Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 155. Band, (Jahrgang 1908)

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V. Abhandlung: Schönbach. 
tums ist hinlänglich bekannt, zudem noch aus der trefflichen Arbeit 
Regniers. Wer sich einigermaßen in Augustinus eingelesen hat, 
dem gewährt seine Darstellung ein so scharf umrissenes Bild 
seines Stiles, daß es nicht vergessen wird und einen Maßstab 
darbietet, der auch an Material von geringem Umfang (viel 
leicht zwanzig Druckzeilen) den Autor wiederzuerkennen ver- 
stattet. Und Berthold war mit Augustinus ganz genau vertraut, 
ihm sind die passenden Zitate bequem zur Hand, natürlich am 
meisten aus den Hauptwerken, aber auch aus Schriften, die 
nicht ganz am Wege liegen. Ich meine nun nicht, daß Berthold 
seine Rednerkünste und den lebhaften Ausdruck des Stiles, der 
den Zuhörer angreift, einfach Augustinus abgelernt hat, wohl 
aber behaupte ich, daß Bertholds Anlage und schulmäßige Rhe 
torik durch das Studium Augustins ungemein gefördert und in 
die besondere Richtung dieses Schriftstellers gedrängt worden 
sind. Fast in noch höherem Grade behaupte ich Ähnliches 
über die Beziehung Bertholds zu Bernard von Clairvaux. Dieser 
Autor des 12. Jahrhunderts ist das bedeutendste Vorbild für 
die Schriftstellerei des 13., insbesondere der Mendikantenorden 
geblieben, ja noch ins 14. Jahrhundert hinein wird er am 
häufigsten angeführt und nachgebildet. Berthold hat sich ihn 
zum Muster genommen, nicht bloß in bezug auf seine Predigten 
an Geistliche und Religiösen im engeren Sinne, wo ja Bernards 
Sermone an die Kongregationen der Zisterzienser sich von selbst 
als höchstes Beispiel darboten, sondern auch im allgemeinen 
für die rednerische Technik, welche die Gemüter erschüttern 
will. Darin war nun allerdings Bernard ein ausgezeichnetes, ja 
ein Vorbild einzig in seiner Art, wie schon die Charakteristik 
lehren mag, die ich in den Studien zur Erzählungsliteratur des 
Mittelalters 1, 96 ff. versucht habe. Ihm hat Berthold. das 
zeigen die Ziffern der Zitate, mit noch größerer Beflissenheit 
nachgestrebt als der Rhetorik Augustins und wirklich ist auch 
ein Teil der Macht, die Gemüter zu ergreifen, durch diese 
Studien von Bernard auf Berthold übergegangen. Von Augusti 
nus über Bernard zu Berthold läßt sich eine direkte Linie der 
Entwicklung des oratorischen Stiles ziehen. Nicht minder 
zeichnen sich die Homilien Gregors des Großen durch Lebhaf 
tigkeit aus, allein sie ist von anderer Art als die Bertholds. 
Dagegen hat in anderem Bezüge Gregors Prosa für Berthold
	        
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