Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 134. Band, (Jahrgang 1896)

Ueher den Rhythmus im Chinesischen. 
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Das thatsächlich zur Geltung kommende Bildungsgesetz 
hier ist: 
Es sollen nicht alle Versfüsse eine gleiche Betonung haben. 
Je zwei von den vier Versen einer Strophe sollen ein schönes 
Verliältniss der Ping und Tse aufweisen, gleichsam als Gegen 
stücke zu einander erscheinen, ferner bei je zwei nacheinander 
folgenden Versen (also 1, 2 und 3, 4) nicht mehr als auf einem 
Versfüsse die gleiche Betonung sein. 
Der zweite und vierte Vers sollen reimen und zwar kann 
der Beim echt (_) oder unecht ( w ) sein. 
Der Hauptunterschied zwischen dem Rhythmus der Poesie 
und Prosa ist demnach, dass bei den poetischen Gebilden in 
einer rhythmischen Gruppe nicht lauter gleiche Betonungen 
Vorkommen dürfen, in der Prosa wohl; dass der Rhythmus in 
der Poesie zum voraus festgelegt ist, jener der Prosa durch 
die Gedankenbeziehungen bestimmt wird, dass in der Poesie 
dem correspondierenden Rhythmus nicht ein correspondierender 
Satzhau entsprechen muss, wie in der Prosa, sondern nur der 
rhythmische Accent des Verses mit dem logischen, beziehungs 
weise pathetischen sich zu decken hat. 
Die angeführten drei Gedichte lauten in freierer, zweck 
entsprechender Uebersetzung: 
Der Frühlingsschlaf von Meng Hao-jan. 
Im Lenzestaumel beachtet ich nicht Aurorens Kommen, 
Von allen Orten empfing nur mein Ohr der Vöglein Gezwitscher; 
In nacht’ger Stille entstanden dann Sturm und Regengebrause, 
Der Bliimlein manche sie fielen zu Grund, ich weiss ja wie viele. 1 
Meng Hao-jan traf bei einem Besuche den Yuen nicht mehr 
als Censor. 2 
Zu Loyang da traf ich der Sprache gewaltigen Geist an. 
Zu Kjangling doch war es der (arme) vom Hofe Verbannte, 
1 Der Dichter schildert hiemit die Glückseligkeit seines verborgenen Le 
bens. Wörtlich heisst es: Im Frühlingsschlaf gewahrte ich nicht die 
Morgenröthe, überall hörte ich die zwitschernden Vögel. In der Nacht 
war Sturm und Regengebraus, die Bliithen fielen zur Erde, ich weiss 
wie viele. 
2 Meng’s Freund Yuen, aus Loyang, war Privatcensor des Kaisers, er 
ging ins Exil auf den Berg Yiiling in Iviangsi, wo frühzeitiger Frühling 
einzutreten pflegte.
	        
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