Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 172. Band, (Jahrgang 1913)

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VI. Abhandlung: Gamillscheg. 
Verbalgruppe, ,haben wir doch in diesen Formen indikativische 
Äquivalente für die dem Konjunktiv eignende potentiale und 
jussive Bedeutung oder die diesen zugrunde liegende futurische 
Bedeutung vor uns 1 (Blase HG S. 224). Ein debuerat, opor- 
tuerat, potuerat ist seit den ältesten Zeiten gleichwertig mit 
debuisset etc., und das Auftreten solcher Formeln im Bedingungs 
satz daher ohne weiteres verständlich. 
Schon Cicero (vielleicht schon Plaut, mil. 52, s. Foth 
S. 274, aber dagegen Blase, Plusqu. S. 66) bedient sich aber 
einer analogen Konstruktion aus rhetorischen Gründen, um das 
rasche Eintreten der Handlung des Nachsatzes zu bezeichnen 
,Der Schriftsteller will einen rhetorischen Effekt erzielen. In. 
dem er sich über die Wirklichkeit hinwegsetzt, behauptet er 
etwas als wirklich geschehen, um es sogleich wieder durch die 
nachfolgende Protasis in das Gebiet des Irrealen zu verweisen. 1 
Blase (HG S. 224) nennt dieses Plusqu. eine Zeitform mit rhe 
torischem, interjektionsartigem Charakter. 
Demgemäß sind es neben den Verben des ,Müssens‘ auch 
die Verba, die das Eintreten in einen Zustand ausdrücken, die 
zunächst in der indikativischen Form erscheinen, so die Verba 
des ,Anfangens, Vorbereitens, Versuchens, Strebens, Begehrens, 
Antreihens 1 . 
Es handelt sich also im Ursprung um eine durchaus 
literarische Erscheinung. In der späteren Kaiserzeit aber 
scheint dieser ursprünglich literarische Gebrauch in die Volks 
sprache gedrungen zu sein; jetzt trat ein, was eintreten mußte, 
es beschränkt sich die Formel nicht mehr darauf, einen be 
stimmten rhetorischen Effekt zum Ausdruck zu bringen, son 
dern sie ergreift wahllos alle Verbalklassen. Dieses Eindringen 
des indikativischen Plusqu. wurde aber dadurch gefördert, daß 
gleichzeitig allgemein ein Rückgang in der Verwendung des 
-s's-Konj. ein trat und an seine Stelle ein Präteritum Präsens 
trat, so im Temporalsatz, Objektsatz etc.; s. §§ 154, 158, 
160, 161. 
So begegnen sich um die Wende des 3. und 4. Jahrhun 
derts in der Volkssprache zwei verschiedene Strömungen, den 
Irrealis Praeteriti in einer von der alten Formel si habuissem — 
dedissem abweichenden Form zum Ausdruck zu bringen. Eine 
durchaus volkstümliche Wendung, die einen Ausdruck des
	        
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