Über das Canticum und den Chor in der römischen Tragödie.
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sei; indem in der sonderbaren Trennung von Gesang und Gesticu-
lation etwas Komisches liege, und insbesondere die raschere und
lebendige Mimik welche wir dem Vortrage des Canticum zuge
schrieben, mit der Würde und dem Ernste der Tragödie unvereinbar
sei. Diese Bedenklichkeit bedarf kaum einer Widerlegung. Dass
die komische Mimik von der tragischen unendlich verschieden ist,
versteht sich; aber dass diese letztere neben dem höchsten tragi
schen Pathos möglich ist, und den Ausdruck des Rührenden und
Erhabenen ausserordentlich heben kann, ist eben so gewiss. Es fehlt
uns aber an hinreichenden Zeugnissen und Beispielen keinesweges,
um auch der Tragödie das Canticum zu vindiciren. Vor Allem gehört
hierher die Stelle in Cic. Acad. II, 7, 30: Quam multa, quae nos
fugiunt in cantu, exaudiunt in eo genere exercitati! Qui primo inflatu
tibicinis Antiopam esse aiunt aut Andromacham, quum id nos
ne suspicemur quidem. Diese Stelle stimmt auffallend mit der bereits
aus Donatus angeführten , und muss auch durch dieselbe erklärt
werden. Wie dort berichtet worden, wurde noch vor dem Anfänge
eines Drama’s oft die Melodie eines bedeutenderen in demselben vor
kommenden Canticums von dem Flötenspieler gespielt, so dass die mit
solchen Dingen bekannteren Zuhörer schon im Voraus erkannten, was
für ein Stück würde aufgeführt werden *)• Hier nun ist von einer Musik
die Rede, welche zu den Tragödien Antiopa oder Andromache gehörte,
also doch wohl zu einem in denselben enthaltenen Canticum; denn
Chorgesänge" sind in solcher Weise gleichsam als Ouvertüren nicht
vorgetragen worden. Auch Tusc. I, 44 musste Cicero ein Canticum
4 ) In Bezug; auf das was hier erwiesen werden soll, nämlich dass bei dieser Stelle
Cicero’s das Canticum aus einer Tragödie gemeint sei, ist es völlig' gleichgiltig, ob
dasselbe im Theater selbst vor der Aufführung: des ganzen Stückes abgespielt wird,
oder ob, wie dies Ritschl Parerg. Plautin. I, pag. 304 behauptet hat, an blosse
Flöten-Melodien und nicht an eine Theater-Musik zu denken sei. Es ist jedoch eine
ganz willkürliche Annahme, dass Donatus bei dieser Angabe über das Vorspiel auf
der Flöte an Cicero’s Stelle gedacht und dasselbe ohne Grund auf das Theater
bezogen habe. Gerade als ob er Angaben dieser Art nicht aus näheren Quellen habe
entnehmen können. Es enthält aber die Notiz des Donatus in sich selber nichts was
dieselbe unwahrscheinlich machen könnte. Die Ankündigung des Stückes von der
Bühne herab (tituli pronuntiatio) fand erst unmittelbar vor der Aufführung des ersten
Actes gleich nach dem im Rede stehenden Flöten-Vorspiel Statt: und da konnte es
doch wohl geschehen , dass , wer nicht sonst woher wusste , welche Stücke und in
welcher Reihenfolge sie zur Aufführung kommen würden, es eben aus dieser ihm
schon bekannten Flöten-Musik zuweilen errieth.
Sitzb. d. phil.-hist. CI. XV. Bd. III. Hft.
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