Gomperz. Platonische Aufsätze.
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Platonische Aufsätze.
Von
Theodor Gomperz,
wirkl. Mirgliede der kaiserl. Akademie der Wissenschaften.
I. Zur Zeitfolge platonischer Schriften.
Die zum Mindesten ein halbes Jahrhundert fruchtbaren
Schaffens umspannenden, so vielgestaltigen und widerspruchs
vollen Werke Plato’s nach der Folge ihrer Abfassungszeit an
ordnen zu wollen — dies ist sicherlich mehr als ein blosses
Verlangen wohlberechtigter Wissbegier. Die Lösung des heiss
umstrittenen Problemes verheisst uns reichen Gewinn. Von ihr
erwarten wir die schliessliche Beseitigung des auf diesem Boden
noch immer üppig wuchernden, Discrepanzen verhüllenden,
äusserlichen Einklang erzwingenden, hai-monistischen Bemühens;
die Sicherung und in anderen Fällen die Anbahnung eines völlig
unbefangenen und eindringenden Verständnisses gar vieler dieser
Schriften; desgleichen die Beschaffung eines unverächtlichen
Hilfsmittels zur Entscheidung der Echtheitsfrage in Ansehung
des angefochtenen Theils der Sammlung; ja schliesslich viel
leicht auch die Gewinnung neuer Einblicke in die Entwicklungs
und Bethätigungsweise schöpferischer Geister überhaupt.
Allein so lockend das Ziel, so gewaltig ist das Heer der
Schwierigkeiten, welches sich seiner Erreichung hindernd in
den Weg stellt. Sie entspringen insgesammt der schriftstelleri
schen Eigenart Plato’s, und zwar zumeist an zwei Punkten
derselben. Seine Scheu vor der Ueberlieferung fertiger, von
ihrer Gedankenwurzel abgelöster oder ablösbarer und darum
leicht zu leblosen Dogmen erstarrender Ergebnisse hat ihn die
seiner künstlerischen Begabung so congeniale Gesprächsform
zugleich endgiltig wählen und sie vielfach in einer Weise hand-
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