Friedrich Christoph Schlosser.
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Diese Selbstbiograplne, im Jahre 1826 verfasst, muss uns
zunächst einen Augenblick beschäftigen. 1 Gelehrte entschliessen
sich nicht allzuhäufig zu einer über ihre eigene Entwickelung
reflectirenden Darstellung. 2 Schlosser, der zur Angabe der
Hauptumstände seiner Lebensgeschichte von aussen her aufge
fordert war, ergriff die Gelegenheit, sich einmal über sich selbst
Rechenschaft zu geben. Er schrieb einen Aufsatz, der in mehr
als einer Beziehung lehrreich war, und die Hauptquelle für
unsere Kenntniss von seinem Innern geblieben ist. Obwohl es
ihm eigentlich widerstrebte, sich selbst zu porträtiren, scheint
es ihm doch unmöglich gewesen zu sein, eine Reihe von Lebens
schicksalen in trockener Chronologie ohne den Nachweis des
geistigen Zusammenhanges derselben zu verzeichnen. Indem er
schrieb, gestaltete sich seine Selbstbiographie zu einer Erklärung
seiner selbst, zu einer recht eigentlichen Bekenntnissschrift.
Er verwahrt sich mit mehr als einem Worte gegen die Ver
suchungen, denen der Selbstbiograph zu unterliegen pflege, er
1 Weber a. a. O. wieder abgedruckt aus den Zeitgenossen' 1826. Wir sind
weit entfernt, hier auf das Biographische irgend eingehen zu können,
oder zu wollen. Nur was die innere geistige Entwickelung Schlosser’s be
trifft, so gehört es zu unserem Gegenstand; doch möge es gestattet sein,
einer Mittheilung des Herrn August Oncken hier zu gedenken, welcher
mich versicherte, dass in Varel, wo Schlosser Hofmeister bei Bentinek-
Knyphausen war, die Tradition vorhanden wäre, die Bürger der Stadt
hätten Schlosser als ,Domestiken' des Grafen die Aufnahme in den Club
verweigert, was vielleicht Ursache zu dessen plötzlichem Abbruch seiner
Verhältnisse in Varel gegeben haben möchte.
2 Gervinus führt auf diesen Umstand (Grundzüge der Historik S. 13) sehr
schön die Thatsache zurück, dass über Historik und Historiographie
gerade von den bedeutendsten Historikern am unliebsten und seltensten
geschrieben wird. Hier ist der Vergleich mit dem Künstler vielleicht
passender angebracht als sonst. Vollends beistimmen muss man ihm aber,
wenn er sagt: ,Der Geschichtschreiber liebt das Nachdenken über sein
Geschäft so w’enig wie der Künstler. Und dennoch ist es unserer neuesten
Zeit so natürlich, über ihre Bestrebungen sich Rechenschaft zu geben,
das was sie thut, mit Bewusstsein thun zu wollen, dass man nimmer
mehr zweifeln darf, ob es heute noch Jemandem gelingen werde, in
Kunst und Wissenschaft grosse Productionen zu liefern , ohne sich über
seine Leistungen und sein Verfahren von Zeit zu Zeit klar zu machen'.
Wie viel mehr muss man heute diesen Satz wiederholen, wo es an den
meisten Orten in Deutschland Mode geworden ist, solche Dinge, wie sie in
der Historik abgehandelt werden, als Allotria zu behandeln.