Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 82. Band, (Jahrgang 1876)

Die Psychologie und Erkenntnisslelire des Johannes Bonaventura. 
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Mittelstellung des Menschen 1 ganz die Gedanken, die wir an 
einem andern Orte 2 früher schon bei Hugo von St. Victor 
kennen gelernt haben. Die Einigung des Höchsten in der 
Schöpfung mit dem Niedersten in derselben muss durch wechsel 
seitige Annäherung und Appropriation beider Gegensätze be 
werkstelliget werden; die terrestrische Materialität muss durch 
ihre organische Durchbildung zur Reception der rationalen Seele, 
diese durch Ausrüstung mit den Vermögen der Belebung, Ve 
getation und Sensification zur Verbindung mit dem organisir- 
ten Stoffgebilde geeignet gemacht werden. Die solcher Art 
angebahnte Einigung wird nun thatsächlich dadurch vermittelt, 
dass zwischen die mit den genannten drei Vermögen ausgerüstete 
rationale Seele und den organisirten Stoff die drei Geister: 
Spiritus vitalis, naturalis und animalis vermittelnd eintreten. 
Das durch die ebenmässige Durchbildung des Stoffes ermög 
lichte Wirken der Belebungskraft der Seele wird vermittelt 
durch den Spiritus vitalis; das durch die organische Gliederung 
und Durchbildung der Organisation ermöglichte Wirken der 
Vegetations- und Sensificationskraft der Seele wird durch den 
Spiritus naturalis und animalis vermittelt. Die durchgebildete 
Organisation des menschlichen Körpers als sinnlichen Wahr- 
nehmungsorganes der Seele ist vollkommen der kosmischen 
Location der Menschenseele angemessen; die menschliche Seele 
bedarf im Unterschiede vom Engel, dem die Ideen der Dinge 
eingeschaffen sind, als tabula nuda eines sinnlichen Leibes als 
Mediums und Vehikels der Erlangung jener Erkenntnisse, zu 
welchen sie eben nur auf dem Wege der sinnlich-irdischen 
Erfahrung gelangen kann; und auf diese Erfahrung ist ihr 
ganzes zeitliches Erkenntnissieben gegründet. Umgekehrt aber 
ist die sinnlich-irdische Stofflichkeit in dem durch die mensch 
liche Seele belebten Leibe zu jener Vollkommenheitsstufe em- 
porgehoben, dass sie in ihm zur Theilnahme am seligen Leben 
befähigt ist. So wird also dem Untersten, dem Stoffe, durch 
seine Appropriation für das geistig-sittliche Leben der Seele 
die Beziehung auf das letzte Ziel alles Geschaffen, auf das 
Seligsein in Gott vermittelt. Seele und Leib des Menschen 
1 Vgl. Sentt. II, dist. 1, art. 1, qu. 2. 
2 Siehe Denkschriften d. Akad. Bd. XXV., S. 108.
	        
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