IX. Abh.: Schönbach. Studien zur Erzählungsliteratur des Mittelalters. IV.
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IX.
Studien zur Erzählungsliteratur des Mittelalters.
Von
Anton E. Schönbach,
corresp. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
Vierter Theil:
Ueber Caesarius von Heisterbach. I.
Vorwort.
Wie es dazu gekommen ist, dass ich mich mit den
Schriften des rheinischen Cisterciensers Caesarius von Heister
bach eingehender beschäftigte, das bedarf einer kurzen Er
klärung. Seit geraumer Zeit durchsuchte ich die Litteratur des
Mittelalters nach einem Falle, wo unter möglichst gleichen Be
dingungen des Entstehens verschiedene Fassungen derselben
Geschichte vorlägen, um dann durch genaues Feststellen und
Prüfen der bei ihnen vorhandenen Unterschiede Etwas zu ge
winnen, das ein theoretisches Minimum der Variabilität eines
Erzählungsstoffes darstellen könnte. Nun läge es ja vielleicht
näher, aus dem lebendigen Treiben der Gegenwart zu schöpfen
und innerhalb eines bestimmten und überschaubaren Kreises von
Menschen zu beobachten, wie die Darstellung eines Ereignisses
von Mund zu Mund sich verändert (Zeitungsnachrichten, die
Vernehmung von Zeugen bei Gerichtsfällen u. s. w. böten wahr
scheinlich brauchbares Material, es Hessen sich sogar zu dem
Behufe besondere Experimente ausdenken); allein für mich
wenigstens ist die Beschaffung von Beispielen dieser Art mit
zu vielen Schwierigkeiten und Hindernissen verknüpft, um aus
führbar zu scheinen. Auch gestehe ich zu — es wird das wol
eine meiner Schwächen sein — dass ich bei Arbeiten, die auf
ein methodisches Durchforschen der Erzählungslitteratur des
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXLIV. Bd. 9. Abh. 1