Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 77. Band, (Jahrgang 1874)

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Werner. 
stand erkannt und begriffen wird, während das Schöne un 
mittelbar durch sich selbst gefällt und anzieht, ohne und bevor 
die Gründe des subjectiven Gefallens erkannt und begriffen 
worden sind. Daraus folgt, dass für das Gefallen am Schönen 
ein besonderer, vom rationalen Denken specifisch verschiedener 
Seelensinn postulirt werden muss, mittelst dessen das Schöne 
als solches, so wie auch das vom Schönen Abweichende oder 
in sein Gegentheil sich Verkehrende an empfunden werden 
muss. Nur wird man sofort nicht auch sogleich behaupten 
dürfen, dass dieser Sinn etwas schlechthin Einfaches sei, was 
sich nicht in seine besonderen, constitutiven Elemente auf- 
lösen Hesse; im Gegentheile, am Gefallen am Schönen wird 
zufolge der tiefstgreifenden Macht des wahrhaft Schönen der 
ganze innere Seelenmensch betheiliget sein, wie derselbe be 
theiliget ist im Gefallen am moralisch Guten das selber eigentlich 
nur eine besondere Art oder Gattung des Schönen ist, ohne 
indess mit dem Begriffe des Schönen als solchen sich zu 
decken. Denn Gegenstand des moralischen Gefallens kann 
nur dasjenige sein, was in irgend einer Weise unter die Kate 
gorie des sittlichen Handelns fällt; das als schön Erscheinende 
aber steht oft genug ausser aller Relation zur sittlichen Idee, 
obschon es andererseits niemals mit derselben im Widerspruch 
stehen kann, weil ein solcher Widerspruch einen Defect am 
Schönen selber involviren würde. Das Schöne und das Gute 
können einander nicht widerstreiten; die specifische Wesens 
form des Schönen ist jedoch eine andere als jene des Guten 
als solchen. Der Gegenstand des Gefallens ist im Schönen 
das Erscheinende als solches, im Guten dasjenige, was durch 
das Erscheinende sich kundgibt; identificirt sich aber im Guten 
das Erscheinende mit demjenigen, was durch das Erscheinende 
offenbar wird, so sehr, dass das Erscheinende als solches um 
seiner selbst willen gefällt, so geht das Gute selbst auch un 
mittelbar in das Schöne über, ohne desshalb aufzuhüren, seiner 
Natur nach etwas vom Schönen als solchem specifisch Ver 
schiedenes zu sein. 
Das Wesen des Schönen ist, unmittelbar durch seine 
Erscheinung und mittelst seiner Erscheinung zu gefallen; 
dadurch unterscheidet es sich vom Wahren, dessen Gründe 
oft tief verborgen sind, und selbst wenn sie augenfällig daliegen,
	        
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