Hielt Descartes die Thiere für bewusstlos?
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das Dasein der Körper bestritt, indem er es für nur wahrschein
lich erklärte. Kur hat er dieses positiv wahrscheinlich genannt
und das Dasein der Thierseele ,nicht gewiss 4 . Ich glaube nicht,
dass er es darum für fraglicher hielt als das der Körper. Im
G-egentheil! Die negative Fassung zeigt, dass es ihm am
nächsten lag, Gewissheit anzunehmen, die positive in Bezug
auf die Körper, dass er vom Unglauben ausging. Vielleicht
wird Manchem der Sinn der Aeusserungen Descartes’ über die
Thierseele durch die Bemerkung klar, dass er in denselben
nicht so sehr eine zoologische, als vielmehr eine erkenntniss-
theoretische Thatsaclie auszusprechen strebte.
Wer es gar so unbegreiflich findet, dass Jemand im
Thier ,nicht die Spur von einem Geist 4 sehen wolle, der be
denke, dass die angeblich Descartes’sche Theorie so unerhört
paradox nicht ist, als es auf den ersten Blick scheint. Unser
Recht erkennt dem Thiere keine ,Persönlichkeit 4 zu, erklärt es
für eine ,Sache 4 . Ja, Thiere gelten ihm unter Umständen als
,vertretbare 4 Sachen, auf deren Individualität es also nicht an
kommt. Der Schritt, zu leugnen, dass das Thier seiner selbst
als eines Individuums bewusst sei, ist kein so grosser. Auch
hebt die Anwesenheit eines Thieres die Stimmung der Ein
samkeit, des absohiten Alleinseins nicht so auf, wie wenn ein
Mensch des Weges kommt. Also nicht nur dem nüchternen
Juristen, auch dem lyrisch Gestimmten gilt die Thierseele
nicht als vollgiltiges ,Ich 4 , Die Worte, mit welchen die Jäger
sprache die Thätigkeiten des Wildes bezeichnet, haben sehr
oft eine Mitbezeichnung des Automatischen, Unpersönlichen.
Der Rehbock ,schallt 4 , wenn er überrascht wird und ,flüchtig
wird 4 , nicht entflieht; der Hirsch ,wechselt 4 über den Bach.
Auch- die wilde, populäre Thierpsychologie ist also dem Auto
matismus nicht von Grund aus feind. Descartes’ Zweifel ist,
ganz abgesehen von seiner wissenschaftlichen Berechtigung,
dem Menschen nicht so unnatürlich, als es scheint. Die Thier
seele wird so oft ignorirt, dass es nicht zu wundern ist, wenn
ein consequenter Kopf einmal ernstlich fragt, ob sie denn
überhaupt vorhanden sei. Wenn man sich innig bemüht, das
Denken eines echten Philosophen in der Phantasie nachzuer
leben auf Grund der Gedanken, wie er sie mit den Mitteln,
über die er verfügte, in seinen Büchern darzustellen versucht
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXVI. Bd. 4. Abh. 2