Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 15. Band, (Jahrgang 1855)

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SITZUNG VOM 7. MÄRZ 1855. 
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Gelesen: 
Über das Canticum und den Chor in der römischen Tragödie. 
Von Hin. Prof. Dr. Grysar. 
Wie bis jetzt in der Geschichte der römischen Literatur die 
Tragödie besprochen worden, ist von diesen beiden wichtigen 
Bestandtheilen derselben entweder gar keine Rede, so dass man fast 
glauben möchte, es sei das Vorhandensein derselben bezweifelt 
worden: oder es wird auch von dem Chorgesange geradezu und 
ausdrücklich behauptet, er habe in der römischen Tragödie gänzlich 
gefehlt. Andere haben beider Theile wohl Erwähnung gethan, jedoch 
so im Vorübergehen, dass man sieht, sie haben sich auf eine nähere 
Beleuchtung der Sache eben nicht einlassen wollen *). Was wohl 
*) 1. f. Baehr, Gesch. der röm. Lit. Bd. I, S. 148, §. 38, erwähnt des Canticum nur 
da wo er die Komödie bespricht, was beinahe so aussieht, als ob es dieser aus 
schliesslich angehört habe. Dass der Chor dem lateinischen Drama überhaupt 
gefehlt habe, ist ein alter Irrthum, den schon Salmasius ad script. Hist. Aug. 
Tom. II, p. 828 verfochten hat. ßoettiger, quatuor aetätes rei scenicae p. XY, 
spricht der röm. Tragödie den Chor ab, weil die Römer das griechische Drama 
erst zu einer Zeit hätten kennen lernen, als der Chor aus deren Komödie aus 
geschieden gewesen. Gerade als ob die röm. Dichter die griechischen Tragödien 
nie zu Gesicht bekommen hätten!! Noch wunderlicher ist die Behauptung welche 
Planck Ennii Medea p. 38 aufgestellt hat, es seien die Cantica als Substitute des 
Chores zu betrachten, und alles was Horaz A. P. v. 194 von der Aufgabe des 
Chores aussage, auf das Canticum zu beziehen : was rein unmöglich ist, indem Chor 
und Canticum sowohl in Bezug auf die auszusprechenden Gedanken, als auch in 
Bezug auf die darstellenden Personen durchaus verschieden von einander gewesen, 
ßernhardy, röm. Lit.-Gesch. S. 355 nimmt ebenfalls den Mangel an Chorgesängen 
als etwas ganz Gewisses an. Dagegen scheint Welker, rhein. Museum, Supplement!). 
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