6 Ne uwi rt li. für solche dichterische Werke wach. Und so dringt durch des Dichters Wort eine glänzende, wenn auch nicht immer in allem wahrheitsgetreue Vorstellung von den Sitten und Gebräuchen der Ahnen in das Bewusstsein des Volkes, das sich doppelt freut, seine grossen und bedeutenden Männer bis in jene Tage zurück verfolgen zu können, aus welchen ein stellenweise versiegender Bach dürftiger Berichte in die unsern herüberleitet. Wem drängt sich nicht bei dieser Betrachtung unwillkürlich der Ge danke an einen für diese Richtung bahnbrechenden Dichter und eines seiner besten Werke auf, der Gedanke an Scheffel und Ekkehart? Wie gern lässt sich heute jung und alt in letz terem auf den Hohentwiel führen, um mit der Herzogin den be lehrenden Worten des jungen Mönches zu lauschen, sich an dem muntern Treiben und gesunden Leben auf jener Höhe zu freuen, oder um in St. Gallen das stille und opferfreudige Wirken der Culturträger jener Tage zu bewundern, in denen asketischer Ernst und heiterer Frohsinn in schöner Harmonie vereinigt sind und hingebende Opferfreudigkeit für die höchsten Güter der Menschheit, für Kunst und Wissenschaft zu Tage tritt. Aber wie in einem Bilde Licht und Schatten nach bestimmten Ge setzen, welche die Schönheit bedingen, vertheilt sind, so weichen vor St. Gallen und dessen die Kunst liebenden und übenden Mönchen in den Schatten des Neides Rudimann von Reichenau und seine Klosterbrüder zurück, unsere Anerkennung und Be wunderung, sowie unsere Entrüstung gemäss der Darstellung des Dichters mit sich nehmend. Ziehen wir dabei die Quelle in Betracht, welche letzterer zugrunde liegt, so finden wir be greiflich, wie aus der einseitigen Benützung der keineswegs in allen Stücken gleich glaubwürdigen und zuverlässigen Casus sancti Galli Ekkehart’s IV. 1 ein allerdings in seinen Einzcln- heiten äusserst fesselndes, aber den wirklichen Verhältnissen mitunter gar nicht entsprechendes Gemälde einer für die Cultur- entwicklung der deutschen Länder so hoch bedeutenden Epoche 1 Gerold Meyer von Knonau: ,St. Gallische Geschichtsquellen', III., Ekkeharti (IV.) Casus sancti Galli; herausgegeben vom historischen Verein in St. Gallen in den ,Mittheilungen zur vaterländischen Geschichte', neue Folge, 5. und 6. Heft. St. Gallen 1877. Einl. p. XII, ff. J. Hardegger, Christian Kuchemeisters neue casus monasterii St. Galli, derselben Mit theilungen 1, Heft, St. Gallen, 1862. Einl. p. VIII.