Zeitpunkt der slawischen Ansieilhing au der unteren Donau.
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genommen und er vertrat eine Hypothese, die wir bei ihm natür
lich finden müssen, die aber doch im Widerspruche mit der
Wahrheit ist, etwa wie der Versuch, die Jonier in Hellas von
den jonischen Colonien am Rande Kleinasiens, oder alle Ger
manen von der Insel Scandza abzuleiten. Nestor nahm die
Hypothese übrigens nicht aus sich, sondern empfing sie vom
Süden her, dem Ausgangspunkte der Cultur für die nordöst
lichen Slaven, wo sie bei Serben und Slovenen längst in Um
lauf gesetzt war, von den Priestern, die sie ersonnen. Hier
nach wanderte das Slavenvolk, sich an der Donau im Mittel
punkt fühlend, von da nach der Weichsel und der Wolga, an
den Strymon und an die Elbe. 1
Durch das Ausströmen des kräftigsten Theils der Bevöl
kerung muss die Volkszahl im Mutterlande sehr verringert
worden sein, und es bedurfte gewiss vieler Jahrhunderte, bis
sie sich wieder auf den früheren Stand erhob. Eine politische
Verbindung zu einem grossen Ganzen erlangte diese Masse
erst durch das Eindringen des derben, thatkräftigen Elements
der germanischen Warägen aus Schweden, der sogenannten
Ros. Aus den halt- und zusammenhanglosen, von auswärtigen
Feinden misshandelten Slavengauen erwuchs das russische Volk,
jetzt das grösste der Slavenvülker, wie es einst vor den Tagen
des Auszugs das einzige Slavenvolk gewesen. Mit der durch
germanischen Impuls erworbenen Kraft starker politischer
Organisation, mit der Zuversicht eines aus den Siegen gegen
das Ausland erwachten Nationalgefühls, und mit dem Drange
eines ausbreitungslustigen Glaubens wurde das russische Volk
bald kräftig genug, das zersplitterte schlaffe Element der finni
schen Völker in sich zu absorbiren, sich völlig zu assimiliren.
Unterwerfung, Bekehrung, Slavisirung folgten sich rasch auf
einander. Das Russenthum slavisirte nach und nach den
grössten Tlieil der Völker von den Wolga- und Donquellen
bis zum Eismeere, und gestaltete aus ihnen eine uniforme
Masse. So entstand durch Colonisation Verpflanzung und all-
mälige Slavisirung das sogenannte grossrussische Volk, in
1 Es genügt liier auf Zeuss zu verweisen, S. 597.