Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 77. Band, (Jahrgang 1874)

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Scherer. 
Wil si daz ich von ir scheide den muot 
unde min herze von ir minne kere, 
so sol si läzen ir schcene und ir ere. 
ob si der beider verzilien wil sich, 
da mite mac si von ir scheiden mich, 
swar so daz keret, so muoz ich beliben 
unde iemer dienen dar vor allen wiben. 
wcere der schcenen min dienest so leit 
als si nu lange mir hat geseit, < 
so mohte si mich wol von ir vertriben. 
Blicken wir zurück auf die sieben betrachteten Strophen. 
Ein ganz bestimmtes Charakterbild des Dichters erhebt sich 
vor uns. Er ist ein sanguinischer Optimist. Er sucht sich sein 
Unglück so lange zurecht zu legen, als es irgend geht. Er 
deutet seine traurigen Erlebnisse so lange ins Milde um, bis 
er ganz unzweideutige Beweise vom Gegentheil bekommt und 
ihm keine Ausflucht mehr übrig bleibt. Tiefgehender Schmerz 
ist nicht vorhanden. Er nimmt Abschied mit dem Gedanken: 
ich werde ewig an dich gefesselt bleiben. 
Die Sitte des Frauen di en stes hat bei unserem Dichter 
ihren zweiten, Beleg. Den ersten gewährte uns Meinloh. An 
seine Doppelreime wie 13, 6. 8 erinnert hier fröuden rieh: 
fröuwen mich 18, 15. 16. 
Das Vorbild des älteren Regensburgers haben wir bereits 
erkannt. Ausserdem meint man zu bemerken, dass der Ver 
fasser aus epischen Dichtern gelernt habe: 18, 25 beginnt wie 
eine epische Erzählung ich horte wilent sagen ein meere, und in 
19, 24 swaz ich singe, daz ist war, erkennen wir die Ver 
sicherungsformel epischer Erzähler, übrigens auch Spervogels 
22, 2. 23, 23. 
Dass er auch der biblischen Bildung Eingang gestattet 
in den Stoff und Anschauungskreis seiner Poesie, das ergibt 
der Vergleich mit der Läuterung durch Feuer 19, 17 ff. 
Daneben hat er noch seine ganz individuelle Bedeutung. 
Er ist der erste in Deutschland, der unglückliche Liebe als 
ein poetisches Motiv empfindet. Die spätere conventionelle 
Situation eines Liebhabers, der die Dame schmachten lässt, 
tritt uns hier zum ersten Male entgegen. Auch die Sprödigkeit
	        
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