Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 66. Band, (Jahrgang 1870)

Zur Suffixlehre des indogermanischen Verbums. 11. 
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ferenzirung sich entwickelt haben; wir glauben dies aus 
dem ganz einfachen Grunde, weil jenes wirkende Moment, welches 
die lautlichen Veränderungen innerhalb der Suffixe hervorgebracht 
haben soll, in der ältesten Form der Sprache uns gar nicht gegeben 
erscheint. 
Nach der gewöhnlichen Ansicht war es das Augment, welches 
dadurch, dass es den Ton auf sich zog, eine Verkürzung der Wort 
form im Auslaute bewirkte. Nun aber zeigen gerade die ältesten 
Denkmäler der oben genannten drei Sprachen (des Alt-Indischen, des 
Alt-Eränischen und des Alt-Griechischen), dass das Augment in 
jenen Formen, wo die spätere Sprache es regelmässig zu setzen 
pflegt, nicht nur fehlen kann, sondern in der That auch meistens 
fehlt. Dieses Fehlen des Augments erklärt sich leicht aus der Natur 
desselben; es ist eben kein Element, welches unmittelbar zur Verbal 
form selbst gehört, sondern ein Element, welches dieselbe ähnlich der 
Präposition nur determinirt. Erst die spätere Sprache hat dieses 
Element, welches die ältere Ausdrucksweise dem Verbum zur näheren 
Verdeutlichung der zeitlichen Anschauung vorsetzte, mit demselben 
zu einer Einheit verschmolzen. Und wie die Sprache so oft gewisse 
Elemente, welche nicht nothwendig zur Darstellung des Gedanken 
ausdruckes gehören, sondern nur in einer gewissen Periode (jener 
des Ringens nach plastischer Vollendung) zur Ausschmückung des 
Sprachgebäudes geschaffen werden, später, nachdem der Gedanke 
den Sprachstoff zu beherrschen und sich dienstbar zu machen ange 
fangen, als unnützen Ballast wieder über Bord wirft, eben so haben 
die meisten der indogermanischen Sprachen (alle, mit Ausnahme des 
Altindischen, Eränisehen und Griechischen) das Augment lallen 
gelassen. Das Augment kann demnach in der Geschichte der Verbai- 
suffixe unmöglich jene wichtige Rolle spielen, welche ihm die meisten 
Vertreter der modernen Sprachwissenschaft zutheilen möchten. 
Gesetzt aber auch, eine Schwächung im Auslaute der Suffixe 
durch das den Verbalformen des Imperfects und des Aorists vortretende 
Augment Hesse sich wirklich nachweisen, so bleibt es völlig unbe 
greiflich, wie eine solche in den Suffixen des Potentials und in jenen 
des Imperativs eintreten konnte. Denn die Suffixe des Imperativs 
stimmen, abgesehen von den Suffixen der ersten Person aller drei 
Zahlen, im Grossen und Ganzen mit jenen des Imperfect-Aorists und 
des Potentials überein, -sva gegenüber -thds zeigt keine bedeutende 
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