Gomperz. Platonische Aufsätze. 741 Platonische Aufsätze. Von Theodor Gomperz, wirkl. Mirgliede der kaiserl. Akademie der Wissenschaften. I. Zur Zeitfolge platonischer Schriften. Die zum Mindesten ein halbes Jahrhundert fruchtbaren Schaffens umspannenden, so vielgestaltigen und widerspruchs vollen Werke Plato’s nach der Folge ihrer Abfassungszeit an ordnen zu wollen — dies ist sicherlich mehr als ein blosses Verlangen wohlberechtigter Wissbegier. Die Lösung des heiss umstrittenen Problemes verheisst uns reichen Gewinn. Von ihr erwarten wir die schliessliche Beseitigung des auf diesem Boden noch immer üppig wuchernden, Discrepanzen verhüllenden, äusserlichen Einklang erzwingenden, hai-monistischen Bemühens; die Sicherung und in anderen Fällen die Anbahnung eines völlig unbefangenen und eindringenden Verständnisses gar vieler dieser Schriften; desgleichen die Beschaffung eines unverächtlichen Hilfsmittels zur Entscheidung der Echtheitsfrage in Ansehung des angefochtenen Theils der Sammlung; ja schliesslich viel leicht auch die Gewinnung neuer Einblicke in die Entwicklungs und Bethätigungsweise schöpferischer Geister überhaupt. Allein so lockend das Ziel, so gewaltig ist das Heer der Schwierigkeiten, welches sich seiner Erreichung hindernd in den Weg stellt. Sie entspringen insgesammt der schriftstelleri schen Eigenart Plato’s, und zwar zumeist an zwei Punkten derselben. Seine Scheu vor der Ueberlieferung fertiger, von ihrer Gedankenwurzel abgelöster oder ablösbarer und darum leicht zu leblosen Dogmen erstarrender Ergebnisse hat ihn die seiner künstlerischen Begabung so congeniale Gesprächsform zugleich endgiltig wählen und sie vielfach in einer Weise hand- 48«