Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 85. Band, (Jahrgang 1877)

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Verhältnisse, plötzlicher Tod, Börsensturz, Lotteriegewinnst und 
, Schwank' bilden beliebte Auskünfte. Das angebliche Drama 
ist im Grunde Erzählung, an sich unbegründeter, durch die 
zu handeln scheinenden, aber in Wahrheit nicht handelnden 
Personen, die ,zu schieben glauben und geschoben werden', 
dem Anschein nach bewirkter, in Wahrheit ganz unabhängig 
von diesen nach einem unabänderlichen Verhängniss sich voll 
ziehender Glückswechsel. Werden zu dieser ,Maschinerie' nach 
der Analogie des religiösen Dramas ,auswärtige' (übermensch 
liche) Mächte, eine Mythologie, zu Hilfe genommen, so ent 
steht das religiöse epische Drama, die Epopöe, mit seinem 
anfangs- und endlosen Fluss auf- und abschwankenden Ge 
schickswechsels, welchem selbst die scheinbar die Geschicke 
lenkenden Götter, wie die von ihnen scheinbar gelenkten 
Sterblichen unterworfen sind. Begnügt sich der Dichter da 
gegen mit der Einführung irdischer (angeblich verborgener, 
geheimnissvoller) Mächte (geheime Orden, ,unsichtbare Logen', 
irdische Vorsehungen), so entsteht das profane epische Drama 
oder dramatische Epos, der Roman, mit seinem zwar schein 
bar durch handelnde Personen herbeigeführten, aber immer 
noch ,romanhaften', d. h. mehr oder weniger willkürlich er 
scheinenden Glückswechsel (Mignons plötzlicher Tod; Wilhelms 
Begegnung mit Natalien im Walde). 
Bewusste Satire auf das Drama ruft das ,Satyrdrama' 
hervor, dessen polemische Spitze gegen die dramatische Form 
selbst gerichtet ist, und das daher in seiner ursprünglichen, 
von den Griechen erfundenen Gestalt (wie der hinter dem 
Triumphator stehende Sclave, der ihm zurufen musste: Be 
denke, dass du Mensch bist!), den Schluss der dramatischen 
Aufführung, der Trilogie, bildete. Das einzige uns erhaltene 
Stück aus dem Alterthum, der Kyklops des Euripides, zeigt 
diesen Ursprung deutlich, indem die Form der Motivation, 
welche von der antiken Tragödie beliebt, darin auf spöttische 
Weise ins Gegentheil verkehrt wird. Der unbegreifliche Glücks 
wechsel, der in der religiös gestimmten Tragödie durch höhere 
und zugleich sittliche Mächte motivirt erscheint, wird hier 
durch das Gegentheil von solchen erklärt. Die der Tragödie 
zufolge zugleich klügeren und besseren Götter erscheinen hier 
in der Person des genasführten und betrunkenen Polyphein
	        
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