530
G o m p e r
mit genau demselben Grundgebrechen behaftet, — so lange wenigstens, als es
nicht gelingt, andere Wirkungen der vorausgesetzten Ursache, d. h. andere
derartige Verstösse in grösserer Zahl und von einigermassen annäherndem
Gewichte nachzuweisen. Ein dahin zielender Versuch ist von Herrn Stein
unternommen und von uns mit Gründen zurückgewiesen worden, die (so viel
ich weiss) ziemlich allgemein als entscheidende gelten. Jedenfalls hat sich
Herr Kirchhoff, mit welchem wir es hier allein zu tliun haben, jenen Beweis
versuch niemals angeeignet, und es ist wohl wenig Aussicht vorhanden, dass
er dies in Zukunft noch tliun werde.
Nicht nur unternimmt es somit unser Gegner nicht, das Dasein jener
Ursache durch die Stätigkeit der ihr zugeschriebenen Wirkungen zu erhärten:
er macht von ihr vielmehr geradezu als von einer unstät wirkenden Ursache
Gebrauch. Oder wäre dies ein zu starker Ausdruck für ein Verfahren, wie
es das folgende ist? Die unterlassene Tilgung jener auf die ’Aaaupioi Xoyoi
bezüglichen Zusagen wird durch den vermeintlichen Mangel eines redactio-
nellen Abschlusses gerechtfertigt, und zwar in Worten, die von völlig all
gemeiner Anwendbarkeit sind und nicht etwa von dieser oder jener Partie
des Werkes allein gelten. Sie bedeuten entweder überhaupt nichts oder sie
bedeuten eine Eigenschaft des Ganzen: ,Da er nun nicht einmal dazu gelangt
ist, die Arbeit nach dem ursprünglichen Plane zu Ende zu führen, so ist es
natürlich vorauszusetzen, dass er auch die ausgearbeiteten Theile
keiner abschliessenden und ausgleichenden Eevision unter
worfen hat, und so erklärt es sich zur Genüge, warum Unfertigkeiten so
auffälliger Art, wie die bemerkten, nicht von dem Verfasser selbst bemerkt
und ausgeglichen worden sind. 4 (Ueber die Entstehungszeit u. s. w. 2 6.)
Nun denke man, es gebe Jemand, der zwar weder die voranstehende
Behauptung noch ihre Begründung für richtig hält, der sich jedoch der Wahr
nehmung nicht verscliliessen zu können glaubte, dass auch dem Vater der
Geschichte gleich so vielen grossen Schriftstellern ein vereinzeltes redactio-
nelles Versehen begegnet sei, von genau derselben Art wie jene Verstösse,
welche Herr Kirchhoff ihm beimisst, aber von unvergleichlich geringerer Be
deutung und überdies durch mildernde Umstände mehrfacher Art entschuldigt
und erklärlich gemacht. Er mochte hierin irren, er mochte auch, falls er
nicht irrte, auf manche Einwendung gefasst sein, nur nicht auf einen Wider
spruch von eben jener Seite, von welcher der obige Satz ausgegangen ist,
dessen umfassende Weite zwar weit mehr als hier erfordert wird, aber darum
doch auch dieses Wenige in sich schliesst. Allein weit gefehlt! Er ist mit seinem
Schluss vom Grösseren auf das Kleinere übel angekommen*, er hat sich nur
den rauhen Bescheid geholt, dass seine vergleichsweise (wie ihm däuchte)
so glimpfliche Voraussetzung dem Geschichtschreiber eine ,durch nichts
entschuldbare Nachlässigkeit 4 auf bürde. Wer gedächte hier nicht
des Bibelwortes vom Splitter und vom Balken ?
12 Auf diesen Gesichtspunkt hat O. Nitzsch in jenen zwei Abhand
lungen (s. Anm. 1) hingewiesen, die nicht früher gekannt zu haben ich
lebhaft bedauern muss.
13 Das war augenscheinlich die Meinung Otfried Müller’s (Gr. Lit.
Gesch. I 2 , 490), über welche ich vormals (Herod. Stud. I, 8) nicht ganz billig