Einleitung. Wer mit einem lieben Freunde täͤglich verkehrt, der bemerkt nicht, wie einzeln Haar um Haar ihm bleicht, wie zur ersten Runzel, die seine Stirne furcht, all⸗ mählich mehrere sich gesellen, wie ein und der andere Zug der Jugend verschwin⸗ det, um diesem und jenem Vorzeichen des nahenden Alters Platz zu machen. Glei⸗ chen Schrittes fürbaß wandelnd sehen sie sich nach Jahren so wie heute, und sitzen noch im Abendschatten, ein altes, treues Tauberpaar“), friedlich nebeneinan⸗ der, ohne vielleicht je zu einander gesagt zu haben: „Aber, Freund, du bist gealtert!“ — „„Und du, mein' ich, auch!““ — Wenn aber Freunde nach zwanzig — oder dreißigiaͤhriger Trennung einander wieder begegnen, dann mag es wohl geschehen, daß nach der ersten Umarmung, in der die Herzen glaäubig sich erkennen, die Augen minder gläubig Manches zu vergleichen finden, was gegen das Bild aus früherer Zeit befremdend absticht. Das unabweisliche Bewußtsein, daß eine Trennung stattgefunden, reizt den Scharfsinn zur Vergleichung des Jetzt mit dem Einst, und läßt ihn Gegensätze entdecken, welche der Mutterwitz der Freundschaft durch Her⸗ vorziehung alter Uebereinstimmungen lächelnd wieder ausgleicht. Aehnlichen Eindrücken, wiewohl im umgekehrten Verhältnisse, begegnen wir im Zusammenleben mit der Natur. Wer eine Gegend taͤglich durchstreift, der bemerkt nicht die kleinen Veraͤnderungen, welche der Mensch nur allmählich in der⸗ selben hervorruft. Ob ein Haäͤuschen mehr dasteht, als sonst, ob jetzt uͤber den Fluß eine Brücke sich wölbt, wo früher nur des Schiffers Kahn darüber setzte, ob eine Straße verlegt, ein Wald ausgerodet, ein Fels gesprengt, ein Wiesgrund in Ackerland umgewandelt, eine Berglehne mit Reben bepflanzt wurde u. d. gl. — es verändert am Ganzen nichts, das Bild der Landschaft bleibt sich gleich. An ihm erkennt der Bewohner morgen und nach Monden seine Heimat wieder, denn er ändert sich unvermerkt mit ihr, er uͤbertraͤgt seine neuen Begriffe, seine neuen Lebensgewohnheiten auf seine Umgebung. Es ist ein wechselseitiges Entgegen⸗ kommen: indem er kleinweise sich selbst modernisirt, nimmt er des modernen Ge— wandes nicht wahr, das sie doch Stück für Stück vor seinen Augen sich angelegt. Anders ist es, wenn wir nach langem Zwischenraum eine Gegend wiedersehen, — ) »Vetuti notique eolumbi«- Horat. Epist. J. 10, v. 3.