Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 73. Band, (Jahrgang 1873)

Zeitpunkt der slawischen Ansieilhing au der unteren Donau. 
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genommen und er vertrat eine Hypothese, die wir bei ihm natür 
lich finden müssen, die aber doch im Widerspruche mit der 
Wahrheit ist, etwa wie der Versuch, die Jonier in Hellas von 
den jonischen Colonien am Rande Kleinasiens, oder alle Ger 
manen von der Insel Scandza abzuleiten. Nestor nahm die 
Hypothese übrigens nicht aus sich, sondern empfing sie vom 
Süden her, dem Ausgangspunkte der Cultur für die nordöst 
lichen Slaven, wo sie bei Serben und Slovenen längst in Um 
lauf gesetzt war, von den Priestern, die sie ersonnen. Hier 
nach wanderte das Slavenvolk, sich an der Donau im Mittel 
punkt fühlend, von da nach der Weichsel und der Wolga, an 
den Strymon und an die Elbe. 1 
Durch das Ausströmen des kräftigsten Theils der Bevöl 
kerung muss die Volkszahl im Mutterlande sehr verringert 
worden sein, und es bedurfte gewiss vieler Jahrhunderte, bis 
sie sich wieder auf den früheren Stand erhob. Eine politische 
Verbindung zu einem grossen Ganzen erlangte diese Masse 
erst durch das Eindringen des derben, thatkräftigen Elements 
der germanischen Warägen aus Schweden, der sogenannten 
Ros. Aus den halt- und zusammenhanglosen, von auswärtigen 
Feinden misshandelten Slavengauen erwuchs das russische Volk, 
jetzt das grösste der Slavenvülker, wie es einst vor den Tagen 
des Auszugs das einzige Slavenvolk gewesen. Mit der durch 
germanischen Impuls erworbenen Kraft starker politischer 
Organisation, mit der Zuversicht eines aus den Siegen gegen 
das Ausland erwachten Nationalgefühls, und mit dem Drange 
eines ausbreitungslustigen Glaubens wurde das russische Volk 
bald kräftig genug, das zersplitterte schlaffe Element der finni 
schen Völker in sich zu absorbiren, sich völlig zu assimiliren. 
Unterwerfung, Bekehrung, Slavisirung folgten sich rasch auf 
einander. Das Russenthum slavisirte nach und nach den 
grössten Tlieil der Völker von den Wolga- und Donquellen 
bis zum Eismeere, und gestaltete aus ihnen eine uniforme 
Masse. So entstand durch Colonisation Verpflanzung und all- 
mälige Slavisirung das sogenannte grossrussische Volk, in 
1 Es genügt liier auf Zeuss zu verweisen, S. 597.
	        
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