitzbad gehen, §. 61) — Bil. taü-nä,
Ti. s Schwitzbad; hi = Sa. 'Af. haw, Ti. U(\: G. muH ■
1 Bei Seetzen: tauS/c mücke. Irrthümlieh hält Almkvist ta für den fern,
artikel, indem er in seinem Wörterbuch s. 68 also ansetzt: »welc [?] f.:
Seetz. tauek mücke«. Aus G-a. dafcfi, So. tdkfi floh, ist villeicht zu er
schlossen ein Zusammenhang mit G. : pungere, fodere (/ = s,
v gl- §• 61), (cf. impetum fecit, AAs> animalculi nomen (vgl. So.
diqsi fliege).
Die Bedauye-Spraclie in Nordost-Afrika. II.
39
geben; häs = G. s staub, von 'VfJJft:; hay = Sa. 'Af. heyaü,
G. (hjf{D't lebend; re brunnen = Sa. raw, rau Wasseransamm
lung, tümpel, G. : irrigari, u. a. Dieser abfall von w tritt
besonders häufig ein zwischen zwei vocalen; wie: da neben dw&
= Ti. G. htn: Ty. h«: ja; reu und rewu 1 geld (Ar. Uj usura);
ay wessen, aus aw-i, von aw, aü wer; und so auch: malle, male
für mallaw-i, genetiv von mallö, malö (aus mallaid) zwei; re
für räw-i, genetiv von räw, räü genösse, kamerad u. a.
67) Für m zeigt sich in den verwanten sprachen meist
der gleiche laut, so: medid und G. tW’lJoo’fl: jJcJh abrasiren;
mag und Ga. mdga schlecht sein; mah und Sa. 'Af. mäh morgen;
mehas und Ti. G. '■ die hauptmalzeit des tages einnemen;
rnalh und Cha. mayil, A. °7(/A ! mitte (zu Mlh- gehörig);
melah und Bil. marli, Sa. 'Af. marali, Ti. G. 0»Crh : den weg
zeigen, füren; mes und Bil. mid, Ti. G. a llhP' • »dJU tisch;
metungüli und Sa. malahdn der melreibstein, üDsiL« müle; mdy-
küa, mdyuka und Ga. mirga, So. midig, 'Af. midgh, Sa. mizgä,
midgä rechts, rechte (hand, Seite); derim und herde; fam
und jJiA kole; hum und Ga. zamd gehirn; Uma und Sa. ilmä,
Ti. - krokodil (Nub. elum, ulüm id.); ram und folgen;
Semit und Bil. Samat, Ti. schmieren; tarn essen, und
Bil. De. Qu. täm, Cha. tarn, Ti. n\fyao: G. < I , Ö <7D: ver
kosten; tim und Bil. tim y (Sa. 'Af. tibh dah) schweigen; tdmiiga
und G. 0P9°: links; tamin, tamun und Sa. tdmmän ('Af. tä-
banä, So. taban) zehn, u. a.
68) Häufig ist to aus einem b hervorgegangen, wie: mag,
Ga. mdga i. e. mägüa schlecht sein, werden = Sa. bah stinkend
werden, faulen; schlecht, verrufen, missachtet sein, und Qu.
bohü, G. II'Hl-7» ■■ cC stinken, faulen; mdgüa und Bil. bokü-änä,
Qu. bekuänä wolke, Ga. buküä regen; mäh und So. bag er
schrecken, Sa. bagdgä schreck; mhi, mehi und Ti. (H'h: übrig
bleiben; muh genug sein, und A. 5 genügen, genug sein,
G. : zuträglich sein; mehdy drei, und Sa. 'Af. bahär acht
d. i. [5 -p] 3; mar und Ga. Lira, So. bdrbar Seite, neben; mara'
und Ga. baV weit sein; mdse Vergangenheit, jar, und Sa. basö,
'Af. bisö vergangene zeit; mi-mds grab, von bes begraben (vgl.
§. 58, note 2); dmna (für abna) und Sa. 'Af. Bil. Cha. Qu. abin
1 Langes e wegen des accentes, s. §. 105.
40
VII. Abhandlung: Eeinisch.
gast; dmna kindbetterin, Wöchnerin, nnd Agm. kaman, aber
Bil. Qu. Bar. kaban gebären; liami und Ti. G. -tih •
bedecken; hdmacja knecht, und G. Oflril : ' , 3J? dienen; ha-
mag und So. ubah frucht; hamay und Ti. G. p-fll': wachsen,
gross werden; humeni und Ga. qabena, So. haben (Agm. kemani)
abend; k'rüm und Bil. güärdb, Cha. girdbä, De. Qu. güyeb, güeb
(Sa. 'Af. glmö, Ga. gandma) der frühe morgen.
69) Seltener erscheint Wechsel zwischen m und f, w; vgl.
z. b. masa' und G. d.Rth : 3??® spalten, Bil. basaqu ab-
reissen; hamasdy und blind; liadäm und podex;
mäsu und Bil. De. Qu. was, Cha. waz, wäj, Bar. was, Kaf. wäy
hören, wäj or; demi und stinken (s. §. 25); ketim und
Sa. kataw ankommen; raw, ratt zweiter (malö aus ma-laii zwei)
und asa-rdma d. i. [5] -f- 2, siben, Ga. Idma, Sa. lammä (So.
Idba) zwei; sellem und Sa. saraü, Ty. drCfl)": acacia etbaica;
ium und Sa. 'Af. zaw, Bil. Cha. De. Agm. tuw, Ty. G. h'i'tD:
eintreten, u. a. Abfall von m zeigt sich in baldnda teer -
pix liquida.
70) Aus n ist m entstanden in der medial- und passiv-
bildung der verba mittelst m, welche wie in sämmtlichen nider-
kuschitischen sprachen dem nifal oder sibenten arabischen ver
balform entspricht; ebenso in: ma' kommen, aus Ti. G. :
veni! adam = G. <|>a\’/ s f»p T klein sein, Cha. etin = G. ‘J’rfl/i ’
klein; damer sich beschmutzen = sorduit; geddm =
wurzel; hamisina = J.kxA die lcoloquinte; madäm matte,
und Ti. fflöi s e ™ e ma tt e flechten; sultüäm = Steuer
ruder; semiim = butter, fett; seräm = So. saren, Sa. sinrä,
Ty. G. /*’(I f i'T>• weizen. Auch scheint mita knochen, mit Bil.
näz id., zusammen zu gehören, vgl. De. Qu. näs, Agm. Cha.
naz 1 aus gnaz für gazn = A. : u. hr’}’V s Ti. G. ORT ■■
fjLi knochen. 2
71) In folge einer assimilation geht n vor lippenlauten
regelmässig in m über, obwol bisweilen auch in dieser Stellung
das n verbleibt, z. b. dmba neben dnba stercus; ambür neben
anbür flügel; ernbi', mbi' tag, und nebcd heiss sein; ambaröy =
1 Vgl. Nub. nutu (Kulf.), niäi (KDFM.) knochen.
2 Ebenso stellt im auslaut n für m in: ddhan = A. ausbessern
ein kleid, flicken; roSän (auch Sa. rosäri) — bürg, palast; vgl. auch
Schleicher, Somalisprache pag. 76, §. 61 ff.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
41
Ti. Ty. A. Gr. h'id.C- üppe ; mb.dd, embdd fussmatte, und Nub.
. AAAAM fl < —
nebid, nebid, Kopt. «.efty, J “ ^ nebti, J nebd id.,
jJU pannus, stra,tum; amfe’ = gü nützlich sein; ömfu (aus
enfu, efnu) = Cha. afir G. : fett, salbe; ddmba — Qu.
sdnbä, Bil. sänfi fussfläche, -sole; ddmba (für danba und diess
für darba) = Sa. ‘Af. sarbä, Ga. zarbä, Bil. harb, Ti. flCfl:
wade, schinbein; günib'a knie, neben genaf knien; fimfil (aus
finfil) = pfeffer; sümfa = Ty. : gartenkresse, u. s. w.
72) Genau in folge solcher angleichung kann auch ein
ursprüngliches m zu n übergehen in der unmittelbaren Stellung
vor t- und ^-lauten; 1 z. b. endera (für emdera aus niedera) =
Sa. madir cordia abessinica; hangibaläy der kleine finger, aus
ham (anfang, erster) + gibaldy finger (da man beim zälen mit
dem kleinen finger beginnt, dieser also der erste ist); herinte
= Ty. Jj: Ti. A. G. Yl/J" !’ “ die periodische regenzeit;
kü&rdn-ta sie hat geküsst, gegenüber küäram-dn ich habe ge
küsst u. s. w. Auf diese weise ist das semitische präfix ma-
(in folge Verkürzung und dann ausfall des vocals) vor folgenden
t- und /c-lauten zu n übergegangen; so: ngerdb und mit pro-
stetischem e auch engerab (Beni Amer) neben dem jiingern
lehnwort mdgreb (Bischari) = abend, west; ferner: enkülib,
aus em-, me-, ma-lcelüb = Sud.-Arab. i ror worin der zucker
versendet wird; 2 dann: enkaliw kleine pfanne oder ein thontopf
zum kochen (zu G. «|’AP: <f*Affl ! )Ü gehörig) für me-kaliw
= sartago; ankuana herr, Gott = Sa. 'Af. makawdn grosser,
häuptling, herrscher, G. tn>\; judex, princeps, dominator.
Dieselbe nominalbildung ist sicher auch vorhanden in: dngaS
1 Doch bleibt m vor laryngalen meist erhalten, z. b. m'Are narung, von
'ar nären; mah morgen werden, ü-mlia der morgen; mäh erschrecken,
d-mha ich erschrak; mgliäy und emhäy drei; emhabre = Ti. G. :
gemeinderat; mghir und emhir = junges pferd u. a.; ja es geht sogar
ursprüngliches n vor laryngalen bisweilen zu m über, wie: dum'ära (aus
dun'ära, dungara) = Nub. düngir, düngi (KD.), songir (FM.) gold.
2 Bei Seetzen findet sich die form nbnkuLxb zuckerror« und emlcolib id.
(letzteres in der spräche von Darfor), das ist aber nicht zuckerror d. i.
saccliarum officinarum L., sondern ror für zucker, wie auch der honig
in Arabien und im Sudan in rorbehältern versendet wird. Die form
onkulib bei Seetzen besteht aus ö dem mascul. artikel im objeetscasus
-f- nkulib (aus enkelüb, vgl. §. 45, b), über i (bei Seetzen i) vgl. §. 105.
42
VII. Abhandlung: Reinisch.
pflüg (für amgas aus ma-gaS), vgl. Qu. giiaz, gäz, Bil. güad
pflügen, wenn nicht villeicht angas direct aus Ty. : A.
■ pflug, entlehnt ist, bei ausfall von r- über g zu semit. h
s. §. 37, b. Ferner gehört villeicht hieher: enga (aus engar,
Bil. engerä, De. Qu. engiyä plur. enge) rücken, für megar =
posterior pars; dann: endirho oder endhiro henne, für me-
dirho, Ti. F'CAf' ■ Gr P-ClP: gallus, gallina. In solcher weise
ist wol auch zu erklären das wort dndeh, dnj.de' gegerbte haut
als kleid verwendet, vornemlich aber benützt zum aufbreiten
um darauf bei nacht zu schlafen, Sa. walahö (aus icadahö), Cha.
wasdq, Bil. wäsaqä genannt, im Zusammenhang mit G. tD*Prh 5
(g^3 V4l) auf-, ausbreiten, ■ tuch; hiernach steht dndeh
für amdeh aus ma-[w]deh, vgl. VXü lagerstätte. Ebenso
entstanden ist das wort angari, (auch im Nubischen angare) das
tragbare bettgestell, aus amgare für magare = J-yU lectus, iji
hospitio excepit. Mit der Bedauye-objectsendung -b als angarib
ist dieses wort im ganzen Sudan verbreitet und wird im Sudan-
Arabischen _oyo\ und gescliriben, one dass man natür
lich weiss, dass dies ein durch das Bedauye entstelltes, gut
arabisches wort ist. Ferner: endaüre, endäwire Schönheit, schön
(vgl. j\ \ II pulchrum effecit), mit metathesis auch nawädire, in
welcher Stellung dann ma-ivädire zu erwarten wäre, aber die
Umstellung ist wol späteren datums, als die ursprüngliche form.
So findet seine erklärung auch der ausdruck bei Seetzen: tig-
girda tanquih schuster. Diese composition ist zu corrigiren in:
ti-gid'ä-t dnküi »Sandalen-ankleider, -Verfertiger« und es steht
dnicüi für amkui = ma-küi von kiii oder küe ankleiden; zum
artikel ti- für te- s. §. 113. Nach Almkvist bei tanquih Seetzen’s
an das verb tukük ausbessern, zu denken ligt kein grund vor.
Auch gehört hieher das zalwort engäl eins (s. §. 149, a). Hin-
Almkvist, dem das wort nur aus Seetzen bekannt ist, gibt hierüber in
seinem Wörterbuch p. 19 folgendes: »en7cwZ£[?] m. Seetz. \o\nkulib zucker-
ror.« Wenn nun Almkvist das 6 richtig als artikel im object erkannt
hat, so ist es unbegreiflich, wie er dann das auslautende b als objects-
endung ansehen konnte, da wie er ja selbst in §. 58 angibt, das object
nur in der unbestimmten Stellung (wenn es also nicht mit dem artikel
versehen ist) im accusativ mitunter ein -b als objectszeichen annimmt.
Sud.-Ar. i erinnert zwar an Ar. eilinderförmiges gefäss,
worin die datteln verfrachtet werden, dürfte aber eher mit Ar. , dts im
Zusammenhang stehen.
Die Bedauye-Spraclie in Nordost-Afrika. II.
43
sichtlich des präfixes an-, en- aus am- wäre es zwar ser gut
möglich, dass dasselbe durch einfache Umstellung aus ma- ent
standen wäre. Dass aber vil eher dieses anlautende a, e erst
später wegen leichterer aussprache vorgesetzt wurde, dafür
zeugen folgende parallelformen, die ich in Barka hei den Beni
Amer aufgezeichnet habe: mettingüli, mtüngüli und gntungüli
(Munzinger hat metongole, wol für nietongüäle) der melreibstein,
aus welchen formen die art der Umbildung des präfixes ma- wol
klar ersichtlich ist. Bei den Halenga lautet dasselbe wort entB-
wala (bei Seetzen entewdlla geschriben). Mit rücksicht auf die
Beni Amer-form ist entiivala entstanden aus me-, ma-tehüala und
tehiial = tungül aus tegüal (mit secundärem n) das was Ti.
|no (Sa. dalian, 'Af. dahal) malen, 1 daher entehüala
= ÄJtsiL« Ti. fW'Y'fU'} s Bil. mdtqan, Sa. ma-lahdn der melreib
stein. Bei Almkvist kommt dafür vor die form entiwa der
kleine malstein, nach obigem demnach entstanden aus en-tehüa, 2
womit zu 'vergleichen wäre G. r/njP.* r h,: id., von ÄrhP' (aus
£rh* » P.rfiA : = Ti. «IM :) malen.
73) Dasselbe n aus ma- scheint aller warscheinlichkeit nach
sogar in den wortstamm eingedrungen zu sein in: kansübe (bei
Almkvist konsube worin o als trübung von a wegen folgendem u
anzusehen sein dürfte) nähnadel, zunächst aus knasübe für an-
ksübe, ma-ksübe subula, i_aAA consuit subulä. In
gleicher weise scheint auch konbäl berg, hügel, nicht direct zu
JJ-4-, sondern zu einer form magnus, crassus ut
mons, zu gehören. Das gleiche eindringen desselben m in den
inlaut zeigt sich in külilmfe, kulinfe (bei Munzinger: kelönfe)
anhaltender regen, zunächst aus künlife für knulife und dieses
aus unklife, muklife und mu-klise (s. §. 61) = von
continuä pluviä pluit (coelum). Ferner: tunküi bündel, paket,
aus n-tuküi, stamm tekü, welcher per metathesim aus Gr. :
A-Ü entstanden; über ü zu / vgl. oben §. 45,b und 65. Auch
dürfte hieher gehören die form künda der madenhacker, bu-
phaga erythrorrhynchus, aus knüda für un-kda\ mu-kda\ auf
gks Gr. $00 : secare, zu beziehen.
1 l für n ausser in 'Af. dahal ist auch noch vorhanden in A. TU A” : =
G. : Sa. dahdn fein gemaltes getreide mit butter geschmorrt, als
speise.
2 Zu e in entiwala, entewa vgl. §. 105.
44
VII. Abhandlung: Reinisch.
Gr) Abfall von consonanten.
74) Im allgemeinen ist dieser Vorgang bereits oben an
betreffenden orten behandelt worden. Hier möge nur noch
aufmerksam gemacht werden auf ein absichtliches abwerfen
von gewissen consonanten, welche von den Bedscha irrtümlich
für formbildende elemente angesehen werden. Wenn man einen
Bedawi nach irgend einen nennwort fragt, so gibt er dasselbe
stets in der objectsform an, genau so wie es auch die Nubier
machen. Da nun männliche (auf einen vocal auslautende)
nennwörter im object ein -b, und die weiblichen ein -t annemen,
so wird nicht selten ein zum wortstamm gehörendes b und t
als objectszeichen betrachtet und demnach in den Casus, welche
nicht das object ausdrücken, weggelassen. Ein solcher irrtum
ist begreiflicher weise doch nur in lehnwörtern möglich; so
z. b. eläb = Ti. fr: (Sa. aldm, Bil. dlmat) heu; allein das
Bedauye betrachtet ela als nominativ und sieht im auslautenden
b das objectszeichen; über e in ela vgl. §. 105. Ebenso verhält
es sich mit minda (accus, mendüb) gegenüber Ti. G. 9"'} fT l’t\ •
tropfen; merkü, mirukü (accus, merküb und meruküb') gegenüber
Ti. tfDCtf -n: schuh; ebenso in -ho neben der noch voll
ständigen form -hob, zur zeit, da, als, gegenüber G. (7(|,: fr(] ■
eo tempore, quum. Dagegen scheint arade, accus, aradeb
tamarinde, in dieser objectsform in die benachbarten semitischen
sprachen übergegangen zu sein, Sud.-Ar. und opji
Ti. ■ (auch Nub. aradeb), da dieses wort gar kein
semitisches aussehen hat, genau so wie das Sud.-Ar. Jyyk'A
(s. §. 72). Welcher spräche in düle, accus, delleb, Ti. I'.A.'O :
frucht der adansonia, die Originalität zukommt, ist nach der
äusseren form schwer zu entscheiden, warscheinlich gehört
aber Bed. düle zu Bil. dirä adansonia und frucht derselben,
wäre demnach chamitischen Ursprunges. In derselben weise
hat das Tigre vom Bedauye auch in der objectsform das wort
TfYiT'fl» = Bed. sikena (accus. Sekendb) trinkschale entlehnt, das
widerum dem Ar. entnommen ist; zu k für ^ s. §. 37, b.
75) Der gleiche Vorgang zeigt sich bei weiblichen nenn-
wörtern, wie: dka = Ti. Ty. hh'V■' Bil. alcät frucht der dum-
palme; äküa = Ti. : AsA. büchse mit kautabak; bdla
= Ti. flA'i'l' : Bil. balät schamgürtel der mädchen; difo — Ti.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
45
’• gekochtes getreide (als speise, die belila); dakya
Ti. ■ Zeltstange; kübre = Schwefel, -hölzchen;
mindara = 'i'yaXU spigel; mirba — Ti. </»Cfld" : Bk. marbät
blutrache; sdggi = Ti. ■' netz; wära = Bil. wurät, Ti.
: arbeit, u. a. Noch auffälliger ist diese erscheinung in
fällen, wo t zum wortstamm gehört, wie: sab = Ti. G.
(VJfl’l" : samstag; mdlka = hlG feuerzange; säle — kAX sesam
öl. Dasselbe missverständniss obwaltet in: isin fern. gen. das
flusspferd (object: isin-t), welches dem Nubischen: essi-n-tl id.,
wörtlich: »wasser-von-kuh, wasserkuh« entlehnt ist. Das Wort
tl kub, find, fasste das Be<Jauye als feminine motion auf und
das genetivische -n des Nuba wurde mit dem wortstamm ver
schmolzen. Das anlautende i in isin ist aus e in folge von
vocalharmonie mit dem nachstehenden i entstanden.
76) Im anlaut fürt der ahfall von a, e (i), o, u und t auf
die gleiche Ursache zurück, indem man diese laute für den
masculinen oder femininen artikel ansah (s. §. 113); vgl. z. b.
big glid, membrum, pl, biy-a mit dem plur. artikel äbiya körper,
als reflexiv: äbiy-B ich selbst u. s. w. (s. §. 176), entstanden
aus Gr. AHA: 1 corpus, dann: ipse. Ferner had sonntag, für
; Uma 2 = Ti. s Sa. ilmä, Nub. elum krokodil;
teb 2 = Ti. ö m -n ■' baumwolle; Ufa 2 — Bil. etebä, Ti.
h'l'dl : Ä. : nabel; blis = teufel; lif = r_sJ\
tausend; lil = Ti. hAA 1 Bil. ilil freudenruf, begrüssungs-
gesang der frauen; baelik = .JU-L leichte nebelwolken; vgl.
auch §. 16.
H) Umstellung von consonanten.
77) Ausser der schon oben §. 73 berürten lautumstellung
von n (m) kommen im Betjauye die mannigfaltigsten arten hier
von vor, hauptsächlich hei fremdwörtern um dieselben den
eigenen sprachorganen besser anzupassen. Die häufigste art
von metathesis findet statt:
a) Bei den liquiden, und zwar bei l, wie: dlafe und A.
g. hd.c- neben hCID 31*73 korb; ambilhoy (aus ma-blih-ot)
1 In biy steht y für l (s. §. 33) = bal, bei, vor folgendem y ging dann e
zu i über, wobei auch der accent zur färbung des e zu i beigetragen
hat (s. §. 105).
2 Ueber die länge von e s. §. 105.
46
VII. Abhandlung: Reinisch.
trompete = G. rm.fllJA’!': vox; dhaldy und Sa. dillienö glut-
kole; gülhe neben güinhal = Ga. jigil% So. söhul, Ti. fi £**’} ,c l , A’l" •
Ti. -|'7llA ■' arm, eile; halig krümmen, hanag krumm sein,
und Ti. '• J-" Bil. 'agal krümmen, biegen, So. hdngol
der hacken, angar-an gekrümmt; hänküel und Ti. :
Ow7V.R concinnus comae; küabil (aus Mfabil) und G. 7A(1(1 :
verschleiern; k&dala neben kdleda = oSs becher; läküdy neben
küäldy = Ga. galä, Kaf. gallo, Bar. kdrä stock; lehäk und Ti.
WVT: gaumen; malh und Cha. mayü, A. at }U{\ • mitte,
zwischen (zu KilA : gehörig); tela und Bil. taqlal, Ti. fll'l’AA:
durchlöchern.
b) Bei r; z. b. adger neben agder können, vermögen, dreg
macht, kraft und jbJ potuit, jAs potentia; de'ir bauen ein haus,
heiraten, und G. it>CO 1 condere, struere; fegir und jJijJi iss
bedachen, bedecken; gühar Stelen, und Ti. 7"Crh ! G. 7°Arh 1
betrügen, hintergehen; güsir und zyiio lj5tf lüge; haragä, haräg
(Nub. org) und "Af 8 - huqar, gouep, gno hungern;
küire (aus kürye) = Sa. 'Af. gäraya i. e. güarayä, So. gäray,
Har. gürayä straussvogel; terib = teilen. Villeicht gehört
hieher auch hddda, hdda (aus harda für hadra und dies aus
dahra) löwe = G. s fltfhd ‘ mugire, 1 daher Kaf. daher ö
löwe, cf. bnitf id., der brüller.
c) Bei nasalen; z. b. endi (aus hendi für hedin) — Ty.
i m.*J 5 Ti. G. -fa.? : eisen; embalek (aus bnalek) und Ti. *flC
= Ty. -flCT*/* : Sa. bunnahe amaranthus graecizans; 'amsr
für ma'ir = jliA hole; ömfu (für enfu, efnu) = G. dV/.'l' •
Cha. afir fett, pomade; bean (für bena’) = Ti. (ICO : G. d.l'.l) ’•
Sj* sich fürchten; sandk und > G. 1 Ti. ■
Bil. iakum, cehum kinn, hart; semakudni und mesaküani schlafe,
zu Ti. anftiil) : G. j»r/«>/'’Yf*0 ■ ruminare, gehörig; tdmuga und
G. ßp9°: links.
d) Selten finden sich nach dem bisherigen materiale Um
stellungen anderer consonanten; vgl. z. b. kadaw = kAL san
G. schlagen; embäde (aus me-tbä-t, s. §. 22) = G. tf»')’
fl/h'T : Schwert; svtöb und Bil. sibd, A. fl <,'(]'(*: geleiten; nehas
und G. hftfh: g-iA ns: rein sein; mehas und Ti. G. aoff t f,: das
mittagsessen einnemen; akir (für hakir) = G. frUA : Ti. }|A :
1 Vgl. jedoch auch Ti. Ty. : mugire.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
47
(Agm. kal, Cha. car, Bil. De. Qu. gar, So. kar) stark sein, ver
mögen, können; haküs und Sa. haSükSük dah, Bil. hesükmk y
zischeln, in die oren flüstern, verläumden; könSib und
käfer; nedf und Sa. 'Äf. lifi' nagel, kralle (Gr. ’iiA' •
spalten), u. a.
Ueber assimilation von consonanten hat Almkvist in seinem
buche s. 52 f. in erschöpfender weise gehandelt, weshalb ich es
unterlasse, auf diesen gegenständ abermals einzugehen. Ich will
nur noch bemerken, dass bei den Beni Amer das n der nasa-
lirenden präsensbildung in der regel nicht mit folgendem io, y,
l, r assimilirt wird, z. b. ahanriü ich will (bei Almkvist aherriu),
anwik (bei A. awwlk) ich schneide, 1 u. s. w.
2) Die vocale.
78) Ausser den drei grundvocalen a, i, u besitzt das Be-
dauye noch die zwischentöne e, o, alle fünf sowol lang als auch
kurz vorkommend. Die aussprache derselben bietet im vergleich
zu der unserer vocale nichts bemerkenswertes dar. Bei den
Beni Amer in Barka werden vor labialen die vocale i und u
häufig auch wie ü vernommen, z. b. jümmo für und neben
jimmo katze, tii-klüb für und neben tU-klib der knöchel, diib
und dib fallen, jürna und jüma = freitag, u. s. w.
79) Daneben sind noch zwei vocallaute vorhanden, nemlich
a (bei Munzinger ä) und g; ersterer wird wie in den übrigen
kuschitischen und äthiopischen sprachen wie e im französischen
mere ausgesprochen 2 und steht etymologisch für ein kurzes a,
wie: mänka und mdnka Ti. Gf. löffel, karäy und karäy
— Ti- IhZ-fi- • hyäne, u. s. w. Das g entspricht genau dem schewa
mobile des Semitischen. Die diftonge ai, ei, oi, au welche
Munzinger und Almkvist auffüren, existiren eigentlich im Be-
dauye gar nicht, weil die genannten vocalverbindungen, genau
so wie in den übrigen kuschitischen idiomen, ja nicht wie ein
1 Doch bemerkt Almkvist 1. c. p. 130, note 1: in betreff der assimilirung
des n vor w, wie z. b. in awwlk (für anwik aus wik schneiden) finde ich
besonders notirt, dass der vorangehende vocal einen schwachen nasalen
klang erhält.
2 Vgl. Kunamasprache §. 7, Bilinspraehe §. 18, Chamirsprache §. 4, Quara-
sprache §. 4.
48
VH. Abhandlung: Reinisch.
geschlossener laut gesprochen werden, sondern jeder einzelne
vocal für sich deutlich vernommen wird. 1 Auch ligt diesen
sogenannten diftongen au, ai u. s. w. tatsächlich nur ein aw,
ay zu gründe, und sie müssen demnach auch so geschriben
werden, allein es ist richtig, dass wenn w und y im schewa
quiescens stehen, sie dann wie ein u, i gehört werden, z. b. yaü
für gaiv haus, aber plur. gäwa; bedhati, aber plur. bedlidtya
zeugniss u. s. w.
A) Der vocal a.
80) Der vocal a erscheint als offener laut (wie in unserem:
aber, hammer, kalt):
a) Im anlaut wie: abaläy pavian, adif rinde, ärnba excre-
mente, dsta silber, u. s. w.
b) In der Umgebung der kel- und gaumenlaute, wie: ’a
milch, ’ab zicklein, habi verweigern, haddl schwarz, kaf singen,
kalif nacken, kan wissen; — ba'dso fuchs, da'i flechten, fa’id
lachen, bdha antilope saltiana, ddha kinnlade, fagdr bursche,
lak trinken, tak mann, u. s. w.
c) Im auslaut in der nomin alendung -a (aus kuschitischem
-ä oder aus dem semitischen nomen unitatis entstanden), wie:
dgaba (bisweilen noch agdba) = Sa. agdbä, Ti. Ty. Klfl ! büffel;
ddrnba = Sa. 'Af. sarbä, Ti. Ty. rtCfl : schinbein, wade; ddmba
= Qu. Sanbä fussfläche, -sole; dinya = Uo> weit; gdba = Bil.
gübä rhamnus nabak; girgüma = Bil. gürgümä, Sa. durgümä
halsknorpel, adamsapfel; hida = Sa. siddä, 'Af. tiddä gemein-
schaft; Idga = Ti. A,'J■' Sa. 'Af. rugüd kalb; Uma = Sa. ilmä,
Ti- hß\. a 'l : krokodil; sukena = Bil. zägüanä, Qu. sakanä, Cha.
sayranä, Ti. Gr. Ah ut i’ : fussknöchel; sara = Sa. 'Af. sarä, Cha.
serä rücken, u. s. w.
d) In der participialendung -a (aus früherem -äw, -äu 2 her
vorgegangen), wie: dkra stark, ferha freudig, gddaba traurig,
hatera mutig, u. s. w.
e) In der pluralendung -a (aus ä, än 3 entstanden), wie:
drgin-a lämmer, gdwa häuser, kürba elefanten, u. s. w., sowie
1 Vgl. auch A. W. Schleicher, Somalisprache p. 58. L. Tutschek, Diction.
of the Galla lang. p. XXIV.
2 Vgl. Kafasprache §. 35.
3 Vgl. L. Reinisch, Das zalwort vier und neun, p. 9, §. 6.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
49
in der endung des genetivs der merzal im Bischari auf -ya, -a
(Bil. -ä aus ya = Arnli. f-), wie: ayä-ya der bände, gaioä-ya
der häuser, benin-a der augenbrauen, u. s. w.
f) In verschidenen verbalendungen, wie: tdm-a iss! tam-
dn, tdm-ta, tdm-ya ich ass, du assest, er ass, u. s. w. In der
merzal der oben angeflirten fälle ist a aus einem frühem ä her
vorgegangen.
81) In allen sonstigen Stellungen ist das a weniger offen
und neigt mer zur ausspraclie von a, geht sogar häufig auch
zu e über, z. b. barük, auch barük und beruh du, karäy, karäy
und keräy = Ti. : hyäne, u. s. w. Fällt der accent auf ein
solches aus a hervorgegangenes e, so erscheint es häufig als 4,
z. b. (Ungar und ddngar ebene, fläche; kennte (aus her amte, ke-
rernte) — Gr. Yl£9°’l' s regenzeit; mdnga und minga = lAU wüste;
mdnka und mdnka, minka (aus menka) — Ti. G. ön'Jll ■ löffel;
mirba = Ti. rache; mirkab = schiff; riya — uLj
mülstein; terig = A. : mond, monat, u. s. w.
82) In unmittelbarer Stellung nach w wird a zufolge der
aussprache des w wie englisches iv meist zu & verdumpft, wie:
wä (seltener wa) und, wäkil der anwalt, wäkte zeit, w&V anzünden,
wära arbeit (s. §. 62), u. s. w. Aus demselben gründe wird
auch das a nach einem w-haltigen guttural häufig wie ä ge
sprochen, z. b. küäk und sogar käk neben küak beherbergen,
ku&l, käl und küal hauen, küäldy, käläy und küaldy stock,
küärküär, kdrkär und ktiarkuar schlänge, küärdm, kärdm und
küaräm küss, u. s. w. Ebenso wird häufig einem M-haltigen
guttural vorangehendes a zu ä verdumpft, wie: asägür und
asagür sechs, bäku und bäk neben bdlcü so, dägüa und ddgüa
spion (s. §. 46). Diese Verdumpfung kann auch noch stattfinden,
wenn zwischen dem a und dem w-haltigen guttural der nasal n
steht, wie: ängüa und angüa dumpalme, änküa und dnküa
höcker, änküana und anküdna herr, u. s. w. Nachfolgendes ö,
ü wirkt auch sonst bisweilen auf a verdumpfend ein, wie: am-
bäröy neben ambaröy lippe, bälöl, b&lül und balöl flamme, ma-
sänkö und masankö harfe u. a.; ebenso nachfolgende labiale,
z. b. däbba — holzrigel; däme = G. Ty. nord; dämbo
und ddrnbo feines brod; hämmär, hummär — Ti. • matten
zelt der Beduinen, u. s. w.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXVIII. Bd. 7. Abb.
4
50
VII. Abhandlung: R e i n i s c h.
83) Wie schon aus §. 80 ersichtlich wurde, ist a in vilen
fällen aus ä verkürzt worden. Grammatisch kommt ä nur mcr
vor im nominativ des pluralen artikels ä die, und des demon-
strativs an diese, ferner in den persönlichen fürwörtern baräk
fern, batäk ir, baräs fern, batäs sie (plur.) und den entsprechenden
possessivsuffixen; im verh in der zweiten und dritten person
pluralis des perfects bei den denominativen verben, wie: tdm-täna
ir asset, tam-yäna sie assen, dann in der negation auf bä-; ferner
in der nominalbildung, wie: abäb Verachtung, ibäb reise, dibäb
floh u. a. (wovon später die rede sein wird), dann nach art des
Aethiopischen und der Agausprachen in der Stellung vor laryn-
galen, wie: bä’no asgeier, faid lachen, filä’ entjungfern; fähme
(Ar. ^) verstand, gadäh (Ar. j-As) schüssel, mäh erschrecken, 1
u. s. w.
B) Der vocal e.
84) Die vocale e und i werden im Bedauye meist schärfer
und bestimmter, als in den übrigen kuschitischen idiomen in
der aussprache von einander unterschiden. Im anlaut kommt e
nur prosthetisch vor, wie: ergäne (für ragane) schaf, entunguli
(für metungüli) malstein, u. s. w. Der quantität nach erweist
sich e leichter als i, was man aus der tatsache ersehen kann,
dass e häufig als abschwächung von i zu erkennen ist (s. §. 86),
ferner daraus dass der accent auf keinem e stehen kann, ausser
wenn dasselbe durch position verstärkt ist, sonst muss dafür e
eintreten oder es geht e zu i über, z. b. esenne er bleibt, esni
oder isini er blib, iß er ist, iß er war, u. s. w. (s. §. 105).
85) Wo« im anlaut nicht prosthetisch auftritt, ist es stets
der rest einer silbe mit abgefallenem anlautenden consonanten,
wie: edid = Bil. qadad teilen; iga hirt, zu G. •' ge
hörig; iga = A. rauch (das lange e wegen des accentes,
§. 84); endi == Ti. G. 'TiÄ.'J: eisen; esse (für erse, herse) = G.
inneres, bauch, u. a., sowie im pronominalpräfix der
dritten person im verbum, aus früherem ye-, ya, wie e-bäden
er vergass, vgl. tam-ya er ass, u. s. w. Bei dieser gelegenheit
möge noch kurz daran erinnert werden, dass sämmtliche cha-
mitische sprachen (gleich den semitischen) ursprünglich im an-
1 Vgl. auch A. Dillmann, Grammatik der äthiopischen spräche, s. 71, §. 46.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
51
laut von Wörtern keinen vocal kennen und wo solche in jetziger
spräche auftreten, dieselben nur die reste eines früher conso-
nantisch anlautenden sillabars sind; vgl. auch §. 8. 11. 51 ff.
86) Das e erscheint nicht selten als Schwächung von i,
z. b. ende neben endi, aber im object noch stets endit eisen;
ergane neben ergäni, aber im object erganib schaf; Ule und Uli,
im object lllit äuge; äiigüel neben dngüil oren, aber im singulär
angüil or; berlca = ksjj teich; debäk = quecksilber; derim
= herde; hedärn = f \j^. leibbinde; heläl = haarnadel;
herdu = ring; kennte = Ty. ! die periodische
regenzeit; lejäm = ? lsd ztigel; lemün = limonie, u. s. w.
87) Auch erweist sich e als schwächungsvocal von a (zu
nächst über a), z. b. ende neben regelmässigem endet mutter;
berük fern, betitk neben barük und barük fern, batük, batük du;
berüs fern, betüs neben barüs, batüs, barüs. batüs er, sie; keräy
und karäy hyäne (s. §. 81). Sogar ä kann zu e werden; z. b. der
und dar (aus dar — A. P,£ : Gr. R,hd ■■) verstossen die frau;
duwir = nachbarschaft; kaleb = Ti. hA-n= und hA*n!
hofraum; kiferi (neben kifiri) = heide. Das lange e für e
ist hier nur durch den accent bedingt (s. §. 105), was man
deutlich aus ü-kferi (für ü-kyfire) der heide, ersehen kann, da
langes e nicht ausgestossen werden könnte. Derselbe fall ligt
vor in amir für ma'er — hole.
88) In der Umgebung von w wird e zu u verdumpft, wie:
wun (neben wen und häufiger win) gross; wu'äga (für we'äga')
cercopithecus griseo-viridis D.; nuw&ü (neben newBÜ) taub, u. s. w.
Dieselbe trtibung tritt auch häufig vor labialen überhaupt ein,
z. b. umero = Bil. emäna einst, jemals; dubba = Ti. tlTl’l" :
hügel; dum'ära neben clem’ära gold; humdr — Ti. •
adansonia digitata, u. s. w.; auch wird durch folgendes ü voran
gehendes e zu u getrübt, wie gulül neben gelül dumm; urbün
neben erbitn, irbün mais, u. a. (vgl. §. 82). Ueber den einfluss
ti-haltiger guttui’ale auf vorangehendes e vgl. §. 46, c.
89) Das e kommt ausserdem dass es als denung von e
auftritt (s. §. 87 und 105), auch noch vor als contraction für
ay; z. b. ben (aus ba-in) jener, 1 bet (aus ba-in-t) jene; he und
fe neben hay und fay sein, esse; are = G. wollen; hima
1 Vgl. Ku. ina dieser, wä-ina jener, Nub. in dieser, man (aus ma-in) jener.
4*
52
VII. Abhandlung: Reinisch.
= G. : <^44^- zeit; het = bllA. mauer; ker = (G.
't.C ! Ti. VtC*) gut, schön; mes — ajJU, G. s tisch; se
(aus sei?/, saifi/ = G. s vgl. §. 30 und 69) leber, u. a.
C) Der vocal i.
90) Das i wie 1 ist vilfach aus einem y hervorgegangen, 1
so im genetivischen -i, das mit A. f- im Zusammenhänge steht,
ferner im femininum beim verb, z. b. tdrn-i iss du (fern.), zu
nächst aus y und dieses aus t erweicht. So auch hie und da
in der Wortbildung, z. b. ibüb (aus ybctb, yibäb) = <. >11* reise;
iwa (aus yeiwa) = durstig; afi = Ti. Od.? 1 gesund sein;
si' und M’ = £lij (med. y) alt werden, u. a. Ueber den laut-
libergang von a zu i s. §. 81 und über i für e s. §. 84.
91) Grammatisch wechselt i auch mit ft, ö ab, vgl. z. b.
anbür plur. dnbir und dnber flügel, asül plur. asü wunde, banün
plur. benin augenbrauen, hüm plur. him gehirn, ngül plur. ngil
faden, 2 rid = Sa. 'Af. rüd, A. 4-TD re is, tirmän = Ti. s
querbalken. Auch erscheint i für kurzes «; z. b. dinya =
US.> weit, libän = ^,11) Weihrauch, u. a.
92) Das lange 1 steht häufig für e aus ay- so in der vocativ-
endung -l neben -e und -ay 0! Ebenso im Wortschatz, wie: awi
und awi — Ti. G. : morgen- oder abendröte; ima und
bma (aus ayma) = Ti. ■ Spätherbst, winter (November
bis März); Ml = jAA Ti. G. : stärke; lagt (aus läge,
lagay, lagad zu Ti. G. reisen, gehörig) weg; mehi und
mehdy drei fsld stid = .x-JUs adscensio, Oberegypten und Nubien;
ebensoTkurzes i in engi = Bil. anqäy mitte; sitän oder sitän
= 0 Ü=JiA Ti. : G. ' teufel. Dessgleichen steht 1
für ä in: küiküay = Sa. 'Af. käkö, G. b, 5 !?, ■ rabe; kalif und kalif
= G. ■■ nacken; mehin = ort, u. a.
1 Vgl. auch A. Dillmann, Grammatik der äthiopischen spräche, s. 30.
2 In diesen beispilen steht i eigentlich für e wegen des accentes, s. §. 105
und 117, e. So steht auch leh (e für e nach §. 87 und 105) = Sa. 'Af.
loh, Ti. s G. balken, brett. Auch wird der artikel
ü, ö fern, tu, tö häufig zu e gekürzt, e-gaü für ü~ und o-gaü das haus,
te-takät für tu- und tö-takdt die frau; s. §. 113.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
53
D) Der vocal o.
93) Kurzes o und u kommen in sämmtlichen kuschitisehen
wie äthiopischen sprachen nur bei den «-haltigen gutturalen
oder in der Umgehung von labialen als trübungslaute von a und
e vor (vgl. §. 45 und 82). Das Bedauye hat ausserdem noch
die kuschitischen nominalendungen auf -ö und -ü (zunächst aus
-aä hervorgegangen) fast ausnamslos zu -o und -u abgeschwächt,
wie: ddaro rot, ddbalo klein, umero früher, endhiro hun u. s. w.
Dass hier der auslautende vocal in der tat ein kurzer ist, kann
man schon aus der Stellung des accentes bei dreisilbigen Wörtern
ersehen.
94) Langes 5 erweist sich ausser im artikel der objects
form und der innerradicaligen nominalbildung fast immer als con-
traction aus aü, aw; wie: ör, ür aus awr = Ga. awdla, Ti. !
Gr. ‘I'll/. ■ jks begraben; hak aus ba[ha]iik = G. llrhW' 1 bock;
do (aus daw') A. G. nifld* ! ankleben; döla = amt,
regierung; hö = Bil. haü, Ti. : gebeil; jöhar = perle;
höd = teich, see; ndra = kalk, u. a. Ebenso kommt
ö auch als contraction aus an, al vor; vgl. z. b. kös liorn, zan,
und Sa. gdzä plur. göz, 'Af. gdysä (aus gansä oder galsä) und A.
id.; kösa messer, und Jp'ß, JAs schneiden.
E) Der vocal u.
95) Das ü ist aus ö gekürzt; vgl. z. b. dür = Ti. : Ty.
HO)/. 1 besuchen; gäbe = Sa. 'Af. göb, Schild; hüs neben
kösa messer; häbi und hubi herbst, zunächst aus höbi — halbi
vgl. id.; güd (und verkürzt güd, güed) vil, zunächst aus
göd, gald, vgl. AL accumulavit; lul (aus löl, laül) strick, G.
A<DA = Ti. A"A ! winden, binden, u. a. Aus u ist dann bisweilen
u gekürzt, wie: endirhu, auch endirhe neben dndhiro (aus ma-
dirhö), Ti. hun, henne, hdmu haar u. a. Die gewön-
lichste kürzung von ü ist e (oder i, wenn der accent auf e zu
stehen kommt), s. §. 91; sonst kommt ü nur noch bei den u-
haltigen gutturallauten (s. §. 45) oder als trübungslaut für e in
der Umgebung von labialen vor (s. §. 88); über den denungs-
vocal ü aus u s. §. 96, c.
54
VII. Abhandlung: Reinisch.
F) Deining der vocale.
96) Zum scliluss der betrachtung über die vocale möge
noch erwänt werden, dass im Bedauye in bestimmten fällen der
vocal gedent wird. Dies geschieht:
a) Vor allen an einen kurzen vocal antretenden Suffixen,
worauf schon Almkvist p. 48, §. 24 hingewisen hat. Hierin
unterscheidet sich das Bedauye von den übrigen kuschitischen
und auch äthiopischen sprachen, da in diesen vor Suffixen in
der regel der lange vocal gekürzt wird. 1
b) Wenn auf ein kurzes e der accent zu stehen kommt;
vgl. hierüber §. 84 und 105.
c) Um ein folgendes teschdid zu ersetzen; vgl. z. b. bädo
furche, und Gr. d.MM ■ öffnen, spalten; blr — Ti. flZ : fliegen;
besä und bissa = Jbo katze; dlm = ausfüllen; fär und
fafar =' Ti. (\£: springen, hüpfen; for = "s fliehen; gub (Bi-
scliari) neben gubb, gibb (Beni Amer) = üs maus; hüd = JA
donner; Mda = Sa. siddä, 'Af. tiddä gesellschaft; hak di = Ti.
()Yj : (Irt : sich räuspern; käf = singen; leb — Ti. G.
magen; müd = 5A mass, scheffel; rid (Sa. 'Af. rüd, A.
^.’fj:) = jjj reis; sem — ^ gift. Das umgekerte verhältniss
findet statt in Bed. dille gegenüber Bil. dirä adansonia digitata.
— Ueber den vocalschwund ist den von Almkvist gemachten aus-
fürungen (p. 46 ff.) nichts wesentliches beizufügen.
5) Der accent.
97) Da ich in diesem abschnitt vilfach von meinem hoch
verdienten Vorgänger Almkvist abweiche, so muss es spätem
forschem überlassen bleiben zu entscheiden, wer von uns beiden
in den von einander divergirenden fällen die richtige beobachtung
gemacht hat. Ich anerkenne gerne, dass bei der grossen ge-
wissenhaftigkeit, mit welcher Almkvist in allen seinen Unter
suchungen vorgegangen ist, derselbe gewiss auch in der accent
frage des Bedauye ebenso genau wie in den übrigen partien
beobachtet haben wird. Dazu kommt, dass Almkvist durch
1 Vgl. Bilinsprache §. 157, Chamirspraclie §. 211, Quarasprache §. 121; Dill
mann, äthiopische spräche §. ö6.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
55
mer monate, als ich durch wochen hindurch mit dem Bedauye
sich beschäftigen konnte. Ungeachtet dieser gewichtigen tat-
sachen bleibt mir, wenn ich nicht gegen das geftil der warhaftig-
keit verstossen sollte, nichts übrig, als aus meinen eigenen auf-
zeichnungen diejenigen resultate zusammen zu stellen, welche
sich eben aus denselben ableiten lassen. Die beiderseitige
differenz in unsern accentbezeichnungen mag aber wol villeicht
daraus erklärt werden, dass Almlcvist seine aufzeichnungen bei
den nördlichen Bischari machte, ich aber fast ausschliesslich mit
den südlichen Stämmen der Halenga, Hadendäwa und Beni-Amer
arbeitete, und ich habe selbst einige male beobachtet, dass meine
Bischari besonders arabische lehnwörter genau so accentuirten,
wie die Araber und also darin von den südlichen Stämmen ab
weichen, die ganz nach kuschitischer weise betonen.
98) In meinen Schriften finde ich nun vilfach ein und das
selbe wort in der gleichen grammatischen Stellung verschiden
betont, was daher kommt, dass die Bedscha gleich den übrigen
kuschitischen Völkern im allgemeinen die stimme nur wenig
moduliren und vilmer die silben eines Wortes eine nach der
andern in fast gleichmässigem tempo hervorbringen. Es er
fordert hiernach schon eine beträchtliche aufmerksamkeit und
Übung, die eigentliche tonsilbe eines Wortes herauszufinden, be
sonders dann, wenn man gesprochene Sätze rasch nachschreiben
will, und nun nicht immer zeit genug bleibt, auf die accente
jedesmal die gebürende rücksicht zu nemen. 1 Im allgemeinen
kann man nun betreff des accentes im Bedauye folgende haupt
regeln aufstellen:
99) Der accent steht nur auf einer der drei letzten silben
eines Wortes, z. b. asül wunde, embaröy lippe, nethäS asche,
safarit mist, sadid rinde, tiffö gespei; amdsu ich hörte, ebäden
er vergass, hamBti traurig, hübi regenzeit, herbst, küUla
schnupfen, ki§ya sklave, reböba nackt; ibäbkena reisender, küd-
lani axt, heil, mehdlaga geld, sukena knöchel, sürkena erster,
tdmiiga links, u. s. w.
1 Die an manchen stellen in meinen Bedauyetexten zu tage tretende in-
consequenz in der aceentsetzung erklärt sich eben auch aus dem an
gegebenen gründe, indem ich es für unstatthaft erachtete, nachträglich
in Europa one beisein eines eingebornen, den ich hätte zu rate ziehen
künnen, eigenmächtig änderungen in meinen aufzeichnungen vorzunemeu.
56
VII. Abhandlung: Reinisch.
100) Der ton ruht auf derjenigen silbe, deren vocal an
quantität die vocale der übrigen silhen eines Wortes überwigt;
also z. b. abaläy cercopithecus griseo-viridis, aclüma malzeit,
ibäbkena reisender, u. s. w.
101) Der vocal einer geschlossenen silbe überwigt hin
sichtlich des accentes den vocal einer offenen silbe, wenn diese
vocale von gleicher quantität sind; z. b. andb eiter, ardr blei,
isin flusspferd, dandn riemen, kalif nsicken, küsin rürstock, u. s. w.
102) Der vocal einer doppeltgeschlossenen silbe überwigt
den einer einfach geschlossenen; z. b. ankar rachen, ddngar
ebene, hdmmus kichererbsen, liiHkül beutel, kdnkar sessel, ker-
kab holzschuh, u. s. w.
103) Der accent geht soweit gegen den wortanfang zu
rück, als es die letzte silbe gestattet; daher kann auf der dritt
letzten silbe der accent nur dann zu stehen kommen, wenn der
vocal der letzten silbe des Wortes kurz und auch nicht durch
Position verstärkt ist; z. b. abäbena in Verachtung stehend, en-
dera cordia abessinica, gddaba traurig, gasane zeltpflock, hdmada
knecht, küdlani axt, kinkeli nacken, metungüli malstein, tan’alo
skorpion, tdnkaro spinne, u. s. w. Wie aus diesen beispilen zu
ersehen ist, lauten alle Wörter, welche proparoxytona sind, auf
einen vocal und zwar auf einen kurzen vocal aus, denn würde
die letzte silbe auf einen langen vocal endigen, so könnte der
accent nicht mer auf der drittletzten silbe stehen (vgl. endhiro
hun, endhiröyü mein hun, u. s. w.), ebenso wenig, wenn die
endsilbe durch einen consonanten geschlossen wäre (s. §. 101).
Daher werden die eben angefürten proparoxytona in der objects
form zu oxytona, als: abäbenäb, enderäb, gadabäb, gasanib, u. s.'w.
Doch behält in diesem falle die ursprünglich mit dem hauptaccent
versehene Stammsilbe einen halben oder nebenaccent, daher man
auch wol schreiben könnte: abäbenäb, enderäb, u. s. w. Dagegen
accentuirt Almkvist: abäbenäb, enderäb, u. s. w., nach meinen
gehörserfarungen feierhaft. Ferner steht der accent auf ante-
penultima, wenn auch der vocal der vorletzten silbe lang, dabei
aber der der letzten silbe kurz ist; z. b. nämhlni wo? adüm-
yäna sie redeten, ibübyäna sie reisten, u. s. w.
104) Auf der vorletzten silbe ruht der accent, wenn der
vocal derselben die vocale der übrigen silben an quantität über
wigt, und zwar:
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
57
a) entweder durch natur; z. b. adüma malzeit, amäsu ich
hörte, ebäden er vergass, berdre mäne, dagina herd, deldla zaun,
gerdbi wüstenweg, gürddi krummsäbel, kansube nähnadel, kerdri
Vorhang, kUlsla schnupfen, reböba nackt, u. s. w. Ebenso bei
zweisilbigen Wörtern, wie: bddo furche, dina bine, Mma zeit,
hübi regenzeit, u. s. w.; ebenso: bäbü mein vater, mekü mein
esel (nach §. 103).
b) oder durch position, wie: endirho (oder endhiro) hun,
baldnda teer, kennte regenzeit, laltinko affe, u. s. w. Ebenso bei
zweisilbigen Wörtern, z. b. esse bauch, bdski fastenzeit, dubba
hügel, derküa Schildkröte, fdrla matte, girma köpf, kisya sklave,
u. s. w., ebenso nach §. 102: ddngar ebene, Mskül beutel, kdnkar
sessel, kerkab holzschuh, u. s. w.
105) Airf einem kurzen e kann der accent nirr dann stehen,
wenn dasselbe durch position verstärkt ist, wie: endhiro hun,
endi eisen, esse bauch, kerkab holzschuh, u. s. w.; vgl. auch
belled gegenüber jji stadt, lesso gegenüber tAi wolke. Sonst
aber wird e in folge des accentes gedent, wie: besä oder bessa,
bissa (Ar. JJ*J) katze; behü (Ti. Gr. QUA ! ) wort, rede; beher
(Ti. Gr. QfThC* - jzv) fluss; aMr (Ti. jA.1) das jenseits;
jemed regenwasser (Ar. nix, glacies); kaUb (Ti. tlA’fl ! )
hofraum; e-fi ich bin; efo (Ti. G. hausflur; ega hirt
(Sa. ivaqay, G. : bewachen, hüten); ega rauch, aber Sgä-
s-ya er machte rauch; ela (Ti. ! s. §. 74) heu; defa
türe (Ar. UA. clausit portam); deküa (Ga. daqüe, Qu. daygnd)
thon, lern; gedi (Sa. gada, Bil. gas, Ti. G. ■)#*:) gesicht; Uma
(Ti. hA"?! s. §. 76) krokodil; red, rew (Ar. Iij) geld; tefa
(Ti M -n -. A. JrHH* s s. a. §. 76) nabel, vgl. tu-tfa der nabel
u. s. w. — oder es wird in solchem falle das e zu i gefärbt,
wie: giba (Ti. : ) Enger; kina herr (ö-gaw-i kina des
hauses herr), aber im engem anschluss an das vorangehende
nomen: kena, wie: sär-kena erstgeborner, §i-kena volljärig,
u. a. Dann: kennte (Ti. regenzeit; kisya sklave,
aber im objectscasus kesydb, und kesyayü mein sklave; ta-
min zehn, aber tdmna, tamena zehnter; dibedi neben sebade
(Ar. >Uj) moschus; derim plur. dirma herde; kawid
plur. kdweda peitsche; sikena und sekena (Ty. YTilV0 trink
schale, accus. Sekendb, u. s. w. In selteneren fällen steht hier a
für e (s. §. 107, note 3).
58
VII. Abhandlung: Reiniscli.
106) Auf ultima ruht dem obigen entsprechend der ton,
wenn der vocal der letzten silbe die vocale der übrigen wort-
silben überwigt, und zwar:
a) durch seine natur, wie: angare bettgestell, arads tama-
rindenbaum, ihe zicklein, gehe klippschliefer, laU falke, safarS
mist, lagt weg, and schaf, hiyö gatte, lalö flaschenkürbis, u. s. w.
b) oder durch position, wie: andh eiter, gadam Wurzel,
kalif nacken, kaivid peitsche, wälik geschrei, u. s. w. Um so
mer natürlich dann, wenn die letzte silbe lang und noch dazu
geschlossen ist, z. b. abaläy cercopithecus gr.-v. D., adangaläy
eidechse, ambilhöy trompete, astil wunde, banün augenbraue,
hawdd nacht, küelel armband, rugüäS totenopfer, Sadid rinde,
u. s. w.; ebenso: bäbnk dein vater, mekük dein esel (nach §. 101).
107) Lehnwörter von der form jAi, welche im vulgär
arabischen one nunation gesprochen werden, müssen im Be-
dauye der aussprache wegen, da kein wort auf einen doppel-
consonanten auslauten kann, zwischen die beiden endconsonanten
einen vocal einschieben, welcher dann nach §. 101 den accent
bekommt; z. b. dera' 1 = gjjj samen; bagal = Ti. (1*)’A :
maultier; bahdr auch beher (§. 105) = fluss; nehäl = jAu
palme, 2 u. s. w. Wo in dieser zweiten silbe kurzes e zu er
warten wäre, steht nach §.105 wegen des accent es langes e
oder auch i, wie: dirfc = gjj Ti. Gr. : panzer; seher =
j.arv^j zauber; 3 asir = nachmittag; bildr = a)io jungfrau;
fejir - der morgen; harib = Ti. : ÄjjA- wasser
schlauch; küfil = schloss, rigel; sidig — warheit,
u. s. w. Zum vocal u in dehür, duhur = mittag, emhiir
neben mehir, eviMr = junges pferd, s. §. 45, a. Tritt an
diese formen die pluralendung -a an, so fällt jener eingeschobene
vocal der letzten silbe meist aus und der accent rückt nun da
das wort auf einen kurzen vocal auslautet, gegen den anfang
des Wortes zurück, z. b. bagal (,JäS) plur. bdgla maultier; bahdr
und baher plur. bähra, bdhara das meer; nelidl (jAo) plur.
1 Seltener auch dera, wegen i nach abfall des hamzeh s. §. 105.
2 Ueber das a in der zweiten silbe vgl. §. 80, b.
3 In Barlra erscheint hierfür bisweilen ein a, wie: derdb = , o pfad,
C / r *
weg; engerdb, aus abend (s. §. 72); emberds und emberes der uscher-
baum, u. a.
Die Bedauye-Spraclie in Nordost-Afrika. II.
59
nähla, ndhala palme; 1 derdb plur. ddrba, derba weg;
derim plur. dirma herde; harib plur. hdrba wasserschlauch, u. s. w.
108) Ein langer vocal tiberwigt einen kurzen, wenn auch
durch position verstärkten, z. b. entär (nicht entär nach A.)
teller, irbün mais, seltüt fetzen, lumpen, tirmän querbalken,
minSär säge, aber plur. rninsär nach §. 102; ebenso: anbür
(nicht Anbür nach A.) Hügel, aber plur. dnber.
109) Diese hier aufgefürten regeln bezüglich des accentes
gelten für alle redeteile, nomina wie verba u. s. w., und es
bleibt der accent auf der ursprünglichen tonsilbe bei der flexion
so lange stehen, als es die oben entwickelten gesetze gestatten.
So bildet z. b. aman (verkürzt aus oder vielmer aus ^U-h)
glaube, ein denom. verb aman (nicht aman, A.), imp. dmana! weil
alle drei vocale der quantität nach gleich sind und die letzte
silbe eine offene ist (§. 103); perf. aman-dn (§. 106, b) ich glaubte,
amdn-ta (§. 104, b) du glaubtest, amdn-ya er glaubte, wü-amanäy
(§. 106, b) der gläubige.
Formeniere.
I. Das nomen.
1) Das geschleckt.
110) Das Bedauye unterscheidet am nennwort ein männ
liches und ein weibliches geschlecht, wenn auch (ausser in
einem einzigen bisher bekannten falle: tak-at frau, gegenüber
tak mann) äusserlicli in der form des nomens selbst das ge
schlecht durch kein specielles mei’kmal gekennzeichnet ist. Die
Unterscheidung der beiden gescklechter ist ursprünglich gewiss
vom sexus ausgegangen; da aber im Beqlauye (wie in den ge-
sammten chamitisck-semitischen sprachen) kein nomen generis
neutrius ist, sondern alle substantiva entweder masculini oder
feminini generis sind, so drückt im gegenwärtigen Stadium der
1 Vor laryngalen wird a oft gedent, vgl. §. 83; auch wird zwischen laryn-
galen und einem folgenden consonanten häufig ein a eingeschoben, wie
dies auch im Aethiopischen und in den Agausprachen geschieht.
rSR MpBi
MM
.W - ■ .
60 VH. Abhandlung: Reinisch.
spräche das masculinum neben dem sexus auch grosse, ansehen
und energie, das femininum aber zumeist kleinheit, schwäche
und passivität aus. So ist z. b. Sa’ die kuh, masculini generis,
weil sie bekanntlich in diesen ländern die hauptstütze des ge
summten hauswesens ist, dagegen Sa’ das fleisch, ein femininum,
da es gegenüber Sa’ der kuh, von minderem belange ist. Er
kannt wird das geschleckt der nennwörter 1) durch den Vor
gesetzten bestimmten artikel, 2) durch die geschlechtlich unter-
schidenen casussuffixe, und 3) durch die form des prädicates. Das
natürliche geschlecht wird ausserdem namentlich bei gattungs-
namen von tieren nicht selten durch den beisatz raba männlich,
und küa weiblich, näher bestimmt; z. b. kärk&r raba eine männ
liche schlänge, kärkär küa eine weibliche schlänge.
2) Der artikel.
111) Da dieser redeteil eine so hervorragende rolle am
nennwort spilt, so lasse ich die formen desselben zunächst hier
folgen. Das Bedauye besitzt nur einen bestimmten, aber keinen
unbestimmten artikel, statt dessen (wie im vulgären arabisch
das bisweilen die zalbezeichnung für eins, engäl gebraucht
wird; z. b. dne mek rehdn oder dne engäl mek rehdn ich sah
einen esel.
112) Die formen des bestimmten, seinem nomen stets prä-
figirten artikels sind folgende:
singulär
masc. fern.
nominat. wü, ü der, tu die
object wo, 5 den, tö die
plural
masc. fern.
yä, ä tä die
ye [yi], e [i] te [te] die.
Vor vocalen und laryngalen werden die volleren formen
wü, wo, yä, ye, vor consonanten die kürzeren ü, 5, ä, e gebraucht,
z. b. wü- ab das zicklein, wü-’ör der knabe, wü-hdbbas der ring,
plur. yä-'aba die zicklein, u. s. w., dagegen: ü-tdk der mann,
ö-mbk den esel, ä-mdk die esel, accus, e-mak, u. s. w.
113) Die angegebenen formen des artikels findet man im
gebrauch, wenn jemand in getragener rede spricht und jedes
wort klar und deutlich hervorheben will. In lässiger rede und
gewönlichen erzälungen kommen aber verkürzte artikelformen
Die Bodauyo-Spraclie in Nordost-Afrika. II.
61
zum Vorschein, die wir hier kurz verzeichnen wollen. Zunächst
kann man, worauf schon Almkvist (1. c. p. 64, §. 55) aufmerksam
gemacht hat, zu unzäligen malen beobachten, dass das Bedauye
auch schon recht häutig im nominativ die objectsformen des
artikels anwendet, also wo, 5 fern, tö, plur. ye, e fern, te für wü,
u, u. s. w.; z. b. ivö-hdd'a (für wü-hdd’a) Bya der schech ist ge
kommen. 5-hagdl (für ü-bagdl) anibu das maultier gehört mir.
ye-dr (für yä-dr) däbyän die knaben liefen, e-bdgala (für ä-bd-
gala) aniba die maultiere sind mein, tö-dingar (für tü-dingar)
wuntu die ebene ist gross, te- dr (für tä-'ar) daürita die mädchen
sind schön. Eine weitere abschwächung besteht darin, dass
die langen vocale des artikels gekürzt werden, also wo, o fern.
to plur. ye, e (auch yi, i) fern, te (auch ti) für wo, ö fern, tö
u. s. w. Der letzte schritt der abschwächung, der in der Um
gangssprache vollzogen ist, besteht darin, dass der vocal o zu e
gekürzt wird, so dass man hiernach für die gewönliche con-
versationssprache nur folgende zwei artikelformen verwendet,
nemlich für nominativ und accusativ sing. u. plur. e fern, te; z. b.
e-dirfin wawini der schafbock blockt, plur. e-dirfina waioiin
te-dirfin waütini das schaf blockt, „ te-dirfina wawBn
u. s. w.
Dieses te wird vor vocalen und laryngalen meist sogar
zu t verkürzt, wie: t-dba der fluss, t-ibra die nadel, t-ambilhöy
die trompete, t-ümma das volk, t-hdmo das haar, t-hdngane die
ameise, t-hdiva die girbe, der schlauch, u. s. w.
Anmerkung. Almkvist (1. c. p. 64, §. 54) bemerkt aus
drücklich, dass der bestimmte artikel den wortaccent erhalte.
Diese regel wird für die spräche der Bischari und Ababde ire
richtigkeit haben, aber bei den südlichen Stämmen kann ich
aus meiner erfarung nur constatiren, dass der artikel, welcher
mit dem nennwort häufig zu einem lautkörper zusammenwächst,
bloss dann den accent erhält, wenn er an quantität das Über
gewicht über den vocal des nennwortes besitzt, z. b. ü-m&k der
esel, aber ä-mäk die esel (vgl. §. 101 und 108). Doch bemerkte
ich bei den südlichen stammen, dass auch in diesem angegebenen
falle der ton gewönlich auf das nennwort gelegt wird, also ü-tak
der mann, ä-mdk die eseln, u. s. w. In getragener rede werden
aber beide teile gleichmässig betont, z. b. ü-tak der mann, wü-db
das zicklein, u. s. w.
mm 1 1 1
62
VII. Abhandlung: Beinisch.
3) Die zal.
114) Das Bcdauye unterscheidet gleich allen kuschitischen
sprachen einen singulär und einen plural. Der letztere wird
stets aus dem singularstamm gebildet und ist entweder ein
äusserer, wie mehin plur. mehin-a ort, oder ein innerer, wie: mek
plur. mak esel u. s. w.
115) Der äussere plural wird bei den meisten consonantisch
auslautenden nennwörtern gebildet durch anfügung der plural-
endung -a 1 an den singularstamm; z. b.
adif plur. ddef-a rinde
hawil
adäl „ ddal-a schildgriff kuSin
adln „ adin-a teig kawid
isin „ isin-a flusspferd lül
bür „ bur-a land löliS
bit „ bit-a geier läm
dägel „ dagl-a mastbaum lüm
dängar „ ddngar-a ebene mid
deräb „ ddrb-a weg 2 müd
derim „ dirm-a herde 2 m$hil
gadäh „ gadh-a schüssel 3 mök
guläh „ gillh-a antil. agazen 3 ragdd
galäm „ galam-a griffel Sä'
harib „ härb-a schlauch 2 Sera
haris „ haris-a nashorn terig
plur. hdül-a jar
„ küsn-a rürstock
„ kdived-a peitsche
„ lid-a faden
„ lölS-a katze
„ läm-a malzeit
„ lüm-a anus
„ mid-a penis
„ müd-a mass
„ m§hil-a arzenei
„ mok-a hals
„ rdgad-a fuss
„ sä’-a kuh
„ Sir-a segel
„ tirg-a monat 2
116) Die auf den halbvocal w und y auslautenden nenn-
wörter bilden ebenfalls häufig den plural in der angegebenen
weise, z. b.
aräiv (ardü) plur. draiv-a freund
buw (bü) „ buw-a sperber
gaw (gaü) „ gaw-a haus
kaiv (kau) „ kdw-a perlhun
maldw (maldü) „ mdlaw-a axt
embaröyphxr. embaröy-a lippe
hdlbati „ halbaty-a schlauch
küdlani „ küaldny-a axt
lümi „ lümy-a finger
süli „ SMZy-ahaarschopf. 4
Anmerkung 1. Von dieser angegebenen pluralbildung
machen arabische lehnwörter, welche ein nomen unitatis auf
1 Ygl. über dieses suffix §. 80, e.
2 Vgl. §. 107. 3 Vgl. §. 107, pg. 59, note 1.
4 Im schwa quieseens lauten w und y wie u und t; vgl. §. 79.
Die Bodauye-Spraclie in Nordost-Afrika. II.
63
t-, vulgär-Arab. -a bilden, eine scheinbare ausname; z. b. tüba
ein Ziegelstein = Ar. plur. tüb Ziegelsteine = collect.
u. s. w., daher gehört diese formation nicht in die Bedauye-,
sondern in die arabische grammatik; vgl. hierüber auch Almkvist
1. c. pg. 63, §. 53.
Anmerkung 2. Für das wort tak mann, wird im plural
enda männer (Ty. 1\}S\ : leute, stamm, tribus) und für takelt
frau, die form ma’ frauen, gebraucht.
117) Die innere pluralbildung (pluralis fractus), ebenfalls
nur bei consonantisch und halbvocalisch auslautenden nenn-
wörtern vorkommend, besteht in der Verkürzung des letzten
stammvocals, und zwar wird verkürzt:
a) a zu a, auch a; z. b.
abaläy plur. abaldy pavian kär
ihäm „ ihclm panter Kbän
angds „ dngaS pflüg midän
deräf „ der&f girafe minsdr
deräg „ derdg ufer ne’äf
derär „ derdr abendessen ne’äl
finjän „ finjan kafetasse 1 näy
guläm „ guldm schnurbart roSän
guntär „ guntar centner 1 rät
kam ,, kam kamel tat
plur. kar htigel
„ libdn Weihrauch
„ middn wage
„ minsar säge 1
„ ne df kralle
„ ne dl bett
„ nay zige
„ roSdn bürg
„ rat, rat blatt
„ tat, tat laus.
Wie aus den angeftirten beispilen zu ersehen ist, steht
im plural das a in der Umgebung von gutturalen und laryngalen,
a (gebrochenes a) aber bei den übrigen consonanten; vgl. auch
§. 80, b und §. 81; zum accent s. §. 99 ff.
b) e wird gekürzt zu a; z. b.
emberBs plur. emberds uscherstrauch 2 mek plur. mak esel
käeUl „ küeldl armband mes „ mas tisch 3
gef „ gaf ufer Sey „ Say nashorn.
c) i wird gekürzt zu i auch e; z. b.
ebrik plur. ebrik, dbrik kafetöpfchen
angüil „ dngüil, dngüel und angüela or.
1 Zum accent s. §. 102 und 108. 2 auch emberdsa.
8 auch m£sa nach §. 115.
W"- w ,,
64
VII. Abhandlung: Ke in i sch.
d) o wird verkürzt zu a, a- z. b.
or
hök
ar, ar son
plur.
„ hak bock
e) ü wird verkürzt zu e,
und 107) auch «; z. b.
anhür plur. anher, dnhir Hügel
döf plur. daf 1 fleischstück
mök „ meik-a hals. 2
beziehungsweise (nach §. 105
gundüf plur. gindef knie
asül „
ha'eluk „
hantln
ferük „
fetür „
gaddum „
as*Z wunde
halek wolke
Sanfn augenbraue
ferik, firik grabung
fitir frühstück 3
gaddum heil 4
genuf
genün
hallüf
hayük
Seltnt
tarhüs
genif nase
genin kinnlade
hdllef eher
hayuk stern 5
siltet fetzen
tdrbes tarbusch.
118) Bei sämmtlichen auf einen vocal auslautenden nenn-
wörtern lautet der plural gleich dem singulär, in welchem falle
dann der numerus nur aus der sonstigen satzconstruction (dem
Vorgesetzten artikel, der form des prädicats u. dgl.) ersichtlich
wird; z. b. aha plur. aha fluss; hehäre plur. hehüre hornrabe;
demo plur. dÄrno rinde u. s. w.
119) Von der pluralbildung nach art der übrigen kuschi-
tischen sprachen mittelst reduplication sind im Bedauye bis jetzt
nur folgende fälle bekannt, nemlich: di' plur. dädi', däde’ klein,
dis plur. dädis klein, und wun, win plur. wäivun, wäioin gross,
ferner tägü neben tagüg zwanzig. Eine merkwürdige intensiv
form finde ich in meinen texten vom numerale ngäl eins, nemlich
ngaläl-ay (63, 13) ganz allein, einzig; vom suffix -ay (Ti. -äy,
Gl. -äwi) wird später die rede sein. Eine solche intensivform
im pluralen sinne ligt vor im satze: hinin kassän sanasanäha
(44, 15) wir alle sind brüder (san plur. sdna)j vgl. Kafasprache
pg. 45, §. 36.
4) Die fälle.
120) Das Bedauye unterscheidet: subject (nominativ), object
(dativ oder accusativ) und den Casus der abhängigkeit (genetiv
1 auch ddfa. 2 auch möka; s. §. 115.
8 firik, fitir für ferik, fetir in folge von vocalharmonie.
4 gäddum für gdddem, s. §. 88; zum accent von gaddum s. §. 108 uncl zu
gdddum s. § 102.
5 hayuk für hdyekü, s. §. 46, a; wäre hier kein w-haltiger guttural vorhanden,
so müsste der plural hayilc lauten.
Die Eedauye-Spraclie in Nordost-Afrika. II.
65
oder ablativ). Der vocativ stimmt formell mit dem nominativ
überein und wird nur bisweilen durch eine nachgesetzte inter-
jectionspartikel besonders hervorgehoben.
A) Der nominativ.
121) Das subject entbert eines bestimmten Casuszeichens;
erkannt wird dasselbe teils durch seine Stellung im satze, worin
es meist den ersten platz einnimmt, teils durch die Vorgesetzte
artikelform; z. b. karäy ’ör ihe (7, 1) eine hyäne packte einen
knaben. 1 mek wä läga hidäb esnin en, ti-mhk uwin, ü-ldga uwin
(19, 1 ff.) ein esel und ein kalb lebten beisammen, erzält man;
der esel wurde gross, auch das kalb wurde gross. Wü-anküdna
tö-dinya akligya (41, 25) der lierr hat die weit erschaffen. Amar-
’dr enjör es\iwmna-h&b (33, 7) die Beni-Amer erzogen mich zu
einem edelmann.
B) Der objectscasus.
122) Dieser casus wird äusserlich entweder durch ein
specielles objectssuffix oder wo in bestimmten fällen dasselbe
nicht gesetzt wird, durch die syntaktische Stellung oder auch
durch den objectscasus des dem nennworte vorangestellten ar-
tikels erkenntlich gemacht. Hier treten nun folgende specielle
unterschide zu tage, und zwar:
a) Bei männlichen nennwörtern, welche consonantisch
auslauten und keinen artikel vor sich haben, erscheint kein
äusseres objectszeichen und es wird das object nur aus der
bedeutung des verbums oder syntaktisch durch seine Stellung
(meist nach dem subject vor dem verbum) ermittelt; z. b. karäy
’ör ihi (7, 1) eine hyäne packte einen knaben. dne tagüg riydl
hitök (8, 20) ich will dir zwanzig taler geben, ardü harwä-t
md'a (11, 2) suche einen gefärten und komm! hatäy ibirin
(55, 12) sie hatten ein pferd. duwdn tetib (58, 12) sie füllte ein
gefäss an.
b) Bei männlichen nennwörtern, welche vocalisch oder
consonantisch auslauten und den artikel vor sich haben, er
scheint ebenfalls kein äusseres objectszeichen, weil das object
bereits durch die entsprechende form des artikels gekennzeichnet
1 Die beigeschlossene Ziffer bezieht sich auf seite und zeile der Betjauyetexte.
Sitzungsber. d. pbil.-hist. CI. CXXVIII. Bd. 7. Abh. 5
66
VII. Abhandlung: Reiniscli.
ist; z. b. ö-nibes dehäy efriknit ebesna (7, 5) sie gruben für in
das grab auf und begruben in. 6-rba reivyan&k biya (44, 1) als
er den berg erstigen batte, ruhte er sich aus. ö-fena hädirya
(60, 8) er eröffnete den krieg, wö-ör duwistay (50, 3) hast du
den knaben eingeschläfert? S-fa gedyan (64, 8) sie warfen die
rinder über bord. e-mana tämya (24, 9) er frass die eingeweide.
Ebenso bleibt das object one Casuszeichen wenn ein adjectiv
vorangeht, wie: dne güda härro adlib ich kaufte vil körn. Geht
ein genitiv dem object voran, so kann das objectszeichen ebenfalls
wegbleiben oder auch gesetzt werden; z. b. sedy da a, enda fta
han rehendy (5, 16) wir sehen rinderhörner und männernadeln.
c) Männliche auf einen vocal auslautende nennwörter,
welche one artikel stehen, nemen das objectssuffix -b an, vor
welchem der vorangehende vocal gedent wird (s. §. 92, a); z. b.
rewä-b reivyäna (6, 7) sie bestigen einen berg. hä-b gudn efi (38, 30)
ich trinke bier. arö-b yi'dm (64, 28) er bestig ein schiff, hatdy
änküanä-b edir (60, 12) er tötete einen reiter. hanin harrö-b nidlib
neni ina (39, 27) wir kamen um körn zu kaufen, bii-b ihenit
hay gigyän (59, 3) sie namen mel und zogen fort, tak endä-b
endirek harämibu (43, 28) wenn jemand leute tötet, ist er ein
Verbrecher, seä-b emmirkab sänabe (64, 4) das schiff nam rinder
an bord. Folgt einem solchen vocalisch auslautenden substantiv
ein adjectiv, so nemen beide das objectszeichen an; z. b. aive-b
dabalä-b ikta' (5, 6) er zerschlug einen kleinen stein.
Anmerkung. Ich finde in meinen aufzeichnungen bei-
spile verzeichnet, in welchen auch bei vocalisch auslautenden
nennwörtern, wenn sie one artikel stehen, das objectszeichen
nicht gesetzt erscheint; z. b. mista ebirirna (7, 9) sie breiteten
matten auf. sitra yiheru akö yakyanik »am siträ-b rehesatök«
teni (15, 7) als er sich erhob um ein versteck zu suchen, sagte
sie: ich will dir ein versteck zeigen, ani kiloyanyedhäy hdrro
adlib (41, 12) um grütze zu machen kaufte ich getrcide. Ander
seits kommen beispile vor, in denen auch im falle von §. 122, b
das objectszeichen gesetzt erscheint, wie: ö-bi'i-b e-yameb efifna
(59, 12) sie schütteten das mel ins wasser. ö-defd-b tengil (15, 12)
sie öffnete die türe.
d) Die weiblichen auf einen vocal oder consonanten aus
lautenden nennwörter, wenn sie one artikel stehen, zeigen im
object ein -t, vor welchem ein unmittelbar vorangehender vocal
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
67
gedent wird; z. b. dne sä-t tamany&k (45, 18) wenn ich fleisch esse.
kidmä-t dbare Bilälib (42, 19) ich habe dienst bei Bilal. hanB-t dni
(19, 15) ich erhebe ein gesclirei. dne re-t aferik ich grub einen
brunnen. dirbati-t haymd'-heb (58, 5) bring mir butter! ün u-tdk
hamö-t ki-bare dieser mann hat kein haar. ’öt (für 'ör-t) ibire
(57, 6) er hatte eine tochter. Folgt einem solchen nennwort ein
adjectiv, so nimmt auch dieses das feminine objectssuffix -t an;
z. b. had'ä-t wet (für wer-t) wayäna (56, 18) sie riefen eine andere
alte frau. fenä-t daüri-t eküdyt Bya (26, 30) er nam eine schöne
lanze und kam.
e) Hat das weibliche object den bestimmten artikel vor
sich, so feit in der regel das objectszeichen am nennwort;
z. b. dne tö-'ör afild’ ich deflorirte das mädchen. wü-änküana
tö-dinya akligya (41, 25) Gott hat die weit erschaffen, tö-fna
ihdyt edir (22, 2) er nam die lanze und tötete in. te-hamo kd-
baberisna (6, 5) wir lassen die haare nicht fliegen, ten te-ma'
kärin-hösna (37, 8) ich liebe diese frauen nicht, te-ar bali-t
erhan-höb kü&ramdn-hösna (37, 20) als ich jene mädchen sah,
begrüsste ich sie.
Anmerkung. Bisweilen findet man das objectszeichen
auch in dieser beschribenen Stellung; z. b. ani tö-'öt (für 'ör-t)
be-t akanhin-hös (37, 13) ich liebe jenes mädchen. tö-büt (für
bür-t) ni'is (59, 2) wir verlassen das land. t-hawä-t (für tö-hawä-t)
tetib (21, 15) sie füllte den schlauch an.
f) Geht ein adjectiv dem femininen nennwort voran, so
erhält nur dieses das objectssuffix -t; z. b. barük td'a daüri-t 'ör
bithiwete, tegite daüri-t 'ör kä-M-hök (51, 13) wenn du mir jetzt
ein schönes mädchen nicht gibst, so gebe ich dir dann auch
keines. Das gleiche gilt auch wenn ein relativ dem object bei
gegeben ist; z. b. Silemän temwe-t tö-'ör ebiye erliisa-he (51, 16)
zeig mir das mädchen, das du dem Soliman gibst!
123) Die männlichen wie weiblichen eigennamen folgen
ganz den eben entwickelten regeln. Eine ausname bilden nur
die vocalisch auslautenden weiblichen eigennamen, die im objects-
casus statt des zu erwartenden -t gleich den männlichen nenn-
wörtern ein -b annemen, wie: Madlnä-b, Hallmä-b dkhan ich
liebte Madina, Halima, u. s. w.
124) Der dativ unterscheidet sich formell in nichts von
der in §. 122 und 123 beschribenen bildung des accusativs,
5*
68
VII. Abhandlung: Reinisch.
seine syntaktische Stellung ist in der regel vor dem accus ativ,
folgt aber bisweilen diesem auch nach, so dass nur aus dem
allgemeinen sinn des Satzes beide Casus unterschiden werden
können; 1 z. b. Madlnä-b istöb ö-r&ü kassöh (61, 2) er brachte
der Madina alle habe zu. däwd-b okhar harrö-b er stal einem
dorf getreide. dne Äbrähim mahalagä-b ahdy (49, 27) ich gab
dem Ibrahim geld. ö-tdk viehalagä-b ihö (55, 8) er gab dem
manne geld. barük ye-adim ummä-t wet (für wer-t) sötanysk
andir-hök (43, 23) wenn du die geschichte andern leuten erzälst,
so erschlage ich dich.
Anmerkung. Der dativ auf 4da bei Almkvist p. 73, §. 81
beruht auf einem missverständniss und wir kommen auf diese
frage bei besprechung der postposition deha zurück; s. unten
§. 135, c.
C) Der genetiv.
125) Der genetiv wird gebildet, indem an das seinem
nomen regens vorangehende nomen rectum, wenn dasselbe ein
masculinum ist, das genetivsuffix -y (nach consonanten -i), wenn
es aber ein femininum ist, -ti angefügt wird. Lautet das nomen
rectum auf einen vocal aus, so wird derselbe vor dem an
tretenden suffix gedent; z. b.
a) bei einem masculinen nomen rectum: ’asd-y dör ischa-
zeit, spätabend, Allä-y kam, ein gotteskamel (insekt die gottes-
anbeterin), mingä-y hdda ein wüstenlöwe, had'ä-y ’ör eines schech’s
son, lalünkö-y girma köpf eines pavian, '6r-i 'ör sones son, enkel,
haräm-i 'ör hurenson, end-i'ör (zusammengezogen enjör) menschen-
son, kind aus gutem hause, gdw-i kina besitzen eines hauses,
hatäy-i kina besitzer eines pferdes, mik-i niwa schwänz eines
esels, u. s. w.
b) bei einem femininen nomen rectum, wie: abä-ti derag
ufer eines flusses, anö-t ’ör son eines schafes, ein lamm, lili-ti ’ör
(auch lill-t ’ör) pupille eines auges, augenstern, masdnkö-ti biya
saite einer harfe, n’e-t häs feuerstaub, asche, ’Öti (für ’ör-ti)
hamo haare eines mädchens, aü-ti yam honigwasser, nay-t 'ade
haut einer zige, malö-ti yaf schneide einer axt, u. s. w.
1 Genau so wie im Nuba, vgl. meine Nubasprache I, 27, §. 116 ff.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
69
126) Ist das nomen rectum mit dem artikel versehen, so
steht derselbe im objectscasus; z. b. 5-gaw-i kina herr des hauses,
d-mingä-y hdda löwe der wüste, ö-maläl-i melc esel der steppe,
waldesel, tö-masdnkö-ti biya eine saite der harfe, tö-öti (für ’ör-
ti) 'ör son der tochter, u. s. w.
127) Auch das nomen regens kann mit dem artikel ver
sehen werden, welcher dann natürlich im Casus des nomen regens
steht; z. b. wö-katdy-i wU-anküdna der eigentümer des pferdes,
ö-bhsr-i wii-hissa der meeressand, ö-Gds-i wü-hdrro das getreide
vom Gasch, lalünkö-y wü-kdge adaröbu der hintere vom pavian
ist rot. Abdallä-y wö-dy-i ü-niirwad kaya wo ist denn das arm-
band Abdalla’s ? barüs wö-dd-i ö-girma Jd-kta er hat die klitoris
(vulvae caput) nicht ausgeschnitten, end' en ä-girma hamö-t ki-
barün diese männer sind kalköpfig (wörtlich: die köpfe dieser
leute haben kein haar), tak ekhan sultän-i tö-ört (57, 9) ein
mann liebte die königstochter. bdbyö end&wd-y tü-bür baldmta
(58, 14) die erde meines Vaterlandes (des Stammes meines vaters)
ist verdorrt, bdbyö endäwa-y tü-bdr bdlama tesni-Mb (58, 20) die
erde meines Vaterlandes erwies sich mir als verdorrt, baruk
ö-badd-y tö-kldy tedir du hast die fiedermaus (den vogel der
nacht) getötet.
128) Diese grammatisch eigentlich richtige construction
erscheint aber im Sprachgebrauch in den meisten fällen stark
verkürzt, da der geist der spräche das bestreben zeigt, das
abhängige wort mit dem nomen regens zu einem einheitlichen
ausdruck zusammenzufassen. Dieses bestreben äussert sich darin,
dass beim nomen regens, wenn dasselbe ein masculinum ist, der
artikel ganz abgeworfen, bei einem femininen nomen aber der
selbe zu t verkürzt (vgl. §. 113) und dieses mit dem nomen
rectum zu einem lautkörper zusammengezogen wird; in folge
dieses engen anschlusses wird (vgl. §. 96, a) das genetivische -i
zu -l gedent; z. b. ö-sandük-i bäb die türe der truhe, Ö-mbad-i
gau die Säbelscheide, ö-mid-i girma glans penis, u. s. w. — wö-
ay-i-t sara (für wö-dy-i tü-sara) »der rücken der liand« der hand
lest, ö-bada-y-t kläy (für ö-badd-y tü-kldy) »der nachtvogel«, die
fledermaus, ö-maläl-i-t kaü (für ö-maläl-i tü-kaü) »das hun der
wüste« das perlhun, auch: ö-maläl-i-t endirho (für ö-maläl-i tü-
endirho) id., ö-mek-i-t kan (für ö-mik-i tü-han) das eselsgeschrei,
wö-'ad-i-t ambaröya (für wö-dd-i tä-ambaröya) »die lippen der
70
VII. Abhandlung: Beinisch.
vulva« die Schamlippen, ö-sultän-i-t 'ör (für ö-sultän-i tö-'ör) die
königstochter, tö-'öt-i-t hamös haclalätu (38, 7 für tö-ör-ti tü-ha-
mös) das haar des mädchens ist schwarz, tö-öt-i-t 'ör (für tö-ör-
ti tü-’ör) die tochter der tochter, enkelin, u. s. w.
129) Diese Verschmelzung des nomen regens mit dem
rectum geht dann häufig so weit, dass der artikel des nomen
regens dem ganzen compositum vorgesetzt wird, wenn auch
das nomen rectum entgegengesetzten grammatischen geschlechtes
ist; z. b. tengitmita (für wö-eng-i tü-mita) »der knochen des
rückens« das rückgrat; te-maläl-endirho (für ö-maläl-i tü-en-
dirho) »das hun der wüste« das perlhun; tyamethatäy (für e-
ydma-y tü-hatäy) »das pferdchen der gewässer« der frösch;
t-hüminde (für ivö-hüm-i tü-ende »die mutter des gehirnes« =
f*\) der Scheitel, u. s. w.
130) Das letzte entwickelungsstadium dieser Verkürzung
besteht darin, dass auch das genetivische -y, -i zwischen dem
nomen rectum und regens abgeworfen und beide nomina zu
einem wortkörper zusammengezogen werden; z. b. Amar'dr (für
Amdr-i ya-'är »die söne Amars«) die Beni-Amer; Had’endäwa
(für icö-had'-y e-ndä-y ü-däwa »der volksstamm der abkömmlinge
des schock«) der stamm der Hadendäwa; 1 KiSendäwa (für kisyä-y
e-ndä-y ü-däwa »stamm der leute, abkömmlinge der sklaven«)
die Untertanen, die Tigre; addrha (für wö-adar-i wü-ha »das
getränke von honig«) hydromel, honigwein; mäSha (für ö-mds-i
wü-ha »das getränke der Säuerung«) das bier, die merisa; amba-
JcdnH (für wö-dmba-y JcönSi) der mistkäfer; indeb (für tö-in-ti deb)
»der sonnenfall« Sonnenuntergang, west; se'öga (für e-ie'äy- wü-
öga) der rinderhirt; Sa'ade (für Sa'-y 'dide »haut einer kuh«)
kuhhaut; kendabi (kenä-y ddbe) lanzenstil; hangibala (für wö-
hdm-i tü-gibala »der finger des anfangs« womit man beim zälen
beginnt) der kleine finger, u. s. w.
131) Ist das nomen rectum ein plurale, so wird an die
pluralendung das genetivische -y, nach femininen -ti angesetzt;
ein diesem suffix vorangehender vocal wird (nach §. 96, a) ge-
dent, auch wird ein dem -y unmittelbar vorangehendes a oder
1 Vgl. §. 62 und über den Ursprung der Hadendäwa s. texte p. 11,
kapitel 6.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
71
e mit dem -y häufig zu e zusammengezogen; z. b. Se'ä-y hiss'
amäsu efi (5, 14) ich höre rinderstimmen (Sa plur. Saa rind);
ebenso: se'ä-y daa (5, 16) hörner von rindern; kürbä-y daa
»hörner (zäne) von elefanten« (lcurib plur. hürba); e-dambs bitih
(68, 11) »zwischenraum der schenket« zwischen den schenkein
(dämba plur. ddmba, §. 118); e Bedäüyi-t bür das land der
Bedscha (U-Bedäüye der Bedscha, plur. ä-Bedäüye die Bedscha,
§. 118); ye-aye-t sdra die händriste (für ayä-y tä-sdra, sing, wö-
ayi-t sdra; ay hand); t-eyd-t 'dde zigenkäute, u. s. w.
Anmerkung 1. Almkvist gibt in seinem werke (p. 68,
§.69) als genetivsuffixe an: sing, -i, fern, -ti, plur. -ä, fern. -ta.
Nach den von mir gesammelten beispilen lautet aber das gene-
tivsuffix im plural ganz gleich dem im singulär (s. oben §. 131),
doch ist nach den von Almkvist angefiirten beispilen an der
richtigkeit seiner aussage nicht zu zweifeln, um so weniger,
weil auch in den Agausprachen für den plural ebenfalls -ä als
genetivsuffix erscheint. 1 Es bleibt also nur die eine mögliclikeit
übrig, diese divergenz zwischen meinen und Almkvist’s beispilen
zu erklären, nemlich die, anzunemen, dass in diesem punkte eben
eine verscbidenkeit besteht zwischen den nördlichen stammen
der Bischari und den' südlichen der Halenga, Hadendawa und
der Beni-Amer.
Anmerkung. 2. Dass das genetivsuffix -ti, nur nach fe
mininen nennwörtern vorkommend, in t -f- i zu zerlegen und
letzteres mit -y (nach consonanten -■£), dem genetivzeichcn der
masculina, identisch ist, kann wol keinem zweifei Unterligen;
mit diesem -y vgl. das genetivsuffix -l im Bilin, Chamir, 2 Saho
und 'Afar == A. f-, G. JJ-. Almkvist gibt (p. 70, §. 72) an, dass
die auf einen vocal auslautenden nennwörter im Bischari vor
der pluralendung -a ein eufonisches y einschieben; z. b. ay hand,
plur. dy-a hände, genet. plur. ayä-ya. Nach obigem ist demnach
dieses y kein eufonisches, sondern ein wurzelhaftes und es stimmt
sonach das genetivsuffix -ya vollständig mit dem amliarischen f-
überein.
1 Vgl. Bilinsprache §. 153, Chamirsprache §. 208, anmerliung.
2 In der Chamirgrammatik habe ich dieses snffix nicht aufgefürt, aber ich
fand dasselbe nachträglich in den texten, vgl. Chamirsprache II, 9, 43;
12, 1. 25; 13, 44.
72
VII. Abhandlung: Reinisch.
D) Der ablativ.
132) Dieser casus existirt eigentlich im Bedauye gar nicht,
weil derselbe formell, daher auch begrifflich mit dem genetiv
durchaus zusammenfällt. Nachdem aber Almkvist (1. c. p. 71,
§. 75 ff.) dem ablativ ein besonderes kapitel gewidmet hat, so
will auch ich meinerseits alle jene fälle, welche nach unsern
grammatischen Vorstellungen in den ablativ gehören, der bessern
Übersicht wegen hier speciell Zusammentragen. Das Bedauye
drückt mittelst -y nicht nur die abhängigkeit eines nomens von
einem andern (genetiv) aus, sondern auch die richtung von einem
objecte her oder nach einem gegenständ hin, das verweilen an
einem orte, ferner die Ursache, das mittel wodurch etwas be
werkstelligt wird u. s. w., alle diese beziehungen, welche in
andern sprachen durch den ablativ, instrumentalis, locativ u. dgl.
ausgedrückt werden, bezeichnet das Bedauye ganz so wie den
genetiv mittelst des Suffixes -y, z. b.
a) Die richtung von einem gegenstände her; wie: aii
Mggälö-y öya (39, 6) wer ist aus Mogolo gekommen? dne ö-gaw-i
yi'ani (45, 7) ich komme vom hause. ö-Gas-i ydkya (55, 1) er
brach auf vom Gaschfluss. Makkä-y ydkyän (55, 12) sie brachen
auf von Makka. Soddn-i yakyäyt Massiv sie (57, 3) er brach
auf vom Sudan und ging nach Kairo, nä-mhin-i ita? (36, 23)
woher kommst du? dne ö-Sök-i yidn ich komme von Suakin.
ö-dägel-i agidha ich stig vom mastbaum herab, ay (für dw-i)
temaswa? von wem hast du es gehört? tdk-i meswäb koke ich
hörte es von niemand.
b) Die richtung nach einem object hin, wie: dne Amidä-y
dba-he ich bin auf dem wege nach Amideb. Mekallö-y niba-
niydd wir werden nach Mukullu gehen, nä-mhin-i atfari (14, 30)
wohin soll ich fliehen? In der regel aber wird in diesen fällen der
objectscasus gebraucht, wie: Kassalä-b nach Kassala, Jiddä-b nach
Dschedda, ö-süg dbe ich ging auf den markt u. s. w.
c) Das verweilen wo; z. b. dne ö-mangä-y abdy-ho hadäb
erhan (46, 34) als ich in der wüste wanderte, sah ich einen
-löwen. hö-y esä (5, 5) daselbst blib er. wo ’arö-y ’örüh ife (64,
29) auf dem schiffe befand sich sein son. Melcallö-y nife wir
waren in Mukullu. nä-mhin-i talägamani (15, 26) wo soll ich
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
73
mich verstecken? in-ton-i oder in-to-y (72, 16) hier an diesem
ort. ben tön-i oder ben-tö-y (ib.) dort.
d) Die Ursache, das mittel u. s. w., z. b. Abddlla Biläl-i iya
Abdallah starb durch Bilal. Biläl-i eddr er wurde von Bilal ge
tötet. dne Äbdallä-y atöta ich wurde von Abdallah geschlagen.
wü-hdda ö-yö-y dibya der löwe fiel durch den stier, rasäs-i iya
(60, 13) er starb durch eine kugel. ö- Firis edir ö-mbad-i (56, 5)
er tötete den Perser mit dem schwerte.
e) Die Zeitangabe, wie: uoö-dsir-i iya (14,22) er kam am
nachmittag, wö-dsir-i wakt-i md'a (14, 15) komm’ zur zeit des
nachmittags! 6-ngreb-i wakt-i md'a komm’ zur zeit des abends!
tö-fadiga titä-y (69, 14) in der vierten nacht.
f) Die Vergleichung, wie: bariik hansir-i nigzswa du bist
schmutzig wie ein schwein. bariik Biläl-i akräbua du bist ebenso
stark wie Bilal. ä-yam (und ä-yama) mös-i-ba dieses wasser ist
brackig (ist von salz, wie salz), barüs meslim-i däybu er ist edel
wie ein muslim.
133) In folge dieser so verschidenartigen gebrauchsweise
von -y, bei welcher die genaue bedeutung dieser partikel durch
den allgemeinen sinn des satzes, durch das verbum u. dgl. oft
nur unvollständig zum ausdruck gelangen kann, hat der sprach-
geist nach mittein gesucht, die jedesmalige bedeutung von -y
genauer zu präcisiren und hat diesen zweck vollständig erreicht
durch postpositionen, welche wir demnach an diesem orte be
sprechen wollen. Wir müssen im Bedauye zwei arten von post
positionen unterscheiden, nemlich eigentliche d. i. postpositionen
welche nur als solche im gebrauche Vorkommen und dann aus
nennwörtern abgeleitete. Beide arten von postpositionen ver
halten sich zu irem nomen gerade so wie oben beim genetiv
das nomen rectum zum regens, regiren also wie die arabischen
Präpositionen den genetiv. Da nun im Bedauye wie in den
übrigen kuschitischen sprachen noch tatsächlich die meisten
postpositionen als wirkliche nomina im gebrauche stehen, so
darf hieraus wol ein Schluss auf einen ursprünglichen nomi
nalen character auch der eigentlichen postpositionen gezogen
werden.
134) Zu den eigentlichen postpositionen gehören nach
folgende :
74
VII. Abhandlung: Reinisch.
a) Die postposition -b, durchaus identisch mit Ti. Gr. fl-
-S -a der semitischen spraclien; z. b. kidmät dbare Biläl-i-b 1 ich
habe dienst bei Bilal (42, 19). lehäyt 'ld wun muslim-i-b-u 2
morgen ist ein grosses fest bei den muslim (oder ein grosses
fest der muslim). So erklären sich auch Verbindungen, welche
man als genetive betrachten könnte, wie: ü-gaii ioü-Hammed4-b
wünu das haus, das bei Mohammed ist, ist gross, — wofür auch
gesagt wird: Hammed-i ü-gaü wünu Mohammed’s haus ist gross.
wü-örüs te-lagi-ti-b 3 iya sein son starb auf dem wege. ferhä-ti-b
tiya (43, 5) sie starb vor, aus freude. tü-yin, tü-terig, yä-hayuk
tö-bire-ti-b birtren die sonne, der mond und die Sterne wandeln
am himmel. dne mehdyt ylnä-ti-b tamäb käke (42, 27) ich habe
seit, in drei tagen nichts gegessen. Mesuwe jaslrä-ti-b t&fi (42, 26)
Massaua ligt auf einer insei. ani Hartum-i-b, Sodän-ib esti, 'örü
wü-ani ö-Sök-i-b sfe (36, 30) ich wone zu Chartum im Sudan und
mein son befindet sich in Suakin. ö-Sök-i-b dnde (36, 28) ich gehe
nach Suakin. Abdallä-y ü-gaw-i-b dnde ich gehe nach, zum hause
Abdallah’s. e-bi'yön e-yam-e-b 4 nifif (59, 10) wir schütten unser
mel ins wasser. e-yarn-Z-b ddbya (42, 29) er fiel ins wasser. ay tirga
yi-hamtik-e-b tesni (42, 28) fünf monate blib sie am leben.
b) Die postposition -t, -d, gleichlautend mit Sa.-'Af. -t, -d }
Bil. -d, Cha. -t, -d, De. Qu. -z, Ku. -ta, -te, A. '(■- bei, an, in,
nach u. s. w.; z. b. ö-belled ön-näy-ka ü-beledün hanyis wö-id-i-d
denn als jene stadt ist unsere stadt vornemer in bezug auf fest
feier. tö-öti-t ham-ös, hadalütu wö-hawäd-i-d (38, 7) des mädchens
ir haar ist schwarz nach art der (wie die) nacht, dne Biläl-i-t
akräbu ich bin stark nach art, wie Bilal. tö-takdt darti-t 5 höy, bit-
fariyik, tak ün fidikti-t wet bä-id'ir (7, 19) nach der entlassung
derfrau, wenn sie nicht gebärt, soll dieser mann nach der Scheidung
eine andere heiraten! yam guati-t ertdön ntiba (40, 7) nach dem
trinken von wasser gehen wir heim, bismillähi diti-t enclön niba
wir sagen; in Gottes namen! und gehen heim (nach dem bis-
millahi-sagen gehen wir heim), ani e-d'äye eshalti-t yfani-höka
(20, 25) nach dem schärfen meiner hörner komme ich zu dir.
1 Ueber s statt i s. §. 96, a. 2 Ueber -u s. §. 139.
3 Für tö-lagidb, s. §. 113; da das wort lagi gener. femin. ist, so stebt das
Suffix -ti, s. §. 125.
4 Aus yama-i-h zusammengezogen.
6 ddr-ti die Scheidung, dartit für dar-ti-i-t; vgl. a. Almkvist 1. c. p. 247, d.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
75
tä-fnci tdki ay-i-t tifi die lanze befand sich in des mannes hand.
hedaddebin-di sdkna (Münz. p. 353) wir gingen in der finsterniss
fort. Dieselbe postposition ist auch vorhanden in: lehäyt morgen
= lehä-y-t, und in bitkäyt zwischen, bitka mitte.
Anmerkung. Dieselbe postposition kann auch einem
verb im bestimmten tempus nachgesetzt werden und es wird
auch hier in der regel zwischen dem verb und der postposition
die genetivpartikel -y eingeschohen; z. b. Sodäni yakyd-y-t 1
Massiv tbe (57, 4) er brach vom Sudan auf und ging nach
Kairo (wörtlich: nach dem von er-brach-auf ging er), hi-md'a
ten-i-t höy tihäy (16, 15) gib her! sagte sie und nam (das geld)
von im (wörtlich: bei dem: gib her! sie-sagte nam sie), ragadök
ö-ngdr kit'ä-t Myeba (20, 5) schneide das eine bein von dir ab
und gib es mir! ani Seegäb akä-y-t dirman (44, 2) ich wurde
ein hirt und weidete vih (wörtlich: nach dem von ich wurde
ein hirt, da weidete ich).
c) Die postposition -s (gleich mit dem genetivsuffix im
Bil. -s, De. Qu. -z, -zi, G-. jj-) aus, von, mit; z. b. bübyö 5-
gaw-i-s dirbatit häyma-Mb (58, 5) bring mir butter aus meines
vaters haus! Hdmmed-i wö-ay-i-s iya er starb von der hand
Mohammed’s. abiye-s (für dbiya-i-s) haräm-i ebe (9, 14) er ging
von sich (für seine person) auf Sünde aus. bäbyök end&wä-y-s
baya ziehe aus deinem vaterlande aus! vgl. a. 28, 8; 29, 12;
34, 16; 35, 1. 11; 48, 20; 56, 2.
d) Die postposition -ka von, aus (Sa. 'Af. -ko, -kü, So. ka-,
Ku. -km, Bar. -ge, Kaf. -je, A. ft-) wird im Bedauye fast nur
mer in der comparation gebraucht; z. b. ö-tak-i-ka tü-takdt hanyis
vom manne aus ist die frau schöner = die frau ist schöner als
der mann, tö-dinyä-tl-ka wü-aker hanyis das jenseits ist schöner
als die weit; vgl. auch §. 143. Ausserdem finde ich diese post
position noch im gebrauch bei Zeitangaben von, her, seit;
z. b. 'ötii ay-t yinä-ti-ka lehdtu meine tochter ist seit fünf tagen
krank. ’Ali had'äbu fadig haüle-ka 2 Ali ist scliech seit vier jaren.
1 yäkya er brach auf; zu yalcyü-y s. §. 96, a. Zu diesem -< vgl. a. Almkvist
p. 247. Genau so wie hier das Bedauye so construirt auch das Nuba;
vgl. ay nögsi-do irjin glcöri als ich fortging (wörtlich: bei dem ich zog
fort) war ich reich, u. s. w., s. Nubaspraehe I, 146, §. 438.
2 haM plur. hafila, davon hafda-i-ka = haMika. Almkvist p. 273 s. v. -ka
seit, hat die interessante form ha&la-yi-Jca. Da nun -i für ursprüngliches
76
VII. Abhandlung: R e i n i s c h.
e) Die postposition -na mit, in gesellschaft (Ga. -n, Kaf.
-na, Ku. -nä, A. f ,": G. Jr,: -\:); z. b. Hammed-i-na baydt ich
will mit Moliammed gehen, dro icir-na ibdbya er reiste ab auf
(mit) einem andern schiffe.
f) Die postposition -ne seit, von (fraglich ob aus na-i);
ich besitze davon nur folgende Verbindungen in Zeitangaben:
dfa-ne seit gestern, halän-ne von jetzt an, lehäyt-te (für lehäyt-
ne) von morgen an; vgl. auch bei Munzinger: ero-ne seit gestern.
135) Ausser diesen einfachen, eigentlichen postpositionen
ist ganz so wie im Nubischen eine reihe von aus nennwörtern
abgeleiteter postpositionen im gebrauche, wovon die am häufigsten
vorkommenden folgende sind:
a) gab meist verkürzt geh und nur geh wenn der accent
darauf zu stehen kommt (s. §. 105) eigentlich: Seite, 1 daher:
an, bei, mit (in gesellschaft), von (seitens); z. b. Hdmmed-i
geh rf;ü iß bei Mohammed gibt es geld (M. hat geld). Abdallä-y
geh biya er schlief bei, mit Abdallah, wü-hdda 5-yö-y geh emödär
der löwe wurde vom stier getötet, wü-harib an-i geh yihäküdr
der wasserschlauch wurde von mir zugebunden.
Als eigentliches nennwort kann es auch mit dem gene-
tivischen -y versehen werden; z. b. wü-hdrro Bildl-l gib-i etögü-
har die durra ist von Bilal gestolen worden, a-y gib-i tü-Sa'
it-hölc von wem (von wessen Seite her) kam dir das fleisch zu?
Hdmmed-i gib-i it-eb von Mohammed kam' es mir zu. un harib
Abdallä-y gib-i etdb dieser wasserschlauch ist von Abdallah
angefüllt worden.
Anmerkung. Als nennwort kann daher auch geb mit
den pronominalsuffixen versehen werden; z. b. geb-ö mit mir,
ya steht (s. §. 131 anmerkung 2), und nicht anzunemen ist, dass diesem
ya pleonastisch nochmals ein i vor der postposition folgen soll, so kann
e in ye nur erklärt werden, wenn man statt ya die aussprache ye annimmt,
wo dann e vor -ka (nach §. 96, a) gedent worden ist.
1 Bil. De. Qu. gabä, Cha. gebä, gbä, güä (G. “ffl:) Seite; neben, bei, an, mit,
s. Bilinsprache §. 165, Chamirspraclie §. 250, Quaraspraehe §. 150. Mit
Cha. güä fällt zusammen A. : vgl. : beim köpf, bei der
liand, und Ti. 7" ' meist t z. bei mir sind
kinder, ich habe kinder. Im G. steht dem 7 D 1 zunächst gegenüber 7(1:
latus; juxta, prope, a latere, und ser warscheinlich ist damit im Zusammen
hang die präposition in- juxta, apud, Ty. hn- id. (vgl. Bilinwörterb.
s. v. kab).
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
77
geb-ök mit dir, geb-ös (geb-öh) mit im, ir, geb-ön mit uns, geb-
ökna mit euch, geb-ösna (geb-öhna) mit inen.
b) Mda 1 gemeinschaft, gesellschaft, mit, unacum, auch
mit folgendem genetivzeichen hldä-y in gesellschaft, zusammen
mit; z. b. barus Äbdallä-y Mda (hidäy) ö-SöMb ibäbya er reiste
gemeinschaftlich mit Abdallah nach Suakin. banin wö-hdd'a Hdm-
mad-i Mda Amideb Sna wir kamen mit dem schech Mohammed
nach Amideb. ani adarhäb gudn Hammad-i 6-san-i hidäy ich
trank lionigwein mit Mohammeds bruder. barük ö-blis-i hidäy
temörama tihaya du bist mit dem teufel verbündet.
c) dühä, dha eigentlich nähe, als postposition nach, zu,
hin, bei; 2 z. b. tö-tdkat-i dehd Sya (68, 10) er kam zum weibe.
te-märe wö-dw-i dehd efif (67, 4) er schüttete die suppe auf
einem stein aus. te-dife wö-häs-i dShä efif (67, 9) er schüttete
die belila auf den sand aus. te-lagi Hdrtym-i ö-Sök-i dehd gu-
mdddu (36, 33) der weg von Chartum nach Suakin ist lang.
In den meisten fällen erscheint dehd mit der genetivpartikel
als dehä-y, dhäy »in der nähe«; z. b. t-ende-ti dhäy Sya (58, 7)
er kam zur mutter, ö-bäbä-y dehäy Sya (62, 11) er kam zum
vater. Da in diesem falle dehä-y nicht mer als blosse postposi
tion, als suffix, sondern als eigentliches nennwort gefült wird,
so wird in der regel das genetivische -i des vorangehenden
nennwortes nicht mer betont; z. b. tü-bdyho wö-hadd-i dehäy
sota (20, 27) der Schakal berichtete es an den löwen (erzälte
es dem löwen). tü-bdyho o-yö-y dehäy ~eta (20, 18) der schakal
kam zum stier, e-gulttla yb-adim-i dhäy, ö-mek-i tö-mftik-i dhäy
bä-faida, tim diya (44, 7) zu den reden der dummen und zu
eselsfurz lache nicht, sondern schweige! :l
Anmerkung. Als nennwort wird dehd auch mit pro-
nominalsuffixen verbunden, als: deh-6, -öle, -6s u. s. w. zu mir,
dir, im, u. s. w.
1 Sa. sidda, 'Af. tidda gemeinschaft; s. §. 96 c.
2 Cha. -tilc und -eile nahe bei, an, bei, mit, yi-tilc (eik) iiteru er trat zu
mir; s. Chamirsprache §. 248. Ebenso Bar. -dik, -digi id., vgl. G. mP’-
oder T <j».
praepos. proxime, secus, juxta.
3 Aus dieser Verbindung von deha, dlia mit vorangehendem i ist der so
genannte dativ bei Almkvist auf -ida entstanden; s. oben §. 124, anm.
Almkvist hat diese tatsache selbst schon erkannt; s. 1. c. p. 121, §. 163.
78
VII. Abhandlung: Reinisch.
d) dab die Vorderseite, gesichtsseite, daher: vor, ante,
meist in der genetivform däbd-y und hei Zeitangaben gebraucht; 1
z. b. engäl hdül-i däbäy vor einem jare. engät sa'ä-ti däbäy
vor einer stunde, esivihdy-t ylnä-ti däbäy vor acht tagen.
e) sür vorrang, 2 als postposition fast nur mit folgendem
genetivischen -y, -i, also: sür-i vor, voran (örtlich); z. b. nigg-
niggo wö-harräw-i suri esd' yi'äyim (25, 15) vor dem körn sass
eine eidechse. Hdmmed ö-gaw-i süri estr Mohammed sitzt vor
dem hause. e-Sa'-äy süri hirera marschire vor den rindern!
barüs enduwä-y süri hirBrya er marschirte dem heere voran.
f) har’ und ar hinterteil, rückseite, 3 als postposition regel
mässig hdr'-i, dr'-i hinter, nach; 4 z. b. Hdmmed 6-gaiv-i har'i
efe Mohammed befindet sich hinter dem hause, asä-giil-t ylnät
har'i ö-S6k ena nach sechs tagen kamen wir nach Suakin. barüs
e-sa'ä-y har'i hirBrya er marschirte hinter den rindern.
Als nennwort nimmt es auch pronominalsuffixe an, als:
hdr'-ö, -ök, -ös u. s. w. hinter mir, dir, im.
g) drawa nähe, Seite, 5 aräwü-y an der Seite, neben, das
was gab' z. b. barüs Hdmmed-i aräwdy esd' er sass neben
Mohammed. Iiämmed-i ü-gaü Abdallä-y ö-gaw-i aräwdy efe
Mohammed’s haus befindet sich neben dem Abdallah’s.
h) enki, inki, inki und kl, bei A. enki, inki, bei Kr. emki,
bei Sa. inke, bei See. inkih, bei W. geschriben und kM
up, transscribirt, 6 auf, über, oberhalb, oben; z. b. barüs ö-n'dl-i
aräwd-y esd', ö-n'dl-i inki sa'äb kike (42, 16) er sass neben, nicht
1 Bil. De. Qu. jäh Vorderseite, gesicht, jäbi-l vor, bevor; s. Bilinsprache
§. 165, Quarasprache §. 152.
2 sür-Jcena der erstgeborne, älteste son der nach dem vater das familien-
haupt ist. Es ist dieses sür = plur. jjA gradus dignitatis, hono
ris, i m gebürt der Vorrang vor dir. In Ga. düra vor,
voraus; früher, eher, Ini dura der erste, steht d für s wie oben §. 7. In
So. lwr, höre vor, voraus, ist s zu h übergegangen und dieses dann zu f
in ‘Af. fäwir an der spitze stehen, zuerst sein, den vorrang einnemen,
f&yrö (für fäwirö) anfang, vorrang, fäyrö bdlä der erste, erstgeborne son.
Postpositional: lahä sandt f&yrö-l tä-ld-ke ma ich war hier vor sechs jaren.
3 Lautlich stünde am nächsten xirr warscheinlich ist aber har’ eher
auf m« zu beziehen.
4 Sa. ‘Af. irö rückseite, iri-l hinter.
6 Herkunft dunkel, cf. üoJs propinquitas.
6 Herkunft dunkel.
Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrilca. II.
79
auf dem bette, u-bano ö-gaw-i ’nld esti’ (42, 18) der geier sitzt
auf dem hause.
i) wuha tiefe, niderung, wuhä-y in der tiefe, daher unter,
unterhalb, unten; 1 z. b. hanin wö-hind-i wuhäy nesti (42, 13)
wir sitzen unter dem bäum, ü-yäs ö-n'äl-i wuhäy bi'ine (42, 15)
der hund ligt unter dem bett.
Anmerkung. Als nennwort nimmt es auch pronominal-
suffixe an, wie: wuh-6, -6k, -6s (öhj u. s. w. unter mir, dir, im.
k) betik, bitik 2 Zwischenraum, daher zwischen, mitten;
z. b. barüs 'Omar wä Hämmad-i bitik bi'ine er ligt zwischen
Omar und Mohammed, e-dambe (für dambä-y) betik Sümya (68, 11)
er drang ein zwischen die beine. Es kommt in dieser Ver
bindung auch mit dem artikel versehen vor, wie: malö erbä-y
e-bitik 8 abät 4, Ufi (42, 6) zwischen den zwei bergen befindet sich
ein fluss.
Anmerkung. Als nomen nimmt es auch pronominalsuffixe
an; z. h. e-bitk-ek wä e-bitlc-in riba efi, abät 4, tefi (42, 4) zwischen
euch und uns ligt ein herg und ein fluss.
l) kdlawa inneres, bauch, kalawä-y r ° innerhalb, in; z. b. 6-
gaio-i kalawäy innerhalb des hauses. ö-kilmö-y kalawäy inner
halb des dorfes. ü-gawüs ö-belled-i kalawäy efi sein haus ligt
im innern der stadt. ö-kaUb-i kalawä-y egid (56, 3) er warf in
hinein in den hofraum.
m) fl' 6 bauch, inneres, fi'-i und fl'-i-b im bauche, inner
halb, in; z. b. mehäy balin ö-sandak-i fl'ib nayyän (15, 32) jene
drei übernachteten in der truhe.
1 Bei A. wähl, ühi, yuih, bei Kr. uhi, bei See. wuhili unter, vgl. Sa. 'Af. bähä
tiefe, niderung.
2 Das nomen ist eigentlich betek, wegen des ac.centes betik (s. §. 105 und
106, b) und in folge von voealliarmonie dann bitik-, von betik, Bil. batcik,
Ti. fl-Wl: G H'Hl = auseinander schneiden.
3 Für ö-bitik, s. §. 113.
4 Grammatisch wäre nur äba zu erwarten, da bei unbestimmter Stellung
nur im objectscasus bei masculinen -b, bei femininen -t erscheint. Da
aber wenigstens takät frau, gegenüber tak mann, auch im nominativ das
genuszeichen zeigt, so ist die form abät wol nicht ganz unmöglich.
6 Bil. kluwä und jiluwä, Qu.jiluwä kreis, umfang, jüuwi-z im kreise, innerhalb.
6 Aus fe’tfäy’ und dieses = juLo intestinum; s. §. 61.
80 VII. Abhandlung: Reinisch. Die Bedauye-Sprache in Nordost-Afrika. II.
n) gttla Ursache, gellä-y wegen; 1 z. b. barüs ö-rBw-i gelläy
Bya er kam wegen des geldes. batüs wö-'ör-i te-lhanB-ti gelläy
Bta sie kam aus anlass der krankheit des knaben. tö-’öti gelläy
ä-fdgara te-fna hadiryän wegen des mädchens Hessen sieb die
jünglinge in den streit ein.
o) anü, nun (wol für anün), bei A. änu, nun, nu 2 o n e,
ausser; z. b. endä-y nun Bya ki-hay one gefolge ist niemand
gekommen, barüs röw-i nun Bya er kam one geld. dirbatit anü
sümya (58, 17) er trat ein one butter.
p) bdka, bakä-y ausser; 3 z. b. Hdmmed-i bakäy Bya ki-
hay ausser Mohammed ist niemand gekommen, asimhäy tamün
bdka ii-dhay ü-raü enhadna (64, 12) ausser achtzig mann war
die übrige mannsebaft umgekommen, gäl say bakäy nät käbari
ausser einer einzigen kuk habe ich nichts mer. hatdy bakäy ön
beled-l-b reü ki-hay ausser pferden gibt es in jener Stadt kein vih.
E) Der vocativ.
136) Wie der nominativ so steht auch der vocativ one
casuszeichen, jedoch wird diesem in der regel die interjections-
partikel ow/, 4 auch zusammengezogen e und inachgesetzt; gattungs-
namen nemen überdiess genau wie im Aegyptischen den be
stimmten artikel in der nominativform zu sich; z. b. Hdmmed-dy
o Mohammed! wü-'ör-ay (oder wü-ör-e, wü-’ör-i) md’a komm her
o knabe! ö-yäs-i wü-ör, tim diya schweig du bundeson! ii-glül-i,
ö-glüli ’ör (27, 5) o du dummkopf, son eines dummkopfes! tü-glül-i,
tö-glülitit ’ör (27, 8) o du närrin, tochter einer närrin! wü-’ör-ay,
ö-bäb negila-heba (41, 15) bursche, öffne mir die ttire! wü-ha
(oder wü-hä-y) nän tuwariya o du mensch, was machst du?
1 causa, ^XJüA. propter te, tua causä; wie im Saho 'ale und 'Ule
Ursache, tä 'Me desswegen, u. s. w. = Ä-U causa.
2 Die ursprünglichste form dürfte wol anün sein; vgl. Sa. 'Af. hm und
htn-im id.
3 Bei A. bäkai der es von herleitet; ich stelle es mit Sa. bülcä, bukä
höhe, zusammen, wovon buka-l über, neben, ausser, das zu gehört,
^ desuper.
4 Ob eine Umstellung von b? Vgl. aber auch (| jfjj ay o! und be
sonders Qu. -aya, z. b. mamir äya o meister! u. s. w., vgl. Quarasprache
§. 123.
VIII. Abh. : Boor. Handsclir. Spaniens. Bibi. Uebers.: 228 (Madrid).
l
VIII.
Handschriftenschätze Spaniens.
Bericht über eine im Aufträge der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften
in den Jahren 1886—1888 durchgeführte Forschungsreise.
Von
Dr. Rudolf Beer,
Ainanuensis der k. k. Hofbibliotbek.
Madrid.
238. ^Biblioteca Nacional.
Ebenso wie bei Sammlung der bibliographischen Daten
über den Escorial musste auch bei dem hier folgenden Abschnitt
darauf verzichtet werden, sämmtliche Publicationen oder Edi
tionen, welche sich nur mit einer oder einigen wenigen Hand
schriften beschäftigen, zu verzeichnen. Vor kurzer Zeit wurde
der Nationalbibliothek die Handschriftensammlung des Herzogs
von Osuna einverleibt, welche im Jahre 1886 vom Staate samndt
den grossen Bücherschätzen um mehrere Millionen Realen an
gekauft worden war. Diese Privatsammlung, welche ihre eigene
Geschichte hat, musste daher unter dieser Rubrik ihre Be
handlung linden; wir unterscheiden also: I. Aeltere Fonds und
II. Fonds Osuna.
I. Aeltere Fonds.
A. Handschriftliche Kataloge.
Ein handschriftlicher Bericht über die Biblioteca nacional
an den König von Spanien, verfasst von Juan de Santander,
findet sich in der königlichen Bibliothek zu Brüssel.
Vgl. Bibliotheca Hulthemiana Tom. VI, p. 268, Nr. 909.
Biblioteca Real de Madrid. Estado de los manuscritos,
su procedencia y de los libros impresos.
Manuscript (Vol. LXXVII) des Instituto de Jove-Llanos
zu Gijon, vgl. Somoza de Montsoriu, Catälogo p. 151.
Behufs Feststellung der aus Toledo nach der National
bibliothek überführten Handschriften wurden verschiedene hand-
Sitzungsbcr. d..phil.-liist. CI. CXXVIII. Bd. 8. Abli.
1
2
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
schriftliche Kataloge angelegt, darunter eine mir vorgelegte
Lista de los Codices de la Libreria del Cabildo de la Catedral
de Toledo, que se han recibido en esta Biblioteca Nacional.
Vgl. Hartel-Loewe p. 538. Leider sind diese Listen un
genau und entsprechen nicht mehr den thatsächlichen Verhält
nissen; dies um so weniger, als einige Handschriften wieder
nach Toledo zuriickgestellt, andere in späterer Zeit von Seite
der Nationalbibliothek aus Toledo reclamirt wurden.
Der handschriftliche, für das Publicum bestimmte Katalog
besteht aus drei Bänden in Folio (nach Ewald p. 285 von
Antonio Gonzalez 1826 begonnen). Leider ist derselbe alpha
betisch nach Autoren und Materien angelegt, daher wenig
dienlich.
Ueber einen neu angelegten Zettelkatalog der Hand
schriften berichtet das Anuario I (1881), p. 142 El indice
moderno de Manuscritos comenzado en 1874 comprende hoy
las papeletas correspondientes ä 3500 manuscritos. Ferner
heisst es daselbst: Existen 7000 volümenes de obras y papeles
varios, catalogados en un Indice en tres volümenes en folio,
liecho en el siglo pasado. Hay ademäs otro volumen de Indice
de los manuscritos ärabes y griegos, y finalmente, otros dos
volümenes en folio tambien donde constan las genealogias de
una numerosa coleccion de apellidos conservadas en un mismo
estante y formando seccion aparte.
Endlich wäre hier noch zu erwähnen: Relacion de todo lo
sucedido en las comunidades de Castilla y otros Reynos rey-
nando el Emperador Carlo quinto.
Cod. Vindobon. 13529. In den Tabulae codicum findet
sich (VII, p. 229) folgende Bemerkung: Idaec relatio descripta
est e codice G. 96 saeculi XVI in Bibliotheca Matritensi publica
asservato et quidem summa cura et industria, ut testatur Pa-
schalis de Gayangos nota hispanica ab ipso exarata ,Londres
26. de Agosto de 185P et ad calcem adligata.
B. Druckwerke.
Florez, Espana sagrada tom. XI (1753), p. 48 ff. beschreibt
zwei Handschriften von Alvars liber scintillarum aus der ,Real
Biblioteca', eine, A. 110, dem 11., die zweite, A. 114, dem
14. Jahrhundert angehörig.
Bibi. Uobersiclit: 228 (Madrid).
3
Tom. XIII (1756), p. 330 ff. erwähnt und benützt er bei
der Ausgabe von Paulus Diaconus De vita et miraculis Patrum
Emeritensium eine Handschrift gleicher Provenienz. Ebenso
diente ihm bei Herausgabe von Sebastiani Chronicon Nomine
Alfonsi tertii recens vulgatum in demselben Bande p. 475 ff.:
otro Ms. de que usö Ambrosio de Morales, pues tiene algunas
cosas de su mano en las margenes, y existe hoy en la Real
Bibliotheca de Madrid sowie die ebendaselbst befindliche Copie
des D. Juan B. Perez.
Tom. XIV (1758), p. 117, die Actas de S. Mancio martyr •
besprechend, sagt er: Yo tengo copia de un MS. Gothico, que
s'e guarda en la Real Bibliotheca de Madrid, algo diferente de
lo publicado.
Tom. XVI (1762), p. 349 wird ein Codex mit Bruch
stücken der Opera S. Valerii erwähnt und zur Ausgabe der
Werke in diesem Bande herangezogen: En la Real Bibliotheca
de Madrid hay tambien un Codice Gothico con la primera reve-
lacion hecha ä Maximo y el Acrostico: pero falta todo lo demäs.
Iriarte, Joannes. Regiae Bibliothecae Matritensis Codices
Graeci mss. Volumen prius (un.) Matriti, 1769, fol.
Ausführliche Beschreibung von 125 Nummern, die bis
heute noch nicht überholt ist. Die Vorrede gibt einige Be
merkungen über die Genesis des griechischen Fonds.
Plüer, Carl Christoph. Reise von Madrid nach dem
Escurial, in Anton Friedrich Büsching’s Magazin für die neue
Historie und Geographie, Th eil IV. Hamburg 1770, p. 389
schätzt die Bibliothek bereits damals auf 60.000 Bände, bemerkt
jedoch: ,An alten Handschriften hat sie keinen Vorrath'. Sonst
findet sich nur eine Notiz über die Erwerbung der Bibliothek
des Cardinais Aquinto.
El fuero viejo de Castilla, sacado y comprobado con el
ejemplar de la misma obra, que existe en la real biblioteca de
esta corte, y con otros mss. Publicanlo con notas historidas y
legales los doctores D. Ignacio Jordan de Asso y D. Miguel
de Manuel y Rodriguez del Rio. Madrid 1771 fol. Cf. Valen-
tinelli p. 23.
Mir lag nur die Ausgabe von 1847 vor, welche p. XLIII
über das Manuscript de la Biblioteca Real de una letra bastante
antigua berichtet, das zur Ausgabe verwendet wurde.
1*
4
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
Ponz, Viage de Espana, Bel. Y (1782), p. 155—158.
Abriss der Geschichte der Bibliothek bis 1780, Erwähnung
der Fonds und der wissenschaftlichen Arbeiten über dieselben;
interessant die Notiz: hoy se esta preparando para la imprenta
el segundo Torao de la Biblioteca Griega, que dexö escrito el
expresado D. Juan Yriarte. 1 Ueber die Manuscripte keine
specielle Bemerkung.
Rodriguez de Castro, Biblioteca Espanola, Madrid, 1786,
Tom. II beschreibt : p. 301 : eine Bearbeitung der ,Coleccion de
Concilios* und verschiedene Werke des Isidor von Sevilla,
Manuscript Burriel’s, mit Collationen von alten Toledaner
Handschriften (vgl. ibid. p. 377); p. 421: cod. B. 31. Beatus
in Apocalypsin aus S. Isidro von Leon. p. 456: Mittheilungen
aus der Burriel-Collection, und zwar aus seinen unedirten
Memorias de las Santas Justa y Rufina. p. 491: über einen
Codex der Historia Compostelana. p. 511: (in der Burriel-
Collection) Copie des Werkes ,Planeta‘ von Iliego de Campos.
p. 536 ff.: Arzobispo Don Bodrigo, Historia de Espana (Aus
führliche Excerpte) p. 539: Historia de las Nabas de Tolosa
(alte Signatur CCHII). p. 529 und 581: cod. F 46 Escritos
del Arzobispo D. Rodrigo y Lucas de Tuy. p. 592: cod. C. 16,
Juan de Dios, Liber casuum decretalium. p. 627: (in der
Burriel-Collection) Pseudo Alfonso, Libro del Thesoro.
Tychsen 0. Gerh., Beschreibung der Handschriften von
Homer in dem Escurial und der königl. Madrider Bibliothek;
enthalten in:
Bibliothek der alten Literatur und Kunst; mit unge
druckten Stücken aus der Escurialbibliotkek und anderen,
herausgegeben von Thomas Christoph Tychsen, dir. W. Mitscher
lich und A. II. L. Heeren. Göttingen 1786—1794. Stück VI,
Nr. 2.
Ferreira Gordo, Joaquim Jose, Apontamentos para a
Historia Civil e Litteraria de Portugal e seus Dominios, collegidos
dos Manuscritos assim nacionaes como estrangeiros, que existem
na Bibliotheca Real de Madrid, na do Escurial, e nas de alguns
1 Dieser Baud ist niemals erschienen; das Manuscript wird jedoch in der
Nationalbibliothek aufbewahrt. Vgl. Graux, Rapport, p. 122.
Bibi. Ueborsicht: 228 (Madrid).
5
Senhores, e Letrados da Corte de Madrid. In Memorias de
Litteratura Portugueza Lisboa 1792, 4°, tom. III, p. 1—92.
Die fleissige, bisher wenig beachtete Schrift berichtet zu
nächst von p. 14 ab die Geschichte der Nationalbibliothek und
bringt hierauf Notizen über andere Büchersammlungen. Den
Haupttheil der Arbeiten bildet ein ziemlich ausführlicher Hand
schriftenkatalog in drei Abtheilungen: Divisaö I: Das Memorias,
Documentos, e Escritos em Portuguez (p. 29—61). Div. II. Das
Memorias, Documentos, e Escritos em Castelhano (p. 62—88).
Div. III. Das Memorias Documentos, e Escritos em outras
Linguas (p. 88—92). Die Manuscripte, durchwegs mit Signatur
angabe verzeichnet, entstammen den im Titel genannten Biblio
theken, vorzüglich der Biblioteca nacional, aus welcher mehrere
hundert angeführt erscheinen.
Risco, Espana sagrada, tom. XXXVIII (1793), p. 110
spricht vom Liber Chronicorum ab exordio mundi usque Eram
MCLXX und bemerkt: Este centon se halla en el codice Com-
plutense, que ahora existe en la Real Biblioteca de Madrid,
de que da noticia Perez Bayer en sus notas al tomo II de la
Biblioteca Vetus p. 14. 1
(Kaufhold, Anton), Spanien, wie es gegenwärtig ist. Gotha
1797, Th. n, S. 165—167.
Allgemeiner Bericht eines Reisenden über die Bibliothek,
ohne Rücksichtnahme auf Handschriften.
Fischer, Christian August, Reise von Amsterdam über
Madrid und Cadix nach Genua etc. Berlin 1799. 8°.
Enthält nach Haenol auf p. 2251F. Notizen über die National
bibliothek; war mir nicht zugänglich.
La Serna Santander, Carolus. Praefatio histörico - critica
in veram et genuinam collectionem veterum canonum ecclesiae
Hispanae 1800. 8° (Wieder abgedruckt bei Migne, Cursus Patro-
logiae, Ser. latinae tom. LXXXIV, col. 849ff.).
Behandelt p. 5 Quinque (codices canonum) in bibliotheca
regia Matritensi, diese gehören jedoch dem Escorial und wurden
1 Bezüglich der Ausnützung der Noten Bayers zu Nie. Antonios Biblio
theca Hispana sowie der Berichte dieses selbst über die verwertlieten
Handschriften gilt auch für die Nationalbibliothek (damals B. real) das
bereits in der Rubrik Escorial Bemerkte.
6
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
nur für gewisse Zeit nach Madrid gebracht. Dann heisst es:
alterum codicem, ecclesiae Palentinae a sapientissimo rege
Alphonso dono datum, Burriel noster primus indicavit, effecitque,
ut in laudatam hibliothecam regiam, ubi nunc extat, transferretur.
p. 6 und 20 über ein anderes Exemplar gleichen Inhalts, nach
dem früheren Besitzer Codex Loayso-Carvajaleus genannt.
Fischer Christ. Aug., Gemälde von Madrid. Berlin 1802.
P. 186—190 einige allgemeine Bemerkungen ohne be
sonderes Interesse.
Gtl Polo, Gaspar, La Diana enamorada, cinco libros, que
prosiguen los siete de Jorge de Montemayor, Nueva impresion
con notas al canto de Turia. Madrid 1802. 8°.
Diese Ausgabe, in welcher nach Hänel multi Bibliothecae
Regiae Codices commemorantur, führt nur p. 502 eine Tahla
de las familias y Images als copia M. S. de la Real Biblioteca
an. Die übrigen mit B. M. signirten Handschriften, auf welche
der Herausgeber Francisco Cerda y Rico sich beruft, stammen
aus der Bibliothek des Gregorio Mayans, vgl. p. 289.
Laborde, Alexandre de, Itineraire descriptif de l’Espagne,
Paris 1809. Tom. III, p. 115 f. Kurze geschichtliche Notiz.
Bailly, J. Louis Amand, Notices historiques sur les biblio-
thfeques anciennes et modernes, suivies d’un tableau comparatif
des produits de la presse de 1812 ä 1825. Paris, Roussellon 1827.
Kennt nur arabische Handschriften der Nationalbibliothek;
zur Charakterisirung der Mittheilungen Bailly’s vgl. den Artikel
Escorial.
Haenel, Catalogi col. 965—974. Zur Zeit, da Hänel die
Nationalbibliothek besuchte (1828), waren die Bibliothekare eben
mit Neuanlage eines Katalogs beschäftigt, den er nicht einsehen
konnte. Er verzeichnet aber nahe an 500 Handschriften mit
Signaturangahe, gibt also zu den bestehenden Katalogen ein
wiinschenswertlies Supplement.
Torres Amat, Felix, Memorias para ayudur a formal 1 un
deccionario critico de los escritores Catalanes. Barcelona 1836.
Unter den zahlreichen Handschriften der Nationalhihliothek,
deren Torres Amat hei seinen Quellenangaben gedenkt, seien
liervorgekoben: p. 186: cod. G 160 Ilustraciones ä los condados
de Roselion, Cerdana y Conflent. p. 621: cod. G 215 Fr. Juan
Bibi Uebersicht: 228 (Madrid).
7
Tolö, Antiguedades del monasterio de Pöblet y extractos de
varias crönicas de los reyes de Castilla. p. 688 ein ausführliches
Verzeichniss der Handschriften, welche über Catalonien handeln,
p. 706: cod. X 145 Llibre del gentil e dels tres subis mit der
Schlussnote: Este libro mandb trasladar Alfonso Ferandez de
Ferrera d Andres Ferandez ä 28 de junio ano de MCCCCVI
se acabö en el dicho dia e ano en la carcel.
Knust, Heinrich Friedrich, Reise nach Frankreich und
Spanien in den Jahren 1839 bis 1841 aus seinen Briefen. Ver
öffentlicht von G-. H. Pertz im Archiv der Gesellschaft für ältere
deutsche Geschichtskunde, Bd. VIII, p. 102—252. Handschriften-
verzeichnisse ibid. p. 786—822.
Die Nationalbibliothek wird auf p. 152—154, 173—179,
189f. behandelt, die Plandschriftenverzeichnisse sind p. 768—
808 veröffentlicht. Die an letzter Stelle gegebenen Listen sind
besonders sorgfältig, stets mit Signaturangabe versehen und
daher eine weitere Ergänzung der bereits genannten Kataloge.
Vog-el, Litteratur etc. p. 479. Kurze bibliographische
Notizen, die über Hänel nicht hinausgehen.
Navarrete, Martin Fernandez de, Discurso leido ä la
Academia de la liistoria, en junta de 24 de noviembre de 1837.
Madrid 1838.
Der mir nicht zugängliche Vortrag verbreitet sich auch
über die Nationalbibliothek.
Gaciiard, Luis Prosper, Rapport sur ses recherches en
Espagne. Compte rendu des seances de la Commission Royale
d’Histoire, Bruxelles, Vol. IX (1845), p. 241—299.
Vorzüglich über Manuscripte der Nationalbibliothek,
welche spanische Geschichte betreffen (mit vielen Auszügen).
Zum Theil überholt durch das weiter unten zu nennende grosse
Werk.
Castellanos de Losada, Basilio Sebastian, Apuntes para
un catälogo de los objetos que comprende la coleccion del Museo
de Antigüedades de la Biblioteca nacional de Madrid, con ex-
clusion de los numismdticos: acompanado de una ligera resena
del Museo de medallas y de los demas departamentos de la
misma biblioteca. Madrid 1847.
Das Werkchen enthält in seinem zweiten Theile' mehrere
den Bücherbeständen gewidmete Abschnitte p. 161—176 (Be-
8
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
Schreibung der Bibliothek nach den Sälen); p. 177—191 (Ge
schichte); p. 189 (über die Indices Bayer’s); p. 192—-212 (Ver
zeichniss der Bibliothekare).
RoziiutE, Eugene de, Formales wisigothiques inedites, pu-
bliees d’apres un manuscrit de la Bibliotheque de Madrid.
Paris 1854.
Die section premiere bietet eine Notice historique sur la
bibliotheque de Madrid, in dieser auch Daten i^ber die wich
tigsten Handschriften und die in der Bibliothek ausgeführten
grösseren Arbeiten. Die Section deuxienae enthält die description
du manuscrit F 58 de la bibliotheque de Madrid (p. XVII—
XXV), p. 1—32 den Text.
Heine, Gotthold, Bibliotheca anecdotorum seu veterum
monumentorum ecclesiasticorum collectio novissima. Ex codici-
bus bibliothecarum Hispanicarum. Pars I (un.): Monumenta
regni Gothorum et Arabum in Hispaniis. Praefatus est J. E.
Volbeding. Lipsiae 1848. 8°.
Enthält p. 123 ff. ,Bulgarani epistolae' herausgegeben unter
Benützung von cod. Dd. 104.
Ford, Richard, A handbook for travellers in Spain. Third
edition London 1855.
Part II, p. 721 gibt kurze Notizen über Geschichte und
Bestände.
Munoz, Diccionario etc., erwähnt häufig Manuscripte der Na
tionalbibliothek, Städte- und Klostergeschichten etc., meist sehr
jungen Datums, daher auf eine Specificirung verzichtet wurde.
Edwards, Edward, Memoirs of libraries. London-Leipzig
1859. H, p. 549.
Notiz nach Ford.
Eguren erwähnt p. L eine Bibel s. X (wahrscheinlich der
Toletanus) und beschreibt von p. 18 ab zweiundzwanzig Bibeln
der Nationalbibliothek, leider durchwegs ohne Signaturangabe.
Die Beschreibung des Beatuscodex aus Leon p. 50, die des
cödice canönico p. 77.
Valentinelli p. 20—26.
Abriss der Geschichte der Nationalbibliothek und sorg
same bibliographische Zusammenstellungen; leider sind die
Handschriften, von denen nur ganz wenige Erwähnung finden,
Bibi. Uebersicht: 228 (Madrid).
9
nicht nach Gebühr berücksichtigt. Die Notizen über den Status
der Bibliothek sind nach dem Anuario zu berichtigen.
Amador de los Rios, Historia critica de la literatura Espa-
nola, 7 Vol. Madrid 1861—1865.
Amador hat wie die Handschriften des Escorial so auch
in gleicher Weise die der Nationalbibliothek zum Gegenstand
eingehenden Studiums gemacht (vgl. tom. IY, p. 60). Seine
mitunter sehr ausführlichen Beschreibungen können hier nur
auszugsweise mitgetheilt werden.
Tom. II, p. 157 Eingehende Besprechung des Chronikencodex
F 134.
p. 161. cod. G 113. Historia antigua de Avila. Acaböse descrivir
en la dicha ciudad de Avila . . . ano de mill y seiscientos
anos, para ml, Luis Pacheco, regidor de la ciudad de Avila.
Tom. III, p. 49. cod. F 133. Crönica de once Reyes. Cf. p. 95
und 398.
p. 285. cod. F 152 saec. XII enthält: 1. Epistola Turpini archi-
episcopi ad Leoprandium. 2. Historia famosissimi Karoli
Magni. 3. Gesta Alexandri magni. 4. Relatio cuiusdam de
Indiae regione et de bragmanis eorumque conversatione.
5. Historia Apollonii Tyrii. 6. Epistola presbiteri Johannis
ad romanum Imperatorem. 7. Vita Amici et Amelii. 8. Gesta
Salvatoris. 9. Yisio. 10. Altera visio. 11. De Infantia Sal-
vatoris. 12. De purgatorio Sancti Patricii. 13. Vita Bea-
torum Barlaam et Josaphat. 14. Passio beati Amasii. 15. Hi
storia Sanctorum septem dormientium. 16. Gesta et passio
Beati Mathiae apostoli. 17. Gesta francorum et aliorum
jerosohmitanorum. 18. Tratado incompleto de plantas, pie-
dras preciosas, aves etc. (de Letesma?). Cf. p. 289-, 291,
296, 297, 301, 581 (Auszüge). 1
p. 347. cod. F 68. Crönica de Fernan Gonzalez con un prölogo
de Luis Tribaldos de Toledo.
p. 392. cod. Gg 101. Poema de Jusuf (am Schluss des Bandes
ein Facsimile).
p. 406. cod. D 56. Anales de los Reyes Godos de Astürias,
Leon etc. — Fuero de Sobrarve.
1 Offenbar dieselbe Handschrift beschreiben Ewald p. 303 und Hartel-
Loewe p. 400—404, jedoch unter der Signatur Ee 103.
10
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
Tom. III, p. 422 sq. cocld. F 36 und F 133. Arzobispo Don Ro-
drigo, Historia Gothica. Cf. p. 428 sqq. Tom. IV, p. 26.
p. 437. codd. Bb 52 und Cc. 88. Libro de los doce Sabios.
p. 472. cod. M 110. Libro de ,Hortulus‘ j varias poesias ele-
giacas.
p. 502. cod. Dd 94. Copie des Toletanus der Cäntigas de D.
Alonso el Sabio.
p. 518. cod. L 85. Alfonso el Sabio, Libro del Tesoro. Am
Ende: Fecho fue este libro en el anno de la nuestra salud
MCCLXXII.
p. 545. cod. Bb 59. Libro del Bonium.
p. 552. cod. S 34. Libro de la caza de Don Juan, hijo del in-
fante Don Manuel. Cf. p. 553, 563.
p. 568. cod. F 81. Crönica Abreviada del Infante Don Manuel.
Cf. p. 582 und tom. IV, p. 291.
p. 569. cod. F 1. Grande j general Estoria de D. Alfonso el
Sabio. Cf. p. 595.
p. 588. cod. F 133. Poema del mio Cid.
p. 631. cod. L 3. Rabbi Jeliuda Mosca-ha-Qaton, Lapidario.
p. 633 sq. cod. L 97; L. 184; T. 273; K. 196. Alfonso el Sabio,
Obras Astronömicas.
p. 637. cod. L 3. Alfonso el Sabio, Libro de la Ochava Sphera
et de sus XLYIII figuras. Ygl. oben und p. 649.
p. 647. cod. L 9, 7. Alfonso el Sabio, Libro de Cänones de
Albateni; aus dem Besitz des Lucas Cortes,
p. 648. cod. Bb 119. Astronomischer Tractat, verfasst im Auf
träge Alplions X.
Tom. IV, p. 7. cod. L 132. Libro de los Fechos et los Castigos
de los Pliilosophos. — Libro de los eien Capitulos.
p. 10. cod. P 23. Don Sancho IV. Libro de los Castigos.
p. 17. cod. L 127. Libro del Tesoro, 1065 (?) Alfons VI. ge
widmet.
p. 18. cod. F 108. Diego de Valera, Doctrinal de Principes.
p. 24. cod. J 1. Grand conquista de Ultramar ,magnifico Ms... en
fol-, vitela de 360 fojas . . . y preparado todo el para ser
enriquecido con esmeradas miniaturas, sagun muestran las
primeras fojas, en que se lialla representado el ,cerco de
Belinas‘ j el ,socorro de Jerusalem 4 ,
p. 31. codd. L 131 und T 8. Sancho IV, Lucidario.
Bibi. Uebersicht: 228 (Madrid).
11
Tom. IV, p. 35. codd. P 23 und S 23. Sancho IV, Libro de los
Castigos. Auszüge p. 570 ff. Ueber die letztere Handschrift
berichtet Amador p. 40 ,escrito en papel d una columna, y
enriquecido de vinetas iluminadas, donde si el diseno no
es correcto, existe siempre el interes de los trajes que son
los usados al escribirse el cödice. En la segunda foja so halla
representado Don Sancho, sentado en el trono en ademan
de aleccionar ä su hijo que aparece arrodillado ante el. Sobre
la viiieta se lee esta equivocada inscripcion: Initio et sa-
piencie timor Domini.
p. 53. cod. X 137. Libro de los eien capitulos.
p. 87. cod. Bb 133. Alfonso de Valladolid, Libro de las Tres
Gracias.
p. 91. cod. Bb 82. Pedro Gomez Barroso Libro de los Con-
seios et Conseieiros; ausserdem: Consejos y documentos
de Rabbi don Sem-Tob und ,Consolacion de Espana*, diälogo
escrito a principios del siglo XV.
p. 127. cod. P 13. Ramon Muntaner, Sermö 6 presichanca, ge
richtet an Jaime II de Aragon. MS magnifico y coetaneo.
Am Schluss die Note: Iste über fuit scriptus et splicitus
die Veneris qui fuit tercio Kalendas septembris, anno do-
mini millesimo CCC° quadragesimo secundo.
p. 134. cod. G 160. Bernard Desclot, Crönicas ö Conquestes.
p. 149. cod. F 99. Historia de don Servando (eine Copie Pel-
licer’s).
p. 206 ff. cod. S 34. Don Juan Manuel, Obras. Vgl. auch p. 224,
235, 247, 258, 435, 513.
p. 292. cod. F 60. Cronica complida (fälschlich Don Manuel
zugeschrieben).
p. 304. Juan Manuel, Libro de los Exemplos (cod. s. XV. 4°).
p. 331. cod Bb 134. Jacobo de Benavente, Vergel de la Con-
solacion.
p. 362. codd. D 53; D. 144; D. 521; K. 49; V. 39. Libro del
Becerro (in der Art eines statistisch-genealogischen Hand
buches) im Aufträge Alfons XI. verfasst.
p. 368. cod. F 31. Libro de las tres Crönicas; Cronica de D.
Alfonso XI.
p. 387. codd. F 32 und F 186. Crönica general. Vgl. p. 390 f.
und p. 402.
12
VIII. Abhandlung: Boor. Handschriftenschätze Spaniens.
Tom. IV, p. 438. cod. F 68. Gonzalo de Arredondo, Chronica,
p. 596. codd. M 100 und S 34. Juan Manuel, Conde Lucanor.
Cf. p. 60.
Tom. V, p. 76. cod. Aa 103. Libro de Lanzarote (II. u. III. Theil).
p. 151. codd. L 149; L 176; L 197. Pedro Lopez de Ayala,
Libro de la Cetreria.
p. 226. cod. Bb 136. Pedro Gomez de Albornoz, Libro de la
Justicia y de la Vida espiritual.
p. 234. codd. A 103. Pedro de Luna, De horis canonicis di-
cendis. C 73 desselben Constitutiones Archiepiscopi Tarra-
conensis.
p. 254. cod. F 113. Garcia de Eugui, Crönicas.
p. 364. cod. F 89. Coronica del Rey Don Rodrigo.
p. 274. cod. J 70. ,Libro Ultramarino 4 saec. XV.
p. 334. codd. G- 151 und M. — Y 4° (?). Pablo de Santo Maria,
Edades trovadas.
p. 338. cod. L 119. Cirurgia rimada del Maestre Diego de
Cobos.
Tom. VI, p. 21. cod. Bb 30. Valerio Maximo, catalaniscbe
Uebersetzung.
p. 30. codd. M 16 und M 17. Vergils Aeneis, übersetzt von
Enrique de Aragon.
p. 35. codd. M 56; Q 224; T 130; T 269. ,Omero romanzado 4 . '
Auszüge, übersetzt von Juan de Mena. Cf. p. 51.
p. 4L codd. Bb 97 und P 36. Petrarca, De vita solitaria, über
setzt unter dem Titel: Flores e sentencias de la Vida de
Poledumbre. cod. Ff 153. Desselben Invectivae contra me-
dicum quendam unter dem Titel Reprehensiones e denue-
stos contra un rnedico rudo e parlero. cod. X 190. Desselben
Epistola X a variarum (Letra de Reales costumbres). cod.
S. 295. Desselben De remediis utriusque Fortunae (Reme-
dios de pröspera e adversa fortuna). cod. Dd 149. Boccaccio,
Genealogia de los dioses. cod. Ff 124. Desselben De Claris
mulieribus (Tratado de mujeres düstres),
p. 62. codd. Y 215 und M 28. 1 Cancioneros de Ixar y de
Estuniga. Cf. p. 426 und 533; tom. VII, p. 460, 466.
1 Die Signatur ist an den citirten Stellen schwankend angegeben (M. 275
und M. 48).
Bibi. Ue'bersiclit: 228 (Madrid).
13
Tom. VI, p. 252. cocl. Y 115. Doctrinal de Caballeros; codd.
T 129 und T 157 Auszüge aus demselben, p. 258. cod. F
101. Enrique de Villena, Obras.
p. 286. cod. S 10. Don Enrique de Aragon, Tractado de casso
et fortuna; desselben Tratado del dormir et despertai* et del
sonar; desselben Especies de adivinancas.
p. 303. cod. P 156. Fernan Perez de Guzman, Floresta de
Philösoplios.
p. 309. codd. Bb 8 und X 214. Juan el Yiejo Declaration del
Salmo LXXVII.
p. 312. cod. Bb 94. Corona de monjes (Aureola 6 Corona Mo-
nachorum).
p. 320. cod. Bb 70. Maestre Pedro Martin, Sermones en ro-
mance (unter dem Titel: el Conde).
p. 326. cod. Bb 96. Ensenamentos de Coracon geschrieben von
Pedro Al. (Alvarez oder Alfonso?)
p. 331. cod. H 49. Alonso de Cartagena, Proposicion sobre
Portugal, codd. Bb 64; Cc 119; E 169; M 100; X 250.
Oracion sobre la preferencia de Inglaterra.
p. 343. cod. Q 224. Rodriguez del Padron, Siervo Libre de
Amor.
p. 533. cod. Dd 61. Copie eines Cancionero general der Biblio-
teca Colombina in Sevilla.
Tom. VII, p. 27. cod. D 190. Carlos de Aragon, Epistola a
todos los valientes letrados de Espana. Fernando de Bolea,
cartas.
p. 31. codd. T 115 und G 139. Corönica de los reyes de Na
varra por el principe D. Carlos de Viana.
p. 41. cod. G 151. Pere Tomich, Suma de la Corönica de Ara
gon y principado de Cataluna traducida del lemosin por
Juan Pedro Pellicer saec. XVII.
p. 65. cod. Q 36. 1. Leonardo de Arezzo, Caballeria, traducida
por Pero de la Panda. 2. Angel de Milan, Las quatro vir-
tudes 6 doctrinas que compuso Seneca. 3. Desselben Con-
dicion de la Nobleza, beide übersetzt vom Prinzen Viana.
p. 83. cod. P 61. Don Pedro el Condestable, Obras. ,Ffou aca-
bad lo present libre ä X de may any 1468 de ma den
Cristofol Bosch librater. Deo graciasJ
p. 236. cod. Cc 77. Uztarroz, Biblioteca Aragonesa.
14
VIII. Abhandlung: Beer. Handscbriftenschätze Spaniens.
Tom. VII, p. 298f. cod. F 108. Diego de Valera, Obras. 1. Trac
tado, llamado Defensa de Virtuosas mujeres. 2. Tractado,
llamado Espejo de Verdadera nobleza. 3. Ceremonial de
Principes. 4. Tractado de las armas. 5. Exortacion de la"
paz (cf. p. 365). 6. Tractado de las epistolas (cf. p. 409).
p. 320. cod. Gr 157. Gonzalo Garcia de Santa Maria, Presion de
Carlos, principe de Viana, omision e guerra de los catalanes.
cod. Dd 184 dasselbe Werk, lateinisch,
p. 327. cod. F 96. Andreas Bernaldez, Crönica de los Reyes
Catölicos.
p. 365. cod. S 219. Pensamientos variables (nicht authentischer
Titel eines anonymen, an Isabella die Katholische gerich
teten Tractats, cf. p. 578).
Borao, p. 70f.: historischer Rückblick. Die Zahl der Hand
schriften wird auf 8000 angegeben.
Maassen, Friedrich, Bibliotheca latina iuris canonici manu-
scripta a. a. O. p. 163f. behandelt die codd. Ee 106; P 21;
Q 14 nach Hänel, Gonzalez und Knust.
Gallardo, Bartolome Jose, Ensayo de una biblioteca espa-
iiola de libros raros y curiosos .. . aumentados por Manuel Remon
Zarco del Valle y J. Sancho Rayon. Madrid 1863—1889. 4 Vol.
Vol. II enthält mit separater Paginirung (p. 1—179) einen
Indice de manuscritos de la Biblioteca Nacional, einen von
Gallardo gefertigten Auszug aus dem oben erwähnten hand
schriftlichen Kataloge. Das Urtheil Ewald’s, der diese Liste
dürftig und nur die Geschichte Spaniens betreffend nennt, ist
dahin zu modificiren, dass sämmtliche spanische Manuscripte
der Bibliothek in etwa 8000 Artikeln, also auch Uebersetzungen
classischer Autoren (Aristoteles, Cicero, Seneca etc.) und der
Kirchenväter (Augustinus, Gregorius etc.) angeführt erscheinen,
daher die Zusammenstellung auch für Geschichte der classi-
schen Philologie, des Humanismus etc. von Wichtigkeit ist. Die
durchwegs beigefügte Signaturangabe erhöht den Werth des
Verzeichnisses.
Amador de los Rios, La pintura en pergamino, en Espana,
hasta fines del siglo XIII. Museo Espanol de Antiguedades
tom. III (1874), p. 1—41. Vgl. oben den Artikel Escorial. Ueber
eine Bibel der Nationalbibliothek p. 13.
Bibi. Ueliersicht: 228 (Madrid).
15
Gutierrez de La Vega, Biblioteca Venatoria tom. I (1871)
behandelt unter den Nummern 5, 6, 36, 37, 38, 41, 44, 51, 58,
59, 61, 66, 68, 72, 77, 80, 83, 89, 90, 93—96 und 100—102
handschriftliche Tractate aus dem Gebiete der Jagdschriftstellerei,
welche der Nationalbibliothek angehören; fast ausschliesslich
jüngeren Datums.
Gachard, Louis Prosper, Les bibliotheques de Madrid et
de FEscurial. Notices et extraits des manuscrits qui concernent
l’histoire de Belgique. Bruxelles 1875. 4°.
Ueber die Nationalbibliothek p. XXXIIIf. (wo von 30.000
ouvrages ou documents manuscrits gesprochen wird) und p. 1
bis 424; hier sehr genaue Beschreibung von 155 Handschriften,
die in das oben bezeicbnete Gebiet fallen, mit zahlreichen Aus
zügen und Documentencopien. An diese schliessen sich noch
p. 425—538 Apendices.
Ruelle, Charles Emile, Rapports sur une mission litteraire
et philologique en Espagne, Archives des missions scientifiques
Ser. III, tom. 2, p. 502 und 563—579 über verschiedene grie
chische Handschriften der Nationalbibliothek. P. 504 glossarium
graeco-latinum saec. XV.
(Breton y Orozco, CIndido) Breve noticia de la Biblioteca
Nacional. Madrid, Aribau & compania 1876.
Lag mir nicht vor. Contiene curiosisimos datos acerca
de su fundacion, sus directores, sus acrecentamientos, su te-
soro bibhogräfico, sus tipogräficas preciosidades . . . sus manu-
scritos y sus Codices. Revista de Archivos tom. VI (1876),
p. 20f. Vgl. ibid. VII, p. 99, not.
Graux, Rapport, p. 122—124.
Ueberblick über die Fonds griechischer Handschriften und
kurze Beschreibung einiger der wichtigsten.
Ruelle, Charles Emile, Deux textes grecs anonymes,
concernant le canon musical heptacorde, puis octacorde, publies
d’apres le ms. N. 72 de la Biblioteca Nacional de Madrid im
Annuaire de 1’ Association pour 1’ encouragement des etudes
grecques en France. XI e Annöe (1877), p. 147—169. Voran
geht eine Notiz:
Graux, Charles, Sur le manuscrit N. 72 et sur C. Lascaris
unter Heranziehung weiterer griechischer Handschriften der
Nationalbibliothek.
16
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschatzc Spaniens.
Milä y Fontanals, M(anuel), Notes äur trois manuscrits.
Revue des Langues Romänes tom. X (1876).
An zweiter Stelle (p. 225) wird Un roman catalan s. XV
(212 Blätter füllend) und an dritter Stelle Une traduccion de
la Discipline clericale perg. s. XIV, beide der Nationalbibliotliek
angehörig, beschrieben. Signaturangabe fehlt.
Revista de Archivos VII (1877), p. 55.
Kurze Notiz über einen kostbaren Codex der National
bibliothek, welcher im Boletin de la Sociedad Greogräfica de
Madrid publicirt werden soll. En este cödice, que perteneciö
al Marques de Santillana, se refiere el viaje de exploracion que
en 1350 hizo un fraile franciscano ä la tierras africanas.
Paz y Melia, Antonio, Un cödice notable de la Biblioteca
Nacional. Revista de Archivos VII (1877), p. 124—128; 141—144.
Behandelt eine Handschrift mit einer alten Uebersetzung der
Disciplina clericalis des Pedro Alfonso. Analyse und Auszüge.
Graux, Charles, Eloge du duc Aratios et du Gouverneur
Stephanos, publie pour la premiere fois d’apres le ms. de la
Biblioteca Nacional de Madrid. Paris 1877. Vgl. Boletin de la
Real Academia de la Historia, tom. I, p. 300.
Revista de Archivos, tom. VIII, p. 150f.
Zusammenstellung verschiedener Handschriften der Na
tionalbibliothek, welche der Buchbinder Miguel Ginesta restaurirt
und eingebunden hatte.
Fierville, Renseignements, a. a. 0., p. 103 ff. erwähnt nebst
einer Dissertation über eine Quintilianstelle (VIII 3, 22) s. XVII
noch 1. Ovide XV s. parch. cote M. 23 Est. Res. 19. 2. Virgile
XV' 1 siede parch. M. 30 Est. Res. 47. 3. Plaute, parch. s. XV.
Q. 38, Est. Res. 20. 4. Roman de la Rose s. XV. Die Tole
daner Signatur: Cajon 104, 22, Zelada. 5. Plinius secundus,
Historia naturalis s. XIV. Toled. Sign. C 47, 14. 6. Livre
d’lieures de Charles Quint. 4°. 7. Livre d’heures de Jeanne
la Folie. ,C’est un vrai bijou; les miniatures sont delicieuses et
d’une iinesse microscopiqueh 8. Livre d’heures de Charles VIII,
roi de France, ,vraiment royalb
Francisque Michel, Rapport, a. a. O., tom. VI, p. 1.79 ff.
bespricht eine Handschrift s. XV Pedro Alfonso, la Clergia de
discipline e las Moralitatz de philosophia, T. 283 (die bereits
Bibi. Uebersicht: 228 (Madrid).
17
von Paz y Melia beschriebene Hs.), ferner das Gebetbuch
Carl VIII. (vgl. oben) und mehrere jüngere Handschriften.
Graux, Charles, Essai sur les origines du fonds grec de
FEscurial, Paris 1880.
Gelegentliche Bemerkungen über die Handschriften der
Nationalbibliothek. So p. 44 über: V. 169. p. 50: O. 43, 44 und
48, vgl. p. 179 f. p. 83: Q. 18. p. 138: Dd. 27. p. 165: K. 100.
p. 333: V. 169 (Auszüge), p. 431: 0. 75. p. 60—79 Äcquisition
der Bibliothek des Cardinais von Burgos für die National
bibliothek.
Ewald p. 284—321. Beschreibung zahlreicher Hand
schriften, welche bereits entsprechende Würdigung gefunden hat.
Robert, Ulisse, Etat des catalogues des manuscrits des
Bibliotheques d’Espagne et de Portugal. Cabinet historique
XXVI, p. 294—299.
P. 297. f. Madrid.
Carini, Gli Archivi etc. I. p. 127 ff.
Den ersten Theil des Berichtes bildet ein historischer
Rückblick p. 127—130; hierauf folgt Zusammenstellung und
Beschreibung der einzelnen Abtheilungen der Bibliothek und
Verzeichniss der werthvollsten Handschriften. Dieses scheint
nicht auf Autopsie gegründet zu sein; Signaturangabe fehlt
durchwegs.
Anuario del cuerpo facultativo de Archiveros etc. Madrid
I (1881), p. 135—151; II (1882), p. 91—101.
Bietet nur Weniges, was sich auf Handschriftenbeschreibung
bezieht. Im ersten Aufsatz sind p. 150 einige Cimelien notirt.
Fita y Colome, Fidel veröffentlicht im Boletin de la Real
Academia de la Historia tom. V (1884), p. 308 ff. VI (1885),
p. 60 ff., p. 379—409 und 418—429. VII (1885), p. 54—144
Biografias und Poesias von Gil de Zamora aus cod. I 217 sammt
genauer Beschreibung.
Hartel-Loewe p. 261—462 und 538—542.
Das bezüglich der Beschreibung der Escorialenses Gesagte
gilt auch von diesem Katalog; er'ist der gründlichste und für
einen Theil der Manuscripte auch erschöpfendste, den wir bis
jetzt besitzen.
Miller, Emmanuel, Bibliotheque Royale (sic) de Madrid,
Catalogue des manuscrits grecs (Supplement au Catalogue
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXVIII. Bd. 8. Abh. 2
18
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
d’Iriarte). Notices et extraites des manuscrits de la Bibliotheque
nationale et autres bibliotheques. Paris, tom. XXXI, deuxierae
partie, p. 1 —117. Beschreibt die Nummern N 126 — N 141 und
Ol — O 103. Eine Ergänzung zu Iriarte und ein Gegenstück
zu desselben Verfassers Katalog der Escurialenses.
Rada y Delgado, Jüan, Bibliografia numismatica Espanola,
Madrid 1886. 4°.
Diese Bibliographie benützt zahlreiche Handschriften der
Nationalbibliothek, welche auch für antike Münzkunde inter
essante Daten bieten; der grössere Theil der Ausbeute entfällt
auf die mittelalterliche, vgl. p. 45 Ordenamiento des Jahres 1388
aus der Handschrift Dd 123, p. 46 Pregones s. XV, Dd 124;
ferner vgl. p. 59, p. 76, 121 u. ö.
Riano, Juan F. Critical and Biographical notes on early
spanish music. London 1887.
Beschreibung folgender Handschriften: C. 145 Missae
Manuale p. 49 f.; C. 82 Canon de edificanda ecclesia p. 58 j 1
C. 132 Liber cantus Chori ibid.; 1 C. 153 Liber cantus Chori
p. 59 j 1 C. 63 Caerimoniale Romanum ibid.; 1 C. 145 Missae
Manuale p. 65; C. 131 Ordinarium Precum Ecclesiae Cathedralis
Toletanae p. 66; 52, 6 Missale p. 68; 52, 16—22 Missale in
sieben Bänden 2 p. 69; Reservado B. 31. De Apocalipsi Johannis
p. 108.
Arze, Diego de, De las librerias, de su antiguedad y
provecho, de su sitio etc. Biblioteca Nacional Ms. Bb. — 22
(Madrid 1888. 8°).
Blosser Abdruck der Handschrift ohne Commentar.
Miller, Emmanuel, Le mont Athos, Vatopedi, ITle'de
Thasos. Avec une note sur la vie et les travaux de M. Emm.
Miller par le marquis de Queux de Saint-Hilaire. Paris 1889.
In der biographischen Skizze (von p. L ab) sehr inter
essante, zum Theil Miller’s Correspondenz entnommene Daten
über die Arbeiten dieses Gelehrten in der Nationalbibliothek zu
Madrid und die Geschichte derselben während der Revolution.
Priscilliani quae supersunt . . . edidit Georgius Schepss.
Vindobonae 1889. (Corpus script. eccl. lat. Vol. 18.)
1 Aus Philipp V. Privatbibliothek.
2 Aus dem Besitze des Cardinais Cisneros.
Bibi. Uebersicht: 228 (Madrid).
19
Praefatio p. XXXIII handelt über den Toletanus 2, 1.
Martinez Anibarro y Rives, Intento de un diccionario . . .
de Bnrgos etc. p. 99 über cod. H, 49, enthaltend Cartagenas
Allegationes; p. 246, cod! Gr 6 Crönica del Rey D. Juan II.
1420—1434; p. 446 codd. T. 183, 210 Francisco de Salinas
De Musica; p. 485, codd. G 151, Ee 154, Pablo de Santa
Maria, Edades Trovadas (nebst anderen Handschriften desselben
Autors, zum Theil nach Amador).
Leguina, Enrique de, La Exposiciön Histörico-Europea. VI.
La Biblioteca Nacional. Impresos en vitela. Incunäbles. Ejem-
plares ünicos. Encuadernaciones notables. Libros raros. Autö-
gi'afos. Cödices. — La Epoca. Madrid, 28 de Xoviembre de 1892. 1
Verzeichnet folgende in d’er Columbus-Ausstellung 1892
exponirte Codices der Nationalbibliothek:
Libro de Agricultura, saec. XV. in. Mit arabischen Ziffern.
Petrus Comestor, Historia Scolastica, saec. XV. Mit ganz
seitigen Miniaturen.
Aethicus, Descriptio terrae, saec. XV. Mit Miniaturen,
besonders Kriegsmaschinen darstellend (Ballista fuhninalis).
Antonius de Nebrija, Gramätica, s. XV. Mit dem Porträt
des Autors.
Enrique de Aragon, Tratado de Astrologia (1428) (vgl.
den Artikel Madrid, Biblioteca part. de D. Enrique de Aragon).
Juan Manuel, Obras, -s. XIV. ,Codice de gran valor, por-
que habiendo dejado el Infante todos sus libros al convento de
Penafiel, donde se perdieron, solo se conserva esta copiaG
Petrarca, Sonetti, Canzoni e Triumfi, s. XV. . . Mit herr
lichen Miniaturen.
Petrarca, Triumfi, s. XVI. Ebenfalls mit prächtigen, hier
in verkleinertem Massstabe ausgeführten Miniaturen ausgestattet.
Fernando de Bolea, Cartas (1480). Mit dem Bildnisse des
Prinzen Viana.
Ferran Nunez, Poema y declaracion del verdadero nombre
del Amor, intitulado Tractado de Amicicia, saec. XV.
1 Ich verdanke die Mittlieilung dieses interessanten Aufsatzes der Güte
Sr. Excellenz des spanischen Botschafters am Wiener Hofe D. ltafael
Merry del Val.
2*
20
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
Poema de los Reyes Magos, saec. XIII. — Poesias del
Arcipreste de Hita, saec. XIV. — Poema de Alexandre,
saec. XIII. Es sind die bekannten Cimelien.
Le Roman de la Rose s. XIV. Mit Miniaturen und Initialen.
Conde de Tendilla, Correspondencia sobre el Gobierno de
las Alpujarras.
Livius, Decades, übersetzt vom Grafen von Bcnavente
(1439). Mit Aquarellen.
Fernän Lopez, La cronica portuguesa de D. Juan I.
Pergamentcodex saec. XV, mit Miniaturen äusserst reich aus
gestattet.
El Fuero de Zamora (1208).
Juan Fernandez Herdia, Cronica de Espana (1385). Mit
dem Bildnisse des Autors und vielen Initialen.
Seguro 1 a favor de D. Alvaro de Luna (1441). Mit
W appenbildern.
Alfonso el Sabio, Las Partidas. Prachtexemplar aus dom
Besitze der Reyes Catölicos.
Crönica troyana, saec. XV. Aus dem Besitze des Marques
de Santillana.
Alonso de Cartagena, Genealogias de los Reyes de Espana.
saec. XV.
Las grandes crönicas 6 crönicas de Saint-Denis. Mit dem
Bildniss Carl VII.
Documentos sobre la primacia de la Iglesia Toledana
(1253).
Biblia ,de Avila' saec. XIII—XIV. Mit interessanten .
Miniaturen älteren Stils.
Gregorii Moralia, übersetzt von Pero Lopez de Ayala.
Mit dem Bildnisse des Uebersetzers.
,Misal rico de Cisneros', 7 Bände (1503—1518). ,Trabajo
que honra ä los miniaturistas espanoles que lo ornamentaronh
Ausserdem noch einige anderweitig bekannte Cimelien.—
Einen ähnlichen, jedoch kürzeren Bericht über die von der
Nationalbibliotliek ausgestellten Handschriften lieferte:
(Fita y Colome , Fidel) Bosquejo de la Exposiciön Hi-
störico-Europea, Madrid 1892, p. 77 ff.
1 Geleitbrief.
Bibi. Uebersicht: 228 (Madrid).
21
C. Schriftproben.
Amador de los Rios, Historia critica bietet in clen bei
geschlossenen Tafeln Proben aus folgenden Handschriften (leider
durchwegs ohne Signaturangabe).
Tom. II. Alvari Liber Scintillarum cod. A 110.
Tom. IV. Conquista de Ultramar, cod. I 1. Libro de los
castigos del Rey D. Sancho. cod. P 23 (S 23 [?]). Libro
Lucidario del Rey D. Sancho. L 131 (T 8 [?]). Cod. de
los obras de D. Juan Manuel (S 34). Libro de los Exenplos
(vgl. p. 304 dieses Bandes).
Tom. V. Libro de Cetreria (cf. p. 151). Tratado de la Yida
Espiritual cod. Bb 136. Cronica del Rey Don Rodrigo
cod. F 89.
Tom. VI. Omero Romancado por Juan de Mena (vgl. p. 35
d. B.). Obras de D. Enrique de Villena cod. F 101. Cancio-
nero de Estuniga (p. 62) Cancionero de Izar (p. 62). ,De
amor y de remor' (Q. 224?). ,Especies de ordenanzas' (ad-
ivinancas? cf. p. 286, cod. S 10).
Tom. VII. Vida de Cristo de Fray Iiiigo Lopez de Mendoza
cf. p. 240. — Libro de los pensamentos.
Rosell y Torrez, Isidoro, El Triunfo de Maximiliano I.
Libro de miniaturas en vitela qne se conserva en la Biblioteca
Nacional. Museo Espaiiol de antigliedades, Madrid, tom. I
(1871), p. 409—416.
Ueber den Prachtcodex des ,Triumphs', das Supplement
zu der bekannten in der Wiener k. k. Hofbibliothek befind
lichen Bilderhandschrift. Mit zwei colorirten Tafeln.
Escüdero de la Pena, Jose Maria, Encuadernaciones de
la edad media y moderna, Museo Espanol tom. VH (1876),
p. 483—492.
Bespricht unter Anderem den Einband der Siete Partidas
von Alfonso el Sabio, ferner ein Devocionario, beide in der
Nationalbibliothek. Von letzterer Handschrift ein Facsimile.
Graux, Charles, Sur le manuscrit N. 72 et sur C. Las-
caris (vgl. oben) gibt zu p. 150 ein Facsimile einer ganzen
Seite des von Lascaris geschriebenen Codex.
Munoz y Rivero, Paleografia Visigoda. Metodo teörico-
präctico para aprender a leer los cddices y documentos Espa-
22
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
Soles de los siglos Y al XII. Madrid 1881. Läm. VI. Morales
de San Gregor io 945. Läm. VIII. Biblia Mozärabe, que per-
teneciö al Cabildo de Toledo y lioy se conserva en la Biblioteca
Nacional s. X. Läm. IX. Schlussworte aus derselben Hand
schrift. Läm. XII. Commentarios de Beato sobre el Apocalipsis,
tiempo de Fernando I. y Dona Sancha. Läm. XIII. Fuero
Juzgo, procedente de Leön, 1058.
Ewald et Loewe, Exempla scripturae Visicoticae. Heidel-
bergae 1883 fol.
Handschriften der Nationalbibliothek: Tab. IX Biblia,
Toletanus 2. 1. Tab. X, XI, XII S. Isidori Etymol., Tolet. 15. 8.
Tab. XVII Forum iudicum, Tolet. 43. 5. Tab. XVIII Heterii
et Beati ad Elipandum epistula, Tolet. 14. 24. Tab. XIX
S. Joannis Chrysostomi de reparatione lapsi, Tolet 10. 25.
Tab. XX S. Isidori sententiae, Tolet. 15. 12. Tab. XXVII
Breviarium Goticum, Tolet. 35. 1. Tab. XXVIII Collectio Ca-
nonum Hispana, P. 21. Tab. XXX Breviarium Goticum, Tolet.
35. 2. Tab. XXXI Collectionis canonum Idispanae versio arabica,
Gg. 132. Tab. XXXIII Albari liber scintillarum, A. 115. Tab.
XXXVIII Burchardi Wormat. decreta, R. 216. (Cödice de
Cardona.)
Tailhan, Jules, Chronique rimee des derniers rois de
Tolede et de la conquete de l’Espagne par les Arabes Paris
1885 fol. gibt zum Schlüsse Proben (zwei Seiten) aus der Hand
schrift 4, 7 (vgl. Hartel-Loewe, p. 460).
Riano (vgl. oben) gibt Proben aus folgenden Handschriften:
C. 35, 1 Muzarabic Breviary p. 25; Reservado 6 a 2 Liber Evan-
geliorum p. 31; 44, G. s. Breviary p. 32; 35, 2 Gothic Breviary
p. 36; 14, 1 St. Augustin Commentaries on the first fifty Psalms
p. 36f.; 31, 28 Greek Breviary p. 41; Reservado B. 31 De
Apocalipsi Johannis (Musikinstrumente) p. 108.
Graux-Maetin, Fac-similes de manuscrits grecs en Espagne
etc. Paris 1891.
Nr. 5 und 6. cod. N 71. Glossae in Iliadem. Nr. 7 und 8.
cod. N 16. Codex rescriptus, Commentar zu Job und Theophanes
Cerameus. Nr. 10—14. cod. 1, 12 (Tolet.). Evangelia. Nr. 15
und 16. cod. O 78. Stück des Neuen Testamentes. Nr. 21—23.
cod. O 74. S‘ Nil. Nr. 55 und 56. cod. N 55. Plutarchus. Nr. 57.
cod. N 101. Choricius, Apologia mimorum.
Bibi. TJeb ersieht: 228 (Madrid).
23
II. Fonds Osuna.
A. Druckwerke.
Clemencin Diego, Elogio de la Reina Isabel a. a. O. p. 444
berichtet von einer Handschrift en la biblioteca del Duque de
Osuna, enthaltend Tercero tratado del libro de las mujeres de
Fr. Francisco Jimenez. Es en fol. vit. escrito ä dos columnas,
con las rubricas e iniciales de los libros encarnados. Die sub-
scriptio lautet: Finito libro etc. Anno domini millessimo qua-
dringentessimo septuagessimo tercio mense aprili incoante. —
Scripsit scribat et semper cura Domino vivat. Andreas Mudarra
vocatur, qui a Domino benedicatur. Scripsi autem hunc librum
ex pi’aecepto reverendi prioris nostri fratris Joannis de Guada-
luppe, prioris Sancte Marie de Guadaluppe. Ibid. p. 457 über
eine Yegetiustibersetzung von Alonso S. Cristöbal s. XV, gleich
falls aus dieser Bibliothek.
Gaciiard, Louis Prosper, Rapport sur ses recherckes en
Espagne. Compte rendu de seances de la Commission Royale
d’histoire tom. IX (1845), p. 312f.
Kurze Notizen über die herzogliche Bibliothek, deren
Bibliothekar damals Miguel Salva war. Als das wichtigste
Manuscript erschien Gachard ein Band mit der Correspondenz
Ferdinand I. und Philipp II.
Bibliögrafo, El espanol y estrangero (II. Serie des Boletin
bibliogräfico) I (1857) Suplemento p. 40 enthält interessante
Notizen über Geschichte und Verwaltung der Bibliothek, ins
besondere über die Manuscripte: se encuentran magnificos Codices
en vitela, que pertenecieron al celebre D. Inigo Lopez de Men-
doza, Marques de Santillana, obras de historia, de genealogia,
de antigüedades, etc.., algunas de eilas ineditas, noviliarios y
otra multitud de papeles sümamente curiosos, y mas de mil
comedias antiguas manuscritas, entre ellas algunas que apenas
son conocidas, y otras muchas originales y autögrafas de Lope
de Vega, Calderon, 1 Mira de Mescua, Tirso de Molina, Rojas,
1 Vgl. Morel - Fatio, Alfred, El Magico prodigioso, comedia famosa de
D. Pedro Calderon de la Barca, publiee d’apr^s le manuscrit original de
la bibliotli6que du duc d’Osuna, avec deux fac-simile, une introduction etc.
Heilbronn 1877.
24
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
etc., con la particularidad, de que algunas de estas ültimas
van acompanadas de la censura de la pieza y correspondiente
licencia del ordinario para su representacion, y aun ä veces
con designacion de los autores que debieron ejecutarlas por
primera vez.
Eguren beschreibt p. 37—43 vier Bibeln der Sammlung,
unter Mittheilung von Auszügen.
Valentinelli p. 52 f. erwähnt einige der wichtigsten Hand
schriften.
Amador de los Rios, Historia critica etc. (vgl. oben) be
schreibt :
Tom. III, p. 333. Poemo de Alexandre, cod. en 4° prolongado
s. XIII—XIV, vitela 153 fojas.
p. 587. Cancion elegiaca in einer Handschrift aus der ursprüng
lichen Bibliothek des Marques de Santillana.
Tom. IV, p. 303. cod. n. M. 8 Armenio de Bologna, Istoria
Fiorita, Codex gleicher Provenienz. (Vgl. tom. VI, p. 40.)
p. 345. Guido de Colonna, Historia Troiana gallegische Ueber-
setzung, Codex gleicher Provenienz mit der Schlussnote:
Este liuro mandou faser 6 muyto alto et muy noble et
eixelente rey don Alfonso, fillo do muy noble rey don Fer-
rando et de la reyna dona Costanca. Et fue,dado descrebir
et destoriar enno tenpo que 6 muy noble rey don Pedro
rreynou . . . Feyto o liuro et acabado 6 postrero dia de
dezenbro, era de Mill et CCCLXXXVIII. Nicolas Goncales,
escriuano des seus liuros, escribeu per seu mandado.
p. 349. Dasselbe Werk ,en romance catalan/ cod. III, lit. M,
Nr. 2; cod. H, M 23 dasselbe castilianisch; cod. II, M 25
dasselbe in anderer castilianischer Uebersetzung. Sämmtlich
aus der Bibliothek Santillanas.
Tom. V, p. 112. cod. V, N 29 Libro de la Consolacion de
Boecio romano, castilianisch; gleicher Provenienz; cod. II,
N 4 und 5 Livius, Decades I. II. IV., castilianisch.
p. 170. Roman de la Rose (sammt Fortsetzungen),
p. 242. Ferrandez de Heredia, Grant Chronica de Espana.
p. 248. cod. I, M 5 Desselben Crönica de los Conquistadores.
Tom. VI, p. 21. Lucan, spanisch,
p. 38. cod. VI, 5 Sallust, spanisch.
Bibi. TJebersicbt: 228 (Madrid).
25
Tom. VI, p. 39. cod. V, N 18 und II, M 7 Orosius, spanisch,
p. 40. cod. III, N 16 Epistole di Seneca de Ricardo Petre,
citadino de Firenza; V, N 50 Declamatione di Quintiliano,
tradocte ä peticione di Messere Nunio Gusmano, Spagnuolo.
p. 42. cod. III, N 17 Petrarca, De Viris illustribus, italienisch;
III, N 14 Boccaccio G-enealogia de los dioses; III, N 15
desselben Ninfal d’Admeto; III, N 16 desselben Libro.de
montes, rios et selvas.
p. 300. Pero Diaz de Toledo, Diälogo e Razonamiento.
Tom. VIT, p. 316. Alonso de Ävila, Compendio Universal de
las ystorias romanas. Suma de las crönicas de Espana.
Borao resumirt p. 80: muchos manuscritos interesantes
para la literatura y la Historia de Espana.
Gutierrez de la Vega, Biblioteca Venatoria behandelt
Bd. I und II unter den Nummern 14, 219, 220, 221 Hand
schriften der ,Cetreria‘ aus diesem Fonds.
r
Ruelle, Charles Emile, Rappors sur une mission .... en
Espagne. Archives des missions scientifiques III. Serie, tom. II,
p. 503 berichtet über Extraits musicaux d’un ouvrage ecrit en
latin a la fin du XIV e siede par le professeur Pierre Paul
Vergerio de Justinopolis ou Capo d’lstria, en Illyrie, et intitule:
De ingenuis moribus et' liberalibus studiis adolescentiae. p. 505
über den Julius Caesar s. XII—XIII mit der Titelclausel Julius
Constantinus emendavit nach der Ueberschrift eines jeden Buches.
Ausführlicheres über die beiden letztgenannten Handschriften
ibid. p. 279 ff. Der Vergeriuscodex enthält auch Cicero De
senectute, Laelius und Paradoxa.
Fierville, Rapport a. a. O. p. 87 erwähnt eine Handschrift
(vgl. oben) s. XV (1456) Incominciano le declamationi di Quin
tiliano Calagoritano tradote di latino in vulgare fiorentino a
petitione di messere Nugnio Gusmano Spanuolo.
Graux, Rapport p. 126 verzeichnet ein griechisches Manu-
script, ohne Angabe des Inhalts. 1
Rocamora Jose Maria, Catälogo abreviado de los manu
scritos de la biblioteca del Excmo Senor Duque de Osuna e
Infantado, Madrid 1882.
1 Dieser findet sich bei Rocamora p. 135 unter Nr. 1422.
26
VIII. Abhandlung: Beer. Handscliriftenscliätze Spaniens.
Hauptwerk für die Sammlung. Von clen 1422 aufgeführten
Nummern sind jedoch nur 1—212 und 1396—1422 eigentliche
Codices; 213—1395 sind Comedias, Autos, Loas, Entremeses,
Mojiangas, Bailes y Fines de fiesta manuscritos. Nr. 1396ff. sind
cödices ärabes, hebreos y griegos, segün los describiö D. Miguel
Casiri el ano de 1766.
Beicht trotz aller Mängel in den Details vollkommen aus,
um über den Bestand zu informiren, und bleibt für die übrigen
noch nicht aufgenommenen Privatsammlungen ein nachahmens-
werthes Exempel. Vgl. Le Cabinet historique 1883, p. 179—-182.
Carini hat diese Bibliothek besonders ausführlich behandelt.
Parte I, p. 227—230 wird die Geschichte derselben skizzirt,
p. 230—263 eine stattliche Reihe der wichtigeren Handschriften
eingehend beschrieben. Leider stimmen die Nummern Carini’s
nicht mit denen Rocamora’s, was um so bedauerlicher ist, als
die Angaben des Ersteren ein nothwendiges Supplement des
Catälogo abreviado bilden.
Boletin de la Real Academia de la Historia X (1887),
p. 6 bringt Genaueres über den Cod. 118 (Rocamora) Fuent
Sauco De verbo contra Judaeos (geschrieben 1453 und 1458).
B. Schriftproben.
Amador, Historia critica etc. bietet als Proben aus den
Handschriften:
Tom. III. Poema de Alexandre (vgl. p. 333 dieses Bandes).
Tom. IV. Cronica Troyana en gallego (vgl. p. 345 desselben
Bandes).
Cronica Troyana en Castellano (vgl. p. 349).
Tübino, Francisco Maria, El cödice de la Biblioteca del
Excmo Sr. Duque de Osuna, con la version galäica del romance
de Troie, escrito por Benito de Santa Mora. Museo Espanol
de Antigüedades tom. VIII (1877), p. 33—64. Mit einer Tafel.
Die Katalogverhältnisse liegen bei der Nationalbibliothek
zu Madrid ähnlich wie bei dem Escorial. Während wir über
die griechischen Bestände beider Sammlungen ziemlich aus
reichend informirt sind, fehlt es trotz mannigfacher Vorarbeiten
an einem übersichtlichen Index der Handschriften, welche Werke
der lateinischen und modernen Sprachen enthalten. Wollte man
Bibi. Uebersicht: 229 (Madrid).
27
sich der Mühe unterziehen, die von Ferreira Gordo, Haenel,
Knust, Gachard, Eguren, Amador, Gallardo, Ewald, Loewe-
Hartel und Riano puhlicirten Listen und Daten zu sammeln
und zu sichten — und zwar nach der laufenden Signatur, nicht
nach den Autoren — so erhielten wir einen Katalog von rund
zehntausend Handschriften, der für sämmtliche Fächer philolo
gischer und historischer Forschung überaus reiche Quellen von
jetzt kaum abzusehender Bedeutung böte. Diese Zusammen
stellung würde auch den Anstoss geben, die Fonds gerade der
älteren Handschriften endgiltig festzustellen. Wir haben bereits
oben (sub I. A) bemerkt, dass in dem Bestände der so sehr
werthvollen Handschriften aus Toledo während der letzten
Decennien eine Fluctuation platzgriff, Handschriften zu- und
wieder weggeführt wurden, so dass eine Fixirung dessen, was
eigentlich der Nationalbibliothek als bleibendes Gut angehört,
unmöglich wird (vgl. auch BPLH I, p. 540 und 542).
Da die Aufnahme der speciell für das Corpus scriptorum
ecclesiasticoi'um werthvollen Handschriften bereits durch Loewe
erfolgt war, so beschränkte sich meine Thätigkeit auf die Be
schaffung geringer Nachträge (vgl. BPLH I, p. 454f., 538 ff.)
und die Collationirung einiger wichtigen Texte. Diese sind:
1. Aus cod. Tolet. 10, 25. Rufinus, hist. tom. XXI, col. 891—
405 und 541—568 Migne.
1. Aus cod. Tolet. 2, 1. Canones Priscilliani für die Ausgabe
von Scliepss.
229. *Biblioteca de la Real Academia de la Historia.
Die nachfolgende Zusammenstellung kann noch weniger
den Anspruch machen, die sämmtlichen oder auch nur wichtigsten
über die Handschriften der Akademiebibliothek erschienenen
Publicationen zu registriren, als die oben über die National
bibliothek gelieferten Daten. Eine derartige Sammlung, zweifel
los von grossem Nutzen, bildete allein ein selbständiges Werk.
Bezüglich der immer häufiger werdenden Schenkungen und
sonstigen Acquisitionen sei auf die Memorias der Akademie,
auf Valentinelli’s sorgfältigen Bericht, sowie für die drei folgenden
Decennien auf das Memorial histörico espanol und das Boletin
de la Real Academia de la Historia verwiesen. Aus diesen
beiden Annalen wurden nur jene Notizen ausgehoben, die
28
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
Kataloge oder eingehendere Handschriftenbeschreibungen bieten,
die Documentos ineditos para la historia de Espana, welche
fast ausschliesslich jüngere Bestände der Akademiebibliothek
zur Veröffentlichung bringen, gar nicht berücksichtigt.
A. Druckwerke.
Laborde, Alexandre de, Itineraire descriptif de l’Espagne.
Paris 1809, tome III, p. 115 hebt nur die Documentensainnilung,
als damals bereits la plus importante et la plus precieuse hervor.
Haenel (Catalogi col. 964 f.) scheint die Bibliothek nicht
besucht zu haben und beruft sich auf Laborde.
Gaciiard, Louis Prosper, Rapport sur ses recherches en
Espagne. Compte rendu de seances de la Commission Royale
d’Histoire Bruxelles IX (1845), p. 300—312.
Geschichtlicher Rückblick und ziemlich ausgedehnte Ex-
cerpte aus einigen die niederländische Geschichte betreffenden
Documenten.
Noticia de los Codices pertenecientes ä los monasterios de
San Millan de la Cogolla y San Pedro de Cardena remitidos ä
la Real Academia de la Historia por la Direccion general de
fincas del Estado. Memorial histörico espanol. Madrid 1851,
tom. H, p. IX—XIX.
Zwei kurzgefasste Listen, die eine 65, die andere 12
Nummern enthaltend.
Eguren beschreibt p. 8—16 zwei Bibeln (mit reichen
Auszügen); p. 48f. vier Psalter; p. 49 fünf cödices escrituarios;
ibid. Beatus in Apocalypsin; p. 54 Missale; p. 56 f. acht cödices
litürgicos; p. 57 f. drei Devocionarios; p. 77 f. zwölf cödices
canönicos; p. 82 Gregorii Moralia s. XV aus San Millan de
Cogolla in 2 Bänden fol. San Crisöstomo s. X, Homillas de San
Gregorio sobre Ecequiel s. IX, Origines de San Isidoro s. X,
varios dialogos de San Gregorio, traducidos en Castellano, ä cuyo
tratado, tambien en Castellano, van unidos unos sermones de
S. Agustin, la historia de la traslacion del cuerpo de S. Millan,
y la De la traslacion del de Sant Felices, s. XIV; cödice anti-
quisimo con los tratados de reprimenda avaritia, de perfecta
concordia, y de abstinentia occultanda; p. 99 f. verschiedene
Turnbos: von Sobrado, Santiago, Pöblet, San Vitoriano, Cela-
nova, Sahagun (Tumbo chico und grande).
Bibi. Uebersicht: 229 (Madrid).
29
Valentineixi gibt p. 30—36 einen Abriss der Geschichte
der Bibliothek und einen sorgsamen Nachweis der zahlreichen
dieser einverleibten Privatsammlungen, auf welchen hier ver
wiesen sei. Ebenso dankenswerth ist die Liste der Publicationen
der Akademie, welche sich zum grossen Theil auf die ihr ge
hörigen Handschriften stützen. Von der Reproducirung dieses
Verzeichnisses musste, wie oben bemerkt, Umgang genommen
werden.
Amador de los Rios, Historia critica etc. beschreibt:
Tom II, p. 66 die Beatushandschrift aus S. Millan de la Cogulla
de letra del siglo XI, y enriquecido de miniaturas e iniciales
de colores: tue escrito ,tempore Benedicti Abbatis VIIII
Sancti Emiliani, per Albinum monachum eiusdem, in Aera
MCCXVP (1178).
p. 104. cod. Aemilianensis von Alvar’s Liber Scintillarum.
p. 174 f. über den Cidcodex. Er enthält 1. Historia a B. Isi-
doro Juniore Hispalensi edita. 2. Prologus Isidori ex libris
cronicis breviter adnotatis. 3. Historiae Galliae quae . . . a
domino Juliano, Toletanae sedis episcopo, edita est. 4. Gesta
Roderici Campidocti. Eine Abschrift dieser Handschrift
s. XV wird gleichfalls in dieser Bibliothek Est. 3, gr. 4“^
G 1 aufbewahrt.
p. 339. Versus ad pueros (a. 1082) edirt aus der Handschrift
Nr. 44 von San Millan.
p. 350. Himnario de Santa Clara de Allariz. Proben aus den
geretteten Fragmenten (vgl. den Artikel Allariz).
p. 534. cod. Salazar M 142. Adagios vulgares.
Tom. III, p. 242 Fragment des Gedichtes Disputacion entre el
Cuerpo y el Alma. Aus der Bibliothek von Monserrate
(Madrid).
p. 262. cod. Est. 4, Gr. 1“, H 18. Berceo, Vida de Santo
Domingo. Pergament und Papier s. XIV. Monserrate.
p. 413. cod. E 99. Lucas Tudensis, Corönica, castilianisch (aus
dem Kloster Santa Maria de las Cuevas zu Sevilla),
p. 427. cod. Salazar M 33. Alte Abschrift des Toledaner Ori
ginals der Chronica de los Reys de Espanna del Arzobispo
Don Rodrigo.
p. 563. cod. E 37, gr. 5, E Nr. 138 Opusculum Ildefonsi Regis
dei gratia Romanorum ac Castellae de iis, quae sunt neces-
30
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftonschätzo Spaniens.
saria ad stabilimentum castri tempore obsidionis. Fälschlich
Alfons dem Weisen zugeschrieben.
Tom. III, p. 648. cod. E 26, gr. 7 a , D 181. Astronomischer
Tractat, verfasst im Aufträge Alfons des Weisen. Copic
(saec. XVI) des Codex der Nationalbibliothek Bb 119.
Tom. IV, p. 134. cod. Salazar G 32 Bernard Desclot, Crönicas
6 Conquestes.
p. 339. cod. D 75 Juan Gar eia, copilacion sobre el libro de
regimine Principum. saec. XV. Ms. regalado a don Iiiigo
Lopez de Mendoza, quinto duque del Infantado.
p. 596. cod. Est. 27, gr. 3, E 78. Juan Manuel, El Conde
Lucanor. Cf. p. 598 ss.
Tom. V, p. 151. Lopez de Ayala, libro de la cetreria.
Tom. VI, p. 314. Codex aus S. Millan de la Cogulla, welcher
enthält: 1. Los Dialogos de San Gregorio traducidos por
fray Gonzalo de Ocaua. 2. Los Sermones de San Augustin,
transferidos al romance. 3. La Istoria de San Millan. 4. La
Istoria de la translacion del cuerpo de San Felices.
p. 401. Fernando de Valencia, cartas.
p. 534. cod. Est. 25, gr. 6, C 114. Cancionero de Juan Alvarez
Gato. Ueber denselben vgl. tom. VII, p. 124.
Tom. VII, p. 327. Andreas Bernaldez, Crönica de los Reyes
Catölicos.
p. 382 f. cod. Salazar L 75. Historia del cavallero Marsindo
saec. XVI init.
Borao gibt p. 79 die Zahl der zu seiner Zeit in der
Akademiebibliothek befindlichen Codices auf 1500 an.
Gutierrez de la Vega, Biblioteca Venatoria, Madrid 1871,
tom. I registrirt unter den Nummern 4, 67 und 98 Handschriften
der Akademie, welche das Jagdwesen betreffen.
Gaciiard, Louis Prosper, Les bibliothfeques de Madrid et
de rEscurial. Notices et extraits des manuscrits qui concernent
l’histoire de Belgique. Bruxelles 1875. 4°.
P. XXXIV der Einleitung nennt Gachard dieselbe Zahl
von Handschriften wie Borao und gibt einen ausführlichen Be
richt über den Fonds Salazar und seine Gründer. P. 541—556
wird eine detaillirte Beschreibung von 14 Handschriften dieser
Sammlung mitgetheilt.
Bibi. Uebersicbt: 229 (Madrid).
31
Indice de los manuscritos, que poseyö la biblioteca de
San Isidro y fueron trasladados a la de las Cortes. Revista de
Archivos VI (1876), p. 14—16 (Nr. 1—41); p. 29—32 (Nr. 42
—93); p. 69—72 (Nr. 94—167); p. 111—112 (Nr. 168—196);
p. 199—200 (Nr. 197—222); 'p. 214 — 216 (Nr. 223 — 268);
p. 230 — 232 (Nr. 269 — 370); p. 245—248 (Nr. 371—439);
p. 262—264 (Nr. 440—561); p. 278—280 (Nr. 562—638);
p. 294—296 (Nr. 639—698); p. 310—311 (Nr. 699—1313). Die
übrigen Nummern bis 2213 sind Druckwerke.
Sehr dankenswerther und ziemlich ausführlicher Katalog.
Die Handschriften befinden sich jetzt in der Real Academia
de la Historia.
Graux , Rapport nennt p. 113 acht griechische Hand
schriften und specificirt sie p. 124 (deux rouleaux, plus six
Codices).
Amadok de los Rios, La pintura en pergamino, en Espana,
hasta fines del siglo XIII, Museo Espanol de Antiguedades
tom. III (1874) p. 1—41, behandelt p. 11 das Missale aus S. Millan
de Cogolla, welches er der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts (!)
zuweist, p. 13 den Beatuscodex, p. 16 ein Lectionarium s. XII.
Ewald gibt p. 330 ff. zunächst Beschreibungen von Hand
schriften aus den Fonds Cogolla, Cardena und Isidro, hierauf
die Geschichte des berühmten Rangeriuscodex, endlich (p. 338 ff.)
eine ausführliche Mittheilung ,Varios bibliograficos' betitelt,
speciell über einen Sammelband, mit Est. 27, gr. 4“ E. N. 122
signirt, der für Geschichte des literarischen Lebens in Spanien
während der letzten Jahrhunderte von unschätzbarem Werth
ist und mit drei weiteren Bänden (Palomar’s Paläographie)
durch eine Fülle von Katalogen und Facsimiles von theilweise
verlorenen Handschriften eine Urkundenquelle ersten Ranges
bietet. Diese näher einzusehen, mangelte mir leider die Zeit;
für einen weiteren Ausbau unserer Kenntnisse über spanisches
Handschriftenwesen wird sie jedoch in erster Linie Gegenstand
eingehenden Studiums bilden müssen.
Das Boletin de la Real Academia de la Historia bringt
alljährlich in einer eigenen Abtheilung Nachricht über die
Acquisitionen der Bibliothek. Von wichtigeren Artikeln heben
wir hervor: Tom. II, p. 14 über einen der Akademie ge
schenkten Codex ,Santa Ines' (lyrisches Drama en verso pro-
32
VIII. Abhandlung: Beer. Handscbriftenschätze Spaniens.
vencal) s. XIII; Tom. V (1884), p. 134ff. ans Cod. A 189,
Est. 23, gr. 7% fol. 99—136 GH de Zamora; Tom. VIII (1886),
p. 499 Ankauf von un cödice en vitela con miniaturas, de
fines del siglo XV, en que se contienen constitucioncs de la
Hermandad de la Caridad y Misericordia de Sevilla. Vgl.
noch ibid. III 353—360 (Fita, über einen Becerro gotico und
galicano).
Carini I, p. 101—105. Geschichte und Publicationen der
Akademie; p. 105ff. Bibliothek, Bestände, Handschriften; p. 113
bis 121 Acten und Documente, vorzüglich mit Rücksicht auf
italienische Geschichte ausgewählt.
Rada y Delgado, Juan de Dios de la, Bibliografia nu-
mismätica espaiiola. Madrid 1886.
Handschriften der Akademiebibliothek benützt p. 139,
140, 142, 173 u. ö.
Hartel-Loewe, p. 482—523: Handschriften des Fonds
San Millan de Cogolla; p. 523—525: San Pedro de Cardena.
Diese Beschreibungen bilden die Perle der ganzen Arbeit.
Riano, Critical and bibliographical notes on early spanish
music. London 1887.
Beschrieben sind: cod. F 228, De reprimenda avaritia; De
perfecta concordia; de abstinentia occultanda p. 26; F 219,
Choir book p. 34.
B. Schriftproben.
Amador, Historia critica etc. veröffentlicht folgende Proben:
Tom. II. Versus ad pueros aus cod. Aemilianensis Nr. 44, a. 1082
Gesta Roderici Compidocti (cf. p. 174 desselben Bandes).
Tom. III. Disputacion del alma y cuerpo (cf. p. 242 d. B.) Vida
de Sto Domingo, cod. IV, 1. II 18.
Tom. VII. Alvarez Gato (Cancionero, cod. C 114, vgl. tom. VI,
p. 534 und VII, 124) ,Vida de Talaverah
Razonamientos. Historia del Caballero Marsindo (cod. Sa-
lazar L. 75).
Godoy Alcantara, Jose, Iconografia de la Cruz y del
Crucifijo en Espana, Museo Espanol de Antiguedades tom. III
(1874), p. 65ff. bietet das Facsimile einer Seite aus dem alten
Missale de Cogulla. Beschreibung desselben p. 70 ff.
Bibi. Uebersicht: 229 (Madrid).
33
Munoz y Rivero, Paleografia Visigoda, Madrid 1881, gibt
Lam. X mehrere Proben aus dem ,cödice biblilico s. X' der
Real Academia de la Historia.
Ewald et Loewe, Exempla scripturae Visigoticae Tab. XXI,
Cassiani collationes, F 188; Tab. XXII, Isidori Etymologiae,
F 194; Tab. XXIY, Glossae latinae, F 212; Tab. XXV, Biblia,
F 186; Tab. XXXV, Liber comitis, F 192; Tab. XXXVI, S. Alde-
fonsi vita, F 211.
Tailhan, J(dles), Chronique rimee des derniers rois de
Tolede et de la conquete de l’Espagne par les Arabes, editee
et annotee, Paris 1885 fol.
, J
Enthält die vollständige Reproduction der ,Epitoma Impe
ratorum' aus der ehemals Zaragozaner, jetzt in der Akademie
bibliothek aufbewahrten Handschrift (vortreffliche Lichtdrucke
von Dujardin). Beschreibung der Handschrift ibid. p. XVII.
Biano (vgl. oben) bietet folgende Facsimilia: p. 25 Muz-
arabic Breviary, F 190; p. 30 Muzarabic manual, F 224; p. 39f.
Roman Missal, F 185.
Referent hat die Bibliothek besucht, in derselben keine
eigentlichen Arbeiten ausgeführt, da die für das Corpus noth-
wendigen Handschriftenbeschreibungen bereits von Loewe er
ledigt worden waren; auch wurden zu der behufs Untersuchung
und Vergleichung einiger Handschriften in Aussicht genommenen
Zeit, im Frühjahre 1888, gerade umfassende Installationen und
Reparaturen in der Bibliothek vorgenommen, welche die Be
lästigung der vielbeschäftigten Bibliotheksbeamten von meiner
Seite als unzeitgemäss erscheinen liessen. Die Bibliothek wurde
dem Cuerpo de bibliotecas publicas eingereiht, in gewissem Sinne
verstaatlicht.
Aus den früher erwähnten Daten über die Varios biblio-
gräficos erhellt, dass mit Exploitirung der Fonds Cogulla, Car-
dena und Isidro das in der Akademiebibliothek aufgespeicherte
Material durchaus nicht erschöpft sei. Eine überwältigende
Masse von Manuscripten und Sammlungen verschiedener Ge
lehrter des vorigen und dieses Jahrhunderts erschliesst die
Kenntniss einer ganzen Reihe älterer Bibliotheken und gibt
reiche Auszüge aus Tausenden heute zum Theile verlorenen
Handschriften und Urkunden. Die bedeutendsten dieser Fonds,
Sitznngsber. d. phil.-bist. CI. CXXVIII. Bd. 8. Abh. 3
34
VIII. Abhandlung: Beor. Handscliriftenscbät.ze Spaniens.
zumeist mit den Namen der Sammler oder Eigenthümer be
zeichnet, sind folgende: 1
1. Luis de Salazar y Castro. 2. Antonio Mateos Mnrillo.
3. Luis Jose Velazquez, marques de Valdeflores. 4. Gaspar
Melchior de Jovellanos. 2 5. Joaquin de Traggia. 6. Manuel
Abella. 7. Manuel Abad y la Sierra. 8. Francisco Martinez
Marina. 9. Juan Sobreira. 10. Jose Vargas Ponce. 11. Jaime
Villanueva. 12. Coleccion de escrituras y privilegios de las
iglesias de Espana, auch unter dem Namen ,Gayoso‘ bekannt.
13. Vicente Salvä.
230. Biblioteca de la Real Academia Espanola.
Valentinelli p. 38: alcuni codici manoscritti, che servirono
per le pubblicazioni dell’ Academia, ed i lavori degli Accademici;
p. 118 heisst es von dem Fuero juzgo von Murcia: conservasi
ora con altri simili di altre biblioteche, fra’ libri dell’ Academia
Reale spagnuola.
231. Biblioteca de la Academia Matritense de Jurispru-
dencia y Legislacion.
Indice de las obras existentes en la biblioteca de la Aca
demia Matritense de Jurisprudencia y Legislacion. Madrid 1850.8°.
In der eigentlichen Liste sind Handschriften nicht ver
zeichnet, doch heisst es in den Adventencias: Ademas de la
coleccion de libros e impresos que posee la Biblioteca de la
Academia, contribuyen tambien ä enriquecerla considerable
numero de memorias manuscritas, redactadas sobre temas de
derecho.
Torres Campos, Manuel, Catälogo sistematico de las obras
existentes en la Biblioteca de la Academia de Jurisprudencia.
War mir nicht zugänglich. Vgl. Revista VI (1876), p. 393.
232. * Biblioteca del Noviciado de la Universidad Central.
Die Universität, welche an Stelle der alten Complutensis
in Madrid 1836 errichtet wurde, ist auch Erbin der berühmten
1 Verzeichniss bei Valentinelli, Carini und auch in der Coleccion de
Fueros y Cartaspueblas. Madrid 1852. p. VII, welch letztere uns als
Grundlage diente.
2 Bei Valentinelli irrig Torellanos.
Bibi. Uebersicht: 230—232 (Madrid).
35
Bibliothek von Alcalä. 1 Ueber die frühere Geschichte dieser
Sammlung ist unter dem Artikel Alcala nachzusehen. Eine
Reihe neuerer Forscher haben über den heutigen Bestand zu
verlässige Kunde gegeben.
A. Handschriftliche Kataloge.
Ueber eine Ergänzung zum gedruckten Katalog Villa-
Amil’s berichtet das Anuario I, p. 169: Posteriormente se ha
hecho otro Catälogo referente a papeles del tiempo de Cisneros,
cuyo original se halla en el Ministerio de Fomento por haberse
acordado su impresion por cuenta del Estado; ä pesar de todo,
aün restan bastantes manuscritos para completar este trabajo.
B. Druckwerke.
Heine (Serap. VIII [1847], p. 104) fand bei seinem Auf
enthalt in Madrid 1841 ,nur die Handschriften erst ausgepackt
und in einem Zimmer der Madrider Universitätsbibliothek auf-
gestellth Er erwähnt die Cisnerosbriefe und notirt kurz weitere
21 Handschriften.
Knust, Archiv VIII, p. 808—809. Liste einiger Manu-
scripte.
Eguken beschreibt p. 16—18 zehn Bibeln und p. 79 den
cödice conciliar aus dieser Sammlung.
Amador de los Rios, Historia critica etc., tom. III, p. 629
über die Handschrift der Tablas Alfonsinas . . . ,magniiico Ms.
formado sin duda durante el reinado del mismo don Alfonso
con admirable lujo y pulcritudh Tom. V, p. 334 über einen
Codex der Edades Trovadas de Pablo de Santa Maria, von
dem auf der Schrifttafel einige Proben gegeben werden.
Valentinelli, p. 45 zählt ,quasi quatro cento codici'.
Borao gibt p. 71f. einige statistische Notizen und bespricht
einige Cimelien. Das weitläufig beschriebene grueso y lujoso
volumen ist offenbar identisch mit den sogenannten Tablas del
Rey Don Alfonso (Nr. 156 bei Villa-Amil).
In der Revista de la Universidad de Madrid tom. V (1875),
Nr. 6 findet sich der Katalog eines Theiles der Handschriften
1 Die Bibliothek wurde erst 1841 nach Madrid überführt; vgl. Anuario I,
p. 167.
3*
36
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
der Universität. Die Arbeit Villa-Amil’s bedeutet eine neue
Inangriffnahme dieser Aufgabe.
Graux, Rapport p. 125 berichtet über neun griechische
Handschriften.
La Fuente, Yicente de la, Cubiertas de plata de las obras
originales de Santo Tomäs de Villanueva. Museo Espanol de
Antiguedades IV (1875), 159—166.
Zunächst einige Bemerkungen über die Schicksale der
Bibliothek, ihre Cimelien, darunter die Einbanddecken der Werke
Villanueva’s aus Silber. Die Abbildung ist nach einem 1845
genommenen Facsimile angefertigt. Die Platten selbst wurden
mit anderen Kostbarkeiten am 26. August 1856 entwendet und
nicht wieder zu Stande gebracht.
Villa-Amil y Castro, Jose, Catdlogo de los manuscritos
existentes en la Biblioteca del Noviciado de la Universidad
Central. Parte I (un.) Cödices. Madrid 1878.
Der Katalog beschreibt 160 cödices, die sich folgender-
massen vertheilen: A 1—21 Hebreos; 1 B 22—30 Griegos;
C 31—-147 Latinos, und zwar: 31—79 Teologia; 80—101 De-
recho; 102—115 Ciencias filosöficas, morales y politicas; 116
bis 125 Ciencias fisicas, mödicas y matemäticas; 126—133
Linguistica, poesia y epistolarios; 134—147 Historia y biografias;
D I 148—160 Castellanos.
Der Katalog, welcher sich über so verschiedenartige
Fächer ausbreitet, ist mit anerkennenswerther Sorgfalt verfasst,
überhaupt eine der besten spanischen Arbeiten auf diesem
Gebiete. Leider steht die Publication des zweiten Theiles,
welcher die übrigen Manuscripte der Sammlung behandeln soll,
noch aus. Ein summarisches Verzeichniss (p. Ulf.) führt fol
gende noch zu bearbeitende Fonds an:
Sesenta y ocho volümenes de obras teolögicas juridicas y
filosöficas, escritas en latin en los siglos XVI, XVII y XVIII;
en 4° y encuadernados en pergamino.
Cuatro id. id. en fölio, encuadernados en pasta.
Treinta y siete de obras, en Castellano, de asuntos muy
diversos, y en general interesantes, de los tres Ultimos siglos;
en fölio y 4°, con diferentes encuadernaciones.
1 Zur Herausgabe der Polyglotte benützt.
Bibi. Uebersicht: 232 (Madrid).
37
Un volümen de Sermones, escritos en latin, de Sto Tomäs
de Villanueva, que se han tenido como autögrafos suyos: acerca
de lo cual debe verse la monografia sobre las ricas tapas, que
äntes cubrian este Ms., publicada por el senor D. Yicente de
la Fuente en el Museo Espanol de Antiguedades (vgl. oben).
Otro de cartas firmadas por el cardenal Cisneros (publi-
cadas a costa del Estado por los Sres D. Pascual Gayangos y
D. Yicente de la Fuente).
Otro de cartas de los secretarios del mismo Cardenal
(publicados como los anteriores).
Otro de cartas dirigidas al proprio Cardenal.
Un legajo de otras cartas companeras de estas, com-
prensivo de 137.
Tres tomos con papeles referentes a la conquista de Orän,
ä la conversion de los moriscos y al alistamento de 1502.
Uno con el original de la obra biogräfica de Cisneros,
Archetypo de virtudes, por Quintanilla.
Otro con el de la que, sobre el propio asunto, escribiö
Alvar Gomez.
Diez y ocho con papeles referentes ä la genealogia, historia
y beatificacion de Cisneros.
Treinta y seis con documentos, de todas epocas, de los
colegios de Alcalä.
Ochenta y un tomos de varios, en que alternan con los
MSS. impresos de no escasa importancia.
Unos treinta gruesos legajos en los que se contienen papeles
de gran interes histörico.
Also ergibt sieb mit den von Villa-Amil tom. I ver-
zeichneten Nummern ein Gesammtbestand von 444 Hand
schriften (Bänden).
Zangemeister, Otto, Zur Weltchronik des sogenannten
Severus Sulpicius, Rhein. Museum XXXHI (1878) p. 322ff.
berichtet eingehend über den Chroniken-Codex E. 26. N. 75
nach Mittheilungen des Professor Dr. Otto Waltz. Vgl. Ewald
p. 327.
Ewald verzeichnet (p. 321—329) eine Reihe von Hand
schriften.
38
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
Anuario del cuerpo facultativo I (1881), p. 163 ff. ver
lässliche Mittheilungen über Geschichte und Bestände der Biblio
thek und p. 170 eine Aufzählung der werthvollsten Handschriften.
Loewe-Hartel, p. 536 über einen jüngeren Fulgentius-
codex.
C. Schriftproben.
Amador’s Facsimile vgl. oben.
Villa-Amil y Castro, Area de Noe, Iluminacion del Cödice
de la Biblioteca del Noviciado que contiene el Breviarium
hystorie catholice del Arzobispo Don Rodrigo Jimenez de Rada.
Museo Espanol de Antiguedades tom. IX, p. 587.
In der Einleitung allgemeine Bemerkungen über die Ge
schichte der Handschriften, welche sich theilweise mit der Vor
rede zum Kataloge decken. Hierauf Besprechung des Manu-
scriptes. Dem mir vorliegenden Exemplar des Museo fehlt
leider die Tafel zu dieser Abhandlung.
Der Katalog Villa-Amil’s, dessen Werth bereits von ver
schiedenen Seiten (Ewald p. 321, Hartei-Loewe p. 536) ge
würdigt wurde, überhob mich einer nochmaligen Aufnahme
aller Handschriften, zumal verschiedene Stichproben ergaben,
dass die Notizen desselben für die Zwecke des Corpus aus
reichen, und dass die nicht in den (allein gedruckten) ersten
Theil des Kataloges aufgenommenen Manuscripte ausser den
Bereich unserer Untersuchung fallen. Ich beschränkte mich
daher auf eine im Aufträge der Akademie erfolgte Collation
verschiedener Stellen der Canones Priscillians aus dem cod. 32
(vgl. p. XXXVI f. der Schepss’schen Ausgabe).
233. Archivo histörico National.
Eine Schöpfung aus moderner Zeit und dazu bestimmt,
zunächst die Documente und Acten der aufgehobenen Klöster
aufzunehmen, vereinigt das Archiv auch verschiedene Hand
schriftenfonds, insbesondere eine reiche Zahl von Tumbos, welche
auch das hier behandelte Gebiet berühren.
A. Handschriftliche Kataloge.
Inventario de los cödices procedentes de la Catedral de
Ävila. Vgl. Ewald p. 350.
Bibi. Uebersicbt: 233 (Madrid).
39
B. Druckwerke.
Hauptquelle für Daten über diese Sammlung ist die:
Revista de Archivos. Tom. I (1871), p. 12—15 und 28—29.
Auszüge aus einem Codex: Fundacion e inventarios del
monasterio San Miguel de los Reyes.
Ibid. p. 39 Bericht über Einverleibung von 92 Hand
schriften der Kathedrale zu Avila: adornados la mayor parte
con profusion de orlas, vinetas y letras capitales iluminadas, e
importantisimas, no sölo bajo el punto de vista literario, sino
tambien para el estudio de las artes, indumentaria, mobiliario,
usos y costumbres de la Edad Media. Figuran entre ellos
muchos tratados de derecho civil y canönico, ofreciendo especia-
bsimo interes una Version castellana del Cödigo de Justiniano,
heclia en el siglo XIII, y no pocas otras obras curiosas e in-
editas de diferentes materias.
Ibid. p. 49 werden Capitalbuchstaben eines Infortiatuscodex
s. XIV—XV aus Avila reproducirt und eine interessante Ver
pfändungsnotiz dieses Codex mitgetheilt.
Ibid. II, p. 145—151; 161—166 J(osö) M(aria) E(scuderos)
de la P(ena) über El Archivo de Ucles, welches aus der Casa
conventual de la Orden de Santiago, einem ,zweiten Escoriab,
nach dem Archivo Histörico überführt wurde; der Autor resumirt
p. 165, die Bereicherung des Archivo Histörico National durch
den Fonds Ucles besprechend: se ha enriquecido de esta manera
con 31 cödices griegos en papel, . . . y que por su mayor parte
llevan nota de haber sido donados a la Casa de Uclös por el
arzobispo de Valencia, D. Martin de Ayala. A estos hay que
anadir otros 23 cödices latinos, escritos casi todos en pergamino
ö vitela y en letra de los siglos XIII al XVI; y por ultimo,
una coleccion de 22 tomos de opüsculos y papeles varios sobre
diversas materias, y que datan de las XVII y XVIII centurias.
Ibid. IV, p. 3f. Mittheilungen über einen Codex varios
aus Avila, ferner ein umfangreicher Abdruck (p. 7—10; 21—25;
38—41; 54—56; 67—69; 83—86; 99—101; 114—117; 132—
134) des interessanten Verzeichnisses: Libros del estudio del
Excmo senor duque de Calabria aus dem Revista I, 12 be
schriebenen Codex. 795 Nummern, vom Herzog dem Kloster
San Miguel de los Reyes geschenkt, von denen ein Theil in
40
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
die Universitätsbibliothek Valencia kam. Diesen sind im Ver
zeichniss Sternchen beigedruckt.
Villa Amil y Castro , Los Codices de las Iglesias de
G-alicia en la Edad Media, Madrid, 1874 benützt (vgl. p. 9ff., 73ff.)
folgende Tumbos des Archivs: von dem Monasterio de Meyra;
Osera (zwei Exemplare); Santa Maria de Sobrado; San Salvador
de Celanova; San Salvador de Villanueva de Lorenzana; San
Martin de Jubia; Mondonedo; Lugo.
Indice de los documentos del Monasterio de Sahagun de
la Orden de San Benito y Glosario y Diccionario Geogräfico
de voces sacadas de los mismos. Publicados por el Archivo
Histörico Nacional. Madrid 1874. 4°.
Verzeichnet auf p. 580ff., Nr. 2525 Libro becerro de Saha
gun titulado Liber testamentorum Sancti Facundi aus dem Jahre
1110 (vgl. Schriftproben), Nr. 2526 Becerro II del monasterio de
Sahagun s. XIV, Nr. 2527 Protocolo de las escrituras (um 1500),
Nr. 2528 Registro de las escrituras s. XVI, Nr. 2529 Indice de
escrituras s. XVI, Nr. 2530 Libro de los Becerros s. XVI,
Nr. 2531 Indice de los documentos por örden de cajones y
legajos . . . sowie noch zwei jüngere Indices.
Graux, Rapport p. 125f. über 29 griechische Handschriften
des Archivs aus dem Fonds Ucles.
Graux, Essai p. 277 und 290 über den Fonds Ayala (Uclbs).
Ewald p. 350—358 beschreibt zuerst sechs Handschriften
aus Ävila und gibt dann Mittheilungen über den Fonds Sahagun.
Anuario del Cuerpo facultativo de Archiveros I, Madrid
1881, gibt p. 27—30 officielle Daten über Gründung des Ar
chivs und die einverleibten Handschriften- und Documenten-
sammlungen aus zahlreichen Klöstern. Tom. II, p. 21—23 macht
Mittheilung über den Fortschritt der Arbeiten im Archive; ein
darauf folgender Apendice: Cödices y manuscritos zählt (p. 23
—33) eine Reihe von Handschriften auf; die Liste ist nicht voll
ständig (die Codd. aus Avila z. B. fehlen), aber dankenswerth, da
sämmtliche Tumbos (nach den Namen der Klöster oder Städte,
denen sie gehörten, alphabetisch geordnet) aufgeführt erscheinen.
Carini p. 99 f. Errichtung und Bestände des Archivs;
Scritture per Sicilia.
Loewe-Hartel p. 525—533 Genaue Beschreibung der ein
schlägigen Handschriften aus Avila (meist s. XIV und XV).
Bibi. Uebersicbt: 233—235 (Madrid).
41
C. Schriftproben.
Einige Proben in der Revista tom. I, p. 49 (vgl. oben).
Munoz y Rivero, Paleografia visigoda, Madrid 1881. Lam.
XIV. Becerro götico de Sahagun escrito 1110, fol. 122.
Die durch Loewe erfolgte Erledigung der für das Corpus
in Frage kommenden Arbeiten überhob mich weiterer Nach
forschungen in dem Archiv.
234. Museo arqueolögico nacional.
Ueber die Handschriften des Museums, welche leider in
den officiellen Berichten des Anuario keine Berücksichtigung
fanden, besitzen wir nur die Mittheilungen von
Ewald p. 353f. über die Bibel aus Huesca und
Loewe-Hartel p. 534—536, wo drei Handschriften (dar
unter die Bibel) beschrieben werden. 1
235. Biblioteca de los estudios Reales de San Isidro
(Facultad de filosofia y letras).
Die Bibliothek ist heute fast aller, zum Mindesten der
wichtigsten Manuscripte, die sie einst geborgen, beraubt. Die
Handschriftensammlung' hat verschiedene Auftheilung erfahren;
das wissenschaftliche Institut selbst, als eines der ältesten der
Hauptstadt, hat seine eigene Geschichte; diese Umstände recht-
fertigen es, wenn wir die Bibliothek in einem selbstständigen
Artikel behandeln.
(Kaufhold, Anton) Spanien, wie es gegenwärtig ist. Gotha
1797, Th. II, p. 165—167.
Kurze historische Notiz und Beschreibung der inneren
Einrichtungen.
Haenel, Catalogi col. 975 theilt eine Reihe von Hand
schriften aus dieser Sammlung in gewohnter knapper Be
schreibung mit.
Vogel, p. 479.
Knust erwähnt die Bibliothek kurz p. 189.
1 (Fita y Colome, Fidel), Bosquejo de la Exposiciön Histörico-Europea,
Madrid 1892, p. 57 verzeichnet unter den vom Museum ausgestellten
Objecten ausser der Bibel noch ein Misal manuscrito que pertenecis al
Monas'terio del Paular und Comentarios de la Sagrada Escritura, con
interesantes miniaturas, s. XIV.
42
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
Valentinelli, p. 43 fl’, gibt Aufschlüsse über die wechsel
vollen Schicksale der Bibliothek. Seine Angaben über die
Manuscripte stützen sich auf Haenel.
Borao liefert p. 71 gleich Valentinelli einen geschichtlichen
Rückblick und sagt mit Bezug auf die Handschriften: Tiene
algunos manuscritos, y la copia de uno de eilos ha servido para
que se publicase en nuestros dias, por primera vez, la novela
de Cervantes, que lleva por titulo La Tia fingida. Ueber Be
reicherung der Bibliothek del Noviciado durch Werke aus San
Isidro ibid. p. 72.
Graüx, Rapport, erwähnt die Bibliothek nur in seiner
Liste p. 113.
Indice de los manuscritos que poseyö la biblioteca de San
Isidro y fueron trasladados ä la de las Cörtes. 1 Revista de
Archivos VI (1876), p. 14 ff. Vgl. den Artikel über die Biblio
thek der Real Academia de la Historia, in welcher sich dieser
Theil der Bibliothek San Isidro jetzt befindet.
Anuario del cuerpo facultativo de Archiveros I, p. 152
bis 163 bietet eine auf Grund officieller Quellen ausgearbeitete
Darstellung der Geschichte der Bibliothek, die beste, die wir
über diese Sammlung bis jetzt besitzen. Rücksichtlich der
heute in derselben noch vorhandenen Manuscripte wird bemerkt:
esta seccion consta de muy pocos articulos, y de eilos existen
los que aparecen en 44 papeletas, de antiguo redactadas, que
se conservan cuidadosamente.
236. Biblioteca de Medicina de la üniversidad Central.
Valentinelli, p. 46: Pochi sono i codici manoscritti e di
nessun interesse; i piü estimati furono trasferiti d S. Lorenzo
dell’ Escuriale.
Anuario del cuerpo facultativo de Archiveros I, p. 170
bis 178. Ausführliche Darstellung der Geschichte der Bibliothek
und gegen Ende die Bemerkung: El Indice de Manuscritos esta
redactado en la misma forma (wie die Druckwerke). Hay de
esta clase 1311 folietos, que forman una bella coleccion de
inemorias leidas en las Academias semanales que celebraba el
1 Diese Massregel hatte im Jahre 1834 statt; vgl. Anuario I, p. 158.
Bibi. Uebersicht: 23G—240 (Madrid).
43
Colegio de San Carlos; otras remitidas por profesores de fuera
de Madrid. En ambas colecciones hay autögrafos de hombres
eminentes.
237. Bibliotecas del Museo de Ciencias Naturales y del
Jardin Botanico.
Valentinelli, p. 47 führt als Tlieil 22 des Kataloges auf:
Chirografia (codici manoscritti di storia naturale).
Anuario del cuerpo facultativo de los Archiveros I, 182 ff.
gibt eine Geschichte der Bibliotheken und erwähnt auch die
Handschriften (ausschliesslich in das Fach einschlagend).
238. Biblioteca de la Escuela superior de Diplomätica.
Munoz y Rivero, Jose, Paleografla Yisigoda, Madrid,
1881 berichtet p. 118 nur kurz über einen in dieser Anstalt
auf bewahrten cödice escrito en los anos 968—970 que contiene
comentarios sobre el Apocalipsis und gibt auf Lam. VII ein
Facsimile.
Anuario del cuerpo facultativo de Archiveros I (1881),
p. 20 erwähnt ganz allgemein die Bibliothek; die sonstigen
Quellen (vgl. Reglamento de la escuela superior de diplomätica
. . . precedida de una introduccion histörica, Madrid 1865 und
Anuario II, p. 15) geben keinen Aufschluss über die in der
Bibliothek auf bewahrten Handschriften.
239. Biblioteca del Depösito direccion de Hidrografia.
Valentinelli, p. 49 spricht von 600 preziosi manoscritti
e 8000 volumi di opere o stampa che si riferiscono alla navi-
gazione e alla marina.
Borao, p. 79 berichtet in demselben Sinne.
240. f Biblioteca de las Cortes.
Bezüglich dieser Bibliothek gilt Aehnliches wie das bei dem
Artikel San Isidro eingangs Bemerkte. Die Bibliothek besteht
überhaupt nicht mehr selbstständig; desto grösseres Interesse
besitzen die Berichte aus der Mitte dieses Jahrhunderts.
Knust, Archiv VIII, p. 189: Ueber Gallardo’s Thätigkeit
in der Bibliothek, welche ,aus den aufgehobenen Klöstern ent
standen ist und auch mehrere Manuskripte besitzt (namentlich
aus S. Isidoro und Monserrate hieselbst)h
44
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
Gachard, Louis Prosper, Rapport sur ses recherches en
Espagne. Compte rendu des seances de la Commission Royale
d’Histoire IX (1845), p. 312: La bibliotheque des cortes a ete,
il y a quelques annöes divisee entre le congres des deputes
et le Senat; les livres et les manuscrits qui en faisaient partie,
n’ont pas etö classes depuis lors et ils se trouvent relegues dans
des locaux oü ils sont peu abordables. J’ai fait de vaines re-
marcbes pour pouvoir les visiter.
Borao p. 79 gibt eine kurze Geschichte der Bibliothek
und berichtet dann wie Gachard über die Yertheilung der
Sammlung auf die Senats- und Congressbibliothek.
241. Biblioteca del Senado.
Reglamento y catälogos por örden alfabetico y de materias
de la biblioteca del Senado. Madrid 1851.
Gibt in der Einleitung einige geschichtliche Daten; im
eigentlichen Katalog nur Druckwerke.
Valentinelli p. 41f.: alcuni preziosi documenti, parte dei
quali furono in seguito dati all Academia Reale della Storia.
Von Borao p. 79 wird die Bibliothek nur genannt.
Graux, Rapport p. 113, in der Liste.
Ygl. den Artikel Biblioteca de las Cörtes.
242. Biblioteca del Congreso.
Valentinelli p. 42: Biblioteca riunita da’documenti d’ogni
genere, da libri di antichi conventi, dalla libreria che gia apar-
teneva all’ Infante D. Carlos, da una parte di quella di S. Isidro.
Im Uebrigen vergleiche den Artikel Biblioteca de las Cörtes.
243. Biblioteca del Convento de los Esculapios.
Carini, Gli Archivi etc. I, p. 226 f. berichtet über diese in
der Calle del Meson de Paredes gelegene Sammlung: posiede
un bei codice cartaceo de’ Sermoni di S. Giovanni da Capistrano,
in latino, mancante del principio e che finisce cos'i: Expliciunt
Sermones devotissimi et religiosissimi patris Johannis de Capi
strano Ordinis sancti francisci Ab eodem predicati nec non di-
vulgati et a sanctissimo in christo patre domino Nicholao papa
(V) permissi ad seminandum et predicandum etc. Scripti et finiti.
Colonie anno MAA oretis pro scriptore et orat pro vobis. Quos
Bibi. Uebersicht: 241—245 (Madrid).
45
quidem sermones fecit scribi honorabilis et discretus vir Johannes
Roitkurhen scriptor theolomi alme Civitatis coloniensis. Oretis
pro eo cordialiter etc. — Notai altresi una Somma contra i Gen-
tili di S. Tommaso, preziosisimo codice membranaceo, de’ prin-
cipi del secolo XIV, che finisce: Explicit quartus liber et etiam
totalis summa vel tractatus de fide catholica contra gentiles a
fratre thoma de aquino editus.
Ausserdem noch einige Gesandtschaftsberichte des 18. Jahr
hunderts.
244. f Biblioteca del Monasterio de San Martin.
Florez, Espana Sagrada III (1748), p. 275 und 281 er
wähnt aus diesem Kloster ein libro manuscrito mit dem Officium
Hispanae Ecclesiae Romae; ferner Esp. Sagr. X (1753) p. 92ff.
die Copie einer Cordubenser Handschrift mit den Homilien des
Beatus Smaragdus und zwei Blättern Fulgentiustext (vgl. den
Artikel Cördoba Kathedralbibliothek).
Rodriguez de Castro, Biblioteca Espanola, Madrid 1781
bis 1786, 2 vol. fol., tom. I, p. 260f. über eine Handschrift aus
derselben Sammlung Florez de dereclio, copiladas por el maestro
Jacobo de las Leyes. Inhaltsübersicht und Auszüge.
Haenel col. 964 nennt nur die Zahl der impressa (11.000 vol.).
Amador de los Rios, Historia critica de la literatura espa
nola IV, 60 über einen Codex mit der Vida de Sanct Ildefonso,
der sich in San Martin befand, über die Bemühungen zur Auf
findung des Originals und die endlich zustande gebrachte directe
Copie.
Ewald, Reise p. 311 verzeichnet als Bestandteil der Hand
schrift der Nationalbibliothek Q 10: Annales Compostellani aus
einer in diesem Kloster befindlichen Copie.
Die Handschriften kamen wie die der andern (aufgelösten)
Convente der Provinz Madrid in die Nationalbibliothek. Vgl.
Amador a. a. O.
245. f Archivo de la Iglesia de S. Isidro y Santa Maria
de la Cabeza.
Rodriguez de Castro, Biblioteca Espanola tom. II, p. 730f.
beschreibt ausführlich ein Manuscript: Vida de San Isidro La
brador, geschrieben vom Diaconus Johannes (1232—1275), welches
46
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenscliätze Spaniens.
in der Kirche gleich einer Reliquie auf bewahrt wurde; offenbar
identisch mit der unten (Bibi. Nr. 249) beschriebenen Legenda.
246. f Biblioteca del Convento de los Carmelitas Descalzos.
Merino, Andres, Escuela paleogräfica etc. Madrid 1780
bietet Lam. 24 sieben Proben ,De libros manuscritos de la
Biblioth. de Carmelitas descalzos de Madrid'. Die drei ersten
nicht datirten gehören dem 14. Jahrhundert an und sind nach
der Erläuterung p. 253ff. Bibeln entnommen; Nr. 4 gleichfalls
undatirt (saec. XIV) einer Summa Raimunds. Nr. 5 bietet die
Probe aus einer Handschrift: Constituciones de los Cartujos,
escritas en Cataluna el ano 1368. Nr. 6 Martirologio de Adon,
mit der reproducirten Subscriptio Iste liber fuit scriptus in
monasterio populeti 1 anno a nativitate domini M°CCCC° et fuit
perfectus anno eodem etc. Nr. 7 Constitutiones de Cartujos,
in Catalonien geschrieben, a. 1348. Derselben Bibliothek ge
hörte einer anderen Handschrift an: Exposicion moral de toda
la escritura, geschrieben in Avignon 1342 (vgl. p. 260), von
der eine Probe auf Lam. 25, Nr. 1 gegeben ist.
247. f Biblioteca del Colegio de las Escuelas Pias de
Lavapies.
Merino a. a. 0. Lam. 25, Nr. 4 veröffentlicht einige Zeilen
aus einer Handschrift dieser Bibliothek, einem Ritual, geschrieben
zwischen 1360 und 1390, wie Merino annimmt. Cf. ibid. p. 262.
248. f Biblioteca de los P. P. Dominicos de Santo Tomäs.
Merino a. a. 0. p. 262f. berichtet von zwei Handschriften
dieser Sammlung: 1. Version latina de la Politica de Aristoteles
saec. XIV med. 2. Parte de la Biblia, desde el Profeta Isaias
hasta los Ultimos capitulos del Apocalipsis. Le faltan algunas
iniciales iluminadas. Esta escrito en letra gothica . . . pertenece
a los fines del siglo X 6 ä los principios del XI.
249. Archivo parroquial de S. Andres.
A. Handschriftliche Verzeichnisse.
Drei autös de visita (21 Junio 1504, 7 Mayo 1516, 25 No-
viembre 1566) enthalten Inventare ,de todos los bienes que tenia
1 Pöblet.
Bibi. TJebeisicbt: 246—251 (Madrid).
47
1a, iglesia, asi calices, ornamentos . . . como de papeles' (darunter
auch die Codices) und werden besprochen in einer von Jayme Bleda
veranstalteten Ausgabe der Legenda de S. Isidro por el diäcono
Juan, die mir nicht zur Verfügung steht. Vgl. Fita a. u. a. 0.
B. Druckwerke.
Ausser Bleda (in der eben genannten Edition) bespricht
Fita, y Colome, Fidel einen Codex s. XIII mit der er
wähnten Legende, welche im Boletin de la Real Academia de
la Historia Tom. IX (1886), p. 102 — 154 durch ihn neu zum
Abdruck gelangte. Die Handschrift war bereits, wie aus den
oben verzeichneten Inventaren constatirt wird, im 16. Jahr
hundert Eigenthum der Pfarrkirche S. Andres. Zwei Facsimilia
(von je einer Seite, in verkleinertem Massstabe) sind dem Neu
druck beigegeben.
250. * Archivo del Ayuntamiento.
Das Archiv wurde von mir besucht, doch findet sich da
selbst, wie es scheint, nur 4ine ältere Handschrift, bereits in
der Coleccion de fueros y Cartas pueblas de Espana, Madrid
1852, p. 135 als ,leyes antiguas y varios acuerdos del concejo
de Madrid', ,codice antiguo escrito en pergamino, falto de ocho
hojas' beschrieben und im VIII. Bande der Memorias der Aka
demie publicirt.
251. * Biblioteca particular del Duque de Alba.
Iriarte, Regiae bibliothecae Matritensis Codices graeci mss.,
p. 276 erwähnt den Katalog graecorum codicum clarissimi atque
eruditissimi viri Didaci Hurtado de Mendoza und fügt hinzu:
Hunc olim, anno scilicet 1739, mense octobri, transscribere licuit
ex codice msto 410 locupletissimae bibliothecae Exc mi Domini
Ferdinandi de Silva, ducis Albani. Vgl. Valentinelli p. 69, Graux,
Essai p. 199.
Villandeva, Viage IV, p. 97f. erwähnt die quema recen-
tisima de la biblioteca de MSS. del duque de Alba en la casa
nueva junta al Prado.
Noticia de biblia, del siglo XV. ano de 1430, en c<5dice
ms. en vileta, que hoy existe como propriedad vinculada en la
casa del duque de Alba, Madrid 1847.
48
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
Eingehende Besprechung der Bibel unter Rücksichtnahme
der verschiedenen für die Schicksale der Handschrift inter
essanten Vermerke in derselben. Notizen über die Geschichte
der altspanischen Bibelübersetzungen.
Egüken p. 26—35 bespricht die Bibel und gibt aus ihr
reichliche Auszüge.
Valentinelli p. 19 erwähnt nur Villanueva.
Graux p. 113 in der Liste.
Auf huldvollst erlassene allerhöchste Empfehlung Birer
Majestät der Königin-Regentin Dona Maria Christina war es
mir vergönnt, die Schätze des Palais Alba, welche heute noch
ein Museum ersten Ranges vorstellen, eingehend zu besichtigen
und zu studiren. Darunter auch die Bibliothek, die allerdings
durch den von Villanueva erwähnten Brand sehr gelitten hat.
Von eigentlichen Handschriften haben nur drei, darunter die
werthvolle Bibel gerettet werden können. Ueberaus reich ist aber
das Archiv, an dessen Ordnung und Katalogisirung D. Antonio
Paz y Melia, Vorstand der Handschriftendepartements der Na
tionalbibliothek, und Palastbibliothekar D. Manuel Remon Zarco
del Valle arbeiten.
'252. f Biblioteca particular de D. Jose Amador de los Rios.
Amador de los Rios, Jose, Historia critica de la literatura
Espanola, tom. VI, p. 33, Not. 1 bespricht die Compendien der
mäximas de escritores cristianos, darunter das De las quatro
virtudes, de que poseemos un excelente MS., el cual escribiö
san Martin Bracarense con titulo Formulae vitae humanae.
Ibid. tom. VH, p. 180 einen codex Preparaciones para bien
vivir e santamente morir 8°, papel y perg., s. XV fin., gleich
falls im Besitze des Autors.
253. Biblioteca particular de D. Jose de Ayala.
Vgl. den Artikel B. p. del Ilmo Sr. D. Enrique de Leguina.
254. * Biblioteca particular de D. Francesco Asenjo
Barbieri.
Der treffliche Gelehrte gestattete mir auf Empfehlung des
Archivars von Barcelona D. Manuel Bofarull y Sartorio in
liebenswürdigster Weise Einsicht in seine Privatsammlung,
Bibi. Uebersicht: 252—257 (Madrid).
49
speciell seine Codices. Dieselben, vier an der Zahl, sind jedoch
mittlerweile bereits bekannt gemacht worden durch
Riano, Juan F., Critical and Biographical notes on early
spanish music, London 1887, p. 50 (Cantus chori s. XIII);
p. 59 (Cantoral monästico s. XIY und Cantoral s. XIV); p. 64
(Missale mixtum secundum ordinem Cartusiensem s. XV).
Der Vollständigkeit wegen sei noch ein Aufsatz Barbieri’s
in der Revista de Archivos VII (1877), p. 34—38 erwähnt.
255. Biblioteca particular de D. Antonio Benavides.
Valentinelli, p. 54 erwähnt die Bibliothek als reich an
historischen Werken; von Borao p. 80 wird sie nur genannt;
eine ganz bestimmte, die Handschriften derselben betreffende
Notiz ist mir leider vei’loren gegangen.
256. f Biblioteca particular de D. Gerardo Jose de
Betencourt.
Ferreira Gordo, Joaquim Jose, Apontamentos para a
Historia Civil e Litteraria de Portugal e seus Dominios, colle-
gidos dos Manuscritos assim nacionaes como estrangeiros, que
existem na Bibliotlieca Real de Madrid, na do Escurial, e nas
de alguns Senhores, e Letrados da Corte de Madrid, Memorias
de Litteratura portugueza tom. III (1792), p. 33 erwähnt eine
junge Handschrift dieser Sammlung: Antonio Pinto Pereira,
Historia da India und bemerkt im Allgemeinen vom Besitzer
que alem deste tem outros manuscritos, alguns dos quaes sao
preciosos pela sua raridade.
257. Biblioteca particular de D. Brieva y Salvatierra.
Graux, Rapport p. 126 macht Mittheilungen über sieben
griechische von Sr. Brieva angekaufte Handschriften s. XVII
bis XVIII. Er nennt (1) Xenophons Cyrupaedie, (2, 3) une
autre copie (en deux tomes) du commentaire de S. Jean Chryso-
stome sur saint Paul, et (4) un curieux volume de inelanges (He-
rodien, Histoires; commentaire sur la grammaire de Theodore
de Gaza, par Gerasime de Byzance etc.) ferner (5—7) traduction
en grec moderne, remplissant trois volumes, de l’Argenis, de
John Barclay.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXYIII. Bd. 8. Abh.
4
50
VIII. Abhandlung: Beor. ITandschriftenschätze Spaniens.
258. Bibliotecci particular de la duquesa de Campo Alange.
Amadok de los Rios, Historia critica etc. tom. Y, p. 116
und 130 über eine Handschrift dieser Privatsammlung, ent
haltend Pero Lopez de Ayala, Rimado del Palacio. Vgl. ibid.
p. 151.
Graux, Rapport p. 113 verzeichnet blos die Bibliothek
ohne nähere Angabe.
259. * Bibliotecci particular del Exiho Sr. D. Antonio
Cdnovas del Castillo.
Der berühmte Staatsmann und Geschichtsforscher 1 ge
währte mir wiederholt Zutritt in seine Bibliothek und die
Erlaubniss, deren Schätze in Augenschein zu nehmen. Die
werthvollste hat bereits eine Beschreibung im Boletin de la
Real Academia de la Historia IX (1886), p. 443 gefunden.
Eine andere kostbare Handschrift, ein Devocionario, wurde
Cänovas von Danvila y Collado 1888 zum Geschenk gemacht.
260. Biblioteca particular de Carderera.
Eguren, p. 60 f. beschreibt ziemlich ausführlich ein Devo
cionario dieser Sammlung, spanisches Erzeugniss des 16. Jahr
hunderts.
261. f Biblioteca particular del Marques del Carpio.
Rodrigüez de Castro, Biblioteca Espanola tom. II, p. 492
berichtet (nach Nicolaus Antonios Vorgang) über eine Hand
schrift, enthaltend eine Historia de la Iglesia de Iria (mit der
bekannten Historia Compostelana nicht zu verwechseln) aus
dieser Bibliothek. Sie war in dem Handschriftenverzeichniss
derselben, das Antonio zur Verfügung stand, irrig als ,Chronica
de Espana por el Arzobispo D. Gil Ameiriz/ bezeichnet. Am
Rande fand sich die Note: ,Estä en Salamanca en el Colegio
de San Salvador. Estan al fin las guerras de D. Fr. Berenguel.
Es del Archivo de la Iglesia de San-jagoh
262. f Biblioteca particular de D. Juan Lücas Cortes.
Antonio, Nicolads, Bibliotheca vetus bespricht II, p. 82
ein handschriftliches Exemplar des Libro de los Canones de
1 Bis vor kurzem Ministerpräsident.
Bibi. TJebersicbt: 258—263 (Madrid).
51
Albateni, que mandö escrivir el muy noble Rey D. Alonso (es
ist Alplions X.) aus der Bibliothek des J. L. Cortes. 1
Risco, Espafia sagrada tom. XXX (1775), p. 311 £. be
spricht eine sehr alte, vielleicht noch dem 7. Jahrhundert an
gehörende Handschrift in westgothischer Schrift aus Cortes’
Bibliothek mit den Acta S. Braulioni episcopo adiudicata de
Martyribus Cesaraugustanis. Die acta selbst werden ibid.
p. 305—311 abgedruckt.
Amador de los Rios, Historia critica de la literatura espanola
tom. III, p. 647 constatirt, dass sich die von Xicolaus Antonio
erwähnte Handschrift gegenwärtig in der Madrider National
bibliothek befinde, und theilt das Incipit mit.
Boletin bibliografico Ser. III, tom. 4 (1863), p. 202 über
eine Handschrift der Cäntigas de Don Alonso el Sabio aus
dieser Bibliothek.
Martinez Anibarro y Rives, Intento de un diccionario de
. . . Burgos p. 102 f. (nach Nie. Antonio) über eine Handschrift,
die ehemals dieser Bibliothek angehörte und Cartagena’s Defen-
sorium unitatis Christianae enthielt.
263. Biblioteca joarticular de D. Joaquin Gomez de la
Cortina, Marques de Morante.
Catalogus librorum doctoris D. Joachimi Gomez de la
Cortina, Marchionis de Morante, qui in aedibus suis exstant.
Matriti 1854—1859, 6 voll, und Supplementum.
Dem mir vorliegenden Exemplar 2 fehlt leider der vierte
Band. Handschriften werden in den eigentlichen Verzeichnissen
nicht angeführt; wichtig sind die einzelnen Bänden beigegebenen
Biographien, so Bd. 2 Justo Lipsio; Bd. 3 Manuel Marti, Dean
de Alicante; Bd. 5 Francisco Sanchez de las Brozas (zahlreiche
Gedichte zum ersten Male veröffentlicht); Angelo Policiano;
Bd. 6 Marco Gerönimo Vida.
Valentinelli p. 54f. geht auf die Handschriften nicht ein.
1 Vgl. Bibi. Hispana nova I, p. 721, wo über diesen Staatsmann und
Bibliophilen des 18. Jahrhunderts gehandelt wird; auch sonst werden
Handschriften dieser Sammlung von Antonio benützt und nach ihm von
Anderen (vgl. Kodriguez de Castro, Bibi. Esp. II, p. 523) erwähnt.
2 Mit der Widmung: Al SeSor D n Fernando Wolf, Bibliotecario de la
Imperial de Viena, en testimonio de respeto, y de la mas distinguida
consideracion. El auctor.
4*
52
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenscliätze Spaniens.
Borao p. 80 berichtet ausführlich über den an erster Stelle
genannten Katalog und fährt dann fort: Aunque no muy notable
en manuscritos esta selecta libreria, contiene, entre otras curiosi-
dades, una hennosa Biblia del siglo XII, en 8° abultado; la
Crönica de Aragon por Marfilo (la mas antigua del reino segun
Zurita); un Devocionario del siglo XIY con capitales iluminadas
y miniaturas y el Gesta nobilis viri Simonis Comitis de Monte-
forti, descripta per fray Petrum Monachum yallium Sernay 1
cisterciensis ordinis, impresa en el tomo XIX de la coleccion
de historiadores de Francia, pero no con las variantes del cödice,
ni con la carta 6 salvo-conducto de Simon de Montfort, en favor
de las iglesias y conventos fundados por S. Domingo de Guzmann.
Die Sammlung wurde nach Ableben des Besitzers in Paris
versteigert.
264. f Biblioteca particular del Sr. Crespo.
Revista de Archivos Y (1875), p. 91 und 107 werden
folgende Manuscripte des verstorbenen Besitzers dieser Bibliothek
zum Verkauf angeboten: (1) Manuscrito del siglo XVI, que
contiene curiosas noticias para los navegantes, y algunos datos
histöricos, con tablas y dibujos. Consta de 56 hojas en fölio,
entre las cuales hay diez donde se hallan las tablas y dibujos
indicados. Ferner: (2) Parum 2 missale, in quo continentur
varia officia missarum. Ms. en vitela 4°, consta de 54 fojas, en
dos columnas, con iniciales y capitales de adorno, y la encuader-
nacion de ante blanco sobre tela.
265. Biblioteca particular del Marques de Santa Cruz.
Ferreira Gordo, Joaquim Jose, Apontamentos para a
Historia Civil e Literaria de Portugal etc. Memorias de Litte-
ratura Portugueza Lisboa, tom. III (1792), p. 77 führt vier
Handschriften dieser Bibliothek an. Es sind Relacdes, See
schlachten und die Marine unter Philipp II. betreffend.
266. * Biblioteca particular de D. Manuel Danvila y Collado.
Der gelehrte Historiker zeigte mir drei seiner Privat
sammlung angehörige Handschriften historisch-juridischen In
halts s. XIV—XV.
1 Piere aux Vaux-de Cerney, Kecueil des hist, de France XIX, p. XX.
2 Soll wohl heissen ,parvum‘.
Bibi. Uebersicht: 264—270 (Madrid).
53
267. j Biblioteca particular del Duque de Frias.
Amador de los Rios, Historia critica, toin. VI, p. 267 über
eine Handschrift aus dieser Sammlung, welche enthält: Augu
stinus, De Vita Christiana, castilianisch; Valera, Tractat De
Providencia. Enrique de Villena, Obras. Saec. XV.
Outierrez de la Vega , Jose, Biblioteca Venatoria I,
p. CLXXIV erwähnt eine Handschrift derselben Bibliothek:
Punonrostro, Conde de, Discurso del Palcon, das später in die
Nationalbibliothek überging (Handschriftenverzeichniss Nr. 86).
268. f Biblioteca particular de D. Bartolome Jose Gal-
lardo.
Amador de los Rios, Historia critica etc., tom. VI, p. 62
beschreibt einen Cancionero dieser Bibliothek (damals bereits
im Besitze des Generals Eduardo Fernandez San Roman) cödice
que consta de 474 föls., fue escrito en varios periodos del siglo XV
... La mayor parte de las obras que encierra son de los poetas
del reinado de don Juan H. Cf. ibid. p. 533 und Martinez Ani-
barro y Rives, Intento etc. p. 346.
269. f Biblioteca particular del Bev. P. D. Enrique Florez
de Setien y Huidobro.
Sainz de Baranda, Pedro, Espana Sagrada, tom. XLVn
(1850), p. XVI berichtet über die Schicksale von Florez’ Bi
bliothek, welche nach den eigenen Angaben des berühmten
Gelehrten werthvolle Originalhandschriften und noch werth
vollere Abschriften in sich schloss. Sie wurde 1808 beim Ein
dringen der Franzosen in Madrid arg gefährdet, in den Convent
San Felipe übertragen und hat jedenfalls viel eingebüsst. Der
Rest kam in die Bibliothek der Academia de la Historia, vgl.
Martinez Anibarro y Rives, Intento etc., p. 209 f.
270. Biblioteca particular del Exmo Sr. D. Pascual
Gayangos y Arce.
Egoren liefert p. 43 f. eine ausführliche Beschreibung eines
Salterio und p. 98 eine Notiz über einen Cödice de la Vida y
Regia de San Benito aus dieser Sammlung.
Valentinelli citirt die Bibliothek blos p. 54 als aprezzabile
di lingue orientale e storiche.
54
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
Amador de los Bios , Historia critica de la literatura
espanola, tom. III (1863), p. 211 über eine Handschrift des
Poema del Cid, die später in den Besitz des D. Pedro Jose
Pidal überging.
Knust, Hermann, Mittheilungen aus dem Escorial. Biblio
thek des litterarischen Vereines zu Stuttgart, Bd. 141 (1879),
p. 533 f. über eine Papierhandschrift s. XV mit dem libro de
los buenos Proverbios; p. 547 Bocados de oro s. XV; eine an
dere Handschrift desselben Werkes wollte Gayangos aus der
Bibliothek Gallardo erstehen.
Indice de los documentos del Monasterio de Sahagun.
Madrid 1874. 4°.
P. 582 über einen Bezerro aus Sahagun in Gayangos’
Besitze.
Gutierrez de la Vega, Jose, Biblioteca Venatoria I (1877),
beschreibt p. CXXII—CXXV: Alfonso XI Libro de la Mon-
teria Ms. del siglo XVIII (Cödice Llaguno y Cerda) aus derselben
Bibliothek (vgl. im Handschriftenverzeichniss Nr. 24).
Ewald, p. 354ff. über eine Coronica de Espana s. XIV
und die Fuero y Privilegios de Sahagun s. XIII—XIV.
Der Name des ausgezeichneten Forschers bleibt mit der
Geschichte spanischer Handschriftenkunde in den letzten De-
cennien aufs Innigste verknüpft. Gayangos als Sammler von
Manuscripten, als Ordner einer grossen Zahl von Bibliotheken,
als Herausgeber einer langen Reihe sprachlich und historisch
wichtiger Werke, endlich als Förderer fast eines jeden Unter
nehmens, das sich auf dem bezeichneten Gebiete bewegt, bildete
allein schon den Vorwurf für eine interessante Monographie.
Bekannt ist die in den drei mächtigen Bänden: Catalogue of
the manuscripts in the Spanish language in the British Museum,
London 1875 ff. niedergelegte Gelehrsamkeit. Desto schmerz
licher war es mir, diesen Nestor spanischer Geschichtsforschung
ebensowenig wie seine Sammlung kennen zu lernen, da sich
Gayangos 1886—1888 in London aufhielt. Nach mündlicher In
formation zählt seine Handschriftenbibliothek circa 500 Bände.
271. f Biblioteca particular de D. Ricardo Heredia.
Morel-Fatio, Alfred, Rapport sur une Mission philologique
ä Valence, Bibliotheque de l’ecole de Chartes, tom. XLV (1884),
Bibi. Uebersicht: 271—273 (Madrid).
55
p. 619 berichtet, dass dieser Amateur die berühmte Sammlung
Salva (ob wohl vollständig?) angekauft. Im Uebrigen vergleiche
den Artikel Valencia, Biblioteca particular de D. Vicente y
Pedro Salva. 1
273. *f Biblioteca particular de D. Vicente de La Fuente.
Der bekannte Historiker besass in seiner reichhaltigen
Büchersammlung zwei Handschriften theologisch-scholastischen
Inhalts, in welche er mir 1888 in liebenswürdigster Weise Ein
blick gestattete. Lafuente ist im Frühjahr 1890 plötzlich ver
storben, und ich bin leider ausser Stande, über das Schicksal
seiner Bibliothek Bestimmtes anzugeben.
273. Biblioteca particular del Ilmo Sr. D. Enrique de
Leguina.
Gutierrez de la Vega, Libro de la monteria del Rey
Alfonso XI (Biblioteca venatoria Vol. I), p. CXLV berichtet über
eine Hs. Libro de Caza de Halconeria Ms. del siglo XIV. Estä
en lemosin. Iniciales de adorno en colores. Escrito & dos
columnas. Folio. 15 hojas. Las hojas 8, 9, 10 y 11 en verso.
Empieza ,Dancus rey estava en son palau‘ Este Ms. Io posee
el Brno Sr. D. Enrique de Leguina. Ferner werden folgende
Handschriften Leguina’s a. a. 0. genannt: p. CXLVIII. (Nr. 15)
Lecciones teöricas sobre el metodo de ensenar a los Perros de
caza. (Nr. 16) Instrucciones para la caza; p. CLII Aviles, Angel
de, Recuerdos de caza. Vol. II, p. LXIV Guzman el bueno,
Arte de cazar.
Werth, Hermann, Altfranzösische Jagdlehrbücher nebst
Handschriftenbibliographie der abendländischen Jagdlitteratur
überhaupt, Halle a. S., 1889 bemerkt p. 4, das an erster Stelle
genannte Manuscript befinde sich jetzt im Besitze von D. Jose
de Ayala in Madrid.
1 Erst nachträglich geht mir der prächtig ausgestattete Katalog zu: Cata-
logue de la biblioth&que de M. Ricardo Heredia, Comte de Benahavis.
Paris 1891. Vente du 22 au 30 Mai 1891. Man darf die Worte der von
Zarco del Valle und Menendez Pelayo verfassten Einleitung unter
schreiben: un sentiment de profonde tristesse en songeant q’une sem-
blable collection va affronter les hasards de la vente dans un pays
etranger, et se disperser pour jamais, en ne nous laissant que l’amertume
du regret.
56
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
274. f Biblioteca particular del Sr. Garcia Loaysa.
Florez erwähnt in der Espana sagrada wiederholt diese
Privatbibliothek, 1 ohne jedoch durchwegs heizufügen, ob die
citirten Werke Handschriften seien. Ein cödice götico mit
Pauli Diaconi Vita PP. Emeritensium aus dieser Sammlung
wird besprochen Espana sagrada XIII, p. 331.
Ueber den Codex gothicus pervetustus a suo quondam
possessore Garsia Loaysa Loayso-Carvajaleus nominatus handelt
La Serna Santander, Praefatio historico - critica in veram et
genuinam collectionem veterum canonum ecclesiae Hispanae
Bruxellae p. 20 f. und gibt zum Schluss Tab. V ein Facsimile.
275. Biblioteca particular del Duque de Medinaceli.
A. Druckwerke.
Ponz, Yiage, tom. Y (1782), p. 300 kurze Bemerkung über
die bereits damals dem Publicum geöffnete Privatsammlung.
Eguren beschreibt p. 48 zwei Psalterien dieser Bibliothek
(s. XII und s. XIII), p. 60 ein Devocionario s. XV.
Valentinelli, p. 53: alcuni codici manoscritti.
Borao, p. 81 gibt, wie Valentinelli, die Gesammtzahl der
Bücher auf 15.000 an.
Pages Amedee spricht in seiner ausführlichen Kritik von
Masso Torrents, Manuscritos catalanes de la biblioteca de S. M.,
Revue critique 1888, H, p. 377—379: über le ms. des ceuvres
d’ Auzias March, qui provient de la bibliotheque de Medinaceli.
B. Schriftproben.
Amador de los Rios, Historia critica etc., tom. VI bietet
auf der beigegebenen Tafel Proben aus dem Codex des Auzias
March. Vgl. ibid. p. 526.
276. Archivo de los Duques de Medinasidonia.
Fernandez de Xavarrete, Martin, Disertacion histörica
sobre la parte que tuvieron los Espanoles en las guerras de
Ultramar 6 de las Cruzadas in Memorias de la Real Academia
1 Ueber Pierre Pantin, den Bibliothekar Loaysa’s, vgl. Omont, Henri,
Catalogue des Manuscrits grecs de la Bibliotheque Koyale de Bruxelles,
Gand 1885, p. 6.
Bibi. Uebersicht: 274—279 (Madrid).
57
de la Historia, tom. V, App. p. 199 benützt ein handschriftliches
Werk dieses Archivs ,Cartas de los Reyes 1607' und gibt ver
schiedene Auszüge.
277. Biblioteca particular del Sr. Mesonero-Romanos.
Valentinelli, p. 54 sagt von der Bibliothek: eletta di
libri a stampa e a penna, relativi alla storia, descrizione e
amministrazione di Madrid, che formano la piü completa Bi-
bliotheca Matritensis conosciuta.
278. f Biblioteca particular de D. Jose Ignazio Miro.
Catalogue de la Bibliotheque espagnole de D. Jose Miro,
Paris, Bachelin-Deflorenne, 1878. 8°.
Dieser Katalog enthält erlesenste Raritäten, aber nur
Druckwerke. Ob jedoch die Sammlung Miro’s wirklich nur
solche enthielt, ist mehr als zweifelhaft, und ich bringe seinen
Namen mit einer anderen von denselben Auctionatoren und zu
nämlicher Zeit versteigerten Collection sehr werthvoller Hand
schriften in Zusammenhang. Vgl. Revista de Archivos VIII
(1878), p. 184 und 212 ff.
279. Biblioteca particular de D. Pedro Nunez de Guzman,
Marques de Montealegre y Conde de Villaumbrosa.
Museo ö biblioteca selecta de el Excmo senor Don Pedro
Nunez de Guzman, marques de Montealegre, Madrid, 1677 fol.
Lag mir nicht vor. Vgl. Graux, Rapport p. 130 not.
Florez, Espana Sagrada, tom. XX (1765) spricht von
einer Handschrift der Historia Compostelana ,que hoy con otra
gran cantidad de Mss. se halla en Madrid', und zwar in der
bezeichneten Bibliothek. Vgl. auch Ferreira Gordo in seinen
Apontamentos, Memorias de la Litteratura Portugueza III, p. 71
und 87.
Rodriguez de Castro, Biblioteca Espanola erwähnt nach
Pellicer’s und Nicolaus Antonio’s Vorgang tom. II, p. 484 und
725 zwei Handschriften: Cronica del Obispo Don Pedro (mit
Auszügen), ferner Castigos 6 documentos que diö el Rey Don
Sancho el Bravo ä su hijo el Rey D. Fernando IV ,Exemplar
MS. en folio, con caracteres muy antiguos'. Die p. 491 erwähnte
Handschrift derselben Bibliothek mit der Historia Compostelana
,copia del Ms. que tenia el Hmo S. D. Diego de Covarrubias,
58
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenscliätze Spaniens.
Obispo de Segovia, el cual estaba asimismo copiado del que
existia en el Archivo de la Sta Iglesia de Toledo* ist offenbar
identisch mit der von Florez genannten.
Munoz y Romero, Tomas, Diccionario p. 38 citirt aus dem
,Catälogo de la biblioteca del conde de Montealegre* ein Manu
skript, Antiguedades de Antequera, escritas en latin häcia el
ano 1586.
MartInez Anibarro y Rives, Intento de un diccionario . . .
de Burgos Madrid 1889, p. 27 citirt nach Sandoval’s Vorgang
ein Manuscript derselben Bibliothek: Monachi Silensis Chronicon.
280. Biblioteca particular del Conde de Olivarez duque
de San Lucar (Huescar), llamada libreria Olivariense.
A. Handschriftliche Kataloge.
Ein handschriftlicher Katalog existirt in der Palastbiblio
thek zu Madrid unter dem Titel: Bibliotheca selecta del conde
duque de San Lucar, gran ckanciller, de materias hebreas,
griegas, aräbigas, castellanas, francesas, tudescas, italianas, lemo-
sinas, portuguesas etc. und trägt vorne noch die Bemerkung:
Esta copia estd fiel y puntualmente sacada del original que se
conserba en la biblioteca del Exino Sr. Duque de Huescar.
Also ein Duplicat des Originals, welches heute vielleicht in
Sevilla liegt. Vgl. unten.
Den Katalog benützte Munoz in seinem Diccionario und
Graux in seinem Rapport p. 130, besonders im Essai p. 337 ff.,
wo auch Auszüge aus demselben.
B. Druckwerke.
Auf einer gegenwärtig im Besitz des Herzogs von Alba
(vgl. diesen Artikel) befindlichen Bibel liest man den Schenkungs
vermerk, que en 18 de Enero del ano de 1624 el Ilustrisimo
obispo D. Andres Pacheco, entonces Inquisidor Jener äl, recogio
o quitö esta Biblia; i se la diö al Conde Duque de Olivarez
D. Gaspar de Guzmän, para que la pudiese tener, lehr, poseer
i guardar- en su Libreria, en atenciön ä los favores i gracias,
que S. E. y su Padre el Conde de Olivarez, siendo embajador
en Roma habian hecho al Santo Oficio: i en consideraciön
ademäs, a haber pertenecido dicha Biblia ä uno de los de la
Bibi. TJebersicht: 280 (Madrid).
59
casa de Guzmän, que fue el que la niando trasladar, i pagö por
ella excesivos gastos etc.
Vgl. Noticia de Biblia . . . del Duque de Alba, Madrid
1847, p. 2f.
Der Escorialcodex L. T. 15 enthält f. 25 r ff. ein Glos
sarium latinum ex Codice vetustissimo literis Langobardicis
(seu ut vocant Gothicis) scripto ante annos sexcentos. Ex Biblio-
theca S H Joannis de la Pena in Regno Aragoniae qui iam in
Biblioteca Comitis de Olivares asservaturh
Ygl. Hartel-Loewe BPLH, p. 187.
Ramirez del Prado, Laurentius, in der Ausgabe: Juliani
Petri archipresbyteri S. Justae cbronicon cum eiusdem adver-
sariis et de eremiteriis hispanis brevis descriptio atque ab eodem
variorum carminum collectio ex bibliotheca Olivarensi, Lutetiae
Parisiorum 1628. 4° sagt p. 2f. seiner excellentissimo Domino
Don Gaspari de Guzman Comiti de Olivares, duci de Sanlucar
gewidmeten Vorrede: E magna illa manuscriptorum librorum
Bibliotheca, quam summa cura et non sine ingenti sumptu com-
parasti, non in ornatum nec in spectaculum, sed in doctrinam
et publicam utilitatem iam in lucem prodit Julianus Petri etc.
Bezüglich der Quellen heisst es p. 4 opus . . . a Domino An
tonio Augustino pretio liabitum, cui exscriptum exemplar misit
Abbas Abis, ex ipsius Juliani autographo, quod ea tempestate
Ticini asservabatur. Weitere Nachweise oder Notizen über die
Bibliothek fehlen.
Aus einem Briefe des Andres Uztarroz an Thomas Tamayo
de Vargas, Zaragoza 14. März 1639. . . . Dixome nuestro amigo
Don Francisco Ximenes de Urrea que V. M. liavia cuidado de
la libreria Olivariense, y assi he querido escribir estas lineas . . .
El conde duque, quando vino con S. Magestad, el ano 1626,
deseoso de enriquecer su biblioteca manuscrita, desfrutö algunos
deste reyno; y las que mas lästima y dolor nos causa, es la
libreria del secretario Gerönimo Curita . . . Creiö Gerönimo
Qurita que sus trabajos estarian seguros . . . y dexölos como
en depösito en el convento de la Cartuxa de Aula-Dei. Desto
lugar los sacö el conde duque . . .
Biblioteca Nacional, cod. V 169, fol. 170, veröffentlicht
von Graux, Essai p. 333 A. 1.
60
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenscliätze Spaniens.
Antonio, Nicolaus, Biblioth. vet. I, p. 88 erwähnt einen
Codex des Martial aus dieser Bibliothek.
Clemencin, Diego, Elogio de la Reina Dona Isabel, Me-
morias de la Real Academia de la Historia, tom. VII, p. 452
erwähnt eine Handschrift: Crönica del Rey Fernando I.
Graux, Rapport p. 130 gibt wichtige historische Details
über die Sammlung, von der 1648 ein Theil nach Sevilla kam.
Graux, Essai p. 331—351 die bis heute vollständigste und
gelungenste Darstellung der Geschichte der Bibliothek.
Martinez Anibarro y Rtves, Intento de un diccionario . . .
de Burgos etc. p. 199 über eine Handschrift: Gundisalvi a Fino-
josa Burgensis Episcopi Chrönica perg.; ferner p. 249, Crönica
de D. Alvaro de Luna, beide gleicher Provenienz.
281. Biblioteca particular del Marques de Pidal
A. Druckwerke.
Eguren, p. 59—60 beschreibt ausführlich ein Devocionario
dieser Bibliothek s. XV, das besonders schöne Miniaturen aus
der besten Zeit flämischer Malkunst aufweist.
Martinez Anibarro y Rives, Intento de un diccionario de
. . . Burgos etc. p. 53 beschreibt eine Handschrift: Poema del
Cid, Ms. de Cardena, propriedad del Sr. Pidal: un vol. en 4°
en pergamino s. XIV. Die Subscriptio lautet
Quien escribiö este libro del Dios paraiso : amen.
Per Abbat le escribiö en el mes de mayo
En era de mill e CC . . . XLV anos.
B. Schriftproben.
Amador de los Rios, Histöria critica, gibt auf der Bd. in
beigeschlossenen (zweiten) Tafel eine Probe aus dem Cidcodex.
282. Biblioteca particular del Conde de Punonrostro.
Amador de los Rios, Historia critica, tom. HI, p. 536, das
Werk des Infanten Don Fadrique: Engannos y Assayamientos
de las mugieres besprechend bemerkt: El ünico Ms., que existe
de este precioso monumento literario, es propriedad del Excmo.
Sr. conde de Punonrostro. Consta de ciento sesenta y tres
Bibi. UÜbersicht: 231—285 (Madrid).
61
fojas en 4°; y con el titulo de Conde Lucanor encierra : 1°.
Este celebrado libro (del 1° al fol. 62 T ); 2° el de los Assaya-
mientos et Engannos (del 62 T al 79 v ); 3° una explicacion del
Padre Nuestro y el Testamento de Alfonso de Cuenca, fisico
del rey (del föl. 63 al 68) 4° una epistola de San Bernardo a
Ramon de San Ambrosio (fol. 69 al 85); y 5°, finalmente un
tratado de moral, de religion y de ciencias, compuesto de dia-
logos entre un maestro y diseipulo y compartido en ochenta y
cuatro capitulos, que ocupan el resto del cödice, en setenta y
siete fojas. La letra de todo el Ms. es del siglo XV. Vgl.
auch Bd. IV, p. 31 und besonders p. 597.
283. Biblioteca particular de D. Manuel Rico y Sinobas.
Ueber die Privatsammlung dieses Gelehrten, Professors
der Madrider Universität, berichtet
Eada y Delgado Juan de Dios de la, Bibliografia numis-
mdtica espanola, Madrid 1886, 4°, p. XII und verzeichnet aus
derselben verschiedene numismatische Handschriften: p. 56,
p. 79 (Ambrosio de Morales, Averiguaciön del verdadero mara-
vedi antiguo de Castilla), p. 92, p. 141 und p. 163.
284. Biblioteca particular del Marques de San Roman.
Riano, Critical and Bibliograpliical notes on early spanish
music London 1887, p. 135 bespricht ein Manuscript dieser
Sammlung, fol. 707 p., enthaltend: Felipe Fernandez Vallejo,
Canonicus der Kathedrale von Toledo, Memorias y disertaciones
que podran servil - al que escriba la historia de la Iglesia de
Toledo desde el ano 1085 en que la conquistö el Rey Don
Alonso VI de Castilla. 1785. Vgl. den Artikel Toledo, Biblioteca
del Cabildo de la Catedral A.
285. f Biblioteca particular del Excffio Sr. D. Pedro Caro
y Sureda, Marques de la Romana.
Munoz, Diccionario p. 130 erwähnt eine Handschrift:
,Descripcion histörica de los Alcäzares de Granada por X. Sa-
ravia* aus dieser Sammlung.
Catalogo de la Biblioteca del Excmo Sr. D.(Pedro Caro
y Sureda, Marquds de la Romana, Capitan General del Ejer-
cito y General en jefe, que fue, de las tropas Espanolas en
62
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
Dinamarca el ano de 1807 , trasladada a esta corte desde
Palma de Mallorca. 1 Madrid 1865, 4°.
Beschreibt auf p. 188 —194 gegen vierhundert Hand
schriften in wunderlicher Aufeinanderfolge (Libros en 12° y 8°;
en 4°; en folio, innerhalb dieser Abtheilungen analphabetische
Einreihung); die einzelnen Nummern sind von ungleichem
Werth, neben einer gramätica griega erscheint ein Libro en
latin de historia natural, ferner Salustii Catilina, Jugurtha
s. XIV—XV S. Cypriani opera s. XIV; Roderici Toletani Hist.
Hispana et Romanor. (Ms. antiquisimo!) D. Isidori Cronica,
Dracontii Opera poetica cum divi Eugenii Tolet. Praesulis
supplemento et Azagrae scholis originalibus atque aliis opusculis.
286. Biblioteca particular del Sr. de Sala.
Eguren, p. 61 f. beschreibt ein Devocionario mit vielen
Miniaturen und besonders interessanter heraldischer Ornamen-
tirung, einstens Besitz Kaiser Karl V.
287. Biblioteca particular del Sr. Marques de Salamanca.
Borao berichtet p. 81: guarda en sus lujosas estantes pre-
ciosidades literarias y tipograficas de gran merito, y mäs de 200
tomos de manuscritos que, con todos los impresos de biblioteca
del duque de Hijar comprö hace dos anos ä sus herederos.
288. Biblioteca particular del Br. Ravion Sanchez Merino.
Eguren beschreibt p. 35 f. ausführlich zwei durch Sanchez
erworbene Bibeln, beide vitela 8° s. XIV.
289. Biblioteca particular del Sr. D. Juan Trö.
Eguren beschreibt p. 26 eine Bibel s. XIV dieser Samm
lung; p. L bemerkt er, von ejemplos de la escritura del siglo X
sprechend: es entre ellos dignos de mencion un fragmento de
un hermoso cödico biblico escrito en fölio, a tres columnas.
Poseele el Sr. D. Juan Trö, quien le pudo salvar con dificul-
tad, cuando hace pocos anos destruyö un tirador de oro el
bello libro de que hacia parte.
1 Die Bibliothek befand sich ursprünglich in Valencia; vgl. Villanueva,
Viage, tom. XIX, p. 2, wo von den Handschriften des Klosters La Murta
(s. d.) berichtet wird, que una buena porcion de ellos paran hoy dia en
la biblioteca del Marques de la Romana en Valencia, reputada por una
de las mejores de la nacion.
Bibi. Uebersicht: 286—290 (Madrid).
63
390. f Biblioteca particular de D. Enrique de Aragon
(vulgo Marques de Villena).
Ueber die merkwürdige Bibliothek dieses adeligen Ver
treters alter spanischer Dichtkunst, aber auch einer phantasti
schen Weltanschauung (f 1434) besitzen wir ein beinahe gleich
zeitiges Zeugniss bei
GIomez de Cibda-Real, Centon epistolario epist. 66: No le
bastö ä D. Henrique de Villena su saber para no morirse, ni
tampoco le bastö ser tio del Rey, para no ser Uamado por
encantador . . . Dos carretas son cargadas de los libros
que dexö que al Rey le han traido. E porque diz que
son magicos e de artes no cumplideras de leer, el Rey
mandö que A la posada de Fr. Lope de Barrientos fuessen
llevados. E Fr. Lope, que mas se cura de andar del principe
que de ser reyisor de nigromancias fizo quemar mas de eien
libros: que no los yiö el mas que le Rey de Marruecos . . .
que son muchos los que en este tiempo se fan dotos, faciendo
A otros insipientes e magos; e peor es, que se fazan beatos
faciendo A otros nigromantes. Tan solo este denuesto no habia
gustado del hado este bueno e magnifico senor. Muchos otros
libros de vaha quedaron A Fr. Lope, que no seran quemados,
ni tornados etc.
Auf diesen Vorgang bezieht sich wohl auch eine Stelle
bei Juan de Mena Cant. 127 f., 1 während GIomez’ Bericht selbst
verschiedene Commentare erfahren hat; vgl. Nicolaus Antonio,
Bibliotheca Hispana vetus II, p. 220 ff. Pellicer y Saforcada, Juan-
Antonio Ensayo de una bibliotheca de traductores Espanoles,
Madrid 1778, II, p. 58—76 (bes. p. 66). — Clemencin, Diego,
Elogio de la Reina Catölica Dona Isabel, Memorias de la Real
Academia de la Historia VI, p. 466 nennt bei Anführung des
Tratado de Adivinanza e sus especies Lope Barrientos als
Verfasser eines solchen und glaubt, Lope habe aus den hand-
Porque Castilla perdio tal tesoro
No conocido delante la gente
Perdio los tus libros sin ser conocidos;
Y como en exequias te fueron ya luego
Unos metidos al avido fuego
Y otros sin orden no bien repartidos.
64
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
schriftlichen Quellen Villena’s geschöpft. Bezüglich des Autos
meint er: La quema fue en el monasterio de Santo Domingo el
real de Madrid y dicen que de ella pesö despues al Rei D. Juan.
— Vgl. auch Torres-Amat, Memorias p. 669 f. — Amador de
los Rios, Historia critica, tom. VI, p. 254ff. Ibid. 256, Anm. 2
Näheres über die Zusammensetzung der Bibliothek Enriques.
— Wenig bietet der umständliche Aufsatz von Th. de Puy-
maigre Don Enrique de Villena et sa bibliotlieque Revue des
Questions Historiques, 6 mn annee, tome ll mc , Paris 1872, p. 526—
534, da hier blos versucht wird, die Unechtheit von Gomez’
Bericht zu erweisen, ohne dass ein positives Resultat geboten
wäre. Ganz auf Seite unserer Ueberlieferung steht Edmund
Dorer, Heinrich von Villena, ein spanischer Dichter und Zau
berer, Archiv für das Studium der neueren Sprachen Bd. 77
und separat Braunschweig 1887, p. 135. Ebenfalls referirend
V. M. Otto Denk, Einführung in die Geschichte der altcata-
lanischen Litteratur, München 1893, p. 245. Nach Enrique de
Leguina, La Exposicion Histörica-Europea VI. La Biblioteca
Nacional in dem Tagesjournal La Epoca vom 28. November
1892 zeigt das in der Madrider Columbusausstellung exponirte
Manuscript Tratado de Astrologia de D. Enrique de Aragon
(1428), auf den Einbanddecken Spuren von Feuer und Wasser.
,Comprueba/ sagt er, ,1a famosa quema de Lope de Barrientos,
pues, sin duda, este ejemplar fue sacado de la hoguerah
291. Biblioteca particular del marques de Villena.
Ferreiro Gordo, Apontamentos para a Historia Civil e
Litteraria de Portugal etc. in den Memorias de Litteratura
Portugueza, tom. HI (1792), p. 46 berichtet von einer Hand
schrift D. Joao Ribeiro Gaio, Bispo de Malaca, Relagao de
Luchen, escritä a El Rei und bemerkt: Existe na Livraria do
Marquez de Vilhena, Estribeiro Mör de S. Magestade Catholica.
— Unzweifelhaft ist diese Bibliothek, über deren Besitzer mir
nichts Näheres bekannt wurde, nicht identisch mit der vorher
gehenden.
292. * Biblioteca particular del Exmo Sr. Conde de Va
lencia de Don Juan.
Die reichhaltige Sammlung des gelehrten Directors der
Armeria Real zeichnet sich durch eine erlesene Zahl von
Bibi. Uebersicht: 291—295 (Madrid).
65
Documenten, insbesondere durch mehrere Fascikel mit ver
schiedenen, die Geschichte der spanischen Habsburger be
treffenden Acten aus; sie sind hochinteressant und zum grossen
Theil unedirt, darunter eigenhändige Briefe des Infanten
D. Carlos.
293. Biblioteca particular de D. Fernando Jose de Velasco.
Fuero, El, viejo de Castilla, sacado y comprobado con el
ejemplar de la misma obra, que existe en la Real Biblioteca
de esta Corte, y con otros Mss. Publicanlo con notas histöricas
y legales D. Ignacio Jordan de Asso y del Rio y D. Miguel
de Manuel y Rodriguez, Madrid 1847.
Ein bei der Ausgabe benütztes Manuscript stammt aus
dieser Bibliothek, vgl. p. VII, Anm. 1: El extracto de este Ms.
adorna la copiosa y exquisita libreria del Senor D. Fernando
Jose de Velasco, que ha ido formando .... Confesamos agre-
decidos que le debemos el favor de habernos franqueados una
copia exacta del cap. 6 de esta obra, la cual sabemos que con
otros muchos MSS. muy apreciables y curiosos vendiö original
el Librero de Madrid Francisco Lopez al Conde de la Ericeyra
de Portugal en el ano 1737 por el precio de 200 doblones.
294. Biblioteca particular del Sr. D. Domingo Vila.
Rotondo, Antonio, Historia descriptiva . . . del Escorial,
Madrid 1863, fol., p. 269 f. bemerkt, von dem codex aureus des
Escorials sprechend, Folgendes: Nuestro respetable e ilustrado
amigo el Sr. D. Domingo Vila posee en su biblioteca un cödice
catalan, cuyas letras capitulares estän confeccionadas del mismo
modo que las del libro aüreo del Escorial. Sus hojas son de
suave y delicado pergamino.
295. f Biblioteca particular de D. Jaime Villanueva.
Die Geschichte und endgiltige Beschreibung der hand
schriftlichen Sammlungen dieses Gelehrten, neben Florez viel
leicht der gelehrtesten Theologen, den Spanien besessen, er
fordert eine specielle Studie. Nur ein Theil seiner Papiere
kam in die Akademie der Geschichte nach Madrid; andere
gewiss sehr kostbare Stücke wurden zerstreut, ohne dass wir
mit unseren jetzigen Mitteln im Stande wären, ihren Aufenthalt
Sitzungsber. d. plil.-hist. CI. CXXYIII. Bd. 8. AUh. 5
66
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriffcenschätze Spaniens.
festzustellen. 1 Wiederholt gibt er Proben aus den Manuscripten
seiner Privatbibliothek, z. B. tom. IV des Yiage literario p. 272ff.
Petri Ransani, panormitani tbeologi, ordinis praedicatorum, ac
dein episcopi Lucerini, opuscula duo de vita et gestis S. Vin-
centii Ferrerii Conf., nunc primum in lucem edita ex cod. ms.
init saec. XVI, quem penes nos habemus. Vgl. auch den Ar
tikel La Murta.
Mahon (Menorca).
296. Biblioteca del Ayuntamiento.
Villanueva (Viage, tom. XXI, p. 4) sah daselbst ein libro
Colorado (llibre vermell), enthaltend la legislacion que estableciö
el Rey Don Jaime II en 1301.
Malaga.
297. Biblioteca Episcopal.
Haenel catalogi col. 1006: Codd. mss. nulli, eine unrich
tige Angabe.
Heine (Serapeum Jahrg. VII [1846] p. 204) sah daselbst
einige Handschriften, jedoch nur einen membranaceus, ein
Missale s. XIV.
Munoz, Diccionario p. 18 f. s. v. Antequera citirt aus
dieser Bibliothek ein Manuscript: Descripcion de la fundacion
y antiguedad ... de Antequera von Francisco de Cabrera.
Valentinelli p. 114 f. nach Heine.
Borao p. 81 gibt kurze historische Daten, keine Notizen
über Handschriften. Nach ihm ist die bischöfliche Bibliothek
die einzige öffentliche Malagas.
Manresa.
298. Iglesia del Hospital de Santa Lucia.
Villanueva, Viage, tom. VII, p. 190 ff. beschreibt eingehend
ein librito en 16° con cubiertas de plata, adornadas de primorosa
filigrana, welches für das Original der Egercicios des Ignaz
von Loyola angesehen wurde. Es ist aber ein Gebetbuch, auf
feinstem Pergament mit vorzüglichen Miniaturen, geschrieben
1 Vgl. Knust Reise, Archiv f. ä. d. G. VIII, 120 u. ü.
Bibi. Uebersicht: 296—303 (Madrid — Medina del Campo).
67
vom Canönigo de Lieja, llamado Roberto Cbesnau für D. G-aspar
Espinola 1583. Incipit und Expl. a. a. 0.
299. Archivo del convento de los PP. Carmelitas.
Villanueva, Viage, tom. VII, p. 186 ff. beschreibt und ex-
cerpirt einen Codex dieses Archivs (caj. 4) s. XIV, enthaltend
miracula B. Mariae virginis geschrieben in urbe Valentina anno
ab incarnatione Domini MCCCXXVII in mense Aprilis qui fuit
inchoatus in mense Martii.
300. Sacristia de la Iglesia de Santa Maria.
Villanueva , Viage, tom. VII, p. 174 und 182 berichtet
von einem cbdice de los evangelios, Textus argenti genannt,
der noch zu seiner Zeit um Weihnachten benützt wurde. Aus
den in diesen Codex von zeitgenössischer Hand eingetra
genen Urkundentexten theilt Villanueva die Introductio vitae
canonicae S. Augustini in ecclesia Manresensi, anno MXCVIII
mit (vgl. a. a. 0. p. 272 ff.). Der Codex war also spätestens s. XI.
Matallana.
301. Biblioteca del Monasterio de la Orden de Cister.
Morales, Viage, p. 195: No tienen mas libros antiguos de
un Breviario grande, y con grandes iluminaciones, mas deli-
cadas y de buen dibujo, que parece se podrian hacer en tiempo
del Rey D. Fernando el Emplazado, para quien se hizo, segun
los Monges alirman: ya yo di relacion en particular de este
libro y se hizo alguna diligencia sobre 4L
Medina del Pumar.
302. Biblioteca del Monasterio de los Cartuchos.
Ueber einen Bezerro dieser Bibliothek berichtet Morel-
Fatio, Catalogue etc., bei der Beschreibung von Paris. Fonds
Esp. Nr. 57.
Medina del Campo.
303. -j-Biblioteca del Colegio de Jesuitas.
Indice de los libros y manuscritos que se hallaron en la
Biblioteca de los Jesuitas de Medina del Campo. Handschriften
5*
68
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
ans San Isidro (Nr. 476, 477, 478 und 479) jetzt in der Real
Academia de la Historia zu Madrid. Vgl. Revista de Archivos VI
(1876), p. 263.
La Mejorada.
304. Biblioteca del Monasterio de San Gerönimo.
Morales, Viage, p. 198: Tienen algunos libros de mano:
(1) Santo Ildefonso de Virginitate Beatae Mariae. Sancti Isidori
Sinonima: en un volumen. (2) Etymologiae Divi Isidori: letra
y pergamino como de doscientos anos al parecer. (3) Un Vir-
gilo escrito de mano de Antonio de Lebrija, como al cabo se
dice. (4) Augustinus de civitate Dei, pergamino y letra barto
antigua. (5) S. Isidoro sobre el Pentateuco y sobre otros Libros
Sacros. (6) Liber eiusdem Differentiarum ad Regem Sisebutum.
(7) Valerio Maximo trasladado en romance por el Cardinal de
Santa Sabina, y hijo del Infante D. Pedro de Arago, de mano,
en papel.
San Miguel de los Heyes.
305. f Biblioteca del Monasterio del drden de San Gerönimo.
Nur ein Theil der Handschriften, welche Don Fernando
de Aragon, Duque de Calabria, 1550 dem Kloster schenkte, ist
heute noch in der Universitätsbibliothek Valencia aufbewahrt.
Die Klostersammlung, speciell ihr früherer Bestand, hat eine
eigene Geschichte und muss hier gesondert behandelt werden.
A. Handschriftliche Kataloge.
1. Libros del estudio del Exiho senor duque de Calabria.
(1550). 795 Nummern mit der Schlussbemerkung: Todos estos
libros que aqui estan, y otros muchos que se hallan en el mo
nasterio y no en el ynventario y fueron de su Excelencia, se
cree que vinieron al monasterio y creo yo para mi que solos
los libros del estudio de su Excelencia segun halle dello yndicio
serian mill volumines o cuerpos de libros entre grandes y pe-
quenos y pequenitos etc. Aus dem heute im Archivo histörico
nacional zu Madrid auf bewahrten Originalcodex: Fundacion e
inventarios de San Miguel de los Reyes veröffentlicht in der
Revista de Archivos IV (1874), p. 7—10; 21-—25; 38—41;
54—56; 67—69; 83—86; 98—101; 114—117; 132—135.
2. Cf. unten die Mittheilung von Andres.
Bibi. Uebersicbt: 304—305 (Medina del Campo — San Miguel de los Reyes).
69
B. Druckwerke.
Ponz, Viage, tom. IV, carta IX, p. 241—250 ausführliche
Beschreibung des Klosters, Erörterung der Beziehungen des
Herzogs zu demselben und p. 250 die Notiz: ,Se conservan en
la Libreria porcion de libros que fueron de dicho Senorh
Villanueva, der die Sammlung noch in San Miguel sah,
charakterisirt sie, Viage, tom. II, p. 125 ff. richtig: La mayor parte
de eilos son de humanidades, escritos en Italia en los siglos
XIV y XV con mucha prolixidad en finisimas vitelas, ador-
nadas de buenas miniaturas. Verzeichnet werden ein Martiro-
logio escrito en el ano 1254; Bomance de la Rose; Carta de
adventu Messiae s. XIV—XV (cf. Ap. Nr. XI; carta que escri-
biö rabi Izach a rabi Samuel, cuya Version lemosina existe en
San Miguel de los Reyes, en un MS del siglo XIV); Gruillermo
de Peralta, De eruditione principum s. XVI; Expositio ordinum
missae.
Andres, Joannes, Anecdota graeca, Napoli 1816, p. VII:
Pretiosorum librorum suppellectilem secum in Hispaniam detulit
Ferdinandus Friderici filius, Calabriae Dux, cuius magnam
partem adhuc in monasterio Valentino S. Hieronymi, quod
S. Michaelis nomine nuncupatur, asservari manifesto testatur
manuscriptus index illius bibliothecae quem ad me olim inde
missum penes me retineo.
Torres-Amat, Memorias etc., p. 238 erwähnt bei Be
sprechung der Dante-Uebersetzung Febrer’s (vgl. den Artikel Es
corial) ein ,preciosisimo ejemplar de este raro Ms. con muchi-
simos dibujos y figuras alusivas a la materia de que se trata'
aus dieser Bibliothek.
Haenel, Catalogi col. 999 berichtet bereits von dem Ent
schluss der Regierung, die Bibliothek von S. Miguel nach Va
lencia zu transportiren, und verzeichnet 211 Handschriften.
Vogel, p. 482 nach Haenel.
Valentinelli, p. 128.
Repulles, Manuel, Catälogo de los cödices procedentes
del monasterio de San Miguel de los Reyes. Revista de Ar-
chivos V (1875), p. 9—15; p. 52—55; p. 68—72; p. 87—91;
p. 103—105.
70
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
Morel-Fatio, Alfred, Rapport sur une mission philologique
a Valence, Biblioth&que de l’öcole de chartes, tom. XLV (1884),
p. 618 über die Bibliothek; dazu noch die Note: Le marquis
de Cruilles dans sa G-uia urbana de Valencia, Valence 1876,
tom. I, p. 285 parle d’une description des mss. de S. Miguel
par Zacares (Recuerdos de Valencia) que je ne connais pas.
Mir war weder das eine noch das andere der genannten Werke
zugänglich.
Die übrigen Daten über die Sammlung sind unter der
Rubrik Valencia, Biblioteca de la Universidad, vereinigt.
Mondonedo.
306. Biblioteca de la Catedral.
In einem Auto capitular vom 16. August 1506 heisst es,
dass ausgezahlt werden diez mil maravedis al librero que hizo
los libros und weitere diez mil ,para comprar las cosas nece-
sarias para un psalterio que liace Bastida para la dicha iglesiah
Dieser Bastida escriptor de libros erbietet sich acht Tage
später ,que enniendarä cualquier falta que esta fecha en los
libros divinal y cantoral ... los cuales libros yzo En§iso,
escriptor de librosh
Villa-Amil, Los Codices p. 26.
Morales, welcher nicht selbst in Mondonedo war, be
richtet auf Grund einer vom Bischof Lujan eingesendeten In
formation ganz allgemein (Viage, p. 115): Libros tienen hartos
de mano, mas ninguno notable, si no es el Libro Scintillarum
Alvari Cordubensis. Doch hat sich das ihm eingesendete Ver
zeichniss in einer Copie erhalten. Vgl weiter unten.
Florez, Espana Sagrada, tom. XVIII (1764), p. 273 über
eine Handschrift, die Historia de la Santa Iglesia y sus prelados,
verfasst vom Bischof Manuel Navarrete auf Grund der in Mon
donedo vorhandenen Archivalien (reconociö los monumentos de
ambos Archivos), welche zu Florez’ Zeit noch in der Bibliothek
aufbewahrt wurde. Vgl. auch Villa-Amil, Los cödices a. u. a. O.
Villa-Amil y Castro, Los cödices theilt p. 27 ff. aus dem
Manuscript der Nationalbibliothek V, 197, fol. 323 ff. folgenden
Bericht der Licentiaten Molina (aus Malaga) und Maldonado
Bibi. Uebersiclit: 306 (San Miguel de los Reyes—Mondonedo).
71
vom Jahre 1572 mit: Vuscamos todos los libros de la dicha
iglesia de Mondonedo, que estaban en casa . . . y fallamos:
1. Una exposicion del psalterio entera, que no se hallö en
ella el nombre del antor ni concorda con ninguna de las que
acd tenemos impresas, y el prölogo no se pudo bien leer y
comienza el libro: Iste über apud hebreos propter diversas
causas tribus modis intitulatur, y fenece: Omnes psalmi centum
quinquaginta numerantur, in quo numero concordia duorum
testamentorum significatur; quindenarius enim numerus decies
ductus suum numerum redit. Quindenarius vero conficitur ex
septem et octo, sed septenarius in quindenario vetus testa-
mentum significat propter sabatum, quae est dies septima. Octo-
narius vero de eodem quindenario novum testamentum designat,
propter domini resurrectionem octava die factam Ebdomade.
Y ä lo que parece es antiguo Cathölico: tiene adjunta tambien
una gloas sobre los canticos, que se cantan por la semana con
el psalterio.
2. Otro libro de mano, que se intitula Liber scinthilarum,
por ochenta capitulos, el primero de Charitate y el postrero de
lectionibus: no tiene nombre de autor, mas pensamos que es
de Beda. 1
3. Algunas partes de la Biblia, que se conoce ser la glosa
ordinaria con la interlineal antigua.
4. Una glosa sobre los cdnticos de Fray Egidio de Roma,
y con el juntamente una glosa literal sobre Job, sin nombre
de autor. Comienza el prölogo: Sicut autem in rebus que
naturaliter generantur. Y el libro: Omnia sicut dictum est in-
tencio huius libri, y acaba: reposita est spes mea in sinu meo.
Creemos que es la glosa de Santo Tornas, y si lo es, anda
impreso.
5. Item, otro libro que parece una breve exposicion de
la sagrada escritura, sin nombre de autor: comienza el prölogo:
Yenite ascendamus ad montem Domini et ad domum dei Jacob,
et docebit nos vias suas; y sobre estas mismas palabras comienza
el libro: Magnus ille Pauli Discipulus Apostolorum contempora-
neus divinorumque concius (sic) arcanorum Dionisius Areo-
pagita, y acaba: Et accedit quod scriptum est Cantorum 3° (sic)
1 Alvar, nacli Morales (s. oben).
72
VIII. Abhandlung: Beer. Handscliriftenscliätze Spaniens.
ascendit sicut virgula fumi ex aromatibus inirre et turis et
universi pnlveris pigmentarii. Pensamos ser de Pedro Aureolo,
que le intitulo Biblia Aurea; creemos que anda impreso, si es öl.
6. Item, otro libro de sermones, que empieza: El primer
sermon de adventu Domini sicut adventus graciae divine non
semper est ad eosdem ita nec efectus idem. Y el postrero
sermon: Est in dedicatione ecclesiae; comienza: Sic est locus
fratres cliarissimi ubi modo convenistis, y acaba: Unde Apo-
stolus servate unitatem Spiritus in viuculo pacis.
Hay otro librillo en este volümen que contiene muchas
distincciones que parecen de la sagrada escriptura, ni tiene
titulo ni autor; comienza: Kespectus Dei in sacra scriptura tribus
modis accipi solet, y acaba: Ideo et ipse est figura fidel et nos
filii eius in fide.
7. Item una Coronica, que comienza: Ego frater Martinus
Domni Pape penitentiarius et capellanus ex diversis cronicis ac
gestis sumorum Pontificum et Imperatorum etc.
Guillermus de Podio libellus disputationis contra incrudeli-
tatem aeditus Judeorum.
Y en el mismo volümen estä otro tratado sobre el psalterio,
cuyo titulo es: Incipit prologus super tractatu explanacionum
psalterii contra Judeos edito disputando, in quo declarantur
articuli et probantur quos credendos fides tradit Catholica et
tenendos. Comienza el primer psalmo: Ecce ergo Judei in
capite buius libri. Acaba en este verso: Exaltaciones dei in
guture eorum et prosequuntur officium predicandi et laudes; y
falta lo demas, y no tiene nombre de autor.
Y estä tambien en este volümen una glosa super Cantica
canticorum. Comienza el prölogo: Cum non nullos mores
Judeorum in libro quem hebrei sirasirin vocant. Y el primer
capitulo comienza: Dicat ergo Salomon in suo cantico etc. Fäl-
tale el fin y no tiene nombre de autor.
8. Otro libro de sermones dei tiempo, sin nombre de autor,
que comienza el prölogo: Philosophia est divinarum bumanarum-
que rerum speculatio. Parece ser de algun fraire de San Fran
cisco. Comienza el primer sermon: Yisitavo vos, y el postrero:
Homines peribunt, tu autem permanebis etc.
Los demas son de gramätica y otros estän impresos.
Bibi. Uebersicht: 307—310 (Mondonedo— Monserrate).
73
Vgl. noch ibicl. p. 75 f. über die Tumbos von Mondonedo
(weit ztirückreichende historische Daten und Ewald p. 312).
Der gegenwärtige Bischof von Mondonedo hatte die Gräte,
anlässlich seiner Durchreise durch Leon mir persönlich die
Mittheilung zu machen, dass auch heute noch einige liturgisch
historische Handschriften in der Bibliothek der Kathedrale auf
bewahrt werden.
307. f Biblioteca pcirticular del Licenciado Gonzalo de
Molina.
Zum Schluss der von uns oben mitgetheilten Relation an
Ambrosio de Morales (v. J. 1572) heisst es: Y yo el dicho
licenciado Molina tengo entre mis libros (1) una glosa sobre el
Job, sin titulo de autor, y otra sobre el Genesi, que tampoco
tiene nombre de autor, y son de mano antigua, ä lo que parecen;
y tengo (2) otro libro de mano, que se intitula Liber distinc-
tionum, sin nombre de autor, y trata todo el del frasis de la
Escriptura Sagrada: bste creo que no esta impreso y que es
cathölico.
Villa Amil, Los cödices, p. 31 f. Vgl. Ewald, p. 312.
Monforte de Lemus.
308. f Biblioteca del Colegio de la Compania de Jesus.
La GArdara, Felipe de, Annas i triunfos, hechos heroicos
de los hijos de Galicia, Madrid 1662, p. 669 f. (der Ausgabe in 4°)
berichtet, dass in diesem Convent ein Manuscript mui antiguo
sich befand, das früher Eigenthum des Erzbischofs von Sevilla
Rodrigo de Castro war, enthaltend diversos autores (i es co-
mento de los que escribieron los Perlados Obispos).
Vgl. auch Villa-Amil, Los cbdices, p. 25.
Monsanto.
309. Biblioteca del Monasterio.
Florez, Espana sagrada, tom. V (1750), p. 438 f. bespricht
eine Handschrift dieser Sammlung, Isidorus, De viris illustribus.
Monserrate.
310. Biblioteca del Real Monasterio de Santa Maria.
Serra y Postius, Pedro, Epitome historico del portentoso
santuario y Real monasterio de nuestra Senora de Montserrate,
74
VIII. Abhandlung: Beer. Handscliriftenschätze Spaniens.
Barcelona 1747, citirt in dem Indice der benützten Hand
schriften zwei Manuscripte der Bibliothek, nämlich Francisco
de Ortega, Historia del Santuario de Montserrate und Fr. Lesmes
Baventos, Historia de nuestra Senora de Montserrate.
Villanueva, der die Bibliothek kurze Zeit vor dem Brande
(1811) in Augenschein nahm, beschreibt Viage, tom. VII,
p. 145ff. folgende Handschriften derselben: (1) Un misal propio
de la iglesia de Tortosa Ms. en el siglo XIII. (2) Libre de
les nativitats compilat de la medulla dels actors de la veridat
per mans de Bertomeu Tresbens, al Key en Pere Darago Ter§.
Astrologischen Inhalts s. XIII ex. (3) Tratado llamado Invin-
cionario, dirigido al muy reverendo e magnifico Senor D. Alfonso
Carillo, arzobispo de Toledo, primado de las Espanas, por un
su devoto siervo Alfonso de Toledo, bachiller en decretos, ve-
zino de la cibdat de Cuenca, patria de dicho Senor. E el tra
tado es asi llamado, conviene a saber, Invincionario, porque en
dl se fallaran los primeros inventores de las cosas, asi tempo
rales como espirituales. Villanueva bemerkt: El cödice llega
hasta el ultimo capitulo que es del Maestro de las sentencias,
pero no estä completo.
(4) Pedro Juan Nuhez: varios fragmentos de exposiciones
de Ciceron. (5) Derselbe Versiones al lemosin de algunas cartas
(de Ciceron) hechas en Barcelona ano 1585.
(6) Fr. Antonio Alfaig, Libro llamado camino de per-
feccion, s. XVI.
(7) Fr. Bernardo de Hontiveros, traduccion del libro ami-
citia de Ciceron. (8) Pedro Gonzalez de Mendoza, obispo de
Salamanca, Historia del concilio de Trento en su tercera con-
vocacion por el Papa Pio IV. Copirt vom Licentiaten Diego
de Colmenares. (9) Missal dels hermitans de Muntserrat (um
1408). Mit einer Probe: Prosa de defunctis.
Torres Amat, Memorias etc., p. 206: En la biblioteca de
Monserrate existian antes del incendio los dos volümenes si-
guientes: 1° Incipit über qui vocatur janua artis magistri Bay-
mundi Lulii editus a domino Petro Degui villae Montis albi
presbitero. 2° Incipit opus . . . videlicet metaphisicam, phisicam
logicam et . . . distinctionem, editum per magistrum Petrum
Degui presbiterum et cathalanum villae Montis albi sequentem
veritatem artis magistri Baymundi Lulii 1489.
Bibi. Uebersicbt: 311 (Monserrate).
75
Haenel, der bereits nach der Katastrophe Catalonien be
reiste, berichtet Catalogi, col. 1006 von einem Sallustii exemplar
vetustum, litteris uncialibus in membranis exaratnm, das sich im
Kloster befunden habe. Woher er diese Nachricht geschöpft,
ist mir unbekannt.
Corminas, Suplemento a las memorias (de) Torres Amat,
p. 324 über einen cödice curioso para los peregrinos, que querian
cantar ... de cänticos lionestos, siendo unos latinos y otros
lemosinos (es ist Nr. 9 bei Villanueva).
Valentinelli, p. 161 f. nach Villanueva, nur ist die Notiz
über die Handschrift des Sallust aus anderer Quelle — wohl
aus Haenel herübergenommen.
Von den ehemaligen Handschriftenschätzen des Klosters
— man spricht von 500 Bänden — ist nach dem Brande im
Jahre 1811 so gut wie nichts übrig geblieben. Eine einzige
Handschrift von Monserrate befindet sich heute im Archivo de
la Corona de Aragon zu Barcelona; eine zweite wurde, wie
mir der Bischof von Barcelona Se. Em. D. Jaime Catalä mit
theilte, um hohen Preis von einem Privaten zurückgekauft und
dem modernen Bibliotheksbestand des Klosters einverleibt.
Ueber das Kloster in seiner gegenwärtigen Gestalt handelt das
mir nicht vorliegende Werk
Cornet y Mas, Cayetano, Tres dias en Monserrat Guia
histörico-descriptiva de todo cuanto contiene y encierra esta
montana. Barcelona 1863, 507 pag., con un plano topogräfico.
Vgl. Boletin de la Real Academia de la Historia VI (1885),
p. 362.
311. f Archivo del Real Monasterio de Santa Maria.
Villanueva, Viage, tom. VII, p. 151 berichtet ganz all
gemein über einen codice que contiene varios tratados curiosos
s. XIV und nennt p. 154 algunos martirologios, entre ellos uno
Ripollense del siglo XI, donde lo mas importante es el necro-
logio. Interessant sind die capitulos de concordia que hizo este
monasterio con el impresor Juan Luxaver ä 7 de Enero de 1499,
obligandose dl ä imprimir varios breviarios y rituales y otros
libros eclesiästicos, como efectivamente se imprimieron.
76
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenscbätze Spaniens.
312. f Biblioteca del Monasterio de Santa Cecilia.
Villanueva, Viage, tom. VII, p. 162 erwähnt ein necrologio
manuscrito en el siglo XIV propio de aquella casa. Es befand
sich zu Villanueva’s Zeit im Kloster Santa Maria und dürfte
gleichfalls verbrannt sein.
Montealegre.
313. Biblioteca del Monasterio de los Padres Cartuchos.
Villanueva, Viage, tom. XIX, p. 6: En la biblioteca com-
mun, que estä en la celda prioral segun costumbre, hay una
Biblia ms. s. XIII en vitela.
Valentinelli, p. 161, ohne Quellenangabe, aber zweifellos
nach Villanueva.
Montearagon.
314. f Archivo del Monasterio de los PP. Augustinos.
Coleccion de fueros y Cartas-Pueblas de Espana. Catälogo
Madrid 1852, p. 151 berichtet von einem ,inventario incompleto
de los papeles del Monasterio de Montearagon' (wahrscheinlich
das ,Lumen domus, 6 indice de documentos', welches auch Canal,
Espana sagrada, tom. XLVI (1836), p. V der Vorrede erwähnt);
in diesem finden sich auch Auszüge aus Handschriften. Das
Kloster, welches im 13. Jahrhundert in voller Blüthe stand,
existirt heute nicht mehr. Vgl. auch die Notizen über ehemalige
Handschriften dieses Archivs bei Ewald p. 249 und 280, sowie
Hartel-Loewe p. 139.
Montes.
315. f Biblioteca del Monasterio de San Pedro.
In der Schenkungsurkunde, ausgestellt von König Or-
dono H. und seiner Gemahlin Elvira IIIII Kal. Mai sub Era
DCCCCXXXVI (898), heisst es: . . conferimus : libros Eccle-
siasticos: (1) psalterium (2) comicum (3) Antiphonarium (4) ma-
nualium (5) orationum (6) passionum (7) sermonuni (8) hordinum
(9) precum et (10) orarum.
Sandoval, Fundaciones, Abtli. S. Pedro de Montes f. 21 r ,
Eguren p. LXXXVIH (mit falscher Datirung), Tailhan p. 314 f.
Bibi. Uebersicht: 312—315 (Monserrate — Montes).
77
Aus dem Testament des Gennadius Era 953 (915). 1 In
thesauro denique memoratae Ecclesiae sancti Petri offero
(11) Evangeliarium . . libros Ecclesiasticos, id est (12) Psalterium
(13) Comicum (14) Antipbonarium (15) manuale (16) orationum
(17) ordinum (18) passionum (19) et horarum.
Ein bisher noch nicht berücksichtigter Passus der Schen
kung. Sandoval a. a. 0., fol. 27 v sq.
In Gemeinschaft mit Santjago von Penalba und San Andres
(im Yierzo) erhält das Kloster von Seite des Bischofs Gennadius:
libros tarn divinos, id est (1) bibliothecam totam (2) Moralia
Job (3) Pentateuchum cum historia Ruth über unus sive etiam
et specialiter doctorum id est (4) vitas patrum, (5) item Mo-
ralium, (6) Ezechielum, (7) item Ezechielum 2 (8) Prosperum,
(9) genera officiorum (10) etymologiarum (11) catlia Juanis (sic) 3
(12) libros Trinitatis (13) über Apringi (14) epistolae Hieronymi.
Item (15) etymologiarum (16) glossematum (17) liber Comitis
(18) liber regularum (19) virorum illustrium.
Sandoval, a. a. 0. Morales, Viage, p. 173. Eguren p.XLV.
Tailhan p. 315 mit instructiven Erläuterungen, insbesondere
über die Bestimmung des gemeinsamen Bücherbesitzes der drei
genannten Klöster.
Mokales, Yiage, p. 173 ff. sah noch von den durch Gen
nadius legirten Büchern: Ethimologias de S. Isidoro sin prin-
cipio, ni fin, maltratado. Vitae Patrum, deshojado : tienen las
vidas de S. Paulino, Santo Augustin, S. Gerönimo, y pocas
mas : fue gran volumen. Un pedazo de los Morales de S. Gre-
gorio. Beati Basilii institutio monachorum, pequeno. 4
Ausserdem fand noch Morales ,dos o tres libros pequenos
.. del Coro de letra Gothica, que se puede pensar los dejö tambien
el Santo porque los nombra en su Testamente . . /. Ferner
,Concilios antiquisimos, tienen el quarto Bracarense, y todo lo
1 Morales nennt 905 nach Chr., dies wäre Era 943; hach Florez Citat
(Espana sagrada, tom. XVI, p. 141 f.) era 957 (919).
2 Tailhan a. a. O. liest Evangelium; das ist aber wegen des vorangehen
den specialiter doctorum nicht möglich.
3 Tailhan a. a. O. richtig: des commentaires sur r£vangile de saint Jean.
4 Hiezu die Bemerkung des Herausgebers (Florez): Todos faltan: pero
hay la Historia de Eusebio Cesariense, no expresada aqui.
78
VIII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
bueno que en el de Carrion y los otros se Kalla. Mas estd el
libro sin principio, ni fin‘ u. s. w.
Flokez, Espana sagrada, tom. XVI (1762), p. 135 ff. über
die Restauration der Kirche San Pedro durch Gennadius, über
des Bischofs Bücliersammlung und seine verschiedenen Legate
(XIV, 133 bei Tailhan p. 315 A. Druckfehler).
Eguren p. 68 über den Conciliencodex: ,de los informes
y averiguaciones que bemos adquirido .... resulta que este
antiguo libro ha pasado a nianos de un particular en el pre
sente siglob
Monte-Sacro.
316. jBiblioteca del Monasterio de San Sebastian.
Schenkung des Erzbischofs Sisnandus Era 952 (914
p. Chr.): Escritura, en que se muestra como el Arcobispo Sis-
nando edificö el Monasterio de San Sebastian en el monte Ili-
cino .... Ego Sisnandus . . . conferimus libros (1) unum ordi-
narium (2) et unum sacerdotalem et (3) unum geronticum
(4) tertium cum officio passionis et Missae ipsius martyris.
Ferner: Escritura en que el obispo de Iria Sisnando (des-
pues que ha edificado al Monasterio de San Sebastian) le en-
riquecio con diferentes dones; darunter libros ordinum sacer-
dotalium, Primo Jeroncion I. tertium cum suo officio idem
Martiris Sancti Sebastiani Passio et Missa — diese Angabe
scheint aber nur eine zusammenfassende und, wie man sieht,
auch corrumpirte Wiederaufnahme der Stelle aus dem vorigen
Document.
Yepes, Coronica general de la örden de San Benito,
tom. IV, Escritura XIII und XIV. Villa-Amil y Castro, Los
cödices, p. 8f., welcher noch folgende interessante Notiz, leider
ohne Quellenangabe, beifügt: Als Sisnandus I. dem Nantemirus
Gutus und dem Presbyter Leodulfus die Errichtung des Klo
sters anvertraute, ofrecio este (Leodulfus), en 914, psalterium
orationum, passionum, commicum et manualium, libros que es
de presumir hubiese escrito el mismo Leodulfo; darauf beziehen
sich die Worte des Schenkungsactes: quod ibidem propriis
manibus, auxiliante Domino, laboravi vel ganavi seu quod ex
populo ibidem obtulerunt.
Bibi. Uebersicht: 316—320 (Montes — Mozoncio).
79
Monzon.
317. Archivo de la Villa.
Coleccion de Fueros y Carta - Pueblas de Espana, Catä-
logo 1852, p. 152 über einen libro llamado Lucero dieser Stadt,
ein Cartular. Einige Auszüge aus demselben befinden sich hand
schriftlich in der Akademie der Geschichte zu Madrid.
Moya.
318. f Biblioteca de la Iglesia de Santa Maria.
In den Acta dedicationis ecclesiae S. Mariae de Moyä
anno DCCCCXXXIX heisst es: Et ego Sanciolus dono ibidem
ad diem dedicationis (1) missalem I, (2) lectionarium I, (3) anti-
fonarium I, (4) actus apostolorum I, (5) quadragenario I.
Nach einer im Arciprestazgo der Stadt Moyä aufbewahrten
Copie veröffentlicht von Villanueva, Viage, tom. VI, ap. XIV
(p. 272). Vgl. auch ibid. p. 133. Ueber die Handschriften des
Priors von Moyä, Abad y Lasiera, vgl. unter Anderen Ewald
p. 341 und 342. Ibid. p. 347 wird eine Handschrift des Esco-
rials (2. J. 8) analysirt, die unter anderem enthält: Indice de
lo que contiene un cödigo antiguo de letra götica escrito en
vitela; y se halla entre los manuscritos del Prior 'de Meyä
(recte Moyä). Es ist eine Liste von 47 Schriftstücken. Vgl.
übrigens auch den Artikel Alaon.
319. Archivo de la villa.
In einem handschriftlichen Verzeichniss dieses Archivs
findet sich der Passus: Dos libros, escritos en pergamino, de
las leyes del fuero de Moya, uno en latin y otro en romance.
Original des Verzeichnisses im Bd. XXIX der Coleccion
de Abella, der Real Academia de la Historia zu Madrid. Vgl.
Coleccion de Fueros y cartas-pueblas de Espana. Catälogo,
Madrid 1852, p. 154.
Mozoncio.
320. f Biblioteca del Monasterio de Santa Maria.
In einem Tauschacte aus dem Jahre 925 nennt man
unter den Juwelen und Kostbarkeiten dieses Klosters ,libros
nimis abudanterb
80 TOI. Abh.: Beer. Handschr. Spaniens. Bibi. Uebers.: 321—324 (Mozoncio—Murcia).
Nach dem Tumbo des Klosters von Sobrado (jetzt im
Archivo Histörico Nacional zu Madrid) mitgetheilt von Egu-
ren p. LVII und Villa-Amil, Los Codices, p. 9f.
Munebrega.
321. Biblioteca de la Iglesia.
La Fuente, Vicente de, Espana sagrada, tom. L (1866),
beschreibt p. 84 f. ausführlich zwei Breviarien dieser Kirche,
eines derselben s. XIV in.
. Murcia.
322. Biblioteca publica Episcopal.
La Borde, Voyage, tom. II, p. 188.
Haenel, Catalog. col. 1006: Codd. chartacei 30, qui histo-
riam et iura civitatis Murgensis exponunt.
Vogel, p. 480.
Valentinelli, p. 118, nach Haenel.
323. Biblioteca del Palacio Episcopal.
Diese Sammlung wird von den spanischen Forschern von
der Biblioteca publica getrennt; Haenel berichtet, dass der
,Celebratus Fori Judicum Codex nunc asservatur Matriti inter
libros Academiae Regalis Hispanicae' und verweist auf das
von der Akademie herausgegebene Fuero Juzgo Matriti fol.
Prölogo p. IV u. VI. Nach ihm notirt die Bibliothek Valen
tinelli p. 118. Den jüngsten Bericht liefert das
Anuario del cuerpo facultativo, das I, p. 334 neben einem
seltenen Wiegendruck einen prächtig ausgeführten Bibelcodex
beschreibt.
324. Biblioteca provincial (ö del Instituto).
Borao, p. 81 kurze geschichtliche Daten ohne Erwähnung
von Handschriften.
Anuario del Cuerpo facultativo I, p. 445 (Tabelle) ver
zeichnet 49 Handschriften.
IX. Abh.: Nöldeke. Die von Guidi herausgegebene syrische Chronik.
l
IX.
Die von Guidi herausgegebene syrische Chronik.
Uebersetzt und commentiert
von
Prof. Dr. Th. Noldeke,
corresp. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
Torwort.
In den Schriften des Stockholmer Orientalistencongresses
(1889) hat Guidi eine kleine syrische Chronik herausgegeben. 1
Er hat sie einer Handschrift des Museo Borgiano di Propaganda
Fide entnommen, deren Hauptinhalt eine Sammlung nestoria-
nischer Canones bildet. Es ist eine von dem auch sonst um
die Wissenschaft verdienten Chorepiseopus David, späterem
Erzbischof von Damascus, besorgte Abschrift eines alten nesto-
rianischen Codex in Mosul. 2 Die Chronik verdient es, weiter
bekannt zu werden, und da Guidi durch andere Arbeiten völlig
in Anspruch genommen ist, habe ich mich daran gemacht, sie
zu übersetzen und zu erläutern. Das lag grade mir nahe, da
das syrische Büchlein manche Bestätigung, Ergänzung und
Berichtigung zu den Nachrichten über die letzte Periode des
Sasänidenreiches giebt, die sich im Text und Commentar meiner
Tabari-UeberSetzung 3 finden. Natürlich habe ich aber auch die
Stücke unserer Chronik mit den nöthigen Erklärungen versehen,
die nicht die persische Geschichte betreffen.
Dass die Schrift nestorianisch ist, bedarf keines besondern
Beweises. Aber die Frage ist, wie weit sie einheitlichen Ur-
1 Un nuovo testo siriaco sulla storia degli Ultimi Sassanidi. Separatabdruck
Leyden 1891 (Brill).
2 S. Guidi in ZDMG. 43, 389.
3 Geschickte der Perser und Araber zur Zeit der Sasaniden. Aus der
arab. Chronik des Tabari . . . Leyden 1879.
Sitzungsber. d. pbil.-bist. CI. CXXYIII. Bd. 9. Abb.
1
2
IX. Abhandlung: Nöldeke.
sprung hat. Sie führt die Weltgeschichte 1 von Hormizd IV.
oder vielmehr von dessen Sturz (590), in freilich nicht sehr
gleichmässiger Weise und mit Einfügung mancher kirchenge
schichtlicher Nachrichten, bis zum Zusammenbruch des Reichs.
Von da an tritt die Profangeschichte fast ganz zurück. Die
Zeitfolge wird in den letzten Abschnitten viel weniger beachtet,
ja das Ganze ist da mehr ein Gemenge verschiedenartiger
Notizen. Grade im Anfang der Schrift erhalten wir aber so
viel gutes Detail, dass wir sicher sein können, diese Berichte
seien nicht durch mehrere Generationen hindurch mündlich über
liefert, sondern, wenn auch nicht gleichzeitig, doch nicht lange
nachher, geraume Zeit vor dem Abschluss des Buches nieder
geschrieben worden. Freilich werden manche wichtige Ereig
nisse dürftig, ungenau oder auch gar nicht behandelt, aber das
sind solche, die fern im Westen oder doch in solchen Kreisen
gespielt haben, aus denen die Nestorianer überhaupt keine
sichere Kunde erhielten.
Der letzte Verfasser hat also wohl Aufzeichnungen benutzt,
welche bis zu der genannten Zeit gingen. Vielleicht bildeten
diese den Schluss eines grösseren historischen Werkes; so würde
sich der etwas abrupte Anfang erklären. Gewiss enthielt auch
diese ältere Schrift schon einiges, das sich auf die Kirche bezog;
ob. aber alles derartige in den betreffenden Theilen des jetzigen
Buches aus ihr genommen ist, steht dahin. Zu beachten ist,
dass sich viele kirchengeschichtliche Nachrichten hier und auch
noch in den späteren Theilen auf Nisibis und dessen Gebiet
beziehen. Vielleicht hat der Compilator diese aus einer be
sonderen Quelle bezogen. Von den Ereignissen, die nach den
ersten Eroberungen der Araber fallen, schweigt er aber fast
ganz; so sagt er kein Wort von den Bürgerkriegen, die er
doch vielleicht noch selbst erlebt hat.
Die Zeit dieses letzten Verfassers bestimmt sich nach
folgenden Erwägungen. Im Buch wird nicht bloss der Tod
des Heraklios (641) und der des Patriarchen Märemmeh (646/7),
sondern auch die Eroberung von Afrika (etwa 670) 2 erwähnt.
1 Eigentlich sollte man weltliche oder P r o f a n - Geschichte sagen, denn
der Ausdruck stehtim Gegensatz zur Kirch engeschichte und bezeichnet
nicht etwa die Universalgeschichte.
2 S. unten S. 45.
Die von Gnidi heransgegebene syrische Chronik.
3
Besonders ist aber von Wichtigkeit, dass es 1 heisst, Con-
stantinopel hätten die Araber noch nicht genommen. Da
Kleinasien keine arabische Provinz war, so kam den Christen der
G-edanke gewiss nicht so leicht, dass jene sich Constantinopels
bemächtigen könnten; er drängte sich ihnen aber auf, als wirklich
Versuche dazu gemacht wurden. Diese fielen bekanntlich un
glücklich aus, aber nun konnte man doch leicht meinen, das
sei nur ein Aufschub. Nachdem jedoch längere Zeit vergangen
war, ohne dass neue Angriffe gegen die Kaiserstadt erfolgten,
musste diese Meinung zurücktreten. Das ,noch nickt* weist
also auf eine Zeit hin bald nach den Kämpfen bei Constantinopel
unter Muawija. Zwar stehn die Jahre dieses Ringens nicht
ganz fest, 2 aber sie fallen sicher gegen oder um 670. Diese
Worte werden also etwa in den Jahren 670—680 geschrieben
sein. Mit ihnen hört die eigentliche Erzählung auf. Daran
reiht sich aber eng noch ein Abschnitt über die Araber oder
vielmehr ihr Land. Man sieht deutlich, dass die Welteroberer
damals noch ein neues Volk waren; das passt ganz zu der eben
gegebenen Zeitbestimmung. Dieser Abschnitt bildet nun un
zweifelhaft den wirklichen Schluss des Buches. Ueberhaupt
sehe ich keinen genügenden Anlass, zu bezweifeln, dass wir
dieses im Wesentlichen so haben, wie es aus der Hand des
letzten Verfassers hervorgegangen ist. Aus der Ueber- und
Unterschrift darf man nicht etwa schliessen, dass es ein Bruch
stück oder ein Auszug sei. Da steht ja nicht ,aus dem Buche
über Kirchen- oder Weltgeschichte*; die Worte bedeuten nur,
wir hätten hier allerlei aus dem, was geschehen sei. Möglich
ist freilich, dass der Compilator auch frühere Zeiten behandelt
hat; dann besässen wir nur den Schluss seines Werkes.
Wegen der hervorragenden Stelle, welche Nisibis in der
Chronik einnimmt, meint Guidi, dieselbe sei in dessen Nähe,
in einem der Klöster des Izalä-Gebirges, geschrieben. Ich kann
das aber nur für eine ihrer Quellen wahrscheinlich finden. Das
Hauptinteresse nehmen im ganzen Buche die Länder am untern
Tigris mit Einschluss von Susiana in Anspruch. Der, welcher
über die Geschicke des Perserreiches berichtet, kennt recht gut,
1 S. unten S. 46.
2 S. meine Zusammenstellung ZDMG. 29, 88; Aug. Müller, Islam 1, 361.
1*
4
IX. Abhandlung: Nöldeke.
was dort, namentlich was in der Hauptstadt geschehen ist und
was sich da leicht erkunden liess. Und auch der letzte Ver
fasser weiss dort Bescheid. Gegen Nisibis spricht auch wohl,
dass das Buch nichts von dem letzten König Hormizd (V.) sagt,
der sich in der Gegend jener Stadt längere Zeit gehalten hat,
von Griechen, Armeniern und auch dem Nestorianer Elias von
Nisibis erwähnt wird, aber den Persern und Arabern, deren
Nachrichten auf die Hauptstadt Ktesiphon zurückgehn, gleich
falls unbekannt ist. 1
Wir dürfen also annehmen, dass sowohl die wichtigste
Quellenschrift wie die ganze Compilation im Träq oder etwa in
Chüzistan verfasst ist; gewiss sind beide klösterlichen Ursprungs,
aber ob sie in einem und demselben Kloster geschrieben sind,
wird sich schwerlich ermitteln lassen.
Der Verfasser der Hauptquelle verdient alle Anerkennung;
die Nachrichten über die Ereignisse in Nisibis und seiner Um
gegend sind gleichfalls werthvoll. Aber auch der letzte Ver
fasser, ein in seiner Weise ziemlich gelehrter Mann, hat sich
nicht nur durch die Aufnahme der altern Berichte, sondern
auch durch das von ihm selbst Gegebene verdient gemacht.
Ueberhaupt sind wir diesen Ostsyrern für mancherlei Belehrung,
namentlich über die Geschichte und die Zustände des persischen
Reichs sehr zu Dank verpflichtet.
Für meinen Commentar waren mir die kurzen Anmer
kungen Guidi’s zu seiner Ausgabe von grossem Nutzen. Ferner
habe ich starken Gebrauch von seinem Artikel in der ZDMG.
43, 388 ff. gemacht. Viel Hülfe gewährten mir natürlich Hoff-
mann’s ,Persische Märtyrer'. 2 Dazu hat mich Hoffmann auch
bei dieser Arbeit wieder durch schriftliche Mittheilungen sehr
unterstützt. Ich verdanke ihm einige glänzende Textverbesse
rungen. Ueber den Sinn einiger schwierigen Stellen haben wir
beide in längerer Correspondenz verhandelt.
Die Transscription der orientalischen Namen ist vielleicht
nicht in jedem Meinen Zuge consequent durchgeführt. Biblische
und römisch-griechische Namen habe ich in der uns gewohnten
Form gelassen.
1 S. meine Tabari-Uebersetzung 398.
2 Aiiszüge aus syr. Acten persischer Märtyrer. Leipzig 1880.
Die von Guidi herausgegebene syrische Chronik.
5
Einiges aus der Ekklesiastike, d. li. Kirchengeschiclite,
und aus der Kosmostike, d. h. Weltgeschichte, Tom
Tode des Hormizd, Sohnes des Chosrau, bis zum Ende
des persischen Reichs. 1
Hormizd regierte 12 Jahre. Er legte seinen Grossen und
dem ganzen Volk 2 ein schweres Joch auf. Da empörte sich
gegen ihn einer von seinen Heerführern, der von ihm an die
Grenze der Türken gesandt worden war; der hiess Warahran
aus Rai. 3 Er sammelte viele Truppen und machte sich zum
Kampf mit dem König fertig. Als aber die Grossen in der
Residenz, 4 die gleichfalls den Hormizd hassten, von Warahrän’s
Empörung hörten, verschwuren sie sich, stiessen 5 jenen vom
Thron, blendeten ihn und setzten seinen Sohn Chosrau an seiner
Statt ein. Beim Empfang der Nachricht darüber ergrimmte aber
Warahran gar sehr, nicht weil er den Hormizd geliebt hätte,
sondern weil er nicht die Sache ausgeführt hatte. 6 Er machte
also seine Truppen fertig und rüstete sich zum Krieg mit
Chosrau, brach auf und kam über ihn. Da Chosrau sah, dass
Warahrän’s Macht stärker sei als seine, floh er vor ihm, schlug
1 ,Vermuthlicli ward dieser Titel von dem alten Compilator hinzugefügt,
der das Stück in das Synodikon einsetzte“ (Guidi). Der Titel ist nicht
genau, da die Geschichte weiter geht als bis zum Untergang des Säsä-
nidenreiches. Auch ist er inconcinn, da dem men qlesastikS das dqos-
mostilce gegenübersteht. Koa^o«-™^ nach Art von lxxX7)a(i)aaTix7j ist schön
gebildet!
3 Ich möchte 7, 6 'ammä für 'älmä lesen. — Ueber Hormizd s. meine
Tabari-Uebersetzung S. 264 ff.
3 Durch de Boor’s Ausgabe wissen wir, dass auch Theopliylakt, wie die
morgenländischen Quellen, den Bahräm öobin aus ltai kommen lässt
(«tio tt|; 'Pa£ax7)vfj; 3, 17, 6; genauer wäre 'Pa£ix7)vi)S vom Gentilicium
Hdffilc, Rdzik). Rai (Rliagae) war ein oder der Hauptsitz seines Ge
schlechts, der Milirän, s. Tabari-Uebersetzung 139; auch der Mihrän
Pirängusnasp war aus Rai, Hoffmann, Märtyrer 78.
4 ,Pforte des Königthums“. Dass damit nicht der Hof, sondern die ganze
Stadt gemeint ist, zeigt besonders die Stelle unten S. 9, wo einer durch
die ,Pforte“ zur Schau umher geführt wird.
6 Wohl ovtö] zu lesen (7, 11).
6 Der Bericht giebt in aller Kürze genau die Stellung der Drei an; vgl.
Tabari-Uebersetzung 273.
6
IX. Abhandlung: Nöldeke.
eilig den südlichen (9) 1 Weg ein, d. h. er ging über Peroz-
gäbür, 'Anat, Hit und Kirkesion und nahm seine Zuflucht zum
römischen Kaiser Maurikios. 2 Weil nun seine Reise eine Flucht
war, so unterliess es der Katholikos Mar 3 fäo'jabli, mit ihm fort
zugehn. Maurikios tadelte seinerseits den Chosrau sehr, dass
8 er nicht vom Patriarchen seines Reiches begleitet sei, zumal
Mär Iso'jabh aus Arzon 4 ein weiser und tüchtiger Mann war.
So ward der Katholikos dem Chosrau sehr verhasst, weil er
nicht mit ihm gegangen war, und ferner weil er, nachdem er
gehört hatte, dass ihm Maurikios Truppen gegeben habe und
er ausgezogen sei, um wieder zu kommen, ihm nicht zum
1 ,südlich“ kann kaum richtig sein, denn die Richtung des
Weges ist im Ganzen nordwestlich, und eine Linie, die etwa im Anfang
noch mehr nach Norden ginge, kommt nicht wohl in Frage. Der Gegen
satz des Weges am Tigris her zu dem von Chosrau eingeschlagenen
wäre durch ,nördlich 1 und ,südlich 1 sehr schlecht ausgedrückt. Hoffmann
denkt daran, )bedeute hier ,den Weg über Taimä“, einen
unbedeutenden Ort nahe bei Perözsäbür, allerdings zwischen dieser
Stadt und der Residenz Mähoze (s. Hoffmann, Märtyrer 89. 90); man
hätte dann Taim&näitä zu sprechen. Aber abgesehen davon, dass dieser
Ausdruck ziemlich ungeschickt gewählt wäre, da jeder nicht ganz orts
kundige Leser ihn als ,südlich“ (taimnäitäj verstehn musste, so hätte er
doch nur die allererste Strecke, einen besonderen Weg nach der grossen
Stadt Peröz-äbür, bezeichnen können, während der Zusammenhang dahin
geht, dass damit der ganze Weg ins römische Reich gemeint ist. — Die
Stelle Hoffmann n. 754 bringt uns nicht weiter, denn nach einer von
Budge und Bezold auf meine Bitte gütigst vorgenommenen Untersuchung
ist die Lücke in der Handschrift grösser als für ein Wort und ist der
letzte Buchstabe kein Alaf gewesen, sonst aber durchaus nichts mehr
zu erkennen. — Die Städte Perözsäbür = Anbär (s. Hoffmann a. a. 0.)
u. s. w. liegen am Euphrat und werden alle oft erwähnt; Kirkesion lag
schon auf römischem Gebiet.
2 Die an sich auffallenden Formen und P^-05ai für Maupixio; und
'Hpsaletos kommen mehr vor; da sie mit >*V..r>;ai wechseln, so
hat man Mauriqe, Jleraqlv zu sprechen.
3 Mär ,mein Herr“ wird den Namen heiliger und sehr ehrwürdiger Männer
vorgesetzt.
4 S. über ihn Barh. hist. eccl. 2, 103 ff.; Assem. 3, 1, 108ff. Er war bei
Hormizd beliebt gewesen eb. 108“. Diesen Tadel hat der Kaiser schwer
lich ausgesprochen. In der Angabe spiegelt sich die, allerdings nicht
unbegründete, Ansicht der Nestoriauer von der hohen Würde ihres Ober
hauptes, des Katholikos oder Patriarchen. — Arzon lag im südlichen
Theile des römischen Armeniens.
Die von Guidi herausgegebene syrische Chronik.
7
Empfang entgegengezogen war. Aber clas hatte er ver
mieden, weil er fürchtete, Chosrau möge in seiner Bosheit die
Kirche vernichten und eine Verfolgung wider die Christen er
regen. 1 Maurikios gab dem Chosrau viele Truppen, und sie
brachen nach dem Osten auf. Als War ah ran das hörte, ver-
liess er Mähoze 2 mit seinen Truppen und floh nach Adhorbäigän. 3
Chosrau rückte ihm mit den persischen und römischen Truppen
entgegen, die Römer erlangten den Sieg, und Warahran’s Heer
ward geschlagen. Darauf kehrte Chosrau mit grosser Freude
heim. Wie man nämlich sagt, war dem Chosrau, da er eben den
Zaum seines Pferdes in der Hand hatte, um in den Kampf zu
gehn, die Gestalt eines alten Mannes erschienen; als er nach
seiner Rückkunft aus dem Kriege davon seiner Frau Sirin 4 er
zählte, sagte sie ihm: ,das ist Sabhriso', Bischof von Läsum/ 5
Er nahm sich’s zu Herzen, schwieg aber. 6
1 Diese unklare Motivierung macht den Eindruck, das Richtige verhüllen
zrr sollen. Der Katholikos fürchtete wohl nicht so sehr für seine Kirche
als für seine Person, da er den nun einmal legitimen König, so weit es
an ihm lag, im Stich gelassen hatte, und hielt sich deshalb nach seiner
Rückkunft von ihm zurück. S. unten S. 9.
2 Mähozö, d. h. ,die Städte 1 , nämlich die Künigsstädte Seleukia, Ktesiphon und
ein paar benachbarte Orte. Man zählt im Ganzen 7. Die arabische Ueber-
setzung von Mähoze ist al-Madäin; doch bezeichnet man damit meist
nur Ktesiphon, die schon zur Säsänidenzeit bei weitem wichtigste dieser
Städte.
8 Hierdurch wird Hoffmann’s Ansicht (Märtyrer 248), dass das Schlachtfeld
in Atropatene unweit des Urmiasees gelegen habe, gesichert und meine
frühere Meinung (Tab.-Uebers. 285), der Kampfplatz sei in Assyrien ge
wesen, entscheidend widerlegt. Allerdings gibt unser Chronist nur den
Anfang und das Ende des Krieges an und übergeht alle dazwischen
liegenden Züge.
4 Diese seine Lieblingsfrau war eine Christinn. Mehr über sie unten. Vgl.
Tab.-Uebers. 283 u. s. w.
6 Ueber die Lage von Läsum (unweit Täüq = Däqüqä, etwa 20 deutsche
Meilen nördlich von Baghdäd) s. Hoffmann 274.
6 Aus einem späten Nestorianer hatte ich das schon Tab.-Uebers. 483. Aber
dieser hatte den Aufstand des Bistäm mit dem des Warahrän verwechselt,
und so fallen die Folgerungen fort, die ich aus der Geschichte für die
Chronologie jenes gezogen hatte. — Merkwürdig ist, dass sowohl die
persischen Christen wie die Zoroastrier dem sehr unheiligen König durch
eine himmlische Erscheinung Trost oder Hülfe bringen lassen.
8
IX. Abhandlung: NÖldeke.
Zu jener Zeit entkamen die Gebrüder Bindoi und Bistam 1
aus dem Gefängniss, die Hormizd gefangen gesetzt batte, 2 und
halfen dem Chosrau gar sehr, da sie vom Geschlecht seiner
Mutter waren. 3 Darauf sandte er den Bistam mit einem grossen
Heere an die Grenze der Türken, Bindoi aber behielt er in der
Residenz. Weil nun Bindoi dem Chosrau wegen allerlei Reichs
angelegenheiten wiederholt Vorwürfe machte, gedachte dieser
ihn zu tödten; da entfloh er, um sich zu seinem Bruder Bistam
9 zu begeben. Als er jedoch durch das Land Ädhorbäigän kam,
hörte der dortige Marzabän davon, richtete ihm ein Mahl an,
fing ihn so und schickte ihn zu Chosrau. 4 Auf die Kunde
davon sammelte aber sein Bruder türkische und delomische
Truppen 5 und kam bis nach Mähoze. 6 Allein ein Türke über
listete und tödtete ihn und sandte seinen Kopf an Chosrau. 7
Dem Bindoi wurden auf Befehl des Königs alle Glieder der
rechten Seite abgehackt; dann liess er ihn nach Be Läpät 8 schaffen
1 Bei Warahrän hat der Chronist eine alte Namensform festgehalten (statt
des modernen Bahräm), bei diesen beiden gibt er die jungen Formen;
die alten sind Windoi und Wistahm.
2 Auch nach Tlieophylakt 4, 3, 5 hatte Hormizd den Bindoi eingekerkert
(aber nicht seinen Bruder). Beim Aufstand befreit, wurde er von Bahräm
mit seinem Bruder wieder eingesperrt.
8 Sonst werden sie gradezu als Brüder seiner Mutter bezeichnet; ver-
muthlich ist das aber nicht genau.
4 Ich möchte diese Angabe der des historischen Romans (Tab.-Uebers. 479)
vorziehen. Natürlich hat sich der Statthalter (Marzabän) des Bindoi treu
brüchig und mit Verletzung des Gastrechts bemächtigt; vielleicht aller
dings rtpo; Kpfjra zprjrijtov.
6 Nach Delom (Gilän) flüchtet sich Bistam zuerst (Tab.-Uebers. 480), und
Leute aus diesem Lande bildeten einen Theil seiner Truppen (eb. 481).
Bahräm Öobin hatte Türken in seinem Heere (eb. 275 Anm.), dessen
Reste sich dem Bistam anschlossen. Dazu kamen noch andere nordische
Barbaren, die als ,Türken 1 bezeichnet werden konnten. So die Könige
Sog und Pariok (eb. 483).
8 Das ist gewiss übertrieben.
7 Also stimmt unser Erzähler, wie schon Guidi bemerkt, mit dem Armenier
Sebeos überein, der hier den eben erwähnten Pariok nennt. Das hat
natürlich mehr Gewicht als die Erzählung des Romans (eb. 482).
8 So hier wie auch sonst gelegentlich (z. B. Hoffmann n. 351, Märi 83, wo
noch die jüngste Form Be Läbädh daneben), nach der Aussprache, für
Beth Läpät, wie er sonst schreibt. Dieser Ort, persisch WendeJäbür oder
Gundeiabür, war eine der bedeutendsten Städte Susiana’s und zeitweise
Die von Guidi heransgegebene syrische Chronik.
9
und da kreuzigen. 1 Den Kopf Bistäm’s liängten sie dem Säpür,
dem Sohne Warahran’s, der sich wider ihn empört hatte, an
den Hals, setzten ihn auf ein Kameel und führten ihn in der
Hauptstadt umher. 2
Da aber lso'jabh, das Oberhaupt der Christen, dem Chosrau
sehr verhasst geworden, weil er nicht mit ihm nach dem Römer
lande gegangen war, und ferner wegen'der Verleumdungen des
Archiaters Timotheos von Nisibis, so nahm er sich vor dem
Könige sehr in Acht. Während er nun bald darauf nach dem
arabischen Hira reiste, um den Araberkönig Nu'män, der sich
hatte taufen lassen und Christ geworden war, zu besuchen, er
krankte er, eben in die Nähe von Hira gekommen, und starb
in einem Dorfe Namens Beth Qusi (?). 3 Als das Hind, Nu'man’s
Schwester, hörte, zog sie mit den Priestern und Gläubigen von
Hira aus; sie brachten den Leichnam des Heiligen mit grosser
Feierlichkeit herein, und Hind setzte ihn in dem von ihr er
bauten neuen Kloster bei. 4 Nachdem die Kirche eine Zeit 10
Residenz der Könige; s. Tab.-Uebers. 41; Hoffmann a. a. O. Vermuthlich
war diese Stadt der eigentliche Sitz Bistäm’s gewesen.
1 Die Art der Tödtung stimmt mehr zum Roman als zu Theophylakt 5, 15,
der ihn in den Tigris werfen lässt. Unser Autor ist hier gewiss am
besten berichtet.
2 Also schon ganz das Verfahren, das unter den 'Abbäsiden bei grossen
Staatsverräthern öfter vorkam (vgl. z. B. meine ,Oriental. Skizzen* S. 214).
Dieser Säbür hatte sich vielleicht mit den Resten von seines Vaters
Heer dem Bistäm angeschlossen. Die Namen Säbür und Baliräm
finden w'ir in dieser Zeit in der Familie Milirän auch sonst; s. Tab.-
Uebers. 139. Ein anderer Sohn des Empörers spielt wieder eine Rolle
im Kampfe mit den Muslimen Tab. 1, 2062, 10, und so auch dessen Sohn,
Sijäwachs ,König von Rai* Ibn Athir 3, 18. Ebenso haben im Jahre 634
wieder zwei Söhne Bistäm’s, Bindöi und Tiroi, ein Commando Tab. 1,
2169. Also galt noch bei den Säsäniden wenigstens theilweise, was
Herodot 3, 15 von den Achämeniden erzählt. Das erklärt sich bei ihnen
aber wohl hauptsächlich aus der Macht der grossen Adelshäuser.
3 Bei Barli. hist. eccl. 2, 105 geht lso'jabh dahin, um den Nu'män vom
Monophysitismus zum Nestorianismus zu bekehren, aber das gelingt ihm
nicht. Dies ist eine tendenziöse Erfindung, wie ich schon Tab.-Uebers.
347 vermuthete. Die Ehre, welche Hind der Leiche erweist, zeigt, dass
das Königshaus sich mit ihm im Glauben eins fühlte.
4 Dies Kloster war noch lange nachher berühmt. Es ist, wie Guidi be
merkt, ,das Kloster der jüngeren Hind* Jl jjp, s. Jäqüt s. v.
Die arabischen Nachrichten (Ibn al-Kalbi) und Barh. 1. c. nennen diese
10
IX. Abhandlung: Nöldeke.
lang ohne Leiter geblieben war, versammelte sich auf Befehl
des Königs die Synode, um sich ein Oberhaupt zu wählen. Der
König liess ihnen sagen: ,holt den Sabhrisö' von Lasum und
setzt euch den 1 zum Haupt eind So holten sie ihn rasch und
machten ihn zu ihrem Haupt. 2 Und er ward sein Leben lang
vom König und seinen beiden christlichen Weibern, der Ara-
mäerinn Sirin und der Römerinn Maria, 3 hoch geehrt.
In Nisibis war aber der Metropolit Gregor von Kaskar. 4
Den vielen Zank und Streit, den der Satan zwischen diesen
beiden seligen Männern (Gregor und Sabhrisö') erregte, kann
Hind Nu'män’s Tochter; mit unserer Schrift stimmt der späte Nesto-
rianer ‘Amr überein (Ass. 3, 1, 109). Wir dürfen ihnen wohl mehr Ge
wicht beimessen.
1 Lies
2 Sabhrisö war ihm ja erschienen (oben S. 7). Wir sehen aus dieser und
anderen Erzählungen, wie abhängig die Kirche vom König, aber auch
welch wichtiger Factor sie für den persischen Staat war. — Nach Elias
von Nisibis (respective dessen Quelle; s. die Anm. zu Barh. 1. c.) starb
isö'jabh 594/5 und ward sein Nachfolger eingesetzt den 19. April 596,
dazu stimmt genau die Angabe Donnerstag vor Ostern (im 6. Jahre des
Chosrau) Ass. 3, 1, 446, während der Bericht eb. 444 den Ostertag selbst
(22. April) nennt. Unmittelbar darauf (im Mai) ward eine Synode ab
gehalten ZDMG 43, 390. — Die Sedisvacanz mag also ein Jahr gewährt
haben. Der Eifer Chosrau’s für die Wahl Sabhrisö's war somit doch
nicht allzu heiss. —- Der Mann, den man schon so früh in einer wunder
baren Erscheinung auftreten liess, ward später zum grossen Wunder
täter; s. Ass. 3, 1, 443 ff. und die Mittheilung Guidi’s ZDMG. 40, 559 f.
8 ,Hier sind die beiden christlichen Frauen Sirin und Maria deutlich unter
schieden und benannt* (Guidi). Insofern war also Gutsclimid’s Bedenken
gerechtfertigt, dass Maria nicht, wie die Araber angeben, eine Tochter
des Kaisers war (ZDMG. 34, 283), denn das hätte dieser alte Bericht
gewiss nicht verschwiegen. Sirin’s Nationalität als einer ,Aramäerinn*
wird unten noch genauer bestimmt: ein Mann aus Poräth (in der Gegend
des späteren Basra) galt als ihr besonderer Landsmann. Merkwürdig
immerhin, da das Land Beth Arämäje, dessen Gentilicium wir hier
haben, sonst nicht einmal das Land Kaskar mit umfasst, das weiter
nördlich liegt (Marl 78. 80), sondern der Provinz Küfa, der nördlichen
Hälfte des Träq, entspricht. Nach dem Armenier Sebeos war Sirin aus
dem benachbarten Chüzistän (Susiana), s. Tab.-Uebers. 283; unsere Schrift
weiss hierüber gewiss genauer Bescheid.
4 Kaskar ist das Gebiet der späteren Stadt Wäsit zwischen Bnglidäd und
Ba§ra.
Die von Guidi herausgegebene syrische Chronik.
11
die Zunge nicht erzählen. Gregor’s Vorgänger 1 in Nisibis war
aber kurze Zeit Gabriel, Sohn ßufin’s gewesen. 2 Da sich dieser
stark mit dem Lauf der Gestirne und der Zodiacalzeichen ab
gab, 3 hatte man ihn verjagt und den Gregor, Bischof von Kaskar,
mit Gewalt hergeholt. In Nisibis aber, d. i. Antiochia Myg-
cloniae, 4 das wegen der Gärten und Parks darin so zubenannt
wird, 5 sammelten sich, weil es an der persisch-römischen Grenze
lag, thörichte, unruhige und streitsüchtige Menschen von überall
her, besonders wegen der dortigen berühmten Schule. Schrift
ausleger war aber Hnänä von Hdhaijabh. 6 Als derselbe in seinen
Lehrvorträgen allerlei gegen den ökumenischen Schriftausleger 7
einwandte, ertrug das dieser Eiferer Gregor nicht. Auch wollte
er die Cleriker, deren Wandel verderbt war wie auch der der 11
andern Gläubigen, bessern; sie fügten sich ihm jedoch nicht.
Und einen Diakon mit dem Beinamen ,Fuchssohn < fand man
gar, wie er im Walde ausserhalb der Stadt einen weissen Hahn
opferte; diesen rief er zu sich und . . . 8 Auch überführte er
einige Mönche, die mit Werken . . . 9 und rings um das Öigär-
Gebirge 10 wohnten und Messallianer 11 waren, und vertrieb sie
1 Nach (10, 10) ergänze Joj-° oder ? ^oiaio^o. Der vorhergehende
Satz ist ein Anakoluth.
2 Also nicht Ahädhabhüh, wie Hoffmann n. 1048 vermuthet.
3 D. h. nach heidnischer Weise Astrologie trieb.
4 Polyb. 5, 51; Strabo 747; Stepli. Byz. s. v. ’Avno^era.
6 Die Erklärung geht auf Mygdonia, das zu ,Frucht* (PI. lr^>.
und wie u. a. m.) gestellt wird. S. BB s. v. f 2 ] (Duval’s
Ausgabe 163).
6 Vgl. über diesen Mann, seine Ketzereien und die Streitigkeiten mit ihm Ass.
3, 1, 81 ff.; Hoffmann 102. 104. 110 f Die Aussprache Hnäna (arab. IjLlrA
y y
scheint mir ziemlich sicher. = Adiabene wird von BB aus
drücklich vorgeschrieben. Es ist bekanntlich eine Landschaft Assyriens,
zwischen den beiden Zäb.
7 Den für die Nestorianer kanonischen Theodoros von Mopsuhestia.
8 Offene Lücke von zwei oder drei Worten. Dass wir so nicht direct er
fahren, wie Gregor den Sünder unschädlich gemacht hat, ist kein grosser
Verlust; gern wüssten wir aber mehr über den heidnischen Glauben und
Brauch, der hier noch so spät in einer altchristlichen Gegend auftritt.
9 Wieder eine solche Lücke.
10 Die Berge von Singär, das Jeziden-Gebirge, nahe bei Nisibis.
11 ,Beter*. Eine oft genannte Secte. In jener Zeit und Gegend hat sie auch
Ass. 3, 1, 91 a Mitte; Hoffmann 104. Die oben erwähnte Synode vom
Jahre 596 fasste scharfe Beschlüsse gegen sie (ZDMG. 43, 390 ff.).
12
IX. Abhandlung: N ö 1 d e k e.
nach allen Richtungen. Von da an führten die Nisibener und
die Umwohner über ihn starke Klage. Der König liess ihn
deshalb holen und befahl ihm, sich im Kloster des Sahdost 1
niederzulassen. [Da sprach er gegen die Bewohner einen Fluch
aus,] 2 indem er sich an den Thoren Zoba’s 3 den Staub von
den Füssen schüttelte; 4 dann ging er fort. Mär Sabhriso'
wollte den Gregor absetzen, doch gingen die Bischöfe nicht
darauf ein. Da. befahl ihm der König, in seine Heimat zu
gehn. 5 Er that das und errichtete sich ein Kloster im Lande
Kaskar an einer Stelle, die Bazzä dnahräwäthä 6 heisst, und
führte Viele zur Gottesfurcht. Man sagt aber, 7 dass dem Mär
Sabhriso' nach der Abdankung Gregor’s die ihm vorher ver
liehene Kraft, Wunder zu thun, nicht mehr geblieben sei. 8
Darauf empörte sich Nisibis wider Chosrau. Als der
König das hörte, schickte er Nachwergän, 9 einen Grosswürden
träger des Reichs, mit grossem Heere und Elephanten 10 und auch
den Mär Sabhriso' mit ihm. Die Bewohner der Stadt schlossen
vor ihm die Thore, doch auf die Zureden des Katholikos und
weil Nachwergän schwur, ihnen nichts böses zur Vergeltung
zuzufügen, öffneten sie sie ihm; aber als er eingezogen war,
brach er seine Verheissung, ergriff die Angesehensten von
ihnen, folterte sie, plünderte ihre Häuser, vernichtete all ihre
Habe und brachte sie zuletzt auf alle mögliche Weise um.
1 Lage unbekannt. AVahrscheinlich nach dem 342 hingericliteten Märtyrer,
Bischof von Seleukia und Ktesiphon, benannt.
2 Etwas derartiges muss hier gestanden haben; s. unten S. 13.
3 Die Syrer identificieren gemeinlich Nisibis mit dem Zoba des A. T.;
freilich ganz verkehrt.
4 Luc. 9, 5 (Marc. 6, 11).
6 Der Patriarch macht seinen Einfluss auf den Herrscher in wenig er
freulicher Weise geltend.
6 Bazzä (bezza?) ist wahrscheinlich eine richtige Dialektform für beza;
s. BB 377; talm. xt’3. Also ,Spalte der Flüsse“.
7 Ger steht hier und an anderen Stellen dieser Schrift als blosse Ueber-
gangspartikel, schon ganz wie bei weit späteren Nestorianern.
8 Dieser Bericht und die bei Ass. 3, 1, 441; Hoffmann 115 ergänzen und
erläutern einander.
9 Ueber diesen Namen s. Tab.-Uebers. 152; Hoffmann zu Qardagh (ed.
Feige) S. 10. Vielleicht ist hier, Tab.-Uebers. 353 Anm. 2, eb. 347 und
482 immer derselbe Mann gemeint.
10 Doch wohl IKso für zu lesen (11, 3 v. u.).
Die von Guidi herausgegebene syrische Chronik.
13
So erfüllte sich an ihnen Gregor’s Fluch, uncl auch Mär Sabhriäo'
sah das ein. 1
In jener Zeit lebte der Drustbadh Gabriel aus Sigar, 2 der
Archiater, der heim König deshalb beliebt war, weil Sinn,
nachdem er sie am Arm zur Ader gelassen, einen Sohn bekommen
hatte, den sie Merdänsäh nannte, während sie früher keine
Söhne geboren hatte. 3 Obgleich Gabriel früher ein Häretiker
gewesen war, wollte er sich doch zur Partei der Rechtgläubigen
zählen lassen. 4 Allein weil er seine rechtmässige Frau, die eine
Bekennerinn 5 aus hohem Geschlecht war, fortgeschickt und zwei
heidnische Weiber genommen hatte, mit denen er in heidnischer
Weise verkehrte, 6 und dann den Zureden des Katholikos, die
Heidinnen fortzuschicken und eine rechtmässige Frau zu nehmen,
nicht folgte, so trat er wieder auf die Seite der Häretiker und
fügte unsrer Partei viel böses zu.
Wie man erzählt, war der Araberkönig Nu'män von
Chosrau, als er vor Warahran nach dem Lande der Römer
floh, aufgefordert worden, ihn zu begleiten, war aber nicht
darauf eingegangen. Auch hatte er des Königs Bitte, ihm ein
1 Von dieser Empörung der Nisibener scheint keine andere Quelle zu
sprechen. Zu beachten ist, dass der Katholikos nachher bei den Nisi-
benern in gutem Angedenken stand, s. unten S. 18.
2 ,Gesundherr“ (vgl. liolländ. geneesheer ,Arzt‘); s. Hoffmann n. 971.
Der Titel wird geschrieben in der Vita des Märuthä (cod. Brit.
Mus. Add. 14645, fol. 198 ff.), die ich früher einmal in der Abschrift von
Professor Kleyn habe benutzen können. Eigentlich ist dieser Titel wohl
eine Uebersetzung von ocp^iarpo?, das hier als den Syrern bekannter Aus
druck noch daneben steht. — lieber diesen Gabriel, den Patron der
Monophysiten, s. Tab.-TJebers. 358, Hoffmann 116 ff. Die Vita des Mä-
rüthä gibt noch einiges weitere über ihn.
3 Nach der Urkunde Theopliylakt 5, 14 = Euagrios 6, 21, 7 ff. schrieb Chosrau
die Empfängniss des ersten Sohnes der Sirin den Segnungen des heil.
Sergios zu. Vielleicht lassen sich beide Auffassungen vereinigen. Natürlich
hat aber das Schreiben des Königs höhere Autorität, als was man sich
im Volke über diese Dinge erzählte, die hinter den unzugänglichen Pforten
der Königsschlösser geschahen.
4 Häretiker sind hier die Monophysiten, Rechtgläubige die Nestorianer.
6 D. h., wie Hoffmann erkannt hat (n. 882. 897), eine Convertitinn. Ver-
muthlich wurden die Neubekehrten als ,Confessoren“ bezeichnet, weil sie
wegen des Uebertrittes immer viel zu leiden hatten, namentlich wenn
sie aus vornehmer Familie waren.
6 Das kann wahr sein, braucht es aber nicht.
14
IX. Abhandlung: Nöldeke.
sehr werthvolles Ross zu schenken, abgeschlagen. Ferner hatte
er dem Chosrau seine sehr schöne Tochter, die er von ihm
verlangte, verweigert, ihm vielmehr sagen lassen, einem Manne,
der sich in viehischer Weise vermähle, gebe er seine Tochter
nicht. Das alles nahm Chosrau zusammen und bewahrte es in
13 seinem Sinne. Als er aber von den Kriegen 1 etwas Ruhe
hatte, wollte er sich wie an seinen anderen Feinden, so auch
an Nu'män rächen. Er lud diesen also eines Tages zum Mahle
ein, setzte ihm aber statt des Brotes Bissen aus Gras 2 vor.
Hierüber ward Nu’män sehr ärgerlich und schickte zu seinen
Stammesgenossen, den Ma'additen; 3 darauf durchzogen diese
dem Chosrau viele Länder, Menschen raubend und verwüstend,
und kamen bis nach 'Arabh. 4 Als Chosrau das hörte, wurde
er aufgeregt und suchte auf verschiedene Weise den Nu'män
zu sich zu locken, aber er ging nicht darauf ein. Jedoch
einer von Nu'män’s Dolmetschern Namens Ma'ne von der
Insel Derin 5 verabredete mit Chosrau heimlich einen Anschlag.
Er sprach zu Nu'män, der König liebe ihn sehr, und schwur
ihm auf das Evangelium, dieser werde ihm kein Leid anthun.
Auch redete ihm seine Frau Mäwijah 6 also zu: ,es ziemt dir
1 Gegen Bahräm und Bistäm.
2 Eine glänzende Verbesserung von Hoffmann: (13, 4). Weil er
dem König viehisches Wesen vorgeworfen, bekommt er selbst Vielifutter.
3 Hier = Beduinen. Die Banü Saibän, die an dieser Stelle in Betracht
kommen, sind allerdings Ma'additen im eigentlichen Sinne, aber Nu'män
selbst gehört, wenigstens nach der üblichen Ansicht, nicht zu den Kindern
Ma'add’s.
4 Das von Arabern bewohnte mesopotamische Wüstengebiet, namentlich so
weit es zum römischen Reich gehört. So schon in dem sehr alten Dialog
de fato; s. Cureton’s Spicil. syr. 19, 6, wo die Eroberungen des Septimius
Severus im Jahre 196 gemeint sind. TJeber das Land könnte ich
noch allerlei geben. Der persische Theil des mesopotamischen Araber
landes heisst meistens Beth 'Aräbhäje.
5 Arabisch Darin, eine der Bahrain-Inseln, wahrscheinlich, wie schon Jäcjüt
2, 537 annimmt, die grösste derselben, 'Owäl. Im 6. und 7. Jahrhundert
öfter als Aufenthalt von Christen und als Bischofsitz genannt Ass. 3, 1,
136. 151»; ZDMG. 43, 405f. (409f.).
6 Ich erinnere mich nicht, unter den Frauen Nu'män’s eine Mäwijah ge
funden zu haben. Der Name ist übrigens nicht selten. Beachte, dass
der Syrer das auslautende t (ä) als wirklichen Hauch hörte, denn sonst
hätte er nicht geschrieben; von einer blossen Transscription der ara-
Die von Gnidi herausgegekene syrische Chronik.
15
mehl', mit dem Königsnamen zu sterben, als vertrieben und
des Königsnamens entblösst zu sein/ Als er nun in die Residenz
kam, tödtete ihn der König zwar nicht, sondern gebot ihm
nur, dort zu bleiben; allein, wie man sagt, brachte er später
diesen trefflichen Bekenner 1 durch Gift um. 2
Darauf empörte sich gegen den römischen Kaiser Mau-
rikios ein Mann Namens Phokas und tödtete ihn, seine Söhne
und seine Frau; nur einer von seinen Söhnen Namens Theodosios
bischen Schreibung wie bei Späteren kann hier nicht die Rede sein.
Ebenso im Anfang des 6. Jahrhunderts ol -—= JjAj Guidi, La lettera
di Simeone ... di Bdtli-Arsäm (R. Acad. dei Lincei anno 278, Roma
1881, S. 2 des Textes). In älterer Zeit erscheint n 0 für i.
1 = Convertiten; s. oben S. 13, Anm. 5.
2 So sehr dieser Bericht im Einzelnen von dem arabischen (Tab.-Uebers.
311 ff.) abweicht, so haben sie doch wichtige Züge gemein. So, dass
Nu'män sich weigert, einen weiblichen Angehörigen für das königliche
Serail herzugeben. Ferner, dass er durch die List eines Beamten ara
bischer Herkunft, der den Verkehr zwischen dem Hof und dem Araber
fürsten zu vermitteln hat, ins Unglück geräth. Die arabische Darstellung
ist poetisch abgerundeter, indem sie Nu'män durch den Sohn des 'Adi
mit List ins Unglück stürzen lässt, der durch seine Schuld umgebracht
worden war. Unser Syrer ist hier aber gewiss zuverlässiger, auch darin,
dass er nach ihm erst zuletzt durch jenen Mann in die Gefangenschaft
gelockt wird. Dass Nu'män sich freiwillig stellt, haben beide Erzählungen,
und wie man das im Volk auffasste, zeigt die Aehnlichkeit der AVorte,
die hier seiner Frau, mit denen, welche dort dem Häni’ b. Qabisa in
den Mund gelegt werden: ,alles kann der Mann mit Anstand ertragen,
nur nicht, nachdem er König gewesen, Unterthan zu werden. Der Tod
trifft doch jedermann; in Ehren zu sterben ist dir besser, als Demüthigung
herunterzuschlucken oder Unterthan zu sein, nachdem du König ge
wesen bist u. s. w.‘ (Agh. 2, 31). Ob Chosrau von Nu'män wirklich ver
langt hat, ihn auf der Flucht zu den Römern zu begleiten, ist zweifel
haft; er war damals wohl nicht in seiner Nähe. Die Verwüstungen durch
die Beduinen können kaum stattgefunden haben, bevor er sein König
thum aufgegeben hatte. Dass er länger gefangen gehalten und nicht
hingerichtet ist, wie die natürliche Auffassung der Worte des zeitge
nössischen Dichters A'sä (Tab.-Uebers. 331) ergibt, bestätigt unser Bericht.
Nach dem Vers Sihäh s. v. Ihn Qotaiba, Ma'ärif 319 (wo er,
gewiss mit Unrecht, dem A'sä zugeschrieben wird), ward er allerdings
von Elephanten zerstampft. — Nach der Anordnung der Chronik darf
man wohl annehmen, dass der Sturz Nu'mäns zwischen die Bezwingung
Bistäm’s und den Beginn des Römerkriegs fällt; das stimmt zu Elias
von Nisibis, der das Ereigniss auf 601 ansetzt (Tab.-Uebers. 347).
16
IX. Abhandlung: Nöldeke.
entfloh und kam zu Chosrau. 1 Der König nahm ihn mit grossen
Ehren auf und gebot dem Katholikos, dass er ihn in die Kirche
führe, und dass nach römischer Sitte die Kaiserkrone auf den
Altar gelegt und ihm sodann aufs Haupt gesetzt werde.
Chosrau gab ihm darauf ein Heer, und er zog gegen die
Römer. Phokas schickte ebenfalls viele Truppen, und sie
lagerten sich vor Beth Wasi 2 jenseits der Stadt Därä, 3 kämpften
mit Theodosios und schlugen seine Truppen. Als dieser daher
dem Chosrau meldete, er könne den Römern nicht wider
stehn, brach der König selbst im Winter von Mähoze mit
vielen Truppen auf und überzog das römische Gebiet; der
Katholikos war bei ihm. Die Truppen des Phokas zogen
ihnen entgegen, und die Heerschaaren wurden handgemein.
Zahlreiche Leute fielen auf beiden Seiten. Dem Chosrau selbst
warf man einen Strick über, aber einer seiner Helden 4 Namens
Muskän schnitt diesen durch. Am folgenden Tage war eine
förmliche Schlacht, in der die Römer von den Persern ge
schlagen wurden. Der König griff darauf Darä an und erbaute
Belagerungswälle. Man führte Minengänge unter die Mauer,
steckte Feuer an und verursachte durch verschiedene Mittel
Risse in ihr. (Durch diese drang man ein.) Dann vergoss
man dort Blut wie Wasser. Aber der Bis'chof von Darä öffnete
1 Dass der Prinz echt war, steht trotz der verschiedenen, namentlich orien
talischen, Zeugnisse (Tah.-Uebers. 290) durchaus nicht fest gegenüber
der bestimmten Aussage des sachkundigen Theophylakt 8, 13, 4—6.
2 Die Vermuthung Guidi’s, dass Bö(tli) Wasi = Bebase Ammian 18, 7, 9.
18, 10, 1 sei, ist sehr wahrscheinlich. Nach den Angaben Ammian’s hat
man Bebase etwas westlich von Därä zu suchen, und da liegt, worauf
mich Hoffmann hinweist, noch jetzt Tel BeS, ungefähr 40 Kilometer von
Darä, gegen 30 Kilometer südlich von Mardin; s. Kiepert’s Karte des
westlichen Tor zu Sachau’s Abhandlung ,lieber die Lage von Tigrano-
kerta 1 (Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften 8. No
vember 1880) und die zu Sachau’s Reise; vgl. eb. S. 427. — Nach
träglich erinnert mich Hoffmann noch daran, dass der Ort, genau wie
hier geschrieben, bei Joh. Eph. 404 ult. und als xo Bißa; Theophylakt
1, 15, 15 vorkommt. — Wie die Kämpfe hier ganz an der Ostgrenze
mit der Empörung des Narses in Edessa in Einklang zu bringen sind,
ist mir unklar. Vielleicht liegen sie doch hinter dieser.
8 ,Jenseits* vom Standpunct im Innern des persischen Reiches.
4 Jedenfalls Bezeichnung einer Gardeabtheilung; s. unten S. 32. Die Aus
sprache MuSkän ist nicht sicher.
Die von Guidi herausgegebene syrische Chronik.
17
sich mit einem eisernen Werkzeug die Ader, so ,die allgemeine' 1
des Körpers heisst, warf sich auf sein Lager und starb durch
den Blutverlust; denn er fürchtete sich vor dem König, der
geschworen hatte, er wolle ihn auf vierzig Arten umbringen.
Von der Zeit an hatte Chosrau die Oberhand im römischen
Gebiet. Därä ward aber im 14. Jahr Chosrau’s eingenommen. 2
Während nun der König Därä belagerte, begab sich ein
Radh 3 zu den Kirchen von Siärzür 4 und riss sie nieder. Als
die Gläubigen mit ihrem Bischof Nathanael das sahen, ertrugen
sie es nicht, sondern erhoben sich gegen den Radh und trieben
ihn fort. Er kam darauf nach Nisibis zu Chosrau und regte
ihn mit den Worten auf: ,du kämpfst für die Christen 5 , und
ich bin von den Christen vertrieben!' Da liess der König
den Nathanael, Bischof von Siärzür, ohne weitere Untersuchung
1 KaOoXnoj. Weder habe ich noch mein College, der Anatom Schwalbe,
sonst irgendwo diese Bezeichnung für eine Ader finden können. Gemeint
ist aber wohl die Pulsader.
2 Nach Land, Anecd. syr. 1, 15, war die Einnahme von Därä 915 Sei. Ind.
VII = 603/4. Das 14. Jahr Chosrau’s läuft vom 24. Juni 603 bis
22. Juni 604. Da er nach unserm Syrer im Winter aufgebrochen ist,
so hat man die Einnahme der Stadt in den Frühling 604 zu setzen.
Thomas von Margä (Ass. 3, 1, 441) und Salomon von Basra (Liber Apis
139), die dies Ereigniss in das 15. Jahr Chosrau’s verlegen (s. S. IS Anm. 1),
können gegenüber diesen alten Zeugen nicht in Betracht kommen. In
der Quelle des Theophanes war das Jahr 6098 = 605/6 gewiss eigentlich
nur für den Abschluss der Eroberung Mesopotamiens gemeint, die mit
der Einnahme Därä’s begann.
3 Der Radh steht an der Spitze eines Bezirks; s. Tab.-Uebers. 447f. Ich
könnte jetzt, namentlich aus dem 2. Bande von Bedjan’s Märtyreracten,
noch viele Belege geben. An der Stelle Moesinger 2, 68, 16 hat die
Handschrift, wie ich von Guidi erfahre, wirklich radli; so auch die ent
sprechende Stelle hei Bedjan 2, 519, 10.
4 So schreiben alle alten syrischen Texte, s. ZDMG. 43, 403 ff; Hoffmann 43;
Ass. 3, 1, 143. 457 (Thomas von Margä in einer Vita des 7. Jahrhunderts).
Entsprechend xb Ziapooüpcov Chron. Pasch. (Bonn) 730. 732; tov 2itx£oupov
Theophanes (Bonn) 499 (de Boor 325); in den Quellen stand sicher an
beiden Stellen to Siap^oupcov. Die Araber aber schreiben und
so die späteren Syrer ioRoi-*. oder Aojjoi-*. (jenes schon bei Thomas
von Margä Ass. 3, 1, 477 a; dieses öfter bei Barh.). Die sachliche Identität
steht fest, aber lautlich kann siär (odersiar?) nicht = 3ahr sein. Wahrschein
lich ist Sahrzür eigentlich Name des Bezirks, Siärzür des Ortes; die Be
deutung von Siär ist mir aber unbekannt.
5 Gemeint ist Prinz Tlieodosios.
Sitzungsber, d. phil.-kist. CI. C XXVIII. Bd. 9. Abli. 2
18
IX. Abhandlung: Nöldeke.
holen, hielt ihn sechs Jahre eingesperrt und kreuzigte ihn
darauf. 1 Denn wenn Chosrau gleich um des Maurikios willen
zum Schein Liebe zu den Christen zeigte, so war er doch in
Wirklichkeit ein Feind unsres Volks.
Mär Sabhriso' aber war in Nisibis von einer schweren
Krankheit befallen. Da liess der König an ihn die Forderung
stellen, er solle den Gabriel vom Banne lösen, den er ausge
sprochen hatte, aber er ging nicht darauf ein. Dann machte
der Katholikos sein Testament und versiegelte es; darin be
stimmte er, ihn 2 nach seinem Kloster zu bringen. Die Nisi-
bener wünschten zwar, dass man die Leiche des Heiligen in
ihrer Kirche beisetze, aber der König gewährte das nicht, da
er die Bestimmung des Katholikos erfahren hatte. So setzten
seine Schüler seinen Leichnam auf ein Kameel 3 und brachten
ihn in sein Kloster.
Darauf ward durch den Einfluss der Sirin ihr Lands
mann Gregor von Poräth 4 als Katholikos eingesetzt, obgleich
1 Dieser Bischof Natlianael von Siärzür erscheint als Mitglied der Synode
vom Jahre 588 (ZDMG. 43, 405, 1) und noch der, die sich ira ,Nisän
des Jahres 15 unsere Herrn Chosrau, Königs der Könige 1 d. i. April 605
gleich nach Ernennung des neuen Patriarchen Gregor versammelte. Dies
Datum steht, wie mir Guidi schreibt, so in der Handschrift (vgl. ZDMG.
43, 406). Er muss also erst etwas später gefangen gesetzt sein, als man
nach unseren Text annehmen würde. Die Zeitbestimmung ganz so bei
Elias von Dainaseus (Ass. 3, 1, 452 b ). Mit Recht setzt demnach Thomas
von Margä (Ass. 3, 1, 441) die Wahl Gregor’s ins 15. Jahr des Königs,
unrichtig Elias von Nisibis (Anm. zu Barli. h. eccl. 2, 108) ins Jahr 16.
Wahrscheinlich hat Thomas das Jahr der Einnahme von Därä falsch
nach der Wahl Gregor’s bestimmt, Elias von Nisibis oder seine Quelle wie
der die ungefähr ein Jahr nach der Einnahme geschehne Wahl nach
der unrichtigen Ansetzung dieser ein Jahr zu spät gelegt.
2 D. h. seine Leiche. Es fehlt die ausdrückliche Angabe, dass er darauf
gestorben sei.
3 Vgl. Ass. 3, 1, 447“.
4 S. oben S. 10, Anm. 3 Foi-at Plin. 6, 145; ‘PdpocOx Stepli. Byz. (Arrian);
®opa0ov Waddington, Inschr. 2589; Euting, Epigraph. Mittheilungen 2, 103,
wo auch palmyrenisch tni: |»>tn mo Talm. bab. Joma 10“; oft bei den
Syrern mit oder ohne Hinzufügung des Landesnamens MaiSän wie bei
; C/ , f f
den Arabern CDiyui oder Es lag in der Nähe des
späteren Basra, wenn nicht gradezu an einer nachher in diese Gross
stadt einbezogenen Stelle. Daher identificieren die Syrer beide Orte oder
Die von Gnidi herausgege'bene syrische Chronik.
19
alle Söhne der Kirche mit dem König seihst den Gregor von
Kaskar haben wollten, der aus Nisibis vertrieben worden war. 1
Jener zeigte als Oberhaupt kein schönes Benehmen. Er lebte
aber nur noch wenige Jahre und starb dann. 2 Wegen der
Ränke Gabriels und seines Hasses gegen die Kirche 3 blieb
diese eine Zeit lang ohne Leiter, und in Folge der Anklagen
gegen Gregor wurde ihr auch das Wort abgeschnitten. 4 Man
setzte nun in der Kirche als (stellvertretenden) Leiter Mär
Abha ein, den Archidiaconus 5 aus Ktesiphon, einen sittsamen 16
und weisen Mann. So blieb die Kirche lange ohne Oberhaupt.
Unterdessen bedrohte Gabriel aus Sigär die Rechtgläubigen
sehr und vertrieb die Unsern aus dem Kloster des Mär Petition, 7
dem der Sirin 6 und noch andern und setzte darin Anhänger
der häretischen Partei ein.
wenigstens die danach benannten Diöcesen, s. Elias von Nisibis in der
Chronographie (cod. Eich 7197 fol. 16“) und im Wörterbuch (Novaria 302
== Lagarde, Praetermissa 53, 6) und vergleiche Mai, Nova Coli. 10, 318
mit Ass. 3, 1, 79°.
1 Also ganz übereinstimmend mit den spätem Angaben bei Ass. 3, 1, 441 b .
450. Barh. h. eccl. 2, 107 identificiert die beiden Gregore; dadurch
musste sich Hoffmann 119 f. irre führen lassen.
2 Dass er geldgierig war, sagt 'Amr bei Ass. 3, 1, 450 b , wie Barh. h. eccl.
2, 109. Er führte das Amt nach Elias von Nisibis (s. die Anm. zu Barh.
h. eccl.) ungefähr drei, nach ‘Amr 1. c. vier Jahre.
3 Der Gegensatz verschärfte sich noch, als das monophysitische Kirchen
haupt, der Eiferer Marüthä, nach der Hauptstadt kam und den schreck
lichen Missbrauch abschaffte, dass die nestorianischen Laien mit. ,den
Eechtgläubigen“ zugleich das Sacrament nahmen (Vita des Marüthä).
Gabriel scheint anfangs auf eine Einigung der beiden Parteien bedacht
gewesen zu sein (dahin zielen auch wohl die Worte oben S. 13 Z. 8).
4 Wohl: weil der angesehenste Mann der Kirche, Gregor von Kaskar, beim
König verklagt worden war und das Wort nicht erheben durfte.
6 So 'Amr Ass. 3, 1, 93 a . 450“. Die nördlichen Gegenden überwachte
Bäbhai eb. 91 a . 93“. 450“. 472 f.
6 Von den verschiedenen Klöstern, die nach dem heil. Pethion benannt
sind (s. Jäqüt 2, 683. 693 [702, 2]; Ass. 3, 2, 678; Ass. 3, 1, 512 b u. s. w.),
kann hier wohl nur das an der letztgenannten Stelle erwähnte in einem
der Nebenorte von Ktesiphon (JJLvXaJl Löj^Jl) oder aber das an der
Stätte seines Martyriums (bei Holwän) in Frage kommen.
7 Bei Holwän Ass. 3, 1, 471. Auch in der Vita des Märüthä erwähnt.
2*
20
IX. Abhandlung: N ö 1 d e k e.
In jener Zeit ragte in der Kirche hervor 1 Jonadab von
Hdhaijabh, 2 der wegen seines vertrauten Umgangs mit Gott
und seiner Beliebtheit beim König von diesem einen Brief
erhielt, dass er über das ganze Gebirge, darin die von St.
Matthaeus, die Irrlehrer von Mosul, 3 wohnen, Gewalt haben
solle. Als ihm jedoch der König sein Begehren erfüllt hatte,
dass er sie vertreiben und in alle Winde verjagen dürfe, liess
die Verschlagenheit Gabriel’s das nicht zu. 4 Als Schriftsteller
war Barhadhbsabbä von Holwän 5 berühmt. Durch vorzüglichen
Lebenswandel zeichneten sich aus Subhhalmaran von Karcha
dbheth Sloch, 0 Afrahat (?) von den Zäbh 7 und Gabriel von
Nhar Gül, 8 ein grosser und wunderthätiger Mann.
Darauf veranlasste 9 Gabriel den König (zu dem Befehl),
dass wir (Nestorianer) zu einer Disputation mit seinen Partei-
1 Der Plural 00 c kommt wahrscheinlich daher, dass dem Verfasser
schon die andern Namen (Sublihälmäran u. s. w.) im Sinne lagen.
2 Seine Unterschrift bei der Synode von 605 ZDMG. 43, 406. Vgl. Ass.
3, 1, 90“. 472“.
8 Schade, dass man nicht weiss, ob der Name Mausil schon in der ältesten
Quelle stand oder ob ihn erst der wenigstens zwei Generationen später
schreibende Redactor eingesetzt hat. Auf alle Fälle ist es eine der
ältesten Erwähnungen dieser Stadt. — Das Matthaeuskloster war von
Alters her bis in die neuere Zeit die feste Burg der Monophysiten inner
halb eines überwiegend andersgläubigen Landes.
4 Christliche Bruderliebe!
5 Auf jener Synode ZDMG. 43, 406.
6 Der Ort wird viel erwähnt; manchmal bloss Karchd oder ,Karcliä in
Garamaea 1 . Heute Kerknlc, ziemlich genau nördlich von Baghdäd, etwas
nördlich von Täüq (s. oben S. 7, Anm. 5). — Der Mann Ass. 3, 1, 189;
lioffmann 107 f. 116. 121.
7 Ich glaube, man darf für herstellen. Der Name findet
sich ausser bei dem bekannten Schriftsteller noch bei anderen Bischöfen
ZDMG. 43, 396, 15. 398, 14 = 401, 6. Gemeint sind die südlichen
Zäbhflüsse oder Canäle im untern Babylonien. Oft als Diöcese genannt
(s. z. B. ZDMG. 43, 410). Die Araber sprechen nur von zwei Zäb, aber
die Pluralform weist auf mehr, und bei Mari 69, 2 wird ,der
mittlere Zäbhä 1 erwähnt, also gab es wohl drei.
8 Die Formen Nhar Gtir und Nhar Gfd wechseln wie in unserer Chronik
so in den Unterschriften der Synoden ZDMG. 43, 412. Jäqüt meint,
jys. i liege zwischen Maisän und Ahwäz, also im Gebiete des untersten
Tigris. — Der Mann auf der genannten Synode ZDMG. 43, 406.
9 Ich übersetze nach Hoffmann’s Verbesserung 'k-»!] (16, 14). Das ? vor
(1. 15) ist wohl zu tilgen.
Die von Guidi herausgegebene syrische Chronik.
21
genossen kommen sollten. Da nun kein Katholikos in der
Kirche vorhanden war, 1 so kamen freiwillig zur Disputation
Jonadab, Metropolit von Hdhaijabh, »Subhhälmaran von Karcha
dlibetli Sloch, Georgios vom Berg izalä, 2 sowie der Bischof
von Nhar Gul und Sergios aus Kaskar von Tel Pabhäre, 3 und
disputierten am Hofe des Königs. Gabriel und seine Partei
genossen wurden überwunden, und unsre Rechtgläubigen
siegten. 4 Der König machte deshalb dem Gabriel Vorwürfe
und liiess ihn diese Belästigung aufgeben, aber er folgte nicht
und stiess bittre Schmähungen gegen die Rechtgläubigen aus.
Auch klagte er den Georgios von Izalä beim König an, dass
er das Den 5 des Magierthums verlassen habe, ein Christ ge
worden sei und Hormizd und Kewän 6 schmähe. Da liess der
König diesen für ein Jahr 7 einsperren, und dann kreuzigte
er ihn in Behardaäir mitten auf dem Häckselmarkt. 8 Die
1 Der hätte befehlen können, wer erscheinen solle.
2 Ueber ihn gleich mehr, lieber das tzalä-Gebirge im östlichen Mesopo
tamien s. besonders Hoffmann 167 ff.
3 Der Ort liegt nahe beim späteren Wäsit; arabisch Tel Fachchär Jäq. 1, 604.
2, 456, 8. S. de Goeje ZDMG. 39, 3.
4 Gabriel mag wirklich in so fern eine Niederlage erlitten haben, als es ihm
nicht gelang, die Wahl eines zur Vermittlung geeigneten Mannes zum
Katholikos zu veranlassen. Denn er hatte vom König Vollmacht ,sich
eine ihm bequeme Person auszusuchen und zum Katholikos zu machen“
(Hoffmann 104 unten; so ist da zu übersetzen).
5 Persisch, = Religion, Glaube. So nicht ganz selten in den Märtyrer
acten, bald r^*?, bald ^-*1? geschrieben. Letztere Schreibweise führt
darauf, dass damals noch den gesprochen ward, während schon das älteste
Neupersisch din hat.
6 Hormizd, der höchste persische Gott, wird hier, gewiss nicht im Sinne
der wirklichen Ankläger, in seiner Bedeutung als Herr des Planeten
Jupiter genommen und so mit Kewän d. i. Saturn verbunden.
7 Also ist bei Hoffmann n. 999 für das von moderner Hand gesetzte
,Jahre“ zu lesen ,Monate“, worauf auch das männliche
hinweist. Für das eine Jahr hat die Biographie demnach genauer 15
(7 -f- 18) Monate.
8 BeliardaSir ist Seleukia (Tab.-TJebers. 16 und sonst). — Für V 00 -*-
steht Hoffmann n. 1000 DJoüZ? j-OOA,. Hoffmann spricht jetzt jJnosi
und jenes PAA also ,Häckselverkäufer“. Vielleicht ist so ^
Agliäni 12, 176, 8 v. u. zu verstehn ,unter den Häckselverkäufern“ d. h.
,auf dem Markt der Häckselverkäufer“ (natürlich stände in Prosa der
plur. sanus ^ACJiM).
17
22
IX. Abhandlung: Nöldeke.
Gläubigen raubten aber seine Leiche und setzten sie in der
Kirche des heil. Sergios in Mabhrachthä bei. 1
Damals war Jezdin von Karcha in Garamaea 2 in der
Residenz angesehn. Dieser war ein Fürsprecher der Kirche
wie Constantin und Theodosios und erbaute in der ganzen Welt
Kirchen und Klöster als Abbild des himmlischen Jerusalem’s.
Und wie Joseph in Pharao’s Augen, ja noch mehr, so war er
bei Chosrau beliebt. Deshalb war er in beiden Reichen, dem
persischen und dem römischen, _ berühmt. Man sagt aber, dass
Jezdin dem König jeden Morgen 1000 Goldstücke gesandt habe. 3
In jener Zeit ragte durch tugendhaften Lebenswandel
Mär Bäbhai von lzalä 4 hervor, der als Nachfolger des Rab-
ban 5 Mär Abraham von Kaskar 0 jenes Kloster 7 in guten
Stand setzte. Viele arbeitsame Brüder sind aus jenem Kloster
hervorgegangen; ich meine Mär Jakob, der das Kloster
18 Beth 'Abhe, 8 Mär Elias, der ein Kloster am Tigris bei
fjesnä 'Ebhräjä erbaut hat, 9 und Mär Bäbhai, den Sohn der Nisi-
1 Das hier Gegebne stimmt durchweg mit der genauen Lebensbeschreibung
Georg’s von seinem Schreiber Bäbhai (Hoffmann 91 ff.) überein. Die
Hinrichtung fand statt am 14. Januar 615. —• Mabhrachthä, wo er be
graben ist, lag dicht bei Mähoze, s. Neubauer, Geogr. des Talm. 357 f.
(Erubhin 47 b . 61 b ).
2 D. i. das oben S. 20 besprochene Karchä dbh&tli Slöch.
8 S. was ich Tab.-Uebers. 383 f. über den Generalpäcbter Jezdin und seine
Familie gesagt habe. Das Geld, welches er dem König abliefert, sind
eben die Steuereinnahmen.
4 ,Unser Meister 1 , ein namentlich Aebten gegebener Titel.
5 Der schon oben S. 19, Anm. 5 und als Biograph Georg’s Anm. 1 Genannte.
S. über ihn Ass. 3, 1, 88 ff.; Hoffmann 173.
6 Ueber ihn s. Ass. 3, 1, 93 f.; Hoffmann 101. 172. Beachte, dass er auch
hier als Mann aus Kaskar bezeichnet wird. Vgl. noch Wright, Catal. 187“.
7 Ueber das von diesem Abraham gegründete Kloster auf dem lzalä s. be
sonders Hoffmann 167 ff. und vgl. Socin’s Karte ZDMG. 35, 237 (etwas
ONO von Nisibis).
8 Ueber diesen Jakob und das berühmte Kloster Beth A'bhe s. Ass. 3, 1, 90.
458 etc. Die Lage (im eigentlichen Assyrien, nicht weit vom grossen
Zäb) bestimmt von Hoffmann 226. Vgl. auch Wright, Catal. 187 b .
9 So (18, 1) nach Ass. 3, 1, 207 b (Thomas von Margä) zu lesen,
auf welche Stelle Guidi hinweist. Er giebt auch die Lage des noch
heute Mär Elijä genannten .Klosters unmittelbar bei Mosul an. Für das
,hebräische Schloss* erinnert Hoffmann an ilsT 0 innerhalb der
Stelle der späteren Grossstadt Mosul Belädliori 332.
Die von Guidi heransgegebene syrisclie Chronik.
23
bener. 1 Dieser Selige 2 also verliess alles, was er besass, und be
gab sieb hinauf, um im Kloster des Mär Abraham als Einsiedler
zu leben. Zuletzt ging er von da fort und erbaute gleichfalls ein
Kloster, und zwar in der Nachbarschaft ebenjenes Klosters; da
begab sich die Mehrzahl der Brüder zu ihm. Und obschon er zu
den Angesehnen der Welt gehörte, so zog er es doch vor, die
harten Werke der Askese zu üben. Sein Wandel aber geht
über alle Worte. Als Jezdin von ihm hörte, kam er, ihn zu
sehn. Nachdem er ihn nun in all seiner Entsagung und bei
todtem Leibe erblickt hatte, indem er aufrecht stehn blieb,
entliess ihn der Heilige. 3 Nach einiger Zeit brachte ihm
Jezdin dann ein goldnes Kreuz, worein viele Rubinen und
Smaragden von hohem Werth eingelassen waren und in dessen
Mitte sich ein Stück vom Holz des Kreuzes unsers Herrn,
des Erlösers, befand, 4 sowie noch andre Sachen zur Aus
schmückung seines Klosters. Aber der Zank liebende Satan
erregte viel Zwist und grossen Streit zwischen diesen beiden
festen Thürmen der Gottesfurcht 5 und ruhte und rastete nicht
bis zur Vollendung ihres Lebenskampfes. Die Anhänger des
grossen Mär Bäbliai Hessen keinen in ihr Kloster ein, bevor
er den trefflichen Mär Bäbhai von Nisibis verdammte, indem
sie ihn ,den kleinen' Mär Bäbhai nannten. Dies berühren wir 19
nur kurz, weil (sonst) ihr Wandel heller und strahlender als
1 Ein Bäbhai ,Sohn der Nisibener 1 (d. h. dessen Eltern aus Nisibis waren),
blühte im Anfang des 8. Jahrhunderts (Ass. 3, 1, 177 ff.). Wäre er ge
meint, so müsste die Stelle ein späteres Einschiebsel sein. Gewiss haben
aber Guidi und Hoffmann Beeilt, wenn sie ihn für einen Andern halten.
Hoffmann erkennt in ihm den gleich unten erwähnten ,kleinen Bäbhai 1 ,
der ja da zweimal ,der Nisibener 1 heisst. Ob nun hier einem
Abschreiber statt des einfachen ,der Nisibener 1 durch falsche Reminiscenz
an den Andern, der den Spätem besser bekannt war, ,Solin der Nisi
bener 1 ins Bohr gekommen ist oder ob der Andre sich nach dem
Erstereu benannt hat, steht dahin.
2 Bäbhai von Izalä.
3 Für das zweite ? '-‘ö’ (1. 9) möchte ich einfach (r 2 ) 0 , für das dritte (1. 11)
(ph^D) lesen.
4 Wie Guidi (S. 20) bemerkt, von dem Kreuz, das die Perser in Jerusalem
erbeutet hatten, s. unten S. 24 f.
5 Den beiden Bäbhai.
24
IX. Abhandlung: Nöldoke.
die Sonne ist und viele Schriften von ihnen bezeugen, dass sie
den rechten, reinen Glauben hatten. Der grosse Mär Bähhai
hat viele Schriften, Disputationen und Auslegungen verfasst, und
auch der heilige Mär Bähhai von Nisibis hat mehrere Bücher
über das Leben der Einsiedler geschrieben, die beim Hörer
grosse Bewunderung erwecken, nebst metrischen Reden über die
Busse. 1
Darauf 2 zog Chosrau Truppen zusammen und drang ins
römische Gebiet ein. Er stellte zwei Feldherrn an und sandte
sie nach dem Westen. Sie nahmen Marde, Amid, Maifarqet
und Edessa, schlugen Brücken über den Euphrat und passierten
ihn gegenüber Mabbog. 3 Aber einer von diesen Feldherrn mit
Namen Öahrbaräz 4 rückte rasch gegen Jerusalem. Als sie
seiner dringenden Aufforderung, ihm die Thore zu öffnen, nicht
nachkamen, griff er die Stadt an, baute Belagerungswälle gegen
sie, legte Breschen in die Mauer und drang ein. Den Bischof 0
und die Häupter der Stadt nahm er fest und folterte sie wegen
des Kreuzholzes und der Gerätlie im Schatzhause. Und da
die göttliche Kraft die Römer vor den Persern niederwarf, weil
sie das unschuldige Blut des Kaisers Maurikios und seiner
Kinder vergossen hatten, so liess Gott keine verborgene Stelle
übrig, die man ihnen nicht gezeigt hätte. So wies man ihm
auch das Kreuzholz, das in einem Krautgarten verborgen lag. 0
Sie machten nun viele Kisten und sandten es nebst zahlreichen
1 Vom grossen Mär Bäbhai werden im Gottesdienst einige Hymnen ge
braucht; ebenso von ,Mär Bäbliai dem Sohn der Nisibener“; das ist aber
wohl der jüngere; s. die Cataloge von Rosen-Forsliall 14; Wright 131.
136; Zotenberg 9.
2 Mit diesem Worte knüpft die Erzählung wieder an das oben S. 17 Ge
sagte an.
3 Die hier genannten Städte sind allgemein bekannt. Maifarqet, arab.
Maijäfdriqm = Martyropolis; Mabbog, arab. Manbiij = Hierapolis.
4 Eine von Guidi hierzu angeführte Stelle aus dem Urtext des Michael
Syrus stellt fest, dass Sahrbaräz ein Ehrenname des früher JRomlzän (oder
ähnlich) genannten Feldherrn ist (s. Tab.-Uebers 290, Anm. 3). Dass
die Sache grade so zugegangen, wie sie Michael erzählt, braucht man
natürlich noch nicht zu glauben.
6 D. i. den Patriarchen Zacharias.
6 Ganz wie Tab.-Uebers. 291.
Die von Guidi horausgegebene syrische Chronik.
25
Geräthen und kostbaren Sachen an Cliosrau. Als sie so zu
Jezdin kamen, veranstaltete er ein grosses Fest, nahm' sich mit
Erlaubnis des Königs einen Theil von dem Kreuz und sandte
es dann an den König. Dieser legte es in Ehren mit den
heiligen Geräthen in das neue Schatzhaus, das er in Ktesiphon
erbaut hatte. 1
Darauf griffen die persischen Truppen das von Mauern
umragte, vom Wasser des Nils umgebene und mit starken
Thoren versehne Alexandria an, das Alexander nach den Rath
schlägen seines Lehrers Aristoteles erbaut hatte. Nachdem sie
es schon einige Zeit belagert hatten, ohne es einnehmen zu
können, kam ein Mann Namens Petrus zu ihnen, der in seiner
Jugend aus dem Lande Qatar 2 nach Alexandria gekommen
war, um Philosophie zu studieren, und sagte dem persischen
Feldherrn, er wolle ihm die Stadt überliefern. Dieser Petrus
hatte nämlich eines Tages im Archiv der Stadt am Schluss
eines Buches folgendes gefunden: ,wenn sich über Alexandria
vom Westthor her, das nach der See zu liegt, Drangsal erhebt,.
wird die Stadt eingenommen/ Die Perser machten sich also fertig,
nahmen kleine Fischerboote, stiegen hinein, mischten sich in
aller Frühe, während es noch finster war, mit Fischerhüten 3
angetlian, unter die Fischer, drangen so in die Stadt, tödteten 21
die Thorwächter, öffneten ihren Genossen die Thore und riefen
auf der Mauer Chosrau’s Sieg aus. Alle Leute ergriff da
Furcht. Dazu fasste der Wind viele Schiffe, in die man die
Schätze der Kirche und der Grossen geborgen hatte, um sie
' ,Damit scheint gemeint zu sein der oixo; tou cfxotoo; Sv «uto; ujfüpwaev Ix
veou xnaa; ei; ajtoOsoiv ypr^ia-tov Theophanes 271 D‘ (Guidi) = 502 Bonn,
und, füge ich hinzu, to veov xaarsXXiov xo ztictOev Kap’ autou Um raepa0j]xrj
twv rap’ autou auva)(ÖEVTtov ^prjpcraov Chron. Pasch. 728.
2 Die Halbinsel Bahrain. Qatar umfasst aber bei diesen Syrern alle Länder
des nordöstlichen Arabiens, wo damals viele nestorianisclie Christen
wohnten. S. unten S. 47 Anm. 2.
3 Nur sehr zweifelnd übersetze ich so, indem ich l 1 *- dem talmudischen
k:”d, son'd gleichstelle (das übrigens wohl kaum mit Sigm. Fraenkel in
Kulin’s Literaturblatt 1, 416 aus pers. ^LoLo zu erklären ist). Be
denklich ist mir dabei die Präp. >0^. Aber der dreimalige Gebrauch
dieses Wörtchens in dem kurzen Satz erregt überhaupt Verdacht gegen
die Unversehrtheit des Textes.
26
IX. Abhandlung: Nöldeke.
zur See zu flüchten, und trieb sie ans persische Lager. 1 Diese
Schätze sandte man mit den Schlüsseln der Stadt an Chosrau
ab. Als aber der Bote mit den Schlüsseln zu Jezdin kam,
machte er noch in derselben Nacht goldene Schlüssel statt ihrer
und schickte diese dem König, um sich bei ihm noch beliebter
zu machen. Nachdem nun Jerusalem eingenommen war, legten
unsre Feinde, die Juden, an alle dortigen Kirchen Feuer. Bei
dieser Feuersbrunst ging auch die Auferstehungskirche 2 zu
Grunde, die von Constantin und Helena erbaut und mit un
schätzbarem Marmor- und Mosaikwerk 3 geziert worden war. 4
Die Söhne der Kreuziger begaben sich auch zum persischen
Feldherrn und sprachen: ,alles, was Jerusalem an Gold, Silber
und sonstigen Schätzen enthält, liegt unter dem Grabe JesuJ
Das thaten sie arglistig, um die Stelle des Grabes zu verderben.
Als er ihnen dann Erlaubniss gegeben und sie ungefähr drei
Ellen tief rings herum gegraben hatten, fanden sie einen Sarko
phag mit der Aufschrift: ,dies ist der Sarkophag des Raths
herrn Joseph, der dem Leichnam Jesu ein Grab gegeben hat/
Da der Feldherr aber die arglistige Absicht der Juden erfuhr,
jagte er sie schmählich fort. Und als Jezdin die Sache ver
nahm, und sie dem König anzeigte, befahl dieser, die Habe der
Juden einzuziehn und sie zu kreuzigen. Joseph hatte vor
seinem Tode bestimmt, dass seine Leiche neben dem Grabe des
1 Da haben wir endlich die wahre Erklärung des ,vom Wind herbei ge
führten Schatzes“ in den arabisch-persischen Quellen Tab.-Uebers. 378.
Mit Recht nennt also Ibn Qotaiba hier Alexandria.
2 Hoffmann’s Verbesserung )Luoi für Po-»si ist evident.
3 Ob ich ,Würfel“ hier richtig als ,Mosaik“ gefasst habe, ist mir nicht
ganz sicher.
4 Dass die palästinischen Juden die Gelegenheit der persischen Eroberung
benutzt haben werden, jahrhundertlange Misshandlung empfindlich zu rächen,
ist recht wahrscheinlich. Heraklios vergalt ihnen das nachher siebenfach.
Wie weit aber das Einzelne hier und bei Eutych. 2, 213. 221 f.; Theophanes
251C richtig ist, können wir nicht beurtheilen. Orientalische Erzählungen,
bei denen der Religionshass mitspricht, müssen wir noch viel vorsichtiger
aufnehmen, als es bei solchen occidentalischen nötliig ist. Eutych. 2, 213
schreibt die Zerstörung der Constantinisclien und anderer Kirchen schlecht
hin dem persischen Feldherrn zu. Vielleicht haben auch hier Feuers
brünste, die ohne bestimmten Plan entstanden sind, das Meiste getlian.
Vgl. Chron. Pasch. 704.
Die von Guidi herausgegebene syrische Chronik.
27
Herrn beigesetzt werde. Alsdann verlangte Jezdln vom Könige
Erlaubniss, die Kirchen in Jerusalem wieder aufzubauen. Da
schickte er viel Gleld und erneuerte sie in allem Glanz. Auch
erbaute er aller Orten Kirchen und Klöster. 1
Der persische Feldherr hörte aber auch, dass die Kirche
des heil. Georg in Lydda 2 viele Reichthümer enthalte; daher
schickte er eine Menge seiner Soldaten hin, allein sie ver
mochten nicht einzudringen, da sie von einer göttlichen Kraft
zurückgehalten wurden. Zuletzt ging er selbst in grossem
Zorne hin. An die Pforte der Kirche gelangt, spornte er sein
Ross an, um frevelhafterweise einzutreten, aber da klebten des
Rosses Ftisse am Boden fest, so dass es weder vor- noch rück
wärts gehn konnte. 3 So zeigte ihm Gott, dass, wenn er ihn
auch in Jerusalem hatte eindringen lassen, seine Kraft doch
nicht schwach geworden sei, sondern dass er nur die Römer
hatte züchtigen wollen, die da behaupteten, Chosrau könne sich
Jerusalem’s nicht bemächtigen. Da gelobte er, wenn er frei
werde, ein silbernes Gerätli in Gestalt der Kirche des heil.
Georg’s zu machen, und das führte er auch aus. Das wunder
volle Gerätli hängt noch jetzt in jener Kirche. 4
1 Weil Jezdm hier genannt ist, darf man wohl annehmen, dass an der
Sache etwas ist. Der König mag auf Jezdm’s Zureden wirklich einige
Juden, welche christliche Heiligthümer verletzt hatten, haben hinrichten
lassen und wird ihm erlaubt haben, einige Kirchen wiederherzustellen.
2 Ueber den Cultus des heil. Georg in Lydda (Diospolis) vgl. unter anderem
Gutschmid, Kleine Schriften 3, 184. Mit der Legende des Heiligen hängt
wohl irgend der Glaube zusammen, dass Jesus an der Pforte der grossen
Kirche dort (eben der Georgskirche) den Antichrist tödten werde Maq-
disi 176 etc. Das Fest St. Georg’s in Lydda erwähnt ein Dichter aus
der Mitte des 8. Jahrhunderts Ibn Chord. (de Goeje) 79, 6; Agh. 6, 46 ult.;
Jaq. 4, 354 (der Dichter hat ohne Zweifel gesagt, aber
vielleicht hat schon der Verfasser der Agliäni gelesen). — Vgl.
noch Ibn Faqih 117; Socin-Baedeker, Palästina und Syrien 3 , 16.
8 Ein ganz ähnliches Wunder begab sich etwa sieben Jahre später mit
dem Verfolger Muhammed’s Suräqa Ibn Hisäm 331 f. und Buchärl (die
Stelle Krehl 3, 39 im Cap. Manäqib al-ansär, mir von Goldziher nach
gewiesen). Ibn Hagar, Isäba 2, 135 hat gar zwei Verse, worin Suräqa
dies Wunder selbst bezeugt!
4 Der persische Feldherr mag wirklich der Georgskirche eine Dedication
gemacht haben, vielleicht um deu Zorn des mächtigen Heiligen über
22
28
IX. Abhandlung: Nöldeke.
Später sammelte aber Kaiser Heraklios viele Truppen und
zog wider Chosrau hinab, als er in Königs-Dasqarta 1 sass; da
gerieth dieser vor ihm in Angst und empfand grosse Furcht.
Heraklios war in die Nordländer gezogen und hatte da überall
grosse Verwüstung und Menschenraub verbreitet. Als er Das-
qartä nahe kam, floh Chosrau vor ihm und ging nach Mähoze.
Wie man erzählt, hörte er, als er aus Dasqartä entfliehn wollte,
23 den Schall einer Kirchenklapper; 3 da gerieth er in Angst, schlug
sich auf den Rücken und bekam Durchfall. 3 Auf Sirin’s
Worte: ,fürchte dich nicht, o Gott' 4 erwiderte er: ,wie bin
ich wohl ein Gott, da ich ja von einem einzigen Priester ver
folgt werde?' Das sagte er aber, weil er gehört hatte, dass
Heraklios die Priesterweihe eidangt habe, während er ge
schworen hatte, wenn er siege, in seinem ganzen Gebiete keine
Kirche und keine Kirchenklapper zu lassen. 5 Furcht und
Schrecken erfasste ihn aber deshalb über den Schall der
Klapper, weil er meinte, die Römer seien’s, die eine Klapper mit
sich führten und schon Dasqarta erreicht hätten. 6 Da nahm Hera
klios den ganzen Schatz des Reichs, durchzog mit Menschen
raub und Plünderung viele Länder und kehrte darauf zurück.
irgend eine Unbill zu besänftigen. Hatte doch auch sein König einst
den heil. Sergios reich beschenkt. So consequent waren die Leute nicht
in ihrer Religion, um nicht auch christlichem Volksglauben zugänglich
zu sein.
1 Lieblingsaufenthalt dieses Königs, heutzutage Eski-Baghdäd ,Alt-Baghdäd‘;
s. Tab.-Uebers. 295 f.
2 Das Geräth, welches die Christen im Orient zur Kirche ruft, wie bei
uns die Glocke.
3 Die Suseviepia ebenso bei Theophanes (Bonn) 499 aus dem Bericht des
Heraklios. — Auch hier wird die Schmach der feigen Flucht betont.
4 Ueber die Bezeichnung des Säsänidenkönigs als ,Gott‘ s. Tab.-Uebers. 452,
Anm. 4; vgl. noch Apliraates 339. Dass grade der Sirin dieser heid
nische Ausdruck in den Mund gelegt wird, geschieht wohl mit Rücksicht
darauf, dass sie ihre Hand von den Nestorianern abgezogen hatte.
5 Dieser Schwur ist natürlich eben so wenig historisch wie das Priesterthum
des Kaisers. Hätte Chosrau das Christenthum systematisch unterdrücken
wollen, so hätte er ja Gelegenheit genug gehabt, Kirchen zu zerstören.
8 Hier sind wohl zwei verschiedene Motive vermengt. Der Ton der
Klapper erschreckt ihn als christliches Zeichen, als Hinweis auf den
Sieg des Priesterkaisers. Dass er flieht, weil er die Römer in unmittel
barer Nähe wähnt, ist ein anderer Zug.
Die von Guidi heransgegebene syrische Chronik.
29
Alsdann empörten sich die meisten Truppen wider Chosrau,
und Samtä, 1 Sohn Jezdin’s, und Nehormizd 2 erhoben sich,
machten Chosrau’s Sohn Seroi zum König und sammelten bei
ihm viele Truppen. Als Chosrau das hörte, erfassten ihn
Krämpfe und kamen Todeswehen über ihn, er gab bei Nacht
sein Königthum auf und floh mit zwei kleinen Knaben von
seinem Gesinde, die sich zu ihm hielten. Sie flohen und ver
bargen sich in dem königlichen Garten. Da er nun aber sah,
dass die Truppen ihn eingeholt hatten, weinten er und die
Knaben einander ins Gesicht. Er legte die Hand auf einen
Zaun, um auf die andere Seite zu gelangen und zu entfliehen,
aber aus Furcht vermochte er nicht darüberzusetzen. Man er
griff ihn also und brachte ihn gefangen ins Haus eines Mannes
Namens Mihraspend. 3 Man gab ihm nur so viel Brot, um eben
sein Leben zu fristen. 4 Darauf forderten Öamtä und Ndhormizd
vom König Seroi, dem Sohne Chosrau’s, die Erlaubniss, diesen
zu tödten, und nachdem er eingewilligt hatte, traten sie zu ihm 2 t
an den Ort ein, wo er gefangen sass. Samtä hob das Schwert
auf, ihn damit zu treffen; da ihm jedoch Chosrau entgegen
weinte und sprach: ,was habe ich an dir gesündigt, dass du
mich tödten willst schlug er nicht zu. Aber Nehormizd gab
ihm mit dem Beil einen Schlag auf die eine und dann auf die
andre Schulter. 5 Sein Sohn Seroi trug Leid um ihn, und man
1 Ueber diesen Mann und die Stellung der Christen oder vielmehr der
Nestorianer zu diesen Ereignissen s. Tab.-Uebers. 358, wo ich aber
leider die Stelle des Elias von Nisibis (zu Barh. h. eccl. 2, 121) nicht be
rücksichtigt hatte. Ueber diese ganzen Ereignisse eb. 356 ff Merk
würdig, wie gleichmässig die von einander ganz unabhängigen Erzählungen
gewisse Einzelheiten haben; so den Garten, wo der König gefangen
wird, und den Namen Märaspend. Unser Bericht giebt aber noch neues
Detail.
2 Aus Newhormizd; s. Hoffmann n. 530. Dass NeSüptlr wirklich aus Nho
Sahjmhr entstanden ist (Tab.-Uebers. 59, Anm. 3), kann ich jetzt aus
der Schreibung miDnOT: in dem Pehlewi-Traetat über die Städtegründungen
beweisen, von (dem mir West gütigst eine Abschrift und Transscription
geschenkt hat.
3 Die Araber und Armenier, gewiss richtiger, Märaspend (Tab.-Uebers. 362).
Der Name kommt auch unter den Mandäern vor nrcoixn Qolasta 50, 20.
4 So Theoph. 502: äprov jCEVi^pöv toüto> SiSovte; xxl öScop IXip-ay^ovouv.
5 Zu ergänzen: ,und tödtete ihn so 1 . — Dieser Nehormizd ist derselbe, der
in der persisch-arabischen Ueberlieferung Mihrhormizd heisst. Die Ge-
30
IX. Abhandlung: Nöldeke.
begrub ihn in der Grabstätte der Könige. 1 Öamtä handelte so,
weil Chosrau nach dem Tode seines Vaters Jezdin dessen Haus
ausgeraubt, Jezdin’s Frau aber arg gefoltert hatte, 2 und
Nehormizd, weil Chosrau seinen Vater getödtet hatte. Chosrau,
Sohn des Hormizd, hatte 38 Jahre regiert.
In den Tagen seines Sohnes Seroi war Friede und Ruhe
für alle Christen. Die Grossen des Königs machten aber mit
Samta einen Anschlag und tödteten alle andern Söhne Chosrau’s;
darunter auch Merdänsäh, den Sohn der Sirin. 3 Danach
ward Samtä beim König angeklagt, dass er nach der Königs
würde trachte. Er liess ihn deshalb holen und gefangen setzen,
und da er entfloh, ging man ihm nach und fand ihn im
arabischen Hira. Da liess ihm der König die rechte Hand
abhauen 4 und warf ihn ins Gefängniss.
In der Kirche aber wurde fso'jabh von Gdhälä als Haupt
eingesetzt, 5 der, obgleich er in seiner Jugend ein Weib ge-
schichte ist da romantisch ansgeschmückt und poetisch abgerundet, aber
unter anderem stimmt zu unsrem Syrer, dass er den Tod seines Vaters
rächt und der Sohn eines sehr vornehmen Mannes ist; hier steht er ja
mit an der Spitze der Empörer. Auch der kleine Umstand, dass der Tod
durch das Beil erfolgt, findet sich an beiden Stellen. Wenn bei Thomas
von Margä (Ass. 3, 1, 91 b ) Samtä selbst den König tödtet, so ist das eine
Abkürzung der Erzählung.
1 Vgl. Tab.-Uebers. 382.
2 Damit sie die verborgenen Schätze anzeige. Ganz entsprechend der Hab
gier dieses Königs, aber auch schon ganz die Praxis der 'Abbäsidon!
Dass diese Frau Samtä’s rechte Mutter war, ist kaum anzunehmen, denn
das wäre wohl gradezu gesagt. Aber durch diese Angabe wird sein Auf
treten allerdings besser begründet als durch das, was Thomas angiebt.
3 Bei Thomas tödtet Samtä mit seinen Leuten die Brüder Seroi’s schon
vorher. — Dass der Sturz des eben noch hochmächtigen Königs vreit
und breit tiefen Eindruck gemacht hat, sehen wir auch aus mehreren
arabischen Versen z. B. ,als den Kisrä seine Söhne (sic) mit Schwertern
zertheilten wie man Fleisch zertheilt 1 (Sihäh s. v. Vgl. Agh. 4,
176, 4 v. u. 188, 23; Tab. 3, 907, 4 (und öfter eitiert); Agh. 3, 29, 7
(Muzhir 1, 278 ist eine Fälschung).
4 Die er gegen seinen König erhoben hatte. Der, welcher diesen getödtet
hatte, wird wirklich hingerichtet worden sein, wie die persisch-arabische
Ueberlieferung angiebt.
5 Frühling oder Sommer 628. Vgl. Elias Nis. (zu Barh. h. eccl. 2, 113).
Unrichtig hat Barh. 1. c. seine Einsetzung 625/6. Ueber diesen Katholikos
s. Ass. 3, 1, 105 ff. Gdhälä lag nicht sehr weit von Mosul.
Die von Guidi heransgegebene syrische Chronik.
31
nommen hatte, durch sie sich nicht hatte ahhalten lassen, 1
sondern als Bischof der Stadt Balad 2 eingesetzt worden war;
zuletzt ward er also zum Amt des Katholikos erhöht. Er war
mit allen Vorzügen geschmückt.
Als Seroi aber heim Eintritt des Sommers nach Sitte der
Könige gen Medien auf brach, 3 überkam ihn Leibweh, und er
starb unterwegs nach einer Regierung von acht Monaten.
Darauf machte man an seiner Statt den Ardasir zum
König, den Sohn Seroi’s und der Römerinn Anzoi (?), obgleich
er noch ein kleiner Knabe war. Doch als einer von den
persischen Feldherrn, der sich dem Caesar Heraklios ange
schlossen hatte, mit Namen Feruhan 4 , hörte, dass der Knabe
Ardasir König geworden sei, setzte er römische und persische
Truppen in Bereitschaft, kam nach Mahoze, besiegte das
persische Heer, drang ein und tödtete den Ardasir. Den Samtä
aber, Jezdin’s Sohn, holte er aus dem G-efängniss und kreuzigte
ihn an der Pforte der Kirche von Beth Narqos, 5 weil er eines
Tages die Tochter dieses Feldherrn geschmäht hatte. 6 Dann
entliess er die Römer, die mit ihm gekommen waren, und sie
gingen zu Heraklios. 7 Mit ihnen sandte er diesem das Holz
1 Zu gewissen Zeiten waren mehrere nestorianische Bischöfe verheirathet.
2 Bekannter Ort am Tigris einige Meilen oberhalb Mosul, jetzt Eski Mausil
(,Alt Mosul 1 ). — Nach 'Amr war er dort zwei Jahre lang Bischof (Ass. 2, 416).
3 Ueber diese Sitte s. Tab.-Uebers. 353, Aum. 1 (Abu Dulaf sagt: ,ich bin
ein Mann, der es wie die Chosroen macht; den Sommer bringe ich in
Gibäl [Medien], den Winter in Träq zu“ Ihn Roste 154). — Seröe starb
in Dastagerd, eben auf der grossen Strasse nach Medien. Von seiner
Krankheit sprechen auch die arabischen Berichte.
4 Ein anderer Name des Sahrbaräz — Feruchän (h und ch wechseln im
Persischen stark in der Nähe eines «). S. Tab.-Uebers. 292, Anm. 2.
Vermuthlich ist für zu lesen.
5 So heisst ein Ort in Margä (Ass. 3, 2, 178 b , 10 v. u.), einer nestorianisclien
Diücese nördlich vom obern Zäb. In derselben Diöcese liegt ein Ort
Jezdinäbädh (Ass, 3, 1, 501 a ); die Familie Jezdin’s war wohl in der
Gegend begütert.
6 Nahe liegt allerdings der Gedanke, Sahrbaräz habe den Rächer Chosrau’s
gespielt Tab.-Uebers. 387, Anm. 1. Dagegen würde aber sprechen, dass
seine beiden Söhne mit an der Spitze der Empörung gegen diesen standen
Theophanes 501.
7 Wenn er wirklich römische Truppen bei sich gehabt hat, so waren sie
gewiss wenig zahlreich. Aber sicher ist, dass Heraklios seine Rebellion
begünstigt hat.
32
IX. Abhandlung: Nöldeke.
des Kreuzes Christi, das sie von Jerusalem gebracht hatten und
das im persischen Schatzhause niedergelegt war; dazu viele
Geschenke ohne Zahl. 1 Arclasir hatte aber ein Jahr und sechs
Monate regiert. 2 Dieser Feldherr Feruhan, der den Ardasir getödtet
hatte, regierte 40 Tage. Als er eines Tages Mahoze verliess,
stiess ihn einer seiner Helden 3 von hinten mit einer Lanze
todt, und er wurde von allem Volk zertreten.
Die Perser machten darauf Boran, 4 das Weib Seröi’s 5
zum König. Als diese zur Herrschaft gelangt war, schickte sie
weislich zu Heraklios den Katholikos Mär Isojabh, um für sie
mit ihm Frieden zu schliessen; ihn begleiteten Kyriakos von
Nisibis, Gabriel von Karchä in Garamaea 6 und Märütha von
26 Gustra. 7 Der Kaiser Heraklios empfing sie mit grosser Freude
1 Also wie Sebeos und Nicephorus Cstpl. 115 weist auch diese alte Quelle
die Rückgabe des Kreuzes erst dem Sahrbaräz zu. Ardasir lieferte es aus
nach 'Ainr, der gewiss auch auf eine alte Quelle zurückgeht (Ass. 3, 1, 96).
Und ich glaube, man muss daran festlialten, dass dies schon 629 geschah;
s. Tab.-Uebers. 392. Die verschiedenen Unterhandlungen und Gesandt
schaften der rasch wechselnden Fürsten konnten schon von den Zeit
genossen leicht verwechselt werden.
2 Da sein Todestag der 27. April 630 (Tab.-Uebers. 388), Chosrau’s der
29. Februar 628 ist (eb. 382), so füllen die von Tabari und unserm
Syrer gegebenen Zahlen die Zwischenzeit genau aus: acht Monate für
Seroi, ein Jahr sechs Monate für Ardasir = zwei Jahren zwei Monaten.
Diese Zahlen sind also zuverlässig.
3 Dies alles stimmt gut zu Tab.-Uebers. 389 f., wo auch dieselbe Dauer
der Regierung: 40 Tage. Zu beachten, dass sämmtliche Angaben über
die Regierungszeiten in unsrer Chronik richtig sind. — Die Nemesis
hat sich an allen grossen Frevlern der letzten Periode des Säsänideu-
reiches furchtbar gezeigt: Chosrau selbst (der am Tode seines Vaters
mitschuldig war), Bahräm, Bindöi, Bistäm, Ser6i, Samlä, Nehormizd,
Sahrbaräz. Aber wie viele Unschuldige sind da mitgefallen!
4 Für lies
5 Dass sie Seröi’s Schwester war, steht fest. Aber vielleicht war sie zu
gleich seine Frau gewesen. Doch liegt die Annahme näher, dass ein
Abschreiber einmal aus Versehen für oiAj* ,seine Schwester 1 ge
setzt habe und danach auch die andere Stelle corrigiert sei.
6 S. oben S. 16, Anm. 4.
7 Der Ort muss im nordöstlichen Mesopotamien gelegen haben. Mai, Nova
Coli. 10, 199 wird der Bischof von Gustra nach denen von Nisibis und
Maiferqet und vor denen von Amid und Aghel genannt (als Theilnehmer
am Concil von Nicaea).
Die von Guidi lierausgegebene syrische Chronik.
33
und that ihnen alles, was sie wünschten. 1 Borän, die Frau
Öeroi’s, die Königinn der Perser geworden war, kam zuletzt
durch Erdrosselung um. 2
Da machte man in der Stadt Istachr 3 den Jezdegerd
aus königlichem Samen zum König, mit dem das Perserreich
aufgehört hat. Der brach auf und kam nach Mahoze und
ernannte sich einen Heerführer Namens Rustam. 4 Darauf
führte Gott gegen sie die Kinder Ismael’s herauf, zahlreich
wie der Sand am Meeresstrande, deren Führer Muhammed
war, vor denen nicht Mauer noch Thor bestehn blieben, nicht
Waffen noch Schilde, und sie wurden Herren des ganzen
Landes der Perser. Jezdegerd schickte ihnen zwar zahllose
Truppen entgegen, allein die Araber vernichteten alle und
tödteten auch den Rustam. Da schloss sich Jezdegerd in die
Mauer von Mahoze ein, flüchtete sich 5 aber zuletzt und begab
sich in die Länder der Hüzier und der Merwer; dort endete
er sein Leben. 6 Und die Araber wurden Herren von Mahoze
und allen Ländern. Aber sie zogen auch ins römische Gebiet
und plünderten und verwüsteten alle Theile Syriens. Der
1 Die beiden Ersten werden auch Ass. 3, 1, 91“. 472 b zusammen genannt.
Für diese Mission hat Thomas von Margä (Ass. 3, 1, 106“) neben dem
Katholikos, Kyriakos und Gabriel noch den Paulus von Hdhaijabh. Er
lässt die Gesandtschaft aber fälschlich schon unter Seroi abgehn. Vgl.
Tab.-Uebers. 391 f.; Ass. 3, 1, 105.
2 Das habe ich sonst nirgends gefunden. — Leider übergeht der Syrer
verschiedene kurze und partielle Regierungen, die auf die Börän’s folgten.
3 So auch Tab.-Uebers. 397.
4 Auch hier schon wird also nicht etwa Rustahm oder Rotastahm ge
schrieben (s. ZDMG. 46, 141). Auch ein Mönch in der Mitte des 7. Jahr
hunderts heisst Ass. 3, 1, 454.
5 Lies (26, 12).
6 Nach den arabischen Nachrichten floh er nicht ins Land der Hüzier
(Chüzistän, Susiana), sondern zunächst nach Ilolwän und dann nach
Medien, s. Belädhori 315; Tab. 1, 2439. — Das traurige Leben des
Königs, das endlich bei Merw endete, wird hier ganz kurz zusammen
gezogen. — Für (l. 13) ist vielleicht zu ver
bessern, das gebräuchliche Gentilicium von Merw. Allerdings könnte
ZDMG. 43, 407, 2 jene Form zur Noth ,die aus Merw“ bedeuten, aber
wahrscheinlich ist da, wie Iloffmann meint, zu lesen; sicher so
Ass. 3, 1, 127 b . 129». 135», wie ZDMG. 43, 402, 1. 404, 10 nach 396, 16
für (über Mazün s. unten S. 47 Anm. 4).
Sitzungsber. d. phil.-hlst. CI. CXXVIII. Bd. 9. Abli. 3
34
IX. Abhandlung: Nöldeke.
römische Kaiser Heraklios sandte Truppen gegen sie, doch
die Araber tödteten von ihnen mehr als 100,000 Mann. 1 Als
aber der Katholikos tso'jabh sah, dass Mahoze von den Arabern
verwüstet und seine Thore nach 'Aqola 2 gebracht worden waren,
indessen die, so dort blieben, vor Hunger dahinschwanden,
liess er sich in Garamaea im Orte Karcha nieder.
Nachdem Kyriakos von Nisibis entschlafen war, verklagten
die Nisibener aus Hass gegen ihn seine Schüler beim Emir 3
27 der Stadt. Dieser liess sie einsperren, und man plünderte
auch die Celle 4 des Kyriakos und zugleich den Schatz im
Metropolitangebäude von Nisibis. Da fand man in seiner Celle
viele Kleider 5 und Leibröcke, seidene Vorhänge und goldene
Lämpchen, 0 Sachen, welche Christi Schülern nicht anstehn. 7
Darauf liess der Katholikos Mar Iio'jabh den Schriftausleger
von Hira Barsaumä kommen und machte ihn zum Metropoliten
im Kloster des heil. Sergios ausserhalb der Stadt (Nisibis),
auf dass sie sich mit ihm verständigten und ihn aufnähmen,
aber sie gingen nicht darauf ein.
Mar tso'jabh führte aber das Patriarchat 18 Jahr lang. 8
Seine Leiche ward im Martyrium der Kirche von Karcha in
Garamaea begraben. Zum Patriarchen in der Kirche ward
1 S. unten S. 45.
2 = Küfa, s. unten S. 43.
3 Wolil die älteste Stelle, wo uns das arabische im Syrischen begegnet.
* So wird in den morgenländischen Kirchen das Wohnhaus der hohen
Geistlichen genannt.
6 Oder ,Geräthe‘.
6 Nach Hoffmann’s Vorschlag lese ich (27, 3) Pöo. Für L^ir 10 ,Sättel 1 ,
das nicht wohl zulässig ist, setze ich ohne meiner Sache recht
sicher zu sein. Bedenklich ist das Masc. da lüj-ioa doch wohl,
wie sein Sing., fern, sein wird; man könnte das männliche Attribut aller
dings durch die Beziehung auf ppö erklären. Für das folgende ’-kx
wäre wohl . .*Ngi die nächstliegende Verbesserung. Jedenfalls kommen
hier mehrere Entstellungen zusammen.
7 lieber diesen Kyriakos s. ausser den S. 33, Anm. 1 genannten Stellen
noch Ass. 3, 1, 91“. 141 b . 142“. 215.
8 Nach Elias von Nisibis (Baetligen 19) starb er 23. d. H. (beginnt 19. Nov.
643), nach 'Amr (Ass. 3, 1, 108 b ) 958 Sei. = 646/7. Letztere Angabe
stimmt zu unserer Chronik. Märi ('Amr) giebt ihm 19 Regierungsjahre
(Ass. 2, 416).
Die von Guidi lieransgegebene syrische Chronik.
35
Mär Emmeh eingesetzt. Dieser war aus dem Gebiet von
Arzon aus dem Dorfe Qozimar (?) 1 und war zum Metropoliten
von Betli Lapät eingesetzt. Er hatte die Mönchstracht im
Kloster des Mär Abraham vom Izalä angelegt und wurde als
Mönch wie als Metropolit sehr gepriesen. Seit er nun auf
den Leuchter des Katholikosamts gesetzt worden war, ehrten
ihn alle ismaelitischen Machthaber.
Man erzählt folgendes: zwischen Mähöze und Hira liegt
ein von lauter Juden bewohntes Dorf Namens Mäthä Mhasjä. 2
Als nun eines Tages ein Student da durchkam, packte ihn
einer von den Söhnen der Kreuziger, nahm ihn in sein Haus
und hielt ihn eine ziemliche Zeit gefangen, indem er ihn die
Mühle drehen liess. Da ward nun auf Befehl des Königs ein 28
Christ in irgend einer Angelegenheit in das Dorf geschickt
und kehrte durch Gottes Veranstaltung grade in jenem Hause
ein. Als der Student ihn erblickte, jammerte er (und erzählte
ihm die Sache). Da packte der Christ den Hausherrn, und
dieser bekannte ihm die ganze Wahrheit mit den Worten:
,wenn du mir diese Missethat vergibst, weise ich dir einen
herrlichen Schatz nach'. Und er zeigte ihm eine Stelle in
seinem Hause, wo die Leichname Hananja’s und seiner jugend
lichen Genossen lagen. 3 Gott hatte die Sache mit dem Studenten
veranlasst, damit der Schatz der Leichname der Seligen auf
gefunden werde. Wie man erzählt, musste Mär Emmeh, als
er einst von Mäliöze nach Hira ging, grade in jenem Dorfe
1 Hoffmann denkt an oder dgl. — r'c *— Joh. Eph. 415 io XXto-
[o-dcpcov Menander Prot, fragm. 57; io XXop.dpcov Theophyl. 2, 7 und 8 (im
Gebiet von Arzon). S. Gelzer’s Georg. Cypr. S. 167 f. Diese Identification
bleibt natürlich unsicher.
2 Für diesen im babyl. Talmud öfter erwähnten Ort verweist Guidi auf
Neubauer, Geogr. du Talm. 344; Berliner, Beiträge zur Geogr. Babyl. 45;
de Goeje ZDMG. 39, 12. Ob Mahsjä oder Ml}asjä zu sprechen sei, lässt
sich nicht bestimmen. Der Ausfall des 1} im syrischen Text kann auf
einem Versehen beruhen, kann aber auch eine locale Aussprache wieder
geben.
3 Dass diese Gebeine in dortiger Gegend gefunden wurden, ist ganz be
greiflich. Babel war in der Nähe und ebenso die Gegend, wo die Legende
von Nimrod spielt, dessen Feuer dem Abraham eben so wenig hatte anthun
können wie das Nebucadnezar’s den Gefährten Daniel’s (Dan. 3).
36
IX. Abhandlung: Nöldeke.
übernachten. Alis Furcht vor ihm nahmen sie ihn mit grossen
Ehren auf. 1
Mär Emmeh baute die abgebrannte Kirche des Klosters
des heil. Sergius von Mabhrachtha 2 wieder auf und schmückte
sie mit aller Herrlichkeit. Denn dieser Regent war in seiner
erhabnen Herrlichkeit sehr ausgezeichnet. Zum Hirten von
Beth Läpät salbte er aber den Sergios, Bischof von Nhar
Gur, einen tugendhaften und gerechten Mann, und sandte ihn
dahin. Auch begab sich Mar Emmeh hinauf nach Nisibis, um
die Bewohner zur Verständigung mit ihrem Metropoliten zu be
wegen, aber sie unterwarfen sich nicht. Da Hess er den Isaac,
Bischof von Arzon, kommen und machte ihn zu ihrem Oberhaupt;
das war ein sittsamer und tugendhafter Mann. So lange er lebte,
ass er kein Brot von der Kirche von Nisibis und machte sich
nichts mit deren Besitzungen zu schaffen, sondern Hess das für
ihn und seine Schüler Nothwendige aus seinem Lande kommen. 3
In eben der Zeit trat ein Jude aus Beth Aramäje auf,
29 aus einem Dorfe Namens Pallüghtä, wo sich das Wasser des
Euphrat zur Bewässerung der Ländereien zertheilt, 4 und sprach,
der Messias sei gekommen. Er sammelte Weber, Teppich
wirker 5 und Wäscher um sich, etwa 400 Mann; die verbrannten
drei Kirchen und brachten den Oberbeamten des Landes um.
Da rückte aber ein Heer von 'Äqolä gegen sie aus, tödtete
sie nebst ihren Weibern und Kindern und kreuzigte ihr Ober
haupt in seinem Dorfe.
Ferner wurden im Lande Behkawadh 6 in einem Dorfe
Namens Öatrü (?) einige Manichäer gefangen genommen. Wie
1 Die Auffindung der Gebeine selbst ist, wie die Erwähnung des (persischen)
Königs zeigt, früher geschehen. Die Geschichte wird nur erzählt, weil
der Patriarch einmal an dieser Stelle übernachtet hat.
2 S. oben S. 22 Anm. 1.
3 Er erkannte also seine eigne Metropolitenstellung nicht als legitim an.
Er wird erwähnt Ass. 2, 420.
4 Qal'at Fell&ye am Euphrat, ungefähr in gleicher Breite mit Baghdäd,
liegt allerdings ziemlich am Anfang des Canalsystems. Der Relativsatz
(mit methpalgin) giebt die Etymologie des Namens.
6 Hoffmann verbessert in (29, 2). ,Barbiere“ konnte es unter
einer jüdischen Bevölkerung nicht in grösseren Mengen geben.
6 Ein in drei Abtheilungen zerfallender Bezirk am Euphrat, wozu Babel,
lvüfa und Hira gehörten.
Die von Guidi herausgegebene syrische Chronik.
37
man nämlich sagt, sperrten diese einen Mann zu Anfang des
Jahres in einem Hause unter der Erde ein, gaben ihm das
ganze Jahr hindurch alles zu essen, wonach seine Seele ver
langte, tödteten ihn dann als Opfer für die Dämonen und
trieben das ganze Jahr mit seinem Kopf Zauber und Wahr
sagerei. So schlachteten sie alljährlich einen. 1 Ferner brachten
sie eine Jungfrau, die noch kein Mann erkannt hatte, und
schliefen alle bei ihr; das von ihr geborne Kind kochten sie
auf der Stelle, bis sein Fleisch und seine Knochen wie Oel
waren, zerstiessen es dann in einem Mörser, bereiteten es mit
Weizenmehl zu, machten kleine Kuchen 2 daraus und gaben
jedem, der sich ihnen anschloss, einen dieser Kuchen 3 zu
essen; dann verleugnete er Mani nie wieder. 4 Durch göttliche
1 Von den Heiden in Harrän berichtet ein Christ (Fihrist 321), dass sie
einen Menschen von einer gewissen (,mercurialen‘) Beschaffenheit ge
fangen nähmen und lange in Oel und Borax setzten, bis seine Glieder
lose würden, so dass sich der Kopf leicht abziehen lasse, und dass sie
mit diesem Kopf dann Zauberei trieben, da er nach ihrer Meinung vom
Planeten Mereur beseelt werde.
2 Lies (29, 17).
3 Lies (29, 18).
4 So erzählt Epiphanius, haer. 26 (87 b ) von gewissen Gnostikern, sie trieben
einem von ihnen geschwängerten Weibe den Embryo aus, stiessen ihn
in einem Mörser, mischten die Masse mit Honig, Pfeffer und anderen
Gewürzen, um die Ekelhaftigkeit zu verdecken, und verzehrten sie dann.
Das nennten sie ,das vollkommene Passah“. Ferner hat das mandäische
Sidrä Kabbä 1, 226 von den Christen: ,Ein Judenkind tödten sie,
nehmen von seinem Blut, backen es in Brot und geben es zu essen, und
Menstruation von einem Hurenmädchen mischen sie mit Wein und geben’s
ihnen' im Kelch [!] zu trinken“. Und (S. 227) ,Sieben Selige (]LÖQn?)
kommen zusammen, schlafen bei einer Frau und werfen Samen in sie
hinein. Sie empfängt von ihnen, und dann schlagen sie sie nach sieben
Monaten, bringen ihn [den Embryo durch die Schläge] heraus, nehmen
ihn mit einer Nachgeburt mit Blut, Excrementen und Menstruation und
bereiten aus seinem Mark Segensöl. Dies Mysterium kochen sie in
Wasser. Und von seinen Knochen bereiten sie heilige .... (?). Das
braten sie in feinem Weizenmehl und reinem Honig (?) und werfen
Zauberei und Wollust hinein. Das wird das Heiligthum der ,Kohle“ ge
nannt, das in den Herzen und Sinnen brennt“ (,Kohle“ nennen die Syrer
das Brot der Eucharistie!). — Aehnliclies S. 228 von den Manichäern.
Und so erzählt ein Christ von den Harränischen Heiden (Filmst 323),
dass sie einen neugebornen Knaben dem Götzen schlachteten, ihn kochten,
38
IX. Abhandlung: Nöldeke.
30
Einwirkung wurden aber alle gefasst, nämlicli da sie einen
Studenten 1 ergreifen wollten, dieser ihnen jedoch entkam. Sie
wurden nebst den Huren, die sie gefangen hielten und mit
denen sie Unfug trieben, gekreuzigt. 2 Es waren ungefähr
70 Leute.
Als Mar Emmeh das höchste Amt 3 72 Jahre lang ver
sehen hatte, 3 starb er, und seine Leiche ward im Kloster des
li. Sergios von Mabhrachthä beigesetzt.
In jener Zeit ragten aber als Metropoliten und Bischöfe
hervor Mar Sabhrisö' von Karcha, 4 der sein ganzes Leben
nur Kräuter ass, Isaac von Nisibis, 5 Sabhrisö' von Hira, Jazd-
panäh von Kaskar, 6 Aristos von Nhar Gtd, Moses von Ninive, 7
Johannes von den Zäb, Sabhrisö' von Trihän 8 und Sergios
von Beth Lapät. 9
bis er ganz weich wurde, dann mit feinem Weizenmehl, Safran, Narde, Ge
würznelken und Oel kneteten, kleine, feigengrosse Kuchen daraus backten
und das als Opferspeise verzehrten. — lieberall derselbe grause Unsinn,
dieselbe Kolieit der Gesinnung, die dem Andersgläubigen jede Schens-
lichkeit zutraut. Dass grade Mäni’s Lehre dem Genuss lebender Wesen
widerstrebte, kam natürlich so wenig in Betracht wie trotz des Abscheus
der Juden vor dem Blutgenuss das schändliche Märchen vom jüdischen
Blutritus zum Schweigen kommen kann, das in dasselbe Capitel gehört
wie jene Dinge.
1 Juden (s. oben S. 35) und Manichäer sollen also den jungen christlichen
Theologen besonders nachgestellt haben!
2 Diese Kreuzigung ist leider gewiss so historisch wie das Abschlachten
und Verbrennen zahlreicher Juden wegen des ihnen angedichteten Blut
gebrauches.
3 Barh. hist. eccl. 2, 127 giebt ihm drei Jahre. So Märi (Ass. 2, 420),
nach dem er 958 = 646/7 während ‘Othmän’s Regierung starb.
4 S. Ass. 3, 1, 124" unten. Dies und fast alle Citate in den nächstfolgenden
Anmerkungen schon bei Guidi.
6 Ass. 2, 420.
6 Eb. und 3, 1, 188. Er war nach 'Abhdiso' aus Qatar.
7 Ass. 2, 420. Der verschollne Name Ninive ward zur Bezeichnung der
Diöcese beibehalten.
8 Ueber die Landschaft, respective die Diöcese Tirhän oder Trihän (die
Gegend von Sämarrä und Tagrit an der Ostseite des mittleren Tigris)
s. Hoffmann 188 ff.
9 Ass. 2, 420. Die hier genannten Bischöfe von Karcha, Nisibis, Kaskar,
Ninive, Trilian und Beth Läpät überlebten nach dieser Stelle noch den
Katholikos, der um 660 gestorben ist.
Die von Guidi herausgegebono syrische Chronik.
39
Aber Elias, Metropolit von Merw, 1 bekehrte viel Volks
von den Türken und anderen Nationen. Merw ist nämlich
ein Fluss; nach ihm ist die Stadt und das Land benannt.
Man sagt, dass deren Innres 12 Parasangen gross ist und
dass innerhalb der äussern Mauer viele Städte und Burgen,
auch Weizen- und Gerstenfelder, Gärten und Parks liegen. 2
Es ist aber von Alexander, Philipp’s Sohn, erbaut und von ihm
Alexandria genannt worden. Nachdem er viele Völker im
Osten besiegt und unterworfen hatte, brach er auf, um nach
seiner Heimath zu ziehn, wurde aber von seinen Knechten
am Euphratstrom an einem Orte im Lande Babel, der Be
Niqjä (?) heisst, durch Gift umgebracht. Er hatte 12 Jahr
und 6 Monate regiert. 3 — Von diesem Elias, Metropoliten von
Merw, erzählt man folgendes: während er einst in den Gegenden
an den äussern Gränzen umherging, begegnete ihm innerhalb
1 Ass. 2, 420 und 3, 1, 148. An der letzteren Stelle werden seine Werke
aufgezählt.
2 Der Fluss bedingt allerdings die Fruchtbarkeit und Bewohnbarkeit der
Merw-Oase, aber den Namen (Marghu) hat doch wohl nicht zunächst
der Fluss getragen. Die nach dem Wortlaut nahe liegende Annahme,
hier sei das südliche ,Fluss-Merw‘ (Marwi rodh arab. Marw arrudhj ge
meint, ist nicht haltbar; alles folgende weist auf das bei weitem be
rühmtere und grössere ,königliche Merw“ (Marwi Säliagän; arab. Marw
aSSähagän). — Vielleicht ist übrigens diese Beschreibung im Wesentlichen
richtig. Die ganze Oase war wohl mit einem Befestigungswall gegen
die räuberischen Wüstenbewohner umgeben. Die 12 Parasangen (un
gefähr 9 d. Meilen) könnte man als Längenausdehnung rechnen, so dass
die ganze Fläche bis zum Quadrat davon eingenommen hätte ; doch ge
nügt es wohl, sie als Umfang zu nehmen. Natürlich haben wir hier nur
eine ungefähre Schätzung.
3 Merw wird in den griechischen Texten des Alexanderromans nicht unter
den Gründungen des Königs genannt, wohl aber im syrischen und in
andern orientalischen (s. meine Abhandlung ,Beiträge zur Geschichte
des Alexanderromans 1 24 u. s. w.). Auch die hier gegebene Zahl 12 Jahr
6 Monate stimmt nicht zu den griechischen Texten, wohl aber ziemlich
zum syrischen, der 12 Jahr 7 Monate nennt. Ich möchte also doch an
nehmen, dass der Chronist den syrischen Text gekannt hat. Die besondere
Bestimmung des Todesorts, für den alle Andern schlechthin Babylon
nennen, beruht vielleicht auf einer Localüberlieferung. Ich halte für
wahrscheinlich, dass ein Fehler für AaO oder 1 * - *■! *^- =
I .'»11 v (,Schaafhausen 1 ) ist; das ist ein Ort nahe bei H£ra, also auf dem
Gebiet von Babel (s. u. a. Jaq. s. v.).
31
40
IX. Abhandlung: Nöldekc.
dieser (Gegenden) 1 ein Fürst, der mit einem andern König
Krieg führen ging. Als Elias ihn nun mit vielen Worten hat,
vom Kriege abzustehn, erwiderte er ihm: ,wenn du mir ein
Zeichen zu sehen giebst, wie es die Priester meiner Götter
machen, so glaube ich an deinen Gott/ Da riefen auf Befehl
des Fürsten die ihn begleitenden Dämonenpriester die Dämonen,
denen sie dienten, an: sofort trübte sich die Luft durch Gewölk
und Sturm, und Donner und Blitz folgten _sich unaufhörlich. 2
Allein da ward Elias von göttlicher Kraft bewegt; er machte
das Zeichen des himmlischen Kreuzes, verscheuchte dadurch
die von den abtrünnigen Dämonen bereitete Erscheinung, und
sie verschwand plötzlich ganz und gar. Da so der Fürst sah,
was der selige Elias gethan hatte, fiel er in Verehrung vor
ihm nieder und nahm mit seinem ganzen Lager den Glauben
an. Der Metropolit führte sie zu einem Fluss hinab, taufte
alle, stellte Priester und Diakonen für sie an und kehrte heim. 3
Seleukos hat aber 32 Jahre regiert 4 und Antiochia, Lao-
dikea, Seleukia, Apamea, Edessa d. i. Orhäi und Beroea d. i.
1 In der Uebersetzung nehme ich das ? vor (31, 1) als Wiederholung
des von (30 ult.). Aber ich bin meiner Sache nicht sicher. Vielleicht
sind einige Worte ausgefallen, etwa (^oovlLo a^.5)
innerhalb derer die Stadt Merw liegt“. Dass der Barbarenfürst mit einem
Heere innerhalb der Umwallung des Stadtgebietes gegen seinen Feind
ziehen durfte, konnte sich doch selbst ein syrischer Mönch kaum einbilden.
Sonst liegt allerdings die Uebersetzung am nächsten: ,in den Gegenden
an den äussern Gränzen, aber innerhalb dieser (Gränzen d. h. des
äussern Walles)“.
2 Dass die Zauberer der Türken Unwetter (auch Schneegestöber) machen,
kommt auch in der persischen Ueberlieferung vor.
3 Wir dürfen nicht bezweifeln, dass Merw, der bedeutendste Ort Choräsäns,
der Ausgangspunct für die Bekehrung vieler Hochasiaten geworden ist.
Grade der Zusammenbruch des Säsänidenreichs mag zu neuen Be
rührungen wilder Stämme mit den Nestorianern geführt haben. Das
Christenthum, das noch im 13. Jahrhundert in gewissen Gegenden Hoch
asiens geblüht hat, scheint da im Lauf des 14. Jahrhunderts unter
gegangen zu sein. Man hätte gern Näheres über den ,Exegeten der
Türken“, der einen ,hortus deliciarum“ geschrieben hat und dessen Name
Abhdiso“ schon nicht mehr wusste, da er ihn sonst genannt hätte (Ass. 3,
1, 188; Assemani identificiert ihn falsch mit dem vor ihm Genannten).
4 Die Zahl ist richtig, von seiner Rückkehr nach Babylon 312 bis zu
seinem Tode 280 gerechnet.
Die von Guidi herausgegebene syrische Chronik.
41
Haleb erbaut. 1 Babel, das jetzt so heisst, hat Semiramis er
baut, aber das alte Babel ist da, wo der Thurm gebaut worden
ist. 2 Ninos, Sohn des Belos, hat Erecli d. i. Edessa, Acad d. i.
Nisibis, Chalne d. i. Ktesiphon, Calah d. i. Hatre Sanatrug’s
erbaut; 3 ebenfalls ist er der Erbauer von Ninive und Re-
hoboth.
In dieser Zeit, von der wir oben gesprochen haben, 4
drangen die Araber, indem sie alle Länder der Perser und
Römer 5 unterwarfen, auch ins Land der Huzier ein und über
schwemmten es. 6 Sie nahmen alle festen Städte, nämlich Betli
1 Aus irgend einem Chronographen. S. Syncell 274 A (Bonn 520); Dionys
Telm. (Tullberg) 61. Dieselbe Nachricht hat Jäqüt aus einem christ
lichen Schriftsteller, s. 1, 171. 323. 2, 876. Eine ähnliche Angabe über
fünf von Seleukos erbaute Städte (Antiochia, Seleulda in Syrien, Seleukia
in Pisidien, Seleukia am Tigris und Karcha dblieth Sloch) im ausführ
lichen Text der Märtyrer von Karchä bei Bedjan, Martyr. 2, 510. In
den ersten Partien dieses Martyriums ist überhaupt allerlei, was auf
griechische Quellen zurückgeht, in wirrer Verbindung mit biblischer und
einheimischer Ueberlieferung. Edessa ist auch nach Malalas 2, 142 (Ox.)
von Seleukos erbaut worden.
2 Wahrscheinlich dachte der Verfasser bei der ersten Angabe an das Oert-
chen, das den. Namen Bäbil immer behalten hat, der andere an Borsippa
(arab. Burs, heutzutage Birs NimrüdJ.
3 Diese, durchweg falschen, Identificationen der Gen. 10, 10 f. genannten
Städte sind bei den Syrern fast kanonisch geworden; s. Efr. 1, 58 B u. a. m.
Sie rühren vielleicht noch aus der parthisclien Zeit her, sind jeden
falls viel älter als die Angabe, dass Merw von Alexander gegründet sei.
Werthvoll ist, worauf Guidi hinweist, die Hinzufügung von
zu der Stadt HatrS ("Atpai in der mesopotamischen Wüste); hier haben
wir den parthischen Namen Sanatr&k noch vollständig, und Tuch’s und
Hoft'mann’s Annahme, dass ^y>Lw, den die Araber als König von
Hatre nennen, = o^lss des BB sei, wird so gesichert (s. Hoffmann 185;
Tab.-Uebers. 500). Auch die falschen Formen r 2 ) für r^l, ]»N-i für 11'-.n
sind bei den Syrern von jeher recipiert.
* S. 33 f.
6 Lies für (32, 2).
6 Trotz Efr. 2, 108 B v ooU.5pD und Joh. Eph. 402, 14
,sie (die Babylonier, resp. Avaren) überschwemmten das (ihr) Land“ bin
ich unsicher, ob qmhi hier richtig ist, denn eben ein Wort wie
fehlt hier. Ich habe an gedacht.
42
IX. Abhandlung: Nöldeke.
Läpat, Karcha dLedhän 1 und die Burg Susan, 2 ein, und bloss
die sehr festen Städte Süs und Sostre 3 blieben übrig, während
von allen Persern keiner mehr den Arabern Widerstand leistete
als König Jezdegerd selbst und einer von seinen Heerführern
Namens Hormizdän, ein Meder, 4 der Truppen zusammenzog
und Süä und Soltre besetzte. Diese Stadt Sostre nimmt einen
sehr grossen Raum ein und ist durch mächtige Flüsse und
Wasseradern, die sie von allen Seiten wie Stadtgräben um
ringen, sehr fest. Einer von diesen Gräben heisst Ardachsiragän
nach Ardachsir, der ihn angelegt hat, ein andrer, der durch
die Stadt hindurchgeht, Samiram nach einer Königinn (die so
hiess); ein andrer Däräjagän nach Darius. Der grösste von
allen ist ein mächtiger Giessbach, der von den nördlichen Bergen
herkommt. 5 Wider den Meder Hormizdän zog da ein arabischer
1 Der Ort Karcliä dLtdhän (\t~^i oft in syrischen, besonders
nestorianischen Schriften genannt, hiess nach den Acten des Marl 83
ursprünglich Karcliä dßödhän. Bei den Muslimen Karcliä, das Maq-
disl 408 als eine kleine blühende Stadt nennt. Die Ruinen etwas ober
halb derer von Susa am Flusse Kercliä, der, wie de Goeje zu der Stelle
Maqdisl’s bemerkt, eben von der Stadt den Namen hat. Vgl. Tab.-Uebers. 58.
2 ,Die Burg Susan 1 ist der biblische Name von Susa (Neh. 1, 1; oft in
Esther; Dan. 8, 2). Dies ist aber auch die Stadt Daniel’s, die gleich
darauf richtig mit dem spätem SÜS (Süs der Araber) gleichgesetzt, hier
aber doch von jener Burg Susan unterschieden wird. Ob die Verwirrung
vom Verfasser oder einem Abschreiber herrührt, mag ich nicht entscheiden.
8 Sostra Plin. 12, § 78. Bei den Syrern (ZDMG. 43, 393),
52^4,0^ auch i|A4.Q_*. (Martin, L’Hexamdron de Jacque d’liidesse 98,8);
Talm. ’inüuy (Neubauer 382), arab. Tustar, heutzutage SüSter. Gewiss
liegt auch dem Sosirate Plin. 6, § 136 ein 2Q2TPATE d. i. Suorpä ts
zu Grunde.
4 Der bekannte Mann, den die Araber alKormnzän nennen. Er war aus
Milirgänkadhak im südwestlichen Medien (Belädhori 380).
5 Aus dem reichen Material und der Darlegung, die ich beide von Hoff-
mann erhalten habe, könnte ich hier eine kleine Abhandlung über die
Topographie von Süster geben. Ich will aber nur bemerken, dass der
Däräjagän als Darigan noch bei neueren Reisenden vorkommt, wie denn
diese Schilderung im Wesentlichen noch jetzt zutriift. Ardachsiragän
geht auf ArdacliSir, eine etwas ältere Form von ArdaSir zurück. Bei
diesem denkt man allerdings zuerst an den Gründer des Säsänidenreiclis;
doch kann es auch ein anderer Gross- oder Kleinkönig gewesen sein,
wie der Däräjagän (wohl aus Därajäwakän) nicht nothwendig nach einem
der Achaemeniden dieses Namens genannt zu sein braucht. Samiräm ist
natürlich Semiramis. Der Hauptfluss ist der Dugail, heutzutage Qärün.
V
Die von Guidi herausgegebene syrische Chronik.
43
Feldherr mit dem Beinamen Abu Müsa, der dort, wo der Tigris
ins grosse Meer fliesst, Basra als Ansiedlung der Araber er
baut hatte, 1 eine Stadt zwischen dem Culturlande und der
Wüste, so wie Sa'd Sohn des [Abu] Waqqäs eine andre An- 33
Siedlung für die Araber angelegt hatte, nämlich die Stadt 'Äqolä,
die wegen der Krümmung (hfifüthä) des Euphrats Küfa
genannt wurde. 2 Als nun aber Abu Müsa gegen Hormizdan
heraufzog, stellte dieser eine List an, um die Araber so lange
vom Kampf gegen ihn abzuhalten, bis er ein Heer zusammen
gebracht hätte. Er liess dem Abu Müsa also sagen, er möge
mit Menschenraub und Mord auf hören, er wolle ihm so viel
Tribut senden, wie sie ihm auflegten. So blieben sie zwei
Jahre lang. Dann brach aber Hormizdan im Vertrauen auf
die Mauern den Friedensvertrag, tödtete die Männer, welche
die Gesandtschaften zwischen ihnen besorgt hatten, 3 von denen
einer Georg, Bischof von Ulai, 4 war, und sperrte den Abraham,
Bischof von Poräth, ein. Er schickte viele Truppen gegen die
Araber, aber diese vernichteten sie alle, eilten herbei, belagerten
Süs, nahmen es in wenig Tagen ein und tödteten sämmtliche ange
sehenen Leute darin. Sie besetzten das Haus dort, so das des
heil. Daniel’s hiess, bemächtigten sich des da eingeschlossnen
1 Abu Müsa, alAs'ari hat zwar nicht die Anlage Basra begonnen, aber die
erste Moschee aus Ziegeln und das Haus des Statthalters erbaut Belä-
dhori 347.
2 Da das syrische Aqold wirklich ,die krumme* (st. abs. f. oder st. emph.
m.?) heisst, so ist sehr wohl möglich, dass K&fa wirklich zu in
der Bedeutung ,gerundet, gekrümmt* gehört (vgl. u. a. m.);
dazu stimmt die bessere Etymologie der Araber (Ibn Faqih 162 u. a.
Jaq. 4, 322). Der Name muss dann aber bei den
Arabern schon älter gewesen sein als die Gründung der grossen Stadt,
denn damals war das Wort gewiss schon nicht mehr allgemein verständ
lich, und hätte man die Stelle ganz neu benannt, so hätte man ihr einen
deutlichen Namen gegeben. Ganz so ist es mit Basra.
"7 7
3 Ich lese ^»N'nhn?. — Wir müssten das Einzelne besser kennen, um zu
beurtheilen, ob dies Verfahren gegen die Leute, die er früher zu den
Arabern gesandt hatte, wirklich so abscheulich ist, wie es beim ersten
Anblick zu sein scheint. Dem Manne, der nachher den Arabern gute
Rathschläge zur Eroberung seines Vaterlandes gab, ist allerdings manches
zuzutrauen.
4 Ich fasse dies mit Guidi als den biblischen Namen des Flusses von Susa,
also ihn als Bischof dieser Stadt.
44
IX. Abhandlung: Nöldeke.
Schatzes, der auf Befehl der Könige seit der Zeit des Darius
und Cyrus bewahrt worden, und den silbernen Sarkophag, worin
die einbalsamierte Leiche lag, die von vielen für die Daniel’s,
von andern für die des Darius erklärt wurde, zerbrachen und
nahmen sie. Dann belagerten sie Söstre und mühten sich zwei
Jahr lang ab, es einzunehmen. 1 Da verabredete sich ein dort
angesiedelter Mann aus Qatar 2 mit einem, dessen Haus auf der
34 Mauer stand, und sie machten einen geheimen Anschlag, gingen
zu den Arabern hinaus und sagten ihnen: ,wenn ihr uns ein
Drittel der Beute aus der Stadt geht, so bringen wir euch hinein/
So schlossen sie einen Vertrag, führten dann Minengänge unter
der Mauer durch und brachten die Araber hinein. Diese
nahmen also Söstre, vergossen da Blut wie Wasser und tödteten
den Schriftausleger der Stadt und den Bischof von Hormizdar-
dasir 3 nebst den Studenten, Priestern und Diakonen; ihr Blut
vergossen sie im Heiligthum selbst. Den Hormizdän nahmen
sie lebend gefangen.
1 Darauf, dass die Eroberung Chüzistän’s, die durch die Besetzung Süster’s
ziemlich abgeschlossen wurde, geraume Zeit in Anspruch genommen hat,
deutet wohl auch die Verschiedenheit der Angaben über den Kampf um
diese Stadt, s. Ibn Athir 2, 421, wo die Jahre 17, 19, 20 d. H. genannt
werden. Die Belagerung selbst hat allerdings schwerlich zwei Jahre
gedauert; Ibn Athir 3, 427 hat dafür einige Monate. Belädhori erzählt
gleichfalls, dass erst Süs und danach Süster genommen sei; so eine Nach
richt bei Ibn Athir 2, 431, während der Hauptbericht bei ihm das Um
gekehrte hat.
2 Auch nach Belädhori 380; Ibn Athir 2, 427 f. fiel Süster durch einen
Verrätlier, der den Belagerern zeigte, dass sie sich an der Stelle, wo
der Fluss in die Stadt tritt, einschleichen könnten. Das ist wahrschein
licher, als was der Syrer erzählt. — Dass Süster sich erst friedlich unter
worfen habe (= dem ersten Vertrage Hormizdän’s) und dann abgefallen
sei, auch Belädhori 381 ult. — Wunderlich, dass sowohl der Verrätlier
Alexandria’s (oben S. 25) wie der Süster’s aus Qatar gewesen sein soll!
Hat am Ende bloss die auch hier gebrauchte Redensart q(ar r&zt ge
heime Anschläge machen' dazu geführt?
3 Die unterhalb Süster am Qärün liegende Stadt, die später meist nach
dem Namen der Provinz Ahw&z hiess und unter dieser Benennung noch
auf den Karten zu finden ist. Vgl. Tab.-Uebers. 19. Sie kommt noch
manchmal in syrischen Werken vor. Die Ebene von Chüzistan war da
mals zum grossen Theil christlich.
Die von Guidi kerausgegekene syrische Chronik.
45
Darauf ging von den Arabern ein Mann Namens Chälid
aus, zog nach dem Westen und eroberte Länder und Städte bis
nach 'Arab. 1 Als der römische Kaiser Heraklios das hörte,
sandte er ein grosses Heer gegen sie, dessen Führer Sakellarios
hiess, aber die Araber schlugen sie, vernichteten mehr als
100,000 Körner und tödteten ihre Führer. 2 Auch den Bischof von
Hira Iso'dädh, der dort bei ‘Abel Masih war und die Gesandt- 35
schäften zwischen Arabern und Römern besorgte, tödteten sie. 3
So wurden die Araber Herren aller Länder von Syrien und
Palästina. Sie wollten auch nach Aegypten eindringen, konnten
es jedoch (zuerst noch) nicht, da die Grenze durch den Patriarchen
von Alexandria mit einem Heer und grosser Macht behütet
wurde, er die Ein- und Ausgänge des Landes verschlossen und
überall am Rand des Nils Mauern 4 erbaut hatte. Wegen deren
Höhe vermochten die Araber nur mit Mühe einzudringen und
Aegypten, die Thebai's und Africa 5 einzunehmen. Von Kummer
über die Niederlage der Römer überwältigt, ging Kaiser
1 S. oben S. 14, Anm. 4.
8 Dasselbe, was oben S. 34 steht, nur ein bischen genauer. Gemeint ist
natürlich die Entscheidungsschlacht am Jarmük. Als das römische Heer
heranrückte, mussten die Araber fast ganz Syrien räumen. — Vgl. u. a.
ZDMG. 29, 79.
3 Chälid hatte mit den Leuten von Hira und besonders mit 'Abdalmasih
b. 'Amr, den Guidi mit Recht in diesem 'Abd Masih wiederfindet, unter
handelt, ehe er noch seinen berühmten Zug durch die Wüste (,nach dem
Westen 1 ) antrat, um in Syrien das Commando zu übernehmen. — 'Abd
Masih war aus dem hochangesehnen Geschlecht Buqaila; seine hervor
ragende Stellung bestätigt auch unsre Erzählung. Die arabische Ueber-
lieferung macht einen Witzbold aus ihm, indem sie ihm Antworten in
den Mund legt, die sich zum Theil in der Vita Aesopi c. 4, S. 16 (Wester
mann) wiederfinden, s. Belädhori 243; Tab. 1, 2019. 2043; Agh. 15, llf.
Auch noch andere Fabeleien hat man ihm angehängt, s. Tab.-Uebers. 254;
Mas'üdi 1, 217 ff.
4 Indem Hoffmann pa*. (35, 6) mit den Pluralpuncten versieht, die auch
durch das ,an allen Orten 1 erfordert werden, bringt er die richtige Be
zeichnung des Suffixes in zu Wege. Die Praepositiou
ist da allerdings auffallend.
5 Wir brauchen hierbei wohl nur an die Einrichtung der östlichen Provinz
(Gründung von Qairuwän 670), nicht an die Unterwerfung des ganzen
Küstenlandes (Gründung von Tanger 707/8) zu denken.
46
IX. Abhandlung: Nöldeke.
Heraklios nach seiner Hauptstadt, ward krank und starb. Er
hat zusammen mit seinem Sohne 28 Jahre regiert. 1
Der Sieg der Kinder Ismael’s, welche diese beiden mächtigen
Reiche überwunden und unterworfen haben, ist von Gott ge
kommen. Aber über Constantinopel hat ihnen Gott noch keine
Gewalt gegeben. 8 Also ist sein der Sieg!
Darüber, was die Kuppel Abraham’s 8 eigentlich sei, haben
wir nur folgendes gefunden: weil der selige Abraham reich an
Vieh war und sich auch von dem Neide der Kanaaniter fern
halten wollte, beschloss er, sich in entlegenen und ausgedehnten
Wüstengegenden aufzuhalten, und da er in Zelten wohnte, so
erbaute er sich zur Verehrung Gottes und zur Darbringung der
Opfer jenen Ort, und von diesem früheren Bau hat auch der
heutige seine Benennung empfangen, da die Erinnerung an die
Stelle durch Ueberlieferung von Geschlecht zu Geschlecht be-
36 wahrt worden ist. Und für die Araber ist es nichts neues,
dort anzubeten, sondern diese Sitte herrscht schon längst seit
alten Tagen, indem sie dem Stammvater ihres Volks die ge
bührende Ehre darbringen. 4 Auch Hazor, das die Schrift die
Hauptstadt der Reiche nennt, 5 gehört den Arabern, 6 und Medina
ist so nach Midian dem vierten Sohn der Ketura, 7 geheissen;
es wird auch Jathrib genannt. (Zu Arabien gehören ferner) 8
Dümat gandal 9 und das Land der Hagaräer, reich an Wasser,
1 Richtig. Heraklios, der am 7. Oct. 610 den Thron bestiegen hatte, er
hob am 22. Jan. 613 seinen Sohn Heraklios (Neos Konstantinos) zum
Mitregenten, und das blieb er bis zu des Vaters Tode, am 11. März 641.
2 S. die Einleitung oben S. 3.
3 Die Ka'ba.
4 Der Verfasser nimmt die muslimische Legende ohne Bedenken an. Darin
hat er allerdings Recht, dass die Ka'ba nicht etwa erst durch Muhammed
zum Heiligthum geworden ist.
6 Jos. 11, 10.
6 Worauf sich diese Behauptung gründet, ist mir völlig räthselhaft. An
eine Verwechslung von ’°,j“ mit Gen. 10, 26 oder an
Vfb» (s. oben S. 41) ist nicht wohl zu denken.
7 Gen. 25, 1 f.
8 Etwas derartiges ist zu ergänzen.
9 Die bekannte Oase Dümat algandal im nördlichen Arabien, heute al-
Grof genannt. Zu Muhammed’s Zeit war der dortige Fürst ein Christ
(Ibn Hiääm 903, 3).
Die von Guidi heransgegebene syrische Chronik.
47
Dattelpalmen und festen Gebäuden. 1 In dieser Weise ist auch
das Land Hattä gut ausgestattet, das am Meer in der Nachbar
schaft der Qatar-Inseln liegt; es ist ebenfalls mit mannigfachem
Pflanzenwuchs reich versehen. 2 Ihm gleicht das Land Mazün,
auch am Meere liegend, das mehr als 100 Parasangen Raum
einnimmt, 3 und das Land Jamäma, mitten in der Wüste, 4 und
das Land Laif 5 und die Stadt Lira, von dem König Mundhir
erbaut, so ,der Held' geheissen ward und der sechste in der
Reihe der ismaelitischen Könige war. 6
1 Itagar im Innern von Bahrain. Es kommt im 6. und 7. Jahrhundert
öfter als Wohnsitz nestorianisoher Christen und als Diöcese vor ZDMG.
43, 404. 407; Ass. 3, 1, 136. Der Dattelreichthum dieser Oase ist bei den
Arabern hochberühmt, vgl. z. B. Kämil 202. 441. Ueber die persischen
Schlösser dort s. Tab.-Uebers. 260. — Vgl. Wüstenfeld, Bahrein und Jemäma
(Abli. der k. Ges. d. Wiss. zu Göttingen Bd. 19) S. 6 ff. (178 ff.); Sprenger,
Das alte Arabien § 169.
2 AlOhatt, die Küste des jetzt Lahsä genannten Landes, seit Polybius oft
genannt, s. Sprenger, Das alte Arabien § 170; Wüstenfeld a. a. O. 9 (181).
Im 7. Jahrhundert nestorianische Diöcese Ass. 3, 1, 136. 143 b . ZDMG.
43, 407. — Ueber Qatar s. oben S. 25, Anm. 2. Mit dem Ausdruck Qaträje
werden die Leute aus allen diesen Gegenden zusammengefasst (s. B. Ass.
3, 1, ISS 1 ,11; die Briefüberschrift Ass. 3,1,134 b ). Beachte, dass im Catalog
des Abhdiso* mehrere Schriftsteller aus Qatar Vorkommen. — Der officielle
Name von Chatt ZDMG. 43, 407 ist gewiss identisch mit
dem Tab. 1, 820 in verschiedenen Entstellungen erscheinenden, aber
Form und Bedeutung vermag ich wenigstens doch nicht festzustellen. —
Hinter V&“? (1. 9) verbessert Hoffmann ? wie 1. 12 und 13.
8 — 'Omän, s. Jaq. 4, 521 f. Als Diöcese ZDMG. 34, 396 und öfter (vgl. oben
S. 33, Anm. 7). Die Christen von 'Omän gingen schon früh zum Isläm über,
s. die dort citierten Stellen aus Ass. 3, 1. — Der Verfasser hätte hier u. a.
noch die zwischen Bahrain und 'Omän gelegene Insel MäSmähig nennen
können, die gleichfalls als Diöcese vorkommt ZDMG. 43, 395. 404; Ass.
3, 1, 136 a ; ; talm. rnütro Rösch hasch. 23“; arabisch ^st>L.L
Jaq. 3, 132).
4 Ein oft genanntes grosses Gebiet im Innern Arabiens. Auch da gab es
Christen; Haudlia, der dort wohnende hochangesehne Häuptling der
Banü Hanifa, feierte Ostern; vgl. Tab.-Uebers. 258 mit 263. — S. noch
Wiistenfeld’s, eben genannte Abhandlung Bahrein und Jemäma.
5 Ich halte wenigstens Guidi’s Vermuthung, dass diesen nach Mekka
und Medina wichtigsten Ort des Higäz (im weiteren Sinne) bezeichnen
soll, für sehr wahrscheinlich.
6 ,Damit scheint Mundhir I, der sechste lahmitische Fürst (nach den beiden
'Amr, beiden Imrulqais und Nu'män), gemeint; ich weiss nicht, ob der
48
IX. Abh.: Nöldeke. Die von Gnidi herausgegebene syrische Chronik.
Zu Ende sind die wenigen Notizen aus der Kirchen-
geschichte.
[,Held‘] dem MehiSt [,Grössten“] Nöldeke, Gesch. 87 entspricht“
(Gnidi). Wichtig ist anf alle Fälle, dass, wie wir hier sehen, schon die
Syrer die Reihe der Fürsten von Hira festzustellen suchten. Die Kelbi’s
fanden also auf diesem Gebiet schon einigermaassen festen Boden.
X. Abhandlung: Zingerle. Der Hilarius-Codex von Lyon.
l
X.
Der Hilarius-Codex von Lyon.
Von
Prof. Dr. Anton Zingerle,
corresp. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
• IN ur in ein paar der zahlreichen und meine Bemühungen .
freundlich anerkennenden Besprechungen der Ausgabe des
hilarianischen Psalmencommentars wurde auf einen erst in
den letzten Jahren bekannt gewordenen Lyoner Hilarius-Codex, 1
und zwar von competenter Seite mit der Bemerkung aufmerksam
gemacht, dass nach Benutzung so vieler alter Handschriften,
worunter zwei aus derselben Zeit, dieser Codex wohl nicht
viele wesentliche Aenderungen veranlasst haben würde. 2 Dennoch
war ich, als ich schon vorher, eben nach Abschluss der Aus
gabe, von dieser Handschrift als hilarianischer Kenntniss erhalten
hatte, in einer gewissen Aufregung; denn wenn auch die Nicht
benutzung derselben durch die angedeuteten zeitlichen, sowie
durch die Verhältnisse unserer Bibliothek, die von den fran
zösischen Katalogwerken damals noch nichts besass und auf
diesem Gebiete mich nur auf Excerpte von freundlichen Ge
lehrten an wies, gewiss entschuldigt gewesen wäre, so würde
mir doch eine dadurch veranlasste wesentliche Schädigung der
1 Vgl. Delisle, Notices et Extraits XXIX, 2, p. 364 und Album paleo-
graphique pl. V. Er ist allerdings identisch mit Nr. 381 bei Deladine,
Bibi, de Lyon, dort war er aber noch nicht mit Hilarius, sondern blos
allgemein als Commentarius in psalmos, wie mehrere andere, bezeichnet
und dem 8. Jahrhundert zugewiesen. Mit derselben unbestimmten Be
zeichnung hatte ich ihn auch bei Haenel S. 194 gefunden und darum
von der Bitte um Zusendung abgesehen, zumal da ich mit ähnlichen
Handschriften nutzlose Versuche gemacht hatte. Vgl. Studien S. 942
und Ausgabe p. 878. — Ich citire im Folgenden nach meiner Ausg.
2 Vgl. z. B. Archiv für lat. Lexikogr. VH (1892), S. 616.
Sitzungsber. d. pMl.-hist. CI. CXXVIII. Bd. 10. Abb. 1
2
X. Abhandlung: Z i n g e r 1 e.
Ausgabe, für welche so viele Mühe verwendet und die Ueber-
lieferungsgeschichte sonst so vollständig verfolgt war, natürlich
sehr zu Herzen gegangen sein. Selbstverständlich daher, dass
ich mir möglichst bald durch Proben aus verschiedenen und
zugleich besonders bezeichnenden Partien, die sich aus den
nach Paris gekommenen Quaternionen, 1 aus dem Haupttheile
in Lyon und aus dem Facsimile im Album paleographique
zunächst erreichen Hessen, über die Stellung und den Werth
dieses Codex ein Bild zu verschaffen suchte. Ich halte es für
nützlich, dasselbe in den Hauptumrissen mit hoffentlich bereits
ziemlich überzeugenden und tröstlichen Beispielen schon vor
läufig vorzuführen, indem ich mir übrigens für die praefatio
des zweiten Bandes Mittheilung etwaiger für Einzelstellen
irgendwie beachtenswerther Ergebnisse der vollständigen Col-
lation Vorbehalte. Den Herren Professoren Hofrath v. Hartei,
Traube, Vrba, Wölfflin muss ich für die gütige Unter
stützung meiner Bestrebungen zur Erreichung dieses Bildes
den herzlichsten Dank aussprechen. Ich bezeichne im Fol
genden den Lyoner Codex mit dem Buchstaben L.
In Bezug auf Buchstabenverhältnisse und Orthographisches
zeigt L dieselben Erscheinungen, die wir mehr oder weniger
in allen älteren Codices sichtlich aus dem Archetypus erhalten
trafen; 2 in der fast regelmässigen Wiederkehr mancher der
selben berührt er sich besonders mit Y und G; so schreibt er
mit V Gr adque, eclesia, eseias, profeta, adpraehendo, optineo
u. dgh, mit G die Abkürzung n. für noster und seine Casus
(z. B. p. 367, 8 für nostrum), mit V gerne aliut, istut, illut,
paruoli, p. 486, 21 mit demselben et uellit st. ut uelit, 3 p. 366, 7
mit V 2 B,C repperiatur. Viele der Textverderbnisse, in denen
er sich ebenfalls mit Y am häufigsten und oft sehr auffallend
verwandt zeigt, erklären sich im Grunde auch durch derartige
1 Ueber dieselben, die dort unter Nouv. acq. lat. 1593 (= Fonds Libri 3)
stehen, und über die Art, wie sie nach Paris gekommen, vgl. Delisle,
Les manuscr. des fonds Libri et Barrois (1888), p. 13, Nr. XII.
2 Vgl. meine Studien zu Hilarius, Sitzungsberichte der kais. Akademie in
Wien CVIII (1884), S. 878 ff.
3 ut statt et steht in VL p. 486, 20; et statt ex in VL p. 359, 3 u. dgl.
Der Hilarius-Codex von Lyon.
3
uns bekannte Verhältnisse, p. 355, 8 z. B., wo V statt esset
edenda (RCp) den Fehler esset tenenda hot, wird derselbe
durch das esset eneda des L weiter dahin beleuchtet, dass
auch hier die in unserer Ueberlieferung oft begegnende Ver
wechslung der Buchstaben d und n 1 zum Verderbnisse mit
wirkte. Hat da aber L die zweite Weiterbildung des Ver
sehens 2 vermieden, so ist er umgekehrt p. 370, 18 bei auch
wieder enger Verwandtschaft mit V seinerseits weiter gegangen:
bonum, inquit, est wieder richtig RCp, boniirn quid est V,
bonum quidem est L; die Corruptel, entstanden aus der ge
läufigen Schreibweise inquid und dem leichten Ausfälle des
in nach der vorangehenden Schlusssilbe, 3 blieb in V naiv stehen,
in L wurde sie scheinbar durch das quidem verbessert; ähnlich
p. 359, 20 se ee ingressos existimant R, sese ingressos existimant
VCp, se ingressos existimant L; 363, 14 sciret se nisi sub teste
peccare RCp, sciret se nsim sub testem peccare V, sciret sese
sub teste peccare L. Gerade auch in der Auslassung oder Zu
gabe einzelner Buchstaben, Silben oder kurzer, respective abge
kürzter Wörter tritt die Uebereinstimmung zwischen L und V oft
recht stark hervor oder hat L auffallende, selbst von V vermiedene
Fehler, z. B. p. 355, 10 in singitlis RCp, singulis VL; 356, 14
lex enim domini (dni) inmaculata RCp, lex enim inmaculata
VL; 359, 18 non in uia fortuita et in incerta et in erratica
RCp, non in uia fortuita et incerta et in erratica VL; 360,
21 ff., wo die ganz concinne Aufzählung in primo uersu est:
qui ambulant in lege domini, in secundo ... in quarto . . . in
quinto u. s. w. entschieden auch an der zweiten Stelle das von
Cp überlieferte und von R durch hlossen Ausfall des in (%)
nach dni nur leichter verderbte in secundo verlangt, haben V L
secundum offenbar mit gleichzeitiger, in unserer Ueberlieferung
so häufiger Verwechslung von o und u und dann fehlerhafter
Zugabe des M-Striches; 4 361, 15 propriam in se habet legis
1 Vgl. meine Ausgabe praef. p. XVII und Studien S. 888.
2 Eine Spur der letzteren, der Dittographie, respective Einscliiebung des t
zeigt aber p durch die Rasur seiner richtig hergestellten Lesart: esset
gl edenda.
3 Vgl. Studien S. 882.
4 Diese fehlerhafte Zugabe oder Weglassung (vgl. Studien S. 906) macht
sich gerade auch im Consens VL öfter beinerklich; z. B. p. 360, 3
1*
4
X. Abhandlung: Zingerle.
nuncupationem RCp, propriam in habet legis nuncupationem
YL; 371, 7 lasciuos adulescentiae coetus derelinquens RCp,
lassus adulescentiae coetus derelinquens V, lassus adulescentiae
coetus relinquens L; 369, 14 derelinquat RC, relinquat VLp;
371, 21 ex perfecta caelestis doctrinae ratione RCp, ex per-
fec.tae caelestis doctrinae ratione VL; 372, 3 sed absolutio dif-
ficultatum in his ipsis requirenda est, e quibus uidetur existere
RCp, sed absolutius difficultatum in his ipsis requirendum
est 1 cet. VL; 372, 13 quia RCp, qui VL; 372, 20 repellit
RCp, pellit VL; 374, 12 a iuuentute mandata dei custodiuntur
RCp, a iuuentute mandata dei custodiunt VL; 363, 4 curato
etiam leproso RCp, cur etiam leproso VL; 363, 11 quae si
quis scrutari . . . uellet, in beatitudine permaneret (permaneret
RCp, permanet VL); 365, 7 in qua quisque RCp, in qua
quiq. VL; 486, 19 sed incipiendi a nobis origo est RCp,
sed (set V) incipienda nobis origo est VL; 487, 5 certus scilicet
eafidei meritis reseruari RCp, certus scilicet se a fidei meritis
reseruari L, certus scilicet se ad fidei meritum reseruari V. —
354, 25 sanctus apostolus Paulus VCp, sanctus Paulus apo-
stolus R, sanctus apostolus L; der liier in L allein sich findende
Ausfall des Wortes Paulus ist in Verbindung mit apostolus
und dessen bekannter Abkürzung leicht erklärlich; 2 für die
Entscheidung der zweifelhaften Wortstellung bietet er freilich
keinen Anhaltspunkt; ich bin aus den in den Studien dar
gelegten Gründen auch in solchen Dingen möglichst consequent
der durch GR, G oder R vertretenen Gruppe gefolgt, gehe
aber Petschenig Recht, dass hier wohl die erstere Stellung
vorzuziehen war, da sie sonst die gewöhnlichere ist und R da
isolirt steht. 360, 4 in futurorum spem extenditur VRCp,
cum obliuionem; 366, 20 cum reuerentiam; 370, 6 quia sera licet emendatio
utilis sit obliuionem uitiorum; 375, 23 machte V 2 super gratiam aus super
gratia, L stimmt mitV 2 überein; 684, 17 amoenitatem statt amoenitate L.
1 Zunächst war bei der häufigen Verwechslung von o und u (vgl. Studien
S. 890) absolutiu entstanden und daraus weiter absolutius (Studien S. 898,
Aehnliches auch bei Livius öfter, vgl. meine Beiträge zur 4. Decade S. 2);
requirendu entwickelte sich durch die ebenso häufige Verwechslung zwi
schen a und u (vgl. Studien S. 880); L hat z. B. auch für sich eigen
tümlich p. 596, 16 caelestiu statt caelestia, 597, 6 eum statt eam.
2 Vgl. z. B. die adn. crit. zu p. 203, 19 meiner Ausgabe.
Der Hilarius-Codex von Lyon.
5
futurorum spem extenditur L; 487, 13 ut inimicos diligamus
VßCp, ut in inimicos diligamus L; 364, 10 quos et nobiscum
manere (mauere VRCp, mane L) . . . scimus; 372, 21 hanc
enim propheta (profeta V) praetulit causam VRCp, hanc enim
protulit causam L; 373, 20 primus uersus de custodiendis ab
adulescente mandatis dei constitit RCp, V hat an letzter Stelle
constituit, L liess das Wort bezeichnend weg; 368, 15 cum in
omnia dei mandata respiceret (respiceret VRC 2 p, respiret C 1 ,
resipisceret L); 225, 21 cauendum autem est, ne... . detrahatur
(detrahatur RPT, in der gekürzten Ueberarbeitung Y fehlt
diese Stelle, detrahebatur L); 596, 24 quod esse homo intelle-
getur (intellegetur ß, intelligitur P, in Gr sind die betreffenden
Silben dieser und der folgenden Stelle nicht mehr leserlich, in
der Kürzung V ist dieses ganze erste Capitel weggelassen,
T fehlt hier, intellegeretur L); 597, 22 excidium antea ita
nuntiante: terra uestra cet. RP, excidium ante adnuntiante:
terra uestra cet. L; 1 684, 10 in eo enim, quod ita coepit
propheta: ecce cet., docemur, quid bonum atque iucundum sit
(in eo enim, quod ita coepit propheta PT, Gr beginnt erst mit
pit profeta, V hat in seiner Kürzung wieder dieses ganze
Capitel unterdrückt, in R fehlt dieser Psalm vollständig, in eo
enim quod ita est coepit profeta L). Einigermassen beachtens-
werth könnte von Derartigem aus den bisherigen Proben viel
leicht p. 362, 19 erscheinen, wo L allein sicut et cetera bietet
gegenüber sicut cetera VßCp, wo aber in V diese Worte mit
mehreren anderen erst von zweiter Hand am unteren Rande
nachgetragen sind. 2 Bisweilen hat L sichtlich nicht nur kleinere,
sondern auch auffallendere Auslassungen, von denen trotz dieses
häufigen und in mancherlei Gruppirungen auftretenden Fehlers
unserer Ueberlieferung (vgl. Studien S. 898 ff.) die anderen
Handschriften insgesammt sich frei hielten. Z. B. p. 487, 3 sed
1 Aelmlich 362, 13 L in Uebereinstimmung mit Y idcirco adiectum est:
praeceptum cet. für idcirco ita dictum est: praeceptum RCp.
2 p. 363, 15 entdeckte ich durch L noch einen trotz alles Fleisses über
sehenen, aber wohl zu entschuldigenden Druckfehler meiner Ausgabe.
Es muss heissen et omne hoc, uacuum quod putatur, repletum est angelis
dei nihilque est, quod cet.; est nach repletum steht nicht nur in L, sondern
auch in YRCp und in meinem Manuscripte, es fiel nur durch Versehen
des Setzers am Schlüsse der Zeile aus.
6
X. Abhandlung: Zingerle.
uoluntas et religio cor eins ex eo, in quo mcinebat, originis
uitio ad iustificationum opera declinat. et declinat in omni
uitae suae tempore (opera declinat et declinat V R C p, opera
declinat L); 371, 8 adulescentiae coetus derelinquens et ab ipso
senum nuper credentium consessu remotus (senum VRCp,
om. L).
Sonst aber bricht auch in Anderem, wie im Bisherigen
so oft, die Verwandtschaft mit V immer stark genug durch.
Zum Beweise noch einige Beispiele verschiedener Art. p. 355,
26 namque qui simpliciter ea, quae inter manus sibi inciderint,
legunt (inciderint RCp, inciderunt VL); 368, 25 faueat RCp,
foueat VL; 370, 18 iuueni uiro RCp, iuueni uero VL; 370,
24 prouectioris aetatis RCp, profectioris aetatis VL; 371, 2,
wo ich istud crudi nach cod. r herstellte (vgl. Studien S. 925),
hat V istute rudi, L istut erudi (R istud rudi, CpA istud
rüdes)-, 373, 4 meminimus et Paulum ad Corinthios adhuc in
fide paruulos quaedam dei eloquia occultasse (quaedam dei
eloquia [aeloquia R] occultasse [occuluisse Cp] RCp, quendam
dei eloquio occuluisse VL); 1 373, 11 dare RCp, donari VL;
376, 11 periculosa est humanarum mentium et molesta desidia
(mentium RCp, gentiü VL); 375, 9 conscientia (constientia R)
spectantium RCp, constantia spectantium VL; 375, 14 delec-
tatur enim sicut in diuitiis omnibus; non tantum in diuitiis,
sed in diuitiis omnibus. sunt opes in auro, sunt in argento cet.
RCp, delectatur enim sicut opes in auro sunt in argento cet.
V 1 , delectatur enim sicut in omnibus diuitiis; non tantum in
diuitiis, sed in diuitiis omnibus. sicut opes in auro, sunt in
argento cet. V 2 L. 2 Die Entwicklung des Versehens liegt so
klar zu Tage, interessant aber ist dabei die schon früher ge
legentlich bemerkte Uebereinstimmung von L mit V 2 ; 371, 10
silebit etiam congruam fidei et iuuentuti existimans taciturni-
tatem (etiam congruam fidei R, etiam cogruam igtitur fide V 1 ,
etiam congruam igitur fidei V 2 LCp). Die Einfügung des igitur
wurde hier wohl durch die nachgewiesene öftere Verwechslung
1 Petschenig wünscht occuluisse im Texte gehalten; es ist dies allerdings
ein ähnlicher Fall wie der oben berührte 354, 25, und ich bin da in
der Consequenz gegenüber R wohl zu streng gewesen.
2 Von V 2 sind die Worte in omnibus diuitiis bis in diuitiis omnibus sicut
am unteren Rande nachgetragen.
Der Hilarius-Codex von Lyon.
7
der Wörtchen enim, ergo, etia.m, igitur (vgl. praef. meiner Aus
gabe p. XVI) in der Weise veranlasst, dass frühe bei einem
Zweifel igitur zu etiam als Variante an den Rand geschrieben
und dann fälschlich auch noch an jene Stelle des Textes ge
setzt wurde.
p. 363, 22 scheint ein eigenartiges, in mehrfacher Be
ziehung mittheilenswerthes Beispiel, quis ad scelus nisi secretum
elegit? (elegit LR, eligit YC, eliget p) quis ad adulterium non
aut solitudinem aut noctem (noctem VRCp, nocte L) optauit?
(optauit RC, optabit VLp) et si quando incalescentibus (in-
calescentibus VLR, incalescentibus uitiis Cp) iam ad crimen
animis promptum est (animis promptum est VR, animus
promptus est LCp), tarnen furor insanientis uoluptatis occursu
testis coercetur (coercetur V 2 , cohercetur RCp, coerceretur V 1 ,
coercet is L). Man ersieht hieraus nicht nur wieder das in
den Studien geschilderte mehrfache Ineinandergreifen kleinerer
Buchstabenverwechslungen, wobei der Gr nächst verwandte R
öfter im Richtigen consequenter ist als andere, sondern wir
haben da auch einen Pall, wo L in einer etwas bedeutenderen
Variante, die dann in Cp und in allen früheren Ausgaben eine
sichtliche Interpolation veranlasste, von V abweicht. Ich ver
hehle nun nicht, dass die von der eigentlichen Interpolation
noch freie Lesart L bei persönlicher und substantivirter Auf
fassung des incalescentibus noch haltbar wäre, glaube aber
kaum, dass gegenüber dem auch hier theilweise sonst recht
fehlerhaften L (vgl. am Schlüsse auch das coercet is\) der in
Ermanglung des G- meist so erprobte Consens VR zu opfern
ist, da er sich im engen Anschlüsse an das Vorhergehende
leicht erklärt (et si quando [adulterium] incalescentibus iam
ad crimen animis promptum est). 1 Vielleicht fühlte dies auch
der zweite Corrector des cod. V, der sonst bei Einzelver
besserungen, respective Ergänzungen der nicht eigentlich über-
1 Die enge Beziehung dieses Satzes auf das vorher erwähnte adulterium
wird auch durch das von allen Handschriften überlieferte uoluptatis
(nicht uoluntatis) im Folgenden bestätigt. Da nun aber der animus doch
gewiss schon bei der Wahl des geheimen Ortes promptus war, erwartet
man hier wohl auch eher die hervorhebende Steigerung, dass selbst,
wenn das adultei'ium promptum est, die wilde Leidenschaft (vgl. furor
insanientis uoluptatis) durch Störung der Einsamkeit gehemmt wird.
8
X. Abhandlung: Zingerle.
arbeiteten Partien nach manchen Anzeichen einen ähnlichen
Codex wie L vor Augen hatte, hier aber an V 1 nichts änderte,
p. 596, 21 bestätigt L meine leichte Herstellung monstramus
(monstrantes G, monstremus BP). p. 225, 1 jedoch, wo V wieder
in Folge der starken Kürzung fehlt und auch G nicht zu Ge
bote steht, wird nun L, die verderbten Spuren der sonst oft
verdächtigen Genossen PT auf hellend und gegenüber ß die
Gruppe LPT in gewisser Weise herstellend, 1 die Einschiebung
des se nach gutem Sprachgebrauche veranlassen: res non sui
se temporis (swisetemporis L, sui ü /eras. sJ et temporis P 1 , sui
sed temporis T, sui temporis B), quo scriptus est, continere
testatur. Sonst könnte unter den bisherigen Proben auch noch
p. 357, 4 Nachdenken erregen, wo L innocentiae secundum
iudicium saeculi Studium bietet (gegenüber innocentia secundum
iudicium saeculi), dabei wenigstens im innocentiae auch mit
V übereinstimmt und an Verbindungen erinnert wie 359, 3;
370, 5. In der Fassung der Bibelcitate weicht L von V, dem
gerade auf diesem Gebiete wichtigen Zeugen, 2 manchmal etwas
auffallender ab, als man dies nach der im eigentlichen Hilarius
texte meist so stark hervortretenden Verwandtschaft erwarten
könnte. Z. B. p. 224, 17 dum depraecor ad te V, cum precor
ad te L, cum deprecor B (= Vulg.); 355, 4 sciens a qidbus
didiceris V, sciens a quibus didicisti LBC, sciens a quo didi-
cisti p; 6 in salutem VBCp, ad salutem L; 359, 7 sm'te in
iustitiam VBC (mdpotxe dq Bixaiocuvyjv LXX), serite in iustitia
Lp (doch im Folgenden hat auch L mit VBC in fructum)-
361, 23 bouis triturantis VBCp, boui trituranti L; 362, 1
unum ex libera VBCp, unum de libera L; 364, 18 nescis
quid sit V, nescis quid (jquia C) est LBCp; 369, 2 non
derelinquas (non derelinquas VBCp, ne derelinquas L) nos in
temptatione, quam sufferre (sufferre V, ferre LBCp) non pos-
sumus (possumus VB, possimus LCp); 370, 3 in quo corrigit
(corrigit VL^, corriget BL 2 C) adulescens (adulescens VBCp,
1 Im 118. Psalm finden sich auch vereinzelte Berührungen mit der Gruppe
Cp; z. B. p. 368, 3 ud neglegentiae VE, aut neglegentiae LCp; p. 357, 16
in um V p, in usu R, in usus L C.
2 Ygl. meine diesbezügliche Untersuchung in den Philolog. Abhandlungen
IV, 76 ff.
Der Hilarius-Codex von Lyon.
9
iunior L) 1 uiam suam; 487, 23 et matrem suam V, et matrern
LCp, om. R; 596, 10 qui habitat in Hierusalem YR, qui
habitat Hierusalem L; 597, 25 et desolata et subuersa GRP
(V ist hier gekürzt), et desolata subuersa L; 224, 18 erue V,
eripe LR (vgl. die Addenda meiner Ausgabe p. XXI).
Im Uebrigen offenbarte sich ein bemerkenswertherer Unter
schied hauptsächlich nur darin, dass in L die in Y und-r hie und
da gekürzten oder überarbeiteten Partien unverkürzt und voll
ständig, wie in den übrigen Handschriften, geboten sind. Im
Ganzen aber kann Derartiges für den Kenner an den sonst
so bestimmt hervortretenden Verwandtschaftsverhältnissen wenig
ändern, da einzelne Bibelcitate in allen Codices, auch in den
verwandtesten, aus anderswo dargelegten Gründen schwanken 2
und jene theilweisen Kürzungen, respective Ueberarbeitungen in
Y, sowie im jüngeren r, welchen letzteren ich nun nach allen
Erfahrungen nur mehr für eine aus V geflossene Abschrift
ersten oder zweiten Grades halten kann, 3 lediglich auf Ent
stehung in einem zum praktischen Gebrauche in der Veroneser
Kirche angelegten Exemplare hindeuten. 4 Der Grundstock
dieses ,Handexemplares‘ der italienischen Gemeinde, um den
Ausdruck zu gebrauchen, war aber, wie die obigen Beispiele
intacter Partien aus verschiedenen Gruppen des Werkes gewiss
schon auffallend genug gezeigt haben, aus einer ganz ähnlichen
Vorlage geflossen wie der im Heimatlande des heil. Hilarius
wieder entdeckte Lyoner Codex. Einen Gedanken, der sich
mir unter solchen Verhältnissen fast aufdrängt, kann ich hier
1 VE haben iunior nur in der Ueberschrift p. 369, 16; die Vulg. bietet
adolescentior.
2 Vgl. Philolog. Abhandl. IV, 82 ff. Frühe Correcturen mit Benützung von
Varianten lassen sich da in unserer Ueberlieferung mehrfach nachweisen;
manche Spuren, namentlich im alten G, weisen auch darauf, dass ein
zelne Bibelverse am Anfänge der Tractate nicht immer sofort zugleich
mit dem hilarianischen Texte vollständig abgesehrieben, sondern nach
träglicher Ergänzung überlassen wurden. Vgl. Studien S. 878.
3 Dies nun zur näheren Formulirung des in den Studien S. 960 An
gedeuteten.
4 Vgl. Studien S. 917, wo auch darauf hingewiesen ist, wie dieses hila-
rianische Werk gerade in der Veroneser Kirche frühe populär würde und
auf ähnlich gekürzte Arbeiten Zeno’s einwirkte.
10
X. Abhandlung: Zingerle.
nicht unterdrücken. Beachten wir, wie Correcturen und Er
gänzungen, welche die zweite Hand im erhaltenen ,Hand
exemplare der Veroneser Kirche* sicher nach einer anderen,
aber verwandten Vorlage vornahm, schon in den bisherigen
Beispielen mehrfach mit L sich deckten, so liegt die Vermuthung
nahe, dass der Corrector (V 2 ) zur Verbesserung der blos aus
Nachlässigkeit entsprungenen Fehler und zufälligen Auslassungen
in sonst nicht überarbeiteten Partien des Handexemplares einen
damals noch in Verona befindlichen vollständigen Codex, der
mit L aufs Engste verwandt war, benutzt habe. Dass' er
dabei nicht auch die stark gekürzten und eigentlich über
arbeiteten Theile des Handexemplares darnach verbesserte oder
ergänzte, könnte nicht gegen diese Ansicht geltend gemacht
werden; hätte er in diesem Falle ja die betreffenden Partien
ganz umschreiben müssen, wie es bei unseren Collationen auch
geschehen musste, und den Charakter und Zweck des von
ihm corrigirten Exemplares verändert, was offenbar nicht in
seiner Absicht liegen konnte. 1
Die Sache ist, hoffe ich, nun schon ziemlich klar ge
worden. Wesentlich Neues von Bedeutung werden wir wirklich
auch von einer vollständigen Vergleichung des L kaum mehr
zu erwarten haben. Der Gewinn dürfte sich etwa auf Auf
hellung mancher Punkte in den Verhältnissen V 1 und V 2 be-
1 Einigermassen überrascht war ich, in einer sonst auch sehr dankens-
werthen Kecension die Ausstellung zu lesen, dass ich bei den verkürzten
Partien im kritischen Apparate nur stellenweise angegeben habe, was in
V fehle, nachdem ich darüber mich doch praef. p. XV deutlich geäussert
hatte. Wo eben nicht mehr nur einzelne Sätze ausgelassen waren,
sondern die Verkürzung zu einer eigentlichen Ueberarbeitung geworden
war und nur mehr hie und da eine hilarianische Phrase enthielt, konnte
ich die einzelnen Ausfälle und Aenderungen unmöglich mehr notiren,
ebensowenig wie der Corrector des cod. V, sondern musste mich für
meinen Zweck mit der gewissenhaften Angabe der noch aus Hilarius
erhaltenen und für die Textgeschichte hei Vergleichung mit den Va
rianten der übrigen Handschriften noch irgendwie verwendbaren Worte
begnügen. Zur vollständigen Klärung wurden zudem Proben solcher
Ueberarbeitungen auch aus V im Anhang vollständig abgedruckt, und
wer dieselben näher eingesehen, wird die Nothwendigkeit des befolgten
Planes mehr und mehr würdigen. Es handelte sich da ja um eine
kritische Ausgabe des echten Hilarius; ein Corpus der Pseudohilariana
müsste einen Band für sich bilden.
Der Hilarius-Codex von Lyon.
ll
ziehen, hie und da, namentlich wo V überarbeitet ist, auch
zur noch besseren Beleuchtung der Entwicklungsgeschichte einer
Fehlerreihe beitragen, wie wir ein solches Beispiel auch schon
gelegentlich getroffen, und ein paar andere hier schliesslich
noch anfügen wollen, p. 225, 13, wo Gr und Y uns fehlen,
bieten RPT unigeniti dei filii, in L ist dei (di) durch leichtes
Versehen, wie auch sonst öfter in ähnlichen Handschriften, 1
ausgefallen; dieses Versehen erklärt nun aber, wie alte Aus
gaben bei nachträglicher Einschiebung zur Wortstellung unigeniti
filii dei gelangen konnten. 226, 2 hat R, der, wie nachgewiesen,
verhältnissmässig am nächsten an Gr heranreicht und deshalb
da, wo GrV im Stiche lassen, in erster Linie auch mit kleinen
Eigen thtunlichkeiten zu notiren war, quid f| de diuinitatis suae
natiuitate; der richtig gelöschte Buchstabe zeigte ein früheres,
leicht erklärliches Versehen an. L mit seinem quidediuinitatis
cet. hellt dasselbe als ein altes vollständig auf; der Schreiber
des cod. R hatte zuerst sichtlich auch nach einer Vorlage quide
geschrieben, war dann aber bald auf das richtige quid de auf
merksam geworden und tilgte jenes zu früh gesetzte e. 596, 16,
wo V gekürzt ist, lesen wir in G relinquent, richtig schon
wegen des folgenden durch GRP 1 und nun auch L bestätigten
constituent; relinquunt LP 2 , relinqunt R, vgl. über Verwechs
lungen von e und u in unserer Ueberlieferung Studien S. 891.
596, 27 intellegimus Gr, intellegamus L mit RP; da nun in
dieser kleinen, ebenso leicht erklärlichen Variante (vgl. über
a und i praefatio m. Ausg. p. XVII) L zu RP tritt, dieselbe
auch in den Zusammenhang gut passen würde, kann Zweifel
entstehen. 597, 17 sacrilega caedes prophetarum richtig P, wie
schon die Sache selbst und die folgenden Verbindungen zeigen;
sacrilegia caedes profetarum GLR und selbst der gekürzte V
im hier beibehaltenen Wortlaute; L bestätigt also da nur den
leichten Zusatzfehler der übrigen ältesten Handschriften, während
er umgekehrt 226, 22 allein durch Auslassung ein inprobabili
statt inprobabilia verschuldet hat. 684, 14, wo V überarbeitet
ist und R den ganzen Psalm ausliess, treffen wir folgende Reihe:
ea ratio profetae est G, ea ratio a propheta est PT, a profeta
ea ratio est L — dieselbe ist in ihrer Entstehung gewiss auch
1 Vgl. auch oben S. 3 die Auslassung von dni in VL.
12
X. Abhandlung: Zingerle. Der Hilarius-Codex von Lyon.
durchsichtig genug. 1 Wer endlich zugleich die auch in L oft her
vortretenden starken Nachlässigkeiten beachtet, die also der
Gruppe YL in allen Phasen bedeutend anhafteten, wird um
so mehr die hervorgehobene verhältnissmässige Sauberkeit des
fast gleich alten G und namentlich auch die Bedeutung des
Consenses GR anerkennen müssen.
1 Die Stelle 597, 20 (urbs eadenn funditus diruta est), wo G 1 deruta aus
eruta corrigirte, L nun deruta bietet, könnte den Gedanken wecken, dass
eruta statt diruta zu schreiben sei, da ja seit Vergil in der Dichtung
und dann in der späteren Prosa eruo in solcher Bedeutung sich findet;
da aber der Hilarian. Gebrauch sonst nicht dafür spricht, ferner ausser
RP auch V hier, trotz der Ueberarbeitung, wenigstens das Wort diruta
schützt, ist die Sache sichtlich nur auf die so häufige Verwechslung von
i und e zurückzuführen (vgl. Studien S. 883). Dass übrigens ein so
leichter Einzelfall etwa nicht gegen die sonst so schlagend hervortretende
nähere Verwandtschaft des L mit V geltend gemacht werden kann, liegt
auf der Hand.
XI. Abli.: Büdinger. Mittbeilungeu aus spanischer Geschichte des 16. und 17. Jahrh. 1
XI.
Mittheilungen aus spanischer Geschichte des
16. und 17. Jahrhunderts
i
von
Max Büdinger,
wirkt. Mitgliede der kais. Akademie.
(Mit einer Tafel.)
I.
Schlossbauten in Madrid.
Die älteste mir bekannte Abbildung des Schlosses von
Madrid findet sich in dem Foliobande, 1 welcher in dem Directions-
locale der Wiener Hofbibliothek aufbewahrt wird und auf dem
neuen Einbande den Titel führt: ,Wingarde, villes d’Espagne
1563 — 1570.' Es ist eine Sammlung anschaulich gezeichneter
und einigermassen odorierter Ansichten spanischer Städte, wohl
der sämmtlichen nach Ansicht Philipp’s II. für solchen Zweck
geeigneten. Wiederholt, z. B. auf Blatt 3 (Barcelona), Blatt 4
(Molvedro = Murviedro) liest man unten den Namen des
Künstlers: ,Ant[oni]o van den Wyngaerde', auf diesen beiden
Blättern auch die Zahl 1563. Auf anderen Blättern soll sich, 2
was mir entgangen wäre, der Name Gleorgius Hoefnagel mit
den Jahreszahlen 1564 bis 1567 finden; das wäre dann die
Zeit von dessen Mitarbeit in Spanien. Nach dem Bilde eines
englischen Palastes in ,Urbium praecipuarum mundi theatrum
autore Georgio Braunio Agrippinate*, im fünften Theile dieses
Werkes auf Blatt 1 mit der Unterschrift: ,effigiavit Georgius Huf-
naglius anno 15821, war dieser für Palastabbildungen sehr genau. 3
1 Mit Sig. Min. 41 bezeichnet.
2 Das betreffende Buch befindet sich seit dem Sommer 1892 als entlehnt
auf der Columbusausstellung in Madrid.
3 Nagler, Künstlerlexikon VI (1838), 214, bringt in den Nachrichten über
Hufnagel nichts unsere Untersuchung Berührendes.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXVIU. Bd. 11. Abli. 1
2
XI. Abhandlung: Bttdinger.
Aber andere Blätter jener spanischen Städteansichten
haben weder Künstlernamen noch Jahreszahl, und zu diesen
gehört leider auch Blatt 73 ,Palacia (sic!) reail de Madrid*.
Es ist eine flüchtige und doch trotz ihrer Ungenauigkeit bei
dem Mangel sonstiger Nachrichten überaus erwünschte farbige
Skizze der Schlossfront von Süden, also von der Stadtseite.
Im Folgenden benenne ich sie doch kurz nach Wyngaerde.
Vergleicht man diese Abbildung mit der ebenfalls von
der Stadtseite sich darstellenden auf dem später zu besprechenden
Plane Peter Texeira’s aus der Mitte des siebzehnten Jahr
hunderts, so kommt man zu einem den bisherigen Annahmen
keineswegs entsprechenden Ergebnisse.
Wyngaerde ist im Dienste des Königs Philipp im Jahre
1561 aus Belgien nach Spanien übergesiedelt, 1 wo er früher
nicht gewesen zu sein scheint. Wenn das Bild des Palastes
von ihm gemalt ist, so dürfte er, wie sich zeigen wird,
(s. u. Seite 4), bald nach seiner Ankunft und gleich nach
der vorläufigen Vollendung, genauer: der Unterbrechung, des
Schlossbaues das Bild angefertigt haben, also ehe der Palast
von dem königlichen Hofe bezogen wurde. Denn es ist schon
von Carl Justi 2 bemerkt worden, dass die Thürsturzinschriften
des sechzehnten Jahrhunderts nur die Namen Karl’s V. und
Philipp’s II. mit den Jahreszahlen 1539 und 1561 trugen. 3
Auch hebt Justi hervor, dass die südliche Facade erst später
vollendet wurde: ,Diese moderne Front war aus weissen
Hausteinen aufgeführt und von zwei mächtigen, viereckigen
und vierstöckigen Pavillons aus Ziegelsteinen flankirt, deren
westlicher von dem genannten König (Philipp dem Zweiten),
der östliche (la torre de la Reina) erst zur Zeit der Minder
jährigkeit Karl H. aufgeführt wurde*, also zwischen Herbst
1665 und 1677.
1 ... en Belgisch kunstenaar in dienst van kOning Philips, vertrok in 1561
mit syn gezin naar Spanje. Van d. Aa, Biographisch Woordenboek der
Nederlanden XX (Harlem 1877), 480.
2 Diego Velasquez und sein Jahrhundert (Bonn 1888) X, 180—185.
3 Gil Gonzalez Davila su (Philipp’s IV.) coronista, teatro de las grandezas
de Madrid (1623) bringt S. 312 die beiden Inschriften. Der Wortlaut
der zweiten ist des Datums wegen wichtig für uns: Philippus II. Hi-
spaniarum rex A. MDLXI.
Mittbeilungen aus spanischer Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts.
3
Es fragt sich nun, wie weit diese ,vornehme, ganz
regelmässige Facade eines Cinquecento-Palastes' überhaupt
von Philipp II. aufgeführt wurde. Hierüber äussert sich schon
Justi zweifelnd: ,Ueber dem Erdgeschoss mit kahlen Mauern
und stark vergitterten Fenstern erhoben sich zwei Stockwerke,
das obere das höhere, beide reich geschmückt mit Pilastern,
Fensterverkleidungen und Verdachungen von weissenj Marmor
mit vergoldeten Balcons, das Werk Philipp’s III. V Dass
aber wirklich der dritte, nicht der zweite Philipp die Ver
schönerung der Südfagade zu Ende führte, dürfte auch im
Jahi’e 1738 durch Tradition oder Urkunde noch bekannt
gewesen sein, da man damals (Justi I, 181) auf den Grund
stein des heutigen Palastes die Inschrift setzte: ,aedes Mau-
rorum, quas Henricus IV. composuit, Carolus V. amplificavit,
Philippus III. ornavit, ignis consumpsit' etc.
Nun liegt ein Schreiben Philipp’s II. vom 7. Mai 1561
vor, 1 welches an den damaligen leitenden Architekten des
Palastbaues, Ludwig de la Vega, gerichtet und für die Bau
geschichte des merkwürdigen Schlosses erheblich ist. Der
König lässt hier eröffnen, dass er beschlossen habe, mit seinem
Hause und Hofe nach Madrid zu gehen, welche Stadt damals
wegen der Gesundheit und Ergiebigkeit ihres Klimas aufgesucht
ward; 2 er verlange, dass innerhalb Monatsfrist die Arbeiten
beendet werden; 3 auch befiehlt er, dass ohne seine ausdi-ückliche
Weisung (mandato) Niemand die Palastgemächer, irgend einen
Durchgang (atajo), eine Werkstätte oder sonst etwas sehen
solle. Mit eigener Hand fügte er hinzu: ,Ludwig von Vega!
Schickt mir eine andere, vollständige 4 Darstellung, wie Ihr
mir eine gesendet habt, von den Zimmern nach Süden, welches
die voi’nehmsten Gemächer sind, in welchem Zustande sie
1 D. Ramon de Mesonero Romanos: el antiguo Madrid, nueva edicion, 1881,
X, 149.
2 . . . promete a sus vezinos una salud muy constante. Davila 5.
3 . . . deseaba que estuviesen concluidas para de alli ä un mes kann doch
nicht der richtige Wortlaut sein; ich denke, dass nach concluidas die
Worte ,las obras 1 ausgefallen sind.
4 . . . ,como la baja y alta que me enviaste 1 . Der Architekt hatte hienach
schon bei der ersten Sendung, wenn nicht ein anderer technischer Aus
druck vorliegt, die nötliigen Messungen von oben bis unten angestellt,
bei denen aber die Siidfa^ade noch fehlte.
1*
i
4
XI. Abhandlung: Biidinger.
sich jetzt befinden, und es geschehe sogleich!‘ Der Architekt
stellte vor, ,dass aus Mangel an Handwerkern nicht Alles mit
solcher Schnelligkeit beendet werden könne. Und der König
befahl dem Corregidor Don Georg von Beteta, er solle Für
sorge treffen, dass alle Handwerker der Stadt, ohne irgend
einer anderen Arbeit obzuliegen, hiermit beschäftigt werden.
Kurz darauf und schon in den letzten Monaten desselben
Jahres 1561 befand sich notorisch (consta que) der Hof in
Madrid und hatte Philipp seine Absicht verwirklicht, ihn dort
ständig zu halten'. Es sollte doch Localforschern in Madrid
oder Simancas möglich sein, die Zeit der bleibenden Residenz
des Hofes in der neuen Hauptstadt genauer zu bestimmen.
Sieht man nun die Abbildung in der Wyngaerde’schen
Sammlung, 1 so empfängt man den dem Willen Philipp’s über
die plötzliche Einstellung des Schlossbaues entsprechenden Ein
druck. Man hat den südlichen Neubau vor sich, der in zwei
Abtheilungen begonnen ist. Links von dem Beschauer, also
vor der Südwestecke des innern Hauptbaues ist der oben
(S. 2) erwähnte Pavillon oder vierstöckige eckige Thurm
gänzlich bis zur Spitze vollendet. Er war nach dem Bilde zu
schliessen mit Verjüngung der Stockwerke polychrom gehalten,
doch vorwiegend blau gefärbt. In dem Palastgrundriss aus
den letzten Jahrzehnten vor dem Brande wird dieser Pavillon
goldener Thurm (torre dorada) genannt. 2 Rechts von dem
Beschauer, also an der Südostecke des Schlosses ist der zweite
Pavillon. Dieser ist, obwohl ohne die Verjüngung der Stock
werke, doch wohl dem andern ähnlich beabsichtigt, dermalen
aber noch im Bau, etwa, bis zu einer Höhe geführt, welche
das dritte Stockwerk des Südwestthurmes erreicht. Auf dem
selben scheint der Krahn erkennbar, durch welchen weitere Werk
stücke hinaufgefördert werden sollten. Möglicher Weise liegt
aber auch nur der Umbau eines älteren Befestigungsthurmes vor.
An diesen Thurmbau schliesst sich nach links oder Westen
der von dem Beschauer rechte Theil und der Mittelbau der
neuen Facade, und zwar mit nur einer Reihe von zwei grossen
1 Die anliegende Federzeichnung ist eine verkleinerte Wiedergabe der
Originalskizze und soll nur die wesentlichen Züge wiedergeben.
Mitteilungen ans spanischer Geschichte des IG. und 17. Jahrhunderts.
5
Fenstern im Mittelbau und sieben in der Fagade über dem
hohen Erdgeschosse. Der obere, unter dem Dache gelegene
Fagadentheil ist verziert; an demselben sind neunzehn ganz
kleine Fensteröffnungen in dem Tlieile zur Rechten und neun
in dem Mittelbau erkennbar. An diesen neuen Fagadentheil
stossen jedoch gegen Westen, bis zu dem vollendeten Pavillon
von so eigenthümlicher Schönheit, vier ganz ändert geartete
tektonische Stücke.
Drei von diesen kleineren Bauten mögen auf das vorige
fünfzehnte Jahrhundert, die Regierung Heinrich’s IV., wenn
nicht gar auf die ursprüngliche arabische Anlage zurückgehen
oder auf deren Umwandlung durch Peter den Grausamen. 1
Zweifellos aber zeigen sie, dass die Südfacade keineswegs, wie
man allgemein angenommen hat, 2 vor den altern Bau gelegt
worden ist. Die vierte Baulichkeit erscheint als schmales,
zweifensteriges Haus zwischen zwei schweren alten Befestigungs
stücken. Dieses Haus ist in der Weise der neuen Fagade ge
halten und lässt neben dem Portale einen kleinen Vorbau mit
mindestens zwei Säulen erkennen. Es erscheint fast wie ein
erster Versuch der neuen, zur Anwendung bestimmten Archi
tektur des uns beschäftigenden Schlossflügels.
Ganz anders ist nun freilich das Bild, welches der Grund
riss des Palastes bietet. Dieser stammt, wie schon bemerkt,
aus dem achtzehnten Jahrhundert, vor dem Brande des Schlosses
1 Davila a. a. 0. 312 hat freilich eine andere, ganz abweichende Reihe
von Königsnamen für die Bangeschichte: ,en los tiempos muy antiguos
diö principio a este palacio el rey Enrique II., augmentaronle los reyes
Enrique III y IV y el emperador Don Carlos.“ Einer arabischen An
lage wird hier nicht gedacht, der Bau sei von dem ersten Trastamara
begonnen und von Karl V. fortgesetzt.
2 ,Der Neubau bestand hauptsächlich in der Erweiterung des südlichen
und Eingangsflügels durch einen parallelen, dessen Tiefe verdoppelnden
Anbau. Dies lehrt ein Blick auf den Grundriss. Die überaus starke
Zwischenwand, welche die Folge von Gemächern im südlichen Flügel
trennte, war die alte Aussenmauer. An der Kante des . . . südwestlichen
Pavillons sieht man noch den alten runden Ecktliurm hervorragen, jetzt
zurückgeschoben in die Flucht der Westseite.“ Justi, Velasquez I, 181,
mit Rücksicht auf die Wiedergabe der Schlossansicht im Beginne des
Capitels nach den unten (S. 6) zu besprechenden Stichen des siebzehnten
Jahrhunderts.
6
XI. Abhandlung: Btidinger.
zu Weihnachten 1754 nach dem am 1. November 1700 erfolgten
Tode Karl’s II.; das Appartement von drei Räumen, in welchen
dieser starb, ist bezeichnet: ,el alcoba y dos piezas donde muriö
el S r Carlos Seg° (undo). Die Bezeichnung eines andern Ge
maches als ,dormitorio de sus Magestades* lässt die Abfassung
nach dem Einzuge Pliilipp’s V. und seiner ersten Gemahlin im
Jahre 1701, aber sonst nicht näher bestimmen; denn trotz aller
Wechselfälle des Erbfolgekrieges konnte das Gemach seinen
Namen behalten; nur etwa nach dem Tode jener ersten Ge
mahlin am 14. Februar 1714 war die Bezeichnung bis zu der
noch in demselben Jahre geschlossenen zweiten Ehe des bour-
bonischen Königs unpassend und wohl ausser Gebrauch. Die
Bezeichnung eines Leibwachenraumes als ,guardia de corps*
deutet einigennassen auf die eingewöhnte bourbonische Herr
schaft.
Der rechte Flügel der Südfacade tritt hier in seiner öst
lichen grossem, als Spiegelsaal bezeichneten Hälfte, wenn auch
nicht erheblich, hervor. Im Uebrigen verläuft dieser südliche
Flügel, von den beiden Eckthürmen abgesehen, sonst in zu
sammenhängend gerader Linie. Der südöstliche Theil des
Palastes scheint nach dem Grundrisse als das einzig genannte
Toilettezimmer (tocador) der Königin einschliessend nach diesem
bezeichnet werden zu sollen.
In ganz gerader Linie erscheint nun auch die Südfacade
in den vier von mir eingesehenen Abbildungen des siebzehnten
Jahrhunderts.
Als die mit grösster Sachkunde und Genauigkeit ausge
führte ist die jüngste der Abbildungen zu bezeichnen. Sie
findet sich in einem handschriftlichen Werke in Grossfolio,
welches der jetzige Director der k. k. Wiener Hofbibliothek,
Herr Hofrath Ritter von Hartei, auf einem Schranke des Hand
schriftensaales wieder zu finden so glücklich und mir zur Ein
sichtnahme vorzulegen so gütig war. Das Werk ist als ,Archi
tekturischer Schauplatz' bezeichnet, von Wolfgang Wilhelm
Praemer, Ritter zu San Marco, verfertigt und dem Kaiser
Leopold I. zu seiner Instruction über Architektur mit ausführ
lichen technischen Erklärungen gewidmet, übrigens nicht paginirt.
Ein Blatt ist als ,Frontispicium der königl. Burgg zu
Madrid in Hyspanien* bezeichnet und enthält eben die gänzlich
Mittheilungen aus spanischer Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts.
7
beendete Südfagade mit dem, genau nach dem Muster des süd
westlichen, ,goldenen*, bis zur Spitze aufgeführten südöstlichen
Pavillon oder Thurme. Das ist der Thurm der Königin, der
Erzherzogin Anna oder Mariana, welche denselben, wie schon
bemerkt, als Regentin (1665 bis 1677) vollendet hat.
Die drei anderen Abbildungen, sämmtlich Stiche, zeigen
beide Thürme ohne ersichtliche Verjüngung der Stockwerke,
wie sie doch bei Wyngaerde am Südwestthurme dargestellt ist.
Aber auf allen drei Stichen ist der südöstliche Thurm nur bis
zum vollendeten dritten Stockwerke geführt, das Erdgeschoss
nicht mitgerechnet. Dieser Pavillon ist auch nur mit einem
gewöhnlichen Hausdache versehen. Hieraus ergibt sich, dass
die Königin Anna nichts als die Erhöhung dieses Stockwerkes
und den eigentlichen Thurmaufsatz hat bauen lassen.
Der älteste dieser drei Stiche scheint jedoch der zu sein,
von welchem ich ein Exemplar der gütigen Zusendung des
Herrn Professor Karl Justi in Bonn verdanke: ,Veue et per
spective du palais -de Madrid, demeure ordinaire des Rois
d’ Espagne fait par Aueline avec privilege du Roy.* Der allein
dargestellte Südflügel des Schlosses zeigt, abgesehen von dem
Thurmaufsatze des südöstlichen Pavillons, 1 die vollendete Fagade
eines nach italienischem Muster gebauten Palastes. Das Erd
geschoss ist, auf der von dem Beschauer rechten, an den süd
östlichen Pavillon stossenden Seite mit wenigen, im Ganzen
sechs Fenstern versehen, wie mit vier bei Wyngaerde, wo doch
eines oder zwei durch ein niedriges vorgebautes Häuschen ver
deckt sein mögen. Wenn das eine Bauhütte ist, wie es scheint,
so wird das Bild vermuthlicli noch vor Ankunft des Hofes, also
1561, entstanden sein (s. oben S. 3). Statt der Bogenfenster
dieses Erdgeschosses, wie sie bei Wyngaerde gesehen werden,
erscheinen jetzt, mit anderer Vertlieilung in der Mauer und
neben zwei Thoren statt eines, rechteckige mittelgrosse Fenster.
1 Mesonero Romanos, El antiguo Madrid (1881), der in der Abbildung der
Siidfaeade zu S. 137 einen dem Aveline’sclien ähnlichen, aber nach
der höhern Fensterverkleidung des rechtsseitigen Erdgeschosses doch
jüngern Stich vviedergibt, hebt S. 158 mit Recht hervor, dass dieses
Faeadenbild noch der Zeit Philipp’s IV. angehören müsse, da erst
dessen Witwe ,Dona Mariana de Austria 1 den ,Thurm der Königin 1 auf
geführt habe.
8
XI. Abhandlung: Bü ding er.
Statt des einen früher (S. 4) beschriebenen Stockwerkes sind
jetzt zwei mit je zwölf Fenstern, die oberen etwas grösserund
reicher verziert als die unteren; die früher ebenfalls erwähnte
kleine Fensterflucht und darüber der breite Fries unter dem
Dache sind bei diesem Umbau verschwunden; dies Alles wieder
holt sich auf der linken, an den goldenen Thurm stossenden
Seite, nur dass hier das Erdgeschoss blos ein Thor und neun
Fenster links von dem Thore in ununterbrochener Folge zeigt.
Der Mittelbau ist entsprechend verändert. Man sieht hier je
sechs Säulen, zwischen denen sich je drei Fenster in beiden
oberen Stockwerken, im Erdgeschosse zwei auf beiden Seiten
der Doppelthür finden. Auf der Höhe des Mittelbaues, das Dach
der beiden Seitentheile überragend, in grossem, mit je zwei
Säulen verziertem Vierecke erscheint das königliche Wappen.
Die Räumlichkeiten, welche durch die obere kleine Fenster-
flucht der Wyngaerde’schen Skizze angedeutet waren, haben
einen eigenthümlichen Ersatz gefunden. Ueber den Galerien
vor dem Dachbeginne beider Seitentheile der Facade erscheinen
nämlich, auf der linken Seite vollständig, den Fensterreihen
der Stockwerke entsprechend, zwölf Mansardenfenster in das
Dach gebaut oder in demselben ausgespart; auf der rechten
Seite -— immer vom Beschauer gemeint — sind doch nur sieben
ebensolche; denn der übrige Vorraum des Daches bis zum
Mitteltracte ist durch einen einfachen, keineswegs schönen
Aufbau unterbrochen, der in einer Art niedrigen oberen, das
Dach überragenden Stockwerkes die fehlenden fünf Fenster,
in dem unteren Stocke eine thürähnliche Oeffnung zeigt, welche
vielleicht auf eine schmale Dachfläche führt, um höhere Luft
und Aussicht zu gemessen.
Aber auch dieser Facadenbau ist nicht unverändert ge
blieben, und zwar noch vor dem Bau des Thurmaufsatzes auf
dem südöstlichen Pavillon. Dies ergiebt sich aus einem der
drei Palastbilder, welche sich von dem Holländer Pieter .van
den Berge und aus dessen Theatrum Hispaniae 1 in der Wiener
1 Die Zahl 1700, welche sich mit einem Fragezeichen findet in ,The first
proofs of the universal catalogue of hooks on art‘ (London 1870, 1) s. v.
Berge, ist, da der Stich der Südfaifade den Zustand vor 1665 bis 1677
zeigt, als Zeit der Publication des Buches recht unwahrscheinlich.
Mittheilungen aus spanischer Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts.
9
Hofbibliothek (Vues, Mappe 16, Madvitum) gefunden haben.
Dieser Stich stellt zwar wie der Aveline’sche die Südfagade
dar — mit einem durch zahlreiche Prachtcarossen, Pferde und
Menschen belebten Vordergründe — und stimmt auch im
Wesentlichen mit demselben überein; aber an dem Mittelstücke
der Fenster des rechtsseitigen Erdgeschosses sind jetzt gitter
artige Schutzvorrichtungen, 1 ferner sind unter dem mittleren
Fenster des zweiten Stockes am Mittelbau steinerne Festons
angebracht und das Fenster selbst verkürzt worden.
Von den beiden anderen Stichen Berge’s bietet der eine
etwa drei Viertheile der Südseite des Schlosses und die ganze,
freilich klein gehaltene Westseite, welche auch die Abbildung
in Justi’s Velasquez ähnlich veranschaulicht. Der dritte Stich
Berge’s schildert den zweiten Hof des Grundrisses oder, wie
die Unterschrift besagt: den ,conspectus regiae Madritensis ex
area interioF; diese Erklärung wird auch spanisch, holländisch
und französisch übersetzt gegeben. Es ist ein anschauliches
Bild des Drängens und Treibens vor den Localitäten der in
diesem Theile des Schlosses untergebrachten zahlreichen Be
hörden und vor der königlichen Prachttreppe.
Nun erst bin ich in der Lage, über Bedeutung und Werth
des Werkes Peter Texeira’s für die Kenntnis des Madrider
Schlosses zu sprechen. Den grossen Plan Texeira’s, welcher
Madrid in Militärperspective und mit dem Ansprüche auf
grösste Genauigkeit darstellt, berichtet Herr Mesonero Romanos
wieder entdeckt zu haben; 3 doch erwähnt er auch ein zweites
Exemplar in dem Madrider Rathhause; beide Exemplare seien
von zwanzig Blättern grossen Formates. Ein drittes und, wie
sich sogleich zeigen wird, ursprünglicheres bewahrt die Wiener
Hofbibliothek.
Die von Herrn Mesonero Romanos (I, 60) wiedergegebene
Dedication an König Philipp IV., die Anzeige des Verfertigers
über seine Leistung und die Ankündigung des Herausgebers
wie der Vervielfältiger stimmen bis auf Einzelheiten auf den
Madrider Exemplaren mit dem Wiener. In einem wesentlichen
Punkte differieren sie aber. Das Jahr der Abfassung oder
1 Vgl. S. 7, Anm. 1.
2 . . . que liemos tenido la suerte de exhumar del olvido. I, 59.
i
10
XI. Abhandlung: Büdinger.
mindestens des Stiches ist nicht 1656, wie bei Komanos in der
betreffenden Inschrift und sonst zu lesen, auch nicht 1654, wie
von Anderen gemeint wird. Das Wiener Exemplar zeigt viel
mehr deutlich auf dem unteren Mittelblatte: ,Topographia de la
villa de Madrid descrita por Don Pedro Texeira ano (sic!) 1653h
Die Ziffer 3 ist kleiner und mit dem Stichel schwach hinzu
gefügt, wie unter der Loupe zweifellos sichtbar wird, um bei
späteren Abdrücken geändert werden zu können.
Auf demselben Blatte steht unten rechts: ,Philippo IV.
regi catliolico, forti et pio urbem hanc suarn et in ea orbis sibi
subiecti compendium exhihet MDCIm/ Diese Zahlzeichen sollen
1653 bedeuten. Denn es ist keineswegs, wie Mesonero Romanos
berichtet, MDCIV geschrieben; die erste, fast wie ein Zeichen
für eins aussehende Ziffer nach MDC ist, trotz Verlängerung
unten mit dem Stichel, eben nur nicht gerathen und soll L vor
stellen. Endlich findet sich nicht in dem Wiener, man darf
sagen: dem ersten, Abdrucke der an sich gewiss richtige Ur
sprungsort Antuerpiae genannt, den Mesonero Romanos in den
Madrider Exemplaren las, und zwar nach den Worten (unten
links auf dem erwähnten Blatte): ,Salamon Saury fecit cura et
solesitudine (sic!) Joannis et Jacobi van Veerle/
Der Palast ist auf zwei Blättern ahgehildet: auf dem einen
rechts oben der grössere mittlere und südliche Theil mit dem
Manzanares im Westen, auf dem andern Blatte links unten
der nördliche Theil mit vier oder fünf Thürmen, in der obern
nordwestlichen Ecke auch ein viereckiger Thurm mit Dach.
Dieser mag der auf dem Grundrisse als der des Hermaphroditen
bezeichnete Thurm, der Verwahrungsplatz Franz I. und der
Haft- wie Sterberaum sein, von welchem in Don Carlos’ Ge
schichte so oft zu reden ist. Man gewinnt aber gerade von
dem für die in dessen Lehen zu behandelnden Ereignisse so
wichtigen nördlichen und westlichen Theile des Palastes
schlechterdings keine Vorstellung aus diesem kleinen Perspectiv
bilde, eher noch von der Vertheilung der beiden Haupthöfe.
Die flüchtige Arbeit erkennt man recht an der Südfagade, von
der unrichtig rechts zehn, links neun Fenster bei beiden Stock
werken zu sehen sind, nur in der Mitte richtig drei. Weit
besser sind die Umgebungen des Schlosses, namentlich die
Gärten ausgeführt.
Mittlieilungen aus spanischer Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts.
11
Nur die folgende Ergänzung der Stiche ist durch Davila’s
(s. o. S. 3) Beschreibung des Palastes ermöglicht. Auf der
Nordseite waren nach dessen Angaben die Gemächer des Thron
erben, zu welchen ein Zimmer im Thurme Franz I. oder des
Hermaphroditen gehörte; eben dort befand sich auch der für
die Cortesberathungen bestimmte Saal, so dass in denselben
einzutreten dem Kronprinzen in einem dringenden? Falle, wie
Don Carlos einmal einen solchen zu haben meinte, eine nahe
liegende Versuchung war. 1
Nur zu sehr wird man bei dieser Unzulänglichkeit der
Information an Justi’s Klage (a. a. 0. I, 180) bei dem Ver
suche der Beschreibung des Palastes erinnert, dass ,Niemand
von den Hunderten von Gelehrten und Künstlern, die in ihm
gelebt und verkehrt haben, sich bemüssigt gesehen hat, der
Nachwelt ein Bild desselben zu erhalten/ Unter Philipp IV.
hat mindestens der Südflügel helle Räume und eine anmuthige
Front gehabt, die wohl schon unter Philipp III. im Wesentlichen
ihre spätere Gestalt erhielt. Demnach wird für dessen Zeit
und vollends für die seines Vaters, für welche wir in Bezug
auf die Südfajade auf Wyngaerde’s Abbildung angewiesen sind,
der Vorwurf der vornehmen Italiener in seinem Rechte bleiben,
den Justi (I 185) dahin formuliert: ,man merkte den Räumen
die Anpassung an den mittelalterlichen Bau und die spanische
Neigung zum Dunkel an/
Trotz dieser Mängel, vielleicht auch mit Rücksicht auf die
unter Philipp III. vorgenommenen Verschönerungen konnte ein viel
gelesener Schriftsteller im Jahre 1623 den Anblick des Schlosses
von der West- und Südseite als entzückend bezeichnen. Wir
aber werden eher zwei neueren Gelehrten beipflichten müssen,
welche freilich das uns heute vorliegende Material einzusehen
nicht in der Lage waren. Im Jahre 1848 erklärte Madoz in
seinem grossen Real-Wörterbuche den Bau für hässlich und ohne
künstlerischen Werth; der im December 1885 hingeschiedene
zuverlässige Gachard aber klagte, dass man keine recht genaue
1 Cerca desta galeria (del cierzo) esta la sala, donde los Reynos de Castilla
y Leon se juntan a conferir en Cortes lo que conviene a los Reynos.
Mas adelante el quarto del principe. Davila, grandezas de Madrid 311
und dazu meine Darstellung in ,Don Carlos’ Haft und Tod 1 81 f.
12
XI. Abhandlung: Büdinger.
Abbildung oder Beschreibung von demselben besitze. 1 Das gilt
nun freilich noch viel mehr von dem Zustande des Schlosses
in dem sechzehnten als im siebzehnten Jahrhunderte.
II.
Zum Ableben des Königs Philipp des Zweiten.
Neuerlich hat Herr Pfarrer Josef Fernandez Montana 2 ein
ganzes Capitel seines zum Lobe des Königs geschriebenen
Buches dem Hinscheiden desselben gewidmet. Neben einer
Anzahl aus der umfangreichen Literatur über den Gegenstand 3
ohnehin bekannten Nachrichten hat er hiebei einige neue ur
kundliche Belege gebracht. Der Tod erfolgte Sonntag den
13. September um 5 Uhr Morgens im Escorial (S. 124). Unter
den eidlich abgegebenen Aussagen der ,authentischen Bezeu
gung' sind (S. 114) mehrere, welche die vollkommen un
getrübte Gemüthsruhe und das sichere Vorgefühl des Sterbenden
von dem Eintreten des Todesmomentes ausser Zweifel stellen.
Minder gut bezeugt sind Ansprachen des Königs, darunter gar
eine (S. HO), wonach er vor dem Thronerben Philipp III. seine
wunde Brust entblüsst habe, um ihm die Vergänglichkeit und
Nichtigkeit menschlicher Grösse einzuschärfen. Vgl. unten S. 23.
Ehe ich nun meinerseits zur Mittheilung und Besprechung
einiger unbenutzten Nachrichten schreite, mögen Erörterungen
gestattet sein, durch welche der sanfte Ausgang dieses Lebens
bei und nach qualvoller Krankheit noch von anderen als den
bisher betonten Seiten seine ethische Erklärung findet.
Ich habe in meinem Buche über ,Don Carlos’ Haft und
Tod' darzulegen gehabt, von einer wie tief begründeten religiösen
Ueberzeugung einerseits und anhänglichen Liebe zu allen
1 Die Citate in meinem ,Don Carlos 1 3 f.
2 Mas luz sobre Felipe II el prudente y su reinado con documentos ineditos
y descripsiön novisima del Escorial. Madrid 1892, p. 109—140.
3 Don Modesto Lafnente, Historia general de Espana XIV (1854), 470 bis
480 bringt als besonderes XXVI. Capitel: ,Krankheit und Tod Philipp’s II.‘,
indem er die erheblichen Ergebnisse des bis zum Erscheinen dieses
Bandes gedruckten, Seite 474 verzeichneten, und auch einiges ungedruckten
Materiales mittheilt.
Mittheilungon aus spanischer Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts.
13
Gliedern seiner Familie anderseits dieser König erfüllt war.
Auch das hat sich zur Evidenz nachweisen lassen, eine wie
schmerzliche Verkettung von Umständen ihn nöthigte, die schein
bare Entzweiung mit seinem schwachsinnigen ältesten Sohne in
das tiefste Geheimniss zu hüllen. Das Hinscheiden desselben
bietet nun, wie der Leser sehen wird, manche Vergleichungs
momente mit dem Ableben Philipp’s n. selbst und ändere mit
den letzten Momenten von dessen Vater Karl V., dessen Sterben
ja Don Carlos förmlich nachzuahmen suchte.
Wie man zur Erkenntnis von des Königs Empfindungen
über Leiden, hoffnungslose Erkrankung und Tod dieses Sohnes
zu gelangen hatte, ist in der Geschichte von dessen Ende auch
in Einzelheiten auseinandergesetzt worden. Inzwischen hat
sich noch ein Zeugniss in einem Briefe desselben vom 18. Juli
1568, 1 dem fünften Tage vor Don Carlos’ Tode, während dessen
letzter Krankheit gefunden. Dieser Brief ist an den zweiten
der beiden spanischen Gesandten in Wien, Ludwig Vanegas, 2
gerichtet und zur Mittheilung an des König geliebte Schwester,
die Kaiserin Maria und deren Gemahl Kaiser Maximilian II.
bestimmt. Da dankt Philipp II. innig, dass das Kaiserpaar zwei
Söhnen, seinen Neffen, noch bei ihm zu bleiben gestatte: ,da
ich sie so sehr liebe, ist mir ihre Gesellschaft sehr angenehm.
Und so möget Ihr ihnen (dem Kaiserpaare) sagen, dass ich
hierüber eine ganz besondere Befriedigung hege, und dass ich
ihnen die Hände küsse/
Nach dieses Sohnes Tode hat er aber ein unvergängliches
Zeugniss seiner väterlichen Liebe über ihrem gemeinsamen
Grabe im Escurial aufrichten lassen. In dem dortigen Mau
soleum sieht man nach Philipp’s II. sorgfältig bis auf die Nische
1 Coleccion de documentos ineditos para la historia de Espana, tomo 101
(1891), 449. Ebendaselbst Seite 453—461 Berichte, welche die Wiener
Briefe vom 27. Juli 1568 im 27. Bande, S. 25 f. ergänzen, von den beiden
Gesandten, dem giclitkranken Chantonay und Vanegas. Sie referiren,
wie dem Kaiser des Prinzen Krankheit Kummer bereite, er aber noch
immer Herstellung und Vermählung mit der Erzherzogin Anna hoffe.
Thatsächlich war Don Carlos in der ersten Stunde des 24. Juli gestorben.
2 Die Schreibart Vanegas (immer in dem in voriger Anmerkung citirten
Bande p. 101) hat sich als die bessere neben der von Venegas, deren auch
ich mich früher bediente, erwiesen. In den ,Venetianischen Depeschen
vom Kaiserhofe“ Band II (1892) findet sie sich zweimal schon im Jahre 1550.
14
XL Abhandlung: Büdingor.
für seinen Sarg- verfügten Anordnungen dessen eigene Statue
zwar in vorgerückten Jahren, doch in voller Lebenskraft aus
geführt. Von seinen drei hier ebenfalls bestatteten Gemahlinnen
— die zweite, Maria Tudor, ist in England beigesetzt •—
sieht man die lebenswahren statuarischen Abbildungen aber
Philipp zugewandt ist das Abbild seiner ersten Gemahlin Maria
von Portugal und zwischen diesen seinen Eltern Don Carlo’s
Statue. Kein anderes Kind Philipp’s II., welches vor ihm
gestorben ist, wurde hier dargestellt, auch nicht die drei im
Kindesalter gestorbenen Thronerben Ferdinand, Karl Lorenz
lind Diego, von denen der Letztere zu grossen Hoffnungen be
rechtigt hatte; aller drei Mutter, die von ihrem Gemälde so
besonders geliebte Königin Anna, ist ohne eines ihrer Kinder
abgebildet. Alle Ifiguren sind ohne Kopfbedeckung, knieen mit
flachgeschlossenen Händen in vollem königlichen Schmucke, doch
ohne Kronenzier, Don Carlos mit der Kleidung des feierlich
anerkannten Kronprinzen. Eine lateinische Erklärung bezeichnet
ihn ausdrücklich als den Erstgeborenen. 1 König und Kronprinz
sind wohl mit Absicht gleich gross gehalten und goldblonden
Haares.
1 Die Inschrift besagt zuerst, dass Philipp II. das Grabmal für sich er
richtet habe, und bemerkt dann: V(bi) P(acifice) quiescunt simul Anna,
Elisabetha et Maria uxores cum Carolo Princ(ipe) primogen(ito). Ab
bildung und Inschrift bei D. Valentin Cardereras y Solano, Iconographia
Espaiiola. Madrid 1855 y 1864, t. II, fol. LXXIV. Man hat es in einem
gewissen literarischen Kreise Frankreichs als Kränkung empfunden, dass
ich in meinem Buche über diesen ,Erstgeborenen' Philipp’s II. gar nicht
der Schrift des Verfassers von ,Raymond' und ,grands seigneurs et grandes
dames du temps passe', des Herrn Charles de Moiiy ,Don Carlos et
Philipp II. Nouvelle ddition Paris 1864', doch nach einer Schlussnotiz
S. 316: ,1859—1862' verfasst, Erwähnung gethan habe. Es ist freilich
seltsamer Weise nach dem Titelblatt ein ,ouvrage couronne par l’Aca-
ddmie Fran^aise', obwohl ohne alle Kunde von dem umfangreichen
deutschen und dein wichtigen englischen Materiale mit einer nur mechani
schen Benutzung der inzwischen gedruckten französischen, spanischen und
italienischen Acten und mit gänzlichem Mangel an kritischer Disciplin
abgefasst. Statt der nichtigen Verse des Fray Luis de Leon über des
Prinzen Tod hätte Moüy (S. 308 f.) eine genaue Beschreibung von dem
Grabmale oder doch von Cardereras’ Abbildungen, auf welche ich selbst
durch Prof. Justi’s Güte hingewiesen worden bin, für seinen belletristischen
Zweck liefern sollen.
Mittheilungen aus spanischer Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts.
15
Vergessen war selbstverständlich, was dem Vater und Könige
von Don Carlos’ wilden und gefahrvollen Absichten und Plänen
Anstoss gegeben hatte. Ob er freilich jemals Kunde erhalten hat
von den abscheulichen Aeusserungen tödtlichen Hasses des
kranken Thronerben, welche nach dessen Tode durch einen eid
brüchigen Edelmann aus Don Carlos’ Bewachung, vielleicht auch
durch einen Aufwärter desselben, zur Kunde eines Correspon
denten des Herzogs von Alba gelangt sind, 1 mag zweifelhaft sein.
Auf alle Fälle wird der Beichtvater, der Dominikaner
Diego von Chaves, 2 Alles gethan haben, um derartige schmerz-
1 Er habe seines Oheims (Johann von Oesterreich) und seiner Tante Jo
hanna Blut trinken und die Stücke der Leiche seines Vaters verunehren
zu wollen erklärt. 14. August 1568 (Duquesa de Berwick y Alba, Do-
cumentos escogidos 1891, p. 410), Brief des Doctor Milio. Ueber die
Stellung des Letzteren bemerke ich, dass bei Diego Josef Dorner (pro-
gressos de la historia en el regno de Aragon y elogios de Geronimo
Zurita, su primer coronista. Zaragoza 1680), p. 497 sich ein Brief von
Alba’s Sohne Friedrich, dd. Mons, 15. Deeember 1568, findet, nach welchem
derselbe die Nachricht von der Ernennung Zurita’s zur Geschäftsleitung
der Inquisition zuerst von Doctor Milio erhalten habe. Auch die Be
merkung möge hier ihre Stelle finden, dass man nicht wohl gethan hat,
die in den Alba-Documentos p. 414—421 gedruckte Relation, einen ge
wöhnlichen Zeitungsbericht (Don Carlos’ Haft und Tod, S. 302—308)
wegen einer in der Einleitung jenes Werkes S. XVII bemerkten an
geblichen Gleichheit mit Zurita’s Handschrift (escrita de mano de Zurita)
solche Tageserzählungen diesem Geschichtschreiber Aragoniens mit seinem
sehr ausgeprägten, sachlichen, gar nicht subjectiven Stile zuzuschreiben.
Nicht unerwähnt soll bleiben, dass man für eine angemessene Schil
derung Diego Hurtado de Mendoza’s, der auch in dieser Madrider Zeitung
S. 418 bei einem kurz vor des Kronprinzen Hinscheiden auf dem Corridor
der königlichen Wohnung stattgehabten Degenkampfe erwähnt wird,
noch immer die längst gedruckte, gerühmte, aber nicht in den Buch
handel gekommene Arbeit von Schultheiss entbehrt. Zu meiner eigenen
Correetur (Don Carlos 302) muss ich über den Namen des hochverdienten,
als Staatsmann wie als Dichter gefeierten Herrn bemerken, dass Hurtado
nur ein zweiter Name ist, welcher auch von einem Cardinal seiner Ver
wandtschaft geführt wird; vgl. J. Fesenmair, D. Diego H. de Mendoza
(Programme des Münchener Wilhelms-Gymnasiums I, 1882; II, 1884) I, 5.
2 Vgl. über ihn, wo im Folgenden kein anderer Beleg gegeben wird, die
im Register zu ,Don Carlos’ Haft und Tod‘ S. 311 verzeichneten Nach
richten. In welch hohem Ansehen er schon 1568 stand, beweisen zwei
Briefe, welche am 8. März und 9. Juni der spanische Botschafter in Rom,
Johann von Zuniga, an ihn richtete: Documentos . . . p. 1. hist, de Espafia
t. 97 (1890), p. 403 und 492.
16
XI. Abhandlung: B ft d i n g e r.
liehe Erinnerungen zu verwischen; auch davon wird in der
nach Philipp’s II. Tode gemäss Testamentverfügung verbrannten
Correspondenz mit demselben die Rede gewesen seini Ohnehin
sollen alle Dominikaner das Hinscheiden des sonst von Wenigen
beweinten Thronerben beklagt, Chaves aber die Ueberzeugung
ausgesprochen haben, Don Carlos sei nur für kurze Zeit im
Fegefeuer; auch soll er lebhaft die Meinung von dessen Irrsinn
bestritten haben; der Prinz sei vom Barte aufwärts gesund,
seine Intention auch nicht so verdammlich wie seine Worte
gewesen. 1
Solch ein pathologischer und psychologischer Befund des
guten Menschen ist für unsere Beurtheilung freilich gleichgiltig.
Da aber der ehrenhafte Mönch dieser seiner Anschauung ent
sprechend seine Entlassung aus dem Hofdienste erbat, 1 so muss
das auf den in gänzlicher Unzugänglichkeit trauernden Vater
um so mehr einen tiefen Eindruck gemacht haben, als er sich
auch erinnern mochte, dass eben dieser Geistliche Mitglied der
discreten Commission war, welche sich mit einer neuen Prüfung
des ohnehin mit aller Rücksichtsnahme geführten Processes
gegen den der Häresie verdächtigen Erzbischof Carranza von
Toledo zu beschäftigen hatte. 2 Da lehnte König Philipp II. die
Entlassung ab und bestellte Chaves zu seinem eigenen Beicht
vater; Chaves scheint bis zu seinem Tode in dieser Stellung
verblieben zu sein.
Seine Rathschläge dürfen aber bei der oben beschriebenen
Anordnung der Figuren in dem königlichen Grabmale des Es-
curial nicht unterschätzt werden: Don Carlos’ Erscheinung im
Mausoleum, obwohl ungemein mager, macht doch ,vom Barte
aufwärts' einen durchaus ,gesunden' Eindruck: er betet, mit
seinen Eltern in Liebe vereint.
Von den Angehörigen seiner Familie befanden sich zu
verlässig nur sein ihn allein überlebender Sohn Philipp (III.)
und die älteste, von der dritten Gemahlin, der französischen
Elisabeth, geborene Tochter Isabella Clara Eugenia an des
Königs Sterbelager und auch diese anderthalb Tage vor dem
Ende. Von beiden wird noch näher die Rede sein.
1 Bericht des Doctor Milio an den Herzog von Alba ddo. 16. August 1568:
Alba, documentos escogidos 412.
2 Fernandez Montana, Mas luz 427.
Mitteilungen aus spanischer Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts.
17
Es fehlte die Grossmutter des Thronerben, der im October
1580 verstorbenen Königin Erzherzogin Anna Mutter, Philipp’s
geliebte Schwester, 1 die Kaiserin Maria, welche nach ihres
Gemahles Tode (1576) bis zu ihrem eigenen (1603) meist nicht
fern von dem königlichen Bruder in Spanien lebte, wohin sie
im Spätherbste 1582 wieder gelangt war. Wie sich ihr Fehlen
bei dem seit Wochen mit Sicherheit vorauszusehenden Aus
gange erklärt, vermag ich nicht zu sagen. In dem Wiener
k. und k. geheimen Haus-, Hof- und Staatsarchive finden sich
aus diesem und den nächsten Jahren überhaupt keine Briefe
der Kaiserin Maria. Ein undatiertes Schreiben mit ihren
kräftigen, grossen und vielverschlungenen Schriftzügen, deren
volle Entzifferung ich in diesem Palle doch Anderen über-
lässe, 2 wird freilich im k. k. Statthaltereiarchive zu Inns
bruck aufbewahrt. Das Schreiben ist an ihren dort resi
dierenden Sohn, den Titularkönig von Polen und Hochmeister
des deutschen Ordens, Maximilian gerichtet. Dieser führte
damals die Verweserschaft über die seit des Erzherzogs Fer
dinand Tode (1595) streitigen Länder deutsch-habsburgischen
Besitzes. Im Eingänge wird ein ,gestern' angelangter Brief
desselben vom 20. December des Vorjahres erwähnt. Die
vorliegende Antwort mit ihrem schön geschnittenen kleinen MI
unter der Kaiserkrone in dem rothen, Trauer ausschliessenden
Siegel könnte sonach den ersten Monaten des Jahres 1598
angehören. Besorgt, wie sie um dieses Sohnes Gesundheit ist,
über welche sie am Schlüsse neue Nachricht verlangt, erwähnt
sie im Eingänge, dass auch der Botschafter Khevenhüller ihr
mündlich bestätigt habe, dass Erzherzog Maximilian sich
wirklich, wie er schreibe, wohl befinde; auch der Hoffnung
auf Erhaltung ihres königlichen Bruders scheint sie Ausdruck
1 Ich erlaube mir, nochmals auf meinen ,Don Carlos 1 (S. 39 und 111) über
das Verhältniss der Geschwister zu einander zu verweisen.
2 Die Adresse lautet: A mi hijo el Archiduque Maximiliano. Der Anfang:
Ayer recibi vuestra carta de XX de Diziembre . . . holgue mucho de
ver por ella y lo que me ha dicho el embajador Quebenhiler que estais
bueno. Auf den kranken Philipp II. gehen auf der zweiten Seite Zeile 9
die Worte: que somos buenos a eonservar mi lier(ma)no, wenn die Lesung
richtig ist. Der Schluss: plazer que mi podeis liazer decirme como estais
como ya (?) deseo. Vuestra madre Maria.
Sitzungsber. d. phil.-bist. CI. CXXVIII. Bd. 11. Abh. 2
18
XL. Abhandlung: Bü ding er.
zu geben. Dass sie selbst, wie sie auch dem Sohne versichert,
sich wohl befand, wird in einer im Wiener Staatsarchive als
Hofcorrespondenz aufbewahrten Reihe von meist lateinischen,
formell kühlen Briefen ihres ältesten Sohnes, des Kaisers
Rudolf II. aus den Jahren 1598 und 1599 allem Anscheine
nach vorausgesetzt; genauere Prüfung dieser Schreiben, als
sie in meinen Zwecken lag, könnte hier noch eine der Pietät
entsprechendere und über die Gesundheitsverhältnisse der ehr
würdigen Fürstin begründetere Mittheilung bringen. Immer
hin liegen für die Monate der schwersten Erkrankung und des
Todes des Königs im Wiener Staatsarchive keine Nachrichten
vor. In der Hofcorrespondenz mit Spanien aus' dem Jahre
1598 fehlen alle auf den dortigen Thronwechsel bezüglichen
Acten, und auch in den Berichten des kaiserlichen Botschafters
an Rudolf II. ist eine bedauerliche Lücke vom 30. Juli bis
zum 22. October dieses Jahres.
Aber man dankt doch diesem zuverlässigen Gesandten
einige erwünschte Nachrichten über unsern Gegenstand. Es
ist Johann von Khevenhüller, seit dem Juli 1593 Graf von
Frankenberg, der im Mai 1606 neunundsechzigjährig in Madrid
starb. 1 Die ganz ungewöhnlichen hohen Eigenschaften, welche
die Relationen des langjährigen frühem kaiserlichen Vertreters
Adam von Dietrichstein so überaus anziehend machen, darf man
in den Depeschen dieses letzten Botschafters der österreichischen
Linien des habsburgischen Hauses am Hofe Philipps II. nicht
erwarten. Doch ist es eine ausführliche und geschäftlich genaue
Berichterstattung. Besonders zutreffend wird man sein Urtheil
über Personen nicht finden. Noch am 30. Mai 1598, nur drei
und einen halben Monat vor Philipp’s Tode berichtet er von
dessen Thronerben nicht nur, dass er täglich kräftiger werde,
höchst fromm und seinem Vater durchaus gehorsam, sondern
auch, dass er höchst verständig sei. 2 Der geistesstarke könig-
1 Wurzbach XI, 220.
2 ,Der Prinz wird von Tag zu Tag störckher und ist ein feindtlicb godt-
forchtiger und verstendiger Herr, der sy ihn Allen seines Herrn Vattern
Willen (gemäss) verhalt. 1 Innsbrucker Statthaltereiarchiv, wo sich auch
die nächsterwähnte Depesche vom 10. April 1595 befindet mit dem charak
teristischen Satze: ,Der Khönig khracht on Unterlass und ist vom Leib
i’eindtlieh abkhumen.“
a
Mittheilungen aus spanischer Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts.
19
liehe Vater gab sich doch in dieser Beziehung- keiner Täuschung
hin, sagte gelegentlich: ,Gott, der mir so viele Reiche gewährt
hat, weigert mir einen zu ihrer Regierung fähigen Sohn' und
klagte noch wenige Tage vor seinem Ableben dem Markgrafen
von Castel Rodrigo: ,Ach, Herr Christoph! Wie es mich besorgt
macht, dass sie ihn zum Herrschen haben!' 1
In eben jener Depesche, in welcher er das irrige Urtheil
über den künftigen Philipp III. abgibt, berichtet Khevenhüller
doch dem Erzherzoge Maximilian in Innsbruck mit denselben
Worten, wie schon im April 1595: ,Die Kaiserin, meine aller
gnädigste Herrin (Frouv), ist wohl auf/ So gleichmässig guter
Ges'undlieit erfreute sich die greise Fürstin. Um so seltsamer
ist, aus der Nähe des in so qualvoller Weise hinsterbenden
königlichen Bruders nichts von ihrer Gegenwart zu erfahren.
Noch in dem erwähnten Berichte nach Innsbruck vom
30. Mai 1598 hatte der Gesandte aus eigener Anschauung ge
schildert, 2 wie die Kaiserin nach der feierlichen, durch Eide
auch des Thronerben bestätigten Abtretung der Niederlande
an die Infantin Isabella eine Vollmacht ihres Sohnes, des mit
päpstlicher Bewilligung aus dem geistlichen Stande getretenen
1 ,Dios que me ha concedido tantos estados me miega un hijo capaz de
governarlos!‘ — ,Ay Don Christoval, que me temo que le hau de go-
vernar!“ Lafuente XV, 271.
2 Euer kun(iglichen) W(ürde) solle ich nach Erinderung meine gehor-
samisten || und ganz willigen Dienst unterthenigist zu erindern nit
underlassen, wasmassen verwichner Tagen der Kunig die Donation || der
Niderlandt der Infanta seiner Tochter gethan. Sölliclie habbe Ihr
F(ü)r(stliche) D(urchlauc)ht aceeptierdt unnd der Prinz ihr Prueder und
sy paiderseits mit starkchem Juramendt ratificieredt und confirmiredt.
Paldt darauff habbe die Kaijserin, mein allergenedigiste Frouv ainen
Gewaldt vom Erzherzog Albrechten angehendigit, und nachdem derselb
ihn Peysein Ihrer M(ayestä)t des Kliunigs, des Prinzen, der Infanta, des
Marques de Velada, des Don Christdval de Mora, des Don Juan de Idia-
quez und mein, verlössen worden, hat man zun Heiratscapitulationibus
griffen. — — — Wenige Tag ehe vermelte Tractation abgeloffen ist
der Kunig gar (?) übl auss gewest, Jedennan pesorgt, wurde von Landt
rukehen, aber widerumben pösser worden; gleiehwoll des Fiebers noch
nit quit; pesorgen, sye eticus (= lietico). Wie dem Alem, (wollen)
Ihr M(ajestä)t, dass alle negotia durch ihr llendt lauffen: dardurch nit
wenig prejudiciredt wird.“ (Innsbrucker Archiv).
2*
20
XI. Abhandlung: Büdinger.
Erzherzogs Albrecht, überreichte, nach deren Verlesung die
Ehepacten mit der Infantin aufgesetzt wurden.
Es fand aber schon dieser feierliche Doppelact ,wenige
Tage‘ nach einem schweren, unmittelbaren Tod drohenden
Krankheitsanfalle des Königs statt, bei welchem die Aerzte
zum ersten Male alle drei Uebel erkannt zu haben scheinen,
deren vereinigte Wirkungen ihm Leiden nicht von dem Historiker
zu beschreibender Art 1 verursachen sollten. Schon seit 1579
hatte sich die Glicht, an welcher ja auch sein kaiserlicher
Vater schwer gekrankt hatte, bei ihm eingestellt; dieses Uebel
hatte ihn im Laufe der Jahre in zunehmendem Masse heim-
gesucht und hat ihn bald mit all seinen schmerzhaften Folgen
nicht verlassen. Ein hektisches Leiden scheint schon in seiner
Jugend vorhanden gewesen zu sein, da ihm damals oft jede
stärkere Bewegung unmöglich erschien 2 und die grösste Sorg
falt für seine Gesundheit zur Pflicht gemacht worden war; wie
es häufig geschieht, trat dies in der Vollkraft des Lebens
zurückgetretene oder vernarbte Uebel jetzt im Greisenalter bei
dem fast Einundsiebzigjährigen, schon seit mehr als Jahresfrist
vermuthet, unzweideutig hervor. Zu diesen beiden Krank
heiten gesellte sich jenes Wechselfieber, an welchem auch
Karl V. zuweilen gelitten hatte und dessen dreijährige Dauer
für Don Carlos so verhängnissvoll geworden war.
Noch war dies Fieber nicht ganz geschwunden, als in
des Königs Gegenwart dessen Lieblingstochter die Ueber-
tragung der niederländischen Herrschaft und jene von der
Kaiserin vorgelegte Vermählungserklärung empfieng. Zwei
Tage früher, bei der Frohnleichnamsprocession am 28. Mai,
liess er sich durch den Kronprinzen vertreten, zu dessen
Gunsten man schon im April von der Abdankung des Er
krankten gesprochen hatte; doch sah er der Procession hinter
geschlossenem Fenster zu. Klievenhüller 3 fand ihn an diesem
Tage wie todt aussehend.
1 Lafuente XIV, 471—475, wo derselbe sieh entschuldigt: sensible nos es
tener que tvazar este repugnante cuadro.
2 ,Don Carlos“ 130.
3 An den Kaiser am 12. April 1598: .... ,weil aber der Chonig noehmallen
Leibs Schwachheit halber, mit der noch pyhafi\tet)‘. Die Depesche vom
21. Juni, einem Sonntag, trägt diese Zahl am Schlüsse und auf der
Mittheilungcn aus spanischer Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts.
21
Und doch trat sein Verlangen der Uebersiedelung nach
dem Escurial seitdem immer stärker hervor, aller Einsprachen
der Aerzte ungeachtet, welche den Transport für gefährlich
erklärten. Dennoch wurde derselbe 1 unter heftigen Schmerzen
vom 30. Juni bis 5. Juli, also in sechs Tagen, derart voll
zogen, dass der Kranke von Menschenhand in seinem Lager
diesen etwa fünfzig Kilometer langen Weg getragen wurde.
In dem Escurial angelangt, wohnte König Philipp in seinem
Krankensessel nicht nur der kirchlichen Feier der Ueber-
tragung aus Deutschland gekommener Reliquien bei, sondern
besah sich noch einmal alle Räume dieser seiner wundersamen
Bauschöpfung, traf auch einzelne neue Anordnungen. Man begann
wieder Hoffnung zu hegen; am 13. Juli meldete Khevenhüller
dem Kaiser, dass ,des Königs Indisposition sich täglich bessere/.
Am 22. Juli begann jedoch der Zustand des Kranken hoffnungs
los zu werden; noch vor Ablauf des Monates wurde eine
Operation am Knie vorgenommen, 1 deren Schmerzen der König
zum Erstaunen der Aerzte ruhig ertrug. Dreiundfünfzig Tage
für die damalige Heilkunst nicht zu lindernden, unaufhörlichen
Leidens zählte man so bis zum Tode am Morgen des
13. September.
Da sind nun zwei im Innsbrucker Archive erhaltene Be
richte aus den beiden diesem Abschlüsse vorangehenden Tagen
erwünscht. Sie liegen einer für den Zweck dieser Abhandlung
Adresse; doch scheint der Gesandte nach dem Inhalte sich beide Male
verschrieben zu haben; es dürfte ,12. Juni 1 gemeint sein. Am Ende des
Berichtes über die Frohnleichnamsprocession über den König: ,hat vill
ehe ainem todten Cörper, alls ainem lebendigen gleich gesehen. Ihr
M(ajestä)t pegem starckch nach dem Escurial, das aber die Medici nit
approbiren -wollen. Wie dem Allem, so vermainen sy, ehr werde sy nit
halten lassen, das nun nit an Gefahr ihrem Vermueten nach steet.“
(Wiener Staatsarchiv.)
1 Auf der dritten Seite von Khevenhüller’s Depesche an den Kaiser vom
30. Juli 1598 findet sich der medicinische Bericht, beginnend: La salud
del Key, vielleicht für die Geschichtschreibung der Medicin von Werth.
(Wiener Staatsarchiv.) Dies ist vor des Königs Ableben, wie oben (S. 18)
bemerkt, die letzte Depesche an den Kaiser, welche erhalten ist. Da
aber auch aus Don Carlos’ letzter Zeit und über seine Bestattung die
Dietrichstein’schen Depeschen fehlen, so darf man die Hoffnung nicht
aufgeben, dass beide Fascikel noch irgendwo erhalten sind.
22
XI. Abhandlung: Biidinger.
irrelevanten Depesche Khevenhüller’s an den Erzherzog Maxi
milian vom 14. September 1598 zur Information bei. Wie
sie beide sich als Abschriften einer, freilich zuweilen das Ver
ständnis durch Abkürzungen und durch eine widersinnige
Interpunction erschwerenden, Kanzleihand darstellen, so haben
sich vielleicht auch anderwärts, namentlich in Spanien selbst,
solche Abschriften erhalten. Auch ist es ganz möglich, dass
sie schon einmal in einer mir unbekannt gebliebenen spanischen
Monographie gedruckt worden sind. Auf alle Fälle verdienen
sie, auch weiteren Kreisen bekannt zu werden.
Das erste Schreiben ist ein Billet des leitenden Ministers
und hochgeachteten Vertrauten des Königs, der ihn auch an
erster Stelle mit dem Vollzüge seines Testamentes betraute. 1
Christoph von Moura, wie dieser portugiesische Edelmann
eigentlich hiess, oder Mora, wie ihn die Spanier nannten. Ge
richtet ist der Brief an Johann von Borja, nach dem Namen
ein Abkömmling jenes gleichnamigen zweiten Sohnes des
spätem Papstes Alexander VI., welcher zu dem Herzogthume
Gandia und der Ehe mit einem Sprossen des aragonesischen
Königshauses gelangte. 2 Vom 11. September um 12 Uhr
Nachts ist das Billet datiert, welches vorzeitig das Eintreten
der Todesstunde meldet. ,Wir sind zur letzten Stunde gelangt,
welche für Seine Majestät mit so viel Grund ersehnt worden
ist, damit (der König) von den Leiden und Nöthen entledigt
werde, in denen er sich befindet, und zum Genüsse der Ruhe
komme, welche Gott nach seiner Barmherzigkeit und um
dessen willen ihm gewähren wird, womit er ihm in diesem
Leben gedient hat. Jetzt können wir Eurer Herrlichkeit keine
anderen Nachrichten senden.' In den Schlussworten scheint
der Fall einer ganz unwahrscheinlichen Besserung des Befindens
noch Vorbehalten. 3
1 Näheres über ihn: ,Don Carlos’ Haft und Tod“ 168 bis 174.
2 C. von Hofier, Die Katastrophe des herzoglichen Hauses der Borja von
Gandia (Denkschriften der kais. Akad. XLI, 1892), S. 10, 53 f.
3 Don Christoval de Mora a Don Juan de Borja de San Lorenzo el Real
ä 11 de Seti(embr)e a las doze de la noclie 1598. Somos llegados a la
ultima hora tan desseada por su Mag(esta)d con tanta razon, pues saldra
de las miserias y trabajos en que esta y ira ä gozar del descanso que
Dios le darä por su misericordia y por que el en esta vida le ha seruido.
Mittheihingen ans spanischer Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts.
23
Die andere Einlage ist als Theil eines Briefes aus dem
Escurial bezeichnet, also etwa als Zeitung für die vertrautesten
oder vornehmsten Kreise Spaniens abgefasst und vom folgenden
Tage, 12. September 1598, datiert. 1 ,Seine Majestät ist gestern
um 2 Uhr Nachmittags von einer Ohnmacht befallen worden.
Man dachte, sie werde ihn hinraffen, also gab man ihm die
Kerze in die Hand. 2 Um 6 Uhr Abends kam darauf Herr
Christoph von Mora sehr niedergeschlagen zu der Frau In
fantin und sagte zu ihrer Hoheit: „Herrin! Seine Majestät
will, ehe sie stirbt, Eurer Hoheit den Segen ertheilen.“ Ihre
Hoheit war. gar beunruhigt, erschien sehr geröthet und erhob
sich zu gehen. Herr Christoph sagte zu ihr: „Eure Hoheit möge
sich nicht so beeilen! Denn ich gehe zu dem Prinzen, damit
Sie Beide mit einander gehen.“ Und so giengen sie, und
Seine Majestät konnte nicht zu ihnen sprechen, sondern ihnen
nur seinen Segen ertheilen. Und sogleich kehrten sie Beide
in tiefster Rührung zurück, dass es die Herzen brach. 3 Der
Prinz begab sich in seine Wohnung und schloss sich zum
Gebete ein, und die Prinzessin gieng in die Emporkirche,
um dasselbe zu thun, wo wir die Mönche ein- und ausgehen
sahen. Und um 7 Uhr Morgens (12. September) hatte seine
Majestät einen weiteren Anfall, kam aber sogleich wieder zu
sich. Man gab ihm einen Trank, und als diesen der Arzt
Mercado darreichte, fragte er ihn, aus was er sei; der ant-
Ya no podemos embiar A V. S. otras nuevas, si no fueren las (los?) . . .
tras (contras? portugiesisch) esto se pueden esperar. Grossoctavblatt.
1 Cap(itu)lo de carta del Escurial A 12 de Seti(embr)e 1598. Polioblatt.
2 Gleich dieser Anfang, von dem Schreiber unmöglich interpungiert, soll
lauten: A su Mag(esta)d le diö ayer A las dos despues de medio dia un
desmayo. Pensando que le llevaria, assi le pusieron la candela en la
mano.
8 Y assi fueron, y no les pudo hablar su Mag(esta)d, sino hecbar les su
bendicion, y luego se bolvieron tiernissimos entrambos, que quebraua los
cora<jones. Die auch von Lafuente XIV, 478 aufgenommene Erzäh
lung von der zärtlichen Ansprache des Königs an seine beiden Kinder
sammt Ermahnung zu Frömmigkeit und kluger Kegierung ist also grund
los. Was von der hiemit zusammenhängenden Weisung an seinen Beicht
vater zu halten ist, Beiden die Ermahnung vorzulesen, welche Ludwig
der Heilige an seinen Thronerben gerichtet hälfe, erscheint jetzt mindestens
zweifelhaft. Die Nichtigkeit einer andern Nachricht (s. o. S. 12) ist zweifellos.
24 XI. Abh.: Büdingen Mittheilungen ans spanischer Goschiohto des 16. u. 17. Jabrh.
wortete ihm: „Aus Hyacinthen.“ Hierauf sprach der König:
„bei einem anderen Tranke wie diesem starb die Kaiserin,
meine Herrin, bei Einbruch der Nacht; aber ich werde in
dieser Nacht nicht sterben,“ [den Anbruch des Tages hatte er
also nicht bemerkt] „noch am Morgen; denn ein Mönch hat
mir gesagt, er wisse die Stunde, hatte grosse Wissenschaft.“
Und die ganze Nacht waren die Mönche damit beschäftigt,
den Psalter aufzusagen und Gott für die Seele Seiner Majestät
zu bitten/
Schon vorher war auf seinen Befehl seines kaiserlichen
Vaters Sarg geöffnet und waren aus demselben zwei Kerzen
und das Crucifix genommen worden, welches Karl V. bei
seinem Tode in Händen gehabt hatte; man musste dasselbe,
damit er es stets sehe, an des Königs Bettvorhang befestigen;
in seine Hände sollte dies Kreuz ebenfalls beim Sterben gelegt
werden. Hatte doch auch Don Carlos, als ihm die Nähe des
Todes angekündigt wurde, die Umstehenden ihn zu unterstützen
gebeten, das von seines kaiserlichen Grossvaters Lippen in
der Sterbestunde gehörte Gebet zu sprechen. Unter Meinen
Zuckungen wie dieser sein ältester Sohn ist auch Philipp II.
verschieden.
Büdinger. Mittheilungen aus spanischer Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts.
Gezeichnet von Dr. Roman Hödl-
Original: 41 X 20 Cm.
2l22§r
%
-W
ö
Sitzungsh. d. kais. Akad. d. Wissenscli., phil.-liist. Classe, CXXYIII. Bd., 11. Al)h., 1892.
XII. Abh.: Beer. Handschr. Spaniens. Bibi. Uebers.: 325—328 (Murcia—LaMurta). 1
XII.
Handschriftenschätze Spaniens.
Bericht über eine im Aufträge der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften
in den Jahren 1886—1888 durchgeführte Forschungsreise.
Von
Dr. Rudolf Beer,
Amanuensis der k. k. Hof Liibliotlick.
Murcia.
325. Biblioteca de San Felipe.
Haenel, Cat. col. 1006 nonnulli libri mss. parvi momenti.
Valentinelli, p. 118 nacli Haenel.
326. Archivo de la ciudad.
Ooleccion de fueros y cartas-pueblas de Espana, Madrid
1852, p. 156 ff. Mittbeilungen über einen ,c<5dice del Fuero
Juzgo que se guarda en el mismo archivo' mit reichlichen
Auszügen. -
327. f Biblioteca de los Frailes menores de San Francisco.
• Diese Bibliothek erhielt die Privatsammlung des Bischofs
Diego de Arze y Reynoso, nach Vogel verzeichnet im
Catälogo general de la libreria del senor D. Diego de
Arze y Reynoso, Obispo, Inquisidor general en todos los Reynos.
Vgl. auch Wadding, Scriptores Ordinis Minorum, Romae
1650, p. lOOf.
Antonio, Nicolaus, Biblioth. Nov. I, p. 268 über Diego
de Arze und seine Bücherschenkung.
Vogel, p. 479.
Valentinelli, p. 117f. nach Vogel.
La Murta (Prov. de Valencia).
328. Biblioteca del Monasterio de Nuestra Seiiora.
Villanueva, Viage, tom. IV, p. 83 f., beschreibt (1) ein
Horario 6 Devocionario, prächtig auf Pergament geschrieben,
mit vielen Miniaturen, welches nach einer Note ,diö D. Diego
Vieh entre otras pinturas ä este convento de la Murta ä 26 de
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXVUI. Bd. 12. Abh. 1
2
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
Julio de 1641h Interessant wird das Kalendar durch zwei
auf den eigentlichen Text folgende Abbildungen; die eine
stellt das kaiserliche Wappen dar, und um dasselbe finden
sich die Worte: ,Maximilianus imperator romanorum semper
augustus* und unter denselben wie folgt: HALI-MAS. Die
zweite Abbildung bietet gleichfalls ein Wappen und darum die
Legende: Franciscus de Taxis, magister postarum serenissinii
principis Ka. arcbiducis AustriaeJ Ad calcem die Note: Yidit
Fr. Joannes Vidal 23 Maji 1585. (2) Lactantius, sieben Bücher
der Divinae institutiones, s. XII mit zahlreichen Varianten von
Belang. Diese Handschrift ging in den Privathesitz Villa-
nueva’s über.
Valentinelli, p. 126 f. nach Villanueva.
La Murta (Prov. de Barcelona).
329. Biblioteca del Monasterio de los P. P. Gerönimos.
Villanueva, Viage, tom. XIX, p. 2 berichtet über die
einst reiche, vom presbitero Jaime Ramon Vila gestiftete Hand
schriftensammlung des Klosters, 1 die theilweise in den Besitz
des Marques de la Romana zu Valencia gelangte. Villanueva
sah noch an Ort und Stelle: (1) Eine prächtig geschriebene
Bibel mit der Schlussnote: Explicit liber Machabeorum secundus.
Scripsit Nicolaus Berti de Gentiluciis de Sancto Gemini ano,
civis Florentinus, pater Amantii et Francisci, complevitque die
sabbati decima nona mai MCCCLIII u. s. w. (2) Devocionario
en vitela, Ueno de primorosas miniaturas. (3) Sermo quem
coram Domino Papa et Cardinalibus Avinione in Capella
Domini Papae explicavit venerabilis F. Bernardus Oliverii . . .
sub anno Domini MCCCXXX quarto. (4) Santoral lemosin.
(5 — 8) Coleccion heräldica in vier grossen Foliobänden.
Torkes Amat, Memorias etc., bespricht p. 481: Pertusa,
Francisco, Memorial (de la fe cristiana), un tomo en fol. menor
MS. de 204 foleos. Fuit scriptus liber iste in monasterio isto
dicto S. Hieronymi de Bethelem, alias de la Murta et fuit. . .
Die novembris sabato primo de adventu, anno domini MDV.
Deo gra.tias; p. 632 Trias, Juan, Bibliotheca seu collectio
ahquarum sententiarum Sacrae Scripturae, sanctorum Patrum
1 Ueber diese auch Torres Amat, Memorias, p. C14.
Bibi. Uebersicbt: 329—330 (La Murta—Najera). 3
et aliorum auctorum etc. Cuatro volümenes en folio. Beide
Werke aus dieser Bibliothek.
Yalentinelli, p. 161 nach Villanueva.
Najera.
330. f Biblioteca del Convento de Santa Maria.
Empfangsbestätigung König Alphons X.: Sepan quantos
esta carta vieren, como yo Don Alfonso, por la gracia de Dios
Rey de Castiella .... otoi'go que tengo de vos el prior e con
vento de Santa Maria de Najera quince libros de letura antigua
que me emprestastes, e los libros son aquestos. (1) Las edi-
tiones 1 de Donato. (2) Statio de Tobas. 2 (3) El Catalogo de
los Reyes Godos. (4) El libro juzgo de ellos. (5) Boecio de con-
solacion. 3 (6) Un libro de justicia. (7) Prudencio. (8) Geor-
gicas de Vergilio. 4 (9) Ovidio epistolas. (10) La historia de los
Reyes de Isidro el menor. 5 (11) Donato el Barbarisio. 6 (12) Vo-
colicas 7 de Vergilio. (13) Liber illustrium virorum. (14) Pre-
ciano maior. (15) Boecio sobre los diez predicamentos. (16) El
comento de Ciceron sobre el sueno de Scipion.
Dada en Santo Domingo de la Calzada, veinte e cinco
dias de Febrero, era de mill e trecientos e ocho anos (25. Fe
bruar 1270).
Zuerst veröffentlicht von Gaspar Ibanez de Segovia, Peralta
y Mendoza, Marques de Mondejar, Memorias historicas del Rei
Don Alonso el Sabio, Madrid, 1777 p. 452, dann von Fray
Liciano Saez, Demostracion del verdadero valor de todas las
monedas que corrian en Castilla durante el reynado del Senor
Don Enrique III. Madrid 1796, p. 371; am besten im Memorial
histörico espahol. Coleccion de documentos opüsculos y antigue-
dades I, 1851, p. 258, Doc. Nr. CXVIII, nach der Documente in
der Coleccion del Conde de Mora, tom. XXIII, 0. 23. (Jetzt in
der Bibliothek der Akademie der Geschichte zu Madrid.) Vgl.
1 Der von Ibanez veranstaltete Abdruck gibt: Addiciones.
2 Estacio de Thebas, Abdruck Ibafiez.
3 Consolatione, A. I.
4 Virgilio, A. I.
5 Reyes, Isidro el menor, A. I.
6 Barbarismo A. I, corrigirt.
7 Vocolicas — predicamentos weggelassen im A. I.
1*
1
4
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
ferner Eguren p. LXXIX, Taillian p. 309, Amador de los Rios,
Historia critica de la Literatura Espanola, tom. III, p. 592, end
lich Marcelino Menendez Pelayo, Horacio en Espana, p. 9, Anm.
Navalcarnero.
331. f Biblioteca del Colegio de Jesuitas.
Ein handschriftlicher Indice de los libros del Colegio de
Jesuitas de Navalcarnero wird verzeichnet unter Nr. 467 und
468 der jetzt in der Real Academia de la Historia auf bewahrten
Codices aus San Isidro (Madrid); er besteht aus 12 Heften in
Folio. Vgl. Revista de Archivos VI (1876), p. 268. Navalcar
nero ist ein kleines Städtchen zwischen Madrid und Talavera
de la Reina.
Obona.
332. f Biblioteca del Monasterio.
Adelgastar schenkt Era DCCCXVIH (780) diesem Kloster
verschiedene Kirchengeräthe und Güter et (1) ununi misale . . .
et (2) lectionarium et (3) responsorium et (4, 5) duos psalterios
et (6) uno dialogorum et (7) passionarium et (8) una regula
de ordine Sancti Benedicti.
Vgl. Risco, Espana Sagrada, tom. XXXVH (1789), Ap.
Nr. 5, p. 308 Mitte. Eguren p. LXXXVIII, Taillian p. 314. —
Coleccion de fueros y cartas-pueblas de Espana p. 163f. heisst
es mit Bezug auf diese Urkunde: Esta escritura ha sido cali-
ficada por algunos de apöcrifa.
Olveyroa.
333. f Iglesia de Santiago.
Dona Leonor Gonzalez, Gemahlin Ruy Soga’s, bestimmt
in ihrem Testament vom Jahre 1334: It. mando a Santiago
dolveyroa CC soldos para hun salteyro.
Aus dem Tunibo von Tojosutos (gegenwärtig im Archivo
Histörico Nacional zu Madrid) edirt von Villa-Amil, Los cödices
p. 20.
Oliva (Navarra).
334. Archivo del Monasterio.
Munoz y Romero, Diceionario p. 204 erwähnt ein Ms.
Chronologia regii Olivae monasterii, que existia original en su
archivo; lateinische Annalen, die bis zum Jahre 1647 reichen.
Bibi. Uebersicht: 331—337 (Najera— Ona).
5
Olmedo.
335. Biblioteca de la Iglesia parroquial del Arcangel San
Miguel.
Munoz y Romero, Diccionario p. 204 f. citirt Libro del
novenario sagrado ä la milagrosa imägen de Nuestra Senora de
la Soterrana, patrona de la villa de Olmedo . . por el Licenciado
Antonio de Prado y Sancho. Ms. ,Esta obra se guarda en la
citada iglesia/ Berichtet unter Anderem über die Gründung der
Stadt und ihrer Convente.
Los Olmos.
336. f Archivo del Convento de los P. P. Franciscanos.
Martinez Anibarro y Rives, Intento de un diccionario
de . . . Burgos etc. p. 54 berichtet über eine Handschrift ,Manual
de fundaciones de conventos* (ohne nähere Beschreibung), sowie
Originalmanuscripte der Werke von Francisco de Salinas (des
Gründers des Klosters), welche in diesem, heute zerstörten Con
vente auf bewahrt wurden.
Ona.
337. f Biblioteca y Archivo del Real Monasterio de San
Salvador.
Der codex Escorialensis R. II. 7, Saec. XII enthält auf
fol. 113 rl) und 147 r folgendes Handschriften verzeichniss P
(1. 2) Dos bibliotecas. (3) Vna omelia. (4) decada psal-
morum. (5) Los canones nueuos. (6) Los canones uieios
(7) Moralia Job. 2 (8) Las dirivationes nueuas. (9) Las ystorias.
(10) Liber orationum. (11) Thimologia. (12. 13) Dos libros super
Johannem. (14) Paulus orosius. (15) Liber omeliarum gregorii.
(16—19) Quatuor libros passionarios. (20) Liber augustinus de
civitate dei. (21) Liber augustinus de doctrina christiana. (22)
Liber ambrosius de questionibus evangeliorum. (23) Liber de-
creta romanoruin. (24) Yirginitas sancte marie. (25) Psalterium
cantoris parisiensis* Quod iussit fieri dompnus abbas. (26) Vita
1 Ueber die Varianten vgl. Hartei a. a. 0.
2 In beiden Abschriften findet sich Job zweimal, wohl Dittograpbie, da kaum
anzunehmen, dass dem Werk Gregors die Schrift selbst beigegeben war.
■
6
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
sancti enneconis. (27) Quadraginta omeliarum. 1 (28) Ezechiel. 1
(29) Liber cintillarii. (30) Vita sancti Martini. (31—34) Quatuor
libri dialogorum. (35) Ystoria ecclesiastica. (36) Jerenticon.
(37) Vita sancti ildefonsi. (38. 39) Apocalipsin. 2 (40) Institu-
tiones patrum. (41) Collationes patrum. (42. 43) Prognosticon
dos libros. (44. 45) Ad dominum cum tribularer. dos libros.
(46) Yita sancti gregorii. (47. 48) Yitas patrum dos libros.
(49) Zmaragdu. (50) Prosper. (51. 52. 53) Sumum bonum tres
libros. (54) Super ysayam. (55) Quam bonus. (56) Liber duo-
decim prophetarum. (57) Flores psalmorum. (58) Liber pastoralis.
(59) Liber iohannis belet. (60) Liber allegorias de ezechiel.
(61. 62) Dos reglas. (63. 64) Dos missales. (65. 66) Dos domin-
gales . unu nuevu y otru vieiu. (67. 68. 69) Dos santorales
nuevos en dos cuerpos . y unu vieiu. (70. 71) Dos collectarios
de coru . unu nuevu y otru vieiu. (72—74) Tres officeros. (75.
76) II 0S proseros. (77—83) VII libros pora dezia missas. (84—
87) IIII antiphonarios. (88—102) XV psalterios.
Estos son libros de gramatiga (103. 104) libros de decretos.
(105) Pricianus. (106) Arator. (107) Papia. (108) Sinonimus.
(109) Terentius. (HO) Juvenalis. (111) Virgilius. (112) Ovi-
dius maior. (113) Lucanus. (114) Salustius. (115) Sedulius.
(116) Aurea gemma. (117) Duo paria partium. . (118) Suma
de Priscian. (119. 120) Liber lex II. (121—132) La biblia glo-
sada in XII libris divisa singulatim per ordinem per corporum
distinciones.
Zuerst vollständig mitgetheilt von Hartel-Loewe BPLH,
Bd. I, p. 125f. Schon früher hat Perez Bayer in seiner ausführ
lichen Beschreibung des Escorialensis (veröffentlicht von Rodriguez
de Castro, Biblioteca Espanola II, p. 328ff.) auf den Katalog auf
merksam gemacht (vgl. a. a. O. p. 331) und zunächst erwiesen,
dass die Orthographie in den Sentenzen Isidors (dem Hauptinhalt
des Codex) auf eine alte heimische Vorlage hindeute; aus den
1 Wahrscheinlich Gregorii Magni Homiliae XL in Evangelia und Homiliae
XII in Ezechielem.
2 Nach Apocalipsin folgt in beiden Abschriften dos libros. Ich ziehe dies
als Vermerk zu 31 (vgl. Nr. 41 ff.) und glaube,'dass hier des Beatus
Commentar zu verstehen sei, jedoch nicht in zwei Bänden — wenigstens
ist mir unter den zahlreichen Copien keine zweibändige bekannt — sondern
zwei Exemplare.
Bibi. Uebersicht: 337 (Ona).
7
spanischen Bemerkungen des Katalogs (unu nueuu, y otro vieiu)
ergehe sich, dass der Codex ,certe ad veteris Castelle Astu-
rumve aut Galleciae partes pertinuisse/ Ausschlag gebend für
die Ortsbestimmung scheine aber die Note (Federprobe) am
Schlüsse: Clemens Episcopus servus servorum Dei dilectis filiis
Abbati et Conventui Oniensi in Ecclesia Sancti Salvatoris, d. h.
Salvador de Ona. Das Kloster wurde 1011 vom Grafen D.
Sancho gegründet, vom König D. Sancho dem Grossen (j 1035)
reformiert und hiebei Benedictinern, die er aus Cluny berief,
übergeben (vgl. Pascual Madoz, Diccionario geografico-estadistico-
historico, tom. XII, s. v.).
Aus diesem Umstande erklärt sich vielleicht die Eintragung
der später beigeschriebenen vitae, die meist französischen Ur
sprung aufweisen. Ueber die in demselben Codex befindliche
Note des Petrus Fernandi de Granon vgl. den Artikel Cogolla,
Anm. Bemerkenswerth ist, dass Anibarro y Rives, der von
dem vorliegenden Katalog anscheinend keine Kenntniss batte;
auf Grund seiner archivalischen Studien (vgl. unten) die wieder
holte Scheidung der Onienser Ritualbücher in antiguos und
nuevos nacbweist, wie sie unser Yerzeicbniss deutlich darbietet.
Die ausführlichste Schilderung der Schicksale Ona’s gibt Argaiz,
Soledad Laureada, tom. VI, p. 443 ff. (vgl. unten).
Dona Sancha Jimenez schenkt zu Beginn des 13. Jahr
hunderts dieser Kirche Kirchengeräthe et (1) un breviario do-
minical et (2) alio sanctoral (3) et un evangelisterio et (4) ofi-
ciero et (5) un psalterio.
Aus einer ,carta partida por A. B. CJ der Bibliothek der
Real Academia de la Historia veröffentlicht von Eguren p. XC.
Argaiz, Gregorio de, La Soledad Laureada por S. Benito,
tom. YI, Madrid 1675, p. 453 in dem Abschnitt Exercicios de
letras en Ona, en tiempo del Abad Don Juan de Alcucero, re-
sumirt: Ay de el tiempo deste Abad un testimonio de la vida
de sus monges, y su observancia en los Libros que oy perse-
veran escritos de mano, al fin de quinientos y cincuenta y mas
anos de diferentes assumptos, y todos en orden k mayor virtud
y perfeccion. Pondre uno por exemplo en que esta la Regia
de San Agustin, compuesta de diferentes capitulos, sacados de
las obras de aquel Santo Doctor. Luego se sigue la Regia de
San Rufo que compuso para los Canonigos de la Iglesia de
8
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
Tolosa cle Francia, y esta con este titulo: Incipit Liber Ec-
clesiastici et Canonici Ordinis in Clanstro Sancti Ruffi tempore
Liberati Abbatis institutus. Contiene 358 capitulos sacados de
diferentes Concilios de Pontifices, de Decretales y de los Sa-
grados Doctores S. Agustin, San Leon Papa, San Gregorio, San
Ambrosio, San Isidoro, Amalario, Fortunato, y otros, que es
cosa muy curiosa, y en la primera hoja tiene estas palabras.
Centies undena ter quina ter duodena Atque duodena Liber
hic factus fuit Aera (1163 = 1125 p. Chr.). 1
Berganza, Francisco de, Antiguedades de Espana, Madrid
1719, tom. I, p. 307 erwähnt und excerpirt die wiederholt von
verschiedenen Autoren benützten Memorias antiguas del Ar-
chivo de Ona (eine Art Hauschronik).
Florez, Espana sagrada, tom. X (1753), p. 92 berichtet
von Sandoval, dass dieser in Ona ,hallö lo que escribiö (Ful-
gencio, obispo de Ecija) sobre el Psalterio con letras Gothicas,
que es un libro grande, precioso y raro/
Am ausführlichsten sind die älteren Nachrichten über die
Bücherbestände Onas zusammengestellt bei
Martinez Anibarro y Rives, Manuel, Intento de un diccio-
nario biografico y bibliogräfico de autores de la provincia de
Burgos. Madrid 1889.
p. 10 in der Biographie des Abtes von Ona Juan de Al-
cucero (f 1115): dispuso la apertura de libros en que se kicieran
constar los hechos de sus monjes y se formasen colecciones eccle-
siästicas comprensivas de varias disposiciones de pontifices, cänones
de concilios, sentencias de los padres y doctores de la Iglesia y
otros asuntos andlogos. Bezüglich der von Argaiz erwähnten
Büchersammlung bemerkt Vf.: hoy ignoramos el paradero de
tan vali6sos volümenes.
p. 55 wird der Bestand des Archives auf Grund der alten
Notizen reconstruirt wie folgt:
Gran nümero de documentos referentes a donaciones,
privilegios, bulas, escrituras de cesiön y compra, y papeles refe
rentes ä lo espiritual y temporal; lujosos libros de catästro y
propriedad; gran niunero de volümenes de litigiös, ejecutorias
y memoriales; libros administratives de gasto y cosas semejantes;
1 Also nicht 1153 (1115), wie Argaiz irrig berechnet.
Bibi. Uebersiclit: 337—339 (Ona—Orihuela).
9
cuadernos de escrituras (copias); libros de gradas de monjes
y prelados, uno llamado antiguo y otro moderno; libro de
öbitos; libro de pesquisas; la tabla ö memoria de monjes ilustres;
dos becerros, uno en folio y otro en 8°, llamado el pequeno;
un libro de Kalenda 6 Martirologio; un Menologio, que supongo
seria el mismo de öbitos nuevo; tres libros de donaciones,
uno llamado el viejo; otro titulado el Norte de las escrituras;
la Regia del Abad D. Domingo; el libro de la Regia del Archivo,
adicionado como el anterior. 1
Ebenda noch über Werke von Anonymi Onieneses 1. Me-
morias antiguas de Ona (s. oben). 2. Monachi Oniensis car-
mina. 3. Libro del Concilio de Perpinan.
p. 310 f. Ueber das Fuero, gegeben von Pedro Ivänez de
Calzada (1190): ,MS que se conservaba en el Monasterio y cuyo
paradero ignoramos/ 2
Ygl. noch ibid p. 261 und 327.
Der von Ewald p. 361 beschriebene Toletanus 15,10 gehörte
nach seiner Angabe eine Zeit lang gleichfalls dieser Bibliothek.
Orense.
338. Biblioteca provincial.
Das Anuario del Cuerpo facultativo I, p. 311 berichtet von
dieser Sammlung: entre sus cödices tal vez solo merece citarse
un Pasionarium en pergamino, folio, de mäs de 400 pdginas letra
de fines del siglo XIII 6 principios del XIY. Sus manuscritos
son unos 14. Die Gesammtzahl wird p. 445 auf 24 angegeben. 3
Orihuela.
339. Biblioteca publica.
Diese Bibliothek besitzt nach dem Anuario del Cuerpo
facultativo de Archiveros I, p. 445 (Tabelle) 52 Handschriften.
Einige werden p. 303 specificirt, darunter eine Historia antigua,
1 Nach Ansicht des Vf. muss sich ein grosser Theil dieser Archivalien jetzt
im Archivo Histörico Nacional vorfinden; nur Weniges verblieb in Burgos.
2 Ueber dieses Fuero auch Argaiz, Soledad Laureada VI, p. 465 und Asso
del Rio, El Fuero viejo de Castilla, p. III.
3 Vgl. auch Evrald’s Beschreibung des Codex der Madrider Nationalbibliothek
F. 99 (Reise, p. 308).
10
XII. Abhandlung* Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
letra del siglo XV, und ein Tratado de Astrologia, letra de los
siglos XVII y XVIII.
340. Biblioteca Episcopal.
Boparull y Sans, Francisco, Apuntes bibliogräficos y
noticia de los manuscritos etc. de la exposiciön universal de
Barcelona en 1888, enthalten in Conferencias dadas en el Ateneo
Barcelones relativas :i la exposicion universal de Barcelona.
Barcelona 1890. 8°
P. 531 wird über ein ausgestelltes ,Pontitical del siglo XIV‘
berichtet, ,escrito ä dos columnas, en pergamino, letra götica
encuadernado en terciopelo y con cierras'. Ueber die in der
Handschrift enthaltenen schönen Miniaturen a. a. 0.
341. Archivo del Ayuntamiento.
Munoz y Romero, Diccionario p. 207 nennt: Grandezas y
antiguedades de la ciudad de Orihuela y su fundacion, por el
Licenciado D. Josef.de Alenda. Ms. en fol. de unas 230 hojas
en el archivo del Ayuntamiento, segun creemos.
342. f Biblioteca particular de D. Juan Boca de Togores.
Munoz y Romero, Diccionario p. 207 berichtet über eine
Historia de Orihuela, escrita por Don Jose Montesinos. Ms.
en diez y ocho tornos en fol., nach Fuster, Biblioteca valenciana,
tom. H, p. 465.
Osma.
343. Biblioteca del Cabildo de la Iglesia Catedral.
Villanueva, Viage, tom. III, p. 306 ff. veröffentlicht ein Frag-
mento y adicion ä la historia de S. Isidoro de los Reyes Van-
dalos, conforme ä un cödice de Osma, que copiö el Senor Perez.
Vgl. auch ibid. p. 203.
Fita y Colome, Fidel, Bosquejo de la Exposiciön historico.
Europea, Madrid, 1892, p. 40 erwähnt als aus dieser Bibliothek
exponirt: un precioso cödice en vitela ilustrado con miniaturas
con la exposiciön del Apocalipsis de San Beato y otros docu-
mentos.
Der Codex Escorialensis e IV. 13 gehörte einst derselben
Kirche. Vgl. Hartel-Loewe p. 47 und Ewald p. 247.
Bibi. Uebersicht: 340—344 (Orihuela—Oviedo).
11
Oviedo.
344. * Biblioteca de la Santa Iglesia Catedral-Basilica.
Von dem einst so bedeutenden, bis ins höbe Mittelaltei’ zu-
rückreichenden Schatz westgotliischer Handschriften der Kirche
von Oviedo, welchen Morales in der zweiten Hälfte des 16. Jahr
hunderts noch als grösser schildern konnte denn ,alle andern
Sammlungen in Le<5n, Galicien und Asturias zusammengenommen',
ist auch nicht ein Stück mehr an Ort und Stelle erhalten. Ja
selbst bezüglich der jüngeren Bestände musste bereits Risco
(Espana Sagrada XXXVIII, p. 115f.) klagen: ,De tantos libros,
como han existido en la Iglesia de Oviedo, no liay sino solo
uno de que di6 noticia Ambrosio de Morales . . . que . . . no es
en realidad sino un tumbo de testamentos antiguos.' Es muss
daher der Versuch gemacht werden, durch genaue Ermittelung
der Geschichte der Sammlung den Spuren der ehemaligen Ove-
tenses in den heutigen grösseren Sammlungen Spaniens nach
zugehen. Ich habe mich darum im Folgenden mit der ein
fachen Wiedergabe der bezüglichen Zeugnisse nicht begnügt,
sondern auch nachzuweisen getrachtet, inwieweit die vor
handenen Kataloge, Berichte, Schenkungs-, Besitzer- und Co-
pistennotizen praktisch zu verwerthen seien. So konnten, wenn
auch ein grosser Theil des ursprünglichen Handschriftengutes
als unwiederbringlich verloren gelten muss, die Filiationen der
Originale erkannt und auf Grund der urkundlichen Angaben
die Reconstruction sämmtlicher mittelbar oder unmittelbar er
haltenen Bibliotheksbestände angebahnt werden. Wenn es hiebei
gelang, weiter zu gehen, als es früheren Forschern, speciell
Tailhan, möglich war, so wird dies den von Ewald und Loewe
mitgetheilten Provenienznotizen aus den Handschriften im Es
corial und in Madrid verdankt, die ich zu diesem Zwecke neu
verglichen habe. 1
1 Das von "Vigil, Asturias Monumental, Tom. I, p. 48 erwähnte Werk:
Fuertes Acevedo, ,Bosquejo de escritores asturianos 1 , welches fol. 138—140
eine ,resefla de los libros y Codices antiguos que fueron extraidos del
archivo de la Santa Iglesia, en epocas diversas“ enthält, scheint nur
handschriftlich zu existiren und war mir nicht zugänglich.
12
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
A. Handschriftliche Verzeichnisse.
1. Razon de los libros antiguos que han salido de la Iglesia
de Oviedo, segun resulta de acuerdos capitulares. Vgl. Risco,
Espana Sagrada XXXVIII, p. 115.
2. Cöpia de clausulas y alfabetos de todas las diferentes
letras antiguas que se hallan en los instrumentos y libros de la
Iglesia de Oviedo, copiados fielmente de sus respectivos originales
para complemento de la Poligrafia Espanola.
Vgl. Id. ibid. Beide Verzeichnisse wurden bereits von Risco
vergeblich gesucht.
3. Indice de los documentos de la liistoria Eclesiästica de
Espana, sacados en virtud de Real Comision del Archivo y Li-
hreria antigua de la Santa Iglesia de Oviedo y del de la dignidad
Episcopal por el Doctor Don Pedro Anastasio de Torres y Ubeda,
Canönigo de la misma Iglesia.
4. Carballo, Luis Alfonso de, Antiguedades de la Iglesia
de Oviedo.
Reiche Fundgrube für historische Daten, die fast katalog
artig aus den Handschriften Oviedos excerpirt sind.
Vgl. Munoz, Diccionario p. 209 und Vigil, Asturias monu
mental, welcher das Werk in ausgedehnter Weise benützt.
B. Druckwerke.
Adephonsus H Castus cognominatus . .. Regis Froilae te-
stamentum confirmat pluraque dona offert ad ornatum et servi-
tium Ecclesiae Ovetensis.
Darin: In ornatu Ecclesiae vela ... et librorum bibliotheca
(folgen einige leere Zeilen).
Aus dem heute noch in der Kathedrale aufbewahrten Ori
ginal veröffentlicht von Risco, Espana Sagrada XXXVH (1789),
Append. VH, p. 313. Vgl. Vigil, Asturias monumental I, p. 56,
wo auch die späteren Herausgeber des Documentes genannt sind.
In nomine Domini. Hoc est inventarium librorum ad-
notatum Deo annuente sub era DCCCCXX.
(1) Bibliotheca veteris ac novi testamenti. 1 (2) Expositum
Danielis et Apocalipsin et canticum canticorum. in uno cor-
1 Diese Bibel, welche Morales noch sah, ging, wie Eguren, Memoria p. XXV
berichtet, durch eine ,desidia incalificable 1 in der Mitte des 17. Jahr
hunderts verloren. Ein alter Ovetenser Bibeltext hat sich im Escoria-
Bibi. Uebeisiclit: 344 (Oviedo).
13
pore. (3) Expositum Ezecielis. (4) Libros Orosii. 1 (5) Lib.
psalterium. 2 (6) Libros storie eglesiastice. 3 (7) Libros beati
Agustini de civitate Dei. 4 (8) Libros Apringi episcopi et Iunilli.
in uno corpore. (9) Lib. omeliarum beati Gregorii. 6 (10) Lib.
conlationum. (11) Libros virormn illnstrium. (12) Lib. progno-
sticon. apud Vigilanem diaconum. (13) Lib. cronicorum beati
Isidori. (14) Lib. domni Agustini ad Probum (Prob : am?). (15)
Lib. antiphonarium maiore. (16) Lib. pastoralium. 6 (17) Lib.
ordinum. (18) Lib. antiphonarium ex coditianis. (19) Lib.
sancte eglesiastice. apud An . . . (20) Lib. martirologium Ro-
mense. apud ... (21) Lib. cenam nubtiarum beati Cipriani.
(22) Lib. Elipandi. (23) Lib. de predestinatione et libertate
arbitrii domni Iheronimi. (24) Lib. glossomatum. (25) Lib.
ugemetrice artis. (26) Lib. canonum. 7 (27) Lib. nature rerum
qui et in manus est. 8 (28) Lib. ex diversis opusculis beati
lensis K. II 18 erhalten, vgl. Hartel-Loewe p. 131 u. 136. Ebenso berichtet
Morales bei der Beschreibung eines Ovetensis (Isidor, Sententiae, in der
folgenden Liste Nr. 26) von einigen Deckblättern mit Bibeltext ,de letra
mayscula muy delicada*; er nahm von denselben eine Probe mit, die sich
vielleicht noch unter seinen Papieren findet. Codex Eseorialensis b I 9,
saec.. XV enthält eine Compilation, betitelt ,Incipiunt genealogiae totius
bibliothecae ex Omnibus libris veteris novique testamenti collectae“
mit dev Bemerkung: Hie über genealogiae fuit desumptus ex libro vetu-
stissimo ecclesiae Ovetensis in membranis literis goticis scripto. Vgl.
Ewald p. 232, Eevista de Archivos II, p. 234.
1 Vgl. Morales in der folgenden Liste Nr. 6.
2 Von Tailhan p. 301 mit dem von Morales beschriebenen Psalterium (in
der Liste Nr. 17) identifieirt.
3 Morales Nr. 23.
4 Eguren berichtet p. 82, dass die in dem Katalog erwähnte Handschrift
von Augustinus de civitate Dei sich heute im Escorial befinde, ohne
(wie gewöhnlich) eine Signatur zu nennen, und Tailhan ist ihm in dieser
Mittheilung gefolgt. Ich kenne nur eine ältere Handschrift von De
civitate Dei im Escorial, nämlich S. II. IG, welche von Loewe-Hartel
S. 150 dem 11. Jahrhundert zugewiesen wurde. Vgl. auch Exempla
tab. XXXVII. Eguren behauptet bestimmt: El caräcter de la letra corre-
sponde ä la primera mitad dei noveno siglo.
5 Vgl. Morales Nr. 9 und 21.
6 Morales Nr. 20.
7 Der Canonencodex theilte dasselbe Schicksal wie die Bibelhandschrift
(Nr. 1). Vgl. Morales 1.
8 Es ist die Handschrift, in welcher der Katalog steht. Morales Nr. 3.
14
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
Eugenii. apucl Iohannem asserunt haberi. (29) Libros beati
Prosperi ad Iulianum. fol. 95'. Item ex opusculis poetarnm. (30)
lavenci presbiteri libros IIII. corpore uno. (31) Alchimi epi-
scopi libros VI. corpore uno. (32) Adelhelmi §piscopi lib. I. (33)
Sedulii presiteri lib. V. (34) Catonis lib. IIII. (35) In laude
Iustini minoris lib. In laude Anastasii lib. (36) Dracontii lib. 1
(37) Vita Vergilb, Ovidii Nasonis in libris Eneidarum et quedam
sententie filosoforum. corpore unö. 2 (38) Vii’gilii poete libros
XII Enedas. corpore uno. (39) Iuvenalis libros V. corpore
1 Dass der Codex der Nationalbibliothek zu Madrid 14, 2, welcher ausser
dem Panegyricus des Corippus noch Gedichte von Cato, Dracontius, Se-
dulius, Eugenius Toletanus, Juvencus und die earmina ,In laudem Justini
minoris, in laudem Athanasii“ enthält, einst der Kirche Oviedo gehört
habe, wird zuerst von Juan Bautista Perez behauptet und dann von Jos.
Partsch, Corippi . . . lihri qui supersunt, Monumenta Germaniae, Auctores
antiquissimi, Tom. III, 2, Berolini 1878, p. L, hierauf p. LVII unter Hin
weis auf die sehr enge Verwandtschaft zwischen dem heutigen Matritensis
und dem von Ruiz benützten Fragmentum Ovetense (Panegyr. III, 271 —
407) näher zu begründen versucht. Wenn Ewald, Reise p. 316, gegen
die Identificirung des Matritensis mit den in unserem Kataloge ent
haltenen Stücken erwogen wissen will, ,dass dprt im Inventar weder die
gleiche Reihenfolge des Inhalts beobachtet wird, wie in unserem Codex,
noch auch die Aufzählung auf ein Volumen deutet“, so fällt der Ein wand
leicht bei der Annahme, dass die einzelnen Stücke später in ein Volumen,
natürlich ohne Rücksicht auf die im Katalog beobachtete Aufzählung,
vereinigt wurden. Ein Beispiel bietet der Katalog-Codex selbst (Esc. R.
II. 18), sowie Esc. a. I. 13 (,de la yglesia de Oviedo“), in dem fol. 188—
204 Tlieile einer zweiten Handschrift bilden. Schwerer wiegt ein anderes
von Ewald nicht erwähntes Moment, nämlich das Alter des Codex, das
er selbst mit saec. X angibt, während der Katalog 882 abgefasst wurde;
Hartel-Loewe bestimmen saec. IX—X, und das dürfte auch, wie das von
Partsch gegebene Facsimile des Codex der Nationalbibliothek zu Madrid
lehrt, zutreffen. Vielleicht ist aber doch der jetzige Matritensis nur eine
frühe Copie, wenn man will, ein Florilegium ,ex opusculis poetarum“,
welche die angeführten Ovetenses enthielten. Auch das Fragmentum
Ovetense. welches Partsch nur aus den Noten des Michael Ruiz Azagra
kannte, hat sich in einer — freilich viel jüngeren —■ Copie erhalten;
über diese ,ex vetustissimo foliorum membranaceorum codice literis
gothicis conscriptorum qui in bibliotheca ecclesiae Ovetensis asservatur“
vgl. Ewald p. 234, Hartel-Loewe p. 37 f.
2 Vgl. über diese Angabe Th. Gottlieb, Handschriftliches zu lateinischen
Autoren, Wiener Studien XII (1890), p. 149f. Desgleichen Eguren, Me
moria, p. 89.
Bibi. Uebersicht: 344 (Oviedo).
15
uno. 1 (40) Prudentii libros II. corpore uno. (41) Lib. con-
lationum artis grammatice.
Aus dem Cod. Escor. R. II. 18 fol. 95 und 95' edirt von Mo
rales, Yiage p. 94 f.; ausführlich besprochen von Taillian p. 300
bis 304, nach revidirter Copie veröffentlicht von Ewald p. 278 f.,
Becker, Catalogi p. 59f., Loewe-Hartel p. 135f. Eine facsimilirte
Wiedergabe bietet Munoz y Rivero, Paleograßa Visigoda, Madrid
1881, lam. IY.
Alfons III. der Grosse und seine Gemahlin Jimena schenken
die XIII Kalendas februarias discurrente era DCCC a X~III (905)
der Kirche Pallia et siriga plurima: Libros etiam divinae paginae
plurimos.
Aus dem Libro götico der Kathedrale fol. 18' herausgegeben
von Risco, Espana Sagrada XXXVII (1789), App. XI, p. 330.
Vgl. Eguren, p. LXXXVIII und Vigil, Asturias monumental
I, p. 60 (mit Angabe der weiteren Literatur).
Mumadonna (Muma Domna), Witwe des Grafen Gunde-
maro Pinioliz, schenkt 15 Kalendas Aug. Era 1050 (1012) der
Kirche: libros. Diese sind in einem fast gleichlautenden In
strument vom Jahre 1045 specificirt als Libros: antiphonario
1°. Salterio 1°. Ordino uno. Preco uno. Libro iudico 1°. Regula
I a et passio sancte marinne virginis. Et librum sapientiae.
Aus den Originalen des Kathedralarchives zum ersten Mal
veröffentlicht von Vigil, Asturias monumental I, p. 66 und 72.
Testamentum 2 Comitis Froylani Velaz de Cartavis quod
fecit Ovetensi ecclesiae. Darin: libros Ecclesiasticos.
Risco, Espana Sagrada XXXVIII (1793), App. XXIII, p. 327.
Ueber die Bibliotheksverhältnisse um das Jahr 1500 be
sitzen wir nur folgende von Risco aus den Capitularacten ge
schöpfte Notizen, die wir mit seinen Worten wiederholen müssen
(Espana Sagrada XXXVIII, p. 113 f.). En 25 de Julio del ano
de 1498 tomö posesion del Obispado de Oviedo Don Juan Daza,
Presidente de la Chancillcria de Granada. Halländose este Pre-
lado en' Sevilla en el ano de 1500 en compania de los Reyes
Catölicos, escribiö ä su Cabildo en 23 de Febrero pidiendo que
le remitiesen algunos Cödices antiguos, y en especial los que
1 Vgl. Einleitung p. 36f.
2 Ein für alle Mal sei hier bemerkt, dass Testamentum wiederholt für
Schenkungsurkunde gebraucht wird.
16
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
trataban de los Obispados de Espana y sus limites, para satis-
facer al deseo de los Reyes que querian verlos. El Cabildo
respondiö en 24 de Abril del mismo ano remitiendo dos escelentes
Codices, que contenian la Division de Obispados, los quales llevö
ä Sevilla el Doctor Herrera, Maestre Escuela de Oviedo, como
consta de los acuerdos capitulares de este ano. En fines del
ano 1512 tomö posesion del mismo Obispado Don Diego de
Muros, fundador del insigne Colegio mayor de San Salvador de
Oviedo en la Universidad de Salamanca, al quäl dexö su libreria
con la que fueron algunos Codices Göticos de su Iglesia.
Für den Bestand der Ovetenser Bibliothek in der zweiten
Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts ist bekanntlich unser Kron
zeuge.
Morales, der in seiner ,Viage‘ unter der eigenen Rubrik
Libros antiguos de Oviedo p. 93 und 95 ff. folgenden ausführlichen
Bericht bringt. 1
En la Libreria de la Iglesia de Oviedo hay mas libros
Gothicos que en todo junto lo demas del Reyno de Leon, Galicia,
y Asturias, y puedolo decir con la seguridad de haberlo visto
todo, y todos los que yo aqui pusiere, son de letra Gothica,
hasta que al cabo senale unos pocos que estan en letra comun.
1 Wie schon früher bemerkt gibt der von Florez edirte Bericht des Morales
nur von einem relativ kleinen Theil der Arbeiten des rührigen Forschers
Kunde. Noch heute gilt das Urtheil Siguen<;a’s (Tercera parte de la
historia de la Orden de San Gerönimo p. 771) von seinen ,particulares
memorias, ansi de libros y tratados que no se han impresso 1 . Zu
diesen gehören, von mehreren differirenden Copien der eigentlichen Viage
(vgl. den Artikel Escorial A III. 6 und Amador de los Kios, Historia
critica IV, p. 85, sowie Graux, Essai p. 135, not. 4 über Esc. & III. 9
Relaciones del viaje etc.) abgesehen: Cod. Esc. & II 15 mit den Be
richten des Reisenden über die Bibliotheken zu Bürgos Valencia, Oviedo,
Granada (vgl. Ewald, p. 250 f., Graux, Essai p. 88, 131 ff. u. ö.) Cod. Bibi.
Nat. Matritensis F. 58, Copie des Pelayo-Codex nach Morales (Ewald
p. 303). Cod. Bibi. Nat. Matritensis Q. 317 Papeles varios, copia de un
cödice del Escorial que fue de Ambrosio Modales, ähnlichen Inhalts, nebst
der Correspondenz Philipps H. mit dem Gelehrten u. Ae. m. (Ewald
p. 312). Cod. Esc. b I 9 mit den Noten zu den genealogiae aus dem
vetustissimus Ovetensis (Ewald p. 232). Vgl. auch Morales in der Fort
setzung von Ocampo, Coronica general de Espana, Libro XIII, cap. XXVII
über die Beatushandschrift. Nach ihm Rodriguez de Castro, Biblioteca
Espauola, tom. II, p. 412.
Bibi. Uebersicht: 844 (Oviedo).
17
(1) Un volnmen grande de Concilios antiquisimo todo de
letra Gtothica mayuscula, asi que es muy diferente de la que
comunmente llamamos Gothica, o Mozarave. Es muy cumplido
original, pues tiene las Epistolas del Arzobispo Montano.
La Homelia de S. Leandro.
Los diez y siete de Toledo bien enteros.
El Emeretense y el quarto Bracarense. s
Puedese muy bien creer que este libro se trujo de Toledo,
quando huyeron los Christianos de alli en la destruicion de Espana,
y se llevaron ä Asturias con las Reliquias los libros de las Igle-
sias, como nuestras Chronicas lo refieren. 1
(2) De la misma letra mayuscula, y antiguedad, es otro libro
que tiene al principio una exposicion sobre los Canticos, y no
se entiende cuya es, por no leerse el Titulo de muy gastado:
parece muy buena. Siguen luego algunas vidas de Santos: y
tambien tiene lo de S. Juan Cbrisostomo de reparatione lapsi,
que es mucho estar trasladado de tan antiguo. Tambien como
el pasado parece de los que se llevaron de Toledo: esta mal-
tratado de la humedad. 2
(3) Tambien se puede tener por de los mismos libros de To
ledo, por la semejanza de la letra y lo demas, un libro donde
esta lo de S. Isidoro: De natura rerum ad Sisebutum. Item
hay en el mismo libro: Breviarium Ruffi Festi Victoris. Anto-
nini Imp. itinerarium, y otras cosillas pocas: y por que al prin
cipio y al fin le faltan algunas pocas bojas, se las anadieron
1 Die Behauptung, dass die hier genannte wie die später angeführten Uncial-
codices, ,de letra Gotliica mayuscula 1 , wie Morales sie nennt, aus Toledo
stammen, scheint richtig. Wenigstens ist es nicht bekannt, dass in Oviedo
in so früher Zeit ein Scriptorium bestand. Die Entwicklung desselben
fällt in die Regierungszeit Alfons II el Casto (795—843), worüber noch
weiter unten. Die Concilienhandschrift selbst ging ein Jahrhundert nach
Morales’ Besuch verloren (vgl. die Anm. zu Nr. 26 des Katalogs). Näheres
hierüber bei Eguren p. 67. Abschriften aus diesem Codex glaube ich
in dem cod. Esc. h. III. 14, saec. XVI zu erkennen; hei den Copien von
Hieronymi opusculum de fide catholica und Martini Episcopi ad Boni-
facium Episcopum de trina mersione in Baptismo steht nämlich der Ver
merk: Ex Ecclesiae Ovetensis Codice antiquissimo litteris Gothicis exarato,
qui Decreta Canonum Praesulum Komanorum inscribitur de-
sumptum. Vgl. ICnust p. 811, Ewald p. 233. Revista de Archivos II, p. 234f.
2 Zur Schrift de reparatione lapsi cf. Toletanus nunc Matritensis 5, 36.
Hartel-Loewe p. 263.
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXVIII. Bd. 12. Abli. 2
18
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
de otra letra Gothica, mas muy diferente de la mayuscula
del libro. 1
(4) Esposicion del Apocolapsi. Es la misma que ya he sena-
lado en lo de S. Isidoro de Leon: y por muy buena conjetura
entiendo que la recopilö muy pocos anos despues de la destruicion
de Espana un Clerigo bien docto llamado Beato, que tambien
escribiö otra obra contra el Arzobispo de Toledo Elipando, en
compania de Etherio Obispo, a lo que parece, de Osma. Este
libro estä en la Iglesia mayor de Toledo de letra Gothica. 2
(5) Homilise Origenis in Leviticum, Numeros & alios sacros
libros, Ruffino interprete.
(6) Paulus Orosius.
(7) Un Testamento nuevo, que en letra y pergamino parece
notablemente mas antiguo, que otros Gothicos. En la cifra
ordinaria al principio dice: Justi Liber. Y al fin dice: Obiit
Justus Notarius die XII. Kal. Januarij Era DCCCL. Pia mas
de setecientos y cinquenta anos que se escribiö.
(8) Un libro grande mas que los Ordinarios, y de lo muy
antiguo. Contiene vidas de Santos con sus Autores graves. Es
insigne libro, y muy de preciar, y senaladamente por tener una
grande Obra en prosa y en verso del Abad S. Valerio en tiempo
de los Godos, de quien se dira adelante. Asi tiene tambien
algunas otras cosas de S. Fructuoso, y otros Santos. 8
(9) Otro Libro tiene al principio el retrato de la Cruz de
los Angeles, y en la cifra ordinaria dice: Adefonsi Principis sum.
Contiene exposicion breve de S. Gregorio sobre todo el Testa
mento Nuevo. Es insigne libro y de mucha estima, por no
andar aun impreso. 4
1 Hier folgt in dem Bericht der Abdruck des alten Katalogs aus dieser
Handschrift, jetzt Esc. R. II. 18. (Vgl. oben Nr. 27).
2 Es ist thatsächlich Beatus Comm. in Apocalypsin, von dem zahlreiche
Exemplare vorhanden. Auffallend ist, dass Morales keinen Bilderschmuck
erwähnt, dessen sonst die Handschriften nicht entbehren.
3 Aelinlieher Text bei Tolet. 10, 25 (Ilartel-Loewe p. 265 ff.).
4 Diese Handschrift, wie auch Nr. 23 gehörten also zu der Büchersammlung,
welche Alfons II. El Casto der Kirche im Jahre 812 schenkte (vgl. oben).
Bibliotheca erklärt hier Tailhan p. 300 richtig als bibliotheque proprement
dite, et non un exemplaire de la sainte Ecriture, comrne le prouvent les
quelques lignes laissdes en blanc, qui, dans la copie dont Risco se servait,
suivent immödiatement, et devaient recevoir les titres des divers ouvrages
Bibi. Uebersicht: 344 (Oviedo).
19
(10) Un Libro que recopilö el Obispo Pelagio de Oviedo en
tiempo del Rey D. Alonso el Sexto, que ganö a Toledo, ä quien
contenus en cette collection. Wenn aber Tailhan fortfährt: Nous serions
dont reduits ä de yaines conjectures sur le nombre et la valeur des
livres legues ä Saint-Sauveur d’Oviedo par Alphonse II, si, en 882, un
des notaires de cette basilique na’vait eu l’heureuse pensee d’en dresser
l’inventaire, so ist dies nicht zutreffend, schon deshalb nicht, weil in
dem Inventar, wie oben bemerkt, mehrfache Handschriften viel früheren
und fremden Ursprungs erwähnt werden; andererseits fehlen in dem
Verzeichniss Codices, die Alfons II. sicherlich damals der Ovetenser
Kirche schenkte: so die Escorialenses P. I. 7 und Q. II. 25, Isidors ,Ety-
mologiae“ und ,Sententiae‘, mit dem Vermerk: ,Del Colegio de Oviedo
de Salamanca“ ,Del colegio de san Salvador de la yglesia de oviedo de
salam co “. Ewald (p. 220 Note) erkannte richtig in ihnen Ovetenses, ohne
nähere Gründe für die Identificirung anzugeben; durch Kisco erfahren
wir, dass sie zu Beginn des 16. Jahrhunderts von dem Ovetenser Bischof
Diego de Muros, dem Gründer des erwähnten Collegs, der Kathedral-
bibliothek entnommen und nach Salamanca gebracht wurden (vgl. oben).
Da für Salamanca ein altes Scriptorium nicht nachweisbar ist, und die
aus Oviedo dahin gebrachten Handschriften ausdrücklich als ,goticos‘,
also in westgothischen Charakteren geschrieben, charakterisirt werden;
da ferner ein Import älterer Manuscripte nach Salamanca von anderer
Seite nicht bezeugt ist, so können wir annehmen, dass bei älteren Sal-
manticenes zunächst an Ovetenser Provenienz zu denken ist, so bei dem
heute im Escorial befindlichen Codex Q. II. 24, saec. VIH—IX mit dem
späten Vermerk (saec. XVI) ,De la yglesia de salamanca“ (Hartel-Loewe
p. 112, Ewald p. 272). Mit dieser Annahme stimmt die übrigens ohne
bestimmte Beweise von Eguren p. 82 vorgetragene Behauptung ,Perteneciö
ä la santa iglesia de Oviedo“. Das gleiche gilt von den ,alten west
gothischen Handschriften aus Salamanca“, aus denen Escor, b. I. 14 zum
Schluss Copien enthält (Ewald p. 234). Es sind Isidors Soliloquien, der
Dialogus inter rationem et appetitum u. a. Zu den Ergebnissen der von
Alfons II. angeregten Handschriftenfabrication gehört auch Esc. a. I. 13,
geschrieben regnante alfonso principe in era DCCCL, später der Kirchen
bibliothek Oviedo einverleibt (vgl. unten unter Nr. 14). Für eine Ab
schrift aus einem Manuscript dieser Sammlung halte ich auch den west
gothischen mit der erux Ovetensis versehenen Escor. P. I. 8, saec. IX—X
(Hartel-Loewe p. 102). Ueber die eben genannte crux vgl. ausser den
von Tailhan p. 301 genannten Quellen: Chronica monachi Silensls Nr. 30,
Kisco, Espana Sagrada XXXVII, p. 117, 143 und 146, Hübner Inscr.
Hisp. Christ. Nr. 145 noch Morales, Coronica de Espana XIII, 36; Ernst
Gustav Vogel, das Kreuz der Engel, ein Kriterium in Spanien [man
kann hinzusetzen: im nördlichen Spanien] geschriebener Handschriften
des 10. und 11. Jahrhunderts, Serapeum VII [1886], p. 94 — 96; Amador
de los Rios, Monumentos arquitectönicos, Cämara Santa de Oviedo, p. 24ff.
und Vigil, Asturias, II (Läminas) Läm. A VII, A VIII, KI, K IV u. ö.
2*
20
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenscbätze Spaniens.
el diö este libro y en el hay escritas cosas de mano clel mismo
Obispo. Contiene las Historias mas antiguas de Espana: de
Sebastiano Obispo de Salamanca: de Sampiro Obispo de Astorga:
y del mismo Pelagio, y otra. Estan alli tambien obras que escri-
biö el Rey Sisebuto de los Godos, y otras cosas de aquel tiempo.
Libro raro. 1
(11) Otro Libro que recopilö el mismo Pelagio, y es Historia
de la Iglesia, y de la Ciudad de Oviedo, con poner en el todos
los Privilegios y Bulas que los Sumos Pontifices otorgaron k
la Iglesia y k la Ciudad. Con esto es verdaderamente Tumbo,
que Tumbos llaman en Asturias, Galicia, y Portugal, a sus Libros
semejantes, que en Castilla llamamos Becerros. 2
(12. 18) En dos cuerpos muy grandes estan cosas de Santo
Augustin, y de S. Ambrosio, de las que andan impresas. Creo
no bay cosa nueva.
(14) Un Libro que tiene al principio la Regia de S. Benito,
y mas adelante algunas cosas de S. Geronimo. Al cabo tiene
un Prologo de S. Isidoro, sobre los Canticos: y otro del Abad
Valerio sobre los Psalmos, que parece escribiö sobre eilos. 3
1 Abschriften aus diesem Codex sind erhalten im Escor, b. I. 14 (Knust p. 811,
Ewald p. 233 f. und besonders Revista de Arehivos II, p. 234 ff.). Matrit.
bibl. Nat. Dd. 104 (Ewald p. 298f.), F. 86 (Ewald p. 307), F. 192 (Ewald
p. 309) und Q. 317 (Ewald p. 312). Eine vollständige Copie scheint die
Handschrift der Madrider Nationalbibliothek F. 58 zu bieten (Ewald
p. 303). Einzelne Stücke im Toletanus 27, 26 (Ewald p. 365). Ueber
die genaue, von Morales angefertigte und von Risco publicirte Beschreibung
der Handschrift vgl. weiter unten.
2 Unter allen in diesem Berichte beschriebenen Handschriften die einzige,
welche noch in der Kirche aufbewahrt wird. (Jetzt allgemein ,libro
götieo“ genannt, vgl. unten). Ausser den zahllosen von Vigil, Asturias
Monumental I verzeichneten Abschriften erwähne ich noch Escor, b. I. 14
(Ewald p. 233), Matrit. Bibi. Nat. F. 192 (Ewald p. 309). Eine Copie:
Donaciones reales a la Iglesia de Oviedo. Libro de los Testamentes y
Donaciones reales y otras etc. bildet Vol. IX der Ilnndsehriftencollection
im Instituto de Jove-Llanos zu Gijon. Vgl. Somoza y Montsoriu, Catä-
logo p. 20.
8 Es ist zweifellos der heutige Escorialensis a. I. 13 ,de la yglesia de Oviedo“;
vgl. Hartel-Loewe p. 10 ff., deren Beschreibung in allen wesentlichen
Stücken mit der vorliegenden übereinstimmt. Durch diese Identification
wird auch die Datirung (des ersten Theiles des Codex) 812 (Jahr der
Alfonsinischen Schenkung, nicht 912) gestützt.
Bibi. Uebersicht: 344 (Oviedo).
21
(15) Un Santoral grande. Codice insigne, y de mucha
estima, pues se escribiö mas ha de ochocientos anos, porque en
una letra grande al principio de la vida de S. Alejandro Obispo
y Martir dice: Froylani Principis liber. Y lo mismo dice otras
dos veces en la letra grande de la Vida de S. Bartholome, y
en la de S. Afra, y sus Companeros, y el Rey D. Fruela, Fun-
dador de la Ciudad de Oviedo, y su Iglesia, comenzö a reynar
ano DCCLIII. y reynö once anos, y para el primero de este
nombre se hizo, y no para Fruela el Segundo, como se deja bien
entender. Ha mas de DCCC. anos que se escribiö.
(16) Homelias de S. Gregorio sobre los Evangelios: y no
puedo cotejar, mas creo cierto que hay mas que las impresas,
ö hay otras, y tienen una Prefacion a Secundino Obispo. Al
cabo dice como se acabö de trasladar a los diez y ocho de Julio
ano de nuestro Redemptor DCCCCI.
(17) Un Psalterio falto de principio, tiene algunas breves
anotaciones y Argumentos por la margen.
(18) En un Libro pequeno de qüarto, hay Homelias, y por
no tener titulo no pude entender cuyas son. Mas parecieronme
muy buenas. Y hay sin esto otras obras pequenas, como al
cabo parece.
(19) La Yida de S. Martin por Sulpicio Severo, y la de
S. Millan por S. Braulio, y otras cosas pocas de S. Geronimo. de 4.
(20) El Pastoral de S. Gregorio. Al cabo estä un titulo para
sola lastima: pues dice: Epistola Beati Liciniani de libro Regu
larum ad Sanctum Gregorium Papam. Esto era muy bueno,
y de Autor Espanol, y nunca impreso, mas no hay mas de una
hoja: todo lo demas falta.
(21) Algunos qüadernos de Homelias de S. Gregorio, de
letra Gothica muy grande.
(22) Un Libro de 4. tiene algunas Vidas de Santos, y al
principio confusamente parece haberlo escrito, 6 poseido Valerio,
que parece el Santo, de quien atras se ha dicho.
(23) Historia Eclesiastica Eusebij, & Ruffini. Tiene al prin
cipio la Cruz de los Angeles, y en la cifra dice: Adefonsi Prin
cipis sum. Alli escribiö uno al principio que habia setecientos
anos que se escribiö. Mas no tubo por donde lo pudiese afirmar.
(24) Sermones de Santo Augustin, de letra grande y harto
linda, y antigua: no tiene fin.
22
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
(25) Un Libro de muchas Historias juntas, donde esta todo
lo que en el otro libro de Pelagio: Codice insigne y raro.
(26) Liber Sententiarum Beati Isidori. Tiene por guardas
a los cabos algunas hojas de Biblia de letra mayuscula muy deli-
cada. Yo trage una hoja por la estraneza. Puedese tener esta
Biblia por de los libros que se trugeron de Toledo.
(29) Hay otro libro: Sententiarum Divi Isidori, de 4. pe-
queno, letra menuda, y muy antigua.
No bay mas libros de letra Gothica.
(30) Etymologias de Santo Isidoro: letra y pergamino como
de doscientos anos.
(31) Unos Comentarios sobre el Psalterio, que al principio
se dice es tomado de Casiodoro, Ambrosio, Geronimo, Augustino,
y Remigio. Parece de mas de trescientos anos, y es buen Co
dice, y raro por lo menos.
(32) Doctoris fratris Joannis AEgidij Zamorensis de Prse-
coniis Hispanse. El libro parece tan antiguo como su Autor,
que fue Maestro del Rey D. Sancho el IV. 1
(32—35) Hay sin estos una Biblia grande, y algunas cosas
de S. Gregorio, y S. Thomas, y quatro, ö cinco Tomos de la
Glosa Ordinaria.
Albuacen Alli, über de Judiciis Astrorum: impreso antiguo,
que ya no se halla.
Fj.okez, EspaSa Sagrada IV (1749), p. 195 spricht von dem
Libro . . . con el titulo de Itacio escrito en letras gotbicas, que
se llama Ovetense por haverse conservado en la Santa Iglesia
de Oviedo, und fährt dann fort: yo no he passado a Oviedo,
pero tengo la fortuna de hallarme con un manuscrito de Morales
en que da puntual noticia de todo, y del cotejo que hizo con
otros tres.
Dies manuscrito de Morales ist identisch mit dem von
Risco, Espana Sagrada XXXVIII (1793), p. 111 ff. behandelten.
Vgl. überdies die sehr ausführliche Beschreibung der Handschrift:
Noticias que escribiö Ambrosio de Morales de lo contenido del
famoso Cödice Ovetense de Don Pelago, Obispo de esta Sede,
ibid. p. 366 — 376. Ueber die von Morales benützte, zur Zeit
1 Es ist cod. Escor. Q. II. 17, wie Ewald (p. 271) und Fidel Fita (Boletin
de la Real Academia de la Historia, V, p. 131 ff.) erkannten.
Bibi. Uobersicht: 345 (Oviedo).
23
Florez’ verlorene Eulogiushandsckrift aus Oviedo vgl. Espana
Sagrada X (1753), p. 450 f.
Ford, A handbook for travellers in Spain II, p. 638 kurze
bistorische Bemerkungen und Hinweis auf den libro götico.
Valentinelli, p. 55 zum grössten Theil nach Morales.
Amador de los Rios, Jose, Historica critica II, 162 über
den libro götico.
Derselbe: Miniatura del Testamento del Rey Casto en el
libro llamado Götico de la Catedral de Oviedo. Monumentos
Arquitectönicos de Espaiia, Abtheilung Oviedo, Catedral, Ca-
mara Santa.
Derselbe: La pintura en pergamino, en Espana etc. Museo
Espanol de Äntiguedades HI (1874), p. 15 über die nämliche
Handschrift.
Tailhan, p. 300—304 treffliche Darstellung der Geschichte
der Bibliothek auf Grund documentarischer Daten unter Berück
sichtigung der nachweisbar der Kirche angehörigen, jetzt ver
lorenen oder verstreuten Handschriften.
Vigil, Ciriaco Miguel, Asturias monumental, epigräfica y
diplomätica. Datos para la historia de la provincia, Tomo I:
Texto, Tomo II: Laminas.
p. 47 f. gibt Vf. ein Verzeichniss der Handschriften, die
ihm als Quellen dienten; dasselbe wird später Berücksichtigung
finden. Ueber die Bedeutung des Werkes, speciell für Hand
schriftenkunde vgl. die Anzeige in der Berliner phil. Wochen
schrift IX (1889), Nr. 25, Sp. 781—789.
Ueber meine Arbeiten an Ort und Stelle enthält einige
Notizen der jCarbayon' von Oviedo vom 2. December 1887. Es
wurden im Ganzen 7 Handschriften beschrieben, im Allgemeinen
von geringer Bedeutung; von der alten reichen Bibliothek ist,
wie eingangs erwähnt, auch nicht ein Stück mehr vorhanden.
345. * Biblioteca de la Universidad.
Borao, p. 81 f. Historischer Rückblick und die irrige Notiz
über die Bücherbestände: todos impresos.
Rodriguez Arango, Reseiia histörica de la Biblioteca Uni-
versitaria de Oviedo. Revista de Archivos VIII (1878), 225 ff.
in verschiedenen Absätzen behandelt, p. 242 wird die Zahl
24
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
der Handschriften auf 120 angegeben, p. 259 findet sich ein
dankenswerthes Yerzeichniss der wichtigsten derselben.
Dieser Aufsatz erschien zu gleicher Zeit in dem um
fassenden Werke:
Distrito Universitario de Oviedo. Resena histörica. Oviedo
1878. 4°, p. 88—-103, sowie, was den Katalog der Handschriften
anlangt, auch im Anuario del Cuerpo facultativo de Archiveros I
(1881), p. 274—276.
Die Bibliothek besuchte ich zu Beginn des December 1877,
wobei zwei der wichtigsten Handschriften beschrieben wurden.
Vgl. hierüber eine vorläufige Notiz im ,Carbayon‘ von Oviedo
vom 2. December 1887.
346. Archivo del Ayuntamiento.
Vigil, Ciriaco Miguel, Coleccion histörico-diplomätica del
Ayuntamiento de Oviedo. Oviedo 1889.
Der Herausgeber des Werkes, welches eine Ergänzung zu
den beiden Bänden Asturias monumental bildet, nennt seine
Quellen wie folgt: p. 3 (1—5) Cinco tomos, gran folio en pasta
mit DocumentenSammlungen s. XIII—XVI; p. 285 (6) Libro
titulado ,Fueros y privilegios de la ciudad de Oviedo', ordenado
por el Escribano San Juan Ortiz en 16 de Junio de 1536. (7)
Libro en pasta blanca, comprensivo de 201 hojas, bajo el Epi-
grafe de ,Pragmäticas de D. Fernando y Dona Isabel, D. Felipe I.
y Da. Juana y del Emperador D. Carlos'. Son copias literales
de fines del siglo XYI, y comprenden los anos desde 1493 basta
1548. (8) Libro maestro de Pragmäticas, Provisiones y Reales
ördenes modernas, encuadernado en pergamino y sin foliatura.
In sechs Theilen. (9) Libro maestro de fueros, ordenanzas
honores etc.
Aus diesen Quellen werden die einzelnen Stücke chrono
logisch, entweder vollständig oder im Auszug mitgetheilt.
347. Archivo del Convento del Rosario.
Munoz, Diccionario, p. 209 erwähnt nach einem mir nicht
vorliegenden Werke: Gonzalez Posadas, Memorias liistöricas
p. 306 einen Becerro dieses Archivs, welcher auch die Noticia
de la fundacion del convento del Rosario de la ciudad de Oviedo
von Alvaro de Rojas enthält.
Bibi. Uebersicht: 346—850 (Oviedo — Palma).
25
348. Biblioteca del Circulo Asturiano ,La Quintana
Somoza de Montsoriu, Julio, Catälogo de manuscritos 4 im-
presos notables del Instituto de Jove-Llanos en Gijon seguido
de un Indice de otros docnmentos ineditos de su ilustre fundador.
Oviedo 1883. 8°
Das unter dein Artikel Gijon bereits ausführlicher be
sprochene Buch bringt von p. 231 ab einen Indice de los docu-
mentos varios relativos d Don Gaspar Melchior de Jove-Llanos
que posee el circulo Asturiano. Unter diesen ,documentos‘ finden
sich vollständige Werke, so unter anderen die historisch und
bibliographisch wichtigen Tagebücher und eine Descripcion de
la Catedral de Palma de Mallorca aus der Feder des berühmten
Forschers und Sammlers.
Paleneia.
349. Biblioteca de la Iglesia mayor.
Morales, Yiage, p. 23 berichtet von einem libro deshojado
de letra gothica, harto antiguo, en pergamino . .. contenia vidas
de Santos escritas por buenos Autores: Vita Sancti Paulini per
Oranium Prcsbyterum ad Pecatum. Vita Sancti Germani. Diese
ohne Autorangabe. Spätere Nachrichten fehlen fast vollständig;
vgl. übrigens Rodriguez de Castro, Biblioteca Espanola II, p. 327
und Bibliotheca Patrum latinorum Hisp. I, p. 108 (Notiz auf
f. l v des cod. Esc. P. III. 17). Endlich verzeichnet
Fita y Colome, Fidel, Bosquejo de la Exposiciön historico-
Europea, Madrid 1892, p. 40 unter anderen von dieser Bibliothek
ausgestellten Manuscripten (zumeist Archivalien): libro escrito
en pergamino que contiene los Estatutos de esta Iglesia. — Con-
stitutiones del Obispado de Paleneia.
Palma.
350. * Biblioteca provincial y del Instituto balear (Biblio
teca de Montesion).
Eröffnet am 1. October 1847. Heine, Serapeum VIII (1847),
p. 95 berichtet nur über die Arbeiten zur Aufstellung und
Ordnung der Bibliothek.
Valentinellt, p. 175: i pochi manoscritti si riferiscono
tutti a Raimundo Lullo e alla sua dottrina.
26
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
Borao, p. 82: sobre 530 manuscritos.
Fullana y Gonzabrez, Francisco (Resena de la Biblioteca
de Palma), Revista de Archivos VI (1886), p. 77 ff.
Historische und descriptive Bemerkungen. Die Zahl der
Handschriften wird auf 893 angegeben.
Anuario del cuerpo facultativo de Archiveros I (1881),
p. 242—253. Detaillirtere Ausführung des vorstehend ver-
zeichneten Aufsatzes. P. 252 f. Beschreibung einiger Hand
schriften. Zahl derselben nach neuester Aufnahme (vgl. p. 445):
940. Der Bericht im II. Bande enthält nichts Einschlägiges.
Morel -Fatio, Alfred, Rapport sur une mission philologique
a Majorque. Bibliotheque de l’ecole des chartes XLIII (1882),
p. 474—497.
Dieser genau und gründlich abgefasste Bericht 1 gibt über die
Bibliotheken Palmas, insbesondere über die Biblioteca provincial
p. 487 ff. wünschenswerthe Aufschlüsse und Notizen über einige
Handschriften.
Erzherzog Ludwig Salvator, Die Balearen in Wort und
Bild (vgl. den nächsten Artikel), Bd. IV, p. 236: ,394 Hand
schriften*. ,Erwähnenswerth sind auch ein Palimpsest aus dem
13. Jahrhundert, der das Buch von Boetius de Consolatione
Philosophiae enthält, ein Codex in Kalbspergament und Papier
mit eigener Hand von Juan Valero, dem Secretär Alfonso V.
de Aragon, geschrieben, welcher das Compendium der philippi-
schen Geschichten von Trogus Pompeius von Justinus enthält,
ein unveröffentlichtes Werk von Bartolome Ximenes Paton:
Primera y segunda Parte del Virtuoso discreto* u. a. —
Auf freundliche Empfehlung des Archivars von Barcelona
D. Manuel Bofarull j Sartorio hatte der derzeitige Archivar des
Archivo histörico in Palma Don Jose Maria Quadrado die Güte,
mir eine Liste des älteren Handschriftenbestandes der Provincial-
bibliothek zu übermitteln. Sie umfasst zwölf Nummern und
wird mit den durch das Anuario, sowie Morel-Fatio’s Bericht
gebotenen Ergänzungen zusammen veröffentlicht werden.
351. Archivo general histörico de las Baleares (Archivo
del antiguo reino de Mallorca).
1 Vgl. die Anzeige in Le Cabinet historique XXVIII (1882), p. 599.
Bibi. Uebersicht: 851 (Palma).
27
A. Handschriftlicher Katalog.
Ueber die Abfassung eines solchen vgl. Anuario del cuerpo
facultativo de Archiveros I (1881), p. 115 (Abschn. III). Vgl.
auch Morel-Fatio, Bibliothöque de l’ecole des chartes XLIII
(1882), p. 483.
B. Druckwerke.
Villanueva, Viage, toin. XXI, p. 25 von dem Codex der
Historia de la conquista de Mallorca des Pedro Marsilio sprechend,
sagt: Otro ejemplar igual de esta obra me han asegurado que
existe en el archivo de la ciudad; pero yo no lo he visto, porque
tampoco he visto el archivo.
Anuario del cuerpo facultativo de Archiveros I, p. 113—118.
Ausführliche historische Darstellung und Verzeichniss des Fonds,
p. 114: 34 cödices 6 libros de cadena, en vitela los mäs. Der
zweite Band des Anuario bringt p. 77—82 eine ausführliche
Noticia sohre los cödices del Archivo General Histörico de
Mallorca mit Inhaltsangabe der geschichtlich hochwichtigen
Handschriften, darunter die Chronik des Fray Pedro Marsilio
sohre la conquista de Mallorca in gothischen Charakteren s. XIV.
Vgl. oben.
Morel-Fatio (vgl. oben) p. 481—485 gibt einige historische
Daten und Notizen über verschiedene Manuscripte, auf die wir
noch zurückkommen.
Die ausführlichste Beschreibung sämmtliclier im Archiv
aufbewahrten Codices ist mitgetheilt von
Erzherzog Ludwig Salvator, Die Balearen in Wort und
Bild, Leipzig 1869—1884. fol. (5 Bände), Bd. IV, p. 43—-49; ich
lasse hier einen Auszug folgen:
(1) ,Der älteste und schönste Codex, in ganz Spanien
ohne gleichen', Reales cedulas in zwei Theilen; zwischen den
selben die Usatjes de la Cort de Barcelona, im 11. Jahrhundert
vom Conde Berenguer el viejo coinpilirt. Geschrieben von
Romeo des Poal aus Manresa (von 1334 angefangen). Dessen
Bild am Fusse einer der prächtigen Miniaturen, welche den
Codex schmücken. Lateinisch und lemosinisch. (2—5) Nahe
zu eine Reproduction' von Nr. 1. Lemosinisch. (6) Jaime II,
Jurisdicciones y Estilos. 134 Blätter. Enthält Capitulos de Cortes,
Ordenes, Bandos, Edictos y Decretos. (7) Codex de Corts
28
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
generals. Mit schönen Miniaturen. Theil 2 enthält Alfonso V.,
Regimen de Sort e de Sach, mit filigranartigen Initialen. (8)
Codex Sant Pere (vgl. unten). (9. 10) Rossellö viejo y nuevo,
,zweifelsohne Name des Compilatorsf saec. XIV und 1506—1512.
Copien aus den vorher genannten Codices. (11) Codex Abellö ;
zum Theil Copien aus Nr. 8, 9, 10, ferner Pragmatiken des
Vicekönigs Anglesola (1398) über das Regimen universal, Privi
legien von Juan I, Alfonso V., Königin Maria (1436) von Carl Y.
(1519) und die Reglements der Tabla numularia. (12) Sindicato
forense fol. s. XV. 160 Verordnungen (ördenes). (13) Des
selben Inhalts wie Nr. 12. (14) Codex del Sindicato, Privilegien
Alfonso V. und Juan II. Lateinisch und mallorquinisch. (15)
Usatjes de Barcelona. Constitucions de Catalunya. Paz y Treuga.
Flors de las Lleys. saec. XIV, med. (16) ,Repartimiento‘ der
Insel zwischen dem Conquistador und seinen Dienern. 1267 nach
dem Original des Temple-Archivs geschrieben. (17) Desselben
Inhalts wie Nr. 16. (18) Cabreo de Agua (Wasservertheilungs
register). 1381 auf Befehl des Gouverneurs Ca-Garriga ange
fertigt. (19) Libro vert. Kalender, Evangelien und hierauf Ur
kunden, ähnlich wie bei den Corts generals. (20) Wie Nr. 7,
Theil 2. Von dem Schreiber Rafael Perera 1467 geschrieben.
(21) Estamento de Caballeros. Freiheiten des Ritter Standes,
s. XV. (22—25) Ordenaciones del Reino. Urtheile der Jurados.
Nr. 22 etwa 1475 vom Notar Jorge Pastor geschrieben. (26)
Privilegien des Almotacen (Inspector von Gewichten und Massen)
und des Ejecutor mit Kalender und Evangelien, über welchen
der Eid geleistet wurde. (27) Polizeianordnungen bis zum
Jahre 1449, in welchem das Buch von dem Schreibermeister
Juan Palles um den Preis von 12 Libras geschrieben wurde.
(28) Privilegien und Anordnungen der Almotaceria. saec. XVII
bis XVIII. (29. 30) Imposicions, Ajudas y Drets universals
(Steuervorschriften). Nr. 29, a. 1390, Nr. 30, saec. XV ex. ge
schrieben. (31. 32) Register zu den Cedulas reales und anderen
Documenten (ca. 1000 an Zahl). (33) Recopilacion de Fran-
quezas y Derechos von den Advocaten Canet und Mesquida
1622 verfasst. (34) Aehnlichen Inhalts, verfasst 1649 von dem
Geschworenen Nicolas Armengol und dem Advocaten Mora y
Mulet. (35) Denunciaciones de Notas de Notarios 1479. saec.
XVI fin. (36) ,Valentina/ Generalindex der Freiheiten und
Bil>l. Uebersicht: 352—354 (Palma). 29
Privilegien, 1495 von Micer Teseo Yalenti begonnen. (37. 38)
Copien von Nr. 36. (39) Actos extraordinarios de los Jurados.
(40) Fray Pedro Marsilio, Cronica (vgl. oben).
Quadrado, Jose Maria, El cödice de los Heyes 6 sea le
Rey de los Cödices en el Archivo de Mallorca. 8°. Aus dem
Museo Balear de bistoria y literatura, ciencias y artes.
leb kenne den Aufsatz nur aus dem Boletin de la Real
Academia de la Historia zu Madrid, tom. X (1887), p. 172. Es
handelt sich wohl um den Sant Pere betitelten, im Anuaro de
Archiveros II, p. 78 beschriebenen Codex. 1
352. Archivo del Patrimonio.
G(üemes), J(ose) de, El Archivo del Patrimonio que fue
de la Corona, en las Baleares. Revista de Archivos III (1873),
p. 209—213.
Enthält ein Verzeichniss der einzelnen Bestände.
Morel -Fatio, Bibliotheque de l’ecole des chartes XLIII
(1882), p. 485 f. gibt nebst historischen Daten Beschreibungen
verschiedener Manuscripte, so der Libres de dades e rebudes,
ferner der ,Literae regii officii regiae procurationis* genannten
Register. ,Pour l’histoire/ sagt er, ,ces livres de compte ont un
immense interet/
353. Biblioteca Municipal.
Fischer, Gemälde von Valencia, tom. III, p. 22.
Valentinelli, p. 175: ,Alcuni buoni manoscritti.'
354. Biblioteca publica episcopal.
Villanüeva (vgl. Viage, tom. XXII, p. 206—208) sah da
selbst: (1) Summa fratris Monetae, ordinis fratrum Praedicatorum
contra haereticos. Ms. fol. parte de pergamino, parte de papel,
escrito ä dos columnas, de fines del siglo XIII. (2) Franciscus
Eximenex, pastoralis liber Ms. papel s. XV. (3) Sallustio entero
con todas sus invectivas; hierauf Bartolomei Faccii ad Karolum
Vintimilium de origine inter Gallos ac Britanos belli s. XV.
Heine, Serapeum, VIII (1847), p. 95: ,enthält keine Manu-
scripteb
Valentinelli, p. 174 f. nach Villanüeva.
1 Copirt von Maestro Bartolome de Rius (Rivis) ca. 1450.
i
BO
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
355. f Biblioteca de la Catedral.
Aus den Capitularacten sammelte Villanueva folgende Daten
über diese Bibliothek, welche zu seiner Zeit bereits nicht mehr
bestand (vgl. Viage, tom. XXI, p. 92 £). La biblioteca debia ser
ya bastante copiosa en el ano 1399, cuando por haber muchas
llaves de ella se omitiö hacer inventario de sus libros, como se
hizo de todas las demas alhajas de la iglesia. En 1411, el ca-
nönigo Francisco Yalariola regalö ä la misma el Comentario de
Alojandro de Ales in IY. Sent. El Obispo Don Diego de Arnedo
en 1562 . . . subi6 ä la libreria ,et vidit illam bene stareh Es-
täbalo tambien en 1591, cuando ä 9 de Julio concedio el Cabildo
llaves de ella ä algunos para estudiar. Tres anos despues hallo
que se hicieron algunas ordinaciones para su buen servicio y
se nombrö bibliotecario.
Die Reste der Bibliothek wurden im Jahre 1798 der bi
schöflichen Sammlung einverleibt.
356. Archivo de la Catedral.
Villanueva, Viage, tom. XXI, p. 19 ff. beschreibt: (1) Car-
toral, im Aufträge des Bischofs Pedro de Morella (j 1282) vom
Notar P. Arnaldo verfasst. (2) Ein zweites s. XIII—XIV,
Libro amarillo genannt. (3) Ein drittes, ,La cadenah (4) Actas
capitulares, das älteste Manuscript im Jahre 1372 begonnen.
(5) Libros de cargo y data de la fäbrica de esta iglesia, das
älteste aus dem Jahre 1327. (6) Libro antiguo de aniversarios,
in der Mitte des 14. Jahrhunderts begonnen. (7) Cabreo general
de los beneficios antiguos de la iglesia. (8) Cronicon ,de SalceP,
von Villanueva aus verschiedenen Aufzeichnungen des Notars
Mateo Salcet zusammengestellt. (Proben derselben im Ap. III.)
(9) Cabreo general de todas las posesiones que tocaron al Rey,
verfasst im Jahre 1253; Villanueva benützte eine Copie aus dem
Jahre 1307, von welcher Auszüge geboten werden. (10) Pedro
Marsilio, Conquista de Mallorca, libro II con su traduccion le-
mosina.
357. Archivo episcopal.
Villanueva, der sich über den wenig entsprechenden
Zustand des Archivs beklagt, verzeichnet Viage, tom. XXI,
p. 18 f. mehrere registros antiguos (Copialbücher), das älteste
Bibi. Uebersiclit: 355—861 (Palma).
31
mit 1364 beginnend. Die registros de ordenes beginnen mit
dem Jahre 1377.
358. f Biblioteca del Convento de los P. P. Capuchinos.
Villanueva (vgl. Viage, tom. XXII, p. 178 u. 231) benützte
daselbst: Tres 6 euatro cödices (rituales) . . . singularmente un
Breviario que se escribiö antes del ano 1303; Diario de los su-
cesos de la armada de la liga, mandada por el Serenisimo Senor
Don Juan de Austria en los anos 1571, 72, 73 y 74, escrito por
Fr. Miguel Cerviä, religioso Franciscano, natural de Mallorca,
Vicario general de la armada y confesor de dicho Don Juan,
como el mismo lo dice, al fin del ano 1572; manuscrito en 40,
das Villanueva abzuschreiben gedachte.
Valentinelli, p. 177 f. nach Villanueva.
359. Biblioteca del Convento de los P. P. Dominicanos.
Villanueva, Viage, tom. XXII, p. 212—219 berichtet nur
von alten Drucken und nicht (wie Valentinelb, p. 176 fälschlich
angibt) von Handschriften dieser Bibliothek. Doch müssen solche
früher im Convent vorhanden gewesen sein; so die Geschichte
des Königs Jaime I. von Aragon, geschrieben von Marsilio, 1
vgl. Villanueva, tom. XVHI, p. 248 und ibid. p. 259, Anm.
360. f Archivo de los Templarios.
Im Jahre 1267 wurde in diesem Archiv eine Copie des
,Cahreo general de todas las posesiones que tocaron al Rey (de
Mallorca)' niedergelegt. Die Handschrift wurde aber bereits
von Villanueva nicht mehr vorgefunden. Vgl. Viage, tom. XXI,
p. 23 u. 166 ff.
361. Biblioteca particular del Conde de Ayamans.
Morel-Fatio, Bibliotheque de l’bcole des chartes, tom. XLIII
(1882), p. 490 f. beschreibt eine Handschrift der Chronik des
Königs Jaime I. von Aragon: Ce volume en parchemin de 172
feuillets, ä deux colonnes, a ete copie en 1380 par Joan de Bar-
bastro, scribe de la chancellerie de Pierre IV. de Aragon. Com-
pare au manuscrit de la bibliotheque universitaire de Barce
lona, qui vient d’etre publie par D. Mariano Aguilö dans sa
1 Vielleicht identisch mit dem jetzt im Archivo general (s. dieses) aufbe
wahrten Exemplar.
32
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenscbätzc Spaniens.
Bibliotheca catalana, le ms. du comte d’ Ayamans presente un
certain nombre de variantes dont il y a lieu tenir compte. Aus
züge aus dieser Handschrift ibid. p. 495—497.
362. f Biblioteca particular de D. Joaquin Maria Bover.
Zuerst erwähnt Heine, Serapeum, tom. YIII (1847), p. 95
diese Privatbibliothek, ,eine ganz artige Sammlung von Büchern
und jüngeren Handschriften'.
Mdnoz, Diccionario, p. 212 notirt: ,Crönica de los sucesos
ocurridos en el colegio de Jesuitas de Montesion en Palma de
Mallorca Ms. original en tres gruesos volümenes en fol'; ,preciosa
obra', in Bover’s Besitz.
Valentinelli, p. 176 nach Heine. In dem Werk: Biblio
teca de Escritores Baleares Palma, 1868, 2 tom. 8°, gibt Bover
Daten über verschiedene jüngere Handschriften seiner Sammlung.
Bover starb am 1. April 1865.
363. Biblioteca particular del Conde de Montenegro.
Bover, I. M., Noticia historico-artistica de los museos del
Excmo Sr. Cardenal Despuig existentes en Mallorca. Palma 1845.
Die Bibliothek ist p. 216—223 behandelt. Das Werk lag
mir nicht vor.
Heine, Serapeum, tom. YIH (1847), p. 95 über die Welt
karte des Gabriel Yalseca.
Valentinblli, p. 175 f., behauptet irrig, dass die Sammlungen
der Despuig, Grafen von Montenegro zu Beginn dieses Jahr
hunderts an D. Antonio Ignacio de Pueyo gelangt wären. Dieser
Sammler besass eine von ihm selbständig creirte Bibliothek, vgl.
unseren Artikel.
Morell-Fatio, Bibliotheque de l’ecole de chartes, tom. XLIII
(1882), behandelt die Bibliothek p. 478 u. 490 und nennt aus
ihr ,le portulan de Gabriel Valseca de l’an 1439 et un manu-
scrit du Tratado de Armas et du Ceremonial de principes de
Diego Valerah
364. Biblioteca particular de D. Antonio Ignacio de Pueyo,
marques de Campo-franco.
Vii.i.anueva, Viage, tom. XXII, p. 232 f. beschreibt: (1) Un
cödice fol. men. en vit. ms. en 1291, contiene todos los privi-
legios y franquezas concedidas hasta aquella epoca ä los habita-
Bibi. TJebersicht: 362—367 (Palma—Famplona).
33
dores de Mallorca, asi por el Iiey Don Jaime I. de Aragon,
como por su liijo Don Jaime. Copie ibid. p. 285—327 (Ap. XII).
Beigebunden Privilegien der Juden in Mallorca saec. XIII—XIV.
(2) Stacio Papinio Surtulo XII. libros del Thebaidos (sic) los
V del Acliileidos y los IV de Silvas, saec. XU. (3) Fragmento
del Concilio IV. Toledano saec. XI.
Heine, Serapeum, tom. VIII (1847), p. 95 nennt die
Bibliothek blos.
Valentinelli, p. 176 nach Villanueva.
Morell-Fatio,Bibliothfequede l’ecolede Chartes, tom.XLIII
(1882), p. 478: D. A. I. de Pueyo etait fils du second marquis
de Campo-franco et possedait une bibliothbque, qui a ete trans-
mise par heritage aux representants de ce titre: aujourd’kui
D. Adolfo de Rotten y G-uzman, marquis de Campo-franco par
sa femme en est le proprietaire.
365. Biblioteca particular de D. Geronimo Rosello.
Morel -Fatio a. a. 0. p. 491 citirt aus dieser Privat
sammlung: Raimundus Lullus Arbre de sciencia (copid en 1418
par un scribe de Perpignan), und Francesch de Oleza, La nova
art de trobar. Folgen noch Details über diese interessante ars.
Pamplona.
366. Biblioteca de la Iglesia Catedral.
Michel, Francisque, Rapport sur une Mission en Espagne
Archives etc., III e Serie, tom. 6, p. 284 beschreibt aus dieser
Bibliothek ,un manuscrit des satires de Juvenal in-folio, du
XI e ou XII 0 siede, avec scholies interlineaires et marginales,
et un recueil de lettres de Pierre de Blois, au nombre de 169,
volume sur velin d’une ecriture du XIV 6 sifecle.
367. f Biblioteca particular del Rey D. Carlos III. de
Navarra.
,E1 Rey Don Carlos III de Navarra no fue menos amante
de libros que Don Alonso el Sabio, y para satisfacer su deseo,
comprö diferentes librerias, y entre eilas la de los Padres Do-
minicos de Estella, y la de su Cambarlen Mosen Pierres de
Laxaga. El nümero de Cödices de que se componian algunas
de estas librerias no consta. De la de su Cambarlen se sabe
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXVUI. Bd. 12. Abh. 3
34
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
se reducia ä (1) un Romans de Lancelot. (2) Item un Romans
de Ratabon e de Sancta Isabet. (3) Item un Romanz Pampeluno
vieio de Lanzelot et Bor su Compaynnero. (4) Item un Romanz
Isopet. (5) Item un Romanz peludo de Alixandre et del Pacho/
Cf. Säez, Liciniano, Demostracion histörica del verdadero
valor de todas las monedas que corrian en Castilla durante el
reynado del Senor Don Enrique III. etc. Madrid 1796, p. 372.
868. Archivo de Comptos de Navarra.
Da dies Archiv vornehmlich für die Geschichte Navarras,
in weit geringerem Masse für die eigentlichen Zeugnisse der
uns beschäftigenden Literatur von Wichtigkeit ist, registriren
wir nur einige Werke:
A. Handschriftliche Kataloge.
Compendio del Archivo de la Cämara de Comptos Reales
29 voll., verfasst von Liciniano Säez. Vgl. Martinez Anibarro
y Rives, Intento de un diccionario, p. 438.
B. Druckwerke.
Yanguas y Miranda, Jose, Diccionario de Antigüedades
del Reino de Navarra. Pamplona 1840—1843. 3 tom. und
1 tom. Adiciones.
Unter dem Artikel ,Archivos < ist das Archiv de Comptos
behandelt. (Vgl. auch Cämara de Comptos.) Der grösste
Theil der im Diccionario gegebenen Daten basiert auf gründ
lichen Studien in diesem Archiv.
Cadier, Leon, Les Archives d’Aragon et de Navarre.
Bibliothhque de l’dcole des chartes XLIX (1888), p. 47-—90.
Von p. 62 ab wird über die Archives de Navarre gehandelt;
p. 66 heisst es: Dans l’armoirc du Catalogue il y a un certain
nombre de manuscrits ne rentrant dans aucune des scries des
Archives de la Chambre des Comptes, 17 Nummern. Es sind
Cuentas, Fueros, Cartulare u. dgl. Am interessantesten: Cere-
monial de la Coronacion, Uncion y Exequias del rey y reyna
de Ynglaterra. Lateinisch, saec. XV, mit Miniaturen und Rand
leisten.
Michel, Francisque, Rapport etc., Archives de missions
scientifiques, III 0 Serie, tom. 6, p. 286 bespricht ein Cartulaire
de D. Teobaldo 1°, compile en 1237, en 3 volumes.
Bibi. TJebersicht: 368—371 (Pamplona—Penafiel).
35
Brutails, Jean Auguste, Documents des Archives de la
Chambre des Comptes de Navarre (1196—1384) publies et anno-
tes. Paris 1890.
Urkundenpublicationen, wie aus dem Titel ersichtlich.
El Paular.
369. Biblioteca de la Cartuja.
Villanueva, Yiage, tom. VII, p. 148 von einer Handschrift:
Historia del concilio de Trento en su tercera convocacion por
el Papa Pio IV., escrita por D. Pedro Gonzalez de Mendoza
sprechend (vgl. den Artikel Monserrate, Biblioteca del Real
Monasterio de Santa Maria) erwähnt einer Note in diesem Manu-
scripte, welche besagt, dasselbe sei Abschrift des Originals, ,que
se guarda en la Cartuja de Paular'.
Peha.
370. f Biblioteca del Monasterio de San Juan.
Eguren, p. 96 erwähnt eine Handschrift saec. XIV: Hi
storia del Reino de Aragon y condado de Barcelona, die sich
in diesem Kloster befand und von einem Mönch desselben, Pedro
Marfilo geschrieben war. Von dem heute verlorenen Original
existirt eine Copie in der Bibliothek der Real Academia de
la Historia.
Amador de los Rios, Jose, Historia critica de la literatura
espanola, tom. V (1864), p. 334 (und nach ihm Martinez Ani-
barro y Rives, Intento etc., p. 485) erwähnt eine Copia von dem
Werk: Pablo de Santa Maria ,Edades trovadas' sacada del co-
dice de San Juan de la Pena por el Academico don Joaquin
Traggia. Wahrscheinlich heute gleichfalls in der Akademie.
Ueber den westgothiscken Glossencodex, ehemals in Pena, dann
in der Bibliothek der Grafen von Olivarez zu Madrid, von dem
eine Abschrift im cod. Escor. L. I. 15 vorhanden ist, vgl. oben
Bibi. Nr. 280.
Penafiel.
371. f Biblioteca del Monasterio de los frailes Dominicos.
Prinz Juan Manuel schenkte diesem Kloster —• die genaue
Zeitangabe fehlt — ein Exemplar seiner vollständigen Werke,
welches bis heute nicht zum Vorschein gekommen ist. Vgl.
3*
36
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
Amador de los Rios, Historia critica, tom. IV, p. 206 (Polemik
gegen Bayer), und p. 233 sowie Gutierrez de la Vega, Biblio-
teca Venatoria, Madrid 1877, tom. I, p. CLX.
Penalba.
372. Biblioteca del Monasterio de Santiago.
Bischof Gennadius schenkt in seinem Testamente Era 953
(915) 1 diesem Kloster libros (1) psalterium, (2) comicum, (3) anti-
phonarimn, (4) orationum, (5) manuale, (6) ordinum, (7) pas-
sibnum.
Sandoval, Fundaciones, Abth. S. Pedro de Montes f. 28 a .
Penamayor.
373. f Archivo del Monasterio.
Villa-Amil, Los cödices etc., p. 76 berichtet von einem
Documente dieses Klosters aus dem Jahre 1348, in welchem
von dem Libro y cuaderno de la iglesia die Rede, und zieht
hiebei den Schluss, dass mit diesem libro der Tumbo des Klosters
gemeint sei.
Peralada.
374. f Biblioteca del Convento.
In einem alten Necrologium des Convents findet sich
folgende Notiz: Anniversarium R. Magistri Michaelis Massoti in
sacra pagina doctoris peritissimi et in decretis Baccalaue (sic)
famosissimi; huius conventus filii, qui obiit in conventu praesenti
anno Domini 1462 et 17 mensis octobris, qui dimisit librariae
multos libros sermonum quos ipse compilaverat et quosdam alios
libros iuris et pro servitio Ecclesiae ordinale et unum psal
terium etc. Vgl. Torres-Amat, Memorias etc., p. 411 in dem
Artikel Massot, Fr. Miguel.
Piasea.
375. f Biblioteca del Monasterio San Julian y Santa
Basilisa.
Toda und Argonti schenken dem Monasterio San Julian
y Santa Basilisa ,quorum basilica in locum Piasea territorio
1 Ueber das Datum vgl. den Artikel Montes.
Bibi. Uebersicht: 873—379 (Penafiel — Plasencia).
37
Levanensi fundata sive restaurata est'. . . ,die YIII a Kal. augustas
Era DCCCCLXVIH' (25. Juli 930) . . . ,Libros tarnen etiam
ecclesiasticos (1) pasionum I, (2. 3) antifonarios II, (4) ora-
tionum I, (5) ordinum I, (6) commicum I, (7) racionale I,
(8) precum I, (9) libellum de virginitate Sancte Marie I,
(10) Bibliotecara ibidem pater meus domnus Aldroitus dedit,
ego tarnen confirmo.
Perez-Escalona Historia de Sahagun, p. 387 (Apend. III,
Escritura XIY), Eguren p. LXXXVIII. Indice de los docu-
mentos del monasterio de Sahagan de la orden de San Benito.
Madrid 1874, p. 114.
Piedrahita.
876. Archivo municvpal.
Dieses wohlgeordnete Archiv enthält nach der Revista de
Archivos, tom. II (1872), p. 53 unter Anderem zehn Bände in
fol. historisch wichtige ,mercedes, privilegios y ordenanzas, con-
cedidos por el Duque de Alba' vom Jahre 1435 an.
Plasencia.
877. f Biblioteca del Colegio de los Jesuitas.
Indice de los libros que se hallaron en la libreria y apo-
sentos del Colegio de Jesuitas de Plasencia en el ano 1767.
Handschrift aus S. Isidro (Nr. 469) jetzt in der Bibliothek der
Real Academia de la Historia zu Madrid. Vgl. Revista de
Archivos, tom. VI (1876), p. 263. Wie aus den anderen a. a. 0.
verzeichneten Indices hervorgeht, befanden sich unter den ,libros'
gewiss auch Handschriften.
378. f Biblioteca del Monasterio de los Frailes Dominicos.
Eguren, p. XLIX über einen cödice conciliar, saec. X, der
ehemals in diesem Kloster existirte. Einige Handschriften kamen
in die Madrider Nationalbibliothek: so enthält cod. X, 161 die
Provenienznotiz: Fue de los Dominicos de Plasencia; V, 264
und P, 95 den blossen Namen: Plasencia. Vgl. Hartel-Loewe s. n.
379. f Biblioteca particular de los Duques de Bejar.
Von dieser Bibliothek sind zwei ältere Verzeichnisse be
kannt: En un inventario de los bienes que tenia en el ano de
1452 Don Alvaro de Zuniga, Duque de Bejar, se lee et titulo
38
XII. Abhandlung: Beer. Handscliriftenschätze Spaniens.
siguiente; los libros que el dicho Senor tiene en la Cämara son
estos; un libro de rezar, cubierto de tapete negro con una guar-
nicion de plata; un libro de Texto primero del Begimiento de
los Principos: la Crönica del Key Don Fernando el Magno;
otro libro del ßegimiento de los Principes en romance, 4 el
trato del Bey Don Ferrando; otro libro que fiso el Obispo de
Cuenca del tratado de Caso fortuno; otro libro del Marmotreto;
una Brivia escrita en latin; unos quadernos de pergamino que
comienzan en la Crönica del Bey Don Enrique III.; un libro
escrito en latin, cuuierto de cuero Colorado; un libro de con-
sideratione: otra Crönica.
Cf. Säez, Liciniano, Demostracion histörica del verdadero
valor de todas las monedas . . . durante el reynado del Senor
Don Enrique III. etc. Madrid 1796, p. 374.
Cargo contra el Camarero del duque de Bexar Sancho de
Perero (1494). In demselben Libros.
(1) Un libro grande, enforrado en terciopelo negro, con
su guarnicion de plata dorada, y tejillos, y esmaltado con las
armas de la duquesa, estoriado de letras de oro y figuras, que
se llama el libro de las fiestas, el quäl estä envuelto en un
pedazo de sarga amarilla. (2) Otro libro, enforrado en damasco
morado, con su guarnicion de plata dorada, que era boras de
rezar, las hojas negras, escrito de letras de plata blancas. (3) Un
libro de coberturas de cuero morado, escrito en pergamino, que
liizo el maestro fray Juan Lopes, de clarisimo sol de justicia,
estoriado e iluminado con letras de oro, e figuras, con las armas
del duque y duquesa. (4) Otro libro de coberturas de cuero
morado, que hiso el dicho maestro frey Juan Lopes, estoriado
con las armas del duque y duquesa, y su guarnicion de plata,
que es el libro de la casta nina. (5) Otro libro, con coberturas
de cuero morado, y encima un lienzo que hiso, como la duquesa
aparta de si todos los instrumentos y placeres. (6) Otro libro,
flos santorum, con sus coberturas blancas, viejas. (7) Otro libro,
que hicieron los dos sabios Calila e Diinna. (8) Otro libro, de
coberturas de cuero morado, de don Izaguidili, alfaqui de los
moros de Segovia, que hiso contra la fe, al quäl responde frey
Juan Lopes. (9) Otro libro de coberturas moradas, que habla
de los temores y miedos. (10) Otro libro de coberturas dati-
ladas que habla de la mesquinidad de la codicia liumanal.
Bibi. Uebersiclit: 380 (Plasencia).
39
(11) Otro libro de coberturas moradas, de la historia del apostol
sant Andres. (12) Otro libro, de coberturas moradas, que hiso
el maestro frey Juan Lopes, el quäl es segundo libro de clari-
sirno sol de justicia. (13) Otro libro, con coberturas moradas
en que comienzan los evangelios moralizados, que biso el dicho
maestro, de los domingos de todo el ano. (14) Un libro de la
pasion, estoriado, con letras de oro, e coberturas moradas que
tiene dos tacbones de plata. (15) Un libro de horas, de cober
turas moradas, con su guarnicion de plata, que comienza: Care
tristis es anima mea et care conturbas me. (16) Un libro de
pergamino sin coberturas, que es confisionario de la duquesa
que haya gloria. (17) Otro tratado, fecho por Diego de Valera,
contra otro que fiso frey Juan Serrano, que es en favor de los
judios. (18) Nueve quadernos que es un libro de la disension
de los pecados, como un pecado es mayor que otro. (19) Otro
libro de coberturas moradas, escrito de mano, que es el que
biso don Caqui Dilimost de los moros de Segovia. (20) Un
libro pequeno, de coberturas moradas, con dies bolloncitos, en
que esta un sermon en que declara que significa la pasion, y
adelant la resurreccion. (21) Yeinte y tres cuadernos escritos
de mano que es un libro de los sermones de todo el Adviento
sobre los evangelios.
Veröffentlicht von Liciniano Säez, Demostracion histörica
del verdadero valor de todas las monedas que corrian en Castilla
durante el reynado del Seiior Don Enrique IV. Madrid 1805,
p. 543f. Vgl. auch Clemencin, Elogio de la Reina Dona Isabel,
1. c., p. 438 und 463.
380. f Biblioteca particular del Obispo D. Pedro Ponce
de Leon.
A. Handschriftlicher Katalog.
Der Codex Escorialensis &, II, 15, von Graux schlechtweg
,dossier Ponce de Leon' genannt, bildet eine Sammlung von
Actenstücken, welche den Büchernachlass dieses berühmten (und
auch gefürchteten!) Sammlers enthält; der werthvollste Theil
der Bibliothek — Bücher und Handschriften — war testa
mentarisch an Philipp II. vermacht, Ambrosio Morales zur Ein
ziehung dieser und behufs Ankaufs weiterer Werke aus dem
Nachlass nach Plasencia gesendet worden. Nebst zahlreichen
40
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
diese Mission betreffenden Acten enthält der genannte Codex
fol. 236 ff.: Memoria de los libros que parece se deven tomar
para el real monasterio de San Lorenzo de los que tenia el
obispo de Plasencia Don Pero Ponce de Leon, y estos son
ffuera de los que en su testamento hordenö se diesen d Su Mag d .
(Vg'l. unten.)
B. Druckwerke.
Handschriften Ponce’s werden wiederholt von verschiedenen
Autoren erwähnt und benützt, eine interessante Notiz erwähnt:
Rodriguez de Castro, Biblioteca II, p. 363: en un libro
Ms. muy antiguo que se hallö en la Libreria de D. Pedro Ponce
de Leon . . . se lee ,que en el ano 988, d principio del mes de
Enero, reynando en Leon, Asturias y Galicia D. Ramiro III.
pasö Gottiscalco, Obispo en la Guiana de Francia, a visitar las
reliquias del Apostol Santiago, y llevö consigo una copia del
Tratado de S. Ildefonso De la perpetua virginidad de la Virgen
Santa Maria por Gomesano, Presbytero de Pamplona.
Am ausführlichsten handelt über diese reiche Privatbibliothek
Graux, Essai, p. 130—137, welchem Abschnitt auch unsere
Daten über den handschriftlichen Katalog entnommen sind.
381. Biblioteca particular del Arzobispo Garcia de Loaysa.
Dieser Privatbibliothek, einer der bedeutendsten des XVI.
Jahrhunderts, muss eine gesonderte Darstellung gewidmet werden,
da sie gewiss nicht vollständig der Nationalbibliothek einverleibt
wurde. Actenmässig steht fest, dass der berühmte Pater Burriel
sämmtliche Handschriften Loaysa’s sur Verfügung erhielt: in
einem Brief, Toledo 24. März 1756, berichtet er (von sich in
der dritten Person sprechend) über die Thätigkeit des Staats
ministers D. Joseph Carvajal y Lancaster: 1 hizo venir varios
cödigos de Tarragona, de Ripoll, de Murcia, y de Paris. . .
mandö comprar en Plascencia la libreria manuscrita
que fuö del arzobispo de Toledo, D. Garcia de Loaisa,
y pasö ä su poder (nämlich Burriel’s) todos los mss. de
que se componia. (Correspondencia que tuvo el jesuita Andres
1 Vgl. Ewald, p. 301. Briefe von ihm zu Beginn der hier benützten Cor-
respondenz.
Bibi. Uebersicht: 381—382 (Plasencia — Pöblet).
41
Marcos Burriel. Colecciön de documentos ineditos para la hi-
storia de Espana, tom. XIII [1848], p. 297).
Die übrigen Daten über diese Bibliothek sind vortrefflich
zusammengestellt von
Graux, Essai, p. 54 ff.
Pöblet.
382. f Biblioteca del Monasterio de Santa Maria.
Ueber den älteren Bestand der Klosterbibliothek besitzen
wir ein werthvolles, zuerst durch Hartel-Loewe zugänglich ge
machtes Zeugniss saec. XII:
In nomine domini incipit commemoracio de libros populeti
inprimis (1) historia. (2) Moralia. (3. 4) Duos briviarios. (5) Pro-
phetarum. (6) Collaciones cassiani. (7) Rabanus. (8) Sermonarii.
(9. 10) Duos antiphonarios. (11) Regula. (12) Psalterium glosad.
(13. 14) Epistolas duas Epistolarii. (15. 16) Duos textos. (17) Offi-
ciarii. (18. 19) II 0S collectaneos. (20) Expositio cantica canticorum.
(21) Dialogorum. (22) Consuetas. (23) Apochalipsin. 1 (24. 25) II 0S
Himnarios. (26. 27) II 0S Pastorales. (28) Liber de sacramentis.
(29. 30) Missales II 0S . (31) Epistolas chanonicas. (32) Ser-
monari. (33 — 37) Psalterios V. (38. 39) Flores Sentiarum
(sic) II 0S . (40) Flores psalmorum. (41) Liber salamonis. (42) Liber
plurimorum sanctorum. (43) Epistolas diurni I. (44) Epistolas
Pauli I.
Aus dem ehemals Salmantiner (Colegio mayor de Cuenca),
jetzt in der Privatbibliothek Sr. Majestät des Königs auf be
wahrten Codex 2. B. 3 (VII. E. 3) veröffentlicht von Hartel-
Loewe p. 464.
Auf die Schreibschule zu Pöblet um die Wende des XIY.
und XY. Jahrhunderts bezieht sich die von Muiioz y Rivero,
Manual de paleografia, Madrid 1880, Lam. 1, Nr. 14 (ohne
Quellenangabe, jedoch nach Merino) reproducierte Notiz: Iste
liber fuit scriptus in Monasterio Populeti anno a nativitate do
mini MCCCC.
Hauptzeuge für die Bestände der Bibliothek zu Beginn
dieses Jahrhunderts ist wieder Villanueva, Viage, tom. XX,
1 Dies ist wohl die (Beatus-) Handschrift, in welcher das Verzeichniss steht;
sie kam später in das Colegio mayor de Cuenca.
42
XII. Abhandlung: Beer. Handscbriftenscbätze Spaniens.
p. 149—153. Er beschreibt: (1) Las obras de Pindaro en griego,
con comentarios en el mismo idioma. 1 (2) La Liturgia de San
Juan Crisöstomo, toda en griego. (3) Un vol. fol. ms. del
siglo XIV que contiene: S. Basilii Exameron, S. Augustini
Retractationes et librum de Natura et gratia, S. Hilarii Picta-
viensis de Synodis, Origenis Periarchon interprete Ruffino, y
Pamphili martiris Apologia pro Origine. (4) Saec. XIV: S. Am-
brosii de Officiis libr. III y de Morte Satiri fratris sui. (5) Clau-
diani de Raptu Proserpinae et S. Basilii libellus ad Nepotes, a
Leonardo Aretino translatus. (6) Senecae Epistolae, con todas
sus obras en italiano. (7) Las mismas traducidas en espanol por
Pedro Diaz de Toledo, de örden del Rey Don Juan II. de
Castilla y Leon. (8) Virgilii et Catulli opera. (9) Las Coplas
de Juan de Mena, excelente manuscrito del siglo XV. (10) Poesias
de Don Diego de Mendoza y Pedro de Villalva, saec. XVII.
(11) Julii Frontini opera. (12) Las obras de Tito Livio, Floro,
Sexto Rufo. (13) Compendio dell’ historie Romane ricavato da
diversi autori, anönimo ms. fol. vit. 1420. (14) Facta et dicta
memorabilia Regis Alphonsi ab Antonio Panhormita collecta.
(15) Vidas de los Maestres de la religion de San Juan de Malta,
anönimo. (16) La Crönica en lemosin de Montaner y Desclot;
al fin se dice: Aquest libra (sic) sa acaba an layn que hont
conta de la Nativitat de nostre Senyor ver Deus del ayn de
MCCCLIII disapte ä XX del mes de juyol. (17) Crönica de
los Reyes Catölicos por Nebrija, traducida al espanol. (18) Sexti
Julii Frontini Strategemata, y el Valerio De rebus memorabilibus.
(19) Crönica del Rey Don Enrique IV. de Castilla por Diego
Henriquez de Castillo. (20) Antiguedad y grandezas de la villa
de Alcalä de Guadayra por Cristöbal de Monroy y Silva; Genea-
logia de los Condes de Cardona, escrito en 1664 por Bernardo
Höbet. (21) Diego Lopez de Ayala, libro de Images. 2 (22) Com-
mentarius Scipionis in bello Venetorum et Mediolanensium Ducis,
libri IX, per Porcelium, poetam laureatum, historicum clarissimum
et divi Alphonsi Regis secretarium, compuesto en 1452. (23) Pedro
Trosillo, Libellus regiae successionis regnorum Siciliae, Hieru-
1 Zweifellos identisch mit dem Pindareodex der Bibliothek des D. Bandilio
Carreras in Barcelona.
2 Schien Villanueva verschieden von dem bekannten Libro de.linages des
Pedro Lopez de Ayala.
Bibi. Uebersicht: 882 (Pöblet).
43
salem et aliorum. (24) Aristoteles De mundo, traducido por
Alonso Curiel. (25) Georg Baibel, Instruccion de ordenanzas
de la guardia alemana. (26) Genitura del Exino. sig. D. Joachimo
d’Aragon, figlio primogenito del Exino. sign. Duca di Segorbe
e di Cardona: calcolata dal P. Fr. Blasio Mario. Cälculo astro-
nömico de aquel momento. (27) Tractatus septiformis de mo-
ralitatibus rerum, anönimo. (28) Francisco de Eximeniz, Doctrinal,
en lemosin. (29) Hilario de Rossi, Opus salis arifici. (30) Au-
gustini Niphi de Medicis, de Rege et tyranno. (31) Giudizio
del Cardinal Colona intorno a quel che scrisse il Card. Ces.
Baronio della monarchia di Sicilia: colla riposta del Baronio.
(32) Missale Romanum. Scripsit D. Lucas de Carovineo: vivat
in caelis cum Angelo Michaelis anno 1469. (33) Martyrologion
Usuardi fol. max. vit. adornado con buenas miniaturas; ,Mar-
tirologium hoc scriptum anno MCCLIIII 1 ac postea temporis
iniuria laesum iussu Illmi. et Rmi. Principis D. D. Francisci
Cardinalis a Dietrichstain, Episcopi olim integritati restituit
Adamus Paulino Wsky episcopalis latinae cancellariae amanuensis.
Anno salutis CIOIOCXIII.
Ausserdem fand Villanueva eine Reibe von Diarios aus
den Zeiten von D. Pedro de Toledo, D. Fadrique de Toledo
und des Herzogs von Monteleon, ferner Geschichtswerke über
verschiedene Conclave, sowie Biographien von Cardinälen: end
lich Gesandtschaftsberichte, durchwegs Handschriften, saec. XVI
bis XVII.
Canal, Espana Sagrada, tom. XLIII (1819), p. XIX der
Vorrede berichtet über seine im Jahre 1817 unternommene
Forschungsreise: pasö al Monasterio de Pöblet por verle y
examinar su hermosa Biblioteca, conservada en la invasion
francesa como milagro. Mas de quatrocientos Cödices se halla-
ban en esta. Lo mas son obras de Santos Padres y Cödices
canönicos de mal gusto (?). No hallo la vida de Jaime el I.
escrita por el mismo, pero si los manuscritos del Dean de Vique
Moncada, que son Anales eclesiästicos de Cataluna y el Epi-
scopologio de Vique.
Corminas (Suplemento p. 298) sah 1821 in der sogenannten
Biblioteca nueva ein ausgezeichnet schön geschriebenes Martyro-
1 Es ist aber nach Villanueva eine Copie, saec. XV.
44
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
logium: 1 ,era de vitela finisima y tenia una grande lamina ilumi-
nada para cada dia. Creemos que se estraviese/ Vgl. auch p. 351.
Torres Amat, Memorias, p. 318 über eine Handschrift:
Jaime de Aragon, Comentarios de sus hazanas. Am Schluss:
Aquest llibre feu escriurer honrat en Pons de Copons . . . abad
del lionrat monastir de Sta. Maria de Pöblet . . . E fou escrit
en dit Monesti de Pöblet de la ma de Celesti Destorres, e fou
acabat en lo dia de S. Lambert ä 18. dias del mes de sep-
tembre en 1’ any 1343; p. 378 s. v. Marquina, Martin wird
dessen Historia del monasterio de Pöblet in zwei Bänden, als
Frucht einer im Jahre 1552 von ihm vorgenommenen Neuordnung
des Archives Pöblet erwähnt.
Eguren, p. XLIX u. XCI.
Yalentinelli, p. 137—139 gibt unter vorzüglicher Berück
sichtigung Villanueva’s einen guten Ueberblick über Geschichte
und Bestand der Sammlung Poblet’s.
Das schöne Kloster, der Escorial Aragoniens, in welchem
die Könige des Landes ihre Ruhestätte fanden, wurde von
Suchet und später während der Bürgerkriege vollkommen ver
wüstet, 2 in diesen auch die herrliche Bibliothek zerstreut. Einige
Handschriften kamen auf merkwürdigen Umwegen nach Bar
celona in Privatbesitz (D. Bandilio Carreras, Antonia Sostres 8
und Jaime Cortada), andere nach Tarragona; doch wurden schon
früher Handschriften Poblet’s an andere Bibliotheken abgegeben,
wie der jetzige Matritensis Regius mit dem oben mitgetheilten
Katalog, der dem Colegio mayor zu Salamanca gehörte.
383. f Biblioteca interior del Monasterio de Santa Maria.
Villanueva, der diese Biblioteca interior von der vorher
gehenden streng scheidet, berichtet, tom. XX, p. 154 ff. über
,obras de Santos Padres, que aunque son preciosos, no lo parecen,
1 Wohl das von Villanueva (33) erwähnte.
2 Vgl. Ford, Handbook, p. 406.
3 Vgl. hierüber Bofarull y Sans, Apuntes bibliograficos in den Conferencias
dadas en el Ateneo Barcelonas, Barcelona 1890, p. 534. Bofarull nimmt
jedoch an, dass nur der Einband von einem Pobleter Buche stamme.
Ein triftiger örund für diese Behauptung liegt aber nicht vor.
Bibi. Uebersiclit: 383—386 (Pöblet — Portaceli).
45
comparados con una Biblia del siglo XI, y acaso anterior, fol. max.
vit. de 218 hojas‘. Folgen ausführliche Beschreibung und Auszüge.
Eguren, p. XLIX u. 48 über diese Bibel, wie gewöhnlich
ohne Quellenangabe.
Pontevedra.
384. Biblioteca del Instituto.
Borao, p. 83 nennt als Gründungsjahr 1849 und die Höhe
der Bestände im Jahre 1859 wie folgt: 2306 impresos, 6 nianu-
scritos y 83 folletos, ohne weitere Details. Das Anuario schweigt.
385. f Biblioteca particular del notario Gonzalo Perez.
Dieser Rechtsgelehrte hinterlässt in seinem Testament vom
Jahre 1381: Mandas (1) de ,Degredo‘, (2) de la setima Partida,
(3) del Ordenamiento de Alcalä, (4) del foro de Leon, (5) del
jspeculund de ,belovacense‘, (6) del ,speculunF de Durando,
(7) del Inocencio el III., (8) y del archidiäcono (?).
Citirt nach Villa-Amil, Los cddices, p. 20 f., der als Quelle
Sarmiento’s Copie des im Benedictinerkloster Lerez aufbewahrten
Originals nennt.
Portaceli.
386. Biblioteca de la Real Cartuja.
A. Handschriftlicher Katalog.
Civera, Juan Bautista, Anales de la cartuja de Portaceli
y fundacion de todas las cartujas de la santa provincia de Cata-
luna (Manuscript in zwei Bänden) berichtet nach Villanueva
über einen solchen Katalog, von Pedro Ferrer im Jahre 1424
angelegt: ,catälogo de todos los libros Mss. que habia en el mona-
sterio, y que este indice existia alli en 1664, y que el nümero
de cddices llegaba a 699‘. Dieser Katalog fehlte bereits zur Zeit
Villanueva’s.
Vgl. Villanueva, Viage, tom. IV, p. 50. Jimeno Escritores
de Valencia II, p. 7 (lag mir nicht vor) und Munoz, Diccionario,
p. 218.
Dagegen bietet der noch heute erhaltene Gratianopolitanus
Nr. 1132 (297) olim conventus Maioris Carthusiensis eine von
demselben Verfasser (J. Baptista Civera, 17 marijo 1619) her
rührende ,Breve relacion y historia de la fundacion de la car-
tuxa de nuestra Senora de Portaceli y de algunos religiosos in-
46
XII. Abhandlung: Beer. Handscbriftenscbätze Spaniens.
signe sen sanctidad, que en ella floreseieron' (vgl. Catalogue gfi-
neral des manuscrits etc. Departements, tom. VII, p. 331).
Dieses Manuscript, welches ich während der Sommerferien
1892 in Grenoble einzusehen Gelegenheit hatte, liefert auch in
teressante Daten über die in Portaceli aufbewahrten Hand
schriften, insbesondere über ein Diurnale des heil. Bonifacius
Ferrer. Vgl. den folgenden Artikel (Sacristia).
B. Druckwerke.
Villanueva a. a. 0. sagt mit Bezug auf den erwähnten
Bücherreichthurn des Klosters im Mittelalter: ,en el dia apenas
quedarän unos doce de eilos', leider ohne Angaben über diese
spärlichen Ueberreste. Sie wurden in die Universitätsbibliothek
Valencia gebracht; vgl. diese.
387. Sacristia de la Real Cartuja.
Die wenigen Handschriften, welche Villanueva als in dem
Kloster befindlich beschreibt, waren als Reliquien in der Sacristei
aufbewahrt (vgl. Viage, tom. IV, p. 45 ss.): (1) Tomito de 20
hojas en 4°, sermones escritos de mano de Santo Tornas de Villa
nueva. (2) Fragmento de una carta original de Santa Teresa
de Jesus. (3) Otro de S. Vincente Ferrer ä su hermano D.
Bonifacio. (4) Santo Tornas in librum IV. sentent. Auf den
Deckeln folgende Notizen: ,Iste liber est Petri Johannis, qui
emit eum a Ven. Raymundo de Rupull, rectore ecclesiae de
Oliva, praetio viginti florinorum de Aragonia' und von der Hand
des heil. Vicente Ferrer: ,Liber iste est domini Petri Johannis,
civis Valentiae et est commendatus per eundem mihi fratri Vin-
centio Ferrarii'. Darauf die weitere Note: ,Item post haec dictus
venerandus dominus Petrus Johannes dedit istum librum libe-
raliter domui de Portacoeli, ordinis cartusiae; ... Et fuit facta
donatio anno Domini 1396, circa festum S. Joannis Baptistae.
Et hoc fuit scriptum hic per fratrem Bonifacium Ferrarii, mo-
nachum dictae domus de Portacoeli, germanum dicti fratris Vin-
centii Ferarrii, ordinis praedicatorum u. s. w.
388. Archivo de la Real Cartuja.
Die handschriftlichen Anales Civeras (vgl. den Artikel
Portaceli Biblioteca) befindet sich nach Jimeno a. a. 0. im Archiv
der Cartuja.
Bibi. Uebersicht: 387—391 (Portaceli —Eipoll).
47
Pozuelo.
389. Biblioteca del Monasterio San Salvador.
Ansur uncl seine Gattin Elduara schenken im Jahre 973
diesem Kloster (1) antifonario, (2) comnigo (sic) et (3) regula,
(4) manual.
Vgl. Indice de los documentos del monasterio de Sahagun.
Madrid 1874, p. 159.
Puig.
390. Biblioteca del Monasterio.
Chabket, Antonio, Sagunto, su historia y sus monumentos,
Barcelona 1888 erwähnt tom. II, p. 268 ein Manuscript: El Archivo
en la mano und bemerkt: Se gnarda en el moasterio de Puig.
Ripoll.
391. f Biblioteca del Monasterio de Santa Maria.
Unter den zahlreichen älteren Zeugnissen für die Bücher
bestände des Klosters vom 10. Jahrhundert ab ist leider nur
eines vollständig auf uns gekommen, wenigstens bis jetzt zu
gänglich geworden. Doch beweisen auch die fragmentarischen
Notizen, welche wir hier folgen lassen, den ungewöhnlichen
Reichthum Ripoll’s an sehr alten Handschriften der verschie
densten Disciplinen im Mittelalter.
A. Handschriftliche Kataloge.
1. Catälogo de los cödices manuscritos que oy dia existen
en la biblioteca del real monasterio de Ripoll en el principado
de Cataluna saec. XVIII.
Ueber diesen im Codex der Real Academia de la Historia
Est. 27, gr. 4" E. N. 122 enthaltenen Katalog vgl. Ewald, p. 389,
(p. 338, 341). 2. Katalog vom Jahre 1823. Vgl. Ewald, p. 389.
3. Katalog vom Jahre 1835. Vgl. Ewald ibid.
B. Druckwerke.
Das Inventar der Kirchengüter, welches am 30. Juli 979
nach dem Tode des Abtes Vuindisclus (Gindisclus, Windisclus)
für Don Miro, Bischof von Gerona und Grafen von Besalü,
gefertigt wurde, führt nebst Anderem libri numero 65 et eo
amplius an.
48
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
Vgl. Ewald, p. 389, Gottlieb, Mittelalterliche Biblio
theken p. 270.
Das nach dem Tode des Abtes Oliva (f 1046) zusammen
gestellte Inventar der ,alajas y libros' des Klosters enthält die
Bemerkung ,et sunt libri 192h
Villanueva, Viage, tom VIII, p. 35. Ewald, p. 389. Gott
lieb, 1. c.
Hic est brevis librorum Sanctae Mariae.
(1-—3) Bibliotecas III (4. 5) Moralis II (6. 7) Cart. II (8. 9)
Estival. II (10—13) Passionar. IIII (14. 15.) Collationes II (16. 17)
Vitas Patrum II (18—20) Textus Evangel. III (21-—31) Missal. XI
(32—35) Lection. IIII (36—48) Ant. XIII (49. 50) Prosarios II
(51—53) Prophetarum III (54. 55) Epistolas Pauli II (56) Ger-
archia (57) Josephum (58) Bede De temporibus (59) Confessiones
(60. 61) Pastoral. II (62—64) Summum bonum III (65. 66) Dia-
logor. II (67. 68) Exameron II (69) Ethimologiarum (70) Liber
de Trinitate (71) Omeliarum super Iezechielem (72. 73) XL Ho-
meliae II (74) super Matheum, super Lucam, super Johannem
(75) Claudium (76. 77) Liber Bede cum Evangel. II (78) Aimonis I
(79. 80) Historia Ecclesiastica II (81) Tripartita (82) Canticum
graduum (83) Prosperum I (84) Prophetarum grecum collect. I
(85) Liber Sancti Benedicti (86) Liber de natura boni (87)
Doctrina Xpiana (88) Gesta Julii (89. 90) Amelarii II (91) Ex-
positum regulae (92) Sententiarum Gregorii (93) Registrum Au-
gustini (94) Evipium (95. 96) Eptaticum II (97) Regum (98) Ge
nera officiorum (99. 100) Augustinus II (101—103) Martirolog. III
(104) Ortographia (105) Capitularem K. 1 (106—110) Cannones V
(111—116) Glösas VI (117—119) Liber Judices III, duo vetu-
stissima (120. 121) Decadall (122) Metodium (123) Topica (124)
Sententiarum parvum (152—128) Medicine 2 IIII (129) Plutargus
(130—140) Alios XXI (141. 142) et unum Toletanum et alterum
Triplicum (143—152) Ims X (153—159) Orationarios VII (160.
161) Breviars lectionum II (162) Legem romanam (163) qua-
terniones de Boecii, de Juvenal, de Atanasio (164—168) Missal.
Toletan V (169) Liber de Horis (170) quatern. de computo II
1 K(aroli) ergänzt Ewald p. 389 und vermutket richtig, dass der heutige
Codex Rivip. 40 (p. 386) gemeint sei.
2 Medicinl Villanueva.
Bibi. Uebersicht: 391 (Bipoll).
49
(171) alius über de computo. Libri artium (172—175) Donatos IIII
(176! 177) Priscianos II (178. 179) Priscianellos II (180. 181)
Virgil II (182—184) Sedul. III (185.186) Constructs. II, una cum
Aratore (187. 188) Isagoges II (189) Categorias (190) Peri-
hiermenias (191) Macrobius (192) Boecius.
Aus einem ehemals mit der Nummer 40 bezeichneten,
beute wahrscheinlich verlorenen Codex Rivipullensis zum ersten
Male unter dem Titel Catalogus librorum qui sec. XII exstabant
in monasterio Rivipollensi 1 herausgegeben von Villanueva, Viage,
tom. VIII, p. 216 f.; aus einer Copie des Benedictus Rivas im
Cod. Est. 27 gr. 4“ E. N. 122 der Real Academia de la Historia
zu Madrid auszugsweise mitgetheilt von Ewald p. 388. Vgl.
Gottheb, p. 270.
Im Jahre 1147 schrieb ein Mönch von Ripoll die Geschichte
seines Klosters. Vgl. Baluze, Marca hisp. Ap. nüm. 404. Esp.
sagr., tom. XLLH, p. 130, tom. XLVI, p. 346.
Im Jahre 1173 schreibt der frater A. de Monte an Abt
und Capitel zu Ripoll:
Reverendis patribus et dominis suis R 0 , 2 Dei gratia Rivi-
pullensi electo, B., maximo 3 priori, et universo eiusdem ecclesie
venerand o conventui, frater A. de Monte, liumilis filius atque
vestre societatis devotissimus servus, salutem et plenitudinem
debiti famulatus. Consistens in ecclesia beati Jacobi apud Com-
postellam, quem propter indulgentiam peccatorum meorum visitare
studueram, et nihilominus ob desiderium visendi loci cunctis
gentibus venerandi, vestre beatitudinis non minus 4 licentia fultus,
reperi Volumen ibidem, quinque libros continens, de miraculis
apostoli prelibati, quibus in diversis mundi partibus, tanquam
mercatoribus stella, divinitus splendescit, 6 et de scriptis sancto-
rum patrum, Augustini videlicet, Ambrosii, Hieronymi, Gregorii 6
Leonis, Maximi, Bede. 7 Continebantur in eodem volumine scripta
aliorum quorumdam sanctorum, in festivitatibus predicti apostoli
1 XII halte ich für einen Druckfehler und Ewald’s Angabe (p. 389) saec. XI
für richtig; ja man dürfte nicht fehlgehen, wenn man diesen Katalog mit
dem 1047 (vgl. oben) angelegten identificirt, da die Zahlenangabe: et sunt
libri 192 übereinstimmt.
2 R. Bai. 3 et B., maiori Bai. 4 mirum Bai.
6 splendescente, Bai. als Variante. 6 Gregorii om. Bai.
7 Maximi et. Bede Bai.
Sitzungsber. d. pbil.-hist. CI. CXXVIII. Bd. 12. Abh.
4
50
“XII. Abhandlung: Beer. Handscbriftenscliätze Spaniens.
et ad laudem illius per totum annum legendum, 1 cum responsoriis,
antiphonis, prefacionibus et orationibus ad idem pertinentibus
quam plurimis. Considerans igitur paternitatem vestram circa
beatum apostolum devotissimam, memoriterque retinens quod,
secundum consimilem devocionis formam, felicis memorie pre-
decessores vestri, divini amoris intuitu, simulque apostolice
venerationis speculatione, sub sepe nominandi apostoli titulo
infra basilicam Rivipullensem altare sacro sanctum erexera[n]t, 2
proposui volumen predictum transcribere, desiderans ampliori
miraculorum beati Jacobi, quibus tamdiu caruerat, ubertate
ecclesiam nostram ditari. Verumtamen, cum copiam sola 3 vo-
luntas ministraret, 4 sumptuum 5 vero penuria (; et temporis me
coartaret angustia, de quinque libris tres transcriptos atuli,'
secundum scilicet et tertium et quartum, in quibus integre
mii’acula continentur, atque translatio apostoli ab Iiierosolimis
ad Yspanias, et qualiter Karolus Magnus domuerit et subiuga-
verit iugo Christi Yspanias. De primo quidem aliqua, licet 8 pauca
de dictis Calixti secundi collegi in presenti volumine conscripta.
Quintus über supradicti voluminis scribitur de diversis ritibus
et varia consuetudine gentium; de itineribus quibus ad Sanctum
Yacobum venitur et qualiter omnia fere ad Pontem Regine ter-
minantur; de civitatibus, castellis, burgis, montibus, et de pravi-
tate simul et bonitate aqua rum, piscium, terrarum, hominum
et ciborum, et de sanctis qui sub precipua veneratione coluntur
per viam Iacobitanam, scilicet de sancto Egidio, sancto Mariano 9
et ceteris. Continentur et in eodem libro quinto situs civitatis
Compostellane, et nomina circumfluentium aquarum et numerus,
neque preterit fontem qui dicitur de Paradiso. Comprehendit
etiam sufficienter 10 formam ecclesie sancti Jacobi, et institutionem
canonicorum, quantum spectat ad distributionem oblacionum,
cum numero eorundem, et qualiter sedis metropolitane dignitas
auctoritate Romanorum pontiticum ab Emerita translata sit ad
Compostellam, propter predicti apostoli favorem. Ex bis Omni
bus excerpsi que in presenti volumine lidelibus oculis beatitudo
vestra contueri potest, si dignatur presentibus. Quid autem
1 legenda Bai. 2 erexerat cod. 3 solaui cod. 4 mitustraret cod.
5 sumptum cod. 6 pecunia Bai. 7 attuli Bai.
8 primo quolibet pauca Bai. 9 Martino Bai. 10 sufficientem Bai.
Bibi. Uebersicht: 391 (Ripoll).
51
legendum sit in ecclesia, sive in refectorio, de suprascriptis
Omnibus ex epistola domini Calixti dive memorie, Romani
pontificis, nulli fidelium contemnenda prebetur auctoritas, qui
et predictum volumen inter auctenticos Codices in ecclesia legen-
dum apostolici culminis sententia sanccire curavit, venerando
Innocentio, ecclesie Romane summo' pontifice, supradictam scrip-
turam postea roborante. Ceterum quando presentis yoluminis
transcriptio facta fuit, MCLXXIII ab incarnatione Domini nu-
merabatur annus.
Dieser für das Handschriftenwesen des Mittelalters wichtige
Brief existirt heute noch im Original, und zwar als Schluss des
Cod. Ripoll Nr. 99 im Archivo de la Corona de Aragon, und
wurde von mir copirt; erst später gelangte mir der Abdruck
Delisle’s in Le Cabinet historique XXIV (1878), p. 1 ff., Note sur
le Recueil intitule De miraculis sancti Jacobi nach einer Copie
Baluze’s (Bai.) zur Kenntniss.
Villanueva, der zu Beginn dieses Jahrhunderts Ripoll be
suchte, fand dreihundert Handschriften vor (cf. Yiage, tom. VI,
p. 191 und VIII, p. 85—60), von denen heute noch 240 im Ar
chivo de la Corona de Aragon zu Barcelona aufbewahrt werden.
Wir verweisen bezüglich der weiteren Schicksale der Sammlung
auf diese Rubrik. Ueber die ältere Geschichte und die Bestände
der Bibliothek handeln ausser Villanueva (vgl. auch Viage, tom.
XVHI, p. 246 f., Chronicon Rivipullense) noch
Torres Amat, Memorias, der p. 337 s. v. Juan, Monje de
Ripoll erwähnt: Coleccion de cänones decretales por drden del
Conde Borrell en 958 mit dem Beisatz: Existe este codice en la
iglesia de Anicien. A la fin hay estas palabras: Anno Incarn.
Dominicae 958 indict. prima 2 cal. Octobris . . . Ego Joannes
monachus atque Diaconus transscripsi. . . Vgl. auch p. 715.
Corminas, Suplemento p. 297 (siehe auch den Artikel 01-
zinellas), p. 318 (ms. del siglo XI, ,qualiter corpus beati Stephani
Iherosolimis Constantinopolim sit translatum XVIH ianuarik,
obra de Arnallo scolastico).
Eguren, p. XXXIV und Elf., endlich
Valentineli, p. 164 f. Carini, p. 49.
Riano, Early spanish music, p. 7 (Latin poem by Oliva).
sumo cod.
4*
K
B
S
52 XII. Abhandlung: Beer. Handschriftonschätzo Spaniens.
J
Roda (Aragon).
392. Biblioteca de la Iglesia de Ban Vicente.
A. Druckwerke.
In der Consecratio ecclesiae Rotensis vom Jahre 957 findet
sich folgender Passus: Donamus in ornamentis Ecclesiae . . . tres
libros (1) Missale (2) Lectiorario (sic) atque (3) Antiplionario.
Canal, Espana Sagrada, tom. XLVI, Apend. III, p. 230.
(Aus dem Archiv der Kirche.).
Villanueva, Yiage, tom. X, p. 13 berichtet als der Erste
von dem cödice santoral ö leccionario fol. vit. ms. en caracter
götico cursivo lo mas tarde a principios del siglo XI, que solo
contiene sermones en las fiestas de nuestra Senora. Nach dieser
und zwei anderen Handschriften ist der Sermo sancti Justi,
Urgellensis episcopi, in natale sancti Vincentii martyris ibid.
p. 216—221 abgedruckt.
Sainz y Baeanda, Espana Sagrada, tom. XLYH (1850),
p. 223 ff. über die Geschichte der Kirche p. 225 die Bemerkung
,Sabemos que esta Iglesia poseia mss. muy preciosos; pero igno-
ramos si todavia se conservan/ Im Apend. LV dieses Bandes
gibt Sainz den Aufsatz von
Abad y Lasierra, Manuel, Descripcion del Sacramentario
de Roda, eine sehr schwache Arbeit.
B. Schriftprobe.
Eine solche, in Farben ausgeführt, bietet der oben ge
nannte Band der Espana Sagrada (p. 228) von dem Sacramentar.
Roda (Prov. de Barcelona).
393. Archivo del Monasterio San Pedro.
A. H andschriftliche Kataloge.
Nachweise über solche bei Ewald, Reise, p. 338 und 441
(Varios bibliogrdficos der Nationalbibliothek).
B. Druckwerke.
Villanueva erwähnt Viage, tom. XV, p. 124 (1) ein Cartoral
mayor saec. XII und (3. 4) zwei andere Exemplare saec. XII und
XIII; p. 156 ein Colectario (5) saec. XHI. P. 167—178 werden
*
Bibi. Uebersicht: 392—393 (Koda).
53
folgende Handschriften beschrieben; (6) Summa dictaminis ma-
gistri Guidonis. Eiusdem De piüvilegiis Sedis Apostolicae. — De
Distinctionibus seu descriptionibus omnium vitiorum et virtutum,
’ Alles in einem Bande saec. XIV fin. (7) S. Isidori Hispalensis
Expositio in Pentateuchum u. s. w. vgl. weiter unten Heine’s Be
schreibung. (8) Arator, Historia Apostölica. (9) Fragmentos
abundantes de las epistolas de Horacio saec. XII. (10) Otros
Fragmentos de Homero. (11) Breve comentario incögnito de
algunas comedias de Terencio ms. saec. XIII. (12) Antonii Pan-
hormitae in Alphonsi Regis Aragonum dicta ac facta memoratu
digna. Al fin la oracion del Rey Alfonso in expeditionem contra
Theucros ms. saec. XV. (13) Augustinus in Evangelium secun-
dum Joliannem. Eiusdem Explanatio Beati Augustini Episcopi
in epistolam Johannis Apostoli de caritate Dei et proximi. Eius
dem Cur Deus homo. Eiusdem de casu diaholi et de veritate
et de libero arbitrio. (14) Donatus (?) De Grammatica saec. XI.
(15) Laurentius de Aquilegia, Practica sive usus dictaminis
saec. XIV. (16) Cassianus, collationes saec. XI. (17) Isidorus
de summo hono, Augustini soliloquia; ferner: Liber alit garit de
viciis et virtutibus. (18) Leccionario saec. XI. (19) Santoral
saec. XIV. (20) Leccionario de tempore saec. XII. (21) Cere-
monial de Obispos saec. XI. (22. 23) Dos breviarios Ilerdenses
saec. XIV. (24) Epistolario de todo el ano saec. XIV. (25) Collec-
tario saec. XV. (26) Breviario vom Jahre 1138. (27) Consueta
Ilerden se saec. XIV. (28) Gerönimo de Santa Fe, Disputa con
los Iudios de Tortosa. 1412. Copien und Auszüge aus diesen
Handschriften in den Apendices LV—LXI.
Heine fand noch (vgl. Serapeum VIII [1874], p. 94 f.) ausser
,verschiedenen werthvollen Breviarien* 1. Isidori Expositio in
Pentateuchum, Jos. Judic. Regg. Esd. Maccab.; Eiusdem versus
titulorum bibliothecae. Eiusdem in parab. Salam. Danach Ex-
cerpta S. Gregorii, Commentarii in Ecclesiast., Sapient. und Cant,
cant. Danach ein neuer Commentar über das Hohelied (Frag
ment) als Werk des Gregorius Magnus gegeben, aber verschieden
von dem diesem gewöhnlich zugeschriebenen, und derselbe, der
sich in einem Codex der Kathedrale in Barcelona befindet.
Danach zwei Briefe des Justus Urgelitanus mit seinem Com
mentar in das Hohelied; und verschiedene kleinere Tractate
von Augustinus u. a., cod. membr. saec. X, und fand noch 2. Hi-
m
o4 XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
storia apostolica auctore Aratore Romano Subdiacono libr. 2 mbr.
saec. XI (= Villanueva Nr. 8). 3. Augustinus in Evangelium et
litteras Joannis Apostoli. Additur Tractatus de casu diaboli
et de veritate et de libero arbitrio (= Villanueva Nr. 18)
Vgl. noch Eguren, p. LXXVII und 96 (Cödice de Cronicones
saec. IX) und Valentinelli, p. 172 (nach Villanueva).
Rosas (Prov. de Huesca).
394. f Biblioteca del Monasterio de S. Pedro.
Villanueva, Viage, tom. XV, p. 38 sagt: De la biblioteca
tan celebrada nada ha quedado. Hay aqui una tradicion vaga
de que un general Frances, llamado Noailles, trasportö . . . varios
cödices ä Paris, entre ellos una preciosa Biblia.
Valentinelli, p. 173 nach Villanueva.
395. Archivo del Monasterio de San Pedro.
,
Villanueva, Viage, tom. XV, p. 38 erwähnt zwei Cartorale
saec. XII und XIII, die Documente von der Mitte des 10. Jahr
hunderts ab enthalten. Ausserdem ein ,cartel‘ saec. XV, welches
ein Verzeichniss der in dem Kloster aufbewahrten Reliquien
enthält. Vgl. Ap. VIII (p. 229, 19).
Ford, Handbook, p. 439 f. nur über die Lage und Ge
schichte des Klosters.
Sagunto (Murviedo).
396. y Biblioteca particular del Judio Jajfuda Cofe.
In der: Indemnisaciön que pidio el judio Jaffuda Cofe de
los objetos robados por los de la Uniön en la villa de Murviedo
vom 30. Januar 1348 fordert der Geschädigte Ersatz für Libres
que valien CCC sous (gehört zu den höchsten Ansätzen des
Verzeichnisses) und aus dem Besitz de mon germa (hermano)
Mainio Cofe Libres LX sous.
Aus dem Llibre de certificacions im Archivo municipal zu
Valencia herausgegeben von Antonio Chabret, Sagunto, su lii-
storia y sus monumentos. Barcelona 1888, Vol. II, p. 422 ff.
Die ausgehobenen Stellen p. 427 und 428.
Bibi. Uobersicht: 394—397 (Roda—Sabagun).
55
Sahagun.
397. Biblioteca del Monasterio.
,Hermenegildus confesor cum Omnibus fratribus* schenkt
dem Kloster Sahagun 922 Libros Ecclesiasticos, id sunt (1) anti-
fonarium (2) comicum (3. 4) manuale in duobus corporibus di-
visum (5) salterio cum canticis et imnis (6) ordinum (7) libellus
alius 1 de cotidiano officio cum lectionibus vel missas, (8) orarum
(9) sententiarum (10) precum.
Facta liac scriptura a nobis et roborata simul et testibus ad
roborandum tradimus. Sub die III ides magias, Era DCCCCLX“.
Nach dem Original des Klosterarchivs veröffentlicht von
J. Perez-Escalona, Historia . . de Sahagun p. 383 f. (Apend. III,
Escr. 11), Yepes, Coronica, tom. V, escr. 9, fol. 435 und Indice
de los Documentos del Monasterio de Sahagun, Madrid 1874,
p. 111; cf. Tailhan, p. 319.
Salud, presbitero ,cognoment» Melikff schenkt 959 dem
Kloster Sahagun die Kirche San Salvador ,quod modo nuncupant
Sanctorum Justi et Pastoris secus rivulo Porma territorio legio-
nense‘ und ferner de misteria ecclesiastica libros (1. 2) comattos 2
duos (3. 4) duos manuales (5. 6. 7) antiphonales tres 3 (8. 9) Ora-
tiones festivos II et (10) tertium Psalmorum 4 (11) orarum et
precum in una forma et (12) alium orarum in una forma
(13) Passionum I (14) Psalterium I (15) Canticorum & imnorum
in una forma.
Perez-Escalona, Ap. II, p. 405, welcher das Document in
das Jahr 960 setzt. Indice p. 141; der Schluss des Inventars
in diesem Abdruck gekürzt.
Im Jahre 1347 schenkt König Alfons dem Kloster ein
Exemplar des von ihm promulgirten Cödigo, welches sich noch
zu Escalonas Zeit wohl erhalten im Archiv vorfand (vgl. Perez-
Escalona p. 172).
Morales, Yiage, p. 38, sah und beschrieb: (1) Concilios
de letra Gothiea, enquadernados en envesado, y no tiene fin.
Dice en la cifra ordinaria Superi Abbatis liber . . . parece ser
1 libellis aliis der Abdruck des Indice.
2 Perez-Escalona comunes.
3 II bei Perez-Escalona.
4 Psalmo grauü (sic) Perez-Escalona.
56
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
mas antiguo atin que el de Carrion. (2) Augustini De civitate
Dei, letra Gothica y pergamino muy grande. (3) Liber Senten-
tiarum Beati Isidori, en pergamino, letra comun, mas muy an-
tigua en tablas coloradas, y pliego pequeno. (4) Petrus Lom-
bardus in Psalterium, pergamino grande, tablas envesado: al
cabo se dice como se escribiö el ano ICLXXVII para el Abad
Guterio. (5) Las obras de Santo Augustin en siete Tomos de
pergamino grande: tambien se dice alli como se escribieron para
el Abad Guterio, y asi son del mismo tiempo que el pasado.
(6) Biblia en Hebreo. (7) Santorale en pergamino, letra antigua.
(8) Liber Scintillarum Alvari Cordubensis, collectus de Sententiis
Sanctorum Patrum. Y. Kalendas Octobris. Era MCCXIII. 1 Aus
geliehen waren zur Zeit Morales’ verschiedene Handschriften,
darunter eine Concilienhandschrift (2. Exemplar) und algunos
libros de S. Isidoro de letra Gothica.
Die späteren Nachrichten über Sahagun’s Bibliothek lauten
spärlich. Die Nekrologien (Kalendarien) und Bezerros wurden
von Joseph Perez und Escalona benützt (vgl. deren Historia,
p. IV—VI und über Perez, Munoz, Diccionario, s. v. Sahagun).
Florez, Espana Sagrada, VI (1751), p. 48 bespricht ein von
Carranza herangezogenes Manuscrito Göthico mal conservado
mit den Toletaner Concilien. Die Notizen Uber die älteren
Bestände sind theilweise behandelt von Eguren, p. LXXXIX
und 82, von Tailhan, p. 319 und 322. Aus dem Becerro II von
Sahagun saec. XIII wurde die Renta del Portazgo de Sahagun
abgedruckt, Revista de Archivos I, 268—270. Ein Missale
saec. XI aus Sahagun ist heute unter den Toledaner Hand
schriften mit der Signatur 35, 14 der Biblioteca Nacional zu
Madrid einverleibt (vgl. Hartel-Loewe, p. 298). Die Ueberreste
des Archivs kamen bekanntlich in das Archivo histörico nacional
zu Madrid (vgl. diesen Artikel).
Salamanea.
398. Biblioteca Universitaria.
Von Alfonso el Sabio 1254 gegründet, gilt die Biicher-
sammlung der Salmantiner Hochschule als die älteste Universitäts-
1 Ueber diese Handschrift auch in der Coronica Lib. XIV, cap. III und
Rodriguez de Castro, Bibi. Esp. II, p. 448.
Bibi. TJebersicht: 398 (Sabagun — Salamanca).
57
bibliothek Spaniens. 1 Die bedeutendste Bereicherung vor 1500
erhielt die Sammlung durch das Legat des berühmten Doctors
dieser Universität, des Canonicus von Toledo D. Alonso Ortiz,
welcher 1497 gegen 600 Bände mit Werken griechischer und
lateinischer Schriftsteller schenkte. Leider sind wir über das
numerische Verhältniss der Druckwerke und Handschriften in
dieser Schenkung nicht genügend unterrichtet. 2 Ueber die
späteren Bereicherungen und die Geschichte der Sammlungen
vgl. die unten angeführten Quellen.
A. Handschriftlicher Katalog.
Memoria de los libros que en su biblioteca tiene la Uni-
versidad de Salamanca. Gegen 1750 verfasst.
Handschrift 4—6—2 der Bibliothek; vgl. Graux, Rapport
p. 127.
B. Druckwerke.
Ortiz db la Pena, Bibliotlieca Salmantina seu Index libro-
rum omnium, qui in publica Salmaticensis academiae bibliotheca
asservantur. Ex decreto Universitatis editum Salmanticae 1777,
3 vol., 4°.
Das Werk stand mir nicht zur Verfügung. Ueber den
Werth desselben vgl. Valentinelli p. 60 und Graux, Rapport
p. 128.
Ponz, Viage, tom. XII, p. 185.
Alfonso el Sabio, Las siete partidas . . . por la Real Aca-
demia de la Historia. Madrid 1807, 4°, pröl. p. IX.
La Borde, Voyage H, p. 264; V, p. 149.
Fueeo Juzgo en Latin y Castellano . . . por la Real Aca-
demia Espanola. Madrid 1815, fol., pröl. III.
Haenel, Catalogi col. 976. Kurzer Abriss der Geschichte
der Universitäts-Bibliothek und der Colegios mayores.
Vogel, p. 480 (Artix Druckfehler für Ortiz).
1 Vgl. Borao p. 83. — Anuario del cuerpo facultativo I, p. 208.
2 Vgl. La Fuente, Vicente y Urbina, Juan Catälogo p. 5. Vidal, Memoria
p. 55, insbesondere Graux, Rapport p. 127. Die Schenkungsurkunde Ortiz 1
dürfte sich vielleicht noch in Salamanca finden, da auch seine Aufzeich
nungen und Papiere in den Besitz der Universitätsbibliothek übergingen.
Vgl. Anuario II, p. 150.
=
58 XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
(La Fuente, Yicbnte y Urbina, Jose), Catalogo de los
libros manuscritos que se conservan en la biblioteca de la Uni-
versidad de Salamanca, formado y ptiblicado de Orden del
Senor rector de la misma. Salamanca 1855. 75 p. 8°.
Ein Exemplar dieses seltenen, seit Jahren vergriffenen
Werkchens wurde von mir 1890 in Paris benützt. Zunächst
berührt die Vorrede (p. 5) die eingangs erwähnte Schenkung;
viele Bücher waren von Ortiz im Ausland gekauft und mit
seinen Bemerkungen versehen worden. Ausser diesen Manu-
scripten finden sich a. a. 0. noch die cödices autögrafos del
concilio de Basilea erwähnt (vgl. weiter unten). Dann folgen
weitere Notizen über die G-eschichte der Bibliothek, die auch
in anderen Quellen zu finden. Unter den Handschriften nimmt
nach Ansicht der Verfasser den ersten Rang ein la preciosa
traduccion de las obras de Seneca; p. 8 heisst es: El nümero
de volumenes que hoy en dia existen es de 1406. — Der eigent
liche Katalog beginnt p. 9. Wir finden unter Anderem: (1)
I Aristophanes (Plutus, Nubes, Ranae). (2) Cicero de amicitia,
Paradoxa, De finibus bonorum, Rhetorica. (3) Demosthenes
orationes. (4) Aesopus, obras en griego. (5) Euripides, tra-
goediae. (6) Floro de letra antigua. (7) Martialis saec. XV.
(8) Oppianus Halieuticon et Cynegeticon. (9) Ovid, Metamor-
phoseon libri. (10) Persius, Juvenalis und Publius Victor in
einem Bande; aus dem Besitz des Ortiz. (11) Plutarchi moralia:
algunas de las hojas parecen palimpsestos. 1 (12) Pollux, Ono-
masticon. (13) Julii Pomponii Grammatica. (14) Prisciani Ars.
(15) Procopius Sophista, Commentaria in Genesim, Exodum et
Jeremiam graece. (16) Propertius, Elegiae. (17) Prosper Aqui-
tanus, Carmina. (18) Quintilianus, De institutione oratoria. (19)
Theocritus, Scholia in idylla. (20) Terentius, Comoediae Andria
et Eunuchus fol., vitela fina, con notas de Alfonso de Palencia,
quien dice en una de las cubiertas que lo comprö en Valencia
por 19 florines de Aragon. (21) Thucydides, Historia belli
Peloponnesiaci, 3 Exemplare. (22) Isocrates, Orationes (unter
Y, p. 72).
Eguren, p. 45 beschreibt eine Bibel dieser Sammlung,
vitela, folio.
1 Vgl. Graux, Rapport p. 128.
Bibi. Uebersicht: 398 (Salamanca).
59
Vatentinelli, p. 59—61 gibt einen kurzen Abriss der Ge
schichte der Bibliothek und Zusammenstellung sonstiger dankens-
werther Notizen. Die copia coeva, documentata del Concilio
de Basilea, trascritta in duo voluini membranacei dal notayo
del Concilio (1431—1446) ad instanza e spese dell’ Universität
ist offenbar eine beglaubigte Abschrift des Originalwerkes von
Juan de Segovia. 1
Borao fügt p. 83 f. einem kurzen historischen Ueberblick
den Index der werthvollsten Handschriften bei, auf den wir
noch zurückkommen.
Amador de los Rios, Historia de la literatura Espanola,
tom. IV, p. 169 über einen Salmantinus mit dem ,Libro* des
Juan Ruiz, Archipreste de Hita. Tom. VI, p. 266 über den
cödice de la Biblioteca de la Universidad de Salamanca, MS.
de gran lujo, en vitela, de mediados del siglo XV, mit dem
Libro de las virtuosas e claras mugeres des D. Alvaro de Luna.
Vidal y Diaz, Alejandro. Memoria histbrica de la Uni
versidad de Salamanca. Salamanca 1869, 4°.
Graux, Rapport p. 126—-129 gibt eine vortreffliche Ueber-
sicht über die Quellen für Geschichte und Fonds der Samm
lung, welche nach seinen Constatirungen 43 griechische Hand
schriften zählt. Nur eine derselben, Nr. 1—2—25 Plutarchus
moralia, wird genauer beschrieben.
Visita regia a la Biblioteca y al Archivo de la Universidad
de Salamanca, Revista de Archivos VII, 277 ff.
Verzeichniss der Cimelien (nahezu ausschliesslich Hand
schriften), welche Don Alfonso XH bei einem Besuche gezeigt
wurden.
Ewald, p. 372 f. beschreibt nach kurzer orientirender Ein
leitung sieben Handschriften.
Anuario del cuerpo facultativo de Archiveros I, p. 206—
212; II, p. 134—155.
Bis jetzt die beste Quelle über Genesis, Bestände, An
ordnung und Verwaltung der Bibliothek. Für uns besonders
1 Vgl. Monumenta conciliorum generalium seculi decimi quinti tom. II.
Vindobonae 1873, enthaltend Joannis de Segovia presbyteri cardinalis
Tit. Sancti Calixti Historia gestorum generalis synodi Basiliensis ed.
Ernestus Birk.
60
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
interessant ist die Zusammenstellung der Dotationen (I, p. 208 ff.),
sowie der Apendices: Manuscritos (II, p. 149). Die Zahl dieser
wird I, p. 445 auf 866 angegeben. Doch sind hier wohl nur
die Werke gemeint und La Fuente’s Angabe der Bände gewiss
authentisch.
Martinez Anibarro y Rives, Intento de un diccionario . . .
de Burgos, p. 114 über eine Handschrift der Universitätsbiblio
thek, enthaltend Cartagenas Uebersetzung von Seneca’s Werken:
,tiene 150 päginas, es en fol., escrito en el siglo XY con bellas
miniaturas y capitales y orlas policromas/
In Loewe’s Nachlass fand sich noch ein kurzgehaltenes
Inventar über eine Reihe von Handschriften, die er in Salamanca
eingesehen. Trotz der Bündigkeit der Aufnahme schien mir
das von Loewe Gebotene für spätere Publication bei Berück
sichtigung der anderen Quellen genügend und ein neuerlicher
Ausflug nach Salamanca nicht nothwendig.
399. Archivo Universitario.
Ausser dem schon im Artikel Biblioteca de la Universidad
erwähnten Bericht der Revista enthält diese Zeitschrift noch n
(1872), p. 54—57; 71—72; 100—103; 117—120 einen Aufsatz:
Urbina Juan, Extracto de los documentos mäs principales
que encierran los Archivos de la Universidad de Salamanca,
mit höchst interessanten Aufschlüssen über die Studien an den
Colegios mayores und zahlreichen kleineren Lehrinstituten.
Die officiellen Daten über die Bestände des Archivs
bringt das
Anuario del Cuerpo facultativo de Archiveros I (1881),
p. 121—124. Die Gesammtzahl der Libros manuscritos beläuft
sich auf 1400, darunter finden wir die Libros de matricula
desde 1546, Libros de grados desde 1526 u. s. w.
400. Biblioteca especial de la facultad de Filosofia y letras.
Graux, p. 113 in der Liste der Handschriftenbibliotheken,
ohne weitere Bemerkung. Auch das Anuario enthält keinen
Aufschluss über dieses Zweiginstitut. ,
401. Biblioteca del Seminario Gonciliar Central.
Valentinelli, p. 62 sagt zwar ausdrücklich: volumi tutti
a stampa, Graux aber führt in seinem Rapport p. 113 die
HgHfPMBBi
Bibi. Uebersicht: 399—404 (Salamanca). 61
Bibliothek unter den Sammlungen, die Handschriften enthalten,
an, leider ohne weiteren Commentar. Das Anuario del cuerpo
facultativo de Archiveros I (1881), p. 209 erwähnt einen nümero
determinado de volümenes aus der alten Jesuitenbibliothek,
que quedö en el magnifico Colegio que poseian aquellos regu
läres en esta Capital, para formar la libreria del llamado Colegio
Carolino, y que hoy sin duda constituyen la Biblioteca del
Seminario Conciliar Central.
402. Biblioteca del Cabildo de la Santa Iglesia Catedral.
G-raux nennt diese Bibliothek p. 113 in der Liste der
Handschriftensammlungen. Nähere Daten fehlen. 1
403. Biblioteca del Convento de los Dominicanos de San
Esteban.
Bullarium Ordinis Praedicatorum V, p. 565—567 enthält
eine diese Bibliothek betreffende Urkunde (nach Vogel p. 481).
(La Fuente, Vicente y Urbina, Jüan), Catalogo de los
libros manuscritos, que se conservan en la Biblioteca de la
Universidad de Salamanca. Salamanca 1855.
P. 8 finden wir die Notiz: La comision (der Bibliothek)
espera poderlo aumentar en breve con otros 60 voliunenes
(manuscritos) procedentes de la Biblioteca del celebre Convento
de S. Esteban en esta ciudad, los cuales han sido reclamados
judicialmente de la testamentaria de un exclaustrado por el
Sr. Rector.
Valentinelli, p. 62 f.
404. f Biblioteca del Colegio mayor de Santiago el Zebedeo
(vulgo de Cuenca).
Diese Sammlung war einst ausserordentlich reich an Hand
schriften, die auf Befehl Carl IH. zum Theil nach Madrid in
die Palastbihliothek gebracht wurden. Ihre Provenienz ist in
der Regel durch drei senkrechte geringelte Striche i 1 1 mit bei
gefügter Nummer auf einem der ersten Blätter kenntlich. Hie
und da findet sich aber auch der deutliche Vermerk: De la
Bibliotheca del Col° m or de Cuenca, 2 z. B. Matr. reg. 2. B. 5
1 Die Handschriften des Escorial Q. II, 24 und Q. III, 20 tragen die Auf
schrift: De la yglesia de Salamanca. Vgl. Hartel-Loewe p. 112 und p. 120.
2 Vgl. auch die Beschreibungen bei Loewe-Hartel p. 473 ff.
62
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
(Diversas Historias als Rückentitel), 2. C. 4 (Ruderici Chronicon);
Cod. 2. C. 4 trägt die Signatur Nr. 418 i 1 i, 2. D. 2 die Nummer
470, man kann daher annehmen, dass die Handschriftenbibliothek
etwa ein halb Tausend Bände umfasste.
405. f Biblioteca del Colegio de San Jeronimo (el Trilingiie).
Antonio, Nicolaus, Biblioteca Hispana vetus, tom. II, p. 296.
Anuario del Cuerpo facultativo de Archiveros I (1881),
p. 210 über die Incorporation der Sammlung in die Universitäts
bibliothek.
406. f Biblioteca del Colegio Mayor de S. Salvador (vulgo
Oviedo).
Ueber diese Sammlung vgl. auch den Artikel Oviedo,
Biblioteca de la Catedral. Die Einverleibung der Büchersamm
lung des Diego de Covarrubias in die Bibliothek dieses Collegs
besprechen Rodriguez de Castro, Biblioteca Espanola II, p. 491
und Graux, Essai, p. 276.
Antonio, nicolaus, Bibliotheca Hispana vetus II, p. 20.
407. f Biblioteca del Colegio Mayor de San Bartolome
(el Viejo).
Für diese Handschriftensammlung gilt als Quelle:
Roxas y Conteras, Historia del Collegio viejo de San Bar-
tolomd, Madrid 1770.
Im III. Bande, p. 308—843 ist der Bestand der Manuscripte
in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gegeben. Ausser
dem vgl.
Antonio, Nicolaus, welcher Biblioteca Hispana vetus H,
p. 249 folgende Handschriften bespricht: D. Alvaro de Luna,
Claras mujeres; p. 282 Carlos de Viana, Chronica de los Reyes
de Navarra; p. 293 Joannes de Turrecremata De unitate fidei;
p. 312 Gomez de Zurara, Chronica del Rey D. Juan I. de Portugal.
Amador de los Rios, Historia critica de la literatura espa
nola, tom. VII, p. 45 erwähnt die Bücherschenkung (,E1 mäs
precioso legato') Alfonso’s de la Torre an das Colleg (saec. XV).
Somoza de Montsoriu, Catälogo de Manuscritos . . . en
Gijon, p. 86 beschreibt vol. XXXIX der Sammlung als: Crönica
de Enrique IV de Castilla, trasladada de una original que estä
Bibi. Uebersicht: 405—411 (Salamanca — San Salvador de Sahelices).
63
en la libreria del Colegio Mayor de San Bartolome de Salamanca,
cuyo autor con certeza no se sabe, pero dice al principio Sei
de Alfonso de Palencia, Cronista de los Heyes Catölicos, otros
dicen ser de D. Juan Arias, Obispo de Avila. Ella concuerda
con su original, que estä en dicka libreria eil el Cajon 59.
Die Handschriften kamen, wie die des Colegio Cuenca,
in die Madrider Palastbibliothek, vgl. Hartel-Loewe p. 479.
408. f Biblioteca del Monasterio de los Eremitas.
Antonio, Nicolaus, Biblioteca vetus I, p. 304 erwähnt eine
handschriftliche epistola ad Isidorum Hispalensem directam,
Artuagi nomine inscriptam aus diesem Kloster.
409. Biblioteca del Colegio de los Irlandeses.
Von dieser Bibliothek gilt dasselbe wie von der Kathedral-
bibliothek.
Salinuas.
410. f Biblioteca del Monasterio de San Cristöforo.
In der Restauratio et dotatio ecclesiae S. Ghristopkori
prope castrum Salinuas anno 949 wird geschenkt: ministerio
ecclesiastico (1) antiphonario (2) missale (3) lectionario (4) psal-
terio (5) ymnorum (6) homeliario (7) et alium librum qui dicitur
Flores evangelii cum lectionibus omnium sanctorum, sive et de
dedicatione ecclesiae et (8) de libris moralie Job in uno codice
libros II.
Villanueva, Viage, tom. X, p. 257 f.
San Salvador de Sahelices.
411. f Biblioteca del Monasterio.
Donino presbitero schenkt 922 diesem Kloster — ob sich
dasselbe in oder bei der sonst nicht nachweisbaren Stadt Sahe
lices 1 befunden, ist unklar — inprimis ecclesiasticos libros, id
sunt (1) antifonarium (2) comicum (3) manuale in duas formas
divisum (4) psalterium (5) ordinum libellus (6) alius de cotidiano
officio cum lectionibus et missis (7) orarum (8) sententiarum
(9) precum. Facta atque data scriptura testamenti III idus.
Maii Era DCCCC“LX.
1 Sahechores in der Nähe von Sahagun erwähnt Madoz.
64
XII. Abhandlung: Beer. Handschriffcenschätze Spaniens.
Aus dem Becerro von Sabagun I, fol. 135 veröffentlicht
im Indice de los Documentos del Monasterio de Saliagun. Madrid
1874, p. 111.
Samos.
412. f Biblioteca del Monasterio.
Eine dankenswerthe Uebersicht über die Entstehung der
alten Klosterbibliothek bringt Villa-Amil, Los Codices etc. p. 6 ff.
Ihm folgend verzeichnen wir:
Schenkung Ordonos I. vom Jahre 853 an den Bischof
Fatal, bestehend in dem Kloster Samos mit seinen ,libros* (vgl.
Esp. Sagr. XL, p. 234).
Bereicherung der Bibliothek im Jahre 872 mit den Büchern
que trajeron de Cordoba Ofilon, su hermano Maria y el pres-
hitero Vicente.
Ueber die Copie des Mönches Trasamond und der ,religiosa
Leodegundia* vgl. den Artikel Bobadilla.
In dem Privilegium Ordonii II. Begis Legionensis in gra-
tiam monasterii de Samos Era DCCCCLX (anno 922) bietet
der König dem Kloster: Libros Eglesiastes, id sunt (1 Anti-
phonarium (2) Orationum (3) Comicum (4. 5) Manuales duos
(6) Psalterium (7. 8) Passionum duos (9) Orationum (10. 11)
Ordinos duos (12) Precum. Libros spirituales, id est: (13)
Homeliarum (14) Dialogorum (15) Homelia Prophetarum (16)
Dispositio Jesaie Prophete (17) Parte de Morario 1 (18) Degada
Psalmorum (19) Testum Evangeliorum (20) Librum Begularum
(21) Generae Officiorum (22) Scinonimarum (sic) (23) Aepi-
stolarium (24) Ethimologiarum (25) Abtätigum (26) Laterculum.
Florez, Espaffa Sagrada XIV, escr. 3 (p. 367—373), Tail-
han p. 316, Villa-Amil, Los Codices p. 8, La Fuente, Historia
de las Universidades I, p. 57.
Sandoval.
413. j Biblioteca del Monasterio de la orden de Cister.
morales, (Viage, p. 40) sah in diesem ehemals Sotonoval
genannten Kloster (bei Mansilla): ein (1) Santoral de los muy
1 Moralia Gregors.
Bibi. Uebersetzung: 412—415 (San Salvador de Sabelices — Scala Dei).
65
buenos, letra y pergamino de mas de trecientos anos; (2) En
un libro viejo de Vidas de Santos todo lo que escribiö el Papa
Calixto del Apostol Santiago, letra y pergamino del pasado.
Comunmente atribuyen aquel libro al Papa Calixto, hermano de
los dos Yernos del Rey D. Alonso el VI., mas yo tengo por
cierto que no lo escribiö el. (3) Libro de la misma letra y per
gamino, todo deshojado: era exposicion de Berengario sobre el
Apocalipsi. Ferner: Obras de los Santos (4) Augustino, (5) Am-
brosio (6) Bernardo (7) Gregorio . . . en algunas se dice como
ha mas de trescientos anos que se escribieron. (8) Libro antiguo
sin nombre de Autor, que en particular trata quantas cosas se
entienden en la Sagrada Escritura por cada cosa, como vii'ga,
brachium etc.
Santillana.
414. Archivo de la Iglesia Colegiata.
berganza Francisco de, Antiguedadcs de Espana, Madrid
1719, Vol. I, p. 123 beschreibt ein Libro de Regia o Bezerro
dieser Kirche.
Scala Dei.
415. Archivo del monasterio de los Padres Cartujos.
Nach Villanueva, Viage, tom. XX, p. 161 schenkte der
Patriarch von Alexandrien Don Juan de Aragon, Sohn des Königs
Jaime II., Bischof von Toledo, im Jahre 1333 dem Kloster su
Biblia glosada, que fue de su tio San Luis, Obispo de Tolosa.
Son once volumenes fol. vit. escritos de aquel tiempo, y estan
bien conservados en la celda prioral. Ferner sah Villanueva:
(12) Spert, Gerönimo, Comentario e interpretacion de los libros
de San Dionisio Areopagita. (13) Valero, Juan, ,Virtuoso, donde
se ensena la pratica de las principales virtudes, asi teologales
como moralesh (14) Desselben Vida de Santa Tecla. (15) Libro
de ingresos e profesiones, mit interessanten Notizen, die 1420
beginnen. In der botica (Apotheke) des Klosters befand sich
handschriftlich ein Liber agregationum de virtute simplicium
medicinarum von Johannes Ben Serapion, lateinisch, über die
Heilkraft der Pflanzen, deren Abbildungen in den Text ein
gefügt waren (a. a. 0. p. 165 f.).
Sitzungsber. d. pliil.-hist. CI. CXXVIII. Bd. 12. Abli. 5
66
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftensehätze Spaniens.
Scalas.
416. f Biilioteca de Monasterio de San Pedro.
In der Urkunde: Erectio Ecclesiae Canonicorum S. Petri
de Scalas in comitatu Urgellensi in abbatiam et monasterium
ordinis S. Benedicti anno 960 kommt die Schenkung des France-
mirus Presbiter vor: (1) Eptatico I. (2) Apocalipsim et actus
apostolorum et Regum. Sapientia Salomonis, disposito (sic) I.
(3) passionario I. (4) chanano 1 I. (5) missale, lectionario, anti-
phonario in uno volumine (6) psalterio I (7) prosario I (S) et
Profetarum I.
Villanueva, Viage, tom. XII, p. 229.
Segorbe.
417. Archivo de la Iglesia Catedral.
Juan Bautista Perez (f 1597) bestimmt in seinem Testament:
Item dexo y lego al Cabildo e Iglesia Catedral de Segorbe todos
mis libros de varias y diversas facultades, ansi teologales, histo-
riales, griegos, latinos, como de otras qualquier lenguas, y de
qualquier genero que sean, contenidos y especificados en el dicho
inventario por mi hecho de mis bienes patrimoniales y bazienda
que tenia äntes de ser Obispo de Segorve . . . como de los demas
libros, que yo he comprado despues de ser Obispo de Segorve.
Vgl. Villanueva, Viage, tom. III, p. 174.
Dieses ,Inventario 4 bildet den vorletzten Theil des Testa
mentes und wird unter dem Titel ,Memoria de lo que manda
su senoria que se haga de los papeles de mano que tiene en
su libreria 4 von Villanueva 1. c. p. 294 ff. mitgetheilt, wie folgt:
(1) Primo, un libro de vida de sanctos de Espana manda
que se db ä la libreria de la Seo de Segorve.
(2. 3) Item dos tomos de bullas y privilegios tocantes ä la
iglesia de Toledo, y ä otras de Espana, manda que se de ä la
libreria de la Seo de Segorve.
(4—6) Item tres libros, en el uno juntaba su senoria pa
peles tocantes ä la dignidad episcopal de Segorve, que tiene
titulo que dice Episscopus: otro donde juntaba fundaciones de
1 Für chanone, canones.
Bibi. Uebersetzung: 416—417 (Scalas — Segorbe).
67
beneficios de la Seo de Segorve, que tiene titulo Beneficia sedis
Segobricen.; y otro tercero donde juntaba las fundaciones de
los beneficios de la diöcesi, que tiene por titulo Beneficia Diö-
cesis; estos tres manda y quiere su senoria que queden para
el archivo episcopal, y ruega se cosan los quadernos por que no
se pierdan.
(7. 8) Item otros dos libros que ay de mucha sustancia,
en el uno estä la relacion de todos los beneficios de la Seo,
con las rentas dellos, y los patronatos y succesion de bene-
ficiados de la Seo de Segorve; y otro libro de los beneficios
de la diöcesi; manda su senoria que dichos libros queden en
el archivo episcopal de Segorve; aunque si Dios diere vida a
su senoria, tiene intencion de acaballos, y dar copia al cabildo
de dicha Seo.
(9) Item un otro libro que ay de tres dedos de gordo de
la vida de los arzobispos de Toledo en borrador, este ruega su
senoria que se ymbie ä Toledo, y se de al P. Hierönimo de
la Higuera, de la Compania de Jesus, porque scribe desta ma-
teria, y le aprovecharä mucho.
(10. 11) Item otros libros hay, y tiene su senoria de mano
en dicha libreria, de historias espanolas, que comienzan por
Victor tunensis, y otros libros de sanctos de Espana, que co
mienzan por sant Leandro; estos manda su senoria queden
para la libreria de la Seo de Segorve, porque son un tesoro.
(12) Item otro libro de concilios götthicos, manda su se
noria quede para la libreria de la Seo de Segorve; en el quäl
libro hay correctiones de concilios.
(13 —15) Item una historia de Rasis ärabe. — Item una
historia de Don Alonso VIII de mano. — Item una historia de
Lucas Tudense de mano, manda su senoria queden para la
libreria de dicha Seo.
(16. 17) Item dos libros de declaraciones de cardenales
manda su senoria que queden para la libreria de la Seo de
Segorve.
Item por quanto su senoria ha hecho muchos borradorcillos
en materias beneficiales y canönicas, manda que dichos papeles
y borradores se den y entreguen al doctor Melchior Ocanya,
arcidiano de Alpuente, para que rasgue los que le paresciere;
y los demas los comunique, si le paresciere, al doctor y canö-
5*
68
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
nigo Miguel Martin ez, porque no son libros de comunicarse ä
otros que no sean de tanta familiaridad.
Villanueva’s äusserst genaue Beschreibung von den Hand
schriften, die sich aus Perez’ Nachlass noch in Segorbe finden,
möge hier im Auszuge folgen:
1. Primeramente un tomito en 8°, 200 fojas, apuntaciones
sobre la lengua hebrea: Dictata a Petro Lodoico Ruviale, die
25 Octubris 1555. Escrito de mano del Senor Perez. Zum
Schlüsse das Datum 28 Februarii 1556; Rudimenta linguae
hebraeae dictata a Johanne Baptista Perez, Valentiae die
6 Octobris 1559, u. ä. m. Aus diesen Yorleseheften hat man
auf die Existenz eines hebräischen Collegs an der Universität
Valencia zu jener Zeit geschlossen.
2. Dictionarium arabicum.
3. Otro volümen en folio, que contiene la historia del
moro Rasis, ,1a quäl tiene Ambrosio de Morales en un original
harto antiguo, escrito en pergamino. Agora tiene este original
Gronzalo Argote de Molina, vecino de Sevilla. Otro original
hay en Santa Catalina de Toledo'. In demselben Bande Aus
züge aus Eterius und Beatus gegen Elipandus, mit verschiedenen
Anmerkungen; ferner: Chronologia bibliorum, mit einem Certi-
ficat, welches besagt, Perez habe erhalten por mano de D. Juan
Lopez de Velasco un cödice götico de concilios de la libreria
de S. Lorenzo el Real ,el quäl es uno de los dos que enviö
de Soria D. Jorge de Veteta' 1 (3. Juni 1577). Zum Schlüsse
unzählige, zum Theil für eine Isidorausgabe berechnete Notizen,
unter diesen ilustraciones al libro de S. Isidoro de viris illustribus.
4. Otro tomo en folio: Comentario de cosas memorables
que en la Europa han acaecido en tiempo del Rey Catölico y
del Emperador Carlos V y del Rey D. Felipe II. Traducido
del latin en romance por Miguel Bou de Villanova, escribano
de registro de su Magestad, y en algo anadido. Umfasst die
Jahre 1452—1581. Beigeschlossen sind zahlreiche, zum Theil
unedirte Documente, pertenecientes ä los Santos de Espana.
1 Ein interessanter Beitrag zur Geschichte der Escorialenses a II 9 und
e I 13, welche beide den Vermerk tragen: Diole . . . Don Jorge de Beteta
(vgl. Hartel-Loewe p. 19 und 46). Noch eingehendere Nachrichten über
die Betetacodices finden sich in den Commentaren Villanueva’s zu dem
Chronikencodex. Vgl. weiter unten.
Bibi. Uebersetzung: 417 (Öegorbe).
69
5. Vol. fol., igualmente actas y documentos de los Santos
de Espaßa.
6. Vol. fol. Coleccion de concilios 1 mit ausführlichen Noten,
welche Villanueva mit dem Wunsche analysirt, dass dieses
Manuscript vollständig veröffentlicht werden möge.
7. Yol. fol., mas de trescientas fojas. Copias de docu
mentos pertenecientes a la Iglesia de Toledo y otras de Espana.
Die wichtigsten derselben werden verzeichnet.
8. Vol. fol., tambien colleccion de documentos. Gleichfalls
Auszüge.
9. Vol. fol. Catalogus beneficiorum omnium Ecclesiarum
fundatarum in Ecclesia Segobricensi et ceteris Ecclesiis totius
dioecesis.
10. Episcopologio de esta Iglesia.
11. Libros de las visitas que hizo en su catedral en los
anos 1592 y 1596.
Villanueva a. a. 0. p. 177—196.
Aus der sehr detaillirten Noticia del cödice de cronicones
que copiö el Senor Perez de varios originales antiguos, el quäl
se conserva en el archivo de la Santa Iglesia de Segorve a. a. 0.,
p. 196—220 heben wir folgende Hauptrubra hervor, bezüglich
der Details der Beschreibung und der abgedruckten Excerpte
auf den Bericht selbst verweisend:
1. Victoris Tunnensis in Africa Episcopi chronicon ec-
clesiasticum per Imperatores et Consules continuans chronicon
Prosperi Aquitanici ab anno Christi 444 ad 567 cum anno-
tationibus marginalibus, ut puto Joannis Biclarensis.
2. Joannis Abbatis Biclarensis, et postea Episcopi Gerun-
densis chronici continuatio post Victoren! Tunnensem ab anno
Christi 566 usque ad 590.
8. Sancti Isidori Archiepiscopi Hispalensis liber de gotthis,
suevis et wandalis usque ad annum 625, scilicet quintum
Suinthilae.
4. Idacii Lamicensis in Galletia Episcopi chronicon ab
anno Christi 403 usque ad 568.
5. De regibus wandalorum fragmentum incerti auctoris
ad finem chronici D. Isidori.
1 Vgl. oben Nr. 12 der Memoria des Testamentes.
70
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
6. S. Isidori Archiecopiscopi Hispalens. de viris illustribus
ab anno 250 ad 610 additis tredecim viris, qui in aliis deerant,
cum additione S. Braulionis Episcopi Caesaraug. de vita S. Isidori.
S. Ildephonsi Archiep. Toletani de viris illustribus; cum
additionibus S. Juliani, et Felicis, Archiepiscoporum Toletanorum
de vita S. Ildephonsi et S. Juliani.
7. S. Isidori Hispalens. obitus scriptus a Redempto.
8. Vita septem primorum Hispaniae Episcoporum Torquati
etc. qui ab Apostolis sunt missi, ex vetustissimo complutensis
bibliothecae codice litteris gotthicis scripto.
9. De Osio Cordubensi, et Gregorio Eliberritano Episcopis
historia incerto auctore, ut puto, Marcellino praesbytero; ex
codice biblioth. complut. gotthico.
10. S. Aemiliani Abb. vita scripta a S. Braulione Caesaraug.
Episcopo missa ad Fronimianum praesbyterum, cum hymno
Eugenii tertii Toletani Archiepiscopi in laudem S. Aemiliani. =
Ex codice soriensi.
11. Pauli Diaconi emeritensis liber de vita, et miraculis
patrum emeritensium.
12. S. Ildefonsi Archiepiscopi Toletani vita scripta a Cixila
Archiepiscopo Toletano.
13. De visione habita Taioni Episcopo in Romana ecclesia,
et de libro morali in Spania ducto.
14. Incerti auctoris additio ad chronicon Joannis Biclarensis
ab anno 601 ad 742.
15. Adefonsi regis tertii Legionensis cognomento Magni,
chronicon ad Sebastianum, de Regibus gotthorum a Wamba,
et ovetensium usque ad Ordonium primum; scilicet ab anno
672 usque ad 866.
16. Sancti Isidori Hispalensis chronicon hebraeorum et
romanorum ab ortu mundi usque ad ann. Christi 627, scilicet
4 Sisebuti.
17. Sancti Juliani Arch. Tolet. historia de coniuratione
Pauli Ducis Galliae Narbonensis adversus Wambam Regem
gotthorum.
18. Chronicon Regum wisigotthorum Hispaniae breve, sed
diligentissimum per annos et menses, quod puto esse S. Juliani
Tolet. Arch., licet aliqui tribuant cuidam Vulsae Episcopo.
Bibi. Uebersetzung: 418 (Segorbe — Segovia).
71
19. Isidori Pacensis Episcopi epitome Imperatorum et
arabum, una cum Hispaniae chronico ab anno Christi 611 usque
ad 754.
20. Sampyri Asturicensis Episcopi chronicon Regum Legio-
niensium, continuatum post chronicon Adefonsi Regis ab Ade-
fonso III ad Ranimirum III, id est, ab anno 866 usque ad 982.
21. Cronicon del Obispo Pelayo.
22. Chronicon albaildense editum ab incerto auctore anno
Christi 883 auctum a Vigila monacho albaildensi anno Christi 976.
23. Ruderici Ximenez Arch. Tolet. de historia arabum
Hispaniae Regum a tempore Machomet pseudo-prophetae ab
anno Christi 618 usque ad ann. 1140, nernpe annum arabum 539.
24. S. Ildephonsi historia de Regibus gotthorum sui temporis.
Yalbntinelli, p. 129 f. ganz nach Villanueva. Die Hand
schriften Perez’ befinden sich, wie ich durch eine auf Anregung
Theodor Mommsen’s erfolgten Information seitens des Chronisten
von Denia, D. Roque Chabas, erfahre, heute noch unversehrt
in Segorbe.
Segovia.
418. Biblioteca de la Iglesia.
In dem Testamentum Fortuni Episcopi Segoviensis a. 1460
findet sich folgende Bestimmung: dabitis . . . ecclesiae Segoviensi
illos libros, quos dimisi segregatos pro ipsa; et quia iam dedi
ei unum Missale et unum Breviarium Magnum, licet sit secundum
usum et consuetudinem Segoviensis, detur ecclesiae Legionensi.
Risco, Espaiia Sagrada, tom. XXXVI (1787), p. CLXXXVI.
Vgl. auch p. 66. 1
Florez, Espana Sagrada, tom. III (1748), ap. XXXVII
und XXXVIII (vgl. auch tom. II [1747], p. 204), von dem so
genannten libro del Cerratense sprechend, bemerkt: Tengo noticia
que en la Santa Iglesia de Segovia se halla otro egemplar de
este libro; pero tambien estoy cierto de que es de menor anti-
guedad; pues alli parece que se incluye la Festividad del Corpus,
que en el mio no estä, por quanto entonces no se havia insti-
tuido. Demas de esto he leido una vida extractada de alli, la
1 Als Testamentsvollstrecker fungirte Juan de Segovia. Vgl. ibid. p. 59 und
CLXXXI.
72
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
quäl estä mucho mas aumentada, que en el mio, con interpolaciones
mäs modernas anadidas por otro Religioso.
Fita, Fidel, anknüpfend an diese Notiz, beschreibt die
Handschrift ausführlich im Boletin de la Real Academia de la
Historia, tom. XIII (1888), p. 227 f. Sie hat die Unterschrift:
Et ego humilis cerratensis gratias ago Deo qui michi licet in-
digno dedit incipere et perficere librum istum quem vitas sanc-
torum intitulavi. Qui incipit et explicit vitas sanctorum. Folgen
die von Fita gegebenen Auszüge, von p. 237 ab Bulas inöditas
de Alejandro HI. y Honorio III, im Original aufbewahrt und
von Fita copirt im Archivo de la Catedral de Segovia.
419. f Biblioteca particular de la Reina Dona Isabel en
el Älcazar.
Inventario de los libros prdprios de la reina dona Isabel
ä cargo de Rodrigo de Tordesillas, vecino y regidor de diclia
ciudad en ano de 1503. (201 Nummern.)
Veröffentlicht von Diego Clemencin, Elogio de la Reina
Dona Isabel, Memorias de la Real Academia de la Historia,
Madrid, tom. VI (1821), p. 435—471.
Cargos de libros proprios de la Reina Dona Isabel que se
hizieron ä su camarero Sancho de Paredes. (52 Nummern.)
Ibid., p. 471—481.
Segura de la Sierra.
420. j Biblioteca del Colegio de Jesuitas.
Inventario de los libros del Colegio de Jesuitas de Segura
de la Sierra.
Handschrift aus San Isidro (Nr. 472 und 473) jetzt in der
Bibliothek der Real Academia de la Historia. Vgl. Revista de
Archivos VI (1876), p. 263. Unter den ,libros' befanden sich
gewiss auch Manuscripte, wie die anderen a. a. 0. verzeichneten
Indices lehren.
Sentilias.
421. f Biblioteca del Monasterio de San Acisclo.
Sisebutus II., Episcopus Urgellensis, bestimmt in seinem
Testament a. 839: Do et concedo ad domum sancti Aciscli Sen
tilias monasterium librum Expositum beati Augustini contra
hcreses quinque.
■
Bibi. Uebersetzung: 419—428 (Segovia—Sevilla). 73
Villanueva, Viage, tom. X, p. 235, aus dem I. Cartoral von
Urgel, n. 802, fol. 237.
Serrateix.
422. Biblioteca del Monasterio.
Villanueva beschreibt Yiage, tom. VIII, p. 132 ,un buen
leccionario‘, saec. XII, sowie ein ,martirologio‘, saec. XI, dieses
Klosters ,donde estan alargadas las actas de los märtiresh Aus
züge im Ap. XXV.
Corminas, Suplemento, p. 298 nach Villanueva.
Sevilla.
423. Biblioteca del Cabildo de la Santa Iglesia Catedral.
Die Notizen über die ältere Geschichte der Bibliothek (vor
der grossen Schenkung des Sohnes Colon’s) lauten spärlich. 1
Bekannt ist, dass der berühmte Bibelcodex (Toletanus 2. 1, jetzt
in Madrid, Biblioteca nacional) im Jahre 988 vom Bischof Jo
hannes von Cordoba der Kirche von Sevilla geschenkt wurde.
Die Literatur hierüber am besten zusammengestellt von Ewald-
Loewe, Exempla, zu Tafel IX.
A. Handschriftliche Kataloge.
1. Inventario de los libros que tenia la Santa Iglesia de
Sevilla, antes de la donacion de la Biblioteca de D. Fernando
Colon: hizose en 19 de diciembre de 1522. 2
Leider nur Excerpte aus diesem vom Archidiaconus Luis
de Puerta angefertigten Katalog mitgetheilt bei (Henri IJarrisse)
D. Fernando Colon, Historiador de su padre, Ensayo critico.
Sevilla 1871 (Publication der Sociedad de Bibliöfilos Andaluces).
P. 169—172. Vgl. desselben Autors Excerpta Colombiniana p. 36,
n. 3, wo auf die Worte Loaisas in der Vorrede (zum Katalog 3)
verwiesen wird: el ano de 1454 ä 9 de Julio consiguiö Bulla
de Nicolao V. de excomunion rnayor reservada al Sumo Pontifice,
menos in articulo mortis, contra los que tuvieran 6 sacaran libros
1 Unmittelbar vor die Einverleibung der Privatbibliothek Pernans fallt
die Abfassung des an erster Stelle genannten handschriftlichen Verzeich
nisses. Die übrigen wichtigeren Handschriften aus den älteren Fonds
sind von Valentinelli a. a. O., p. 96 f. sorgsam zusammengestellt.
2 Kein Originaltitel, wie aus der Fassung ersichtlich.
m
i
74
XII. Abhandlung: Beer. Handscliriftenschätze Spaniens.
de ella (vgl. übrigens Haenel, Catalogi col. 978 und Valenti-
nelli p. 96).
2. Die Indices Fernan Colons. Diese bestellen aus sieben
Theilen: sogenannte Registra (A, B, C) und Abecedaria (A, B,
B bis, C). Ausführlich handelt hierüber Harrisse, Fernan Colon
p. 22 ff. und Excerpta p. 259—266, ohne jedoch auf die ver-
zeichneten Handschriften speciell Rücksicht zu nehmen. (Vgl.
weiter unten.)
3. Inventario hecho por Don Juan de Loaisa (Este abece-
dario se acabö de hazer en 11 de abril de 1684).
Die (für die Geschichte der Bibliothek wichtige) Einleitung
publicirt von Harrisse, Fernan Colon, p. 172—182.
4. Indice de todos los cödices manuscriptos que se con-
servan en la biblioteca de la santa patriarchal yglesia de Sevilla.
D. D. Didacus de Galvez direxit. Ano de 1780. Rafael Tabares
scripsit.
Valentinelli p. 99 f. Graux, Rapport, p. 129. Ewald p. 373 f.
Harrise, Fernan Colon, p. 31. ,Catalogue officiek nach dem
selben, Excerpta Colombiniana p. 47; ibid. p. 42 not. der lateinische
Titel Index librorum omnium. u. s. w., jedoch mit der Jahreszahl
MDCCLXXXIII.
B. Druckwerke.
Antonio, Nicolads, Bibliotheca nova I, p. 146 erwähnt
ganz kurz im Artikel Antonio Montero einen ,Codex eius car-
minum vernaculae linguae antiquioris in folio‘ aus der Colombina
(nach ihm Amador de los Rios, Historia critica VI, p. 152).
Ortiz de Zuniga, Diego, Anales eclesiästicos j seculares...
de Sevilla, Madrid 1795, tom. I, Vorrede erwähnt unter den
benützten Quellen den libro blanco de las dotaciones antiguas
de la Contaduria und andere libros antiguos de la Contaduria
aus dem Archiv der Kathedrale. Im Texte tom. I, p. 97: Ueber
das Schicksal der Codices der Cantigas Alfonso X., welche im
Archiv der Kathedrale aufbewahrt waren, bis sie auf Befehl
Philipp II. nach dem Escorial gebracht wurden. Noch ausführ
licher über die betreffende Stelle des Testaments Alfons X. und
die Handschriften selbst ibid. p. 342 f. — Tom. II, p. 221 werden
die Registerbücher der Contaduria del Cabildo besprochen. —
Tom. IH, p. 378 die Schenkung Colons. Schon hier die Klage:
Bibi. Uebersetzung: 423 (Sevilla).
75
Permanece (la biblioteca) despojo del tiempo, mas olvidada y
menos frequentada que la quiso su dueno, dificil de gozar y
fäcil de consumirse.
Rodriguez de Castro, Joseph, Biblioteca Espanola II,
p. 622 verzeichnet die Handschriften der Werke des Petrus
Hispanus: Textus omnium tractatuum (mit handschriftlicher Ein
zeichnung Fernan Colons); Glossulae; Summulae cum commento
Bartholomaei.
Haenel, Catalogi gibt col. 978 ff. einen kurzen geschicht
lichen Abriss und die bis heute noch vollständigste Liste der
Handschriften.
Torres Asiat, Felix, Memorias para . . . un diccionario
de los escritores Catalanes, Barcelona 1836, p. 59, gibt Auszüge
aus einem ,tomo en cuarto, miscellaneo, cubiertaskle pergamino,
que se halla en la biblioteca de la santa iglesia de Sevilla bajo
la E. Y. Tab. n° 7° (1316) Serventa Guitard ,Cartas latinash
Boletin bibliogräfico espauol, Ser. II, tom. 1 (1858), p. 184
kurze Bemerkungen über die Bibliothek.
Eguren, Memoria, bespricht p. 94 eine handschriftliche
Version catalana de los aforismos de Hipöcrates.
Amador de los Rios, Jose, Historia crxtica de la literatura
Espanola, tom. VI, p. 533 über einen Cancionero general; tom. VII,
p. 107 über eine Handschrift von Gomez Manrique, Prosecucion
del tratado de los Siete Pecados mortales; ibid. p. 198 Epistola
exortatoria 4 las letras de Juan de Lucena. Conservase en la
Biblioteca Colombina en un tomo MS. que lleva titulo Tractatus
Diversorum. Von allen hier erwähnten Handschriften finden
sich Copien im Codex der National-Bibliothek Dd. 61.
Valentinelli, p. 96 ff. gibt einen Ueberblick über die Ge
schichte und von p. 100 an ein Verzeichniss der werthvollsten
zur Zeit seines Besuches in der Kathedrale aufbewahrten Hand
schriften.
Gallardo, Bartolome Jose, Ensayo de una biblioteca Es
panola de libros raros y curiosos, tom. II, Madrid 1866, veröffentlicht
col. 514—557 aus dem Registrum librorum don Fernandi Colon
primi Almirantis Indiarum filii (vgl. oben) umfangreiche Aus
züge. Die überwiegende Mehrzahl der Bücherbeschreibungen
betrifft Druckwerke. Interessant sind die genauen Angaben
über Erwerb und Preis. Von Handschriften seien hervorgehoben:
76
XII. Abhandlung: Beer. Handschriftenschätze Spaniens.
N. 2086 1 Vocabulario de mano escrito de los sinönimos
nombres, asi griegos, como latinos y hebraicos de la medicina,
por örden del a-b-c, declarado en romance. Comienza: Alfita;
que quiere decir farina de cebada. Y acaba: De la corrida del
vientre. Estd con el siguiente.
2087 Macer de herbis, diviso por 77 capitulos . . . . 2 Al
fin esta una tabla de cuadros de los signos. Es en fol. de 2
col., escrito de mano. Este con el de arriba, costaron en
Sevilla 102 maravedis.
2091 Libro que contiene todas las profecias tocantes al
descubrimiento de las Indias ... In principio est epistola Domini
Xpofori Colon . . . Est in fol. ... 2 col. Est manuscriptus.
2526 Liber MS, et est Cancionero de canto de örgano . .
es viejo y mutilado y parece ser bueno. Costö en Roma 62
cuatrines, por Setiembre de 1515.
4129 Libro en espanol, de mano, llamado Secreto de los
secretos de Astrologia, compuesto por el infante D. Enrique de
Portugal... Es en 4°. Costö en Salamanca 3 rs., A 21 de Abril
de 1525.
4173 Testamentum Raymundi Lulii manuscriptum de opere
majori, seu de lapidis philosophalis compositione.... Et in fine
totius operis babentur quidam rbitmi latino sermone scripti:
Amor me facit rimare .. . Costö en Sevilla, por Junio, ano de
1527, un real.
Ygl. ausserdem die Nummern 2635, 3327, 3330, 3366, 3787,
3963, 4163, 4164, 4169, 4175.
Fernandez Guerra y Orbe, Aureliano, Noticia de un pre-
cioso cödice de la biblioteca Colombina. Madrid 1864.
Behandelt den codex T. 4 mit jüngeren Werken der spani
schen Literatur.
Borao, Boletin bibliogräfico, tom. YII (1866), p. 92 gibt
einen kurzen historischen Abriss über die Bibliothek, erwähnt
die vorher citirte Abhandlung Gluerra’s und die Abschrift einer
merkwürdigen Redaction von Cervantes’ Tia fingida.
1 Die (von Gallardo beibehaltene) Nummer des Registrums.
2 Folgt incipit und explicit wie auch bei den folgenden nur auszugsweise
mitgetlieilten Nummern.
Bibi. Uebersetzung: 423 (Sevilla).
77
Graux, Rapport, p. 129 Notiz über den Codex AA-144-19.
Wace, Rhythmae de gestis Bretonum, et baronum genealogiis.
(Harrisse, Henri) D. Fernando Colon, Historiador de su
padre. Sevilla 1871. Werthvoll durch die oben bereits erwähnte
Beschreibung der Kataloge und die im Anhänge veröffentlichten
Actenstiicke zur Geschichte der Bibliothek.
Boutelou, Claudio, Cödices ilustrados de la Biblioteca
Colombina. Museo Espanol de Antiguedades, tom. I (1872),
p. 149—162.
Bespricht ausführlich: 1. Ein Pontificale, saec. XIV, auf
Befehl des D. Juan, Bischof von Calahorra, am 10. Mai 1390
begonnen. 2. Ein Missale des Cardinais Mendoza. 3. Missale
Hispalense, saec. XV—XVI (Hie incipit sanctorale secundum
consuetudinem ecclesie yspalense etc.). 4. Officium B. Mariae,
saec. XV, französischen Ursprungs.
Gutierrez de la Vega, Biblioteca Venatoria, Madrid 1877
seqq. verzeichnet tom. I, p. CLXXXIf. ein handschriftliches
Werk der Jagdliteratur aus der Colombina: Mossen Juan Valles,
Libro de Cetreria y Monteria.
Francisque- Michel, Rapport, sur une mission en Espagne.
Archives des missiones scientifiques, III. sdrie, tome 6 (1880),
p. 269 ff. berichtet über cod. 5 . . . 177, mit dem schon von Graux
erwähnten Werk, welches sich als der ,Roman de Brut' erwies. 1
Cod. 91, Nr. 13 enthält: 1. Le Savi (guide de la vie liumaine,
veröffentlicht unter dem Titel Libre de Senequa von Bartsch,
Denkmäler der provengalischen Literatur, Stuttgart 1856, p. 192
bis 215) 2. Lo Gardacors de nostra Dona Santa Maria, verges
e pieuzela 3. Espozalizi de nostra Dona Sancta Maria Verges e
de Josep. — Cod. 204 (5) Opuscula varia: unter vielem Anderen
ein provengalisches Gedicht über die Passion Jesu Christi. Cod.
7. 72. Pierre de Lucembourg (Dyete de Salut).
Ewald, p. 373—381 beschreibt, zum Theil unter Benützung
des von Tabares angelegten Katalogs circa 70 Handschriften;
die wichtigste Ergänzung zu Hänel.
Harrisse, Henri, Revue critique d’Histoire et de Lite
ratur Paris 1885, Nr. 20, pp. 388—401; Nr. 23, p. 459; Nr. 30,
1 Heute in Paris, Bibi. Nationale, nouv. acq., fonds fran^ais Nr. 1415 vgl.
Harrisse, Grandeur et decadence de la Colombine, Paris 1885, p. 41.
78
XII. Abhandlung: Beer. Handscbriftenscbiitze Spaniens.
pp. 78—81, 240—243. Derselbe: Grandeur et decadence de la
Colombine, seconde Edition, revue etc. Paris 1885. Derselbe: La
Colombine et Clement Marot, Paris 1886.
In diesen Aufsätzen lenkte der ausgezeichnete Gelehrte
die Aufmerksamkeit der gebildeten Welt auf die Spoliirung,
deren Opfer die berühmte Sammlung erst in den letzten Jahren
geworden. Umfangreiche Pakete von kostbaren Büchern und
Handschriften, deren Provenienz aus der Colombina sich un
zweifelhaft erweisen lässt, wurden Ende 1884 direct von Sevilla
nach Paris gesendet und an den dortigen Quais zu Schleuder
preisen verkauft. Die von Harrisse gebotene Identification
der entwendeten Stücke mit den von früheren Forschern be
schriebenen unzweifelhaften Columbianis ist meisterhaft. Hand
schriften wurden in gleicher Weise in Mitleidenschaft gezogen
wie die Impressa. Vgl. Grandeur et decadence p. 38—44 und
insbesondere p. 48 ff.
Riano Juan-Facundo, Critical & Bibliographical notes on
early spanish Music, London 1887 beschreibt p. 66 cod. Colomb.
Z. 135. 33, saec. XVex.: Canto de Organo; p. 67, cod. Colomb.,
Z. 135, 32 Variorum de musica.
Engel, Arthur, Notes sur quelques manuscrits archeo-
logiques conservds h Seville. Revue archeologique XVII (1891),
p. 100 bis 103. Verzeichnet 1. Handschrift des Jesuitenpaters
Hierro 1765. 2. Explicaciones numismaticas von Guillermo Thyrry
1748. 3. Pergamenthandschrift mit verschiedenen archäologischen
Abhandlungen. 4. Varias antiguedades von Josö Maldonado.
C. Schriftproben.
Harrisse bietet zu p. 26 seines Buches D. Fernando Colon
(vgl. oben) eine Seite des ,Registrum B‘ (Autograph Fernans).
Boutelou gibt zu dem oben erwähnten Aufsatz einige
farbige Miniaturproben.
Bei den angedeuteten schwierigen Bibliotheksverhältnissen
— fast alle Berichte der Forscher klagen über die in den Weg
gelegten Hemmnisse ■— einer-, sowie bei dem Umstande anderer
seits, dass Loewe die Colombina bereits besucht und die werth
vollsten patristischen Handschriften ausführlich beschrieben,
konnte ich von einer erneuten Durchforschung derselben ab-
Bibi. Uebersetzung: 424-426 (Sevilla).
79
sehen. Das Verzeichniss Loewe’s, das in den Besitz der Aka
demie überging, wird im zweiten Bande der BPLH. zur Ver
öffentlichung gelangen.
424. Biblioteca del Coro de la Santa Iglesia Catedral.
Bermudez Juan-Agostino, Descripcion artistica de la Cate
dral de Sevilla, Sevilla 1804, 8°, p. 50 f. bespricht die Chorbibliothek
mit Nennung der Meister, welche die Bände mit Miniaturen
schmückten.
Quesnada, Antonio de, Indice general y particular de la
libreria del coro de la Santa Iglesia Metropolitana y Patriarcal
de Sevilla. Madrid 1816. 8°. 24 p.
Valentinelli, p. 102 f. gibt einen guten resumirenden
Ueberblick.
Riano, Juan-F., Critical and Bibliographical Notes on early
Spanish music, London 1887, p. 136 gibt gleichfalls eine aus
führliche Beschreibung dieser stattlichen Sammlung, die (nach
ihm) gegen 200 Bände zählt.
(Fita y Colome, Fidel) Bosquejo de la Exposicion histörico-
Europea Madrid 1892, p. 31 f. erwähnt als von Seite des Capitels
und Palacio Arzobispal ausgestellt: (1) Un libro coral, ejue con-
tiene la misa de la Ascensiön basta el martes despues de Pente-
costes, con preciosas orlas; (2) otro libro coral cuyas margenes
estan adornadas con hojas y variadas flores (3) otro libro,
tambien coral, de la Asuncion y la Coronaciön de la Virgen
con el Padre Eterno y cuatro Angeles (4) otro, tambien coral
estilo mudejar, siglo XVI, con tinisimas labores azul y rojo.
425. Biblioteca del Arzopispo.
Haenel, Catalogi, col. 978: nullos Codices.
Valentinelli, p. 103 f., der über die Geschichte der Biblio
thek eingehender handelt, bemerkt aber: Conta appena trenta
codici manoscritti. . . fra’ quali e una copia dello Statuto di Si-
viglia, eseguita nel secolo decimosettimo in un codice membra-
naceo in foglio.
426. Biblioteca Universitaria.
Die Bibliothek wurde 1838 durch königliches Decret ge
gründet, welches ihr als Hauptfonds die Bestände der aufge-
80 XII. Abh. Beer.: Handscbriftensch. Spaniens. Bibi. Bobers.: 426 (Sevilla).
hobenen Klöster bestimmte; erst im Jabre 1842 wurde mit der
Installirung begonnen.
A. Handschriftliche Kataloge.
1. Memorias sobre el estado de la biblioteca provincial y
universitaria de Sevilla en el ano de 1861 . . . escrita por el
Dr. D. Ventura Camacho y Carbajo. Sevilla 1862.
Amtlicher Bericht, in den handschriftlichen Aufzeichnungen
Loewe’s registrirt. Die Manuscripte werden nur gelegentlich
behandelt.
2. Zettelkatalog, den Ewald und Loewe benützten.
B. Druckwerke.
Valentinellt, p. 104—106 geschichtlicher Rückblick, p. 106
Aufzählung einiger Handschriften.
Graux, Rapport, p. 129 f. spricht von einem ,cabinet des
manuscrits assez richeb Diese Bezeichnung wäre, was den
Werth der Handschriften anlangt, zu limitiren. Unter den codd.
findet sich ein griechisches Manuscript, Demosthenes saec. XVI,
nach Graux ,k peu prfes sans valeurb
Ewald beschreibt p. 381 f. drei Handschriften.
Anuario del Cuerpo facultativo de Archiveros I. (1881),
p. 220 f. über Gründung und Bestände der Bibliothek; II. (1882),
p. 161 ff. bringt nebst Fortsetzung der Berichte aus dem I. Bande
auf p. 163 einen apendice : manuscritos.
Martin-Villa, Antonio, Resena liistörica de la Universidad
de Sevilla y descripciön de su iglesia. Sevilla 1886.
P. 86 über die Einverleibung der Bibliothek des Ayun-
tamiento aus S. Acacio (vgl. diesen Artikel), leider ohne Nennung
der einzelnen Bestände.
(Fita y Colome, Fidel) Bosquejo de la Exposiciön historico-
Europea, Madrid 1892, erwähnt p. 44 als von dieser Bibliothek
ausgestellt: una Sagrada Biblia, con glosas de Nicoläs de Lyra,
de la primera mitad del siglo XV, escrita en cinco volümenes,
en vitela, con lujosa ornamentaciön por mandato de Per Afän
de Rivera.
Loewe hat aus der Sammlung einige wenige Handschriften
als beachtenswerth verzeichnet, die zusammen mit der Liste aus
dem Anuario veröffentlicht werden sollen.
Ausgegeben am 17. Mai 1893.
BIBL ÖAW