Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 38. Band, (Jahrgang 1861)

Tirouische Noten. 
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verbessert werden mussten. Nur Nachlässigkeit annelnnen zu wollen, 
ist hier nicht möglich. Denn einige im Codex vorkommende Fehler 
sind zu arg; andererseits würde dem auch die Wiederholung gewisser 
Unrichtigkeiten an verschiedenen Orten widersprechen. Wie lässt 
sich nun aber dieses Resultat mit dem früher erhaltenen, dass der 
Schreiber ein gewisses Verständniss für die Noten verräth, zusam - 
menreimen? Nach meiner Ansicht ist er nicht mehr mit dem voll 
ständigen Systeme der Tironischen Schrift vertraut. Wenn den 
noch seine Noten bis etwa auf ein Hunderttheil correct sind, so ver 
dankt er cs einerseits einem guten Lexikon, das ihm zur Abschrift 
vorliegt, andererseits ist er selbst ein gewissenhafter Copist. Dabei 
kommt es ihm zuStatten, dass er doch noch einiges Verständniss für 
die Notenbildung hat, sei es, dass ihm die einfacheren Regeln, 
wenigstens die von den Tironischen Einzelbuchstaben, den gewöhn 
lichsten Verschränkungen und den am häufigsten vorkommenden 
liilfszeichen durch Überlieferung bekannt sind, sei es, dass er 
tausende von Noten nachzeichnend sich diese einfacheren Regeln 
abstrahirt und dann im weiteren Verlaufe selbstständig anwendet. 
Der Schreiber des Cod. Gotwicensis gehört also in Bezug auf die 
Kenntniss der Tironischen Schrift einer Übergangszeit an: in ihrer 
Gesammtheit versteht er nicht mehr die Gesetze dieser scriptura 
literalis, sondern bildet nur mehr oder minder mechanisch den 
Notenvorrath nach, der ihm in Sammlungen früherer Jahrhunderte 
vorlag. 
Es. scheint mir, dass in dem trefflichen Werke Kopp's in der 
Geschichte der Tironischen Schrift der Umstand, dass nothwendiger 
Weise ein Übergangsstadium eintreten musste, nicht zur Genüge 
berücksichtigt worden ist und dass aus diesem Grunde mehrere 
Folgerungen, die er aus seiner Auffassung zieht und die er sofort als 
Kriterien auf die Diplome des IX. Jahrhunderts anwendet, nicht 
stichhaltig sind. Ähnlich wie dem Schreiber unseres Codex ist es in 
einer gewissen Zeit den Notaren der Kanzleien oder jenen Männern 
gegangen, die hie und da in Handschriften noch Tironische Noten 
angewandt haben; sie haben wohl noch die Einzelbuehstaben und 
deren einfachere Verbindungen, ferner die auxiliaria (die sich ja zum 
Theil als Abkürzungszeichen das ganze Mittelalter hindurch erhalten 
haben) gekannt, haben aber die Mehrzahl der Noten, als wenn sie 
scriptura realis wären, ohne genaues Verständniss für deren Bildung
	        
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