Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 38. Band, (Jahrgang 1861)

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durch Herkommen, später durch Vorschriften geboten, an jedem 
Tage die Luna anzugeben, so mussten die Kalender auch darauf ange 
legt sein und jedem, der nicht rechnen konnte, ermöglichen, aus ihm > 
das Mondalter zu ersehen. 
Es gilt nun bisher als ausgemachte Sache, dass man sich schon 
das ganze Mittelalter hindurch für diese lunare Zeitrechnung des in 
allen chronologischen Lehrbüchern abgedruckten sogenannten immer 
währenden Julianischen Kalenders bedient habe, in welchem die 
Neumondstage durch die ihnen beigesetzten goldnen Zahlen angezeigt 
sind. Die Mehrzahl der Chronologen vergisst dabei die Frage auf 
zuwerfen, wann diese Kalenderform aufgekommen sein mag; andere 
lassen sie geradezu so alt sein, als die Alexandrinische Osterrechnung. 
Das ist entschieden unrichtig. Und ohne mich hier auf eine einge 
hende Widerlegung dieser Vermuthung, denn mehr istes bishernicht *), 
einzulassen, stelle ich dem die Behauptung entgegen, dass das frühere 
Mittelaller diese Form des Julianischen Kalenders noch nicht gekannt, 
! ) Weder Scaliger, noch Clavius, Petavius u. A. fuhren ein bestimmtes Zeuginss 
für ihre Behauptung an; höchstens berufen sie sich im Allgemeinen auf Beda’s Werke t 
und meinen dann offenbar in diesem Falle die in den älteren Ausgaben mit enthaltenen 
Ephemeriden. Die Ephemeriden sind aber eine viel jüngere Arbeit (s. llie complete 
works of ven. Bede, by Giles; I the life p. CX und VI preface p. XIV) und können nichts 
für Beda’s, geschweige denn für frühere Zeit beweisen. Wann nun die neue Form 
des Mondkalenders aufgekommen sein mag, wird sich nicht eher bestimmt beantworten 
lassen, als bis eine umfassende Revision der älteren handschriftlichen Kalender in den 
verschiedenen Ländern stattgefunden hat. Folgendes gebe ich nur als Beitrag zur Lösung. 
Nach einer Notiz von Jan (dissert. cycli Dionysiani §. 18, in der Klotz’schen Aus 
gabe p 131) soll sich im Cod. Digbaeanus saec. IX inc. ein den Ephemeriden 
ähnlicher römischer Kalender mit goldenen Zahlen befinden. Aber es müsste erst noch 
festgeslellt werden, dass dieseZahlen der ersten Anlage des Kalenders angehören. Wie ich 
selbst nämlich bei sehr vielen alten Kalendern gefunden habe, hat man in ihnen häufig 
in späteren Jahrhunderten, in denen der Julianische Mondkalender allgemein verbreitet 
war, die goldenen Zahlen nachgetragen. Die Untersuchung der Handschriften muss also 
darauf hinausgehen, festzustellen, ob schon in der ursprünglichen Anlago der Tafeln eine 
Colonne für diese Art von Monddaten bestimmt war. Davon aber habe ich unter mehr als 
dreissig von mir geprüften Exemplaren vor 1000 kein einziges Beispiel gefunden und 
ziehe eben desshalb auch die Jan’sche Angabe in Zweifel. Unter den zahlreichen Kalen ^ 
darien der Wiener Hofbibliofhek findet sich sogar vor 1300 kein einziges mit urspriing- } 
lieh eingetragenen goldenen Zahlen. Doch habe ich anderwärts die neue Einrichtung 
früher gefunden. Zuerst in dem Cod. Sa ngall e ns is 304 (regula s.Benedieti, praecedit 
Kalendarium —jene zu Ende, dieses um die Mitte des XI. Jahrhunderts geschrieben); 
ferner in einem Herrn von Meiller gehörigen Kal end erfragmen t saec. XI und in 
einer Handschrift des Germanischen Museums, Cod. 322.4 saec. XII. Seit 
dem zwölften Jahrhunderte mehren sich die Beispiele, und um 1286bezeichnet Duran- 
dus diese Form des Mondkalenders schon als eine längst bekannte Einrichtung.
	        
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