Full text: Sitzungsberichte / Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien, 126. Band, (Jahrgang 1892)

Hielt Descartes die Thiere für bewusstlos? 
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das Dasein der Körper bestritt, indem er es für nur wahrschein 
lich erklärte. Kur hat er dieses positiv wahrscheinlich genannt 
und das Dasein der Thierseele ,nicht gewiss 4 . Ich glaube nicht, 
dass er es darum für fraglicher hielt als das der Körper. Im 
G-egentheil! Die negative Fassung zeigt, dass es ihm am 
nächsten lag, Gewissheit anzunehmen, die positive in Bezug 
auf die Körper, dass er vom Unglauben ausging. Vielleicht 
wird Manchem der Sinn der Aeusserungen Descartes’ über die 
Thierseele durch die Bemerkung klar, dass er in denselben 
nicht so sehr eine zoologische, als vielmehr eine erkenntniss- 
theoretische Thatsaclie auszusprechen strebte. 
Wer es gar so unbegreiflich findet, dass Jemand im 
Thier ,nicht die Spur von einem Geist 4 sehen wolle, der be 
denke, dass die angeblich Descartes’sche Theorie so unerhört 
paradox nicht ist, als es auf den ersten Blick scheint. Unser 
Recht erkennt dem Thiere keine ,Persönlichkeit 4 zu, erklärt es 
für eine ,Sache 4 . Ja, Thiere gelten ihm unter Umständen als 
,vertretbare 4 Sachen, auf deren Individualität es also nicht an 
kommt. Der Schritt, zu leugnen, dass das Thier seiner selbst 
als eines Individuums bewusst sei, ist kein so grosser. Auch 
hebt die Anwesenheit eines Thieres die Stimmung der Ein 
samkeit, des absohiten Alleinseins nicht so auf, wie wenn ein 
Mensch des Weges kommt. Also nicht nur dem nüchternen 
Juristen, auch dem lyrisch Gestimmten gilt die Thierseele 
nicht als vollgiltiges ,Ich 4 , Die Worte, mit welchen die Jäger 
sprache die Thätigkeiten des Wildes bezeichnet, haben sehr 
oft eine Mitbezeichnung des Automatischen, Unpersönlichen. 
Der Rehbock ,schallt 4 , wenn er überrascht wird und ,flüchtig 
wird 4 , nicht entflieht; der Hirsch ,wechselt 4 über den Bach. 
Auch- die wilde, populäre Thierpsychologie ist also dem Auto 
matismus nicht von Grund aus feind. Descartes’ Zweifel ist, 
ganz abgesehen von seiner wissenschaftlichen Berechtigung, 
dem Menschen nicht so unnatürlich, als es scheint. Die Thier 
seele wird so oft ignorirt, dass es nicht zu wundern ist, wenn 
ein consequenter Kopf einmal ernstlich fragt, ob sie denn 
überhaupt vorhanden sei. Wenn man sich innig bemüht, das 
Denken eines echten Philosophen in der Phantasie nachzuer 
leben auf Grund der Gedanken, wie er sie mit den Mitteln, 
über die er verfügte, in seinen Büchern darzustellen versucht 
Sitzungsber. d. phil.-hist. CI. CXXVI. Bd. 4. Abh. 2
	        
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