Georg- Z a p p e r t. Über ein Brieflein als Amulet.
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Das corresp. Mitglied Herr Georg Zapp er t las seinen Aufsatz:
„Ein Brieflein als Amulet“. Einleitend gibt er eine Übersicht der
Verbreitung lateinischer Sprachkenntniss in der Frauenwelt des
Mittelalters.
In vorchristlicher Zeit nahm bekanntlich das Weib bei der
überwiegenden Zahl der Völker eine wenig günstige gesellschaftliche
Stelle ein. Mehr die Leibeigene des Gatten als dessen Ehehälfte,
mehr Obermagd als Hausfrau, blieb die geistige Entwickelung des
Weibes meist eine höchst beschränkte. Geboren um zu gebären, zu
stillen, zu sterben, ging ihr Leben spurlos dahin. Anders jedoch mit
Beginn der christlichen Ära. Die Sonne des Christenthums liess
ihre Strahlen auf beide Hälften des menschlichen Geschlechtes
erleuchtend fallen. Kirchenlehrer fordern gleichmässig Gatte wie
Gattinn zur Lesung erbaulicher Schriften auf. In Sonderheit ergeht
diese Ermahnung an jenen Theil des schwächeren Geschlechtes, der
weltentsagend sein Leben der beschaulichen Stille klösterlicher Um
friedung geweiht batte. Nonnen waren lleissige Leserinnen und
Viele beschränkten sich nicht auf die blos empirische Kenntniss der
lateinischen Sprache, sondern suchten auch in ihre grammatischen
Geheimnisse einzudringen; manche erwarben eine solche Gewandt
heit im schriftlichen Ausdrucke des Gelehrten-Idioms, dass sie in ihm
Werke abzufassen kein Bedenken trugen. Der Vortragende gibt nun
ein Verzeichniss der in lateinischer Sprache schriftstellernden mit
telalterlichen Fräuen geistlichen wie weltlichen Standes und schliesst
ihre Reihe mit Elisabeth von Österreich, deren Schrift „De
institutione Regii pueri“ er zum ersten Male veröffentlicht. Elisabeth,
der Tochter Kaisers Albrecht II., Witwe Königs Kasimir III. (IV.) von
Polen, war zu ihrer lebhaftesten Freude die Kunde geworden, dass ihr
Sohn Uladislaus II. von Ungern (IV. von Böhmen) „in Balde einen
kleinen“, wie sie sich in ihrer herzlich naiven Sprache ausdrückt,
„in Balde einen kleinen Kasimir (parvum Casymirum)“ zu erwarten
habe. In Folge dessen fühlte sie sich veranlasst ihrem Sohne den
Weg zu bezeichnen, auf welchem bei Ausbildung des zu erwartenden
Thronerben vorgeschritten werden soll. Diese Schrift der Königinn
Elisabeth bietet nicht blos wegen der in ihr entwickelten Ansichten
über Prinzen-Erziehung pädagogisches Interesse, sondern gewährt
auch durch vielfache Mittheilung charakterisirender Züge berühmter