Sicliel, Die Lunarbucbstabeii in den Kalendarien des Mittelalters.
Die Lunarbuchstaben in den Kalendarien des Mittelalters.
Von Dr. Th. Sickel.
In den Urkunden des Mittelalters wurde der Tag oft nach dein
Alter des Mondes bezeichnet; in den Klöstern kam es frühzeitig auf,
dass, wenn nach der Prime der Tagesabsclmitt aus dem Martyrolo-
gium verlesen wurde, neben den anderen Tagesmerkmalen auch die
Luna verkündet wurde. Nun weiss jedermann, dass solche Mondzeit
bestimmungen nicht auf unmittelbarer Beobachtung beruhen, sondern
auf einer cyklisehen Berechnung, welche den Alexandrinern entlehnt
das ganze Mittelalter hindurch in Gebrauch gewesen ist. Wie aber,
liegt es dann nah zu fragen, hat man aus den Gesetzen des Cyklus
das Mondalter für den einzelnen Tag bestimmt? Hat man in jedem
Falle die Rechnung nach der fast bei allen Computisten gleichlauten
den Anweisung angestellt? Unter Karl dem Grossen wurde zwar von
jedem Geistlichen gefordert, dass er den Computus kenne *), un< ^
vielleicht mögen, so lange die Karolingischen Schulen blühten, auch
viele im Stande gewesen sein, jede Art von lunarer Rechnung durch
zuführen. Aber der Mehrzahl musste man doch für den täglichen
Bedarf Hilfsmittel zur Hand gehen, so gut wie Oster- und andere Zeit
tafeln, die auch entbehrlich gewesen wären, wenn jeder die Regeln der
Bücher inne gehabt und anwenden gelernt hätte. Die chronologischen
Hilfsmittel nebst den liturgischen Werken waren sogar die ersten,
die sich jedes Kloster, jeder Geistliche verschaffte, und war es nun
*) Monum. Germ. hist. LL. 1, 6S. 107. 125 ü. a. a. 0. — Computus ist ah er nicht nur
die gemeine Rechenkunst, sondern die auf die Zeitbestimmungen angewandte. — Du-
randus rationale div. offie. VIII c. 1 : „Quoniam, sicut ait beatus Augustinus, sacerdotes
computuin scire tenentur, alioquin vix eis nomen sacerdotis constabit: sub quo noti-
tiam cursus temporis, lunae ac calendarii intelligimus, quoniam computus est scienlia
certificandi tempus secundum solis et lunae progressum“.